Das Melanchthongymnasium in Nürnberg (1526–1926): Ein Beitrag zur Geschichte des Humanismus [Reprint 2019 ed.] 9783486752984, 9783486752991


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German Pages 196 [216] Year 1926

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Table of contents :
Vorwort
Inhaltsverzeichnis
I. Kapitel. Die Schule des Mittelalters
II. Kapitel. Von der Gründung der Oberen Schule bis zu ihrer Verlegung nach Altdorf (1526-1575)
III. Kapitel. Das Gymnasium in Altdorf 11575-1633)
IV. Kapitel. Das Gymnasium im Kampf mit dem Realismus (1633-1808)
V. Kapitel. Das Gymnasium unter der bayerischen Herrschaft (1808 bis zur Gegenwart)
Anmerkungen
Übersichtstafel zur Geschichte der Lateinischen Schulen und des Melanchthongymnasiums
Namenverzeichnis
Sachverzeichnis
Verzeichnis der Abbildungen
Berichtigungen
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Das Melanchthongymnasium in Nürnberg (1526–1926): Ein Beitrag zur Geschichte des Humanismus [Reprint 2019 ed.]
 9783486752984, 9783486752991

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Melanchthon von Philipp Kittler (In der Vorhalle des Gymnasiums)

Das Melanchthongyrnnasiirrn in Nürnberg (lZ2ö-IP2ö) Ein Vertrag zur Geschichte des Humanismus Von

Dr. Hugo Steiger (9 eh. Studienrat.

Herausgcgeben mit Unterstützung des Bayerischen Staatsministeriums für Unterricht und Kultus und der Bayerngruppe der Gesellschaft für deutsche Crziehungs-und Schulgeschichte

Den alten und jungen Schülern desMelanchthongymnasiumszu Nürnberg

zurIubel feier seines 400jährigen Bestehens gewidmet

Vorwort Dies Buch erjählt die Geschichte des Melanchthongymnasiums ju Nürnberg von seiner Gründung bis zur Gegenwart.

Da der Bericht

über die äußeren Schicksale der Schule um so kürzer wird, je mehr er

sich der Gegenwart nähert, wird mancher Leser wohl manches ver­ missen. Doch war es nicht die Absicht des Verfassers alles zu erzählen,

was man von der Schule weiß und so eine lückenlose Chronik herzu­ stellen. Er verfolgt ein anderes Ziel. Die innere Geschichte der Schule,

die besonders in den verschiedenen Schulordnungen und Stundenplänen und in den Festreden ihrer Inspektoren und Rektoren enthalten ist,

soll herausgearbeitet werden.

Damit gibt das Buch zugleich eine

Geschichte des Humanismus durch vier Jahrhunderte. Denn der Huma­ nismus war der Baugrund, auf dem Melanchchon seine Schule im

Jahr 1526 errichtete. Wie er in der alten Schule auf dem Egidienberge begeisterte Pflege fand, wie er durch den einseitigen Grammatik­ betrieb in Altdorf bald schlimm entstellt und im Verlauf von zwei

Jahrhunderten immer mehr zurückgedrängt wurde, um dann verjüngt und verwandelt aufs neue auch die Schule zu verjüngen; wie auch

diese zweite Blütezeit nur von kurzer Dauer war und wie die Schule dann abermals in den ungleichen Kampf mit dem ihr feindlichen Zeitgeist verstrickt wurde, den sie heute noch zu führen hat, diese Wand­

lungen alle zeigt uns die innere Geschichte unserer Schule. Möge die Betrachtung dieses Kampfes den Leser mit Achtung vor dem huma­

nistischen Gymnasium erfüllen, das nunmehr schon 400 Jahre hin­ durch ein wertvolles, vielumstrittenes Gut dem deutschen Volke zu

übermitteln und zu erhalten sucht; möge das Verständnis dieser Ge­ schicke in ihm auch die Liebe zu seiner alten Schule wecken! Dann

wird diese ihre schwere Aufgabe leichter erfüllen können.

Bei der Drucklegung hat sich dies Buch der Unterstützung durch

das Bayerische Staatsministerium für Unterricht und Kultus und durch die Bayerngruppe der Gesellschaft für deutsche Erjiehungs-- und Schulgeschichte ju erfreuen gehabt. Hierfür spreche ich auch an dieser

Stelle den geziemenden Dank aus. Vielen Dank für förderndes Ent­ gegenkommen schulde ich auch den Vorständen des Bayerischen Staats­

archivs in Nürnberg, des Archivs und der Bibliothek der Stadt Nürn­ berg und des Kupferstichkabinetts und der Bibliothek des Germanischen

Museums.

Meinem verehrten Amtsgenossen, Herrn Oberstudienrat

Schöpf bin ich für die Hilfe bei der Durchsicht der Druckbogen und für manchen guten Rat zu herzlichem Dank verpflichtet.

Nürnberg im März 1926.

Hugo Steiger.

Inhaltsverzeichnis. Erstes Kapitel. Die Schule des Mittelalters

Seite 1—20

Zweites Kapitel. Von der Gründung der Oberen Schule bis zu ihrer Verlegung nach Altdorf (1526—1575)

20—47

Drittes Kapitel. Das Gymnasium in Altdorf (1575—1633)

47—79

Viertes Kapitel. Das Gymnasium im Kampf mit dem Realismus (1633—1808) 1. Abschnitt. Von der Rückkehr der Schule nach Nürnberg bis zum großen Brand (1633—1696) 2. Abschnitt. Von der Einweihung des Neubaus bis zur bayerischen Herrschaft (1699—1808) Fünftes Kapitel. Das Gymnasium unter der bayerischen Herrschaft (1808 bis zur Gegenwart) 1. Abschnitt. Die zweite Blüte des Humanismus Rektor Hegel Rektor K. L. Roth Rektor Heerwagen 2. Abschnitt. Der zweite Kampf mit dem Realismus Rektor Autenrieth Rektor Thielmann Das Gymnasium und der Weltkrieg Das Gymnasium und die Revolution Schluß. Ausblick Anmerkungen. Übersichtstafelzur Geschichte der Lateinischen Schulen und des Melanchthon-

79—122 79—89

89—122 123—179 123—161 129—142 142—155 156—161 161—179 161—171 171—172 172—176 176—178 178—179 180—185

gymnastums 185—193 Namenverzeichnis............................................................................................ 193 f.

Sachverzeichnis................................................................................................ 194 f» Verzeichnis der Abbildungen 196 Berichtigungen................................................................................................ 196

i. Kapitel.

Die Schule des Mittelalters. Im Jahre 1050 wird Nürnberg in einer Urkunde des Kaisers Hein, rich III. zum erstenmal genannt. Die Siedlung, die kaum viel früher als 1050 am Burgberg entstand, hatte wohl bald auch eine Schule. Denn die schöne Zeit, in der für alle deutschen Kinder die Ferien 365 Tage im Jahr dauerten, war hinter der Völkerwanderung zu Ende gegangen. Der zu, künftige Kleriker mußte nun Latein, die Sprache der Kirche, lernen, er brauchte also eine Schule. Wir wissen nichts von dieser ersten Schule in Nürnberg, wir können aber annehmen, daß sie nicht anders war, als an, derswo zu dieser Zeit. Sie war also eine Klosterschule, in der von Klerikern zukünftige Kleriker herangebildet wurden. Ab und zu ging wohl auch der Sohn eines vornehmen Mannes, der nicht Geistlicher werden wollte, in diese Schule, um dort Lesen, Schreiben und Latein zu lernen. Don diesen Klosterschulen hat uns Scheffel in seinem Eckehart ein färben, helles Bild gegeben. Um 1140 sehen wir klarer. Damals stiftete der Hohenstaufe Konrad l l I. das Kloster des helligen Egidius auf dem Egi, dienberg und besetzte es mit schottischen Benediktinermönchen. Diese haben wohl gleich von Anfang an in ihrem Kloster Schule gehalten. Diese Klosterschule teilte das Schicksal des Ordens: sie blühte mit ihm und verfiel, als im Kloster Sitte und Zucht verfielen. Nach der Reformation des Klosters durch den Bischof von Bamberg 1418 wird auf dem Egidien, berg ein „rector scolarium“ bezeugt und 1425 der Neubau der „scola scolarium seu puerorum“. Durch die Pest, die 1462 in Nürnberg wütete, wurde diese Schule wie alle Nürnberger Schulen entvölkert. Aber schon 1469 hatte sie unter dem Rektor Friedrich Lindner wieder 230 Schüler*). Im Jahre 1525 nahm der Abt Friedrich Pistorius die Lehre Luthers an und übergab das Kloster dem Rat der Stadt. Die lateinische Schule zu St. Egidien blieb als Vorschule des Gymnasiums bestehen, das am 23. Mai 1526 von Melanchthon auf dem Egidienberge gegründet wurde. Daneben gab es aber in der Stadt noch drei Trivialschulen, die wahr, scheinlich jünger sind als die Lateinschule auf dem Egidienberg, obgleich sie urkundlich alle drei früher erwähnt werden. 1337 begegnet uns ein „M. Martinas, quondam rector scholarum S. Sebaldi“ und 1362 ein Steiger, Festschrift. I

2 „M. Gilbertus, ludi magister ad D. Laurentii“. Die dritte Schule ist die „Schola ad Spiritum Sanctum“ oder „Xenodochiana“ (= „Spital­ schule"). Sie hängt zusammen mit der Stiftung der Kirche und des neuen Spitals zum Heiligen Geist durch Konrad Groß 1333. Zwölf Chorknaben (duodecim clerici seu scholares pauperes) erhielten in der mit dem Spital verbundenen Schule unentgeltlich Unterricht von einem Magister, der aus den Stiftungsmitteln besoldet wurde. Im Jahre 1485 nahm der Rat der Stadt eine Reformation dieser vier Schulen vor und gab ihnen eine Schulordnung?). Sie zerfällt in vier Ab­ schnitte. Der erste gibt Vorschriften über die Schulzucht. Unerlaubtes Fern­ bleiben von der Schule scheint häufig gewesen zu sein, daher soll der Lehrer mindestens einmal im Tage das Schülerverzeichnis vorlesen. Dabei soll er „auf die absentes vleißig acht und merkung haben, unnd die schüler die sich also on wissen unnd urlaub des schulmaisters oder seins Verwesers absentiren unnd zu gepürlicher zeit nicht erscheynen, darumb zimlich straffen unnd also zu vleißiger besuchung der schul unnd lere anhalten und auch ye zu zeiteu solcher absenten halb bey Iren Eltern oder verwandten Nachforschung thun". Sehr ausführlich ist der zweite Abschnitt, der vom Unterricht handelt. Die Schüler sollen, nach ihrem Alter und ihren Kenntnissen in drei Rotten eingeteilt und geordnet, unterrichtet werden. Die Schüler der ersten Rotte lernen zunächst Lesen und Schreiben. Eine Lateinschule dieser Zeit setzt also keine Volksschule voraus; sie beginnt ganz von vorne. Don der ersten Rotte sagt die Schulordnung: „Erstlich sollen die jüngsten schüler die dann In der Tafel Benedicte, Confiteor und dergleichen buchstaben unnd lesen lernen bey ainannder fitzen, unnd alle tag so fle die schul besuchen drey mal vor tisch und drey mal nach tisch, Jrer Lection Buch­ stabens oder Lesens nach gestalt eines jeden lernung verhöret unnd Ine darzu gein der nacht ein latein nemlich zway lateinische gemayne Wort mit Jrer verteutschung unnd bevelhe die Iren eitern anzesagen gegeben unnd sie des morgens In der schul derselben Latein widerumb erfragt unnd verhöret werden auf das fie sollich latein bester vleißiger merken In fich pilden unnd behalten. Unnd diese knaben sollen an Werktagen nicht zu Chor geen sunder vor Mittag und der meß Ire dritte Lection aufsagen unnd under der Vesper Ire Latein lernen." Bei der zweiten Rotte setzt das Latein mit aller Macht ein. Die Bücher, die im Gebrauch find, find zunächst die lateinische Grammatik des Aelius Donatus, der um 365 n. Chr. in Rom lebte. Sein Werk wurde im Lauf der Jahrhunderte freilich mannigfach verändert, so daß schließlich nur noch der Name blieb. Der des weiteren genannte „Allexander" (hier, wie ge­ wöhnlich mit zwei l geschrieben) ist das Doctrinale des Alexander de Villa bet. Der Verfasser stammte aus dem Flecken Ville die» in der Nor-

3 mandie und veröffentlichte fein Werk im Jahre 1199. Er bietet in 2645 meist gereimten (leoninischen) Hexametern eine Grammatik für Fort­ geschrittene, die besonders die Ausnahmen von den allgemeinen Regeln berücksichtigt. Dom 13. bis zum Beginn des 16. Jahrhunderts beherrschte dies Werk die Schulen, dann wurde es vom Humanismus als das Haupt­ stück der scholastischen Unmethode bekämpft und verdrängt. In diesen drei Jahrhunderten erlitt es natürlich auch viele Verände­ rungen und Umdichtungen. Als Probe gebe ich hier zunächst die Verse 295 bis 305, die die vierte Deklination folgendermaßen lehren^):

„Quarta dat us recto; dabit u, sed non nisi neutro. u non mutabis, donec plurale tenebis. us genetivus habet; sed tertius ui tibi praebet. um quarto dabitur; quintus recto sociatur. u sextus retinet; sed flecte domum sapienter.

Primo plurali dabis us binos sociando; neutra notare decet; genetivus uum tibi praebet; datque dativus ibus sextusque, sed excipiemus: ante bus u servant ficus, tribus, arcus, acusque, artus cum verubus, portus partusque lacusque, et specus et quercus.“ Es folgen noch ein paar Verse (784—796), die das Lernen der dritten Konjugation erleichtern sollen:

„Versibus his terna formatio siet aperta: vi vel ui vel di, ri, ci, ni dat tertia, xi, gi, bi, psi, li, pariter pi, si, mi, qui quoque cum ti. a brevis ante cio cum compositis facit eci; elicui praeter cio cetera format in exi. elicui dat itum, ci vel xi transeat in ctum. si praesens tenet a, tenet hic et ubique supina, a si composita mutant in i, dant e supina, ut probat inficio; sed debes demere do, go. dat di sumque dio; gio gi dat itumque supino. dat pio semper ui sine cepi sive cupivi. ptum facit omne pio sapio cupioque remoto. dat sapio sapui sapitum, cupioque cupitum. So geht es noch «eiter über die dritte Konjugation, bis zum Vers 906. Der Lehrer hatte bei diesem schwerverständlichen und ermüdenden Buche i*

4 viel ju erklären. Die Aufgabe des Schülers war das Auswendiglernea. Die gereimten Genusregeln, die vor einem Menschenalter noch in Ge, brauch waren und die es hier und dort verständigerweise vielleicht noch stnd, sind ein harmloser Überrest dieser furchtbaren Methode, die lateinische Grammatik durch Reime schmackhafter zu machen. In den Versen 2642 bis 2645 schließt der Verfasser sein Werk mit den frommen Worten:

„Doctrinale Dei virtute iuvante peregi. grates reddo tibi, genitor Deus, et tibi Christe, nate Dei Deus, atque tibi, Deus Halitus alme, quos tres personas in idem credo deitatis.“ Zur Lektüre diente der zweiten Rotte eine Sammlung von Sitten, sprächen in lateinischen Versen, Cato genannt, und der Alanus, d. h. lateinische Verse eines Theologen Alanus de Insults, der 1202 in Citeaux starb. Auch diese Werke wurden zu Deklinations-- und Konjugationsauf, gaben verwendet, wurden auswendig gelernt und immer und immer wieder abgehört. Man sieht, zu dieser Zeit hatte man noch nicht über den schnellen Wechsel der Schulbücher zu klagen. Sie hatten alle ein ehrwürdiges Alter von Jahrhunderten. Während die Knaben der ersten Rotte sechs Stunden täglich Unter, richt haben, haben die der zweiten und dritten nur je zwei Stunden vor, mittags und nachmittags, denn sie müssen den Kirchendienst mit versehen. Dabei sollen sie „in der schul, auf dem kirchhoff, zu Chor, kirchen und pro, cessio« nichts dann latein reden unnd deßhalb einen lupum oder asinum haben unnd darumb verhöret unnd der, der den asinum oder lupum eins tags dreymal gehabt und von Im gegeben und auch der, der Ine auf das letst behalten unnd noch hat, darumb zu straff der röten genommen werden. Und solchs soll man teglich üben und verhören unnd deß sundern vleiß haben, wann dardurch mügen die knaben In gewonheit des Latein, redens fernen unnd also auß gewonheit und teglicher Uebung on sunder Müe und arbait shlecht latein reden lernen." Die Schüler der dritten Rotte lernen zunächst wieder den Donar und das Doctrinale auswendig, dann treiben sie Logik nach der logica minor des Petrus Hispanus, auch haben sie täglich eine Stunde Singen, das sie ja zum Kirchendienst brauchen. Von der Klassikerlektüre sagt die Schulordnung: „Zu der andern Ure nach Mittag soll man den knaben Ein lection die Ine nicht allain nützlich sunder auch lustig unnd lieplich sey als Esopum und ye zu zetten ain Fabel darauß oder avianum oder terentium oder annderes dergleichen halten, teutschen außlegen unnd Exponiren unnd

5 auch die sunderlichen noniina, verba und ander seltzsam dictiones, die nicht teglich fürfallen variren decliniren nnnd flectiren und solchs der morgens In der Ersten Ute als obenverlaut examiniren und verhören." Auch die Lektüre der Kassiker dient also der Grammatik und dem Lateinlernen. An den Sonn- und Feiertagen wird vor der Messe und unter der Frühpredigt eine Epistel des Äneas Silvius Piccolomini, des späteren Papstes Pius II., oder des Gasparinus, eines Mailänder Humanisten, gelesen. Für die fortgeschrittenen Schüler soll die Lektüre noch erweitert werden. Ihnen soll im Winter vormittags und im Sommer nach der Vesper „Ain sunder Aktus in arte humanitatis oder in leichten Episteln als Enee Silvii dergleichen" gehalten werden. Hier scheint also schon die Sonne des Humanismus in diese sonst noch recht mittelalterlich anmutende Schulsiube. Während die älteren und geschickteren Schüler mit dieser humani­ stischen Lektüre beschäftigt waren, beteten die jüngsten das Benedicte, Confiteor und sagten den Cisiojanus auf. Humanismus und Mittelalter waren also in derselben Schulstube beieinander. Denn alle drei Rotten hatten nur eine Schulstube. Der Cisiojanus war ein kirchlicher Kalender in Versen. Für jeden Monat waren jwei Hexameter bestimmt. Die Verse für den Januar lauten*):

„Cisio Janus Epi sibi vindicat Oc Feli Mar An, Prisca Fab Ag Vincenti Pau Pol Car nobile lumen.“

Hier ist nun Cisio Circumcisio (Beschneidung), das E in Epi ist die sechste Silbe, bedeutet also den sechsten Januar und das Fest Epiphanias; der vierzehnte Januar ist durch die vierzehnte Silbe Fe bezeichnet und zeigt zugleich den Namen Felix; der siebzehnte Januar, durch die siebzehnte Silbe An eingeführt, erinnert an Antonius; Pau ist Pauli Bekehrung; Pol ist Polycarpus, Car ist Carolus niagnus; nobile lumen (27. bis zi. Silbe) dienen zur Ausfüllung. Da dieses Kompendium in Ermang­ lung eigentlicher Kalender besonders für kirchliche Zwecke praktische Wichtig­ keit hatte, auch selbst in Urkunden mehr und mehr zur Zeitbestimmung benutzt wurde, so lag es nahe, diese Denkverse, wie sinnlos sie auch zunächst erscheinen, schon in den Schulen auswendig lernen zu lassen. Der dritte Teil der Schulordnung wendet sich zunächst gegen die Freizügigkeit der Schüler und setzt das Schulgeld fest. Es beträgt für jeden zahlenden Schüler in jeder Quatember 25 Pf. in Nürnberger Münze, für jeden armen einen Pfennig in der Woche. Mehr darf von keinem gefordert werden; es fallen also damit die mannigfachen Nebenbezüge fort, die bisher unter dem Namen Holz-, Licht-, Fenster-, Austreib-, Kern-, Kirchtag- und Neujahrgeld bezahlt wurden. Den Ausfall des

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Holzgeldes ersetzte die Stadt dadurch, daß sie jährlich jeder Schule zwölf Maß Holz unentgeltlich lieferte. Das Austreibgeld war kurz vor Ostern, Pfingsten und Weihnachten erhoben worden, wenn die Schule vor den Feiertagen geschlossen wurde. Das Kerngeld war eine Abfindungssumme für Kirschkerne, die früher dem Lehrer in natura geliefert werden mußten. Zahlende Schüler hatte damals die Sebalder- und Lorenzerschule gegen 70, die Spitalschule 60, die Egidienschule 45. Von dem Schulgeld zahlte der Schulmeister seine Gehilfen (Collaboratores). In jeder der vier Schulen lehrte neben dem Schulmeister noch ein Cantor, bei St. Sebald waren noch drei Baccalaurei tätig, bei St. Lorenz außerdem noch ein Locatus (Jungmeister), beim Spital ein Baccalaureus und ein Locatus. In der Egidienschule waren nur drei Lehrer, nämlich der Schul­ meister, der Cantor und ein Locatus. Kost und Wohnung hatte der Schul­ meister im Pfarrhof. Der Schulmeister vom Spital hatte den Tisch „mit pter", die drei andern hatten ihn „on getränt" °).

Der Schulmeister von Egidien, der beim Abte aß, konnte also jeden Tag, wenn er vom Tisch aufsiand, bei sich sagen, was Walter von der Dogelweide sagte, als er das ungastliche Kloster zu Tegernsee verließ:

„ich nam da wazzer, also nazzer muoste ich von des Mönches tische scheiden." Der vierte und letzte Abschnitt der Schulordnung handelt von den Pädagogen, d. h. von den Hauslehrern, die die Schüler zu Hause an­ leiteten und zur Schule begleiteten. Es waren dies nicht selten ältere fah­ rende Schüler, Bacchanten. Diese Pädagogen sind dem Schulmeister in allem Gehorsam schlüdig und sollen ihm „im Kor, procession und in der schul hilff und beystand thun." Wenn sie nicht gehorchen, kann sie der Schulmeister aus der Schule weisen. Die Schulordnung von 1485 ist wohl die Arbeit einer Kommission, die der Rat der Stadt ernannte. In den äußeren Verhältnissen der Schule hat sie sicher viel gebessert, indem sie das Schulgeld festsetzte und durch Einschränkung des Küchendienstes für die Schularbeit Luft machte. Im übrigen ist sie eine echte Kommissionsarbeit, d. h. ein Kompromiß. Oie Lehrmethode und die Lehrbücher blieben die alten, abgesehen von der Lek­ türe der Episteln der beiden Humanisten Aeneas Silvius und Gasparino. Durch das Ganze geht auch ein humaner Zug, der die neue Zeit ankündet: dreimal wird der Lehrer ermahnt, die Schüler nicht allzusehr anzustrengen; auch soll er maßvoll strafen. „So aber in jeglicher Straf ein Maß zu halten ist, darum soll ein jeder Schulmeister bei seinen Collaboratoribus und Mithelfern verfügen und auch selbst daran sein, die Knaben mit Ruthen

7 in die Hintern ziemlicher Weis und nit auf die Häupter, Händ oder sunst gröblich zu strafen und zu hauen." Ob die Praxis dieser guten Absicht der Schulordnung immer entsprach und entsprechen konnte, das ist frei­ lich eine andere Frage. Der Rat führte zunächst seine Schulordnung in den drei Trivial­ schulen zu St. Lorenz, St. Sebald und in der Spitalschule ein und ver­ ordnete durch einen Ratsbeschluß vom Jahre 1586, daß „ein frommer und redlicher Priester... samstäglich oder zum mynsten die Woche zwei oder dreimale in die Schul gehen und ihr Aufsehen haben solle". Der Abt des Egidienklosters, der der Stadt selbständiger gegenüber stand als die Pröpste der drei anderen Kirchen, erkannte die Schulordnung und die Schulvisttationen erst im Jahre 1500 an, weil er nur so die Holzspenden erhalten konnte, die die anderen Schulen erhielten«). Mit dieser Schulordnung gab sich der Rat aber keineswegs längere Zeit zufrieden. War sie doch schon veraltet, als sie gegeben wurde, denn sie war ein Flickwerk, das dem neuen und mächtigen Geist des Humanismus nur in Nebensachen und nur gegen den ausdrücklichen Protest des Pfarrers von St. Lorenz Eingang gestattetes. Und doch regte sich der Humanis­ mus damals schon machtvoll in Nürnberg und weckte in seiner Kunst und Literatur neues deutsches Leben. Mit stolzen und sicheren Schritten ging die Stadt damals schon den Weg, der sie zur Höhe führte. Galt sie doch um 1500 als die führende Stadt im deutschen Geistesleben. In immer größerer Zahl besuchten gegen das Ende des 15. Jahrhunderts ihre Söhne die Heimstätten des Humanismus, die Universitäten Ober­ italiens, um dort das römische Recht und den Humanismus an der Quelle zu studieren. Mancher entdeckte damals in der Fremde sein deut­ sches Herz. Ein glänzendes Beispiel hierfür ist Christoph Scheurl, der 1498 als siebzehnjähriger Jüngling nach Bologna ging. Dort wurde er zum Syndikus gewählt und hatte als solcher die Universität vor frem, den Gerichten zu vertreten. Bei der Übernahme dieses Amtes, am 11. November 1506, hielt er in Bologna vor den italienischen Studenten, die wie alle Italiener auf die deutschen Barbaren mit Stolz und Ver­ achtung heruntersahen, eine von hoher Vaterlandsliebe durchglühte Rede, die er noch im nämlichen Jahre in Bologna und abermals mit Zusätzen im Jahre 1508 in Nürnberg herausgab, unter dem Titel: Libellus de laudibus Germaniae et ducum Saxonum. Hier wird Deutsch­ land gerühmt und unter seinen Fürsten besonders Friedrich der Weise. Mit besonderem Lobe aber und mit warmer Liebe preist er seine Vater­ stadt Nürnberg. Im Kreise der auf ihre neue Bildung stolzen italienischen Humanisten legt er das Bekenntnis ab: „Ego Christo optimo maximo magno obstrictus sum beneficio, quod vir et non foemina, quod Norem-

8 bergensis natus et non ltalus.“ „Ich bin dem höchsten und besten Christus für die große Wohltat zu Dank verpflichtet, daß ich als Mann und nicht als Frau, daß ich zu Nürnberg und nicht in Italien geboren bin." In diesem Lob auf Nürnberg begegnet er sich mit Ulrich von Hutten, dem deutschesten der Humanisten. In seinem Sendschreiben an Wilibald Pirckheimer rühmt der Ritter, der sonst gegen die Städte eine standes­ gemäße Abneigung hegte, daß Nürnberg unter allen deutschen Städten die fruchtbarste an guten Köpfen sei. In Venedig gebe es ein Sprichwort: alle anderen Städte in Deutschland seien blind, nur Nürnberg sehe »och auf einem Augeb). Noch vor Hutten und Scheurl hat Konrad Celtis die Stadt Nürn­ berg in dem Büchlein gerühmt, das er schon 1495 dem Rat der Stadt überreichte und das 1512 im Druck erschien: „Liber de situ et moribus Norimbergae et magnitudine Hercyniae silvae.“ Hier war wie auch sonst für den Patriotismus der Humanisten die Germania des Tacitus von Bedeutung. Auf Celtis folgte Eobanus Hesse, der 1532 in seinem Gedicht „Norimberga illustrata“ die Stadt pries, die ihm damals Gast­ freundschaft gewährte, und schon zwei Jahre vor Hesse hatte Hans Sachs, durch achtjährigen Besuch der Spitalschule humanistisch angeregt, in deut­ scher Sprache das Lob seiner Vaterstadt gesungen. Dieser Lokalpatriotismus erwuchs aber diesen und anderen Hu­ manisten aus einem allgemein deutschen Patriotismus, wie das die Rede Scheurls und das ganze Leben Ulrichs von Hutten beweisen. Jakob Wimpfeling, geboren 1450 zu Schlettstadt, ging beiden im Eifer für Deutschlands Größe voran. Auch ihn haben die alten Klassiker, hat die Vaterlandsliebe der Griechen und Römer und die hohe römische Staats­ idee zu lebhaftem deutschen Selbstgefühl entflammt. Die deutschen Humanisten, die deutsches Land und Volk auf ihren Wanderungen als fahrende Schüler kennen und lieben lernten, die es auf den Hochschulen Italiens an den Sitten der Fremde maßen und bewerteten, sie liebten ihr Vaterland. Vor allem waren sie stolz auf das römische Kaisertum deut­ scher Nation. Ihren geliebten Kaiser Max mahnten sie, die Kaisermacht den Fürsten gegenüber wieder aufzurichten und Deutschland zum Kreuz­ zug gegen die Türken zu einigen. Auch gegen Frankreich machten die Humanisten mobll. 1501 schrieb Wimpfeling seine „Germania ad rempublicam Argentinensem“, worin er nachzuweisen sich bemühte, daß schon zu Cäsars Zeiten am linken Ufer des Rheins Deutsche gewohnt hätten und daß auch die Frankenkönige und namentlich Karl der Große Deutsche gewesen seien"). So wuchs auf dem Boden des Humanismus eine in Deutschland damals gar seltene Pflanze, die Vaterlandsliebe. Auch im Garten des Neu-

9 Humanismus entfaltete sie sich wieder zu schöner Blüte. Hat doch der Neu­ humanismus sein redlich Teil dazu beigetragen, aus den Privatmenschen jur Zeit Schillers und Goethes Staatsbürger zu machen, die es in den Freiheitskriegen für süß und ehrenvoll hielten, fürs Vaterland zu sterben. Im Jahre 1805 übersetzte Jacobs die Staatsreden und die Kranzrede des Demosthenes, um die von Napoleon bedrohten Deutschen zu mahnen und zu warnen, so wie im Jahre 1470 der Kardinal Bessarion die erste olynthische Rede ins Lateinische übersetzt hatte, um die Fürsten der Christen­ heit zum Kampf gegen die Türken aufzurütteln. Ebenso hatte Reuchlin 1495 die zwei ersten phllippischen Reden des Demosthenes ins Deutsche übersetzt, um den Patriotismus der deutschen Fürsten zum Kampf gegen die Feinde des Reichs anzuregen. Wo der Humanismus seine Kraft be­ wahrte, hat er sie auch im Weltkrieg und in unserer traurigen Gegenwart für Deutschlands Ehre und Macht eingesetzt, und auch beim Wiederaufbau werden wir das Vorbild antiker Vaterlandsliebe und römischer Staats­ gesinnung nicht entbehren können. So war und ist der Humanismus stets bereit, dem deutschen Volke in Not und Bedrängnis zu helfen. Frei­ lich hat er sich auch am deutschen Wesen zuzeiten schwer versündigt. Die kindliche Freude der Humanisten, ihrem Namen ein „us" oder „ius" an­ zuhängen oder ihn ins Griechische oder Lateinische zu übersetzen, fällt hier weniger ins Gewicht. Schlimm war es dagegen, daß der Humanismus seiner hohen Aufgabe, dem deutschen Volke die alte Kultur zu vermitteln, bald untreu wurde, daß er statt des Kerns die Schale bot, statt der Sache nur die Sprache, daß er in totem Ciceroniavismus auf- und unterging. Auch der Neuhumantsmus ist im letzten Drittel des vorigen Jahrhunderts an manchen Orten in diesen Fehler verfallen und hat durch einseitigen Grammatikbetrieb geschadet. Doch sollte man wegen dieser Schwächen die großen Verdienste nicht vergessen, die sich der Humanismus immer, wenn er in Blüte stand, um deutsche Gesinnung und Gesittung erworben hat. Dieser freie und deutsche Geist wurde vom letzten Drittel des 15. Jahr­ hunderts an auch in Nürnberg immer mächtiger. Man begnügte sich daher bald nicht mehr mit den geringen Zugeständnissen, die man ihm in der Schulordnung von 1485 gemacht hatte. Schon im Jahre 1496 gründete der Rat an der Sebalderschule einen Lehrstuhl der Poesie und Oratorie und berief, nachdem die Verhandlungen mit Celtis zu keinem Ende geführt hatten, den Münchner Humanisten Heinrich Greninger. 1498 erhielt diese „Poetenschule" ein eigenes Schulzimmer „auf der neuen Wage". Der Widerstand der alten scholastischen Richtung gegen die „Poeten", wie man die Humanisten nannte, war heftig und machte zweimal ein Eingreifen des Rates nötig, der den von ihm berufenen Lehrer schützte.

