Das Kollisionsrecht der Geschäftsführung ohne Auftrag: Zugleich ein Beitrag zu den methodischen Grundlagen des (europäischen) Kollisionsrechts [1 ed.] 9783161618710, 9783161618727, 3161618718

Jonas Fritsch unterzieht die einschlägigen Kollisionsnormen zur Geschäftsführung ohne Auftrag einer eingehenden Untersuc

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Titel
Vorwort
Inhaltsübersicht
Inhaltsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
Einführung
1. Teil: Methodische Grundlegung
§ 1: Rechtsfindung im europäischen Kollisionsrecht
A. Auslegung
I. Begriffsklärung
1. Notwendigkeit einer Auslegungsgrenze
2. Bestimmung der Auslegungsgrenze
a) Anerkennung einer Wortsinngrenze?
b) Grenze des Gesetzeszwecks?
c) Stellungnahme
d) Konkrete Bestimmung der Wortsinngrenze
e) Zwischenergebnis
II. Befugnis des EuGH zur Auslegung
III. Auslegungstechnik
1. Vorprüfung – autonome oder nationale Begriffsbildung?
2. Auslegungsziel
a) Auslegungstheorien
b) Stellungnahme
3. Auslegungsmittel
a) Grammatisches Kriterium
aa) Ausgangspunkt: Mehrsprachenauthentizität – keine „Textkritik“
bb) Ermittlung des Auslegungsspielraums
cc) Keine Geltung einer Vorrangregel bei Bedeutungsdivergenzen
dd) Zum maßgeblichen Sprachgebrauch
ee) Zum maßgeblichen Zeitpunkt
ff) Leistungsfähigkeit des grammatischen Auslegungskriteriums
b) Systematisches Kriterium
aa) Ausgangspunkte
(1) Äußere Systematik
(2) Innere Systematik
bb) Grundsätze der systematischen Auslegung
(1) Horizontal-systematisch
(2) Vertikal-systematisch
cc) Abgrenzung zu den übrigen Auslegungskriterien
c) Historisch-genetisches Kriterium
aa) Historie
bb) Genese
cc) Leistungsfähigkeit des historisch-genetischen Auslegungskriteriums
d) Teleologisches Kriterium
e) Die Gewichtung der Auslegungskriterien
B. Rechtsfortbildung
I. Begriffsklärung
II. Befugnis des EuGH zur Lückenfüllung
III. Grenzen der Lückenfüllungsbefugnis
1. Vertikale Grenzen
2. Horizontale Grenzen
a) Institutionelles Gleichgewicht
b) Schutz des Unionsbürgers
3. Ergebnis
IV. Lückenfüllungstechnik
1. Begriff der Lücke
2. Methodische Feststellung der Lücke
3. Vorgehen bei der Lückenfüllung
a) Füllung externer Lücken
b) Füllung interner Lücken
aa) Lückenfüllung durch einzelne Wertungen
bb) Lückenfüllung durch Wertsummen
cc) Zwischenergebnis
§ 2: Zum teleologischen Kriterium und der Auslegung anhand des „inneren Systems“
A. Struktur des Internationalen Privatrechts
I. Autonomes deutsches IPR
II. Europäisches IPR
III. Keine Abkehr von der „klassischen“ Methode durch besondere Anknüpfungen
B. Interessenlehre im Internationalen Privatrecht
I. Einführung und Darstellung
II. Kritik
C. Flessners „reale Interessenjurisprudenz“
I. Darstellung
II. Kritik
D. Weiterentwicklung hin zu einer wertungsjuristischen Erfassung des IPR
I. Wertungsjurisprudenz im materiellen Privatrecht
II. Übertragung auf das IPR
1. Interessen
a) Maßgeblicher Interessent
b) Maßgebliche Interessen
aa) Kollisionsrechtliche Interessen
bb) Existenz materiell-rechtlich motivierter Interessen?
2. Einschränkung
3. Maßstäbe für die Bewertung der (kollisionsrechtlichen) Interessen
a) Dem IPR immanente Wertungen
b) Wertungen des Sachrechts?
aa) (Unions-) Verfassungsrecht
(1) Autonomes deutsches IPR
(2) Europäisches IPR
bb) Materielles Privatrecht
(1) Autonomes deutsches IPR
(2) Europäisches IPR
cc) Kollisionsrechtliche Umsetzung
dd) Vereinbarkeit mit der international-privatrechtlichen Gerechtigkeit?
III. IPR und Wertungsjurisprudenz
2. Teil: Die Geschäftsführung ohne Auftrag im Internationalen Privatrecht
§ 3: Art. 11 Rom II-VO
A. Einführung
B. Überblick zur Normgenese
C. Anknüpfungsgegenstand
I. Meinungsstand
1. Autonome Auslegung
2. Grundtatbestand
3. Keine Differenzierung zwischen erwünschten/unerwünschten oder vorteilhaften/unvorteilhaften Geschäftsführungen
4. Zusammenfassung
II. Stellungnahme
1. Autonome Auslegung?
2. Konkretisierung des Anknüpfungsgegenstands
a) Erkenntnisse aus dem Wortlaut
b) Historie und Genese
c) Systematische Erwägungen
aa) Ausgangspunkt: Widerspruchs- und Friktionslosigkeit der Rom II-VO
bb) Erforderlichkeit eines Fremdgeschäftsführungswillens
d) Teleologische Kriterien
aa) Ausgangspunkt: Wertungsjurisprudenz – Bündelungsmodell
(1) Darstellung
(2) Überführung in die Wertungsjurisprudenz
(3) Bedeutung für Art. 11 Rom II-VO
bb) Die Geschäftsführung ohne Auftrag in den mitgliedstaatlichen (Sach-) Rechtsordnungen
(1) Kein Rückgriff auf den DCFR
(2) Deutschland
(a) Anwendungsbereich
(b) Rechtsfolgen
(c) Internationales Privatrecht
(3) Österreich
(a) Einführung und Grundtatbestand
(b) Geschäftsführung „im Notfalle“
(c) Nützliche Geschäftsführung
(d) Geschäftsführung gegen den Willen des Geschäftsherrn
(e) Allgemeine Pflichten des Geschäftsherrn
(f) Internationales Privatrecht
(4) Frankreich
(a) Anwendungsbereich
(b) Rechtsfolgen
(c) Internationales Privatrecht
(5) Spanien
(a) Anwendungsbereich
(b) Rechtsfolgen
(c) Internationales Privatrecht
(6) Italien
(a) Anwendungsbereich
(b) Rechtsfolgen
(c) Internationales Privatrecht
cc) Erkenntnisse aus den Länderberichten und Bedeutung für Art. 11 Rom II-VO
(1) Bestätigung und Schärfung des oben gefundenen Ergebnisses
(2) Keine zusätzliche Beschränkung des Anknüpfungsgegenstands
3. Ergebnis zum (positiven) Anwendungsbereich des Anknüpfungsgegenstands
a) Definition
b) Bestehen Beweisprobleme?
III. Ausnahmen
1. Durch den positiven Anwendungsbereich der Verordnung ausgeschlossene Fallgestaltungen
a) Abgrenzung zu den vertraglichen Schuldverhältnissen
aa) Im Allgemeinen
(1) Übertragung des international-prozessrechtlichen Vertragsbegriffs
(2) Anwendung auf die Qualifikation von Ansprüchen aus auftragsloser Geschäftsführung
bb) Im Speziellen: Art. 12 Rom II-VO
b) „Zivil- und Handelssachen“
2. Negativ vom Anwendungsbereich der Verordnung ausgenommene Bereiche
3. Art. 13 Rom II-VO
4. Vorrangige Staatsverträge
IV. Reichweite des Statuts
1. Sind bestimmte Anspruchsrichtungen oder -arten aus dem Statut auszuklammern?
a) Meinungsstand
b) Stellungnahme
aa) Einheitliche Anknüpfung beider Anspruchsrichtungen
bb) Einheitliche Anknüpfung der verschiedenen Anspruchsarten
cc) Abweichende Qualifikation von Schuldverhältnissen „deliktischer“ Natur?
(1) Vorweg: Keine selbstständige Anknüpfung der Konkurrenzfrage an die lex fori
(2) Funktionell-einheitliche Qualifikation als Lösung
(3) Das für die funktionell-einheitliche Qualifikation maßgebliche Statut
(4) Grenzen funktionell-einheitlicher Qualifikation
(5) Kritik an funktionell-einheitlicher Qualifikation überzeugt nicht
(6) Zwischenergebnis
2. Reichweite des auf den jeweiligen Anspruch anzuwendenden Rechts
D. Anknüpfungspunkte
I. Anknüpfungspunkt des Art. 11 Abs. 1 Rom II-VO
1. Reichweite der Wendung „Rechtsverhältnis“
a) Anknüpfung an rein faktische Verhältnisse?
b) Keine Beschränkung auf bestimmte Rechtsverhältnisse
c) Anknüpfung an ein „hypothetisches“ Vertragsstatut
2. Parteiidentität erforderlich
3. Zur Entstehungsreihenfolge
4. Voraussetzungen einer „engen Verbindung“
II. Anknüpfungspunkt des Art. 11 Abs. 2 Rom II-VO
1. Einführung
2. Zum Anknüpfungspunkt
III. Anknüpfungspunkt des Art. 11 Abs. 3 Rom II-VO
1. Meinungsstand
a) Kategorisierung
aa) „Handlungsort“
bb) „Erfolgsort“
b) Begriffsverständnis
aa) „Handlungsort“
bb) „Erfolgsort“
2. Stellungnahme
a) Vorweg: Beachtung der Wortlautgrenze ist zwingend
b) Kritik am Begriffsverständnis des Schrifttums
c) Definition des Ortes der Geschäftsführung
d) Problem: Mehrheit von Geschäftsführungsorten
aa) Keine Mosaikbetrachtung
bb) Keine Schwerpunktbildung
cc) Gründe für die Anknüpfung an den Tätigkeitsbeginn
(1) Genese
(2) Teleologische Betrachtung
(a) Verwirklichung des Prinzips der engsten Verbindung
(b) Keine Aussagekraft der „Interessen“
(c) Ziel: Anknüpfung an einen neutralen Ort
(3) Ort des Tätigkeitsbeginns als (grundsätzlich) neutraler Anknüpfungspunkt
(4) Zusammenfassung und Bedeutung für Art. 11 Abs. 3 Rom II-VO
3. Lückenfüllung
a) Vorliegen einer Lücke
b) Lückenfüllung
4. Sonderkonstellation: Geschäftsführung erfolgt in extraterritorialem Gebiet
IV. Zur Ausweichklausel des Art. 11 Abs. 4 Rom II-VO
1. Fallgruppe der Begleichung fremder Schulden
a) Lösung mittels teleologischer Extension des Abs. 1?
b) Auch keine Fallgruppe für die Ausweichklausel
c) Rechtspolitische Bewertung
2. Privilegierung der typischerweise unterlegenen Partei bei einer „Unternehmer-Verbraucher-Geschäftsführung“?
§ 4: Art. 39 EGBGB
A. Einführung und verbliebener Anwendungsbereich
I. Altfälle
II. Verbliebene Relevanz außerhalb des materiellen Anwendungsbereichs der Rom II-VO
1. Öffentlich-rechtliche Geschäftsführung ohne Auftrag
2. Fallgestaltungen im Rahmen des Art. 1 Abs. 2 Rom II-VO
III. Zwischenergebnis
B. Anknüpfungsgegenstand
I. Meinungsstand
II. Stellungnahme
III. Reichweite des Statuts
C. Anknüpfungspunkte
I. Regelanknüpfung
1. Vornahmeort, Art. 39 Abs. 1 EGBGB
a) Meinungsstand
b) Stellungnahme
c) Rechtsfortbildungsbedürftigkeit
aa) Schaffung einer Lücke mittels teleologischer Reduktion
bb) Schließung der Lücke
d) Sonderkonstellation: Geschäftsführung wird in extraterritorialem Gebiet vorgenommen
2. Art. 39 Abs. 2 EGBGB
a) Allgemeines
b) Problembereiche
aa) Verpflichtung gegenüber dem Schuldner der getilgten Forderung
bb) Verpflichtung gegenüber dem Gläubiger der getilgten Forderung
II. Ausweichklausel, Art. 41 EGBGB
1. Allgemeines
2. Regelbeispiele, Art. 41 Abs. 2 EGBGB
a) Besondere rechtliche oder tatsächliche Beziehung zwischen den Beteiligten
b) Gemeinsamer gewöhnlicher Aufenthalt
c) Rangverhältnis
d) Ausnahmen
D. Renvoi?
3. Teil: Die Geschäftsführung ohne Auftrag im Internationalen Zivilprozessrecht
§ 5: Europäisches IZPR
A. Allgemeiner Gerichtsstand
B. Eröffnung eines besonderen Gerichtsstands?
I. Keine internationale Zuständigkeit am Vertragsgerichtsstand
1. Zum „Dienstleistungsgerichtsstand“
2. Der allgemeine Vertragsgerichtsstand eröffnet keinen einheitlichen internationalen Gerichtsstand am Ort der Geschäftsübernahme
II. Eröffnung des Deliktsgerichtsstands?
1. Meinungsstand
2. Stellungnahme
a) Geschäftsführung ohne Auftrag – ein Schuldverhältnis im Sinne des Art. 7 Nr. 2 Brüssel Ia-VO?
aa) Überlegungen mit Blick auf den Wortlaut
bb) Teleologische Argumente
cc) Zwischenergebnis
b) Beschränkung der Kognitionsbefugnis durch die Rechtsfolge?
c) Zur angeblichen Kausalitätsproblematik
d) Lokalisierung der internationalen Zuständigkeit
e) Zwischenergebnis
III. Jedenfalls keine Lückenfüllung
§ 6: Autonomes deutsches IZPR
A. Allgemeiner Gerichtsstand
B. Eröffnung eines besonderen Gerichtsstands?
I. Keine Eröffnung des Vertragsgerichtsstands
II. Zum Deliktsgerichtsstand
§ 7: Insbesondere: Behandlung des internationalen Unterhaltsregresses
A. Einführung
B. Gerichtsstände
C. Restbedeutung des autonomen deutschen IZPR
Wesentliche Ergebnisse in Thesenform
§ 1: Rechtsfindung im europäischen Kollisionsrecht
§ 2: Zum teleologischen Kriterium und der Auslegung anhand des „inneren Systems“
§ 3: Art. 11 Rom II-VO
§ 4: Art. 39 EGBGB
§ 5: Europäisches IZPR
§ 6: Autonomes deutsches IZPR
§ 7: Insbesondere: Behandlung des internationalen Unterhaltsregresses
Literaturverzeichnis
Sachregister
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Das Kollisionsrecht der Geschäftsführung ohne Auftrag: Zugleich ein Beitrag zu den methodischen Grundlagen des (europäischen) Kollisionsrechts [1 ed.]
 9783161618710, 9783161618727, 3161618718

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Studien zum ausländischen und internationalen Privatrecht 491 Herausgegeben vom

Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht Direktoren: Holger Fleischer, Ralf Michaels und Reinhard Zimmermann

Jonas Fritsch

Das Kollisionsrecht der Geschäftsführung ohne Auftrag Zugleich ein Beitrag zu den methodischen Grundlagen des (europäischen) Kollisionsrechts

Mohr Siebeck

Jonas Fritsch, geboren 1997; Studium der Rechtswissenschaften an der Universität Marburg; Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Internationales und Europäisches Privatrecht sowie Rechtsvergleichung der Universität Marburg; 2022 Promotion; LL.M.-Studium an der Universität Stockholm.

Zugl.: Marburg, Univ., FB Rechtswissenschaften, Diss. 2022. ISBN 978-3-16-161871-0 / eISBN 978-3-16-161872-7 DOI 10.1628/978-3-16-161872-7 ISSN 0720-1141 / eISSN 2568-7441 (Studien zum ausländischen und internationalen Privatrecht) Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2022 Mohr Siebeck Tübingen. www.mohrsiebeck.com Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für die Verbreitung, Vervielfältigung, Übersetzung und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das Buch wurde von Gulde Druck in Tübingen auf alterungsbeständiges Werkdruckpapier gedruckt und von der Buchbinderei Nädele in Nehren gebunden. Printed in Germany.

