Das kommende Umweltgesetzbuch: Tagungsband zur Fachtagung »Auf dem Weg zum Umweltgesetzbuch« des Forschungszentrums Umweltrecht - FZU der Humboldt-Universität zu Berlin am 21. Juni 2006 [1 ed.] 9783428523665, 9783428123667

Die Kodifikation des deutschen Umweltrechts in einem Umweltgesetzbuch ist seit mehr als 30 Jahren Gegenstand von wissens

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German Pages 158 Year 2007

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Das kommende Umweltgesetzbuch: Tagungsband zur Fachtagung »Auf dem Weg zum Umweltgesetzbuch« des Forschungszentrums Umweltrecht - FZU der Humboldt-Universität zu Berlin am 21. Juni 2006 [1 ed.]
 9783428523665, 9783428123667

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Schriften zum Umweltrecht Band 155

Das kommende Umweltgesetzbuch Herausgegeben von

Michael Kloepfer

asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin

MICHAEL KLOEPFER (Hrsg.)

Das kommende Umweltgesetzbuch

Schriften zum Umweltrecht Herausgegeben von Prof. Dr. Michael Kloepfer, Berlin

Band 155

Das kommende Umweltgesetzbuch Tagungsband zur Fachtagung „Auf dem Weg zum Umweltgesetzbuch“ des Forschungszentrums Umweltrecht – FZU der Humboldt-Universität zu Berlin am 21. Juni 2006

Herausgegeben von

Michael Kloepfer

asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der fotomechanischen Wiedergabe und der Übersetzung, für sämtliche Beiträge vorbehalten # 2007 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme: Klaus-Dieter Voigt, Berlin Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0935-4247 ISBN 978-3-428-12366-7 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier ∞ entsprechend ISO 9706 *

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Vorwort Der vorliegende Band dokumentiert die wissenschaftliche Tagung „Auf dem Weg zum Umweltgesetzbuch“, die das Berliner Forschungszentrum Umweltrecht im zehnten Jahr seines Bestehens am 21. 6. 2006 an der Humboldt-Universität zu Berlin veranstaltet hat. Nur kurze Zeit später, am 30. 6. 2006, hat der Bundestag die Föderalismusreform beschlossen; der entsprechende Beschluss des Bundesrates folgte am 7. 7. 2006. Das verfassungsändernde Gesetz trat zum 1. 9. 2006 in Kraft. Die hier dokumentierte Tagung soll der allgemeinen fachlichen Diskussion des kommenden Umweltgesetzbuchs dienen. Das UGB-Projekt ist von Anfang an, d.h. seit den Siebziger Jahren in Zusammenarbeit der zuständigen politischen und administrativen Stellen mit der Rechtswissenschaft erfolgt. Deshalb sollte die Tagung maßgeblich auch einen fruchtbaren Dialog zwischen Praxis und Wissenschaft ermöglichen. Die Tagung wurde dankenswerterweise von der Gottlieb Daimler- und Karl Benz-Stiftung finanziell und vom Verlag Duncker & Humblot technisch unterstützt. Besonderer Dank für das Gelingen der Tagung gebührt nicht nur den engagierten Referenten und Diskussionsteilnehmern, sondern auch allen meinen Mitarbeitern, voran Herrn Johannes Bosselmann, für ihre unermüdliche Unterstützung. Berlin, im Juli 2006

Michael Kloepfer

Inhaltsverzeichnis Michael Kloepfer Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Hubert Steinkemper Das kommende Umweltgesetzbuch – Chancen, Konzepte und gegenwärtiger Stand des Gesetzgebungsprozesses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Hans-Joachim Koch Rechtliche Vorgaben für ein Umweltgesetzbuch: Verfassungsrecht . . . . . . . . . .

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Diskussion zu den Vorträgen Steinkemper und Koch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Christian Calliess Vorgaben für ein Umweltgesetzbuch: Europarecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

35

Günter Gaentzsch Modernisierungsbedürfnis des UGB-KomE . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Diskussion zu den Vorträgen Calliess und Gaentzsch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Christof Sangenstedt Die Integrierte Vorhabengenehmigung – Diskussionspunkte aus Sicht des Bundesumweltministeriums . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Wolfgang Spoerr Integrierte Vorhabengenehmigung aus Sicht der Wirtschaft . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Diskussion zu den Vorträgen von Sangenstedt und Spoerr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 Susanne Lottermoser Verhältnis Ordnungsrecht – „weiches Recht“ unter besonderer Berücksichtigung des Umweltaudits aus Sicht des Bundesumweltministeriums . . . . . . . . . . 107 Wolfgang Kahl Das Verhältnis Ordnungsrecht – „weiches Recht“ aus Sicht der Wissenschaft 113 Diskussion zu den Vorträgen von Lottermoser und Kahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 Johannes Bosselmann Zusammenfassung der Podiumsdiskussion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 Autorenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157

Einführung Von Michael Kloepfer Als Mitte der Siebziger Jahre des vorigen Jahrhunderts der ehemalige Direktor und Professor beim UBA, Storm, und ich die Schaffung einer Umweltrechtskodifikation – zu dieser Zeit hieß dies noch Bundesumweltgesetzbuch – forderten, galt vielen dieser Vorschlag als unrealistisch und eher exotisch. Zur damaligen Zeit wurde vielerorts noch die Existenz eines Rechtsgebiets Umweltrecht geleugnet oder doch die Kodifizierbarkeit des Umweltrechts entschieden verneint. Da das moderne Umweltrecht des Bundes in den Siebziger Jahren erst entstand, gab es damals auch noch relativ wenig Umweltrecht des Bundes zusammenzufassen. Das UBA ließ damals durch zwei – 1978 und 1986 erschienene – Forschungsprojekte die Systematisierbarkeit1 und Harmonisierbarkeit2 des deutschen Umweltrechts untersuchen. Danach wurden im Auftrag des UBA nacheinander die Professorenentwürfe für ein UGB von Professoren unter meinem Vorsitz erarbeitet; der Entwurf für einen Allgemeinen Teil3 während der Jahre 1988–1990, der Entwurf für einen Besonderen Teil4 während der Jahre 1991–1993. Im Jahre 1992 bekannte sich der Deutsche Juristentag zu dem Projekt eines Umweltgesetzbuchs5. Entsprechend früherer Vorschläge setzte der Bundesumweltminister Töpfer die Unabhängige Sachverständigenkommission für ein Umweltgesetzbuch ein, die unter dem Vorsitz des ehemaligen Präsidenten des BVerwG, Sendler, tagte und ihre Arbeit 1997 abschloss und 1998 Umweltministerin Merkel übergab.6 Daran sollte sich die Phase der Erarbeitung eines ministeriellen Entwurfs anschließen. Nach dem Regierungswechsel vereinbarte auch die rotgrüne Koalition in ihrer Koalitionsvereinbarung die Schaffung eines Umweltgesetzbuchs. 1999 wurde ein UGB I als Teillösung7, insbes. zur 1

Kloepfer, Systematisierung des Umweltrechts, 1978. Kloepfer/Meßerschmidt, Innere Harmonisierung, 1986. 3 Kloepfer/Rehbinder/Schmidt-Aßmann unter Mitwirkung von Kunig, Umweltgesetzbuch – Allgemeiner Teil, 1991. 4 Jarass/Kloepfer/Kunig/Papier/Peine/Rehbinder/Salzwedel/Schmidt-Aßmann, Umweltgesetzbuch – Besonderer Teil, 1994. 5 Verhandlungen des 59. DJT, 1992. 6 Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (Hrsg.), Umweltgesetzbuch (UGB-KomE), 1998. 7 Arbeitsentwurf des BMU (5. 3. 1998) für ein UGB I, abgedruckt in Rengeling (Hrsg.), Auf dem Weg zum Umweltgesetzbuch I, 1998. 2

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Michael Kloepfer

Umsetzung der IVU-Richtlinie und der UVP II-Richtlinie erarbeitet. Dieses Vorhaben traf im Rahmen der Ressortabstimmung auf Einwände des BMI und des BMJ im Hinblick auf die bloßen Rahmengesetzgebungsbefugnisse im Naturschutz- und Gewässerschutzrecht. Obwohl die Länder sich hierauf gar nicht berufen hatten, gab die damalige Bundesregierung daraufhin das UGB-Projekt 1999 mit der Begründung vorläufig auf, dem Bund fehle für eine umfassende Kodifikation des Umweltrechts die Gesetzgebungszuständigkeit. Dafür gab es inzwischen Umweltrechtskodifikationen bei den Europäischen Nachbarn. Nach dem erneuten Regierungswechsel im Jahre 2005 nahm die Große Koalition das Projekt in ihrer Koalitionsvereinbarung wieder auf und ging mit der Fortführung der zwischenzeitlich zunächst gestrauchelten Föderalismusreform8 daran, nun die einschlägigen Kompetenzvoraussetzungen für ein Umweltgesetzbuch zu schaffen. Die von der Föderalismusreform erarbeiteten Vorschläge bildeten die Grundlagen, wurden aber nach Einwänden von Sachverständigen und Verbänden und nach einer Anhörung im Bundestag noch an einigen Stellen – nicht aber grundlegend – modifiziert. Wie schon erwähnt, wurde die Föderalismusreform inzwischen von Bundestag und Bundesrat beschlossen. Damit hat der Bund jetzt unzweifelhaft die Gesetzgebungszuständigkeit, alle Kerngebiete des Umweltrechts in einem Umweltgesetzbuch zu kodifizieren.9 Auch wenn das UGB damit gewiss noch nicht erreicht ist, erscheint seine Realisierung heute wahrscheinlicher als jemals zuvor. Beharrlichkeit kann eben eine politische wie auch eine wissenschaftliche Tugend sein: Wer kodifizieren will, braucht einen langen Atem. Gegenüber dem Beginn in der über dreißigjährigen Diskussion um eine Umweltrechtskodifikation haben sich die Voraussetzungen hierfür entscheidend verbessert. Kein vernünftiger Mensch bestreitet noch die Rechtsgebietsqualität des Umweltrechts, aber auch die Kodifizierbarkeit des Rechts der Umwelt und die Forderung nach seiner Vereinfachung, Harmonisierung und Kodifizierung ist fast allgemein. Mit der Föderalismusreform sind – wie erwähnt – vor allem die kompetenziellen Voraussetzungen für ein Umweltgesetzbuch entscheidend verbessert worden. Der verfassungsrechtliche Einwand, der damals gegen den erwähnten Entwurf des UGB I vorgebracht wurde, kann jedenfalls heute nicht mehr verfangen.

8 Kommission von Bundestag und Bundesrat zur Modernisierung der bundesstaatlichen Ordnung, eingesetzt durch Beschluss des Bundestags vom 16. 10. 2003 (BT-Drs. 15/1685) bzw. Beschluss des Bundesrats vom 17. 10. 2003 (BR-Drs. 750/03). Kommissionsdrucksachen und Arbeitsunterlagen können unter www.bundes-rat.de/nn_8344/ DE/foederalismus/bundesstaatskommission/bundesstaatskommission-node.html__nnn= true heruntergeladen werden (letzter Abruf am 24. 10. 2006). 9 Kloepfer, Föderalismusreform und Umweltgesetzgebungskompetenzen, ZG 2006, 250 ff.; Kahl/Diederichsen, Integrierte Vorhabengenehmigung und Bewirtschaftungsermessen, NVwZ 2006, 1107 (1108).

Einführung

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Allerdings hat sich mit der verfassungsrechtlichen Sicherung der einschlägigen Gesetzgebungskompetenz des Bundes für ein UGB noch nicht die politische Diskussion um Erlass und Gestalt dieser Kodifikation erledigt. Immerhin wird von der geänderten Verfassung auch ein erheblicher politischer Druck zum Erlass eines UGB ausgehen: Es wäre politisch nicht vermittelbar, wenn die Erweiterung der Umweltgesetzgebungskompetenzen des Bundes maßgeblich mit der Notwendigkeit des Erlasses eines UGB begründet wurde, die Kodifikation aber nicht zustande käme. Und auch der gut dreijährige Freiraum für eine abweichungsfeste Gesetzgebung des Bundes im Naturschutz und im Wasserhaushalt bis zum 31. 12. 2009 (Art. 125b Abs. 1 Satz 2 GG) wie auch das Ende der laufenden Legislaturperiode werden einen heilsamen Zeitdruck dahingehend ausüben, noch davor das UGB oder jedenfalls einen Kern hiervon zu verabschieden. Auch wenn dies ehrgeizig erscheint, gibt es derzeit in Deutschland kaum ein Gesetzgebungsprojekt, das – unter früherer Einschaltung des UBA und später des BMU – so lange und intensiv vorbereitet wurde wie das UGB. Das kann jetzt dazu führen, dass (nach Durchlaufen der ersten Phase des Professorenentwurfs und der zweiten Phase des Sachverständigenentwurfs) die nun anlaufende ministerielle Erarbeitung eines Referentenentwurfs als dritte Phase zügig vorankommt. Damit diese ministerielle Phase zum Erfolg führt, sollten folgende pragmatischen Aspekte bei der weiteren Arbeit am UGB beachtet werden: 1.

Die Diskussion sollte sich auf das „Wie“ der Kodifikation beschränken; denn die jahrzehntelange Diskussion hat ein relativ eindeutiges Votum für ein UGB ergeben.

2.

Das UGB sollte nicht dazu benutzt werden, das Niveau des Umweltschutzes grundsätzlich zu verändern, weil dadurch der erforderliche breite politische und gesellschaftliche Konsens für ein UGB kaum noch zu erreichen ist. Wer das UGB als Anlass für eine grundsätzliche Veränderung der Schutzstandards nutzen will, macht die jeweiligen Gegner solcher Veränderungen zugleich zu Gegnern des UGB. Allein die Harmonisierung, Konzentration und Effektivierung des Umweltrechts mit seinem erreichten Schutzniveau wäre für den Umweltschutz wie für das Gemeinwesen schon ein erheblicher Fortschritt.

3.

Der Bund sollte das UGB im engen Einvernehmen mit den Ländern vorbereiten. Der für die Föderalismusreform erreichte Konsens zwischen Bund und Ländern sollte auch das UGB tragen. Auf diese Weise ließe sich auch die wahrscheinlich erforderliche Zustimmung des Bundesrates für das UGB sichern.

4.

Das UGB sollte nicht zu ehrgeizig sein und sich grundsätzlich auf die derzeitigen Ressortgrenzen des BMU beschränken. Wer Sachbereiche anderer

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Michael Kloepfer

Ministerien einbeziehen wollte (z. B. Landwirtschaft oder Wirtschaft) wird sich schnell Mitwirkungswünschen und u. U. Einwänden dieser Häuser bei Erarbeitung des UGB ausgesetzt sehen. 5.

Der für eine Kodifikation typische Konflikt zwischen Stab (Zentral- und Grundsatzabteilung) und Linien (Fachabteilungen) in einem Ministerium sollte vermieden werden, um die Kodifikation nicht im Streit mit den verschiedenen „Fachbruderschaften“ zu zerreiben. Von daher ist es sehr sinnvoll, alle Abteilungen in der Projektgruppe des BMU am UGB zu beteiligen.

6.

Das Projekt des UGB muss von einer breiten gesellschaftlichen und wissenschaftlichen Diskussion begleitet sein. Das umweltpolitische Kooperationsprinzip gilt gerade auch für die Umweltrechtskodifikation.

Das kommende Umweltgesetzbuch – Chancen, Konzepte und gegenwärtiger Stand des Gesetzgebungsprozesses Von Hubert Steinkemper

I. Sinn und Zweck eines Umweltgesetzbuches ist die Ordnung und Vereinheitlichung des Umweltrechts zum Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen. Das in Artikel 20a GG bestimmte Staatsziel soll durch das einfache Recht konkretisiert werden. Ich möchte hier nicht so weit gehen, Parallelen zur Vereinheitlichung des Zivilrechts durch das Bürgerliche Gesetzbuch zu ziehen, dessen Grundlagen vor mehr als einem Jahrhundert geschaffen wurden und das bis heute hinsichtlich seiner Strukturprinzipien eine im Wesentlichen unveränderte Grundlage für die Rechtsbeziehungen zwischen Privaten bildet. Wichtig ist mir aber zu betonen, dass es jetzt gilt, die große Chance für ein einheitliches Umweltgesetzbuch zu nutzen. Dass eine Neustrukturierung und Vereinfachung des Umweltrechts geboten ist, ist bereits vielfach ausgeführt worden. Das vorhandene Umweltrecht des Bundes und der Länder ist im Wesentlichen während der vergangenen dreißig Jahre entstanden. Anlass für die Gesetzgebung waren zum Teil gravierende Umweltschäden, wie etwa das Waldsterben, der schlechte Zustand der Gewässer oder die Kontaminationen des Bodens durch industrielle und bergbauliche Altlasten. Darüber hinaus führten Störfälle, wie zum Beispiel der Sandoz-Unfall, zu Maßnahmen des Gesetzgebers, um eine Wiederholung solcher Unfälle möglichst zu vermeiden oder ihre Folgen zu begrenzen. Die vom Gesetzgeber – zum Teil unter Zeitdruck – kreierten rechtlichen Instrumente wurden nicht immer optimal mit bereits vorhandenen Regelwerken abgestimmt. Darüber hinaus entstanden in der Regel Vorschriften, die jeweils nur den Schutz eines Umweltmediums zum Ziel haben. Die Umsetzung und Integration der inzwischen vielfach medienübergreifend konzipierten Vorgaben von EG-Richtlinien bereitet deshalb sowohl regelungstechnisch als auch im Vollzug oft erhebliche Schwierigkeiten. Vor diesem Hintergrund haben die Regierungsparteien im Koalitionsvertrag vereinbart, das deutsche Umweltrecht zu vereinfachen und in einem Umweltgesetzbuch zusammenzufassen. Ein wesentliches Element eines Umweltgesetzbuches ist nach dem Koalitionsvertrag die integrierte Vorhabengenehmigung,

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durch die die bisherigen verschiedenen Genehmigungsverfahren ersetzt werden sollen. Schließlich vereinbarte die Koalition, mit der Föderalismusreform die Voraussetzungen für ein solches Umweltgesetzbuch zu schaffen.

II. 1. Die bereits eingangs erwähnten Parallelen zum Bürgerlichen Gesetzbuches bestehen auch hinsichtlich der Vorarbeiten. Ebenso wie bei der Genese des Bürgerlichen Gesetzbuches sind auch zum Umweltgesetzbuch mehrere Kommissionsentwürfe erstellt worden. Wir können also auf umfangreiche, sehr verdienstvolle Vorarbeiten zurückgreifen, an denen ja auch einige der hier Anwesenden maßgeblich mitgewirkt haben: Zwei mit Universitätsprofessoren besetzte Kommissionen legten bereits in den Jahren 1990 und 1994 Entwürfe zum Allgemeinen und Besonderen Teil eines Umweltgesetzbuches vor. Diese Texte wurden im Jahr 1998 durch den Entwurf einer Unabhängigen Sachverständigenkommission zum Umweltgesetzbuch ergänzt, die beim Bundesumweltministerium gebildet worden war. Während die Anfang der 90er Jahre erschienenen Entwürfe vor allem wissenschaftliche Erkenntnisse und Überzeugungen zum Ausdruck bringen, beruht der von der Unabhängigen Sachverständigenkommission erstellte Entwurf auch auf den beruflichen Erfahrungen von „Praktikern“, denen die Anwendung des Umweltrechts als Richter, Rechtsanwalt, Behördenvertreter und als Konzernbeauftragter für Umweltschutz eines Industrieunternehmens vertraut war. Die unterschiedlichen beruflichen Erfahrungen und Sichtweisen der Mitglieder der Unabhängigen Sachverständigenkommission sind dementsprechend in den Entwurf eingeflossen. Auf diesen Vorarbeiten aufbauend erstellte das Bundesumweltministerium im Jahr 1999 einen Referentenentwurf für ein Erstes Buch eines Umweltgesetzbuches und ein ergänzendes Einführungsgesetz. Vorgesehen waren neben allgemeinen Grundsätzen insbesondere Vorschriften zu einer Vorhabengenehmigung, zum betrieblichen Umweltschutz, zu Umweltinformationen sowie spezielle Regelungen zur Zulassung von Industrieanlagen, Deponien und Leitungsanlagen. Das Vorhaben konnte jedoch aufgrund der beschränkten Gesetzgebungskompetenzen des Bundes, insbesondere in den Bereichen Wasser und Naturschutz, nicht erfolgreich abgeschlossen werden. 2. Nunmehr bietet die in dieser Legislaturperiode angestrebte Föderalismusreform die Chance, ein Umweltgesetzbuch zu verwirklichen. Die im Deutschen Bundestag und im Bundesrat eingebrachten Gesetzentwürfe zur Änderung des Grundgesetzes sehen vor, die Rahmengesetzgebung abzuschaffen. Die Umweltmaterien „Naturschutz und Landschaftspflege“ sowie „Wasserhaushalt“ sollen

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in die konkurrierende Gesetzgebung überführt und dem neuen Kompetenztyp der Abweichungsgesetzgebung zugeordnet werden. Damit wird der Weg für ein UGB frei. 3. Mit der Struktur und Konzeption eines Umweltgesetzbuches beschäftigt sich seit Anfang des Jahres eine Projektgruppe im Bundesumweltministerium. In einem weiteren Schritt werden im Rahmen dieser Gruppe Vorschläge für den Gesetzentwurf erarbeitet. Darüber hinaus hat die Umweltministerkonferenz im Mai dieses Jahres eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe zum Umweltgesetzbuch eingerichtet, die die Arbeiten am Umweltgesetzbuch begleiten soll. Auch die heutige Veranstaltung zeigt, dass schon die Vorbereitung des Regierungsentwurfs für ein Umweltgesetzbuch in einem transparenten Verfahren erfolgt, an dem neben der interessierten Öffentlichkeit Bund und Länder beteiligt sind.

III. 1. Im Folgenden möchte ich Ziele und Inhalt eines Umweltgesetzbuches skizzieren. Ein wesentliches Ziel eines Umweltgesetzbuches ist die Vereinfachung des Umweltrechts, um seine Anwendung zu erleichtern und den behördlichen Vollzug effizienter auszugestalten. Die Vielfalt – und zuweilen auch Unübersichtlichkeit – der Regelungsansätze und rechtlichen Instrumente der Umweltfachgesetze soll durch einheitliche und klare rechtliche Strukturen – unter Beibehaltung anspruchsvoller Umweltstandards – ersetzt werden. Das vorhandene deutsche Umweltrecht beruht in großen Teilen auf der Umsetzung von EG-Richtlinien. Zu deutschem Recht werden die Anforderungen solcher Richtlinien jedoch nicht durch ihr schlichtes Abschreiben und durch die Veröffentlichung der Texte im Bundesgesetzblatt. Vielmehr besteht die Kunst der Umsetzung gerade darin, die EG-rechtlichen Vorgaben so in die deutschen Rechts- und Verwaltungsstrukturen zu integrieren, dass eine möglichst vollzugsfreundliche und wirkungsvolle Anwendung des Umweltrechts gewährleistet wird. Diese Maßstäbe müssen auch für das Umweltgesetzbuch gelten. Bei der Ausgestaltung der nationalen Vorschriften kann ferner nicht unberücksichtigt bleiben, dass die verschiedenen Umweltrichtlinien der EG nicht vollständig miteinander harmonisiert sind. So arbeiten bspw. die IVU- und die UVP-Richtlinie z. T. mit unterschiedlichen Schwellenwerten. Bei einer Zusammenführung der unterschiedlichen Anforderungen, wie sie im Rahmen der integrativen Ansätze des UGB erfolgen soll, müssen solche EG-rechtlichen Regelungswidersprüche soweit wie möglich aufgelöst werden. Beide Aspekte setzen der Forderung nach einer 1:1 Umsetzung von EGRecht Grenzen.

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2. Der Koalitionsvertrag gibt als Kern der in dieser Legislaturperiode zu schaffenden Regelungen die integrierte Vorhabengenehmigung vor. Insoweit sind Vorschriften zu erarbeiten, die insbesondere die Zulassung industrieller und sonstiger Anlagen bzw. Vorhaben verbessern und beschleunigen. Dieses Ziel soll durch ein einheitliches Zulassungsverfahren erreicht werden, das alle für das Vorhaben erforderlichen behördlichen Entscheidungen bündelt und hierdurch ergänzende behördliche Verfahren entbehrlich macht. Das geltende Recht erfordert zum Beispiel bei der Genehmigung einer Industrieanlage durch eine immissionsschutzrechtliche Genehmigung – die man wohl als Prototyp der zu schaffenden Vorhabengenehmigung ansehen darf – bei der Benutzung von Gewässern eine zusätzliche wasserrechtliche Erlaubnis oder Bewilligung. Ursache ist die eingeschränkte Konzentrationswirkung einer immissionsschutzrechtlichen Genehmigung, die auf der beschränkten Gesetzgebungskompetenz des Bundes für das Wasser beruht. Um in solchen Fällen Abhilfe zu schaffen und um die Umsetzung von EGRecht zu vereinfachen muss die Vorhabengenehmigung medienübergreifend konzipiert werden. Die Genehmigungsvoraussetzungen einer Vorhabengenehmigung müssen die Auswirkungen eines Vorhabens auf alle Umweltmedien – also insbesondere Boden, Wasser, Luft sowie Natur und Landschaft – erfassen. Hier hat das sogenannte Artikelgesetz aus dem Jahr 2001 zur Umsetzung der UVPÄnderungsrichtlinie und der IVU-Richtlinie wertvolle Vorarbeit geleistet. Dem zu schaffenden Verfahrensrecht kommt insbesondere die Funktion zu, eine effektive Öffentlichkeitsbeteiligung zu gewährleisten und das Verwaltungshandeln – insbesondere die Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Fachbehörden – zu einem effizienten Behördenmanagement auszugestalten. Schließlich muss der Regelungsgehalt einer Vorhabengenehmigung – um „integrierend“ zu wirken – sowohl die Zulässigkeit aller mit dem Vorhaben verbundenen Umwelteinwirkungen regeln als auch die Vorgaben enthalten, die zum Schutz der Rechte Dritter erforderlich sind, die durch das Vorhaben betroffen werden. Einzelheiten zum Bereich der integrierten Vorhabengenehmigung werden heute Nachmittag zu diskutieren sein. 3. Bei der Erteilung einer Vorhabengenehmigung werden – auch bei Anwendung der größtmöglichen Sorgfalt – nicht alle Umstände und Ereignisse vorhersehbar sein, die bei der Verwirklichung eines Vorhabens auftreten. Die „reinen“ Genehmigungsvorschriften sind deshalb durch Regelungen zu ergänzen, die eine wirksame Überwachung sowie bei Bedarf nachträgliche Anpassungen bzw. Korrekturen einer Vorhabengenehmigung an unvorhergesehene spätere Umstände ermöglichen. Entsprechende Regelungen sieht das Bundes-Immissions-

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schutzgesetz etwa in Form von nachträglichen Anordnungen nach § 17 BImSchG oder des Widerrufs einer Genehmigung nach § 21 BImSchG vor. 4. Ein Umweltgesetzbuch würde seinen Namen wohl nicht verdienen, wenn es auf Dauer lediglich die mit einer integrierten Vorhabengenehmigung im Zusammenhang stehenden Regelungen enthielte. Ziel muss es deshalb sein, das bisherige Umweltrecht des Bundes – in überarbeiteter Form – in ein Umweltgesetzbuch zu integrieren sein. In Betracht kommen insoweit besondere „Bücher“ des Umweltgesetzbuches, etwa zum Wasser- und Naturschutzrecht, zur Abfallwirtschaft, zum Bodenschutz oder zur Chemikaliensicherheit. Dies kann in einem gestuften Verfahren erfolgen. Wie erwähnt, wandelt der zur Föderalismusreform eingebrachte Gesetzentwurf die bisherige Rahmengesetzgebungskompetenz des Bundes für das Wasser- und Naturschutzrecht in eine konkurrierende Gesetzgebungskompetenz um. Der Bund erhält erstmals eine Vollkompetenz zur Bestimmung der konkreten Maßstäbe und Kriterien, die zum Schutz des Wasser- und Naturhaushalts und zur Abwehr und Beseitigung von Beeinträchtigungen anzuwenden sind. Es wird also möglich, auch insoweit ein Prüf- und Regelungskonzept zu bestimmen, das im Rahmen der Entscheidung über eine integrierte Vorhabengenehmigung anzuwenden ist. Nicht zuletzt um vollständige Entscheidungsmaßstäbe für eine integrierte Vorhabengenehmigung zu gewährleisten, wird deshalb angestrebt, das Wasserund Naturschutzrecht noch in dieser Legislaturperiode in das Umweltgesetzbuch einzufügen. 5. Auf dieser Linie liegt es nahe, sich auch im Übrigen zunächst auf die Vorschriften zu konzentrieren, die für die Konzeption der integrierten Vorhabengenehmigung erforderlich sind oder Punkte betreffen, die sich auf die integrierte Vorhabengenehmigung beziehen. Notwendige Basis einer integrierten Vorhabengenehmigung sind allgemeine Vorschriften, die den Zweck des Regelwerks bestimmen und die für die Auslegung der Vorschriften maßgebende Ziele und Grundsätze definieren. Um das Umweltgesetzbuch nicht mit Detailregelungen zu überfrachten, sind darüber hinaus Ermächtigungen zum Erlass von Rechtsverordnungen und technischen Regelwerken erforderlich; auch das hierbei anzuwendende Verfahren wird zu regeln sein. Eine integrierte Vorhabengenehmigung kommt nicht „im luftleeren Raum“ zustande. Vielmehr sind bei der Zulassung eines Projekts häufig auch planungsrechtliche Vorentscheidungen zu berücksichtigen. Soweit bestimmte Planungen erhebliche Umweltauswirkungen zur Folge haben können, ist aufgrund EGrechtlicher Vorgaben eine Strategische Umweltprüfung durchzuführen. Wegen der Sachnähe und den Vorwirkungen, die eine Strategische Umweltprüfung für

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die Zulassung eines Projekts durch eine integrierte Vorhabengenehmigung haben kann, bietet es sich an, auch die Strategische Umweltprüfung „im ersten Anlauf“ in das Umweltgesetzbuch einzufügen. Auch Regelungen zum betrieblichen Umweltschutz sowie zu Umweltmanagementsystemen weisen eine enge Sachnähe zur integrierten Vorhabengenehmigung auf und sollten deshalb möglichst zeitgleich mit dieser geregelt werden. So sollen etwa die Beratungspflichten, die bestimmte Umweltbeauftragte gegenüber dem Betreiber einer Anlage zu erfüllen haben, insbesondere gewährleisten, dass die Anlage gesetzes- und genehmigungskonform betrieben wird. Die Zertifizierung von EMAS-Standorten verschafft den Betreibern Erleichterungen etwa bei der behördlichen Überwachung von Anlagen. Regelungsmaterien, die sich auf die Genehmigungsbedürftigkeit von Vorhaben beziehen und deshalb mit der integrierten Vorhabengenehmigung zu verknüpfen sind, gibt das EG-Recht vor. So begründet die Umwelthaftungsrichtlinie vor allem für die Betreiber von IVU-Anlagen zusätzliche Verantwortlichkeiten, insbesondere zur Vermeidung und zum Ausgleich ökologischer Beeinträchtigungen. Auch Richtlinien, die die EU zur Umsetzung der „Århus-Konvention“ erlassen hat, nehmen auf die Anlagenkataloge der IVU- und UVP-Richtlinien Bezug. Die Mitgliedstaaten werden dazu verpflichtet, neben den Betroffenen auch Umweltvereinigungen den Gerichtszugang zur Überprüfung von entsprechenden Genehmigungen zu gewähren. Auch bei den zur Umsetzung dieser Richtlinien erforderlichen Regelungen drängt sich also eine Aufnahme in das Umweltgesetzbuch – zusammen mit der integrierten Vorhabengenehmigung – auf. Das Bundesumweltministerium hat insoweit schon Vorschriften zur öffentlich-rechtlichen Umwelthaftung sowie zu speziellen Umweltrechtsbehelfen entwickelt.

IV. Lassen Sie mich abschließend auf Beschränkungen der Regelungskompetenz des Bundes aufgrund der Föderalismusreform eingehen, deren Ausgestaltung in diesen Tagen noch intensiv diskutiert wird. Bei der Anhörung von Sachverständigen, die der Deutsche Bundestag und der Bundesrat zur Föderalismusreform durchgeführt haben, wurde zum Teil kritisiert, dass die Kompetenzen des Bundes zur Regelung des Umweltrechts nicht weit genug gefasst würden. Gerade vor dem Hintergrund des im Koalitionsvertrag vorgesehenen Umweltgesetzbuches seien die Befugnisse der Länder, im Wasser- und Naturschutzrecht von Regelungen des Bundes partiell abzuwei-

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chen, bedenklich. Kritisch wurde auch beurteilt, dass nicht alle umweltbezogenen Kompetenztitel von der Erforderlichkeitsklausel befreit werden sollen. Sicherlich wäre die Situation für den Bund komfortabler, wenn die vorgesehenen Regelungen in dem einen oder anderen Punkt noch nachjustiert und präzisiert werden könnten. Wir werden sehen, inwieweit das laufende parlamentarische Verfahren hier noch zu Änderungen führen wird. Insgesamt verschaffen die zur Föderalismusreform vorgesehenen Änderungen des Grundgesetzes dem Bund jedoch eine tragfähige Grundlage für ein Umweltgesetzbuch. Der Bund erhält erstmals die Möglichkeit, konkrete Regelungen zum Schutz aller Umweltmedien zu schaffen; hierdurch können die Schwierigkeiten vermieden werden, die bisher bei der Umsetzung medienübergreifend konzipierter EG-rechtlicher Vorgaben zu überwinden waren. Bei der Ausgestaltung des Rechts der Luftreinhaltung, der Lärmbekämpfung, des Naturschutzes und des Wasserhaushalts entfällt künftig die Notwendigkeit, die bundesstaatliche Erforderlichkeit solcher Regelungen im Gesetzgebungsverfahren darzulegen. Der Bund wird hierdurch in zentralen Regelungsbereichen des Umweltrechts von den strengen Anforderungen befreit, die das Bundesverfassungsgericht – etwa im Juniorprofessur-Urteil – zur Auslegung des Erforderlichkeitskriteriums vorgegeben hat. Auch die künftigen Abweichungsbefugnisse der Länder sind begrenzt. Sie betreffen nicht die „abweichungsfesten Kerne“, die für das UGB genutzt werden können. Von erheblicher Bedeutung ist in diesem Zusammenhang insbesondere, dass es im Rahmen der Übergangsvorschriften ein „Moratorium“ geben soll, wonach die Länder von ihren künftigen Abweichungsbefugnissen grundsätzlich erst ab dem 01. 01. 2010 Gebrauch machen dürfen, Damit soll dem Bund die Möglichkeit eingeräumt werden, innerhalb dieser Legislaturperiode – unabhängig von möglichen Regelungsinitiativen einzelner Länder – mit einem UGB in Vorlage zu treten. Ob die Länder nach Ablauf des „Moratoriums“ außerhalb der „abweichungsfesten“ Materien von einem Umweltgesetzbuch abweichen, wird entscheidend davon abhängen, ob es gelingt, gemeinsam mit den Ländern überzeugende Lösungen und Strategien zum Schutz des Wasser- und Naturhaushalts zu entwickeln. Bei Regelungen, deren Sachgerechtigkeit allgemein anerkannt wird, sollte es kein Bedürfnis für Abweichungen geben. Vor diesem Hintergrund ist es zu begrüßen, dass sich mit der o. g. Bund-Länder-Arbeitsgruppe Arbeitsstrukturen entwickeln, in denen die Inhalte und Strukturen eines UGB frühzeitig erörtert werden können.

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Hubert Steinkemper

V. Sehr geehrte Damen und Herren, die Bundesregierung hat sich im Koalitionsvertrag dazu entschlossen, die Chancen der Föderalismusreform zu nutzen und in dieser Legislaturperiode ein Umweltgesetzbuch zu schaffen. Dies ist ein mutiger Schritt, der umso besser gelingen kann, wenn alle Beteiligten von Anfang an zu konstruktiver Zusammenarbeit bereit sind. Dazu lade ich Sie herzlich ein.

Rechtliche Vorgaben für ein Umweltgesetzbuch: Verfassungsrecht Von Hans-Joachim Koch

I. Einleitung Bereits in seinem Umweltgutachten 2004 hat sich der Sachverständigenrat für Umweltfragen mit Aspekten einer Föderalismusreform beschäftigt. Im Rahmen seiner Analysen stellte er sowohl im Bereich des Natur- als auch des Gewässerschutzes Defizite in der Aufgabenerfüllung fest, die nach Auffassung des Rates durch stärkere Gesetzgebungskompetenzen des Bundes in diesen Regelungsmaterien vermeidbar erschienen. Der SRU hat sich daher für eine konkurrierende Gesetzgebung für Naturschutz und Wasserhaushalt anstelle der bestehenden Rahmengesetzgebung ausgesprochen. In der Kommission zur Modernisierung der bundesstaatlichen Ordnung (KombO) sind derartige Anregungen in den Jahren 2003/2004 nicht vertieft diskutiert worden. Vielmehr dominierten dort abstrakte staatstheoretische Erwägungen zur Eigenstaatlichkeit der Länder, ökonomietheoretische Modellvorstellungen zum Konkurrenzföderalismus sowie politik- und verwaltungswissenschaftliche Ländervergleiche über die Variationsbreite bundesstaatlicher Ordnungssysteme. Die KombO ist bekanntlich Ende 2004 gescheitert. An ihre Erträge anknüpfend haben die Regierungsfraktionen am 07. 03. 2006 den „Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes“ vorgelegt (BT-Drucks. 16/813). Dieser Gesetzentwurf hat mit leichten inhaltlichen Modifikationen (BT-Drucks. 16/2010 vom 29. 06. 2006) am 30. Juni diesen Jahres den Deutschen Bundestag mit der nach Art. 79 Abs. 2 GG erforderlichen Mehrheit von Zweidritteln seiner Mitglieder passiert. Noch vor der Sommerpause soll die Zustimmung des Bundesrates zur Verfassungsänderung herbeigeführt werden. Ausweislich der Koalitionsvereinbarung der Regierungsparteien soll die Föderalismusreform nicht nur der allseits beklagten Politikverflechtung eine Ende setzen, sondern darüber hinaus eine spezifische umweltbezogene Funktion erfüllen, nämlich die Voraussetzungen für die Erarbeitung des seit langem geforderten Umweltgesetzbuches mit integrierter Vorhabengenehmigung schaffen (Gemeinsam für Deutschland. Mit Mut und Menschlichkeit. Koalitionsvertrag von CDU, CSU und SPD vom 11. 11. 2005, S. 67). In seiner Aktuellen Stellungnahme „Der Umweltschutz in der Föderalismusreform“ vom Februar 2006 hat

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der Sachverständigenrat für Umweltfragen auf Grundlage des Entwurfs der Koalitionsarbeitsgruppe zur Föderalismusreform die geplante Neuordnung der Umweltkompetenzen des Grundgesetzes ausführlich und kritisch kommentiert. Er ist dabei auch der Frage nachgegangen, was von diesem Entwurf im Hinblick auf die Erarbeitung eines geltungsmächtigen Umweltgesetzbuches zu erwarten ist. Die wesentlichen Ergebnisse der Bewertung werden unter Berücksichtigung der zwischenzeitlich eingetretenen Entwicklungen nachfolgend dargestellt.

II. Woran muss sich die Neuordnung der umweltbezogenen Gesetzgebungskompetenzen des Grundgesetzes messen lassen? 1. Orientierung an den Herausforderungen einer modernen Umweltschutzpolitik Die umweltbezogenen Gesetzgebungskompetenzen des Grundgesetzes entsprechen nicht mehr den ständig wachsenden Aufgaben des Umweltschutzes. So fehlen insbesondere Kompetenztitel für zukunftsweisende Bereiche wie den Klimaschutz, die Erneuerbaren Energien oder die Chemikaliensicherheit. In diesen Materien lassen sich Regelungszuständigkeiten nur unter Hinzuziehung sachfremder Kompetenztitel begründen, wie insbesondere den für das „Recht der Wirtschaft“ nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG. Eine derartige „Mosaikarbeit“, die zur Begründung von Umweltschutzkompetenzen auf Zuständigkeitssegmente aufbaut, vermag dem vor allem europarechtlich, zunehmend auch international vorgegebenen Erfordernis eines integrierten Umweltschutzes nicht gerecht zu werden. 2. Eindeutige Aufgabenzuweisung mit Kompetenzentflechtung Die Kompetenzverflechtungen zwischen Bund und Ländern sowohl im Bereich der Rahmengesetzgebung (Art. 75 Abs. 1 Nr. 3 und 4 GG: Naturschutz und Landschaftspflege, Wasserhaushalt, Raumordnung) wie auch im Bereich der konkurrierenden Gesetzgebung (Stichwort: Erforderlichkeitsschranke gemäß Art. 72 Abs. 2 GG) müssen durch klare Kompetenztrennungen zwischen Bund und Ländern ersetzt werden. Die wirksame Wahrnehmung der Verantwortlichkeiten setzt eine eindeutige und rechtssichere Kompetenzabgrenzung voraus. 3. Europa- und Völkerrechtstauglichkeit der Kompetenzordnung Die Globalisierung und Europäisierung von Umweltschutzaufgaben und Umweltrecht erfordern eine Stärkung der Handlungsfähigkeit des Bundesgesetzge-

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bers. Insbesondere die existierende Rahmengesetzgebung im Naturschutz- und Wasserhaushaltsrecht mit mindestens einem Bundesgesetz und 16 Ländergesetzen erweist sich als zu „sperrig“, um eine fristgerechte und kohärente Umsetzung des EG-Rechts zu gewährleisten. Wie bereits erwähnt, vermag die zersplitterte Kompetenzordnung des Grundgesetzes dem integrierten Umweltschutz als prägender Grundlage auch der Rechtssetzung der EU nicht gerecht zu werden. 4. Aufgabenorientierte Zuweisung der Kompetenzen Kompetenzzuweisungen sind an dem Inhalt und der Struktur der jeweiligen Sachaufgabe zu orientieren. Einen sachgerechten Maßstab für die Zuweisung von Aufgaben im Mehrebenensystem kann dabei das Subsidiaritätsprinzip bereitstellen. Nach diesem in Art. 5 Abs. 2 EGV explizit normierten Prinzip sind Aufgaben auf der niedrigsten Ebene anzusiedeln, die zu deren Bewältigung effektiv im Stande ist. 5. Und nicht zuletzt: Kompetenzgrundlagen für ein Umweltgesetzbuch Wie dargestellt, soll nach dem Koalitionsvertrag in dieser Legislaturperiode ein Umweltgesetzbuch geschaffen werden. Bislang ist dieses Vorhaben jedenfalls auch an der Kompetenzordnung des Grundgesetzes gescheitert.

III. Der Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und SPD zur Änderung des Grundgesetzes vom 07. 03. 2006 (BT-Drucks. 16/813) in der Fassung der Änderungsempfehlungen des Rechtsausschusses vom 29. 06. 2006 (BT-Drucks. 16/2010) 1. Der Entflechtungsversuch mit fünf Kompetenzmodellen Der Gesetzentwurf sieht fünf verschiedene Kompetenzmodelle für das Verhältnis von Bund und Ländern im Umweltbereich vor, nämlich • eine ausschließliche Gesetzgebungskompetenz des Bundes für das Strahlenschutzrecht1, • eine konkurrierende Gesetzgebungskompetenz, und zwar

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Art. 73 Abs. 1 Nr. 14 E-GG-ÄndG.

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• mit Bindung an die Erforderlichkeitsklausel, sofern Umweltrecht auf den Kompetenztitel „Recht der Wirtschaft“ gestützt werden muss2, • ohne Bindung an die Erforderlichkeitsklausel für die Abfallwirtschaft, die Luftreinhaltung und die Lärmbekämpfung (ohne den verhaltensbezogenen Lärm)3 , • ohne Bindung an die Erforderlichkeitsklausel, aber mit extensiven Abweichungsbefugnissen der Länder, und zwar für die Bereiche Naturschutz und Landschaftspflege, Wasserhaushalt, Raumordnung4 (alles bislang Rahmengesetzgebungskompetenzen) und das Umweltverfahren5 sowie • schließlich eine ausschließliche Gesetzgebungskompetenz der Länder, so für den verhaltensbezogenen Lärm.6 2. Das Novum: Die Abweichungsgesetzgebung Die Länder sollen also teilweise befugt sein, durch eigene Regelungen vom Bundesrecht abzuweichen, und zwar in den Bereichen der bisherigen Rahmengesetzgebung (u. a. Naturschutz und Landschaftspflege, Wasserhaushalt, Raumordnung) und im Bereich des Umweltverfahrensrechts. Nur ein äußerst kleiner Bereich dieser Regelungskompetenzen soll „abweichungsfest“ dem Bund zustehen, nämlich: • aus dem Naturschutzrecht die „allgemeinen Grundsätze des Naturschutzes, das Recht des Artenschutzes und des Meeresnaturschutzes“, • aus dem Wasserhaushaltsrecht „stoff- und anlagebezogene Regelungen“, • aus dem Raumordnungsrecht nichts, • aus dem Umweltverfahrensrecht solche Regelungen, für die ein besonderes Bedürfnis nach Bundeseinheitlichkeit besteht – wenn die Länder zustimmen.7 Nachdem der Gesetzentwurf der Regierungsfraktionen im Bereich des Naturschutzrechts zunächst die „Grundsätze des Naturschutzes“ für abweichungsfest erklären wollte, sollen nunmehr nach dem BT-Beschluss lediglich die „allgemeinen Grundsätze“ einer Abweichung von Seiten der Länder entzogen sein. Der abweichungsfeste Kern verliert dadurch weiter an Konturen und ist jedenfalls „irgendwie“ noch restriktiver zu bestimmen. Offenbar soll damit allzu ex-

2 3 4 5 6 7

Art. 72 Abs. 2 i.V. m. Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 E-GG-ÄndG. Art. 72 Abs. 2 i.V. m. Art. 74 Abs. 1 Nr. 24 E-GG-ÄndG. Art. 72 Abs. 3 E-GG-ÄndG. Art. 84 Abs. 1 Satz 2 E-GG-ÄndG. s. Art. 74 Abs. 1 Nr. 24 E-GG-ÄndG. Art. 72 Abs. 3 Nr. 2, 4 und 5 sowie Art. 84 Abs. 1 Satz 3 und 4 E-GG-ÄndG.

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tensiven Auslegungsversuchen begegnet werden, die während des Gesetzgebungsverfahrens zur Beruhigung der Kritiker vorgetragen worden sind. 3. Die Rolle der Erforderlichkeitsklausel Die Erforderlichkeitsklausel des Art. 72 Abs. 2 GG schränkt den Gestaltungsspielraum des Bundesgesetzgebers nach der neueren Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts („Altenpflegegesetz“, BVerfGE 106, 62 ff.; „Juniorprofessur“, BVerfGE 111, 226 ff.) durch eine äußerst enge sowie hohe Darlegungslasten nach sich ziehende Interpretation ihrer Voraussetzungen stark, aber auch derart vage ein, dass ein Erfolg beim Bundesverfassungsgericht seitens des Gesetzgebers nicht antizipiert werden kann. Dies wird nach der vom SRU geforderten und im letzten Moment erfolgten Freistellung des Abfallwirtschaftsrechts von der Erforderlichkeitsklausel gleichwohl zahlreiche wichtige Gebiete wie den Klimaschutz, die Erneuerbaren Energien und die Chemikaliensicherheit betreffen, deren Regulierung auch zukünftig auf den Kompetenztitel „Recht der Wirtschaft“ gestützt werden muss. 4. Übergangsregelungen: Was passiert mit bestehendem Recht? Übergangsregelungen sind sowohl für die Regelungsmaterien vorgesehen, die der inzwischen strengen Erforderlichkeitsklausel unterliegen, wie auch für diejenigen Materien, die der Abweichungsgesetzgebung der Länder zugänglich sind: Unstimmigkeiten ergeben sich im Hinblick auf die Übergangsvorschriften, insbesondere Art. 125a Abs. 2 i.V. m. Art. 93 Abs. 3 E-GG-ÄndG. So „kann“ ein Bundesgesetz Altrecht, das den Erfordernissen des Art. 72 Abs. 2 GG nicht (mehr) entspricht, für eine Ersetzung durch Landesrecht öffnen. Scheitert ein entsprechendes, von Seiten des Bundesrates initiiertes Gesetzgebungsvorhaben, so soll die Öffnung des Bundesgesetzes für Landesrecht vom Bundesrat oder einzelnen Ländern anschließend vor dem Bundesverfassungsgericht erzwungen werden können. Das Gericht hat nach dem Gesetzentwurf zu prüfen, ob die Erfordernisse des Art. 72 Abs. 2 GG noch vorliegen. Offen bleibt indes, ob und gegebenenfalls wie das Verfassungsgericht dem Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers Rechnung tragen soll, der die Ersetzung des Altrechtes nach dem Wortlaut des Art. 125a Abs. 2 E-GG-ÄndG gesetzlich anordnen „kann“, aber nicht „muss“. Der „Bestandsschutz“ für die zukünftig der Abweichungsgesetzgebung der Länder unterliegenden Materien ist eng bemessen: Der jetzt vorgeschlagene Art. 125b Abs. 1 S. 3 E-GG-ÄndG sieht für das bisherige Rahmenrecht in den Bereichen des Naturschutzes und der Landschaftspflege sowie des Wasserhaushalts einen nur vorläufigen Bestandsschutz vor. Eine Stabilisierung der Rechts-

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lage wird dadurch indes nicht erreicht, da das gesamte Naturschutz- und Wasserhaushaltsrecht nach der Erarbeitung von Neuregelungen, spätestens aber zum Jahr 2010 grundsätzlich für Abweichungen durch die Länder geöffnet wird.

IV. Die Bewertung des Gesetzentwurfs 1. Die Kompetenzordnung bleibt nach dem Gesetzentwurf thematisch defizitär Wesentliche Herausforderungen der Umweltpolitik wie Klimaschutz, Erneuerbare Energien oder Chemikaliensicherheit müssen auch weiterhin auf den fachfremden Kompetenztitel „Recht der Wirtschaft“ gestützt werden.

2. Die vom Bundestag beschlossene Kompetenzordnung ist unklar, unsystematisch und hochgradig konfliktanfällig Sie beinhaltet nämlich • z. T. eine weitere Bindung an die praktisch kaum handhabbare Erforderlichkeitsklausel, • z. T. aber auch eine Freistellung von diesem Erfordernis, wobei die unterschiedliche Behandlung der verschiedenen Kompetenztitel sachlich nicht nachvollziehbar und in ihren Folgen kaum praktikabel erscheint, • unklare Grenzen der Abweichungsrechte in den umweltbezogenen Regelungsmaterien, • für das (Umwelt-)Verfahrensrecht einen unscharfen Kernbereich für bundesrechtliche Vorgaben, die nur bei einem „besonderen Bedürfnis nach bundeseinheitlicher Regelung“ und mit Zustimmung des Bundesrates von Länderabweichungen freigestellt sein sollen, sowie • teilweise unklare Übergangsregelungen. Die voraussehbaren Folgen einer derartigen Kompetenzordnung liegen in einer neuen „Politikverflechtung“, weil die unklaren Kompetenzen und die Kompetenzüberschneidungen notwendig zu Aushandlungsprozessen führen müssen. Dies zeigt sich bereits im Hinblick auf die Vorarbeiten zum UGB. So wurde unlängst im Rahmen der UMK eine Ad-hoc-Bund-Länder-Arbeitsgruppe „UGB“ eingerichtet, welche das Gesetzgebungsverfahren inhaltlich begleiten und der Umweltministerkonferenz unmittelbar zuarbeiten soll (Beschluss der 66. Umweltministerkonferenz vom 23.–24. 05. 2006 in Aerzen, TOP 15, Ziffer 2). Eine derartige Form der „Begleitung“ des Entstehungsprozesses des UGB ist zwar durchaus legitim und auch sachgerecht, bekräftigt jedoch die Zweifel,

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ob die Föderalismusreform tatsächlich eine „Politikentflechtung“ herbeiführen wird. Alternativ oder auch ergänzend zu Aushandlungsprozessen ist ein erheblicher Bedarf an punktuellen Klärungen durch das Bundesverfassungsgericht absehbar.

3. Die extensive Abweichungsgesetzgebung ist sachlich nicht angemessen Angesichts der Wirkungen der strengen Erforderlichkeitsklausel und insbesondere mit Blick auf die extensiven Abweichungs- und damit Letztentscheidungsbefugnisse der Länder werden bundesgesetzliche Regelungen vielfach nur „auf dem Papier“ stehen. Die Bundesgesetzgebung einschließlich des Vorhabens „Umweltgesetzbuch“ wird dadurch fragwürdig relativiert. Insofern wird der Bund auch in seiner europäischen und internationalen Handlungsfähigkeit beeinträchtigt. Mit den Abweichungsrechten werden nämlich Belange von nationaler, europäischer und internationaler Bedeutung der potentiellen Vielfalt landesrechtlicher Regelungen überantwortet. Dies gilt z. B. für: • das europaweite Biotopverbundsystem, das ohne einheitliche Managementregeln und Schutzgebietstypen nicht zu gewährleisten ist, • das erforderliche Monitoring, das bundeseinheitliche, vielfach sogar europäische Standards bei der Umweltbeobachtung verlangt, • die Landschaftsplanung als zentrales raumbezogenes und vorsorgeorientiertes Instrument des Naturschutzes und der Landschaftspflege, die an der Raumordnung orientiert ist, • die Raumordnung selbst, die eine Integration raumrelevanter Planungen in der gesamten Bundesrepublik und ihren Teilräumen gewährleisten soll, • den Schutz vor Hochwasser, bei dem unzureichende Schutzmaßnahmen länderübergreifende Folgen nach sich ziehen, sowie • den Gewässerschutz in Form der Wasserrahmenrichtlinie, die ein länderübergreifendes, kohärentes Management in Flussgebietseinheiten verlangt. Insbesondere ist für die potentielle Vielfalt der landesrechtlichen Ausgestaltungen des planerischen Instrumentariums etwa im Naturschutz- und im Raumordnungsrecht weder ein sachlicher Grund vorgetragen worden noch sonst ersichtlich. Der Hinweis auf den „Regionalbezug“ dieser Materien geht insofern fehl, als den örtlichen und regionalen Gegebenheiten im Rahmen der planerischen Gestaltungsfreiheit beim Einsatz der im BNatSchG und im Raumordnungsgesetz des Bundes normierten Instrumente vollen Umfangs Rechnung getragen werden kann. Es besteht aber ein hohes gesamtstaatliches Interesse daran, dass in den Bundesländern insbesondere mit Blick auf den hohen Bedarf

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an vernetzten Lösungen jedenfalls mit gleichen und daher leicht anschlussfähigen planerischen Instrumentarien gearbeitet wird.

4. Die Risiken des Konkurrenzföderalismus Die extensiven Abweichungsbefugnisse begründen deutliche Risiken für den Umweltschutz. Im wirtschaftlichen Standortwettbewerb der Länder droht ein Abbau von Umweltstandards gerade in den „weichen“ Materien des Naturschutz-, Planungs- und Verfahrensrechts. So erscheint beispielsweise äußerst fragwürdig, ob ein „flächendeckender Mindestschutz“ durch die naturschutzrechtliche Eingriffsregelung angesichts der engen und extrem vage formulierten abweichungsfesten Kerne des Naturschutzrechts in Zukunft noch gesichert ist. Dabei wird den Ländern nicht im Sinne eines „Generalverdachts“ unterstellt, dass sie dem verfassungsrechtlich aufgegebenen Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen eine geringere Bedeutung beimessen als der Bund. Vielmehr begründet der angestrebte Wettbewerbsföderalismus bereits seiner Struktur nach und unter den gegebenen Rahmenbedingungen die Gefahr eines dynamischen Wettlaufs „nach unten“. Angesichts der Reformwellen, die in den letzten Jahren über die Verwaltungen der Bundesländer hinweggefegt sind, befinden sich viele Umweltverwaltungen an den Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit. Die Versuchung wird also groß sein, anspruchsvolle Umweltschutzaufgaben durch Senkung der gesetzlichen Standards abzubauen und die Landesverwaltungen dadurch zu entlasten. Entsprechende Hinweise aus den Bundesländern gibt es bereits zur Genüge: So ist beispielsweise ein Bundesland bestrebt, im Rahmen seiner Verwaltungsmodernisierung die überörtliche Landschaftsplanung zu reduzieren und die Grünordnungspläne als Planungsinstrumente auf kommunaler Ebene gänzlich abzuschaffen. Ausweislich der Protokolle der bisherigen Amtschef- bzw. Umweltministerkonferenzen finden sich auf Länderebene sogar Stimmen, die auf eine flächendeckende Landschaftsplanung insgesamt verzichten wollen. Unter „Beschuss“ gerät auch zunehmend die Eingriffsregelung. So soll nach den Vorstellungen einer Landesregierung die Frage der Vermeidbarkeit von Eingriffen in Natur und Landschaft anhand der wirtschaftlichen Vertretbarkeit möglicher Alternativen entschieden werden. Anderenorts wird über eine moderne Form des Ablasshandels, nämlich die Zahlung eines Ersatzgeldes anstelle von Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen nachgedacht. Die Verfassung sollte die Gefahren, die sich bei näherer Betrachtung des Konkurrenzföderalismus aufdrängen, durch Schutzmechanismen begrenzen. Soweit im Hinblick auf die extensiven Abweichungsrechte von Seiten der Länder teilweise damit argumentiert wird, dass man derartige Befugnisse in praxi gar nicht ausschöpfen werde, muss diese Beweisführung seltsam anmuten; denn aus dem Verzicht auf die Wahrnehmung eines Rechts kann nicht auf die Notwendigkeit einer Rechtsbegründung überhaupt geschlossen werden.

