Das Konzil von Trient und die Moderne [1 ed.] 9783428506415, 9783428106417

In dem vorliegenden Sammelband wird der Versuch unternommen, das Konzil von Trient in die fundamentale religiöse, kultur

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German Pages 453 Year 2001

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Das Konzil von Trient und die Moderne [1 ed.]
 9783428506415, 9783428106417

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Das Konzil von Trient und die Modeme

Schriften des Italienisch-Deutschen Historischen Instituts in Trient Band 16

Das Konzil von Trient und die Modeme Herausgegeben von

Paolo Prodi Wolfgang Reinhard

Duncker & Humblot · Berlin

Italienisch-Deutsches Historisches Institut in Trient Das Konzil von Trient und die Modeme 38. Studienwoche II.- 15. September 1995 Leiter der Studienwoche Paolo Prodi Wolfgang Reinhard Italienische Ausgabe II concilio di Trento e il moderno (Annali deii'Istituto storico italo-gennanico in Trento. Quademo 45), il Mulino, Bologna 1996 Übersetzung von Friederike Oursin Klaus-Peter Tieck

Die Deutsche Bibliothek- CIP-Einheitsaufnahme Das Konzil von Trient und die Moderne I Hrsg.: Paolo Prodi; Wolfgang Reinhard.- Berlin: Duncker und Humblot, 2001 (Schriften des Italienisch-Deutschen Historischen Instituts in Trient ; Bd. 16) ISBN 3-428-10641-5

Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der fotomechanischen Wiedergabe und der Übersetzung, für sämtliche Beiträge vorbehalten © 2001 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fotoprint: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Gennany ISSN 0939-0960 ISBN 3-428-10641-5 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 97069

Inhaltsverzeichnis

Paolo Prodi Das Konzil von Trient in bezug auf Politik und Recht der Neuzeit. Eine Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Wolfgang Reinhard Das Konzil von Trient und die Modernisierung der Kirche. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Konrad Repgen Reich und Konzil (1521-1566). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Umberto Mazzone Versammlungs- und Kontrolltechniken ........

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Louis Chatellier Die Erneuerung der Seelsorge und die Gesellschaft nach dem Konzil von Trient .............. 0





Klaus Ganzer Das Konzil von Trient- Antrieb oder Hemmschuh für die Kirche der Neuzeit? ... . ......... . . . ... 0

Wolfgang Brückner Die Neuorganisation von Frömmigkeit des Kirchenvolkes im nachtridentinischen Konfessionsstaat. o

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Miriam Turrini Recht und Theologie in der Neuzeit- einige Untersuchungsansätze •••••••

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Giancarlo Angelo:ai Das Verbot des Duells- Kirche und adeliges Selbstverständnis ........ 0

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Adriano Prosperi Die Beichte und das Gericht des Gewissens ............

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Inhaltsverzeichnis

Peter Bursehel "Imitatio sanetarum". Oder: Wie modern war der nachtridentinische Heiligenhimmel? .. ....... . .......... . .. 241 Angelo Turchini Die Visitation als Mittel zur Regierung des Territoriums ... . ........... .. .......... . . .. ...... . .. .. .. 261 Cecilia Nubola Visitationen zwischen Kirchen und Staaten im 16. und 17. J ahrhundett . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 299 Anne Conrad Das Konzil von Trient und die (unterbliebene) Modernisierung kirchlicher Frauenrollen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 325 Gabriella Zarri Die tridentinische Ehe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 343 Volker Reinhardt Das Konzil von Trient und die Naturwissenschaften. Die Auseinandersetzung zwischen Bellarmin und Galilei als Paradigma. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 381 Carlo Poni Wirtschaft, Wissenschaft, Technologie und Gegenreformation. Die polemische Theologie des Tommaso Bozio ................ . ......... . ........... . .... 395 Romeo Astorri Das Konzil von Trient im Denken der Kanonisten Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts . ....... .. .... . 427

Verzeichnis der Autoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 453

Das Konzil von Trient in bezugauf Politik und Recht der Neuzeit Eine Einleitung Von Paolo Prodi'

Die Arbeiten dieser 38. Studienwoche über "Das Konzil von Trient und die Moderne" beginnen mit Spannung und besonderen Erwartungen: Da gibt es den Impuls zu beachten, der uns über die wissenschaftliche Ausrichtung unseres Instituts und die Wichtigkeit der gemeinsam zu betrachtenden Probleme zu dieser Themenwahl geführt hat. Hoffen wir, daß diese Spannung und Erwartungen den seminarähnlichen Charakter unserer (nicht als Tagung gedachten) Studienwoche nicht gefährden: Im Mittelpunkt stehen nicht so sehr die wissenschaftlichen Ergebnisse, die sozusagen von außen über Beiträge und Berichte in den begrenzten zeitlichen Rahmen einer Tagung eingebracht werden (auch wenn wir in diese Ergebnisse Vertrauen setzen), sondern vielmehr die Begegnung in Reflexion und Diskussion von Experten und jungen Historikern der beiden Kulturräume, auf deren Integration unsere Existenz als Institut abzielt. Die Wahl des Themas ist durch den 450. Jahrestag der Eröffnung des Konzils von Trient am 13. Dezember 1545 begründet. Unser Bruderinstitut, das "Istituto di scienze religiose", hat eine internationale Tagung zur inneren Konzilsgeschichte im Lichte der Theologie und Ekklesiologie des 3. Jahrtausends organisiert und wir wollten dem eine Studienwoche zur Bedeutung des Konzils von außen betrachtet, im Lichte der Entstehung der Moderne, an die Seite stellen. In Wirklichkeit stellt dieses Treffen einen zentralen Knotenpunkt unserer gesamten Geschichte dar, einen langen Forschungsgang, der das gesamte Leben des Instituts von seinen Anfängen bis heute gekennzeichnet hat. Es genügt der Name Hubert Jedins, Mitbegründer des Instituts und unser erster Präsident. Von den ersten Projekten und Diskussionen an hat der große Konzilshistoriker, dessen Schüler zu sein ich seit 1954 die Ehre hatte, die Entstehung unseres Instituts eng mit dem ,Ereignis' verflochten gesehen, das Trient auf die Landkarte der großen Geschichte Europas und des Okzidents gesetzt hat. Deutsch von Friederike Oursin.

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An dieser Stelle muß ich einfach die Worte HubertJedins wiederholen, mit denen er die dem Konzil von Trient als Wegscheide der europäischen Politik gewidmeten Studienwoche von 1977 eröffnete: .Gegenstand unseres Seminars ist also nicht das kirchliche Ereignis sondern die Eingliederung dieses Ereignisses in die europäische Geschichte des 16. Jahrhunderts. Dies führt uns zu einer einseitigen, aber nicht falschen Betrachtungsweise: Es wird der ausschlaggebende Einfluß der großen Politik der europäischen Mächte auf die Einberufung und Abwicklung des Konzils bewiesen werden, und umgekehrt, der Einfluß des Konzils auf ebendiese" 1•

Wir haben versucht, darin fortzufahren und haben einem Thema zahlreiche Treffen und Veröffentlichungen gewidmet, das im Verlauf der Jahre immer aktueller und umfangreicher wurde; und zwar durch die neue, von der Geschichtsschreibung in den letzten Jahrzehnten entwickelte Problematik des Konfessionalisierungs- und Sozialdisziplinierungsprozesses, der die Entstehung des modernen Europa charakterisiert hat. Aus Zeitgründen werde ich diesen historiographischen Prozeß hier nicht nachzeichnen und außerdem ist es auch nicht meine Absicht, eine Einführung in die Geschichte der Historiographie zu geben2 . Die Anwesenheit von Professor Wolfgang Reinhard- demallunser Dank für seine Mitarbeit bei der Planung und Durchführung dieses Treffens gebührt - macht jede Notwendigkeit, Abrisse dieser Art zu präsentieren, überflüssig: Wir alle hier haben von seinen Gedanken und seinen Forschungsvorschlägen profitiert und ich glaube, daß auch das, was er heute sagen wird, für uns ein Ausgangspunkt für die zukünftige Entwicklung sein wird. Nach einigen methodologischen Hinweise, die Sinn und Grenzen meines Beitrags umreißen sollen, möchte ich einige Hypothesen oder Interpretationsvorschläge aufstellen, die meiner Arbeit der letzten Jahre entspringen und- so hoffe ich wenigstens - im Rahmen dieser Studienwoche und in den nächsten Jahren diskutiert, vertieft und entwickelt werden sollen.

H. ]edin I P. Prodi (Hrsg.), Il Concilio di Trento come crocevia della politica europea, Bologna 1979. Angesichts des allgemeinen und einführenden Charakters dieses Beitrags, werde ich die Literaturhinweise auf ein Minimum für das Textverständnis beschränken: Die immense Produktion HubertJedins über das Konzil von Trient müßte mit jedem Satz angeführt werden. 2 Die wichtigsten Nachweise können dem Band P. Prodi (Hrsg.) , Disciplina dell'anima, disciplina del corpo e disciplina della societa tra medio evo ed eta moderna (Annali dell'istituto storico italo-germanico in Trento. Quaderni, 40), Bologna 1994 (zu dieser Thematik insbesondere die Aufsätze von D. Knox, W. Reinhard, H. Schilling) entnommen werden.

Das Konzil von Trient in bezug auf Politik und Recht der Neuzeit

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I. Meine spezielle Aufgabe ist es, in die Reflexion über das Konzil von Trient den politischen und juristischen Aspekt einzuführen, und zwar vom Gesichtspunkt der Verfassungsgeschichte aus, verstanden als Untersuchung nicht nur der äußeren formalen oder institutionellen, sondern auch der inneren Tiefenelemente, die die Entwicklung jener Welt charakterisiert haben, die wir nun mit einem gewissen, wachsenden Abstand - als modern bezeichnen. Eine erste Klarstellung im Hinblick auf die Studienwoche von 1977 betrifft unser verändertes ,Politikverständnis'. Es geht nicht mehr darum, den Einfluß der Politiker der Großmächte auf das Konzil und umgekehrt zu untersuchen (auch wenn dies weiterhin ein grundlegendes Phänomen bleibt), sondern darum, diesen Austausch auf der Ebene der Entstehung des modernen Staates als Protagonist der neuen Politik und der Verwandlung der Strukturen der Kirche als soziale Organisation zu untersuchen. Die großen Themen der Ideen- und Kulturgeschichte sowie der Theologie, die mit der Geburt des modernen Menschen, des Individuums, zusammenhängen, werden wir also aussparen, aber wir werden sie bei der Analyse einer politischen Entwicklung, die eine anthropologische Veränderung impliziert, beachten müssen. Eine zweite, vielleicht unwichtige Prämisse, deren Klärung aber zur Vermeidung von Mißverständnissen angebracht scheint, die bei einer hastigen Lektüre des Titels der Studienwoche entstehen könnten, in dem das ,und' nur den Wert eine Konjunktion und weiter nichts (... und die Moderne) haben soll: Unsere Absicht ist es nicht, eine besondere Rolle des Konzils in diesem Modernisierungsprozeß zu betonen, sondern es geht uns darum, die Wechselbeziehungen in allen Richtungen zu erforschen. Eine Neubewertung des Geschehens gegenüber historiographischen Perspektiven, die im Konzil von Trient nur einen reaktionären Prozeß gegenüber der neuen, im Aufbruch begriffenen Welt sehen, liegt uns also fern. Diese Interpretationen, die in ihren idealistischen oder marxistischen Spielarten den reaktionären Charakter des Konzils als Verteidigung einer dogmatisch starren Welt und einer Institution (der römischen Kirche) behandeln, oder als Verteidigung eines feudalen und zurückgebliebenen sozialen Systemsangesichts der aus dem Norden kommenden innovativen Veränderungen, haben sich selbst überlebt. Ich halte auch die jahrelange konzeptuelle und terminologische Kontroverse zwischen Reformation - Gegenreformation - katholischer Reform für inzwischen überhole. Insbesondere ist jedoch in diesen Jahren die dialektische Auffassung der Geschichte mit ihrem bipolaren Mythos des Fortschritts aus der Mode gekommen, die jenen Zeitraum der Moderne charakterisiert hat, von der wir uns Für eine weitere Klarstellung siehe P Prodi, Controriforma e/o riforma cattolica: superamento di vecchi dilemmi nei nuovi panorami storiografici, in: Römische Historische Mitteilungen, 31 (1989), S. 227-237.

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distanzieren. Heute interessieren die Wechselbeziehungen zwischen den Phänomenen: Damit soll jedoch nicht eine selbst gebastelte Geschichte vorgeschlagen werden, wie sie leider anscheinend in akademischen Kreisen angesichts des Verlustes der Ideologien (und unter dem interessenbedingten Druck in Richtung auf eine Vervielfältigung der Lehrfächer und den Zerfall der historischen Disziplinen) bevorzugt wird. Der zweite methodologische Entschluß allgemeiner Natur ist also jener, das Konzil von Trient innerhalb eines Modernisierungsprozesses zu sehen, der vor einigen Jahrhunderten auf besonders heftige Weise die europäische Gesellschaft und Politik erfaßt und zur Entstehung des modernen Staates geführt hatte. Eine dritte methodologische Prämisse ist die Überwindung der Vorstellung, daß der Modemisierungsprozeß sein Epizentrum in jener Entzauberung der Welt hatte, von der Max Weber und Ernst Troeltsch gesprochen haben und die unser gesamtes Jahrhundert durchzieht. Das westliche Christentum ist vielmehr aktiv an der Entstehung der Modeme beteiligt (sei es auch mit unterschiedlichen Perspektiven und unterschiedlichen Urteilen) und es ist keineswegs nur ein Ballast oder ein zu überwindendes Hindernis, sondern ein Protagonist dieses Prozesses sowohl auf der intellektuellen Ebene als auch auf der institutionellen, zumindest seit der "päpstlichen Revolution" des 11. Jahrhunderts4 • Genauso wenig halten wir eine Geschichte des Christentums für möglich, die das Problem der Kirche oder der Kirchen als einen der grundlegenden Faktoren der Entwicklung des Westens außer Acht läßt und sich auf eine rein kircheninterne Sicht beschränkt (wenigstens in dem Maß, in dem wir die Geschichte der Kirche als eine historische Disziplin betrachten). Um den Sinn dieses Hinweises verständlich zu machen, möchten wir nur auf das Seminar "Christianesimo e potere" 5 vom Juni 1985 verweisen, das eine der wichtigsten Etappen unserer Entwicklung war, und auch weil es uns ermöglicht, an Freunde wie ltalo Mancini und Roberto Ruffilli zu erinnern, die nicht mehr bei uns sind. Eine letzte Prämisse, die sich zwar aus den vorausgegangenen ableitet, aber trotzdem erklärt werden sollte, ist, daß es nicht unsere Absicht ist, hier das allgemeine Problem der Beziehungen von Kirche und moderner Welt zu Dieser Hinweis scheint notwendig, um den Werdegang der Moderne nicht einzig und allein als Säkularisierungsprozeß darzustellen (laut einer Interpretation, die zur Zeit bei Nostalgikern in einer Rückwendung zur Restauration wieder Anklang findet). Vielleicht ist es auch angebracht, hinzuzufügen, daß wir uns weder vom Modernismus angezogen fühlen, noch von der antimodernistischen Polemik, die auch jüngst einen Teil der italienischen Katholiken charakterisiert hat (vgl. A. Del Noce, L'epoca della secolarizzazione, Mailand 1970). Etwas anderes und wichtig ist hingegen die Analyse der Phasen und Komponenten des unzweifelhaften Säkularisierungsprozesses (zum politischen Aspekt siehe M. Stolleis, "Konfessionalisierung" oder "Säkularisierung" bei der Entstehung des frühmodernen Staates, in: Ius commune, 20 (1993), S. 1-23). P Prodi I L. Sartori (Hrsg.), Christianesimo e potere, Bologna 1986.

Das Konzil von Trient in bezug auf Politik und Recht der Neuzeit

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erörtern. Natürlich ist dies der allgemeine Rahmen, in den die spezifischere Thematik des Konzils von Trient und der tridentinischen Epoche einzugliedern ist. Wir möchten jedoch dieses weite Thema auf einige Probleme beschränken, die direkter mit dem Konzil zusammenhängen. Ehrlich gesagt, hatten wir daran gedacht, Ernst-Wolfgang Böckenförde zu bitten, die einführenden Worte in die Arbeiten dieser Studienwoche zu sprechen und seine grundlegenden Untersuchungen über die Beziehung zwischen Kirche und modernem Staat wieder aufzunehmen und auf den letzten Stand zu bringen. Dies war nicht möglich, da ihn seine Funktion als Verfassungsrichter der Bundesrepublik ganz und gar in Anspruch nimmt. Auf seine Aufsätze verweisen wir auf jeden Fall wegen der klaren Analyse sowohl der positiven Wirkungsfaktoren ("daß die Kirche die Herausbildung der modernen Welt befördert, ja vielleicht überhaupt erst ermöglicht hat": "Herausbildung der Unterscheidung und Trennung von ,geistlich' und ,weltlich'", "Begründung des Gedankens und Prinzips der Individualität", "Entsakralisierung der Welt", "Annahme des Naturrechts als ethisch-rechtlicher Normgrundlage des sozialen und politischen Handelns", die Entwicklung von "Herrschafts- und Organisationsformen ... , die . . . als Modell gedient haben" und die "vom kirchlichen Denken maßgeblich bewirkte Durchsetzung des Amtsgedankens") sowie der hemmenden und verlangsamenden Faktoren ("von der Kirche ausgegangenen Wirkungsfaktoren, die für die Entwicklung zur modernen Welt ein Hemmnis ... bedeuteten") 6• Nach diesen kurzen Prämissen, kommen wir zu den Thesen oder Hypothesen, an denen wir zu arbeiten begonnen haben.

II. Zu Beginn des 16. Jahrhunderts scheint die mittelalterliche respublica christiana zu Gunsten eines Systems konkurrierender Staaten untergegangen zu sein, die die Kontrolle über die Kirchen in ihren Territorien direkt oder indirekt (mit verschiedenen Formeln der Ermächtigung durch die römische Kurie) zu übernehmen suchen. Um diese ein wenig simple Behauptung zu veranschaulichen, könnten und müßten wir Dutzende von Seiten aus auch von unserem Institut veröffentlichten Büchern anführen. Um mich rasch verständlich zu machen, ziehe ich es vor, einige Feststellungen von H.G. Koenigsberger zu zitieren, die mir auch wegen ihres provokatorischen Charakters besonders geglückt erscheinen: E.-W Böckenförde, Zum Verhältnis von Kirche und moderner Welt. Aufriß eines Problems, in: R. Kose/leck (Hrsg.), Studien zum Beginn der modernen Welt, Stuttgart 1977, S. 154-177, hier S. 159-168; ders., Staat-Gesellschaft-Kirche, in: Enzyklopädische Bibliothek, Teilband 15, Freiburg i.Br. 1982 (dort auch die Angaben zu den vorausgegangenen Aufsätzen).

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.In the late fifteenth and early sixteenth centuries, the papacy was virtually forced to abandon its remaining control over both the administrative structure and the personnel of the local churches to the great monarchies .... Even so, the concordats and other arrangements between the popes and the princes did not produce a stable new balance. The Catholic princes of the early sixteenth century, enthusiastically backed by their subjects, induding the dergy and the universities, continued their aggression against papal prerogatives and the effective unity of the Church. .. . The significance, from our point of view, of Henry VIII's withdrawal of obedience from Rome lies precisely in its non-theological and non-religious motivation. Gustavus Vasa broke with Romein a political manoeuvre directed against his political enemies, the king of Denmark and the archbishop of Uppsala. Even without Luther, the chances of the survival of the unity of the Church were slim. "7

Koenigsberger fährt dann mit der (nur auf den ersten Blick) paradoxen Behauptung fort, daß es die Reformation gewesen sei, die mit ihrem radikalen Angriff auf die Tradition einen plötzlichen Aufschwung zur Verteidigung dessen provozierte, was in der alten und universalen Kirche mit dem neuen politischen System kompatibel war. Tatsächlich sahen viele Mächte allein in einem Abkommen mit Rom die Möglichkeit, einer Bewegung die Stirn zu bieten, die sonst zu unkontrollierbaren Ausbrüchen- wie im deutschsprachigen Raum zum Bauernkrieg-oder zumindest zu gefährlichen sozialen Spannungen geführt hätte. Wir haben versucht, die Periode der Reformen innerhalb dieses Prozesses als eng an ihre Vorgeschichte gebunden zu untersuchen, als einen Weg, der zu einer Gabelung führt: Die Richtungen werden ganz verschiedene sein, entgegengesetzt die Ergebnisse, aber sie sind Teil ein und desselben Prozesses in Richtung auf die Begründung der Territorialkirchen. Diese Überlegenheit der Politik spricht besonders deutlich aus den Untersuchungen über die Reform der Ordensgeistlichkeit und des Diözesanklerus seitens der Fürsten im 15. Jahrhundert, über die zunehmende Kontrolle der Benefizien und der kirchlichen Strukturen durch den Staat, besonders durch die Besteuerung oder die Enteignung von Kirchengütern8 • Hiervon einmal abgesehen, ist man jedoch dazu übergegangen, die Beziehung Kirche/Staat nicht länger als ein gegensätzliches, von Macht- und Jurisdiktionskonflikten oder von Kompromissen zwischen zwei rivalisierenden Einheiten beherrschtes Verhältnis zu betrachten, sondern als eine komplexere Beziehung, in der der moderne Staat in seiner Entstehungsphase die Einrichtung Kirche auch in ihrem innersten Kern, dem Papsttum, durchdringt, während Im Aufsatz: The Unity of the Church and the Reformation, jetzt in: Politicians and Virtuosi. Essays in Early Modern History, London I Ronceverte 1986, S. 175. Um uns auf unsere kollektiven Anstrengungen zu beschränken, siehe P Pr-odi I ]. ]ohanek (Hrsg.), Strutture ecclesiastiebe in Italia e Germania prima della Riforma, Bologna 1984 und H. Kellenbenz I P Prodi (Hrsg), Fiskus, Kirche und Staat im konfessionellen Zeitalter (Schriften des Italienisch-Deutschen Historischen Instituts in Trient, 7), Berlin 1994.

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er seinerseits Eigenschaften und typische Funktionen der mittelalterlichen Kirche annimmt9•

111. In diesem Rahmen, der die Jahrzehnte vor dem Beginn der Konzilsarbeiten charakterisiert, an den wir heute erinnern wollen, ist es ein Fehler, den Kampf um das Konzil, wie es bis heutetrotz des großen Entwurfes von HubertJedin 10 zu oft geschah, allein als einen Konflikt zwischen Reformatoren, die die Kirche von den Mißbräuchen und mittelalterlichen Überbleibseln reinigen wollten, und den Konservativen, die sich im Namen der Interessen und Privilegien, insbesondere der römischen Kurie, dagegen wehrten, zu betrachten. Eine politische Lesart der Verspätung des Konzils von Trient (eine Lesart, die nicht allumfassend sein will, sondern die sich im Gegenteil - es ist besser dies noch einmal zu wiederholen - ihrer Parteilichkeit bewußt ist) gegenüber der Entstehung des modernen Staates kann sich daher nicht nur auf die Verantwortung von korrupten Konservativen oder die Rivalitäten unter den Großmächten, Frankreich und Reich, beschränken und muß komplexer ausfallen. Auch der Text, den wir jahrzehntelang - und zu recht - als einen der bedeutendsten der katholischen Reform angesehen haben, der "Libellus ad Leonem X" der Kamaldulenser Querini und Giustiniani, scheint vom politischen Standpunkt aus gesehen eher an der Vergangenheit orientiert als an der Zukunft, mit seiner unmöglichen Wunschvorstellung einer Wiedergeburt der respublica christiana (in neuen planetarischen Horizonten, die sich mit den geographischen Entdeckungen aufgetan hatten). In Wirklichkeit sind die Anstrengungen der Kirche in Rom in diesen Jahrzehnten darauf ausgerichtet, die Gründe für Ressentiments zu beseitigen, die schärfsten Interessenkonflikte zu schlichten, aber immer unter dem Vorzeichen, den neuen Mächten so wenig Zugeständnisse zu machen wie möglich: Es wurde versucht, die Vorgänge vermittels einer Verhandlungs- und Konkordatspolitik zu kontrollieren und den Fürsten die Entwicklung eine Kontrolle über die lokalen Kirchen zuzugestehen, ohne endgültige Spaltungen wie die anglikanische hervorzurufen. Auch ohne Spekulationen ist die Annahme realistisch, daß sich die Kirche Frankreichs wie die englische komplett von Rom losgesagt hätte, wenn das Konkordat von 1516 zwischen Leo X. und Franz I. nicht den französischen Episkopat (auf Jahrzehnte und Jahrhunderte hinaus) der Monarchie unterstellt hätte. Solche ].-Ph. Gene/ I B. Vincent (Hrsg.), Etat et Eglise dans Ia genese de !'Etat moderne,

Madrid 1986.

10 Wir meinen natürlich den 1. Bd. seiner monumentalen: Geschichte des Konzils von Trient, 3. Auf!., Freiburg 1977.

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Abkommen wurden nach Luthers Allianz mit den deutschen Fürsten 1525, der Entstehung der deutschen Territorialkirchen und dem Aufkommen der neuen Bürgerreligion Calvins immer schwieriger. Verfassungsgeschichtlich betrachtet handelte es sich darum, dem christlichen Dualismus anstelle des veralteten Schemas Papsttum/Kaisertum nach dem Ende der Illusion des Konziliarismus eine neue institutionelle Form zu geben. Das Konzil von Trient konnte erst dann eröffnet und- wichtiger noch- abgeschlossen werden (die ersten beiden Phasen, 1545-1547 und 1551-1552, sind Zwischenspiele) als in Europa der Prozeß der Staatenbildung so weit vorangeschritten war, daß ein neues, auf der Beziehung zwischen dem Papsttum (selbst als Fürstentum nicht mehr im direkten Wettstreit um die Vormacht in Europa) und den Herrschern als Hauptdarstellern auf der politischen Bühne gegründetes Gleichgewicht möglich geworden war.

IV. Dies bringt auch eine Veränderung in der Kirchenverfassung mit sich. Bei der Eröffnung war das Konzil von Trient keine Versammlung der Christenheit mehr wie die spätmittelalterlichen Konzilien, auf denen die Nationen vertreten waren und nicht nur durch ihre Episkopate, sondern auch durch die großen Korporationen (Domkapitel, Universitäten, usw.) eine direkte Rolle spielten, sondern eine Kirchenversammlung, deren Einflußzentren außerhalb lagen, beim Papsttum (gestärkt durch die neuen religiösen Orden) und den Souveränen. Dieser Wandlungsprozeß scheint in der letzten und abschließenden Phase 1562-1563 endgültig abgeschlossen 11 • Umberto Mazzone wird sich in seinem Aufsatz mit den Beziehungen zwischen der Versammlung einerseits und den päpstlichen Legaten als Präsidenten und den Botschaftern der Fürsten andererseits befassen. Von ihm werden wir hören, wie sich die Arbeitsweise im Vergleich zu der vorausgegangenen Periode verändert hat, aber ich glaube, daß man sagen kann, daß das Konzil selbst mit den Bischöfen und den Vertretern der großen religiösen Orden als Protagonisten gleichzeitig freier und ,geistlicher' gewesen ist, von außen hingegen, in der Arbeitstechnik, im Verlauf der Arbeiten, durch die unterschiedlichen Anliegen des Papsttums und der Staaten, stark geprägt wurde. Die vielen von den Bischöfen vorgelegten Listen von impedimenta, von Hindernissen, die sich ihrer seelsorgerischen Tätigkeit in den Weg stellten und sich aus der Einmischung der römischen Kurie einerseits und der weltlichen Staaten andererseits ergaben, sind ein eindeutiger Beweis für die Hilflosigkeit gegenüber der neuen Machtordnung. Zusammenfassend 11 Vgl. dazu I. Rogger, Le nazioni al concilio di Trento durante Ia sua epoca imperiale 1545-1552, Rom 1952 und G. Alberigo, I vescovi italiani al concilio di Trento (1545-1547), Florenz 1959.

Das Konzil von Trient in bezug auf Politik und Recht der Neuzeit

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möchte ich an dieser Stelle nur sagen, daß die erste Anpassungsleistung des Tridentinums an die Moderne die Zusammensetzung der Versammlung selbst war, die sich als kirchliche präsentiert, getrennt von der politischen Organisation12. Wir haben hier keine Ausarbeitung einer Theorie der Kirche, einer abgeschlossenen Ekklesiologie vor uns, aber ich glaube, daß sich eine tatsächliche Veränderung am Horizont abzeichnet, die uns aus dem Mittelalter heraus führt. Der Dualismus verlagert sich auch sichtbar von der Konkurrenz der beiden Ordnungen in der Leitung der respublica christiana auf die Konkurrenz von zwei Sphären, die dazu neigen, im seihen territorialen Raum verschiedene Kompetenzen zu beanspruchen. Und zwar genau dann, als Europa 1555 mit dem Augsburger Frieden und dem Triumph des Prinzips "cuius regio eius et religio" der Vereinigung der Politik mit der Religion und der Sakralisierung der Macht so nahe kommt wie einst im Karolingerreich. Die Klerikalisierung des Konzils und folglich auch der Kirche ist eine erste Antwort auf die Provokation der Moderne: Als Alternative zum Vorschlag Luthers, der die neue Macht anerkennt und ihr gegenüber an die Freiheit des Christen, an das individuelle Gewissen appelliert, entwickelt die katholische Kirche ein eigenes kollektives Gewissen durch Beseitigung der dogmatischen Unsicherheiten und der Behauptung des Prinzips der cura animarum als ihrer spezifischen und einzigen Aufgabe. Der Dualismus des westlichen Christentums findet einen neuen Weg, zahlt jedoch einen sehr hohen Preis, durch Kompromisse wie durch Abschließung zur Verteidigung von klerikalen Privilegien, aber es gelingt ihr, die Abgrenzung der Kompetenzsphären zu klären. Dies spielt bei der Untersuchung des nach-konziliären Zeitraums eine große Rolle, sowohl im Versuch des Papsttums, das Monopol der Anwendung zu behalten, als auch bei der partiellen und bedingten Einfügung der Konzilsgesetzgebung in die staatlichen Strukturen. Auch die große Kontroverse, die mit der "Istoria" Paolo Sarpis beginnt, ist aus dieser komplexen Sicht zu interpretieren: Sarpi wirft dem Papsttum vor, erneuernd und nicht konservierend vorgegangen zu sein, die Struktur der Kirche zum Nachteil der Sakralität des Staates erschüttert zu haben.

V. Theoretisch gesehen, wurde die neue Konzeption des Verhältnisses von Politik und Religion in den Jahrzehnten vor dem Konzil und während des 12 Der Unterschied zur weltlichen Machtsphäre wird nicht nur in den internen Debatten deutlich, sondern auch in der öffentlichen Meinung: Auf dem Konzil wurden die Fürsten und Botschafter mißachtet, laut einer Äußerung des anglikanischen Bischofs ] ewel von Salisbury "where princez and ambassadors were contemned . . . ", in: G. R. Evans, The Question of Deception: the Hostile Reception of the Council of Trent in Early Anglican and Continental Protestant Circles and its Ecumenical lmplications, in: Archivum Historiae Conciliorum, 24 0992), S. 391.

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Konzils selbst in den Werken von Tommaso de Vio (Cajetan) und seinen Schülern der Schule von Salamanca Francisco Vitoria, Domingo de Soto (einer der theologischen Experten des Konzils und Beichtvater Karls V.) und vielen anderen entworfen und konstituiert 13 • Der einheitliche Rahmen des Thomismus bleibt formell intakt, aber eben als Rahmen, in dessen Innerem ein ganz anderer Sachverhalt akzeptiert wird: Die Souveränität wird für das Ziel des menschlichen Lebens und des Wachstums des Staates als autonom anerkannt. Die Akzente und die zukünftige Entwicklung können verschieden ausfallen, von der Verherrlichung des Absolutismus und der königlichen Sakralität über die Ausarbeitung von Theorien über die inneren Grenzen der Souveränität in der ausführlichen Darlegung der Gesetze des Naturrechts als iura immutabilia, bis hin zur Konsenslehre und dem Widerstandsrecht. Woran mir an dieser Stelle gelegen ist, ist, daß sich gleichzeitig zur Begründung der Politik als Wissenschaft der Macht durch Machiavelli die Reflexion der neuen politischen Theologie über die Autonomie der Souveränität im Hinblick auf die weltliche Ordnung entwickelt. Die ,Staatsräson' wird nicht nur eine maskierte Christianisierung des Denkens Machiavellis werden, sondern die letzte Anlegestelle dieser theologischen und philosophischen Lehre. Gleichzeitig beginnt die Ausarbeitung einer ekklesiologischen Doktrin, eine ,implizite' Ekklesiologie, die anfängt, die Kirche parallel zum Staat als eine societas per/ecta zu betrachten, fähig, an dessen Seite Begründerio einer neuen Ordnung zu sein und damit fähig auch zu einer ,Kirchenräson'. Diese Entwicklung sollte erst in den folgenden Jahrhunderten bis zum I. Vatikanischen Konzil zu einem Abschluß kommen. Historisch war damals mit Sicherheit eine Festlegung der internen Kirchenstrukturen und insbesondere der Beziehung zwischen Episkopat und Papsttum unmöglich 14 • Aber das "Regime der streitenden Kirche" als sichtbare Wld hierarchische Kirche, von Paul III. 1540 einleitend in der Gründungsbulle der Gesellschaft Jesu dargelegt, wird das grundlegende Element einer alternativen klerikalen Struktur, in der das besondere Gehorsamsgelübde der Jesuiten an den Papst extremster Ausdruck einer hierarchischen Ordnung wird, die eine vollständige Autonomie von der politischen Macht erlangt 15 • So entsteht ein ausgedehntes und konfliktgeladenes Grenzgebiet, das wir bei den Konzilsarbeiten nur latent spüren, das aber in den folgenden Jahrzehnten und Jahrhunderten mit den Jurisdiktionskonflikten zwischen und Kirche und Staat aufbrechen sollte. Diese Geschichte ist wohl bekannt, da die Kontroversen ll Vgl. aus der reichen Literatur die Aufsätze in: Rationalisme analogique et humanisme theologique. La culture de Thomas de Vio "ll Gaetano", Neapel1993. 14 Siehe die Aufsäte von G. Alberigo, Le potesta episcopali al concilio di Trento; L'ecclesiologia del concilio di Trento; L'episcopato nel cattolicesimo post-tridentino, jetzt in: La Chiesa nella storia, Brescia 1988, S. 129-217. 15 Siehe D. Bertrand, La politique de saint lgnace de Loyola, Paris 1985, S. 131173.

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zwischen Regalisten und Kurialisten in den folgenden Jahrhunderten zum Einsatz der historischen Analyse als Streitaxt geführt haben. An dieser Stelle soll jedoch der gemeinsame Nenner der folgenden Erschütterungen zur Diskussion gestellt werden, der sich im tridentinischen Zeitraum aus dem endgültigen Verzicht auf die Einheitliche Führung der respublica christiana ergibt. Wie wollen versuchen, diese Hinweise mit einigen Beispielen aus den Konzilsarbeiten zu veranschaulichen. VI. Der Entschluß, die Probleme von Lehre und Reform parallel zu diskutieren, charakterisiert das gesamte Konzil vom Anfang bis zum Ende. Es ist bekannt, daß er das Ergebnis einer langen Machtprobe zwischen dem Kaiser, der zuerst die Kirche reformieren wollte, um dann später ein Religionsgespräch mit den Protestanten zu beginnen, und dem Papst war, der vor Behandlung von Diziplinarfragen den Rahmen der Glaubenswahrheiten abstecken wollte. Ich glaube jedoch, daß wir- abgesehen von den historischen Umständen- über die Tatsache nachdenken sollten, daß wir zum ersten Mal Konzilsbeschlüsse in zwei getrennte Gruppen geteilt finden: einerseits die Lehrdekrete und andererseits die Disziplinardekrete. Dies verwunderte mich schon, als ich vor vielen Jahren an der Edition der Dekrete von Konstanz und Trient in der Sammlung "Conciliorum oecumenicorum decreta" arbeitete: Noch heute müssen wir in den Fußnoten unserer akademischen Arbeiten die Disziplinardekrete ein und derselben Session mit "de reformatione" bezeichnen, um sie von den Lehrdekreten mit derselben Numerierung zu unterscheiden. Das Problem ist jedoch alles andere als akademisch. Zum ersten Mal in der Konzilsgeschichte tritt eine eindeutige Unterscheidung zwischen der Ebene der Lehrdefinitionen und der Ebene der Kirchendisziplin auf, nämlich das positive Recht. In den Jahrhunderten vorher wäre dies unvorstellbar gewesen. Nun führt diese Unterscheidung in Trient meiner Meinung nach zu extremen Spannungen in der Lehre von den Sakramenten, wo im Mysterium der Fleischwerdung das Göttliche das Menschliche berührt und eine sichtbare Tatsache und somit, notgedrungen, sozial und politisch wird: Taufe, Firmung, Buße, Abendmahl, Ehe, Priesterweihe und letzte Ölung16 • Besonders stark sichtbar bei der Entstehung der Moderne ist der Einfluß der Diskussion über die Sakramente der Buße, der Ehe und der Priesterweihe (auch wenn die Analyse der Diskussion über die Taufe und das Abendmahl/die Messe vielleicht genauso wichtig wäre). Über Buße/Beichte und Ehe werde ich nichts sagen, weil wir die Vorträge 16 Für eine theoretische Abhandlung auf theologischer Ebene aus heutiger Sicht siehe A. Rouco Varela I E. Corecco, Sacramento e diritto: antinomia nella Chiesa? Riflessioni per una teologia del diritto canonico, Mailand 1971.

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von Adriano Prosperi und Gabriella Zarri hören werden. Ich werde mich an dieser Stelle auf einen Hinweis auf die Priesterweihe beschränken, um den Sinn meiner Einführung verständlich zu machen. Die Diskussion über die göttlichen Einrichtung des Episkopats (auf der Ebene der Lehre) und die Residenzpflicht der Bischöfe (göttliches Gebot oder menschliches Gesetz, für die Reformation), die auf dramatische Weise die letzte Konzilsphase geprägt hat, ist stark politisch gefärbt und betrifft nicht nur die interne Beziehung zwischen Episkopat und Papsttum: Hier liegt eine Analogie vor zu der in denselben Jahren auf dem Gebiet der politischen Theorie stattfindende Diskussion der iura immutabilia, der natürlichen Rechte oder grundlegenden Gesetze des Staates, die nicht von der positiven Gesetzgebung der Herrscher verändert werden konnten. Der Sieg der päpstlichen Auffassung spricht aus den Kanones der Sessio XXIII vom 15. Juli 1562, in denen die apostolische Sukzession der Bischöfe und deren Überlegenheit über einfache Priester beim Weihesakrament anerkannt wird, die episkopale Struktur der Kirche sich jedoch der Verfügung der Päpste unterordnet. Das Zugeständnis neuer Gewalten an die Bischöfe als "Delegaten" des Heiligen Stuhls und der Entschluß, die Residenzpflicht der Bischöfe nicht aus dem göttlichen, sondern aus dem menschlichen Recht (somit nicht bindend) zu begründen, implizieren den Verzicht darauf, den strukturellen Kern der Kirche im Zusammenhang von Weihesakrament und Jurisdiktion als unveränderbar zu betrachten. Diese Entwicklung verläuft parallel zu jener der Souveränität im gleichen Zeitraum: Genauso wie der König eigenmächtig die Rechtsordnung verändern kann, ohne vom Naturrecht oder anderen unveränderbaren Normen behindert zu werden, kann der Papst die absolute Kontrolle über den kirchlichen Apparat beanspruchen 17 • Und es ist dieser untergründige Kompromiß einer Anerkennung des Sieges des positiven Rechts jeweils in der politischen und religiösen Sphäre, der vielleicht den bekannteren sichtbaren Kompromissen bei den Reformdekreten den Weg ebnet und somit zur Überwindung der Spannungen und zum positiven Abschluß des Konzils beiträgt.

VII. Dies soll nicht heißen, daß Rom nicht bis zuletzt versucht hätte, über das Konzil von Trient eine einheitliche Ordnung der respublica christiana 17 Der Einfluß der kanonischen Gesetzgebung auf die Entwicklung von Theorie und Praxis der iurisdictio delegata der weltlichen Macht des 14.-15. Jahrhunderts ist bekannt und wird von Jean Bodin bezeugt (siehe 0. Hintze, Der Commissarius und seine Bedeutung in der allgemeinen Verwaltungsgeschichte, in: ders., Staat und Verfassung. Gesammelte Abhandlungen zur allgemeinen Verfassungsgeschichte, hrsg. von G . Oestreich, Göttingen 1962, S. 263-265): Hier scheint es mir nicht gewagt, die umgekehrte Hypothese eines Einflusses der Figur des Kommissars auf die Definition der bischöflichen Vollmachten als "Sedis Apostolicae delegati" vorzuschlagen.

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wiederherzustellen, aber der Versuch mißlingt und die Kardinallegaten ziehen sich ange~ichts des Widerstands der Souveräne weise zurück. Das Projekt der sogenannten .Fürstenreform" in seinen verschiedenen Phasen vom Frühling 1563 bis zur letzten Session vom darauffolgenden Dezember ist auch auf unserer vorausgegangenen Tagung untersucht worden 18 • Eine Reform der Christenheit mußte auch die säkulare Welt miteinschließen, wie die durch den Widerstand der Versammlung verstimmten Legaten im Sommer 1563 nach Rom schrieben: " ... parendoci troppo strano ehe in concilio tuttavia si procuri di riformar gli ecclesiastici et delli Principi seculari non si dica nulla, quasi ehe solo gli ecclesiastici sieno i deformati" 19• Was ich hinzufügen möchte, ist, daß die Veränderungen von der ersten Fassung bis zur letzten nicht nur in einer Abschwächung der ersten Form bestanden, die die Miteinbeziehung der Souveräne in die Reform der Kirche vorschrieb, jetzt umgewandelt in eine einfache und harmlose Aufforderung zur Mitarbeit. Es handelt sich um den Verzicht des Papsttums auf die Forderung nach Übereinstimmung von Glaubensbekenntnis und Legitimität der politischen Machtausübung. Im allgemeinen, der Generalkongregation am 10. Mai 1563 vorgelegten Reformprojekt des Weihesakraments ist ein zugleich politischer und religiöser Eid vorgesehen. Alle, die in der Kirche oder im Staat Macht ausüben, Bischöfe oder Amtsträger, müssen ein Glaubensbekenntnis ablegen; dieser Vorschlag fällt wegen der erbitterten Gegnerschaft der Vertreter der weldichen Mächte; in der endgültigen Fassung des Dekrets sind nur Geisdiche und Dozenten der (mit päpsdicher Approbation gegründeten) Universitäten zu der pro/essio fidei verpflichtet20• 18 G. Alberigo, La riforma dei principi, in: H. Jedin I P. Prodi (Hrsg.), ll concilio di Trento come crocevia, S. 161-177. Noch nützlich ist der gut dokumentierte Aufsatz von L. Prosdocimi, ll progetto di .riforma dei principi" al concilio di Trento (1563). Einige Konzilstexte und andere unveröffentlichte oder wenig bekannte Dokumente zu den Beziehungen zwischen Staat und Kirche, in: Aevum, 13 (1939), S. 1-64. 19 L. Prosdocimi, ll progetto di .riforma di principi", S. 4. 20 P. Prodi, Das Sakrament der Herrschaft. Der politische Eid in der Verfassungsgeschichte des Okzidents, (Schriften des Italienisch-Deutschen Historischen Instituts in Trient, 11) Berlin 1997, S. 270-272. Erste Formel: " ... rogat et obtestatur per viscera misericordiae D.N.Jesu Christi omnes et singulos cuiuscumquae maiestatis et excellentiae principes, ne deinceps ullum ad ullam dignitatem, magistratum aut aliud quodcumque officium promoveant aut admittant, de cuius fide et religione antea non curaverint inquiri, et a quo sincere, distinte ac non fuerit haec summaria fidei nostrae catholicae formula lecta, confessa et iurata ... ". Endgültige Formel (Sessio XXV, c. 20 de ref.): "Cupiens sancta synodus, ecclesiasticam disciplinam in christiano populo non non solum restitui, sed etiam perpetuo sarctam teetarn a quibuscumque impedimentis conservari: praeter ea,quae de ecclesiasticis personis constituit, saeculares quoque principes officü sui admonendos esse censuit, confidens eos, ut catholicos, quos Deus sanctae fidei ecclesiaeque protectores esse voluit, ius suum ecclesiae restitui ... " (Concilium Tridentinum. Diariorum actorum, epistularum, tractatum nova collectio, edidit Societas Goe"esiana, Bd. 9, S. 484, 1094). Im gleichen Band werden die Zwischenformeln und Kompromißvorschläge aufgeführt: Aufschlußreich ist auf jeden Fall die Rede, mit welcher

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Das Konzil kann ein glückliches Ende nur nehmen, weil endgültig auf die Wiederherstellung einer einheitlichen Ordnung verzichtet wurde und ein Kompromiß in der Bildung zweier paralleler Obödienzen, einer politischen und einer religiösen, gefunden wurde, vereinigt durch ein Bündnis zum gegenseitigen Vorteil, freilich in einem dualistischen System. Das Problem, das sich mit dem Ende des Konzils stellt, ist die Definition der beidenJurisdiktionsbereiche; ein Problem, das die kommenden Jahrhunderte beschäftigen sollte.

VIII. Ich kann an dieser Stelle nicht auf die nach-konziliaren Probleme, der päpstlichen Annahme der Dekrete (abhängig vom Monopol ihrer Interpretation und ihrer Anwendung) und ihrer Rezeption seitens der Staaten eingehen. Aber an dieser Stelle ist wenigstens ein direkterer Hinweis auf das Problem der Wirkung der tridentinischen Gesetzgebung auf der rechtlichen Ebene im Verhältnis zum weltlichen und kanonischen Recht notwendig. Es ist meine Absicht, diese Themen an anderer Stelle zu entwickeln und hier wenig mehr als eine Zusammenfassung vorwegzunehmen. Es ist bekannt, daß der Prozeß der Verstaatlichung des Rechts eines der Hauptthemen der Verfassungsgeschichte des 16. Jahrhunderts ist. Auch als der moderne Staat noch nicht vollständig Gestalt angenommen hatte, zeichnete er sich schon im Entwurf ab als die tendenziell einzige oder höchste Quelle der Rechtsnormen, ihrer Auslegung und Anwendung21 • Die traditionelle Geschichtsschreibung sieht im Vorgehen der tridentinischen Kirche gegen diese Offensive des modernen Staates eine Verteidigung der alten Privilegien des kirchlichen /orum, der realen und personalen Immunität des Klerus usw. Dies ist aber nur die halbe Wahrheit, denn es gibt tiefere Dimensionen. Eine erste Beobachtung, die sich schon aus dem oben Angedeutetem ableiten läßt, ist, daß auch die Kirche- parallel zum Staatden Weg der Positivierung der Normen geht. Das ius pubblicum ecclesiasticum der Präsident Kardinal Giovanni Morone der Versammlung am 15. November den Entschluß erklärt, den vorausgehenden Text abzuändern, um den inzwischen absehbaren glücklichen Abschluß des Konzils nicht zu gefährden: .Nunc supersunt etiam et alia quaedam de reformatione, quae vobis proponuntur; in his caput illud de principibus secularibus fuit redactum in breviorem formam, et cupimus patres boni omnia consulere, nam et conditio temporum et rerum status ita exigit, ut multa remittantur principum pietati et religioni, quos praesertim defensores et executores cupimus esse decretorum nostrorum. Iam vero, cum fructus sacti concilii sint maturi, tempus est eos colligere, ne nimium dilatati marcescant" (Concilium Tridentinum, Bd. 3/1, S. 752, aus dem Tagebuch von Gabriele Paleottil. 21 Hierzu nur ein allgemeiner Hinweis auf die Untersuchungen von V Piano Mortan·, Ordinamenti politici e diritto nel secolo XVI, in: Diritto e potere nella storia europea. Atti in onore di B. Paradisi, Bd. 1, Florenz 1982, S. 469-480, dessen Zusammenfassung wir bemerkenswert gefunden haben.

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der Moderne, in seinen unterschiedlichen und gegensätzlichen Formulierungen päpstlicher oder staatlicher Herkunft, ist eine ganz andere Sache als das klassische kanonische Recht. An zweiter Stelle läßt sich beobachten, daß die Kirche, ausgeschlossen von der Möglichkeit, das soziale Leben zu normieren (mit Ausnahme des Eheinstituts, das eine letzte Grenze bleiben wird), eine großangelegte Umstellung betreibt, um die Verhaltenskontrolle nicht länger juristisch, sondern ethisch zu begründen. Die Kirche neigt dazu, die eigene Rechtsprechung auf das/orum internum zu verlegen, auf das Forum des Gewissens, und entwirft mit der Entwicklung der Beichte und der Verstärkung ihres gerichtlichen Charakters, mit der praktischen oder Moraltheologie und mit der Ausarbeitung der Kasuistik ein vollständiges Normensystem als Alternative zum staatlichen, aber auch zum frühen kanonischen System. Die Moraltheologen werden immer mehr zu spezialisierten Juristen im /orum internum des Gewissens. Im Eifer des Gefechts dieser stürmischen Entwicklung der Kasuistik (zwischen Anhängern des Laxismus und des Rigorismus, zwischen Probabilisten und Probabilioristen, zwischen Jansenisten und Jesuiten usw.) haben wir vielleicht die wichtigste Neuerung vergessen, die ihre Wurzeln im Tridentinum hat: Das Leben des gewöhnlichen Christen wird fast ganz aus dem kanonischen Recht herausgenommen, weil dieses zu einer Disziplin für den Klerus wird. Natürlich gab es mittelalterliche Präzedenzfälle, wie die "Summae confessorum", aber damals waren diese Normen fest in das Corpus des kanonischen Rechts eingegliedert: Nun bekommen sie ein Eigenleben, getrennt vom juristischen Universum, auch wenn sie weiter großen Einfluß darauf haben sollten22 • Die post-tridentinische Kirche wird versuchen, die Verknüpfung der Gewissensnormen und der rechtlichen Sphäre mit dem Apparat der Reservatfälle, der allgemeinen Exkommunikationen der Bulle "in coena Domini" und mit dem Mißbrauch der Inquisition zu verteidigen, aber meiner Meinung nach war diese Operation der Übertragung der Gewissensnormen auf die Ebene des Rechts kein großer Erfolg. Die Hauptdebatte auf dieser Ebene in den tridentinischen Jahren wurde meiner Meinung nach die Frage, ob staatliche Gesetze das Gewissen binden. Aber darauf werde ich an anderer Stelle zurückkommen. Fest steht, daß sich die Natur des kanonischen Rechts durch diesen Prozeß verändert, nach Trient ist es nicht mehr dasselbe wie vorher. Einerseits ruft es die staatliche Gesetzgebung in kirchlichen Angelegenheiten hervor, andererseits eine innere Kirchendisziplin, die sich immer mehr zu einem parallelen System zum positiven staatlichen Recht entwickelt, bis hin zum Kodex des kanonischen Rechts aus dem Jahr 1917 (und auch demjenigen aus dem Jahr 1983 ). 22 Eine erste Erforschung dieser immensen Literatur verdanken wir M. Turrini, La coscienza e le leggi. Morale e diritto nei testi per Ia confessione della prima eta moderna, Bologna 1991. Bezugspunkt sind die Überlegungen, die Pierre Legendre auf tausenden von Seiten dem Einfluß des kanonischen Rechts und der Moraltheologie auf die Bildung des modernen Gewissen gewidmet hat.

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IX. Und nun heißt es zum Ende kommen, besser zum Beginn der Arbeiten nach diesen Hinweisen, die im besten Fall eine Darlegung der Probleme, aber keine Klärung sein wollten. Ich meine jedoch, daß unsere Reflexion in diesem historischen Moment von großer Wichtigkeit ist. Die Teilnahme an den letzten tridentinischen Feierlichkeiten (der 400. Jahrestag des Abschlusses 1963) erscheint in der Erinnerung und in den Beiträgen wie eine neue Lesung des Tridentinums aus der Sicht des "aggiornamento" des II. Vatikanischen Konzils: Die Hauptthemen der Diskussion waren die lokalen Kirchen, die bischöfliche Kollegialität, die Teilnahme der Laien, alles Themen, die noch stark an die Antworten des Konzils von Trient auf die Probleme der damals entstehenden modernen Welt gebunden waren. Zu Recht lenkte Alphanse Dupront die Aufmerksamkeit in den Schlußbetrachtungen zu der damaligen Tagung auf die Beziehung zwischen dem Konzil von Trient und der Moderne: In Trient ist eine als hierarchische kirchliche Gesellschaft ,reformierte' Kirche entstanden, der es gelungen ist, die Unterscheidung zwischen Sakralität und Macht aufrechtzuerhalten, die die Jahrhunderte der Neuzeit charakterisieren wird. Die Geschichte des Konzils von Trient- sagte er - ist tief in das Drama der Moderne eingebettet, das auf den Bruch mit der vorherigen geistlichen und sozialen Ordnung folgt. Es kann als Konzil der "Ambivalenz" 23 definiert werden. Es sind wenige Jahrzehnte vergangen, aber der Rahmen erscheint zutiefst verändert. Mit Mühe sind wir dabei, die Moderne hinter uns zu lassen, das Äon des modernen Staates, das Zeitalter der Konkordate und Territorialkirchen; auch im kleinen Italien schwören die Bischöfe seit 1984 dem Staat nicht mehr die Treue ... Wie stehen vor ganz neuen, schwindelerregenden Situationen, was die Beziehung zwischen Macht und Sakralität, zwischen Ethik und Recht angeht. Der Dualismus zwischen Christentum und Macht nimmt neue Formen an und bekommt andere historische Protagonisten. Eine Reflexion über die tridentinische "Ambivalenz" wird immer wichtiger, nicht um die Zukunft zu deuten, aber um uns dazu zu befähigen, unsere "Ambivalenz" zu verstehen.

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ll concilio di Trento e la riforma tridentina, Bd. 2, Rom 1965, S. 525-539.

Das Konzil von Trient und die Modernisierung der Kirche Einführung Von Wolfgang Reinhard

I. An Trient scheiden sich immer noch die Geister! Der "Sammlung glaubenstreuer Katholiken" gelten Trient und die im Anschluß an Trient von Papst Pius V. geschaffene römische Einheitsmeßliturgie in lateinischer Sprache als Fixpunkte authentischer Rechtgläubigkeit gegenüber dem zweiten Vaticanum und dem unter dessen Einfluß häretisch gewordenen Papst. Fortschrittlichere Katholiken hingegen halten Trient seit längerer Zeit für einen verhängnisvollen Sieg des kirchlichen Konservatismus oder gar der Reaktion, womit sie sich höchstens in der Akzentsetzung von herkömmlichen protestantischen Vorstellungen unterscheiden. Dem Konzil ,Modernität' zuzuschreiben, kommt daher aus entgegengesetzten Gründen für beide Seiten nicht in Frage. Paradoxerweise brachte aber das Konzil von Trient im Gegensatz zu dem gemeinsamen Geschichtsbild dieser beiden anundfürsich so entgegengesetzten Extrempositionen keine bloße Festschreibung althergebrachter Grundsätze, sondern gelangte ungeachtet seiner konservativen Grundtendenz in mühseliger Entscheidungsfindung zu Beschlüssen, die in hochkomplexer Weise Tradition und Innovation verbinden. Das heißt aber, die Konzilsdekrete sind Ergebnis historischen Wandels, Reaktionen der Kirche auf Probleme der Zeit, ich wage sogar zu sagen "aggiornamento" wie die Beschlüsse des 2. Vaticanums auch. Solche Anpassung steht aber von vorneherein unter Modernitätsverdacht. Deshalb haben konservative Interessen nicht anders als auf das Vaticanum II reagiert, mit dem Vorwurf der Rechtsverletzung, wo hergebrachte Vorrechte in Frage gestellt wurden, wie engagierte Kirchenreformer ständig erfahren mußten, und gelegentlich ebenfalls mit der Feststellung, hier liege wegen der Veränderung bisheriger kirchlicher Lehre und Praxis eindeutige Häresie vor, so von interessierter gallikanischer Seite1 • Es wäre sicher aufschlußreich nachzuprüfen, ob die Ostkirchen ähnlich reagiert haben. Vgl. R. Biiumer, Das Konzil von Trient und die Erforschung seiner Geschichte, in: R. Biiumer (Hrsg.), Concilium Tridentinum, Darmstadt 1979, S. 3-48, hier S. 25.

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Man sollte allerdings die historischen Parallelen nicht zu weit treiben, denn die beiden Konzilien weisen auch und gerade im Hinblick auf ihren Ort in der Geschichte erhebliche Unterschiede, vielleicht sogar eine spiegelbildliche Gegensätzlichkeit auf. Trient hatte von Haus aus defensiven Charakter, reagierte auf die Bedrohung der alten Kirche durch die Reformation, hatte daher wie die meisten Konzilien der Kirchengeschichte zunächst einmal Glaubensfragen zu entscheiden, vor allem aus der Sicht der veranstaltenden Päpste, war insgesamt von einer eher pessimistischen Gesamtstimmung getragen - und hatte nichtsdestoweniger ausgesprochen stabilisierende und integrierende Langzeiteffekte bis ins 19. und 20. Jahrhundert, bis hin zur Anhänglichkeit der erwähnten "Glaubenstreuen". Vaticanum li hingegen war ursprünglich offensiv gemeint, entsprang der Erneuerungseuphorie der Nachkriegszeit, hatte keine brennenden Glaubensprobleme zum Gegenstand, sondern das Grundthema einer pfingstlichen Erneuerung des Verhältnisses der Kirche zur Welt, schwamm also auf eine Woge des Optimismus2 - und scheint eher Desintegration und Enttäuschung zu hinterlassen, auch wenn es für eine Einschätzung seiner Langzeitwirkungen noch zu früh ist. Diese unterschiedliche Physiognomie der beiden Konzilien bedingt natürlich auch ein unterschiedliches Verhältnis zur ,Modernisierung der Kirche'. Während die Erneuerer des 20. Jahrhunderts durchaus beabsichtigten, ihre Kirche zu ,modernisieren', war eine solche Zielvorstellung im 16. Jahrhundert nicht einmal denkbar. Bloß ,reformieren' wollte man damals. Aber was man darunter verstand, ist doch nicht so weit von der Umschreibung des "aggiornamento" entfernt, die ein Theologe des 20. Jahrhunderts gegeben hat: "Der Kirche ist ihr Wesen nicht nur gegeben, sondern zugleich aufgegeben. Treue zum ursprünglichen Wesen im geschichtlichen Wandel der Welt .. . ist nicht in Unbeweglichkeit ("lmmobilismo"), sondern nur in Wandelbarkeit ("Aggiornamento") möglich .. . Aber dieses Aggiornamento wird zu einer modischen Anpasserei, wird zu einem ziellosen Treiben auf hoher See nach wechselndem Wind, wenn es nicht verankert ist im Ursprung, wenn es nicht gesteuert ist vom Evangelium ... , in welchem die Kirche ihren Existenzgrund hat. Aggiornamento muß deshalb immer wieder Reform, Rückkehr zur ursprünglichen Form, Rückkehr zum ursprünglichen Wesen sein" 3 •

Nichts anderes meint der biblisch-patristische Begriff der "Reformatio" , nämlich einerseits Rückkehr zu einem normativ maßgebenden Urzustand, andererseits Verbesserung, Vervollkommnung der Gegenwart durch Annäherung an ein Ideal. Was im weltlichen Bereich "das gute alte Recht" gewesen ist, war im kirchlichen die Urkirche, ein faktisch weitgehend imaginierter, aber nichtsdestoweniger als historisch vorgegeben empfundener normativer Vgl. K. Repgen, . Reform" als Leitgedanke kirchlicher Vergangenheit und Gegenwart, in: Römische Quartalschrift, 84 (1989), S. 5-30, S. hier 21. H. Küng, Die Kirche, Freiburg i.Br. 1967, S. 26,567.

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Maßstab für die Gegenwart. Spätestens im 15. Jahrhundert war .Reformatio" in aller Munde, im 16. gehen im kirchlichen Bereich sowohl die .evangelische Reformation" als auch die .katholische Reform" einschließlich des Konzils von Trient aus ihr hervor. Der Jesuitengeneral hat 1563 auf dem Konzil .Reformatio" als .reductio ecclesiae ad primam formam" doppelt definiert, erstens als geistlich-sittliche Umgestaltung des inneren Menschen, zweitens als Erneuerung der äußeren Ordnung des Zusammenlebens4 • Eine solche kirchliche Reform, und nicht nur eine kirchliche, war nach dem im 15. Jahrhundert gewachsenen und im 16. nach wie vor lebendigen Bewußtsein nicht ohne Konzil möglich. Dafür legt Luthers erfolgreichste Schrift .An den christlichen Adel deutscher Nation" das beste Zeugnis ab; erst allmählich sind die Reformatoren von diesem Weg abgekommen, als er für sie theologisch wie praktisch entbehrlich wurde. Nun hielt die Papstkirche das Konzil zwar längst ebenfalls für theologisch entbehrlich und wäre auch in der Praxis nur allzu gerne ohne es ausgekommen, aber dieser Weg war ihr verschlossen. Die Lehre vom päpstlichen Primat und der Unfehlbarkeit päpstlicher Glaubensentscheidungen, zumal die Verwerfung der Lehren der Reformatoren, galten den Zeitgenossen als Schulmeinung oder gar als Parteistandpunkt und nicht als selbstverständlicher Glaube der Kirche. Außerdem hatte sich das Papsttum durch seine Politik und seinen Fiskalismus so sehr kompromittiert, daß ihm die Autorität zur kirchenweiten Durchsetzung einer päpstlich verordneten Reform abging. Für die alte Kirche gab es daher, wie Hubert Jedin festgestellt hat .nur ein Mittel, der Abfallsbewegung Einhalt zu gebieten: das Konzil. Ein Konzil, das den Schwankenden mit unbezweifelbarer Autorität die Norm des Glaubens darbot, die Abgewichenen verurteilte, die Treugebliebenen bestärkte; ein Konzil, das die Reform der Kirche nicht nur anordnete, sondern auch Mittel und Wege fand, sie zu verwirklichen" 5 .

Nun lehrt bereits die Geschichte der evangelischen Bewegung, daß .Reformatio" trotzder durchaus ernstgemeinten Parole der Rückkehr zum guten Alten eben doch auf revolutionäre Innovationen hinausläuft. Schließlich haben sich alle frühneuzeitlichen Revolutionen vor der Französischen immer als Restaurationen ausgegeben, ja ausgeben müssen. Also ist auch in der Katholischen Reform im allgemeinen und für das Konzil von Trient im besonderen nach Lage der Dinge mit umfangreichen Neuerungen zu rechnen. Was aber ist gemeint, wenn wir diese Neuerungen als ,Modernisierung' bezeichnen, eine Redeweise, die sich nicht nur vor den Quellen anachronistisch ausnimmt, sondern auch der Kirchengeschichtsschreibung zum Konzil von Trient bis heute fremd geblieben ist? Das hängt nicht nur mit der sozialwissenschaftliehen Herkunft dieser Terminologie zusammen, sondern auch damit, daß es bei der Modernisierungsfrage Nach K. Ganzer, Das Konzil von Trient - Angelpunkt für eine Reform der Kirche? in: Römische Quartalschrift, 84 (1989), S. 31-50, hier S. 31. H. ]edin, Geschichte des Konzils von Trient, Bd. 1, Freiburg i.Br. 1949, S. 155.

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weit mehr um die Folgen von Reform und Konzil geht als um die Vorgänge selber und deren Ursachen. Zum Zwecke einer möglichst genauen Erfassung einer möglicherweise durch das Konzil bewirkten Modernisierung der Kirche oder gar der Gesellschaft möchte ich eine doppelte Unterscheidung treffen, zwischen ,relativer' und ,absoluter Modernisierung' einerseits, zwischen ,intendierten' und ,nicht intendierten Wirkungen' andererseits. "Relative Modernisierung" bezeichnet die Veränderungen aus der Perspektive jener Zeit gesehen, als Reaktionen auf deren Herausforderungen, als notwendige Anpassungen an neue Bedingungen usf., kurzum das, was man in der Mitte des 20. Jahrhunderts "aggiornamento" genannt hat. Solche Veränderungen sind in der Regel mehr oder weniger wohlüberlegt und geplant, kurzum, ,intendiert'. Auf der anderen Seite haben sie häufig keinen systematischen Charakter, sind von äußeren Umständen diktiert, können sogar auf mehr oder weniger geschickte pragmatische Improvisation hinauslaufen. Aus diesem Grund ist solche "relative Modernisierung" durch das jeweilige "aggiornamento" ein angemessener Gegensstand für die traditionelle historische Fragestellung. "Absolute Modernisierung" hingegen soll so heißen, weil sie einer aus den Zusammenhängen jener Zeit herausgelösten Sichtweise entstammt, insofern sie nach deren Beiträgen zur Entstehung der Modeme fragt, der westlichen Welt des 19. und 20. Jahrhunderts. In Anlehnung an die Systemtheorie, etwa nach Talcott Parsons, die der jüngeren Modemisierungstheorie Pate gestanden hat, lassen sich vier Dimensionen dieser Modernisierung identifizieren: Differenzierung, Rationalisierung, Individualisierung, Domestizierung. "Differenzierung" meint die Aufspaltung eines homogenen Ganzen in verschiedenartige Untereinheitenmit verschiedenen Aufgaben (Funktionen!). "Rationalisierung" bedeutet Ordnen und Systematisieren der Wirklichkeit, um sie vorhersehbar und beherrschbar zu machen. Wo Verhalten von Menschen durch Herrschaftseinwirkung vorhersehbar gemacht werden soll, sprechen wir von "Disziplinierung". "Individualisierung" besteht in der Aufwertung des Individuums gegenüber den sozialen Einheiten, in die es eingebunden war. Sie hängt insofern mit der Differenzierung zusammen, als die jetzt mögliche Zugehörigkeit des Individuums zu ,mehreren' solchen Einheiten eine Entlastung von Konformitätsdruck mit sich bringen kann. Mit "Domestizierung" ist schließlich die zunehmende Beherrschung der natürlichen Umwelt einschließlich der biologischen Dimension des Menschen selber gemeint, die bekanntlich eine Steigerung der Lebensqualität, aber auch eine neue Art von Abhängigkeit von neuen Herrschaftsmitteln gebracht hat6 • Bei all dem ist in unserem Zusammenhang aber zusätzlich zweierlei zu beachten. Erstens kann es sich nach Lage der Dinge höchstens Nach H. van der Loo I W van Reijen, Modernisierung. Projekt und Paradox, München 1992, S. 30-33.

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um Beiträge zur ,Vorgeschichte' dieser Modeme handeln, die ja durch mehr als zwei Jahrhunderte vom Konzil von Trient getrennt ist. Zweitens ist diese Moderne möglicherweise bereits nicht mehr unsere Welt, sondern bereits eine vergangene, abgeschlossene Epoche der Geschichte, wenn es denn richtig ist, daß wir in einer ganz anders gearteten Postmoderne leben. Wenn dem so wäre, würde dies die wissenschaftliche Erkenntnis in erfreulicher Weise vom Wertungsdruck entlasten, denn dann wäre "modern" nicht mehr automatisch mit uns identisch und deshalb ebenso automatisch positiv besetzt! In jedem Fall aber war absolute Modernisierung in diesem Sinn ,nicht intendiert'; denn niemand konnte damals wissentlich und willentlich zur Entstehung der Modeme beitragen. ,Relative' und ,absolute' Modemisierung brauchen unter diesen Umständen keineswegs zu konvergieren; das Gegenteil kann richtig sein. Als eine Anpassungsmaßnahme an das neue Medium des Buchdrucks bedeutete der Index der verbotenen Bücher eine relative Modemisierung, als Unterdrückung der Gedankenfreiheit aber ist er gegen eine sich bereits abzeichnende Entwicklung zur Modeme gerichtet. Aber die Sache verhält sich noch komplizierter, denn derselbe Index mag zwar durch Ignorieren dieser ideengeschichtlichen Entwicklung die erforderliche Anpassung verweigern und so die nötige relative Modemisierung verfehlen, er erweist sich aber als neuartiges zentralistischbürokratisches Repressionsinstrument durchaus als Vorläufer des 19. und 20. Jahrhunderts, anundfürsich also eine absolute Modemisierung, die für uns aber wertmäßig negativ besetzt ist. Schließlich ist an diesem Fall des Index auch die gar nicht so seltene Ambivalenz von intendierter Modemitätsfeindschaft und nicht-intendierter Modernität exemplarisch zu erkennen. Auf dem einen Gebiet sollte er das Aufkommen "moderner" Ideen verhindern, auf einem anderen wirkte er als Vorreiter "moderner" bürokratischer Gedankenkontrolle.

II. Die Frage nach dem Konzil von Trient und der Modeme beantwortet sich zunächst durch die Feststellung, wieviel Modernität im relativen und absoluten Sinne es in der Kirche der katholischen Reform im allgemeinen und auf dem Konzil von Trient im besonderen gegeben hat. Die Gegenseite, die Reaktion der Modeme auf das Konzil, muß m.E. ohne dieses Wissen unverständlich bleiben. Im Banne der traditionellen Vorstellungen von Reformation und Reform war die protestantische wie die katholische Historiographie weder gewillt noch in der Lage, in Trient viel Modernität wahrzunehmen. Für beide Seiten war Trient zunächst einmal der Ort, wo die Lehren der Reformatoren definitiv verworfen wurden. Je nach Perspektive ließ sich darin die endgültige Fest-

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schreibung der Kirchenspaltung oder die Sicherung des altgläubigen Restbestandes nebst Grundlegung von Wiedereroberungen sehen. Beides galt nicht als "modern", sondern eher als das Gegenteil. Und wenn Trient weiter ,das' Reformkonzil der Kirchengeschichte schlechthin gewesen sein soll, wo das geltende Kirchenrecht an nicht weniger als 250 Punkten geändert wurde, dann knüpfte es doch in vielen, ja den meisten Fällen an rechtsgeschichtliche Vorgaben an, so daß man es vor allem aus protestantischer Sicht durchaus als im wörtlichen, nicht unbedingt pejorativen Sinn als "reaktionär" bezeichnen müßte. Es ist ja nicht zu übersehen, daß Trient kein großartiges Reformprogramm aus einem Guß verabschiedet hat, sondern daß hier im wesentlichen praktikable und konsensfähige Kompromißlösungen für die verschiedenartigsten Probleme verabschiedet wurden, eine Vorgehensweise, die alles anderes als "modern" ist. So kommt auch HubertJedin zu dem Schluß, daß das Konzil von Trient zwar nicht "reaktionär" im Sinne einer künstlichen Verlängerung des Mittelalters gewesen sei, wohl aber "konservativ", weil es nämlich den Glauben und die kirchenrechtlichen Errungenschaften des Mittelalters gegen die protestantische Bedrohung "konserviert" habe. Daneben steht er aber nicht an, es als ausgesprochen "progressiv" zu bezeichnen, insofern es die Zeichen der Zeit erkannt und mit Maßnahmen zur Verbesserung des Klerus und der Seelsorge darauf reagiert habe7 . Das heißt, er gesteht dem Konzil im Sinne unserer Unterscheidung ,relative' Modernisierung zu, die ,absolute' aber interessiert ihn nicht. Den entscheidenden Schritt hatte aber der Engländer Henry Outram Evennett bereits 1951 in seinen Birkbeck Lectures an der Universität Cambridge getan, als er verallgemeinernd feststellte, daß die Gegenreformation, wie man damals noch sagte, als Ganzes im Grunde nichts anderes gewesen sei als "the total process of adaptation to new world conditions which Catholicism underwent in the first two centuries of the post-medieval age, a modernization, in the sense of the establishment of a new ,modus vivendi' of the Church with the World ... " 8 .

Das ist "aggiornamento" in einem viel radikaleren Sinn als bei Jedin. Was darin latent an Denkmöglichkeiten verborgen war, sollte Evennetts Schüler John Bossy entfalten, als er in einem 1970 erschienenen Aufsatz aufzeigte, wie manche tridentinischen Seelsorge- und Disziplinarregeln unbeabsichtigt, aber deswegen nicht weniger wirkungsvoll zum Heraufkommen der modernen Gesellschaft beigetragen haben können, mit dem Ergebnis "that the bishops of the Tridentine Church have more positive achievements to their credit than they are often allowed: from the parish register to the primary

S. 63 f. S. 20.

Vgl. H. ]edin, Katolische Reformation oder Gegenreformation?, Luzern 1946,

H. Outram Evennett, The Spirit of the Counter-Reformation, Cambridge 1968,

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school they were laying many of the foundations of the modern state, and perhaps they have as good a claim as English Puritanism to have .,eradicate[d] habits which unfitted men for an industrial society" 9 ,

wobei das Ende des Satzes ein Zitat aus einem Buch des marxistischen Puritanismusforschers Christopher Hili darstellt. Diese Anregungen von Evennett und Bossy sind es gewesen, die mich veranlaßt haben, in dem 1977 erschienenen Aufsatz "Gegenreformation als Modernisierung", damals noch mit einem schüchternen Fragezeichen, die Revision der Forschung in dieser Richtung weiter voranzutreiben 10 • Ein Fragezeichen bleibt allerdings, eine Frage müssen wir uns gerade heute und an diesem Ort erneut stellen, nämlich: Wie weit trifft das, was über die Modernität und die Modernisierungseffekte der sogenannten Gegenreformation oder, wie ich aus guten Gründen lieber formulieren möchte, der katholischen Konfessionalisierung, gesagt werden kann, auch auf das Konzil von Trient zu? Spielte es überhaupt die Schlüsselrolle für die katholische Erneuerung, die ihm heute selbstverständlich zugeschrieben wird? Und wenn seine wirkliche Bedeutung sehr viel geringer sein sollte, wie hat es dann unverdientermaßen diese herausragende Bedeutung eines Feldzeichens der Gegenreformation 11 bekommen? Es ist keineswegs papalistische Gesinnung, sondern der Realismus des Historikers, was gerade Hubert Jedin, den Historiker des Konzils, der es kannte wie kein anderer, veranlaßt hat, wieder und wieder zu betonen, daß es erst die Identifikation des Papsttums mit den Konzilsbeschlüssen gewesen ist, die letztlich zu deren Erfolg führte. Derselbe Jedin hat ja auch festgestellt, daß die zeitgenössischen Historiker des späteren 16. Jahrhunderts das Konzil von Trient fast nur als den Ort der Abgrenzung vom Protestantismus wahrgenommen haben und nicht imstande waren, eine weitergehende kirchen- oder gar universalgeschichtliche Bedeutung zu erfassen 12 • Sollte es vielleicht eine solche ursprünglich gar nicht gegeben haben? Sollte seine historische Prominenz vielleicht erst dadurch zustande gekommen sein, daß zunächst die Gallikaner, dann der Venezianer Paolo Sarpi in seiner meisterhaften "Istoria del Concilio tridentino" von 1619 die Geschichte dieses Konzils zu Angriffen auf das Papsttum verwendet und damit nach den Spielregeln politischer Sozialpsychologie eine entschlossene Identifikation Roms mit ihm provoziert haben, bis hin zur Produktion einer gezielt gegen Sarpi gerichteten offziösen "Istoria del 9 ]. Bossy, The Counter-Reformation and the People of Catholic Europe, in: Past and Present, 47 0970), S. 51-70, hier S. 70. 10 W Reinhard, Gegenreformation als Modernisierung? Prolegomena zu einer Theorie des konfessionellen Zeitalters, in: Archiv für Reformationsgeschichte, 68 (1977), S. 226-252. 11 Nach H. ]edin, Katholische Reformation, S. 58.

12 H. Jedin, Das Konzil von Trient. Ein Überblick über die Erforschung seiner Geschichte, Rom 1948, S. 58 f.

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Concilio di Trento" durch den Jesuiten Pietro Sforza Pallavicini, die 1656-57 erschien? 0 . Ist es nicht bezeichnend, daß Evennett von der "Spiritualität der Gegenreformation" schreiben und sich auf wenige beiläufige Bemerkungen zu Trient beschränken konnte, die nur dort etwas ausführlicher ausfielen, wo er von der Erneuerung des Bischofsamtes handelte14 ? 1962 hat er dann sogar ausdrücklich und für mein Empfinden fast abfällig festgestellt, daß ,spiritual rebirth and enlightenment ... are not achieved at ecumenical councils; they occur in solitude, or by contact with individuals who have themselves been spiritually reborn and enlightened" 15 .

Auch für J edin stellt das Konzil nur eine der drei oder vier Wurzeln der katholischen Erneuerung dar. Auch für ihn spielen neben dem Papsttum die Erneuerung von unten, die vielen Zellen neuer Frömmigkeit, und ganz besonders die neuen und die alten Orden zentrale Rollen. Die Gründung neuer Orden und die Erneuerung der alten hat ebenso wie die mit den Orden verknüpfte Expansion der Überseemission mit dem Konzil von Trient so gut wie nichts zu tun. Das Konzil hat zwar Dekrete zur Ordensreform erlassen, man kann aber dennoch mit guten Gründen behaupten, daß es sehr viel stärker durch die Präsenz von Ordensleuten geprägt wurde als umgekehrt deren Orden durch das Konzil. Kann man die Behauptung wagen, daß die neue Spiritualität des Katholizismus als Kern der Erneuerung der alten Kirche kaum etwas mit Trient zu tun hatte und die Leistung des Konzils auf die untergeordnete Aufgabe beschränkt blieb, in ihrem Dienst theologische und kanonistische Normen zu formulieren? War es die spezifisch katholische Hochschätzung der "Rechtskirche" mit ihren Institutionen, die möglicherweise zu einer Überschätzung des Konzils geführt hat? Man darf deshalb gespannt sein, wie weit es den nachfolgenden Beiträgen möglich sein wird, ihre Untersuchungen am Konzil selbst festzumachen, und wieweit sie sich im weiteren Feld der katholischen Erneuerung bewegen und diese nur pflichtgemäß-formal mit Trient verknüpfen werden. Aber warum besteht dann eine Art von ,Pflicht' zu solcher Verknüpfung sogar für wissenschaftliche Beiträge (außer durch den genius loci natürlich). Die Entscheidungen über die künftige Theologie der Kirche, die auf dem Konzil als Nebenprodukt seiner dogmatischen Entscheidungen gefallen sind, werden heute gerne als Verengung beklagt, gelten nicht nur im absoluten Sinne als unmodern, sondern sogar im relativen als mißlungenes "aggiornamento", als Versagen vor den Herausforderungen der Zeit, sprich der Reformatoren und des Humanismus 16 • Obwohl mir diese Sicht der Dinge durchaus einleuchtet, n Ebd., S. 79, 86, 89, 93, 108 u.ö. H. Outram Evennett, Spirit, S. 96-98. 15 Ebd., S. 1 (Ergänzung von Bossy). 16 Vgl. K. Ganzer, Das Konzil von Trient und die theologische Dimension der katholischen Konfessionalisierung, in: W Reinhard I H. Schilling (Hrsg.), Die katholische 14

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könnte sich aus der notorischen Ambivalenz der ,intendierten' und der ,nichtintendierten' Wirkungen möglicherweise dennoch eine andere Perspektive, eine Art von Modernisierungseffekt ergeben. Die Zurückdrängung des Augustinismus zugunsten des Thomismus läßt nämlich eine ,optimistische' Vorstellung vom Verhältnis von Natur und Gnade wirksam werden, die ausgerechnet von dem gestrengen, aber als Dominikaner eben thomistisch geprägten Pius V. erneut bekräftigt wurde 17 , was nicht ohne Folgen für das Verhältnis der katholischen Europäer zu den massenweise ,entdeckten' heidnischen NichtEuropäern blieb. Ein Las Casas und die ganze spanische kolonialpolitische Selbstkritik sind auf der Basis einer streng augustinistischen Theologie sowenig denkbar wie die Versuche der Jesuitenmissionare des 17. Jahrhunderts, den asiatischen Kulturen gerecht zu werden. Das beweist bereits die jansenistische und die protestantische Reaktion auf die letzteren, von der puritanischen Indianerpolitik in Nordamerika ganz abgesehen. Soweit sich im Bereich der Reformbeschlüsse des Konzils mit ihrem pragmatischen Kompromißcharakter überhaupt so etwas wie ein Leitmotiv ausmachen läßt, nimmt diese Stelle mit Sicherheit das Seelsorgeprinzip ein: "cura animarum suprema Iex esto" 18 • Man geht sicher nicht zu weit mit der Unterstellung, daß damit ein Weg zur modernen Individualisierung beschritten wurde, anders, aber funktional äquivalent zu demjenigen der Reformation, auf den man damit reagierte. Anders und sehr traditionell war die Klerusreform als Königsweg des Konzils zur Realisierung dieser Zielvorstellung, das" Grundanliegen ( .. . e]inen fähigeren und religiöseren Klerus zu bekommen und [damit] die Seelsorge entscheidend zu verbessern" 19 • Die Liste der zu diesem Zweck getroffenen Beschlüsse ist lang und wohlbekannt: Einschränkung von Pfründenkumulation, Regreß und anderen dubiosen Manövern, Einschränkung der Exemtionen, Stärkung der Autorität des Bischofs mit dem kanonistischen Kunstgriff der apostolischen Delegation, Stärkung der Pfarrei als Ort der Seelsorge durch tendenzielle Monopolisierung der Sakramente und Sakramentalien zu ihren Gunsten mit der Pflicht zur Matrikelführung als flankierender Maßnahme, Verbesserung des Seelsorgepersonals mittels Informativprozessen über Bischofskandidaten, besserer Ausbildung, vor allem durch Einrichtung von Seminaren, Konfessionalisierung. Wissenschaftliches Symposion der Gesellschaft zur Herausgabe des Corpus Catholicorum und des Vereins für Reformationsgeschichte 1993 (Schriften des Vereins für Reformationsgeschichte, 198), Gütersloh I Münster 1995, S. 50-69 und D. Wendebourg, Die Ekklesiologie des Konzils von Trient, ebd., S. 70-87. 17 D 1022, 1025, 1027 u.ö. 1 ~ H. Jedin, Geschichte des Konzils von Trient, Bd. 2, Freiburg i.Br. 1957, S. 312 zum Reformdekret der Sessio VII; K. Repgen, "Reform", S. 18; K. Ganzer, Angelpunkt, S. 34. 19 K. Ganzer, Angelpunkt, S. 34.