Meinen Eltern

Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde am 7.6.2022 vom Fachbereich Rechtswissenschaften der Philipps-Universität Marburg als Dissertation angenommen und am darauffolgenden Tag verteidigt. Im Anschluss an die Disputation wurde die Argumentation an wenigen Stellen präzisiert. Literatur und Rechtsprechung sind auf dem Stand Ende Januar 2022. Mein größter Dank gilt meiner Doktormutter, Frau Prof. Dr. Christine Budzikiewicz. Im Rahmen der Themensuche lenkte sie meinen Blick auf das Kollisionsrecht der Geschäftsführung ohne Auftrag und ließ mir während der Erstellung der Dissertation stets den dafür notwendigen gedanklichen Freiraum. Trotzdem stand sie jederzeit als Diskussionspartnerin zur Verfügung, wenn meinerseits Gesprächsbedarf bestand. Das Erstgutachten erstellte sie zügig und trieb auch im Anschluss daran den Abschluss des Verfahrens maßgeblich voran. Eine bessere Betreuung hätte ich mir nicht wünschen können. Während meines Forschungsvorhabens durfte ich als wissenschaftlicher Mitarbeiter an ihrer Marburger Professur tätig sein. In diesem Rahmen achtete sie stets darauf, dass genug Zeit für eigene Projekte blieb. Auf ihre Unterstützung konnte ich mich jederzeit verlassen. Herrn Prof. Dr. Tobias Helms danke ich für die Erstellung des Zweitgutachtens und seine hilfreichen Anmerkungen. Danken möchte ich auch Herrn Prof. Dr. Constantin Willems, der so freundlich war, trotz der zeitlichen Beanspruchung durch sein Amt als Dekan für die Disputation als Vorsitzender zur Verfügung zu stehen. Die Arbeit am Manuskript wurde durch ein Stipendium der Studienstiftung des deutschen Volkes gefördert. Ich blicke gerne und mit Dankbarkeit auf meine Zeit als Stipendiat zurück und hoffe, als Alumnus mit der Institution Studienstiftung verbunden bleiben zu können. Die Studienstiftung ius vivum hat die Drucklegung großzügig finanziell unterstützt, wofür ich mich an dieser Stelle ebenfalls bedanke. Dank schulde ich ferner meinen tollen Kolleginnen und Kollegen am Fachbereich Rechtswissenschaften für die schönen vergangenen drei Jahre. Aus diesem Kreis besonders hervorheben möchte ich an dieser Stelle meine Freunde Frau Greta-Marie Gust sowie Herrn Dr. Jannik Bel, die die Mühe auf sich

VIII

Vorwort

nahmen, große Teile der Manuskriptfassung meiner Arbeit sorgfältig Korrektur zu lesen. Gewidmet ist die Arbeit meinen lieben Eltern, Frau Rebecca und Herrn Martin Fritsch. Sie haben mich in jeder erdenklichen Hinsicht und immer bedingungslos unterstützt. Marburg, im Juli 2022

Jonas Fritsch

Inhaltsübersicht Vorwort ...................................................................................................... VII Inhaltsverzeichnis ........................................................................................ XI Abkürzungsverzeichnis .............................................................................XXI

Einführung .................................................................................. 1 1. Teil: Methodische Grundlegung .............................................. 5 § 1 Rechtsfindung im europäischen Kollisionsrecht...................................... 6 A. Auslegung ................................................................................................ 7 B. Rechtsfortbildung ....................................................................................46 § 2 Zum teleologischen Kriterium und der Auslegung anhand des „inneren Systems“ .................................................................................60 A. B. C. D.

Struktur des Internationalen Privatrechts .................................................61 Interessenlehre im Internationalen Privatrecht.........................................68 Flessners „reale Interessenjurisprudenz“ .................................................72 Weiterentwicklung hin zu einer wertungsjuristischen Erfassung des IPR....................................................................................................75

2. Teil: Die Geschäftsführung ohne Auftrag im Internationalen Privatrecht .........................................................95 § 3 Art. 11 Rom II-VO .................................................................................95 A. B. C. D.

Einführung ..............................................................................................95 Überblick zur Normgenese ......................................................................96 Anknüpfungsgegenstand .........................................................................98 Anknüpfungspunkte ..............................................................................188

X

Inhaltsübersicht

§ 4 Art. 39 EGBGB ....................................................................................257 A. B. C. D.

Einführung und verbliebener Anwendungsbereich ................................257 Anknüpfungsgegenstand .......................................................................261 Anknüpfungspunkte ..............................................................................264 Renvoi? .................................................................................................280

3. Teil: Die Geschäftsführung ohne Auftrag im Internationalen Zivilprozessrecht ............................................. 285 § 5 Europäisches IZPR ..............................................................................285 A. Allgemeiner Gerichtsstand ....................................................................286 B. Eröffnung eines besonderen Gerichtsstands?.........................................286 § 6 Autonomes deutsches IZPR ..................................................................301 A. Allgemeiner Gerichtsstand ....................................................................301 B. Eröffnung eines besonderen Gerichtsstands?.........................................301 § 7 Insbesondere: Behandlung des internationalen Unterhaltsregresses ...303 A. Einführung ............................................................................................303 B. Gerichtsstände.......................................................................................304 C. Restbedeutung des autonomen deutschen IZPR ....................................306

Wesentliche Ergebnisse in Thesenform ................................... 309 § 1 Rechtsfindung im europäischen Kollisionsrecht...................................309 § 2 Zum teleologischen Kriterium und der Auslegung anhand des „inneren Systems“ ...............................................................................310 § 3 Art. 11 Rom II-VO ...............................................................................312 § 4 Art. 39 EGBGB ....................................................................................317 § 5 Europäisches IZPR ..............................................................................318 § 6 Autonomes deutsches IZPR ..................................................................320 § 7 Insbesondere: Behandlung des internationalen Unterhaltsregresses ...320 Literaturverzeichnis ....................................................................................321 Sachregister ................................................................................................333

Inhaltsverzeichnis Vorwort ...................................................................................................... VII Inhaltsübersicht ........................................................................................... IX Abkürzungsverzeichnis .............................................................................XXI

Einführung .................................................................................. 1 1. Teil: Methodische Grundlegung .............................................. 5 § 1 Rechtsfindung im europäischen Kollisionsrecht...................................... 6 A. Auslegung ................................................................................................ 7 I. Begriffsklärung ................................................................................... 7 1. Notwendigkeit einer Auslegungsgrenze......................................... 8 2. Bestimmung der Auslegungsgrenze..............................................13 a) Anerkennung einer Wortsinngrenze? ......................................13 b) Grenze des Gesetzeszwecks? ..................................................13 c) Stellungnahme ........................................................................13 d) Konkrete Bestimmung der Wortsinngrenze .............................19 e) Zwischenergebnis ...................................................................22 II. Befugnis des EuGH zur Auslegung ....................................................22 III. Auslegungstechnik.............................................................................22 1. Vorprüfung – autonome oder nationale Begriffsbildung? .............22 2. Auslegungsziel .............................................................................23 a) Auslegungstheorien.................................................................24 b) Stellungnahme ........................................................................25 3. Auslegungsmittel..........................................................................28 a) Grammatisches Kriterium .......................................................29 aa) Ausgangspunkt: Mehrsprachenauthentizität – keine „Textkritik“ .......................................................................29 bb) Ermittlung des Auslegungsspielraums ...............................30

XII

Inhaltsverzeichnis

cc) Keine Geltung einer Vorrangregel bei Bedeutungsdivergenzen .....................................................31 dd) Zum maßgeblichen Sprachgebrauch ..................................31 ee) Zum maßgeblichen Zeitpunkt ............................................33 ff) Leistungsfähigkeit des grammatischen Auslegungskriteriums ........................................................34 b) Systematisches Kriterium........................................................34 aa) Ausgangspunkte ................................................................34 (1) Äußere Systematik .......................................................35 (2) Innere Systematik ........................................................35 bb) Grundsätze der systematischen Auslegung ........................37 (1) Horizontal-systematisch ...............................................37 (2) Vertikal-systematisch ...................................................38 cc) Abgrenzung zu den übrigen Auslegungskriterien ..............39 c) Historisch-genetisches Kriterium ............................................40 aa) Historie..............................................................................41 bb) Genese ...............................................................................42 cc) Leistungsfähigkeit des historisch-genetischen Auslegungskriteriums ........................................................44 d) Teleologisches Kriterium ........................................................44 e) Die Gewichtung der Auslegungskriterien ................................45 B. Rechtsfortbildung ....................................................................................46 I. Begriffsklärung ..................................................................................46 II. Befugnis des EuGH zur Lückenfüllung..............................................48 III. Grenzen der Lückenfüllungsbefugnis.................................................49 1. Vertikale Grenzen ........................................................................49 2. Horizontale Grenzen ....................................................................51 a) Institutionelles Gleichgewicht .................................................51 b) Schutz des Unionsbürgers .......................................................52 3. Ergebnis .......................................................................................53 IV. Lückenfüllungstechnik.......................................................................53 1. Begriff der Lücke .........................................................................54 2. Methodische Feststellung der Lücke.............................................55 3. Vorgehen bei der Lückenfüllung ..................................................56 a) Füllung externer Lücken .........................................................56 b) Füllung interner Lücken ..........................................................57 aa) Lückenfüllung durch einzelne Wertungen .........................58 bb) Lückenfüllung durch Wertsummen ....................................58 cc) Zwischenergebnis ..............................................................59

Inhaltsverzeichnis

XIII

§ 2 Zum teleologischen Kriterium und der Auslegung anhand des „inneren Systems“ .................................................................................60 A. Struktur des Internationalen Privatrechts .................................................61 I. Autonomes deutsches IPR .................................................................61 II. Europäisches IPR...............................................................................65 III. Keine Abkehr von der „klassischen“ Methode durch besondere Anknüpfungen ...................................................................................66 B. Interessenlehre im Internationalen Privatrecht.........................................68 I. Einführung und Darstellung ...............................................................68 II. Kritik .................................................................................................70 C. Flessners „reale Interessenjurisprudenz“ .................................................72 I. Darstellung ........................................................................................72 II. Kritik .................................................................................................74 D. Weiterentwicklung hin zu einer wertungsjuristischen Erfassung des IPR....................................................................................................75 I. Wertungsjurisprudenz im materiellen Privatrecht ..............................76 II. Übertragung auf das IPR ....................................................................78 1. Interessen .....................................................................................78 a) Maßgeblicher Interessent ........................................................78 b) Maßgebliche Interessen ...........................................................79 aa) Kollisionsrechtliche Interessen ..........................................79 bb) Existenz materiell-rechtlich motivierter Interessen? ..........81 2. Einschränkung ..............................................................................82 3. Maßstäbe für die Bewertung der (kollisionsrechtlichen) Interessen .....................................................................................82 a) Dem IPR immanente Wertungen .............................................82 b) Wertungen des Sachrechts? .....................................................83 aa) (Unions-) Verfassungsrecht ...............................................83 (1) Autonomes deutsches IPR ............................................83 (2) Europäisches IPR .........................................................84 bb) Materielles Privatrecht.......................................................86 (1) Autonomes deutsches IPR ............................................86 (2) Europäisches IPR .........................................................87 cc) Kollisionsrechtliche Umsetzung ........................................88 dd) Vereinbarkeit mit der international-privatrechtlichen Gerechtigkeit? ...................................................................89 III. IPR und Wertungsjurisprudenz ..........................................................92

XIV

Inhaltsverzeichnis

2. Teil: Die Geschäftsführung ohne Auftrag im Internationalen Privatrecht .........................................................95 § 3 Art. 11 Rom II-VO .................................................................................95 A. Einführung ..............................................................................................95 B. Überblick zur Normgenese ......................................................................96 C. Anknüpfungsgegenstand .........................................................................98 I. Meinungsstand ...................................................................................98 1. Autonome Auslegung ...................................................................99 2. Grundtatbestand ...........................................................................99 3. Keine Differenzierung zwischen erwünschten/unerwünschten oder vorteilhaften/unvorteilhaften Geschäftsführungen ..............102 4. Zusammenfassung ......................................................................103 II. Stellungnahme .................................................................................103 1. Autonome Auslegung? ...............................................................104 2. Konkretisierung des Anknüpfungsgegenstands...........................108 a) Erkenntnisse aus dem Wortlaut .............................................109 b) Historie und Genese ..............................................................110 c) Systematische Erwägungen ...................................................112 aa) Ausgangspunkt: Widerspruchs- und Friktionslosigkeit der Rom II-VO ................................................................113 bb) Erforderlichkeit eines Fremdgeschäftsführungswillens ....113 d) Teleologische Kriterien .........................................................115 aa) Ausgangspunkt: Wertungsjurisprudenz – Bündelungsmodell ........................................................116 (1) Darstellung .................................................................116 (2) Überführung in die Wertungsjurisprudenz..................117 (3) Bedeutung für Art. 11 Rom II-VO..............................117 bb) Die Geschäftsführung ohne Auftrag in den mitgliedstaatlichen (Sach-) Rechtsordnungen ...........118 (1) Kein Rückgriff auf den DCFR ....................................119 (2) Deutschland ...............................................................123 (a) Anwendungsbereich ..............................................123 (b) Rechtsfolgen .........................................................126 (c) Internationales Privatrecht ....................................128 (3) Österreich ...................................................................129 (a) Einführung und Grundtatbestand ..........................129 (b) Geschäftsführung „im Notfalle“ ............................131 (c) Nützliche Geschäftsführung ..................................133 (d) Geschäftsführung gegen den Willen des Geschäftsherrn ................................................134 (e) Allgemeine Pflichten des Geschäftsherrn ..............135

Inhaltsverzeichnis

XV

(f) Internationales Privatrecht ....................................135 (4) Frankreich ..................................................................136 (a) Anwendungsbereich ..............................................136 (b) Rechtsfolgen .........................................................140 (c) Internationales Privatrecht ....................................142 (5) Spanien ......................................................................142 (a) Anwendungsbereich ..............................................142 (b) Rechtsfolgen .........................................................144 (c) Internationales Privatrecht ....................................145 (6) Italien .........................................................................146 (a) Anwendungsbereich ..............................................146 (b) Rechtsfolgen .........................................................148 (c) Internationales Privatrecht ....................................149 cc) Erkenntnisse aus den Länderberichten und Bedeutung für Art. 11 Rom II-VO .....................................................149 (1) Bestätigung und Schärfung des oben gefundenen Ergebnisses ................................................................149 (2) Keine zusätzliche Beschränkung des Anknüpfungsgegenstands .....................................151 3. Ergebnis zum (positiven) Anwendungsbereich des Anknüpfungsgegenstands .....................................................152 a) Definition..............................................................................152 b) Bestehen Beweisprobleme? ...................................................153 III. Ausnahmen ......................................................................................154 1. Durch den positiven Anwendungsbereich der Verordnung ausgeschlossene Fallgestaltungen ...............................................154 a) Abgrenzung zu den vertraglichen Schuldverhältnissen..........155 aa) Im Allgemeinen ...............................................................155 (1) Übertragung des international-prozessrechtlichen Vertragsbegriffs ..........................................................155 (2) Anwendung auf die Qualifikation von Ansprüchen aus auftragsloser Geschäftsführung ............................158 bb) Im Speziellen: Art. 12 Rom II-VO ...................................164 b) „Zivil- und Handelssachen“ ..................................................164 2. Negativ vom Anwendungsbereich der Verordnung ausgenommene Bereiche ............................................................165 3. Art. 13 Rom II-VO .....................................................................168 4. Vorrangige Staatsverträge ..........................................................169 IV. Reichweite des Statuts .....................................................................169 1. Sind bestimmte Anspruchsrichtungen oder -arten aus dem Statut auszuklammern? .......................................................170 a) Meinungsstand ......................................................................170 b) Stellungnahme ......................................................................171

XVI

Inhaltsverzeichnis

aa) Einheitliche Anknüpfung beider Anspruchsrichtungen ....171 bb) Einheitliche Anknüpfung der verschiedenen Anspruchsarten ................................................................172 cc) Abweichende Qualifikation von Schuldverhältnissen „deliktischer“ Natur? .......................................................173 (1) Vorweg: Keine selbstständige Anknüpfung der Konkurrenzfrage an die lex fori ............................174 (2) Funktionell-einheitliche Qualifikation als Lösung ......175 (3) Das für die funktionell-einheitliche Qualifikation maßgebliche Statut .....................................................176 (4) Grenzen funktionell-einheitlicher Qualifikation .........180 (5) Kritik an funktionell-einheitlicher Qualifikation überzeugt nicht ...........................................................182 (6) Zwischenergebnis .......................................................187 2. Reichweite des auf den jeweiligen Anspruch anzuwendenden Rechts ..............................................................188 D. Anknüpfungspunkte ..............................................................................188 I. Anknüpfungspunkt des Art. 11 Abs. 1 Rom II-VO ..........................189 1. Reichweite der Wendung „Rechtsverhältnis“ .............................191 a) Anknüpfung an rein faktische Verhältnisse? .........................191 b) Keine Beschränkung auf bestimmte Rechtsverhältnisse ........192 c) Anknüpfung an ein „hypothetisches“ Vertragsstatut .............195 2. Parteiidentität erforderlich ..........................................................196 3. Zur Entstehungsreihenfolge ........................................................199 4. Voraussetzungen einer „engen Verbindung“ ..............................200 II. Anknüpfungspunkt des Art. 11 Abs. 2 Rom II-VO ..........................202 1. Einführung .................................................................................202 2. Zum Anknüpfungspunkt .............................................................203 III. Anknüpfungspunkt des Art. 11 Abs. 3 Rom II-VO ..........................207 1. Meinungsstand ...........................................................................208 a) Kategorisierung.....................................................................208 aa) „Handlungsort“................................................................208 bb) „Erfolgsort“ .....................................................................210 b) Begriffsverständnis ...............................................................213 aa) „Handlungsort“................................................................214 bb) „Erfolgsort“ .....................................................................215 2. Stellungnahme............................................................................216 a) Vorweg: Beachtung der Wortlautgrenze ist zwingend ...........216 b) Kritik am Begriffsverständnis des Schrifttums ......................218 c) Definition des Ortes der Geschäftsführung............................222 d) Problem: Mehrheit von Geschäftsführungsorten ...................222 aa) Keine Mosaikbetrachtung ................................................223 bb) Keine Schwerpunktbildung ..............................................224