— 10 — Am 17. April 1499 beauftragte der Rat Antoni Tetzel und Jorg Koler, den Propst zu St. Lorenjen zu bitten, „seinen Prediger, der eine Schmäh­ rede wider Meister Heinrich Grüninger auf offener Kanzel gethan hatte, zu beurlauben und ihn nicht mehr auf die Kanzel zu lassen, desgleichen mit dem Propst Sebaldi zu reden und mit seinem Prediger zu verfügen, denselben Meister Grüninger unverworren zu lassen und sein auf der Kanzel nicht mehr zu gedenken")." Doch wurde die Erbitterung beider Parteien durch diese Maßregel nicht gemindert, vielmehr kam es 1503 zu einer wüsten Schlägerei zwischev den Poeten und den Scholastikern. Hierüber erzählt Heinrich Deichsler in seiner Chronik folgendes"): „Item am Suntag vor Bauli da giengen früe mit dem weihprunnen die Pfaffen vor und es warn kain schuler vor­ handen, der ursach halben: die poeten und die schulmaister zu sant Sebolt die sind alwegen widerainander gewest und noch sind, wann und die poeten zugen ie des schulmaister schuler in sein schul und strichen sie, und darnach da kom der canter auf dem kirchhof zu dem poeten und wolt mit im reden von der vorgangen fach wegen, da zug der poeten junkmaister sein messet auß und schlug zu dreien maln auf den canter, und da sprang der canter hintersich zu dreien malen und sprang wider zu im und stieß den poeten an den rücken, da komen die wachanten und auch liefen die leien auch zu und zugen den poeten hinauf in die schul und der Magister hieß in nider, ziehen und halten, da zerslug er fünf gerten an im. das klaget der poet dem rat. da gab man dem Magister urlaup und da zog er den canter und die schuler mit im auß der schul und der Magister gab den schulern urlaup pis nach vasnaht, das kain schuler in die schul noch in den kor kam. und das ist villeicht in hundert oder in tausent jarn nie geschehen." Der Rat schritt mit Strafen ein. Die Schüler von St. Sebald, die den Poeten in ihre Schule gezogen und geschlagen hatten, wurden jeder einen Tag auf den Turm gesetzt, der junge Locatus, der das Messer ge­ zogen hatte, wurde verwarnt, und der Schulmeister von St. Sebald erhielt Urlaub. Da er sich das nicht gefallen ließ und die Schule schloß, so daß die Schüler sogar beim Chordiensi fehlten, wurde er seiner Stelle enthoben und aus der Stadt verwiesen. Man sieht aus diesem Vorfall, wie roh zu dieser Zeit Lehrer und Schüler waren. Dasselbe zeigt auch ein Vorfall, der sich am 17. Juli 1500 wieder in der Sebalderschule ereignet hatte. Damals revoltierten die Schüler gegen ihren Schulmeister. Deichsler berichtet darüber folgendermaßen (Städtechroniken XI, S. 619): „Desselben freitags nach der 12 poten tailung da giengen die schuler früe zu sant Sebolt in die schul und versperrten die und »amen all were zu in und vermachten und vertarlasten alle töt. da schiket der schulmaister zu in den supremus (den ersten unter seinen Gehilfen) und ließ in sagen:

— 11 — wir sotten die schul auf tun, es würd nichtz gutz darauß. da kom er zu dem andern mal und sprach: tet wir ntt auf, so würd man sie mit gewalt auf hawen, darnach da schiket der schulmaister zu den statknehten, da wollen sie nit kumen und sprachen: er het vor etlicher zeit zu in gesprochen an corpus Christi: sie sotten dieb am galgen regiern, er wolt sein schuler wol regiern on sie. da schicket der schulmaister einen poten in die kirchen nach den statknehten, wann der burgermaister het ins bevolhen im zu helfen, da stürmeten die statkneht mit plossen schwerten die schul, item da vieln die schuler ains tails zu der schul zu den venstern herab, aber die «achaoten und die schuler stachen herab mit spießen und mit stangen die statkneht von den steiglaitern. da hieben sie die schultür auf mit ge­ walt. die weil da warn die schuler all herauß." Ähnliche rohe Szenen werden auch von anderen Schulen in anderen Städten erzählt. So drangen 1479 zu Halle die Stadtknechte ebenfalls auf Veranlassung des Schulmeisters mit Schwertern bewaffnet in die Schule ein, um den Schulmeister in der Schulzucht zu unterstützen. Die größeren Schüler aber wehrten stch und schlugen die Stadtknechte wieder aus der Schule hinaus. Darauf mußten sie auf Befehl des Rates am nächsten Tage die Schule und die Stadt verlassen. Anderswo geschahen noch schlimmere Dinge. Es saßen eben in diesen Schulen nicht nur die Bürgersöhne, sondern auch fremde Schüler, Vaganten oder Bacchanten, d. h. Bacchusbrüder, wie sie das Volk wegen ihrer lockeren Lebensweise nannte. Das Leben und Treiben dieser fahrenden Schüler auf den Land­ straßen und in den Schulen der Städte, die sie heimsuchten, wird uns in ein paar Selbstbiographien in lebhaften Farben geschildert. Das Schülerleben des Thomas Platter ist durch Gustav Freitags Bllder aus der deutschen Vergangenheit weiten Kreisen bekannt geworden. ZehnJahre alt, verläßt der arme Hirtenbube im Jahre 1509 seine Schweizer Heimat und zieht mit seinem Vetter Paulus Summermatter ins Reich zu den Schulen. Der große Vetter ist der Bacchant, Platter ist der Schütze, der durch Betteln und Stehlen („schießen") den gefräßigen Bac­ chanten ernähren muß. Sein Dank sind Hunger und Schläge. So ziehen sie von Schule zu Schule, zunächst durch Sachsen und Schlesien. Der Wandertrieb läßt sie nirgends lange verwetten, auch da nicht, wo es ihnen, wie in Breslau, recht gut geht. In München entflieht der kleine Thomas dem Vetter. Er hat nun Lehrgeld genug bezahlt und glaubt, auf eigenen Füßen stehen zu können. Der Bacchant verfolgt ihn, doch entkommt er und zieht schließlich mit einem Landsmann nach Schlettstadt, durch den guten Ruf der dortigen Schule angelockt. 18 Jahre war er alt geworden, acht Jahre hatte er durch Herumstreunen und Betteln verloren. Erst jetzt.

— 12 — in Schlettstadt, lernt er bei Johannes Sapidus am Donat das Lesen. Doch mußte er bald wieder weiter wandern, denn der Ruhm des guten Lehrers hatte mehr Schuler angezogen, als sich in der Stadt durch Bet­ teln ernähren konnten. Noch drei weitere Jahre verlor er durch Umherjiehen, bis er endlich in Zürich festen Fuß faßte. Dort setzte er sich in einen Winkel der Schulstube, nicht weit von dem Stuhl des Schulmeisters, entschlossen, in dem Winkel zu studieren oder zu sterben. Er wurde der Famulus seines väterlichen Lehrers Myconius und lernte unter vielen Entbehrungen sogar Griechisch und Hebräisch. Des Bettelns und Dar­ bens müde, betrieb er schließlich untertags das Seilerhandwerk und studierte bei Nacht. Später wurde er Buchdrucker und zuletzt Schulmeister. Im Jahre 1582 starb er, 83 Jahre alt. Bekannt ist auch eine andere Chronika eines fahrenden Schülers, das Wanderbüchlein (Odoeporicon) des Johannes Butzbach. Er schrieb es im Jahre 1505, als er sich in den Frieden des Klosters geflüchtet hatte, seinem Bruder zu Nutz und Frommen, der damals auch ein fah­ render Schüler war. Der Jnselverlag bietet das Büchlein, aus der latei­ nischen Handschrift übersetzt, zu bequemer Lektüre dar. Butzbach ist 1477 zu Miltenberg am Main geboren. Seine Odyssee spielt also etwa 20 Jahre vor der Plätters, gleicht ihr aber vollkommen. Auch er verließ in früher Jugend die Heimat unter Führung eines Bac­ chanten, der den liebenden Eltern versprochen hatte, er wolle treu für den Knaben sorgen. Nürnberg sollte das Ziel der Wanderung sein. „Weiter als Nürnberg werde ich nicht mit ihm gehen," so sagte der Bacchant zu der weinenden Mutter, „und dahin kommen ja alle Tage unsere Kauf­ leute mit ihren Pferden und Frachtfuhren, und die können dann von euch zu uns und von uns zu euch die Grüße bringen." Nach langer und mühe­ voller Wanderung kamen sie nach Nürnberg. Butzbach erzählt hierüber folgendes: „Mit meinen müden und wunden Füßen folgte ich dem Schüler durch mehrere mit spitzen Steinen gepflasterte Straßen, während von allen Seiten aus den Häusern eine Menge von Schülern über mich herfiel. Weil ich diesen auf ihr Rufen: „Bist du ein Schüler?" keine Ant­ wort gab, hielten sie ihre Hände, wie Eselsohren am Kopf gegen mich gerichtet, und verfolgten mich so bis in die Nähe der Herberge. Als sie jedoch erfuhren, wir wollten dableiben, standen sie von unserer weiteren Verfolgung ab und strichen ihr Gymnasium vor allen anderen Schulen des Landes mit den höchsten Lobsprüchen heraus. Als aber der Schüler hier die Menge der Miltenberger Bürger wahr­ nahm, machte er sich, damit ich ihm nicht etwa mit jenen nach Hause entkäme, mit mir in der Frühe des folgenden Tages fort nach Forchheim, einer durch ihr Weißbrot berühmten Stadt, so zwischen Nürnberg und

— 13 — Bamberg gelegen ist und welche die Einwohner fälschlich für die Heimat des PUatus ausgeben. Da jedoch bei der dortigen Schule keine Burse oder, wie es dazulande genannt wird, keine Kammer für uns frei war, wanderten wir fürbaß und kamen zu einer glänzenden Stadt, so an dem Muße Regnitz gelegen und nicht mit Mauern befestigt ist." Die Stadt war Bamberg. Hier kehrten sie in der Armenherberge ein, die Aufnahme in die Schule wurde ihnen aber wegen der großen Zahl der Schüler verweigert. Nun schweiften sie im Bayerland umher und zogen über Eger nach Böhmen. Auch Butzbach bettelte überall für seinen Bacchanten und wurde zum Dank gequält und geschlagen. Auch ihm gelang es schließlich, seinem Peiniger zu entkommen. Zwei Jahre lang verdiente er sich in Böhmen als Diener verschiedener Herren sein Brot. Aus dem letzten Dienst entfloh er und kehrte ins Elternhaus zurück. Der Vater war inzwischen gestorben, der Stiefvater gab ihn zu einem Schneider in die Lehre. Das Schneiderhandwerk verschaffte ihm dann die Aufnahme als Laienbruder in einem rheinischen Kloster. Doch ergriff ihn bald das Verlangen, die aufgegebenen Studien wieder aufzunehmen. Mit Erlaubnis des Abtes ging er nun nach Deventer, wo Alexander Hegius ein weitberühmter Schulrektor war. Butzbach war damals, im August 1498, 2i Jahre alt und fand in der untersten (8.) Klasse Aufnähme. In zwei Jahren stieg er aber durch eisernen Fleiß von der 8. bis zur 3. Klasse auf. Als er erst sechs Wochen in dieser Klasse war, warb der Abt von Laach zu Deventer Novizen für sein Kloster. Butzbach folgte dem Ruf und beschloß seine Schulstudien. Im Jahre 1526 starb er im Kloster zu Laach. Noch eine Selbstbiographie eines fahrenden Schülers hat der Insel­ verlag herausgegeben: das Leben des Burkhard Zink. Zink, 1396 zu Memmingen geboren, ist der Verfasser der Augsburger Chronik von 1386 bis 1486. Er ist also über hundert Jahre älter als Thomas Platter. Das Bild seiner Taten und Leiden als fahrender Schüler ist aber wie­ derum dasselbe. Solche wilde Gesellen saßen in den lateinischen Schulen der Städte neben den Haussöhnen der Bürger auf den Schulbänken. Hans Sachs, der acht Jahre lang die Spitalschule seiner Vaterstadt be­ suchte, hatte also reiche Gelegenheit, für seinen „Fahrenden Schüler ins Paradeis" Studien zu machen. Freilich waren nicht alle Fahrenden von dieser Art. Auch unter ihnen gab es ruhige und sittsame Knaben. Es sei nur an den jungen Luther erinnert, der auch in Magdeburg und „in seiner lieben Stadt Eisenach" vor den Türen der Häuser „den Brotreigen sang", bis ihn die fromme Frau Cotta an ihren Tisch nahm. Das Betteln war damals keine Schande, und die Wohltätigkeit der Bürger kannte diesen armen Schülern gegenüber keine Grenzen. Die

— 14 — Städte suchten natürlich Ordnung zu schaffen, wie uns schon die Bestim­ mungen der Nürnberger Schulordnung von 1485 über die Pädagogen, die ja zumeist Bacchanten waren, gezeigt haben. Daher wurde das Bettel­ wesen wie anderswo so auch in Nürnberg organisiert. Hierüber erzählt Reicke in seiner Geschichte der Reichsstadt Nürnberg S. 725 folgendes: „Ein starkes Kontingent zu der Schuljugend stellten auch die sog. fahrenden Schüler, die Bacchanten, fremde Schüler, die von Ort zu Ort herumzogen, oft, wie allgemein bekannt, ganz gefährliche Gesellen. Meist mußten ste sich, wie auch die armen Bürgerskinder, durch Betteln oder durch Singen vor den Häusern (als Currendschüler wie Luther) ihr Brot erwerben. Natürlich gab es auch eine Menge Taugenichtse und Faulenzer, „Fossen", wie sie der Rat nennt, die sich, ohne jemals die Schulstube zu betreten, doch als Schüler ausgaben und aus der Bettelei ein einträg­ liches, müheloses Gewerbe machten. Daher verordnete der Rat im Jahre 1497, daß jeder bettelnde Schüler ein Zeichen aus Messing oder einem andern Blech haben mußte, das jedoch nur an fleißige Schüler, die ge­ horsam zur Schule gingen, ausgegeben werden sollte. Im Jahre 1522 bestimmte der Rat, daß in keiner Schule mehr als 40 arme Schüler, „so sich des Bettelns behelfen", gehalten werden sollten. Gegen Ende des Jahrhunderts, 1588, erließ der Rat eine „Schuler-Ordtnung", in der das Singen der Schüler auf den Straßen geregelt wurde. In den vier Schulen sollten je 3 Rotten bestehen, in jeder Rotte 10 Schüler, „die des täglichen Almosens als Pauperes nottürftig sein." Zwei von jeder Rotte sollten Körbe haben zum Einsammeln des Brots und anderer Eßwaren, zwei andere „eiseren Püxen zu dem Geld". Die Verteilung der Almosen über­ nahmen die Rektoren. Den Schülern einer jeden Schule waren gewisse Reviere der Stadt vorgeschrieben, in denen allein sie Bettelns halber herumziehen durften. Damit daraus keine Irrungen und böse Streitig­ keiten entstünden, mußten die Schüler ihre Körbe mit dem Bildnis des Patrons ihrer Schule bemalen, also die Sebalder und Lorenzer mit dem hl. Sebald bzw. St. Lorenz, die Schüler von St. Ägidien mit dem hl. Ägi­ dius (ein Bischof mit einer Hindin, heute noch zu sehen an dem Weldesschen Hause am Dötschmanns-Platz), die Spitaler mit dem Bild des heil. Geistes, einer Taube in einem Strahlennimbus. Im Jahre 1637 gestattete der Rat auf die Fürbitte der Prediger auch das nächtliche Herumsingen der Schüler zur Adventzeit bis zum Neuen Jahre. Diese Sitte war noch am Ende des vorigen (des 18.) Jahrhunderts gebräuchlich. Die Schüler fingen in der Weihnachtszeit nachmittags um 3 Uhr an und sangen bis in die Nacht hinein um 9 oder 10 Uhr, gewöhnlich in mehr­ stimmigen Chören. Es wurde aber sehr geklagt, daß dadurch die Gesundheit der Knaben ruiniert und daß sie ihren Schularbeiten entzogen würden".

— 15 — Das Singen auf dem Chor der Kirche, bei Leichenbegängnissen vnd vor den Bürgerhäusern blieb also auch nach der Reformation bestehen. Es war eine Einnahmequelle für arme Schüler und eine schwere Last und ein Zeitverderb für die Schule. Auch die Schüler der Trivialschule auf dem Egidienberg nahmen daran teil, nicht aber die der oberen Schule, des späteren Gymnasiums. Dadurch bekam diese Schule von Anfang an eine Ausnahmestellung. Sie hieß daher auch bis ins 17. Jahrhundert hinein die Patrizierschule^). Als die vier Lateinschulen unter der bayeri­ schen Verwaltung vereinigt waren, wurde im Jahre 1810 das Herum­ singen der Schüler „als nicht vereinbar mit den Grundsätzen der bayeri­ schen Regierung über Erjiehung und Unterricht" verboten. Der damalige Rektor Hegel begrüßte dies Verbot in seiner Schulrede vom 11. Sep­ tember 1810 mit den Worten: „Die beschwerliche Einrichtung, für diesen Zweck (der Wohltätigkeit) mit der Gelegenheit des physisch ebenso als moralisch nachtheiligen Herum­ singens zu sammeln, ist abgestellt."

Wer müßte hier nicht beistimmen? Und doch fand dieser alte Brauch, wie alles Alte, das stirbt, noch im Jahre 1857 einen warmen Lobredner. Es ist dies der Verfasser der Geschichte der Schulen in Nürnberg, W. K. Schultheiß. Aus eigener Erfahrung rühmt ^er zunächst die materiellen Dortelle, indem er S. 58 sagt:

„1806 im Monat Oktober wurde ich als Primaner bei St. Sebald ausgenommen und benützte den dargebotenen Unterricht nach Kräften. Lehrgeld hatte ich nicht zu entrichten, vermöge meiner musikalischen Kennt­ nisse wurde ich aber sehr bald Frühmeffer (Chorsänger) und erhielt als solcher vierteljährlich 3 bis 4 fl. und jeden Sonntagsmorgen y2 Laibchen weißes Brot, 5 bis 6 Lot schwer, sodann 12 bis 15 fl. jährlich aus Stif­ tungen und 10 bis ii fl. Weihnachtssinggeld. Der Gesang bei Leichen­ begängnissen trug auch jährlich einem Schüler der Oberklasse 16 bis 20 fl." Noch viel einträglicher war das Currendesingen. darüber:

S. 59 erzählt er

„Eine solche Anzahl Sänger (etwa 18) hatte auch wöchentlich an drei Vormittagen unter Leitung eines Primaners in vorgeschriebener Ordnung vor denjenigen Häusern zu singen, deren Bewohner dafür etwas bezahlten. Je mehr diese Produktionen gefielen, desto reicher fiel auch öfters die Geld­ gabe dafür aus, und so kam es, daß der Chorführer außer dem Bestimmten, das er dem Rektor einzuhändigen hatte, sich wöchentlich ein hübsches Sümmchen ersang. Besonders bezahlten auch Fremde reichlich. Es fielen nicht selten große Thaler, auch bisweilen Dukaten. Von solchen Gaben reichte der Primaner den übrigen Mitsängern einen Thell."

— 16 — Höher noch als den klingenden Gewinn schätzt Schultheiß die Wir­ kung dieses Straßengesangs auf die Herzen der Hörer. S. 59 rühmt er: „Von diesen Gesangproduktionen erzählte man sich viel Achtungs­ würdiges. Hörte z. B. ein Kranker das Lied singen: Klag nicht, mein Herz, wenn alle Freuden usw., oder Christ aus deinem Herzen banne Sorg und Schmerzen usw., so fühlte er sich getröstet. Stand ein Ge­ schäftsmann oder dessen Frau bei einer Waage, um gekaufte Viktualien auszuwiegen, während auf der Gasse das Lied ertönte: O welch ein un­ schätzbares Gut ist doch ein rein Gewissen usw. oder Mit dir geh ich an mein Geschäfte usw., so widerstanden sie gewiß einer aufgestiegenen Ver­ suchung zum Betrug. Solche Gesänge griffen tief ins bürgerliche Leben ein und wirkten sehr heilsam, wovon ich mich selbst schon überzeugt habe." Im Jahre 1810 also wurde dieser Brauch abgeschasst, der aus der Vagantenzeit herrührte, zu der wir nunmehr zurückkehren. Daß die Schulzucht, die auch in der Klosterschule des frühen Mittelalters sehr streng war, in den Zeiten des Vagantentums nicht selten in Roheit ausartete, kann man diesen Schützen und Bacchanten gegenüber ver­ stehen. War doch die Justiz auch den Erwachsenen gegenüber barbarisch. Eine Schule ohne Schläge war auch im frühen Mittelalter undenkbar, so sehr, daß Konrad von Fussesbrunn am Ende des 12. Jahrhunderts in seinem idyllischen Gedicht über die Kindheit Jesu folgendes erzählt"): „Als das Jesuskind in die Abcschule geschickt wurde, will es bei dem ersten Buchstaben Aleph auch gleich über dessen Bedeutung unterrichtet «erden. Für diese überflüssige Wißbegierde bekam das Kind sofort Ruten­ streiche: „Er in mit dem besmen sluoc." Wie es gegen Ende des Mittelalters in der Schule zuging, sagen uns Luther und Melanchthon. Der letztere erhielt für jeden lateinischen Fehler einen Streich. „Also machte er einen Grammaticus aus mit", rühmt er mit gutem Humor von seinem Lehrer. Und Luther, der an einem Vor­ mittag fünfzehnmal mit der Rute gestraft wurde, sagt: „Wie vor dieser Zeit die Schulmeister gewesen sind, da die Schulen rechte Kerker und Höllen, die Schulmeister aber Tyrannen und Stockmeister waren, denn da wurden die armen Kinder ohn alles Aufhören gestäupt, lernten mit großer Arbeit und unmäßigem Fleiß, doch mit wenigem Nutzen." Der Humanismus hat zwar die Schläge in der Schule keineswegs ab­ geschafft, aber schon die Nürnberger Schulordnung von 1485 mahnt den Schulmeister, daß er „ziemlich" strafen und in jeder Strafe Maß halten solle. In eine dieser im Jahre 1485 reformierten Trivialschulen, und zwar in die Spitalschule, brachte der Schneidermeister Jörg Sachs im Jahre 1501 seinen siebenjährigen Sohn Hans. Er brachte ihn in die Latein-

— 17 — schule, obwohl es damals iu Nürnberg schon lateinlose Schulen gab, die sog. Schreib- und Rechenschulen. Auch der Goldschmied Albrecht Dürer ließ seinen Sohn Albrecht bis jum 13. Jahre Latein lernen. Beide hatten es für ihre Söhne keineswegs auf eine gelehrte Bildung abgesehen, son­ dern auf ein Handwerk. Damals herrschte aber die Ansicht, die der Neu­ humanismus später wieder jur Geltung brachte, etwas Latein könne in keinem Fall schaden. Arnold erzählt in der Einleitung zu seiner Ausgabe der Werke des Hans Sachs (Kürschner, Deutsche Nationalliteratur, Bd. 20, S. III): „Als siebenjähriger Knabe wurde Hans, das einzige Kind seiner Eltern, einer der schlechten Lateinschulen übergeben, mit denen das entartete Mönchtum betraut war." Arnold führt als Beweis für seine Behauptung das spätere Selbstzeugnis des dreiundsiebzigjährigen Dichters an, der in dem Spruch: „Summa all meiner gedicht vom MDXIII jar an bis ins 1567. jar" von seinem Schulbesuch sagt: „sibenjerig danach anfieng, in die lateinisch schule gieng; drin lernt ich puerilia, grammatica und musica nach schlechtem (schlichtem) brauch derselben zeit; solchs als ist mir vergessen seit."

Und noch eine Stelle am Schlüsse dieses Gedichtes: „Got sei lob, der mir sant herab so miltiglich die gotesgab als eineür ungelernten man, der wedr latein noch kriechisch kan."

Aber schon ein Jahr danach, 1568, in dem Spruch: „Die werk Gottes sind alle gut" urteilt er ganz anders über seine Schulzeit. Er führt da mit gutem Humor all die schönen Künste an, die ihn „der Praeceptor auf der hohen Schul" acht Jahre lang gelehrt habe, und die er „mit hohem Fleiß annahm". Er beginnt nämlich seinen Spruch folgendermaßen:

„Als ich in meine kintlichen jugent wurt zogen auf gut stttn und tvgent von mein eltern, auf zücht und er, vergleich hernach auch durch die ler der preceptor auftr hohen schul, so saßen auf den künste stul, der grammatica, rhetorica, der logica und musica, Steiger, Festschrift.

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— 18 — arithmetica, astronomia, poetrei, philosophia, da mein sinreich ingenium die ler mit hohem fleiß annum, da ich lert kriechisch und latein, artlich wol reden, war und rein; rechnen lert ich auch mit verstant, die ausmessung mancherlei laut; auch lert ich die kunst der gestirn, der Menschen gebürt judicirn, auch die erkentnus der natur auf erden mancher creatur im lüft, wasser, feuer und erden; darzu mit herzlichen begerden begrif gesangeskunst subtil, manch süß liebliches seitenspil; lert auch entlich die poetrei." Solche Zeugnisse aus dem Schulleben darf man nie zu ernst nehmen. Wer hätte nicht schon einmal gesagt, daß er dies oder jenes oder alles, was er auf der Schule gelernt, wieder vergessen habe? Waren wir des­ halb umsonst auf der Schule? Hans Sachs wenigstens hat durch sein ganzes Lebenswerk dieses sein erstes ungünstiges Urteil über seine Schule widerlegt. Das Beste, was eine Schule ihren Schülern mitgeben kann, hat er aus der seinigen ins Leben mitgenommen. Wie Thomas Platter und Johannes Butzbach, wie viele andere Kinder der Zeit, denen die Schule das Lernen so sauer machte, hat er einen unbezähmbaren Trieb zum Weiterlernen ins Leben mitgenommen, und die Klassiker, von denen er frellich nur ganz spärliche Proben in der Ursprache kennen lernte, ließ er erst recht nicht zurück „die Schule zu hüten". Kannte er sie doch alle von Homer bis Caffiodor und Boethius, wenn er sie auch zumeist nur in Übersetzungen gelesen hat. Er hat so für die Verbreitung der Kenntnis vom Altertum, von alter Literatur, Sage und Geschichte mehr geleistet, als alle die gelehrten Humanisten zusammen. Denn er allein hat all dies unter das Volk gebracht. So wurde er, dank der Anregung, die ihm die Spitalschule gab, der wirkungsvollste Verbreiter des Humanismus. Hans Sachs erzählt uns, daß er auch Griechisch in der Schule gelernt habe. Wo und wie er das lernte, ist unklar. Denn es wirkte zwar um 1505 ein „professor poetices“ Johann Fridell an der Spitalschule. Daß aber in einer solchen „Poetenschule" damals Griechisch gelehrt wurde, ist unwahrscheinlich. In diesen Schulen machte man lateinische Verse und las die lateinischen Dichter, dazu Cicero und Quintilian. Damals lehrte,

— 19 — wie tote gesehen haben, Heinrich Greninger in seiner „Poetenschule" Poesie und Oratorie, d. h. Humanismus. An Stelle dieser Schule, die 1508 »um letztenmal erwähnt wird, beschloß der Rat der Stadt schon im Jahr 1509, an den beiden Trivtalschulen jv St. Sebald und St. Lorenj einen gesonderten Kurs für Poesie und Oratorie ju eröffnen, und jwar durch folgenden „Item damit die jungen Schüler bester zu stattlicher Schicklichkeit gezogen und mit einem guten Grund zu künftiger Lernung und Studio versehen werden, ist bei einem ehrbar« Rat verlassen, daß hinfüro in den zweien Schulen beder Pfarren allhie zwu sondere Stätt oder Loca ge­ macht werden, in denen Dor- und Nachmittags zu jedem mal auf eine Stund die jungen Knaben und andere, so die Schule heimsuchen, in der neuen regulirten Grammatica und Poesie oder arte oratoria unterwiesen und gelernt. Und soll umb solchs einem jeden Schulmeister sein jährlicher Sold mit zwanzig Gulden rhein. ein Jahr gebessert werden. Es sollen sich die Schulmeister befleißen, ob sie derselben Lernung selbs nit wollen ob sein, nach geschickten, verständigen Gesellen zu trachten, damit bet den Jungen mit Frucht gelesen werde, und sollen desto minder nicht andere lectiones in den Schulen ihren Fürgang haben und kein Schüler verpflichtet sein, diese oder jene Lection zu hören. Und soll Hr. Wllibald Birckhaimer Anfangs eine Zeit lang die beden Schulen vtsttiren, auf daß solche Lernung in ein beständig Wesen gebracht werd." Für jede dieser Schulen sollten in Zukunft zur Beheizung eines zwei­ ten Schulzimmers sechs Meß Holz mehr abgegeben werden. Da Wllibald Pirckheimer mit der Aufsicht über diese Poetenschulen betraut wurde, darf man annehmen, daß er ihre Errichtung in erster Linie veranlaßt hat. Aber auch in diesen Schulen wurde wohl kaum Griechisch gelehrt. Soweit war am Anfang des neuen Jahrhunderts der Humanismus in die alte Lateinschule eingedrungen. Es waren freilich nur dürftige Anfänge, aber im Leben der Stadt war der neue Geist schon viel mächtiger als in der Schule. Und das ist selbstverständlich und in Ordnung. Eine geistige Bewegung muß immer erst im Leben zur Herrschaft gelangen, bevor sie die Schule erobern kann. Die Schule geht nie voran, sie folgt in gemessener Entfernung. In der durch ihren Welthandel reichen Stadt Nürnberg hatten also damals Kunst und Wissenschaft ihren Wohnsitz genommen. Ihr geistiges Leben war vom Humanismus getragen. Auf dem Rathaus, wo auch über die Geschicke der Schule entschieden wurde, hatte er in dem einfluß­ reichen Ratsschreiber Lazarus Spengler, in Hieronymus Paumgartner, Hieronymus Ebner und Kaspar Nützel begeisterte Anhänger. Für die Schule war es von Bedeutung, daß der Kirchenmeister von St. Sebald 2*

— 20 — Sebald Schreyer und der Propst von St. Lorenz Anton Kreß ebenfalls Humanisten waren. So war der Boden für eine weiter gehende Refor­ mation bereitet, als es die von 1485 gewesen war. Vorher aber kam es zur Reformation der Kirche. Bedächtig und in guter Ordnung setzte sie sich in dem von seinen Patriziern gut regierten Nürnberg durch. Als dann am in. Juli 1525 der letzte Abt des Egidienklosters Friedrich Pistorius zur neuen Lehre übertrat und sein Kloster dem Rat der Stadt übergab, da wurde oben auf dem Egidienberge der Bauplatz für eine neue Schule frei. Humanismus und Reformation haben zusammen diesen Neubau aufgeführt, aus ihrer Verbindung entstand am 23. Mai 1526 die Schule Melanchthons.

11. Kapitel.

Von der Gründung der Oberen Schule bis zu ihrer Verlegung nach Altdorf (1526-1575). Im Jahre 1524 ließ Luther sein Sendschreiben ergehen „an die Rats, Herren aller Städte deutschen Landes, daß sie christliche Schulen aufrichten und halten sollen". Eine der ersten Städte, die diesem Aufruf Folge lei, siete, war Nürnberg. Lazarus Spengler und Hieronymus Paumgartner waren die treibenden Kräfte. Der Rat suchte zunächst Melanchthon selbst als Rektor für die neue Schule zu gewinnen. Die Verhandlungen führte Paumgartner, der in Wittenberg Melanchthons Schüler gewesen war. Dieser begrüßte den Plan mit großer Freude, erklärte aber, die Stelle als Rektor der Schule könne er nicht annehmen. Die Dankbarkeit gegen seinen Kurfürsten verpflichte ihn, in Wittenberg zu bleiben. Auch sei er für die Stelle an der Schule nicht der geeignete Mann. Man brauche da nicht einen Gelehrten, der Vorlesungen gewöhnlichen Schlags halten könne, sondern einen redebegabte» Mann, einen Deklamator, der mit der Kenntnis der zu lehrenden Gegenstände eine Redefertigkeit verbinde, an der sich, als an ihrem Vorbild, die jungen Leute bilden könnten"). Man möchte glauben, diese Begründung sei nicht ganz ernst gemeint, sei nur eine Ausrede, doch spricht er in einem gleichzeitigen Brief an seinen vertrauten Freund Camerarius denselben Gedanken aus. Ein Versuch Paumgartners, ihn umzustimmen, mißglückte. Der stürmische Verlauf des Jahres 1525 verzögerte dann zunächst die Ausführung des Planes. Doch richtete der Rat noch im September des Jahres 1525 eine erneute Aufforderung an Melanchthon, und dieser kam mit seinem Freund Ca, merarius, den er zum Rektor der neuen Schule ausersehen hatte, im No­ vember nach Nürnberg, um mit dem Rat den Lehrplan zu besprechen.