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und die Einführung einer Prüfung, des Pfarrkonkurses, für Bewerber um Seelsorgepfründen. Dazu sollte die Verbesserung von Kommunikation und Kontrolle des Klerus wie der Laien durch regelmäßige Provinzialkonzilien, Diözesansynoden und Visitationen kommen, durch Christenlehre und bessere Predigt, das alles später von Rom ergänzt durch die Wiederbelebung der "Visitatio liminum", angereichert um die moderne Pflicht zur Vorlage eines schriftlichen Berichts. Allerdings ist das wenigste davon wirklich neu; überwiegend handelt es sich bei diesen angeblichen Trienter Errungenschaften um mehr oder weniger modifizierte Fassungen von Verfügungen, die seit langem mit ermüdender Regelmäßigkeit in Reformbeschlüssen aller Art wiederkehren. Wirklich neu war die erstmalige Durchführung dieser wohllautenden Beschlüsse auf breiter Front- aber das war gerade nicht das Verdienst des Konzils, das sich, unbefangen betrachtet, bloß wie ein weiterer in der langen Reihe rein verbaler Kraftakte in Sachen Kirchenreform ausnimmt. Die Durchführung der Konzilsbeschlüsse brauchte manchmal Jahrhunderte, und erfolgte alles andere als geradlinig und konsequent. So ist z.B. die Behauptung von der angeblichen Verbesserung der Klerusbildung durch die Einrichtung von Priesterseminaren durch ständige Wiederholung geradezu zu einem Topos geronnen. In Wirklichkeit verzögerte sich die Errichtung von Seminaren in den meisten Fällen auf lange Zeit hinaus und ihre Wirkung kann nur bescheiden gewesen sein, weil es sich von Haus aus ja nicht um theologische Studienanstalten modernen Zuschnitts, sondern um Internate für Schüler von der Art deutscher Knabenkonvikte oder französischer petits seminaires gehandelt hat. Daß die maßvoll innovativen Verfügungen des Konzils dennoch relative Modernisierung gebracht haben und insofern das angemessene "aggiornamento" für die Kirche gewesen sind - dieser Schluß ergibt sich also nur aus ihrem langfristigen Erfolg, keineswegs aber bereits aus der Analyse ihres Inhalts und ihrer Entstehung. Es sei denn, man entdeckt in ihnen ein Eingehen auf den Trend der Zeit, auf einen Schub in Richtung Moderne im absoluten Sinn, insofern sie Ansatzpunkte für Rationalisierung und Differenzierung, für Individualisierung und Disziplinierung geboten haben. Das Papsttum und die kirchliche Hierarchie, die sie langfristig durchgesetzt haben, hätten dann in einem säkularen Modernisierungstrend gelegen, der noch genauer zu analysieren wäre. "Säkular" wäre dabei durchaus im doppelten Sinne von "langfristig" und von "weltlich" zu verstehen. Allerdings hat sich das Papsttum wie eh und je allen Versuchen des Konzils, die Reform auch auf die Kurie auszudehnen, erfolgreich widersetzt. Was nach den von J edin geschilderten Auseinandersetzungen20 zustande kam, läßt sich getrost als fauler Kompromiß bezeichnen. Was vom Papsttum als Selbstreform 20 H. Jedin, Geschichte des Konzils von Trient, Bd. 1, S. 344; Bd. 3, Freiburg i.Br. 1970, S. 120-123; Bd. 4/1, Freiburg i.Br. 1975, S. 114-137, 237-249; Bd. 4/2, Freiburg i.Br. 1975, S. 78 u.ö.

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durchgeführt wurde, beschränkte sich auf kosmetische Operationen wie die berühmte Pönitentiarieeeform Pius V. von 1569, bei der zwar dieses Gewissenstribunal vom Gebührenwesen mit seinen anstoßerregenden Finanzoperationen getrennt wurde, aber nur, indem die einträglichen Hoheitsakte als "Officium minoris gratiae" in die Kanzlei übertragen und auf diese Weise den bisherigen Nutznießern, in erster Linie dem Kardinalgroßpönitentiar, der ja in der Regel ein Papstnepot war, ihre reichen Einkünfte weiter gesichert wurden21 • Gewiß wurden beträchtliche Anstrengungen unternommen, auch die Stadt Rom und die Kurie einer spirituellen und sittlichen Erneuerung zu unterwerfen, aber ein Blick auf das barocke Rom nährt den Verdacht, daß das Ergebnis eher in der Herstellung von äußerem klerikalen Dekorum als in generellem Gesinnungswandel, einem im Sinne des Evangeliums und der Kirchenrefonner, bestanden hat. Die institutionelle und soziale Struktur der Kurie jedenfalls änderte sich kaum, und wenn, dann nur im Sinne erfolgreicher administrativer Modernisierung. Das Benfizienwesen als Kern des sozialen Systems Kurie blieb ungeachtet der Beseitigung von Exzessen in seinem Wesen unberührt. Die Kumulation von Bistümern und reichen Pfarreien zu Dutzenden in der Art des Renaissancepapsttums war zwar nach Trient nicht mehr möglich. Aber Pensionen auf Bistümer und andere Pfründen konnte der Papst nach wie vor verleihen, vor allem aber Abteien und andere Regularbenefizien als Kommenden, die Papstnepoten und andere mächtige Kardinäle immer noch zu Dutzenden erhielten. Angesichts des wütenden Widerstands der Interessenten hatte das Konzil auf die beabsichtigte Abschaffung dieser Möglichkeit verzichten und sich auf die Empfehlung an den Papst beschränken müssen, doch bitte künftig von der Verleihung von Klöstern als Kommenden an Weltgeistliche abzusehen22 • Der Papst konnte aber gar nicht darauf verzichten, ohne sein wohletabliertes Herrschaftssystem durch Ressourcenminderung ins Wanken zu bringen2}. Aus administrativer Sicht freilich war das kuriale Herrschaftssystem zu beträchtlichen Modernisierungsleistungen fähig, intendierten Reaktionen auf die Bedürfnisse der Zeit bzw. des päpstlichen Monarchen mit weitreichenden nicht-intendierten Konsequenzen. So hat z.B. der Glanz der Kardinäle des Renaissancezeitalters die Verminderung ihrer Einkünfte durch Kirchenreform und Inflation nicht überlebt. Im 17. Jahrhundert waren sie hauptsächlich auf die Ausstattung mit Pfründen und Pensionen durch den Papst angewiesen, die im Vergleich zu früher eher bescheiden ausfiel. Diese Entwicklung läuft aber durchaus auf eine Art von politischer Modernisierung hinaus: Anstelle 21 Vgl. W Reinhard, Reformpapsttum zwischen Renaissance und Barock, in: R. Biiumer (Hrsg.), Reformatio Eccllesiae. Festgabe für Erwin lserloh, Paderborn 1980, S. 779-796, hier S. 787. 22 Sessio XXV, de regul. 21, vgl. Concilium Tridentinum, Bd. 9, S. 1039, 1084. 2} Vgl. W Reinhard, Papstfinanz und Nepotismus, Bd. 1, Stuttgart 1974, S. 72-80; V Reinhardt, Kardinal Scipione Borghese 1605-1633, Tübingen 1984, passim. 3 Prodi I Rcinhard

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der aristokratischen Mitherrschaftsansprüche eines Kardinalskollegiums aus "Fürsten der Kirche" tritt der vollendete päpstliche Absolutismus, der die Kardinäle überwiegend auf eine Art von Karrierebürokraten in seinem Dienst reduziert. In diesem Zusammenhang wurde die notorische Ungleichheit der Pfründenausstattung des Privilegienzeitalters mittels Pensionen und dergleichen informell in eine Art von einheitlichem Gehalt verwandelt, dem auf der anderen Seite die Festsetzung von Mindestbezügen für diejenigen Bischöfe und Pfarrer entsprach, zu deren Lasten die vom Papst verteilten Pensionen gehen sollten24 • Dieser moderne Trend zur ,Verbeamtung' des Klerus wurde auch durch die Einführung einer Prüfung für Bewerber um Pfarrstellen seitens des Konzils25 gefördert. Sie darf ja mit einigem Recht als Schrittmacher der modernen Leistungsprüfung, vor allem derjenigen für Staatsdiener, gelten, die seit dem späten 18. Jahrhundert üblich wurde26 • Aber man könnte den Spieß auch umdrehen und fragen, wie weit Geschäftsordnung und Verfahren des Konzils von Trient bereits Niederschlag der vom Papsttum betriebenen administrativen Modernisierung gewesen sind27 • Ansatzpunkte für Rationalisierung und Differenzierung, Individualisierung und Disziplinierung des Kirchenvolks bieten die Konzilsdekrete natürlich ebenfalls, obwohl es noch lange dauern wird, bis sich allerorten der moderne Konfessionskatholik durchgesetzt hat. Aber die neuen oder erneuerten Disziplinierungsverfahren mit ihrem teilweise ausgesprochen bürokratischen Charakter sind hinreichend bekannt und bedürfen keiner weiteren Erörterung. Fragt sich nur, wieweit Trient auch ,inhaltlich' zu neuer Spiritualität und Frömmigkeit des Volkes beitragen konnte oder vielmehr darauf beschränkt bleiben mußte, die organisatorische Infrastruktur für diese Entwicklung zu entwerfen, den Rahmen, der dann, wie bereits bemerkt, aus ganz anderen Quellen mit Inhalten gefüllt wurde. Eine verhältnismäßig neuartige Frage gilt den überwiegend ,nicht-intendierten' Folgen der TrienterBeschlüsse für die Stellung der Frauen in der Kirche. Bei der Festschreibung des - selbstverständlich männlichen - sakramentalen Amtspriestertums und des Zölibats28 , mit dem Bestehen auf dem sakramentalen Charakter der Ehe und der Bereinigung der damit verbundenen Rechtsprobleme durch das Dekret "Tametsi", bei der Reform der Frauenorden, insbesondere 24 Vgl. W Reinhard, Kardinalseinkünfte und Kirchenreform, in: Römische Quartalschrift, 77 (1982), S. 157-194. 25

Sessio XXIV, de ref. 18.

Vgl. R. Wendt, Diebayerische Konkursprüfung der Montgelas-Zeit. Einführung, historische Wurzeln und Funktion eines wettbewerbsorientierten,leistungsvergleichenden Staatsexamens, München 1984. 27 Vgl. U. Mazzone in diesem Band. 26

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Sessio XXIV, c. 9 de ref. matr.

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der Einschärfung der Klausur und der bischöflichen Nachprüfung der Freiwilligkeit des Eintritts29 ging es dem Konzil um die Lösung theologischer und disziplinärer Probleme und nicht um die Rolle der Frau in der Gesellschaft. Nichtsdestoweniger könnte das tridentinische Eherecht mit seiner erneuten Bekräftigung und seiner neuartigen praktischen Umsetzung des Konsensprinzips Grundlagen für eine Emanzipation des Individuums, auch des weiblichen, von der Bevormundung der Partnerwahl durch die Familie und für eine partnerschaftliehe Ehe gelegt haben. Ambivalent dürften sich hingegen die Bestimmungen über den Zölibat und die Disziplin der Frauenorden ausgewirkt haben. Auf der einen Seite läßt sich behaupten, das Bestehen auf einer Wertrangabfolge, die Jungfräulichkeit an die erste Stelle setzte, habe Frauen vor allem im Bereich der Orden Chancen autonomer Selbstverwirklichung erhalten, die im Bereich der Reformationskirchen verlorengegangen seien, soweit sie nicht durch die neue Rolle der Pfarrfrau ersetzt wurden. Auf der anderen Seite stellte die römische Klerikergesellschaft einen Extremfall von Männerherrschaft dar, wie Mary Ward zu ihrem Leidwesen erfahren mußte. Ob diese Ambivalenz eher auf ein ,Sowohl-als auch' oder statt dessen auf ein ,Etweder-oder' hinausläuft, möchte ich als Mann vorläufig lieber nicht zu entscheiden versuchen! Als das Modernste an der Modeme gelten gemeinhin Naturwissenschaft und Technik. Das Konzil hat sich dazu im bezeichnenden Gegensatz zum 2. Vaticanum noch nicht geäußert, es wird aber allgemein unterstellt, daß die Verschärfung der Glaubensdisziplin infolge seiner dogmatischen Dekrete zu einer Unterdrückung der Gedankenfreiheit und damit auch der naturwissenschaftlichen Forschung geführt habe. Immerhin blieb Kopemikus bis ins 19. Jahrhundert auf dem Index der verbotenen Bücher und Galilei wurde sogar erst vor wenigen Jahren kirchlich rehabilitiert. Auf der anderen Seite hatte speziell die Jesuitenastronomie bis ins 17. Jahrhundert einen anerkannt hohen Stand und es war ausgerechnet einer der drei nachtridentinischen Reformpäpste, Gregor XIII., der 1582 die überfällige Kalenderreform durchführen ließ. Deren papistische Herkunft verzögerte ihre Annahme durch Andersgläubige. England akzeptierte sie trotz seines sonstigen Modernitätsvorsprungs erst 1752, die orthodoxen Kirchen konnte sich sogar bis 1923 Zeit lassen. Offenbar ist es selbst in diesem empiriegesättigten Bereich gar nicht so einfach, zu unzweideutigen Aussagen über Modernität zu gelangen! Eindeutiger scheinen mir die Dinge im Medienbereich im weiteren Sinne zu liegen, wo außerdem ,relative' und ,absolute' Modernität mehr als anderswo konvergieren. Mit anderen Worten, hier bedeutete die Anpassung an die Erfordernisse der Zeit wohl immer auch einen Schritt in Richtung der Modeme,

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3•

Sessio XXV, c. 5 bzw. c. 17 de ref. regul.

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selbst wenn dieser Schritt wie im erwähnten Falle des Index der verbotenen Bücher nicht in Richtung der Grundwerte der Modeme führte, sondern deren bürokratische Herrschafts- und Repressionsstrukturen antizipierte. Da es ohne Buchdruck wohl keine Reformation gegeben hätte- ein Sachverhalt, den Luther durchaus durchschaute, aber providentiell interpretierte30 -, könnte man die evangelische Bewegung die erste mediengestützte Revolution der Geschichte nennen. Der alten Kirche blieb also gar nichts anderes übrig, als ihrerseits den Versuch zu machen, die Kontrolle über den Buchdruck und andere Medien zurückzugewinnen, allerdings generell wohl eher mit restriktiver Tendenz. Der Index der verbotenen Bücher wurde zwar erst nach Beendigung des Konzils vom Papst erlassen, beruhte aber auf den Arbeiten einer Konzilsdeputation am überscharfen Index Pauls IV. 31 . Aber auch die Äußerungen des Konzils zur Bibel und der Liturgie als den eigentlichen Medien des Heils, zur bildenden Kunst und zur Musik blieben Fragmente, die ihr innovatorisches Potential bekanntlich erst nach dem Konzil in der Hand des Papsttums oder des weithin maßgebenden Diözesanreformers Carlo Borromeo von Mailand entfaltet haben. Dabei haben durchaus mehr oder weniger subtile Eingriffe in die Trienter Dekrete stattgefunden, deren genauer Umfang erst noch zu untersuchen wäre. So spricht das Traditionsdekret des Konzils von "traditiones apostolicae", die vom Papst verordnete "Professio Fidei Tridentina" aber von "traditiones ecclesiasticae", das Konzil hat zur Frage der Bibelübersetzung geschwiegen, während die römischen Indexregeln sie fast unmöglich gemacht haben usf.l 2 . Zumindest in dieser Hinsicht gewinnt man den Eindruck, die eigentliche Modemisierungsleistung des Konzils habe nicht in dem bestanden, was es getan, sondern in dem was es nicht getan und dem Papsttum oder der Selbstreform der Orden und anderer Zellen der Kirche überlassen hat. Das entspricht ganz und gar der von Hubert Jedin mit Nachdruck formulierten und seither zur communis opinio der Forschung gewordenen Auffassung, daß für den geschichtlichen Erfolg des Konzils von Trient den Ausschlag gegeben habe, daß das Papsttum sich mit ihm identifiziert und seine Durchführung in die Hand genommen habe. Man wird dem großen Konzilshistoriker darin nur recht geben können. Es bleibt aber die Frage, wie dieser Sachverhalt aus kirchenhistorischer und profanhistorischer Sicht gedeutet wird, nicht zuletzt im Hinblick auf das Gewicht, das dem Konzil selber dabei wirklich zukommt!

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M. Luther, Werke, Weimarer Ausgabe, Tr 1 Nr. 1038, Nr. 2772a.

H. }edin, Geschichte des Konzils von Trient, Bd. 4/2, S. 232·237. Diskussionsbeitrag von Mare Venard zu G. Maron, Die nachtridentinische Kodifikationsarbeit in ihrer Bedeutung für die katholische Konfessionalisierung, in: W. Reinhard I H . Schilling (Hrsg.), Katholische Konfessionalisierung, S. 124. 11

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111. Diese Deutung geht nämlich auf keinen geringeren als den romfeindlichen Konzilshistoriker Venedigs Paolo Sarpi zurück, der seine "Istoria del Concilio tridentino" mit vier berühmten Fragen eröffnet hat: "Wie kam es, daß dieses von Allen zur Wiedervereinigung der Kirche ersehnte Konzil statt dessen die Spaltung besiegelt und die Glaubensparteien so gegeneinander aufgebracht hat, daß ihre Versöhnung unmöglich wurde? Wie war es möglich, daß die Absicht der Fürsten, mit Hilfe des Konzils den Klerus zu reformieren, statt dessen die schlimmste Verunstaltung der Kirche hervorgebracht hat, seit es Christen gibt? Wie konnte es dazu kommen, daß die Absicht der Bischöfe, ihre großenteils auf den Papst übergegangene Autorität zurückzugewinnen, damit endete, daß sie sie vollends verloren und statt dessen ihre eigene Versklavung betrieben? Wie ist es zu erklären, daß dieses von der römischen Kurie als Bedrohung ihrer unmäßig gewachsenen Macht gefürchtete Konzil eben diese Macht zumindest in der katholischen Welt gefestigt hat wie nie zuvor? "n .

Solche Fragen stellen, heißt sie beantworten. Sarpis Geschichte versucht nichts anderes als den Nachweis zu führen, daß und wie römische Tücke das Meisterstück fertiggebracht hat, eine ihr feindliche Bewegung zu ihren Gunsten umzuwandeln, ihr Wasser auf die eigene Mühle zu leiten und so das Konzil zur weiteren Ausdehnung der nach Sarpis Auffassung illegitimen Macht des Papsttums zu benutzen. Aber ungeachtet aller polemischen Verzerrung muß auch Jedin feststellen, daß die Fragen Sarpis "echte Fragen an die Geschichte des Konzils von Trient" sind, "die auch wir uns vorlegen müssen" 34 • Bezeichnenderweise vermag nämlich auch Sforza Pallavicino ungeachtet des im Sinne seiner kurialen Auftraggeber apologetischen Charakters seines Werkes diese Linie im Grunde nicht zu verlassen. Er nennt seine "Istoria del Concilio di Trento" zwar eine "Istoria mista d'apologia anzi piu veramente una apologia mescolata d'istoria", versucht Sarpi mit der Masse der ihm zur Verfügung gestellten Quellen zu erschlagen und weist ihm genau 361 Fehler nach. Aber auch bei H Freie Übersetzung nach P Sarpi, lstoria del Concilio Tridentino, ed. G. Gambarin, Florenz 1966, Bd. 1, S. 3 f.: "lmperocche questo concilio, desiderato e procurato dagli uomini pii per riunire Ia Chiesa ehe principiava a dividersi, per contrario ha cosi stabilito lo scisma ed ostinate le parti, ehe ha fatto le discerdie irreconciliabili; e maneggiato dai principi per riforma dell' ordine ecclesiastico, ha causato Ia maggior disformazione ehe sia mai stata dopo ehe il nome cristiano si ode; e dalli vescovi adoperato per racquistar I'autorita epicopale, passata in gran parte nel solo pontefice romano, gliel'ha fatta perder tutta intieramente, ed interessati loro stessi nella propria servitu; ma temuto e sfuggito dalla corte di Roma, come efficace mezzo per moderare I'esorbitante potenza da piccioli principi pervenuta con vari progressi ad un eccesso illimitato, gliel'ha talmente stabilita e confermata sopra Ia parte restatagli soggetta, ehe mai fu tanta ne cosi ben radicata". l 4 H. ]edin, Geschichte des Konzils von Trient, Bd. 2, S. 4.

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ihm erweist sich die Geschichte des Konzils von Trient als die Geschichte eines mit den Mitteln der ragion di stato gewonnenen diplomatischen Erfolgs des Papsttums. Er ging zwar nach dem ehrenhaften Motto vor, daß Wahrheitsliebe die beste Verteidigung sei, mußte sich aber genau deswegen von katholischen Kritikern sagen lassen, sein Werk bestätige im Grunde die Version Sarpis, die zu vernichten er ausgezogen war>5 • Sollten diese Kritiker recht haben? Denn für Jedins große Geschichte des Konzils gilt m.E. auf höherem wissenschaftlichen Niveau dasselbe wie für Pallavicino. J edin macht ja auch gar kein Hehl daraus. Auch für ihn ist die Geschichte des Konzils von Trient die Geschichte des Papsttums, das es versteht, vorzüglich mit im weiteren Sinne politischen und diplomatischen Mitteln die Bedrohung durch das Konzil in einen Erfolg zu verwandeln und zur Stärkung der eigenen Stellung umzufunktionieren. Nicht zufällig wurde der Diplomat Giovanni Morone der eigentliche "Retter der Konzils". Aber anders als bei Sarpi hat es sich dabei eben nicht um mehr oder weniger simple Manipulation gehandelt, sondern um einen höchst komplexen Prozeß, bei dem keineswegs von vorneherein feststand, wem der Endsieg gehören würde. "Das Trienter Konzil war nicht, wie Sarpi gemeint hat, ein großangelegtes Betrugsmanöver. Der päpstliche Dirigismus hatte es nicht nötig, die Rede- und Stimmfreiheit zu unterdrücken. Der Papst verfügte über andere Mittel, um auf die Konzilsväter einzuwirken. Wer sich als Verteidiger der Papstgewalt gebärdete, konnte hoffen, ein größeres Bistum oder gar den roten Hut zu erhalten; umgekehrt ist kein italienischer Verfechter des Ius divinum [der Bischöfe] in der Folgezeit Kardinal geworden ... Daß der päpstliche Dirigismus die Freiheit der Konzilsväter nicht aufhob, ergibt sich aus der offenkundigen Tatsache, daß es während der ganzen Dauer des Konzils Opposition gegen die von den Legaten ausgeübte Konzilsleitung gegeben hat. Nicht nur Spanier und Franzosen opponierten, auch Italiener nahmen das damit verbundene Odium auf sich, obwohl sie auch von anderer Seite unter Druck gesetzt wurden. Die Freiheit des Konzils war nicht nur durch den Papst und die Kurialisten bedroht, sondern auch, vielleicht sogar noch mehr, von seiten der weltlichen Gewalten".

Das trifft für Spanien so gut zu wie für Venedig und die Toskana. Aber dennoch gilt dank des Geschicks der päpstlichen Legaten: "Das Gespenst des Konziliarismus, das am Horizont des Konzils von Anfang an stand, ist nie in seine Mitte getreten ... Die Rede- und Stimmfreiheit auf dem Trienter Konzil war keine sorgfältig abgeschirmte Treibhauspflanze, sie war dem Wind und dem Wetter, der Sonne und dem Frost ausgesetzt . .. . Diese Kämpfe um die Freiheit sind für uns nur selten faßbar, aber daß es sie gab, eben das ist ebenso sicheres Zeichen der Freiheit wie das wache Bewußtsein des Papsttums, daß deren Unterdrückung den Zweck den Konzils vernichtet und dessen Gegnern recht gegeben hätte" 36 . 35 36

H. ]edin, Erforschung, S. 108-113. H. ]edin, Geschichte des Konzils von Trient, Bd. 4/2, S. 248-250.

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Binnenkirchlich stellt Trient also deswegen eine Wende dar, weil es dem Papsttum hier gelungen ist, das Konzil aus einer Bedrohung in ein Instrument zur Steigerung der eigenen Macht zu verwandeln und damit, wie die weitere Kirchengeschichte zeigen sollte, den Konziliarismus endgültig zu überwinden. Man könnte sagen, ein Triumph politischer Klugheit dank Einsicht in das eigene ,wohlverstandene' Interesse. Von nun an war es endgültig zur Aufgabe ökumenischer Konzilien geworden, gesamtkirchlichen Konsens für die Ziele des Papsttums zu produzieren. Man könnte natürlich behaupten, dies alles gelte bereits für das 5. Laterankonzil 1512-1517. Der entscheidende Unterschied besteht darin, daß dessen Beschlüsse damals so gut wie keine gesamtkirchliche Resonanz und Akzeptanz gefunden haben. Trient aber stand unter dem Druck der Bedrohung durch die Glaubensspaltung mit dem Ergebnis, daß viele Betroffene im eigenen Interesse bereit sein mußten, die Konzilsentscheidungen zu akzeptieren. Weiter dürften das Papsttum ebenso wie die von ihm in Rom veranstaltete und nach verbreiteter Auffassung keineswegs ökumenische Lateransynode unter den damaligen Verhältnissen einfach nicht genug Glaubwürdigkeit besessen haben, um irgendetwas zu erreichen - wenn denn überhaupt irgendetwas anderes erreicht werden sollte, als einige politische Gegner abzuwehren. Trient aber besaß von vorneherein ein ganz anderes Prestige, weniger weil es, wie Pallavicini und J edin gegen Sarpi gezeigt haben, keine bloße Akklamationsveranstaltung folgsamer Papalisten gewesen ist, sondern vor allem, weil es bei all seinen Unzulänglichkeiten nun eben doch das seit Jahrzehnten ersehnte Konzil war, von dem sich die verzweifelten altkirchlichen Kräfte die Rettung erhofften. Daß das Papsttum sich zumindest nach außen vorbehaltlos mit den Konzilsbeschlüssen identifizierte und deren Ergänzung und Durchführung in die Hand nahm, machte es zum Nutznießer dieses Prestiges und zum Hoffnungsträger der Altgläubigen, ungeachtet der zahlreichen Widersprüche und Unvollkommenheiten im einzelnen. Bekanntlich haben die Päpste Konzilsbeschlüsse durchaus abgeändert oder mißachtet, wenn sie ihren Interessen widersprachenH . Bezeichnenderweise ist die vom Konzil beschlossene Wiederbelebung der synodalen Strukturen der Kirche durch regelmäßig abzuhaltende Provinzialkonzilien und Diözesansynoden38 nur zögernd verwirklicht und nicht zu einer dauernden Einrichtung geworden; dieses Dekret wurde von Rom nicht durchgesetze 9 • Und wenn in den Jahrzehnten nach dem Konzil das System der Nuntiaturen planmäßig ausgebaut wurde und die Durchsetzung der Trienter Beschlüsse eine wesentliche Aufgabe dieser päpstlichen Diplomaten darstellen sollte, dann scheint dieses Ziel schon um 1600 zu einem lästigen PflichtproH Siehe oben, Anm. 32, sowie P Prodi, 11 cardinale Gabriele Paleotti (1522-1597), Bd. 2 (Uomini e Dottrine, 12), Rom 1967, S. 472 ff., 483 ff., 526 und passim. 38 Sessio XXIV, c. 2 de ref. 39 S. Merkle, Die weltgeschichtliche Bedeutung des Trienter Konzils, in: R. Räumer (Hrsg.), Concilium Tridentinum, S. 435-461, hier S. 453 f.

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gramm wenn nicht einer politischen Leerformel verkommen zu sein40 , womit natürlich nicht bestritten werden soll, daß es an der Kurie und anderswo nach wie vor engagierte Reformer gegeben hat. Das ändert aber nichts daran, daß das Papsttum nach Trient nicht zuletzt dank solcher Leute aus einer wegen ihrer Macht- und Geldgier mißtrauisch beäugten Einrichtung zum nicht überall akzeptierten, wohl aber respektierten Vorkämpfer der altkirchlichen Erneuerung geworden war. Zumindest an kritischen Punkten wie Köln verzichteten päpstliche Vertreter inzwischen lieber auf in ihren Augen durchaus berechtigte Geldforderungen, um das traditionelle Odium der römischen Geldgier Lügen zu strafen41 • Insgesamt führt aber genaueres Hinsehen dazu, daß die pauschale Vorstellung vom Reformpapsttum ebenso schrumpft wie diejenige vom epochemachenden ReformkonziL Im einen wie im anderen Fall gibt es bestimmte sachliche, zeitliche und räumliche Schwerpunktleistungen wie z.B. die apostolischen Visitationen unter Pius V. in Italien. Aber die konkrete Gesamterneuerung der Kirche war weder das Werk des Konzils noch des Papsttums, sondern unzähliger Zellen der Reform und der Selbstreform vor Ort, wobei die politischen Instanzen nicht bloß in Spanien und in Bayern eine entscheidende Rolle gespielt haben. Unter dem Eindruck der im 19. und 20. Jahrhundert dominierenden papalistischen Ideologie hat die Forschung diesen quellenmäßig evidenten Sachverhalt lange nicht wahrhaben wollen42 • Die praktische Bedeutung des Konzils von Trient blieb also ziemlich begrenzt und mit seinem nach dem Konzil entwickelten Reformprogramm hat das Papsttum ebenfalls erst im 19. und frühen 20.Jahrhundert umfassenden Erfolg gehabt. Man bedenke nur den angeblich in und nach Trient neugeborenen römischen Zentralismus, der in Wirklichkeit im Ancien Regime nie zustande kam. Uneingeschränkte Kontrolle über die Kirche hatte der Papst damals nämlich nur in seinem Kirchenstaat! Dennoch wäre es falsch, die relativen und absoluten Modernisierungseffekte des Konzil zu unterschätzen. Aber sie liegen auf einem anderen Gebieten als dem der Reformpraxis. Entscheidend ist vielmehr, daß Trient der Kirche und dem Papsttum ein zentrales Programm, man könnte geradezu sagen, einen zentralen "Mythos" gegeben hat. Für die 40 Vgl. W Reinhard, Kirchendisziplin, Sozialdisziplinierung und Verfestigung der konfessionellen Fronten: Das katholische Reformprogramm und seine Auswirkungen, in: G. Lutz (Hrsg.), Das Papsttum, Christenheit und die Staaten Europas 1592-1605, Tübingen 1994, S. 1-13, bes. S. 3 und 12. Dabei handelt es sich um eine Analyse der Texte in: K. ]aitner (Hrsg.), Instructiones Pontificum Romanorum: Die Hauptinstruktionen Clemens VIII. für die Nuntien und Legaten an den europäischen Fürstenhöfen 1592-1605, 2 Bde., Tübingen 1984. 41 So der Kölner Nuntius Antonio Albergati, vgl. Nuntiaturberichte aus Deutschland nebst ergänzenden Aktenstücken. Die Kölner Nuntiatur, Bd. 5/1 (2 Halbbde.): Nuntius Antonio Albergati (1610 Mai-1614 Mai), bearbeitet von W Reinhard, München 1972, S. XXIX f. (1. Halbbd.); Nr. 580, S. 549; Nr. 749, S. 731 (2. Halbbd.). 42 W Reinhard, Kirchendisziplin, S. 9-12.

Das Konzil von Trient und die Modernisierung der Kirche

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mythische Redeweise ist es gleichgültig, was in der Wirklichkeit im einzelnen geschieht, denn sie reduziert ja gerade die widersprüchliche Komplexität der Wirklichkeit auf eine elementare Grundvorstellung, eine Art von Wirklichkeit zweiten Grades, die dann ihrerseits Geschichte machen kann. Insofern bleibt irrelevant, ob beim Konzil für die tatsächliche Reformpraxis des kirchlichen Alltags viel herausgekommen ist. Entscheidend war nicht das ,wirkliche' Konzil von Trient, sondern das ,erfundene' Konzil von Trient. Entscheidend war, daß sich die Vorstellung von einer durch das Konzil im Glauben neu gefestigten Kirche durchsetzte, die sich unter der Führung des Papsttums nach Vorgaben des Konzils selbst erneuerte, auch wenn diese Vorstellung erst im 19. Jahrhundert ganze Wirklichkeit geworden sein sollte. Modisch gesprochen, etablierte sich dank des Konzils ein neuer, letztendlich stark papalistischer ekklesiologischer Diskurs, der schließlich Allgemeingut der Kirche wurde. Im 16. Jahrhundert aber gab der "Mythos Trient" der alten Kirche das, was sie am nötigsten brauchte, eine neue Selbstgewißheit. Für die Eingangs erwähnten "glaubenstreuen Katholiken" der Gegenwart ist Trient bis heute ein solcher Mythos der Selbstvergewisserung geblieben! Wenn nicht zuletzt auch die Machtstellung des Papsttums mittels des "Mythos Trient" erheblichen Zugewinn erzielt hat, dann hängt dies mit einer bemerkenswerten Konvergenz der kirchlichen mit der säkularen Entwicklung zusammen, einem gesamtgesellschaftlichen Trend zur absoluten Modernisierung, genauer gesagt zur Ausbildung des modernen Staates. Paolo Prodi hat zurecht darauf hingewiesen, wie sehr die Papstkirche in der Neuzeit zu einer Art von Staat unter anderen Staaten geworden ist und von anderen auch so gesehen wurde43 • Von den Tendenzen zur Disziplinierung und Bürokratisierung der Kirche, die bereits auf dem Konzil zu greifen sind, war bereits die Rede. Wenn das Konzil ein Duellverbot ausgesprochen und Duelle mit schwersten kirchlichen Strafen belegt hat44 , ein Dekret, das bezeichnenderweise auf eine spanische Vorlage zurückgeht45 , dann gehört diese Bestimmung nicht nur in die ehrwürdige Tradition kirchlicher Versuche, gesellschaftliche Gewalt einzudämmen, sondern vor allem in den Zusammenhang zeitgenössischer staatlicher Duellverbote, in die Geschichte der Durchsetzung des staatlichen Gewaltmonopols. Bereits Evennett hat 1951 festgestellt: "The sixteenth-century counterpart, in Catholicism, of what used to be called the new monarchy is the counter-reformation papacy, not only in general spirit but also in precise method: the taking into papal hands of all the new tasks that the Counter-Reformation in all its aspects required; enforcement of the Tridentine decrees; establishment of new relations with secular powers; extension of mission 43 P Prodi, 11 sovrano pontefice. Un corpo e due anime: Ia monarchia papale nella prima eta moderna, Bologna 1982. 44 Sessio XXV, c. 19 de ref. 45 H. Jedin, Geschichte des Konzils von Trient, Bd. 4/2, S. 169.

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work in heathen Iands; reorganisation of pastoral and controversial equipment in Europe, and the counter-attacks on Protestantism "46 .

Und 1989 schreibt Konrad Repgen über die Bemühungen der Reformpäpste, das Tridentinum in die Praxis zu übersetzen: .Zugleich wurden damit die Aufgaben des römischen Bischofs neu umschrieben. Er war bisher zuständig für die Einheit und den Glauben der Kirche und war in diesen Bereichen oberster Richter; jetzt wurde er auch zuständig für die konkrete Seelsorgepraxis der Ortskirchen, jedenfalls im Prinzip, wie immer der Alltag aussehen mochte" 47 .

Also eine .Ausweitung der Kirchenaufgaben" wie es gleichzeitig eine .Ausweitung der Staatsaufgaben" gab. Wie weltliche Fürsten ihre ursprünglich auf Frieden und Recht beschränkte Zuständigkeit im Namen des Gemeinwohls allmählich auf alle Bereiche des menschlichen Lebens ausdehnten, so griff der Kirchenmonarch im Namen der Kirchenreform über seine Zuständigkeit für die Einheit im Glauben hinaus nach allen Bereichen des kirchlichen Lebens. Beide Expansionsprozesse sollten erst im Staat und im modernen Papsttum des 20. Jahrhunderts ihr Ziel erreichen. Ideologiegestütztes politisches Wachstum aber war[!] ein Grundphänomen der Modeme! Trient hat also wichtige Anstöße zur ,relativen' Modemisierung der Kirche gegeben, auch wenn diese erst sehr langsam in die Wirklichkeit umgesetzt werden konnten. Außerdem muß häufig umstritten bleiben, ob es sich dabei um die jeweils optimale Lösung oder viel eher um einen zaghaften oder gar faulen Kompromiß gehandelt hat. Trient und das Reformpapsttum haben weiter auch Beiträge zur ,absoluten' Modemisierung der Welt geleistet durch Einleitung einer bürokratischen Reorganisation und Disziplinierung der Kirche, die haargenau den Vorgängen bei der Entstehung des modernen Staates entsprach und zu ähnlichen Ergebnissen führte. In anderen Bereichen reagierten sie zwar ebenfalls auf latente Modemisierungstrends, aber hier fielen die Ergebnisse häufig weniger eindeutig aus und bieten in vielen Fällen noch heute ambivalente Deutungsmöglichkeiten.

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H. Outram Evennett, Spirit, S. 93. K. Repgen, .Reform", S. 18.

Reich und Konzil (1521-1566)* Von Konrad Repgen

I. Einleitung "Heiliges Römisches Reich Deutscher Nation und Trienter Konzil"- dieses Einzelthema läßt sich dem mehrdeutigen Rahmenthema unserer Tagung nicht ohne Weiteres zuordnen, zumal dieses von Wolfgang Reinhard mit anderen Akzenten interpretiert' wird als von Paolo Prode. Daher bedürfen Fragestellung und Vorgehensweise unseres Beitrags einiger Vorbemerkungen: 1. Das Zuordnungsproblem beginnt beim Begrifflichen. Geschichte ist keine deduktive Wissenschaft. Die von ihr verwendeten Begriffe haben daher nur relative Bedeutung; sie sollen es erleichtern, Aufmerksamkeit zu organisieren und Einzelphänomene zu ordnen. Dennoch ist die Auswahl der verwendbaren Begriffe nicht beliebig; denn Geschichtswissenschaft hat als Adressaten die Allgemeinheit, und diese hat Anspruch auf möglichst geringe Verwirrung mit verkehrssprachlich unüblichen Kategorien.

Diese Regel gilt auch für die Verwendung des Begriffs der "Modemisierung". Die frühere Faszination des systematisch schwer definierbaren ModerneBegriffs3, die wohl mit dem Fortschrittsgedanken zusammenhing, ist in der heutigen philosophischen Diskussion von post-modernen Gegengedanken abgelöst worden. Daher könnte man die Frage stellen, ob der Leitgedanke "Modernisierung" nicht eine bereits überholte philosophische Position von Dieser Aufsatz ist auch erschienen in: F Bobach I Ch. Kampmann (Hrsg.), Dreißigjähriger Krieg und Westfälischer Friede. Studien und Quellen, Faderborn 1998, S. 260-288. Vgl. W. Reinhard in diesem Band. Vgl. P. Prodi in diesem Band.

Übersicht über die philosophische Problematik bei R. Piepmeier, Art. Modern, die Moderne, in: Historisches Wörterbuch der Philosophie, Bd. 6, Darmstadt 1984, S. 54-62. Einen guten Querschnitt durch die soziologischen Modernisierungstheorien boten H.P Dreitzel (Hrsg.), Sozialer Wandel. Zivilisation und Fortschritt als Kategorien der soziologischen Theorie (Soziologische Texte Luchterhand, 41), 2. Aufl., Neuwied I Berlin 1972 und W Zap/(Hrsg.), Theorien des sozialen Wandels (Neue Wissenschaftliche Bibliothek, 31), Königstein i.Ts. 1979.

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,gestern' bedeute4 • Aber auch unabhängig von der Antwort auf diese Frage hat die Geschichtswissenschaft die Problematik der Verwendung des .Moderne"Begriffs zu bedenken. Über die generelle Nützlichkeit dieser Kategorie (der Ton liegt auf: generell) für das Verständnis geschichtlicher Phänomene des 16. Jahrhunderts und über die spezielle Nützlichkeit des Begriffs .modern" für die Kirchengeschichte des Reformationsjahrhunderts denke ich skeptischer als die beiden Organisatoren unserer Tagung5 , müßte aber differenzieren: Die von Trient ausgegangenen oder später sich auf Trient berufenden Reformen des kirchlichen Lebens können m.E. durchaus unter das Stichwort .Modernisierung" gebracht werden - zumal, wenn man sich an die begrifflichen Abgrenzungen Reinhards hält6 • Ob man hingegen die Lehrkapitel und dogmatischen 4 Vgl. M. Borgolte, Mittelalterforschung und Postmoderne. Aspekte einer Herausforderung, in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft, 43 (1995), S. 615-627; K.-H. Ladeur, Postmoderne Rechtstheorie. Selbstreferenz - Selbstorganisation - Prozeduralisierung, 2. Aufl., Berlin 1995. Ich teile hingegen die Auffassung von P. Blickte, Begriffsverfremdung, in: Zeitschrift für historische Forschung, 22 (1995), 2, S. 246-251, hier S. 250: .Der Parameter der Modemisierung leidet bekanntermaßen darunter, bei strikter Anwendung den Reichtum der Vergangenheit zu verfehlen; sofern damit Wertungen verbunden sind modernisierungsfördernd in Töpfchen, modernisierungshemmend ins Kröpfchen können sich merkliche Verzerrungen früherer Jahrhunderte ergeben". Vgl. zur aktuellen Diskussion H. Schilling, Die Reformation - ein revolutionärer Umbruch oder Hauptetappe eines langfristigen reformierenden Wandels?, in: W Speitkamp I H.P. Ullmann (Hrsg.), Konflikt und Reform. Festschrift für Helmut Berding, Göttingen 1995, S. 26-40. Entscheidend ist seine klare und überzeugende Absage an teleologische Interpretationen. Nicht notwendig, aber tatsächlich in den letzten Jahrzehnten oft mit Modemisierung verknüpft ist der Begriff .Sozialdisziplinierung". Reinhards, von Prodi geteiltes Vertrauen in die Nützlichkeit der Verwendung dieses Begriffs teile ich nicht, weil die Bedeutung dieser Vokabel in der deutschen Verkehrsprache der Gegenwart so überwiegend negativ konnotiert ist, daß sie kaum wertfrei verwendet werden kann. Weite Bereiche der Frühen Neuzeit unter einen verkehrssprachlich negativ zu verstehenden Zentralbegriff zu stellen, habe ich große Bedenken. Schließlich kann man schlecht jedesmal wiederholen, daß der Hörer oder Leser sich unter dem Begriff .Sozialdisziplinierung" etwas Anderes vorstellen möge, als ihm vertraut ist. Außerdem meine ich, daß man die in Betracht kommenden geschichtlichen Erscheinungen und Zustände auch ohne den Begriff ,Sozialdisziplinierung" gut erklären und hinreichend verständlich machen kann. Zu anderen Einwänden gegen den Begriff der .Sozialdisziplinierung" vgl. nunmehr P. Blickte, Gute Policei oder .Sozialdisziplinierung", in: T Stammen u.a. (Hrsg.), Politik- Bildung- Religion. Hans Maier zum 65. Geburtstag, Faderborn 1996, S. 98-107. Er schlägt vor, statt dessen von .Gemeinwohlstaat" zu sprechen. Tatsächlich wäre eine Formulierung wie etwa .Geschichte im Zeitalter des Gemeinwohlstaates" diskutabel, .Geschichte im Zeitalter der Sozialdisziplinierung" aber kaum. Sollte es sich beim Ausdruck ,Sozialdisziplinierung" vielleicht um eine der .kurzlebigen Begriffsmoden" handeln, wie sie nach N. Luhmann, Interaktion, Organisation, Gesellschaft. Anwendungen der Systemtheorie, in: ders., Soziologische Aufklärung, 2. Aufl., Opladen 1975, S. 9, .die Forschung allenfalls anregen, aber nicht wirklich anleiten können"?

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Definitionen von Trient überzeugend mit dem Leitgedanken der "Modernisierung" verbinden kann, weiß ich nicht. Was schließlich die Geschichte des Reiches betrifft, so vermag ich den Nutzen nicht zu erkennen, den die Verwendung der Begrifflichkeit "modern" oder "Modernisierung" dem Historiker bieten könnte. Derartige Bedenken ließen sich breiter entfalten, doch ist dies nicht der Ort dafür. Soweit unter "Moderne" die "folgenreiche Veränderung von Rahmenbedingungen des geschichtlichen Lebens im 16. und 17. Jahrhundert" verstanden werden könnte, paßt mein Vortrag in unsere Tagung, wie ein Überblick über meine Fragestellung ergibt: - Das Reich wurde seit 1532 mit der interimistischen Anerkennung der lutherischen Konfessionskirchen, die 1555 und 1648 unbefristet fortgeschrieben worden ist, ein politisches Gemeinwesen, das zu zentralen Regelungen des bis 1517-1521 geltenden Kirchenrechts ebenso quer stand wie zu den normativen Vorstellungen der katholischen und protestantischen Theologien des 16. und 17. Jahrhunderts über Aufgaben und Zwecke des Staates. Das Reichskirchenrecht von 1555 und 1648 war, wie Martin Hecke! uns überzeugend gelehrt hae, weder mittelalterlich-vorkonfessionell noch nachmittelalterlich-konfessionell, weder katholisch noch lutherisch noch reformiert. Es bewahrte wesentliche präkonfessionelle Elemente, die in das Mittelalter zurückverwiesen und war die bi-konfessionelle Konstruktion eines Notrechtes, mit dessen metajuristischer Problematik man sich nur deshalb abfinden konnte, weil seine Regelungen angesichts des tatsächlichen Zwangs der Umstände den besten konsensfähigen Ausweg aus einem Dilemma eröffneten. -Die seit 1532 offene Diskrepanz der kirchlichen Verfassungs- und Rechtsordnung des Reichs vom römischen Kirchenrecht hat das Papsttum im 16. Jahrhundert toleriert8 • In der Schlußphase des Dreißigjährigen Krieges, zwiSeine Auffassung über das Reichskirchenrecht des 16. und 17. Jahrhunderts ist thesenartig-prägnant formuliert in: M. Hecke!, Die Krise der Religionsverfassung des Reiches und die Anfänge des Dreißigjährigen Krieges, in: K. Repgen (Hrsg.), Krieg und Politik 1618-1648. Europäische Probleme und Perspektiven (Schriften des Historischen Kollegs. Kolloquien, 8), München 1988, S. 107-131, hier S. 127-131; dazu der Diskussionsbericht: ebd., S. 321-324. M. Heckeis Konzeption im Zusammenhang der deutschen Geschichte steht in: M. Hecke!, Deutschland im konfessionellen Zeitalter (Deutsche Geschichte, 5), Göttingen 1983, seine wichtigen Einzeluntersuchungen bis 1988 sind nachgedruckt in: ders., Gesammelte Schriften. Staat, Kirche, Recht, Geschichte, hrsg. von K. Schlaich, 2 Bde. (Jus Ecclesiasticum, 38) Tübingen 1989. Vgl. neuestens: ders., Die katholische Konfessionalisierung im Spiegel des Reichskirchenrechts, in: W Reinhard I H. Schilling (Hrsg.), Die katholische Konfessionalisierung. Wissenschaftliches Symposion der Gesellschaft zur Herausgabe des Corpus Catholicorum und des Vereins für Reformationsgeschichte 1993 (Schriften des Vereins für Reformationsgeschichte, 198), Gütersloh 1995, S. 184-227. Zum folgenden: K. Repgen, Die römische Kurie und der Westfälische Friede, Bd 1/1: Papst, Kaiser und Reich 1521-1644 (Bibliothek des Deutschen Historischen Instituts in Rom, 24), Tübingen 1962.

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sehen 1640 und 1650, hat es sich von dieser Diskrepanz mit unterschiedlicher Intensität zunächst distanziert und sie schließlich formell verurteilt9 • Dennoch wurde durch diese Verurteilung das durch Otto den Großen begründete Sonderverhältnis zwischen Kirche und Kaiser sowie Kirche und Reich nicht gänzlich aufgehoben. Diese Sonderbeziehung bestand fort bis zum Ende des Alten Reiches in der napoleonischen Ära10 • 2. Aus diesen Erwägungen ergibt sich folgende Gliederung in drei Abschnitte: Erstens frage ich nach dem Zusammenhang der Komplexe ,Reich' und ,Konzil' in den Jahren 1521 bis 1545. Zweitens skizziere ich das Verhältnis von ,Reich' und ,Konzil' in den Jahren 1545 bis 1552. Drittens beschreibe ich die Stellung der Kirche zum Reich und des Reichs zum Konzil in den Jahren 1555 bis 1566. 3. Schließlich noch zwei kurze Anmerkungen zur Vorgehensweise: -Jeder weiß, daß ,Kaiser' und ,Reich' im 16. und 17. unterschiedliche Größen waren. Aus Gründen der sprachlichen Vereinfachung verwende ich jedoch, nicht nur im Vortragstitel, den Begriff "Reich" gelegentlich auch für den Kaiser, soweit ein Mißverständnis nicht zu befürchten ist. -Daß bei einem Parforce-Ritt über viereinhalb Jahrzehnte Reichs- und Kirchengeschichte ereignisgeschichtliche Details mit ihren tausend Gemengelagen nicht genetisch beschrieben 11 , sondern nur einzelne Fakten kurz gestreift werden können, bedarf keiner Begründung. Es geht mir um die Frage, welche 9 Dazu zuletzt: K. Repgen, Die Proteste Chigis und der päpstliche Protest gegen den Westfälischen Frieden (1648/50). Vier Kapitel über das Breve "Zelo Domus Dei", in: D. Schwab u.a. (Hrsg.), Staat, Kirche, Wissenschaft in einer pluralistischen Gesellschaft. Festschrift zum 65. Geburtstag von Paul Mikat, Berlin 1989, S. 623-647; ders., Salvo jure Sanctae Sedis? Die Zessionsbestimmungen des Westfälischen Friedens für Metz, Toul und Verdun als Konkordats-Problem, in: W Aymans u.a. (Hrsg.), Fides et Jus. Festschrift für Georg May zum 65. Geburtstag, Regensburg 1991, S. 527-558; M.F Feldkamp, Das Breve "Zelo Domus Dei" vom 26. November 1648, in: Archivum Historiae Pontificiae, 31 (1993), S. 293-305; K. Repgen, Drei Korollarien zum Breve "Zelo Domus Dei" (26. November 1648): Editionstechnik, Nachdruckgeschichte, Vorgeschichte, in: Archivum Historiae Pontificiae, 33 (1995), S. 315-333. 10 Deshalb begannen die seit 1519 schriftlich fixierten Wahlkapitulationen auch nach 1650 in Art. 1 mit der Verpflichtung auf das Amt des Kaisers als "advocatus ecclesiae Romanae". 11 Dazu, ein für allemal: H. Jedin, Geschichte des Konzils von Trient, Bd. 1: Der Kampf um das Konzil, 2. Aufl., Freiburg i.Br. 1951; Bd. 2: Die erste Trienter Tagungsperiode 1545/1547; Bd. 3: Bologneser Tagung (1547/1548). Zweite Trienter Tagsungsperiode (1551/1552), Freiburg i.Br. 1970; Bd. 4: Dritte Tagungsperiode und Abschluß, Hbd. 1: Frankreich und der neue Anfang in Trient bis zum Tode der Legaten Gonzaga und Seripando, Hbd. 2: Überwindung der Krise durch Morone, Schließung und Bestätigung, Freiburg i.Br. 1975. Eine wesentliche Ergänzung dazu bietet die

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Folgen das Geschehen im Reich für das Zustandekommen und den Verlauf des Tridentinums gehabt hat und welche Folgen sich aus dem Abschluß dieses Allgemeinen Konzils für die weitere Reichsgeschichte ergeben haben. Ich entwickele also nur den problemgeschichtlichen Zusammenhang von Reich und Konzil bis 1563 sowie von postkonziliarer Kirche und Reich nach 1564. Alles andere lasse ich weitestgehend beiseite, z.B. auch die vielfältigen Versuche, die Religionsfrage Deutschlands nicht durch das Universalkonzil, sondern durch Religionsgespräche, durch ein Nationalkonzil oder durch den Reichstag zu klären. Ebenso klammere ich die ständige Abhängigkeit des Trienter Konzils von der europäischen Außenpolitik des Reichs (Türkei, Frankreich) und von seiner Verfassungspolitik (Kaiser versus Reichsstände) aus. II. Der Leitgedanke ,Konzil' und die Reichspolitik 1521-1566

1. Reich und Konzi/1521-1545 In den theologischen Auseinandersetzungen, die Luther seit Ende des Jahres 1517 in Deutschland entfacht hatte, spielte das Thema "Konzil" (gemeint ist damit auch hinfort stets ein Allgemeines Konzil) von Anfang an eine zwar nicht dominierende, aber doch wichtige Rolle. Denn mit dem Stichwort "Konzil" verbanden viele der vielen kirchlich Interessierten große Hoffnungen12. Kleriker wie Laien waren davon überzeugt, daß trotz der mißlungenen Konzilsversuche von Konstanz (1414-1418) 13 und Basel (1431 -1437/ Bonner Dissertation meines Schülers T. Brockmann, Die Konzilsfrage in den Flug- und Streitschriften des deutschen Sprachraumes 1518-1563 (Schriftenreihe der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, 57), Göttingen 1998. Zur Historiographiegeschichte des Trienter Konzils: H. ]edin, Das Konzil von Trient. Ein Überblick über die Erforschung seiner Geschichte, Rom 1948; R. Bi.iumer, Das Konzil von Trient und die Erforschung seiner Geschichte, in: ders. (Hrsg.), Concilium Tridentinum (Wege der Forschung, CCCXIII), Darmstadt 1979, S. 3-48. 12 R. Bi.iumer, Nachwirkungen des konziliaren. Gedankens in der Theologie und Kanonistik des frühen 16. Jahrhunderts (Reformationsgeschichtliche Studien und Texte, 100), Münster 1971; H. Smolinsky, Art. Konziliarismus, in: Theologische Realenzyklopädie, Bd. 19, Berlin I New York 1990, S. 579-586; H.]. Sieben, Traktate und Theorien zum Konzil, Frankfurt a.M 1983. 13 W Brandmüiler, Art. Konstanz, Konzil von, in: Theologische Realenzyklopädie, Bd. 19, Berlin I New York 1990, S. 529-535. Vgl. auch P Ourliac, Das Schisma und die Konzilien, in: M. Moiiat du ]ourdin I A. Vauchez (Hrsg.), Die Zeit der Zerreißproben 0274-1449), deutsche Ausgabe hrsg. von B. Schimmelpfennig (Die Geschichte des Christentums, 6), Freiburg i.Br. 1991 , hier S. 96-107;]. Lenzenweger, Das Große Abendländische Schisma und die Reformkonzilien, in: R. Kottje I B. Moeiler (Hrsg.), Mittelalter und Reformation, (Ökumenische Kirchengeschichte, 2), 4. Aufl., Mainz I München 1988, S. 217-221 ; K.A. Fink, Das Abendländische Schisma und die Konzilien,

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1449) 14, die für überfällig erachtete Reform der Kirche in capite et membris allein von einem Konzil zu erwarten sei. Innerhalb eines breiten Meinungsspektrums vertraten andere, auch unabhängig von der kirchenpolitischen Hoffnung auf ein Reformkonzil, die Ansicht, daß die Kirchenverfassung noch keineswegs endgültig im papalistischen Sinne zu interpretieren sei, daß folglich das Konzil, zumindest unter gewissen Umständen, über dem Papst stehe oder doch stehen könne. Eine solche konziliare Kirchenverfassungs-Theorie bot verfahrensrechtlich günstige Positionen, wenn es darum ging, die Endgültigkeit päpstlicher Disziplinar- und Lehrentscheidungungen zu bestreiten. Dies machte auch Luther sich mit seinen beiden Appellationen vom Papst an ein künftiges Konzil (28. November 151815 und 17. November 152016 ) zu eigen. Vor allem die zweite war mehr als nur ein prozessualer Gegenzug 17 • Sie richtete sich zunächst zwar gegen die römische Verurteilung der 41 Sätze seiner Theologie durch "Exsurge Domine" (15. Juni 1520) 18 , mobilisierte zugleich aber durch appellativen Rückgriff auf den Konziliarismus öffentlich Druck gegen den Papst. Luther in: H. Jedin (Hrsg.), Handbuch der Kirchengeschichte, Bd. 3/2, Freiburg. i.Br. 1968, S. 545-567. Zu einer positiveren Sicht der Reformbeschlüsse des Konstanzer Konzils gelangt P.H. Stump, The Reforms of the Council of Constance (1414-1418), (Studies in the History of Christian Thought, 13) Leiden 1994. 14 ]. Helmrath, Art. Basel, Konzil, in: Lexikon für Theologie und Kirche, Bd. 2, 3. Aufl., Freiburg i.Br. 1994, S. 53-57; A.N.E.D. Schofield, Art. Das Konzil von Basel, in: Theologische Realenzyklopädie, Bd. 4, Berlin I New York 1980, S. 284-289; P. Ourliac, Das Schisma und die Konzilien, S. 111-131;]. Lenzenweger, Das Große Abendländische Schisma und die Reformkonzilien, S. 221-225; K.A. Fink, Das Abendländische Schisma, S. 572-588. 15 Text in M. Luther, Werke. Kritische Gesamtausgabe (von nun an WA), Bd. 2, Weimar 1884, S. 36-40; Nachdruck in H.]. Becker, Die Appellation vom Papst an ein Allgemeines Konzil. Historische Entwicklung und kanonistische Diskussion im späten Mittelalter und in der frühen Neuzeit (Forschungen zur kirchlichen Rechtsgeschichte und zum Kirchenrecht, 17), Köln /Wien 1988, S. 448-453; P. Fabisch I E. lserloh (Hrsg.), Dokumente zur Causa Lutheri (1517-1521), Bd. 2: Vom Augsburger Reichstag 1518 bis zum Wormser Edikt 1521 (Corpus Catholicorum, 42), Münster 1991, S. 215-227, dort S. 216 f. zur Frage der Anknüpfung an die Appellation der Sorbonne vom 27. März 1518 gegen das französische Konkordat von 1516; vgl. im übrigen H.]. Becker, Die Appellation vom Papst, S. 246-249. 16 Text (lateinisch): WA, Bd. 7, Weimar 1897, Nachdruck 1966, S. 75-82; ebd., S. 85-90 (als deutsche Flugschrift): D. Martin Luthers Appellation oder Berufung an ein christlich frei Concilium von dem Papst Leo und seinem unrechten Frevel verneuert und repetiere, Wittenberg 1520. 17 H. Jedin , Geschichte des Konzils, Bd. 1, S. 143; vgl. H.J. Becker, Die Appellation vom Papst, S. 250-253. 18 Text: P. Fabisch I E. lserloh (Hrsg.), Dokumente zur Causa Lutheri (1517-1521), S. 364-411; Kommentar, ebd., S. 317-326,334-343.

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selbst vertrat zu diesem Zeitpunkt keinen kohärenten Konziliarismus mehr; denn er hatte in der Leipziger Disputation mit Eck (27. Juni bis 15. Juli 1519) 19 und vor allem in seinem späteren Kommentar zu dieser Disputation20 die generelle Kompetenz nicht nur des Papstes, sondern auch der Allgemeinen Konzilien zur dauerhaft verbindlichen Entscheidung von dogmatischen Streitigkeiten bestritten21 • An die Stelle der traditionellen Lehrentscheidung durch Instanzen, gleichgültig ob Papst oder Konzil, war Luthers theologisches Formalprinzip der sola-scriptura-Theorie getreten22 • Deshalb hat ein Argumentieren auf mehreren, rein logisch schwer kombinierbaren Ebenen die deutsche Konzils-Diskussion und Konzils-Politik bis zum Ende des Tridentinums bestimmt. Sie bewegte sich immerzu in einem vielgliedrigen Geflecht von ausgesprochenen und unausgesprochenen Widersprüchen und Zielen. Aber es gab auch Gemeinsames. Fast allen galt, vor allem in den frühen zwanziger Jahren, ein Konzil als der große Hoffnungsträger für Kirchenreform; hingegen wurde es als kompetente Institution, die demnächst endgültig die dogmatischen Streitfragen klären müsse, von Luther und seinen Anhängern nur unter Vorbedingungen akzeptiert, die für die katholische Seite unannehmbar waren. Daher ist das Schlagwort .Konzil" in der Reformationszeit ein Bedeutungsträger für Gegensätzliches, ja Unvereinbares geworden. Wenn die Altgläubigen von .Konzil" sprachen, so meinten sie etwas Anderes als die Neuerer, die sich des gleichen Schlagworts bedienten. Die Ambiguität dieser Leitparole hat seiner tagespolitischen Nützlichkeit natürlich keineswegs Abbruch getan, im Gegenteil. Der Umstand, daß sich programmatisch nahezu alle Seiten auf die gleiche Vokabel .Konzil" beriefen und berufen konnten, dürfte seine politische Verwendungsfähigkeit eher begünstigt als erschwert zu haben. Das Wormser Edikt (5. Mai 1521)2} war vom Kaiser als .advocatus ac defensor ecclesiae Romana" gemäß dem seit dem 13. Jahrhundert gültigen Text: WA, Bd. 2, S. 254-383, hier S. 279, 11-19. Text: WA, Bd. 2, S. 391-435: Resolutiones Lutherianae super propositionibus suis Lipsiae disputatis, Wittenberg 1519, hier S. 404 , Zeilen 6-10. Daraus folgte dann (S. 404, Zeilen 14-17): .Proinde volo liber esse et nullius seu Concilii seu potestatis seu universitatum seu pontificis autoritate captivus fieri: quin confidenter confitear quicquid verum videro, sive hoc sit a Catholico sive haeretico assertum, sive probatum sive reprobatum fuerit a quocunque Concilio". 21 Vgl. H.]. Sieben, Die katholische Konzilsidee von der Reformation bis zur Aufklärung, Faderborn 1988, S. 13-51, hier S. 16-18. 22 K.-H. zur Mühlen, Art. Luther, II. Theologie, in: Theologische Realenzyklopädie, Bd. 21, Berlin I New York 1991, S. 530-567, hier S. 533 f. 2} Text: P Fabisch I E. lserloh (Hrsg.), Dokumente zur Causa Lutheri 0517-1521), S. 510-545; zur Sache ebd., S. 484-491 und besonders H. ]edin, Geschichte des Konzils, Bd. 1, S. 169 f. 19

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Ketzerrecht erlassen worden. Da es die Vollstreckung der päpstlichen Verurteilung Luthers nicht bewirkte, blieb das reichsreligionsrechtliche Problem der mit der Luthersache verbundenen theologischen Konzeptionen faktisch offen. Diese Frage sollte nun nach dem Willen der Reichsstände durch ein Konzil geklärt werden. Beim Zweiten Nürnberger Reichstag, am 9. Februar 1523, forderten sie die unverzügliche Eröffnung eines Konzils, das den dogmatischen Dissens zu entscheiden, die Kirchenreform zu begründen und auf Reichsboden zu tagen habe. Die Formel, auf die alle sich geeinigt hatten, hieß: Binnen Jahresfrist ein Jrey christlich concilium an bequeme malstatt Teutscher nation" nach Vereinbarung zwischen Papst und Kaiser einzuberufen 24 • Diese Formel kombinierte zwei gegenläufige Zielvorstellungen miteinander, die von Anfang an auch in der Publizistik25 öffentlich und mit tausend Variationen erörtert worden sind: - erstens (im lutherischen Sinne) ein Konzil ohne Papst, womöglich ein Konzil, das den Papst nur als Angeklagten verhören und dann verurteilen würde und das sich für Entscheidungen in Glaubensfragen nach dem solascriptura-Prinzip richte26 ; -zweitens (nach altkirchlicher Vorstellung) eine Kirchenversammlung, die an die hochmittelalterlichen Generalkonzilien anknüpfen müßte, mit dem Papst als Haupt und Herr der Versammlung und des Verfahrens, das sich nicht allein an die Schrift, sondern auch an Tradition und Kirchenrecht binde27 • - Diese beiden Grundtypen mußten außerdem noch eine Antwort auf die konziliaren Kompetenzen des Kaisers und der Fürsten finden, die eine theologisch und politisch sehr problematische Sonderfrage darstellten28 • Der dilatorische Formelkompromiß der Nürnberger Klausel von 1523 hat den in all diesen Positionen enthaltenen Grunddissens über Wesen und Aufgabe eines Konzils so lange verdeckt, als das .Konzil" nicht tatsächlich begonnen hatte. Bis dahin aber hielt die Nürnberger Formel viele Türen offen, so daß das Thema .Konzil" bis zur Eröffnung des Tridentinums auf der politischen Tagesordnung eines jeden Reichstags stand. Es war auch ein ständiger Posten in 24 Reichsabschied Nürnberg, 9. Februar 1523, in: Deutsche Reichstagsakten unter Kaiser Kar! V. Jüngere Reihe III (von nun an RTA JRJ, Gotha 1901, Neudruck Göttingen 1963, Nr. 117, S. 736-759, hier S. 746. Zu Luthers Verwendung des Begriffs .christlich frei Konzil" vgl. oben, Anm. 16. 25 T Brockmann, Die Konzilsfrage, Kapitel 4, Abschnitt l.

Ebd., Kapitel 3, Abschnitt l. Ebd., Kapitel 3, Abschnitt 2. 28 Die Kritik an der Religionspolitik Karls V. zusammenfassend bei H. Lutz, Reformation und Gegenreformation (Oidenbourg Grundriß der Geschichte, 10), München 1979, S. 146-149. 26 27

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der Agendenliste Karls v_ seit 1526 und, seit Paul IIL wenn auch mit erheblich größeren Einschränkungen als beim Kaiser, des Papstes. Dabei steht außer Frage, daß das Projekt .Konzil", wie immer es in concreto ausgestaltet werden mochte, für die beiden höchsten Gewalten der Christenheit nie alleinige oder unbedingt handlungsleitende Priorität bei den tagespolitischen Entscheidungen gewonnen hat. Die Konzilspolitik des Reiches zwischen 1523 und 1545 war bekanntlich das Gegenteil einer geradlinigen Einbahnstraße. 1524 forderten die Reichsstände interimistisch ein Nationalkonzil29 , das der Kaiser seit Juni 1524 dreimal mit steigender Deutlichkeit verborl 0 • Daraufhin sistierten sie de facto 1526 einstimmig ad interim, bis zum Generalkonzil, die Ausführung des Wormser Edikts mit einer dehnbaren FormeP 1 , welche die evangelischen Fürsten als reichsrechtliche Ermächtigung ihres landesherrlich gesteuerten neuen Kirchenwesens interpretierten32 . Als der Speyerer Reichstag 1529 unter kaiserlichem Druck weitere landeskirchliche Neuerungen bis zum Konzil unmißverständlich verborl3 und auf diese Weise die religionsrechtliche Regelungskompetenz wieder eindeutig für das Reich (und damit vor allem für den Kaiser) beanspruchte, hat gegen diesen Beschluß der Altgläubigen, der mit großer Mehrheit erfolgte, eine kleine Gruppe entschlossen evangelischer Reichsstände, die ihre entstehenden Konfessionskirchen nicht durch eine katholisch orientierte Reichsgesetzgebung 29 Reichsabschied Nümberg, 18. April1524, in RTAJRIV, Gotha 1905, Neudruck Göttingen 1963, Nr. 149 S. 590-613, hier 603 f. 30 Vgl_]. Janssen, Geschichte des deutschen Volkes seit dem Ausgang des Mittelalters, Bd. 2: Vom Beginn der politisch-kirchlichen Revolution bis zum Ausgang der socialen Revolution von 1525, 7. Auil., Freiburg i.Br. 1882, S. 335 (15. Juli: nach einer Kopie im Frankfurter Stadtarchiv) und]. Weizsä'cker, Der Versuch eines Nationalkonzils in Speier den 11. November 1524, in: Historische Zeitschrift, 64 (1890), S. 199-215, hier S. 208 (Weizsäcker bezieht sich auf 1852 durch ]. Chmel im .Notizenblatt des Österreichischen Archivs für Geschichte" edierte, auf Juni und auf 30. September datierte Schreiben des Kaisers. Dieses .Notizenblatt" ist mir nicht zugänglich.). Zur Sache vgl. W Borth, Die Luthersache (causa Lutheri) 1517-1524. Die Anfänge der Reformation als Frage von Politik und Recht (Historische Studien, 414), Lübeck I Harnburg 1970, S. 144-159, sowie G. Müller, Die römische Kurie und die Reformation 1523-1534. Kirche und Politik während des Pontifikates Clemens' VII. (Quellen und Forschungen zur Reformationsgeschichte, 38), Gütersloh 1969 S. 79. Müller ist auch für das folgende zur päpstlichen Kaiser- und Reichspolitik bis 1532 regelmäßig zu vergleichen. 31 Reichsabschied Speyer, 27. August 1526, in: Sammlung, Neue und vollständigere ... der Reichs=Abschiede Bd. 2, Frankfurt a.M. 1747, S. 272-280, hier S. 272 f. (§ 1.4). 32 M. Hecke!, Die reichsrechtliche Bedeutung des Bekenntnisses (1980), Neudruck in: ders., Gesammelte Schriften, Bd. 2, S. 737-772, hier S. 743. 33 Reichsabschied Speyer, 22. April 1529, in: RTAJR VIV2, Stuttgart 1935, Neudruck Göttingen 1963, Nr. 148, S. 1296-1314, hier Einschub aus S. 142, 11-29.

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gefährdet wissen wollten, Protest, also Rechtsvorbehalt, eingelegf 4 • Die protestierenden Stände verlangten 1529 bei reichsreligionsrechtlichen Regelungen mit Geltungsanspruch für alle Territorien generell das Einstimmigkeitsprinzip. An diesem Geschäftsordnungspostulat mit hochpolitischer Konsequenz haben die Protestanten vor allem nach 1555 kontinuierlich festgehalten35 • Erst im Osnabrücker Frieden von 1648 konnten sie diese Abstimmungsregelung reichsverfassungsrechtlich durchsetzen. Gegen den Widerspruch einer zahlenmäßig nicht kleinen, aber militärisch unbedeutenden Minderheit, die im Corpus Catholicorum die Mehrheit darstellte, wurde 1648 in einem reichstagsähnlichen Verfahren durch eine aus den Protestanten und der katholischen Minderheit gebildeten Mehrheit entschieden, daß künftig Mehrheitsbeschlüsse des Reichstags in religionsrechtlichen Fragen unzulässig seien. Die Garantie für dieses Verfahrensrecht lag in der lnstitutionalisierung der itio in partes (Art. V § 52 Instrumenturn Pacis Onabrugensis = IPO), die bis 1806 in Kraft blieb. Mit dieser reichsrechtlichen lnstitutionalisierung der beiden konfessionellen Corpora, des Corpus Evangelicorum und Corpus Catholicorum, die sich quer über die weiterbestehenden drei Kollegien der Kurfürsten, Fürsten und Städte hin erstreckten, war es gelungen, die Konfessionen ohne Preisgabe ihres jeweiligen Verbindlichkeitsanspruchs in die Reichsverfassung einzubinden36 • Im Reichsabschied von 1530 hatte der Kaiser noch einmal die kirchen-und kaiserrechtlich korrekte Linie des Wormser Edikts behauptd7 • Er hatte von den Unterzeichnern der Augsburger Confession Unterwerfung bis zum 15. April 1531 verlanges und - unter legitimatorischem Bezug auf sein Amt als Kaiser und .,oberster Vogt der Christenheit" - mit einem ganzen Katalog von 34 Text des Protestes vom 19. April1529: RTAJR VII/2, Nr. 137, S. 1260-1265, vom 20. April 1529: ebd., Nr. 143, S. 1273-1288. Zur Funktion des Protestierens vgl. H.]. Becker, Protestatio, Protest, in: Zeitschrift für historische Forschung, 5 0978), S. 385-412. 35 Vgl. K. Schlaich, Die Mehrheitsabstimmung im Reichstag zwischen 1495 und 1613, in: Zeitschrift für historische Forschung, 10 0983), S. 299-340, hier S. 312-315; ders., Maioritas - protestatio - itio in partes - corpus Evangelicorum. Das Verfahren im Reichstag des Hl. Römischen Reiches Deutscher Nation nach der Reformation, in: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Kanonistische Abteilung, 61 0977) S. 264-299; 64 (1978), S. 139-179. 36 F Wolf/. Corpus Evangelicorum und Corpus Catholicorum auf dem Westfälischen Friedenskongreß. Die Einfügung der konfessionellen Ständeverbindungen in die Reichsverfassung (Schriftenreihe der Vereinigung zur Erforschung der Neueren Geschichte, 2), Münster 1966.

Reichsabschied Augsburg, 19. November 1530, in: Sammlung, S. 306-332. Reichsabschied 1530, S. 307 f. (§§ 1.2). Die Vorrede der Augsburgischen Confession von 1530 hatte sich zweimal auf das zu erwartende Konzil berufen: vgl. Die Bekenntnisschriften der evangelisch-lutherischen Kirche, 8. Aufl., Göttingen 1979, S. 47, 23 (deutsch) und S. 47, 24 Oateinischl, S. 48, 14 (deutsch) und S. 48, 20 Oateinisch). 37

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Einzelbestimmungen faktisch eine bis zum künftigen Konzil allgemeinverbindliche Reichskirchenordnung erlassen39 . Außenpolitische Zwänge brachten ihn jedoch 1532 im Nürnberger Anstand dahin, bis zu einem künftigen Konzil den meisten der schmalkaldischen Bundesgenossen ihr territoriales Konfessionskirchenwesen landfriedensrechtlich zu garantieren und die schwebenden Kammergerichtsprozesse über säkularisiertes Kirchengut zu unterbrechen40 . Wie der Kaiser wußte, waren diese Konzessionen kirchenrechdich unvertretbar; er legitimierte sie als unausweichliches und im übrigen befristetes Notrecht. Ebenso verfuhr er 1539 beim Frankfurter Anstand41 , griff das Nürnberger Abkommen im Reichsabschied von 1541 wieder auf42 und ging darüber hinaus in einer gleichzeitigen geheimen Deklaration für die evangelischen Reichsstände43. Er hielt rechtlich 1542 an der Absicht fest, als Kaiser den Glaubenszwiespalt zu "Einigkeit und Vergleichung zu bringen" 44 • Schließlich45 ließ er im Speyrer Abschied von 1544 ein umfassendes Reichsreligionsrecht verabschieden, das mannigfache Einzelregelungen über die kirchlichen Rechtsverhältnisse in den Territorien verfügte46 , die später als "Versatzstücke" 47 in den Augsburger 39 Reichsabschied 1530, in: Sammlung, S. 309-315 (§§ 10 bis 60). 40 Nürnberger Anstand, 24. Juli 1532, in: RTA JR X/3, Göttingen 1992, Nr. 549

S. 1511-1517; dazu die kaiserliche Bestätigung, Regensburg, 31. Juli, 2. August 1532: ebd., Nr. 557 S. 1519-1522. 41 "Der Friedliche Anstandt des Glaubens vnd Religion I Auch anderer I vber der wahren Meynung vnd Deutung des Nürnbergischen Religionfriedens I fürgefallener Mißverständnis halben. Abgeredt I zu Franckfurt am Meyn I den 19. April. Anno 1539", in: F Hortleder, Der Römischen Keyser-Vnd Koniglichen Maiesteten I Auch deß ... Reichs .. . Stände ... Handlungen vnd Außschreiben, Bd. 1, 2. Aufl., Gotha, Wolfgang Endters, 1645, S. 120-124. 42 Reichsabschied Regensburg, 27. Juli 1641, in: Sammlung, S. 428-444, hier S. 434 f. (§ 26). 43 .Der Kais. Majestät Declaration über etliche Artikel des Regensburgischen Reichsabschieds den Protestirenden gegeben", Regensburg, den 29. Juli 1541, in: Corpus Reformatorum, Bd. 4, Halle a.d.S., 1837, Nr. 2352 S. 623-625; ebd., Nr. 2351 S. 622, der Text vom 28. Juli. 44 Reichsabschied Nürnberg, 26. August 1542, in: Sammlung, S. 470-481, hier S. 472 (§ 5). 45 Der Reichsabschied Nürnberg, 23. April1543, ebd., S. 482-494, hier S. 490 (§ 34 bis 36) betraf die Reichskammergerichtsbarkeit gegenüber den Protestanten. 46 Reichsabschied Speyer, 10. Juni 1544, ebd. , S. 495-517, hier S. 509-513 (§§ 76-96); demnächst in: RTAJR, XV, Nr. 581. Die Verhandlungen über .Religion, Frieden und Recht" werden dort in Kapitel IV stehen (Nrn. 194-242). Einstweilen vgl. A.P Luttenberger, Glaubenseinheit und Reichsfriede. Konzeptionen und Wege konfessionsneutraler Reichspolitik 1530-1552 (Kurpfalz, Jülich, Kurbrandenburg), (Schriftenreihe der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, 20) Göttingen 1982, S. 289. 47 M Hecke!, Bekenntnisse, S. 747.