Inhaltsverzeichnis

XVII

cc) Gründe für die Anknüpfung an den Tätigkeitsbeginn.......225 (1) Genese .......................................................................226 (2) Teleologische Betrachtung .........................................228 (a) Verwirklichung des Prinzips der engsten Verbindung ...........................................................228 (b) Keine Aussagekraft der „Interessen“.....................229 (c) Ziel: Anknüpfung an einen neutralen Ort ..............230 (3) Ort des Tätigkeitsbeginns als (grundsätzlich) neutraler Anknüpfungspunkt ......................................232 (4) Zusammenfassung und Bedeutung für Art. 11 Abs. 3 Rom II-VO ......................................................238 3. Lückenfüllung ............................................................................242 a) Vorliegen einer Lücke ...........................................................243 b) Lückenfüllung .......................................................................244 4. Sonderkonstellation: Geschäftsführung erfolgt in extraterritorialem Gebiet ........................................................250 IV. Zur Ausweichklausel des Art. 11 Abs. 4 Rom II-VO .......................252 1. Fallgruppe der Begleichung fremder Schulden ...........................253 a) Lösung mittels teleologischer Extension des Abs. 1? ............253 b) Auch keine Fallgruppe für die Ausweichklausel ...................254 c) Rechtspolitische Bewertung ..................................................255 2. Privilegierung der typischerweise unterlegenen Partei bei einer „Unternehmer-Verbraucher-Geschäftsführung“? ...............255 § 4 Art. 39 EGBGB ....................................................................................257 A. Einführung und verbliebener Anwendungsbereich ................................257 I. Altfälle ............................................................................................258 II. Verbliebene Relevanz außerhalb des materiellen Anwendungsbereichs der Rom II-VO ..............................................259 1. Öffentlich-rechtliche Geschäftsführung ohne Auftrag ................260 2. Fallgestaltungen im Rahmen des Art. 1 Abs. 2 Rom II-VO ........260 III. Zwischenergebnis ............................................................................261 B. Anknüpfungsgegenstand .......................................................................261 I. Meinungsstand .................................................................................261 II. Stellungnahme .................................................................................261 III. Reichweite des Statuts .....................................................................263 C. Anknüpfungspunkte ..............................................................................264 I. Regelanknüpfung .............................................................................264 1. Vornahmeort, Art. 39 Abs. 1 EGBGB ........................................264 a) Meinungsstand ......................................................................265 b) Stellungnahme ......................................................................266 c) Rechtsfortbildungsbedürftigkeit ............................................268

XVIII

Inhaltsverzeichnis

aa) Schaffung einer Lücke mittels teleologischer Reduktion ........................................................................268 bb) Schließung der Lücke ......................................................270 d) Sonderkonstellation: Geschäftsführung wird in extraterritorialem Gebiet vorgenommen ................................270 2. Art. 39 Abs. 2 EGBGB ...............................................................272 a) Allgemeines ..........................................................................272 b) Problembereiche ...................................................................272 aa) Verpflichtung gegenüber dem Schuldner der getilgten Forderung ...................................................272 bb) Verpflichtung gegenüber dem Gläubiger der getilgten Forderung ...................................................273 II. Ausweichklausel, Art. 41 EGBGB ...................................................275 1. Allgemeines ...............................................................................275 2. Regelbeispiele, Art. 41 Abs. 2 EGBGB ......................................276 a) Besondere rechtliche oder tatsächliche Beziehung zwischen den Beteiligten.......................................................276 b) Gemeinsamer gewöhnlicher Aufenthalt ................................278 c) Rangverhältnis ......................................................................279 d) Ausnahmen ...........................................................................279 D. Renvoi? .................................................................................................280

3. Teil: Die Geschäftsführung ohne Auftrag im Internationalen Zivilprozessrecht ............................................. 285 § 5 Europäisches IZPR ..............................................................................285 A. Allgemeiner Gerichtsstand ....................................................................286 B. Eröffnung eines besonderen Gerichtsstands?.........................................286 I. Keine internationale Zuständigkeit am Vertragsgerichtsstand ..........287 1. Zum „Dienstleistungsgerichtsstand“ ...........................................288 2. Der allgemeine Vertragsgerichtsstand eröffnet keinen einheitlichen internationalen Gerichtsstand am Ort der Geschäftsübernahme ............................................................290 II. Eröffnung des Deliktsgerichtsstands? ..............................................291 1. Meinungsstand ...........................................................................291 2. Stellungnahme............................................................................292 a) Geschäftsführung ohne Auftrag – ein Schuldverhältnis im Sinne des Art. 7 Nr. 2 Brüssel Ia-VO? .............................293 aa) Überlegungen mit Blick auf den Wortlaut .......................293 bb) Teleologische Argumente ................................................294 cc) Zwischenergebnis ............................................................295

Inhaltsverzeichnis

XIX

b) Beschränkung der Kognitionsbefugnis durch die Rechtsfolge?....................................................................295 c) Zur angeblichen Kausalitätsproblematik ...............................298 d) Lokalisierung der internationalen Zuständigkeit ...................298 e) Zwischenergebnis .................................................................299 III. Jedenfalls keine Lückenfüllung........................................................300 § 6 Autonomes deutsches IZPR ..................................................................301 A. Allgemeiner Gerichtsstand ....................................................................301 B. Eröffnung eines besonderen Gerichtsstands?.........................................301 I. Keine Eröffnung des Vertragsgerichtsstands ....................................301 II. Zum Deliktsgerichtsstand ................................................................302 § 7 Insbesondere: Behandlung des internationalen Unterhaltsregresses ...303 A. Einführung ............................................................................................303 B. Gerichtsstände.......................................................................................304 C. Restbedeutung des autonomen deutschen IZPR ....................................306

Wesentliche Ergebnisse in Thesenform ................................... 309 § 1 Rechtsfindung im europäischen Kollisionsrecht...................................309 § 2 Zum teleologischen Kriterium und der Auslegung anhand des „inneren Systems“ ...............................................................................310 § 3 Art. 11 Rom II-VO ...............................................................................312 § 4 Art. 39 EGBGB ....................................................................................317 § 5 Europäisches IZPR ..............................................................................318 § 6 Autonomes deutsches IZPR ..................................................................320 § 7 Insbesondere: Behandlung des internationalen Unterhaltsregresses ...320 Literaturverzeichnis ....................................................................................321 Sachregister ................................................................................. 333

Abkürzungsverzeichnis a. A. a. E. a. F. aaO ABGB ABl. abl. Abs. AcP AEUV Allg. Meinung Alt. Anm. (d. Verf.) Art. Aufl.

andere Auffassung am Ende alte Fassung am angegebenen Ort (Österreichisches) Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch Amtsblatt der Europäischen Union ablehnend Absatz Archiv für die civilistische Praxis Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union Allgemeine Meinung Alternative Anmerkung (des Verfassers) Artikel Auflage

BeckOGK BeckOK BGB

beck-online.GROSSKOMMENTAR zum Zivilrecht Beck’scher Online-Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch Beck’scher Online-Kommentar zum Grundgesetz Beck’scher Online-Kommentar zur Zivilprozessordnung Begründer Band Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgerichtshof Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen Bundesgesetzblatt Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen Beispiel

BeckOK GG BeckOK ZPO Begr. Bd. BGB BGH BGHZ BGBl. Brüssel I-VO

Brüssel Ia-VO

Bsp.

XXII

Abkürzungsverzeichnis

BVerfG BVerfGE bzw.

Bundesverfassungsgericht Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts beziehungsweise

Clunet

Journal du droit international „Clunet“

d. h. DCFR ders. dies.

das heißt Draft Common Frame of Reference derselbe dieselbe(n)

endg. ed. / eds. éd. Ed. EGBGB EGV Einl. EL Erman

endgültig editor / editors / edition [EN]; edición [ES]; edizione [IT] édition Edition Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche EG-Vertrag Einleitung Ergänzungslieferung Erman Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch mit Nebengesetzen Erwägungsgrund et alii et sequens et cetera Europäische Union Europäischer Gerichtshof Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen Verordnung (EU) 2015/848 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Mai 2015 über Insolvenzverfahren Verordnung (EG) Nr. 4/2009 des Rates vom 18. Dezember 2008 über die Zuständigkeit, das anwendbare Recht, die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen und die Zusammenarbeit in Unterhaltssachen Zeitschrift Europarecht Europäisch Vertrag über die Europäische Union Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht Übereinkommen von Rom über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht vom 19. Juni 1980

ErwGr. et al. et seq. etc. EU EuGH EuGVÜ

EuInsVO EuUntVO

EuR Europ. EUV EuZW EVÜ

f. / ff. Fn. frz. ZGB FS

folgende Fußnote(n) französisches Zivilgesetzbuch / Code civil Festschrift

GbR

Gesellschaft bürgerlichen Rechts

Abkürzungsverzeichnis

XXIII

GG ggf. GmbH GoA GPR GRUR

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland gegebenenfalls Gesellschaft mit beschränkter Haftung Geschäftsführung ohne Auftrag Zeitschrift für das Privatrecht der Europäischen Union Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht

h. M. Halbbd. Hervorh. d. Verf. Hrsg. Hs.

herrschende Meinung Halbband Hervorhebung(en) durch Verfasser Herausgeber(in) Halbsatz

i. V. m. insb. IPR IPRax ital. ZGB IPG IZPR

in Verbindung mit insbesondere Internationales Privatrecht Praxis des Internationalen Privat- und Verfahrensrechts italienisches Zivilgesetzbuch / Codice civile Gutachten zum internationalen und ausländischen Privatrecht Internationales Zivilprozessrecht

JBl. JURA JuS JZ

Juristische Blätter Juristische Ausbildung Juristische Schulung Juristenzeitung

krit.

kritisch

LG Lloyd’s M. C. L. Q.

Landgericht Lloyd’s Maritime and Commercial Law Quarterly

Müko BGB Müko FamFG Müko ZPO mwN

Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch Münchener Kommentar zum FamFG Münchener Kommentar zur Zivilprozessordnung mit Gerichtsverfassungsgesetz und Nebengesetzen mit weiteren Nachweisen

Neubearb. NJW NK-BGB No. Nr. NZG NZI

Neubearbeitung Neue Juristische Wochenschrift NomosKommentar BGB Number(s) Nummer(n) Neue Zeitschrift für Gesellschaftsrecht Neue Zeitschrift für Insolvenz- und Sanierungsrecht

öst. IPR-Gesetz OLG

IPR-Gesetz für die Bundesrepublik Österreich Oberlandesgericht

p.

page(s) [EN]; page(s) [FR]; página(s) [ES]; pagina/e [IT]

XXIV

Abkürzungsverzeichnis

para.

Paragraph(s) [EN]; paragraphe(s) [FR]

RabelsZ

RIW Rn. Rs.

Rabels Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht Reichsgericht Entscheidungen des Reichsgerichts Verordnung (EG) Nr. 593/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Juni 2008 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht Verordnung (EG) Nr. 864/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Juli 2007 über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht Recht der Internationalen Wirtschaft Randnummer(n) Rechtssache

S. sog. span. ZGB ss. st. Rspr.

Seite(n) sogenannte/r/s spanisches Zivilgesetzbuch / Código Civil suivantes ständige Rechtsprechung

TA

Tribunal d’Arrondissement

u. a. UAbs.

unter anderen/m Unterabsatz

v. Verf. VersR VerwArch

Vol. Vorb.

von Verfasser Versicherungsrecht Verwaltungs-Archiv – Zeitschrift für Verwaltungslehre, Verwaltungsrecht und Verwaltungspolitik vergleiche Verordnung Nr. 1 zur Regelung der Sprachenfrage für die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft Volume(s) Vorbemerkung

WVRK

Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge

ZEuP zit. ZfPW ZfRV

Zeitschrift für europäisches Privatrecht zitiert Zeitschrift für die gesamte Privatrechtswissenschaft Zeitschrift für Europarecht, Internationales Privatrecht und Rechtsvergleichung Zeitschrift für öffentliches Recht zustimmend Zeitschrift für Vergleichende Rechtswissenschaft Zeitschrift für Zivilprozess

RG RGZ Rom I-VO

Rom II-VO

vgl. VO Nr. 1

ZöffR zust. ZVglRWiss ZZP

Einführung Die Dogmatik des Instituts der Geschäftsführung ohne Auftrag ist bereits nach nationalem sachrechtlichem Verständnis äußerst umstritten.1 Eine vergleichbare Disparität des rechtswissenschaftlichen Diskurses findet sich auf kollisionsrechtlicher Ebene. Hier sind noch einige Probleme dieses Rechtsinstituts nicht zufriedenstellend gelöst. Dies betrifft indes nicht nur die Frage nach dem anwendbaren Sachrecht; auch die Bestimmung des international zuständigen Gerichts bedarf einer näheren Betrachtung. Im Fokus dieser Arbeit werden gleichwohl die Probleme im international-privatrechtlichen Bereich stehen. Hier genießt seit einigen Jahren mit den in Art. 11 Rom II-VO enthaltenen Anknüpfungen europäisches Recht eine herausragende Bedeutung. Obwohl die Rom II-VO bereits seit mehr als zehn Jahren in Kraft ist, konnte bislang nur wenig Erfahrung mit dieser Kollisionsnorm gesammelt werden; sie wurde im rechtswissenschaftlichen Dialog (wenn überhaupt) nur knapp behandelt. Das Kollisionsrecht der Geschäftsführung ohne Auftrag führt ein Schattendasein. Dieses Prädikat wird ihr schon seit über einem Jahrhundert immer wieder verliehen2 und in jüngerer Zeit des Öfteren bekräftigt.3 Auch an dieser Stelle kann sich dieser Feststellung nur angeschlossen werden. Insbesondere die bis zum heutigen Tage erschienenen Judikate, die sich näher mit Art. 11 Rom IIVO beschäftigen, können an einer Hand abgezählt werden. Aber auch die rechtswissenschaftlichen Beiträge zum Kollisionsrecht der Geschäftsführung ohne Auftrag sind rar gesät. Monographische Abhandlungen, die sich vorwiegend mit Art. 11 Rom IIVO (oder Art. 39 EGBGB) beschäftigen, sind bislang nicht erschienen.4 Zwar 1

Zu der Vielfältigkeit des Meinungsstandes siehe Meier, Das subjektive System der Geschäftsführung ohne Auftrag, 2019, S. 25 ff. 2 Siehe die Nachweise bei Wandt, GoA im IPR, 1989, S. 19. 3 Siehe nur Thorn, in: Grüneberg, 81. Aufl. 2022, Art. 11 Rom II-VO Rn. 1 und Dornis, RabelsZ 80 (2016), 543, 544 (auch mwN). Siehe ferner Nehne, IPRax 2012, 136, der in Fn. 5 zusätzlich exemplarisch auf den Beitrag Thomas Kadner Grazianos (RabelsZ 73 [2009], 4 ff.) hinweist, in dem den Art. 10–12 Rom II-VO nur vier Seiten, der Geschäftsführung ohne Auftrag sogar lediglich eine Seite gewidmet wird (aaO, 65 f.). 4 Um das Jahr 1990 herum sind zwei Dissertationen veröffentlicht worden, die allerdings beide einen Regelungsvorschlag für die seinerzeit noch ungeregelten Rechtsfragen entwickelten, siehe Wandt, Die Geschäftsführung ohne Auftrag im Internationalen Privatrecht, 1989; Habermann, Die Geschäftsführung ohne Auftrag im System des deutschen Internationalen Privatrechts, 1990.