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Das Europarecht allein vermag kein geeignetes „Sicherheitsnetz“ gegenüber dem zu befürchtenden Abbau von erforderlichen Mindeststandards bereitzustellen. In Anbetracht der Gestaltungs- und Interpretationsspielräume, die es den Mitgliedstaaten vielfach belässt, erweist sich seine regulative Dichte als zu gering, um eine derartige Funktion erfüllen zu können. Das gilt ganz offensichtlich für das Naturschutz- und Raumordnungsrecht, aber in relevantem Umfang auch für das Gewässerschutzrecht. 5. Geltungsmächtiges Umweltgesetzbuch auf Grundlage des Entwurfs nicht realisierbar Anzuerkennen ist, dass der Gesetzentwurf mit der geplanten Abschaffung der schwerfälligen Rahmengesetzgebung, mit der Zuweisung der bislang von ihr erfassten umweltbezogenen Kompetenztitel in den Katalog der konkurrierenden Gesetzgebungszuständigkeiten sowie durch die zumindest teilweise Freistellung einiger Zuständigkeitstitel von der Erforderlichkeitsklausel durchaus positive Elemente enthält. Diese werden jedoch konterkariert durch die weiten Abweichungsrechte und weitere fragwürdige Regelungselemente des Gesetzentwurfs. Betrachtet man • die auch weiterhin zu erwartende Segmentierung der umweltbezogenen Kompetenzordnung, • die teilweise Bindung der Kompetenztitel an die Erforderlichkeitsklausel, • die Unklarheiten im verfahrensrechtlichen Bereich bei der Bestimmung eines „besonderen Bedürfnisses nach Bundeseinheitlichkeit“ sowie die dort normierte Zustimmungsbedürftigkeit und schließlich • insbesondere die Anerkennung extensiver Abweichungsrechte zugunsten der Länder, ist bei einer Gesamtschau des Gesetzentwurfs festzustellen, dass dieser für die Erarbeitung eines geltungsmächtigen UGB, das in wesentlichen Elementen nicht nur auf dem Papier steht, sondern in allen Bundesländern gilt, keine geeignete Grundlage zu bilden vermag. Sicherlich wird sich auf Basis des derzeitigen Vorschlages (irgend-)ein Regelwerk mit dem Titel „UGB“ erarbeiten lassen. Ob dieses Regelwerk jedoch die mit seiner Entwicklung verbundenen Hoffnungen der Umweltrechtspraxis und -wissenschaft auf Rechtsvereinfachung und -vereinheitlichung insbesondere durch Einführung einer bundesweit geltenden integrierten Anlagenzulassung erfüllen und auch eine prägende Rolle im Naturschutz, Gewässerschutz und weiteren wesentlichen Materien des Umweltrechts spielen wird, bleibt mehr als zweifelhaft.

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V. Empfehlungen des SRU 1. Ein einheitlicher Kompetenztitel „Recht des Umweltschutzes“ Der SRU hat dem jetzigen Entwurf die Empfehlung für einen einheitlichen Kompetenztitel „Recht des Umweltschutzes“ im Rahmen der konkurrierenden Gesetzgebungskompetenzen gegenübergestellt. Ein derartiger Zuständigkeitstitel würde • alle, auch zukünftige Herausforderungen der Umweltpolitik erfassen, • dem auch europarechtlich geforderten sektorenübergreifenden, integrativen Ansatz entsprechen, • Rechtsunsicherheiten, die durch den derzeitigen „Mix“ von Gesetzgebungskompetenzen entstehen, verhindern, • eine schnelle Umsetzung von Europa- und Völkerrecht gewährleisten und schließlich • ein geltungsmächtiges UGB mit einem Umweltrecht „aus einem Guss“ ermöglichen. 2. Die Freistellung von der Erforderlichkeitsklausel Die sachgerechte Normierung eines derartigen Kompetenztitels verlangt seine Freistellung von der Erforderlichkeitsklausel in ihrer derzeitigen Form. Eine Gewähr für eine hinreichend eindeutige und rechtssichere Kompetenzzuweisung vermag die Erforderlichkeitsklausel nämlich nicht zu bieten. 3. Die Ermächtigung des Bundesgesetzgebers zu Öffnungsklauseln für die Landesgesetzgebung Zugunsten der Länder sollten dem Bund Ermächtigungen zu einfachgesetzlichen Öffnungsklauseln für eine Gesetzgebung der Länder eingeräumt werden. Diese Klauseln eröffnen einerseits die Möglichkeit eines begrenzten Länderwettbewerbs um vor allem schutzverstärkende Regelungen, sie können andererseits den nicht abweichungswilligen Ländern aber auch eine ineffiziente Parallelgesetzgebung ersparen. Anders als weit gefasste Abweichungsrechte der Länder gefährden Öffnungsklauseln die Handlungsfähigkeit Deutschlands auf der europäischen oder internationalen Ebene nicht.

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4. Allenfalls enumerativ normierte Abweichungsbereiche für die Länder Wenn überhaupt, kommen nach Auffassung des SRU nur eingeschränkte, gegenstandsspezifische und enumerativ genannte Abweichungsrechte für die Länder in Betracht. Sie müssen an den Erfordernissen der jeweiligen Sachaufgabe orientiert sein. Eine sachliche Rechtfertigung der im Gesetzentwurf vorgeschlagenen Abweichungsbefugnisse ist nicht erkennbar, da in den Materien des Naturschutzes, des Wasserhaushalts und der Raumordnung schon heute mit einem in hohen Maße planerisch-gestaltenden Vollzug außerordentliche Möglichkeiten zur Berücksichtigung auch regionaler und örtlicher Gegebenheiten bestehen.

VI. Schlussbemerkung Die Bundesrepublik Deutschland ist verfassungsrechtlich als verwaltungsföderaler Bundesstaat konstituiert. Während der Schwerpunkt der Gesetzgebung seit jeher dem Bund zugewiesen ist, liegt die Verantwortung für die Verwaltung maßgeblich in den Händen der Länder. Sie vollziehen bekanntlich in hohem Maße auch die Gesetze des Bundes, was die Akzentuierung des deutschen Föderalismus als „Verwaltungsföderalismus“ rechtfertigt. Im Rahmen dieses Gesetzesvollzuges obliegt den Ländern vielfach die Erfüllung von planerischen und gestaltenden Aufgaben. Dies gilt gerade für die Bereiche des Natur- und Gewässerschutzes sowie der Raumordnung, die den Bundesländern mehr Chancen für die Erarbeitung eigener Länderprofile bieten als von ihnen bisher wahrgenommen worden sind. Stärkere Gesetzgebungskompetenzen der Länder sind dafür keine zwingende Voraussetzung. Bedauerlicherweise haben die umfänglichen Bundestagsanhörungen keine Chance erhalten, dem parlamentarischen Beratungsprozess diejenige Offenheit zu verschaffen, die stets notwendige Bedingung für eine überzeugende Verfassungsreform ist.

Diskussion zu den Vorträgen Steinkemper und Koch Von Johannes Bosselmann In einleitenden Worten bemerkte Prof. Dr. Michael Kloepfer, dass Prof. Hans-Joachim Koch in seiner Funktion als Vorsitzender des Sachverständigenrats für Umweltfragen (SRU) offenbar für das umweltpolitisch Wünschbare eintrete, während er – Kloepfer – das zur Zeit politisch Machbare verteidige. Dafür gäbe es aber gute Gründe. Als Erster stellte Dr. Lars Diederichsen an die Adresse von Hubert Steinkemper die Frage, inwieweit der Referentenentwurf eines UGB ein denkbarer textlicher Ansatz sei oder ob ein Neubeginn geplant sei. Steinkemper stellte sowohl die Verwendung der bereits vorhandenen Vorarbeiten als auch die Erarbeitung neuer Bereiche durch die gebildeten Arbeitsgruppen in Aussicht. Zunächst gehe es um die Herausarbeitung der Kernpunkte und die weitere Vorgehensweise. Eine strikte Bindung an den Referentenentwurf bestünde nicht. Prof. Dr. Christian Calliess warf sodann die Frage auf, ob im Bereich des Umweltrechts nicht stets die Voraussetzungen der Erforderlichkeitsklausel des Art. 72 Abs. 2 GG gegeben seien – auch unter Berücksichtigung der neuen, restriktiven Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. Immerhin liefe auch die Subsidiaritätsklausel im EG-Vertrag weitgehend leer. Dies verneinte Koch. Die Anforderungen der Erforderlichkeitsklausel seien im Vergleich zur Subsidiaritätsklausel erheblich enger. Dr. Manfred Rebentisch maß einem UGB lediglich eine politische Bedeutung zu. Die Praxis habe mit der geltenden Rechtslage keine Probleme. Im Übrigen seien es gerade die untergesetzlichen Regelungen, die eine entscheidende Rolle spielten. Ein UGB ändere seiner Konzeption nach daran nichts. Steinkemper entgegnete, dass Schwerpunkt der Schaffung eines UGB auch die Vereinheitlichung des vorhandenen untergesetzlichen Regelwerks sei. Davon unabhängig sei die Schaffung eines UGB sehr wertvoll. Andreas Versmann erkundigte sich unter Hinweis auf die schwierige Haushaltslage der Länder nach dem Umfang der Zustimmungspflichtigkeit von Bundesgesetzen. In diesem Zusammenhang erläuterte Koch das Konzept der Föderalismusreform, die Anzahl an Zustimmungsgesetzen zurückzufahren. Er erinnerte jedoch an Art. 84 Abs. 1 S. 5, 6 GG n. F., wonach eine Zustimmungspflicht bestehen bleibe, wenn ein Abweichungsrecht der Länder ausgeschlossen werden solle. Steinkemper stellte in diesem Zusammenhang klar, dass das UGB-Projekt nicht der Umgehung der Mitwirkungsrechte des Bundesrats diene. Unter Hinweis auf das Scheitern des Referentenentwurfs

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Diskussion

wollte Priv.-Doz. Dr. Klaus Meßerschmidt wissen, ob beide Koalitionspartner am gleichen Strang zögen. Dies bejahte Steinkemper. Zudem bemerkte Meßerschmidt, dass zwar durch die neue Kompetenzordnung nunmehr die Voraussetzungen für ein UGB gegeben seien. Er warf aber die Frage auf, ob sich durch die Änderungen auch Einschnitte für das Bundesrecht ergäben. Koch entgegnete, dass unabhängig von dem Projekt eines UGB die Kompetenzneuordnung im Umweltbereich für den Gesetzgeber insgesamt problematisch sei.

Vorgaben für ein Umweltgesetzbuch: Europarecht Von Christian Calliess

I. Einführung Mein Vortragsthema soll sich mit den europarechtlichen Vorgaben für das im Koalitionsvertrag vereinbarte und in Arbeit befindliche Umweltgesetzbuch, dem durch die Föderalismusreform nunmehr der Weg geebnet wird1, befassen. Insoweit ist es freilich nicht möglich, die 775 Bestimmungen des UGB-Kommissionsentwurfs auf ihre Europarechtskonformität zu überprüfen. Vielmehr sollen die primär- und sekundärrechtlichen Vorgaben des europäischen Umweltrechts verdeutlicht und so strukturiert werden, dass das (zumindest in Ansätzen vorhandene) System des europäischen Umweltrechts herauskristallisiert und auf diese Weise in einer Art „Prüfraster“ Maßstabswirkung für ein künftiges UGB entfalten kann. In diesem Rahmen werden die europarechtlichen Vorgaben des Vorsorgeprinzips, des Integrierten Umweltschutzes und der Århus-Konvention besonders intensiv beleuchtet. Doch zuvor soll ein kurzer Blick auf den Kontext des europäischen Umweltrechts geworfen werden. Denn das europäische Umweltrecht folgt – ebenso wie das gesamte auf dynamische Entwicklung angelegte Europarecht – nicht von vornherein einer in sich geschlossenen Dogmatik, wie dies etwa für das deutsche BGB der Fall ist. Es lässt sich vielmehr nur in seinem Kontext wirklich verstehen. Vor diesem Hintergrund ist auf zwei, das System des europäischen Umweltrechts prägende Herausforderungen hinzuweisen, die nach der Erweiterung der EU auf 27 Mitgliedstaaten noch größere Bedeutung als zuvor haben: 1. Konsensfindung durch Kompromiss in Rat und Europäischem Parlament Richtlinien und Verordnungen des europäischen Umweltrechts sind (wie das Europarecht insgesamt) das Ergebnis von Verhandlungen, die zwischen den Mitgliedstaaten im (Umwelt-)Ministerrat und sodann zwischen den Organen, 1 Dazu die Beiträge von Kloepfer; Louis; Ginzky/Rechenberg und Wendenburg, ZUR 2006, 338 ff.

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Kommission, Rat und Europäischem Parlament geführt werden. In einer EU mit 27 Mitgliedstaaten und damit 27 Rechtsordnungen bedarf es trotz Mehrheitsentscheidungen im Umweltrecht (vergleiche Artikel 175 Abs. 1 EGV bzw. Artikel 95 Abs. 1 EGV) des Kompromisses. Aus solchen politischen Kompromissen resultieren aber oftmals Formulierungen und Inhalte von EG-Richtlinien oder Verordnungen, die sich durch Komplexität, Unbestimmtheit und manchmal gar Widersprüchlichkeit auszeichnen. Dies geht naturgemäß zu Lasten der Rechtsklarheit und Rechtssicherheit. Je dichter das europäische Umweltrecht wird, je mehr es im Sinne eines umfassenden Systems das nationale Umweltrecht dominiert, desto mehr wird europäische Rechtsetzung im Kontext von 27 mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen zu einem Wettbewerb der Rechtssysteme: Denn gerade im Umweltrecht, wo ökologische und ökonomische Interessen miteinander konkurrieren, stehen sich unterschiedliche Interessen, Konzepte und Rechtstraditionen der Mitgliedstaaten gegenüber. In der Folge versuchen die Mitgliedstaaten „ihr“ Rechtssystem auf die europäische Ebene „hochzuzonen“, um dieses mit der Geltungskraft und dem Anwendungsvorrang des EG-Rechts europaweit verbindlich zu machen. In diesem Kontext war in den siebziger und achtziger Jahren zunächst das konditional orientierte deutsche Umweltrecht sehr durchsetzungsstark, bis die sich darüber zunehmend „not amused“ zeigenden Briten gegensteuerten und ihr eher final und prozedural orientiertes Umweltrecht erfolgreich auf EU-Ebene einspeisen konnten. Die allgemein bekannte Entstehungsgeschichte der IVU-Richtlinie, die erst sehr spät durch der konditionalen Normstruktur entsprechende Emissionsgrenzwerte ergänzt werden konnte, ist insoweit exemplarisch.2 Mithin sehen sich alle Rechtsordnungen in der EU, je nachdem welches System sich im Wettbewerb durchsetzt, unterschiedlich weit reichenden Anpassungsanforderungen ausgesetzt. Im Zuge der skizzierten Entwicklungen sieht sich insbesondere das deutsche Umweltrecht in den letzten Jahren – von manchen als „systemfremd“ empfundenen3 – Anforderungen ausgesetzt. Systemideen, die insbesondere aus dem Vereinigten Königreich, aber auch aus Frankreich und den romanischen Staaten stammen, setzen sich auf der europäischen Ebene verstärkt durch und fordern das System des deutschen Umweltrechts heraus. Unabhängig davon, ob man diese Herausforderungen als „systemfremd“ oder „innovativ“ empfindet, unbestritten bleibt, dass das europäische Umweltrecht oftmals einen systemverändernden Anpassungsdruck auslöst. 2 Dazu Breuer, in: MURL-NRW (Hrsg.), Umweltrechtage 1996, Neue Entwicklungen im Umweltrecht, S. 255 (265 ff.); ders., NVwZ 1997, 833 ff. 3 Vgl. Hansmann, NVwZ 1995, 320 (323 ff.); Breuer, Entwicklungen des europäischen Umweltrechts, 1993; ders., NVwZ 1997, 833 ff.; differenzierend Krämer, EU, Schutz der Umwelt und Recht, Vorträge aus dem Europa-Institut der Universität des Saarlandes, Nr. 267, 1994; Salzwedel/Reinhardt, NVwZ 1991, 946 ff., sprachen sogar einmal von einem europäischen Besatzungsrecht.

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2. Vollzugsdefizite Aber auch der Vollzug des einmal beschlossenen europäischen Umweltrechts stellt eine den Kontext des europäischen Umweltrechts prägende Herausforderung dar. Das Vollzugsdefizit4 reicht von der verspäteten oder unterlassenen Umsetzung von Richtlinien über ihre unvollständige oder unrichtige Umsetzung bis hin zu einer unrichtigen Anwendungspraxis.5 Zu Recht wurde das „dunkle Kapitel des Vollzugs“ europäischen Umweltrechts einmal als die „Schattenseite der Bilanz zur Verwirklichung des Binnenmarktes“ bezeichnet. Dem Vollzugsdefizit ist eine wettbewerbsverzerrende Dimension immanent, da wirtschaftlich betrachtet in jeder Nichteinhaltung beschlossener Vorschriften zum Schutz der Umwelt eine Subventionierung der nationalen Emittenten liegt.6 Als Ursachen des Vollzugsdefizit werden genannt: Die wirtschaftlichen Prioritäten in den für den Vollzug verantwortlichen mitgliedstaatlichen Verwaltungen, die begrenzten personellen und finanziellen Ressourcen der Umweltverwaltungen in den Mitgliedstaaten, der oftmals erhebliche finanzielle Aufwand, der infolge des Vollzugs des gemeinschaftlichen Umweltrechts entsteht, die mangelnde Transparenz der Regelsetzung und des Umsetzungsverfahrens, sowie die Tatsache, dass Umweltrecht nicht auf die spezifischen (und damit in der Regel subjektivierten) Interessen einer Personengruppe und ihrer Organisationen abzielt, sondern auf das – allenfalls von vergleichsweise schwach organisierten Umweltverbänden repräsentierte – Allgemeininteresse, das im pluralistischen Wettstreit der Verbände schnell ins Hintertreffen gerät.7 Hinzu kommen oftmals aber auch Schwierigkeiten bei der Auslegung des gemeinschaftlichen Umweltrechts, Probleme beim Zusammenspiel von gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben und nationalen (Ausführungs-)Bestimmungen, sowie durch die innerstaatliche Kompetenzverteilung verursachte Reibungsverluste.8 4 Instruktiv zum latenten Vollzugsdefizit auch der mit Statistiken versehene Überblick von Krämer, EuGRZ 1995, 45; zu 1995–1997: ders., EuGRZ 1998, 309; zu 1998 und 1999: ders., EuGRZ 2000, 265; zu 2000 und 2001: ders., EuGRZ 2002, 483; ferner Mentzinis, Die Durchführbarkeit des europäischen Umweltrechts: gemeinschaftsrechtliche Ursachen des Vollzugsdefizits im Anlagenzulassungsrecht, 2000, S. 128 ff., der einen Überblick über die einschlägigen Anwendungsberichte der EGOrgane gibt; ferner Albin, Die Vollzugskontrolle des europäischen Umweltrechts, 1999, S. 73 ff. jeweils m.w. N. 5 Umfassend Kahl, in: Streinz (Hrsg.), EUV/EGV, 2003, Art. 175 EGV, Rn. 60 ff. m.w. N. 6 Pernice, NVwZ 1990, 414 (423); Krämer, EuGRZ 1989, 353 (358). 7 Krämer, in: Lübbe-Wolff (Hrsg.), Der Vollzug des europäischen Umweltrechts, 1996, S. 7 (28 ff.); vgl. dazu auch Mentzinis, Die Durchführbarkeit des europäischen Umweltrechts: gemeinschaftsrechtliche Ursachen des Vollzugsdefizits im Anlagenzulassungsrecht, 2000, S. 193 ff.; Albin, Die Vollzugskontrolle des europäischen Umweltrechts, 1999, S. 321 ff. 8 Hierzu Demmke, Die Implementation von EG-Umweltpolitik in den Mitgliedstaaten, 1994, S. 215 ff., 301 ff.; vgl. dazu auch Mentzinis, Die Durchführbarkeit des euro-

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Auch die Bundesrepublik Deutschland ist im Bereich des Vollzugs längst kein „Musterknabe“ mehr und zählt zusammen mit Belgien und Italien zum „Spitzentrio“ bei der Verurteilung wegen Vertragsverletzungen.9 Die Gründe hierfür sind freilich vielgestaltig: Ursächlich ist nicht allein politischer Unwille, sondern vielmehr tut sich das bereits bestehende, komplexe deutsche Umweltrecht mit der Anpassung an die europäischen Vorgaben oftmals schwer, etwa dann, wenn die Regelungsansätze und -strukturen nicht harmonieren, wie dies im Kontext des integrierten Umweltschutzes der Fall ist. Auch der Föderalismus, der die umsetzungsrelevanten Gesetzgebungszuständigkeiten oftmals auf Bund und Länder aufspaltet, ist für manche Verzögerungen und inhaltlichen Umsetzungsdefizite verantwortlich. Umso wichtiger wäre es, dass die zuständigen Institutionen auf Bundes-, Länder- und Kommunalebene frühzeitiger den Gesetzgebungsprozess auf europäischer Ebene begleiten und entsprechend Einfluss nehmen. Davon kann derzeit allerdings kaum die Rede sein; erst wenn der Ablauf der Umsetzungsfrist naht, scheinen – wie zuletzt die Feinstaub-Debatte zeigte10 – die verantwortlichen Behörden überhaupt zu reagieren. Mitursächlich ist aber auch eine Brüsseler-Praxis, die primär auf die rein formelle Umsetzung, und damit weniger auf die materielle Umsetzung, schaut. Infolgedessen genügen Mitgliedstaaten, die eine Richtlinie der EG mangels nationalen Umweltrechts im Wortlaut „Eins zu Eins“ in nationales Recht gießen, zumindest auf den ersten Blick eher den Anforderungen, als ein Mitgliedstaat, der eine Richtlinie Stück für Stück in sein bestehendes Umweltrecht (manchmal zögerlich und widerwillig) einpassen muss.

II. Umweltverfassungsrechtlicher Rahmen des europäischen Staaten- und Verfassungsverbundes 1. Die Verzahnung der Rechtsordnungen im Verbund Bekanntlich ist die EU – ebenso wie die unter ihrem Dach befindliche EG – kein (Bundes-)Staat im herkömmlichen, völkerrechtlichen Sinne.11 Mit Blick auf ihre Supranationalität – definiert zuvorderst durch das anerkanntermaßen päischen Umweltrechts: gemeinschaftsrechtliche Ursachen des Vollzugsdefizits im Anlagenzulassungsrecht, 2000, S. 193 ff.; Albin, Die Vollzugskontrolle des europäischen Umweltrechts, 1999, S. 112 ff., 321 ff.; Hansmann, NVwZ 1995, 320 (323 ff.); Breuer, Entwicklungen des europäischen Umweltrechts, 1993; differenzierend Krämer, EU, Schutz der Umwelt und Recht, Vorträge aus dem Europa-Institut der Universität des Saarlandes, Nr. 267, 1994. 9 Krämer, EuGRZ 2002, 483 (484); Albin/Müller-Kraenner, ZUR 1999, 73 (76). 10 Dazu Calliess, NVwZ 2006, 1 ff. 11 Ganz h. M., vgl. dazu den Überblick über den Diskussionsstand bei Schmitz, Integration in der Supranationalen Union, 2001, S. 169 ff., 198 ff., 361 ff.; ferner Dorau, Die Verfassungsfrage der Europäischen Union, 2001, S. 29 ff.; a. A. nach dem Vertrag

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vorrangige und in den Mitgliedstaaten unmittelbar anwendbare, d.h. mit Durchgriffswirkung auf den Bürger ausgestattete Gemeinschaftsrecht – unterscheidet sich die EU aber auch von den klassischen internationalen Organisationen.12 Wenn sich die EU also nur unvollkommen in die klassischen staats- und völkerrechtlichen Kategorien einordnen lässt, so kann man sie am ehesten als neuartigen Staaten- und Verfassungsverbund beschreiben13, in welchem die staatliche Souveränität zurückgenommen und die Verfassungsordnungen von EU und Mitgliedstaaten wechselseitig mit einander verzahnt sind.14 Im Staatenverbund15 bleiben die Mitgliedstaaten zwar Träger eines wesentlichen Ausmaßes an Souveränität, zugleich wird aber zum Ausdruck gebracht, dass die EU nicht mehr nur ein loser Bund souveräner Nationalstaaten, sondern eben gerade „mehr“ ist. Dies impliziert die Vorstellung einer zwischen den Mitgliedstaaten und der EU geteilten Souveränität.16 Der Staatenverbund ist für sich betrachtet jedoch ein Torso, der erst durch die Verfassung mit Inhalt gefüllt wird. Mit dem Verfassungsverbund17 wird im Zuge eines im Kontext der europäischen Integration stattfindenden Konstitutionalisierungsprozesses der Weg für ein Verfassungsverständnis bereitet, das den Verfassungsbegriff vom Staat löst und so der Internationalisierung des Staates durch Öffnung gegenüber suprastaatlichen Organisationsstrukturen (vgl. Art. 23 Abs. 1 GG) Rechnung trägt.18 So ist mit der europäischen Integration ein europäisches (Teil-)Verfassungsrecht entstanden, das vermittelt über seinen Vorrang in einem inhaltlichen Verbund mit den Verfassungsordnungen der Mitgliedstaaten steht. Es entsteht ein System wechselseitiger Verfassungsbefruchtung und -stabilisierung, in welchem sich europäisches und nationales Verfassungsrecht gegenseitig beeinflussen und ergänzen sowie eine wechselseitige komplementäre Maßstabswirkung entfalten: Aufgrund des Anwendungsvorrangs hat sich das nationale Verfassungsrecht den europäischen Homogenitätsanforderungen anzupassen und unter von Maastricht Ossenbühl, DVBl. 1993, 629 (631 f.); Schachtschneider, in: Blomeyer/ ders. (Hrsg.), Die EU als Rechtsgemeinschaft, 1995, S. 75 ff. 12 Dazu Stein, VVDStRL 53 (1994), 26 (29 ff.); ausführlich Schmitz, Integration in der Supranationalen Union, 2001, S. 65 ff., 113 ff.; Dorau, Die Verfassungsfrage der Europäischen Union, 2001, S. 20 ff. jeweils m.w. N. 13 Dazu Calliess, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV/EGV Art. 1 EUV, 3. Aufl., 2007, Rn. 18 ff.; ders., in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), Verfassung der EU, Kommentar, 2006, Art. I-1, Rn. 11 ff. 14 Kritisch zum Verbundsgedanken Jestaedt, in: GS-Blomeyer, 2004, S. 637 ff., insbes. S. 645 ff. 15 BVerfGE 89, 155 (188) – Maastricht, in Anlehnung an Kirchhof, in: Isensee/ Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Band. VII, 1992, § 183, Rn. 38. 16 Huber, Recht der Europäischen Integration, 2. Aufl., 2002, S. 71. 17 Begriff zunächst bei Pernice, in: Bieber/Widmer (Hrsg.), Der europäische Verfassungsraum, 1995, S. 225 (261 ff.). 18 Dazu Walter, DVBl. 2000, 1 ff.; Hobe, Der offene Verfassungsstaat, 1998, S. 409 ff.

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Umständen – auch weitreichende – Relativierungen hinzunehmen (vgl. z. B. Art. 6 Abs. 1, 7 EUV). Gleichzeitig ist das nationale Verfassungsrecht – vermittelt über die allgemeinen Rechtsgrundsätze – aber auch wichtigstes Rezeptionsreservoir für das europäische Verfassungsrecht (vgl. etwa Art. 6 Abs. 2 EUV, 288 EGV: allgemeine Rechtsgrundsätze) und kann dies, wie die Rechtsprechung des EuGH zum Grundrechtsschutz in Reaktion auf das BVerfG zeigte, auch maßstabsetzend beeinflussen (vgl. jetzt z. B. Art. 23 Abs. 1 GG).19 Dies gilt entsprechend auch für das Umweltverfassungsrecht.20 Denn im Staaten- und Verfassungsverbund sind auch nationale und europäische Gemeinwohlbelange, zu denen der Umweltschutz zählt, untrennbar miteinander verflochten, man kann insoweit von einem Gemeinwohlverbund sprechen.21 Das so skizzierte Verbundsystem wirkt auch auf das einfache Umweltrecht ein.22 Dementsprechend werden nicht nur, wie vorstehend bereits erwähnt, im nationalen Recht erprobte Regulierungsansätze auf die europäische Ebene „hochgezont“, sondern nationales und europäisches Umweltrecht treten im „Umweltverbund“ auch in ein hochkomplexes System der Interaktion ein, indem z. B. das europäische Umweltsekundärrecht eine – Art. 72 Abs. 1 2. HS GG vergleichbare – Sperrwirkung entfaltet, die aber wiederum in gewissen Grenzen durch eine mitgliedstaatliche Schutzverstärkungsmöglichkeit (vgl. Art. 176, Art. 95 Abs. 4 bis 7 EGV) aufgelockert wird. Im Zuge dieser (rein) schutzverstärkenden Differenzierungsmöglichkeit (sog. „opting up“), die man – mit Blick auf den durch die Sperrwirkung definierten europäischen Mindeststandard – auch als komplementäre Flexibilität bezeichnen könnte23, entstehen im Rahmen der europäischen Harmonisierung dem Subsidiaritätsprinzip korrespondierende Handlungs- bzw. Innovationsspielräume der Mitgliedstaaten, die eine Anpassung an nationale Erfordernisse des Umweltschutzes erlauben.24 Vor diesem Hintergrund kann festgehalten werden, dass das interaktive europäische Verbundsystem auch mit Blick auf das UGB zwar einerseits zwingende 19 Vgl. hierzu Pernice, VVDStRL 60 (2001), 148 (163 ff., insbesondere 172 ff.); Huber, VVDStRL 60 (2001), 194 (208 ff., insbesondere 222 ff.); Steinberg, ZRP 1999, 371 ff.; kritisch Jestaedt, in: GS-Blomeyer, 2004, S. 645 ff. 20 Vgl. etwa Steinberg, ZRP 1999, 371 ff.; Kloepfer, in: Gesellschaft für Umweltrecht (Hrsg.), Umweltrecht im Wandel – Bilanz und Perspektiven, 2002, S. 87 (116 ff.); Calliess, in: Brugger u. a. (Hrsg.), Gemeinwohl in Deutschland, Europa und der Welt, 2002, S. 173 (186 ff.). 21 Ausführlich Calliess, in: Brugger u. a. (Hrsg.), Gemeinwohl in Deutschland, Europa und der Welt, 2002, S. 173 ff. 22 Dazu Kloepfer, in: Gesellschaft für Umweltrecht (Hrsg.), Umweltrecht im Wandel – Bilanz und Perspektiven, 2002, S. 87 (102 ff.). 23 Hierzu Calliess, in: Griller (Hrsg.), Kerneuropa: Differenzierte Integration als Konzept für die erweiterte EU?, i. E. 24 Ausführlich dazu Calliess, Subsidiaritäts- und Solidaritätsprinzip in der EU, 2. Aufl., 1999, S. 185 ff., 240 ff.; im Anschluss daran (teilweise kritisch) Koch, Das Subsidiaritätsprinzip im europäischen Umweltrecht, 2004, S. 28 ff. jeweils m.w. N.

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Vorgaben macht, den Mitgliedstaaten jedoch in einem bestimmten Rahmen Handlungsspielräume lässt, die auch für das künftige UGB relevant sind und daher entsprechend genutzt werden können. 2. Vorgaben für das UGB aus dem europäischen (Umwelt-)Verfassungsrecht a) Grundrechte als rechtsstaatlicher Rahmen Im wie vorstehend definierten Staaten- und Verfassungsverbund ergeben sich zunächst aus den europäischen Grundrechten Vorgaben für die Ausgestaltung des UGB. Dies nach der ständigen Rechtsprechung des EuGH allerdings „nur“ insoweit, als sich die Mitgliedstaaten im Anwendungsbereich des Gemeinschaftsrechts bewegen25 (vgl. aber auch Art. 51 Abs. 1 Grundrechtecharta (GRCharta26)). Letzteres ist im hier interessierenden Zusammenhang dann der Fall, wenn europäisches Umweltsekundärrecht existiert, das im Rahmen der Gestaltung des UGB zu berücksichtigen ist. Die Grundrechte werden in ihrer abwehrrechtlichen Funktion aktiviert, wenn eine europäisch induzierte Regelung des UGB in die Freiheit der Bürger und Unternehmen eingreift. Im Bereich des Umweltrechts wird in der Regel die Wirtschaftsfreiheit tangiert sein. Mangels eines geschriebenen, rechtlich verbindlichen Grundrechtekatalogs hat der EuGH, bestätigt durch Art. 6 Abs. 2 EUV, Berufsfreiheit und Eigentum als allgemeine Rechtsgrundsätze des Gemeinschaftsrechts anerkannt. Bestätigt und bekräftigt wird der grundrechtliche Schutz der Wirtschaftsfreiheit im Gemeinschaftsrecht durch die – bislang lediglich feierlich deklarierte und damit (noch) unverbindliche – GR-Charta.27 In deren Art. 15 I ist die nicht auf EU-Bürger begrenzte Berufsfreiheit28, in Art. 16 darüber hinaus explizit die unternehmerische Freiheit, die „nach dem Gemeinschaftsrecht und den einzelstaatlichen Gepflogenheiten anerkannt“ wird29, und in Art. 17 schließlich das Eigentum30 gewährleistet. Durch Maßnahmen des Umweltschutzes werden aber nicht nur Grundrechte beschränkt, es werden gleichzeitig auch Grundrechte von Bürgern – zu denken 25

Dazu Ruffert, EuGRZ 1995, 518 ff. Vgl. zu den hiermit verbundenen Problemen ausführlich Cremer, NVwZ 2003, 1452 ff. 27 Dazu Calliess, in: Ehlers (Hrsg.), Europäische Grundrechte und Grundfreiheiten, 2. Aufl., 2005, § 20, Rn. 3. 28 Vgl. Ruffert, in: Ehlers (Hrsg.), Europäische Grundrechte und Grundfreiheiten, 2. Aufl., 2005, § 16, Rn. 27. 29 Ausführlich hierzu Schwarze, EuZW 2001, 517 (518 ff.). 30 Vgl. Calliess, in: Ehlers (Hrsg.), Europäische Grundrechte und Grundfreiheiten, 2. Aufl., 2005, § 17. 26

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ist insoweit an das Recht auf Leben in Art. 2 I sowie die allgemeine Gewährleistung der körperlichen und geistigen Unversehrtheit in Art. 3 I der GRCharta – geschützt. Mit der Sichtbarmachung der europäischen Grundrechte in der GR-Charta wird insoweit der Blick geschärft: In Art. 1 GR-Charta, der Garantie der Menschenwürde, wird (ähnlich Art. 1 Abs. 1 GG) auf die zwei entscheidenden Dimensionen des Grundrechtsschutzes, die Abwehrdimension, die auf ein Unterlassen staatlichen Handelns gerichtet ist, und die Schutzdimension, die auf ein staatliches Tun, den Schutz vor Grundrechtsbeeinträchtigungen durch private Dritte, gerichtet ist, hingewiesen31. Jene Schutzdimension der Grundrechte hat bereits in der Rechtsprechung des EGMR sowie jüngst – zumindest ansatzweise – in der Rechtsprechung des EuGH Anerkennung gefunden32. Entscheidende Bedeutung kommt in diesem Kontext der Prüfung des Verhältnismäßigkeitsprinzips zu. Insoweit betont der EuGH freilich die funktionellrechtlichen Grenzen der Rechtsprechung im Verhältnis zum Gemeinschaftsgesetzgeber.33 Dies führt zu einer – jedenfalls im Vergleich zur deutschen Rechtsprechung – erheblichen Reduzierung der grundrechtlichen Kontrolldichte34, worunter die Effektivität des zwischen Abwehr- und Schutzdimension bzw. Übermaß- und Untermaßverbot mehrpolig angelegten Grundrechtsschutzes35 zu leiden hat. b) Vorsorgeprinzip Im europäischen Umweltverbund stellt das Vorsorgeprinzip ein umweltrechtliches Leitprinzip dar: Im Umweltstaat des Grundgesetzes macht der in der Staatszielbestimmung des Art. 20a GG enthaltene Begriff des Schutzes in Verbindung mit der Formulierung „auch in Verantwortung für die künftigen Generationen“ das Vorsorgeprinzip zum Leitprinzip staatlichen Handelns.36 Und für 31

Hierzu ausführlich Calliess, Rechtstaat und Umweltstaat, 2001, S. 307 ff., 437 ff. Dazu Calliess, ZUR 2000, 246 (249 ff.) m.w. N. 33 Kingreen, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV/EGV, 2. Auflage 2002, Art. 6, Rn. 74 f.; instruktiv hierzu, mit Blick auf die vergleichsweise strikte Rechtsprechung des EuGH zu den Grundfreiheiten Bogdandy, JZ 2001, 157 (165 ff.) sowie zweifelnd hinsichtlich der Kompetenz des EuGH eine eigenständige, starke Rolle gegenüber dem politischen Prozess einzunehmen (166 ff.). 34 Ausführlich – und differenzierend – hierzu Bogdandy, JZ 2001, 157 (163 ff.); zur Kontrolldichte im Gemeinschaftsrecht allgemein Herdegen/Richter, in: Frowein (Hrsg.), Die Kontrolldichte bei der gerichtlichen Überprüfung von Handlungen der Verwaltung, 1993, S. 209 ff.; Schwarze, in: Schwarze/Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Das Ausmaß der gerichtlichen Kontrolle im Wirtschaftsverwaltungs- und Umweltrecht, 1992, S. 211 ff. 35 Calliess, Rechtsstaat und Umweltstaat, 2001, S. 566 ff. 36 So auch die herrschende Meinung in der Literatur; vgl. z. B. Bernsdorff, NuR 1997, 328 (332); Calliess, Rechtsstaat und Umweltstaat, 2001, S. 30 ff., 85 ff., 153 ff. 32

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die EU sieht die „Staatszielbestimmung“ des Art. 174 Abs. 2 EGV vor, dass die Umweltpolitik der Gemeinschaft unter anderem auf den „Grundsätzen der Vorsorge und Vorbeugung“ beruht. Im diesbezüglichen Schrifttum hat sich bisher allerdings nur in Grundzügen ein einheitliches Verständnis hinsichtlich der Vorgaben des europäischen Vorsorgeprinzips herausgebildet; im Einzelnen bleibt vieles umstritten. Insbesondere über den Inhalt des Vorsorgeprinzips besteht, insofern analog zur Diskussion im nationalen Recht, nur dahingehend Übereinstimmung, dass anstelle einer repressiv-medialen eine präventiv-antizipatorische Umweltpolitik zu verfolgen ist, so dass das Handeln der Gemeinschaft mit dem Ziel, Umweltbeeinträchtigungen erst gar nicht entstehen zu lassen, vorverlagert werden muss. Eine entsprechende Konkretisierung wird vom Schrifttum daher in der Frage gesehen, ob Maßnahmen schon bei Unsicherheiten in der Bewertung umweltrelevanter Tätigkeiten zulässig und geboten sind.37 Umstritten bleiben aber Reichweite und Grenzen des Vorsorgeprinzips. Das Meinungsspektrum reicht insoweit von einem eher restriktiven, an der klassischen Gefahrenabwehr (Kriterium der Wahrscheinlichkeit) orientierten Verständnis38, bis hin zu der Vorgabe, dass das Vorsorgeprinzip zum Handeln gerade bei bloßer Besorgnis von Umweltbeeinträchtigungen unterhalb der Gefahrenschwelle legitimiere und verpflichte und damit auch auf eine Risikovorsorge (Kriterium der Möglichkeit) samt in diesem Rahmen möglicher Beweislastumkehr abziele.39 Auch die Rechtsprechung ist insoweit nicht eindeutig. Der EuGH konkretisiert das Vorsorgeprinzip, wenn auch nicht explizit, anhand des Kriteriums der Möglichkeit, indem er auf „ungewisse Gefahren“ abstellt: „Wenn das Vorliegen und der Umfang von Gefahren für die menschliche Gesundheit ungewiss ist, können die Organe Schutzmaßnahmen treffen, ohne abwarten zu müssen, dass das Vorliegen und die Größe dieser Gefahren klar dargelegt sind“.40 Später hat der EuGH in einem Urteil, das sich mit einer mitgliedstaatlichen Regelung be37 Kahl, Umweltprinzip und Gemeinschaftsrecht, 1993, S. 22; Epiney, Umweltrecht in der EU, 2. Auflage, 2005, S. 101 ff.; Rengeling, Umweltvorsorge und ihre Grenzen im EWG-Recht, 1989, S. 11 ff.; Schmitz, Die EU als Umweltunion, 1996, S. 154 f.; Krämer, in: von der Groeben/Schwarze (Hrsg.), EUV/EGV, 6. Aufl., 2003, Art. 174 EGV, Rn. 42; Grabitz/Nettesheim, in: Grabitz/ Hilf, EU, Art. 130r, Rn. 40 f.; Schröder, in: Rengeling (Hrsg.), Handbuch zum europäischen und deutschen Umweltrecht, Band I, 2. Aufl., 2003, § 9, Rn. 33 f.; grundlegend Wahl/Appel, Prävention und Vorsorge, 1995, S. 72 ff. 38 Rengeling, Umweltvorsorge und ihre Grenzen im EWG-Recht, 1989, S. 11 ff.; Lepsius, VVDStRL 63 (2004), 264 ff. 39 Epiney, Umweltrecht in der EU, 2. Aufl., 2005, S. 101 ff.; Schröder, in: Rengeling (Hrsg.), Handbuch zum europäischen und deutschen Umweltrecht, Band I, 2. Aufl., 2003, § 9, Rn. 35; ausführlich Calliess, Rechtsstaat und Umweltstaat, 2001, S. 153 ff. , insbes. S. 176 ff.; Wahl/Appel, Prävention und Vorsorge, 1995, S. 58 ff.; Lübbe-Wolff, in: Bizer/Koch (Hrsg.), Sicherheit, Vielfalt, Solidarität, 1998, S. 51 ff.; Jahns-Böhm, in: Schwarze (Hrsg.), EU-Kommentar, 2000, Art. 174 EGV, Rn. 19.

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fasste, die das Inverkehrbringen von mit Nährstoffen angereicherten Lebensmitteln von einer Zulassung abhängig machte, konkretisierend ausgeführt, dass die Ungewissheiten, die hinsichtlich der Gefährlichkeit von angereicherten Lebensmitteln bestehen, bei der mitgliedstaatlichen Gesetzesanwendung im Rahmen der Gefahrprognose auf Basis des vorhandenen Erfahrungs-, Statistik- und Regelwissens zu ermitteln (Risikoermittlung) sind. Auf Grundlage einer Risikobewertung könnten dann Maßnahmen des Risikomanagements getroffen werden, die vor dem Hintergrund des Vorsorgeprinzips auch Schutzmaßnahmen umfassen können, sofern sie schonend erfolgen und nicht auf rein hypothetische Erwägungen gestützt sind41. Eher am Begriff der Wahrscheinlichkeit – und damit im Ergebnis an der klassischen Gefahrenabwehr – orientiert sich hingegen das Gericht erster Instanz (EuG). Der Begriff des Risikos impliziere, dass ein gewisser Grad an Wahrscheinlichkeit bestehe, demzufolge die negativen Auswirkungen, die durch den Erlass der Maßnahme gerade vermieden werden sollen, eintreten können. Jener Risikograd könne nicht bei null angesetzt werden. Bevor also eine öffentliche Stelle eine vorsorgende Maßnahme treffe, müsse sie daher eine Risikobewertung vornehmen, die aus einem wissenschaftlichen und einem politischen Teil bestehe. Im wissenschaftlichen Teil spiele das Urteil wissenschaftlicher Experten eine entscheidende Rolle. Im politischen Teil, den das EuG als „Risikomanagement“ spezifiziert, könne sich die verantwortliche öffentliche Stelle nach einer sorgfältige Analyse und Abwägung über die wissenschaftlichen Schlussfolgerungen hinwegsetzen. Die Entscheidung, ein Produkt zu verbieten, so das EuG explizit, liege im Ergebnis nicht bei den wissenschaftlichen Experten, sondern bei der öffentlichen Stelle, der die politische Verantwortung übertragen worden sei.42 Während demnach in der europäischen Rechtsprechung die Begriffe Gefahr (Kriterium der Wahrscheinlichkeit) und Risiko (Kriterium der Möglichkeit) nicht eindeutig im Sinne des herrschenden deutschen Verständnisses verwandt werden, neigt die Kommission in ihrer Mitteilung über die Anwendbarkeit des Vorsorgeprinzips diesem deutlich zu: „Das Vorsorgeprinzip wird im Vertrag nicht definiert, der seine Anwendung lediglich an einer Stelle – nämlich zum Schutz der Umwelt – vorschreibt. In der Praxis ist sein Anwendungsbereich jedoch wesentlich weiter und zwar insbesondere in den Fällen, in denen aufgrund einer objektiven wissenschaftlichen Bewertung berechtigter Grund für die Besorgnis besteht, dass die (nur) möglichen Gefahren für die Umwelt und Ge-

40 EuGH, Rs. C-157/96, Slg. 1998, I-2211, Rn. 62 ff. (National Farmers’ Union); Rs. C-180/96, Slg. 1998, I-2265, Rn. 98 ff. (Vereinigtes Königreich/Kommission). 41 EuGH, Rs. C 95/01 = DVBl. 2004, 818 = EuZW 2004, 442 (Greenham und Abel). 42 EuG, Rs. T-13/99, Slg. 2002, II-3305, Rn. 139 ff., 321 (Pfizer Animal Health/ Rat); EuGH, Rs. C-236/01, Slg. 2003, I-1 ff. (Monsanto).

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sundheit von Menschen, Tieren oder Pflanzen nicht hinnehmbar oder mit dem hohen Schutzniveau der Gemeinschaft unvereinbar sein können“.43 In Übereinstimmung hiermit und im Interesse einer in sich schlüssigen Risikodogmatik44 ist das Vorsorgeprinzip also insbesondere dann anwendbar, wenn die wissenschaftlichen Beweise nicht ausreichen, keine eindeutigen Schlüsse zulassen oder unklar sind, jedoch aufgrund einer vorläufigen und objektiven wissenschaftlichen Risikobewertung Anlass zur abstrakten Besorgnis besteht. Entscheidend ist daher auch im Europarecht45 die Ersetzung der konkreten, hinreichenden Wahrscheinlichkeit durch die reine Möglichkeit, die abstrakte Besorgnis, eines Schadenseintritts.46 Maßgebliche Konsequenz der Erweiterung des klassischen Gefahrenabwehrmodells durch das Vorsorgemodell ist die Vorverlagerung des zulässigen Eingriffszeitpunkts für staatliche Maßnahmen. Im Ausbau des am Begriff der Wahrscheinlichkeit orientierten Gefahrenbegriffes lässt sich das Risiko damit als Sachlage definieren, in der bei ungehindertem Ablauf eines Geschehens ein Zustand oder ein Verhalten möglicherweise zu einer Beeinträchtigung von Rechtsgütern führt. In der Folge wird der Gesetzgeber für potentiell gefährliche Verfahren und Produkte die Beweislast umkehren und von ihrer Gefährlichkeit ausgehen dürfen, solange nicht das Gegenteil nachgewiesen wird. Denjenigen, die ein wirtschaftliches Interesse an der Herstellung und/oder Vermarktung des betreffenden Verfahrens oder Produkts haben, ist aber Gelegenheit zu geben, die erforderliche wissenschaftliche Forschung „auf freiwilliger Basis“ selbst zu leisten.47 Vorsorge bedeutet dem Wortsinn nach aber auch „Schaffung eines Vorrats für die Zukunft durch Verzicht in der Gegenwart“: Mit den zunehmend knapp werdenden natürlichen Ressourcen ist gegenwärtig sparsam umzugehen, um sie künftigen Generationen im Interesse ihrer Lebensfähigkeit als Vorrat zu erhalten. Diese Ressourcenvorsorge erfüllt zugleich den Zweck, Umweltressourcen im Interesse ihrer zukünftigen Nutzung durch Nichtausschöpfung der ökologischen Belastungsgrenzen zu schonen. Sie ist im Gemeinschaftsrecht, anders als im deutschen Recht nicht als Bestandteil des Vorsorgeprinzips anerkannt, sondern wird eher als Ausfluss des Grundsatzes der nachhaltigen Entwicklung, auf den die EU durch Art. 2, 6 und 174 Abs. 1 EGV verpflichtet ist, verstanden.

43 Mitteilung der Kommission, KOM (2000) 1 endg., S. 3; dazu Rengeling, DVBl. 2000, 1473 ff.; Appel, NVwZ 2001, 395. 44 Dazu ausführlich Calliess, Rechtsstaat und Umweltstaat, 2001, S. 154 ff. 45 Anders Lepsius, VVDStRL 63 (2004), 264 (273 ff.); dagegen zu Recht die meisten Diskussionsbeiträge, ebenda, 316 ff. 46 Ipsen, VVDStRL 48 (1990), 177 (186 f.); Breuer, NVwZ 1990, 211 (213 f.); Scherzberg, VerwArch 84 (1993), 484 (497 f.). 47 Vgl. Mitteilung der Kommission, KOM (2000) 1 endg., S. 3; dazu Rengeling, DVBl. 2000, 1473 ff.; Appel, NVwZ 2001, 395.

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c) Integrierter Umweltschutz im Wege der sog. Querschnittsklausel gem. Art. 6 EGV Der Umsetzung des Vorsorgeprinzips und dem noch näher zu konkretisierenden Konzept des integrierten Umweltschutzes dient auch die sog. Querschnittsklausel des Art. 6 EGV, derzufolge die Erfordernisse des Umweltschutzes bei der Festlegung und Durchführung aller Gemeinschaftspolitiken und -maßnahmen insbesondere zur Förderung einer nachhaltigen Entwicklung einbezogen werden müssen. Im Kern folgt aus Art. 6 EGV somit eine Verpflichtung von Gesetzgeber und Verwaltung, Umweltschutz, seiner Komplexität entsprechend48, als „problembezogene Querschnittsaufgabe“49 zu verstehen und alle Politiken und Maßnahmen so frühzeitig wie möglich auf ihre Umweltverträglichkeit zu überprüfen. Über den Begriff der „Durchführung“ sind auch die das Gemeinschaftsrecht in aller Regel vollziehenden Mitgliedstaaten an Art. 6 EGV gebunden. Dies verlangt, dass Entscheidungen in umweltexternen Bereichen (z. B. im Bereich der Verkehrs-, Agrar- oder auch Strukturpolitik) nicht ausschließlich an deren spezifischen Gegebenheiten ausgerichtet werden, sondern mit Rücksicht auf die Umweltauswirkungen anders oder im Extremfall sogar überhaupt nicht getroffen werden. Mit Art. 6 EGV wird, wie die Norm auch ausdrücklich hervorhebt, den Vorgaben des Grundsatzes der nachhaltigen Entwicklung Rechnung getragen. Denn jener Grundsatz bleibt, trotz aller möglichen materiellen Konkretisierungen (insbesondere über das Vorsorgeprinzip), ein Relationsbegriff, der einzelfallbezogener und – mit Blick auf seine materielle Unbestimmtheit – auch prozeduraler Umsetzung bedarf.50 d) Verursacherprinzip Der EuGH scheint das europarechtliche Verursacherprinzip primär als Kostenverteilungsprinzip zu verstehen, wenn er feststellt, dass die Inhaber landwirtschaftlicher Betriebe nach der Richtlinie 91/676/EWG (betreffend den Schutz der Gewässer vor Verunreinigung durch Nitrat aus landwirtschaftlichen Quellen) nicht verpflichtet seien, Belastungen zu tragen, die „mit der Beseitigung einer Verunreinigung verbunden sind, zu der sie nichts beigetragen haben“.51 Nicht zuletzt der Vergleich mit anderen Amtssprachen (französisch: pollueurpayeur, englisch: polluter should pay) bestätigt, dass das gemeinschaftsrechtliche Verursacherprinzip mit EuGH und Schrifttum als Kostenzurechnungs48

Dazu Ritter, NVwZ 1987, 929 ff. Breuer, in: Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, 13. Auflage, 2005, Rn. 36. 50 Ausführlich dazu Calliess, DVBl. 1998, 559 ff. 51 EuGH, Rs. C-293/97, Slg. 1999, I-2603, Rn. 51 f. (Standley); dazu die Anmerkung von Delfs, ZUR 1999, 322 ff. 49

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prinzip, das durch Internalisierung der externen Kosten zur Verwirklichung des Grundsatzes der Kostenwahrheit beitragen soll, zu verstehen ist. Als Gegenpart des Gemeinlastprinzips verlangt das Verursacherprinzip, dass derjenige, der eine Umweltbeeinträchtigung – ob legal52 oder illegal – hervorruft, für diese auch zahlen soll.53 Vor diesem Hintergrund legitimiert es nicht nur Maßnahmen, die dem Verursacher in einem unmittelbaren Sinne Kosten auferlegen (etwa Sanierungskosten, Haftungsvorschriften und Fondslösungen), sondern auch umweltrechtlichen Vorgaben, die kostenträchtige Verhaltensänderungen zur Folge haben, sowie Umweltabgaben und marktwirtschaftliche Instrumente. Dabei verlangt das Verursacherprinzip nicht, dass der Verursacher ausschließlich die Kosten der von ihm verursachten Verschmutzung, sondern mindestens diese Kosten trägt.54 Die Durchsetzung des Verursacherprinzips wird in der Praxis allerdings oftmals dadurch erschwert, dass Umweltbeeinträchtigungen, etwa im Falle der Distanzund Summationsschäden (z. B. Waldschadensproblematik), auf einer Vielzahl ursächlicher Handlungen beruhen.55 Zu Recht wird daher eine Interpretation des Verursacherprinzips befürwortet, die aufgrund einer besonderen Verantwortungsnähe zur Umweltbeeinträchtigung homogene Verursachergruppen aufgrund einer Gruppenverantwortlichkeit heranzieht56 und damit entsprechende Fondslösungen57 legitimiert.

52 A. A. noch Krämer, EuGRZ 1989, 353 (361), der auf die Nichteinhaltung von bestehenden Vorschriften abstellt; wie die h. M. ders., in: von der Groeben/Schwarze (Hrsg.), EUV/EGV, 6. Aufl., 2003, Art. 174, Rn. 51 f. 53 Grabitz/Nettesheim, in: Grabitz/Hilf (Hrsg.), Das Recht der EU, Art. 130r, Rn. 47 ff.; Epiney, Umweltrecht in der EU, 2. Auflage, 2005, S. 106 ff.; Kahl, Umweltprinzip und Gemeinschaftsrecht, 1993, S. 23 ff.; Schröder, in: Rengeling (Hrsg.), Handbuch zum europäischen und deutschen Umweltrecht, 2002, § 9, Rn. 40 f.; Purps, Umweltpolitik und Verursacherprinzip im Europäischen Gemeinschaftsrecht, 1991, S. 41 ff.; Wieberneit, Europarechtlicher Ordnungsrahmen für Umweltsubventionen, 1997, S. 33 ff.; Jans/von der Heide, Europäisches Umweltrecht, 2003, S. 43 ff.; Kahl, in: Streinz (Hrsg.), EUV/EGV, 2003, Art. 174 EGV, Rn. 82 ff. 54 Delfs, ZUR 1999, 322 (323); Schröder, in: Rengeling (Hrsg.), Handbuch zum europäischen und deutschen Umweltrecht, 2. Auflage, 2003, § 9, Rn. 41; Grabitz/Nettesheim, in: Grabitz/Hilf, EU, Art. 130r, Rn. 48 f.; ausführlich Wasmaier, Umweltabgaben und Europarecht, 1995, S. 12 ff. 55 Hierzu Reiter, Entschädigungslösungen für durch Luftverunreinigungen verursachte Distanz- und Summationsschäden, 1998, S. 19 ff. und 77 ff. 56 Kahl, Umweltprinzip und Gemeinschaftsrecht, 1993, S. 24 f.; Schröder, in: Rengeling (Hrsg.), Handbuch zum europäischen und deutschen Umweltrecht, Band I, 2. Auflage 2003, § 9, Rn. 42. 57 Grundlegend dazu Reiter, Entschädigungslösungen für durch Luftverunreinigungen verursachte Distanz- und Summationsschäden, 1998, S. 189 ff. (insbes. S. 224 ff.), wo eine überzeugende Fondskonzeption vorgestellt und auf ihre rechtliche Zulässigkeit überprüft wird.