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Religionsfrieden eingebaut worden sind - wiederum interimistisch, als ein von den Umständen erzwungenes Notrecht, mit Geltungsdauer bis zu einer Einigung auf einem Generalkonzil oder auf einem künftigen Reichstag. Das Speyrer Reichskirchenrechts-System war wie seine Vorläufer seit 1532 und sein Abschluß 1555 nicht ,interkonfessionell', da für die Katholiken das kanonische Recht ebenso gültig blieb wie für die protestantischen Territorien die jeweiligen Bekenntnisse und Kirchenordnungen; es war nicht ,a-konfessionell', denn es enthielt zum Beispiel für beide Konfessionen verpflichtende Strafbestimmungen gegen Täufer; ich habe es früher, nicht ohne Bedenken, einmal als ,konfessions-neutral'48 bezeichnet, halte indessen auch diese Terminologie für problematisch und verzichte nunmehr auf eine attributiv verwendbare Genus-Bezeichnung49 • Der rechtliche Sachverhalt indessen ist nicht strittig: Das Reich, das als politisches Gemeinwesen älter ist als die Konfessionen, nimmt die Koexistenz von zwei Konfessionen mit ihren unterschiedlich begriffenen vorkonfessionellen Traditionsbeständen und mit ihrem sich gegenseitig ausschließenden universalen Wahrheits- und Geltungsanspruch als gegeben hin und regelt rechtlich über und neben diesen Konfessionen die Folgen, die sich aus ihrer antagonistischen Kirchlichkeit ergeben. Dabei ist man sich bewußt, daß die meisten Regelungen des weltlich verfügten Religionsrechts der theologischen Kritik einer jeden der beiden Konfessionen nicht standhalten können und sich daher nur als eine Notmaßnahme legitimieren lassen, als ein befristetes (seit 1555 sagte man: unbefristetes) Interimisticum. Im Prinzip hat man sich auch 1648 dieser Exkusation bedient. Paul III. hat das Religionsrechtssystem des Reiches von 1544, das ohne jede Beteiligung des Papstes entstanden war, als eine einzigartige kirchenpolitische Provokation durch den Kaiser empfunden50 • Er beantwortete diese Herausforderung mit dem berühmten Mahnbreve vom 24. August 154451 , das bewußt an die hoch- und spätmittelalterlichen Kämpfe zwischen sacerdotium und imperium anknüpfte und dem Kaiser die Kompetenz zur Formulierung

K. Repgen, Die römische Kurie, Bd. 1/1, S. 59 Anm. 10. Im mündlichen Referat hatte ich erwogen, das Reichsreligionsrecht von 1544/1555/1648 als .prä- und bikonfessionell" zu bezeichnen. Aber eine Begriffsbildung, die .prä" mit .bi" kombiniert, würde auf verschiedene Ebenen zielen, und das wäre mißlich- ganz abgesehen davon, daß eine solche Begrifflichkeit ohne Erklärung unverständlich bliebe, was ebenfalls mißlich wäre. Herr Prof. Martin Hecke!, Tübingen macht mich brieflich darauf aufmerksam, daß der Begriff des Konfessionellen ohnehin auch die Kontinuität von Präkonfessionellem einschließe. 50 K. Repgen, Die römische Kurie, Bd. 111, S. 59-62, auch zum folgenden. 51 Endgültiger Text in: Concilium Tridentinum, Bd. 4, Nr. 276 S. 366-373; zur Entstehungsgeschichte H. Jedin, Geschichte des Konzils, Bd. 1, S. 602, Anm. 19 und K. Repgen, Die römische Kurie, Bd. 111, S. 59, Anm. 14. 48

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eines solchen Reichskirchenrechts rundweg abstritt- Jetzt schien für einen Augenblick der große Prinzipienkonflikt unvermeidbar. Er blieb der Christenheit jedoch erspart, weil das Breve bereits überholt war, als es am Kaiser· hof eintraf: Im Frieden von Cn!py (18.-19. September 1544)52 mit Franz I. (1515-1547) hatte Karl V. die Zusage der französischen Beteiligung an einem Konzil auf Reichsboden erreicht. Das machte den Weg frei für das Trienter Konzil, das im November 1544 auf den 15. März 1545 einberufen und am 13. Dezember eröffnet wurde. Es ging nicht mehr allein um Deutschland; denn evangelische Lehren hatten sich inzwischen in ganz Europa ausgebreitet. Unsere Aufmerksamkeit indessen bleibt auf das Reich gerichtet. Zusammenfassend läßt sich das Fazit unseres Überblicks über den Zusammenhang der Komplexe ,Konzil' und ,Reich' für die Jahre 1521 bis 1545 in vier Punkten formulieren: 1. Sobald das Scheitern der (nach den Maßstäben des bisher geltenden Rechtes korrekten) Konfliktlösung der Luthersache durch das Wormser Edikt sichtbar wurde, forderten nicht nur die Lutheraner, sondern das gesamte Reich die Lösung des dogmatischen Konflikts und die Kirchenreform durch ein Generalkonzil, dessen Wesen und Funktion bis 1545 mit Hilfe des dilatorischen Formelkompromisses von 1523 unterschiedlich beschrieben wurde.

2. Die Forderung nach einem Generalkonzil blieb seit 1521-1523 ein ständiges Thema der Reichspolitik und - was hier ausgeblendet worden ist - der öffentlichen Diskussion. 3. Für den Kaiser behielt das Projekt "Generalkonzil" einen hohen Stellenwert, galt aber nicht als das einzig mögliche Verfahren zur Lösung der Religionsfrage. Es hatte im Ensemble der Gesamtpolitik Karls V. keine unbedingt dominierende Funktion, auch nicht innerhalb der kaiserlichen Religionspolitik Erst als Frankreich 1544 auf das Konzil auf Reichsboden verpflichtet werden konnte, war der Weg nach Trient frei. 4. Neben der Konzilspolitik (und neben den Religionsgesprächen, die hier nicht behandelt worden sind), hat der Kaiser seit 1532 Interims-Regelungen getroffen, welche einerseits die Etablierung der lutherischen Konfessionskir· chen reichsrechtlich - wenn auch auf Abruf, bis zum Konzil - konsolidierten und andererseits mit dem römischen Kirchenrecht schwer oder gar nicht zu vereinbaren waren. Aber ein "großer" Konflikt über diese Regelungen ist zwischen Kaiser und Papst aus einer Reihe von nicht systematisch erklär-, sondern nur historisch beschreibbaren Gründen nicht entstanden.

52 Text: ]. Dumont, Corps Universei Diplomatique, IV/2, Amsterdam I La Haye 1726 (ULB Bonn, Ir 11), S. 279-287.

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2. Reich und Konzi/1545 bis 1552163

Ob ein Konzil in Trient, das nicht erst 1545, sondern, wie es die Reichsstände gefordert hatten, schon 1524-1525 eröffnet worden wäre, ob ein solches Konzil die in Deutschland entstandene Glaubensspaltung, den Streit um den wahren Glauben, beendet hätte, ist erwägenswert, aber unbeweisba~3 • 1545 jedoch bestanden, wenn überhaupt, erheblich geringere Chancen, die deutsche Glaubensspaltung durch ein Konzil zu überwinden - aus vielen Gründen, von denen drei genannt seien: - Einmal waren aus den evangelischen Theologumena der frühen zwanziger Jahre längst formierte Bekenntnisse funktionierender Konfessionskirchen geworden, wenn auch das Konfessionelle noch nicht zum Lebenselixier der Masse der Bevölkerung gehörte54 • Die neuen theologischen Systeme dem Urteil der in Trient versammelten Bischöfe zu unterwerfen, dazu waren die kirchlichen und politischen Eliten der Protestanten nicht bereit. Sie lehnten beim Reichstag 1545 das Trienter Konzil schon ab, ehe es überhaupt eröffnet war, und begründeten 1546 ihre öffentliche Absage an das Konzil sowohl mit juristischen Argumenten (das Konzil sei weder "gemein" noch "frey" noch "christlich" 55 ) als auch mit kontrovers-theologischen Angriffen auf die römische Kirche56 • Die deutschen Protestanten nahmen folglich an der Ersten Tagungsperiode (Trient: 1545-1547, Bologna: 1547 -1549) nicht teil. Auch die kurze Anwesenheit einiger protestantischer Reichsstände, die unter kaiserlichem Druck zur Zweiten Tagungsperiode (1551-1552) nach Trient kamen (es waren Kurbrandenburg, Kursachsen, Württemberg und Straßburg) und von denen die Sachsen und Württemberger am 24. Januar 1552 vor der Generalkongregation auftreten und ihre Theologie und ihre verfahrensrechtlichen Vorbehalte gegen das Tridentinum vorbringen durften57 , machte aus der katholischen BischöfeH. ]edin, Geschichte des Konzils, Bd. 1, S. 461. Vgl. etwa E. W Zeeden, Reste katholischer Glaubensübung und altkirchliche Traditionen im Luthertum, in: ders., Die Entstehung der Konfessionen. Grundlagen und Formen der Konfessionsbildung im Zeitalter der Glaubenskämpfe, München I Wien 1965, S. 81-94; ders., Grundlagen und Wege der Konfessionsbildung in Deutschland im Zeitalter der Glaubenskämpfe, in: ders., Konfessionsbildung. Studien zur Reformation, Gegenreformation und katholischen Reform (Spätmittelalter und Frühe Neuzeit. Tübing_er Beiträge zur Geschichtsforschung, 15), Stuttgart 1985 S. 67-112; ders. , Katholische Oberlieferungen in den Lutherischen Kirchenordnungen des 16. Jahrhunderts, ebd., S. 113-191. 55 Dies war die in Straßburg und Tübingen vorbereitete Position der Schmalkaldener; vgl. H. ]edin, Geschichte des Konzils, Bd. 2, S. 175 f. , auch zum folgenden. 56 Dies war die Wittenberger Position. 57 Der Kurbrandenburger hatte sich mit Rücksicht auf die päpstliche Bestätigung der Magdeburger und Halberstädter Postulation seines Sohnes Friedrich den Konzils53

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versammlung an der Etsch natürlich kein europäisches UnionskonziL Als der Fürstenaufstand gegen den Kaiser am 28. April 1552 die erneute Suspension des Konzils erzwang, war, um Jedin zu zitieren, "der große Plan, die Kirchenspaltung mit Hilfe des Konzils zu beseitigen, endgültig begraben" 58 • Zur dritten Tagungsperiode (1562-1563) sind die protestantischen Reichsstände zwar vom Papst geladen worden, aber keiner ist erschienen59 • Die evangelischen Landeskirchen im Reich hatten sich ohne Rom eingerichtet. - Trient war deshalb, das ist das zweite, seinem Anspruch und Selbstverständnis nach zwar ein ökumenisches Konzil, seiner sozialen Wirklichkeit nach aber die Kirchenversammlung lediglich einer der drei großen christlichen Konfessionen. Daß die Trienter Konzilsväter die bereits vollzogene lutherische Konfessionsbildung im Gegenzug mit Beschlüssen beantworteten, die seit Troeltsch als Konfessionalisierung beschrieben werden, war nur folgerichtig. Das bedeutete in Trient: -Fixierung und Abgrenzung des Katholischen vom Nicht-Katholischen in vielen, jedoch nicht in allen zeitgenössisch umstrittenen dogmatischen Zentralfragen ohne direkte Konfrontation mit protestantischer Theologie; und es bedeutete - hinsichtlich des kirchlichen Lebens die Fülle der Tridentiner Reformdekrete, die - wie erwähnt - insgesamt ohne Zweifel unter dem Stichwort "Modernisierung" erforscht und beschrieben werden können. Die posttridentinische Kirche war demnach de facto eine Konfessionskirche, auch in Spanien oder Italien, wo sie sich nicht- wie in Deutschland, in Frankreich, in der Eidgenossenschaft und in den Niederlanden - in unmittelbarer Konkurrenz mit anderen konfessionskirchlichen Großgruppen befand. Alle Konfessionskirchen, das Luthertum und der Calvinismus wie der Katholizismus, erhoben universalen Anspruch auf religiöse Wahrheit mit sozialverpflichtenden Konsequenzen für die Gestaltung der respublica christiana. Das bedeutete konkret: -Der Staat ist ein christlicher Staat. Die Bewahrung und Pflege der Religion, die ihm in einer einzigen Konfession entgegentritt, ist eine seiner wesentlichen Aufgaben.

beschlüssen schon im Herbst unterworfen: H. ]edin, Geschichte des Konzils, Bd. 3, S. 372. 58 H. ]edin, Art. Das Konzil von Trient, in: Lexikon für Theologie und Kirche, Bd. 10, 2. Aufl., Freiburg i.Br. 1965, Sp. 342-352, hier Sp. 346. 59 H. Jedin, Kleine Konziliengeschichte. Die zwanzig ökumenischen Konzilien im Rahmen der Kirchengeschichte, Freiburg i.Br. 1959, S. 96; ausführlich: ders., Geschichte des Konzils, Bd. 4/1, S. 64-72.

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- Sich auf eine einzige Religion zu stützen, ist für den Staat auch deshalb unerläßlich, weil man davon ausgeht, daß ein politisches Gemeinwesen mit mehreren Religionen nicht Bestand haben kann. Toleranz als System wurde nur von Außenseitern vertreten 60 • - Drittens stand das Konzil in all seinen Phasen unter massiver Einwirkung politischer Kräfte von außen, die sich nicht allein dem theoretisch übersichtlichen Gegensatzpaar Freiheitcontra Unfreiheit zuordnen lassen. Ob man, wie es zeitgenössisch die Protestanten und später Paolo Sarpi taten, den Papst in einer Versammlung, die durch seine weisungsgebundenen Legaten geleitet wird, als "Kraft von außen" bezeichnen darf, hängt natürlich von den theologischen Prämissen ab, ist also ein metahistorisches Problem. Die Konzilspäpste selbst Paul III. (1534-1549), sicher aber Julius III. (1550-1555) und Pius IV. (1559-1565)- haben nach Jedins begründetem Urteil alles in allem dennoch respektabel die Gratwanderung vollbracht, dem Konzil durchaus Freiraum für seine Beratungen und Entscheidungen zu gewähren und dennoch durch die Legaten Herr des Verfahrens zu bleiben. Problematischer waren die vielgestaltigen Zwänge, welche aus der Staatenwelt auf das Konzil eindrangen. Mit dem Kaiser, Frankreich und Spanien sich zu arrangieren, ohne Wesentliches preiszugeben, kam für den Papst und für das Konzil zuweilen der Quadratur des Zirkels gleich. Die Details dieser politischen Einwirkungen auf das Konzilsgeschehen, in denen sich das breite Repertoire der diplomatischen Kunst dieses Jahrhunderts in geradezu meisterhafter Artistik mit- und gegeneinander entfaltete, muß ich natürlich übergehen. Allein die Konzilspolitik Karls V. zwischen 1545 und 1552, also während der Ersten und Zweiten Tagungsperiode des Konzils, wäre ein Thema für mehr als einen einzigen Vortrag. Ich erinnere nur an die pointierte Formel, mit der Heinrich Lutz sie 1979 charakterisiert hat "Totale Abhängigkeit des Konzils vom Papst" sei das "einzige Mittel [gewesen], die weitgehende Abhängigkeit des Konzils vom Kaiser zu vermeiden", dessen Eingreifen in den Ablauf des Tridentinums sich durch "innere Schwäche, theologische Unausgearbeitetheit und taktische Oberflächlichkeit" ausgezeichnet hätten61 -gewichtige Fragen eines hervorragenden Sachkenners, die sich nicht

60 Vgl. E. Hassinger, Das Toleranzproblem im 16.Jahrhundert, in: ders., Das Werden des neuzeitlichen Europa: 1300-1600 (Geschichte der Neuzeit, 1), Braunschweig 1959 S. 195-204;]. LeclerS], Geschichte der Religionsfreiheit im Zeitalter der Reformation, 2 Bde., Stuttgart 1965; H. Lutz (Hrsg.), Zur Geschichte der Toleranz und Religionsfreiheit (Wege der Forschung, CCXLVI), Darmstadt 1977. 61 H. Lutz, Kar! V. - Biographische Probleme, (1979), Nachdruck in: H. Lutz, Politik, Kultur und Religion im Werdeprozeß der frühen Neuzeit. Aufsätze und Vorträge. Aus Anlaß des 60. Geburtstages, hrsg. von M. Csäcky u.a., Klagenfurt 1982, S. 123-145, hier S. 138.

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einfach nebenbei erledigen lassen. Halten wir nur fest, daß der Dauerkonflikt zwischen Kaiser und Papst die erste Tagungsperiode von Anfang bis Ende überschattet hat und schließlich, Anfang 1548, bis an den Rand eines Schismas führte. Ob die deutschen Protestanten sich ohne diesen Konflikt dem Konzilszwang des im schmalkaldischen Krieg siegreichen Kaisers, der auf dem Gipfel seiner Macht stand, hätten entziehen können, ist daher keine konkrete geschichtliche Herausforderung geworden und hat folglich auch keine historisch nachprüfbare Antwort gefunden. Ob umgekehrt das programmatische Miteinander der beiden Spitzen der Christenheit in der Zweiten Tagungsperiode so, wie Lutz gegen Jedin gemeint hat62 , noch wirkliche Chancen zur Beseitigung der Glaubensspaltung durch die Übermacht des Kaisers im Reich eröffnet hätte, wenn Karl V. im Winter 1551-1552 die Warnungen vor einem Fürstenaufstand ernst genommen und sich frühzeitig dagegen politisch und militärisch vorbereitet hätte, ist schwer zu entscheiden. Unbestritten aber von allen Antwortmöglichkeiten auf die konjunktivische Frage des" Was-Wäre-Geschehen-Wenn" bleibt, daß die politische Wende von 1552 das Verhältnis von Tridentinum und Reich nachhaltig verändert hat, aus zwei Hauptgründen: Erstens schaute das Konzil in der Dritten Tagungsperiode weniger nach Deutschland als nach Frankreich und Spanien; zweitens war das Reich mit seinem Religionsrecht seit 1555 ein anderes politisches Gebilde als vorher. Der Augsburger Religionsfriede hatte nach Moellers zutreffender Formulierung "für Deutschland das Mittelalter mit mittelalterlichen Mitteln liquidiert" 63 . Das Tridentinum hingegen hatte für die Kirche das Mittelalter keineswegs liquidiert, sondern, im Gegenteil, mit seinen dogmatischen Abgrenzungen und seinen disziplinären Reformdekreten hatte es lauter "mittelalterliche" Ansätze weitergeführt und ergänzt64 • Deshalb waren aus den bis zur Reformation durch Geschichte, Selbstverständnis und Rechtsordnung komplementären Sozialgebilden ,Kirche' und ,Reich' zwei heterogene Größen geworden, die trotz der Fortdauer vieler Berührungslinien und trotz großer gemeinsamer "Schnittmengen" schwerlich noch als zwei Seiten der gleichen Medaille begriffen werden konnten. Dies ist jetzt im dritten Abschnitt zu erörtern.

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Ebd., S. 139.

B. Moeller, Das Zeitalter des Ausbaus und der Konsolidierung der Reformation

1525-1555, in: R. Kottje I B. Moeller (Hrsg.), Mittelalter und Reformation, S. 345-367, hier S. 362. 64 In gewisser Weise hat in der katholischen Kirche das .Mittelalter" bis zu den beiden Vatikanischen Konzilien von 1869-1870 und 1962-1965 gedauert.

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3. Das Reich der Religionsrechtsordnung von 1555 und das Tridentinum bis 1566

Der Abschied des Augsburger Reichstags (5. Februar- 25. September 1555) ist ein umfangreiches Gesetzeswerk von 144 Artikeln65 • Außerdem wurde 1555 die novellierte Kammergerichtsordnung als Gesetzbuch für die Gerichtsverfassung und das Prozeßrecht des obersten Reichsgerichts verabschiedet66 • Unter dieser Masse von Paragraphen machten die Bestimmungen, welche schon zeitgenössisch mit dem Schlagwort "Religionsfrieden" bezeichnet wurden, nur einen kleinen Teil aus - 18 Artikel67 • Es wurde also auch vieles Andere vereinbart; ich erinnere nur an die Exekutionsordnung68 , die bis 1806 in Kraft blieb und eine ausgefeilte Verfahrensordnung für das 1495 verfügte staatliche Monopol legitimer Gewaltanwendung war69 • Wir konzentrieren uns hier natürlich auf das Stichwort "Religionsfriede". Diese Vokabel war keine wertneutrale Bezeichnung eines abstrakten Sachverhalts, sondern ein Kampf- und Vernebelungs begriff, ein Schlagworc1°; denn die reichskirchenrechtlichen Regelungen von 1555 begründeten keinen endgültigen Frieden zwischen den Konfessionen, die im übrigen auch keine monolithischen Blöcke waren, sondern sie bewirkten eine Veränderung der Verantwortung und der Formen des Streits über die kirchlichen Dinge, eine Art Waffenstillstand mit unbegrenzter Dauer. Im einzelnen waren es komplizierte Formelkompromisse zwischen konfessionellen Positionen, die ihrem eigenen 65 Reichsabschied Augsburg, 25. September 1555, in: Sammlung, Bd. 3, Frankfurt a.M. 1747, S. 14-43; verbesserter Neudruck durch K. Zeumer, Quellensammlung zur Geschichte der Deutschen Reichsverfassung in Mittelalter und Neuzeit (Quellensammlungen zum Staats-, Verwaltungs- und Völkerrecht, II), 2. Aufl., Tübingen 1913, S. 341-370. 66 Text: Sammlung, S. 43-136; auszugsweiser Neudruck K. Zeumer, Quellensammlung zur Geschichte der Deutschen Reichsverfassung, S. 371-388. 67 §§ 7-30 und 139, 140 nach der Zählung von .Sammlung", sowie K. Zeumer, Quellensammlung zur Geschichte der Deutschen Reichsverfassung. Eine Zählung von [1] bis [18] bei K. Brandi, Der Augsburger Religionsfriede vom 25. September 1555. Kritische Ausgabe des Textes mit den Entwürfen und der königlichen Deklaration, 2. Aufl., Göttingen 1927. 68 Reichsabschied 1555, §§ 31 bis 103, Nachdruck (Auszug) in: H. Duchhardt, Quellen zur Verfassungsentwicklung des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation (1495-1806), (Texte zur Forschung, 43) Darmstadt 1983, S. 27-39. 69 ]. Mielke, Art. Reichsexekution, in: Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte, Bd. 4, Berlin 1990, S. 564 f. , meint, sie habe .keine große Bedeutung erlangt". Dieses Urteil scheint mir der Überprüfung bedürftig. 70 ]. ]anssen, Geschichte des deutschen Volkes seit dem Ausgang des Mittelalters, Freiburg i.Br. 1881 und 1885, spricht deshalb im Titel von Bd. 3 und Bd. 4 vom .sogenannten" Augsburger Religionsfrieden.

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Selbstverständnis nach eigentlich unvereinbar waren. Sie enthielten Unklarheiten und Lücken, die nicht auf Unvermögen und Versehen zurückzuführen sind, sondern absichtlich in Kauf genommen wurden, weil man sich nicht die Zukunft verbauen wollte. Das bot Politikern und Rechtsgelehrten manche Manövriermöglichkeiten im Sinne der juristischen Strategie der gegenseitigen Übervorteilung71 • Doch trotz allseiner metajuristischen und rechtstechnischen Ungereimtheiten - der Religionsfriede, der 1559 und 1566 vom Reichstag erneut bestätigt wurde72 , ist sofort zu den Reichsfundamentalgesetzen gezählt wordenn -mit Recht. Auch das ausgefeilte Reichskirchenrecht von 1648 (Art. V und VII IPO), das bis 1803/1806 einen Hauptpfeiler der Reichsverfassung bildete74 , verstand sich nur als Bestätigung und Novellierung der fortdauernden Grundbestimmungen von 1555. Der wesentliche Inhalt des Reichsreligionsrechts von 1555läßt sich in sechs Punkten zusammenfassen: 1. In Zukunft gilt die Lösung der Glaubens- und Kirchenspaltung nicht mehr (wie bis 1552) als unerläßliche Vorbedingung für die Bewahrung des inneren Friedens im Reich, sondern die Folgen der Kirchen- und Glaubensspaltung werden den Bestimmungen des Reichslandfriedens unterworfen. Hatte es bis 1552 geheißen: "Reichsfriede durch Glaubenseinheit" 75 , so sagte man 1555: "Reichsfriede trotz Glaubensspaltung" respektive "Glaubenseinheit durch Reichsfrieden". Folglich hieß die wichtigste Bestimmung des "Religionsfriedens": Jede Gewaltanwendung zur Durchsetzung konfessioneller Ziele ist hinfort unter Androhung der Reichsacht, der schärfsten Strafe, die das Reichsrecht kannte, verboten. Das generelle Gewaltanwendungsverbot betrifft jedoch allein das Verhältnis zwischen dem Reichsoberhaupt und den Reichsständen sowie das Verhältnis der Reichsstände untereinander, nicht aber das Verhältnis zwischen dem jeweiligen Landesherrn und seinen Untertanen, im Gegenteil: 71

M. Hecke/, Geschichte S. 50.

72

Für 1557 vgl. unten, Anm. 81.

n Vgl. Artikel2 der Wahlkapitulation Ferdinands I. (unten, Anm. 91); dies wurde 1562 wörtlich übernommen in die Wahlkapitulation Maximilians II. (vgl. K. Repgen, Die römische Kurie, Bd. 1/1, S. 117 f., Anm. 148). 74 Vgl. G. Pfezffer, Art. Augsburger Religionsfriede, in: Theologische Realenzyklopädei, Bd. 4, Berlin I New York 1979, S. 639-645; D. Willoweit, Deutsche Verfassungsgeschichte. Vom Frankenreich bis zur Teilung Deutschlands. Ein Studienbuch (Juristische Kurzlehrbücher), München 1990, S. 116-130; E. W Zeeden, Art. Augsburger Religionsfriede, in: Lexikon für Theologie und Kirche, Bd. 1, 3. Aufl., Freiburg i.Br. I 993, Sp. 1230-1232. 75 A.P Luttenberger, Glaubenseinheit und Reichsfriede. Konzeptionen und Wege konfessionsneutraler Reichspolitik 1530-1552 (Kurpfalz, Jülich, Kurbrandenburg), (Schriftenreihe der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, 20) Göttingen 1982 .

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2. Alle, auch die geistlichen Reichsstände76 , dürfen ihre Untertanen zu ihrer eigenen Konfession zwingen (später jus re/ormandi genannt). Die weltlichen Reichsstände aber (sowie die Reichsritterschaft) haben die Wahl zwischen der römisch-katholischen Kirche und der Augsburgischen Konfession. Die Lutheraner dürfen daher ein evangelisches Kirchen- und Schulwesen errichten. Die katholischen und lutherischen Untertanen, die von der Konfession ihres Landesherrn abweichen wollen, erhalten ein individuelles Grundrecht auf Emigration77 • Für alle anderen christlichen Religionen und Denominationen78 bleibt das mittelalterliche Häretikerrecht gültig. 3. In den lutherischen Territorien wird die (nach kanonischem Rechtjure divino geltende) Jurisdiktion der katholischen Diözesanbischöfe mit all ihren Folgen (z.B.: Ehe- und Erbrecht) suspendiert. Das Reich gibt den lutherischen Landesherrn eine Bestandsgarantie für die bis 1552 oder 155579 erfolgten Säkularisierungen des landsässigen Kirchenguts (Stifter, Klöster, Pfarreien usw.). 4. Im Reichskirchengut gilt die konfessionelle Wahlfreiheit nicht. Geistlichen Fürsten ist als Privatperson zwar der Übertritt zur Augsburgischen Konfession gestattet, doch verlieren sie dann ipso facto ihr Amt (Geistlicher Vorbehalt). 5. Für derzeit bi-konfessionelle Reichsstädte gilt religionsrechtlich der status quo. Nach dem Umkehrschluß hätte es also in Zukunft katholische, lutherische und bikonfessionelle Reichsstädte gegeben haben dürfen, doch sagt der Text des Religionsfriedens dies nicht ausdrücklich.

6. Der Religionsfriede gilt bis zu einer unter den beiden reichsrechtlich zulässigen Konfessionen einvernehmlich auszuhandelnden "Vergleichung der Religion und Glaubenssachen" (Art. 3 und 12). Unabhängig vom Ausgang solcher Verhandlungen soll er "beständig, beharrlich, unbedingt, für und für, ewig" währen. Das Reichskirchenrecht von 1555 ist also ein Ensemble von Normen, das die verschiedenen Geltungsbereiche nicht nach einheitlichen Kategorien regelt. 76

Die Rechtskraft der "Declaratio Ferdinandea" vom 24. September 1555 (Text:

K. Brandi, Der Augsburger Religionsfriede, S. 52-54) mit ihrer Ausnahmebestimmung

für den landsässigen Adel und die Landstädte in den Geistlichen Territorien war problematisch, da sie nicht publiziert und dem Reichskammergericht nicht angezeigt worden war. 77 Von dieser Bestimmung waren die burgundischen Erblande, der kaiserliche Hausbesitz, ausgenommen. 78 Sakramentarier, Täufer, Sekten. 79 Wörtlich: "zu zeitdes Passawischen Vertrags oder seithero". Was "oder seithero" präzise bedeuten sollte, ist unklar; vgl. K. Brandi, Der Augsburger Religionsfriede, S. 25 f., Anm. f.

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Auf diese kategorialen Widersprüche soll unser Begriff "Reichsreligionsrecht von 1555" hinweisen: -Für die ,Territorien' hat das Reich 1555 eine bikonfessionelle Verfassung geschaffen_ Sie können entweder katholisch bleiben (mit Anerkennung des Papstes und der vom Papst einberufenen, geleiteten und bestätigten Konzilien, mit intraterritorialer Gültigkeit des katholischen Kirchenrechts und mit der Ausnahmeregelung für die geistlichen Territorien, denen das Reich durch den Geistlichen Vorbehalt eine Bestandsgarantie erteilt hatte) oder, soweit sie weltlich sind, lutherisch bleiben oder lutherisch werden (und dann mit reichsrechtlich anerkannter intraterritorialer Gültigkeit der evangelischen Landeskirchen und Rechtsordnungen auf der Grundlage der Augsburgischen Konfession)_ -Das ,Reich' war nach Tradition, Recht und Selbstverständnis gänzlich präkonfessionell und behielt diesen Charakter, abgesehen von den reichsrechtlich garantierten konfessionellen Regelungen für die Territorien, bei_ Daß dieses Gemeinwesen eigentlich keinerlei Kompetenz zum Erlaß einer solchen, dem römischen Kirchenrecht völlig konträren80 Rahmengesetzgebung für die Territorien besitze, eine Gesetzgebung, die außerdem in krassem Gegensatz zum evangelischem Theologie- und Rechtsverständnis stand, war den Zeitgenossen nicht zweifelhaft. Diesen Widerspruch schaffte die notrechtliche Figur des erzwungenen lnterimisticums ebensowenig aus der Welt wie der im Religionsfrieden verankerte Verfassungsauftrag, bereits beim nächsten Reichstag den friedlichen Vergleich der Religionen wieder auf die Tagesordnung zu setzen und dafür Vorbereitungen zu treffen81 _ An dieses Gebot eines künftigen Vergleichs knüpften manche durchaus noch Erwartungen_ König Ferdinand, der in drei Wochen des Septembers 1555 die Verhandlungen des Augsburger Reichstags mit einer einzigartigen "Meisterschaft des politischen Verhandelns" 82 zu Ende gebracht hatte, hat vermutlich bis zu seinem Tode (25. Juli 1564) nicht die Hoffnung Dazu vgl. unten, S. 65-66. Im Reichsabschied Regensburg, 16. März 1557, in: Sammlung, S. 136-152, bedurfte es einer erneuten Bestätigung nicht, da dieser Reichstag in Ausführung der §§ 139 und 140 des Reichsabschieds von 1555 (K. Zeumer, Quellensammlung zur Geschichte der Deutschen Reichsverfassung, S. 366) zunächst wegen des Versuchs einer kirchlichen Wiedervereinigung einen Ausschuß eingesetzt und dann sich auf ein Religionscolloquium in Worms geeinigt hatte, das im September 1557 (ergebnislos) getagt hat; vgl. M. Ritter, Deutsche Geschichte im Zeitalter der Gegenreformation und des Dreißigjährigen Krieges 0555-1648), Bd. 1: 1555-1586, Stuttgart 1889, Neudruck Darmstadt 1962, S. 127-137. Rl H. Lutz, Christianitas afflicta. Europa, das Reich und die päpstliche Politik im Niedergang der Hegemonie Kaiser Karls V. (1552-1556), Göttingen 1964, S. 426. ~0

Rl

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aufgegeben, daß es möglich sein müsse, auf diesem Wege, durch "Vergleich", eine umfassende Reunion, ein wiedervereinigtes und durch Reformen erneuertes Kirchenwesen auf deutschem Boden zu erreichen83 . Für uns, die wir im historischen Rückblick erkennen, daß der Augsburger Religionsfriede nicht eine Zwischenstation bedeutete, sondern ein Ende des Weges, und daß er mit der verfassungsrechtlichen Garantie eines Zwei-Konfessionen-Systems den Mißerfolg der lutherischen Reformation besiegelte, die ja Reinigung und nicht Spaltung der einen Kirche gewollt hatte, all das vermochten die Zeitgenossen noch kaum zu erkennen. Sie meinten, die Dinge seien noch im Fluß; wir wissen, daß sie sich damit irrten. Die von Ferdinand I. erhoffte Reunion ist also nicht eingetreten; der Religionsfriede von 1555 blieb das dauerhafte Grundmuster der Reichsverfassung mit all ihren systemtheoretischen Widersprüchen. Es ist schwer vorstellbar, daß das Reich als ein - trotz aller Einschränkungen: funktionierendes - politisches Gebilde ohne dieses theologisch ganz systemwidrige Reichskirchenrecht noch bis zu Napoleon hin hätte überleben können. Wesentlich erleichtert wurde dieses Überleben durch den bemerkenswerten Umstand, daß sowohl das Tridentinum wie die posttridentinische Kirche sich im 16. Jahrhundert jeder formellen Stellungnahme zu dem Reichsreligionsrecht von 1555 enthalten haben. Als später die römische Kurie sich für die westfälischen Friedensverhandlungen auf Protest einstellte und im Vatikanischen Archiv nach zitierfähigen Dokumenten über Präzedenzfälle der Reformationszeit suchen ließ, notierte ein päpstlicher Archivar im Mai 1648 als Zwischenergebnis seiner Recherchen: "Pontifex videtur comprobare pacem quam Caesar fecit cum Protestantibus, in qua nonnulla conceduntur, quae possumus dissimulare sed non approbare" 84 • Diese Notiz mit den bedeutungsschweren Stichworten "comprobare" - "approbare" - "dissimulare" und "non possumus" enthält nicht die ganze geschichtliche Wahrheit, aber im Grunde Richtiges. Das möchte ich noch in drei Punkten zeigen, in denen es um die Reichspolitik Pauls IV., um die Dritte Tagungsperiode des Tridentinums und um den Reichstag von 1566 geht. 1. Während der Religionsfriedensverhandlungen in Augsburg 1555 hat es bekanntlich zwei römische Sedisvakanzen gegeben85 • Der dritte der Päpste, Paul IV., der in der entscheidenden Etappe des Augsburger Reichstags, seit dem

83

Ebd. S. 423.

K. Repgen, Die römische Kurie und der Westfälische Friede, Bd. 112: Analekten und Register (Schriften des Deutschen Historischen Instituts in Rom, 25), Tübingen 1956, Nr. 195, S. 288. 85 Julius Ill. (1550-1555) starb am 23. März, sein Nachfolger Marcellus li. am 1. Mai. 84

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23. Mai 1555, Bischof von Rom war, ließ durchaus vorhandene Möglichkeiten der Einwirkung auf den Reichstag ungenutzt und schickte statt dessen seinen Nuntius vor dem Ende des Reichstags weiter nach Polen86 _ Das war kein Akt der Mißbilligung des erwarteten Religionsfriedens87 , dessen völlige materielle Unverträglichkeit mit dem Kirchenrecht ein römisches, auf Oktober bis Dezember 1555 zu datierendes internes Gutachten, das Kardinal Morone vorgelegen hat, nachwies 88 _ Der Kanonist beschreibt zunächst einigermaßen korrekt in elf Sätzen den Inhalt des Religionsfriedens und knüpft daran sechs, mit Zitaten aus dem Dekret und dem Dekretalenrecht gut unterfütterte Punkte, die dem Kirchenrecht widersprächen. Sie lauten: (1) Über den articulus controversae religionis wird auf dem Reichstag verhandelt, anstatt, wie das Kirchenrecht gebietet, den Papst entscheiden zu lassen.

(2) Der Reichsabschied verbietet dem Kaiser, gegen die Augsburgischen Konfessionsverwandten vorzugehen (impedire, molestare). Das widerspricht seinem Amt, welches ihn zwingt, den Glauben des Apostolischen Stuhls gegen jedermann zu verteidigen und alle Feinde der Römischen Kirche zu verfolgen. Aus diesem Grunde nämlich ist den Deutschen die summa potestas imperii übertragen worden. So steht es auch im kaiserlichen Obödienzeid. (3) Bischöfe verlieren beim Abfall vom katholischen Glauben zwar ihr Amt und ihre Pfründe, behalten aber ihren guten Ruf (famam retinere als Voraussetzung der Rechtsfähigkeit). Das Kirchenrecht gebietet hingegen, Apostaten und Häretiker zu exkommunizieren und für infam zu erklären. (4) Den Bischöfen wird verboten, ihre Amtspflichten gegenüber den in ihrer Diözese wohnenden Häretikern auszuüben. Das Gegenteil steht im Kirchenrecht. (5) Kirchengut, auch usurpiertes, soll in statu suo verbleiben. Das bedeutet Beihilfe zur Sünde und ist daher rechtsungültig. (6) Der Religionsfriede soll Geltung haben. Aber was Laien kirchenrechtlich festsetzen, ist ungültig, selbst wenn es [für die Kirche] günstig wäre. Diese für das Religionsrecht des Augsburger Religionsfriedens vernichtende Kritik, die ohne jedes Pathos, ganz nüchtern, den weiten Abstand zwischen 86 Weisung am 14. August, Weiterreise Lippomanos am 7. September, Ende des Reichstags am 25. September. 87 So L. von Pastor, Geschichte der Päpste seit dem Ausgang des Mittelalters, Bd. 6: Julius III., Marcellus II. und Paul IV. (1550-1559), 5.-7. Aufl., Freiburg i.Br. 1923, S. 566. 88 Text: K. Repgen, Die römische Kurie, Bd. 1/2, Nr. 1, S. 1-3.

5 Prodi I Rcinhard

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den dissentierenden rechtlichen Ordnungen des Römischen Reichs und der Römischen Kirche beschreibt, ist nicht Ergebnis spitzfindiger Jurisprudenz, sondern bedient sich der klassischen, sozusagen ,normalen' kirchenrechtlichen Beweise. Das Recht von 1555 und das Kirchenrecht waren nicht kompatibel. Jedoch folgte aus der Feststellung dieser Diskrepanz kein unbedingter Handlungsauftrag für den Papst. Der Gutachter war sich dessen bewußt und schloß: All das widerspricht dem Kirchenrecht, es sei denn, der Papst wolle um des Friedens willen oder in der Hoffnung auf einen größeren Vorteil in einigen Punkten Toleranz üben (in aliquibus tolerari). Diese Maxime hat Paul IV. sich offensichtlich zu eigen gemacht und eine rechtsrelevante Mißbilligung vermieden. In den Breven, die nach dem Religionsfrieden nach Deutschland gingen89 , fehlt es nicht an beredten Klagen und Anklagen, aber es findet sich darin keine Reprobation. Ebenso hat dieser Papst auch 1558 eine rechtserhebliche Distanzierung vom Reichsreligionsrecht vermieden. Er machte zwar die Kaiserwahl Ferdinands 1., weil sie ohne sein Wissen und ohne seine Einwilligung erfolgt sei, zu einem großen politischen Streit und ließ gegen den Kaiser und die Kurfürsten von 16 Kardinälen und Juristen das breite Arsenal des mittelalterlichen Kirchenrechts aufbieten90 • Dabei wurden gegen den Kaiser acht konkrete Vorwürfe formuliert 91 , darunter auch die Genehmigung des Wormser Colloquiums vom 89

Nachweise ebd., S. 83, Anm. 115.

Schmid, Die deutsche Kaiser- und Königswahl und die römische Curie in den Jahren 1558-1620, in: Historisches Jahrbuch, 6 (1885), S. 3-41, 161-207, hier S. 3-35; L. von Pastor, Geschichte der Päpste, Bd. 6, S. 572-579; R. Höslinger, Das Gutachten des Antonius Augustinus über die Kaiserwahl Ferdinands I. (a. 1558), in: Östereichisches Archiv für Kirchenrecht, 2 (1951), S. "/6-81; I.l. Tellechea Idigoras, La renuncia de Carlos V y Ia elecci6n de Fernando de Austria, in: Scriptori um Victoriense, 7 (1960), S. 7-78, 208-283 (Edition aller Gutachten); F Bosbach, Papsttum und Universalmonarchie im Zeitalter der Reformation, in: Historisches Jahrbuch, 107 (1987), S. 44-76. Zum kirchenrechtlichen Problem der Abdankung Karls V. vgl. auch G. Kleinheyer, Die Abdankung des Kaisers, in: G. Köhler (Hrsg.), Wege europäischer Rechtsgeschichte. Karl Kroeschell zum 60. Geburtstag dargelegt von Freunden, Schülern und Kollegen (Rechtshistorische Reihe, 60), Frankfurt a.M., S. 124-144, hier S. 129-133. Zur reichspolitischen Seite des Problems jetzt H. Neubaus, Von Kar! V. zu Ferdinand I. Herrschaftsübergang im Heiligen Römischen Reich 1555-1558, in: C. Roll u.a. (Hrsg.), Recht und Reich im Zeitalter der Reformation. Festschrift für Horst Rabe, Frankfurt a.M. 1996, S. 417440. 91 Die "dubia" waren in vier Gruppen eingeteilt (J.I. Tellechea Idigoras, La renuncia de Carlos V, S. 13 ): 1. Ob der Papst den kaiserlichen Obödienzgesandten vorlassen müsse; 2. Ob Ferdinands Wahl ohne Vorwissen und Billigung des Papstes rechtens sei; 3. [spezifiziert in acht Unterpunkte] : Ob gegen Ferdinands Kaiserwahl im Hinblick auf sein bisheriges Verhalten kirchenrechtlich etwas einzuwenden sei; 4. Wie in den vorerwähnten Angelegenheiten .pro publico christianae reipublicae bono, pace et tranquillitate provideri debeat" . 90

].

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September 1557 ohne päpstliche Erlaubnis92 sowie die Wahlkapitulation von 1558, die Ferdinand neben den anderen Reichsfundamentalgesetzen auch auf den Profan- und Religionsfrieden von 1555 verpflichtet hatte9} _ Beide Maßnahmen waren kirchenrechtlich selbstverständlich inakzeptabel, wie die Gutachter festhielten_ Aber den Ausgangspunkt des Dilemmas, den Abschluß des Augsburger Religionsfriedens, beanstandeten sie nicht. Auch der Bischof von Verona, Luigi Lippomano, der 1555 als Nuntius am Reichstag selbst teilgenommen94 und vor seiner Abreise König Ferdinand eine Schrift mit dem Nachweis überreicht hatte, .quod quaestiones fidei ad Apostolicam Sedem referri debent" 95 , ging in seinem Gutachten nicht auf die damaligen Augsburger Vorgänge ein. Dazu bestand insofern auch keine Veranlassung, als die Gutachter sich nicht zum Religionsfrieden zu äußern hatten, sondern zum Wormser Colloquium und zur Wahlkapitulation. Und daß sie sich an ihren Auftrag hielten, ist kaum erklärungsbedürftig. Daß aber der Religionsfriede als solcher nicht in den Katalog der dubia aufgenommen worden war, dürfte Absicht gewesen sein. Jedenfalls ermöglichte eine solche Vorgehensweise, daß die Diskrepanz zwischen Reichsverfassung und Kirchenrecht nicht thematisiert 92 Unterpunkt [3] des .dubium" 3 (wie Anm. 91} lautete: .concessisse colloquium in urbe Vormatiensi [vgl. oben Anm. 81] sine licentia Sanctae Sedis Apostolicae, de rebus religionis inter christianos et haereticos". Zum Wormser Colloquium 1557 vgl. G. Wolf, Zur Geschichte der deutschen Protestanten 1555-1559. Nebst einem Anhangevon archivalischen Beilagen, Berlin 1888, S. 60-109; zusammenfassend: M. Ritter, Deutsche Geschichte, Bd. 1, S. 134-137. 9} Unterpunkt [4] des .dubium" 3 (wie Anm. 91} lautete: .iuramento se astrinxisse in conventu Francofordiensi servaturum omnia quaein dictis praeteritis statuta sunt, inter quae plurima haeretica et damnata reperiuntur". Art. 2 der Wahlkapitulation, Frankfurt, 14. März 1558, (hier zitiert nach Johannes Limnaeus, Capitulationes Imperatorvm Et Regvm Romanorvm ... Cvm Annotamentis, Straßburg, Friedeich Spoor, 1651, S. 414 [ULB Bonn, Signatur: Ii 47] lautete: "Wir sollen vnd wollen auch sonderlich die vorgemachte Guldene Bull I [den frieden] in Religion vnd profan Sachen I auch den Landfrieden I samt der Handhabung desselben I so auf jüngst zu Augspurg im fünff vnd fünfftzigsten Jahr gehaltenen Reichstag durch Vns I an statt der Römischen Kaiserlichen Maiestät I vnsers lieben Bruders vnd Herren I auch für Vns selbst vnd gemeine Ständ auffgericht I angenommen I verabschiedet vnd verbessert worden I stät vnd vest halten I handhaben I vnd darwider niemands beschwehren I oder durch andere beschwehren lassen I vnd die andern des Heiligen Reichs Ordnungen vnd Gesetze I so viel die dem obgemeldeten angenommenen Reichs=Abschied I im fünff vnd fünfftzigstenJahr I in Augspurg auffgericht I nicht zuwider I confirmiren I erneüern I vnd wo Noht I dieselben mit raht I Vnserer vnd des Reichs Churfürsten I Fürsten vnd andern Ständen I bessern I wie das zu ieder Zeit des Reichs Gelegenheit erfordern wird". Jetzt in RTA, Reichsversammlungen 1556-1662. Der Kurfürstentag zu Frankfurt 1558 und der Reichstag zu Augsburg 1559, 1. Teilbd. bearb. von J. Leeb, Göttingen 1999, S. 442-453, hier S. 446, Nr. 2. 94 Vgl. Nuntiaturberichte aus Deutschland. Erste Abteilung, Bd. 17, bearb. von H. Goetz, Tübingen 1970, S. XXIII-XLI. 95 Der Text ist nicht mehr auffindbar: vgl. ebd., S. XXXV, Anm. 213 .

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wurden. Das erleichterte es dem Papst, sich gegenüber dem Reichsreligionsrecht nicht bindend festzulegen. Für diese Zurückhaltung des Papstes habe ich 1962 keine befriedigende Erklärung gefunden%. Auch Lutz, der die Frage mit breiterem Quellenmaterial erneut 1964 aufgegriffen hat, bietet keine wirklich erklärende Antwort97 • Wenn er die handlungsleitenden Prioritäten der römischen Politik dieser Jahre aus dem antihabsburgisch-französischen Bündnis vom Dezember 1555 und der Verantwortungslosigkeit des intriganten päpstlichen Nepoten Carlo Carafa ableitet, der 1556 hinter dem Rücken des Papstes deutschen Protestanten sogar religionsrechtliche Konzessionen in Aussicht stellte, die noch über den Religionsfrieden hinausgingen98 , so beschreibt das zutreffend das einzigartige Miß-Management dieses unglücklichen Papstes. Aber erklärt dies hinreichend, warum eine Persönlichkeit wie Paul IV. jede formelle Mißbilligung des Reichsreligionsrechts unterließ? Ich meine - Nein. Die Tatsache als solche aber bleibt bedeutsam: Weder der Kaiser noch die katholischen Fürsten mit ihren Theologen und Juristen wurden in den ersten Jahren nach dem Augsburger Religionsfrieden mit einer formellen päpstlichen Mißbilligung des Reichsreligionsrechts konfrontiert. Sie hatten insoweit Bewegungsspielraum. 2. Hingegen bedarf es keiner langen Begründung, daß das Reichsreligionsrecht von 1555 nicht Gegenstand der Beschlüsse der Dritten Tagungsperiode des Tridentinums (18. Januar 1562 bis 4. Dezember 1563) geworden ist. Das Konzil hätte sonst eine theologische Lehre über das Verhältnis zwischen Staat und katholischer Kirche in einer von mehreren Konfessionen geprägten Staatenwelt zum Gegenstand seiner Beratungen machen müssen. Das lag dem damaligen Denkhorizont völlig fern. An eine Pastoralkonstitution wie .Gaudium et Spes" über die Kirche in der pluralistischen Welt von heute konnte niemand denken. Unter dem Stichwort .riforma dei Principi" wurden in Trient allein solche staatskirchenrechtlichen Probleme beraten, die sich innerhalb eines katholischen Gemeinwesens stellten und die immunitates ecclesiasticae gegenüber den weltlichen Gewalten betrafen99 • Auch in diesem Bereich kam es nicht zu Vorschriften, sondern nur zu Ermahnungen 100 • Im übrigen spielten die %

K. Repgen, Die römische Kurie, Bd. 1/1 , S. 85.

Allerdings sind die Vorgänge von 1558 nicht Gegenstand seiner Untersuchung "Christianitas afflicta". 98 H. Lutz, Christianitas afflicta, S. 444 f. 99 Der Stand der Forschung bei G. Alberigo, La riforma dei Principi, in: H. ]edin I P Prodi (Hrsg.), Il Concilio di Trento come crocevia della politica europea (Annali dell'Istituto storico italo-germanico in Trento. Quaderni, 4), Bologna 1979, S. 161-177. 10° Conciliorum oecumenicorum decreta (von nun an COD), curantibus G. Alberigo I PP ]oannou I C. Leonardi I P PI'Odi, consultante H. ]edin, zweisprachige Aus97

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deutschen Probleme 1562-1563 ohnehin nicht mehr die Hauptrolle, weder die theologischen noch die politischen. Der Kaiser hat, besonders in der zweiten, großen Konzilskrise, 1563, Morones Konzilspolitik mitgetragen, die es ermöglicht hat, das Tridentinum überhaupt zu Ende zu führen; und für die schließliehe Gestalt der Fürstenreform-Beschlüsse war seine Politik sehr wichtig. Aber Ferdinand I. wurde keine Zentralfigur für das Konzil wie früher Karl V. 101 . Seine Stellung als Haupt des Römischen Reichs und König von Böhmen und Ungarn verband sich nicht wie die seines kaiserlichen Bruders mit gesamteuropäischen Perspektiven. Ferdinand I. erhob keine konkreten Universalmonarchieansprüche. 3. Das Tridentinum trat, wie man weiß, mit der päpstlichen Bestätigungsbulle .Benedictus Deus" am 30. Juni 1564 in Kraft 102 _ Sie enthielt ein Monitorium, das die Fürsten allgemein aufforderte, den Episkopat und die übrigen Kirchenoberen darin zu unterstützen, daß die Konzilsdekrete auch von den Häretikern angenommen würden 10J • Einen dementsprechenden Beschluß hat das Reich natürlich nicht gefaßt und nie zu fassen gesucht; denn es fehlten dafür alle politischen und rechtlichen Voraussetzungen. Zu einem solchen Beschluß wäre es unerläßlich gewesen, zuvor die Reichsverfassung von 1555 zu kassieren. Daran aber dachte niemand, am wenigsten die Katholiken, weil einstweilen der Religionsfriede den geistlichen Territorien den einzigen Rechtsschutz gegen das weitere Vordringen des Protestantismus bot, obwohl der Geistliche Vorbehalt noch zwei Jahrzehnte hindurch an vielen Stellen durchlöchert wurde und keinen verläßlichen Schutz darstellte. Das Reich als Ganzes und die nachkonziliare Kirche sind also nie korrelierende Größen geworden, wie sie es bis 1521 gewesen waren. Wohl aber ist 1566 in Augsburg, beim ersten Reichstag 104 nach dem Ende des Tridentinums, gabe, Baselet al. 1962, Concilium Tridentinum, Sessio XXV, decretum de reformatione generali, Cap. XX, S. 772, Zeilen 1-16. 101 Die Einzelheiten bei H. ]edin, Geschichte des Konzils, Bd. 4/2. 102 Text: Concilium Tridentin um, Bd. 9, Actorum Pars Sexta ... ed. 5. Ehses, Freiburg i.Br. 1923, S. 1152-1156: . Bulla ... super confirmatione sacri oecumenici concilü Tridentini", Rom, 26. Januar 1564. 10J Concilium Tridentinum, Bd. 9, S. 1154, Zeilen 8-15: . Ipsum vero carissimum filium nostrum Imperatorern electum ceterosque reges, res publicas ac principes Christianos monemus et per viscera misericordiae Domini N. Iesu Christi obtestamur, utqua pietate concilio per oratores suos affuerunt, eadem pietate ac pari studio, divini honoris et populorum suorum salutis causa, pro Sedis quoque Apostolicae et sacrae synodi reverentia, ad eiusdem concilii exsequenda et observanda decreta praelatis, cum opus fuerit , auxilio et favore suo adsint, neque adversantes sanae ac salutari concilii doctrinae opiniones a populis ditionis suae recipi permittant, sed eas penitus interdicant". 104 Eine allgemein-geschichtlich orientierte Monographie fehlt. Zur künftigen Edition in der Reihe der . Reichstagsakten" vgl. unten, Anm. 116. Sehr materialreich,

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der vom 23. März bis 30. Mai getagt hat, das Thema "Konzil" zur Sprache gekommen -zur Sprache, nicht zur Verhandlung. Am Ende stand die Annahme der Konzilsdekrete nicht durch das Reich, sondern durch die katholischen Reichsstände. Um Verhandlungsgegenstand werden zu können, hätte dieses Thema von Kaiser Maximilian II. (1564-1576), der selbst protestantische (oder protestantisierende) Neigungen hatte 105 , in die Reichstagsproposition vom 23. März 1566106 aufgenommen werden müssen. Daran dachte dieser jedoch nicht. Er hatte im Oktober 1565 bei der Einladung zum Reichstag zwar als erstes Traktandum genannt, wie die Religion zu "besseren [!], richtigem Verstandt zu bringen" sei 107 ; die Proposition im März 1566 ließ diesen Punkt jedoch stillschweigend fallen. Wegen einer befürchteten türkischen Offensive in Ungarn wünschte sich der Kaiser nunmehr einen möglichst kurzen Reichstag 108 , dachte daher hauptsächlich an Türkenhilfe und erst daneben, religionspolitisch, an eine Bestätigung des Religionsfriedens von 1555. Das sollte ihm indirekt eine Handhabe zu Maßnahmen gegen den Calvinismus im Reich bieten, insbesondere gegen den Pfälzer Kurfürsten Friedrich III. (1559-1576t19 , der soeben (1563) mit dem "Heidelberger Katechismus" das spektakulärste Dokument des reformierten Christentums in deutscher Sprache publiziert hatte 110 • Der Kaiser hatte also nicht die Absicht, den Reichstag mit dem Stichwort "Trienter über die Kirchengeschichte der Reformierten hinaus, ist W Hol/weg, Der Augsburger Reichstag von 1566 und seine Bedeutung für die Entstehung der Reformierten Kirche und ihres Bekenntnisses (Beiträge zur Geschichte und Lehre der Reformierten Kirche, 17), Neukirchen I Vluyn 1964, insbesondere S. 241-390. Im übrigen vgl. zum Allgemeinen M. Ritter, Deutsche Geschichte, Bd. 1, S. 265-287; M. Hecke/, Geschichte, S. 71-77; zur Papstgeschichte K. Repgen, Die römische Kurie, Bd. 111, S. 87-153; Bd. 112, Nr. 2- 11. 105 Für ihn jetzt M. Rudersdorf, Maximilian II. 1564-1576, in: A. Schindfing I W lieg/er (Hrsg.), Die Kaiser der Neuzeit. Heiliges Römisches Reich, Österreich, Deutschland, München 1990, S. 79-97, S. 474 f. 106 Zur Proposition vgl. K. Repgen, Die römische Kurie, Bd. 1/1, S. 106 f. 107 Text: Maximilian II. an die Vormünder des Grafen Philipp Ludwig von HanauMünzenberg, Wien, 12. Oktober 1565, in: fohann Christian Lünig, in: Teutsches Reichs=Archiv, Bd. 22, Leipzig 1720, S. 234 f. (ULB Bonn, Signatur: Ii 15); vgl. Fran:z Dominicus Haherlin, Neueste Teutsche Reichs=Geschichte, Bd. 6, Halle a.d.S., Johann Jakob Gebauer, 1778, S. 134 (Historisches Seminar Bonn, Signatur: Ca 1800. 8o).

108 I.P. Dengel, in: Nuntiaturberichte aus Deutschland. Zweite Abteilung, Bd. 5, Wien I Leipzig 1926, S. L f. 109 Deutsches Biographisches Archiv, 349, 134-135; P. Fuchs, Art. Friedrich III., in: Neue deutsche Biographie, Bd. 5, Berlin 1961, S. 530-532. 110 W Met:z I]. Fangmeier, Art. Heidelberger Katechismus I, li, in: Theologische Realenzyklopädie, Bd. 14, Berlin I New York 1985, S. 582-590.

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Konzil" zu befassen. Es waren die evangelischen Reichsstände, welche dieses Thema "Tridentinum" zur Diskussion stellten. Wie schon 1559111 , so wollten sie auch bei diesem Reichstag einen erneuten Vorstoß zur Verbesserung ihrer konfessionspolitisch-reichsrechtlichen Stellung durch Eingabe eines sehr umfangreichen Gravamina-Schriftsatzes unternehmen. Dieser wurde am 25. April1566 dem Kaiser überreiche 12 • Es ging darin aber erst in zweiter Linie um staatslcirchenrechtliche Postulate, die 1555 nicht durchgesetzt worden waren oder seither sich neu ergeben hattenm; die evangelischen Gravamina begannen vielmehr mit einem ausführlichen, aggressiv formulierten kontroverstheologischen Traktat über den Papst und das Tridentinum 114 • Er schloß mit der Aufforderung an den Kaiser, ein Nationalkonzil mit protestantischem Verfahrensrecht einzuberufen, um eine .Christliche Reformation in Teutscher Nation" auf den Weg zu bringen. Die Entstehung der protestantischen Gravamina von 1566 im Detail zu erhellen, muß der künftigen Forschung überlassen bleiben 115 • Bis dahin kann man über die Motive der evangelischen Reichsstände für den ersten Teil ihrer Gravamina nur Vermutungen anstellen116 • Hypothetisch ist daher auch unsere Annahme, daß die Evangelischen ernstlich nicht mit einer Zustimmung des Kaisers zu einem baldigen Nationalkonzil rechneten. Eine solche Versammlung hätte sieangesichtsder seit Jahren andauernden innerprotestantischen Kämpfe und Kontroversen über die richtige Theologie vor nahezu unlösbare Probleme gestellt; denn es gab sehr tiefe Gräben nicht nur zwischen Reformierten und Lutheranern, sondern auch zwischen einzelnen lutherischen Landeslcirchen. 111 Text: C. Lehenmann, De Pace Religionis Acta Pvblica Et Originalia, Das ist: Reichshandlungen I Schrifften vnd Protocollen ... Frankfurt, Kaspar Rötel, 1631, II c. 1, S. 172-181 (ULB BONN, Signatur: Ji 107); ebd., c. 2, S. 181-195 die katholischen Gegengravamina. 112 Text: ebd., II c. 4, S. 197-226. m Wie: Wegfall des Geistlichen Vorbehalts, über 1552/ 1555 hinaus fortdauerndes Recht zur Reformation und Säkularisierung landsässigen Kirchengutes, Beseitigung der reichsstädtischen Parität, unbeschränkte evangelische Religionsfreiheit im Reich (.Freistellung"). 114 C. Lehenmann, De Pace Religionis Acta Pvblica Et Originalia, S. 197-212. 115 Die .Historische Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften" hat 1981 beschlossen, auch die Reichsversammlungen von 1556 bis 1662 in ihre Edition der Reichstagsakten aufzunehmen. Die Leitung hat H. Angermeier übernommen. Vorgelegt wurden bisher die Publikation über den Speyrer Reichstag von 1570 ( 1988, durch M. Lanzinner) und den Wormser Reichsdeputationstag von 1586 (1994 , durch T Frösch[) sowie nunmehr (1999) durch]. Leeb für den Kurfürstentag von 1558 und den Reichstag von 1559. 116 W Hollweg, Der Augsburger Reichstag von 1566 und seine Bedeutung, S. 312 f., begnügt sich mit allgemeinen Erwägungen.

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Die 1580 zwischen nicht allen, aber doch wichtigen lutherischen Kirchen vereinbarte Konkordie 117 stand noch in weiter Ferne. Einig aber war sich das gesamte protestantische Lager des Reichs in der Ablehnung des Papstes und des Tridentinums. Dafür entwickelten ihre Gravamina118 zwei verschiedene Argumentationsstränge. Der eine griff die historische Anklage der Reformatoren gegen das Papsttum auf, die inzwischen in den seit 1559 in Basel erscheinenden Magdeburger Zenturien 119 eine eindrucksvolle Untermauerung gefunden hatte. In Übereinstimmung mit deren Geschichtsinterpretation lautete die Zentralaussage der Gravamina von 1566: Der päpstliche Primatialanspruch über die gesamte Kirche widerspricht der Aussage der Bibel und den Verhältnissen in der Alten Kirche. Die Überordnung des Papstes über den Patriarchen von Konstantinopel ist erst im 7. Jahrhundert durch das unlautere Zusammenspiel des Bischofs von Rom mit einem so fragwürdigen Charakter wie dem oströmischen Kaiser Phokas (602-610) erfolgt. Das Papsttum ist daher die Verkörperung von "Haydnischen Grewl vnd Abgötterey" 120. Die zweite Argumentationskette hob sich davon bereits sprachlich ab; denn sie war in Latein verfaßt. In diesem Abschnitt wendeten sich die Gravamina mit systematisch-theologischen Gründen gegen zwei Lehrkapitel 121 und neun Canones 122 des Tridentinums, in denen es um die Rechtfertigungslehre (Sess. 117 Vgl. E. Koch, Art. Konkordienbuch, in: Theologische Realenzyklopädie, Bd. 19, Berlin I New York 1990, S. 472-476; ders., Art. Konkordienformel, ebd., S. 476-483. 118 Sie gingen auf einen zweibrücken-württembergischen Entwurf zurück (W Hol/weg, Der Augsburger Reichstag von 1566 und seine Bedeutung, S. 305), dürften also von Tilemann Heshusius (dazu: PF Bar/on, Art. Heshusius, in: Theologische Realenzyklopädie, Bd. 15, Berlin I New York 1986, S. 256-260) und Jakob Andreä (dazu: M. Brecht, Art. Andreä, in: Theologische Realenzyklopädie, Bd. 2, Berlin I New York 1978, S. 672-680) verfaßt worden sein. 119 E. 5töve, Art. Kirchengeschichtsschreibung, in: Theologische Realenzyklopädie, Bd. 17, Berlin I New York 1989, S. 535-560, hier S. 541. Die 5./6. Centurie war 1562 erschienen, die 7./8. 1564 und 1565 die 9.; vgl. G. Kawerau, Art. Flacius, in: Realencyklopädie für protestantische Theologie und Kirche, Bd. 6, 3. Aufl., Leipzig 1899, S. 82-92, hier S. 90. 120 C. Lehenmann, De Pace Religionis Acta Pvblica Et Originalia, S. 198. 121 Zitiert werden Teile aus Cap. IX des Rechtfertigungsdekrets vom 13. Januar 1547 (COD, S. 650, Zeilen 2, 29-40) und Cap. I des Dekrets über die communio sub utraque vom 16. Juli 1562 (COD, S. 702, Zeilen 20-24). 122 De iustificatione (13. Januar 1547), Can. 9, 11 und 12 (COD, S. 655, Zeilen 32-34, 37-40, 41-43); de poenitentia et extrema unctione (Sessio XIV: 25. November 1551), Can. 4 und 7 (COD, S. 688, Zeilen 3-9, 23-32); de sacrificio missae (Sessio XXII: 17. September 1562), Can. 3 (COD, S. 711, Zeilen 34-38) und de communione sub utraque et parvulorum (sessio XXI: 16.Juni 1562), Can. 1, 2 und 3 (COD, S. 703 , Zeilen 29-31 , 32-34 und 35-38).

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VI), das Bußsakrament (Sess. XIV), das Meßopfer (Sess. XXII) und die Kornrnunionspendung unter beiderlei Gestalten (Sess. XXI) ging. Die ausgewählten Konzilsbeschlüsse wurden im Wortlaut zitiert. Diesem Text folgte eine auf evangelischer Dogmatik beruhende Kritik, die sich für ihre "Christliche Gegen=Lehr" auf die "Heilige Prophetische und Apostolische Schrifft" berief. Man ging also etwas anders vor als Martin Chemnitz (1522-1586) 123 im "Examen Concilii Tridentini", dessen Teil I soeben 1565 erschienen war124 • Chemnitz, der dann für zwei Jahrhunderte das Arsenal der protestantischen Einwände gegen das Trienter Dogma lieferte 125 , hat den gesamten Stoff nach den Stichworten seiner loci communes geordnet und argumentierte natürlich viel ausführlicher und gelehrter als die Gravamina 126 • Diese hielten sich - mit einer kleinen Umstellung 127 - an die Reihenfolge der Konzilsdekrete. Aber im Prinzip wird hier wie dort die gleiche Vorgehensweise befolgt, die aus dem universitären Lehrbetrieb stammte: Es wird zunächst der Text des Gegners zitiert und dann eine systematische Gegenlehre entfaltet. Indem diese Gegenlehre sich am lutherisch-protestantischen Schriftprinzip orientiert, wird das Tridentinum von den evangelischen Reichsständen unschwer als ein "vermeintes, unrechtmässiges concilium" qualifiziert128 • Denn nach der schroff polemisch formulierten Theologie der evangelischen Gravamina sind die "eingerissene Grewel vnd Abgötterey des Babstumb Gottes ausgetrucktem Wort vnnd Befelch stracks zuwider" 129 • Diesem Vorwurfbegegneten die Katholiken in ihren Antigravamina vom 14. Mai 130 vom ersten Satz an mit dem Bekenntnis, daß sie nicht nur der "alten", sondern auch der "wahren Catholischen Religion" anhängig seien. Folglich 123 T Mahlmann, Art. Chemnitz, in: Theologische Realenzyklopädie, Bd. 7, Berlin I New York 1981, S. 714-721. 124 V gl. K. Schottenloher, Bibliographie zur deutschen Geschichte im Zeitalter der Glaubensspaltung 1517-1585, Bd. 4, 2. Aufl., Stuttgart 1957, Nr. 43217h und VD 16, Bd. 4, Stuttgart 1985, C 2168. Für die Fortführung durch die Teile II, III und IV vgl. ebd., Nr. 43218b sowie VD 16, C 2169-2174. Teil I handelt de scriptura sacrade traditionibus - de peccato originali - de concupiscientia - de conceptione B. Mariae Virginis - de operibus infidelium - de Iibero arbitrio - de iustificatione - de fide - de bonis operibus. 125 H. ]edin, Das Konzil von Trient, S. 62. 126 Über Chemnitzens Kontroverstheologie vgl. R. Mumm, Die Polemik des Martin Chemnitz gegen das Konzil von Trient. Eine Untersuchung, Bd. I (mehr nicht erschienen). Mit einem Verzeichnis der gegen das Konzil von Trient gerichteten Schriften, Leipzig 1905, S. 34-78. 127

Sessio XXI nach XXII; vgl. oben, Anm. 122.

128

C. Lehenmann, De Pace Religionis Acta Pvblica Et Originalia, S. 93 . Ebd. , S. 209. Text: ebd., S. 226-246.

129 130

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konnten sie den protestantischen Schriftsatz als ein Jibellirn" 131 und "verhast Gezenck" bezeichnen" 132 , als ein "vnfugsames vnnd gantz vnnötiges anziehen". Es stehe im Widerspruch zu den friedlichen Umgangsformen der Reichsstände beim Reichstag und sei offenbar "von denjenigen expractizirt I welche ein sondern Iust [hätten,] der vnruhigen Federn zugebrauchen I aber wenig Iust ... I daß im H. Reich zwischen E. Kays. M. vnd den Ständen beider Religion I in höchsten deß Reichsnöten vnd Anfechtungen I Fried I Ruhe vnd Einigkeit gepflantzt vnd erhalten werden möchte" 133 . Mit ausführlichen kirchengeschiehtIichen Darlegungen, denen reichliche Bibel- und Väterzitate beigegeben sind, untermauerten sie ihren Anspruch auf die vera fides historiarum, beanspruchten für ihre Kirche die ungebrochene Kontinuität der katholischen Tradition von der Apostelzeit bis zur Gegenwart und wiesen deutlich die evangelische Behauptung zurück, wonach erst seit den letzten vierzig Jahre in Deutschland wieder wahres Christentum erwacht sei. Den geschichtlich-theologischen Angriff auf die katholische Kirche parieren die katholischen Reichsstände also mit langer historischer und theologischer Gegenargumentation; hingegen berührt ihr Schriftsatz das Thema Tridentinum nur am Rande. Die dogmatischen Einwände der Protestanten gegen die Konzilsbeschlüsse werden nicht zum Gegenstand kontroverstheologischer Erörterung gemacht; es wird nur generell erklärt, daß der Angriff gegen den Papst und das Konzil einer Ablehnung und Antwort nicht bedürfe, "da wir sonsten den wahren Historien und Concilien gemeß I bessern bericht der sachen thun kündten" . Ausdrücklich und mit ausführlicher Begründung wird hingegen die Forderung nach einem Nationalkonzil zurückgewiesen: Einziger Weg zur "vergleichung der Religion vnnd abschaffung der eingerissenen Secten" sei ein "General Concil", wie es jüngst in Trient stattgefunden habe 134 • Die katholischen Reichsstände erklärten also ihre eigene Zustimmung zum Trienter Konzil als obiter dictum in einem konfessionsrechtlichen Schriftsatz an den Kaiser. Sie wählten damit die indirekte Form einer acceptatio des Tridentinums. Im übrigen bekundeten sie ihre Bereitschaft, den Religionsfrieden von 1555 "trewlich zu halten I vnd zu volnziehen I vnd dawider niemants zu betrüben", unabhängig davon, ob ein Religionsvergleich einmal zustandekomme oder nicht 135 • Für 131 Dieses bei "Deutsches Wörterbuch", Bd. 12, Leipzig 1885, nicht verzeichnete Verb ist abgeleitet von "Libellus", die gerichtliche Klageschrift (R. Lieberwirth, Lateinische Fachausdrücke im Recht; Heidelberg 1986, S. 166), aber auch die Schmähschrift (A. Sleumer, Kirchenlateinisches Wörterbuch, 2. Auf!., Limburg a.d.L. 1926, Neudruck Hildesheim 1990, S. 473). 132 C. Lehenmann, De Pace Religionis Acta Pvblica Et Originalia, S. 226. 133 Ebd., S. 227. 134 Ebd., S. 235 f.

135

Ebd., S. 237.

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sie lautete die Fragestellung nicht: Tridentinum ,oder' Reichsreligionsrecht, sondern Reichsreligionsrecht ,und' Tridentinum. Die kaiserliche Resolution vom 25. Mai auf die konfessionspolitischen Eingaben der beiden Religionsparteien 136 beließ es im wesentlichen bei dilatorischen Formulierungen. Maximilian II. kündigte konkret nur die erneute Bestätigung des Augsburger Religionsfriedens an. Sie ist im Abschied vom 30. Mai erfolge37 . Indem die katholischen Reichsstände reichsrechtlich erklärt hatten, daß sie selbst auf dem Boden des Trienter Konzils stünden, war der Anfang für die rechtliche Rezeption des Tridentinums in Deutschland gemacht. Sie mußte sich nach Lage der Dinge allein auf die katholische gebliebenen Reichsstände beschränken. Zum 23. Mai berief der Kardinallegat Giovanni Francesco Commendone (1524-1584), einer der fähigsten unter den päpstlichen Diplomaten des 16.Jahrhunderts und ganz ein Mann der Reform 138 , die katholischen Reichsstände zu einer Plenarversammlung ein 139 • Tatsächlich sind alle gekommen, auch der Kölner Erzbischof, der sich bisher geweigert hatte, die professio fidei Tridentinae abzulegen140 • Vor diesem in der Reichsverfassung nicht vorgesehenen Plenum, dessen Zusammensetzung dem erst 1648 formell begründeten Corpus Catholicorum entsprach und das de facto seit 1555 katholische Verhandlungspartei war, sprach der Vertreter des Papstes in bewegenden Worten vom Konzil und schlug in einem reichstagsähnlichen Verfahren die Annahme der Trienter Glaubens- und Reformdekrete vor. Die Stände zogen sich daraufhin zu kurzer Beratung in die drei Kurien zurück und teilten anschließend dem Vertreter des 136 DerText ebd., S. 246-251, ist unvollständig; genaues Regest in: Nuntiaturberichte aus Deutschland. Zweite Abteilung, Bd. 5, Nr. 68 S. 241 f. 137 Reichsabschied Augsburg, 30. Mai 1566, Text: Sammlung, S. 211-244, hier S. 213 f. (§ 6). 138 T Brockmann, Art. Commendone, in: Lexikon für Theologie und Kirche, Bd. 2, 3. Auf!., Freiburg i.Br. 1994, Sp. 1273 f. 139 Zum folgenden vgl. K. Repgen, Die römische Kurie, Bd. 1/1, S. 141. 14 Friedeich von Wied, Erzbischof von Köln 1562-1567 (t 1568), wurde wegen der Weigerung, das Tridentinische Glaubensbekenntnis zu beeiden, vom Papst nie bestätigt und trat deshalb 1567 zurück. Vgl. Ley, Art. Köln, Bisthum, in: Wetzerund Welte's Kirchenlexikon, Bd. 7, 2. Auf!., Freiburg i.Br. 1891, Sp. 831-893, hier Sp. 873 f.; H. Molitor, Gegenreformation und kirchliche Erneuerung, in: Nordrhein-Westfälisches Hauptstaatsarchiv Düsseldorf u.a. (Hrsg.), Kurköln. Land unter dem Krummstab. Essays und Dokumente. (Veröffentlichungen der staatlichen Archive des Landes NordrheinWestfalen, C. 22), Kevelaer 1985, S. 199-214, sowie F Bosbach, Köln. Erzstift und Freie Reichsstadt, in: A. Schindfing I W Zieg!l!r (Hrsg.), Die Territorien des Reichs im Zeitalter der Reformation und Konfessionalisierung. Land und Konfession 1500-1650, Bd. 3: Der Nordwesten, Münster 1991, S. 58-84, behandeln diesen Fall nicht, bieten aber im übrigen die neuere Literatur. Eine ausführliche Darstellung der Geschichte der Erzdiözese Köln im 16. Jahrhundert ist von Molitor zu erwarten.

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Papstes durch den Erzbischof von Mainz und Erzkanzler des Reiches offiziell mit: Ja, das Konzil nehmen wiran-nur muß man mit den Reformdekreten bei uns etwas Nachsicht üben. Ranke hat diesen formellen Akt am ChristiHimmelfahrts-Tag 1566 in Augsburg als einen Wendepunkt in der Geschichte des deutschen Katholizismus bezeichnet 141 • Ob man dafür eher das Datum des 14. oder der 23. Mai nennen soll, läßt sich diskutieren. In jedem Falle aber bedeutete der Augsburger Reichstag von 1566 für die Geschichte der katholischen Kirche in Deutschland eine E:ttoxi) im klassischen Sinne, auch wenn die innere Erneuerung, ja ,Modernisierung' des kirchlichen Lebens im Reich mit den tridentinischen Reformdekreten sehr frei verfahren ist. Aber das gehört auf ein anderes Blatt142 • Daß das Tridentinum nicht vom Reich, sondern von einer extrakonstitutionellen Versammlung der katholischen Reichsstände rezipiert worden ist, entsprach präzise dem Religionsrecht des Reiches von 1555. Dieses wurde, wie erwähnt, im Reichsabschied von 1566 erneut bestätigt- danach erst wieder 1641 und bei der großen Novellierung im Westfälischen Frieden 1648. Das ist für das Papsttum Anlaß geworden, ganz grundsätzlich zu prüfen, ob die römische Kirche die Diskrepanz zwischen dem Tridentinum mit der fortdauernden Gültigkeit des universalen Kirchenrechts einerseits und dem Reichsreligionsrecht von 1555 andererseits weiter hinnehmen solle oder seine Rechte durch Protest wahren müsse. In dramatischen Erörterungen und Entscheidungen, die an anderer Stelle ausführlich dargestellt worden sind 143 , fiel der Würfel gegen das Protestieren und damit für die Rechtsfigur des dissimulare als vatikanische Leitkonzeption. Diese politische Linie hat die römische Kurie erst nach 1640 verlassen, zu einer Zeit, als päpstliche Proteste den tagespolitischen Gang der Welt nicht mehr aufzuhalten vermochten, wie den Akteuren klar vor Augen stand 144 • Noch in der staatskirchenrechtlichen Lehre katholischer Reichsjuristen 141 L. von Ranke, Die römischen Päpste in den letzten vier Jahrhunderten, Bd. 2, 11. Aufl., Leipzig 1907, S. 30. 142 .In Köln wurde [1595-1688] energisch und erfolgreich reformiert, aber nicht tridentinisch": H. Molitor, Art. Köln, Kurfürstentum V2. 1515 bis 1803, in: Theologische Realenzyklopädie, Bd. 19, Berlin I New York 1990, S. 295·301, hier S. 298, Zeile 351 36; vgl. ders., Gegenreformation und kirchliche Erneuerung; K. Repgen, Der Bischof zwischen Reformation, Katholischer Reform und Konfessionsbildung (1515-1650), in: P Berglar I 0. Engels (Hrsg.), Der Bischof in seiner Zeit. Festschrift Joseph Kardinal Höffner, Köln 1986, S. 245-314. 143 K. Repgen, Die römische Kurie, Bd. 1/1, S. 87-153. Die Texte der Gutachten bei 0. Braunsberger, Beati Petri Canisii Societatis J esu Epistulae Et Acta, Bd. 5: 1565-1567, Freiburg i.Br. 1910, Nr. 1313-1318, S. 229-255 und K. Repgen, Die römische Kurie, Bd. 112, Nr. 2, S. 3-9. 144 K. Repgen, Die römische Kurie Bd. 1/1, S. 87-153; ders., Drei Korollarien; ders., Wartenberg, Chigi und Knöringen im Jahre 1645. Die Entstehung des Plans zum päpstlichen Protest gegen den westfälischen Frieden als quellenkundliches und

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in der Mitte des 18. Jahrhunderts aber ist an der grundsätzlichen Berechtigung des universalen Geltungsanspruchs des Kirchenrechts festgehalten worden145 , obgleich niemand daran rütteln wollte, daß das Heilige Römische Reich Deutscher Nation auch und besonders hinsichtlich seines Religionsrechts ein corpus irregulare war146 • Ob dieser eindeutige Tatbestand als ,Modernisierung' zu bezeichnen ist, lasse ich, wie eingangs erwähnt, dahingestellt. Aber daß das Reichsreligionsrecht von 1532/1555/1648 eine höchst ,folgenreiche Veränderung von Rahmenbedingungen des geschichtlichen Lebens' bedeutet hat, dies ist unbestreitbar.

methodisches Problem, in: R. Vierhaus IM. Botzenhart (Hrsg.), Dauer und Wandel der Geschichte. Aspekte europäischer Vergangenheit. Festgabe für Kurt von Raumer zum 15. Dezember 1965 (Neue münsterische Beiträge zur Geschichtsforschung, 9), Münster 1966, S. 213-268. 145 Vgl. etwa ]ohann Adam L.B. de Ickstatt, De justa et efficaci summi pontificis protestatione contra pacem religiosam et Westphalicam, obligationem ejusdem intrinsece et pacticitiam inter compactentes haud infringente, in: ders., Opuscula juridici varii argumenti, Bd. 2, München I lngolstadt,Johann Franz Xaver Grätz & Thomas Summer, 1759, S. 320-369, 516-520 (BSB München, Signatur: 4 Jur. opp. 28 [2]). 146 Severinus de Monzambano [Samuel von Pu/endor/], De forma lmperii G ermanici, ed. F. Salomon (Quellen und Studien zur Verfassungsgeschichte des Deutschen Reiches in Mittelalter und Neuzeit, III/4), Weimar 1910, c. VI§ 9 (S. 126).