2

Einführung

behandeln manche Dissertationen die hier zu untersuchende Fragestellung, allerdings lediglich am Rande.5 Hinsichtlich der europäischen Kollisionsnorm sind indes kleinere wissenschaftliche Beiträge zu sehen.6 Zudem betrachten Christoph Wendelstein7 und Dirk Looschelders8 in ihren Aufsätzen jeweils ausgewählte Teilbereiche des Rechtsinstituts. Ferner ist die von Tim W. Dornis verfasste Abhandlung in RabelsZ zu beachten.9 Hier wird die Anknüpfung nach Art. 11 Abs. 3 Rom II-VO erstmals in einem größeren Beitrag aufgegriffen. Eine grundlegende dogmatische Aufarbeitung können die genannten Beiträge allerdings schon ob ihres Umfangs nicht leisten – auch wenn sie allesamt einige wertvolle Anstöße liefern, mit denen sich die folgende Untersuchung auseinandersetzen wird. Schließlich finden sich auch in den einschlägigen Kommentierungen zu Art. 11 Rom II-VO keine vertieften Ausführungen zu den dogmatischen Grundlagen des Kollisionsrechts der Geschäftsführung ohne Auftrag.10 Selbiges gilt für die autonome deutsche Ebene.11 Das ist unbefriedigend. Denn schon aus praktischer Sicht verdient das Kollisionsrecht der Geschäftsführung ohne Auftrag eine größere wissenschaftliche Beachtung, als teilweise angenommen wird.12 Die Kollisionsnormen gelangen in etlichen Fällen zur Anwendung, denn das Rechtsinstitut löst materiell-recht5 Späth, Gewerbliche Erbensuche, 2008, S. 275 ff.; Wendelstein, Kollisionsrechtliche Probleme der Telemedizin, 2012, S. 414 ff. (die dort angestellten Überlegungen wurden insbesondere in seine Kommentierung zu Art. 11 Rom II-VO [ders., in: Soergel, 13. Aufl. 2019, Art. 11 Rom II-VO] übernommen und dort weitergeführt); v. Domarus, Internationales Arzthaftungsrecht, 2013, S. 76 ff. 6 Siehe etwa Nehne, IPRax 2012, 136; G. Fischer, FS Spellenberg, 2010, S. 151 (161 ff.); Kadner Graziano, RabelsZ 73 (2009), 1; G. Wagner, IPRax 2008, 1. 7 Wendelstein, GPR 2014, 46. 8 Looschelders, IPRax 2014, 406. 9 RabelsZ 80 (2016), 543 ff. 10 Eine Ausnahme dazu stellen die Kommentierungen von Jakob/Picht, in: Europ. Zivilprozess- und Kollisionsrecht, 4. Aufl. 2016, Art. 11 Rom II-VO und Schinkels, in: BeckOGK, 1.8.2018, Art. 11 Rom II-VO sowie Wendelstein, in: Soergel, 13. Aufl. 2019, Art. 11 Rom II-VO dar. 11 In dieser Hinsicht beachtenswert ist aber der Aufsatz von G. Fischer, IPRax 2002, 1 ff. 12 Zur praktischen Relevanz krit. etwa Jakob/Picht, in: Europ. Zivilprozess- und Kollisionsrecht, 4. Aufl. 2016, Art. 11 Rom II-VO Rn. 1. Siehe darüber hinaus Lein et al., Study on the Rome II Regulation, 2021, p. 717 et. seq., bei deren empirischer Studie zur Rezeption der Rom II-VO in den Mitgliedstaaten nur 11 der 95 Teilnehmer auf die Frage, mit welcher Vorschrift dieser Verordnung sie in ihrer Arbeit am meisten zu tun hätten („Which provisions of the Rome II Regulation do you refer to most frequently in your practice/work?“), Art. 11 Rom II-VO angaben. Schlechter schnitten lediglich die Art. 9, 25, 13, 29, 30 und 21 Rom II-VO ab. Dieses Ergebnis könnte indes auch darauf zurückzuführen sein, dass die GoA als materiell-rechtliches Rechtsinstitut in vielen Staaten weniger präsent ist als etwa in Deutschland, so dass sie bei der Rechtsanwendung eventuell mitunter übersehen wird. So zeigt auch die oben zitierte Studie, dass Art. 11 Rom II-VO nur in Deutschland und Österreich problematisiert wird, aaO, p. 710 et. seq.

Einführung

3

lich ganz unterschiedliche Ausgleichsprobleme.13 Es kommt bei tatsächlichem wie rechtsgeschäftlichem Handeln in Betracht und sorgt nicht nur bei altruistischen Eingriffen für einen interessengerechten Ausgleich, sondern auch in den dem Wirtschaftsleben zuzuordnenden Sachverhalten. Diese Relevanz gilt entsprechend für die internationale Ebene, weil grenzüberschreitendes Handeln – gleich ob rein altruistisch oder auch durch eigene Interessen veranlasst – in Zukunft nicht zuletzt aufgrund der europäischen Freizügigkeit oder der immer kürzeren Transport- und Kommunikationswege deutlich vermehrt auftreten wird.14 So lag etwa der bedeutendsten Entscheidung zu Art. 11 Rom II-VO, die vom LG München I stammt, eine grenzüberschreitende gewerbliche Erbensuche zugrunde.15 Und auch die grenzüberschreitende Tilgung fremder Schulden beschäftigte schon die Gerichte.16 Das Kollisionsrecht der Geschäftsführung ohne Auftrag ist daneben (und vor allem) von besonders großem dogmatischem Interesse. An Art. 11 Rom IIVO und Art. 39 EGBGB lassen sich verschiedene Grundfragen des Internationalen Privatrechts anschaulich diskutieren. Diesbezüglich zu nennen ist etwa die Frage, inwieweit auch auf der Ebene des IPR die im materiellen Privatrecht bereits erfolgte Evolution der Interessenjurisprudenz hin zu einer wertungsjuristischen Erfassung dieses Rechtsgebiets nachvollzogen werden kann. Daneben kann auf die Bedeutung „autonomer Qualifikation“ eingegangen werden, wenn beispielsweise die Auswirkungen einer materiell-rechtlich vorhandenen Konkurrenz von Ansprüchen aus auftragsloser Geschäftsführung und solchen aus Delikt auf das IPR hinterfragt werden. Weil mit Art. 11 Rom II-VO die Auslegung einer europäischen Kollisionsnorm im Zentrum steht, ist außerdem auf die Frage einzugehen, welches Methodenmodell man für ihre Interpretation anzulegen hat. Dazu gibt es aktuell noch einige offene Fragen, die auch von den in jüngerer Zeit vermehrt erschienen Monographien zu diesem Thema nicht zur vollsten Zufriedenheit gelöst worden sind. All dies belegt, dass sich die Bedeutung der vorliegenden Arbeit nicht bloß in der Erarbeitung eines dogmatischen Konzepts für das Kollisionsrecht der Geschäftsführung ohne Auftrag erschöpft. Wurde der aktuelle Stand der Wissenschaft schon in Bezug auf Art. 11 Rom II-VO und Art. 39 EGBGB als unbefriedigend bezeichnet, kann jener bezüglich der Frage nach der international-zivilprozessualen Behandlung von Ansprüchen aus auftragsloser Geschäftsführung mit ungenügend umschrieben 13

Vgl. für Art. 39 EGBGB BT-Drs. 14/343, S. 9. Vgl. Wendelstein, GPR 2014, 46, der mit Verweis auf die zunehmenden Möglichkeiten der Kommunikations- und Interaktionsmittel eine steigende Anzahl an Distanzgeschäftsführungsmaßnahmen prognostiziert (aaO, Fn. 31). 15 18.4.2013 – 10 O 6084/12 = IPRax 2014, 438. 16 OLG Köln 22.11.2018 3 U 78/17 = RdTW 2019, 136 sowie TA Luxembourg, 31.1.2014, no. 204/2014 und 19.12.2014, no. 2585/2014, no. 149.694 – zit. nach Lein et al., Study on the Rome II Regulation, 2021, p. 374 (jeweils Erstattung verauslagter Zölle). 14

4

Einführung

werden. In der (europäischen) Rechtswissenschaft haben sich die meisten, die sich überhaupt näher mit der Qualifikation dieser Ansprüche auseinandergesetzt haben, einem Aufsatz von Anatol Dutta aus dem Jahre 201117 angeschlossen, der zwar äußerst bedeutsame Impulse liefert, jedoch Anlass für eine weitergehende Auseinandersetzung mit seinen Thesen bietet. Aus der Rechtsprechung ist nur eine Entscheidung nennenswert, die auch den Anstoß für Duttas Beitrag gab.18 Vor diesem Hintergrund gliedert sich die folgende Bearbeitung in drei Teile. Während in den §§ 3 und 4 das Internationale Privatrecht der GoA einer eingehenden Untersuchung unterzogen werden soll und in den §§ 5 bis 7 die international-prozessrechtliche Ebene beleuchtet wird, dienen die §§ 1 und 2 dazu, die hierfür erforderlichen methodischen Grundlagen zu klären. Dieser Teil steht – gleichsam als Allgemeiner Teil dieser Arbeit – für sich; auf die dort gewonnenen Erkenntnisse wird im weiteren Verlauf der Arbeit immer wieder zurückgegriffen werden.

17 18

IPRax 2011, 134. OLG Köln 13.5.2009 – 6 U 217/08 = IPRax 2011, 174.

1. Teil:

Methodische Grundlegung Bevor die thematisch einschlägigen Kollisionsnormen genauer untersucht werden, gilt es zunächst, die dafür erforderliche Grundlage – namentlich die juristische Methodik – zu klären. Dass die vorliegende Arbeit der methodischen Grundlegung einen zugegebenermaßen recht umfangreichen Teil einräumt, mag verwundern, da man Methoden für gewöhnlich nicht gesondert thematisiert, sondern schlicht anwendet. Eine genauere Beschäftigung mit diesem Thema ist aber schon deshalb lohnenswert, weil sich die Untersuchung vor allem mit der dogmatischen Aufarbeitung zweier Kollisionsnormen beschäftigt, von der die prominenteste, Art. 11 Rom II-VO, zudem dem europäischen Recht entspringt. Während die Auslegung des Art. 39 EGBGB als autonome deutsche Kollisionsnorm auf die Erkenntnisse der autonomen deutschen Methodenwissenschaft zurückgreifen kann, die wiederum Ergebnisse aus einer Fülle an rechtswissenschaftlichen Beiträgen vereint, welche teilweise sogar bis in das frühe 19. Jahrhundert zurückreichen, ist dies auf europäischer Ebene anders. Hier können nicht die für autonome deutsche (Kollisions-) Normen erarbeiteten Methoden herangezogen werden, weil es sich um eine andere Rechtsquelle handelt. Es wird aufzuzeigen sein, dass europäisch-autonome Ansätze für die Rechtsfindung zu entwickeln sind.1 Die Rechtsfindungsmethodik in diesem Bereich – dem des europäischen (Sekundär-) Rechts – ist bislang nicht hinreichend erforscht. Wie zu zeigen sein wird, stellt sich hier eine Reihe nicht unerheblicher Probleme. Dazu zählt insbesondere der Umgang mit der Mehrsprachigkeit des Unionsrechts. Daneben gibt es aber noch weitere neuralgische Punkte, die etwa dem fragmentarischen Charakter der europäischen Rechtsordnung geschuldet sind. Außerdem gilt es zu klären, inwieweit die Wertungen der mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen auf die Auslegung und Fortbildung des Unionsrechts Einfluss nehmen und dadurch Teil von ihm werden. Wenngleich die europäische Rechtswissenschaft auf dem Gebiet der Methodik in jüngerer Zeit erhebliche Fortschritte gemacht hat, sind insbesondere die genannten Probleme noch nicht befriedigend gelöst. Das ist bedauerlich, da all jene Punkte für diese Arbeit relevant sind. Anders liegt es dagegen, wie erwähnt, auf autonomer deutscher Ebene: Die heute herrschende Technik der Rechtsauslegung und -fortbildung der vom deutschen Gesetzgeber stammenden Normen stützt sich auf die Erkenntnisse 1

Siehe unten S. 6 f.

6

1. Teil: Methodische Grundlegung

eines langjährigen Diskurses, dem in den wesentlichen, hier interessierenden Punkten eine gefestigte allgemeine Überzeugung entsprungen ist. Von ihrer Darstellung soll deshalb abgesehen werden. Allerdings ist die autonome nationale Methodenlehre aufgrund ihrer langen Tradition und fein ausgearbeiteten Methodik von Relevanz, um vielleicht manche der dort angestellten Überlegungen auch auf eine europäische Methodenlehre übertragen zu können. Auf sie soll daher an den passenden Stellen rekurriert werden. Neben Begriffen wie Auslegung und Rechtsfortbildung, grammatisches Interpretationskriterium und Analogie, die einem Juristen typischerweise als Erstes in den Sinn kommen, wenn er sich mit Methodik beschäftigt, wird die Arbeit in dem zweiten Abschnitt dieses Teils aber auch näher auf das teleologische Auslegungselement eingehen und sich hierüber – gleichsam als dogmatischen Ankerpunkt – mit Themen wie der Interessen- und der Wertungsjurisprudenz auseinandersetzen. In diesem Bereich lässt nicht nur die europäische Rechtsmethodik auf der Ebene des Internationalen Privatrechts noch Raum für tiefergehende Untersuchungen.

§ 1 Rechtsfindung im europäischen Kollisionsrecht Wie bereits in der Einleitung zu diesem Teil der vorliegenden Arbeit angedeutet, kann auf der Ebene des europäisch-vereinheitlichten Kollisionsrechts nicht ohne Weiteres mit den autonomen deutschen Begrifflichkeiten und Modellen gearbeitet werden. Denn die europäischen Kollisionsregeln sind (allermeist2) in Verordnungen im Sinne des Art. 288 Abs. 2 AEUV niedergelegt und beanspruchen somit unmittelbare Geltung in sämtlichen Mitgliedstaaten der Europäischen Union.3 Mit der Europäisierung des Kollisionsrechts wurde insbesondere das Ziel der Rechtsvereinheitlichung angestrebt.4 Um dieses zu erreichen, muss ein vom nationalen Verständnis losgelöstes, mithin autonom-gemeinschaftsrechtliches Methodenmodell entwickelt werden. Denn es kann erst dann wirklich von einer Einheit des Rechts gesprochen werden, wenn auch die Anwendung des staatsübergreifend vereinheitlichten Rechts innerhalb seines Geltungsbereichs auf die gleiche Weise erfolgt.5 Die nationalen Methodenlehren der Mitgliedstaaten können historisch bedingt voneinander abweichen, so dass die Gefahr besteht, dass das Ziel der Rechtsvereinheitlichung nicht vollständig 2

Es existiert beispielsweise auch Richtlinienkollisionsrecht, vgl. v. Hein, in: MüKo BGB, 8. Aufl. 2020, Art. 3 EGBGB Rn. 75. 3 Siehe zum räumlichen Geltungsbereich Art. 52 EUV, 355 AEUV. 4 Siehe nur KOM (2003) 427 endg., S. 5. 5 Colneric, ZEuP 2005, 225; Vogenauer, ZEuP 2005, 234, 236 f.; Hess, IPRax 2006, 348, 352; siehe auch BVerfG 9.1.2001 – 1 BvR 1036/99 = NJW 2001, 1267, 1268: „[…] der Begriff des europäischen Rechts [umfasst] nicht nur materielle Rechtsnormen, sondern auch die Methodenwahl.“

§ 1 Rechtsfindung im europäischen Kollisionsrecht

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erreicht würde, wenn jedes nationale Gericht „seine“ Methodik anwendete.6 Außerdem ist zweifelhaft, ob die mitgliedstaatlichen Gerichte dann in der Lage wären, mit den Eigenarten des Unionsrechts, die jenen der Mitgliedstaaten fremd sein können, sachgerecht umzugehen; die nationalen Methodenlehren haben sich schließlich in Bezug auf die jeweilige Rechtsordnung entwickelt und sind folglich (nur) auf sie abgestimmt.7 Wenn von einer „autonomen Auslegung“ gesprochen wird, ist also nicht nur gemeint, dass die Begriffsbildung vom nationalen Verständnis losgelöst erfolgen soll,8 sondern auch eine autonome europäische Methodenlehre der Rechtsfindung zugrunde zu legen ist. Das schließt nicht nur die Rechtsfindungstechniken, sondern auch die ihr zugrunde liegenden Begriffe ein.9 Da es sich bei den das Internationale Privatrecht bildenden Rechtsakten, wie gesagt, insbesondere um Verordnungen im Sinne des Art. 288 Abs. 2 AEUV handelt und diese zum Sekundärrecht der EU zählen,10 sind die dafür entwickelten juristisch-methodischen Grundsätze heranzuziehen.11 A. Auslegung I. Begriffsklärung Auf europäischer Ebene herrscht schon über die Bedeutung des Begriffs „Auslegung“ keine Einigkeit. Allgemein anerkannt ist aber, dass Auslegung zunächst das Verstehen von sprachlichen Äußerungen meint;12 sie erläutert und verdeutlicht den Sinn einer Vorschrift.13 Der Auslegung ist damit ein gewisser

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Vgl. Nehne, Methodik, 2012, S. 43 ff. Nehne, Methodik, 2012, S. 44 f. 8 Für ein solches Verständnis der „autonomen Auslegung“ siehe nur ErwGr. 11 der Rom II-VO: „Im Sinne dieser Verordnung sollte der Begriff des außervertraglichen Schuldverhältnisses […] als autonomer Begriff verstanden werden.“ 9 Vgl. Nehne, Methodik, 2012, S. 23 ff. 10 Zum Begriff des Sekundärrechts Nettesheim, in: Grabitz/Hilf/ders., 74. EL September 2021, Art. 288 AEUV Rn. 30. 11 Nehne, Methodik, 2012, S. 23. Die Notwendigkeit einer methodischen Unterscheidung von Primär- und Sekundärrecht, wie sie etwa in der deutschen Methodenlehre (Verfassungsund einfaches Recht) bekannt ist, wird zum Teil bestritten, da das Primärrecht nicht mit den nationalen Verfassungsrechten, die aufgrund ihrer Spezifika eine vom einfachen Recht abweichende Methodik erfordern, vergleichbar sei, so dass auch für das Primärrecht die Methodik des Sekundärrechts herangezogen werden könne, siehe Herresthal, in: Arnold (Hrsg.), Grundlagen, 2014, S. 49, 62 ff. A. A. etwa Bleckmann, NJW 1982, 1177, 1178. Die Frage, ob auch dem Primärrecht die Methodik des Sekundärrechts zugrunde liegen sollte, entfaltet hier allerdings aus den im Text genannten Gründen keine Relevanz und bedarf daher keiner Vertiefung und Entscheidung. 12 Schübel-Pfister, Sprache, 2004, S. 122 f. 13 Siehe nur EuGH 27.3.1980, Rs. 61/79 = NJW 1980, 2008, 2009. 7

