Das Natürlichkeitsargument bei biotechnologischen Maßnahmen [1 ed.]
 9783428554621, 9783428154623

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Schriften zur Rechtstheorie Band 290

Das Natürlichkeitsargument bei biotechnologischen Maßnahmen Von

Frauke Rostalski

Duncker & Humblot · Berlin

FRAUKE ROSTALSKI

Das Natürlichkeitsargument bei biotechnologischen Maßnahmen

Schriften zur Rechtstheorie Band 290

Das Natürlichkeitsargument bei biotechnologischen Maßnahmen

Von

Frauke Rostalski

Duncker & Humblot · Berlin

Die Philosophische Fakultät der Friedrich-Schiller-Universität Jena hat diese Arbeit im Jahre 2017 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten

© 2019 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Satz: 3w+p GmbH, Ochsenfurt-Hohestadt Druck: CPI buchbücher.de gmbh, Birkach

ISSN 0582-0472 ISBN 978-3-428-15462-3 (Print) ISBN 978-3-428-55462-1 (E-Book) ISBN 978-3-428-85462-2 (Print & E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 Internet: http://www.duncker-humblot.de

Für Tony

Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde von der Philosophischen Fakultät der FriedrichSchiller-Universität Jena im Wintersemester 2017 als Dissertation angenommen. Mein Dank gilt Frau Prof. Dr. Andrea Esser für ihre fachliche Unterstützung sowie die Bereitschaft, eine Juristin auf dem Weg zu einer philosophischen Dissertation zu begleiten. Herrn Prof. Dr. Dr. h.c. Eric Hilgendorf danke ich für die Erstellung des Zweitgutachtens. Die Arbeit ist meinem Mann, Tony Rostalski, gewidmet. Ihm danke ich für seinen beständigen Rückhalt, sein tiefes Interesse am Austausch – vor allem aber für das Glück, das er gemeinsam mit unserem Sohn Ludwig Immanuel täglich in mein Leben bringt. Köln, im Dezember 2018

Frauke Rostalski

Inhaltsverzeichnis A. Einleitung und thematische Eingrenzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 B. Rechtsphilosophie als Reflexionstheorie des Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 I. Rechtsethischer Nihilismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 II. Rechtspositivistische Trennungsthese Hans Kelsens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 III. Weiterer Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 C. Zum Natürlichkeitsbegriff in der Debatte um biotechnologische Verfahren . . . . . 35 I. Bestandsaufnahme zur Debatte um biotechnologische Verfahren: Begriff des Natürlichen in Anlehnung an das Aristotelische Naturverständnis . . . . . . . . . . . 36 II. Kritik am Natürlichkeitsbegriff in der Debatte um biotechnologische Verfahren 43 1. Kritik an dem Differenzierungskriterium von Bewegung und Ruhe in sich selbst . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 2. Aristotelisches Verständnis der menschlichen Natur als Stütze der Kritik an einem an Aristoteles angelehnten Natürlichkeitsbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 a) Aus dem ergon-Argument folgt kein innerer Widerspruch der Aristotelischen Lehre im Verhältnis zum Unterscheidungskriterium von Selbstbewegung und -ruhe. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 b) Dem ergon-Argument kann nicht die Aufforderung zur Selbsttranszendierung entnommen werden. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64 c) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 3. Undurchführbarkeit einer Trennung von Natürlichem und Künstlichem in Bezug auf die „menschliche Natur“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 III. Ergebnis zum Natürlichkeitsbegriff in der Debatte um biotechnologische Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 D. Validität von Natürlichkeitsargumenten zur Legitimation rechtlicher Verhaltensnormen im Bereich der Biomedizin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78 I. Allgemeine Legitimationsanforderungen rechtlicher Verhaltensnormen . . . . . . . 78 1. Grundsatz der Verhältnismäßigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 2. Maßgeblichkeit der Adressatenperspektive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 II. Exkurs: Aufgabe und Legitimation von Strafe im Rechtsstaat . . . . . . . . . . . . . . 85 1. Normentheoretische Trennung von Verhaltens- und Sanktionsnormen . . . . . . 85 2. Ablehnung präventiver Strafzwecklehren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 3. Straftheorie der ausgleichenden Ahndung des konkreten begangenen Verhaltensnormverstoßes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91

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Inhaltsverzeichnis III. Legitimität rechtlicher Verhaltensnormen zum Schutz des Natürlichen im Bereich der Biomedizin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 1. (Vordergründige) argumentative Vorteile des Berufens auf die Natürlichkeit 100 a) Fehlende Sachlichkeit von originären Natürlichkeitsargumenten . . . . . . . . 101 b) Universalität und Egalität ersetzen nicht die allgemeinen Bedingungen rechtlicher Verhaltensnormlegitimation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 c) Kritik der verbreiteten ausschließlich positiven Besetzung des Natürlichen 110 2. Fehlende Bindungswirkung eines etwaigen „natürlichen Normensystems“ für den Menschen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 3. Vorwurf des naturalistischen Fehlschlusses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 4. Validität originärer Natürlichkeitsargumente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 a) Die Wahrung von Natürlichkeit im Bereich der Biomedizin dient nicht der Erhaltung der „natürlichen Lebensgrundlage“ des Menschen . . . . . . . . . . . 126 b) Unantastbarkeit der leiblichen Kontingenz des Menschen in der christlichen Lehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 c) Fehlende Schutzwürdigkeit des Natürlichen als „Kulturerbe“ . . . . . . . . . . 132 d) Fehlende Schutzwürdigkeit des Natürlichen zur Wahrung der Gattungsidentität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 e) Verbreitete Intuition als Begründung der Schutzwürdigkeit der menschlichen Natur? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 f) Zwischenergebnis zu originären Natürlichkeitsargumenten . . . . . . . . . . . . 139 5. Validität vermeintlicher Natürlichkeitsargumente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 a) Wahrung des Natürlichen zum Schutz der Menschenwürde . . . . . . . . . . . . 142 aa) Verletzung der Würde des Klons . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 bb) Verletzung der Würde der geklonten Person . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 cc) Verletzung der Würde der sonstigen am Vorgang des reproduktiven Klonens Beteiligten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 dd) Verletzung der Gattungswürde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 ee) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 b) Wahrung des Natürlichen zum Schutz vor unabsehbaren Gefahren für den Betreffenden und Dritte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 c) Wahrung der menschlichen Natur zum Schutz personaler Autonomie . . . . 157 aa) Gefährdung menschlicher Autonomie angesichts des Verlustes von „Reziprozität zwischen Ebenbürtigen“ durch eugenische Maßnahmen – zur Auffassung Jürgen Habermas’ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 bb) Gefährdung der Autonomie durch gesellschaftlichen Zwang zur Optimierung des Selbst . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 (1) Ungeeignetheit paternalistischer Verbotsnormen zum Schutz des Selbstbestimmungsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 (2) Dennoch: Legitimation von Verbotsnormen unter Bezugnahme auf das Selbstbestimmungsrecht Dritter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172 cc) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174

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d) Wahrung des Natürlichen zum Schutz vor sozialer Ungleichheit . . . . . . . . 175 e) Wahrung des Natürlichen zum Schutz von Authentizität . . . . . . . . . . . . . . 177 f) Wahrung des Natürlichen zum Schutz vor der Erschütterung fundamentaler (Wert-)Orientierungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180 g) Wahrung der menschlichen Natur zur Erhaltung von Empathie . . . . . . . . . 184 h) Wahrung der menschlichen Natur zur Erhaltung genetischer Vielfalt . . . . 185 i) Wahrung der menschlichen Natur zur Gewährleistung von Zuneigung gegenüber dem gezeugten Kind . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 j) Wahrung der menschlichen Natur zur Förderung von (kulturellen) Leistungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 k) Ergebnis zu vermeintlichen Natürlichkeitsargumenten . . . . . . . . . . . . . . . . 192 6. Ergebnis zur Legitimität rechtlicher Verhaltensnormen zum Schutz des Natürlichen im biomedizinischen Bereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 E. Schluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198 Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217

A. Einleitung und thematische Eingrenzung Jahrzehnte revolutionärer Entwicklungen im biotechnologischen Bereich liegen hinter uns. Während wir noch staunend zurückblicken, dreht sich das Rad neuer wissenschaftlicher Errungenschaften unaufhörlich weiter. Ein Stillstand ist nicht in Sicht. Was dem einen Anlass zu (Vor-)Freude bietet, ruft bei dem anderen Unbehagen hervor.1 Dabei steht eines fest: Die Quelle der Entwicklung immer neuer biomedizinischer Verfahren wird nicht versiegen. Nicht zuletzt das Recht wird auf diese Weise vor Herausforderungen gestellt. Unweigerlich gehen mit neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen Fragen einher, die die rechtliche Legitimität der Durchführung entsprechender biotechnischer Maßnahmen betreffen. Ihre Beantwortung fällt nicht immer leicht. Gleichwohl wurden in der Vergangenheit verschiedene biomedizinische Verfahren einer Regelung durch den deutschen Gesetzgeber unterworfen. Die Rede ist beispielsweise von den strafbewehrten Verboten der Leihmutterschaft (§ 1 Abs. 1 Nr. 7 ESchG), des Klonens (§ 6 ESchG) und des Verbots von Arzneimitteln zu Dopingzwecken im Sport (§ 6a AMG). Darüber hinaus sind neue rechtliche Vorschriften im Bereich des (Neuro-)Enhancement denkbar.2 Die Debatte um die Legitimität bereits erlassener sowie potentieller künftiger Vorschriften ist dabei ungebrochen. Wie kaum ein anderer Bereich berührt die Biomedizin im Kern die individuelle Vorstellung vom Leben des Einzelnen im Jetzt und in der Zukunft.3 Grund dafür sind nicht lediglich die – auch sichtbaren – erheblichen Veränderungen, die mit biotechnischen Fortschritten einhergehen können. Vorrangig 1 Seelmann, Wolff-FS, S. 481, 482 stellt in der öffentlichen Debatte „gewaltige Emotionen“ fest, die er sich insbesondere damit erklärt, dass es wegen der Neuheit der biotechnischen Verfahren „keine Traditionen emotionaler Verarbeitung gibt“. Quante, Menschenwürde, S. 27 gewinnt angesichts der gegenwärtigen Debatte gar den Eindruck, ein „neuer Kulturkampf habe begonnen“. S. dazu nur einige wenige Stimmen seiner Akteure: Jonas, Technik, Medizin und Ethik, S. 218: „Wir müssen wissen, daß wir uns weit vorgewagt haben, und wieder wissen lernen, daß es ein Zuweit gibt. Das Zuweit beginnt bei der Integrität des Menschenbildes, das für uns unantastbar sein sollte. Nur als Stümper könnten wir uns daran versuchen, und selbst Meister dürften wir dort nicht sein. Wir müssen wieder Furcht und Zittern lernen und, selbst ohne Gott, die Scheu vor dem Heiligen.“; Kass, The new republic 1997. 17, 22: „The perversities of cloning“; demgegenüber Bostrom, The Journal of Value Inquiry 37 (2005), 493: „Current humanity need not be the endpoint of evolution.“ 2 Vgl. Timm, GA 2012, 732, 743. 3 Bayertz, GenEthik, S. 111, 115 erklärt das verbreitete Unbehagen gegenüber neuen Verfahren der Biotechnik zum einen damit, dass die menschliche Natur von vielen als geradezu „heilig“ eingestuft wird (Die menschliche Natur „ist für uns in einem ähnlichen Sinne ,heilig‘, wie der bestirnte Nachthimmel es für die Menschen der Antike oder des Mittelalters gewesen sein muß.“), zum anderen aber auch mit der Sensibilität des Bereichs, in den die Forschung eindringt: menschliche Sexualität und Fortpflanzung.

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scheint es für die verbreitet empfundene Bedeutsamkeit der Zukunft der Biomedizin eine Rolle zu spielen, dass diese bisherige Grenzen des menschlichen Einflusses auf seine eigene Kontingenz überwindet: Der Fokus der Forschung ist nicht auf das Außermenschliche gerichtet – es bestimmen etwa weder die Entwicklung technischer Hilfsmittel noch die Beeinflussung der Umwelt das Arbeitsprogramm der Wissenschaftler. Vielmehr rücken diese bildlich gesprochen näher an jeden Einzelnen heran und bringen durch ihre Forschungsergebnisse Mauern zum Einsturz, die lange Zeit für unüberwindbar galten. In der Biomedizin lässt der Forscher die Menschheit in den Spiegel blicken und erhebt zugleich sich selbst als Teil jener Gattung zum Gegenstand künftigen Erkenntnisgewinns. Es überrascht vor diesem Hintergrund wenig, dass die Diskussion um geltende sowie künftige rechtliche Vorschriften im biotechnischen Bereich ungebrochen heftig geführt wird. Verwunderung ruft gleichwohl ein Befund hervor, der sich bei näherer Analyse der einschlägigen Argumente einstellt und insoweit geeignet ist, eine neuerliche Besonderheit der biomedizinischen Debatte gegenüber anderen rechtlichen Streitfragen herauszustellen. Die Rede ist von einer Konjunktur des Berufens auf „die Natur“ des Menschen bzw. dessen „natürlichen“ Zustand: Das Interesse daran, eben jene zu wahren, wird nicht selten als Einwand gegen spezifische Biotechniken ins Feld geführt.4 Fällt das Wort etwa auf die Legitimation des reproduktiven Klonens, ist es nicht weit: Das Natürlichkeitsargument, dem – so will manch einer den Leser offenbar glauben lassen – sämtliche anderen Überlegungen des Für und Wider untergeordnet sind; das Natürlichkeitsargument als unschlagbare Waffe, das jeder Diskussion vermeintlich ein Ende zu setzen geeignet ist.5 Und in der Tat: Wer wollte schon dem „Unnatürlichen“ bzw. Künstlichen das Wort reden? Ist ein biomedizinisches Verfahren erst in dieser Weise klassifiziert, erscheint es schwer, ihm noch die rechtliche Legitimität zu attestieren. So appelliert das Natürlichkeitsargument nicht zuletzt an einen verbreiteten Impuls positiver Besetzung des Natürlichen6 – denn ist es nicht die Natur, die dem Menschen das Leben erst möglich macht und ist nicht das Künstliche lediglich ein fader Abglanz dessen, was die Natur hervorbringt? Dabei sind weder das Berufen auf das Natürliche noch das Ausnutzen der damit zumeist hervorgerufenen positiven Besetzung innerhalb einer Diskussion wirklich neu: Natürlichkeitsargumente – wie im Übrigen auch die Widerlegung ihrer Überzeugungskraft und Geltung – weisen eine lange Tradition auf.7 Das vermeintliche 4

Diesen Eindruck schildert ebenfalls Bayertz, GenEthik, S. 109. S. zu diesem allgemeinen Befund, der sich bei der Untersuchung des Naturbegriffs einstellen kann, auch Heinemann, Studien I, S. 13, 16: Die Natur wird als „unverfügbare Orientierungsinstanz“ eingestuft, wodurch aber gerade „der Verzicht auf jede moralische Argumentation angezeigt“ wird. 6 S. zu Gründen einer solchen ersten Intuition noch ausführlich unten D. III. 1. 7 Bayertz, GenEthik, S. 107 f.; Heinemann, Studien I, S. 21. – Beispielhaft: „Der Schaden eines jeden Wesens besteht in dem, was wider die Natur geht.“ (Epiktet); „Alles ist gut, wie es aus den Händen der Natur kommt.“ (Goethe). 5

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Vorbild der Natur hat in der Vergangenheit immer wieder als Begründungsmuster gedient – sei es zur Rechtfertigung bestimmter gesellschaftlicher Institutionen oder aber zur Bewertung menschlichen Verhaltens in Recht und Moral.8 Jedoch streitet der Hinweis auf die stete Wiederholung eines bestimmten Argumentationstyps für sich genommen nicht für dessen Berechtigung. Darüber hinaus sind bloße Gefühle wie etwa eine positive Intuition, die Natürlichkeitsargumente bei manch einem hervorrufen, grundsätzlich nicht geeignet, rechtliche Wertentscheidungen in angemessener Weise zu begründen.9 Ohnedies stimmt der Appell an jene erste Intuition positiver Besetzung des Natürlichen misstrauisch, brechen sich darin doch allzu deutlich die Heftigkeit der hervorgerufenen Reaktion mit dem Fehlen eindeutig bestimmbarer Gründe für diese. Daneben tritt der seinerseits überraschende Effekt, dass ein längeres Nachdenken über „das Natürliche“ mehr Fragen aufwirft, als es Antworten bereithält. Je stärker das Bemühen um Annäherung, desto schwerer lässt der Begriff sich fassen. Wer den Versuch antritt, das Natürliche zu definieren, stößt unweigerlich auf Grenzübertritte zum Gegensatzpaar des Künstlichen.10 Sollte indes am Ende eine eindeutige Begriffsbestimmung nicht gelingen, würde dieser Mangel das Natürlichkeitsargument selbst in Mitleidenschaft ziehen: Indem nicht eindeutig bezeichnet werden könnte, auf welchen Gegenstand sich dieses bezieht, wäre sein argumentativer Gehalt in erheblichem Maße gemindert. So ist das Interesse an dem Natürlichkeitsargument in der Debatte um die rechtliche Zulässigkeit verschiedener biotechnischer Verfahren zugleich in mehrfacher Hinsicht geweckt. Neben das Ziel einer begrifflichen Erhellung tritt die Suche nach Gründen, die das Gefühl positiver Besetzung solcher Argumente zu tragen geeignet sein können. Vor diesem Hintergrund ist es Anliegen der vorliegenden Untersuchung, Licht ins Dunkel des Berufens auf die Natürlichkeit insbesondere im Hinblick auf neue Verfahren der Biomedizin zu bringen. Dabei richtet sich der Fokus ausschließlich auf die rechtliche Seite der einschlägigen Debatte. Wenngleich auch im Kontext der Begründung moralischer Normen entsprechende Argumentationsformen nicht fremd sind und darin ebenfalls der Kritik unterzogen werden, soll dies nicht Inhalt der nachfolgenden Zeilen sein.11 Die Beziehung zwischen Recht und Moral ist Gegenstand hoch differenzierter Einzeldebatten, deren nur ansatzweise Abbildung in diesem Rahmen in angemessener Form nicht möglich erscheint. Im Zentrum steht dabei der Rechtsbegriff, dessen spezifische Merkmale darüber entscheiden, inwieweit eine Abgrenzung gegenüber anderen gesellschaftlichen Rege-

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Vgl. beispielsweise zum klassischen Naturrecht, das von einer Bestimmung des positiven Rechts durch ein überpositives ausgeht, v. d. Pfordten, Rechtsethik, S. 192 ff. 9 S. ausführlich zu dieser Position noch unten D. III. 1. c). 10 Vgl. unten C. II. 3. 11 Zur Diskussion um die Validität von Natürlichkeitsargumenten in der ethischen Diskussion s. nur Birnbacher, Natürlichkeit.

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lungssystemen möglich ist.12 Nach dem hier zugrunde gelegten Rechtsverständnis13 decken moralische Normen einen erheblich weiteren Bereich des menschlichen Miteinanders ab als die Vorschriften des Rechts.14 Grund dafür ist nicht zuletzt das Anliegen, die mit staatlichem Zwang15 durchsetzbaren Ge- und Verbote des Rechts im Interesse der größtmöglichen Freiheitsgarantie sämtlicher Bürger auf ein notwendiges Maß zu reduzieren.16 „Leitbild“ eines freiheitlichen Gemeinwesens ist der selbstverantwortliche Mensch, dessen Freiheit zur Entfaltung in einem ausgewogenen Verhältnis zur Sicherung und Unterstützung dieser Freiheit durch den Staat steht.17 Ausschließlich jene Vorschriften, die für das friedliche Miteinander im Staat unerlässlich erscheinen, sollen daher einer rechtlichen Regelung zugeführt und auf diese Weise mit dem Potential staatlicher Durchsetzungsmacht ausgestattet werden.18 Dem liegt eine Abwägung widerstreitender Güter und Interessen zugrunde, die berücksichtigt, dass mit jedweder rechtlichen Verhaltensnorm ein Eingriff in Freiheitsrechte des Einzelnen verbunden ist, der zur Wahrung dieser Vorschrift von obrigkeitlicher Seite verpflichtet werden kann.19 Dieser Eingriff lässt sich ausschließlich durch die Erwägung rechtfertigen, dass dem jeweiligen Ge- oder Verbot der Schutz eines überwiegenden Interesses zugrunde liegt, das darüber hinaus solche allgemeine Relevanz entfaltet, dass sein Schutz von staatlicher Seite garantiert werden muss.20 Als klassisches Beispiel kann an dieser Stelle das rechtliche Verbot der Tötung eines anderen Menschen herangezogen werden. Bei dem Leben handelt es sich um eines der höchsten Rechtsgüter innerhalb der menschlichen Gemein12 Vgl. umfassend zu den unterschiedlichen Merkmalen, die von verschiedenen Autoren für die Definition des Rechtsbegriffs herangezogen werden, den Überblick bei v. d. Pfordten, Rechtsethik, S. 71 ff. 13 S. ausführlich zu diesem aus den Vertragstheorien abgeleiteten Rechtsverständnis noch nachfolgend D. I. 14 Nichtrechtliche Normen umfassen Normen der Moral im engeren Sinne, Sitten, Konventionen, Gebräuche und technische Regeln, deren weitere Binnenabgrenzung im Einzelnen vorliegend nicht vertieft werden soll, s. nur v. d. Pfordten, Rechtsethik, S. 82 ff. 15 Zugrunde gelegt wird an dieser Stelle ein weites Verständnis von „Zwang“ als „Hindernis oder Widerstand, der der Freiheit geschieht“ (Kant, Metaphysik der Sitten, Rechtslehre, A 34, 35 [S. 338]). Verhaltensnormen beinhalten vor diesem Hintergrund Zwang, da mit den darin aufgestellten Ver- bzw. Geboten eine Beeinträchtigung der Freiheit potentieller Normadressaten einhergeht. S. dazu v. d. Pfordten, Rechtsethik, S. 75 f. (auch zu abweichenden Zwangsdefinitionen). 16 Mit Arthur Kaufmann, Grundprobleme, S. 202 f. lässt sich dieser Gedanke als Ausfluss des „Subsidiaritätsprinzips“ einordnen: „dem einzelnen Gesellschaftsmitglied soviel Freiheit wie möglich und soviel Staat wie nötig.“ 17 Arthur Kaufmann, Grundprobleme, S. 203. S. bereits allgemein zum Verhältnis von Freiheit und Sicherheit Timm, Gesinnung und Straftat, S. 262 ff. 18 Vgl. Arthur Kaufmann, Grundprobleme, S. 196 (Das Recht sei auf die „Erhaltung der notwendigsten Bedingungen des menschlichen Zusammenlebens“ gerichtet.); v. d. Pfordten, Rechtsethik, S. 97. 19 Zum Eingriffscharakter sowie zur Legitimation rechtlicher Verhaltensnormen in einem freiheitlichen Rechtsstaat s. ausführlich unten D. I. 20 So auch Arthur Kaufmann, Grundprobleme, S. 204.

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schaft.21 Dem trägt es Rechnung, die qua Verfassung gegenüber dem Leben nachrangige Handlungsfreiheit anderer durch ein entsprechendes Verbot zu beschneiden. Darüber hinaus entspricht es wiederum der hervorgehobenen Bedeutung des Rechtsguts Leben, seinen Schutz mit den Mitteln des Staates zu garantieren. In der Konsequenz handelt es sich bei dem Tötungsverbot um eine rechtliche und daher mit staatlichem Zwang durchsetzbare Verhaltensnorm. Demgegenüber offenbart sich die Limitierung des Rechts auf die Regelung solcher Lebensbereiche, die für ein freiheitliches Miteinander der Bürger im Staat eine hervorgehobene Bedeutung haben, etwa im Hinblick auf das Verbot der Lüge. In diesem Zusammenhang kennt das geltende Rechtssystem allenfalls punktuelle Vorschriften, die das Lügen aufgrund der damit einhergehenden erheblichen Konsequenzen untersagen bzw. ggf. unter Strafe stellen. Als Beispiel kann insoweit die Vorschrift des § 263 StGB herangezogen werden, der das Betrugsverbot zugrunde liegt.22 Im Gegensatz dazu lassen sich im Regelungsbereich der Moral Normen begründen, die das Lügen in weitaus größerem Umfang verbieten. So findet sich etwa bei Kant die Aussage, „in allen Erklärungen wahrhaft (ehrlich) zu sein“, sei ein „durch keine Konvenienzen einzuschränkendes Vernunftgebot“.23 Aus diesem Grund treffe jeden Menschen „die strengste Pflicht zur Wahrhaftigkeit in Aussagen, die er nicht umgehen kann“, selbst wenn diese „ihm selbst oder andern schaden“.24 In der Folge sei die Lüge selbst unter der Voraussetzung untersagt, dass auf diese Weise dem eigenen Freund Schutz vor dessen Mörder zuteilwürde.25 Im Zentrum des hier zugrunde gelegten Rechtsbegriffs steht danach zunächst die staatliche Erzwingbarkeit rechtlicher Verhaltensnormen, die ein wesentliches Unterscheidungsmerkmal gegenüber moralischen Normen ausmacht. So besteht die Aufgabe des Rechts nicht lediglich in einer Reaktion auf Verstöße gegen rechtliche Vorschriften. Vielmehr dienen Letztere gerade der Verhaltensmotivation, die notfalls durch staatliche Organe erzwungen werden kann.26 Als Beispiel kann in diesem Zusammenhang erneut das Tötungsverbot herangezogen werden: Bietet sich einem Polizisten die Situation, dass eine Person in Tötungsabsicht einen anderen mit einem Messer angreift, ist es dem Beamten erlaubt, präventiv gegen den Verstoß gegen das Tötungsverbot vorzugehen, indem er beispielsweise Gewalt gegen den Angreifer anwendet. 21 BVerfGE 45, 187, 254 f.; Maunz/Dürig/Di Fabio, GG, 75. EL September 2015, Art. 2 Abs. 2 Satz 1 Rn. 9. 22 S. zu weiteren Beispielen v. d. Pfordten, Rechtsethik, S. 89. 23 Kant, Über ein vermeintes Recht aus Menschenliebe zu lügen, A 307 (S. 639). 24 Kant, Über ein vermeintes Recht aus Menschenliebe zu lügen, A 311 (S. 641). 25 Eine entsprechende Norm lässt sich im rechtlichen Kontext nicht begründen. Im Gegenteil richtet sich an den Befragten jedenfalls aus dem Gesichtspunkt allgemeiner Solidaritätspflichten, auf die sich § 323c StGB in begrenztem Umfang bezieht, ein Gebot, das Wissen über den Verbleib des Freundes gegenüber dem Mörder nicht kundzutun. 26 S. zu dieser Aufgabe rechtlicher Verhaltensnormen noch ausführlich unten D. I. 1., 2.

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Neben dem Kriterium der Erzwingbarkeit rechtlicher Verhaltensnormen unterscheiden sich Recht und Moral außerdem in teilweise erheblich voneinander abweichenden Regelungsgegenständen. Dies zeigt sich etwa daran, dass die Moral in Abhängigkeit von ihrer jeweiligen Spielart selbst die Beweggründe bzw. Motive des Einzelnen für ein bestimmtes Verhalten in den Blick nimmt.27 Für das Recht haben demgegenüber Gesinnungen bzw. Motive außer Acht zu bleiben.28 Grund dafür ist, dass Vorschriften, die lediglich die (bösen) Hintergedanken des Einzelnen im Blick haben, kein legitimes Schutzinteresse verfolgen.29 In einem freiheitlichen Rechtsstaat sind Eingriffe in die Rechte des Einzelnen allein unter der Voraussetzung zulässig, dass anderenfalls die Freiheit Dritter in nicht hinzunehmender Weise beeinträchtigt wird. Hieraus ergibt sich, dass der Bürger von seiner Freiheit allein in dem Maße Gebrauch machen kann, in dem er nicht störend die Sphäre anderer tangiert.30 Aus der Idee der Garantie größtmöglicher Freiheit aller als wesentlicher Voraussetzung des Rechtsstaats ergeben sich zwingend die grundsätzliche Freiheit der Gedanken sowie die damit korrespondierende Unzulässigkeit staatlichen Eingreifens in diesen Bereich. Bloße Gedanken sind nicht geeignet, die Freiheit Dritter störend zu beeinträchtigen.31 Aber auch äußerliches, störendes Verhalten erlangt keine andere Qualität durch das Fehlen oder den Zusatz einer spezifischen Gesinnung oder eines Beweggrundes. Das maximale Maß eines denkbaren Normverstoßes liegt vor, wenn der Täter das Recht bewusst infrage stellt und sein Verhalten durch keinen spezifischen Milderungsgrund gekennzeichnet ist.32 Stellt der Täter seine eigenen Maximen über die gesellschaftlichen und fehlt es gleichzeitig an einem diesen Umstand relativierenden Sachverhalt, ist hierin das Maximalmaß dessen zu sehen, was als Verhaltensunrecht dem Einzelnen vorgeworfen werden kann.33 Das zusätzliche Vorliegen einer spezi27

Vgl. Hübner, Philosophische Ethik, S. 15; Kantorowicz, Begriff des Rechts, S. 57. S. zum Ganzen Timm, Gesinnung und Straftat. Vgl. ferner Kantorowicz, Begriff des Rechts, S. 61: „Im Bereich des Rechts (…) kann eine Person aus den niedrigsten oder jedenfalls aus rein selbstsüchtigen Motiven handeln und dennoch ihre gesetzlichen Pflichten erfüllen.“ 29 Zutreffend verweist Esser, Kants Tugendlehre, S. 311 unter Hinweis auf Kant darauf, dass eine spezifische Einstellung bzw. Motivation rechtlich nicht erzwingbar ist, da sich der Einzelne nur selbst etwas „zum Zweck machen“ kann: „Es ist dies eine ethische Forderung, zu deren Erfüllung sich der jeweils Handelnde nur selbst bestimmen kann.“ 30 Vgl. Hobbes, Leviathan, S. 100 f., 136 ff.; Isensee, Grundrecht auf Sicherheit, S. 44 ff.; Kersting, Wohlgeordnete Freiheit, S. 222 ff.; Rousseau, Social Contract, S. 237, 277 f. S. außerdem Timm, Gesinnung und Straftat, S. 82 ff. m. w. N. 31 Vgl. Jakobs, ZStW 97 (1985), 751, 758 ff. So auch Freund, Erfolgsdelikt, S. 96 ff.; Frisch, Tatbestandsmäßiges Verhalten, S. 298 f.; Hegel, Philosophie des Rechts, § 94; Köhler, Strafrecht, S. 453 f.; Kühl, Bedeutung der Rechtsphilosophie, S. 41; Rath, Gesinnungsstrafrecht, S. 22 ff. – In diese Richtung auch Günther, Recht und Moral, S. 205, 214 f. 32 Timm, Gesinnung und Straftat, S. 157 ff. 33 Eine Steigerung der individuellen Schuld des Täters durch dessen Gesinnung kommt ebenfalls nicht in Betracht: Die Fähigkeit, anders handeln zu können, liegt entweder vollumfänglich oder nur eingeschränkt vor. Eine Graduierung über die vollständige Ausbildung einer Fähigkeit hinaus ist systemfremd. S. zum Ganzen ausführlich Timm, Gesinnung und Straftat, 28

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fischen Gesinnung begründet keinen darüber hinausgehenden Unwert, der den Verhaltensnormverstoß zu einem gewichtigeren macht oder gar qualifiziert.34 Bringt der Täter durch sein Verhalten zum Ausdruck, dass er die gesellschaftlichen Regeln grundlos missachtet, ist keine Steigerung über diese Vollform der Negation des Rechts möglich. Die Graduierbarkeit des Verhaltensunrechts findet danach ihre Grenze im vorsätzlichen Normverstoß, der ohne mildernden Grund vorgenommen wird.35 In der Folge kann der Umstand, dass wir die Gesinnung des Betreffenden kennen und als anstößig empfinden, zwar vordergründig dazu veranlassen, ein bestimmtes Verhalten für verwerflicher als anderes einzuschätzen. Genau besehen ist es aber nicht die Gesinnung des Täters, die solches Empfinden beim Beobachter hervorruft – jedenfalls nicht direkt. Vielmehr erschüttert die Grundlosigkeit des Verhaltens bzw. der Umstand, dass kein anerkennenswerter Grund herangezogen werden kann, der die Handlung bzw. das Unterlassen des Täters in irgendeiner Form nachvollziehbar macht. Dann besteht aber beispielsweise kein Unterschied zwischen einer Körperverletzung aus schierer Langeweile oder aus Rassismus.36 Sofern also eine Person die verbotene Tötung einer anderen unterlässt, hat sie sich insoweit rechtlich erlaubt verhalten.37 Eine rechtliche Verhaltensmissbilligung etwa aufgrund der Motive für S. 178 ff., 184. Vgl. zudem Frisch, Müller-Dietz-FS, S. 237, 240 ff., 249 f.; dens., 140 Jahre GA, S. 1, 5, 14; dens., BGH-FS, S. 269, 288 f.; dens., GA 1989, 338, 356; Grünewald, Tötungsdelikt, S. 211 f.; Haas, Strafbegriff, S. 249 m. Fn. 62; SK-StGB/Horn, 50. Lfg. April 2000, § 211 Rn. 3; Hörnle, Tatproportionale Strafzumessung, S. 151 ff., 269; dies., Tatproportionalität, S. 99, 124 ff.; dies., JZ 1999, 1080, 1084. In diese Richtung auch Erhard, Strafzumessung bei Vorbestraften, S. 197 ff.; Schaffstein, Gallas-FS, S. 99, 111. 34 In der Konsequenz dürfen Gesinnungen, Motive und Beweggründe auch auf Strafzumessungsebene keine Bedeutung entfalten. Bei der Strafzumessung handelt es sich um das Spiegelbild der Strafbegründung, weshalb auf dieser Ebene allein die Gesichtspunkte eine Rolle spielen dürfen, die auch im Rahmen der Strafbegründung bedeutsam sind. S. ausführlich Timm, Gesinnung und Straftat, S. 89 ff. Zum Erfordernis tatproportionaler Strafzumessung ausführlich Hörnle, Tatproportionale Strafzumessung; s. ferner Freund, GA 1995, 4 ff., 9 ff., 14 ff.; Timm, Gesinnung und Straftat, S. 93, 97 f.; Volk, ZStW 97 (1985), 871, 902 ff.; Weigend, Tatproportionalität, S. 199, 203. 35 In diese Richtung auch Grünewald, Tötungsdelikt, S. 120 f. Vgl. außerdem Haas, Strafbegriff, S. 252 f. m. Fn. 78. 36 Timm, JR 2014, 141, 146. Vgl. zudem SK-StGB/Horn, 50. Lfg. April 2000, § 211 Rn. 3. Zutreffend stellt Grünewald, Tötungsdelikt, S. 97 in diesem Zusammenhang fest, dass das Fehlen eines Beweggrundes für ein Verhalten sogar gravierender ausfallen kann, selbst wenn der Beweggrund negativ konnotiert ist, da die Tat so weniger plausibel wird. S. daraus ableitend ihre überzeugende Argumentation zum Verhältnis der Tötungstatbestände, S. 369 ff. 37 Eine ggf. als anstößig empfundene Gesinnung des Einzelnen kann lediglich Aufschluss darüber geben, ob es sich bei ihm um eine gefährliche Person handelt, die also in Zukunft ähnliche Taten begehen könnte. Auf einer Linie damit liegt auch die Annahme Essers, Kants Tugendlehre, S. 311, dass die „Zwecke, die jemand nicht nur zu haben vorgibt, sondern auch tatsächlich hat, (…) irgendwann und sei es in weiter Zukunft in seinem Handeln Ausdruck finden“ müssen – „anderenfalls handelte es sich dabei nicht um Zwecke, sondern allenfalls um Sehnsüchte und Wünsche“. Die Gefährlichkeit von Personen ist indes nicht Gegenstand der

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dieses Unterlassen steht außer Frage – das Recht ist nach dem Gesagten in seiner Bewertung beispielsweise blind gegenüber dem Umstand, dass die Ehefrau die Tötung ihres verhassten Mannes lediglich unterlässt, weil sie davon ausgeht, dass dessen Alkoholkonsum diese Folge ohnedies in naher Zukunft herbeiführen wird, oder weil sie sich vor Strafe fürchtet.38 Ein darüber hinausgehendes Beurteilungsspektrum weist hingegen die Vorstellung moralischen Verhaltens auf, wie sie sich bei Kant findet. Kant unterscheidet juridische und ethische Gesetzgebung.39 Danach ist eine Handlung „recht, die oder nach deren Maxime die Freiheit der Willkür eines jeden mit jedermanns Freiheit nach einem allgemeinen Gesetze zusammen bestehen kann“.40 Zugleich folge hieraus aber, dass das Recht nicht von dem Einzelnen verlange, sich dieses „Prinzip aller Maximen“ selbst zur Maxime zu machen. „Wenn die Absicht nicht ist, Tugend zu lehren, sondern nur was recht sei vorzutragen, so darf und soll man selbst nicht jenes Rechtsgesetz als Triebfeder der Handlung vorstellig machen.“41 Ganz anders verhalte es sich in Bezug auf die Ethik: „Das Rechtshandeln mir zur Maxime zu machen, ist eine Forderung, die die Ethik an mich tut.“42 Konsequent unterscheidet Kant auf dieser Basis zwei Arten von Pflichtbegriffen: Tugend- und Rechtspflichten, von denen allein letztere durch Zwang durchgesetzt werden dürfen. Tugendpflichten beruhten demgegenüber ausschließlich auf dem freien Selbstzwang.43 Grund dafür ist, dass das Recht lediglich auf die formale Bedingung der „äußeren Freiheit“ gerichtet sei, während der moralische Wert einer Handlung „in der Maxime, nach der sie beschlossen wird“, liege.44 „Ein anderer kann mich zwar zwingen, etwas zu tun, was nicht mein Zweck (sondern nur Mittel zum Zweck eines anderen) ist, aber nicht dazu, daß ich es mir zum Zweck mache“.45 Durch diese Unterscheidung wird zustrafrechtlichen Verhaltensbewertung, sondern spielt allein für das Gefahrenabwehrrecht bzw. Polizeirecht eine Rolle. S. dazu Timm, Gesinnung und Straftat, insbesondere S. 111 ff., 157 ff. 38 Vorausgesetzt ist dabei die Freiverantwortlichkeit in der Entscheidung des Mannes in Bezug auf seinen Alkoholkonsum. Anderenfalls kann, sofern sich eine Sonderverantwortlichkeit der Ehefrau trotz zerrütteter Eheverhältnisse begründen lässt (zum Problem s. nur Freund, AT, § 6 Rn. 88), an deren Pflicht gedacht werden, ihn von einem für ihn unmittelbar tödlichen Alkoholkonsum abzuhalten. Wiederum ergäbe sich die strafrechtliche Verantwortlichkeit in dieser Konstellation aber nicht aus einer als anstößig empfundenen Gesinnung der Ehefrau, sondern aus ihrem Verhalten, durch das sie gegen ein rechtliches Gebot verstieße. 39 Kant, Metaphysik der Sitten, Rechtslehre, AB 15 (S. 324). Zur begrifflichen Klarstellung ist insoweit zu beachten, dass Kants Rede von der „ethischen“ Gesetzgebung sachlich den hier als „moralischer“ Regelungsbereich gekennzeichneten Zusammenhang meint. S. ausführlich zu den Abweichungen hinsichtlich des Ethikbegriffs zwischen Kant und der heutigen Diskussion Esser, Kants Tugendlehre, S. 139 m. Fn. 139. 40 Kant, Metaphysik der Sitten, Rechtslehre, A 33; B 33, 34 (S. 337). 41 Kant, Metaphysik der Sitten, Rechtslehre, A 34, 35; B 35 (S. 338). 42 Kant, Metaphysik der Sitten, Rechtslehre, A 34, 35; B 35 (S. 338). 43 Kant, Metaphysik der Sitten, Rechtslehre, A 8, 9 (S. 512). 44 Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, BA 14 (S. 26). Vgl. auch Esser, Kants Tugendlehre, S. 310. 45 Kant, Metaphysik der Sitten, Tugendlehre, A 5, 6 (S. 510).

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gleich der erhebliche Unterschied in den Perspektiven deutlich, die Ethik und Recht in Bezug auf menschliches Verhalten nach Kants Auffassung einnehmen. So sei „überall nichts in der Welt, ja überhaupt auch außer derselben zu denken möglich, was ohne Einschränkung für gut könnte gehalten werden, als allein ein guter Wille.“46 Folglich richte die Ethik ihren Blick auf das „innere Verhalten“ des Einzelnen und erhebe damit die „Moralität seiner Gesinnung“ zum Bewertungsgegenstand.47 In der Konsequenz gebe es Überschneidungen zwischen Recht und Ethik in Bezug auf die Pflichten, die an den Einzelnen gestellt werden. Allein die „Art der Verpflichtung“ sei in beiden Bereichen unterschiedlich:48 „Man nennt die bloße Übereinstimmung oder Nichtübereinstimmung einer Handlung mit dem Gesetze, ohne Rücksicht auf die Triebfeder derselben, die Legalität (Gesetzmäßigkeit); diejenige aber, in welcher die Idee der Pflicht aus dem Gesetze zugleich die Triebfeder der Handlung ist, die Moralität (Sittlichkeit) derselben.“49 Hieraus ergibt sich, dass die ethischen Forderungen an den Einzelnen „über die Schuldigkeit des rechtlich Geforderten“ hinausgehen.50 In ihrem Blick auf den „guten Willen“ zur Beurteilung der Moralität eines Verhaltens unterscheidet sich die ethische Gesetzgebung im Sinne Kants daher in erheblichem Maße von der hier zugrunde gelegten Perspektive des Rechts.51 Noch deutlicher verlaufen dessen Grenzlinien zu sogenannten „Tugendethiken“.52 Diese 46

Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, BA 1, 2 (S. 18). Ralf Dreier, Recht – Moral – Ideologie, S. 186. 48 Kant, Metaphysik der Sitten, Rechtslehre, AB 18 (S. 326). 49 Kant, Metaphysik der Sitten, Rechtslehre, AB 15 (S. 324). 50 Esser, Kants Tugendlehre, S. 311. 51 Für die vorliegende Untersuchung kommt es nicht weiter darauf an, in welchem Umfang auch das Kantische Rechtsverständnis jedenfalls begrifflich die Berücksichtigung von Motiven oder Beweggründen zulässt. Für eine solche Interpretation spricht sich etwa v. d. Pfordten, Rechtsethik, S. 73 ff., 389 ff. aus, der jedoch die „Beschränkung des Rechts auf äußere Verpflichtungen“ als ein „Gerechtigkeitspostulat der Rechtsethik“ einstuft und diese Lesart auch der Kantischen Rechtsphilosophie entnehmen möchte (S. 74, 412). In diesem Zusammenhang wird ferner diskutiert, ob die Differenzierung der Bezugspunkte von juridischer und ethischer Gesetzgebung bei Kant teilweise lediglich auf rechtmäßiges Verhalten anwendbar seien (s. dazu Engisch, Suche nach Gerechtigkeit, S. 92; Schmidhäuser, Gallas-FS, S. 81, 82 ff.). Insbesondere in Bezug auf die Gesinnung des Täters ist im strafrechtlichen Kontext die Diskussion um die Frage ungebrochen, ob sich deren Einbeziehung auf den Ebenen der Strafbegründung und Strafzumessung mit dem Kantischen Rechtsbegriff in Einklang bringen lässt (s. insoweit nur Kelker, Legitimität von Gesinnungsmerkmalen, S. 400 ff. sowie Kühl, Recht und Moral, S. 139, 148 ff., 154). Vgl. zum Ganzen bereits Timm, Gesinnung und Straftat, S. 76 ff. – Für die eigene Untersuchung können diese Fragen dahinstehen, konnte doch immerhin gezeigt werden, dass die Kantische Definition moralischen Verhaltens stets die Berücksichtigung der Triebfeder des Verhaltens voraussetzt. Wie gesagt, spielt es für das Recht – jedenfalls im Hinblick auf rechtskonformes Verhalten – keine Rolle, aus welchen internen Gründen dieses vorgenommen wurde. 52 S. zu einem Überblick Birnbacher, Ethik, S. 295 ff.; Pauer-Studer, Einführung, S. 55 ff. S. ferner Heinemann, Studien I, S. 143 ff. sowie Esser, Kants Tugendlehre, S. 26 ff. und Höffe, Praktische Philosophie, S. 44 f. zur Abgrenzung der Ethiken von Aristoteles und Kant. 47

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widmen sich im Kern der Frage danach, welchen Charakter der Einzelne ausbilden soll. Als Beispiel einer solchen Ethik kann an dieser Stelle die Aristotelische Tugendlehre angeführt werden. Danach steht nicht das Verhalten der Menschen, sondern vielmehr die Bestimmung des für ihn „Guten“ im Mittelpunkt. Dieses liege nach Auffassung Aristoteles’ in der Glückseligkeit als „das höchste Gut“,53 die indes allein durch eine „der vollendeten Tugend gemäße Tätigkeit der Seele“ erlangt werden kann.54 Aristoteles unterscheidet vor diesem Hintergrund Verstandestugenden und sittliche Tugenden, die sämtlich ihren Blick auf den Charakter des Menschen richten. Eine weitere Vertiefung dieser Lehre ist an dieser Stelle nicht vonnöten.55 Allein maßgeblich ist insoweit, dass menschliches Verhalten in der Aristotelischen Tugendethik allenfalls zur Bestimmung der Tugendhaftigkeit eines Motivs zum Bewertungsgegenstand erhoben wird: „Denn die Handlungen sind es, (…) durch welche die Beschaffenheit des Habitus bestimmt wird.“56 Während das Recht also seinen wertenden Blick von Beweggründen, Gesinnungen bzw. dem Charakter der Person abwendet, liegt hierin gerade der Schwerpunkt solcher Positionen, die sich unter dem Begriff der „Tugendethiken“ zusammenfassen lassen. Ein weiterer Unterschied zwischen den Regelungsinhalten von Recht und Moral offenbart sich in Bezug auf sogenannte „Pflichten gegen sich selbst“, die ihrem Inhalt nach wiederum ausschließlicher Gegenstand einer ethischen Diskussion sind. Bei Kant handelt es sich dabei um moralische Pflichten, die sich aus der Überlegung ergeben, dass es nicht gewollt sein kann, dass der Betreffende selbst einer bestimmten Maxime dauerhaft Folge leistet. Kant unterscheidet in diesem Zusammenhang Pflichten, nach denen der Mensch sich selbst „als animalisches (physisches) und zugleich moralisches“ bzw. „bloß als moralisches Wesen betrachtet“.57 Erstgenannte Pflichten gegen sich selbst betreffen unter anderem das moralische Verbot des Selbstmords sowie des unmäßigen Genusses von Nahrungsmitteln. Die zweite Gruppe von Pflichten gegen sich selbst ist demgegenüber auf eine „Übereinstimmung der Maximen des Willens mit der Würde der Menschheit in seiner Person“ gerichtet. Hieraus resultiert das Verbot, sich selbst „der inneren Freiheit“ zu berauben und sich damit selbst zur Sache zu machen. Als diesen Pflichten entgegenstehende Laster nennt Kant die Lüge, den Geiz und die falsche Demut, die seiner Auffassung nach darauf gerichtet seien, „sich wegzuwerfen und sich zum Gegenstand der Verachtung zu machen.“58 Entsprechende Pflichten sind dem Recht allerdings fremd. Zwar findet sich insbesondere im Zivilrecht der Begriff der Obliegenheit, deren Befolgung dem eigenen Interesse des mit ihr Belasteten entspricht, weshalb zu deren Kennzeichnung 53 54 55 56 57 58

Aristoteles, NE I 5, 1097b, 20. S. noch näher dazu unten C. II. 2. Aristoteles, NE I 13, 1102a, 5. S. dazu aber Gigon, Nikomachische Ethik, S. 5, 90 ff. Aristoteles, NE II 2, 1103b, 25. Kant, Metaphysik der Sitten, Tugendlehre, A 68 (S. 552). Kant, Metaphysik der Sitten, Tugendlehre, A 69 (S. 553).

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mitunter von „Verpflichtungen gegen sich selbst“ die Rede ist.59 Grund dafür ist die Tatsache, dass die Verletzung einer solchen Obliegenheit einen Rechtsverlust oder jedenfalls einen rechtlichen Nachteil nach sich zieht, wenngleich damit nicht der Vorwurf der Rechtswidrigkeit einhergeht. Beispielhaft verlangt § 377 Abs. 1 HGB bei einem beiderseitigen Handelsgeschäft, dass der Käufer einer Ware diese unverzüglich nach deren Ablieferung durch den Verkäufer untersucht und, sofern sich ein Mangel zeigt, dem Verkäufer davon unverzüglich Anzeige macht. Sofern der Käufer diese als Obliegenheit klassifizierte Pflicht unterlässt, gilt die Ware gemäß § 377 Abs. 2 HGB als genehmigt, sofern es sich nicht um einen Mangel handelt, der bei der Untersuchung nicht erkennbar war. Bei den im Zivilrecht als Obliegenheiten gekennzeichneten Pflichten handelt es sich mithin um etwas gänzlich anderes als bei den Pflichten gegen sich selbst, wie sie uns bei Kant begegnet sind. Grund dafür ist nicht zuletzt der Umstand, dass es sich trotz gegenteiliger Definition dabei gerade nicht um Pflichten handelt, die allein im eigenen Interesse stehen. So hat eine Obliegenheitsverletzung zwar nicht das Entstehen eines Anspruchs auf Seiten des Vertragspartners zur Folge. Jedoch geht damit immerhin ein rechtlicher Nachteil desjenigen einher, der gegen die in Rede stehende Obliegenheit verstoßen hat. Ein solcher rechtlicher Nachteil kann aber nicht außer Verhältnis zu dem jeweiligen Gegenüber gesehen werden. So führt der Verlust einer Rechtsposition jedenfalls auch dazu, dass der Vertragspartner eine Verbesserung seiner eigenen rechtlichen Stellung erfährt, indem nämlich etwa von einem Vorteil, den das Recht bislang dem anderen gewährt hat, nicht länger Gebrauch gemacht werden kann. Insoweit sind auch Obliegenheiten im zivilrechtlichen Kontext keine ausschließlichen Pflichten gegen sich selbst. Vielmehr beziehen diese unweigerlich die Rechtsposition des Gegenübers mit ein, sodass sie ihrerseits nicht allein im eigenen Interesse des damit Belasteten stehen.60 Der hier zugrunde gelegte Rechtsbegriff ermöglicht danach eine Unterscheidung gegenüber der Moral insbesondere in Bezug auf die Erzwingbarkeit von Normen sowie die teilweise erheblich abweichenden Regelungsgegenstände. Dies schließt verbleibende Kongruenzen allerdings nicht aus:61 „Moral und Recht sind wohl in 59 BeckOK/BGB/Sutschet, § 241 Rn. 25 (Stand: 01. 11. 2015). Zum Zitat s. Jauernig/ Mansel, BGB, § 241 Rn. 13. 60 S. daher auch zur Kritik an der Kennzeichnung von Normen, deren Verstoß eine strafrechtliche Verantwortlichkeit wegen der Gefährdung der Interessen Dritter auslösen kann, als Obliegenheiten Rostalski, GA 2016, 73, 84 m. Fn. 43. S. ferner bereits Freund, Erfolgsdelikt, S. 59 m. Fn. 31; Haas, GA 2015, 86, 93 (der demgegenüber den Begriff der sekundären Verhaltensnorm favorisiert); Neumann, GA 1985, 389, 395 (jedenfalls im Bereich der Fahrlässigkeitstat, allgemein befürwortet er die Verwendung des Obliegenheitsbegriffs); Renzikowski, Restriktiver Täterbegriff, S. 220 m. Fn. 42, vgl. dort auch zur weiteren inhaltlichen Bestimmung des Begriffs durch Hruschka m. w. N.; Toepel, Kausalität, S. 38 f. Vgl. ferner zu der zunehmenden und vielseitigen Verwendung des Obliegenheitsbegriffs im Strafrecht Montiel, ZStW 126 (2014), 592, 595 ff. 61 v. d. Pfordten, Rechtsethik, S. 84: „Vergleicht man Recht und Moral, lassen sich ähnliche inhaltliche Normierungen, eine ähnliche Terminologie und eine ähnliche Verpflichtung zur

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mancher Hinsicht verschieden, aber nicht voneinander geschieden.“62 Bei dem Verbot, fremdes Leben zu vernichten, handelt es sich zugleich um ein moralisches.63 Daneben ließen sich ohne größere Schwierigkeiten weitere Übereinstimmungen zwischen Recht und Moral finden, die insbesondere in den gängigen Rechtsnormen des Kernstrafrechts zu sehen sind. Grund dafür ist nicht zuletzt der Umstand, dass eine Vielzahl an Rechtsnormen in ihrer Entstehung auf Moralnormen rückführbar ist.64 Zudem wird sich eine rechtliche Vorschrift in aller Regel einer höheren Akzeptanz erfreuen, sofern sie immerhin auf bestehende Moralnormen Rücksicht nimmt. Anderenfalls sind gesellschaftliche Widerstände zu erwarten, die die Befolgung der rechtlichen Regelung gefährden können.65 Gleichwohl ist die Kongruenz der Wertentscheidungen von Recht und Moral alles andere als zwingend. Vielmehr lassen sich in einer pluralistischen Gesellschaft ganz unterschiedliche Moralsysteme feststellen, die nicht unbedingt mit den rechtlichen Wertungen in Einklang stehen müssen.66 Dass die Rechtslage in einem bestimmten Bereich von einzelnen Mitgliedern der Gemeinschaft als unvereinbar mit deren persönlicher Moralvorstellung angesehen werden kann, ist damit nicht ausgeschlossen. Als Beispiel kann hier die Rechtsentwicklung in Bezug auf die früher unter Strafe gestellte „Unzucht zwischen Männern“ gemäß § 175 StGB in der Fassung vom 25. Juni 1969 herangezogen werden.67 Vor ihrer Aufhebung stellte die Vorschrift zuletzt in der Fassung vom 28. November 1973 homosexuelle Handlungen zwischen Männern unter Strafe, von denen einer das Erwachsenenalter noch nicht erreicht hat. Während das Bundesverfassungsgericht noch im Jahr 1957 unter Bezugnahme auf die „sittlichen Anschauungen des Volkes“ eine gegen die Vorschrift eingelegte Verfassungsbeschwerde zurückwies,68 haben sich die gesellschaftlichen Anschauungen im Hinblick auf homosexuelle Handlungen bis heute in der Gesellschaft mehrheitlich verändert. Dem entspricht die vollständige Streichung der in Rede stehenden Vorschrift. Gleichwohl ist nicht ausgeschlossen, dass dieser Rechtszustand noch heute in Normbefolgung feststellen.“; Olivecrona, Gesetz und Staat, S. 37. – S. aber Papageorgiou, Schaden und Strafe, S. 252 f. dazu, dass allein solche Parallelen es nicht rechtfertigen, die Aufgabe rechtlicher Verhaltensnormen in der „Durchsetzung von Moralität“ bzw. der „Bekämpfung von Immoralität“ zu sehen. 62 Arthur Kaufmann, Grundprobleme, S. 193. 63 Hörnle, Grob anstößiges Verhalten, S. 58 f.; Zürcher, Legitimation, S. 16. 64 v. d. Pfordten, Rechtsethik, S. 85. 65 S. v. d. Pfordten, Rechtsethik, S. 85 m. w. N. 66 S. dazu Arthur Kaufmann, Grundprobleme, S. 197, 200 f.; Kelsen, Reine Rechtslehre, S. 70; Pawlowski, Methodenlehre, Rn. 835; Rüthers, Rechtstheorie, Rn. 403. 67 Ein weiteres Beispiel in Gestalt des Schwangerschaftsabbruchs findet sich bei Arthur Kaufmann, Grundprobleme, S. 202: Moralisch sei dieser nach Auffassung einer größeren gesellschaftlichen Gruppe missbilligt. Zu denken ist darüber hinaus an das oben bereits geschilderte Beispiel des Lügenverbots: Wer mit Kant eine uneingeschränkte Pflicht annimmt, ehrlich zu sein, kann in dem rechtlichen Gebot, zum Schutz des Freundes gegenüber dem Mörder immerhin keine Auskunft zu erteilen, eine Verletzung seiner Moralvorstellung sehen. 68 BVerfGE 6, 389, 435.

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Teilen der Gesellschaft auf Ablehnung stößt. Hinsichtlich dieser Personengruppe bestünde daher ein Auseinanderfallen rechtlicher und moralischer Wertungen. Neben der damit anhand einzelner Beispiele aufgezeigten Schwierigkeit, dass sich Recht und Moral mit teilweise erheblich abweichenden Regelungsinhalten befassen, hätte eine Arbeit, die Natürlichkeitsargumente in beiden normativen Systemen betrachten wollte, noch eine weitere Hürde zu nehmen. Die Rede ist von dem Umstand, dass sich allein im Recht in Gestalt des verfassungsrechtlich garantierten Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit ein vergleichsweise gesicherter Bewertungsmaßstab bietet, der die Überprüfung von Verhaltensnormen ermöglicht.69 Wenngleich auch dessen sachliche Rechtfertigung nicht ausgespart werden darf, ist seine Geltung und Validität als Arbeitsmittel im Recht weniger erheblichen Anfechtungen ausgesetzt, als dies bei einem Blick auf die Frage nach den Anwendungsbedingungen der Moral der Fall ist.70 Als Reflexionstheorie der Moral bietet die Ethik71 eine Vielzahl inhaltlich erheblich abweichender Begründungsansätze zur Überprüfung moralischer Normen. Dabei können sich etwa aus einer konsequenzialistischen Ethik ganz andere Ergebnisse als aus einer deontologischen ergeben.72 Freilich ist mit dieser groben Unterscheidung lediglich ein allzu verkürztes Schlaglicht auf die Weite der hier geführten Diskussion geworfen. Diese nachzuzeichnen erscheint im vorliegenden Kontext aus zweierlei Gründen verzichtbar. Zugleich stärken diese das Anliegen, die Untersuchung von Natürlichkeitsargumenten ausschließlich auf den rechtlichen Teil der Diskussion um die Zulässigkeit neuer Verfahren der Biomedizin zu begrenzen. So muss eine Arbeit, deren Schwerpunkt in einem ganz anderen Themenbereich angesiedelt ist, vor der Aufgabe kapitulieren, in nur annähernd umfassender Weise die Frage nach der „richtigen“ Ethik zu entscheiden. Ergebnis müsste vielmehr ein Stückwerk sein, das weder Leser noch Autorin zufrieden stellen könnte. Wollte man diesem Anliegen gleichwohl gerecht werden, drohte dessen Umsetzung außerdem, den eigentlichen Untersuchungsgegenstand aus dem Blickfeld zu drängen. Zuletzt wird sich mit einer gesonderten inhaltlichen Auseinandersetzung mit der Validität von Natürlichkeitsargumenten im ethischen Kontext kein Erkenntnisgewinn versprochen, der in entscheidender Hinsicht über die rechtliche Debatte hinausgeht. Grund dafür ist die Tatsache, dass bereits innerhalb der im Hinblick auf Rechtsnormen geführten Dis69

S. dazu ausführlich unten D. I. 1. Für einen Überblick vgl. nur Hübner, Philosophische Ethik. Für den Bereich der Biomedizin ist insbesondere der „Principlism“ von Beauchamp/Childress, Principles, von Interesse. Darin sollen lediglich Grundlinien der Moral festgelegt werden, die sich in bestimmten Kernprinzipien zusammenfassen lassen. Die Rede ist dabei konkret von den Prinzipien der Nichtschädigung (nonmaleficence), der Achtung von Selbstbestimmung (autonomy), der Fürsorge (beneficence) und der Gerechtigkeit bzw. Gleichheit (justice). 71 S. Gröschner/Lembcke, Angewandte Ethik, S. 47, 48; Hübner, Philosophische Ethik, S. 19. S. ferner im Anschluss (Teil B.) dazu, dass sich auch die vorliegende Arbeit der Rechtsphilosophie als Hilfsmittel zur Überprüfung der Berechtigung von Natürlichkeitsargumenten bedient. 72 Zur Unterscheidung s. nur Birnbacher, Ethik, S. 133 ff. sowie S. 173 ff. 70

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kussion um Natürlichkeitsargumente eine weitgehende Berücksichtigung der Positionen stattfindet, die in der Ethik in dieser Frage zu Wort kommen. Insoweit wird sich zeigen, dass in Recht und Ethik vergleichbare Gründe das Für und Wider in Bezug auf die Frage nach der Berechtigung von Natürlichkeitsargumenten prägen. Vor diesem Hintergrund geht in der thematischen Begrenzung auf den Stellenwert solcher Argumente im rechtlichen Kontext zuletzt weniger verloren, als es auf den ersten Blick den Anschein haben kann.

B. Rechtsphilosophie als Reflexionstheorie des Rechts Die vorliegende Untersuchung nähert sich der Zulässigkeit von Natürlichkeitsargumenten im rechtlichen Diskurs von rechtsphilosophischer Seite.73 Dem liegt die Auffassung zugrunde, dass das Recht sich nicht selbst legitimieren kann.74 Indem die Berechtigung von Argumenten, die sich auf die menschliche Natur berufen, einer näheren Betrachtung unterzogen wird, richtet sich der kritische Blick zugleich auf die Legitimität jener rechtlichen Vorschriften, die unter Rekurs auf die Natur des Menschen bzw. das Natürliche begründet werden. Mit dem Hinterfragen des Legitimationsgrundes einer Verhaltensnorm geht also unweigerlich die Prüfung einher, ob sich diese jedenfalls insoweit rechtfertigen lässt.75 Wer den eigenen Untersuchungsgegenstand indes in dieser Weise definiert, legt bereits die Prämisse zugrunde, dass die Erklärung für die Richtigkeit eines rechtlichen Arguments nicht im Recht selbst gefunden werden kann. Reflexionstheorie des Rechts ist dann vielmehr die Rechtsphilosophie, die einen Schritt von dem geltenden Recht zurücktritt und die externe Überprüfung ermöglicht. Die Rechtsphilosophie beschäftigt sich mit dem Recht, „das sein soll, mit dem ,richtigen‘, dem ,gerechten Recht‘, kurz: sie ist die Lehre von der Gerechtigkeit.“76 Angesprochen ist damit zugleich eine weitere Facette des Verhältnisses zwischen Recht und Moral, das sich an dieser Stelle in Gestalt eines etwaigen „Mitspracherechts“77 der Ethik gegenüber dem Recht Bahn bricht. Ein 73 S. zur Abgrenzung der Rechtsphilosophie gegenüber der Rechtstheorie Ralf Dreier, Allgemeine Rechtstheorie. Vgl. ferner die Differenzierung – auch in Bezug auf die Rechtsethik – bei v. d. Pfordten, Rechtsphilosophie. Vorliegend wird die Frage nach dem gerechten Recht als Gegenstand der Rechtsphilosophie eingestuft, sodass anders als bei v. d. Pfordten auf eine weitere Unterkategorie der Rechtsethik verzichtet wird. Vor diesem Hintergrund handelt es sich bei Recht und Moral jeweils um Gegenstände, die durch Rechtsphilosophie bzw. Ethik einer Reflexion unterzogen werden. S. zu diesem Verhältnis bereits Esser, Kants Tugendlehre, S. 21 m. Fn. 1. 74 Renzikowski, GA 1992, 159, 167: „Das Recht läßt sich allein aus sich heraus nicht erklären.“ S. zum Ganzen ausführlich Alexy, Begriff und Geltung, insbesondere S. 51 ff., 63 ff. sowie die nachfolgend in der Auseinandersetzung mit den Gegenauffassungen genannten Autoren. 75 Betont sei bereits an dieser Stelle: Die vorliegende Untersuchung verfolgt nicht den Anspruch, bestimmte rechtliche Verhaltensnormen abschließend auf ihre Rechtfertigung zu überprüfen. Wenn etwa Natürlichkeitsargumenten als Legitimationsgrund für das (straf-) rechtliche Verbot des reproduktiven Klonens eine Absage erteilt werden sollte, ist dies folglich nicht gleichbedeutend mit der Aussage, dass sich für diese Vorschrift keine anderen – legitimen – Schutzinteressen finden ließen. Im Gegenteil ist dies durchaus denkbar, wenngleich eine vertiefte Untersuchung insoweit jeweils anderen überlassen bleiben muss. 76 Arthur Kaufmann, Grundprobleme, S. 9 (Hervorhebung im Original). 77 S. zum Begriff bereits Zürcher, Legitimation, S. 9.

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B. Rechtsphilosophie als Reflexionstheorie des Rechts

solches möchten der Ethik insbesondere all jene absprechen, die von einer strikten normativen Trennung beider Bereiche ausgehen. Weil es sich bei der „Trennungsthese“ erneut um eine zentrale Problemstellung der Rechtsphilosophie handelt, kann wenig verwundern, in welch unterschiedlichen Spielarten diese in der Vergangenheit vertreten wurde. Wiederum kann es an dieser Stelle lediglich darum gehen, die groben Linien nachzuzeichnen, ohne dabei den Anspruch auf Vollständigkeit oder Letztgültigkeit zu verfolgen.

I. Rechtsethischer Nihilismus Mit besonderer Entschiedenheit wenden sich Vertreter des rechtsethischen Nihilismus gegen eine argumentative Bedeutsamkeit des Verhältnisses zwischen Recht und Moral.78 Hintergrund ist dabei die Überlegung, dass ausschließlich äußere und innere Erfahrungen in Raum und Zeit als Grundlage jeder Erkenntnis sinnvoller Gegenstand sprachlicher Aussagen sein können. Demgegenüber handele es sich bei Wertaussagen um bloße Gefühlsäußerungen, die keinen Erkenntnisgegenstand darstellen und damit keinen Wahrheitsgehalt aufweisen. Recht und Moral bilden auf dieser Basis faktische soziale und psychische Phänomene. „Die Normativität des Rechts bildet keinen gegenüber der Wirklichkeit (dem Sein) abgeschlossenen eigenen Sinnbereich des Sollens, (…) sondern manifestiert sich ausschließlich in der tatsächlichen psychischen Wirksamkeit des Rechts.“79 Recht und Moral bedingen sich allenfalls kausal;80 darüber hinaus kann die Ethik keine Bedeutung für das Recht entfalten, ist das Letztere doch allein beschreibbar, was ethische Sätze indes nicht leisten. Dem vorliegenden Ansinnen, Natürlichkeitsargumenten aus rechtsphilosophischer Perspektive näher zu rücken, würde damit aus Sicht eines rechtsethischen Nihilisten ein Kategorienfehler zum Vorwurf gemacht werden: Rechtsnormen – mithin auch solche, die unter Rekurs auf Natürlichkeitsargumente begründet werden – lassen sich von der Wissenschaft ausschließlich beschreiben.81 Ethische Sätze enthalten indes keine solche Beschreibung, weshalb sie für das Recht völlig ohne Bedeutung, da nicht wahrheitsfähig seien. Zentraler Mangel der vorgenannten Ausführungen ist es jedoch, dass die Kernthese des rechtsethischen Nihilismus – die ausschließliche Bedeutung des durch räumliche und zeitliche Erfahrung Verifizierbaren – ihrerseits keine Begründung erfährt.82 Zwar ist es richtig, dass beschreibende Aussagen etwa durch Beobachtung 78 S. zum Überblick insbesondere v. d. Pfordten, Rechtsethik, S. 123 ff.; Zürcher, Legitimation, S. 10 f. 79 Das Zitat zur Beschreibung des rechtsethischen Nihilismus findet sich bei v. d. Pfordten, Rechtsethik, S. 124. S. dort auch zur weiteren Darstellung. S. ferner Olivecrona, Gesetz und Staat, S. 44 ff. 80 Zu dieser Beziehung s. Olivecrona, Gesetz und Staat, S. 153. 81 Olivecrona, Gesetz und Staat, S. 47 ff. 82 S. zur weiteren umfassenden Kritik statt aller v. d. Pfordten, Rechtsethik, S. 125 ff.

II. Rechtspositivistische Trennungsthese Hans Kelsens

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auf ihren Wahrheitsgehalt hin überprüft werden können. Damit geht allerdings nicht einher, dass nicht beschreibende Aussagen ihrerseits keiner Begründung zugeführt werden können. Die Unmöglichkeit, sie zum Gegenstand innerer und äußerer Erfahrung zu machen, rechtfertigt es nicht, diese als bloße Gefühlsäußerungen einzustufen. Im Gegenteil kann der Prozess der Begründung normativer Aussagen etwa durch den Vorgang der Abwägung widerstreitender Interessen bzw. das Treffen von Vorrangentscheidungen gekennzeichnet sein, die mehr sind als bloßes Meinen.83 Insoweit vermag die Überbetonung der Erfahrung als wissenschaftliches Erkenntnismittel, wie sie die Vertreter eines rechtsethischen Nihilismus vornehmen, nicht zu überzeugen. Dies gilt nicht zuletzt vor dem Hintergrund, dass auch betrachtende – empirische – Wissenschaften keine absoluten Erkenntnisse erzielen können. Naturgesetze stellen lediglich Hypothesen dar, die durch abweichende Beobachtungen falsifiziert werden können. Ferner ist jedenfalls der Anfang empirischer Wissenschaft keiner Begründung zugänglich.84 Der rechtsethische Nihilismus liefert damit keine akzeptable Rechtfertigung für die Abwertung jedweder anderen Form der Erkenntnisgewinnung zu einer bedeutungslosen Gefühlsbekundung. Ohnedies kann als Konsequenz einer solchen Position nicht ernstlich gewollt sein, rechtliche Vorschriften jedweder Überprüfung zu entziehen. Eben jene Folge zeitigt indes eine Position, nach der Rechtsnormen aus wissenschaftlicher Sicht allenfalls beschreibend dargestellt werden können.85 (Notwendige) Kritik oder Rechtsverbesserung ist auf dieser Basis nicht möglich. Auch aus diesem Grund kann die normative Trennungsthese von Recht und Moral jedenfalls unter Berufung auf den rechtsethischen Nihilismus nicht überzeugen.

II. Rechtspositivistische Trennungsthese Hans Kelsens Ein weiterer Einwand gegen eine ethische Beurteilung des Rechts wird grundsätzlich unter Rekurs auf den Rechtspositivismus laut. Dabei lässt sich ein einheitliches Bild jener Denkrichtung, die allgemein unter dem Oberbegriff des Rechtspositivismus zusammengefasst wird, kaum zeichnen.86 Vielmehr vereint dieses Etikett eine Vielzahl unterschiedlicher Ansätze, die mitunter der vorliegenden Intention einer rechtsphilosophischen Überprüfung bestimmter im rechtlichen Kontext verwendeter Argumente im Ergebnis nicht entgegenstünden.87 Es kann daher nicht zuletzt aus Gründen der Übersichtlichkeit im vorliegenden Kontext als 83

In diese Richtung auch Zürcher, Legitimation, S. 12. Renzikowski, GA 1992, 159, 163. 85 Vgl. Zürcher, Legitimation, S. 12. Zur Ablehnung dieser Option s. auch Renzikowski, GA 1992, 159, 163. 86 Vgl. insoweit nur Alexy, Begriff und Geltung, S. 31 ff. 87 S. nur Zürcher, Legitimation, S. 14 dazu, dass die Definition des Rechtspositivismus, wie sie sich etwa bei H. L. A. Hart findet, mit einem rechtsphilosophischen Projekt wie dem vorliegenden in Einklang steht. 84

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B. Rechtsphilosophie als Reflexionstheorie des Rechts

ausreichend betrachtet werden, den Fokus unmittelbar auf jene These zu richten, die dem Rechtspositivismus allgemein zugeschrieben wird88 und gegen eine rechtsphilosophische Überprüfung von Natürlichkeitsargumenten gewendet werden kann, wie sie vorliegend geplant ist. Die Rede ist von der insbesondere bei Kelsen auffindbaren Annahme, dass eine normative Rechtfertigung des Rechts zwar grundsätzlich möglich sei, jedoch ausschließlich rechtsintern erfolge.89 Für die Rechtsethik bzw. Rechtsphilosophie verbleibe dann kein Raum. Daher sei es alleinige Aufgabe der Rechtswissenschaft, das Recht zu erkennen und zu beschreiben. Darüber hinaus kommt der Rechtswissenschaft nicht etwa die Bedeutung zu, die von ihr „zu erkennende und zu beschreibende normative Ordnung (…) zu rechtfertigen“.90 In der Konsequenz sei auch eine Überprüfung des Rechts durch die Moral nicht denkbar.91 Diese heranzuziehen sei insbesondere nicht Kompetenz der Rechtswissenschaft. Ohnedies käme eine Überprüfbarkeit des Rechts durch die Moral allenfalls unter der Voraussetzung in Betracht, dass ein absoluter Moralwert bestimmt werden könne. Ein solcher in Gestalt absoluter Gerechtigkeit existiere aber nicht. Vielmehr sei die Moral relativ und damit nicht geeignet, eine Überprüfung von Rechtsnormen vorzunehmen.92 Indessen muss bereits der Position Kelsens widersprochen werden, allein die Annahme absoluter Gerechtigkeit rechtfertige eine ethische Überprüfung des Rechts. Wertabsolutismus sowie vollständiger Wertrelativismus stellen jeweils Extrempositionen dar.93 Ausgeschlossen wird es aber durch die Bildung solcher Fixpunkte gerade nicht, in dem (weiten) dazwischenliegenden Spektrum von einer graduellen Abstufung auszugehen. Eine solche lässt es jedoch zu, Gründe zu berücksichtigen, die etwa gegen eine rechtliche Vorschrift sprechen und im Wege der externen Betrachtung durch die Ethik ermittelt worden sind. Sofern sich auf diese Weise Gründe ergeben, die für die Änderung einer Rechtsnorm sprechen, ist nicht ersichtlich, weshalb es für dieses Ergebnis der Annahme eines absoluten ethischen Werts wie der Gerechtigkeit bedürfte. Neben diesen Einwand an Kelsens Ablehnung einer rechtsethischen Überprüfung rechtlicher Vorschriften muss aber vor allem eine grundlegende Kritik an seinem 88

Vgl. nur Ralf Dreier, Recht – Staat – Vernunft, S. 31. Was die grundsätzliche Möglichkeit einer normativen Rechtfertigung des Rechts betrifft, unterscheidet sich dieser Ansatz mithin erheblich von den vorgenannten Positionen des rechtsethischen Nihilismus sowie der Systemtheorie, s. nur v. d. Pfordten, Rechtsethik, S. 149. 90 Kelsen, Reine Rechtslehre, S. 71. 91 Nach der hier zugrunde gelegten Terminologie ist an dieser Stelle die Überprüfung des Rechts durch die Ethik, nicht aber die Moral gemeint (s. zu den begrifflichen Unterschieden bereits oben Fn. 39). 92 Kelsen, Reine Rechtslehre, S. 65, 71; ders., Was ist Gerechtigkeit?, S. 40. 93 S. zu dieser Argumentation bereits v. d. Pfordten, Rechtsethik, S. 168. S. ferner Zürcher, Legitimation, S. 16 zum Hinweis darauf, dass Kelsen, Was ist Gerechtigkeit?, S. 40 f. selbst zur Abschwächung seines Relativismus beiträgt, indem er an die Stelle des Ideals der Gerechtigkeit ein universelles Toleranzgebot setzen möchte. 89

II. Rechtspositivistische Trennungsthese Hans Kelsens

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normentheoretischen Modell treten. Dieses kann im Ergebnis nicht überzeugen und ist in der Folge auch nicht geeignet, der Rechtsphilosophie als Reflexionstheorie des Rechts die ihr im vorliegenden Kontext beigemessene Bedeutung abzusprechen. Insoweit lohnt zunächst eine nähere Betrachtung von Kelsens Normentheorie: So ist Ausgangspunkt seiner Annahme einer rein rechtsinternen Rechtfertigung des Rechts ein normentheoretisches Modell, wonach Rechtsnormen einer geschlossenen Ordnung angehören, der durch eine spezifische „Grundnorm“ ein einheitsstiftender Sinn verliehen wird.94 Menschen können ihren Akten zwar subjektiv einen Sinn geben. Eine „objektive“ Bedeutung werde diesen auf solche Weise allerdings nicht vermittelt. „Was diesen Tatbestand zu einem Rechts-(oder Unrechts-)Akt macht, das ist nicht seine Tatsächlichkeit, nicht sein natürliches, das heißt kausal-gesetzlich bestimmtes, im System der Natur beschlossenes Sein, sondern der objektive Sinn, der mit diesem Akt verbunden ist, die Bedeutung, die er hat.“95 Diesen spezifisch juristischen Sinn könne allein eine Norm verleihen, die den Akt in einer bestimmten rechtlichen Weise deute. „Die Norm fungiert als Deutungsschema.“96 In der Konsequenz erlange der subjektive Willensakt erst im Wege der Deutung durch eine rechtliche Norm seinen eigenen normativen Gehalt und erwachse damit selbst zur Rechtsnorm. Zur Legalität einer Rechtsnorm bedürfe es daher stets einer anderen Norm, die der erstgenannten übergeordnet sein müsse. Auf diese Weise entsteht in der Normentheorie Kelsens eine Legitimationskette, wonach die jeweils höhere Norm einer im Rang darunter stehenden Norm zur Geltung verhilft. Dabei wird beim Ersteigen der Stufen einer solchen Normenhierarchie schnell die Notwendigkeit eines Schlusspunkts der Geltungskette deutlich, soll die Theorie nicht dem Makel des infiniten Regresses ausgesetzt werden. Kelsen entwirft daher die sogenannte „Grundnorm“, die nach seiner Auffassung an der Spitze des Normensystems steht und gemeinsamer Geltungsgrund sämtlicher einzelner Rechtsnormen ist. Diese müsse vorausgesetzt und dürfe nicht weiter hinterfragt werden. Die Grundnorm entspreche der „Einsetzung des Grundtatbestandes der Rechtserzeugung“97 und weise damit die Funktion auf, eine objektive Geltung der positiven Rechtsordnung zu begründen. Es handele sich bei ihr lediglich um eine „gedachte Norm“, da sie selbst keiner weiteren Überprüfung bzw. Geltungsverweisung unterzogen werden könne. Dabei geht Kelsen im Hinblick auf die Grundnorm des Rechtssystems von einer dynamischen Ordnung aus.98 Gemeint ist 94

Vgl. Arthur Kaufmann, Grundprobleme, S. 16 dazu, dass die Entwicklung der „indifferenten“ Reinen Rechtslehre dem Ziel verschrieben war, die Rechtswissenschaften davor zu bewahren, „als Deckmantel politischer und ideologischer Meinungen mißbraucht zu werden.“ 95 Kelsen, Reine Rechtslehre, S. 3. 96 Kelsen, Reine Rechtslehre, S. 3. 97 Kelsen, Reine Rechtslehre, S. 202. 98 Kelsen, Reine Rechtslehre, S. 200, kennzeichnet das Normensystem der Rechtsordnung als „im wesentlichen“ dynamisch. Geltungsgrund einer Norm ist insofern ihre Erzeugung, nicht ihr konkreter Inhalt. Ausgeschlossen sei aber nicht, dass in einer Rechtsordnung auch Normen vorkommen, die an nachfolgende Normen inhaltliche Anforderungen stellen. Allerdings gelte

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B. Rechtsphilosophie als Reflexionstheorie des Rechts

damit, dass die Grundnorm keine inhaltlichen Vorgaben im Hinblick auf die nachfolgenden Rechtsnormen trifft, sondern ausschließlich die Ermächtigung zu Rechtsetzungsakten bestimmt. Aussage der Grundnorm sei die Pflicht zur Befolgung der Verfassung.99 Auf diese Weise entspreche sie zum einen der Prämisse, dass allein die Geltung einer anderen Norm Geltungsgrund einer Norm sein könne. Zum anderen werde festgelegt, dass ausschließlich eine „kompetente Autorität“ zur Normsetzung befugt sei, weshalb die Entstehung einer Rechtsnorm einen besonderen Setzungsakt voraussetze.100 Indes ist Kelsens Annahme, eine rechtsinterne Legitimation von Rechtsnormen könne ausschließlich über ein formelles Verfahren der Rechtserzeugung erfolgen, zu widersprechen. Wie gezeigt, kann in Kelsens Normentheorie eine Vorschrift durch den bloßen Umstand legitimiert werden, dass sie im Wege eines ordnungsgemäßen Verfahrens erlassen worden ist. Die gesetzliche Ermächtigung des jeweiligen Normsetzers ist nach seiner Auffassung für sich genommen hinreichend, um die Legalität der erlassenen Norm zu begründen. Auf diese Weise gibt Kelsen den Vorgang des Normerlasses in inhaltlicher Hinsicht jedoch vollends der Beliebigkeit preis.101 Eine Richtigkeitskontrolle kann durch eine Ermächtigungsgrundlage, die lediglich die formelle Erlassberechtigung bestimmt, gerade nicht gelingen. Zwar ließe sich mit dieser Konsequenz in Gestalt beliebiger Inhalte von Rechtsnormen leben.102 Sie könnte als Preis des positivistischen Verfahrens eingestuft werden, den Kelsens Modell zu zahlen hat, um eine Abschottung des Rechts gegenüber externen Prüfungsmaßstäben zu vollziehen. Allerdings fragt sich, ob dieser Weg tatsächlich der bessere ist. Dagegen spricht jedenfalls, dass Kelsens Normentheorie bei Lichte besehen selbst jene „objektive Geltung“ nicht zu verleihen imstande ist, die ihm vorschwebt. So schafft der bloße Umstand allein, dass der Erlass einer Rechtsnorm durch einen formell zur Rechtssetzung Befugten erfolgt ist, keine sachliche Rechtfertigung dieser Vorschrift. Dies gilt selbst für den Bereich des formellen Verfahrens. Sofern eine Vorschrift von einem zur Normsetzung ermächtigten Organ erlassen worden ist, folgt hieraus eben nicht mehr als dies: Dass der die Norm Erlassende zu diesem Akt durch eine höhere Norm befugt war. Jene höhere Norm erlangt auf diese Weise aber keine Rechtfertigung, sodass die Berechtigung zum Erlass der nachrangigen Vorschrift mit der Legitimation der jeweiligen Ermächtigungsgrundlage steht und fällt. Um diese jedoch ihrerseits zu rechtfertigen, bedarf es im Normensystem Kelsens wiederum eines Aufsteigens in eine höhere Ebene, die ebenfalls eine Norm enthalten muss, die zum Erlass einer anderen erdies jedenfalls nicht für die Grundnorm, die keine „materielle Norm“ sei, sondern lediglich einen bestimmten Setzungsakt voraussetze. 99 Kelsen, Reine Rechtslehre, S. 203 f. 100 Kelsen, Reine Rechtslehre, S. 197, 201. 101 So auch Arthur Kaufmann, Grundprobleme, S. 17; v. d. Pfordten, Rechtsethik, S. 168. 102 Dies gesteht Kelsen, Reine Rechtslehre, S. 201 offen zu: „Daher kann jeder beliebige Inhalt Recht sein.“

II. Rechtspositivistische Trennungsthese Hans Kelsens

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mächtigt. Sofern mithin Norm N1 erlassen werden soll, bedarf es zu deren Legitimation einer höheren Norm N2, die aber für ihre „objektive Geltung“ wiederum eine höherrangige Norm N3 voraussetzt. Dies führt letztlich in einen infiniten Regress. Diesen zu durchbrechen gelingt Kelsen auch nicht durch die Etablierung einer „Grundnorm“, die an der Spitze der von ihm entworfenen Normentheorie stehen soll. So kann entgegen seiner Annahme gerade nicht auf eine Legitimation jener Grundnorm verzichtet werden, soll nicht die gesamte Rechtsordnung im Hinblick auf dieses Legitimationsdefizit in Mitleidenschaft gezogen werden.103 Kelsen meint zwar, ein weiteres Hinterfragen der Grundnorm dürfe eben nicht erfolgen, vielmehr müsse diese als gedachte Fiktion vorausgesetzt werden. Angesichts einer solchen Argumentation drängt sich aber die Frage auf, weshalb es dann überhaupt eines Normensystems bedarf? Sofern die Grundnorm, die schließlich dem gesamten Rechtssystem eine „objektive Geltung“ verleihen soll, bloße Fiktion sein darf, kann dies zugleich für jede andere nachrangige Vorschrift gelten. Einer Legitimation durch eine zum Erlass berechtigende höhere Norm bedürfte es dann nicht. Vielmehr könnte jedwede höherrangige Vorschrift als Fiktion gedacht und alles weitere Nachfragen mit dem Verweis auf die Unzulässigkeit dieser Denkübung abgeschnitten werden. Überzeugend ist eine solche Position allerdings nicht. Im Ergebnis gelingt es Kelsens Normenmodell daher nicht, ein stimmiges Konzept der formellen Ermächtigung zum Erlass von Rechtsvorschriften zu liefern. Indem sich die Grundnorm nicht rechtfertigen lässt, fallen mit ihr gleich einer Kette von Dominosteinen sämtliche nachgelagerten Rechtsnormen.104 Eine rechtsinterne Legitimation im Sinne der Wahrung eines ordnungsgemäßen Verfahrens kann auf diese Weise nicht gelingen.105 Kelsens Modell hält damit im Ergebnis nicht, was es verspricht. Durch die Unmöglichkeit, die „Grundnorm“ zu rechtfertigen, entsteht gerade keine „objektive Geltung“. Vielmehr bleibt es dabei, dass die Akte der Normsetzung nicht mehr als ein – in Kelsens Worten – „subjektives Wollen“ darstellen.106 Der Verweis auf die jeweilig höhere Norm leistet allenfalls eine Scheinobjektivität, die aber keine angemessene Lösung des Problems der Legitimation von Rechtsnormen ausmacht. Vor diesem Hintergrund kann auch nicht überzeugen, dass Kelsen der Rechtswissenschaft lediglich die Aufgabe der Erkenntnis und des Beschreibens zugestehen möchte. Hierbei handelt es sich vielmehr um eine Ent103

Ebenso Alexy, Begriff und Geltung, S. 182 ff.; v. d. Pfordten, Rechtsethik, S. 156, 160; Röhl, Allgemeine Rechtslehre, S. 283. Ähnlich Alwart, Recht und Handlung, S. 56. 104 S. v. d. Pfordten, Rechtsethik, S. 162 ff. dazu, dass die Annahme einer Normenhierarchie, an deren Spitze eine Grundnorm zur Rechtfertigung der gesamten Ordnung zu stehen hat, ohnedies nicht zwingend ist: Normen können sich grundsätzlich auch selbst rechtfertigen bzw. durch gleichrangige Rechtsvorschriften legitimiert werden. Allein im Kollisionsfall bedarf es einer „Grundnorm“, die Konflikte lösen kann. 105 Zu Recht konstatiert daher Höffe, Kategorische Rechtsprinzipien, S. 72, dass die Zwangsbefugnis des Rechts den Betroffenen in Kelsens Modell „als bloße Gewalt erscheinen“ muss. 106 v. d. Pfordten, Rechtsethik, S. 159.

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B. Rechtsphilosophie als Reflexionstheorie des Rechts

scheidung, die einer eigenständigen Begründung bedürfte.107 Indem Kelsens Normensystem mit dem legitimatorischen Defizit der Grundnorm in sich zusammenfällt, bleibt er auch diese Begründung schuldig. Der vorliegenden Annahme einer rechtsphilosophischen Überprüfung des geltenden Rechts konnten damit keine überzeugenden Gründe entgegengehalten werden. Auch der auf den Positivismus gestützte Einwand, eine im Wege eines ordnungsgemäßen Verfahrens erlassene Norm dürfe keiner rechtsexternen Überprüfung durch Ethik bzw. Moral unterzogen werden, ist damit entkräftet. Es bleibt dabei: Reflexionstheorie des Rechts ist die Rechtsphilosophie, die in der Folge den weiteren Gang der Untersuchung maßgeblich bestimmt.

III. Weiterer Gang der Untersuchung Soll nicht die Zwangsbefugnis des Rechts dem Einzelnen als bloße Gewalt erscheinen, bedarf es notwendig einer Rechtfertigung des jeweiligen Eingriffs: Eine „konsequente Rechtslogik geht rein immanent in die Rechtsethik über. Um die dem Recht spezifische Geltung zu definieren, braucht es ein Minimum an Moral: eine erste Gerechtigkeitsschicht.“108 Die Auseinandersetzung mit Einwänden des rechtsethischen Nihilismus sowie des Rechtspositivismus haben eines verdeutlicht: Ohne eine Überschreitung der Grenzen des Rechts ist dessen Überprüfung in überzeugender Weise nicht denkbar. Das Recht lediglich beobachten und beschreiben zu wollen, bedeutet eine grundlegende Kapitulation gegenüber dem Versuch, staatliche Gewalt zu kontrollieren. Rechtswissenschaft wird auf dieser Basis mit Naturwissenschaft gleichgesetzt, ohne dass dies dem Unterschied des jeweiligen Untersuchungsgegenstands beider Disziplinen annähernd gerecht wird. Aus rechtsphilosophischer Perspektive bietet die Frage nach der Berechtigung von Natürlichkeitsargumenten in einer rechtlichen Debatte in mehrfacher Hinsicht Anknüpfungspunkte zur kritischen Überprüfung. Diese setzen zunächst am Begriff des Natürlichen bzw. der menschlichen Natur selbst an. Wie schon eingangs erwähnt, erweist sich dieser bei näherer Betrachtung als weniger konturenscharf, als dies auf den ersten Blick erscheinen mag. Insoweit schließt sich nachfolgend zunächst eine Untersuchung des Natürlichkeitsbegriffs an, wie er innerhalb der Debatte um die Zulässigkeit neuer biomedizinischer Verfahren begegnet. Erst im Anschluss widmet sich die Arbeit der Validität von Natürlichkeitsargumenten. Hier wird zu unterscheiden sein nach dem Inhalt des Arguments und seiner jeweiligen Funktion innerhalb der rechtlichen Diskussion. Auch insoweit bietet sich ein weites Feld rechtsphilosophischer Fragestellungen, deren ausführliche Erörterung den letzten Abschnitt der Arbeit bestimmt.

107 108

v. d. Pfordten, Rechtsethik, S. 167. Höffe, Kategorische Rechtsprinzipien, S. 72.