Versammlungs- und Kontrolltechniken Von Umberto Mazzone·

Thematisch bieten sich die Versammlungstechniken sowie die Techniken zur Kontrolle der Diskussionen in den Kollegien für eine Vielzahl von Interpretationen und von Ansätzen an, die von verschiedenen Methodologien ausgehen. Sie sind heute noch einer der Brennpunkte des politischen Handeins (man denke nur an die mit parlamentarischen Reglements und deren eventuellen Änderungen verbundenen Fragen). Abgesehen von den Einzelheiten der Kongregations- oder Sessionsabläufe des Konzils ist es daher möglich, die Diskussionsführung von Trient und auch die bürokratische Struktur, die die Entscheidungsfindung der Beschlüsse unterstützte, zu untersuchen. Neben diesen Aspekten sind wir in der Lage, die keineswegs zweitrangige Frage des Rituals und der Symbolik der Versammlungen in Angriff zu nehmen und Stimmrecht, Vertretung, Propositionsrecht oder Einberufungsgewalt zu untersuchen. Auch das Herstellen von Parallelen zu anderen Versammlungen (Staaten, Parlamenten und cortes) scheint in diesem Rahmen nicht unangebracht.

I. Als Einstieg lohnt eine Betrachtung der symbolischen Momente, des Rituals des Trienter Konzils und seiner internen Hierarchien. Hierzu muß man sich vor Augen halten, daß in den Generalständen Frankreichs nur die Mitglieder des Klerus und des Adels während einer Ansprache des Königs sitzen bleiben durften, während die Mitglieder des dritten Standes stehend zuhören mußten 1• Im englischen Parlament "when the king is present, none of the Iords are covered; and the judges and attendants do stand up, until his majesty wills them to sit down. When the king is Deutsch von Friederike Oursin. C. Soule, Les Etats generaux de France (1302-1789). Etude historique, comparative et doctrinale, Heule 1968, S. 47.

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absent ... the judges sit also, but are not covered until the Iord chancellor signifies the Iords pleasures. The king's council and the master of the chancery sit, but are never covered" 2 •

Mit dieser Symbolik des niedrigsten Standes, die im Zugestehen oder Verwehren des Rechts, sitzen zu bleiben, zum Ausdruck kommt, wollen wir hervorheben, wie auch die Konzilsversammlung ähnliche Bezugssysteme anerkannte: Die Bischöfe, oder genauer gesagt, diejenigen, die das Recht zur beschließenden Stimmabgabe hatten, nahmen sitzend an den Versammlungen teil, wer hingegen, wie die Theologen, keine beschließende Stimme hatte, verfolgte die Arbeiten stehend3 • Es muß jedoch gesagt werden, daß es in Trient abgesehen von dieser Betonung der verschiedenen Rollen die in Frankreich von den Generalständen gegenüber dem dritten Stand praktizierte Diskriminierung nicht gab4 • Freilich bestehen gewisse Schwierigkeiten, das Konzil mit anderen Versammlungen zu vergleichen. Im Vergleich mit den Generalständen muß man sich vor Augen halten, daß die Konzilsversammlung, nicht nur wegen einer unterschiedlichen Darstellungsfähigkeit, sondern auch auf Grund ihrer Zusammensetzung, weitaus homogener als die französischen Versammlungen war, da die Generalstände mit den verschiedensten Systemen der Abgeordnetenauswahl gebildet wurden5• Auf jeden Fall erscheint das Ritual der Versammlungen wie ein besonderes Kennzeichen der sowohl politischen als auch religiösen Zusammenkünfte, und - nur um ein Beispiel zu nennen - es ist durchaus bekannt, wie das englische Parlament mit größter Aufmerksamkeit die Details der Umgangsformen, des Vorrangs und Verweilens, in den Sitzungssälen gepflegt hat6 •

S. 112.

H. Elsynge, The Manner of Holding Parliaments in England, London 1768,

Concilium Tridentinum (von nun an CT), hrsg. von der Societas Goe"esiana, 13 Bde., Freiburg i.Br. 1901 ff., Bd. 4, S. 543, Generalkongregation vom 4. Januar 1546. 4 C. Soule, Les Etats generaux, S. 47. Vgl. J. Russe! Major, The Electoral Procedure for the Estates General of France and its Social Implications, 1483-1651, in: Medievalia et Humanistica, X (1956), S. 131-150, sowie H. G. Koenigsberger, The Powers of Deputies in Sixteenth Century Assemblies, in: Album Helen Maud Cam (Studies presented to the International Commission for the History of Representative and Parliamentary Institutions, XXIV), Louvain I Paris 1961 , S. 211 -243, hier S. 213. Vgl. den Act aus dem Jahr 1539 Jor placing of the Iords in parliament" erwähnt in: M.A.R. Graves, The Tudor Parliaments. Crown, Lordsand Commons, 1485-1603, London I New York 1985, S. 21. Siehe insbesondere H. Elsynge, The Manner, S. 101 ff., wo die Frage des "locus et modus sedendi" aufgegriffen wird.

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II. Eine lebhafte und interessante Debatte ist über die Frage der Bestellung der Konzilsbeamten oder des für die bürokratische Struktur von Trient zuständigen Personals im Gang. Auf dem Konzil von Konstanz hatte PapstJohannes XXIII. von der Sessio I vom 16. November 1414 an "notarii ... custos concilii, scrutatores, advocati ... ordinatores sedium "7 ernannt. Einige von ihnen wurden nach der Flucht von Johannes XXIII. am 20. März 1415 im Amt bestätigt, andere verschwinden aus der Konzilsgeschichte, da sie offensichtlich dem Papst auf der Flucht aus Konstanz gefolgt sind8 . Da die Arbeitsgrundlage von Konstanz die "Nation" 9 ist, werden auch ein Großteil der Prozeduren und der Rollen der Beamten von den einzelnen Nationen bestimmt 10 • Von diesem Problem sollte das Tridentinum nur am Rande tangiert werden und dessen geringes Gewicht half dem Papsttum gewiß darin, die eigene Autorität auch in der Verwaltung der Konzilsgeschäfte zu bestätigen, wo man die bürokratische Struktur des Konzils fest in die Hände nahm, was sich unter anderem auch zur Durchsetzung der privaten Verwaltung der Konzilsfinanzen als ausschlaggebend erwies 11 • Zweifelsohne war die Eröffnung der Konzilsarbeiten von großer Verspätung und mangelnder Vorbereitung überschattet. Wie Beumer 12 hervorgehoben hat, ]. Ho/Ins/einer, Studien zur Geschäftsordnung am Konstanzer Konzil, in: Abhandlungen aus dem Gebiete der mittleren und neueren Geschichte und ihrer Hilfswissenschaften. Eine Festgabe zum siebzigsten Geburtstag Heinrich Finke gewidmet, Münster W. 1925, S. 240-256, jetzt in: R. Biiumer (Hrsg.), Das Konstanzer Konzil, Darmstadt 1977, S. 121-142, hier S. 122. K. Woody, The Organization of the Council, in: ].H. Mundy I K.M. Woody (Hrsg.), The Council of Constance, New York I London 1961, S. 52-65, hier S. 59. 9 ]. Hollnsteiner, Geschäftsordnung, S. 126. Das Wahlsystem nach Nationen und nicht nach Köpfen war im Grunde genommen ein Hilfsmittel, um dem italienischen Übergewicht entgegenzutreten. Zum Überleben der Idee der Konzilsnationen auch in der Folge: I. Rogger, Le nazioni al Concilio di Trento durante Ia sua epoca imperiale, Rom 1952. Wir erinnern daran, daß das Konzept der Nation ein weites war und demjenigen ähnelte, das an den mittelalterlichen Universitäten gebräuchlich war. So umfaßte die deutsche Nation außer den Deutschen auch Polen, Tschechen, Ungarn, Kroaten, Dalmatier und Skandinavier, vgl. H. Jedin, Bischöfliches Konzil oder Kirchenparlament?, in: R. Biiumer (Hrsg.), Die Entwicklung des Konziliarismus. Werden und Nachwirken der konziliaren Idee, Darmstadt 1976, S. 198-228, hier S. 219. 10 So wird Enrico di Piro, einer der beiden Promotoren des Konzils, bisweilen Promotor der deutschen Nation genannt, vgl. K. Woody, The Organization, S. 58; auch von den Protonotaren werden je einer pro Nation gewählt, ebd., S. 59. 11 Siehe unten, Abschnitt 3. 12 ]. Beumer, Die Geschäftsordnung des Trienter Konzils, in: R. Biiumer (Hrsg.), Concilium Tridentinum, Darmstadt 1979, S. 113-140, hier S. 137. 6 Prndi I Rcinhard

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besaß das Konzil weder bei seiner Eröffnung noch bei seinem Abschluß einen wohldefinierten Arbeitsplan: Mehr oder weniger alle Arbeiten schritten fort, indem man sich kurz entschlossen den jeweiligen Erfordernissen anpaßte, auch wenn sich im Lauf der Jahre einige Punkte als ausschlaggebend erwiesen, wie beispielsweise das Propositionsrecht Um die Neuheit des Tridentinum im Vergleich zu den vorausgegangenen Konzilien hervorzuheben, sei daran erinnert, daß die Organe des Konzils von Trient die Generalkongregationen waren, als Generalversammlung der stimmberechtigten Mitglieder - also der Bischöfe, der Generaloberen der Bettelorden und der Vertreter der monastischen Kongregationen - für die Debatten und Sitzungen zur Promulgation von Dekreten. Es gab die Theologenkongregation, ohne Stimmrecht, die vom Papst oder den weltlichen Fürsten zum Konzil geladen worden waren oder im Gefolge der Legaten und Bischöfe angereist waren. "Der Ausschluß der bischöflichen Prokuratoren und der Vertreter aller sonstigen Körperschaften, wie der Kapitel und der Universitäten, von der beschließenden Stimme unterschied das Trienter Konzil nach seiner Zusammensetzung grundsätzlich von den Reformkonzilien des 15. Jahrhunderts" JJ. Nach Klärung dieser grundlegenden Neuheit, die Ausdruck einer anscheinend seit längerem im Papsttum verankerten Ausrichtung ist, erfuhren anscheinend andere Initiativen, die ebenso darauf abzielten, eine päpstliche Vorherrschaft zu stärken, eine langsamere Umsetzung in die Praxis. Aus dem Tagebuch des mitteilsamen Konzilssekretärs Massarelli ist ersichtlich, daß eine der ersten Regelungen in Sachen Konzilsorganisation vom 17. November 1545 datiert, als "il vescovo della Cava et il maestro delle cerimonie, M' Pompeo de Spoleti, furno da Rmi legati per cominciar a dare qualehe ordine per il concilio et cose necessarie etc." 14 • Es handelt sich hierbei jedoch eher noch um technischpraktische und organisatorische Leitlinien als um den theoretisch-normativen Ausdruck einer durchdachten politischen Entscheidung. Ein wichtiger Brief der Legaten an den Kardinal Famese vom 14. Dezember 1545 15 belegt deutlich das Unbehagen der Kardinäle, die nicht wissen, wie sich verhalten sollen, wie die Beziehungen zu den Bischöfen, den Oratoren zu gestalten seien, während die Verfahrensweisen der Versammlungen insgesamt noch zu gestalten sind. Die Legaten können nur Ängste und Sorgen äußern: beispielsweise, daß zu den ersten Punkten, die aufs Tapet kommen werden, sicher die Fragen in Verbindung mit der Bezahlung der Zehnten und mit der Zulassung der Prokuratoren der Abwesenden gehören werden; darüber hinaus breiten sich Ängste über konziliaristische Verweigerungen aus: "non sapemo si n H. fedin, Geschichte des Konzils von Trient, Bd. 2, Freiburg 1957, S. 407. CT, Bd. 1, S. 328. 15 CT, Bd. 10, S. 276. 14

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vorran tentare ehe se proceda per natione o disputare della potesta del concilio a quella dd papa o di quella del papa al concilio in ehe staremo avvertiti et ehe non mancammo del debito nostro" 16; zuletzt erheben sie Einspruch, weil die Organisation des Konzils noch so viel zu wünschen übrig ließ: "non replicaremo quel ehe piu volte havemo scritto, ehe si mandino segretarii, abbreviatore, avocati, protonotarii, cursori et quattro cantori almanco" 17 _ Als Antwort auf die von den Legaten auf der ersten Generalkongregation des Konzils vom 18. Dezember 1545 18 vorgebrachten Vorschläge zur Organisation der Konzilsaktivität, machte der Bischof von Feltre, Tommaso Campeggi, der - wir erinnern daran - zu den eng an die römische Kurie gebundenen Prälaten gehörte, deren Interessen er kundig vertrat 19, am 22. Dezember 1545 den Vorschlag, eine Zehnerkommission aus Konzilsvätern zu bilden. Diese Kommission sollte die Arbeiten zusammen mit den Legaten und Präsidenten betreuen und leiten, das Verhandlungsprogramm festsetzen20 und die Konzilsbeamten emennen21 , die jedoch in der Konzilskongregation zu bestätigen gewesen wären. Es handelt sich demnach um den Vorschlag, die Konzilsversammlung von innen her selbst zu organisieren, der jedoch nicht weiterentwickelt wurde. Am 31. Dezember teilte Kardinal Famese den Legaten die Namen der ersten vom Papst ernannten Beamten mit (vom Sekretär Marco Antonio Flaminio, der das Amt jedoch ausschlug, bis hin zum Abbreviator Ugo Boncompagni, dem zukünftigen Gregor XIIL, "il qualese bene non edelli veterani quanto alla pratica dell' offitio e parso pero a Sua Beatitudine di mandarlo per essere tale ehe potra etiam servire nella professione di canonista nella quale e tenuto di buone lettere" 22 ). Kardinal Del Monte, Legat und Konzilspräsident, behauptete hingegen auf der Generalkongregation vom 4. Januar 1546, daß schon bald rechtschaffene und geeignete Männer aus Rom geschickt würden, die die Rolle der Konzilsbeamten bekleiden würden. Einige Konzilsväter, deren Namen jedoch in den Konzilsakten nicht festgehalten werden, wehrten sich erfolglos gegen diese Möglichkeit und behaupteten, daß ihre Nominierung aufgrund der Abwesenheit des Papstes dem Konzil zustehe23 • 16 17 18

er, Bd. 10, s. 277. er, Bd. 10, S. 278. er, Bd. 4, s. 533.

Zu ihm H. ]edin , Tommaso eampeggio (1483-1564). Tridentinische Reform und kuriale Tradition, Münster 1958, sowie U. Mauone, I libri di Tommaso e Marco Antonio eampeggi, in: eristianesimo nella storia, X (1989), S. 509-551. 20 .De proponendis in aliis congregationibus consulere et proponere" , er. Bd. 4, S. 539. 21 er. Bd. 4, s. 539. 22 er, Bd. 10, S. 291. 23 er. Bd. 4, s. 542. 19

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Del Monte antwortet, daß die Beamten zwar von den Konzilsvätern gebilligt werden könnten, nach der Eröffnung des Konzils allerdings die Autorität des Papstes unverändert bleibe oder, wenn schon, sich erhöhe24 , und daß der Papst daher in seinen Entscheidungen nicht beeinflußt werden könne, die Wahl der Personen inbegriffen, denen die Konzilsämter anzuvertrauen seien25 . Am 4. Januar werden Ercole Severoli zum Konzilspromotor, Angelo Massarelli zum Konzilssekretär sowie Claudio della Casa und Nicolo Driel zu Konzilsnotaren ernannt26 . Mit der Zeit wurde deutlich, daß man bei der Personenwahl eine glückliche Hand gehabt hatte. Das bürokratische Personal des Konzils war seinen Aufgaben gewachsen und einige der Beamten verstanden es, technische Fähigkeiten und religiöses Einfühlungsvermögen zu vereinen27 • Gewiß schneidet der Apparat des Konzils in einem Vergleich mit dem zeitgenössischen englischen Parlament nicht schlecht ab, wo sowohl im Oberhaus als auch im Unterhaus die Beamten ein hohes Niveau hatten und Berufsbürokraten28 waren, die ein angemessenes Gehalt empfingen, das sich sowohl aus einem festen als auch- und dies war die ergiebigere Einnahmequelle -einem variablen, an die Zahl und die Qualität der dem Parlament vorgelegten Akten29 gebundenen Bestandteil zusammensetzte. Auch auf dem Konzil von Trient erhielten die Beamten ein Gehalt, das im Verhältnis zur Wichtigkeit ihrer Aufgabe stand und direkt aus der Konzilskasse der römischen Finanzverwaltung bezahlt wurde30. 24 Er nahm mit diesen Worten vorweg, was Jean Bodin in seinen "Six livres de Ia Republique" 30 Jahre später behaupten sollte, der "contraddice a coloro i quali insinuano ehe Ia riunione degli ,stati' possa costituire una menomazione del potere e della dignita dei sovrani. La presenza degli 'stati', infatti, non solo non diminuisce, ma anzi mettein evidenza tale sovranita" (A. Marongiu, Monarchia assoluta e istituto pariamenrare nella politica cinquecentesca, i'l: Dottrine e istituzioni politiche medievali e moderne, Mailand 1979, S. 351-398, hier S. 372, schon veröffentlicht in: Rassegna parlamentare, Rom, 3-4 [April1964], S. 3-42). 25 CT, Bd. 4, S. 542. 26 CT, Bd. 4, S. 544. 27 Man denke an Gabriele Paleotti und an Ugo Boncompagni. 28 M.A.R. Graues, The Tudor Parliaments, S. 22. 29 Vgl. E.R. Foster, The House of Lords 0603-1649). Structure, Procedure, and the Nature of its Business, Chapel Hill I London 1983, S. 55 f., sowie Ph. Marsden, The Officers of the Commons (1363-1965 ), London 1966, beispielsweise S. 49. 10 Zu den Fragen bezüglich der Finanzierung der Konzilsversammlung durch Rom, siehe H. ]edin, Die Kosten des Konzils unter Paul III, in: Kirche des Glaubens- Kirche der Geschichte. Ausgewählte Aufsätze und Vorträge, 2. Bde., Freiburg I Basel I Wien 1966, Bd. 2, S. 187-201; E. Aleandri Barletta, La Depositeria del Concilio di Trento. Il registro di Antonio Manelli 1545-1549, Rom 1970; U. Mazzone, Sussidi papali e liberta di voto al Concilio di Trento ( 1561 -1563 ), in: Cristianesimo nella Storia, I ( 1980), S. 185-250, sowie die kritische Ausgabe der Dokumentation zu den Konzilsausgaben in: CT, Bd. 312. Was die Beamten betrifft, sei daran erinnert, daß der

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111. Wenn die Vorbereitungen, die Organisation und der Unterhalt einer Versammlung, der eine ausgedehnte Zeitspanne eingeräumt wird und an der Hunderte von Personen aus verschiedenen Ländern teilnehmen, einen keineswegs geringen Aufwand für denjenigen darstellt, der sich die Ehre ihrer Einberufung gibt, war der Einsatz, der von der römischen Kurie gefordert wurde, um dem Konzil von Trient die nötigen technischen, administrativen und finanziellen Hilfsmittel zur Verfügung zu stellen, tatsächlich sehr hoch. Zum Vergleich mit der von anderen Versammlungen gebotenen Lösung scheint uns die Frage der finanziellen Unterstützung der Konzilsteilnehmer äußerst interessant, insbesondere der Konzilsväter aus armen Bistümern, deren geringe Einnahmen ihnen keine finanzielle Autonomie gewährten, oder bei denen man aus anderen Gründen ,Streicheleinheiten' für angebracht hielt. Wenn wir die Buchführung der Konzilskasse von Trient für die Jahre 1545-1549}1 mit jener der Jahre 1561-156Yz vergleichen, wird sofort ein grundlegender Unterschied bei der Vergabe von Zuschüssen an die Konzilsväter in den beiden Zeitabschnitten augenfällig. Während des Pontifikats Pauls III. wurde ein Großteil der Zuschüsse vom Depositar des Konzils Antonio Manelli direkt aus der Konzilskasse verteilt, der von Mal zu Mal gewissenhaft das Datum der Zahlung, die Höhe des Betrags und den Empfänger eintrug. Auch für die Zuschüsse, die nicht durch Manellis Hände gingen, sondern den Prälaten von der Datarien zugeteilt wurden, scheint nie eine Kasse mit geheimer Buchführung existiert zu haben. Unter Pius IV. wurde diese Praxis beispielhafter Klarheit nicht weiter fortgeführt. Die Aufgabe, die zu Zuschüssen bestimmten Mittel zu verwalten, die getrennt von den Geldern für die anderen Konzilsaktivitäten aus Rom gesandt wurden, wird dem Präsidenten des Legatenkollegiums Kardinal Ercole Ganzaga anvertraut, der alle praktischen Aspekte der Aufgabe an seinen persönlichen Sekretär Camillo Olivo weiterleitet. Erst nach dem Tod Kardinal Ganzagas am 2. März 1563 gehen die Zuschußgelder in die von Depositar Antonio Manelli verwalteten Ausgaben über, ohne daß dieser freilich die Möglichkeit hatte, die von den Geldmitteln eingeschlagene Richtung zu erfahren. In dieser zweiten Phase ist die Verantwortung für die Zuschüsse an die Prälaten faktisch Camillo Kommissar in der dritten Tagungsperiode 100 Skudi monatlich, der Sekretär 50 Skudi bekam, vgl. CT, Bd. 3/2, passim. Archivio di Stato, Roma, Camerale I, 2024, jetzt in: CT, Bd. 3/2. Archivio di Stato, Roma, Camerale I, 2025, jetzt: CT, Bd. 3/2. H Biblioteca dell'Archivio Vaticano, Vat. Lat., 10602, 10603, 10604, sowie F Litva, L' attivita finanziaria della Dataria durante il periodo Tridentino, in: Archivum Historiae Pontificiae, V (1967), S. 79-174, hier S. 161. H

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Olivo vorbehalten, während das gesamte Legatenkollegium mit der politischen Verwaltung betraut ist. Am 22.Juni 1563 ergab sich, daß in der dritten Tagungsperiode 91 in Trient anwesende Erzbischöfe und Bischöfe bezuschußt wurden, denen 13 weitere Namen hinzuzufügen sind, die- obwohl sie zum Empfang von Zuschußmitteln berechtigt waren - entweder noch nicht eingetroffen oder schon abgereist waren, sowie die Namen von 5 Generälen, 4 Theologen, von Micheie Tomasio, dem Prokurator des Bischofs Felice Tomasio, des Schweizer Botschafters, von 6 Konzilsbeamten, 3 Bischöfen und dem Dominikaner Pedro de Soto, die während des Konzils gestorben waren, ferner des Bischofs von Vulturaria Giulio Gentili, der als einziger den päpstlichen Zuschuß zurückgewiesen hatteH. Die Veränderung im Verteilungsmodus der Zuschüsse war Folge des Wunsches, in bezug auf die Personen, die von den römischen Hilfsmitteln profitierten, strengste Diskretion zu wahren: über ihre Zahl und sogar über die Existenz der Subventionen selbst. Diese Sorge zieht sich wie ein roter Faden durch den Briefwechsels zwischen dem Kardinalnepoten Carlo Borromeo und den Legaten in Triene5• Es ist außerdem eine terminologische Unsicherheit in der Definition der Zuschüsse festzustellen, die bis zum Ende des Konzils fortbestehen sollte. So werden im Briefwechsel die Ausdrücke .Provision" und .Subvention" unterschiedslos verwendet, um dieselbe Handlung zu bezeichnen, auch wenn ein nicht geringer Bedeutungsunterschied zwischen den beiden deutlich wird: Der erste Ausdruck setzt eine richtiggehende Beziehung zwischen Konzilsamt und Geldüberweisung voraus, der zweite ein sehr viel nuancierteres Verhältnis zwischen Geldgeber und Empfänger. Im ersten Jahr der neuen Tagungsperiode brauchte man keine allzu große Aufmerksamkeit auf die Probleme, auch diejenigen psychologischer Natur, zu richten, zu denen ein ähnlicher Mangel an Klarheit hätte führen können. Erst gegen Ende Oktober 1562 Vgl. CT, Bd. 3/2, S. 224 f. Man muß sich vor Augen halten, daß die Erinnerung an die Geschehnisse der ersten Phase des Tridentinum in Roms Haltung keine Nebenrolle spielen durfte, als unkontrolliert Gerüchte in Umlauf waren und unter den subventionierten Konzilsvätern ein beinahe dreister Ton herrschte, was aus den Worten von Eliseo Arpinas, Bischof von Sora, deutlich wird, der den Kardinal Farnese aufforderte, eine . altra e piu secreta via" zu finden, .se gli porria provedere, ehe d'andar ogni giorno al deputato a dimandare se son venuti o no gli denari. E da qualehe uno sfacciatamente per parer d'esser piu diletto degl'altri in presentia d'altri prelati e diverse persone" (CT, Bd. 11, S. 213, 11. Juni 1547). Oft gingen die Konzilsväter so weit, ihre Gelder lautstark einzufordern, wie aus den Briefen Dei Montes an Cervini vom 3. Oktober 1548 hervorgeht (. questi poveri prelati Ii quali s'erano mezo amutinati", CT, Bd. 11 , S. 473) sowie vom 11. Mai 1549 (.vedendo il disordine ehe sarebbe di lassarli andar via maledicendo, non dico solamente lamentandosi", CT, Bd. 11, S. 498). Man wollte offensichtlich in der Zukunft ähnliches vermeiden. }4

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wurden in Rom mit Verdruß die Folgen der Gleichstellung der Bezuschußten und der richtiggehenden Angestellten der römischen Kurie spürbar, so daß Tolomeo Galli im Namen des Papstes an Kardinal Gonzaga schrieb und ihn aufforderte, "trovar un altro miglior modo col quale i poveri prelati ricevessero il medesimo commodo et non ci fosse apparenza di provisione ordinaria"%_ Im Wunsch, die Zuschüsse an die Bischöfe nicht den Charakter einer richtiggehenden Bezahlung für die Konzilsaktivitäten annehmen zu lassen, sondern diese allenfalls als ,Almosen' zu präsentierten, und in der Diskretion, die für die Bezahlungen gewählt wurde, kann der größte Unterschied zu anderen Versammlungen gesehen werden37 . Wir erinnern daran, daß die Mitglieder der französischen Generalstände regelmäßig bezahlt wurden} 8. Wie in Trient so stellte sich auch für die Generalstände in Frankreich das Problem der Handlungsfreiheit der Versammlungsmitglieder; schließlich "celui qui rec;oit une remuneration ne doit-il pas rendre compte a celui qui la paye?"}9 , auch wenn, wie wir schon gesehen haben, die ratio der Zuschüsse an die Konzilsväter eine ganz andere war und das Verfahren der Geldverteilung Praktiken unterlag, die in den anderen Versammlungen unbekannt waren. Wir wissen, daß in der dritten Tagungsperiode des Konzils die für die Versammlung bestimmten Geldmittel gesondert verwaltet wurden, wenn es sich um Gelder für die laufenden Angelegenheiten oder um Zuschüsse für die Konzilsväter handelte; in diesem letzten Fall wurden die Summen aus der Konzilskasse dem Legatensekretariat zugewendet, um strengste Diskretion zu garantieren40 • Gleichzeitig war man darum bemüht, die Zahlungen mit einer geringst möglichen Frequenz auszuführen, offensichtlich um die Gelegenheiten zur Verbreitung von Nachrichten und etwaige peinliche Treffen auf ein Minimum zu reduzieren. Auch die Vertreter in den Generalständen hatten das gleiche Problem wie die Konzilsväter: die Unterhaltskosten zu decken, und sie waren genauso darum bemüht, sich nicht zu lange am Tagungsort

}6 ]. Susta, Die römische Kurie und das Concil von Trient unter Pius IV., Wien 1914, Bd. 3, S. 56, eigene Hervorhebung. n Auch wenn oft großzügig mit den vertraulichen Geldmitteln umgegangen wurde, was manchmal sogar an Korruption grenzte: vgl. U. Mazzone, Sussidi, S. 210 f. }S ]. Russe! Major, The Payment of the Deputies to the French National Assemblies, 1484 -1627, in: Journal of Modern History, XXVII (1955), S. 217-229, siehe die Tabelle aufS. 226. }9 Vgl. Soule, La remuneration des deputes aux Etats generaux de France et son incidence institutionnelle, in: Parliaments, Estates and Representation, VIII (1988), S. 77-86, hier S. 77. 40 Laut Carlo Borromeo sollte sogar der Depositar des Konzils Antonio Manelli über die Bestimmung der Zuschüsse für die Prälaten im Unklaren gelassen werden, vgl.]. Susta, Die römische Kurie, Bd. 1, S. 93.

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aufzuhalten41 • Anders als die Bischöfe auf dem Konzil mußten die Abgeordneten der französischen Generalstände normalerweise über alle Ausgaben an ihre Wähler Rechenschaft ablegen. Gegenseitiges Mißtrauen war an der Tagesordnung, und es wurde zuweilen engstirnig gehandelt42 • Auch in England war es üblich, den Teilnehmern der Parlamentssitzungen eine Art Vergütung durch die Wähler zu zahlen, auch wenn das wachsende Prestige der Einrichtung die Anzahl derjenigen ansteigen ließ, die bereit waren, ohne Bezahlung Mitglieder zu werden. So gab es Kandidaten, die nach mittellosen Wahlkreisen suchten, die ihrem Gewählten eben deshalb wenig (oder nichts) zusichern konnten (oder wollten). Für den Kandidaten war dabei freilich die Konkurrenz geringer und daher die Wahrscheinlichkeit, gewählt zu werden, größer43 • Anscheinend dienten in Trient die Zuschüsse überwiegend nicht dazu, Stimmen zu gewinnen oder den nach und nach in den Diskussionen entstehenden Frontverlauf radikal zu verändern. Man war vielmehr daran interessiert, im Lauf der Zeit eine größtmögliche Teilnahme von Bischöfen aus italienischen Bistümern zu fördern und zu garantieren, deren Abstammung und Kultur, deren größere Abhängigkeit von der Kurie, was Pfründenvergabe und Laufbahnen betraf, sie insgesamt als Vertreter von Ideen erscheinen ließ, die den kurialen sehr nahestanden und sie beeinflußbarer machten als die Bischöfe von jenseits der Alpen. Von einer großflächigen Präsenz des Episkopats der italienischen Staaten versprach man sich in Rom eine sorgenfreie Konzilsmehrheit, die den Papst vor unliebsamen Überraschungen geschützt hätte. Diese Rechnung sollte freilich auf dem Konzil nicht ganz aufgehen.

IV. Interessant ist die mit der Berufung des Konzils verbundene Machtfrage. Wir wissen, daß in Konstanz das Konzil überwiegend aufgrund des Einsatzes Kaiser Sigismunds abgehalten wurde und daß das Basler dem Geiste des Dekrets "Frequens" folgte. Es ist überdies bekannt, daß Pierre d' Ailly in seiner Schrift "De potestate ecclesiastica" aus dem Jahr 1416 die Theorie formulierte, daß das Konzil bei einem Versagen des Papstes von den Kardinälen einberufen werden könne,44 und auch später ließen die Kanonisten die Möglichkeiten 41 C. Soule, La remuneration, S. 79. Bisweilen wurden die Bezahlungen, deren Art dem Spender überlassen war, auch in Naturalien getätigt: so gewährte die Stadt Nevers ihrem Vertreter 1588 Wein, während Lyon Schinken verteilte, ebd. 42 Ebd., S. 79. 43 ]. Russe! Major, The Payment, S. 217. 44 Vgl. H. Jedin, Geschichte des Konzils, Bd. 1, S. 63 .

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einer Konzilsberufung ohne den Papst oder sogar gegen dessen Willen zu45 • Einige Versuche, diese Theorien in die Praxis umzusetzen, sowohl der 1482 von Andrea Zamometic unternommene Versuch, das Konzil von Basel fortzusetzen, als auch besonders der Pisaner Konzilsversuch aus dem Jahr 1511 auf Initiative einiger Kardinäle mit der Unterstützung des Königs von Frankreich und des Kaisers, hatten dem Papsttum ernstlich Sorge bereitet, und man reagierte auf den Fortbestand der konziliaren Unruhen schon im Jahr 1511 mit der Einberufung eines allem Anschein nach päpstlichen Konzils par excellence: des V. Laterankonzils46 • Der Mißerfolg des LaterankonziJs, der Fortbestand des Erneuerungswunsches der Kirche und zuletzt der Ausbruch der protestantischen Reformation ließen freilich die Frage des Rechts, ein Konzil einzuberufen, nicht aus der Mode kommen. Es sei daran erinnert, daß für Luther der Kaiser das Recht zur Konzilsberufung hatte und daß "die Lehre, daß der Papst allein es berufen dürfe, [. .. ] eine von jenen drei Mauern [ist], die den Weg zu einer wahren Reform versperren "47 • Karl V. äußert sich immer positiv über das Konzil und übt wiederholt auf den Papst Druck aus, ja er geht soweit, ihn zu verwarnen und mit einem Gegenkonzil zu drohen. Sollte der Papst der Aufforderung nicht nachkommen, konnte das Berufungsrecht dem Kardinalskollegium übertragen werden48 • Lange wurde auch die Möglichkeit diskutiert, daß der Kaiser die Aufforderung zur Berufung eines Konzils ohne Papst formulieren könne49 • Am 2.Juni 1536 berief der Papst mit der Bulle "Ad Dominici gregis curam" das Generalkonzil für den 23. Mai 1537 nach Mantua50, und im November 1544 wurde die Bulle zur endgültigen Berufung des Tridentinum- "LaetareJerusalem"- publiziere 1• Kardinal Farnese legte am 31. Dezember 1545 in einem Brief an die Legaten nicht nur die äußere Disziplin und die außenpolitischen Beziehungen des Konzils betreffende Fragen, sondern auch gewichtigere Probleme bezüglich der päpstlichen Suprematie dar: "la forma delli decreti et per consequentia delle lettere et di ogni altra cosa cha habbia da farsi per il concilio par ehe debba esser composta in modo ehe oltre al Ebd., S. 74. Mit der Bulle "Sacrosanctae Romanae ecclesiae" berief Julius li. am 18. Juli 1511 ein Generalkonzil in den Lateran. Zur Verteidigung der päpstlichen Positionen zum Recht der Konzilsberufung erschien Ende 1511 das Buch des späteren Kardinal Cajetan, Thomas de Vio, De comparatione auctoritatis papae et concilii. 47 H. ]edin, Geschichte des Konzils, Bd. 1, S. 149. 48 Ebd., S. 190. 49 Ebd., S. 193. Urheber dieses Ansatzes war der Großkanzler Mercurino Gattinara. 50 Ebd., S. 252. 51 Ebd., S. 405. 45

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nome del sinodo vi sia quello di W.SS.RR come presidenti et di S. Santita come rappresentata da loro tanto ehe non solo apparisca ehe il concilio sia convocato da S. B. ma ehe etiam la perseveri in esserne capo" 52 .

So sorgte die Form dafür, daß sich das Konzil nie stärker als Rom erweisen konnte. Uns scheint es, als könne in der beschwerlichen Entwicklung der Lage von Konstanz bis Trient die Annäherung des Berufungsmechanismus des Konzils an das erkannt werden, was Marongiu53 von den mittelalterlichen und nachmittelalterlichen Parlamentsversammlungen behauptet: nämlich das Heranreifen einer ausgeprägten Abhängigkeit der Versammlung vom Souverän (in unserem Fall: vom Papst). Die Quelle für die Berechtigung dieser Versammlungen liegt gerade in der Berufung durch den Souverän, und dasselbe läßt sich für deren Abschluß oder Auflösung sagen54• So hatte in Kastilien allein der König das Recht, die Cortes einzuberufen55 , dasselbe gilt für Aragon56 und Navarra57 • In England ist der Berufungsmechanismus ganz auf die Person des Königs zugeschnitten58 • Der Versuch der französischen Generalstaaten, das Recht zur Selbsteinberufung zu erhalten, war zwar in der "grande ordonnance" schriftlich festgehalten, wurde aber nie zu einer institutionellen Praxis. Und obwohl allgemein anerkannt war, daß die Parlamentseinberufung ein königliches Vorrecht war, versuchten die Versammlungen diese Macht- oft unter Mitwirkung des Königs -einzuschränken oder zu disziplinieren59• Aufkirchlicher Seite wurde alles, was nicht im Rahmen CT, Bd. 10, S. 292. A. Marongiu, ll potere di aprire e chiudere le sessioni parlamentari, in: Dottrine e istituzioni politiche, S. 673-714, hier S. 676, schon veröffentlicht in: Rassegna parlamentare, 1969, Nrn. 5-6, S. 355-393. 54 Ebd., S. 677. Weiter hat laut Marongiu "dieser Einberufungsakt, schnell und rituell mitgeteilt, ... selbst Natur und Wert eines Befehls der damals höchsten Autoritätnicht weniger und nicht mehr als eine Aufforderung vor Gericht zu erscheinen". Für Frankreich, vgl.]. Soule, Les Etats generaux, S. 54, "Seul juge de l'opportunite de convoquer les Etats, seulle roi pouvait decider de leur renvoi". 55 A. Marongiu, TI potere, S. 685. 56 Wir erinnern daran, wie in Spanien "salvo la excepci6n parcial aplicada durante un tiempo en los reinos aragoneses, los monarcas no hicieron ningun esfuerzo por fundir las Cortes de los diversos territorios" (L. Gonzdlez Anion, Las Cortes en la Espaiia del Antigua Regimen, Madrid 1989, S. 94). 52 53

57 Die Anberaumung der Cortes ist immer allein im Interesse der Monarchie gedacht; sie ist eine "merced real", Ebd., S. 99. 58 Th. Smith, De Republica Anglorum, ed. M. Dewaar, Cambridge 1982, S. 79: "the Prince sendeth foorth his rescripts or writtes to every ... who hath voice in the parliament". "De Republica" wurde 1565 verfaßt. 59 A. Marongiu, ll potere, S. 682.

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jener Prozeduren blieb, sofort zum Schisma: kein Konzil, sondern ein Conciliabulum. Es scheint uns außerdem, daß die römische Haltung gegenüber dem Konzil grob die Thesen der Auseinandersetzung vorwegnimmt, die sich zwischen den Verfechtern einer fraglosen königlichen Überlegenheit und denjenigen, die die repräsentativen Einrichtungen - sei es mit Blick auf die Zukunft derselben oder mit Blick auf die Vergangenheit - verteidigen, durch die gesamte frühe Neuzeit, oder besser das 16. und 17. Jahrhundert zieht. Als erster Name kommt einem spontan derjenige von Jean Bodin60 in den Sinn, aber auch jener des gebürtigen Engländers und Professors an der Universität von Toulouse, William Barclal 1• Eben das Recht, Versammlungen einzuberufen, erscheint allen Schriftstellern "regalistischer" Spielart als ein Kennzeichen der Souveränität und der Regalität62• Darin näherte sich das inzwischen siegreich aus der Auseinandersetzung mit dem Konziliarismus hervorgegangene Papsttum sicherlich an die Regierungspraxis und das Bewußtsein um den Ursprung der eigenen Macht, die später für den absolutistischen Staat typisch werden sollten. Auch die Frage nach der Annahme der Konzilsdekrete durch den Papst istwenn auch indirekt- an die Techniken der Versammlungsführung gebunden, da sie die Konzilsarbeiten durchweg beeinflußt. Sie hat einen unbestreitbaren Einfluß auf die Kontroll- und Organisationstechniken der Versammlung, besonders dann, wenn es ans Diskutieren oder ans Wählen geht, und setzt daher im Grunde genommen eine auch psychologisch unüberwindbare Grenze. Es ist bekannt, wie auf dem großen spätmittelalterlichen Reformkonzil von Konstanz nie eine päpstliche Annahme der Dekrete erlangt wurde, da in der materiellen Verfassung dieses Konzils eine solche Bestätigung a priori ausgeschlossen war. In Trient kam es im geheimen Konsistorium vom 26. Januar 1566 zur Annahme der Konzilsdekrete und am 30. Juni 1566 zur Bestätigungsbulle "Benedictus Deus" (die jedoch auf die mündliche Bestätigung zurückdatiert wurde) 63 und dann sogar zur Gründung einer speziellen Konzilskongregation, die als einzige Instanz - da die Quellen nicht länger 60

luta.

Einen nach wie vor ergiebigen Überblick bietet A. Marongiu, Monarchia asso-

61 Dieser behauptete in seinem "De regno et regali potestate adversus Monarcomachos", Paris 1600, aufS. 285, daß das Parlament ohne König nichts zähle; umgekehrt kann der König, wenn er meint, daß der Staat dies benötige, allein vorgehen, nur mit Edikten, Dekreten und Gesetzen; dies bedeutet, daß die Versammlung die königliche Autorität kontinuierlich benötigt, während der König das Parlament nicht braucht, da eben dessen Wert genau auf der Autorität des Monarchen beruht. Man ersetze den König durch den Papst und das Parlament durch das Konzil und es kommt genau die römische Vorstellung der Konzilsautorität heraus. 62 A. Marongiu, Monarchia assoluta, S. 372, Anm. 75. 63 Zur Bestätigung siehe H. ]edin, Geschichte des Konzils, Bd. 4/2, S. 227 f.

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zugänglich waren- zu einer authentischen Interpretation des Konzils legitimiert war. Hierin liegt ein gewichtiger Unterschied zu den großen spätmittelalterlichen Reformkonzilien und unter gewissen Gesichtspunkten auch eine Untergrabung der Autonomie der Versammlung. Andererseits läßt sich auch in zeitgenössischen Parlamenten eine ähnliche Prozedur verfolgen, dahingehend, daß auch im englischen Parlament kein bill eine Parlamentsakte ist, bevor beide Häuser ihn nicht getrennt verabschiedet haben; und auch danach ist er noch kein Gesetz. Erst am letzten Tag der Parlamentsversammlung oder Sitzungsperiode wird der bill zum rechtskräftigen Gesetz, wenn nach der Lesung der Titel der einzelnen in der Sitzungsperiode verhandelten Gesetze die königliche Zustimmung gegeben wird64 • Andererseits ist bekannt, wie sich auch in Frankreich die Krone oft verschiedener Kontrollformen über das innere Funktionieren der Generalstände bemächtigte65 • Außerdem konnte die französische Krone auf eine hierarchische Trennung unter den Ständen setzen, die auf dem Konzil keinen Platz haben konnte. Weiter gilt es, die Ohnmacht der Abgeordneten der Generalstände hervorzuheben, die im Fehlen jedweder Rechtskraft ihrer Entschlüsse besiegelt ist66• Eine vergleichende Untersuchung des Wesens von Versammlungen (Stände, Parlamente, cortes), die dem Tridentinwn zeitlich nahestehen, läßt die Frage nach dem Problem des Konzils als möglichem Gerichtshof offen; sie wäre noch zu überprüfen67 • Ein weiteres konzilspezifisches und noch zu untersuchendes Problem ist hingegen das mehr ekklesiologische der Vertretung der Allgemeinen Kirche68 • Bekannt ist, wie in Konstanz auf der Sessio V vom 6. April 1415 betont wurde, daß das Konzil die Katholische Kirche repräsentiere69, während wir 64 Die öffentlichen bills erhielten mit der Formel Zustimmung: "Le roy (Ia royne) le veult", die privaten mit der Formel: "Soit fait comme il est desire". Die normalerweise gebräuchliche Formel, mit der der Monarch Parlamentsakte ablehnte, lautete hingegen: "Le roy s'avisera", vgl. M.A.R. Graves, The Tudor Parliaments, S. 30. 65 C. Soule, Les Etats generaux, S. 47. So erinnern wir auch, was die Einberufung der Stände betrifft, daran, daß der Versammlungsort vom König bestimmt wurde und die Stände sich seinem Willen beugen mußten. 66 Ebd., S. 51. 67 Vgl. zu diesem Aspekt des englischen Parlaments]. Redlich, Recht und Technik des Englischen Parlamentarismus. Die Geschäftsordnung des House of Commons, Leipzig 1905, S. 39. Siehe auch A. Marongiu, Monarchia assoluta, S. 372. 68 Vgl. H. Jedin, Bischöfliches Konzil, S. 204. 69 Conciliorum oecumenicorum decreta, curantibus G. Alberigo I G.L. Dosse/li I P-P Joannou I C. Leonardi I P Prodi, consultante H. Jedin, zweisprachige Ausgabe, Bologna 1991, S. 409: "ecclesiam catholicam militantem repraesentans".

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auf dem Tridentinum, wo sich die Frage von Anfang an stelle0 , auf den zähen Widerstand der Legaten gegen den Vorschlag stoßen, das Konzil als Vertretung der Gesamtkirche zu definieren, eben um jeden möglichen Verweis auf den Konziliarismus zu vermeiden71 • Wie man sieht, ist es ein Leichtes, den Themenkreis nach und nach auszuweiten, aber auf diesem Wege läuft man Gefahr, immer an der Oberfläche zu bleiben.

V. Neu ist das Thema des Geschäftsgangs von Trient mit Sicherheit nicht: Noch nicht allzu lange ist es her, daß es von Boesch72 bis Jedin7' eingehend untersucht wurde. Eine gute technische Rekonstruktion bietet Beumer74 und jüngst ist auch ein erschöpfender Beitrag von Klaus Ganzer75 erschienen. Aber der Geschäftsgang war auch Gegenstand anderer Betrachtungen, war zuweilen kircheninternes Streitobjekt und wurde auch Element einer kontroverstheologischen Art und Weise, mit entscheidenden Momenten des kirchlichen Lebens umzugehen. Ein aufsehenerregendes Beispiel ist in diesem Zusammenhang das Interesse, das in der Zeit des I. Vatikanischen Konzils76 an dem Geschäftsgang des Tridentinum aufkommt: Theiner widmet der Organisation und den Versammlungstechniken so viel Aufmerksamkeit, daß er einen nach Ende des Konzils vom Sekretär Angelo Massarelli77 abgefaßten "Ordo" der

Vgl. H. ]edin, Geschichte des Konzils, Bd. 2, S. 18. Zur Haltung der Legaten vgl. die kritischen Äußerungen von Jedin in: Bischöfliches Konzil, S. 206. 72 0. Boesch, Der Geschäftsgang des Konzils von Trient bis zum Cathechismusbeschluß, Rom I Zürich 1956. 73 H. ]edin, Die Geschäftsordnungen der beiden letzten ökumenischen Konzilien in ekklesiologischer Sicht, in: Catholica, 14 0960), S. 105-118, jetzt in: ders., Kirche des Glaubens- Kirche der Geschichte, Bd. 2, S. 577-588. 74 ]. Beumer, Die Geschäftsordnung, S. 113-140. 75 K. Ganzer, Zu den Geschäftsordnungen der drei letzten allgemeinen Konzilien. Ekklesiologische Implikationen, in: W Aymans I K.-Th. Geringer (Hrsg.), Iuri Canonico Promovendo. Festschrift für Heribert Schmitz zum 65. Geburtstag, Regensburg 1994, s. 835-867. 76 Zum Einfluß der tridentinischen Geschäftsordnung auf das I. Vatikanische Konzil, siehe H. ]edin, Das Konzil von Trient. Ein Überblick über die Erforschung seiner Geschichte, Rom 1948, S. 185. 77 A. Theiner (Hrsg.), Acta genuina SS. Oecumenici Concilii Tridentini sub Paulo III, Julio III et Pio IV PP.MM, Zagabriae 1874, Bd. I, S. 1-13 , "Ordo celebrandi sacrosancti oecumenici generalis Concilii Tridentini sub Paulo III, Julio III et Pio IV Summis Pontificibus observatus". 70 71

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Arbeiten von Trient publiziert, und auchJohann Friedrich, Theologiedozent in München und Autor einer Untersuchung über die tridentinische Organisation78, hatte Massarellis nordo celebrandi" 79 viel Raum gegeben. Wir kennen den Grund für so viel Aufmerksamkeit von Persönlichkeiten wie Theiner oder Friedrich: Die Diskussion des Geschäftsgangs schließt wie wir gesehen haben- unmittelbar an die großen Fragen über die Freiheit einer Versammlung an; und das Vatikanische Konzil war das erste und einzige Konzil, das mit der Konstitution nMultiplices inter" vom 27. November 186980, die in der "Congregatio praesynodalis" vom 2. Dezember publiziert wurde, von Anfang an eine bindende Geschäftsordnung hatte. Der Geschäftsgang wurde dann mit einem Dekret vom 20. Februar 1870 angenommen, das am 22. Februar publiziert wurde81 • Keineswegs einverstanden mit dieser Prozedur, die Geschäftsordnung des Vatikanischen Konzils aufzustellen, behauptete Friedrich mit einer gehörigen Prise Optimismus von Trient: .Die Art und Weise in welcher über die Gegenstände des Glaubens und der Kirchenreform zu Trient verhandelt werden sollte, war keine gemachte vom Papste oder den Concilspräsidenten vorgeschriebene, sondern eine Geschäftsordnung, die sich selbst machte, und durch Vereinbarung der Präsidenten mit den Vätern des Concils festgesetzt wurde; - ein modus procedendi, der sich durch die Natur der zu verhandelnden Gegenstände und die im göttlichen Rechte begründete Stellung der Bischöfe zu denselben von selbst an die Hand gab" 82. Wir werden sehen, daß dies nichts anderes als eine grundlegende Verfälschung des Tridentinum ist, die sich - paradoxerweise - dem katholischen Standpunkt einer beflissenen Verteidigung des Tridentinum gegen Interpretationen a Ia Sarpi angleicht. Im Grunde genommen sedimentieren sich in diesem, wie in so vielen anderen Fällen, die das Zeitalter des Glaubensstreits betreffen, dem Anschein nach kontrastierende Lesarten der Ereignisse, die sich jedoch - gerade weil sie divergieren -, am Ende oft in einer einzigen Friedrich, Die Geschäftsordnung des Concils von Trient, Wien 1871. Friedrich, Documenta ad illustrandum Concilium Vaticanum anni 1870, Nördlingen 1871, S. III und 265-276. Es sei mir eine Bemerkung erlaubt, die weniger mit den tridentinischen Debatten als mit der Geschichte der Kultur, der Politik und der Ideologien zu tun hat: ich habe dieses Werk von Friedrich in Bologna am .Istituto perle Scienze religiose" gesehen; es war offensichtlich antiquarisch erstanden worden; seine Herkunft bezeugten einige Stempel eindeutig: jene des Stabs des Führers und der Partei-Kanzlei. Anscheinend hat die Geschichte der Konzilien auch jüngst mehr politische als akademische oder direkt religiös interessierte Leser gehabt. 80 H. ]edin, Die Geschäftsordnungen, S. 580. 81 Ebd. 82 ]. Friedrich, Die Geschäftsordnung, S. XIX; vgl. auch 0. Boesch, Der Geschäftsgang, S. 20. 78

].

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interpretativen Konstruktion verknäulen, aus der man sich nur schwer ganz zu befreien vermag. Ich halte eine Auffassung J edins nach wie vor für gültig, auch wenn ich ver-sucht bin, ihr in mancher Hinsicht einen anderen Sinn zukommen zu lassen als der deutsche Gelehrte. Jedin hat behauptet, daß die Geschäftsordnungen der Konzilien "unverfälschter Ausdruck ihrer inneren Struktur" 83 sind. Diese Behauptung war für ihn der Ausgangspunkt für die Untersuchung der Geschäftsordnungen des Tridentinum und der Konzilien im allgemenen, was ihn zu Überlegungen ekklesiologischer Natur führte. Jedin benutzt die Geschäftsordnungen dazu, die Beziehung Konzilien-Papst zu entschleiern und widerlegt damit anscheinend die Thesen einer meiner Meinung nach noch heute durchschlagenden Behauptung Paolo Sarpis, daß man versuchte, das Tridentinum auf Dauer dem Papst unterzuordnen, und daß "questo fu la ragione perehe i legati in Trento e la corte a Roma facevano cosi gran capitale della forma di procedere e della qualita et autorita della presidenza" 84• Diese Behauptung paßte genau in den Rahmen der Rekonstruktion a Ia Sarpi, die beweisen möchte, wie sich aus dem graduellen Machtverlust des Konzils die progressive Behauptung einer Verpäpstlichung der Konzile ergibt (die sich im Berufungs- und Vorsitzrecht niederschlägt, welches für Sarpi an die Zeiten und die historischen Gegebenheiten gebunden ist, aber nicht an einen spezifischen Sitz oder eine besondere Autorität, von der es sich notgedrungenerweise herleitet). Für Sarpi war das Ergebnis ein weiterer Baustein im Bild des zunehmenden Freiheitsverlusts in der Kirche85 . Seit langem hat sich die Vorstellung durchgesetzt, daß von der Geschichte der Versammlungen Rückschlüsse auf die politischen, wirtschaftlichen oder religiösen Machtverhältnisse möglich seien, die den Versammlungen selbst unterlagen. An dieser Stelle genügt wenn auch auf einer anderen Ebene - ein Verweis auf die Beobachtungen J an Dhondts, demzufolge "les assemblees d'Etats sont en perpetuelle evolution" . Weiter schreibt er: .Et pourquoi evoluent-ils tellement? C'est que Ia composition, Ia competence et

!'autorite de l'assemblee d'Etats d'une province a un moment donne est le reflet exact

des rapports de force entre le prince et !es differentes composantes, !es differentes forces sociales-economiques qui vivent a ce moment-la dans Ia principaute. La puissance de chacune d'elles,l'importance relative de celle-ci par rapport a celle-la et reciproquement, sont en perpetuelle evolution. Et c'est pourquoi l'histoire des

H. Jedin, Die Geschäftsordnungen, S. 577. P Sarpi, lstoria del Concilio Tridentino, hrsg. von C. Vivanti, Turin 1974, Bd. 1, S. 235. 85 B. Ulianich, I! significato politico della lstoria del Concilio Tridentino di Paolo Sarpi, in: H. Jedin I P Prodi (Hrsg.), I! Concilio di Trento come crocevia della politica europea, Bologna 1979, S. 179-213, hier S. 202. 83

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assemblees d'Etats, si rebarbative a premiere vue, est passionnante. Elle seule nous enseigne l'etat des tensions a l'interieur d'une societe dans le passe" 86 •

An diesem Punkt ist es, glaube ich, möglich, Jedins Auffassung weiterzuentwickeln und sie auf die politische Ebene zu verlagern: Wenn -wie Jedin behauptet - sicher ist, daß die Geschäftsordnungen und die Versammlungstechniken unverfälschter Ausdruck der inneren Struktur der Konzilien sind, dann sind sie auch unverfälschter Ausdruck der politischen Machtverhältnisse, wenn man das Tridentinum als ein großes politisches Ereignis betrachtet. So kann es also gewinnbringend sein, Jedins Deutung vom ekklesiologischen ins politische Lager zu verlegen und in die Geschichte der politischen Einrichtungen Westeuropas in der frühen Neuzeit. Und wenn man diese Verlagerung vollzieht, wird auch die Frage nach einem möglichen .modernisierenden" Inhalt der Arbeitsweise des Tridentinum aktuell. Wenn man die anderen Konzilien untersucht, wird der Unterschied zu Konstanz evident, wo die Grundlage der Geschäftsordnungen die Nation ist. Jede einzelne Nation handhabt das Stimmrecht intern, und es handelt sich um ein ausnehmend weitgefaßtes Stimmrecht, das - und daran muß erinnert werden - auch die Universitäten als Körperschaften einschloß. Noch in Konstanz scheint, hauptsächlich aufgrunddes Dekret .Frequens" 87 , eine Art .Parlamentarismus" der Kirche möglich, nur um vom erstarkenden Papsttum unterdrückt zu werden. In Trient nichts von all dem. Und nun könnte man sich an diesem Punkt im Anschluß an einige mögliche von Wolfgang Reinhard vorgeschlagene Lesarten fragen, ob im Geschäftsgang und in der Praxis von Trient Aspekte einer .Modernisierung" 88 gesehen werden können und wie sich dies in den Konfessionalisierungsprozeß einfügt. Können wir mit anderen Worten behaupten, daß die ,Konfessionalisierung' genau wie die Sozialdisziplinierung auch unter diesem Aspekt eine Art .Modernisierung" ist? Oder, um das Problem von einem geringfügig anderen Gesichtspunkt aus anzugehen, muß man sich fragen, wie die veränderte Beziehung von Staat und Kirche (besser wäre es zu sagen Kirchen) im Zeitalter der Konfessionalisierung eine Rolle bei der Entstehung des modernen Staates gespielt hat89• Wenn die Kirche versucht hat, eine .royaute 86 ]. Dhondt, .Ordres" ou . puissances": l'exemple des Etats de F1andre, in: Annales ESC, 5 (1950), S. 288-350, hier S. 340 f. 87 Vgl. H. Jedin, Bischöfliches Konzil, S. 220. 88 W Reinhard, Disciplinarnento sociale, confessionalizzazione, modernizzazione. Un discorso storiografico, in: P Prodi (Hrsg.), Disciplina dell'anima, disciplina del corpo e disciplina della societa tra medioevo ed eta moderna, Bologna 1994, S. 101-123, hier S. 114. 89 Siehe auch]. -C. Schmitt, Problemes religieux de la genese de l'Etat moderne, in: ].-Ph. Genet I B. Vincent (Hrsg.l , Etat et Eglise dans Ia genese de l'Etat moderne. Actes du colloque organise par le Centre National de la Recherche Scientifique et la Casa de Velazquez. Madrid, 30 novembre et ler decembre 1984, Madrid 1986, S. 55-62.

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sacree zurückzudrängen, aber gleichzeitig freilich zur Sakralisierung der einzelnen Monarchien beigetragen hat90 , könnte sie das Konzil nicht, nach ihrem Kampf mit und ihrem Sieg über den Konziliarismus, als möglichen parlamentarischen Weg für die Kirche, als ein heiliges Moment der Ausarbeitung des Willens einer Körperschaft dargestellt haben? Mit Sicherheit war dies eine weitere Gelegenheit in der Phase der Konfessionalisierung, um eine entstehende politische Identität zu konsolidieren91 • In diesem Wandel der politischen Bedeutung des Konzils wird auch der Fortbestand neokonziliaristischer politischer Strömungen, die den monarchischen Absolutismus ablehnten, um vieles verständlicher92 • Ich glaube, daß Schillings Verweis 9} auf den "Überschneidungsbereich von Kirchen- und Gesellschaftsgeschichte" sehr wichtig ist für die Frage der Geschäftsordnungen und der versammlungstechnischen Kontrollformen. Somit befinden wir uns wirklich an der Grenze, an der Demarkationslinie von Kirchengeschichte und Gesellschaftsgeschichte: Kirchenzuchtforschung und Geschichte der versammlungstechnischen Dynamiken werden zum Schnittpunkt, zum Verbindungspunkt von theologisch-religiösen und historischpolitischen Phänomenen94• Wie man sieht, ist es ein Leichtes, die verschiedenen Lesarten und Ebenen zu überlagern und zu verwechseln, und hier beginnen dann auch die Probleme. Allein aus einer Verbindung der vielfältigen Aspekte wird ein richtiges Verständnis möglich. Betrachtet man jenen zwanzig Jahre währenden Komplex von Ereignissen und das Konzil von Trient als einen der wichtigsten Anstöße zum Beginn der Konfessionalisierung sowie einige der versammlungstechnischen Dynamiken des Tridentinums, lassen sich dann Beiträge zur Modemisierung erkennen? Das wollen wir im Folgenden untersuchen. Auf der ersten Generalkongregation vom 18. Dezember 1545 präsentierte Dei Monte nach der Sessio I die 17 Punkte zur äußeren Ordnung und zum

Ebd., S. 62. Vgl. W Reinhard, Etat et Eglise dans !'Empire entre Reforme et Absolutisme, ebd., S. 174-185, hier S. 182. 92 Vgl. für Frankreich im 16.Jahrhundert E. Sciacca, L'Opposition 'neo-conciliariste' a l'absolutisme monarchique en France: Jacques Almain et Jean Mair, in: Parliaments, Estates and Representation, VIII (1988), S. 149-155. 9} H. Schilling, Chiese confessionali e disciplinamento sociale. Un bilancio provvisiorio della ricerca storica, in: P Prodi (Hrsg.), Disciplina dell'anima, S. 125-160, hier S. 125. 94 Ebd., S. 139. 90 91

7 Prudi I Reinhard

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Arbeitsprogramm 9\ dessen Text auch Girolama Seripando mit einigen geringfügigen Unterschieden in seinem Tagebuch eintrug96 • Das Thema fand jedoch bei den Konzilsvätern kein Gehör, die nach Seripando .suas nonnulli sententias de scripto recitabant, qui a caeteris parum attente et non sine molestia audiebantur. Plerique non ut patres sed ut pueri plane atque tyrones loquebamur" 97 •

Tatsächlich handelt es sich um einen Text gemischten Inhalts, der großangelegte Fragen, wie die Ernennung eines Richters für Konflikte innerhalb des Konzils, oder den auch leiblichen Schutz der Versammlung, mit nebensächlicheren Problemen, wie der Höchstzahl von Bediensteten für jeden Konzilsvater, vermischte. Der Text ist schon vonJedin98, Beumer99 und Ganzer100 eingehend untersucht worden und daher wird auf sie verwiesen. Man kann jedoch nicht umhin, sich das deutliche Gefühl einzugestehen, es mit einem improvisierten Text zu tun zu haben, der schnell entworfen wurde und vorwiegend die zu jenem Zeitpunkt unter den Legaten und deren engsten Mitarbeitern zirkulierenden Ideen zum Ausdruck brachte. Hält man sich dies vor Augen, glaube ich nicht, daß die besagte Richtung angesichts der oben angeführten Studien für weitere Untersuchungen oder Diskussionen erfolgversprechend ist. Das gleiche gilt für eine Untersuchung des auf der Sessio II des Tridentinum unter Paul III. am 7. Januar 1546 publizierten Dekrets .modus vivendi in loco concilii" 101 . Es handelt sich in der Hauptsache um moralische Normen über die auf dem Konzil zu wahrenden guten Sitten, über den Geschäftsgang jedoch erfahren wir nichts. Am 26. Januar 1546 wurde in der Generalkongregation das Konzil in drei Klassen eingeteilt, die tagen sollten .coram quolibet eorundorum DD. praesidentium pari numero, eadem die, eadem hora et super eisdem articulis et materiis examinandis etdiscutiendis familiariter et domestice per propositiones et replicationes tarn Latina quam materna lingua" 102 ; die erste Tagung der drei Klassen, eine unter dem Vorsitz von Del Monte, die zweite unter Cervini, die dritte unter Pole fand am 2. Februar 1546 statt 1m. Dieser Versuch bewährte sich

95 96

97 98 99 100

101 102 IOl

CT, Bd. 4, S. 533, doc. 366. CT, Bd. 2, S. 410. CT, Bd. 2, S. 411. H. ]edin, Geschichte des Konzils, Bd. 2, S. 23. Beumer, Die Geschäftsordnung, S. 116.

].

K. Ganzer, Zu den Geschäftsordnungen, S. 837.

CT, Bd. 4, S. 554. CT, Bd. 4. S. 572, doc. 378. CT. Bd. 4. S. 574.

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jedoch nicht und wurde schon bald als gescheitert aufgegeben. Spätestens seit Mai!Juni 1546 fanden keine weiteren Versammlungen dieser Art mehr statt. Erst in der dritten Tagungsperiode werden Kommissionen und Deputationen erneut eine intensive und ausschlaggebende Rolle auf dem Konzil spielen, jedoch in Form von Ad-hoc-Deputationen und nicht als ständige Deputationen, die es erst auf dem Vatikanischen Konzil geben wird 104 • Die Kunstfertigkeit der Legaten kommt auch bei der Leitung der Generalkongregationen ans Licht - und, in der ersten Phase, bei der Bildung der sogenannten Klassen, denen immer ein Legat vorstand: was die Entstehung einer dem englischen Unterhaus ähnlichen Dynamik verhinderte, wo der Machtzuwachs der Kommissionen nach und nach die Macht des Speakers reduzierte, während gleichzeitig die der Opposition zunahm. Ein Versuch, den Arbeitsgang in der Kongregation zu verändern und den Diskussionsverlauf fließender zu gestalten, zumindest in den wortreichen Theologenkongregationen, ist der "Modus qui posthac servandus erit in materüs, quae examinabuntur a theologis minoribus" 105 , der am 20. Juli 1562 in Kraft trat und dessen Autor Gabriele Paleotti 106 war. Damit wurde der Kreis der Theologen, die das Wort ergreifen konnten, eindeutig eingeschränkt. Das Hauptziel dieser Regelung, nämlich die Redezeit der Theologen einzuschränken, wurde jedoch nicht erreicht. Es gab zahlreiche Verstöße gegen die Geschäftsordnung, angefangen bei dem Theologen Alfonso Salmeron, der am 21. Juli laut verschiedener Zeugen ungefähr drei Stunden sprach 107 • Einer der Gründe für das Scheitern einer solchen Regelung liegt auch in der Tatsache, daß die Konzilsdebatten dem Grundsatz unterlagen, "jedem stimmberechtigten Konzilsvater Gelegenheit zu geben, sich zu jeder Vorlage zu äußern 108• Ein Prinzip, das natürlich besonders zwingenden Reglementierungsformen widersprach. Es scheint offensichtlich, daß der Entscheidungsfindungsprozeß auf dem Konzil dem englischen Prozeß eines bill, als Entwurf in Form des endgültigen Gesetzes, weit mehr entspricht als der französischen Vorgehensweise in den Generalständen mit ihren Petitionen 109•

104

105 106 to7

Vgl. H. ]edin, Die Geschäftsordnungen, S. 582 f. CT, Bd. 8, S. 720. H. ]edin, Geschichte des Konzils, Bd. 4/1, S. 337, Anm. 10. Ebd.

Ebd., S. 178. Vgl. ]. E. Neale, The Commons' Privilege of Free Speech in Parliament, in: E.B. Fryde I E. Miller (Hrsg.), Historical Studies of the English Parliament, Cambridge 1970, Bd. 2, S. 147-176, hier S. 155. 108

109

7'

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Die Dynamik entspricht der des englischen Parlaments, die im Wunsch, positiv zu handeln, zum Ausdruck kommt. Es geht also nicht nur um die Behauptung des Rechts, für oder gegen die von der Versammlungsleitung vorgeschlagenen Maßnahmen zu sprechen oder zu stimmen, sondern auch um die Forderung, damit beginnen zu können, Projekte vorzuschlagen und die Tagesordnung vorzubereiten 110• Wir erinnern daran, wie noch 1593 in England der Kanzler die Abgeordneten mahnte: "Redefreiheit ist gewährt, aber ihr müßt euer Privileg verstehen; das besteht nicht darin, daß jeder rede, was ihm beliebt oder was zu äußern ihm gerade in den Sinn kommt. Euer Privileg ist Ja' oder ,Nein' zu sagen" 111 • Bei der Abstimmung im englischen Parlament war die Prozedur der Fragestellung die Folgende: "Jede Question ist zuerst positiv vorzulegen, also derart: soviele der Meinung sind, daß ... , sagen Ja; und dann in negativer Form: soviele als der gegenteiligen Meinung sind, sagen Nein" 112 , was im Grunde genommen zum seihen Mechanismus des placet und des non placet führte, der auf dem Konzil gebräuchlich war. Eine Untersuchung der bewußt vom Konzil angenommenen Bestimmungen zur Ordnung der eigenen Arbeiten würde kaum etwas Neues zu den schon von Jedin, Boesch, Beumer oder Ganzer erreichten Ergebnissen hinzufügen. Die Richtung, die es meiner Meinung nach einzuschlagen gilt, ist diejenige der richtiggehenden Praxis der Versammlungsleitung. Die nach vielen Jahren Arbeit gewonnene Erfahrung, die sich als Praxis durchsetzt. In dieser ersten Phase scheinen mir zu unserem Zweck die Bemerkungen des Bischofs von Feltre Tommaso Campeggi vom 18. Januar 1546 über die Glaubens- und Reformfragen sehr interessant, oder besser seine Frage, von welcher Seite der Religionsfrage die Diskussion im Konzil auszugehen ist: ob von den Glaubensfragen oder den Reformfragen auszugehen ist, bzw. seine Beantwortung der Frage, ob es nicht besser wäre, beide gleichzeitig zu behandeln. Der Bischof von Feltre schlägt vor, die Konzilsväter in zwei Gruppen zu teilen, in eine an Problemen der Kirchenreform und eine an theologischen Fragen interessierte: "porro veluti diversa membra diversa officia habent et unusquisque suum donum habeat et functionem: non omnes idonei sunt ad eandem rem tractandam. Alii enim idonei sunt ad res fidei tractandas, alii ad politiam et mores reformandos"ll). 110 Siehe in diesem Zusammenhang ].5. Roske/1, Prospetlive di storia parlamentare inglese, in: E. Rote/li I P Schiera, Lo Stato moderno. Da! Medioeva all'eta moderna, Bologna 1971, Bd. 1, S. 147-172, hier S. 163. Zum Konzil siehe außerdem die Frage des "proponentibus legatis". 111 ]. Redlich, Recht und Technik, S. 54. 112 Ebd .. S. 534. m CT, Bd. 4. S. 569, doc. 375a, eigene Hervorhebung.

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Mit diesen Worten hat der Bischof von Feltre die Ziele des Konzils bestens herausgestrichen und restlos verstanden. Was die Reform der Sitten betrifft, so hat er diese außerdem aus einer rein moralischen oder moralistischen Dynamik herausgehoben, weg von der Frage der Mißbräuche, und hat somit technisch äußerst sprachgewandt das definiert, was die Kirche zu einer Reform benötigte. Der Gebrauch des Ausdruckes ad politiam spricht Bände über die Selbsteinschätzung einiger Konzilsväter im Hinblick auf die Arbeit, die sie auf sich genommen hatten, und die neuen Aufgaben, die auf die Kirche zukamen. VI. Mir scheint, wir können die Frage des Propositionsrechts der Themen für die Tagesordnung als Musterbeispiel untersuchen, freilich nicht als einziges, denn dieser Streitfall war durch das ganze Konzil hindurch aktuell und Sarpi sah in ihr "il principal arcano per conservar l'autorita ponteficia" 114• Am Beispiel der Bulle vom 20. März 1538 115 , die den Legaten das Recht "omia proponendi, ordinandi et de ipsius concilii consilio decernendi et statuendi" zusprach, war der gesamte Konzilsverlauf von der Eröffnung im Jahre 1545 bis zur Schließung 1563 geprägt von einer beharrlichen und extremen Entschlossenheit, das Propositionsrecht den Legaten allein vorzubehalten 116• In der dritten Tagungsperiode, gegen den Schluß hin, wankte man in Rom ein wenig, aus Angst, die Spanier zu sehr zu verärgern. Das gesamte Tridentinum ist von Spannungen, oder auch nur Unstimmigkeiten zwischen Legaten und Bischöfen durchzogen, die von dem entschiedenen Beharren der ersten auf dem exklusiven Propositionsrecht herrührten. In der Generalkongregation vom 10. Mai 1546 macht der Kardinal von Trient Madruzzo auf die Notwendigkeit aufmerksam, auf den Brief des Königs von Portugal an das Konzil zu antworten117• Kardinal Del Monte antwortet, daß die Legaten eigenständig antworten würden, worauf Madruzzo daran erinnert, daß der Brief an das gesamte Konzil gerichtet und daß es deshalb opportun sei, die Antwort im Namen des ganzen Konzils abzufassen. So begann eine Unstimmigkeit zwischen dem Kardinal aus Trient und Dei Monte, die ihren Anfang bei der Redefreiheit nahm und sich jedoch nach kurzem hin und her auf die Frage des Propositionsrechts ausdehnte. Del Monte setzte sich für die volle Redefreiheit aller auf dem Konzil ein, gestand jedoch zu, daß nur "ad 114 115 116

845. 117

P Sarpi, Istoria, Bd. 2, S. 1035. CT, Bd. 4, S. 394, Anm. 1. Weitere Hinweise zum Thema in: K. Ganzer, Zu den Geschäftsordnungen, S. Vgl. CT, Bd. 5, S. 132.

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legatos pertinet, proponere in concilio" 118 • Madruzzo antwortete, daß er die Aufgaben der Legaten nicht in Frage stellen wolle, daß es ihm jedoch logisch erscheine und- gegebenenfalls -legitim sein müßte, Vorschläge zu unterbreiten, oder, laut Severoli, darüber vor dem Konzil zu berichten 119• Am seihen Tag, nach einem Streitgespräch mit dem Bischof von Fiesoie Braccio Martelli, bekräftigte Dei Monte den .munus legatorum, quod est proponere" 120• Auf die Frage des Bischofs von Capaccio Enrico Loffredi, der wissen wollte, wie er sich zu verhalten habe, um eventuell dem Konzil etwas vorzuschlagen 121 , antwortete der Legat Dei Monte, daß der Vorschlag den Legaten vorzulegen sei, "quid id libere (si ita expedire videbitur) proponent" 122 • Wenige Tage darauf, in der Kongregation vom 18. Mai 1546, brachte Kardinal Pedro Pacheco erneut die Frage auf, ob- trotz des vollen Propositionsrecht der Legaten in den Kongregationen - unter gewissen Umständen auch andere aktiv am Vorschlagsrecht beteiligt sein könnten 123 • Radikaler betrat der Bischof von Astorga Diego de Alaba y Esquivel das Feld und behauptete, daß nicht nur die Legaten, sondern .etiam quilibet praelatus suo loco et tempore si aliquid sibi videtur proponere potest" 12\ und weiter gelangte er nach Eingriffen von Dei Monte und dem Kardinal Pacheco zu dem Schluß, "quod quilibet praelatus potest libere proponere quidquid voluerit, allegans Iacobacium, Bartolum et Baldum, etiam quod aliquis vellet proponere aliquid contra R.mos D.legatos in his, quae tangunt legationem, vel contra cardinales" 125, womit er die Irritation Dei Montes 126 und die Aufhebung der Diskussion über diesen Punkt hervorrief. Wenn wir von den Anfängen des Konzils zu seinem Ende übergehen, wird deutlich, wie das Bild das gleiche geblieben ist. Während der Sessio XVII vom 18. Januar 1562, im Dekret .de celebrandum concilio", bestätigen die Konzilsväter, daß das Propositionsrecht den Legaten zustehe 127 • Sie folgen einer Argumentation, die Paolo Sarpi von seinem Gesichtspunkt aus exemplarisch beschreibt, indem er deren Ziel darlegt, jedes bischöfliches Autonomiebestreben CT, Bd. 5, S. 134. CT, Bd. 5, S. 134, Anrn. 4. 12 CT, Bd. 5, S. 135. 121 CT, Bd. 5, S. 135. 122 CT, Bd. 5, S. 135. 123 CT, Bd. 5, S. 144. 124 CT, Bd. 5, S. 145. 125 CT, Bd. 5, S. 146. 126 .Non sit verurn, quod possit proponi aliquid contra legatos vel cardinales", CT, Bd. 5, S. 147. 127 Conciliorurn Oecomenicorurn Decreta, S. 723. 118

119

°

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unter Kontrolle zu halten, und die Methode nicht negativ, sondern positiv schildert 128 . Wenn überhaupt, so werden einige politische Beobachtungen angestellt, um auch die weltlichen Autoritäten- an erster Stelle den Kaiser- von der Notwendigkeit zu überzeugen, am "proponentibus legatis" festzuhalten. Zum Verständnis dieser Lesart hilft uns Kardinal Giovanni Morone in der Zusammenfassung seiner Antwort an den Kaiser vom 23. April1563 129• Morone behauptet, als Antwort auf das kaiserliche Drängen, das Propositionsrecht auszuweiten, das eine Änderung der inzwischen konsolidierten Praxis, Ansehen und Autorität nicht nur des Tridentinum, sondern auch der vorausgegangenen Konzilien untergraben würde, da eine Änderung schon ratifizierter Konzilsdekrete unzählbaren Anfechtungen den Weg ebnen und den Reformierten die Möglichkeit geben würde, das Werk des Konzils zu verhöhnen. Aber an erster Stelle, und das scheint uns hier am interessantesten, "dar licentia a tutti di proponere sarebbe un dar occasione a populi di far mille querele contra i principi e domandar giustitia ... ehe sarebbe un turbar l' ordine di tutti i collegi, ne i quali a i piu principali tocca sempre a proponere le materie ehe hanno da determinarsi" 00. In einem zwischen dem 8. und dem 12. Mai 1563 in Innsbruck abgefaßten Promemoria vermerkte der Kardinal wie, "quod si vel tolleretue vel mutaretur ita ut unicuique liberum esset proponere quae sibi videbuntur, multa inconvenienta facile oriri possent" 131 , und erinnerte daran, wie .non debet tanta esse in omnibus lieentia ut veluti popularis aliqua seditio exeitetur, quod fierit si unieuique lieeret pro arbitrio proponere. Haee nimia proponendi lieentia non tantum ipsi eoneilium detrimentum afferret in rebus eedesiastieis, sed ipsis etiam prineipibus esset pernitiosa; sie enim subditis lieeret de eorum gravaminibus publiee eonqueri" 1l2.

Das "proponentibus legatis" erscheint so nicht nur als der "principal arcano" 1n zur Bewahrung der päpstlichen Macht, sondern wird von Morone wie ein "principal arcano" auch zur Wahrung der fürstlichen Autorität dargestellt; auf diese Weise deckt er auch die enge Verbindung zwischen den tridentinischen 128 Die Legaten "vedevano I'arduita della proposta e prevedevano Ia contraddizione e pero il bisogno d'usar molta arte per farlo rieever dolcemente et inavedutamente. Quella negativa, ehe nissun proponga, pareva dura et aspra; piaeque piu l'affermativa: ehe i legati proponessero non dandosi esdusiva ehiara agl' altri, ma solo virtuale, tutto eoprendo con pretesto di servar ordine e dare la deliberazione alla sinodo", P. Sarpi, lstoria, Bd. 2, S. 749. 129 In: G. Constant, La Iegation du eardinal Morone pres I'Empereur et le Coneile de Trente (avril-deeembre 1563), Paris 1922, doc. 9, S. 37 f. IJo Ebd. , S. 40. IJI Ebd., S. 120. m Ebd., S. 121. m P. Sarpi, lstoria, Bd. 2, S. 1035.