Tafel 1

Eobanus Hesse

Michael.Dilherr

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Tafel II

Das Kollegiengebäude in Altdorf

Kirche und Schule vor dem Brand (1682)

— 21 — Vom Rate reich beschenkt, verließ er die Stadt und machte sich nun daran, Lehrer für die neue Schule zu gewinnen. Die Verhandlungen führten zu dem Ergebnis, daß der mit Melanchthon innig befreundete Joachim Camerarius die Leitung der Schule und die Stelle als Lehrer des Grie­ chischen übernahm, Eobanus Hesse sollte die römischen Dichter erklären und lateinische Dichtkunst lehren, für Rhetorik und Dialektik war Michael Roting ausersehen, für die Mathematik Johann Schoner. Die Lehrer wurden für die damalige Zeit sehr gut bejahlt. Came­ rarius und Hesse erhielten jeder 150 Gulden jährlich, Roting und Schoner 100 Gulden. Das war mehr, als an den meisten Universitäten geboten wurde. Von Michael Roting wissen wir wenig. Er gehörte zu dem ver­ trauten Freundeskreis Melanchthons, der ihn wegen seiner philologischen Kenntnisse schätzte und mit ihm viele Briefe wechselte. Der Mathematiker Johann Schoner hatte ein bewegtes Leben hinter sich, als er in Nürnberg endlich auf festes Land kam. In Erfurt hatte er theologische Studien getrieben und war dann 1515 in das Stift zu St. Jakob in Bamberg ausgenommen worden. Diese Pfründe verlor er, well er, wie es scheint, über seinen mathematischen und astronomischen Ltebliagsstudten seine kirchlichen Pflichten versäumt hatte. Er verfertigte auch Land- und Himmelsgloben, deren Verkauf er auf der Frankfurter Messe und 1524 auf dem Nürnberger Reichstag betrieb. 1525 verlor er durch den Bauernaufruhr seine Stelle als Frühmesser in Kirchehrenbach. Nun fand er in Nürnberg eine bleibende Stätte. Er starb 1547. Joachim Camerarius war 1500 in Bamberg geboren. Er stammte aus dem alten Geschlecht der „Kammermeister". Sein Vater war Rats­ herr zu Bamberg. Der gelehrte Sohn latinisierte den Namen. Schon mit dreizehn Jahren bezog er die Universität Leipzig, weil sein Lehrer in Bamberg erklärt hatte, er könne ihn nichts mehr lehren. In Leipzig stu­ dierte er mit besonderem Eifer Griechisch. Damals schloß er schon Freund­ schaft mit Eobanus Hesse. Hesses Tätigkeit in Erfurt veranlaßte ihn, im Jahre 1518 dahin zu gehen. Lernend und lehrend verbrachte er dort drei schöne Jahre. Dann ging er nach Wittenberg, wo er sich aufs engste an Melanchthon anschloß. Als er als Lehrer und Rektor der neuen Schule nach Nürnberg kam, war er 26 Jahre alt. Er stand damals am Anfang einer mit reichem Erfolg gesegneten Laufbahn. Schon 1536, nach dem Tode des Erasmus von Rotterdam, kann er als der Führer der deutschen Humanisten bezeichnet werden. Burstan urteilt über ihn folgendermaßen: (Geschichte der klassischen Phllologie in Deutschland I, S. 186): „Seinem Freunde Melanchthon, den er sich in seiner Tätigkeit als Lehrer und Schrift­ steller zum Vorbild nahm, stand er weder an Umfang des Wissens noch

— 22 — an Gründlichkeit der Kenntnis der klassischen Sprachen und Literaturen nach, er übertraf ihn entschieden an kritischer Schärfe, so daß er als einer der bedeutendsten, wenn nicht als der allerbedeutendste unter den Philo­ logen Deutschlands im 16. Jahrhundert bezeichnet werden darf." Der zweite Freund, den Melanchthon nach Nürnberg brachte, Hel ins Eobanus Hesse, war zwölf Jahre älter als Camerarius. Er war 1488 in einem hessischen Dorfe als Kind armer Bauersleute geboren. Nach seiner hessischen Heimat nannte er sich Hessus, den Vornamen Eobanus erhielt er in der Taufe, Helius nannte er sich nach dem Sonnengott, well er an einem Sonntag geboren war. Er war auch wirklich ein Sonntags­ kind, und überwand mit sonnigem Humor alle Schwierigkeiten, die sich ihm in einem vielbewegten Wanderleben entgegenstellten. 1504 ging er auf die Universität Erfurt. Dort erwarb er sich durch sein Talent latei­ nische Verse zu machen im Kreise der Humanisten reichen Beifall. Schon 1507 wurde er durch das Wohlwollen des Erfurter Bischofs im Alter von neunzehn Jahren Rektor der Schule von St. Severi in Erfurt. 1508 verscherzte er sich das Wohlwollen dieses Gönners, verlor sein Amt und verließ Erfurt. 1509 finden wir ihn in Riesenburg im Ordensland Preußen als Kanzleibeamien des Bischofs Hiob von Dobeneck. Durch seine ge­ selligen Talente gewann er sich die Gunst des Bischofs. Von diesem reich­ lich mit Geld versehen, bezog er 1513 die Universität Frankfurt a. O., um Jurisprudenz zu studieren. Aber schon 1514 kehrte er zu seinen ge, liebten humanistischen Studien und zu seinem Erfurter Freundeskreis zurück. Eine Heirat vermehrte seine Geldsorgen, die ihn aber wenig küm­ merten. 1517 wurde er durch Vermittlung seiner Erfurter Freunde Pro­ fessor der lateinischen Sprache an der Erfurter Universttät. Er wurde bald der Stolz dieser Hochschule. Sein Biograph Krause berichtet darö6cr16): „Eobans Name blieb von jetzt ab mit dem weitverbreiteten Rufe der Erfurter Universität unauflöslich verknüpft. Die lateinischen Studien gelangten unter seiner Führung zu einer Blüte, die sie weder vor ihm erreicht hatten, noch nach ihm je wieder erreichten. Weniger an der Zu­ nahme der äußeren Frequenz, die sich im allgemeinen auf der Durchschnitts­ zahl von jährlich 300 Immatrikulierten hielt, ist diese Blüte zu erkennen, als an der vorwiegenden Richtung der Studien auf die Humaniora und an der verhältnismäßig großen Zahl wahrhaft bedeutender und berühmter Männer, welche sich alle um den Dichterkönig, wie die Schüler um den Meister, sammelten. Erfurter Chroniken berichten, daß das große Audi­ torium des Dichters die Menge der Zuhörer nicht gefaßt habe, und daß viele vor der Türe und auf der Straße hätten stehen müssen, ja daß sich zuweilen 1500 Zuhörer zusammengedrängt hätten. Das ist stark über­ trieben, denn alle Studierende Erfurts zusammen erreichten wohl kaum

— 23 — diese Zahl. Von Augenzeugen aber wissen wir, daß viele Studierende aus der Ferne vom Glanze des Eobanischen Namens angelockt wurden, ja, daß manche eigens nach Erfurt reisten, bloß nm den gefeierten Poeten zu sehen." Aber als der Reichstag zu Worms 1521 gegen Luther entschieden hatte, ging dies frohe und reiche Leben der Universität Erfurt in theolo­ gischem Zank und Streit unter. Es kam zu Straßenkämpfen und Brand­ stiftungen, und die Universität, an der 1521 über 300 Studenten imma­ trikuliert waren, hatte 1523 noch 72 und 1526 nur noch 14! Alles ver­ ließ Erfurt fluchtartig und ging nach Sfßitfcnbcrg17). Nun studierte Hesse Medizin, um durch eine einträgliche Praxis sich der Not seines Schul­ meisterlebens zu entziehen. 1524 schrieb er etwa 300 Distichen mit dem Titel: „Bonae valetudinis conservandae praecepta“ („Vorschriften zur Erhaltung einer guten Gesundheit"). Das Büchlein fand viel Gunst und erlebte zahlreiche Auflagen, mit der ärztlichen Praxis freilich stand es schlecht. Hesse geriet vielmehr in die äußerste Not und mußte den Ruf an die Nürnberger Schule als eine Erlösung aus einer unhaltbaren Lage ansehen. So hatte Hesse bis 1526 das Dagantendasein des echten Humanisten in süßer Ungebundenheit und in bitterer Not reichlich gekostet. Wie Faust hatte er alle vier Fakultäten studiert und hatte wie dieser weder Gut noch Geld. Eins aber brachte er nach Nürnberg mit und deshalb hat ihn Melanchthon wohl auch in erster Linie berufen: er war der König aller derer, die lateinische Verse machten. Und diese Kunst galt im Kreise der Humanisten am höchsten. Auch Melanchthon, dem sie zu seinem Leid­ wesen versagt war, schätzte sie als die höchste Blüte der Eleganz, als das Zeichen vollendeter humanistischer Bildung. Schon als zehnjähriger Knabe hatte Eobanus den unwiderstehlichen Drang gefühlt lateinische Verse zu machen. Sein erstes Gedicht wurde 1506 in Erfurt gedruckt. Der Titel lautet: „De pugna studentum Erphordensium cum quibusdum coniuratis nebulonibus“ („Vom Kampfe der Erfurter Studenten mit einigen verschworenen Taugenichtsen"). In 54 Distichen verherrlicht der Dichter hier eine Schlägerei zwischen Stu­ denten und Handwerkern. Pallas Athene verschafft den Musensöhnen den Sieg. In demselben Versmaß feierte er in schwungvoller Darstellung Luther, als dieser auf der Reise zum Wormser Reichstag nach Erfurt kam. Alles, Hohes und Niedriges, bannte er in glatte lateinische Verse; die Wissenschaft aller Fakultäten, die Tagesgeschichte und die Geschichte ver­ gangener Zeiten, die Klage um den Tod eines Freundes, die Einladung zu einem Gelage, was ihm immer im Lauf des Tages begegnete und sein Herz bewegte, das kleidete er in dieses Gewand. Dazu kommt noch seine

— 24 — rastlose Tätigkeit als Übersetzer. Davids Psalmen übersetzte er und neben Theokrits Idyllen die ganze Ilias. Er war nicht der erste, der dies Riesen­ werk wagte, aber der einzige, der es vollendete. Er hat damit seiner Zeit, in der auch unter den Gelehrten die Kenntnis des Griechischen noch nicht allgemein verbreitet war, die Bekanntschaft mit Homer in ähnlicher Weise ermöglicht, wie das für uns Voß getan hat. Die Zahl seiner lateinischen Verse ist also Legion. Allein in Nürn­ berg, wo er von 1526 bis 1532 verweilte, und allerdings neben seinem Schulamt viel freie Zeit hatte, beträgt sie 8000 für Originaldichtungea, und nimmt man die Übersetzungen dazu, so ergeben sich gegen 20000 Verse. Auch seine zahllosen Briefe schrieb er natürlich lateinisch. Auch bei den Symposien, die der trinkfeste Mann mit seinen Freunden gar eifrig feierte, war die lateinische Stegreifdichtung eine beliebte Unterhaltung. Wie sein Vorbild Ovid konnte also auch Hesse sagen: „Quidquid temptabam dicere, versus erat“ („Was immer ich sagen wollte, es wurde ein Vers daraus"). Uns erscheinen diese seine Verse oft phrasenhaft und unwahr, anders seinen Zeitgenossen. Sie feierten den Dichter als einen zweiten Ovid und Vergil und waren der Ansicht, daß er diesen Vorbildern wenig oder nicht nachstehe. Er hatte ihrer Ansicht nach erreicht, was sie alle anstrebten, die stilechte Imitativ, die mühelose Nachahmung der klassischen Vorbilder. So war er schon in jungen Jahren der Gefeiertsten einer im Kreise der Humanisten. Reuchlin begrüßte ihn 1515, als er sich für die Übersendung lateinischer Verse bedankte, in scherzhafter Umdeutung des Namens Hesse nach dem Griechischen ’Eaa^v als den König der Dichter. Diese Deutung seines Namens nahm Eobanus mit Stolz und Freude an und behielt sie Zeit seines Lebens im Ernst und Scherz bei. Man kann also sagen, von den vier Lehrern, die Melanchthon nach Nürnberg mit­ brachte, hatte der Dichterkönig Helius Eobanus Hessus den glänzendsten Namen und die ruhmreichste Vergangenheit. Am 23. Mai 1526 wurde die neue Schule mit einem Festakt eröffnet. Fast alle Ratsherren waren anwesend und sonst viele angesehene Männer. Melanchthon hielt die Festrede. Er legte seine Humanistentoga in klas­ sische Falten und begann fol9Cttt>etma(3eti18): „Quod vobis et liberis vestris et universae Reipublicae faustum felixque sit, amplissimi viri.“ „Heil und Segen, hochansehnliche Herren, Euch und Euren Kindern und der ganzen Republik." Er begann mit dem Preis der Wissenschaften, der Quelle aller menschlichen Gesittung. Dann pries er die Stadt Nürn­ berg und ihre Regierenden, die in dieser wilden Zeit die in der Verban­ nung umherirrenden Wissenschaften an gastlicher Stätte aufzunehmen bereit seien. Wie Florenz die aus der Heimat fliehenden Lehrer des Grie­ chischen gastlich aufnahm, so beschützt Nürnberg die schönen Künste. Da-

— 25 — mit fördert es Religion und Staat, denn beide können ohne die Wissen­ schaften nicht bestehen. Mit dieser Rede legte Melanchthon ein freudiges und unumwun­ denes Bekenntnis zum Humanismus ab. Ihm weihte er die neue Schule. Am folgenden Tage begann in den Räumen des Egidienklosters der Unterricht. Den Lehrplan, nach dem er erteilt wurde, hat Heerwagen in der von Scheurlschen Familienbibliothek aufgefunden unter dem Titel: „ratio scholae, Norimbergae nuper institutae. An. MDXXVI.“ „Plan der kürzlich in Nürnberg errichteten Schule." Er hat den lateinischen Text und eine deutsche Übersetzung in seinem Nürnberger Schulprogramm von 1860 zum Abdruck gebracht. Die sechs Oktavseiten starke Schrift zerfällt in drei Teile. Der erste allgemeine Teil entwickelt dieselben Gedanken wie die Fest­ rede vom 23. Mai. Mit Recht sagt daher der glückliche Finder des Schul­ plans: „Ohne Zweifel ist Melanchthon der Verfasser dieses Schulplans; dafür zeugt nicht bloß der Inhalt, sondern auch die stilistische Fassung des lateinischen Originals." Hartfelder (monumenta Germaniae paedagogica VII) stimmt ihm bei, wenn er sich auch etwas schwankend aus­ drückt. S. 505 sagt er nämlich, der Schulplan rühre „gewiß" von Me­ lanchthon her, während er dies S. 441 und 573 nur „höchst wahrschein­ lich" findet. Auch Vormbaum sagt in seiner Sammlung der evange­ lischen Schulordnungen des 16. Jahrhunderts S. 760, Melanchthon sei „ohne Zweifel" der Verfasser. Der zweite Teil des Lehrplans bringt Vorschriften für die Trivial­ schule, die den Unterbau der neuen Schule bildete. Hier sollen die Knaben das Lesen und Schreiben und die lateinische Grammatik gründlich lernen, bevor sie in die obere Schule eintreten. Wenn wir die freilich recht kurzen Anweisungen mit der Schulordnung von 1485 vergleichen, die wir kennen gelernt haben, so fällt uns auf, daß die Religion als eigener Lehrgegen­ stand in dieser Schule auftritt. Paulsen, Geschichte des gelehrten Unter­ richts^, I S. 336 sagt über den Unterrichtsbetrieb in den protestantischen Schulen: „Die Glaubenslehre ist ein neuer Unterrichtsgegenstand. Die mittelalterlichen Schulen kennen ihn nicht. Sie lehrten wohl das Symbolum und die Gebete, führten auch die Kinder in die Kirche, aber sie kennen keine Glaubenslehre und führen nicht zum Lesen der Schrift. Apud adversarios, sagt die Apologie der Augsburgischen Konfession, nulla prorsus est xpuerorum. Bei den Protestanten wird hier­ auf von vornherein ein sehr starkes Gewicht gelegt; die Kinder im Glauben und der Schrift zu unterweisen, gilt als die erste Aufgabe aller Schulen." Was das Latein betrifft, so ist die Klassikerlektüre bedeutend erweitert, wie das der mit Macht vordringende Humanismus mit sich brachte.

— 26 — Wie viele Klassen diese untere Schule hatte, wissen wir nicht. Wir wissen auch nicht, ob diese neuen Bestimmungen nur für die Trivialschule auf dem Egtdienberg galten oder auch für die drei anderen. Auch die obere Schule jerfiel in mehrere Klassen. Die Schulordnung sagt darüber: „Und jwar sind gesonderte Klassen in der Weise angerichtet, daß die Wissenschaften in der rechten Reihenfolge gelehrt werden." Wie viele Klassen es waren, wissen wir auch hier nicht. Zwei neue Fächer be­ gegnen uns. Griechisch und Mathematik. Für beide hat diese Schule einen eigenen Lehrer. Mit der Berufung eines Lehrers für Mathematik ging Nürnberg allen deutschen Schulen voran. Günther") sagt darüber: „In eine neue Phase tritt das Mittelschulwesen durch die Begründung des Gymnasiums zu Nürnberg und der von ihm untrennbaren mathe­ matischen Kathedra. Hier konnte Melanchthon, durch die Munifijenj eines über seine Zeit sich erhebenden Stadtregiments getragen, das wirk­ lich durchführen, was er unmittelbar t«vor bei der Begründung einer Schule in Mansfeld nur als frommen Wunsch ausgesprochen hatte." Die dritte der für die neue Kirche so wichtigen Sprachen, das He­ bräische, wird im Schulplan nicht erwähnt. Doch lehrte schon vor 1526 in Nürnberg, und zwar im Augustinerkloster, Johann BSschenstetn Hebräisch. Durch einen Ratserlaß vom Juli 1526 wurde ihm seine Be­ soldung von wöchentlich einem Gulden auf 1% Gulden erhöht2°). Diese Gehaltserhöhung erklärt sich wohl dadurch, daß von 1526 ab die besseren Schüler der neuen Schule am hebräischen Unterricht im Augustinerkloster teilnahmen. Auch der Lehrplan der Lateinschule zu Eisleben vom Jahre 1525, der, wenn nicht von Melanchthon selbst verfaßt, so doch sicher von ihm gebilligt ist, hat Hebräisch als Wahlfach"). Daß der Nürnberger Lehrplan diesen hebräischen Unterricht nicht erwähnt, ist nicht auffällig. Ist er doch überhaupt recht wortkarg. Melanchthon überließ alle Einzel­ heiten offenbar dem Rektor der Schule, seinem vertrauten Freund Cameraritts. Nur eins betont der Lehrplan wieder und immer wieder, die Wichtig­ keit der lateinischen Beredsamkeit. Durch Imitativ, durch die Nach­ ahmung der klassischen Vorbilder zur Eloquentia, zur lateinischen Bered­ samkeit zu gelangen, das galt in der Humanistenschule als das höchste Ziel. Diesem Zweck dienten auch die schriftlichen Arbeiten, die wöchentlich von den Schülern gefordert wurden. Dabei wurde auch auf das Versemachen großes Gewicht gelegt, „denn in beiderlei Gattung muß der Jüngling geübt werden, weil über den prosaischen Ausdruck niemand richtig urteilen kann, der nicht einigermaßen im Versemachen geübt ist, und aus diesem Grunde ist ein Professor der Poesie angestellt, der in der Dichtkunst die größte Virtuosität besitzt; ihn sollen daher die jungen Leute sich zum

— 27 — Muster nehmen." Mit diesen Schlußworten weist die Schulordnung noch ausdrücklich auf den Stern des Lehrerkollegiums hin, auf den Dichter­ könig Helius Eobanus Hesse. Neben diesen Stllübungen wurden auch Übungen im freien lateinischen Vortrag verlangt. Daß in der Schule nur Latein gesprochen wurde, ist selbstverständlich, ebenso, daß die Schüler von Zeit ju Zeit lateinische Komödien zur Aufführung brachten. Melanchthon ließ in Wittenberg durch die Privatschüler, die er in seinem Hause hatte, zeitweise lateinische Komödien aufführen und dichtete dazu lateinische Prologe. Auch Luther empfahl diese Aufführungen, und zwar nicht nur als Übung im Latein­ sprechen, sondern auch wegen des verständigen Inhaltes der Komödien22). Man kann annehmen, daß Camerarius und Hesse derselben Ansicht waren. Welche Rolle spielten nun die Klassiker in der Schule Melanchthons? Nach der Schulordnung könnte man glauben, sie seien nur zum Zweck der Imitativ gelesen worden. Finden wir doch dort den Satz: „Auch über Ciceros Buch von den Pflichten wird gelesen werden und über Ge­ schichte, entweder nach Livius oder nach anderen Schriftstellern, damit die Jünglinge an solchen Mustern schreiben und sprechen lernen." Uns stieres! Heißt das Humanismus? Wollte» die Humanisten wirklich nur die Sprache, nicht die Sache, nur die Schale und nicht den Kern? Unsere Schulordnung gibt uns bei ihrer knappen Kürze auf diese und auf viele andere Fragen keine Antwort. Sie könnte uns sogar irre führen. Wir müssen uns also anderswo umsehen und müssen fragen, wie der Vater dieser Schulordnung, wie Melanchthon zum Altertum stand, was er von ihm wollte und wie er als Lehrer in Wittenberg die Klassiker erklärte. Wie alle Humanisten seiner Zeit wollte Melanchthon vom Altertum res et verba, das Wort und die Sache. In diesem Schlagwort sind alle päda­ gogischen Schriftsteller seiner Zeit einig. Dadurch tritt von selbst als be­ deutend neben die sprachliche Form der Inhalt des Klassikers. Melanchthon spricht dies in der Vorrede zu seiner Ausgabe der Werke und Tage des Hesiod 1526, also im Jahr der Gründung der Nürnberger Schule, mit folgenden Worten and23): „Ich bemühe mich stets, euch solche Schrift­ steller vorzulegen, welche zugleich die Erkenntnis der Dinge mehren und die Rede bereichern. Denn diese beiden Stücke gehören zusammen, so daß eins nicht sein mag ohne das andere; es kann niemand gut reden, ohne Kenntnisse, und die Erkenntnis ist lahm, ohne das Licht der Rede. Wie der Schiffer nach den Sternen seinen Lauf richtet, so sind alle unsere Studien nach diesem Prinzip zu richten: daß wir uns einerseits wissen­ schaftliche Einsicht, in den Geisteswissenschaften und in den Naturwissen­ schaften, anderseits wenigstens ein gewisses Geschick, über ernste Dinge uns auszudrücken, verschaffen."

— 28 — Am meisten von allen Klassikern liebte Melanchthon den Homer. Von ihm sagt er24): „Keine Schrift ist seit Anfang aller Dinge in irgend­ einer Sprache oder bei irgendeinem Volke von irgendeinem menschlichen Geiste geschaffen worden (die Heilige Schrift natürlich ausgenommen), die ebensoviel Gelehrsamkeit oder Elegantia oder Anmut enthielte." Daher schmerjte es ihn auch, daß er in seinen Homervorlesunge» so wenig Hörer hatte. Damals pflegten die Professoren ihre Vorlesungen in längeren Ankündigungen den Studenten bekannt ju geben. Im Jahre 1531 lud Melanchthon durch folgende Ankündigung ju einer Homer­ vorlesung ein24):

„Intimatio Philippi Mel. de Homero praelegendo 1531. Decrevi aliquot lidros Homeri interpretari Deo volente. In eam rem collocabo deinceps horam sextam die Mercurii et praelego, ut soleo, gratis. Quod autem dicunt Homerum mendicasse vivum, id accidit ei etiarn mortuo. Oberrat enim optimus Poeta et rogat, qui se audire velint. Pecuniam polliceri non potest, sed pollicetur magnarum et honestarum rerum doctrinam. Rogat autem non illos (iavatoovg, qui quaestuosas artes sectantur, non solum nulla instructi liberal! doctrina, sed etiarn ex hac una re sapientiae famam captantes, quod magnifice ausint contemnere alias omnes honestas disciplinas. Quodsi casu in horum aliquem inciderit Homerus, est enim coecus, orat se civilster dimitti, sicut a Platone ex civitate dimittitur. Verum hos ad se vocat audiendum, qui colunt studia liberaliter et virtutis amore. Ego memini quondam non potuisse talium scriptorum copiam fieri studiosis, quamlibet magna mercede proposita; nunc tantus est contemtus optimarum rerum, ut nisi gratis offerantur et quidem praelegantur a peritis, mendicare Homerus auditores cogatur. Incipiam autem proxime a nono libro lliados.“ Die deutsche Übersetzung dieser Klage lautet bei Heerwagen, Sämt­ liche Schulreden, S. 53: „Die Sage meldet, Homer sei im Leben ein Bettler gewesen. Das nämliche Schicksal ist ihm auch nach dem Tode noch beschieden. Denn der gute Dichter irrt umher und bettelt, ob ihn jemand hören wolle. Geld vermag er nicht zu versprechen, aber wohl Belehrung über wichtige und herrliche Dinge. Er richtet daher seine Bitte nicht an jene Brotstudenten, die bloß den erwerbsicheren Künsten nach­ gehen und nicht nur keine edle Bildung besitzen, sondern darin allein ihren Ruhm suchen, daß sie dreist alle Wissenschaft verachten. Er lädt vielmehr diejenigen als Zuhörer ein, welche aus reinem Interesse und aus Liebe zur Tugend die Studien ehren. Es gab eine Zeit, wo die Studierenden, wenn sie sich's auch noch so viel hätten kosten lassen wollen, den Zutritt zu diesen Schriftstellern sich nicht ermöglichen konnten; heutzutage ist leider

— 29 — die Verachtung der schSnen Künste so groß, daß, wenn sie nicht umsonst dargeboten werden, und zwar von Männern, die ihre Sache verstehen, Homer sich seine Zuhörer erbetteln muß. Ich werde aber nächsten Dienstag beim y. Buch der Ilias anfangen Wer so spricht, der las den Homer nicht nur wegen der sprachlichen Form, der lebte in seiner Welt und suchte sicher auch seine Schüler in diese Welt einzuführen. Die Schulordnung der Trivialschule in Eisleben, die, wie wir sahen, von Melanchthon verfaßt oder doch maßgebend beeinflußt ist, empfiehlt im Jahr 1525 als griechische Lektüre einige Dialoge Lukians, Hesiod und Homer. Wir können also annehmen, daß auch Camerarius in Nürnberg mit gleicher Liebe den Homer las, wie sein Freund und Lehrer Melanchthon. Zu der sprachlichen und sachlichen Erklärung eines Textes kam in jener Zeit noch die religiös-sittliche. Dieser dritte Gesichtspunkt erschien einer Zeit, die alles auf das Heil der Seele bezog, besonders wichtig. Wie sehr man damals die Erklärung der Klassiker für moralische Zwecke ge­ brauchte und nach unserem Geschmack mißbrauchte, dafür gibt uns Paulsen, Geschichte des gelehrten Unterrichts I ©. 341 ein ergötzliches Beispiel. Der Rostocker Professor Johann Posschius lud am 6. Juni 1560 seine Studenten mit folgender Ankündigung zu einer Sophoklesvorlesung ein: „Jede einzelne Tragödie des Sophokles enthält einige vorzügliche Er­ örterungen oder locos communes und viele herrliche und wichtige Sen­ tenzen und Lebensregeln; ich werde dieselben in den einzelnen Tragödien mit Gottes Hilfe auf die gleichlautenden Vorschriften der zehn Gebote, als auf ihre Quellen, zurückführen. Im Ajax kann das Beispiel des be­ straften Hochmuts und Verachtung des göttlichen Beistandes auf das erste, das Beispiel der Mäßigung im Glück und in der Rache, welches Ulysses gibt, auf das fünfte Gebot zurückgeführt werden. Die Strafe des Ehebruchs an Klytemnesira und Ägistus in der Elektra, des Jnzests im König Ödipus, der grauenvolle Untergang des Herakles in den Trachinierinnen, welcher durch zügellose Liebesleidenschaft veranlaßt wird, kann auf das sechste Gebot zurückgeführt werden. In der Antigone, welche vor allem durch Menge und Wichtigkeit der schönsten Sentenzen sich her­ vortut, steht die Erörterung in Beziehung zum ersten und vierten Gebot: ob man Gott mehr als der Obrigkeit gehorchen solle. In den beiden Ödipus wird die Lehre des vierten Gebots über die furchtbaren Strafen des Vatermordes und die den Eltern schuldige Pietät und die Strafen undankbarer Kinder illustriert. Der erste Teil des Philoktetes enthält eine Erörterung, welche aus den Quellen des achten Gebots fließt: ob man an die offene und einfältige Wahrheit in Wort und Tat jederzeit sich halten müsse, oder ob es einmal erlaubt sei, um des gemeinen Nutzens

— 30 — willen jv lügen. Der andere Teil stellt die Lehre des ersten Gebots vor: ohne Gottes Beistand lasse sich nichts Segensreiches vollbringen. Und am Schluß findet sich jene fromme und schöne Sentenz: ovyaqevatßua tFvvihrfrntei ßqoToi§- **cv tcöai v.av 9-ävwaiv ovz aTtöllvtau Doch auf die schönen Stellen und Sentenzen werde ich bei der Behandlung der einzelnen Tragödien aufmerksam machen und zugleich darauf, was aus der Lektüre des Sophokles für den Stil sich gewinnen lasse. Denn unter den drei großen Tragikern ist des Sophokles Eloquenz zu allen Zeiten von den Kundigsten am meisten bewundert worden: durch Glanz und Wucht, durch Fülle der Sprache und Gedanken, durch Erhabenheit und Majestät ist er den andern überlegen, im besondern auch dem Euripides, dessen Rede knapper und einfacher ist und mehr Fülle der Gedanken als der Sprache zeigt. Da zum Markt eine Anzahl Exemplare angekommen sind, so fordere ich die Studierenden auf, zu kaufen und die Gelegenheit, diesen vortreff­ lichen Autor zu hören, nicht zu versäumen." Auch dieser Humanist las also den Sophokles nicht nur, um an ihm Griechisch zu treiben. Von unserer Art, ein Kunstwerk aus der ge­ schichtlichen Bedingtheit seines Werdens heraus zu verstehen, weiß er freilich nichts. Dennoch können wir von ihm lernen. Geschmacklose Über­ treibungen müssen wir natürlich vermeiden. Aber die moralische Seite der Erklärung dürfen auch wir nicht vernachlässigen, wenn die Klassiker unsern Schülern Führer fürs Leben sein sollen. Es stand also nicht so schlimm um die Klassikerlektüre an der Schule Melanchthons, wie wir nach der Schulordnung befürchten müßten. Männer von der geistigen Bedeutung eines Camerarius und Hesse haben sicher bei aller Betonung des Sprachlichen den Inhalt -er Klassiker nicht aus dem Auge verloren, und wenn Michael Roting das Buch Ciceros von den Pflichten las, hat er seine Schüler gewiß auf den Weg der Pflicht gewiesen, und wenn er Livius las, schwärmte er wie alle Humanisten von der Größe Roms. Die Gründung der Nürnberger Schule weckte bei den Anhänger« der neuen Lehre große Erwartungen und hohe Freude. Luther schrieb im Jahr 1530 an Lazarus Spengler: „Nürnberg leucht wahrlich in ganz Deutsch­ land, wie eine Sonne unter Mond und Sternen. Aber Gott sey gelobt und ge­ dankt, der des Teufels Gedanken lange verkommen hat (—zuvorgekommen ist), und einem ehrbaren, fürsichtigen Rath eingegeben, eine solche feine, herrliche Schule zu stiften und anzurichten, mit großer Kost und Dar­ legung, die allerfeinesten Leute dazu erwählet und verordnet, daß freilich (ich will nicht zu hoch rühmen) vorhin keine Hochschule, wenn"s gleich Paris wäre, so wohl mit Legenten (Lehrern) versorget gewesen ist. — Wie

— Bi­ otit das zeugen müssen, so mit mir aufgezogen sind in hohen Schulen. Denn ich weiß und habe ihre Kunst auch gelernet, und kann sie auch noch leider allzu wohl. Das mag doch ja ein herrlich fein Catorthoma (gutes Werk) seyn, und eine Tugend solcher berühmten Stadt, und weitberufen weisen Rath ähnlich und ehrlich, darin sie ja christlich und reichlich ihrer Unthertanen bedacht, und mit allen Treuen zu ihrem Heil ewiglich und auch zu Nutz und Ehren zeitlich gefördert haben. Welch Werk Gott auch gewißlich mit reichem Segen und Gnaden stärken wird, je länger, je mehr, ob sich gleich der Teufel eine Zeitlang dawider sperren muß. Denn er kann ja nicht lustig dazu seyn, daß unserm Herrn ein solch fein Tabernakel gebauet ist in dieser Sonnen." Die Freude Luthers ist begreiflich, denn die neue Schule diente der neuen Kirche. Ihr und der Republik Nürnberg sollte sie in Zukunft tüchtige Führer heranbilden. Staat und Kirche schlossen bei ihrer Gründung ein Bündnis. Der Dritte im Bunde war der Humanismus, der freilich nur eine dienende Stellung einnahm. Die Nürnberger Schule war die dritte, die nach dem Sendschreiben Luthers vom Jahr 1524 gegründet wurde. Eisleben und Magdeburg waren 1525 mit Lateinschulen vorangegangen, der Nürnberger Rat hatte das Geld nicht gespart und hatte mit seiner „oberen Schule" etwas Besonderes geleistet, er hatte einen neuen Schultyp geschaffen, eine Schule, die sich auf den bestehenden Lateinschulen aufbaute, in den Lehrzielen aber über sie htnausging. Alte Sprachen und Mathen matik waren ihre Hauptfächer; man kann sie das erste humanistische Gym­ nasium in Deutschland ttetttten26). Den Namen Gymnasium freilich führte sie nicht. Der war da­ mals nur für die Universität gebräuchlich. Der Rat der Stadt nannte seine neue Schule „die obere Schule". Melanchthon, Camerarius und Hesse nennen sie in ihren Briefen und Dichtungen einfach „schola“ oder „ludus“ („Schule") oder auch „Norica schola“ („Die Nürnberger Schule"). Wenn in einem Brief an Camerarius die Schule einmal Gym­ nasium Norimbergense genannt wird und gelegentlich in Briefen an Hesse Neacademia, und wenn Melanchthon einmal in einem Brief an Paumgartner den Ausdruck Academiola nostra gebraucht, so sind das einfach Höflichkeiten der Briefschreiber, die dem offiziellen Sprachgebrauch des Rates der Stadt gegenüber nichts beweisen. Ebensowenig fällt ins Ge­ wicht, daß Melanchthon in seiner Fesirede und in der Schulordnung die Lehrer Professores nennt und Luther in seinem Brief an Lazarus Spengler Legenten. Der Rat nennt sie nur Schulmeister, praeceptores oder Päda­ gogen. Er hätte seine neue Schule sicher mit Stolz Gymnasium genannt, wen» sie eine Hochschule gewesen wäre. Lochner hat also unrecht, wenn er in seiner Schrift: „Phllippus Melanchthon und das Gymnasium zu

— 32 — Nürnberg in ihrem wahren Verhältnis betrachtet" folgenden Satz zn beweisen sucht: „Das gegenwärtige Nürnberger Gymnasium hat mit dem nicht von Melanchthon, aber vom Rathe der Stadt Nürnberg auf sein, Melanchthons, Gutachten errichteten gleichnamigen Institut nichts gemein als den Namen und die Oertlichkeit." Lochner schrieb seine Abhandlung im Jahre 1853. Er stützt seine Behauptung in der Hauptsache durch die paar Briefe, in denen die neue Schule Gymnasium, Neacademia und Academiola genannt wird, kannte aber ihre Schulordnung nicht, die Heerwagen erst im Jahre 1860 auf­ gefunden und bekannt gemacht hat. In dieser Schulordnung heißt es ausdrücklich: „Es sind gesonderte Klassen in der Weise angerichtet, daß die Wissenschaften in der rechten Reihenfolge gelehrt werden." Das ist doch sicher kein Hochschvlbetrieb! Wir können also mit Recht am 23. Mai 1926 das vierhundertjährige Bestehen unserer Schule feiern. Sie geht auf Melanchthon zurück, denn seine Schule war ein Gymnasium in unserem Sinn und keine Hochschule. Als der Rat im Jahre 1575 die Schule nach Altdorf verlegte, nannte er sie „die Altdorfer Landschule". Auch dieser Name und die Schulord­ nung von 1575, von der wir später sprechen werden, zeigen deutlich, daß es sich um eine Mittelschule handelte und nicht um eine Hochschule. Die neue Schule war unmittelbar dem Rat unterstellt, der von Zeit zu Zeit humanistisch gebildete Männer aus seiner Mitte zu Visitationen abordnete. Obwohl kein Schulgeld verlangt wurde und obwohl an der Schule die besten Lehrer wirkten, hatte sie doch von Anfang an recht wenig Schüler. Melanchthon scheint bald an dem guten Willen der Nürnberger Bürger­ schaft und ihres Rates irre geworden zu sein, macht er doch schon im Sep, tember 1526 seinen Freund Hesse darauf aufmerksam, daß der Landgraf von Hessen damit umgehe, eine Schule zu gründen und gibt ihm den Rat, falls es ihm in Nürnberg nicht mehr gefalle, sich dorthin zu wenden. „Denn," so fügt er hinzu, „wenn Euer« Mitbürgern an Euch und Eurer Wissenschaft nichts gelegen ist, so muß man auf einen anderen Entschluß denken." Mit dieser Annahme tat er dem Rat der Stadt sicher unrecht. Denn dieser sann schon im Jahre 1527 auf ein Mittel seiner neuen Schule zu helfen. Er glaubte dies dadurch zu erreichen, daß er die Trivialschulea verbesserte, die damals auch nur wenig Schüler hatten. Besonders war dies bei der Trivialschule von St. Egidien der Fall, die doch ihre Schüler in erster Linie der oberen Schule zuführen sollte. Am 9. Januar 1527 erstatteten „die zu den Schulen verordneten Herrn" (die Schulreferenten), wahrscheinlich Christoph Koler und Hieronymus Paumgartner, dem Rat der Stadt ein Gutachten, das den Titel führte: „Bedencken wie den

— 33 4 Schulmeistern tret angezeigten menge! und gebrechen halber mecht geholfen werden." Mer Punkte werden jur Sprache gebracht. Heerwagen, der das Gutachten in seinem Programm von 1867 zum Abdruck bringt, äußert fich darüber S. 6 mit folgenden Worten: „Es zeugt von großer Humanität, daß diese Männer in erster Linie den dringenden Bitten der Schulmeister um Aufbesserung ihrer materiellen Verhältnisse Rücksicht schenkten, eine Vermehrung ihres Gehaltes und Einräumung einer be, quemen Dienstwohnung beantragten. Denn wenn eine Stadt gute Lehrer gewinnen und sich erhalten will, so muß sie dieselben anständig besolden, damit sie nicht mit Hunger und Kummer zu kämpfen haben oder ihre beste Kraft einem anderweitigen Erwerb zuwenden. Der zweite Punkt des Gutachtens betrifft diejenigen Schüler, welche für tauglich erachtet wurden, in die obere Schule zu gehen; man forderte für dieselben Erlassung des Chordienstes an den Werktagen. Hier liegt der deutlichste Beweis vor, daß die Berichterstatter nicht einseitig bloß über den Stand der Lateinschulen, sondern auch über deren Beziehungen zu der neuen Anstalt ihre Ansicht auszusprechen hatten. Denn im Interesse der vier Schulmeister lag es durchaus nicht, die älteren Knaben, von denen sie bisher im Chorsingen unterstützt worden waren, vom Kirchendienst t>i& pensiert zu sehen. Aber die Lectoren der oberen Schule konnten sich mit Grund über die vielen Versäumnisse beklagen, welche ihren Schülern aus jener Verpflichtung erwuchsen. Ohne Zweifel haben auch Camerarius und seine Kollegen auf den Entwurf des Gutachtens Einfluß geübt, wie sich sogleich noch klarer herausstellen wird. Als ein Zeichen der Zeit ist es zu betrachten, daß das Gutachten drittens hervorhebt, die Mehrzahl der Schulmeister hätte es für wüm schenswert erklärt, wenn in Zukunft von keinem Schüler mehr Schulgeld gefordert würde, „dieweil sie in der Tat erfahren, daß viele Eltern ihre Kinder des geringschätzigen Geldes wegen von der Schule abgezogen haben." Damit aber für diesen Fall nicht einzelne Lehrer, wenn sie von ihren Knaben kein Schulgeld mehr zu gewärtigen hätten, sich zu Unfleiß und Lässigkeit verführen ließen, werden viertens monatlich Visitationen durch die verordneten Lectores der oberen Schule beantragt, wobei die Bemerkung hinzugefügt wird, daß letztere zur Übernahme einer solchen Funktion erbötig und bereitwillig seien. Diese Versicherung setzt es, wie bereits angedeutet wurde, außer Zweifel, daß Camerarius, Hesse und Roting der Abfassung der ganzen Schrift nicht fern standen, vielmehr zuvor ins Vertrauen gezogen worden waren." Der Rat nahm die beiden ersten Vorschläge an, die zwei andern überging er mit Stillschweigen. Natürlich konnten diese Verbesserungen nur langsam wirken. Der Zustand der Schule blieb also nach wie vor Steiger, Festschrift.