C. Zum Natürlichkeitsbegriff in der Debatte um biotechnologische Verfahren Wer sich Natürlichkeitsargumenten in der ethischen sowie rechtlichen Debatte im Hinblick auf neue Verfahren der Biotechnik zuwenden möchte, hat vorab eine erste Hürde zu nehmen: die Begriffsfrage. Denn um über die Validität solcher Argumente sprechen zu können, muss zunächst klar sein, was damit überhaupt gemeint ist.109 Indes erweist sich die Klärung dieser Frage als nicht einfach, fällt der suchende Blick auf die schillernde Vielfalt an Natur- bzw. Natürlichkeitsbegriffen, die von verschiedener Seite in der Vergangenheit angeboten worden sind. Allein der Bereich der nichtmenschlichen Natur hält ein breites Spektrum an Definitionsansätzen bereit, dessen umfassende Abhandlung vor eine Herausforderung stellte.110 Allerdings richtet sich der Fokus der Diskussion um die Zulässigkeit neuer biotechnologischer Verfahren vorrangig auf die menschliche Natur.111 Eine entsprechende Eingrenzung soll daher auch die vorliegende Arbeit erfahren, weshalb jedenfalls im Hinblick auf die Begriffsfrage in gewissem Umfang Entwarnung gegeben werden kann: Auf eine Definition der nichtmenschlichen Natur soll es dabei nicht ankommen. Indes hält die mit dieser Erkenntnis einsetzende Erleichterung allenfalls kurze Zeit an, begegnet doch gerade im Hinblick auf die menschliche Natur ein immerhin ebenso weitläufiges Feld an Vorschlägen für eine Begriffsbestimmung.112 Auf dem Weg zu einer inhaltlichen Auseinandersetzung mit Natürlichkeitsargumenten in der Debatte um neue biotechnische Verfahren scheinen sich neue Steine aufzutürmen. Diese sollen an dieser Stelle jedoch wie folgt beiseitegeschoben werden: Für die Frage, ob Natürlichkeitsargumente ihren berechtigten Platz innerhalb einer ethischen bzw. rechtlichen Diskussion einnehmen, muss allein geklärt werden, was in diesem Kontext mit dem Begriff der „Natur“ und des „Natürlichen“ gemeint ist. Es ist nicht 109 Treffend insoweit Bayertz, GenEthik, S. 118: „Soll der Begriff ,menschliche Natur‘ nicht nur eine deklamatorische Funktion haben, soll er als Schlüsselbegriff der GenEthik eine wirksame moralische Orientierung geben, so dürfen sein Umfang und sein Inhalt nicht im Dunklen bleiben.“ 110 Vgl. allgemein zum Naturbegriff Gessmann, Philosophisches Wörterbuch, Stichwort „Natur“, S. 509; Mittelstraß/Mittelstraß, Enzyklopädie, S. 500, Stichwort „Natur“. S. ferner zur Entwicklung der modernen Naturauffassung Descola, Jenseits von Natur und Kultur, S. 99 ff. 111 S. nur Habermas, Zukunft der menschlichen Natur; Löw, Die politische Meinung 26 (1981), 19, 25. 112 Für einen Überblick s. nur Bayertz, GenEthik, S. 98 ff.; Vieth/Quante, Menschliche Natur, S. 192, 201 f., 204, 205 ff. Vgl. ferner M. Gutmann, Naturalismus und Menschenbild, S. 185, 187 ff.

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C. Natürlichkeitsbegriff in der Debatte um biotechnologische Verfahren

die Zielsetzung der vorliegenden Untersuchung, einen Gegenentwurf zum Natürlichkeitsverständnis in der gegenwärtigen Diskussion um neue Verfahren der Biomedizin zu entwickeln. Im Gegenteil soll ausschließlich die Validität von Natürlichkeitsargumenten hinterfragt werden, die in diesem Zusammenhang vertreten werden. Damit spielen andere Begriffsdefinitionen allenfalls insoweit eine Rolle, als sich aus ihnen eine abweichende Beurteilung der Natürlichkeit der in Rede stehenden biotechnischen Verfahren ergeben kann. Dabei nehmen sie aber nicht die Funktion ein, an die Stelle des Natürlichkeitsbegriffs der biomedizinischen Diskussion im Sinne eines Konkurrenzmodells zu treten. Auf die weitere Überprüfung ihrer Kohärenz bzw. Vorzugswürdigkeit gegenüber dem hier in den Fokus gerückten Begriff des Natürlichen kommt es daher nicht an. Für die inhaltliche Klärung des Natürlichkeitsbegriffs in der biomedizinischen Debatte sind damit die Weichen gestellt: Die vorliegende Untersuchung erhebt nicht den Anspruch einer umfassenden Darstellung und Diskussion all jener Definitionsansätze, die in der Vergangenheit in Bezug auf die menschliche Natur angeboten worden sind. Dies muss anderen vorbehalten bleiben. Sie richtet ihren Blick vielmehr allein auf das Natürlichkeitsverständnis, das uns innerhalb der in Rede stehenden Debatte begegnet. Aus diesem Grund erfolgt zunächst eine Analyse derjenigen Anwendungsgebiete, in denen Natürlichkeitsargumente in besonderer Häufigkeit ins Gespräch gebracht werden. Anschließend sollen Vertreter entsprechender Positionen selbst zu Wort kommen. Dabei offenbart sich ein geistesgeschichtlicher Hintergrund des im Kontext biotechnologischer Verfahren verwendeten Natürlichkeitsbegriffs, der seine Wurzeln in der Aristotelischen Lehre findet. Zuletzt wird das auf diese Weise weiter konkretisierte Verständnis der menschlichen Natur innerhalb des Streits um neue Verfahren der Biotechnologie einer vertieften Kritik unterzogen.

I. Bestandsaufnahme zur Debatte um biotechnologische Verfahren: Begriff des Natürlichen in Anlehnung an das Aristotelische Naturverständnis Eine erste Annäherung an die Verwendung des Natürlichkeitsbegriffs gelingt damit durch eine Untersuchung des Anwendungsfelds, in dem Natürlichkeitsargumente in der Vergangenheit besonders häufig ins Spiel gebracht wurden. Im Rahmen der bioethischen Debatte richten sich Natürlichkeitsargumente üblicherweise gegen solche technische Verfahren, die die körperliche Verfasstheit des Menschen beeinflussen oder seine Fortpflanzungsfähigkeit und damit die Entstehungsbedingungen menschlichen Lebens modifizieren.113 Zur erstgenannten Gruppe gehören die hier 113

S. Eibach, Genforschung im Widerstreit, S. 145, 162; Löw, Die politische Meinung 26 (1981), 19 ff., insb. S. 25. Vgl. zu weiteren Anwendungsfeldern von Natürlichkeitsargumenten in der biomedizinischen Debatte noch Siep, Ethik, S. 310 ff. – Vgl. ferner zu den einzelnen Argumenten und den davon betroffenen biomedizinischen Verfahren die Darstellung und Analyse unten D. III., insbesondere 4. und 5.

I. Bestandsaufnahme zur Debatte um biotechnologische Verfahren

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verallgemeinernd als „Enhancement“ umschriebenen Verfahren. Diese umfassen prinzipiell sämtliche Maßnahmen, die eine „Verbesserung“ des menschlichen Körpers zum Ziel haben und von der kosmetisch-ästhetischen Operation bis hin zur gezielten Steigerung der mentalen Leistungsfähigkeit („Neuro-Enhancement“) reichen.114 Beispielhaft zu denken ist in diesem Zusammenhang an die Aufnahme leistungssteigernder Mittel, die unter anderem ein Wachstum bestimmter Muskelgruppen bewirken. In Bezug auf Maßnahmen, die die Fortpflanzungsfähigkeit des Menschen bzw. dessen Entstehungsbedingungen betreffen, finden sich Natürlichkeitsargumente etwa im Bereich der künstlichen Befruchtung sowie der Leihmutterschaft.115 Exemplarisch aufzuführen sind hier außerdem das Verfahren der Präimplantationsdiagnostik116 neben weiteren Möglichkeiten der Beeinflussung des menschlichen Erbguts einschließlich des reproduktiven Klonens117 sowie der Keimbahntherapie118. Anhand der aufgeführten Anwendungsfelder, in denen Natürlichkeitsargumente besonders häufig auftreten, lassen sich Rückschlüsse auf die Begriffsdefinition ziehen. Grund für die verbreitete Einstufung biotechnologischer Verfahren als „unnatürlich“ scheint zu sein, dass es sich dabei um Prozesse handelt, zu denen der menschliche Körper nicht selbstständig in der Lage ist. Zu ihrer Initiierung bedarf es vielmehr der Unterstützung etwa durch die Einnahme bestimmter Substanzen. Beispielsweise kann sich im Verlauf der persönlichen Entwicklung herausstellen, dass die eigenen mentalen Fähigkeiten hinter denen anderer in bestimmten Bereichen zurückbleiben. Dies kann sich unter anderem in einem im Vergleich zu Dritten verringerten Auffassungsvermögen bzw. dem schnelleren Vergessen bereits erlernter 114 Zum Begriff vgl. Gärditz, PharmR 2011, 46, 46; Laufs/Kern/Laufs, Handbuch des Arztrechts, § 6 Rn. 21. 115 S. zur Leihmutterschaft ausdrücklich Benda, NJW 1985, 1730, 1733 („widernatürliche Aufspaltung der Mutter-Kind-Beziehung“). 116 Zur Definition s. http://www.drze.de/im-blickpunkt/pid (Stand: 22. 10. 2015): „Der Begriff ,Präimplantationsdiagnostik‘ (PID) (engl. treffender: preimplantation genetic diagnosis [PGD]) bezeichnet Verfahren, die eine Diagnose an Embryonen ermöglichen, die durch extrakorporale Befruchtung mit Hilfe der In-Vitro-Fertilisation (IVF) bzw. der intrazytoplasmatischen Spermieninjektion (ICSI) gewonnen wurden. Dabei wird das Erbgut von ein bis zwei Zellen eines mehrere Tage alten Embryos, meist während des so genannten 8-Zell-Stadiums (Blastomere) und damit ca. drei Tage nach der Befruchtung, hinsichtlich bestimmter krankheitsrelevanter Mutationen oder Chromosomenanomalien untersucht, bevor der Embryo in die Gebärmutter übertragen wird. Auch Untersuchungen im Hinblick auf nicht krankheitsrelevante Merkmale wie beispielsweise das Geschlecht eines Embryos, das Vorhandensein einer bestimmten Behinderung oder seiner Eignung als Organ- bzw. Gewebespender für ein bereits lebendes erkranktes Geschwisterkind sind mittels PID möglich und werden in einigen Ländern durchgeführt.“ 117 Der Begriff des reproduktiven Klonens umfasst die Herstellung und Implantation eines Embryos ohne Mischung der Erbanlagen zweier Vorfahren, Siep, Ethik, S. 316. S. zur Einstufung des reproduktiven Klonens als „unnatürlich“ die Nachweise in Fn. 122. 118 Unter Keimbahntherapie versteht man alle Verfahren, die einer permanenten Veränderung des Erbguts von Keimzellen oder ihrer Vorläufer dienen und die in therapeutischer Absicht erfolgen, s. http://www.ttn-institut.de/node/179 (Stand: 07. 09. 2015).

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C. Natürlichkeitsbegriff in der Debatte um biotechnologische Verfahren

Inhalte äußern. Wenngleich der Betreffende die Kenntnis über diesen von ihm ggf. als „Mangel“ erachteten Befund erlangen kann, bleibt er trotz Trainings seiner kognitiven Fähigkeiten stets bei einem spezifischen Leistungsniveau stehen, das zu überwinden er nicht imstande ist. Gemeint ist konkret, dass er die Leistungen seines Gehirns von einem bestimmten Punkt an nicht ohne die Unterstützung durch spezifische Hilfsmittel weiter zu steigern vermag. Vergleichbar damit ist die Situation eines Sportlers, der bereits sämtliche Trainingsmethoden optimiert, seine Ernährung in bestmöglicher Weise an sein sportliches Ziel angeglichen und selbst seine psychische Fitness auf das persönliche Höchstmaß gebracht hat. Dennoch erreicht er einen Leistungsstand, über den hinaus eine Verbesserung nicht mehr ohne die Beeinflussung durch leistungsfördernde Substanzen möglich ist. Ebenso sind dem menschlichen Fortpflanzungsakt Grenzen gesetzt, die sich aus dem Zuschnitt der Reproduktionsfähigkeiten des Körpers ergeben. Beispielsweise ist es dem Einzelnen unmöglich, durch den Geschlechtsakt mit einer anderen Person einen Klon seiner selbst zu erzeugen. Habermas verwendet zur Kennzeichnung dieses Befunds speziell im Bereich der Reproduktionstechniken die Differenzierung zwischen „Gewachsenem“ und „Gemachtem“.119 Das Gewachsene meint dabei einen kontingenten Befruchtungsvorgang, dessen bisherige Unverfügbarkeit durch Entwicklungen im Bereich der Biotechnik zunehmend aufgelöst werde.120 Synonym zieht er die Unterscheidung zwischen „Hergestelltem“ und „von Natur aus Gewordenem“ heran. Insofern liegt seiner Definition der menschlichen Natur die Vorstellung eines vorgefundenen bestehenden Zustands bzw. ablaufenden Prozesses zugrunde. Die Termini des Gewachsenen bzw. von Natur aus Gewordenen legen nahe, dass es sich dabei um etwas handelt, dessen Bestehensbedingungen ihre Ursache in sich selbst finden. Demgegenüber verweisen die Begriffe des Gemachten und des Hergestellten auf gestalterische Maßnahmen, an deren Ende ein Produkt steht. Aus diesem Grund spricht Habermas in diesem Zusammenhang ferner vom „Objektiven“, das dem „Subjektiven“ des Gewachsenen gegenüberstehe.121 Objektives kann nach dieser Lesart verstanden werden als Produkt eines Herstellungsvorgangs. Demgegenüber steht Subjektives für sich selbst und damit unabhängig vom gestalterischen Handeln eines anderen bzw. der eigenen Person. Übertragen etwa auf das reproduktive Klonen lässt sich hieraus die Schlussfolgerung ziehen, dass es sich dabei nicht um einen in diesem Sinne „na119

Vgl. zu dieser Differenzierung auch Birnbacher, Natürlichkeit, S. 2 ff. sowie in Bezug auf die Natürlichkeit von „Lebensformen“, Jaeggi, Kritik, S. 120. Ähnlich Kersten, Klonen, S. 495, der einen Gegensatz zwischen „natürlich“ und „technisch assistiert“ aufbaut und damit die zielgerichtete Einflussnahme des Menschen auf Entwicklungen im Bereich der Fortpflanzung zum Unterscheidungskriterium wählt. Vgl. zu diesem Verständnis der menschlichen Natur bereits Mill, Drei Essays über Religion, S. 57, der eine Unterscheidung zwischen Angeborenem und Erworbenem vorschlägt. 120 Habermas, Zukunft der menschlichen Natur, S. 29. S. noch ausführlich unten D. III. 5. c) aa) zur Auseinandersetzung mit der Position Habermas’. 121 Habermas, Zukunft der menschlichen Natur, S. 85.

I. Bestandsaufnahme zur Debatte um biotechnologische Verfahren

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türlichen“ Vorgang handelt. Vielmehr liegt darin auf der Basis der Habermas’schen Prämissen ein gestalterischer Akt, der menschliches Leben „produziere“.122 In eine ähnliche Richtung geht Siep in seiner Definition des Natürlichen. Natürlich sei danach, „was von sich her (also nicht gänzlich vom Menschen gemacht) existiert, sich ereignet, abläuft, sich bewegt, wächst, sich fortpflanzt usw.“ „,Natürlich‘ im Sinne von willensunabhängig bedeutet also, nicht hergestellt und nicht vollständig kontrollierbar zu sein.“123 Wie bei Habermas findet sich in diesem Natürlichkeitsverständnis mithin die Unterscheidung von Gewachsenem und Hergestelltem. Sofern eine Entwicklung „spontan“ ablaufe und der Beherrschung des menschlichen Willens entzogen sei, handele es sich dabei nicht um das Produkt eines Herstellungsprozesses. Unter dieser Voraussetzung verdiene sie das Prädikat der Natürlichkeit. Hierauf aufbauend können nach Auffassung Sieps diverse Verfahren der Reproduktionsmedizin als künstlich eingestuft werden. Vom Menschen kontrolliert sind beispielsweise sowohl die Befruchtung im Reagenzglas, extrakorporale Aufzucht sowie chirurgisch abgekürzte Geburten.124 Die Definitionen des Natürlichen, wie sie sich bei Habermas und Siep beispielhaft finden, sind paradigmatisch für eine stark an Aristoteles angelehnte Begriffsbildung im Rahmen der hier interessierenden Debatte um die Zulässigkeit verschiedener biotechnologischer Verfahren.125 Aristoteles unterteilt die sichtbare Welt in Natur122 Habermas, Zukunft der menschlichen Natur, S. 112 vergleicht die Beziehung zwischen dem geklonten Menschen und dem klonenden Arzt bzw. den das Klonen veranlassenden biologischen Eltern daher als Verhältnis zwischen „Programmierer“ und „Produkt“. – Vgl. ferner zu der Einschätzung, dass es sich beim reproduktiven Klonen um einen „künstlichen“ Vorgang handelt, Löw, Verführung, S. 33, 38 f.; Siep, Ethik, S. 316 ff. 123 Siep, Ethik, S. 247 f., vgl. ferner S. 310. Ähnlich definiert Bayertz, Menschliche Natur, S. 9, 12 die menschliche Natur als „die Gesamtheit der Eigenschaften (…), die dem Menschen ohne sein eigenes Zutun zukommen“. Bayertz betont dabei (S. 16), dass das Begriffspaar „natürlich“ – „künstlich“ nicht auf die Unterscheidung „spontan“ – „intentional“ reduziert werden dürfe. Hierin liegt indes kein Unterschied gegenüber der Auffassung Sieps, der zwar den Aspekt der Spontaneität verwendet, nicht aber sämtliche Entwicklungen als „natürlich“ einstufen möchte, die unbeabsichtigt erfolgen. Dies ergibt sich bereits aus seiner Natürlichkeitsdefinition, in der er ausdrücklich nicht allein auf den Willen des Menschen abstellt, sondern auf den objektiven Faktor, ob ein Prozess „nicht gänzlich vom Menschen“ hervorgerufen sei. Auch Ungewolltes, das durch menschliches Handeln hervorgerufen wird, kann daher auf der Basis seiner Definition als unnatürlich gekennzeichnet werden. – Vgl. ferner Heyd, Menschliche Natur, S. 52, 61 zu verbreiteten Natürlichkeitsdefinitionen im Bereich der Gentechnik, wonach die menschliche Natur ihre Bedeutung bzw. ihren Inhalt „in dem Aspekt der Menschheit (findet, Anm. d. Verf.), der eher gegeben als erfunden oder durch Übereinkunft konstruiert ist. Demgegenüber ist das Künstliche ein Ergebnis des menschlichen Willens, Musters oder Entwurfs.“ S. ferner Mill, Drei Essays über Religion, S. 13 zu einer (von zwei) Hauptbedeutungen der Natur. Diese umfasse das, „was ohne die Mitwirkung, d. h. die willentliche und absichtliche Mitwirkung, des Menschen geschieht“. Ähnlich Roughley, Menschliche Natur, S. 133, 143. 124 Siep, Ethik, S. 310. 125 Zu dieser Einschätzung gelangen auch Heyd, Menschliche Natur, S. 52, 52; Roughley, Menschliche Natur, S. 133, 143. Habermas, Zukunft der menschlichen Natur, S. 80 selbst

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C. Natürlichkeitsbegriff in der Debatte um biotechnologische Verfahren

gegenstände und Artefakte.126 Dabei sei die Natur Ursache für das Vorhandensein von Tieren und Pflanzen nebst deren Teile sowie für die Elemente. Der Grund hierfür liege in dem Umstand, dass allein diese „Dinge“ das Prinzip von Bewegung und Ruhe in sich selbst tragen: „Von diesen hat nämlich ein jedes in sich selbst einen Anfang von Veränderung und Bestand“.127 Naturgegenstände weisen auf dieser Basis eine Art inneres Programm auf, das mit der Fähigkeit, eigenständig „biologische“ Prozesse hervorzubringen, verbunden sei.128 Diese umfasse die Möglichkeit zu Veränderung und Bestand teilweise in Bezug „auf Raum, teils auf Wachstum und Schwinden, teils auf Eigenschaftsveränderung.“ Dabei seien natürliche Dinge insoweit zweckbestimmt, als Einzelprozesse zumeist in identischer Weise ablaufen.129 Beispielsweise folge die Fortpflanzung von Lebewesen prinzipiell denselben Regeln, weshalb ausschließlich ein Mensch aus einem Menschen entstehen könne.130 Die Entstehung anderer Arten bzw. Gattungen ist in einer solchen Vorstellung von Zweckbestimmung mithin nicht angelegt.131 Den Gegensatz zu den natürlichen Dingen bilden nach Auffassung Aristoteles’ diejenigen, welche „auf Grund anderer Ursachen“ vorhanden seien. Die Rede ist von den bereits angesprochenen Artefakten bzw. Kunstprodukten, die zur Ausübung von Bewegung bzw. Ruhe auf Faktoren angewiesen seien, die etwa in den Fähigkeiten eines Künstlers oder Handwerkers liegen. Als Beispiel zieht Aristoteles dabei das Haus bzw. andere mit den Händen hergestellte Gegenstände heran: „keins von diesen

spricht insoweit davon, dass die Lebenswirklichkeit „in gewissem Sinne ,aristotelisch‘ verfasst“ sei. Vgl. ferner Fukuyama, Ende des Menschen, S. 188, der sein eigenes Naturverständnis (S. 185: menschliche Natur als die „Summe von Verhaltensformen und Eigenschaften, die für die menschliche Gattung typisch sind“ und „sich eher aus genetischen Umständen als aus Umweltfaktoren“ ergebe) als „präziseren Gebrauch des Begriffs“ einstuft, der sich schon bei Aristoteles findet. Auf einer Linie damit liegt auch Löw, Die politische Meinung 26 (1981), 19, 25, der die Natur des Menschen in der „Zugehörigkeit zu seiner biologischen Spezies“ verankert sieht. 126 Aristoteles, Physik II 1. Dort finden sich sämtliche im Text wörtlich zitierten Passagen. – Es handelt sich hierbei lediglich um ein Verständnis der Natur, wie es bei Aristoteles anzutreffen ist. S. zu den unterschiedlichen Aristotelischen Naturbegriffen noch Aristoteles, Metaphysik V 4 sowie den Überblick bei Roughley, Menschliche Natur, S. 133, 135 ff. In der hier in Rede stehenden biomedizinischen Debatte rückt vorrangig die auf Aristoteles zurückgehende Unterscheidung von Künstlichem und Natürlichem in den Fokus, weshalb auf eine nähere Darstellung der übrigen Naturbegriffe der Aristotelischen Lehre an dieser Stelle verzichtet werden kann. S. aber zum Verständnis der menschlichen Natur bei Aristoteles noch unten C. II. 2. 127 Woodbridge, Vision of Nature, S. 55 zu Aristoteles’ Naturbegriff: „His theory of nature is a theory of motion.“ S. ferner Wieland, Physik, S. 233 f. 128 S. zum Aristotelischen Bewegungsbegriff Heinemann, Studien I, S. 290. 129 Aristoteles, Physik II 4, 6, 8. 130 Aristoteles, Physik II 1, 193b, 7. 131 Gloy, Verständnis der Natur I, S. 124.

I. Bestandsaufnahme zur Debatte um biotechnologische Verfahren

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Dingen enthält ja in sich den Anfangsgrund seiner Herstellung“. Vielmehr liege er „in Anderem und außerhalb ihrer“.132 Für die eingangs erwähnten biotechnologischen Verfahren lässt sich damit eine vorläufige Einordnung anhand des Aristotelischen Naturverständnisses in seiner dargelegten Fassung treffen. Soweit das Prinzip der Bewegung und Ruhe in sich selbst zum Ausgangspunkt für die Bestimmung des Natürlichen gewählt wird, können biotechnische Maßnahmen als unnatürlich bzw. künstlich klassifiziert werden. Dies lässt sich anhand des reproduktiven Klonens besonders einfach veranschaulichen: Bei diesem Verfahren wird der Zellkern aus einer ausdifferenzierten Körperzelle entnommen und in der Petrischale in eine unbefruchtete Eizelle eingebracht, deren Zellkern zuvor entfernt wurde. Der auf diese Weise entstandene Embryo wird anschließend in den Uterus einer hormonell entsprechend vorbereiteten Leihmutter eingesetzt und von ihr bis zur Geburt ausgetragen.133 Die Initiierung eines solchen Prozesses ist im Körper des Menschen nicht angelegt, er gehört insoweit nicht zu seinem „Programm“. Vielmehr kann der „Anfangsgrund“ eines auf diese Weise hergestellten Klons „außerhalb seiner selbst“ in der Herstellung durch einen Arzt gesehen werden. Der Körper der Leihmutter weist „in sich selbst“ keine derartige Bewegung im Sinne einer Entwicklung auf. Das Verfahren des reproduktiven Klonens kann auf der Basis der vorgenannten Prämissen als künstlich eingestuft werden.134 Es lässt sich damit ohne größere Schwierigkeiten eine Nähe der Natürlichkeitsbegriffe, wie sie sich in der gegenwärtigen Debatte um die Zulässigkeit biomedizinischer Maßnahmen finden, zu dem Aristotelischen Naturverständnis aufzeigen. Was „gewachsen“ bzw. „geworden“ ist, trägt die Bedeutung, aus sich heraus zu existieren und damit den Ursprung seiner Bestehensbedingungen in sich selbst zu finden. Der Begriff der Herstellung, wie ihn Habermas in Abgrenzung zum Gewachsenen verwendet, verweist demgegenüber deutlich auf eine gestalterische Ursache der Existenz eines solchen Gegenstandes. Was hergestellt wurde, findet seinen Ausgang nicht in sich selbst, sondern in dem produktiven Handeln anderer. Zur weiteren Verdeutlichung könnte die Habermas’sche Unterscheidung daher als die Abgrenzung des „von sich aus“ Gewordenen bzw. „durch einen anderen“ Hergestellten gekennzeichnet werden. Auf diese Weise zeigt sich eine begriffliche An132

Aristoteles, Physik II 1. Zum Verfahren s. Kersten, Klonen, S. 6, 18; Schreiner, Klonen, S. 15 f. S. ferner zur Definition schon oben Fn. 117. 134 Die Entstehung menschlichen Lebens kann nicht allein aus dem Grund als künstlich, da „von außen“ verursacht eingestuft werden, weil der erzeugte Mensch sich nicht selbst erzeugt – unabhängig davon, ob dies durch den Geschlechtsakt der Eltern oder etwa durch das Verfahren des reproduktiven Klonens erfolgt. Grund dafür ist nach Auffassung Aristoteles’ die identische „Form“ von Erzeuger und Erzeugtem: Diese Übereinstimmung führt einerseits dazu, dass das jeweilige Lebewesen in einer bestimmten Weise charakterisiert werden kann. Darüber hinaus geht damit einher, dass die Ursache für die Entstehung des erzeugten Lebewesens zugleich eine „innere“ darstellt, liegt sie doch in seiner eigenen „Form“. S. insoweit bereits Heinemann, Studien I, S. 291 f. S. zum Formbegriff bei Aristoteles noch unten C. II. 2. b). 133

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C. Natürlichkeitsbegriff in der Debatte um biotechnologische Verfahren

lehnung an die Aristotelische Differenzierung von Kunst und Natur, die das Prinzip der Selbstbewegung zum maßgeblichen Unterscheidungsmerkmal erhebt.135 Noch deutlicher scheint die Nähe zu Aristoteles in der Natürlichkeitsdefinition Sieps auf, die ausdrücklich darauf abstellt, ob eine Entwicklung bzw. ein Zustand „von sich her (also nicht gänzlich vom Menschen gemacht)“ abläuft bzw. besteht. Zwar erweist sich Sieps Definition als weniger konturenscharf als die Habermas’sche. Grund dafür ist vor allem der Umstand, dass Siep es für die Etikettierung eines Gegenstandes als natürlich ausreichen lassen will, wenn dieser „nicht gänzlich vom Menschen gemacht“ ist. Diese Formulierung wirft bereits in Bezug auf das reproduktive Klonen – entgegen Sieps eigener Einschätzung136 – Schwierigkeiten auf, wird an dem Beispiel doch schnell deutlich, dass die Entstehung des Klons nicht allein auf vom Menschen Gemachtes angewiesen ist: Soweit es etwa um den Körper der Leihmutter geht, ist dieser nichts „Gemachtes“. Dass das Heranwachsen des Klons aber in einem nicht unerheblichen Maße von den „natürlichen“, da „gewachsenen“ Körperfunktionen der Leihmutter abhängig ist, lässt sich indes nicht bestreiten. Ebenso verhält es sich in Bezug auf die unbefruchtete Eizelle, in die der neue Zellkern eingebracht wird. Auch diese ist nicht „vom Menschen gemacht“, dennoch aber essentiell für den Erfolg des Klonens. Vor diesem Hintergrund leistet die seitens Siep gewählte Begrifflichkeit bei Lichte besehen weniger, als er selbst annimmt. Die durch die Einschränkung des nicht gänzlich vom Menschen Gemachten entstehenden Unsicherheiten gehen zu Lasten des Bestrebens um eine konturenscharfe Definition. Insoweit bleibt insbesondere die Frage offen, in welchem Verhältnis dieses Begriffsmerkmal zu dem weiteren Definitionsversuch Sieps steht, wonach „natürlich“ dasjenige sei, das „nicht hergestellt und nicht vollständig kontrollierbar“ ist. An dieser Stelle findet sich die vorgenannte Einschränkung nicht, sodass etwa auch die Fallgruppe des reproduktiven Klonens wegen des Herstellungsvorgangs durch den Menschen als unnatürlich eingestuft werden kann. Wie die beiden – insofern in entscheidender Hinsicht abweichenden – terminologischen Bestimmungen sich zueinander verhalten, bleibt allerdings offen. Unabhängig von solchen Schwierigkeiten der klaren Begriffsfassung innerhalb Sieps eigener Ausführungen steht im Hinblick darauf aber immerhin eines fest: Wiederum begegnet bei Siep das Kriterium der Selbstbewegung, indem 135

Zur Kennzeichnung des Aristotelischen Naturbegriffs wird in der vorliegenden Arbeit das Kriterium der Selbstbewegung herangezogen. Zwar findet sich diese Begrifflichkeit bei Aristoteles selbst nicht (vgl. insoweit Wieland, Physik, S. 234 f., der dem Begriff der Selbstbewegung kritisch gegenüber steht). Auch sollen auf diese Weise nicht die Bereiche der Ortsbewegung, der qualitativen bzw. quantitativen Bewegung begrifflich ausgeschlossen werden, die Aristoteles als Bezugspunkt des Bewegungsursprungs einbezieht: Eine Bewegung kann danach mehr als einen einzigen Bewegungsursprung haben. Wenngleich es sich insofern um eine in gewisser Weise verkürzte terminologische Kennzeichnung der Aristotelischen Position handelt, erscheint deren Verwendung – unter Berücksichtigung der ausführlichen Darlegung des Aristotelischen Naturverständnisses vorab – aus Darstellungsgründen vertretbar. Vgl. gleichwohl Wieland, Physik, S. 235 f., der es zum Verständnis der Aristotelischen Lehre als essentiell erachtet, den Gedanken der Selbstbewegung durch den eines bewegten SichBewegens zu ersetzen. 136 S. dazu oben Fn. 124.

II. Kritik am Natürlichkeitsbegriff

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allein dasjenige, was den Ursprung seiner Existenz, Bewegung, seines Wachsens und seiner Fortpflanzung in sich und damit unabhängig von menschlicher Schaffenskraft findet, darin als natürlich eingestuft wird. Die Analyse der in der biomedizinischen Debatte herangezogenen Natürlichkeitsbegriffe hat damit offenbart, dass die Frage danach, was in diesem Zusammenhang als „natürlich“ bzw. „künstlich“ definiert wird, ihren Ursprung bereits in der Aristotelischen Unterscheidung von physis und techne findet. Dies kann beispielhaft anhand der Unterscheidung von Kunst und Natur verdeutlicht werden, die sich bei Habermas und Siep findet. Das Kriterium der Selbstbewegung wird daher auch seitens der Vertreter von Natürlichkeitsargumenten in der rechtlichen Diskussion um neue Verfahren der Biotechnologie grundsätzlich zum Ausgangspunkt der Unterscheidung gewählt.

II. Kritik am Natürlichkeitsbegriff in der Debatte um biotechnologische Verfahren Eine Konturierung dessen, was im Rahmen der Debatte um biotechnologische Verfahren unter dem Begriff der Natürlichkeit verstanden wird, erscheint vor diesem Hintergrund auf den ersten Blick gelungen. Beispielsweise können reproduktives Klonen, Enhancementmaßnahmen oder die Präimplantationsdiagnostik auf dieser Basis anscheinend ohne verbleibende Zweifel als „künstlich“ eingestuft werden.137 Grund dafür ist der Umstand, dass die durch die angesprochenen Verfahren initiierten Prozesse nichts „Gewachsenes“, sondern vom Menschen „Gemachtes“ sind und ihren Ursprung folglich nach Aristotelischem Verständnis nicht in sich selbst finden. Der so definierte Natürlichkeitsbegriff scheint damit seine Funktion, die ihm im Rahmen einer rechtlichen Debatte zukommen soll, angemessen zu erfüllen. Darin fungieren Begriffe als Arbeitsmittel, denen vorrangig die Aufgabe zukommt, eindeutig zu benennen, worauf sich ein den Begriff verwendendes Argument bezieht. Im Hinblick auf den Natürlichkeitsbegriff in der biomedizinischen Diskussion heißt dies konkret, dass sich daraus ohne verbleibende Zweifel ergeben muss, ob ein bestimmtes Verfahren als „künstlich“ oder „natürlich“ eingestuft werden kann. Wie gezeigt, scheint das innerhalb der Debatte verwendete Natürlichkeitsverständnis insoweit keine Fragen offen zu lassen. Gleichwohl offenbaren sich bei näherer Betrachtung Unstimmigkeiten innerhalb des hier in Rede stehenden Natürlichkeitsbegriffs, die seiner Tauglichkeit als Arbeitsmittel im oben beschriebenen Sinne entgegenstehen. Der kritische Blick hat sich dabei zunächst auf das Differenzierungskriterium von Selbstbewegung bzw. -ruhe zu richten, das in Orientierung an Aristoteles Einzug in die gegenwärtige Begriffsbildung gehalten hat. Wenngleich dieses verbreitet zum terminologischen Ausgangs137 S. zur Einschränkung im Hinblick auf Sieps abweichende Definitionsansätze schon oben C. I.

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C. Natürlichkeitsbegriff in der Debatte um biotechnologische Verfahren

punkt gewählt wird, um neuere Verfahren der Biotechnologie als „künstlich“ zu klassifizieren, zeigt sich, dass selbst die gegenteilige Einstufung unter Berufung auf das Kriterium der Selbstbewegung möglich ist.138 Eine Stütze erfährt diese Interpretation in dem Aristotelischen Verständnis von der menschlichen Natur, das daher im Anschluss seinerseits einer näheren Betrachtung unterzogen werden soll. Zuletzt kann gezeigt werden, dass selbst unabhängig von einer denkbaren abweichenden Deutung des Aristotelischen Erbes innerhalb des hier untersuchten Natürlichkeitsbegriffs dessen scheinbar so klare Trennlinien gegenüber dem „Künstlichen“ ohne größere Schwierigkeiten verwischt werden können.139 1. Kritik an dem Differenzierungskriterium von Bewegung und Ruhe in sich selbst Nach dem Gesagten weisen die im Rahmen der biomedizinischen Debatte herangezogenen Natürlichkeitsbegriffe einen engen Bezug zu der Aristotelischen Abgrenzung von physis und techne auf, in deren Zentrum das Differenzierungskriterium von Selbstbewegung und Selbstruhe steht. Dieses lässt es grundsätzlich zu, verschiedene biotechnologische Maßnahmen als unnatürlich bzw. künstlich einzustufen. Es handelt sich dabei sämtlich um Verfahren, deren „Ursache“ in den Fähigkeiten einer spezifisch ausgebildeten Person liegt, die entsprechende Hilfsmittel entwickelt bzw. wie etwa beim reproduktiven Klonen ganze Herstellungsvorgänge initiiert. Nach Aristotelischem Verständnis liegen die Gründe für diese Prozesse damit „außerhalb ihrer selbst“. Indes kann die Unterscheidung von Kunstprodukten und Naturgegenständen anhand des Prinzips von Selbstbewegung und -ruhe nicht frei von Kritik bleiben. Problematisch erscheint daran zuvörderst die zentrale Differenzierung zwischen äußeren und inneren Ursachen für Zustände bzw. Entwicklungen in der gegenständlichen Welt. Vor allem in Bezug auf den Menschen fragt sich, ob diese tatsächlich in der seitens Aristoteles proklamierten Eindeutigkeit aufrechterhalten werden kann.140 Dies zeigt sich bereits anhand des Aristotelischen Paradebeispiels des von Menschen erbauten Hauses, dessen Einstufung als Kunstprodukt schon bei näherem Hinsehen ins Wanken gerät. So ist zwar einzuräumen, dass die Ursache für die Entstehung eines Hauses nicht in dessen Baustoffen in Gestalt von Holz oder Stein angelegt ist. Vielmehr bedarf es dazu der Fertigkeiten von Architekten und Handwerkern, als Produkt deren Schaffenskraft das Gebäude 138

S. dazu sogleich C. II. 2. S. unten C. II. 3. 140 Die nachfolgende Kritik ließe sich insoweit auf die „Natur“ sonstiger Lebewesen übertragen, als auch diese Fähigkeiten aufweisen, um die eigene Lebenssituation zu gestalten. Beispielhaft nutzt eine Spinne das Bauen eines Netzes zur Nahrungssicherung. Auch dahingehend kann die Frage aufgeworfen werden, ob sinnvoll zwischen einer „natürlichen“, da in der Spinne „angelegten“ Fähigkeit und deren Produkt unterschieden werden kann. Für deren Beantwortung gelten die im Text getroffenen Aussagen sinngemäß. – S. ferner noch unten C. II. 3. dazu, dass der Möglichkeit einer trennscharfen Differenzierung von Natur und Kunst/Kultur im Hinblick auf den Menschen erhebliche Bedenken entgegenstehen. 139

II. Kritik am Natürlichkeitsbegriff

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erachtet werden kann. Die Perspektive ändert sich allerdings, wird das Haus als das erkannt, was es aus Sicht seiner Erbauer ist: ein Hilfsmittel des Menschen, um sich vor Kälte und Angriffen Dritter zu schützen. Das Haus erfüllt mithin eine Funktion, die ihm sein Erbauer beimisst. Der Mensch empfindet es angesichts seiner eigenen physischen Konstitution als Notwendigkeit, sich durch ein Haus vor Widrigkeiten wie etwa spezifischen Wetterlagen zu schützen. Auch gelingt durch den abgeschlossenen Raum des Hauses die Herstellung von Privatheit, die für den Menschen ebenfalls eine nicht zu unterschätzende Bedeutung entfaltet. Wird das Haus aber als Machwerk des Menschen gesehen, das herzustellen er durch seine kognitiven und körperlichen Fähigkeiten imstande ist, ist die Frage aufgeworfen, ob nicht bereits aus diesem Grund seine Einstufung als Kunstprodukt verfehlt ist? Verkürzt: Weil der Mensch „aus sich heraus“ (nämlich kraft seiner geistigen Fähigkeiten) dazu in der Lage ist, Häuser zu errichten, könnten diese Fertigkeit und damit zugleich die daraus entstehenden Gegenstände ihrerseits als „natürlich“ bewertet werden. So liegt deren Ursprung doch in einer „vorgefundenen“ Eigenschaft des Menschen in Gestalt seines Verstandes, der ihn unter anderem zur Errichtung von Bauwerken befähigt.141 Dies ließe sich selbst unter der Voraussetzung begründen, dass der Einzelne zum Bau seines Hauses lediglich durch die Weitergabe von Wissen und Baukunst durch andere in der Lage wäre. Gleichwohl ginge diese Fähigkeit auf die Verstandeskraft des Einzelnen zurück, die ihm das Lernen von anderen ermöglicht.142 Ausgangspunkt der auf diese Weise eingeleiteten Kritik ist mithin die Erkenntnis, dass der Mensch aufgrund seiner Vernunftbegabung vielfältige Einsichten in seine eigene Lebenssituation zu erlangen und deren Veränderung herbeizuführen vermag. Kraft seines Verstandes kann er es als Nachteil empfinden, im Gegensatz etwa zu bestimmten Tieren kein dickes Fell zu besitzen, das ihn vor Kälte schützt. Die hieraus 141

In diese Richtung auch Demmerling, Naturalismus und Menschenbild, S. 240, 241, der darauf abstellt, dass geistige und seelische Eigenschaften des Menschen ebenso wie die Produkte seines Handelns als Ergebnis der Naturgeschichte anzusehen sind. 142 Demmerling, Naturalismus und Menschenbild, S. 240, 242 stellt insoweit darauf ab, dass die Fähigkeit der kulturellen Weitergabe „als ein Produkt der natürlichen Evolution und als deren Verlängerung“ begriffen werden könne. Diese Position stützt sich auf die Annahme Tomasellos, Kulturelle Entwicklung, S. 16, dass dem Menschen die „einzigartige“ Fähigkeit zukommt, kulturelle Lernprozesse zu vollziehen. Gegenüber anderen Primaten weisen Menschen danach die Eigenschaft auf, sich mit Artgenossen in besonders ausgeprägter Weise zu identifizieren (ebenda, S. 24 f.): „Das bedeutet, daß die meisten, wenn nicht gar alle artspezifischen kognitiven Fähigkeiten des Menschen keine direkte Folge der biologischen Vererbung sind, sondern vielmehr aus einer Vielfalt historischer und ontogenetischer Prozesse hervorgehen, die von der spezifisch menschlichen biologisch vererbten kognitiven Fähigkeit in Gang gesetzt werden.“ – Darin liegt kein Widerspruch gegenüber der hier vertretenen Position, im Gegenteil: Auch die Fähigkeit, Wissen und Erfahrung an andere weiterzugeben, findet ihren Ursprung – ebenso wie das Lernen – in der Verstandeskraft des Einzelnen. Darüber hinaus kann die These Tomasellos dafür herangezogen werden, dass sämtliche der vorgenannten Eigenschaften dem Menschen „wesenseigen“ im Vergleich zu anderen Lebewesen sind und daher als dessen „Natur“ eingestuft werden könnten: So sei die Fähigkeit, sich mit anderen zu identifizieren, „ein Teil des einzigartigen biologischen Vermächtnisses der Art Homo sapiens“ (ebenda, S. 111, Hervorhebung im Original).

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C. Natürlichkeitsbegriff in der Debatte um biotechnologische Verfahren

zu ziehende Schlussfolgerung der Notwendigkeit eines Substituts liegt auf der Hand. Daneben ermächtigt seine Vernunftbegabung den Menschen dazu, Wege zu ersinnen, sein auf diese Weise gestecktes Ziel zu erreichen. Die Antwort kann im Hinblick auf den Wunsch, ein Haus zu errichten, die Entwicklung von Baukunst sein. Damit lässt sich das Beispiel ohne Weiteres auf den hier interessierenden Bereich der biotechnologischen Verfahren übertragen. So ist denkbar, dass ein Paar es als Mangel empfindet, wenn es durch den bloßen Geschlechtsakt keine Kinder zeugen kann. In dieser Situation bietet etwa die „künstliche Befruchtung“143(!) ein Substitut, das diese „Schwäche“ zu überwinden vermag. Baukunst stellt ebenso wie biotechnologische Entwicklungen ein Produkt der menschlichen Vernunftbegabung dar. Sie sind Folge einer Eigenschaft, die ihren „Anfang“ im Menschen selbst findet. Wenn aber der Mensch „aus sich heraus“ und damit im Aristotelischen Sinne „natürlich“ dazu in der Lage ist, sich Hilfsmittel zur Überwindung der (empfundenen) Mängel seiner Verfasstheit herzustellen, spricht dies dafür, eben jene Fähigkeit ihrerseits als eine „natürliche“ zu definieren. Dann lässt sich aber kaum mehr begründen, weshalb nicht auch dasjenige, das kraft dieser Fähigkeit hergestellt worden ist, seinerseits Natürlichkeit für sich beanspruchen sollte.144 Wenn eine Fähigkeit des Menschen ihre Ursache in seinem Verstand und damit „in ihm selbst“ findet, müsste sie im Sinne der Aristotelischen Unterscheidung als natürlich eingestuft werden.145 Dasselbe müsste aber für die Produkte der Verstandestätigkeit gelten. Welchen Sinn sollte demgegenüber eine Differenzierung zwischen dem Potential zu Entwicklungen und dessen eigentlicher Umsetzung ergeben? So liegt es doch besonders nahe, dass von real existierenden Fähigkeiten auch Gebrauch gemacht wird, sodass Schaffenspotential und Schaffensprodukt als Einheit angesehen werden können, deren Aufspaltung in einen „natürlichen“ und einen „künstlichen“ Bestandteil wenig nachvollziehbar erscheint.146 143 Vgl. Siep, Ethik, S. 312, dass der Begriff der künstlichen Befruchtung zuletzt durch den der „assistierten“ Befruchtung ersetzt wurde. Dies dürfte insbesondere der bereits begrifflichen Stigmatisierung des Verfahrens – denn Unnatürliches ist in aller Regel negativ konnotiert (vgl. unten D. III. 1.) – Abhilfe leisten. 144 So auch Bayertz, Menschliche Natur, S. 9, 18: Sofern das rationale Denken die spezifische menschliche Natur ausmacht, „wird man die sich aus dem rationalen Denken und intentionalen Handeln ergebenden Resultate nicht als ,unnatürlich‘ qualifizieren können; die Veränderungen, die Menschen sowohl an der äußeren als auch an ihrer eigenen Natur vornehmen, wären als Konsequenzen eben seiner Natur anzusehen.“ (Hervorhebung im Original) 145 In der Tat ist Aristoteles selbst so zu verstehen, dass der Verstand des Menschen Wesensmerkmal seiner Natur ist. S. dazu und zu den daraus folgenden Konsequenzen noch im Anschluss C. II. 2. 146 Gegen diese Einstufung wendet sich ausdrücklich Keil, Ort der Vernunft, S. 192, 213. Bei den entsprechenden Fähigkeiten des Menschen handele es sich nicht um „Naturtatsachen“, da diese „nur auf der Basis von Kulturleistungen ausgebildet werden“ können und damit die Weitergabe erworbener Fähigkeiten durch andere voraussetzen. Allerdings ließe sich auch diesem Einwand die im Text angeführte Argumentation entgegenhalten: Sofern die Ausbildung von Fähigkeiten auf einer Vernunftleistung des Menschen beruht und die Vernunft dem Menschen „natürlich“ eigen ist, kann dieses Prädikat auch auf die „Produkte“ der Vernunft übertragen werden. Einen Unterschied kann es nicht machen, dass der Mensch bestimmte

II. Kritik am Natürlichkeitsbegriff

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Für die enge Verbindung zwischen Fähigkeiten und deren Einsatz spricht nicht zuletzt der verbreitet zu beobachtende Wunsch des Menschen, sich über reale oder jedenfalls empfundene Grenzen hinwegzusetzen.147 Etwa im Hinblick auf die mit neuen biotechnologischen Verfahren einhergehenden Möglichkeiten wird vertreten, dass darin das menschliche Bestreben zum Ausdruck komme, sich selbst von jenen Fesseln zu lösen, die der eigene Körper ihm auferlegt.148 Dass der Wunsch nach einem Höchstmaß persönlicher Freiheit dem Menschen nicht fremd ist, lässt sich als Befund bereits außerhalb des biotechnischen Bereichs unschwer belegen: Die Entwicklung von Fortbewegungsmitteln, die dem Menschen in immer kürzerer Zeit einen immer größeren Raum erschließen, trägt zur individuellen Freiheit eines jeden erheblich bei. Freiheit meint dabei insbesondere den Zuwachs an Handlungsmöglichkeiten, der etwa mit der Vereinfachung spezifischer Lebensbereiche einhergeht. Grundsätzlich verhält es sich insoweit nicht anders im Hinblick auf Entwicklungen, die eine Veränderung des eigenen Körpers ermöglichen. Wer im Wettkampfsport auf leistungssteigernde Substanzen zurückgreift und dadurch bislang unerreichbare Ziele übertrifft, kann dies als erheblichen Zugewinn an Freiheit begreifen. Vergleichbares gilt für denjenigen, der an seinem äußeren Erscheinungsbild empfundene Mängel durch entsprechende medizinische Eingriffe behebt. Wer auf diese Weise die „Fesseln“ des eigenen Körpers abgeworfen hat, wird dies in aller Regel als unmittelbare Mehrung von persönlicher Freiheit bewerten. Die allgemeine Kritik an einer an Aristoteles angelegten Definition der (menschlichen) Natur als dasjenige, das seine Ursache in sich selbst findet, mündet mithin im Vorwurf einer begrifflich unzureichenden Berücksichtigung der Vernunftbegabung des Menschen, aus der sich ein Freiheitsstreben ergeben kann. Wer zwischen „äußeren“ und „inneren“ Ursachen für bestimmte Prozesse bzw. „Gewachsenem“ und „Gemachtem“ differenzieren möchte, kann dies im Hinblick auf den Menschen allenfalls unter weitgehender Außerachtlassung des menschlichen Verstandes tun. Wird dieser hingegen in die Betrachtung miteinbezogen, werden die Grenzlinien der aufgezeigten Unterscheidung in einer Weise verschoben, die Zweifel aufkommen lässt, dass für die Fallgruppe des Künstlichen bzw. Unnatürlichen Fähigkeiten erst von anderen erlernt hat. Wiederum liegt der Ursprung der Fähigkeit, von anderen zu lernen, in der Vernunftbegabung des Einzelnen begründet, was den Schluss auf die „Natürlichkeit“ des Vorgangs zuließe. S. schon oben Fn. 142 dazu sowie zur Annahme Tomasellos, dass es sich gerade bei der Fähigkeit, kulturelle Lernprozesse zu vollziehen, um eine spezifisch menschliche handelt, da sie Teil des biologischen Vermächtnisses der Art Homo sapiens sei. S. ferner zur näheren Auseinandersetzung mit dem Verhältnis von Natur und Kultur unten C. II. 3. 147 Vgl. Birnbacher, Natürlichkeit, S. 183; Heyd, Menschliche Natur, S. 52, 55; Köbl, Hubmann-FS, S. 161, 190; Lanzerath, Jahrbuch für Wissenschaft und Ethik 7 (2002), 319, 319. Dazu Siep, Ethik, S. 308: „Der Mensch ist von Natur ein Kultivierer, Züchter, Techniker.“ – S. allgemein zu der tiefen Verwobenheit von Vernunft und Freiheit McDowell, Wert und Wirklichkeit, S. 30, 34. 148 In diese Richtung Bayertz, GenEthik, S. 190, der darauf verweist, „daß der seiner selbst bewußt gewordene Mensch seine Natur – ebenso wie die äußere – zwar als die Basis seiner Existenz erfährt, aber auch als eine Grenze seiner Subjektivität“.

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C. Natürlichkeitsbegriff in der Debatte um biotechnologische Verfahren

überhaupt etwas übrig bleibt. Grund hierfür ist nicht zuletzt, dass insbesondere der menschliche Geist Motor künftiger Entwicklungen sein kann. Insoweit drängt er seinerseits „nach außen“, indem er den Menschen neue Wege zur Gestaltung der eigenen Lebenswirklichkeit ebnet. In der Vernunftbegabung der Person ist mithin ein Moment gestalterischer Bewegung angelegt, das sich nicht einwandfrei in die Aristotelische Trennung innerer und äußerer Ursachen einordnen lässt, diese hingegen am Ende auflöst: Wenn der Ursprung einer „äußeren“ Ursache im menschlichen Verstand liegt, der im Aristotelischen Sinne ein „innerer“ Faktor ist, verschwimmen die Grenzen der Differenzierung, womit zuletzt die Frage nach der Sinnhaftigkeit des Festhaltens an der entsprechenden Unterscheidung aufgeworfen ist.149 Ebenso verhält es sich etwa im Hinblick auf die daran angelehnte Habermas’sche Differenzierung von Gewachsenem und Gemachtem: Weil der Verstand „gewachsen“ ist, fällt es schwer, seine Produkte als „gemacht“ zu kennzeichnen – was aus Gewachsenem entsteht, kann vielmehr seinerseits als gewachsen eingestuft werden. 149 Für das Aufrechterhalten der Differenzierung könnte gleichwohl folgende Überlegung sprechen: Dem Verstand könnte im Verhältnis zur „blinden“ Natur eine Sonderrolle eingeräumt werden, die sich aus dessen Eigenschaft der Lenkung von beeinflussbaren Geschehensabläufen ergibt. Naturvorgänge verlaufen nach einem feststehenden Programm, weshalb sie durch den Menschen nicht beeinflusst werden können. Anders verhält es sich jedoch in Bezug auf Gegenstände, die vom Menschen hergestellt werden, bzw. menschliches Verhalten, das Ausdruck einer autonomen Entscheidung ist. Dies hat zur Folge, dass dem Einzelnen im Hinblick auf ein bestimmtes Verhalten bzw. ein Produkt seiner Schaffenskraft ein Vorwurf unterbreitet werden kann. Während die Natur immer das Beste bzw. „die beste der Möglichkeiten verwirklicht“ (Aristoteles, Über den Himmel II 5, 288a), da die Kategorien von richtig und falsch in Bezug auf sie keine Bedeutung entfalten (alles, was nicht beeinflusst werden kann, sondern einfach „geschieht“, ist jedenfalls in dem Sinne „richtig“, als es nicht „falsch“ sein kann), gilt dies gerade nicht für Kunstprodukte, zu denen vernunftgesteuertes menschliches Verhalten zählt. Weil der Betreffende sich anders hätte entscheiden können, ergibt es in diesem Zusammenhang einen guten Sinn, ihm für den Fall der Unvereinbarkeit seines Verhaltens mit ethischen bzw. rechtlichen Regeln einen Vorwurf zu unterbreiten sowie den Regelverstoß ggf. zu ahnden. Vgl. insoweit Goethe, in: Eckermann, Gespräche, (13. Februar 1829): „(…) aber die Natur versteht gar keinen Spaß, sie ist immer wahr, immer ernst, immer strenge, sie hat immer recht, und die Fehler und Irrtümer sind immer des Menschen“. – Indes wird der in der Debatte um neue Verfahren der Biomedizin verwendeten Unterscheidung von Kunst und Natur unter Außerachtlassung des menschlichen Verstandes ersichtlich nicht diese Bedeutung beigemessen. In diesem Zusammenhang geht es allgemein darum, das Natürliche dem Künstlichen vorzuziehen, indem die Wahrung des Natürlichen als gewollt, das Künstliche hingegen als immerhin unerwünscht bewertet wird (s. dazu ausführlich unten D. III., insbesondere 4. und 5.). Dem widerspräche es jedoch, sofern auch in der Kategorie des Künstlichen eine positive Wertung denkbar wäre. Der bloße Umstand allein, dass der Mensch einen Vorgang durch sein Verhalten gesteuert hat, führt lediglich dazu, dass das jeweilige Tun oder Unterlassen einer normativen Bewertung unterzogen werden kann. Deren Ergebnis ist jedoch offen, weshalb nicht zugleich jedwedes Kunstprodukt als „falsch“ bzw. schlechter als „das Beste“ eingestuft werden kann. Damit erweist sich die Überlegung, dem „lenkenden“ Verstand eine Sonderrolle gegenüber der „blinden“ Natur zuzuweisen, allenfalls insoweit als sinnvoll, als es um eine Unterscheidung zwischen Menschen und anderen Lebewesen geht: Allein aufgrund seines Verstandes kann dem Menschen für sein Verhalten ein Vorwurf gemacht werden – bei Tieren ist dies in Ermangelung einer solchen Fähigkeit nicht möglich.

II. Kritik am Natürlichkeitsbegriff

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In der Konsequenz ließe sich in Abkehr von Aristoteles, Habermas und Siep die Fähigkeit des Einzelnen zu einem selbstbestimmten Leben, die ihre Ursache im menschlichen Verstand findet, gar zum Ausgangspunkt des Naturbegriffs wählen.150 Entsprechende Bestrebungen finden sich bereits bei Pico della Mirandola. Danach sei der Mensch ein Geschöpf, das „nichts Eigenes“ aufweise, sondern „Anteil habe an allem, was die einzelnen (Lebewesen, Anm. d. Verf.) für sich“ haben, und damit von „unbestimmter Gestalt“.151 Es liege allein in der Hand des einzelnen Individuums, zu bestimmen, in welche Richtung es seine Entwicklung beeinflussen wolle. Während die Natur der übrigen Lebewesen „fest bestimmt“ sei, sei die des Menschen ständig wechselnd und sich selbst verwandelnd in Abhängigkeit von seinem eigenen Willen und seinen eigenen Vorstellungen.152 Der Mensch sei unter Bedingungen geboren, wonach er das sei, was er nach seinem Ermessen selbst sein wolle, sodass seine Natur keine „Einschränkung und Enge“ erfahre. Auf der Basis eines solchen Verständnisses der menschlichen Natur ließen sich die durch den Menschen geschaffenen Werke freilich nur noch schwer als „Kunstprodukte“ kennzeichnen. Im Anschluss an das bereits Gesagte müsste vielmehr dasjenige, das seinen Anfang in der Verstandeskraft des Menschen findet, seinerseits als „natürlich“ eingestuft werden. Dies hätte auch für die hier in Rede stehenden biotechnologischen Maßnahmen zu gelten. In diese Richtung lässt sich etwa auch das Verständnis der menschlichen Natur lesen, wie es sich bei Kant findet.153 In der Kritik der Urteilskraft trifft Kant die Feststellung, „daß wir den Menschen nicht bloß, wie alle organisierte Wesen, als Naturzweck, sondern auch hier auf Erden als den letzten Zweck der Natur, in Beziehung auf welchen alle übrigen Naturdinge ein System von Zwecken ausmachen, (…) zu beurteilen hinreichende Ursache haben.“154 Der Mensch gehört auf dieser 150

Siehe sogleich C. II. 2., dass auch Aristoteles dem menschlichen Verstand eine wesentliche Bedeutung für die Definition der menschlichen Natur beimisst. Gleichwohl handelt es sich bei dem Kriterium von Selbstbewegung bzw. Selbstruhe um das wesentliche Unterscheidungsmerkmal, das Aristoteles in Bezug auf die Trennung von Kunst und Natur einführt. Mit seinem Verständnis der menschlichen Natur lässt sich dies zwar prinzipiell in Einklang bringen. Indes gelingt gerade nicht die Vermeidung des im Text aufgedeckten Konflikts, der in der Kennzeichnung der aus Verstandeskraft entstandenen Dinge als Kunstprodukte zu sehen ist. 151 Pico della Mirandola, De hominis dignitate, S. 5. 152 Pico della Mirandola, De hominis dignitate, S. 7, 11. 153 Näher zum Naturbegriff bei Kant s. Heinemann, Studien I, S. 39 f. 154 Kant, Kritik der Urteilskraft, B 388 (S. 387) (Hervorhebung im Original). – Ähnlich Heyd, Menschliche Natur, S. 52, 66, der die menschliche Natur als „Kraft der Selbstbestimmung“ definiert und ihr damit wie Kant eine Sonderstellung einräumt, die nicht rein „gegeben“ bzw. unwandelbar ist. Vgl. ferner Bostrom, The Journal of Value Inquiry 37 (2003), 493, 493 (“human nature as a work-in-progress, a half-baked beginning that we can learn to remold in desirable ways”); Sturma, Menschliche Natur, S. 174, 176. S. allgemein dazu, dass sich die „Idee einer menschlichen Natur im Sinne einer fixierbaren Substanz, die unveränderlich ist und dem Denken und Handeln Grenzen setzt, (…) vor den Befunden der Philosophischen Anthropologie als eine Illusion“ erweist, Bayertz, GenEthik, S. 106 f. Bayertz verweist in diesem Zusammenhang insbesondere noch auf Sartre, der die Position Kants weiter radikalisiert, indem

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Basis zur Natur und nimmt zugleich eine Sonderstellung ein, die ihn von allem Natürlichen unterscheidet.155 Diese wesentliche menschliche Eigenschaft liegt in der menschlichen Intelligenz und seinem Willen begründet. Gegenüber biomedizinischen Maßnahmen, die selbst Eingriffen in die gegenwärtige leibliche Kontingenz des Menschen zur Folge haben, lässt sich hieraus eine Offenheit der menschlichen Natur ableiten. Sofern es Wesensmerkmal des Menschen ist, einen rationalen Willen zu haben, wird weder durch verschiedene Fortpflanzungs- und Enhancementverfahren, noch durch Eingriffe in die menschlichen Keimbahnen in die menschliche Natur eingegriffen. Auf dieser Basis ließe sich für diese Techniken wiederum das Prädikat des Natürlichen im Sinne einer Vereinbarkeit mit der menschlichen Natur aussprechen, die prinzipiell gegenüber entsprechenden Veränderungen offen ist.156 Einem Begriff der menschlichen Natur, der an das Aristotelische Unterscheidungskriterium der Selbstbewegung bzw. -ruhe anknüpft, stehen nach alledem Bedenken im Hinblick auf die Berücksichtigung des menschlichen Verstandes als Motor künftiger Entwicklungen entgegen. Vor diesem Hintergrund erscheint die Differenzierung zwischen Fähigkeiten und dem unter ihrem Einsatz Hergestellten unter dem Blickwinkel des Natürlichen als wenig überzeugend. Zuletzt zeigt sich, dass im Wege der zentralen Ausrichtung des Natürlichkeitsbegriffs an der menschlichen Fähigkeit zur selbstbestimmten Gestaltung seines Lebens eine alternative Begriffsbildung möglich ist, der auch eine Berücksichtigung des menschlichen Verstands als Naturphänomen gelingt.157 2. Aristotelisches Verständnis der menschlichen Natur als Stütze der Kritik an einem an Aristoteles angelehnten Natürlichkeitsbegriff Insoweit verdient der Umstand Berücksichtigung, dass die voranstehend geäußerte Kritik an der Trennung von Kunst und Natur unter Bezugnahme auf die Aristotelische Begriffsbildung eine Stütze in der Aristotelischen Lehre selbst findet. Die Rede ist von der inhaltlichen Bestimmung der menschlichen Natur, die sich dem „ergon-Argument“ des Ersten Buchs, 6. Kapitels der Nikomachischen Ethik entnehmen lässt. Danach handele es sich bei der Glückseligkeit um das höchste Gut, auf er „selbst noch den genetischen Zusammenhang zwischen menschlicher Natur und menschlicher Subjektivität philosophisch verwirft.“ 155 Vgl. Heyd, Menschliche Natur, S. 52, 58. 156 S. zu weiteren geistesgeschichtlichen Wurzeln der Idee einer Offenheit der menschlichen Natur Bayertz, GenEthik, S. 103 ff. 157 Wie schon eingangs (Teil A.) dargelegt, verfolgt die vorliegende Arbeit nicht das Ziel, einen Natürlichkeitsbegriff zu entwickeln, der als Gegenmodell zu dem in der biomedizinischen Debatte verbreiteten fungieren kann. Hier geht es allein um eine Kritik an Natürlichkeitsargumenten, die aber bereits anhand der in der Diskussion vorzufindenden begrifflichen Fassung der Natur in Abgrenzung zur Kunst anzusetzen hat. – S. zur möglichen „Sonderstellung“ des menschlichen Verstandes innerhalb der (sonstigen) Natur schon oben Fn. 149.

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das menschliches Leben gerichtet sei. Das „Gute“ ist vor diesem Hintergrund gleichbedeutend mit dem, worauf es dem Menschen in seinem Handeln ankommt.158 Zwar könne der Mensch sich auch andere Ziele als die Glückseligkeit setzen. Indessen verfolge er diese in keinem Fall ausschließlich um ihrer selbst willen. Hingegen gehe es ihm etwa bei dem Streben nach Ehre, Lust, Verstand und jeder Tugend immerhin auch um die Erreichung von Glückseligkeit.159 Allein die Glückseligkeit aber wünsche sich kein Mensch um eines anderen Zieles willen. Vielmehr sei diese „Vollendetes“, das allein zur Verwirklichung ihrer selbst angestrebt werde. Bestätigung findet diese These nach Aristoteles in dem Umstand, dass ausschließlich die Glückseligkeit ein „sich selbst Genügendes“ sei. Als solches gelte „das, was für sich allein das Leben begehrenswert macht, so daß es keines Weiteren bedarf.“160 Bei dem Glück handelt es sich daher auch insofern um das höchste Gut, als es sämtliche anderen Ziele des Menschen letztlich umfasst.161 Insoweit erklärt sich auch, weshalb das Ausmaß, in dem die Glückseligkeit begehrt wird, im Gegensatz zu allen anderen Gütern durch das Hinzutreten eines Mehr an Gutem nach Auffassung Aristoteles’ nicht weiter gesteigert werden kann. Stattdessen stelle die Glückseligkeit für sich genommen ein Maximum an Begehrlichem dar, das nicht zu übertreffen sei. In der Konsequenz konstatiert Aristoteles, die Glückseligkeit sei das „Endziel allen Handelns“.162 Für Aristoteles stellt sich im Anschluss die Frage nach einer weiteren inhaltlichen Ausfüllung des Begriffs der Glückseligkeit. Diese bestimmt er anhand der nach seiner Auffassung eigentümlich menschlichen Tätigkeit eines nach dem „vernunftbegabten Seelenteile“ ausgerichteten Lebens.163 Weil es sich weder bei der Lebendigkeit noch der Sinnlichkeit um exklusiv menschliche Eigenschaften handele, sondern eine solche allein in seiner Vernunft auszumachen sei, liege die „eigentümliche Verrichtung des Menschen“ in einer „mit Vernunft verbundene(n) Tätigkeit der Seele“ und dem entsprechenden Verhalten.164 Als Vernunft definiert Aristoteles

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Bröcker, Aristoteles, S. 24. Aristoteles, NE I 5, 1097b, 5. Kritisch dazu insbesondere MacIntyre, Verlust der Tugend, S. 215. 160 Aristoteles, NE I 5, 1097b, 15. 161 Vgl. Heinemann, Studien I, S. 226 f. 162 Aristoteles, NE I 5, 1097b, 20. – Möglich ist diese Argumentation Aristoteles’ freilich allein vor dem Hintergrund, dass es sich bei der Glückseligkeit nach dieser Lesart um einen Sammelbegriff für sämtliche individuellen Zielvorstellungen des Einzelnen handeln dürfte. Kurz: Wer nach Glückseligkeit strebt, tut dies nicht um eines anderen willen, da nach dem Aristotelischen Begriffsverständnis darin jedwedes positiv konnotierte Ziel aufgeht. 163 Aristoteles, NE I 5, 1097b, NE I 6, 25, 1098a. Zur Vernunft als Teil der Seele s. außerdem Aristoteles, Über die Seele III 4. 164 Aristoteles, NE I 5, 1098a, 5, 10. S. daher auch zur begrifflichen Erläuterung des ergonArguments Rese, Praxis und Logos, S. 34: „Da die inhaltliche Bestimmung des menschlichen Glücks auf der Bestimmung des ,Werkes des Menschen‘ (…) beruht, wird sie auch das ergonArgument genannt” (Hervorhebung im Original). 159

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dabei „das, womit die Seele nachdenkt und Annahmen macht“165 bzw. die Fähigkeit, die eigene „Weltsicht durch theoretische Einsichten und sein Verhalten durch praktische Überlegungen“ zu bestimmen.166 Diese Eigenschaft unterscheide den Menschen von anderen Lebewesen.167 Als „gut“ gelte vor diesem Hintergrund, „was der eigentümlichen Tugend oder Tüchtigkeit des Tätigen gemäß ausgeführt“ werde. Um diesem Gut zu entsprechen, müsse der Mensch sich ihm zeit seines Lebens verschreiben.168 Vollkommenes Glück liegt damit in einer vortrefflichen Betätigung der Vernunft als des höchsten menschlichen Seelenteils,169 worunter Aristoteles vorrangig ein kontemplatives bzw. theoretisches Leben versteht. Zugleich betont Aristoteles, dass es sich bei dem „Verstand oder der Vernunft“ um „das Vornehmste in uns“ handelt. Ein Leben nach der Vernunft stelle zugleich die „anhaltendste“ sowie „genußreichste und seligste“ tugendgemäße Tätigkeit dar.170 Allein die Vernunfttätigkeit diene keinem anderen Zweck „als sich selbst“, weshalb ein nach der Vernunft ausgerichtetes Leben das „Beste“ sei und „auch das glückseligste“.171 Weil ein solches den Menschen allerdings grundsätzlich überfordere, liege hierin zwar das eigentliche Ziel menschlichen Strebens. Gleichwohl sei noch eine zweitbeste Lebensform denkbar, die ein Leben im Einklang mit den menschlichen Emotionen umfasst und von Aristoteles als politisches Leben eingestuft wird.172 Das ergon-Argument stützt sich mithin auf ein Verständnis der menschlichen Natur, die dessen Vernunftfähigkeit als entscheidendes Wesensmerkmal ins Zentrum der Betrachtung rückt.173 So bezeichnet Aristoteles ein nach dem „vernunft-begabten 165

Aristoteles, Über die Seele III 4, 429a. Heinemann, Studien I, S. 202 (Hervorhebung im Original). Aristoteles, Über die Seele III 4 definiert die Vernunft als „Intellekt“ bzw. Erkenntnisvermögen. S. ausführlich zum Aristotelischen Vernunftbegriff Bröcker, Aristoteles, S. 151 ff. sowie zu der betrachtenden und der überlegenden Tätigkeit der Vernunft in Theorie und Praxis ausführlich Rese, Praxis und Logos, S. 39 ff. 167 S. insoweit Aristoteles, Über die Seele II 3 dazu, dass allein dem Menschen die Vernunft als Vermögen der Seele zukommt. 168 Aristoteles, NE I 6, 1098a, 15. 169 Vgl. Heinemann, Studien I, S. 201. 170 Aristoteles, NE X 7, 1177a, 15, 20. 171 Aristoteles, NE X 7, 1178a, 5. – Schwierigkeiten wirft in sprachlicher Hinsicht die Verwendung des Superlativs in Bezug auf das Adjektiv „glückselig“ durch Aristoteles auf. Weil es sich nach dessen Konzeption bei der Glückseligkeit gerade um das höchste Ziel menschlichen Lebens handeln soll, lässt sich schwer nachvollziehen, weshalb im Hinblick darauf die Möglichkeit einer weiteren Steigerbarkeit angenommen wird. 172 Aristoteles, NE X 8, 1178a 10 ff. S. dazu Rapp, Aristoteles, S. 39 f. sowie Rese, Praxis und Logos, S. 42, die darauf verweist, dass das Tätigsein der Vernunft in der Praxis durch eine Auseinandersetzung mit Begierden und Emotionen geprägt ist, weshalb die in der Betrachtung ruhende Vernunft in der Theorie dieser nach Aristotelischem Verständnis überlegen sei. 173 Esser, Kants Tugendlehre, S. 47. Vgl. Bröcker, Aristoteles, S. 159 dazu, dass Vernunft bei Aristoteles als „Möglichkeit“ zu verstehen ist. Dem liegt ein doppeltes Verständnis zugrunde: Vernunft als Anlage, die bereits Kinder besitzen, sowie Vernunft als Möglichkeit, selbsttätig – nicht durch fremde Belehrung – „zum Verstehen zu gelangen“. Nach beiden 166

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Seelenteile tätiges Leben“ als „eigentümliche menschliche Tätigkeit“. Hierin liege das „spezifisch Menschliche“, was darauf schließen lässt, dass Aristoteles der Vernunft bzw. immerhin der Eigenschaft des Menschen, diese zu entwickeln, eine entscheidende Bedeutung für die Charakterisierung der menschlichen Natur zuweist.174 So stuft er den „praktischen Verstand“ selbst als „Naturanlage“ ein, womit zum Ausdruck kommt, dass Aristoteles die Vernunftfähigkeit des Menschen als Teil seiner Natur qualifiziert.175 Dafür spricht nicht zuletzt das Verhältnis von Verstand und Vernunft, wie es uns bei Aristoteles begegnet.176 Neben teilweise synonymer

Lesarten handelt es sich aber bei der Vernunft – genauer: der Vernunftfähigkeit – um eine „natürliche“ Eigenschaft des Menschen, da sie ihre Ursache in ihm selbst findet. In diesem Sinne auch Rese, Praxis und Logos, S. 45 m. Fn. 55, die aus dem Umstand, dass Aristoteles Kindern die Entscheidungsfähigkeit abspricht, die Schlussfolgerung zieht, dass der Mensch zum Erwerb der Vernunft „dispositioniert“ ist. Wiederum handelt es sich dann aber bei der Vernunftbegabung um eine „natürliche“ Fähigkeit des Menschen. 174 Vgl. Bröcker, Aristoteles, S. 38: Weil Aristoteles die Weisheit als höchste Möglichkeit des Menschen einstuft, „folgt notwendig, daß alle Menschen von Natur nach Einsicht streben“, S. 149: „Was der Mensch als Erkennender vor dem Tier voraus hat, ist die Vernunft.“, S. 151: „Was den Menschen auszeichnet, ist die Vernunft.“ S. ebenfalls Woodbridge, Vision of Nature, S. 161: „Thinking or knowing is what man characteristically does; that is his nature.“ 175 Auf einer Linie damit liegt es, wenn Woodbridge, Vision of Nature, S. 79 in der Entwicklung des Menschen hin zu einem „man of science“ die höchste Form des menschlichen Lebens bzw. die höchste Verwirklichung der menschlichen Seele nach Aristotelischem Verständnis annimmt. Der Mensch bewege sich danach in einer Welt, die nicht allein durch Materielles geprägt sei, sondern zugleich Raum biete für Logik und Verstand. Weil beides in der menschlichen Seele angelegt sei, entspräche es deren vollständiger Erfüllung, diese Fähigkeiten in möglichst umfassender Form zu betätigen. 176 Neben die hier zugrunde gelegte am Biologischen ausgerichtete Lesart des Aristotelischen Naturbegriffs treten solche, die ihren Schwerpunkt auf dessen metaphysisches Verständnis legen. Zu nennen ist in diesem Zusammenhang insbesondere MacIntyre, Verlust der Tugend, S. 200, der annimmt, die Ethik des Aristoteles setze eine „metaphysische Biologie“ voraus. Gemeint ist damit das Spannungsverhältnis zwischen einer lokal-speziellen bzw. kosmisch-universellen Erklärung des Guten, wie es MacIntyre in der gesamten Argumentation innerhalb der Aristotelischen Ethik zu „spüren“ vorgibt. Hintergrund ist dabei die Rückführung des menschlichen telos auf eine „unpersönliche, unveränderliche Gottheit“ bei Aristoteles. Weil in deren metaphysischer Kontemplation das „letzte menschliche Telos“ liege, bestehe „eine gewisse Spannung zwischen der aristotelischen Sicht des Menschen als im wesentlichen politisch und seiner Sicht des Menschen als im wesentlichen metaphysisch“ (ebenda, S. 212). Daneben nimmt Esser, Kants Tugendlehre, S. 47 an, das Aristotelische ergon ergebe sich „weder aus der Analyse möglicher Funktionen des Menschen noch aus kontingenten Zwecken einer bestimmten Tradition oder Gesellschaft noch aus der biologischen Verfasstheit (…) des Menschen als eines Lebewesens.“ Hingegen orientiere sich der telos-Gedanke an dem spezifischen „Wesen“ des Menschen, das in einer vernunftgemäßen Tätigkeit der Seele liege. – Eine besondere Bedeutung entfalten nicht-biologische Lesarten des Aristotelischen Naturbegriffs im Hinblick auf die Frage, ob innerhalb der Aristotelischen Lehre eine Integration des Gedankens menschlicher Wahlfreiheit im Hinblick auf den telos möglich ist. Im vorliegenden Zusammenhang, der sich auf die Klärung des Naturbegriffs richtet, kann diese Diskussion keine Berücksichtigung finden. S. dazu aber ausführlich Esser, Kants Tugendlehre, S. 44 ff.; Gutschker, Aristotelische Diskurse, S. 363 ff.

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Verwendung177 führt Aristoteles insoweit aus, dass es sich bei dem Verstand um den „Intellekt“ des Menschen handelt, der in seinem Erkenntnisstreben auf die Ergründung letzter „Prinzipien“ gerichtet sei:178 „Der Verstand hat es mit den Begriffen zu tun, für die es keine Definition gibt“.179 Aristoteles bezeichnet den Verstand als einen von drei Seelenteilen des Menschen, die auf Handlungen und Wahrheitserkenntnis gerichtet sind.180 Für das Verhältnis von Vernunft und Verstand ergibt sich danach, dass es sich bei dem Verstand um die intellektuelle Voraussetzung handelt, um Vernunft auszubilden. Durch die Betätigung des Verstandes kann es dem Menschen gelingen, Vernunft zu entwickeln, die in Abhängigkeit von ihrer Zweckrichtung auf die Bestimmung menschlichen Verhaltens in einer theoretischen und einer praktischen Spielart gegeben ist.181 Dabei liegt die höchste Form der Vernunft in einer Denktätigkeit, die das Denken selbst zu ihrem Gegenstand erhebt.182 Gegenüber dem Verstand handelt es sich bei der entwickelten Vernunft um etwas wertvolleres, zumal „die Objekte der Vernunft (…) wider die vornehmsten im ganzen Feld der Erkenntnis“ seien.183 Vor diesem Hintergrund offenbart sich aber, dass Verstand und Vernunftfähigkeit des Menschen als dessen wesenstypische Eigenschaften eine Einheit bilden. Bestätigung findet diese Annahme noch in Aristoteles’ Hinweis auf die enge Verbindung der Verstandestugenden mit der Vernunft.184 Hieraus lässt sich die Schlussfolgerung ziehen, dass durch die Betätigung des Verstandes die Ausbildung von Vernunft gelingen kann. In der Folge handelt es sich bei dem Verstand und der Vernunftfähigkeit um Eigenschaften, die nach Aristotelischem Verständnis in der Natur des Menschen angelegt sind. Weil beide das Vornehmste „in uns“ sind, gehören sie zur menschlichen Natur. Dass Aristoteles dem Verstand und damit der Vernunftfähigkeit den Rang des Natürlichen einräumt, zeigt sich darüber hinaus in seiner Abgrenzung von Verstandes- und sittlichen Tugenden. Allein die sittliche Tugend sei dem Menschen nicht „von Natur zuteil“.185 Gegenteiliges muss mithin für die Verstandestugend gelten, die durch Belehrung, Erfahrung und Zeit lediglich „wächst“, womit zugleich gesagt ist,

177 Aristoteles, NE X 7, 1147a 20: „Der Verstand oder die Vernunft ist nämlich das Vornehmste in uns (…).“; Aristoteles, Über die Seele III 10, 433b: „(…) wenn der Verstand und die Begierden (einander) entgegengesetzt sind, (…) die Vernunft befiehlt, wegen des Zukünftigen, nach der einen Richtung zu ziehen, die Begierde wegen des Gegenwärtigen (nach der anderen Richtung)“. 178 Aristoteles, NE VI 6, 1141a 5. 179 Aristoteles, NE VI 9, 1142a 25. 180 Aristoteles, NE VI 2, 1139a 15. 181 Aristoteles, Über die Seele III 10, 433a. 182 Aristoteles, Metaphysik XII 9, 1074b f. 183 Aristoteles, NE X 7, 1147a 20. 184 Aristoteles, NE VI 13, 1144b 30. 185 S. auch Höffe, Praktische Philosophie, S. 42. Vgl. aber McDowell, Wert und Wirklichkeit, S. 30 ff., der die sittlichen Tugenden als zweite Natur einstuft.

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dass immerhin die Vernunftfähigkeit dem Menschen von Anfang an eigen ist.186 Demgegenüber werde die sittliche Tugend dem Menschen durch Gewöhnung zuteil. Allerdings gilt: „(…) nichts Natürliches kann durch Gewöhnung geändert werden“.187 Weil aber allein die sittliche Tugend durch Gewöhnung „zur Wirklichkeit“ werde, nicht aber die Verstandestugend, müssen der Verstand und die Vernunftfähigkeit als Teil der menschlichen Natur klassifiziert werden. In Bezug auf die menschliche Natur wären damit die physiologischen Eigenschaften und seine Fähigkeit zu Vernunft als Einheit einzustufen.188 Abschließend führt Aristoteles diese Gedanken mit besonderer Deutlichkeit im letzten Abschnitt der Nikomachischen Ethik zusammen: „Was einem Wesen von Natur eigentümlich ist im Unterschied von anderen, ist auch für dasselbe das Beste und Genußreichste. Also ist dies für den Menschen das Leben nach der Vernunft, wenn anders die Vernunft am meisten der Mensch ist.“189 In besonderer Klarheit offenbart sich damit sein Verständnis von der menschlichen Natur: Indem die Vernunft „am meisten der Mensch ist“, muss sie bzw. die Fähigkeit, sie zu entwickeln, als Teil seines Wesens aufgefasst werden. Dies entspricht zugleich seiner Natur, zumal es sich nach Aristoteles bei dem Leben nach der Vernunft um dasjenige handelt, das dem Menschen „von Natur eigentümlich ist“.190 Die Vernunftfähigkeit ist damit auf der Basis der hier zugrunde gelegten Lesart191 untrennbar mit dem Begriff von der menschlichen Natur verbunden, wie er sich in der Aristotelischen Lehre findet. 186

Aristoteles, NE II 1, 1103a, 15. So auch Düring, Aristoteles, S. 469: Die „Fähigkeit, die Dinge richtig zu sehen, ist bei Aristoteles (…) etwas Angeborenes“. S. außerdem Höffe, Praktische Philosophie, S. 43 f. Vgl. ferner zu diesem Ergebnis auch McDowell, Wert und Wirklichkeit, S. 30, 33, 53 f., der die Vernunft als „Bestandteil unserer Natur“ einstuft. Umfasst sein soll davon sowohl die „bloße“ Natur als auch „etwas, dessen Verwirklichung die Überwindung der ,bloßen‘ Natur beinhaltet“ – die „zweite Natur“. In dieser gehe der ausgebildete praktische Verstand auf, der damit nichts anderes sei „als ein Aspekt der einzelpersönlichen Natur in ihrer Gewordenheit“. Wenn aber die Ausbildung des praktischen Verstandes diesem zum Erwerb einer zweiten Natur verhilft, folgt hieraus, dass auch nach McDowells Verständnis die Vernunftbegabung in der Aristotelischen Lehre der (ersten) Natur des Menschen angehört. 187 Aristoteles, NE II 1, 1103a, 20. S. zum Ganzen auch Höffe, Praktische Philosophie, S. 142. 188 Heyd, Menschliche Natur, S. 52, 53. In diese Richtung auch Bayertz, GenEthik, S. 99, der allerdings weiter konkretisiert, dass die Fähigkeit des Menschen zur Moral diesem in der Aristotelischen Lehre zwar von Natur aus gegeben ist, sie aber weiter durch Gewöhnung ausgebildet werden müsse. Aus diesem Grund werde einerseits die Zugehörigkeit des Menschen zur Natur bekräftigt, „sie wird aber auf den Status einer bloßen Voraussetzung zurückgeschraubt, auf der das spezifisch Menschliche erst herzustellen ist.“ 189 Aristoteles, NE X 8, 1178a, 5. Heinemann, Studien I, S. 165 m. Fn. 43 verweist insoweit darauf, dass Aristoteles die Vernunft als „spezifische Lebensfunktion“ des Menschen einstuft. S. auch Rese, S. 33 f. 190 Bröcker, Aristoteles, S. 37 (Die Vernunft ist „das den Menschen als Menschen Auszeichnende“.); Höffe, Praktische Philosophie, S. 43 („spezifisch menschlich“ für das Auffinden von Mitteln und Wegen, um ein Ziel zu erreichen, sei „ihre Bestimmung durch die Vernunft“). 191 S. bereits oben Fn. 176 zu abweichenden – insbesondere vorrangig metaphysischen – Lesarten des Aristotelischen Naturbegriffs.

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Es kann damit festgehalten werden, dass Aristoteles selbst die Vernunftfähigkeit – verstanden als Anlage bzw. teleologische Wesensbestimmung192 – des Menschen als dessen Wesensmerkmal und daher als Teil der menschlichen Natur erachtet.193 Hierin ist kein Widerspruch gegenüber der Trennung von Kunst und Natur zu sehen, wie sie uns insbesondere in der Physik begegnet. Zur Erinnerung: Danach ist es für die Klassifizierung eines Gegenstandes als „natürlich“ maßgeblich, ob er das Prinzip von Bewegung und Ruhe in sich selbst trägt.194 Auf die Vorstellung vom menschlichen Verstand, wie sie sich bei Aristoteles findet, lässt sich dies aber ohne innere Unstimmigkeit übertragen. Indem Aristoteles davon ausgeht, dass der Verstand „in uns“ ist, findet dieser seine Ursache in sich selbst. Die Vernunftbegabung wird dem Einzelnen nicht „von außen“ zuteil – etwa durch Gewöhnung. So kann nach Aristoteles selbst das tausendfache Emporschleudern eines Steines nichts daran ändern, dass dieser sich weiter „von Natur nach unten bewegt“. Ebenso verhält es sich aber mit dem Verstand, bei dem es sich aus dem Grund um eine „Naturanlage“ handelt, weil er nicht erst durch Gewöhnung entsteht, sondern „in der Seele“ ist.195 Auf einer Linie damit liegt es, dass Aristoteles menschliche Prozesse nach demselben Modell erklärt wie Vorgänge in der Natur.196 Entscheidend ist dabei der Begriff des „Strebens“, den Aristoteles als Bewegungsgrund menschlichen Verhaltens kennzeichnet: „(…) so gibt es der Art nach ein einziges Bewegendes, das Strebende als Strebendes“.197 Wonach „alles strebt“, sei das Gute, womit allerdings in metaphysischer Hinsicht gemeint ist, dass der Mensch seiner Art nach (nicht aber zwingend faktisch in eigener Person) sein Leben nach dem Erreichen des Guten ausrichtet.198 Insoweit offenbart sich, dass menschliche Prozesse ebenso wie natürliche nach dem Prinzip der Selbstbewegung ablaufen und von Aristoteles in dieser Weise erklärt werden. Darüber hinaus besteht eine Parallele zum Naturverständnis, das Aristoteles in der Physik darlegt, in dem Verhältnis zwischen dem Streben und dem „Guten“. Während das erstgenannte die Bewegung ausmache, handele es sich bei letzterem um den „Zweck“ bzw. den Grund der Bewegung. Dabei weise das Gute die Eigenschaft eines unbewegt Bewegenden auf: „(…) denn dieses bewegt, ohne bewegt zu werden“.199 Ebenso stellt sich aber das Aristotelische Verständnis der letzten Ursache von Bewegung im Hinblick auf Naturprozesse dar. Zwar tragen danach natürliche Gegenstände den Grund ihrer Bewegung in sich selbst. Jedoch sei dieser insgesamt auf einen unbewegten Beweger zurückzuführen, der am Ausgangspunkt aller Bewegung stehe und dabei selbst von keiner anderen Ursache mehr 192 193 194 195 196 197 198 199

S. zu dieser Konkretisierung bereits oben Fn. 173. Vgl. zu diesem Ergebnis auch Heinemann, Studien I, S. 245. S. zur Darstellung ausführlich oben C. I. Aristoteles, NE VI 2, 1139a, 15. Höffe, Praktische Philosophie, S. 39 f. S. dazu auch Düring, Aristoteles, S. 340 ff., 584. Aristoteles, Über die Seele III 10, 433b. Zu dieser Interpretation s. Höffe, Praktische Philosophie, S. 40. Aristoteles, Über die Seele III 10, 433b.

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abhängig sei: „Wenn nun immer dasselbe im Kreislauf besteht, so muß etwas bleiben, das gleichmäßig in wirklicher Tätigkeit ist. Soll aber Entstehen und Vergehen vorhanden sein, so muß etwas anderes existieren, was in anderer und wieder anderer Weise wirklich tätig ist.“200 Hieraus zieht Aristoteles die Schlussfolgerung, dass es etwas geben muss, „das ohne bewegt zu werden, selbst bewegt, das ewig und Wesen und Wirklichkeit ist.“201 Auf dieser Basis wird ersichtlich, dass Aristoteles seine Vorstellung des Ablaufs natürlicher Prozesse auf sämtliche Bereiche der Natur überträgt, zu der auch der Mensch gehört. Vor diesem Hintergrund offenbart sich allerdings, dass die Schwierigkeit einer Trennung von Kunst und Natur nach dem Prinzip der Selbstbewegung, die sich aus einer Berücksichtigung des menschlichen Verstandes für die menschliche Natur ergeben kann, bereits in der Aristotelischen Lehre angelegt ist. Sofern der Verstand selbst „natürlich“ ist, erscheint es als problematisch, die daraus entstehenden Produkte als Kunst zu klassifizieren. Weil letztere ihre Ursache in dem (natürlichen) Verstand haben, ließe sich im Gegenteil die Auffassung vertreten, dass auch das auf diese Weise Entstandene der Natur angehört.202 In Bezug auf Aristoteles verschärft sich diese Kritik noch weiter, fällt der Blick darauf, dass er selbst ein enges Zusammenspiel zwischen dem Verstand und der Kunst annimmt. So definiert Aristoteles die Kunst als „das Entstehen, das regelrechte Herstellen und die Überlegung, wie etwas, was sowohl sein als nicht sein kann, und dessen Prinzip im Hervorbringenden, nicht im Hervorgebrachten liegt, zustande kommen mag“.203 In der Konsequenz handele es sich bei der Kunst um den „Habitus, etwas mit wahrer Vernunft hervorzubringen“.204 Der Verstand spielt mithin bei dem Vorgang des künstlerischen Hervorbringens eine entscheidende Rolle: Nach der Vorstellung Aristoteles’ ist Kunst ohne Verstand undenkbar – stets bedarf es des Verstandes, um Kunst auszuüben. Auf dieser Basis stellt sich aber mit besonderer Deutlichkeit die Frage, weshalb das aus dem Verstand bzw. der Vernunft Entstandene trotz seines „natürlichen Ursprungs“ selbst nicht diese Einstufung erfährt.205 Es kann daher festgehalten werden, dass das Aristotelische Verständnis von der menschlichen Natur selbst bereits jenen Konflikt in sich trägt, der aus der Einbe200 Aristoteles, Metaphysik XII 6, 1072a. Ähnlich Aristoteles, Physik VIII 6, 258b: „Da aber verändernde Bewegung immer sein muß und nie aufhören darf, so muß es notwendig geben etwas Immerwährendes, das als erstes die Bewegung anstößt (…). Und dies Erste Bewegende (ist) unbewegt.“ (Hervorhebung im Original). – S. zum Ganzen sowie zur Kritik an der Theorie des unbewegten Bewegers nur Düring, Aristoteles, S. 329 f. 201 Aristoteles, Metaphysik XII 7, 1072a. 202 S. ausführlich zu diesem Gedanken oben C. II. 1. 203 Aristoteles, NE VI 4, 1140a, 10. 204 Aristoteles, NE VI 4, 1140a, 20. 205 S. noch C. II. 2. a) dazu, dass ein Motiv für die Differenzierung bei Aristoteles insbesondere in seiner Wissenschaftslehre gesehen werden kann. Wenngleich damit die Zielsetzung deutlich wird, die Aristoteles selbst verfolgt hat, ändert dies aber nichts an der Undurchführbarkeit einer sauberen Trennung im Hinblick auf die menschliche Natur.