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Debatten und dem politischen ,Modellbau' auf. Man ahnt, wie das Schema des Arbeitsablaufs sofortige Auswirkungen nicht nur auf das Prozedere in den Parlamenten, sondern auch auf die Policeyordnungen der Staaten hat. Morone gelingt es, auf diesem Wege den Kaiser zu überzeugen, und dieser gelangt zu einer vagen Haltung, aus der heraus er versucht, die eigenen Anforderungen zu schützen, ohne sich jedoch dem in den Weg zu stellen, was der Legat befürwortee34. Der König von Spanien Philipp II. setzt sich auch weiter über seinen Botschafter beim Konzil, den Grafen von Luna, für eine Veränderung der Klausel "proponentibus legatis" 135 ein, demgegenüber die Legaten jedoch auch künftig entschieden auf Gegenkurs gehen n6 und am Ende die Oberhand gewinnen. Die Garantie eines den Legaten vorbehaltenen Propositionsrechts erscheint praktisch als der einzige außer Diskussion stehende Aspekt der Konzilsversammlungen. Während man in anderen Fragen dazu neigt, eine consuetudo zu entwickeln, die sich - genau wie in anderen Versammlungen - aus dem Einpendeln von unterschiedlichen Kräften und Anforderungen ergibt, die einen Mittelwert erreichen, haben wir es in diesem Fall mit einer extremem Starrheit zu tun; und deutlich tritt eine unüberwindliche Linie vollster Übereinstimmung zwischen dem Papst und den Kardinallegaten hervor. Im Grunde genommen blieb alles wie von Theiner im "ordo celebrandi" dargestellt: .primus praesidens proponit patribus ea, quae pro tempore occurunt de quibus sententias rogat: nemini enim licet nisi solis praesidentibus proponere: absente vero primo proponit secundus et sie absente secundo tertius etc." 137 .

In diesem Zusammenhang muß an eine gewisse funktionelle, sicher nicht juristische, Ähnlichkeit der Figur des Konzilspräsidenten mit jener des Speaker des Unterhauses erinnert werden. Bei der Aufstellung der Tagesordnung ist die Funktion des Speaker ausschlaggebend, aber "es wird nie geduldet, daß er zu irgend einer Bill pro oder contra spricht" 138, besonders unter den TudorHerrschem, als er eng an die Monarchie gebunden und in der Praxis am Hof immer gern gesehen warm. Das Problem der Rolle des Speaker wird in internen n 4 Siehe die Antwort des Kaisers Ferdinand aus Innsbruck vom 13. Mai 1563 in:

G. Constant, La Iegation, S. 124.

135 Siehe auch, was Gabriele Paleotti in seinen .Acta concilii tridentini" berichtet, in: CT, Bd. 3/1, S. 730 f., unter dem 28. September 1563. n 6 "Legati replicant nec id praelatis tribuendum, quando id tantum legatis competat, qui praesident et quorum proprium munus est authoritate sua negatia dirigere", CT, Bd. 3/1, S. 731. 137 A. Thein er, Acta, S. 7, Sp. A. ns ]. Redlich, Recht und Technik, S. 47. 139 M.A.R. Graves, The Tudor Parliaments, S. 21 ("His role in determining the order of business was crucial").

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Diskussionen im Unterhaus aufgegriffen. Wir wissen, daß es 1601 zu einer lebhaften Diskussion über die Geschäftsordnung kam, in der der Speaker von der einen Seite mit dem Konsul im alten Rom verglichen wurde, der im Senat das Vorschlagsrecht hatte, und man vertrat die Auffassung, daß die Abgeordneten des Unterhauses die Aufgabe hätten, ihn im Falle einer Verfehlung oder bei Verletzung seiner Pflichten zu ersetzen. Die zur Diskussion anstehenden Themen konnten sie jedoch nicht festsetzen. Die andere Seite betonte vielmehr den großen Unterschied zwischen dem politischen System im alten Rom und dem englischen. "Wir haben eine bürgerliche Regierung [Ours is a municipal government] und wir kennen unsere eigenen Beschwerden besser als der Speaker, und daher ist jedermann berechtigt, abwechselnd zu verlangen, daß jene Gesetze behandelt werden, die er für höchst notwendig hält" 140. Die Abhängigkeit des Speaker von der Krone unter den Tudor-Herrschern ging auch auf die Tatsache zurück, daß diese nicht selten auch am königlichen Hof Ämter bekleideten 141 . Es entstand ein geflügeltes Wort, das wie folgt lautete: "Die Mitglieder des Unterhauses wählen ihren Speaker, der, obgleich er vom König nominiert wird, doch ein Mitglied des Hauses sein muß" 142• 1592 wies ihn die Königin an, keine Debatten über Vorkehrungen zu Kirchenfragen zuzulassen143 • Außerdem war es üblich, daß der Speaker den Hof noch vor dem Haus über die Themen informierte, die zur Diskussion gestellt werden würden (erst 1604 wurde ihm dies ausdrücklich verboten) 144 • Der Speaker hielt es im Endeffekt für seine Aufgabe, die Krone über alles zu informieren, was ihm amtlich unterkam. Wenn wir versuchen, abschließend einige Schlußfolgerungen zu ziehen, und uns fragen, welche Bedeutung den Versammungstechniken des Konzils von Trient zukommt, meinen wir, behaupten zu können, daß diese vom ekklesiologischen Gesichtspunkt aus insgesamt darauf ausgerichtet sind, die päpstliche Macht zu stärken, während wir vom versammlungspolitschen Gesichtspunkt aus eine starke Kontrolle nicht so sehr über die Redefreiheit als vielmehr darüber wahrnehmen, was als Kern erscheint: nämlich über die Tagesordnung. Außerdem wollte man vermeiden, daß die Prokuratoren der Abwesenden eine federführende Rolle einnehmen konnten. Aber letztendlich war die eigentliche Kontrollinstanz die Tagesordnung.

Redlich, Recht und Technik, S. 59, Anm 1. Beispiele ebd., S. 419. Ebd.

140 ].

141 142

143 144

Ebd., S. 421. Ebd.

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Ich würde sagen, daß dies auch in der Geschichte der Parlamentsversammlungen genau der Streitpunkt ise 45 . So gesehen, reiht sich das Konzil von Trient in den historischen Prozeß der zeitgenössischen Versammlungen ein, und es scheint, was einige Aspekte betrifft, neue Mittel und Wege anzubieten, die es eher in die Nähe jener Einrichtungen rücken, die mehr auf die Moderne projiziert sind, wie das englische Parlament, als auf Einrichtungen wie die französischen Generalstände, die eindeutig an die Struktur des Ancien Regime gebunden waren. Dennoch ging das parlamentarische Leben des Konzils nach der Niederlage der Konzilsbewegung soweit wie möglich weiter: der Bruch in der Geschichte des Unterhauses 146 wurde vom Ende der Macht der Krone ausgelöst, effektiv ohne Parlament zu regieren. Sobald das Parlament sich als unentbehrlich und sogar unumgänglich darstellte, können wir sagen, daß es in eine bedeutende neue Phase seiner Geschichte eintrat. Erst dann war die Verfassung des Ancien Regime endgültig am Ende: nicht sterbenskrank, sondern tot. Das, was das Unterhaus unter den Tudor-Herrschern geschaffen hatte, nämlich die Organisation der eigenen Disziplin, die Kontrolle über die Teilnahme der eigenen Mitglieder und die Unterstreichung der eigenen Körperschaft, schuf die Voraussetzungen für die Entwicklung neuer institutioneller Möglichkeiten. Was das Potential und die Entwicklungen betrifft, kann ein weiterer Vergleich zwischen den Parlamentsversammlungen und dem Konzil von Trient angestellt werden. Bis zu einem gewissen Punkt scheinen Konzile und Versammlungen dasselbe Potential zu haben, die historische Entwicklung ist jedoch eine andere. Diese unterschiedliche Entwicklung, die vom Konziliarismus im 15. Jahrhundert unterbunden wurde, raubt den kirchlichen Einrichtungen zu Beginn der Epoche der Konfessionalisierung den letzten Rest an Modernisierungsenergie, um sodann im Prozeß der vollständigen Entwicklung der modernen politischen Einrichtungen anderen das Steuer zu überlassen.

145 Einige Grundprobleme der Parlamentsgeschichte in der frühen Neuzeit werden angegangen in: A. Marongiu, Monarchia assoluta. 146 ].5. Roskell, Prospettive, S. 171.

Die Erneuerung der Seelsorge und die Gesellschaft nach dem Konzil von Trient Von Louis Chatellier*

Die Seelsorge ist nicht mit dem Konzil von Trient entstanden. Seit langer Zeit schon gab es Geistliche, die sich aktiv um ihre Gemeindemitglieder kümmerten, oder Missionare wie Vicente Ferrer, die zu den Volksmengen sprachen, die ihnen folgten, und dabei die Buße predigten. Neu waren die beachtlichen Anforderungen des Konzils. Es ging nicht mehr darum, diesen oder jenen Punkt der Lehre zu korrigieren, vielmehr stand eine Gesamtdefinition und -darstellung der katholischen Lehre an 1 • Es ging nicht nur darum, sich an die Geistlichen zu wenden, das ganze Volk sollte angesprochen werden. Es war nunmehr gehalten, die Lehre der Kirche in ihrer Gänze zu kennen und zu praktizieren. Der Auftrag zu informieren, zu lehren und zu korrigieren, war den Bischöfen anvertraut worden. Auf diese Weise wurden ihnen ihre ursprünglichen Funktionen vollständig zurückgegeben. Sie konnten sie vollkommen ausfüllen, wie Carlo Borromeo. Die Dekrete, die zum Abschluß der von ihm einberufenen Provinzialkonzilien und Sinodalversammlungen veröffentlicht wurden, dienten der gesamten Christenheit als Vorlage2 • Aber er war nicht der einzige, der seine Mission ernst nahm. Andere Bischöfe verhielten sich, zeitgleich zu ihm und manchmal vor ihm, genauso und machten die Dekrete des Konzils zusammen mit den Direktiven zu ihrer Ausführung ihrem Klerus zugänglich; so der Bischof von Verdun, Nicolas Psaume, oder viele Prälaten der Provinz Avignon}. Deutsch von Klaus-Peter Tieck. Conciliorum oecumenicorum decreta, curantibus ]. Alberigo I ].A. Dossetti I P-P ]oannou I C. Leonardi I P Prodi, consultante H. ]edin, 3. Auf!., Bologna 1972, S. 657-799; P Prodi, I! sovrano pontefice. Un corpo e due anime: Ia monarchia papale nella prima eta moderna, Bologna 1982. G. Alberigo, Carlo Borromeo come modello di vescovo della chiesa post-tridentina, in: Rivista storica italiana, 79 (1967), S. 1031-1052; vgl. darüber hinaus ].M. Headley (Hrsg.), San Carlo Borromeo. Catholic Refom and Ecclesiastical Politics in the Second Half of the Sixteenth Century, Washington 1988 und G. Alberigo, Kar! Borromäus. Geschichtliche Sensibilität und pastorales Engagement, Münster 1995. } B. Ardura, Nicolas Psaume 1518-1575, eveque et comtede Verdun, Paris 1990; W Reinhard, Die Reform in der Diözese Carpentras unter den BischöfenJacopo Sadoleto,

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Aber es genügte nicht, die Geistlichen zu unterweisen. Es galt sicherzustellen, daß diese Lehre die Gläubigen erreichte und daß diese sie in ihrem täglichen Leben praktizierten. Auf dieser Ebene gab es zwei beachtliche Hindernisse, die auf den ersten Blick unüberwindbar schienen. Das erste hatte mit der sehr unterschiedlichen Qualität des Weltklerus vor der - zurecht von dem Konzil von Trient verlangten - Begründung der Seminare zu tun. Es dauerte tatsächlich zwei Jahrhunderte, bevor diesem Anliegen gänzlich entsprochen wurde. Da im 16. Jahrhundert 90% der Bevölkerung Analphabeten waren, war eine auf Druckschriften gegründete Seelsorge ohnehin illusorisch. Es stellte sich deshalb ein kapitales Problem: das der Vermittler. Wer konnte diese Mission tatsächlich ausführen? Geistliche? Aber bis zu welchem Punkt? Eine christliche Elite? Aber wie hätte sie die Armen und Unwissenden erreichen können? War es zweckdienlich, die Armen selbst zu Missionaren neuen Typs zu machen? Aber wäre dies mit der Stellung vereinbar gewesen, die das Konzil der Hierarchie eingeräumt hatte, und bestand nicht womöglich das Risiko einer Deformation der Lehre? 1. Die Anwendung eines Systems

Zur Zeit des Konzils von Trient trat ein neuer Geistlichentypus in Erscheinung. Er gehörte dem Regularklerus an, insofern er Mitglied eines Ordens oder einer Gesellschaft war und somit ihrer Regel und ihrer Hierarchie unterlag. Er war gleichzeitig säkular, weil er dazu berufen war, in der Welt apostolische (Missionen), im engeren Sinne pastorale (Ausübung der Seelsorge) und darüber hinaus Aufgaben im Bereich der Ausbildung der späteren Pfarrer (Leitung von Seminaren, Universitäten, Kollegien) zu erfüllen. Das waren die Priestergesellschaften; die erste und berühmteste war die 1540 von Ignatius von Loyola begründete Gesellschaft Jesu. Aber es gab andere wie die Oblaten des Hl. Karl in Italien, die Geistlichen des Oratoriums Pierre de Berulles (1611) in Frankreich oder die Geistlichen der Mission Vinzenz von Pauls (1625) 4 • Wie sahen die Grundprinzipien des Apostolats nach Ignatius von Loyola aus? Sie können aus seiner missionarischen Praxis abgeleitet und darüber hinaus aus einem sehr wichtigen Text entnommen werden, den "Constitutiones circa missiones", einer der ersten Vorlagen der späteren, von Ignatius ab 1544-1545 verfaßten "Constitutiones". Als er selbst 1535 die missionarische Praxis in Guipuzcoa im Baskenland einübte, führte er das Leben eines Armen (oder Paolo Sadoleto, Jacopo Sacrati und Francesco Sadoleto (1517-1596), Münster 1966; M. Venard, Reforme protestante, reforme catholique dans la province d'Avignon au XVIe siede, Paris 1993. 4 L. Chtitellier, Le catholicisme en France 1500-1650, 2 Bde., Paris 1995, Bd. 2, S. 46-70.

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eines Pilgers, wie er selbst sich definierte): Er bat um Almosen, unterwies die Bettler und gab den Kindern des Dorfs religiösen Unterricht. An den Sonnund Feiertagen betete er und widmete sich barmherzigen Werken, gleichzeitig prangerte er die Mißbräuche an. Darüber hinaus brachte er dem Volk seine Gebete bee . Es war noch eine überkommene Mission nach der Methode Vicente F errers. ZwanzigJahre später, als lgnatius noch am Leben war, wurde in Neapel eine von den Jesuiten geleitete Gesellschaft zur Verehrung des Hl. Sakraments gegründet, deren Statuten vom Gründer der Gesellschaft Jesu genehmigt und vielleicht inspiriert wurden. Darin ist die Pflicht formuliert, "sich alle Tage zu reformieren und damit das gute Beispiel zu geben und die anderen zu erbauen". Alle fünfzehn Tage sollte deshalb gebeichtet und kommuniziert werden6 • Konnte es sich bereits um ein Echo der Konzilssessionen von 1551-1552 über die Sakramente handeln? Auf jeden Fall verdient eine so frühe Erwähnung der häufigen Kommunion in den Statuten einer Bruderschaft Aufmerksamkeit. In bezug auf dieselbe Epoche verfügen wir über Informationen zum Inhalt der Predigten, die, wenn nicht lgnatius selbst, so doch seine ersten Mitbrüder gehalten haben. Dem Bericht Pater Silvestro Landinis zurfolge, der zwischen 1547 und 1554 Zentralitalien und Korsika durchwanderte, griffen die während der Mission gehaltenen Predigten allesamt auf die erste Woche der "geistlichen Übungen" zurück7 • Das heißt, sie behandelten im wesentlichen die Sünde und ihre Folgen. lgnatius, Organisator und Politiker, machte seine Absichten in den ersten Entwürfen der für die Missionare bestimmten Konstitutionen (1544-1545) deutlich. "Und da das Gute um so mehr göttlicher ist, als es universell ist" - so lgnatius - "sind die Personen und die Orte vorzuziehen, die, nachdem sie davon profitiert haben, es so einrichten, daß das Gute sich auf viele andere ausdehnt, die unter ihrer Autorität leben und sich nach ihnen richten". Es waren deshalb "Personen hohen Rangs" vorzuziehen, wie die Fürsten und Prälaten. Aus denselben Gründen galt es großen Ländern wie Indien oder wichtigen Städten Vorrang einzuräumen8 • Auf diese Weise leitete sich von den Direktiven Ignatius' eine Seelsorge ab, die auf die Predigt der Buße und die Aufforderung zum Empfang der Sakramente gründete. Eine Strategie, die auch durch die Suche nach größtmöglicher Wirkung gekennzeichnet war. Diese Methode wurde von den ersten Jesuitenpredigern mit einer gewissen Elastizität angewandt. Viele predigten noch ,nach apostolischer Manier', d.h. als die von Gott gesandten Propheten, die in die Dörfer gingen, auf dem 5 lgnace de Loyola, Ecrits, traduits et presentes sous la direction de M. Giuliani S.J., Paris 1991, S. 1064-1065. 6 L. Chotellier, L'Europe des devots, Paris 1987, S. 19-20. 7 A . Guidetti 5.]., Le missioni popolari. I grandi Gesuiti italiani, Mailand 1988, S. 21 -29. 8 lgnace de Loyola, Ecrits, S. 548-549.

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öffentlichen Platz oder in den Wirtshäusern sprachen und wortgewaltig die Leute zur Buße aufriefen. Nach zwei oder drei Tagen verließen sie jene Orte und fuhren fort, die Menge zu unterweisen, die ihnen auf der Wanderschaft folgte, während die enthusiastischeren Zuhörer nicht zögerten, sich erbarmungslos zu geißeln. In Kalabrien predigten auf diese Weise Pater Alfonso Bobadilla, in Mittelitalien Pater Andrea da Oviedo und Pater Silvestro Landini. Ein Zeuge erzählt, wie 1554 das apostolische Werk Pater Bemard Oliveris in den südlichen Niederlanden vonstatten ging. Wenn er von einem Dorf zum anderen zog, "folgte ihm die Menge, so wie die Juden in den vergangeneo Zeiten Unserem Herrn folgten, und, während er weiter ging, nahm er Beichten ab, zerstreute Zweifel, gab Ratschläge und tröstete die Seelen "9 • Diese Art zu missionieren unterschied sich in keiner Weise von der, die bereits seit zwei oder drei} ahrhunderten von den Bettelorden praktiziert wurde, und jüngst von den Kapuzinern, den von Matteo da Bascio reformierten Franziskanern, deren innere und äußere Entsagung die Bevölkerung in so großem Maß beeindruckte. Ab der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts trug ihnen dies eine herausragende Stellung in den inneren Missionen sowohl in Italien als auch im übrigen Europa ein 10 • Die religiösen Orden waren andererseits darum bemüht, Folgen für das zu organisieren, was ein Schock ohne Folgen zu bleiben drohte. Seit dem 15. Jahrhundert waren einige Vereinigungen der Barmherzigkeit entstanden, die Geistliche und Laien, Männerund Frauen zusammenführten. Das waren zunächst die Bruderschaften des Rosenkranzes in den Dominikanerklöstern in Douai 1470, in Köln 1475, in Florenz 1485. Die Veröffentlichung im Jahr 1524 des "Rosario della gloriosa Vergine Maria" Alberto da Castellos mit 179 Holzschnitten erlaubte es den Analphabeten, den Rosenkranz zu beten und sich dabei geistlich auf die Bilder zu konzentrieren. Es handelte sich also um ein Buch geistlicher Erbauung, das auf einem allgemein bekannten Gebet aufbaute, das es dank der 15 Geheimnisse des Rosenkranzes erlaubte, sich mit der gesamten Heilsgeschichte und der Geschichte der großen Glaubensgeheimnisse zu imprägnieren 11 • Bekanntlich hatten die ersten Rosenkranzbruderschaften einen großen Erfolg 12 • Dasselbe widerfuhr den ersten Bruderschaften des Hl. Sakraments, die ebenfalls auf eine Initiative der Dominikaner zurückgingen. 9 A. Poncelet, Histoire de Ia Compagnie de]esus dans !es anciens Pays-Bas, 2 Bde. (Academie royale de Belgique, XXI), Brüssel1927, Bd. 1, S. 71 -72. 10 Über die Kapuziner vgl. D. Dompnier, Enquete au pays des freres des anges. Les Capucins de Ia province de Lyon aux XVIIe et XVIIIe siedes, Saint-Etienne 1993; zu den Problemen der Mission vgl. hingegen L. Chdtellier, La religion des pauvres. Les missionsrurales en Europe et Ia formation du catholicisme moderne, XVIe-XIXe siede, Paris 1993. 11 M.H. Froeschle-Chopard, Espace et sacre en Provence (XVIe-XXe siede). Cultes, images, confreries, Paris 1994, S. 444-449. 12 J.C. Schmitt, Apostolat mendiant et societe. Une confrerie dominicaine aIa veille de Ia Reforme, in: Annales ESC, 26 (1971) 1, S. 83-104.

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Sie sollten eine auf das 13. Jahrhundert zurückgehende Verehrung neu stärken und weiter verbreiten. Zu jener Zeit bewogen die Offenbarungen Julienne de Cornimonts Papst Urban IV., 1269 das Fronleichnamfest zu begründen. Die unterschiedlichen Bruderschaften des Hl. Sakraments nahmen sich 1539 die in Santa Maria sopra Minerva in Rom gegründete Bruderschaft der Dominikaner zum Vorbild. Auch in diesem Fall waren die Statuten sehr einfach, aber sie hatten eine besondere Bedeutung zur Zeit der protestantischen Reformation. Der Zweck dieser Vereinigung war die Bewahrung des Hl. Sakraments und vor allem seine Verherrlichung, und zwar sowohl innerhalb als außerhalb der Kirche. Die gesamte, innerhalb der Dekrete des Konzils von Trient grundlegende katholische Eucharestielehre konnte demnach, formal sichtbar und allgemein zugänglich, dank dieser Prozessionen verbreitet werden. Sie waren alltäglich geworden (wenn der Geistliche einem Kranken die letzte Ölung brachte) oder feierlich (Fronleichnam). Bei solchen Anlässen hielten alle mit einer Kerze Ehrenwache bei dem in der Hostie gegenwärtigen Leib Christi. Der Erfolg war außerodentlich, wenn man bedenkt, daß allein im Laufe der Jahre 1539-1543, nach der Bulle Pauls III., 1698 Bruderschaften des Hl. Sakraments (davon 86% in den Mittelmeerländern) ihrem ,Mutterhaus' Santa Maria sopra Minerva angegliedert wurden 13 • Als die Jesuiten 1563 in ihren Kollegien die ersten marianischen Kongregationen einzurichten begannen, nahmen sie gewissermaßen an dieser mächtigen Bruderschaftsbewegung teil, die seit einem Jahrhundert so großen Erfolg hatte. Das ging sogar so weit, daß man in Köln von den Kongregationskandidaten die Mitgliedschaft in einer Rosenkranzbruderschaft verlangte. Sie führten jedoch Neuerungen ein, die zwei wesentliche Punkte betrafen: Der Empfang der Sakramente war in dem Statut inbegriffen (Beichte im fünfzehntägigen Abstand, wöchentlicher Kirchenbesuch und monatliche Kommunion) und zweitens akzeptierten die Kongregationsmitglieder eine christliche Lebensregel, die sich in keiner anderen Barmherzigkeitsorganisation fand: die Morgen- und Abendgebete, die tägliche Gewissensprüfung, nach Möglichkeit die tägliche Messe, die fromme Versammlung und die frommen Gemeinschaftsübungen am Sonntag, die Verteilung der Monatsheiligen. Schließlich war das öffentliche Leben den Gemeinschaftsregeln unterworfen. "Sie werden den schlechten Umgang meiden", heißt es in den Kölner Regeln von 1575, "die Eide, die schmutzigen, falschen und unehrenhaften Gespräche. Durch ihre Bescheidenheit und ihr Verhalten seien sie ein Vorbild für den Nächsten, wie es sich für einen richtigen Verehrer von Maria gehört" 14 • Das Datum 1563 war also bedeutungsvoll: Ab jenem Jahr drangen die Regeln und die Konzeption des christlichen Lebens in die Kongregationsregeln n M.H. Froeschle-Chopard, Espace et sacre en Provence, S. 510-514. L. Chatellier, L'Europe des devots, S. 19-21.

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ein. Eine letzte Neuerung der Jesuiten ist hier ebenfalls hervorzuheben. Diese Kongregationen waren für ihre Schüler gedacht, anfangs für die älteren, und bestanden an all ihren Kollegien. Die Kongregationsmitglieder dienten also als regelrechte Missionare des Konzils. Sie konnten es auf umso wirksamere Weise sein, als Petrus Canisius zwischen 1555 und 1566 die drei Versionen seines berühmten Katechismus (den ,kleinen', den ,mittleren' und den ,großen') verfaßt hatte, so daß die jungen Lehrer nunmehr ein Instrument zur Verbeitung der guten Lehre besaßen15 .Im Lauf der Jahre vermehrten sich diese Kongregationen wie die Kollegien der Gesellschaft J esu. Das zeigt das Beispiel Frankreichs, wo trotzungünstiger Bedingungen (des Gallikanismus) die Kollegien die Pariser Region umgaben16 • Würde diese kombinierte Aktion neuer Geistlicher und neuartiger Mitbrüder ausreichend sein, um das Konzil von Trient unter die Rom treu gebliebenen Christen zu bringen? Tatsächlich darf diese perfekte Organisation nicht darüber hinwegtäuschen, daß die Ordensbrüder (die Kapuziner gingen erst 1574 über Italien hinaus), aber auch die jungen Kongregationsmitglieder gering an Zahl waren 17 • Obgleich dem Anschein nach wirkungsvoll, hatte diese neue Seelsorge zwei große Schwächen. Zunächst einmal war sie verstreut. Auch in den Vorzugsregionen Europas (im Westen oder im Mittelmeerraum) blieben weite Gebiete leer, da vor allem die Städte von diesen ersten Anstrengungen profitierten. Zweitens blieben diese Anstrengoogen ephemär, weil die durchgeführte Mission, bei denen, die sie erlebt hatten und erst recht bei ihren Nachkommen schnell in Vergessenheit geriet. Und was die Mitbrüder anbelangt, so wurden, nachdem einmal der anfängliche Schwung vorüber war, bald die Zeichen der Erschöpfung deutlich. 2. Die Notwendigkeit der Vermittler

Die Reformbischöfe und die Ordensmissionare wurden sich dessen schnell bewußt. Es war unumgänglich, zwischen ihnen und den Gläubigen Vermittler einzuschalten. Eine Figur stand sofort im Mitttelpunkt der Aufmerksamkeit: der Pfarrer. Ende des 16. und Anfang des 17. Jahrhunderts fehlte es in der 15 G. Bellinger, Der Catechismus romanusund die Reformation, Faderborn 1970, S. 48-53. 16 M. Venard, Y-a-t-il une strategie des jesuites en France au XVIe siede?, in: L'Universite de Pont-a-Mousson et !es problemes de son temps. Actes du colloque de Nancy, octobre 1972, Nancy 1974, S. 67-85; L. Chatellier, Les premieres congregations mariales dans !es pays de Iangue fran~aise, in: Revue d'Histoire de l'Eglise de France, 1 (1989), S. 167-176. 17 B. Dompnier, Le premier apostolat des Capucins de Ia province de Lyon (1575-1618), in: Revue d'Histoire de l'Eglise de France, 1 (1989), S. 125-136.

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Tat nicht an Geistlichen, die bestrebt waren, ihre Aufgabe, so wie sie durch das Konzil von Trient vorgegeben worden war, voll und ganz zu erfüllen. Die Auswirkungen der Jesuitenkollegien und -Universitäten wurden spürbar. Der aus Mirecourt in Lothringen stammende Pierre Fourier war einer der ersten Schüler des von der GesellschaftJesu 1574 eröffneten Universitätskollegs Ponta-Mousson. Von den Jesuitenpatres aufgezogen, blieb er das ganze Leben lang mit ihnen in Kontakt und wandte ab 1597 in seiner Pfarrei in Mattaincourt das Apostolat an, wie er es bei ihnen selbst praktiziert gesehen hatte. Dank seiner reichen Korrespondenz kann man ihn bei der besonders sorgfältigen Vorbereitung seiner Predigten beobachten. Er verbrachte ganze Nächte damit, die Kirchenväter zu lesen und aus ihren Texten zu exzerpieren, um seine Gemeindemitglieder an den Sonn- und Feiertagen zu unterweisen 18 • Man kann diesen Eifer vielleicht für übertrieben halten angesicht der zahlenmäßig geringen, armen Bauernbevölkerung, die ihm anvertraut war. Es handelte sich jedoch um die genaue Anwendung des Konzils von Trient, das zwei Mal die Pflicht der Pfarrer zur Predigt unterstrichen hat (Reformdekret über den Unterricht und die Predigt der V. Session von 1546 und Kanon 4 der XXIV. Session unter Pius IV. von 1563 )19 • Natürlich war seine Funktion nicht hierauf beschränkt. Seine Tage waren auch von anderen Tätigkeiten ausgefüllt: Katechismus für die Kinder, Krankenbesuch, Streitschlichtung, Armenversorgung bei Ernteausfällen, Verbreitung der Barmherzigkeitspraxis dank der Bruderschaften. Bei dieser Gelegenheit offenbarte eine lokale Führungsschicht den Wunsch, mehr zu tun, und er übertrug ihr daraufhin den Unterricht der bedürftigen Mädchen. Das war der Ursprung der Kongregation Notre-Dame der Alix Le Clerc20 • In der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts wurde diese ursprüngliche Sorge für die Unterweisung der einfachen Menschen durch die Predigt auch von MichelLe Nobletz, Rektor (Pfarrer) von Douarnenez in der Bretagne, geteilt. Obwohl die Gemeindemitglieder und ihre Familienanalphabetische Sünder waren, bereitete er dennoch seine Predigten mit Hilfe der besten Autoren vor, den Kirchenvätern, aus denen er akkurat exzerpierte. Auf der Kanzel half er sich mit Bildern, die sich oft auf die Seekarten bezogen und auf denen, so konkret wie möglich, der Inhalt des Sermons wiedergegeben war, so daß sich jeder angesprochen fühlte. Und weil es darum ging, in den Geist der Bevölkerung eine grundlegende Lehre einzuführen, reichte die Sonntagspredigt 18 Saint Pie"e Fourier, Saint Pierre Fourier: sa correspondance 1598-1640, recueillie, classee et annotee par H. De"eal, 5 Bde., Nancy 1986-1989, Bd.1, Brief vom 3. Dezember 1619. 19 Ch.]. HefeleI H. Leclerq, Histoire des conciles, Bd. 10: A. Michel, Les decrets du concile de Trente, Paris 1938, S. 62 und 570. 20 Saint Pie"e Fourier, La pastorale, l'education, l'Europe chretienne, textes choisis et commmentes par R. Taveneaux, Paris 1995.

K Prodi I Rcinhard

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allein nicht aus. Deshalb hatte er eine Gruppe von Repetitorinnen gebildet, die auf den Plätzen oder in den Häusern den Kommentar der Karte wieder aufgriffen (das Ziel, die Ratschläge, die Gesetze, den Weltspiegel, die tägliche Übung des Christen uswY 1 • Wichtig war dabei, daß diese Seelsorger einfacher See- oder Landpfarreien zur Weiterleitung ihrer Botschaft Vermittler brauchten; das waren die Frauen. Und dieses Bedürfnis war im Fall der Missionare noch größer. Der Verfasser einer jüngst erschienenen Dissertation hat gezeigt, daß ein Jesuit, der im Zentralmassiv um 1640-1650 predigte, in den verschiedenen Orten oder Dörfern, wo er wohnte, kleine Gruppen bildete, die seine Tätigkeit durch Katechismus, Grundschulunterricht und barmherzige Werke fortsetzten. Es handelte sich schon um Missionsschwestern (die späteren Schwestern des Hl. Josef) 22 • In dieses Umfeld gehört eine der wichtigsten Gründungen der katholischen Reform in Frankreich: die 1633 in Paris von Louise de Marillac unter dem Einfluß Vinzenz von Pauls ins Leben gerufenen Töchter der Barmherzigkeit. Seit Beginn seiner Missionen in der Pariser Region 1617 hatte Vinzenz von Paul anläßlich seiner Besuche in den Dörfern die Gewohnheit angenommen, Barmherzigkeitsbruderschaften zu gründen, deren Regeln die im engeren Sinn caritativen Werke mit der Barmherzigkeitspraxis, etwa dem Empfang der Sakramente, verbanden. Die erste Funktion, die Louise de Marillac, die sich 1629 unter die Leitung Vinzenz von Pauls stellte, übertragen wurde, war eine Inspektionsvisitation bei verschiedenen Vereinigungen der Damen der Barmherzigkeit. Sie kam zu dem Ergebnis, daß es notwendig war, sie in einer religiösen Vereinigung zusammenzufassen; und das war der Ursprung der Töchter der Barmherzigkeit2J . Den Jesuiten ihrerseits waren die Mängel ihrer Schülerkongregationen bei der Bekehrung der Städte vollkommen klar geworden. Den Kongregationsmitgliedern, die, wie in Köln 1620, von Haus zu Haus eilten, um nachzusehen, ob nicht ein verbotener Kult praktiziert, im Gegensatz zur katholischen Religion stehende Reden gehalten oder Fett während der Fastenzeit gegessen wurde, wurde der Spitzname "Schwickelbrüder" (Spionsbrüder) angehängt; sie waren tatsächlich in Gefahr, sich bei den allermeisten verhaßt zu machen24 • War es nicht wirkungsvoller und gleichzeitig weniger risikoreich, mit dem Apostolat der Bürger andere Bürger, mit dem der Adeligen andere Adelige, mit dem der A. Croix I F Roudaut I D. Brondic, Les ehernins du Paradis, Douarnenez 1988. M. Vacher, Des .regulieres" dans Je siede. Les soeurs de Saint-Joseph du Pere Medaille aux XVIIe et XVIIIe siecles, Clermont·Ferrand 1991. 21 P Coste, Legrand saint du grand siede. Monsieur Vincent, 3 Bde., Paris 1934; E. Rapley, The Devotes. Women and Church in Seventeenth-Century France, MontrealKingston 1990, S. 74-94. 24 L. Chdtellier, L'Europe des devots, S. 39. 21

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Handwerker dieselben einfachen Handwerker zu betrauen? Aber im letzten Fall stellte sich ein Problem: Was wäre passiert, wenn man die Meister mit den Gesellen, die sich noch kurz vorher mit seltener Härte bekämpft hatten, vereint hätte? Und die Gesellen? Liefen sie nicht Gefahr, auf Abwege geführt zu werden von erwachsenen Arbeitern, die für ihre freien Sitten und oft heterodoxen Meinungen bekannt waren, die sie aufgrund ihrer Reisen durch Europa äußerten? In den ersten Jahrzehnten des 17. Jahrhunderts entstanden auf diese Weise die Kongregationen der verheirateten (Meister) und der unverheirateten Handwerker (Gesellen), die der Kaufleute oder der Bürger, die der Offiziere oder der Richter. Zwei Prinzipien inspirierten sie: das Apostolat des Ähnlichen durch den Ähnlichen, die Absicht, die Seelsorge den unterschiedlichen Ständen der Gesellschaft, den unterschiedlichen Kulturniveaus anzupassen. Hinzu kam der Wille, die städtische Gesellschaft in ihrer Gänze zu berühren - besser: zu durchdringen-, ohne eine soziale Kategorie aus dem Feld der apostolischen Tätigkeit auszusparen25 • Dennoch blieben die von ihr aufgeworfenen Probleme auf jeden Fall wichtig. Die Erinnerung an die Häresien des 13. Jahrhunderts, in deren Verlauf die Laien sich der Predigerfunktionen bemächtigt hatten, wirkte in der Tat nach. Von dieser fernen Vergangenheit abgesehen, hatte es im 16. Jahrhundert zahlreiche ähnliche Fälle gegeben: die "Heckenprediger" in den Jahren 1566-1567, zur Zeit der Bildersturmbewegung in den Niederlanden, oder noch zur Zeit der Verbreitung der Wiedertäufergemeinden in den rheinischen Gebieten26 • Andererseits kann man sich fragen, ob gewisse große marianische Arbeiterkongregationen in Antwerpen, Köln und an anderen Orten nicht dazu dienten, daß diese heterodoxen Strömungen, die im Untergrund oder in den überlieferten Verhaltensweisen der Bevölkerung überdauerten, sich ausleben konnten. Einige sahen darin vielleicht ein Mittel, um eine Tradition aufzunehmen und sie im Sinne der katholischen Kirche auszurichten, mit allen damit verbundenen Risiken, die übrigens den Zeitgenossen klar waren; auch den Mitgliedern der Gesellschaft Jesu, die weit davon entfernt waren, diese Seelsorge einhellig zu unterstützen. Ihre Befürchtung kann so beschrieben werden: Widerspricht es nicht dem Konzil von Trient, die Laien an der Unterweisung teilnehmen zu lassen, da es sich doch um einen Bereich handelt, der ausschließlich dem Lehramt vorbehalten ist? Bedeutete dies nicht, gefährlichen Abweichungen auf der Ebene der Lehre, d.h. dem religiösen Synkretismus, den Weg zu ebnen? Einer Rosenkranzbruderschaft anzugehören und sich der Hl. Jungfrau zu weihen, galt in den Grenzgebieten des Katholizismus (Niederlande, Schweiz,

25

Ebd., S. 63·123.

5. Deyon I A. Lottin, Les "casseurs de l'ete 1566". L'iconoclasme dans le nord, Paris 1981; 0. Christin, Une revolution symbolique: I'iconoclasme huguenot et Ia reconstruction catholique, Paris 1991. 26

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rheinische Gebiete) als unverzichtbare Bedingung, um sich der Treue zur Kirche zu versichern27 • Aber war das ausreichend? Das wurde im Laufe der großen städtischen Krisen Mitte des 17. Jahrhunderts deutlich, die von Neapel und Antwerpen ausgehend ganz Europa durchzogen. In ihrem Verlauf spielten die Handwerker- und Arbeiterkongregationen manchmal die Rollevon Anstiftern revolutionärer Tätigkeit. DieJesuiten arbeiteten daraufhin ein System aus, das zwar einen Teil der Initiative den Kongregationsmitgliedern überließ, aber sie von zuverlässigen Männern kontrollieren ließ, welche die zu ergreifenden Initiativen vorschlugen und ihr Verhalten bis in die kleinsten Details beobachteten. In Köln übte diese Rolle für jedes in einem Quartier zusammengefaßte Handwerk der Zunftmeister aus, der dabei von seinen Rottmeistern unterstützt wurde, denen jeweils eine Straße übertragen wurde. In Lyon gab es die dizeniers, die "um ihr Amt getreu auszuüben ... über all jene zu wachen haben, die in ihrem Quartier wohnen, und wenn sie erfahren, daß jemand in skandalöse Fehler verfällt oder Laster hat, die er nicht korrigiert, tun sie nicht ihre Pflicht, wenn sie nicht den Vater benachrichtigen" 28 • Diese katholische Aktion, die in eine soziale Gruppe eindrang, um sie umzuwandeln und sie dazu zu bringen, eine christliche Lebensform anzunehmen, betrieben nicht nur die Jesuiten in ihren Handwerkerkongregationen. Das wurde in Frankreich deutlich, wo seit 1630 eine geheim operierende Gesellschaft, die Gesellschaft des Hl. Altarsakraments, auf die Bekehrung des ganzen Landes, angefangen bei seiner Führungsschicht, zielte. Zu ihr gehörten einige wichtige Staatsvertreter (wie der spätere Finanzsuperintendent Fouquet) neben hohen Prälaten und Klerikern, die in das Werk der katholischen Reform direkt involviert waren, wie etwa Vinzenz von Paul. Aber auch die Seelsorge bei den minderbemittelten und mobilen Massen der Stadt wurde nicht vernachlässigt. Der Obere der Gesellschaft, Gaston de Renty, traf in den 1640er Jahren auf den Arbeiter, der zu einer ähnlichen Aktion in seinem sozialen Umfeld, entsprechend dem Geist und den Methoden der Gesellschaft, befähigt war. Henry Buche ("le bon Henry"), ein aus dem Herzogtum Luxemburg stammender Schuster, besuchte die Wirtshäuser und die Bordelle der Pariser Peripherie, um den Arbeitern, die sich "in einer schlechten Situation" befanden, die frohe Botschaft zu bringen. Er begründete die Gemeinschaft der Schusterdiener, später der Schneiderdiener, eine Art dritter Arbeiterorden, der sich in den Städten Frankreichs während der gesamten Dauer des Ancien Regimes ausbreitete29 . 27

L. Chtitellier, L'Europe des devots, S. 22-28.

Ebd .. S. 73 -75. A. Talion, La Compagnie du Saint-Sacrement (1629-1667), Paris 1990; R. Triboule!, Gaston de Renty 1611-1649. Un homme de ce monde- Un homme de Dieu, Paris 1991. 28

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Wie verhielten sich diese zu Katecheten gewordenen Arbeiter? Welche Lehrinhalte gaben sie weiter? Es ist schwer zu sagen. Wahrscheinlich vermischte dieses Apostolat das unmittelbare Interesse mit dem für das Jenseits. So begannen in Antwerpen in den ersten Jahren des 17. Jahrhunderts die kleinen Gesellengruppen, die von den älteren Jesuitenschülern eingewiesen worden waren, die Peripherien zu evangelisieren. Sie begannen damit, den Kindern Lesen und Rechnen beizubringen, dann, am Nachmittag, unterwiesen sie sie im Katechismus. Henry Buche, in Paris, interessierte sich, ebenso wie die Verantwortlichen der Arbeiterkongregationen, besonders für die Neuankömmlinge, die isoliert und verloren in der großen Stadt und oftmals ohne Arbeit waren30 • Die Aussicht, in eine Gruppe oder auch in eine Werkstatt aufgenommen zu werden, bewog zweifellos viele, den Reden der Frommen bereitwillig zuzuhören, auch weil man wissen mußte, daß hinter jenen, die sprachen und die Arbeiter wie sie waren, mächtige und einflußreiche Persönlichkeien standen, die sie nicht Hungers sterben lassen würden. In der Tat scheint sich die Rolle der Arbeiterprediger sehr schnell darauf beschränkt zu haben, die neuen Rekruten an einen Geistlichen der Pfarrei zu verweisen, einen auf das Apostolat gegenüber den Armen und den Analphabeten spezialisierten Kleriker (wie Jean-Antoine Le Vachet in Paris), oder an den Jesuitenpater, der die Arbeiterkongregation betreute31 • Der Geistliche lehrte die Arbeiter die Grundlagen des Katechismus und die Prinzipien des christlichen Lebens, mit Hilfe der Exerzitien in der ersten Woche und der Methode, die lgnatius von Loyola entwickelt hatte, um die Analphabeten auf die Beichte vorzubereiten. Auch das Lied wurde in breitem Maße benutzt. So ließen die Lyoneser Jesuiten gegen Mitte des 17. Jahrhunderts die Handwerker folgende Strophen singen: .Sans crainte, sans desir, vous passez votre vie Ne recherchant que Ia vertu, Ainsi vivait Jesus, ainsi vivait Marie, Vous vivez comme ils ont vecu. Accables de travaux, toujours dans Ia misere, J amais vous ne fUtes chagrins Charmes de voir Joseph, Jesus, sa Sainte Mere Vivre du travail de leurs mains" 32 • L. Chatellier, L'Europe des devots, S. 36-37 und S. 140-141. R. Triboulet, Gaston de Renty, S. 360; E. Deboute, Sans feu ni lieu. Un maitre spirituel au temps de Ia Fronde. Jean-Antoine Le Vachet, Paris 1994. 32 [Ohne Furcht, ohne Begehren, lebt ihr euer Leben I Und sucht nichts als die Tugend, I So lebte Jesus, so lebte Maria, I Ihr lebt, wie sie gelebt haben. II Überbürdet mit Arbeit, stets in Armut, I ihr wart nie traurig I fasziniert davon, daß Josef, J esus, seine Heilige Mutter I von der Arbeit ihrer Hände lebten]. Les Saints Exercices de l'artisan chretien et Congreganiste avec !es regles, !es prieres, !es instructions et !es cantiques spirituels des Congregations d'Artisans etablies dans !es colleges de Ia Compagnie de J esus, Lyon 1709, Einleitung ohne Seitenzahl, zitiert in: L. Chtitellier, L'Europe des devots, S. 255. 30

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Christliche Moral und Sozialmoral gingen hier eine Verbindung ein. Es ging nicht bloß um Ausbildung, sondern auch darum, den Arbeitern den Gebrauch gewisser als ,unehrenhaft' eingestufter Wörter abzugewöhnen. Zu diesem Zweck wurde auf dieselbe Musik der leichteren, oft obszönen, Lieder zurückgegriffen. Der Missionar Julien Maunoir S.J. war auf dieselbe Weise mit den Sündern von Ouessant oder der Finistereküste verfahren; dort war der gesamte Katechismus Bellarmins in Verse gesetzt worden und anstelle der bisherigen Worte den Seemannsliedern unterlegt worden. Es bestand jedoch das Risiko, daß der Originaltext sich aus Gewohnheit mit der frommen Lehre der Patres vermischte. Eine beachtliche seelsorgerische Anstrengung wurde zwischen 1580 und 1650 unternommen, wobei die Unglücklichsten, die Armen und Analphabeten permanenter Gegenstand der Bemühungen waren. Auf diese Weise leisteten Laien, Männerund Frauen, einen großen Beitrag als Vermittler und spielten somit in den Anfängen der katholischen Reform eine sehr wichtige Rolle. Erst gegen Mitte des Jahrhunderts stieß diese Aktion an ihre Grenzen. Es handelte sich um eine doppelte Grenzlinie. Auf der einen Seite bestätigte sich die Überlegenheit der Städte über das jeweilige Umland, und die Kirche hatte deshalb dafür Sorge zu tragen, eine weitaus größere Zahl an Geistlichen in die Dörfer zu entsenden. Auf der anderen stellte sich ein Übermittlungsproblem: Ging das Bestreben, die vom Konzil von Trient verabschiedeten Prinzipien christlichen Lebens der größtmöglichen Zahl von Menschen zugänglich zu machen, nicht zu Lasten der Lehre? In Frankreich und in den Niederlanden stellte sich das Problem deutlich in derselben Epoche, im Hinblick auf das Sakrament der Beichte. War die häufige Kommunion tatsächlich eine so gute Sache? Vielleicht für die Heiligen, antworteten Antoine Arnauld und Pascal, aber sicherlich nicht um den Preis des Sakrilegs. Diese Art von Debatte bewegte die Kirche Frankreichs, nachdem 1643 das Buch Antoine Arnaulds "De la frequente communion" erschienen war, das weit mehr als der "Augustinus" Jansenius' am Ursprung der Konflikte stand, die mehr als ein Jahrhundert lang Jansenisten und Molinisten (d.h. im wesentlichen die Jesuiten und ihre Anhänger) entzweien sollten33 • Die Herausforderung war zu groß, um die Lehre des Christentums den unerfahrenen Händen der Laien oder auch den Wandermissionaren zu überlassen. Die Seelsorge wurde und sollte nur von den legitimen Hirten, den Bischöfen und den Geistlichen, ausgeübt oder zumindest ihrer Kontrolle unterworfen werden.

33 R. Taveneaux, Le catholicisme dans Ia France classique 1610-1715,2 Bde., Paris 1980, Bd. 2, S. 229-327.

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3. Entstehung der modernen Seelsorge Diese Debatte entwickelte sich zu einem Zeitpunkt, da der Weltklerus in Westeuropa besser in der Lage schien, seiner Mission nachzukommen. Ob es sich um Flandern oder um die Gebiete der Languedoc, um Poitou oder um das Rheinland handelte: Die seit über dreißig Jahren durchgeführten religionssoziologischen Enqueten haben ergeben, daß es zwischen 1650 und 1720 eine dezidierte Verbesserung des Klerus in Stadt und Land gegeben hat, sowohl im Hinblick auf die sittliche Führung als auch im Hinblick auf den seelsorgerischen Eifer. Kurz, in den Jahren 1680 bis 1720 nahm die Zahl der Verfahren gegen Geistliche, die sich gegenüber der Diozesangewalt schuldig gemacht hatten, bis auf 5-6% der Zahl effektiv tätiger Geistlicher ab. Darüber hinaus waren die Vergehen in keiner Weise mit denen vergleichbar, die Anfang des 17. Jahrhunderts geahndet wurden. In den meisten Fällen handelte es sich um Auseinandersetzungen mit den Pfarreimitgliedern, die aus finanziellen Gründen geführt wurden 34 . Die seelsorgerische Tätigkeit war zudem durchaus vorhanden, obwohl sie noch zu wünschen übrig ließ. Die meisten Geistlichen beteten und lehrten den Katechismus, wenngleich sie diese zwei Übungen nur einen Abschnitt des Jahres hindurch - oftmals während der Fastenzeit -zu ihrer Buße oder der ihrer Pfarreimitglieder praktizierten. Sie waren in der Lage, Beichte zu hören, zeigten sich in diesem Bereich oft anspruchsvoll und zögerten nicht, den Gewohnheitssündern öffentliche Bußen aufzuerlegen. Die Bibliothek im Pfarrhaus war keine Ausnahme mehr. Ab den siebziger Jahren des 17. Jahrhunderts gingen gewisse Bischöfe sogar soweit, die Liste der Bücher festzulegen, die jeder Pfarrer auf jeden Fall besitzen mußte. Es gab bereits die ersten gelehrten Pfarrer wie Jean-Baptiste Thiers in der Diözese Chartres, Autor des berühmten "Traite des superstitions", und in der Normandie den Oratorianer Richard Simon, einen der Begründer der modernen Exegese. Abgesehen von diesen brillanten Ausnahmen kennzeichnete den Geistlichen am Ausgang des 16.Jahrhunderts im Vergleich zu seinem fernen Nachfolger des darauffolgenden Jahrhunderts freilich die Oberflächlichkeit seiner Seminarausbildung, die es Ende des 17. Jahrhunderts fast in jeder französischen Diözese gab. Viele ältere Geistliche hatten sie jedoch nicht genossen, während die jüngeren, die durch die Seminare hindurchgegangen waren, dort höchstens ein Jahr geblieben waren. Die Institution befand sich noch in einem embryonalen Zustand. Um die Mängel des Klerus -vor allem des ländlichen- auszugleichen, wurden ab 1680 die Kirchenkonferenzen gegründet, die, in jedem Dekanat eingerichtet, dazu bestimmt waren, ihren Besuchern

34 L. Perouas, Le diocese de La Rochelle de 1648-1724. Sociologie et Pastorale, Paris 1964, S. 200-201; L. ChJtellier, Tradition chretienne et renouveau catholique dans I'ancien diocese de Strasbourg (1650-1770), Paris 1981, S. 175 und 389.

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sowohl eine Grundausbildung (Exegese, scholastische und Moraltheologie) als auch eine Praxis (Lösung der Gewissenskonflikte) zu vermitteln35 • Aber die Stärkung der Rolle der Pfarrer in den Landgebieten bedeutete nicht das Ende der anderen apostolischen Initiativen, die sich bewährt hatten. Sie bedeutete auch nicht die vollkommene Ausschaltung der Laien. Auch in diesen Zusammenhängen gab es eine Entwicklung, die mit jener vergleichbar war, die in den Städen ein halbes oder ein Jahrhundert früher abgelaufen war. Ende des 17. und im darauffolgenden Jahrhundert sollten drei Tatsachen dazu beitragen, zuallererst die Verbreitung der Bruderschaftsbewegung zwischen 1650 und 1750. Sie wurde von den Missionen und Aufforderungen der Bischöfe, von den Predigern der religiösen Orden und von den Geistlichen selbst getragen. Die von Marie-Helene Froeschle-Chopard und Bernard Dompnier durchgeführte Untersuchung der römischen Ablaßbreven zeigt, daß zwischen 1670 und 1680 mit ungefähr 500 Breven jährlich für das katholische Europa ein Höhepunkt erreicht wurde. Später gab es eine Konsolidierung weit über das 18. Jahrhundert hinaus. Diese breite Bewegung bestand darin, daß sich in den Landbezirken die Verehrung des Hl. Sakraments, des Rosenkranzes, der Armen Seelen und des Herzens Jesu verbreitete36 . Am Vorabend der französischen Revolution gab es in den Diözesen Lothringens durchschnittlich zwei oder drei Bruderschaften pro Pfarrei; dasselbe gilt für die Diözesen der Bretagne37 • In Frankreich war dieses Ergebnis bereits um 1700 erreicht worden, während man in Deutschland bis 1730-1740 warten mußte; dasselbe geschah in Italien. Seitdem waren in den Landbezirken mehr oder weniger dynamische Gruppen aktiv, die unter der Aufsicht des Pfarrers damit beschäftigt waren, die Barmherzigkeit der Pfarreimitglieder zu stimulieren und in diese oder jene Richtung zu lenken, je nach dem Namen der Bruderschaften. Die zweite Tatsache war die beachtliche Entwicklung der Missionen seit 1700. Dies waren Missionen neuen Typs, denn es ging nicht mehr darum, die Landbezirke zu evangelisieren wie im Mittelalter oder im 16. Jahrhundert. Es handelte sich nicht mehr um verstreute Aktionen, die dazu bestimmt waren, in einer Region oder in einer Stadt einen Schock auszulösen wie im Fall der 35 Histoire de la France religieuse, unter der Leitung von]. Le Golf und R. Remond, 4 Bde., Paris 1987-1992; vgl. in Bd. 2, unter der Leitung von F Lebrun, die Arbeiten von R. Sauzet, La reforme pastorale: le clerge seculier, les n!guliers, S. 369-415 und F Lebrun, Succes et limites de la christianisation vers 1720, S. 539-549; in Bd. 3, unter der Leitung von P ]outard, vgl. die beiden Aufsätze von D. ]ulia, L'affaiblissement de l'Eglise gallicane, S. 11-50, La ,dechristianisation'. La pesee d'un phenomene; des indicateurs de longue dun!e, S. 183-207. 36 M.H. Froeschle-Chopard, Espace et sacre en Provence, S. 559-565. 37 Atlas de la Revolution franr;aise, Bd. 9: La religion, Paris 1996; Les Bretons et Dieu. Atlas d 'histoire religieuse 1300-1800, Koordinator A. Croix, Rennes o.]., Bildtafel Nr. 25 (Untersuchung geleitet von Jean Queniart).

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Patres Segneri S.J. und Pinamonti S.J. im Italien des 17. Jahrhunderts. Auf Betreiben des Papsttums, der Bischöfe und der Fürsten wurden systematische Aktionen durchgeführt, mit der Absicht, die katholische Praxis zu verankern. Ganze Länder wie Bayern, Lothringen, Spanien, das Königreich Neapel zur Zeit von Alfonso Maria de' Liguori wurden Dorf für Dorf visitiert, und auch die abgelegenen Orte wurden nicht vergessen. Nachdem die Mission einmal durchgeführt war, wurde sie einige Jahre später wieder aufgenommen oder "erneuert", wie man damals sagte und so fort bis zum Ende des 18. Jahrhunderts38. In jedem Dorf endeten diese apostolischen Initiativen im allgemeinen mit der Gründung einer Bruderschaft, die das in den acht oder fünfzehn Tagen der Mission begonnene Werk fortsetzen sollte. In Österreich und in den Niederlanden wurde als Folge der Missionen des 18. Jahrhunderts oft eine Bruderschaft christlicher Lehre eingerichtet. Diese Vereinigungen beruhten auf der Initiative, die Carlo Borromeo selbst in der Diözese Mailand ergriffen hatte; er hatte je eine in jeder Pfarrei zur Förderung des religiösen Unterrichts eingerichtet. Im 18. Jahrhundert blieb der Sachverhalt der gleiche, aber die Mittel hatten sich geändert. Da die Schulen in diesen Regionen nunmehr gut angelaufen waren, konnten sich die Missionare auf die Lehrer, die des Lesens mächtigen Gläubigen und vor allem auf die Familienväter und -mütter stützen, die am besten in der Lage waren, ihren Kindem zu wiederholen, was sie gelernt hatten. Die Mission änderte ihren Charakter. Es handelte sich nicht mehr wn ein großes barockes Schauspiel; vielmehr ging es darum, Katecheten auszubilden und deren Fragen sowie die der Väter und Mütter zu beantworten, die sich über diesen oder jenen Punkt des Dogmas oder der christlichen Moral Rechenschaft ablegten. Ihrerseits verifizierten die Missionare die Qualität des erteilten Unterrichts, indem sie die Jungen und manchmal die Eltern befragten. Das waren die von Pater Ignaz Parhamer S.J. in Österreich 1732 gegründeten und seit diesem Datum regelmäßig in Österreich und in Bayern, auch nach dem Verbot der GesellschaftJesu 1773 durchgeführten katechetischen Missionen. Die Jesuiten setzten nämlich ihre Aktion als einfache Diözesangeistliche fort' 9 . Die dritte Tatsache schließlich, die die Laien dazu führte, stärker in das religiöse Leben der Landbezirke einzugreifen, war die Verbreitung des Buchs. Der Katechismus war nicht mehr das einzige verfügbare Buch. Nach dem Anfang des 18. Jahrhunderts reisten die Missionare oft mit einem Buchhändler 38 L. Chatellier, La religion des pauvres, S. 87-121 und S. 245-268. 39 K. Baumgartner, Die Seelsorge im Bistum Passau zwischen barocker Tradition, Aufklärung und Restauration (Münchener Theologische Studien, I. Historische Abteilung, 19), Passau 1975; A. und L. Chatellier, Les premiers catechistes des temps modernes.

Confreres et consoeurs de la Doctrine chretienne aux XVIe-XVIIIe siecles, in: ]. Delumeau (Hrsg.), La religion de ma mere. Le role des femmes dans la trasmission de la foi, Paris 1992, S. 287-299.

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oder mit Buchpaketen, die sie an Ort und Stelle verteilten oder verkauften40 • Zunächst wurden den Gläubigem Bücher der Bruderschaften nahegebracht. Sie enthielten Gebete für den guten Tod, Liedersammlungen; dann kamen regelrechte Andachtsbücher mit Gebeten und Meditationen für alle Tage des Jahres, für alle Gelegenheiten des Lebens. Seit dem Ende des 17. Jahrhunderts waren die Vorbilder "Der grosse Myrrhengarten" des Kapuziners Martin von Cochem oder die nach dem Muster des Hl. Ignatius gestalteten Frömmigkeitsübungen des Jesuiten Giovanni Pietro Pinamonti, Mitarbeiter Paolo Segneris41 • Die Seelsorge in den Landbezirken ging im 18. Jahrhundert mit einem kulturellen Phänomen einher. Auf dieser Untersuchungsebene drängt sich unvermeidlich eineFrage auf: In welchem Maße wurde diese katholische Kultur, die sich in den Landbezirken verbreitete, durch die Aufklärung beeinflußt? In welchem Maße imprägnierte das Denken eines Luigi Antonio Muratori, das in seinem großen Werk "Della regolata Devozione" niedergelegt ist, oder später das Denken eines Johann Michael Sailer in seinem "Gebetbuch für katholische Christen" die in den Pfarreien verteilten Gebetsbroschüren und frommen Reflexionen?42 • Gab es in den katholischen Ländern eine mit jener der protestantischen Gebiete vergleichbare Populärphilosophie?43 Die Schnelligkeit, mit der sich die Wirkungen dieser Seelsorge einstellten, kann sofort erfaßt werden, da die Folgen der in der revolutionären Epoche begonnenen Entchristlichung dort, wo sie durchgeführt worden ist, wie etwa in Frankreich und in den umliegenden Ländern, erheblich gemildert wurden. Wahrscheinlich sind die Laiengruppen, Männerund Frauen, die ihrerseits imstande waren, die Mittlerrolle der abwesenden oder eidverweigernden Geistlichen einzunehmen, ein entscheidendes Element gewesen. Aber man sollte keine voreiligen Schlußfolgerungen ziehen im Hinblick auf die Ergebenheit dieser ländlichen Gläubigen gegenüber der Kirche. Manchmal nahm der Wille der Missionare, das Konzil von Trient überall buchstabengetreu anwenden zu lassen, die Bevölkerung gegen sie ein. In den achtziger Jahren des 18. Jahrhunderts stellten die Bewohner der Dörfer ihre Predigten in Frage und bestreikten schließlich die Mission44 • In 40 M. Foisil, Un jesuite normand, missionnaire en Basse Normandie, Pierre Sandret, 1658-1738, in: Annales de Bretagne et des pays de l'Ouest, 81 (1974), S. 537-552. 41 L. Chatellier, La religiondes pauvres, S. 160-168 und ders., Livresetmissions ruralesau XVIIIe siede. L'exemple des missions jesuites dans les pays germaniques, in: H.E. Bödeker I G. Chaix I P Veit (Hrsg.), Le Iivre religieux et ses pratiques. Etudes sur l'histoire du Iivre religieux en Allemagne et en France al'epoque moderne, Göttingen 1991, S. 183-193. 42 L.A. Muratori, Della regolata Devozione, Venedig 1766;].M. Sailer, Volkständiges Gebethbuch für katholische Christen, München 1803. 43 R. Sieger/, Aufklärung und Volkslektüre. Exemplarisch dargestellt an Rudolf Zacharias Becker und seinem "Noth- und Hülfsbüchlein", Frankfurt a.M. 1978. 44 L. Chatellier, La religiondes pauvres, S. 274.

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anderen Fällen lösten die mit Pinamonti und dem tridentinischen Katechimus gefütterten Bauern einen Aufstand aus, wenn etwa der örtliche Bischof eine dem Geist der Aufklärung entsprechende Liedersammlung durchsetzen wollte45 . Zum Schluß ist festzuhalten, daß die vom Konzil von Trient angestrebte Reform der Seelsorge in all ihrer Breite und all ihrer Kraft nur im Laufe von zwei Jahrhunderten realisiert wurde. Das von den Konzilsvätern in Trient verabschiedete Reformprogramm wurde erst in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts überall in Europa Wirklichkeit, als das religiöse Leben nunmehr vollkommen durch die Pfarreistruktur organisiert war, und zwar sowohl in der Stadt als auch in den entlegensten Landbezirken. Bei der Vollbringung dieses Werks war die Rolle der großen Orden der katholische Reform - und hier vor allem der Jesuiten- beachtlich. Sie wurden sich sehr schnell der Notwendigkeit bewußt, innerhalb des Weltklerus und vor allem unter den Laien zur Weitergabe der christlichen Botschaft Vermittler zu schaffen. Aber diese Landgeistlichen, dieseMännerund diese Frauen, die oft mit der harten Wirklichkeit des täglichen Lebens konfrontiert waren, haben zum Unterricht den von ihnen zur Weitergabe geforderten Beitrag geleistet; sie haben ihm auch Fleisch und Blut gegeben. Sie haben diesen Beitrag geleistet mit ihrer Kultur, die z. T. die Kultur war, die sie dem Katechismus entnommen hatten, aber auch jene, die ihnen ihre Eltern vermittelt hatten, die Kultur, an die sie gewöhnt waren, mit ihren rituellen Prozessionen vor der Ernte, ihren therapeutischen Wallfahrten und den großen Heilmitteln gegen alle Mißlichkeiten des Lebens46 • War man am Ende der Entwicklung von dem Konzil von Trient und von dem Geist, der seine Teilnehmer beseelte, vielleicht sogar weiter entfernt? Man kann jedoch die Überlegung anstellen, daß die wesentliche Leistung des Konzils darin bestand, eine Dynamik in Gang zu setzen, und daß die Entwicklung zur Logik jeden Lebens gehört, auch des christlichen Lebens.

45 Das geschah in der Diözese Hildesheim; so die im Manuskript vorliegende Studie von Yves Leblanc über die Sammlungen protestantischer und katholischer Lieder in Norddeutschland im 18. Jahrhundert (Memoire de maitrise d'histoire moderne, Universire de Nancy It- Mission historique franc;aise de Göttingen). 46 P Martin, Les ehernins du sacre. Paroisses, processions, pelerinages en Lorraine du XVIe au XIXe siede, Metz 1995.

Das Konzil von Trient - Antrieb oder Hemmschuh für die Kirche der Neuzeit? Von Klaus Ganzer

Paolo Sarpi, der kritische Geschichtsschreiber des Konzils von Trient stellt zu Beginn seiner "Istoria del Concilio Tridentino" fest: "Dieses Konzil, von den gutgesinnten Menschen ersehnt und betrieben, um die Kirche, die im Begriff war, sich zu spalten, wieder zu vereinen, hat das Schisma so sehr vertieft und die Parteiungen verfestigt, daß die Zwietracht nicht mehr zu beseitigen war. Entgegen den Bemühungen der Fürsten, mit seiner Hilfe die kirchlichen Amtsträger zu reformieren, hat es zur größten Dekadenz geführt, seit es das Christentum gibt. Im Gegensatz zu der Hoffnung der Bischöfe, die episkopale Autorität zurückzugewinnen, die großenteils allein auf den Papst übergegangen war, hat es ihnen diese vollendes ganz genommen und sie in eine noch größere Knechtschaft versetzt. Auf der anderen Seite wurde das Konzil von der römischen Kurie gefürchtet und gemieden als ein wirksames Mittel, ihre übermäßige Machtfülle zu beschneiden. Diese war ausgegangen von kleinen Anfängen und immer weiter angeschwollen bis zu einem grenzlosen Übermaß. Das Konzil aber hat diese Machtfülle über den der Kurie noch verbliebenen Rest der Kirche derart gefestigt und bestätigt, daß sie so fest verwurzelt ist, wie niemals zuvor" 1 •

Demgegenüber meint der apologetische Geschichtsschreiber des Trienter Konzils, der Jesuit Sforza Pallavicino: Weder Vergangenheit noch Gegenwart bestätigen, daß damals das Vertrauen bestanden hätte, das Konzil könnte eine Vereinigung der getrennten Christen bewirken2 • Trient habe mit Recht eine Trennungslinie zwischen den Verseuchten und den Gesunden gezogen. Es sei notwendig gewesen, den einfachen Christen klar zu machen, daß die Lehre der Häretiker dem katholischen Glauben entgegengesetzt seiJ. Dem Vorwurf Sarpis, die Autorität der Bischöfe sei durch das Konzil zurückgedrängt, die päpstliche Gewalt dagegen gesteigert worden, hält Pallavicino entgegen, es verhalte sich umgekehrt: die Bischöfe seien gestärkt zurückgekehrt, die Päpste

P Sarpi, lstoria del Concilio Tridentino, Buch 1, hrsg. von C. Vivanti, Bd. 1, Turin 1974, S. 6. 2 5. Pallavidno, Storia del Concilio di Trento, hrsg. von M. Scotti (Ciassici Italiani), Turin 1968, Proemio Kap. 7, S. 77. Ebd., S. 80-82.

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aber hätten keinerlei Vorteile erlangt4 • Soweit die konträren Stimmen der beiden frühen Geschichtsschreiber des Konzils. Der moderne Historiograph des Trienter Konzils, Hubert Jedin, stellt im Vorwort zum 4. Band seiner Darstellung im Jahre 1975 fest: .Als ich den Entschluß faßte, die Geschichte des Konzils von Trient zu schreiben, schien diese durch das Bekanntwerden der wichtigsten Quellen aus dem jahrhundertelangen Streit der Konfessionen heraus in die kühlere Atmosphäre unparteüscher Geschichtsschreibung gerückt. Jetzt, da ich das Werk aus der Hand lege, ist dieses Konzil von neuem in den Mittelpunkt kirchlicher Auseinandersetzungen getreten, aber weniger konfessioneller als innerkatholischer. Aus der Sicht des Ökumenismus und katholischer Selbstbesinnung nach dem II. Vatikanischen Konzil wird es von den einen als Hindernis zur Wiedervereinigung der christlichen Kirchen, von anderen als das Bollwerk gegenreformatorischer Haltung, von wieder anderen als Inbegriff echter katholischer Tradition betrachtet" 5 .

Wir wollen uns keiner der einseitigen Vereinnahmungen des Konzils verschreiben, sondern als Historiker, soweit es uns gelingt, sine ira et studio den Stellenwert des Konzils für die Kirche der Neuzeit zu skizzieren versuchen. 1. Der geschichdiche Hintergrund

Vom 15. Jahrhundert an war das Wort .Konzil" zu einem Reizwort geworden. Von den einen wurde es heiß ersehnt als ein Mittel, lange fällige Reformen der Kirche endlich durchzuführen und einem einseitig praktizierten päpstlichen Primat gegenüber eine Kurskorrektur im Sinne einer stärkeren Verwirklichung synodaler Formen vorzunehmen. Von den anderen wurde es gefürchtet als ein Angriff auf die römische Kurie und die Stellung des Papstes sowie ein Mittel, die alteingefahrenen Praktiken des päpstlichen Hofes durch Reformen zu verändern6 • Seit dem Auftreten Martin Luthers und anderer protestantischer Reformatoren hatte das Konzil einen neuen Stellenwert bekommen. Der Ruf nach einem Konzil, um die gefährdete und dann zerbrochene Glaubenseinheit wiederzugewinnen und durchgreifende Reformen des kirchlichen Lebens vorzunehmen, wurde immer eindringlicher7 • Ebd., Kap. 9-10, S. 85-89. H. ]edin, Geschichte des Konzils von Trient, 4 Bde., Freiburg i.Br. 1951-1975, hier Bd. 4/1, S. VI. 6 Vgl. zur Nachwirkung des Konziliarismus: R. Biiumer, Nachwirkungen des konziliaren Gedankens in der Theologie und Kanonistik des frühen 16. Jahrhunderts (Reformationsgeschichtliche Studien und Texte, 100), München 1971; H. ]edin, Geschichte des Konzils, Bd. 1, S. 1-92. 7 Vgl. allgemein H. }edin , G eschichte des Konzils, Bd. 1, S. 135-434. 4

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Unabhängig von den Herausforderungen, die das Auftreten Luthers und anderer Reformatoren für die alte Kirche bedeuteten, waren seit dem ausgehenden 15. und 16. Jahrhundert vielerorts in der Kirche fruchtbare religiöse Neuaufbrüche zu verzeichnen. Theologen und Laien vertieften sich in die Hl. Schrift und die Werke der Kirchenväter. Die vielgestaltige Strömung des Humanismus regte das Studium der Bibel und altchristlichen Literatur an. Gegenüber einer als überaltert empfundenen Scholastik propagierte man, wie etwa Erasmus, die sogenannte "Philosophia Christi"; man erstrebte eine gewisse Spiritualisierung des religiösen Lebens8 • Hier ist besonders Desiderius Erasmus von Rotterdam zu nennen9 . Aber auch Namen wie Thomas Morus, Faber Stapulensis, Johannes Reuchlin gehören hierher. Schon die sogenannte "Devotio modema" wollte eine verinnerlichte, persönliche Christusfrömmigkeit in Anlehnung an die Hl. Schrift verwirklichen 10 • Im italienischen Raum sind der sogenannte "Evangelismus" und die "spirituali" zu nennen 11 • Unter dem Begriff "Evangelismo" werden heuteweite Teile der italienischen religiösen Neuaufbrüche des 16. Jahrhunderts zusammengefaßt. Eine Gruppe von Persönlichkeiten aus diesem Umfeld nennt man - unter Rückgriff auf ihre eigene Charakterisierung- "Spirituali". Man muß sich allerdings hüten, unter diesen Bezeichnungen eine geschlossene und homogene theologische Lehre oder Frömmigkeitsrichtung zu verstehen. Die Vielfalt darf auch unter den Geistesverwandten nicht übersehen werden. Bei den Spirituali im engeren Sinn taucht eine Frage wie ein roter Faden immer wieder auf: Die Frage nach dem persönlichen Heilsweg des Menschen. Gaspara Contarini, der 1535 noch als Laie zum Kardinal erhoben wurde, machte 1511 eine innere 8 Vgl. etwa: H. ]edin, Geschichte des Konzils, Bd. 1, passim; PO. Kristeller, The Role of Religion in Renaissance Humanism and Platonism, in: C. Trinkaus I H.A. Obermann (Hrsg.), The Pursuit of Holiness in the Late Medieval and Renaissance Religion (Studies in Medieval and Reformation Thought, 10), Leiden 1974, S. 367-370; C. Augustijn, Die Stellung der Humanisten zur Glaubensspaltung 1518-1530, in: E. Iserloh (Hrsg.), Confessio Augustana und Confutatio. Der Augsburger Reichstag 1530 und die Einheit der Kirche (Reformationsgeschichtliche Studien und Texte, 118), Münster 1980, S. 36 ff. 9 Zu Erasmus vgl. C. Augustijn, Erasmus von Rotterdam. Leben- Werk- Wirkung, München 1986, S. 82-107. 10 Vgl. die zusammenfassende Darstellung mit ausführlichen Literaturangaben, in: H. ]edin (Hrsg.), Handbuch der Kirchengeschichte, Bd. 3/2, Freiburg 1968, S. 516-538. Außerdem: R.R. Post, The Modern Devotion. Confrontation with Reformation and Humanism, Leiden 1968; E. Broutte, Die Bewegung der Devotio Moderna, in: Theologische Realenzyklopädie, Bd. 8, S. 605-609. 11 Zusammenfassende Besprechung der einschlägigen Literatur: E.G. Gleason, On the Nature of Sixteenth-Century Italian Evangelism: Scholarship, 1953-1978, in: Sixteenth Century Journal, 9 0978), S. 3-25; vgl. außerdem P Simoncelli, Evangelismo italiano del Cinquecento, Rom 1979.

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Erfahrung, die sein ganzes Leben bestimmte, nämlich, daß der Mensch sich nicht durch seine Bußleistungen Zugang zu Gott verschaffen könne. Allein der Sohn Gottes leiste durch sein Leiden Genugtuung für unsere Sünden 12 • Wer denkt hier nicht an die Erfahrung Martin Luthers! Die Rechtfertigung des Menschen nicht durch seine eigenen Werke, sondern durch den Glauben an Christus gehört zu den Grundüberzeugungen der Spirituali. Ein Buch wurde zu einem besonderen Schlüsseltext, zu einem Bestseller des italienischen Evangelismo und behandelt als großes zentrales Thema die Rechtfertigung des Christen durch den Glauben, nämlich der "Trattato utilissimo del beneficio di Giesu Cristo crocifisso verso i cristiani", verfaßt von dem Benediktiner Benedetto da Mantova, überarbeitet von Marcantonio Flamminio 13 • Bedeutend war der Einfluß des spanischen Exulanten Juan de Valdes, der sich definitiv in Neapel niedergelassen hatte. Geprägt von Erasmus und den spanischen Alumbrados entwickelte er seine eigene, unabhängige Theologie 14 • Von ihm waren zahlreiche herausragende Persönlichkeiten des religiösen Lebens im Italien des 16. Jahrhunderts inspiriert, selbst aus dem Kreis der Kardinäle, wie etwa Reginald Pole. Neben Pole sind auch die Kardinäle Contarini und Morone zum Kreis der Spirituali zu rechnen. Das Religionsgespräch, das Kaiser Karl V auf den Reichstag von Regensburg 1541 anberaumte, und bei dem Morone als Nuntius und Kardinal Contarini als päpstlicher Legat vertreten waren, formulierte im Mai 1541 eine Einigungsformel über die Rechtfertigungslehre, die einen Kompromiß darstellte, und von den beiden päpstlichen Vertretern mitgetragen wurde15 . Die Einigungsformel 12 Vgl. zu Contarini: E.G. Gleason, Gasparo Contarini. Venice, Rome, and Reform, Berkeley CA 1993; sein Erlebnis S. 13 ff. 13 Kritische Ausgabe: Benedetti da Mantova, II Beneficio di Cristo con le versioni del secolo XVI. Documenti e testimonianze, hrsg. von S. Caponetto (Corpus Reformatorum Italicorum), Florenz I Chicago 1972. 14 Vgl. M. Firpo, Tra Alumbrados e "Spirituali" . Studi su Juan de Valdeseil Valdesianesirno nella crisi religiosa del '500 italiano, Florenz 1990;]. de Va/des, Alfabeto cristiano, Domande e risposte, Della predestinazione, Catechismo, hrsg. von M. Firpo, Turin 1994, mit einer ausführlichen Einleitung über Valdes. 15 Vgl. zu dem Religionsgespräch: L. Pastor, Die kirchlichen Reunionsbestrebungen während der Regierung Karls V., Freiburg 1879, S. 218-278; C. Augusttj n , De Godsdienstgesprekken tussen Rooms-Katholieken en Protestanten von 1538 tot 1541 , Haarlern 1967; ders., Die Religionsgespräche der vierziger Jahre, in: G. Müller (Hrsg.), Die Religionsgespräche der Reformationszeit (Schriften des Vereins für Reformationsgeschichte, 191), Gütersloh 1980, S. 45-53; H. Mackensen, Contarinis Theological Role at Ratisbon in 1541, in: Archiv für Reformationsgeschichte, 51 (1960), S. 36-57; P Matheson, Cardinal Contarini at Regensburg, Oxford 1972; A.P Luttenberger, Glaubenseinheit und Reichsfriede, Göttingen 1982, S. 228-241; E.G. Gleason, Gasparo Contarini, S. 186256; die Einigungsformel in der Rechtfertigung: Acta Reformationis Catholicae, Bd. 6, hrsg. von G. Pfeilschifter, Regensburg 1974, S. 52-54.