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1. Teil: Methodische Grundlegung

interpretatorischer Akt inhärent.14 Umstritten ist aber, ob der Begriff auch jene Rechtsfindung umfasst, die über die Interpretation des geschriebenen Rechts15 hinausgeht. Dieser Bestandteil richterlicher Rechtsfindung wird auf autonomer deutscher Ebene als Rechtsfortbildung bezeichnet.16 Es stellt sich die Frage, ob auch in der europäischen Methodenlehre dahingehend terminologisch sowie methodisch unterschieden werden sollte, und bejahendenfalls, wo die Grenze der Auslegung zu markieren ist. 1. Notwendigkeit einer Auslegungsgrenze Der EuGH geht im Anschluss an die französische Methodenlehre von einem weiten Begriffsverständnis aus – er spricht pauschal von „interprétation“17 und kennt somit weder eine begriffliche noch methodische Trennung von Auslegung im engeren Sinne und darüberhinausgehender Rechtsfindung;18 Teile der Rechtswissenschaft pflichten ihm bei.19 Während sich der EuGH selbst in aller Regel nicht weiter zu der von ihm zugrunde gelegten Methodik äußert,20 begründet die Literatur die Ablehnung dieser begrifflichen und methodischen Unterscheidung mit Eigenarten des Unionsrechts, die eine Grenzziehung unmöglich, ungerechtfertigt oder wenigstens verzichtbar erscheinen ließen. 14

Colneric, ZEuP 2005, 225; Buck, Auslegungsmethoden, 1998, S. 31. Vgl. Nehne, Methodik, 2012, S. 24. 16 Siehe Walter, Rechtsfortbildung, 2009, S. 24; Larenz, Methodenlehre, 6. Aufl. 1991, S. 366. Das Abgrenzungskriterium zwischen Auslegung und Rechtsfortbildung auf autonomer deutscher Ebene bildet nach ganz überwiegender Auffassung der noch mögliche Wortsinn des Gesetzes, siehe exemplarisch für die Methodenwissenschaft Kramer, Methodenlehre, 6. Aufl. 2019, S. 63; Zippelius, Methodenlehre, 12. Aufl. 2021, S. 39; Walter, Rechtsfortbildung, 2009, S. 21 ff.; Larenz, Methodenlehre, 6. Aufl. 1991, S. 322; Honsell, in Staudinger, Neubearb. 2018, Einl. BGB Rn. 126; Vogel, Methodik, 1998, S. 117; Säcker, in: MüKo BGB, 8. Aufl. 2018, Einl. BGB Rn. 153; siehe ferner Krey, Gesetzesvorbehalt, 1977, S. 127 ff. mit umfangreichen Nachweisen zu den Gegenansichten sowie zu deren Widerlegung (aaO, S. 146 ff.); dazu auch Canaris, Lückenfeststellung, 2. Aufl. 1983, S. 19 f. 17 Siehe nur Neuner, in: Riesenhuber (Hrsg.), Europäische Methodenlehre, 4. Aufl. 2021, § 12 Rn. 2 (auch mwN); für Beispiele aus der Judikatur des EuGH siehe etwa Henninger, Methode, 2009, S. 298 und Grundmann/Riesenhuber, JuS 2001, 529, 535. 18 Dies wird zwar von Hess, IPRax 2006, 348, 361 für das Europäische Zivilprozessrecht bestritten; die Durchsicht der von ihm zitierten Entscheidungen offenbart aber, dass der EuGH dort lediglich dem „klaren“ Wortlaut den Vorzug bei der Auslegung gibt. Eine bewusste und ausdrückliche Abgrenzung von Auslegung und Rechtsfortbildung kann ihnen nicht entnommen werden. 19 Martens, Methodenlehre, 2013, S. 373 und 504; Groh, Auslegungsbefugnis, 2005, S. 230; Anweiler, Auslegungsmethoden, 1997, S. 39. Maasch, in: FS Raisch, 1995, S. 417, 430 und Henninger, Methode, 2009, S. 410 wollen zwar prinzipiell zwischen Auslegung und Rechtsfortbildung abgrenzen, fassen aber unter den Begriff der Rechtsfortbildung nur jene contra legem und unterscheiden damit letztlich ebenfalls nur die zulässige von der unzulässigen Auslegung. 20 Vgl. Buerstedde, Methodik, 2006, S. 28. 15

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Zunächst wird vorgebracht, dass es sich bei der Differenzierung zwischen Auslegung im engeren Sinne und darüberhinausgehender Rechtsfindung nur um eine Übertragung des innerstaatlichen Methodenmodells handele; eine solche verbiete sich wegen des autonomen Charakters des Unionsrechts.21 Die terminologische und methodische Unterscheidung sei eine Besonderheit der deutschen Methodenlehre, die jener der anderen Mitgliedstaaten fremd sei. Es sei deshalb nicht einzusehen, warum gerade die deutsche Methodenlehre die autonom zu entwickelnde europäische Methodik prägen solle.22 An einer solchen Argumentation trifft zu, dass es bei der Entwicklung einer europäischen Methodenlehre nicht darauf ankommt, wie die Rechtsmethodik in den einzelnen Mitgliedstaaten beschaffen ist. Es darf nicht (irgend-) ein mitgliedstaatliches Modell unhinterfragt übertragen werden. Das Gebot einer autonomen Methodik schließt es aber andererseits nicht aus, einzelne nationale Regelungen zu übernehmen; bei der Ausbildung eines autonomen, von nationalen Vorstellungen losgelösten Methodenmodells kann (und sollte) selbstverständlich auf den Erfahrungen der seit Jahrhunderten gebildeten nationalen Methodenlehren aufgebaut werden.23 Es dürfen allerdings nur solche Regelungen übernommen werden, die auch auf europäischer Ebene sinnhaft und brauchbar sind.24 Die Ablehnung einer solchen begrifflichen und methodischen Trennung kann also nicht schon mit diesem Argument begründet werden; es müsste vielmehr aufgezeigt werden, aus welchen konkreten Gründen ihre Übernahme unstatthaft ist. Darüber hinaus ist auch die These, in Europa trennte nur die deutsche Methodenlehre zwischen Auslegung im engeren Sinne und einer darüberhinausgehenden Rechtsfindung, unzutreffend. Auch andere Mitgliedstaaten unterscheiden entsprechend – wenn vielleicht auch nicht so streng wie die deutsche Jurisprudenz.25 Ferner wird eine Unterscheidung zwischen Auslegung im engeren Sinne und darüberhinausgehender Rechtsfindung deshalb abgelehnt, weil sie bereits nach deutscher Methodenlehre schwerfällig, unscharf und in methodischer Hinsicht irrelevant sei. Es sei nicht einzusehen, diese Abgrenzung, die auf europäischer Ebene aufgrund dessen Eigenarten26 noch schwieriger zu treffen sein werde als auf deutscher, nur wegen einer erhöhten Begründungspflicht beizubehalten.27 Schließlich bilde auch die in der deutschen Methodenlehre als „Rechtsfortbildung“ bezeichnete Rechtsfindung einen prinzipiell zulässigen Teil der richter21

Groh, Auslegungsbefugnis, 2005, S. 178. Groh, Auslegungsbefugnis, 2005, S. 178; Martens, Methodenlehre, 2013, S. 367. 23 Vgl. nur Martens, Methodenlehre, 2013, S. 537; Baldus/Vogel, in: FS Krause, 2006, S. 237, 238. 24 Vgl. dazu Herresthal, ZEuP 2009, 598, 602. 25 Siehe dazu Henninger, Methode, 2009, S. 105 und 107 (Österreich), 158 (Spanien), 166 (Portugal), 172 (Italien), 189 (Osteuropa). 26 Siehe insb. S. 30 f. 27 Maasch, in: FS Raisch, 1995, S. 417, 430. 22

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1. Teil: Methodische Grundlegung

lichen Rechtsfindung, so dass nur die Abgrenzung zwischen zulässiger und unzulässiger Rechtsfindung wirklich von Interesse sei.28 Zuzugeben ist dieser Auffassung zunächst, dass es auch auf deutscher Ebene zulässige und unzulässige Rechtsfortbildung gibt und dass Rechtsfortbildung und Auslegung als nur graduell voneinander abweichende Stufen desselben Gedankens aufgefasst werden können.29 Dies ist auch auf der europäischen Ebene der Fall.30 Auch trifft es zu, dass das von der deutschen Methodenlehre gewählte Unterscheidungskriterium schon auf nationaler Ebene nicht immer völlig trennscharf ist.31 Allerdings ist die Unterscheidung zwischen Auslegung im engeren Sinne und darüberhinausgehender Rechtsfindung aus methodischen Gesichtspunkten sinnvoll. Denn bei Überschreitung der Auslegungsgrenze – wo auch immer sie zu verorten sein mag – erhöht sich die Begründungspflicht des Rechtsanwenders. Diese erschöpft sich aber keinesfalls in einer gesteigerten Anforderung an die Quantität seiner Argumentation, sondern manifestiert sich vielmehr in einer unterschiedlichen Art und Weise der Begründung, also der Anwendung divergierender Argumentationsmethoden.32 Dem Rechtsanwender kommt dann eine von der (reinen) Auslegung grundlegend zu unterscheidende Funktion zu: Es sind nicht mehr fremde Maßstäbe zu konkretisieren, sondern eigene zu entwickeln.33 Dem Richter ist zu signalisieren, dass er nunmehr nicht in dem verfassungsrechtlich ausschließlich ihm zugewiesenen Bereich tätig wird, sondern eine Kompetenz in Anspruch nimmt, die mit denen der Legislative (zumindest) konkurriert.34 Auch auf europäischer Ebene besteht ein Interesse, diese aus der Grenzziehung folgende „Hinweis- und Warnfunktion“35 beizubehalten. Denn hier ist das Prinzip des institutionellen Gleichgewichts zu beachten,36 das dem (deutschen) verfassungsrechtlichen Grundsatz der Gewalten28 Martens, Methodenlehre, 2013, S. 504; Henninger, Methode, 2009, S. 410; Vogenauer, ZEuP 2005, 234, 254 f.; Maasch, in: FS Raisch, 1995, S. 417, 430. 29 Larenz, Methodenlehre, 6. Aufl. 1991, S. 366; siehe auch Möllers, Methodenlehre, 4. Aufl. 2021, § 4 Rn. 35. 30 Martens, Methodenlehre, 2013, S. 504. 31 Siehe nur Honsell, in: Staudinger, Neubearb. 2018, Einl. BGB Rn. 158 und Kramer, Methodenlehre, 10. Aufl. 2019, S. 70 f. für anschauliche Beispiele; so auch schon Savigny, System Bd. 1, 1840, S. 329 f. 32 Vgl. Höpfner/Rüthers, AcP 209 (2009), 1, 5 f.: „[Es] sorgt für Methodenehrlichkeit, da der Rechtsanwender die Abweichung vom Gesetz darlegen und besonders begründen muß.“ Siehe zu diesen speziellen Begründungsmethoden unten S. 53 ff. 33 Vgl. die zur autonomen nationalen Methodenlehre entwickelten Gedanken bei Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, 12. Aufl. 2022, Rn. 817; siehe auch Wenzel, NJW 2008, 345, 346. Das BVerfG spricht von „schöpferischer Rechtsfindung“ (Hervorh. d. Verf.), BVerfG 14.2.1973 – 1 BvR 112/65 = BVerfGE 34, 269, 287. 34 Vgl. Rüthers, JZ 2002, 365, 366. 35 Nehne, Methodik, 2012, S. 25. 36 Vgl. zu dieser Argumentation Riesenhuber, System, 2003, S. 65 f. (auch mwN), der zusätzlich anhand des Demokratieprinzips, der Rechtssicherheit und dem Grundsatz der

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teilung funktional entspricht.37 Außerdem besteht im Unionsrecht die Besonderheit, dass unionsgerichtliche Entscheidungen in den Kompetenzbereich von sogar zwei Gesetzgebern eingreifen können: dem nationalen und dem europäischen.38 Die Hinweis- und Warnfunktion einer Auslegungsgrenze ist hier daher erst recht von Relevanz. Schließlich, so wird weiter vorgetragen, sei ein weiter Auslegungsbegriff, der auch die über den Gesetzeswortlaut hinausgehende Rechtsfindung umfasst, zugrunde zu legen, weil die europäische Rechtsordnung – anders als die deutsche – nicht historisch gewachsen und gerade deshalb in der Regel unvollständig und lückenhaft sei; eine über die Auslegung im engeren Sinne hinausgehende Rechtsfindung sei im Gegensatz zum deutschen Recht die Regel und nicht die Ausnahme.39 Dieses Argument zielt vor allem auf die Rechtsfindung im Bereich des Primärrechts der Europäischen Union ab. Dieses bilde lediglich einen „Rahmenvertrag“, der nur die Zielsetzung enthalte und seiner Natur nach zukunftsoffen und dynamisch ausgestaltet sei, um ein allmähliches Zusammenwachsen der Mitgliedstaaten herbeizuführen.40 Neben den politischen Organen der EU nehme (subsidiär) auch der EuGH Verantwortung innerhalb dieses Integrationsprozesses wahr – und zwar mittels über die Interpretation des geschriebenen Rechts hinausgehender Rechtsfindung.41 Hierzu ist zunächst anzumerken, dass die europäische Integration im Primärrecht heutzutage in sehr vielen Rechtsbereichen bereits deutlich fortgeschritten ist,42 so dass gleichzeitig die (ohnehin allenfalls subsidiär zuerkannte) Integrationsaufgabe des EuGH weiter abgenommen haben wird43 – wollte man ihm eine solche, gegenüber den nationalen Gerichten gesteigerte Funktion überhaupt zusprechen. In jedem Fall indes würde eine solche Aufgabe durch die begriffliche und methodische Unterteilung in Auslegung im engeren Sinne und darüberhinausgehender Rechtsfindung schon gar nicht tangiert; etwas anderes gälte nur, wenn man zugleich die Rechtsfindungsgrenzen weiter nach innen verschöbe, was aber, soweit ersichtlich, nicht vertreten wird. begrenzten Einzelermächtigung argumentiert; zust. Nehne, Methodik, 2012, S. 25. Siehe auch Grundmann/Riesenhuber, JuS 2001, 529, 536 (Beachtung der Kompetenzgrenzen). 37 Herresthal, in: Arnold (Hrsg.), Grundlagen, 2014, S. 49, 58 mwN. 38 Vgl. Nehne, Methodik, 2012, S. 25 und Grundmann/Riesenhuber, JuS 2001, 529, 535. 39 Henninger, Methode, 2009, S. 299; Anweiler, Auslegungsmethoden, 1997, S. 35. 40 Anweiler, Auslegungsmethoden, 1997, S. 36. 41 Calliess, NJW 2005, 929, 930; Anweiler, Auslegungsmethoden, 1997, S. 36 f.; so auch Groh, Auslegungsbefugnis, 2005, S. 177; vgl. auch Wank, in: FS Stahlhacke, 1995, S. 633, 638 („wesentliche Rolle als ‚Integrationsfaktor‘“). A. A. Neuner, in: Riesenhuber (Hrsg.), Europäische Methodenlehre, 4. Aufl. 2021, § 12 Rn. 46; mit beachtlichen Gründen ebenfalls krit. Walter, Rechtsfortbildung, 2009, S. 258. 42 Siehe dazu Neuner, in: Riesenhuber (Hrsg.), Methodenlehre, 4. Aufl. 2021, § 12 Rn. 8 mwN. 43 Zum Funktionswandel hin zu einer kontrollierenden Rolle siehe Mayer, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, 74. EL September 2021, Art. 19 EUV Rn. 42.