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III. Die drei Säulen des europäischen Umweltsekundärrechts 1. Integrierter Umweltschutz (UVP/SUP/IVU) Der vorstehend bereits erwähnte Begriff des integrierten Umweltschutzes hat – zumindest in rechtlicher Hinsicht – seinen Ursprung im europäischen Umweltrecht.58 Erste Hinweise finden sich mit Blick auf das Problem der Schadstoffverlagerung im 3. Umweltaktionsprogramm der EG von 1983 unter den Stichworten „umfassende Strategie“ und „gesamthafte“ Kontrolle im Umweltschutz59, das 4. Umweltaktionsprogramm von 1987 verwendet erstmals den Begriff des „integrierten Konzepts“60, das 5. Umweltaktionsprogramm von 1993 schließlich bringt den integrierten Umweltschutz mit dem neuen umweltpolitischen Leitbild des „sustainable development“61 in Zusammenhang, zu dessen Konkretisierung es erforderlich werde, die bestehenden und neuen Instrumente des Umweltschutzes in einem integrierten System zusammenzufassen, damit umweltpolitisches Handeln integriert und koordiniert werden könne.62 Konkret haben erstmals die projektbezogene UVP-Richtlinie von 1985 mit ihrem übermedialen, umfassenden und die Wechselwirkungen zwischen den einzelnen Umweltmedien erfassenden Ansatz63 sowie dann die IVU-Richtlinie von 1996 mit ihrem „integrierten Konzept“ für die Genehmigung von Anlagen64 Elemente eines integrierten Umweltschutzes normiert. Auch die Richtlinie 2001/42/EG des Europäischen Parlaments und des Rates über die Prüfung der Umweltauswirkungen bestimmter Pläne und Programme65 – auch Strategische Umweltprüfung (SUP) bzw. Plan-UVP genannt – die die projektbezogene UVP ergänzend auf vorgelagerte Pläne und Programme ausdehnt, versteht sich nicht nur von ihrer inhaltlichen Konzeption her, sondern auch nach ihrem Anhang I lit. f) als Teil des Integrierten Umweltschutzes66. 58 Ausführlich dazu Zöttl, Integrierter Umweltschutz in der neuesten Rechtsentwicklung – Die EG-Richtlinie über die integrierte Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung und ihre Umsetzung in das deutsche Recht, 1998; Röckinghausen, Integrierter Umweltschutz im EG-Recht, Der Begriff des integrierten Umweltschutzes in der Rechtsordnung der Europäischen Gemeinschaft, 1998, S. 49 ff. 59 3. Umweltaktionsprogramm, ABl.1983 C 46 S. 3. 60 4. Umweltaktionsprogramm, ABl. 1987 C 328 S. 5 (18 ff.). 61 Dazu Schröder, in: Archiv des Völkerrechts, Band 34, 1996 S. 251 ff. 62 5. Umweltaktionsprogramm, ABl. 1993 C 138 S. 5 (29). 63 Richtlinie 85/337/EWG über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten, ABl. 1985 L 175 S. 40. 64 Richtlinie 96/61/EG des Rates vom 24. 09. 1996 über die integrierte Verminderung und Vermeidung der Umweltverschmutzung, ABl. 1996 L 257 S. 26. 65 Richtlinie 2001/42/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. 7. 2001 über die Prüfung der Umweltauswirkungen bestimmter Pläne und Programme, ABl. 2001 L 197/30.

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Mit der projektbezogenen UVP-Richtlinie von 198567 wurden, wie schon erwähnt, erstmals Elemente eines integrierten Umweltschutzes normiert und in das deutsche Recht transformiert. Das Prinzip des Integrierten Umweltschutzes kommt hier in der erforderlichen Gesamtbewertung der ermittelten Umweltauswirkungen eines Vorhabens zum Ausdruck: Indem nach § 2 Abs. 1 S. 2 UVPG alle Auswirkungen eines Vorhabens auf Menschen, Tiere und Pflanzen, Boden, Wasser, Luft, Klima und Landschaft einschließlich der jeweiligen Wechselwirkungen ermittelt, beschrieben und bewertet werden sollen, wird ein medienübergreifender und damit integrativer Ansatz im Umweltschutz verfolgt. Über die herkömmliche, fachbezogene, sektorale Prüfung hinaus, sollen Umweltauswirkungen gesamthaft betrachtet und bewertet werden.68 Der Ansatz des integrierten Umweltschutzes, wie er insbesondere in dem Erfordernis der „Gesamtbewertung aller Umweltauswirkungen, einschließlich der Wechselwirkungen“ nach § 2 Abs. 1 S. 4 UVPG zum Ausdruck kommt, erfordert freilich, dass die Leistungsfähigkeit eines Ökosystems wissenschaftlich operationalisierbar ist. Nicht zu Unrecht wird insoweit vom rechtswissenschaftlichen Schrifttum kritisch angemerkt, dass die Rede von der Gesamthaftigkeit allenfalls das Problem, nicht aber dessen Lösung kennzeichne.69 Insoweit schafft auch die UVP-Verwaltungsvorschrift, die das Gesetz konkretisieren soll, keine Klarheit.70 Zu Recht mehrten sich im Zusammenhang mit der Umsetzung der UVP-Änderungsrichtlinie71, die ursprünglich einmal im Rahmen der Realisierung des ebenfalls am integrierten Umweltschutz ausgerichteten UGB erfolgen sollte72, diejenigen Stimmen, die den Ansatz des integrierten Umweltschutzes für – wenn auch nur begrenzt – materiell operationalisierbar halten.73 Jedoch bleibt unumstritten, 66 Schröder, in: Erbguth (Hrsg.), Europäisierung des nationalen Umweltrechts: Stand und Perspektiven, 2001, S. 29. 67 Richtlinie 85/337/EWG über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten, ABl. 1985 L 175, S. 40. 68 Ausführlich hierzu Röckinghausen, Integrierter Umweltschutz im EG-Recht, Der Begriff des integrierten Umweltschutzes in der Rechtsordnung der Europäischen Gemeinschaft, 1998, S. 64 ff.; Durst, Die UVP in parallelen und konzentrierten Verfahren: eine Untersuchung unter besonderer Berücksichtigung europarechtlicher Vorgaben am Beispiel immissionsschutzrechtlicher und gentechnischer Anlagen, 1998, S. 109 ff.; allgemein Zöttl, Integrierter Umweltschutz in der neuesten Rechtsentwicklung – Die EG-Richtlinie über die integrierte Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung und ihre Umsetzung in das deutsche Recht, 1998, S. 86 ff. 69 Schmidt, DÖV 1994, 749 (755) m.w. N. 70 Dazu Mayen, NVwZ 1996, 319. 71 Richtlinie 97/11/EG vom 3. 3. 1997, ABl. L 73, S. 5; dazu Feldmann, in: Rengeling (Hrsg.), Europäisches und deutsches Umweltrecht Bd. I, 2. Auflage, 2003, § 34, Rn. 123 ff. 72 Vgl. aber zu diesem ins Stocken geratenen Umsetzungsvorhaben Wasielewski, NVwZ 2000, 15 ff. (insbesondere 17 ff.). 73 Röckinghausen, Integrierter Umweltschutz im EG-Recht, Der Begriff des integrierten Umweltschutzes in der Rechtsordnung der Europäischen Gemeinschaft, 1998,

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dass integrierter Umweltschutz immer auch prozedural organisiert werden muss, etwa durch Öffentlichkeitsbeteiligung74 und verbesserte Behördenkoordination (vgl. etwa die Regelung des § 14 UVPG über die Koordinierung der UVP in parallelen Verfahren).75 Trotz aller Konkretisierungen in einzelnen Rechtakten und Programmen wird das Verständnis dessen, was Integrierter Umweltschutz ist und was er leisten soll, nur begrenzt sichtbar.76 In dieser Situation ist es Aufgabe der Wissenschaft zu systematisieren und im Zuge dessen zwischen Externer und Interner Integration zu unterscheiden.77 Unter Externer Integration lässt sich – in Anlehnung an die insoweit maßgebliche Norm des Art. 6 EGV78 – das Erfordernis verstehen, die Belange des Umweltschutzes bei der normativen Ausgestaltung und Durchführung anderer Gemeinschaftspolitiken, wie z. B. Verkehr, Landwirtschaft oder Energie, zu berücksichtigen und zur Förderung einer wirtschaftlich, sozial und ökologisch nachhaltigen Entwicklung einzubeziehen.79 Externe Integration wirkt also politikenübergreifend. Im Rahmen der Internen Integration rückt demgegenüber das Ziel ins Zentrum der Aufmerksamkeit, die Auswirkungen von umweltbelastenden Stoffen oder Tätigkeiten nicht nur im Hinblick auf ein einzelnes Medium, sondern im Hinblick auf die Umwelt als Ganzes zu regeln. Es geht hier mithin um einen medienübergreifenden ökologischen Ansatz, der im Unterschied zu sektoralen bzw. medialen Umweltschutzkonzepten von einer ganzheitlichen Betrachtung der Umwelt ausgeht und so dem Problem der Belastungsverlagerungen in besonderer Weise Rechnung tragen will. Im Kontext der Internen Integration darf sich integrierter Umweltschutz daher nicht auf die bloße Zusammenführung der einzelnen Umweltmedien bzw. -schutzgüter beschränken, sondern soll, den naturwissenschaftlichen Erkenntnissen der ÖkoS. 33 ff., 37 ff., 112 ff.; Volkmann, VerwArch 89 (1998), 363 ff.; Zöttl, Integrierter Umweltschutz in der neuesten Rechtsentwicklung – Die EG-Richtlinie über die integrierte Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung und ihre Umsetzung in das deutsche Recht, 1998, S. 86 ff.; eher kritisch Masing, DVBl. 1998, 549 ff.; Di Fabio, Integratives Umweltrecht – Bestand, Ziele, Möglichkeiten in: Gesellschaft für Umweltrecht (Hrsg.), Dokumentation zur 21. Wissenschaftlichen Fachtagung, 1998, S. 27 ff. 74 Ähnlich Schmidt, DÖV 1994, 749 (755); Zöttl, Integrierter Umweltschutz in der neuesten Rechtsentwicklung – Die EG-Richtlinie über die integrierte Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung und ihre Umsetzung in das deutsche Recht, 1998, S. 98 f. 75 Dazu Landel, Die Umweltverträglichkeitsprüfung in parallelen Zulassungsverfahren, 1995, S. 114 ff. 76 Schröder, in: Erbguth (Hrsg.), Europäisierung des nationalen Umweltrechts: Stand und Perspektiven, 2001, S. 29. 77 Schröder, in: Erbguth (Hrsg.), Europäisierung des nationalen Umweltrechts: Stand und Perspektiven, 2001, S. 29 ff. 78 Dazu Calliess, DVBl. 1998, 559 ff. 79 Schröder, in: Erbguth (Hrsg.), Europäisierung des nationalen Umweltrechts: Stand und Perspektiven, 2001, S. 29 f.

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logie korrespondierend, das Beziehungsgeflecht und die Wechselbeziehungen bei der Regelung und Bewertung umweltrelevanter Sachverhalte berücksichtigen.80 Kurz gesagt wirkt Interne Integration – innerhalb der Umweltpolitik – also medienübergreifend. Darüber, wie Interne Integration zu bewirken ist, herrscht freilich Streit. Angesichts der zu bewältigenden Komplexität vertraut das Recht auch hier auf eine im Schwerpunkt verfahrensrechtliche Umsetzung (vgl. z. B. Art. 7 IVU-Richtlinie). Integrierter Umweltschutz ist mithin sowohl in der Variante der Externen Integration als auch in der Variante der Internen Integration in besonderer Weise durch Verfahren zu verwirklichen. Externe Integration verlangt im Rahmen der Verwaltungsorganisation spezielle, mit einem aufschiebenden Vetorecht ausgestattete Instanzen, die auf Grundlage einer strategischen Umweltverträglichkeitsprüfung zur Verteidigung der Umweltbelange in die geplanten sektoriellen Maßnahmen einer umweltexternen Fachbehörde „hineingrätschen“. Dies kann von außen geschehen, durch die mit einem Kontroll- und Vetorecht ausgestattete Umweltfachbehörde, idealiter geschieht dies jedoch von innen, indem in der jeweiligen umweltexternen Fachbehörde – gleichsam als „Trojanisches Pferd“ – eine Umweltabteilung eingerichtet wird, die konsequent und konstant in die Ausarbeitung der sektoriellen Maßnahme eingebunden wird. Interne Integration erfordert demgegenüber die Bündelung und Vernetzung zwischen verschiedenen mit dem Umweltschutz befassten Umweltfachbehörden. Ziel ist es, fachintern und in Reaktion auf die Komplexität des Umweltschutzes, eine medienübergreifende, die Wechselwirkungen zwischen den Umweltmedien berücksichtigende Gesamtbetrachtung zu ermöglichen, mit der Problemverlagerungen so weit wie möglich (Grundsatz der bestmöglichen Umweltoption) vermieden werden. Dieses Ziel kann am besten durch eine Einheitsbehörde in einem einheitlichen Verfahren gewährleistet werden.81 2. Umweltschutz durch Verfahren Bereits das Konzept des integrierten Umweltschutzes macht deutlich, wie sehr das europäische Umweltrecht auf das Verfahren setzt. Andere Ansätze, die im Zusammenhang mit dem eingangs zitierten Vollzugsdefizits des europäischen Umweltrechts im Zusammenhang stehen, unterstreichen diese Verfahrensorientierung. Mit Blick auf das konstatierte Vollzugsdefizit setzt die EG insbesondere auf den interessierten Bürger als Wächter der Umwelt. Dementsprechend wollte sie 80 Schröder, in: Erbguth (Hrsg.), Europäisierung des nationalen Umweltrechts: Stand und Perspektiven, 2001, S. 30; Erbguth, DÖV 1984, 699. 81 Ausführlich hierzu und zum folgenden Calliess, in: Ruffert (Hrsg.), Recht und Organisation, 2003, S. 73 ff.

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schon in ihrem Fünften Umweltaktionsprogramm82 alle Verantwortlichen in der Gemeinschaft im Rahmen eines Prinzips der gemeinsamen Verantwortung in ihre Umweltpolitik einbinden. Es wird im Schrifttum insofern zutreffend von einer – dem Subsidiaritätsprinzip entsprechenden – Herabzonung der Überwachungsaufgabe auf die kleinste soziale Einheit, den betroffenen Bürger, gesprochen. Vor diesem Hintergrund ist die Stärkung der individuellen Rechte des einzelnen Bürgers im Gemeinschaftsrecht zu sehen.83 Diese verwirklicht sich insbesondere über die Trias von Information, Partizipation und Zugang zum Gericht.84 Das Sechste Umweltaktionsprogramm führt diesen Ansatz fort und stellt insbesondere die bessere Information der Bürger heraus.85 Entsprechend wollte schon die EG-Richtlinie über den freien Zugang zu Umweltinformationen86 nach der 4. Begründungserwägung ihrer Präambel „den Umweltschutz verbessern“. Durch das von ihr in Art. 3 Abs. 1 jedermann voraussetzungslos gewährte Zugangsrecht will die Richtlinie die Transparenz des Umweltverwaltungshandelns erhöhen und die Informationsgrundlage der interessierten Öffentlichkeit verbreitern. Partizipationsrechte des Bürgers finden sich im EG-Recht insbesondere in der Richtlinie über die Umweltverträglichkeitsprüfung.87 In deren Art. 6 Abs. 2 wird ein Individualanspruch des Bürgers gegenüber den Mitgliedstaaten auf Beteiligung garantiert.88 In systematischer Auslegung lässt sich den Vorschriften der Richtlinie sogar ein indirekter Anspruch jedes Bürgers auf Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung entnehmen89, sofern nur eines der dort im Anhang genannten Projekte in Rede steht. Überdies gewährt die bereits erwähnte IVU-Richtlinie90 den Bürgern – auch grenzüberschreitende – Beteiligungsrechte mit Blick auf Genehmigungs-

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Dok. KOM (92) 23 endg., Teil II; dazu Wägenbaur, EuZW 1993, 241. Vgl. dazu Pernice, NVwZ 1990, 414 (423); Lindemann/Delfs, ZUR 1993, 256; Krämer, EU, Schutz der Umwelt und Recht, Vorträge aus dem Europa-Institut der Universität des Saarlandes, Nr. 267, 1994, S. 174 ff.; grundlegend Masing, Die Mobilisierung des Bürgers für die Durchsetzung des Rechts – Europäische Impulse für eine Revision der Lehre vom subjektiven Recht, 1997; Wegener, Rechte des Einzelnen, 1998, S. 25 ff.; Albin, Die Vollzugskontrolle des europäischen Umweltrechts, 1999, S. 163 ff., 213 ff. 84 Dazu Calliess, ZUR 2000, 246 ff. 85 KOM 2001/3. 86 RL 90/313/EWG, ABl. L 158 vom 23. 6. 1990, S. 56 ff.; dazu: Engel, NVwZ 1992, 111 ff.; zur Umsetzung ins deutsche Recht: Wegener, IUR 1992, 211 ff. 87 RL 85/337/EWG v. 27. 6. 1985, ABl. 1985 L 175, S. 40. 88 So Pernice, NVwZ 1990, 425; Krämer, EuGRZ 1988, 293. 89 Pernice, NVwZ 1990, 425. 90 ABl. 1996 Nr. L 257, S. 26, abgedruckt in NVwZ 1997, S. 363, dazu Dolde, NVwZ 1997, 313 (317); zur umstrittenen Vorgeschichte der IVU-Richtlinie vgl. auch den Kommissionsvorschlag in ABl. 1993 Nr. C 311, S. 6, abgedruckt in NVwZ 1994, 459; dazu Sellner/Schnutenhaus, NVwZ 1993, 828 ff.; Schnutenhaus, ZUR 1994, 299 ff. 83

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verfahren und wesentliche Änderungen von Anlagen. Auf Grundlage der Urteile des EuGH zur Richtlinie über den Schutz des Grundwassers91 sowie den Urteilen zu den Richtlinien über das zulässige Maß der Luftverschmutzung92 entwickelt sich seit geraumer Zeit eine Vollzugskontrolle durch Klagerechte vor mitgliedstaatlichen Gerichten mittels aus dem Gemeinschaftsrecht abgeleiteter individueller Rechte. Diese Entwicklung setzt sich im Rahmen der Überprüfung der Rechtmäßigkeit von UVP-pflichtigen Projekten93, der defizitären Umsetzung der Richtlinie über die Beurteilung und die Kontrolle der Luftqualität (Stichwort: Feinstaub)94 bzw. der Richtlinie über die Bewertung und Bekämpfung von Umgebungslärm95 fort.96 Deutlich wird hieraus, dass die Suche nach Wegen zur Beseitigung des Vollzugsdefizits zum Teil weitreichende Auswirkungen auf das nationale Verwaltungs- und Umweltrecht hat, deren Umfang bisher erst in Ansätzen erkennbar ist.97 Denn entgegen der Tradition der deutschen Verwaltungsrechtsprechung verfährt der EuGH bei der Zuerkennung individueller Rechte großzügiger, indem ein durch die Richtlinie vorgeformtes rechtlich geschütztes Interesse und die nur faktische Betroffenheit des Einzelnen im Anwendungsbereich des Gemeinschaftsrechts für die individuelle Klageberechtigung ausreichen müssen.98 Dem Gerichtshof reicht insoweit schon der Hinweis auf das Ziel der Richtlinie, etwa den Schutz der menschlichen Gesundheit, aus. Schon die so vorgenommene pauschalierte Interessen- und Interessentenbeschreibung führt zur Anerkennung des individualschützenden Charakters auch vorsorgeorientierter Grenzwertbestimmungen. Diese Entwicklung begünstigt auch die Entwicklung hin zu einer Verbandsklage99.

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EuGH, Rs. C-131/88, Slg. 1991, I-825, Rn. 6 (Kommission/Deutschland). EuGH, Rs. 59/89, Slg. 1991, I-2607 (Kommission/Deutschland); Rs. C-361/88, Slg. 1991, I-2567 (Kommission/Deutschland); dazu ausführlich Everling, RIW 1992, 379; Zuleeg, NJW 1993, 31 (35 ff.). 93 EuGH, Rs. C-72/95, Slg. 1996, I-5431 (Kraaijeveld); Bunge, ZUR 2004, 141; Schlacke, ZUR 2006, 360 ff. 94 ABl. 1996 L 296, S. 55. 95 ABl. 2002 L 189, S. 12. 96 Dazu Calliess, NVwZ 2006, 1 ff. 97 Ausführlich Wegener, in: Lübbe-Wolff (Hrsg.), Der Vollzug des europäischen Umweltrechts, 1996, S. 145 ff.; grundlegend ders., Rechte des Einzelnen, 1998, S. 80 ff.; Ruffert, Subjektive Rechte im Umweltrecht der EG, 1996, S. 146 ff.; Masing, Die Mobilisierung des Bürgers für die Durchsetzung des Rechts, 1997; Schoch, NVwZ 1999, 457; Calliess, Rechtsstaat und Umweltstaat, 2001, S. 478 ff., inbes. 482 ff. jeweils m.w. N.; a. A. Triantafyllou, DÖV 1997, 192 (196). 98 Calliess, in: Nowak/Cremer (Hrsg.), Individualrechtsschutz in der EU und der WTO, 2002, S. 81 ff.; Kahl, in: Streinz (Hrsg.), EUV/EGV, 2003, Art. 175 EGV, Rn. 50. 99 Calliess, EurUP 2003, 7; Kahl, in: Streinz (Hrsg.), EUV/EGV, 2003, Art. 175 EGV, Rn. 58. 92

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Die auf diese Weise im Gemeinschaftsrecht bereits angelegte Trias von Information, Partizipation und Zugang zum Gericht wird durch die (noch näher zu behandelnden) Vorgaben der Århus-Konvention, die von EU und Mitgliedstaaten umzusetzen war, noch einmal betont und gestärkt. 3. Ergebnis- und qualitätsorientierter Umweltschutz Im Kontext von Integriertem Umweltschutz und Verfahrensorientierung ist auch die ergebnis- und qualitätsorientierte Ausrichtung des europäischen Umweltschutzes zu sehen. Mit dieser sind planende Elemente sowie eine Art Umweltqualitätsmanagement, das Züge einer Umweltbewirtschaftung enthält, eng verbunden. Dies sollen die nachfolgenden Beispiele zeigen, die deutlich machen, dass die gebundene Erlaubnis in diesem Kontext in die Defensive gerät und der Einräumung eines administrativen Ermessens weichen muss: Mit Blick auf die mit dem integrierten Umweltschutz verfolgten Ziele geht es darum, den Entscheidungsprozess so zu organisieren, dass eine den Vorgaben des integrierten Umweltschutzes entsprechende medienübergreifende Kontrolle der durch Industrieanlagen und sonstige umweltbeanspruchende Projekte bewirkten Umweltbelastung ermöglicht wird. Diese Einsicht impliziert an und für sich schon die aus der IVU-Richtlinie fließende Vorgabe, im jeweiligen Genehmigungsverfahren materiell-integrativ zu entscheiden. Im Kern liegt der IVURichtlinie ein pragmatisch-verfahrensgestaltender Ansatz zugrunde, so dass die Verfahrensebene eine konstitutive Bedeutung für das angestrebte Ergebnis einer materiellen internen Integration hat. Faktisch werden die materiellen Genehmigungsanforderungen also durch das Genehmigungsverfahren geprägt.100 Im Zuge dessen erhalten umweltbewirtschaftende Elemente Einzug, die eine Abwägung erforderlich machen. Letztere ist aber wohl effektiv nur im Kontext der Einräumung administrativen Ermessens möglich. Mit der SUP-Richtlinie wurde der sich bereits nach Erlass der Projekt-UVPRichtlinie abzeichnenden101 Einsicht Rechnung getragen, dass vielfältige umweltrelevante Vorentscheidungen in Bezug auf ein konkretes Vorhaben, wie etwa die Standortauswahl,102 bereits im vorgelagerten Planungsstadium unwiderruflich gefällt werden. Erfolgte beispielsweise die Standortwahl für ein Projekt schon durch einen raumordnerischen Plan ohne Umweltverträglichkeitsprüfung, so konnten die Umweltfolgen dieser (Vor-)Entscheidung im Rahmen der Projekt-UVP nicht mehr angemessen berücksichtigt werden. Nur ein verbunde100 Maaß, DVBl. 2002, 364 (366); Staupe, ZUR 2000, 368; Schmidt-Preuß, NVwZ 2000, 252 (253), der insoweit, etwas missverständlich, von einer dienenden Funktion des Verfahrensrechts spricht. 101 Vgl. Ginzky, UPR 2002, 47 (47). 102 Pietzcker/Fiedler, UVP-report 3 (2002), 83 (83).

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nes Prüfsystem, wie es UVP und SUP in Kombination vorsehen, kann die Prüfung von Alternativen ermöglichen sowie kumulative und synergetische Umweltauswirkungen mehrerer im Plan vorgesehener Projekte in den Blick nehmen.103 Mittels der SUP-Richtlinie sollte diesen Defiziten der Projekt-UVP begegnet werden. Sie soll dadurch zu „nachhaltigeren und wirksameren Lösungen“104 beitragen, dass sie im Vorfeld der projektbezogenen UVP-Richtlinie – dem Gebot der Frühzeitigkeit entsprechend – eine Prüfung des abstrakten planerischen Umfelds eines Vorhabens ermöglicht. Von zentraler Bedeutung ist insoweit, dass auf dieser Verfahrensebene zu diesem frühen Zeitpunkt noch Alternativlösungen (insbesondere hinsichtlich der Wahl des Standorts) in Betracht kommen. Mit der Möglichkeit der Alternativenprüfung, die als zentrales Element der SUP angesehen werden kann105, wird einem maßgeblichen Aspekt des im Umweltverfassungsrecht der EG verankerten Vorsorgeprinzips (Art. 174 Abs. 2 S. 2 EGV) Rechnung getragen: Wirksame Vorsorge richtet sich nicht nur am Gebot der Frühzeitigkeit aus, sondern sucht auch nach der bestmöglichen Umweltoption, mithin der – abgesehen von der Nullvariante – die Umwelt am wenigsten belastenden Alternative.106 Mit dem Ziel der Verbesserung der Luftqualität hat die Europäische Union verschiedene Richtlinien erlassen. In Artikel 4 der insoweit zunächst maßgeblichen Rahmenrichtlinie 96/62/EG107 finden sich die Grundsätze für die Festlegung von Grenzwerten, Zielwerten und Alarmschwellen für die Luft. Mit Blick auf die Stoffe Schwefeldioxid, Stickstoffdioxid, Feinpartikel wie Ruß, Schwebstaub und Blei soll die Umsetzung nach Artikel 4 Absatz 1 durch Tochterrichtlinien (vgl. betr. Feinstaub etwa die Richtlinie 99/30/EG108) erfolgen. Dabei sollen die Werte selbst nach Wirkungsgesichtspunkten entsprechend dem Stand der Kenntnisse festgelegt werden. Mit dem Ziel den tatsächlichen Verhältnissen Rechnung zu tragen, sieht die Richtlinie vor, dass bei der Festlegung der Grenzwerte zeitlich befristete Toleranzmargen für das Überschreiten der Grenzwerte angegeben werden können. Mit Blick auf die Zielwerte gilt, dass sie so weit wie möglich in einem bestimmten Zeitraum von den Mitgliedstaaten erreicht werden sollen. Artikel 5 und 6 der Luftqualitätsrahmenrichtlinie behandeln die Beurteilung der Luftqualität. Die Regelungen in Artikel 7 bis 10 der Richtlinie über die Maßnahmen zur Erreichung der Ziele der Richtlinie haben 103 Vgl. dazu das die SUP vorbereitende Dokument der Kommission KOM (96) 511, S. 4 ff.; ferner Ziekow, UPR 1999, 287 (288). 104 Vgl. den 5. Erwägungsgrund der Richtlinie. 105 So zu Recht Ziekow, UPR 1999, 287 (288, 293). 106 Dazu Calliess, Rechtsstaat und Umweltstaat, 2001, S. 235 ff., 245 ff. 107 Rahmen-Richtlinie v. 27. 9. 1996 über die Beurteilung und Kontrolle der Luftqualität (ABl. L 196, S. 255). 108 Tochter-Richtlinie v. 22. 4. 1999 über die Immissionswerte für Schwefeldioxid, Stickstoffoxide, Partikel und Blei (ABl. L 163, S. 41).

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besondere Bedeutung: Um die Gefahr der Überschreitung von Grenzwerten und Alarmschwellen zu vermindern und um die Dauer der Überschreitungen zu verringern, sollen die Mitgliedstaaten Aktionspläne für kurzfristig zu ergreifende Maßnahmen aufstellen, die unter anderem die Untersagung bestimmter Tätigkeiten einschließlich des Kraftfahrzeugverkehrs vorsehen können. In bestimmten Gebieten und Ballungsräumen, in denen Grenzwerte einschließlich ihrer Toleranzmargen überschritten werden, müssen die Mitgliedstaaten Pläne oder Programme ausarbeiten oder durchführen, aufgrund derer die Grenzwerte innerhalb der festgelegten Fristen erreicht werden können. Für diese Pläne und Programme werden im Anhang der Richtlinie bestimmte Mindestvoraussetzungen festgelegt. Die Vorgaben der Richtlinien hat der Bund insbesondere mit der 22. Bundesimmissionsschutzverordnung (BImSchV) umgesetzt109, mit der die Grenzwerte der 22. BImSchV (Art. 5 Abs. 4 der RL 99/30/EG) und die daraus fließende Verpflichtung zur Schaffung von Aktionsplänen umgesetzt werden. Der in den Richtlinien (vgl. jetzt § 4 Abs. 2 der BImSchV) festgelegte Tagesmittelwert darf im Interesse des Gesundheitsschutzes der Anwohner höchstens 35-mal im Jahr überschritten werden. Vor diesem Hintergrund sieht § 47 Abs. 2 BImSchG die Möglichkeit des Erlasses von Aktionsplänen vor, die die Aufgabe haben, Maßnahmen festzulegen, über die kurzfristig die Gefahr oder der Zeitraum einer Grenzwertüberschreitung verringert werden kann. Insbesondere aber sieht die Wasserrahmenrichtlinie 2000/60/EG110 ein europaweites, im Einzelnen ausgefeiltes Wasserbewirtschaftungssystem vor.111 Grundlage sind die so genannten Flussgebietseinheiten, die nach einheitlichen Merkmalen geographischer, geologischer und hydrographischer Art sowie nach Siedlungs- und Wirtschaftsstruktur konturiert werden sollen (Artikel 3 Absatz 1 und Artikel 5 in Verbindungen mit den Anhängen II und III Wasserrahmenrichtlinie). Unabhängig von einigen im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens auf europäischer Ebene vorgenommen Änderungen bleibt die Wasserrahmenrichtlinie auf eine finale Steuerung des Verwaltungshandelns gerichtet: Umweltqualitätsziele, Maßnahmenprogramme, Bewirtschaftungspläne und Erfolgskontrollen fungieren dementsprechend als maßgebliche Instrumente der Richtlinie. Dies machen insbesondere die wasserwirtschaftlichen Aufgaben und Befugnisse der Behörden, die die Flussgebietseinheiten verwalten sollen, deutlich. Auf der Grundlage flächendeckend zu erfüllender Umweltziele (Artikel 4) und der verbindlich vorgegebenen Merkmale für Flussgebietseinheiten (Artikel 5) sollen 109 7. Gesetz zur Änderung des BImSchG v. 11. 9. 2002 (BGBl. I, 3622); 22. BImSchV v. 11. 9. 2002 (BGBl. I, 3626), geändert am 13. 7. 2004 (BGBl. I, 1612, 1625). 110 ABl. L 327 vom 22. 12. 2000, S. 73. 111 Dazu Holzwarth, ZUR 2005, 510 ff.; ausführlich und kritisch Breuer, in: Rengeling (Hrsg.), Handbuch zum europäischen und deutschen Umweltrecht, Band II, 2. Aufl., 2003, § 65, Rn. 6 ff., 45 ff., 131 ff.

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die für die Flussgebietseinheiten zuständigen Behörden die Überprüfung der Umweltauswirkungen menschlicher Tätigkeiten und eine wirtschaftliche Analyse der Wassernutzung für jede Flussgebietseinheit (Artikel 5 in Verbindung mit den Anhängen II und III), die Einrichtung, Überarbeitung und Aktualisierung eines Verzeichnisses der auszuweisenden Schutzgebiete (Artikel 6), die Festlegung von Umweltqualitätsnormen für jedes zur Entnahme von Trinkwasser genutzte, vorgesehene und zu beschreibende Gewässer (Artikel 7) sowie die Erstellung und Umsetzung von Programmen zur Überwachung des Zustands von Oberflächengewässern, Grundwasser und Schutzgebieten (Artikel 8) gewährleisten. Im Rahmen der Umsetzung der Wasserrahmenrichtlinie sollen die Mitgliedstaaten überdies sicherstellen, dass in jeder Flussgebietseinheit ein Maßnahmenprogramm zur Erreichung der festgelegten Umweltziele (Artikel 11) und ein Bewirtschaftungsplan für jede Flussgebietseinheit (Artikel 13) von den zuständigen Behörden erstellt werden. Hieran anknüpfend besteht eine weitgehende Berichtspflicht der Mitgliedstaaten, im Zuge derer sie der EG-Kommission alle Bewirtschaftungspläne sowie zusammenfassenden Berichte hinsichtlich der durchgeführten Analysen nach Artikel 5 und der Überwachungsprogramme gemäß Artikel 8 vorzulegen haben (Artikel 15). Schon diese wenigen, skizzenhaften Beschreibungen des Inhalts der Wasserrahmenrichtlinie machen deutlich, dass diese ein umweltbewirtschaftungsähnliches Organisations-, Planungs-, Ausführungs- und Kontrollsystem für die gesamte Wasserwirtschaft in den Mitgliedstaaten formuliert. Auch wenn Artikel 3 deutlich macht, dass die Wasserrahmenrichtlinie keine konkreten formellen Anforderungen an die mitgliedstaatliche Behördestruktur richtet, so unterliegt diese jedoch den finalen Inhalten des Richtlinienvorschlags, die nach Artikel 10 EGV in Verbindung mit der Rechtsprechung des EuGH dem Effizienzgebot unterliegen.112 Die zielorientierte Normstruktur der Wasserrahmenrichtlinie, ihre Ausrichtung auf Gewässerqualitätsziele, Maßnahmenprogramme, Bewirtschaftungspläne und Erfolgskontrollen bewirken im Wasserrecht Deutschlands einen nicht unerheblichen Systemwandel, dem auch das Umweltgesetzbuch stärker Rechnung tragen muss. Insbesondere wird die mitgliedstaatliche Verwaltung stärker auf Prognose-, Bewirtschaftungs-, Abwägungs-, Ermessens- und Gestaltungsentscheidungen hin orientiert. Der umfassende und konkret ausformulierte Umsetzungsauftrag hinsichtlich umweltpolitisch ehrgeiziger Gewässerqualitätsziele, Maßnahmenprogramme und Bewirtschaftungspläne verlangt von der Verwaltung hochkomplexe Abwägungs- und Planungsentscheidungen für die sie eines weit reichenden Ermessensspielraumes bedarf. Die daneben auch in der Richtlinie enthaltenen Emissionsbegrenzungen, die eher dem Ansatz des deutschen Umweltrechts entsprechen, treten insoweit in den Hintergrund.113

112

Dazu Calliess, in: Ruffert (Hrsg.), Recht und Organisation, 2003, S. 71 (99 ff.).

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Die vorstehenden beispielhaften Ausführungen machen deutlich, dass das europäische Umweltsekundärrecht mit seinem ziel- und qualitätsorientierten Ansatz Elemente einer Umweltbewirtschaftung enthält. Im Kontext dieses Ansatzes benötigen die mitgliedstaatlichen Behörden eine gewisse Handlungsfreiheit mit Blick auf die Erreichung des Ziels. Insoweit bedient sich das europäische Umweltrecht einer Art Benchmarking: Das in Art. 10 der SUP-Richtlinie vorgesehene Monitoring kann insoweit beispielhaft herangezogen werden114: Es soll verhindert werden, dass die Mitgliedstaaten, wie so oft, die SUP-Richtlinie formal umsetzen und anwenden, dann aber bei der konkreten Durchführung des Plans die materiellen Umweltbelange weitgehend ignorieren. Vor diesem Hintergrund verpflichtet Art. 10 die Mitgliedstaaten dazu, die erheblichen Auswirkungen der Durchführung der Pläne auf die Umwelt zu überwachen, um auf diese Weise frühzeitig unvorhergesehene negative Umweltauswirkungen ermitteln und begegnen zu können. Dementsprechend muss auch der Umweltbericht gem. Anhang I lit. i Informationen zu den geplanten Überwachungsmaßnahmen enthalten. Nicht durchsetzen konnte sich insoweit der Vorschlag des Europäischen Parlaments, den nationalen Umweltministerien eine obligatorische Verantwortung für die ordnungsgemäße Anwendung von Umweltschutzmaßnahmen bei überregionalen Plänen und Programmen aufzuerlegen. Dies hätte einen von Art. 10 EGV nicht mehr gedeckten Eingriff in die mitgliedstaatliche Verfahrensautonomie, die die Verwaltungsorganisation mit umfasst, bedeutet.115

IV. Zwischenergebnis: Die fünf strukturellen Vorgaben des europäischen Umweltsekundärrechts als „Prüfraster“ eines Umweltgesetzbuchs 1. Vom konditionalen Ordnungsrecht zum zielorientierten Optimierungsrecht Bekanntlich liegt dem deutschen Verwaltungsrecht im Schwerpunkt eine konditionale Normstruktur zu Grunde, die insbesondere dadurch gekennzeichnet ist, dass die Beziehungen zwischen Verwaltung und Bürger als Rechtsverhältnis mit wechselseitigen Rechten und Pflichten ausgestaltet sind. Deren normativen Voraussetzungen sind im jeweiligen Gesetzestext in aller Regel subsumtionsfähig und justitiabel ausformuliert. Das klassische Beispiel stellt die konditionale Normstruktur der gebundenen Anlagengenehmigung dar, wie sie in den §§ 5 113 Kritisch dazu Breuer, in: Rengeling (Hrsg.), Handbuch zum europäischen und deutschen Umweltrecht, Band II, 2. Aufl., 2003, § 65, Rn. 9, 45 ff. und 131 ff. 114 Dazu Roder, in: Hendler (Hrsg.), Die strategische Umweltprüfung (sog. PlanUVP) als neues Instrument des Umweltrechts, 2004, S. 225 ff. 115 EP Stellungnahme, ABl. 1998 C 341, S. 18; dazu kritisch Ziekow, UPR 1999, 287 (290).

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und 6 BImSchG zum Ausdruck kommt. Nachdem das europäische Umweltrecht in den siebziger und achtziger Jahren zunächst der am deutschen Recht orientierten konditionalen Normstruktur folgte, hat es sich unter dem Einfluss des französischen und britischen Verwaltungsrechts in den letzten zwanzig Jahren, insbesondere unter dem Einfluss des oben stehend erwähnten Konzepts des integrierten Umweltschutzes, zunehmend in Richtung einer finalen Normstruktur entwickelt.116 Die vorstehend erwähnte UVP-Richtlinie ebenso wie die IVURichtlinie, aber auch die Wasserrahmenrichtlinie und die SUP-Richtlinie, können insoweit als paradigmatisch gelten: Neben das grundlegende Ziel eines medienübergreifenden und gesamtökologisch verstanden integrierten Umweltschutzes treten insoweit Umweltqualitätsziele, Programmaufstellungspflichten und Bewirtschaftungspläne, die der Verwaltung eine effiziente Aufgabenerfüllung und insoweit eine im Vergleich zur finalen Normstruktur freiere Stellung einräumen. Um die mit der finalen Normstruktur einhergehenden Integrationsund Optimierungspostulate zu erfüllen, sind subjektive und politische Bewertungen, Gewichtungen und Abwägungen der Verwaltung notwendig, die letztlich einen Abschied von der gebundenen Erlaubnis bedingen und hin zu einem Ermessen führen. Auf diese Weise delegiert der Gesetzgeber die Normkonkretisierung in Form von zweckrationalen Aufträgen an die staatliche Exekutive, die sodann – im Verbund mit den im jeweiligen Verwaltungsverfahren zu beteiligenden Bürgern – den Vollzugsprozess insgesamt zu einer normnachschöpferischen Phase macht. Neben der ergänzenden Vollzugskontrolle durch die Bürger, die insoweit mit umfassenden Informations-, Partizipations- und Rechtsschutzmöglichkeiten ausgestattet sind, erfolgt die Vollzugskontrolle durch die Mitgliedstaaten seitens der Europäischen Union im Kontext eines so genannten Monitoring, das entsprechend der Zielorientierung des europäischen Umweltschutzes einer Art Benchmarking gleicht. Artikel 10 SUP-Richtlinie ist hierfür ein gutes Beispiel. 2. Von Emissionsgrenzwerten zu Qualitätszielen und Umweltplanung Auch wenn das europäische Umweltrecht, wie die IVU-Richtlinie oder auch die Wasserrahmenrichtlinie deutlich machen, nicht gänzlich auf materielle Emissionsgrenzwerte verzichtet (vgl. etwa Artikel 10 der IVU-Richtlinie sowie Artikel 10 der EG-Wasserrahmenrichtlinie), so wird doch deutlich, dass die Kombination von Umweltqualitätszielen mit Umweltverträglichkeitsprüfungen und abwägungsoffenen Vorgaben des integrierten Umweltschutzes ganz maßgeblich von Verfahrenspostulaten mitbestimmt wird. Mit dieser Hinwendung zu Quali116 Dazu – kritisch – Breuer, in: MURL-NRW (Hrsg.), Umweltrechtstage 2000, Umweltschutz im Widerstreit differierender Konzepte, S. 53 ff.

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tätszielen und Ansätzen der Umweltplanung gewinnt wiederum das Verfahren an Bedeutung. Im Zuge dessen gelangen wiederum die Verfahrensrechte des Bürgers in das Zentrum der Aufmerksamkeit, ergänzt um eine dem integrierten Umweltschutz geschuldete Behördenkonzentration auf eine einzige die Genehmigung erteilende Stelle. Dem entsprechend stehen auch hier Programm- und Aktionspflichten der Mitgliedstaaten (Meldepflichten, Monitoring) sowie eine dem korrespondierende Funktionalisierung des Rechtsschutzes, der die Bürger im Interesse der Programmverwirklichung mobilisieren soll, im Vordergrund. 3. Von der Gefahrenvermeidung zur umfassenden Vorsorgeorientierung Das Umweltsekundärrecht der EG ist – entsprechend den eingangs erwähnten Vorgaben des Art. 174 Abs. 2 S. 2 EGV – ganz zentral am Vorsorgeprinzip ausgerichtet. Das gilt nicht nur mit Blick auf das europäische Risikorecht, etwa das Chemikalienrecht in Form der sog. REACH-Verordnung117 oder das Recht der Grünen Gentechnik118, sondern auch für das europäische Luftreinhalte- und Wasserrecht. Der großen Bedeutung des Vorsorgeprinzips für das europäische Umweltrecht korrespondiert das Konzept des integrierten Umweltschutzes. Mit ihm sollen nicht nur Belastungsverschiebungen vermieden werden, sondern auch, wie UVP- und SUP- sowie IVU-Richtlinie deutlich machen, ein möglichst frühzeitiger Umweltschutz ermöglicht werden. Das europäische Vorsorgeprinzip überlagert die im deutschen Umweltrecht angelegte, nach wie vor festzustellende Orientierung an der klassischen Gefahrenabwehr. Dem entspricht es, wenn auch vorsorgeorientierte Normen- und Grenzwerte – entsprechend der erwähnten Rechtsprechung des EuGH (TA-Luft-Urteile) – im Zuge der gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben drittschützende Wirkung entfalten.119 4. Vom sektoralen zum querschnittsbezogenen Umweltschutz Trotz aller Ansätze im Bundesimissionsschutzgesetz und aller darauf gegründeten gegenteiligen Behauptungen120 verfolgt das deutsche Umweltrecht bislang einen sektoralen Ansatz, der mit dem querschnittsbezogenen Ansatz des europäischen Umweltrechts, wie er insbesondere im integrierten Umweltschutz zum Ausdruck kommt, nur schwer zu vereinbaren ist. Mit seiner so genannten integrierten Genehmigung, die einheitlich und medienübergreifend über die Zulassung eines Vorhabens entscheidet, würde das Umweltgesetzbuch insoweit freilich europarechtskonform Abhilfe schaffen. 117 118 119 120

Dazu Calliess, VerwArch 2003, 389 ff.; Calliess/Lais, NuR 2005, 290 ff. Vgl. etwa Calliess/Korte, DÖV 2006, 10 ff. Hierzu Wegener, Rechte des Einzelnen, 1998, S. 183 ff. Dazu Rebentisch, NVwZ 1995, 949 ff. m.w. N.

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5. Vom materiellen zum prozeduralen Umweltschutz Auch wenn sich das europäische Umweltrecht sinnvollerweise nicht von einem materiellen Ansatz verabschiedet, mithin also nicht auf die Vorgabe materieller Emissionsgrenzwerte verzichtet (vergleiche etwa Artikel 9 Absatz 3 IVU-Richtlinie), so ist doch eine im Vergleich zum deutschen Recht stärkere Hinwendung zum prozeduralen Umweltrecht erkennbar. Dies hat nicht nur mit dem Konzept des integrierten Umweltschutzes zu tun, sondern auch mit der im europäischen und internationalen Kontext (vgl. etwa die Århus-Konvention, dazu sogleich) festzustellenden Stärkung der Partizipationsrechte des Bürgers.121 Rechte auf umfassende Information, auf – unter Umständen auch grenzüberschreitende – Partizipation (vergleiche UVP-, SUP- und IVU-Richtlinie) sowie ein an der Interessentenklage orientierter Zugang zum Gericht sollen den Vollzug des Umweltrechts im Einzelfall verbessern. 6. Von der staatlichen Verantwortung zur bürgerlichen Mitverantwortung Die mit der verstärkten Hinwendung zum prozeduralen Umweltschutz verbundene, bereits vorstehend erläuterte Mobilisierung des Bürgers für die Durchsetzung des europäischen Umweltrechts, ergänzt die aus dem deutschen Umweltrecht bekannte, primär auf die staatlichen Behörden ausgerichtete, Vollzugskontrolle. Darüber hinaus gehende Ansätze zur Stärkung der bürgerlichen Mitverantwortung finden sich aber auch im Öko-Audit-System. Nachdem die Auditierung nicht mehr nur an organisatorischen Standards, sondern auch an der Einhaltung der materiellen umweltrechtlichen Vorschriften orientiert wird, und bei auditierten Organisationen zur Vermeidung von Doppelprüfungen Vollzugserleichterungen praktiziert werden, korrespondiert das Öko-Audit nunmehr auch stärker mit der bürgerlichen Mitverantwortung im Bereich der Vollzugskontrolle des Umweltrechts.122 Eine bürgerliche Mitverantwortung impliziert aber auch die vorsichtige Hinwendung zu den so genannten ökonomischen Instrumenten. Diese haben mit der Richtlinie 2003/87/EG über den Handel mit Emissionszertifikaten123 erstmals einen prominenten Anwendungsfall im europäischen Umweltrecht gefunden.

121

Ausführlich Calliess, ZUR 2000, 246 ff. Siehe hierzu Ewer, in: Rengeling (Hrsg.), Handbuch zum europäischen und deutschen Umweltrecht, Band I, 2. Aufl., 2003, § 36, Rn. 1 ff. (196 ff.). 123 ABl. L 275 vom 25. 10. 2003, S. 32; Leitlinien der Kommission KOM 2003/ 830; dazu Kreuter-Kirchhof, Neue Kooperationsformen im Umweltvölkerrecht, 2005, S. 406 ff. 122

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V. Beispiele für mögliche Konfliktfelder im Hinblick auf das UGB Das vorstehend als Zwischenergebnis formulierte, aus dem europäischen Primär- und Umweltsekundärrecht herausdestillierte „Prüfraster“ kann ein erster Orientierungsmaßstab, eine Art Leitfaden sein, an dem die Vorschriften eines künftigen Umweltgesetzbuches zu messen wären. Auf dieser Grundlage könnten die 775 Paragraphen des UGB-Kommissionsentwurfs zunächst allgemein auf ihre Europakonformität überprüft werden, eine konkrete Feinabstimmung müsste dann dort, wo sich Unstimmigkeiten zeigen, jeweils im Einzelfall erfolgen. Immerhin, und das kann nicht deutlich genug hervorgehoben werden, hat sich der UGB-Kommissionsentwurf konsequent bemüht, europarechtliche Vorgaben – auch antizipierend – einzuarbeiten.124 Nachdem er jedoch so lange „auf Eis“ gelegen hat, kann der Entwurf naturgemäß nicht den neuesten Stand des Europarechts widerspiegeln. Abschließend soll daher beispielhaft auf einige mögliche Konfliktfelder hingewiesen werden. 1. Ausgestaltung des Integrierten Umweltschutzes Dieses dritte Kapitel des UGB-Kommissionsentwurfs über Vorhaben und ihre Genehmigung stellt alle Anlagenzulassungen, die bisher sehr unterschiedlich ausgestaltet sind, unter ein einheitliches Regime mit grundsätzlich einheitlich materiell- und verfahrensrechtlichen Regelungen. Die Anlagenzulassung ist von einer integrierten Genehmigung (vgl. §§ 8, 83 UBG-Kommissionsentwurf125) abhängig, die einheitlich und medienübergreifend, entsprechend den vorstehend dargestellten Vorgaben des Europarechts, über die Zulassung entscheidet. So setzt der UGB-Kommissionsentwurf, die im Europarecht getrennten UVP-Richtlinien samt der IVU-Richtlinie im Rahmen einer in sich geschlossenen Regelung um, indem er im Rahmen der integrierten Vorhabengenehmigung die Umweltverträglichkeitsprüfung vollständig in das Genehmigungsverfahren einbezieht, mithin sie als selbständiges Instrument also beseitigt. a) Integrierte Genehmigung und Verwaltungsorganisation Im Gefolge der Umsetzung der IVU-Richtlinie hat sich auch in Deutschland die Erkenntnis verbreitet, dass Umweltschutz eine verwaltungsorganisationsrechtliche Komponente hat, die Reformen in der Verwaltung notwendig macht bzw. nahe legt.126 124 Vgl. Sendler, in: Erbguth (Hrsg.), Europäisierung des nationalen Umweltrechts: Stand und Perspektiven, 2001, S. 17 ff. (20). 125 Dazu Schrader, NuR 1998, 285 ff.; kritisch Fluck, in: Jahrbuch des Umwelt- und Technikrechts 1998, UTR 45, S. 93 (121 ff.).

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Insoweit geht es darum, den Entscheidungsprozess so zu organisieren, dass eine den Vorgaben des integrierten Umweltschutzes entsprechende medienübergreifende Kontrolle der durch Industrieanlagen und sonstige umweltbeanspruchende Projekte bewirkten Umweltbelastung ermöglicht wird. Diese Einsicht impliziert an und für sich schon die aus der IVU-Richtlinie fließende Vorgabe, im jeweiligen Genehmigungsverfahren materiell-integrativ zu entscheiden. Denn im Kern liegt der IVU-Richtlinie ein pragmatisch-verfahrensgestaltender Ansatz zugrunde, so dass die Verfahrensebene eine konstitutive Bedeutung für die angestrebte materielle interne Integration hat.127 Im Hinblick hierauf hatte der ursprüngliche Vorschlag der EU-Kommission einer IVU-Richtlinie – inspiriert vom englischen Reformmodell der (allerdings auch nicht mit allumfassenden Zuständigkeiten ausgestatteten) Environment Agency für England und Wales128 – die Einrichtung einer Einheitsbehörde bzw. einer federführenden Behörde vorgesehen. Diese Lösung wurde jedoch auf Intervention der deutschen Seite letztendlich verworfen. Begründen lässt sich dies mit der Verwaltungsautonomie der Mitgliedstaaten, die freilich in einem Spannungsverhältnis zum europäischen Effizienzgebot bei Umsetzung und Vollzug des Gemeinschaftsrechts steht.129 Die notwendige prozedurale Absicherung des materiellen integrativen Ansatzes wird nunmehr in relativ unbestimmter Weise von Art. 7 IVU-Richtlinie eingefordert. Ihm zufolge treffen die Mitgliedstaaten „die erforderlichen Maßnahmen für eine vollständige Koordinierung des Genehmigungsverfahrens und der Genehmigungsauflagen, wenn bei diesem Verfahren mehrere zuständige Behörden mitwirken, um ein wirksames integriertes Konzept aller für diese Verfahren zuständigen Behörden sicherzustellen“. Nach Erwägungsgrund 14 der Richtlinie soll die vollständige Koordinierung das „höchstmögliche Schutzniveau für die Umwelt insgesamt“ erreichen. Konkretere Vorgaben sind der IVU-Richtlinie insoweit freilich nicht zu entnehmen; insbesondere was unter der Forderung nach „vollständiger Koordinierung“ im Hinblick auf den integrierten Ansatz zu verstehen ist, bleibt vage und mehrdeutig. Die Auslegung von Art. 7 IVU-Richtlinie hat für das deutsche Recht große Bedeutung, sind hier doch oftmals verschiedene Behörden für die jeweiligen Auswirkungen ein und derselben Anlage (oder im Zusammenhang stehender

126 Vgl. nur Köck, ZUR 1998, 225 ff.; grundlegend dazu die Beiträge in SchmidtAßmann/Hoffmann-Riem (Hrsg.), Verwaltungsorganisationsrecht als Steuerungsressource, 1997; Ruffert, DÖV 1998, 897 ff. 127 Maaß, DVBl. 2002, 364 (366); Staupe, ZUR 2000, 368; Schmidt-Preuß, NVwZ 2000, 252 (253), der insoweit, etwas missverständlich, von einer dienenden Funktion des Verfahrensrechts spricht. 128 Jankowski, ZUR 1998, 237 ff. 129 Dazu Calliess, in: Ruffert (Hrsg.), Recht und Organisation, 2003, S. 73 (99 ff.); ders., in: Hendler (Hrsg.), Die strategische Umweltprüfung (sog. Plan-UVP) als neues Instrument des Umweltrechts, 2004, S. 153 (160 ff.).