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wurde jedoch weder von Luther noch von der Römischen Kurie akzeptiert. Contarini warf man ein zu weit gehendes Entgegenkommen gegenüber den Protestanten vor16 , und auch Morone sollte seine Zustimmung zu der Formel später zum Verhängnis werden 17 • Die Regensburger Unionsverhandlungen scheiterten im übrigen an den ek.klesiologischen Fragen. Das Regensburger Religionsgespräch aber hatte weitreichende Folgen für die Entwicklung der italienischen Spirituali. Während Contarini bereits 1542 starb, scharte sich um Kardinal Pole, der 1541 Legat in Viterbo wurde, ein Kreis von Persönlichkeiten, der die alten Ideale hochhielt18 • Auf der anderen Seite nahmen die Gefolgsleute Gianpietro Carafas, des späteren Paul IV., und der Theatiner immer intransigentere Positionen ein. Die italienische Erneuerungsbewegung hatte sich definitiv in unterschiedliche Lager aufgespalten 19 • Die Flucht des Kapuziners Bernardino Ochino, eines profilierten Vertreters der Spirituali, und seine Hinwendung zum Protestantismus, vermehrten die Kompromittierung der Spirituale0 . Diese Entwicklung führte dazu, daß am 21. Juli 1542 auf Betreiben der Intransigenten, vor allem Gianpietro Carafas, die römische Inquisition völlig neu organisiert und ihr eine zentrale Zuständigkeit für alle Länder zugewiesen wurde21 • Auf die Spiritualen richtete sich von Anfang an das Augenmerk der Inquisition, vor allem auf die Kardinäle Morone und Pole. Verdächtigt wurde besonders ihre Haltung in der Rechtfertigungsfrage22 • Die Zeit der Controriforma war angebrochen. Die vielfältigen, spontanen Reformbewegungen im katholischen Raum, wie auch die evangelische Bewegung auf protestantischer Seite um Luther und die übrigen Reformatoren wurden seit dem Ende der dreißiger Jahre des 16. Jahrhunderts in den Prozeß der Konfessionalisierung hineingezogen. Die Konfessionalisierung der einzelnen religiösen Gruppen, d.h. der Altkirchlichen, der Lutheraner und der Calvinisten, war wesentlich getragen von den übrigVgl. E.G. Gleason, Contarini, S. 186-256. Vgl. M. Firpo I D. Marcato, 11 processo inquisitoriale del Cardinal Morone. Kritische Edition, 6 Bde., Rom 1981-1995. 18 Vgl. P Simoncelli, Evangelismo italiano del Cinquecento. Questione religiosa e nicodemismo politico, Rom 1979, S. 43-168, passim. 19 Vgl. ebd.; die Meinungen Simoncellis bedürften aber in zahlreichen Punkten der Kritik. 20 Vgl. E. Solmi, La fuga di Bernardino Ochino secondo i documenti inediti dell' Archivio Ganzaga di Mantova, in: Bullettino senese di storia patria, 15 ( 1908), S. 2398; G. Fragnito, Gli spirituali e Ia fuga di Bernardino Ochino, in: Rivista storica italiana, 84 (1972) , S. 777-813. 2 1 Text: Bullarium Romanum, Editio Romana 1733 ff., Bd. 4/1 , S. 211 f. 22 Vgl. M. Firpo I D. Marcato, Processo inquisitoriale, Bd. 2/1, S. 18. 16

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keiten, und von einer Tendenz der Abgrenzung gegenüber der jeweiligen anderen Konfession bestimmr3 • Diesen ganzen historischen Hintergrund, auf den hier nur schlagwortartig hingewiesen werden konnte, gilt es zu beachten, um die Bestrebungen, die Leistungen und die Grenzen des Konzils von Trient und die Auseinandersetzungen um diese Synode richtig zu würdigen. 2. Die Intentionen des Konzils

Die Bulle "Laetare Hierusalem" vom 19. November 1544, durch die das Konzil definitiv nach Trient einberufen wurde, gibt als Grund für die Versammlung an, erstens, daß die Zwietracht in der Religion, welche die Einheit der Kirche so beklagenswert zerreiße, gänzlich beseitigt werde und die irrenden Schafe zur Herde des Herrn zurückgeführt werden. Als zweiter Grund wird genannt, das was im christlichen Volk der Reform bedürfe, solle reformiert werden. Und drittens möge eine Unternehmung angestoßen werden, um die von den Ungläubigen unterjochten Christen zu befreien24 • Beseitigung der Zwietracht in der Religion, das bedeutete einmal eine Selbstbesinnung der Alten Kirche auf ihr theologisches Verständnis in all den Punkten, die zwischen ihr und den Protestanten strittig waren, das bedeutete aber vor allem Abgrenzung gegenüber der Glaubensneuerung im Sinne des Konfessionalismus. So betonte Bischof Girolamo Ragazzoni in seiner Abschlußpredigt des Konzils am 3. Dezember 1563, es wäre zwar wünschenswert gewesen, wenn man auf dem Konzil zusammen mit den Protestanten die von ihnen verursachten Fragen hätte behandeln können, aber man sei auch ohne sie genügend zu Rande gekommen. Denn auch in ihrer Abwesenheit habe man für die Unversehrtheit des Glaubens und das Heil Vorsorge getroffen. Dies wäre auch nicht anders ausgefallen, wenn sie anwesend gewesen wären 25 . Das ist symptomatisch. Ein echter Disput mit dem religiösen Gegner wird nicht gesucht. Es geht um die theologische Abgrenzung. Dies aber ist ein wesentliches Moment des Konfessionalismus. Das Gesagte soll nun an einigen Beispielen konkretisiert werden. 23 Vgl. repräsentativ: E. W Zeeden, Konfessionsbildung. Studien zur Reformation, Gegenreformation und katholischen Reform, Stuttgart 1985; W Reinhard, Reformation, Counter-Reformation, and the Early Modern State. A Reassessment, in: The Catholic Historical Review, 75 ( 1989), S. 383·404; M. Firpo, lnquisizione Romana e Controriforma, Bologna 1992. 24 Text der Bulle: Concilium Tridentin um, ed. Societas Goerresiana, bisher 13 Bde., Freiburg i.Br. 1901 ff. (von nun an CT), Bd. 4, S. 385 -387.

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CT, Bd. 9, S. 1099.

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3. Tendenzen bei der Fertigung der Konzilsdekrete Die dogmatischen Dekrete des Konzils sind bekanntlich mit Anathematismen, mit Verwerfungen, versehen. Seit dem Rechtfertigungsdekret (13. Januar 1547) erfolgte eine Zweiteilung in Doctrina und Canones, wobei die letzteren mit dem Anathem versehen sind26 . Beim Rechtfertigungsdekret ist die eigentliche Entscheidung des Konzils in der Doktrin niedergelegt. Die Canones sind hier Interpretation der Doktrin. Bei den weiteren Konzilsarbeiten waren jedoch die Canones der eigentlich entscheidende Text, die vorangestellten Lehrkapitel aber nur Erläuterung der Canones und von diesen her zu interpretieren27. Bei der Behandlung der Sakramentenlehre kam es zu einer bezeichnenden Diskussion. Gegen den Vorschlag, die Lehren der Reformatoren undifferenziert als häretisch, irrtümlich und skandalös zu verurteilen28 plädierte der Bischof von Saluzzo, Archinto, dafür, die katholische Lehre von den Sakramenten positiv darzulegen - wie auf dem Konzil von Florenz - und diejenigen zu verurteilen, die diese Lehre nicht annähmen29 • Dagegen wurde ins Feld geführt: aufkeinen Fall eine positive Darlegung der Lehre; die Artikel der Reformatoren seien vielmehr unter Nennung ihrer Urheber zu verurteilen}0 • Achintos Vorschlag fand keine Zustimmung. Eine wichtige Frage für die Arbeit des Konzils war, woher die Konzilsväter und die Theologen ihre Kenntnis der reformatorischen Lehren bezogen. Anfangs schöpfte man vor allem aus der katholischen Kontroverstheologie} 1 • Während der Rechtfertigungsdebatte erhob einer der Konzilslegaten, Kardinal Pole, warnend seine Stimme: Die Väter sollen alle Bücher lesen, so meint er, auch die der Gegner, und zwar nicht wie die eines Gegners, sondern wie die eines jeden anderen, und sie sollen nicht einfach sagen: Das hat Luther gesagt, also ist es falsch. Die Bücher sollen unvoreingenommen gelesen werden, wer immer sie auch verfaßt habe, und das Gute möge man festhalten, denn wenn 26 er, Bd. 5, S. 791-799. Vgl. zum Verhältnis von Doctrina und eanones beim Rechtfertigungsdekret und im weiteren Verlauf des Konzils ]. Freitag, Sacramentum ordinis auf dem Konzil von Trient Onnsbrucker Theologische Studien, 32), lnnsbruck I Wien 1992, S. 43-56. 27 Vgl. H. Jedin , Geschichte des Konzils, Bd. 2, S. 262 f. Was die Unterscheidung beim Rechtfertigungsdekret betrifft, ist Jedin von der Arbeit von Freitag her zu korrigieren. 28 Vgl. er, Bd. 5, S. 896, 908. 29 Vgl. er, Bd. 5, S. 925; vgl. H. Jedin, Geschichte des Konzils, Bd. 2, S. 323 f. }o Der spanische Bischof von Astorga; er. Bd. 5, S. 930; vgl. dazu auch]. Freitag, Sacramentum ordinis, S. 52-54. 31 Vgl. die Ausführungen des Kardinals eervini: er, Bd. 1, S. 82; er, Bd. 5, S. 257; vgl. außerdem, H. Jedin, Geschichte des Konzils, Bd. 2, S. 144-146. 9•

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man alles zurückweise, verliere man oft die Wahrheit, die man suche32 . Wenn während des Konzils zunehmend auch die Originalschriften der Reformatoren herangezogen wurden, so zeigte sich doch immer wieder eine gewisse Berührungsangst im Umgang mit dem reformatorischen Schrifttum. Dieser Umgang war meist von apologetischen Gesichtspunkten bestimmt. Theobald Freudenherger stellt daher mit Recht fest, eine vorbehaltlose Aufgeschlossenheit, wie sie Kardinal Pole vorschwebte, die allein den Boden für eine gegenseitige friedliche Verständigung hätte bereiten können, sei nicht erreicht wardenn. 4. Die Debatten um die Rechtfertigungslehre

Aus den wichtigsten dogmatischen Gegenständen, mit denen sich das Konzil befaßte, seien die Entscheidungen über die Rechtfertigungslehre beispielhaft herausgegriffen. In vielen Punkten bedeutete das Trienter Konzil für die Alte Kirche aufgrund der Herausforderung der reformatorischen Lehren eine erstmalige umfassende Formulierung ihrer diesbezüglichen theologischen Positionen, wie das vorher in dieser Weise nicht geschehen war. Das gilt etwa für die Erbsündenlehre, für die Sakramentenlehre, vor allem aber für das zentrale Thema der Rechtfertigungslehre. Dieser Kernpunkt reformatorischer Theologie hatte schon längst vor dem Kozil innerhalb der alten Kirche zu Irritationen Anlaß gegeben. Bereits 1537 schrieb Kardinal Contarini an einen Prälaten, es gebe Leute, die hätten zwar Eifer für Gott, seien aber nicht von Einsicht geleitet. Da Luther abweichende Lehren über die Gnade Gottes und den freien Willen vertreten habe, bezögen diese Stellung gegen jeden, der sich in Predigt und Lehre über die Größe der Gnade und die Schwachheit des Menschen äußere. Diese Leute glaubten sich gegen Luther zu wenden, wendeten sich aber in Wirklichkeit gegen Augustinus, Ambrosius, Bernhard, Hieronymus und Thomas von Aquin. Kurzum, von gutem Eifer beseelt, aber geprägt von leidenschaftlichem Sinn merkten sie gar nicht, daß sie sich von der katholischen Wahrheit entfernten und 32 CT, Bd. 1, S. 82; CT, Bd. 5, S. 257; Vgl. T Freudenberger, Zur Benützung des reformatorischen Schrifttums im Konzil von Trient, in: R. Biiumer (Hrsg.), Von Konstanz nach Trient, Festschrift für August Franzen, Paderbom 1972, S. 584-587; H. Jedin, Geschichte des Konzils, Bd. 2, S. 144 f. Zur Art der Benutzung des reformatorischen Schrifttums auf dem Konzil von Trient vgl. auch V Pfnür, Verwirft das Konzil von Trient in der Lehre von den Sakramenten die reformatorische Bekenntnisposition? Zur Frage der Kenntnis der reformatorischen Theologie auf dem Konzil von Trient. Untersuchung der Irrtumslisten über die Sakramente, in: W Pannenberg (Hrsg.), Lehrverurteilungen kirchentrennend?, Bd. 3, Freiburg i.Br. 1990, S. 159-186. B T Freudenberger, Zur Benützung, S. 601.

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der pelagianischen Irrlehre annäherten34 . Die Erfahrung des jungen Contarini, auf der diese Feststellung fußt, wurde bereits erwähnt. Dem Konzil vorangegangen war das Regensburger Religionsgespräch von 1541 mit der Ablehnung der Einigungsformel über die Rechtfertigung durch Luther und die Römische Kurie. Vorangegangen war auch die Neuorganisation der römischen Inquisition (21. Juli 1542), die in jenen Jahren ihr Hauptaugenmerk aufbestimmte Lehren über die Rechtfertigung innerhalb der katholischen Kirche richtete. So war die Rechtfertigungslehre zu einem hochsensiblen Thema innerhalb der alten Kirche geworden, als das Konzil von Trient sich mit ihr beschäftigte. Es gab auf dem Konzil Kräfte, die aus dem Kreis der italienischen Spiritualen herkamen. Ihr prominentester Repräsentant war der aus England stammende Kardinal Reginald Pole35 . Er war einer der Konzilslegaten der ersten Trienter Periode. Mit dem Verlauf der Rechtfertigungsdebatte war der Kardinal höchst unzufrieden. Nach seiner Überzeugung wurden berechtigte theologische Anliegen aus Furcht, sich zu sehr den Reformatoren zu nähern, ausgegrenzt. Am 28. August 1545 schrieb er an Kardinal Morone, die Materie der Rechhtfertigungslehre sei als Grundlage aller Dogmen äußerst wichtig und sei zudem in der vorliegenden Form Neuland. Die Tendenz des vorgelegten Dekretentwurfs sei es ja nicht, die gleichen Begriffe zu gebrauchen wie der Gegner, obwohl man von der gleichen Sache spreche. Selbst Worte der Hl. Schrift suche man zu meiden, da sie vom Gegner besetzt seien. Die Verfasser des Entwurfs seien zwar gelehrt und eifrig, aber sie handelten nach dem Grundsatz, man mache sich umso mehr um die Kirche verdient, je mehr man sich von den Formulierungen der Gegner entfeme36 • Am 16. Oktober 1545 wurde Pole auf eigenes Ansuchen von seiner Funktion als Konzilslegat entbunden37 . Das entscheidende Motiv 34 F Dittrich, Regesten und Briefe des Cardinals Gasparo Contarini (1483 -1542), Braunsberg 1881, S. 270. 35 Vgl. zu ihm: D. Fenlon, Heresy and Obedience in Tridentine Italy: CardinalPole and the Counter Reformation, Cambridge 1972; P Simoncelli, TI caso Reginald Pole. Eresia e Santita nelle polemiche religiose del Cinquecento (Uomini e Dottrine, 23 ), Rom 1977; Nuntiaturberichte aus Deutschland, 1. Abteilung, Bd. 15: Friedenslegation des Reginald Pole zu Kaiser Karl V. und König Heinrich II. (1553-1556), bearb. von H. Lutz, Tübingen 1981, Einleitung, S. XIV-LXXXI; H. ]edin, Kardinal Pole und Vittoria Colonna, in: Kirche des Glaubens, Kirche der Geschichte, 2 Bde., Freiburg i.Br. 1966, Bd. 1, S. 181-194; S.M. Pagano I C. Ranieri, Nuovi documenti su Vittoria Colonna e Reginald Pole (Collectanea Archivi Vaticani, 24), Vatikanstadt 1989. Vgl. zur ganzen Debatte um die Rechtfertigungslehre in Trient: K. Ganzer, Das Konzil von Trient und die theologische Dimension der katholischen Konfessionalisierung, in: W Reinhard I H. Schilling (Hrsg.), Die katholische Konfessionalisierung (Reformationsgeschichtliche Studien und Texte, 135), Münster 1995, S. 50-69. 36 CT, Bd. 10, S. 631 f. 37 CT, Bd. 10, S. 701 Anm. 1. Vgl. H. ]edin, Geschichte des Konzils, Bd. 2, S. 235 f.

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war seine Unzufriedenheit über die Arbeit am Rechtfertigungsdekref8 • Er hatte an dem Entwurf vor allem bemängelt, daß die Imputation der Gerechtigkeit Christi beim Nachlaß der Sünden zu wenig in Erscheinung trete39 . Ein weiterer herausragender Repräsentant einer eigenen Meinung über die Rechtfertigungslehre ist der gelehrte Augustinertheologe Girolamo Seripando. Bereits bei der Debatte um das Dekret über die Erbsünde konnte sich Seripando mit seinen theologischen Positionen nicht durchsetzen. Die Concupiscentia kann nach ihm in gewissem Sinn, wenn auch nicht in der ganzen Breite des Begriffs wie bei den Reformatoren, als Sünde bezeichnet werden, und zwar deshalb, weil sie Folge und Strafe der Ursünde und zugleich Ursache und Wurzel zahlreicher Tatsünden ist und die vollkommene Erfüllung des Gesetzes hindert40 • Ihm wurde deshalb bei den Konzilsdebatten, wenn auch ohne Nennung seines Namens, eine Nähe zu den Lutheranern vorgeworfen41 • Bei den Konzilsdebatten über die Rechtfertigung und den Formulierungen des einschlägigen Dekretes suchte Seripando - ihm war eine entscheidende Mitwirkung bei der Ausarbeitung des Dekretes übertragen worden - in vorsichtiger, aber bestimmter Weise seine vom Augustinismus geprägte Lehre von der Rechtfertigung einzubringen42 • Sein Hauptanliegen war es, zu betonen, daß Christus selbst unsere Gerechtigkeit ist, und daß nur die Gemeinschaft mit ihm den Sünder vor Gott gerecht machen kann. Die iustitia Dei, die Gerechtigkeit, die Gott uns schenkt, erlangt man durch den Glauben. Durch den Glauben wird dem Sünder seine Schuld vergeben, indem ihm die Gerechtigkeit Christi mitgeteilt und appliziert wird. Zwar wird der Gerechtfertigte durch die gottgeschenkte Caritas zum guten Handeln befähigt, aber die Concupiscentia hindert ihn an der vollkommenen Verwirklichung dieser Fähigkeit. Diese Unvollkommenheit wird nach Seripando ergänzt durch die Gerechtigkeit Christi, die den Gliedern der Kirche durch den Glauben und die Sakramente appliziert wird. Seripando erweist sich hier als ein Vertreter der sogenannten

38 Vgl. die Äußerungen Vittoria Colonnas, P. Carnesecchis u.a., in: G. Manzoni (Hrsg.), Estratto del processo di Pietro Carnesecchi, in: Miscellanea di storia italiana, 10 (1870), S. 549. Vgl. dazu auch P Simoncelli, 11 caso Reginald Pole, S. 32 f. 39 CT, Bd. 12, S. 674-676 und S. 671-674. Vgl. dazu H. ]edin , Geschichte des Konzils, Bd. 2, S. 235 f. 40 Vgl. dazu CT, Bd. 1, S. 68; CT, Bd. 5, S. 176, 184, 194, 195; CT, Bd. 12, S. 541-556; H. ]edin, Girolamo Seripando. Sein Leben und Denken im Geisteskampf des 16. Jahrhunderts, 2 Bde. (Cassiciacum 2 und 3), Würzburg 1937, Bd. 1, S. 354-364; ders., Geschichte des Konzils, Bd. 2, S. 122-124. 41 Vgl. H. ]edin, Girolamo Seripando, Bd. 1, S. 361. 42 Seripandos Rechtfertigungslehre ist vor allem in seinem Traktat CT, Bd. 12, S. 616-636 entfaltet. Dazu kommen die Stellungnahmen zu den Dekretenwürfen. Vgl. zum ganzen: H. Jedin, Girolamo Seripando, Bd. 1, S. 354-426.

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doppelten Gerechtigkeit, die auch andere katholische Theologen seiner Zeit vertraten. Obwohl er bis zuletzt kämpfte, drang er mit seinen theologischen Anschauungen nicht durch, er mußte sich sogar gegen Angriffe auf seine Recht· gläubigkeit verteidigen4}. Er war der Repräsentant einer theologischen Überlie· ferung, des Augustinismus, von dem auch der Reformator Luther berührt war44 • Seripandos theologische Anliegen wurden in einer konfessionalistisch vereng· ten Sichtweise als den Reformatoren zu nahe kommend vom Konzil nicht geduldet. Noch ein anderes Anliegen Seripandos fand keine Berücksichtigung. Er hatte gefordert, das Rechtfertigungsdekret dürfe nicht mit der schweren Rüstung der scholastischen Terminologie einhergehen, wie sie in den Schulen üblich sei. Es müsse vielmehr schlicht und einfach abgefaßt sein, damit es auch von den nicht theologisch gebildeten Gläubigen verstanden werde45 • Er wollte also nicht eine Argumentation in scholastischen Syllogismen, vielmehr eine positive Darstellung in einer Sprache der Hl. Schrift, der Kirchenväter und der Liturgie, also eine Art Theologie zu betreiben, wie sie auch von Erasmus und den anderen vom Humanismus geprägten Theologen der Zeit geübt wurde46 • Das Trienter Konzil aber bevorzugte, ebenfalls aus einer konfessionalistischen Verengung heraus, eine doktrinale, an der scholastischen Begrifflichkeit orien· tierte Sprechweise, um die Abgrenzung zu den Reformatoren sichtbar werden zu lassen. Diese Einseitigkeit empfand auch der Benediktinerabt Luciano degli Ottoni, ein von Paulus und Johannes Chrysostomus geprägter Konzilsteilneh· mer. Er schrieb nach der Verabschiedung des Rechtsfertigungsdekrets an den Herzog von Ferrara, das Dekret sei nun schließlich publiziert worden und es sei ganz so ausgefallen, wie es die scholastischen Doktoren gewollt hätten47 • Auf der anderen Seite meinte der Dominikaner Domingo Soto bei einer früheren Auseinandersetzung auf dem Konzil, als es um den Primat des Schriftstudiums ging, die scholastische Theologie sei das beste Mittel zur Interpretation der Hl. Schrift und die wirksamste Waffe gegen die Protestanten48 •

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Vgl. CT, Bd. 5, S. 672 ff.

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Vgl. H. Jedin , Girolamo Seripando, Bd. 1, S. 426.

Vgl. Traktat .De iustificatione": CT, Bd. 12, S. 614; H. Jedin , Girolamo Seripando, Bd. 1, S. 364 f. 45

46 V gl. dazu auch V Grossi, La giustificazione secondo Girolamo Seripando nel contesto dei dibattiti Tridentini, in: Miscellanea Ordinis Sancti Augustini Historica in honorem P. David Guttierez O.S.A. (Analecta Augustiniana, 41), Rom 1978, S. 9-24.

47 CT, Bd. 10, S. 877. Vgl. K. Ganzer, Benediktineräbte auf dem Konzil von Trient, in: Studien und Mitteilungen zur Geschichte des Benediktinerordens und seiner Zweige, 90 (1979), S. 166; zu Luciano vgl. ebd., S. 151-175; B. Co/let, Italien Benedictine Scholars and the Reformation. The Congregation of Santa Giustina of Padua, Oxford 1985. 48

Vgl. CT, Bd. 1, S. 60; K. Ganzer, Benediktineräbte, S. 156 f.

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5. Die Reformbeschlüsse des Konzils Ohne Konzil keine Reform. Diese Meinung war im 15. Jahrhundert weit verbreitet49. Diese Erkenntnis stand hinter der Forderung des Dekretes "Frequens" auf dem Konstanzer Konzil, das Papst und Kirche zur regelmäßigen Abhaltung von Reformkonzilien alle 10 Jahre verpflichtete50 • Auf dem Konzil von Trient war von Anfang an neben einer Klärung der dogmatischen Fragen als zweiter Themenkreis eine Reform des kirchlichen Lebens angestrebt. Dabei gingen jedoch die Interessen der einzelnen Gruppierungen und Kräfte des Konzils z.T. erheblich auseinander. Das zeigte sich bereits zu Beginn der ersten Trienter Tagungsperiode. Bei der Frage, in welcher Reihenfolge die Gegenstände des Konzils behandelt werden sollten, sprach sich die Mehrheit der Väter zunächst für eine Priorität der Reformverhandlungen vor den dogmatischen aus, denn, so bemerkte der Trienter Kardinal Cristoforo Madruzzo, der korrupte Lebenswandel der kirchlichen Repräsentanten habe die Lutheraner veranlaßt, auf falsche Lehren zu verfallen. Andere, vor allem der Kurie N ahestehende, wollten erst das Dogma erörtern, dann die Reform. Das Ergebnis war ein Kompromiß: Man beschloß (22. Januar 1546) Dogma und Reform parallel zu behandeln51 • Doch Papst Paul III. verwarf die Parallelberatung und erst recht die Priorität der Reform 52 • Der Hintergrund dieser Ereignisse war das Mißtrauen, das zwischen Rom und Trient herrschte. Die Konzilsväter zweifelten an einem echten Reformwillen der Kurie, in der Kurie aber wuchs die Furcht vor Eingriffen in die eigene Lebensweise. Dank der energischen Haltung der Konzilslegaten angesichts der Gefahren für das Konzil kam es aber dann doch dahin, daß Dogma und Reform parallel behandelt wurden 53 • Auf der ersten Tagungsperiode 1545-1547 kam es zu keinen durchgreifenden Reformmaßnahmen. Es zeigte sich die Generallinie der Kurie im Hinblick auf die Reformtätigkeit des Konzils, die im wesentlichen bis zum Schluß der Synode die gleiche blieb: Reformerische Aktivitäten des Konzils zu unterstützen, aber zugleich streng darüber zu wachen, daß die Kompetenzen des Papstes und der kurialen Behörden nicht beschränkt werden, und zwar nicht nur in rechtlicher Hinsicht, sondern etwa auch in finanzieller. 49 Vgl. K.A. Fink, Das Abendländische Schisma und die Konzilien, in: H. Jedin (Hrsg.), Handbuch der Kirchengeschichte, Bd. 312, Freiburg i.Br. 1968, S. 561. 5° Conciliorum Oecumenicorum Decreta, curantibus ]. Alberigo I ].A. Dossetti I PP Joannou I C. Leonardi I P Prodi, consultante H. Jedin, 3 Auf!., Bologna 1973, S. 438 f. 5t CT, Bd. 4, S. 569-572. 52 Vgl. CT, Bd. 10, S. 321-324, S. 341 f.; H. ]edin, Geschichte des Konzils, Bd. 2, S. 25. 53 Vgl. H. ]edin, Geschichte des Konzils, Bd. 2, S. 25 ff., Bd. 3, S. 119.

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Auch die Reformbeschlüsse der zweiten Periode (1551-1552) waren nur halbherzig. Julius III., ehemals Legat der ersten Tagungsperiode, ließ durch seinen Legaten Crescenzio dieselbe Politik verfolgen, wie zuvor. Sie war geleitet von der Furcht, das Konzil könne durch größere reformerische Maßnahmen in Struktur und Praxis der römischen Kurie eingreifen54 • "Ich weiß wohl", hatte schon gegen Ende 1548 der reformeifrige Bischof Florimonte von Aquino an Kardinal Cervini geschrieben, "daß Sie (in Rom) oft hören werden: Wenn es zur Reform käme, würden die Einkünfte zurückgehen . . . es würden keine Bediensteten mehr zu haben sein; der Ruin des Römischen Hofes wäre da". Und der Bischof meint, auf derartige Reden müsse man antworten: "Was nützt es dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewänne, aber an seiner Seele Schaden litte" 55 . Zu durchgreifenden Reformmaßnahmen kam es erst auf der dritten Tagungsperiode des Konzils. Dabei traten allerdings die unterschiedlichen, ja oft gegensätzlichen Interessen der einzelnen Gruppierungen umso offener zutage. Die einzelnen Nationen, auch weltliche Herrscher, bemühten sich, eine umfassende Kirchenreform einzuleiten. So legten Kaiser Ferdinand, der portugiesische Hof, die spanischen Bischöfe und die Franzosen nationale Denkschriften vo26 • Die Grundanliegen waren allen gemeinsam: Forderungen, wie eine bessere Ausbildung des Klerus, eine angemessenere Verkündigung, Einhaltung der Residenz, Verbot der Pfründenhäufung, Beseitigung der päpstlichen Reservationen, Abschaffung der Exemtionen, Zurückdrängung der Dispense, Abhaltung von lokalen Synoden u.a.m. kehren immer wieder. Freilich, wo immer man die Kirchenreform in Angriff nahm, sie führte stets zu den entscheidenden Strukturproblemen, und ohne eine durchgreifende Umgestaltung der kurialen Praxis und Strukturen konnte keine Reform auf Dauer gelingen57 • Darum findet sich in den Reformdenkschriften auch die Forderung nach einer Reform des Papstes, der Kardinäle und der römischen Kurie58 • Die Reformdenkschriften wurden trotz wiederholter Forderungen nicht in ihrem ganzen Umfang dem Konzil vorgelegt. Die Konzilslegaten erklärten (am 24. Januar 1563) den kaiserlichen Oratoren: Was den Papst und seine Kurie betreffe, dürfte nicht dem Konzil vorgelegt werden, damit nicht die Vgl. ebd., Bd. 3, S. 140. CT, Bd. 11, S. 308. Vgl. H. ]edin, Geschichte des Konzils, Bd. 3, S. 140. 56 Vgl. K. Ganzer, Das Konzil von Trient- Angelpunkt für eine Reform der Kirche?, in: Römische Quartalschrift, 84 {1989), S. 33 f;]. Steinruck, Die nationalen Reformdenkschriften der dritten Periode des Konzils von Trient (1562/63 ), in: Würzburger Diözesangeschichtsblätter, 35/36 (1974), S. 225-239. 57 Vgl. dazu auch H. ]edin, Geschichte des Konzils, Bd. 3, S. 139 f. 58 Vgl. etwa: Portugiesische Forderungen: CT, Bd. 13/1, S. 531 f., Nr. 13, 16 ff.; S. 535, Nr. 1 ff. Kaiserliches Reforrnlibell: CT, Bd. 13/ 1, S. 666 f. 54

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Gewaltenfrage von Papst und Konzil angeschnitten werde, was sehr gefährlich wäre59 • Dennoch wurden zahlreiche Punkte aus den Reformdenkschriften der Nationen in die Reformdekrete des Konzils eingearbeitet. Unterschiedlich waren, wie bereits erwähnt, die Interessen der einzelnen Gruppierungen des Konzils. Die Spanier, zweifellos die stärkste Reformpotenz des Konzils, anerkannten zwar die Autorität des Römischen Pontifex, aber sie fürchteten, gestützt auf entsprechende Erfahrungen, daß der Papst seine Gewalt mißbrauche und daß die Kurie von sich aus keine grundsätzliche Reform in die Hand nehme. Daher erstrebten sie eine durchgreifende strukturelle Reform auch der römischen Kurie durch das Konzil60 • Die Franzosen kamen aus der Tradition des Gallikanismus, und das bedeutete, daß für sie entsprechend den Synoden von Konstanz und Basel, das Konzil über dem Papst stand. Sie verlangten eine Beschneidung der kurialen Befugnisse und eine Einschränkung der römischen Praxis. Ihre wiederholte Drohnung, die Annaten-Zahlungen vor das Konzil zu bringen, bereitete der Kurie wahre Alpträume, denn dieser Punkt war ein Eckpfeiler im päpstlichen Finanzsystem61 • Kaiser Ferdinand I. wünschte eine durchgreifende Kirchenreform, vor allem um der konfessionellen Lage im Reich willen. Dabei plädierte er auch für eine Reform des Papstes und der römischen Kurie durch das Konzil. Nachdem Kardinal Giovanni Morone im Frühjahr 1563 als Legat die Leitung des Konzils übernommen hatte, traf er mit dem Kaiser persönlich in Innsbruck zusammen. Dabei gelang es Morone, den Kaiser vom guten Willen des Papstes bezüglich der Kirchenreform zu überzeugen und zu erreichen, daß Ferdinand Stück um Stück von der Forderung einer Kurialreform durch das Konzil abrückte62 • Von größter Wichtigkeit für die Reformgesetzgebung des Konzils war die Haltung Pius' IV. Ihm war klar, daß eine Reform der Kirche nicht mehr zu umgehen war63 • Doch bei allem Reformwillen wollte er eine Reform der römischen Kurie nicht aus der Hand geben64 • Jedin schreibt mit Recht von Pius IV.: 59 J. Susta, Die Römische Kurie und das Konzil von Trient unter Pius IV., 4 Bde., Wien 1904-1914, Bd. 3, S. 182, vgl. auch Bd. 3, S. 167,219,239-241,245,251. 60 Vgl. die Nachweise bei K. Ganzer, Trient - Angelpunkt für eine Reform, S. 35 f. und S. 46 f. 6 1 Vgl. ebd., S. 36 f. und S. 47; außerdem K. Gan:r.er, Das Konzil von Trient und die Annaten, in: E. Gat:r. (Hrsg.), Römische Kurie. Kirchliche Finanzen. Vatikanisches Archiv. Studien zu Ehren von Hermann Hoberg, 2 Bde., Rom 1979, Bd. 1, S. 215-247. 62 Vgl. die Nachweise bei K. Ganzer, Trient - Angelpunkt für eine Reform, S. 37 f., 47. 63 Vgl. allgemein H. Jedin, Geschichte des Konzils, Bd. 4/2, S. 251 f. 64 Vgl. den Legatenbrief vom 14. Februar 1562: .alcun altro ehe frattanto si trattasse della riformatione di quelle cose ehe non appartengono alla riforma di Roma

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.An der Kurie groß geworden, konnte er sich nicht vorstellen, daß das Papsttum ohne das im Mittelalter ausgebildete und durch die Päpste der Renaissance weiter ausgebaute System und dessen finanzielle Konsequenzen seine Aufgaben erfüllen könnte" 65 •

Die Haltung dieses Papstes in den Reformfragen ist von einer gewissen Zwiespältigkeit geprägt. Kar! Borromäus, der Papstnepote, war im Grunde das ausführende Organ der Konzilspolitik seines Onkels. Dabei war er sehr darauf bedacht, daß das Konzil den römischen Strukturen nicht zu nahe trete. Seine große Stunde als Mann der Kirchenreform kam erst, nachdem er in sein Bistum Mailand übergesiedelt war. Nach all den Genannten ist aber ein Mann noch besonders zu erwähnen, der die letzten Monate des Konzils als Präsident entscheidend bestimmte: Kardinal Giovanni Morone. Er stand den Persönlichkeiten der religiösen Erneuerung, wie sie sich im italienischen Evangelismus bzw. bei den sogenannten Spirituali niederschlug, besonders nahe66 • Morone kommt das Hauptverdienst zu, eine antirömische Koalition der drei Mächte Spanien, Frankreich und Kaiser entschärft und dadurch den Weg frei gemacht zu haben für ein Gelingen der dritten Trienter Periode67 • Der Erfolg seiner Konzilspolitik gründet wohl in seiner Persönlichkeit, die Heinrich Lutz so charakterisiert: Morone habe einerseits die volle Meisterschaft der Renaissancediplomatie als Erbe eines weltlichen Jahrhunderts besessen, sei aber anderersits von dem Geiste vertiefter persönlicher Frömmigkeit und Gläubigkeit ganz erfaßt gewesen68 • An einigen Beispielen soll nun kurz aufgezeigt werden, wie die unterschiedlichen Tendenzen des Konzils aufeinanderprallten. Die Einhaltung der bischöflichen Residenz kam, nachdem die erste Periode keine befriedigende Lösung gebracht hatte, 1562-1563 erneut auf die Tagesordnung. Die Spanier drängten darauf, das Konzil solle erklären, die bischöfliche Residenz sei durch göttliches Recht geboten. Auf diese Weise sollte einer Durchlöcherung der Reformbestimmungen ein Riegel vorgeschoben werden. Von kurialer Seite sah man im göttlichen Recht der Residenz eine Zerstörung des kurialen Systems und eine Beeinträchtigung der päpstlichen Primatialgewalt. Das Ergebnis der Auseinandersetzungen war ein Kompromiß: Die Residenz wurde als göttliches Gebot deklariert. Die Forderung, dieses ehe S.Sta. ha detto di voler far essa medesima":]. Susta, Die Römische Kurie, Bd. 2, S. 23. 65 H. Jedin, Geschichte des Konzils, Bd. 4/2, S. 252. 66 Vgl. K. Ganzer, Trient- Angelpunkt für eine Reform, S. 39 f., und S. 48. 67 V gl. H. Lutz, Kardinal Morone: Reform, Konzil und Europäische Staatenwelt, in: ll Concilio di Trento e Ia riforma Tridentina, 2 Bde., Rom 1965, Bd. 1, S. 377. 68 Ebd., S. 366 f.

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Gebot auf eine lehrmäßige Aussage über das Bischofsamt zu gründen, wurde aber abgewiesen69 • Ein anderer, weitreichender Streitpunkt war die Abschaffung der Exemtionen. Dafür setzten sich vor allem die Spanier ein, insbesondere was die exemten Domkapitel betraf. Die spanischen Bischöfe sahen sich nämlich durch die Exemtionen in ihrem bischöflichen Wirken beeinträchtigt, da die Kapitel durch Appellationen nach Rom die Durchführung von Reformen blockierten70 • Die Domkapitel dagegen liefen Sturm mit dem Argument, die Beseitigung ihrer Exemtionen bedeutete eine Beschneidung der Autorität des Hl. Stuhles71 • Am Ende stand wieder ein Kompromiß: Die Rechte der Bischöfe bei der Durchführung von Reformen bei den Exemten wurden erweitert, ohne jedoch die Exemtion selber anzutasten. Die Bischöfe konnten "tamquam Apostolicae Sedis delegati" tätig werden72 • Die Exemtionen, vor allem der Orden, waren für den Apostolischen Stuhl deshalb so wichtig, weil sie, worauf Joseph Ratzinger in einer früheren Arbeit hingewiesen hat, nicht unwesentlich zur Ausbildung des päpstlichen Zentralismus beigetragen haben und ihn unterstützten7} . Auch die Annatenfrage gehörte zu den heißen Eisen des Konzils. Die Franzosen waren gewillt, die Annatenzahlungen durch das Konzil abschaffen zu lassen. Die Legaten schrieben alarmiert nach Rom, es sei gefährlich, diese Materie auf dem Konzil zu behandeln. Man müsse Sorge tragen, diese Frage dem Papst zu überlassen. Auch in Rom bekam man einen großen Schrecken. Daß die Annatenfrage dann doch nicht vor das Konzil gebracht wurde, ist einer geschickten Politik zu verdanken, durch die man den Kardinal von Lothringen durch Zusicherungen und Versprechungen für seine Person vereinnahmte74 •

69 Vgl. H. ]edin, Der Kampf um die bischöfliche Residenzpflicht 1562/63, in: Kirche des Glaubens, Kirche der Geschichte, 2 Bde., Freiburg i.Br. 1966, Bd. 2, S. 398-413; ders., Geschichte des Konzils, Bd. 1, S. 119 ff. ; Dekret vom 15. Juli 1563: Sessio XXIII, De reformatione, c. 1: CT, Bd. 9, S. 623-625. 70 Vgl. spanische Reformforderungen von 1562, I, Nr. 8, CT, Bd. 13/ 1, S. 625; H. ]edin, Kirchenreform und Konzilsgedanke 1550·1559, in: Kirche des Glaubens, Kirche der Geschichte, Bd. 2, S. 246-251; ders., Geschichte des Konzils, Bd. 4/1, S. 126-132. 71 Archivio Segreto Vaticano, Concilio Tridentino 68, fol. 252r. Vgl. H. ]edin , Geschichte des Konzils, Bd. 4/1, S. 132 f. 72 Sessio XXIV (11. November 1563): CT, Bd. 9, S. 982: De reformatione, c. 10. n ]. Ratzinger, Der Einfluß des Bettelordensstreites auf die Entwicklung der Lehre vom päpstlichen Universalprimat, unter besonderer Berücksichtigung des heiligen Bonaventura, in:]. Auer I H. Volk (Hrsg.), Theologie in Geschichte und Gegenwart. Michael Schiaus zum sechzigsten Geburtstag, München 1957, S. 697-724. 74 Vgl. K. Ganzer, Das Konzil von Trient und die Annaten, S. 215-247; ders., Trient - Angelpunkt für eine Reform, S. 41 , 48 f.

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Diese Beispiele sollen genügen. Man muß jedoch das ganze Geflecht unterschiedlicher Interessen und Motive der am Konzil beteiligten Personen und Gruppen vor Augen haben, um die Reformdekrete des Konzils richtig würdigen zu können. Die weitreichendsten Reformdekrete wurden ohne Zweifel im letzten halben Jahr des Konzils beschlossen75 • Es war das Verdienst Morones, die verschiedenen Kräfte - Papst, Kurie, Kaiser, Spanien, Frankreich, um nur die wichtigsten zu nennen - einzubinden, teilweise zu neutralisieren, um den Kompromiß des Reformwerks zustande zu bringen. Die herausragendsten Bestimmungen betreffen die Bestellung geeigneter Personen zu Bischöfen und wollen überhaupt die Qualität der kirchlichen Amtsträger heben. Das Dekret über die Priesterseminare sollte diesem Anliegen neben anderen dienen. Die Glaubensverkündigung wurde wieder in den Vordergrund gerückt. Visitationen der Diözesen durch die Bischöfe sollten die Reformen sicherstellen, ebenso Diözesan- und Provinzialsynoden. Das Ordensdekret war gedacht, um die Mißstände in den Klöstern zu beseitigen. Die Kumulation von Bistümern und Pfarreien wurde verboten. Die vielberufenen Trienter Reformbestimmungen waren ein Kompromiß. Von diesem Kompromiß sagt Jedin: .Die in den letzten beiden Sessionen des Konzils dekretierte Kirchenreform ließ das im späten Mittelalter ausgebildete Kurialsystem im wesentlichen intakt. Sie blieb weit zurück hinter den Zielvorstellungen nicht nur konziliaristischer und gallikanischer Reformer, sondern auch der Führer der katholischen Reformbewegung des Jahrhunderts, etwa des berühmten Ratschlags für Paul 111., aber auch der Reformdenkschriften, die dem Konzil vorgelegen hatten. Sie war ein Kompromiß und trug alle Schwächen eines solchen in sich. Sie begnügte sich mit kurzen Schritten, solchen, die eben noch gangbar schienen, in der stillen Hoffnung, daß ein neuer Geist in die Kirche einkehren und weitere Schritte ermöglichen werde" 76 .

Eine Schwäche der Reform-Kompromisse bestand darin, daß das Konzil zwar in einzelne Kompetenzen der römischen Kurie eingriff, daß es aber ganz auf direkte Eingriffe in die Organisation der Kurie, ihre Behörden und Tribunale verzichtete77 • Wie sich dieser Kompromiß hemmend auf die Durchführung der Reform des Konzils auswirken konnte, zeigt das Beispiel Gabriele Paleottis. Dieser Konsistorialadvokat und wichtige Mitarbeiter des Trienter Konzils wurde später Kardinal und Erzbischof von Bologna78 • Seine Bemühungen, das unbotmäßige 75 Vgl. H. ]edin, Geschichte des Konzils, Bd. 4/2, passim; K. Ganzer, Trient Angelpunkt für eine Reform, S. 42 f. 76 H. ]edin , Geschichte des Konzils, Bd. 4/2, S. 184 f. 77 Ebd. 78 Vgl. zu ihm: P Prodi, II Cardinale Gabriele Paleotti (1522-1597), 2 Bde. (Uomini e Dottrine, 7 und 12), Rom 1959-1967.

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exemte Domkapitel zu reformieren, wurden immer wieder durchkreuzt, da die Kanoniker nach Rom appellierten und die vom Bischof verhängten Strafen aufgehoben wurden79 • "Come se non fusse fatto Concilio", so schrieb er 1568 resigniert über die Zustände in seinem Bistum80 . Alle Vorstellungen in Rom blieben erfolglos, sodaß er in einem Brief an Karl Borromäus in Mailand sarkastisch bemerkte, er sei "un vescovo con la mitra sola senza il pastorale" 81 • Hier zeigen sich die negativen Folgen davon, daß man auf dem Konzil eine schärfere Umschreibung des Bischofsamtes ausklammerte82 • Die Übertragung päpstlicher Vollmachten an die Bischöfe, wie es in den Reformdekreten häufig geschah (delegati Sedis Apostolicae), war, wieJedin mit Recht bemerkt, eine zwar kanonistisch elegante, theologisch aber unbefriedigende Lösung des Problems der bischöflichen Gewalt83 • Gerade diese Lösung erwies sich oft als Hemmnis für die Durchführung von Reformen. 6. Die Bedeutung des Trienter Konzils für die Zukunft Das Eingehen auf Detailfragen des Konzilsablaufs war notwendig, um neben der Bedeutung des Konzils auch seine Grenzen an exemplarischen Beispielen aufzuzeigen. Denn gerade auch diese Grenzen wirkten sich in der Zukunft aus. Die Wirkungsgeschichte des Trienter Konzils ist eine höchst komplexe und vielschichtige. Trient brachte in der Auseinandersetzung mit den Reformatoren in vielen Punkten eine wertvolle und wirksame Selbstbesinnung der alten Kirche über ihre theologischen Positionen. Aber die theologische Arbeit stand unter dem Vorzeichen der Konfessionalisierung. Ernst Walter Zeeden wies einmal darauf hin, bei der Entfaltung der Konfessionalität hätten sich überwiegend diejenigen Kräfte durchgesetzt, die auf ein nach Verfassung, Kult und Dogma abgeklärtes und sich gegen Sonderbewegungen und andere Bekenntnisse hart abzugrenzendes Kirchenturn drängten84 •

79 Vgl. ebd. das umfangreiche Kapitel: "lmpedimenta residentiae", Bd. 2 , S. 323-388. 80 Paleotti an Alfonso Binario, 3. Juli 1568, ebd., Bd. 2, S. 340. 81 Brief an Karl Borromäns vom 29. November 1581, ebd., Bd. 2, S. 380. 82 Vgl. H. ]edin, Geschichte des Konzils, Bd. 4/1, S. 210-263 ; Bd. 4/2, S. 50-79. 83 H. ]edin, Delegatus Sedis Apostolicae und bischöfliche Gewalt auf dem Konzil von Trient, in: Kirche des Glaubens, Kirche der Geschichte, Bd. 2, S. 414-428, hier S. 428. Vgl. außerdem ders., Geschichte, Bd. 4/2, S. 184. 84 E. W Zeeden, Konfessionsbildung. Studien zur Reformation, Gegenreformation und katholischen Reform (Spätmittelalter und frühe Neuzeit, Tübinger Beiträge zur Geschichtsforschung, 15), Stuttgart 1985, S. 100.

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Diese abgrenzende Tendenz konnten wir auch bei der Entstehung des Rechtfertigungsdekretes in Trient feststellen. Das ließe sich auch in zahlreichen anderen Bereichen der auf dem Konzil behandelten Gegenstände aufweisen. Oft herrschte auf dem Konzil eine Atmosphäre der Ängstlichkeit, um ja nicht in die Nähe reformatorischer Positionen zu kommen. Daher war man nicht bereit, innerkatholische Strömungen, die vom Humanismus geprägt waren und sich in ihrer Ausrichtung auf die Bibeltheologie und in ihrer Kritik an der Scholastik mit Auffassungen der Reformatoren berührten, zu dulden85 • Man richtete sich wieder aus an der mittelalterlichen Theologie, an der, wie man glaubte, altbewährten Scholastik. Wenn auch, wie Wolfgang Reinhard aufzeigen konnte86 , Gegenreformation in vielen Bereichen eine Modernisierung bedeutete, wie etwa in der Politik, in der Kultur, in der Bildungs- und Sozialgeschichte, theologisch und frömmigkeitsgeschichtlich ist sie stark rückwärts gerichtet, zum Mittelalter hin. Dies bestätigt die Beobachtungen, die Benno Hubeosteiner in seinem Buch "Vom Geist des Barock" machte, wenn er von der barocken Geistigkeit, in die die Gegenreformation einmündet, schreibt: •. .. es ist .. . die Frömmigkeitshaltung des späten Mittelalters, die im Barockkatholizismus wiederkommt, nur jetzt durch die Glaubenskämpfe geläutert, durch Trient stärker in die Zucht genommen, vom neuen Zeitstil machtvoller vertont. Für die Geistesgeschichte der katholischen Länder Europas bedeutet der Barock, grob gesprochen, eine Verlängerung des Mittelalters um nochmals zweihundert Jahre" 87 • Die Wirkungsgeschichte des Trienter Konzils hinsichtlich der Kirchenreform ist von Land zu Land, von Bistum zu Bistum, von Orden zu Orden verschieden. Global kann gesagt werden: Was von den Trienter Reformdekreten am meisten verwirklicht wurde und die nachhaltigste Wirkung hatte, war die geistige und geistliche Hebung des Klerus. Dies geschah vor allem durch die Gründung von Kollegien, Universitäten und Priesterseminaren. Auch haben die Visitationen in nicht geringem Maß zur Reform des nachtridentinischen Katholizismus beigetragen88 . Zahlreiche Hemmnisse verhinderten aber auch eine durchgreifende Verwirklichung der Trienter Reformdekrete. Da war etwa die Kollision mit

s5 Vgl. in diesem Zusammenhang auch H. ]edin, Katholische Reformation oder Gegenreformation? Ein Versuch zur Klärung der Begriffe nebst einer Jubiläumsbetrachtung über das Trienter Konzil, Luzern 1946, S. 33 f. 86 W Reinhard, Gegenreformation als Modernisierung? Prolegomena zu einer Theorie des konfessionellen Zeitalters, in: Archiv für Reformationsgeschichte, 68 (1977),

S. 226-252.

~ 7 B. Hubensteiner, Vom Geist des Barock. Kultur und Frömmigkeit im alten Bayern, München 1967, S. 21. s~ Vgl. E. W leeden I PT Lang (Hrsg.), Kirche und Visitation. Beiträge zur Erforschung des frühneuzeitlichen Visitationswesens in Europa (Spätmittelalter und Frühe Neuzeit, 14 ), Stuttgart 1984.

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landesfürstlichen Hoheitsrechten oder sonstigen althergebrachten Gewohnheiten weltlicher Stände. Die Trienter Bestimmungen über die Bischöfe und Domkapitel konnten im Deutschen Reiche infolge des Reichskirchensystems erst vom 19. Jahrhundert an, nach der Säkularisation, durchgeführt werden. Ein Hindernis für die Durchführung der Trienter Reformen bildeten auch immer wieder die Exemtionen von Kapiteln, Orden oder Einzelpersonen. Es wurde bereits darauf hingewiesen. Petrus Canisius beklagt in einem Schreiben an den Würzburger Bischof 1567, die Bischöfe fürchteten die Zurückweisung, wenn sie von den Kanonikern eine bescheidene Mitwirkung bei der Reform forderten; daher unterblieben die Visitationen und das Konzil von Trient werde nicht angenommen89 • Aber auch durch zahlreiche Eingriffe der römischen Kurie in die Jurisdiktion der Ordinarien wurde die Reformarbeit oftmals behindert. Wir haben das Beispiel Paleotti bereits angeführt. Ein weiteres Moment, das sich für die Durchführung der Trienter Dekrete als hinderlich erwies, war die verworrene kirchliche Lage in Krisengebieten. Der Kölner Nuntius Frangipani schrieb am 24. Januar 1591 nach Rom, der Klerus könne in dieser Region "nelli tempi presenti calamitosi" in vielen Punkten das Trienter Konzil nicht verwirklichen, vor allem was die Kirchenämter betreffe90 • Es ist aber auch zu berücksichtigen, daß die Konzilsbestimmungen auf dem Papier noch nicht verändernd wirkten. Es war mehr das Atmosphärische einer gewissen Reformmentalität, das verändernd gewirkt hat. Diese Reformmentalität aber ging nicht allein vom Konzil aus. Sie war getragen von den gesamten Kräften der altkirchlichen Erneuerung. Hier sind die erneuerten oder neuen Orden zu nennen, vor allem die Jesuiten und Kapuziner. Aber auch Bischöfe spielen eine wichtige Rolle. Es sei an Karl Borromäus in Mailand oder Julius Echter von Mespelbrunn in Würzburg erinnert. Auch die nachtridentinischen Päpste sind zu nennen. Allerdings wird ihre Rolle bei der Verwirklichung der Trienter Reformen z.T. überschätzt.

7. Schluß Der Titel unserer Ausführungen lautet: Das Konzil von Trient - Antrieb oder Hemmschuh für die Kirche der Neuzeit? Wenn wir unsere Darlegungen, die natürlich in vielem nur sehr kurz sein konnten, überblicken, müssen wir feststellen: Das Konzil war zugleich Antrieb und Hemmschuh für die Kirche der Neuzeit. Es war Ort der theologischen Selbstbesinnung und der Bestimmung 89

0. Braunsberger (Hrsg.), Petri Canisii epistulae et acta, Bd. 5, Freiburg i.Br.

1905, S. 411 f.

90 B. Roberg (Hrsg.), Nuntius Ottavio Mirto Frangipani (1590 August - 1592 Juni), Nuntiaturberichte aus Deutschland. Die Kölner Nuntiatur, Bd. 212, München I Paderborn I Wien 1969, S. 31 f.

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der eigenen Positionen der alten Kirche in der Auseinandersetzung mit den Herausforderungen der Reformatoren. Es konnte vieles aufarbeiten, das bisher in dieser Konsequenz nicht durchdacht war. Es sei hier nur das Rechtfertigungsdekret erwähnt. Aber auf der anderen Seite war das theologische Arbeiten des Konzils zum Teil von einer konfessionalistischen Enge der Abgrenzung bestimmt. Wertvolle theologische und religiöse Impulse aus dem Umfeld des Humanismus, die in zahlreichen Kreisen der altkirchlichen Erneuerungsbewegung des 16. Jahrhunderts, vor allem im italienischen Raum, lebendig waren, wurden infolge dieser konfessionalistischen Enge weitgehend unterdrückt. Das bedeutete eine gewisse Verarmung und Vereinseitigung. Man wandte sich nun wieder der Scholastik zu, die erneut einen beherrschenden Rang in der theologischen Arbeit einnahm; allerdings wurde sie vor allem von den Jesuiten weiterentwickelt91 • Insgesamt aber ist im Bereich der Theologie und auf vielen Feldern des kirchlichen Lebens eine Rückwendung zu mittelalterlichen Positionen festzustellen. Nach dem Abklingen der konfessionellen Epoche führte das zu schwerwiegenden Konflikten mit der Geistigkeit der Aufklärung und späterhin noch zu den Auseinandersetzungen innerhalb der theologischen Strömungen des 19. und 20. Jahrhunderts92 • Die Reformdekrete des Trienter Konzils boten eine Handhabe für vielschichtige Erneuerungen des kirchlichen Lebens durch die sie tragenden Kräfte. Aber vieles blieb doch auf halbem Wege stehen infolge staatlicher und staatskirchlicher Strukturen, vor allem aber auch infolge einer Zementierung päpstlich-primatialer Ansprüche. Der päpstliche Primat und sein Verhältnis zu den Lokalkirchen sowie das Wesen des Bischofsamtes wurden zwar in Trient nicht systematisch umschrieben, aber es wurde doch durch Papst und Kurie von den im hohen und späten Mittelalter beanspruchten Kompetenzen nichts wesentliches aus der Hand gegeben, den Bischöfen bestimmte Befugnisse für Reformen nur als Delegaten des Apostolischen Stuhles zugestanden. Das aber führte im Verlaufe des 17. und 18. Jahrhunderts zu den energischen Reaktionen des Episkopalismus. Die weitreichenden Folgen, verstärkt durch die einseitige Ausrichtung des I. Vatikanums, sind bis in unsere Zeit wirksam. Auch hier wurden auf dem Tridentinum durch engstirnige Egoismen mögliche Chancen vertan. So hat das Tridentinum nicht nur Anstöße für Reformen gegeben, sondern auch zum Teil weitergehende Schritte blockiert. 91 Vgl. den Überblick beiM. Grabmann, Die Geschichte der katholischen Theologie seit dem Ausgang der Väterzeit, 2. Aufl., Darmstadt 1961, S. 161-172. 92 Vgl. F Valjavec, Geschichte der abendländischen Aufklärung, Wien I München 1961, insbesondere S. 174-187; S. Merkle, Die katholische Beurteilung des Aufklärungszeitalters, in: ders., Ausgewählte Reden und Aufsätze, hrsg. von T. Freudenherger (Quellen und Forschungen zur Geschichte des Bistums und Hochstifts Würzburg, 17), Würzburg 1965, S. 361-413; ders., Um die rechte Beurteilung der sogenannten Aufklärungszeit, ebd., S. 414-420.

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Das Tridentinum trägt durchaus ambivalente Züge. Jedes Konzil steht in einem historischen Kontext, aus dem sich seine Leistungen, aber auch seine Grenzen ergeben. Das gilt auch für das Konzil von Trient.

Die Neuorganisation von Frömmigkeit des Kirchenvolkes im nachtridentinischen Konfessionsstaat Von Wolfgang Brückner

Zunächst begriffliche Vorklärungen mit der Grundsatzfrage nach sogenannter Volksfrömmigkeit als Ausfluß sogenannter Volkskultur. Diese gilt in der historischen Anthropologie immer noch oder wieder zumeist als eine Art Naturbefindlichkeit, die durchgängig und zwar wie eine eigenständige, quasi angeborene Mentalität existieren soll. Das hat es aber so niemals gegeben, ist vielmehr ein wissenschaftliches Konstrukt aufgrund eines theologisierten Volksgebriffs. Robert Scribner hat deshalb 1994 in dem KLK-Band "Volksfrömmigkeit in der frühen Neuzeit" zu Recht von einem "two-tier-modell" gesprochen 1 , und zwar sowohl einem der Theologen von einst wie einem der heutigen Historiker, wenngleich Scribner selbst - zumindest vor zehn Jahren noch- dazugehörte. Zwei-Schichten-Theorie heißt das bei den Volkskundlern. Ich spreche daher vom "Kirchenvolk", das alle Laien umfaßt. Und "Frömmigkeit" ist dessen praxis pietatis vom Herrscherhaus bis zum Stallknecht, vom Gottesgelehrten bis zur Dienstmagd. Scribner nennt dafür sieben Facetten, die ich in zwei Dreiergruppen auflöse, indem beide die entsprechende Frömmigkeitshaltung bestimmen: 1. die Suche des Seelenheils; 2. Hilfe zur Alltagsbewältigung; 3. Möglichkeiten für das Trostbedürfnis.- Getragen aber und modifiziert, wie modelliert werden diese Aspekte von Glaubensvollzug durch 1. die politischen, 2. die sozialen, 3. die ökonomischen Dimensionen des jeweiligen Lebenszusammenhangs2 • Bekanntermaßen ist der in Mitteleuropa durch die Reformation markierte Bruch zwischen Spätmittelalter und früher Neuzeit ein viel geringerer als der durch die Französische Revolution für unsere heutige, die eigentliche Moderne. Insofern stellt auch die spätmittelalterliche Frömmigkeitskultur vor allem für

R. W Scribner, Volksglaube und Volksfrömmigkeit. Begriffe und Historiographie, in: H. Molitor I H. Smolinky (Hrsg.), Volksfrömmigkeit in der frühen Neuzeit (Katholisches Leben und Kirchenreform im Zeitalter der Glaubensspaltung, 54), Münster 1994, S. 121-138, hier S. 131. Ebd., S. 122. 10*

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den Katholizismus des Barock eine feste Basis dar, auf der und vor deren Folie das Kirchenvolk neuerlich organisiert, katechisiert und motiviert werden konnte. Benno Hubensteiner hat deshalb recht, wenn er überspitzt formuliert: .Es ist gerade die Frömmigkeitshaltung des späten Mittelalters, die im BarockKatholizismus wiederkommt, nur jetzt durch die Glaubenskämpfe geläutert, durch Trient stärker in die Zucht genommen, vom neuen Zeitstil machtvoller vertont. Für die Geistesgeschichte der katholischen Länder Europas bedeutet der Barock, grob gesprochen, eine Verlängerung des Mittelalters um nochmals zweihundert Jahre"}.

Ich selbst habe mich schon vor vielen Jahren dazu ein wenig vorsichtiger geäußert, indem ich .Erneuerung durch selektive Tradition" zu beschreiben versuchte, also Kontinuitäten ausgewählter Art sehe: nämlich signifikante Akzentuierungen und Vernachlässigungen, wodurch das neue Erscheinungsbild geprägt wurde4 • Die spätmittelalterliche Massenreligiosität Mitteleuropas war von vielem Wildwuchs und offensichtlich großen Unterschieden, z.B. zwischen Stadt und Land, geprägt. Die frühneuzeitliche katholische praxis pietatis hingegen ist tendenziell gleichförmiger, flächendeckender, generell tiefgreifend prägender für alle Stände gewesen, ohne daß ich dies mit manchem Franzosen erst, die eigentliche Christianisierung der Gesamtbevölkerung nennen möchte. Und hier stellen sich dann zwei Hauptfragen: zunächst nach der Frömmigkeitsorganisation und nach den Frömmigkeitsangeboten und ihrer jeweiligen Förderung. Davon leiten sich dann unterchiedliche Beschreibungszugänge nachtridentinischer Frömmigkeit ab.

I. Organisation und Angebot von Frömmigkeit 1. Kleruskontrolle

Zur systematischen Wiederaufrichtung katholischen Frömmigkeitsvollzugs gehört die jetzt nach vielen Jahrhunderten auf Dauer allmählich gelingende Kontrolle des Klerus, voran der Säkularpriester und die damit gegebene Durchstrukturierungsmöglichkeit bis an die - wie wir heute sagen - Basis. Ich spreche hier stets von Süddeutschland, insbesondere von den rhein-mainischen Fürstbistümern und von Altbayern zwischen 1570 und 1770. Es geht um den Wandel der Verhältnisse gegenüber der spätmittelalterlichen Seelsorgspraxis auf dem platten Lande, also um die Disziplinierung des PfarrkJerus durch

B. Hubensteiner, Vom Geist des Barock. Kultur und Frömmigkeit im alten Bayern, 2. Aufl., München 1978, S. 21. W Brückner, Erneuerung als selektive Tradition. Kontinuitätsfrage.n im 16. und 17. Jahrhundert aus dem Bereich der konfessionellen Kultur, in: Der Ubergang zur Neuzeit und die Wirkung von Traditionen (Veröffentlichungen der J ungius-Gesellschaft der Wissenschaften Hamburg, 32), Göttingen 1987, S. 35-78.

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Seminarausbildung, durch die Residenzpflicht und durch die weitgehende Zölibatseinhaltung sowie deren positive Bewertung in der Gesellschaft. Wir wissen, daß im 17. Jahrhundert in Süddeutschland schließlich ein Überangebot an theologisch gut ausgebildeten Weltgeistlichen existierte und auch bei den insgesamt reformierten und von jesuitischem Eifer erfaßten alten Orden sowie bei den neuen Orden missionarischer Seelsorgseifer eine Selbstverständlichkeit wurde. Auch hier geschah dies ebenfalls auf der Grundlage systematischer theologischer Bildung. Damit war die Möglichkeit für eine Dauerkatechisierung des Kirchenvolkes aller Schichten und Stände weitgehend gegeben5 • Auf dem Lande kam ,bei uns' die Kirche auch als baulicher Ortsmittelpunkt endgültig ins Dorf, mindestens aber als Filialkapelle mit Stationscharakter. Was im Spätmittelalter aus schon vorhandenem Gemeindebewußtsein oder mit aktiver Gemeindewerdung schon begonnen hatte, wurde nun obrigkeitlich und zeitgleich ins Werk gesetzt - etwa im Würzburgischen in der EchterEpoche, also vor und nach 16006 • Bestandsaufnehmende Visitationen, rechtliche Umorganisationen und architektonische Erweiterungs- wie Neubauten vereinheitlichender Art setzten sichtbare Maßstäbe, die bis heute landschaftsbestimmend bleiben sollten7 • Erst in unseren Tagen, in den letzten vierzig Jahren, sind aus ganz anderen Gründen mehr Kirchen als zur damaligen Zeit gleichzeitig errichtet oder umgebaut worden. Das gilt natürlich auch für die Pfarrhäuser und Pfarrhöfe samt deren Ställen und Scheunen. Das heißt: Sowohl der Personalbestand wie die Arbeitsbedingungen sind in überschaubarer Zeit von Grund auf saniert worden. So etwas konnte selbstverständlich nur während einer allgemeinen Prosperität zu Ende des 16. Jahrhunderts geleistet werden. Das bauliche Potential hat die Verwüstungen des nachfolgenden 30jährigen 5 Für unterschiedliche Regionen und vor Ort mag dieses Bild allzu pauschal wirken, doch Differenzierungen fallen eher gegenüber Frankreich wirklich ins Gewicht, so auch meiner Ansicht nach bei M.E. Forster, The Counter-Reformation in the Villages. Religion and Reform in the Bishopric of Speyer 1560-1720, Ithaca I London 1992. Der Autor versucht die .gemeindeorientierte Frömmigkeit" als .untridentinisch" zu erweisen. Ob sich das im kleinen Bistum Speyer als Sonderform erhärten läßt, wage ich zu bezweifeln. P Blickte, Gemeindereformation. Die Menschen des 16. Jahrhunderts auf dem Weg zum Heil, 2. Auf!., München 1987; R. Fuhrmann, Die .Kirche im Dorf", in: P Blickte (Hrsg.), Zugänge zur bäuerlichen Reformation, Zürich 1987, S. 147-186; P Blickte I ]. Kunisch (Hrsg.), Kommunalisierung und Christianisierung. Voraussetzungen und Folgen der Reformation 1400-1600 (Zeitschrift für Historische Forschung, Beiheft 9), Berlin 1989. H. Hipp, Studien zur Nachgotik des 16. und 17.Jahrhunderts, Phi!. Dissertation, Tübingen 1979; S. Kummer, Die Kunst der Echterzeit, in: P Kolb I E.G. Krenig (Hrsg.), Unterfränkische Geschichte, Bd. 3: Vom Beginn des konfessionellen Zeitalters bis zum Ende des Dreißigjährigen Krieges, Würzburg 1995, S. 663-716; Wolfgang Schneider, M.A., Würzburg, bearbeitet für eine Dissertation die Visitationsakten mit der Bestandsaufnahme an Kirchenrichtungen vor 1600.

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Krieges zwar nicht immer überlebt, doch sozusagen die Grundmauem gesichert und die Maßstäbe weitergereicht8 . 2. Weltliche Durchsetzungsgewalt

Die erfolgreiche Durchsetzung dieser kostenintensiven Grundmaßnahmen wie auch die der nachfolgenden religiösen Disziplinierung, was unter anderem natürlich aus territorialstaatlichen Interessen geschah, gelang im wesentlichen, wie bei den Protestanten, allein mit Hilfe des weltlichen Arms. J ulius Echter ließ sich nicht wie seine Vorgänger vom geistlichen Regiment, etwa dem Domkapitel, in den Arm fallen, sondern er wies in seiner Eigenschaft als weltlicher Souverän seine Amtmänner an, die Durchführung der Reformen zu überwachen und notfalls mit staatlicher Gewalt zu erzwingen, und zwar nicht bloß gegenüber den offenen oder den Kryptoprotestanten9 . Ebenso parallel zu den Protestanten (etwa in Nümberg/Altdorf) gründete 1582 in Würzburg der Landesherr eine konfessionelle Universität und finanzierte sie gleich anderen modernen Institutionen durch Klostersäkularisation d.h. mit Hilfe von Vermögensumschichtungen10. Ein Beispiel aus seiner zeitlich zuletzt endgültig rekatholisierten Residenz und Bischofsstadt Würzburg. Den Stadtrat baten 1614 Bürger der wenige Jahre zuvor begründeten Marianischen Sodalität, an der 1609 von den Jesuiten eingeführten Karfreitagsprozession teilzunehmen, nämlich: "Der selbige wölle auch erscheinen und zu mehrem ansehen, dem gemeinen bürgersman zur andacht anlaitung zu geben" 11 • Im Jahr daraufhakte der Fürstbischof nach und Heute noch ablesbar am Denkmälerbestand, wie ihn die Inventarwerke der ersten Hälfte unseren Jahrhunderts festgehalten haben. Das 19. Jahrhundert hat nur in den damals wohlhabenderen Gegenden wie z.B. den preußischen Rheinprovinzen auf dem Lande bauliche und ausstattungsmäßige Tabula rasa für die Vergangenheit geschaffen, so daß in unserem Jahrhundert im Vergleich dazu Westfalen zu einer romanischen Kunstlandschaft stilisiert werden konnte, rein aufgrunddes im 19. Jahrhundert unangetastet gebliebenen und allein deshalb umfangreicheren Denkmälerbestandes. D. Willoweit, Katholische Reform und Disziplinierung als Element der Staatsund Gesellschaftsorganisation, in: P Prodi (Hrsg.), Glaube und Eid. Treueformeln, Glaubensbekenntnisse und Sozialdisziplinierung zwischen Mittelalter und Neuzeit (Schriften des Historischen Kollegs, 28), München 1993, S. 113-132. 10 Einzug von Frauenklöstern durch Julius Echter vgl. W Brückner I]. Lenssen, Zisterzienser in Franken. Das alte Bistum Würzburg und seine einstigen Zisterzen (Kirche, Kunst und Kultur in Franken,2), Würzburg 1991; so die Klöster: Heiligenthal, S. 128 f., Meidbronn, S. 117 f., Maria Burghausen, S. 119 f. , Wechtenswinkel, S. 128 f., sowohl zur Fundierung der Universitat wie des Juliusspitals. 11 FG. Rausch, Rom und die Würzburger Karfreitagsprozessionen. Volksliturgische Frömmigkeitsformen der frühen Neuzeit, in: Jahrbuch für Volkskunde, NF, 9 (1986), S. 151-166, hier S. 154.

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befahl dem Rat 1615, die alten Fleischbänke am Maintor gegen den Widerstand der Metzger endlich abzubrechen, damit die Karfreitagsprozession nicht durch deren Anblick gestört würde. Kurz zuvor hatten geistliche und weltliche Räte auf sein Geheiß hin den Stadtrat aufgefordert, in corpore, also geschlossen der neuen "Bruderschaft des verklärten Seligmachers" beizutreten und zur konstituierenden Versammlung zu erscheinen, nachdem nämlich gutes Zureden seit 1613 auch hier noch nichts geholfen hatte. Ähnlich verhielt es sich mit der offiziellen Beteiligung an der Fronleichnamsprozession. Sie wurde auf Dauer erzwungen und entwickelte sich durch die folgenden Jahrhunderte zu einer so festen Gewohnheit, daß ihre obrigkeitliche Personalverschränkung erst im 19. Jahrhundert angefochten werden konnte. Ein solcher Zusammenfall von Obrigkeitsrepräsentanz und Bevölkerung gilt heute als dörflicher Volksbrauch und wird - dem modernen Volkskundler nicht einsichtig - von heutigen Historikern "popular ritual" geheißen 12 • Erfolgreiche Sozialdisziplinierung setzt die soziale Kontrolle als Ergebnis von Nonnenverinnerlichung zur gesellschaftlichen Sitte voraus 13 • Deshalb mußte es, anders als zur Refonnationszeit, während der kirchlichen Aufklärung zu Ende des 18. und beginnenden 19. Jahrhunderts (übrigens bei allen Konfessionen) zu offenen Auseinandersetzungen und zunächst andauernder Distanzierung von sogenannten Gebildeten und sogenanntem Volk kommen, weil das Festhalten an inzwischen Hergebrachtem die fest eingeübte Existenzgrundlage von "geleiteter", d.h. angeleiteter und zugleich kontrollierter Religiosität bildete und zwar als gesellschaftlich organisiertem Lebensvollzug. Richard van Dülmen nennt dieses Ergebnis der Aufklärung "soziale Differenzierung . . . zwischen Elite und Volk", aber er formuliert im Anschluß daran wieder mißverständlich: "Kirchlich-konfessionelle wie religiöse-abergläubische Verhaltensweisen blieben in den mittleren und unteren Volksschichten seit dieser Zeit stärker als in den Oberschichten virulent" 14 , so als ob zuvor alle Menschen vom Virus der Religion befallen gewesen seien, weil das Christentum im Karl-Barthschen Sinne noch nicht zu sich selbst gekommen war. Aber das sind doch Theologenwünsche und keine anthropologischen Fakten; schon gar nicht ist dies kritisch-historische Betrachtungsweise, sondern unbewußte Parteinahme innerhalb eines ideologischen Diskurses. Aufschlußreich dürfte ein genereller Vergleich mit der Epoche zwischen 1840 und 1930 sein, wo es der römischen Kirche schließlich noch einmal 12 R. W Scribner, Ritual und Popular Religion in Catholic Germany at the Time of the Reformation, in: Journal of Ecclesiastical History, 35 ( 1984), S. 47-77, hier insbesondere S. 58 ff. 13 W Brückner, Sitte und Brauch. Sozialwissenschaftliche Aspekte, in: Staatslexikon, Bd. 4, 7. Aufl., 1988, besonders Sp. 1179-1181. 14 R. van Dülmen, Kultur und Alltag in der Frühen Neuzeit, Bd. 3: Religion, Magie, Aufklärung, 16.- 18. Jahrhundert, München 1994, S. 59.

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durch neuerliche Organisation von Massenreligiosität für den Großteil der katholischen Bevölkerung in Deutschland gelang, eine ähnliche Homogenität im sogenannten Milieukatholizismus zu erreichen, wenn auch in einer politisch und gesellschaftlich veränderten Situation 15 • BeideMale war das erfolgreich ins Auge gefaßte Ziel die Selbstdisziplinierung der einzelnen Gläubigen über eine entsprechende Gewissensbildung zu skrupolösem Verhalten. Noch die heutige, wenn auch jetzt sich politisch gebärdende Moralisierung des öffentlichen Lebens in Deutschland scheint mir eine der späten sauren Früchte dieses frühneuzeitlichen Konfessionalisierungsprozesses zu sein: jeder Bürger ein kleiner oder großer Bekenner und damit heute unmittelbar zum lieben Gott und sei es nur mit Hilfe der political correctness. 3. Vermittlungsstrukturen

a) Katechetische Bildungsformen Die inneren Organisationsstrukturen und neuen Bildungsformen lassen sich für die anvisierten Bezugsgruppen an einer hoch entwickelten katechetischen und erbaulichen Literatur ablesen 16 • Diese reicht von lateinischen Kompendien für Prediger, über lateinische und deutsche Lektüreangebote (mit dem ausdrücklichen Hinweis des VorlesenSollens), über die Laienbreviere in Form von Kongregationsgeschenken auf Neujahr, Gebetbüchern für vielerlei Anliegen oder zu unterschiedlichsten Andachtsgelegenheiten und frommen Lokalitäten, Lieddrucke und poetische Predigterinnerungen (conciones in cantiones), bis hin zum geistlichen Bilderbogen, illustrierten Flugblatt, den Andachtsbildehen und Devotionalzetteln, den Briefehen und frommen Amuletten: ein wahrhaft weitreichendes Bildungsangebot, und dieses in kleinster Münze oft verschenkt, etwa durch die gesponserte Schriftenmission der Jesuiten, genannt "Güldenes Almosen" 17 , oder kollektiv finanziert in Sodalitäten und Bruderschaften oder als Fleißzettel in Schulen oder von terminierenden Bettelmönchen als Dank verschenkt oder kommerziell angeboten durch Kolporteure, Bänkelsänger geistlicher Lieder, Devotionali15 M.N. Ebertz, Die Organisation von Massenreligiosität im 19. Jahrhundert, Soziologische Aspekte der Frömmigkeitsforschung, in: Jahrbuch für Volkskunde, NF, 2 (1979), S. 39-72; U. Altermatt, Katholizismus und Moderne. Zur Sozial- und Mentalitätsgeschichte der Schweizer Katholiken im 19. und 20. Jh., 2. Auf!., Zürich 1991. 16 A. und W Brückner, Katechese, Katechismus, in: Enzyklopädie des Märchens, Bd. 7, 1993, besonders Sp. 1035-1053 mit Weiterverweisungen; W Brückner, Jesuitische Erzählliteratur, ebd., besonders S. 562-570. 17 W Brückner, Zum Literaturangebot des Güldenen Almosens, in: Oberdeutsche Literatur (Sonderband der Zeitschrift für Bayerische Landesgeschichte, 47, 1), München 1984, S. 121-139.

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enkrämer auf Heiligendulten, jedenfalls: ein hochdifferenziertes Kommunikationsgewerbe, das schließlich zum Selbstläufer und bisweilen zum Irrläufer werden mußte 18 • Nicht vergessen werden darf die Vermittlungsform des Schultheaters, doch diese galt nur den Studierenden und Studierten der potentiellen Führungselite. Aber szenische Darstellungen gab es auf öffentlicher Bühne auch bei den didaktisch drastisch agierenden Volksmissionaren 19 • Für Kinder und Volk wurde vor allem die Lehrform der Spiel-, Sing- und Bilderprozessionen wichtig20 , wie überhaupt für alle Gläubigen der gemeinschaftliche öffentliche Auftritt von auschlaggebender gesellschaftlicher und vorbildhafter Bedeutung war21 • Von heutigen Liturgiewissenschaftlern können wir dazu meist wenig erfahren. Die des 19. Jahrhunderts interessierte vor allem das Mittelalter, die gegenwärtigen denken mehr über Gegenwart und Zukunft nach. Bezeichnend ist deren abwertender Begriff des Paraliturgischen für Umgänge und Aufmärsche. b) "Actiones sacrae" Doch gerade diese sind eine Hauptform der actiones sacrae im 17. und 18. Jahrhundert gewesen, theoretisch grundgelegt und systematisiert durch den Jesuiten J acob Gretser in seinem "Prozessionsbuch", 1606 zunächst lateinisch, dann deutsch 1612 erschienen22 • Auch und gerade hier baute die katholische Reformpraxis auf den Gewohnheiten des im Spätmittelalter schon vollentwickelten Prozessionswesens weiter. Erst mit selbstbewußter Stadtbevölkerung und nachahmenden Landgemeinden haben systematisch organisierte gemein-

18 W Brückner, Populäre Druckgraphik Europas Bd. 3: Deutschland vom 15. bis zum 20. Jh., 2. Aufl., München 1975, S. 246: Stichwortsystematik zu den Gattungen; ders., Massenbilderforschung 1968-78, in: Internationales Archiv zur Sozialgeschichte der deutschen Literatur, 4 (1979), S. 130-178. 19 L.A. Veit I L. Lenhart, Kirche und Volksfrömmigkeit im Zeitalter des Barock, Freiburg i.Br. 1976, S. 90-98 (Predigt, Volksmission, Schauspiel, Katechismusspiele). 20 T van Oorschot, Katechismusunterricht und Kirchenlied der Jesuiten (15901640), in: W Brückner I P. Blickte I D. Breuer (Hrsg.), Literatur und Volk im 17. Jahrhundert. Probleme populärer Kultur in Deutschland (Wolfenbütteler Arbeiten zur Barockforschung, 13), Wiesbaden 1985, Bd. 2, S. 543-558. 21 W Brückner, Fußwallfahrt heute. Frömmigkeitsformen im sozialen Wandel der letzten hundert Jahre, in: L. Kriss-Rettenbeck I G. Möhler (Hrsg.), Wallfahrt kennt keine Grenzen, München I Zürich 1984, S. 101-113, hier über .Gemeinschaftskult als Volkskatechese", S. 111 ff. auch zur Situation im 18. Jahrhundert. 22 F Rausch, Rom und die Würzburger Karfreitagsprozessionen. Volksliturgische Frömmigkeitsformen der frühen Neuzeit, setzt sich damit in einer weit fortgeschrittenen Würzburger Dissertation auseinander und hat in einem Manuskript für das . Lexikon für Theologie und Kirche" zusammenfassende Thesen formuliert.