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ziehung des menschlichen Verstandes in die menschliche Natur für das Unterscheidungskriterium der Selbstbewegung erwächst. Eine Anlehnung des Naturbegriffs in der biomedizinischen Debatte an diese Differenzierung ist damit in zweierlei Hinsicht Bedenken ausgesetzt: Zunächst konnte aufgezeigt werden, dass eine Einstufung der Vernunftfähigkeit als „natürlich“ die Trennung von Kunst und Natur im Sinne des Gemachten gegenüber dem Gewachsenen in entscheidender Hinsicht gefährdet. Sofern der Verstand als Gewachsenes die Befähigung mit sich bringt, Dinge herzustellen, ist sogleich die Frage aufgeworfen, weshalb diese nicht ihrerseits „gewachsen“ sind. Darüber hinaus erweist sich bei näherer Untersuchung des Begriffs der menschlichen Natur bei Aristoteles, dass auch dessen Lehre den aufgezeigten Konflikt nicht vermeiden kann. Auch insoweit ist eine Anlehnung des Natürlichkeitsbegriffs an Aristoteles, wie sie in der biomedizinischen Debatte anzutreffen ist, Zweifeln ausgesetzt. a) Aus dem ergon-Argument folgt kein innerer Widerspruch der Aristotelischen Lehre im Verhältnis zum Unterscheidungskriterium von Selbstbewegung und -ruhe. Die in der Nikomachischen Ethik getroffenen Aussagen zu einem glückseligen Leben des Menschen haben Aufschluss über das Verständnis der menschlichen Natur gegeben, wie es sich bei Aristoteles findet. Diese erfolgen im Zusammenhang mit dem sogenannten „ergon-Argument“, das für die vorliegende Untersuchung allerdings noch unter einem weiteren Blickwinkel Bedeutung entfaltet. Zur Erinnerung: Aristoteles vergleicht in diesem Kontext die vorgefundenen Eigenschaften unterschiedlicher Lebewesen und stellt dabei fest, dass ausschließlich der Mensch vernunftbegabt ist.206 Hieraus leitet er die Erkenntnis ab, dass es sich bei der menschlichen Vernunftfähigkeit um dessen Wesensmerkmal handelt und verknüpft diesen Befund mit der Sollensanforderung, dieser Eigenschaft zu ihrer Entfaltung zu verhelfen.207 Das ergon-Argument lässt sich damit als ethisches Gebot zu einem ver206

Aus dieser Sonderstellung des Menschen gegenüber anderen Lebewesen ergibt sich auch die allein im Hinblick auf ihn mögliche Bewertung von Verhalten. Etwa Tiere können in Ermangelung einer praktischen Vernunft keine normativ relevanten Entscheidungen treffen. S. bereits oben Fn. 149 zur Bedeutung des Verstandes als Unterscheidungsmerkmal des Menschen gegenüber anderen Lebewesen unter dem Gesichtspunkt der normativen Bewertung. 207 S. dazu Roughley, Menschliche Natur, S. 133, 143. Vgl. ferner Arbogast Schmitt, Humane Orientierungswissenschaft, S. 129, 146 f.: das größtmögliche Glück des Einzelnen bildet zugleich den höchsten Wert, an dem sich dieser und die Gemeinschaft „ausrichten sollen“. – Gegen diese normative Schlussfolgerung wird verbreitet der Vorwurf des naturalistischen Fehlschlusses erhoben, s. dazu noch die Nachweise unten in Fn. 431. Dem widersetzt sich jedoch insbesondere MacIntyre, Verlust der Tugend, S. 200: Ein naturalistischer „Trugschluß“ sei es nicht, sofern etwa von der spezifischen Natur menschlicher Wesen auf einen bestimmten telos geschlossen werde. Jede Natur beinhalte spezifische Absichten und Ziele, weshalb das Gute im Sinne dieser besonderen Eigenschaften definiert werden könne und entsprechende Aussagen lediglich „eine Art von faktischen Aussagen sind“. Selbst wenn aber mit spezifischen Eigenschaften von Lebewesen bestimmte Entfaltungsmöglichkeiten verbunden sind, geht es

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nunftgemäßen Leben deuten.208 Sofern es als gut eingestuft wird, wenn eine Person ihr Verhalten nach Vernunftmaßstäben ausrichtet, kann hierin die Aufforderung liegen, sich seines Verstandes zu bedienen.209 Aus dieser Wertung könnte sich allerdings eine Unstimmigkeit gegenüber der Aristotelischen Differenzierung von Kunst und Natur ergeben, wie sie uns an früherer Stelle begegnet ist. Dafür ist zunächst die Einsicht in den Umstand erforderlich, dass mit dem Gebot, sich seines Verstandes zu bedienen, zugleich die Aufforderung verbunden ist, dem Verstand durch eine entsprechende Tätigkeit – etwa die Herstellung von Kunst – Ausdruck zu verleihen. Wer nämlich sein Leben nach Vernunftmaßstäben ausrichten soll, ist zugleich gefragt, seine Fähigkeiten zum Einsatz zu bringen – sei es durch Wissenschaft, Politik oder Ähnliches. Für diese Interpretation lässt sich wiederum die Aristotelische Tugendlehre heranziehen. Danach liegt die Leistung der vernunftbegabten Seelenteile in der bestmöglichen Wahrheitserkenntnis. Als Mittel zur Wahrheitserkenntnis benennt Aristoteles allerdings insbesondere Wissenschaft und Kunst.210 Darüber hinaus sei daran erinnert, dass Aristoteles das an der Vernunft ausgerichtete Leben als höchste Daseinsform begreift. Er wählt in diesem Zusammenhang gar den Vergleich mit einem göttlichen Leben. So sei „die vollkommene Glückseligkeit eine Denktätigkeit“211, weshalb „denn die Tätigkeit Gottes, die an Seligkeit alles übertrifft, die denkende Tätigkeit“212 sein müsse. Das Produkt der Denktätigkeit sind aber insbesondere Kunst und Wissenschaft, die jedoch nach dem Differenzierungskriterium der Selbstbewegung als künstlich eingestuft werden müssen. Dem ergon-Argument lässt sich vor diesem Hintergrund die Aussage entnehmen, dass eine entsprechende Tätigkeit (und damit auch deren Produkte, solange sie mit „wahrer Vernunft“213 hervorgebracht werden) als „gut“ klassifiziert werden können. über eine rein faktische Aussage hinaus, sofern diese als erstrebenswert eingestuft werden. Hierfür bedarf es aber einer weiteren Begründung, die in überzeugender Weise nicht durch einen Schluss vom Sein auf das Sollen vollzogen werden kann. S. zur Kritik auch Dietz, Niemand ist eine Insel, S. 261, 269. S. allgemein zu diesem Einwand – insbesondere unter Bezugnahme auf die Position MacIntyres – unten D. III. 3. 208 Ob dem ergon-Argument ein normativer Gehalt zukommt, ist nicht unumstritten. Vgl. Kallhoff, Ethischer Naturalismus, S. 35 zu unterschiedlichen Interpretationsansätzen, die sich mitunter gegen diese Lesart wenden. Für die vorliegende Untersuchung kommt es hierauf nicht an: Wie sogleich zu zeigen ist, besteht – bei Zugrundelegung eines normativen Verständnisses – weder eine Unstimmigkeit zwischen dem ergon-Argument und der Abgrenzung von Kunst und Natur noch ergibt sich aus diesem die Aufforderung zur Selbsttranszendierung (unten C. II. 2. a)). Vor diesem Hintergrund muss die Frage, ob dem ergon-Argument tatsächlich ein normativer Gehalt zu entnehmen ist, daher nicht abschließend geklärt werden. 209 Zu dieser Einschätzung gelangt auch Heyd, Menschliche Natur, S. 52, 53. Vgl. ferner Heinemann, Studien I, S. 206, 243. 210 Aristoteles, NE VI 2, 1139b 10, 15. 211 Aristoteles, NE X 8, 1178b 5. 212 Aristoteles, NE X 8, 1178b 20 (Hervorhebung im Original). 213 Aristoteles, NE VI 4, 1140a 20.

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Eine Unstimmigkeit gegenüber der Unterscheidung von Kunst und Natur anhand des Kriteriums der Selbstbewegung könnte sich hieraus allerdings ergeben, sofern mit dieser Differenzierung zugleich die Wertung einherginge, bei der Natur handele es sich um etwas „besseres“ als die Kunst. Eine entsprechende Aussage ließe sich nicht ohne Weiteres mit der Vorstellung in Einklang bringen, dass es zugleich einem Gebot entspricht, das eigene Leben nach dem vernunftbegabten Seelenteile auszurichten. Sofern Künstliches in seinem Rang hinter dem Natürlichen zurückbliebe, beträfe dies sämtliche Produkte, die aus der Verstandeskraft des Menschen entstanden sind. Dies ließe sich aber nur schwer mit dem ergon-Argument vereinbaren: Wie könnte es einerseits „gut“ sein, sich seines Verstandes zu bedienen, wenngleich die daraus resultierenden Prozesse zugleich weniger wünschenswert wären als alles Natürliche? Allerdings sprechen gute Gründe dafür, dass Aristoteles keine in diesem Sinne widersprüchlichen Aussagen trifft. Mit der Unterscheidung von Natur- bzw. Kunstgegenständen anhand des Prinzips von Bewegung und Ruhe „aus sich heraus“ geht keine normative Wertung einher, die dem Einen einen höheren Rang als dem Anderen einräumt. Dies zeigt sich bereits anhand der induktiven Vorgehenswese im Ersten Buch der Physik, worin Aristoteles seine Untersuchung der Dinge „von den Ganzheiten zu den Einzelheiten“ mit dem Vorgang der Sinneswahrnehmung verbindet.214 Das Differenzierungskriterium der Selbstbewegung und -ruhe wird seitens Aristoteles anhand der vorhandenen Dinge der gegenständlichen Welt aufgezeigt, was wiederum deutlich macht, dass es sich um eine Beschreibung dessen handelt, was sich dem Betrachter bietet – und damit nicht um eine normative Ordnung der Dinge in mehr oder weniger wertvolle. Insoweit muss die in Rede stehende Abgrenzung zwischen Kunst und Natur vor dem Hintergrund der Aristotelischen Wissenschaftslehre betrachtet werden.215 Deren Besonderheit ist es – im Gegensatz zu bis dahin vertretenen Auffassungen216, den Untersuchungsgegenstand der Naturwissenschaften auf die „Natur“ zu begrenzen. Kunst soll danach ausdrücklich nicht länger Thema der Naturwissenschaften sein, vielmehr richte letztere ihr Augenmerk allein auf diejenigen Gegenstände, die ihren Ursprung in sich selbst finden, was für Kunstprodukte aber nicht gelte. Allgemein unterscheidet Aristoteles drei betrachtende philosophische Wissenschaften: Mathematik, Physik und Theologie.217 Bei der Physik handele es sich um diejenige Wissenschaft, deren Gegenstand dasjenige Wesen ist, „welches das Prinzip der Bewegung und der Ruhe in sich selbst hat“. In dieser Hinsicht weise die Physik Überschneidungen zur Mathematik auf, die 214 Aristoteles, Physik I 1, 184a. Vgl. ferner Craemer-Ruegenberg, Naturauffassungen I, S. 85, 95. 215 S. zu dieser ausführlich Heinemann, Studien II, S. 77 ff. 216 Vgl. Heinemann, Studien II, S. 86 sowie Düring, Aristoteles, S. 236 dazu, dass Aristoteles sich durch die Unterscheidung der Wissenschaften anhand ihres Gegenstandes vom zum damaligen Zeitpunkt herrschenden Wissenschaftsbegriff abwendete. 217 Aristoteles, Metaphysik VI 1, 1025b. S. dort auch zu dem nachfolgend im Text Dargestellten.

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aber darüber hinaus auch unbewegliches zum Gegenstand habe. Im Gegensatz dazu befasse sich die Theologie thematisch mit Dingen, die zwar – wie zum Teil in der Mathematik – unbeweglich, darüber hinaus jedoch „selbstständig“ sind. Sofern es nämlich ein „unbewegliches Wesen“ gebe, das den natürlichen in seiner Existenz vorangeht, müsse dieses Gegenstand der Theologie sein, die daher von Aristoteles als „erste“ Wissenschaft eingestuft wird.218 Im vorliegenden Kontext ist insofern von besonderem Interesse, dass die genannten Wissenschaften als „betrachtende“ klassifiziert werden. Diese unterscheiden sich von „den auf das Hervorbringen gerichteten Wissenschaften“. Nach Aristoteles seien wissenschaftliche Denkverfahren entweder auf das Handeln, das Hervorbringen oder die Betrachtung gerichtet. Insoweit erhellt, dass allein die beiden erstgenannten die Kunst zum Gegenstand haben können, während Physik und Mathematik sich ausschließlich mit den Naturdingen beschäftigen. Vor diesem Hintergrund wird aber deutlich, dass die seitens Aristoteles vorgenommene Differenzierung von Kunst und Natur anhand des Kriteriums der Selbstbewegung vorrangig darauf gerichtet ist, den genauen Untersuchungsgegenstand der Naturwissenschaften zu umreißen. Diese sollen sich von jenen Wissenschaften unterscheiden, die auf das Hervorbringen gerichtet sind und daher die Kunst zum Thema erheben. Beispielhaft ergibt es lediglich im Hinblick auf Naturdinge einen guten Sinn, zwischen äußeren und inneren Bewegungsantrieben zu unterscheiden.219 Da bei Kunstprodukten die Ursache ihrer Bewegung stets „außen“ liegt, kann eine entsprechende Differenzierung in Bezug auf diese nicht getroffen werden. Damit zeigt sich, dass mit der Unterscheidung von Kunst und Natur nach dem Kriterium der Selbstbewegung keine Wertung im Sinne einer Schlechterstellung der Kunst gegenüber der Natur einhergeht: Aristoteles dient die Differenzierung vielmehr der Kategorisierung, ohne dass er dabei eine Aussage trifft über die Wertigkeit beider Gegenstände im gegenseitigen Vergleich.220 Gleichwohl lassen sich in den Ausführungen Aristoteles’ zu physis und techne auch Anhaltspunkte für eine wertende Unterscheidung zwischen beidem im Sinne eines Rangverhältnisses finden.221 Ein solches könnte Aristoteles’ Auffassung na218

Bröcker, Aristoteles, S. 272 ff. spricht aus diesem Grund von der „Unvollständigkeit der Physik“. 219 S. Heinemann, Studien II, S. 81. 220 Zu diesem Ergebnis s. auch Hager, Historisches Wörterbuch, S. 432, Stichwort: Natur. 221 Zur Klarstellung sei betont, dass es an dieser Stelle nicht um die Frage geht, ob Aristoteles der Natur grundsätzlich eine normative Bedeutung beigemessen hat (s. dazu insbesondere Düring, Aristoteles, S. 242, die zunächst das teleogische Naturverständnis des Aristoteles herausarbeitet, um anschließend darauf zu verweisen, dass Aristoteles den Umstand, dass es sich bei dem „Ziel“ der Natur um „etwas Gutes“ handelt, wiederum durch tägliche Erfahrungen begründet. Insoweit verknüpft Aristoteles die Regelmäßigkeit von Naturprozessen mit der Vorstellung von einer Verwirklichung des Guten. S. ferner zur normativen Besetzung der Natur bei Aristoteles: Roughley, Menschliche Natur, S. 133, 136). Hierfür spricht etwa, dass Aristoteles, Über den Himmel II 5, 288a der Natur die Eigenschaft zuweist, stets das bestmögliche herzustellen (Die Natur verwirklicht „stets die beste der Möglichkeiten“) bzw. „nichts vergeblich“ zu machen (Aristoteles, Politik I 2, 1253a). Jenes (teleologische) Naturverständnis kommt auch in der Aristotelischen Annahme zum Ausdruck, dass bestimmte Menschen

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helegen, dass die natürlichen Dinge in ihrer Gesamtheit auf die göttliche Ordnung eines unbewegten Bewegers zurückzuführen seien.222 Insoweit ließe sich die Behauptung aufstellen, dass die Systematisierung der natürlichen Welt durch ein göttliches Wesen dieser ihrerseits einen Abglanz des Göttlichen bzw. jener höheren Ordnung verleiht, die sie von den Artefakten in ihrer Wertigkeit unterscheide. Darüber hinaus erscheint denkbar, ein entsprechendes Rangverhältnis zwischen Natur und Kunst darin zu erblicken, dass Aristoteles dem Künstlichen die Eigenschaft zuweist, das Natürliche nachzuahmen.223 Dies könnte wiederum dafür sprechen, dass es sich bei dem Natürlichen um das in der Welt vorrangig Erstrebenswerte handele, das in der Folge den in diesem Sinne unfertigen bzw. unvollkommenen Artefakten zum Vorbild gereiche. Für eine entsprechende Interpretation ließe sich noch ins Feld führen, dass in der Vorstellung einer nachahmenden Kunst eine deutliche Abkehr des Aristotelischen Naturverständnisses von Platon gesehen wird. Während der Letztere die techne insbesondere der sichtbaren Natur überordnete, verkehrte Aristoteles dieses Verhältnis in sein Gegenteil.224 Hierin könnte eine auch wertende Einstufung des Verhältnisses zwischen beiden Kategorien liegen, die dem Natürlichen einen Vorrang gegenüber den Kunstgegenständen einräumt. Zuletzt könnte für eine solche Interpretation sprechen, dass nach Aristotelischem Verständnis ausschließlich die Natur zweckgerichtet ist, während Kunstprodukten kein eigenständiger telos innewohnt. Aus diesem Grund können in der Kunst Fehler auftreten, während die Natur grundsätzlich „immer die beste der Möglichkeiten verwirklicht“.225 Dem lässt sich allerdings entgegenhalten, dass Aristoteles nicht lediglich in der Kunst die Möglichkeit von Fehlern annimmt. Auch in der Natur können solche

„besser“ als andere seien, da sie von Geburt an eine Veranlagung aufweisen, gewisse Fähigkeiten in stärkerer Weise auszubilden als andere (s. Düring, Aristoteles, S. 459). Ebenso lässt sich Aristoteles’, Politik I 6, 1255a Auffassung verstehen, dass „einige Menschen von Natur Freie und Sklaven sind, für welche letzteren es auch nützlich und gerecht ist, Sklaven zu sein“. Insoweit nimmt Aristoteles in Bezug auf Sklaven einen Schluss von deren Lebenssituation und ihrer (rechtlichen) Behandlung durch andere (ihrer „Natur“) auf die Richtigkeit dieses Zustandes (Gerechtigkeit) vor, worin mithin ein normativer Schluss vom Sein auf das Sollen vollzogen wird (s. dazu MacIntyre, Verlust der Tugend, S. 214). Für die vorliegende Untersuchung ist es allerdings allein von Interesse, ob Aristoteles der Natur einen höheren Wert als der Kunst beigemessen hat, da lediglich eine solche Setzung Unstimmigkeiten gegenüber dem ergon-Argument nach sich ziehen könnte. Auf die grundsätzliche Frage nach einer normativen Besetzung der Natur bzw. der Richtigkeit eines solchen Schlusses kommt es insoweit nicht an. S. allgemein zum naturalistischen Fehlschluss unten D. III. 3. 222 Aristoteles, Metaphysik XII 7. S. Gloy, Verständnis der Natur I, S. 123; Rapp, Aristoteles, S. 176. 223 S. Rapp/Corcilius/Leunissen, Aristoteles-Handbuch, S. 349. 224 Vgl. dazu sowie ausführlich zum Physis-Verständnis bei Platon Hager, Historisches Wörterbuch, S. 430, Stichwort: Natur. S. ferner Roughley, Menschliche Natur, S. 133, 135 sowie Düring, Aristoteles, S. 245 ff. 225 Aristoteles, Über den Himmel II 5, 288a.

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auftreten, wie etwa Missgeburten verdeutlichen.226 Die Aristotelische Aussage etwa, dass die Natur „nichts umsonst macht“,227 kann vor diesem Hintergrund vielmehr so interpretiert werden, dass ein Verstehen der in der Natur anzutreffenden Zusammenhänge erstrebenswert ist: Durch ein Erforschen der Natur gelingt es, Einsicht in natürliche Prozesse zu erlangen, die zeigt, dass darin jedwedes Element seine Bedeutung erlangt.228 Wenn die Natur also „nichts umsonst macht“, ist damit gemeint, dass sich in der Natur keine Vorgänge beobachten lassen, die nicht mit einer bestimmten Funktion – etwa für andere Lebewesen – verbunden sind. In der Natur gibt es daher nichts „Überflüssiges“. Zugleich ist damit aber nicht die Aussage verbunden, dass die Natur aus diesem Grund der Kunst überlegen sei. Hier geht es vielmehr allein darum, einen aus Aristoteles’ Sicht wesentlichen Unterschied zwischen beiden Kategorien zu kennzeichnen: Während die Natur aus sich heraus einen telos ausweist, muss dieser den Kunstprodukten von außen, etwa ihrem Hersteller, verliehen werden. Weil aber beide grundsätzlich fehleranfällig sind, liegt hierin keine Besserstellung des Natürlichen im Sinne einer Wertung. Darüber hinaus schreibt Aristoteles der Kunst nicht ausschließlich die Eigenschaft zu, die Natur zu imitieren. Vielmehr heißt es: „(…) die Kunstfertigkeit bringt teils zur Vollendung, was die Natur nicht zu Ende bringen kann“. Damit gelingt in der Kunst offenbar, was durch natürliche Prozesse nicht ins Werk gesetzt werden kann. Zudem betont Aristoteles, dass auch das Natürliche die Kunst imitiere: Sofern die Natur zur Errichtung eines Hauses imstande wäre, entstünde dieses „genau so, wie jetzt auf Grund handwerklicher Fähigkeit“.229 Allein aus der Tatsache, dass die Kunst Aristoteles zufolge die Natur nachahmt, folgt damit nicht deren nachrangige Bedeutung.230 Indem hingegen durch Kunstfertigkeit gelingt, was in der Natur unmöglich ist, ließe sich gar ein entgegengesetztes Verständnis zwischen physis und techne bei Aristoteles das Wort reden. Dass es sich bei beiden jedenfalls um Gleichwertiges handeln soll, kann anhand der Nikomachischen Ethik aufgezeigt werden. Darin heißt es, dass „alles, was die Natur hervorbringt, immer so vollkommen angelegt ist, als es nur sein kann. Dasselbe gilt von dem, was die Kunst und jede mit Einsicht wirkende Ursache, besonders die beste und höchste, hervorbringt.“231 Auch hier sieht Aristoteles zwischen dem natürlich und dem künstlich 226

Düring, Aristoteles, S. 243. Aristoteles, Politik I 8, 1256b. 228 In diesem Sinne Woodbridge, Vision of Nature, S. 77: „This elimination of surprise by the understanding of nature’s behavior is what we mean when we say that nature does nothing in vain.“ 229 Aristoteles, Physik II 8, 199a. 230 S. vielmehr Heinemann, Studien I, S. 330 dazu, dass die Mimesisthese so zu verstehen ist, dass es zur Existenz der techne erforderlich ist, die physis der Dinge zu erkennen und zu berücksichtigen. In diesem Sinne allgemein Zoglauer, „Natur“ im Umbruch, S. 49, 57. Wiederum folgt aus diesem Verständnis kein spezifisch geartetes Rangverhältnis zwischen Kunst und Natur: Die Tatsache, dass die Kunst von der Naturerkenntnis abhängig ist, macht diese nicht weniger wertvoll. 231 Aristoteles, NE I 10, 20. 227

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Entstandenen mithin keinen Unterschied im Hinblick auf dessen jeweilige Vollkommenheit. Zudem führt Aristoteles zwar die natürlichen Dinge unmittelbar auf eine göttliche Ordnung zurück. Gleichwohl gehören die Artefakte uneingeschränkt zu jenem Weltbild, dessen Ausgangspunkt der unbewegte Beweger ist. Die Entstehung des Künstlichen ist nach Aristoteles’ Vorstellung lediglich vermittelt durch eine äußere Bewegung. Weil diese aber der natürlichen Welt entstammt, nehmen die Artefakte gleichsam daran teil, sodass sich hieraus keine Abwertung der Kunstprodukte gegenüber der Natur ergibt. Damit lässt sich festhalten, dass mit der Differenzierung von physis und techne anhand des Kriteriums der Selbstbewegung jedenfalls nicht die Aussage einhergeht, dass die Natur einen höheren Rang als die Kunst aufweist: Kunst und Natur sind zu unterscheiden – nach Aristotelischem Verständnis können sie nicht gleichgesetzt werden. Dies hat nicht zuletzt zur Folge, dass Gegenstand der Naturwissenschaften nicht die Kunst, sondern allein die Natur sein kann. Es handelt sich bei beidem mithin um etwas Verschiedenes, womit allerdings gerade nicht gesagt ist, dass das eine schlechter bzw. besser als das andere ist. Insofern entsteht auch keine innere Unstimmigkeit der Unterscheidung von Kunst und Natur gegenüber der wertenden Aussage des ergon-Arguments. Dass danach Verstandestätigkeit und damit auch deren Produkte wünschenswert, da „gut“, sind, wirft keinen Widerspruch gegenüber der Differenzierung von Kunst und Natur auf: Allein die Tatsache, dass beide sich unterscheiden, macht nicht das eine schlechter als das andere, womit auch die Wertungen des ergon-Arguments in Einklang stehen. b) Dem ergon-Argument kann nicht die Aufforderung zur Selbsttranszendierung entnommen werden. Doch noch unter einem weiteren Gesichtspunkt drängt sich ein Interesse am ergon-Argument auf, dem abschließend näher nachgegangen werden soll. Die Rede ist von der Aufforderung des ergon-Arguments, das eigene Leben nach dem vernunft-begabten Seelenteile auszurichten. Damit einher geht zunächst das Gebot, den eigenen Verstand durch Denktätigkeit zu schulen. Wie an früherer Stelle erwähnt, sieht Aristoteles jedoch gerade in Kunst und Wissenschaft einen Weg zur Wahrheitserkenntnis, die Aufgabe der Verstandestugend ist.232 In der Folge muss auch das Hervorbringen der Produkte „wahrer Vernunft“ von den normativen Vorgaben des ergon-Arguments umfasst sein. In aller Konsequenz ließe sich dies aber als Gebot zur Selbsttranszendierung lesen: Die Aufforderung, sich seines Verstandes zu bedienen und dem Entsprechendes hervorzubringen, nimmt keine Einschränkung vor. Dass vor dem eigenen Körper haltgemacht werden soll, ergibt sich hieraus jedenfalls nicht ohne Weiteres. Sofern sich durch die Wissenschaft Möglichkeiten der Selbsttranszendierung böten, entspräche es vielmehr seinerseits einem Gebot der Vernunft, sie auch zu realisieren. 232

S. dazu oben C. II. 2. a).

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Indes stößt eine solch radikale Lesart des ergon-Arguments zuletzt an die Grenzen der möglichen Aristoteles-Interpretation. Im Aristotelischen Werk finden sich keine Anhaltspunkte für die Zulässigkeit von Eingriffen in die körperliche Kontingenz des Menschen. Auch das ergon-Argument reicht nicht über die Aristotelische Annahme hinaus, dass die Anlagen für das, was der Mensch im Wege optimaler Entwicklung erreichen kann, bereits von Anfang an originär in ihm angelegt sind.233 Die „Funktion“ des Einzelnen ist im Sinne Aristotelischer Philosophie nicht darauf gerichtet, ein anderes Wesen zu werden, als er gegenwärtig ist. Vielmehr liegt diese in dem Streben danach, dem besonders nahe zu kommen, was bereits in seinem Wesen angelegt ist: „Denn die Beschaffenheit, die ein jedes Ding beim Abschluß seiner Entstehung hat, nennen wir die Natur des betreffenden Dinges, sei es nun ein Mensch oder ein Pferd oder ein Haus oder was sonst immer.“234 In diese Richtung lässt sich auch die Aussage verstehen, dass ein Mensch „aus einem Menschen“ entsteht.235 Aristoteles geht in diesem Zusammenhang noch weiter: Als Natur einzustufen sei nämlich nicht lediglich „das, woraus etwas wird, wie das, wonach es wird“, sondern darüber hinaus „auch das, wodurch etwas wird, nämlich das als formgebend bezeichnete, gleichartige Wesen“, das in einem anderen sei: „Denn ein Mensch erzeugt einen Menschen.“236 Diese Formulierung legt offen, dass Aristoteles nicht etwa von der Möglichkeit der wesenshaften Veränderung des Erzeugten ausgeht. Vielmehr ist dafür stets das Erzeugende formgebend – beim Menschen dient mithin allein ein Mensch als „Form“, sodass eine Modifikation der wesenstypischen Eigenschaften in der nächsten Generation ausgeschlossen ist.237 Die Form bzw. das Wesen ist und bleibt der Mensch als von Natur Seiendes: „Das natürliche Werden nun ist dasjenige, welches aus der Natur hervorgeht; (…) dasjenige, was es wird, ist Mensch, Pflanze oder sonst etwas von dem, was wir im strengsten Sinne als Wesen bezeichnen.“ Als Wesen definiert Aristoteles dabei das „Sosein“; die Form versteht er als das „Sosein eines jeden Dinges und sein erstes Wesen“.238 Damit wird klar, dass die Form von Dingen – und damit auch die Form des Menschen – nach Aristotelischem Verständnis 233

S. Heyd, Menschliche Natur, S. 52, 53. Vgl. insoweit auch Heinemann, Studien I, S. 242, der es als innerhalb der Aristotelischen Lehre „widersinnig“ charakterisiert, ein Ziel zu verfolgen, das mit der Überschreitung des artspezifischen Leistungsvermögens einhergeht. Ebenso Woodbridge, Vision of Nature, S. 147: „This being now what was once something else is a genetic process, a process of becoming; and this is a movement from a start to a finish.“ 234 Aristoteles, Politik I 2. 235 Aristoteles, Physik II 1, 193b. 236 Aristoteles, Metaphysik VII 7, 1032a, 7. 237 S. aber Heinemann, Studien I, S. 274 m. Fn. 60 dazu, dass Aristoteles die Möglichkeit gesehen hat, dass Individuen, die einer bestimmten Art angehören, sich darin unterscheiden, in welcher Weise die artspezifischen Merkmale konkret verwirklicht werden: „Die Auffassung der ,Form‘ als ,Ziel‘ läßt sich also als eine Regel interpretieren, die es erlaubt, bei der Erklärung biologischer Tatsachen die Annahme einer identischen Reproduktion der jeweiligen ,Form‘ mit der systematischen Berücksichtigung der jeweiligen Umstände ihrer Realisierung zu verbinden.“ 238 Aristoteles, Metaphysik VII 6, 7, 1032b.

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unveränderlich ist.239 Weil diese „sein erstes Wesen“ beschreibt, wird zugleich deutlich, dass jedes Ding, das einer bestimmten Kategorie angehört, auf eine gemeinsame Form zurückgeführt werden kann. Modifikationen sind in diesem Bereich nicht denkbar, weil anderenfalls eine neue erste Form gebildet würde, was aber in den zitierten Passagen gedanklich nicht angelegt ist. Bestätigung findet diese Interpretation noch durch folgende Argumentation Aristoteles’: Der Mensch sei „von derselben Art (…) wie das Erzeugte“, „denn der Mensch erzeugt wieder einen Menschen, wofern nicht etwas gegen die Natur geschieht.“ Als ein solches Beispiel für Widernatürlichkeit führt Aristoteles sodann die Zeugung eines Maulesels durch Pferd und Esel an. Sofern aber ein Mensch durch einen Menschen erzeugt werde, seien Erzeuger und Erzeugtes durch die „Art-Form“ identisch, „denn die Art ist unteilbar“.240 Hieraus lässt sich schließen, dass Aristoteles eine Abweichung von der Art des Erzeugten als Vorgang gegen die Natur einstuft, der daher grundsätzlich nicht vorgesehen und auch nicht erwünscht ist. Im Gegenteil entspricht es der Natur, wenn in dem erzeugten Individuum die Reproduktion der Art stattfindet.241 So handele es sich um eine der „natürlichsten“ Leistungen von Lebewesen, „ein anderes, sich gleiches Wesen zu erzeugen: das Lebewesen ein Lebewesen, die Pflanze eine Pflanze“.242 Hierin liege das „Ziel“243 bzw. der „Zweck“ der Natur, womit die Vorstellung ausgeschlossen ist, dass ein Lebewesen von seiner Art abweichen kann, „soweit es vollendet und nicht verstümmelt ist“. Insoweit offenbart sich noch ein weiterer Sinn, der der Aristotelischen Differenzierung von Kunst- und Naturprodukten entnommen werden kann. Danach liegt der maßgebliche Unterschied zwischen beiden gerade darin, dass allein im Bereich der Kunst Neues entstehen kann. Grund dafür ist die schöpferische Kraft des Menschen, der durch Erfindung etwa neue Werkzeuge herstellen kann. Anders verhält es sich aber im Bereich der Natur, in der lediglich eine Wiederkehr des bereits Dagewesenen beobachtet werden kann: Aristoteles „kennt keine Entstehung der Arten.“244 Die Richtigkeit dieser Zusammenhänge begründet Aristoteles insbesondere unter Bezugnahme auf das „Göttliche“. So strebten sämtliche Lebewesen danach, am Ewigen und Göttlichen teilzuhaben. Vergängliches könne aber nicht als ein und dasselbe ewig fortbestehen. Aus diesem Grund bestünden Individuen nicht als Einzelnes fort, sondern allein als „eines von solcher Art, d. h. als nicht der Zahl nach eines, wohl aber der Art nach eines“.245 Am Göttlichen nehmen die Individuen daher allein ihrer Art nach teil, was zugleich die Art selbst in ihrer Bedeutung erhöht. Diese 239

Düring, Aristoteles, S. 26: „Die Formen der Naturdinge sind invariant und ewig (…).“ Aristoteles, Metaphysik VII 8, 1034a. 241 Bröcker, Aristoteles, S. 126 f.; Buchheim, Metaphysik, S. 105, 121; Cooper, Language and Logos, S. 197, 203 ff., Heinemann, Studien I, S. 275; Wieland, Physik, S. 237. 242 Aristoteles, Über die Seele II 4. 243 Aristoteles, Physik II 7, 198b. 244 Bröcker, Aristoteles, S. 127. 245 Aristoteles, Über die Seele II 4. 240

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in bestmöglicher Weise zur Verwirklichung zu bringen, ist zeitlebens „natürliches“ Ziel eines jeden Individuums. Am Ewigen kann es darüber hinaus lediglich als Angehöriger einer bestimmten Art teilnehmen, womit das Individuelle gegenüber der Art insoweit zurückgestuft wird, als es damit nicht übereinstimmt. Weil aber die Art selbst Teil des Göttlichen ist, handelt es sich bei deren Reproduktion um die aus Aristoteles’ Sicht von der Natur auferlegte Aufgabe eines jeden Lebewesens. Mit dieser Position lässt sich aber die Interpretation des ergon-Arguments als Gebot der Selbsttranszendierung im Sinne einer Überwindung „natürlicher Grenzen“ menschlicher Kontingenz unter keinen Umständen in Einklang bringen. Selbstverbesserung ist vielmehr in der Aristotelischen Lehre lediglich als Überwindung eines aktuellen und unvollendeten Zustands denkbar.246 Als Beispiel können in diesem Zusammenhang etwa sittliche Tugenden herangezogen werden, die dem Menschen zwar nicht von Natur zuteilwerden, zu deren Entwicklung er aber eine „natürliche Anlage“ aufweise.247 Dieser natürlichen Anlage trägt der Einzelne nach Auffassung Aristoteles’ Rechnung, indem er ihr durch Gewöhnung an sittliche Tugenden entspricht und sie auf diese Weise „zur Wirklichkeit“ werden lässt. Insofern weist der Mensch in Bezug auf sittliche Tugenden nicht von vornherein einen vollendeten Zustand auf. Vielmehr liegt es an ihm, sich in Gewöhnung zu üben, um entsprechende Tugenden zu erlangen. Auch insoweit bestätigt sich damit die hier vertretene Position: Das im ergon-Argument enthaltene Gebot, sich seines Verstandes zu bedienen, geht nicht über die Aufforderung hinaus, die eigene „Natur“ zu vollenden, ohne dabei eine Wesensänderung vorzunehmen.248 Wenngleich darin zwar die Vernunftfähigkeit des Menschen seiner Natur zugerechnet wird, folgt hieraus nicht die Freiheit, kraft dieser Begabung über die eigene körperliche Konstitution hinauszugehen. Dem steht vielmehr entgegen, dass Aristoteles davon ausging, dass das gesamte Potential für das Leben des Einzelnen von Anfang an in seinem Wesen angelegt sei. Unter dieser Voraussetzung verbietet es sich aber, etwa die mit einer Vielzahl an biomedizinischen Verfahren einhergehende Idee einer Selbsttranszendenz aus dem ergon-Argument abzulesen. Im Gegenteil kann dieses gar zur Unterstützung derjenigen Positionen herangezogen werden, die die vorgefundene Konstitution des Menschen als seine Natur begreifen und daraus mitunter die Konsequenz ableiten wollen, dass Eingriffe darin – freilich aus unterschiedlichen Gründen249 – als unzulässig erachtet werden müssen.250 246

Heyd, Menschliche Natur, S. 52, 53. Aristoteles, NE II 1, 1103a, 20 f. S. dazu bereits oben C. II. 2. 248 Zu diesem Ergebnis gelangt auch Bayertz, Menschliche Natur, S. 9, 26 f. 249 S. dazu ausführlich im Anschluss D. III. 250 Gegen das ergon-Argument wird verbreitet der Vorwurf des naturalistischen Fehlschlusses erhoben (in diese Richtung etwa Heinemann, Studien I, S. 203 [s. aber S. 246 ff. dazu, dass jedenfalls im zehnten Buch der Nikomachischen Ethik die biologische – damit naturalistische – Perspektive durch eine theologische ersetzt wird]; anders freilich Heyd, Menschliche Natur, S. 52, 53). Vgl. allgemein zu diesem Argument noch unten D. III. 3. im Rahmen der Diskussion der normativen Relevanz von Natürlichkeitsargumenten. Ob der Einwand in Bezug 247

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c) Zwischenergebnis Das ergon-Argument gibt Aufschluss über das Aristotelische Verständnis von der menschlichen Natur. Auf der Basis einer am Biologischen ausgerichteten Lesart rückt in dessen Zentrum die Vernunftbegabung des Einzelnen als dessen Wesensmerkmal, das ihn von allen anderen Lebewesen unterscheidet. Der Verstand bzw. die Vernunft des Menschen sind damit ihrerseits auf der Basis der Aristotelischen Lehre „natürlich“. Das ergon-Argument enthält die normative Aufforderung, nach dem vernunft-begabten Seelenteil zu leben. Sowohl die Verstandestätigkeit des Menschen als auch dessen Produkte erfahren auf diese Weise eine erhebliche Aufwertung. Hierin ist gleichwohl kein Widerspruch gegenüber dem Verhältnis von Kunst und Natur zu sehen, das Aristoteles durch das Abgrenzungskriterium der Selbstbewegung zeichnet. Mit dieser Unterscheidung geht lediglich die Aussage einher, dass Kunst und Natur verschieden sind – nicht aber, dass das eine besser als das andere ist. Darüber hinaus stößt ein Verständnis des ergon-Arguments als Gebot zur Selbsttranszendierung an die Grenzen einer möglichen Aristoteles-Interpretation. Letztere lässt es lediglich zu, dem ergon-Argument die Aufforderung zu entnehmen, die eigenen natürlichen Anlagen zur Vollendung zu bringen. Darüber hinaus ist eine Veränderung des eigenen Wesens nicht in der Aristotelischen Lehre angelegt. Weil aber Aristoteles selbst die Vernunft als Wesensmerkmal des Menschen einstuft, ist auch in seiner Lehre der Konflikt angelegt, der sich aus einer Berücksichtigung der Vernunftbegabung in Bezug auf das Differenzierungskriterium der Selbstbewegung ergibt. Kunst und Natur lassen sich auf dieser Basis nicht länger einwandfrei trennen, sobald die Einsicht in den Umstand gewonnen wird, dass Kunstprodukte ihrerseits eine „natürliche“ Ursache in Gestalt des menschlichen Verstandes aufweisen. Vor diesem Hintergrund erweist sich die Anlehnung an den Aristotelischen Naturbegriff in der biomedizinischen Debatte allerdings als in höchstem Maße fragwürdig. Bereits Aristoteles konnte die aufgedeckten Unstimmigkeiten anhand seines Unterscheidungsmerkmals nicht vermeiden. Auch insoweit erscheint eine Orientierung des Begriffs an Aristoteles’ Vorbild wenig überzeugend. 3. Undurchführbarkeit einer Trennung von Natürlichem und Künstlichem in Bezug auf die „menschliche Natur“ Doch selbst unabhängig von der Rolle, die die menschliche Vernunftbegabung innerhalb der Begriffsbildung derjenigen spielt, die sich hinsichtlich neuer Verfahren auf Aristoteles zutrifft, muss vorliegend dahinstehen: An dieser Stelle geht es allein um eine Untersuchung der Begrifflichkeiten, die innerhalb der biomedizinischen Debatte verwendet werden. Wenngleich diese auf Aristoteles Rekurs nehmen, handelt es sich dennoch lediglich um eine terminologische Annäherung, die grundsätzlich von den normativen Aussagen des ergonArguments zu unterscheiden ist. Insoweit reduziert sich aber die im ergon-Argument enthaltene positive Besetzung des Natürlichen auf eine generelle Aussage, die nicht unter Blickverengung auf Aristoteles, sondern allgemein im Anschluss diskutiert werden muss.

II. Kritik am Natürlichkeitsbegriff

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der Biotechnologie auf Natürlichkeitsargumente berufen, erfährt die uns hier begegnende Definition noch aus anderer Richtung Kritik. Diese entfacht sich anhand der Schwierigkeit, im Hinblick auf die menschliche Natur eine klare Grenzziehung gegenüber dem Künstlichen zu vollziehen. Als ein Beispiel kann dabei der Bereich der menschlichen Fortpflanzung herangezogen werden. So ließe sich zwar die Entstehung des Menschen durch einen Geschlechtsakt der Eltern grundsätzlich insoweit als „natürlich“ im Aristotelischen Sinne einstufen, als es sich dabei um einen biologischen Prozess handelt, der seine „Ursache“ ausschließlich in der Beschaffenheit des menschlichen Körpers findet – mithin das „Prinzip von Bewegung und Ruhe in sich selbst“ trägt.251 In der Terminologie Habermas’ handelt es sich dabei um einen „kontingenten Befruchtungsvorgang“, der mithin dem „Gewachsenen“, also Natürlichen, zugeordnet werden kann. Allerdings berücksichtigt eine solche Sichtweise nicht in hinreichendem Umfang, dass bereits die Auswahl des Fortpflanzungspartners mitunter in Orientierung an spezifischen kulturellen Regeln oder Idealbildern erfolgt. Es fragt sich vor diesem Hintergrund, ob etwa die Entstehung menschlichen Lebens aus einer durch kulturelle Vorstellungen beeinflussten Partnerschaft noch als „natürlich“ eingestuft werden kann.252 In den Vordergrund rückt damit der Begriff der Kultur. Jedoch erweist sich dieser als ebenso schillernd wie bereits der Naturbegriff.253 Entschärft ist diese Schwierigkeit allerdings angesichts der Tatsache, dass Kultur und Natur ebenso wie das Künstliche und Natürliche in dem hier interessierenden Kontext als Gegenspieler eingestuft werden, deren jeweilige inhaltliche Bestimmung in Abhängigkeit voneinander steht.254 Konkret: Wer die Natur in einer spezifischen Weise definiert, trifft damit zugleich eine Aussage im Hinblick auf den Begriff des Künstlichen bzw. der Kultur. Dies zeigt sich am Beispiel des methodischen Kulturalismus, der die Definitionen von Naturalismus und Kulturalismus bzw. Natur und Kultur in eine un-

251 Zu einem anderen Ergebnis gelangt Roughley, Menschliche Natur, S. 133, 143, 146, der zur Bestimmung der menschlichen Natur in einer Verkürzung der Aristotelischen Definition ausschließlich darauf abstellen möchte, ob es sich um ein „Nichthergestelltes“ handele. Unter dieser Voraussetzung sei aber bereits im Akt der Zeugung eine menschliche Handlung zu sehen, die diesem Kriterium und damit der Annahme von Natürlichkeit in einem so verstandenen Sinne entgegensteht. Jedenfalls für das Aristotelische Verständnis der (menschlichen) Natur ist dieser Einwand allerdings nicht gerechtfertigt: Durch die Übereinstimmung seiner „Form“ mit der des Erzeugers liegt die Ursache der Entstehung des erzeugten Lebewesens in ihm selbst. S. zur Argumentation schon oben Fn. 134. – Wenngleich auch Siep für die Unterscheidung von Künstlichem und Natürlichem darauf abstellt, ob ein Prozess vom Menschen hergestellt ist, folgen aus dieser Ähnlichkeit in der Begriffsbestimmung offenbar nicht dieselben Schlussfolgerungen. Vgl. dazu schon oben C. I. 252 Wie unter C. II. gesagt, stünde dem nichts entgegen, sofern die Kultur als „Produkt“ des menschlichen Verstandes ihrerseits als natürlich eingestuft würde. 253 Vgl. zur Entwicklung des Kulturbegriffs nur Descola, Jenseits von Natur und Kultur, S. 120 ff. 254 S. aber Descola, Jenseits von Natur und Kultur, S. 125, dass dieser Dualismus nicht zwingend ist, jedoch der Autonomie der Kultur gegenüber den „natürlichen Realitäten“ dient.

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C. Natürlichkeitsbegriff in der Debatte um biotechnologische Verfahren

mittelbare Beziehung zueinander setzt.255 Weil das Verhältnis der genannten Begriffspaare im Zentrum dieser Denkrichtung steht, lohnt deren nähere Betrachtung. Davon wird sich nicht zuletzt ein Einblick darin versprochen, welche Schwierigkeiten mit der Trennung von Kultur und Natur im Hinblick auf den Menschen einhergehen können. Im Ausgangspunkt des methodischen Kulturalismus steht das Anliegen, ein passendes Etikett für eine theoretische Position zu finden, die sich durch den Begriff des methodischen Konstruktivismus nicht länger hinreichend abbilden lasse. Grund dafür sei nicht zuletzt, dass im methodischen Konstruktivismus selbst naturalistische Strömungen aufgingen, von denen die Vertreter des methodischen Kulturalismus ihr eigenes Theorem aber in besonderer Deutlichkeit abgrenzen wollen. Darüber hinaus gehe mit der Namensänderung auch eine inhaltliche Modifikation des methodischen Konstruktivismus einher: Herkunft könne daher nicht mit Identität gleichgesetzt werden.256 Zunächst aber zur Abgrenzung gegenüber dem Naturalismus: Letzteren definieren die Vertreter des methodischen Kulturalismus als die These, dass „alles Geschehen einschließlich menschlichen Handelns unter historischen Bedingungen ein Naturgeschehen sei“.257 Diese Auffassung sei aber reflexiv und insgesamt unhaltbar. Insbesondere handele es sich bei der naturalistischen These selbst um ein Kulturprodukt. Darüber hinaus sei von einer wissenschaftsphilosophischen Theorie zu erwarten, dass sie sich durch Argumentation „ihre Dignität“ verdiene. Das bloße Berufen auf die Sachkompetenz renommierter Naturwissenschaftler könne dies nicht ersetzen.258 Der methodische Kulturalismus müsse sich von einem erkenntnistheoretischen Kulturrelativismus abgrenzen. Letzterer stufe zwar – aus Sicht des methodischen Kulturalisten zu Recht – die Wissenschaft als menschliche Praxis und damit als ein Produkt der Kultur ein. Jedoch sei diese Position mit einem „soziologischen Deskriptivismus“ verbunden, der „jede rationale Beurteilung konkurrierender ,Paradigmen‘ wegen ihrer angeblichen ,Inkommensurabilität‘ als aussichtslos erscheinen ließ“.259 Hieraus folge eine grundsätzliche „Rationalitätsskepsis“, die aber nicht hinnehmbar sei. So seien selbst solche Aussagen zweier Theorien, die sich der gegenseitigen Übersetzbarkeit verschließen, immerhin erlernbar. Dies ermögliche dann aber den Vergleich der Positionen: „Durch definitorischen Rückgang auf das

255 Hartmann/Janich, Methodischer Kulturalismus, S. 9, 31: „Wie der Naturalismus seine schärfsten Konturen im Kontrast zum Kulturalismus findet, so auch umgekehrt.“ sowie S. 39: „Auf dem Hintergrund des (kulturalistischen) Kulturbegriffs ist nunmehr eine adäquate Rekonstruktion auch des Naturbegriffs möglich“. S. zu diesem Verständnis auch Jaeggi, Kritik, S. 76. 256 Hartmann/Janich, Methodischer Kulturalismus, S. 9, 10. 257 Hartmann/Janich, Methodischer Kulturalismus, S. 9, 14. 258 Hartmann/Janich, Methodischer Kulturalismus, S. 9, 16. 259 Hartmann/Janich, Methodischer Kulturalismus, S. 9, 27 (Hervorhebung im Original).

II. Kritik am Natürlichkeitsbegriff

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gemeinsame technische Fundament können deshalb Theorien kommensurabel gemacht werden.“260 Ziel des methodischen Kulturalismus sei auf dieser Basis die „Formulierung einer antinaturalistischen philosophischen Position, welche gleichwohl nicht in die erkenntnistheoretischen Beliebigkeiten des Kulturrelativismus mündet.“261 Zum Ausgangspunkt der Reflexion wählt er sich die „eigene, vorgefundene, historisch gewachsene kulturelle Situation des Fragers“.262 Anders als dem Naturalisten sei es dem Kulturalisten möglich, eine Begründung seiner Erkenntnisphilosophie zu leisten. Diese gelinge unter Verweis auf die Praxis. Letztere sei vorrangig lebensweltlich und auf ein „hinreichendes Funktionieren gemeinschaftlicher Lebensbewältigung in Handlungs- und Kommunikationsgemeinschaften“ gerichtet.263 Ohne das Ziel einer absoluten Letztbegründung sei der methodische Kulturalismus insoweit darauf gerichtet, „alles Wissen auf Handlungserfolg und Mißerfolg zurückzuführen bzw. aus diesem zu begründen“.264 Grundlegendes Erfordernis seien daher die Entwicklung einer Handlungstheorie, einer Sprachphilosophie sowie die Beurteilung menschlichen Handelns und insbesondere Redens anhand der Kategorien von wahr und falsch.265 Vor diesem Hintergrund lasse sich der methodische Kulturalismus als „instrumentalistische Wahrheitstheorie“266 und in seinem normativen Teil als „Prinzipienlehre der gewaltfreien Konfliktlösung bzw. -bewältigung durch Rede“267 klassifizieren. Der entscheidende Unterschied gegenüber dem methodischen Konstruktivismus könne in der „Erweiterung von Zwecken und Mitteln des Philosophierens“268 benannt werden, wodurch dieser durch eine „kulturalistische Wende“269 ergänzt werde. Von besonderem Interesse für die vorliegende Arbeit ist freilich die inhaltliche Bestimmung, die auf der Basis des methodischen Kulturalismus für die Begriffe Natur und Kultur erfolgt. Diese stützt sich auf den Befund, dass sich Menschen nicht zuletzt aus Gründen der Bedürfnisbefriedigung mit anderen „in gemeinsamen Handlungszusammenhängen“ befinden.270 Aus diesem Umstand entwickelten sich Praxen, die als „regelmäßig, regelgeleitet und personeninvariant aktualisierte Handlungszusammenhänge“ näher definiert werden.271 Beispielhaft genannt werden 260 261 262 263 264 265 266 267 268 269 270 271

Hartmann/Janich, Methodischer Kulturalismus, S. 9, 28 (Hervorhebung Hartmann/Janich, Methodischer Kulturalismus, S. 9, 30 (Hervorhebung Hartmann/Janich, Methodischer Kulturalismus, S. 9, 31. Hartmann/Janich, Methodischer Kulturalismus, S. 9, 33. Hartmann/Janich, Methodischer Kulturalismus, S. 9, 33 (Hervorhebung Hartmann/Janich, Methodischer Kulturalismus, S. 9, 35. Hartmann/Janich, Methodischer Kulturalismus, S. 9, 36 (Hervorhebung Hartmann/Janich, Methodischer Kulturalismus, S. 9, 56 (Hervorhebung Hartmann/Janich, Methodischer Kulturalismus, S. 9, 68 (Hervorhebung Hartmann/Janich, Methodischer Kulturalismus, S. 9, 68 (Hervorhebung Hartmann/Janich, Methodischer Kulturalismus, S. 9, 36. Hartmann/Janich, Methodischer Kulturalismus, S. 9, 37.

im Original). im Original).

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C. Natürlichkeitsbegriff in der Debatte um biotechnologische Verfahren

in diesem Zusammenhang die Gesetzgebung sowie Verhaltenstherapien. Insgesamt unterscheiden Vertreter des methodischen Kulturalismus technische, poietische sowie soziopolitische Praxen. Hieraus ergebe sich nunmehr die Definition des Begriffs der Kultur, die durch das gemeinschaftliche „Tradieren ihrer Praxen (unter die nicht zuletzt auch Sitten und Institutionen fallen)“ sowie die Herstellung von Artefakten entstehe.272 Den Gegenstand von Kulturkritik bilde auf dieser Basis die kritische Überprüfung von Praxen sowie deren Wandlung anhand des Maßstabs der Vernünftigkeit. Als vernünftig sei dabei eine Veränderung einzustufen, die eine bessere Durchsetzung der von der jeweiligen Praxis betroffenen Interessen ermöglicht.273 Hieraus ergebe sich folgende inhaltliche Bestimmung des Naturbegriffs: In diesem sei „das kulturell ,Unberührte‘“ zusammengefasst, mithin „dasjenige, was bzw. insofern es vom Menschen nicht handelnd verändert wird, bzw. ohne sein Zutun von selbst geschieht“.274 Auffällig an dieser Definition ist, dass sie sich im Kern mit den Naturbegriffen deckt, die sich in der biomedizinischen Debatte finden. Wiederum liegt es in dem Umstand der Beeinflussung eines Vorgangs durch den Menschen begründet, einen Gegenstand als „kultürlich“ einzustufen.275 Vor diesem Hintergrund erscheint es zulässig, die Begriffe des Künstlichen und des Kultürlichen insoweit synonym zu verwenden, als diesen die Funktion einer Abgrenzung gegenüber dem Natürlichen zukommt. Dafür spricht gerade auch die Verwendung beider Begriffe durch den methodischen Kulturalismus selbst. Als „kultürlich“ soll nach Auffassung seiner Vertreter ein „von Menschen Hervorgebrachtes“ bezeichnet werden. Im unmittelbaren Anschluss an diese Aussage findet sich die Erinnerung daran, dass es bereits zu einer Kernkompetenz von Kindern zähle, natürliche von „künstlichen“ Gegenständen zu unterscheiden. Ferner wird auf die philosophische Debatte zur Unterscheidung von Künstlichem und Natürlichem verwiesen. Eben jenes Nachdenken über die Natur sei seinerseits „das Produkt einer Kulturgeschichte“276. Soweit es also um eine Differenzierung gegenüber dem Natürlichen geht, findet sich bei den Vertretern des methodischen Kulturalismus keine abweichende inhaltliche Bestimmung der Begriffe Kunst und Kultur. Für die Ausgangsfrage, wie es sich auf die Einstufung menschlicher Fortpflanzung als „natürlicher“ Vorgang auswirkt, sofern dieser durch kulturelle Idealbilder beeinflusst ist, kann damit Folgendes festgehalten werden: Weil die Kultur als Gegenbegriff zur Natur verwendet wird, beeinträchtigen kulturelle Einflüsse die Bewertung eines Gegenstandes als natürlich. Dies belegt wiederum die Verwendung des Kulturbegriffs durch die Vertreter des methodischen Kulturalismus. So wird von deren Seite darauf verwiesen, dass „die Qualifizierung ,natürlich‘ in den allermeisten 272 273 274 275 276

Hartmann/Janich, Methodischer Kulturalismus, S. 9, 38 (Hervorhebung im Original). Hartmann/Janich, Methodischer Kulturalismus, S. 9, 39. Hartmann/Janich, Methodischer Kulturalismus, S. 9, 39 (Hervorhebung im Original). Vgl. auch Demmerling, Naturalismus und Menschenbild, S. 240, 255. Hartmann/Janich, Methodischer Kulturalismus, S. 9, 31 f. (Hervorhebung im Original).

II. Kritik am Natürlichkeitsbegriff

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Fällen lebensweltlicher, wissenschaftlicher und philosophischer Behauptungen recht besehen ,kultürlich‘ meint“.277 In der Konsequenz handele es sich bei vielem, das verbreitet als natürlich eingestuft wird („von der Lüneburger Heide über ,naturidentische Aromastoffe‘ bis zu Tante Ernas Mops“), „zumindest in wesentlichen Aspekten um Kulturprodukte“.278 Natur und Kultur stellen mithin Gegensatzpaare dar, die in einem Verhältnis zueinander stehen, in dem das Auftreten kultureller Elemente die Natürlichkeit des Untersuchungsgegenstandes infrage stellt bzw. aufhebt. Auf dieser Basis lässt sich nunmehr die Schlussfolgerung ziehen, dass ein kulturell beeinflusster menschlicher Fortpflanzungsakt seinerseits kultürlich bzw. künstlich ist.279 Etwas anderes könnte sich allein vor dem Hintergrund ergeben, dass die voranstehend zitierte Aussage der Vertreter des methodischen Kulturalismus ein Verständnis der Unterscheidung von Natur und Kultur nahelegt, das keinem klassischen Schwarz-Weiß-Schema entspricht.280 Die Überlegung, dass es sich bei einem Gegenstand „zumindest in wesentlichen Aspekten“ um ein Kulturprodukt handelt, eröffnet die Möglichkeit der nur teilweisen Klassifizierung als natürlich bzw. kultürlich. Nach einer solchen Lesart ließe sich die Qualifizierung als künstlich und als natürlich in Bezug auf denselben Gegenstand vornehmen. Etwa der Mops wäre nur teilweise künstlich bzw. natürlich – je nachdem, welche Aspekte in den Blick genommen werden. Allerdings verschiebt eine solche Betrachtung die Schwierigkeit der Abgrenzung lediglich auf die einzelnen Teilaspekte des Gegenstandes und hebt diese nicht auf. An der grundsätzlichen Unterscheidung zwischen Kunst/Kultur und Natur ändert sich nichts. In der Konsequenz kann aber ein immerhin teilweise künstlicher Gegenstand in seiner Gesamtheit nicht länger als uneingeschränkt natürlich eingestuft werden. Allein die jeweiligen Teilaspekte könnten diese Klassifizierung noch zu Recht erhalten, weshalb aber die Debatte um die Wahrung des Natürlichen auch allein im Hinblick auf diese Elemente ohne Einschränkung geführt werden könnte. Sofern sich ein Natürlichkeitsargument jedoch auf den gesamten Gegenstand (Mops) richtet, wäre dieses in entscheidender Hinsicht geschwächt. Dies betrifft zunächst die begriffliche Klarheit des Arguments: Bezieht es sich auf ein Untersuchungsobjekt, das sowohl künstliche als auch natürliche Elemente aufweist, stellt sich die Frage, unter welchen Umständen der Anwendungsbereich des Natürlichkeitsarguments (noch) eröffnet sein kann. Angesprochen ist damit die Schwierigkeit einer graduellen Abstufung zwischen den Bereichen des noch Na277

Hartmann/Janich, Methodischer Kulturalismus, S. 9, 31. Hartmann/Janich, Methodischer Kulturalismus, S. 9, 39. Vgl. insoweit auch Heinemann, Studien I, S. 42 m. Fn. 24, der zutreffend darauf verweist, dass sich die Aristotelische Trennung von Kunst und Natur selbst zu Aristoteles’ Zeiten nicht einwandfrei durchführen ließ, da die Menschen bereits damals Kulturlandschaften bewohnten. 279 So auch Bayertz, Menschliche Natur, S. 9, 13; Birnbacher, Natürlichkeit, S. 179; Heyd, Menschliche Natur, S. 52, 67. 280 Alternativ könnte der Position die Vorstellung einer graduellen Abstufung zwischen dem Natürlichen und dem Künstlichen zugrunde liegen. 278

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C. Natürlichkeitsbegriff in der Debatte um biotechnologische Verfahren

türlichen und des bereits Künstlichen. Sobald also der Natürlichkeitseinwand als zulässig in Bezug auf nicht uneingeschränkt Natürliches erklärt würde, schlössen sich erhebliche Folgeprobleme an, die zuletzt die argumentative Schlagkraft des Arguments in Mitleidenschaft zögen: Zu befürchten wäre eine signifikante Ablenkung von dessen eigentlicher inhaltlicher Aussage, sofern zunächst etwa Fragen des prozentualen Anteils von natürlichen Aspekten eines Gegenstandes bzw. deren Gewichtung für die Gesamtbewertung diskutiert werden müssten. Selbst wenn aber die jeweilige Argumentation auf einen bestimmten Anteil des Gegenstandes begrenzt werden soll, setzt dies immerhin voraus, dass eine entsprechende Isolierung eigenständiger Teile möglich ist. Jedenfalls in Bezug auf Maßnahmen, die die menschliche Natur betreffen, erscheint ein solches Unterfangen aber nach dem eingangs bereits Gesagten kaum umsetzbar. Etwa der Bereich menschlicher Fortpflanzung ist von kulturellen Einflüssen nicht zu trennen. In der Folge könnten Natürlichkeitseinwände hier nicht länger greifen und müssten vielmehr bereits unter konsequenter Berücksichtigung der eigenen Begriffsbildung ausgespart werden. Ähnlich verhält es sich in Bezug auf die Konstitution des menschlichen Körpers. Auch diese entzieht sich bei näherer Betrachtung einer trennscharfen Qualifizierung als natürlich oder kultürlich. So stellen etwa die kindliche Erziehung, aber auch Ernährung oder bestimmte sportliche Betätigungen Eingriffe dar, die die leibliche Kontingenz des Einzelnen beeinträchtigen. Gleichwohl von einem natürlichen Zustand des menschlichen Körpers zu sprechen, in den etwa durch Maßnahmen des Neuroenhancements künstlich eingegriffen werde, lässt sich unter diesem Blickwinkel kaum halten. Es offenbart sich hingegen folgendes Bild: Zwischen den Bereichen von Natur und Kultur, wie sie auch von den Vertretern des methodischen Kulturalismus abgegrenzt werden, kommt es zu steten Wechselwirkungen. Diese stehen insbesondere bezüglich der menschlichen Natur einer strikten Trennung nach dem Prinzip der Selbstbewegung bzw. der Unterscheidung des Gewachsenen und Gemachten entgegen.281 Einen Ausweg aus diesem Dilemma bietet auch nicht die Einführung eines weiteren Korrektivs in Gestalt des „Normalen“. Diese Kategorie soll dazu dienen, nicht sämtliche den menschlichen Körper verändernden Maßnahmen als künstlich zu klassifizieren.282 Was jedoch „normal“ ist, hängt seinerseits unmittelbar mit der jeweiligen kulturellen Auffassung einer Gesellschaft zusammen. Begriffliche Klarheit kann auf diese Weise wiederum nicht erzielt werden – im Gegenteil unterliegen die 281

Vgl. Birnbacher, Bios und Zoë, S. 219, 223. S. zudem Birnbacher, Natürlichkeit, S. 4, 102 f., der darauf hinweist, dass „rein“ Künstliches bzw. Natürliches kaum mehr existiert. Ebenso Bayertz, Menschliche Natur, S. 9, 19; ders., GenEthik, S. 139: „Jede Suche nach einer – sozusagen reinen und natürlichen – Natur des Menschen ist daher aussichtslos: Der Mensch ist eben (…) von Natur aus künstlich.“; Heyd, Menschliche Natur, S. 52, 70: „(…) die Unterscheidung zwischen dem Natürlichen und dem Künstlichen (…) verliert in Bezug auf menschliche Wesen ihren Sinn.“; Sturma, Menschliche Natur, S. 174, 174 f. S. allgemein ferner Zoglauer, „Natur“ im Umbruch, S. 49, 58. 282 Birnbacher, Natürlichkeit, S. 103.

II. Kritik am Natürlichkeitsbegriff

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Kultur und damit das Verständnis des Normalen einem steten Wandel, der in der Konsequenz auch den Begriff der Natur in seinen Bann zieht.283 Ohnedies kann es durch die bloße Einführung einer weiteren Kategorie nicht gelingen, die bisherige Dichotomie zwischen Kunst/Kultur und Natur sowie deren Konsequenzen für die Beurteilung verschiedener Gegenstände aufzuheben. Soll diese Unterscheidung grundsätzlich aufrechterhalten werden, würde durch die Bezeichnung als normal lediglich ein Bereich der Kultur in den der Natur verschoben, ohne dass hierfür eine klassifikatorische Berechtigung bestünde. Der Sache nach handelte es sich bei diesen Fällen nach wie vor um solche, die per definitionem nicht natürlich sind. Ein neues Etikett vermag insoweit keine andersartige Einordnung nach sich zu ziehen. Festzuhalten bleibt damit, dass Natürlichkeitsargumente in der Debatte um die Zulässigkeit biotechnischer Verfahren insoweit kritisch zu sehen sind, als sich diese Techniken auf ein Anwendungsfeld beziehen, das in besonderem Maße durch kulturelle Einflüsse geprägt ist. Biomedizin betrifft den menschlichen Körper und seine Funktionen. Wie die wenigen Beispiele aus den Bereichen der Fortpflanzung sowie der physischen Beschaffenheit des Menschen gezeigt haben, lässt sich hier aber eine trennscharfe Unterscheidung von Kunst und Natur anhand der in der Diskussion verwendeten Definitionen kaum vollziehen. Für das Natürlichkeitsargument ergeben sich hieraus folgende Schwierigkeiten: Soweit es darin um die Wahrung eines als natürlich gekennzeichneten Zustands geht, werden davon unweigerlich auch Aspekte umfasst, die nicht natürlich sind. Das Argument läuft dann aber zugleich auf den Schutz künstlicher bzw. kultürlicher Bestandteile des jeweiligen Gegenstandes hinaus. Der damit einhergehende innere Widerspruch einer solchen Position ist nicht zu übersehen. Alternativ ließen sich Natürlichkeitsargumente lediglich noch so verstehen, dass darin allein auf die natürlichen Aspekte Bezug genommen wird. Unter dieser Bedingung müsste an das entsprechende Natürlichkeitsargument aber die Anforderung gestellt werden, eben jene Differenzierung deutlich zu machen. Wenn es also um einen bestimmten, vermeintlich uneingeschränkt natürlichen Aspekt der menschlichen Fortpflanzung geht, hätte der jeweilige Natürlichkeitseinwand klar zu benennen, dass er allein dieses Element betrifft. Etwa die – in der biomedizinischen Debatte aufzufindende – Behauptung, die Entstehung des Menschen durch den Geschlechtsakt der leiblichen Eltern sei natürlich, wäre vor diesem Hintergrund jedenfalls zu pauschal. Darüber hinaus bestehen aufgrund der bereits angesprochenen Wechselwirkungen zwischen Künstlichem und Natürlichem bezüglich der menschlichen Natur erhebliche Zweifel, ob eine derartige Trennung in diesem Bereich überhaupt möglich ist. Dass sich im Hinblick auf das Anwendungsfeld der Biomedizin ein unangetasteter Bereich destillieren lässt, der frei von

283 Bayertz, Menschliche Natur, S. 9, 19 bezeichnet die menschliche Natur aus diesem Grund zutreffend als „selbst-veränderlich“. Bei ihr handele es sich um nichts Stabiles oder Konstantes, vielmehr entspreche es ihrem Charakteristikum, dass sie sich stetig verändert und damit „von Natur aus künstlich“ ist.

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C. Natürlichkeitsbegriff in der Debatte um biotechnologische Verfahren

jedweder kulturellen Beeinflussung ist, kann kaum angenommen werden.284 Sofern aber die Vertreter von Natürlichkeitsargumenten ihrerseits nicht die durch ihre Begriffsdefinition aufgestellten Grenzen wahren, werden die Begriffe in letzter Konsequenz ihres Inhalts vollständig entleert. Beziehen sich Natürlichkeitseinwände (auch) auf Kultürliches, erweist sich dies als widersprüchlich. Die vermeintliche Trennung von Kultur und Natur wird auf diese Weise der Willkür preisgegeben, liegt es doch unter dieser Voraussetzung allein im Auge des Betrachters zu bestimmen, was natürlich sei. Damit wächst aber die Gefahr, dass der Begriff der Natur in einer rechtlichen Diskussion zur Kennzeichnung beliebiger Sachverhalte herangezogen wird. Die terminologischen Schwierigkeiten schlagen auf diese Weise zuletzt auch auf die allgemeine Zulässigkeit von Natürlichkeitsargumenten durch: Indem sich kein eindeutiges Bild davon zeichnen lässt, was in Bezug auf den Menschen als natürlich qualifiziert werden kann, verliert ein entsprechender Einwand in erheblichem Umfang an argumentativer Schlagkraft. Der Begriff verkommt zur leeren Worthülse, der aber im rechtlichen Kontext keine Bedeutung zukommen darf.

III. Ergebnis zum Natürlichkeitsbegriff in der Debatte um biotechnologische Verfahren Die geäußerte Kritik an der Aristotelischen Unterscheidung von Natürlichem und Künstlichem verdeutlicht, dass eine daran angelehnte Begriffsdefinition, wie sie sich verstärkt in der Debatte um neue Verfahren der Biotechnik findet, erheblichen Zweifeln ausgesetzt ist. Der Begriff des Natürlichen in Bezug auf den Menschen lässt sich letztlich beliebig definieren.285 Dies allein ist zwar kein Argument gegen eine spezifische inhaltliche Ausfüllung eines Begriffs. Vielmehr kommt es insoweit vorrangig darauf an, dass auf diese Weise eine trennscharfe Bestimmung des mit dem Terminus Gekennzeichneten vorgenommen wird.286 Allerdings hat sich der in der Debatte verwendete Begriff des Natürlichen insoweit als wenig tragfähig erwie284

Dieser Umstand kann es nicht rechtfertigen, kulturelle Einflüsse im Hinblick auf die Kontingenz des menschlichen Körpers bzw. seine Entstehung in Gänze unberücksichtigt zu lassen, da sie ohnehin unvermeidlich sind. Eine entsprechende Einebnung der Kategorien in diesem Bereich müsste in aller Konsequenz dazu führen, sie auch in sämtlichen anderen davon betroffenen Lebensfeldern durchzuhalten. Wie an früherer Stelle betont (C. II.), ist die Sinnhaftigkeit einer Trennung von Kunst/Kultur und Natur nicht zuletzt unter Berücksichtigung der Rolle des menschlichen Verstandes jedenfalls im Hinblick auf die menschliche Natur fragwürdig. Soll sie aber – wie nicht zuletzt die Vertreter von Natürlichkeitsargumenten meinen – grundsätzlich aufrecht erhalten bleiben, dürfen die Konsequenzen der Differenzierung nicht durch eine Kapitulation angesichts ihrer Undurchführbarkeit in verschiedenen Bereichen gemieden werden. 285 S. Birnbacher, Bios und Zoë, S. 219, 222, 238; Keil, Ort der Vernunft, S. 192, 205 ff.; ders., Was ist der Mensch?, S. 139, 143; ders., Probleme des Naturalismus, S. 65, 72 f. Dies gilt bereits für den Begriff der Natur selbst, vgl. Mill, Drei Essays über Religion, S. 9 f. 286 S. dazu schon oben C. II.

III. Ergebnis zum Natürlichkeitsbegriff

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sen.287 Im Zentrum steht dabei die Bedeutung, die dem menschlichen Verstand innerhalb der Natürlichkeitsdefinition beigemessen wird. Soll dieser nicht ausgeblendet werden, ist seine Berücksichtigung geeignet, eine vollständige Auflösung der Unterscheidung von Künstlichem und Natürlichem zu bewirken, wie sie sich in der gegenwärtigen Debatte findet. Sofern die Vernunftbegabung des Menschen nämlich als „Natürliches“, da „Gewachsenes“ im Sinne Habermas’, eingestuft wird, kann nichts anderes für die Prozesse gelten, die infolge einer Anwendung des menschlichen Verstandes in Gang gesetzt werden. Etwa Verfahren des Enhancements oder der Reproduktionsmedizin müssten dann aber als „natürlich“ eingestuft werden. Bereits insoweit lässt der in der gegenwärtigen Diskussion um neue Verfahren der Biotechnologie verwendete Natürlichkeitsbegriff die gewünschte Trennschärfe seiner Konturierung vermissen. Dabei zeigt sich das Spannungsverhältnis, das der menschliche Verstand in die inhaltliche Ausfüllung des Begriffs der menschlichen Natur hineinträgt, nicht zuletzt in der Aristotelischen Lehre selbst. So wählt Aristoteles zur Grundlage des ergon-Arguments eine Beschreibung des menschlichen Wesens, die seine Vernunftbegabung in das Zentrum der Betrachtung rückt. Auch auf dieser Basis erscheint eine Anlehnung der momentan verwendeten Natürlichkeitsbegriffe an die Aristotelische Unterscheidung von physis und techne fragwürdig. Zuletzt steht der Annahme, dass es sich bei dem Natürlichkeitsbegriff, wie er sich in der biomedizinischen Debatte findet, um ein taugliches Arbeitsmittel im rechtlichen Kontext handelt, die Undurchführbarkeit der darin getroffenen Unterscheidung in Bezug auf den Menschen entgegen. Diese tritt insbesondere anhand der Entstehungsbedingungen menschlichen Lebens offen zu Tage, die maßgeblich durch „Gemachtes“ in Gestalt kultureller Einflüsse geprägt sind. Was Kunst oder Natur ist, lässt sich hier wie auch in anderen Bereichen der menschlichen Existenz nicht eindeutig benennen. Für die Verwendung eines Natürlichkeitsverständnisses, das eben jene Zielsetzung verfolgt, verheißt all dies nichts Gutes: Innerhalb einer rechtlichen Diskussion ist es nicht geeignet, trennscharf seinen Gegenstand zu konturieren. Sofern aber nicht mit Gewissheit gesagt werden kann, woran sich die Kritik der Vertreter von Natürlichkeitsargumenten entzündet, sind dieser Gruppe von Argumenten schon aus diesem Grund erhebliche Zweifel entgegenzubringen. Es kann nicht genügen, spezifische Verfahren der Biotechnologie herauszugreifen und als „unnatürlich“ zu deklarieren. Vielmehr bedarf es für eine solche Klassifizierung eines allgemeinen handfesten Kriteriums, das sich jedenfalls in der Theorie auch auf andere Fallgruppen übertragen ließe. Anderenfalls bleibt es bei einer rein willkürlichen Begriffsverwendung, die nicht den Anforderungen eines ernstzunehmenden Begründungsansatzes entspricht. Zu prüfen ist daher, ob sich diese Bedenken gegen Natürlichkeitsargumente auch in normativer Hinsicht weiter bestätigen. 287 Treffend daher Bayertz, GenEthik, S. 107: „Ein großer, vielleicht sogar der überwiegende Teil der Verwendungsweisen von ,menschliche Natur‘ zielt überhaupt nicht auf die Bezeichnung eines möglichst exakt angebbaren Gegenstandes, sondern will ein in der Regel nicht fest umrissenes Bild des Menschen normativ auszeichnen.“ (Hervorhebung im Original).

D. Validität von Natürlichkeitsargumenten zur Legitimation rechtlicher Verhaltensnormen im Bereich der Biomedizin Aufgeworfen ist damit die Frage nach der Validität von Natürlichkeitsargumenten innerhalb der Diskussion um die Legitimation rechtlicher Verhaltensnormen im Bereich der Biomedizin. Einer rechtlichen Regelung ist in der Vergangenheit eine Vielzahl unterschiedlicher Techniken unterworfen worden, von denen an dieser Stelle lediglich beispielhaft an die strafbewehrten Verbote der Leihmutterschaft (§ 1 Abs. 1 Nr. 7 ESchG), des Klonens (§ 6 ESchG) und des unerlaubten Umgangs mit Dopingmitteln bzw. des Selbstdopings (§§ 2, 3 AntiDopG) erinnert sein soll. In diesem Zusammenhang findet sich mit besonderer Häufigkeit der Vorwurf, die jeweiligen biomedizinischen Verfahren verstießen gegen die menschliche Natur und seien aus diesem Grund rechtlich zu untersagen. Dabei soll zur Absicherung der hier genannten rechtlichen Verbote eine Strafbewehrung dienen. Der Verstoß gegen die jeweilige Vorschrift stellt mithin zugleich strafrechtliches Unrecht dar, auf das mit Strafe reagiert werden muss. Die Frage nach der Berechtigung des jeweiligen Verbots stellt sich vor diesem Hintergrund mit besonderer Dringlichkeit. In Bezug auf das Natürlichkeitsargument soll sie nachfolgend einer ausführlichen Untersuchung unterzogen werden.

I. Allgemeine Legitimationsanforderungen rechtlicher Verhaltensnormen Der Blick fällt dabei zunächst auf die allgemeinen Legitimationsanforderungen, die für rechtliche Verhaltensnormen Geltung entfalten. Als rechtlich mit Zwang durchsetzbare Ge- bzw. Verbote beeinträchtigen Verhaltensnormen grundsätzlich jedenfalls die Handlungsfreiheit des Individuums.288 Darüber hinaus ist die Störung weiterer Interessen nicht ausgeschlossen, weshalb solche staatlichen Eingriffe der Rechtfertigung bedürfen. Diese kann unter Rückgriff auf die Vertragstheorie gelingen. Die Gründung eines Gemeinwesens einhergehend mit der Implementierung eines Rechtssystems dient danach der Garantie einer friedlichen Koexistenz der Individuen im Staat. So ist die gesellschaftsvertraglich verfasste Gemeinschaft von Personen als symbolhafte Abkehr von einer Existenz der permanenten Unsicherheit

288

Lagodny, Schranken der Grundrechte, S. 89 ff.

I. Allgemeine Legitimationsanforderungen rechtlicher Verhaltensnormen

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gegenüber der Willkür des anderen zu bewerten.289 Die Entstehung menschlicher Gemeinschaft fußt auf dem Wunsch ihrer Mitglieder, von ihrer individuellen Freiheit Gebrauch machen zu können.290 Der Gesellschaftsvertrag ist ein Akt der Freiheit, der künftige Freiheit garantieren soll. Zwar sind im „Naturzustand“ menschlicher Koexistenz obrigkeitliche Freiheitsbegrenzungen sowie Abhängigkeiten grundsätzlich nicht gegeben, sodass darin vordergründig eine ungestörte Freiheitsauslebung möglich erscheint. Jedoch kann von dieser Freiheit ausschließlich derjenige Gebrauch machen, der die dazu erforderliche Durchsetzungsmacht aufweist. Absolute Freiheit bleibt damit auch im „Naturzustand“ bloße Theorie. Sie ist wesentlich auf die Stärke des Einzelnen angewiesen, sodass die staatlich ungeregelte Koexistenz von Individuen zu einem Schreckensbild jedenfalls des Schwächeren verkommt: Er ist dem Starken in dessen Willkür schutzlos ausgeliefert. Aber selbst der temporär Stärkste kann sich der Fortdauer seiner Freiheitsentfaltung nicht mit letzter Gewissheit sicher sein: So kann nie ganz ausgeschlossen werden, dass es nicht doch einen noch Stärkeren gibt. Unbefangen wird also auch der (aktuell) Stärkste nicht von seiner Freiheit Gebrauch machen können.291 Vielmehr wird er Eigenstrategien der Gefahrenprävention entwickeln, die ihn wiederum in der Auslebung seiner Freiheit beeinträchtigen. De facto verbleibt damit von der ungebändigten Freiheit des „Naturzustands“ nur ein fader Schatten: Unkontrollierte Übergriffe sowie eine Situation permanenter Bedrohung schaffen ein Klima höchster Unfreiheit. Auf dieser Basis kann der Eintritt in eine staatliche Gemeinschaft durch Vereinbarung eines Gesellschaftsvertrags als vernunftgemäßer Befreiungsakt der Individuen klassifiziert werden.292 Die Geltung allgemeiner Regeln soll die Sicherheit gewährleisten, persönliche Freiheit grundsätzlich ohne die Beeinträchtigung durch andere ausleben zu können. Die Kontrolle der Wahrung von Interessensphären wird dabei in staatliche Hände gelegt. Eben jene Entprivatisierung des Konflikts trägt zum Bestand des friedlichen Gemeinwesens bei und reduziert gewaltsame Übergriffe, indem die Reaktion auf unzulässige Machtausübung des Einzelnen in kontrollierter Weise erfolgt. Das Einschreiten des Staates bringt zugleich die kollektive Meinung bezüglich der Unrichtigkeit spezifischer Freiheitsverletzungen durch das Individuum zum Ausdruck. Diese werden von den Mitgliedern der Gesellschaft ganz allgemein nicht akzeptiert, sodass sie künftig zu unterlassen sind.293 Der Staat über289

Hobbes, Leviathan, S. 95 f., 131 ff.; Hume, Social Contract, S. 207, 211 f.; Rousseau, Social Contract, S. 237, 244 ff., 254 ff., 262 ff., 277 ff.; v. Feuerbach, Lehrbuch, § 8; Freund, Erfolgsdelikt, S. 78; Kant, Metaphysik der Sitten, Rechtslehre, AB 157 f. (S. 424 f.); Kersting, Wohlgeordnete Freiheit, S. 199 ff.; Müller-Franken, Bethge-FS, S. 223, 250; Timm, Gesinnung und Straftat, S. 42. 290 S. zum Ganzen bereits Timm, Gesinnung und Straftat, S. 262 f. 291 Hobbes, Leviathan, S. 95; Kant, Metaphysik der Sitten, Rechtslehre, AB 157 f. (S. 424 f.); Kersting, Wohlgeordnete Freiheit, S. 201; Rousseau, Social Contract, S. 237, 244 ff., 263. 292 Timm, Gesinnung und Straftat, S. 263. 293 Isensee, Grundrecht auf Sicherheit, S. 56 f.; Kötter, KJ 2003, 64, 67; Timm, Gesinnung und Straftat, S. 263.

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nimmt als übergeordnete Instanz eine Doppelfunktion: Einerseits obliegt es ihm, einen freiheitlichen Zustand der Individuen zu gewährleisten. Im Konfliktfall tritt aber die Sicherheitsaufgabe des Staates in den Vordergrund. Durch positive Leistungen in Gestalt der Gefahrenabwehr und des Rechtsschutzes schafft er die notwendigen Bedingungen für eine ungestörte Freiheitsausübung der Individuen. Die Freiheitsgarantie verlangt daher zugleich nach Begrenzung von Freiheit, sodass sich die Funktion des Staates sowohl auf den rechtsstaatlichen Schutz als auch auf die rechtsstaatliche Freiheitsgewährleistung erstreckt.294 In der Konsequenz setzen rechtliche Verhaltensvorschriften der individuellen Freiheit Grenzen, die im „Naturzustand“ menschlicher Koexistenz nicht bestehen. Insoweit geht die Abkehr des Einzelnen von den Gefahren des „Kriegs aller gegen alle“ mit einer Unterwerfung (gleichsam aller) unter die gemeinsamen Normen einher, die sich die Gemeinschaft als verbindlich auferlegt. Damit sind es die rechtlichen Vorschriften selbst, die das Gemeinwesen der Personen im Staat konstituieren, indem sie den Zustand friedlicher Koexistenz unter der Voraussetzung ihrer anhaltenden Geltung garantieren.295 In der Entscheidung der Person gegen die Fortdauer des Krieges im „Naturzustand“ menschlicher Koexistenz und für die Vereinbarung einer Ordnung des Friedens liegt zugleich die Zustimmung, sämtliche Verhaltensnormen einzuhalten, die für das Fortbestehen der durch das Recht konstituierten Gemeinschaftsform erforderlich sind. Den Einzelnen trifft insoweit eine Beteiligungspflicht bezüglich der Einhaltung von Normen, die sich zunächst296 in der Bereitschaft zur Normbefolgung erschöpft.297 Sonach setzt sich die Gemeinschaft aus grundsätzlich freien Individuen zusammen, die trotz des gesellschaftlichen Zusammenschlusses in größtmöglichem Umfang von ihrer persönlichen Freiheit Gebrauch machen wollen.298 Zwar büßt das Individuum als Teil des Ganzen die Fähigkeit zu schrankenloser Freiheit ein. Jedoch überwiegen die damit einherge-

294 Calliess, DVBl 2003, 1096, 1100 f.; Isensee, Grundrecht auf Sicherheit, S. 21 ff., 32 ff., 48 ff.; Robbers, Sicherheit als Menschenrecht, S. 121 ff., 186 ff.; v. Humboldt, Grenzen der Wirksamkeit des Staates, insbesondere S. 65 ff. – Zum staatstheoretischen Hintergrund der Annahme einer solchen Doppelfunktion vgl. Isensee, Grundrecht auf Sicherheit, S. 3 ff.; Robbers, Sicherheit als Menschenrecht, S. 27 ff. (2. Teil). S. zur staatlichen Schutzaufgabe bereits Hobbes, Leviathan, S. 131 ff., 255. 295 Timm, Gesinnung und Straftat, S. 42. Vgl. ferner Jakobs, Verantwortung in Recht und Moral, S. 57, 59 ff., 68 f.; ders., Strafe muß sein! Muß Strafe sein?, S. 29, 32. In diesem Sinne auch Freund, Erfolgsdelikt, S. 78; Peralta, ZIS 2008, 506, 510. 296 Dazu, dass diese Pflicht sich im Fall des Normbruchs in die Pflicht zur Duldung der Verhängung von Strafe umwandelt, s. Timm, Gesinnung und Straftat, S. 42 f. 297 Timm, Gesinnung und Straftat, S. 42 f. S. auch Jakobs, Verantwortung in Recht und Moral, S. 57, 61, 68 f.; ders., Rechtsphilosophische Kontroversen, S. 135, 136; Pawlik, Person, Subjekt, Bürger, S. 82 ff., 90; Peralta, ZIS 2008, 506, 511. 298 S. dazu, dass diese Vorstellung dem Menschenbild eines freiheitlichen Gemeinwesens entspricht, Grünewald, Tötungsdelikt, S. 114 ff., 119 ff.; Kersting, Wohlgeordnete Freiheit, S. 47 f.; Müller-Franken, Bethge-FS, S. 223, 249 f.