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1. Teil: Methodische Grundlegung

Unzutreffend ist schließlich auch die Auffassung, wonach das jenseits einer Auslegungsgrenze gefundene Ergebnis weniger wert sei als jenes, das durch Auslegung im engeren Sinne ermittelt wird.44 Denn Auslegung und Rechtsfortbildung sind selbstverständlich, soweit zulässig, gleichwertige Ausprägungen der Rechtsfindung.45 Man könnte allerdings argumentieren, dass eine Trennung zwischen Auslegung im engeren Sinne und darüberhinausgehender Rechtsfindung unnötig ist, wenn sich der EuGH bewusst wäre, dass die von ihm gefundene Entscheidung mit den der Legislative zugewiesenen Kompetenzen konkurriert, er also nach deutschem Verständnis rechtsfortbildend tätig wird. Denn dann scheint zumindest die bereits angesprochene Hinweis- und Warnfunktion, die mit der hier in Rede stehenden Abgrenzung einhergeht, auch ohne begriffliche Differenzierung erfüllt. So entschied der EuGH etwa in dem Urteil „Kommission/Deutschland“, dass eine „weite, über den Wortlaut der Bestimmung hinausgehende Auslegung“ nur durch „zwingende Gesichtspunkte“ zu rechtfertigen wäre.46 Hier scheint er sich also im Klaren darüber, dass ihn eine erhöhte Begründungspflicht trifft bzw. dass er mit den gesetzgebenden Unions- oder Mitgliedstaatsorganen konkurriert. Allerdings findet sich nicht immer eine solche Auseinandersetzung in den Urteilen47 und außerdem manifestiert sich die erhöhte Begründungspflicht, wie gezeigt, auch nicht in der Quantität der Argumentation, sondern vor allem in der Anwendung anderer Methoden, da es bei der Rechtsfindung jenseits der Auslegungsgrenze nicht mehr um Regelanwendung, sondern um Regelbildung durch den Rechtsanwender geht.48 Der Trennung beider Rechtsfindungsarten kann daher nicht die Relevanz abgesprochen werden. Aus all den genannten Gründen sollte auch auf europäischer Ebene zwischen Auslegung im engeren Sinne und darüberhinausgehender Rechtsfindung unterschieden und der enge Auslegungsbegriff zugrunde gelegt werden. 44

So aber wohl Anweiler, Auslegungsmethoden, 1997, S. 38. Gleichwohl ist Ahmling (Analogiebildung, 2012, S. 140) kritisch, da die an eine Rechtsfortbildung gestellten gesteigerten methodischen Anforderungen der Dynamik des Unionsrechts abträglich seien. Eine nähere Begründung dafür bleibt sie indes schuldig; sie vertritt dies aber wohl, weil der gesteigerte Begründungsaufwand dazu führen könnte, dass eine Rechtsfortbildung unter Umständen methodisch nicht möglich ist. Im nächsten Satz erkennt allerdings auch sie an, dass selbst bei Zugrundelegung eines weiten Auslegungsbegriffs ein umso höherer Begründungsaufwand für die richterliche Entscheidung geleistet werden muss, je weiter sich die Rechtsfindung vom Wortlaut entfernt. 46 EuGH 11.7.1985, Rs. 107/84 = BeckRS 2004, 70684 Rn. 12. Das Beispiel ist SchübelPfister, Sprache, 2004, S. 247 entliehen. 47 Es existieren zwar noch weitere Entscheidungen des EuGH, in denen er sich mit seinem Verhältnis zum Unionsgesetzgeber auseinandersetzt; diese belegen allerdings lediglich, dass er sich jedenfalls mit möglichen Grenzen seiner Rechtsfindungsbefugnis auseinandersetzt, siehe dazu Wank, in: FS Stahlhacke, 1995, S. 633, 635 und Franzen, Privatrechtsangleichung, 1999, S. 576 jeweils mwN. 48 Vgl. dazu auch Grundmann/Riesenhuber, JuS 2001, 529, 535. 45

§ 1 Rechtsfindung im europäischen Kollisionsrecht

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2. Bestimmung der Auslegungsgrenze An diese Erkenntnis schließt sich die Frage an, wie die Auslegungsgrenze konkret zu bestimmen ist. Hierfür kommen zwei Abgrenzungskriterien in Betracht. a) Anerkennung einer Wortsinngrenze? Zunächst kann auch für die europäische Methodik die in der deutschen Methodenlehre ganz herrschende49 Wortsinngrenze herangezogen werden.50 Danach handelt es sich bei der Rechtsfindung dann noch um Auslegung, wenn sich das gefundene Ergebnis innerhalb des noch möglichen Wortsinns bewegt. Hierbei ist allerdings zu beachten, dass das Primär- und Sekundärrecht – und damit auch das europäische Kollisionsrecht – in sämtlichen (aktuell 24) Amtssprachen der Europäischen Union abgefasst ist und alle Sprachfassungen gleichermaßen autoritativ sind.51 Diese Besonderheit könnte zu Problemen bei der Bestimmung der Wortsinngrenze führen oder sie gar ganz unmöglich machen. b) Grenze des Gesetzeszwecks? Andererseits ließe sich auch, wie vereinzelt vorgeschlagen,52 auf den vom historischen Gesetzgeber beigemessenen Gesetzeszweck als Auslegungsgrenze abstellen. Danach wäre die durch Auslegung ermittelte Zielsetzung des historischen Gesetzgebers einer Norm zugleich deren Auslegungsgrenze. c) Stellungnahme Gegen die Maßgeblichkeit der vom Gesetzgeber verfolgten Zwecke dürfte sprechen, dass diese Ziele meist eher vage formuliert und deshalb ihrerseits auslegungsbedürftig sind, so dass dieses Grenzkriterium in vielen Fällen überaus unpräzise sein wird.53 Außerdem wird sich aufgrund des abstrakt-generel49

Siehe die Nachweise in Fn. 16 (1. Teil). Eine – wie auch immer ausgestaltete – Wortlautgrenze befürworten etwa: Wichard, in: Calliess/Ruffert, 6. Aufl. 2022, Art. 342 AEUV Rn. 18; Neuner, in: Riesenhuber (Hrsg.), Europäische Methodenlehre, 4. Aufl. 2021, § 12 Rn. 17; Riesenhuber, EU-Vertragsrecht, 2013, § 1 Rn. 34; ders., System, 2003, S. 66 f.; Grundmann/Riesenhuber, JuS 2001, 529, 535; Nehne, Methodik, 2012, S. 32 f.; Weiler, ZEuP 2010, 861, 869; Walter, Rechtsfortbildung, 2009, S. 75; Schübel-Pfister, Sprache, 2004, S. 470; Gruber, Methoden, 2004, S. 276; Franzen, Privatrechtsangleichung, 1999, S. 576; Maasch, in: FS Raisch, 1995, S. 417, 421. 51 Vgl. Art. 55 Abs. 1 EUV (für den EUV), 358 AEUV (für den AEUV) und 4 der VO Nr. 1 (für alle restlichen Schriftstücke von allgemeiner Geltung). 52 Höpfner/Rüthers, AcP 209 (2009), 1, 5. Siehe auch Henninger, Methode, 2009, S. 296 und 392 und Anweiler, Auslegungsmethoden, 1997, S. 407, die allerdings beide den weiten Auslegungsbegriff zugrunde legen (Henninger, aaO, S. 410; Anweiler, aaO, 39 f.) und deshalb anhand dieses Kriteriums letztlich nur die zulässige und unzulässige Auslegung (im weiten Sinne) abgrenzen wollen. 53 So für die deutsche Methodenlehre Franzen, Privatrechtsangleichung, 1999, S. 379. 50

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1. Teil: Methodische Grundlegung

len Charakters (auch) einer europäischen Rechtsnorm für eine Vielzahl von Lebenssachverhalten kein eindeutiger Gesetzeszweck feststellen lassen, so dass es wiederum dem Rechtsanwender obliegt, durch die Anwendung teleologischer Kriterien diesen selbst zu bestimmen.54 Dann hängt die Grenzziehung zwischen Auslegung und darüberhinausgehender Rechtsfindung nahezu völlig von dessen Eigenwertung ab. Dies gilt gleichermaßen für die Fälle, in denen der ursprüngliche Normzweck aufgrund geänderter sozialer und gesellschaftlicher Lebensanschauungen keine Gültigkeit mehr beansprucht. In diesen Fällen wäre die Abgrenzung anhand des so ermittelten Gesetzessinnes in sich widersprüchlich. Denn wenn der Rechtsanwender erst nach Durchführung aller Interpretationsschritte erkennen kann, welchen Aussagegehalt eine Norm hinsichtlich des zu bewältigenden Sachverhalts hat, fallen Norminhalt und Auslegungsgrenze denknotwendig zusammen; mit anderen Worten: Ist eine Norm bereits (nach ihrem Gesetzessinn) ausgelegt, bedarf es auch keiner Auslegungsgrenze mehr.55 Die Wortsinngrenze hat demgegenüber den Vorteil, dass sie ein allgemeines, d. h. ohne spezielle Hilfsmittel erkennbares, und formales Abgrenzungskriterium ist und die Grenzziehung deshalb hinreichend objektiviert sowie nachvollziehbar wird;56 außerdem wird angenommen, der Gesetzestext bilde für den Rechtsunterworfenen einen Vertrauenstatbestand, so dass die Wortsinngrenze nicht nur der Nachvollziehbarkeit der Rechtsfindung dient, sondern auch dem Vertrauensschutz.57 Darüber hinaus stützt auch der folgende Gedanke aus der nationalen Methodik die Trennung anhand des Wortsinnes:58 Bei der Interpretation des geschriebenen Rechts kann sich die vom Richter getroffene Entscheidung auf die Autorität der gesetzgeberischen Anordnung stützen. Diese findet aber ihre Grenze in dem gemäß Art. 297 Abs. 1 UAbs. 3 Satz 1 AEUV im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlichten Wortlaut.59 Dennoch wird eine Trennung anhand des noch möglichen Wortsinnes auf europäischer Ebene vermehrt abgelehnt. Dies wird am häufigsten damit begründet, dass der Wortsinn als Abgrenzungskriterium aufgrund der bereits an54

So für die deutsche Methodenlehre Franzen, Privatrechtsangleichung, 1999, S. 379. So für die deutsche Methodenlehre Franzen, Privatrechtsangleichung, 1999, S. 376. 56 Riesenhuber, System, 2003, S. 66. 57 Nehne, Methodik, 2012, S. 32. 58 Canaris, Lückenfeststellung, 2. Aufl. 1983, S. 20 f. 59 Zwar kann sich der Gesetzgeber selbstverständlich verschreiben oder andere redaktionelle Fehler machen. Das ändert aber nichts daran, dass erstens auch dem europäischen Gesetzgeber zugemutet werden darf, bei dem Erlass von Rechtsakten größte Sorgfalt walten zu lassen, und zweitens einzig der gemäß Art. 297 Abs. 1 UAbs. 3 Satz 1 AEUV veröffentlichte Gesetzeswortlaut Verbindlichkeit erlangt. A. A. Martens, Methodenlehre, 2013, S. 370 (Bindung an den Gesetzesinhalt, der durch Ausschöpfung aller Auslegungsmittel festzustellen ist). 55

§ 1 Rechtsfindung im europäischen Kollisionsrecht

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gesprochenen Mehrsprachigkeit des Unionsrechts nicht tragfähig sein könne, weil gerade nicht die eine Sprache existiert, der ein noch möglicher Wortsinn entnommen werden kann.60 Nicht nur sei es wahrscheinlich, dass bei der redaktionellen Abfassung der 24 Gesetzestexte ein Übersetzungsfehler unterläuft und somit divergierende Ausdrücke verwendet werden; vielmehr bestehe auch bei korrekter Übersetzung stets die Möglichkeit, dass identischen Ausdrücken in den jeweiligen (juristischen oder allgemeinen) Sprachgebräuchen der Mitgliedstaaten eine andere Bedeutung zukommt.61 Das beschriebene Problem der Plurilingualität ist zweifelsohne vorhanden. Allerdings stellt die Mehrsprachigkeit den Rechtsanwender nicht vor unbekannte rechtsmethodische Herausforderungen; hierbei handelt es sich vielmehr um ein geläufiges Phänomen: Art. 33 WVRK spricht das Problem der Mehrsprachigkeit für völkerrechtliche Verträge an und auch Nationalstaaten mit mehreren Amtssprachen, wie etwa Belgien oder die Schweiz,62 kennen es.63 Zuzugeben ist aber, dass der Verweis auf den Umgang nationaler mehrsprachiger Rechtsordnungen mit dem Problem mehrfacher Sprachenauthentizität sehr praxisfern erscheint. Aus den entsprechenden nationalen Methodenlehren kann zwar der rechtstheoretische Umgang mit mehrsprachigen Gesetzestexten gelernt werden.64 Das Problem der Mehrsprachigkeit der europäischen Rechtsakte ergibt sich aber vor allem aus der im Vergleich zu den genannten Rechtsordnungen hohen Anzahl verbindlicher Sprachfassungen.65 Diese Tatsache stellt kaum von der Hand zu weisende, praktisch nur sehr schwer durchführbare Anforderungen an den Rechtsanwender; namentlich den aus der Mehrsprachenauthentizität folgenden, verpflichtenden Vergleich sämtlicher Sprachfassungen.66 Hieraus wird die Unzumutbarkeit der Wortsinngrenze als Abgrenzungskriterium gefolgert.67 Denn prinzipiell besitzt nur der EuGH den für einen Vergleich aller Sprachfassungen notwendigen Übersetzungsapparat; dem nationalen Richter, der das europäische Kollisionsrecht in aller Regel anwendet, stehen diese Ressourcen nicht zur Verfügung.68 Es handelt sich hierbei um ein 60

Wank, in: FS Stahlhacke, 1995, S. 633, 635 f. Groh, Auslegungsbefugnis, 2005, S. 176; Franzen, Privatrechtsangleichung, 1999, S. 575. 62 Zum Umgang dieser Staaten mit sprachlichen Divergenzen siehe Schübel-Pfister, Sprache, 2004, S. 150 ff. 63 Neuner, in: Riesenhuber (Hrsg.), Methodenlehre, 4. Aufl. 2021, § 12 Rn. 6. 64 Weiler, ZEuP 2010, 861, 868. 65 Weiler, ZEuP 2010, 861, 868. 66 Diese Verpflichtung betont der EuGH stets, siehe Cremer, in: Calliess/Ruffert, 6. Aufl. 2022, Art. 55 EUV Rn. 4 mwN. 67 Siehe Henninger, Methode, 2009, S. 299; Höpfner/Rüthers, AcP 209 (2009), 1, 10; Anweiler, Auslegungsmethoden, 1997, S. 38 f. 68 Weiler, ZEuP 2010, 861, 868. 61

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1. Teil: Methodische Grundlegung

„Methodendilemma“69, das allerdings schlicht die praktische Konsequenz der aktuell geltenden Verbindlichkeitsanordnung ist. Aufgrund dieser freilich deutlich erhöhten Anforderungen, die an den Rechtsanwender gestellt werden, aber eine Trennung anhand der Wortsinngrenze abzulehnen, erscheint bloß als eine Kapitulation vor dieser Aufgabe. Denn das Hinzutreten mehrerer Sprachfassungen macht die Grenzziehung anhand des Wortlauts nicht unmöglich, wie die Erfahrungen aus mehrsprachigen nationalen Rechtsordnungen zeigen.70 Außerdem wird sich das Problem der Mehrsprachigkeit nicht nur bei der Erforschung des Wortlauts, also insbesondere dem grammatischen Auslegungskriterium, sondern auch noch auf weiteren Auslegungsstufen stellen. Durch die Ablehnung einer Wortsinngrenze würde die Problematik also nicht behoben, sondern nur verschoben.71 Dass die Beachtung der Wortsinngrenze aufgrund des dafür nötigen, umfassenden Sprachenvergleichs zumindest bei der Anwendung des Unionsrechts durch nationale Gerichte gerade wegen der fehlenden Übersetzungskapazitäten vermutlich stets eine bloße Fiktion sein wird,72 entbindet die Rechtswissenschaft nicht von einer methodentheoretischen Festlegung. Bis es zu einer rein aus methodischer Sicht sinnvollen, aber rechtspolitisch äußerst unwahrscheinlichen Reduktion des aktuell weit gezogenen Kreises verbindlicher Sprachfassungen kommt, fragt es sich, wie der nationale Rechtsanwender mit den bei der Auslegung des Unionsrechts existierenden Problemen umzugehen hat. Hierzu wird vereinzelt vertreten, dass er den ihm vorliegenden Fall einzig anhand des in seiner Sprache abgefassten Normtextes lösen könne, solange keine ersichtlichen Sprachdivergenzen auftauchen, da aus der Mehrsprachenauthentizität eine widerlegliche Vermutung folge, wonach alle Sprachfassungen identische Bedeutungen hätten.73 Gegen die Annahme einer solchen Vermutung spricht jedoch, dass die auf der Grundlage bloß einer Sprachfassung erlangte scheinbare Zweifelsfreiheit keine Gewähr für die Richtigkeit einer Auslegung bietet; denn genau diese Version kann auch die in Bezug auf den Wortlaut von allen anderen Textfassungen abweichende sein.74 Das Auslegungsergebnis ist daher immer zweifelhaft, solange andere verbind69

Weiler, ZEuP 2010, 861, 869. Siehe dazu Martens, Methodenlehre, 2013, S. 369, der eine Trennung von Auslegung und Rechtsfortbildung im Ergebnis aber trotzdem ablehnt. Ihm zufolge spricht die mögliche Bedeutungsvielfalt aber nicht entscheidend gegen die Unterscheidung, da die Auslegungsgrenze im Falle divergierender Ausdrücke nur entsprechend weiter gezogen sei. 71 Vgl. Weiler, ZEuP 2010, 861. 72 Weiler, ZEuP 2010, 861, 876; Baldus/Vogel, in: FS Krause, 2006, S. 237, 242. 73 Dörr, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, 74. EL September 2021, Art. 55 EUV Rn. 7; Cremer, in: Calliess/Ruffert, 6. Aufl. 2022, Art. 55 EUV Rn. 6. In diese Richtung geht auch Schübel-Pfister, Sprache, 2004, S. 470. 74 Weiler, ZEuP 2010, 861, 872 (mit einem Beispiel); vgl. auch Anweiler, Auslegungsmethoden, 1997, S. 147 f. 70