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schaftliehe religiöse Begehungsrituale einen sozialen und damit akzeptierbaren Sinn für alle23 • Und genau an diesem Punkt hatten sich die Reformatoren allesamt psychologisch verrechnet. Luthers gar nicht neues, aber berechtigtes Anliegen, den Gemeindegottesdienst zum alleinigen Mittelpunkt des religiösen Lebens zu machen, hoffte er zu stützen durch die vollkommene Abschaffung des sogenannten "Geläufs" und die Ausschaltung jeglicher Möglichkeiten für außerpfarrlichen concursus populi, also das Verbot aller Prozessionen, bayerisch "Kirchfahrten" genannt, im Fränkischen" Wallen" geheißen24 . Darum bei den Protestanten die Verpönung aller sogenannten Wallfahrten, eben der Gemeinschaftsziele umliegender Kapellen, Bruderschaftsfeste, Patroziniumsfeiern, Kirchweihen, Heiltumsschauen, Bitt-, Wetter-, Flurgänge, Filialpflichtbesuche, grund-und kirchenherrschaftlicher Aufgebote, etc. der ostentativen kollektiven Gebärden mehr, zu deren rigoroser Abschaffung natürlich die Verleumdung als Aberglauben gehörte25 • Thre Pflege lag daher im 16. Jahrhundert fast allerorten darnieder und wurde auf katholischer Seite nach dem Tridentinum systematisch wiederbelebt in den Kategorien Lob-, Bitt-, Preis-, Dank- und Bußprozessionen, dazu neue für unterschiedliche Anliegen eingeführt oder solemniter ausgestattet als Reiter-, Schiffs-, Bilderprozessionen, und oft genug traten vorbildhaft Landesherr oder Bischof voran26 • Die Protestanten hatten sich in der "Confessio Augustana" 1530 im Zusammenhang von Fronleichnam darauf festgelegt, Prozessionen seien keine legitime Kulturform. Das Konzil entschied hingegen, sie seien "heiliges Ritual". So wurden Prozessionen zu einem Leit- und Abgrenzungsmotiv der ecclesia triumphans. Prozessionenhändel füllen daher die Annalen der Konfessionsstreitigkeiten. Hier müßten wir einen Exkurs einfügen über die religionsgeschichtliche oder liturgiewissenschaftliche Definition von offizieller Gottesdienstfeier, quasi nur geduldeten, aber überflüssigen actiones sacrae und sogenanntem Volksbrauch, weil zwischen fundamentaltheologischer Setzung, historischem Befund und

23 An einem konkreten Fall für das 17.-19. Jahrhundert exemplifiziert bei W Brückner, Die Verehrung des hl. Blutes in Walldürn. Volkskundlich-soziologische Untersuchungen zum Struktmwandel barocken Wallfahrtens (Veröffentlichungen des Geschichts- und Kunstvereins, 3), Aschaffenburg 1958, S. 135-262 (Die Prozessionen zum hl. Blut). 24 W Brückner, Zur Phänomenologie und Nomenklatur des Wallfahrtswesens und seiner Erforschung, in: Festschrift]. Dünninger, Berlin 1970, S. 384-424, hier S. 387-396. 25 H. Dünninger, Zum Wallfahrtsbegriff des Zeitalters der Reformation im Verzeichnis "Furneme walEarten", in: H. Dünninger, Wallfahrt- und Bilderkult, Gesammelte Schriften, Würzburg 1995, S. 282-287. 26

Siehe F. Rausch, Rom und die Würzburger Karfreitagsprozessionen.

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anthropologischen Vorgaben unterschieden werden sollte27 • Sie sind alle drei nicht gegeneinander ausspielbar, so meine ich als Kulturwissenschaftler. Jedenfalls dürfen wir die Dinge nicht vorzeitig vermischen bei unseren Analysen. Ich behaupte also aufgrund dieses Denkansatzes, Prozessionen waren auch damals nichts strukturell Archaisches, wie heute mit falschem Blick auf manche Inhalte gerne behauptet wird, sondern sie waren eine zumindest gezielt genutzte und darin dann moderne Form der Massenkommunikation, des Gruppenzusammenhalts, der Gemeindeidentifikation durch den gemeinsamen Vollzug rituellen Agierens und zwar mit hohem Prestigegewinn für den einzelnen und die jeweils verkörperte Institution, z.B. Bruderschaft, Dorfgemeinde usw. Vor allem die Karfreitagsprozessionen in den Städten wurden zu großen Lehrschauen, vergleichbar den heute im Profanbereich so beliebten historischen Ausstellungen und in den Kirchen heute den Wandtafelschauen. Die Katechismusprozessionen der Schulkinder bildeten als etwas völlig Neues pädagogische Meisterleistungen für Motivierung, spielendes Lernen, anschauliche Didaxe, persönliches Sicheinbringen-können, Aktivierung der Sinne und der eigenen Fähigkeiten alles in der Aufklärungsepoche zugunsten von Affektreduzierung und bloßer Kopfarbeit wieder zugeschüttet und heute nicht nur für die Kindergottesdienste wiederentdeck~8 •

Die Fronleichnamsprozession hingegen blieb der große öffentliche Huldigungszug für den göttlichen Weltenherrscher, parallel zum Hofzeremoniell der Zeit, zumal die Eucharistie wider alle Verbote aus dem Spätmittelalter zu vielen der übrigen Prozessionen einfach mitgenommen wurde, um, kurz gesagt, Christus unmittelbar mit dabeizuhaben, wenn es ums konkrete Segnen und akute Geraderichten ging. Das war wiederum kein volkstümlicher Aberglaube, sondern lag in der Logik der dogmatischen Entwicklung. Die einstigen Kritiker oder heutigen Sucher des Volkstümlichen vermögen in diesem Zusammenhang immer nur die Flurprozessionen richtig in den Blick zu nehmen, weil es da antike Ahnen vor dem 5. Jahrhundert und damit agrarische Mentalitätsvermutungen gibt29 • Bei solcher Art formaler Kontinuitätsauffassung und damit historisch unerlaubter Abspaltungen aus dem gesamten Lebenszusammenhang läßt sich dann tüchtig spekulieren. Das gleiche gilt, wenn die Forschung lediglich von Reliktformen des 19. Jahrhunderts an sogenanntem 27 Hilfreich ist H. Rei/enberg, Sakramente, Sakramentalien und Ritualien im Bistum Mainz seit dem Spätmittelalter unter besonderer Berücksichtigung der Diözesen Würzburg und Bamberg, 2 Bde., Münster 1971-1972, Bd. 1, S. 227-700 (Prozessionen).

28 Zur Sache siehe T van Oorschot, Katechismusunterricht und Kirchenlied der Jesuiten; über die Aufklärung u.a. A. Lorenzer, Das Konzil der Buchhalter. Die Zerstörung der Sinnlichkeit. Eine Religionskritik, Frankfurt a.M. 1981. 29 Siehe selbst die neuesten Fach-Artikel dazu s.v. Bittprozessionen, in: Lexikon für Theologie und Kirche, Bd. 2, 3. Aufl., 1994, besonders Sp. 512-514.

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Volksbrauch ausgeht. Er wurde in der Regel für Surivals aus Urväterzeiten gehalten, doch handelt es sich in Wahrheit meist um Restformen oder Schwundstufen des damals erst vorangegangenen 18. Jahrhunderts. Zum Beispiel ist der Drachenstich von Furth im bayerischen Wald stets mythologisch gedeutet worden und wird heute als folkloristisches Kuriosum wieder mythisch gepflegt. Damit ist er realiter ein moderner Mythos. Doch selbst die jüngeren Historisierungen der volkskundlichen Forschung durch den Erweis der Verweltlichung eines Details aus der einst verbotenen ehemaligen barocken Fronleichnamsprozession, nämlich St. Georg mit dem Lindwurm, greift noch zu kurz30 • Deren Darstellung spielte bei ihrer gegenreformatorischen Inszenierung eine konfessionspolitische Schlüsselrolle. Ritter und abzustechender Drache schritten hinter dem Sanctissimum in dieser jährlichen Hauptdemonstration des Katholischen in der rekatholisierten Oberpfalz31 • Sie symbolisierten hier an der böhmischen Grenze, in einer Region heiliger Legendenorte mit Hussitenfrevelsagen den siegreichen Kampf gegen die Häresien und nicht bloß gegen irgendeine allgemeine Sündhaftigkeit, wie es die Allegorese der Georgslegende nahelegt, die deshalb auch durch Luther damals für den protestantischen Kalender erhalten geblieben wa~2 • 4. Geistige Betreuungsriiume der Seelsorge

Die das gesamte Kirchenvolk erfassende Seelsorge läßt sich noch weiter aufschlüsseln nach sozialen, regionalen und intentionalen Gesichtspunkten in geistige Betreuungsräume: a) Sozial Die gezielte Seelsorge nach Ständen und Altersgruppen zeigt sich besonders in den jesuitischen Kongregationen, bei der Abfassung entsprechender Gebetbuchliteratur (z.B. "für das andächtige Weibervolk" 33 ), im stufenweisen Unterricht, in entsprechenden Standespredigten und in der aktiven Beteiligung 30 H. Wolf, Der Drachenstich in Furth im Wald, in: Schönere Heimat, 70 (1981), 2, S. 114-130 (Literaturverzeichnis). 31 F Rausch, Rom und die Würzburger Karfreitagsprozessionen. 32 A. und W Brückner, Zeugen des Glaubens und ihre Literatur, in: W Brückner (Hrsg.), Volkserzählung und Reformation, Berlin 1974, S. 521-578, hier S. 528, 531, 546. 33 So in späteren Auflagen des überaus erfolgreichen Gebetbuches "Guldener Himmelsschlüssel ... zur Erlösung der lieben Seelen des Fegfeuers", Dillingen 1690 ff. Im 18. und 19. Jh. über 300 Aufl., siehe die Aufstellung, in: Pater Martin von Cochem 1634-1712 zum 350sten Geburtstag des Volksschriftstellers, Cochem 1994, S. 59.

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aller Gläubigen bei Prozessionen und Wallfahrten, streng geordnet nach Stand, Rang, Geschlecht und Alter wie beim Sonntagsgottesdienst in der heimischen Kirche mit kaufbaren Sitzplätzen, nachdem die Bestuhlung auch bei den Katholiken üblich wurde und sich hier ebenfalls die Predigtdauer bis zu zwei Stunden auszudehnen pflegte34 • Bezeichnend auf dem Dorfe blieb dabei die absolute männliche Dominanz der neuen Religiosität. Auch Bürgersodalitäten der Städte waren geistliche Zünfte. Frauen standen nur reine Gebetsbruderschaften offen. Hausandacht und Familienfürsorge der Verstorbenen hießen ihre Aufgaben35 • Die minderwertige Trias "Küche, Kinder, Kirche" ist bekanntlich eine späte Erscheinung des 19. Jahrhunderts, als nämlich Kirchlichkeit zur Privatsache des Einzelnen geworden war und damit ihren sozialen Prestigewert auf Dauer verlieren mußte. In diese Lücke sind dann, wie auf anderen, inzwischen von Männern verlassenen Gebieten und Positionen, Frauen nachgerückt. Wenn Richard van Dülmen am Beispiel der Wallfahrten, aber verallgemeinbar formuliert: "Populäre, herrschaftliche und kirchliche Interessen sind kaum zu trennen. Erst im 18. Jahrhundert begann sich dies zu ändern" 36 , dann läßt sich fragen, was sollen hier die an erster Stelle genannten "populären" Interessen denn für welche sein? Da entlarvt sich doch trotz aller zuvor verbalisierten theoretischen Relativierungen wieder der ideologische Glaube an das Phantom der eigenständigen, aus sich selbst heraus existierenden, quasi basisontischen Volkskultur. Genau hier nämlich sollten meiner Ansicht nach die sogenannten historischen Anthropologen nicht die Kategorie des "Populären" benutzen, sondern von generellen anthropologischen Bedürfnissen aller Menschen sprechen und diese phänomenologisch genauer zu fassen suchen. Wir alle sind das Volk! Weltliche Herrschaft und kirchliche Obrigkeit regierten vom späten 18. Jahrhunder an doch nicht deshalb am sogenannten Volke vorbei, weil dieses aus einer mythischen longue duree stets populärkulturell gestimmt war und darum uneinsichtig geworden ist, sondern weil nun die neue bürgerliche Bildungskultur am Schreibtisch elaboriert wurde und mit den Lebensbedürfnissen der illiteraten Bevölkerungsschichten zunächst noch nicht in Übereinstimmung gebracht werden konnte: das heißt mit deren Selbstwertgefühlen aus entsprechenden sozialen Einbindungen und dadurch sich ergebenden Interaktionsmöglichkeiten. 34 Im 17. Jahrhundert oft über zwei Stunden Dauer, vgl. Religion in Geschichte und Gegenwart, Bd. 5, 1961,3. Aufl. besonders Sp. 523, s.v. Predigt I. Geschichte der Predigt. -Ein katholisches Beispiel sind die Mainzer Verhältnisse im 17. Jahrhundert bei W Brückner, Die Verehrung des hl. Blutes in Walldürn, S. 57 f. Die Predigten werden dort auf eine 3/4 Stunde beschränkt, die Gesamtgottesdienstdauer auf 1 1/2 Stunden. 35 Vgl. oben, Anm. 33. 36 R. van Dülmen, Kultur und Alltag in der Frühen Neuzeit, Bd. 3, S. 75.

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Wer den Leuten ihren Sommerausflug in Form einer mehrtätigen Gemeinschaftswallfahrt verbietet, der darf sich nicht wundern, wenn dieses Volk die jährlichen Badereisen der sogenannten höheren Stände für Unziemlichkeiten hält. Das hat schon zur frühen Biedermeierzeit der Weimarer Publizist Bertuch mit genau diesem Argument hellsichtig konstatiert und zwar bevor z.B. die rigiden bayerischen Verbote durch Ludwig I. wieder gelockert wurdenH. Die einst guten Glaubens merkantilistisch begründeten Verwaltungsakte überholten sich ohnehin von selbst durch moderneres Wirtschaftsdenken zur Zeit der Zollvereinsbestrebungen. Die einstige soziale Integrationskraft der seit dem ,Normaljahr' 1624 verbindlichen Religion als bewußt bekennender Konfession bestand nicht in Zugeständnissen an vorrationales Denken oder atavistische Mentalitäten, sondern in der bewußten Kultivierung der anthropologischen Gegebenheiten des homo sapiens als Körper-Geist-Wesen und animal sociale, d.h. Herden- oder Hordentier. Das ~(l)ov 1COÄ.tn x:ov bedurfte immer schon der religio carnalis, der durch den eigenen Leib und dessen Interaktion mit den übrigen Menschen lebbar gemachten Spiritualität. Glaube spielt sich nicht allein im Kopf, am Schreibtisch oder unter Kanzel und Katheder ab, sondern umfaßt die Totalität des lebbaren Lebens. Dies meint die Anthropologie der Sinne des Ignatius von Loyola38 . Sie ist nicht eo ipso populär, auf die angeblich volkskulturellen Massen zugeschnitten, sondern sie ist ihnen durch den pädagogisch denkenden, an der spätmittelalterlichen devotio moderna geschulten einstigen Offizier und Ordensgeneral eingeübt worden: durch Schulung, durch Training, durch Exerzitien, durch tägliche Gewissenserforschung: alles strategische Durchstrukturierungen der Weltbewältigungsanstregungen, verbunden mit der Logistik des sakramentalen Denkens und dem Heiligungsversuch des In-der-Welt-Sein des Menschen39 • b) Regionales Das geschah im Bereich der seelsorglichen Organisationsstruktur unter anderem durch die bewußte Heiligung des Territoriums zu einer historisch gewachsenen wie gegenwärtig florierenden terra sancta. Bis heute sichtbar und F]. Bertuch, in: Journal des Luxus und der Moden, 21 (1806), S. 456 ff. Vgl. oben, Anm. 16 mit Theorieentfaltung und weiterführender Literatur. Heutige anthropologische Sicht bei W Brückner, Der Mensch als Kulturwesen. Ethnologische Probleme unseres Selbstbewußtseins, in: M. Lindauer I A. Schöp/(Hrsg.), Wie erkennt der Mensch die Welt?, Stuttgart 1984, S. 174-195. 39 A. Schneider, Narrative Anleitung zur .praxis pietatis" im Barock (Veröffentlichungen zur Volkskunde und Kulturgeschichte, 11), Würzburg 1982; B. Bauer, Jesuitische .ars rhetorica" im Zeitalter der Glaubenskämpfe (Mikrokosmos, 18), Frankfurt a.M. 1986. 37 38

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allgemein bewußt geblieben sind davon die katholischen Bildstocklandschaften40. Sakrale Möblierung könnte man dies in Anlehnung an heutigen Stadtplanerjargon nennen. Im Mittelalter waren die Steinkreuze Rechtsdenkmale, nun wurden sie Zeichen von Stifterstolz und Bekenntnisabzeichen in Feld und Flur, an Weg und Steg so wie die herrschaftlichen Kreuzaufrichtungen an den markanten Punkten der Landesgrenzen. Ihre systematische Errichtung hört typischerweise nach 1800 auf, weil die gesellschaftlichen Grundlagen dafür entfallen waren41 • Hier könnte man in einem umgangsprachlichen Sinne davon sprechen, daß dies nicht mehr ,populär' gewesen ist, weil sich die tragenden öffentlichen Funktionen grundlegend verschoben hatten. Stifter wollen zu allen Zeiten auch Prestige erwerben oder solches festigen und nicht bloß Steuervergünstigungen erhalten, wie das heutige Strategen meinen und von solchem modernökonomistischen Denken her wissenschaftliche Theoretiker "do ut des" dazu sagen, was völlig unangemessen ist, weil unzureichend beobachtet42 • Hierzu zählen auch die kollektiven Stiftungen durch Bruderschaften und politische Gemeinden. Alle waren zuvor am Ausbau der heimischen Sakrallandschaft geradezu wetteifernd beteiligt gewesen. Dies betraf vor allem den lokalen Umkreis. Den territorialen steckten literarische Programme wie die "Bavaria Saneta" des Jesuiten Rader ab, indem er den Beweis führen wollte, daß von alters her allerorten der Boden mit Martyrerblut getränkt oder durch heiligmäßige Menschen christlich geadelt worden ist, während der "Atlas Marianus" des Jesuiten Gumppenberg demonstrierte, daß seit Jahrhunderten überall im Lande Maria besonders gnädig war4J. In Franken geschah die Wiederbelebung der Wallfahrten völlig im Zeichen Mariens, d.h. mit der Installation älterer Statuen als Gnadenbilder44 • In Böhmen und anderswo errichtete man systematisch Nachbildungen des Heiligen Hauses 40 ]. Dünninger I B. 5chemmel, Bildstöcke und Martern in Franken, Würzburg 1970, Bibliographie S. 196-200. 41 G. Lutz, Mentalitätstheorie und historische Realien in der Volkskunde, in: Festschrift J. Dünninger (Quellen und Forschungen zur europäischen Ethnologie, 3), Würzburg 1986, S. 47-63, hier S. 51 ff. 42 W Brückner, "Magische Volkskultur", ein Wiedergänger, in: BBV, 21 (1994), 1, S. 31-44; D. 5tonus, "Do ut des", Herkunft und Bedeutung eines Erklärungsbegriffs für sogenannten Volksglauben, Magisterarbeit, Würzburg 1995. 4 } M. Rader 5.]., Bavaria Sancta, 3 Bde., München 1615-1627, 2. Aufl., 1704; W Gumppemberg 5.]., Atlas Marianus sive de imaginibus Deiparae per orbem christianum miraculosis, 3 Bde., München 1657, deutsch München 1672; PM. 5oegl, Wondrous in His Saints. Counter-Reformation Propaganda in Bavaria (Studies on the History of Society and Culture, 17), Berkeley I Los Angeles I London 1993. 44 H. Dünninger, Processio peregrinationis, in: H. Dünninger, Wallfahrt- und Bilderkult, S. 220 ff.

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von Loreto, so daß wir inzwischen von katholischer "Architekturpolitik" sprechen45 . Hierzu gehören natürlich auch die aufwendigeren Kreuzwegstationen und Kalvarienberge. Den Loreto- und Altöttingkapellen - auch sie wurden in bayerischen Landen nachgebaut - folgten die Heiligen Stiegen nach lateranischem Vorbild, und die Heilig-Grab-Nachbauten griffen mittelalterliche Jerusalem-Traditionen wieder auf46 . Vor allem aber holte man sich in Süddeutschland und in der Schweiz nach 1600 römische Katakombenheilige zu Hunderten über die Alpen, um zum einen authentische, der neuen historischen Kritik standhaltende Reliquien zu besitzen, und zum anderen solche, die der konfessionellen Demonstration des Rombezugs entgegenkamen47 . Die Verehrung dieser heiligen Leiber wirkte ihrerseits auf die sichtbare Ausstellung der lokalen Gründungsheiligen zurück, so daß schließlich verehrungswürdige Totengerippe und angsteinjagende Mementomari-Verbildlichungen optisch ineinanderfließen konnten in der damit ständigen Gegenwart von Tod und Auferstehung als theatralischem Anschauungsmaterial48. Manches davon ist bei der Auflösung der Klöster 1803 in entlegene Landkirchen abgewandert und hat dort diese Verehrung im 19. Jahrhundert lebendig erhalten, doch solche Formen des culturallag als Zweitverwendungetwa von Altären - kennen wir aus allen großen Stilepochen. Es gab immer schon auch im geistlichen Bereich sozusagen einen Altkleiderhandel und einen Gebrauchtwagenmarkt, durch den allein manche uns heute erst wieder wertvollen Kunstwerke überlebt haben. Das läßt sich mithin in den Wissenschaften nicht "volkskulturell" nennen, wie der sogenannte "Bauernbarock" um 1850, als nämlich ehemalige Klosterschreiner Schränke wie Altäre bauten, nicht weil sie ,bäurisch' und damit ,barock' dachten, sondern weil sie ohne oberschichtliehe Modeanforderungen in einer bestimmten Handwerkstradition verharrten.

45 F Matsche, Gegenreformatorische Architekturpolitik Casa Santa-Kopien u. Habsburger Loreto-Kult nach 1620, in: Jahrbuch für Volkskunde, NF, 1 (1978), S. 80-118; W. Pötzl, Loreto-Kapellen, in: Marienlexikon, Bd. 4, 1992, S. 155 (Literaturverzeichnis). 46 F Matsche, Architekturkopie, in: Marielexikon, Bd. 1, 1988, S. 221 -225; M. Rüdiger, Nachbauten der Heiligen Kapelle in Altötting, in: Jahrbuch für Volkskunde, NF, 16 (1993), S. 161-188. 47 H. Achermann, Die Katakombenheiligen und ihre Translationen in der schweizerischen Quart des Bistums Konstanz, Stanz 1979; weitere Beiträge in: Jahrbuch für Volkskunde, NF, 4 (1981); A. Polany, Römische Katakombenheilige-Signaauthentischer Tradition, in: Römische Quartalschrift, 89 (1994), 3-4, S. 245-259. 48 W Brückner, Die Katakomben im Glaubensbewußtsein des katholischen Volkes. Geschichtsbilder und Frömmigkeitsformen, in: Römische Quartalschrift, 89 (1994), 3-4, S. 287-307.

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c) Intentionales Die intentionale Neuakzentuierung von Frömmigkeit trifft vor allem das, was ich oben .Erneuerung durch selektive Tradition" genannt habe49 . Im katholischen Raum heißen die Themen hierfür: Eucharistieverständnis und Marienverehrung, Gericht und Gnade (= .die vier letzten Dinge"), Verteidigung göttlicher Institutionen (= kirchliche Immunität) und die Anleitung zu aktiver Lebenshilfe für den Nächsten, letzteres in der Forschung gerne unter kaufmännisch agierender Werkgerechtigkeit als besagtes Do-ut-des-Denken diffamiert. In diesem Zusammenhang wäre das wichtige Problem der Armenfürsorge im katholischen Territorium zu diskutieren und auch hier die Eile der Aufklärer zu Ende des 18. Jahrhunderts, die Bettler nach protestantischem Vorbild schnell von der Straße zu bekommen in die modernen Arbeitshäuser und Zwangsfabriken50. Am Beispiel dreier zentraler Autoren und ihrer voneinander abhängigen Texte läßt sich die genannte Themenauswahl mit einem schematisch-vergleichenden Stichwortdiagramm auf einen Blick demonstrieren51. Es sind dies der Apologet Tilman Bredenbach, Kölner Kanonikus, mit seinem weit wirksam gewesenen lateinischen Exempelbüchlein .Collationum sacrarum libri octo" von 1584 und öfte~2 , dann der erste, in deutscher Sprache für ein breites Publikum publizierende Theologe Valentin Leucht, kaiserlicher Bücherkomissar und Stiftsschalaster in Frankfurt am Main mit seinen gesammelten Werken in einem riesigen Folianten "Viridarium regium oder königlicher Lustgart" von 1614 und öfters53 und der über die Aufklärung hinaus, wenn auch zunächst negativ bekannt gebliebene Kapuzinermissionar und fruchtbare Volksschriftsteller Martin von Cochem mit seinem .Außerlesenen History-Buch", der Band I von 1687 und öfters54 . Die drei Autoren sind in ihrem thematischen Gesamtaufbau voneinander abhängig und spiegeln damit einleuchtend die bleibenden Themen der Zeit: 49 W Brückner, Erneuerung als selektive Tradition. 50 P Münch, Lebensformen in der frühen Neuzeit, Frankfurt a.M. I Berlin 1992,

S. 355-413: Arbeit und Fleiß. 51 W Brückner, Martins von Cochem .Außerlesenes History-Buch" und seine Vorbilder, in: Fabula, 33 (1992), 3-4, S. 193-205, Tabelle S. 197. 52 W Brückner, Bredenbach, Tilmann, in: Enzyklopädie des Märchens, Bd. 2, 1979, besonders Sp. 764-766. 53 W Brückner, Der kaiserliche Bücherkommissar Valentin Leucht. Leben und literarisches Werk, in: Archiv für Geschichte des Buchwesens, 3 (1960), 1-3, S. 97-180; ders., Art. Leucht, Valentin, in: Enzyklopädie des Märchens, Bd. 8, 1996. 54 Werkverzeichnis wie oben, Anm. 33. Zum Autor sonst W Bückner, Martin von Cochem, in: Marienlexikon, Bd. 4, 1992, S. 342; demnächst in: Enzyklopädie des Märchens, Bd. 9, 1997. II Prodi I Rcinhard

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voran das von den Reformatoren angefochtene Eucharistieverständnis, jenes bis zum heutigen Tag grundlegende Unterscheidungsmerkmal der christlichen Konfessionen neben der Institutionalität von Kirche, die hier darum unter anderem als Kirchengeschichte und Immunitätsproblematik aufscheint, sich vor allem aber in Maria als dem Bild der Kirche spiegelt. Hans Dünninger hat einst den treffenden Buchtitel "Maria siegt in Franken" gefunden für die Durchsetzung der Reformen im Würzburger Fürstbistum55 . Marias Bild auf Säulen, Türmen und an Häusern demonstrierte die wahre Kirche und den rechten Glauben, sie hält nach Alt-Väter-Aussage das sceptrum verae fidei deshalb hoch über ihrem Kopf in die Höhe56 , und die Himmelfahrt Mariens wurde lange vor der erst 1950 erfolgten Dogmatisierung in Verbindung mit der Krönung Mariens im Himmel zur Potenzierung des Katholischen. Hier sei nur an das berühmte Hauptaltarbild der Frauenkirche in München von Peter Candid (1620) und die darauf verfaßte lateinische Ode des Jesuiten Balde verwiesen, die noch J ohann Gottfried Herder und August Wilhelm Schlegel beschäftigen sollte57 • Es bleibt verbunden mit dem "Großen Frauentag", dem 15. August, den man wegen der herbstlichen Kräuterweihe wieder einmal agrarisch-dionysisch zu deuten beliebt, aber so lassen sich Theologumena, künstlerische Geisteskultur und liturgische Festesfeier der Gesamtbevölkerung nicht auseinanderdividieren, nur weil es sich heute allein noch um einen bayerischen Feiertag handelt, der also für folkloristisch gehalten werden darf. Gericht und Gnade hat nach ignatianischer Anleitung Peter Paul Rubens in seinen Höllenstürzen, Michaelskämpfen und der Darstellung des apokalyptischen Weibes für Freising und Neuburg an der Donau im Zusammenhang mit der Rekatholisierung gemalr58 • Herbert Vorgrimmler thematisiert in seinem Buch "Geschichte der Hölle" 1993 im Kapitel über Trient vor allem den Charakter der Abschreckungspsychologie und vermag dabei natürlich auf Deiurneaus Culpalisations-These über die Forcierung der Angst in der Geschichte der Pastoral zu verweisen 59 . Ob allerdings "Psychoterror" ein angemessener Begriff für die an jener Stelle zitierten Geschichten des Kapuziners

55 H. Dünninger, Maria siegt in Franken. Die Wallfahrt nach Dettelbach als Bekenntnis, in: ders., Wallfahrt- und Bilderkult, S. 441-526. 56 W Brückner, Erzählende Kurzprosa des geistlichen Barock. Aufriß eines Forschungsprojektes am Beispid der Marienliteratur des 16.-18. Jahrhunderts, in: Österreichische Zeitschrift für Volkskunde, 86 0983), 3, S. 101-148. 57 G. Hess, Triumph und Vanitas.Jacob Baides Ode zu Peter Candids Hochaltarbild in der Münchner Frauenkirche, in: Monachium Sacrum, Festschrift zur 500-Jahrfeier der Metropolitankirche, München 1994, S. 233-246. 58 K. Renger, Peter Paul Rubens, Ältäre für Bayern, München 1990. 59 H. Vorgrimmler, Geschichte der Hölle, Freiburg i.Br. 1993, S. 244-254;]. Delumeau, Le peche et Ia peur, Paris 1983.

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Martin von Cochem darstellt, wage ich zu bezweifeln, zumal Vorgrimmlee die von mir genannten Texte gar nicht kennt, sondern nur sekundär nach dem "Großen Leben Christi" des Autors urteilt60 • Hier hilft meiner Ansicht nach der normale Hausverstand. Es geht in Kenntnis der Vorreden und der Auflagenentwicklung des von mir zitierten Bandes bei Martin von Cochem zu wie heute bei Sex und Crime in den Medien, was bekanntlich selbst im Gewaltkrimi böse enden muß. Damals endeten solche Geschichten in der Hölle, und die Leser waren genauso wie heute ,scharf' darauf. Martin von Cochem hat schon im ersten Bande, wohl auf Drängen seines Verlegers, diese Themen von" Tod und Fegefeuer" demnächst zu bringen versprochen, und dann im zweiten Bande deshalb auch ziemlich unmotiviert angehängt, sowie bei späteren zu einer Hauptgruppe des Werkes ausgebaut61 • Daranläßt sich also sehr gut die zugkräftige Verkaufsempfehlung ablesen. Alles in dieser Welt besitzt immer mehrere Seiten. Und: Martin von Cochems "Güldener Himmelsschlüssel zur Erlösung der armen Seelen aus dem Fegefeuer" war nach seiner "Meßerklärung" der meist verlegte Titel seines umfangreichen Oeuvres62 , also jenes Gebetbuch Jür das andächtige Weibervolk", das dessen Rolle als Familienfürsorgeein stärkte. II. Die Folgen der konfessionspezifischen Frömmigkeitspolitik

Sie resultieren aus direkten obrigkeitlichen Eingriffen und Vorgaben und aus der Internalisierung des Neueinübens von praxis pietatis oder der "ReChristianisierung" (wie manche sagen). Es meint, diese gesellschaftliche Teilnahme und Teilhabe führte zu einer mentalen Tiefenprägung von Lebensstil oder sozialisierter Gruppennorm breiter Bevölkerungsschichten. 1. Der direkte Eingriff

a) Kontroverstheologische Akzentuierungen Innerkirchliche Streitfragen wurden in kontroverstheologische nach außen gewendet, voran in der Eucharistiefrage, Mariologie, Armenseelenkult, Werkfrömmigkeit, Gnadenschatzvermittlung, Heiligenfürsprache, liturgischen actiones sacrae.

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,,.

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H. Vorgrimmler, Geschichte der Hölle, S. 251. W Brückner, Martins von Cochem "Außerlesenes History-Buch", S. 198. Siehe oben, Anm. 33.

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b) Integration von Sonderkulten Damit konnten alle sogenannten volkstümlichen Sonderkulte integriert und instrumentalisiert werden für gezielte katechetische Belehrung und Verlebendigung der wichtigsten Glaubensfragen, so die Kreuz-, Eucharistie-, Marienwallfahrten oder die Karfreitags-, Fronleichnamsprozessionen, Flurumgänge, Heiligen- und Bildertrachten, Katechismusaufzüge, szenischen Ölbergsandachten, Jahreskrippen, Besuchs-Prozessionen und Gemeinschafts-Wallfahrten, Bruderschaftstreffen, Sodalitätsandachten, Jahrtagsfeiern, Lokalfeste. c) Demonstration konfessioneller Besonderheiten Auch für die private Frömmigkeit galt durchgehend der gewollte Demonstrationscharakter des Katholischen in ostentativer Bekenntnisabwehr aller anderen Konfessionen. Das gesamte Sakramentalien- und Devotionalienwesen wurde diesem Zwecke untergeordnet und deshalb in bestimmten Bereichen besonders gefördert: z.B. die Agnus Dei und der marianische Rosenkranz als bewußte Abzeichen der Christustreue und des spezifisch Katholischen, zugleich als konkrete äußere Ausweise der Konfession, in Bayern daher durch landesherrliches Dekret zu besitzen vorgeschrieben63 • In Franken trug sich der Fürstbischof als Nr. 1 der ersten neuen Rosenkranzbruderschaft ein64 • Das Agnus Dei wurde bewußt zum christlichen Amulett wider die Teufelsverschreibungen gemacht65 , nämlich Christus auf der Brust und damit im Herzen zu tragen wie Christophorus, den auch Luther wegen solcher Allegorese weiter in Kirchen darzustellen erlaubt hatte66 . 2. Sitz im Leben

Damit sind wir mitten im konkreten Lebensvollzug, seinen Vorbildgesten und seinem Nachahmungsgeschehen, beim gesellschaftlichen Einnisten von 63 W Brückner, Zum Wandel der religiösen Kultur im 18. Jahrhundert. Einkreisungsversuche des Barockfrommen zwischen Mittelalter und Massenmissionierung, in: Sozialer und kultureller Wandel in der ländlichen Welt des 18. Jahrhunderts (Wolfenbütteler Forschungen, 19), Wolfenbüttel1982, S. 65-83, hier S. 68. 64 Zur nMarienpolitik" Julius Echters siehe H. Dünninger, Maria siegt in Franken, besonders S. 455-463. Desweiteren siehe G. Reiter, Heiligenverehrung und Wallfahrtswesen im Schriftum von Reformation und katholischer Restauration, Phil. Dissertation, Würzburg 1970. 65 W Brückner, Christlicher Amulettgebrauch der frühen Neuzeit. Grundsätzliches und Spezifisches zur Popularisierung der Agnus Dei, in: Festschrift L. Kriss-Rettenbeck (Forschungshefte des Bayerischen Nationalmuseums, 13 ), München 1993 , S. 89-113. 66

Wie oben, Anm. 32, meist mit St. Georg in einem Atemzug.

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Gewohnheiten und ihrer Verfestigung zu verpflichtender Sitte. Formenvielfalt, aber auch Formeneinheitlichkeit stammen aus solchen Interaktionen zwischen Hof und Bevölkerung, Stadt und Land, Kirche und Volk. Hierzu gehörten insbesondere: a) Vorbildcharakter von Klöstern und Stiften Die visuelle und haptische Partizipation aller an öffentlich zelebriertem Vorbildgeschehen der großen Kirchen und Klöster im Lande. Es waren bisweilen Anziehungspunkte auch für Schaulustige aus protestantischem Umland, allemal aber stilbildender Anschauungsunterricht für mobile Handwerksbürger, gemeine Pilger und dörfliche Waller. b) Bildermarkt der Privatdevotion Der privaten Frömmigkeit dienten zusätzlich oft dort erworbene vielerlei Druckerzeugnisse und ein systematisch entwickelter graphischer Bildermarkt, der wiederum die dekorative Bilderwelt der sogenannten Volkskunst mit direkten Vorbildern belieferte. Es war dies ein gut funktionierender Kommunikationskreis, dessen sich alle Vermittlungsinstanzen ständig bedienten, wie oben unter den Bildungsformen schon näher benannt67 • c) Mündliche Kommunikationskultur Es existierte daneben eine mündliche Kommunikationskultur, von der wir leider nur wenig wissen, und die im einzelnen zu rekonstruieren aus Gründen überformender ideologischer Diskurse schwer geworden ist. Die gegenwärtige Alphabetisierungsforschung kommt zu der Erkenntnis, daß wir zwischen Schreiben!Buchstabierenkönnen/Gesangbuch benützen und tatsächlicher Lesekultur deutlich Unterscheidern müssen68 • Damit schwindet weitgehend die bisherige Annahme eines intellektuellen Vorsprungs der protestantischen BeWie oben, Anm. 8. R. Schenda, Volk ohne Buch. Studien zur Sozialgeschichte der populären Lesestoffe 1770-1910 (Studien zu Philosophie und Literatur des 19. Jahrhunderts, 5), Frankfurt a.M. 1970, S. 40-90: Das Problem des Lebens; R. Engelsing, Der Bürger als Leser. Lesergeschichte in Deutschland 1500-1800, Stuttgart 1974; P Münch , Lebensformen in der frühen Neuzeit, S. 506-516 zur Alphabetisierung; R. van Dülmen, Kultur und Alltag in der Frühen Neuzeit, Bd. 3: Religion, Magie, Aufklärung, 16.-18. Jahrhundert, S. 152-167; H. Smolinsky, Volksfrömmigkeit und religiöse Literatur im Zeitalter der Konfessionalisierung, in: H. Molitor I H. Smolinky (Hrsg.), Volksfrömmigkeit in der frühen Neuzeit, S. 27-35. 67

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völkerungsmassen in der frühen Neuzeit, wie er sich dann vom 19. Jahrhundert an aufgrund intensiveren Schulbesuchs tatsächlich manifestiert69 • Vorurteile der Aufklärer gegenüber katholischen Gemeinschaftsandachten mit lautem Vorbeten aus dem Gesangbuch und vorgeblich strohdummen Respondenten haben lange nachgewirkr1°. In Wirklichkeit sind auf diesem Wege während langer Prozessionen barocke Allegorese, kunstvolle Emblematik und theologische Lehrmeinungen zur zweiten Natur der ständigen Rezipienten geworden. Auch heute denken und reden die Leute nach ständigem Medienkonsum schließlich wie im Fernsehen. Die zu allermeist durch literarische Vermittlung konstituierten ländlichen Sing- und Erzählgemeinschaften tradierten weitgehend religiöses Überlieferungsgut. Sie stammen erst aus jüngerer Zeit, was ebenfalls für die uns bekannten Realisierungsformen sogenannten Volksbrauchs im Jahreslauf gilt. Diese Spielwelten und Iitterature orale sind zumeist erst im 18. Jahrhundert entsakralisiert und im Verlaufe des 19. Jahrhunderts an den Schreibtischen der modernen Literaten mythisiert worden. Es waren diese frühen "wissenschaftlichen" Beobachter, die den abgetrennt gedachten religiösen Bereich völlig ignorierten zugunsten der sie allein interessierenden "dämonologischen" Themen71 • Was davon seit gut zweihundert Jahren als "abgeschmackt", oder gar "superstitiös" bezeichnet wird und darum für "Volkskultur"-Theorien des Uralten freigesetzt worden ist, entstammt in Wirklichkeit dem epochentypischen katholischen Frömmigkeitsstil der frühen Neuzeit, nämlich der jesuitischen religio carnalis. Dies bedeutete für den einzelnen, mit allen Sinnen ein homo religiosus zu sein, also mit Kopf und Bauch72 . Daß dies kein Zugeständnis an Volkstümlichkeit war, sondern eingeübtes oberschichtliebes Programm, beweist die gesellschaftlich erfolgreiche gegenteilige Erziehung der Angelsachsen zu Puritanern. Allerdings ist deren Sozialisation im 19. Jahrhundert zum Maßstab angeblichen Fortschritts im kulturellen Evolutionsprozeß gemacht worden. Van Dülmen schreibt von "Verinnerlichung" und "Veräußerlichung" als Ergebnis unterschiedlicher konfessioneller Prägungen, so als ob hier ein Ästhet des späten 18. J ahunderts zu urteilen habe73 , dem damals 69 Z.B.: E. Franrois, Die Volksbildung am Mittelrhein im ausgehenden 18.Jahrhundert. Eine Untersuchung über den vermeintlichen Bildungsrückstand der katholischen Bevölkerung im Ancien Regime, in: Jahrbuch für westdeutsche Landesgeschichte, 3 (1977), S. 277-304. 70 Vgl. oben, Anm. 29. 71 L. Pet:r.oldt, Dämonenfurcht und Gottvertrauen. Zur Geschichte und Erforschung unserer Volkssagen, Darmstadt 1989. 72 W Brückner, Zu den modernen Konstrukten "Volksfrömmigkeit" und .Aberglauben", in: Jahrbuch für Volkskunde, NF, 16 ( 1993 ), S. 215-222. 73 R. van Dülmen, Kultur und Alltag in der Frühen Neuzeit, Bd. 3, S. 66, 72, wörtlich S. 78. Genauer beobachtet bei H. Molitor, Mehr mit den Augen als mit den

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allerdings auch protestantischer Barock und Pietismus suspekt waren. -Darum noch einige ideologiekritische Schlußbemerkungen. 111. Frömmigkeitsbewertungen

1. Das Konzil Das Konzil von Trient kannte den Begriff der Volksfrömmigkeit nicht, auch wenn sich der neue römische Katechismus heute - 1993 - darauf zu berufen scheine4 • Dort aber handelt der angeführte Kanon 1822 aus der Sitzung in Trient vom 3. und 4. Dezember 1563 über die Abstellung von Mißbräuchen im Zusammenhang des Fegefeuerglaubens sowie "De invocatione, veneratione, et reliquiis sanctorum, et sacris imaginibus", jenen für die barocke Kunstentwicklung und die gegenreformatorische Frömmigkeitskultur gewichtigen Dekreten der allerletzten Session, die auf ausdrücklichen Wunsch des französischen Episkopates quasi nachgeschoben wurden wegen der Auseinandersetzungen mit den calvinistischen Hugenotten75 • Im Konzilsdekret sind klare Distinktionen für unseren Zusammenhang zu finden, weil dort von der Volkskatechese die Rede ist, deren Ziel die pietatis accessio sein soll, die Frömmigkeitsbeförderung, und zwar durch popularibus concionzbus nämlich volkstümlich gehaltene Predigten. Hier heißt "popularis" eindeutig "auf das Volk abgestimmt", und diese Volksbildung hat "pietas" im Sinn. Das alles läßt sich mit "Frömmigkeit" übersetzen und hat dann nichts mit" Volk" und "volkstümlich" zu tun, sondern ist die Aufgabe aller gelebten "religiositas". Die heutige Nomenklatur, zumal im Deutschen, meint jedoch entsprechend der Volkskultur-Doktrin76 , wie sie sich seit Herder in den Geistes- und SoziOhren glauben. Frühneuzeitliche Volksfrömmigkeit in Köln und Jülich-Berg, in: H. Molitor I H. Smolinky (Hrsg.), Volksfrömmigkeit in der frühen Neuzeit, S. 89-105, vor allem zu Prozessionen, S. 91-95. 74 W Brückner, Zu den modernen Konstrukten • Volksfrömmigkeit" und . Aberglauben", S. 217; desweiteren vgl. K. Ganzer, Das Konzil von Trient und die Volksfrömmigkeit, in: H. Molitor I H. Smolinky (Hrsg.), Volksfrömmigkeit in der frühen Neuzeit, S. 17-26. 75 H. Denzinger I A. Schönmetzer, Enchiridion symbolorum, 33. Aufl., Freiburg i.Br. 1965, Kanon 1822; S. Kummer, Doceant Episcopi. Auswirkungen des Trienter Bilderdekrets im römischen Kirchenraum, in: Zeitschrift für Kunstgeschichte, 56 (1993 ), S. 508-533. 76 W Brückner, Popular Culture. Konstrukt, lnterpretament, Realität. Anfragen zur historischen Methodologie und Theorienbildung, in: Ethnologia Europaea, 14 (1984),

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alwissenschaften herausgebildt hat, daß es da einen urständigen Mutterboden heilgebliebener Volksmenschlichkeit von alters her gäbe, auf dem die gesellschaftlichen, politischen und religiösen Erneuerungsbewegungen gerade unserer Tage ihre Reformationen und Revolutionen errichten konnten. Die Missionspredigt des Mittelalters wie die Konfessionskatechese der katholischen Reform hingegen besaßen keine Berührungsängste mit einer von den Sinnen getragenen körperlichen Devotion, vielmehr haben sie gerade diese Verleiblichung des Glaubenslebens als anthropologische Grundvoraussetzung aller auch ihrer eigenen Religiosität und Christlichkeit - angesehen. Sie dachten in dem didaktisch wirksamen Schema der binären Opposition vom Reich Gottes und dem des Teufels, wie es seit Augustinus einen manichäistischen Zug ins Weltbild aller Bekenntnisse gebracht hat. Erst danach bemißt sich, was Aberglauben, nämlich des Teufels sei. Entscheidend war der Vertrag mit Gott, besiegelt durch Christus, gegen den Pakt mit dem Satan. Ihm wird schon in der Taufe abgeschworen, in den berühmten Exorzismen der frühen Neuzeit sich ihm entgegengestellt, und so warnte man vor den faustischen Teufelsbündnern und verstand die Tempelritter, die Hexen, die amulettragenden Landsknechte als förmlich paktierende Kombattanten einer Gegenreligion. Deshalb waren nicht die Dinge, die Gebärden, die Ritualien, die Bilder und Zeichen an sich und als solche der Superstition verdächtig wie bei allen skrupulösen Spiritualisten durch die Jahrhunderte, sondern ihr richtiger oder falscher Gebrauch bildete das Unterscheidungskriterium77 • 2. Historische Frömmigkeitsstile und ihre theoretische Beurteilung

Historische Frömmigkeitsstile lassen sich durch unterschiedliche theoretische Beurteilungen völlig gegensätzlich interpretieren. Mein ethnologisch geschulter Kulturrelativismus geht dabei vom Blickpunkt radikaler Historizität aus. Der gelebte Glaube unterliegt wie alles Leben dem historischen Wandel. Die variationsreiche praxis pietatis spiegelt die unterschiedlichen dogmatischen Akzentuierungen der kirchlichen Lehre im Verlaufe der Geschichte. Katechese und Pastoral prägen spezifische Frömmigkeits-Stile, deren jeweilige Gültigkeit und Akzeptanz regional, zeitlich und sozial gegeneinander verschoben sein können oder sich überlagern. Diese kulturell geprägten und gesellschaftlich funktionalisierten Frömmigkeitsformen verweisen auf ein wechselseitiges Beeinflussungsverhältnis geistlicher wie weltlicher Epochenentwicklungen.

S. 14-24; W Kaschuba, Volkskultur zwischen feudaler und bürgerlicher Gesellschaft. Zur Geschichte eines Begriffs und seiner gesellschaftlichen Wirklichkeit, Frankfurt a.M. 1988. 77

W Brückner, Christlicher Amulettgebrauch der frühen Neuzeit.

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Was die Forschung heute unter Mentalitätsprägung breiter Bevölkerungsschichten versteht, läßt sich für die Vergangenheit vor 1800 allein aus religiösen Verhaltensweisen anband von indirekten Quellen serieller oder massenhafter Art erschließen: Für das Mittelalter sowohl Schaudevotion und Subjektivierungen, Spiritualisierungsversuche und Reformverinnerlichungen78 ; für das Barock sowohl Sensualisierung wie Verbalisierung und verstärkt fortgesetzte "culpalisation" angesichtskurzer Lebenserwartungen79 • Der Wandel des Gottesbildes und die jeweilige Herrschaftsverfassung korrespondieren auffällig miteinander. Dies gilt nicht minder für die Ausprägungen des Heiligenkultes als Ausdruck von lehensrechtlichem Patronatsdenken80 • Seit dem späten 16. Jahrhundert haben die staatlich verordneten und kontrollierten Konfessionalisierungen mit je besonderem Frömmigkeitsmuster die strukturellen und mentalen Bedingungen für das Funktionieren der modernen Industriegesellschaft eingeleitet durch sozialdisziplinierende und gesellschaftlich integrierende Funktionen der praxis pietatis. Im 19. Jahrhundert sind die Kirchen dann in Konkurrenz zu den staatlichen Behörden selbst zentralorganisierte Verwaltungsinstanzen für wiederum neu zu formierende Frömmigkeit geworden81 • Es ist nicht so, wie sich das seit der Zeit um 1900 die sozialdarwinistische Doktrin der Religionswissenschaft vorstellt, daß in evolutionistischer Abfolge Aberglaube, Religion und Christentum zu denken seien82 • Dabei habe sich z.B. die Heiligenverehrung in direkter Kontinuität zum antiken Heroenkult entwickelt; Wallfahrtorte stellten in der Regel die Umtaufe heidnischer Kultplätze dar; das Sakramentalische Denken mache insgesamt Zugeständnisse an magische Traditionen83 • 78 Lexikon für Theologie und Kirche, Bd. 4, 3. Auf!., 1995, besonders Sp. 166-171, s.v. Frömmigkeit, insbesondere Kulturhistorisch, Sp. 169-171. 79 ]. Delumeau, Le peche et Ia peur. 80 W Brückner, Devotio und Patronage. Zum konkreten Rechtsdenken in handgreiflichen Frömmigkeitsformen des Spätmittelalters und der frühen Neuzeit, in: K. Schreiner (Hrsg.), Laienfrömmigkeit im späten Mittelalter (Schriften des Historiehen Kollegs. Kolloquien, 20), München 1992, S. 79-91. 81 M.N. Ebertz, Die Organisation von Massenreligiosität im 19. Jahrhundert. 82 W Brückner, Frömmigkeitsforschung im Schnittpunkt der Disziplinen. Über methodische Vorteile und ideologische Vor-Urteile in den Kulturwissenschaften, in: Volksfrömmigkeit (Ethnologia Bavarica, 13 ), Würzburg I München 1986, S. 5-37, hier S. 20; M. Ebertz, Von der "Religion des Pöbels" zur "popularen Religiosität", in: Jahrbuch für Volkskunde, NF, 19 (1996). 83 W Brückner, Frömmigkeitsforschung, S. 19 mit Anm. 62-65; zur gegenteiligen Aktualisierung vgl. A.M. Altermatt, Die aktuelle Debatte um die "Volksreligion" in Frankreich, in:]. Baumgartner (Hrsg.), Wiederentdeckung der Volksreligiosität, Regensburg 1979, S. 185-209; U. Alltermatt, Volksreligion-neuerMythos oder neues Konzept?

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Nicht minder unhaltbar erweist sich die auf romantisches Gedankengut zurückgehende, meist politisch eingefärbte Zweischichtentheorie von einer sozialverwurzelten urständigen Volkskultur und einer hegemonial überlagernden Elitengesellschaft, so daß in "Volksfrömmigkeit" angebliche Elemente vorchristlicher Gesinnungen zu suchen seien84 • In Wirklichkeit hinkte sie in der Regel nur bei radikalen Umstürzen etwa im Verlaufe der kirchlichen Aufklärung (ca. 1760-1830) kurze Zeit nach. Die Reformation hingegen konnte in Deutschland, wie heute auch die protestantische Forschung weiß, zur Volksbewegung nur deshalb werden, weil die Massen in Mitteleuropa schon religiös hochgestimmt und aktiv fromm , d.h. offen für Forderungen nach weiterer Intensivierung des Glaubenslebens waren85 • Historische Frömmigkeitsstile gehen zum Teil auf die Orden und ihre Laienklientel zurück wie zisterziensische und dominikanische Marienfrömmigkeit, seraphischer Blut- und Wundenkult, jesuitische Anthropologie der Sinne in verleiblichender Aneignung und Vermittlung. Dagegen stehen die modernen Entritualisierungs- und Verbalisierungstendenzen von Frömmigkeit und Kult seit zweihundert Jahren und die Verdächtigung aller sinnlich-symbolischen Interaktionsformen als intellektuell minderwertig, wenn nicht gar abergläubisch. Selbst atheistische Kritik spricht hier von einer Reduktion des Religiösen auf Weltanschauung86 , und Psychologie wie Pädagogik konstatieren das anthropologische Faktum einer sinnlich inszenierten Welterfahrung87 • Deshalb tun wir uns heute so schwer in der Beurteilung mittelalterlicher und frühneuzeitlicher Lebensformen und deren Untrennbarkeit von sozialer Norm und praxis pietatis, von üblicher Alltagsbewältigung und religiöser ,Gewöhnlichkeit' des Ausdrucksverhaltens im Geiste der Zeit - und nur in Übergangsepochen bisweilen partiell gegen diese. Genauso verhalten wir selbst uns. Dieses Allerallgemeinste und Gewöhnlichste dürften, ja sollten wir daher Anmerkungen zu einer Sozialgeschichte des modernen Katholizismus, ebd., S. 105-124;

H. Smolinsky, Volksfrömmigkeit als Thema der neueren Forschung. Beobachtungen und Aspekte, in: H. Molitor I H. Smolinky (Hrsg.), Volksfrömmigkeit in der frühen

Neuzeit, S. 9-16. 84 D. Stonus, "Do ut des", Herkunft und Bedeutung eines Erklärungsbegriffs für sogenannten Volksglauben; W Kaschuba, Volkskultur zwischen feudaler und bürgerlicher Gesellschaft; vgl. R. Chartier, Volkskultur und Gelehrtenkultur. Überprüfung einer Zweiteilung und einer Periodisierung, in: H.-U. Gumbrecht I U. Zink-Heer (Hrsg.), Epochenschwellen und Epochenstrukturen im Diskurs der Literatur- und Sprachhistorie, Frankfurt a.M. 1985, S. 376-388. 85 B. Möller, Frömmigkeit in Deutschland um 1500, in: Archiv für Reformationsgeschichte, 56 (1965), S. 5-31. 86 A. Lorenzer, Das Konzil der Buchhalter. 87 D. Schumacher-Chiller, Ästhetische Sozialisation und Erziehung. Zur Kritik an der Reduktion von Sinnlichkeit (Historische Anthropologie, 22), Berlin 1995.

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in die Vergangenheit projizieren, nicht aber unsere Bildungsvorurteile oder Wunschvorstellungen, wie es immer wieder neu geschieht. Das Moderne an sogenannter Volkskultur und frühneuzeitlicher Massenreligiosität zeigt sich, so meine ich, in der nach den Aufklärungsdekreten und den seelsorglichen Auswirkungen der Säkularisation länger lebendig gebliebenenen organisatorischen Infrastuktur. Die ist länger als während der Reformationszeit intakt geblieben. Damals hatten die Aktivsten der Frommen am ehesten den totalen Umbruch vollzogen. Beide Male aber war nach spätestens zwei Generationen auf beiden Seiten eine neue Massenmissionierung vonnöten, und wie immer - von oben her und über neue aktive Gruppierungen in die Breite getragen worden. Auf der Grundlage der spätmittelalterlichen Gemeindeentfaltung (vor allem Süddeutschlands und vergleichbarer Territorien) konnte zwei Mal, nämlich um 1600 und dann noch einmal um 1850 auf dem Dorfe die Religion, wenn auch in kulturell unterschiedlichen Konfessionsausformungen, wieder zur tragenden Sitte der Allgemeinheit werden. Dies lag aber nicht an den schon im Mittelalter für Pagani ausgegebenen Pagus-Bewohnern, sondern an ihrer quasi modernen sozialen Verfaßtheit in überschaubaren Siedlungsgrößen mit wechselseitiger gesellschaftlicher Kontrolle durch lokales und privates Prestige-Denken, durch einigenden Selbstbehauptungswillen, durch zentral kontrollierte Herrschaftsausübung, aber mit dem Ventil der Ausweichmöglichkeiten durch konkurrierende Herrschaften im vielgliedrigen Mitteleuropa. 3. Dualistische Konstrukte

Dualistische Konstrukte der Gesellschaftsentwicklung haben immer wieder Konjunktur. In Deutschland ist gerade eine hierfür einschlägige italienische Studie übersetzt worden: Piero Camporesi, "Bauern, Priester, Possenreißer. Volkskultur und Kulturen der Eliten im Mittelalter und in der frühen Neuzeit"88. Das Buch beschränkt sich einerseits auf literarische Quellen und geht andererseits von einem vorgefaßten theoretischen Volkskultur-Modell aus, das seine marxistischen Wurzeln nicht verleugnet und das der Autor schon seit den 70er Jahren verficht. Seine Erkenntnis zielt auf die Fiktion eines "ursprünglicheren und vollständigeren Systems", der "Unterschichten des Volkes" , auf einen "genetisch älteren agrarischen Kern von dessen Kultur". Das ist ganz nach Ginzburg und letztlich Gramsei so gedacht. Meine Art, nach Camporesi die "wechselseitige Abhängigkeit" der beiden Milieus zu beleuchten, hält dieser für unergiebig. Er will vielmehr "eine Reihe von zerstörten und verschwundenen Kulturen rekonstruieren". Das haben schon die Grimms versucht und in der Nachfolge von Herder die Volkstumswissenschaften aller 88 P Camporesi, Bauern, Priester, Possenreißer. Volkskultur und Kultur der Eliten im Mittelalter und in der frühen Neuzeit, Frankfurt a.M. 1994.

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neuen Nationalstaaten Europas. Das Klassenmodell ist nach dem gleichen Muster gestrickt und daher gegen historische Quellenkritik ebenfalls immun. Dieses Konstrukt von Volkskultur weiß im voraus von angeblicher Statik und Zählebigkeit, so daß der Autor auch mit anachronistischen Texten argumentieren oder- wie Gurjewitsch -literarisch endlos tradierte Texte für bare Zeugnisse tatsächlichen Volkslebens ausgeben darf 89 • So erläutert Camporesi gegenreformatorische Bemühungen um eine Katechese volksnaher und bildhafter Sprache mit Erläuterungen aus Caesarius von Arles (470-542), anstatt mit der ignatianischen Pastoral, d.h. Kirchenvolk des 17. Jahrhunderts wird mit GalleRomanen des frühen 6. Jahrhunderts gleichgesetzt, die Massenkatechisierung frühneuzeitlicher Konfessionschristen in zentraldirigierten Territorialstaaten mit missionarischen Auseinandersetzungen in direkter heidnischer Kultkontinuität elf Jahrhunderte zuvor - und dies, um ihre klassenspezifische Mentalität zu beweisen. Aber so denkt ja wohl, strukturell, auch mancher Verwaltungsjurist an der römischen Kurie heute, wenn er von religio popularis in den amtlichen Texten spricht, und wenn das im Deutschen dann gar mit "Volksfrömmigkeit" übersetzt wird 90 • Der dualistischen Konstrukte gibt es so viele und eben immer schon: nämlich Theologenwissen versus Laienfrömmigkeit, Gebildetenrationalismus versus Naivengläubigkeit, Fortschrittsbewußtsein versus culturallag, oberschichtlieber Stilwille versus volkstümlichen Kitsch und so weiter und so fort. Das ethnographische, anthropologische und erkenntniskritische Fremdverstehen-Wollen aber gerät stets in den Verdacht von Wahrheits- und Werterelativismus - und jeder möchte es doch gerne mit reputierlichen Dingen zu tun haben, jedenfalls mit dem Schönen oder Guten, am besten mit dem Wahren, und nur diese drei gelten bekanntlich als relevant. Das ist die Crux der Unterschichten-Forschung. Sie vermag sich offenkundig nur durch Vorurteile am Leben zu erhalten- oder noch kritischer, d.h. verallgemeinernder gesagt: bei ihr fällt uns diese verbreitete wissenschaftliche Existenzform der Hochstilisierung von Forschungsgegenständen am ehesten auf. Ich darf zum Abschluß nochmals kurz Benno Hubensteiner zitieren, der unser Problemfeld in seiner gefälligen poetischen Formulierungskunst treffend abgesteckt hat: "Barockfrömmigkeit, das bedeutet zunächst einmal nachtridentinische Frömmigkeit. Also eine Frömmigkeitshaltung, bestimmt von den Gesetzen und Dekreten, durchlebt vom Geist des großen Konzils von Trient. Dogma und Organisation, die sich in ungeahnter Weise verfestigen und verstraffen; eine machtvolle Welle des 89 D. Harmening, Aus "tiefer Schicht des Volksbewußtseins". Quellenkritische Anmerkungen zu A.]. Gurjewitsch, Mittelalterliche Volkskultur, in: Bayerisches]ahrbuch für Volkskunde, 1994, S. 137-150. 90 W Brückner, Moderne Konstrukte, S. 217.

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Romanismus, die über die Alpen schlägt; ein kraftvoller antireformatorischer Affekt, der aus Christen erst Katholiken macht; dies alles wirkt zurück auf den einzelnen und seinen FrömmigkeitsstiL Man sucht die praktische Belehrung, strebt nach tätigem Wirken, will den geschlossenen Heilsraum schon hier auf Erden. Und noch einmal kommt der Fürstenstaat der Kirche zu Hilfe, bringt Landesgrenzen und Konfessionsgrenzen zur Deckung: Glaube, Gesittung, Frömmigkeitshaltung - sie werden von der Obrigkeit gefördert und geschützt, wo es sein muß, auch gestützt und erzwungen. Man spricht vom ,Zeitalter des konfessionellen Absolutismus' und vom ,Barockfrommen als dem Konfessionsfrommen'" 9 1 •

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B. Hubensteiner, Vorn Geist des Barock.

Die Beichte und das Gericht des Gewissens· Von Adriano Prosperl

Was die Wichtigkeit der Frage des Gewissens und der Beichte im Zeitalter Luthers und des Konzils betrifft, so kann man nur schwer übertreiben. Schon eher ist es möglich, sie zu unterschätzen. Und der historischen Forschung ist dieser Fehler des öfteren unterlaufen, auch gerade wegen der Schwierigkeit, Geschichte der Gewissen zu betreiben. Im Übergang von der alten Ideengeschichte, von der Geistesgeschichte bis hin zur intellectual history und der Geschichte der Mentalitäten sucht man weiterhin den Schlüssel zu den historischen Gewissensprozessen - was einer Untersuchung der Grundlagen der menschlichen Natur gleichkommt, um zu beobachten, ob und wie sie sich wandeln. Nun, da der Unterricht und das Studium der Geschichte- als Aufgabe, die von öffentlichen Gewalten (Kirche, Staaten) offiziell übernommen und feierlich anerkannt worden ist- ihren Ursprung genau in der Zerreißprobe der christlichen Einheit im Zeitalter der Reformation und des Konzils von Trient haben, kann eine Rückkehr zu der Frage, wie und warum die Funktion des Anhörens und/oder der Kontrolle der Gewissen in einer gewissen Weise reguliert wurde, keine Selbstverständlichkeit mehr sein, da es sich darum handelt, auf jene tiefe Trennung zurückzugehen, wo das Gewissen und die Frage, wie es zu leiten, zu befrieden und zu stärken sei, eine zentrale Rolle spielte. Im Mittelpunkt des Begriffes "Neuzeit" steht seit Ende des 17. Jahrhunderts die lutherische Forderung des befreienden und friedensstiftenden Sinnes dessen, was Luther die "Entdeckung des Evangeliums" genannt hatte. Die Tradition, die unterschiedlich an die Wende der Gehorsamsverweigerung anknüpft, welche Luther gegen die höchsten Autoritäten der Kirche im Namen von fides und conscientia gerichtet hatte- alte Worte des christlichen Vokabulars, die zu neuem Leben erweckt wurden -, ist mehrfach von den Genealogen des Toleranzund Freiheitsprinzips nachvollzogen worden 1 • Die Genealogie der im Prinzip der Gewissensfreiheit verankerten modernen Welt hat den katholischen und Der hier veröffentlichte Text ist -mit einigen Änderungen- sowohl Wiedergabe als auch Zusammenfassung der zentralen Kapitel meines Bandes: Tribunali della coscienza: inquisitori, confessori, missionari, Turin 1996. Deutsch von Friederike Oursin. Vgl. jüngst H.R. Guggisberg I F Lestringanl I ].-C. Margolin, La liberte de conscience aux XVIe et XVIIe siede, Genf 1991. Aber es muß, zumindest was Italien betrifft, an die Werke von Francesco Ruffini und Delio Cantimari erinnert werden.

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tridentinischen Beitrag immer unter dem Aspekt der Verweigerung und des defensiven Verschließens gewertet. Damit nahm sie dasselbe Bild an, das die tridentinische Kirche offiziell gegeben hatte, mit ihrem empörten Verwerfen des Prinzips der Gewissensfreiheit als höchster Häresie. Im Rahmen der italienischen Geschichte konnte sich die von Benedetto Croce verkörperte liberale Tradition dennoch bis zu einer positiven Bewertung des Werks der Kirche- im Sinne von kirchlicher Hierarchie - durchringen, und zwar aufgrund der Rolle, die sie bei der Disziplinierung des Volkes und- im Falle Italiens- bei der Konservierung der Einheit des Glaubens eines politisch geteilten Volkes gespielt hatte. Die Beichte ist eine obligate Station auf dem Weg, dieses allgemeinere Problem anzugehen. Im Gegensatz zwischen der Buße als "Konversion", als das In-sich-selbst-gehen, als Weg zu Gott und der Beichte als Tribunal der Schuld, liegt der weite Konflikt zwischen einer Religion des Gewissens und einer Religion der Autorität. Der Gegensatz läßt sich jedoch nicht mit einer einfachen und klaren Gegenüberstellung verschiedener Kirchen veranschaulichen, sondern zieht sich durch die Kirchen, auch durch die katholische: Dies ergibt sich aus den Ergebnissen einer ganzen Anzahl wichtiger Untersuchungen. Vor diesem Hintergrund sind die Debatten des Konzils von Trient zu sehen. Ein Abriß des Problems, auf das an dieser Stelle nicht ausführlich eingegangen werden kann, könnte einen Bezugspunkt im Werk Paolo Sarpis beleuchten: Die tridentinischen Debatten über die Beichte wurden von ihm mit seiner außerordentlichen Fähigkeit, die Dokumente zum Leben zu erwecken und mit persönlichen Überzeugungen zu erhellen, wiedergegeben, ohne sich jedoch vom gegebenen Material zu entfernen. Hauptdarsteller seiner Erzählung, wo sich die sorgfältig ausgewählten Quellen beständig verflechten, war die von der ,Übermacht' und dem ,Geiz' der Konzilsväter geprägte Stimmung. Edwin Sandys "Bericht über den Zustand der Religion" entnahm Sarpis Aussagen das Bild eines Ritus, der das moralische Verhalten nicht regulieren konnte, und der von einem Volk, dem niemand wirklich Veränderungen abverlangte, und von einem Klerus, der froh darüber war, seine Macht wieder hergestellt zu haben, in der Praxis auf Wiederholungen reduziert worden war. Und dieses Bild von einem dem Papst unterworfenen Italien verbreitete er. Die Geschichte der religiösen Auseinandersetzungen des 16. Jahrhunderts, gesehen zuerst als Krieg zwischen evangelischer Wahrheit und Antichrist, dann als Kampf der Räson gegen den Aberglauben (Voltaire), wurde in Sarpis Darstellung der Macht deutlich, als es darum ging, die Frage der Beichte anzuschneiden: Die "History of Auricolar Confession and Indulgences" von Henry Charles Lea ist der Inbegriff- ein Jahrhundert alt, aber immer noch unübertroffen - dieser Art Geschichtsschreibung2 . Und lgnaz von Döllingers Untersuchungen über H.C. Lea, A History of Auricolar Confession and Indulgences in the Latin Church (1896), New York 1968.

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die moraltheologischen Auseinandersetzungen des 16. Jahrhunderts hatten ähnliche Modelle zum Ausgangspunkt. Dennoch ging es nicht allein um die Macht, oder die vorsätzliche Kontrolle einer Kaste über den Rest der Bevölkerung; es ging auch um die Interpretation der Bedürfnisse, auf die jenes kirchliche Angebot und die anderen ausgerichtet waren, mit denen jenes Angebot selbst im Konflikt stand. Die Historiographie dieses Jahrhunderts, die in der Mentalitätsgeschichte ihr Feld gefunden hat, konnte diesen Aspekt der Angelegenheit nicht ignorieren. Und dennoch sind die Ergebnisse, die sich in dieser wenn auch kurzen Bilanz aufzählen lassen, bislang nicht zahlreich. Eines muß jedoch hervorgehoben werden, nämlich dasjenige von Lucien Febvre. Seinem erwähnenswerten Aufsatz aus dem Jahr 1929 verdanken wir die Präzisierung dessen, was den Erfolg der Reformation garantierte: Die Rechtfertigung durch den Glauben als friedensstiftende Botschaft für zerrissene Gewissen, denen das System des Sündenablasses nur neue und fortgesetzte Ängste brachte. "Die Theologie wieder in die Geschichte einzugliedern", wozu Febvre aufforderte, die Anachronismen zu vermeiden, die Menschen des 19. Jahrhunderts im Verhältnis zu ihrer und nicht zu unserer Zeit zu verstehen, war ein radikal neuer Ansatz, im Verhältnis zu dem damals von Henri Hauser verfolgten, der sich mit der "Modernität des 19. Jahrhunderts" befaßte. Die berühmte Schrift von Febvre war außerdem eine Reaktion auf eine Art, an die Reformation heranzutreten, die auf das 19. Jahrhundert zurückdatierte und auf jenen historiographischen Nationalismus, der der althergebrachten Interpretation der Reformation als Mutter der modernen Welt eine neue Ordnung gegeben hatte. Unter der Voraussetzung, daß die protestantische Reformation das Ende des Mittelalters und den Beginn einer neuen Epoche bedeutete, handelt es sich darum, diesen historiographischen Kanon mit dem aufkommenden Nationalismus in Einklang zu bringen und zu entscheiden, wem der Primat des Eingangs in die Neuzeit gebühre, ob dem Deutschen Luther oder dem Franzosen Lefevre d'Etaples. Die Geschichtsforschung machte einen Schritt nach vorn, als sie diesen Streitpunkt hinter sich ließ und Männer und Texte der Vergangenheit im Verhältnis zu ihrem Kontext und nicht dem unseren zu verstehen suchte. An diese Selbstverständlichkeiten wird erinnert, damit die Kinder nicht für alle Zeit den Fehlern der Väter anheimfallen und damit wir-angesichtseiner Neubewertung der Arbeiten des Konzils von Trient im Verhältnis zu ,dem Modernen' - nicht auf die eigentliche Arbeitsgrundlage des Historikers verzichten. Nun kann man, auf der Grundlage der berühmten Seiten Lucien Febvres, das Problem der Beichte und des Gewissens erneut einer Betrachtung unterziehen, und wir können uns fragen, wann genau die neue Epoche beginnt, in der die Probleme liegen, die das Konzil von Trient lösen sollte. Gut, ich 12 Prodi I Rcmhard

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glaube, man kann zweifelsohne sagen, daß ein grundlegender Übergang dieser Epoche, wenn nicht sogar ein richtiggehender Anfang 1517 zu suchen ist, mit der ersten These von Wittenberg: "Wenn unser Herr und Meister Jesus Christus sagt: Tut Buße usw., dann will er, daß das ganze Leben der Glaubenden Buße sei."

Von allen Texten Martin Luthers sind die "Thesen über den Ablaß" bei weitem die prominentesten. Und die erste These Luthers zum Ablaß ist nicht nur - angesichts ihrer Position - die berühmteste und bekannteste, sondern auch die wichtigste. Vielleicht wurden die Thesen nicht am Abend des 31. Oktober 1517 an der Schloßkirche von Wittenberg angeschlagen. Höchstwahrscheinlich handelt es sich hierbei um eine ,Legende', was die katholische Geschichtsschreibung nach dem II. Vatikanischen Konzil zu beweisen suchte: Da man weder Luther noch die theoretischen und bewaffneten Konflikte des 16. Jahrhunderts aus der Welt schaffen konnte, schien es einfacher, das auslösende Moment der Reformation zu beseitigen oder zumindest ihm den Schein entschlossener Rebellion zu nehmen, welcher ihm seit Jahrhunderten anhaftete} . Mit Sicherheit traf jene These ein System ins Herz, das- wie Luther selbst erfahren hatte - denjenigen, die an das Heil der eigenen Seele und die Vergebung der eigenen Sünden dachten, nur Unruhe und Angst bereitete. Die Buße, die alles Rituelle verlor und immer mehr zu einer Lebensform wurde, zum inneren Gewand, war das Wesen der Bekehrung, die Luther von den regenerierten Christen forderte. Auf die tröstliche Wirkung der lutherischen Auffassung von der Buße braucht nun nicht mehr eingegangen zu werden. Lucien Febvres Vorschläge haben großen Anklang gefunden und haben uns geholfen, das zu verstehen, was in den Protokollen der Inquisitionsprozesse enthalten ist, in den Aussagen vieler Männer und Frauen, die - auf kulturell verschiedenster Ebene - in der Botschaft der Reformation Trost fanden, welche die Gewissen beruhigen konnte und die Hoffnung auf die göttliche Rettung und Vergebung lebendig gestaltete. Diese Abhandlung, die zeitlich so weit entfernt vom Ende unseres Jahrhunderts ist, hatte jedoch auch andere und wichtigere Effekte: Sie hat das Verglimmen der Genealogie der ,modernen Welt' offenbart, die die Geschichtsschreibung des 19. Jahrhunderts als ihre solide Grundlage angesehen hatte und welche mit dem Abscheu vor dem katholischen Obskurantismus und vor jenen Gegebenheiten einherging, die die liberale protestantische Geschichtsschreibung mit dem großen Alleingang von Henry Charles Lea gebündelt aufnahm: das kirchliche Zölibat, das lnquisitionsgericht, die Ohrenbeichte. Sie hat dazu Vgl. K. Honselmann, Urfassung und Drucke der Ablaßthesen Martin Luthers und ihre Veröffentlichung, Paderborn 1966, siehe jedoch insbesondere den provokanten Titel von E. lserloh, Luther zwischen Reform und Reformation. Der Thesenanschlag fand nicht statt, Münster i.W. 1966.

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aufgefordert, ausführlich zu forschen, mit anderen zeitlichen Kategorien und anderen Quellen, in Richtung der Geschichte der Gefühle. Aus diesem Grund ergab sich schon damals eine komplizierte und konfuse Situation, wo sich die Wege kreuzten und wo- wenigstens zu Beginn des 16. Jahrhunderts -eine klar definierte und bewußte Reform fehlte, die einem genauso klaren und engagierten Katholizismus gegenübertreten konnte. So hat man festgestellt, daß das Jahr 1517 zwar eine grundlegende Veränderung einläutete, die Wurzeln des Problems aber weiter zurückgingen und auch die Strategien zu seiner Behebung schon seit längerem in Arbeit waren. Wenn aber Lucien Febvre dazu neigte, zurückzublicken, um in den Andachten, den Gebeten, in den geistigen Darstellungen des religiösen Lebens in Westeuropa Ende des 15. und Anfang des 16. Jahrhunderts die Grundrisse des Problems aufzuzeigen, so muß auch gesagt werden, daß, wer sich heute auf seinen Vorschlag beruft, oft dazu neigtmehr oder wenig absichtlich- die Frage erneut auf das Terrain der Auseinandersetzung zwischen den Kirchen zu verlagern. Und an diesem Punkt möchte die katholische Kirche die Stellung einnehmen, die vorher die Reformation innehatte oder doch zumindest an den Verdiensten teilhaben. Betrachten wir kurz die Frage der Qualen des Gewissen, das vom Gewicht der Schuld erdrückt wird, und des Vermögens des lutherischen Vorschlags, diese zu lindern. Läßt sich dasselbe über den tridentinischen Vorschlag zur Beichte sagen? Oder besser: Können wir die Ausdehnung jener Bewertung auf die katholische Buße und Beichte teilen? Denn mit Sicherheit hat es eine solche Ausdehnung gegeben. Die Bemühungen von Jean Delumeau waren darauf aus, die Intuitionen Febvres zur protestantischen Reformation auf des gesamte christliche System des Okzidents auszudehnen: Er hat die zeitlichen und geographischen Grenzen ausgedehnt, indem er vom christlichen Okzident im 17. und 18. Jahrhundert gesprochen hat, er hat von einer "surculpabilisation" der religiösen Kultur des christlichen Okzidents gesprochen, als tendenziellem Mißverhältnis zwischen dem Sinn für Sünde und dem Vertrauen in die Vergebung4. So hat er die Grenzen zwischen der protestantischen Reformation und dem Katholizismus in der frühen Neuzeit verwischt; beide sind notgedrungen in eine Geschichte eingebunden, die über sie hinausging und sie einschloß. Hat man aber dieses sozusagen der christlichen Kultur angeborene Mißverhältnis zwischen menschlicher Schuld und göttlicher Vergebung erst einmal ausgemacht, wird "le discours apaisant de l'Eglise romaine" sichtbar, der den Gläubigen erklärt, "que Dieu pardonne tout, que le sacrement efface toutes les fautes et autant de fois que cela est necessaire" 5 • Nun ist Delumeau mit Vgl.]. Delumeau, Le peche et Ia peur. La culpabilisation en Occident (XIIIeXVIIIe siecles), Paris 1983, S. 10. 5 ]. Delumeau, L'aveu et le pardon. Les difficultes de Ia confession (XIIIe-XVIIIe siede), Paris 1990, S. 42. 12•

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Sicherheit der beste Kenner der Traktate und kurzen Leitfäden, in denen die kirchliche Kultur all ihr Wissen zur Verabceichung der Beichte angesammelt hat. Es bereitete ihm keine Schwierigkeiten, zu beweisen, daß der Hl. Franz von Sales auf der Grundlage der Werke von Valere Regnault (Reginaldus) den Beichtvätern riet, die durch enorme Sünden ( "sorcelleries, accointances diaboliques, bestialites, massacres, et autres telles abominations") erschrockenen Sünder mit dem Argument der unendlichen Barmherzigkeit Gottes zu trösten. Die Geschichte der Moraltheologie im nachtridentinischen Zeitalter bietet Beschwichtigungen und Trost im Übermaß, so daß sie wie ein Kreuzzug gegen die vielen Krankheiten der Seelen anmutet - die peinliche Gewissenhaftigkeit, das nicht enden wollende Schuldgefühl, die "tödliche Krankheit" der Verzweiflung6 • Und hier die Schlußfolgerung: "Les deux Reformes religieuses du XVIe siede- la protestante et la romaine- s'efforcerent d'apaiser une angoisse grandissante (que l'Eglise avait elle-meme suscitee) quant au salut dans l'au-dela"; die eine mit der These der Rechtfertigung aus dem Glauben, die andere- die tridentinische Kirche- "avec une insistance inegalee jusque-la" auf dem trostspendenden Wert der Buße7 • War man sich in der katholischen Welt und den tridentinischen Debatten der Tatsache bewußt, wie neu das Beharren auf dem trostspendenden Wert der Beichte war, und daß es sich bei der Beichte um ein notwendiges Instrument handelte, um die Herausforderung der Reformation zu überwinden? Auf die zweite Frage- die Nützlichkeit der Beichte gegen die haeresis Lutheranorummuß die Antwort positiv ausfallen. Die Bezeugungen zur Wichtigkeit der Beichte, die sich in der katholischen Kultur innerhalb und außerhalb der Säle des Konzils finden, lassen hierüber keine Zweifel aufkommen. In Anbetracht der Wichtigkeit der Frage stellte der sogenannte tridentinische Katechismus eine bemerkenswerte Betrachtung an: Der Angriff der Häretiker auf die Kirche ist dank der Beichte vereitelt worden, ein richtiggehendes Bollwerk, an der die Angriffe zerschellt waren 8 • Diese Beobachtung stammt jedoch aus dem Jahr 1566 und berücksichtigte das Werk des Konzils und mehr noch das, was die Beichte im Leben der christlichen Gesellschaft in jenen Jahren geworden war. Um dieses Phänomen zu verstehen, muß man das Blickfeld erweitern und wenigstens die Hauptlinien der Veränderungen, die die Beichte in jenen Jahren in Theorie und gelebter

Ein Abriß der Entwicklung der Moraltheologie, L. Vereecke, De Guillaume d'Ockham asaint Alphanse de Liguori: etudes d'histoire de Ia theologie morale moderne 1300-1787, Rom 1986. 7 ]. Delumeau, L'aveu et le pardon, S. 44. Catechismus ex decreto concilii Tridentini ad Parochos, Roma, Manutius, 1566, c. 172.