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henden Vorzüge, weshalb der Einzelne bereitwillig auf einen Teil seiner Freiheit verzichtet, um die ihm verbleibenden Freiheitsrechte geschützt zu wissen.299 Die geschlossene Vereinbarung zur Gründung einer Gemeinschaft steht und fällt daher mit der Gewährleistung größtmöglicher Freiheitssphären ihrer Mitglieder.300 In der Konsequenz darf allein unter der Voraussetzung in die Rechte des Einzelnen eingegriffen werden, dass dieser durch seine persönliche Freiheitsentfaltung in unzulässiger Weise die Freiheit anderer beeinträchtigt.301 Der Einzelne kann von seiner Freiheit in dem Maße Gebrauch machen, in dem er nicht störend die Sphäre anderer tangiert. Die Implementierung rechtlicher Verhaltensnormen ist daher maßgeblich durch die ihr originär anhaftende Konfliktlage widerstreitender Güter und Interessen gekennzeichnet. Sollen Verhaltensnormen dem Anspruch einer freiheitlichen Ordnung entsprechen, das größtmögliche Maß an Freiheit aller Individuen zu gewährleisten, bedarf es durch sie eines gerechten Interessenausgleichs. Die Etablierung rechtlicher Verhaltensvorschriften ist daher dominiert durch Fragen der Verhältnismäßigkeit (im weiteren Sinne) eines solchen Eingriffs in Rechte der Individuen.302 Im Rechtsstaat garantiert der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, dass Freiheitsinteressen lediglich in dem Umfang beschnitten werden, der die Vermeidung unzulässiger Störungen der Rechte eines anderen garantiert. 1. Grundsatz der Verhältnismäßigkeit Dies setzt voraus, dass die Verhaltenskontrolle durch Aufstellung einer Norm zu dem angestrebten Schutz eines Rechtsguts geeignet, erforderlich und angemessen im engeren Sinne ist.303 Zu Beginn der Verhältnismäßigkeitsprüfung stellt sich mithin die Frage nach einem „legitimen Zweck“, den der Gesetzgeber mit der Verhaltensvorschrift verfolgt. Im Kontext der Verhaltenssteuerung durch rechtliche Verhaltensnormen erfordert dieser Schritt besondere Aufmerksamkeit.304 Bevor Fragen der Geeignetheit, Erforderlichkeit und Angemessenheit im engeren Sinne diskutiert werden können, ist von entscheidender Bedeutung, ob sich für eine konkrete Ver299

Timm, Gesinnung und Straftat, S. 81. Vgl. dazu auch Hobbes, Leviathan, S. 100 f., 136 ff.; Isensee, Grundrecht auf Sicherheit, S. 44 ff.; Kersting, Wohlgeordnete Freiheit, S. 222 ff.; Rousseau, Social Contract, S. 237, 277 f. 301 Maunz/Dürig/Grzeszick, GG, 75. EL September 2015, Art. 20 Rn. 109; Timm, Gesinnung und Straftat, S. 82. 302 Freund, Herzberg-FS, S. 225, 229 f.; ders., AT, § 1 Rn. 4, 12 ff.; ders., Erfolgsdelikt, S. 52 ff., 73 ff., 109 ff.; ders., GA 1995, 4, 6 f.; ders., Straftat, S. 43, 46 f.; Frisch, Stree/WesselsFS, S. 69, 82 f.; Haffke, Generalprävention, S. 68 f., 76 ff.; Kindhäuser, Gefährdung, S. 182 f., 185 f.; Silva Sanchez, Expansion des Strafrechts, S. 61 ff.; Timm, Gesinnung und Straftat, S. 64. 303 Vgl. zum Grundsatz der Verhältnismäßigkeit Dechsling, Verhältnismäßigkeitsgebot; Grabitz, AöR 98 (1973), 568 ff.; M. Ch. Jakobs, Verhältnismäßigkeit; HB des Staatsrechts I/ Schmidt-Aßmann, § 24 Rn. 87; Stern, Staatsrecht III, HB 2, § 84 II 1 ff.; Wendt, AöR 104 (1979), 414 ff. 304 S. zum Ganzen bereits Timm, Gesinnung und Straftat, S. 65 f. 300

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haltensvorschrift überhaupt ein mit der freiheitlichen Rechtsordnung in Einklang zu bringender – insoweit legitimer – Zweck benennen lässt. Um eine rechtsstaatliche Verhaltensanforderung kann es sich dann nicht handeln, wenn der damit intendierte Zweck den Grundideen der Verfassung zuwider läuft. Vielmehr muss dieser selbst Ausdruck einer freiheitlichen Grundordnung sein – anderenfalls bedarf es einer Prüfung der Geeignetheit oder weiterer, nachgelagerter Schritte nicht mehr. Vor diesem Hintergrund erscheint es vorzugswürdig, das kritische Potential des Kriteriums eines legitimen Zwecks zu nutzen und bereits im Vorfeld des Einsteigens in die Prüfung der Verhältnismäßigkeit solche staatlichen Eingriffsakte auszuscheiden, die nicht in Einklang mit den Anforderungen der Verfassung stehen.305 Zu denken ist insoweit etwa an die Grenzen, die der Gesetzesvorbehalt des jeweils einschlägigen Grundrechts sowie die Gleichheitsgrundrechte setzen.306 Daneben kommt eine Einschränkung der Möglichkeit des Gesetzgebers, beliebige Zwecke mit einer Verhaltensvorschrift zu verfolgen, durch ausdrückliche oder stillschweigende verfassungsrechtliche Verbote in Betracht. Ein solches hält etwa Art. 26 Abs. 1 GG (Vorbereitung eines Angriffskrieges) bereit. Eine Frage der Legitimität des mit der konkreten Verhaltensnorm verfolgten Zwecks ist außerdem dessen Bestimmbarkeit.307 Zur legitimen Verhaltenskontrolle ungeeignet erweisen sich solche Rechtsgüter und Interessen, die sich inhaltlich kaum mehr greifen lassen. So muss dem potentiellen Normadressaten immerhin bewusst sein, welches Schutzinteresse durch die spezifische Verhaltensanforderung geschützt werden soll. Ist hingegen der Sinn einer „Verhaltensnorm“ nicht oder nur unter in der konkreten Situation nicht zu leistender Geistesanstrengung erfassbar, wird dem 305 Der Gedanke der Rechtsstaatlichkeit von Hoheitsakten beherrscht sämtliche Ebenen der Verhältnismäßigkeitsprüfung im weiteren Sinne. Proportionalität kommt daher nicht lediglich in der Herstellung einer verhältnismäßigen Relation zwischen widerstreitenden Interessen zum Ausdruck. Darüber hinaus bedarf es einer dritten Bezugsgröße zur Herstellung von Verhältnismäßigkeit in Gestalt der grundgesetzlich vorgegebenen Ordnungs- und Wertstruktur (vgl. M. Ch. Jakobs, Verhältnismäßigkeit, S. 24; Stern, Staatsrecht III, HB 2, § 84 II 4c ff.; Wendt, AöR 104 (1979), 414, 455 f.). Gleichwohl erscheint es vorzugswürdig, insoweit an früherer Stelle anzusetzen. Fragen der Geeignetheit und Erforderlichkeit mit Blick auf einen verfassungswidrigen Zweck zu diskutieren, rückt diese Kriterien fälschlich in ein jedenfalls verfassungs-autarkes Licht. Die Verfassungskonformität des mit der Verhaltensnorm verfolgten Zwecks stellt daher eine wesentliche Grundvoraussetzung für den Einstieg in die Verhältnismäßigkeitsprüfung dar. Dieser Aspekt lässt sich durchaus als Element der Geeignetheit verstehen (so Dechsling, Verhältnismäßigkeitsgebot, S. 79; M. Ch. Jakobs, Verhältnismäßigkeit, S. 60 f.; Stern, Staatsrecht III, HB 2, § 84 II 2a.). Wer Geeignetheit nicht mit Zweckmäßigkeit gleichsetzt, muss auf dieser Ebene auch die Frage stellen, ob das mit der Etablierung einer rechtlichen Verhaltensnorm angestrebte Ziel mit den Vorgaben der freiheitlichen Grundordnung in Einklang steht. Ein verfassungswidriger Zweck ist prinzipiell ungeeignet. Überzeugend ist aber, die Überprüfung der verfassungsrechtlichen Unbedenklichkeit des angestrebten Zwecks als eigenständigen Filter der Geeignetheitskontrolle heranzuziehen. Wie hier Freund, Erfolgsdelikt, S. 53 f.; ders., GA 2010, 193, 193; Timm, Gesinnung und Straftat, S. 66 m. Fn. 174. 306 Lagodny, Schranken der Grundrechte, S. 141. 307 S. bereits Timm, Gesinnung und Straftat, S. 66.

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Betreffenden blinder Gehorsam abverlangt. Dies ist aber mit dem Bild des vernunftbegabten Bürgers als Kernelement einer freiheitlich verfassten Gemeinschaft nicht in Einklang zu bringen. Echte Verhaltensmotivation gelingt ausschließlich auf der Basis verstehbarer Regelungen des Miteinanders. Normverständnis setzt aber unmittelbar am Schutzgegenstand der Verhaltensvorschrift an.308 Unbestimmbare Rechtsgüter stellen daher keinen legitimerweise mit rechtlichen Verhaltensnormen zu verfolgenden Zweck dar. Im Anschluss an die Bestimmung eines legitimen Schutzinteresses der jeweiligen Verhaltensvorschrift schließt sich die Frage nach deren Geeignetheit, Erforderlichkeit und Angemessenheit zur Zweckerreichung an. Vorausgesetzt ist für das Eignungskriterium die generelle Tauglichkeit des Mittels (rechtliche Verhaltensnorm) zum angestrebten Zweck (Rechtsgüterschutz). Erforderlich ist eine solche Maßnahme immer dann, wenn das angestrebte Ziel nicht mit einem weniger schwerwiegenden Eingriff ebenso effektiv erreicht werden könnte. Zuletzt verlangt die Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne nach einem adäquaten Verhältnis des Mittels zur Verhaltenssteuerung zum angestrebten Zweck. Dabei erweisen sich gegenseitige Interdependenzen der dargestellten Kontrollschritte als unumgänglich.309 Hierbei handelt es sich um eine Systemimmanenz, die dem Bedürfnis nach Abschichtung nicht entgegensteht. Sofern Erwägungen der Angemessenheit eines staatlichen Eingriffsakts in Form rechtlicher Verhaltensge- bzw. -verbote Rückschlüsse auf deren Geeignetheit oder Erforderlichkeit zulassen, kommt darin lediglich der allgemeine Gedanke des Interessenwiderstreits zum Ausdruck, der federführend den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit umspannt. Die Prüfung der vorgelagerten Schritte wird damit aber nicht irrelevant. Vielmehr ermöglicht die insoweit abgeschichtete Kontrolle den vorzeitigen Ausschluss solcher staatlichen Akte, die „bereits nicht“ geeignet oder erforderlich sind. In einem solchen Fall erübrigt sich die dezidierte Auseinandersetzung mit den widerstreitenden Interessen und deren jeweiligem Gewicht etc. Jedenfalls prüfungsökonomische Gründe sprechen daher für eine getrennte Betrachtung der „Ebenen“ von Geeignetheit und Erforderlichkeit. Hieran ändert sich nichts, sollte sich nachträglich die Unangemessenheit des jeweiligen Eingriffsakts herausstellen. 2. Maßgeblichkeit der Adressatenperspektive Verhaltensreglementierung durch das Aufstellen von rechtlich verbindlichen Verhaltensnormen dient dem präventiven Schutz von Rechtsgütern.310 Dabei erweist es sich als wenig sinnvoll, Verhaltensnormen durchsetzen zu wollen, ohne dabei die 308

Beck, Vorfeldkriminalisierung, S. 94 ff. Timm, Gesinnung und Straftat, S. 65. Vgl. ferner bereits Freund, GA 2010, 193 f.; Reus, Recht in der Risikogesellschaft, S. 81 ff. 310 Mir Puig, ZStW 108 (1996), 759, 760; Renzikowski, Restriktiver Täterbegriff, S. 239; Timm, Gesinnung und Straftat, S. 41 f. S. dazu noch unten D. II. 1. 309

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faktischen Möglichkeiten des jeweiligen Normadressaten zu berücksichtigen. Aus diesem Grund muss sich die Verhaltensnormbegründung am Grundsatz des ultra posse nemo obligatur ausrichten. Unzulässig ist es danach, an den Einzelnen Anforderungen zu stellen, die ihm mehr abverlangen, als er konkret zu leisten imstande ist. Erkennt der potentielle Normadressat daher irrtumsbedingt die konkreten Schädigungsmöglichkeiten seines Verhaltens nicht und war diese Fehleinschätzung für ihn auch nicht vermeidbar, so kann von ihm kein abweichendes Verhalten verlangt werden.311 Eine erfolgreiche Motivation zu einem bestimmten Tun oder Unterlassen kann ausschließlich in Orientierung an der ex ante-Perspektive des Normadressaten erfolgen. Anderenfalls würden unrealistische, da unmöglich zu erfüllende Verhaltensanforderungen an die Mitglieder der Rechtsgemeinschaft gestellt werden, die sich aber nicht legitimieren ließen.312 Für die Maßgeblichkeit der Adressatenperspektive im Rahmen der rechtlichen Verhaltensbeurteilung spricht außerdem, dass es wenig sachgerecht wäre, bestimmte Verhaltensweisen, die ex ante aus Sicht des betroffenen Normadressaten eine Störungsmöglichkeit aufweisen, im Wege des Perspektivenwechsels als erlaubt zu beurteilen.313 Erkennt der Betreffende, dass mit seinem Verhalten die Möglichkeit der Beeinträchtigung fremder Güter und Interessen einhergeht, trifft ihn ein Handlungsverbot, sofern seine Vorstellung nicht lediglich auf unrichtiger Subsumtion

311 Mit dem Ziel des effektiven Rechtsgüterschutzes ist es ausschließlich vereinbar, unvermeidbare Irrtümer des Einzelnen zu berücksichtigen. Anderenfalls ließe sich der Schutz von Rechtsgütern gegenüber dem Unachtsamen nicht realisieren. Mit dieser Erkenntnis geht einher, dass die Verbindlichkeit der Adressatenperspektive im Rahmen der Legitimation rechtlicher Verhaltensnormen nicht gleichbedeutend ist mit bloßer Subjektivität. Der Sicht des potentiellen Normadressaten ist ein angemessener Stellenwert in der Perspektivenfrage einzuräumen. Dem wird aber hinreichend Rechnung getragen, wenn ausschließlich individuell unvermeidbare Irrtümer die Verhaltensreglementierung ausschließen. S. dazu bereits Timm, Gesinnung und Straftat, S. 67 sowie Freund, Erfolgsdelikt, S. 55 f.; Frisch, Vorsatz und Risiko, S. 128 ff.; Rostalski, GA 2016, 73, 76. Vgl. auch Malitz, Der untaugliche Versuch, S. 182 ff. 312 S. dazu ausführlich Freund, AT, § 2 Rn. 23 ff.; ders., GA 1991, 387, 390 ff.; ders., Erfolgsdelikt, S. 56 ff.; Frisch, Vorsatz und Risiko, S. 76, 124 f., 128, 352 ff., 357 f., 425; ders., Straftat, S. 135, 175 ff.; s.a. Beck, Vorfeldkriminalisierung, S. 151; Heckler, Ermittlung der Rücktrittsleistung, S. 85 ff.; Rudolphi, Armin Kaufmann-FS, S. 371, 377 ff.; Timm, Gesinnung und Straftat, S. 67 f. Gegen eine Orientierung an der Adressatenperspektive sprechen sich hingegen Burkhardt, in: Straftat, S. 99, 134 sowie Kindhäuser, Gefährdung, S. 60 ff., 169 ff. aus. Der Unterschied gegenüber Kindhäusers Position relativiert sich jedoch, wird die von ihm vorgenommene Differenzierung zwischen „Normwidrigkeit“ und „Pflichtwidrigkeit“ berücksichtigt. Erstere bezieht sich auf Verstöße gegen „Verhaltensnormen“, die aus Sicht Kindhäusers ex post zu bestimmen seien, während die Bildung einer Pflicht ex ante zu erfolgen habe (Gefährdung, S. 59). Insoweit zeigen sich Übereinstimmungen zwischen den hier als „Verhaltensnormverstoß“ und bei Kindhäuser als „Pflichtwidrigkeit“ bezeichneten Sachverhalten, Rostalski, GA 2016, 73, 76 m. Fn. 13. – S. zur Geltung des Grundsatzes ultra posse nemo obligatur im Bereich der Ethik Birnbacher, Ethik, S. 172. 313 Freund, AT, § 2 Rn. 25 ff.; ders., Erfolgsdelikt, S. 56 ff., 98 ff.; Frisch, Vorsatz und Risiko, S. 76 ff.; Timm, Gesinnung und Straftat, S. 67 f.

II. Exkurs: Aufgabe und Legitimation von Strafe im Rechtsstaat

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unter die gesetzlichen Merkmale einer Straftat (Wahndelikt) beruht.314 Etwas anderes kann sich nicht daraus ergeben, dass aus anderer Perspektive die wahren – ungefährlichen – Umstände des Täterverhaltens zu Tage treten. Eine Verhaltensmotivation durch Rechtsnormen könnte nicht erfolgreich gelingen, sofern sich der Normadressat stets Zweifeln ausgesetzt sehen müsste, ob seine eigene Sichtweise der Verhaltensbeurteilung zugrunde gelegt wird.315 Unter diesen Umständen könnte vielmehr ein gewisses Vertrauen darauf entstehen, dass die Sachlage im Nachhinein doch nicht so gewesen ist, wie sie sich dem Betreffenden in der konkreten Situation dargestellt hat. Der Geltungskraft einzelner Verhaltensnormen träte damit die Hoffnung auf deren situatives Nichtvorliegen entgegen. In der Folge läge es im Ermessen des Einzelnen und nicht der Rechtsordnung, ob ein bestimmtes Risiko eingegangen werden darf oder nicht. Wer selbst bei erhöhter Schädigungswahrscheinlichkeit den Rechtsgütern Anderer noch Risiken zumutet, stellte somit eine erhebliche Gefahr für die Rechtsordnung dar: Indem er sich häufiger für das risikoreiche Verhalten entschiede, käme es zu einer gesteigerten Zahl an tatsächlichen Güterbeeinträchtigungen. Allein legitim kann es daher sein, dem Einzelnen in Abhängigkeit von seiner eigenen Perspektive bestimmte Ge- oder Verbote aufzuerlegen.

II. Exkurs: Aufgabe und Legitimation von Strafe im Rechtsstaat Der Gesetzgeber hat es in der Vergangenheit in den meisten Fällen als erforderlich erachtet, die rechtlichen Ver- bzw. Gebotsnormen im biomedizinischen Bereich zusätzlich durch die Androhung von Strafe im Fall der Zuwiderhandlung abzusichern. Gegenstand der vorliegenden Arbeit ist es, die Berechtigung von Natürlichkeitsargumenten im Bereich der Begründung rechtlicher Verhaltensnormen kritisch zu hinterfragen. Weil die entsprechenden Rechtsvorschriften allerdings zumeist eine Strafbewehrung erfahren haben, lohnt der zusätzliche Blick auf die Rechtfertigung von Strafe innerhalb eines freiheitlichen Gemeinwesens. 1. Normentheoretische Trennung von Verhaltensund Sanktionsnormen Als das „schärfste Schwert des Staates“ ermöglicht das Strafrecht im Vergleich zu anderen Rechtsgebieten besonders erhebliche Eingriffe in die Freiheitsrechte des Bürgers. Es ist Teil des öffentlichen Rechts und unterliegt daher denselben Bindungen, die allgemein zur Legitimität staatlicher Eingriffsakte aufgestellt 314

Zum Wahndelikt s. Freund, AT, § 8 Rn. 34 ff.; Heinrich, AT, Rn. 681 ff.; Köhler, Strafrecht, S. 455 ff., 463. 315 Freund, Erfolgsdelikt, S. 57 ff., 75 ff.; Frisch, Vorsatz und Risiko, S. 353 ff.; Timm, Gesinnung und Straftat, S. 68.

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werden.316 Strafe ist daher allein unter der Voraussetzung gerechtfertigt, dass sie einem Zweck dient, der den Eingriff in elementare Freiheitsinteressen des Einzelnen legitimiert. Zweckfreie Strafe – Schuldausgleich um seiner selbst willen – ist nicht zu vereinbaren mit den verfassungsrechtlichen Vorgaben für staatliche Hoheitsakte, die Rechte des Bürgers beschränken. Ein legitimes Strafrecht ist daher dem Rechtsgüterschutz317 verschrieben.318 Zum realen Schutz konkret betroffener Rechtsgüter des Einzelnen bzw. der Allgemeinheit (Leben, Körperintegrität etc.) kommt Strafe allerdings stets zu spät: Die Bestrafung des Täters erfolgt immer erst dann, wenn sich die relevante Tat ereignet hat und das konkrete Schutzgut nicht mehr zu retten ist. Zu diesem Zeitpunkt ist es bereits zu einer Schädigung bzw. Gefährdung gekommen, die (auch) strafrechtlich nicht gewollt ist. Das Strafrecht bietet damit allenfalls einen sekundären Schutz.319 Damit kann festgehalten werden, dass Rechtsgüterschutz durch Strafe jedenfalls nicht für das konkret beeinträchtigte Interesse verwirklicht werden kann. Dies zeigt sich besonders deutlich im Bereich der Verletzungsdelikte: Der Tote kann durch Strafe nicht in den Kreis der Lebenden zurückgeholt werden, zerstörte Gegenstände erlangen ihre ursprüngliche Form nicht zurück. Denkbar ist sogar, dass sich Strafe als hinderlich im Hinblick auf die Wiedergutmachung eines dem Opfer zugefügten Schadens erweist: Die Verhängung einer Geldstrafe kann der Verwirklichung einer finanziellen Schadloshaltung des Betrogenen durch Ersatzansprüche gegenüber dem Täter gerade entgegenstehen. Gelingt durch Strafe jedoch allenfalls ein sekundärer Rechtsgüterschutz, müssen für ihre Legitimation weitere Überlegungen angestrengt werden. Erforderlich ist eine Vergewisserung derjenigen Normenkategorien, die das Strafrecht im Kern ausmachen.320 Rechtlich relevante Interessen können allein durch das 316

Zu den Legitimationsbedingungen staatlicher Rechtseingriffe s. BVerfGE 45, 187, 253 f.; Appel, Verfassung und Strafe; Frisch, Tatbestandsmäßiges Verhalten, S. 77 ff., 139 ff.; Lagodny, Schranken der Grundrechte; Roxin, AT I, § 1 Rn. 5. 317 Vgl. zum Rechtsgutsbegriff Hefendehl, Kollektive Rechtsgüter, S. 5 ff. (§ 2); Jakobs, AT, 2/7 ff., 12 ff.; Kindhäuser, Gefährdung, S. 137 ff.; Lagodny, Schranken der Grundrechte, S. 21 ff., 138 ff.; Meyer, Gefährlichkeitsdelikte, S. 120 ff.; Renzikowski, ARSP-Beiheft 104 (2005), 115, 119 ff.; Roxin, AT I, § 2 Rn. 2 ff.; Stratenwerth, Lenckner-FS, S. 377 ff. 318 Freund, AT, § 1 Rn. 2; ders., Erfolgsdelikt, S. 82 f.; ders., GA 2010, 193, 194 f.; Frisch, Vorsatz und Risiko, S. 47; Gropp, AT, § 1 Rn. 108 ff.; Heinrich, AT, Rn. 3 ff.; Jakobs, AT, 2/7; Meyer, Gefährlichkeitsdelikte, S. 18 ff.; Roxin, AT I, § 2 Rn. 1 ff.; SK-StGB/Rudolphi, 26. Lfg. Juni 1997, Vor § 1 Rn. 2; Timm, Gesinnung und Straftat, S. 40 ff.; LK-StGB/Walter, Vor § 13 Rn. 8 ff.; Wolter, Objektive und personale Zurechnung, S. 24 f. 319 Freund, AT, § 1 Rn. 6, 12; ders., Erfolgsdelikt, S. 80 f.; ders., GA 2010, 193, 195; Lesch, Verbrechensbegriff, S. 181; Timm, Gesinnung und Straftat, S. 40 f. 320 Bentham, Of Laws in General, S. 133 ff., 137 ff.; Binding, Handbuch des Strafrechts, S. 155 ff.; Burkhardt, Rücktritt als Rechtsfolgebestimmung, S. 157 f.; Freund, AT, § 1 Rn. 5 ff.; ders., Erfolgsdelikt, S. 51 ff., 112 f.; ders., GA 1995, 4 ff.; ders., GA 2010, 19, 195 ff.; ders., Straftat, S. 43, 46 f.; Frisch, Tatbestandsmäßiges Verhalten, S. 77 ff., 348, 356 ff.; ders., Von totalitärem zu rechtsstaatlichem Strafrecht, S. 201, 202; ders., Stree/Wessels-FS, S. 69, 82 f.; Hörnle, Kriminalpolitischer Impetus, S. 105, 112 ff.; Kindhäuser, Gefährdung, S. 132 ff.;

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Vermeiden gütergefährdender Verhaltensweisen geschützt werden. Sollen Rechtsgüter für die Zukunft vor Beeinträchtigungen sicher sein, setzt dies ein entsprechendes Vermeideverhalten der Bürger voraus. Dazu bedarf es entsprechender Ge- bzw. Verbote, die zu rechtlich gewolltem Verhalten motivieren. Sofern sich der Einzelne in seinem Tun oder Unterlassen an diesen Vorschriften orientiert, kann auf diese Weise unmittelbarer Rechtsgüterschutz verwirklicht werden. So dient etwa die rechtlich verbindliche Verhaltensnorm des Tötungsverbots dem direkten Lebensschutz. Verhaltenskontrolle setzt damit weit im Vorfeld der strafrechtlichen Beurteilung ein. Primärer Rechtsgüterschutz erfolgt durch die Etablierung rechtlicher Ver- und Gebote. Für die strafrechtlichen Sanktionsnormen verbleibt allein die Reaktion auf Verstöße gegen rechtlich legitimierte Verhaltensnormen. Auf dieser Erkenntnis gründet die Beantwortung der Frage nach dem Zweck von Strafe in einem freiheitlichen Rechtsstaat. 2. Ablehnung präventiver Strafzwecklehren Dabei gilt es zunächst, all jenen Strafzwecklehren eine Absage zu erteilen, die die Rechtfertigung von Strafe auf präventive Erwägungen stützen. Diese können sich nicht vom Makel der unzulässigen Instrumentalisierung des Einzelnen zu gesellschaftlichen Zwecken lösen. Vielmehr sind sie untrennbar mit ihm verbunden. Weil sie den Straftäter in seiner Subjektqualität missachten, stehen sie nicht in Einklang mit dem Menschenbild eines freiheitlich verfassten Gemeinwesens. Positivrechtlich findet Letzteres seinen Ausdruck insbesondere in dem Grundrechtskatalog des Grundgesetzes (einhergehend mit den rechts- und sozialstaatlichen Zielbestimmungen) sowie dem Menschenwürdepostulat des Art. 1 Abs. 1 GG, das die Würde des Menschen als „unantastbar“ deklariert. Diesen Vorschriften ist ein verfassungsrechtliches Menschenbild zu entnehmen, das insbesondere die Achtung eines selbstbestimmten Lebensentwurfes in den Fokus rückt.321 Zur Definition des Begriffs der Menschenwürde wird verbreitet auf die „Objektformel“ zurückgegriffen. Danach ist der Mensch in seiner Würde beeinträchtigt, sofern er „zum Objekt, zu einem bloßen Mittel, zur vertretbaren Größe herabgewürdigt“ wird.322 Ideengeschichtlich steht die positivierte Verfassungsnorm des Menschenwürdesatzes vor allem in der Tradition der Moralphilosophie Kants.323 Deren Zentrum bildet der Kategorische Mikus, Verhaltensnorm, S. 20 f.; Otto, Jura 1995, 468, 471; Renzikowski, ARSP-Beiheft 104 (2005), 115, 116 ff.; ders., Restriktiver Täterbegriff; ders., Gössel-FS, S. 3 ff.; Timm, Gesinnung und Straftat, S. 41 ff. 321 Maunz/Dürig/Herdegen, GG, 75. EL September 2015, Art. 1 Abs. 1 Rn. 28. 322 BVerfGE 9, 89, 95; 27, 1, 6; 28, 386, 391; 45, 187, 228; 50, 166, 175; 87, 209, 228; vgl. außerdem BVerfGE 5, 85, 204; 7, 198, 205; BVerwG, NJW 1982, 664, 664. S. noch unten D. III. 5. a) ausführlich zur Auseinandersetzung mit dem Menschenwürdepostulat sowie der Frage nach einer Verletzung der Menschenwürde durch das reproduktive Klonen und Enhancementverfahren. 323 T. Gutmann, Jahrbuch für Wissenschaft und Ethik 15 (2010), 5, 6; Kersten, Klonen, S. 408 ff., 444 ff. S. außerdem Dreier/H. Dreier, Grundgesetz, Art. 1 Abs. 1 Rn. 5 ff. m. w. N.

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Imperativ, den Kant unter anderem in der Fassung der sogenannten Zweckformel formuliert.324 Danach gilt: „Handle so, daß du die Menschheit, sowohl in deiner Person, als in der Person eines jeden andern, jederzeit zugleich als Zweck, niemals bloß als Mittel brauchest.“325 Bei der Zweckformel handelt es sich um das „Urbild des Prinzips des Respekts vor Personen“.326 Von entscheidender Bedeutung ist daher die Frage nach den Kriterien, die den Personenstatus begründen. Kants Antwort fällt insoweit eindeutig aus: So liege der Grund dafür, einen Menschen als Person anzuerkennen und ihn in der Folge an dem Achtungskonzept der Zweckformel teilhaben zu lassen, nicht etwa in dessen biologischer Natur.327 Vielmehr sei es die Vernunft des Einzelnen, die seinen Status als Person begründe: Das Personsein setze die „aktuell vorhandene Fähigkeit zur Selbstbestimmung“ voraus.328 Auf diese Weise ist zugleich eine inhaltliche Bestimmung des Würdekonzepts vollzogen, wie es bei Kant begegnet. Danach sind Würde und Selbstbestimmung nicht voneinander zu trennen: „Autonomie ist (…) der Grund der Würde der menschlichen und jeder vernünftigen Natur.“329 Mit der Anerkennung der Würde des Einzelnen gehen in der Kantischen Moralphilosophie bedeutsame Konsequenzen einher. Danach stehen „vernünftige Wesen (…) alle unter dem Gesetz, daß jedes derselben sich selbst und alle andere niemals bloß als Mittel, sondern jederzeit zugleich als Zweck an sich selbst behandeln solle.“330 In dieser Hinsicht unterscheidet sich der selbstbestimmte Mensch von anderen Lebewesen: Er allein „ist über allen Preis erhaben; denn als ein solcher (homo noumenon) ist er nicht bloß als Mittel zu anderer ihren, ja selbst seinen eigenen Zwecken, sondern als Zweck an sich selbst zu schätzen, d.i. er besitzt eine Würde (einen absoluten innern Wert), wodurch er allen andern vernünftigen Weltwesen Achtung für ihn abnötigt“.331 Jeder Mensch hat daher einen „rechtmäßigen Anspruch auf Achtung von seinen Nebenmenschen, und wechselseitig ist er dazu auch gegen jeden anderen verbunden. Die Menschheit selbst ist eine Würde; denn der Mensch kann von keinem Menschen (weder von anderen noch so gar von sich selbst) bloß als Mittel, sondern muß jederzeit zugleich als Zweck gebraucht werden und darin besteht eben seine Würde (die Persönlichkeit), dadurch er sich über alle andere zu einer kritischen Auseinandersetzung mit der verbreiteten Annahme, dem Christentum könne die Urheberschaft am Gedanken der Menschenwürde zugesprochen werden. 324 T. Gutmann, Jahrbuch für Wissenschaft und Ethik 15 (2010), 5, 6. S. dort auch zu Nachweisen in Bezug auf weitere Fassungen des Kategorischen Imperativs. 325 Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, BA 67 (S. 61). 326 T. Gutmann, Jahrbuch für Wissenschaft und Ethik 15 (2010), 5, 7. 327 T. Gutmann, Jahrbuch für Wissenschaft und Ethik 15 (2010), 5, 7 f. 328 T. Gutmann, Jahrbuch für Wissenschaft und Ethik 15 (2010), 5, 8. S. ferner Esser, Kants Tugendlehre, S. 141: Kant begreift „die ethische Orientierung unseres Handelns als Selbstnormierung des Handelnden, als Autonomie“. Der Kategorische Imperativ formuliert daher „die Struktur der Freiheit und bestimmt sie als Verbindlichkeit“. 329 Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, BA 79 (S. 69). S. näher zum Kantischen Autonomiebegriff Esser, Kants Tugendlehre, S. 157. 330 Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, BA 75 (S. 66). 331 Kant, Metaphysik der Sitten, Rechtslehre, AB 94 (S. 380).

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Weltwesen, die nicht Menschen sind, und doch gebraucht werden können, mithin über alle Sachen erhebt.“ Er ist „verbunden, die Würde der Menschheit an jedem anderen Menschen praktisch anzuerkennen, mithin ruht auf ihm eine Pflicht, die sich auf die jedem anderen Menschen notwendig zu erzeigende Achtung bezieht.“332 Dieses Verständnis von Menschenwürde, das in unmittelbarem Zusammenhang mit der Fähigkeit des Einzelnen zu Selbstbestimmung steht, hat Eingang in das Programm liberaler Rechtsstaaten gefunden.333 „Der Begriffsinhalt des Prinzips des Respekts für eine Person qua Person hat sich so zum Respekt vor der Rechtsperson und ihren Freiheitsrechten erweitert; gefordert ist nicht nur Achtung vor der moralischen Autonomie des Subjekts, sondern auch, dem Einzelnen die eigene Interpretation seines Lebens zu überlassen und sein Recht auf Selbstbestimmung als ein Souveränitätsrecht zu verstehen, das dem Einzelnen wenigstens prima facie einen Vorrang vor den Interessen der Gemeinschaft sichert.“334 Auf dieser Basis ist es als unzulässig zu erachten, wenn der Mensch „unter die Gegenstände des Sachenrechts gemengt“ wird.335 Hiervon ist allerdings immer dann auszugehen, wenn Strafe an der Person des Bürgers nicht um seiner selbst willen, sondern ausschließlich aus Drittinteressen vollzogen wird. Diesem Makel können präventive Straftheorien jedoch nicht entgehen. Auf ihrer Basis kann eine einwandfreie Legitimation von Strafe daher nicht gelingen.336 Dies gilt für sämtliche Spielarten solcher Straftheorien: Generalpräventive Lehren stellen Strafe in den Dienst der Stärkung des Normbewusstseins der Allgemeinheit durch Abschreckung (negative Generalprävention) bzw. Bestärkung fortdauernder Geltungskraft der übertretenen Verhaltensnorm (positive Generalprävention).337 Wer aber den Rechtsbrecher bestraft, um größtmögliche Rechtstreue der übrigen Gesellschaftsmitglieder hervorzurufen, degradiert die Person des Täters zum reinen Mittel zum Zweck.338 332

Kant, Metaphysik der Sitten, Rechtslehre, AB 139, 140 (S. 412). S. gleichwohl zu Bedenken gegen eine unbesehene Übernahme der Kantischen Lehre für das Menschenwürdepostulat des Grundgesetzes Dreier/H. Dreier, Grundgesetz, Art. 1 Abs. 1 Rn. 15. 334 T. Gutmann, Jahrbuch für Wissenschaft und Ethik 15 (2010), 5, 17. 335 Kant, Metaphysik der Sitten, Rechtslehre, A 197 (S. 453). 336 S. zur weiteren ausführlichen Kritik an präventiven Strafmodellen bereits Timm, Gesinnung und Straftat, S. 43 ff. (zur Theorie der Generalprävention), S. 112 ff. (zur Theorie der Spezialprävention). Auf die dortigen umfassenden Ausführungen sei vorliegend in vollem Umfang verwiesen. 337 Barisch, Bekämpfung des internationalen Terrorismus, S. 88 ff.; Freund, AT, § 1 Rn. 1 ff., 5 ff., § 2 Rn. 10 f.; ders., Erfolgsdelikt, S. 81, 95; ders., GA 1999, 509, 510, 534, 536 f.; ders., GA 1995, 4, 7 f.; Frisch, Vorsatz und Risiko, S. 47 ff., 99 f.; ders., ZStW 99 (1987), 349, 367 ff.; Hassemer, StV 1993, 664 f.; Jakobs, ZStW 97 (1985), 751, 775; ders., Schuldprinzip, S. 25 ff.; ders., Staatliche Strafe, S. 26 ff., 31 ff.; Kindhäuser, Gefährdung, S. 343 ff.; Peralta, ZIS 2008, 506 ff. 338 Calliess, NJW 1989, 1338, 1340; Frisch, BGH-FS, S. 269, 277 f.; ders., Positive Generalprävention, S. 125, 137 f.; Günther, Recht und Moral, S. 205, 214 ff.; Hassemer, Hauptprobleme der Generalprävention, S. 29, 32 f.; Hörnle/v. Hirsch, GA 1995, 261, 263, 269; Kargl, GA 1998, 53, 68, 70 ff.; Köhler, Strafrechtsbegründung und Strafzumessung, S. 36 ff., 40 ff.; 333

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Eine entsprechende Tendenz weist die „Straftheorie“ der Individualprävention auf. Sachlich handelt es sich dabei um das Legitimationstheorem des Gefahrenabwehrrechts, das nämlich den Fokus auf den staatlichen Umgang mit gefährlichen Personen richtet.339 Als Straftheorie ist die Individualprävention in Gänze ungeeignet. Danach ist Strafe auf die Vermeidung künftiger Straftaten durch Besserung und Abschreckung des gefährlichen Täters bzw. durch Sicherung der Gemeinschaft vor seiner Person gerichtet.340 Die einzelne Straftat weist in einem solchen System den Stellenwert eines bloßen Anlasses zur Bestrafung auf. Grund dafür ist die maßgebliche Bedeutung der Gefährlichkeit des Einzelnen, die sich gerade unabhängig von einem konkreten rechtlich missbilligten Verhalten offenbaren kann. Zwar kann sich in der Straftat die individuelle Gefährlichkeit des Einzelnen symptomatisch offenbaren. Indes steht die Straftat insoweit in einer Reihe mit weiteren denkbaren Indizien, die an ihrer Stelle zum Ausgangspunkt von Strafe gewählt werden können. Der Verzicht auf die Straftat als Anlass einer Bestrafung und damit die gänzliche Entfernung von den Grundsätzen eines Tatstrafrechts ist folglich in der Theorie der Individualprävention originär angelegt. In aller Konsequenz muss danach die Bestrafung „böser“ Gedanken zugelassen werden. Jedenfalls ist die Beförderung einer solchen Entwicklung nicht ausgeschlossen.341 Eindeutiger noch als für die Generalprävention fällt daher das Urteil der Unvereinbarkeit der spezialpräventiven Lehren – verstanden als Strafzwecktheorie – mit den Vorgaben eines freiheitlich verfassten Gemeinwesens aus. Die Individualprävention ermöglicht die Bestrafung des Delinquenten in einem Ausmaß, das sich vollumfänglich von dem verwirklichten Unrecht löst. Zudem erfolgt darin eine Verschiebung des Unrechts als Anknüpfungspunkt von Strafe. Dieses wird auf das Innenleben der Person gerichtet und erfährt seinen wenig wünschenswerten Höhepunkt in der Ahndung (böser) Hintergedanken und Gesinnungen. In einem freiheitlichen Rechtsstaat lässt sich Gedankenstrafrecht allerdings nicht rechtfertigen.342 Kubiciel, Wissenschaft vom Besonderen Teil, S. 188; Lüderssen, Hauptprobleme der Generalprävention, S. 54, 56 f.; Naucke, Hauptprobleme der Generalprävention, S. 9, 20 f., 26; Pawlik, Rudolphi-FS, S. 213, 216, 226 f. Speziell zur Kritik an v. Feuerbach s. Jakobs, Staatliche Strafe, S. 21 ff., 36. Eine ausführliche Auseinandersetzung mit der Frage der Verletzung der Menschenwürde des Einzelnen durch die negative Generalprävention findet sich bei Meyer, Gefährlichkeitsdelikte, S. 29 ff.; Pawlik, Person, Subjekt, Bürger, S. 25 ff.; dems., ZIS 2006, 274, 282; Timm, Gesinnung und Straftat, S. 50 ff. 339 Zu dieser Einordnung s. bereits die ausführliche Begründung bei Timm, Gesinnung und Straftat, S. 112 ff. (insbesondere S. 118 ff.). Vgl. außerdem Freund, GA 1995, 4, 4 ff.; ders., GA 2010, 193, 195 m. Fn. 10; ders., Straftat, S. 43 ff. m. Fn. 3; Frisch, ZStW 94 (1982), 565, 565 ff., insbesondere 583 ff.; Haffke, Generalprävention, S. 69; Müller-Dietz, ZStW 94 (1982), 599, 599 ff.; Roxin, AT I, § 6 Rn. 23; LK-StGB/Schöch, Vor § 61 Rn. 38. 340 S. v. Liszt, ZStW 3 (1883), 1 ff. Vgl. auch die Darstellung bei Roxin, AT I, § 3 Rn. 11 ff. 341 S. auch Dreher, Gerechte Strafe, S. 29 f.; Horstkotte, Verwerfliche Gesinnung, S. 44 f.; Köhler, Strafrecht, S. 41; Lüderssen, KJ 39 (2006), 361 ff.; Pawlik, Person, Subjekt, Bürger, S. 32 m. w. N.; ders., Der Terrorist und sein Recht, S. 25 ff.; ders., Rudolphi-FS, S. 213, 221; Timm, Gesinnung und Straftat, S. 115 ff. 342 S. dazu schon oben A.

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Unter Rekurs auf präventive Straftheorien lässt sich Strafe nach alledem nicht rechtfertigen. Diese erweisen sich als unfähig, Strafe ausschließlich an dem durch den Täter verwirklichten Unrecht auszurichten. Hingegen weisen sie gefährliche Tendenzen einer härteren Bestrafung des Täters auf, die dem Gewicht seiner Tat nicht entspricht. Der Einzelne wird in solchem straftheoretischen System zum reinen Mittel zum Zweck degradiert. Seine Subjektqualität wird nicht in dem Maße geachtet, wie es die Verfassung eines freiheitlichen Gemeinwesens verlangt. 3. Straftheorie der ausgleichenden Ahndung des konkreten begangenen Verhaltensnormverstoßes Es ist damit bereits angeklungen, worauf es für die Legitimation von Strafe entscheidend ankommt.343 Nach dem hier zugrunde gelegten Verständnis kann die Gefahr ausufernder Tendenzen bei der Bestrafung mit der erforderlichen Sicherheit ausschließlich durch eine strikte Orientierung an dem vom Täter verwirklichten Unrecht in Gestalt seines individuellen Verhaltensnormverstoßes (ggf. nebst Fehlverhaltensfolgen) gebannt werden. Es bedarf daher einer festen Verankerung des Ausgleichsgedankens innerhalb der Strafzweckkonzeption, um nicht über das Maß des vom Delinquenten tatsächlich zu verantwortenden Unrechts hinauszuschießen. Nur wenn Strafe als Ausgleich des Normverstoßes erachtet wird, können Bestrebungen zur Wiederherstellung der Normgeltung auf diesen Faktor begrenzt werden. Das auszugleichende Unrecht ist damit straftheoretisch auf die personale Infragestellung der Normgeltung durch den Täter zu begrenzen. In ihrer konsequenten Ausrichtung am Ausgleichsgedanken sieht sich die eigene Strafzweckkonzeption freilich mit dem Vorwurf der Nähe zu sogenannten absoluten Straftheorien konfrontiert.344 Deren Legitimationsgrund wird häufig – verkürzt – in gerechter Vergeltung benannt:345 „Denn wenn die Gerechtigkeit untergeht, so hat es keinen Wert mehr, daß Menschen auf Erden leben.“346 Die Strafe orientiere sich dabei

343

S. zum Nachfolgenden bereits Timm, Gesinnung und Straftat, S. 42, 52 ff., 81 f., 262 f. Allein dies galt lange Zeit als hinreichendes Argument zur Widerlegung des Richtigkeitsgehalts einer Theorie, Pawlik, Person, Subjekt, Bürger, S. 45 ff. 345 So jedenfalls die absoluten Straftheorien im Sinne der Vergeltungstheorie. Vertreten werden auch sogenannte „Sühnetheorien“, die den Zweck der Strafe darin sehen, dass der Täter das Unrecht seines Verhaltens erkennt, bereut und durch die Strafe in die Gesellschaft zurückfindet. Vgl. dazu aus jüngerer Zeit Duff, Tatproportionalität, S. 23 ff. Allerdings stellt bereits Roxin, AT I, § 3 Rn. 10 treffend fest, dass in einer so verstandenen Sühne ein „autonomer sittlicher Akt der Persönlichkeit“ liegt, der aber nicht durch staatlichen Zwang erzielt werden darf. Vgl. auch Frisch, BGH-FS, S. 269, 276. 346 Kant, Metaphysik der Sitten, Rechtslehre, A 197 (S. 453). Kant wird vornehmlich als Vertreter einer absoluten Straftheorie eingeordnet. Vgl. dazu beispielhaft Freund, AT, § 1 Rn. 3 f. m. Fn. 5; Jakobs, AT, 1/19; ders., Staatliche Strafe, S. 11 ff.; Roxin, AT I, § 3 Fn. 6; Schmidhäuser, Sinn der Strafe, S. 17 f. Gegen solche straftheoretische Einordnung Kants sprechen sich hingegen etwa Altenhain, Keller-GS, S. 1, 1 ff.; Bielefeldt, GA 1990, 108, 108 ff.; 344

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an dem Wiedervergeltungsrecht bzw. dem Talionsprinzip. So müsse derjenige, der einen anderen tötet, seinerseits sterben.347 Strafe dient danach ausschließlich der Idee der Gerechtigkeit, indem durch Zufügung eines Übels gegenüber dem Täter das durch seine Tat in die Welt gebrachte Übel vergolten werde.348 Absolute Straftheorien waren in der Vergangenheit besonders häufig der Kritik insbesondere der Verfechter von Präventionstheorien ausgesetzt.349 Zentral ist dabei der Vorwurf, es ließe sich nicht überzeugend klären, wie die Zufügung eines weiteren Übels ein bereits begangenes aus der Welt schaffen sollte. Auf diese Weise käme es vielmehr zur Verdopplung des Übels, nicht aber zur Beseitigung des bereits vorhandenen. Indes greifen die in der Vergangenheit gegen absolute Straftheorien vorgebrachten Einwände im Hinblick auf die hier vorgeschlagene Straftheorie, die sich auf den Ausgleich des begangenen Normverstoßes stützt, zu kurz.350 Dabei erweist sich bereits die Annahme als verfehlt, sämtliche nicht-präventiven Straftheorien ließen sich als zweckfrei und damit absolut einstufen.351 Demgegenüber kann als „absolut“ allein eine Straftheorie bezeichnet werden, die auf jedwede Zweckbindung verzichtet.352 Von solcher Vorstellung ist die vorliegende Strafzwecklehre jedoch weit entfernt. Strafe darf nicht als rein externe Übelszufügung verstanden werden. Zutreffend bewertet schon Hegel die nicht zusammenhängende Aneinanderreihung zweier äußerlicher Übel als unvernünftig und damit zur Legitimation von Strafe unzureichend.353 Es handelte sich dabei um ein unfertiges Bild einer nicht-präventiv ausgerichteten Straftheorie.354

Mosbacher, ARSP 90 (2004), 210, 210 ff. aus. Ebenfalls kritisch gegenüber einer Einordnung Kants Straftheorie als rein absolute äußert sich Haas, Strafbegriff, S. 190. 347 Kant, Metaphysik der Sitten, Rechtslehre, A 199 (S. 455): „Hat er aber gemordet, so muß er sterben.“ 348 Vgl. zu weiteren denkbaren Spielarten einer absoluten Straftheorie den Überblick bei Hörnle, Straftheorien, S. 15 ff. 349 Zur Kritik an der absoluten Straftheorie – verstanden als Schuldausgleich um seiner selbst willen – s. Ambos, GA 2009, 561, 574; Becchi, ARSP 88 (2002), 549, 555 f.; Freund, AT, § 1 Rn. 3 ff.; ders., GA 1995, 4, 5, 9 f.; ders., Erfolgsdelikt, S. 82 f.; ders., Straftat, S. 43 ff., 73 ff.; Jakobs, AT, 1/17 ff.; ders., Staatliche Strafe, S. 5 ff., 15 ff.; Kargl, GA 1998, 53, 63 f.; Kindhäuser, ZStW 107 (1995), 701, 730; ders., Gefährdung, S. 31; Meyer, Gefährlichkeitsdelikte, S. 25 ff.; Roxin, AT I, § 3 Rn. 2 ff.; ders., Strafrechtliche Grundlagenprobleme, S. 1, 2 ff.; Schmidhäuser, Sinn der Strafe, S. 40 ff., 45 ff.; v. Liszt, ZStW 3 (1883), 1, 8 ff., 21. S. ferner BGHSt 24, 40, 42. 350 S. zur Argumentation bereits Timm, Gesinnung und Straftat, S. 53 f. 351 S. dazu bereits Hörnle, Straftheorien, S. 15, 57, die terminologisch die vorzugswürdige Unterscheidung von präventionsorientierten und expressiven Straftheorien vorschlägt. 352 Hörnle, Straftheorien, S. 15 ff. 353 Hegel, Philosophie des Rechts, § 99. Vgl. auch Frisch, BGH-FS, S. 269, 276; Jakobs, Strafe muß sein! Muß Strafe sein?, S. 29, 32. 354 Pawlik, Person, Subjekt, Bürger, S. 54 ff.; ders., Rudolphi-FS, S. 213, 229; ders., OttoFS, S. 133, 141. In diese Richtung auch Kargl, GA 1998, 53, 62. Eine solche verkürzte Sicht offenbart sich etwa bei Sautner, Opferinteressen, S. 44 ff.

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Dessen Vervollständigung und damit die Überwindung der gängigen Kritik an „absoluten“ Straftheorien gelingen aber durch eine Verknüpfung des Normbruchs mit dem Strafausspruch. Der Entwurf einer solchen Straftheorie fußt auf der Einsicht in die Notwendigkeit staatlicher Reaktion auf Verstöße gegen rechtlich legitimierte Verhaltensnormen. Der Normverstoß des Täters ist mehr als ein abweichendes Verhalten. So drückt der Täter darin seine – jedenfalls punktuelle – Nichtakzeptanz der übertretenen Verhaltensnorm aus. Er tritt in Kommunikation mit der Gemeinschaft, indem er den (unzutreffenden) Anschein vermittelt, er sei trotz Zustimmung zum Gesellschaftsvertrag dazu berechtigt, die eigenen über die davon abweichenden Maximen der Gemeinschaft zu stellen.355 Auf diese Weise negiert der Delinquent die Allgemeingültigkeit des Rechts verkörpert durch dessen güterschützende Verhaltensnormen.356 Solche unvernünftige Anmaßung des Täters darf nicht unbeantwortet bleiben, soll nicht das Recht in seinem Bestand in Zweifel gezogen werden. So ist Strafe als Widerspruch gegenüber dem Normbruch der Person zu werten, durch den die Geltung des Rechts symbolisch bestätigt wird.357 Durch den Widerspruch gegenüber dem einzelnen Angriff auf die Norm „bleibt“ diese „wirklich“.358

355 S. zum Charakter und der Bedeutung der Normübertretung als kommunikatives Verhalten Jakobs, Norm, Person, Gesellschaft, S. 109 ff., 111 ff.; ders., Verantwortung in Recht und Moral, S. 57, 59 f., 63 f.; ders., Strafe muß sein! Muß Strafe sein?, S. 29, 34 f.; ders., Rechtsphilosophische Kontroversen, S. 135, 135 f.; ders., GA 1996, 253 ff.; ders., GA 1997, 553 ff. Vgl. zudem Freund, AT, § 1 Rn. 8; ders., Erfolgsdelikt, S. 83, 88 f.; ders., GA 2010, 193, 195; Frisch, BGH-FS, S. 269, 278 f., 290; Hegel, Philosophie des Rechts, § 99; Lesch, JA 2002, 602, 607 f.; Timm, Gesinnung und Straftat, S. 55 f. In diese Richtung auch Herzog, Prävention des Unrechts, S. 113 f., 119; Neumann, GA 1985, 389, 400. 356 Vgl. auch Haas, Strafbegriff, S. 262, der jedoch abweichend vom hiesigen Verständnis den Vergeltungszweck von Strafe in der Befriedigung des berechtigten Bedürfnisses der Allgemeinheit nach Genugtuung sieht. Strafe stellt danach also – jedenfalls insoweit entsprechend dem vorliegenden Verständnis – einen Ausgleich für den distributiven Verhaltensvorteil her, den sich der Täter im Normbruch verschafft hat. 357 So auch Freund, Straftat, S. 43, 48 f.; ders., GA 1995, 4, 7 f.; Frisch, BGH-FS, S. 269, 278 f., 307; ders., 140 Jahre GA, S. 1, 20 ff.; ders., Positive Generalprävention, S. 125, 139 ff.; Gómez-Jara Díez, Rechtstheorie 36 (2005), 321, 330; Grünewald, Tötungsdelikt, S. 52, 156, 167; Hegel, Philosophie des Rechts, §§ 97 ff.; Hörnle, Kriminalpolitischer Impetus, S. 105, 114; Jakobs, Verantwortung in Recht und Moral, S. 57, 59 f.; ders., Strafe muß sein! Muß Strafe sein?, S. 29, 32 ff.; ders., Rechtsphilosophische Kontroversen, S. 135 ff.; ders., Norm, Person, Gesellschaft, S. 111 ff.; Timm, Gesinnung und Straftat, S. 56. 358 Freund, AT, § 1 Rn. 8; Jakobs, Staatliche Strafe, S. 28, 33; ders., Norm, Person, Gesellschaft, S. 53; Kindhäuser, Gefährdung, S. 132 ff. – Wiederhergestellt wird dabei derjenige Zustand, in dem sich das Recht vor dem Verhaltensnormverstoß des Täters befunden hat. Das Erreichen eines Idealzustands absoluten Rechts ist zwar ständige Aufgabe der Normbildung durch die Gesellschaftsmitglieder. Für Defizite in dieser Hinsicht kann aber nicht der Täter irgendeiner Straftat verantwortlich gemacht werden. Strafe ist kein Mittel zur Beförderung des allgemein „Guten“, sondern ausschließlich zur Ausgrenzung des Schlechten, Timm, Gesinnung und Straftat, S. 56.

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In der Konsequenz kann es sich bei der Förderung künftigen normgemäßen Verhaltens der übrigen Gesellschaftsmitglieder allenfalls um einen – für die Legitimation irrelevanten – Nebeneffekt von Strafe handeln.359 Durch Strafe formuliert die Rechtsgemeinschaft ihre Antwort auf die fehlerhafte Infragestellung der Normgeltung durch den Delinquenten – unabhängig von den psychischen Folgen, die dadurch bei den übrigen Gesellschaftsmitgliedern hervorgerufen werden könnten: Die Gemeinschaft erachtet die ihre Ordnung konstituierenden Normen weiterhin als maßgeblich und verweigert dem Täter die Möglichkeit, im Wege eines Angriffs auf das Recht auf den Bestand der Rechtsordnung Einfluss zu nehmen. Strafe ist aktives Symbol der Gesellschaft dafür, an ihrem Selbstbild festhalten zu wollen – sie ist „Selbstvergewisserung“360 und damit Bestätigung der gesellschaftlichen Identität.361 Einer Reaktion auf abweichendes Verhalten bedürfte es allerdings nicht, wenn der Täter nicht jedenfalls den Rang eines „Gleichen“ im Gesellschaftssystem einnehmen würde.362 Allein die Infragestellung der Norm durch einen Gleichgestellten weist eine kommunikative Bedeutung auf. Die Aussage eines Außenstehenden oder Ungleichen ist nicht dazu geeignet, die Normenordnung zu erschüttern und kann daher aus Sicht der Gemeinschaft jedenfalls im Strafrecht unbeachtet bleiben.363 Weil es an einem ernstzunehmenden kommunikativen Angriff auf die Geltungskraft des Rechts fehlte, wäre Strafe mit letzter Konsequenz überflüssig. Die Straftheorie ausgleichender Ahndung spricht damit der Person des Delinquenten die grundsätzliche Fähigkeit zu, das Recht in bedeutsamer Weise infrage zu stellen.364 Die Würdigung 359 Jakobs, Verantwortung in Recht und Moral, S. 57, 59 f. konstatiert mit Blick auf generalpräventive Begleiterscheinungen treffend: „(…) sie gehören so wenig zum Begriff der Strafe, wie ihr Gegenteil – nämlich eine psychische Desorientierung, ein allgemeines Lamento – zum Begriff der Straftat gehört.“ S. außerdem Frisch, BGH-FS, S. 269, 278; ders., Positive Generalprävention, S. 125, 136, 140 f.; Grünewald, Tötungsdelikt, S. 52; Haas, Strafbegriff, S. 273 f.; Hörnle/v. Hirsch, GA 1995, 261, 278; Jakobs, Strafe muß sein! Muß Strafe sein?, S. 29, 36, 39 f.; ders., Norm, Person, Gesellschaft, S. 114; Timm, Gesinnung und Straftat, S. 56. 360 Jakobs, ZStW 107 (1995), 843, 844. 361 Die Straftheorie ausgleichender Ahndung weist Überschneidungen zu generalpräventiven Lehren auf. Indes betont bereits Frisch, Positive Generalprävention, S. 125, 139 ff., dass der „Urstoff“ der positiven Generalprävention in absoluten Straftheorien wurzelt, von dem sich ein breiterer Zuspruch versprochen wird: „(…) hier ist in Wahrheit ein Zerrbild der sogenannten absoluten Theorien aufgebaut worden“. Die Straftheorie der positiven Generalprävention kann aus den bereits vorab D. II. 2. genannten Gründen nicht überzeugen. Der berechtigte Kern der Theorie muss vielmehr in den „richtigen Begründungszusammenhang“ einer expressiven Straftheorie gestellt werden. 362 Vgl. Jakobs, Verantwortung in Recht und Moral, S. 57, 61; ders., Rechtsphilosophische Kontroversen, S. 135 f.; ders., Schuldprinzip, S. 27. S. zudem Frisch, Positive Generalprävention, S. 125, 139 f.; Timm, Gesinnung und Straftat, S. 57. 363 S. zur sachlich im Kriegsrecht verorteten Antwort auf Angriffe Außenstehender Timm, Gesinnung und Straftat, S. 129 ff. Vgl. zu diesem Aspekt auch Jakobs, Strafe muß sein! Muß Strafe sein?, S. 29, 37 f.; ders., Norm, Person, Gesellschaft, S. 116 f. 364 Diese Fähigkeit fehlt solchen Personen, die aufgrund persönlicher Defizite nicht dazu in der Lage sind, die Geltungskraft von Normen anzuzweifeln – oder zu stützen. Angesprochen ist damit der Bereich der schuldlos Handelnden: Wer ohne Schuld handelt, dem kann ein

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der Gesellschaftsmitglieder als Personen im Recht setzt voraus, dass der Täter trotz seiner Straftat nach wie vor gleichberechtigte Anerkennung genießt.365 Vor diesem Hintergrund zeigt sich der originär gesellschaftliche Charakter des Strafrechts: Strafe wird ausschließlich gegenüber Mitgliedern der Gesellschaft verhängt, da einerseits deren Angriff auf das Recht ernst genommen wird, andererseits aber die Antwort auf solchen Kommunikationsakt des Täters voraussetzt, dass er potentieller Adressat der Rechtsbestätigung ist. Anders verhielte es sich, sofern der Betreffende aufgrund seines Verhaltensnormverstoßes aus der Gesellschaft ausgeschlossen würde. In diesem Fall bedürfte es zur Wiederherstellung des Rechts keiner weiteren Kommunikation mit ihm. Damit steht fest: Gerade in der durch Strafe formulierten Absage gegenüber dem gesellschaftlichen Gegenentwurf des Täters liegt seine Anerkennung als Person. Im Ergebnis kann damit festgehalten werden, dass Strafe die ausgleichende Ahndung eines begangenen Verhaltensnormverstoßes darstellt. Auf diese Weise erfolgt eine Begrenzung der staatlichen Reaktion auf das durch den Täter verwirklichte Unrecht. Strafe erfolgt daher nicht um ihrer selbst willen. Für Kants Inselbeispiel ergeben sich folgende Konsequenzen: Mit der endgültigen Auflösung der bisherigen Gemeinschaft entfällt das Bedürfnis der nachträglichen Ahndung der bislang unbestraften Taten. Existiert keine Rechtsgemeinschaft mehr, gibt es auch kein Recht, das für die Zukunft wiederhergestellt werden kann.366

III. Legitimität rechtlicher Verhaltensnormen zum Schutz des Natürlichen im Bereich der Biomedizin Im Anschluss an die Klärung der allgemeinen Legitimationsbedingungen rechtlicher Verhaltensnormen sowie der Aufgabe rechtsstaatlichen Strafens rückt die Frage nach der spezifischen Berechtigung des Berufens auf das Natürliche bzw. die menschliche Natur zur Rechtfertigung von Ge- oder Verbotsvorschriften in den Fokus. Dabei begegnen Natürlichkeitsargumente in der biomedizinischen Debatte um die Zulässigkeit diverser Verfahren wie etwa des reproduktiven Klonens oder der Leihmutterschaft in unterschiedlichen Spielarten. Um die Validität solcher ArguNormverstoß nicht ernstlich attestiert werden, s. Binding, Handbuch des Strafrechts, S. 158 f.; Freund, AT, § 4 Rn. 13 ff. m. Fn. 18, Rn. 19 ff.; ders., GA 2010, 193, 197; Frisch, Positive Generalprävention, S. 125, 141; Grünewald, Tötungsdelikt, S. 208 ff.; Jakobs, Verantwortung in Recht und Moral, S. 57, 69; Renzikowski, ARSP-Beiheft 104 (2005), 115, 133 ff. 365 Vgl. Jakobs, Norm, Person, Gesellschaft, S. 110 f., 116 f.; ders., Strafe muß sein! Muß Strafe sein?, S. 29, 33 f., 37 (zum Themenkreis des Feindstrafrechts s. S. 40 ff.); ders., Schuldprinzip. S. 27, der allerdings Ausnahmen von diesem Grundsatz annimmt, sofern der Rechtsbrecher durch die Missachtung seiner Bürgerrolle zum „Feind der Gesellschaft überhaupt“ wird. Vgl. dazu Jakobs, Rechtsphilosophische Kontroversen, S. 135, 137 sowie zur Kritik Timm, Gesinnung und Straftat, S. 129 ff. mit den dortigen Nachweisen. Wie hier betont auch Haas, Strafbegriff, S. 258, dass der Täter durch die Verurteilung seinen Status der Zugehörigkeit zur Rechtsgemeinschaft nicht einbüßt. 366 S. dazu schon Timm, Gesinnung und Straftat, S. 58.

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mente zu prüfen, sollen diese in der vorliegenden Untersuchung in zwei Gruppen unterteilt werden. Insoweit stehen sich originäre und (nur) vermeintliche Natürlichkeitsargumente gegenüber.367 Dabei sind innerhalb der Gruppe der originären Natürlichkeitsargumente diejenigen Auffassungen versammelt, die entweder dem Natürlichen selbst einen Wert zuschreiben (Typ I) oder aber das Natürliche als eigenständiges Normensystem klassifizieren, aus dem sich unmittelbare für den Menschen verbindliche Sollensanforderungen ergeben (Typ II).368 Demgegenüber betrifft die Einstufung als vermeintliches Natürlichkeitsargument solche Begründungsansätze, die zu ihrer Kennzeichnung zwar den Begriff des Natürlichen heranziehen, diesen jedoch lediglich als Stellvertreter für ein anderes Schutzinteresse verwenden. Das Natürliche selbst ist damit weder das von dieser Gruppe an Argumenten gemeinte schutzwürdige Gut noch wird diesem die Eigenschaft zugeschrieben, dass sich daraus verbindliche Vorschriften ergeben. Vielmehr verbergen sich dahinter eigenständige Schutzinteressen, deren Berechtigung folglich ihrerseits einer gesonderten Prüfung unterzogen werden muss. Als originäres Natürlichkeitsargument des Typs I kann etwa die Auffassung eingeordnet werden, dass die Zeugung eines Kindes durch den Geschlechtsakt der leiblichen Eltern den natürlichen Entstehungsbedingungen menschlichen Lebens entspreche und aus diesem Grund einen Wert an sich aufweise. Künstlich wären vor diesem Hintergrund sämtliche Maßnahmen, die die Zeugung eines Kindes ermöglichen, ohne dabei auf den Sexualverkehr der Eltern angewiesen zu sein. Allerdings etablieren entsprechende Natürlichkeitsargumente in aller Regel keinen absoluten Schutz des Natürlichen. Auf einen solchen liefe es hinaus, sofern mit der Kennzeichnung einer biotechnischen Maßnahme als „unnatürlich“ zugleich die Forderung nach deren Verbot verbunden wäre. Dies ist jedoch zumeist nicht der Fall. Vielmehr fungiert die Natürlichkeit im Rahmen dieser Gruppe originärer Natürlichkeitsargumente zwar als legitimes Schutzinteresse einer rechtlichen Verhaltensnorm. Jedoch wird seitens ihrer Vertreter nicht darauf verzichtet, die weiteren Schritte der Verhältnismäßigkeitsprüfung vorzunehmen, um die endgültige Legitimität der jeweiligen Vorschrift festzustellen. Dies zeigt sich beispielhaft an einem Vergleich der gesellschaftlichen Diskussion um die rechtliche Zulässigkeit der Beeinflussung menschlicher Keimbahnen mit derjenigen in Bezug auf die Durchführung einer in vitro-Fertilisation. Wenngleich beide Maßnahmen von Vertretern originärer Natürlichkeitsargumente als künstlich eingestuft werden, führt dies nicht unmittelbar zu der Einschätzung, dass diese mit einem rechtlichen Verbot versehen werden müssen. Vielmehr wird im Hinblick auf die Legitimität der angesprochenen Techniken offensichtlich weiter differenziert. Nicht anders lässt es sich erklären, dass die in vitro367

Birnbacher, Natürlichkeit, S. 41 unterscheidet Natürlichkeitsargumente im eigentlichen bzw. im uneigentlichen Sinne. Vorliegend soll deutlicher als bei Birnbacher innerhalb der erstgenannten Gruppe weiter danach differenziert werden, ob dem Natürlichen ein Wert zugeschrieben oder dieses als eigenständiges Normensystem eingestuft wird. Es bietet sich daher eine begriffliche Modifikation gegenüber Birnbacher an, wie sie im Text getroffen wird. 368 S. unten III. 4. ausführlich zum Wertbegriff.

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Fertilisation gegenüber der Keimbahnbeeinflussung verbreitet eine größere Akzeptanz genießt.369 Kriterium scheint hier nicht zuletzt das Ausmaß zu sein, in dem von dem als natürlich Bewerteten abgewichen wird. Weil bei der in vitro-Fertilisation immerhin die verwendeten Spermien und Eizellen nicht weiter modifiziert werden, sondern in dem Zustand verbleiben, in dem sie den leiblichen Eltern entnommen werden, scheint darin ein geringeres Abweichen von den natürlichen Entstehungsbedingungen menschlichen Lebens gesehen zu werden als bei der Keimbahntherapie. Insoweit dient die in vitro-Fertilisation der technischen Nachahmung des natürlichen Vorgangs, während sich die Modifikation menschlicher Keimbahnen im Bereich der Reproduktionsmedizin davon erheblich entfernt.370 Mithin stufen originäre Natürlichkeitsargumente, die im Natürlichen einen schutzwürdigen Wert erblicken, dieses ganz offensichtlich als graduierbare Kategorie ein.371 Dem Ausmaß des Abweichens einer biomedizinischen Technik kann folglich insbesondere im Rahmen der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne weiter Rechnung getragen werden. Dies zeigt sich auch im Bereich des (Neuro-)Enhancements. Kritisch gesehen werden hier vorrangig solche Eingriffe in den menschlichen Körper, die nicht gesundheitsbezogen sind. Beispielhaft konstatiert Birnbacher in diesem Zusammenhang: „Natürlichkeitsvorstellungen machen sich in der Regel nur dann geltend, wenn sie nicht mit Werten wie Leben und Gesundheit konkurrieren.“372 Dem liegt aber bereits die Annahme zugrunde, dass die Vertreter originärer Natürlichkeitsargumente die Prüfung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nicht ausspa369 S. beispielhaft nur die Einschätzung zu beiden Verfahren bei Bayertz, GenEthik, S. 285 f. (zur in vitro-Befruchtung) sowie S. 286 ff. (zum Einfluss auf die genetische Konstitution eines Menschen). 370 Birnbacher, Natürlichkeit, S. 138 klassifiziert den Umfang der Nachahmung einer natürlichen Fortpflanzung lediglich als ein Kriterium zur Bestimmung des Ausmaßes an Künstlichkeit einer Reproduktionstechnik. Daneben benennt er das Erfordernis des technischen Aufwandes sowie die Intensität, in der die Eigenschaften des späteren Kindes beeinflusst werden. In Abhängigkeit davon ergibt sich freilich eine unterschiedliche Einstufung verschiedener Reproduktionstechniken in Bezug auf ihren Grad an Künstlichkeit. 371 Vgl. Birnbacher, Natürlichkeit, S. 8, 9 ff.; Roughley, Menschliche Natur, S. 133, 144. 372 Birnbacher, Natürlichkeit, S. 107. S. ferner dort S. 141. Darüber hinaus spielt die Abgrenzung gegenüber gesundheitsbezogenen Maßnahmen insbesondere im Bereich genetischer Eingriffe eine hervorgehobene Rolle. Solche werden von vielen jedenfalls dann als zulässig erachtet, wenn damit etwa die Vermeidung schwerer Krankheiten verbunden ist, vgl. etwa Bayertz, GenEthik, S. 290 f.; Graf Vitzthum, MedR 1985, 249, 256; Hofmann, JZ 1986, 253, 260; Isensee, Hollerbach-FS, 243, 262 f.; Kersten, Klonen, S. 507 (grundsätzlich in Bezug auf die zu therapeutischen Zwecken eingesetzte Keimbahntherapie); Köbl, Hubmann-FS, S. 161, 167, 171 ff.; Siep, Ethik, S. 321. Ohne Kritik kann diese Unterscheidung allerdings ihrerseits nicht bleiben: Über die Frage, was „gesund“ und was „krank“ ist, besteht zu Recht Streit. Etwa der Vorschlag, sich insoweit am „Normalzustand“ zu orientieren (so Köbl, Hubmann-FS, S. 161, 173), kann seinerseits wenig überzeugen, bleiben doch die Grenzen fließend, zumal sich kaum begründen lässt, warum nicht all das als „gesund“ bezeichnet werden soll, was der Einzelne selbst so definiert (in diese Richtung geht die Definition der Weltgesundheitsorganisation, die sich am „körperlichen, geistigen und sozialen“ Wohlbefinden des Einzelnen orientiert, vgl. Präambel der WHO-Satzung vom 22. 7. 1946, BGBl. 1974 II 45).

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ren wollen. Würde der Natürlichkeit hingegen ein absoluter Wert zugeschrieben, käme es nämlich auf eine Abwägung gegenüber widerstreitenden Interessen nicht weiter an. Vor diesem Hintergrund können die Vertreter originärer Natürlichkeitsargumente des Typs I beispielsweise in dem Einsetzen eines Herzschrittmachers eine Beeinträchtigung der Natürlichkeit als schutzwürdiges Interesse sehen. Ein entsprechendes Verbot diente der Wahrung des Natürlichen und wäre zu diesem Zweck auch geeignet und erforderlich. Allerdings stünde diesem Interesse auf Ebene der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne das Leben des Betreffenden als überwiegendes Rechtsgut entgegen, woran letztlich die Verhaltensnormlegitimation scheiterte. Zu einem anderen Ergebnis könnten Vertreter eines originären Natürlichkeitsarguments des Typs I anhand der dargelegten Grundsätze beispielsweise in Bezug auf das reproduktive Klonen gelangen. Ein entsprechender Begründungsansatz könnte wie folgt lauten: Das Klonen greife in den natürlichen Prozess der Entstehung menschlichen Lebens ein, indem ein Mensch nicht durch den Geschlechtsakt der Eltern gezeugt wird. Durch den bloßen Sexualverkehr der Eltern wäre es außerdem unter keinen Umständen möglich, einen Menschen zu zeugen, den es in identischer genetischer Verfasstheit bereits einmal gibt. Reproduktives Klonen kann auf dieser Basis als unnatürlich eingestuft werden. Weil dem Natürlichen aber nach Auffassung der Vertreter originärer Natürlichkeitsargumente des Typs I ein eigenständiger Wert zukomme, müssen unnatürliche Maßnahmen wie das reproduktive Klonen angesichts der Erheblichkeit des Eingriffs (Verhältnismäßigkeitsgrundsatz) verboten werden. In engem Zusammenhang mit der Annahme, dass dem Natürlichen selbst ein Wert zukommt, dessen Schutz legitimer Zweck rechtlicher Verhaltensnormen sein kann, steht die Position, dass es sich bei der Natur selbst um ein Normensystem handele, das Bindungswirkung für menschliches Verhalten entfalte. Auf der Basis solcher originären Natürlichkeitsargumente des Typs II würde die Natur folglich nicht lediglich den legitimen Zweck einer Verhaltensnorm begründen. Vielmehr ließen sich Normen in Gänze aus den Vorgängen der Natur ableiten. Um neuerlich das Beispiel des reproduktiven Klonens heranzuziehen, könnte die entsprechende Begründungsstruktur eines originären Natürlichkeitsarguments des Typs II wie folgt lauten: In der Natur findet sich das Klonen von Menschen nicht. Aus dieser fehlenden Auffindbarkeit müsse aber die Schlussfolgerung gezogen werden, dass Klonen nicht sein soll. Der Mensch sei den Sollensanforderungen der Natur unterworfen. Aus diesem Grund dürfe er keine Techniken vornehmen, die die Natur nicht selbst vorgesehen hat. Klonen sei daher nicht erlaubt. Der Unterschied zu der Position, die in dem Schutz des Natürlichen lediglich einen legitimen Zweck rechtlicher Verhaltensnormen sieht, liegt damit auf der Hand: Während sich darin noch die weiteren Schritte der Prüfung der Verhältnismäßigkeit angeschlossen haben, ist dies für originäre Natürlichkeitsargumente des Typs II nicht vorgesehen. Vielmehr übernimmt darin die Natur als Gesetzgeber selbst sämtliche Schritte der Verhaltensnormbildung, sodass sich die Rolle des Menschen auf das Erkennen und Befolgen der „natürlichen Regeln“ begrenzt.

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Von den originären soll in der vorliegenden Untersuchung die Gruppe der vermeintlichen Natürlichkeitsargumente unterschieden werden, die den Begriff des Natürlichen zwar heranziehen, ihn allerdings mit weiteren, über den Schutz der Natur hinausgehenden Interessen anfüllen, die durch biotechnische Maßnahmen als gefährdet angesehen werden. In dieser Art von Natürlichkeitsargumenten übernimmt die Natürlichkeit daher lediglich die Funktion eines „Platzhalters“ für mitunter gänzlich andere Interessen, deren Wahrung durch bestimmte Verhaltensnormen intendiert ist. Beispielhaft erwähnt sei an dieser Stelle das Interesse am Schutz personaler Autonomie, die etwa durch das reproduktive Klonen als beeinträchtigt angesehen wird.373 Derartige abweichende Schutzgüter in ein Natürlichkeitsargument zu betten, bringt vor allem einen entscheidenden Vorteil: Natur und Natürlichkeit sind in unserem Kulturkreis vorrangig positiv konnotiert. Verbunden wird damit unter anderem der Eindruck von Reinheit, Harmonie, Unberührtheit und Authentizität.374 Begriffliche Gegensatzpaare bilden etwa das Abnormale, Gekünstelte bzw. Deformierte.375 Es wird auf dieser Basis schnell klar, dass ein Argument, das für sich selbst die Wahrung des Natürlichen in Anspruch nimmt, in einem ersten Zugang mit einer gewissen Berechtigung auf Zuspruch hoffen darf. Die bestehende positive Besetzung des Natürlichen kann frei von jedweder inhaltlichen Prüfung auf das eigene Argument ausstrahlen. Darüber hinaus kann das Natürliche in dieser zweiten Gruppe von Argumenten als Schlagwort fungieren, das eingängiger als das jeweilige, tatsächlich gemeinte Schutzinteresse ist. Wenngleich sich – wie an früherer Stelle erläutert376 – der Begriff des Natürlichen in seinen Konturen alles andere als trennscharf präsentiert, scheint sich davon dennoch ein größerer Kreis an Personen angesprochen zu fühlen als von den äußerst feinsinnigen, im Einzelnen durchaus komplexen Gedankengängen, wie sie sich nicht selten hinter den hier als vermeintliche Natürlichkeitsargumente klassifizierten Begründungsansätzen verbergen. Die vorliegende Untersuchung richtet ihr Augenmerk mithin auf zwei Klassen von Natürlichkeitsargumenten, die zur Begründung rechtlicher Verhaltensnormen im Hinblick auf biomedizinische Verfahren angeführt werden. Diese unterscheiden sich danach, ob darin dem Natürlichen selbst ein Wert zugesprochen bzw. die Natur als eigenständiges, den Menschen bindendes Normensystem angesehen wird oder ob der Natürlichkeitsbegriff lediglich die Rolle eines Stellvertreters für weitere, im Kontext biotechnischer Verfahren potentiell beeinträchtigte Interessen einnimmt. Beide Gruppen von Natürlichkeitsargumenten sollen nachfolgend einer kritischen 373

S. dazu noch unten D. III. 5. c). Birnbacher, Natürlichkeit, S. 30 ff. mit weiteren Beispielen der positiven Konnotation des Natürlichen. Vgl. dazu auch Bayertz, GenEthik, S. 107 f.; Heyd, Menschliche Natur, S. 52, 63 sowie bereits Mill, Drei Essays über Religion, S. 16; Zoglauer, „Natur“ im Umbruch, S. 49, 60. 375 Vgl. Birnbacher, Natürlichkeit, S. 35 ff. zu psychologischen und geistesgeschichtlichen Gründen für diesen Befund. 376 S. oben C., insbesondere II. 3. 374

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Revision im Hinblick auf ihre Berechtigung innerhalb der rechtlichen Diskussion um neue Verfahren der Biotechnik unterzogen werden. Darüber hinaus wird der bereits angeklungene Vorteil des Berufens auf Natürlichkeitsargumente, der insbesondere in deren verbreitet positiver Besetzung zu sehen ist, auf den Prüfstand gestellt. 1. (Vordergründige) argumentative Vorteile des Berufens auf die Natürlichkeit Wie jene Argumente, in denen der Begriff des Natürlichen allenfalls eine Stellvertreterfunktion einnimmt, profitieren freilich auch die originären Natürlichkeitsargumente von der verbreitet positiven Besetzung des Natürlichen. Zu dieser prinzipiell wohlmeinenden Stimmung gesellt sich noch der Umstand, dass Natürlichkeitsargumente jedenfalls vordergründig ein hohes Maß an Objektivität für sich beanspruchen können.377 Gegenüber normativen Sollensanforderungen, die aus dem Vorgang der Abwägung widerstreitender Güter und Interessen entstanden sind, erscheinen sie insoweit klar im Vorteil: Anders als diese sind sie nicht mit dem „Makel“ einer gewissen, fortwährend verbleibenden Subjektivität belastet, die dem Abwägungsprozess scheinbar unweigerlich anhaftet. Ver- bzw. Gebote, die sich unmittelbar aus den „Gesetzen“ der Natur ableiten lassen, sind unabhängig von jedweder (menschlichen und damit fehleranfälligen) Wertung. Auf diese Weise scheint es ihnen zu gelingen, der mit subjektiven Wertungen einhergehenden Gefahr von Willkür und Manipulation eine vermeintliche Sachlichkeit entgegenzusetzen. Jener Eindruck der Sachlichkeit folgt dabei nicht allein aus der Abgrenzung gegenüber Normen, die auf dem Fundament eines Wertungsakts fußen. Vielmehr findet er seine Fortsetzung in dem Umstand, dass die Begründung von Sollensanforderungen nicht länger eigens geschulten Fachkreisen anheimgestellt, sondern dem weiten Feld der Naturwissenschaften geöffnet wird.378 Hieraus folgt zugleich der egalitäre Charakter einer entsprechend begründeten Verhaltensvorschrift, wählt die naturwissenschaftliche Methode doch die Gleichheit aller Menschen zum Ausgangspunkt ihrer Überlegungen. Hinzu tritt noch die Allgemeingültigkeit einer auf einem Natürlichkeitsargument im eigentlichen Sinne fußenden Vorschrift. In den Worten Birnbachers: „Ist erst einmal die Frage nach der ,richtigen‘ Moral umformuliert in die Frage nach der ,natürlichen‘ Moral, ist sie eine Sache der Wissenschaft.“ Die naturwissenschaftliche Methode erfreut sich aber einer verbreiteten Akzeptanz und ist grundsätzlich einem jeden gleichermaßen zugänglich. Vor diesem Hintergrund vermögen originäre Natürlichkeitsargumente, was in der Theorie allenfalls noch religiösen Begründungsansätzen gelingen könnte:379 Die Rede ist von 377

Zum Nachfolgenden s. ausführlich Birnbacher, Natürlichkeit, S. 43. Vgl. Birnbacher, Natürlichkeit, S. 43. S. dort auch zu den nachfolgenden Gedankengängen. 379 In der Praxis scheitern religiös begründete Denkmodelle freilich ihrerseits an der Vielfalt vertretener Weltanschauungen. 378

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Universalität.380 Die Natur ist für jeden dieselbe, ihre Gesetze sind unveränderlich. Wer sich auf sie beruft, weiß mithin den argumentativen Vorteil eines vermeintlich universellen Geltungsanspruchs auf seiner Seite. a) Fehlende Sachlichkeit von originären Natürlichkeitsargumenten Allerdings sind bereits im Hinblick auf die vermeintliche Sachlichkeit des Berufens auf die Natur Zweifel anzumelden. In diesem Zusammenhang vermag zunächst die Abgrenzung zu solchen Normen, die im Wege der Abwägung widerstreitender Interessen gebildet werden, in ihrer argumentativen Stoßrichtung nicht zu überzeugen. Die Begründung rechtlicher Verhaltensnormen unter Heranziehung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit birgt in erheblich geringerem Umfang Gefahren der Willkür bzw. Manipulation, als dies auf den ersten Blick erscheinen mag. Dies gilt zunächst für den methodisch ersten Schritt der Benennung eines legitimen Zwecks der jeweiligen Verhaltensnorm. Zwar lassen sich hier durchaus kritische Bereiche ausmachen, die etwa die Gruppe sogenannter Universalrechtsgüter betreffen, denen im Einzelnen zu Recht Konturlosigkeit und die damit einhergehende Gefahr staatlicher Willkür in der Etablierung neuer Verhaltensnormen zum Vorwurf gemacht wird.381 Die Rede ist dabei insbesondere von dem „Rechtsgut“ des öffentlichen Friedens.382 Bereits dessen Bedeutungsinhalt lässt sich nicht trennscharf bestimmen. Die Vorschläge reichen in diesem Zusammenhang von dem Bestand eines von Furcht befreiten Zusammenlebens der Bürger (allgemeine Rechtssicher380 Vgl. Birnbacher, Natürlichkeit, S. 42; Renzikowski, GA 1992, 159, 165. – Der Annahme von Universalität ließe sich indes mit Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, BA 90 (S. 76) entgegenhalten, dass die Allgemeinheit empirischer Prinzipien allein für den Zusammenhang angenommen werden kann, in dem sie auftreten. Sie „fällt weg, wenn der Grund derselben von der besonderen Einrichtung der menschlichen Natur, oder den zufälligen Umständen hergenommen wird, darin sie gesetzt ist“, weshalb empirische Prinzipien „überall nicht“ dazu geeignet sind, „um moralische Gesetze darauf zu gründen“. 381 Zur Kritik s. ausführlich Albrecht, KritV 1993, 163, 164, 166 ff.; Dencker, StV 1988, 262, 263; Hassemer, ZRP 1992, 378, 381; ders., ARSP-Beiheft 44 (1991), 130, 138 f.; ders., NStZ 1989, 553, 558; ders., Wolff-FS, S. 101, 119; Hefendehl, Grenzenlose Vorverlagerung, S. 89 ff.; Kötter, KJ 2003, 64, 67; Krauß, StV 1995, 315, 316 f.; Naucke, KritV 1993, 135, 145 f.; Vormbaum, ZStW 107 (1995), 734, 738 f. S. zum Ganzen bereits Timm, Gesinnung und Straftat, S. 228. 382 S. zum Nachfolgenden ausführlich Timm, Gesinnung und Straftat, S. 236 ff. Vgl. dazu Barisch, Bekämpfung des internationalen Terrorismus, S. 134 ff.; Beck, Vorfeldkriminalisierung, S. 143 ff.; Fischer, Öffentlicher Friede; ders., NStZ 1988, 159 ff.; Hefendehl, Kollektive Rechtsgüter, S. 286 ff.; Hörnle, Grob anstößiges Verhalten, S. 90 ff.; Kissel, Aufrufe zum Ungehorsam, S. 115; LK-StGB/Krauß, § 130 Rn. 3 ff.; Krupna, Konzept der „Hate Crimes“, S. 110 ff.; Kühl, Lampe-FS, S. 439, 454 f.; Rössner, Primäre Prävention, S. 128, 131 ff.; ders., Remmers-FS, S. 653, 662; SK-StGB/Rudolphi/Stein, 64. Lfg. Okt. 2005, § 130 Rn. 1 ff.; Stegbauer, Rechtsextremistische Propaganda, S. 167 ff.; ders., NStZ 2000, 281, 283; Stratenwerth, Lenckner-FS, S. 377, 386; Wohlers, Deliktstypen des Präventionsstrafrechts, S. 269 ff. Aus der Rechtsprechung zum Begriff des öffentlichen Friedens RGSt 15, 116, 117; BGHSt 34, 329, 331.

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heit), dem Vertrauen in die Fortdauer des Zustands der Sicherheit der Allgemeinheit bzw. einzelner Bevölkerungsteile über den Schutz eines Klimas der Toleranz bis hin zum Zweck der Verhinderung von Selbstjustiz.383 Allerdings schillert die letztlich verbleibende Frage nach der Legitimität einer Vorschrift, die allein den „öffentlichen Frieden“ zu schützen intendiert, trotz breiter Palette der angebotenen Auslegungshilfen letztlich in wenig bunten Farben. Im Vordergrund der Kritik steht dabei der Befund, dass ein Schutzgut der allgemeinen Rechtssicherheit allenfalls die prinzipielle Achtung des geltenden Normenbestands erfassen kann. Eine entsprechende Vorschrift wäre dann aber allein auf die unspezifische Verhinderung von Straftaten gerichtet. Hierbei handelt es sich allerdings um ein originär polizeirechtliches Interesse, das durch eine rechtliche Verhaltensnorm gerade nicht verfolgt werden kann.384 Von einer Verletzung der öffentlichen Sicherheit kann zudem ausschließlich unter der Voraussetzung ausgegangen werden, dass es zu der Beeinträchtigung eines tradierten Rechtsguts gekommen ist. Dessen Schutz muss aber durch entsprechende Vorschriften garantiert werden – der Flankierung durch Verhaltensnormen, die der allgemeinen Rechtssicherheit dienlich sein sollen, bedarf es dann nicht mehr.385 Beispielhaft beabsichtigt das Tötungsverbot den Schutz menschlichen Lebens. Weil es aber das Tötungsverbot als rechtliche Verhaltensnorm bereits gibt, erscheint eine weitere Vorschrift, die ganz allgemein auch das Leben in seinem Schutzbereich erfasst, zumindest überflüssig.386 Darüber hinaus handelt es sich bei dem Vertrauen der Bevölkerung in einen „sicheren“ Zustand des gesellschaftlichen Miteinanders um kein legitimes rechtliches Schutzinteresse: Welche Faktoren das allgemeine Vertrauen in die Sicherheit beeinflussen, ist bislang nicht abschließend geklärt. Insofern kann nicht ausge383

Vgl. im Einzelnen die Nachweise bei Hörnle, Grob anstößiges Verhalten, S. 90 ff. Polizeirecht und Strafrecht unterscheiden sich durch die unterschiedliche Schutzrichtung beider Rechtsgebiete. Während das Strafrecht der repressiven Reaktion auf begangene Verhaltensnormverstöße gerichtet ist, geht es im Polizeirecht um die Verhinderung künftiger Straftaten bzw. sonstigen gefährlichen Verhaltens durch Störer. S. ausführlich dazu Timm, Gesinnung und Straftat, insbesondere S. 111 ff. m. w. N. sowie bereits oben Fn. 37. 385 Vgl. Hörnle, Grob anstößiges Verhalten, S. 92 ff.; Müssig, Schutz abstrakter Rechtsgüter, S. 217 ff.; Rudolphi, Bruns-FS, S. 315 ff.; Schroeder, Schutz von Staat und Verfassung, S. 21. Nicht überzeugen können hingegen die Bemühungen Barischs, Bekämpfung des internationalen Terrorismus, S. 142 f., dem öffentlichen Frieden einen über den Schutz der tradierten Rechtsgüter hinausgehenden, eigenständigen Gehalt zu verleihen. Die Behauptung, es gäbe eine kollektive „Bewusstseinslage der Mitglieder eines sozialen Systems“, das mehr sei als die Summe des Systemvertrauens der Einzelpersonen, wird letztlich nicht mit Inhalt gefüllt. Solche Ausfüllung kann vor freiheitsrechtlichem Hintergrund auch ernstlich nicht gelingen bzw. gewollt sein, öffnet man sich der rechtsstaatlich unbedingt zu wahrenden Erkenntnis, dass es kein Kollektiv geben darf, das in seinen Interessen über diejenigen seiner Glieder – der Individuen – hinausgeht. Alles andere birgt die Gefahr, doch (wieder) Kollektivinteressen über die des Einzelnen zu stellen. 386 Darüber hinaus wirft eine solche Vorschrift die Frage auf, ob das Tötungsverbot zum Schutz menschlichen Lebens nicht länger hinreicht. Insofern erweisen sich entsprechende Normierungstechniken zuletzt als gefährlich, geht damit doch im schlimmsten Fall eine Erosion der Geltungskraft etablierter rechtlicher Verhaltensnormen einher. 384

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schlossen werden, dass sich Irrationalitäten auf diese Weise den Weg ins Recht bahnen könnten. Jedenfalls die Abhängigkeit des gesellschaftlichen Vertrauens von öffentlicher Berichterstattung sollte Zweifel an der Maßgeblichkeit eines solchen Faktors zur Festlegung von Verhaltensnormen wecken.387 In letzter Konsequenz bestünde die Gefahr eines reinen Gefühlsschutzes. Dieser wird aber mehrheitlich als Schutzinteresse rechtlicher Verhaltensnormen abgelehnt.388 Der Schutz eines toleranten Klimas mag zwar hinsichtlich solcher Verhaltensweisen, die grundlegend den Bestand der pluralistischen Gesellschaftsform gefährden, seinen legitimen Stellenwert einnehmen. Indes wird es sich hier nicht um den Regelfall handeln. Sofern aber keine entsprechende Gefährdungslage im Raum steht, muss darauf verwiesen werden, dass die Provokation ein notwendiges Element einer Gemeinschaft darstellt, die auf Meinungsfreiheit und die Konkurrenz widerstreitender Gedanken setzt. In einer heterogenen Gesellschaft muss sie daher grundsätzlich hingenommen werden.389 Entscheidend gegen die Legitimation von Verhaltensnormen, die auf den Schutz des öffentlichen Friedens gerichtet sind, spricht außerdem noch folgender Gedanke: Wer den öffentlichen Frieden als Schutzinteresse rechtlicher Verhaltensnormen anerkennt, legt die Aufgabe der Gewährleistung einer friedlichen Koexistenz der Bürger im Staat ausschließlich in die Hände des Staates und seiner Institutionen.390 Auf diese Weise entsteht allerdings der fehlerhafte Eindruck, der Einzelne könne diese Leistung selbst (nicht länger) erbringen. Unabhängig davon, ob der Grund für eine derartige Verantwortungsverschiebung in einer veränderten allgemeinen „Sicherheitslage“ oder aber in schwindendem Vertrauen von Seiten des Staates in seine Bürger liegt, wird dies der Rolle des Bürgers innerhalb einer friedlichen Gemeinschaftsordnung nicht gerecht. Insoweit findet der Umstand keine hinreichende Berücksichtigung, dass die Entstehung menschlicher Gemeinschaft auf einen Akt sozialisationsgeleiteter Selbstbegrenzung zurückzuführen ist, der in der Überwindung des Naturzustandes zu sehen ist.391 Die Entscheidung gegen den Zustand des Krieges aller gegen alle wird ausschließlich durch das Subjekt getroffen. In der Folge könnte als Ursprung des Friedens nur insoweit ein „staatlicher“ Akt angenommen werden, als die Eingehung eines Gesellschaftsvertrags einhergeht mit der Übertragung von Gewalt vom Einzelnen auf eine übergeordnete Institution. Auch übersieht derjenige, der die Verantwortung für den öffentlichen Frieden vorrangig auf den Staat übertragen will, die Relevanz intersubjektiver Nähebeziehungen, die ihrerseits einen maßgeblichen Beitrag zum Bestand des gesellschaftlichen Friedens leisten. Mit einer solchen Verantwortungsverlagerung gehen vor diesem Hintergrund ernstzunehmende Gefahren einher: Wer die Autonomie des Einzelnen, die sich wesentlich von 387

Hörnle, Grob anstößiges Verhalten, S. 101 ff. S. zum Ganzen bereits Timm, Gesinnung und Straftat, S. 237 f. 388 S. statt aller Hörnle, Grob anstößiges Verhalten, S. 78 ff. Vgl. noch unten D. III. 5. a) cc) ausführlich zur Auseinandersetzung mit dem Gefühlsschutzansatz im Strafrecht. 389 Wie hier Hörnle, Grob anstößiges Verhalten, S. 96 ff. 390 S. zum Ganzen bereits Timm, Gesinnung und Straftat, S. 238. 391 S. dazu schon oben D. I. mit den dortigen Nachweisen.