3

— 34 — ein trauriger. Daher erstattete Camerarius im Jahre 1529 an Hieronymus Paumgartner in lateinischer Sprache einen Bericht, den Heerwagen tu seinem Programm von 1867 S. 26 in i>ct deutschen Bearbeitung bietet, in der er wohl dem Rate durch Paumgartner vorgelegt wurde. Den Schülermangel erklärt Camerarius wohl mit Recht dadurch, daß mit der Annahme der Lehre Luthers die Pfründen aufgehoben worden seien, die früher den Studierenden eine sichere Aussicht auf Versorgung als Geistliche und Mönche geboten hätten. Aus reiner Liebe jur Wissenschaft aber studierten nur wenige. Gar mancher Vater sage: „Was hilft es, wenn mein Sohn lange studiert und bringt es ju weiter nichts als einem Gelehrten; dabei muß er Hunger und Kummer leiden." Das galt zu Beginn der Reformation natürlich nicht nur für Nürnberg, sondern überall, wo Luthers Lehre herrschte. Des weiteren macht Camerarius dann den Vorschlag, jungen Leuten zu ihrer Ausbildung Stipendien ju verleihen und insbesondere die Stiftung beim Spital, die Konrad Groß 1333 für die zwölf Chorknaben gemacht hatte und die seit einiger Zeit aufgehoben war, wieder zu erneuern und mit der oberen Schule zu ver­ binden. Diesen Vorschlag nahm der Rat an. Die zwölf Chorschüler erhielten Kost und Wohnung im Spital; zu ihrem Inspektor wurde Michael Roting bestellt. Wie die Gründung der Schule in weiten Kreisen Teilnahme geweckt hatte, so konnte natürlich nun auch ihre schwierige Lage nicht verborgen bleiben. Besonders gefährlich war das Interesse, das der erste aller deutschen Humanisten, Erasmus von Rotterdam, an ihr nahm. Er schrieb im Februar 1528 an Camerarius: „Ich bin außerordentlich be­ gierig, Näheres von Dir über den Fortgang Eurer Schulangelegenheiten zu vernehmen. Das, was ich höre, lautet gar nicht günstig." Zwei Jahre später ließ Erasmus, von anderer Seite gereizt, eine Schrift ausgehen, in der er auch auf die Nürnberger Schulverhältnisse zu sprechen kam. Er

sagte??): „Criminantur et illud, quod scripsi, quotquot in locis regnat hoc novum evangelium, ibi frigere studia litterarum. .Norimbergae, inquit, sunt decreta satis ampla salaria linguarum professoribus.* Scio, sed qui illic vivunt scribunt auditores esse pene nullos et professores non esse minus pigros ad docendum quam auditores ad discendum, ut non minus opus sit salario discipulis quam doctoribus.“ „Man legt mir auch das zur Last, daß ich behauptet habe, an allen Orten, wo dieses neue Evangelium herrscht, zeige sich große Teilnahmslosigkeit an dem Studium der Wissenschaften. ,Jn Nürnberg, wendet man mir ein, sind doch sehr bedeutende Besoldungen für die Professoren der alten Sprachen ausgesetzt worden.' Ich weiß das, allein Personen, die dort wohnen, schreiben mir, daß fast gar keine Zuhörer da sind, und daß die

— 35 — Professoren ebenso faul zum Lehren wie die Zuhörer zum Lernen sind, ja, daß es beinahe not tut, nicht minder den Schülern Besoldung zu geben wie den Lehrern." Bet dem hohen Ansehen, das Erasmus in der ganzen gelehrten Welt genoß, war das für die Nürnberger Schule und für ihre Lehrer ein harter Schlag. Auch war der schwere Vorwurf gegen die Lehrer gewiß ungerecht, wie wir noch sehen werden. Hesse erwiderte mit einer geharnischten Epistel, worauf Erasmus eine Antwort schickte, die zwar in der freundschaftlichsten Form gehalten war, aber in der Sache nichts zurücknahm. Mit boshafter Teilnahme verbreitete er sich über die mißlichen Verhältnisse der Schule, verteidigte die Lehrer und schob alle Schuld auf die Verhältnisse, die die Lehrer ja nicht ändern könnten. Doch hielt er seine Behauptungen auf­ recht und berief sich auf keinen geringeren Gewährsmann als auf Wilibald Pirckheimer. Der Schluß charakterisiert den Mann und sein Schreiben. Er lautet^): „Doch ich will nun diesem schon allzu wortreichen Brief den Schluß beifügen. Möge Eurer Republik alles Glück zu Theil werden so wie ich es wünsche. Ich glaube nicht, in irgendeiner Beziehung ihr zu nahe getreten zu sein und möchte es auch nicht thun. Wenn das Gerücht grundlos ist, daß dort die Lehrerschaft es an Eifer fehlen läßt, und wenn Wllibald Unwahres an mich geschrieben hat, so soll es mich herzlich freuen und ich bitte dann wegen meiner Leichtgläubigkeit um Verzeihung. Ver­ hält sich aber die Sache in Wahrheit also, so bin ich der Meinung, daß die Lässigkeit der Professoren in der Theilnahmslosigkeit der Zuhörer eine Entschuldigung finde. Wird mir das nicht eingeräumt, so mögest Du wenigstens überzeugt sein, daß ich gegen Dich und Joachim freundlich gesinnt, gegen die Andern, die ich nicht kenne, nicht aufgebracht bin; — Lebe wohl und grüße Deinen Kollegen Joachim in meinem Namen. Freiburg im Breisgau am 12. März 1531." Noch im gleichen Jahre ließ Erasmus diesen Brief in einer neuen Sammlung seiner Briefe drucken. Die so hart angegriffenen Lehrer suchten in ihrer Wissenschaft die Befriedigung, die ihnen ihre Schultätigkeit nicht geben konnte. Schon im Jahre 1526 hatte Camerarius „Praecepta honestatis atque decoris puerilis“, also einen Sittenspiegel für Schüler geschrieben. Den Schluß des Büchleins blldet ein kleiner Dialog über Leibesübungen. Camerarius geht von der Gymnastik der Alten aus und schildert dann eine Anzahl Leibesübungen, die im geschlossenen Raum oder im Freien vorgenommen werden können. Daß diese Leibesübungen in der neuen Schule eingeführt worden wären, davon wissen wir freilich nichts. Doch war es schon viel, daß sie empfohlen wurden. Camerarius hatte selbst als Student in Wit­ tenberg an körperlichen Übungen teilgenommen^). Seine übrige schrift3*

— 36 — stellerische Tätigkeit ist rein wissenschaftlicher Art: er besorgte »eve Klas, sikeransgaben und übersetzte griechische Schriften ins Lateinische, um sie so allen Gebildeten zugänglich zu machen. Auch zwei Schriften Dürers übersetzte er ins Lateinische. Eobanus Hesse war mit Dürer innig befreundet. 1526 schuf dieser sein Bild in Holzschnitt und äußerte scherzend, es gleiche mehr einem Kriegsmann als einem Gelehrten. Als Dürer 1528 starb, dichtete Hesse „dem deutschen Apelles" ein Grablied „epicidium in kuriere Alberti Dureri“. Auch sonst war er im Dichten unermüdlich. Mehrmals besang er die Schule, an der er lehrte, und 1532 schuf er ein echtes Humanisten, werk zum Lob und Preis von Nürnberg, seine „Urbs Noriberga illustrata“. In der Vorrede zu diesem 1387 lateinische Hexameter vmfassenden Werke spricht Hesse von ungelehrten Idioten, die jetzt Bücher schrieben, was doch nur den Gelehrten überlassen bleiben müsse. Er hoffe, daß sein Werk mindestens ebenso gut, wenn nicht besser gefallen möge, als gewisse schmutzige, in der gewöhnlichen Sprache geschriebene Bücher. Damit wirft Hesse einen mißgünstigen Seitenblick auf Hans Sachs, den er nicht einmal der Namensnennung würdigt. Sachs hatte nämlich zwei Jahre vorher mit seinem in deutschen Reimen verfaßten „Lobspruch der Stadt Nürnberg" viel Beifall gefunden. Hesse schlldert in 30 Abschnitten die Herrlichkeit Nürnbergs und seiner Umgebung30). Keine der Städte des Altertums, weder Ephesus noch Korinth, kommen an Pracht der öffentlichen und privaten Gebäude der Stadt Nürnberg gleich. Die Stadt ist mit einer dreifachen Mauer um, geben und hat 200 Türme. So übertrifft sie das hunderttorige Theben und in bezug auf den Umfang der Mauern das alte Jerusalem. Gleich einer zyklopischen Mauer erhebt sich im Nordosten die alte Kaiserburg, die innen mit schönen Gemächern und Bildwerken geschmückt ist. Die Stadt wird von der lieblichen Pegnitz durchströmt. Wie der alte Peneus durch Lorbeerhaine, so fließt sie zwischen fichtenbewachsenen Hügeln dahin. Zwölfmal ist sie in der Stadt überbrückt. Außerhalb der Stadt, an einer flachen Krümmung des Hügels, liegt die Allerwiese (pratum Allerium, jetzt Hallerwiese), im Frühling ein wahres Tempe, ein Stück sizilischer Naturpracht, mit vierfachen Baumreihen und drei in Stein gefaßten Quellen geschmückt, die der Bandusia, der Kastalia und Aganippe zu ver, gleichen sind. Dann unternimmt der Dichter mit uns einen Ausflug in den Stadtwald und schildert die Steinbrüche und die liebliche Waldquelle. Camerarius ist besonders entzückt von der Schilderung dieser Quelle. Er meint, daß durch dies Werk des Dichters die Quelle ewig strömen werde, ebenso wie der Qlbamn auf der Burg des alten Athen und die Palme auf Delos ewig grünen.

— 37 — Von der Quelle führt er uns wieder in die Stadt zurück und schildert ihre hervorragenden Bauwerke und Plätze. Überaus herrlich ist das Rat­ haus mit seinen gold- und mennigsirahlenden Bildern, seinen Sälen, die für Götter und Könige geschaffen scheinen, der ehrwürdige Sitz des „heiligen Senates", herrlicher als die Kurie des Cicero. Hier wägt der Senat auf gleicher Wage das Recht, so unerschütterlich fest, daß selbst die himmel­ stürmenden Giganten vergebens dagegen ankämpfen würden. Besonders eingehend wird dann das Sebaldusgrab und das Sakramentshäuschen beschrieben. Das erstere wird ein Wunderwerk genannt, wie es kein Pra­ xiteles, kein Polyklet schaffen könnte. Dann folgt eine Schilderung der Eisenfabriken und insbesondere der erst seit 1360 in Nürnberg einhei­ mischen Drahtzieherwerksiätten. Das Schmelzen und Schmieden erinnert au die Kyklopenwerkstätten unter dem Ätna. Im 30. Kapitel beschließt der Dichter sein Werk mit dem Lob der neuen Schule.

Der Vorzug des Gedichtes beruht in der Form. Denn mit virtuoser Gewandtheit werden die verschiedensten und zum Tell ganz modernen Stoffe in lateinischen Hexametern behandelt. Aber es herrscht die Phrase, und Heerwagen hat recht, wenn er in seinem Programm von 1868 S. n besonders bei dem Abschnitt über die neue Schule darauf hinweist, wie wenig der Dichter hier mit vielen Worten über eine ihm doch so nahe­ liegende Sache zu sagen wisse, übrigens war Hesse selber von seinem Werke keineswegs entzückt. Er schreibt darüber recht naiv an einen Freund:

„Vieles nieam Noricani, ecquid sentis? poema est ex ipsa re duriusculuni et sane non niei genii. Id tarnen qualequale est a nostro senatu adeo est exceptum gratanter, ut nie Septuaginta florenis donarint.“ „Hier hast Du meine Verherrlichung Nürnbergs, was hältst Du davon? Das Gedicht hat schon vermöge des Stoffes etwas Ungefügiges und ist freilich nicht meinem Genius gemäß. Doch, mag es nun sein wie es ist, unser Senat hat dasselbe so gut ausgenommen, daß man mir 70 Gulden verehrte."

Für Hesses Charakter ist es bezeichnend, daß er zu derselben Zeit, «0 er dies Denkmal wärmster Liebe und Verehrung dem Rat der Stadt Nürnberg überreichte, in Unterhandlungen stand, die ihn von Nürnberg fortführen sollten. Reben diesen Versen hat er noch gar viele andere in Nürnberg ge­ macht. Ihre Zahl wird, wie wir schon erwähnt haben, auf 20000 geschätzt. Bet dieser Schnellschreiberei begegnete es ihm einmal, daß er einen stebenfüßigen Hexameter drucken ließ. Ein Nürnberger Poet, Vincentius Obsopoeus (Koch?) machte sich darüber lustig, und Hesse antwortete ihm mit einem bitterbösen Gedicht.

— 38 — Unmittelbar für den Gebrauch der Schule, an der er ja lateinische Poeterei lehrte, verfaßte Hesse schon im Jahre 1526 eine kleine Prosa­ schrift: „Scribendorum versuum maxime compendiosa ratio“, also eine kurzgefaßte Anleitung zum Versemachen. Um Theokrits Idyllen ins Lateinische übertragen zu können, verbesserte er unter Anleitung seines Freundes Camerarius mit vielem Eifer seine griechischen Sprachkenntnisse. Auch das medizinische Studium, das er in Erfurt begonnen hatte, setzte er fort, und daneben fand er noch die Zeit zu literarischer Geselligkeit und zu Trinkgelagen. In einem Briefe an einen Freund schlldert er am 19. November 1526 sein vielgeschäftiges Dasein mit folgenden Worten: „Erstlich bereiten mir, was ich mit Dir gemein habe, Weib und Kinder und häusliche Angelegenheiten nicht geringe Sorgen. Diese werden durch die mir anvertrauten Pensionäre vermehrt. Dazu kommen die wissen­ schaftlichen Studien, die ich nach den verschiedensten Seiten zersplittern muß. Denn da ich in der Schule den Virgil lehre, so muß ich vortragea, was der Würde eines so großen Dichters entspricht und die gute Meinung der Welt von mir nicht beeinträchtigt. Wie mühsam aber dies zusammen­ gesucht werden muß, weißt Du; denn da die Gegenwart Überfluß an guten Büchern hat und in allen Zweigen gut bewandert ist, so pflegt man die­ jenigen gering zu achten, welche etwas nicht wissen, was entweder irgend­ wo gelesen oder auch von einem andern gesagt «erden kann. Sodann muß man das Griechische, man mag wollen oder nicht, tüchtig inne haben. Komme ich aus der Schule nach Hause, so muß ich wieder zum Knaben «erden und zur Grammatik greifen, obwohl mir das nicht viel Not macht. Und ferner, Cordus, was sagst du dazu, daß fast täglich Briefe der gelehr­ testen Männer Deutschlands an mich einlaufen, denen man durchaus antworten muß? Dazu dringen manche, zu denen auch unser Joachim gehört, heftig auf mich ein mit dem Verlangen, daß ich Gedichte machen soll.... Und neben alledem darf man das Studium der Medizin nicht unterlassen. So müssen wir in Arbeit leben, nm zu leben; das ist unser Los." So waren Camerarius und Hesse in Nürnberg rastlos tätig, wenn sie auch für die Schule selbst nicht viel tun konnten. Auch ihre Erholung suchten diese Männer nicht selten in der Beschäftigung mit ihrer Wissen­ schaft. Schon im Jahre 1526 gründeten sie mit Michael Roting, dem Republik-Konsulenten Johann Mylius und dem Ratsschreiber Georg Ho pell ein lateinisches Kränzchen. Heerwagen erzählt darüber im Pro, gramm von 1868 S. 5 folgendes: „Die Bewirthung ging im Kreise herum, und der Einladende hatte zugleich die Verpflichtung, eine Reihe von Thesen aufzustellen, welche für den treffenden Abend zur Erörterung kommen sollten. Eine ganze Reihe kleiner, meist scherzhafter Gedichte,

— 39 — welche in den Briefsammlungen erhalten sind, beziehen sich auf diese abendlichen Zusammenkünfte, indem Joachim und Eoban häufig in Versen ihre Einladungen erließen oder auch nachträglich den Eindruck der ge­ pflogenen Conversation in poetischer Form zu fixiren suchten." Gleich im ersten Jahre kam es in diesem Kränzchen zwischen Camerarius und Hesse zu einer heftigen Szene. Hesse empfahl auch die Latinität des jüngeren Plinius zur Nachahmung, während der Freund an der alleinigen Autorität des Cicero festhielt. Darüber stritten diese Vollblut­ humanisten so heftig, daß Camerarius schließlich das Gespräch abbrach und die Gesellschaft verließ. Ein freundschaftlicher Briefwechsel stellte aber bald das gute Einvernehmen wieder her. Hesse liebte es übrigens, noch andere Gesellschaft aufzusuchen, die seinem ungebundenen Wesen besser zusagte. Camerarius erzählt darüber in seiner vorsichtigen Weise folgendes: „Er hatte aber noch mehrere andere Freunde, die große Stücke auf ihn hielten und mit welchen er in heiterer Geselligkeit gern zu verkehren pflegte. Unter diesen war sein Nachbar Wilhelm der Musiker ihm ständiger Begleiter auf Spaziergängen und wenn er sich in Gesellschaft begab, um sich die Sorgen zu verscheuchen oder Erholung von ermüdenden Studien zu suchen." Dieser Freund hieß mit seinem vollen Namen Wilhelm Breiten, g a sse r und war Schulmeister zu St. Egidien. Mit ihm sang Hesse in froher Tafelrunde deutsche Trinklieder in den Kneipen der Stadt und ihrer Umgebung. Seine Lieblingslieder waren: „Hat er dich gestochen", ferner: „Unser liebe Hüner" und „Die Ochsentreiber kommen". Als Hesse Nürn­ berg verlassen hatte und nach seinem geliebten Erfurt zurückgekehrt war, schrieb er in froher Erinnerung an diese Symposien seinem Freunde Wenzelaus Sini33): „O mein Wenzelaus, was machen dort unsere Trö­ stungen: Wöhrd, Leonhard, Hallerwiese, Mögeldorf (Megalodorphium), Albus (Weiß) an der Mauer, Bernhard am Fischbache und die übrigen Absteigequartiere der Art? O Nürnberg, o Seen, o Quellen, o Flüsse, o alles Süße, was wir überall hatten!" Mit dem Geld wußte der trinkfrohe Dichterkönig in Nürnberg nicht besser umzugehen als früher in Erfurt. Trotz des verhältnismäßig hohen Gehaltes lebte er immer in Geldverlegenheiten. Nicht selten sprach er seine Freunde in Briefen um ein Darlehen von zwei oder drei Gulden an, um sich die notwendigsten Lebensbedürfnisse kaufen zu können. Frellich macht er sich auch gar kein Bedenken daraus, irgend ein teueres Buch, z. B. Arati Phaenomena zu kaufen, obwohl er das Geld dazu borgen muß; er lädt auch seinen Freund Roting samt Gattin zum Mittagessen ein, während er ihn gleichzeitig bittet, ihm zwei Gulden zu leihen"). Ein anderer Verkehr wollte sich in Nürnberg für ihn nicht recht finden. Dor

— 40 — allem hielt sich Wilibald Pirckheimer, das Haupt der Nürnberger Huma­ nisten, von der neuen Schule und ihren Lehrern fern. Ein Brief Hesses an ihn änderte daran nichts. Er trug dem Dichterkönig nur ein recht gemessenes Antwortschreiben Pirckheimers ein. Hier war in erster Linie die verschiedene Stellung zur neuen Lehre hinderlich. Doch erregte natür­ lich auch der genialische Lebenswandel Hesses in dem auf Zucht und Sitte sehenden Nürnberg Ärgernis. Die Enttäuschung war gegenseitig und Hesse klagte gelegentlich in Briefen an vertraute Freunde in starken Aus­ drücken. So schrieb er im Januar 1532 an Sturz in Erfurt, er lebe nicht gerade gern mit den Nürnberger Kaufleuten zusammen, die nur von Pfeffer und Safran träumten und mit den Wissenschaften keine Berüh­ rung hätten^). So kam es, daß sich Hesse in der Stadt, die ihn so ehrenvoll ausge­ nommen hatte, nicht heimisch fühlte. Er sehnte sich nach der Universität zurück und verhandelte im Sommer 1532 mit Erfurt und Marburg. Bevor diese Unterhandlungen noch zu einem guten Ende gekommen waren, erbat er sich schon im August 1532 vom Rate der Stadt den Abschied, wohl in der Hoffnung, man werde ihn durch eine Gehaltszulage festzu­ halten suchen. Allein der Ratsverlaß vom 26. August 1532 lautete einfach: „Uff Eobani Hessen anbringen, das inte zu Erffurt ein erlich stipendium vorstee, ist zu sagen erteilt, so verren er sein fach zu verpessern wisse, wolle Ine ein erber rath ziehen lassen." Durch eine Reise nach Erfurt brachte er dann die Unterhandlungen mit der Universität zum Abschluß, und am 12. Oktober 1532 erhielt er vom Rate mit folgenden Worten einen recht schlichten Abschied: „Eobanus Heffus ist uff sein ansuchen seines dinsts der schule allhie erledigt, und Jme vergönnt gein Erffurt zu ziehen^«). So endete eine Laufbahn, die von beiden Seiten mit hohen Erwar­ tungen begonnen hatte. Die Zeit bis zum i. Mai 1533, bis zum An­ tritt der Professur in Erfurt, brachte dem Dichter noch viel Not und Sorgen. Mußte er doch seine Gläubiger in Nürnberg befriedigen, bevor er abreisen konnte. Dies gelang ihm endlich durch die Freigebigkeit seiner Freunde, und Ende April 1533 verließ er Nürnberg, um in Erfurt neuen Hoffnungen und neuen Enttäuschungen entgegen zu gehen. Wenn er sich über seinen Aufenthalt in Nürnberg auch manchmal in wenig schmei­ chelhafter Weise ausgedrückt hatte, die Erinnerung vergoldete ihm nun alles, wie das bei so impulsiven Naturen immer der Fall ist, und er hat in Erfurt immer in Dankbarkeit an Nürnberg gedacht und hat besonders seinem Freund Camerarius treue Freundschaft gehalten. Daß Hesse sechs Jahre an der Schule in Nürnberg aushielt, war an sich viel. Denn er war ein echter Vagant und blieb „zeitlebens ein Student".

— 41 Sein Scheiden war für den Freundeskreis und für die Schule ein schwerer Verlust. Melanchthon, der die Geschicke der Schule schon wegen seiner vertrauten Freundschaft mit Camerarius immer aufmerk­ sam verfolgte, schrieb im Februar 1533 an diesen"): „Ich wollte, Du hättest Dich deutlicher darüber ausgesprochen, ob Du überhaupt glaubst, daß die Nürnberger nach Eobans Weggang die Schule noch ferner auf­ recht erhalten wollen. Denn ich möchte Dich von dort nicht wegziehen, wenn da Halbwege Deines Bleibens ist. Ist auch Euere Schule nur wenig besucht gewesen, so habe ich doch bemerkt, daß mehrere recht wohl vor­ bereitete junge Leute von Euch hierher gekommen sind, was ich aus dem Grunde beifüge, damit Du die aufgewendete Mühe nicht bereuen mögest. Wenn man dagegen damit umgeht, auch Euch zu entlassen, so halte ich es für meine Pflicht, für Dich zu sorgen". Man sieht an diesen Äußerungen Melanchthons, daß die Lehrer ihre Pflicht taten und daß der Niedergang der Schule nicht ihnen zur Last fällt. Ein Nachfolger für Hesse wurde nicht ernannt. Seinen Unterricht übernahmen vermutlich Camerarius und Roting. Nun kam im gleichen Jahre 1533 noch von außen her ein schweres Unglück über Stadt und Schule. Es brach eine Seuche aus, die bis zum Februar 1534 gegen 7000 Menschen dahin raffte. Wer konnte, floh aus der Stadt. Camera­ rius zog mit seiner Familie zu einem Oheim seiner Frau, Nikolaus Muffel, nach Eschenau. Im Jahre 1534 wurde er vor eine für sein ganzes Leben wichtige Entscheidung gestellt. Sein Freund, der zweite Ratsschreiber Georg Hopell, war gestorben, und ihm wurde diese Stelle angeboten, ein Be­ weis, wie hoch man seine Kenntnisse und seinen Charakter schätzte. Das Amt war im Vergleich mit seiner Schulsielle glänzend bezahlt und viel ehrenvoller. Camerarius konnte zu keinem Entschluß kommen und schrieb über die Sache an Melanchthon. Die Antwort war so zurückhaltend und abwägend, daß sie dem Unschlüssigen nichts helfen konnte. Da half Cobanus. Er schrieb, wie ihm ums Herz war, folgendermaßen^): „Warum solltest du, ein solcher Mann und, wie du selber nicht verhehlst, für die Musen geboren, dich in eine solche Tretmühle werfen, aus der du nicht so leicht wieder entrinnen kannst? Ich kenne zwar die Liebe der hochansehnlichen Stadt gegen dich längst, aber hüte dich, dieser Liebe allzuweit nachzugeben. Du kannst ja in einer immerhin anständigen und deiner würdigen Stellung in der dir so zugetanen Stadt leben, auch wenn du jetzt nicht Stadtschreiber wirst, Du sagst zwar: eine ehrenvolle Stellung. Ich gebe das zu, aber sie ist deiner unwürdig und du bist ihrer unwürdig, du bist zu groß, um dich so wegzuwerfen. Von ganzem Herzen,

— 42 — mein Joachim, möchte ich dir das Beste raten, ich, der ich mir selber nicht raten kann. Ich bitte dich, daß du jene Göttinnen, von denen du so liebe­ voll schreibst, nicht verlässest; dann wirst du nicht bloß jene dir angetragene Stelle, sondern auch jedes andere Los, mag es noch so glänzend sein, verachten." Camerarius blieb bei seinen Klassikern, doch blieb er nicht mehr lange an der Nürnberger Schule. 1535 folgte er einem Rufe an die Universität Tübingen. Der Rat, bei dem er um Enthebung von der Schulstelle nachsuchte, machte keinen Versuch, ihn zu halten. Doch war der Ratsverlaß in ganz anderem Ton gehalten als bei Hesse. Er lautete^): „Nachdem Joachim Camermaister eim erbarn Rath durch ein Suplication anbracht, wie sein gemüet stee, umb seins mehrern nutz willen und damit er desto mehr frucht bei der Jugent zu seim dociren und lesen erwecken mög, sich von hinnen zu der Universitet gein Thübingen zu thun, daselbst er mit einer ehrlichen Lectur versehen sey, Derhalb gebetten, das ein erber Rath Jme daselbsthin zu ziehen genstiglich erlaube, so wölle er sich gegen eim erbar Rath und gemeiner Etat aller gutwillig Dienstbar­ keit auch hinfüro nit wenig dann bisher halten, und wie solch Suplication in diser Frag zu finden ist; Darauf hat ein erber Rath die fromm erber und geschicklicheit gedachts Camermaisters, sonderlich auch das er alhie in feint lesen guten Vleiß gethan, erwegern, datzu auch bedacht dieweil er alhie ganntz wenig Auditores gehabt, derhalb zu Thübingen mehr nutz schaffen mög, das er an solichem nit zu verhindern sey, Und Jme deshalb uff diß seine bitt willfart. Daneben auch (damit er von eim erbar Rath nit gar abkheme) Jme zugesagt, alle Jar (solang es eim Rath gesellig) 25 fl. müntz von hauß auß wartgellts zu geben, welchs er also für ein Verehrung und abfertigung annemen soll, mit dem gegen­ versprechen, so ein erber Rath seiner geschicklicheit Im Latein oder sonnst zu geprauchen notturfftig sein und deshalb ersuchen würd, das er darinn auch gewertig und eim Rath zu gefallen sein soll. Jme also angesagt per D. Christoff Kholer. 9. Julii 1535." Auch Roting hatte einen Ruf nach Tübingen erhalten. Doch wollte der Rat offenbar die gänzliche Aufhebung der Schule vermeiden, daher verhandelte er mit Roting und dieser ließ sich durch eine Gehaltserhöhung gewinnen und blieb an der Schule. Er blieb Inspektor der 12 Chorknaben und hatte täglich bei St. Egidien eine griechische Lektion zu ertellen. 1543 wurde er wegen Krankheit in den Ruhestand versetzt. Da seine Stelle nicht wieder besetzt wurde, hörte der Unterricht in den klassischen Sprachen völlig auf. Nur der Mathematikunterricht, für den in der Stadt immer große Vorliebe bestand, wurde auch nach dem Tode Schoners (1546) fortgesetzt. Noch zweimal berief der Rat Lehrer für dieses Fach.

— 43 — Einen Versuch, der dahinschwindenden Schule jv helfen, machte ihr Begründer Melanchthon im Jahre 1552. Damals kam er auf der Reise jum Konzil von Trient nach Nürnberg und hielt 30 Vorlesungen an der Egidienschule, um ihren Ruf wieder zu heben. Das waren wohl glän­ zende Tage, als Melanchthon aber weiter reiste, war alles vorüber. Auf eine andere Art suchte der getreue Camerartus zu helfen, dem auch in der Ferne die Schule noch am Herzen lag. In einem Gutachten, das er 1565 durch den Scholarchen Joachim Haller beim Rat einreichen ließ, wies er auf die Blüte der Fürstenschulen zu Pforta, Meißen und Grimma hin und riet auch die Nürnberger Schule aufs Land zu verlegen, nach Kloster Engeltal oder nach Hersbruck, „aus vielerley Ursachen und fürnehmlich, daß weniger occasion und Zufälle gegeben, dadurch die Jugend an der Lehr und Zucht verhindert möcht werden")." Die Ver­ handlungen zogen sich in die Länge, doch reisten 1567 Joachim Haller und sein Kollege im Scholarchat Georg Dolkamer nach Hersbruck, Engel­ tal und Altdorf. Hersbruck empfahl sich durch seine schöne Lage, doch war der Ott von einer verkehrsreichen Landstraße durchzogen, es fehlte hier also die zum Studieren nötige Ruhe. Auch schien das tiefe Wasser der Pegnitz für die Jugend gefährlich. In Engeltal gefiel und mißfiel anderes. Die Wahl fiel schließlich auf Altdorf. 1571 wurde dort der Grundstein zum Schulgebäude gelegt, 1575 war der Bau vollendet, und im gleichen Jahre wurde am Tage Peter und Paul (29. Juni) die Schule mit großen Erwartungen und mit großen Feierlichkeiten eröffnet. Die „obere Schule" Melanchthons war damit als „Altdorfer Landschule neu erstanden. In Nürnberg aber auf dem Egidienberge blieb die alte Trivialschule zurück, die schon lange vor der Schule Melanchthons dort gewesen war. Warum nahm es in Nürnberg mit der „oberen Schule" ein so frühes und rühmloses Ende? Ein Blick auf die Entwicklung der Trivtalschule» Nürnbergs wird uns in dieser Frage Klarheit schaffen. Während die Schule auf dem Cgidienberg nicht leben und nicht sterben konnte, blühten die alten Trivialschulen zu St. Sebald, Lorenz und die Spitalschule. Am besten find wir über St. Sebald unterrichtet. Denn im Jahre 1575 er­ stattete der Rektor dieser Schule, Magister Paul Praetorius, dem Rat der Stadt einen lateinisch geschriebenen Bericht über den Stand seiner Schule. Heerwagen hat in seinem Programm von 1863 auf S. 11 bis 17 den lateinischen Text dieses Berichtes abgedruckt. Zunächst gibt Praetorius den „ordo lectionum“, den Stundenplan. Dann werden Mißstände besprochen, die den geordneten Betrieb des Unterrichts stören, „incommoditates quaedam impedientes hunc ordinem lectionum“. Als den schlimmsten Mißstand führt er an, daß die Schüler weder vor- noch nachmittags pünktlich zur Schule kommen. Da-

— 44 — von, daß viele überhaupt nicht kommen, will er gar nicht sprechen. Als Gründe ihrer Saumseligkeit geben die Schüler folgendes an: „sie hätten auf das Frühstück warten müssen, da die übrigen Mitglieder der FamNe erst später zum Frühstück kämen", oder „sie hätten für ihre Eltern oder Kosiherren noch Aufträge zu besorgen gehabt", oder „die Eltern hätten sie ausschlafen lassen, da tags zuvor ein Gelage zuhause ihnen die Nachts ruhe verkürzt habe". Arme Schüler, die als Famuli in reichen Häusern ihr Brot fanden, bringen wohl auch die Entschuldigung vor, sie hätten ihre Zöglinge erst anziehen und für die Schule zurecht richten müssen, bevor sie an den eigenen Schulbesuch denken konnten. Bei diesen Schülern komme es auch häufig vor, daß sie von ihren Dienstherren in recht rück, sichtsloser Weise („satis imperiose“) aus der Schulstube oder aus dem Gottesdienst herausgeholt würden, ohne alle Rücksicht auf die Schul, ordnung oder auf die Autorität des Rektors („mea interim posthabita auctoritate et voluntate“). Wenn die Schüler dann nichts lernen und vor der Prüfung stehen, die über die Versetzung in die höhere Klasse ent, scheidet, dann wechseln die Eltern mit der Schule und schicken ihre Kinder in eine andere der städtischen Lateinschulen oder in eine der vielen Privat, schulen. So werden diese Prüfungen, die für die Ordnung in der Schule von der größten Bedeutung sind, um ihr Ansehen gebracht. „Schule und Elternhaus!" So schlimm diese Verhältnisse waren, so kann man den Rückgang der Schule auf dem Egidienberge damit doch nicht genügend erklären. Denn die Sebalderschule hatte zur selben Zeit, als ihr Rektor diese Klagen führte, in sechs Klassen gegen 450 Schüler. Auch die Lorenzerschule hatte sechs Klassen und blühte unter dem trefflichen Rektor M. Johann Ketz, mann (Aeluriander). Warum war es an der Egidienschule anders? Die Lehrer waren nicht schuld, das hat uns das Zeugnis Melanchthons be, wiesen. Wir müssen also die Ursache anderswo suchen. Außer diesen beiden damals blühenden Trivialschulen gab es noch eine dritte, die Spitalschule, von der wir für diese Zeit allerdings nichts Näheres wissen. Doch wirkte auch an ihr ein trefflicher Rektor, der Schüler Melanchthons M. Johann Barth (Barba). Sie wird wohl ebenfalls sechs Klassen gehabt haben. Dazu gab es, wie wir aus dem Bericht des Rektors Praetorius ersehen haben, noch viele Privatschulen, die den Stadtschulen Konkurrenz machten. Nürnberg hatte also zu viele Schulen. Es galt damals schon von seinem Schulwesen, was Nicolai") am Ende des 18. Jahrhunderts sagte: „Wenn Nürnberg weniger 'Schulen hätte, so könnte es bessere haben." Und von allen diesen Schulen konnte man ohne Reifeprüfung zur Universität abgehen und tat dies damals auch in sehr jungen Jahren.