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Praxis durchmachte, betrachten. Was den trostspendenden Charakter der Beichte betrifft, so muß zwischen Lehre und Praxis unterschieden werden. Was die Lehre betrifft, muß der7. Kanon der Sessio XIV (25. November 1551) berücksichtigt werden, wo ein rein trostspendender Wert der Beichte rundweg ausgeschlossen wird: "Si quis dixerit ... eam confessionem tantum esse utilem ad erudiendum et consolandum poenitentem ... anatema sit". Diese zufälligen Bemerkungen machen eine erste Präzisierung notwendig: Wenn vom Konzil von Trient die Rede ist, dieser "Ilias unseres Jahrhunderts", die so lange dauerte, muß man zumindest den zeitlichen Rahmen festlegen und die Phasen unterscheiden. Und dann mußte man zu verstehen suchen, nicht nur welche Auswahl in Trient zwischen den üblichen Weisen, die Sakramente zu verstehen und handzuhaben, getroffen wurde, sondern insbesondere welche Anweisungen des Konzils in Wirklichkeit gewählt wurden- es geht mit anderen Worten darum, zur sogenannten Geschichte der Anwendung des Konzils überzugehen. Was die Zeiten betrifft, muß man bedenken, daß das Argument der Buße, bevor es in der Sessio XIV definiert wurde, schon anderswo in der Konzilsgeschichte gestreift wurde: und zwar in dem berühmten Dekret "de iustificatione", das in der Sessio VI vom 13. Januar 1547 bewilligt wurde. Hier stößt man auf den Vorschlag der Buße als "secunda post naufragium tabula" (cap. XIV): Die Frage wird hier durch die Augen des Christen gesehen, der nicht standhaft bleiben konnte, der nicht "cum timore ac tremore" (cap. XIII) gewacht hat und nun der drohenden Verzweiflung ausgesetzt ist. Es ist bekannt, daß der Text dieses Dekrets "de iusitificatione" zu starken Spannungen zwischen denen Anlaß gab, die eine eindeutige Trennung von der Reformation forderten, und denen, die der Idee der Rechtfertigung aus dem Glauben allein zustimmten. Die Abwesenheit Kardinal Poles in dieser feierlichen Session wurde als Distanzierung vom Text des Dekrets verstanden und gehört vielleicht zu den Beweisen gegen ihn, in jenem berühmten Prozeß, in den man vielleicht eines Tages einsehen können wird. Nachdem das Konzil beschlossen hatte, fortzufahren und Lehrdefinitionen und Dekrete "de reformatione" Seite an Seite zu stellen, und nachdem die Rechtfertigungslehre endgültig auf diese Art angegangen wurde, war nichts mehr so wie vorher. Und der Beweis hierfür liegt genau in der Beichte: Im Dekret des Jahres 1547 wurde sie vom Blickpunkt des getauften und gläubigen Christen aus gesehen, der aber gefallen ist und eine "secunda tavola" zum Festhalten sucht. Aus diesem Grund wird von der Buße als trostspendendem Angebot gesprochen: und die Buße umfaßt die Reue und den Vorsatz, die Beichte abzulegen, wenn nicht die konkrete Beichte. Es genügt außerdem, daran zu erinnern, daß die italienische Theologie 1535 dieGaspare Contarini gewidmete - Schrift eines Benediktiners über die Bußfrage als Erneuerung der Taufe hervorgebracht hatte - einen Text, der dann von anderen theologischen Orientierungen ausgelöscht wurde, der aber, heute

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gelesen, noch den Ton einer mystifizierenden, vom Problem der Rechtfertigung durchdrungenen Religiosität aufweist9 • 1551 wurde die Frage ganz anders betrachtet: Hier geht es um Machtfragen, darum, wie eine Materie handzuhaben ist, die das Herzstück der Machtausübung in der christlichen Gesellschaft ist. Die "christiani populi disciplina" ("doctrina", cap. VII) steht auf dem Spiel. Wie Johann Eck in einem den Kirchenvätern bekannten Text geschrieben hatte, war die Beichte der Kern der christlichen Disziplin 10 • In jenem Text Ecks hatte "Disziplin" freilich eine leicht andere Bedeutung als jene "Disziplin", von der das tridentinische Dekret handelt: Es war die klassische Idee der Disziplin als Selbstlenkung, die Eck aus der humanistischen Kultur und der Antike übernahm, die ihn selbst geprägt hatten und die er ohne Schwierigkeiten theologischen Texten beimischte. Es handelte sich also um Selbstdisziplin, gebunden an den Gewissensbegriff auch dieser von Eck nach klassischem Muster erarbeitet, einem treuen Zeugen der vorherrschenden Kultur des frühen 16. Jahrhunderts. Eine Geschichte des semantischen Wertes des Begriffs der Disziplin hat deren monastische Verwandtschaft ergeben; aber auch die stoischen Anklänge dürfen nicht vernachlässigt werden. Was andererseits den Gewissensbegriff betrifft, ist die Verflechtung von stoischen und christlichen Werten eine allgemein anerkannte Tatsache, allerdings fehlt eine passende Untersuchung für die Zeit, mit der wir uns befassen 11 . Die "Disziplin", die die Kirchenväter 1551 im Sinn hatten, war eine andere: Die Texte, die sie diskutierten und verabschiedeten, befaßten sich mit der Machtfrage, der Art und Weise, wie das christliche Volk diszipliniert- im Sinne von kontrolliert- werden konnte. In der Entfernung, der diese beiden Verwendungen ein und desselben Begriffs trennt, läßt sich der Impact des lutherischen Vorschlags und die Reaktion einer kirchlichen Körperschaft messen, die ihre Macht gefährdet sah. Die beiden von der Polemik Luthers und seiner Anhänger eröffneten Fronten waren die folgenden: einerseits die Aufgabe eines Bußbegriffs, der zu dem Zweck ritualisiert und angewandt worden war, das Schuldgefühl auf das ganze Leben auszudehnen und eine ,Konversion' als Adversus calumniantem ad sacramentalem confessionem, divino iure non teneri adultum christicolam G(regorii) Bornati monachi Casinensis opusculum , Venetiis, per Thomam Ballarinum de Ternengo Vercellensem, 1535. Kopie in der Biblioteca Vaticana. 10 "Cum confessio sit nervus disciplinae christianae ... " (aus dem Memorial an Adrian VI., ed. G. Pfeilscht/ter, Acta Reformationis catholica ecclesiam Germaniae concernentia saeculi XVI, Bd. 1, Regensburg 1959, S. 122. Ich übernehme das Zitat aus A. Duval, Des sacrements au Concile de Trente, Paris 1985, S. 153 ). 11 Vgl. Art. coscienza, im: N. Abbagnano, Dizionario di Filosofia, Turin 1964, S. 178-187. H.-D. Kittsteiner, Die Entstehung des modernen Gewissens, Frankfurt a.M. 1991.

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radikale Neuorientierung des Lebens zu fordern; andererseits der Angriff auf die päpstliche und kirchliche Macht. In einem Text wie der "Dottrina verissima" von Urbano Regio, dessen Erfolg von der Auflagenzahl und insbesondere durch den - in den Inquisitionsprozessen belegten - Umlauf unter Lesern bezeugt wird, wird die Gegensätzlichkeit der beiden Lehren nach folgendem Kriterium organisiert: die .neue Lehre" zur Beichte ist jene der jährlich obligaten Beichte, die vom Kanon "omnes utriusque sexus" festgelegt wird und der die reservierten Fälle angeschlossen sind; die alte Lehre - also die authentische, evangelische - ist jene, die darin besteht, das eigene Unrecht zu beichten und sich weinendJesus Christus zu Füßen zu werfen12 • Die erste erzeugt Gewissensbisse, wegen des Zwangs, sich an alle Sünden erinnern zu müssen; außerdem sind die Machrverteilung und das Gesetzsystem "fatte per Iegare le conscienze ... Sono inventioni ehe dannano le conscienze di molti" 13 • Die Gesamtproblematik, die sich im Zusammenhang mit der Beichte stellte, konnte demnach wie folgt in zwei Haupteintragungen zusammengefaßt werden: - ein Konflikt zwischen Freiheitsversprechen und kirchlicher Machtausübung; - ein Wettstreit darum, wer besser auf die - allgemein als solche erkannte Notwendigkeit eingehen konnte, die betroffenen Gewissen zu trösten, sie von den Gewissenszweifeln und der drohenden Verzweiflung über das Gewicht der Sünden zu befreien. In den Rahmen dieser Kontraste gehört die Antwort des Tridentinum. Und es besteht kein Zweifel darüber, daß - wenn in den Diskussionen zur Rechtfertigung das Problem, den heimgesuchten Gewissen eine Antwort zu bieten, im Vordergrund stand - in den Diskussionen über das Bußsakrament vor allem die Machtfrage auftauchte. Die lutherische Herausforderung war an dieser Stelle ganz besonders stark. Von jener Seite wurde angeboten, den Christen Freiheit zu bringen, ihre Gewissen nicht in Fesseln zu legen, den Christen jene Freiheit der Kinder Gottes als innere Freiheit wiederzugeben, die Luther in der berühmtesten und beliebtesten seiner Schriften versprochen hatte- jener aufgrund ihres Titels so berühmten Schrift, die von Freiheit sprach und die auch von denjenigen mißverstanden wurde, die darin das Versprechen einer weltlichen Freiheit lasen. Luther hingegen knüpfte die innere Freiheit 12 Dottrina verissima, et hora nuovamente venuta in luce, tolta dal cap. quarto a' Romani a consolare fermamente le afflitte conscienze dal peso de i peccati gravato, ... [Urbano Regio], 1547, S. 5 ff. Zum Text und zur Effizienz beim .far penetrare illettore nel cuore stesso della dottrina luterana della giustificazione", vgl. 5. Cava:a.a, Libri in volgare e propaganda eterodossa: Venedig 1543-1547, in: Libri, idee e sentimenti religiosi nel Cinquecento italiano, Modena 1987, S. 9-28, besonders S. 22-23. 13 Ebd., S. 11.

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an die äußere Untertänigkeit - ein Widerspruch, der sich durch die gesamte Materie zieht und den wir in der Geschichte der Beichte wiederfinden. Auf katholischer Seite wurde das Bedürfnis nach Führung und Hilfe für die reuigen Sünder spürbar. Diese Art Argument können wir aus der exemplarischen Bezeugung herauslesen, die in einem in den Konzilsjahren von einem römischen Priester veröffentlichten "Confessionale" enthalten ist, "a confosione de la luterana et heretica gente, ehe ha per opinione de non essere obligati al padre suo de penitentia volere accusare li lor peccati". Der Autor bezeugte, daß nach seiner persönlichen Erfahrung, "confessando molte et infinite persone nelli preteriti tempi", die Unwissenheit in dieser Angelegenheit weit verbreitet war: Menschen beichteten, ohne daß sie "recitare i lor peccati" konnten, sie taten es mit Mühe und Not einmal im Jahr, keine "altra faticha con il cordoglio accompagnato con la mente" wurde geleistet und man dachte, "d'essere per certa consuetudine absolti da qualunche suo et mortal peccato"; und ein anderer Experte machte mit der Frage der Rechtfertigung Schluß und behauptete: "Ogni speranza consiste nella confessione: la confessione giustifica l'huomo et dona la remissione" 14 • In den Diskussionen der Theologen wurden die traditionellen Grundlagen der theologischen Diskurse der Buße neu untersucht, und es wurde beispielsweise die Frage nach dem Fehlen von "cordoglio", von ehrlicher Reue über die Sünden, die jener römische Geistliche aufgeworfen hatte, vielfältig diskutiert. In der Hauptsache ging es jedoch um die Bestätigung und die Neuorganisation der Beichtgewalt. Eine aufmerksame Untersuchung der unvollständigen Reue führte - wie die Untersuchung von Valens Heynck gezeigt hat 15 - zu einem Ergebnis, das in der scholastischen Tradition lag, aber auch den Bedürfnissen der kirchlichen Machtkonsolidierung in der privaten und Ohrenbeichte entgegenkam: Die Debatte über "attritio" und "contritio", die Unterscheidungen zwischen "kindlicher Angst" und "sklavischer Angst", die (von Gabriel Biel übernommenen) weiteren Unterscheidungen zwischen "timor sempliciter servilis" und "timor serviliter servilis" führten zu einem Ergebnis nicht in der Bewertung der subjektiven Veranlagung des Büßers, sondern in der wiederholt heraufbeschworenen Notwendigkeit der Beichte als von der Kirche verwaltetem Sakrament. Wenn die Frage in der Debatte zur Rechtfertigungslehre wichtig gewesen war- beispielsweise in Poles Haltung, der die sklavische Angst zu den 14 Die Zitate stammen der Reihenfolge nach aus: Confessionale novo, del Reverendo M. Hieronymo Messi prete secular, prior de Santa Felicita in Romano redrizato alla S. de Papa Paulo III et a tutti Ii fidelissimi et buoni christiani, o.O. o.]., cc. A II r-A III r, und aus P Morigia, Opera chiamata stato religioso, et vita spirituale, Venetia, per Nicolö Bevilacqua Trentino, 1559, S. 343. 15 V Heynck O.FM., Zum Problem der unvollkommenen Reue auf dem Konzil von Trient, in G. Schreiber (Hrsg.), Das Weltkonzil von Trient. Sein Werden und sein Wirken, Freiburg i.Br. 1951, Bd. 1, S. 231-280.

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Sünden gerechnet hatte, oder in jener Seripandos, der in den zweiten Dekretentwurf über die Rechtfertigung das Thema der Höllenangst ("timor divinae iustitiae") als positiven Übergang und Vorbereitung auf die heiligmachende Gnade aufnahm- so spielte sie hingegen in der Diskussion der Beichte nicht die geringste Rolle. Es genügte die Betrachtung, daß in der Praxis die Beichtväter die Büßer niemals fragten, ob sie vollkommen oder unvollkommen reuig ("an sint perfecte contriti") 16 seien, um die ganze alte Diskussion in den Hintergrund zu rücken. An die Stelle der Bewertung des Geisteszustandes der Sünder trat die Sorge um die Regelung der Pflichten und Gewalten im Hinblick auf eine systematische Verwaltung des Sakraments; andererseits wurde in den Beichtmodellen, die die Manualistik längst verbreitete, die dem Reuigen vorgeschlagene Präliminarerklärung eingeführt, daß seine Reue unvollkommen war17 (das Datum läßt sich nur schwer genau bestimmen, liegt jedoch vor den tridentinischen Beschlüssen). Die übliche Praxis war den tridentinischen Kirchenvätern außerdem geläufiger als die Quellen und die Geschichte der Buße. Die Verwendung von Quellen in den Kongregationen der Theologen war derart, daß der moderne Herausgeber sich genötigt sah, eine Anmerkung voranzustellen, die den ironischen und empörten Beobachtungen Paolo Sarpis entnommen scheint: Es sind so viele historische Fehler in jenen Abstimmungen enthalten - heißt es im Wesentlichen - daß es unmöglich ist, sie aufzulisten; um so mehr, als die Kirchenväter oft die Behandlung des Beichtsakraments mit dem einfacheren und allgemeineren Thema der Buße verwechselten 18 • Die Projektion auf die Vergangenheit schuf eine Verzerrung, die Sarpi mit Ironie entblößte: .Chi sentiva a parlare quei dottori non poteva concludere senonehe gli apostoli e gli antichi vescovi mai facessero altro ehe o star in ginocchia a confessarsi, o sentati a confessar altri" 19 •

Abgesehen von Sarpis Ironie, ist es sicher, daß eine Beichtpraxis in die Vergangenheit projiziert wurde, die in der Gegenwart intensiv war, und die dazu bestimmt schien, sich noch zu verstärken. Man könnte über die verschiedenen 16 Hierauf weist auch hin V Heynck O.FM., Zum Problem der unvollkommenen Reue, S. 273. 17 Zu den präliminaren Erklärungen in der confessio generalis, die von Girolamo Messi vorgeschlagen wurden, finden wir den unwissentlichen Umgang mit Exkommunizierten sowie den Satz: "Padre mio io mi rendo in colpa, ehe non vengo a questa santa confessione et santo sacramento con contritione" (Confessionale novo, c. A VII v). 18 Vgl. Concilium Tridentinum, Actorum pars quarta volumen prius, Freiburg i.Br. 1961, S. 241 Anm. ("non pauci circa historiam errores inveniuntur, quos singillatim emendare impossibile est ... Haud raro de poenitentia agunt aliqui patres, cogitantes tantummodo de poenitentia in genere, non autem de sacramento poenitentiae"). 19 Istoria del concilio tridentino, libro IV, cap. 2. Außerdem gab es damals Personen, die behaupteten, die Beichte existiere , sempre fino dal principio del mondo" (P Morigia, ll gioiello de christiani, Treviso, F. Zanetti, 1601, c. 76 r).

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Stimmen, die in den Konzilssälen zu hören waren, die auf dem Feld der katholischen Kirche aktiven Kräfte rekonstruieren: Dort waren die Bettelorden aktiv, die sich traditionell in den Predigtzyklen der Fastenzeit und der Ausarbeitung von Vorbereitungstexten (con/essionali, Erbauungsliteratur usw.) der Beichtpraxis der Massen widmeten; die neuen Bruderschaften und die neuen Orden - insbesondere die Jesuiten, die sich mit den einflußreichen Stimmen von Lainez und Salmeron hören ließen; die aktiveren und in der Führung der Bistümer pflichteifrigen Bischöfe: hier finden wir die großen spanischen Geistlichen, insbesondere Pedro Guerrero, Bischof von Granada, und Martin Perez de Ayala, Bischof von Cadiz, einige Italiener wie Girolamo Seripando, Erzbischof von Salerno, Egidio Foscarari, Bischof von Modena, und noch andere. Die Beichtpraxis entwickelte sich damals rasant: Die wichtigste Neuheit war die wachsende Kontrolle der Bischöfe und ihrer Vikare über das Maß der Folgsamkeit der Gläubigen gegenüber dem Kanon .Omnes utriusque sexus" des IV. Laterankonzils. Die Bischöfe suchten über die Beschränkung der Privilegien der Ordensgeistlichkeit, die Kontrolle über das Predigen und die angeschlossene Praxis der Beichte als grundlegende Momente der cura animarum wiederzuerlangen. Am Horizont zeichnete sich in der Zwischenzeit eine neue Kraft ab: das lnquisitionsgericht, das einerneuen Allianz alter Partner anvertraut war: Rom auf der einen Seite, Dominikanern und Franziskanern auf der anderen. Im Bild der Beichte als Tribunal spiegelt sich das Anwachsen eines wirklichen Gerichtes, des Rivalen der Beichte, nämlich der Inquisition. In den traditionellen Konflikt zwischen dem Episkopat und den großen Orden mischte sich auch eine neue Größe, die Jesuiten, die eine eigene Erfahrung in Sachen Beichte vorwiesen und die - nicht nur aus diesem Grund - eine zukunftsoriente Kraft darstellten. Was nun die gängige Beichtpraxis betraf, sonderten die Beschlüsse des Tridentinum allein die Form der Privatbeichte aus und bestanden - in Polemik zur protestantischen Reformation - auf dem Charakter der sakramentalen Beichte als gerichtlichem Akt (.actus iudicialis") und beteuerten dessen göttliches Recht (.ius divinum" )20 • Man versuchte jedoch aus jenem gerichtlichen Akt ein Instrument der .politia externa" zu machen, um die .disciplina christiani populi" nachhaltiger zu gestalten, wie aus dem Dokument hervorgeht. Zu diesem Zweck wurde das Reservatrecht als Akt .externa politia" vorgesehen, die auch .coram Deo" gelten sollte21 • 20 Vgl. A. Duval, Des sacrements au Concile, S. 209 ff. , die Diskussion der These von P. Angelo Amato (I pronunciamenti tridentini sulla necessita della confessione sacramentale nei canoni 6-9 della sessione XV [25. Nov. 1551]. Saggio di ermeneutica conciliare, Rom 1975), wonach das . ius divinum" sich auf die Integrität der Buße beruft. Vgl. auch H.P Arendt, Bußsakrament und Einzelbeichte: Die tridentinische Lehraussagung über das Sündenbekenntnis und ihre Verbindlichkeit für die Reform des Bußsakramentes, Freiburg i.Br. 1981. 21 .Magnopere vero ad christiani populi disciplinam pertinere sanctissimis patribus nostris visum est, ut atrociora quaedam et graviora crimina non a quibusvis, sed a summis

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Dieses Kapitel des Konzilsdokuments war umstritten in der Anwendung, aber auch vorher schon wegen der Art und Weise, in der es aufgesetzt worden war. Und die Kontroverse über die Aufsetzung sowie jene über die Interpretation erlauben einen Einblick in die Aufstellung der Kandidaturen in der Kirche, als es darum ging die ,Disziplin' des Volkes sicherzustellen. Der kämpferische Bischof von Cadiz erzählt in seiner Autobiographie, daß auf seinen und Foscaris Vorschlag hin im Text der Lehre der Zusatz des Reservatrechts eingeführt worden war. Beabsichtigt war, daß der Zusatz sich auf das Reservatrecht des Papstes beziehen sollte, als Empfehlung und Beschränkung: Die Meinung der Bischöfe war es also, daß das päpstliche Reservatrecht zwar anerkannt, aber auch beschränkt werden sollte, wie eine Macht, von der nur mit Mäßigkeit Gebrauch zu machen sei- "solo a edificazione e non a rovina" (2. Kor. 10, 8; 13, 10). Mit einem gekonnten Handstreich hatte die Präsidentschaft des Konzils sie auslöschen lassen und dann, unter den Protesten der spanischen Bischöfe, die bis zu Karl V. drangen, erneut aufgenommen, aber in Bezug auf die Bischöfe - und in dieser Form wurde der Text ratifiziert22 • Es gab nicht nur diesen wörtlichen Anhaltspunkt dafür, daß das Papsttum nicht daran dachte, den Bischöfen Gewalten politia externa in ihren Bistümern einzuräumen. Nachdem Pedro Guerrero in sein Bistum Granada zurückgekehrt war, machte er von dem Recht Gebrauch, in Fällen von Häresie den Angeklagten freizusprechen, um einen reuigen Häretiker mit der Kirche auszusöhnen: Er wurde jedoch sofort zu der Befolgung der Vorschrift aufgerufen, wonach es dem Inquisitor allein zustand, ähnliche Fälle zu entscheiden. Daß es die Absicht der dumtaxat sacerdotibus absolverentur, unde merito pontifices maximi pro suprema potestate sibi in ecclesia universa tradita causas aliquas criminum graviores suo potuerunt peculiari iudicio reservare. Nec dubitandum est .. . quin hoc idem episcopis omnibus in sua cuique dioecesi ,in aedificationem' tarnen, ,non in destructionem' liceat pro illis in subditos tradita supra reliquos inferiores sacerdotes auctoritate" (vgl.• De casuum reservatione", Kap. VII der in der Sessio XIV angenommenen Doktrin: Conciliorum oecumenicorum decreta, curantibus G. Alberigo I G. L. Dossetti I P-P Joannou I C. Leonardi I P Prodi, consultante H. Jedin, zweisprachige Ausgabe, Basel et al. 1962, S. 708). 22 .El obispo de Modena y yo la compusimos, y mudaron cierta cosa de sustancia en la doctrina acerca de los casos reservados, contra la voluntad de los diputados, y era yo uno de ellos y el que habfa insistido en que se pusiese; es a saber: que el papa podrfa reservar casos ad aedificationem; y, ofendido de este atrevimiento y tirania, cuando vine a tratarse Ia sesi6n de Ordine, que no se hizo, habil~ndome sefialado por diputado, no lo quise aceptar"; die Frage war wichtig für Ayala, der den Kaiser durch Vargas informierte .de aquella clausula y cuan perniciosa era y cuan escandalosa serfa a los herejes" (die Autobiographe wurde von M. Serrano y Sanz herausgegeben, in: NBAE, Il, Madrid o.]. (1927] , S. 211-238; hier wird zitiert aus M. Perez de Ayala, Discurso de Ia vida, in: P Gonzdlez de Mendoza, EI Concilio de Trento, Buenos Aires 1947, S. 43. Vgl. H. Jedin, Die Autobiographie des Don Martin Perez de Ayala, in: Kirche des Glaubens. Kirche der Geschichte, Freiburg i.Br. 1966, Bd. 2, S. 282-332).

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tridentinischen Bischöfe, die ihre Pflichten in Sachen Regierung der Gewissen ernster nahmen, war, sich volle Macht in der Beichtpraxis zu sichern, ging aus den feierlichen Erklärungen des 6. Kanons "de reformatione circa matrimonium" hervor, der in der Sessio XXIV vom 11. November 1563 angenommen worden war: Dort heißt es, daß die Bischöfe ihren gläubigen Untertanen (direkt oder durch einen Vikar) die Absolution von jeder heimlichen Sünde erteilen können, auch wenn sie dem Apostolischen Sitz vorbehalten sei. Und es wird hinzugefügt, daß dieses Prinzip auch in Fällen von Häresie gültig ist, wenn auch mit einer wichtigen Einschränkung: daß den Häretikern allein vom Bischof, ohne die Möglichkeit einer Delegierung, die Absolution erteilt werden kann23 . Hierauf bestanden ganz besonders die spanischen Bischöfe. Wie Pedro Gonzal.ez di Mendoza anmerkte, verlangten die Zeiten eher nach der evangelischen Barmherzigkeit der Bischöfe als nach der gerichtlichen Macht der Inquisitoren24. In Italien, wo die Ideen der Reformation großes Echo gefunden hatten, nahm die Frage ganz andere dramatische Züge an, auch wenn der Ausgang derselbe war. Der Wunsch nach Wissen, von dem die Kirchenstruktur in einem Moment großer Gefahr dominiert wurde, machte auch nicht vor formalen Unterscheidungen zwischen einem Tribunal und dem anderen Halt. Der Beichtvater war ein Richter: Das Konzil von Trient hatte diese Definition bekräftigt und hatte auch mit Nachsicht auf der Pflicht der Sünder bestanden, ihre Sünden eingehend zu schildern. Es gab wohl kaum eine bessere Gelegenheit für die Kirche, ihre Feinde und deren Zahl aufzuspüren. Mancher Bischof versuchte die Frage auf seine Weise zu lösen. Die Probleme kamen vor allem in den Hauptstätten des Lehrstreits auf. Egidio Foscarari, dominikanischer Bischof von Modena zwischen 1550 und 1564, ließ für ihre häretischen Ideen bekannte Personen kommen und "erteilte die Absolution" zum Preis von leichten Bußübungen im Abschluß an informelle Gespräche, ohne Notare und Protokolle (dies ging so weit, daß einige der Verdächtigten sich in der Folge damit brüsteten, den Bischof bekehrt zu haben). Laut Fra Dominco aus Imola, der die Tätigkeiten Foscararis in Modena verfolgte, besaß dieser ein päpstliches Breve, das es ihm erlaubte, die Aussagen der Häretiker "in quaionehe modo ehe vollesse o in scritto o senza scritto o con testimonio o 23 "Idem et in haeresis crimine, in eodem foro conscientiae, eis tantum, non eorum vicariis, sit permissum" Counciliorum oecumenicorum decreta, S. 764. 24 "Dei sexto canon se quit6 lo de Ia lnquisici6n, porque en estos tiempos es grande inconveniente que los obispos non puedan absolver los herejes que vinieren a sus pies arrepentidos de su yerro, pidiendo misericordia, pues el inquisidor ordinario y el mas legitimo pastor de las almas es el obispo" (M. Perez de Ayala, Discurso de Ia vida, S. 144).

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senza testimonio" zu akzeptieren25 • Es ist möglich, daß in seinem Fall dieselbe Methode angewandt wurde wie in Avignon mit Sadoleto, der um 1540 wie Mare Venard gezeigt hat - in Sachen Häresie komplette Handlungsfreiheit hatte26 • Es ist jedoch eindeutig, daß Foscarari sich von den Tridentiner Beschlüssen in seinem Handeln bestärkt fühlte sowie von dem- in jenen]ahren im italienischen Episkopat verbreiteten- Trend zur Selbstermächtigung zwecks Regierung des eigenen Kirchenvolkes. Auf diese Weise kam es jedoch auf der einen Seite zum Zusammenprall mit den Gewalten der Inquisition und auf der anderen - um ebendies zu vermeiden - zum Zwang, sich an Rom zu wenden, um Sonderbevollmächtigungen als "legati di latere" zu erhalten- Zeichen, daß die Funktion des Bischofs als Magistrat und Richter seines Kirchenvolkes nicht auf normalem Wege zu erreichen war. In denselben ] ahren mußten andere Bischöfe Mittel und Wege finden, um das Wissen des Tribunals des Gewissens auszunutzen, um die heimlichen Häretiker aufzustöbern. Aber das verfügbare Instrument war fast ausschließlich die Umwandlung der obligaten jährlichen Beichte in ein Tribunaldesforum externum. In Salerno informierte der Augustiner Girolama Seripando 1558 die neapoletanische Kommission des Heiligen Offiziums über die Frage eines der Häresie schuldigen Büßers, der auf die Absolution wartete: Der Kommissar befahl, vom Mündlichen zum Schriftlichen überzugehen, und daß der anonyme Büßer seine (schon erfolgte) Beichte in eine schriftliche Selbstanklage verwandeln solle, "con farli specificare Ii complici, et se ha notitia de qualsevoglia persona ehe sia infetta de heresia ... ", um detailliert darzulegen, "come e incorso in tali errori, nominando chi ce l'ha indutto". Diese Anklageschrift sollte dann eingesandt werden, um der Sache ein gerichtliches Nachspiel zu geben27 • In der Überschneidung der beiden Tribunale machte so mancher auch kurzen Prozeß. Fabio Arcella, Erzbischof von Capua, übergab eine Aufstellung mit der Häresie verdächtigten Frauen einem Kanoniker und befahl ihm, "ehe devesse confessare tutte quelle donne ehe erano scritte in quella lista", indem sie zu verhören seien und festzustellen sei, "si fussero state heretiche" . Zuerst weigerte sich der Kanoniker, beugte sich dann jedoch dem ausdrücklichen Befehl. Das Geständnis war einmalig: Die Frauen wurden vorgeladen und gezwungen, zu beichten "de tutti Ii loro peccati et specialmente si mai fussero incorse in qualehe errore dela heresia contra la Santa Madre Ecclesia". Natürlich mußten sie die Irrlehren veranschaulichen; und an dieser Stelle gab es erhebliche Probleme. Der Kanoniker fragte diese Frauen, "si mai Ii era stato decto ehe 25 A. Biondi, Streghe ed eretici nei domini estensi all'epoca deii'Ariosto, in: P Rossi (Hrsg.), I1 Rinascimento nelle corti padane. Societa e cultura, Bari 1976, S. 193. 26 M. Venard, Reforme protestante, Reforme catholique dans Ia province d' Avignon, XVIe siede, Paris 1993. 27 Zitat aus G. Romeo, Inquisitori, esorcisti e streghe neii'Italia della Controriforma, Florenz 1990, S. 191-192.

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non decessero la corona, ehe non se confessassero o ehe non credessero allo Santissimo Sacramento della comonione". Besorgt wollten viele Frauen wissen, "ehe li volesse dire ehe si lloro havessero fatto errore in dire la corona, confessarnosi, commonicarnosi, andare alla ecclesia"; der Kanoniker mußte sich anstrengen und erklären, "ehe tutto era bene e santo" 28 . Es wird deutlich, daß die Dringlichkeit der Bekämpfung der Häretiker dem althergebrachten Gleichgewicht zwischen dem Gericht des Gewissens und demjenigen der Strafgerichtsbarkeit eine neue Entwicklung brachte. Es muß gesagt werden- ohne im einzelnen auf die reiche Kasuistik der Verhaltensweisen von Bischöfen und Inquisitoren einzugehen -, daß es sich keineswegs um Nebensächlichkeiten handelte. Es gab auf römischer Seite einen präzisen Wunsch, die Beichte als Mittel zur Bekämpfung der Häresie zu benutzen. Auf Veranlassung der römischen Kongregation des Heiligen Offiziums erhielten die Beichtväter den Befehl, die Büßer nicht nur zu befragen, ob sie unter die Inquisition fallende Straftaten begangen hätten, sondern auch ob sie über andere Personen solche Informationen besaßen: gegebenenfalls waren sie ohne Absolution zu entlassen, solange sie nicht vor dem Inquisitionsgericht ausgesagt hätten. Die Frage betraf in der Hauptsache einen religiösen Orden, die Franziskaner: ein richtiggehender Verband von Experten in Sachen Bußpredigt und, folglich, auch der Beichtpraxis. Allein über diesen Orden konnte die Beichtpraxis tiefgreifend verändert werden. Doch der Entschluß derjenigen, die den ,geistlichen Krieg' und die Entstehung des Heiligen Offiziums gewollt hatten, machte nicht vor diesem Problem halt: Die Namen der beiden ,Großinquisitoren' des Jahrhunderts - Gian Pietro Carafa und Fra Micheie Ghislieri - sind in einem Hauptdokument dieser Geschichte enthalten. Am 25. Januar 1559 schrieb der damalige Kardinal Ghislieri dem General der Franziskaner einen Brief, in dem er ausdrücklich befahl, eine dem "mente di Nostro Signore" (also Paulus IV. Carafa) entsprungene Verfügung an alle Brüder weiterzuleiten. Die Verfügung legte allen Ordensbrüdern auf: "ehe non debano ne presumano assolver aleuno ehe habbi direttamente vel indirettamente, per propria o altrui udita eognitione di qual si voglia persona infetta over suspetta di heresia o ehe retenga libri prohibiti se prima quella tal persona ehe sara venuta per eonfessarsi non havera denuntiato iuridieamente alli ministri del Offieio dela Santa lnquisitione eio ehe sa over ha inteso in preiudieio over perieulo della Catholiea Fede".

Die Übertreter "saranno gravemente castigati dal Santo Officio". Und, um jedes Risiko auszuschließen, aber auch um die engen Kontakte zwischen Ordensbrüdern und Büßern zu nutzen, wurde weiter befohlen, "ehe li confessori, si come nel principio delle confessione adimandano a'penitenti se 28 Aussage des Kanonikers Santo Panebianeo vom 1. Februar 1564 (P Scaramella, "Con la eroee al euore" . lnquisizione ed eresia in Terra di Lavoro 1551-1564, Neapel 1995, S. 147).

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hanno casi reservati o se sono excomunicati, cossl adimandino parimente se conoscano huomo o donna alcuna infetta o sospecta di heresia o far vita men ehe catholica". Die Tatsache, daß viele Menschen -laut Ghislieri- .stimano non esser obbligati di denuntia[re] inimici della fede nostra ne doversi confessare pernon haver denuntiato, onde da se nol diriano", machte dieses Verhalten notwendig29 • Die Machtverhältnisse standen von Anfang an zu Gunsten der Inquisition. Man berief sich energisch auf die höhere Notwendigkeit des Kampfes gegen die Häretiker, ohne den Beichtvätern auch nur den geringsten Spielraum zu lassen. Nehmen wir beispielsweise den Fall eines Mannes, der seinem Beichtvater erzählte, an verbotenen Tagen Fleisch verzehrt zu haben: 1559 behauptete Fra Francesco Pincino (oder Pinzino), Vikar der Inquisition in Venetien, daß die Beichtväter in diesem Fall nicht eruieren -oder fragen- sollten, ob das Vergehen häretischen Überzeugungen oder anderen Motiven entspringe, sondern den Büßer direkt an die Inquisition zu verweisen hätten. Warteten die Strafrichter in einem Mordfall vielleicht den Schuldigen zu verhaften, bis sie entschieden hatten, ob das Delikt aus Notwehr oder in einem Raubüberfall geschehen war? Erst wurde er verhaftet und dann wurde entschieden, ob ihm seine Freiheit wiederzugeben war oder nich~ 0 • Es war eine reine Machtfrage: Die Vertreter kirchlicher Gewalten hatten ihre Freude daran, die Dinge abstrakt und allgemein darzustellen. Wer jedoch diese Fragen persönlich erlebte, in der Unsicherheit und in der Angst, ging einfachere Wege. Nehmen wir einen dieser Fälle, den der Adeligen Isabella Frattina. Sie war keine Nebenfigur in der Gesellschaft: Die Namen der Eltern genügen, um dies zu beweisen, Giovanni Gioacchino da Passano und Caterina Sauli, er Diplomat und sie Erbin der berühmten Genueser Familie. Sie hatte den Friauler Adeligen Marco della Frattina aus Pordenone geheiratet. In ihrem Haus fanden Literaten Aufnahme, die der Irrlehre bezichtigt wurden, wie Alessandeo Cittolini, der auch von der Mutter für sie als Privatlehrer ausgewählt worden war. In den Strudel der Verdächtigungen der Inquisition gegen ihre Mutter hineingezogen, wurde sie 1568 vor die Inquisition nach Venedig Archivio di Stato, Venezia, Sant'Ufficio, b. 160, unpag. .Quanto si apartiene a coloro ehe anno mangiato carne non si habbia a fare per Ii confessori alcuna distincione, non essendo loro giudici di questo ... II simigliante si suol fare da e'giudici secolari, Ii quali avenga ehe si possi uccidere un huomo per difendere Ia propria salute del corpo, nondimeno vogliano et cusi costumano ehe lo ucciditore nelle loro forze si appresenti, et quando trovano l'homicidio essere fato senza colpa ne'casi dala lege civile et di natura permessi lo assolvano; cosi ancora faremo noi quando Ii confitenti faranno Ia loro ubidienza" (Brief von Fra Francesco Pincino, Generalvikar der Inquisition von Portogruaro, an den Kapitän von Pordenone, 9. März 1559, aufbewahrt in: Archivio di Stato, Venezia, Sant'Ufficio, b. 160, unpag.). Der Vikar sah die Möglichkeit von schriftlichen Anzeigen: .ad essempio del paralitico deono mandare altri per loro facendo scrivere quello ehe facesse al proposto dela verita". 29

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gebracht. Aber Isabella hatte nicht auf diesen Termin gewartet: Bei den ersten Verdachtssymptomen hatte sie die ketzerischen Bücher verbrannt und bei einem Priester gebeichtet, der ihr ihre Sünde "perdonato et rimesso" hatte. Nicht zufrieden, "udendo ella ehe 1'assolutione del suo confessario forse non bastava", hatte sie sich zu dem Ordensbruder begeben, der das Amt des Inquisitionsvikars in Portogruaro innehatte- eben Fra Francesco Pincinound auch von ihm die Absolution erlangt. Der Beichtvater konnte niemandem die Absolution erteilen, der in Inquisitionsfragen verwickelt war; aber der Inquisitor konnte es. Der Inquisitor war ein Ordensbruder: und er konnte die Beichte abnehmen und die Absolution erteilen. Tatsächlichhörteer die Beichte und erteilte die Absolution in Inquisitionsfragen. Während Fra Francesco Pincino also diese Verordnung für die anderen Beichtväter niederschrieb, vergab er der Adeligen Isabella Frattini die Schuld, verbotene Bücher gelesen zu haben. Hier die Geschichte wie sie in der Folge vom Verteidiger Isabellas erzählt wurde: "Udendo ella ehe l'assolutione del suo confessario forse non bastava, n'ando a trovar l'inquisitore, appresso al quale come a giudice legitimo accuso il suo fallo et rivelo il suo peccato, et da lui fu con una salutar penitenza assolta" 31 •

Die Sache war nicht so geradlinig, wie der Verteidiger es darstellte: Zur Zeit des Prozesses war jener Inquisitor mittlerweile gestorben und konnte nicht aussagen. Und sowieso konnte während der Beichte Geschehenes nicht in einem Tribunal des /orum externum wiederholt werden. Der Rechtsanwalt mußte sich auf die Indizien der erfolgten Beichte und Absolution berufen: Es gab drei Zeugen, die Isabella gesehen hatten: "genocchione a piedi di Fra Francesco Pincino inquisitore, nel chiesiolo di santo Andrea di Porto Gruaro nel1566"; und weitere drei Zeugen waren bereit, zu erklären, daß sie gesehen hatten, wie Isabella ihre Sünden mit Fasten abbüßte; zuletzt - und diesen Beweis hielt der Anwalt bis zuletzt zurück, da er "maggiore piu concludente et piu chiara" war- gab es ganze drei Zeugen, die bereit waren zu schwören, daß der Inquisitor behauptet hatte, "ehe egli havea assolta Ia signora Isabella dell'haver letto libri prohibiti". Dieser letzte Punkt zeigt konkret, was jene Beichte des Inquisitionsbruders war: eine Beichte sui generis, deren Inhalt anderen mitgeteilt werden konnte und über die sogar schriftliche Aufzeichnungen hinterlassen wurden. Diese Zeugen "dicono haver veduto una carta da lui [l'inquisitore] mostrata, dove era scritto il nome di Isabella et di aleuni altri, ehe da esso inquisitore erano stati assolti, di ehe egli ne facea nota per ricordanza" 32 • 31 Das Plädoyer von Isabellas Verteidiger, abgefaßt 1569, wurde veröffentlicht von L. De Biasio, Oratione in difesa de Ia signora Isabella Frattina fatta dal signor Cornelio Frangipane, in: Memorie storiche forogiuliesi , 73 (1993), S. 159-183, hier 164.

12

Ebd., S. 165.

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Der Fall Isabella Frattina zeigt, wie das Aufeinandertreffen von Inquisition und Beichte beiden Tribunalen etwas Neues brachte: dieselbe Schuld, dasselbe Ritual, die Unterschiede betreffen die Gewalten. Der Inquisitor handelte nicht als einfacher Beichtvater, sondern als .giudice pontificio et delegato di Sua Santita": Obwohl er eine sakramentale Beichte hörte, machte der Ordensbruder schriftliche Aufzeichnungen und teilte deren Inhalt anderen mit. Außerdem präsentierte sich die Angelegenheit demjenigen, dem etwas vergeben werden sollte, zweideutig, und die einzig befolgte Strategie war diejenige, Absolutionen anzuhäufen und insbesondere Zeugenaussagen für eventuellen zukünftigen Gebrauch. Um zu verstehen, welche Entstellung die Beziehungen zwischen Sünde und Verbrechen in der Praxis der katholischen Autoritäten erfuhr, muß der historische Hintergrund jener Riten herangezogen werden. Die Frage, die den Horizont der kirchlichen Autoritäten füllte, war die Bekämpfung der Häresie als gewollter Dissens: Um die Häretiker dingfest zu machen, mußten alle Verhaltensweisen ausgemacht werden, die deren Existenz enthüllten. Fleisch an verbotenen Tagen zu essen, war ein bewußter Entschluß, gekoppelt mit einem ausdrücklichen Distanzierungswunsch, der seiner Natur nach eher öffentlich war, auch wenn er dann meist im stillen Kämmerlein vollzogen wurde. Über dieses Indiz mußte systematisch von denjenigen Buch geführt werden, die es, besser als jeder andere, wissen konnten - eben den Beichtvätern. Es ging also darum, die prinzipielle Verpflichtung des Beichtvaters zu erhärten, den häretischen Charakter gewisser Vergehen zu untersuchen. Der Beichtvater konnte jedoch nicht gezwungen werden, sein Wissen preiszugeben; im Gegenteil, vor Gericht über ein Verbrechen befragt, das ihm in der Beichte anvertraut worden war, mußte er antworten, nichts zu wissenn . Dieses Grundprinzip zum Schutz der Beichte wurde seit der Aufnahme der Aktivitäten des Heiligen Offiziums offiziell unterstrichen 34 • Und sollte ein Beichtvater jemanden vor Gericht eines Vergehens anklagen, von dem er in der Beichte erfahren hatte, war seine Aussage aus dem Protokoll zu streichen. Ja, sollte der Beichtvater den Büßer nach den Namen eventueller Komplizen seiner Sünde gefragt haben, war es die Pflicht des Büßers, vor den Inquisitor zu treten und den Beichtvater anzuzeigen, da es Häresie war, die Namen von Komplizen wissen zu wollen: Diese Lehre, fest verankert im Handbuch des Dominikaners Bartalarneo Medina, hatte auf der theoretischen Ebene keine

H Bartolomeo de Medina , Breve instruttione de' confessori, Venedig, D. Nicolini, 1582, c. 222r. 34 . Confessarius non debet cogi ad revelandum aliqua per reum confessa, etiam de licentia poenitentis, imo de huiusmodi examinibus nulla debet fieri mentio in dedecus confessionis, neque in hoc neque in alio tribunali" (Dekret des Heiligen Offiziums vom 12. August 1557, in: L. von Pastor [Hrsg.], Allgemeine Dekrete der römischen Inquisition aus den Jahren 1555-1597, Freiburg i.Br. 1912, S. 61).

13 Prndi I Rcinhard

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Gegner35 • Es ging vielmehr darum, der überaus großen Neugier der Beichtväter auf der praktischen Ebene mit -bisweilen auch entschiedenen - Interventionen Schranken zu setzen. Dieser Weg war also versperrt; aber man konnte sich dennoch der Beichtväter bedienen, wenn schon nicht als direkte Quelle dessen, was in der Beichte gesagt wurde, dann wenigstens als Vehikel, um an die reuigen Sünder heranzukommen und sie zu zwingen, vor das Inquisitionsgericht zu treten. Darauf hatten es die mannigfachen Bestrebungen, die Beichtväter den Erfordernissen des Heiligen Offiziums Untertan zu machen, abgesehen. Aber es lohnt sich aufzuzeigen, daß man kurz vor dem Beginn dieser Kampagne, die es auf die Beichtväter abgesehen hatte, dazu schritt, die sehr gewissenhaften zu beruhigen: Die Gläubigen konnten den Erlassen der Inquisition entnehmen, Häresiedelikte begangen zu haben, ohne es zu wissen. Waren also die Absolutionen, die sie in jenem Zustand des Nichtwissens empfangen hatten, gültig? Die Antwort des Heilgen Offiziums lautete positiv: Jene Absolution war gültig, und die Beichte mußte nicht wiederholt werden; nötig war es hingegen, die Exkommunikation aufzuheben, und dazu bedurfte es des Inquisitors oder anderer, in deren Macht dies stand36 • Damit war die Frage für die Vergangenheit gelöst, und nun konnte man zur Regelung für die Zukunft schreiten. Der sich anbahnende Kampf gegen die Häresie war ein Problem, das Päpste wie Paul IV. und Pius V. dramatisch wahrnahmen. Dies heißt jedoch nicht, daß im italienischen Episkopat das Tribunal der Beichte nicht auch als Instrument der politia externa zur "disciplina del popolo cristiano" eingesetzt wurde. Bekannte Fälle bischöflicher Machtbehauptung kraft der "riserva dei casi" waren jene der beiden Bischöfe Gian Matteo Giberti und Carlo Borromeo, die allgemein wegen des Berichts zur Vorbereitung oder Durchführung der "riforma tridentina" zitiert werden. An dieser Stelle werde ich nicht auf die Verdienste des Hl. Carlo auf dem Gebiet der Beichte eingehen: das berühmte "Confessionale", ein richtiggehendes Tribunal neuer Art, und insbesondere der Mechanismus, der auf der "riserva dei casi" basierte und die wütende Polemik des Jesuiten Giulio Mazzarino auslöste. Ich beschränke mich auf den Fall eines anderen Bischofs, der sich an Carlo Borromeo orientierte, um zu zeigen, wie jene Maßnahmen verstanden wurden. 1577 gewährte der Erzbischof von Neapel, Paolo Burali, nach einer eingehenden Prüfung der Vorbereitung der neapolitanischen Beichtväter, nur einigen von ihnen (insgesamt 18) die Erlaubnis, von Reservatfällen zu absolvieren. Sofort breitete sich in Neapel die Angst aus, daß diese Tatsache "dovesse essere Breve instruttione de' confessori, c. 223r. Dekret des Heiligen Offiziums vom 10. September 1556, in: L. von Pastor (Hrsg.), Allgemeine Dekrete, S. 20. 35

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principio de inquisitione"; so stark war die Besorgnis, daß sich der Volksvertreter und die cupitani delle Piazze zum Vizekönig begaben, um nachzufragen, ob es sich nun um ein "principio de inquisitione" handele oder nicht. Dem Vizekönig gelang es nur mit Mühe, eine Versammlung der Piazze und einen größeren Volksauflauf zu verhindern. Er bat um den Eingriff des päpstlichen Nuntius: Um Erklärungen gebeten, machte der Erzbischof klar, daß dieser Reservatfall "non era nova perehe tutti i vescovi le fanno, chi piu chi meno, secondo ehe giudicano essere ispediente per la salute dell'anime" 37 • Burali hatte recht: Als wahrer Anhänger Borromeos hatte er nichts anderes getan, als die rigorose Methode der bischöflichen Kontrolle über die Handhabung der Beichte in die Tat umzusetzen, die jene Bischöfe erarbeitet hatten, die sich am meisten darum bemüht hatten, jenes Instrument zur Auferlegung einer neuen kollektiven Moral zu verwenden. Dies war das Zeichen, daß jene Straße versperrt oder höchstens teilweise mit den Vollmachten des Papstes begehbar war - aber versperrt wurde sie jedenfalls vom kirchlichen Charakter jener Maßnahmen, die damit die Reaktion der weltlichen Mächte hervorriefen. Konsequent verfolgt, führte die politia externa des christlichen Volkes zur Inquisition, als kohärenter Endpunkt des Systems der verbindlichen und kontrollierten Beichten: Die Tatsache, daß die Aussagen derjenigen Büßer, die sich vom Beichtvater zum Inquisitor begaben, "spontan" genannt wurden, ist vielleicht noch weniger lächerlich als die Tatsache, daß diese Aussagen "scarichi di coscienza" (Gewissensentleerungen) genannt wurden. Wer solche Aussagen machte, tat es, weil er dazu gezwungen war, und es ging nicht um das eigene Gewissen, sondern um das von anderenFreunden, Nachbarn -, die man so verraten wußte; was beweist, daß das Gewissen sich in diesem System keiner großen Autonomie erfreute. Ein letzter, aber keineswegs nebensächlicher Aspekt dessen, was als Umsetzung des Konzils von Trient in Sachen Beichte definiert werden könnte dessen späte Wahrheit -, betrifft den Mechanismus, mit dem das Verhalten der Beichtväter gegenüber den weiblichen Büßern kontrolliert wurde. Das Problem war nicht neu; der junge Erasmus von Rotterdam hatte in Deventer verschiedene Geschichten von Verhältnissen zwischen Beichtvätern und Frauen zu hören bekommen: Er hatte weise Schlüsse daraus gezogen. Es mußte vermieden werden, die "vitiosa curiositas" von Priestern zu wecken, die immerhin auch Männer waren, und oft sogar junge. Die Beichte durfte nicht zu einer Darstellung sexueller Betätigung ausartenl 8 • Die Kirche jedoch, ganz auf die Verteidigung konzentriert, verstärkte auf der einen Seite die Verbindlichkeit des H Das Zitat entnehme ich aus P Lopez, Clero, eresia e magia nella Napoli del Viceregno, Neapel1984, S. 74·75. lS Des. Erasmi Roterodami Exomologesis sive modus confitendi, in: Opera, Bd. V, Lugduni Batavorum 1704, Sp. 146-170, hier 153.

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kirchlichen Zölibats und auf der anderen die Pflicht der Büßer, dem eigenen Beichtvater alles bis hin zum kleinsten Detail zu erzählen. Die beiden Dinge gehörten zusammen: Die sakrale Funktion des Sündenrichters erforderte einen nicht in die Sünden des Fleisches verwickelten Priester. Es ergab sich daraus jedoch ein ebenso schwerer wie vorhersehbarer Notstand, genauso gefürchtet wie untragbar. Das Konzil von Trient wurde einer besonders schwerwiegenden Risikosituation in der Beziehung zwischen Priestern und Frauen bei der Beichte gewahr. Papst Paul IV. zerschnitt diesen Gordischen Knoten mit dem Schwert, das ihm am vertrautesten war: 1559 legte er dieses Delikt der Rechtsprechung des Inquisitors vor. Was es aber zu betonen gilt, ist die Tatsache, daß der Entschluß Pauls IV. auf Ersuchen des Erzbischofs von Granada, Pedro Guerrero, hin gefaßt wurde, dem wichtigsten Vertreter des spanischen Episkopats in Trient, der mit Sicherheit nicht der Sympathien für diejenigen verdächtigt werden konnte, die die Gerichtsbarkeit der Bischöfe untergruben. Das Ersuchen Guerreros war seinerseits das Ergebnis einer Bitte, die ein Jesuit aus Granada an ihn herangetragen hatte, der in der Fastenzeit von 1558 auf solch einen Fall gestoßen war, als er einer vom Beichtvater bedrängten Büßerin geraten hatte, diesen anzuzeigen. So entstand ein heftiger Streit zwischen der Gesellschaft Jesu und den anderen Orden, Dominikanern und Franziskanern an erster Stelle: Guerrero wandte sich auf Anraten des Superiors der Jesuiten an den Erzbischof und den päpstlichen Nuntius. So entstand eine Strategie zur Beichtkontrolle, die das Tribunal des/orum internumöffentlich und permanent dem Tribunal des /orum externum unterordnete. Die Tatsache, daß diese so wichtige Wende gerade von dem Bischof provoziert worden war, der der vernehmlichste Verfechter der bischöflichen Macht war, zeigt, daß der Lauf der Dinge über die Absichten der einzelnen hinwegrollte. Die in sich selbst geschlossene Kirche schuf in der Absicht, sich als perfekten Körper darzustellen, ein Polizeisystem, damit das Beichtsakrament nicht an gesellschaftlichem Ansehen verlöre; dasselbe Sakrament war in der Zwischenzeit zu einer obligaten Maßnahme geworden, die von einem ganzen bürokratischen System kontrolliert wurde. Und insbesondere war es ein Moment geworden, in dem der Gläubige im wesentlichen auf zwei Fragen antworten mußte: jener einleitenden zu Häresiefragen - von der die Fortsetzung der Beichte oder das Eingreifen der Inquisition abhing - und jener nach dem sexuellen Verhalten, einer Materie, die im Beichtstuhl unterdessen die Oberhand gewonnen hatte. Männer und Frauen zu Gesprächen sexueller Natur zu zwingen und zu verhindern, daß dann von Worten zu Taten geschritten wurde, wurde das Problem der Kirche: Und es kann hinsichtlich des Falles von Granada hinzugefügt werden: heute in Spanien, morgen in Italien. Tatsächlich wurde die Regelung von Granada aus auf ganz Spanien ausgedehnt und von dort aus auf Italien. Die sol/icitatio an sich war keine Häresie, konnte es jedoch werden, wenn man spitzfindig argumentierte: Geschah sie während des Beichtsakraments,

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wurde sie zur sakramentalen Negierung des Sakraments selbst'9 • Die Inquisition konnte jedoch nur dann eingreifen, wenn das Vergehen exakt im Verlauf der Beichte stattgefunden hatte; da die Annäherungsversuche auch vor oder nach der Beichte stattfinden konnten - und genauso geschah es, eben um die so gefürchtete Inquisition zu vermeiden -, befürwortete Niccolo Ormaneto, der Nuntius in Spanien (ein Kirchenmann, der im Schatten der beiden Bischöfe Gian Matteo Giberti und Carlo Borromeo gelebt hat, die den modernen katholischen Beichtstuhl erfunden hatten), eine Ausdehnung der Gerichtsbarkeit der Inquisition, um zu vermeiden, daß das Bußsakrament in Verruf gerate40 • Die Widersprüchlichkeiten und die Probleme, aber auch die positiven Ergebnisse der unmittelbar auf das Konzil von Trient folgenden Epoche sind die Fortsetzung des Tridentinum und stellen uns vor ein zweifellos komplexes Bild. Wir haben uns an dieser Stelle auf die institutionellen Aspekte, insbesondere die konkreten Verflechtungen -nicht die abstrakten juristischen Dimensionen - der Beziehungen zwischen den beiden Gerichten der Inquisition und der Beichte beschränkt. Viele andere Fragen hätten aufgegriffen werden können und sollen. Beispielsweise das Zirkulieren von gemeinsamen Problemen und Methoden über die konfessionellen Grenzen hinaus; in den letzten Jahren haben sich beispielsweise eine ganze Reihe von Untersuchungen mit der in protestantischen Ländern wieder aufkommenden moralischen Kasuistik auseinandergesetzt-insbesondere in der anglikanischen Kirche-, mit dem breitem Gebrauch von Texten und Methoden, die für die katholische Beichte entwickelt wurden. Und dennoch stellen Analogien dieser Art - Analogien zwischen sozialen und politischen Situationen, zwischen tiefen kulturellen und religiösen Strömungen - jedesmal die Unterschiede in den Vordergrund, die zwischen den beiden Welten fortbestanden. In der evangelischen betraf die Literatur der moralischen Kasuistik den einzelnen Christen direkt, der eine Wahl zu treffen hatte, während es in der katholischen Welt eher um ein Problem ging, das den geistlichen Leiter, den Beichtvater, betraf, dessen Wahl für den geistlichen Sohn galt. Die in Trient hartnäckig verfolgte Verteidigung der kirchlichen Mittlerrolle hatte Erfolg gehabt: Die Gewissensprobleme wurden auf den beiden Seiten der konfessionellen Schranke verschieden angegangen, mit unterschiedlicher individueller Verantwortung. Und dies blieb für beide Europas nicht ohne Folgen. J 9 H.C. Lea, A History of Auricolar Confession, Bd. 1, S. 385. Die Bulle .Cum sicut nuper" vom 16. April 1561 ist enthalten in: Bullarium Romanum, IV/ 2, S. 77. Zur Geschichte der Frage in Spanien siehe jetzt die Untersuchung von A. Sa"i6n Mora, Sexualidad y confesi6n. La solicitaci6n ante el Tribunal del Santo Oficio (siglos XVI-XIX), Madrid 1994, S. 59 ff. 40 Er stieß jedoch auf den Widerstand der Kurie; dies hat gezeigt W de Boer, .Ad audiendi non videndi commoditatem". Note sull'interpretazione del confessionale soprattutto in ltalia, in: Quaderni storici, 77 (1991), S. 543-572, hier S. 551 und Anm.

Recht und Theologie in der Neuzeiteinige Untersuchungsansätze Von Miriarn Turrin(

In seiner klaren Einführung zu der Studienwoche hat Paolo Prodi es verstanden, das Konzil von Trient in den ausgedehnten Bezugsrahmen der konstitutionellen Veränderungen des Okzidents in der Neuzeit einzuordnen. Die Neudefinierung der Daseinsformen des westlichen Christentums, die sich nach und nach in einer Kirchenpluralität umsetzt, müßte nicht nur im Blick auf ihre interne Dynamik sondern vielmehr unter Berücksichtigung dieser Dynamik in konstanter und konstruktiver Wechselbeziehung mit der Entstehung der Moderne untersucht werden. Insbesondere hat Paolo Prodi mit der Beziehung der Kirche zu den Staaten einen ausschlaggebenden Punkt angesprochen, um zu klären, wie die neue Handhabung der politischen Macht entsteht, die von der nicht länger einheitlichen Regierung der respublica christiana charakterisiert ist und wichtige Implikationen institutioneller und anthropologischer Art beinhaltet. Demnach sollten sich zwei getrennte Jurisdiktionsbereiche abzeichnen und in diesen Prozeß sollten sowohl die historische Entwicklung als auch die Aussagen der Texte des Konzils von Trient einbezogen werden, das mit einer endgültigen Absage an die Wiederherstellung einer die politische und die religiöse Sphäre umfassenden, "einheitlichen Ordnung" enden sollte. Von diesen Betrachtungen ausgehend, möchte ich einen bescheidenen Beitrag zur Unterscheidung der ,Kompetenzsphären' zwischen den Kirchen - insbesondere der katholischen - und der Staatsgewalt leisten. Eine Analyse der gebräuchlichsten Beichttexte aus der Frühneuzeit hat ergeben, wie sich Ende des 16. Jahrhunderts und Anfang des 17. Jahrhunderts eine Trennung zwischen "der juristischen Ordnung in ihrem modernen Verständnis als Bereich des positiven Rechts und der moralischen Ordnung" abzeichnete. Man unterscheidet "zwischen aus moralischen Normen hergeleiteter Schuld", aber aus Normen, die verrechtlicht sind, "und derjenigen Schuld, die den Normen einer anderen, disziplinären Ordnung entspringt, die eine ,positive' Kreation Deutsch von Friederike Oursin.

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des Menschen ist" 1• Auf institutioneller Ebene und in der Praxis bleibt der Spaltungsprozeß zwischen den beiden Foren im tridentinischen und posttridentinischen Zeitalter weiterhin ein ausgedehntes Forschungsgebiet. Noch sind die konkreten Bedingungen der Anwendung des tridentinischen Kanons zu untersuchen, auf dessen Grundlage die Bischöfe "in foro conscientiae" von jeder Art heimlichen Vergehens hätten dispensieren und lossprechen können, ausgenommen diejenigen, die dem/oro contentioso angehörten, und den lrregularitäten und Suspensionen, die von ihnen herrührten2• Ebenso sind die Bedeutung und die Folgen der Bulle Pius IV. "In eligendis" aus dem Jahr 1562 noch einer gründlichen Untersuchung zu unterziehen, welche dem päpstlichen Pönitentiar nur die Fälle "quae ad forum conscientiae pertinent" ließen und der Kompetenzvermischung des /orum extern um und des außersakramentalen /orum internumindessen Händen ein Ende bereitete3• Adriano Prosperi hat zu Recht auf die Beziehung zwischen Inquisition und Bußsakrament hingewiesen und die real existierenden Verflechtungen und Zweideutigkeiten zwischen den verschiedenen Gerichten im posttridentinischen Zeitalter in enger Verbindung mit der Entwicklung nach Zeit und Ort verschiedener seelsorgerischer Strategien aufgezeigt4 • Bei den Untersuchungen zur Figur des Richters in der Gewissenskasuistik bin ich in der Folge auf ein besonderes und vielleicht privilegiertes Gebiet gestoßen, auf andere Aspekte der Unterscheidung zwischen dem, was zum /orum internum und externum gehört, mit interessanten und der Vertiefung werten Ergebnissen hinsichtlich der Sakralisierung/Entsakralisierung der Figur des Richters. Ich meine in der Hauptsache die Unterschiede zwischen den Texten der Gewissenskasuistik und der oft an Universitäten von Juristen verfaßten Literatur De officio iudicis weltlicher Herkunft sowie den ausdrücklichen Forderungen nach einem priesterlichen Charakter der richterlichen Funktion, die immer aus dem gleichen Umfeld stammten5 • Es wäre von grundlegender Vgl. M. Tu"ini, La coscienza e le leggi. Moralee diritto nei testi per Ia confessione della prima Eta moderna, Bologna 1991, S. 305. Sessio XXIV, c. 6 de ref., hierzu die Betrachtungen von A. Mostaza, Forum internum - forum externum (En torno a Ia naturaleza juridica del fuero interno), in: Revista espafiola de derecho canonico, XXIII (1967), S. 275. Zum außersakramentalen forum intern um vg!. G. Saraceni, Riflessioni sul foro interno nel quadro generale della giurisdizione della Chiesa, Padova 1961, S. 53-62; A. Mostaza, Forum internum, S. 274-284. Die aufschlußreichen Untersuchungen von Adriano Prosperi hierzu sind in verschiedenen Aufsätzen enthalten. Vgl. insbesondere A. Prosperi, L'inquisitore come confessore, in: P Prodi (Hrsg.), Disciplina dell'anima, disciplina del corpo e disciplina della societa tra medioevo ed eta moderna, Bologna 1994, S. 187-224. Vgl. außerdem P. Prodi in diesem Band. Die ersten provisorischen Forschungsergebnisse sind enthalten in: M. Turrini, ll giudice della coscienza e Ia coscienza del giudice, in: P Prodi (Hrsg.), Disciplina

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Wichtigkeit, das Selbstverständnis von Richtern und Juristen in den Jahrhunderten der Neuzeit zu untersuchen, und zwar unter Zuhilfenahme der Perspektive der Autopoiesis von Normen in selbstbezüglichen sozialen Gruppen, die Antonio Manuel Hespanha für Juristen vorgeschlagen hat6 • Auch sollte eine Ausdehnung der Untersuchung auf andere Quellen, wie beispielsweise die bildlichen7, nicht ausgeschlossen werden. Was ich an dieser Stelle jedoch zur näheren Untersuchung vorschlagen möchte, ist die gesamte, zu einem Großteil noch nicht untersuchte Literatur, die ausdrücklich den Beziehungen zwischen Recht und Moraltheologie gewidmet ist, zwischen dem/orum internumund dem/orum externum, die im Verlauf der Untersuchung über die Figur des Richters zum Vorschein gekommen ist. Es handelt sich um Werke unterschiedlicher Natur, die sich nur schwer in ein einheitliches Wissenssystem einordnen lassen: Traktate von Theologen und Juristen, wissenschaftliche Dissertationen und kasuistische Sammlungen, zuweilen mit Bezug aufeinander, zuweilen ohne. Sie reichen von der Mitte des 16. Jahrhunderts bis zur Mitte des 18., stammen aus ganz Europa und von verschiedenen Konfessionen8 • dell'anima, S. 279-294. Zu den ermittelten und untersuchten Texten vgl. das Literaturverzeichnis im Anhang an diesen Aufsatz (Nrn. 2-7). Zu einigen von ihnen vgl. R. Stintzing, Das Sprichwort "Juristen böse Christen" in seinen geschichtlichen Bedeutungen, Bonn 1875; M. Herberger,Juristen, böse Christen, in: Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte, Berlin 1978, Il, Sp. 481-484. Siehe außerdem die Betrachtungen in: R. Ajello, Arcana juris. Diritto e politica nel Settecento italiano, Neapel1976, S. 341-343, gekennzeichnet von einer vis polemica. 6 A.M. Hespanha, L'etude prosopographique des juristes: entre les "pratiques" et leurs "representations", in: ].-M. Scholz (Hrsg.), EI tercer poder. Hacia una comprensi6n hist6rica de la justicia contemporanea en Espaiia, Frankfurt a.M. 1992, S. 93-101. Grundlegend auch die Betrachtungen in: F. Ranieri, Vom Stand zum Beruf. Die Professionalisierung des Juristenstandes als Forschungsaufgabe der europäischen Rechtsgeschichte der Neuzeit, in: Jus commune, XIII (1985), S. 83-105. Noch zu untersuchen ist hingegen die Möglichkeit, dieselben Interpretationskategorien auf die vielschichtige Welt der Richter anzuwenden, die sich nur teilweise mit dem Stand der Juristen überschneidet. Inzwischen gibt es verschiedene Studien über die Darstellungen des Rechts in der Kunst, auch zur Neuzeit. Ich verweise insbesondere auf G. Kocher, Zeichen und Symbole des Rechts. Eine historische Ikonographie, München 1992; H. Fehr, Das Recht im Bilde, München-Leipzig 1923; W Pleister I W Schild (Hrsg.), Recht und Gerechtigkeit im Spiegel der europäischen Kunst, Köln 1988. Ein interessanter ikonographischer Apparat in: F Heinemann, Der Richter und die Rechtspflege in der deutschen Vergangenheit, Leipzig [1900] ; H. Liermann, Richter, Schreiber, Advokaten, München 1957. Literarische Untersuchungen in: ]. Marquise/, Les gens de justice dans la Litterature, Paris 1967. Zu den von mir untersuchten Texten, siehe das Literaturverzeichnis im Anhang an Nr. 1.

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Anhand einiger besonders interessanter Texte möchte ich dies verdeutlichen. Ausgehen kann man von der 1542 in Venedig veröffentlichten Sammlung von Fällen der Unterscheidung zwischen dem /orum fort' und dem forum poli des Benediktinermönchs Benedetto Canofilo, die den Studenten der Rechtswissenschaften und seinen Ordensbrüdern gewidmet ist. Das Werk besteht aus zwei Bänden und fügt sich mit einigen einführenden Texten, die den freien Willen, die Erwartung eines kommenden Konzils "contra Lutherum" und das Regensburger Religionsgespräch behandeln, bewußt in die religiöse Landschaft von 1541 ein. Dieses Werk lohnt eine aufmerksame Untersuchung, da es auf dem mittelalterlichen und spätmittelalterlichen juristischen Erbe mit dem Ziel aufbaut, sowohl die Unterschiede zwischen weltlichem und kanonischem Recht auszumachen als auch die Fälle "in quibus, licet unum sit in foro fori canonico et civili, tarnen aliud est in foro poli conscientiae". Auf dem Spiel steht nicht weniger als das Seelenheil9 • Weniger als ein Jahrhundert später, nämlich 1616, werden auf Mallorca die "Differentiae inter utrumque forum iudiciale videlicet et conscientiae" von Juan Valero veröffentlicht. Er hatte in Valencia in Jura und Theologie promoviert und war Kanonist im Bistum Segorbe und dann Kartäusermönch. Das angesprochene Publikum läßt sich weniger eindeutig ausmachen als bei Canofilo, da das Werk allgemein an Theologen, Beichtväter, Richter und Anwälte gerichtet ist. Neben dem Bezug auf klassische Rechtsquellen wird oft auf die jüngsten theologischen und kasuistischen Texte verwiesen. Der Autor ist sich der vielerlei Beteiligten und der Verflechtung verschiedener autonomer Wissensgebiete bewußt. Sein Text ist das Ergebnis jahrzehntelanger Arbeit und präsentiert sich als Sammlung von Abhandlungen über zahlreiche differentiae zwischen beiden Foren, welche nach Inhalt in alphabetischer Ordnung aufgeführt sind und ihrem Ansatz nach den kasuistischen Texten ähneln 10• Mehr als 70 Jahre später wird dieser Text- der inhaltlich freilich an einigen Stellen angefochten wird - oft zitiert und unter seinesgleichen an erste Stelle gesetzt; so 1691 von Christoph Prise bei seiner Doktordisputation in Jena, unter 9 Ein Beispiel: "Licet in foro fori aliquis possit se tueri prescriptione quinquennali statutaria, secus tarnen in foro conscientie, si constat quod res erat aliena, quia tenetur illam restituere", Benedetto Canofilo, Compendium, II, c. 82r. Das Traktat Canofilos muß im Rahmen der Produktion von Texten über die Differentiae zwischen kanonischem und bürgerlichen Recht untersucht werden, die ihre Blüte im Mittelalter erreichte und sich in der frühen Neuzeit zu wandeln begann; vgl. A. Söllner, Die Literatur zum gemeinen und partikularen Recht in Deutschland, Österreich, den Niederlanden und der Schweiz, in: H. Coing (Hrsg.), Handbuch der Quellen und Literatur der neueren europäischen Privatrechtsgeschichte, Bd. 2/1, München 1977, S. 555-556, 572. 10 ]uan Valero, Differentiae. Zu Juan Valero (t 1625) vgl. A. Gruys, Cartusiana, Bd. 1: Bibliographie generale. Auteurs cartusiens, Paris 1976, S. 169; Escritores cartujos de Espafia, Barcelona 1955, S. 269-271.

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dem Vorsitz von Wilhelm Hieronymus Brückner, Professor in Erfurt und Jena, Autor mehrerer Bücher und Grotiusexperte. Der Titel des Streitgesprächs ist vielsagend: "Disputatio juridica de eo quod justurn est in foro externo (justitia externa) et interno (justitia interna), qua declaratur non omne quod in foro externo est licitum et justurn salva fieri conscientia" 11 • Hier wird zur Unterscheidung zwischen dem inneren und äußeren Bereich mit ausführlichen Verweisen auf Grotius bündig und geschlossen argumentiert. Der Argumentationsrahmen ist ein anderer als bei Valero. Das Werk arbeitet den verbindenden Grundgedanken der Texte zur Beziehungzwischenforum internum undforum externum deutlich heraus. Es geht um das heikle Problem des Gehorsams und der Anwendung menschlicher Gesetze, die mit dem Gewissen als unvereinbar empfunden werden, das sich genau parallel zur Entfaltung des positiven Rechts in der Neuzeit neu definiert. Der Weg von Canofilo zu Brückner ist lang und muß noch analysiert werden, auch in bezug auf die verschiedenen Konfessionszugehörigkeiten. Das Werk des Benediktinermönches steht auf der Schwelle des endgültigen Bruchs der Einheit des westlichen Christentums, die von Brückner geleitete "Disputatio" ist ein Produkt der lutherischen Universität des ausgehenden 17. Jahrhunderts; sie gehört einem literarischen Genre an, das sich von Canofilos Traktat deutlich unterscheidet 12• Mit dem Zitat "Date Caesari quae sunt Caesaris, et Deo quae sunt Dei" beginnt ein 1724 in Goslar veröffentlichter Text, der sich hauptsächlich auf biblische und zeitgenössische juristische Quellen stützt und sich mit dem Streit zwischen Theologen und Juristen befaßt. Es handelt sich um "Concordia et discordia Christi ac Caesaris circa processum fori ejusque formam ac materiam tractatus theologicus-iuridicus" von Caspar Calvör, einem lutherischen Theologen und schaffensfreudigen Autor von katechetischen und asketischen Werken, von Büchern über Kontroverstheologie und Kasuistik, der den Konflikt zwischen Theologie und Recht als einen Prozeß analysiert. Im Falle Calvörs, der das Evangelium immer in deutscher Sprache zitiert, scheint seelsorgerisches Fingerspitzengefühl direkt ins Spiel zu kommenn. In direkter Polemik mit der katholischen Kasuistik war 1693 in Utrecht das "Forum conscientiae seu jus poli, hoc est tractatus theologico-juridicus, in quo jus fori ad normam juris poli revocatur et examinatur, per selectas quaestiones" von J ohannes Andreas van der Muelen erschienen, der es sich zum Ziel gesetzt 11 Wilhelm Hieronymus Brückner, Disputatio juridica. Zu Brückner (1656-1736) vgl. C.G. Jöcher, Allgemeines Gelehrten-Lexicon, Bd. 1, Leipzig 1750, S. 1412-1413. 12 Zum literarischen Genre der akademischen Dissertationen im deutschen Sprachraum vgl. F Ranieri, Juristische Dissertationen deutscher Universitäten 17.-18. Jahrhundert, Bd. 111, Frankfurt a.M. 1986, S. 1-7. n Caspar Calvör, Concordia et discordia. Zu Calvör (1650-1725) vgl. Allgemeine Deutsche Biographie, Bd. 3, Berlin 1967, S. 717-718.

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Miriam Turrini

hatte, das Gewissen an der Heiligen Schrift und dem gesunden Menschenverstand auszurichten. Er gliedert das behandelte Material in drei Teile: "circa hominis mores", "circa hominis corpus", "circa hominis bona" 14 • Die von Johann Veit Marggraff unter dem Vorsitz von Johann Friedrich Hornberg zu Vach 1707 an der Universität Marburg verteidigte "Disputatio juridica de discrimine fori externi et interni" machte keinen Unterschied zwischen den beiden Foren, dem inneren und dem äußeren, insofern als das weltliche Recht auch moralisch verpflichtet. Der Autor ist der Meinung, die Kasuistik des Gewissens habe ihren Ursprung im Herrschaftsstreben der Kirche. Um das Gewissen zu definieren, greift er auf klassische, lateinische und griechische, Quellen zurück15• Ein Vergleich von Texten unterschiedlicher Konfessionszugehörigkeit und unterschiedlicher theologischer und juristischer Herkunft erweist sich als möglich, wenn man bedenkt, daß Argumente der Debatte auch in akademischen Auseinandersetzungen und anderen, an dieser Stelle nicht zitierten Werken behandelt werden 16 • Diesen Überblick möchte ich mit einer Rückkehr in den katholischen Bereich abschließen und auf den Anspruch auf Legitimität und Opportunität des Eingreifens von Theologen in juristische Fragen eingehen, den der Jesuit Georges Gobat Mitte des 17. Jahrhunderts in seinen 1654 in Freiburg veröffentlichten "Vindiciae theologicae quibus adversus nonnullos iureconsultos defenduntur et in sua possessione conservantur theologi scribentes de materijs alterutro iure comprehensis" erhoben hat. Nach Meinung des Jesuiten ist die Moraltheologie der Jurisprudenz überlegen, und zwar sowohl der kanonischen als auch der weltlichen. Er reagiert damit direkt auf polemische Behauptungen von Miguel Ferro Manrique, einem spanischen Kirchenmann, der in seinen 1640 in Lyon und 1641 in Venedig veröffentlichten "Quaestiones morales et vicariales" wiederholt die Theologen aufgefordert hatte, sich nicht in die Zuständigkeitsbereiche anderer einzumischen, insbesondere der Jurisprudenz, und zwar auf der Grundlage einer klaren Unterscheidung von ratio canonica 14 Johannes Andreas van der Muelen, Forum conscientiae. Zu van der Muelen (1655-1702) vgl. Nieuw Nederlandsch Biographisch Woordenbock, Bd. 3, Leiden 1914, Sp. 881-882. 15 Von Bedeutung ist schon das Inhaltsverzeichnis dieses kleinen Traktats von 36 Seiten im Quartformat: "Sectio 1: De origine discriminis inter forum externum et internum; Sectio Il. Caput I: Quid sit conscientia?; Caput Il: De foro conscientiae in specie et ejus jure; Caput III: De iis quae ex Jure Civili juribus conscientiae contrariari creduntur; Caput IV: De abusu fori conscientiae in iis quae ad Jus Natur. et Ethicam spectant; Sectio III: De linibus fori conscientiae", Johann Friednch Homberg zu Vach, Disputatio juridica de discrimine. 16 Zu einer ersten Erkundung vgl. unten, Literaturverzeichnis.

Recht und Theologie in der Neuzeit

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und legalis und ratio theologalis, die konkret in seinen kasuistischen Analysen auftraten 17 • Ich bin der Meinung, daß eine breitgefächerte Untersuchung dieser Quellen dazu beitragen könnte, die Konstruktion der Trennung von positivem Recht und Moraltheologie im katholischen Bereich herauszuarbeiten; die Verbreitung einiger Thematiken über die konfessionellen Grenzen hinaus; die Beschaffenheit konfessioneller Kontroversen mit juristischem Schwerpunkt; die spezifischen Eigenheiten der verschiedenen Konfessionen bezüglich der Beziehungen von forum internum und externum. Es könnte sich als nützlich erweisen, einige Lesarten jener Zeit zu überprüfen, mit Hilfe der interpretatorischen Instrumente einer Zeit, in der die Interpretationspraxis auch in Folge des Konzils von Trient und seiner Anwendung 18 Veränderungen durchmacht 19 • Außerdem wäre die Beziehung zu untersuchen, die existentiell - im Studium und im Leben - zwischen den verschiedenen Bereichen bei Theologen, Richtern und Juristen bestand. Die wenigen mir bekannten Untersuchungen zum deutschen Sprachraum lassen ein fruchtbares Feld erwarten, das systematisch zu bearbeiten wäre20 • Literaturverzeichnis

Die Textanalyse für die Untersuchung wurde auf der Grundlage einiger bibliographischen Repertorien und Bibliothekskataloge durchgeführt, was zu einer langen Liste von Titeln geführt hat, von denen an dieser Stelle nur die direkt eingesehenen angeführt werden. 17 .Fabri fabrilia tractent" , . theologi in materia iuris loquuntur, ut solent, sine fundamento" hatte Miguel Ferro Manrique widerholt in seinem Werk behauptet, vgl. Miguel Fe"o Manrique, Resolutarum quaestionum moralium et vicarialium ... parsprima [-secunda], Venetiis, apud Iacobum Sarzinam, 1641,2 Bde. , passim. Auf die Polemik ist schon hingewiesen worden in: M. Tum'ni, Il giudice della coscienza, S. 282. 1~ Man denke an die Ausbildung der Beichtväter durch die Lektüre und die Kongregationen für Gewissensfälle auf diözesaner Ebene oder durch das Studium der Moraltheologie in Klöstern, Stiften und Häusern von Geistlichen oder an den theologischen Fakultäten und an die damit verbundene Literatur. 19 Zur Rolle der Interpreten im Okzident ist ein Vergleich mit den .Le