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liche Sprachfassungen nicht berücksichtigt werden.75 Außerdem widerspräche es dem Ziel des europäisch vereinheitlichten (Sekundär-) Rechts – namentlich der Herstellung einer Rechtseinheit –, wenn der nationale Richter auch nur im Grundsatz lediglich an „seine“ Sprachfassung gebunden wäre und deshalb das Unionsrecht nur auf dieser Grundlage auslegte.76 Den nationalen Gerichten verbleibt in der Praxis gleichwohl nur die Möglichkeit, mit den ihren Sprachkenntnissen entsprechenden Textfassungen zu arbeiten und hierbei die Wortsinngrenze zu beachten; je mehr Sprachfassungen bei der richterlichen Entscheidungsfindung berücksichtigt werden, desto argumentativ gefestigter ist sie. Dies ist freilich methodisch unbefriedigend, wird aber vom Unionsverfassungsrecht nicht nur durch das Postulat der Mehrsprachenauthentizität in Kauf genommen: Indem es nur den letztinstanzlich entscheidenden mitgliedstaatlichen Gerichten eine Vorlagepflicht zum EuGH, der als einziges Gericht die Kapazitäten für einen umfassenden Sprachenvergleich besitzt, auferlegt, vgl. Art. 267 Abs. 3 AEUV, anderen nationalen Gerichte demgegenüber nur eine Vorlageberechtigung zuspricht, vgl. Art. 267 Abs. 2 AEUV, billigt es die Gefahr einer uneinheitlichen Auslegung.77 Das Ziel einer einheitlichen Auslegung wird nur auf der letztinstanzlichen Ebene durch die Vorlagepflicht – und auch hier nicht vollständig78 – verwirklicht; die meisten Verfahren werden rechtskräftig entschieden, ohne dass sie den Instanzenzug komplett durchschritten haben. De lege lata sollte das beschriebene Dilemma durch eine verstärkte Vorlagepraxis der nationalen Gerichte auf den EuGH verlagert werden, damit das Ziel einer europaweit einheitlichen Auslegung zumindest weitestgehend erreicht wird.79 Daneben können die nationalen Gerichte gutachterliche Hilfe in Anspruch nehmen oder auf Vorarbeiten der rechtswissenschaftlichen Literatur rekurrieren. Ein weiteres Problem bezüglich der Grenzziehung anhand des Wortsinnes betrifft die Frage, wie mit jenen Sprachfassungen umzugehen ist, die nachträglich hinzugekommen sind, etwa durch den Beitritt eines weiteren Staates zur Europäischen Union. Das Unionsrecht spricht auch ihnen Verbindlichkeit zu, da im Zuge des Beitritts die maßgeblichen primärrechtlichen Vorschriften geändert werden. Aus genau diesem Grund wird eine Trennung anhand des Wortsinnes vereinzelt abgelehnt: Da die hinzutretenden Sprachfassungen nur den 75

Weiler, ZEuP 2010, 861, 872. Weiler, ZEuP 2010, 861, 876; vgl. auch (aber für das internationale Einheitsrecht) Gruber, Methoden, 2004, S. 136 f. 77 Die folgende Argumentation findet sich bei Weiler, ZEuP 2010, 861, 877. 78 Auch die Vorlagepflicht ist eingeschränkt, siehe dazu Heiderhoff, Europäisches Privatrecht, 5. Aufl. 2020, Rn. 155 ff. Auch wenn Rechtsstreitigkeiten bis in die letzte Instanz geführt werden, gibt es also gleichwohl noch Möglichkeiten, von einer Vorlage an den EuGH abzusehen. 79 Vgl. Weiler, ZEuP 2010, 861, 880 und auch Anweiler, Auslegungsmethoden, 1997, S. 148. 76

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Bestand an Rechten und Pflichten abbilden sollen, eine Änderung des acquis communautaire mit dem Beitritt eines weiteren Mitgliedstaats aber nicht einhergehen soll, könne ihnen bloß darstellende Funktion zukommen, die vom Norminhalt selbst aber zu trennen sei.80 Dieses Argument überzeugt auf den ersten Blick. Zwar könnte man vorbringen, dass die nach Normerlass hinzugetretenen Sprachfassungen für die Bestimmung der Wortsinngrenze unbeachtet bleiben sollten.81 Damit wäre aber eine Zweiteilung des Postulats der Mehrsprachenauthentizität verbunden, die von den vertragschließenden Mitgliedstaaten sicherlich nicht intendiert gewesen ist. Jede Sprachfassung ist vielmehr Teil des geltenden Rechts und besitzt folglich nicht nur informatorischen Charakter.82 Darüber hinaus wäre die Ermittlung der Tatsache, welche Staaten zum Zeitpunkt des Erlasses bereits Mitgliedstaaten waren und welche Sprachfassungen mithin verbindlich sind, äußerst schwerfällig.83 Ferner könnten sich Probleme bei Änderungsrechtsakten ergeben.84 Schließlich führte ein divergierender Verbindlichkeitsgrad zu dem kuriosen Ergebnis, dass der Rechtsanwender des beitretenden Mitgliedstaats seine eigene Sprachfassung nicht zur Rechtsfindung heranziehen dürfte; er könnte (und müsste) einzig die anderen Texte bei der Entscheidungsfindung berücksichtigen. Dies stünde im Widerspruch zu der These, dass der nationale Richter in der Praxis wohl vor allem den in seiner Sprache verfassten Text bei der Rechtsfindung zugrunde legen wird.85 Dieses Problem vermag die Markierung der Auslegungsgrenze am Wortsinn dennoch nicht zu verhindern. Die Lösung dieses – freilich existierenden – Konflikts ist auf den anderen Stufen des europäischen Methodenmodells zu suchen. So kann das Problem etwa dadurch abgemildert werden, dass man eine (vermittelnd) subjektive Auslegungstheorie vertritt, die primär auf die Verwirklichung des historischen Gesetzgeberwillens abzielt,86 und zudem die weiteste Sprachfassung bei der Ermittlung der Wortsinngrenze für maßgeblich erklärt.87 Denn der vom Unionsgesetzgeber intendierte Norminhalt wird regelmäßig zumindest in jener Gesetzesfassung vollständig zum Ausdruck kommen, die der Arbeitssprache88 entspricht, in welcher der Normtext erstellt wurde. Dem euro80

Grosche, Rechtsfortbildung, 2011, S. 118. Dies erwägt auch Ahmling, Analogiebildung, 2012, S. 157. 82 Weiler, ZEuP 2010, 861, 878. 83 Ahmling, Analogiebildung, 2012, S. 157. 84 Ahmling, Analogiebildung, 2012, S. 157. 85 Vgl. die Überlegung bei Gruber, Methoden, 2004, S. 138. 86 Siehe unten S. 24 ff. 87 Dazu sogleich S. 19 ff. 88 Im europäischen Legislativprozess wird vor allem im Bereich des Sekundärrechts in aller Regel ein Ausgangstext in einer (Arbeits-) Sprache erarbeitet und dieser dann als „letzter Akt“ des Gesetzgebungsverfahrens in die anderen Sprachfassungen übersetzt, vgl. Weiler, ZEuP 2010, 861, 865 und 871 und Baldus/Vogel, in: FS Krause, 2006, S. 237, 240 f. 81

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päischen Gesetzgeber ist es (zumindest in seiner Arbeitssprache) zumutbar, jene Worte zu wählen, die den von ihm intendierten Regelungszweck am besten abbilden.89 Außerdem wird der Kreis möglicher Bedeutungsvarianten aufgrund der Mehrsprachenauthentizität schon im Zeitpunkt des Hinzutretens einer zusätzlichen Sprachfassung bereits erheblich erweitert sein, wenn man die weiteste Fassung für die Bestimmung der Auslegungsgrenze für maßgeblich erklärt. Dass trotz dieser Aspekte eine Änderung des Norminhalts eintritt, erscheint aus den gegebenen Gründen eher unwahrscheinlich. Sollte es aber dazu kommen, ist dies eben die Konsequenz der rechtspolitisch gewollten Mehrsprachenauthentizität und der aus ihr folgenden Probleme. Diese sind – wie auch auf den anderen Stufen des Methodenmodells – grundsätzlich hinzunehmen. Etwaige Konflikte, die sich deshalb mit dem auch im EU-Recht anerkannten Rückwirkungsverbot90 ergeben könnten, müssen vom EuGH im Blick behalten werden. Entscheidend gegen die Bestimmung der Auslegungsgrenze anhand des Wortlauts spricht dies aber nicht. Aus diesen Gründen markiert der noch mögliche Wortsinn auch auf europäischer Ebene die Grenze der Auslegung. d) Konkrete Bestimmung der Wortsinngrenze Es bleibt allerdings das bereits thematisierte Problem der Mehrsprachenauthentizität. Konkret fragt sich an dieser Stelle, welche Sprachfassung den maßgeblichen Wortsinn bereitstellen sollte. Während manche die engste Sprachfassung für relevant halten,91 wollen andere die Wortsinngrenze anhand der weitesten Sprachfassung bestimmen.92 Wiederum andere erachten – zumindest in bestimmten Rechtsgebieten – die jeweils „eigene“ Sprachfassung für maßgeblich93 oder stellen darauf ab, dass das Auslegungsergebnis sämtlichen Fassungen „juristisch-methodisch“ zurechenbar sein muss.94 Den normativen Ausgangspunkt für die Lösung bilden Art. 55 EUV, 358 AEUV und 4 VO Nr. 1. Sie bestimmen, dass alle Sprachfassungen gleichermaßen verbindlich sind. Dies könnte darauf schließen lassen, dass sich eine Interpretation des Unionsrechts in allen Sprachfassungen rekonstruieren lassen müsste,95 was für das Abstellen auf die engste Sprachfassung spräche. Denn 89

Vgl. Martens, Methodenlehre, 2013, S. 343. Siehe zur Anerkennung eines Rückwirkungsverbots Calliess, in: ders./Ruffert, 6. Aufl. 2022, Art. 2 EUV Rn. 27 mwN. 91 Wichard, in: Calliess/Ruffert, 6. Aufl. 2022, Art. 342 AEUV Rn. 18. 92 Riesenhuber, EU-Vertragsrecht, 2013, § 1 Rn. 34; ders., System, 2003, S. 66 f.; Grundmann/Riesenhuber, JuS 2001, 529, 535; Weiler, ZEuP 2010, 861, 869; Walter, Rechtsfortbildung, 2009, S. 75; Maasch, in: FS Raisch, 1995, S. 417, 421; vgl. auch Martens, Methodenlehre, 2013, S. 369, der eine Wortlautgrenze im Unionsrecht aber im Ergebnis ablehnt. 93 Schübel-Pfister, Sprache, 2004, S. 470. 94 Nehne, Methodik, 2012, S. 32 f. (für weitere Vertreter siehe Nehne, aaO, S. 30 mwN). 95 So Grosche, Rechtsfortbildung, 2011, S. 117. 90

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der Wortsinn, den ihr Wortlaut hergibt, ist erst recht in den weiter gefassten Normtexten beinhaltet; das gefundene Ergebnis läge somit in der gemeinsamen Schnittmenge aller Sprachfassungen. Allerdings kann es vorkommen, dass die verschiedenen Sprachfassungen derart voneinander abweichen, dass auch die Bestimmung einer solchen „Minimalübereinstimmung“ der Wortsinne nicht möglich ist.96 In diesen – zugegeben vermutlich seltenen – Fällen ließe sich die dann gefundene Interpretation eben nicht mehr in allen Sprachfassungen rekonstruieren und eine Grenzziehung anhand des engsten Wortlauts wäre nicht möglich. Außerdem hätte dies zur Folge, dass die übrigen Fassungen nur insoweit Geltung erlangten, wie es die engste Sprachfassung vorgibt, was ebenfalls auf den ersten Blick mit dem genannten Gleichbehandlungsgrundsatz konfligiert.97 Umgekehrt bedeutete die Maßgeblichkeit der weitesten Sprachfassung, dass das gefundene Auslegungsergebnis unter Umständen nicht mehr von den anderen Normtexten gedeckt ist und damit gegen deren „individuellen“98 Wortlaut verstößt, was dem Gleichbehandlungsgrundsatz ebenfalls zuwiderzulaufen scheint. Gleichwohl sprechen gute Gründe dafür, die Grenzziehung anhand des Wortlauts der weitesten Sprachfassung vorzunehmen. Denn der noch mögliche Wortsinn steckt das Bedeutungsspektrum für die Gesetzesinterpretation ab,99 so dass er – im Interesse eines autonom zu bestimmenden Begriffsverständnisses – so weit wie möglich gezogen werden sollte, um dem Rechtsanwender bei der autonomen Begriffsbildung eine hinreichende Flexibilität zu bieten. Insofern ist es auch nicht, wie vereinzelt vertreten,100 schädlich, sondern sogar eher förderlich, wenn den verwendeten Begriffen in den Sprachgebräuchen der einzelnen Mitgliedstaaten jeweils eine andere Bedeutung zukommt.101 Denn dadurch erhöht sich die Wahrscheinlichkeit, dass ein Auslegungsergebnis erzielt werden kann, das den Normzweck am besten zur Geltung bringt.102 Versteht man die Mehrsprachenauthentizität zudem so, dass sie die Zusammen96

Gruber, Methoden, 2004, S. 138; siehe auch das Gedankenspiel bei Walter, Rechtsfortbildung, 2009, S. 74. 97 A. A. Wichard, in: Calliess/Ruffert, 6. Aufl. 2022, Art. 342 AEUV Rn. 18, der aus diesem Grund gerade auf die engste Textfassung abstellen will. 98 Zum Begriff siehe Schübel-Pfister, Sprache, 2004, S. 248. 99 Siehe auch Weiler, ZEuP 2010, 861, 867; Martens, Methodenlehre, 2013, S. 345. 100 Groh, Auslegungsbefugnis, 2005, S. 176; Franzen, Privatrechtsangleichung, 1999, S. 575. 101 Siehe das Beispiel bei Weiler, ZEuP 2010, 861, 867: Begriff der „juristischen Person“ in der deutschen Sprachfassung des Art. 1 Abs. 2 lit. c) Verbrauchsgüterkaufrichtlinie gegenüber jenem der „legal persons“ in der englischen Version. Aufgrund der Systematik und des Telos der fraglichen Norm, kommt der EuGH zu dem Ergebnis, dass der gemeinschaftsrechtliche Begriff der „juristischen Person“ jeden Zusammenschluss von Personen, dem Rechtsfähigkeit zukommt, meint. 102 Siehe für ein Beispiel aus der Judikatur des EuGH Walter, Rechtsfortbildung, 2009, S. 73 f.

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fassung der Wortlaute aller Textfassungen zu einem einheitlichen fordert, und dieses so ermittelte Regelungsganze dann Gegenstand der Auslegung ist,103 stützt auch die Mehrsprachenauthentizität selbst diese Auffassung. Die Auslegungsgrenze des gebildeten Regelungsganzen bildet dann denknotwendigerweise die weiteste Sprachfassung.104 Für dieses Verständnis spricht, dass jede verbindliche Sprachfassung demokratisch legitimiert ist und deshalb gleichermaßen herangezogen werden kann, um den Kreis möglicher Begriffsbedeutungen aufzudecken.105 Die Ermittlung einer „gemeinsamen Schnittmenge“, die mit dem Abstellen auf die engste Sprachfassung einherginge, wäre mit einer solchen Lesart der Mehrsprachenauthentizität nicht zu vereinbaren.106 Im Ergebnis ist die Auslegungsgrenze deshalb grundsätzlich bei dem noch möglichen Wortsinn der weitesten Textfassung zu lokalisieren. Dies stimmt auch zumindest im Ausgangspunkt mit den Vertretern der Auffassung überein, die eine „juristisch-methodische Zurechenbarkeit“ fordern. Ihnen zufolge muss sich das gefundene Auslegungsergebnis zwischen dem Wortsinn der engsten und der weitesten Sprachfassung bewegen. In diesem Rahmen solle nur ein einziges Interpretationsergebnis möglich sein und zugleich die Grenze der Auslegung bilden. Dieses müsse sich aus der gesamten Interpretation der fraglichen Vorschrift ergeben.107 Der Unterschied zu dieser Ansicht besteht einzig darin, dass ihre Vertreter die Auslegungsgrenze weiter an einem ganz bestimmten Auslegungsergebnis festmachen. Dabei wird aber verkannt, dass es bei der Bestimmung der Auslegungsgrenze einzig um die Absteckung des Auslegungsspielraums geht, innerhalb dessen zunächst jede Interpretationsmöglichkeit zulässig ist. Sie vermengt also die Frage nach der Auslegungsgrenze mit jener nach dem richtigen Auslegungsergebnis. Eine Ausnahme von dem Grundsatz der Maßgeblichkeit der weitesten Sprachfassung kann zwar dort erwogen werden, wo ein schutzwürdiges Vertrauen der Rechtsunterworfenen auf den ihrer Sprache entsprechenden Normtext in besonderem Maße zu berücksichtigen ist – beispielsweise im europäischen Steuer- oder Strafrecht.108 Da die vorliegende Arbeit aber vor allem der Methodik des europäischen Kollisionsrechts gewidmet und hier ein solches, im besonderen Maße schutzwürdiges Vertrauen nicht ersichtlich ist, darf dieses Problem hier ausgeklammert werden.