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Anlagen) auf unterschiedliche Umweltmedien zuständig. Dies ist eine – letztlich dem Föderalismus geschuldete – Konsequenz der in § 13 BImSchG nur unvollkommen geregelten Konzentrationswirkung der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung, die insbesondere wasserrechtliche Erlaubnisse und Bewilligungen, aber auch die bergrechtliche Betriebsplanzulassung, atomrechtliche Genehmigungen, Planfestellungen sowie Zustimmungen wie z. B. das gemeindliche Einvernehmen nach § 36 Abs. 1 BauGB nicht mitumfasst. Welche Behörden für die im Rahmen des von der IVU-Richtlinie verfolgten integrativen Ansatzes, der sich ja gerade auf die Wechselwirkungen zwischen den Umweltmedien Luft, Wasser und Boden bezieht, besonders bedeutsamen immissionschutz- und wasserrechtlichen Verfahren zuständig sind, richtet sich nach den Zuständigkeitsvorschriften der Länder. Bei der Umsetzung von Art. 7 IVU-Richtlinie in das deutsche Recht bestand vor diesem Hintergrund ganz überwiegend Einigkeit, dass alle Behörden, die für die Kontrolle von Industrieanlagen zuständig sind, über die bislang existierenden Beteiligungsregelungen in § 10 Abs. 5 BImSchG i.V. m. § 11 der 9. BImSchV130 hinaus, zusammenzuführen sind.131 Nachdem das zunächst von der Bundesregierung angestrebte Ziel, die IVU-Richtlinie und die UVP-Änderungsrichtlinie im Rahmen der Schaffung eines Umweltgesetzbuchs durch die Einführung der erwähnten, von der UGB-Sachverständigenkommission vorgeschlagenen integrierten Vorhabengenehmigung umzusetzen, unter (zweifelhafter) Berufung auf fehlende Gesetzgebungskompetenzen gescheitert war132, musste der integrierte Ansatz der Richtlinie in verschiedenen Gesetzen umgesetzt werden. In der Konsequenz dieser Umsetzung mittels eines sog. Artikelgesetzes liegt es, dass der integrative Ansatz in recht artifizieller Weise mit bestehenden Regelungen verknüpft werden musste, er sich überhaupt nur durch eine Zusammenschau der Vorschriften aller betroffenen Gesetze ermitteln lässt und, da das Genehmigungsverfahren nicht einheitlich ist, die begrenzte Konzentrationswirkung des § 13 BImSchG bestehen bleibt. Damit wurde gesetzes-methodisch auseinander gerissen, was eigentlich zusammengehört.133 Die solchermaßen fehlende materielle Integrationsleistung muss daher also prozedural in Umsetzung von Art. 7 IVU-Richtlinie bewirkt werden. Hierfür wurde zum einen § 10 Abs. 5 BImSchG um einen neuen Satz 2 ergänzt, demzufolge „. . . eine vollständige Koordinierung der Zulassungsverfahren sowie der Inhaltsund Nebenbestimmungen sicherzustellen“ ist. Mit der weitgehenden Anlehnung an den Wortlaut von Art. 7 IVU-Richtlinie auf der Rechtsfolgenseite wollte sich 130

Vgl. dazu Fehrmann/Wasielewski, ZUR 1998, 232 ff. Vgl. Köck, ZUR 1998, S. 225; ausführlich Maaß, DVBl. 2002, 364 (368 f.) m.w. N.; allgemein dazu Steinberg, Der ökologische Verfassungstaat, 1998, S. 216 ff., mit Beispielen für Reformen der Umweltverwaltung auf S. 222 ff. 132 Hierzu Wasielewski, NVwZ 2000, 15 (17 ff.). 133 Sellner, in: Dolde (Hrsg.), Umweltrecht im Wandel, 2001, S. 401 (403 ff.). 131

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der Gesetzgeber bei der Umsetzung offensichtlich auf „die sichere Seite“ begeben. Ob die Regelung tatsächlich richtlinienkonform ist, erscheint jedoch zweifelhaft. Denn die Immissionsschutzbehörde kann die von ihr geforderte vollständige Koordinierung überhaupt nicht sicherstellen, gerade wenn es um nicht in den Anwendungsbereich des BImSchG fallende Zulassungsverfahren geht. Insbesondere dort, wo die anderen beteiligten Behörden ihr nicht nachgeordnet sind, fehlen ihr die notwendigen Kompetenzen.134 Daher wäre sie mit all denjenigen Kompetenzen auszustatten, die ihr eine effektive Koordinierung ermöglichen. Dies wiederum dürfte mit Blick auf das erwähnte TA-Luft Urteil des EuGH europarechtskonform kaum durch Absprachen im Länderausschuss für Immissionsfragen (LAI) und darauf basierenden Verwaltungsvorschriften zu bewerkstelligen sein135. Mithin ist hier das innerstaatliche Umweltrecht insgesamt gefordert.136 Die beschriebenen, letztlich artifiziell wirkenden Bemühungen um Koordinierung, machen einmal mehr deutlich, dass die beste und naheliegendste Lösung in einem einheitlichen materiellen Entscheidungsprogramm für die Erteilung der Genehmigung vollzogen von einer Einheitsbehörde liegt. Denn das Konzept des integrierten Umweltschutzes erfordert im Kontext der Internen Integration137 die Bündelung und Vernetzung zwischen verschiedenen mit dem Umweltschutz befassten Umweltfachbehörden. Ziel ist es, umweltintern und in Reaktion auf die im wahrsten Sinne des Wortes naturgegebene Komplexität des Staatsziels Umweltschutz, eine medienübergreifende, die Wechselwirkungen zwischen den Umweltmedien berücksichtigende Gesamtbetrachtung zu ermöglichen, mit der Problemverlagerungen so weit wie möglich vermieden werden. Materiell spricht dieses Ziel für ein einheitliches materielles Entscheidungsprogramm bei der Erteilung einer Anlagengenehmigung. In Übereinstimmung mit den aufgezeigten Vorgaben des Europarechts, insbesondere der IVU-Richtlinie, ist daher nach den Vorstellungen des UGB-Kommissionsentwurfs (§§ 8, 83 UBG-Kommissionsentwurf) auch nur eine einzige Genehmigung erforderlich, die als gebundene, als planerische oder als einfache Vorhabengenehmigung ergeht. Dem korrespondierend ist – fast schon zwangsläufig – jede verwaltungsorganisatorische Zersplitterung in nur für einzelne Umweltmedien zuständige Behörden zu vermeiden. Entgegen der unzureichenden Umsetzung der IVU-Richtlinie in § 10 Abs. 5 S. 2 BImSchG muss diese eine Genehmigung daher auch mit umfassender Konzentrationswirkung durch nur eine Behörde erteilt werden. Kurzum: In134

Staupe, ZUR 2000, 368 (371); ähnlich Hansmann, ZUR 2002, 19 (21). So aber die gegenwärtige Praxis des Länderausschusses für Immissionsschutz (LAI) und des Länderausschusses Wasser (LAWA), vgl. Beratungsunterlage LAI zur Sitzung vom 22.–24. 10. 2001 in Wismar unter A 4.8. 136 A. A. insoweit Hansmann, ZUR 2002, 19 (21); wie hier Staupe, ZUR 2000, 368 (371). 137 In Abgrenzung zur Externen Integration, vgl. ausführlich Calliess, in: Ruffert (Hrsg.), Recht und Organisation, 2003, S. 73 (75 ff.). 135

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terne Integration spricht für die Einheitsgenehmigung mit umfassender Konzentrationswirkung, die von einer Einheitsbehörde erteilt wird. Daher muss Verwaltungsorganisation im Rahmen der Internen Integration soweit wie möglich Verfahrensintegration ermöglichen. Ist dies nicht möglich, etwa weil es im Bundesstaat des Grundgesetzes aus kompetenzrechtlichen Gründen bei einer Verfahrenskoordinierung bleiben muss, so hat sich die dahingehende Verwaltungsorganisation unter Berücksichtigung des europarechtlichen Effizienzgebotes am Leitbild der Verfahrensintegration auszurichten. Eine bloße Verfahrenskoordination wird diesem Leitbild nicht gerecht.138 b) Umweltplanung, SUP-Richtlinie und Berücksichtigungspflicht Art. 8 der SUP-Richtlinie statuiert in Bezug auf den Umweltbericht, die nach Art. 6 SUP-Richtlinie abgegebenen Stellungnahmen sowie die Ergebnisse der grenzüberschreitenden Konsultationen eine Pflicht zur Berücksichtigung. Dementsprechend muss das Ergebnis der Umweltprüfung bei der Ausarbeitung und vor der Annahme des Plans oder Programms oder vor dessen Einbringung in das Gesetzgebungsverfahren zur Kenntnis genommen – was die Pflicht zur Auseinandersetzung mit deren Inhalten umfasst – und sodann sichtbar in die planerische Entscheidung integriert werden.139 Wie schon bei der UVP-Richtlinie140 ist auch im Rahmen der SUP-Richtlinie umstritten, ob über die Berücksichtigungspflicht materiellrechtliche Vorgaben Eingang in die Endentscheidung finden. Dagegen mag zwar auf den ersten Blick der 9. Erwägungsgrund der Richtlinie, der ihren Inhalt auf den „Verfahrensaspekt“ beschränkt, sprechen. Dementsprechend enthält die SUP-Richtlinie auch keine materiellen Vorgaben, etwa darüber, ob dem Umweltschutz der Vorrang vor anderen Planungszielen einzuräumen ist bzw. ob umweltfreundlichen Alternativen einer höhere Bedeutung als anderen Alternativen beizumessen ist. Andererseits ist in Art. 1 SUP-Richtlinie festgelegt, dass die Richtlinie „die Förderung einer nachhaltigen Entwicklung und ein hohes Umweltschutzniveau“ zum Ziel hat, was über das Effizienzgebot des Art. 10 EGV und die „effetutile“-Auslegung auch rechtliche Relevanz für die Anwendung des Umsetzungsrechts durch die Verwaltung und die sie kontrollierende Rechtsprechung hat. Das bedeutet: Auch wenn die Ziele der Richtlinie primär über die Einhaltung verfahrensrechtlicher Anforderungen erreicht werden sollen, so ist damit doch zugleich intendiert, dass die verfahrensrechtliche Sonderbehandlung der Um-

138 A. A. Hansmann, ZUR 2002, 19 (21), der auf diesbezügliche Absprachen im Länderausschuss für Immissionsfragen (LAI) setzt; wie hier Staupe, ZUR 2000, 368 (371). 139 Epiney, Umweltrecht in der EU, 2. Auflage 2005, S. 223. 140 Vgl. Beckmann, DVBl. 1993, 1335 ff.

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weltbelange mit ihren spezifischen Ermittlungs- und Berichtspflichten faktisch und unmittelbar auf die inhaltliche Relevanz der Umweltaspekte einwirkt.141 Dies gewährleistet z. B. der über Art. 5 Abs. 1 i.V. m. Anhang I lit. f) SUPRichtlinie zu berücksichtigende integrierte Umweltschutz, der prozedurale und materielle Aspekte in sich vereint. Überdies beinhaltet die zusammenfassende Erklärung nach Art. 9 Abs. 1 lit. b) SUP-Richtlinie zwangsläufig materielle Gesichtspunkte. Mit Blick auf die Umsetzung der Berücksichtigungspflicht in einem künftigen Umweltgesetzbuch würde vor diesem Hintergrund ein relativer Vorrang des Umweltschutzes bei der Abwägung mit kollidierenden Belangen, wie er von der UGB-Kommission in § 9 KomE-UGB u. a. für die der SUP ähnliche Umweltgrundlagenplanung (§§ 69–73 KomE-UGB) vorgeschlagen wurde142, Klarheit schaffen. Ein solcher relativer Vorrang diente mit seinem klarstellenden Charakter der von Art. 10 EGV geforderten effektiven Umsetzung und damit einem effektiven Vollzug der SUP-Richtlinie. Im Übrigen sind die Vorgaben der SUPRichtlinie im UGB-Kommissionsentwurf in den §§ 74 ff. vorausschauend umgesetzt worden. Auch wenn hier keine Einzelanalyse vorgenommen werden kann, so spricht vieles dafür, dass die Vorgaben der Richtlinie im UBG-Kommissionsentwurf weitaus besser umgesetzt sind als im gegenwärtig geltenden Recht. 2. Information, Partizipation, Zugang zum Gericht, Verbandsklage im Lichte der Århus-Konvention Einen gewissen Anpassungs- und Änderungsbedarf gegenüber dem UGBKommissionsentwurf löst auch die bereits erwähnte Århus-Konvention (genau genommen: Convention on Access to Information, Public Participation in Decision-Making and Access to Justice in Environmental Matters), die im Rahmen der United Nations Economic Commission for Europe (UN-ECE) im Juni 1998 entstand und von der EU selbst sowie allen ihren Mitgliedstaaten einschließlich der Bundesrepublik Deutschland unterzeichnet wurde, aus.143 Die ersten beiden Säulen der Århus-Konvention (Art. 4–5 bzgl. Umweltinformationen; Art. 6–8 141 Pietzcker/ Fiedler, UVP-report 2002, 83 (88); vgl. dazu auch Spannowsky, UPR 2000, 201 (206), der in Bezug auf den Inhalt des Umweltberichts meint, dass es sich hierbei „um eine die Planungsentscheidung bestimmende inhaltliche Anforderung“ handelt und dass dabei „im Gewand von Verfahrenserfordernissen (. . .) gemeinschaftsrechtliche planerische Anforderungen einher“ gehen. 142 Dazu Hendler/Heimlich, Raumplanung und Umweltschutz, Jahrbuch des Umwelt- und Technikrechts 2000, UTR 54, 2000, 7 (23 ff.). 143 Abgedruckt in: AVR 2000, 251 ff. sowie als Beilage Nr. III/2001 zu NVwZ 2001, Heft 3; dazu Wegener, in: Cremer/Fisahn (Hrsg.), Jenseits der marktregulierten Selbststeuerung, – Perspektiven des Umweltrechts, 1997, S. 183 (192 f.); Scheyli, AVR 2000, 217 ff.; Zschiesche, ZUR 2001, 177 ff.

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bzgl. Mitwirkungsrechte) hat die Europäische Gemeinschaft inzwischen durch die Richtlinien 2003/4/EG (UI-Richtlinie)144 und 2003/35/EG145 umgesetzt. Deutschland hat bisher nur die Richtlinie 2003/4/EG umgesetzt. Die Umsetzungsfrist für die Richtlinie 2003/35/EG lief am 25. Juni 2005146 ab. a) Information Der UGB-KomE regelt den Zugang zu Umweltinformationen in §§ 217 ff. § 217 Abs. 1 UGB-KomE fasst den schon durch § 4 UIG gewährten materiellrechtlichen Anspruch auf freien Zugang zu Umweltinformationen sowie den in § 2 UIG bestimmten Anwendungsbereich des UIG in einer Vorschrift zusammen, die wiederum Art. 3 Abs. 1 und Art. 2 der UI-Richtlinie 2003/4/EG umsetzen. Bzgl. der zur Beantwortung von Bürgeranfragen einzuhaltenden Frist ist der UGB-KomE im Vergleich zur UI-Richtlinie 2003/4/EG „behördenfreundlicher“. Während § 218 Abs. 3 UGB-KomE noch eine generelle Frist von zwei Monaten zur Beantwortung vorsieht, hat Art. 3 Abs. 2 UI-Richtlinie und damit § 3 Abs. 3 UIG die Frist halbiert. Die bisherige Zweimonatsfrist gilt nur noch bei „derart umfangreichen und komplexen“ Umweltinformationen, § 3 Abs. 3 Nr. 2 UIG. Auf der anderen Seite gehen die Ausnahmetatbestände des Art. 4 Abs. 2 UI-Richtlinie weiter als die des § 220 UGB-KomE.147 b) Partizipation Im UGB-KomE ist die Partizipation von Verbänden in § 42 geregelt. Der dort genannte Verfahrenskatalog wurde gegenüber § 29 Abs. 1 BNatSchG a. F. und auch § 58 Abs. 1 BNatSchG n. F. erheblich erweitert. Zum Beispiel nennt § 42 Abs. 1 Nr. 2 UGB-KomE alle Bauleitpläne (also sowohl Flächennutzungspläne als vorbereitende als auch Bebauungspläne als verbindliche Bauleitpläne, vgl. § 1 Abs. 2 BauGB), während § 58 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG nur „Verordnungen und andere im Range unter dem Gesetz stehende Rechtsvorschriften“ nennt. Rechtscharakter hat aber lediglich der Bebauungs144 Richtlinie 2003/4/EG vom 28. 1. 2003 über den Zugang der Öffentlichkeit zu Umweltinformationen und zur Aufhebung der Richtlinie 90/313/EWG, ABl. L 41 vom 14. 2. 2003, S. 26. 145 Richtlinie 2003/35/EG vom 26. 5. 2003 über die Beteiligung der Öffentlichkeit bei der Ausarbeitung bestimmter umweltbezogener Pläne und Programme und zur Änderung der Richtlinien 85/337/EWG und 96/91/EG in Bezug auf die Öffentlichkeitsbeteiligung und den Zugang zu Gerichten, ABl. L 156 vom 25. 6. 2003, S. 17. 146 s. Art. 6 Richtlinie 2003/35/EG. 147 Vgl. Art. 4 Abs. 2b) „internationale Beziehungen, die öffentliche Sicherheit oder die Landesverteidigung“, d) „Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse [. . .]“ und e) „Rechte an geistigem Eigentum“.

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plan als im Rang unter dem Gesetz stehende Satzung, vgl. § 10 Abs. 1 BauGB. Ein weiteres Bsp. dafür, dass der UGB-KomE über das derzeitige BNatSchG hinausgeht, liefert § 42 Abs. 1 Nr. 4 UGB-KomE („Genehmigungsverfahren mit Öffentlichkeitsbeteiligung“). Damit sind im Gegensatz zu § 58 Abs. 1 Nr. 2 BNatSchG auch Verfahren erfasst, in denen eine Teilgenehmigung nach § 93 UGB-KomE oder ein Vorbescheid nach § 94 UGB-KomE erteilt wird, da sie unter Beteiligung der Öffentlichkeit stattfinden.148 Schließlich geht § 42 Abs. 1 Nr. 5 über § 60 Abs. 2 Nr. 5 BNatSchG (Mitwirkung von den Ländern anerkannter Vereine) hinaus, indem die Mitwirkung von Verbänden auch für Befreiungen oder Ausnahmen vom gesetzlichen Biotopschutz und von der Pflicht zur Beachtung von Naturpflegeplänen (möglich nach § 252 Abs. 3 Nr. 2 UGBKomE) gefordert wird. Im Vergleich zur Århus-Konvention fällt einerseits auf, dass der UGB-KomE in § 42 Abs. 1 Nr. 5 noch über die Forderungen der Art. 6–7 Århus-Konvention (umgesetzt in Art. 3–4 Richtlinie 2003/35) hinausgeht, indem er eine Mitwirkung von Verbänden auch bei Befreiungen bzw. Ausnahmen von „a) der Pflicht zur Beachtung von Naturpflegeplänen, b) von Verboten zum Schutz von Biotopen nach § 269 Abs. 1 sowie c) von Verboten und Geboten, die zum Schutz von Naturschutzgebieten, Nationalparks und Biosphärenparks erlassen sind,“ vorschreibt. Andererseits sieht der UGB-KomE zum einen keine Mitwirkung von Verbänden während der Vorbereitung exekutiver Vorschriften und/oder allgemein anwendbarer rechtsverbindlicher normativer Instrumente vor, die aber in Art. 8 der Århus-Konvention normiert sind,149 zum anderen sieht der UGB-KomE nur die Mitwirkung von Verbänden vor, während die Århus-Konvention und ihr folgend die Richtlinie 2003/35/EG die Mitwirkung der „betroffenen Öffentlichkeit“ vorschreibt. Die „betroffene Öffentlichkeit“ umfasst die von umweltbezogenen Entscheidungsverfahren betroffene oder wahrscheinlich betroffene Öffentlichkeit oder die Öffentlichkeit „mit einem Interesse daran“.150 Im 2. Halbsatz stellt Art. 2 der Århus-Konvention dann klar, dass NGOs, die sich für den Umweltschutz einsetzen und alle nach dem innerstaatlichen Recht geltenden Voraussetzungen erfüllen, ein solches Interesse haben. Auch wenn diese Konventionsdefinition der betroffenen Öffentlichkeit nicht gelungen erscheint, macht sie dennoch deutlich, dass neben Verbänden auch betroffene Bürger mitwirkungsbefugt sein sollen.

148

BMU (Hrsg.), UGB-KomE, S. 524. Auch Richtlinie 2003/35 setzt diesen Partizipationsteilbereich der Århus-Konvention nicht um. 150 s. Art. 2 Nr. 5 der Århus-Konvention! 149

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c) Zugang zum Gericht, Verbandsklage Während die EG die ersten beiden Pfeiler der Århus-Konvention schon umgesetzt hat, befinden sich die Rechtsetzungsakte zur Umsetzung des Rechtsschutzpfeilers, der sog. „dritten Säule“ der Århus-Konvention, zum Teil noch im Stadium des Kommissionsvorschlags.151 Dies mag nicht zuletzt damit zusammenhängen, das nach wie vor umstritten ist, wie weit der durch die Århus-Konvention geforderte Rechtsschutz geht.152 Teilweise wird vertreten, dass sich die Regelungen zum Rechtsschutz nur auf die Durchsetzung des in der ersten Säule definierten Informationsanspruches und der in der zweiten Säule vorgesehenen Beteiligungsrechte erstrecken.153 In diesem Minimal-Sinne hat schon die Richtlinie 2003/35/EG, die die IVU-154 und die UVP-Richtlinie155 änderte, Anforderungen an den Zugang zu Gerichten oder außergerichtlichen unabhängigen Stellen zur Überprüfung von Umweltinformations- und -beteiligungsfällen aufgestellt. Nach Art. 3 Nr. 7 (= Art. 10a UVP-RL n. F.) und Art. 4 Nr. 4 Richtlinie 2003/35/EG (= Art. 15a IVU-RL n. F.) sind neben Mitgliedern der betroffenen Öffentlichkeit auch Nichtregierungsorganisationen klageberechtigt, wenn sie sich – ohne eine eigene oder fremde Rechtsverletzung nachweisen zu müssen156 – für den Umweltschutz einsetzen und alle nach innerstaatlichem Recht geltenden Voraussetzungen erfüllen.157 Art. 10a und 15a der Richtlinien stimmen in ihren Abs. 1 nahezu wortgleich mit Art. 9 Abs. 2 UAbs. 1 Århus-Konvention und in ihren Abs. 3 mit 151 Vorschlag für eine Verordnung über die Anwendung der Bestimmungen des Übereinkommens über den Zugang zu Informationen, die Öffentlichkeitsbeteiligung an Entscheidungsverfahren und den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten auf Organe und Einrichtungen der Europäischen Gemeinschaft, KOM (2003) 622 endg. vom 24. 10. 2003; Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten, KOM 2003, 624 endg. vom 24. 10. 2003; hierzu Dross, ZUR 2004, 152 (153 ff.). Zur Zeit scheint das Rechtsetzungsverfahren bzgl. der Richtlinie jedoch nicht weiterverfolgt zu werden. 152 Gemäß Art. 9 Abs. 1 Århus-Konvention muss eine Verletzung des Rechts auf Zugang zu Umweltinformationen nach Art. 4 Århus-Konvention in einem Überprüfungsverfahren geltend gemacht werden können, um eine Durchsetzung dieses Rechts in der Praxis sicherzustellen. Die Århus-Konvention knüpft den Zugang zu Rechtsmitteln an die Möglichkeit der Verletzung ihres Informationszugangsrechts, so dass hier von einem subjektiven Rechtsschutzverfahren gesprochen werden kann. 153 So offensichtlich Walter, EuR 2005, 302 (305). 154 Richtlinie 96/91/EG vom 24. 9. 1996 über die integrierte Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung, ABl. L 257, S. 26; zuletzt geändert durch Richtlinie 2003/87/EG vom 13. 10. 2003, ABl. L 275, S. 32. 155 Richtlinie 85/337/EWG vom 27. 6. 1985 über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten, ABl. L 175 vom 5. 7. 1985, S. 40; zuletzt geändert durch Richtlinie 2003/35/EG. 156 Vgl. Bunge, ZUR 2004, 141 (143). 157 Hierbei handelt es sich um eine normative Fiktion, vgl. Art. 10a Abs. 4 S. 2 iVm Art. 10a Abs. 1a) UVP-Richtlinie.

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Art. 9 Abs. 2 UAbs. 2 Århus-Konvention überein. Ebenso entsprechen die Definitionen der „Öffentlichkeit“ und der „betroffenen Öffentlichkeit“ in Art. 1 Abs. 2 UVP-Richtlinie, Art. 2 Nr. 13, 14 IVU-Richtlinie denjenigen der ÅrhusKonvention in Art. 2 Abs. 4 und 5. Das bedeutet, dass die Gemeinschaft die in Art. 9 Abs. 2 Århus-Konvention eröffnete Möglichkeit, ihre unterschiedlichen Rechtsschutzkonzeptionen im Grundsatz beizubehalten, an ihre Mitgliedstaaten weitergereicht hat. Sie können den Zugang zu einem gerichtlichen Überprüfungsverfahren entweder vom Vorliegen eines ausreichenden Interesses oder der Geltendmachung einer Rechtsverletzung geltend machen. Jedoch finden auch die Fiktionen des Art. 9 Abs. 2 UAbs. 2, S. 2 u. 3 Århus-Konvention im Gemeinschaftsrecht ihre Entsprechung: Hieraus ergibt sich, dass das im satzungsmäßigen Aufgabenbereich liegende Interesse jeder nach innerstaatlichem Recht anerkannten Nichtregierungsorganisation als ausreichend im Sinne des Art. 9 Abs. 2 UAbs. 1 lit. a) gilt, um Zugang zu Gericht zu erhalten. Des Weiteren gelten anerkannte Verbände im Rahmen ihrer satzungsmäßigen Tätigkeiten gem. Art. 9 Abs. 2 UAbs. 2, S. 3 Århus-Konvention explizit als Träger von Rechten, die verletzt werden können. Art. 9 Abs. 3 Århus-Konvention knüpft anders als Art. 9 Abs. 2 Århus-Konvention die Frage der Klagemöglichkeiten der Öffentlichkeit nicht an die Gewährung von Öffentlichkeitsbeteiligung, sondern zielt allgemein auf eine gerichtliche Kontrolle von Entscheidungen auf ihre Vereinbarkeit mit dem nationalen Umweltrecht ab. Daraus folgert ein Teil der Lehre, dass Art. 9 Abs. 3 Århus-Konvention unter einem ausschließlichen Regelungsvorbehalt des nationalen Rechts der Vertragsparteien stehe und über die Vorgabe, dass grundsätzlich ein verwaltungsgerichtlicher Rechtsschutz gegen Verletzungen innerstaatlichen Umweltrechts vorgesehen sein muss, nicht hinausgehe.158 Diese Auffassung lässt sich hingegen nicht mit Sinn und Zweck der Århus-Konvention vereinbaren, zur Durchsetzung des umweltbezogenen Rechts in seiner Gesamtheit beizutragen. Ebenso sprechen die Systematik und der historische Wille der Konventionsväter gegen eine derart restriktive Interpretation. So soll der ÅrhusKonvention vielmehr der Gedanke der Gleichwertigkeit aller drei in Art. 9 normierten Überprüfungsverfahren zugrunde liegen.159 Demnach sind auch im 158 v. Danwitz, NVwZ 2004, 272 (276); Seelig/Gündling, NVwZ 2002, 1033 (1040). 159 Stec/Casey-Lefkowitz, in: UN-Economic Commission for Europe (ECE) (Hrsg.), The Aarhus Convention: An Implementation Guide, 2000, S. 131, 132, 136: „Under the Convention, members of the public have the right to challenge violations of national law relating to the environment, whether or not these are related to the information and public participation rights guaranteed by the Convention. [. . .] Paragraphs 1, 2 and 3 of article 9 each describes particular grounds for the public to pursue a review procedure. [. . .]. The Convention allows decisions, acts and omissions to be challenged. It allows both accesses to justice in terms of its own provisions and in terms of enforcing national environmental law.“

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Rahmen des Anwendungsbereichs von Art. 9 Abs. 3 Århus-Konvention dem Spielraum der Vertragsparteien für einschränkende Zugangskriterien Grenzen gesetzt.160 Mit der geplanten Richtlinie über den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten161, die die dritte Säule der Århus-Konvention nunmehr in einem Guss umsetzen will, wird der Zugang zu nationalen Gerichten für die Verletzung desjenigen Umweltrechts eröffnet, welches seinen Ursprung im Gemeinschaftsrecht hat. Umfasst sind Rechtsvorschriften insbesondere auf den Gebieten des Gewässer-, Lärm-, Bodenschutzes, der Luftverschmutzung, der Flächenplanung und Bodennutzung, der Erhaltung der Natur und biologischen Vielfalt, der Abfallwirtschaft, der Chemikalien (einschließlich Bio- und Pestiziden), der Biotechnologie und sonstiger Emissionen, Ableitungen und Freisetzungen in die Umwelt.162 Mit dieser Definition wird gewährleistet, dass alle Umweltbereiche und der Vollzug des umweltrelevanten Rechts insgesamt erfasst werden.163 Darüber hinaus können die Mitgliedstaaten nach Art. 2 Abs. 2 des Richtlinienentwurfs auch originär nationales Umweltrecht mit einbeziehen. Im Hinblick auf die Klagebefugnis von „Mitgliedern der Öffentlichkeit“ räumt Art. 4 Abs. 1 des Kommissionsvorschlags den Mitgliedstaaten – entsprechend Art. 9 Abs. 2 UAbs. 1 Århus-Konvention – zunächst die Möglichkeit ein, als Voraussetzung a) entweder ein ausreichendes Interesse oder b) eine Rechtsverletzung vorzusehen, wenn das nationale Verwaltungsverfahrensrecht dies als Vorbedingung verlangt. Dieser Ausgestaltungsspielraum wird allerdings sodann für die Klagebefugnis anerkannter Umweltschutzverbände nahezu auf Null reduziert. Art. 5 Abs. 1 des Vorschlags sieht vor, dass anerkannte Verbände „Zugang zu auch vorläufigen Rechtsschutz umfassenden Verfahren in Umweltangelegenheiten erhalten, ohne ein ausreichendes Interesse oder eine Rechtsverletzung nachweisen zu müssen, wenn der zu überprüfende Sachverhalt, zu dem das Verfahren angestrengt wird, in den satzungsmäßigen Tätigkeitsbereich und die Überprüfung in das geografische Tätigkeitsgebiet speziell dieser Einrichtung [sprich: des jeweiligen Verbandes] fällt“.164 Es wird folglich die Einführung einer altruistischen Verbandsklage für alle diejenigen umweltrechtlichen Normen im nationalen 160 s. auch Dette, in: Onida (Hrsg.), Europe and the Environment, 2004, S. 1 (7); Ebbeson, Access to Justice in Environmental Matters in the EU, 2002, S. 24; Zschiesche, ELNI-Review 2002, S. 21 ff.; Brady, New Convention on Access to Information and Public Participation in Environmental Matters, in: Environmental Policy Law, 1998, S. 69 (72). 161 Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten, KOM (2003) 624 endg. vom 24. 10. 2003. 162 s. Art. 2 Abs. 1 lit. g) des Vorschlags für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten, KOM (2003) 624 endg. vom 24. 10. 2003. 163 Vgl. Dette, in: Onida (Hrsg.), Europe and the Environment, 2004, S. 1 (17 f.); Krämer, E.C. Environmental Law, 5. Auflage, 2003, S. 145.

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Recht verlangt, die in Umsetzung europarechtlicher Vorgaben erlassen worden sind. Diese Gerichtszugangsregelung entspricht den aus Telos und Systematik der Århus-Konvention resultierenden Anforderungen des Art. 9 Abs. 3 ÅrhusKonvention. Der UGB-KomE lässt das Prinzip der Verletztenklage an sich zwar unberührt, schreibt aber eine weite Auffassung des subjektiven öffentlichen Rechts vor, indem § 44 UGB-KomE den sog. Drittschutz in den Vorsorgebereich erweitert. Vorschriften in Rechtsverordnungen und Verwaltungsvorschriften, die Grenzwerte zur Vorsorge gegen Risiken festlegen, sollen auch dem Schutz Dritter dienen, die von der Überschreitung der Grenzwerte betroffen sein können. Mit dem Begriff des „Betroffenseins“ nimmt das UGB im Übrigen ein Element aus der Rechtsprechung des EuGH auf.165 Somit ergibt sich aus § 44 ein subjektives Recht des betroffenen Dritten auf Einhaltung der Vorsorgegrenzwerte. Drittschutz soll damit nicht mehr nur im Bereich der Gefahrenabwehr, sondern auch umfassend im Bereich der Risikovorsorge bestehen, soweit Grenzwerte festgelegt sind.166 Der Drittschutz ist aber dadurch eingegrenzt, dass der Kläger im Fall einer Grenzwertüberschreitung eine Betroffenheit durch Emissionen geltend machen muss. Es muss ein Grad der Betroffenheit vorliegen, der über die Betroffenheit der Allgemeinheit hinausgeht; sonst handelt es sich um eine unzulässige Popularklage. Solch eine qualifizierte Betroffenheit wird man im Nahbereich der Anlage freilich in der Regel annehmen können.167 Nach § 45 UGB-KomE kann ein Verband die Verletzung von Rechtsvorschriften im Wege der Anfechtungs- oder Verpflichtungsklage, der allg. Leistungsklage, der Feststellungsklage oder der Normenkontrolle geltend machen.168 Einstweiliger Rechtsschutz ist ebenso möglich. Nach § 45 Abs. 1 S. 2 UGBKomE ist die Klage jedoch nur zulässig, wenn der Verband in dem die Klage betreffenden Verfahren zu beteiligen war. Zwar ergibt sich nach der Begründung des Entwurfs das Recht zur Klage nach § 45 gerade nicht aus der Verletzung von subjektiven Rechten, insbes. nicht aus der Verletzung von Mitwirkungsrechten, dennoch sei es sinnvoll, die Verbandsklage nur in Fällen zuzulassen, in denen auch ein Beteiligungsrecht besteht.169

164 Art. 5 Abs. 1 des Vorschlags für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten, KOM (2003) 624 endg. vom 24. 10. 2003. 165 Sendler, in: Erbguth (Hrsg.), Europäisierung des nationalen Umweltrechts: Stand und Perspektiven, 2001, S. 17 (22 f.). 166 BMU (Hrsg.), UGB-KomE, 1998, S. 536. 167 Als Kompensation für die Ausdehnung des Drittschutzes soll jedoch die gerichtliche Kontrolldichte reduziert werden. 168 BMU (Hrsg.), UGB-KomE, 1998, S. 536. 169 BMU (Hrsg.), UGB-KomE, 1998, S. 536.

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Im Vergleich zur Århus-Konvention entspricht § 45 UGB-KomE jedoch lediglich dem Rechtsschutzverfahren des Art. 9 Abs. 2 der Konvention, indem es die Verbandsklage nur zulässt, wenn der Verband auch zu beteiligen war. Insoweit besteht im UGB Anpassungsbedarf. Durch den erweiterten Drittschutz seines § 44 kommt der UGB-Kommissionsentwurf den Vorgaben des Art. 9 Abs. 3 Århus-Konvention aber insoweit nahe, als die Verletzung von Vorsorgegrenzwerten – als Teil der „umweltbezogenen Bestimmungen des innerstaatlichen Rechts“ – zur Individualklage berechtigen kann.170 3. Wasserrahmenrichtlinie und Gewässerkapitel Mit Blick auf die vorstehend skizzierte Wasserrahmenrichtlinie sind grundlegende Überarbeitungen im Gewässerschutzkapitel des UGB-Kommissionsentwurfes erforderlich. 4. Freisetzungsrichtlinie und Gentechnikrecht Auch das Kapitel zum Gentechnikrecht bedarf der Anpassung an die reformierte Freisetzungsrichtlinie der EG.171 Deren hoch komplizierte Regelungen sind im UGB-Kommissionsentwurf noch nicht hinreichend berücksichtigt.

VI. REACH und Produktkapitel Gleiches gilt für das Recht der gefährlichen Stoffe, das durch die Reform des europäischen Chemikalienrechts unter dem Namen REACH grundlegenden Neuerungen ausgesetzt ist.172 Diese machen eine umfassende Überprüfung und Anpassung des Produktkapitels erforderlich.

VII. Ausblick Die vorstehenden Ausführungen haben deutlich werden lassen, dass ein Umweltgesetzbuch immer auf der Folie des vorrangigen Umweltrechts der EU zu gestalten und zu formulieren ist. Umweltrecht ist im europäischen Staaten-, Verfassungs- und Umweltverbund sehr weitgehend – und nicht mehr nur wie noch zu Beginn der Arbeiten an einem UGB nur partiell – von den Vorgaben des Europarechts determiniert. Insoweit kann der aus dem europäischen Primärund Umweltsekundärrecht herausdestillierte „Prüfmaßstab“ (vgl. unter IV.) eine 170 171 172

s. BMU (Hrsg.), UGB-KomE, 1998, S. 532. Ausführlich dazu Calliess/Korte, DÖV 2006, 10 ff. Hierzu Calliess/Lais, NuR 2005, 290 ff.

Vorgaben für ein Umweltgesetzbuch: Europarecht

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Art Leitfaden sein, eine konkrete Feinabstimmung müsste dann dort, wo sich Unstimmigkeiten zeigen, jeweils im Einzelfall erfolgen. Dabei ist von Bedeutung, dass sich der UGB-Kommissionsentwurf konsequent bemüht hat, europarechtliche Vorgaben – auch antizipierend – einzuarbeiten. Er sollte nicht zuletzt daher maßgebliche Grundlage für die künftigen Arbeiten an einem Umweltgesetzbuch sein. Freilich sind die europarechtlichen Vorgaben nicht immer unproblematisch in die überkommenen Strukturen des deutschen Umweltrechts einzufügen. Das Beispiel der integrierten Vorhabengenehmigung zeigt aber, inwieweit ein Umweltgesetzbuch auch eine Chance zu einer optimierten Rezeption der europäischen Vorgaben sein kann. Längst lassen aber auch die Vorgaben des europäischen Umweltrechts eine kohärente und in sich schlüssige Struktur vermissen. Und genau hierin liegt die große Chance eines konsequent an den europarechtlichen Vorgaben ausgerichteten Umweltgesetzbuchs: Es könnte im europäischen Staaten-, Verfassungs- und Umweltverbund zum Vorbild für ein europäisches Umweltgesetzbuch werden. Hiermit hätte Deutschland dann seine ehemalige Vorreiterrolle im europäischen Umweltrecht wiedergewonnen, mit der Folge, dass es – entsprechend der verbundtypischen wechselseitigen Rezeption von Rechtsgrundsätzen und Regulierungsmodellen – „sein“ europarechtskonformes Umweltrecht nunmehr wiederum umgekehrt auf der europäischen Ebene einspeisen könnte. Die absehbare Notwendigkeit eines solchen europäischen Umweltgesetzbuchs machen nicht nur Äußerungen in der Wissenschaft173 deutlich, sondern gerade auch die vielfältigen Bemühungen des Gemeinschaftsgesetzgebers über sog. Rahmen-Richtlinien, das im Laufe der Jahrzehnte europäischer Umweltpolitik auf verschiedene Rechtsakte verstreute Umweltsekundärrecht zu bündeln und dabei zu reformieren.

173 Vgl. etwa Rengeling, in: Rengeling (Hrsg.), Handbuch zum europäischen und deutschen Umweltrecht, Band II, 2. Aufl., 2003, § 93, Rn. 65; Sendler, in: Rengeling (Hrsg.), Handbuch zum europäischen und deutschen Umweltrecht, Band II, 2. Aufl., 2003, § 94, Rn. 10.

Modernisierungsbedürfnis des UGB-KomE Von Günter Gaentzsch Der Entwurf der Unabhängigen Sachverständigenkommission für ein Umweltgesetzbuch (UGB-KomE) wird nun bald zehn Jahre alt. Dass das – so hoffen wir – kommende Umweltgesetzbuch andere verfassungsrechtliche und europarechtliche Rahmenbedingungen vorfindet, als sie seinerzeit die Sachverständigenkommission voraussetzen konnte, ist offenkundig. Aus diesen veränderten Vorgaben, von denen wir in den vorangegangenen Vorträgen gehört haben, ergibt sich ein enormer Anpassungsbedarf, wenn man den Kommissionsentwurf als Ausgangsgrundlage für einen Regierungsentwurf nähme.

I. Veränderte Rahmenbedingungen für ein Umweltgesetzbuch Die Neuordnung der Gesetzgebungskompetenzen zwischen Bund und Ländern, insbesondere die Abschaffung der Rahmenkompetenz des Bundes, erweitert die Möglichkeiten zu Vollregelungen in einem Umweltgesetzbuch. Die Abweichungskompetenz der Länder gefährdet allerdings den Bestand solcher Vollregelungen. Die Ergänzung der Art. 84 Abs. 1 und 85 Abs. 1 GG, wonach durch Bundesgesetz Gemeinden und Gemeindeverbänden Aufgaben nicht übertragen werden dürfen, macht an einigen Stellen des Kommissionsentwurfs (vgl. z. B. §§ 70, 452) vorgesehene Aufgabenübertragungen dieser Art unmöglich. Noch gravierender als die anstehende Verfassungsreform dürfte sich das seit 1997 erlassene Gemeinschaftsrecht für die Eignung des Kommissionsentwurfs als Vorlage für das „kommende“ Umweltgesetzbuch auswirken. Mancher wird sich vielleicht noch erinnern, dass Anfang der 90er Jahre, z. B. beim Deutschen Juristentag 1992 in Hannover, einer der Einwände gegen die Kodifikation des deutschen Umweltrechts in einem Umweltgesetzbuch der war, erst müsse die europäische Rechtsentwicklung in diesem Bereich abgeschlossen sein. Dass dies ein sehr vordergründiger Einwand war, ist klar. Erstens wird die europäische Rechtsetzung auch im Umweltrecht nicht zu irgendeinem Zeitpunkt abgeschlossen sein, sondern weitergehen. Zweitens wäre natürlich ein Umweltgesetzbuch, wenn ein solches denn vom Gesetzgeber bald nach Vorlage des Kommissionsentwurfs verabschiedet worden wäre, ebenso an europarechtliche Richtlinien anzupassen gewesen und angepasst worden, wie die jetzt noch be-

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stehenden Umweltgesetze anzupassen waren und angepasst worden sind. Und das wird ohne Zweifel auch für ein kommendes Umweltgesetzbuch gelten. Fest steht aber auch, dass die Umsetzung europarechtlicher Richtlinien deutsches Umweltrecht nach 1997, dem Jahr der Vorlage des Kommissionsentwurfs, stärker verändert hat, als dies vorher aufgrund des Gemeinschaftsrechts geschehen ist, und dass dabei der Kommissionsentwurf keine „Vorbildfunktion“ hatte. Allein das – auch ohne Berücksichtigung der verfassungsrechtlichen Änderungen bei den Gesetzgebungskompetenzen des Bundes – wirft die Frage auf, ob der Kommissionsentwurf überhaupt noch Ausgangsgrundlage für ein künftiges Umweltgesetzbuch sein kann. Hinzu kommen Änderungen der Umweltgesetze, die ohne europarechtlichen Umsetzungsbedarf zustande gekommen sind. Hinzu kommt weiter der wirtschaftliche und gesellschaftliche Wandel und der damit verbundene Wandel in den Anschauungen über Reformerfordernisse auch im Umweltrecht. Ein Entwurf für ein Umweltgesetzbuch muss sich der gegenwärtigen und im Vergleich zur Lage in den neunziger Jahren heftiger geführten Diskussion um Deregulierung, Entbürokratisierung, Verfahrensbeschleunigung, Investitionserleichterung und dergleichen stellen. Aus heutiger Sicht dürfte der Kommissionsentwurf in manchen Bereichen zu bürokratisch, zu perfektionistisch, zu regulierungsfreudig sein. Vergleichen wir das bestehende Umweltrecht – die Frage nach dessen Modernisierungsbedürftigkeit legt das Bild nahe – mit einem Gebäude mit vielen Räumen, die unterschiedlich genutzt werden. Es ist seit 1997 mehrfach geändert, sagen wir umfänglich „modernisiert“ worden, durch innere Umbauten, durch Anbauten, durch Nutzungsänderungen. Die Grundmängel, nämlich Uneinheitlichkeit, ungenügende Abgestimmtheit der Einzelteile aufeinander, Unübersichtlichkeit, sind aber bestehen geblieben. Den Kommissionsentwurf können wir – um im Bild zu bleiben – mit einem Plan für ein neues Gebäude oder für einen grundlegenden Umbau nach innerer Auskernung vergleichen, in dem die besagten strukturellen Mängel beseitigt, das Raum- und Nutzungsgefüge in einem abgestimmten klaren und übersichtlichen Konzept neu geordnet und den neuen oder geänderten Nutzungsansprüchen angepasst werden soll. Würde ein Architekt, der heute den Auftrag erhält, den Plan für ein solches Gebäude zu entwerfen, einen Plan als Grundlage nehmen, der vor zehn Jahren entworfen worden ist, und schauen, wie dieser dem jetzigen und künftig absehbaren Bedarf anzupassen ist? – Oder würde er auf der Grundlage der jetzigen Gegebenheiten und des daraus erkennbaren Bedarfs einen neuen Plan aufstellen, dabei allerdings auch darauf schauen, wie der frühere Plan Probleme gelöst hat, die schon damals bestanden und nach wie vor bestehen. Ich nehme an, letzteres ist der nahe liegende und arbeitsökonomisch sinnvollere Weg; denn es wird darauf ankommen, einen Entwurf für ein Umweltgesetzbuch so rasch auf den Weg zu bringen, dass er möglichst noch in

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dieser Legislaturperiode verabschiedet, zumindest in eine erste parlamentarische Beratung gebracht werden kann. Das ist allerdings ein äußerst ehrgeiziges Ziel. Wir sind zwar – so scheint es jedenfalls – nach Verabschiedung der Verfassungsreform in einer Lage, in der die verfassungsrechtlichen Voraussetzungen und der politische Wille für die Kodifikation des Umweltrechts in einem Umweltgesetzbuch kaum jemals so günstig waren wie jetzt. Wir müssen allerdings auch sehen, dass die Widerstände, an denen der erste Versuch eines Referentenentwurf für ein Umweltgesetzbuch gescheitert ist, tiefer lagen als in verfassungsrechtlichen Bedenken; sie waren interessengeleitet. Solche Widerstände und die dahinter stehenden Interessen sind durch die Verfassungsreform nicht überwunden. Wir müssen überdies sehen, dass sich – wie ich schon sagte – die Zeiten geändert haben, und damit auch der Stellenwert des Umweltschutzes. Dem Umweltschutz – so würde vielleicht Sendler, der seinerzeitige Vorsitzende der Sachverständigenkommission, gesagt haben – „bläst der Wind ins Gesicht“. Der zurzeit im Bundestag beratene Entwurf eines weiteren Investitionserleichterungs- und Planungsbeschleunigungsgesetzes – wie immer man dazu auch steht – ist nur ein Indiz dafür. Wird es gelingen, in einem künftigen Umweltgesetzbuch, dessen Schöpfung wahrlich schon eine Herkulesaufgabe ist, noch innovative Ansätze, wie sie der Kommissionsentwurf in Fülle enthält, durchzusetzen? Oder wird er sich am Ende damit begnügen müssen, das Erreichte zu bewahren, zu ordnen, zu vereinheitlichen und in einen übersichtlichen Gesamtzusammenhang zu bringen? Auch das wäre zweifellos schon ein Erfolg. Innovatives scheint uns im Umweltrecht ja nur noch durch das Gemeinschaftsrecht beschert zu werden, dies allerdings häufig nicht in einer Weise, die es uns leicht macht. Aber es scheint fast der einzige Weg für eine legislatorische Innovation zu sein, weil hinter dem Gemeinschaftsrecht der Zwang zur Umsetzung steht. Wir sollten aber nicht in Pessimismus verfallen. Ein neuer Entwurf eines Umweltgesetzbuchs sollte all das anpacken, was umweltpolitisch geboten ist, aber nicht die Augen davor verschließen, dass Gesetzesvereinfachung, Verfahrensbeschleunigung, Investitionserleichterung ernst zu nehmende Themen sind, für den Gesetzgeber auch zum „Beruf unserer Zeit“ gehören und schließlich auch ein lohnendes Ziel innovativen Denkens sind, ohne dass wichtige Anliegen des Umweltschutzes auf der Strecke bleiben müssen.

II. Kommissionsentwurf als Ideengeber und Fundgrube „Modernisierungsbedürfnis“ oder sprachlich korrekt „Modernisierungsbedürftigkeit“ des UGB-KomE lautet das mir gestellte Thema. Vor dem geschilderten Hintergrund sehe ich nicht die Möglichkeit einer Modernisierung in der Weise, dass der Kommissionsentwurf einfach als Vorlage für einen Referenten-

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entwurf genommen werden könnte und nur in einzelnen Teilen und Punkten geändert, ergänzt oder gekürzt werden müsste. Wahrscheinlich war schon damals die wohl mehrheitliche Vorstellung der Kommission, ihr Entwurf sei eine solche Vorlage, gar so etwas wie eine „Blaupause“, eine Illusion. Diese Vorstellung wurde bereits durch den seinerzeitigen – gescheiterten – Referentenentwurf widerlegt, auch wenn dieser in großem Umfang, größer als dies heute der Fall sein könnte, Vorschläge der Kommission übernommen hat. Jetzt, nachdem sich die Verhältnisse derart geändert haben, kann von einer solchen, bloß modernisierungsbedürftigen Vorlage nicht mehr die Rede sein. Modernisierungsbedürftigkeit ist eher in dem Sinne zu verstehen, dass zu prüfen ist, ob das Grundgerüst des Entwurfs noch tauglich oder änderungs- und ergänzungsbedürftig ist, welche Grundgedanken, konzeptionellen Ansätze und auch welche Vorschläge für Einzelregelungen geeignet sind, als Bausteine für ein kommendes Umweltgesetzbuch zu dienen oder geändert, ergänzt oder aufgegeben werden müssen, ob der Entwurf um Teilbereiche des Umweltrechts erweitert werden muss, z. B. um das jetzt in der parlamentarischen Beratung stehende Gesetz zum Schutz vor Fluglärm oder um Regelungen über Emissionszertifikate und den Emissionshandel. Das Thema Emissionszertifikate und Emissionshandel wurde in der Kommission (vgl. Bericht S. 805, 808) zwar erörtert, aber eine Einführung des Instituts nicht empfohlen, u. a. wegen gemeinschaftsrechtlicher Bedenken. Inzwischen ist es gemeinschaftsrechtlich eingeführt und innerstaatlich umgesetzt. Zum Thema Verkehrslärm, einschließlich des von Flughäfen ausgehenden Lärms, enthält der Kommissionsentwurf in den §§ 11 und 442 Verordnungsermächtigungen. Wahrscheinlich wird man hinsichtlich des Fluglärms, wenn das Gesetz erlassen sein wird, das Rad nicht zurückdrehen und eine Regelung im Umweltgesetzbuch auf eine bloße Verordnungsermächtigung beschränken können. Damit habe ich schon einige Punkte eines Modernisierungsbedarfs angesprochen. Im Folgenden möchte ich weitere konkrete Punkte ansprechen. Dabei kann ich nicht den Kommissionsentwurf in seiner Gänze behandeln. Dazu wäre die Zeit zu kurz und vor allem mein Sachverstand nicht ausreichend. Ich kann deshalb nur einzelne Punkte und Aspekte herausgreifen. Von meinem oben geschilderten Verständnis des Themas her ergibt sich aus meiner Sicht folgendes: 1. Notwendigkeit eines Allgemeinen Teils Das grundlegende Konzept des Kommissionsentwurfs, in einem Allgemeinen Teil möglichst viel „vor die Klammer zu ziehen“, was die Teilbereiche des Umweltrechts gemeinsam haben oder gemeinsam haben sollten, auch was – unabhängig von den im Besonderen Teil zu regelnden Teilbereichen – übergreifende Ziele und Grundsätze des Umweltschutzes sind und damit die Auslegung und Anwendung anderer umweltrelevanter Rechtsmaterien außerhalb des Um-

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weltgesetzbuchs steuern sollte, ist auf jeden Fall beizubehalten. Das ist im Grunde eine Selbstverständlichkeit und Hauptmerkmal jedes kodifikatorischen Anspruchs. Wenn ich es gleichwohl erwähne, so liegt die Betonung darauf, dass „möglichst viel“ vor die Klammer gezogen werden sollte. Ein Allgemeiner Teil, der im Wesentlichen etwa nur Regelungen über die Vorhabengenehmigung enthielte, würde einem ernst zu nehmenden kodifikatorischen Anspruch nicht gerecht. Einige von Ihnen werden sich erinnern, dass in den 90er Jahren, noch während die Sachverständigenkommission an dem Gesetzentwurf arbeitete, der schon erwähnte Versuch unternommen wurde – und scheiterte –, die Umsetzung der EG-Richtlinie 96/61 über die integrierte Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung zum Anlass zu nehmen, in Anlehnung an den seinerzeitigen Stand der Kommissionsarbeit einen Allgemeinen Teil eines Umweltgesetzbuchs – auch mit weiteren Regelungen als nur denen über die Vorhabengenehmigung – in das Gesetzgebungsverfahren zu bringen. Der Widerstand gegen diesen Versuch, der verfassungsrechtlich begründet wurde und – ex post betrachtet – teilweise auch begründet war, hatte seine eigentlichen Ursachen in fachlichen Partikularinteressen, die durch die Ressortaufteilung und – ressortintern – durch die organisatorische Gliederung institutionell verfestigt sind und eine hohe Bewahrungstendenz aufweisen. Das Beispiel zeigt, wie schwierig es ist, einen Allgemeinen Teil mit substantiell übergreifendem Gehalt zu konstituieren. Es ist wahrscheinlich die größte Hürde, vor dem ein Umweltgesetzbuch steht. Deshalb betone ich: Der Allgemeine Teil des Kommissionsentwurfs mit seinem weitgehenden Anspruch der Systematisierung des Umweltrechts, der Verklammerung der Teilbereiche und der Grundlegung für eine Einheit des Umweltrechts, hat m. E. nach wie vor Modellcharakter, wenn auch nicht in allen Einzelheiten und Formulierungen, so doch in seiner Grundsubstanz. 2. Vermeidung von Überregulierung, Beispiel Umweltkommission Hierzu gehören m. E. auch die – innovativen – Vorschläge zur Rechts- und Regelsetzung im dritten Abschnitt (§§ 11–40) des Kommissionsentwurfs. Man wird jedoch fragen müssen, ob z. B. die dort (§§ 17–19) vorgesehene „Umweltkommission“ mit fachlichen und gesellschaftlichen Unterkommissionen, ihre starke Stellung und die vorgesehenen Verfahrensregeln nicht eine Überregulierung darstellen, die sicherlich nicht in die gegenwärtigen Bemühungen zur Deregulierung und Entbürokratisierung passen. Nichts gegen eine Umweltkommission mit beratender Funktion. Ihre maßgebliche Beteiligung auf dem Terrain der Rechts- und Regelsetzung könnte – wenn man dem näher tritt – zunächst einmal als Experiment erprobt werden. Flexibilität ist deshalb unverzichtbar. Der Gesetzgeber sollte jedenfalls Einzelheiten nicht zementieren. Das gilt m. E.