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seiner Verantwortung für den Bestand der friedlichen Koexistenz in der Gemeinschaft ableitet, beschneidet, beschwört einen nachlässigen Umgang mit den Grunddeterminanten eines freiheitlichen Miteinanders herauf. Sofern der Staat sämtliche Aufgaben an sich zieht, wird der Bürger zum bloßen Statisten. Das Bewusstsein, individuell für das Funktionieren der Gesellschaft (mit-)verantwortlich zu sein, geht verloren – als Kehrseite präsentiert sich im schlimmsten Fall forcierte Opposition. Der Wunsch auf größtmögliche Garantie öffentlichen Friedens ist damit letztlich dazu geeignet, das Gegenteil zu bewirken: gesellschaftlichen Unfrieden.392 Bei dem öffentlichen Frieden handelt es sich damit um kein legitimes Schutzinteresse rechtlicher Verhaltensnormen. Sofern nicht jedenfalls ein weiteres – und zwar berechtigtes – Ziel mit einer darauf gerichteten Vorschrift verfolgt wird, ist ihre Legitimität abzulehnen. Dennoch kann die Lösung der im Zusammenhang mit Universalrechtsgütern auftretenden Schwierigkeiten, die anhand des öffentlichen Friedens exemplifiziert wurden, nicht darin liegen, solche Rechtsgüter ganz allgemein aus dem Strafrecht zu verbannen. Dies wird dem Stellenwert nicht gerecht, den auch Interessen der Allgemeinheit in einem freiheitlichen Gemeinwesen einnehmen können.393 Ohnehin lässt sich eine Unterscheidung zwischen individuellen und allgemeinen Gütern nicht trennscharf vollziehen. Die von Seiten des Staates zu garantierende Freiheit des Individuums erstreckt sich nicht allein auf den Schutz vor unzulässigen Eingriffen. Vielmehr muss der Einzelne von seiner Freiheit potentiell Gebrauch machen können, sodass er zugleich ein Interesse an der Garantie jener Grundvoraussetzungen hat, die seine individuelle Freiheitsentfaltung ermöglichen. Etwa der Bestand des Staates sowie die Funktionsfähigkeit seiner Einrichtungen lassen sich vor diesem Hintergrund nicht als ausschließliches Interesse des Staates deuten.394 Gleichwohl muss trotz des grundsätzlich berechtigten Stellenwerts von Universalrechtsgütern in einem rechtsstaatlichen Strafrecht in jedem Fall geprüft werden, ob das jeweilige Universalrechtsgut einen rechtlich schutzwürdigen Gehalt aufweist.395 Unzulässig ist es daher, diffuse Allgemeininteressen zu postulieren, die über den eigentlich rechtlich neutralen Charakter des ver- oder gebotenen Verhaltens hinwegtäuschen sollen.396 Und auch wenn sich ein legitimer Gehalt des universalen 392 Wie hier Beck, Vorfeldkriminalisierung, S. 143 f., der aber dennoch in engen Grenzen die Berechtigung des Schutzes des öffentlichen Friedens anerkennt. Vgl. auch Hefendehl, Kollektive Rechtsgüter, S. 286 f. 393 Zu denken ist etwa an das Universalrechtsgut der „Umwelt“, deren Schutz durch rechtliche Verhaltensnormen seine Berechtigung hat, s. noch unten D. III. 4. a). 394 Beck, Vorfeldkriminalisierung, S. 84 f.; Stratenwerth, ZStW 105 (1993), 679, 692; Wohlers, Deliktstypen des Präventionsstrafrechts, S. 94 ff., 222. 395 Vgl. dazu statt vieler Hörnle, Grob anstößiges Verhalten, S. 18: „Es muss auf die hinter den Rechtsgutsdefinitionen stehenden Prämissen zurückgegriffen werden, indem man sich mit der Frage auseinandersetzt, welche Wertungsgesichtspunkte ein Strafrechtsverbot tragen können.“ S. auch Frisch, Stree/Wessels-FS, S. 69, 94; Wohlers, Deliktstypen des Präventionsstrafrechts, S. 229. 396 Zu beobachten ist, dass einzelne Interessen, die als solche der Allgemeinheit deklariert werden, nicht selten allenfalls die Funktion einnehmen können, den eigentlichen gesin-

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Interesses ausmachen lässt, darf die Untersuchung an dieser Stelle nicht stehen bleiben. Vielmehr muss das in Rede stehende Verhalten überhaupt Schädigungsmöglichkeiten für das betroffene Schutzgut aufweisen, die rechtlich nicht hinnehmbar sind. Wird aber in dieser Weise verfahren, kann auf Ebene des legitimen Zwecks im Rahmen der Prüfung der Verhältnismäßigkeit rechtlicher Vorschriften in gebotenem Umfang Sachlichkeit garantiert werden. Daneben beruht der Vorgang der Abwägung widerstreitender Interessen auf der Ebene der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne nicht in einem Ausmaß auf Subjektivität, das die Begründung rechtlicher Verhaltensnormen der Willkür preisgibt. Hier muss eines beachtet werden: Die Frage, ob die Freiheitsbeeinträchtigung nach ihrer Art und Intensität nicht außer Verhältnis zu dem Rechtsgut steht, dessen Schutz der Zweck des Grundrechtseingriffs ist, ist eine originär rechtliche. Sie muss nach rechtlichen und damit objektiven Maßstäben beantwortet werden. Insoweit dient bereits die Verfassung als Korrektiv zur Vermeidung von Willkür und Manipulation bei der Legitimation rechtlicher Verhaltensnormen. Gleichwohl beruhen Abwägungsentscheidungen (auch) auf subjektiven Wertungen, die sich nicht vollständig kontrollieren lassen.397 Damit ist die Gefahr nicht in Gänze aufgehoben, dass die Begründung von Normen auf der Ebene der Angemessenheit subjektive Maßstäbe enthält. Indessen ist dieses Risiko insoweit abgemildert, als dem Gesetzgeber bei der Legitimation rechtlicher Verhaltensnormen ein erheblicher Einschätzungsspielraum zukommt.398 Die Korrektur der gesetzgeberischen Entscheidung durch das Bundesverfassungsgericht wegen Verstoßes gegen die Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne wird so auf diejenigen Fälle beschränkt, in denen die Unangemessenheit deutlich zu Tage tritt. Auf diese Weise gelingt es, der Gefahr von Willkür das Korrektiv der Mehrheitsentscheidung entgegenzusetzen.399 Folglich stellt auch diese Stufe der Verhältnismäßigkeitsprüfung es nicht dem subjektiven Gutdünken des Einzelnen anheim, wie die Abwägungsentscheidung auszufallen hat, sodass auch an dieser Stelle der Vorwurf von Willkür neben der Sache liegt. Damit zeigt sich, dass die Gruppe an Normen, die ihre Entstehung einem Bewertungsakt verdanken, in geringerem Umfang „subjektiv“ sind, als es der Kontrast gegenüber „natürlichen“ Normen bei oberflächlicher Betrachtung vermuten lässt. nungsstrafenden Charakter einer Vorschrift zu verschleiern. S. insoweit bereits Timm, Gesinnung und Straftat, S. 234 sowie Hörnle, Grob anstößiges Verhalten, S. 95 f.; Schroeder, Schutz von Staat und Verfassung, S. 309. 397 Maunz/Dürig/Grzeszick, GG, 75. EL September 2015, Art. 20 Rn. 118; Schlink, Abwägung im Verfassungsrecht, insbesondere S. 158 ff. 398 Vgl. BVerfGE 96, 10 ff., 23 ff. 399 S. Maunz/Dürig/Grzeszick, GG, 75. EL September 2015, Art. 20 Rn. 119. Vgl. dort auch dazu, dass es einen erheblichen Unterschied macht, ob die „Letztentscheidung“ über die Angemessenheit einer Norm in die Hände des Gesetzgebers oder des Bundesverfassungsgerichts gelegt wird. Abgesehen von Fällen der deutlichen Unangemessenheit ist es vorzugswürdig, den Bewertungsakt dem parlamentarischen Gesetzgeber zu überlassen, dessen demokratische Mehrheitsentscheidung eher objektivierbar ist als die subjektive Rechtsauslegung weniger Richter.

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Der vermeintliche Vorzug der Letztgenannten schwindet darüber hinaus endgültig, sofern die Behauptung ihrer Objektivität selbst einer kritischen Untersuchung unterzogen wird. Insoweit sei an die Ausführungen erinnert, die an früherer Stelle im Rahmen der Definition des Natürlichkeitsbegriffs getroffen worden sind. Hier konnte herausgearbeitet werden, dass die Frage, was als „natürlich“ bezeichnet werden soll, ganz unterschiedlich beantwortet werden kann.400 Zuletzt liegt es im Ermessen desjenigen, der sich des Begriffs bedient, diesen in einer bestimmten Weise inhaltlich zu konturieren. Allerdings ist in diesem Zusammenhang wiederum aufgefallen, dass eine trennscharfe Bestimmung des Natürlichen insbesondere in Abgrenzung zum Künstlichen kaum gelingen kann. Einem entsprechenden Vorhaben stehen nicht zuletzt die immer wieder auftretenden, zahlreichen Überschneidungen beider Bereiche entgegen.401 Vor diesem Hintergrund bietet der Begriff des Natürlichen aber in einem Maße ein Einfallstor subjektiver Willkür, wie es Normen, die auf einem Bewertungsakt beruhen, nicht im Ansatz zukommt. Solange es im Auge des Betrachters liegt, welche Sollensanforderung er der Natur entnehmen möchte bzw. was er als „natürlich“ und damit werthaft einstuft, ist dieser Vorgang in höchstem Maße subjektiv geprägt. Für denjenigen, der der Natur im Sinne eines originären Natürlichkeitsarguments des Typs II Wertentscheidungen entnehmen möchte, bietet deren Vielseitigkeit ein geradezu unerschöpfliches Ausmaß an mitunter gegenläufigen Modellen. Beispielhaft stehen sich darin selbstloser Altruismus innerhalb bestimmter Tierpopulationen und die Brutalität des Daseinskampfes unmittelbar gegenüber.402 Gleichwohl ließe sich nach wie vor die Behauptung aufstellen, dass „natürliche“ Zwecke, die zur Legitimation rechtlicher Verhaltensnormen herangezogen werden, zumindest nicht durch menschliche Willkür entstanden und insoweit objektiv seien. Indessen ändert dieser Umstand nichts daran, dass die willkürliche Herausnahme einzelner Erscheinungsformen der Natur, um daraus eine normative Sollensanforderung abzuleiten, einen rein subjektiven Akt darstellt. Sofern aber die Auswahlentscheidungen, die von Vertretern originärer Natürlichkeitsargumente in Bezug auf eine Vielzahl ganz unterschiedlicher „natürlicher“ Zwecke getroffen wird, nicht an objektiven, da willkürfreien Maßstäben ausgerichtet ist, hat dies unmittelbare Konsequenzen für die auf diese Weise gewonnenen Normen: Sie selbst sind Ausdruck subjektiver Willkür. Damit können Vorschriften, die sich die Natur zur Grundlage wählen, allenfalls auf den ersten Blick Sachlichkeit verstanden als Unabhängigkeit von menschlicher Manipulation gewährleisten.403 Wie eine nähere 400

S. oben C. II. 1. S. dazu oben C. II. 3. 402 Birnbacher, Natürlichkeit, S. 56 ff. spricht insoweit treffend vom projektiven Charakter normativer Naturbilder. 403 In diesem Zusammenhang wirkt es fast als Eingeständnis des Fehlens jedweder Vernunftgründe für eine generelle Ablehnung gegenüber neuen Technologien, wenn Böhme, Was wissen wir, S. 189, 194 darauf verweist, dass die „Suche nach Maximen für ein vernünftiges Verhalten gegenüber den neuen Technologien, insbesondere den Biotechnologien,“ angewiesen 401

III. Legitimität rechtlicher Verhaltensnormen zum Schutz des Natürlichen

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Betrachtung belegt, stellt gerade die Auswahl solcher Normen aus dem bunten Strauß ganz unterschiedlicher vermeintlicher „Naturzwecke“ eine rein subjektive dar, die an dem individuellen Gutdünken des jeweiligen Normsetzenden ausgerichtet ist. Eine Überlegenheit in Sachen Objektivität gegenüber Normen, die durch einen Wertungsakt entstanden sind, ist daher nicht gegeben. Im Gegenteil garantieren allein Letztere in ihrer Orientierung an verfassungsrechtlichen Vorwertungen und durch das Korrektiv der demokratischen Mehrheitsentscheidung einen deutlichen Schutz gegenüber subjektiver Willkür und Manipulation. b) Universalität und Egalität ersetzen nicht die allgemeinen Bedingungen rechtlicher Verhaltensnormlegitimation Darüber hinaus streiten weder die Universalität noch die Egalität rechtlicher Verhaltensvorschriften, die sich die Natur zur Grundlage wählen, (für sich genommen) für deren sachliche Berechtigung. Vor diesem Hintergrund ist auch der mit diesen Eigenschaften in der Diskussion vordergründig verbundene argumentative Vorteil in höchstem Maße zweifelhaft. Wiederum ließe sich in diesem Kontext zunächst die Frage aufwerfen, ob die Prädikate der Universalität und Egalität „natürlichen“ Normen zu Recht zugeschrieben werden. Wie bereits angedeutet, finden sich in der Natur ganz unterschiedliche bzw. gar gegenläufige Zwecksetzungen, wie etwa der Kontrast zwischen selbstlosem Altruismus und bedingungslosem Daseinskampf belegt. Jedenfalls gegen die Universalität solcher Normen spricht also, dass sich in aller Regel in der Natur auch eine gegensätzliche Aussage finden lässt. Dies legt in der Konsequenz gar die Annahme von Pluralität innerhalb der Natur nahe. Letztlich kann dies aber dahin stehen. Denn unabhängig davon, ob aus der Natur abgeleitete Normen universal bzw. egalitär sind, weisen diese Umschreibungen kein (für sich genommen) legitimierendes Potential auf – in der Diskussion können sie daher lediglich den Stellenwert von Scheinargumenten einnehmen. So handelt es sich in Bezug auf die universelle Geltung einer Norm um eine Eigenschaft, die allenfalls in einem zweiten Schritt der Beurteilung der Validität von Normen Bedeutung entfalten kann. Grund dafür ist der Umstand, dass jedenfalls rechtliche Regelungen den Anspruch von Universalität gar nicht verfolgen.404 Vom Recht werden all jene Vorschriften erfasst, die für das gesellschaftliche Zusammenleben prinzipiell von solcher Bedeutung sind, dass sie des Schutzes staatlicher Durchsetzungsbefugnisse bedürfen.405 Zu denken ist hier etwa an das Verbot der Tötung eines anderen Menschen oder das Gebot, seine Steuern zu zahlen. Während diese rechtlichen Vorschriften selbst in pluralistischen Gesellschaften im Grundsatz sei „auf jene Gefühle des Schreckens, der Unheimlichkeit, der Furcht, mit denen sehr viele Menschen mehr oder weniger diffus auf die Perspektiven dieser Technologien reagieren“. Hier wird ganz offensichtlich bereits der Anspruch von Sachlichkeit nicht länger verfolgt. 404 So auch Alwart, Recht und Handlung, S. 147. 405 S. dazu bereits oben A.

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weitestgehend auf Anerkennung stoßen und aus diesem Grund nahezu als „universell“ gelten können, ist dies jedoch mitnichten für jedwede rechtliche Norm der Fall. Dies belegt bereits das Beispiel des Schwangerschaftsabbruchs, der in den verschiedenen Ländern der Welt ganz unterschiedliche rechtliche Regelungen erfahren hat. Dass etwa der Umgang der deutschen Rechtsordnung mit dem Schwangerschaftsabbruch in §§ 218 ff. StGB keine Universalität für sich in Anspruch nehmen kann, steht seiner Legitimation jedoch nicht im Wege. Für das Recht ist es hinreichend, dass der parlamentarische Gesetzgeber in Orientierung an den allgemeinen Legitimationsvoraussetzungen rechtlicher Verhaltensnormen eine entsprechende Einigung über eine Vorschrift erzielt, selbst wenn sich darin nicht die private Auffassung eines jeden Bürgers widerspiegelt. Daher gilt: Lässt sich eine rechtliche Verhaltensnorm im Wege der allgemeinen Legitimationskriterien rechtfertigen,406 ist es allenfalls ein (erfreulicher) Nebeneffekt, sofern es sich dabei um eine universelle handelt. Denn tatsächlich dürfte dieser Anspruch abgesehen von solch gesellschaftlich relevanten Vorschriften wie dem Tötungsverbot in den meisten Fällen nicht zu erreichen sein. Grund dafür ist nicht zuletzt, dass dem Recht (auch) eine Befriedungsfunktion zukommt. Insbesondere in den Konstellationen, in denen innerhalb der Gesellschaft unterschiedliche Wertvorstellungen aufeinander treffen, kann das Recht einen bedeutsamen Beitrag zur Konfliktlösung bieten, indem bestimmte Vorrangentscheidungen zugunsten spezifischer Rechtspositionen getroffen werden. Zugleich ist das Rechtssystem in steter Bewegung. Ein Beispiel dafür bietet etwa das Verbraucherschutzrecht, das in den letzten Jahren insbesondere aufgrund der erheblichen Intervention von europäischer Seite immer wieder gravierende Veränderungen durchlaufen hat. Kennzeichen einer universellen Norm ist es jedoch gerade, dass sie unveränderlich ist.407 Auch diesem Anspruch wird das Recht aber in weiten Teilen nicht gerecht, was wiederum für sich genommen nicht der Legitimation der jeweiligen Vorschriften entgegensteht. Denn in letzter Konsequenz liefe die Forderung, dass es sich bei rechtlichen Normen um universelle handeln müsse, auf eine Überforderung des Rechts hinaus.408 Weil dieses Ziel in den meisten Fällen nicht zu erreichen ist, hätte das Recht sich daraus in Gänze zurückzuziehen. In der Folge wären große Bereiche des gesellschaftlichen Lebens der Regulierung entzogen, wenngleich es einer solchen zur Vermeidung gesellschaftlicher Konflikte zwingend bedarf. Um diese Funktion überhaupt erfüllen zu können, dürfen daher keine überzogenen Anforderungen an ein Rechtssystem gestellt werden. Vor diesem Hintergrund stellt Universalität zu Recht keine allgemeine Legitimationsanforderung für die Begründung rechtlicher Verhaltensnormen dar. Selbst wenn „natürliche“ Normen diesem Anspruch gerecht werden sollten, müssten 406

S. zu diesen ausführlich oben D. I. Birnbacher, Natürlichkeit, S. 42. 408 Nicht zuletzt aus diesem Grund findet sich der Gedanke der Universalität im Recht als Prinzip allein im Gleichheitssatz wieder. S. zu diesem Verhältnis Renzikowski, GA 1992, 159, 165. 407

III. Legitimität rechtlicher Verhaltensnormen zum Schutz des Natürlichen

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sie ihrerseits zunächst die allgemeinen Legitimationsbedingungen erfüllen. Ihre (vermeintliche) Universalität allein vermag diese nicht zu ersetzen. Ähnlich verhält es sich mit dem vermeintlichen Vorzug „natürlicher“ Normen in Gestalt der Gleichbehandlung aller Menschen. Hier gilt es zu differenzieren: Geht es allein um die institutionelle Gleichheit der Bürger im Staat, muss jedwede rechtliche Vorschrift innerhalb eines freiheitlichen Rechtsstaats diesen Anspruch ohnehin erfüllen. Gemäß Art. 3 Abs. 1 GG sind alle Menschen vor dem Gesetz gleich. Der Gleichheitssatz räumt jedermann eine gleiche Rechtsstellung ein.409 Hintergrund ist dabei die vertragstheoretische Überlegung, dass die Gründung eines Verfassungsstaates durch eine Vereinbarung seiner künftigen Mitglieder allein unter der Voraussetzung erfolgen kann, dass deren Entscheidung Ausdruck gleicher Freiheit ist.410 In einem – unterstellten – Naturzustand können alle Menschen Gleichheit und gleiche Freiheit für sich beanspruchen. Die Gründung einer Gemeinschaftsordnung ist zwar darauf gerichtet, die Gefahren eines Zustands ungeregelter Freiheit von Personen zu vermeiden.411 Der damit einhergehende Freiheitsverlust soll allerdings allein in dem erforderlichen Maße erfolgen – nämlich in dem Umfang, der zur Gewährleistung eines Miteinanders in Frieden zwingend ist. Darüber hinaus soll die Freiheit des Einzelnen nicht beschnitten werden. Aus dieser vertragstheoretischen Erkenntnis folgt zugleich, dass die Individuen sich auf eine Gemeinschaftsordnung verständigen, die ihnen in größtmöglichem Umfang Freiheit garantiert. Solange sich legitime Herrschaft auf eine Vereinbarung der Unterworfenen stützt, muss deren spezifische Ausformung grundsätzlich zustimmungsfähig sein.412 Der Gleichheitssatz übernimmt dabei eine zentrale Funktion, stellt er doch „den einzelnen Menschen in die Mitte von Recht und Gesellschaft“.413 Vor diesem Hintergrund handelt es sich bei dem positivrechtlich in Art. 3 Abs. 1 GG normierten Gleichheitssatz um eine „Elementarregel, die den Grundkonsens von Verfassungsstaat und Staatsvolk aufnimmt und damit eine Legitimationsgrundlage für die rechtsstaatliche Demokratie bietet“.414 „Sie wurzelt in der Gleichheit und fordert Gleichheit.“415 Auf dieser Basis stehen Vorschriften, die durch einen Bewertungsakt entstanden sind, und solche, die sich die Natur zur Grundlage wählen, im Hinblick auf das Prinzip der Gleichbehandlung auf einer Stufe. Für sich genommen handelt es sich allerdings bei dem Gleichheitssatz nicht um eine hinreichende Bedingung für die Legitimation von Verhaltensnormen. Auch insoweit kann also der Hinweis darauf, 409

S. zu sämtlichen Facetten des verfassungsrechtlichen Gleichheitssatzes statt aller Maunz/Dürig/Kirchhof, GG, 75. EL September 2015, Art. 3 Abs. 1 Rn. 1 ff. 410 S. zu den unterschiedlichen Begründungsansätzen für diese Annahme von Seiten der Vertreter von Vertragstheorien die Darstellung bei Maunz/Dürig/Kirchhof, GG, 75. EL September 2015, Art. 3 Abs. 1 Rn. 63 ff. 411 S. zur Vertragstheorie schon oben D. I. 412 Maunz/Dürig/Kirchhof, GG, 75. EL September 2015, Art. 3 Abs. 1 Rn. 64. 413 Maunz/Dürig/Kirchhof, GG, 75. EL September 2015, Art. 3 Abs. 1 Rn. 63. 414 Maunz/Dürig/Kirchhof, GG, 75. EL September 2015, Art. 3 Abs. 1 Rn. 1. 415 Maunz/Dürig/Kirchhof, GG, 75. EL September 2015, Art. 3 Abs. 1 Rn. 64.

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D. Validität von Natürlichkeitsargumenten im Bereich der Biomedizin

dass „natürliche“ Regeln egalitär seien, bei näherer Betrachtung keinen argumentativen Vorteil mit sich bringen. Erneut müssen vielmehr die weiteren allgemeinen Anforderungen zur Rechtfertigung rechtlicher Vorschriften erfüllt sein. Art. 3 Abs. 1 GG findet sowohl auf Ebene der Bestimmung eines legitimen Zwecks als auch im Bereich der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne Anwendung. Dessen Wahrung allein genügt aber nicht, um zu dem Ergebnis zu gelangen, dass es sich bei der betroffenen Vorschrift um eine legitime handelt. Sowohl Egalität als auch Universalität als (vermeintliche) Kennzeichen „natürlicher“ Sollensanforderungen sind folglich (für sich genommen) nicht geeignet, eine rechtliche Verhaltensnorm zu legitimieren. Darüber hinaus müssen vielmehr zwingend die allgemeinen Bedingungen für die Rechtfertigung rechtlicher Vorschriften erfüllt sein, weshalb beide Kriterien nicht ausreichen, um die Berechtigung „natürlicher“ Normen zu begründen. In der Diskussion können die Kriterien der Egalität und Universalität daher lediglich nachgeordnete Bedeutung entfalten und streiten nicht per se für die Vorzugswürdigkeit eines Natürlichkeitsarguments. c) Kritik der verbreiteten ausschließlich positiven Besetzung des Natürlichen Ebenso verhält es sich in Bezug auf die verbreitet anzutreffende positive Konnotation der Begriffe Natur bzw. natürlich. Über die sachliche Berechtigung eines Natürlichkeitsarguments sagt die bloße gefühlsmäßige Besetzung einer Begrifflichkeit nichts aus.416 Hingegen müsste sich diese auf Gründe stützen, die einer Prüfung nach den allgemeinen Maßstäben der Legitimation rechtlicher Verhaltensnormen standhalten. Allerdings könnte der Umstand, dass eine große Zahl an Personen das als natürlich Bezeichnete in einem positiven Sinne versteht, immerhin ein Indiz für die auch legitimatorische Berechtigung solcher Argumente haben. Dagegen spricht in diesem Zusammenhang aber die tiefe geistesgeschichtliche Verwurzelung jenes spontanen Zuspruchs gegenüber Natürlichkeitsargumenten.417 Sowohl im Platonismus als auch im Christentum lässt sich die positive Wertschätzung der Natur aus ihrer unmittelbaren göttlichen bzw. demiurgischen Legitimation ableiten. Im alttestamentarischen Schöpfungsmythos erschafft Gott die Natur nicht lediglich als Bedingung für menschliches Leben, sondern auch um ihrer selbst willen. Die Natur ist dem Menschen zwar nachgeordnet, nicht jedoch ihres eigenen Werts vollständig beraubt. Ähnlich gestaltet sich das Naturbild, wie es dem Platonismus zu entnehmen ist: die natürliche Welt wird durch den Demiurgen in Orientierung an den Ideen geschaffen. Es liegt damit nahe, dass die positive Besetzung des Natürlichen eher mit jenen geistesgeschichtlichen Einflüssen, denn mit sachlichen Kriterien der Verhaltensnormlegitimation zusammenhängt.

416

ansatz. 417

S. unten D. III. 5. a) cc) ausführlich zur Auseinandersetzung mit dem GefühlsschutzS. dazu ausführlich Birnbacher, Natürlichkeit, S. 35.

III. Legitimität rechtlicher Verhaltensnormen zum Schutz des Natürlichen

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Ein weiteres Erklärungsmodell bietet in diesem Zusammenhang Birnbacher:418 Seiner Ansicht nach komme in der positiven Wertung des Natürlichen zugleich die (nicht bewusste) Wertschätzung der eigenen Eltern bzw. Ahnen zum Ausdruck. Jeder Mensch sei Teil eines Prozesses, der ohne ihn begonnen hat und aus dem er entstanden ist: „Und von der Erkenntnis, dass wir uns der Natur als gemeinsamer ,Urmutter‘ verdanken, ist es kein weiter Weg zu einem Gefühl basaler Loyalität.“ Erneut bleibt es dann aber bei einer reinen Emotion bzw. subjektiven Prägung, die Ursprung der positiven Besetzung des Natürlichen ist. Aus dieser allein lässt sich die sachliche Berechtigung von Natürlichkeitsargumenten nicht herleiten. Ohnedies fragt sich, ob die verbreitet positive Konnotation von Natürlichkeitsargumenten nicht ihrerseits als Trugschluss widerlegt werden kann. So stechen bereits bei oberflächlicher Betrachtung der Natur Vorgänge ins Auge, die sich mitnichten als Vorbild menschlichen Verhaltens eignen. Dabei fällt der Blick zunächst auf die außermenschliche Natur, die in beispielloser Willkür mit ihren Geschöpfen verfährt.419 Während Einzelne – offensichtlich grundlos – in höchstem Maße begünstigt werden, trifft andere – wiederum ohne ersichtlichen Grund – ein besonders grausames Schicksal. Naturereignisse hinterlassen nicht selten eine Spur blinder Zerstörung, die sich durch nichts rechtfertigen lässt:420 „All das tut die Natur mit der hochmütigsten Mißachtung aller Barmherzigkeit und Gerechtigkeit. Sie richtet ihre Pfeile unterschiedslos auf die Edelsten und Besten wie auf die Schlechtesten und Gemeinsten, auf die, welche die reinsten und erhabensten Zwecke verfolgen, und oftmals sogar als unmittelbare Folge ihrer alleredelsten Handlungen, so daß es fast scheinen könnte, sie seien die Strafe für sie.“421 Darüber hinaus ist die natürliche Welt jedenfalls auf dem Planeten Erde langfristig auf ihre eigene Vernichtung ausgerichtet, die sämtlichen davon betroffenen Geschöpfen das Leben nehmen wird.422 In der Natur herrscht außerdem das Recht des Stärkeren: Minderheitenschutz, wie er als normatives Gebot in menschlichen Gesellschaften mehr oder minder stark ausgeprägt ist, findet sich darin nicht. Im Gegenteil werden ausschließlich die besonders durchsetzungsstarken Gene bzw. deren Träger belohnt, während insoweit unterlegene Geschöpfe erbarmungslos von der weiteren Entwicklung ausgeschlossen werden.

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Birnbacher, Natürlichkeit, S. 37 f. Mill, Drei Essays über Religion, S. 30 („uneingeschränkte und absolute Rücksichtslosigkeit“). S. dazu auch Fechner, JZ 1986, 653, 658; Zoglauer, „Natur“ im Umbruch, S. 49, 60. Vgl. zur Ambivalenz von Natürlichkeitswertungen ferner Siep, Ethik, S. 250. 420 Mill, Drei Essays über Religion, S. 28 f. vermutet gerade in dem Gefühl der Bewunderung, das sich angesichts der in der Natur vorzufindenden ungeheuren Macht einstellen kann, einen weiteren Grund für die positive Besetzung alles Natürlichen. Dazu sein – treffendes – Urteil: „Diejenigen, bei denen ehrfurchtsvolle Scheu Bewunderung hervorruft, mögen zwar ästhetisch gebildet sein, moralisch aber sind sie ungebildet.“ 421 Mill, Drei Essays über Religion, S. 31. 422 Birnbacher, Natürlichkeit, S. 54; Mill, Drei Essays über Religion, S. 31. 419

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D. Validität von Natürlichkeitsargumenten im Bereich der Biomedizin

Auch die menschliche Natur ist in einer historischen Rückschau wenig geeignet, Aussagen über künftige Sollensanforderungen zu treffen. Hier dominiert ein Bild gegenseitiger Gewalt, der durch die Entwicklung normativer Systeme gerade Einhalt geboten werden soll.423 Verhaltensnormen, die sich am „Naturzustand“ menschlicher Koexistenz, dem Krieg aller gegen alle,424 orientierten, liefen damit ins Leere. Ebenso inhaltsleer wäre ein System „natürlicher“ Normen, die den Menschen und sein Verhalten als Teil der (Gesamt-)Natur betrachten. Nach einem solchen Verständnis verdiente jedwedes menschliche Tun oder Unterlassen das Prädikat des „Naturgemäßen“, eine Differenzierung etwa von gutem und schlechtem Verhalten wäre systematisch undenkbar.425 Auch insoweit wäre also eine Orientierung an der Natur bzw. dem Natürlichen zur Begründung rechtlicher Verhaltensnormen ein wenig sinnvolles Unterfangen. Der verbreitet anzutreffenden positiven Wertung von Natürlichkeitsargumenten steht damit eine Vielzahl an erheblich negativen Naturvorgängen gegenüber, die jedenfalls nicht als Vorbild für menschliches Verhalten dienen können. Vor diesem Hintergrund lässt sich zu Recht die Frage formulieren, warum der Mensch der Natur in irgendetwas nachahmen soll, wenn dies nicht für alles in der Natur Vorgefundene gilt?426 Damit ist zuletzt die Berechtigung der positiven Besetzung des Naturbegriffs selbst infrage gestellt – ebenso denkbar erscheint ein besonders negatives Naturbild. Sofern Natürlichkeitsargumenten in der Diskussion in einem ersten Zugang verbreitet Wohlwollen entgegenschlägt, ist dieser Effekt daher in höchstem Maße fragwürdig. 2. Fehlende Bindungswirkung eines etwaigen „natürlichen Normensystems“ für den Menschen Die argumentativen Vorteile von Natürlichkeitsargumenten haben sich bei näherer Betrachtung als weniger wirkmächtig herausgestellt, als sie im Rahmen eines ersten Zugangs erscheinen mögen. Ohnedies kann weder die verbreitet positive Besetzung des Natürlichen noch die vermeintliche Gleichheit, Sachlichkeit oder Universalität darauf gestützter Argumente für sich genommen die Legitimation rechtlicher Verhaltensnormen begründen. Diesen Versuch unternehmen aber originäre Natürlichkeitsargumente des Typs II, die dem Natürlichen selbst eine Normenordnung entnehmen möchten, die für den Menschen Bindungswirkung entfalten soll. Zur Erinnerung: Derartige Natürlichkeitsargumente reduzieren sich auf die Aussage, dass spezifische Maßnahmen nicht erfolgen dürfen, weil sie sich in der Natur so nicht finden. Dies trifft auf eine Vielzahl an Entstehungsmöglichkeiten menschlichen Lebens zu, die erst durch neue biotechnologische Verfahren eröffnet worden sind. Etwa das Klonen von Lebewesen findet sich in der Natur, wie wir sie 423 424 425 426

Mill, Drei Essays über Religion, S. 46, 52. Hobbes, Leviathan, S. 95 f. Birnbacher, Natürlichkeit, S. 50; Mill, Drei Essays über Religion, S. 61 f. Mill, Drei Essays über Religion, S. 33.

III. Legitimität rechtlicher Verhaltensnormen zum Schutz des Natürlichen

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kennen, nicht. Die Entstehung von Lebewesen erfolgt üblicherweise durch einen Geschlechtsakt der leiblichen Eltern, weshalb auch die Befruchtung einer Eizelle in der Petrischale kein Vorbild in natürlichen Vorgängen findet. Zudem ist beispielsweise das Phänomen der Leihmutterschaft in der Natur nicht bekannt. Doch lässt sich allein aus diesem Umstand die Wertung ableiten, dass es sich bei entsprechenden Verfahren um etwas Unzulässiges handelt? Streitet die bloße Tatsache, dass in der Natur bestimmte Vorgänge nicht anzutreffen sind, für ein Verbot der Vornahme entsprechender Maßnahmen durch den Menschen? Dies würde jedenfalls voraussetzen, dass die Natur spezifische Zweckbestimmungen vornimmt. Erst diese Prämisse lässt den weiteren gedanklichen Schritt zu, dass der Mensch sich an solche „natürlichen“ Regeln halten müsste. Ein „Unterlassen der Natur“ etwa in Gestalt des Fehlens einer Möglichkeit, Lebewesen zu klonen, könnte dann als Wertung verstanden werden, dass entsprechende Maßnahmen nicht sein dürfen. Allerdings spricht gegen die Annahme, dass der Natur selbst spezifische Zweckbestimmungen zu entnehmen sind, bereits die Widersprüchlichkeit, die solche Zielsetzungen offenkundig aufweisen würden. Wie gezeigt, erschafft die Natur Leben mit derselben Willkürlichkeit, mit der sie es vernichtet. Einer Logik scheinen diese natürlichen Abläufe nicht zu folgen. Für die Legitimation von Normen, die sich die Natur zur Grundlage wählen, steht daher immerhin fest, dass eine Orientierung am Natürlichen nicht ausnahmslos erfolgen kann. Etwa der Minderheitenschutz ist als normative Errungenschaft menschlicher Gemeinschaft zu bewerten, auf den nicht in Orientierung an abweichenden „natürlichen“ Regeln verzichtet werden darf. Indem damit verschiedene Bereiche der Natur als ungeeignet zur Bildung menschlicher Sollensanforderungen herausgearbeitet werden konnten, steht die Eignung einer solchen Vorgehensweise insgesamt in der Kritik. Sofern nicht alles, was sich in der Natur abspielt, als Vorbild für die Begründung rechtlicher Verhaltensnormen geeignet ist, erscheint das unter diesen Umständen notwendig nur punktuelle Berufen auf die Natur wiederum als willkürlich. Es drängt sich insoweit der Eindruck auf, als werde eine bereits unabhängig von der Natur vorgenommene normative Setzung lediglich auf bestimmte natürliche Vorgänge übertragen, um darin deren Bestätigung zu finden. Unabhängig von der Berechtigung der jeweiligen Setzung ist es dann aber wiederum nicht die Natur, die die Regeln vorgibt. Hingegen dient sie ausschließlich als Projektionsfläche einer individuell für richtig empfundenen Sollensordnung.427 Indessen ließe sich dieser Argumentation wiederum entgegenhalten, dass die Hintergründe des natürlichen Wirkens in Gänze bislang schlicht nicht erfasst worden seien. Dem Verstehen stünde ein Mangel an menschlicher Auffassungsgabe entgegen, aus dem sich erst der Eindruck von Widersprüchlichkeit in Bezug auf die „Gesetze der Natur“ ergebe. In der Tat ist ein solcher Einwand kaum zu entkräften. Es 427 Birnbacher, Natürlichkeit, S. 64; Mill, Drei Essays über Religion, S. 42; Zoglauer, „Natur“ im Umbruch, S. 49, 60 f. Vgl. auch Bayertz, GenEthik, S. 140: „So muß auch die menschliche Natur bereits vorab normativ betrachtet und interpretiert werden, um aus ihr die Normen herauslesen zu können, die man zuvor in sie hineingelesen hat.“

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D. Validität von Natürlichkeitsargumenten im Bereich der Biomedizin

wird sich nie abschließend klären lassen, ob die Natur tatsächlich spezifische Zweckbestimmungen aufweist. Dies ist allerdings auch nicht erforderlich. Denn selbst wenn dem Natürlichen Zweckbestimmungen zu entnehmen wären und etwa die Entstehung von Lebewesen nach „natürlichen“ Regeln allein durch einen Geschlechtsakt der leiblichen Eltern vollzogen werden dürfte, ginge damit nicht die Bindung des Menschen an entsprechende „Normen“ einher.428 Sollte die Natur solche aufweisen, wäre damit nicht mehr gesagt als genau dies: Dass nämlich die Natur entsprechende Regeln kennt und diese für sich als bindend erachtet. Über die Normbefolgungspflicht des Menschen wäre aber keine Aussage getroffen. Kurz: Allein aus der Annahme, dass die Natur Zweckbestimmungen kennt, folgt nicht deren Bindungswirkung gegenüber dem Menschen.429 Dem steht nicht entgegen, dass der Mensch in gewissen Bereichen keine Wahlmöglichkeiten in Bezug auf eine Bindung an natürliche Gegebenheiten hat. So liegt gegenwärtig etwa die Befriedigung seiner Grundbedürfnisse jedenfalls insoweit nicht in seinem Ermessen, als es ihm auf die Erhaltung seines Lebens ankommt. In der Tat besteht dahingehend eine evidente Abhängigkeit des Menschen von der Natur: Der Mensch muss atmen und sich ernähren. In alledem ist er auf bestimmte Voraussetzungen angewiesen, die sich aus seiner Umwelt ergeben. Allerdings folgt wiederum allein aus der Tatsache, dass der Mensch in bestimmten Lebensbereichen an „natürliche“ Bedingungen gebunden ist, nicht seine generelle Unterwerfung unter etwaige Zweckbestimmungen der Natur. Vielmehr zeigt gerade der Kontrast gegenüber den menschlichen Grundbedürfnissen, dass in Bezug auf die Bindung des Menschen an natürliche Prozesse bereichsspezifisch unterschieden werden kann. Etwa im Hinblick auf die hier in Rede stehenden Maßnahmen der Biotechnik erweist sich der Mensch als prinzipiell frei in seiner Orientierung an dem Vorbild der Natur. Dieser Freiheit lässt sich nicht entgegensetzen, dass von ihr kein Gebrauch gemacht werden dürfe, weil sie nicht in jedwedem Lebensbereich existiere. So lässt dieser Befund für sich genommen keine Wertung auf den Einsatz von Freiheit zu, wenn diese möglich ist. Ohnehin ist nicht ausgeschlossen, dass in Zukunft Wege beschritten werden, die es dem Menschen ermöglichen, unabhängig von der äußeren Natur zu überleben. Schon heute kann Sauerstoff künstlich zugeführt und Nahrung durch technische Verfahren hergestellt werden. Wenngleich es gegenwärtig als phantastische Fiktion anmutet, erscheint es daher nicht unmöglich, dass der Mensch künftig auch im Hinblick auf seine Grundbedürfnisse nicht länger auf die Natur angewiesen sein wird. Selbst wenn die Natur also spezifische Zwecksetzungen aufweisen sollte, würden diese keine zwingende Bindungswirkung gegenüber dem Menschen entfalten. Etwas 428

S. auch Birnbacher, Natürlichkeit, S. 55. So auch Eibach, Werdendes Leben, S. 151: „Die ,Natur‘ selbst hat allein keine ethisch normative Kraft.“ 429 Tatsächlich muss sich der Mensch zur Sicherung seines Lebens etwa gegen Krankheiten oder Naturkatastrophen schützen. Sollte in solch natürlichen Ereignissen die Wertung liegen, dass die dadurch herbeigeführte Vernichtung von Leben sein soll, würde sich der Mensch schon insoweit den „natürlichen Regeln“ widersetzen – eine wenig überzeugende Konsequenz.

III. Legitimität rechtlicher Verhaltensnormen zum Schutz des Natürlichen

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anderes ergibt sich auch nicht aus der bereichsspezifischen Unfreiheit des Menschen in Bezug auf die Einhaltung natürlicher Vorgaben. Weil er keine Wahlfreiheit hinsichtlich der lebensnotwendigen Befriedigung seiner Grundbedürfnisse hat, heißt das nicht, dass er von dieser nicht in den Bereichen Gebrauch machen darf, in denen sie ihm offen steht. Der Umstand, dass bestimmte Maßnahmen, die durch die moderne Biomedizin möglich werden, in der Natur nicht auffindbar sind, trifft folglich keine den Menschen bindende normative Aussage. Hieraus ließe sich allenfalls der Schluss ableiten, dass die Natur selbst solche Eingriffe nicht wünscht. Über die Bindungswirkung eines solchen „natürlichen Gesetzes“ für den Menschen ist damit nichts gesagt. Gegen sie spricht nicht zuletzt dessen Befähigung, über den Einsatz real bestehender Freiheit selbst entscheiden zu können. 3. Vorwurf des naturalistischen Fehlschlusses Im Hinblick auf originäre Natürlichkeitsargumente gilt es noch einen allgemeinen Einwand auf seine Richtigkeit zu überprüfen, der üblicherweise mit besonderer Häufigkeit gegen entsprechende Positionen ins Feld geführt wird.430 Die Rede ist von dem Vorwurf, dass sich originäre Natürlichkeitsargumente in einen „naturalistischen Fehlschluss“ verwickeln, der ihrer Berechtigung innerhalb einer ethischen bzw. rechtlichen Debatte ganz grundsätzlich entgegenstehe. Gemeint ist damit die Aussage, dass sich aus rein deskriptiven Voraussetzungen normative Sollensanforderungen nicht schlüssig ableiten lassen.431 Indes beruht dieser Vorwurf auf der Prämisse, dass es sich bei dem davon betroffenen Natürlichkeitsargument um eine rein deduktive Ableitung eines Sollenssatzes aus einem deskriptiven Satz handelt. Übertragen auf die Gruppe der originären Natürlichkeitsargumente des Typs I hieße dies, dass etwa das Verbot des Klonens ausschließlich aus der Werthaftigkeit des natürlichen Zeugungsvorgangs des Menschen abgeleitet würde. Daneben müssten originäre Natürlichkeitsargumente des Typs II das rechtliche Verbot des Klonens der bloßen Tatsache entnehmen, dass dieses in der Natur nicht vorkommt. Sofern sich die nachfolgend näher untersuchten originären Natürlichkeitsargumente mithin auf solche Aussagen begrenzen lassen, kann ihnen zu Recht der Vorwurf eines naturalistischen Fehlschlusses gemacht werden. Aus der bloßen Tatsache, dass die Natur ein bestimmtes Verfahren zur Entstehung menschlichen Lebens nicht kennt, kann nicht abgeleitet werden, dass es sich dabei um eine Sol430

S. dazu, dass in der „biomedizinischen Ethik ständig das ,Damoklesschwert‘ des Vorwurfs eines ,naturalistischen Fehlschlusses‘ lauert“, auch Quante, Zeitschrift für Medizinische Ethik 40 (1994), 289. 431 Birnbacher, Natürlichkeit, S. 45; Fenner, Angewandte Ethik, S. 17; Höffe, Volk von Teufeln, S. 32; Renzikowski, GA 1992, 159, 161. Vgl. ferner Quante, Zeitschrift für Medizinische Ethik 40 (1994), 289, 292, 293 ff. zu den unterschiedlichen Interpretationsmöglichkeiten der Verwendung des naturalistischen Fehlschlusses bei Moore. S. ferner Quante, Einführung, S. 122 f. zum Verhältnis zwischen Humes Gesetz und Moores Konzeption des naturalistischen Fehlschlusses. S. noch Pawlowski, Methodenlehre, S. 378.

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D. Validität von Natürlichkeitsargumenten im Bereich der Biomedizin

lensanforderung handelt. Insoweit geht der Einwand des naturalistischen Fehlschlusses noch über das bislang zur Bindungswirkung von „natürlichen Normen“ Gesagte hinaus.432 Bestritten wird nicht nur, dass Letztere für den Menschen keine verbindlichen Regeln darstellten, sollte es sie denn geben. Zudem ist nicht einsichtig, weshalb die Beobachtung natürlicher Begebenheiten die Ableitung von präskriptiven Sätzen ermöglichen soll. Vielmehr handelt es sich um unterschiedliche Kategorien, deren Verbindung nicht ohne einen Brückenschlag möglich ist. Allein der Umstand, dass die natürliche Zeugung des Menschen den Sexualakt von Mann und Frau zur Voraussetzung hat, macht diesen Zusammenhang nicht für sich genommen „gut“. Besonders deutlich zeigt sich dies nicht zuletzt an den – zugegeben krassen – Beispielen, die an früherer Stelle als Beleg dafür angeführt wurden, dass sich innerhalb der Natur nicht allein Positives findet: Die Vernichtung menschlichen Lebens in großer Zahl durch eine Naturkatastrophe lässt sich zwar beobachten – eine Sollensanforderung kann daraus indes offensichtlich nicht abgeleitet werden. Allerdings ist auch die These des notwendigen Brückenschlags zwischen Sein und Sollen zur Vermeidung eines naturalistischen Fehlschlusses nicht ohne Kritik geblieben. Widerspruch erhebt insoweit insbesondere MacIntyre,433 der den Grundsatz, „daß aus einer Reihe faktischer Prämissen keine moralische Schlußfolgerung als ,logische Wahrheit‘ schlüssig folgt“, als schlichtweg „falsch“ kennzeichnet. Hintergrund sei dabei eine Fehlentwicklung, die in der Moralphilosophie des 17. und 18. Jahrhunderts ihren Ausgang genommen habe und für die „Probleme der modernen Moraltheorie“ verantwortlich sei.434 Die Rede ist von dem aufklärerischen Projekt, in Abkehr von traditionellen theistischen sowie teleologischen Denkweisen eine „Verwirklichung der eigenen Autonomie des Selbst“ durch eine rationale Rechtfertigung der Moral gelingen zu lassen.435 Gemeinsam sei Vertretern dieser „antiaristotelische(n) Wissenschaft“ daher die Zurückweisung jedweder teleologischen Bestimmung der menschlichen Natur bzw. der Sicht auf den Menschen, „in der er ein Wesen hat, das sein wahres Ziel bestimmt.“436 Dies habe indes zur Folge, dass sich moralische Gesetze und menschliche Natur unversöhnlich gegenüber stünden. Während nämlich bis dahin von einem „Gegensatz zwischen dem Menschen wie er ist und dem Menschen wie er sein könnte, wenn er sein Telos erkennen würde“, ausgegangen wurde, sei eben jene zweite Ebene fortan in Gänze negiert worden. In der Konsequenz können die Gebote der Ethik aber nicht länger als „Mittel für den Übergang von einem Zustand zum anderen“ dienen.437 Vielmehr ergebe sich das Dilemma, dass sich moralische Gesetze und der verbliebene Begriff der menschlichen Natur (wie er ist) widersprechen. Die Moralphilosophen des 17. 432 433 434 435 436 437

S. oben D. III. 2. Vgl. ferner Esser, Kants Tugendlehre, S. 36 f. MacIntyre, Verlust der Tugend, S. 60 ff., 89. Zum Zitat s. MacIntyre, Verlust der Tugend, S. 87. MacIntyre, Verlust der Tugend, S. 79. S. zu den Zitaten MacIntyre, Verlust der Tugend, S. 78 (Hervorhebung im Original).

III. Legitimität rechtlicher Verhaltensnormen zum Schutz des Natürlichen

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und 18. Jahrhunderts „übernahmen unzusammenhängende Bruchstücke eines einst zusammenhängenden Denk- und Handlungssystems“, woraus aber die „Unmöglichkeit und Wirklichkeitsferne ihrer selbstgewählten Aufgabe“ folge.438 Ihres „teleologischen Zusammenhangs beraubt“ stehen moralische Sätze nach Auffassung MacIntyres daher in der Tradition der aufklärerischen Moralphilosophie „als Ausdrucksformen einem emotivistischen Selbst zur Verfügung, das seinen sprachlichen und praktischen Standpunkt in der Welt verloren hat, da ihm die Anleitung durch den Kontext fehlt, in welchem sie ursprünglich zu Hause waren.“439 Erst auf dieser Basis sei der Einwand des naturalistischen Fehlschlusses jedoch verständlich. Zugleich handele es sich bei den damit einhergehenden Schwierigkeiten um hausgemachte, die durch eine Revision der aufklärerischen Zielsetzung einer rationalen Rechtfertigung der Moral unter Ausscheidung teleologischer Erwägungen behoben werden können. Kurz: Erst die aufklärerische Idee einer Moralbegründung ohne die Bezugnahme auf eine teleologische Sicht der menschlichen Natur habe nach Auffassung MacIntyres den Grundsatz, von einem Sein nicht auf ein Sollen schließen zu dürfen, zum Leben erweckt. Wer diese Prämissen allerdings nicht teile, setze sich diesem Einwand auch nicht aus. In der Folge ist MacIntyre bemüht, die Fehlerhaftigkeit einer Abkehr von einer teleologischen Moraltheorie aufzuzeigen. So gebe es durchaus „einige Arten schlüssiger Beweisführung, bei denen in der Schlußfolgerung ein Element auftauchen kann, das in den Prämissen nicht enthalten sei.“440 Grund dafür seien funktionale Vorstellungen, die notwendig mit dem Begriff eines Gegenstandes einhergingen. So sei „die Vorstellung von einer Uhr nicht unabhängig von der Vorstellung von einer guten Uhr“ bzw. „die Vorstellung von einem Bauern nicht unabhängig von der Vorstellung von einem guten Bauern“ zu definieren: „Das Kriterium für etwas, eine Uhr zu sein, und das Kriterium für etwas, eine gute Uhr zu sein, sind nicht unabhängig voneinander – und das gleiche gilt natürlich für den ,Bauern‘ und alle anderen funktionalen Vorstellungen.“ So handele es sich etwa immer dann um eine gute Uhr, wenn sie die genaue Zeit anzeige. Ebenso sei ein „guter Bauer“ daran zu erkennen, dass er einen höheren Ernteertrag pro Morgen als jeder andere Bauer in der Gegend erzielt bzw. sein Milchvieh auf Landwirtschaftsausstellungen alle ersten Preise holt. Aus der Funktion bzw. Rollenbeschreibung eines Gegenstandes ließen sich daher wertende Schlussfolgerungen ziehen, die nichts daran änderten, dass „beide Arten von Kriterien faktisch“ seien.441 Diese Erkenntnisse müssen nach MacIntyre auf den Begriff des Menschen übertragen werden. „Mensch“ stehe danach für „guter Mensch“, weshalb es sich auch dabei um einen funktionalen Begriff handele. Insoweit könne dem Menschen eine Vielzahl an Rollen wie etwa diejenige des Familienmitglieds, Bürgers, Soldaten,

438 439 440 441

MacIntyre, Verlust der Tugend, S. 80. MacIntyre, Verlust der Tugend, S. 87. MacIntyre, Verlust der Tugend, S. 82. MacIntyre, Verlust der Tugend, S. 83 f.

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D. Validität von Natürlichkeitsargumenten im Bereich der Biomedizin

Philosophen oder eines Dieners Gottes zukommen.442 Unter der Beachtung der jeweiligen Rolle bzw. Funktion des Menschen könne aber von einem faktischen Umstand auf ein Sollen geschlossen werden. Auf dieser Basis schlägt nach Auffassung MacIntyres das teleologische Menschenbild eine Brücke zwischen Sein und Sollen, ohne sich dabei in Widersprüche zu verstricken. Demgegenüber sei der Grundsatz, von einem Sein nicht auf ein Sollen zu schließen, Ausdruck „eines tiefgreifenden Mangels an historischem Bewußtsein“ und müsse allein von jenen Philosophen als „unentrinnbare Wahrheit“ anerkannt werden, „deren Kultur nur das verarmte moralische Vokabular besitzt, das auf die Ereignisse zurückgeht“, von denen MacIntyre selbst vorab berichtete.443 Vor diesem Hintergrund steht und fällt die Immunität MacIntyres eigener Moraltheorie gegenüber dem Einwand des naturalistischen Fehlschlusses mit der Behauptung, bei einer funktionalen Vorstellung von einem Gegenstand handele es sich um eine faktische. Allein unter dieser Voraussetzung könnte seine Position mit Recht für sich beanspruchen, den Schluss von einem Sein auf ein Sollen vornehmen zu können. Allerdings muss dieser Annahme widersprochen werden. Bei Lichte besehen kommt bereits die funktionale Bestimmung eines Gegenstands nicht ohne ein wertendes Element aus. Insofern gelingt selbst MacIntyre nicht das „Unmögliche“, vielmehr legt er Prämissen zugrunde, die sein eigenes Modell nicht zu wahren imstande ist. Im Einzelnen: Aus dem faktischen Umstand, dass ein Bauer einen höheren Ertrag erzielt als andere, lässt sich zunächst nicht mehr als dies ableiten: Dass er mehr Ertrag erzielt als andere Bauern. Ob dies gut oder schlecht ist, entspricht einer Wertungsfrage, die vorab getroffen werden muss, um die konkrete Funktion – in diesem Fall des Bauern – festzulegen. Dies lässt sich anhand einer Ergänzung des Beispiels verdeutlichen. So entstehen für MacIntyres Konzeption bereits in der Situation Schwierigkeiten, in der es in einer Gesellschaft eine Übersättigung des Marktes etwa an Kartoffeln gibt. Zugleich sieht sich diese Gesellschaft mit erheblichen ökologischen Problemen konfrontiert, die durch eine zu intensive Nutzung der Böden zum Kartoffelanbau entstanden sind. Kann bei einer solchen Sachlage ernstlich davon ausgegangen werden, dass ein „guter (Kartoffel-)Bauer“ ohne Berücksichtigung der gesellschaftlichen Interessen nach wie vor darum bemüht ist, mehr Ernteertrag pro Morgen als jeder andere Bauer in seiner Gegend zu erzielen? Oder sollte ein „guter Bauer“ in dieser Situation nicht vielmehr darauf setzen, seinen Ackerbau ökologisch nachhaltig zu betreiben, selbst wenn dies mit einer geringeren Ernte verbunden ist? Zwar ließe sich an dieser Stelle einwenden, dass unterschiedliche Rollenbilder nicht unzulässig gegeneinander ausgespielt werden dürfen. Insoweit könnte es sich um zwei unterschiedliche Rollen handeln, die dem Kartoffelbauern im voranstehenden Beispiel auferlegt werden: Die Rolle des Bauern (dessen Tätigkeit allein auf hohen Ertrag gerichtet ist) und die des ökologisch nachhaltig wirtschaftenden Eigentümers von Ackerflächen. Allerdings lassen sich 442 443

MacIntyre, Verlust der Tugend, S. 84 f. MacIntyre, Verlust der Tugend, S. 85.

III. Legitimität rechtlicher Verhaltensnormen zum Schutz des Natürlichen

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diese beiden Funktionsbeschreibungen nicht ernstlich voneinander trennen. So steht es nicht zuletzt im Eigeninteresse des Bauern, seine Tätigkeit noch in Zukunft ausführen zu können. Ein pures Gewinnstreben ohne Rücksicht auf die Nachhaltigkeit seines Wirtschaftens widerspricht daher seinerseits der Rollenbeschreibung eines Bauern, sodass es sich hierbei nicht um eine neue Funktion handelt, die mit dem Begriff des Bauern unzulässig vermengt wird. Das Beispiel zeigt, dass die vermeintlich so eindeutige Rollenbeschreibung, die MacIntyre im Hinblick auf den Bauern vornimmt, mitunter erheblichen Schwankungen unterliegen kann, die gerade auch von den Interessen anderer Gesellschaftsmitglieder abhängig sind. Rollen sind insoweit ihrerseits das Produkt von Abwägungsprozessen in Bezug auf unterschiedliche in der Gesellschaft anzutreffende Interessen. Ihnen liegt eine Wertung zugrunde, aus der sich die konkrete Beschaffenheit der jeweiligen Rolle erst ergibt. Zwar erfolgt dieser Abwägungsvorgang üblicherweise nicht bewusst – vielmehr gehen mit bestimmten Rollenbildern gleichsam „automatisch“ spezifische Vorstellungen einher. Hierbei handelt es sich um Vereinfachungen, die es möglich machen, Verhaltenserwartungen in gewissem Umfang abstrakt festzulegen. Wegen der Häufigkeit bestimmter Rollen tritt dieser Vorgang in aller Regel nicht länger offen in das Bewusstsein der mit dieser Zuschreibung Konfrontierten. Dieser Befund ändert aber nichts daran, dass Ausgangspunkt solcher Vorstellungen eine Wertung ist. Ebenso verhält es sich im Hinblick auf MacIntyres zweites Beispiel der „guten Uhr“. Dass diese als Werkzeug zur Bemessung der Zeit entwickelt wird, entspricht ihrer heute gängigen Funktion. Zugleich liegt hierin aber nicht lediglich ein faktischer Umstand – dass nämlich Uhren die Funktion aufweisen, die Zeit genau anzugeben. Vielmehr beruht auch der Befund ihrer gegenwärtigen Funktion seinerseits auf einer Vorwertung, die sich daraus ergibt, dass Menschen es für wichtig erachten, Kenntnis vom Ablauf der Zeit zu erlangen. Allerdings können mit diesem Wissen auch negative Folgeerscheinungen wie etwa Zeitdruck einhergehen. Aus diesem Grund ist es nicht ausgeschlossen, dass Menschen zu dem Entschluss kommen könnten, die genaue Kenntnis der Zeit fortan für unbeachtlich zu erklären. Uhren verlören dann aber ihre dahingehende Funktion, sodass sie in einer solchen Gesellschaft nicht als „gut“ erachtet würden, wenn sie die genaue Zeit anzeigen, sondern etwa dann, wenn man mit ihnen besonders gut „nach der Katze (…) werfen“ kann.444 Unabhängig jedoch von der zugegeben eher fernliegenden Fiktion einer in Bezug auf die genaue Uhrzeit gleichgültigen Gesellschaft lässt sich schon heute darüber streiten, ob eine Uhr allein aus dem Grund als „gut“ bezeichnet werden kann, weil sie die Zeit genau anzeigt. Je nach gesellschaftlichem Kontext kann dieser Faktor für den einen oder anderen eine durchaus geringere Bedeutung einnehmen als etwa die ästhetische Schönheit der Uhr. So ist es nicht abwegig, dass eine antike Armbanduhr selbst dann als „gut“ bezeichnet wird, wenn sie die Zeit allenfalls grob

444

Vgl. zum Beispiel MacIntyre, Verlust der Tugend, S. 85.

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anzeigt, aber durch ihre klassische Fassung sowie ihre optisch besonders ansprechende Verarbeitung besticht. Die Beispiele zeigen: Die Funktion bzw. Rolle eines Gegenstandes ist ihrerseits Produkt eines Wertungsprozesses. Damit ist aber die Argumentation MacIntyres, die sich gegen den Grundsatz wendet, von einem Sein nicht auf ein Sollen zu schließen, in ihrem Fundament erschüttert. Letztlich gelingt es auch MacIntyre nicht, aus einem Faktischen normative Schlüsse zu ziehen, indem er den (Um-)Weg über die Funktion von Begriffen wählt. Vielmehr kann auch durch diese Wendung nicht die Notwendigkeit umgangen werden, Sollensanforderungen auf normative Wertungen zu stützen. Funktionen bzw. Rollen sind ihrerseits nicht faktisch, sondern Produkt einer normativen Schlussfolgerung. Es muss daher bestritten werden, dass es Arten schlüssiger Beweisführung gibt, bei denen aus faktischen Prämissen moralische Schlussfolgerungen gezogen werden. Was folgt aber aus dieser Erkenntnis für die Berechtigung des Einwands, aus einem faktischen Sein nicht auf ein Sollen schließen zu können? In der Konzeption MacIntyres wird dieser Anspruch ersichtlich nicht gewahrt. Durch die Einführung von Funktionen bzw. Rollen wird darin vielmehr ein normatives Element einbezogen, das allein dazu geeignet ist, die daraus abgeleiteten Sollensanforderungen zu begründen. MacIntyres Vorwurf, erst die Moralphilosophie des 17. und 18. Jahrhunderts sei für ein Auseinanderfallen von Sein und Sollen und die damit einhergehenden Begründungsschwierigkeiten verantwortlich, geht vor diesem Hintergrund fehl. Auch eine Moraltheorie, die ein teleologisches Verständnis der menschlichen Natur zugrunde legt, kann die Notwendigkeit der normativen Begründung moralischer Urteile nicht umgehen. Indem nämlich die Funktionen in MacIntyres Modell als Produkt einer normativen Wertung enttarnt werden konnten, lässt sich deren Begründung gerade nicht auf die faktische Beschaffenheit von Gegenständen stützen. Hingegen sieht sich auch MacIntyre der Frage ausgesetzt, worauf er den telos einer Sache bzw. des Menschen stützt.445 Die Angabe der Funktion, die ein Gegenstand „nach unserer Erwartung normalerweise erfüllt“, greift insoweit zu kurz – von der hier bereits sprachlich angelegten Hinwendung zum Normativen ganz abgesehen. Erwartungen können sich bekanntlich ändern, was normal bzw. die Norm ist, unterliegt Schwankungen. Ohnedies bedarf es aber für solche Rollenvorstellungen, die in Bezug auf den Menschen mit Pflichten und damit Freiheitsbeeinträchtigungen einhergehen können, einer sachlichen Rechtfertigung. Diese zu liefern, ist ein diffuses Berufen auf den telos jedoch nicht geeignet.446 445 S. ferner Esser, Kants Tugendlehre, S. 37 f., 40 f. dazu, dass sich auf Individualebene aufgrund der seitens MacIntyre selbst angenommenen Wahlfreiheit des Individuums die zusätzliche Schwierigkeit ergibt, wie damit umzugehen ist, dass sich der Einzelne dem Anspruch einer jeden Praxis allein durch eine Entscheidung gegen die jeweilige Rolle entziehen könnte: „Die Frage, ob und aus welchen ,Gründen‘ sich jemand überhaupt einer sein Handeln normierenden Praxis unterordnen sollte, könnte weder thematisiert noch beantwortet werden.“ 446 Treffend führt daher Esser, Kants Tugendlehre, S. 40 in Bezug auf MacIntyres Ansatz aus, „daß man aus Beschreibungen und faktischen Prämissen zwar auf geltende Orientierungen,

III. Legitimität rechtlicher Verhaltensnormen zum Schutz des Natürlichen

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Es bleibt somit dabei: Der von MacIntyre angebotene Ausweg aus der Schwierigkeit, Sollensanforderungen nicht unter Bezugnahme auf Faktisches begründen zu können, ist ein nur scheinbarer. Zuletzt gelingt dies auch einer teleologischen Moraltheorie im Sinne MacIntyres nicht. In der Konsequenz erweist sich das Berufen auf die Natur bzw. das Natürliche mithin immer dann als unzulässig, wenn aus der bloßen Beobachtung natürlicher Vorgänge auf Sollensanforderungen geschlossen wird. Indes begegnen rein deduktive Ableitungen präskriptiver Sätze aus deskriptiven in der Debatte um die Zulässigkeit neuer biotechnologischer Verfahren in aller Regel nicht bzw. nicht in solcher Deutlichkeit.447 Zumeist handelt es sich dabei vielmehr um Positionen, denen der bereits angesprochene Brückenschlag insoweit gelungen ist, als sie sich des Umstands bedienen, dass präskriptive Aussagen zumeist auch einen deskriptiven Bedeutungsanteil aufweisen.448 Bei Lichte betrachtet geht daher der Aussage einer Werthaftigkeit des Natürlichen in den häufigsten Fällen eine normative Setzung voraus. In den Worten Sieps: „Wir erklären und bewerten ,Natur‘ gewissermaßen durch die Brille von Wertvorstellungen der menschlichen Gesellschaft und umgekehrt.“449 Der Umstand, dass ein spezifischer Zusammenhang als natürlich und damit schutzwürdig eingestuft wird, findet seine Begründung unter dieser Voraussetzung aber nicht in einer bloßen Deduktion von Naturbeschreibungen. Hingegen bilden diese selbst erst den zweiten Schritt, der auf eine normative Setzung folgt. Was bleibt damit von dem Einwand des naturalistischen Fehlschlusses übrig? Zunächst kann dieser nach wie vor mit Berechtigung erhoben werden, sofern sich innerhalb der originären Natürlichkeitsargumente eine reine Deduktion des Werts einer Aussage aus deren Natürlichkeit finden sollte. Darüber hinaus muss der Vorwurf des naturalistischen Fehlschlusses als Mahnung verstanden werden. Ohne normativen Brückenschlag lassen sich originäre Natürlichkeitsargumente nicht halten. Zu ihrer Berechtigung bedarf es der Angabe von Gründen, die für sich genommen – unabhängig von einem etwaigen Zusammenhang mit Naturgegebenheiten – für die Richtigkeit der jeweiligen Position streiten. Auf andere Weise kann der Zirkel, in den sich Natürlichkeitsargumente zu verstricken drohen, nicht durchbrochen werden.450 Insofern genügt es auch nicht, gegen spezifische Verfahren der Biomedizin den Einwand zu erheben, ein Fortschreiten der Veränderungen der leiblichen Kontingenz des Menschen führe langfristig zur vollständigen Abschaf-

die bestimmten gesellschaftlichen Traditionen entstammen, schließen kann, nicht aber auf eine diese Orientierungen und Traditionen selbst normierende Direktive.“ 447 Zu dieser Einschätzung gelangen ferner Birnbacher, Natürlichkeit, S. 45 f.; Quante, Zeitschrift für Medizinische Ethik 40 (1994), 289, 302. Vgl. auch Sturma, Menschliche Natur, S. 174, 179. 448 Quante, Einführung, S. 122; vgl. ferner Bayertz, GenEthik, S. 181 (Anmerkung 3); Siep, Ethik, S. 187. 449 Siep, Ethik, S. 260 (Hervorhebungen im Original). 450 So auch Bayertz, GenEthik, S. 140.

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D. Validität von Natürlichkeitsargumenten im Bereich der Biomedizin

fung der menschlichen Natur.451 Selbst wenn sich infolge zunehmender Eingriffe in die menschliche Natur eine entsprechende Entwicklung abzeichnen sollte, kann aus diesem Umstand allein nicht dessen Bewertung als schlecht bzw. wenig wünschenswert abgeleitet werden. Wer vor der Abschaffung der menschlichen Natur warnt und damit meint, ein Argument gegen Fortschritte im biomedizinischen Bereich in die Debatte eingeführt zu haben, hat vielmehr bereits im Vorfeld die Wertung vorgenommen, dass es sich dabei um eine zu vermeidende Entwicklung handelt. Diese Auffassung setzt folglich bereits voraus, dass der menschlichen Natur ein eigenständiger Wert zukommt, den es zu wahren gelte. Warum dies aber der Fall sein soll – dazu schweigt die bloße Warnung vor entsprechenden Veränderungen. Damit ist zugleich der Weg für die eigene Untersuchung geebnet: Eine Ablehnung von originären Natürlichkeitsargumenten kann sich nicht auf den Einwand des naturalistischen Fehlschlusses zurückziehen. Dieser greift im Hinblick auf die meisten Begründungsansätze, die im Rahmen der biomedizinischen Debatte unter Rekurs auf die Natürlichkeit vorgebracht werden, nicht durch. Zu ihrer Entkräftung ist er dann aber nicht geeignet. Um vielmehr die Berechtigung solcher Argumentationslinien umfassend zu überprüfen, bedarf es einer kritischen Auseinandersetzung im Einzelfall. Der Blick richtet sich daher auf die verschiedenen Gründe für originäre Natürlichkeitsargumente, die uns innerhalb der Diskussion um die Zulässigkeit neuer biotechnischer Verfahren begegnen. 4. Validität originärer Natürlichkeitsargumente In den Fokus rückt dabei zunächst ein Begriff, dessen Verwendung sich bereits im bisherigen Verlauf der Untersuchung nicht vermeiden ließ. Originäre Natürlichkeitsargumente des Typs I drehen sich im Kern um die Aussage, dass dem Natürlichen ein eigenständiger „Wert“ zugeschrieben wird. Bevor daher auf die Gründe näher eingegangen werden kann, die für eine solche Beurteilung im Einzelfall ausschlaggebend sind, muss zunächst geklärt werden, was im vorliegenden Zusammenhang mit dem Begriff des Werts ausgesagt sein soll.452 Insoweit fällt auf, dass dieser sich innerhalb der allgemeinen Legitimationsanforderungen an rechtliche Verhaltensnormen nicht findet. Hier begegnet vielmehr die Begrifflichkeit des „Interesses“ bzw. des „legitimen Zwecks“. Wie gezeigt, entspricht es der ersten Stufe der Begründung rechtlicher Vorschriften, ein Schutzgut zu benennen, dessen Wahrung das jeweilige Ver- bzw. Gebot verschrieben ist. Den Anforderungen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes entspricht dabei jedwedes Interesse, das nicht für sich genommen den verfassungsrechtlichen Vorgaben zuwider läuft.453 Es handelt sich 451

Vgl. zu diesem Einwand sowie zur zutreffenden Gegenkritik Bayertz, Menschliche Natur, S. 9, 27 f. 452 Zu den Ursprüngen des Begriffs s. Sandkühler/Baran, Europäische Enzyklopädie, S. 805 ff. (Stichwort Werte). 453 S. dazu schon oben D. I. 1.

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mithin um eine Kategorie, die nur in geringem Umfang Einschränkungen vorgibt – etwa eine Abwägung gegenüber widerstreitenden Interessen ist in dieser ersten Stufe der Verhältnismäßigkeitsprüfung gerade nicht angelegt.454 Das verbreitete Verständnis des Wertbegriffs geht allerdings über diese inhaltliche Bestimmung des legitimen Zwecks von Verhaltensnormen im rechtlichen Kontext hinaus. Erfasst sein soll davon nämlich die zusätzliche Aussage, dass es sich bei dem Gemeinten um etwas „Gutes“ bzw. „Positives“ handelt.455 Werte sind danach „Gegebenheiten, die man anerkennen und achten soll – dh Gegebenheiten, in denen der Grund dafür liegt, daß man sich für diese oder jene Sache einsetzt“.456 Diese Bedeutung kommt der ersten Stufe der Verhältnismäßigkeitsprüfung demgegenüber nur insoweit zu, als dass darin kein Interesse verfolgt werden darf, das der Verfassung grundsätzlich zuwider läuft. Beispielsweise handelt es sich nicht um einen legitimen Zweck einer rechtlichen Verhaltensnorm, wenn diese auf die Vorbereitung eines Angriffskrieges gerichtet ist (Art. 26 Abs. 1 GG). Allerdings ist der Gesetzgeber in der Wahl seiner Zwecke weitgehend frei: Die Verfassung nimmt keine abschließende Aufzählung legitimer Staatsziele vor.457 Vor diesem Hintergrund ist der Begriff des legitimen Zwecks einer rechtlichen Verhaltensnorm grundsätzlich neutral. Abgesehen von der Einschränkung allgemeiner Verfassungskonformität ist damit nicht die Aussage verbunden, dass es sich um etwas „Gutes“ handelt. Im rechtlichen Kontext sind mit der Verwendung des Wertbegriffs nicht zu übersehende Schwierigkeiten verbunden. Diese offenbaren sich zunächst anhand der Unklarheit, die über das Rangverhältnis unterschiedlicher Werte auftreten kann.458 In Konkurrenzsituationen kann nicht abschließend bestimmt werden, welcher Wert obsiegt bzw. höherrangig ist.459 Sofern sich ein höchster Wert benennen ließe, wäre dieser darüber hinaus gegenüber den anderen Werten stets begünstigt, was in aller Konsequenz in eine „Tyrannei der Werte“ münden müsste.460 Die auf diese Weise zu erzielenden Ergebnisse werden aber mitnichten den komplexen Anforderungen eines Rechtssystems gerecht. Im Bereich des Rechts erweist sich das Berufen auf „Werte“ darüber hinaus aus dem Grund als problematisch, weil Werte hier der Vorbereitung von Entscheidungen 454 BeckOK/GG/Huster/Rux, Art. 20 Rn. 193 f. (Stand: 01. 03. 2015); Lagodny, Schranken der Grundrechte, S. 141. 455 S. Siep, Ethik, S. 127. Vgl. insoweit auch Hartmann, Ethik, S. 122, der Werten die Eigenschaft zuschreibt, Dingen den Charakter zu verleihen, „wertvoll“ zu sein. 456 Pawlowski, Methodenlehre, Rn. 848 (Hervorhebung im Original) mit Verweis auf Hartmann, Ethik (s. dort etwa S. 148 ff.; 170 ff.). 457 S. BeckOK/GG/Huster/Rux, Art. 20 Rn. 193.1 (Stand: 01. 03. 2015), vgl. dort auch zu weiteren Beispielen. 458 Vgl. nur Pawlowski, Einführung, § 7 Rn. 183 ff., der anhand von Scheler und Hartmann aufzeigt, in welch unterschiedlicher Weise Werthierarchien gebildet werden können. 459 Leisner, NJW 1997, 636, 637; Carl Schmitt, Tyrannei der Werte, S. 9, 31 f., 36. 460 S. dazu ausführlich Carl Schmitt, Tyrannei der Werte, S. 9, insbesondere S. 36 ff. Vgl. ferner Pawlowski, Methodenlehre, Rn. 851.

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D. Validität von Natürlichkeitsargumenten im Bereich der Biomedizin

dienen. Solche müssen sich aber zur Garantie ihrer Legitimität an bestimmten formalen und auch materiellen Regeln orientieren, in deren Zentrum insbesondere die Wahrung von Objektivität und Gleichheit steht.461 Diese Anforderungen können aber bei einer Ausrichtung juristischer Entscheidungen an Werten nicht ohne Weiteres gewährleistet werden. Grund dafür ist der Umstand, dass der Annahme eines Wertes ein subjektives Werterleben vorausliegt: „In diesem Werterleben lassen sich (…) Sein und Schein nicht trennen.“462 Was vor diesem Hintergrund droht, ist eine Abkehr des Rechts von dem Prinzip der Verallgemeinerbarkeit, das in einer für alle gleichen Fälle in gleicher Art getroffenen Entscheidung des Gesetzgebers zum Ausdruck kommt. An seine Stelle kann die Orientierung an Werten eine wenig wünschenswerte „Abwägungsjurisprudenz“ setzen, die lediglich den Einzelfall in den Blick nimmt.463 Dieser Gefahr wirkt es grundsätzlich nicht entgegen, wenn etwa das Bundesverfassungsgericht meint, dem Grundgesetz eine objektive Wertordnung entnehmen zu können.464 Der bloße – wenngleich höchstrichterliche – Interpretationsakt ist nicht geeignet, an die Stelle des subjektiven Werterlebnisses eine Werterkenntnis zu setzen. Gemeint ist damit, dass zwar das Bundesverfassungsgericht frei darin ist, die Grundrechte als „Werte“ einzustufen. Damit einher geht aber nicht deren absolute Geltung – vielmehr bleibt es in Bezug auf die Frage, ob etwas „gut“ oder „positiv“ ist, bei dem subjektiven Erlebnis des Einzelnen.465 Darüber hinaus handelt es sich bei dem Grundrechtsteil der Verfassung nicht um eine Kodifikation, die aber für die Festlegung einer Werteordnung erforderlich wäre.466 Im Gegenteil finden sich darin ausschließlich Abwehrrechte des Bürgers gegen den Staat, die aufgrund historischer Erfahrungen als relevant erachtet wurden und deren Normierung möglich war.467 Die 461

S. zur Legitimation rechtlicher Verhaltensnormen schon oben D. I. Darüber hinaus garantieren die Verfahrensordnungen in formeller Hinsicht die Wahrung von Rechtsstaatlichkeit. 462 Pawlowski, Methodenlehre, Rn. 853 (Hervorhebung im Original). S. ebenfalls Carl Schmitt, Tyrannei der Werte, S. 9, 31: Es ist „das menschliche Individuum, das in voller, rein subjektiver Entscheidungsfreiheit die Werte setzt.“ 463 Pawlowski, Methodenlehre, Rn. 854 warnt in diesem Zusammenhang vor einer „Kadijustiz“. Ebenso Leisner, NJW 1997, 636, 637. Vgl. ferner Pawlowski, Wildenmann-FS, S. 172, 177. Weniger kritisch demgegenüber Seelmann, Rechtsphilosophie, § 5 Rn. 6. – Vgl. ferner Amelung, NJW 1990, 1753, 1755, der die Gefahr der Subjektivierung normativer Entscheidungen noch in der Kernbereichslehre des Bundesverfassungsgerichts verwirklicht sieht: Diese beziehe sich auf „undeutliche Sozialnormen“, deren inhaltliche Bestimmung an dem jeweiligen persönlichen Hintergrund des Richters orientiert sei. Ähnlich Pawlowski, Methodenlehre, Rn. 815, der auf die Gefahren hinweist, die mit einem Rückgriff auf Werte für die inhaltliche Bestimmung des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts einhergehen. 464 BVerfGE 7, 198, 205, 208; BVerfG NJW 1975, 573, 575; NJW 1979, 2607. S. grundsätzlich zu der Auffassung, Werte seien Gegenstand der Erkenntnis, Hartmann, Ethik, S. 47 ff.; 149 f. 465 Pawlowski, Methodenlehre, Rn. 849. 466 Ausführlich zu diesem Gedanken Diederichsen, AcP 198 (1998), 171, 214 ff. 467 Pawlowski, Methodenlehre, Rn. 855; ebenso bereits Diederichsen, AcP 198 (1998), 171, 215.

III. Legitimität rechtlicher Verhaltensnormen zum Schutz des Natürlichen

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in der Verfassung getroffene Aufzählung müsste aber als höchst unvollständig eingestuft werden, sollte sie als abschließende Werteordnung verstanden werden. „Werte“ wie Mitmenschlichkeit, das Lebensrecht künftiger Generationen oder Umweltbelange finden darin beispielsweise keine Erwähnung.468 Aufgrund dieser Lückenhaftigkeit könnte es sich daher bei dem Grundgesetz allenfalls um eine defizitäre „Werteordnung“ handeln, was bereits einer ausschließlichen Orientierung normativer Entscheidung an den darin verkörperten „Werten“ entgegensteht.469 Neben diese Kritik tritt noch der Umstand, dass das Grundgesetz seinerseits auf zusätzliche Maßstäbe wie etwa das „Sittengesetz“ (Art. 2 Abs. 1 GG) verweist und sich mitunter besonders allgemein gehaltener Formulierungen bedient, die der weiteren Auslegung und Konkretisierung bedürfen. Auch insoweit sind daher Zweifel geweckt, ob darin eine Werteordnung zu sehen ist, die für sich genommen den Rechtsanwender in die Lage versetzt, eindeutige Entscheidungen zu treffen.470 Vor diesem Hintergrund ist es daher zu begrüßen, dass das Bundesverfassungsgericht in jüngeren Entscheidungen die Bezugnahme auf objektive Werte durch die Rede von einer „verfassungsrechtlichen Grundentscheidung“ teilweise ersetzt und auf diese Weise frühere Judikative in gewissem Umfang relativiert.471 Selbst wenn aber ungeachtet der voranstehenden Kritik die Auffassung vertreten werden sollte, dass dem Grundgesetz eine objektive Werteordnung zu entnehmen sei,472 kann dies nicht über die Notwendigkeit hinwegtäuschen, für eine normative Entscheidung sachliche Gründe zu benennen. Insoweit offenbart sich auch die Bedeutung, die dem Wertbegriff im Rahmen der hier interessierenden Debatte allein zukommen kann: Die Einstufung als „Wert“ befreit nicht von dem Erfordernis, ein Ergebnis sachlich zu begründen. Damit kann es sich bei dem Wertbegriff nicht um einen selbstständig bedeutsamen handeln. Zwar unterscheidet sich dieser von dem des legitimen Zwecks durch seine inhaltliche Aufladung: Anstatt Neutralität zu vermitteln, ist ihm die Aussage zu entnehmen, dass der als Wert klassifizierte Zusammenhang „gut“ bzw. „positiv“ sei. Eine Begründung dafür, dass es sich hierbei um eine sachlich „richtige“ Aufladung handelt, geht damit allerdings nicht einher. Wie bereits im Hinblick auf die Begrifflichkeiten der Natur und des Natürlichen dargelegt, reicht auch die Bezeichnung als „Wert“ nicht als valides Argument im Rahmen einer normativen 468

Zu diesen und weiteren Beispielen s. Diederichsen, AcP 198 (1998), 171, 215 f.; Pawlowski, Methodenlehre, Rn. 855. S. zur Kritik ebenfalls Larenz, Methodenlehre, S. 131 ff. 469 Selbst das Bundesverfassungsgericht lässt sich in seiner Entscheidungsbegründung nicht auf die Grundrechte begrenzen. Im Gegenteil finden hier insbesondere das Rechtsstaatsprinzip bzw. das Gebot der effektiven Strafverfolgung Berücksichtigung, BVerfG NJW 1990, 563 mit kritischer Anmerkung Amelung, NJW 1990, 1753. 470 Larenz, Methodenlehre, S. 131. 471 BVerfG 73, 261, 269. Vgl. zu dieser Entwicklung v. d. Pfordten, Rechtsethik, S. 100. 472 Nach wie vor lassen sich der höchstrichterlichen Rechtsprechung Hinweise auf die Auffassung entnehmen, dass das Gericht im Grundgesetz eine „objektive Wertordnung“ verkörpert sieht. S. dazu nur BVerfG NJW 2000, 2495; VIZ 2004, 220, 221; NJW 2015, 1235, 1236.

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D. Validität von Natürlichkeitsargumenten im Bereich der Biomedizin

Diskussion aus.473 Der Wertbegriff kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass für eine „Bewertung“ Gründe angegeben werden müssen.474 Als Versuch, einer solchen Begründung zu entgehen bzw. die eigene persönliche Einschätzung als objektiv richtig erscheinen zu lassen, ist der Rückgriff auf den Wertbegriff unzulässig. Um solchen Scheinargumentationen zu entkommen, kann es daher allein darauf ankommen, sich der Last der inter- bzw. transsubjektiv nachvollziehbaren Begründung im jeweiligen Kontext umfassend zu stellen. Wer der Natürlichkeit einen „Wert“ zuschreibt, kann diese Bezeichnung daher allein als Hilfsbegriff heranziehen. Im normativen Kontext gibt es keine „Dinge“ wie etwa „den Wert“, den man lediglich suchen muss und auf diese Weise finden kann. Tatsächlich handelt es sich dabei um ein (normatives) Konstrukt, das beim Zusammenleben der Menschen eine bestimmte Funktion erfüllt und im Hinblick darauf zu begründen bzw. zu legitimieren ist – ein reines (Wert-)empfinden genügt diesen Anforderungen nicht. Entsprechend wird daher anschließend im Hinblick auf die Natürlichkeitsargumente des Typs I verfahren, die der Natur einen „Wert an sich“ zuschreiben möchten. Diese Klassifizierung entbindet nicht von der für eine Beurteilung als „gut“ oder „positiv“ erforderlichen Begründung. Eben jener soll daher in Bezug auf jedes Argument im Einzelfall nachgegangen werden. a) Die Wahrung von Natürlichkeit im Bereich der Biomedizin dient nicht der Erhaltung der „natürlichen Lebensgrundlage“ des Menschen Insbesondere im Bereich des Umweltschutzes stößt die These auf Anklang, dass es sich bei dem Natürlichen um ein schutzwürdiges Interesse handelt. Danach erfolgt der Schutz der Umwelt, wie er etwa in §§ 324 ff. StGB Ausdruck findet, allerdings nicht um seiner selbst willen, sondern weil es sich dabei um die „natürliche Lebensgrundlage des Menschen“ handelt.475 Umweltschutz kann vor diesem Hintergrund als abgeleitetes Schutzinteresse klassifiziert werden. Wenngleich die in Rede stehenden Verbote unmittelbar an den jeweiligen Naturobjekten ansetzen, nehmen diese in ihrer Schutzrichtung den Menschen selbst in den Blick, dessen Lebensgrundlage durch Wahrung ihrer natürlichen Voraussetzungen erhalten bleiben soll. Zwar wird demgegenüber vereinzelt die Auffassung vertreten, es handele sich bei den Umweltmedien Wasser, Luft und Boden sowie deren sonstigen Erscheinungsformen (Pflanzen- und Tierwelt) um die vorrangigen Schutzgüter der §§ 324 ff. StGB („ökologische Rechtgutsbetrachtung“). In der Folge wäre die Umwelt auch 473

S. zu diesem Argument im Hinblick auf die Natürlichkeit oben A., D. III. 1. c). Auf einer Linie damit Renzikowski, GA 1992, 159, 167, der zutreffend darauf verweist, dass Rechtsnormen aus „zweckbestimmten Interessenabwägungen“ entstehen. Insoweit kommt Werten die Bedeutung zu, das Recht der Gesellschaft zu „formen“. 475 Schönke/Schröder/Heine/Hecker, StGB, Vorbem. zu §§ 324 ff. Rn. 8; MünchKommStGB/Schmitz, Vorbem. zu §§ 324 ff. Rn. 18 ff. Vgl. dort auch zu abweichenden Rechtsgutsbestimmungen im Hinblick auf §§ 324 ff. StGB. 474

III. Legitimität rechtlicher Verhaltensnormen zum Schutz des Natürlichen

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gegenüber dem Menschen schützenswert.476 Indessen wiederspricht diese Position bereits der Staatszielbestimmung in Art. 20a GG. Danach schützt der Staat „auch in Verantwortung für die künftigen Generationen die natürlichen Lebensgrundlagen und die Tiere im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung durch die Gesetzgebung und nach Maßgabe von Gesetz und Recht durch die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung.“ Qua Verfassung dient der Schutz der Umwelt mithin immerhin „auch“ den Interessen künftiger Generationen. In der Folge kann ein „Schutz der Umwelt vor dem Menschen“477 allein unter der Voraussetzung Gegenstand der §§ 324 ff. StGB sein, sofern der Satz durch die Formulierung „für den Menschen“ ergänzt wird. Fraglich ist, ob sich die Gedanken zur Schutzwürdigkeit der Umwelt auf den hier interessierenden Themenkomplex biomedizinischer Maßnahmen übertragen lassen. Originäre Natürlichkeitsargumente lauten hier etwa darauf, dass Eingriffe, die eine Leistungssteigerung des Einzelnen bewirken (Enhancement) unnatürlich seien, weil der Körper dazu nicht ohne sie imstande ist. Ein weiteres Natürlichkeitsargument kann in diesem Zusammenhang die Entstehungsbedingungen menschlichen Lebens in den Blick nehmen. Danach greife zum Beispiel die Präimplantationsdiagnostik insoweit in die natürliche Entstehung des Menschen ein, als auf diese Weise die Zeugung unabhängig von einem Geschlechtsakt der leiblichen Eltern ermöglicht wird. In beiden Beispielen kann das Verdikt der Unnatürlichkeit die Forderung nach einem Verbot entsprechender biomedizinischer Maßnahmen zur Folge haben. Im Vergleich zu dem Schutzgut der §§ 324 ff. StGB fällt allerdings schnell ins Auge, dass die im Bereich der Biomedizin kritisierten Techniken keine Gefährdung für die Lebensgrundlage des Menschen darstellen. Im Hinblick auf die Fortpflanzungsmedizin ist gar das Gegenteil der Fall: Auf diese Weise kann Leben entstehen, das unter „natürlichen“ Bedingungen nicht möglich wäre. Dieser Einschätzung widerspricht indessen Fukuyama, der in neuen Möglichkeiten der Biotechnik durchaus eine Gefahr für die Lebensgrundlage künftiger Generationen sieht. In der Folge befürwortet er entsprechende Regulierungen zum Schutz der menschlichen Natur.478 Darunter versteht er die „Summe von Verhaltensformen und Eigenschaften, die für die menschliche Gattung typisch sind, sie ergibt sich eher aus genetischen Umständen als aus Umweltfaktoren“.479 Zur Begründung der Schutzwürdigkeit einer so verstandenen menschlichen Natur vor Entwicklungen im biotechnischen Bereich nimmt Fukuyama Rekurs auf gesamtgesellschaftliche Belange. Dabei geht er davon aus, dass die auf solche Weise entstandenen Personen anders als heute ihre Vorzüge gegenüber anderen etwa im In476

S. zur analogen Debatte im Bereich der Unterscheidung von ökozentrischer und anthropozentrischer Naturethik Birnbacher, Natürlichkeit, S. 93 ff. 477 Vgl. MünchKommStGB/Schmitz, Vorbem. zu §§ 324 ff. Rn. 22. S. dort auch zur weiteren Argumentation. 478 Fukuyama, Ende des Menschen, S. 285. 479 Fukuyama, Ende des Menschen, S. 185.