— 45 — Dazu kam, daß die Trivialschulen, die nur der Unterbau für die obere Schule sein sollten, dieser in Stundenplan und Leistungen mit der Jett nahe kamen. Fehlte ihnen doch sogar das Griechische nicht völlig. M. Se­ bald Heyden, der von 1525 bis 1561 Rektor der Sebalderschule war, hatte ums Jahr 1542 an seiner Schule eine» fakultativen griechischen Unterricht eingeführt, rein aus Liebe zum Humanismus, ohne Auftrag des Rats und ohne einen Heller für diesen Unterricht zu bekomme»42). Dieser Unterricht hörte mit seinem Tode nicht auf, wir finden vielmehr im Stundenplan des Praetorius von 1575 Griechisch als Pflichtfach der obersten Klasse. Gelesen wurden die Evangelien und Hestod. Von latei­ nischen Klassikern wurden in der Oberklasse Vergils Äneis gelesen, Ciceros Briefe und Terenz. Mit den fortgeschrittenen Schülern wurden auch die Elemente der Rhetorik und Dialektik getrieben. Ähnlich war wohl auch das Lehrziel der anderen Trivialschulen. Zu solchen Leistungen waren die Rektoren dieser Schulen durch das Beispiel der oberen Schule angeregt worden. Gerade dadurch hatte sich aber die obere Schule eine gefährliche Konkurrenz geschaffen. Je besser die unteren Schulen wurden, desto weni­ ger war ein Bedürfnis vorhanden, die obere Schule zu besuchen. Ja, wenn man dort sich noch wenigstens den Titel Baccalaureus oder Magister hätte erwerben können! Aber zur Verleihung dieser Titel hatte die Schule Melanchthons keine Berechtigung. Sie war eben keine Hochschule. Unter diesen Umständen war für einen praktisch denkenden Nürn­ berger Vater wenig Anlaß vorhanden, seinen Sohn auf die obere Schule zu schicken. Auch die Patrizier, die diese Schule anfangs offenbar begünstigt hatten, dachten, als die erste Begeisterung für den Humanismus geschwun­ den war, wieder praktisch und kehrten zu ihrer alten Gepflogenheit zurück, ihre Söhne in jungen Jahren ins Ausland zu schicken. Camerarius klagt darüber in einem Briefe an Paumgartner vom 15. Juni 154243): „Was Euere jungen Leute betrifft, lieber Hieronymus, so stimmt Deine An­ sicht vollkommen zu der meinigen. Es ist wie Du sagst: dieses hastige und übereilte Hinausschicken der Knaben ins Ausland bringt unserm Vaterlande großes Unheil. Denn wenn sie so leichtfertigen Sinnes und ohne feste Grundsätze zu jenen Franzosen und Italienern kommen, so können sie mit den dortigen gelehrten und weisen Männern wegen ihres unreifen Alters noch nicht verkehren und eignen sich daher im besten Falle ein gewisses geschniegeltes Wesen an, beflecken sich aber gleichzeitig mit den Lastern des Volkes, nach denen sie, wie wenn es Tugenden wären, haschen. So kommen sie zurück mit einer abgeschmackten Eitelkeit und possenhafter Vielwisserei, die an Leerheit alles hinter sich läßt. Was hat der Staat von solchen Leuten zu erwarten? — Ich kann mich gar nicht scharf genug darüber ausdrücken, daß von diesem Irrwahn auch einige

— 46 — unserer besten Freunde, die ich verehre und hochschätze, befangen sind. Allein Du weißt ja selbst, welche Verkehrtheit des Urtheils in unserer unheilvollen Zeit auch mitunter bei guten und tüchtigen Leuten vorkommt, welche von den Wogen des Zeitgeistes in die allgemeine falsche Richtung hineingejogen werden." Die Klage ist allgemein gehalten, geht aber auf Nürnberger Ver­ hältnisse und auf Erfahrungen, die Camerarius als Lehrer in Nürnberg gemacht hatte. Doch trifft seine Klage nicht das Wesentliche. Sie deckt nur einen Schaden auf, an dem die Schule litt. Der hauptsäch­ liche Grund zu ihrem Niedergang ist in der erfolgreichen Konkurrenz der Trivialschulen zu suchen und in dem, was wir heute das Berechtigungs­ wesen nennen. Man setze den Fall, daß man heutzutage vom Progymnaflum ebensogut zur Hochschule abgehen könnte als vom Gymnasium: wie viele Gymnasien würde es dann geben?

Das Schlußurteil lautet also: die obere Schule war von humanistisch begeisterten Ratsherren in dem idealen Streben errichtet worden, den zukünftigen Führern in Kirche und Staat eine gründliche wissenschaftliche Vorbildung zum Besuch der Hochschule zu geben. Sie ist daran zugrunde gegangen, daß man auch ohne diese gründliche Vorbildung zur Hoch­ schule gehen konnte. Das Schicksal der Schule, die mit so stolzen Hoffnungen gegründet worden war, fand im ganzen Reich Teilnahme. Hartfelder") sagt darüber: „Das schlechte Gedeihen der Nürnberger Schule machte im ganzen Reiche ein nicht geringes Aufsehen: die Freunde der evangelischen Sache trauerten, die Feinde frohlockten und höhnten. Als man im fernen Preußen 1540 an die Errichtung einer Hochschule dachte, so riet die damit betraute Kom­ mission zur höchsten Vorsicht. Denn wenn die Schule nicht gedeihen will, „da folgt dann allerlei böses Geschrei von keiner Liebe zu Schulen, zu Künsten, zu ihnen den Personen und weiß nicht was mehr, das alles der Universität und den Stiftern mehr Schimpf denn Frommen bringt. Das ist an denen von Nürnberg zu sehen. Die haben ein gut, köstlich, löblich Regiment, eine große, herrliche Stadt, sind stattlich von Reich­ thum und haben ihre Schulen oder Universität mächtig wohl mit Sti­ pendien versehen; sie haben treffliche Leute, als Eobanum Hessum, Joachimum Camerarium und andre, die eines großen Berufs an sich ge­ bracht, und alle Ding ordentlich gefaßt, jedoch dieweil ihnen Auditores, unangesehen daß es eine volkreiche Stadt und wohl erbauet, besetzet und voll Land da umher ist, (fehlen), ist die Universität fast zerschmolzen, die Lectores sind weggezogen, der Schimpf ist denen von Nürnberg daraus gefolget und allerlei Nachrede, wie männiglich bewußt."

— 47 — In Königsberg nahm man sich das Schicksal der Nürnberger Schule zur Warnung. Der Ordensmeister des deutschen Ordens Markgraf Albrecht errichtete 1544, von Melanchthon beraten, nicht eine „obere Schule", sondern gleich eine Universität und suchte für diese das Recht der Promotionen zu erlangen. Auch in Nürnberg nahm die Sache diesen Verlauf. In Altdorf erwuchs schon in drei Jahren aus den Hochschul­ kursen, die als Bekrönung des Gymnasiums eingerichtet worden waren, durch Verleihung des Rechtes der Promotionen eine Akademie und im Jahre 1622 wurde diese Akademie durch Erweiterung ihrer Promotions­ rechte zur Universität erhoben. An dieser engen Verbindung mit der Hochschule ging aber das Gymnasium zugrunde. Denn wieder stand es zwischen der Lrivialschule, die seinen Unterbau bildete, und der Hochschule ohne Berechtigungen in der Mitte und füllte eine Lücke aus, die nur für Eltern vorhanden war, die für ihre Kinder BUdung suchten und nicht nur Berechtigung.

III. Kapitel.

Das Gymnasium in Altdorf 11575-1633). Nicht viel länger als die obere Schule in Nürnberg lebte die Alt­ dorfer Landschule. Auch sie wurde mit großem Aufwand errichtet und mit großen Erwartungen eröffnet. Das Schulgebäude, zu dem am 30. Sep­ tember 1571 der Grundstein gelegt wurde, war im Jahr 1575 vollendet. Es wuchs zu einem überaus stattlichen Bau heran, der heute noch eine Zierde Altdorfs blldet. Bis zu ihrer Auflösung war in dem „Kollegien­ gebäude" die Universität Altdorf untergebracht, dann von 1824 bis 1924 das Lehrerseminar; jetzt ist es unter dem Namen „Wichernhaus" als Heim für Krüppelfürsorge eingerichtet. Die Mittel, die die Stadt zum Bau gewährte, wurden durch Stiftungen der Patrizier und anderer reicher Bürger ergänzt, die einzelne Lehrzimmer und Auditorien auf ihre Kosten errichteten. Ein besonders schönes Auditorium erbaute 1582 Sebald Welser. Im zweiten und dritten Stockwerk wurden durch 14 Patrizierfamilien 14 Stuben gebaut, als Wohnungen für ihre Söhne und Verwandten, wenn sie in Altdorf studierten. Wie die Nürnberger hieß auch die Altdorfer Schule mit Recht „schola nobilis et patrizia“. Das obere Stockwerk der beiden Flügelgebäude enthielt die Familienwohnungen für fünf Professoren. Die zwölf Chorschüler vom Neuen Spital, die auch mit nach Altdorf herauszogen, wohnten unter dem Dach, auf dem sog. Zwölfknabenboden. Sie hatten ein großes Wohnzimmer, eine gemeinsame Schlafkammer und jeder ein Studierzimmer. Dazu kam noch ein schöner Saal für musi­ kalische Aufführungen, das Ambulatorium.

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Großartig wie der Bau waren auch die Festlichkeiten, mit denen die Schule am Tage Peter und Paul, am 29. Juni des Jahres 1575, eröffnet wurde. Dom Rat der Stadt waren dazu abgeordnet Georg Volkamer, Philipp Geuder und der jüngere Hieronymus Paumgartner. Zum Rektor der Schule wurde Valentin Erythraeus (Roth), ein Lin­ dauer, von Straßburg her berufen. Ihn und alle Lehrer verpflichtete Georg Volkamer im Namen des Rates in feierlicher Weise auf die Augsburger Konfession. Den weiteren Verlauf des Festes erzählt Waldau, Neue Beiträge zur Geschichte der Stadt Nürnberg, 1. Band, Nürnberg 1790, von S. 349 an „nach einer gleichzeitigen Handschrift" in folgender Weise: „Nachdem aber die verordneten Herren sambt etlichen von Adel, und viele» aus der Bürgerschaft hie, zu Roß und Wagen, durch die Wag in die Statt eingeritten undt Beinzig (einzeln) kommen, und auch ein Jedweder sein Loffament eingenommen, wann daß ich auch dieß nicht vergieß, die ganze Statt und alle Gemach auf allen Plätzen mit Bäumen und Wedeln, auch mit Graß, wie ein grüner Waldt, bestekht undt überstreuet, auch mehr­ mals mit Glockenstreichen und anblaffen die Thorner fast männiglisch empfangen haben. Nach solchem und fast nach der siebenten Uhr des kleinen Zeigers hub man an die Glokenzeichen, wie gewöhnlich, in den Kirchen zu leuthen und zu stürmen. Wie aber das nahendt eine halbe Stunde oder länger gewehret, und sich die Herren immerdar im Ambthoff und Schloß zusammen versammelten, stunden sie in einem Proceß, und giengen ordentlich, doch ohne alle Instrumenta musica, mit einander in die Kirchen, und stellten sich graduatim nach jedes Herrlichkeit, Prioritaet und Herkommen nach einander im Chor, und davor biß in die 40 Stühle, die Geistlichen aber blieben besonder bey einander." Festprediger war der neuernannte Pfarrer und Professor zu Altdorf, M. Johannes Pikhart. Auf S. 351 fährt dann Waldau in seiner Be, schreibung fort: „Nach solcher Predigt würd das Ambt mit Gesang, Re, galten und Posaunen, auch etliche Mottetten auß Gottes Wort, vollendet, und der Segen gegeben: wie man nun darnach aus der Kirchen gieng, und die Procession in das neue Gymnasium angestellet wurde, ist führ, nehmlich die Ordnung also gehalten worden.

Processus. Erstlich sielt man die 5 Stadtpfeiffer vorher, von hie auß, in ihren hochzeitlichen rothen Rökhn, die musten wie stattgebräuchlich vorherblassen. Zum andern die Edlen und Vesten, auch Ehrenvesien, Fürsichtigen und Weißen. Herr Eustachius von Liechtenstein, Churf. Pfälzischer Rath und Diener.

— 49 — Herr Wolf Wilhelm von Wildenstein, Pfleger zu Haimburg. Herr Sebastian von Musselor, Ambtmann zu Burkheimb (Burkthann). Herr Lukas Staudacher, Castner zu Neuenmarkh. Herr Jobst Oßwaldt von Brandt. Herr Balthasar Dörrer, des älteren Raths zu Nürnberg. Herr Georg Volkhamer, des älteren Raths allda.

Diese Herren alle giengen gemenget untereinander, mit Ehrerbietung, daß allewegen 2 Edel und ein Nürnbergischer mit ihnen in einem Gliede den Proceß zierten, mit ihren güldenen Ornamentis oder Kettengeschmukhen gar herrlich zu schauen. Nach diesen erhielten die Ordnung die Ehrenvesten und Hochgelehrten Herren eines Erbarn Raths der Stadt Nürnberg Rathgeber und Aduocaten (vier Rechtsgelehrte). Den Herren Ooktorn folgten nach Die Ehrenvesten, Erbarn und Weißen Herren des Kleinern Raths: (15 Patrizier). Baldt darnach die Ehrwürdigen und Wohlgelehrten Herren (4 Pfarr­ herrn). Folgten in der Ordnung die Würdigen und Wolgelehrten der Medicin Doctoren (2 Namen). Dann auch die Erbarn und Vesten (6 Namen). Solchen folgeren die Ehrsamen und Geistlichen (2 Namen). Desgleichen ein Ersamer Rath der Stadt Altorff.

Auf diesen folget der obgedachte Capellmeister sambt dem Chor Mustcorum. Ferner die Adolescentes oder Studiosi, genannt die zwölf Knaben. Endlich die Zugerittene und Zugewandte Bürgerschaft, und Land­ leuth auß den Stätten, Dörffern und Vormärkhen der Bauerschaften. Als bald sie nun zu dem Collegio kamen, wurden sie begleitet in das erste Lectorium, oder Curiam, darinn stund Valentinus Erythraeus als Rector, sambt dreyen Professoren, M. Wolfgangus Hegius, Georgius Glacianus und Casparus Odontius oder Zahn genannt. Da nun die obengenannte Herren allzumal gesessen, auch männiglichen zu hören eingelassen worden, ist Doctor Christoph Hardeshaim auf­ gestanden und hat perorirt, ungefährlichs Inhalts, daß er diese hohe Schule dem Rectori commendirte. Hierauf bestieg dieser den Catheder und perorirte gleichfalls. Nach vollbrachten Orationen aber, wurde der Proceß wiederum wie vor fürgenommen, nemlich aus dem Collegio in den Ambthoff oder Schloß. Daselbst umb die 11 Stvndt der Kleinern Uhr, sezet man die Steiger, Festschrift. 4

— 50 beruffenen geladenen Herren höflich zv Tische, deren bey 6 gewesen seyndt, tractiret sie zu Allerbesten, mit Speiß, Trankh, Musica und Hoff oder Tischwarthen. Nach aufgerichter erster Richten aber, wurde in Mitten des Hofs oder Eßstuben Herrn Georg Volkhamer Sohn, Georg Volkhamer der Jünger genannt, ein junger Student aufgestellt, der saget memoriter in Latein eine herrliche Danksagung zu allen und jeden Herren, die solcher Ladung beywohneten, und wehrete solche Actio beynahe eine halbe Stunde." Die übrigen Festteilnehmer speisten in ihrer Herberge und „waren fröhlich und guter Ding, umb ihren Pfenning." „Aus denen", fährt Waldau S. 357 fort, „waren auch ihrer viel, die den Ambthoff und Schloß unter den Essen besuchten, denen allen gab man auf der Althanen einen Johannistrunk und wurdt viel guths Weins daselbst verdienet. Mittlerweil speiset man auch die Cantorey und der Diener Tisch, und waren als wie mans nennt, der Hofftafeln bey 10 Tisch ungefährlich. Das Tischen aber währete bey 21/» Stundt, von wegen der Instru­ menten. Bald nach dieser Mahlzeit leuthet man wieder zu der Vesper, dieselbe Vesper besuchet man aber wieder mit gleichmäßiger Solennitaet, lobete und preiffete Gott mit 6 biß 8 Stimmen, mit allen Instrumenten zusammen, daß es mit dem Organo, Regal, Posaunen und Instrumenten auch Gesangsstimmen in 12 biß 14 Stimm lauthernig werden, zu ge­ schweige» der Personen über 50 Stimmen. Wie die Vesper auß war, haben die Herren sich wieder im Ambthoff begeben, ein fröhlichs freundlichs Valete mit einander getrunkhen. Hat solches gewähret 10 ganzer Stundt lang. Seindt demnach von einander geschieden, zu Roß aufgesessen, geritten und hinweggefahren, nach eines Jeden Gelegenheit. Die aber verblieben, als nemblich die Herren Deputirten und andere Hoch und Wohlgelehrte, die haben auff nächst Morgenden Tag darnach, welcher war der 30 Tag des Monaths Junii, in dem Gymnasio den Lectionibus beygewohnet. Es seindt auch die Curiae oder Classes außgetheilet worden." Das Fest dauerte mehrere Tage lang. Der 29. Juni war ein Volks­ fest für Altdorf und Umgebung; am 30. Juni begann die Schule. Hier hielt zunächst der Rektor eine lateinische Rede, desgleichen eröffneten die Professoren ihre Vorlesungen mit lateinischen Ansprachen. Am dritten Tage kam das Gymnasium zum Wort. Der Rektor sprach „de fine studiorum“, „über das Ziel der Schule", und auch Georgius Glacianus, der Ordinarius der obersten Klasse des Gymnasiums hielt eine Rede. Aber auch an den folgenden Tagen ruhte die lateinische Beredsamkeit noch nicht. Da gaben die Ordinarien der zweiten und dritten Klasse Er-

— 51 — Mahnungen und Lehren. Diese und andere lateinische Reden, darunter auch eine, die „propter temporis angustiam“, „weil die Zeit nicht aus­ reichte", nicht gehalten werden konnte, sind in dem Werk gesammelt, das den Titel führt: „Introductio novae scholae Aldorfianae Noribergensium, exposita aliquot doctorum virorum orationibus. Noribergae 1576.“ Wenn man diese vieltägigen Festlichkeiten mit dem Fest der Grün­ dung der Melanchthonschule vergleicht, so sieht man, wie die Zeiten sich gewandelt haben. Damals wurde die Schule durch die Rede Melanchthons in einfacher aber würdiger Weise geweiht, jetzt war man materieller geworden. Die „Ehrenvesten, Fürsichtigen und Weißen Herren" von 1575 standen ihren Mann bei den endlosen lateinischen Reden in der Schule, aber auch beim Essen und Trinken. Wie über den Verlauf der Festlichkeiten bei der Eröffnung der Schule, so sind wir auch über die Schulordnung von 1575 viel genauer unter­ richtet, als über die vom Jahre 1526. Sie ist uns in dem ebengenannten Buch: „Introductio novae scholaeAldorfianae“ in lateinischer und deut­ scher Fassung erhalten. Deutsch findet sie sich auch bei Vormbaum, Evan­ gelische Schulordnungen, 1. Band, Gütersloh 1860, S. 606 bis 630. Die Schulordnung von 1575 ist ein umfangreiches Werk, das uns vom Schulbetrieb und besonders von der Schulzucht in 16 Kapiteln Kenntnis gibt. Das erste Kapitel handelt „vom Ampt und befelch des Rectoris". Während wir von der Amtsführung des ersten Rektors Joa­ chim Camerarius fast nichts wissen, — er hat eine nennenswerte Amts­ führung wohl auch nicht betätigt — hat der Rektor Erythraeus den Pro­ fessoren und Praeceptoren gegenüber weitgehende Vollmacht. In' 19 Ab­ schnitten werden seine Rechte und Pflichten auseinandergesetzt. Der zweite von diesen Abschnitten lautet (Vormbaum S. 608): „Ferner und zum andern. So ist auch unser will und Meinung, das der Rector das gantze Gymnasium oder die Schul, So viel die eußerliche zücht und disciplin, dergleichen auch die Lectiones und Exercitia scholastica beides in und außerhalb den Classibus belangen thut, mit allem müglichen vleiß und trewer sorgfeltigkeit in guter acht habe und demselbigen nach seinem besten verstand, vorstehe. Auch keines wegs zugebe noch gestatte, das von den Professoribus oder Praeceptoribus, einige Autores zu lesen oder zu explicirn vorgenommen werden, sie sind dann zuvor» darfür erkandt und geacht, das sie den Aubitoribus und Discipulis nützlich und fruchtbarlich sein mögen." Der gesamte Lehrbetrieb der Schule war also von der Zustimmung des Rektors abhängig. Diese Schule kennt auch schon Lehrerratssitzungen. „3ttm achtzehenden", so heißt es bei Vormbaum S. 610, „So geben wir dem Rectori hiemit völliglichen macht und gewalt, bas er einen scholasti4*

— 52 cum conventum, so offt es die notturfft erfordert, mit und neben den andern, durch den Pedeln darzu erforderten seinen collegis, anstellen und halten möge. In welchem Schul Convent, von erhaltung guter disciplia und jucht, auch wie man in unserm Gymnasio jederzeit nützliche und notwendige lectiones lesen möge, und was dergleichen Schulgeschefft stnd, gehandelt, berathschlagt und geschlossen, auch dasselbige in ein besonder Buch oder Prolocol auffgezeichnet werden sol." Auch soll der Rektor „wöchentlich zum wenigsten drey mal alle Classes durchgehen und visitirn". Den ganzen Juni hindurch ist er außerdem jedes Jahr verpflichtet, den Prüfungen beizuwohnen, die zum Zweck der jährlichen „progressiones“ abgehalten werden (Vormbaum S. 629). Diese Prüfungen dauern in jeder der vier Klassen eine ganze Woche. Auf den Prüfungsakt folgt die Schlußfeier. Zu ihr kamen alle Jahre die Kuratoren der Schule von Nürnberg nach Altdorf. Will, Geschichte und Beschreibung der Nürnbergischen Universität Altdorf, Altdorf 1792, erzählt darüber S. 12 folgendes: „Ich kann bey dieser Gelegenheit etwas von einer musterhaften Freigebigkeit und einer besonderen Anstalt, die hier eingeführet wurde, erzählen. Die Curatoren ließen jährlich für jede Klasse eine eigne, sinnreiche oder emblematische Silbermünze schlagen, und theilten selbige den Fleißigen aus. Aus jeder Klasse mußte das Sinn­ bild der für sie bestimmten Münze ein Schüler, oder Zuhörer, in einer kurzen Rede erklären, und einer hielt hernach eine Danksagungsrede. Die erste Austheilung geschah am ersten akademischen Feste, oder am Petri- und Pauli-Tage 1577. Der damalige Rektor Freigtus lud dazu, sowie zur ganzen Feierlichkeit, in einem eigenen Anschlag ein. Nachdem die feierlichen Reden von dem Rektor und etlichen Scholaren am Tage der Panegyris gehalten waren, raffte der Rektor den Famulus auf, um die Namen derer abzulesen, die von Klassen zu Klassen befördert wurden; Liese traten sodann hinzu, und empfiengen von dem Rektor das Geschenk mit der silbernen Münze")." Am Schluß des Schuljahres fand eine Lehrerratssitzung statt. Vorm­ baum (S. 629) sagt darüber: „Nach gehaltenen und verbrachten Progressionibus, sol und mag der Rector alßbalden die professores und praeceptores, durch den Pedeln, oder famulum communem erfordern lassen. Und was für newe Autores und notwendige lectiones in unserm Gymnasio ferner zu lesen und zu explicirn sein möchten, in solchem Schul­ convent, rathschlagen und handeln." Diese Schlußkonferenz war zugleich die Anfangskonferenz für das neue Schuljahr. Denn es gab keine Ferien zwischen beiden. Die Ferien­ ordnung ist das kürzeste Kapitel der ganzen Schulordnung. Sie lautet (Vormbaum S. 628): „Den Praeceptoribus und discipulis solle wo-

— 53 — chentlich zweymal, als Mitwoch und Sambsttag nach mittag, keine schul zu halten, vergünstigt und zugelassen sein, Jedoch so woellen wir, das an den obbemelten zweyen tagen, deßgleichen an den Feyerabenden, die praecepta musices von zwölff biß auff Ein uhr der jugendt fürgelesen und mit jnen geübt werden. In den Hundstagen, wöllen wir die zeit nach mittag, biß zum außgang derselben, keine schul zu halten, hiemit freygegeben haben." Gemildert wird diese nach unsern Begriffen drakonische Strenge dadurch, daß recht wenig Schulstunden gegeben wurden, nämlich nur 22 in der Woche, während heutzutage keine der entsprechenden oberen Klassen unter 30 Pflichtstunden hat. Der Rektor war auch als Professor tätig und vertrat das Fach der Rhetorik. Neben ihm lasen noch vier Professoren, als Vertreter der Theo­ logie, der Geschichte, der Mathematik und des bürgerlichen Rechtes. Diese Vorlesungen bildeten den Oberbau des Gymnasiums, das anfangs drei, bald vier Klassen hatte, die auch Kurien genannt wurden. Die Lehrer hießen praeceptores oder auch moderatorcs. Dazu kam noch ein musikus. Das Gymnasium war wie die Schule Melanchthons eine „obere Schule" und setzte als Unterbau eine der vier Nürnberger Trivialschulen oder die in Altdorf voraus. „Von den Praeceptoribus classium und was derselben Ampt sein soll", handelt die Schulordnung im vierten Kapitel (Vormbaum S. 613). Die Lehrer lasen die üblichen Klassiker und gaben auch wöchentlich in jeder Klasse „ein Argumentum in deutscher Sprach, dasselbige in das Latein zu transferirn." Hier regt sich zum ersten Male schüchtern die Sorge um die deutsche Muttersprache, denn der neunte Abschnitt dieses Kapitels sagt (Vormbaum S. 615): „Und der stylus solcher teutschen Argumenten sol nicht Cantzleyischer art, welche in der Fürsten und Stedt Cantzeleyen gebreuchlich, geschaffen und gestelt sein. In welchen offtermals etzliche Wörter, als Nachdem, und Demnach etc. gantz weit voneinander gesetzt werden. Also das die unerfarne Jugend im teutschen nicht kan vermercken, wie eines auff das ander gehet und volget." Hier bricht sich also zum erstenmal in der Nürnberger Schule die Erkenntnis Bahn, daß auch für die Muttersprache etwas getan werden solle. Von dahin bis zur Anerkennung des Deutschen als Schulfach war freilich noch ein weiter Weg. Das siebente Kapitel handelt „von den discipulis in de» classibus, wie und welcher gestalt sich dieselbigen zu verhalten haben". Die körper­ liche Züchtigung spielt hier eine große Rolle. Heißt es doch: „Derowegen und für das erste, Da einer zu rechter bestimpter zeit und stund, nicht in den Äassibus oder auch in den Kirchen erscheinet, der solle deswegen mit

— 54 — Rutten gestrafft werden. Er Helte denn von seinen Eltern, Schulmeister, Paedagogo oder Herrn eine glaubwürdige beschönung oder entschuldig«»in der schulen vorzulegen." Und weiter heißt es: „Deßgleichen auch, welche sich der Deutschen sprach mehrer dann des Lateinredens gebrauchen, oder aber ungebürliche, unzüchtige, und schendliche reden von sich lautten und hören lassen, dieselben gleichfals gezüchtigt und gestrafft werden." In jeder Klasse oder Kurie war ein Schüler ausgestellt, der seine Mitschüler, wenn sie Deutsch sprachen oder sonst Unfug trieben, dem Lehrer anzeigte. Er hieß Decurio. In der Lateinschule des Mittelalters hieß er ,lupus‘ „der Wolf". Die Überschrift des zehnten Kapitels lautet: „Wie sich alle und jede Studiosi in unserm Gymnasio ingemein verhalten sollen." Hier sind also nicht die Schüler der Klassen gemeint, sondern die Hörer der akademischen Vorlesungen. Auch hier gilt die erste Sorge dem Lateinsprechen: „So wöllen wir auch, daß alle Schüler, wenn sie in oder aus der schulen kommen, wann sie miteinander kurtzweilen, spatzieren gehen, oder einander begeg­ nen, etc. Anderst nicht denn Latine reden. Und ob einer aus mutwill darwider handeln würde, solle jme solches «»gestrafft nicht hingehen." Von Interesse sind auch folgende Anordnungen: „So sezzen, ordeneu und wöllen wir auch, das sich ein jeder einer solchen kleidvng gebrauch, wie schülern erbarlichen und wol anstehet, und sollen derhalben sich der gewöhnlichen schulkleidung befleißige», und dahin gedencken, das jnen tu der schul nichts zu tragen gebären wölle, welches außerhalb der schul für ergerlich geacht und gehalten wird. Deßgleichen so wöllen wir auch die Lantzknechtischen, unerbarlichen, zerschnittenen und zerhackten Hosen, auch alles das, so andern frommen und ehrliebenden Personen ergerlich, und auff andern Schulen und Academiis nit gebreuchlich, hiemit ernstlich verboten und abgeschafft haben." Die Schulordnung scheint hier zwischen Studenten und Schülern nicht streng zu unterscheiden. Bei gleichem Vergehen traf jeden die gleiche Strafe. Das zwölfte Kapitel handelt „von kurzweilen, spatzirn gehen, und andern dergleichen ergetzlichkeiten." Seine sechs Abschnitte lauten folgendermaßen: „i. Die spiel, ergetzung und kurtzweillen, welche damit ubung und beweguagen des leibs geschehen, sollen den Knaben, wann sie des siudirens müde geworden sind, nach der Mittags und Abendmalzeit, oder wann sie sonsten nicht in die schulen zu gehen pflegen, vergünstigt und zvgelassen werden. 2. Jedoch so sol über ein stund zu spielen und zu kurtzwellen, nicht gestattet werden. Dann man nach solcher verflossener zeit widerumb tu

— 55 — die schul kommen, oder aber daheimen andere lectiones repetirn, etwas lesen und schreiben sol. Wiewol den knaben nach der Abendmaljeit, ehe dann sie sich j« Bett begeben, auff ein halbe oder gantze stund, sich in der Musica zu üben und zu exercirn, wol kann und mag zugelassen werden, z. Dergleichen ergetzung und kurtzweil aber der Knaben, sollen nicht allein lustig, sondern auch züchtig, ehrlich und dermaßen geschaffen sein, damit daraus einige gefahr, schaden oder nachtheil (so bißweilen aus dem spielen, wettlauffen, springen und andern dergleichen des leibs beweg, nussen etc. zum öfftern erfolgen) nicht entstehe, und so viel möglichen verhüttet werde. 4. So sollen auch die knaben unter dem spielen, so wol als in der schul, sich der Lateinischen sprach gebrauchen, Deßgleichen kein groß ge, schrey haben, nicht mit einander zancken, einander nit schmehen oder zu, namen, damit nicht die fach aus dem gezenck und unnützen Worten, endlich und letzlich zu dem rauffen und schlahen gereichen und gedeyen möge. Welchs dann ein jeder Praeceptor, bey seinen befohlenen Knaben, so viel möglichen, verhütten und abwenden soll. 5. So ist auch dieses nicht der geringsten ergetzlichkeiten eine. Früh, lings oder Sommerszeit, deßgleichen im Herbst, außerhalb der Stadt «mbher zu spatzirn, die Wiesen und äcker anzuschawn, in die schönen lust, garten zu gehen, die kreutlein auß zugraben, und derselben art und eigen, schafft, auch wie ein jedes genennet werden mag, von den Gelerten zu fragen und zu erforschen. Dann ob aus solcher ergetzlichkeit mehrer Wollust oder freud, dann Nutzbarkeit zu erschöpffen sey, stehet in zweifel. 6. Dieweilen auch meniglichen bewußt, daz das vielfältige baden, in großen fließenden wassern oder weyern, je und allezeit one schaden nicht abgangen, so wöllen wir dasselbige hiemit durchauß ernstlich abgeschafft und verbotten haben. Welche aber hierüber als ungehorsame ergrieffen, sollen deßwegen in der schulen mit rutten, oder mit dem gefengnuß be, strafft werden." Was für sanfte Heinriche suchte man doch damals aus den früher so wilden Vaganten zu machen! wie väterlich war man besorgt, daß keiner seine Glieder allzu lebhaft bewege! Die Schule Melanchthons war in dieser Sache vernünftiger gewesen. Freilich an eine Einführung des Turnens als Schulfach dachte auch damals kein Mensch. In die Schule gehörte nach der Ansicht dieser Zeit nur das Buch und ihm gehörte wo, möglich die ganze Zeit des Schülers. Aber Camerarius hat doch, wie wir sahen, in seinem „dialogus de gymnasiis“ Leibesübungen nach dem Vorbild des Altertums empfohlen, und Luther sagt in den Tischreden"): „Es ist von den Alten sehr wohl bedacht und geordnet, daß sich die Leute üben, und etwas ehrlichs und nützlichs vorhaben, damit sie nicht in Schwel,

— 56 — gen, Unzucht, Fressen, Saufen und Spielen geraten. Darum gefallen mir diese zwo Uebungen und Kurzweile am allerbesten, nemlich, die Musica und Ritterspiel, mit Fechten, Ringen etc. unter welchen als erstes die Sorge des Herzens und melancholische Gedanken vertreibt; das andere macht feine geschickte Gliedmaß am Leibe, und erhält ihn bei Gesundheit, mit Springen etc." Wie Luther war auch der Rektor der Sebalder Schule Sebald HeydeN der Ansicht, daß in der Freizeit auch der Körper geübt werden müsse. Im Jahre 1552 gab er bei Daubmann in Nürnberg für seine Schüler in 534 lateinischen Sätzen Schulgesetze heraus, mit dem Titel: „Paedonomia scholastica pietatis, studii literarii ac worum honestatis praecepta continens.“ „Schülerspiegel, Vorschriften der Frömmigkeit, des wissen­ schaftlichen Studiums und der Ehrbarkeit der Sitten enthaltend." Unter Nr. 492 bis 508 handelt er von den Spielen der Knaben. Dabei sagt er (Nr. 502): „Suppeditant pueris materiam ludorum foris pila, cursus, saltatio, pugna, lucta. Quae ipsa utiliter fiunt, propter corporum exercitationem.“ „Für die Knaben genügen im Freien das Ballspiel, das Laufen, Herumspringen, Kämpfen und Ringen. Das ist an sich nützlich, weil es den Körper übt." Im Jahre 1575 aber war man ängstlich besorgt, daß der Schüler beim Laufen nicht hinfalle, und wer im Flusse badete, hatte Schläge oder Arrest zu gewärtigen. Spazierengehen und dabei Lateinisch reden war das Erwünschte. So verknöchert war die Schule inzwischen geworden. Das sechzehnte und letzte Kapitel unserer Schulordnung bestimmt: „Und solche leges und ordnung, sollen das jähr über zweymal, als Sommer und Winters zeit, nach den verbrachten und gehaltenen Examinibus, in dem Auditorio des Collegii, in beysein aller und jeder Professoren, Präceptoren, Paedagogis, Magistris, und dann aller Knaben und studiosen. Lateinisch und Devtsch verlesen werden. Aber das jenige, so die Professores und Praeceptores belangt, soll man jnen besonders lesen und für­ halten." Die Bestimmung, daß den Professoren und Präceptoren ihre Pflichten nicht in Anwesenheit der Schüler ins Gedächtnis gerufen werden sollen, war recht notwendig. Ist doch im vierten Kapitel der Schulordnung, das von den Pflichten der Praeceptores handelt, wörtlich zu lesen: „Für das vierzehende. So wil auch allen Praeceptoribus geziemen und gebüren, wie wir denn auch solches von jnen erfordern und gehabt haben wöllen, das sie jren discipulis mit Gottesfürchtigem wandel, erbarlichen kleidungen, aller nüchtrigkeit und messigkeit, deßgleichen mit vleißigem siudirn, schreiben, besuchen der Kirchen, und avhören Göttliches Worts etc.