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allgemein für das „Kommissionswesen“, für das sich z. B. weitere Regelungsvorschläge in §§ 59 ff. UGB-KomE und an vielen Stellen des Besonderen Teils finden. 3. Verbandsbeteiligung und Rechtsschutz Der Abschnitt 4 (§§ 41–42 UGB-KomE) über die Beteiligung von Verbänden und der Abschnitt 5 (§§ 43–49 UGB-KomE) über den Rechtsschutz gehören in den Allgemeinen Teil des kommenden Umweltgesetzbuchs. Sie bedürfen allerdings einer Überprüfung am Maßstab der Richtlinie 2003/35/EG über die Öffentlichkeitsbeteiligung und den Zugang zu Gerichten. Das gilt vor allem für die Verbandsbeteiligung und die Verbandsklage. Die genannte Richtlinie bedarf in den hier angesprochenen Bereichen noch der Umsetzung in nationales Recht. Die Umsetzung, z. B. auch das anstehende Umweltrechtsbehelfsgesetz, sollte bereits mit Blick auf eine Übernahme in den Allgemeinen Teil des kommenden Umweltgesetzbuchs angelegt werden. Mit der Verbandsbeteiligung und infolgedessen wahrscheinlich auch mit der Verbandsklage könnte es allerdings ein Problem geben, wenn, wie es in dem Entschließungsantrag der Länder Nordrhein-Westfalen, Bayern, Berlin und Bremen (BRat Drs. 180/06) zu Art. 72 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 GG i. d. F. des Gesetzentwurfs zur Änderung des Grundgesetzes heißt, die Mitwirkung der Naturschutzverbände nicht zu den Grundsätzen des Naturschutzes gehört und deshalb einer abweichenden Gesetzgebung der Länder offen steht. Wir könnten dann z. B. landesrechtliche Vorschriften zur Beteiligung und zur Klagebefugnis der Naturschutzverbände und bundesrechtliche Vorschriften zur Beteiligung und zur Klagebefugnis der sonstigen Umweltverbände bekommen. Welche Schwierigkeiten und Unsicherheiten dies mit sich bringen würde, zeigt sich allein schon daran, dass es Verbände – wie z. B. der Bund für Umwelt- und Naturschutz, BUND – gibt, die sich nicht nur dem Naturschutz, sondern dem Umweltschutz allgemein verschrieben haben. Eine wichtige Anregung für die Verbandsklage sollte vor allem aus dem Kommissionsentwurf in dem kommenden Umweltgesetzbuch umgesetzt werden, nämlich den Verbänden auch die Klagebefugnis für eine Verpflichtungsklage und eine allgemeine Leistungsklage zu eröffnen, wenn Behörden ihnen obliegende umweltrechtliche Pflichten, seien es unmittelbar durch Gesetz oder seien es durch Verwaltungsakt aufgegebene Pflichten (z. B. Auflagen in einem Planfeststellungsbeschluss), nicht durchsetzen oder nicht erfüllen (vgl. § 45 UGB-KomE). Die Funktion der Verbände, Vollzugsdefiziten im Umweltschutz entgegenzuwirken, könnte damit erheblich gestärkt werden. So hört man z. B. immer wieder, dass Maßnahmen zur Kompensation von Eingriffen in Natur und Landschaft in Plänen großzügig festgesetzt werden, dass es aber anschließend mit der Umsetzung hapert. Des Weiteren würde die im Kommissionsentwurf vorgeschlagene, auf die Verletzung von umweltgesetzlichen Rechtspflichten be-

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zogene Konkurrentenklage (§ 46 UGB-KomE) einen guten Beitrag leisten können zum Abbau von Vollzugsdefiziten, soweit es um den privatwirtschaftlichen und gewerblichen Bereich geht. 4. Umweltschutz in der Raumplanung Es erscheint nach wie vor sinnvoll, im Allgemeinen Teil des kommenden Umweltgesetzbuchs allgemeine übergreifende Regelungen über raumbedeutsame öffentliche Planungen zu treffen, nämlich über umweltrechtliche Planungsgrundsätze (vgl. § 67 UGB-KomE) und über die Umweltprüfung von Plänen und Programmen, im UGB-KomE (§§ 74–79, 111) noch Umweltverträglichkeitsprüfung genannt. Dabei sollten sich die umweltrechtlichen Planungsgrundsätze auch auf „informelle Planungen“ erstrecken, die mehr und mehr als flexible Instrumente zur Vorbereitung formeller, rechtsverbindlicher Planungen und auch raum- und umweltrelevanter Maßnahmen eingesetzt werden und als solche z. T. auch gesetzlich (z. B. im Baugesetzbuch) ausdrücklich erwähnt werden. Die Vorschläge des Kommissionsentwurfs zur Umweltprüfung von Plänen und Programmen bedürfen der Anpassung an die Richtlinie 2001/42/EG, die derzeit in § 3 Abs. 1a, Anlage 3 und §§ 14a–14o UVPG umgesetzt ist. Der Allgemeine Teil des kommenden Umweltgesetzbuchs sollte eine eigenständige und vollständige Regelung über die Strategische Umweltprüfung enthalten, also nicht – wie jetzt im UVPG – im Zusammenhang mit der Umweltverträglichkeitsprüfung von Projekten geregelt werden, obwohl ein Zusammenhang besteht. Es ist einer der großen Vorzüge des UGB-KomE, das Modell einer Vorhabengenehmigung mit vollständiger Integration der Umweltverträglichkeitsprüfung in das Genehmigungsverfahren (§ 80 Abs. 3 UGB-KomE) entwickelt zu haben, so dass es keine isolierte Regelung über die Umweltverträglichkeitsprüfung gibt. Daran sollte festgehalten werden. Auf eine Umweltgrundlagenplanung, wie in §§ 69–73 UGB-KomE vorgeschlagen, kann verzichtet werden. Sie sollte nach der Vorstellung der Sachverständigenkommission den Trägern der Bauleitplanung und der Raumordnung obliegen und als obligatorische Vorstufe dieser gesamträumlichen Planungen die notwendigen umweltrelevanten Daten und Erfordernisse in gebündelter Form bereitstellen und damit die Umweltkomponente in der räumlichen Gesamtplanung stärken. Diese Funktion erfüllt inzwischen die in die Bauleitplanung und in die Raumordnungsplanung integrierte strategische Umweltprüfung. Damit sollte es sein Bewenden haben.

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5. Öffentlichkeitsbeteiligung bei Großprojekten Der integrierten Vorhabengenehmigung sind die beiden nachfolgenden Vorträge gewidmet. Deshalb könnte ich mir weitere Hinweise außer dem auf die schon hervorgehobene besondere Bedeutung dieses Instruments in einem Umweltgesetzbuch ersparen. Ich nehme an, dass in den nachfolgenden Beiträgen auch zur Sprache kommen wird, wie mit dem Thema Verfahrensbeschleunigung umzugehen ist, das derzeit Gegenstand einer erneuten Beschleunigungsgesetzgebung ist. Sie wird wohl „Pflöcke einschlagen“, an denen das kommende Umweltgesetzbuch kaum vorbei kommen wird. Gestatten Sie mir deshalb eine kurze Bemerkung zum Erörterungstermin, den § 88 des Kommissionsentwurfs als zwingenden Bestandteil des Verfahrens der integrierten Vorhabengenehmigung vorsieht, und zwar als öffentlichen Termin. Dahinter stehen sicherlich hehre Vorstellungen von bürgerschaftlicher Partizipation, vorgezogenem Rechtsschutz, Transparenz administrativer Entscheidungsprozesse und dergleichen. Europarecht gebietet den Erörterungstermin als Bestandteil der Öffentlichkeitsbeteiligung nicht. Die derzeitige Beschleunigungsgesetzgebung scheint darauf hinauszulaufen, das Erfordernis eines Erörterungstermins einzuschränken, möglicherweise bei komplexen und hochstreitigen Vorhaben darauf zu verzichten. Nach eigener praktischer Erfahrung als Verhandlungsleiter in einem über sieben Monate und 101 Verhandlungstage währenden Erörterungstermin kann ich derartigen Überlegungen ein gewisses Verständnis entgegenbringen. Jedenfalls bedürfen sie einer ernsthaften Diskussion. Man sollte aber das Kind nicht mit dem Bade ausschütten. Bei hochstreitigen Vorhaben stellt sich gewiss die Frage, ob ein Termin, der der Erörterung der schriftlich erhobenen Einwendungen dient, den ihm vom Gesetz zugedachten Zweck erfüllen kann, zumal wenn es ein öffentlicher Termin ist. Statt zu befrieden und streitige Punkte beizulegen und zur weiteren Aufklärung des entscheidungserheblichen Sachverhalts beizutragen, tendiert der Erörterungstermin bei hochstreitigen Projekten sehr leicht zur weiteren Polarisierung der gegensätzlichen Standpunkte, bietet sich als Instrument zur Verzögerung des Verfahrens mit dem Ziel einer Verhinderung des Vorhabens an, wird von manchen zur Diffamierung des Vorhabenträgers und der mit der Sache befassten Behörden missbraucht und von Betroffenen oft als ein basis-demokratisches Forum missverstanden, vor dem man sich einmal den ganzen Ärger und Frust über das Vorhaben, die Politik, die mit ihr unter einer Decke agierenden Behörden und überhaupt über „die da oben“ von der Seele reden kann. Gelegenheit zu einer substantiellen Erörterung besteht in einer solchen Atmosphäre kaum oder selten. Gewiss gibt es trotz solcher Widrigkeiten auch sachorientierte und für die weitere Sachaufklärung sehr förderliche Beiträge von Einwendern, Rechtsanwälten und Verbänden. Ich weiß auch und halte es für erforderlich, dass Öffentlichkeit von Entscheidungsprozessen Transparenz schafft und den Versuch erschwert, wenn nicht unmöglich macht, Probleme „unter den Teppich zu keh-

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ren“, nicht öffentlich werden zu lassen. Auch bereits bekannte Probleme werden in der mündlichen Auseinandersetzung deutlicher, rücken schärfer in das Bewusstsein. Ich gestehe auch jedem zu, sein Anliegen und sein Interesse hart in der Sache vorzutragen und dabei Betroffenheit nicht frei von Emotionen zum Ausdruck zu bringen. Ich frage aber, ob ein Erörterungstermin der derzeitigen Art bei Projekten der beschriebenen Art effektiv genug ist, ob Aufwand und Ertrag in einem angemessenen Verhältnis stehen. Wäre es nicht sinnvoller und effektiver, einen öffentlichen Erörterungstermin, der jedermann, Gegnern und Befürwortern des Vorhabens, offen steht, der öffentlichen Auslegung der Antragsunterlagen vorzuschalten, etwa nach dem Vorbild der frühzeitigen Öffentlichkeitsbeteiligung in der Bauleitplanung (§ 3 Abs.1 BauGB)? Der Vorhabenträger könnte dann qualifiziertere, näher an den Problemen und den Betroffenheiten ausgerichtete Antragsunterlagen vorlegen. Die Betroffenen wären besser über das Vorhaben informiert und könnten so die ausgelegten Antragsunterlagen besser verstehen und in ihren schriftlichen Einwendungen ihre Belange und deren Betroffenheit besser und sachkundiger darlegen. Ein sich nach öffentlicher Auslegung der Antragsunterlagen und Auswertung der eingegangenen schriftlichen Einwendungen ergebender Bedarf nach weiterer Sachaufklärung und Möglichkeiten eines auszuhandelnden Interessenausgleichs könnten dann besser in Einzelerörterungen mit Einwendern, Verbänden und Fachbehörden „abgearbeitet“ werden. Wichtig erscheint mir jedenfalls, der Anhörungsbehörde einen größeren Spielraum in der Gestaltung der Erörterung zu lassen, wie es etwa für die frühzeitige Öffentlichkeitsbeteiligung bei der Bauleitplanung der Fall ist.

6. Naturschutz, Landschaftspflege, Waldschutz Einen großen „Modernisierungsbedarf“ dürfte es im Kapitel „Naturschutz, Landschaftspflege und Waldschutz“ des Besonderen Teils geben. Er ergibt sich aus dem Gemeinschaftsrecht wie auch aus der Neuordnung der Gesetzgebungskompetenzen. Die Umsetzung europarechtlicher Richtlinien hat zu einer grundlegenden Neuregelung des Naturschutzrechts durch mehrere Novellen zum Bundesnaturschutzgesetz, vor allem die von 1998 und 2002, geführt. Der Kommissionsentwurf hat sich weitgehend an das Bundesnaturschutzgesetz i. d. F. von 1987 angelehnt. Ein neuer Entwurf wird sich folglich eher an der jetzigen Fassung des Bundesnaturschutzgesetzes orientieren als am 9. Kapitel des Kommissionsentwurfs. Dabei wird man allerdings prüfen müssen, ob der Kommissionsentwurf seinerzeit neue und auch jetzt noch gültige Gedanken enthält, die es im kommenden Umweltgesetzbuch aufzugreifen lohnt. Die jetzt gegebene Kompetenz des Bundes zur konkurrierenden Gesetzgebung für Naturschutz und Landschaftspflege gibt überdies die Möglichkeit, weitergehende Regelungen zu treffen als sie bisher im Bundesnaturschutzgesetz getroffen sind. Da indes bereits das geltende Bundesnaturschutzgesetz einer Vollregelung sehr nahe kommt und

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überdies die Länder offenbar auf die Abweichungskompetenz zu allem, was nicht zu den Grundsätzen des Naturschutzes sowie zum Recht des Artenschutzes und des Meeresnaturschutzes gehört, gesteigerten Wert legen, könnte es sich empfehlen, im kommenden Umweltgesetzbuch Naturschutz und Landschaftspflege nicht so umfassend zu regeln wie im Kommissionsentwurf vorgeschlagen und im jetzigen Rahmenrecht, das in Wahrheit den Rahmen von Rahmenrecht längst überschritten hat.

III. Abschließende Betrachtung, Zusammenfassung Ich komme zum Abschluss meiner allgemeinen Überlegungen zur Modernisierungsfähigkeit und Modernisierungsbedürftigkeit des Kommissionsentwurfs für ein Umweltgesetzbuch und meiner notwendigerweise bruchstückhaften Betrachtung einzelner konkreter Regelungsbereiche. Ein Einzelner allein, auch wenn er mit zu den Vätern des Kommissionsentwurfs gehört, ist nicht in der Lage, im Einzelnen zu beurteilen, ob und inwieweit ein so umfangreiches, weit gespanntes und komplexes Werk wie den Kommissionsentwurf, an dem zehn Jahre intensiver und hochspezieller europäischer und nationaler Rechtssetzung und darüber hinaus ein beachtlicher wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Wandel spurlos vorbeigegangen sind, modernisierungsfähig und – bedürftig ist, das heißt ob und inwieweit er in Teilen – und mehr wohl kaum – Vorlage für ein künftiges Umweltgesetzbuch sein kann. Mein Eindruck ist: 1.

Die höchste Eignung hat der Allgemeine Teil des Kommissionsentwurfs. Er ist am wenigsten von den zwischenzeitlichen Änderungen betroffen. Er hat viele auch für ein künftiges Umweltgesetzbuch taugliche und wertvolle innovative Elemente. Er hat eine hohe systembildende, die Rechtszersplitterung überwindende Kraft. Keines der acht Kapitel mit seinen einzelnen Abschnitten erscheint verzichtbar.

2.

Eine sehr differenzierte Beurteilung ist bei den neun Kapiteln des Besondern Teils des Kommissionsentwurfs geboten. Die dort behandelten Teilbereiche des Umweltrechts sind nach 1997 so stark und umfänglich geändert worden, wie z. B. das Naturschutzrecht, das Wasserrecht, das Immissionsschutzrecht, das Gentechnikrecht, wohl auch das Abfallwirtschaftsrecht, oder als Bundesgesetz erst zustande gekommen, so das Bodenschutzgesetz, dass es sinnvoll erscheint, sich bei einer Integration in ein Umweltgesetzbuch eher an den derzeit geltenden Gesetzesfassungen als am Kommissionsentwurf zu orientieren. Dabei sollte aber auch der Kommissionsentwurf vergleichend herangezogen werden, weil er sich gerade nicht mit einer bloßen Transformation geltender Einzelgesetze in eine umfassendere, systematisch neu ordnende Kodifikation begnügt, sondern vielfach innovative Ansätze enthält, die auch heute noch brauchbar und umsetzungswürdig sind.

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3.

Ein anderes, das 14. Kapitel schlägt für ansonsten in anderen Fachgesetzen geregelte Anlagen, nämlich Verkehrsanlagen und Leitungsanlagen, allgemeine umweltbezogene Regelungen vor. Sie sollten in ein künftiges Umweltgesetzbuch übernommen werden, mit einigen Korrekturen zwar, aber ein großer „Modernisierungsbedarf“ dürfte insoweit nicht bestehen.

4.

Das 16. Kapitel führt die wesentlichen umweltrelevanten Bereiche des Rechts der gefährlichen Stoffe zusammen. Das zugrunde liegende, Rechtszersplitterung überwindende Konzept sollte übernommen werden. Auch hier dürften die zwischenzeitlichen Änderungen der gefahrstoffspezifischen Einzelgesetze dazu geführt haben, dass für den Inhalt der in das künftige Umweltgesetzbuch aufzunehmenden Vorschriften als Vorlage eher die neueren Gesetze als der Kommissionsentwurf in Betracht kommt, soweit letzterer nicht gerade Rechtszersplitterung überwindet oder neue Gedanken enthält.

5.

Das Kapitel über Kernenergie und Strahlenschutz wird man, solange die politischen Differenzen über die Endgültigkeit des Ausstiegs aus der Kernenergienutzung nicht ausgeräumt sind, vernünftigerweise aus einem Umweltgesetzbuch ausklammern.

Ich wünsche den Bearbeitern des Referentenentwurfs des – so hoffen wir – kommenden Umweltgesetzbuchs für die Bewältigung ihrer überaus schwierigen Aufgabe die notwendige Kraft und Ausdauer, Glück und vor allem Erfolg.

Diskussion zu den Vorträgen Calliess und Gaentzsch Von Johannes Bosselmann Im Eingang der Diskussion bemerkte Kloepfer, dass das EG-Recht seiner Auffassung nach eine Chance und Quelle wesentlicher Neuerungen im Umweltrecht sei und gerade kein „Besatzungsrecht“. Trotz der Herausforderungen, die das europäische Recht an ein zu schaffendes UGB stellten, gelte es nun, Mut und Durchsetzungskraft zu beweisen. Als erster Diskussionsteilnehmer bezweifelte Prof. Dr. Hans-Werner Rengeling, ob die Verwendung des Terminus „Integrationsprinzip“ auch für Art. 6 EG statthaft sei. Calliess konzedierte, dass möglicherweise eine gewisse Verwechselungsgefahr bestünde. Er verwies jedoch auf unterschiedliche Sprachfassungen in den Mitgliedsstaaten und die hohe Bedeutung der „externen“ Integration, der in Deutschland bislang zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt würde. Rengeling führte weiter seine Bedenken darüber aus, ob und wie die Grundfreiheiten und (Umwelt-)Prinzipien in ein UGB integriert werden könnten. Calliess bemerkte in diesem Zusammenhang, dass diese Vorgaben isoliert gesehen eine Art Optimierungsgebot darstellten und auf die Konkretisierung durch Sekundärrecht angewiesen seien. Bei der Umsetzung von Sekundärrecht ergäben sich dann keine Besonderheiten. Ein von Rengeling aufgeworfener „vorauseilender Gehorsam“ sei nicht erforderlich. Dass der EuGH in seiner Rechtsprechung oftmals wenig prinzipienorientiert argumentiere, sei unproblematisch. Dr. Moritz Reese trat dem Vortrag von Dr. Günter Gaentzsch insoweit entgegen, als eine Umweltleitplanung in einem UGB sehr wohl geboten sei. Planungspflichten stellten eine Tendenz auch im europäischen Sekundärrecht dar, etwa im Luftqualitätsrecht. Gaentzsch verteidigte seine Auffassung. Die in Aussicht genommene Umweltgrundlagenplanung sei als Instrument der Datensammlung diskutiert worden, um so Koordination und Wechselwirkungen von Umweltbelastungen zu analysieren und gerade nicht als eigenständiges planungsrechtliches Instrument. Im Übrigen seien die zwischenzeitlich in Kraft getretenen Regelungen der strategischen Umweltprüfung ausreichend. Dr. Evelyn Hagenah schloss sich der Forderung Gaentzschs nach einem nicht überfrachteten UGB-AT an und warnte davor, dass ein voll durchsteuernder Allgemeiner Teil gerade im Hinblick auf das Europarecht zu unflexibel sei. Gaentzsch wies ihre Befürchtungen als unbegründet zurück und wies darauf hin, dass im Allgemeinen Teil des UGB-KomE auch keine volle Durchsteuerung geplant gewesen sei.

Die Integrierte Vorhabengenehmigung – Diskussionspunkte aus Sicht des Bundesumweltministeriums Von Christof Sangenstedt*

I. Warum brauchen wir eine integrierte Vorhabengenehmigung? Die integrierte Vorhabengenehmigung wird ein Kernelement des UGB sein. Dabei spielen folgende Leitvorstellungen eine entscheidende Rolle: • Vereinfachung und ggf. Beschleunigung der Vorhabenzulassung durch Konzentration auf ein einheitliches (umfassendes) Genehmigungsverfahren, • medienübergreifende Umweltbetrachtung als Reaktion des Umweltrechts auf naturwissenschaftliche Erkenntnisse über das Wirkungsgefüge Umwelt. Diese Zielsetzung entspricht den Vorgaben des Koalitionsvertrages. Es gibt aber auch kritische Stimmen, insbesondere auf Seiten der Wirtschaft.

II. Was ist eine integrierte Vorhabengenehmigung? Für die integrierte Vorhabengenehmigung besteht kein inhaltlich feststehender Begriff. Vielmehr existieren unterschiedliche Integrationsmodelle mit formellen und materiellen Komponenten: 1. Beschränkung auf Verfahrenskonzentration Es wird in einem Zulassungsverfahren eine Genehmigung mit (umfassender) Konzentrationswirkung erteilt (Beispiel: § 13 BImSchG). Diese Genehmigung schließt auch andere erforderliche Zulassungsentscheidungen ein. Dieses bedeutet aber nicht notwendig ein einheitliches (verfahrens- und materiellrechtliches) Prüf- und Entscheidungsprogramm.

* Hinweis des Herausgebers: Der nachfolgende Beitrag enthält die von Dr. Sangenstedt während der Tagung vorgetragene Präsentation. Aus Zeitgründen war es ihm leider nicht möglich, für die Drucklegung einen erweiterten und ausführlicheren Beitrag vorzulegen.

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2. „Verschmelzungsansatz“ Nach dem Verschmelzungsansatz werden Vorhaben, deren Zulassung bislang unterschiedlich geregelt war, einem einheitlichen Prüf- und Entscheidungsprogramm unterworfen. Ein entsprechendes Beispiel ergibt sich etwa aus dem UGB I-Entwurf des BMU von 1999: Vorgesehen war eine einheitliche Vorhabenliste für Vorhaben nach der IVU- und UVP-Richtlinie. Die Genehmigung dieser Vorhaben sollte nach Maßgabe des integrativen Konzepts der IVU-Richtlinie erfolgen. Gleichzeitig sollten die Anforderungen der UVP-Richtlinie erfüllt werden. Dieses Konzept wirft die Frage auf, ob der Verschmelzungsansatz mit dem Prinzip der 1:1-Umsetzung europäischer Umweltvorgaben vereinbar ist. Ein Beispiel hierfür wäre die Vereinheitlichung unterschiedlicher Schwellenwerte nach der IVU- und UVP-Richtlinie. Zudem ist zweifelhaft, wie weit eine Vereinheitlichung des Prüf- und Entscheidungsprogramms möglich ist. Dieses wird etwa bei der Harmonisierung von gebundener Zulassungsentscheidung im Immissionsschutz und wasserwirtschaftlichem Bewirtschaftungsermessen virulent. 3. Ergänzung des Genehmigungstatbestandes durch medienübergreifende vereinheitlichende Anforderungen (z. B. eine „Integrationsklausel“)? a) Ziele Mit der Ergänzung des Genehmigungstatbestands durch medienübergreifende vereinheitlichende Anforderungen soll die Sicherung des Schutzes von Mensch und Umwelt in ihrer Gesamtheit erreicht werden. Verlagerungseffekte sollen hierdurch vermieden werden. Ein entsprechender Genehmigungstatbestand soll zudem die Fähigkeit haben, Ergebnisse einer Umweltverträglichkeitsprüfung zu berücksichtigen (vgl. § 12 UVPG). b) Fragen Dabei ergeben sich folgende Fragen: Zum einen besteht die Notwendigkeit ergänzender integrativer Anforderungen. Dabei wäre jedoch das Verhältnis zum Grundtatbestand der Genehmigung zu untersuchen. Zum zweiten ist fraglich, ob die Integrationsklausel als eine eigenständige Genehmigungsvoraussetzung ausgestaltet werden soll (und damit zugleich einen selbständigen potentiellen Ablehnungsgrund darstellt) oder ob sie lediglich als Auslegungsdirektive zum Tragen kommt, die für eine optimierende Betrachtung bei der Anwendung des genehmigungsrelevanten Fachrechts – insbesondere bei der Ausfüllung unbestimmter Rechtsbegriffe – sorgt.

Die Integrierte Vorhabengenehmigung

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Schließlich ist zu klären, ob die Integrationsprüfung durch die Behörde im Einzelfall oder (abschließende) Steuerung durch ein untergesetzliches Regelwerk erfolgen soll.

III. Welche Vorhaben sollten einer integrierten Vorhabengenehmigung unterworfen werden? Bei der wichtigen Frage, welche Vorhaben einer integrierten Vorhabengenehmigung unterworfen werden sollen, ergibt sich eine Fokussierung auf Vorhaben mit besonderem Umweltbezug und sonstige Kernmaterien, die noch in der Legislaturperiode umgesetzt werden sollen, insbesondere also das Wasserhaushaltsrecht. In Betracht kommen folgende Vorhaben: • Industrieanlagen nach der 4. BImSchV, • bestimmte wasserwirtschaftliche Vorhaben, • Abfalldeponien, • bestimmte Leitungsanlagen.

IV. Typen der Vorhabengenehmigung Bei der geplanten Vorhabengenehmigung können folgende Typen unterschieden werden: • gebundene Vorhabengenehmigung, • planerische Vorhabengenehmigung, • Vereinfachtes Verfahren.

V. Ausgestaltung der Regelungen über die integrierte Vorhabengenehmigung Die Regelungen über die integrierte Vorhabengenehmigung werden zum einen durch Verfahrensanforderungen einschließlich der UVP-rechtlichen Anforderungen ausgestaltet. Hinzu kommen materielle Anforderungen (Genehmigungstatbestand). Diese umfassen zum einen Grundpflichten, die durch untergesetzliche Regelwerke konkretisiert werden. Weitere materielle Anforderungen ergeben sich aus umweltrechtlichen und sonstigen öffentlich-rechtlichen Vorschriften.

Integrierte Vorhabengenehmigung aus Sicht der Wirtschaft Von Wolfgang Spoerr

I. Einführung Für die Wirtschaft bietet ein Umweltgesetzbuch große Chancen. Es verbindet sich mit der Hoffnung auf eine Rechtsbereinigung und Rechtskonsolidierung, bei der Überflüssiges entfällt, Doppelregulierungen abgebaut und ökologisch Nutzloses rückgebaut wird1. Auch die Wirtschaft hofft auf sinnvolle Innovationen im Umweltrecht und darauf, dass Bestehendes und Neues zu innerer Kohärenz geführt wird. Schließlich könnte ein Umweltgesetzbuch langfristig eine Selbstdisziplinierung von Gesetzgeber und Politik durch einen stimmigen Begriffs- und Instrumentenrahmen herbeiführen.2

II. Bedeutung der Industrieanlagenzulassung Die Industrieanlagenzulassung ist für die produzierende Wirtschaft traditionell der sensibelste Teil des Umweltrechts überhaupt. Aus mehreren Gründen. Zum einen wegen der Regelungstechnik eines Verbots mit Erlaubnisvorbehalts.3 Das bedeutet: Ohne vorherige Behördenentscheidung kein wirtschaftliches Handeln. Zweitens wegen des umfassenden Prüfprogramms der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung. Drittens weil Konflikte mit Dritten meist im immissionsschutzrechtlichen Verfahren ausgetragen werden. Viertens weil die immissionsschutzrechtliche Genehmigung die Grundlage für eine systematische, laufende behördliche Überwachung ist. Wo Anlagen nicht der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung unterliegen, übernimmt das Baurecht ihre Steuerungsfunktionen. Allerdings ist die Baugenehmigung aus einer Reihe von 1 Vgl. zu diesem Erfordernis bereits Hüwels, Erfahrungen mit unternehmensnahen Instrumenten des Umweltrechts; in: Stober/Vogel (Hrsg.), Umweltrecht und Umweltgesetzbuch aus wirtschaftsrechtlicher Perspektive, 2001, S. 23. 2 Negativ insoweit die Bilanz zum Sozialgesetzbuch von Zacher, BayVBl 1991, 529, 537. 3 Dazu allgemein Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 16. Auflage, 2006, § 9 Rn. 51 ff.; BVerfGE 20, 150 (154 ff.); Kloepfer, Umweltrecht, 3. Auflage, 2004, § 5 Rn. 46 ff., 55.

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Gründen – die Details würden diesen Vortrag sprengen – oft ein angenehmeres Regelungsinstrument als die immissionsschutzrechtliche. Zwar hat auch die immissionsschutzrechtliche Genehmigung aus Betreibersicht erhebliche Vorteile – so etwa die Ausschlusswirkung (§ 14 BImSchG). Welches Genehmigungsinstrument aus Betreibersicht vorzugswürdig ist, unterscheidet sich von Fall zu Fall. Für die Wirtschaft weniger wichtig ist allerdings die immissionsschutzrechtliche „Neugenehmigung“. Für größere Investitionsvorhaben hilft der internationale Standortwettbewerb, dass ein Unternehmen auch im umweltrechtlichen Vollzug alles bekommt, was es vernünftigerweise will. Wichtig und kritisch ist aber die Änderung von bestehenden Anlagen4. Die Eröffnungsreden der Politiker sind gehalten, der staatliche Investitionszuschuss von knapp einem Drittel der Investition ist ausbezahlt, der umweltrechtliche Alltag ist eingekehrt. Produktionsanlagen unterliegen ständiger Verbesserung und Optimierung. Das rechtliche Paradigma einer einmal errichteten, dann nur noch betriebenen Anlage ist für viele Branchen praxisfern. Unsicherheiten und Blockaden bei Änderungsvorhaben lähmen bestehende Standorte. Und der politische Support, der Neuvorhaben heute durch die Verfahren trägt, kann nicht für jede Änderung im betrieblichen Alltag mobilisiert werden.

III. Anforderungen an das Umweltrecht aus Sicht der Wirtschaft Die Wirtschaft braucht ein effizientes und wettbewerbstaugliches Umweltrecht. Effizienz5 heißt hier: Ein vorgegebenes ökologisches Ziel sollte mit möglichst niedrigen Kosten – im weitesten Sinne – erreicht werden. Die Wettbewerbstauglichkeit folgt weitgehend bereits aus der Einhaltung des Effizienzgebotes; hinzu kommt nur, dass übermäßige ökologische Ziele vermieden werden. Welches sind die Kosten umweltrechtlicher Regulierung? Da sind zum einen die unmittelbaren Compliance-Kosten, z. B. die Kosten einer Filteranlage oder einer Dreifachsicherung beim Verwenden wassergefährdender Stoffe. Dann gibt es die organisations- und verfahrensbedingten direkten Compliance-Kosten: Genehmigungsverfahren, Umweltbeauftragte, Emissionserklärungen – all das kostet Geld. Ein dritter – sehr relevanter und per se nicht ökologisch nützlicher – Kostenfaktor jeder Regulierung sind die verfahrensbedingten Verzögerungskosten. Genehmigungsverfahren sind zeitaufwendig. Der vierte Kostenfaktor sind die Transaktionskosten von Unsicherheiten im Rechtsrahmen. Was ist damit gemeint? Unsicherheit im Rechtsrahmen führt zu Konflikten, weil unterschied-

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Vgl. hierzu Hüwels, a. a. O., S. 28 f. Dazu allgemein nur Schmidt-Aßmann, Das allgemeine Verwaltungsrecht als Ordnungsidee, 1998, S. 284 ff. m.w. N. 5

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liche Interessenten Regelungen jeweils in ihrem Sinne verstehen und diese Unsicherheit so in die Verfahren hineintragen. Diese Unsicherheiten auszutragen, kostet Zeit und Geld, und Zeit ist Geld. Der fünfte – und unerfreulichste – Kostenfaktor sind die Erwartungskosten der Unsicherheit. Was verbirgt sich dahinter? Die kaufmännische Vorsicht und die rechtliche Vorsicht führen dazu, dass für Entscheidungen, z. B. Investitionsentscheidungen, unter Unsicherheitsbedingungen systematisch reasonable worst case Annahmen zugrunde gelegt werden. Deswegen führt rechtliche Unsicherheit zu ökonomischer und ökologischer Ineffizienz. Ein einfaches Beispiel mag das verdeutlichen: Unterstellt, ein Unternehmen muss für eine Investition zwischen Land A und Land B entscheiden. Beide Länder verlangen aufwendige Emissionsminderungsmaßnahmen für Stickoxide. In Land A gilt ein Emissionsgrenzwert von 500 mg/m3, im Land B einer zwischen 300 und 700 mg/m3, was im Genehmigungsverfahren im Einzelfall festgelegt werden wird, wobei 300 eine Wahrscheinlichkeit von 30% hat, 500 von 20% und 700 von 50%. Das Genehmigungsverfahren dauert in Land A zwischen 6 und 8 Monaten, durchschnittlich 7 Monate, in Land B zwischen 4 und 10 Monaten, durchschnittlich aber 6,5 Monate. Die ökologische Seite ist: Land A ist besser, Land B ist schlechter, hat insgesamt höhere Emissionen und kürzere Verfahren. Die wirtschaftliche Seite: In Land A wird c.p. investiert werden, in Land B nicht. Die Anforderungen der Wirtschaft an die Vorhabengenehmigung sind aus diesen Effizienzüberlegungen abzuleiten. Juristisch ergeben sich daraus die Anforderungen der Rechtssicherheit, Rechtsklarheit und Vollzugstauglichkeit. Die Kodifikation des Umweltrechts bietet hier durchaus Chancen – aber auch Risiken.

IV. Kodifikationsbedingungen Damit die Chancen genutzt werden, müssen allerdings einige Kodifikationsbedingungen beachtet werden. Gesamtkodifikationen sind schon deshalb nicht per se anwendungsfreundlicher als zersplittertes Fachrecht, weil sie länger sind. Unter Gesamtkodifikation soll im Folgenden der Versuch verstanden werden, das gesamte maßgebliche Recht eines Lebensbereichs in einem einheitlichen Gesetzgebungswerk zusammenzufassen. Vorbilder sind das Bürgerliche Gesetzbuch sowie das Sozialgesetzbuch.6 Dem gegenüber stehen Teil-Kodifikationen wie das Verwaltungsverfahrensgesetz. Eine Gesamtkodifikation ist in aller Regel länger als jedes in ihr aufgenommene Gesetz, insgesamt ist sie aber deutlich kürzer als die Summe aller Gesetze. Dies ist dann ein Vorteil, wenn die Rechts6 Zu Letzterem etwa Waibel, Fortschreiten der Kodifikation des SGB: Begründung eines geschlossenen Systems? ZfS 2004, S. 341 ff., Zacher: Das Vorhaben des Sozialgesetzbuchs, RsDE Heft 47, 2001, S. 1 ff.; Thieme: Das halbgescheiterte Sozialgesetzbuch, in: Ruland/von Maydell/Papier: Verfassung, Theorie und Praxis des Sozialstaats, 1998, S. 1101 ff.

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anwender der verschiedenen Teile die gleichen Personen sind. Dann bringt eine Gesamtkodifikation dem Rechtsanwender den Mehrwert, dass er insgesamt sogar weniger Text bewältigen und weniger Paragrafen anwenden muss. Diese Randbedingung ist für das Umweltrecht nur teilweise gegeben. Es bringt der typischen Immissionsschutzbehörde oder der Genehmigungsabteilung eines Unternehmens nichts, wenn sie die sie betreffenden immissionsschutzrechtlichen Regelungen aus den atom- und gentechnikrechtlichen heraussuchen muss. Ein Umweltgesetzbuch muss auch für Nichtjuristen anwendungsfähig sein. Im Sozialgesetzbuch wurde dieses Thema durch eine sehr klare Aufteilung auf Bücher geregelt. Die meisten Gesetzesanwender arbeiten fast nur mit „ihrem“ Buch, kaum jemand schaut je in das 1. Buch, den AT. Allein die Regelungen über das Verwaltungsverfahren (X. Buch) und die allgemeinen Organisationsvorschriften (IV. Buch) für die Sozialversicherung haben eine gewisse Bedeutung jenseits des jeweiligen Fachrechts. Besonders risikoträchtig sind „Allgemeine Teile“. Bei Gesamtkodifikationen haben wir den Ehrgeiz, einen „Allgemeinen Teil“ zu schaffen. Diese deutsche Gesetzgebungstradition beim Aufbau von Gesamtkodifikationen ist eine Frucht der Begriffsjurisprudenz des 19. Jahrhunderts. Es handelt sich um großartige Ergebnisse einer auf Verallgemeinerung, Abstraktion und Systematisierung gerichteten wissenschaftlichen Rechtskultur. Demgegenüber sind Gesetzesvollzug und Gesetzesbeachtung konkret, moderne Umweltgesetzgebung ist problemorientiert. Anders als das Justiz- und Juristenrecht etwa des Bürgerlichen Rechts soll Umweltrecht auf den Vollzug und nicht auf gerichtliche Rechtsanwendung durch Volljuristen ausgerichtet sein. Praktiker wissen, wie sehr der sichere Umgang mit den Abstraktionen des BGB, etwa dem Begriff der „Verfügung“ in § 185 BGB, im juristischen Tagesgeschäft lebenslang den hervorragenden Juristen vom guten oder mäßigen Juristen unterscheidet. Juristische Abstraktionsleistungen sollten jedoch in der Praxis des Normvollzuges möglichst wenig verlangt werden. Im betrieblichen Alltag einer Genehmigungsabteilung haben sie keinen Platz. Ein Allgemeiner Teil sollte sich daher materiell-rechtlicher Vorgaben möglichst enthalten. Die Gesetzgebungskultur des Umweltrechts ist belastet; es ist zu wünschen, dass sich die Verfasser eines künftigen UGB hiervon etwas freischwimmen. Schon lange wird in deutschen Umweltgesetzen der Grundsatz oder Programmsatz nicht mehr immer klar von der Rechtspflicht unterschieden, gibt es Grundpflichten, die aber Pflichten nur im Sinne eines metaphysischen oder metaphorischen Pflichtbegriffs sind oder gar Gesetzespflichten, irgend ein Ziel anzustreben, also Strebsamkeitspflichten. Natürlich böte eine Kodifikation auch die Chance, hier nachzujustieren und wieder mehr Bestimmtheit zu schaffen.

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Lassen Sie mich bitte noch eine weitere ganz persönliche Beobachtung einschließen. Ich habe den Eindruck, dass die deutsche Rechtskultur – geprägt von Rechtsdogmatik, juristischer Ausbildung und Sozialisation – gewisse Schwächen in der Technik juristisch-logischer Formulierung hat. Die Ausbildungsund Sozialisationsinhalte scheinen mir – auch im internationalen Vergleich – zu wenig auf das Verfassen von anwendungsfähigen Rechtstexten gerichtet zu sein. Eine Tradition des „legislative drafting“ oder auch nur des contract drafting gibt es kaum. Eine Kodifikation muss den Eigenwert von Rechtskontinuität respektieren. In einer Zeit, in der „Innovation“ und „Reform“ Selbstzwecke sind, lohnt es sich, einmal festzuhalten: Rechtskontinuität hat auch einen Eigenwert, weil sie Effizienz bringt. Tausende Rechtsanwender kennen die Gesetze. Wo sie Fragen offenlassen, gibt es eine klärende Rechtsprechung, die Zweifel vollzugstauglich beseitigt hat, im Übrigen rechtswissenschaftliche Literatur. Das schafft Vorhersehbarkeit und Planungssicherheit. Das muss kein Argument gegen eine Kodifikation sein. Es sollte aber zur Vorsicht veranlassen, wenn eine Kodifikation mit weit reichenden begrifflichen oder gesetzessystematischen Neuerungen verbunden wird. Die Kodifikationsgrenzen müssen entwicklungsoffen und pragmatisch gehandhabt werden. Eine Gesamtkodifikation kann ihren Anspruch nur erfüllen, wenn sie auch als solche ausgestaltet wird. Das setzt zweierlei voraus. Zum einen eine hinreichende Gesetzgebungszuständigkeit7. Zum anderen den politischen Willen, zusammen zu regeln, was zusammengehört. Auch unter diesem Gesichtspunkt ist das UGB belastet. Seine Kodifikationsgrenzen werden bis auf weiteres auch von Ressortgrenzen bestimmt. Kaum etwas ist heute so umweltrelevant wie das Raumordnungs- und Bauplanungsrecht. Trotzdem scheint sich jeder damit abgefunden zu haben, dass das Recht der räumlichen Gesamtplanung und der Steuerung der Bodennutzung nicht in die Kodifikation einbezogen wird, noch weniger das allgemeine Vorhabengenehmigungsrecht der deutschen Rechtsordnung, das Bauordnungsrecht. Bei den Planfeststellungen wird das UGB auf Ressortgrenzen zum Verkehrsministerium (Fachplanungsgesetze) und zum Innenministerium (VwVfG) stoßen. Aus Sicht der Kodifikationsidee ist allerdings auch wünschenswert, dass ein UGB nicht die große gelungene Kodifikation des Verwaltungsverfahrensrechts, das VwVfG, schwächt. Viel spricht dafür, bestimmte allgemeine Verfahrensregelungen eher in das VwVfG aufzunehmen als in den AT des UGB.

7 Vgl. dazu jüngst die weitgehende – positive – Bewertung der Sachverständigen in der Bundestagsanhörung zur Verfassungsreform; dazu Kloepfer, ZUR 2006, 338.

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V. Lehren aus dem UGB I-Referentenentwurf 1999 Was können wir aus dem Referentenentwurf eines UGB I aus dem Jahr 1999 lernen? Bei diesem Entwurf stand die Vorhabengenehmigung im Mittelpunkt8. Damit wollte man zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen. Erstens das damals empfundene Bedürfnis, die immissionsschutzrechtliche Industrieanlagenzulassung richtlinienkonform umzugestalten. Hintergrund war die IPPC (IVU)-Richtlinie. Deswegen wurde die Vorhabengenehmigung eine „integrierte“ genannt. Zum anderen der Einstieg in die Kodifikation des Umweltrechts. Deshalb wurde die Vorhabengenehmigung im Allgemeinen Teil geregelt. Dabei wurde der Versuch gemacht, zwei Genehmigungstypen bereitzustellen, für die möglichst viele gemeinsame Regelungen geschaffen wurden. Die Entkoppelung beider Ziele ermöglicht es heute, die Kodifikation des Umweltrechts unabhängig vom tatsächlichen oder vermeintlichen Erfordernis struktureller Änderung der Zulassungstatbestände zu beraten. Dadurch besteht die Chance, dass das UGB heute aus Sicht der Wirtschaft unter einem günstigeren Stern steht – wenn es das federführende Ressort so will. Die immissionsschutzrechtliche Genehmigung sollte damals in einer so genannten „gebundenen Vorhabengenehmigung“ aufgehen. Weitere Vorhabenzulassungen des geltenden Rechts sollten ihr nicht eingegliedert werden. Im Kommissionsentwurf waren hingegen ein Sammelsurium von Extremem und Peripherem genannt, das zusammen mit der immissionsschutzrechtlichen Anlagenzulassung geregelt werden sollte: die atomrechtliche Anlagengenehmigung, die gentechnische Anlagen- und Freisetzungsgenehmigung, die wasserrechtlichen Anlagenzulassung sowie die Forstumwandlungsgenehmigung. Die planerische Vorhabengenehmigung sollte zwar zunächst nur für Deponien und Leitungsanlagen gelten. Es war aber die erklärte Absicht, andere Planfeststellungen später in das Umweltgesetzbuch einzugliedern. Dieser Versuch einer Systematisierung war kühn. Immissionsschutzrechtliche Industrieanlagenzulassung und Planfeststellungen haben eine völlig unterschiedliche Anwendungstradition, ein meist sehr verschiedenes organisatorisches Umfeld und bewältigen zudem zwar manche gemeinsame, aber auch sehr unterschiedliche Sachprobleme:

8 Ausführlich hierzu Hopp, Raumordnungs- und Bauplanungsrecht im Umweltgesetzbuch, 2000, S. 118 ff.; Fluck, Die Vorschriften über die Vorhabengenehmigung im Kommissions-Entwurf eines UGB; in: Marburger/Reinhardt/Schröder (Hrsg.), Jahrbuch des Umwelt- und Technikrechts 1998, UTR Band 45, 1998, S. 93 ff. Vgl. auch Sendler, Zur Umsetzung der IVU- und der UVP-Änderungsrichtlinie durch ein Umweltgesetzbuch I; in: Marburger/Reinhardt/Schröder (Hrsg.), Jahrbuch des Umweltund Technikrechts 1998, UTR Band 45, 1998, S. 7, 17: Vorhabengenehmigung als „Herzstück eines UGB I“.

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Bei der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung ist die Raumnutzungsentscheidung an anderer Stelle gefallen, typischerweise in Bebauungsplänen, ersatzweise in den innenbereichs- oder außenbereichssteuernden gesetzlichen Regelungen des BauGB. Eine umfassende Standort- und Vorhabenzulassung ist die immissionsschutzrechtliche Anlagenzulassung daher nicht. Demgegenüber beinhalten Planfeststellungen typischerweise auch eine umfassende Raumnutzungsentscheidung. Deswegen sind die §§ 29–37 BauGB auf Planfeststellungen grundsätzlich nicht anzuwenden (§ 38 BauGB). Gerade darin zeigt sich die besondere Rechtsmacht der Planfeststellung, öffentliche und private Belange – selbst satzungsrechtlich festgeschriebene – im Einzelfall zu überwinden. Daneben gibt es als dritte Form umweltrechtlicher Eröffnungskontrollen die umweltrechtlichen Nutzungsbewilligungen, paradigmatisch die wasserrechtlichen Gestattungen. Daher war dieser Versuch einer Systematisierung im materiellen Zulassungstatbestand 1999 doktrinär und konzeptionell unstimmig.

VI. Resümee: Sieben Wünsche zum UGB Dem Bundesumweltministerium ist zu wünschen, dass es dieses Mal eine glücklichere Hand hat. Dem Gelingen des Projekts, aber auch dem Umweltund Wirtschaftsstandort Deutschland wäre sehr gedient, wenn bei der Industrieanlagenzulassung sehr behutsam vorgegangen und ein hoher sprachlicher und gesetzgebungstechnischer Standard nicht nur angestrebt, sondern auch erreicht würde. Daraus ergeben sich folgende Wünsche: 1. In allererster Linie kommt es darauf an, die Kontinuität der gesetzlichen Tatbestände möglichst zu wahren. Die Kodifikationsidee sollte nicht belastet werden mit Versuchen, Zulassungstatbestände neu aufzuladen oder auch nur umzuschreiben. Das bedingt eine gewisse Vorsicht mit neuen Begriffen, so etwa, wenn der Begriff von „Errichtung und Betrieb von Anlagen“ durch „Vorhaben“ ersetzt wird oder das fachplanerische Abwägungsgebot neu formuliert wird. 2. Die pandektistisch-begriffsjurisprudentielle Tradition eines Allgemeinen Teils sollte nur mit großer Vorsicht praktiziert werden. Die Geschlossenheit der Besonderen Teile darf nur dort eingeschränkt sein, wo der Abstraktion ein nachweisbarer Abstraktionsnutzen korrespondiert. Dies kann überhaupt nur dort der Fall sein, wo Regelungen für mehrere Bereiche einheitlich gelten. Selbst dort ist jeweils vorsichtig zu fragen, ob ein greifbarer Abstraktions-Mehrwert nachweisbar ist. Das schon erwähnte Beispiel hierfür war die gebundene Vorhabengenehmigung. Welchen Mehrwert hat es, die bewährten Regelungen des BImSchG durch Verweisungsketten unklaren Inhalts und unlesbarer Struktur zu

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ersetzen, bloß um irgendwann in ferner Zukunft einmal das Fernziel zu erreichen, die Waldrodung (Forstumwandlung) und den Kernreaktor nach den gleichen Vorschriften zu genehmigen? Daher sollte eine Kodifikation des Umweltrechts für den Allgemeinen Teil zunächst vor allem jene Regelungen vorsehen, die kraft ihrer Struktur und vorwiegend schon jetzt fachrechtsübergreifend gelten. Daher bieten sich an: • Die Umweltverträglichkeitsprüfung. • Das Umweltinformationsrecht. • Die naturschutzrechtliche Eingriffsregelung. • Vielleicht auch das Umwelthaftungsrecht. In einer zweiten Stufe könnten behutsam jene Regelungen in einen AT eingegliedert werden, bei denen schon im geltenden Recht weitgehend identische Regelungen bestehen: • Die Umweltbeauftragten. • Denkbar wären auch Einzelfragen der Vorhabengenehmigung wie etwa die Zulassung vorzeitigen Beginns. Ein Desiderat wäre es auch, das instrumentelle Chaos der gesetzlichen Planungsinstrumente des Umweltrechts zu systematisieren und wirksam zu machen. Aber hier müsste der Staat erst einmal bei sich selbst anfangen. Hingegen hat die immissionsschutzrechtliche Anlagengenehmigung eine Sonderstellung. Sie hat in einem UGB AT nichts zu suchen. Langfristig könnte sie, wenn überhaupt, aus Sicht der Praxis sinnvoll nur mit der Baugenehmigung und der gentechnischen Anlagenzulassung zu einem einheitlichen Rechtsinstitut verallgemeinert werden. Dagegen wiederum stehen Gesetzgebungszuständigkeiten ebenso wie Gesetzgebungs- und Verwaltungstradition. 3. Die grundlegende, nur vor dem Hintergrund des Bebauungsrechts verständliche Unterscheidung der gebundenen Vorhabengenehmigung (Immissionsschutzrecht, Baurecht) und der Planfeststellung muss beibehalten werden. Dies bedingt zugleich auch eine rechtspolitisch sinnvolle Abgrenzung zwischen Vorhabengenehmigungen und Umweltbewilligungen. 4. Bei einer Regelung des Genehmigungsrechts sind sinnvolle Grenzen von Genehmigungsinhalt und Prüfungsprogramm zu respektieren. Integrierte Genehmigungen sind in besonderer Weise anfällig dafür, dass die Behörde ihr Prüfungsprogramm überdehnt. So überlastet es die immissionsschutzrechtliche Anlagengenehmigung, wenn sich die Behörde anschickt, die stoffstrombezogenen Umweltanforderungen für die Lebenszeit der Anlage gewissermaßen im Vorgriff schon einmal mit zu regeln. Integration darf keine Rechtfertigung für be-

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liebige Ausdehnungen des Prüfungsprogramms über den Gegenstand der Genehmigung hinaus sein. 5. Allgemeine Effizienzanforderung an gesetzliche Genehmigungsregelungen ist die Identität von Prüfungsprogramm und Genehmigungsinhalt. Das Prüfungsprogramm der Behörde sollte soweit reichen, wie der Entscheidungsinhalt der Genehmigung – anders formuliert deren Legalisierungswirkung – ist. Überschießende Prüfungsbefugnisse nach dem Motto „Wir prüfen es einmal, obwohl wir darüber nicht verbindlich entscheiden können“ stehen mit der Forderung nach Rechtssicherheit nicht im Einklang. 6. Zentrales Desiderat ist eine klare Gesetzgebungssprache. Dazu gehört folgendes: Zum einen sollte auf Verweisungen, deren Reichweite unbestimmt ist, verzichtet werden. Überhaupt kommt ein systematisch klares Gesetz weitgehend ohne Verweisungsklauseln aus. Ganz zu vermeiden ist der Begriff der „Maßgabe“9. Er ist eines der hässlichsten Kinder des Einigungsvertrages. Wie das Handbuch der Rechtsförmlichkeit berichtet, ist im Einigungsvertrag die Bezeichnung „Maßgaben“ verwendet worden, weil es sich formal gesehen nicht um Änderungen des Wortlauts der Vorschriften handelte, sondern um Anwendungsregeln. Daraus ergibt sich zugleich, dass der Begriff im Übrigen keinen Platz hat. Insbesondere eignet er sich nicht für Binnenverweisungen in einer Kodifikation. Hier dient er in der Regel dazu, die Reichweite der Überlagerung unklar zu lassen und somit in Rechtsanwendung und Vollzug zu verschieben. Der Begriff des „Berücksichtigens“ sollte nur verwendet werden, wenn eine planerische Abwägungsentscheidung gewollt ist. Auch andere verkappte Verweisungen unklaren Regelungsgehalts nach dem Muster „die Grundpflichten von § X sind so zu erfüllen, dass die Regelungen von § Z eingehalten werden“ sind zu vermeiden. 7. Deregulierungspotentiale sollten vorsichtig mit geprüft werden. Deregulierung bedeutet aber im Kontext des Genehmigungsrechts nicht, dass sich der Staat aus der Verantwortung für die Konkretisierung seiner Umweltanforderungen stiehlt, sondern eher „richtige“ und „effizienzgerechte“ Regulierung. Vor einer generellen Rücknahme von Genehmigungstatbeständen sollte die Stärkung der verfahrensrechtlichen Optionsspielräume der Unternehmen stehen.

9 Vgl. hierzu bereits Spoerr, DVBl. 1999, S. 1463 ff.; Hoppe/Schlarmann, Die planerische Vorhabengenehmigung, 2000, S. 101.

Diskussion zu den Vorträgen von Sangenstedt und Spoerr Von Johannes Bosselmann Die Diskussion wurde von Dr. Manfred Rebentisch mit dem Einwand eröffnet, dass ein UGB überflüssig sei. Das Integrationsprinzip sei bereits im geltenden Immissionsschutzrecht verankert. Eine Verschmelzung von Anlagengenehmigung und wasserrechtlicher Erlaubnis sei nicht möglich; das hätten schon die Diskussionen Mitte der 80er Jahre des vergangenen Jahrhunderts gezeigt. Diese müssten nicht wiederholt werden. Vielmehr bestehe durch ein UGB die Gefahr der Verkomplizierung. Je größer das Prüfungsprogramm, desto größer das Risiko einer Hintertürlösung in Form eines vorzeitigen Beginns. Dem trat Steinkemper energisch entgegen. Sangenstedt habe bewusst viele der bisherigen Diskussionspunkte aufgezeigt und dies auch so betont. Damit sei nicht zwingend eine erneute langwierige Diskussion zum aktuellen Zeitpunkt verbunden. Durch die Integration des Naturschutzrechts und des Wasserrechts in das UGB mit dessen integrierter Vorhabengenehmigung bestünden sehr wohl Effizienzgewinne. Zudem solle der Anwendungsbereich der integrierten Vorhabengenehmigung nicht auf alle Bereiche des Anlagenrechts erstreckt werden, insbesondere nicht etwa auf atomrechtliche Anlagen. Klaudia Martini verwahrte sich als langjährige Umweltministerin des Landes Rheinland-Pfalz der Kritik Spoerrs, die Behörden arbeiteten derzeit nicht effizient genug. Das gegenwärtige Sternverfahren sei zudem ein erster erfolgreicher Schritt zur Verfahrensintegration. Mit Blick auf die kommende integrierte Vorhabengenehmigung forderte Martini, dass der Tatbestand so eng und konkret wie möglich gefasst werden solle. Ziel sei eine noch höhere Verlässlichkeit und Rechtssicherheit. Martini appellierte daher für eine „übergroße Koalition der Vernünftigen“. Spoerr betonte nochmals, dass er zwar große Chancen im UGB sehe, die Vorhabengenehmigung jedoch nicht zum Experimentierfeld werden dürfe. Sangenstedt stellte nochmals klar, dass sein Vortrag lediglich als Diskussionsgrundlage fungieren sollte. Die Bundesregierung überprüfe derzeit sämtliche Regelungen auf eine mögliche Kostenbelastung der Wirtschaft. Sangenstedt wies erneut auf die geplante Aufnahme des Naturschutzrechts in ein UGB noch in dieser Legislaturperiode hin; auch die naturschutzrechtliche Eingriffsregelung würde integriert. Abschließend äußerte sich Kloepfer überrascht darüber, dass die Industrie trotz anderslautender Wünsche in der Vergangenheit nunmehr offenbar keine integrierte Vorhabensgenehmigung mehr wünsche.