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D. Validität von Natürlichkeitsargumenten im Bereich der Biomedizin

tellekt oder Aussehen nicht länger auf eine glückliche Fügung zurückführen, sondern diese als verdient erachten würden.480 Weil es sich dabei um eine Leistung ihrer Eltern handele, die entsprechende genetische Vorgaben für sie getroffen haben, würden sie ihre eigene Konstitution als etwas ansehen, das ihnen zusteht. Mit diesem Empfinden gehe aber nach Auffassung Fukuyamas in weiten Teilen der Bevölkerung die gegenseitige Empathie verloren, die auf bestimmten Ebenen „Begünstigte“ ihren Mitmenschen heute noch entgegenbrächten. Weil sie zum Beispiel ihr Talent oder ihr äußeres Erscheinungsbild als schicksalhaftes Glück wahrnähmen, wüssten sie um die Fragilität dieses Umstandes und darum, dass es ihnen auch anders, nämlich wie anderen, weniger begünstigten Personen, hätte ergehen können. Aus diesem Grund seien sie geneigt, mit den Mitmenschen mitzufühlen, was zugleich einen gesellschaftlichen Zusammenhalt zur Folge hätte. Indem aber durch biotechnische Maßnahmen auf die Eigenschaften des Nachwuchses Einfluss genommen werden könne, müsse dieser seine Fähigkeiten und Merkmale nicht länger als ggf. glückliche Fügung begreifen. Aus diesem gewandelten Selbstbild entstehe aber ein Überlegenheitsgefühl, das zwischenmenschliche Bindungen mit anderen, weniger begünstigten Personen auflöse. Fukuyama sieht hierin die Gefahr, dass „sich der Unterschied zwischen Keller und Dach der sozialen Hierarchie vergrößert“.481 Die wachsende genetische Ungleichheit zwischen den Menschen könne zur Folge haben, dass künftige Gesellschaften in weitaus höherem Maße als heute hierarchisch geprägt und wettbewerbsorientiert würden.482 Der Verlust des Gemeinschaftsgefühls, der mit der zunehmenden genetischen Entfernung der Menschen voneinander einhergehe, hätte in letzter Konsequenz erhebliche soziale Konflikte zur Folge. Dabei könnte Fukuyamas Einschätzung kaum düsterer sein: Auch der Griff zu „Gewehren und Bomben“ sei in einem solchen Szenario nicht ausgeschlossen.483 Indessen übersieht Fukuyama den stabilisierenden Charakter insbesondere rechtlicher Normen für ein menschliches Gemeinwesen und überhöht die Relevanz des Gemeinschaftsgefühls für das Funktionieren und den Zusammenhalt einer Gesellschaft. So muss bestritten werden, dass der „Klebstoff“, der Gesellschaften zusammenhält, zentral in dem Verständnis für „menschliche Gemeinsamkeit“ liegt. Zwar mag die Vorstellung, sich in einer Gruppe von gattungsmäßig gleich Ausgestatteten zu bewegen, gewisse Prozesse der „Humanität“ befördern. Dass sich hieraus aber zwingend das Gefühl von Gemeinsamkeit ergeben muss, steht jedenfalls einem anderen primären Grund menschlicher Staatenbildung entgegen. Gemeint ist das Interesse daran, sich der Willkür des jeweils Stärkeren in einem staatenlosen Zustand wirksam zu entziehen. So dient der Zusammenschluss freier Individuen zu einem gemeinsamen staatlichen Verbund doch im Kern dazu, dem unsicheren „Naturzu480 481 482 483

Fukuyama, Ende des Menschen, S. 220. Fukuyama, Ende des Menschen, S. 220. Fukuyama, Ende des Menschen, S. 300. Fukuyama, Ende des Menschen, S. 222.

III. Legitimität rechtlicher Verhaltensnormen zum Schutz des Natürlichen

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stand“ zu entfliehen, in dem der Einzelne des Schutzes gerade auch vor seinen Artgenossen nicht hinreichend versichert ist.484 Was den Menschen folglich vorrangig dazu motiviert, mit anderen in eine Staatengemeinschaft zu treten und sich gemeinsamen Regeln zu unterwerfen, ist seine Vernunft, die ihn einen solchen Zustand gegenüber der Herrschaft von Willkür und dem Recht des Stärkeren vorziehen lässt. Hieran ändert sich aber nichts, wenn Mitglieder dieser Gemeinschaft auf unterschiedliche Weise entstanden sind. Was selbst bei abweichenden Entstehungsarten der Individuen einer Gesellschaft stets bleibt, ist die vernunftgemäße Einsicht in die Notwendigkeit von menschlicher Gemeinschaft zur Gewährleistung größtmöglicher Freiheit aller. Fukuyama verkennt diesen wesentlichen, für die Bildung menschlicher Gemeinschaft (mit-)ursächlichen Zusammenhang und setzt an seine Stelle das Gefühl, sich selbst in dem anderen zu sehen. Dies kann nicht überzeugen. Angesichts der mannigfaltigen Differenzierungen, die Menschen zwischen sich und anderen sehen und sogar als relevant zur eigenen Identitätsbildung erachten können (Weltanschauungen, sexuelle Orientierung, Alter, Geschlecht usw.), fällt das von Fukuyama als erheblich relevant hervorgehobene Zusammenhaltsgefühl qua Erbanlage kaum ins Gewicht.485 Selbst wenn sich hier infolge von Eingriffen in menschliche Gene Risse auftun sollten, erscheint – nicht zuletzt aufgrund anderer, vernunftgemäßer Gründe zum Erhalt menschlicher Gesellschaft – das von Fukuyama beschworene Szenario des Griffs zu „Gewehren und Bomben“ und damit die Gefährdung staatlicher Existenz abseitig.486 Im Ergebnis bleibt es also dabei: Durch Maßnahmen der Biomedizin ist jedenfalls zum gegenwärtigen Zeitpunkt keine Gefährdung der natürlichen Lebensgrundlage künftiger Generationen auszumachen.487 Damit unterscheiden sich Natürlichkeitsargumente, die im biotechnischen Bereich angeführt werden, im Hinblick auf ihr 484

S. dazu schon oben D. I. S. noch unten D. III. 5. a) bb) zur eher nachgeordneten Bedeutung der Gene für die individuelle Identitätsbildung. 486 S. etwa Bostrom, The Journal of Value Inquiry 37 (2003), 493, 498 dazu, dass die genetische Einflussnahme auf die Nachkommen entgegen der Annahme Fukuyamas sogar stabilisierend in Bezug auf das Verhältnis der Menschen untereinander wirken kann. Beispielhaft verweist Bostrom darauf, dass die Einsicht in die genetischen Ursachen von Behinderung dazu führen könne, größere Empathie mit behinderten Menschen zu empfinden. Aus seiner Sicht gilt: „Good consequences no less than bad ones are possible.“ 487 Ebenso verhält es sich im Hinblick auf andere Interessen, die zum Schutz der äußeren Natur vorgebracht werden. Zu denken ist dabei etwa an die Erwägung, dass es sich bei der äußeren Natur um den Ursprung der Menschheit handele, weshalb ihre Zerstörung mit der eigenen Existenzvernichtung einhergehe. Auf einer Linie damit liegt dann noch die Annahme, der äußeren Natur komme als Gegenwelt zur menschlichen bzw. menschlich geschaffenen Zivilisation ein Eigenwert zu, der nicht zuletzt im Interesse der Gewährleistung von Resonanz gewahrt werden müsse (vgl. ausführlich zu beidem Birnbacher, Natürlichkeit, S. 66 ff.). Wie im Text erläutert, führen biomedizinische Verfahren jedenfalls nach momentanem Kenntnisstand nicht zu einer Zerstörung der Umwelt, weshalb dieses Interesse nicht geeignet ist, einen legitimen Zweck entsprechender Verhaltensnormen zu begründen. 485

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D. Validität von Natürlichkeitsargumenten im Bereich der Biomedizin

mögliches Schutzinteresse insbesondere von demjenigen der §§ 324 ff. StGB. Eine Übertragung der dortigen Argumentation zur Begründung eines eigenständigen Schutzinteresses der Natur ist folglich für biomedizinische Eingriffe prinzipiell nicht möglich. Es bedarf damit nach wie vor einer Klärung der Frage, ob es sich bei dem Natürlichen in diesem Bereich um einen legitimen Grund entsprechender Verhaltensnormen handelt. b) Unantastbarkeit der leiblichen Kontingenz des Menschen in der christlichen Lehre Eine Antwort lässt sich insbesondere aus Sicht der christlichen Theologie formulieren. Hier sind vor allem zwei Argumentationslinien denkbar. Zum einen kann der Hinweis auf die „Gottesebenbildlichkeit“ dazu dienen, Eingriffe in die leibliche Kontingenz zu untersagen.488 Veränderungen in diesem Bereich bewirken notwendig eine Abkehr von dem bisherigen, als „gottesebenbildlich“ und damit als natürlich etikettierten Zustand. Weil es sich bei Gott um die höchste Instanz christlicher Lehren handelt, ist es für den Menschen auf dieser Basis in besonderem Maße erstrebenswert, die eigene Gottesebenbildlichkeit zu wahren. Maßnahmen, die ihn davon entfernen, stellen auf dieser Basis ein erhebliches Unrecht dar, das unbedingt zu vermeiden ist. Zum anderen kommt auf dem Fundament der christlichen Lehre der Einwand in Betracht, dass ein Mensch, der durch biomedizinische Verfahren selbst Leben „erschafft“ bzw. Lebewesen modifiziert, insoweit „unzuständig“ ist.489 Für die Erschaffung und Ausgestaltung der Welt ist in christlicher Theologie Gott allein verantwortlich. Sämtliche belebten und unbelebten Dinge sind auf göttliches Wirken zurückzuführen.490 Aus diesem Grund könnte es als menschliche Überheblichkeit eingestuft werden, sofern dieser sich gleichermaßen „göttliche“ Befugnisse anmaßte. Auch insoweit ließen sich mithin entsprechende biomedizinische Verfahren als „Frevel“ bzw. Verstoß gegen die göttliche Ordnung untersagen.491 Indessen bestehen bereits Zweifel, ob Eingriffe in die leibliche Kontingenz des Menschen dessen „Gottesebenbildlichkeit“ tatsächlich beeinträchtigen können. Voraussetzung dafür ist jedenfalls, dass sich diese Eigenschaft auf die menschliche Gestalt erstreckt. Dagegen spricht allerdings, dass Gott selbst keine leibliche Gestalt annimmt. Die Gottesebenbildlichkeit des Menschen kann sich daher allenfalls auf geistige Attribute wie seinen Verstand oder die Fähigkeit zu moralischem Verhalten 488

Vgl. dazu, dass das moralische Gebot, die menschliche Natur zu schonen und zu respektieren, seine Wurzeln in der religiösen Tradition des Abendlandes findet, Bayertz, GenEthik, S. 112. 489 Vgl. insoweit Jonas, Technik, Medizin und Ethik, S. 218, der davon abrät, „an der Wurzel unseres Daseins (…) Schöpfer zu sein“ und vielmehr eine „Scheu vor dem Heiligen“ als geboten erachtet. S. ferner Eibach, Werdendes Leben, S. 151. Zur langen Tradition einer solchen Argumentation vgl. kritisch Mill, Drei Essays über Religion, S. 24 ff. 490 Vgl. Genesis 1, 1 („Im Anfang schuf Gott Himmel und Erde“). 491 In diese Richtung President’s Council, S. 287 ff. („Hybris“).

III. Legitimität rechtlicher Verhaltensnormen zum Schutz des Natürlichen

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beziehen.492 Letztere erfahren allerdings durch biomedizinische Verfahren zur Erzeugung oder „Verbesserung“ menschlichen Lebens grundsätzlich keine Beeinträchtigung. Eine so verstandene „Gottesebenbildlichkeit“ wird damit durch die biotechnischen Fortschritte auch nicht gefährdet. Darüber hinaus kann der Verweis darauf, dass es nicht Aufgabe des Menschen sei, neues Leben zu erschaffen bzw. bestehendes signifikant zu modifizieren, als Legitimationsansatz von Verboten zum Schutz des Natürlichen nicht überzeugen. In diesem Zusammenhang ist fraglich, ob die Annahme einer entsprechenden „Unzuständigkeit“ des Menschen auf dem Fundament der christlichen Lehren überhaupt zwingend ist. Dagegen lässt sich zumindest ins Feld führen, dass der Mensch in all seinen Eigenschaften und Charakteristika in der christlichen Theologie Geschöpf Gottes ist. Auf dieser Basis entspricht es aber auch einem Werk Gottes, dass der Mensch mit Fähigkeiten ausgestattet ist, die es ihm ermöglichen, seine leibliche Kontingenz zu beeinflussen. Es ließe sich damit die Behauptung aufstellen, dass es dem göttlichen Willen gerade entspreche, wenn der Mensch von seinen Möglichkeiten Gebrauch macht – und zwar nicht lediglich gedanklich, sondern in der tatsächlichen Umsetzung.493 Entsprechende biomedizinische Maßnahmen wären dann jedoch kein „Frevel“, sondern im Gegenteil die Verwirklichung göttlichen Schaffens, indem der Mensch sein gesamtes, von Gott gegebenes Potential ausschöpft.494 Letztlich fällt die Bewertung neuer biotechnischer Verfahren, die in die leibliche Kontingenz des Menschen eingreifen, aus Sicht der christlichen Theologie daher weniger eindeutig aus, als es zu Beginn den Eindruck vermittelt hat.495 Zwar sind dieser Lehre Anhaltspunkte zu entnehmen, die gegen solche Eingriffe vorgebracht werden können. Mit ebenso guten Gründen lässt sich auf deren Basis jedoch der Zulässigkeit biotechnischer Beeinträchtigungen der leiblichen Kontingenz das Wort reden. Damit kann die Frage dahinstehen, ob die christliche Theologie grundsätzlich geeignet ist, im Rahmen einer normativen Debatte Relevanz zu entfalten.496 Wie gezeigt, lassen sich auf diesem geistigen Fundament Vorstellungen des Natürlichen entwickeln, die sowohl in die eine als auch in die andere Richtung weisen. Unter Bezugnahme auf christliche Lehren gelingt es daher nicht, in der Natur ein 492

Birnbacher, Natürlichkeit, S. 100. Vgl. Birnbacher, Natürlichkeit, S. 101; Köbl, Hubmann-FS, S. 161, 179. 494 Die gegenteilige Annahme müsste sich darüber hinaus die Frage gefallen lassen, ob nicht sämtliche Züchtungsmaßnahmen des Menschen etwa in Bezug auf Pflanzen oder Tiere einen Eingriff in den göttlichen Schöpfungsplan darstellen, vgl. Hilgendorf, Maurer-FS, S. 1147, 1152; Hofmann, JZ 1986, 253, 254; ähnlich Mill, Drei Essays über Religion, S. 23. 495 Bayertz, Menschliche Natur, S. 9, 24 weist zusätzlich darauf hin, dass der Blick über den Tellerrand der christlichen Religion noch weitere Schwierigkeiten einer theologischen Position mit sich bringt. So findet sich in den unterschiedlichen Religionen ein durchaus abweichender Umgang mit der Frage nach der Schutzwürdigkeit der menschlichen Natur, der mitunter weniger restriktiv in Bezug auf biotechnische Maßnahmen ist, als es die christliche Theologie nahelegt. 496 Dies muss im Ergebnis in einer pluralistischen Gesellschaft abgelehnt werden. S. dazu auch Bayertz, Menschliche Natur, S. 9, 24; Engelhardt, Jr., Menschliche Natur, S. 32, 42. 493

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D. Validität von Natürlichkeitsargumenten im Bereich der Biomedizin

Schutzinteresse zu sehen, das als legitimer Zweck rechtlicher Verhaltensnormen im Bereich der Biomedizin angeführt werden kann. c) Fehlende Schutzwürdigkeit des Natürlichen als „Kulturerbe“ Einen legitimen Grund zum Schutz der menschlichen Natur meint hingegen Siep benennen zu können. Nach seiner Auffassung handelt es sich bei der bisherigen Beschaffenheit des menschlichen Körpers um ein „Naturerbe“, das dem Einzelnen die Pflicht zu dessen Bewahrung auferlegt.497 Diese Pflicht treffe den Menschen selbst dann, wenn Eingriffe in seine leibliche Kontingenz keine Auswirkungen auf Dritte haben, was etwa grundsätzlich für bestimmte Enhancementverfahren gilt, die die menschlichen Keimbahnen nicht beeinflussen und damit nicht vererblich sind. Grund hierfür sei der Umstand, dass der bisherige Zustand des menschlichen Körpers als Kulturerbe eingestuft werden müsse. Dies habe zur Folge, dass dem Einzelnen die Verfügungsmöglichkeit über seine natürliche Beschaffenheit entzogen sei, wie dies auch üblicherweise bei einem menschlichen Kulturerbe, das die Interessen sämtlicher Mitglieder der Gesellschaft berührt, der Fall ist. Zwar will Siep dem Einzelnen nicht sein Recht auf Selbstbestimmung nehmen, sondern schreibt der individuellen Autonomie vielmehr eine eigenständige Bedeutung zu. Diese sei aber nicht konkurrenzlos. Hingegen stünde die individuelle Autonomie mitunter in Konkurrenz zu einer „Reihe öffentlicher und ,kommunaler‘ Güter, darunter die ererbte Verfassung des menschlichen Leibes und der äußeren Natur sowie die kulturelle Mannigfaltigkeit und die Produkte der Kulturen, nicht nur im Bereich der bildenden Künste (,Weltkulturerbe‘)“.498 Die Position stößt indes in mehrfacher Hinsicht auf Bedenken. Zunächst fragt sich, worauf sich die Klassifizierung des menschlichen Körpers in seiner gegenwärtigen Beschaffenheit als eine Art Kulturerbe gründet. Diese Einstufung ist bereits vor dem Hintergrund zweifelhaft, als der jeweilig aktuelle Zustand des menschlichen Körpers zu keinem Zeitpunkt völlig unabhängig von Einwirkungen ist. Im Gegenteil ist er selbst Produkt vielseitiger menschlicher Einflussnahmen, die etwa in einer spezifischen Partnerwahl, der Erziehung, sportlichen Betätigung oder Ernährung zu sehen sind.499 Diese Faktoren bestimmen ihrerseits in erheblichem Maße die Erscheinungsform des menschlichen Körpers sowie im Einzelnen sogar dessen Gene. Gleichwohl sieht Siep hierin offenbar keine Schwierigkeit im Hinblick auf die Wahrung des „Natürlichen“. Sofern der menschliche Körper jedoch seinerseits Produkt steter Bewegung und Wandelung ist, kann eine spezifische Beschaffenheit allenfalls in stark begrenztem Maße als kulturelles Erbe des Menschen festgeschrieben werden, das es in seinem Zustand zu bewahren gilt. Die Auffassung Sieps stößt damit auf die Schwierigkeit, keine trennscharfe Aussage darüber treffen zu 497 498 499

Siep, Ethik, S. 43; ders., Menschliche Natur, S. 157, 168 ff. Siep, Ethik, S. 43. S. dazu schon oben C. II. 3.

III. Legitimität rechtlicher Verhaltensnormen zum Schutz des Natürlichen

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können, was überhaupt der von ihm gemeinte Schutzgegenstand ist. Wie es schon für andere Natürlichkeitsargumente herausgearbeitet werden konnte, kann daher auch Siep entgegen gehalten werden, dass seiner Position nicht mit der erforderlichen Deutlichkeit zu entnehmen ist, welche Maßnahmen als Verstoß gegen die Pflicht zur Wahrung und Pflege des „Naturerbes“ klassifiziert werden. Insoweit hilft es wenig, dass Siep in seiner Auflistung „kommunaler Güter“, die der individuellen Autonomie vermeintlich Grenzen setzen, die ererbte Verfassung des menschlichen Körpers in einer Reihe mit den Kulturprodukten der Menschheit nennt. Hier tut sich vielmehr ein Widerspruch auf: Wie Siep selbst erkennt, stellen etwa die unterschiedlichen Verfahren der Biomedizin eine kulturelle Leistung der Gesellschaft dar.500 In der Folge laufen das Interesse an Bewahrung der Kontingenz des menschlichen Leibes und der Schutz von Kulturleistungen einander in diesem Bereich zuwider. Erneut stellt sich mithin die Frage, wie vor diesem Hintergrund eine trennscharfe Definition dessen gelingen soll, was zum schutzwürdigen gegenwärtigen Zustand der körperlichen Verfasstheit des Einzelnen gehört. Darüber hinaus überzeugt es nicht, dass Siep aus der Annahme, bei der (irgendwie gearteten) gegenwärtigen Beschaffenheit des menschlichen Körpers handele es sich um ein schutzwürdiges Kulturerbe, dessen unmittelbare Bewahrungspflicht ableitet. Selbst wenn dem Menschen sein bisheriger Zustand vererbt wurde, folgt hieraus nicht die Pflicht, mit diesem Erbe in einer spezifischen Weise zu verfahren. Zwar lässt sich Siep nicht erwidern, dass der Nachlass nach zivilrechtlichen Maßstäben in das Eigentum des Erben übergeht, weshalb dieser fortan damit verfahren darf, wie es ihm beliebt.501 Diesem Einwand entgeht Siep, indem er der leiblichen Kontingenz des Menschen den Charakter eines Kulturerbes zuschreibt, das der Verfügungsmacht des einzelnen Subjekts in weiten Teilen entzogen ist. Der Eigentümer eines Kulturerbes ist in der Ausübung seiner Eigentumsrechte wie der Denkmaleigentümer in großem Umfang durch Maßnahmen des kulturellen Schutzes von Seiten des Staates beeinträchtigt. Zur Erhaltung des gegenständlichen Kulturerbes können ihm gegenüber insbesondere hoheitliche Verbote und Gebote ausgesprochen werden, die etwa die Zerstörung seines Eigentums bzw. dessen erhebliche Umgestaltung ausschließen.502 Hintergrund ist dabei der Gedanke des gesamtgesellschaftlichen Interesses an der Erhaltung des jeweiligen Gegenstandes. Dem entspricht etwa auch Artikel 5 des Europäischen Kulturabkommens, wonach jede Vertragspartei die europäischen Kulturgüter, die sich unter ihrer Kontrolle befinden, als Bestandteil des gemeinsamen 500

Siep, Ethik, S. 310: Medizin und Gesundheitssystem seien „zweifellos ,Kulturgebilde‘“. S. § 1922 Abs. 1 BGB. Der Einwand trifft indes die Position des President’s Council, S. 288, wonach es sich bei dem leiblichen Zustand des Menschen um ein „Geschenk“ handele: Geschenke gehen – jedenfalls nach juristischem Verständnis – in das Eigentum des Beschenkten über, der im Anschluss damit nach eigenem Belieben verfahren darf, § 516 BGB. Dass dem Menschen sein eigener Leib lediglich „unter Auflage“ geschenkt wurde, erscheint hingegen wenig nachvollziehbar. Eine entsprechende Position wäre der im Text gegen die Annahme eines „Kulturerbes“ geäußerten Kritik ausgesetzt, weshalb insoweit darauf verwiesen werden kann. 502 Martin/Krautzberger/Hammer, Denkmalschutz und Denkmalpflege, Teil A Rn. 30. 501

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D. Validität von Natürlichkeitsargumenten im Bereich der Biomedizin

europäischen kulturellen Erbes betrachtet, zu ihrem Schutz die erforderlichen Maßnahmen trifft und den Zugang zu ihnen erleichtert. Wie gezeigt, gelingt es Siep durch diesen „Kunstgriff“, die Verfügungsmacht des Einzelnen über seine leibliche Kontingenz zu begrenzen und unterstreicht dies noch durch die Aussage, dass Eingriffe in das „Kulturerbe“ der individuellen Autonomie entzogen seien. Eine Übertragung der zum eigentumsrechtlichen Umgang mit einem Kulturerbe entwickelten Grundsätze auf den menschlichen Körper ist allerdings nicht überzeugend. Die Position läuft auf den Schutz des Körpers vor der Person seines Trägers selbst hinaus, indem Dritten daran ein Bestandsinteresse eingeräumt wird. Dies widerspricht jedoch im Kern dem anthropozentrischen Fundament der Verfassung.503 Danach steht im Zentrum des Gemeinwesens das Individuum selbst, dessen Interessen zu schützen Aufgabe des Staates ist. Ein wesentliches Anliegen des Einzelnen gilt dabei dem Schutz seiner Körperintegrität gegenüber Beeinträchtigungen durch Dritte bzw. staatliche Bevormundung. Nicht zuletzt kommt hierin ein Grundgedanke der Staatsgründung zum Ausdruck: Die im Naturzustand prinzipiell freien Individuen entscheiden sich für das Gemeinwesen, um ein Zusammenleben in Frieden zu gewährleisten. In einem staatsfernen Miteinander dominieren Gefahren insbesondere für Leib und Leben des Einzelnen. Die Idee des Verfassungsstaates ist daher im Wesentlichen getragen von dem Interesse an dem Schutz der eigenen Person vor Dritten. Positivrechtlich trägt die Verfassung diesem Umstand Rechnung, indem sie ein Verständnis der Körperintegrität als Individualrechtsgut zugrunde legt, das ausschließlich der Verfügungsmacht des Einzelnen unterworfen ist.504 Wie bereits an früherer Stelle dargelegt, geht die (auch) rechtliche Anerkennung des Menschenwürdesatzes insbesondere in der Nachfolge der Kantischen Moralphilosophie einher mit dem Respekt vor den Freiheitsrechten des Einzelnen. Die Idee eines absoluten Werts der Person qua Person geht untrennbar mit dem Recht auf Selbstbestimmung einher. Soll der Mensch nicht „bloß als Mittel, sondern (…) jederzeit zugleich als Zweck gebraucht“505 werden, muss sein Souveränitätsrecht Achtung erfahren. In der Folge genießen seine Rechte grundsätzlichen Vorrang vor den Interessen der Gemeinschaft und können nicht etwa durch den bloßen Hinweis auf ein kollektives Rechtsgut unterlaufen werden. Insoweit entfaltet das Selbstbestimmungsrecht seine Schutzgarantie in mehrfacher Hinsicht. So ist zunächst daran zu denken, dass der Einzelne keine Eingriffe in seine Rechte hinnehmen muss, die ihm unerwünscht sind. Beispielsweise die von keiner wirksamen Einwilligung des Rechtsgutsinhabers gedeckte Beeinträchtigung der Körperintegrität durch einen Dritten stellt sowohl einen Eingriff in dieses In503 BeckOK/GG/Hillgruber, Art. 1 Rn. 1 (Stand: 01. 09. 2015); Sachs/Höfling, Grundgesetz, Art. 1 Rn. 6. S. dazu, dass die Selbstbestimmung im Zentrum moderner Staatskonzeptionen steht, Arbogast Schmitt, Humane Orientierungswissenschaft, S. 129, 131 ff. Arbogast Schmitt sieht dabei die Wurzeln eines solchen Staatsverständnisses in der Stoa. 504 S. schon oben D. II. 2. zu der ideengeschichtlichen Grundlage des Menschenwürdesatzes sowie des Selbstbestimmungsrechts des Einzelnen. 505 Kant, Metaphysik der Sitten, Rechtslehre, AB 139, 140 (S. 412).

III. Legitimität rechtlicher Verhaltensnormen zum Schutz des Natürlichen

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teresse als auch eine Missachtung der Souveränität des Betreffenden dar, der allein über den Umgang mit seinem Körper entscheiden darf. Darüber hinaus entspricht es aber auch dem Selbstbestimmungsrecht der Person, Entscheidungen treffen zu können, die eine Verletzung eigener Güter zur Folge haben – staatliche Bevormundung wird auf diese Weise konsequent ausgeschlossen. Dem Einzelnen steht die Freiheit, über seine Interessen zu verfügen, gerade auch insoweit zu, als damit deren Beeinträchtigung einhergeht. Dem trägt die Verfassung Rechnung, indem sie in Art. 2 Abs. 1, 1 Abs. 1 GG dem Selbstbestimmungsrecht Ausdruck verleiht.506 Dieses umfasst die Freiheit des einzelnen Rechtsgutsträgers, über den Umgang mit seinen Interessen zu verfügen. Es bezieht sich auf die Eigenverantwortlichkeit in Lebensentscheidungen.507 Dieser auch positivrechtlich garantierten Freiheit steht Sieps Idee von einem Kulturerbe in Gestalt der bisherigen Beschaffenheit des menschlichen Körpers aber entgegen.508 Eine solche Argumentation negiert die Verfügungsmacht der Person über ihre körperliche Integrität, ohne dass sich dies mit dem Recht auf freie Selbstbestimmung in Einklang bringen lässt. Die Freiheit des Individuums, über den Umgang mit seiner Körperintegrität zu entscheiden, ist verfassungsrechtlich uneingeschränkt gewährleistet. Der Einzelne ist danach nicht ein untergeordneter Teil der Gemeinschaft, die über dessen persönliche Rechtsgüter Verfügungsgewalt erlangt. Im Gegenteil stehen im Zentrum des hier zugrunde gelegten Staatsverständnisses das Individuum und dessen Rechte. Vor diesem Hintergrund ist der Position Sieps entgegen zu halten, dass sich der Einzelne ein so verstandenes Erbe nicht aufdrängen lassen muss.509 Es ist Ausdruck seines Selbstbestimmungsrechts, wenn er die Entscheidung trifft, keine Eingriffe in seine leibliche Kontingenz vorzunehmen. Dieser Willensentschluss kann ihm aber nicht aufgezwungen werden. Vielmehr entspricht es ebenfalls den Grundsätzen einer freiheitlich verfassten Gemeinschaftsordnung, wenn er sich gegen diese Möglichkeit entscheidet und solchen Verfahren, die die bisherige Beschaf506 Es kann an dieser Stelle dahinstehen, ob das Selbstbestimmungsrecht seine normative Verankerung in Art. 1 Abs. 1 oder in Art. 1 Abs. 1 i. V. m. Art. 2 Abs.1 bzw. Abs.2 GG findet. In jedem Fall handelt es sich dabei um ein Recht des Einzelnen, dem Verfassungsrang zukommt. Zur Fallgruppe des Selbstbestimmungsrechts des Patienten, das mehrheitlich auf das spezielle Grundrecht des Art. 2 Abs. 2 GG gestützt wird, s. BeckOK/GG/Lang, Art. 2 Rn. 63 (Stand: 01. 03. 2015); Quaas/Zuck/Zuck, Medizinrecht, § 2 Rn. 36 m. w. N. sowie weiter differenzierend Maunz/Dürig/Di Fabio, GG, 75. EL September 2015, Art. 2 Rn. 204. 507 BVerfG NJW 1979, 595; Maunz/Dürig/Herdegen, GG, 75. EL September 2015, Art. 1 Abs. 1 Rn. 84; Jarass/Pieroth/Jarass, Grundgesetz, Art. 2 Rn. 50; Quaas/Zuck/Zuck, Medizinrecht, § 2 Rn. 35. S. noch unten D. III. 5. a) zum verfassungsrechtlich garantierten Selbstbestimmungsrecht des Einzelnen. 508 Die Argumentation erinnert an die Vorstellung einer gemeinsamen „Volksgesundheit“, die im rechtlichen Kontext insbesondere im Bereich des Betäubungsmittelstrafrechts als Universalrechtsgut diskutiert wird. Unter der Flagge der Volksgesundheit sollen insbesondere selbstschädigende Verhaltensweisen verboten werden. Allerdings weist der Einzelne gegenüber dem Kollektiv keine Verpflichtung zur eigenen Gesunderhaltung auf, s. dazu ausführlich sowie zur Auseinandersetzung mit der Gegenposition unten D. III. 5. c) bb) (1). 509 So auch Birnbacher, Natürlichkeit, S. 122.

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fenheit seines Körpers verändern, den Vorzug gibt. Die Auffassung, dass es sich bei dem menschlichen Körper als Natur- bzw. Kulturerbe um ein schutzwürdiges Interesse handelt, kann damit nicht überzeugen. Auch auf dieser Basis lassen sich keine rechtlichen Verhaltensnormen im biomedizinischen Bereich begründen. d) Fehlende Schutzwürdigkeit des Natürlichen zur Wahrung der Gattungsidentität In der Diskussion um die Zulässigkeit bestimmter Verfahren der Biomedizin finden sich ferner Bedenken, dass es durch fortschreitende Eingriffe in die leibliche Kontingenz des Einzelnen zu einer Auflösung der menschlichen Gattung kommen könne.510 Natürlichkeitsargumente richten sich daher in diesem Zusammenhang auf die Wahrung der menschlichen Gattungsidentität, die durch neue biotechnische Methoden zunehmend in Gefahr gerate.511 An dieser Stelle ließe sich bereits die Frage aufwerfen, ob es sich bei dieser Kritik überhaupt um ein Natürlichkeitsargument im eigentlichen Sinne handelt, das in dem Natürlichen selbst einen legitimen Zweck rechtlicher Verhaltensnormen sieht. Schließlich soll darin der Schutz des Natürlichen einem weiteren Interesse dienen – der Wahrung der Gattungsidentität, die damit im Gewand des Natürlichkeitsarguments in die Debatte eingeführt wird. Allerdings nimmt das Berufen auf Natürlichkeit an dieser Stelle lediglich vordergründig eine Stellvertreterfunktion ein. Es erscheint daher angemessen, die Diskussion eines vermeintlichen Interesses am Schutz der Gattungsidentität innerhalb der ersten Gruppe von Natürlichkeitsargumenten vorzunehmen. Dafür spricht, dass die menschliche Natur in diesem Zusammenhang letztlich durch die Gattungsidentität weiter konkretisiert wird. „Natürlich“ soll nach dieser Lesart gerade die gegenwärtige Beschaffenheit der menschlichen Gattung sein, weshalb der Schutz der Natur des Menschen mit dem Schutz der Gattungsidentität zusammenfällt. Während die menschliche Natur bislang als Beschreibung der leiblichen Kontingenz des Einzelnen gedient hat, wird diese nunmehr als Ausdruck eines Gesamtzustands der menschlichen Gattung verstanden. Der Einzelne und seine Natur sind danach Teil des Ganzen. Es handelt sich damit um ein originäres Natürlichkeitsargument des Typs I: Der menschlichen Natur soll ein Wert zukommen, weil sie Teil der ihrerseits schutzwürdigen Gattungsidentität ist. Indes bleibt offen, woraus sich eben jene Schutzwürdigkeit der menschlichen Gattungsidentität ergeben soll. Auf diese Frage gibt die bloße Behauptung eines Eigenwerts der menschlichen Gattung keine Antwort. Insoweit hilft es wenig, einen 510 S. Kass, The new republic 1997, 17, 23 („dehumanizing“); Lanzerath, Jahrbuch für Wissenschaft und Ethik 7 (2002), 319, 334. Vgl. zur Debatte (aus „transhumanistischer“ Sicht) auch Bostrom, The Journal of Value Inquiry 37 (2003), 493, 496. S. unten D. III. 5. a) dd) zu dem ähnlichen Einwand, das reproduktive Klonen verstoße gegen die Gattungswürde. 511 S. unten D. III. 5. c) aa) zu Habermas, Zukunft der menschlichen Natur, der den Rekurs auf die Gattungsidentität wählt, um den Autonomieschutz des Einzelnen in den Vordergrund zu rücken. Seine Position wird daher als vermeintliches Natürlichkeitsargument klassifiziert.

III. Legitimität rechtlicher Verhaltensnormen zum Schutz des Natürlichen

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nach allem bisher Gesagten neutralen Begriff – die menschliche Natur – durch einen weiteren auszutauschen, der seinerseits für sich genommen keine normative Aussage trifft.512 Allein der Umstand, dass bestimmte Maßnahmen in Zukunft eine Erosion der Gattungsgrenzen zur Folge haben könnten, ist zur Begründung einer normativen Sollensanforderung unzureichend. Vielmehr bedürfte es dahingehend eines weiteren Worts der Erklärung, das diejenigen, die sich auf die Gattungsidentität berufen, schuldig bleiben. Unabhängig davon bestehen noch weitere grundlegende Zweifel an dem Argument, das Natürliche sei im Interesse der Wahrung der Gattungsidentität zu schützen. So ist zweifelhaft, ob der Versuch, einer vermeintlichen Gattungsidentität des Menschen klare Konturen zu verleihen, je gelingen kann.513 Jedenfalls in der Biologie kann davon bislang nicht die Rede sein.514 Dagegen spricht vor allem, dass die jeweilige Beschaffenheit des Menschen einem steten Wandel unterliegt. Wie schon an früherer Stelle dargelegt, sind es insbesondere kulturelle Faktoren, die die genetische Zusammensetzung einer Generation entscheidend prägen.515 Hieraus folgt aber die Unmöglichkeit, einen bestimmten Zustand auf Dauer festzuschreiben. Darüber hinaus weist der Mensch gerade die Eigenschaft auf, die eigene (auch) körperliche Unvollkommenheit durch Kreativität und die Entwicklung neuer Techniken zu überwinden.516 Wie schon im Hinblick auf den Begriff des Natürlichen ließe sich daher in Bezug auf die menschliche Gattung eben jene Eigenschaft zum Begriffsmerkmal erheben. Unter dieser Voraussetzung handelte es sich also bei der Fähigkeit zur Selbstveränderung um ein wesentliches definierendes Element der menschlichen Gattung. Wandelungen der leiblichen Beschaffenheit des Einzelnen 512 Dieser Vorwurf trifft auch Heyd, Menschliche Natur, S. 52, 65, der die Bewahrung von Identität – des Einzelnen sowie des Kollektivs – als schutzwürdiges Interesse benennt. Danach bestünde eine Verpflichtung, die eigene Identität zu wahren, denn: „Es macht keinen logischen Sinn, unser Leben zu planen, wenn nicht wir selbst die Subjekte dieses Lebens sein werden.“ (Hervorhebung im Original) Darüber hinaus gehe es bei dem gesamten gesellschaftlichen Leben darum, „dass unsere Nachfahren diesen Prozess genießen, wertschätzen und fortsetzen. Es muss für jedes langzeitige menschliche Projekt der Menschen Wesen geben, die uns hinreichend ähnlich sind, um unsere Identität zu teilen.“ Allerdings handelt es sich bei diesen Aussagen um reine Setzungen. Ihnen lässt sich zunächst entgegenhalten, dass keine Maßnahme denkbar ist, die dazu führen kann, dass derjenige, der sie nach seinem freien Willen vornimmt, auf diese Weise seine „Identität“ verliert. Letztlich sieht auch Heyd, Menschliche Natur, S. 52, 67 ff. durch keine der gegenwärtig diskutierten biotechnischen Verfahren die Identität des Menschen in Gefahr. Selbst wenn eine solche aber ersonnen werden könnte (wobei zunächst der Begriff der „Identität“ weiterer Klärung bedürfte), wäre mitnichten die Aussage begründet, dass deren Durchführung logisch nicht sinnvoll wäre. Die Antwort auf die Frage, weshalb es auch in Zukunft den heutigen Menschen ähnliche Wesen geben muss, bleibt Heyd schuldig. Es muss daher bei der im Text getroffenen Kritik bleiben: Das Austauschen des Naturbegriffs durch den der Identität schafft keine Begründung seiner Schutzwürdigkeit. Hierzu bedürfte es weiterer Argumente, die indes ausbleiben. 513 S. Maunz/Dürig/Herdegen, GG, 75. EL September 2015, Art. 1 Abs. 1 Rn. 32. 514 Vgl. Birnbacher, Natürlichkeit, S. 175. 515 S. Birnbacher, Natürlichkeit, S. 179 sowie schon oben C. II. 3. 516 S. dazu schon oben C. II.

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D. Validität von Natürlichkeitsargumenten im Bereich der Biomedizin

wären vor diesem Hintergrund bereits im Gattungsbegriff angelegt, sodass deren Durchführung mitnichten zur Auflösung von Gattungsgrenzen führen könnte. Ferner ist einem Berufen auf die menschliche Gattung als Grund der Wahrung des Natürlichen entgegenzuhalten, dass bereits die jeweilige Annahme der gattungsmäßigen Eigenschaften Produkt einer normativen Setzung ist.517 Die Klassifizierung eines bestimmten Zustandes als Gattungsidentität erfolgt allein auf der Basis des Dafürhaltens, dass es sich dabei um den „richtigen“ handelt. Über die Berechtigung solcher Setzung ist damit allerdings nichts gesagt. Dieser Mangel wiegt aber besonders schwer angesichts der Konsequenzen einer solchen (willkürlichen) Festschreibung bestimmter Zustände. Damit einher geht die Abwertung von abweichendem Verhalten bzw. abweichenden Eigenschaften. Gesellschaftliche Missstände können damit gegenüber wünschenswerten Bemühungen um Veränderungen auf Dauer zementiert werden. Zuletzt spricht gegen das Berufen auf eine Gattungsidentität, die durch biotechnische Maßnahmen zunehmend in Gefahr geriete, noch der Umstand, dass uns hier eine Argumentation begegnet, die den Einzelnen den Interessen des Kollektivs unterordnet. Zum Schutz vorrangiger Bewahrungsinteressen der Gemeinschaft wird ihm die Freiheit untersagt, Veränderungen an der eigenen leiblichen Kontingenz vorzunehmen. Dieser Befund erfährt keine Relativierung durch den Verweis darauf, dass eine Wahrung der Gattungsidentität letztlich dem Individuum selbst zum Vorteil gereiche – sei es doch Teil des Ganzen und profitiere daher auch von dem, was allen nütze. Dieser Gedanke setzt stillschweigend voraus, dass sich die Interessenlage des Einzelnen stets mit derjenigen der Gemeinschaft deckt. Hiervon kann allerdings nicht ohne Weiteres ausgegangen werden. Denkbar ist vielmehr, dass das Individuum für sich Eingriffe wünscht, die die Mehrheit der Mitglieder der Gemeinschaft ablehnt. Sofern der Betreffende in dieser Situation auf die Wahrung der Gattungsidentität verwiesen wird, geht damit die Beschneidung seiner individuellen Freiheit im Dienste einer kollektiven Moralvorstellung einher. Der Berechtigung einer solchen Argumentation steht aber insbesondere das – auch verfassungsrechtlich garantierte – Selbstbestimmungsrecht der Person entgegen. Damit bleibt es dabei: Auch unter Berufung auf die Wahrung der menschlichen Gattung gelingt es nicht, der Natur des Menschen den Rang eines legitimen Zwecks rechtlicher Verhaltensnormen einzuräumen. e) Verbreitete Intuition als Begründung der Schutzwürdigkeit der menschlichen Natur? Wie bereits an früherer Stelle angeführt, stößt das Natürliche bzw. die Natur verbreitet auf eine positive Besetzung.518 Natürliches erscheint vielen im Gegensatz zum Künstlichen prinzipiell erstrebenswert. Wenngleich diese Intuition durch Ne517 518

So bereits Birnbacher, Natürlichkeit, S. 184. S. oben D. III. 1.

III. Legitimität rechtlicher Verhaltensnormen zum Schutz des Natürlichen

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gativbeispiele aus der Natur in ihrer Berechtigung widerlegt werden kann, bleibt es dennoch dabei, dass eine Vielzahl an Personen dem Natürlichen intuitiv positiv gegenüber treten. In der Folge ließe sich die Überlegung anstellen, ob nicht bereits diese Intuition den Charakter der menschlichen Natur als legitimes Schutzinteresse begründen kann?519 Allerdings stehen einer solchen Erwägung durchgreifende Bedenken entgegen. Zunächst stützen sich diese auf den Umstand, dass es sich bei einer Intuition um ein Gefühl handelt, das seinerseits auf weiteren Entstehensvoraussetzungen fußt. Gemeint ist damit, dass eine Intuition prinzipiell nicht grundlos einsetzt. Vielmehr leitet sich diese von einem Sachverhalt ab, der seinerseits als positiv bewertet wird. In der Folge wäre die Intuition, die menschliche Natur als legitimes Schutzinteresse einzustufen, selbst lediglich die Konsequenz einer vorangehenden Wertung. Damit läge die Ursache dafür, in der Natur des Menschen einen legitimen Zweck rechtlicher Verhaltensnormen zu sehen, im Eigentlichen nicht in der Intuition, sondern vielmehr in deren Auslöser, der im Vorfeld der Entstehung des Gefühls angesiedelt wäre und seinerseits einer Überprüfung bedürfte. Selbst wenn sich aber ein inhärenter Wert der menschlichen Natur aus Intuitionen ableiten ließe, stünde einer solchen Wertzuschreibung die Tatsache entgegen, dass sich in Bezug auf biomedizinische Maßnahmen am menschlichen Körper Intuitionen in großer Zahl und Vielfalt auffinden lassen. Hier kann mitnichten von einer Einigkeit der Menschen hinsichtlich ihrer Intuitionen die Rede sein. Im Gegenteil wird Eingriffen in die kontingenten Eigenschaften des menschlichen Körpers sowohl mit besonderer Abwehr als auch hervorgehobener Offenheit begegnet.520 Gerade auch die positive Einschätzung von Maßnahmen, die die menschliche Natur verbessern, kann auf eine lange Tradition zurückblicken.521 Reine Intuition ist vor diesem Hintergrund nicht geeignet, die menschliche Natur als legitimen Zweck rechtlicher Verhaltensnormen einzustufen. Auch insoweit ist der Versuch gescheitert, ein originäres Natürlichkeitsargument zu begründen. f) Zwischenergebnis zu originären Natürlichkeitsargumenten Die Untersuchung hat bislang folgende Ergebnisse erzielt: Natürlichkeitsargumente, die entweder der Natur selbst einen eigenständigen Wert zuschreiben, oder gar aus natürlichen Prozessen ganze Sollensanforderungen ableiten möchten, können nicht überzeugen. Originären Natürlichkeitsargumenten des Typs II steht zunächst entgegen, dass die Entwicklung einer eigenständigen „Naturordnung“ angesichts der Widersprüchlichkeiten und Willkür, die in der Natur vorherrschen, nur schwer vorstellbar ist. Selbst wenn ein solches Unterfangen aber von Erfolg gekrönt 519

S. zu diesem Gedanken schon Bayertz, Menschliche Natur, S. 9, 24 f. Zu einer besonders positiven Einschätzung von Maßnahmen zur Veränderung der menschlichen Natur s. nur Bostrom, The Journal of Value Inquiry 37 (2003), 493, 495 ff. 521 Bayertz, Menschliche Natur, S. 9, 24 f. 520

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sein sollte, folgt hieraus keine Bindungswirkung eines solchen normativen Systems gegenüber dem Menschen. Zwar ist dieser in verschiedenen Bereichen wie etwa in Bezug auf die Befriedigung seiner Grundbedürfnisse gewissen natürlichen Zwängen unterworfen. Dieser Befund lässt allerdings nicht den Schluss auf eine generelle Bindungswirkung „natürlicher Regeln“ zu. Im Gegenteil ist dem Menschen gerade die Fähigkeit eigen, sich in Teilbereichen seiner Existenz von seinen natürlichen Wurzeln zu emanzipieren. Gründe dafür, dass er hiervon keinen Gebrauch machen darf, konnten durch originäre Natürlichkeitsargumente nicht benannt werden. Insofern scheitert auch der Versuch, dem Natürlichen einen Wert an sich zuzuschreiben. Verfahren der Biomedizin gefährden nicht die Natur in ihrer Funktion als Lebensgrundlage des Menschen. Insoweit lässt sich kein (vom Menschen abgeleitetes) Interesse zu deren Schutz begründen. Darüber hinaus zeichnen christliche Lehren kein einheitliches Bild in Sachen Eigenwert der Natur. So lassen sich der christlichen Theologie sowohl Argumente entnehmen, die für einen solchen sprechen, als auch Gründe, die das Bestreben des Menschen nach Selbsttranszendierung unterstützen. Darüber hinaus stehen der Annahme, der leiblichen Beschaffenheit komme ein Wert als menschliches „Kulturerbe“ zu, durchgreifende (nicht zuletzt) verfassungsrechtliche Bedenken entgegen. Mit dem Selbstbestimmungsrecht des Einzelnen lässt sich eine solche Auffassung nicht in Einklang bringen. Ferner kann das Berufen auf die Wahrung der menschlichen Gattungsidentität als Begründung eines eigenständigen Werts der Natur nicht genügen. Schwierigkeiten werfen in diesem Zusammenhang insbesondere Inhalt und Grenzen einer solchen Gattungsidentität auf. Offensichtlich beruht deren Festlegung bereits auf einer normativen Annahme, für die es aber an einer weiteren Rechtfertigung fehlt. Zuletzt kann bloße Intuition nicht zur Begründung eines eigenständigen Werts der menschlichen Natur herangezogen werden. Ohnedies kann im Hinblick auf biomedizinische Maßnahmen jedenfalls keine einheitliche intuitive Einschätzung von deren Richtigkeit ausgemacht werden. Nach alledem lassen sich originäre Natürlichkeitsargumente in einer rechtlichen Debatte nicht halten. Diese dienen allenfalls der Verschleierung bloßer Moralvorstellungen, die aber keine allgemeine rechtliche Geltung entfalten. Nicht zuletzt angesichts der verbreitet vorzufindenden positiven Besetzung von Natürlichkeitsargumenten geht damit die Gefahr der Etablierung von Verhaltensnormen einher, die sich rechtlich nicht legitimieren lassen. Angesichts ihrer Offenheit sind Natürlichkeitsargumente eine optimale Projektionsfläche für beliebige Setzungen. Rechtliche Verhaltensnormen bedeuten jedoch einen Eingriff in die individuelle Freiheit des Einzelnen. Gerechtfertigt sind sie daher allein unter der Voraussetzung ihrer Verhältnismäßigkeit im weiteren Sinne. Originäre Natürlichkeitsargumente werden dem aber nicht gerecht. Ausschließlich darauf fußende Sollensanforderungen stellen einen illegitimen Eingriff in die Rechte des Einzelnen dar. Zur Wahrung rechtsstaatlicher Anforderungen in Bezug auf die Begründung rechtlicher Verhaltensnormen sind originäre Natürlichkeitsargumente daher unbedingt zu vermeiden.

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5. Validität vermeintlicher Natürlichkeitsargumente Was damit noch aussteht, ist die Klärung der Frage nach der Berechtigung von vermeintlichen Natürlichkeitsargumenten, die den Begriff der Natur vornehmlich in einer Stellvertreterfunktion verwenden. Wie eingangs erwähnt, begegnen in der Debatte um die Zulässigkeit bestimmter biotechnischer Verfahren besonders häufig Argumente, die mit dem Postulat der Wahrung des Natürlichen den Schutz eines davon unabhängigen Interesses beabsichtigen. Der Natur kommt dann lediglich ein abgeleiteter Wert zu, der sich daraus ergibt, dass sie als notwendige Bedingung des fortdauernden Bestehens dieses Interesses eingestuft wird. Kurz: Die Natur weist in dieser zweiten Klasse von Natürlichkeitsargumenten im Bereich der Biotechnik die Bedeutung einer Conditio sine qua non für die Aufrechterhaltung eines eigenständigen Schutzinteresses auf. Zwischen diesem und der menschlichen Natur besteht mithin das Verhältnis eines Schutzgegenstandes zu seinen (jedenfalls behaupteten) notwendigen Bestehensvoraussetzungen. Vermeintliche Natürlichkeitsargumente stellen die Wahrung des Natürlichen in den Dienst eines separaten Interesses, für das die gegenwärtige menschliche Natur als Grundbedingung seines Bestands fungieren soll. Mit dem Etikett der Natürlichkeit versehen können auf diese Weise verschiedenste Interessen in die Debatte um die Zulässigkeit biotechnischer Verfahren eingeführt werden. Damit wird zugleich deutlich, dass eine abschließende Darstellung von vermeintlichen Natürlichkeitsargumenten nahezu ausgeschlossen ist. Indes wird dieser Anspruch vorliegend ohnehin nicht verfolgt. Vielmehr geht es darum, besonders verbreitete bzw. herausragende Vertreter dieser Gruppe von Natürlichkeitsargumenten einer näheren Betrachtung zu unterziehen. Dabei wird es nicht ausbleiben, auf bestimmte biomedizinische Methoden gesondert und vertiefter eingehen zu müssen als auf andere. Vermeintliche Natürlichkeitsargumente entzünden sich zum Teil ausschließlich an spezifischen biotechnischen Verfahren wie zum Beispiel dem reproduktiven Klonen. Ihre Darstellung und Analyse hat daher notwendig ebenfalls besonderen Bezug zu der jeweils betroffenen Technik zu nehmen und kann nicht vollständig davon losgelöst erfolgen. Allerdings bleibt es auch insoweit dabei, lediglich das jeweilige Natürlichkeitsargument auf seine Validität hin zu überprüfen. Wenn daher etwa das Berufen auf den Schutz des Natürlichen zur Wahrung personaler Autonomie am Beispiel des reproduktiven Klonens diskutiert wird, geht damit unter keinen Umständen eine abschließende Analyse der Berechtigung von Verbotsnormen hinsichtlich dieser Technik einher. Weder das reproduktive Klonen noch andere Verfahren der Biomedizin werden auf deren grundlegende Zulässigkeit untersucht.522 Sofern also etwa die Aussage getroffen wird, dass sich eine bestimmte biotechnische Maßnahme nicht unter Rekurs auf ein spezifisches Natürlichkeitsargument verbieten lässt, geht damit nicht der Ausschluss anderer Gründe einher, die gegen ein solches Verfahren sprechen können. Allein der 522 S. etwa zu einer ausführlichen Auseinandersetzung mit der Zulässigkeit des Klonens Kersten, Klonen.

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D. Validität von Natürlichkeitsargumenten im Bereich der Biomedizin

Gegenstand der Untersuchung bleibt auf die Frage begrenzt, ob vermeintliche Natürlichkeitsargumente zur Begründung legitimer Verhaltensnormen eine Berechtigung aufweisen. a) Wahrung des Natürlichen zum Schutz der Menschenwürde Einer großen Beliebtheit erfreuen sich dabei Argumente, die den Fokus auf den Schutz der Menschenwürde lenken.523 Der Menschenwürdebegriff des Art. 1 Abs. 1 GG wirft nach wie vor Schwierigkeiten auf und harrt einer abschließenden Bestimmung.524 Besonders verbreitet ist jedoch die nicht zuletzt in der Kantischen Moralphilosophie wurzelnde „Objektformel“, derer sich nicht zuletzt das Bundesverfassungsgericht bedient und die auch vorliegend zur Grundlage gewählt wird. Danach ist der Mensch in seiner Würde getroffen, sofern er „zum Objekt, zu einem bloßen Mittel, zur vertretbaren Größe herabgewürdigt“ wird.525 In Bezug auf verschiedene biomedizinische Verfahren wird in vielerlei Hinsicht auf den Schutz der Menschenwürde Rekurs genommen. In diesem Kontext finden sich auch vermeintliche Natürlichkeitsargumente, nach denen bestimmte Verhaltensnormen zum Schutz des Natürlichen der Wahrung der Menschenwürde dienen sollen.526 Insoweit richtet sich der Blick zunächst auf den Bereich des (Neuro-)Enhancements, in dem die Bezugnahme auf die Menschenwürde zur Legitimation rechtlicher Ge- oder Verbote freilich besonders schwer fällt. So kann ein vermeintliches Natürlichkeitsargument in diesem Zusammenhang etwa wie folgt lauten: Die Vornahme kosmetischer Eingriffe greife in die natürliche Beschaffenheit des Menschen ein. Auf diese Weise komme es zu einer Beeinträchtigung der Menschenwürde – die Maßnahme sei daher unzulässig. Wie aber ließe sich daran anknüpfend eine entsprechende Verletzung der Menschenwürde näher begründen? In Anlehnung an die oben genannte Objektformel könnte die Behauptung aufgestellt werden, chirurgische Eingriffe, die keinen gesundheitsbezogenen Nutzen haben, hätten eine Instrumentalisierung des menschlichen Leibes zum reinen Mittel zum Zweck zur Folge. Das Postulat der Menschenwürde meinte vor diesem Hintergrund eine Pflicht zur

523 Exemplarisch besonders deutlich Benda, NJW 1985, 1730, 1733 in Bezug auf die Leihmutterschaft: Bei dieser handele es sich um eine „widernatürliche Aufspaltung der MutterKind-Beziehung“, die zu einem „Verstoß gegen die auf die Natur des Menschen gerichtete Achtung der Menschenwürde“ führe. S. ferner ders., Genforschung, S. 205, 218 ff. Vgl. auch Seelmann, Wolff-FS, S. 481, 485. 524 S. ausführlich zur Entwicklung des Begriffs und unterschiedlichen Deutungsversuchen Maunz/Dürig/Herdegen, GG, 75. EL September 2015, Art. 1 Abs. 1 Rn. 33 sowie Benda, Genforschung, S. 205, 214 ff. Vgl. ferner Birnbacher, Ethik, S. 75; Kersten, Klonen, S. 404 f. 525 S. BVerfGE 9, 89, 95; 27, 1, 6; 28, 386, 391; 45, 187, 228; 50, 166, 175; 87, 209, 228; vgl. außerdem BVerfGE 5, 85, 204; 7, 198, 205; BVerwG, NJW 1982, 664, 664. S. zur geistesgeschichtlichen Tradition des Menschenwürdesatzes schon oben D. II. 2. 526 S. zu den Nachweisen die nachfolgenden Abschnitte D. III. 5. a) aa)–dd).

III. Legitimität rechtlicher Verhaltensnormen zum Schutz des Natürlichen

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Bewahrung und Erhaltung der leiblichen Kontingenz des Einzelnen und liefe auf die Unantastbarkeit biologischer Strukturen und Verläufe hinaus.527 Eine solche Argumentation geht zwar zutreffend davon aus, dass der menschliche Körper an dem Schutzumfang der Menschenwürde aus Art. 1 Abs. 1 GG teilhat.528 Jedoch liegt ihr offensichtlich ein Missverständnis der eigentlichen Schutzintention des Menschenwürdepostulats zugrunde. So handelt es sich dabei um ein Grundrecht zur Abwehr von Eingriffen in die eigene Rechtsposition seitens Dritter bzw. des Staates.529 Sofern die Objektformel vorsieht, dass der Einzelne nicht zum reinen Objekt degradiert werden darf, bezieht sich dies auf Beeinträchtigungen, die das Subjekt durch das Verhalten anderer Personen erfährt. Insoweit entspricht es dem Schutzumfang der Menschenwürde, dass der Einzelne nicht zum bloßen Gegenstand staatlichen Handelns gemacht werden darf, indem er beispielsweise der Folter unterzogen wird.530 Um etwas gänzlich anderes handelt es sich jedoch in den hier diskutierten Fällen der Eigenverbesserung. Sofern das Individuum diese freiverantwortlich vornimmt bzw. wirksam in deren Vornahme durch einen Dritten einwilligt, liegt darin kein (unzulässiger) Eingriff seitens Dritter.531 Vielmehr entspricht es gerade der Menschenwürde des Einzelnen, dass er von seiner Freiheit, über Beeinträchtigungen der eigenen Körperintegrität zu entscheiden und diese selbst vorzunehmen, Gebrauch machen kann.532

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Vgl. Birnbacher, Natürlichkeit, S. 132. Maunz/Dürig/Herdegen, GG, 75. EL September 2015, Art. 1 Abs. 1 Rn. 95. 529 BVerfGE 125, 175, 222; 132, 159 f.; Birnbacher, Natürlichkeit, S. 135; Sachs/Höfling, Grundgesetz, Art. 1 Rn. 5 ff.; Jarass/Pieroth/Jarass, Grundgesetz, Art. 1 Rn. 3. Demgegenüber nimmt etwa Dreier/H. Dreier, Grundgesetz, Art. 1 Abs. 1 Rn. 124 ff. an, die Menschenwürde sei „Grundsatz, nicht Grundrecht“, dem daher lediglich objektiver Verfassungsrang zukommt. Für die hier interessierende Fragestellung kann der Streit dahinstehen: Nach beiden Auffassungen entfaltet die Menschenwürde einen Schutz gegenüber Eingriffen Dritter und des Staates, vgl. BeckOK/GG/Hillgruber, Art. 1 Rn. 1.1 (Stand: 01. 06. 2015). 530 BVerfG NJW 2005, 656, 657; Maunz/Dürig/Herdegen, GG, 75. EL September 2015, Art. 1 Abs. 1 Rn. 95; Sachs/Höfling, Grundgesetz, Art. 1 Rn. 20. 531 Zum Maßstab der Freiverantwortlichkeit in Gestalt der Regeln zur rechtfertigenden Einwilligung s. Freund, AT, § 5 Rn. 75 m. w. N.; Frisch, Tatbestandsmäßiges Verhalten, S. 162 ff., 166 ff., 171 ff.; Köhler, ZStW 104 (1992), 3, 25 f.; Rostalski, JuS 2015, 525, 527. S. demgegenüber zu einer Orientierung an den Exkulpationsregeln Bottke, GA 1983, 22, 30 ff.; Dölling, GA 1984, 71, 78 f. 532 Eine Einschränkung erfährt das Selbstbestimmungsrecht des Einzelnen lediglich bezüglich der Einwilligung in eine Fremdtötung. Dem Individuum steht es frei, über den eigenen Tod zu verfügen, solange er die Tötungshandlung selbst vornimmt. Um vor Übereilung zu schützen, verbietet demgegenüber § 216 StGB die Tötung auf Verlangen, die eine konsentierte Fremdtötung umfasst, s. Jakobs, Arthur Kaufmann-FS, S. 459, 467 f.; Schönke/Schröder/Eser/ Sternberg-Lieben, § 216 Rn. 1a; Rostalski, JuS 2015, 525, 526. S. ferner BGH, NStZ 1984, 410 ff.; NStZ 2009, 148, 149 f.; Rostalski, JuS 2015, 525, 527 zu der Abgrenzung zwischen eigenverantwortlicher Selbstgefährdung und einverständlicher Fremdgefährdung. 528

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D. Validität von Natürlichkeitsargumenten im Bereich der Biomedizin

Nicht überzeugen kann daher die Annahme, die Körperintegrität der Person müsse vor Eingriffen des Rechtsgutsinhabers selbst geschützt werden. Das Menschenwürdepostulat umfasst insbesondere das Selbstbestimmungsrecht des Einzelnen.533 Dem liefe es aber zuwider, wenn seiner leiblichen Beschaffenheit Rechte eingeräumt würden, die sie letztlich vor ihm selbst schützen. Auf diese Weise verkäme der Menschenwürdeschutz zu einem Einfallstor allgemeiner gesellschaftlicher Anschauungen in Bezug auf den Umgang der Person mit ihrem eigenen Körper. Es läge nicht länger uneingeschränkt in der Freiheit des Einzelnen, darüber zu verfügen. Vielmehr würde diese Entscheidung in die Hände Dritter gelegt – und letztlich käme gerade hierin ein Verstoß gegen das verfassungsrechtlich garantierte Menschenwürdepostulat zum Ausdruck.534 So bedeutet eine spezifische Verpflichtung der Person im Umgang mit ihrem Körper zur Wahrung gesellschaftlicher Wertvorstellungen nichts anderes als einen Eingriff Dritter (Privater oder des Staates) in seine Selbstbestimmungsfreiheit. Entsprechende rechtliche Verhaltensnormen würden den Einzelnen zum Objekt staatlichen Handelns degradieren und ihn auf diese Weise in seiner Würde verletzen. Dem steht kein vermeintliches „Verbot der Selbstentwürdigung des Menschen“ entgegen, das dessen Dispositionsbefugnis im Hinblick auf die eigene Person einschränkt. Ein solches ist dem Menschenwürdepostulat nicht zu entnehmen.535 Insofern ist auch der Auffassung, der Menschenwürde komme ein „objektiver Gehalt“ zu, der für das soziale Zusammenleben eine „konstitutive Bedeutung“ einnehme und daher der Dispositionsfreiheit des Einzelnen entzogen sei, eine klare Absage zu erteilen.536 Beide Positionen laufen nach dem Gesagten auf eine staatliche Entmündigung des Einzelnen hinaus. Dies widerspricht aber der zentralen Aufgabe des Staates, die Freiheit eines jeden Menschen „über und für sich selbst“ zu respektieren.537 Ein Aufdrängen spezifischer Vorstellungen darüber, was eine „,richtige‘ oder ,würdige‘ Lebensgestaltung“ ausmacht, kommt einer Missachtung der Subjektqualität des Einzelnen gleich und bedeutet damit eine Verletzung seiner Men533 Maunz/Dürig/Herdegen, GG, 75. EL September 2015, Art. 1 Abs. 1 Rn. 84; ebenso Bayertz, GenEthik, S. 284; Fenner, Angewandte Ethik, S. 57. Damit ist freilich nicht gesagt, dass allein derjenige in den Genuss von Menschenwürde gelangt, der die Fähigkeit zur Selbstbestimmung aufweist. Vielmehr kommt Menschenwürde auch demjenigen zu, der in seiner Freiverantwortlichkeit eingeschränkt ist, s. BVerfG NJW 2012, 3357, 3358; NJW 1993, 1457, 1459. 534 So auch v. Olshausen, NJW 1982, 2221, 2222. 535 Anders aber Isensee, Hollerbach-FS, S. 243, 261, der von einer Würde des menschlichen „Geschlechts“ ausgeht, weshalb eine Disposition des Einzelnen über ein solches „Universalinteresse“ auf der Basis seiner Auffassung ausgeschlossen ist. S. zur Kritik an dieser Position noch unten D. III. 5. a) dd). 536 S. dazu BVerwG, NJW 1982, 664, 665. In diese Richtung argumentiert auch Graf Vitzthum, MedR 1985, 249, 255, der die Durchführung einer Leihmutterschaft als Verletzung der Menschenwürde erachtet und dem Staat ein Recht einräumen möchte, der einzelnen Frau vorzuschreiben, „daß sie ihre Sexualität, zumindest ihre Gebärfähigkeit für würdekonstituierend hält“. Wie hier kritisch hingegen Benda, Genforschung, S. 205, 218. 537 v. Olshausen, NJW 1982, 2221, 2221 f.

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schenwürde. Dies läuft auch nicht der zutreffenden verfassungsrechtlichen Wertung zuwider, dass ein Verzicht des Einzelnen auf seine Menschenwürde ausgeschlossen ist.538 So ist die Menschenwürde im Fall der freiverantwortlichen Entscheidung des Betreffenden gar nicht berührt. Vielmehr muss an dieser Stelle klar differenziert werden: Zwar kann keine Person auf ihre Menschenwürde verzichten. Wann diese allerdings verletzt ist, liegt in ihrem eigenen Ermessen, weshalb ihr diese Einschätzung nicht durch Dritte oder den Staat aufgedrängt werden darf.539 Insofern gilt: Das Selbstbestimmungsrecht der Person darf nicht gegen das Menschenwürdepostulat ausgespielt werden.540 Letzteres umfasst all jene Umgangsweisen mit dem eigenen Körper, die der Einzelne für sich wünscht. Ausgeschlossen ist damit die Verselbstständigung des Schutzes des menschlichen Körpers gegenüber dem Willen seines Trägers. „Rechte“, die dem Körper auf diese Weise eingeräumt werden, laufen stets darauf hinaus, dass allgemeine gesellschaftliche Moralvorstellungen über den Umgang mit dem eigenen Körper entscheiden.541 Menschenwürdeschutz wird so in sein Gegenteil verkehrt: Verletzungen der Menschenwürde, vor denen vermeintlich geschützt werden soll, stehen gerade am Ende einer solchen Argumentationskette. Für den Bereich des (Neuro-)Enhancement erweisen sich Natürlichkeitsargumente, die auf den Schutz der Menschenwürde Rekurs nehmen, daher als wenig ergiebig.542 Mit den aufgezeigten Schwächen des Menschenwürdearguments im Hinblick auf die Selbstverbesserung des Einzelnen dürfte es auch zusammenhängen, dass sich dieser Begründungsansatz bezüglich anderer biotechnischer Verfahren 538

S. dazu v. Münch/v. Münch, GG, Art. 1 Rn. 39. Ebenso v. Olshausen, NJW 1982, 2221, 2223. So auch Kersten, Klonen, S. 510. 540 Vgl. v. Olshausen, NJW 1982, 2221, 2221 ff.; v. Münch/v. Münch, GG, Art. 1 Rn. 39. In diese Richtung auch Bayertz, Menschliche Natur, S. 9, 22, der auf die Inkonsistenz einer Position hinweist, die den Wert der menschlichen Natur gegen eben jene Person verteidigen möchte, aus der sich dieser Wert überhaupt erst ergibt. Der Körper des Einzelnen bedarf zwar des Schutzes, nicht aber vor den freiverantwortlich gefassten Entscheidungen des Betreffenden selbst. 541 Vor diesem Hintergrund ist auch die „Einwilligungsschranke“ der guten Sitten in § 228 StGB unhaltbar (s. zu diesem Einwand etwa Hofmann, JZ 1986, 253, 256): Die Autonomie des Einzelnen im Umgang mit seinen eigenen Interessen überwiegt jedwede Moralvorstellung Dritter. S. grundsätzlich Frisch, Hirsch-FS, S. 485 ff. 542 Birnbacher, Natürlichkeit, S. 134 f. bringt gegen solche noch vor, dass der Schutz der Menschenwürde sich mehr auf die geistige Natur des Menschen beziehe denn auf seine körperliche. Aus diesem Grund könne die Menschenwürde durch verändernde Eingriffe in die leibliche Beschaffenheit, die der reinen „Verbesserung“ dienen, nicht infrage gestellt werden, solange nicht die für die Menschenwürde konstitutiven geistigen Potentiale beeinträchtigt werden. Dem ist insoweit zuzustimmen, als etwa die Freiheit zur Selbstbestimmung als zentraler Bestandteil des Menschenwürdeschutzes unmittelbaren Bezug auf die geistigen Fähigkeiten des Menschen nimmt. Allerdings strahlt dieser Schutz auch auf den Körper des Einzelnen aus, der immerhin Bezugsobjekt der Freiheitsausübung ist. Darüber hinaus stehen Körper und Geist in einer Wechselwirkung, weshalb nicht auszuschließen ist, dass Eingriffe in die leibliche Kontingenz ggf. negative Konsequenzen für den geistigen Zustand des Betreffenden haben. 539

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D. Validität von Natürlichkeitsargumenten im Bereich der Biomedizin

zuletzt größerer Beliebtheit erfreut.543 Besonders prominent ist das Berufen auf den Schutz der Menschenwürde dabei im Bereich des reproduktiven Klonens von Menschen.544 Nach § 6 Abs. 1 ESchG steht es unter Strafe, künstlich zu bewirken, dass ein menschlicher Embryo mit der gleichen Erbinformation wie ein anderer Embryo, ein Fötus, ein Mensch oder ein Verstorbener entsteht. Abs. 2 derselben Vorschrift stellt darüber hinaus die Übertragung eines nach Abs. 1 bezeichneten Embryos auf eine Frau unter Strafe. Im Hinblick auf das reproduktive Klonen sind Menschenwürdeschutzargumente in unterschiedlichen Spielarten denkbar. Differenzierungen ergeben sich insbesondere bezüglich des im Rahmen der jeweiligen Argumentation benannten Trägers von Menschenwürde, der durch das Klonen in seinem Recht verletzt sein soll. Die Rede ist in diesem Zusammenhang sowohl von der Würde des Klons, der am Klonvorgang Beteiligten als auch der geklonten Person. Darüber hinaus findet sich in der Diskussion das Berufen auf eine Gattungswürde, die durch das reproduktive Klonen verletzt werde. aa) Verletzung der Würde des Klons Zunächst muss jedoch der Auffassung, reproduktives Klonen verstoße gegen die Menschenwürde des Klons selbst, eine Absage erteilt werden.545 Dagegen spricht, dass dies einen (vorwirkenden) Würdeschutz des Klons voraussetzen würde, der inhaltlich auf die eigene Nichtexistenz gerichtet wäre. Logisch lässt sich dies nicht erklären. Um Würde zuzusprechen, ist immerhin erforderlich, dass deren Träger existiert.546 Bei einem Klon ist dies der Zeitpunkt der Nidation. Weil er frühestens 543 Vgl. etwa Maunz/Dürig/Herdegen, GG, 75. EL September 2015, Art. 1 Abs. 1 Rn. 100 ff. für das breite Anwendungsfeld des Menschenwürdearguments in Bezug auf diverse biotechnische Verfahren. 544 Für die Legitimation des strafbewehrten Klonverbots unter Rekurs auf den Menschenwürdeschutz sprechen sich – mit im Einzelnen abweichender Begründung – etwa Benda, Genforschung, S. 205, 224; Maunz/Dürig/Herdegen, GG, 75. EL September 2015, Art. 1 Abs. 1 Rn. 105 aus. S. insofern bereits BT-Drs. 11/5460 (Gesetzentwurf der Bundesregierung – Entwurf eines Gesetzes zum Schutz von Embryonen [Embryonenschutzgesetz – ESchG]), S. 11. 545 S. dazu etwa BT-Drs. 11/5460 (Gesetzentwurf der Bundesregierung – Entwurf eines Gesetzes zum Schutz von Embryonen [Embryonenschutzgesetz – ESchG]), S. 11 sowie Bayertz, GenEthik, S. 288, der jedenfalls dann eine Instrumentalisierung des Klons annimmt, wenn dieser eine exakte Kopie der Eltern bzw. berühmter Persönlichkeiten darstellen soll – hier werde „ein zu erzeugender Mensch auf die Kopie eines bereits existierenden Menschen reduziert“; Eser, Hello Dolly?, S. 223, 234 f.; Hofmann, JZ 1986, 253, 260; Kass, The new republic 1997, 17, 23; Köbl, Hubmann-FS, S. 161, 187. 546 Ebenso Quante, Menschenwürde, S. 63. S. ferner zu der Schwierigkeit, auf der Basis der Kantischen Moralphilosophie – in deren ideengeschichtlicher Tradition der verfassungsrechtliche Menschenwürdesatz steht – Lebewesen Würde zuzusprechen, die nicht die Fähigkeit zur Selbstbestimmung aufweisen und denen daher nicht der Personenstatus zukommt, T. Gutmann, Jahrbuch für Wissenschaft und Ethik 15 (2010), 5 ff. Dem Problemkreis wird vorliegend nicht näher nachgegangen, da selbst bei unterstellter Teilhabe des Embryos an der

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von diesem Moment an Träger von Menschenwürde sein kann, ist es aber ausgeschlossen, diese Garantie zugleich gegen den Vorgang seiner Entstehung zu wenden.547 Ist diese Schwelle einmal überschritten, kann es aber ebenso wenig überzeugen, dem Klon sein Lebensrecht unter Hinweis auf seinen Würdeschutz zu versagen. Lebensrecht und Würdeschutz dürfen in dieser Weise nicht gegeneinander ausgespielt werden. Die Einschätzung, dass es sich bei dem Leben eines Klons nicht um ein würdevolles handele, ist in erheblichem Maße gefährlich.548 Damit einhergehen rechtsstaatlich unhaltbare Wertungen im Sinne „richtigen“ bzw. „guten“ Lebens, die abweichende Daseinsformen ohne Berechtigung degradieren. Der zum Menschen herangewachsene Klon weist dieselbe Rechtsstellung auf, die jedem anderen Gesellschaftsmitglied zukommt. Die Annahme, er müsse auf sein Leben verzichten, um seine eigene Würde zu schützen, erscheint vor diesem Hintergrund zynisch und darf keine Beachtung finden. Insofern überzeugt es auch nicht, einen Verstoß gegen die Menschenwürde des Klons durch Bezugnahme auf die vollständige Vorherbestimmung seiner genetischen Konstitution zu begründen. Letztlich ist dies bei jedem Menschen der Fall: Auf seine Gene hat keiner einen Einfluss. Dennoch käme keiner auf den Gedanken, bei „natürlich“ gezeugten Kindern aufgrund ihrer genetischen Vorherbestimmung eine Würdeverletzung anzunehmen. Etwas anderes ergibt sich nicht daraus, dass das Genom des Klons bereits existiert und dessen Träger möglicherweise selbst noch lebt. Hieraus können sich Schwierigkeiten der Selbstfindung des Klons ergeben, die etwa durch ein soziales Umfeld, das ihn als „Merkwürdigkeit“ ansieht, weiter behindert wird.549 So wird die Auffassung vertreten, bei dem menschlichen Genom handele es sich um eine „essentielle Ausgangsbedingung für die individuelle Entwicklung“ des Einzelnen.550 Die Konfrontation mit einem ggf. viel älteren Duplikat werfe vor diesem Hintergrund ernsthafte Probleme für die persönliche Identitätsbildung auf, die in eine Menschenwürdeverletzung des Klons mündeten.551 In eine ähnliche Richtung geht auch die Argumentation Jonas’, der die Identitätsbildung des Klons durch den Umstand gefährdet sieht, dass es eine genetisch identische, ältere Garantie des Art. 1 Abs. 1 GG aus den im Text genannten Gründen die Verfahren des reproduktiven Klonens bzw. das Enhancement nicht gegen die Würde des Embryos verstoßen. 547 Maunz/Dürig/Herdegen, GG, 75. EL September 2015, Art. 1 Abs. 1 Rn. 105; Seelmann, Wolff-FS, S. 481, 486. 548 So aber offenbar Graf Vitzthum, MedR 1985, 249, 256 f: „Genetisch normierte Menschen können keine Identität gewinnen.“ Weil aber seiner Auffassung nach Menschenwürde in der „Einmaligkeit und Unverfälschtheit menschlicher Individualität“ liegt, läuft diese Position darauf hinaus, dass dem Klon selbst keine Würde zukommt. Dann erscheint es allerdings zirkulär, in der „positiven Eugenik“, die auf die Optimierung des Menschen gerichtet ist, einen Verstoß gegen die Menschenwürde zu sehen: Wer keine Würde hat, der kann darin auch nicht verletzt werden. 549 S. zu diesem Bedenken Köbl, Hubmann-FS, S. 161, 187. Vgl. ferner Hilgendorf, Maurer-FS, S. 1147, 1156; Kass, The new republic 1997, 17, 22. 550 Kersten, Klonen, S. 483. 551 Kass, The new republic 1997, 17, 22; Köbl, Hubmann-FS, S. 161, 187.

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Person bereits gibt.552 Hierin liege ein Nachteil, dem etwa identische Zwillinge nicht ausgesetzt seien, da diese trotz der steten Konfrontation mit der Ähnlichkeit des anderen nicht unter dem „Vortritt eines Früheren“ zu leiden hätten. Indessen kann gerade in dem Umstand, dass eine gleichaltrige, genetisch identische Person existiert, eine besondere Belastung des Einzelnen liegen. Zeitlicher Abstand schließt es in großem Umfang aus, dass Klon und Geklonter mit übereinstimmenden Lebenssituationen konfrontiert werden, in denen sich die Frage stellen kann, ob ein Abweichen von der Entscheidung des Früheren möglich ist.553 Im Gegensatz dazu bieten sich eineiigen Zwillingen, die als Geschwister in engem Kontakt miteinander aufwachsen, täglich Umstände, in denen sie sogar zeitgleich einen individuellen Umgang mit der jeweiligen Situation finden müssen.554 Hier liegt es daher besonders nahe, dass eine Orientierung an den Entscheidungen und Reaktionen des anderen erfolgt, die auf die persönliche Identitätsbildung Einfluss nimmt. Anders als der Klon weiß der Zwilling in aller Regel ganz genau, wie sein Geschwisterteil sich in bestimmten Lebenssituationen entscheidet und erlebt dies hautnah mit. Seine Identitätsbildung ist daher in erheblich größerem Maße durch die Existenz der genetisch identischen Person beeinflusst als im Fall des geklonten Menschen. Gleichwohl fehlt es – zu Recht – an einer Auffassung, die hieraus eine Menschenwürdeverletzung des Zwillings oder gar das Verbot ableiten möchte, Zwillinge zu gebären. Unabhängig davon bleibt es also dabei: Die Frage, ob gegenüber einer Existenz mit möglichen psychischen Beeinträchtigungen – etwa hinsichtlich der Selbstfindung – die Nichtexistenz vorzugswürdig ist, muss klar mit „Nein“ beantwortet werden. Es kann nicht überzeugen, die Menschenwürde dadurch zu schützen, dass der zu schützenden Person die Möglichkeit zu leben in Gänze genommen wird.555

552

Jonas, Technik, Medizin und Ethik, S. 188, 214. Kersten, Klonen, S. 493. 554 So auch Fenner, Angewandte Ethik, S. 99. 555 An diesem Ergebnis ändert sich nichts, wenn die Menschenwürde – wie Quante, Menschenwürde, S. 59 vorschlägt – nicht als zwingend unvereinbar mit einer Lebensqualitätsbemessung eingestuft wird. Nach Quantes Auffassung besteht zwischen der Menschenwürde und dem Recht auf Leben lediglich eine prima facie-Verknüpfung (ebenda, S. 48). Auf diese Weise wird es ermöglicht, das Recht auf Leben beispielsweise gegen künftiges Wohl und Leid des Betreffenden abzuwägen. Indes handelt es sich hierbei auch nach Quante lediglich um den ersten Schritt, dem die Überprüfung der „Begründetheit und Angemessenheit der Abwägungsurteile“ nachzufolgen hat. Wer so verfährt, muss in Bezug auf den menschlichen Klon dennoch zu dem Schluss gelangen, dass etwaige psychische Belastungen in ihrer Intensität und ihrem Ausmaß nicht hinreichend gravierend sind, um ein Überwiegen des Schutzes vor solchem Leid gegenüber dem Lebensinteresse zu rechtfertigen. 553

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bb) Verletzung der Würde der geklonten Person Im Kontext des reproduktiven Klonens findet sich darüber hinaus das Argument, das Verfahren verstoße gegen die Würde der geklonten Person, die als Zellspender des Klons fungiert.556 Diese werde durch das gezielte genetische Duplizieren und die Entstehung eines genetisch gleich ausgestatteten Menschen ihrer genetischen Identität „beraubt“.557 In diesen Vorgang könne der Betreffende auch nicht wirksam einwilligen. Vielmehr übersteige der Reproduktionsprozess seine Dispositionsbefugnis. Allerdings fragt sich bereits, wie die Duplikation einer Person in Bezug auf ihr Genom dazu führen soll, dieser ihre genetische Identität zu nehmen.558 Selbst wenn das eigene Genom mehr als einmal existiert, ändert dies nichts daran, dass es stets seinem individuellen Träger verbleibt. Indes ist dies offensichtlich von Seiten der Vertreter dieser Position auch nicht gemeint. Sofern es aber nicht darum geht, dass dem Spender sein Genom genommen wird, kann die Argumentation ausschließlich auf einen vermeintlichen identitätsstiftenden Charakter des eigenen Genoms hinzielen.559 Dass also jedes Individuum ein einzigartiges Genom aufweise, übernimmt nach dieser Lesart eine Funktion in der Identitätsbildung des Betreffenden. Auch dem kann jedoch nicht gefolgt werden. Zweifel an der Richtigkeit dieser Position weckt bereits das Beispiel der genetischen Ähnlichkeit eineiiger Zwillinge. Der Umstand, dass sich das Genom eineiiger Zwillinge ausschließlich in kaum feststellbaren Nuancen unterscheidet, steht dem Haben einer eigenen Identität jedes einzelnen Zwillings mitnichten entgegen. Vielmehr zeigt sich anhand dieser Personengruppe, dass „Identität“ mehr ist als das reine Genom – letzteres dürfte in diesem Kontext gar einen geradezu untergeordneten Stellenwert einnehmen. Grund dafür ist nicht zuletzt, dass das Genom für das Individuum eine unverfügbare Größe darstellt. Wer wir sind, hängt aber entscheidend davon ab, wer wir sein wollen.560 Dies kann sogar dazu führen, dass genetisch begründete Merkmale der eigenen Beschaffenheit als unvereinbar mit dem Selbst wahrgenommen und in der Folge – 556 S. dazu Maunz/Dürig/Herdegen, GG, 75. EL September 2015, Art. 1 Abs. 1 Rn. 105. Vgl. ferner zur Verletzung der Würde desjenigen, der gegen seinen Willen geklont wird, Kersten, Klonen, S. 514 sowie zur Fallgruppe der Einwilligungsunfähigen S. 511 ff. 557 Maunz/Dürig/Herdegen, GG, 75. EL September 2015, Art. 1 Abs. 1 Rn. 105. In diesem Sinne auch BeckOK/GG/Hillgruber, Art. 1 Rn. 23 (Stand: 01. 03. 2016), wonach durch jedwede Form des Klonens „der Eigenwert und die Individualität menschlichen Lebens negiert“ werde. Vgl. ferner Jonas, Technik, Medizin und Ethik, S. 188; Kass, The new republic 1997, 17, 23. 558 Köbl, Hubmann-FS, S. 161, 187 wendet das Argument des Identitätsverlustes auf den Klon an: Dessen Individualität und Personenwert würden „allzusehr verkümmert“. Ebenso Benda, NJW 1985, 1730, 1733 („Die Unwiederholbarkeit des Menschen gehört zu den Grundelementen der Menschenwürde.“). S. zur Gegenargumentation schon oben D. III. 5. a) aa) sowie Köbl, Hubmann-FS, S. 161, 188 selbst(!): „Im Eingriffszeitpunkt wäre ja ein sich mit sich selbst identisch fühlendes Individuum noch nicht vorhanden.“ 559 Ausdrücklich insoweit Kass, The new republic 1997, 17, 23: „(…) genotype really does have something to do with identity, and everybody knows it.“ 560 S. dazu noch ausführlich unten D. III. 5. c) aa).

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soweit möglich – durch die erforderlichen Eingriffe verändert werden. Insofern entspricht es nicht selten bloßem Zufall, wenn sich der Einzelne in seinen genetischen Anlagen vollumfänglich verwirklicht sieht.561 Selbst wenn jedoch dem Genom in Bezug auf die persönliche Identität eine größere Bedeutung zugeschrieben werden sollte, wird diese durch eine genetische Duplizierung prinzipiell nicht beeinträchtigt. Zwar entsteht auf diese Weise eine Person mit genetisch gleicher Beschaffenheit. Der Umstand allein, dass es mich mehr als einmal gibt, führt aber nicht dazu, dass es mich nicht mehr gibt.562 Das Individuum nimmt seine persönliche Identitätsbildung stets innerhalb einer Gruppe von Menschen vor, mit denen es zeit seines Lebens in Berührung kommt.563 Hier spielen insbesondere die Abgrenzung von anderen oder bewusste Anpassung eine maßgebliche Rolle. Dem entspricht es, wenn das Kind die Wertvorstellungen der eigenen Eltern hinterfragt und sich damit konfrontiert, ob es sein Leben nach deren Vorbild oder anders gestalten möchte. Ein entsprechender Prozess kann immer dann einsetzen, wenn der Einzelne mit für ihn neuen Lebensmodellen in Berührung kommt, die ein Reflektieren über die eigene Person in Gang setzen. Die Konfrontation mit einem Klon seiner selbst steht damit in einer Reihe. Wie auch der eineiige Zwilling kann der Spender in einer solchen Situation geneigt sein, seine Identität in Kontrast mit dem anderen zu hinterfragen und gegebenenfalls Modifikationen der Selbstwahrnehmung vornehmen. Wegen der genetischen Übereinstimmung mit dem Klon kann das Ausmaß der Reflektion hier unter Umständen größer sein als bei einer Abgrenzung von sonstigen Personen. Dies ist allerdings nicht zwingend der Fall. Selbst wenn dem aber so sein sollte, liegt es fern, dass der Spender in Konfrontation mit dem Klon zu dem Schluss gelangt, dass er fortan keine eigene Identität mehr aufweist bzw. eine solche erst gar nicht entwickeln kann. Insoweit befindet sich der Geklonte gar in einer gegenüber dem eineiigen Zwilling begünstigten Situation:564 Während dieser von Kindesbeinen an mit einer genetisch beinahe identischen Person konfrontiert ist, weist der Geklonte immerhin einen gewissen zeitlichen Vorsprung gegenüber dem Klon auf. So kann er jedenfalls für eine bestimmte Zeit die eigene Identitätsbildung und Selbstfindung unabhängig von der Existenz des Klons vollziehen. Dieser Vorteil ist dem eineiigen Zwilling nicht beschieden. Gleichwohl können sowohl der Geklonte als auch der eineiige Zwilling in Konfrontation mit ihrem Gegenpart besonders geneigt sein, die eigene Identität zu hinterfragen. Dennoch bleibt es dabei, dass Identität in aller Regel für den Einzelnen 561

S. dazu noch unten D. III. 5. e). Es fehlt dem Einzelnen dann allein an der Singularität seiner Existenz: „Singularität aber ist keine Voraussetzung für Rechtssubjektivität.“, Schulz, ZRP 2003, 362, 364. 563 Bayertz, GenEthik, S. 136: Identität bildet sich „in einem lebenslangen Prozeß der Wechselwirkung mit der Umwelt“ heraus. 564 Vgl. dahingehend Köbl, Hubmann-FS, S. 161, 187, die aus diesem Umstand allerdings gerade eine Menschenwürdeverletzung des Klons herleiten will, der anders als der eineiige Zwilling nicht mit einem gleichaltrigen, sondern einem ggf. viel älteren Duplikat konfrontiert wird. S. dazu bereits oben D. III. 5. a) aa). 562

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mehr ist als sein Genom. Dieser wird sich zumeist nicht auf seine Gene reduzieren. Sollte dies ausnahmsweise einmal nicht der Fall sein, kann sich darauf aber keine Verletzung der Menschenwürde stützen. Eine solche kann nicht bereits dann angenommen werden, wenn ein vages Risiko psychischer Schädigungen des Geklonten im Raum steht.565 Zwar ist grundsätzlich nicht ausgeschlossen, dass das in Art. 1 Abs. 1 GG positivierte Menschenwürdepostulat den Einzelnen vor bloßen Gefahren schützt. Deren Eintritt muss aber immerhin in hohem Maße wahrscheinlich und von einer gewissen Erheblichkeit sein, soll nicht der Menschenwürdesatz zum Auffangbecken sämtlicher Gefahrenüberlegungen werden, die in Bezug auf biotechnische Maßnahmen auftreten können. Jedenfalls diese Voraussetzung ist aber angesichts der aufgezeigten Zweifel daran, dass das eigene Genom einen großen Einfluss auf die persönliche Identitätsbildung hat, nicht erfüllt. Darüber hinaus käme selbst bei Vorliegen entsprechender Risiken die wirksame Einwilligung des Geklonten in Betracht:566 Sofern ihm die damit einhergehenden Gefahren bewusst sind, entspricht es seiner Dispositionsfreiheit, diese einzugehen. Insoweit sei daran erinnert, dass das Selbstbestimmungsrecht des Einzelnen nicht gegen dessen Menschenwürde ausgespielt werden darf. Eine Einwilligung in das „Geklontwerden“ ist daher prinzipiell möglich, weshalb unter dieser Voraussetzung keine Verletzung der Würde des Geklonten im Raum steht.567 Natürlichkeitsargumente, die auf den Schutz der Menschenwürde des Spenders rekurrieren, sind daher ihrerseits nicht geeignet, ein Verbot reproduktiven Klonens zu legitimieren.