— 57 — als mit einem guten und löblichen exempel vorgehen. Und sich vor allen dingen, vor diesen zweyen Untugenden und schedlichen lasiern, der Trum ckenheit und des Spielens, vleißig hüten, und dieselben, so viel möglichen, fliehen und meiden." Der Zusatz „so viel möglichen" läßt tief blicken! Die Schulordnung von 1575, die wir nunmehr in ihren Hauptjügen kennen gelernt haben, verdiente sicher ihren Namen, denn sie war geeignet, mehr Ordnung in die Schule ju bringen, als die früheren Schulen je gehabt hatten. Wie steht es aber, wenn wir nach dem Geiste fragen, der in dieser neugegründeten Schule herrschte, wenn wir die Art, wie der Unterricht in ihr erteilt und die Klassiker gelesen wurden, mit der Schule Melanchthons vergleichen wollen? Da sagt uns leider die so umfang­ reiche Schulordnung noch weniger, wie die kurje vom Jahr 1526. Wir müssen uns also auch diesmal anderswo Rats erholen. Der erste Rektor der neuen Schule, D. Valentin Erythraeus, kam von Straßburg. Drei Jahre hatte er dort studiert, dann war er nach Wittenberg zu Melanchthon gegangen. Im Jahr 1546 berief ihn, der damals 25 Jahre alt war, sein Straßburger Lehrer Johannes Sturm nach Straßburg zurück, wo er anfangs am Gymnasium, bald an der mit diesem verbundenen Akademie lehrte, bis er nach neunundzwanzigjähriger Lehrtätigkeit nach Altdorf berufen wurde. Er kam also als ein Zögling der Straßburger Schule nach Altdorf. Seine Straßburger Erfah­ rungen hat er dort ganz gewiß verwertet. So hat er von Straßburg die griechische Grammatik mitgebracht"). Auch wurden in der dritten und zweiten Klasse die Epistolae Sturmianae gelesen, ein Schulbuch, das sein Straßburger Rektor Johannes Sturm geschrieben hatte. Auch wurde in der zweiten Klasse Terenz gelesen, der Lieblingsautor der Straßburger Schule. Aber auch ohne diese nahen Beziehungen des neuen Rektors zu Straßburg wäre die Abhängigkeit der Altdorfer Schule von Johannes Sturm selbstverständlich. Denn was Melanchthon für die protestantischen Schulen im Jahr 1526 war, das war Sturm im Jahr 1575. Damals war er der praeceptor Germaniae. Wie sah es nun in seinem Straßburger Gymnasium aus? Schon 1538, bei -er Gründung hat Sturm folgendes als sein Ziel be­ zeichnet: „propositum nobis est, sapientem atque eloquentem pietatem finem esse studiorum.“ Dreierlei also erstrebt er: pietatem, Frömmigkeit, sapientiam, Sachkenntnis, und eloquentiam, lateinische Beredsamkeit. Am Anfang des siebenten Kapitels der Altdorfer Schulordnung von 1575 wird das Ziel der Schule mit folgenden Motten umschrieben: „Das fürnembste end, dahin alle die jenigen, so freye künsten und Sprachen siudirn,

— 58 — sehen und trachten sollen, ist dieses, das sie zugleich die Gottseligkeit, und denn die Geschicklichkeit, bekommen und erlangen mögen. Welche zwey stück zv Latein, Pietas literata, genent werden. Unter welchen die Gott, seligkeit, one erkantnns warer reiner und unverfelschter Religion, nicht kan oder mag erlangt werden. Die Geschicklichkeit aber, aus den Herr, lichen, fürtrefflichen, schönen Künsten und faculteten herfleust, so in der Philosoph!«, Jurisscientia, Medicina, und in andern berühmbten Auto, ribus, als Historicis, Oratoribus, und Poeten begrieffen, und daraus genommen, auch durch langwirige ubung und erfarung gelernet, und zu, wegen gebracht werden mus. Deßgleichen so wird auch obbemelte Ge, schicklichkeit, durch die eloquentia, oder wolberedenheit, gleichsam ge, schmückt und geziert. Dann es gewiß und war, das ad literatam pietatem, und wer dieselben bekommen und erlangen will, beides die geschick, lichkeit und die eloquentia, hoch von Nöten ist." Also auch hier pietas, sapientia und eloquentia, übrigens war dies auch schon das Ziel der Schule Melanchthons. Damals sagte man: res et verba. Die Frage ist nur, ob dies Ziel an beiden Schulen auf dem, selben Wege erreicht werden sollte und ob die drei Gesichtspunkte gleich wichtig waren. Die Straßburger Schule hatte anfangs acht, später zehn Klaffen. In der untersten (zehnten) Klaffe lernten die Knaben zunächst an latei, Nischen Texten Lesen und Schreiben. Jedes Substantiv des Textes wurde dekliniert, jedes Verbum konjugiert. Von Anfang an spielte das Aus, «endiglernen der lateinischen Wörter eine große Rolle. Dazu diente ei» Onomasticum und ein Gesprächbüchlein, Neaniscus genannt, das Sturm für die Schule schrieb. Die Gespräche waren dem täglichen Leben ent, nommen. Da wurden denn eine Menge von Wörtern gelernt, von denen wir heutzutage keine Ahnung habe». Wer von uns weiß, was Ofealoch auf Lateinisch heißt oder Lichtputzschere, Zwirn, Lineal, Zahnpulver und unzählige andere Wörter aus allen Gebieten des täglichen Lebens? Das wurde nun freilich auch früher auf den Trivialschulen schon so getrieben, aber bei Sturm war das Ausmaß ein gigantisches. Seine Schüler mußten viele Tausende lateinischer Wörter lernen. Ihr Abfragen und Aufsage» kostete natürlich ungeheuer viel Zeit. Die nahm man sich auch. Die Schüler der fünf unteren Klassen hatten täglich vier Stunden Latein, also 24 Wochenstunden, während wir heute in den drei unteren Klassen zu­ sammen nur so viele Wochenstunden zur Verfügung haben. Auch die Schüler Sturms mußten natürlich immer nur Lateinisch oder Griechisch reden. Das begann schon in der zweiten Klasse. In den Straßburger Schulgesetzen heißt es: „Cum colludunt, cum ambulant, cum obviam veniunt, sermo sit latinus aut graecus.“ „Beim Spielen, beim Spazieren,

— 59 — gehen und wenn sie sich begegnen, sollen sie Lateinisch reden oder Griechisch." Aber nicht nur eine Unmenge von Wörtern wurde auswendig gelernt, sondern auch Sentenjen aus Dichtern, ja ganze Reden Ciceros und ganze Bücher Vergils. Die Übung des Gedächtnisses ist sicher ein Vorzug, die diese Schule vor uns voraus hat; doch wurde das verständige Maß weit überschritten. Dazu kam für einzelne Schüler noch das Auswendiglernen ihrer Rolle bei den häufigen Theateraufführvngen. Alle Stücke des Terenz und Plautus sollen nämlich von den vier oberen Klassen aufgeführt «erden. Darauf legte Sturm großes Gewicht. Auch in der Altdorfer Schule wurde viel auswendig gelernt. Auch hier fanden Disputationes, Dedamationes und Comoediarum actiones statt48). Das alles ist frei# lich auch für die Schule Melanchthoas selbstverständlich, doch war auch hier das Maß bei Sturm ein anderes. Zum Lernen der Wörter und der Grammatik, zum Lesen der Klassiker kam als drittes noch die selbständige stilistische Tätigkeit der Schüler, die Imitativ. Man begann mit Übersetzungen aus dem Deutschen ins Lateinische, dann kamen solche aus dem Griechischen ins Lateinische; end, lich eigene Arbeiten der Schüler in Prosa und in Versen. Aus Cicero und für den Schmuck der Rede auch aus den Dichtern sammelten sich die Schüler Redensarten, Sentenzen, Bilder und Gleichnisse, und nun galt es, aus diesen Bruchstücken etwas Neues zusammenzufügen, und dabei durch leichte Änderungen den Schein der Selbständigkeit zu erwecken. Daö will uns freilich als eine armselige Kunst erscheinen. Da das höchste Ziel der Schule die lateinische Beredsamkeit war, wurde allein der rhetorische Stil geschätzt. Cicero war also für alle Klassen das Vorbild und von den Dichtern besonders für das Lateinsprechen Terenz und für das Schreiben der rhetorische Vergil. Von den Griechen wurde besonders Demosthenes und Jsokrates gelesen. Dies gilt auch für Altdorf, wie uns die Schul­ ordnung zeigt. In beiden Schulen wurde Livius, den Melanchthon noch in der Schule las, erst auf der Akademie gelesen. Bei der Lektüre der Klas­ siker wurde der Nachdruck auf das Rhetorische gelegt, auch bei den Dichtern. Sogar die Homerlektüre wurde der Rhetorik dienstbar gemacht. Sturm sagt darüber"): „Credo ego omnia oratorum ornamenta et instituta in Homero demonstrari posse ita ut si ars dicendi nulla extaret, ex hoc tarnen fönte derivari et constitui posset.“ „Ich glaube, aller Schmuck und alle Regeln der Rhetorik könnten am Homer gelernt werden, so daß, wenn auch keine Rhetorik erhalten wäre, sie doch aus dieser Quelle abgeleitet und fesigestellt werden könnte." Wie anders las Melanchthon seinen Homer! Auch die Altdorfer Schule stellt die Klassikerlektüre, auch die der Dichter, in den Dienst der Rhetorik. Sagt doch die Schulordnung

— 60 — (Vormbaum S. 614): „In den Poeten aber, sollen die Praeceptores die tropos, so man also nent, und die Poeten in sonderlichem gebrauch haben, gleicherweiß nicht umbgehen, sondern poeticum was ist, allezeit mit vleiß, von deme, das da Oratorium ist, discernirn und unterscheiden, zu geschweige!», was an diesem orth, von den epithetis, proverbiis, metaplasmis und was dergleichen Figuren mehr sind, ferners künd befolhe» und gesagt werden." So strebt die Schule Sturms von der ersten bis zur zehnten Klasse darnach, ans dem Schüler einen zweiten Cicero zu machen. Die Lektüre, die schriftlichen und die mündlichen Übungen, die declamationes und Comoediarum actiones, alles dient allein diesem Zweck. Kein Autor wird in dieser Schule um seiner selbst willen gelesen, jeder ist nur das Mittel zum Zweck der lateinischen Beredsamkeit. Diesem Moloch wurde alles andere geopfert. Erklärte es doch Sturm für eine Landeskalamität — publicum et commune mal um —, daß in Deutschland nicht alles Latei­ nisch rede und die Kinder nicht von früh auf Lateinisch hören, stammeln und sprechen. Bei dieser Art der Lektüre kam natürlich der Inhalt der Klassiker zu kurz. Pietas und eloquentia pflegte die Schule in Straßburg, das dritte Ziel aber, das sich ihr Rektor gesteckt hatte, die sapientia, wurde arg ver­ nachlässigt. Freilich will das uns vielleicht schlimmer erscheinen, als es in Wirklichkeit war. Denn Schüler, die so viel auswendig lernen mußten, empfingen damit die Lebensweisheit der Alten und vielerlei Kenntnisse vom Altertum zu dauerndem Besitz, während an unsern Schülern alles nur vorüberzieht, weil sie bei der Weichlichkeit unserer Sitten fast nichts mehr auswendig lernen. Einen schlimmen Rückschritt machte Sturm auch mit seiner Stellung zur Mathematik. Melanchthon hatte im Jahre 1526 einen eigenen Lehrer der Mathematik nach Nürnberg mitgebracht. Am Gymnasium zu Straßburg aber haben die Schüler dreißig Jahre lang nicht einmal rechnen gelernt; erst vom Jahr 1566 an wurde es mit bescheidenen Anfängen der Mathematik in den beiden oberen Klassen gelehrt. Auch in Altdorf wird Arithmetik und Mathematik erst in den öffentlichen Vorlesungen gelehrt, nicht aber im Gymnasium (Vormbaum S. 612). Nach dem, was wir gesehen haben, sind wir berechtigt, die Ziele und den Schulbetrieb der Altdorfer Schule im wesentlichen den oberen Klassen des Straßburger Gymnasiums gleichzustellen. Im Jahre 1526 stand Melanchthon an der Wiege unseres Gymnasiums, ein genialer Lehrer und Erzieher; als die Schule nach Altdorf verpflanzt wurde, übernahm Johannes Sturm die Patenstelle, ein resoluter Praktiker. Keinem Zweifel unterliegt es, daß die Schule damals nicht nur den Ort wechselte, sondern

— 61 — daß sie sich auch in ihrem Wesen änderte, wie das ja auch in derselben Zeit der Humanismus tat, auf dem beide Schulen aufgebaut waren. Für uns bedeutet diese Veränderung eine Verschlechterung. Anders urteilten die Zeitgenossen. Für sie war die lateinische Beredsamkeit in Kirche und Staat, in der Wissenschaft und sogar im täglichen Leben, beim Verkehr mit dem Ausland ein wertvolles Gut, das der Gebildete unbedingt brauchte, um sich aus der Menge emporjuheben und zu Amt und Würden zu gelangen. Für seine Zeitgenossen war Sturm also ein bedeutender Mann, der mit bewundernswürdiger Beharrlichkeit alle Kraft der Lehrer und Schüler konzentrierte, um ein hohes Ziel zu erreichen. Er war für sie der Lehrer, den die Zeit brauchte, und seine Schule war die Schule, die den Zeitbedürfnissen entsprach, war also damals eine moderne Schule. Denn Latein war damals wichtiger für das Leben, als es das Franzö­ sische später wurde. Diese Sprache für den praktischen Gebrauch gründ­ lich zu erlernen, schien des Schweißes wert, den man in der Schule Sturms daransetzen mußte. Was sonst alles dabei Schaden litt, das empfanden die Mitlebenden nicht. Daher wurde der Lehrplan des Straßburger Gymnasiums viel bewundert und nachgeahmt. Er blieb der allgemein gültige, bis eine neue Zeit gebieterisch neue Forderungen an die Schule stellte. Für uns dagegen ist die lateinische Beredsamkeit wertlos, daher urteilen wir über Sturm und seine Schule anders. Wir begreifen den Mann gar nicht mehr. Uns will es scheinen, daß er einer wertlosen und noch dazu unerreichbaren Sache zulieb mit Eigensinn wertvolle Güter geopfert habe. Unser Urteil lautet: Sturm war ein großer Praktiker, aber kein genialer Führer, seine Schule gibt nicht humanitas, sondern eloquentia, er hat durch pedantischen Formalismus die Schule Melanchthons schwer geschädigt und den Geist des Humanismus in ihr ge­ tötet. Freilich war er nicht allein daran schuld. War doch der Humanismus mit der Mitte des 16. Jahrhunderts, wie Bursian, Geschichte der Klas­ sischen Philologie in Deutschland I, S. 219 sich ausdrückt, „in sein Greisen­ alter eingetreten." Der Geist war müde geworden; um so mehr Gewicht legte man auf die Form. Die neue Schule wurde 1575 mit 122 Schülern und Hörern der Vor­ lesungen eröffnet; unter ihnen waren viele Nürnberger Patriziersöhne°°). Sie blühte schnell empor. Der Nürnberger Rat hatte an dem Schicksal der alten Schule gelernt. Diese war, wie wir sahen, an dem Mangel an Berechtigungen zugrunde gegangen. Daher war der Rat nunmehr eifrig bestrebt, für seine neue Schule Berechtigungen zu erlangen. Und dies gelang ihm schon im Jahre 1578. Kaiser Rudolf II. erhob damals die Schule zur Akademie und erteilte ihr das Recht, Baccalaureos und Ma-

— 62 — gistros der freien Künste zu kreieren. Aber je höher die Akademie emporwuchs, desto tiefer wurde die Schule, die mit ihr untrennbar verbünde» war, in den Schatten gestellt. Was ihr anfangs Schmuck und Bekrönung «ar, wurde bald eine schwere Last. Der erste Rektor, Valentin Erythraeus, starb schon im Jahre 1576. Sein Nachfolger D. Johann Thomas Freigius leitete bis 1581 die Schule und die Akademie. Seit 1581 wählte aber diese jährlich abwechselnd aus einer der Fakultäten den Rektor, und ihm wurde auch das Gymnasium unterstellt. In der Leitung desselben wurde er durch einige Professoren der Akademie unterstützt, die die Schüler des Gymnasiums prüften. Sie hießen Visitatores. Die Schule hatte also von 1581 an keinen eigenen Rektor mehr. Durch den jährliche» Wechsel in der Leitung wurde sie natürlich schwer geschädigt. Denn wenn einer der Rektoren oder Professoren der Akademie Lust und Geschick hatte in der Schule ju wirken, so konnte er bei der kurzen Zeit seiner Amtsführung doch nur wenig ausrichten, und der Nachfolger verdarb vielleicht durch entgegengesetzte Anordnungen wieder, was der Vorgänger gut gemacht hatte. Die meisten Professoren werden aber in diesem Amt nur eine lästige Sache gesehen haben, mit der sie sich möglichst wenig befaßten. So fehlte es an der Leitung, und die Schule war schon sechs Jahre nach ihrer Gründung statt der Hauptsache die Nebensache geworden. Die Nachteile dieses Verhältnisses machten sich natürlich nicht sofort geltend. Eine Zeitlang blühten beide Schulen, doch blieb das Gymnasium immer mehr hinter der Akademie zurück. Im Jahre 1620 wurde» 22i Studenten in die akademischen Matrikel eingeschrieben. Will^) zieht daraus den Schluß, daß in diesem Jahre 600 bis 700 Gymnasiasten und Akademiker in Altdorf gewesen seien. Diese Blüte der Akademie «eckte bei dem Rat in Nürnberg höhere Wünsche und kühne Hoffnungen. Nach längeren Verhandlungen kam man damit auch ans Ziel. Kaiser Ferdinand II. erhob die Akademie zur Universität und verlieh ihr am 3. Oktober 1622 das Recht Lizentiaten zu ernennen, Doktoren der Rechte und der Medizin und in der philosophischen Fakultät gekrönte Poeten, über das Fest, das aus diesem Anlaß gefeiert wurde, erzählt Hartmann") folgendes: „Mit festlichem Prunke erfolgte am Peter- und Paulstage, dem 29. Juni 1623, die feierliche Verkündigung der kaiserlichen Privi­ legien. Rektor und Senat im festlichen Ornat der rothen Mäntel an der Spitze der Studenten, im Geleite der Losunger, der Scholarchen, der kaiserlichen Abgesandten und vieler Festgäsie zogen unter den Klängen der Fanfaren und dem Festgeläute aller Glocken in die Kirche. Nach der Festpredigt übergab der damalige Prokanzler Joh. Christoph von Oelhafen mit einer Weiherede die Insignien der neuen Universität dem Rektor Dr. Georg Rößler. Die Ansprache des Prokanzlers, welche im Interesse

— 63 — des allseitigen Verständnisses in deutscher Sprache gehalten wurde, ver­ breitete sich in ihrem ersten Teile über den Ursprung der hohen Schule, welcher in Wirklichkeit auf niemand anderen, als auf unsern Stamm­ vater Adam, zurückgeführt wird. Adam sei der erste Rektor insoferne gewesen, als er seine Kinder in allen Wissenschaften unterrichtete:

in der Theologie durch die Lehre von Gott und seinem Wesen, in der Jurisprudenz durch jene von der Gerechtigkeit Gottes, in der Medizin durch den Unterricht über die Eigenschaft der Früchte und Kräuter, in der Astronomie durch die Lehre von dem Laufe der himmlischen Körper und endlich in der Geschichte durch jene vom Anfang aller Kreaturen. Der Ansprache des Rektors sollten zur Verherrlichung des Tages noch die Reden der vier Dekane, darunter sogar eine in hebräischer Sprache, folgen. Allein die Fanfaren, die zur Mittagstafel riefen, schloßen den Mund der gelehrten Herren. Ein Festmahl von 200 Gästen — 400 Per­ sonen wurden außerdem noch auf Kosten des Rates bewirtet — beschloß die Feier des Tages, an welchem, wie der Universitätschronist Joh. Jak. Baier mit besonderer Genugtuung bemerkt, „auch nicht der geringste Tumult und Schlaghandel passiert, sondern alles in Liebe und Ver­ gnügen abgegangen ist, zumal die Herren Studiosi sich sonderbar bescheiden und höflich gegen jedermann aufgeführt haben"." Sonst ging^s freilich an der Altdorfer Hochschule nicht gerade „sonder­ bar bescheiden und höflich" zu. Das kleine Landstädtchen kam vielmehr bei dem tollen Treiben der Studenten Tag und Nacht nicht zur Ruhe. Die strenge Schulordnung von 1575, die auch den Hörern der akademischen Vorlesungen den Wirtshausbesuch nur mit Genehmigung des Rektors oder eines Professors gestattete (Vormbaum S. 625), konnte offenbar den Studenten gegenüber von allem Anfang an nicht durchgeführt werden. „Denn schon im Jahre 1579", erzählt Hartmann S. 19, „ist wegen der vielen Klagen über der .studiosi wildes unruhiges cyklopisches Wesen, Juchzen und Schreien, Tumultuiren und Hochmuthen' dem Pfleger be­ fohlen worden, die Wache zu stärken und streifen zu lassen und jeden Stu­ diosus, der betreten würde, in die Eisen zu sperren und dann dem Rektor zu überantworten. Im Jahre 1592 mehren sich Konflikte der Studenten mit dem Pfleger und dessen Wache. Empfindliche Strafen werden in einem neuen Mandat den Ruhestörern angedroht und aufs strengste verboten, „fich midt gewehrdter Hand zusammen zu rotten und wider ihrer Herr­ lichkeiten Pfleger und desselben aus empfangenen Befehl verordnete Wach aufzulainen, dieselbig bey nächtl. Weil zu hochmuten und sonst

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allerley mudtwillens ihres Gefallens wider die Jnnwohner und Bürger­ schaft zu Altorf bey tag und Nacht mit Leichtfertigen antasten an ihren Ehren und sonst in vil Weg, bevorab durch ein newe aus lauter« Boßhafften fürwitz erfundne art die leut zu tribuliren, welche fle agiren nennen" etc. In noch grelleren Farben zeichnet das Mandat vom i2. Mai 1627 den Unfug der Studenten. Es wird darin geklagt, wie sie sich unterstehen, „vornemblichen viel bezecht, außer ihren gewöhnlichen Habitationen mit bloßen Wehren auff der Gaffen umbzuschweiffen, mit grausamen, unmenschlichen Schreyen, Poltern und andern wilden gepärungen allerley unfug treiben, andere ruhige Studiosos mit unleydentlichen gewaltthätigen unverantwortlichen injurien belästigen und be­ schweren", und schließt mit der Drohung, „daß gegen solche ungehorsame Verbrecher (Gassenstreuner, Nachtraben) ungeacht ihres Standes und Herkommens, ohne Jemands verschonen, mit ernstlicher Straf vorge­ gangen werden würde." Der bekannteste von den Altdorfer „Nachtraben" war Wallenstein. Am 29. August 1599 schrieb er sich als „Albertus von Waldstein, Freiherr, aus Böhmen" in die Matrikel der Akademie ein. Er war damals fünf­ zehn Jahre alt und kam mit einem Hofmeister und mit einem Knaben von zwölf oder dreizehn Jahren, der sein Famulus war, von der Jesuitenschule in Olmütz. Er konnte den jähen Übergang zur akademischen Freiheit nicht ertragen. Im Dezember 1599 nahm er an einem Nachtskandal teil. Lär­ mende Studenten warfen damals dem Professor der Theologie Dr. Schopper die Fenster ein und erbrachen Türe und Läden des Hauses. Wie die übrigen wurde auch Wallenstein mit Haft bestraft. Wenige Wochen dar­ nach war er bei einem nächtlichen Raufhandel beteiligt, der einem Alt­ dorfer Bürgersohn das Leben kostete. Er erhielt dafür zunächst Zimmer­ arrest. Während die Untersuchung noch schwebte, lief eine neue Klage gegen ihn ein. Er hatte seinen Famulus unmenschlich mißhandelt. Die zwei Scholarchen in Nürnberg, die den Fall zu untersuchen hatten, belegten ihn mit einer Strafe von 30 fl., die er der Akademie zu bezahlen hatte, und legten ihm die Verpflichtung auf, „sich mit des Knaben Freundschaft zu vergleichen." Gleichzeitig wurde ihm erklärt (Hartmann S. 13), „wie man sich zu ihm versehe, er werde sich mit der Zeit nach Bezahlung seiner Schulden von selbst hinwegzutun wissen." Daraufhin verließ er Altdorf im April 1600. Schiller hat also den Altdorfer Aufenthalt seines Helden reichlich idealisiert. Nicht nur „ein wenig locker und burschikos" trieb er es, „zu Altdorf im Studentenkragen", sondern vielmehr „mit Permiß zu sagen" recht unbändig und roh. Und wie er, so trieben es viele. Ja sogar einzelne Professoren beteiligten sich an diesem wüsten Treiben der Studenten. So wurde dem Professor der Jurisprudenz Scipio Gentilis

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zum Dorwurf gemacht, daß er im betrunkenen Zustande mit Studenten die gröbsten nächtlichen Exzesse verübe, wie er „überhaupt mit den Studiosis ein leichtfertig Wesen führe und täglich mit denselben zeche" (Hart­ mann S. i8). So etwas schadete aber damals weder dem wissenschaft­ lichen noch dem gesellschaftlichen Rufe eines Mannes. Scipio Gentilis war zweimal Rektor und Prorektor der Akademie. Über einen anderen Professor der Jurisprudenz, Busenreuth, wurde Klage geführt, „daß er sich täglich sehr beweinet und bezechter Weise vor den Studenten schlimme Reden über die anderen Universitätslehrer führe." Er wurde trotzdem zum Konsulenten des Nürnberger Rats ernannt. Dies tolle Treiben störte also die Entwicklung der Altdorfer Akademie keineswegs. Sie blühte vielmehr in ungeahnter Weise und ebenso blühte seit 1622 die Universität. Was hätten die Eltern der Studenten auch tun sollen? An den andern Universitäten waren die Zustände nicht besser. Anders lag der Fall beim Gymnasium. Auch hier verwilderten die Sitten, auch die Schüler des Gymnasiums respektierten ihre Satzungen so wenig wie es die Studenten taten, mit denen sie Tag für Tag in demselben Schulgebäude zusammen lebten. Lippert") schildert das zügellose Stu­ dentenleben des 16. Jahrhunderts und fährt dann fort: „Nicht viel besser war es auf den vorbereitenden Schulen. Über die Schüler der alten Latein­ schule zu Göttingen wurde schon 1586 geklagt, sie wären „ganz verwildert und zum Degen und Dolch geschickter und aufgelegter, als zu den auf­ gegebenen Sachen und Schriftstellen"." In Altdorf kam noch das böse Beispiel der Studenten dazu. Noch schlimmer wurde es im Verlauf des großen Krieges. Auch bot nun das kleine Landstädtchen weniger Schutz als das starkbefestigte Nürnberg. Kein Wunder, daß die Eltern ihre Söhne nicht mehr nach Altdorf schickten! Es war ja auch nicht unbedingt nötig, denn immer noch konnte man von einer der Trivialschulen Nürnbergs aus zur Universität abgehen. Noch in einer andern Hinsicht wurde das Gymnasium in Altdorf durch Akademie und Universität schwer geschädigt. Seine Lehrer, die „praeceptores classium“, verloren neben den hochgelehrten Professoren der Hochschule in dem kleinen Städtchen alles Ansehen. Ein wissenschaft­ lich gebildeter Mann war unter diesen Umständen für die Schule nicht mehr zu gewinnen. Männer wie Camerarius und Hesse waren in Altdorf am Gymnasium undenkbar. — So ging die Schule an der Akademie zugrunde. Das Scholarchat beschloß daher, sie wieder auf den Egidienberg zurückzuverlegen. Im Jahre 1575 hatte man sich von der Verlegung der Schule nach dem stillen Landstädtchen eine Hebung des Fleißes der Schüler und eine Verbesserung ihrer Sitten versprochen. Jetzt erwartete man von der umgekehrten Maßnahme dasselbe. Steiger, Festschrift.

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Die Sache war leicht durchzuführen. Denn inzwischen war auf dem Egidienberg eine Privatschule ins Leben gerufen worden, mit der das Altdorfer Gymnasium ohne Schwierigkeiten vereinigt werden konnte. In Nürnberg hatten nämlich vornehme und einsichtsvolle Bürger den schlimmen Verhältnissen in Altdorf gegenüber zur Selbsthilfe gegriffen. Sie traten im Jahre 1622 zusammen und gründeten eine Schule, die es den Eltern ermöglichen sollte, ihre Kinder noch ein paar Jahre zu Hause zu behalten und sie dann besser vorbereitet auf die Hochschule zu schicken, als von der Trivialschule aus. Ihre Schule hatte also dasselbe Ziel, wie die Schule Melanchthons und die in Altdorf: auch sie sollte die Lücke zwi­ schen den Trivialschulen und der Universität ausfüllen. Den Lehrplan dieser Schule hat Heerwagen nach dem Original, das sich auf der Stadtbibliothek befindet, auf S. 18 bis 27 seines Programms vom Jahre 1863 zum Abdruck gebracht. Es ist ein wortreiches Schrift­ stück in deutscher Sprache, mit vielen lateinischen Redensarten und Zitaten untermischt. In der Einleitung wird von der Notwendigkeit guter Schulen überhaupt gesprochen. Eine der besten hat der Rat der Stadt Nürnberg „mit Rat Philippi Melanchthonis, Joachim! Camerarii und Eobani Heffi angestellt." „Auff solchen alten Model soll dieses Vorhaben ohne Neurung, so viel sich leiden wird angestellet, unnd allso nur das alte gleich­ sam restaurirt werden, mit dem Unterschied, daß dazumal die Praeceptores stipendio publico ab Ampliss. Magistratu seind Unterhalten wor­ den, ietzund aber ohne Beschwerung der lieben Obrigkeit, allß deren bey diesen sehr schweren thewern Leufften billig zu verschonen, von der Discipulorum Eltern, welche Ihre Kinder zu dieser Schul halten wöllen, unterhalten und bezahlet werden sollen, darzu dann schon etliche Dorneme Bürger diesser Statt mit sehr großen Verlangen entlich sich erkläret haben, unnd mehr nicht begehrn, allß daß sie nur eines Edlen Hochweißen Raths, Unnd der Herrn Scholarchen großgünstigen Consens unnd einen be­ quemen ort hiertzu erlangen mögen." Nachdem die Bittsteller so ihr bescheidenes Anliegen vorgebracht haben, weisen sie zwei Einwände zurück. Man könnte sagen, da es in Nürnberg schon vier Trivialschulen gebe, sei eine neue Schule unnötig. Darauf erwidern sie zunächst, das sei auch im Jahre 1526 der Fall ge­ wesen und doch habe man damals die obere Schule gegründet. Auch seien die vier bestehenden Schulen durch das Umhersingen der Schüler in der Kirche, auf dem Kirchhof und auf den Straßen behindert Gutes zu leisten. Noch bedenklicher war ein zweiter Einwand. Die Privatschule in Nürnberg mußte doch dem Altdorfer Gymnasium Abbruch tun. Dar­ über sprechen sich die Bittsteller mit folgenden Worten freimütig aus: „Ob man aber gleich noch ferners sagen wolle, daß Jedoch damals die

— 67 — hohe Schul zu Altorff dieses auch verrichten könnten, was hie die Newe Schul thun soll, so ist doch bewußt, daß viel Eltern Ihre Söhn, ehe sie recht tüchtig publicas lectiones zu hören, ad evitandam licentiam Academicam viel lieber alhie, alß draußen haben wöllen, wie denn Ihrer viel auß mangel, daß sie es bishero hie nicht haben können, Ihre Kinder nach Lauingen, Hailßbrunn, Snlzbach etc. verschicket haben itzund ge­ schweige, daß ein Vatter seinen Sohn auch viel besser unnd mit weniger» Unkosten hie allß draußen in der frembt zu dergleichen Studiis humanioribus oder classicis halten kau. Zu dem wöllen sich auch zur Zeit solche Mängel in erwehnten classibus zu Altorff ereignen, daß diß Vorhaben allhie ehe Und leichter ins «erck zu richten, allß vielleicht eine reformation daselbst anzustellen sein möcht."