Verhältnis Ordnungsrecht – „weiches Recht“ unter besonderer Berücksichtigung des Umweltaudits aus Sicht des Bundesumweltministeriums Von Susanne Lottermoser

I. Wir sind „Auf dem Weg zum Umweltgesetzbuch“ – so der Titel der heutigen Konferenz. Auf diesem Weg geht es nicht nur darum zu überlegen, wie die bestehenden Normen rechtstechnisch in eine übersichtlichere Form gegossen werden können. Wir wollen das in über 30 Jahren gewachsene Umweltrecht auch modernisieren und an neuere Entwicklungen anpassen. Dabei wird auch das Verhältnis von Ordnungsrecht und „weichem Recht“ auf den Prüfstand gestellt. Das Umweltrecht ist vorwiegend ordnungsrechtlich geprägt. Es basiert auf Gefahrenabwehr und dem Vorsorgeprinzip. Das Ordnungsrecht bildet die solide Grundlage jeder Umweltpolitik. Durch Ordnungsrecht, insbesondere im technischen Umweltschutz in den Betrieben, sind in der Vergangenheit die größten Erfolge erzielt worden. Dennoch hört man in der Diskussion über die Instrumente der Umweltpolitik oft, das Ordnungsrecht habe ausgedient. Erwartungen, wonach Modelle „freiwilliger“ oder ökonomisch orientierter Selbstregulierung der Wirtschaft generell eine Alternative zum ordnungsrechtlichen Vorgehen darstellen, werden den Realitäten und bisherigen Erfahrungen jedoch nicht gerecht. Der Sachverständigenrat für Umweltfragen hat denn auch in seinem Gutachten 2002 die Kritik am Ordnungsrecht klar zurückgewiesen. In vielen Bereichen ist das Ordnungsrecht einfach nicht durch ökonomische oder andere indirekt wirkende Instrumente ersetzbar. Und nicht zuletzt die grundrechtlichen Schutzpflichten des Staates schaffen eine natürliche Grenze für einen Verzicht auf ordnungsrechtliche Normen. „Weiche“ Steuerungsinstrumente stellen zwar nicht den Königsweg zur Erreichung umweltpolitischer Ziele dar. Sie sind aber auch nicht grundsätzlich untauglich. Sie haben dort ihre Bedeutung, wo sie einfacher, flexibler und effizienter Ergebnisse bringen, z. B. beim Emissionshandel – wobei aber auch hier ehrlicherweise festgestellt werden muss, dass die Umsetzung des Emissionshan-

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dels ein umfangreiches rechtliches Regelwerk erfordert, um ein vollzugssicheres und transparentes Handelssystem zu installieren. Zum „weichen Recht“ zählen weiterhin z. B. die Schaffung von Steueranreizen für umweltfreundliches Verhalten oder Kennzeichnungspflichten für Produkte. Gerade im Produktbereich stößt das klassische Ordnungsrecht an seine Grenzen: Es ist eine Aufgabe einer modernen, ressourcenschonenden Umweltpolitik geworden, die Umweltverträglichkeit von Produkten über den gesamten Lebenslauf zu betrachten und zu verbessern. Besonders an die Produktgestaltung kommen wir mit dem Ordnungsrecht aber überhaupt nicht heran. Per Gesetz lassen sich die vielfältigen Produktionsprozesse in einer Industriegesellschaft nicht regeln. Hier bietet etwa das betriebliche Umweltmanagement ganz andere Möglichkeiten, darauf komme ich später zurück. Auch mit dem Instrument der Selbstverpflichtung können u. U. zusätzliche Umweltentlastungspotentiale ausgeschöpft werden, die durch gesetzgeberische oder administrative Eingriffe z. T. nur schwer oder gar nicht erschlossen werden könnten. Auf diesem Wege können Umweltziele im Idealfall flexibler, schneller und kostengünstiger verwirklicht werden. Es kommt also darauf an zu analysieren, wo Stärken und wo Schwachstellen der jeweiligen Instrumente liegen. Nur so können weiche Instrumente – als Ergänzung zu den weiterhin unverzichtbaren ordnungsrechtlichen Mitteln – wirksam und zielgenau eingesetzt werden, ohne dabei wichtige Anliegen des Umweltschutzes aufs Spiel zu setzen.

II. Lassen Sie mich dies zunächst am Beispiel der Selbstverpflichtungen näher ausführen. Selbstverpflichtungen sind bereits seit den siebziger Jahren Bestandteil der deutschen Umweltpolitik. „Umweltvereinbarungen“ mit der Industrie sollen dafür sorgen, dass der Umweltschutz gestärkt und die Umweltverwaltung von Überwachungsaufgaben befreit wird. Auch wenn in der Debatte über freiwillige Instrumente viel von „Subsidiarität“ sowie davon die Rede ist, dass eine größere Verantwortung der „Zivilgesellschaft“ die Legitimität des staatlichen Handelns erhöht – in der Sache geht es nicht zuletzt darum, ob und in welchem Maße wir uns angesichts leerer öffentlicher Kassen einen staatlich verbürgten und überwachten Umweltschutz noch leisten sollen. Eine Verschiebung des Umweltschutzes auf die Ebene der „Freiwilligkeit“ kann letztlich auf Kosten der Umwelt gehen. Die bisherige Bilanz hierzu fällt sehr unterschiedlich aus. Keineswegs alle Selbstverpflichtungen haben die Erwartungen erfüllt, die die Umweltpolitik in sie gesetzt hatte – Beispiel: die Mehrwegquote nach der Verpackungsverordnung, die in eine Pfandregelung für Getränkeverpackungen mündete.

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Zu den Selbstverpflichtungen, die insgesamt als erfolgreich angesehen werden können, zählen beispielsweise die Verpflichtungen zum Ausstieg aus der Produktion und der Anwendung von Fluorkohlenwasserstoffen Ende der 80er Jahre. Wie lässt sich der Rahmen abstecken, in dem freiwillige Vereinbarungen und Selbstverpflichtungen zum Einsatz kommen können? Erstens: Das Eingehen einer Selbstverpflichtung darf nicht bedeuten, dass der Staat die Verantwortung an die Wirtschaft oder andere Akteure abgibt. Auch beim Vorliegen einer Selbstverpflichtung muss der Staat das Heft in der Hand behalten. Er gibt seinen umweltpolitischen Gestaltungsspielraum nicht auf, sondern wählt lediglich eine bestimmte Form zur Durchsetzung seiner umweltpolitischen Ziele. Erweisen sich die „freiwilligen“ Bemühungen der involvierten Akteure als nicht ausreichend, ist er gefordert, einzugreifen. Dabei steht ihm natürlich der Rückgriff auf das Ordnungsrecht offen. Umweltpolitik und Verwaltung sind daher gut beraten, für den Fall der Nichterfüllung von Selbstverpflichtungen auf den Einsatz traditioneller umweltpolitischer Instrumente vorbereitet zu sein. Zweitens: Bei der Anwendung freiwilliger Instrumente besteht die Gefahr, dass aufgrund der Eigeninteressen der Akteure Abstriche von Umweltanforderungen vorgenommen werden. Bleibt eine angebotene Selbstverpflichtung hinter dem Standard zurück, den wir für politisch richtig und notwendig halten, kann sie nicht akzeptiert werden. Drittens: Selbstverpflichtungen sind, wie die Erfahrung zeigt, Instrumente mit unsicherer Erfolgsaussicht. Damit verbietet es sich, sie im Bereich der Gefahrenabwehr einzusetzen. Sie kommen bei entsprechender Ausgestaltung als ergänzendes Steuerungsmittel im Vorsorgebereich in Betracht, nicht jedoch zur Bewältigung von Situationen, bei denen der unmittelbare Eintritt von Schäden zu befürchten ist. Es hängt von der inhaltlichen Ausgestaltung im Einzelnen ab, ob freiwillige Selbstverpflichtungen ihren Zweck erfüllen oder nicht. Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang einige Eckpunkte nennen, die mir wichtig erscheinen: Der Erfolg von Selbstverpflichtungen steht und fällt mit der Festlegung klarer und verbindlicher Ziele. Art und Umfang der Selbstverpflichtung müssen eindeutig und überprüfbar fixiert werden. Nur so haben die Akteure auch Planungssicherheit für die Umsetzung. Darüber hinaus muss konkret festgelegt werden, wie die Selbstverpflichtung in technischer und organisatorischer Weise in die Praxis umgesetzt werden soll. Dazu gehören eine eindeutige Definition des Adressatenkreises sowie die Gewährleistung der innerverbandlichen Durchsetzung. Letzteres kann in der Praxis manchmal ein ganz schwieriger Punkt sein. Selbstverpflichtungen müssen von

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einzelnen Unternehmen umgesetzt werden. Bei Selbstverpflichtungen von Verbänden stellt sich daher die Frage, welche Möglichkeiten diese besitzen, um die Verbandsmitglieder zur Erfüllung der eingegangenen Verpflichtung zu bewegen. Freiwillige Vereinbarungen können sehr leicht ihr Ziel verfehlen, wenn sie keine verbindlichen Regelungen über Überprüfungs- und Sanktionsmechanismen enthalten. Die Einhaltung der eingegangenen Verpflichtungen muss wirksam kontrolliert werden, z. B. durch eine regelmäßige Berichterstattung an die betroffenen Behörden. Auch Revisionsklauseln helfen bei der Nachjustierung von Vereinbarungen. Überdies darf kein Zweifel daran bestehen, dass der Staat entschlossen ist, die Akteure im Falle der Nichteinhaltung kurzfristig zur Erreichung der umweltpolitischen Ziele zu zwingen. Es muss deutlich werden, dass Freiwilligkeit nicht Unverbindlichkeit bedeutet, sondern im Falle der Nichtbefolgung mit Sanktionen bewehrt ist. Für das UGB denken wir darüber nach, ob es nicht angesichts der praktischen Bedeutung von Selbstverpflichtungen sinnvoll wäre, Grundelemente einer „guten Selbstverpflichtungspraxis“ als modellhaftes Angebot für die Abschlusspartner gesetzlich zu regeln.

III. Ein weiteres Beispiel für ein weiches Instrument der Umweltpolitik ist das europäische Umweltmanagementsystem EMAS. Die Anwendung von EMAS kann Vorteile für Unternehmen und Organisationen bringen und gleichzeitig über eine externe Überprüfung die Einhaltung gesetzlicher Vorgaben garantieren. Über EMAS kann ein erhebliches Potenzial für Umweltentlastungen in den einzelnen Betrieben freigesetzt werden. Mehr als 4600 EMAS-Standorte EUweit zeigen, dass Unternehmen Vorteile in einem systematischen Umweltmanagement sehen. In Deutschland, dem Vorreiter mit den EMAS-Teilnahmezahlen, zeichnete sich seit Ende 2001 ein Rückgang der Teilnahmezahlen aus, mittlerweile scheint mit etwa 2000 Standorten eine Stabilisierung erreicht zu sein. Um die Teilnahmezahlen zu steigern, sind Anreizfaktoren notwendig, die den Unternehmen weitere Vorteile bieten und sie daher motivieren, sich an EMAS zu beteiligen. Anreize können auf vielen Ebenen gesetzt werden. Neben einer deutlichen politischen Unterstützung spielen vor allem die landesrechtlichen Gebührenerleichterungen für Genehmigungs- und Überwachungsverfahren im Anlagenbereich in Höhe von 20 bis 30% eine wichtige Rolle. Ein wichtiges Element sind aber auch Erleichterungen beim Vollzug des Ordnungsrechts, auf die ich im Folgenden näher eingehen möchte. Hierzu gibt es die EMAS-Privilegierungsverordnung von 2002. Ausgehend von dieser Privilegierungsverordnung überle-

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gen wir zurzeit, in welchen Bereichen und wie weitgehend wir EMAS-Teilnehmern weitere Erleichterungen im Vollzug gewähren können. Dabei müssen wir uns mehrere Fragen stellen, von deren Beantwortung es entscheidend abhängt, wie weit wir mit Verwaltungserleichterungen gehen können: 1.

Welche Rolle spielt die Einhaltung der Rechtsvorschriften im Bereich des Umweltaudits?

2.

Haben wir EG-rechtliche Vorgaben, die den Verzicht auf bestimmte Erfordernisse ggf. verbieten?

3.

Reicht die Eigenkontrolle der Unternehmen bzw. die Prüfung durch die Umweltgutachter aus, um die Einhaltung materieller Standards zu gewährleisten? Mit anderen Worten: Ist EMAS gleichwertig zum Ordnungsrecht?

Die Frage nach der Einhaltung der Rechtsvorschriften lässt sich leicht beantworten. EMAS verlangt die Einhaltung der Umweltrechtsvorschriften vor Validierung und Zertifizierung und sattelt seine besonderen Anforderungen (insbes. Managementsystem, interne Audits, Umweltzielsetzungen, Umwelterklärung) sozusagen auf. Es unterscheidet sich hierin grundlegend von ISO 14001, dem weltweiten Umweltmanagementsystem. Erst recht gilt dies für andere „Umweltmanagementansätze“, die sich im Laufe der Jahre in den Bundesländern im Bereich verschiedener Branchen etabliert haben. Daher ist eines klar: Systeme, die die Zertifizierung nicht von der Rechtskonformität eines Unternehmens abhängig machen, scheiden als Grundlage für Verwaltungserleichterungen aus. Nur EMAS stellt eine geeignete Grundlage für Verwaltungserleichterungen dar. Zum EG-Recht: Das Umweltrecht ist stark EG-rechtlich geprägt. Häufig gibt es z. B. Berichtspflichten oder sogar Formulare vor, deren Nutzung bindend ist. Hier besitzen wir keinen Spielraum. Wollten wir hier Verwaltungserleichterungen schaffen, bräuchten wir entweder bereits entsprechende Regelungen zugunsten von EMAS-Teilnehmern im EG-Recht oder mindestens Öffnungsklauseln zugunsten nationaler Privilegierungen für EMAS-Teilnehmer. Hierzu führen wir Gespräche mit der EU-Kommission im Vorfeld der Vorlage der EMAS-Novelle. Die dritte Frage nach der Gleichwertigkeit ist schwieriger zu beantworten. Sie betrifft das sogenannte Äquivalenzprinzip. Worauf erstreckt sich das Erfordernis der Gleichwertigkeit? Gemeint ist die funktionale Äquivalenz. Die Anforderungen der EMAS-Verordnung müssen für den jeweils in Frage stehenden Tatbestand funktional gleichwertig zu Anforderungen des Ordnungsrechts sein, d.h. im Ergebnis müssen die Anforderungen gleichermaßen erfüllt werden können. Ein Beispiel: Messpflichten in immissionsschutzrechtlichen Anlagen. Sowohl EMAS als auch das Immissionsschutzrecht zielen auf die Einhaltung umweltrechtlicher Anforderungen ab, konkret der Emissions- und Immissions-

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Susanne Lottermoser

grenzwerte. Der Nachweis kann im Hinblick auf ordnungsrechtlich vorgeschriebene Grenzwerte nur durch Messungen erfolgen. Solche Messungen schreibt auch die EMAS-Verordnung im Rahmen der betrieblichen Ablaufkontrolle ausdrücklich vor. Im Ordnungsrecht dient die Einschaltung einer bekannt gegebenen Stelle nach § 26 BImSchG der Objektivitätswahrung. Bei EMAS ist die Objektivität der Messungen im Rahmen der Betriebsprüfung und der Begutachtung durch den Umweltgutachter zu evaluieren. Sogenannte „konditionale Öffnungsklauseln“ können zusätzliche Bedingungen aufstellen, um die Gleichwertigkeit zu gewährleisten, etwa dass der Betreiber ausreichende Fachkunde und gerätetechnische Ausstattungen besitzen muss. Diesen Weg ist dann auch die EMAS-Privilegierungsverordnung – bislang beschränkt auf Wiederholungsmessungen – gegangen. Man könnte aber auch überlegen, künftig weitergehend auch eigene Erstmessungen im Rahmen von EMAS als gleichwertig auszugestalten. Anders liegt der Fall bei den Genehmigungsverfahren. Ein Unternehmen, das eine neue Anlage errichtet, kann noch nicht EMAS-registriert sein, da es noch keinen Standort darstellen kann. Erleichterungen kommen hier also von vornherein aus systematischen Gründen nicht in Betracht. Existiert allerdings bereits ein Standort, der EMAS-registriert ist, und will dieses Unternehmen nun innerhalb seines Standortes eine neue Anlage oder einen neuen Anlagenteil errichten, der von diesem Standort weder räumlich noch nach seinem Aufgabenbereich abgegrenzt ist, könnte im Prinzip über Erleichterungen im Genehmigungsverfahren nachgedacht werden. Inwieweit hier EMAS Erleichterungen rechtfertigt, werden wir noch im weiteren Gesetzgebungsverfahren zu diskutieren haben.

Das Verhältnis Ordnungsrecht – „weiches Recht“ aus Sicht der Wissenschaft Von Wolfgang Kahl

I. Einleitung Es gehört zur gefestigten Umweltrechtsdogmatik, auch der vorliegenden Entwürfe für ein Umweltgesetzbuch (UGB)1, zwischen Instrumenten „direkter Steuerung“2, also dem Ordnungsrecht als imperativem Eingriffsrecht des Staates, und Instrumenten „indirekter Steuerung“3, also der Verhaltensbeeinflussung durch Anreize zu umweltfreundlichem Verhalten im Rahmen belassener Handlungsspielräume4, zu differenzieren5. 1 M. Kloepfer/E. Rehbinder/E. Schmidt-Aßmann/P. Kunig, Umweltgesetzbuch – Allgemeiner Teil, 1990 (2. Aufl. 1991); H. D. Jarass/M. Kloepfer/P. Kunig/H.-J. Papier/ F.-J. Peine/E. Rehbinder/J. Salzwedel/E. Schmidt-Aßmann, Umweltgesetzbuch – Besonderer Teil (UGB-BT) (beide Entwürfe zit. im Folgenden: UGB-ProfE); Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (Hrsg.), Umweltgesetzbuch (UGB-KomE) – Entwurf der Unabhängigen Sachverständigenkommission zum Umweltgesetzbuch beim Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, 1998 (zit. im Folgenden: UGB-KomE); Arbeitsentwurf des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit v. 5. 3. 1998 für ein UGB I, zitiert nach H.-W. Rengeling (Hrsg.), Auf dem Weg zu einem Umweltgesetzbuch I, 1999, S. 273 ff. (zit. im Folgenden: UGB-RefE). 2 §§ 50 ff. UGB-ProfE. 3 §§ 77 ff. UGB-ProfE. Der Begriffsgebrauch ist gerade bei den Instrumenten indirekter Steuerung nicht einheitlich. Zum Teil ist auch (überwiegend synonym) von ökonomischen, marktwirtschaftlichen oder „weichen“ Instrumenten die Rede. Zum Teil werden hierin auch nur Unterfallgruppen indirekter Steuerung gesehen. Auf diese terminologischen und klassifikatorischen Fragen soll hier nicht näher eingegangen werden. Der UGB-KomE enthält sich einer eigenständigen terminologischen Festlegung. Die systematische Differenzierung folgt hier den technischen Instrumententypen („Vorhaben“, §§ 80 ff.; „Produkte“, §§ 115 ff.; „Eingreifende Maßnahmen und Überwachung“, §§ 126 ff.; „Betrieblicher Umweltschutz“, „Umwelthaftung und sonstige ökonomische Instrumente“, §§ 151 ff.; „Umweltinformationen“, §§ 207 ff.; „Grenzüberschreitender Umweltschutz“, §§ 228 ff.). Der UGB-RefE beschränkt sich von vornherein auf ordnungsrechtliche Instrumente, so dass eine begriffliche Systematisierung und Ausdifferenzierung nicht erfolgte. 4 Vgl. C. Franzius, Die Herausbildung der Instrumente indirekter Verhaltenssteuerung im Umweltrecht der Bundesrepublik Deutschland, 2000, S. 103 ff., 111 ff.; M. Jänicke/P. Kunig/M. Stitzel, Umweltpolitik, 2003, S. 200 f., 209 f.; M. Kloepfer, Umweltrecht, 3. Aufl. 2004, § 5 Rn. 36 ff.; ders., ZfU 1996, 56 ff.; M. Schmidt-Preuß, in: Gesellschaft für Umweltrecht, Umweltrecht im Wandel, 2001, S. 309 ff.

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Die Vor- bzw. Nachteile dieser beiden Steuerungsstrategien und der einzelnen hierunter fallenden Instrumente wurden in der Vergangenheit vielfach untersucht. Der Phase der Grundsatzdiskussion und der Instrumentendiversifizierung folgt nunmehr – zu Recht – eine Phase der Konsolidierung und der Harmonisierung des Instrumentariums6. Dabei wird es auch darum gehen, die immer deutlicher hervortretenden Schnittmengen zwischen ordnungsrechtlichen und „weichen“ Instrumenten in den Blick zu nehmen7. „Weiche“ Instrumente ohne Ordnungsrecht etwa sind sehr selten. Umgekehrt operiert auch das Ordnungsrecht zunehmend mit eingebauten Flexibilisierungsmechanismen. Vor diesem Hintergrund ist es zu begrüßen, dass die amtierende Bundesregierung noch für die laufende Legislaturperiode, nach Möglichkeit bis 2008, die Verabschiedung eines UGB plant („UGB 2008“)8. Einer solchen Kodifikation kommt für die Systematisierung und die Kohärenz des deutschen umweltrechtlichen Instrumentariums und damit der Umweltpolitik insgesamt eine zentrale Bedeutung zu. Sie stellt eine große Chance, aber auch eine große Herausforderung an die Kunst des Gesetzgebers dar. Der nachfolgende Beitrag geht in diesem Zusammenhang der Frage nach, welche direkten bzw. indirekten Instrumente in ein UGB mit welcher Schwerpunktsetzung und in welcher „Mischung“ aus wissenschaftlicher Sicht aufgenommen werden sollten. Meine Überlegungen setzen sich dabei besonders mit den vorliegenden UGB-Entwürfen und deren etwaiger Modernisierungsbedürftigkeit auseinander. Sie werten zu diesem Zweck vor allem die Entwicklung der Diskussion zu den Umweltschutzinstrumenten in der Zeit nach dem vorläufigen Scheitern des UGB im Jahre 1999 bis heute aus. 5 Ausgeklammert werden im Folgenden planerische Instrumente, vgl. dazu §§ 19 ff. UGB-ProfE; §§ 67 ff. UGB-KomE; M. Bulling, in: E. Bohne, Das Umweltgesetzbuch als Motor oder Bremse der Innovationsfähigkeit in Wirtschaft und Verwaltung?, 1999, S. 263 ff.; W. Hoppe, NJW 1992, 1993 ff.; ders., in: Festschr. f. Blümel, 1999, S. 177 ff.; ders., in: Gesellschaft für Umweltrecht, Umweltrecht im Wandel, 2001, S. 267 ff. 6 M. Rodi, ZG 2000, 231 (232). 7 Vgl. dazu M. Kloepfer, JZ 1991, 737 (743 f.); ders., in: R. Hendler/P. Marburger/ M. Reinhardt/M. Schröder, Emissionszertifikate und Umweltschutz, UTR 74 (2004), S. 71 (73). Aufschlussreich zuletzt der Emissionszertifikatehandel. Dieses „Zwitterinstrument“ trägt zunächst (1. Stufe) primär ordnungsrechtliche (dazu R. Körner, in: Festschr. f. Raue, 2006, S. 145 [148]) und bewirtschaftungsrechtliche, ja planwirtschaftliche (s. C. Weidemann, DVBl 2004, 727 [729]) Züge und operiert erst in der Umsetzung (2. Stufe) mit einem flexiblen bzw. indirekten Mechanismus. Insofern ist die verbreitete Einstufung des Emissionshandels als ein ökonomisches bzw. indirektes Instrument verkürzend; zu Recht differ. R. Körner, in: ders./H.-P. Vierhaus, TEHG – ZuG 2007, 2005, § 1 TEHG Rn. 57 ff. 8 BMU, Eckpunktepapier zum Umweltgesetzbuch v. 5. 7. 2006; das UGB bereits als Möglichkeit nennend: Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes („Föderalismusreform), BT-Drs. 16/813, S. 21. Siehe auch den Koalitionsvertrag zwischen CDU/CSU und SPD v. 11. 11. 2005, S. 67.

Diskussion

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II. Der Stand der Instrumentendiskussion im Zeitpunkt des vorläufigen Scheiterns des UGB im Jahre 1999 Der ProfE und der KomE bemühen sich um die kodifikatorische Erfassung einer möglichst breiten Instrumentenvielfalt9 und ergänzen das Umweltordnungsrecht um verschiedene Facetten indirekter Verhaltenssteuerung („Instrumentenmix“10). Demgegenüber beschränkt sich der RefE auf einen Instrumentenkern des tradierten Umweltordnungsrechts und überlässt die Ausdifferenzierung bzw. Fortführung indirekter Instrumente dem spezifischen Fachrecht, was aber vor allem pragmatischen Gründen, insbesondere der Kürze der Entstehungszeit, geschuldet sein dürfte und ambitionierteren Kodifikationsbemühungen nicht im Weg stehen sollte11. Im Zentrum sämtlicher UGB-Entwürfe steht das Ordnungsrecht. Das umweltordnungsrechtliche Schlüsselinstrument zur staatlichen (präventiven) Eröffnungskontrolle12 stellt die Vorhabengenehmigung dar13, die regelungstechnisch der immissionsschutzrechtlichen Anlagengenehmigung nachgebildet wurde14. Ergänzt wird dieses präventive Instrument durch Maßnahmen der behördlichen Überwachung15 und verschiedenste repressive Eingriffsermächtigungen zur Unterbindung von Umweltbeeinträchtigungen einschließlich der Befugnis zum Erlass nachträglicher Anordnungen16. Durch punitive Sanktionen in Form von Bußgeldtatbeständen wird die Durchsetzung des Ordnungsrechts flankierend gesichert17. 9

Siehe im vergleichenden Überblick H. D. Jarass, ZfU 2006, 1 (10 ff.). Zum Begriff Jänicke/Kunig/Stitzel (Fn. 4), S. 110 f. 11 Vgl. auch H. D. Jarass, ZfU 2006, 1 (6). 12 Zum Begriff stellvertretend Kloepfer (Fn. 4), § 5 Rn. 42 ff. Ablehnend im legislativen Kontext R. Breuer, 59. DJT (1992), B 103 f., da dieser Begriff zu abstrakt sei. 13 §§ 52 ff. UGB-ProfE („Umweltbewilligung“); §§ 80 ff. UGB-KomE, §§ V 1 ff. UGB-RefE; aus der Literatur vgl. statt vieler den ausgewogenen und instruktiven Beitrag von D. Sellner, in: E. Bohne, Das Umweltgesetzbuch als Motor oder Bremse der Innovationsfähigkeit in Wirtschaft und Verwaltung, 1999, S. 91 ff.; ferner aus Sicht der Länder, der Wirtschaft bzw. der Umweltschutzverbände: K. Hansmann, in: Bohne, ebd., S. 115 ff.; J. Fluck, in: Bohne, ebd., S. 125 ff.; C. Schrader, in: Bohne, ebd., S. 139 ff., jeweils m. w. Nachw. 14 Vgl. R. Breuer, 59. DJT (1992), B 104, für die Umweltbewilligung nach den §§ 52 ff. UGB-ProfE. 15 §§ 57 ff., 341 ff., 397 f., 478, 557, 581 UGB-ProfE; §§ 133 ff., 401, 463, 546, 557, 621, 715 UGB-KomE; §§ V 22, E 6 f. UGB-RefE. 16 Siehe im Einzelnen §§ 73 ff., 228, 295 f., 302 ff., 334 ff., 399, 479, 555 f., 580 UGB ProfE; §§ 126 ff., 365 f., 428, 437, 472, 483 f., 548 f., 622, 711, 751 UGBKomE; §§ E 1 ff., I 9, D 7 UGB RefE. 17 Stellvertretend §§ 219, 282, 313, 376, 438, 558, 597 UGB ProfE; §§ 114, 125, 150, 206, 244, 323, 354, 417, 464, 529, 585, 717 ff., 774 UGB-KomE; §§ V 34, E 8 UGB-RefE. Sämtliche UGB-Entwürfe haben auf eine Integration kriminalstrafrechtlicher Sanktionen (§§ 324 ff. StGB) verzichtet und für eine Beibehaltung des bisherigen 10

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Sowohl der ProfE als auch der KomE enthalten daneben zahlreiche Instrumente indirekter Steuerung18, die bewusst breit gefächert wurden und sich an der auch schon de lege lata etablierten Instrumentenvielfalt orientieren. Umfasst werden insbesondere Umweltabgaben19, betrieblicher Umweltschutz20, Umweltaudit21, Umwelthaftung22, Umweltsubventionen23, Umweltinformationsansprüche24, Ermächtigungen zu Warnungen und Empfehlungen25 sowie ein Umweltsiegel26. Unter die „indirekte Steuerung“ werden auch die – letztlich nur unvollkommen ausdifferenzierten – „flexiblen Instrumente“ gefasst, die vor allem auf dem Kompensationsgedanken beruhen27. Für nähere Einzelheiten sei auf die dem Beitrag unter VII. angehängte Synopse verwiesen28.

III. Das Projekt „UGB 2008“ zwischen Kontinuität und Reformbedarf Die umweltrechtliche Diskussion und die gesetzgeberische Entwicklung im Bereich des Umweltrechts sind seit dem Jahre 1999 nicht stehen geblieben. Im Gegenteil: Der Gesetzgeber war seitdem gerade im Umweltrecht (hyper)aktiv wie selten zuvor29. Dies hat zur Konsequenz, dass sich die vorliegenden UGBRegelungsstandorts im StGB plädiert. Vgl. Kloepfer/Rehbinder/Schmidt-Aßmann/Kunig (Fn. 1), S. 25; BMU, UGB-KomE (Fn. 1), S. 94. 18 §§ 77 ff. UGB-ProfE. 19 §§ 77 ff. (allgemein); 181 Abs. 4 (naturschutzrechtliche Ausgleichsabgabe); §§ 271 ff. (Abwasserabgabe); §§ 590 ff. (Abfallabgabe) UGB-ProfE; §§ 190 ff. (allgemein); § 262 Abs. 3 (naturschutzrechtliche Ausgleichsabgabe); §§ 403 ff. (Abwasserabgabe); §§ 413 ff. (Grundwasserentnahmeabgabe); §§ 438 f. (Straßen- und Luftverkehrsabgabe); §§ 768 ff. (Abfallabgabe); § 699 Abs. 2 (Abgabe zur Finanzierung des Klärschlammentschädigungsfonds); § 765 Abs. 2 S. 2 (Abgabe zur Finanzierung des Abfallrückführungsfonds) UGB-KomE; siehe hierzu eingehend R. Hendler, in: R. Stober/H. Vogel, Umweltrecht und Umweltgesetzbuch aus wirtschaftsrechtlicher Perspektive, 2001, S. 123 ff.; S. Janssen, Die Regelungen der Umweltabgaben im Entwurf der Unabhängigen Sachverständigenkommission zum Umweltgesetzbuch (UGBKomE), 2005. 20 §§ 94 ff., 269 f., 349 ff., 400 ff., 582 UGB-ProfE; §§ 151 ff., 402, 425, 547, 561, 731 f., 754 UGB-KomE. 21 §§ 164 UGB-KomE; §§ A 5 Abs. 2, V 10 S. 3, E 7 UGB-RefE. 22 §§ 110 ff., 414 ff. UGB ProfE; §§ 172 ff., 508 ff. UGB-KomE. 23 §§ 82 ff. UGB-ProfE; §§ 196 ff. UGB-KomE. 24 §§ 103 ff. UGB-ProfE; §§ 207 ff. UGB KomE. 25 § 107 UGB ProfE; § 214 UGB-KomE. 26 § 108 UGB ProfE; §§ 124, 290 UGB-KomE. 27 §§ 87 ff. UGB-ProfE. Ablehnend R. Breuer, 59. DJT (1992), B 106 f. 28 Vgl. im Übrigen die Beiträge von R. Schweikl, S. Frey, G. Voss und E. Bergmann, in: E. Bohne, Das Umweltgesetzbuch als Motor oder Bremse der Innovationsfähigkeit in Wirtschaft und Verwaltung?, 1999, S. 219 ff.; 225 ff.; 233 ff.; 241 ff. 29 Vgl. die empirische Auswertung bei B. Becker, UPR 2005, 418 (422). Beispielhaft sei verwiesen auf die Dynamik des Immissionsschutzrechts, vgl. dazu B. Ochten-

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Entwürfe auch unter dem Aspekt der Regelung der Instrumentenfrage gleichsam als „Momentaufnahmen“ des Erkenntnisstandes und des Konsensfähigen zu ihrer jeweiligen Zeit darstellen. Doch, damit kein Missverständnis aufkommt, muss sogleich hinzugefügt werden: In vielen, ja in den ganz überwiegenden Teilen sind die UGB-Entwürfe, zumal der UGB-KomE, nach wie vor aktuell und richtungweisend – auch und gerade bei den Instrumenten. Daher müssen die Arbeiten am UGB keineswegs wieder „bei Null“ anfangen (Tabula-rasaThese), sondern können auf dem Fundament der vorliegenden Konzeptionen aufbauen (Kontinuitätsthese). Es darf aber nicht übersehen werden, dass sich in dem seither vergangenen Zeitraum von über 8 Jahren die Schwerpunkte der Diskussion „Ordnungsrecht versus ,weiches‘ Recht“ partiell verlagert, neue Einsichten über die Leistungsfähigkeit bzw. -grenzen einzelner Instrumente durchgesetzt oder sich einzelne Instrumente in den Vordergrund gedrängt haben respektive in der Aufmerksamkeit der Fachwelt zurückgetreten sind. Eine Schwerpunktverlagerung liegt darin, dass die Faktoren Information/ Markttransparenz30, Öffentlichkeit sowie Partizipation – zumal infolge der auf der Århus-Konvention beruhenden EG-rechtlichen Einflüsse31 – im Vergleich zu dem Stand der neunziger Jahre32 weiter an Bedeutung gewonnen haben. Bei dung, ZUR 2006, 185 ff. Die Überregulierung und Beschleunigung der Rechtsänderungen führt in der Praxis zu einer selektiven Rechtsanwendung und -befolgung durch die Adressaten; vgl. Becker, ebd., S. 423; W. Thieme, DÖV 2006, 401 (403). 30 Siehe F. Schoch, in: HStR III, 3. Aufl. 2005, § 37 Rn. 55 ff., 72 ff.; G. LübbeWolff, NVwZ 2001, 481 (488 f., 493). 31 Vgl. die Århus-Konvention, Convention on Access to Information, Public Participation in Decision-Making and Access to Justice in Environmental Matters v. 25. 6. 1998, ILM 38 (1999), 517 ff.; Richtlinie 2003/4/EG v. 28. 1. 2003 über den Zugang der Öffentlichkeit zu Umweltinformationen (ABlEU 2004 L 41, S. 26; hierzu J. Beer/A. Wesseling, DVBl 2006, 133 ff.; M. Butt, NVwZ 2003, 1071 ff.; A. Näckel/A. Wasielewski, DVBl 2005, 1351 ff.); Richtlinie 2003/35/EG v. 26. 5. 2003 über die Beteiligung der Öffentlichkeit bei der Ausarbeitung bestimmter umweltbezogener Pläne und Programme (ABlEG 2003 L 156, S. 17; hierzu ausführlich W. Durner, ZUR 2005, 285 ff.; M. Gellermann, NVwZ 2006, 7 ff.; R. Nebelsieck/J.-O. Schrotz, ZUR 2006, 122 ff.; S. Schlacke, NuR 2004, 629 ff.). Siehe hierzu jetzt das Öffentlichkeitsbeteiligungsgesetz v. 9. 12. 2006, BGBl. I 2819, und das Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz v. 7. 12. 2006, BGBl. I 2816. Zum Ganzen ferner T. v. Danwitz, NVwZ 2004, 272 ff.; L. Knopp, ZUR 2005, 281 ff.; B. Werres, DVBl. 2005, 611 ff. Zur Mobilisierung des Einzelnen bzw. der Öffentlichkeit und der Verbände als „Wächter“ über die einheitliche und effektive Umsetzung und Anwendung des europäischen Umweltrechts grundlegend J. Masing, Die Mobilisierung des Bürgers für die Durchsetzung des Rechts, 1997, S. 33, 37 f., 45 ff. und passim; außerdem A. Epiney, VVDStRL 61 (2002), 362 (390 ff.); W. Kahl, in: R. Streinz, EUV/EGV, 2003, Art. 175 EGV Rn. 57; F. Schoch, in: Festgabe BVerwG, 2003, S. 507 (517); E. Schmidt-Aßmann, Das allgemeine Verwaltungsrecht als Ordnungsidee, 2. Aufl. 2004, Kap. 1 Rn. 58 ff.; Kap. 6 Rn. 144 ff.; M. Schmidt-Preuß, NVwZ 2005, 489 (492 f.); M. Schröder, NVwZ 2006, 389 (390 ff.). 32 Dazu G. Winter, in: E. Bohne, Das Umweltgesetzbuch als Motor oder Bremse der Innovationsfähigkeit in Wirtschaft und Verwaltung?, 1999, S. 305 ff.

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der Einpassung dieser Vorgaben in das nationale Recht, die in wesentlichen Teilen noch aussteht, wird sich im Übrigen die bereits anlässlich der integrierten Vorhabengenehmigung kontrovers erörterte Streitfrage33 nach dem richtigen Regelungsort (VwGO/VwVfG oder UGB?) wieder stellen34. Neu in den Mittelpunkt des Umweltrechts getreten ist das Instrument des Zertifikatehandels: Ein künftiges UGB muss auch die Integration des Klimaschutzrechts einschließlich des Treibhausemissionshandelsrechts35 in die Kodifikation selbst leisten36, um eine im Gegensatz zur geltenden Rechtslage37 überzeugende Harmonisierung des Zertifikatehandels mit dem Immissionsschutzrecht herbeizuführen sowie 33 Vgl. aus der damaligen Diskussion nur H. Schmitz, NVwZ 1998, 2870 f., einerseits und H. Sendler, NVwZ 1999, 132 ff., andererseits. 34 Siehe dazu auch J. Ziekow, EurUP 2005, 154 ff. 35 Treibhausgas-Emissionshandelsgesetz v. 8. 7. 2004 (BGBl I 1578) – TEHG; Gesetz über den nationalen Zuteilungsplan für Treibhaus-Emissionsberechtigungen in der Zuteilungsperiode 2005 bis 2007 – Zuteilungsgesetz 2007 – v. 26. 8. 2004 (BGBl I 2211) – ZuG. Zur systematischen Zugehörigkeit zum Immissionsschutzrecht siehe H. D. Jarass, BImSchG, 6. Aufl. 2005, Einl. Rn. 20. 36 Für den ProfE war der Emissionsrechtehandel noch kein Thema. Immerhin erwogen, im Ergebnis aber abgelehnt wurde das Instrument vom KomE. Dieser nahm hierzu bewusst keine Bestimmung auf, da es seinerzeit noch an einem stimmigen Regelungskonzept mangelte, vgl. BMU (Fn. 1), UGB-KomE, S. 92, 808; eher krit. zunächst auch das Schrifttum; vgl. H.-W. Rengeling, DVBl 2000, 1725 (1733); A. Voßkuhle, in: W. Kahl/ders., Grundkurs Umweltrecht, 2. Aufl. 1998, Kap. 6 Rn. 37. Der Durchbruch des Instruments erfolgte erst im Anschluss an seine faktische Einführung durch die EG; vgl. Richtlinie 2003/87/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 12. 10. 2003 über ein System für den Handel mit Treibhausgasemissionszertifikaten in der Gemeinschaft und zur Änderung der Richtlinie 96/61/EG des Rates, ABlEG 2003 Nr. L 275, S. 32; grundlegend dazu Y. Kerth, Emissionshandel im Gemeinschaftsrecht, 2004. 37 Diese wird als sog. „Entkoppelungslösung“ bezeichnet. Ziel der „Entkoppelung“ des TEHG vom BImSchG war es, den ausschließlichen Vollzug des Emissionshandels durch eine Bundesbehörde zu ermöglichen. Dies hat in der Folge zum einen zu der wegen § 2 TEHG mit Ausnahme des Abs. 6 überflüssigen Regelung des § 4 TEHG (Genehmigungsvorbehalt) geführt, die von rätselhafter Unklarheit ist; zu Recht krit. dazu K. Hansmann, NVwZ 2005, 624 (625); R. Körner (Fn. 7), in: Festschr. f. Raue, S. 148 f. Aus der vom Gesetzgeber gewählten Regelung (§ 5 Abs. 1 S. 2–4 BImSchG) wird im Schrifttum zutreffend gefolgert, dass in Bezug auf die Freisetzung von Treibhausgasen eine abschließende Vorsorgeregelung im TEHG getroffen wurde, die der allgemeinen Betreiberpflicht nach § 5 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 BImSchG vorgeht; vgl. L. Diederichsen, in: Festschr. f. Reiner Schmidt, 2006, S. 833 (838 f.); Hansmann, ebd. („Konkretisierung der Vorsorgepflicht“); U. Mager, DÖV 2004, 561 ff. Körner, ebd., S. 150, geht zutreffend davon aus, dass § 5 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 BImSchG i.V. m. einer auf § 7 BImSchG gestützten Verordnung der richtige Regelungsstandort für die Ermittlungs- und Berichtspflichten sowie die Abgabepflicht nach § 6 TEHG gewesen wäre. Auch im Verhältnis zu § 5 I 1 Nr. 4 BImSchG (allgemein zur Wirkungslosigkeit dieser Vorschrift: G. Britz, UPR 2004, 55 [56 ff.]) gehen die Regelungen des TEHG vor; so zutreffend M. Rodi, EurUP 2005, 165 (170). Vgl. zum Problem der Verzahnung des Emissionshandels mit dem Ordnungsrecht bereits H.-W. Rengeling, DVBl 2000, 1725 (1728 f.); sehr klar die Analyse von Kloepfer (Fn. 7), UTR 74, S. 92 ff., 105 ff.; zur Berücksichtigung von CO2 im BImSchG: H.-J. Koch/C. Behrend, NuR 1996, 433 ff.; M. Winkler, ZUR 2003, 395 ff.

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eine Ausdehnung des Instruments38 vorzubereiten39. Auch die Reformdiskussion im Bereich des Allgemeinen Verwaltungsrechts, die seit Beginn der neunziger Jahre intensiv geführt wird und ihren Niederschlag bislang unter anderem in den zehn Bänden zur „Reform des Allgemeinen Verwaltungsrechts“ von W. Hoffmann-Riem und E. Schmidt-Aßmann fand, hat neue Einsichten produziert40, welche sich gerade auf das Referenzgebiet Umweltrecht beziehen und daher lohnen, bei der Konzeption eines UGB-Textes ebenso berücksichtigt zu werden41 wie die einschlägigen Aussagen in den Gutachten des Sachverständigenrates für Umweltfragen42. 38 Erweiterungspotential besteht für das Instrument des Zertifikatehandels mit Blick auf andere Treibhausgase (vgl. bereits § 3 Abs. 2 TEHG) und Schadstoffe (dazu T. Siems, NuR 2005, 443 [446]; i. Erg. ebenso S. Kobes, NVwZ 2004, 513 [515]; R. Sparwasser/R. Engel/A. Voßkuhle, Umweltrecht, 5. Aufl. 2003, § 2 Rn. 123 f.), aber vor allem hinsichtlich des Verkehrssektors (Luft, Straße, Schiene) und der Wärmegewinnung für Gebäude. Daneben könnten und sollten bestehende Ausnahmen für Industriekonzerne und Energieversorger zurückgeführt werden. Vgl. zur Einsetzbarkeit des Emissionshandelsinstruments im Verkehrsbereich Umweltbundesamt, Emissionshandel im Verkehr, Umweltforschungsplan Nr. 202 14 198, abgerufen unter: http://www. umweltbundesamt.de/search-public.php (9. 6. 2006); ebenso B. Huckestein, Umwelt 2005, 697; speziell zum Luftverkehr vgl. Vorschlag der Europäischen Kommission für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 2003/87/EG zwecks Einbeziehung des Luftverkehrs in das System für den Handel mit Treibhausgasemissionszertifikaten in der Gemeinschaft v. 20. 12. 2006, KOM(2006) 818 endg. Dagegen wird die Erstreckung auf den Produktbereich (z. B. Elektroaltgeräte, Verpackungsabfall) zwar diskutiert, ist aber problematisch; vgl. dazu C.-F. Elmer/M. Schatz/C. v. Hirschhausen, ZfU 2005, 513 (536 f.); V. Wollny, ZAU 2003/2004, 185 ff. 39 Eingehend dazu R. Hendler/P. Marburger/M. Reinhardt/M. Schröder (Hrsg.), Emissionszertifikate und Umweltrecht, UTR 74 (2004); zum theoretischen Konzept von Umweltzertifikaten s. Rat von Sachverständigen für Umweltfragen (SRU), Umweltgutachten 2002, BT-Drs. 14/8792, S. 231 ff. (Tz. 467 ff.); A. Voßkuhle, in: R. Hendler/P. Marburger/M. Reinhardt/M. Schröder, Energierecht zwischen Umweltschutz und Wettbewerb, UTR 61 (2002), 159 ff. 40 Die Stichworte lauten etwa: „regulierte Selbstregulierung“; von der „Erfüllungsverantwortung“ zur „Gewährleistungsverantwortung“ des Staates; Öffentliches Recht und Privatrecht als sich wechselseitig ergänzende „Auffangordnungen“; Bedeutung der Effizienz im Verwaltungsrecht; Bedeutung von Information und Öffentlichkeit. Diese Topoi bewegen sich zwar eher auf grundsätzlicher und abstrakter Ebene, sie können bei den Arbeiten an einem UGB aber exemplarisch „heruntergebrochen“ werden und so in konkrete Rechtsetzung einmünden. 41 Vgl. nur in Band 1 (1993): E. Schmidt-Aßmann, S. 11 (27 ff.); W. HoffmannRiem, S. 115 ff.; R. Wahl, S. 177 (213 ff.); in Band 2 (1994): W. Hoffmann-Riem, S. 9 (35 ff.); R. Schmidt, S. 67 (76 f.); F. Schoch, S. 199 (223, 225, 227 ff., 230, 235 f., 239, 243); D. H. Scheuing, S. 289 (346 ff.); E. Rehbinder, S. 355 (360 ff.); in Band 3 (1996): R. Damm, S. 85 (126 ff.); U. Di Fabio, S. 143 (152 ff., 158 ff.); H.-H. Trute, S. 167 (183 ff.); W. Hoffmann-Riem, S. 261 (278 ff., 300 ff.); in Band 4 (1997): E. Schmidt-Aßmann, S. 9 (29); R. Wahl, S. 301 (334 f.); in Band 5 (1998): W. HoffmannRiem, S. 11 (20 ff.); E. Schmidt-Aßmann, S. 245 (249 ff., 269); in Band 7 (2000): W. Hoffmann-Riem, S. 9 (53); K.-H. Ladeur, S. 225 (228 f., 233 ff.); A. Roßnagel, S. 257 (268 f., 297, 302 f.); A. Voßkuhle, S. 349 (370 ff., 376 ff.); in Band 8 (2001): H. Rossen-Stadtfeld, S. 117 (131 ff.); in Band 9 (2002): W. Kahl, S. 67 (78 f., 91 ff.,

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Zu einem permanenten und besonders weit reichenden Modernisierungsbedarf führt die Europäisierung des Umweltrechts43. Sie erfasst auch und gerade die Instrumentendiskussion. Probleme ergeben sich infolge des punktuellen, wenig systematischen Charakters des europäischen Umweltrechts44 und infolge zum Teil unterschiedlicher konzeptioneller und instrumenteller Vorstellungen des europäischen und des deutschen Rechts45. Beispielhaft sei auf das Konzept des integrierten Umweltschutzes46 und speziell die IVU-Richtlinie47 sowie allgemein auf das Vordringen von Ermessenszulassungen im weiteren Sinne hingewiesen48. Das EG-Recht wirkt aber auch als Innovations- und Reformmotor für das deutsche Umweltrecht, wie die Beispiele Umweltaudit, UVP, SUP, Umweltinformation, Emissionszertifikatehandel oder Luftreinhalteplanung belegen49. Bei der Einpassung der europarechtlichen Instrumente, die nicht selten auf einer anderen Rechtstradition und -kultur beruhen und weniger mit „harten“ materiellen Umwelt- und Technikstandards, konditional strukturierten, gebundenen Er119 f.); A. Voßkuhle, S. 278 (281 ff., 321 ff.); U. Ramsauer, S. 387 (397); M. Gerhardt, S. 413 (420, 425 f.); in Band 10 (2004): G. Hermes, S. 359 (361 f., 375, 381 ff.). Weiterführend auch Schmidt-Aßmann (Fn. 31), Ordnungsidee, Kap. 3 Rn. 6 ff. (insbes. 18 ff.). Vgl. auch die von W. Hoffmann-Riem/E. Schmidt-Aßmann/A. Voßkuhle herausgegebenen „Grundlagen des Verwaltungsrechts“ (2006 ff., 3 Bde.), die vielfach auf das Umweltrecht und auf Instrumentenfragen eingehen. 42 Zuletzt eingehend SRU, Umweltgutachten 2004, BT-Drs. 15/3600, S. 94 ff., 166 ff., 524 ff., 548 ff., 559 ff. (Tz. 46 ff., 211 ff., 1198 ff., 1266 ff., 1296 ff.); zuvor ders. (Fn. 39) Umweltgutachten 2002, S. 86 ff., 122 ff., 176 ff., 200 ff., 223 ff., 231 ff., 295 ff., 448 ff. (Tz. 73 ff., 182 ff., 303 ff., 379 ff., 445 ff., 467 ff., 655 ff., 1108 ff.); ders., Umweltgutachten 2000, BT-Drs. 14/3363, S. 89 ff., 125 ff., 342 f., 557 ff. (Tz. 2 ff., 113 ff., 796 f., 1417 ff.). 43 Vgl. K. v. Kempis, in: E. Bohne, Das Umweltgesetzbuch als Motor oder Bremse der Innovationsfähigkeit in Wirtschaft und Verwaltung?, 1999, S. 323 ff.; zur Instrumentendiskussion auf der EG-Ebene grundlegend D. H. Scheuing, Instrumente zur Durchführung des europäischen Umweltrechts, NVwZ 1999, 475 ff.; A. Epiney, Umweltrecht in der Europäischen Union, 2. Aufl. 2005, S. 171 ff.; vgl. ferner L. Krämer, in: H.-W. Rengeling, Handbuch zum europäischen und deutschen Umweltrecht, Bd. I, 2. Aufl. 2003, § 15; aus politikwissenschaftlicher Sicht C. Hey/A. Volkery/P. Zerle, ZfU 2005, 1 ff. 44 R. Breuer, DVBl 1997, 1211 ff.; ders., NuR 2000, 541 ff.; M. Schröder, NuR 2000, 481 ff. 45 Siehe R. Wahl, in: Gesellschaft für Umweltrecht, Umweltrecht im Wandel, 2001, S. 237 (254 ff.). 46 Stellvertretend hierzu C. Calliess, in: M. Ruffert, Recht und Organisation, 2003, S. 73 (75 ff., insbesondere zur Verwirklichung im Rahmen eins UGB, 90 ff.). 47 Richtlinie des Rates v. 24. 9. 1996 über die integrierte Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung 96/61/EG, ABlEG 1996 L 257, S. 26. 48 Vgl. dazu – mit berechtigter Skepsis – M. Kloepfer, NVwZ 2002, 645 (650 f.); s. zum Problem auch M. Albers, ZUR 2005, 400 ff. 49 Zu recht differenziert-positiv gegenüber den Vorgaben des EG-Umweltrechts H. D. Jarass, NVwZ 2003, 257 ff.; M. Kloepfer, NVwZ 2002, 645 (647 ff.); M. Schröder, NVwZ 2006, 389 (390); den Gegensatz von finaler und konditionaler Rechtsetzung dagegen überakzentuierend R. Breuer, NVwZ 2004, 520 (525 ff.).

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laubnissen, strikten Kontrollpflichten sowie repressiven Instrumenten arbeiten, sondern einen prozeduralen, partizipativ-informationsbasierten sowie qualitätsorientierten bzw. finalen Ansatz bevorzugen50, kommt es bereits in den Fachgesetzen infolge von Neuausrichtungen51 zu Friktionen, Systembrüchen und bei den Adressaten des EG-induzierten Rechts zu Abwehrreaktionen52. Die gleiche Situation wird sich auch – und erst recht – mit Blick auf den Plan der Schaffung eines UGB stellen. Hier kommt erschwerend hinzu, dass die Europäisierung ein dynamischer Prozess ist, der nicht zum Stillstand kommen wird. Die hohe Aktivität des EG-Rechtsetzers gerade im Umweltbereich wird ausweislich des 6. Umweltaktionsprogramms53, der speziellen thematischen Strategien54, Grünbücher55, Aktionspläne56 und sonstiger Aktionsprogramme57 „aus Brüssel“ andauern. Sie lässt einen unvermindert hohen Veränderungs- und Anpassungsdruck erwarten, der das tradierte nationale Umweltrecht, das nur noch eine Rechtsschicht im „deutsch-europäischen Umweltrechtsverbund“58 bildet, einem 50

Vgl. M. Kloepfer, NVwZ 2002, 645 (650 ff.). Instruktiv dazu Wahl (Fn. 45), S. 244 ff., 254 ff. Siehe beispielhaft für einen besonders intensiv europäisierten Bereich das deutsche Gewässerschutzrecht; dazu Richtlinie 2000/60/EG des Europäischen Parlaments und des Rates zur Schaffung eines Ordnungsrahmens für Maßnahmen der Gemeinschaft im Bereich der Wasserpolitik v. 23. 10. 2000, ABlEG 2000 Nr. L 327, S. 1 sowie R. Breuer, Öffentliches und privates Wasserrecht, 3. Aufl. 2004, Rn. 75 ff.; W. Erbguth (Hrsg.), Änderungsbedarf im Wasserrecht – zur Umsetzung europarechtlicher Vorgabe, 2003; F. Holzwarth, ZUR 2005, 510 ff. 52 Krit. dazu R. Breuer, NVwZ 1997, 833 (836 f.); F. Hennecke, WiVerw 1995, 80 (84 ff.); D. Schottelius, NVwZ 1998, 805 ff. 53 Beschluss Nr. 1600/2002/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 22. 7. 2002 über das sechste Umweltaktionsprogramm der Europäischen Gemeinschaft, ABlEG 2002 Nr. L 242, S. 1. 54 Vgl. dazu allgemein Arbeitsdokument der Kommission, Bessere Regulierung und die thematischen Umweltstrategien, KOM (2005) 466 endg. v. 28. 9. 2005; ferner Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament, Thematische Strategie zur Luftreinhaltung, KOM (2005) 446 endg. v. 21. 9. 2005; Mitteilung der Kommission an den Rat, das Europäische Parlament, den Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen, Weiterentwicklung der nachhaltigen Ressourcennutzung: Eine thematische Strategie für Abfallvermeidung und -recycling, KOM (2005) 666 endg. v. 21. 12. 2005; Mitteilung der Kommission an den Rat, das Europäische Parlament, den Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen, Thematische Strategie für eine nachhaltige Nutzung natürlicher Ressourcen, KOM (2005) 670 endg. v. 21. 12. 2005. 55 Vgl. zuletzt etwa Kommission, Grünbuch über Energieeffizienz oder weniger ist mehr, KOM (2005) 265 endg. v. 22. 6. 2005. 56 Vgl. z. B. Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament, Stimulation von Technologien für nachhaltige Entwicklung: Ein Aktionsplan für Umwelttechnologie in der Europäischen Union, KOM (2004) 38 endg. v. 28. 1. 2004. 57 Vgl. etwa Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament und den Rat, Überprüfung der Strategie für nachhaltige Entwicklung. Ein Aktionsprogramm, KOM (2005) 658 endg. v. 13. 12. 2005. 58 M. Kloepfer, NVwZ 2002, 645 (655); grundlegend Wahl (Fn. 45), S. 244 ff. 51

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weiteren Prozess „materielle(r) Umwandlung“59 unterwirft und eine nationale Kodifikation zu einer lex imperfecta herabstuft, welche entweder einem permanenten Novellierungsbedarf oder aber der Gefahr inhaltlicher Überholung und Entwertung durch nachfolgendes EG-Recht ausgesetzt ist. In der Bewältigung dieser Aufgabe liegt die wohl größte Herausforderung bei der Schaffung eines UGB. Besondere Beachtung verdienen dabei die vorliegenden60, wenngleich unzureichenden, sowie die möglichen zukünftigen Ansätze auf europäischer Ebene, das EG-Umweltrecht bereichsspezifisch oder sogar übergreifend zu vereinheitlichen, sei damit auch nur die redaktionelle Bereinigung und Zusammenfassung gemeint61.