565 Dies gilt ebenfalls für den bereits vorab diskutierten Fall der potentiellen Menschenwürdeverletzung des Klons: Unter Umständen auftretende Schwierigkeiten der eigenen Identitätsbildung weisen keine solche Erheblichkeit auf, dass der Schutzbereich der Menschenwürde betroffen ist, Birnbacher, Natürlichkeit, S. 160. Auch Hilgendorf, Maurer-FS, S. 1147, 1154 sieht im reproduktiven Klonen keinen Verstoß gegen die Menschenwürde des Klons. 566 Bei der Einwilligung des Geklonten handelt es sich um eine zwingende Voraussetzung der Durchführung einer solchen Maßnahme. Grund dafür ist, dass der Vorgang des Klonens auf eine Zellspende des Geklonten angewiesen ist. Eine solche darf aber nicht gegen seinen Willen vorgenommen werden. Der Geklonte ist Eigentümer seiner Zellen und damit allein dazu imstande, wirksam über ihre Verwendung zu entscheiden. Dies ist selbst unter der Voraussetzung der Fall, dass die zur Durchführung des Klonens verwendeten Zellen bereits vom Körper des Geklonten getrennt sind. Von einer Eigentumsaufgabe kann in diesen Fällen nicht ohne Weiteres ausgegangen werden. Zu denken wäre etwa an das Entsorgen eines Wundverbands, auf dem Blut und sonstige Körperzellen des Betreffenden zurückbleiben. Das Wegwerfen – etwa in den Klinikabfall – muss als Zustimmung zur fachgerechten Entsorgung bzw. Vernichtung aufgefasst werden. Eine Eigentumsaufgabe mit der Konsequenz, dass über das Blut und die Körperzellen des Betreffenden frei verfügt werden kann, widerspricht der Interessenlage. Da der Eigentümer den Missbrauch zu fremden Zwecken nicht wünscht, ist sein Interesse darauf gerichtet, sein Eigentum so lange zu behalten, bis die Missbrauchsgefahr durch Vernichtung der eigenen Sachen gebannt ist. Es kommt in solchen Fällen daher entgegen Kass, The new republic 1997, 17, 23 nicht darauf an, den Genen der Person einen identitätsstiftenden Charakter zuzuschreiben, um ihr Recht zu begründen, über das reproduktive Klonen zu entscheiden. 567 Ebenso Kersten, Klonen, S. 509 m. w. N.

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cc) Verletzung der Würde der sonstigen am Vorgang des reproduktiven Klonens Beteiligten Zu denken wäre allerdings noch an eine Verletzung der Menschenwürde derjenigen, die neben dem Spender am Herstellungsprozess des Klons beteiligt sind. Die Rede ist dabei sowohl von dem Arzt, der die erforderlichen biotechnischen Verfahrensschritte vornimmt, als auch von den Eltern des Klons. Im Hinblick auf den Arzt kann sich kurz gefasst werden: Solange dieser seiner Aufgabe freiverantwortlich nachkommt und nicht etwa dazu gezwungen wird, besteht kein Anhaltspunkt, weshalb seine Menschenwürde durch die Vornahme des Reproduktionsprozesses beeinträchtigt sein sollte. Allenfalls die Überlegung, dass die Verletzung der Menschenwürde eines anderen zugleich die Verletzung der eigenen Menschenwürde zur Folge habe, könnte hier ein anderes Ergebnis tragen.568 Indessen wurde bereits verdeutlicht, dass weder die Würde des Klons noch des Spenders durch das Verhalten des Arztes eine Beeinträchtigung erfährt. Insofern ist auch nicht von einer gewissermaßen abgeleiteten Menschenwürdeverletzung des Arztes auszugehen. Ähnlich verhält es sich in Bezug auf die Eltern. In den Blick rücken dabei sowohl die leiblichen als auch die „sozialen“ Eltern des Klons, die sich zur Erzeugung ihres Kindes eines Genoms bedienen, das nicht auf ihre eigenen Keimzellen zurückzuführen ist. Für beide gilt zunächst das zum Arzt Gesagte: Sofern es um die Ableitung der eigenen Menschenwürdeverletzung von derjenigen eines anderen geht, kann sich hieraus kein Verstoß gegen Art. 1 Abs. 1 GG ergeben: Die Würde eines anderen wurde nicht beeinträchtigt. Im Übrigen ließe sich eine Würdeverletzung sowohl der leiblichen als auch der sozialen Eltern allein aus dem Umstand ableiten, dass mit dem Vorgang des reproduktiven Klonens Gefahren für deren psychische Verfasstheit einhergehen. Etwa ist denkbar, dass sich in Konfrontation mit dem Klon das Gefühl einstellt, einen Fehler gemacht zu haben. Hieraus können Schuldgefühle erwachsen und im schlimmsten Fall gar existentielle Zweifel. Dagegen spricht allerdings, dass sich die Betreffenden zur Vornahme des reproduktiven Klonens frei entschieden haben. Dem liegt in aller Regel ein längerer Entscheidungsfindungsprozess zugrunde, der in gewissem Umfang auch das Nachdenken über etwaige negative Konsequenzen für die eigene Psyche umfasst. Dass Personen mit den Folgen ihrer Entscheidungen nicht immer zufrieden sind, stellt darüber hinaus ein Risiko dar, das sich in sämtlichen Bereichen des menschlichen Lebens auftut. Insbesondere geht dieses selbst mit der „natürlichen“ Zeugung eines Kindes einher, die im Nachhinein von den Eltern als Überforderung empfunden werden kann. Insofern zeigt sich: Künftige Entwicklungen insbesondere im Hinblick auf den eigenen Gemütszustand können nie abschließend beurteilt werden. Außerdem handelt es sich dabei um ein Risiko, das beim reproduktiven Klonen keine so hohe Wahrscheinlichkeit aufweist, als sich daraus eine Menschenwürdeverletzung herleiten ließe. Mithin steht der

568 S. Graf Vitzthum, MedR 1985, 249, 251 unter Bezugnahme auf Kant, Metaphysik der Sitten, Tugendlehre, A 139, 140 (S. 600 f.).

III. Legitimität rechtlicher Verhaltensnormen zum Schutz des Natürlichen

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Zulässigkeit des reproduktiven Klonens auch keine Verletzungen der Würde sonstiger am Verfahren Beteiligter wie des Arztes oder der Eltern entgegen. dd) Verletzung der Gattungswürde In Bezug auf die Position,569 das reproduktive Klonen habe einer Verletzung der Gattungswürde zur Folge, kann sich an dieser Stelle kurz gefasst werden. Zunächst sprechen dagegen all jene Erwägungen, die zu einem früheren Zeitpunkt gegen das „Rechtsgut“ einer Gattungsidentität vorgebracht wurden.570 Schwierigkeiten wirft daher bereits der Begriff der „Gattung“ auf, dessen konturenscharfe Definition kaum möglich erscheint. Darüber hinaus gerät eine „Würde der Menschheit“ notwendig in Konflikt mit der Menschenwürde des Einzelnen. Das darin enthaltene Selbstbestimmungsrecht der Person droht, kollektiven Wertvorstellungen zum Opfer zu fallen, wodurch der Betreffende selbst zum Instrument der Befriedigung von Drittinteressen degradiert und in der Folge in seiner Menschenwürde verletzt wird. Träger von Menschenwürde können daher allein Individuen sein.571 Sofern eine „Gattungswürde“ als Interesse Anerkennung finden sollte, könnte es sich dabei mithin um nichts anderes als die Summe der Interessen der einzelnen Träger von Menschenwürde handeln.572 Das Konstrukt einer Gattungswürde kann in ihrem Schutzumfang nicht über das hinausgehen, was von der individuellen Menschenwürde umfasst ist. Indem aber bereits aufgezeigt wurde, dass das reproduktive 569 In diese Richtung Isensee, Hollerbach-FS, S. 243, 253, 261, der dem „Menschengeschlecht“ eine Würde zuschreiben möchte, die ihrerseits in Art. 1 Abs. 1 GG enthalten sein soll und durch das Klonen „beleidigt“ werde. Ähnlich Benda, Genforschung, S. 205, 210 f., der dem Menschenwürdepostulat die „Aufgabe einer Sicherung der Zukunft der Menschheit“ entnehmen möchte, indes zutreffend darauf verweist, dass gleichwohl der Menschenwürdeschutz des Einzelnen nicht gegen ein vermeintliches Wohl der Menschheit ausgespielt werden dürfe. S. dazu noch weiter im Text. 570 Vgl. oben D. III. 4. d). 571 Maunz/Dürig/Herdegen, GG, 75. EL September 2015, Art. 1 Abs. 1 Rn. 32 verweist in diesem Zusammenhang zutreffend auf den Gesetzeswortlaut, wonach die „Würde des Menschen“, nicht aber die „menschliche Würde“ oder die „Würde der Menschheit“ unantastbar ist. S. ferner BeckOK/GG/Hillgruber, Art. 1 Rn. 3 (Stand: 01. 03. 2016); Hofmann, JZ 1986, 253, 259. 572 S. zu dieser Position im Hinblick auf andere Universalrechtsgüter wie die „Volksgesundheit“ Köhler, ZStW 104 (1992), 3, 27 f.; ders., MDR 1992, 739, 739; in diese Richtung auch Zaczyk, StV 1992, 377, 378. – S. ferner T. Gutmann, Jahrbuch für Wissenschaft und Ethik 15 (2010), 5, 9 ff. dazu, dass auch bei Kant die Aussage, dass der Menschheit eine Würde zukomme, allein als „(…) ,Platzhalter‘ für ein Set grundlegender normativer Fähigkeiten und Eigenschaften der Person, nämlich für jene ,Idee der Menschheit‘, die in der intelligiblen oder noumenalen Seite des Menschen, in seiner Fähigkeit zur Kausalität aus Freiheit, d. h. zur freien Setzung von Zwecken und letztlich zur Selbstbestimmung nach selbstgegebenen, universalisierbaren Maximen“ zu verstehen ist. Kurz: Die „Menschheit“ ist bei Kant gleichbedeutend mit der Fähigkeit zu rationaler Selbstbestimmung und ist aufgrund des Personifikationsprinzips, das der Kantischen Zweckformel (s. o. D. II. 2.) zugrunde liegt, allein in der konkreten Person zu achten, die diese Eigenschaft tatsächlich aufweist.

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D. Validität von Natürlichkeitsargumenten im Bereich der Biomedizin

Klonen weder die Menschenwürde des Klons noch diejenige des Geklonten oder anderer Personen verletzt, kann sich nichts anderes aus einer vermeintlichen Gattungswürde ergeben. Hier droht vielmehr neuerlich, dass bloßen Moralvorstellungen im Gewande eines diffusen Universalinteresses ein Wert beigemessen wird, der ihnen im rechtlichen Kontext nicht zukommen darf.573 Etwas anderes kann sich nicht aus dem mechanischen Vorgang der genetischen Reproduktion ergeben. So verweist zwar Isensee darauf, dass hierin eine Vergleichbarkeit gegenüber der „Tierzucht574“ liege, indem „das Humangenom nach züchterischen Leitvorstellungen ausgewählt, verändert und vervielfältigt (,geklont‘)“ werde.575 Aus dem bloßen Umstand, dass es sich beim reproduktiven Klonen um ein technisches Verfahren handelt, kann allerdings nicht die Verurteilung des Verfahrens folgen. Vielmehr findet sich in dem Unbehagen, das Isensee durch den Begriff des Mechanischen zum Ausdruck bringt, eben jene Ablehnung gegenüber dem als „unnatürlich“ Eingestuften, die gerade einer weiteren Begründung bedarf und nicht lediglich auf ein (diffuses) Gefühl gestützt werden kann.576 Vor diesem Hintergrund kann aber selbst der Vergleich gegenüber der Tierzucht keine sachliche Rechtfertigung der von Isensee unterstützten Verbote im Bereich des Klonens leisten. Der Begriff der Zucht ist allenfalls dazu geeignet, an eben jenes Gefühl der Ablehnung zu appellieren, das im Hinblick auf „unnatürliche“ Fortpflanzungsverfahren verbreitet aufkommt. Jedenfalls rhetorisch ist er insoweit klug gewählt: Zum einen weckt der Zuchtbegriff düstere Erinnerungen an eugenische Verfahren, die einer menschenverachtenden „Rassenlehre“ unterworfen waren. Darüber hinaus findet er sich allgemein in Bezug auf Tiere. Weil Letztere unstreitig nicht denselben Rechtsstatus wie Menschen haben, legt ein Vergleich zwischen dem reproduktiven Klonen und der menschlichen Einflussnahme auf die Entstehung und Modifikation von Tierrassen ebenfalls nahe, dass es sich bei dem entstehenden menschlichen Leben nicht um ein gleichwertiges handele. Produkt des Klonens ist aber ein Mensch, weshalb es als besonders anstößig empfunden werden muss, diesen in Beziehung zu (gezüchteten) Tieren zu setzen. Allerdings liegt in dieser sprachlichen Verknüpfung im Wege des Zuchtbegriffs lediglich ein argumentatives Stilmittel, das nicht mit der realen Rechtsstellung des Klons in Einklang steht. So handelt es sich bei diesem um einen Menschen, weshalb er mit sämtlichen Rechtspositionen ausgestattet ist, die allen anderen „Gattungsgenossen“ zukommen. Ihm wird mitnichten allein der Rechtsstatus eines Tiers beigemessen. Insofern bleibt es dabei: Weder der mechanische Vorgang des Klonens noch ein (unhaltbarer) Vergleich gegenüber der Tierzucht sind für sich genommen 573 Vgl. Maunz/Dürig/Herdegen, GG, 75. EL September 2015, Art. 1 Abs. 1 Rn. 32: (Vermeintlich) objektive Gehalte wie eine Gattungswürde „drohen letztlich zur Hülse für populär-pädagogische Verhaltenserwartungen mit stark subjektivem Einschlag zu werden“. 574 Vgl. Köbl, Hubmann-FS, S. 161, 177. 575 Isensee, Hollerbach-FS, S. 243, 261. S. ebenfalls zu einer Definition Kersten, Klonen, S. 487. 576 S. dazu schon oben D. III. 5. a) cc).

III. Legitimität rechtlicher Verhaltensnormen zum Schutz des Natürlichen

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geeignet, sachliche Gründe für die Annahme zu liefern, dass der Mensch „die Würde seines Geschlechts“577 durch das Klonen missachte. Damit dient auch der Rekurs auf eine Verletzung der Gattungswürde durch reproduktives Klonen nicht dazu, das Verbot des § 6 Abs. 1 ESchG zu legitimieren. ee) Zwischenergebnis Argumente, die die Wahrung des Natürlichen zum Schutz der Menschenwürde anmahnen, erfreuen sich im Bereich der Biomedizin großer Beliebtheit. Grund dafür ist nicht zuletzt die hohe Durchsetzungskraft entsprechender Positionen. Die Menschenwürde steht im Zentrum der Grundrechtsgarantien der Verfassung. Sie ist prinzipiell keiner Abwägung gegenüber anderen Interessen zugängig.578 In der Diskussion hat dies den Vorteil, dass entsprechenden Argumenten per se eine hohe Bedeutung beigemessen wird, die jedenfalls auf den ersten Blick von ihrer inhaltlichen Berechtigung ablenken kann. In den Worten Isensees: „Das Argument der Menschenwürde führt vorschnell dazu, eine Tabuzone abzustecken, Abwägungen auszuschließen und Diskussionen zu unterdrücken.“579 Jedenfalls für die hier untersuchten Anwendungsfelder des (Neuro-)Enhancements und des reproduktiven Klonens hält der Rekurs auf die Menschenwürde in der Tat weniger, als er verspricht. Eine Würdeverletzung lässt sich in keinem der benannten Bereiche ausmachen. Das Interesse an Wahrung des Natürlichen in Bezug auf die Fortpflanzung bzw. die leibliche Kontingenz des Einzelnen kann daher jedenfalls insoweit nicht auf die Menschenwürdegarantie des Grundgesetzes gestützt werden. b) Wahrung des Natürlichen zum Schutz vor unabsehbaren Gefahren für den Betreffenden und Dritte Gegen biomedizinische Verfahren lässt sich generell der Einwand erheben, dass damit Gefahren – insbesondere für die Körperintegrität und die Gesundheit – einhergehen können.580 Je nach Art und Umfang des jeweiligen Risikoszenarios können 577

Isensee, Hollerbach-FS, S. 243, 261. S. zur „Abwägungsfestigkeit“ der Menschenwürde Dreier/H. Dreier, Grundgesetz, Art. 1 Abs. 1 Rn. 124; BeckOK/GG/Hillgruber, Art. 1 Rn. 10 ff. (Stand: 01. 03. 2016); Isensee, Hollerbach-FS, S. 243, 253; Kersten, Klonen, S. 403; Quante, Menschenwürde, S. 46; Graf Vitzthum, MedR 1985, 249, 253. 579 Isensee, Hollerbach-FS, S. 243, 247. Vgl. auch Graf Vitzthum, Dürig-FS, S. 185, 193 zu der Gefahr, das Menschenwürdeargument mit beliebigen Inhalten zu füllen: „Das Würdeargument, zumal in der Hand von Sonntagsjägern des Verfassungsrechts, würde zum Trojanischen Pferd, mit dem, bewußt oder unbewußt, versucht werden könnte, die vielfältigsten Inhalte in das Grundgesetz hineinzutransportieren, die für den Rechtsstaat so bedeutsame Normativität und Bestimmtheit der Verfassung also zu unterminieren und den Gesetzgeber zu subalternisieren.“ S. ferner Hilgendorf, Maurer-FS, S. 1147, 1153 sowie Quante, Menschenwürde, S. 28. 580 Vgl. Jonas, Technik, Medizin und Ethik, S. 166 f.; Kass, The new republic 1997, 17, 22. S. dazu auch Birnbacher, Ethik, S. 200. 578

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diese einen Personenkreis betreffen, der mitunter weit über denjenigen hinausgeht, der unmittelbar an der Maßnahme beteiligt ist. Bedeutung erlangt dieses Argument nicht zuletzt vor dem Hintergrund der oftmals nicht abschließend erforschten Risikoträchtigkeit bestimmter Verfahren. Im Hinblick auf das (Neuro-)Enhancement tritt in diesem Zusammenhang erneut das Selbstbestimmungsrecht des Einzelnen auf den Plan. Daraus folgt die Eigenverantwortlichkeit für Lebensentscheidung und damit Freiheit der Person, sich selbst gefährlichen Maßnahmen zu unterziehen. Sofern sich also der Betreffende darüber im Klaren ist, dass mit dem spezifischen Eingriff in seine Körperintegrität Risiken einhergehen können, die gegenwärtig noch nicht überblickt werden, ist er qua Verfassung frei darin, sich diesen gleichwohl zu unterziehen.581 Größere Schwierigkeiten wirft der Bereich genetischer Eingriffe auf. Hier kommt eine rechtswirksame Einwilligung nur dann in Betracht, wenn der Betreffende dazu (bereits) imstande ist. Dies ist jedenfalls im Hinblick auf eine Person nicht der Fall, die durch eine genetische Maßnahme erst entsteht bzw. deren Lebensbedingungen vor seiner Entstehung durch eine solche beeinflusst werden. Etwa die Keimbahntherapie wird im Vorfeld der Entstehung menschlichen Lebens vorgenommen. Der davon betroffene Mensch ist daher im Zeitpunkt der Durchführung des Eingriffs nicht zu einer Einwilligung imstande. Insofern stellt sich hier mit besonderer Deutlichkeit die Frage, wie mit Risiken umzugehen ist, die mit dem jeweiligen Verfahren verbunden sein können. Zu denken ist beispielsweise an mögliche Fehlentwicklungen, die im Vorfeld nicht vorhersehbar waren. Insbesondere bei neuen, noch unerforschten biomedizinischen Eingriffen ist grundsätzlich damit zu rechnen, dass diese ein anderes Ergebnis erzielen, als damit intendiert ist. Für den betreffenden Menschen, dessen Lebensbedingungen durch den genetischen Eingriff beeinflusst werden, können damit durchaus erhebliche negative Konsequenzen einhergehen. Allerdings kann sich aus dem Umstand allein, dass solche Gefahren generell bestehen, nicht ein allgemeines Verbot der Durchführung beispielsweise genetischer Eingriffe rechtfertigen.582 Zwar handelt es sich bei dem Interesse daran, den Einzelnen vor entsprechenden Risiken zu schützen, prinzipiell um einen legitimen Zweck rechtlicher Verhaltensnormen. Ein allgemeines Verbot genetischer Eingriffe weist auch die Eignung auf, dieses Interesse zu schützen. Indessen bestehen sowohl auf der Ebene der Erforderlichkeit als auch der Angemessenheit durchgreifende Bedenken gegen ein generelles Verbot. In diesem Zusammenhang kommt es entscheidend auf den Umfang des Risikos an, das im jeweiligen Einzelfall im Raum steht.583 Insoweit gilt es, die sonstigen Interessen zu berücksichtigen, die hier neben dem Ziel, vor in Art und Ausmaß nicht eindeutig planbaren Gefahren zu schützen, 581 S. schon oben Fn. 532 zu den Grenzen solcher Entscheidungsfreiheit in Gestalt der Einwilligung in eine Fremdtötung. 582 Zu dieser Einschätzung gelangen auch Bayertz, GenEthik, S. 164; Köbl, Hubmann-FS, S. 161, 182. Vgl. ferner grundsätzlich Graf Vitzthum, MedR 1985, 249, 254. 583 Ebenso Bayertz, GenEthik, S. 163, der zutreffend darauf verweist, dass für jede Maßnahme neuerlich abzuwägen ist, ob mit ihr (noch) akzeptable Risiken einhergehen oder nicht.

III. Legitimität rechtlicher Verhaltensnormen zum Schutz des Natürlichen

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betroffen sind. Zu nennen sind dabei sowohl die Freiheit von Wissenschaft und Forschung (Art. 5 Abs. 3 GG) als auch mittelbare Interessen wie etwa dasjenige an weiterführenden Erkenntnissen, die insbesondere auch künftige Verfahren zur Heilung von Krankheiten befördern können.584 Maßgeblich kommt es folglich darauf an, eine Abwägung der widerstreitenden Interessen anhand der konkreten Risikobeurteilung im Einzelfall vorzunehmen. Die Gefahr eines Misserfolgs wird sich in den seltensten Fällen absolut ausräumen lassen. Dies gilt selbst in Bezug auf besonders erprobte Verfahren, wie nicht zuletzt die Erfahrung mit seit Jahrzehnten verbreiteten Heileingriffen immer wieder zeigt: Die Wirkweise auf den Einzelnen kann stets von der Norm abweichen. Entsprechend könnte beispielsweise für genetische Eingriffe nie mit abschließender Sicherheit die Einschätzung getroffen werden, dass damit keine Gefahren für den Betreffenden einhergehen. Ein generelles Verbot kann darauf jedoch nicht die richtige Antwort sein. Letztlich kämen Genforschung und die darauf ausgerichtete Praxis damit vollständig zum Erliegen.585 Angesichts der davon betroffenen schutzwürdigen Interessen lässt sich dies aber nicht rechtfertigen. Damit kann abschließend festgehalten werden: Der Schutz des Einzelnen vor unüberschaubaren Gefahren für die eigene Körperintegrität oder sonstige Rechtsgüter stellt ein legitimes Interesse rechtlicher Verhaltensnormen dar, sofern eine Einwilligung des Betreffenden in die jeweilige Maßnahme ausgeschlossen ist. Ein generelles Verbot jedweden genetischen Eingriffs kann sich daraus aber nicht ergeben. Vielmehr ist im jeweiligen Einzelfall zu prüfen, in welchem Umfang Gefahren für den Betreffenden und ggf. Dritte drohen. In Abhängigkeit davon kann sich durch Abwägung insbesondere mit der Forschungsfreiheit ergeben, dass ein rechtliches Verbot nicht verhältnismäßig ist. Unter dieser Voraussetzung wäre der Eingriff erlaubt. c) Wahrung der menschlichen Natur zum Schutz personaler Autonomie Biotechnische Eingriffe in die Natur des Menschen werden von verschiedenen Autoren als Gefährdung für die „Autonomie“ des Einzelnen angesehen. In der Tradition Kants ist damit die Bestimmung des sittlichen Willens allein durch die Vernunft gemeint.586 „Autonomie des Willens ist die Beschaffenheit des Willens, dadurch derselbe ihm selbst (unabhängig von aller Beschaffenheit der Gegenstände des Wollens) ein Gesetz ist.“587 Als Eigengesetzlichkeit steht die Autonomie im 584 S. zu den Interessen künftiger Generationen an einem Fortschreiten der Möglichkeiten zur Heilung genetischer Defekte Bayertz, GenEthik, S. 171; Bostrom, The Journal of Value Inquiry 37 (2003), 493, 499. 585 Köbl, Hubmann-FS, S. 161, 182. 586 Kant, Kritik der praktischen Vernunft, A 59 (S. 144 f.) – Vgl. Brugger, Philosophisches Wörterbuch, S. 36, Stichwort „Autonomie“; Hoffmeister, Wörterbuch der philosophischen Begriffe, S. 100, Stichwort „Autonomie“. 587 Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, BA 87 (S. 74).

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Gegensatz zu Heteronomie, die mit äußerer Bestimmtheit des praktischen Wollens gleichgesetzt werden kann.588 Auf einer Linie damit liegt auch der Autonomiebegriff, wie er sich bei Habermas findet: Autonom seien danach Personen, „die ihr eigenes Leben führen“ und „ungeteilte Autoren“ ihrer Lebensgeschichte sind.589 Begrifflich ist damit das Selbstbestimmungsrecht gleichzusetzen, das bereits an früherer Stelle als die Eigenverantwortung des Einzelnen für seine Lebensentscheidungen und damit dessen Freiheit definiert wurde, ohne Fremdbestimmung über seine Interessen zu verfügen.590 Autonomie und die Fähigkeit zur Selbstbestimmung sollen vor diesem Hintergrund – wie bislang bereits geschehen – synonym verwendet werden.591 aa) Gefährdung menschlicher Autonomie angesichts des Verlustes von „Reziprozität zwischen Ebenbürtigen“ durch eugenische Maßnahmen – zur Auffassung Jürgen Habermas’ Vermeintliche Natürlichkeitsargumente, die den Autonomieschutz des Einzelnen in den Vordergrund rücken, werden in Abhängigkeit von ihrer jeweiligen Ausrichtung und dem Umfang, in dem sie sich gegen spezifische biotechnische Verfahren wenden, in unterschiedlichen Spielarten vertreten. Zu nennen ist in diesem Zusammenhang zunächst die Auffassung Habermas’, der die moderne Gesellschaft auf dem „Weg zu einer liberalen Eugenik“ sieht, an dessen Ende er die Selbstauflösung menschlicher Autonomie befürchtet. Dabei stützt er seine „Moralisierung“ der menschlichen Natur auf eine von ihm angenommene gesellschaftliche Dimension der Differenzierung zwischen „Gewachsenem“ und „Gemachtem“. Das Gewachsene meint in diesem Zusammenhang einen kontingenten Befruchtungsvorgang, dessen bisherige Unverfügbarkeit durch Entwicklungen im Bereich der Biotechnik zunehmend aufgelöst werde.592 Habermas sieht hierin eine Gefahr, die in letzter Instanz an den Grundfesten einer liberalen Gesellschaft rüttle. Um ihr zu begegnen, seien insbesondere im Umgang mit Embryonen normative Schranken erforderlich.593 So hätten beispielsweise verbessernde eugenische Eingriffe zur Folge, dass der Einzelne in seiner Wahrnehmung von sich selbst als freie und anderen ebenbürtige Person irreversibel gestört werde. Für ein solches Selbstverständnis sei die Identifikation mit dem eigenen „naturwüchsigen“ Leib erforderlich. Die Person müsse sich selbst als „nicht hintergehbaren Ursprung eigener Handlungen und Ansprüche“ sehen.594 Eine 588

Bayertz, GenEthik, S. 204. Habermas, Zukunft der menschlichen Natur, S. 54 f. 590 S. schon oben D. III. 5. a), b). 591 S. zur synonymen Verwendung der Begriffe bereits Maunz/Dürig/Di Fabio, GG, 75. EL September 2015, Art. 2 Rn. 206. Ebenso Fenner, Angewandte Ethik, S. 56. Vgl. auch Beauchamp/Childress, Principles, S. 99 ff. 592 Habermas, Zukunft der menschlichen Natur, S. 29. 593 Habermas, Zukunft der menschlichen Natur, S. 122. 594 Habermas, Zukunft der menschlichen Natur, S. 101. 589

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solche Selbstwahrnehmung sei aber ausgeschlossen, werde das Individuum durch Eingriffe in sein Genom an „irreversible Absichten Dritter“ fixiert.595 Hierin liege eine Instrumentalisierung des Einzelnen, von der er sich zeit seines Lebens nicht lösen könne. Anders nämlich als etwa die elterliche Erziehung biete der Eingriff in den eigenen Leib im Wege der Eugenik nicht die Möglichkeit, sich gewissermaßen in der Rückschau von jener Gewalt zu lösen, die Dritte über die eigene Person ausgeübt haben. So beschreibt Habermas die nachträgliche, reflektierende Auseinandersetzung des Subjekts zum Beispiel mit Einflüssen durch die elterliche Erziehung als Wiedererlangung eingebüßter Freiheit. Während das Kind sich dem Zwang der Erziehung durch die Eltern nicht erwehren könne, werde es durch zunehmende Vernunftbegabung in die Position versetzt, den ggf. kritischen Blick auf die Vergangenheit zu richten und in einem Akt der Bewertung nachträglich Herr seiner selbst zu werden.596 Dieser Weg sei aber im Hinblick auf Eingriffe in die menschliche Keimbahn per se abgeschnitten. Da sich die Beeinträchtigung vor der Geburt abspiele und Folgen für den eigenen Leib zeitige, sei eine nachträgliche Selbstbemächtigung ausgeschlossen. Diese scheitere daran, dass sich in der eigenen Körperlichkeit Absichten Dritter manifestierten, die für den Betreffenden nicht mehr zu ändern seien. Er könne diese Absichten zwar interpretieren, nicht aber revidieren oder gar ungeschehen machen. Im Gegensatz zur elterlichen Erziehung beschreibt Habermas die Auswirkungen eugenischer Eingriffe daher wie folgt: „Irreversibel sind die Folgen, weil sich die paternalistische Absicht in einem entwaffnenden genetischen Programm niederschlägt und nicht in einer kommunikativ vermittelten sozialisatorischen Praxis, die vom ,Zögling‘ aufgearbeitet werden kann.“597 Er könne sich deshalb nicht „unbefangen als der ungeteilte Autor des eigenen Lebens“ verstehen.598 Die insoweit gestörte Selbstwahrnehmung des Einzelnen, die sein Selbstseinkönnen als freie und ebenbürtige Person in menschlicher Gemeinschaft hindere, weise ernstzunehmende gesellschaftliche Implikationen auf.599 Eine Erschütterung 595 Habermas, Zukunft der menschlichen Natur, S. 109. In diese Richtung auch Fenner, Angewandte Ethik, S. 99; Löw, Die politische Meinung 26 (1981), 19, 23; Siep, Ethik, S. 318. Ebenso Kersten, Klonen, S. 504 ff., der in diesem Umstand eine Verletzung der Menschenwürde des Klons sieht. Ob es bei diesem Argument mehr um den Schutz der Selbstbestimmung oder den der Menschenwürde geht, kann allerdings dahinstehen (vgl. zum Verhältnis beider schon oben D. III. 5. a)). Der Position kann aus den nachfolgend im Text erläuterten Gründen nicht gefolgt werden. Anders verhielte es sich auch nicht, wenn damit der Schutz der Menschenwürde intendiert wäre, da mit einem solchen Etikettenwechsel kein Austausch der Sachargumente verbunden wäre, die für diese Auffassung ins Feld geführt werden. 596 Habermas, Zukunft der menschlichen Natur, S. 107. 597 Habermas, Zukunft der menschlichen Natur, S. 111. In diese Richtung auch Fukuyama, Ende des Menschen, S. 137. S. zur Auseinandersetzung mit der Auffassung Fukuyamas bereits oben D. III. 4. a). 598 Habermas, Zukunft der menschlichen Natur, S. 109. 599 Habermas, Zukunft der menschlichen Natur, S. 111 f., 115 f. Vgl. auch Siep, Ethik, S. 320.

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des Selbstbilds von Personen modifiziere die Beziehung zu anderen Mitgliedern menschlicher Gemeinschaft. Dies betreffe zunächst das Verhältnis zu demjenigen, der den Eingriff in die Natur des Einzelnen selbst vorgenommen hat.600 Die üblicherweise in einem universalistischen Rechts- und Moralverständnis vorausgesetzte Gleichheit von Personen werde jedenfalls zwischen diesen beiden abgelöst durch eine Beziehung von „Programmierer“ und „Produkt“.601 Auf diese Weise entstehe eine Asymmetrie, die egalitären Ordnungen aber prinzipiell fremd sei.602 Zwar seien Personen schon heute von ihrem genetischen Programm abhängig. Diese Form der Abhängigkeit unterscheide sich aber durch die dahinter stehende Absichtlichkeit von derjenigen, die durch eugenische Eingriffe hervorgerufen werde. Jene Absichtlichkeit aber mache es dem Programmierten unmöglich, mit seinem Designer die Rollen zu tauschen, sodass von einer egalitären Beziehung keine Rede sein könne. Allerdings handele es sich gerade bei der „Reziprozität zwischen Ebenbürtigen“ um eine notwendige Bedingung moralischer und rechtlicher Gemeinschaft.603 Das Entstehen von Asymmetrien zwischen den Mitgliedern der Gesellschaft gefährde daher den gesamten „Einbettungskontext“, der ein Miteinander unter der Geltung moralischer Regeln erst möglich mache.604 Indem sich der Einzelne als Produkt eines anderen sehen müsse, sei sein Selbstverständnis als Gattungswesen beeinträchtigt. Diese veränderte Selbstsicht weise eine gesamtgesellschaftliche Dimension auf. Indem nämlich die Person sich selbst nicht länger als gleichwertiges Mitglied menschlicher Gemeinschaft ansehe, könne dies zugleich ein Schwinden der Anerkennung der gemeinsamen Moral zur Folge haben. Wer sich selbst nicht als gleichberechtigt gegenüber sämtlichen anderen Personen ansieht, könne geneigt sein, die gesellschaftlichen Normen nicht länger für sich als verbindlich zu erachten. So sei mit der Vorstellung von sich als Gattungswesen zugleich das Selbstverständnis als moralische Person verknüpft. Insofern bestünde nach Habermas immerhin das Risiko, dass mit dem Wegfallen gesellschaftlicher Symmetrie „die Moral selbst ins Rutschen“ komme.605 Genetische Eingriffe erweisen sich auf dieser Basis als Gefahr für das grundsätzliche Funktionieren moralischer Gesellschaften, was nach Auffassung Habermas’ normative Grenzziehungen wie etwa ein Verbot der Präimplantationsdiagnostik erforderlich macht.606 Jedoch kann das von Habermas solchermaßen entworfene „Recht auf ein genetisches Erbe, in das nicht künstlich eingegriffen worden ist“, das er zur Legitimation 600

Isensee, Hollerbach-FS, S. 243, 263 verweist in diesem Zusammenhang darauf, dass Kinder ihre Eltern für das eigene Genom – notfalls mit rechtlichen Mitteln – zur Verantwortung ziehen könnten. 601 Habermas, Zukunft der menschlichen Natur, S. 112. S. auch Kass, The new republic 1997, 17, 23. 602 So auch Fukuyama, Ende des Menschen, S. 286 m. Fn. 6. 603 Habermas, Zukunft der menschlichen Natur, S. 111. 604 Habermas, Zukunft der menschlichen Natur, S. 115. 605 Habermas, Zukunft der menschlichen Natur, S. 115 f. 606 Habermas, Zukunft der menschlichen Natur, S. 117.

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des Verbots von Eingriffen in den „natürlichen“ Entstehungsprozess des Menschen heranzieht, nicht ohne Kritik bleiben.607 Diese hat zunächst an der Befürchtung Habermas’ anzusetzen, dass eugenische Eingriffe das Selbstverständnis des Einzelnen als autonome Person beeinträchtigen können. Dem steht entgegen, dass die leibliche Existenz des Individuums bereits heute in nicht unwesentlichem Umfang durch genetische Abhängigkeiten geprägt ist. Welche äußerliche Erscheinung der Mensch annimmt, ist in erheblichem Maße seiner eigenen Dispositionsmacht entzogen, folgt diese doch den Vorgaben des jeweiligen genetischen Codes und kann allenfalls durch nachträgliche Eingriffe verändert werden. Bestritten werden muss in diesem Zusammenhang auch, dass es sich bei eben jener Abhängigkeit von dem eigenen Genom, die jedem Einzelnen qua Existenz anhaftet, qualitativ in signifikanter Weise um eine andere handelt als bei derjenigen, die durch eine künstliche Beeinflussung der Keimbahnen des Betreffenden entsteht. Zwar führt Habermas an, das Besondere liege bei der zuletzt Genannten darin, dass es sich um eine Abhängigkeit von anderen Personen handele. Allerdings kann es für das Selbstverständnis des Einzelnen wenig Unterschied machen, ob seine leibliche Konstitution von Dritten oder vom Zufall abhängig ist.608 Was in jedem Fall bleibt, ist die Beschränkung der freien Dispositionsmacht des Individuums über seinen Körper, da es sich unweigerlich mit der Vorgegebenheit spezifischer Faktoren konfrontiert sieht. Stets bedarf es von Seiten des Betreffenden einer Auseinandersetzung mit seinen genetischen Vorgaben, um sich seiner selbst (immerhin nachträglich) zu bemächtigen und auf diese Weise die Gewalt eines anderen – sei es der Eltern, eines Arztes oder des Zufalls – zu relativieren. Vor diesem Hintergrund nivelliert sich auch der von Habermas angenommene Unterschied zwischen Einflussnahmen im Wege der elterlichen Erziehung und solchen durch genetische Eingriffe. Habermas möchte diesen zwar in der interaktiven Struktur von Bildungsprozessen sehen.609 Allerdings trifft dieses Muster jedenfalls nicht auf ein Kind zu, das zu entsprechender Kommunikation mit den Erziehern nicht imstande ist. In einem solchen Fall ist lediglich die nachträgliche Anfechtung „charakterformierender Erwartungen der Eltern“ möglich, wenn nämlich das heranwachsende Kind die erforderlichen geistigen Fähigkeiten zu einer entsprechenden Reflexion erlangt. Die Interaktion von Bildungsprozessen ist daher jedenfalls in den frühen Jahren elterlicher Erziehung allenfalls eine prospektive. Im Zeitpunkt der konkreten erzieherischen Maßnahme ist der Interaktionspartner, das Kind, zu einer solchen nicht (ggf. vollumfänglich) fähig, sodass die eigentliche Kommunikation über die Richtigkeit bzw. Unrichtigkeit der elterlichen Einflussnahme auf die Zukunft verschoben werden muss. 607 Zum Begriff s. Habermas, Zukunft der menschlichen Natur, S. 51, dort auch: „Unverfügbarkeit der biologischen Grundlage personaler Identität“. 608 Ohnedies ist die Zufälligkeit der heutigen „Gewachsenen“ ihrerseits eine begrenzte: Bereits durch die Partnerwahl treffen die leiblichen Eltern eine gewisse Vorauswahl für den potentiellen Genbestand ihres Nachkommen. S. dazu schon oben C. II. 3. 609 Habermas, Zukunft der menschlichen Natur, S. 107.

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Weil erzieherische Bildungsprozesse somit in einer bestimmten, nicht unbeachtlichen Phase des Lebens ihrerseits lediglich eine Interaktion in der Zukunft vorsehen, weichen sie in ihrem Charakter nicht in signifikantem Maße von demjenigen ab, den eugenische Beeinträchtigungen veranlasst durch den Willen der Eltern aufweisen.610 Dabei kann nicht die Auffassung geteilt werden, die solchen Maßnahmen ihre interaktive Struktur in Gänze absprechen will. So zielen eugenische Eingriffe wie etwa die Beeinflussung der leiblichen Konstitution des späteren Kindes ihrerseits darauf ab, zu einem späteren Zeitpunkt mit ihm in Kommunikation zu treten, da Ergebnis einer entsprechenden Maßnahme die Entstehung menschlichen Lebens ist. Insofern entsteht auf diese Weise ein späterer Kommunikationspartner, mit dem in antizipierter Form in Kommunikation getreten wird. Ein Unterschied zwischen erzieherischen und eugenischen Eingriffen folgt weiter nicht aus der durch Habermas ins Feld geführten Irreversibilität der zuletzt genannten. In der Tat lässt sich zwar an einer genetischen Vorgabe nichts ändern, während sich gewisse erzieherische Prozesse jedenfalls in der Theorie nachträglich, notfalls im Wege einer psychologischen Behandlung, auflösen lassen. Letztlich gilt dies aber nicht für sämtliche Einflüsse, insbesondere nicht für erworbene Fähigkeiten. Zu denken ist nur an eine Person, die seit frühester Kindheit auf eine Karriere als Fußballspieler oder Balletttänzer vorbereitet wurde. Jahre des Trainings und die dabei erlangten Fertigkeiten lassen sich nicht auslöschen. Wem der eigene Werdegang und damit die elterliche Einflussnahme insoweit nicht recht sind, dem bleibt allein die Möglichkeit, sich innerlich von dieser Entwicklung zu distanzieren – ein gänzliches „Verlernen“ ist doch aber in aller Regel ausgeschlossen. Darüber hinaus ist denkbar, dass erst nachgeburtliche Bildungsprozesse Auswirkungen auf die leibliche Konstitution des Einzelnen haben können. Um im Beispiel zu bleiben, kann exzessives Fußballspielen oder Balletttanzen in Kindestagen zu Wachstumsbeeinträchtigungen oder infolge diverser Verletzungen bzw. körperlicher Überbelastungen zu sonstigen bleibenden Schäden führen. Eben jene sind aber ihrerseits irreversibel, weshalb auf der Basis der Argumentation Habermas’ auch für sie ein retrospektiver Ausgleich durch kritische Aufarbeitung nicht möglich sein dürfte. Was das Beispiel unauslöschlicher erzieherischer Eingriffe in das Leben des Einzelnen mit denkbaren Folgen für dessen Körperintegrität zeigt, ist die Undenkbarkeit gänzlicher Autarkie der Person von anderen. Diese Vorstellung scheitert bereits an der Eigenschaft des Menschen als ein gesellschaftliches Wesen. Daneben tritt seine Ohnmacht gegenüber der Unfähigkeit, Ursache der eigenen Entstehung zu sein. Insofern haftet die Abhängigkeit von anderen dem Subjekt schon vor seinem ersten Atemzug typischerweise an, sodass die Aufgabe der Selbstbemächtigung gleichsam Programm des Daseins eines jeden ist. Damit soll keine Relativierung 610

Auch Köbl, Hubmann-FS, S. 161, 188 mahnt, „die Komponenten an Fremdbestimmung, die wir dem Leben unserer Nachkommen vor allem mit Hilfe des Erziehungswesens, der gesellschaftlichen Strukturen, der Moral und des Rechtssystems gemäß unserem Wertsystem, oft eigenwillig, wenig einfühlsam und mit fragwürdigen Ergebnissen einzupressen versuchen“, nicht zu unterschätzen.

III. Legitimität rechtlicher Verhaltensnormen zum Schutz des Natürlichen

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bestimmter Einflussnahmen Dritter auf das Leben des Einzelnen einhergehen. So kann es durchaus einen Unterschied für die Selbstsicht des Betreffenden ausmachen, ob sein äußeres Erscheinungsbild gänzlich den Designvorstellungen seiner Eltern unterworfen ist oder ob diese ihm lediglich durch entsprechende Maßnahmen genetisch bedingte Erbkrankheiten erspart haben. Zuzustimmen ist Habermas ferner darin, dass das Verständnis der eigenen Person als grundsätzlich freie, die allein Autor der eigenen Geschicke ist, maßgeblich für deren Selbstwahrnehmung ist. Nicht überzeugen kann aber Habermas’ Annahme, dass dieses Selbstverständnis prinzipiell durch bestimmte Faktoren zerstört werden kann. So legt Habermas seiner Position offenbar die Vorstellung zugrunde, dass die Erkenntnis, im Hinblick auf den eigenen Körper unumstößlich von den Interessen Dritter beeinflusst zu sein, die Wahrnehmung des Selbst als freie Person nachhaltig beeinträchtigt. Dem ist aber zu widersprechen. Kraft seines freien Geistes ist der Einzelne trotz bestehender Abhängigkeiten in Gestalt von Einflussnahmen Dritter, gesellschaftlichen Umständen oder einer bestimmten körperlichen Beschaffenheit jederzeit dazu in der Lage, sich ungebunden zu fühlen und die eigene Person als freie wahrzunehmen.611 Der Akt der Selbstbemächtigung kann nicht sinnvoll auf die Auseinandersetzung mit dem eigenen, möglicherweise durch Dritte geformten Leib begrenzt werden. Hingegen lassen sich für das Bestreben des Einzelnen, Herr seiner selbst zu sein (bzw. zu werden), weit mehr Anwendungsfelder benennen, als es die Blickverengung auf die körperliche Konstitution vermuten lässt. Nicht zuletzt kommt dieser Wunsch einhergehend mit denkbaren Komplikationen in dem (ewigen) menschlichen Dualismus zwischen Körper und Geist zum Ausdruck, der durch ein metaphysisches Streben des zuletzt Genannten gegen die Macht irdischer Fesseln gekennzeichnet ist.612

611 Aus diesem Grund ist auch der ähnlich gelagerten Argumentation Jonas’, Technik, Medizin und Ethik, S.187 ff. eine Absage zu erteilen (sich ihm anschließend Löw, Verführung, S. 33, 43). Selbst wenn dem Einzelnen ein „Recht auf Nichtwissen“ zukommen sollte, dessen Wahrung „Vorbedingung der Freiheit“ sei, wäre dieses durch das reproduktive Klonen nicht in einer die Autonomie des Betreffenden zerstörenden Weise verletzt: „Der Mensch ist mehr als nur die Summe seiner Gene.“ (Hilgendorf, Maurer-FS, S. 1147, 1156. Vgl. ferner RehmannSutter, Ethik in der Humangenetik, S. 415, 418 sowie schon oben D. III. 5. a) bb)). In Bezug auf die eigene Person gäbe es also selbst für denjenigen, dessen Gene bereits einmal existieren, noch so viel Unbekanntes zu entdecken, dass mitnichten davon ausgegangen werden könnte, dem Klon bliebe nur die Möglichkeit, ein schon einmal gelebtes Leben lediglich „nachzuleben“. Darüber hinaus können selbst die „Fesseln“ bestimmter genetischer Vorgaben die eigene Freiheit nicht binden. Vgl. dazu die Argumentation weiter im Text. 612 Vgl. dazu Goethe, Faust I („Vor dem Tor“): „Du bist dir nur des einen Triebs bewußt, O lerne nie den andern kennen! Zwei Seelen wohnen, ach! in meiner Brust, Die eine will sich von der andern trennen; Die eine hält, in derber Liebeslust, Sich an die Welt mit klammernden Organen; Die andre hebt gewaltsam sich vom Dust Zu den Gefilden hoher Ahnen.“

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D. Validität von Natürlichkeitsargumenten im Bereich der Biomedizin

Dabei kann es für die Selbstwahrnehmung keinen wesentlichen Unterschied machen, ob jene körperlichen Fesseln zufällige oder von Dritten auferlegte sind. Wer von Geburt an blind oder taub ist, ist nicht gehalten, sich als weniger frei zu fühlen als seine Mitmenschen, die dieses Schicksal nicht teilen. Nicht anders verhält es sich aber, wenn die körperliche Beeinträchtigung durch andere hervorgerufen wurde. Um ein extremes Beispiel zu wählen: Selbst das Opfer von Folter und Gewalt, die irreversible körperliche Schäden hervorgerufen haben, ist nicht gehindert, sich selbst als freies Subjekt wahrzunehmen. Im Mythos des Sisyphos mag der Leser geneigt sein, das Rollen des Steines als Zwang anzusehen, der Sisyphos jedweder Freiheit beraubt. Gleichwohl bemerkt bereits Camus, dass sich die Geschichte auch anders lesen lässt.613 Der freie Geist ist Sisyphos trotz seiner durch die Götter auferlegten Pflicht geblieben. Sein Bewusstsein über die eigene Situation ermöglicht es ihm, dem „Schicksal überlegen“ zu sein. Scharfsinnig bemerkt Camus, dass der eigentliche Sanktionscharakter der Aufgabe, die die Götter Sisyphos zugeteilt haben, in der Erkenntnis über deren Endlosigkeit liegt. Auf diese Weise soll Sisyphos die Hoffnung auf einen guten Ausgang und damit jede Lebensfreude geraubt werden. Und doch: „Die Klarsichtigkeit, die Ursache seiner Qual sein sollte, vollendet zugleich seinen Sieg. Es gibt kein Schicksal, das durch Verachtung nicht überwunden werden kann.“ Camus führt zutreffend aus, dass die Erkenntnis über das eigene Leben und dessen erdrückende Wahrheiten diesen die Last nimmt. Grund dafür ist die Fähigkeit des Menschen, sich seiner selbst zu bemächtigen und damit „Herr seiner Tage“ zu werden. Eben dies gilt im Mythos für Sisyphos, der zu einer freien Bewertung seines Lebens in der Lage ist: „Sein Schicksal gehört ihm. Sein Fels ist seine Sache.“ Auf diese Weise wendet sich der Mensch seinem Leben zu und formt sein Schicksal kraft seines Willens und Verstandes selbst. Dem steht nicht etwa die Aussichtslosigkeit der Situation entgegen – denn auch im Falle des Sisyphos ließe sich angesichts seines durch die Götter bestimmten Schicksals die Auffassung vertreten, die ihm zugefügten Beeinträchtigungen seien irreversibel. In den Worten Camus’: „Der Kampf gegen Gipfel vermag ein Menschenherz auszufüllen.“ Selbst unauslöschliche Eingriffe in das eigene Leben sind nicht geeignet, dem Einzelnen seine Freiheit zu rauben, die er kraft seines freien Geistes besitzt. So ist er „ein Blinder, der sehen möchte und weiß, dass die Nacht kein Ende hat“ und doch „immer unterwegs. Noch rollt der Stein.“ Gemeint ist, dass die Wahrnehmung der eigenen Person – ob nun als freie oder unfreie – stets im Auge des Betrachters liegt. Wer sich selbst als Autor seines Lebens begreifen will, ist frei darin, dies trotz aller denkbaren Widrigkeiten zu tun. Zwar können Beeinträchtigungen durch andere oder den Zufall dieses Selbstverständnis auf die Probe stellen und der persönlichen Emanzipation im Wege stehen. Kraft des freien Geistes eines jeden handelt es sich dabei aber allenfalls um Steine, die schlussendlich doch beiseite gerollt werden können.

613

S. Camus, Mythos, S. 155 ff. Sämtliche nachfolgende Zitate finden sich dort.

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Angesichts des insoweit allgemeinen Charakters der Problematik individueller Selbstbemächtigung erscheint der Blick Habermas’ auf die Beeinträchtigung der Entstehungsbedingungen menschlichen Lebens als ungerechtfertigt verengt. Die von ihm aufgeworfene Frage der Selbstwahrnehmung des Einzelnen als freie Person in menschlicher Gemeinschaft betrifft einen erheblich größeren Bereich als den der eugenischen Eingriffe. Beeinträchtigungen durch Dritte können verschiedentlich und mit abweichender Intensität auftreten. Für den Selbstentwurf des Subjekts angesichts entsprechender Abhängigkeiten kommt es aber stets allein auf Voraussetzungen an, die in der Person des Einzelnen liegen. Das Empfinden von Unfreiheit aufgrund von Eingriffen in eigene Güter und Interessen ist nicht zwingend. Wer entsprechende Beeinträchtigungen als negativ bewertet, ist gleichwohl nicht gehindert, sich selbst davon zu lösen. Der Entwurf der eigenen Person ist ihr allein anheimgestellt. Insofern ist zwar zuzugestehen, dass Unauslöschliches dem Freiheitsempfinden entgegenstehen kann. Zuletzt ermöglicht es der freie Geist dem Subjekt aber dennoch, selbst irreversible Einflussnahmen Dritter im Wege der Selbstbemächtigung zu überwinden. Freilich ließe sich aber die Argumentation Habermas’ insoweit modifizieren, als dass der Einzelne danach jedenfalls vor der Schwierigkeit geschützt werden müsse, sich seiner selbst trotz irreversibler Abhängigkeiten infolge eugenischer Maßnahmen bemächtigen zu müssen. Das „Natürlichkeitsargument“ ließe sich nach dieser Lesart darauf reduzieren, dass (bestimmte) eugenische Eingriffe zu untersagen seien, weil sie den entstehenden Menschen mit einer zusätzlichen Belastung für die eigene Selbstwahrnehmung konfrontieren können, die bei anderen, nicht künstlich in ihren Keimbahnen beeinflussten Personen nicht auftrete. Auf dieser Basis bestünde der legitime Zweck von Verbotsnormen im Bereich der Eugenik in dem Schutz personaler Autonomie vor der abstrakten Gefahr, die von solchen Belastungen ausgehen kann. Allerdings gelingt die Rechtfertigung entsprechender Verbote selbst auf diese Weise nicht. Wie gezeigt, sind durchaus erheblichere Abhängigkeiten denkbar, die aber ihrerseits keine rechtliche Regelung erfahren haben. Zu denken ist erneut an Beispiele aus der Kindeserziehung. Exzessive sportliche Aktivitäten des Kindes, die durch Wünsche der Eltern veranlasst werden, können allenfalls unter dem Gesichtspunkt des Schutzes der Körperintegrität den durch rechtliche Verhaltensnormen erfassten Bereich gesellschaftlicher Interaktion betreffen. Einflussnahmen, die die dafür erforderliche Erheblichkeitsschwelle nicht überschreiten, sind aber gegenwärtig keiner rechtlichen Regelung unterworfen. Grund dafür ist nicht zuletzt der Umstand, dass die Wahrnehmung der eigenen Person in erheblichem Maße subjektive Prägung aufweist. Dass etwa die genetische Einflussnahme der Eltern den auf diese Weise entstandenen Menschen tatsächlich in seinem Selbstbild beeinträchtigt, ist nicht zwingend. Weil es sich insoweit um eine abstrakte Gefahr handelt, deren Auswirkungen auf einer Linie mit Eingriffen liegen, die gegenwärtig ohne Weiteres toleriert werden, kann diese zur Legitimation von Verboten nicht genügen. Es bleibt folglich dabei: Das von Habermas ins Spiel gebrachte „Recht auf ein genetisches

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Erbe, in das nicht künstlich eingegriffen worden ist“, ist zur Rechtfertigung von Verboten im Bereich der genetischen Beeinflussung werdenden Lebens jedenfalls nicht angemessen. Für dieses Ergebnis spricht zuletzt noch folgende Erwägung: Selbst wenn der von Habermas angeführte Zusammenhang zwischen der Selbstwahrnehmung des Subjekts und genetischen Eingriffen bestünde und auf diese Weise entstandene Menschen sich nicht gleichwertig gegenüber anderen Gesellschaftsmitgliedern fühlten, ist sein weiterer Schluss auf die schwindende Normbefolgungsfähigkeit der Betreffenden nicht zwingend.614 Zur Erinnerung: Habermas sieht in der Veränderung der Wahrnehmung der eigenen Person als ebenbürtiges Gesellschaftsmitglied die Gefahr abnehmender Bereitschaft, sich an die gemeinsamen Normen zu halten, was zuletzt die Geltung von Recht und Moral infrage stelle. Zwar trifft es zu, dass freiheitlich verfasste Gesellschaften ihre Mitglieder als prinzipiell gleichberechtigte Personen erachten und damit ein auch subjektives Gefühl der Ebenbürtigkeit von Bürgern im Staat fördern. Allerdings steht der Verlust eines solchen Empfindens in Teilen der Bevölkerung der Aufrechterhaltung von Recht und Moral nicht prinzipiell entgegen. Vielmehr ließe sich die Argumentation Habermas’ gar in ihr Gegenteil verkehren, weisen doch insbesondere diejenigen, die sich anderen gegenüber als unterlegen und damit schwächer empfinden, ein ausgeprägtes Interesse an der Wahrung von Recht und Moral auf. Dieser Befund lässt sich unmittelbar aus den Gründen der Entstehung menschlicher Gesellschaften ableiten, die nicht zuletzt in dem Wunsch des Einzelnen liegen, den Gefahren eines staatsfernen Zustands zu entfliehen, in dem stets das Recht des Stärkeren gilt.615 Ein solcher „Naturzustand“ menschlicher Koexistenz birgt vor allem für die Schwachen das Risiko, der Gewalt anderer unterworfen zu werden. Demgegenüber bietet ein freiheitlich verfasstes Gemeinwesen die Garantie größtmöglicher Freiheit aller und damit den Schutz vor willkürlicher Gewalt der Mitmenschen. Selbst wenn also eugenische Eingriffe den Verlust egalitärer Selbstwahrnehmung zur Folge hätten, ginge damit nicht unweigerlich die Erosion der gemeinsamen Normen einher. Grund dafür ist außerdem, dass sich die Selbstwahrnehmung des Einzelnen und dessen normative Behandlung in Recht und Moral auf unterschiedlichen Ebenen abspielen. Selbst wenn sich das Individuum als minderwertig gegenüber anderen erachtet, ändert dies nichts an seiner normativen Gleichheit in Recht und Moral.616 Die Vorschriften eines freiheitlich verfassten Gemeinwesens gehen von der Egalität zwischen den Gesellschaftsmitgliedern aus. Dem stehen subjektive Empfindungen Einzelner nicht entgegen. Weil vor diesem Hintergrund die bestehenden Regelungen in Recht und Moral auf den Schutz des Einzelnen vor Willkür und Ungleichbe614 Zu dieser empirischen Dimension der Kritik an Habermas s. bereits Bayertz, Menschliche Natur, S. 9, 21. 615 S. dazu schon oben D. I. 616 Ebenso Bayertz, Menschliche Natur, S. 9, 21. S. ausführlich Ellscheid, Einführung, S. 234 ff. dazu, dass es sich bei der Gleichheit der Menschen um ein moralisches und rechtliches Grundprinzip handelt. S. dazu auch schon ausführlich oben D. III. 1. b).

III. Legitimität rechtlicher Verhaltensnormen zum Schutz des Natürlichen

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handlung gerichtet sind, gibt es selbst für denjenigen, der sich minderwertig fühlt, keinen Grund, von diesen Regelungssystemen Abstand zu nehmen. Auch insoweit ist daher der Argumentation Habermas’ eine Absage zu erteilen. Zusammenfassend kann damit gesagt werden, dass der von ihm intendierte Schutz der Natürlichkeit im Bereich der Entstehung menschlichen Lebens Verbotsnormen nicht legitimieren kann. Wenngleich genetische Maßnahmen immerhin das Risiko bergen, dass der Einzelne stärkere Anstrengungen der Selbstbemächtigung ausüben muss als Personen, die ohne entsprechende Beeinflussungen entstanden sind, trägt diese abstrakte Gefahr keine rechtliche Vorschrift. Zumindest die Angemessenheit auf diesen Zweck gerichteter Verbote muss verneint werden. bb) Gefährdung der Autonomie durch gesellschaftlichen Zwang zur Optimierung des Selbst Eine weitere Argumentationslinie, die die Wahrung des Natürlichen gegenüber den Fortschritten der Biotechnik auf den Schutz der Autonomie stützt, ergibt sich aus dem Einfluss, den neue Entwicklungen in diesem Bereich für das „Selbstverständnis des Menschen als autonomes Individuum“ haben können.617 So konstatiert Weiß, dass der Einzelne bislang im Hinblick auf seine genetische Konstitution seinem Schicksal überlassen gewesen sei: Es handelte sich dabei um ein vorgegebenes Programm, auf das er keinen Einfluss hatte – mit dem er also ggf. hadern konnte, sich aber zuletzt abfinden musste. Durch die biotechnischen Fortschritte habe sich der deterministische Charakter des menschlichen Genoms allerdings in eine reine „Prädisposition“ gewandelt, die lediglich einen Hinweis auf Möglichkeiten gebe, ihrerseits aber beeinflusst werden könne.618 Aus diesem Grund verändere sich aber auch die Verantwortlichkeit der Person für ihren körperlichen Zustand.619 Während diese angesichts der bisherigen Unbeeinflussbarkeit des eigenen Gencodes völlig aufgehoben war, schüfen die neuen biotechnischen Möglichkeiten zugleich die Pflicht, sich über die eigene Prädisposition zu informieren sowie die Verantwortung, „seinen ,Lebensstil‘ in den Dienst der genetischen ,Risiko-Minimierung‘ zu stellen“. Die genetische Verfasstheit des Menschen wandle sich vor diesem Hintergrund von einem Schicksal zu einem Risiko: „Darin, dieses Risiko zu kontrollieren, besteht heute die Aufgabe sowohl des Einzelnen als auch der Politik.“620 Auf dieser Basis könnten neue biotechnische Einflussmöglichkeiten auf die genetische Verfasstheit des Menschen nicht – wie bislang angenommen – als neue 617

Weiß, Bios und Zoë, S. 34, 45. Weiß, Bios und Zoë, S. 34, 47 f. 619 In diese Richtung auch Benda, Genforschung, S. 205, 228; Birnbacher, Natürlichkeit, S. 146; Fenner, Angewandte Ethik, S. 93; Kass u. a., Beyond Therapy, S. 284 („problem of conformity or homogenization“). 620 S. Weiß, Bios und Zoë, S. 34, 48 sowie Rehmann-Sutter, Ethik in der Humangenetik, S. 415, 434 zu dem Druck, der durch die Festlegung von Indikationen zur Durchführung einer pränatalen Diagnostik ausgeübt werden kann. 618

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Freiheitsräume der Person eingestuft werden.621 Im Gegenteil würden sich hieraus zusätzliche Pflichtenstellungen des Einzelnen ergeben, die darauf gerichtet sind, etwaigen genetischen Risiken der eigenen körperlichen Konstitution entgegenzuwirken. In der Folge läge darin gar ein Verlust an Freiheit, der von dem Individuum negativer empfunden werden könnte als der Umstand, bisher auf sein Genom keinen Einfluss zu haben. Dazu Weiß: „Paradoxerweise hatte die Idee eines genetischen Determinismus den Menschen also eher befreit, jedenfalls vom Gefühl für seinen (krankhaften) biologischen Zustand verantwortlich zu sein, während der im Zeitalter der Postgenomik herrschende Probabilismus das Subjekt wieder verstärkt zu seines Schicksals Schmied macht.“622 Dabei sei aus Weiß’ Sicht zu beobachten, dass der Wunsch, den eigenen Zustand zu beeinflussen, nicht (unmittelbar) von Seiten einer Obrigkeit geweckt werde. Vielmehr erfolge er „auf dem Wege internalisierter Normen in den ,Entscheidungen‘ einzelner Individuen“.623 Weiß stellt sich damit argumentativ in eine Reihe mit anderen, die Machtpolitik nicht länger (jedenfalls ausschließlich) in einem seitens eines staatlichen Souveräns ausgeübten Zwang sehen, sondern aus der Selbstmotivation des Individuums ableiten.624 Diese sei aber, anders als das Individuum in der Regel meine, nicht in jedem Fall Ausdruck personaler Freiheit. Es bestünde vielmehr die Gefahr, dass in der Entscheidung der Person für eine bestimmte biotechnische Maßnahme ein gesellschaftlicher Druck obsiege, dessen Ziel die „Optimierung des individuellen Humankapitals“ im Interesse aller sei.625 Übertragen auf die hier interessierende Frage nach der Legitimation rechtlicher Verhaltensnormen im Bereich neuer Verfahren der Biomedizin und -technik kann aus diesen Überlegungen der Gedanke abgeleitet werden, durch entsprechende Regulierungen die Autonomie des Einzelnen zu schützen. Sofern nämlich mit wachsenden Möglichkeiten zunehmender Druck auf das Individuum ausgeübt wird, von diesen auch Gebrauch zu machen, kann hierin eine potentielle Beeinträchtigung der 621

S. dazu oben C. II. Weiß, Bios und Zoë, S. 34, 48. 623 Weiß, Bios und Zoë, S. 34, 37. In diese Richtung bereits Birnbacher, Natürlichkeit, S. 116 f.; Rehmann-Sutter, Ethik in der Humangenetik, S. 415, 437. Vgl. ebenfalls Lemke, Gouvernementalität der Gegenwart, S. 227, 257 ff., der es für notwendig erachtet, eine Korrektur der durch Foucault, Der Wille zum Wissen, S. 167 ff. beschriebenen Biomacht vorzunehmen: Die „Strategie der Risikovermeidung muss allerdings nicht mehr durch eugenische Zwangsprojekte forciert werden, sondern kann sich auf den Imperativ der Selbstregulierung verlassen.“ Aus diesem Grund sei denkbar, dass staatlicher Zwang angesichts zunehmender selbstregulativer Verhaltenssteuerung künftig nicht mehr erforderlich sei. Vgl. dazu, dass auch Foucault neben der zwangsweise durchgesetzten Disziplinierung des Einzelnen Selbst(regulierungs-)techniken als Machtinstrumente benennt, ders., Political Theory 21 (1993), 198, 203 f. S. ferner Han, Müdigkeitsgesellschaft, S. 37; ders., Psychopolitik, S. 9 ff., 16, 26. 624 Vgl. Han, Müdigkeitsgesellschaft, S. 19 f.; ders., Psychopolitik, S. 25 ff., 28, 42; Lemke, Gouvernementalität der Gegenwart, S. 227, 250, 257 f. 625 Lemke, Gouvernementalität der Gegenwart, S. 227, 230. Weiß, Bios und Zoë, S. 34, 52 sieht hierin eine Wende „weg vom personenzentrierten Autonomieprinzip hin zur Gemeinschaft und dem Prinzip der Solidarität“. 622

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Selbstbestimmungsfreiheit des Einzelnen liegen. So geht mit dem Fortschreiten der biotechnologischen Möglichkeiten eine abstrakte Gefahr für das individuelle Selbstbestimmungsrecht einher, durch kollektiven Druck zu Maßnahmen veranlasst zu werden, die nicht dem freien Willen des Einzelnen entsprechen. Insoweit kann das Interesse daran, vor entsprechenden Drucksituationen verschont zu werden, als prinzipiell schutzwürdiges eingestuft werden. Damit stellt sich die Frage, ob auf dieser Basis die Legitimation rechtlicher Verhaltensnormen gelingen kann. (1) Ungeeignetheit paternalistischer Verbotsnormen zum Schutz des Selbstbestimmungsrechts Schwierigkeiten wirft jedoch bereits die Annahme auf, durch Rechtsnormen im Bereich der Biotechnik Bedrohungen für das Selbstbestimmungsrecht des Einzelnen zu unterbinden. Zwar besteht hier grundsätzlich die Gefahr, dass das Individuum aufgrund einer allgemeinen Betonung des Vorsorgeprinzips und der Eigenverantwortung für das gesundheitliche Wohl im Verein mit der Gruppendynamik, die die Anwendung biotechnischer Maßnahmen anderer auslöst, nicht mehr im Stande ist, sich davon zu emanzipieren. Sofern es im Anschluss selbst biomedizinische Möglichkeiten in Anspruch nimmt, kann darin ein Nachgeben gegenüber dem gesellschaftlichen Druck liegen, der auf eine solche Entwicklung hinwirkt. Selbst wenn aber punktuelle Verbote im Bereich der Biotechnologie diesem Druck (teilweise) Einhalt gebieten könnten, ist damit das angesprochene Problem nicht an seiner Wurzel gepackt. Paternalismus ist nicht der richtige Weg, um die Selbstbestimmungsfreiheit des Einzelnen zu schützen. Im Gegenteil ist es erforderlich, den Einzelnen in der Wahrnehmung seiner selbst und vor allem seines Rechts, freie Entscheidungen für sich zu treffen, zu unterstützen. Für den Umgang mit Fortschritten der Biotechnik heißt das beispielsweise, gegenüber dem Individuum eindeutig zu kommunizieren, dass gerade kein Zwang besteht, von den neuen biomedizinischen Möglichkeiten Gebrauch zu machen. Auf der Basis einer freiheitlichen Grundordnung, wie sie nicht zuletzt in der Verfassung Ausdruck findet, weist der Einzelne gegenüber Dritten keine Pflichtenstellung etwa zu einer „gesunden“ bzw. „optimierten“ Lebensführung auf.626 Sofern entsprechende „internalisierte Normen“ 626 Dies gilt jedenfalls in Bezug auf eine vermeintliche Rechtspflicht zu einer spezifischen Lebensführung. Demgegenüber wendet sich insbesondere Jaeggi, Kritik, gegen das Prinzip der Enthaltsamkeit bzw. der Neutralität gegenüber „Lebensformen“ (zum Begriff ebenda, S. 65 ff.). Indessen ist davon auch nach Jaeggis Auffassung der Bereich „politisch-rechtlicher Sanktionierung“ zu trennen (ebenda, S. 52 f.): „Lebensformkritik ist keine Angelegenheit der Polizei.“ Als Grund dafür führt Jaeggi aus, dass Lebensformen durch Verbote und Sanktionen zumeist ohnehin nicht beizukommen ist. Darüber hinaus geht es ihr in ihrem philosophischen Ansatz nicht um Beschränkungen, sondern „emanzipative Transformationen von Lebensformen“. Solche Prozesse ließen sich aber in aller Regel nicht oktroyieren. Sofern daher die öffentliche Thematisierung von Lebensformen ein Bedürfnis rechtlicher Regelungen auf den Plan rufen sollte, könne es sich dabei „weniger um Verbote als um den Bereich ,positiver Anreize‘“ handeln. Damit liegt die Position Jaeggis auf einer Linie mit den im Text getroffenen Aussagen: Paternalismus vermittelt durch rechtliche Verbots- oder Gebotsnormen ist nicht der richtige

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gleichwohl aufkommen, entspricht es einer Vernunftleistung der Person, diese zu durchbrechen: Eine Verantwortung gegenüber dem Kollektiv etwa zur Verbesserung der eigenen genetischen Verfasstheit besteht nicht.627 Diese widerspräche der Freiheit des Subjekts, die gerade auch das Recht zu selbstgefährdendem Verhalten beispielsweise in Gestalt eines „ungesunden“ Lebensstils umfasst.628 Insoweit steht dem Einzelnen in einem freiheitlichen Rechtsstaat ein „Recht zur Unvernunft“ zu.629 Sollten gleichwohl im Bereich der Biotechnik „internalisierte Normen“ entstehen, die das Selbstbestimmungsrecht des Einzelnen gefährden, indem er sich etwa zur Wahrung des Vorsorgeprinzips zu bestimmten Maßnahmen gezwungen sieht, sind rechtliche Vorschriften zu deren Entkräftung lediglich in eingeschränktem Umfang wirkungsvoll. Rechtliche Vorschriften beispielsweise im Bereich des (Neuro-)Enhancements bzw. genetischer Vorsorgeuntersuchungen stellten allenfalls eine Behandlung von Symptomen dar, wenden sich aber nicht der eigentlichen Ursache der Problematik in Gestalt der Gefährdung individueller Freiheit zu. Wirklich effektiv erscheint in diesem Zusammenhang hingegen die Förderung der Einsicht der Person, dass es ihr frei steht, ob sie biomedizinische Maßnahmen vornimmt oder nicht. Allein auf diese Weise ist echte Emanzipation des Subjekts von bestehenden Drucksituationen denkbar. Es handelt sich dabei um eine Eigenleistung des Individuums, die weniger durch Verbotsnormen denn durch eine Verbesserung Weg, um wünschenswerte gesellschaftliche Prozesse anzustoßen oder weniger wünschenswerte zu unterbinden. Die Lösung der in diesem Zusammenhang auftretenden Schwierigkeiten muss unter Wahrung des Selbstbestimmungsrechts des Einzelnen erfolgen und daher auf seine Vernunft setzen, die sich von Gründen bzw. deren Materialisierung in Gestalt von „Anreizen“ prinzipiell ansprechen lässt. Vor diesem Hintergrund ist die Arbeit Jaeggis verstanden als Forderung nach einer öffentlichen Debatte, die sich keine Denkverbote durch eine im Einzelfall unter Umständen nicht sachgerechte Enthaltsamkeit auferlegt, mit Nachdruck zu begrüßen. 627 In der Konsequenz lassen sich etwa rechtliche Vorschriften, die dem Interesse an einer allgemeinen „Volksgesundheit“ verschrieben sind, weder von Seiten einer Obrigkeit noch eines (diffusen) Kollektivs in legitimer Weise aufstellen. Unter dem Begriff der „Volksgesundheit“ wird verbreitet „das Interesse des Staates an der Erhaltung eines gesunden Bürgerstandes und einer lebensfähigen Gesellschaftsordnung, also die Funktionsfähigkeit der Gesellschaft“ verstanden (vgl. Beulke/Schröder, NStZ 1991, 393, 394; Körner/Patzak/Volkmer, BtMG, § 29 Rn. 2, 4; MünchKommStGB/Rahlf, Vor §§ 29 ff. BtMG Rn. 1 ff.). Die Gemeinschaft weist aber unter Wahrung des auch verfassungsrechtlich garantierten Selbstbestimmungsrechts des Einzelnen kein schutzwürdiges Interesse an der Gesundheit ihrer einzelnen Mitglieder auf, wenn und insoweit als diese in rechtlich beachtlicher Weise über ihr Individualrechtsgut disponieren (s. schon oben D. III. 5. a) zur Freiverantwortlichkeit der Entscheidung als Voraussetzung für die Ausübung des Selbstbestimmungsrechts). Vielmehr liegt die Verfügungsmacht über diesen Zustand ausschließlich in der Hand des Individuums. Allein unter dieser Voraussetzung ist die Gemeinschaft legitimer Weise am Schutz interessiert. Alles andere läuft auf eine nicht gerechtfertigte (Zwangs-)Bevormundung des Bürgers hinaus, so auch Hassemer, KritV 1993, 198, 209; Köhler, ZStW 104 (1992), 3, 26 ff.; ders., MDR 1992, 739, 739. 628 S. Frisch, Tatbestandsmäßiges Verhalten, S. 152, 156 ff.; Köhler, ZStW 104 (1992), 3, 20 f.; MünchKommStGB/Schneider, Vor §§ 211 ff. Rn. 34. S. allgemein zum Recht auf Selbstbestimmung BVerfG, NJW 1977, 1525, 1526; Maunz/Dürig/Herdegen, GG, 75. EL September 2015, Art. 1 Abs. 1 Rn. 84. 629 Zu diesem Verständnis der Vernunftwidrigkeit s. Köhler, ZStW 104 (1992), 3, 18 f.

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der Bedingungen gelingen kann, die zur persönlichen Erkenntnisgewinnung erforderlich sind. Insofern dient allein eine entsprechende Information in optimaler Weise dazu, Freiheit zu schützen – wird dem Einzelnen auf diesem Wege doch das Werkzeug an die Hand gegeben, aufkommende gesellschaftliche Normen selbst zu hinterfragen und als das zu entlarven, was sie möglicherweise sein können: Eine Beeinflussung des Individuums zu einem Verhalten, das der Gemeinschaft, nicht aber ihm selbst dienlich ist. Wer dies erkennt, wird Abstand von entsprechenden Maßnahmen nehmen, sofern er darin keinen Nutzen für sich selbst sieht. Vor diesem Hintergrund offenbart sich, dass Verbotsnormen etwa im Bereich der Biotechnik im Hinblick auf die angestrebte Einsicht des Subjekts in Formen unzulässiger Beeinflussung sogar hinderlich sein und damit ihrer eigentlichen Zielsetzung entgegenstehen können: Wer paternalistisch motivierte Regulierungen implementiert, gesteht dem Einzelnen die Auseinandersetzung mit spezifischen Gefahren nicht zu. Wenn sich das Individuum aber mit bestimmten Fragen nicht befassen muss bzw. darf, kann es auch keine Erkenntnis über potentielle Gefahren erlangen. Damit geht zugleich das Risiko einher, dass es einer solchen Person auch in anderen Bereichen, in denen vergleichbare Gefahren auftreten, schwer fallen wird, sich selbstbestimmt zu verhalten. Die Folge müsste dann eine endlose Kette von Regulierungen sein, an deren Ende der unmündige Bürger steht – dessen Selbstbestimmungsrecht eingangs gerade geschützt werden sollte. Zum Schutz der Selbstbestimmungsfreiheit sind Vorschriften, die biotechnologische Verfahren einer Regulierung unterwerfen, damit nicht geeignet. Wenngleich auf den ersten Blick immerhin in den davon erfassten Bereichen gesellschaftliche Drucksituationen vermieden werden könnten, ist damit dennoch kein effektiver Schutz personaler Freiheit verbunden. Im Gegenteil unterliegt eine solche Position bei Lichte betrachtet einem Selbstwiderspruch. So ist darin eine paternalistische Bevormundung des Einzelnen angelegt, die ihn vor der Befassung mit spezifischen Gefahren gänzlich abhalten soll. Echter Schutz vor gesellschaftlichen Zwängen im Hinblick auf die persönliche Entscheidungsfindung kann aber allein im Wege der Förderung der Einsichtsmöglichkeit des Subjekts in entsprechende Zusammenhänge gewährleistet werden. Nur wer erkennt, dass er (ggf. unzulässig) beeinflusst wird und entstandene gesellschaftliche Normen der eigenen Freiheit zuwider laufen, kann sich wirksam zur Wehr setzen. Die richtige Antwort auf Vorschriften, die dem Einzelnen die Pflicht zu einem vorrangig bzw. ausschließlich an Kollektivinteressen orientierten Lebensstil auferlegen möchten, lautet daher nicht Regulierung, sondern Information. Wahrer Schutz des freien Willens gelingt allein durch dessen Stärkung, indem etwa Einsicht in gesellschaftliche Zusammenhänge als Hilfe zur Selbsthilfe fungiert. Wer anders verfährt, läuft Gefahr, das, was er zu schützen angetreten ist, seinerseits unter der Last neuer Verbotsnormen zu begraben.

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D. Validität von Natürlichkeitsargumenten im Bereich der Biomedizin

(2) Dennoch: Legitimation von Verbotsnormen unter Bezugnahme auf das Selbstbestimmungsrecht Dritter Der aufgezeigte Widerspruch, der in dem Unterfangen liegt, Freiheit durch Freiheitsbeschränkung schützen zu wollen, schließt es aus, auf diese Weise begründeten rechtlichen Vorschriften deren generelle Eignung zur Erreichung des damit intendierten Zwecks zuzusprechen. Allerdings lässt sich der Gedanke des Schutzes der Selbstbestimmungsfreiheit des Einzelnen in gewissen Grenzen dennoch zur Legitimation rechtlicher Verhaltensnormen fruchtbar machen. Erforderlich ist es dafür, in Abweichung von den bisherigen Überlegungen als Rechtsgutsträger des schutzbedürftigen Selbstbestimmungsrechts nicht den sich selbst „Manipulierenden“, sondern Dritte in den Blick zu nehmen, die von den Möglichkeiten moderner Biotechnologie nur aus dem Grund Gebrauch machen, um gegenüber den anderen Gesellschaftsmitgliedern „mitzuhalten“. Zu denken ist dabei an Bereiche des gesellschaftlichen Miteinanders, die in besonderem Maße durch ein Konkurrieren der jeweiligen Akteure gekennzeichnet sind. Als Beispiel können neben dem Wettkampfsport sämtliche Prüfungssituationen in Schule, Universität bzw. sonstigem Berufsleben herangezogen werden. Hier ist schon mit den heute zur Verfügung stehenden Mitteln eine Steigerung des individuellen Leistungsvermögens durch die Aufnahme bestimmter Substanzen möglich. Dabei können Drucksituationen aufkommen, in denen sich Sportler bzw. Prüfungskandidaten oder Bewerber allein unter der Bedingung des Konsums entsprechender leistungsfördernder Substanzen als konkurrenzfähig einschätzen.630 Dieser (empfundene) Zwang, zur Herstellung von Chancengleichheit auf die Einnahme leistungsfördernder Mittel angewiesen zu sein, stellt eine abstrakte Gefahr für das Selbstbestimmungsrecht dar. Zur Legitimation von rechtlichen Verhaltensnormen kann das Interesse am Schutz vor dieser Gefahr grundsätzlich herangezogen werden.631 Sofern sich daher Sektoren des gesellschaftlichen Miteinanders entwickeln, in denen eine sinnvolle Teilnahme ausschließlich unter Bedingungen möglich ist, die dem Individuum ggf. ungewollte Eingriffe in die eigene Körperintegrität abverlangen, kann von staatlicher Seite grundsätzlich interveniert werden. Für die Legitimation entsprechender Verbote käme es daher einerseits auf die Frage an, in welchem Ausmaß sich die Akteure der betroffenen Lebensbereiche gezwungen sehen müssen, zur sinnvollen Teilnahme daran beispielsweise Maßnahmen zur Selbstoptimierung vorzunehmen. Solange es etwa im schulischen Bereich nicht die Regel ist, dass Schüler auf leistungsfördernde Substanzen zurückgreifen, ruht auf den Akteuren allenfalls ein geringer Druck, von dieser Möglichkeit Gebrauch zu machen. Auf dieser – empirisch zu treffenden – Basis ließen sich Verbote des Enhancements in diesem Sektor in Ermangelung hinreichend gewich630

S. dazu außerdem Sternberg-Lieben, ZIS 2011, 583, 591 m. Fn. 68; Timm, GA 2012, 732, 737 f. Der Gedanke findet sich auch im Bereich des Neuroenhancements, s. nur Gärditz, PharmR 2011, 46, 51; Merkel, ZStW 121 (2009), 919, 943. 631 Timm, GA 2012, 732, 738.

III. Legitimität rechtlicher Verhaltensnormen zum Schutz des Natürlichen

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tiger Drucksituation nicht rechtfertigen. Anders verhält es sich allerdings bereits heute im Wettkampfsport. Die reale Verbreitung von Doping kann bei dem einzelnen, bislang nicht dopenden Sportler das Bild vermitteln, ohne den Konsum entsprechender Substanzen keine ernsthafte Siegchance zu haben. Weil der Siegeswunsch aber zentrales Merkmal des Wettkampfsports ist und es damit nicht lediglich darum geht, „dabei zu sein“, können hier Situationen entstehen, in denen Sportler gegen ihren eigentlichen Willen auf Dopingsubstanzen zurückgreifen.632 Insbesondere im Leistungssport sind für dessen Akteure mit der erfolgreichen Teilnahme an Wettkämpfen in der Regel auch existenzielle Bedürfnisse verbunden: Der Erfolg kann über die Karriere entscheiden. Aus diesem Grund kann der Griff zum Dopingmittel nicht ohne Weiteres als uneingeschränkt freiverantwortliche Entscheidung des Sportlers gewertet werden. Hingegen wird darin nicht selten die Not zum Ausdruck kommen, durch die Einnahme von Dopingsubstanzen die eigene Chancenlosigkeit im Wettkampf oder gar das Ende der beruflichen Karriere abwenden zu wollen. Die Gefahr, dass der Konsum von Dopingmitteln nicht Ausdruck der Selbstbestimmungsfreiheit des Einzelnen ist, sondern des von außen auf den Sportler ausgeübten Drucks, ist daher im Sport mit Händen zu greifen. Neben dem Umfang eines real bestehenden Drucks, der in dem jeweiligen Lebenssektor auf die Beteiligten ausgeübt wird, käme es für die Legitimation entsprechender Verbote weiter darauf an, welche Intensität die Eingriffe in die Körperintegrität aufweisen. Insoweit spielt es beispielsweise eine Rolle, ob der Rückgriff auf biotechnologische Möglichkeiten für den Betreffenden irreversible Folgen zeitigt oder lediglich temporär begrenzt auf den eigenen Körper wirkt. Etwa im Hinblick auf Dopingmittel im Sport wäre mithin zu prüfen, inwieweit damit längerfristige Beeinträchtigungen für die körperliche Verfasstheit des Sportlers oder seine Gesundheit verbunden sind. Insoweit ist nicht auszuschließen, dass bestimmte Dopingsubstanzen keine derart erhebliche Wirkung auf den menschlichen Körper aufweisen, dass der Druck zu ihrer Einnahme ein entsprechendes Verbot rechtfertigen würde.633 Eindeutiger fällt das Urteil freilich im Bereich der genetischen Beeinflussung werdenden Lebens aus, die üblicherweise irreversibel sind. Aus diesem Grund ließen sich hier – bei gleichzeitigem Vorliegen der notwendigen Drucksituation für die betroffenen Eltern – rechtliche Vorschriften prinzipiell rechtfertigen. Abschließend lässt sich damit festhalten, dass Verbote spezifischer biotechnologischer Verfahren zum Schutz des Selbstbestimmungsrechts Dritter grundsätzlich legitimiert werden können. In einzelnen Bereichen des menschlichen Miteinanders kann durch neue Möglichkeiten der künstlichen Beeinflussung der eigenen körperlichen Konstitution der Druck entstehen, von diesen auch Gebrauch zu machen. 632

S. bereits Timm, GA 2012, 732, 738. S. aber Timm, GA 2012, 732, 739 dazu, dass sich auch in diesen Fällen das strafbewehrte Dopingverbot legitimieren lässt. Sofern der Sportler über die Einnahme von Dopingsubstanzen durch seine Konkurrenten getäuscht wurde, liegt hierin eine rechtlich relevante Verletzung seiner allgemeinen Handlungsfreiheit, die er zur dopingfreien Vorbereitung auf den Wettkampf zweckverfehlt eingesetzt hat. 633

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D. Validität von Natürlichkeitsargumenten im Bereich der Biomedizin

Für die jeweiligen Akteure dieses Lebensbereichs steht anderenfalls die Gefahr im Raum, nicht länger sinnvoll daran teilnehmen zu können – etwa weil im Leistungssport jedwede realistische Chance auf den Sieg ohne Einnahme leistungssteigernder Substanzen schwindet. Sofern aber die Vornahme biotechnologischer Eingriffe in den eigenen Körper auf dem von außen erzeugten Druck beruht, stellt dies eine relevante Beeinträchtigung der Freiheit zur Selbstbestimmung dar, vor der die Mitglieder der Gesellschaft durch entsprechende Normen zu schützen sind. Hierin liegt nach dem Gesagten indes kein Freibrief für eine breitflächige Implementierung von Freiheitsbeschränkungen im Bereich der Biotechnik. Im Gegenteil kommt es für die Rechtfertigung von Verboten entscheidend darauf an, dass sie sich auf Lebensbereiche beziehen, in denen eine reale Drucksituation besteht, die die beteiligten Akteure erheblich in der Ausübung ihres Selbstbestimmungsrechts beeinträchtigt. Zudem bedarf es zur Wahrung des Ideals der Garantie größtmöglicher Freiheit aller in einem freiheitlichen Rechtsstaat der Beachtung der allgemeinen Legitimationsbedingungen rechtlicher Verhaltensnormen.634 Dazu gehört insbesondere auch, dass es sich bei dem jeweiligen Verbot um ein angemessenes Mittel zum Schutz des Selbstbestimmungsrechts Dritter handelt. Mithin spielt es eine Rolle, welche Folgewirkungen mit der jeweiligen biotechnischen Maßnahme tatsächlich verbunden sind, zu der der Einzelne sich gezwungen sieht. cc) Zwischenergebnis Vermeintliche Natürlichkeitsargumente, die sich auf den Autonomieschutz berufen, können nur eingeschränkt zur Legitimation rechtlicher Verhaltensnormen im Bereich der Biomedizin herangezogen werden. Nicht überzeugen kann zunächst die Annahme, entsprechende Ver- bzw. Gebote könnten zum Schutz vor dem Verlust von „Reziprozität zwischen Ebenbürtigen“ gerechtfertigt werden. Mit der eigenen Entstehung unter Anwendung neuer Verfahren der Reproduktionsmedizin können zwar Gefahren einhergehen, die die Wahrnehmung der Person als freies Individuum betreffen. Allerdings finden sich entsprechende Risiken auch in anderen gesellschaftlichen Bereichen, ohne dass diese einer rechtlichen Regulierung unterworfen werden. Darüber hinaus steht dem Betreffenden nach wie vor der Weg offen, sich als frei wahrzunehmen und damit sein Selbstbild in eigener Person zu schaffen. Des Weiteren verstricken sich Autonomieschutzargumente unweigerlich in einem Selbstwiderspruch, die den intendierten Freiheitsschutz durch paternalistisch motivierte Freiheitsbegrenzung erreichen wollen. Eine darauf gestützte Verhaltensnorm ist bereits nicht dazu geeignet, den Autonomieschutz zu gewährleisten. Allein die Überlegung, durch rechtliche Verhaltensnormen bezüglich neuer biotechnologischer Verfahren das Selbstbestimmungsrecht Dritter zu schützen, verdient Beachtung. In spezifischen gesellschaftlichen Bereichen können Drucksituationen aufkommen, Eingriffe in die eigene körperliche Verfasstheit vorzunehmen, um eine sinnvolle Teilnahme zu ermöglichen. Hier entspricht es einer Frage der Verhältnismäßigkeit im 634

S. dazu ausführlich oben D. I.

III. Legitimität rechtlicher Verhaltensnormen zum Schutz des Natürlichen

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engeren Sinne, ob sich rechtliche Vorschriften im Einzelfall legitimieren lassen. Jedenfalls für den Sektor des Dopings im Sport kann dies gegenwärtig angenommen werden. d) Wahrung des Natürlichen zum Schutz vor sozialer Ungleichheit Vor allem Maßnahmen, die zur „Verbesserung“ des Menschen eingesetzt werden, stehen noch unter einem weiteren Gesichtspunkt in der Kritik: Die Rede ist von der Befürchtung, dass entsprechende Verfahren etwa aus Gründen der Finanzierung und der Ressourcenknappheit allenfalls einem kleinen Teil der Bevölkerung zur Verfügung stehen würden, weshalb es zu einer erheblichen Verschärfung der schon heute bestehenden Grenze zwischen Reich und Arm kommen könnte. Unter dem Stichwort „verteilende Gerechtigkeit“ wird hier das Risiko sozialer Ungerechtigkeit diskutiert, worin dem einen die zur Heilung ernsthafter Krankheiten erforderlichen Mittel nicht zugänglich sind, während der andere diese für weniger dringliche oder gar zweifelhafte Zwecke nutzen kann. Sofern zu teuren Verfahren des (Neuro-)Enhancements vorrangig Wohlsituierte Zugang hätten, würde dies zu einer Vertiefung des Grabens führen, der schon heute zwischen „den Besten und Klügsten“ und „dem Rest“ bestünde.635 Tatsächlich liegt soziale Gerechtigkeit im Interesse sämtlicher Gesellschaftsmitglieder. Ohne die Wahrung gewisser Voraussetzungen zu ihrer Herstellung ist ein friedliches Miteinander in menschlicher Gemeinschaft nicht denkbar. Nicht zuletzt kommt darin der bereits an früherer Stelle dargelegte Gedanke zum Ausdruck, dass die Gründung eines Verfassungsstaates durch eine Vereinbarung seiner künftigen Mitglieder allein unter der Voraussetzung erfolgen kann, dass deren Entscheidung Ausdruck gleicher Freiheit ist.636 Jene Gleichheit geben die Bürger des Staates aber zu keinem Zeitpunkt auf: Vielmehr steht ihre Zustimmung zur Gründung eines Gemeinwesens unter der fortlaufenden Bedingung der Gleichheit. Diese zu gewährleisten setzt aber mehr voraus als die Garantie einer gleichen Rechtsstellung. Vielmehr bedarf es zur Ausübung gleicher Freiheit eines Mindestmaßes existentieller Voraussetzungen, die dem Einzelnen von Seiten des Gemeinwesens gewährleistet werden müssen, sofern er dazu nicht selbst im Stande ist. In Deutschland erfährt daher insbesondere das Sozialstaatsprinzip verfassungsrechtliche Verankerung in Art. 20 Abs. 1 GG und unterliegt zugleich der Ewigkeitsgarantie des Art. 79 Abs. 3 GG. Trotz aller terminologischen Konturenschärfe ergibt sich aus dem Sozialstaatsprinzip immerhin eine Verpflichtung des Gesetzgebers, sich um ein Mindestmaß sozialer Verantwortung des Staates zu bemühen. Dazu gehört insbesondere die Gewährleistung eines Existenzminimums, dessen 635

Zum Ganzen s. Kass u. a., Beyond Therapy, S. 282. Vgl. ferner Siep, Ethik, S. 320 zu diesem Einwand im Hinblick auf das reproduktive Klonen bzw. die Keimbahntherapie; ders., Menschliche Natur, S. 157, 164 f., 168. 636 S. schon oben D. I.