Dann wird zum zweitenmal versichert, daß man keine neue Schule schaffen, sondern nur die Schule Melanchthons wiederaufrichten wolle. „Die weiß aber," heißt es, „unnd methodus ad rem ipsam zu kommen, so hierin soll gehalten werden, ist wie oben angedeutet, nicht neu, oder eines neuen Jngenii oder geistes sonderbare imaginatio, sondern nach vieler fürtrefflicher gelehrter Männer art unnd Meinung angestelt, allß da sein Philippus Melanchthon, Erasmus Roterodamus, Johannes Sturmius, Antonius Muretus, Eumundus Richerius, Nicolaus Clenardus, Christophorus Helvicus und andere, auß deren Schriffken solcher methodus mit fieiß gesucht Und zu Papier gebracht worden, mit welchem auch die vor vier Jahren Von Landgraff Moritz zu Hessen, Item von Johan Fridrtch Herzog zu Wirttenberg neu publicirte Schulordnungen Überein kommen, Und darnach regulirt sein. Sonderlich aber stimt hier­ mit allerdings überein, was Erasmus in libello illo nunquam satis laudando de pueris statim ac liberaliter instituendis prudentissime juxta atque eruditissime geschrieben." Daß zwischen dem Humanismus Melanchthons und Sturms, zwi­ schen der Schule in Nürnberg und Altdorf und der Trivialschule, die sie errichten wollten, ein wesentlicher Unterschied sei, das kam dem Verfasser oder den Verfassern dieses neuen Lehrplans also gar nicht in den Sinn.

Soweit die Einleitung. Nun folgen Bestimmungen über die Lehrer und Schüler und über die Schulaufsicht. Auf die letztere wird, wie auch in Altdorf, viel Gewicht gelegt. Die Disitatores sollen „wöchentlich alter­ native oder conjunetim Ihrer gelegenheit nach In der Schul visitirn, item alle 6 Wochen den gewönlichen examintbus beywohnen." Nach diesen und andern allgemeinen Bestimmungen werden die Lehrpläne für die einzelnen Klassen festgesetzt, und zwar gleich für vier Klassen, obwohl zunächst nur zwei errichtet werden sollen. In der vierten 5*

— 68 — (untersten) Klaffe wird lesen und schreiben gelehrt und lateinisch dekli­ nieren und konjugieren.

„In classe tertia mag mau füglich Latinam Grammaticam und Syntaxim, doch so viel möglich in der Muttersprachen unnd mit wenigen Regeln proponirn." Die Ausnahmen von den Regeln soll der Lehrer bei der Lektüre zeigen. „Es ist auch ratsam, das man zu gewisser zeit die Prima elementa Graecae linguae in hac Classe fürnehme, damit die Jugent Uff wenigst lesen unnd die accentus und articulos begreiffen möge Unnd allso desto fürtiger sey zur folgenden Institution in Classe sequenti. Aufs diesse weiß kan immer ein Claß der andern die Handt bieten und gute ordnung, daran sehr viel gelegen, gehalten werden."

Die zweite Klasse treibt Dialektik und Rhetorik nach lateinischen Auszügen aus Werken des Aristoteles. „Der gewisse Author aber latinae linguae in diesser Claß soll sein Terentius oder Terentius Christianus, «und were wol rathsam, so offt der Praeceptor ein Comoediam usu Grammatico et Rhetorico, adeoque explicatione et imitatione mit den Discipulis absolvirt hätte, daß sie solche Comoediam (doch nur schlecht (—schlicht) sine apparatu) agirten etc. In hac Classe könnten auch die Bucolica Virgilii in acht genommen werden." Der griechische Unterricht, der in der dritten Klasse begonnen wurde, wird in dieser Klasse fortgesetzt. Die Schüler lernen Dialectum communem, „daß sie nemlich zum exempel den Textum novi testamenti sine versione latina verstehen können." Das Griechische dient also in erster Linie den Zwecken der Kirche, wie das ja schon Luther bestimmte. Die Erfahrungen mit dem griechischen Unterricht sind bisher recht schlechte gewesen. Die Schuld daran tragen, wie ausdrücklich festgestellt wird, die Lehrer, nicht die Schüler. Denn die Lehrer haben immer nur Regeln und Ausnahme» und Ausnahmen von den Ausnahmen lernen lassen, ohne sich um die rechte Methode zu bekümmern. Über diese rechte Methode werden nun Vorschriften gegeben, auf die wir noch zurückkommen.

In der obersten Klasse wird der Unterricht in der Dialektik und Rhe­ torik fortgesetzt, auch lernen die Schüler jetzt die übrigen griechischen Dialekte, „Atticam, Jonicam, Doricam, Poeticam.“ Gelesen werden die Carmina Nazianzeni (des Kirchenvaters Gregor von Nazianz) und die versus Catonis, die Scaliger ins Griechische übersetzt hatte, „principaliter aber der Homerus". Dann wird in dieser Klasse „Poesis latina“ traktiert und Hebräisch als Wahlfach in sehr bescheidenen Grenze». Im Lateinischen ist Cicero „der gewisse Author", außerdem wird Virgils Äneis geleseu, Plautus und ein Historiker. In Altdorf war der Historiker der Akademie

— 69 — und ihren Vorlesungen Vorbehalten. Man kehrte also wieder zu dem Brauch der Melanchthonschule zurück. Zum Schluß wird für alle vier Klassen der Stylus besonders emp­ fohlen. Täglich soll er geübt werden „und wo nicht mit vilen, Jedoch Jederzeit nach gelegenheit der Zeit, mit wenig Zeit." In der Oberklasse wird auch aus dem Griechischen ins Lateinische übersetzt. Auch die For­ derung, Lateinisch zu sprechen, bleibt aufrecht erhalten. Ihre Erholung sollen die Schüler in der Pflege der Musik und des Zeichnens finden. Hierfür werden einige Lehrer aufgestellt. Die Kosten find von den Eltern durch besondere Beiträge aufzubringen. Die Schul­ ordnung sagt darüber: „Damit aber die Knaben auch Ihre recreationes haben, unnd mit den Studiis so Ihnen ein Lust sein sollen, nicht beschwert «erden, sollen sie allezeit nachmittag ehe sie ad studia revertirn, in Musicis, welche anderst lust darzu haben, sich üben, wie in der Labella depingirt, Item Wöchendlich Ihre gewisse Collegia darinn halten, zu welchem end ein Organist, einer mit die Diolen und ein lautenist, wie auch einer in Mustca vocali soll befielt «erden täglich certis horis dahin kommen, unnd Uber das, so Jedem der Knaben Eltern zu lohn geben, Jeder das Jahr ex fisco 6 Fl. haben. In gleichen soll auch ein Mahler oder Reisser Mitt­ wochs und Sambstags nachmittag Item famulus communis dahin verordnet werden itidem sumptibus fisci." Dann kommt noch ein Abschnitt über die Examina. „Schließlichen damit Amplissimus Magistratus wissen möge, was hierin proficirt werde, soll alle 6 Monat ein Universalexamen, in Beysein etlicher Herrn Scholarcharum gehalten, und nach demselben etliche pracmiola, sumptibus fisci et Parentum außgetheilt werden, qui modus proficiendi est omnium laudabilissimus." Mit zwei kräftigen Zitaten aus Luther und Ersamus über die Wichtig­ keit einer guten Schule schließt das Ganze. Dieser Lehrplan wurde also dem Rat der Stadt zur Genehmigung vorgelegt. Im Ratsverlaß vom u. Juli 1622 räumte dieser ein, daß es „bey Visen gefehrlichen und Theuern Zeitten die Jugent gen Altorff oder an frembte ort, an welchen Sie zumal in keiner guten disciplin gehalten werde, zu verschicken sehr beschwerlich un bedencklich sey." Er gab also zu, daß seine Schule in Altdorf in schlechtem Zustand sei und erlaubte daher die Errichtung der Privatschule, doch stellte er keine Schulräume zur Ver­ fügung. Auch bestimmte er, daß jederzeit auch andere Bürger solche Schulen errichten dürften. Die Schule wurde den Scholarchen unterstellt, und diese wurden ermahnt, bei dieser Schule und bei anderen, die etwa noch errichtet werden könnten, „gute achtung darauff geben zu lassen, auch bißweilen visitationes anzustellen, damitt demnach solche Praecep«

— 70 — tores gebraucht werden, welche der jugent keine irrige lehr instilliren" (Heerwagen S. 28). Die Rechtgläubigkeit der Lehrer gereichte also dem Rat zu besonderer Sorge. Hatte man ja auch in Altdorf 1575 die Lehrer zu allererst auf die Augsburger Konfesston verpflichtet. Damals fing man auch schon an, an dem heidnischen Inhalt der Klassiker Anstoß zu nehmen, wie die Lektüre der Carmina des Kirchenvaters Gregor von Nazianz und die Empfehlung des Terentius Christianus beweist. Melanchthon hatte in dieser Sache freier gedacht. Und doch weht in dieser Schulordnung, wie es scheint, ohne daß es die Verfasser selbst merkten, ein neuer und freierer Geist, freilich nicht der des Humanismus, denn dieser hatte zwar um 1500 Freiheit und Fort­ schritt gebracht, war aber um 1600 altersschwach und unfrei geworden. Der neue Geist kam nicht von der Schule her, sondern von der Welt draußen. Das Ideal der Humanistenschule, Sturms „sapiens atque eloquens pietas“, genügte der Zeit um 1600 nicht mehr. Daß die pietas das Fun­ dament der Schule sein und bleiben solle, dagegen erhob sich noch keine Stimme, wohl aber hatte die lateinische Beredsamkeit im Lauf des Jahr­ hunderts an Bedeutung verloren. Das Latein mußte in der Zeit wäh­ rend und nach dem großen Kriege seine Weltherrschaft zunächst mit dem Französischen teilen, dann verlor es sie an die Sprache des Sonnenkönigs. Ein neues Bildungsideal kam auf, das des „galant Homme“. Dadurch wurden zunächst die Söhne des Adels dem Gymnasium entfremdet. Der Schule Melanchthons und dem Altdorfer Gymnasium waren sie getreue Schüler gewesen; halten doch beide Schulen den Namen schola Patricia geführt. Die moderne Schule für den jungen Adeligen wurde jetzt die Ritterakademie. Einzelne dieser Fachschulen reichen noch in die Zeit vor dem Dreißigjährigen Krieg zurück. In Wien wurde 1560 eine Ritterakademie gegründet, in Tübingen 1589; 1599 gründete Landgraf Moritz von Hessen in Kassel das Mauricianum. In dieser Schule wurde zwar auch Griechisch und Latein gelehrt, daneben aber auch schon Franjösisch, Italienisch und Spanisch. Dazu kamen die „studia astronomica et mathematica“, die besonders für den Kriegsdienst des Adels nützlich waren, zur Belagerung und Verteidigung von Städten und zur Auf­ stellung der Heere. Außerdem galten dort „als löbliche Exercitia" Reiten, Fechten, Tanzen, Ballspiel, Instrumental- und Vokalmusik, kunstbare Anschläge zu Krieg, Gebäuden, Abriß und Malerei. Diese ältesten Ritter­ akademien gingen in der Not des großen Krieges zugrunde; nach dem Krieg aber wurden neue mit Eifer errichtet. Nun ent­ fernte man sich noch weiter vom humanistischen Bildungsideal. In einem Memoriale, das die Ritterschaft 1682 beim Hof in Dresden einreichte, heißt es"):

— 71 — „Es sei die höchste Notdurft, daß die adlige Jugend eine andre In­ formation und Traktamente erhalte, als die bürgerliche. Zwar soviel das Fundament in pietate et religione und lateinischen siylum avgehe, sei kein Unterschied; dagegen sei die gründliche und langwierige Unter­ weisung in der griechischen und hebräischen Sprache für die Bürgerlichen allerdings vonnöten, nicht aber für die Adligen; sie könnten ihre kostbare Zeit auf andere, ihre Zwecke erreichende Dinge und studia anjuwenden sich befleißigen." Diese Schulen erfüllten ihren Zweck und verschafften dem Adel die herrschende Stellung, die er im Hof- und Kriegsdienst des 17. Jahrhunderts sich erwarb und im 18. Jahrhundert noch bewahrte, während im 16. auch Geistliche oder Rechtskundige bürgerlicher Herkunft, die aus der Humanistenschule hervorgegangen waren, leitende Stellungen an den Fürstenhöfen eingenommen hatten. So hatte sich eine Fachschule vom Gymnasium abgezweigt, gewissermaßen eine Realschule für den Adel, die mit der heutigen Realschule die Vielheit der Fächer und die Vorliebe für Mathematik und neuere Sprachen gemein hatte. Wenn schon dies neue Ideal des „galant homme“ kein sehr hochstehendes Bildungsideal war, sondern flach und den Bedürfnissen des Alltags dienend, so hatte der damals altersschwache Humanismus doch nicht die Kraft Widerstand zu leisten und sich in seiner Eigenart zu behaupten. So kam ein Riß in die Bildung der Nation: auf der einen Seite standen die modern gebildeten adeligen Zöglinge der Ritterakademie, auf der andern die am Gym­ nasium und auf der Universität Gebildeten, die man spöttisch „die Pe­ danten und Schulfüchse" nannte. Diese veränderte Stellung zu den Lehrgegensiänden der Schule schadete natürlich auch dem Ansehen der Lehrer. Ebner") schildert die Gestalten der Lehrer, die in den lateinischen und deutschen Schuldramen des 16. und 17. Jahrhunderts auftreten. Den Wandel, den sie im Verlauf dieser zwei Jahrhunderte erleiden, faßt er zusammen mit den Worten: „Der gelehrte Humanist vom Beginn des 16. Jahrhunderts wird allmählich zum lateinisch redenden Pedanten, zum „Schulfuchs", wie das 17. Jahrhundert ihn nennt, über den man sich lustig macht. Von dem Ansehen des Standes, das wir deutlich noch aus den Schriftwerken der Reformation ersehen können — man denke an Macropedius — bröckelt Stück für Stück ab.... So «erden die Lehrer­ figuren mit dem fortschreitenden 17. Jahrhundert immer kläglicher, ja geradezu gemein." Dieser Gegensatz zur Schule und ihren Lehrern bildete sich natürlich erst im Verlauf längerer Zeit in seiner ganzen Schärfe aus. Die Ent­ wicklung ging recht langsam vor sich, wie das in der Natur aller Schul­ dinge liegt. Vor allem blieb das Latein noch lange die herrschende Sprache.

— 72 — Auch in der „modernen" Schule galt es als unentbehrlich. Im Lehrplan der Ritterakademie zu Wolfenbüttel wird 1687 das Lateinische noch „eine hochnotwendige und bei allen Nationen durchgehende Sprache" genannt"). Auch das Lateinsprechen blieb noch lange Zeit ein Ziel der Schule. Wir finden es als Forderung an alle Schüler in der Schulordnung der scholae privatae von 1622 und finden es noch für die vier oberen Klassen in den Schülersatzungen unseres Gymnasiums vom Jahre 1700. In dem wenig veränderten Neudruck dieser Satzungen von 1738 wird die Forderung auf die drei oberen Klaffen beschränkt. Freilich stand sie damals nur noch auf dem Papier und konnte nicht mehr durchgeführt werden, wie wir bei der Besprechung des Schulfestes von 1733 sehen werden. So nahmen die lateinischen Kenntnisse langsam ab. Die Mutter, spräche und die Fremdsprachen machten eben ihr Anrecht an die Schule immer stärker geltend. Dadurch geriet die eine Säule des alten Gym, nasiums, die eloquentia latina, ins Wanken. Stärker noch wankte die andere, die sapientia, der Respekt vor der Weisheit des Altertums, die durch die Klassiker überliefert ist. Denn es bahnte sich damals eine Er, Neuerung der Wissenschaften an, man befreite sich von der Autorität des Altertums und machte das Recht auf Selbstbeobachtung und auf vor, aussetzungslose Forschung geltend. Kepler, Galilei und Bacon waren die Vorkämpfer gegen die Autorität des Aristoteles. So kam eine Zeit heran, die auf ihr eigenes Wissen stolz war und die auch darauf stolz sein konnte. Bacon gibt diesem Gefühl Ausdruck, indem er sagt:^) „Die Alten sind nicht die wahren Alten, wir vielmehr verdienen den Ehrennamen, wir leben in den alten Tagen, jene lebten in der Jugend der Welt. Daher mangelten ihnen auch so viele unserer gegenwärtigen Kenntnisse; nur einen geringen Theil der Erde, nur eine kurze Zeit der Geschichte kannten sie, während wir die alte Welt in weit größerem Umfange kennen, einen neuen Welttheil entdeckt haben, und lange historische Zeiten überblicken." So verlor in diesen Zeiten nicht nur die lateinische Sprache ihre Alleinherrschaft, auch die Weisheit der Alten verlor ihren Zauber, man glaubte nicht mehr, daß in den Schriften der Klassiker alle Weisheit der Welt enthalten sei. Aber auch die Methode, mit der diese neue Wissenschaft ihre Erfolge errang, war eine andere, als die der alten Schule. Diese stellte Regeln auf, erläuterte sie durch Beispiele und ließ dann alles auswendig lernen. Die neue Wissenschaft schöpfte aus der Erfahrung und arbeitete mit der induktiven Methode. Zuerst kamen Beobachtungen und Beispiele, dann die Regel. Und das Auswendiglernen, auf das die alte Schule so hohen Wert legte, wurde geradezu verpönt, denn auf das Verständnis kam alles an.

— 73 — Schließlich kam noch eine Äußerlichkeit Hinz«, die aber auch von großer Bedeutung «ar. Luther und Melanchthon hatten im Gegensatz zur Schule ihrer Jugendzeit immer darauf gedrungen, daß der Lehrer seine Schüler freundlich behandeln, daß er ihnen Lust und Liebe zum Lernen wecken solle. Als die Humanistenschule aber im Formalismus erstarrte, wurde auch sie eine harte und schlägereiche Schule. Schon die Altdorfer Schulordnung von 1575 legte großen Wert auf die „gebühr­ liche züchtigung", und in der Folgezeit wurde das in Altdorf wie überall in Deutschland bei der Verwilderung der Jugend nicht besser sondern schlechter. Johann Valentin Andreae, ein Schulreformer, der von 1568 bis 1654 lebte, sagte 1618 in seinem Menippus69): „Die Magister, Grammatiker, Dialektiker und Rhetoriker sind abgeschmackte Pedanten, die es bedauern, daß Jesus uns nicht statt des Evangeliums eine latei­ nische Grammatik hinterlassen hat, wortreiche Nomenklatoren, die sich einen aristotelischen Himmel schaffen, keinen christlichen, unpraktische Kleinigkeitskrämer, die vor lauter Gelehrsamkeit nicht verstehen, was ein gewöhnlicher Bauer versteht, schlagfertige Prügelmeister, die selbst nichts Rechtes wissen und darum auch nichts Rechtes lehren können." So sahen die Neuerer ums Jahr 1600 mit derselben Verachtung auf die Schule des Humanismus herunter, mit der dieser hundert Jahre vorher die des Mittelalters bedacht hatte. Diese Verachtung der bestehenden Schule weckte natürlich den Wunsch und die dringende Forderung nach ihrer Erneuerung. Zuerst wurden solche Stimmen in Frankreich laut. Michel de Montaigne (gest. 1592) bekämpft in seinen „Essays" die alte Erziehungsweise. „Die jetzigen Erziehungsanstalten sind wahre Kerker der gefangenen Jugend," sagt ec69). Dann bekämpft er die Methode des Auswendiglernens und dringt auf Verständnis. „Die Sachen sind wichtiger als die Worte!" „Überall in der Welt tritt uns Gerede entgegen, und ich habe niemals einen Menschen gesehen, der nicht viel eher mehr als weniger geredet hätte, als er sollte. Vier oder fünf Jahre lehrt man uns, Worte verstehen und Sätze verbin­ den, und außerdem mindestens noch andere fünf Jahre, um zu lernen, wie sich die Worte kurz ordnen und in spitzfindiger Weise versetzen lassen, überlassen wir dies doch denjenigen, die dies zu ihrer ausdrücklichen Lebens­ aufgabe machen. Wenn unser Zögling nur einen guten Vorrat von Sachkenntnissen hat, die Worte werden von selbst kommen." Auch für die Muttersprache und für wenigstens eine moderne Fremd­ sprache und für Leibesübungen soll in der Schule Platz gemacht «erden. „In erster Linie möchte ich meine Muttersprache und die des Nachbar­ volkes, mit dem ich am öftesten zu tun habe, gut verstehen. Ohne Zweifel ist Latein und Griechisch eine große Zierde, aber man erkauft sie zu teuer.

— 74 — Es ist nicht genug, den Zögling geistig anzustrengen, auch die Mus­ keln müssen gekräftigt werden. Auf die Spiele und Leibesübungen: das Laufen, das Ringen, die Musik, den Tanz, die Jagd, das Reiten und die Führung der Waffen werden wir großen Fleiß verwenden." In England bekämpfte zur selben Zeit Francis Bacon (gest. 1626) das leere Wortwissen und baute die Wissenschaft auf der breiten Grund­ lage der Beobachtung auf. Dies führte zur induktiven Methode. In Deutschland «ar Wolfgang Ratke (Ratichius) zwar nicht der erste, aber jedenfalls der lauteste und rücksichtsloseste Vertreter dieser neuen Ansichten vom Schulwesen. Am 7. Mai 1612 übergab er dem Reichstag, der zur Wahl des Kaisers Matthias in Frankfurt versammelt war, ein Memorial, in dem er versprach, „Anleitung zu geben, 1. wie die Ebreische, Griechische, Lateinische und Andere sprachen mehr in gar kurzer Zeit, sowohl bey Alten alß Jungen leichtlich zu lernen und fortzupflanzen seien; 2. wie nicht allein in Hochteutscher, sondern auch in Allen Anderen Sprachen eine Schule Anzurichten, darinnen alle Künste und Fakulteten Außführlich können gelernet und Propagirt werden; 3. Wie im gantzen Reich ein einträchtige Sprach, eine einträchtige Regierung, Und Endlich auch ein einträchtige Religion bequemlich einzuführen und friedlich zu erhalten sey". Ratke versprach also nichts weniger als eine Erneuerung der ge­ samten Geistesbildung seiner Zeit, und zwar sollte dies alles „leichtlich", „bequemlich", „friedlich" vonstatten gehen. Er hätte ebensogut das Gold­ machen versprechen können. Der Reichstag legte das Schriftstück ad acta, aber mehrere deutsche Fürsten interessierten sich für den Reformer und ließen seine Methode, mit der er sehr geheim tat, durch Sachverständige prüfen. In Hessen geschah dies auf Befehl des Landgrafen Ludwig V. durch die zwei Gießener Professoren Helvicus und Jungius. Beide sprachen sich für Ratke aus. Sie gingen nun mit ihm nach Augsburg, wo sie eine Musterschule gründeten, in der nach Ratkes Methode gelehrt wurde. Anfangs ging alles gut vonstatten. Als aber die beiden Professoren mit Ratke Streit bekamen und nach Gießen zurückkehrten, brach die Schule im Jahre 1615 zusammen. Ratke suchte und fand nun neue Gönner und Mitarbeiter, die er sich aber immer wieder durch Eigensinn, Grobheit und Geheimniskrämerei entfremdete. Besonders tatkräftig unterstützte ihn der Fürst Ludwig von Anhalt-Cöthen, der Gründer der fruchtbrin­ genden Gesellschaft. 1618 wurde die Methode Ratkes in allen Schulen Cöthens eingeführt. Bald kam es aber auch hier zum Streit zwischen Ratke und seinen Mitarbeitern. Der Fürst, ungehalten über seinen Günst­ ling, ließ ihn ins Gefängnis werfen. Hier mußte Ratke einen Revers unterschreiben, „daß er mehr versprochen habe, als er zu halten imstande

— 75 — sei". Daraufhin wurde er entlassen. Von Magdeburg, wo er auch nicht Fuß fassen konnte, ging er nach Schweden zum Kanzler Oxenstierna. Im Jahre 1635 starb er. Ratke war ein Mann, der auf dem Gebiet der Schule neue und große Gedanken hatte, die er aber, wenn es zur Aus­ führung kam, durch Eigensinn und Übertreibung verdarb. Doch war sein Einfluß ein weltgreifender, besonders dadurch, daß Comenius viele seiner Gedanken aufnahm und weiterbildete. Wir kehren nunmehr zur Nürnberger Schulordnung von 1622 zurück und sehen, ob sich in ihr Gedanken dieses einflußreichen Reformers finden. Ratke hat die allgemeinen Grundsätze und Regeln seiner Schule im Jahre 1618 für seinen Gönner, den Fürsten Ludwig von Anhalt-Cöthen in deut­ scher Fassung niedergeschrieben und sie in lateinischer Fassung 1629 einer Kommission in Jena zur Prüfung vorgelegt°°). Von diesen 27 Leitsätzen finde» wir vier sehr wichtige in der Nürnberger Schulordnung wieder. Der fünfte Satz Ratkes lautet: „omnia primum in lingua vernacula“, „alles zuerst in der Muttersprache". Unsere Schulordnung bestimmt für die unterste (vierte) Klasse, „daß die bloße delinationes declinationum et conjugationum mit wenigen teutschen reguln tractirt werden", und für die nächste Klasse „In claffe tertia mag man füglich Latinam Grammaticam und Syntaxim, doch so viel möglich in der Muttersprachen und mit wenigen Reguln proponirn". Recht schüchtern klopft hier die deutsche Muttersprache an die Pforte des Gymnasiums, denn die Lehrbücher blieben noch lateinisch. Erst 1699 wurde durch Inspektor Feuerlein eine deutsch geschriebene Grammatik für den lateinischen Unterricht eingeführt. Der 14. Leitsatz Ratkes lautet: „Ne modus rei ante rem“, „Das keine Reguln und Ursachen eines Dinges oder Sprachen den Lehr Jungen fürgeschriben, viel weniger außwendig zu lehrnen Auffgetragen werden, er habe den zuvor die fach oder sprach selbsten auß einem bewährten Authore oder Scribenten zimlicher massen erlehrnet und bekant gemacht". Also kein verständnisloses Auswendiglernen von Regeln, sondern erst das Beispiel, dann die Regel, also induktive Methode. Damit hängt der 9. Lehrsatz eng zusammen, welcher lautet: „omnis labor ad praeceptorem“, „alle Mühe hat der Lehrer zu tragen". In unserer Schul­ ordnung werden für die unbefriedigenden Erfolge im griechischen Unter­ richt die Lehrer verantwortlich gemacht und nicht die Schüler. Es wird dort über die schlechte Methode der Lehrer sehr temperamentvoll mit fol­ genden Worten geurteilt: „An dem Methodo fehlt es warhafftig, wann ärmlichen die Jugent mit so vielen Praeceptis, exceptionibus Und subexceptionibus gemartert, unnd gröstentheils gantz Und gar davon abgeschreckht worden: da doch diesse sprach mit lust Unnd gar leichtlich, Ja viel ehre, alß die andern kan gelernet werden, wo anders der Praeceptor

— 76 — hierin fleißig sein, Unnd die Mühewaltung uff sich nehmen will. Es halten aber diesser sprach erfahrne dafür, wann die Discipuli in Secunda Classe Dialectum communem (daß sie nemlich zum exempel den Textum novi testamenti sine versione latina verstehen können) Unnd in prima Classe die übrigen Dialectos, Atticam, Jonicam, Doricam, Poeticam etc. fassen unnd lehrnen, daß Sie genug gethan haben. Nun kan aber Dialectus communis in die Jugent durch wenig reguln oder Tabellen unnd Bill exempla gebracht werden, welcher Methodus den faulen Praeceptoribus gleichsam ein Dorn in den äugen unnd ein greuel zu hören bißher gewesen, Jnmassen sie wol vermerkhen können, daß sie mit den langen und vielfeltigen praeceptis in lingua Graeca nit sich selbsten, sondern die Discipulos beschweren, entgegen aber wo man den kürtzern wege gehen solte, nemlich per exempla, daß alßdann Sie die beschwernuß und nit die Dis­ cipuli tragen möchten, Verbi gratia." Der siebente Leitsatz Ratkes lautet: „absque coactione omnia“, „und derowegen kein Lehr-Jünger, deß Lehrnens halben, von seinem praeceptore, Aber wol Mutwillens und Doßheit halben, von einem Andern darzu bestellen Auffseher, geschlagen und bestraffet werde." Auch die Nürnberger Schulordnung spricht von den „zärtlichen Ge­ mütern" der Jugend und warnt davor, sie durch gehäufte Schwierig­ keiten und hartes Wesen abzuschrecken und ermahnt die Lehrer, „sich freundlich erga discipulos zu erzeigen", „damit also die Schul kein Carnificina („Henkeramt"), sondern vere Indus sey." Werfen wir nunmehr einen Blick zurück auf den Lehrplan von 1622 und betrachten wir ihn als Ganzes, so finden wir, daß er ein merkwürdiges Gemisch von Fortschritt und Rückschritt ist. Don Arithmetik und Mathe­ matik findet sich noch keine Spur; auch der Vorschlag, die carmina eines griechischen Kirchenvaters und den Terentius Christianus zu lese», kann nicht als Fortschritt bezeichnet werden. Dagegen sind die Anklänge an Ratkes Leitsätze ein Beweis dafür, daß sich auch der Geist der neuen Zeit schon geltend macht. Heerwagen (S. 4) sagt, der Lehrplan sei „zweifellos" von M. Johann Saubert verfaßt. Saubert wurde 1592 zu Altdorf als Kind armer Eltern geboren und besuchte dort unter vielen Entbeh­ rungen das Gymnasium und die Akademie. 1617 wurde er Prediger in Altdorf, 1622 Pfarrer zu Unserer Frauen in Nürnberg. Als solcher nahm er sich des Nürnberger Schulwesens an. Später wurde er erster Prediger zu St. Sebald und Stadtbibliothekar. Will rühmt von ihm im „Nürn­ bergischen Gelehrtenlexikon": „Er gehört unter die strengen Theologen und war überhaupt ein gründlich gelehrter Mann, eifriger, geistreicher und beliebter Prediger, wurde von vielen auswärtigen Theologen bey schwehren Amtfällen um Rath gefraget und ist nicht nur in den drey

— 77 — Haubtsprachen, der latein. griech. und ebräischen, sondern auch den Humanioren, der Poesie und Philosophie ein wahrer Meister gewesen." Auf Saubert gehen also wohl die Vorschläge zurück, den christlichen Terenz und den griechischen Kirchenvater zu lesen. Ob auch die modernen Gedanken von ihm ausgingen, möchte ich bezweifeln. Kompromiß, wie die ganze Schulordnung ist, ist sie wohl die Arbeit einer Kommission, wie es auch die Schulordnung von 1485 war, in der zuerst humanistische Gedanken zum Ausdruck kamen. Der oder die Verfasser der Schulord­ nung von 1622 berufen sich auf mancherlei Gewährsmänner und Quellen, darunter auch auf Christophorus Helvicus, den Anhänger Ratkes, und auf die Hessische Schulordnung von 1618, von der Vormbaum") sagt: „Sie suchte die paedagogischen Theorien des Wolfgang Ratichius mi den pädagogischen Grundsätzen Johann Sturms zu vereinen." Dasselbt kann man von unserer Schulordnung sagen. Auch sie verwertete die pädae gogischen Grundsätze Ratkes. Damit wurde ein neuer Weg beschrittender nach aufwärts führte. Freilich nicht dahin, wohin der Humanismus gehen wollte, denn der Weg führte schließlich zum Philanthropin und zur Realschule. Aber mit Johann Sturm war die Humanistenschule in eine Sackgasse geraten. Sie war unfähig, aus eigener Kraft einen Ausweg zu finden, und mußte zugrunde gehen, wenn ihr nicht von außen Hilfe kam. Es ist das Verdienst des Schulplans von 1622, einen Weg zur Er­ neuerung gezeigt zu haben. Auf ihm mußte das Nürnberger Gymnasium und mußte das Gymnasium Deutschlands überhaupt mehr als andert­ halb Jahrhunderte lang gehen, bis ums Jahr 1800 der Humanismus wieder eine Macht im deutschen Geistesleben wurde, stark genug, sich seine Schule nach eigenem Willen zu gestalten. Nachdem die neue Schule vom Rat der Stadt genehmigt worden war, wurde sie im Jahre 1622 zunächst mit zwei Klaffen eröffnet. Sie blühte so rasch empor, daß bald fünf Klassen errichtet wurden. Sie hieß die Privatschule „scholae privatae oder auch dispersae“, weil der Unter­ richt an verschiedenen Orten in der Stadt erteilt wurde. Die Trivial­ schule auf dem Egidienberg, die im Jahre 1622 nach der Versicherung der Bittsteller noch sehr viele Schüler hatte, fiel bald der Konkurrenz der neuen Schule zum Opfer. Am 19. Dezember 1632 übergab daher der Rat ihre Schullokale der Privatschule. Durch ein Schreiben an die Universität Altdorf vom 17. Januar 1633 löst er dann auch die vier Klaffen des Gymnasiums in Altdorf auf. Als der hauptsächliche Grund dieser Maß­ regel wird in dem Schreiben „die fast gar zerfallene disciplina" angegeben; dann auch „die sehr gefährlichen und geschwinden Zeiten, da ohne das Junge Knaben nicht verschickhet werden." Die zwölf Chorknaben blieben in Altdorf und genossen das Stipendium, das ihnen Konrad Groß im

— 78 — Jahre 1333 gestiftet hatte, nunmehr als Studenten an der Universität. Die übrigen Schüler des Altdorfer Gymnasiums sollten sich durch „Privat­ institution" auf den Besuch der Hochschule vorbereiten. Die jüngeren Schüler sollten etwa auch in die Lateinschule der Stadt Altdorf eintreten. Am Schluß des Schreibens heißt es: „Zumittelst damit die liebe Jugendt auch anderweit in acht genommen werde, hat ein Edler, Ehrenvester Rath verordnet, daß allhie bey St. Egidien vier besondere classes solchergestalt aufgerichtet «erden sollen, damit in denselben taugliche subjecte zur Uni­ versität ad lectiones publicas auferzogen, oder auch nach Beschaffenheit der Künfthigen Leuften, gleichsam eine neue colonia nach Altorf möge transferirt werden." Die Privatschule, der man im Monat vorher die Schulräume im Egidienkloster überlassen hatte, nahm den Rest der Alt­ dorfer Schüler auf und übernahm auch von der Altdorfer Schule den Namen Gymnasium. Sie sollte die Altdorfer Schule fortsetzen, ja, wenn es der Lauf der Zeit verstattete, sollte sie sogar wieder nach Altdorf zurück verlegt «erden. Die Universität sollte also ihre Vorschule, das Gym­ nasium nicht für immer verlieren, dieses sollte vielmehr nur nach Nürn­ berg zurück verlegt werden, bis Friede und Sicherheit im Nürnberger Gebiet wieder einzogen. Als dies im Jahre 1648 der Fall war, blühte die Schule, hatte man ihr doch erst 1646 eine sechste Klasse angefügt, und nie­ mand dachte natürlich an eine erneute Verpflanzung. Niemand in Nürnberg hat aber auch je daran gedacht, daß die Schule von 1633 etwas Neues sei. Sie galt für die wieder heimgekehrte Schule Melanchthons. Am 11. Februar 1633 wurde sie feierlich eröffnet. M. Saubert hielt die Festrede. Er feierte die Schule als die Pflanzstätte der Frömmig­ keit und der Gerechtigkeit und flehte den Segen Gottes herab auf das erneute Gymnasium. („Gymnasii huius renovati inaugurationem atque dedicationem aggrediamur.“) Und in der Epistola, die er bei dieser Gelegenheit an Herrn Ulrich Grundherr, den Ephorus der Nürnberger Schulen, richtete, nennt er unter den Ruhmestaten des Senatus Noribergensis „nicht an letzter Stelle" die Gründung des Gymnasiums Me­ lanchthons und setzt dieser Tat die Erneuerung der Schule im Jahre 1633 gleich („Magistrates Nobilissimus, ad majorum Imitationen! exsuscitatus, idem illud Gymnasium Aegydianum multa solicitudine refecit et restauravit“). Ebenso dachte sein Schwiegersohn, M. Jo­ hann Held, der 1656 bis 1674 Rektor der wiedererneuerten Schule war. In seiner Geschichte des Egidiengymnastums^) sagt er: „Translatio altera Gymnasii, quam Domini nostri diu jam meditabantur, suscepta demum est d. XI. Februarii A. 1633.“ „Die zweite Verpflanzung des Gymnasiums, die unsere Herren (der Rat der Stadt) schon lange vorhatten, wurde erst am 11. Februar 1633 vorgenommen." 1575 war

— 79 — also die erste, 1633 die zweite Verpflanzung. Niemand dachte im Jahre 1633 daran, eine neue Schule zu gründen, die alte kehrte nur nach Hause zurück. Auch der Lehrplan sollte ja der alte sein. Wir sind also wohlberechtigt, nicht von 1633, sondern schon von 1526 an die Jahre unserer Schule zu zählen. 1633 kehrte sie wie der verlorene Sohn aus der Fremde ins Vaterhaus zurück, nachdem es ihr in Altdorf schließlich schlecht genug ergangen war. Der 11. Februar 1633 ist demnach allerdings ei« wichtiger Tag im Leben unserer Schule, ihr Geburtstag aber ist der 23. Mai 1526. Trotzdem ist der Tag der Rückkehr von Altdorf ein Merksiein in der Geschichte unserer Schule. Denn sie bezog damals nicht nur ein neues Heim, sie bekam auch eine neue Schulordnung, und zwar eine solche, die ihr eine neue Richtung wies. Don 1526 bis 1633 war sie die Schule des Humanismus gewesen. Mit ihm hatte sie Blüte und Verfall geteilt. Jetzt führte sie ein neuer Geist, dem sie nicht wiederstehen konnte, auf neue Bahnen. Auf Kosten des Griechischen und Lateinischen mußte sie neuen Methoden und neuen Lehrfächern immer mehr Raum geben. Dies führte schließlich zu den pädagogischen Kindereien des Philanthropins und zur Dielwisserei, zur Polymathia, zur „allgemeien Bildung", die immer der Feind jeder wahren Bildung ist. IV. Kapitel.