IV. Das Ordnungsrecht als tragende Säule eines zukünftigen UGB Das Ordnungsrecht wird in einem zukünftigen UGB unverzichtbares Kernelement und Rahmen des Umweltverwaltungsrechts62 sowie zentraler Stabilitätsanker der Umweltrechtsordnung bleiben63. Namentlich ein präventives Zulas59 M. Kloepfer, NVwZ 2002, 645 (654), der langfristig die Notwendigkeit zur Schaffung eines „aliud im Vergleich zur ursprünglich bestehenden deutschen Umweltrechtskonzeption“ vorhersagt. Jüngster Beleg hierfür ist die Europäisierung des nationalen Umweltstrafrechts; vgl. den Rahmenbeschluss des Rates (2003/80/JI) v. 27. 1. 2003 über den Schutz der Umwelt durch das Strafrecht (ABlEU 2003 L 29, S. 55) und dazu EuGH, NVwZ 2005, 1289 Rn. 48. Nicht zu unterschätzen sind auch die indirekten Vorgaben durch die richterrechtlich konkretisierten Kriterien des Äquivalenzgebots gem. Art. 10 EG (etwa im Bereich der Sanktionen); vgl. dazu W. Kahl, in: C. Calliess/ M. Ruffert, EUV/EGV, 3. Aufl. 2006, Art. 10 EGV Rn. 38; M. Schröder, NVwZ 2006, 389 (394). 60 Vgl. Richtlinie 2000/60/EG (Fn. 51); Richtlinie 2006/12/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 5. 4. 2006 über Abfälle, ABlEU 2006 Nr. L 114, S. 9; Richtlinie 96/61/EG (Fn. 47); Richtlinie 96/62/EG des Rates v. 27. 9. 1996 über die Beurteilung und die Kontrolle der Luftqualität, ABlEG 1996 Nr. L 296, S. 55. 61 Siehe dazu H.-W. Rengeling, in: Gesellschaft für Umweltrecht, Umweltrecht im Wandel, 2001, S. 171 ff. 62 Im Grundtenor wie hier M. Kloepfer, in: R. Breuer, Staatlicher und europäischer Umweltschutz im Widerstreit, Umweltrechtstage 2001, o. J., S. 5 (11); G. Lübbe-Wolff, NVwZ 2001, 481 ff.; dies., Modernisierung des Umweltordnungsrechts, 1996, S. 108 ff. Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass gerade die Vereinigten Staaten, die eine Vorreiterrolle in dem Bereich ökonomischer Instrumente des Klimaschutzes (insbesondere des Emissionshandels) eingenommen haben, über ein detailliertes und striktes Ordnungsrecht verfügen, vgl. R. G. Bell, Foreign Affairs 2006, Nr. 3, 105 (108). Jedenfalls für eine unverzichtbare „ordnungsrechtliche Flankierung“ M. SchmidtPreuß, VVDStRL 56 (1997), 160 (189). 63 Das Ordnungsrecht erweist sich insgesamt schon deshalb als Stabilitätsfaktor, weil der einzelne Normbruch, der häufig mit „Vollzugsdefiziten“ umschrieben wird, die Legitimität und den Bestand umweltrechtlicher Normen nicht in Frage stellt, so-

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sungsrecht dient der Rechtssicherheit betroffener Unternehmen64, denen erst durch die Erteilung einer hinreichend bestandskräftigen Genehmigung eine mittelfristige Planung ermöglicht wird. Ökonomische Instrumente können daneben einen wertvollen Beitrag leisten, ordnungsrechtliche Konzepte zu ergänzen, um gesamtwirtschaftliche Steuerungseffekte zu verbessern („Instrumentenverbund“65)66. Sie können das Ordnungsrecht aber nicht substituieren67. Der vor allem aus der Umweltökonomie stammende Vorwurf vermeintlicher Steuerungsineffektivität des Ordnungsrechts beruht auf (naturgemäß in ihrer Komplexität stark reduzierten) Modellannahmen, die zahlreiche Faktoren ausblenden oder nicht adäquat erfassen, die aber ein dem Gemeinwohl verpflichteter demokratischer und rechtsstaatlicher Gesetzgeber bei seinen Regelungskonzepten zu berücksichtigen hat68. 1. Defizite ökonomischer Instrumente Ohne an dieser Stelle auf nähere Einzelheiten eingehen zu können, seien die wichtigsten Defizite ökonomischer Lenkungsinstrumente zusammengefasst:

lange Normbrüche als solche identifizierbar bleiben und sanktioniert werden. Vgl. auch C. Engel, in: H.-W. Rengeling/H. Hof, Instrumente des Umweltschutzes im Wirkungsverbund, 2001, S. 17 (31), der auf den Erhalt des Normbewusstseins abstellt. Indirekte Steuerungsinstrumente sind demgegenüber wesentlich störungsanfälliger, da ihre Sinnhaftigkeit von Verhaltenserwartungen abhängt, auf deren rechtliche Garantie der Staat gerade verzichtet hat. Verhalten sich die Adressaten nicht wie erwartet, verfehlt das indirekte Steuerungsinstrument daher sein Ziel und wird funktionslos. 64 Insbesondere zu den Vorteilen einer integrierten Vorhabengenehmigung W. Frenz, in: R. Stober/H. Vogel, Umweltrecht und Umweltgesetzbuch aus wirtschaftsrechtlicher Perspektive, 2001, S. 37 (62 f.). 65 Frühzeitig zur Vorstellung eines Instrumentenverbundes im Umweltrecht M. Kloepfer, DÖV 1975, 593 (596 f.); ders., JZ 1991, 737 (743 f.); ders., Alte und neue Handlungsformen staatlicher Steuerung im Umweltbereich, in: K. König/N. Dose, Instrumente und Formen staatlichen Handelns, 1993, S. 329 (356 f.); ders., ZfU 1996, 236 (243); vgl. ferner D. Cansier, Umweltökonomie, 2. Aufl. 1996, S. 222 ff.; E. Gawel, Umweltpolitik durch gemischten Instrumenteneinsatz, 1991, S. 6 ff., 68 ff.; M. Kotulla, Umweltrecht, 3. Aufl. 2006, S. 8; H.-W. Rengeling, in: Festschr. f. Brohm, 2002, S. 509 (518 f.); M. Rodi, ZG 2000, 231 (236 ff.); R. Steinberg, Der ökologische Verfassungsstaat, 1998, S. 181 f. 66 Wie ein – grundsätzlich gut funktionierender – Instrumentenverbund aussehen kann, zeigt exemplarisch die Förderung von erneuerbarer Energie: Umweltsubventionen, Abnahme- und Vergütungspflichten nach dem EEG sowie Vergünstigungen (Freistellung von der Stromsteuer bzw. der Mineralölsteuer) greifen hier ineinander. Hinzu kommen Förderungsmaßnahmen auf europäischer Ebene; vgl. dazu V. L. Holzer, ZfU 2006, 147 ff. 67 Plakativ M. Kloepfer, ZfU 1996, 200 (207): „Staatliche Anreizpolitik ist grundsätzlich nur im Schatten des Leviathan umweltpolitisch sinnvoll und umweltrechtlich machbar.“ 68 Beispiele hierzu bei Engel (Fn. 63), S. 26.

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• Unterkomplexität Modelle einer Ökonomisierung von Umweltbelastungen zur Reduktion gesamtgesellschaftlicher Kosten sind allenfalls auf Schadstoffemissionen aus beherrschbaren Punktquellen übertragbar69. Ein Beispiel wäre das Konzept des Treibhausemissionshandels in seiner bisherigen auf Anlagen und CO2-Emissionen begrenzten Form. Akkumulative, komplexe oder langfristige Belastungen sowie nicht hinreichend quantifizierbare technische Risiken, die das Umweltrecht häufig zu bewältigen hat, lassen sich demgegenüber mit ökonomischen Modellen nicht angemessen erfassen. So bedarf bereits die Ausweitung des Zertifikatehandels über den bisherigen Geltungsbereich hinaus auch auf andere anlagenbezogene Emissionen (z. B. SO2) eines zusätzlichen ordnungsrechtlichen Vorgehens, sollen sog. Hot-Spot-Situationen, also Gefährdungen Dritter aufgrund hoher lokaler Emissionskonzentrationen, vermieden werden. In anderen Bereichen stößt die Zertifikatelösung noch deutlicher an Grenzen: So bedarf die Bekämpfung des Fluglärms, insbesondere bei Knotenflughäfen und den dort bestehenden Hot-Spot-Situationen, zumindest auch der planerischen und der „harten“ ordnungsrechtlichen Bewältigung. Auf dem komplexen Abfallsektor mit einer Vielzahl von Beteiligen (Hersteller der Verpackung, Abfüller, Händler, Endverbraucher) und unvollkommenen Märkten, wird ein Zertifikatemodell eher nicht in Betracht kommen. • Ausblendung der Transaktionskosten Insbesondere eine auf die quantifizierbaren Vermeidungskosten für Schadstoffemissionen bezogene Analyse mag zwar geeignet sein, die von den betroffenen Unternehmen zu tätigenden Investitionen angemessen zu erfassen, bildet jedoch die praktisch ganz erheblichen Transaktionskosten der Verwaltung für die Etablierung und Regulierung indirekter Instrumente nicht ab70. Diese Kosten müssen jedoch in eine belastbare Gesamtbetrachtung einbezogen werden. Das Beispiel des Treibhausemissionshandels verdeutlicht, dass bereits die Schaffung eines bisher mangels Handelbarkeit nicht bestehenden Marktes ohne komplexe Verwaltungsstrukturen nicht möglich ist. Andere Beispiele wie die Abwasserabgabe oder das Umweltaudit, welche gleichfalls zu neuen, zusätzlichen Bürokratisierungsschüben geführt haben, lassen sich anfügen. Eine staatliche Letztverantwortung erfordert zudem auch in privatisierten Bereichen Zugriffsoptionen im Falle eines Versagens der Selbstregulierungsmechanismen71, was eine staatliche Überwachung und damit die Vorhaltung und Finanzierung eines entsprechenden Verwaltungsapparats voraussetzt (kein Totalrückzug des Staates)72. Ökonomische Instrumente bleiben schließlich, will man effektive Steuerungs69 70 71

G. Lübbe-Wolff, NVwZ 2001, 481 (482). G. Lübbe-Wolff, NVwZ 2001, 481 (482). Schmidt-Preuß (Fn. 4), S. 326.

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und Ressourcenallokationswirkungen erzielen, auf eine wesentlich feinere Quantifizierbarkeit der emittierten Schadstoffe angewiesen73, was regelmäßig sogar noch ein aufwändigeres Kontrollregime als das prinzipiell vergröbernd operierende74 Ordnungsrecht erfordert. • Verfassungsrechtliche Ingerenzen Das Ordnungsrecht dient, soweit es die Abwehr von Gefahren betrifft, der Erfüllung grundrechtlicher Schutzpflichten des Staates für die durch Art. 2 Abs. 2 S. 1, 14 Abs. 1 S. 1 GG erfassten Rechtsgüter (Leben, Gesundheit, Eigentum)75. Hinzu tritt das Staatsziel Umweltschutz (Art. 20a GG). Beide erfordern sowohl ein repressives als auch ein präventives ordnungsrechtliches Instrumentarium, das einen gezielten staatlichen Steuerungszugriff auf Schadstoffquellen ermöglicht76. In diesem Bereich punktueller Mikrosteuerung versagen indirekte Instrumente weitgehend. Umweltbelastungen, die die Gefahrenschwelle überschreiten, können auch dann nicht hingenommen werden, wenn hierdurch eine Reduktion gesamtgesellschaftlicher Kosten bewirkt würde. Eine gesundheitsschädliche Luftverpestung oder Gewässervergiftung etwa lassen sich nicht dadurch ausgleichen, dass anderenorts Belastungen zu günstigeren Kosten reduziert werden77. Im Bereich der Gefahrenabwehr bleibt daher das Ordnungs72 Vgl. U. Di Fabio, VVDStRL 56 (1997), 235 (251 f., 257 ff., 262 f.); H.-H. Trute, DVBl. 1996, 950 (953 f.). Eine Verantwortungsverlagerung auf Private führt daher in der Regel nicht zu einer Deregulierung, sondern tendenziell zu einer Zunahme rechtlicher Pflichtenbeziehungen, also zusätzlicher Regulierung; vgl. P. M. Huber, in: R. Stober/H. Vogel, Umweltrecht und Umweltgesetzbuch aus wirtschaftsrechtlicher Perspektive, 2001, S. 89 (96, 105); ders., DVBl 1999, 489 (493). Hinzu tritt, wie insbesondere die Entsorgungsmärkte belegen, ein erheblicher Verwaltungsaufwand kartellrechtlicher Wettbewerbsaufsicht, der zur Aufrechterhaltung wettbewerblicher Rahmenbedingungen aber unabdingbar erscheint. Vgl. auch Engel (Fn. 63), S. 21. Instrumente „regulierter Selbstregulierung“ funktionieren nur bei möglichst klarer und präziser hoheitlicher Fixierung der Ziele. Hierzu eignet sich – nicht zuletzt aufgrund des Nachhaltigkeitprinzips – am besten eine umweltpolitische Gesamtplanung in Gestalt einer Umweltleitplanung; vgl. §§ 19 ff. UGB-ProfE; dazu W. Kahl, in: H. Bauer u. a., Umwelt, Wirtschaft und Recht, 2002, S. 111 (142 ff.). Hinzu kommen müssen regelmäßige, zumindest stichprobenartige, strenge behördliche Kontrollen („Oberaufsicht“) sowie die Drohung mit wirksamen Sanktionen für den Fall der Zieldivergenz. 73 Vgl. für Umweltabgaben F. Kirchhof, in: R. Breuer/M. Kloepfer/P. Marburger/ M. Schröder, Umweltschutz durch Abgaben und Steuern, 1992, S. 101 (117 f.). 74 Vgl. Engel (Fn. 63), S. 25: „Das Ordnungsrecht ist vorsätzlich kein trennscharfes Instrument.“ 75 Siehe stellvertretend C. Calliess, Rechtsstaat und Umweltstaat, 2000, S. 437 ff.; Kloepfer (Fn. 4), § 3 Rn. 42 ff.; R. Schmidt/W. Kahl, Umweltrecht, 7. Aufl., 2006, § 2 Rn. 6 ff. 76 Ausführlich zu den verfassungsrechtlichen Vorgaben bei einer mischinstrumentellen Strategie Steinberg (Fn. 65), S. 168 ff. 77 Vgl. M. Kloepfer, ZfU 1996, 56 (62). Eine Reduktion der Emission krebsverdächtiger Aerosole auf einen tolerablen Schwellenwert am Standort A ist auch dann notwendig, wenn eine zusätzliche Reduktion um eine gleiche Menge an Emissionen

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recht generell unverzichtbar78. Gleiches gilt für Risiken, die zwar begrifflich unterhalb der Gefahrenschwelle anzusiedeln sind, wegen des immensen Schadenspotentials aber strikte Vorsorgemaßnahmen erfordern (Beispiel: Kernkraft)79. Unbeschadet dessen ist auch in diesen Bereichen eine funktionelle Privatisierung von Überwachungsaufgaben nicht ausgeschlossen, solange eine hinreichende staatliche Gewährleistungsverantwortung verbleibt80. Mit der Entfernung von der Gefahrenschwelle, also insbesondere im Bereich vorsorgender Umweltpolitik (z. B. Klimaschutz), und überall dort, wo sich direkte Instrumente aus praktischen Gründen nicht empfehlen, lassen sich demgegenüber ergänzend und im Einzelfall sogar bevorzugt indirekte Instrumente implementieren. 2. Zur Notwendigkeit einer Harmonisierung Bislang sind die verschiedenen umweltpolitischen Instrumente eher wildwuchsartig nebeneinander entstanden und folgen allein ihren jeweiligen fachgesetzlichen Rationalitäten. Dies führt nicht selten zu einer Belastungskumulation81, die auch aus grundrechtlicher Sicht (Verhältnismäßigkeit des Freiheitseingriffs, Gleichheitssatz) bedenklich stimmen kann, sowie zu einer unproduktiven Diffusion von Steuerungswirkungen82. Eine solche Belastungskumulation kann vor allem bei einem planlosen, oft über längere Zeiträume entstandenen Nebeneinander direkter und indirekter Instrumente eintreten, etwa wenn im Wasserrecht ordnungsrechtliche Vorschriften (Bund), die Erhebung einer Abwasserabgabe (Land) und ökologisch ausgestaltete Abwassergebühren

am Standort B für den Anlagenbetreiber günstiger wäre, also gesamtgesellschaftlich eine Kostenreduktion bei gleicher Gesamtemissionsmenge aufträte. Wohlgemerkt: Hierbei sind die gesamtgesellschaftlichen Belastungen, die durch die Schädigungen am Standort A hervorgerufen werden (z. B. durch Krankenbehandlung, Flächensanierung, Abwanderung der Bevölkerung), noch nicht berücksichtigt. 78 Lübbe-Wolff (Fn. 62), Modernisierung, S. 109 f.; Schmidt-Preuß (Fn. 4), S. 314. 79 Vgl. auch Kloepfer (Fn. 4), § 3 Rn. 48; Rengeling (Fn. 65), S. 518. 80 Vgl. Kloepfer (Fn. 62), S. 11; H.-J. Koch/U. Borchhardt/F. Haag/S. R. Laskowski, Anlagenüberwachung im Umweltrecht, 1998, S. 272 ff.; H.-H. Trute, DVBl. 1996, 950 (953); A. Voßkuhle, VVDStRL 62 (2003), 266 (292 ff.). Zu den materiellen Anforderungen an die zur Überwachung herangezogenen Privaten und den diesbezüglichen Regelungsdefiziten des UGB-ProfE vgl. G. Lübbe-Wolff, in: A. Schmidt, Das Umweltrecht der Zukunft, 1996, S. 81 (92 f.). 81 Problembewusst M. Kloepfer, ZAU 1996, 202 (208); ders., NVwZ 2002, 645 (653 f.); sowie im Anschluss an diesen etwa Rengeling (Fn. 65), S. 518, 520; M. Rodi, ZG 2000, 231 (236). 82 F. Hufen, in: D. Grimm, Wachsende Staatsaufgaben – sinkende Steuerungsfähigkeit des Rechts, 1990, S. 273 (279), spricht anschaulich von „Streuwirkungen“ und „Querschlägern“. Zur Problematik auch C. Engel, in: ders./M. Morlok, Öffentliches Recht als Gegenstand ökonomischer Forschung, 1998, S. 173 ff.

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(Kommune) unabgestimmt zum Einsatz gebracht werden83. Der Umweltgesetzgeber, so Michael Kloepfer, gleicht nicht selten einem Arzt, der immer neue Medikamente verschreibt, ohne alte abzusetzen oder wenigsten in Frage zu stellen84. Dabei ist zu sehen, dass die geltende Rechtsdogmatik auf die rechtsstaatlich notwendige Begrenzung derartiger kumulativer Eingriffe bislang nicht hinreichend vorbereitet ist85. Begrenzte Abhilfe verspricht insoweit etwa eine stärkere Entindividualisierung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes und dessen Ausrichtung auf eine gesamtbilanzierende Betrachtung86. Dem Grundsatz der Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung87 kommt in diesem Kontext zwar nicht im vertikalen Verhältnis, aber bezogen auf ein und denselben Kompetenzträger, der nebeneinander verschiedene Instrumente zum Einsatz bringt, als Teilausprägung des Rechtsstaatsprinzips eine, allerdings erneut nur sehr schwache, auf

83 Vgl. Rengeling (Fn. 65), S. 510, der von einem „Wirkungsverbund“ verschiedener, kumulativ eingesetzter Instrumente spricht; umfassend dazu ders./H. Hof (Hrsg.), Instrumente des Umweltschutzes im Wirkungsverbund, 2001. 84 M. Kloepfer, JZ 1991, 737 (744); ders. (Fn. 65), in: König/Dose, S. 357. 85 Zur Notwendigkeit, additive Grundrechtsbelastungen unterschiedlicher staatlicher Maßnahmen im Wege einer Gesamtbetrachtung dogmatisch zu erfassen, siehe G. Kirchhof, NJW 2006, 723 ff.; J. Lücke, DVBl 2001, 1469 ff. Das BVerfG hat hier bislang kein abschließendes dogmatisches Konzept entwickelt. Insbesondere fehlt ein System zur angemessenen Bewältigung kumulativer Vermögensbelastungen durch Abgaben. Bislang werden unterschiedliche Belastungen, etwa Steuern, Sonderabgaben und Sozialversicherungsbeiträge, nach ihrer jeweiligen Belastungsrationalität gesondert behandelt, ohne die fraglos bestehenden Kumulationseffekte im Rahmen einer Gesamtbetrachtung zu würdigen. Mit der Ablehnung einer Übertragung des „Halbteilungsgrundsatzes“ (BVerfGE 93, 121 [138]) auf Belastungen durch Einkommens- und Gewerbesteuer (BVerfG, NJW 2006, 1191 ff.) wurde für einen Teilbereich (unnötig) die Chance zu einer kohärenten Systembildung verspielt. Dagegen wurde jüngst zutreffend auf Kumulationseffekte im Zusammenhang mit technischen Überwachungsmaßnahmen im Eingriffsrecht hingewiesen (BVerfGE 112, 304 ff.) und besondere verfahrensrechtliche Anforderungen an additive Grundrechtseingriffe gestellt. Eine Verallgemeinerung steht freilich noch aus und dürfte sich gerade im Abgabenrecht angesichts sozialstaatlich motivierter Vorbehalte gegenüber absoluten Belastungsgrenzen als schwierig erweisen. 86 M. Kloepfer, JZ 1991, 737 (744); ders., ZAU 1996, 202 (208); vgl. auch – aber wegen nur begrenzter Justitiabilität eher skeptisch – W. Hoffmann-Riem, DVBl 1994, 1381 (1384 ff.). 87 BVerfGE 98, 83 (97 f.); 98, 106 (118 ff.). Dabei kann die Art und Weise der Begründung des Vorliegens eines Widerspruchs im konkreten Fall nicht überzeugen, da sie das im Bundesstaatsprinzip und in der bundesstaatlichen Kompetenzverteilung gem. Art. 30, 70 ff. GG angelegte Element des Wettbewerbsföderalismus zu sehr überspielt und den Grundsatz vertikaler Gewaltenteilung als funktionales, auf Sachrichtigkeit und auf optimale Ergebnisse zielendes Prinzip verkennt; vgl. R. Schmidt/L. Diederichsen, JZ 1999, 37 (39 ff.); M. Rodi, StuW 1999, 105 (108 ff.); allgemein kritisch zu diesem Rechtsinstitut H. D. Jarass, AöR 126 (2002), 588 (599 ff.); M. Kloepfer/K. T. Bröcker, DÖV 2001, 1 ff. Zu einschränkend zum sachlichen Anwendungsbereich des Grundsatzes der Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung (Begrenzung auf das Abgabenrecht) aber M. Burgi, NVwZ 2004, 1162 (1165).

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Evidenzfälle begrenzte88, schrankensetzende Maßstabsfunktion zu89. Freilich handelt es sich bei der Vermeidung von Belastungskumulationen nicht primär um ein Thema des Rechts, sondern der Politik und der sie begleitenden sachverständigen Beratung, prospektiven Gesetzesfolgenabschätzung und retrospektiven Rechtswirkungsforschung90. Sie haben die Aufmerksamkeit vermehrt auf die Stimmigkeit der Instrumente im Sinne einer vertikalen Kohärenz im internationalen, europäischen und nationalen Mehrebenensystem91 sowie einer horizontalen Kohärenz auf ein und derselben Handlungsebene zu richten92. Einem künftigen UGB wird in diesem Kontext die – allerdings nicht unwesentliche – Aufgabe zukommen, die bestehenden Instrumente zu sichten, zu systematisieren, zu harmonisieren und sowohl effektiv wie effizient miteinander zu verknüpfen93. Dabei können schon aus pragmatischen, aber auch aus inhaltlichen Gründen nicht alle wissenschaftlich diskutierten oder bereichsspezifisch praktizierten Instrumente in einem Allgemeinen Teil des UGB kodifiziert werden. Vielmehr hat dort eine Konzentration auf die Instrumente zu erfolgen, die als bewährt bzw. zukunftsträchtig gelten können, die umweltrechtsspezifisch sind und die sich infolge ihrer generellen Relevanz sinnvoll „vor die Klammer“ ziehen lassen. Positive Synergieeffekte lassen sich gleichwohl nur durch eine anspruchsvolle kodifikatorische Erfassung der umweltspezifischen Instrumente erzielen. Der zutreffende Ansatz dürfte dabei insgesamt eher in der Nähe des breiter ausgreifenden KomE als der „kleinen Lösung“ des RefE liegen. Letzterer versucht im Kern lediglich, einen ordnungsrechtlichen Mindestkern des Umweltrechts zu systematisieren, was keinen wesentlichen Fortschritt gegenüber den bestehenden Regelungswerken bedeutet94. Um eine Erstarrung des Rechts 88 So stellt etwa die Einführung des Emissionshandelsrechts neben den bisherigen Instrumenten des BImSchG, der Kraft-Wärme-Kopplung, dem Erneuerbaren-EnergienGesetz, der sog. Öko-Steuer etc. (vgl. dazu M. Rodi, EurUP 2005, 165 [168 ff.]) keinen Verstoß gegen den Grundsatz der Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung dar; vgl. M. Burgi, NVwZ 2004, 1162 (1165 m. Fn. 30); Kloepfer (Fn. 7), UTR 74, S. 76; Rodi, ebd., S. 169; zumindest in der Tendenz anders W. Frenz, RdE 2003, 32 (33 f.); Rengeling (Fn. 65), S. 523; C. Weidemann, DVBl 2004, 727 (734 f.). 89 Wie hier M. Rodi, ZG 2000, 231 (238); kritisch im Hinblick auf etwaige Doppelbelastungen und Effektivitätsdefizite auch SRU (Fn. 42), Umweltgutachten 2004, S. 106 (Tz. 68 f.); jedenfalls dürfen die durch den Zertifikatehandel geschaffenen Anreize nicht in offenem Widerspruch zu staatlicher Subventionierung stehen; vgl. H.-J. Koch/A. Wieneke, DVBl 2001, 1085 (1095). 90 Vgl. M. Burgi, NVwZ 2004, 1162 (1165); M. Rodi, ZG 2000, 231 (241, 244 f., 246 f.). Vgl. auch §§ 24, 30 UGB-ProfE. 91 Zum Problem der „Mehr-Ebenen-Steuerung“ in der Umweltpolitik: SRU (Fn. 42), Umweltgutachten 2004, S. 536 (Tz. 1221 ff.). 92 Von einem „Kohärenzgebot“ spricht auch H.-W. Rengeling, DVBl 2000, 1725 (1729 f.); ders. (Fn. 65), S. 510, im Anschluss an Europäische Kommission, Grünbuch zum Handel mit Treibhausgasemissionen in der Europäischen Union v. 2. 3. 2000, KOM (2000) 87 endg., S. 24. 93 Ähnlich J. Sanden, ZfU 2004, 473 (482).

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zu vermeiden, erscheint es dabei wichtig, das UGB konzeptionell und regelungstechnisch auf einen Prozess periodischer Evaluation, Revision und fortwährenden Lernens hin auszurichten. Gerade weil der Einsatz neuer umweltrechtlicher Instrumente und Instrumentenverbünde vielfach experimentellen Charakter hat, trifft den Gesetzgeber eine dauernde Beobachtungs- und ggf. Nachbesserungspflicht95. 3. Vorhabengenehmigung als zentrales Steuerungsinstrument Das Herzstück eines zukünftigen UGB96 wird eine präventive Eröffnungskontrolle97 (präventives Verbot mit Erlaubnisvorbehalt98) bei potentiell umweltbelastenden Vorhaben bilden. Die Regelungsvorschläge des ProfE im Allgemeinen Teil beruhen auf der Annahme, Eröffnungskontrollen seien traditionell stark fachrechtlich geprägt und einer allgemeinen Kodifikation weitgehend entzogen99, und sind insoweit sehr regelungsarm geblieben100. Wesentliche Details des Genehmigungsrechts wurden in Fortsetzung der bisherigen sektoralen Umweltfachgesetze im Besonderen Teil belassen. Eine Kodifikation eines künftigen UGB sollte demgegenüber die, wie vom UGB-KomE verdeutlicht, um Einiges weiter gehenden Systematisierungspotenziale nutzen und das umweltrechtliche Genehmigungsverfahrensrecht vereinheitlichen, wobei dem bereits heute medienübergreifend angelegten101 Anlagenzulassungsrecht des BImSchG102 eine 94 Gleiches wird man für eine Beschränkung auf materielles Rahmenrecht annehmen dürfen; so im Ergebnis auch J. Sanden, ZfU 2004, 473 (479). Da die bisherige Rahmengesetzgebungskompetenz des Art. 75 GG im Zuge der Föderalismusreform weggefallen ist, sollte der Bund von seiner neu gewonnenen Gestaltungsfreiheit Gebrauch machen und, soweit sinnvoll, eine harmonisierte Vollregelung des Umweltrechts anstreben. Zur Neuordnung der Gesetzgebungskompetenzen im Umweltbereich durch die Föderalismusreform siehe stellvertretend P. M. Huber, in: H.-G. Hennecke, Föderalismusreform in Deutschland, 2005, S. 87 ff.; M. Kloepfer, NuR 2006, 1 ff.; M. Kment, NuR 2006, 217 f.; Sachverständigenrat für Umweltfragen, Der Umweltschutz in der Föderalismusreform, 2006. 95 Vgl. auch Steinberg (Fn. 65), S. 170 ff. m. w. Nachw. 96 Wie auch in sämtlichen der vorgelegten Entwürfe, siehe §§ 52 ff. UGB-ProfE; §§ 83 ff. UGB-KomE; §§ V 4 ff. UGB-RefE. 97 Zum Begriff Jänicke/Kunig/Stitzel (Fn. 4), S. 201. 98 Zu den Typen und der Normstruktur verschiedener Genehmigungsformen F. Curtius, Entwicklungstendenzen im Genehmigungsrecht, 2005, S. 111 ff. 99 Kloepfer/Rehbinder/Schmidt-Aßmann/Kunig (Fn. 1), S. 263. 100 Vgl. §§ 50–56 UGB-ProfE; H. D. Jarass, ZfU 2006, 1 (9 f.). Die allgemeinen Regelungen in §§ 50 f. enthalten lediglich grundlegende und abstrakte Minimalstandards; die Umweltbewilligung (§§ 52 ff.) ist vor allem auf raumbedeutsame Eröffnungskontrollen zugeschnitten und verweist inhaltlich ebenfalls im Wesentlichen auf das jeweilige Fachrecht. Vgl. Kloepfer/Rehbinder/Schmidt-Aßmann/Kunig (Fn. 1), S. 19. 101 § 3 Abs. 2 BImSchG. 102 §§ 4 ff. BImSchG i.V. m. 4., 9. und 13. BImSchV.

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maßgebliche Vorbildfunktion zukommen muss. Nicht zuletzt aufgrund gemeinschaftsrechtlicher Impulse, die vor allem von der IVU-Richlinie103 ausgehen104, empfiehlt es sich, das bislang sektoral und medial ausdifferenzierte Anlagen- und Vorhabengenehmigungsrecht unter der Ägide des medienübergreifend-integrativen Ansatzes105 nach dem Modell der integrierten Vorhabengenehmigung106 zusammenzuführen. Ein medienübergeifendes und dem Grundsatz ökologischer, ökonomischer und sozialer Nachhaltigkeit verpflichtetes Genehmigungsrecht führt freilich zu komplexen Abwägungsentscheidungen und zu einer gewissen Annäherung an planerische Instrumente. Letztlich bedeutet dies eine Aufladung der Genehmigungsanforderungen mit nur begrenzt justitiablen Beurteilungsspielräumen, also eine Flexibilisierung der Behördenentscheidungen, und damit in der behördlichen Praxis den Abschied vom tradierten Konzept des gebundenen Genehmigungsanspruchs107. In der Folge wäre zu erwägen, die Differenzierung zwischen gebundener108 und planerischer109 Vorhabengenehmigung aufzugeben und die verbleibenden Fragen der inhaltlichen Reichweite planerischer Elemente in das spezifische Fachrecht eines (fiktiven) Besonderen Teils zu verlagern. Die notwendigen und auch grundrechtlich gebotenen Differenzierungen nach Art des Vorhabens könnten vor allem durch eine Stufung der Komplexität des Genehmigungsverfahrens erreicht werden110. Als Vorgabe werden auch hier die Bestimmungen der IVU- und UVP-Richtlinie heranzuziehen sein111, die ein besonderes Genehmigungsverfahren mit Öffentlichkeitsbeteiligung für katalogartig erfasste Vorhaben vorsehen. Überkommenen repressiven Verboten mit Befreiungsvorbehalt (Ausnahmebewilligungen), wie sie sich noch im Wasserrecht finden112, wird vor diesem Hintergrund keine selbstständige Berechtigung mehr verbleiben. Ein etwaiges Bewirtschaftungsermessen staatlicher Behörden wird

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Richtlinie 96/61/EG (Fn. 47). Siehe eingehend D. Sellner, in: Gesellschaft für Umweltrecht, Umweltrecht im Wandel, 2001, S. 401 ff. 105 F.-J. Feldmann, in: E. Bohne, Perspektiven für ein Umweltgesetzbuch, 2002, S. 13 (20 f.). 106 §§ 80 ff. UGB-KomE; siehe hierzu Kloepfer (Fn. 4), § 1 Rn. 50 f. 107 Vgl. auch Wahl (Fn. 45), S. 264 f. Dies ist freilich auch schon bisher in unterschiedlicher Ausprägung der Fall, vgl. Curtius (Fn. 98), S. 120 f. 108 §§ 83 ff. UGB-KomE; §§ V 4 ff. UGB-RefE. 109 §§ 101 ff. UGB-KomE; §§ V 26 ff. UGB-RefE. 110 Vgl. §§ 109 f. UGB-KomE betreffend die einfache Vorhabengenehmigung. Siehe für das geltende Recht die Differenzierung zwischen Planfeststellung und Plangenehmigung (z. B. § 74 VwVfG; § 31 Abs. 2 und 3 WHG; § 31 Abs. 2 und 3 KrW-/ AbfG) bzw. zwischen normalem und vereinfachtem Verfahren im Immissionsschutzrecht (§§ 10, 19 BImSchG). 111 Feldmann (Fn. 105), S. 21. 112 § 8 Abs. 2 WHG; siehe Breuer (Fn. 51), Rn. 408. 104

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von der planerisch angereicherten Gesamtabwägung im Rahmen einer integrierten Vorhabengenehmigung absorbiert. 4. Sonstige ordnungsrechtliche Instrumente Auch außerhalb der Eröffnungskontrolle ist am etablierten und bewährten System direkter Steuerung festzuhalten. Zunächst bleibt bei bereits genehmigten Anlagen eine begleitende und fortlaufende Befolgungskontrolle notwendig113. Daneben sind ordnungsrechtliche Instrumente unabdingbar, die ein Einschreiten gegen Umweltbeeinträchtigungen aus Gründen der Gefahrenabwehr ermöglichen und Reaktionen auf gewandelte Verhältnisse erlauben114, insbesondere nachträgliche Anordnungen, die behördliche Untersagung von umweltbeeinträchtigenden Tätigkeiten, Gefahrerforschungseingriffe und die Aufhebung (Rücknahme, Widerruf) bestehender Genehmigungen. Die nicht standort- bzw. anlagenbezogenen Fragen der Zulassung und des Inverkehrbringens (potentiell) umweltbeeinträchtigender Produkte115 sollten weiterhin gesondert geregelt werden116. Produktspezifischer Umweltschutz erscheint als ein Querschnittsproblem verschiedenster Regelungsbereiche, das aufgrund der markt- und produktspezifischen Differenzen im jeweiligen Produktfachrecht117 anzusiedeln wäre, sich einer spezifisch umweltrechtlichen Systembildung jedoch weitgehend entzieht. Ein etwaiger Besonderer Teil eines künftigen UGB sollte sich im Sinne stoffbezogenen Umweltrechts118 auf die Regelung umweltspezifischer Risiken beschränken (z. B. Gefahrstoffe, Pflanzenschutzmittel, Biozide, Freisetzung gentechnisch veränderter Organismen, abfallrechtliche Produktverantwortung).

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Kloepfer (Fn. 4), § 5 Rn. 45. So auch das unbestrittene Grundkonzept sämtlicher UGB-Entwürfe. Vgl. §§ 73 ff., 228, 295 f., 302 ff., 334 ff., 399, 479, 555 f., 580 UGB-ProfE; §§ 126 ff., 365 f., 428, 437, 472, 483 f., 548 f., 622, 711, 751 UGB-KomE; §§ E 1 ff., I 9, D 7 UGB-RefE. 115 Bislang sind allgemeine Produktvorschriften lediglich in den §§ 115 ff. UGBProfE enthalten. 116 Vgl. in diesem Sinne z. B. §§ 444 ff., 484 ff., 519 f., 536 UGB-ProfE. 117 Etwa im Lebensmittelrecht (LMBG), Gerätesicherheitsrecht (GSG), Arzneimittelrecht (AMG), Medizinprodukterecht (MPG). Auch das Wasch- und Reinigungsmittelrecht, das der UGB-ProfE und der UGB-KomE noch integrieren wollten (§§ 523 ff. UGB-ProfE; §§ 685 ff. UGB-KomE), eignet sich aufgrund der Beschränkung auf produktspezifische Anforderungen kaum zur kodifikatorischen Integration in ein UGB. 118 Hierzu M. Führ, in: Gesellschaft für Umweltrecht, Umweltrecht im Wandel, 2001, S. 685 ff. 114

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5. Konzept eines flexibilisierten Ordnungsrechts Ein noch ausbaufähiger Ansatz bei der Instrumentenwahl im Rahmen eines künftigen UGB besteht darin, das teilweise zu starre Ordnungsrecht zu flexibilisieren und praktischen Bedürfnissen anzupassen (Konzept der „built in flexibility“)119. Vor dem Hintergrund begrenzter Leistungsfähigkeit imperativer Regulierung und nicht zuletzt im Interesse der angemessenen Berücksichtigung wirtschaftspolitischer Standortfragen bedarf es einer offenen und auf Interessenausgleich ausgerichteten Ausgestaltung hoheitlicher Instrumente. Zu einer Flexibilisierung des ordnungsrechtlichen Korsetts würde vor allem die Stärkung des Kompensationsgedankens führen120. Das Kompensationsprinzip konnte sich zwar bislang nur sektoral in fachgesetzlichen Regelungen zur Erreichung sehr spezifischer Steuerungswirkungen bewähren121. Als Ausdruck eines allgemeinen Systemgedankens ist es jedoch einer Verallgemeinerung zugänglich und könnte insbesondere zur Flexibilisierung integrierter Vorhabengenehmigungsverfahren eingesetzt werden, da medienübergreifend-integrative, komplexe Abwägungsentscheidungen sich für einen Einbau kompensatorischer Elemente besonders eignen. Schutzziele könnten hierdurch einzelfallbezogen, problemspezifisch, kooperativ und damit auch kostensensibel verwirklicht werden. Denkbare Lösungen im Rahmen eines vollziehbaren Ordnungsrechtsregimes, die bei der Prüfung der Verhältnismäßigkeit, insbesondere der Erforderlichkeit, zu berücksichtigen wären, könnten im Übrigen etwa in der Berücksichtigung von funktional äquivalenten Ausgleichsangeboten122 (z. B. EMASRegistrierung) oder in einer moderaten, als prozedurale Prüfpflicht ausgestalteten Präferenz konsensualer Instrumente liegen123. Dagegen besteht de constitutione lata kein (relativer) Vorrang der „weichen“ Instrumente. Ein solcher ergibt sich weder aus Art. 20a GG noch aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz (Erforderlichkeitsprinzip)124. Auch de lege lata folgt weder aus dem Kooperationsprinzip125 noch aus bereichsspezifischen Bestimmungen126 eine Verpflichtung 119 Vgl. M. Kloepfer, ZfU 1996, 56 (63); G. Lübbe-Wolff, NVwZ 2001, 481 (484); M. Rodi, ZG 2000, 231 (233). 120 Vgl. in der Bewertung ähnlich Schmidt-Preuß (Fn. 4), S. 331. 121 Vgl. §§ 7 Abs. 3, 17 Abs. 3a, 48 S. 1 Nr. 4 BImSchG, §§ 18 ff. BNatSchG. 122 Das Angebot eines (gleichermaßen geeigneten) Austauschmittels ist im Polizeiund Ordnungsrecht seit langem bekannt und bewährt; vgl. bereits § 41 Abs. 2 S. 3 PrPolizeiverwaltungsG 1931; W. Jellinek, Gesetz, Gesetzesanwendung und Zweckmäßigkeitserwägung, 1913, S. 87 f., 209 f.; gegenwärtig z. B. Art. 5 Abs. 2 S. 2 BayPAG, § 12 Abs. 2 S. 2 BerlASOG; § 3 Abs. 2 S. 2 NWPolG; vgl. W.-R. Schenke, Polizeiund Ordnungsrecht, 4. Aufl. 2005, Rn. 336 f. m. w. Nachw.; wie hier H. D. Jarass, in: Festschr. f. Kutscheidt, 2003, S. 305 (318); allgemein für „ordnungsrechtliche Primärpflichten mit Abwendungsbefugnis“ im Umweltrecht M. Schmidt-Preuß, VVDStRL 56 (1997), 160 (185 f.). 123 Vgl. auch § 7 Abs. 2 UGB-KomE. Siehe ferner M. Schröder, NVwZ 1998, 1011 (1014).

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zum vorrangigen Zusammenwirken von Staat und Gesellschaft bzw. eine Priorität indirekter Instrumente127. De lege ferenda empfiehlt sich die Anordnung eines solchen Vorrangs, wie noch in § 6 Abs. 1 S. 4, Abs. 3 ProfE128 vorgesehen, nicht, da sie den Handlungsspielraum des Gesetzgebers zu sehr einschränken würde und zudem auf einer in dieser pauschalen Form zu optimistischen Einschätzung hinsichtlich der Leistungsfähigkeit ökonomischer Instrumente basiert129. 6. Grenzüberschreitende Behördenkooperation Angesichts der zunehmenden Bedeutung zwischenstaatlicher Behördenkooperation beim Vollzug des Umweltrechts130 empfiehlt es sich, allgemeine Regelungen grenzüberschreitenden Umweltschutzes einzuführen131. Angesichts der vorangeschrittenen Globalisierung und des immer stärker grenzüberschreitenden Agierens zahlreicher Unternehmen lassen sich insbesondere planungsabhängige Standortfragen namentlich bei Großvorhaben nicht mehr allein national ent124 Vgl. M. Fehling, in: B. Hansjürgens/W. Köck/G. Kneer, Kooperative Umweltpolitik, 2003, S. 139 (142 ff.), m. w. Nachw. 125 Zur kontroversen Diskussion um die juristische Geltung und den Inhalt eines (umweltrechtlichen) Kooperationsprinzips vgl. positiv BVerfGE 98, 83 (98 ff.); 98, 106 (121 f.); A. Faber, Gesellschaftliche Selbstregulierungssysteme im Umweltrecht – unter besonderer Berücksichtigung der Selbstverpflichtungen, 2001, S. 180 ff.; U. Di Fabio, NVwZ 1999, 1154 (1157 f.); Rengeling (Fn. 65), S. 511 ff.; ablehnend dagegen die h. L., vgl. C. Gusy, ZUR 2001, 1 ff.; D. Murswiek, ZUR 2001, 7 (12 f.); SchmidtAßmann (Fn. 31), Ordnungsidee, Kap. 3 Rn. 11; Schoch (Fn. 30), Rn. 161 f.; H. Sendler, NJW 1998, 2875 ff.; A. Voßkuhle, ZUR 2001, 23 ff.; J. Wieland, ZUR 2001, 20 ff.; umfassend M. Grüter, Umweltrecht und Kooperationsprinzip in der Bundesrepublik Deutschland, 1990; P. M. Huber (Hrsg.), Das Kooperationsprinzip im Umweltrecht, 1999. Für die einfachgesetzliche Ebene s. Art. 16 des Staatsvertrags über die Schaffung einer Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik v. 31. 8. 1990 (BGBl II 537) und Art. 34 des Einigungsvertrages v. 31. 8. 1990 (BGBl II 889); de lege ferenda § 6 UGB-ProfE; § 7 UGB-KomE. 126 Für den – gesetzlich legitimierten (vgl. § 8 S. 1 BNatSchG i.V. m. Landesnaturschutzrecht) – Vertragsnaturschutz wird ein Vorrang bislang abgelehnt, jedoch – wie hier – eine (verfahrensrechtliche) Alternativenprüfpflicht angenommen: BVerwG, NVwZ-RR 1998, 225 (226); A. Lorz/M. H. Müller/H. Stöckel, Naturschutzrecht, 2. Aufl. 2003, § 8 Rn. 3; Sparwasser/Engel/Voßkuhle (Fn. 38), § 6 Rn. 99. 127 So zutreffend Faber (Fn. 125), S. 183; Rengeling (Fn. 65), S. 517. 128 Der eine „vorsichtige Präferenz“ für das „weiche“ Instrument der Absprachen zum Ausdruck bringen sollte; so ausdrücklich Kloepfer/Rehbinder/Schmidt-Aßmann/ Kunig (Fn. 1), S. 160; abgeschwächt dagegen (im Sinne einer staatlichen „Hinwirkungspflicht“ auf einen eigenverantwortlichen Umweltschutz durch Private) in § A 5 Abs. 1 UGB-RefE; vgl. auch § 3 Abs. 1 UGB-KomE. 129 Krit. auch Rengeling (Fn. 65), S. 517. 130 Vgl. BMU (Fn. 1), UGB-KomE, S. 102. 131 §§ G 1 ff. UGB-RefE.

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scheiden. Hinzu tritt die typischerweise nicht gebietsbezogen begrenzbare Wirksamkeit und mitunter auch die Akkumulation diffuser Umweltbeeinträchtigungen. Im Interesse sowohl der Rechtssicherheit der betroffenen Unternehmen als auch eines ganzheitlich effektiven Umweltschutzes (Stichwort: Verlagerung der Verschmutzungspfade) bedarf es daher eines leistungsfähigen und rechtsstaatlich transparenten europäischen und internationalen Behördenkooperationsrechts.

V. Die flankierende Bedeutung indirekter Instrumente in einem zukünftigen UGB Zur Arrondierung des ordnungsrechtlichen Kerns eines künftigen UGB sollten bewusst ausgewählte, wesentliche umweltrechtsspezifische Instrumente indirekter Steuerung in ein UGB aufgenommen werden, um entweder eine zusätzliche komplexe Feinsteuerung132 oder Effizienzvorteile in allokativer Hinsicht133 zu erreichen und dadurch die Verwirklichung der mit dem Ordnungsrecht geteilten Umweltschutzzwecke zu unterstützen. Insbesondere sind Instrumente, die den betroffenen Unternehmen Handlungsspielräume belassen und (gerade überschießendes) umweltfreundliches Verhalten belohnen, geeignet, durch Anreize verschiedener Art das Eigeninteresse des Einzelnen in den Dienst der Ökologie zu stellen134 und dadurch Innovationsimpulse135 freizusetzen136. Dabei muss freilich dem Aspekt der Vermeidung von unverhältnismäßigen Belastungskumulationen stärker als bisher Rechnung getragen werden. Gerade ökonomische Instrumente, namentlich Umweltabgaben, Emissionshandel137 sowie Umwelthaftung, stellen auch zusätzliche Belastungen für die betroffenen Unternehmen138 und mittelbar für die Verbraucher und insoweit Marktstörungen

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Lübbe-Wolff (Fn. 62), Modernisierung, S. 105 ff. Lübbe-Wolff (Fn. 62), Modernisierung, S. 103. 134 Kloepfer (Fn. 62), S. 10. 135 Zur Innovationsfunktion des Rechts allgemein sowie speziell im Umwelt- und Technikrecht s. W. Kahl, ZRph 2004, 1 ff. 136 Freilich ist dies auch bei einer ordnungsrechtlichen Regulierung nicht ausgeschlossen, wenn der Betroffene auf konkrete Ver- und Gebote innovativ reagieren muss, um seine wirtschaftliche Tätigkeit fortzuführen, vgl. Engel (Fn. 63), S. 27. Unbeschadet dessen stellen ordnungsrechtliche Verbote stets eine Alles-oder-nichts-Lösung dar, die auch scheitern kann, während „weiche“ Konzepte auch eine graduelle Annäherung ermöglichen und daher schrittweise Innovationen „belohnen“. 137 Vgl. L. Diederichsen (Fn. 37), S. 846 ff.; B. Hillebrand, ZAU 2005, 9 (12); A. Ockenfels, FAZ Nr. 92 v. 20. 4. 2006, S. 12; F. Shirvani, ZfU 2005, 155 (163). 138 Vgl. aus verfassungsrechtlicher Sicht die Auseinandersetzung um die Vereinbarkeit des Emissionshandelsrechts mit dem (europäischen) Eigentumsgrundrecht BVerwG, NVwZ 2005, 1178 (1181 f.); krit. dazu L. Diederichsen (Fn. 37), S. 847 ff., der von „in Einzelfällen einschneidenden Wirkungen für die betroffenen Unternehmen bis hin zur Existenzgefährdung“ spricht. Grundsätzlich zum Ganzen R. Schmidt, in: 133

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dar139, die vor dem Hintergrund standortpolitischer Grundsatzentscheidungen auf europäisierten und globalisierten Märkten, aber auch im Hinblick auf die betroffenen Grundrechte einer besonderen Rechtfertigung bedürfen. Angesichts der in Deutschland bestehenden hohen Gesamtbelastung von Unternehmen und Verbrauchern durch ökologische Kosten sollte ein Mehr an ökonomischen Instrumenten in einigen Bereichen grundsätzlich durch eine Zurücknahme anderweitiger Belastungen140 ausgeglichen werden (Deregulierungs- und Substitutionslösung als rechtspolitische Forderungen)141. Anlässlich der Kodifizierung des Umweltaudits in einem UGB sollte beispielsweise geprüft werden, wie die Attraktivität dieses freiwilligen Instruments durch eine Rücknahme ordnungsrechtlicher Regelungen und verfahrensrechtlicher Erleichterungen gesteigert werden kann142. Nach allgemeiner Einschätzung bedarf EMAS zusätzlicher Teilnahmeanreize auf europäischer143, nationaler und regionaler144 Ebene145. Für das UGB bedeutet dies, dass der heute erreichte Stand an Privilegierungen für EMAS-Anlagen146 vollständig festgeschrieben, im Rahmen des EG-rechtlich und unter Beachtung der Prämisse funktionaler Äquivalenz Möglichen aber zuR. Stober/H. Vogel, Umweltrecht und Umweltgesetzbuch aus wirtschaftsrechtlicher Perspektive, 2001, S. 11 ff. 139 M. Kloepfer, ZfU 1996, 56 (62). 140 Vgl. Franzius (Fn. 4), S. 105. 141 Vgl. Schmidt-Preuß (Fn. 4), S. 323 f. Zur Attraktivität des Modells „Umweltpakt Bayern“ aus diesem Grund P. M. Huber, DVBl 1999, 489 (492). 142 Siehe zu solchen Substitutionsmodellen W. Ewer, in: Gesellschaft für Umweltrecht, Umweltrecht im Wandel, 2001, S. 353 ff.; Koch/Borchhardt/Haag/Laskowski (Fn. 80), S. 266 ff. 143 Die Stichworte lauten hier: Konkurrenzfähigkeit gegenüber dem globalen Qualitätsmanagementsystem EN ISO 14001 (dazu bereits Verordnung [EG] Nr. 196/2006, ABlEG 2006 Nr. L 32, S. 4); Zurückführung der Validierungspflicht für KMUs von jährlich auf 3 Jahre; Ausbau der Werbemöglichkeiten mit dem EMAS-Logo; Verknüpfung der EMAS-VO mit der IVU-RL; Ausbau von EMAS zu einem Baustein nachhaltiger Unternehmensführung. Vgl. dazu C. Behrens/A. Heck/S. Wirth, Anreiz und Belohnungsregelungen für EMAS-Organisationen auf europäischer Ebene und Bewertung hinsichtlich der nationalen Umsetzbarkeit, UBA-Texte 72/03, 2003. 144 Z. B. durch eine stärkere finanzielle (Anschub-)Förderung der Teilnahme am EMAS oder eine – in einigen Ländern bereits praktizierte – Gebührenreduzierung im (immissionsschutzrechtlichen) Genehmigungsverfahren. Zur geltenden Rechtslage vgl. die Situation in Bayern; näher dazu http://www.stmugv.bayern.de/de/service/gesetz/ emas.htm (abgerufen am 3. 7. 2006); aus dem Schrifttum: F. Beck/F. Weichelt, EurUP 2006, 22 ff. 145 Vgl. L. Knopp, NVwZ 2001, 1098 (1102); A. Schmidt-Räntsch, EurUP 2006, 2 (6 ff.); M. S. Wenk, EurUP 2006, 9 ff. 146 Maßgeblich sind aktuell die auf der Grundlage der §§ 58e BImSchG, 55a KrW-/AbfG, 21h WHG erlassene EMAS-Privilegierungsverordnung, BGBl I 2002, 2247, sowie das Gesetz zur Umsetzung von Vorschlägen zu Bürokratieabbau und Deregulierung aus den Regionen v. 21. 6. 2005 (BGBl I 1666). Vgl. zum Status quo Jarass (Fn. 122), S. 314 ff.; ders., DVBl 2003, 298 (303 ff.); A. Schmidt-Räntsch, EurUP 2006, 2 (5 f.).

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gleich weiter ausgebaut werden sollte147, etwa durch Haftungserleichterungen, durch eine Erweiterung des Kompetenzbereichs der Umweltgutachter im Hinblick auf fachgesetzlich geregelte Aufgaben von Sachverständigen bzw. sachverständigen Stellen148 oder durch den Einbau der Umwelterklärung als Nachhaltigkeitsbericht in ein größeres System nachhaltiger Unternehmensführung149. Die Privilegierungen könnten dabei im UGB selbst geregelt werden, was den positiven Nebeneffekt hätte, dass die EMAS-Privilegierungsverordnung150 überflüssig würde. 1. Umweltabgaben Ob und inwieweit Umweltabgaben151 in den Allgemeinen Teil eines künftigen UGB integriert werden sollten, bedarf aufgrund der Inhomogenität bestehender Abgabeninstrumente152 einer differenzierten Beantwortung. Angesichts der jüngeren Rechtsprechung des BVerfG zur verfassungsrechtlichen Zulässigkeit von Sonderabgaben153, die insbesondere über eine Aufweichung des Kriteriums der gruppennützigen Verwendung des Abgabenaufkommens154 die Gestaltungsspielräume des Gesetzgebers tendenziell eher erweitert als kanalisiert hat, dürften Umweltsonderabgaben trotz verschiedener Defizite155 auch in Zukunft eine zentrale Rolle spielen. Sonderabgaben entziehen sich indes aufgrund erheblicher Unterschiede hinsichtlich der Bemessung, des Abgabentatbestandes, der Verwendung und der in Anspruch genommenen Ab147 Dazu, dass die bisherigen Privilegierungen noch nicht weit genug gehen, vgl. P. M. Huber/F. Wollenschläger, WiVerw 2005, 212 (215). 148 Im Kern geht es hierbei um eine Vermeidung von Doppelprüfungen und zusätzlichen Kosten. 149 Ähnlich A. Schmidt-Räntsch, EurUP 2006, 2 (7 f.). 150 Siehe o. Fn. 146. 151 Überblick zu den verschiedenen Modellen bei R. Hendler, in: Gesellschaft für Umweltrecht, Umweltrecht im Wandel, 2001, S. 285 ff.; Janssen (Fn. 19), S. 36 ff.; U. Sacksofsky, Umweltschutz durch nicht-steuerliche Abgaben, 2000, S. 26 ff.; aus ökonomischer Sicht stellvertretend H. Zimmermann/M. Wohltmann/B. Hansjürgens, Umweltabgaben und Innovation, 1996, S. 23 ff. 152 Zu den für eine Aufladung mit umweltspezifischen Steuerungszielen in Betracht kommenden Abgabentypen stellvertretend P. Selmer, in: R. Breuer/M. Kloepfer/P. Marburger/M. Schröder, Umweltschutz durch Abgaben und Steuern, 1992, S. 15 (21 ff.). 153 Vgl. insbesondere BVerfGE 113, 128 (150 ff.) – Klärschlammentschädigungsfonds; BVerfGE 119, 370 (387 ff.) – Abfallverbringungsabgabe. 154 Vgl. hierzu kritisch K. F. Gärditz, AbfallR 2006, 34 (37 f.); ders., AbfallR 2004, 284 (286); M. Kloepfer, ZUR 2005, 479 ff.; ders., ZUR 2006, 34 (37); F. Ossenbühl, DVBl 2005, 667 (671 ff.); P. Selmer, JuS 2005, 1136 (1137 f.). Zur vorherigen Entwicklung der Rechtsprechung ausführlich H.-J. Koch, in: Festschr. f. Selmer, 2004, S. 769 ff. 155 Stellvertretend hierzu F. Kirchhof (Fn. 73), S. 101 ff.