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D. Validität von Natürlichkeitsargumenten im Bereich der Biomedizin

Höhe in Abhängigkeit von der wirtschaftlichen Leistungskraft des Staates steht und dem Bürger ein menschenwürdiges Leben ermöglicht.637 Die Idee sozialer Gerechtigkeit ist ihrerseits Ausfluss des Sozialstaatsprinzips und findet sich ausdrücklich im Sozialrecht. So heißt es in § 1 Abs. 1 S. 1 SGB I: „Das Recht des Sozialgesetzbuchs soll zur Verwirklichung sozialer Gerechtigkeit und sozialer Sicherheit Sozialleistungen einschließlich sozialer und erzieherischer Hilfen gestalten.“ Wiederum wirft dabei der Begriff der sozialen Gerechtigkeit Schwierigkeiten auf. Weitgehende Einigkeit besteht aber zumindest insoweit, als darin die Zielsetzung erfasst ist, jedem Menschen die Möglichkeit zu verleihen, „eine seinen individuellen Kräften und Fähigkeiten entsprechende soziale Stellung in Staat und Gesellschaft zu erlangen“.638 Gemeint ist damit die Gleichberechtigung sämtlicher Bürger des Staates in Bezug auf ihre Lebenschancen. Vor diesem Hintergrund ist das Postulat sozialer Gerechtigkeit integraler Bestandteil der deutschen Rechtsordnung. Befürchtungen einer erheblichen Besserstellung Wohlhabender im Hinblick auf den Zugang zu biomedizinischen Verbesserungsverfahren können daher zumindest mit dem Verweis darauf relativiert werden, dass es sich dabei um Maßnahmen handelt, die für den Einzelnen mitunter von hoher Bedeutung sind. Die Schreckensvision der Verwendung bestimmter Arzneimittel zur körperlichen bzw. kognitiven „Verbesserung“ einzelner Wohlhabendender, wodurch Armen der Weg zu lebensnotwendiger Hilfe abgeschnitten wird, lässt sich mit der Verfassung nicht in Einklang bringen: Versorgungsleistungen, die eine solche Relevanz für die Güter und Interessen des Bürgers haben, müssen ihm aus sozialstaatlichen Gesichtspunkten gewährleistet werden. Was jedoch bleibt, ist die Gefahr, dass vor allem Reiche sich selbst bzw. ihren Nachkommen durch verbessernde Verfahren einen erheblichen Wettbewerbsvorteil innerhalb der (Leistungs-)Gesellschaft verschaffen können. In diesem Zusammenhang ist es lediglich ein schwacher Trost, dass gesellschaftliche Entwicklungen, die zu ihrer Verbesserung beigetragen haben, in aller Regel zuletzt auch den weniger wohlhabenden Bevölkerungsteilen zugutegekommen sind.639 Jedenfalls bis zu dem Zeitpunkt, in dem die betroffenen Verfahren oder Substanzen in Massen produziert werden und ihr Preis sinkt, könnten sich die gesellschaftlichen Verhältnisse drastisch verändern, sofern ausschließlich eine kleine, wohlsituierte Gruppe an Personen davon profitierte. Deren ggf. zahlreichen leistungssteigernden Eingriffe beraubten diejenigen, die darauf nicht zurückgreifen können, jedweder ernsthaften Teilnahmebzw. Aufstiegschance. Eine signifikante Leistungssteigerung der Wenigen hätte dann zur Folge, dass viele Menschen von bedeutsamen gesellschaftlichen Bereichen ausgeschlossen würden. Selbst wenn diese infolge der angesprochenen Preissenkungen leistungsmäßig nachziehen könnten, ist nicht gesagt, dass die einmal er-

637 638 639

Maunz/Dürig/Herdegen, GG, 75. EL September 2015, Art. 79 Rn. 157. BeckOK/SGB/Niedermeyer, § 1 Rn. 6 (Stand: 01. 12. 2015). President’s Council, S. 282.

III. Legitimität rechtlicher Verhaltensnormen zum Schutz des Natürlichen

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langten gesellschaftlichen Positionen ihrer Vorgänger ohne Weiteres zurückerlangt werden könnten. Allerdings handelt es sich auch dabei um ein Szenario, das durch normative Regulierungen vermieden werden könnte. Zu denken wäre etwa daran, die Einnahme leistungssteigernder Substanzen in einzelnen Lebensfeldern gänzlich zu untersagen.640 Darüber hinaus könnten bestimmte, besonders beliebte und erfolgversprechende Verfahren in den Leistungskatalog der gesetzlichen Versorgungseinrichtungen aufgenommen werden, um insoweit Chancengleichheit zu gewährleisten.641 Generelle Verbote sind demgegenüber nicht verhältnismäßig. Weil es weniger eingriffsintensive Maßnahmen gibt, um den aufgezeigten Gefahren des (Neuro-)Enhancements vorzubeugen, lassen sie sich nicht legitimieren. e) Wahrung des Natürlichen zum Schutz von Authentizität In der Debatte um die Zulässigkeit diverser biotechnischer Verfahren, die die leibliche Beschaffenheit des Menschen betreffen, findet sich ferner die Befürchtung, derartige Eingriffe hätten einen Verlust an Authentizität zur Folge.642 Gemeint ist damit sowohl die Authentizität der Person des Einzelnen als auch diejenige seiner Werke und Leistungen. Beeinträchtigt sei die persönliche Authentizität beispielsweise durch die Einnahme leistungsfördernder oder stimmungsaufhellender Substanzen. In der Konsequenz könne der Betreffende einen Authentizitätsverlust erleiden, indem er „nicht mehr er selbst“ sei bzw. weil er sich seine Taten bzw. Verdienste nicht länger als eigene Leistung zurechnen könne. Dies werfe auch für seine Mitmenschen Schwierigkeiten auf, die sich mit der Frage auseinandersetzen müssten, ob sie die „wahre Person“ des anderen tatsächlich kennen.643 Auf der Basis dieser Auffassung dienten rechtliche Vorschriften im Bereich der Biomedizin mithin dem Schutz von Authentizität. Allerdings ist bereits die pauschale Annahme, dass Eingriffe in die leibliche Kontingenz Einbußen an Authentizität zur Folge hätten, nicht überzeugend. In Bezug auf die eigene Person kann Authentizität allein die Bedeutung von Stimmigkeit einnehmen.644 Der Einzelne nimmt sein Verhältnis zu sich selbst in psychischer und physischer Form dann als authentisch wahr, wenn er die eigene Person darin verwirklicht sieht. Damit wird schnell klar, dass die „natürliche“ Beschaffenheit seines Körpers bzw. seines seelischen Zustandes nicht zwingend mit dem übereinstimmt, was der Betreffende als „authentisch“ bezeichnen würde. Denkbar ist etwa, dass der Einzelne mit spezifischen Eigenschaften seines Körpers unzufrieden ist. Die 640

S. zur Legitimation des strafbewehrten Dopingverbots bereits oben D. III. 5. c) bb) (2). Vgl. Bostrom, The Journal of Value Inquiry 37 (2003), 493, 503. 642 Lanzerath, Jahrbuch für Wissenschaft und Ethik 7 (2002), 319, 331 f. In diese Richtung auch President’s Council, S. 253. 643 President’s Council, S. 252. 644 S. Birnbacher, Natürlichkeit, S. 125. 641

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D. Validität von Natürlichkeitsargumenten im Bereich der Biomedizin

Bandbreite entsprechender Beispiele ist groß,645 kann sich eine empfundene Unvereinbarkeit der persönlichen Selbstwahrnehmung mit vorgegebenen körperlichen oder psychischen Eigenschaften doch nahezu in jedwedem Bereich auftun. In einer solchen Situation ist es nicht selten gerade die Veränderung, die den Betreffenden näher „zu sich“ bringt, ihm also stärker als zuvor das Gefühl vermittelt, in der eigenen Beschaffenheit sich selbst zu erkennen. Demgegenüber kann es nicht überzeugen, Authentizität in einem Sinne zu verstehen, der von der Selbstwahrnehmung des Betreffenden abstrahiert. Authentizität kann nicht aus Sicht eines Dritten beurteilt werden. Ob der Einzelne sich in seiner gegenwärtigen körperlichen und seelischen Art und Weise selbst verwirklicht sieht, kann allein er selbst entscheiden.646 Anderenfalls bedeutete „Authentizität“ nichts anderes als ein Etikett für die Durchsetzung bestimmter Moralvorstellung – im hier interessierenden Fall mithin der Position, dass Eingriffe in die leibliche Kontingenz nicht sein sollen. Mit dem eigentlichen Wortsinn des Authentischen hätte dies aber nichts zu tun. Ebenso ist es alles andere als zwingend, Leistungen des Einzelnen, die er allein unter Zuhilfenahme künstlicher Mittel erreicht hat, per se als unauthentisch zu brandmarken. Authentizität meint in diesem Bereich die Zurechenbarkeit eines Werks zu seinem geistigen bzw. physischen Urheber. Sofern etwa der Maler ein Bild unter Einnahme einer seine Kreativität steigernden Substanz gezeichnet hat, könnte der Einwand erhoben werden, es handele sich aus dem Grund um eine weniger bzw. nicht authentische Leistung, weil die Entstehung des Kunstwerks nicht allein auf die von Hilfsmitteln unbeeinflusste Phantasie und künstlerische Fähigkeit des Malers zurückzuführen sei. Allerdings ließe sich der Begriff der Authentizität in diesem Zusammenhang auch anders deuten. Sofern es dabei darum geht, dass eine Leistung ihrem Urheber voll und ganz zugerechnet werden kann, wäre diese Voraussetzung prinzipiell auch dann erfüllt, wenn dieser sich leistungssteigernder Hilfsmittel bedient. Letztlich hätte dies lediglich eine Verschiebung des Zurechnungsgrundes im Hinblick auf das entstandene Werk zur Folge. Um im Beispiel zu bleiben, hätte sich die Verantwortlichkeit des Malers für sein Bild zwar insoweit relativiert, als dieses zu einem gewissen Anteil auf einer Kreativität beruht, die ihm ohne die Einnahme einer entsprechenden Substanz nicht möglich gewesen wäre. Ersatz erfährt dieses Minus an Verantwortlichkeit jedoch durch ein Plus im Bereich der künstlichen Erzeugung dieses zusätzlichen Maßes an Kreativität: An die Stelle der „Authentizität der Natur tritt die Authentizität des Akteurs“.647 Dass es sich bei dieser Verschiebung des Zurechnungsgrundes für eine bestimmte Leistung um einen wenig wünschenswerten Vorgang handelt, drängt sich nicht ohne Weiteres auf. So ließe sich zwar die Behauptung aufstellen, dass die natürliche 645

S. zu Beispielen Birnbacher, Natürlichkeit, S. 127. Vgl. in diesem Zusammenhang auch Bayertz, Menschliche Natur, S. 9, 17, 23. 646 Birnbacher, Natürlichkeit, S. 126 spricht in diesem Zusammenhang von „dem wesentlichen Subjektivismus im Begriff der Authentizität“. 647 Das Zitat findet sich bei Birnbacher, Natürlichkeit, S. 124.

III. Legitimität rechtlicher Verhaltensnormen zum Schutz des Natürlichen

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Authentizität gegenüber derjenigen des Akteurs in ihrer Werthaftigkeit von höherem Rang sei. Indes ist eine solche Bewertung subjektiv geprägt und alles andere als zwingend. Im Gegenteil erscheint es wenig nachvollziehbar, weshalb der Mensch sich stets auf die eigene Beschaffenheit zurückwerfen lassen sollte, selbst wenn für ihn die Möglichkeit bestünde, darüber hinauszuwachsen. Sofern etwa der Maler allein unter Einnahme kreativitätsfördernder Substanzen zur Herstellung von Meisterwerken in der Lage ist, besteht kein Grund, ihm und dem interessierten Publikum diese Gelegenheit vorzuenthalten.648 Die Wahrung von Authentizität kann damit als legitimer Zweck rechtlicher Verhaltensnormen im Bereich der Biomedizin ihrerseits nicht überzeugen. In Bezug auf die Wahrnehmung der eigenen Person sind Natürlichkeit und Authentizität nicht zwingend gleichbedeutend. Vielmehr kann insbesondere die Veränderung der eigenen vorgegebenen Beschaffenheit zur Folge haben, dass sich der Einzelne authentischer fühlt als zuvor. Insoweit können biotechnische Maßnahmen gerade dazu führen, dass persönliche Authentizität hergestellt wird. Dem stehen nicht etwa die Interessen Dritter entgegen, die „wahre Person“ des Betreffenden zu kennen. Sofern gerade der Eingriff in die leibliche Kontingenz Authentizität im Sinne von Stimmigkeit hergestellt hat, ist dieses Interesse ohnehin nicht berührt. Selbst wenn aber der Einzelne in einer Weise lebt, die nicht der Authentizität seiner Person entspricht, lassen sich hieraus keine Rechte Dritter ableiten. Ob der Betreffende biotechnische Maßnahmen vornimmt, die seine Körperintegrität beeinträchtigen, obliegt seiner freien Entscheidung und ist nicht an eine subjektive Vorstellung Dritter davon gebunden, was den Einzelnen „in Wirklichkeit“ ausmacht. Darüber hinaus legitimiert das Interesse an Wahrung von Authentizität keine rechtlichen Vorschriften in Bezug auf biotechnische Verfahren zur Steigerung der eigenen Leistungsfähigkeit. Auch hier lassen sich Eingriffe in die leibliche Kontingenz mit dem Authentizitätsbegriff grundsätzlich in Einklang bringen. Selbst wenn aber der „Authentizität der Natur“ gegenüber derjenigen des Akteurs der Vorzug gegeben werden sollte, liegt hierin keine zwingende Wertung, die Ge- oder Verbote rechtfertigen kann.

648 Allein unter Betrugsaspekten ließe sich hier ein Einwand formulieren: Wenn es dem Besteller eines Bildes darauf ankommt, dass dieses ohne Zuhilfenahme leistungssteigernder Substanzen entsteht, kann eine abweichende Handhabe des Malers als rechtlich missbilligte Täuschung eingestuft werden. Unter Heranziehung der Zweckverfehlungslehre (s. dazu Schönke/Schröder/Perron, Strafgesetzbuch, § 266 Rn. 43; Rostalski, HRRS 2016, 73, 79 sowie allgemein MünchKommStGB/Hefendehl, § 263 Rn. 723 ff.) ließe sich ferner ein Vermögensschaden des Käufers begründen, weshalb die Strafbarkeit nach § 263 StGB gegeben wäre. Sofern der Künstler indes die Vorgaben des Bestellers wahrt bzw. im Hinblick auf die Entstehung eines bereits vorhandenen Werks „mit offenen Karten spielt“, bestehen selbst in Bezug auf das Betrugsverbot gegenüber dem Besteller bzw. Käufer keine Bedenken gegen den Einsatz kreativitätsfördernder Substanzen.

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D. Validität von Natürlichkeitsargumenten im Bereich der Biomedizin

f) Wahrung des Natürlichen zum Schutz vor der Erschütterung fundamentaler (Wert-)Orientierungen Birnbacher führt in die Diskussion um die Zulässigkeit verschiedener biotechnischer Verfahren einen weiteren Aspekt ein, der hier als vermeintliches Natürlichkeitsargument einer näheren Betrachtung unterzogen werden soll. So schreibt Birnbacher tief verwurzelten Erwartungshaltungen einen Wert zu, „zumindest dann, wenn die Verunsicherung und Verwirrung Ausmaße erreicht, die fundamentale Orientierungen zu erschüttern droht“.649 Als Beispiel nennt er die Erzeugung von Mensch-Tier-Hybriden, die entsprechende Reaktionen hervorrufen könne. Jedoch sieht Birnbacher eine solche Legitimationsfigur selbst kritisch. So sei ein restriktiver Umgang damit geboten, „wenn die Freiheit der Selbstverfügung des Einzelnen nicht gänzlich den Normalitätsvorstellungen der Gesellschaft geopfert werden soll.“650 Auf diese Weise benennt Birnbacher selbst den zentralen Schwachpunkt seines Argumentationsmodells, das jedenfalls im rechtlichen Kontext keinen Bestand haben kann. Wiederum überwiegt insoweit das verfassungsrechtliche Selbstbestimmungsrecht gegenüber rein moralischen Wertvorstellungen innerhalb der Gesellschaft.651 Ein abweichendes Ergebnis ließe sich indessen erzielen, sofern rechtliche Verhaltensnormen zum bloßen Schutz von Gefühlen legitimiert werden könnten. Dem entspricht die Auffassung Feinbergs, wonach Verbotsnormen mit dem Hervorrufen stark negativer Gefühle begründet werden können – also auch dann, wenn durch das inkriminierte Verhalten keine Schädigung an Rechten der Person bewirkt werde. Zwar sei das alleinige Haben eines stark negativen Gefühls dafür nicht ausreichend. Vielmehr müsste sich in einem komplexen Abwägungsvorgang ergeben, ob es sich um eine Emotion handelt, vor deren Hervorrufen der Einzelne (straf-)rechtlichen Schutzes bedürfe.652 Sofern dies aber der Fall sei, stünde der Legitimation entsprechender Verhaltensnormen prinzipiell nichts im Wege. Auf einer Linie damit liegt die Position Seelmanns, wonach insbesondere im Bereich des Klonens das Gefühl der Orientierungssicherheit grundsätzlich als legitimes Schutzinteresse rechtlicher Verhaltensnormen herangezogen werden könne.653 Zwar sieht auch Seelmann den Gefühlsschutzgedanken im (Straf-)Recht kritisch. Sofern aber „der Verunsicherte auf Grund der Beeinträchtigung seiner Orientierungssicherheit Persönlichkeitsbeeinträchtigungen zu gewärtigen hätte, die seine Fähigkeit zu künftiger Orientierung im sozialen Leben behindern würden“, käme auch eine (straf-)rechtliche Reaktion durch die Implementierung strafbewehrter Verbote grundsätzlich in

649

Birnbacher, Natürlichkeit, S 93. Ebenso Seelmann, Wolff-FS, S. 481, 490 ff. Birnbacher, Natürlichkeit, S. 136. 651 S. schon oben D. III. 5. a). 652 Feinberg, Harm to Others, S. 14 f.; ders., Offense to others, S. 1, 35; Hart, Law, Liberty and Morality, S. 42 ff., 46 ff. 653 Seelmann, Wolff-FS, S. 481, 492 f. 650

III. Legitimität rechtlicher Verhaltensnormen zum Schutz des Natürlichen

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Frage. Jedenfalls im Bereich des Klonens müsse man diese Überlegung „ernstnehmen“. Dabei sind Gefühlsschutzerwägungen zur Legitimation (strafbewehrter) Verhaltensnormen dem deutschen Strafrecht nicht fremd. Nach Auffassung Hörnles findet sich im Strafgesetzbuch eine nicht geringe Zahl an Sanktionsnormen, die keiner zweckrationalen Legitimation zugänglich, sondern allenfalls unter dem Gesichtspunkt der „emotionale(n) Besetzung des Themas“ verständlich sind.654 Solche Vorschriften dienen nach Auffassung Hörnles keinem anerkannten Recht einer Person, das durch das untersagte Verhalten verletzt werde. Was nach eingehender Prüfung des Legitimationsgrundes vielmehr allein verbleibe, seien enttäuschte Gefühle. Dabei sei zwar zu beachten, dass selbst bei der Übertretung von Vorschriften, die dem Schutz eines anerkannten Rechts verschrieben sind, unweigerlich Gefühle verletzt werden. Zu denken sei insbesondere an die Gefühle des Opfers bzw. der übrigen Bevölkerung, da Rechtsverstöße in der Regel negative Emotionen bei den übrigen Gesellschaftsmitgliedern hervorriefen.655 Sofern die besagte Vorschrift aber primär „handfeste Güter“ schütze, werfe dieser zusätzlich erzielte Gefühlsschutz keine Legitimationsschwierigkeiten auf. Anders verhalte es sich indes, könne gerade kein solch anerkanntes Interesse ausgemacht werden. In diesem Zusammenhang seien insbesondere Verstöße gegen gesellschaftliche Tabus geeignet, besonders intensive Emotionen zu wecken, weshalb es sich hierbei um spezifische Gefühlsschutzdelikte handele.656 Als Beispiel einer reinen Gefühlsschutzvorschrift nennt Hörnle unter anderem § 140 StGB.657 Allerdings verwirft bereits Hörnle zu Recht den Gefühlsschutzansatz als tauglichen Legitimationsgrund rechtlicher Verhaltensnormen.658 In einem Strafrecht, das 654 Hörnle, Grob anstößiges Verhalten, S. 334; dies., Rechtsgutstheorie, S. 268, 269 ff. Vgl. zum Ganzen bereits Timm, Gesinnung und Straftat, S. 107 ff. 655 Hörnle, Rechtsgutstheorie, S. 268. 656 Hörnle, Rechtsgutstheorie, S. 268, 268 f., 277 ff. 657 Zu § 140 StGB (Belohnung und Billigung von Straftaten) führt Hörnle, Grob anstößiges Verhalten, S. 242 ff. zunächst aus, dass es sich dabei nicht um ein legitimes Gefährdungsdelikt handele. Dies wäre allenfalls denkbar, wenn die Belohnung Anreiz für spätere Taten böte. Ein solches Verhalten ist aber schon durch das Verbot der Anstiftung bzw. § 146 Abs. 1 Nr. 2 StGB erfasst. Der Legitimation des § 140 StGB steht nach Auffassung Hörnles der Stellenwert der Meinungsfreiheit in einem freiheitlichen Rechtsstaat entgegen. Wenn feste Rahmenbedingungen für das Haben einer Meinung geschaffen werden, nimmt der Gesetzgeber der – eigentlich gerade darauf ausgerichteten und angewiesenen – Demokratie gewaltsam die „Möglichkeit von Mehrheitsveränderungen“. Darüber hinaus zeigen sich Inkonsistenzen der gesetzlichen Regelungstechnik, da zwar die nachträgliche Billigung von Straftaten unter Strafe gestellt sei, nicht aber viel gefährlichere Formen der Indoktrination wie z. B. die manipulative (Gesinnungs-)Beeinflussung „junger, sozial marginalisierter oder sonst anfälliger“ Menschen. Für Hörnle steht daher fest: „Bei § 140 überschneiden sich der Schutz moralischer Vorstellungen und Gefühlsschutz.“ – Beides unzureichende Gegenstände von im Strafrecht zu legitimierenden Normen. Daher (konsequent): „§140 sollte aufgehoben werden.“ 658 Zur nachfolgenden Kritik s. Hörnle, Grob anstößiges Verhalten, S. 78 ff., 108 ff.; Papageorgiou, Schaden und Strafe, S. 263 ff.; Timm, Gesinnung und Straftat, S. 109 f. Weniger

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D. Validität von Natürlichkeitsargumenten im Bereich der Biomedizin

Gefühle der Bevölkerung zu seinem Schutzgegenstand erhebt, könnten moralische Normen ohne Weiteres zu strafbewehrten gemacht werden. Die notwendige Unterscheidung rein moralischer Normen gegenüber rechtlichen wäre dann nicht mehr gewährleistet.659 Darüber hinaus bemängelt Hörnle zutreffend die primäre Ausrichtung des Gefühlsschutzansatzes am Faktischen. Zentral ist danach allein das Auftreten negativer Emotionen; eine normative Differenzierung sei insofern per se ausgeschlossen. Darüber hinaus sei es von Nachteil, dass sich rechtliche Verhaltensnormen, die Gefühlsschutz intendieren, an der bloßen Anzahl von Personen orientieren müssten, die sich durch ein bestimmtes Verhalten verletzt fühlen. Fragwürdig erscheint in diesem Kontext auch die seitens Feinberg vorgesehene Ermittlung derjenigen Gefühle, vor denen die Person des (auch) strafrechtlichen Schutzes bedürfe. Im Rahmen einer Gesamtabwägung verbliebe, sofern nämlich wie bei reinen Gefühlsschutzdelikten üblich keine anerkannten Interessen in die Waagschale geworfen werden, als Gewichtungsfaktor allein die Intensität eines Gefühls bzw. die prozentuale Häufigkeit seines Auftretens innerhalb der Bevölkerung. Dass allein durch das Kriterium der Personenanzahl, bei der ein bestimmtes Gefühl als Reaktion auf das Verhalten geweckt wird, gänzlich unvernünftige Regelungsinhalte von Sanktionsnormen ausgefiltert werden können, ist dann aber gerade nicht garantiert. Selbst wenn dies gelänge, könnte nach der in Rede stehenden Konzeption jedenfalls kein angemessener Minderheitenschutz betrieben werden. Die Wahrung des Gleichbehandlungsgrundsatzes wäre folglich nicht gewährleistet.660 Der Gefühlsschutzansatz stellt vor diesem Hintergrund keine Konzeption dar, die die an früherer Stelle dargelegten Legitimationskriterien rechtlicher Verhaltensnormen ernstlich infrage stellen kann. Selbst wenn also etwa die Entwicklung eines Mensch-Tier-Hybrids eine Vielzahl an Personen in ihrer zentralen Weltandeutlich äußert sich Hörnle an anderer Stelle (Schutz von Gefühlen, S. 268, 280), indem sie darauf verweist, dass die Abschaffung von reinen Gefühlsschutzdelikten gesellschaftlich „auf wenig Verständnis stoßen“ werde. Die Akzeptanz in der Bevölkerung für bestimmte Strafvorschriften mag zwar ein bedeutsames Kriterium sein. Indes kann sich – wie im Text dargelegt – hierauf gerade nicht die Legitimation von strafrechtlichen Vorschriften stützen, sofern die Ablehnung der Bevölkerung gegenüber der Abschaffung einer Sanktionsnorm allein auf dem Bedürfnis des Tabuschutzes beruht. Eine entgegenstehende Argumentation erscheint hier zirkelschlussartig. Auch jedenfalls missverständlich dürfte Hörnles weitere Aussage sein, sofern „man aber mit dem gesellschaftlichen Bedürfnis nach Tabuschutz Strafnormen rechtfertigen wollte“, müsse der „damit verbundene Verzicht auf eine durchgängige zweckrationale Rechtfertigung des Strafrechts (…) in der strafrechtsinternen Diskussion offen ausgesprochen werden“. Hierin kann keinesfalls die Lösung der anstehenden Problematik gefunden werden. Dem Eingeständnis, dass spezifische Vorschriften ausschließlich Gefühlsschutz intendieren und in der Folge zweckrational keiner strafrechtlichen Legitimation zugeführt werden können, muss konsequenterweise die Forderung nach der ersatzlosen Streichung der betroffenen Vorschriften aus dem StGB nachfolgen. Ein Appell an die Anerkennung der Abkehr von durchgängig zweckrationaler Legitimation im Strafrecht führt das Bestreben gerechten Strafens ad absurdum und kann, soll nicht staatlicher Willkür Tür und Tor geöffnet werden, nicht ernstlich erhoben werden. 659 S. zu dieser auch für die vorliegende Arbeit relevanten Unterscheidung schon oben A. 660 S. zum Gleichheitssatz oben D. III. 1. b).

III. Legitimität rechtlicher Verhaltensnormen zum Schutz des Natürlichen

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schauung erschüttern und damit in ihren Gefühlen verletzen würde, bliebe es dabei: Rechtliche Verhaltensnormen lassen sich nicht zum reinen Gefühlsschutz legitimieren. Ohnedies fragt sich, worin der Nutzen der Wahrung innerhalb der Gesellschaft tief verwurzelter Erwartungshaltungen liegen soll. Dass etwa die Konfrontation mit einem Mensch-Tier-Hybrid oder einem Klon zunächst661 eine große Zahl, wenn nicht gar die Mehrheit der Bürger zutiefst in ihrer Weltanschauung verunsichern kann, bedeutet nicht zwingend, dass hierin eine negative Entwicklung zu sehen ist. Die Geschichte der Menschheit ist durch stete Veränderungen gekennzeichnet, die dem Einzelnen immer wieder Anpassungsleistungen abverlangt hat. Dass in Bezug auf bestimmte Entwicklungen innerhalb der Biotechnik hiervon eine Ausnahme gemacht werden sollte, erschließt sich nicht ohne Weiteres. Warum sollte es nicht möglich sein, dass der „erste Schock“ in der Begegnung mit neuen Lebensformen schnell überwunden ist und einem Zustand der Akzeptanz und Normalität weicht? Was hier verunsichert, ist doch vorrangig das Neuartige. Fundamental Neues kann aber über die Menschheit zu jeder Zeit hereinbrechen, ohne dass dies per se als schlecht eingestuft werden muss.662 Sofern mit solchen Entwicklungen keine realen Gefahren für schutzwürdige Güter und Interessen des Einzelnen verbunden sind, gibt es keinen Grund, ihnen mittels rechtlicher Ge- und Verbotsnormen entgegenzuwirken. Im Gegenteil sollten die Vorzüge des steten Hinterfragens selbst fundamentaler Orientierungen nicht unterschätzt werden. Nicht zuletzt geht damit die Chance auf Verbesserungen einher, die ein Verharren auf vermeintlich feststehenden Prinzipien nicht eröffnen kann.663 Nach alledem lässt sich ein Natürlichkeitsargument unter Rekurs auf den Schutz der Bevölkerung vor besonders „Anstößigem“, das geeignet ist, zentrale Wertvorstellungen zu erschüttern, zur Begründung rechtlicher Vorschriften im Bereich der Biomedizin nicht halten. Ihm stehen sowohl der verfassungsrechtliche Schutz des Selbstbestimmungsrechts als auch die Überlegung entgegen, dass reiner Gefühlsschutz keinen legitimen Grund rechtlicher Verhaltensnormen ausmacht. Darüber hinaus verstellt eine solche Position den mitunter wünschenswerten Wandel selbst besonders gefestigter gesellschaftlicher Wertanschauungen. Verbesserungen sind dabei nicht ausgeschlossen. Der Schutz vor Konfrontation mit Neuem und An661 Seelmann, Wolff-FS, S. 481, 493 verweist selbst darauf, dass die gesellschaftliche Orientierungssicherheit permanenten Schwankungen unterworfen ist, weshalb der Staat ohnehin lediglich einen „bestimmten Stand der Orientierung“ durch gesetzliche Vorschriften festschreiben könnte. 662 S. zu Beispielen aus der Biomedizin, die stets ein Hinterfragen bisheriger Wertvorstellungen zur Folge hatten Dworkin, DIE ZEIT 38 (1999), 15 (http://www.zeit.de/1999/38/1 99938.genetik_.xml) (Stand: 7. 11. 2015). 663 Dworkin, DIE ZEIT 38 (1999), 15 (http://www.zeit.de/1999/38/199938.genetik_.xml) (Stand: 7. 11. 2015) sieht hierin gar eine moralische Verantwortung: „Wir spielen mit dem Feuer und akzeptieren die Folgen, denn die Alternative wäre unverantwortliche Feigheit vor dem Unbekannten.“

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D. Validität von Natürlichkeitsargumenten im Bereich der Biomedizin

dersartigem kann Entwicklungen entgegenstehen, die sich positiv auf das gesellschaftliche Miteinander auswirken können. Auch aus diesem Grund ist ihm als legitimer Zweck rechtlicher Verhaltensnormen eine Absage zu erteilen. g) Wahrung der menschlichen Natur zur Erhaltung von Empathie Gegen gentechnische Verfahren zur Heilung bzw. Vermeidung von Krankheiten wird aus evangelisch-theologischer Sicht das Bedenken erhoben, diese könnten langfristig eine Unfähigkeit im Umgang mit eigenem und fremdem Leid zur Folge haben.664 Nach dieser Auffassung müssen Menschen ihre Fähigkeit, für andere ein Beistand zu sein, vorrangig in der Konfrontation mit eigenem Leiden bzw. dem ihrer Mitmenschen einüben. Durch die genetische Beeinflussung der Häufigkeit von Krankheit oder Behinderung innerhalb der Bevölkerung würde diese Seite des menschlichen Lebens jedoch immer mehr in den Hintergrund treten. Vorherrschend wären demgegenüber Vorstellungen von hoher Lebensqualität, in denen Faktoren wie Leistung und Genuss dominieren würden. Entsagung und Leid kämen darin kaum mehr vor. Wer aber eigene Krankheiten ausschließlich technisch oder chemisch bekämpfe und leidenden Mitmenschen aus dem Weg gehe, werde über kurz oder lang unfähig, mit persönlichem Leid umzugehen und anderen darin ein Beistand zu sein. In der Konsequenz könnte auch Empathie gegenüber behinderten, kranken oder alten Mitmenschen abnehmen, was zu einem Klima allgemeiner sozialer Kälte und Ungerechtigkeit führen würde. Indes kann zunächst bezweifelt werden, ob das Fehlen von Krankheit tatsächlich dazu führt, dass Intoleranz gegenüber Kranken und Behinderten Fuß fasst und die Fähigkeit schwindet, mit eigenem Leid umzugehen. Die genetische Beeinflussung des Menschen im Sinne einer Minderung von Krankheiten und Behinderungen ist nicht dazu geeignet, jedwedes Leid aufzuheben, mit dem der Mensch in seinem Leben konfrontiert werden kann.665 Was bleibt, sind insbesondere seelische Rückschläge, die beispielsweise durch den Verlust eines geliebten Menschen, ein Schockerlebnis oder eine persönliche Niederlage eintreten können. Selbst wenn gegen solche Gefühle stimmungsaufhellende Präparate eingenommen werden, ändert dies nichts daran, dass der Betreffende ganz offensichtlich die Notwendigkeit empfindet, medikamentös gegen seinen Seelenzustand vorzugehen. Leid ist damit nicht aus der Welt, vielmehr existieren neue Wege, damit umzugehen. Vor diesem Hintergrund läge in der Entwicklung eines Präparats, das den psychisch stark Belasteten vollends von seinem Leid befreit, weniger ein Übel, denn vor allem ein großes Glück: Was gegenwärtig mitunter selbst durch lange Therapie nicht vollständig geheilt werden kann, würde den Menschen künftig nicht länger belasten. Nicht überzeugen kann es ferner, dem Einzelnen das Ertragen von Krankheit und Leid zuzumuten, um ihn im Interesse Dritter mitleidsfähig zu erhalten. Selbst wenn 664 665

S. dazu Eibach, Genforschung im Widerstreit, S. 145, 167 ff. Hierauf verweist selbst Eibach, Genforschung im Widerstreit, S. 145, 168.

III. Legitimität rechtlicher Verhaltensnormen zum Schutz des Natürlichen

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nämlich entgegen der oben geäußerten Einschätzung durch eine Verringerung persönlichen Leids die Empathiefähigkeit des Betreffenden signifikant sinken würde, läge hierin kein Grund, ihm solche Einbußen zwangsweise aufzubürden. Die Rechte des Individuums stehen im Zentrum unserer Rechtsordnung. Forschung und Entwicklung sollten daher darauf gerichtet sein, den Interessen des Einzelnen zu dienen, anstatt einen Zustand allgemeinen Leids zu billigen, um ein größtmögliches Maß an Empathie herzustellen. Sofern dem Individuum aus dieser Motivation heraus ein Leid aufgebürdet wird, liegt hierin seine Instrumentalisierung aus Drittinteressen, die sich nicht mit dem auch verfassungsrechtlich in Art. 1 Abs. 1 GG garantierten Menschenwürdepostulat in Einklang bringen lässt.666 Zuletzt lassen sich erheblich weniger eingriffsintensive Maßnahmen finden, um den Gefahren entgegenzuwirken, die mit einem Sinken gesellschaftlicher Wärme und Mitleidsfähigkeit einhergehen können. Anstatt den Einzelnen ohne Not leiden zu lassen, ist in diesem Kontext an staatliche Anstrengungen zu denken, um das auszugleichen, was gegenwärtig durch Zwischenmenschlichkeit geleistet wird.667 Ein gutes Beispiel liefert in diesem Zusammenhang die Einrichtung einer öffentlichen Feuerwehr. Hierbei handelt es sich mitnichten um eine Selbstverständlichkeit. Grundsätzlich möglich wäre vielmehr, die Hilfeleistung bei Brand durch Löscharbeiten im Wege von individuellen Vereinbarungen etwa zwischen Nachbarn oder Familienangehörigen zu organisieren. Die mit einem Feuer einhergehenden erheblichen Gefahren sowie die Tatsache, dass nicht in jedem Fall von dem erfolgreichen Abschluss solcher Vereinbarungen ausgegangen werden kann, machen indes die staatliche Gewährleistung des Brandschutzes erforderlich. Ebenso ließe sich aber künftig argumentieren, sofern das gesellschaftliche Mitgefühl in einem Maße nachließe, das ein staatliches Einschreiten auf den Plan ruft. Insgesamt handelt es sich daher bei dem Interesse an Erhaltung individueller Empathiefähigkeit wiederum um keinen legitimen Grund, der rechtliche Verhaltensnormen im Bereich genetischer Eingriffe in die leibliche Kontingenz des Menschen rechtfertigen kann. h) Wahrung der menschlichen Natur zur Erhaltung genetischer Vielfalt Genetische Eingriffe, die in großer Zahl stets in eine bestimmte Richtung vorgenommen werden, bedrohen auf lange Sicht die genetische Vielfalt der menschlichen Gattung. Die Wahrung der menschlichen Natur könnte auf dieser Basis dem Schutz der natürlichen Mannigfaltigkeit dienen. Unter dem Stichwort der Biodiversität ist damit die Vielfalt menschlicher Genome und Gene gemeint, wie sie sich gegenwärtig bietet.668 Deren Schutzwürdigkeit ließe sich in mehrfacher Hinsicht begründen. Zunächst kann sich die Werthaftigkeit der Biodiversität von den 666

S. zur Objektformel schon ausführlich oben D. II. 2. So auch Köbl, Hubmann-FS, S. 161, 175. 668 Zur unterschiedlichen Definition des Begriffs der Biodiversität s. nur Siep, Ethik, S. 292 f. 667

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D. Validität von Natürlichkeitsargumenten im Bereich der Biomedizin

Schutzinteressen des Einzelnen ableiten. Dem liegt die Erwägung zugrunde, dass eine hohe Zahl unterschiedlicher Genome und Gene ein großes Reservoir an Kombinationsmöglichkeiten bereithält, dessen Vorteile für den Menschen bis heute nicht in vollem Umfang erforscht sind. Denkbar ist in diesem Zusammenhang etwa die künftige Entdeckung neuer Heilungsmöglichkeiten, die sich aus der Kombination unterschiedlicher Gene ergeben kann.669 Darüber hinaus könnte Biodiversität notwendig sein, um die Anpassungsfähigkeit des Menschen auch in der Zukunft sicherzustellen. Ein genetisch stark spezialisierter Mensch könnte unter Umständen nicht mehr optimal dazu in der Lage sein, sich neuen Lebensbedingungen zu fügen. Darüber hinaus weist bereits Siep darauf hin, dass für die Wahrung natürlicher Mannigfaltigkeit ein ästhetisches Argument streiten kann, das durch die Wahrnehmungsfähigkeiten des Menschen unterstrichen werde. Gemeint ist damit die Annahme, dass Vielfalt in aller Regel als schöner eingestuft wird als Monotonie. Weil der Mensch dazu in der Lage sei, differenzierte Wahrnehmungsleistungen zu erbringen, bereite es ihm darüber hinaus Freude, diese Fähigkeit im Hinblick auf das Erleben natürlicher Mannigfaltigkeit zum Einsatz zu bringen.670 In der Tat kann eine genetische Einflussnahme auf die Gattung Mensch, an deren Ende besondere Einseitigkeit steht, Folgen für dessen Anpassungsfähigkeit an künftige Veränderungen in seinem Lebensumfeld mit sich bringen. Damit ginge außerdem die Gefahr einher, dass bislang nicht ausgeschöpfte Möglichkeiten erst gar nicht zur Entfaltung gelangen.671 Indessen kann keines der angeführten Argumente begründen, weshalb es zur Wahrung des jeweiligen Interesses des Schutzes der natürlichen Mannigfaltigkeit bedarf.672 Vielmehr besteht die Möglichkeit, dass ein weiteres Voranschreiten der biomedizinischen Entwicklungen dazu führen wird, künftig auf künstlichem Wege ein breiteres Spektrum an genetischen Kombinationsmöglichkeiten herstellen zu können, als es auf natürliche Weise der Fall ist. Unter dieser Voraussetzung wäre sowohl der Ästhetik des Vielfältigen Rechnung getragen als auch dem Interesse daran, durch ein großes Reservoir an Kombinationsmöglichkeiten einen medizinischen Nutzen zu erzielen sowie Anpassungsfähigkeit zu sichern.673 Aus diesem Grund wählt Siep den Weg, der Biodiversität bzw. natürlichen Mannigfaltigkeit einen intrinsischen Wert zuzuschreiben: Der Mensch habe den Wert der Mannigfaltigkeit an der Natur erfahren: „Es handelt sich um einen grundlegenden Aspekt der dem Menschen begegnenden Natur, den er positiv zu bewerten gelernt hat.“ Hierin liege zwar eine „Zirkularität“, indem der Mensch die Vorstellung des Guten in Konfrontation mit der natürlichen Vielfalt einerseits entwickelt und zugleich als gut zu bewerten erlernt habe. Jedoch sieht Siep hierin eine unumgängliche Notwendigkeit: „Wir verstehen, was gut ist, nur im Blick auf eine 669 670 671 672 673

S. dazu Siep, Ethik, S. 256, 293. Siep, Ethik, S. 256. Köbl, Hubmann-FS, S. 161, 182. S. Siep, Ethik, S. 257 f. Zu weiteren Gegenargumenten s. Siep, Ethik, S. 256 ff.

III. Legitimität rechtlicher Verhaltensnormen zum Schutz des Natürlichen

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Welt, die uns schätzenswert, bejahenswert, erstrebenswert erscheint – eine ,Erscheinung‘, die sich in der Erfahrung bewährt hat.“674 Auf diese Weise liefert Siep selbst den zentralen Einwand gegen seine Annahme eines intrinsischen Werts der natürlichen Mannigfaltigkeit. Die Unumgänglichkeit einer Zirkularität verleiht dieser nicht den Rang eines anzuerkennenden Argumentationsmittels. Sofern der Mensch seine Wertentscheidungen von einer Welt ableiten sollte, die ihm schätzenswert erscheint, und sich dieser Eindruck in seiner Erfahrung bewähren sollte, könnte hierin nicht zuletzt ein Mangel an Erfahrungsalternativen zum Ausdruck kommen. Der Umstand allein, dass der Einzelne das ihm Bekannte als gut einstuft, lässt nicht die Schlussfolgerung zu, dass er in Konfrontation mit Neuem nicht ebenfalls zu einer positiven Einschätzung gelangt. Wiederum könnte sich dieser Eindruck in dann eintretenden Erfahrungen bestätigen. Insoweit ist auch die Position Sieps nicht dazu geeignet, der genetischen Biodiversität einen eigenständigen Wert zuzuschreiben. Selbst wenn sich ein solcher aber begründen ließe, hätte dies jedenfalls nicht die Legitimität eines generellen Verbots bestimmter biomedizinischer Maßnahmen wie etwa der Keimbahntherapie oder des reproduktiven Klonens zur Folge. Zwar wäre ein generelles Verbot genetischer Eingriffe geeignet, einen möglichst vielfältigen Genpool zu erhalten. Indessen ist bereits die Erforderlichkeit einer solchen Maßnahme zu Erreichung des angestrebten Ziels fragwürdig. Anstelle eines generellen Verbots kommen weitaus mildere Mittel in Betracht, um den Gefahren der Entstehung genetischer Einseitigkeit entgegenzuwirken. Zu denken ist in diesem Zusammenhang beispielsweise an punktuelle normative Regelungen, die untersagen, stets in einer bestimmten Weise auf die genetische Verfasstheit Einfluss zu nehmen.675 Darüber hinaus ließe sich die Wahrung der Biodiversität durch Vorschriften zur Aufbewahrung gegenwärtig vorhandener Gene und Genome erzielen. Sofern durch Eingriffe in das menschliche Genom die Gefahr von Einseitigkeit und Monotonie bestünde, könnte dem durch die Konservierung vorhandener, von dem aktuellen Maßstab abweichender Genome Rechnung getragen werden. Selbst wenn daher natürliche Mannigfaltigkeit als legitimer Zweck rechtlicher Verhaltensnormen Anerkennung finden sollte, stünde der Rechtfertigung genereller Verbotsnormen zumindest die mangelnde Erforderlichkeit einer solchen Maßnahme zur Erreichung des Schutzinteresses entgegen. i) Wahrung der menschlichen Natur zur Gewährleistung von Zuneigung gegenüber dem gezeugten Kind In Bezug auf die Zulässigkeit neuer Verfahren der Reproduktionstechnologie findet sich noch ein weiteres Argument, das trotz seiner Blickverengung auf diesen speziellen Bereich der Biomedizin Berücksichtigung finden soll. Grund dafür ist der 674 675

Siep, Ethik, S. 259. Köbl, Hubmann-FS, S. 161, 182.

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D. Validität von Natürlichkeitsargumenten im Bereich der Biomedizin

Umstand, dass davon zwar beispielweise Maßnahmen des Enhancements ausgenommen, indes sämtliche Techniken der Fortpflanzungsmedizin erfasst sind. Die Rede ist von dem Interesse daran, die Einheit von Sexualität und Fortpflanzung zu wahren.676 Dessen Schutzwürdigkeit kann sich grundsätzlich aus zwei Erwägungen ergeben, von denen allerdings nur eine der näheren Untersuchung lohnt. So kommt zunächst in Betracht, die Einheit von Sexualität und Fortpflanzung aus dem Grund zu schützen, weil diese bislang das übliche Bild der Entstehung menschlichen Lebens prägte. Allerdings liefe eine solche Argumentation auf einen naturalistischen Fehlschluss hinaus.677 Allein das bisherige Angewiesensein von Fortpflanzung auf Sexualität kann nicht begründen, dass dies auch so sein muss. Darüber hinaus kann beispielsweise im Hinblick auf Paare, die durch Sexualität nicht zur Zeugung von Kindern imstande sind, von einer Einheit von Fortpflanzung und Sexualität ohnehin keine Rede sein. Ebenso verhält es sich an den meisten Tagen des weiblichen Zyklus, der nur eine eingeschränkte Fruchtbarkeit der Frau zulässt. Wenn aber keine Einheit zwischen Fortpflanzung und Sexualität besteht, kann eine solche auch nicht zerstört werden.678 Denkbar erscheint es aber, hinter dem Wunsch an einer Einheit von Sexualität und Fortpflanzung das Interesse des werdenden Lebens an der Zuneigung seiner leiblichen Eltern zu sehen.679 Dafür spricht, dass diejenigen, die sich einer solchen Argumentation bedienen, stets auf den engen Zusammenhang zwischen dem sexuellen Akt und Gefühlen wie Liebe und Zuneigung Rekurs nehmen.680 Beispielhaft findet sich bei Eibach die Befürchtung, dass ein Auseinanderreißen der „Einheit von Liebe und Zeugung“ die Gefahr berge, „daß das Natürliche nicht personalisiert wird, sondern ins Mechanische, Widernatürliche und Menschenunwürdige abgeleitet und menschliches Leben, verleiblichtes Personsein, zerstört wird und die technische Verfügung zur grenzenlosen und gottlosen Verfügung und Manipulation des Lebens umschlägt, in der menschliches Leben primär oder ausschließlich Objekt, und zwar in totaler Weise, wird.“681 Mit Bayertz lässt sich damit eine Interpretation dieser Auffassung vornehmen, „nach der in der liebenden Vereinigung des sexuellen Aktes 676

Eibach, Werdendes Leben, S. 150 ff. Vgl. zum Ganzen Bayertz, GenEthik, S. 124 ff. Bayertz, GenEthik, S. 125. Zum naturalistischen Fehlschluss s. schon oben D. III. 3. 678 So bereits Bayertz, GenEthik, S. 126 mit weiteren Beispielen des Fehlens einer Einheit von Sexualität und Fortpflanzung. 679 Eibach, Werdendes Leben, S. 153 f. verwendet dieses Argument in zweifacher Hinsicht: Er sieht nicht allein die Nähebeziehung zwischen Eltern und Kind gefährdet, sondern auch zwischen den Partnern selbst. Hier bestünde das Risiko, dass eine „Mechanisierung der Fortpflanzung“ auch der Liebesbeziehung zwischen den Eltern abträglich sei. Allerdings kann in diesem Kontext wiederum auf die Selbstbestimmungsfreiheit des Einzelnen verwiesen werden: Solange die betreffenden Eltern sich der Gefahren bewusst sind, die etwa für ihre Paarbeziehung mit der Anwendung von Reproduktionsmedizin einhergehen können, ist es Ausdruck ihrer freien Selbstbestimmung, wenn sie sich diesen Risiken aussetzen. 680 Eibach, Werdendes Leben, S. 150 ff. Vgl. weitere Nachweise bei Bayertz, GenEthik, S. 126 f. 681 Eibach, Werdendes Leben, S. 151. 677

III. Legitimität rechtlicher Verhaltensnormen zum Schutz des Natürlichen

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eine personale Zuwendung zwischen den beteiligten Partnern realisiert ist, die deren spätere Beziehung zu dem dabei entstandenen Kind antizipiert. Die zärtliche Umarmung des Paares wäre demnach als eine symbolische Vorwegnahme der Zuneigung aufzufassen, die dieses Paar seinem künftigen Kind entgegenbringt.“682 Nach dieser Lesart könnte die Entkoppelung von Sexualität und Fortpflanzung dazu führen, dass die späteren Eltern gegenüber dem auf diese Weise gezeugten Kind weniger Zuneigung empfinden bzw. dieses gar lediglich als Objekt eines Produktionsprozesses ansehen würden. Dies hätte nicht zuletzt Konsequenzen für die Entwicklung des Kindes, das von der Liebe seiner Eltern maßgeblich profitiert. Die Aufrechterhaltung des Zusammenhangs zwischen Sexualität und Fortpflanzung fungierte vor diesem Hintergrund als Garant für elterliche Zuneigung, die einen wesentlichen Bestandteil der positiven Entwicklung des künftigen Kindes ausmacht. Indes kann bereits die Annahme nicht überzeugen, dass die Zeugung von Kindern unter Heranziehung von Reproduktionstechniken zu einer Entfremdung innerhalb der Eltern-Kind-Beziehung führt.683 Dem steht entgegen, dass Paare, die sich entsprechender Verfahren bedienen, in aller Regel einen langen Weg erfolgloser Versuche hinter sich haben, den eigenen Nachwuchs ohne technische Hilfestellung zu zeugen. Der Wunsch, ein Kind zu haben, ist bei den Betreffenden in aller Regel besonders groß. Dann erscheint es aber naheliegend, dass sich dieser Wunsch in eine besonders große Zuneigung gegenüber dem künftigen Kind wandelt, sofern die Anwendung der Reproduktionstechnologien von Erfolg gekrönt ist. Jedenfalls den Fällen, in denen Kinder durch Sexualität spontan gezeugt werden, scheint die Fallgruppe der technisch initiierten Fortpflanzung im Hinblick auf die Zuneigung gegenüber dem späteren Kind nicht nachzustehen.684 Auf dieser Basis erscheint es dann auch fernliegend, dass Eltern ihr durch die Unterstützung der Reproduktionsmedizin gezeugtes Kind als bloßes „Objekt“ betrachten. Die Gefahr, dass Eltern ihrem Kind zu wenig Zuneigung entgegenbringen, kann ohnehin unter keinen Umständen vollständig gebannt werden. Selbst bei einer „natürlichen“ Fortpflanzung steht sie im Raum.685 Zu denken ist in diesem Zusammenhang etwa an negative Entwicklungen in der Beziehung des Paares, die sich auf die Einstellung der werdenden Eltern zu dem Kind auswirken können. Insoweit kann nicht ausgeschlossen werden, dass solche bereits vor Zeugung des Kindes bestanden und sich im Anschluss fortsetzen bzw. intensivieren, selbst wenn dies anders geplant war (Kind als Beziehungs-„retter“). Darüber hinaus kann es vorkommen, dass Eltern sich mit ihrer Rolle weniger wohl fühlen, als sie dies im 682

Bayertz, GenEthik, S. 126. So auch Bayertz, GenEthik, S. 128. 684 S. in diesem Zusammenhang noch Bayertz, GenEthik, S. 128 mit dem Argument, dass die Heranziehung von Reproduktionstechnologien nicht vermuten lässt, dass das Kind als Konsumgut betrachtet wird. Einer solchen Entwicklung erscheinen eher „natürliche“ Zeugungsverfahren anfällig, die mit erheblich geringerem Aufwand verbunden sind. 685 So auch Bayertz, GenEthik, S. 127 f. mit weiteren Angaben zu sozialen Faktoren, die die Eltern-Kind-Beziehung beeinflussen können. 683

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D. Validität von Natürlichkeitsargumenten im Bereich der Biomedizin

Vorhinein angenommen haben. Auch in dieser Situation können Konflikte auftreten, die sich zum Nachteil des Kindes auswirken. Die im sexuellen Akt geteilte Zuneigung und Liebe ist insoweit kein Garant für die Vermeidung von Fehlentwicklungen, die dem Kind zum Nachteil gereichen können. All dies ist indes kein Grund, Menschen die Zeugung von Kindern zu untersagen. Allein das (mehr oder weniger ausgeprägte) Risiko, dass Paare, die ihr Kind durch den Einsatz von Reproduktionstechnologien zeugen, diesem nicht genug Zuneigung entgegenbringen, überwiegt nicht deren Interesse an Fortpflanzung. So liefe die Forderung nach einer Einheit von Sexualität und Fortpflanzung zuletzt darauf hinaus, Paaren die Zeugung eigenen Nachwuchses zu versagen, die dazu ohne die Reproduktionstechniken nicht in der Lage sind. Nach dem Gesagten erscheint dies als unverhältnismäßig.686 Ohnedies muss das Argument, durch ein Verbot von Reproduktionstechnologien die Einheit von Sexualität und Fortpflanzung zu schützen, in aller Konsequenz zu der Untersagung von ungeschützter Sexualität führen, die nicht Ausdruck einer Liebesgemeinschaft von Mann und Frau ist.687 Die Zeugung von Kindern wäre danach an die Bedingung geknüpft, dass die künftigen Eltern einander in Liebe und Zuneigung verbunden sind. Zu vermuten ist jedoch, dass dies selbst denen zu weit gehen dürfte, die sich die Wahrung der Einheit von Sexualität und Fortpflanzung zur Aufgabe gesetzt haben. Mithin kann auch auf diese Weise kein Verbot neuer Verfahren der Reproduktionstechnologie begründet werden. j) Wahrung der menschlichen Natur zur Förderung von (kulturellen) Leistungen Abschließend soll noch auf ein Argument eingegangen werden, das gegen genetische Maßnahmen zur Veränderung des menschlichen Körpers vorgebracht wird und sich selbst gegen therapeutische Eingriffe richtet. Die Rede ist von der Auffassung, dass ein möglicher Zusammenhang zwischen höchsten kulturellen Leistungen und dem seelischen, körperlichen oder geistigen Mangel ihres Schöpfers 686 Ebenso Bayertz, GenEthik, S. 129. S. ders., GenEthik, S. 130 noch zu dem Einwand, dass die verbreitete Anwendung empfängnisverhütender Mittel ein bestehendes gesellschaftliches Interesse an der Entkoppelung von Sexualität und Fortpflanzung belegt. Es stellt sich damit die Frage, warum „dann die Ablösung der Fortpflanzung von der Sexualität prinzipiell verwerflich sein“ soll (Hervorhebung im Original). 687 Es kann vor diesem Hintergrund nicht überzeugen, dass Eibach, Werdendes Leben, S. 153 es allein für die extrakorporale Befruchtung als „ethisch entscheidend“ erachtet, dieses Geschehen an eine „dauerhafte personale Liebesgemeinschaft von Partnern“ zu binden (Hervorhebung im Original). Seine Annahme, „daß ein isolierter Wunsch nach einem Kind bei nicht bestehender dauerhafter personaler Liebes- und Lebensgemeinschaft (Ehe) und bei nicht eindeutig festem Wunsch beider Ehepartner nicht zu rechtfertigen ist“, lässt sich nicht widerspruchsfrei auf den Bereich der Zeugung von Kindern unter Einsatz der Reproduktionsmedizin begrenzen.

III. Legitimität rechtlicher Verhaltensnormen zum Schutz des Natürlichen

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bestehe.688 Sofern nunmehr sämtliche Behinderungen und Krankheiten im Wege der Genetik vermieden werden könnten, würde damit gegebenenfalls auch ein Verlust an entsprechenden kulturellen Werken einhergehen. Im Interesse ihrer Wahrung seien daher genetische Verfahren zu untersagen, die zu einer ggf. vollständigen Reduzierung von Krankheit und Behinderung in der Bevölkerung führen. Indessen verstößt eine solche Argumentation gegen fundamentale Prinzipien einer auf den Schutz des Individuums ausgerichteten Staatsform.689 Der Einzelne darf darin nicht zum Nutzen Dritter instrumentalisiert werden. Eben dies wäre aber der Fall, sofern ihm genetische Maßnahmen zur Förderung der eigenen Gesundheit vorenthalten blieben, um die etwaige Chance auf (große) kulturelle Schaffenskraft zu wahren. Darüber hinaus spricht gegen diese Position, dass insbesondere Krankheit und Behinderung ein maßgeblicher Grund für das Ausbleiben vollumfänglicher persönlicher Entfaltung sein können. Kulturelles Schaffen kann dadurch gerade erst verhindert werden. Selbst bei Anerkennung der Prämisse, dass bestimmte kulturelle Leistungen auf einen „Defekt“ ihres Schöpfers zurückzuführen seien, würde sich daher die Frage stellen, ob das Interesse an Erhaltung dieses Zustands nicht allein dadurch aufgewogen wird, dass auf diese Weise zugleich ganz andere kulturelle Werke verhindert werden. Dem Argument ist mithin eine Absage zu erteilen. Im rechtlichen Kontext lässt es sich nicht halten. Ebenso verhält es sich in Bezug auf die Befürchtung, dass die einfache Verfügbarkeit von Zufriedenheit im Wege der Einnahme entsprechender, beispielsweise stimmungsaufhellender Substanzen eine radikale Änderung des menschlichen Strebens zur Folge haben würde.690 Wenngleich mit abweichender Begründung, läuft auch dieses Argument auf das Risiko hinaus, dass der Wunsch des Menschen nach Erzielung von (kulturellen) Höchstleistungen angesichts neuer durch die Biomedizin geschaffener Möglichkeiten zurückgehen könnte.691 Auf diese Weise könnte die 688

In diese Richtung Packard, Versuchung, S. 371 f.: „Abraham Lincoln hatte ein angeborenes Leiden, das seine Finger und Zehen überlang werden ließ und eine Reihe anderer Anomalien zur Folge hatte. (…) Wie Lincoln werden zweifellos viele Menschen ihre Mängel durch hervorragende Leistungen auf anderen Gebieten wettmachen.“ Ähnlich auch Lanzerath, Jahrbuch für Wissenschaft und Ethik 7 (2002), 319, 334, der darauf verweist, dass das „Bewusstsein unserer Verwundbarkeit und die Erfahrbarkeit des körperlichen Widerstands (…) eine enorme Bedeutung für unsere moralische Identität und unsere Selbstgestaltung annehmen“ können (Hervorhebung im Original). Hier klingt die Vorstellung an, dass insbesondere körperliche Schwächen einen bedeutsamen Beitrag zum Lebensentwurf des Einzelnen leisten können. 689 Köbl, Hubmann-FS, S. 161, 175: „(…) inhumanes utilitaristisches Kalkül“. Vgl. kritisch auch Hofmann, JZ 1986, 253, 254. S. außerdem schon oben D. III. 2. 690 Kass u. a., Beyond Therapy, S. 285. 691 Ähnlich verläuft die Argumentationslinie Bendas, NJW 1985, 1730, 1732, der darauf verweist, dass eine stete Verbesserung des Menschen zum Verlust der Fähigkeit, „sein Leben in eigener Verantwortung selbst zu gestalten“, führen könnte. Weil dies nicht länger notwendig sei, könnte der Mensch geneigt sein, auch nicht länger danach zu streben. Die Position ist in mehrfacher Hinsicht fragwürdig: Ein Zustand absoluter menschlicher Perfektion erscheint zunächst ausgeschlossen, zumal diese Einschätzung insbesondere von kulturellen Wertungen

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D. Validität von Natürlichkeitsargumenten im Bereich der Biomedizin

Möglichkeit zu höchsten menschlichen Errungenschaften verloren gehen. Allerdings erscheint die Position jedenfalls im gegenwärtigen, stark leistungsorientierten Klima westlicher Gesellschaften wenig überzeugend. Verbessernde Substanzen werden darin vorrangig mit dem Ziel eingenommen, die eigene Leistungsfähigkeit über das bisherige Maß zu steigern. Auf einer Linie damit liegen auch Stimmungsaufheller. Wer sein Leben vorrangig der Leistungssteigerung verschreibt, kann geneigt sein, diesen Zustand als wenig zufriedenstellend zu empfinden – jedenfalls sofern die gewünschten Resultate ausbleiben. Die Einnahme stimmungsaufhellender Substanzen dient in dieser Situation nicht zuletzt dem Zweck, „weiter zu machen“, mithin das bisherige Lebensmodell aufrechtzuerhalten. Negative Gefühle oder gar Depressionen stellen in dieser Situation eine Gefahr dar, der durch entsprechende Mittel entgegengewirkt werden soll. Unabhängig davon lässt sich die Argumentation jedoch ihrerseits vor dem Hintergrund der Verfassung nicht halten. Mit deren anthropozentrischer Ausrichtung ist ein Bild des Menschen nicht in Einklang zu bringen, der dem Kollektiv gegenüber zu bestimmten Höchstleistungen verpflichtet ist. Insofern ist auch dieser Position eine entschiedene Absage zu erteilen – rechtliche Verhaltensnormen können auf diese Weise nicht legitimiert werden. k) Ergebnis zu vermeintlichen Natürlichkeitsargumenten Unter dem Oberbegriff der vermeintlichen Natürlichkeitsargumente ist eine Vielzahl an Überlegungen zusammengefasst worden, die in der Debatte um die Zulässigkeit neuer biotechnischer Verfahren kritisch angeführt werden, ohne dabei der Natur bzw. dem Natürlichen selbst einen eigenständigen Wert zuzuschreiben. Vielmehr handelt es sich um eine Gruppe von Argumenten, bei denen die Natürlichkeit lediglich eine Stellvertreterfunktion einnimmt. Wer sich ihrer bedient, meint dabei ein Schutzgut, für das das Natürliche allenfalls eine Bestehensvoraussetzung darstellt. Der Blick war daher auf die Interessen zu lenken, die sich hinter den vermeintlichen Natürlichkeitsargumenten verbergen können. Dabei bietet sich ein uneinheitliches Bild. Als legitimer Zweck rechtlicher Verhaltensnormen im Bereich der Biomedizin kann grundsätzlich das Interesse daran fungieren, die daran Beteiligten oder Dritte vor unabsehbaren Gefahren zu schützen. Ebenso verhält es sich mit dem Schutz des Selbstbestimmungsrechts Dritter, die in bestimmten gesellschaftlichen Bereichen wie etwa dem Leistungssport dem Druck unterliegen können, gegen ihren Willen auf leistungsfördernde Substanzen zurückzugreifen. Im Hinblick auf diese beiden Schutzinteressen muss dann im Einzelfall weiter geprüft werden, ob auch die übrigen Legitimationsvoraussetzungen rechtlicher Verhaltensnormen erabhängig ist, die bekanntlich der steten Veränderung unterliegen. Selbst wenn eine solche Situation aber eintreten sollte, ist unklar, weshalb der Mensch dann weiter „streben“ sollte: Als reiner Selbstzweck erscheint die Eigenoptimierung wenig sinnvoll. Zuletzt spricht gegen Bendas Argumentation aber der noch im Text weiter ausgeführte Gedanke: Eine Pflicht zu einer spezifischen Gestaltung des eigenen Lebens besteht nicht und kann dem Einzelnen daher insbesondere nicht von außen auferlegt werden.

III. Legitimität rechtlicher Verhaltensnormen zum Schutz des Natürlichen

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füllt sind. Hier können vor allem Fragen der Erforderlichkeit sowie der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne eine entscheidende Rolle spielen. Alle übrigen hier näher untersuchten vermeintlichen Natürlichkeitsargumente konnten demgegenüber als Gründe für die Legitimation rechtlicher Verhaltensnormen nicht überzeugen. Die Wahrung der Menschenwürde wird mit besonderer Häufigkeit anhand des Beispiels des reproduktiven Klonens als legitimer Zweck eines Verbots ins Spiel gebracht. Allerdings zeigt eine nähere Betrachtung, dass weder die Menschenwürde des Klons noch sonstiger Beteiligter wie etwa des Geklonten, der leiblichen oder sozialen Eltern, des Arztes oder der „Gattung“ durch das reproduktive Klonen verletzt wird. Ebenso kann zur Rechtfertigung von Ge- oder Verboten im Bereich der Biomedizin nicht die Überlegung herangezogen werden, auf diese Weise „Reziprozität zwischen Ebenbürtigen“ zu wahren. Mit der eigenen Entstehung unter Anwendung neuer Verfahren der Reproduktionsmedizin können zwar Gefahren einhergehen, die die Wahrnehmung der Person als freies Individuum betreffen. Allerdings finden sich entsprechende Risiken auch in anderen Sphären des gesellschaftlichen Zusammenlebens, ohne dass diese einer rechtlichen Regulierung unterworfen werden. Darüber hinaus steht dem Betreffenden nach wie vor der Weg offen, sich als frei wahrzunehmen und damit sein Selbstbild in eigener Person zu schaffen. Zudem verstricken sich solche Autonomieschutzargumente, die die Wahrung von Freiheit durch eine paternalistisch motivierte Freiheitsbegrenzung erreichen wollen, unweigerlich in einem Selbstwiderspruch. Eine darauf gestützte Verhaltensnorm ist bereits nicht dazu geeignet, den Schutz der Autonomie zu gewährleisten. Auch solchen Positionen, die das Natürliche zum Schutz vor sozialer Ungleichheit oder der Erschütterung fundamentaler (Wert-)Orientierungen wahren möchten, muss eine Absage erteilt werden. Ebenso verhält es sich mit Auffassungen, die auf die Wahrung von Authentizität, zwischenmenschlicher Empathie, genetischer Vielfalt, Zuneigung gegenüber dem gezeugten Kind oder die Förderung (kultureller) Leistungen Rekurs nehmen. Ihnen allen stehen gewichtige Gründe entgegen, die eine Legitimation rechtlicher Verhaltensnormen unter Bezugnahme auf solche Argumente unmöglich machen. Vermeintliche Natürlichkeitsargumente können damit lediglich in einem stark begrenzten Umfang Geltung entfalten. Allein der Schutz vor unabsehbaren Gesundheitsrisiken sowie vor Gefahren für das Selbstbestimmungsrecht Dritter kommt als legitimer Zweck rechtlicher Verhaltensnormen grundsätzlich in Betracht. 6. Ergebnis zur Legitimität rechtlicher Verhaltensnormen zum Schutz des Natürlichen im biomedizinischen Bereich Das Ergebnis der Untersuchung verschiedener Arten von Natürlichkeitsargumenten, wie sie in der Diskussion um die Zulässigkeit neuer biomedizinischer Verfahren begegnen, fällt denkbar ernüchternd aus. Gemessen an der Häufigkeit und

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D. Validität von Natürlichkeitsargumenten im Bereich der Biomedizin

Verbreitung, in der das Berufen auf die menschliche Natur zur Untermauerung einer Kritik an bestimmten Techniken herangezogen wird, muss es auf den ersten Blick überraschen, dass sich die große Mehrzahl der Argumente bei näherer Betrachtung als wenig tragfähig erweist. Indes ist der Grund für die gleichwohl inflationäre Verwendung von Natürlichkeitsargumenten in der biomedizinischen Debatte unschwer ausgemacht: Das Berufen auf die Natürlichkeit bzw. die Natur weist nach wie vor nicht zu unterschätzende Vorteile auf. So können sich entsprechende Positionen einer verbreitet wohlwollenden Rezeption gewiss sein, die ihre Ursache in einer besonders positiven Besetzung der Begriffe „Natur“ und „Natürlichkeit“ findet. Allerdings kann dieser argumentative Vorteil von Natürlichkeitsargumenten unterschiedlicher Spielarten nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich diese bis auf wenige Ausnahmen nicht halten lassen. Dies konnte zunächst für die Gruppe der originären Natürlichkeitsargumente herausgearbeitet werden, die entweder der Natur selbst die Rolle eines Gesetzgebers zuschreiben möchten oder aber das Natürliche als eigenständigen Wert einstufen. Auch von der zweiten Kategorie der Natürlichkeitsargumente, in denen die Natürlichkeit lediglich als Stellvertreter für andere Schutzinteressen wie etwa die Menschenwürde fungiert, bleibt im Anschluss an deren kritische Untersuchung nicht viel übrig. Allein der Schutz der Selbstbestimmungsfreiheit Dritter bzw. der Gesundheit vor unabsehbaren Gefahren konnte in diesem Zusammenhang als legitimer Zweck rechtlicher Verhaltensnormen benannt werden. Angesichts dieser mageren Ausbeute muss aber die Verwendung von Natürlichkeitsargumenten im Kontext der Legitimation rechtlicher Verhaltensnormen insgesamt kritisch gesehen werden. Dies betrifft bereits das – bewusste oder unbewusste – Ausnutzen des argumentativen Vorteils, der sich aus der verbreitet positiven Besetzung des Natürlichen ergeben kann. Argumente müssen durch die darin zum Ausdruck kommenden Sacherwägungen überzeugen, nicht aber durch die Verwendung von Begriffen, die für sich einen besonders großen Zuspruch erhoffen lassen. Schöne Worte können die Begründung der normativen Richtigkeit einer bestimmten Position nicht ersetzen. Von dieser Kritik erfasst sind selbst jene Argumente, denen es nach der voranstehenden Untersuchung gelungen ist, einen legitimen Zweck rechtlicher Verhaltensnormen zu benennen: Selbst wenn bestimmte Vorschriften sich zum Schutz vor unabsehbaren Gesundheitsgefahren bzw. Risiken für das Selbstbestimmungsrecht grundsätzlich rechtfertigen lassen, bedarf es nicht des sprachlichen Umwegs über die Natürlichkeit. Ohnedies erweist sich ein solcher im rechtlichen Kontext als wenig sachangemessen: Insbesondere in diesem Bereich können mit der Verwendung von Natürlichkeitsargumenten Irritationen im Hinblick auf den sachlichen Gehalt einer bestimmten Position einhergehen. Prozesse der positiven Zuschreibung sowie der Verhüllung dessen, was mit dem jeweiligen Argument eigentlich gemeint ist, stören den Diskurs mehr, als dass sie ihm von Nutzen sind. Als Strategie zur Ablenkung von dem Fehlen tragfähiger Gründe ist das Berufen auf die Natur unzulässig. Doch auch im Übrigen sollte darauf verzichtet werden. Dem Natürlichen kommt kein eigenständiger Wert zu. Sein Schutz stellt keinen legitimen Zweck rechtlicher Verhaltensnormen dar. Auch ergeben sich aus

III. Legitimität rechtlicher Verhaltensnormen zum Schutz des Natürlichen

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der Natur keine den Menschen bindende Sollensanforderungen. Wer sich eines vermeintlichen Natürlichkeitsarguments bedient, ist sich offensichtlich selbst der Erforderlichkeit eigenständiger Gründe für die Rechtfertigung seiner Position bewusst. Konsequent wäre es dann aber, in Gänze auf die Natürlichkeit als unter dieser Voraussetzung bloßes Stilmittel zu verzichten.

E. Schluss

Die Natur hat uns frei und ungebunden in die Welt gesetzt; wir kerkern uns ein in ein kleines Stück Land. Michel de Montaigne

Was bleibt nach alledem übrig von dem Natürlichkeitsargument in der biomedizinischen Debatte? Nicht viel – fällt der Blick zunächst auf die kaum zu überwindenden Schwierigkeiten, die zu Beginn der Untersuchung im Bemühen um eine möglichst trennscharfe begriffliche Bestimmung der Natur bzw. des Natürlichen aufgetreten sind. Noch überschattet werden diese gar von jenen Schwächen, die die inhaltliche Prüfung von Natürlichkeitsargumenten offengelegt hat. Sofern sich solche Positionen nicht bereits in Gänze als nicht valide erwiesen haben, kommt ihnen allenfalls die Funktion zu, Stellvertreter für andere, dahinter liegende Gründe zu sein. Das Berufen auf die Natur wird in einer solchen Konstellation als argumentatives Stilmittel verwendet – unter Umständen um sich in der Debatte auf diese Weise einen Vorteil zu verschaffen. Sollte dieser rhetorischen Coup einmal gelingen, handelt es sich dabei jedoch keinesfalls um einen berechtigten, hat doch die nähere Untersuchung der verbreitet anzutreffenden positiven Besetzung des Natürlichen gezeigt, dass gerade auch eine gegenteilige Konnotation nicht außerhalb des Denkbaren liegt. Ohnedies stimmt eine solche Vorgehensweise aber misstrauisch: Verbirgt sich dahinter gar der Argwohn gegenüber der Validität des eigenen Arguments, weshalb es eines Berufens auf die „höhere Autorität“ der Natur erst bedarf? Unabhängig davon, wie sehr diese Vermutung in dem einen oder anderen Fall tatsächlich zutrifft, steht jedoch eines fest: In einer rechtlichen Diskussion können allein diejenigen überzeugen, die für ihre Position die besseren Gründe angeben können. Es erweist sich daher als Gewinn für jedwede Debatte, diese von sämtlichen irrationalen Elementen wie etwa dem Ausnutzen gefühlsmäßiger Regungen im Zusammenhang mit bestimmten Begriffen zu bereinigen. Anderenfalls drohen solche, den ungetrübten Blick auf die Sache zu verstellen und eine wünschenswerte Klärung drängender Fragen etwa im Umgang mit biomedizinischen Fortschritten herauszuzögern oder gänzlich zu blockieren. In dieser Hinsicht haben sich Natürlichkeitsargumente in der Debatte um neue biotechnologische Verfahren als hinderlich erwiesen. Die verbreitet anzutreffende erste Intuition, dass ein Berufen auf die Natur zu Recht erfolgt, demjenigen, der so verfährt, mithin Recht zu geben ist, erweist sich als Trugschluss. Am Ende verbleibt von dem jeweiligen Argument

E. Schluss

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zumeist nicht mehr als eben dies: ein in den Ohren vieler schön klingendes Wort, das aber nichts über die sachliche Berechtigung der damit geschmückten Position aussagt. Zwar handelt es sich hierbei um keinen singulären Befund – nicht allein die Natur oder das Natürliche werden in mancher Diskussion vorrangig aus rhetorischen Gründen herangezogen.692 Dennoch ist in diesem Zusammenhang besondere Vorsicht geboten, hat sich doch der Begriff der Natur als äußerst wirkmächtig in Bezug auf seine positive Wahrnehmung erwiesen. Im Verein mit dem krassen Kontrast gegenüber der fehlenden sachlichen Berechtigung der großen Mehrzahl solcher Positionen erscheint es daher zwingend, an dieser Stelle ein – kontraintuitives – Plädoyer zu formulieren: Natürlichkeitsargumente sollten aus der rechtlichen Diskussion um neue Verfahren der Biomedizin in Gänze verabschiedet werden. Der Mensch ist zwar grundsätzlich frei im Denken – unabhängig davon, ob dies als Teil seiner „Natur“ eingestuft wird oder nicht. Jene Freiheit ist aber gefährdet durch Schranken, die diffuse Gefühlsregungen und (Fehl-)Intuitionen dem Denken auferlegen können. Um sich durch Denkverbote nicht selbst in Ketten zu legen, müssen Einsichten in solche Gefahren daher konsequent umgesetzt werden. Für das Natürlichkeitsargument heißt dies konkret, dass seine Verwendung ein Risiko für eine sachliche, an dem Finden einer angemessenen Lösung orientierte Debatte darstellt. Es hat daher zu unterbleiben. Demjenigen, der es in Zukunft verwendet, darf solche Praxis nicht durchgelassen werden. Vielmehr ist er fortan darauf zu verweisen, eine weitergehende Rechtfertigung seiner Position zu liefern – das Berufen auf die Natur bzw. die Wahrung des Natürlichen ist innerhalb einer rechtlichen Diskussion schlicht nicht ausreichend. Für den einen oder anderen mag dies enttäuschen – nicht zuletzt wegen der damit zugleich verabschiedeten Vereinfachungstendenz, die manch einem Natürlichkeitsargument eigen ist. Wird die Natürlichkeit in der Diskussion als Argument nicht zugelassen, muss weiter gedacht und die eigentlichen Gründe für eine Position müssen offengelegt werden. Bereits dieser Schritt bedeutet ein Mehr gegenüber dem heute nicht selten anzutreffenden Stand der Diskussion. Freilich geht damit das „Risiko“ einher, Auge in Auge mit dem um die Natürlichkeit bereinigten, tatsächlichen Grund der jeweiligen Position eine davon abweichende Bewertung als bislang vornehmen zu müssen. So ist nicht ausgeschlossen, dass mit dem Glanz des Natürlichen zugleich die sachliche Berechtigung eines Arguments schwindet und anderen, überzeugenderen Gründen weichen muss. Abschrecken sollte dies zuletzt aber nicht, kommt hierin doch gerade das Grundprinzip eines offenen, allein vom Widerstreit der Ideen geprägten Gedankenaustauschs und damit die Freiheit im Gegensatz zu dem Kerker etwaiger Denkverbote zum Ausdruck. 692

S. schon oben D. III. 5. a) dazu, dass sich im rechtlichen Kontext insbesondere das Berufen auf die Menschenwürde einer großen Beliebtheit erfreut – nicht zuletzt aufgrund der Tatsache, dass deren Abwägung mit anderen Rechtsgütern von Verfassungs wegen ausgeschlossen ist. Wie auch in Bezug auf die Natürlichkeit bedarf es insoweit stets der Überprüfung, ob die Verletzung der Menschenwürde im Einzelfall berechtigterweise angemahnt wird.

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Stichwortverzeichnis Abschreckung 89 f. Absolute Straftheorien 91 ff., 94 (m. Fn. 361) Abwägungsjurisprudenz 124 Abwehrrechte 124 Aristoteles 22, 39 f., 41 (m. Fn. 134), 42 ff., 46 (m. Fn. 145), 47, 49 ff., 73 (m. Fn. 278) – Naturverständnis 36, 40 (m. Fn. 125), 41, 42 (m. Fn. 135), 56, 61 (m. Fn. 221), 62 – Tugendlehre 59 – Wissenschaftslehre 57 (m. Fn. 205), 60 Authentizität 177 ff., 193 Biodiversität 185 ff. Biomedizin 13 ff., 25, 34, 36, 40 (m. Fn. 126), 43 f., 48 (m. Fn. 149), 50, 58, 67 f., 72, 75, 77 f., 85, 95, 97, 99, 115, 122, 126 f., 129 ff., 136, 139 ff., 155 f., 168 ff., 174, 176 ff., 183 (m. Fn. 662), 186 f., 191, 193 f., 196 f. Biotechnik 13 f., 35, 76, 100, 114, 127, 141, 158, 167, 169 ff., 174, 183 Biotechnologie 36, 43 f., 69, 77, 106, 169, 172 Chancengleichheit 172, 177 Christliche Theologie 130 f., 140 Doping

13, 78, 173, 175, 177 (m. Fn. 640)

Eigenverbesserung 143 Enhancement 13, 37, 43, 50, 74, 77, 127, 145, 147 (m. Fn. 546), 155 f., 170, 172, 175, 188 Enhancementverfahren 132 Ergon-Argument 50, 52, 58 ff., 62 (m. Fn. 221), 64 f., 67 f., 77 Erzeuger 41 (m. Fn. 134), 66, 69 (m. Fn. 251)

Erzeugtes 66 Ethik 20 ff., 25 ff., 30, 34, 50, 53 (m. Fn. 176), 55, 58, 63, 67, 84 (m. Fn. 312), 115 (m. Fn. 430), 116 Eugenische Eingriffe 158 ff., 165 f. Freiheit/freiheitlich 16 ff., 20, 22, 47, 67, 79, 80 ff., 85 ff., 88 (m. Fn. 328), 90 f., 104, 109, 114 f., 129, 134 f., 138, 140, 143 f., 145 (m. Fn. 542), 153 (m. Fn. 572), 156 ff., 163 (m. Fn. 611), 164, 166, 168 ff., 180, 181 (m. Fn. 657), 188 (m. Fn. 679), 193, 197 Freiheitsausübung 80, 145 (m. Fn. 542) Freiheitsbegrenzung 79, 174, 193 Freiheitsentfaltung 79, 81, 104 Freiheitsgarantie 16, 80 Freiheitssphäre 81 Gattungsidentität 136 ff., 140, 153 Gattungswürde 136 (m. Fn. 510), 146, 153, 154 (m. Fn. 573), 155 Gedankenstrafrecht 91 Gefühlsschutz 103, 110 (m. Fn. 416), 180 ff. Gefühlsschutzvorschrift 181 Gemeinschaft 17, 24, 58 (m. Fn. 207), 71 f., 78 ff., 83 f., 89 f., 93 ff., 103, 109, 113, 128 f., 135, 138, 159 f., 165, 168 (m. Fn. 625), 170 (m. Fn. 627), 171 Gemeinwesen 16, 78 ff., 85, 87, 90 f., 104, 128, 134, 166, 175 Generalprävention 89, 90, 94 (m. Fn. 361) Genetische Einflussnahme 129 (m. Fn. 486), 154, 161 ff., 165, 186 Genetische Reproduktion 97, 149, 154, 187 Gesellschaftsvertrag 78 f., 93, 103 Gesinnung 18 f., 20 (m. Fn. 38), 21 f., 91, 181 (m. Fn. 657) Glückseligkeit 22, 50 f., 52 (m. Fn. 171), 59

218

Stichwortverzeichnis

Gott 13 (m. Fn. 1), 53 (m. Fn. 176), 59, 110, 118, 130 f. Gottesebenbildlichkeit 130 f. Grundgesetz 82 (m. Fn. 305), 89 (m. Fn. 333), 124 f., 155 Handlungsfreiheit 17, 78, 173 (m. Fn. 633) Handlungstheorie 71 Individualprävention

90

Kantische Moralphilosophie 88, 134, 142, 146 (m. Fn. 546) Kategorischer Imperativ 88 (m. Fn. 328) Klonen 13 f., 27 (m. Fn. 75), 37 f., 39 (m. Fn. 122), 41 f., 44, 78, 87 (m. Fn. 322), 95, 98 f., 112 f., 115, 136 (m. Fn. 510), 141, 146, 147 (m. Fn. 546), 149, 151 ff., 163 (m. Fn. 611), 175 (m. Fn. 635), 180 f., 187, 193 Konstruktivismus 70 f. Körperliche Kontingenz 65, 67, 178 Kultur 45 (m. Fn. 142), 47 (m. Fn. 146), 69 ff., 118, 132 f., 137, 190 f., 193 Kulturalismus 69 ff. Kulturerbe 132 ff., 140 Kultürlichkeit 72 ff. Kulturrelativismus 71 Kunstfertigkeit 63 Künstlich 14 f., 37, 39, 40 (m. Fn. 126), 41, 43 f., 46 f., 48 (m. Fn. 149), 60, 62 ff., 68 f., 72 ff., 96, 97 (m. Fn. 370), 106, 114, 138, 146, 160 f., 165 f., 173, 178, 186 Kunstprodukt 40, 44 f., 48 (m. Fn. 149), 49, 60 ff., 68 Leibliche Kontingenz 50, 130 ff., 138, 143, 145 (m. Fn. 542), 177 ff., 185 Leistungssteigernde Substanzen 37, 47, 177, 179 (m. Fn. 648) Leistungssteigerung 127, 176, 192 Menschenwürde 87, 88 (m. Fn. 323), 89, 90 (m. Fn. 338), 142 ff., 149 (m. Fn. 558), 150 (m. Fn. 564), 151 ff., 159 (m. Fn. 595), 185, 193 f., 197 (m. Fn. 692)

Menschliche Fortpflanzung 13, 36 ff., 40, 43, 50, 69, 73 ff., 97, 127, 154, 188, 190 – Gattungsidentität 136 ff., 140, 153 Menschliche Gemeinschaft 17, 58 (m. Fn. 207), 78 ff., 103, 113, 128 f., 159 f., 165, 175 Menschliche Koexistenz 78 ff., 103, 112, 166 Mimesisthese 63 (m. Fn. 230) Moral 14 (m. Fn. 5), 15 ff., 20 ff., 27 ff., 34, 35 (m. Fn. 109), 55 (m. Fn. 188), 100, 101 (m. Fn. 380), 111 (m. Fn. 420), 116 ff., 120, 130, 138, 140, 145, 158, 160, 162 (m. Fn. 610), 166, 178, 180, 181 (m. Fn. 657), 182, 183 (m. Fn. 663), 191 (m. Fn. 688) Moralphilosophie 87 f., 116 f., 120, 134, 142, 146 (m. Fn. 546) Moraltheorie 116 f., 120 Naturalismus 69 f. Naturerbe 132 f. Natürlichkeitsargument 14 f., 25, 27 (m. Fn. 75), 28, 30, 34 ff., 42, 67 (m. Fn. 250), 69, 73, 75 ff., 95 ff., 106, 110 ff., 115, 121 f., 126 f., 133, 136, 139 ff., 151, 158, 165, 174, 183, 192 ff. Natürlichkeitsbegriff 34 ff., 43 f., 50, 77, 99, 106 Natürlichkeitseinwand 74 Naturprodukt 66 Naturwissenschaft 60 f., 64, 70, 100 Naturzustand 79 f., 103, 109, 112, 134, 166 Normen 15 ff., 23 ff., 28 ff., 80, 85 f., 94, 96, 98 ff., 105 ff., 112 ff., 116, 126 (m. Fn. 474), 128, 160, 166 ff., 174, 181 ff., 187 Normentheorie 31 ff. Prinzip der Verallgemeinerbarkeit

124

Rechtsgüterschutz 83, 84 (m. Fn. 311), 86 f. Rechtspflicht 20, 169 (m. Fn. 626) Rechtsstaat 16 (m. Fn. 19), 18, 80 ff., 86 (m. Fn. 320), 87, 89, 91, 95, 102 (m. Fn. 385), 104, 109, 124 (m. Fn. 461), 125 (m. Fn. 469), 147,

Stichwortverzeichnis 155 (m. Fn. 578), 170, 174, 181 (m. Fn. 657) Rechtswissenschaft 30, 31 (m. Fn. 94), 33 f. Reflexionstheorie 25, 27, 31, 34 Reproduktion 38 f., 65 ff., 77, 97, 149, 152, 154, 174, 187, 188 (m. Fn. 679), 189 f., 193 Reproduktives Klonen 43, 98, 146, 155 Sanktionsnorm 87, 181 f. Seelenteil 51 ff., 59 f., 64, 68 Selbstbemächtigung 159, 162 f., 165, 167 Selbstbestimmung 25 (m. Fn. 70), 88 f., 132, 134 f., 138, 140, 143 (m. Fn. 532), 144 f., 146 (m. Fn. 546), 151, 153 (m. Fn. 572), 156, 158, 159 (m. Fn. 195), 169 ff., 183, 188 (m. Fn. 679), 192 ff. Selbstbestimmungsfreiheit 144, 169, 171 f., 188 (m. Fn. 679) Selbstbewegung 42 ff., 49 (m. Fn. 150), 50, 56 ff., 64, 68, 74 Selbstbild 94, 128, 160, 165, 174, 193 Selbstruhe 44, 49 (m. Fn. 150) Selbsttranszendierung 59 (m. Fn. 208), 64, 67, 140 Selbstverbesserung 145 Selbstverständnis 158, 160 f., 163, 167 Selbstwahrnehmung 159, 163 ff., 178 Sisyphos 164 Sollensanforderung 58, 96, 98, 100, 106, 110, 112 f., 116, 120 f., 137, 139 f., 195 Sosein 65 Soziale Gerechtigkeit 175 f. Spezialprävention 89 (m. Fn. 336) Straftheorie 89 ff. Strafzwecktheorie 90 Streben 51 f., 56, 65, 163, 191, 192 (m. Fn. 691)

219

Tatstrafrecht 90 Tugend 20 ff., 51 f., 54 f., 59, 64, 67 Umweltschutz

126

Verfassung 17, 24 f., 32, 82, 86 f., 91, 105, 107, 109, 122 ff., 127, 132 ff., 138, 140, 142, 143 (m. Fn. 529), 144 f., 146 (m. Fn. 546), 155 f., 169, 170 (m. Fn. 627), 175 f., 180, 183, 185, 192, 197 (m. Fn. 692) Vergeltung 91 f., 93 (m. Fn. 356) Verhaltenskontrolle 81 f., 87 Verhaltenssteuerung 81, 83, 168 (m. Fn. 623) Verhaltensunrecht 18 f. Verhältnismäßigkeit 25, 81 ff., 96 ff., 101, 105, 110, 123, 175 Vernunft 17, 46 (m. Fn. 146), 48 (m. Fn. 149), 51 ff., 57 ff., 64, 68, 79, 88, 129, 157, 170 Vernunftbegabung 45 f., 47 (m. Fn. 146), 48, 53 (m. Fn. 173), 55 (m. Fn. 186), 56, 68, 77, 159 Vernunftfähigkeit 52 ff., 58 Verstandestätigkeit 46, 64, 68 Verstandestugend 22, 54 f., 64 Wertordnung 124, 125 (m. Fn. 472) Widernatürlichkeit 66, 142 (m. Fn. 523), 188 Willkür 20, 76 f., 79, 101, 105 ff., 111, 113, 128 f., 138 f., 116, 182 (m. Fn. 658) Zusammenhaltsgefühl 129 Zweckbestimmung 40, 113 f. Zweckfreie Strafe 86