Das Gymnasium im Kampf mit dem Realismus (1633-1808).

1. Abschnitt.

Bon der Rückkehr der Schule nach Nürnberg bis zmn großen Brand (1633—1696). Die neue Schule wurde am n. Februar 1633 nicht mit vier Klassen eröffnet, wie es der Ratsverlaß bestimmte, sondern gleich mit fünf, zu denen schon 1646 eine sechste hinzugefügt wurde. Sie zählte bei der Er­ öffnung 129 Schüler (26, 26, 28, 28, 21), die sich aus den Schülern der Privatschule, der Trivialschule von St. Egidien und des Altdorfer Gym­ nasiums zusammensetzten. Der erste Rektor des neuen Gymnasiums, Johann Graf (Gravius), Poeta Laureatus Caes., war schon Lehrer an der Privatschule gewesen. Mit ihm lehrten noch ein Konrektor und drei Praeceptores. Kaum «ar die Schule im Gange, so faßte man den Plan, ihr, wie 1575 in Altdorf, Hochschulvorlesungen anzugliedern, damit ihre Schüler nicht allzu jung die Heimat verlassen müßten. Daher begann

— 80 — man 1639 auf dem Egidienberge einen großen Hörsaal, das Auditorium magnum, zu bauen, das am 14. Oktober 1642 eröffnet wurde. Hier wurden mit Ausnahme der Medizin über alle Wissenschaften Vorlesungen gehalten. Die Professoren waren zum Teil Lehrer des Gymnasiums, teils Professoren, die zu diesem Zweck berufen wurden, oder auch einhei­ mische Theologen und Juristen. Diese Einrichtung dauerte bis zur Ver­ einigung der Reichsstadt mit der Krone Bayern. Später lasen die Pro­ fessoren nicht mehr im Auditorium magnum, sondern meist in ihren Wohnungen. Im gleichen Jahre 1642 wurde noch eine wichtige Neuerung ein­ geführt. Die Schule wurde unter geistliche Aufsicht gestellt. Die Schule Melanchthons stand direkt unter dem Rat, die Altdorfer Schule stand unter der Aufsicht des Rektors der Akademie und später der Universität. Jetzt wurde in der Regel der erste Prediger von St. Egidien, der Herr Antistes, mit der Oberleitung und Visitation des Gymnasiums betraut. In dieser Eigenschaft führte er den Titel Director, später Jnspector Gymnasii. Der erste Director Gymnasii war Johann Michael Dilherr. Er war von 1631 bis 1642 Professor der Eloquenz, der Historie und Poesie an der Universität Jena. An Pfingsten 1642 kam er auf einer Reise nach Nürnberg, predigte mit ungeheurem Zulauf in der Lorenzerkirche und hielt im Augustinerkloster eine Rede: „de recta liberorum educatione“. „Uber die richtige Art, die Kinder zu erziehen." Um sich auf diese Rede vorzubereiten, hatte er nur sieben Stunden Zeit. Das Aufsehen, das er als Redner in der Stadt erregte und sein Ruf als Gelehrter bewogen den Rat, ihm eine Stelle als Professor der Theologie, der Philologie und Phi­ losophie am Auditorium anzutragen, das damals eröffnet werden sollte. Er nahm an und wurde auch noch zum Director Gymnasii, zum In­ spektor aller Nürnberger Schulen und Stipendien und zum Stadtbiblio, thekar ernannt. Auch die Bücherzensur wurde ihm übertragen, und 1646 nach Sauberts Tod wurde er Prediger zu St. Sebald. Die Häu­ fung dieser Ämter verschaffte dem hochgelehrten Mann einen großen Einfluß auf das geistige Leben der Stadt. Als er im Jahre 1669 starb, konnte sich die gelehrte Welt in Nürnberg und Altdorf in deutschen und lateinischen Trauerreden und in deutschen, lateinischen, griechischen, ja selbst hebräischen Trauergedichten nicht genug tun. Die Rede nun, die er an Pfingsten 1642 in sieben Stunden verfaßt und im Augustinerkloster vorgetragen hatte, ließ er noch im Jahre 1642 bei Endter in Nürnberg im Druck erscheinen. Er widmete sie den Herren Scholarchen. In dieser Widmung, deren Form für die geschmacklose Überschwenglichkeit der Zeit bezeichnend ist, redet er die Herrn Scholarchen an als „Nobilissimi et Magnifici Domini, Domini ac Patroni mei humi-

— 81Iiter colendi.“ Sich selbst unterzeichnet er als „Nobilissimorum Vestrorum Magnificentiarum observantissimus cliens Johannes Michael Dilherrus.“ Dann beginnt er mit folgenden Worten: „Jussu vestro, Patres Patriae meritissimi, Mecoenates maximi, Euergetae Faventissimi, in publicum protrudo immaturum hunc exilis ingenii foetum, tanquam informem Ursae catulum: quem diligentius lambendo componere et efformare debuissem. Sed maluistis, ut ocyus parendo, meam in Vos Observantiam, quam longius pariendo, accuratiorem aliis Doctrinam demonstrarem.“ „Auf Euern Befehl, Ihr hochverdienten Väter des Vaterlandes, Ihr meine hohen Maecenaten und hochgeneigten Wohltäter, übergebe ich die unreife Frucht meines geringen Talentes vor der Zeit der Öffentlichkeit, gleichsam wie das unförmige Junge einer Bärin. Durch längeres Lecken hätte ich ihm Gestalt und Form geben sollen. Aber Ihr wolltet lieber, daß ich durch schnellen Gehorsam meine Hochachtung gegen Euch bezeige, als durch langsameres Gebären anderen gegenüber eine größere Gelehr­ samkeit." Der Mann verdiente den Titel eines Professors der lateinischen Eloquenz; er verstand es, am richtigen Ort die richtigen Superlative zu gebrauchen! Nicht minder gut verstand dies der dritte Rektor der neuen Schule, M. Johann Held. Er trat am 3. November 1656 sein Amt mit einer Rede an, die er ebenfalls bei Endter in Nürnberg im Druck erscheinen ließ und ebenfalls den Herren Scholarchen widmete. Da der Rector im Rang tiefer stand als der Director Gymnasii, sind die Superlative der Anrede an die Viri Magnifici, Nobilissimi, Amplissimi atque Prudentissimi noch gehäufter und noch devoter als bei Dilherr. Im Text der Rede zitiert er einiges aus einer Rede Dilherrs. Er nennt ihn bei dieser Gelegenheit „Plurimum reverendum et Excellentissimum Dominum Dilherrum, Gymnasii Directorem longe prudentissimum.“ Am Schluß läßt ihn der Ruhm Dilherrs nicht ruhen. Er denkt offenbar an das geschmackvolle Bild von dem jungen Bären, der durch längeres Lecken erst hätte Gestalt und Form gewinnen sollen, und sagt von seiner eigenen Rede ebenfalls: „Nunquam autem eo audaciae pervenissem, ut hujusmodi imma­ turum ingenii foetum in publicum protruderem; nisi Vestra accessisset voluntas; quae mihi pro imperio est. Vestro igitur jussu, Sancti Patres! incomtum hunc sermonem publici juris facio.“ „Niemals aber wäre ich so kühn gewesen, diese unreife Frucht meines Geistes vor der Zeit der Öffentlichkeit zu übergeben, wenn nicht Euer Wille dazu ge­ kommen wäre, der mir Befehl ist. Auf Euern Befehl also, Ihr heiligen Väter! übergebe ich diese schmucklose Rede der Öffentlichkeit." Steiger, Festschrift.

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Für alle diese Superlative, die er andern so freigebig spendet, erhält er selber auch zwei. Er wird clarissimus et eruditissimus genannt. Auch die Praeceptores gehen nicht leer aus. Sie heißen clarissimi, gelegentlich auch clarissimi et doctissimi. Diese Titel zeigen uns, wie die Rollen in diesem Schulsiaate ausgetellt sind. Ob damit auch alles wohl bestellt war? Zwar die Herren Scholarchen, „die heiligen Väter", die hoch oben im Olymp wohnten, sie werden wohl zumeist, zufrieden mit dem Weih­ rauch der lateinischen Superlative, dem Director Gymnasii freie Hand gelassen haben. Wie aber, wenn dieser mit dem Rektor nicht einig war? Wenn unter ihnen in wichtigen oder, was vielleicht noch schlimmer ist, in unwichtigen Dingen Streit entbrannte? Die Kosten trug natürlich immer die Schule. Ihre Blüte war zunächst eine recht kurze. In der Rede, deren Wid­ mung wir eben kennen gelernt haben, stellt Rektor Held den früheren glänzenden Zeiten das Elend gegenüber, das er vorfindet. Bei der Grün­ dung im Jahre 1526 stand die Schule in hoher Blüte. Melanchthon selbst gab ihr die Schulordnung und weihte sie dem Dienste Gottes und der Musen. Diesen Ruhm und dieses Glück hat sich die Schule nicht nur gewahrt, sie hat ihn so gemehrt, daß sie bei der Rückkehr von Altdorf „vor den übrigen Schulen mit dem Namen Gymnasium geschmückt und zum größten Teil für die Patrizier und für die Söhne der ersten Bürger bestimmt wurde." ,,Ita adauxit (gloriam felicitatemque) ut anno liuius seculis XXXIII prae reliquis Scholis Gymnasii titulo exornatum, maximam pariern Nobilibus et primariorum civium filiis destinaretur.“

Und was ist nun heute nach erst 23 Jahren, aus dieser „Patrizierschule" geworden? „Res ipsa prob dolor! loquitur: pusillus quippe hic grex noster et exiguae reliquiae numerosi coetus.“ „Oh Schmerz! Ganz klein ist unsere Herde, es sind nur geringe Überreste einer großen Schar." Also schon wieder Schülermangel! Wen trifft die Schuld? In erster Linie, meint der Redner, trifft sie die Neider und Verleumder der Schule. Aber auch die Schüler und ihre Eltern sind nicht ohne Schuld. Die Schüler versäumen oft willkürlich den Unterricht und halten sich nicht an die vor­ geschriebene Ordnung der Klassen. Sie überspringen vielmehr gern eine Klasse und gehen zu früh und schlecht vorbereitet zur Universität ab. Wenn sie dann nichts Ordentliches gelernt haben, gibt man der Schule und ihren Lehrern die Schuld. „Licentiae et petulantiae campus, ignominiae et otii porticus.“ „Ein Tummelplatz für Übermut und Frech­ heit, die hohe Schule für schimpflichen Müßiggang", so wird die Schule genannt I Die Lehrer sind an diesen betrüblichen Verhältnissen unschuldig. Sie, denen „kaum von hundert einer für die Mühe Dank weiß", „quorum Iabores nemo fere homo, et vix centesimus quisque aestimare solet“,

— 83 — sie lehren nach der erprobten alten Methode und walten treu ihres Amtes. Zum Schluß dieser klagereichen Rede werden die Magnifici Domini Scholarchae und der Venerabilis Dominus Director gebeten, der notleidenden Schule zu helfen und Gottes Segen wird auf sie herabgefleht. Mit so schweren Sorgen trat der neue Rektor im Jahre 1656 sein Amt an. 1673, ein Jahr bevor er es niederlegte, um ein Pfarramt anzu­ nehmen, gab er eine Geschichte des Gymnasiums heraus^). Hier spricht er wieder von der hohen Blüte, in der die Schule im Jahre 1633 und mehrere Jahre danach stand. Don seiner Zeit schweigt er. Von beson­ derem Interesse ist das Büchlein dadurch, daß ihm der Verfasser zwei Stundenpläne beigegeben hat, den Altdorfer von 1575 und den des Nürn­ berger Gymnasiums von 1670. Nehmen wir dazu noch den Lehrplan der Privatschule von 1622, der ja auch für die Schule von 1633 galt, so können wir einigermaßen sehen, nach welcher Richtung sich das Gymnasium in den hundert Jahren von 1575 bis 1670 entwickelt hat. Als neues Fach begegnet «ns zunächst im Stundenplan von 1670 Arithmetica, und zwar zweimal in der Woche in allen sechs Klassen, dazu in der obersten Klasse einmal in jeder zweiten Woche praecepta Sphaerica. In der Oberklasse wird auch in je einer Wochenstunde historia universalis getrieben und eine lectio Geographica erteilt. Es kommen also drei neue Fächer in den Stundenplan. Die Kosten trug das Griechische, das in fünf Klassen betrieben wurde. Hier beschränkt sich die Lektüre auf das Testamentum Graecum. Nur in der Oberklasse heißt es am Donnerstag: Testamentum Graecum, Epictetus, vel alius auctor Graecus. Epiktet oder „ein anderer griechischer Autor" sind also die einzigen Vertreter der klassischen griechischen Literatur, und sie werden nur in einer Klasse und nicht einmal in einer ganzen Wochenstunde gelesen. Homer, den Melanchthon so hoch schätzte, von dem der Lehrplan des Jahres 1622 noch gesagt hatte: „principaliter Homerus“, „in erster Linie Homer", er verschwindet also völlig aus diesem Gymnasium. Erst mit dem Neuhumanismus kam er wieder zurück, um das Haupt- und Kernstück dieser Schule zu werden. So wurde das Grie­ chische fast ganz auf die Bedürfnisse der Kirche beschränkt. Das Latein scheint noch nicht gelitten zu haben. Es ist, was Lektüre und Stilübungen anlangt, noch reichlich bedacht. Doch fällt uns auf, daß die Klasstkerlektüre erst im vierten Schuljahr beginnt. Hier werden Epistolae Ciceronis a Sturmio collectae gelesen. Diese Lektüre wird in der nächsten Klasse fortgesetzt; dazu kommen noch Ovids Tristien und Terenz. In der Oberklasse treffen wir fast alle lateinischen Klassiker an. Zunächst werden für drei Wochenstunden folgende Historiker vorgeschlagen: Cornelius Nepos, cui perpetuo immorandum, Vellejus Paterculus, 6*

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C. Julius Caesar, Curtius, Suetonius, Justinus, aliique purioris sermonis Historici. Dann zweimal in der Woche Cicero, Terentius, Plautus et alii scriptores classici, und wieder zweimal lectio tum accurata tum cursoria Virgilii, Horatii, Juvenalis, aliorumque poetarum insigniorum, speciatim vero Ovidii. Der Lehrer hatte wohl die Auswahl und bot von vielem nur Proben, die kursorisch gelesen wurden. Neben den Übersetzungen aus dem Deutschen ins Lateinische werden auch in Prosa und in Versen Imitationes nach den Klassikern vorge­ nommen; in der Oberklasse finden wir auch noch „statis temporibus“, also zu bestimmt wiederkehrenden Zeiten Exercitia Oratoria, lateinische Rede­ übungen. Die lateinische Eloquenz war also immer noch ein Ziel der Schule. Dasselbe gilt vom Lateinsprechen. In den Schülersatzungen, die 1700 neu herausgegeben wurden, wird es noch von den Schülern der vier oberen Klassen verlangt. 1738, als die Schülersatzungen abermals neu herausgegeben wurden, wird dies Gebot auf die drei oberen Klassen ein­ geschränkt, jedoch mit der Bemerkung, daß in der vorhergehenden Klasse schon ein Anfang mit dem Lateinsprechen gemacht werden solle. Nur recht langsam wurde hier also abgerüstet. Auf diese Sache wurde viel Zeit verwendet. In den drei unteren Klassen wurden die Colloquia Corderii erklärt und gelernt, später die Colloquia Helvici und Erasmi. Aus diesen Gesprächbüchlein, die schon in den Klosterschulen in Gebrauch waren, sollten die Schüler den Wortschatz des täglichen Lebens kennen lernen, um Lateinisch schreiben und sprechen zu können. Das älteste uns erhaltene lateinische Gesprächbüchlein stammt aus dem ii. Jahrhundert und hat den angelsächsischen Benediktinermönch Aelfrik (gest. 1005) zum Verfasser"). Ein recht nettes, das uns auch erhalten ist, schrieb im Jahre 1528 der Rektor der Sebalder Trivialschule M. Sebald Heyden für seine Schüler. Die Colloquia Corden! bestehen aus fünf Teilen. Ihr Der, fasser, Maturinus Corderius, war Professor in Paris und starb als Rektor zu Genf um 1560. Der erste Teil enthält 77 Gespräche der Schüler untereinander oder mit Lehrern oder mit andern Personen. Folgendes Gespräch möge als Beispiel dienen"): „Colloquium inter David et praeceptorem. David: Pater meus tibi salutem plurimam dicit. Praeceptor: quando rure rediit? D.: heri. P.: ut valet? D.: optime. P.: mater vero, ubi est? D.: adhuc in M. P.: ubi in M.? D.: in L P.: de illa quid auditis? D.: esse bona valitudine praeditam Dei beneficio. P.: Dominus Deus conservet eam. D.: ita precor. P.: die vicissim patri salutem plurimam verbis meis. D.: faciam sedulo.“ „Gespräch zwischen David und seinem Lehrer. David: Mein Vater läßt Dich schön grüßen. Der Lehrer: Wann ist er vom Lande zurückgekehrt? David: Gestern. Der Lehrer: Wie gehts ihm? David: Recht gut. Der

— 85 — Lehrer: Und wo ist Deine Mutter? David: Noch in M. Der Lehrer: Wo in M.? David: In L. Der Lehrer: Was hört ihr von ihr? David: Gott sei Dank! es geht ihr gut. Der Lehrer: Der liebe Gott möge sie bewahren. David: Das ist auch mein Gebet. Der Lehrer: Grüße Deinen Vater auch von mir recht vielmals. David: Das tue ich gern."

Im dritten Teil findet sich ein Gespräch zweier Schüler, die zum Haarschneiden gehen. „Cornelius, Cyprianus. Cor.: quonam is tarn celeriter? Cyp.: ad tonsorem. Cor.: ego quoque una tecum. Cyp.: rogasti veniam? Cor.: non rogavi, sed tantisper exspecta me, dum eo rogatum. Cyp.: festina igitur. Cor.: mox rediero. Redii, eamus iam nunc. Cyp.: quo vultu te preaceptor excepit? Cor.: hilari sane. Cyp.: eodem me quoque acceperat. Cyp.: non solet irasci nobis, nisi adeamus illum intempestive. Cyp.: quotusquisque id non aegre fert? Cor.: etiam nos, qui pueri sumus, saepe irascimur condiscipulis, cum studia nostra, quantulacumque sunt, Interpellant. Sed iam desinamus, optime tonsorem ante officinam video. Cyp.: Euge, nulli sunt exspectantes, ita siet, ut minus diu moremur.“ „Cornelius, Cyprianus. Cor.: Wohin so eilig? Cyp.: Zum Haar­ schneiden. Cor.: Ich gehe mit. Cyp.: Hast Du um Erlaubnis gefragt? Cor.: Nein, aber wart ein wenig, ich will fragen. Cyp.: Mach schnell! Cor.: Ich komme bald wieder. Da bin ich wieder. Jetzt wollen wir gehen. Cyp.: Wie hat Dich der Lehrer ausgenommen? Cor.: Recht freundlich. Cyp.: So hat er auch mich ausgenommen. Cyp.: Er wird nur zornig auf uns, wenn wir zur Unzeit kommen. Cor.: Wer würde da nicht unwillig? Cyp.: Auch wir Knaben werden oft zornig auf unsere Mitschüler, wenn fle uns in unseren unbedeutenden Beschäftigungen stören. Aber laß uns gehen, ich sehe da gerade den Haarschneider vor seiner Bude. Cor.: Das trifft sich gut. Es sind keine Kunden da. Wir werden nicht warten müssen." Die Gespräche des fünften Teils sind ziemlich umfangreich und behandeln ernstere Gegenstände. Auf diese Gesprächbüchlein verwendete man in fünf von den sechs Klassen sehr viel Zeit. Man legte offenbar noch großen Wert auf das Lateinsprechen. Der Schüler sollte das Latein noch als eine lebende Sprache lernen und gebrauchen.

Don den Lehrbüchern, die der Stundenplan nennt, dienten noch zwei dem Latein des täglichen Lebens, nämlich der Orbis pictus und das Vestibulum des Comenitts. Der Orbis pictus wurde in allen Klassen außer in der Oberklasse durchgenommen, das Vestibulum daneben noch in den zwei unteren Klassen. Diese zwei Bücher sind zugleich ein Zuge­ ständnis an die Forderungen der Neuzeit. Man widmete ihnen viel Zeit. Findet sich doch in der untersten Klasse das Vestibulum dreimal und der

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Orbis viermal im Stundenplan, also siebenmal Comenius, und in der zweiten Klasse noch sechsmal. Der volle Titel der beiden Bücher lautet: „Januae linguarum reseratae Vestibulum, quo priinus ad Latinam Unguam aditus Tirunculus paratur.“ „Vorhalle zur wieder aufgeschlossenen Türe der Sprachen, durch die den Kleinen der Zugang zur lateini­ schen Sprache eröffnet wird." Durch 427 einfache, kleine Sätze sollen tau­ send der gebräuchlichsten Wörter dem Verständnis nahe gebracht und dem Gedächtnis eingeprägt «erden. Das Buch ist ein Auszug aus der Janua linguarum reserata von 1631, die in 1000 Sätzchen 8000 Wörter bietet. Diese beiden Bücher genügten aber ihrem Verfasser bald nicht mehr, denn sie enthielten eben auch nur Wörter ohne Anschauung. Und auf diese, auf das Verständnis der Dinge, kam es ihm zumeist an. Sie wollte er unlösbar mit den Worten verbinden, beides sollte zusammen dargeboten werden, aber zuerst immer die Dinge. Von ihnen sollte der Unterricht ausgehen. Erst wenn das Verständnis für eine Sache geweckt war, sollte das Wort in der fremden Sprache geboten werden. So hoffte Comenius, den Schülern Freude zu bereiten und ihnen die schwere Ge­ dächtnisarbeit zu erleichtern. Er schrieb daher seinen „Orbis Sensualium Pictus“, „die gemalte Welt", der 1658 in Nürnberg erschien. Das Buch ist eine verbesserte Janua, indem den deutschen und lateinischen Sätzen 302 Holzschnitte beigegeben sind. So wurde ein freilich noch recht beschei­ dener Anfang mit dem Anschauungsunterricht gemacht. Der Orbis Pictus des Comenius herrschte in den Schulen bis zu Goethes Zeit. In „Dichtung und Wahrheit" erzählt er, daß er als Kind daraus gelernt habe. Mit diesem Buch, das in fünf Klassen fleißig gelesen und gelernt wurde, drang ein Strom sachlicher Anschauung auch in die Nürnberger Schule ein. Das Verhältnis wurde gerade umgekehrt. Die alte Huma­ nistenschule bot zuerst das Wort, dann, wenn es gut ging, auch die Sache. Jetzt wurde der Nachdruck auf die Sachen, auf die res gelegt. Sehen sollte der Schüler und erkennen, dann erst auswendig lernen. Gegen das Auswendiglernen hatte Comenius und vor ihm schon Ratichius eine große Abneigung. Nun mußten aber im Vestibulum und im Orbis Tausende von lateinischen Wörtern auswendig gelernt werden. Dazu kamen noch die Colloquia und die Sententiae und vieles andere. Comenius suchte dadurch zu helfen, daß er, wie vorher schon Ratichius, das Lernen in der Hauptsache in die Schule verlegte, in der Form des unausgesetzten Wiederholens, des Einpaukens. Der dritte von den Leitsätzen Ratkes lautete: „Non nisi Unum uno tempore.“ „Die Lehr Jungen Auff einmal nicht mehr, dan in einer Sprach oder Kunst, durch fleißige Uebung unterrichtet und eh sie dieselbige wol gelehrnet und ergriffen, zu keiner anderen zugelassen werden."

— 87 Und der vierte Leitsatz fügt sofort bei: „Idque crebro“, „Und dieses häufig." Schulreformer scheuen in der Freude über einen neuen Ge­ danken vor keiner Übertreibung zurück. Nur mit Schaudern kann man vernehmen, wie Ratke j. B. den Terenz in seiner Schule las. Zuerst be­ kommt da der Schüler eine Übersetzung in die Hand. Denn vom bekannten Deutsch, nicht vom unbekannten Latein muß ausgegangen werden. Ist ihm der deutsche Terenz geläufig, dann beginnt die lateinische Lektüre. Zuerst wird der erste Akt der „Andria“ in der ersten Schulstunde vom Lehrer zweimal übersetzt und einmal lateinisch vorgelesen. Dies Verfahren wird in den drei folgenden Stunden einfach wiederholt, so daß der Schüler den ersten Akt der Komödie an dem einen Schultag zwölfmal zu hören bekommt. In den nächsten Tagen werden die folgenden Akte in derselben Weise gelesen, und am Schluß der Woche wird die ganze Komödie noch einmal „explicando“ durchgenommen, d. h. vom Lehrer vorübersetzt. Zu Hanse sollen die Schüler ihren Eltern den Inhalt des Stückes erzählen und es noch einmal durchlesen. Mit dem Grundsatz: „Nur ein Fach zu einer Zeit und dies oft" wird also hier unerbittlich Ernst gemacht. Auch die Nürnberger Schule von 1670 scheint dieser neuen Methode, den Lehr­ stoff unausgesetzt zu wiederholen, wenn auch in bescheidenerem Ausmaß, gehuldigt zu haben. Denn am unteren Rand des Stundenplans der untersten Klasse steht die Bemerkung: „Elapsis hebdomadibus duabus Lectiones Classis hujus repetuntur“, „Alle vierzehn Tage wird der Lehr­ stoff dieser Klasse wiederholt." Im Stundenplan der nächsten (fünften) Klaffe heißt es: „Singulis hebdomadibus Lectiones Sextae Classis repetuntur“, „Immer nach Verlauf einer Woche wird der Lehrstoff der sechsten Klasse wiederholt." Und so geht es herauf bis zur ersten Klasse. Immer wird nach Verlauf einer Woche der Unterricht unterbrochen und wird ein Teil des Lehrstoffs der vorhergehenden Klasse wiederholt. Die alte Schule ließ die lateinischen Wörter und Sentenzen zu Hause aus­ wendig lernen und verhörte dann das Gelernte. Jetzt verlegte man die mühsame Arbeit des Auswendiglernens zum großen Teil in die Schule. Es ist fraglich, ob der Unterricht dadurch anregender und schmackhafter wurde. Die neuen Fächer und die Methode des unablässigen Wiederholens kosteten natürlich viel Zeit. Wir müssen also annehmen, daß die Jugend von 1670 viel länger in der Schule saß, als die von 1622 oder 1575. Sind doch im Stundenplan von 1670 schon für die unterste Klasse an dreiWochentagen vormittags vier und an den andern drei sogar fünf verschiedene Fächer angesetzt. Dazu kommen noch an drei Nachmittagen drei und am Freitag gar vier weitere Fächer. Weniger als drei Fächer am Vormittag und ebensoviel am Nachmittag finden fich in keiner der sechs Klassen.

— 88 — Die unterste Klasse hat auf diese Weise dreimal in der Woche acht verschiedene Fächer an einem Tag, in der fünften und zweiten Klasse sind gar an eine «Wochentag neun verschiedene Lehrgegevstände vorgeschrieben. Mittwoch und Samstag nachmittags ist in jeder Klasse frei. Wenn mar» nun für jeden Lehrgegenstand eine Stunde ansetzt, gibt das für die unterste (sechste) Klasse 40 Wochenstunden, für die andern Klassen 41, 36, 37,39 und 35. Die Altdorfer Schule hatte nur 20 Wochenstunden; heute schwankt die Zahl der Pfiichtstunden zwischen 28 und 33. Die Zahlen von 1670 sind also ungemein hoch. Im Jahre 1699 waren sie noch höher, wie die Schulordnung dieses Jahres beweist, auf die wir noch zu sprechen kommen. So hatte sich das Gymnasium Melanchthons gewandelt. Das Lateinische hatte sich zwar noch als erstes Fach behauptet, die griechischen Klassiker aber waren fast völlig aus dem Unterricht verschwunden. Don den äußeren Schicksalen der Schule hatten wir bisher recht wenig zu berichten. Wir standen an ihrer Wiege, wir sahen sie in die Fremde ziehen und wieder in die Heimat zurückkehren. Das war bisher alles. Nun traf sie einschweres Schicksal. Am 7. Juli 1696 kam, wie Wuerfel") erzählt, in der Kirche und im Kloster zu St. Egidien in der Nacht zwischen elf und zwölf Uhr an drei Orten zugleich Feuer aus, „welches dergestalt überhand genommen, daß in kurzer Zeit die Kirche samt dem Closter in der Flamme gestanden, und dann in drithalb Stunde in die Asche ver­ fallen. Wie das Feuer ausgebrochen, kunte man nicht erfahren. Einige hielten dafür, es wäre ein gelegtes Feuer gewesen; andere glaubten, es sey in des Meßners Johann Stollens, der ein Drechsler gewesen, SpännKammer, in welcher die Magd bey dem Schlaffengehen, einen Funcken fallen ließ, ausgekommen. Der Junge, ein Stief-Sohn des Mößners, ist in der Glut umgekommen, und fand man nichts, als seine Hand-Bibel unverletzt, welche noch auf gemeiner Stadt-Bibliothec aufbehalten wird. Außer diesen verunglückten Menschen, sind noch verschiedene andere Per­ sonen, um all das Ihrige gekommen." Am andern Tag, vormittags um zehn Uhr, fiel der ausgebrannte Turm gegen das Kloster zu ein. Würfel berichtet: „Verschiedene Per­ sonen, welche bey der Brandtstätt sich befanden, und etliche Soldaten, so dabey Wache hielten, sind durch den Umsturz dieses Thurns erschlagen oder verletztet worden. Zu Nachts um Halbweg 12. Uhr der kleinern, fiel das Gewölb der Kirche, welches von Getrayd sehr beschwehret war, ein, davon aufs neue Feuer entstanden. Der starke Wind, welcher damalen gewehet, setzte das anstoßende Holzschuherische, Tucherische Hauß, samt der ganzen Lauffergaß, in die gröste Gefahr. Die Flammen, welche über die ganze Stadt getrieben worden, droheten Nürnberg noch ein größeres

Tafel III

Brand der Kirche und Schule (1696)

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