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gabenschuldner einer einheitlichen Systembildung156 und eignen sich daher nicht für eine Kodifikation im UGB-AT. Insbesondere infolge der verfassungsrechtlichen Restriktionen, Sonderabgaben nur von einer homogenen und finanzierungsverantwortlichen Gruppe zu erheben und zu deren Gunsten zu verwenden157, bleibt diese Gruppe von Umweltabgaben weitgehend an bereichsspezifische Handlungsrationalitäten gebunden, die eine Kodifizierung sperren bzw. nur auf einer höchst abstrakten und damit weitgehend wertlosen Ebene zulassen. Einen Ansatzpunkt für eine Vereinheitlichung böte zwar eine allgemeine Ressourcennutzungsabgabe158. Das dahinter stehende Konzept zielt darauf ab, externe Kosten der Umweltschäden zu internalisieren159, setzt aber damit sowohl die Quantifizierbarkeit umweltbezogener Gemeinlasten als auch eine Verwendung zur Kompensation zurechenbarer Umweltschäden voraus160. Nicht zuletzt aufgrund der damit verbundenen praktischen Schwierigkeiten ist ein solches ökonomisches Konzept bislang noch nicht konsequent verwirklicht worden161. Vielmehr erfüllen die verschiedenen fachgesetzlichen Umweltabgaben sehr verschiedene Steuerungsaufgaben und leiten ihre konzeptionelle sowie verfassungsrechtliche Legitimation aus divergierenden Modellen einer Lastenzurechung und -verteilung ab. Aufgrund ihrer systematischen und konzeptionellen Einbindung in Regelungskonzepte außerhalb des Umweltverwaltungsrechts verschließen sich Umweltsteuern einer Kodifikation. Diese können zwar als flankierende Instrumente („Ökosteuern“)162 umweltschützende Lenkungsaufgaben erfüllen, werden jedoch aufgrund ihrer Bemessung nach der Leistungsfähigkeit163 und ihrer Finanzie-

156 Positiver A. Schmidt, in: ders., Das Umweltrecht der Zukunft, 1996, S. 185 (192 f.), der aber den Vorzug der Festschreibung einer Zweckbindung (§ 81 UGBProfE) als besondere Systematisierungsleistung überschätzen dürfte. 157 BVerfGE 108, 186 (214 ff.); 101, 141 (147 ff.); 93, 319 (342 f.); 92, 91 (113 ff.); 91, 186 (201 ff.); 82, 159 (178 ff.); 78, 249 (266 ff.); 67, 256 (274 ff.); 55, 274 (306 ff.). 158 In diesem Sinne noch die §§ 77 ff. UGB-ProfE. Vgl. ausführlich zu Umweltnutzungsabgaben Sacksofsky (Fn. 151), S. 196 ff. Einen Ansatzpunkt für eine verfassungsrechtliche Legitimation bietet hierbei die Wasserpfennig-Entscheidung des BVerfG (E 93, 319 [345 ff.]). 159 Vgl. Engel (Fn. 63), S. 26; Franzius (Fn. 4), S. 121 f.; Janssen (Fn. 19), S. 26 ff.; M. Kloepfer, ZfU 1996, 56 (65); Schmidt-Preuß (Fn. 4), S. 315. 160 Siehe grundlegend bereits M. Kloepfer, DÖV 1975, 593 ff. 161 Allenfalls unvollkommene Ansätze enthält das AbwAG. Siehe auch §§ 403 ff. UGB-KomE. 162 Siehe hierzu BVerfGE 110, 274 (291 ff.); J. Hey, NJW 2000, 640 ff.; Jansen, ZUR 2003, 257 ff.; J. Lang, in: R. Breuer/M. Kloepfer/P. Marburger/M. Schröder, Umweltschutz durch Abgaben und Steuern, 1992, S. 55 ff.; S. Müller-Franken, JuS 1997, 872 ff.; M. Rodi, Umweltsteuern, 1993. 163 Der Lenkungszweck drückt sich daher nicht im Belastungstatbestand aus, sondern wird mittelbar angesteuert, vgl. Hendler (Fn. 151), S. 299.

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rungsfunktion für den allgemeinen Staatshaushalt systematisch nicht sinnvoll in ein allgemeines Umweltverwaltungsrecht integrierbar sein164. Erwägbar ist allenfalls, die bislang nur im Naturschutzrecht ausdifferenzierte Kompensationsabgabe für Eingriffe in Natur und Landschaft165 zu verallgemeinern und in einem übergreifenden Kompensationsinstrument bei planungsrelevanten Vorhaben aufgehen zu lassen. Für diese Regelung alleine bedürfte es dann freilich keines eigenen Abschnitts „Umweltabgaben“ innerhalb des UGBAT mehr. Mehr Aussicht auf Erfolg166 verspräche daher eine Integration einzelner Abgabeninstrumente in das jeweilige besondere Fachrecht167 bzw. einen Besonderen Teil des UGB. Zwar enthalten sowohl der ProfE als auch der KomE weiter gehende allgemeine Regelungen über Umweltabgaben168. Diese sind jedoch hochgradig abstrakt und damit nicht selbstständig vollziehbar geblieben. Mangels Etablierung korrespondierender Umweltabgaben in der Praxis haben sie sich letztlich als funktionslos erwiesen und hängen in der Luft. Demgegenüber enthalten die Besonderen Teile der genannten UGB-Entwürfe jeweils eine Reihe selbstständiger Bestimmungen betreffend schon bisher etablierte Umweltabgaben169 und unterstreichen damit, wo der geeignete Regelungsstandort für diese Materie zumindest im Schwerpunkt liegen dürfte. 2. Umweltinformationsrecht Eine zukünftig noch weiter wachsende Rolle170 nimmt, wie bereits dargelegt, das – gemeinschaftsrechtlich ohnehin vorgegebene171 – Recht auf Zugang zu Umweltinformationen ein172. Dieses ist Teil einer Agenda, über Information 164 Vgl. auch Selmer (Fn. 152), S. 22, der mit Recht darlegt, dass eine verfassungsrechtliche Zuordnung zu den Steuern (vgl. Art. 105 ff. GG) und ihren Legitimationsvoraussetzungen nicht durch eine „ökologische“ Motivation beeinflussbar ist. 165 § 262 Abs. 3 UGB-KomE; § 19 Abs. 4 2. Hs. BNatSchG, jeweils i.V. m. Landesnaturschutzrecht. 166 Wie auch im UGB-KomE verwirklicht, vgl. §§ 262 Abs. 3, 403 ff., 439, 699 Abs. 2, 768 ff. UGB-KomE. 167 So im Ergebnis bereits R. Breuer, 59. DJT (1992), B 105 f. 168 §§ 77 ff. UGB-ProfE; §§ 190 ff. UGB-KomE. 169 § 181 Abs. 4 (naturschutzrechtliche Ausgleichsabgabe); §§ 271 ff. (Abwasserabgabe); §§ 590 ff. (Abfallabgabe) UGB-ProfE; § 262 Abs. 3 (naturschutzrechtliche Ausgleichsabgabe); §§ 403 ff. (Abwasserabgabe); §§ 413 ff. (Grundwasserentnahmeabgabe); §§ 438 f. (Straßen- und Luftverkehrsabgabe); §§ 768 ff. (Abfallabgabe); § 699 Abs. 2 (Abgabe zur Finanzierung des Klärschlammentschädigungsfonds); § 765 Abs. 2 S. 2 (Abgabe zur Finanzierung des Abfallrückführungsfonds) UGB-ProfE. 170 Vgl. auch J. Sanden, ZfU 2004, 473 (490 ff.). 171 Vgl. Richtlinie 2003/4/EG (Fn. 31). 172 Eingehend Kloepfer (Fn. 4), § 5 Rn. 311 ff.

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und Partizipation sowie über eine Mobilisierung des Einzelnen den Vollzug des Umweltrechts einheitlich und wirksam sicherzustellen173. Zwar lassen sich Umweltinformationsansprüche des Einzelnen systematisch einem öffentlichen Informationsrecht zuordnen, das durch die verschiedenen Informationsfreiheitsgesetze des Bundes174 und der Länder zunehmend zu einem eigenständigen Rechtsgebiet kondensiert175. An dem schon bisher bestehenden Konzept eines Sonderrechts für Umweltinformationen sollte indes festgehalten werden. Das Umweltinformationsrecht hat sich als Instrument flankierender Vollzugskontrolle und indirekter Steuerung176 bewährt und hier Regelungen ausdifferenziert, die umweltspezifischen Rationalitäten folgen177. Durch eine Aufnahme in ein künftiges UGB wird diesen Besonderheiten Rechnung getragen und der rechtssystematische Zusammenhang mit der Erfüllung öffentlicher Aufgaben im Umweltbereich beibehalten. Der Gedanke der Instrumentalisierung privater Initiative zur altruistischen Durchsetzung von Umweltbelangen hat im Umweltrecht Tradition178 und kann auch im nationalen Umweltrecht auf ein funktionierendes System einer organisierten Öffentlichkeit als Kontrollinstanz179 aufbauen. Fortan wird das Recht auf Zugang zu Umweltinformationen aufgrund der EGrechtlichen Vorgaben gezielt mit einer Erweiterung privater Klagebefugnisse kombiniert. Konkretisierungsbedarf auf der Ebene des UGB-AT zeichnet sich hier möglicherweise für den Schutz der Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse ab, der unmittelbarer Ausdruck der Grundrechte betroffener Unternehmer ist180, durch die vermehrten Informationsbegehren aber oft auf eine harte Probe gestellt wird. Als ebenfalls staatliches Informationsrecht systematisch in diesem Kontext zu verorten wären Regelungen betreffend die umweltbezogene Informationstätigkeit staatlicher Behörden. Eine gesetzliche Regelung (umweltbezogener) behördlicher Informationen, Hinweise, Warnungen und Empfehlungen181 sollte 173

Siehe oben Fn. 30. BGBl I 2005, 2722. Einführend hierzu M. Kloepfer/K. v. Lewinski, DVBl 2005, 1277 ff.; D. Kugelmann, NJW 2005, 3609 ff. 175 Vgl. insoweit die systematische Verselbstständigung durch M. Kloepfer, Informationsrecht, 2002 sowie F. Schoch/M. Kloepfer/H. Garstka, Informationsfreiheitsgesetz (IFG-ProfE), 2002. Zur Entwicklung M. Rossi, Informationszugangsrecht und Verfassungsrecht, 2004, S. 57 ff.; zu den kompetenzrechtlichen Fragen M. Kloepfer, K&R 2006, 19 ff. 176 C. Franzius, AöR 126 (2001), 403 (406); Kloepfer (Fn. 4), § 5 Rn. 316, 381 ff. 177 Zu den Unterschieden Schrader, ZUR 2005, 571 ff. 178 Vgl. auch B. W. Wegener, in: A. Schmidt, Das Umweltrecht der Zukunft, 1996, S. 153 (154). 179 Vgl. Lübbe-Wolff (Fn. 80), S. 102. 180 Vgl. BVerfG, DVBl 2006, 694 (695 ff.); J. Beer/A. Wesseling, DVBl 2006, 133 (134 ff.); T. v. Danwitz, DVBl 2005, 597 ff. 181 Hierzu eingehend Kloepfer (Fn. 4), § 5 Rn. 382 ff.; Schoch (Fn. 30), Rn. 76 ff. Vgl. zur Diskussion bereits frühzeitig R. Gröschner, DVBl 1990, 619 ff.; G. Lübbe174

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aufgrund der hiermit regelmäßig verbundenen erheblichen faktischen Auswirkungen182 auch in ein künftiges UGB aufgenommen werden. Unbeschadet der verfehlten183 Rechtsprechung des BVerfG184 handelt es sich nämlich grundsätzlich um staatliche Maßnahmen im grundrechtsrelevanten Bereich (Grundrechtseingriffe), die im Interesse rechtsstaatlicher Normenklarheit und Vorhersehbarkeit sowie demokratischer Determination auf eine ausdrückliche gesetzliche Grundlage gestellt werden müssen185. 3. Umwelthaftungsrecht Das Umwelthaftungsrecht186 sollte als flankierendes Instrument neben dem ordnungsrechtlichen Instrumentarium beibehalten werden, da es eine über die umweltrechtlichen Schädigungsverbote, an die Haftungsregelungen regelmäßig anknüpfen187, hinausgehende und als Anreiz auch durch das Recht sinnvoll nutzbare Präventionswirkung entfaltet188. Ein öffentlich-rechtliches Haftungsregime, das vor allem auf den Ersatz behördlicher Aufwendungen für Sanierungsund sonstige Schadensbeseitigungsmaßnahmen gerichtet ist189, sollte wie bisher durch ein privatrechtliches Haftungsregime190 ergänzt werden. Eine besondere umweltprivatrechtliche Haftungsregelung erscheint freilich nur dann sinnvoll, wenn sie Haftungstatbestände oder flankierende Instrumente enthält, die über eine allgemeine bürgerlich-rechtliche Deliktshaftung hinausgeWolff, NJW 1987, 2705 ff.; F. Ossenbühl, Umweltpflege durch behördliche Warnungen und Empfehlungen, 1986; F. Schoch, DVBl 1991, 667 ff. 182 M. Kloepfer, ZfU 1996, 56 (59); ders., ZfU 1996, 200 (201). 183 Vgl. die unterschiedlich weit gehende Kritik von P. M. Huber, JZ 2003, 290 ff.; Kloepfer (Fn. 4), § 5 Rn. 388; D. Murswiek, NVwZ 2003, 1 ff.; Schoch (Fn. 30), Rn. 72 ff., 111 ff. 184 BVerfGE 105, 252 (266 ff., insbesondere 268); 105, 279 (295, 301 ff.). Das Gericht leitet die Informationskompetenz, soweit es überhaupt eine Grundrechtsrelevanz bejaht, bereits aus der Staatsleitungskompetenz der Regierung ab, die das Recht zur Öffentlichkeitsarbeit einschließe. 185 So im Ergebnis auch § 107 UGB-ProfE; § 214 UGB-KomE; R. Breuer, 59. DJT (1992), B 108 f.; Kloepfer (Fn. 4), § 5 Rn. 388; ders., ZfU 1996, 200 (201). 186 Zur Instrumentendiskussion stellvertretend die Beiträge in: Umweltbundesamt (Hrsg.), Haftung als Instrument des Umweltschutzes, 2003; Franzius (Fn. 4), S. 131 ff. 187 Vgl. am Beispiel des § 22 WHG Breuer (Fn. 51), Rn. 1099 f. 188 G. Lübbe-Wolff, NVwZ 2001, 481 (485). Skeptisch allerdings M. Kloepfer, ZfU 1996, 56 (66), mit dem Hinweis, die Versicherbarkeit solcher Risiken reduziere die Präventionswirkung; eine Verhaltensbeeinflussung hänge daher im Wesentlichen von der Gestaltung der Versicherungsbedingungen ab. 189 Vgl. etwa §§ 4 III, 9, 24 BBodSchG; Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates v. 21. 4. 2004 über Umwelthaftung zur Vermeidung und Sanierung von Umweltschäden, ABlEU 2004 L 143, S. 56 (EG-Umwelthaftungsrichtlinie). 190 Zum Verschwimmen der Grenzen zwischen privatem und öffentlichem Recht im Rahmen indirekter Steuerungsansätze Franzius (Fn. 4), S. 109 ff.

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hen191. Haftungstatbestände müssen insoweit an umweltspezifische Gefährdungslagen anknüpfen, die ein Abweichen von der verschuldensabhängigen Deliktshaftung nach bürgerlichem Recht192 legitimieren. Beweggründe hierfür sind die regelmäßige Komplexität umweltschädigender Kausalverläufe einerseits und die Zurechenbarkeit von Risiken andererseits, die aus einer signifikanten Erhöhung der Schadenseintrittswahrscheinlichkeit bei bestimmten Handlungen (z. B. der Betrieb einer Anlage oder der Umgang mit Gefahrstoffen) hervorgehen. Instrumente hierfür wären etwa eine schon bisher sektoral etablierte Gefährdungshaftung193 für besonders riskante oder unerprobte Technologien, eine Beweislastumkehr bzw. Ursachenvermutung194, Auskunftsansprüche des Geschädigten195 oder Versicherungs- und Deckungsvorsorgepflichten196. Eine Regelung im Rahmen eines Allgemeinen Teils eines künftigen UGB müsste vor allem systematische Regelungen über den Haftungsgrund und die ersatzfähigen Schäden197 enthalten und könnte durch (freilich völkerrechtskonform zu gestaltende) Bestimmungen betreffend grenzüberschreitende Haftungsfragen ergänzt werden. Hier bestünde gegenüber dem UGB-KomE, der weitgehend nur die bisherigen sektorenspezifischen Regelungen fortgeschrieben hat198, durchaus noch Potential zu weiterer gesetzlicher Systembildung. So ließe sich etwa die Haftung für Schadstoffeinbringungen in Gewässer199 auch auf andere Umweltmedien übertragen (z. B. Bodeneinträge)200. 4. Konsensuale und informale Instrumente Als weiche Steuerungsmittel kommen auch konsensuale Instrumente, namentlich informale Absprachen, Umweltvereinbarungen201 und Selbstverpflichtungs191

Vgl. stellvertretend für das Wasserrecht Breuer (Fn. 51), Rn. 1095. §§ 823, 826 BGB. 193 Vgl. §§ 173 ff. UGB-KomE; §§ 25, 25a AtomG; § 32 Abs. 1 GenTG; §§ 1, 2 UmweltHG; § 22 WHG. 194 §§ 6, 7 UmweltHG. 195 §§ 123 f. UGB-ProfE. 196 Vgl. §§ 430 ff. UGB-ProfE; § 14 AtomG; § 19 UmweltHG. 197 Siehe hierfür etwa die differenzierten Regelungen in den §§ 8 ff. UmweltHG; §§ 172 ff. UGB-KomE. 198 §§ 173–175 UGB-KomE entsprechen weitgehend den genannten Regelungen des UmweltHG, GenTG und WHG. Vgl. zur Begründung BMU (Fn. 1), UGB-KomE, S. 95, 767 ff. 199 § 22 Abs. 1 S. 1 WHG. 200 Vgl. etwa § 115 UGB-ProfE: Haftung für Einbringungen in den Boden. Begründet wurde dies mit einer vergleichbaren Schutzbedürftigkeit des Bodens einerseits und der Gefährlichkeit von Einträgen andererseits, vgl. Kloepfer/Rehbinder/Schmidt-Aßmann/Kunig (Fn. 1), S. 422. 201 Zu informalen Umweltabsprachen/Umweltvereinbarungen und ihren gemeinschaftsrechtlichen sowie verfassungsrechtlichen Grenzen siehe stellv. Fehling 192

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erklärungen, in Betracht. Eine eigenständige Regelung in einem zukünftigen UGB202 erscheint hierbei jedoch entbehrlich. Selbstverpflichtungserklärungen und informale Absprachen erlangen ihren praktischen Charme gerade durch ihre Informalität und mangelnde Rechtsverbindlichkeit, so dass sich die mit einer gesetzlichen Regelung einhergehende Formalisierung von vornherein als inadäquat erweisen dürfte. Im Übrigen bleibt es auch ohne explizite Regelung möglich, eine Selbstverpflichtung203 im Einzelfall im Rahmen des Entschließungsermessens oder der Verhältnismäßigkeit zu berücksichtigen. Was verbindliche Umweltvereinbarungen betrifft, so wird es sich hierbei durchweg um öffentlich-rechtliche 204 oder privatrechtliche Verträge handeln, die keine umweltspezifischen Besonderheiten aufweisen und durch das Vertragsrecht nach VwVfG205 und BGB, ggf. im Zusammenwirken mit wenigen bereichsspezifischen Spezialvorschriften in den umweltrechtlichen Fachgesetzen bzw. in einem Besonderen Teil des UGB206, angemessen zu bewältigen sind. 5. Unternehmensbezogener Umweltschutz, insbesondere Umweltaudit Unter den bestehenden Instrumenten unternehmensbezogenen Umweltschutzes207 eignet sich vor allem die Figur des Umweltschutzbeauftragten208 für eine (Fn. 124), S. 144 ff., 147 ff.; Schoch (Fn. 30), Rn. 108 ff., 114 ff.; zur europäischen Rechtslage s. auch Epiney (Fn. 43), S. 28 ff. 202 Vgl. § 35 UGB-KomE; dazu M. Kloepfer, in: E. Bohne, Das Umweltgesetzbuch als Motor oder Bremse der Innovationsfähigkeit in Wirtschaft und Verwaltung?, 1999, S. 161 (176 ff.). 203 Hierzu umfassend Faber (Fn. 125), S. 30 ff.; A. Helberg, Normabwehrende Selbstverpflichtungen als Instrumente des Umweltrechts, 1999, S. 48 ff.; G. Hucklenbruch, Umweltrelevante Selbstverpflichtungen – ein Instrument progressiven Umweltschutzes?, 2000; J. Knebel/L. Wicke/G. Michael/K. Zickert/G. Braeseke, Selbstverpflichtung und normsetzende Umweltverträge als Instrumente des Umweltschutzes, 1999; T. Köpp, Normvermeidende Absprachen zwischen Staat und Wirtschaft, 2001, S. 21 ff., 63 ff. Selbstverpflichtungen der Wirtschaft können unterschiedliche Ziele verfolgen. Nicht immer geht es nur um die Abwehr von ordnungsrechtlichen Belastungen, sondern vermehrt auch um die Bewältigung komplexer Problemlagen und die Befriedigung von Informationsbedürfnissen; siehe Schoch (Fn. 30), Rn. 35 ff.; M. Schröder, NVwZ 1998, 1011 (1013). 204 § 13 Abs. 4 BBodSchG (Sanierungsvertrag); § 8 BNatSchG i.V. m. Landesnaturschutzrecht („Vertragsnaturschutz“). 205 §§ 54 ff. VwVfG. 206 Nach dem Muster des städtebaulichen Vertrags; vgl. §§ 11, 12 BauGB; dazu W. Kahl, DÖV 2000, 793 ff. Anders noch §§ 36 ff. UGB-KomE; dazu Kloepfer (Fn. 202), S. 178 ff. 207 Vgl. hierzu die Beiträge von E. Rehbinder und H.-J. Papier, in: R. Breuer/M. Kloepfer/P. Marburger/M. Schröder, Umweltschutz und technische Sicherheit im Unternehmen, 1994, S. 29 ff. und S. 105 ff. 208 Vgl. stellv. § 425 UGB-KomE.

Diskussion

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Vereinheitlichung im Allgemeinen Teil eines künftigen UGB209. Die bisherigen sektoral gestreuten Regelungen über die verschiedenen Formen von Umweltschutzbeauftragten dienen nämlich schon de lege lata weitgehend homogenen Aufgaben des betrieblichen Umweltschutzes und sollten daher im Sinne eines integrativ-medienübergreifenden Ansatzes zusammengeführt werden. Was den unternehmensbezogenen Umweltschutz im Übrigen betrifft, fehlt es bislang an einem kohärenten Konzept. Vor allem reflexive Instrumente unternehmensbezogener Selbstkontrolle wie die Beteiligung am Umweltaudit können aber sinnvolle Beiträge zur Förderung einer eigenverantwortlichen Umweltpolitik darstellen und wertvolle Steuerungspotentiale freisetzen. Daher sollte das Umweltaudit in jedem Fall ein zentraler Bestandteil des Abschnitts über die Instrumente in einem zukünftigen UGB sein. Auch der KomE enthält hierzu in den §§ 164–169 einen eigenen Unterabschnitt innerhalb des Abschnitts „Betrieblicher Umweltschutz“210. Zu Recht verzichtet er dabei auf eine Erwähnung der ohnehin unmittelbar geltenden EG-EMAS-II-Verordnung211 (vgl. Art. 249 Abs. 2 EGV) und beschränkt sich im Kern auf Regelungen betreffend die Registrierung geprüfter Betriebsstandorte. Diese Regelungen treten an die Stelle des Umweltauditgesetzes, wobei allerdings die Berufsregelungen für Umweltgutachter nur in Gestalt einer Verordnungsermächtigung aufgenommen wurden. Die Vorschriften über die Einbeziehung nicht gewerblicher Unternehmen in das Gemeinschaftssystem haben sich vor dem Hintergrund der Ausdehnung des persönlichen Anwendungsbereichs des EMAS durch die EG-EMAS-II-Verordnung212 erledigt und sollten daher gestrichen werden. Im Gegenzug könnten sich aus der bevorstehenden Novelle der EG-EMAS-II-VO neuer Regulierungsbedarf ergeben, jedenfalls bedarf es einer frühzeitigen und antizipativen Abstimmung der Regulierung des Umweltaudits in einem UGB mit den (zukünftigen) europarechtlichen Vorgaben. Der Regelungsansatz des KomE überzeugt hinsichtlich des Umweltaudits grundsätzlich weiterhin, auch wenn er in manchen Punkten noch zu zurückhaltend-abwartend ist213. Positiv hervorzuheben ist 209

So im Ergebnis auch R. Breuer, 59. DJT (1992), B 107. Vgl. H. P. Johann, in: E. Bohne, Das Umweltgesetzbuch als Motor oder Bremse der Innovationsfähigkeit in Wirtschaft und Verwaltung?, 1999, S. 281 ff. 211 Verordnung (EG) Nr. 761/2001 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 19. 3. 2001 über die freiwillige Beteiligung von Organisationen an einem Gemeinschaftssystem für das Umweltmanagement und die Umweltbetriebsprüfung (EMAS), ABlEG 2001 Nr. L 114, S. 1; dazu D. Horneffer, ZUR 2001, 361 ff.; M. Langerfeldt, NVwZ 2001, 538 ff.; A. Schmidt-Räntsch, NuR 2002, 197 ff.; zum in der Folge novellierten Umweltauditgesetz (UAG) v. 30. 5. 2002 s. M. Langerfeldt, NVwZ 2002, 1156 ff. 212 Vgl. Art. 1 Abs. 1 i.V. m. Art. 2 lit. s) EG-EMAS-II-VO. 213 Dazu, dass im UGB-KomE das Potential des Umweltaudits nicht voll ausgeschöpft wurde, zutreffend K. Martini, in: E. Bohne, Das Umweltgesetzbuch als Motor oder Bremse der Innovationsfähigkeit in Wirtschaft und Verwaltung?, 1999, S. 343 (347). 210

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vor allem, dass mit nur sechs Paragrafen ein ganzes Gesetz wie das Umweltauditgesetz mit 35 Paragrafen ersetzt wird. Dies wäre ein notwendiger Deregulierungsschritt, ist doch das UAG im EU-Vergleich das längste nationale Umsetzungsgesetz. Dagegen verzichtet der RefE auf einen eigenen Abschnitt zum Umweltaudit und beschränkt sich stattdessen auf einzelne verstreute Implementationsregelungen. So finden sich etwa Inbezugnahmen des Umweltaudits bei den Vorschriften über die private Eigenverantwortung, die Sachverständigengutachten und das Sanierungskonzept. Hieran zeigt sich aber zugleich – pars pro toto – die Problematik des stark zurückgenommenen Regelungsansatzes des RefE: Mit einer solchen „kleinen Lösung“ werden, weil das Fachrecht daneben unberührt bestehen bleibt, die Hauptfunktionen einer Kodifikation verfehlt, die doch gerade darin liegen, den vorhandenen Normbestand zu straffen, die verschiedenen Einzelinstrumente in ein stimmiges Gesamtsystem des Umweltrechts einzupassen sowie das geltende Recht nach Möglichkeit punktuell und behutsam fortzuentwickeln und zu optimieren214. 6. Umweltzeichen Marktkommunikative Instrumente wie Umweltzeichen (Blauer Engel, EGUmweltzeichen etc.)215, die wettbewerbliche Mechanismen des nachhaltigen konsumptiven Verbraucherverhaltens aktivieren wollen216 und deren Bedeutung für den Umweltschutz in der Vergangenheit eher überschätzt wurde, können der Eigeninitiative der Wirtschaft überlassen werden. Eine Regulierung durch das UGB bedarf es nicht. Das Privatrecht, insbesondere das Recht des unlauteren Wettbewerbs und das Markenrecht, stellt hier bereits heute eine ausreichende rechtliche Plattform zur Verfügung, einen Missbrauch zu verhindern. 7. Umweltbezogene Kriterien im Vergabeund Subventionsrecht Verzichtet werden sollte in einem künftigen UGB auch auf Regelungen betreffend die Berücksichtigungsfähigkeit umweltbezogener Leistungsmerkmale217 214 Zu den innovativen Elementen im KomE vgl. H. Sendler, in: E. Bohne, Das Umweltgesetzbuch als Motor oder Bremse der Innovationsfähigkeit in Wirtschaft und Verwaltung?, 1999, S. 25 (44 ff.). 215 § 108 UGB ProfE; § 124 UGB-KomE. 216 Siehe dazu allgemein F.-M. Belz/M. Bilharz, WiVerw 2005, 261 ff. 217 Zur Zulässigkeit ökologischer Kriterien im Vergaberecht grundlegend EuGH, Rs. C-513/99 (Concordia Bus Finnland), Slg. 2002, I-7213; jetzt ausdrücklich geregelt in Art. 34 Abs. 3 lit. b Richtlinie 2004/17/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 31. 3. 2004 zur Koordinierung der Zuschlagserteilung durch Auftraggeber im

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bei der Beschaffung von Waren und Dienstleistungen in Vergabeverfahren der öffentlichen Hand218. Zwar lassen sich durch ein umweltfreundliches Beschaffungsverhalten nicht zuletzt in Anbetracht der hohen Staatsquote in Deutschland positive Steuerungswirkungen erzielen. Doch entfalten diese mittelbaren Reflexe staatlicher Umweltschutzverwirklichung von vornherein nur in Vergabeverfahren ihre Wirkung, sind einer Isolierung mithin nicht zugänglich und daher systematisch im Vergaberecht219 richtig angesiedelt. Gleiches wird für die verschiedenen und nur schwer zu systematisierenden220 Subventionen221 gelten. Zwar können Umweltschutzziele eine Subventionierung unter Umständen rechtfertigen. Die Zulässigkeit von Umweltsubventionen im weiteren Sinne beurteilt sich jedoch bei Konflikten um den Zugang zu einer unverfälschten Leistungserbringung maßgeblich nach wettbewerblichen Gesichtspunkten und marktspezifischen Rationalitäten. Derartige Sonderfragen sind für eine umweltverwaltungsrechtsspezifische Kodifikation kaum geeignet und sollten daher auch künftig im Regelungszusammenhang insbesondere des EGBehilfen-, Vergabe-, Haushalts- und Steuerrechts verbleiben. Dies gilt auch für die Gewährung von Benutzungsvorteilen, also gezielte Wettbewerbsvorteile für umweltfreundliche Produkte222, die spezifische Fragen des jeweiligen Produktrechts und nicht in erster Linie des Umweltrechts betreffen.

VI. Resümee Die Euphorie für die sog. „weichen“ bzw. ökonomischen Instrumente, welche noch die umweltwissenschaftlichen Debatten der achtziger Jahre prägte, gehört mittlerweile der Vergangenheit an. Sie ist einer differenzierten Betrachtung anhand der Gesichtspunkte der Effektivität, der Effizienz, der (sozialen) Verteilungsgerechtigkeit und der Freiheitlichkeit anstelle von Pauschalurteilen223 gewichen. Dabei sind insgesamt eher nüchterner Realismus bis hin zu Skeptizismus eingekehrt224.

Bereich der Wasser-, Energie- und Verkehrsversorgung sowie der Postdienste, ABlEG 2004 L 134, S. 1. 218 Hierzu stellvertretend G. Britz, in: J.-P. Schneider, Beihilfe- und Vergaberecht als Rahmenbedingungen der Umweltpolitik, 2005, S. 109 ff. 219 §§ 97 ff. GWB. 220 Vgl. R. Breuer, 59. DJT (1992), B 106. 221 Zu den verschiedenen Subventionstypen und ihren umweltrechtlichen Implikationen Kloepfer (Fn. 4), § 5 Rn. 193 ff. Zur Steuerung durch Umweltsubventionen C. Franzius, AöR 126 (2001), 403 (408 f.). 222 Vgl. Kloepfer (Fn. 4), § 5 Rn. 190 f. 223 Zu Recht gegen jede Form von Pauschalurteilen bei der Beurteilung der Leistungsfähigkeit umweltpolitischer Instrumente: G. Lübbe-Wolff, NVwZ 2001, 481 (483).

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Zu übertriebenen Hoffnungen auf eine Deregulierung und Entbürokratisierung durch den Einsatz indirekter Instrumente besteht nach den bisherigen praktischen Erfahrungen kein Anlass, wie zuletzt das Beispiel des Emissionszertifikatehandels belegt. Dass der mehrstufige, differenzierte Normenkomplex aus TEHG, NAPG, ZuG 2007, ZuV 2007 und EHKostV 2007225 bzw. die neu gegründete Deutsche Emissionshandelsstelle (DEHSt) im Umweltbundesamt als Musterbeispiele einer Deregulierung bzw. Entbürokratisierung gelten können, wird wohl niemand ernsthaft behaupten226. Auch – irreführend – sog. „marktwirtschaftliche“ Systeme bedürfen regelmäßig nicht nur eines ordnungsrechtlichen Rahmens, sondern – wie die §§ 7 ff. ZuG 2002227 zeigen – infolge der Komplexität der geregelten Sachfragen und der Vielfalt kollidierender Interessen zahlreicher, ins Detail gehender Sonderregelungen und Ausnahmen. Aber auch andere Beispiele indirekter Instrumente mahnen in puncto Deregulierung und Entbürokratisierung zur Vorsicht: Die Bonität des Selbstregulierungssystems Umweltaudit etwa fordert von neutraler, sprich staatlicher Seite zu prüfende Kriterien wie Fachkunde, Unabhängigkeit und Zuverlässigkeit der Umweltgutachter(organisationen). Diese Kriterien müssen im Einzelnen gesetzlich geregelt sein. Zudem muss das Verfahren der Zulassung der Umweltgutachter(organisationen) exakt normiert werden228. EMAS hat darüber hinaus einen Bedarf nach neuen Behörden geweckt, der sich an der DAU mbH, dem Umweltgutachterausschuss und dem Prüfungsausschuss229 ablesen lässt. Deregulierung und Entbürokratisierung, die als politische Ziele zu begrüßen sind230, die aber nicht zu Lasten des über Jahrzehnte erreichten materiellen Standards und damit des hohen Umweltschutzniveaus gehen dürfen, sind nur

224 Ähnlich bereits aus Sicht der Umweltökonomie P. Michaelis, Ökonomische Instrumente in der Umweltpolitik, 1996, S. 59 ff. (86 f.), 89 ff., 107 ff., der feststellt, dass die Mehrzahl der praktisch eingesetzten ökonomischen Instrumente bei näherer Betrachtung nur geringe Ähnlichkeit mit ihrem theoretischen Ideal aufweist (ebd., S. 86). 225 Siehe dazu L. Diederichsen (Fn. 37), S. 835 ff., 841 ff. 226 Ebenso Körner (Fn. 7), in: Festschr. f. Raue, S. 150 f. (150: „erinnert eher an ein Suchspiel denn an das Ergebnis systematisierender Bemühungen“); U. Mutschler/ M. Lang, DB 2004, 1711 (1712; „beeindruckendes Kollosalgebilde“); vgl. auch SRU, ZAU 2003/2004, 1 (8). 227 Zu den zahlreichen, mit diesen Bestimmungen verbundenen Unklarheiten und Auslegungsschwierigkeiten vgl. L. Diederichsen (Fn. 37), S. 849 ff.; K. Dienes, RdE 2005, 214 (221); D. Weinreich/S. Marr, NJW 2005, 1078 ff. 228 Dazu mit Blick auf die Zulassung der Umweltgutachter G. Lübbe-Wolff, NuR 1996, 217 (218). 229 Kritisch im Hinblick auf die Gefahr einer Konfusion von öffentlicher Gewaltausübung und privater Selbstregulierung in diesem Zusammenhang U. Di Fabio, VVDStRL 56 (1997), 235 (265). 230 Informativ C. D. Klepper, Bürokratieabbau in Deutschland, 2005.

Diskussion

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begrenzt über eine Instrumentenwahl herbeizuführen. Zu denken ist etwa an eine noch stärkere punktuelle Ersetzung von Genehmigungserfordernissen durch Anzeigepflichten bei gleichzeitigem Recht des Unternehmers, freiwillig für eine Genehmigung zu optieren231. Im Übrigen werden die Bereinigung des zu dichten Normbestandes sowie die Beschleunigung von Verwaltungsverfahren (insbesondere Planfeststellungsverfahren) sowie Gerichtsverfahren232 die Mittel der ersten Wahl bleiben. Dabei ist nicht zu übersehen, dass bereits eine Kodifikation des Umweltrechts als solche infolge der hiermit verbundenen Einschmelzung des Normenbestandes und des Übergangs zur Einheitsgenehmigung und Einheitsbehörde233 ein Deregulierungs- und Entbürokratisierungsprojekt par excellence ist234. Freilich setzt dies entscheidend voraus, dass die Kodifikation auch inhaltlich und umfangmäßig gelingt, etwa dass eine künftige integrierte Vorhabengenehmigung mit umfassender, auch die wasserrechtliche Gestattung mit einbeziehender, Konzentrationswirkung ausgestattet wird235.

231 Vgl. §§ 15, 16 BImSchG i. d. F. des Gesetzes zur Beschleunigung und Vereinfachung immissionsschutzrechtlicher Genehmigungsverfahren v. 9. 10. 1996, BGBl I 1498. 232 In diesem Bereich ist bereits Wesentliches erreicht worden; vgl. das Verkehrswegebeschleunigungsgesetz v. 16. 12. 1991, BGBl I 2174; das Planungsvereinfachungsgesetz v. 17. 12. 1993, BGBl I 2123; das Genehmigungsbeschleunigungsgesetz v. 12. 9. 1996, BGBl I 1354 sowie das Gesetz zur Beschleunigung und Vereinfachung immissionsschutzrechtlicher Genehmigungsverfahren v. 9. 10. 1996, BGBl I 1498; aus neuerer Zeit vgl. den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Verkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetzes v. 3. 11. 2005, BT-Drs. 16/45, den Entwurf eines Gesetzes zur Reduzierung und Beschleunigung von immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahren v. 26. 4. 2006, BT-Drs. 16/1337 sowie den – der vorzeitigen Auflösung des Bundestages im Jahre 2005 zum Opfer gefallenen – Entwurf eines Infrastruktur-Planungsbeschleunigungsgesetzes (InPBeschlG) v. 19. 5. 2005 (BR-Drs. 363/05), wieder aufgegriffen durch den Entwurf eines Gesetzes zur Beschleunigung von Planungsverfahren für Infrastrukturvorhaben (BT-Drs. 16/54); aus dem Schrifttum vgl. nur H. Lecheler, DVBl 2005, 1533 ff.; H.-W. Rengeling (Hrsg.), Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsverfahren – Deregulierung, 1996; J. Ziekow/M. P. Oertel/A. Windoffer, Dauer von Zulassungsverfahren – eine empirische Untersuchung zu Implementation und Wirkungsgrad von Regelungen zur Verfahrensbeschleunigung, 2005. 233 Grundlegend dazu C. Calliess (Fn. 46), S. 73 ff. 234 Vgl. auch M. Kloepfer (Fn. 62), S. 16: „Auch die Rechtsvereinheitlichung ist ein Instrument des Umweltstaates [. . .].“ 235 Vgl. C. Calliess (Fn. 46), S. 91; A. Helberg, in: H.-J. Koch, Umweltrecht, 2002, § 3 Rn. 35; M. Kloepfer, NVwZ 2002, 645 (653); eingehend zum Problem W. Kahl/ L. Diederichsen, NVwZ 2006, 1107 ff.

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VII. Anhang: Synopse der Instrumente in den bisherigen UGB-Entwürfen Instrument Gebundene Vorhabengenehmigung Planerische Vorhabengenehmigung Einfache Vorhabengenehmigung

UGB-ProfE

UGB-KomE

§§ 52 ff. (Umwelt- §§ 83 ff. bewilligung): einheitliches Instrument nach Maßgabe §§ 101 ff. des jeweiligen Fachrechts; besondere §§ 109 f. Verfahren im BT, z. B. §§ 229 ff., 235 ff., 318 ff., 390 ff., 571 ff.

UGB-RefE §§ V 4 ff. §§ V 26 ff. §§ V 32 f.

§§ 115 ff. Produktverantwortlich- Nur spezifische keit Regelungen im Abschnitt über „Gefährliche Stoffe“ (§§ 439 ff.) im Besonderen Teil



Umweltsiegel

§ 108

§ 124; auch § 290 (Artenschutzsiegel)



Behördliche Überwachung

§§ 57 ff., 341 ff., 397 f., 478, 557, 581

§§ 133 ff., 401, 463, 546, 557, 621, 715

§§ V 22, E 6 f.

Nachträgliche Anordnung, Untersagung, Rücknahme, Widerruf

§§ 73 ff., 228, 295 f., 302 ff., 334 ff., 399, 479, 555 f., 580

§§ 126 ff., 365 f., 428, 437, 472, 483 f., 548 f., 622, 711, 751

§§ E 1 ff., I 9, D7

Betrieblicher Um§§ 94 ff., 269 f., weltschutz, Umweltbe- 349 ff., 400 ff., 582 auftragter

§§ 151 ff., 402, 425, – 547, 561, 731 f., 754

Umweltaudit



§§ 164 ff.; im Übrigen Implementationsregelungen in §§ 51 Abs. 1 S. 2, 143 Abs. 4, 153 S. 2, 155 Abs. 1 S. 2 Nr. 4, 170 Abs. 1 S. 2, 171, 172 Abs. 2 Nr. 2, 731 Abs. 2, 732 S. 4

Nur Implementationsregelungen: § A 5 Abs. 2, § V 10 S. 3, §§ E 5 Abs. 2, E7

Umwelthaftung

§§ 110 ff., 414 ff.

§§ 172 ff., 508 ff.



Diskussion Instrument

UGB-ProfE

149 UGB-KomE

UGB-RefE

Umweltabgaben

§§ 77 ff. (allgemein); § 181 Abs. 4 (naturschutzrechtliche Ausgleichsabgabe); §§ 271 ff. (Abwasserabgabe); §§ 590 ff. (Abfallabgabe)

– §§ 190 ff. (allgemein); § 262 Abs. 3 (naturschutzrechtliche Ausgleichsabgabe); §§ 403 ff. (Abwasserabgabe); §§ 413 ff. (Grundwasserentnahmeabgabe); §§ 438 f. (Straßen- und Luftverkehrsabgabe); §§ 768 ff. (Abfallabgabe); § 699 Abs. 2 (Abgabe zur Finanzierung des Klärschlammentschädigungsfonds); § 765 Abs. 2 S. 2 (Abgabe zur Finanzierung des Abfallrückführungsfonds)

Umweltsubventionen

§§ 82 ff.

§§ 196 ff.



Umweltinformationsansprüche

§§ 103 ff.

§§ 207 ff.



Warnungen, Empfehlungen

§ 107

§ 214



Konsensuale Instrumente, Selbstverpflichtung (ohne Verfahrensrecht)

(§ 6 Abs. 2: Generalklausel im Rahmen des Kooperationsprinzips)

§§ 35 ff.



Grenzüberschreitender – Umweltschutz, internationale Verwaltungskooperation

§§ 228 ff.

§§ G 1 ff.

Kompensation im Vor- §§ 89 f. sorgebereich

§§ 202 ff.



§§ 114, 125, 150, 206, 244, 323, 354, 417, 464, 529, 585, 717 ff., 774

§§ V 34, E 8

Ordnungswidrigkeiten bei umweltrechtlichen Pflichtverletzungen

§§ 219, 282, 313, 376, 438, 558, 597

Diskussion zu den Vorträgen von Lottermoser und Kahl Von Johannes Bosselmann Werner Schneider betonte die Wichtigkeit eines Bestandsschutzes und der Möglichkeit einer Genehmigung auf Zuruf. Dies müsse trotz aller Bestrebungen zur Entbürokratisierung vorgehen. Zudem gelte es, die Vereinbarkeit freiwilliger Instrumente mit dem freien Wettbewerb sicherzustellen. Dr. Susanne Lottermoser unterstrich ihre Haltung, dass auf Ordnungsrecht nicht verzichtet werden könne. Selbstverpflichtungsinstrumente seien stets nur eine Ergänzung zum ordnungsrechtlichen Instrumentarium. Letzteren Aspekt unterstrich ebenfalls Prof. Dr. Wolfgang Kahl. Speziell Selbstverpflichtungslösungen ließen sich zudem gut mit ökonomischen Anreizen verbinden. Maßgeblich sei jedoch stets die Einhaltung von Umweltstandards.

Zusammenfassung der Podiumsdiskussion Von Johannes Bosselmann Durch die Diskussion führte Prof. Dr. Dr. h.c. Franz-Josef Peine (Frankfurt). Sie begann mit Eingangsstatements der Teilnehmer (dazu I.) und endete aus Zeitgründen mit einer leider nur knappen, jedoch anregenden Diskussion (dazu II.).

I. Eingangsstatements 1. Ltd. SenRat Peter Ehren, Berlin Ehren berichtete zunächst von der kürzlich eingesetzten Bund-/Länder-Arbeitsgruppe. Bislang wurden jedoch lediglich die Positionen in Eckpunkten festgehalten; der Gesetzestext sei Sache des Ministeriums. Die bisher häufig hinderlichen „Fachbruderschaften“ sollten diesmal verhindert werden. Ehren betonte, dass auch die Forderung nach „einer Behörde“ nicht unbedingt empfehlenswert sei. Eine grundlegende Umorganisation der Behörden müsse aus Sicht der Länder vermieden werden. Da auf Vollzugsebene auch Nicht-Juristen tätig seien, sei schließlich auf einen einfachen und vollzugsfreundlichen Gesetzestext hinzuwirken. 2. Vizepräsident des UBA Dr. Thomas Holzmann, Dessau Holzmann beklagte zunächst massive Vollzugsdefizite in Deutschland. Im europaweiten Vergleich sei Deutschland mittlerweile im letzten Drittel angekommen. In diesem Zusammenhang sei vor allen Dingen die Sicherstellung der Europarechtstauglichkeit eines UGB elementar. Obwohl im Rahmen der Föderalismusreform kein Kompetenztitel „Recht der Umwelt“ geschaffen wurde, sei das UBA hinsichtlich der Schaffung eines UGB gleichwohl außerordentlich erwartungsvoll. Angesichts der Vorbildfunktion der öffentlichen Verwaltung sollte die Anwendbarkeit von EMAS auch auf Behörden ausgeweitet werden. 3. Prof. Dr. Eckard Rehbinder, Frankfurt Rehbinder begrüßte zunächst die durch die Föderalismusreform geschaffene Möglichkeit, ein UGB zu schaffen. Er gab zu bedenken, dass die Abweichungs-

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Johannes Bosselmann

rechte der Länder nicht anlagenbezogen ausgestaltet werden sollten. Hingegen sei die fehlende Abweichungsresistenz der naturschutzrechtlichen Eingriffsregelung angesichts der Erfahrungen mit den Ländern in den letzten 20 Jahren weniger problematisch. Ein Allgemeiner Teil eines UGB sollte in seiner Bedeutung nicht überbewertet werden und sein Umfang kleiner als im UGB-KomE bemessen werden. Die Bedenken gegenüber der Integration des wasserwirtschaftlichen Bewirtschaftungsermessens in die immissionsrechtliche Vorhabengenehmigung teilte Rehbinder nicht. In der Sache würde eine Anlage eben die Umweltmedien Luft und Wasser nutzen. 4. Gregor Strauch, BDI, Berlin Strauch maß einem UGB einen Aspekt der Wettbewerbsstärkung bei. Dafür reiche jedoch die integrierte Vorhabengenehmigung allein nicht aus. Eine große Bedeutung komme in diesem Zusammenhang der Sicherung der Konformität mit Europarecht zu. Sowohl bei Schaffung des UGB selbst als auch bei der Umsetzung von Richtlinien dürfe keine Anhebung von Umweltstandards vorgenommen werden. Nationale Alleingänge seien in jedem Fall zu verhindern. 5. Dr. Cornelia Ziehm, DUH Ziehm kritisierte zunächst die Haltung der Industrie zur integrierten Vorhabengenehmigung als undurchsichtig. Sie konstatierte, dass durch die Föderalismusreform die Voraussetzungen für ein UGB geschaffen worden seien. Kritisch seien jedoch die Abweichungsrechte der Länder zu betrachten. Sie stellte klar, dass mit der Schaffung eines UGB keinesfalls eine Aushöhlung von Umweltstandards einhergehen dürfe. Ziehm forderte, dass in einem UGB nicht nur „Wirtschaft“, sondern auch „Umwelt“ stehen sollte. Das Integrationsprinzip müsse weiter ausgebaut werden und auch Fragen der Landwirtschaft mit einbeziehen. In jedem Fall lehnte Ziehm eine „Turbogenehmigung“ ab; zudem müsse endlich die Århus-Konvention 1:1 umgesetzt werden.

II. Diskussion Schneider warnte zunächst vor einer zu weiten Deregulierung und einem weiteren Standardabbau. China sei insoweit ein warnendes Beispiel. Deutschland dürfe seine Spitzenstellung in der internationalen Umweltpolitik nicht verlieren. Dr. Ulrich Klein unterstrich erneut die Bedeutung einer 1:1-Umsetzung von europäischem Sekundärrecht aber auch die unterschiedlichen Sichtweisen zu diesem Konzept. Ziehm entgegnete, dass sie schon froh sei, wenn die europarechtlichen Mindeststandards überhaupt gewahrt und 1:1 umgesetzt würden. Das

Zusammenfassung der Podiumsdiskussion

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Vertrauen Rehbinders in Sachen Abweichungsrechte der Länder im Naturschutzbereich sei zwar schön. Dann aber sei fraglich, warum überhaupt eine Regelung geschaffen werden solle, von der nachher angeblich keiner Gebrauch machen wolle. Daher sei Vertrauen gut, aber eine Regulierung sei besser. Für Prof. Dr. Martin Stock war in diesem Zusammenhang nicht nachvollziehbar, dass Bayern nicht von den Abweichungsbefugnissen Gebrauch machen wolle, Ministerpräsident Stoiber aber gleichwohl diese Befugnisse in den Verhandlungen mit Nachdruck eingefordert habe. Strauch stellte das Verständnis von einer 1:1-Umsetzung als Verzicht des nationalen Gesetzgebers auf ein Draufsatteln über die materiellen Vorgaben aus Europa dar. Andernfalls würde es zu unerwünschten Wettbewerbsverzerrungen kommen. Calliess zweifelte an der Existenz eines 1:1-Umsetzungsprinzips. Dieses komme jedenfalls nicht aus dem Umweltbereich, sondern aus der Diskussion um die Antidiskriminierungsrichtlinie und ihre Umsetzung. Calliess wäre wie Ziehm froh, wenn im Umweltbereich eine 1:1-Umsetzung vorgenommen werden würde. Dies wäre ein großer Erfolg. Bestenfalls bestehe derzeit eine 1:0,8-Umsetzung. Negatives Beispiel sei aus seiner Sicht immer noch die nicht europarechtskonforme Umsetzung der IVU-Richtlinie. Die integrierte Vorhabengenehmigung müsse nach dem Prinzip „eine Genehmigung durch eine Behörde“ umgesetzt werden. Der Rückfall Deutschlands von der einstigen Vorreiterrolle im Umweltbereich und der prägende französische und britische Einfluss könnten durch die Kodifikation des UGB ausgeglichen werden. Das UGB könnte dadurch zu einem Vorbild auf europäischer Ebene werden. Hinsichtlich der 1:1-Umsetzung mahnte Ehren die Notwendigkeit klarer und vollzugstauglicher Regelungen an und sprach sich nachdrücklich gegen ein Verhaften am Richtlinientext aus. Ehren warnte aber auch ausdrücklich vor zu hohen Erwartungen an ein UGB. Auch Holzmann unterstrich, dass ein UGB nicht zerredet werden dürfe. Dr. Matthias Weigand betonte, dass bereits 1998 die Schaffung eines UGB möglich gewesen wäre. Dieselben Gegner dürften dieses Mal nicht erneut Gehör erlangen. Rehbinder ergänzte, er begrüße die Beendigung der verfassungsrechtlichen Legendenbildung. Zudem unterstrich er, dass das Gebot der nachhaltigen Entwicklung moderne Ansätze in einem UGB verlange. Für Dr. Christina Steinbeiß-Winckelmann wäre das UGB schon bisher in den Grenzen von Art. 72 GG machbar gewesen. Zukünftig sei jedenfalls im Wasser- und Naturschutz eine Vollregelung des Bundes möglich. Der erste Aufschlag liege daher beim Bund, der sich diese Kompetenzen durch die Abweichungsrechte der Länder erkauft habe. Bezugnehmend auf die Versicherungen von Weigand, äußerte Winckelmann, dass die Zukunft zeigen werde, ob das Vertrauen in die Länder gerechtfertigt gewesen sei. Auf die Kritik von Ziehm eingehend, versicherte sie, dass die Verbandsklage nach der Århus-Konvention 1:1 umgesetzt werde. Dieser offensichtliche Widerspruch könne wohl kaum aufgelöst werden. Dr. Claudio Franzius bestätigte Zweifel darüber, dass die Länder auf ihre Abweichungsrechte verzichten

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Johannes Bosselmann

würden. Ein Föderalismuswettbewerb bestehe bereits. Auch müsse die Praxis im Gemeinschaftsrecht ernst genommen werden, eine Finalprogrammierung und entsprechende Zielvorgaben auszuweisen. Das Ordnungsrecht sei nicht mehr die Lösung für die Zukunft, so Franzius. Eine Unterscheidung zwischen direkten und indirekten Steuerungsinstrumenten müsse abgelehnt werden. Das Rechtsetzungs- und Steuerungsmonopol liege nicht mehr beim Staat. Die integrative Vorhabengenehmigung sei damit nicht das Ende, sondern erst der Anfang weiterer innovativer Ideen. Dr. Martin Schröder äußerte Zweifel an der These, dass die integrierte Genehmigung wirklich die Antwort auf die praktischen Probleme darstelle. Eine integrierte Vorhabengenehmigung sei nur mittels Veränderung der materiellrechtlichen Inhalte der einzelnen Voraussetzungen der Genehmigung konstruierbar. Sylvia Kotting-Uhl hielt Holzmann vor, dass die Umweltpolitiker ihre Haltung zur Bewertung der Föderalismusreform sehr verändert hätten, obwohl zunächst selbst Bundesumweltminister Gabriel Kritik geäußert habe. Das ursprüngliche Ziel der Vereinfachung ohne Standardabsenkung könne offensichtlich nicht mehr gehalten werden, da jetzt fünf oder sechs verschieden Kompetenztitel eher einen Bürokratieaufbau verursachen würden. Kloepfer schloss mit der Bemerkung, dass die Chancen für die Kodifikation eines UGB groß seien. Wegen den verbleibenden Risiken solle die Reise nicht abgesagt werden, sondern „Mückenschutz und Pullover“ eingepackt werden. Der Weg zum UGB werde weiter beschritten. Diese Veranstaltung des FZU sei erst die Auftakttagung gewesen. Mit ersten Ergebnissen zur Kodifikation eines UGB werde wohl noch in dieser Legislaturperiode zu rechnen sein.

Autorenverzeichnis Dipl.-Jur. Johannes Bosselmann, Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Forschungszentrum Umweltrecht, Berlin Prof. Dr. Christian Calliess, LL.M., Inhaber des Lehrstuhls für öffentliches Recht und Europarecht sowie Direktor des Instituts für Völker- und Europarecht und des Instituts für Landwirtschaftsrecht an der Universität Göttingen Dr. Günter Gaentzsch, Vors. Richter am BVerwG a.D., Köln Prof. Dr. Wolfgang Kahl, M.A., Lehrstuhl für Öffentliches Recht und Europarecht, insbesondere Wirtschaftsverwaltungs- und Umweltrecht an der Universität Bayreuth und Direktor der Forschungsstelle für das Recht der nachhaltigen Entwicklung Prof. Dr. Michael Kloepfer, Inhaber des Lehrstuhls für Staats- und Verwaltungsrecht, Europarecht, Umweltrecht, Finanz- und Wirtschaftsrecht an der Humboldt-Universität zu Berlin sowie Präsident des Forschungszentrums Umweltrecht Prof. Dr. Hans-Joachim Koch, Geschäftsführender Direktor der Forschungsstelle Umweltrecht an der Universität Hamburg und Vorsitzender des Sachverständigen Rat für Umweltfragen. Vorsitzender der Gesellschaft für Umweltrecht e. V. MinR’in Dr. Susanne Lottermoser, Leiterin der Unterabteilung Grundsätzliche und wirtschaftliche Fragen der Umweltpolitik, fachübergreifendes Umweltrecht im Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, Berlin MinR Dr. Christof Sangenstedt, Leiter des Referats Umweltgesetzbuch, Fachübergreifendes Umweltrecht im Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, Berlin Dr. Wolfgang Spoerr, LL.M., Rechtsanwalt und Partner bei Hengeler Mueller, Berlin, sowie Lehrbeaufragter an der Humboldt-Universität zu Berlin MinDirig Hubert Steinkemper, Leiter der Unterabteilung Immissionsschutz, Anlagensicherheit und Verkehr im Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, Bonn