103

Schübel-Pfister, Sprache, 2004, S. 248; vgl. auch Gruber, Methoden, 2004, S. 138. Walter, Rechtsfortbildung, 2009, S. 75; vgl. auch Gruber, Methoden, 2004, S. 137 ff. 105 Adrian, Grundprobleme, 2009, S. 374. 106 Gruber, Methoden, 2004, S. 138. 107 Zu dem Ausgeführten siehe Nehne, Methodik, 2012, S. 32. 108 So Schübel-Pfister, Sprache, 2004, S. 248 f. und 470 f. („individuelle Wortlautgrenze“); ähnlich wohl auch Neuner, in: Riesenhuber (Hrsg.), Europäische Methodenlehre, 4. Aufl. 2021, § 12 Rn. 17; krit. aber Martens, Methodenlehre, 2013, S. 348. 104

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e) Zwischenergebnis Auf europäischer Ebene ist ein enger Auslegungsbegriff zu verwenden. Die Grenze zu der darüberhinausgehenden Rechtsfindung zieht der noch mögliche Wortsinn. Dabei ist grundsätzlich jene Sprachfassung maßgeblich, die am weitesten gefasst ist. Eine Ausnahme können eingriffsintensive Rechtsgebiete wie das Straf- oder Steuerrecht bilden, in denen das Vertrauen des Bürgers darauf, dass aufgrund des Grundsatzes der Gleichbehandlung aller Sprachfassungen „sein“ Rechtstext mit den übrigen übereinstimmt, überwiegt. II. Befugnis des EuGH zur Auslegung Die Befugnis des EuGH zur Gesetzesauslegung ergibt sich ausdrücklich aus den Verträgen. Für die Auslegung und Anwendung des Primärrechts folgt dies bereits aus dem Wortlaut von Art. 19 Abs. 1 Satz 2 EUV. Allerdings sind nach allgemeiner Auffassung auch die Normen des Sekundärrechts, zu dem auch das europäische Internationale Privatrecht zählt, erfasst, so dass der EuGH zur Auslegung sämtlicher Unionsvorschriften befugt ist.109 III. Auslegungstechnik Nun kann sich der Entwicklung der Auslegungstechnik zugewandt werden. Diese bezweckt die Einheitlichkeit, Nachvollziehbarkeit und Kontrollierbarkeit der gerichtlichen Entscheidungsfindung.110 Damit schützt sie den Rechtsunterworfenen letztlich vor richterlicher Willkür. 1. Vorprüfung – autonome oder nationale Begriffsbildung? Bevor allerdings die europäische Auslegungslehre sofort zur Begriffsbildung herangezogen werden kann, ist gleichsam als „Vorfrage“111 einer gemeinschaftsrechtlichen Auslegung zu klären, ob der in Rede stehende Begriff überhaupt unionsautonom auszulegen ist. Dafür spricht zwar das bereits mehrfach betonte Ziel der Vereinheitlichung des europäischen Sekundärrechts – namentlich die Herstellung von Rechtsauslegungs- und Rechtsanwendungsgleichheit – sowie der Grundsatz der Gleichbehandlung aller verbindlichen Sprachfassungen.112 Allerdings kann es vorkommen, dass der Unionsgesetzgeber ausdrücklich113 oder stillschweigend114 zur Begriffsbestimmung auf das jeweilige 109

Vgl. nur Nehne, Methodik, 2012, S. 33 (auch mwN zu den umfassten Rechtsquellen). Vgl. für die europäische Methodenlehre Colneric, ZEuP 2005, 225. 111 Riesenhuber, in: ders. (Hrsg.), Europäische Methodenlehre, 4. Aufl. 2021, § 10 Rn. 4. 112 Siehe nur Grundmann, RabelsZ 75 (2011), 882, 887. 113 Siehe dazu nur Riesenhuber, in: ders. (Hrsg.), Europäische Methodenlehre, 4. Aufl. 2021, § 10 Rn. 4. 114 Siehe dazu nur Franzen, Privatrechtsangleichung, 1999, S. 476 f. und 479 f. (auch mwN aus der Judikatur des EuGH). 110

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nationale Verständnis verweist. Ob dies der Fall ist, muss durch einen Vorgriff auf die europäische Auslegungstechnik beantwortet werden; maßgeblich ist eine umfassende Auslegung der in Rede stehenden Wendung anhand der nachfolgend dargestellten Kriterien.115 Eine verkürzte Auslegung, die isoliert auf den Sinn der Vorschrift116 abstellt oder lediglich untersucht, ob eine ausdrückliche Verweisung des Unionsgesetzgebers117 vorliegt (und damit einzig grammatische Kriterien heranzieht), ist aus den folgenden zwei Gründen unzulässig:118 Zum einen geht es bei dieser Frage letztlich um die Abgrenzung von Kompetenzen zwischen der EU und ihren Mitgliedstaaten; die gemeinschaftsrechtliche Begriffsbildung zieht immer auch eine Einschränkung der Souveränität der Mitgliedstaaten nach sich, was einer Rechtfertigung bedarf. Zum anderen ist die Legitimität einer richterlichen Entscheidung stets von ihrer Begründung abhängig. Beiden Anforderungen wird erst dann genügt, wenn die Auslegungsarbeit nicht verkürzt, sondern so umfassend wie möglich erfolgt. Aus diesen Gründen kann auch nicht mit einem Regel-Ausnahme-Muster argumentiert werden.119 Erst wenn diese vorgelagerte Prüfung ergibt, dass der Begriff autonom-gemeinschaftsrechtlich auszulegen ist, kann mit der „eigentlichen“ Norminterpretation begonnen und eine autonome europäische Begriffsbestimmung vorgenommen werden. Andernfalls ist der Begriff unter Rückgriff auf die jeweilige nationale Methodenlehre zu konkretisieren. 2. Auslegungsziel Bevor jedoch näher auf diese Methoden eingegangen wird, ist vorab das Ziel der Auslegung zu klären. Denn wenn oben festgestellt wurde, dass die Auslegung dazu dient, den Sinn einer Vorschrift offen zu legen, sagt dies noch nichts darüber aus, wodurch dieser seinerseits zu bestimmen ist: Ist primär der Wille des historischen Gesetzgebers maßgeblich oder kommt es entscheidend auf einen „objektiven Normsinn“ an?

115

Nehne, Methodik, 2012, S. 52 f. (auch mwN). Schübel-Pfister, Sprache, 2004, S. 255 f. 117 So wohl Mayer, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, 74. EL September 2021, Art. 19 EUV Rn. 53: „Es gibt wegen der notwendig einheitlichen Geltung des Unionsrechts keine Verweisung auf innerstaatliche Sinngehalte.“ Da eine ausdrückliche Verweisung des Unionsgesetzgebers selbstverständlich beachtet werden muss, siehe S. 25 ff., kann seine Aussage nur so interpretiert werden, dass er sie auf die stillschweigenden Verweisungen bezieht. 118 Diese überzeugende Argumentation findet sich bei Nehne, Methodik, 2012, S. 53. 119 So aber etwa Riesenhuber, in: ders. (Hrsg.), Europäische Methodenlehre, 4. Aufl. 2021, § 10 Rn. 13 (siehe auch Rn. 6 mwN zur Judikatur des EuGH); Henninger, Methode, 2009, S. 280; Schübel-Pfister, Sprache, 2004, S. 255 f.; wohl auch Grundmann, RabelsZ 75 (2011), 882, 887: „Vorrangregel“. 116

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Das ist die Frage nach dem Auslegungsziel. Sie gehört zu den ältesten Streitständen der juristischen Methodenlehre120 und existiert natürlich auch auf europäischer Ebene. Das Problem ist allerdings nicht, wie man auf den ersten Blick vielleicht meinen mag, rein rechtstheoretischer Natur. Die Beantwortung dieser Frage ist für eine gelingende Gesetzesauslegung vielmehr unentbehrlich, da das gewählte Ziel Einfluss auf die einzelnen Auslegungsmittel und ihr Verhältnis zueinander hat.121 a) Auslegungstheorien Für die europäische Methodenlehre hat sich bereits ein bunter Strauß an zum Auslegungsziel vertretenen Auffassungen entwickelt. Es finden sich streng subjektive, streng objektive und auch vermittelnde Auslegungstheorien. Die streng subjektive Auslegungstheorie geht davon aus, dass die Auslegung im Unionsrecht einzig auf die Ermittlung des Willens des historischen Gesetzgebers abzielt.122 Demgegenüber meinen die Anhänger einer streng objektiv orientierten Auslegung, dass sich eine Norm mit ihrem Inkrafttreten vom Willen des Gesetzgebers löst, so dass das Auslegungsziel einzig in der Ermittlung des objektiven Sinns einer Rechtsnorm im Zeitpunkt der Rechtsanwendung besteht.123 Es existieren aber auch vermittelnde Standpunkte, die zwar unterschiedliche Ausgangspunkte haben, sich im Ergebnis aber gleichen. So gehen manche von der subjektiven Theorie aus und ergänzen sie um objektive Elemente;124 andere legen grundsätzlich die objektive Theorie zugrunde, lassen aber auch subjektive Aspekte nicht unberücksichtigt, was wohl auch der vom EuGH in Bezug auf das Sekundärrecht vertretene Ansatz sein dürfte.125 Die Vertreter der erstgenannten Meinung erforschen demnach primär den historischen Gesetzgeber120

So wurde dieser Streitstand bereits bei Regelsberger, Pandekten, 1893, S. 143 Fn. 10 ausdrücklich erwähnt; siehe auch Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, 12. Aufl. 2022, Rn. 796. 121 Siehe dazu (allerdings für die autonome deutsche Methodenlehre) Engisch, Einführung, 12. Aufl. 2018, S. 145; Reimer Methodenlehre, 2. Aufl. 2020, Rn. 247; Looschelders/Roth, Methodik, 1996, S. 30 f. 122 So etwa Neuner, Privatrecht, 1999, S. 193. 123 Baldus/Vogel, in: FS Krause, 2006, S. 237, 244; Anweiler, Auslegungsmethoden, 1997, S. 67 f.; Lutter, JZ 1992, 593, 602 f. 124 Riesenhuber, in: ders. (Hrsg.), Europäische Methodenlehre, 4. Aufl. 2021, § 10 Rn. 11; Neuner, in: Riesenhuber (Hrsg.), Europäische Methodenlehre, 4. Aufl. 2021, § 12 Rn. 18; Martens, Methodenlehre, 2013, S. 383 f.; Herresthal, ZEuP 2009, 598, 604 und 606 f.; vgl. auch Franzen, Privatrechtsangleichung, 1999, S. 313; Höpfner/Rüthers, AcP 209 (2009), 1, 16; wohl auch Henninger, Methode, 2009, S. 375, der zunächst ein objektiv-prinzipienorientiertes Auslegungsziel ausgibt, im folgenden Absatz aber davon spricht, dass die Ermittlung des historischen Gesetzgeberwillens das erste Ziel der Auslegung sei. 125 Siehe dazu die Untersuchung von Henninger, Methode, 2009, S. 321; vgl. auch (allerdings für das Internationale Einheitsrecht) Kropholler, Einheitsrecht, 1975, S. 259 f.

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willen und bestimmen hilfsweise, d. h. sofern dieser nicht ausgemacht werden oder aufgrund geänderter Umstände nicht mehr gelten kann, den mutmaßlichen bzw. fortgeschriebenen Willen anhand objektiver Kriterien. Die letztgenannte Auffassung ermittelt demgegenüber zwar grundsätzlich den normativen Gesetzessinn, berücksichtigt dabei aber den Regelungswillen des historischen Gesetzgebers, sofern ein solcher feststellbar ist. Wieder andere lehnen sämtliche Auslegungstheorien ab, weil sie sich nicht auf ein konkretes Auslegungsziel festlegen möchten. Sie meinen, dass das Ziel der Auslegung vielmehr stets in einer gerechten Entscheidung des konkreten Einzelfalles liege.126 Gegen eine solche Sichtweise spricht aber schon, dass die Entwicklung einer juristischen Methodik der Nachprüfbarkeit einer Entscheidung dienen soll. Dem liefe es zuwider, wenn der Rechtsanwender zwar die allgemein anerkannten Auslegungskriterien heranzöge, diese allerdings bei divergierenden Ergebnissen so gewichten könnte, wie es seinem „Gerechtigkeitsempfinden“ entspricht. Diese Auffassung ist deshalb abzulehnen.127 b) Stellungnahme Für die Zugrundelegung einer subjektiven Theorie streiten das Prinzip des „institutionellen Gleichgewichts“ und auch das europäische Demokratieprinzip. Diese ähneln dem auf deutscher Ebene bekannten Demokratieprinzip, dem Gewaltenteilungsgrundsatz sowie der richterlichen Gesetzesbindung.128 Das Prinzip des „institutionellen Gleichgewichts“ ist zwar nicht völlig deckungsgleich mit dem deutschen Gewaltenteilungsgrundsatz; insbesondere sind Legislative und Exekutive im Unionsverfassungsrecht nicht gleichermaßen scharf gegeneinander abgegrenzt.129 Allerdings sind Rechtsetzung und Rechtsprechung auch im Unionsrecht getrennt. Daraus folgt die Bindung des Rechtsanwenders an die hinter einer Norm stehende Wertung des historischen Gesetzgebers.130 Sie wird durch das europäische Demokratieprinzip, das in Art. 2, 10 EUV kodifiziert ist, gestützt.131 Zwar existiert in der Unionsverfassung das sogenannte „demokratische Defizit“, welches sich insbesondere in einem mangelnden Ge126

Nehne, Methodik, 2012, S. 48; Groh, Auslegungsbefugnis, 2005, S. 134; vgl. auch (allerdings für das Internationale Einheitsrecht) Gruber, Methoden, 2004, S. 107. 127 Vgl. zur parallelen Problematik auf autonomer deutscher Ebene die Argumente von Looschelders/Roth, Methodik, 1996, S. 192 mwN. 128 Vgl. dazu Henninger, Methode, 2009, S. 278 mwN. 129 Riesenhuber, in: ders. (Hrsg.), Europäische Methodenlehre, 4. Aufl. 2021, § 10 Rn. 9; Wank, in: FS Stahlhacke, 1995, S. 633, 639. 130 Riesenhuber, in: ders. (Hrsg.), Europäische Methodenlehre, 4. Aufl. 2021, § 10 Rn. 9; zust. Neuner, in: Riesenhuber (Hrsg.), Europäische Methodenlehre, 4. Aufl. 2021, § 12 Rn. 18. 131 Riesenhuber, in: ders. (Hrsg.), Europäische Methodenlehre, 4. Aufl. 2021, § 10 Rn. 9; zust. Neuner, in: Riesenhuber (Hrsg.), Europäische Methodenlehre, 4. Aufl. 2021, § 12 Rn. 18; siehe auch Henninger, Methode, 2009, S. 278.

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1. Teil: Methodische Grundlegung

setzesinitiativrecht des einzigen unmittelbar demokratisch legitimierten Unionsverfassungsorgans – dem Europäischen Parlament, Art. 14 Abs. 3 EUV – manifestiert.132 Allerdings erhalten die Rechtsakte des europäischen Sekundärrechts ihre demokratische Legitimation durch die Beteiligung des Europäischen Parlaments sowie durch die Vertreter im Rat, die zumindest in den Mitgliedstaaten demokratisch legitimiert sind.133 Das „demokratische Defizit“ ändert daher nichts daran, dass bei der Auslegung zumindest grundsätzlich der Gesetzgeberwille zu ermitteln ist.134 Dessen Erforschung wird aufgrund der jedenfalls für das Sekundärrecht geltenden Begründungspflicht (Art. 296 Abs. 2 AEUV)135 und der Pflicht des Rates zur Veröffentlichung seiner Dokumente (Art. 15 Abs. 3 AEUV, 16 Abs. 8 EUV) begünstigt.136 Allerdings darf auch nicht verkannt werden, dass auch europäisches Recht im gesellschaftlichen Kontext steht:137 Die in jeder Norm enthaltenen gesetzgeberischen Wertungen können sich daher stets wandeln.138 Dadurch kann der ursprünglich beabsichtigte Regelungszweck entweder ersatzlos wegfallen oder durch einen heutigen, vergleichbaren Anwendungsfall ersetzt werden, der frü132

Zusätzlich ist auch die Gleichheit des Stimmgewichts nicht gewährleistet, siehe Grundmann, RabelsZ 75 (2011), 882, 908. 133 Riesenhuber, in: ders. (Hrsg.), Europäische Methodenlehre, 4. Aufl. 2021, § 10 Rn. 9. 134 Zwar wird vereinzelt eingewandt, dass einer verstärkten Systembildung durch den europäischen Richter das Demokratieprinzip deshalb nicht entgegenstehe, weil der Legitimationsvorsprung des europäischen Gesetzgebers dem Richter gegenüber geringer sei als auf der deutschen Ebene, Grundmann, RabelsZ 75 (2011), 882, 908 f. In Wahrheit ist dies nicht der Fall. Zwar trifft es zu, dass die demokratische Legitimation des europäischen Gesetzgebers wie gezeigt im Verhältnis zur deutschen Legislative geringer ist. Allerdings werden die europäischen Richter durch die jeweiligen Regierungen (also die Exekutive) bestimmt, vgl. Art. 253 AEUV, so dass ihre demokratische Legitimation mitunter – je nach Ausgestaltung des nationalen Verfahrens – ebenfalls dem nationalen Richter gegenüber geringer sein kann, vgl. auch Riesenhuber, System, 2003, S. 65. Zudem besteht auch hier das Problem, dass pro Mitgliedstaat aktuell zwei Richter entsandt werden (Art. 48 lit. c) EuGH-Satzung) und folglich keine Ausrichtung an der jeweiligen Bevölkerungszahl stattfindet, so dass wie bei der Wahl zum Europäischen Parlament keine Gleichheit des Stimmengewichts gewährleistet ist. 135 Gemeint sind die demgemäß jedem Sekundärrechtsakt voranzustellenden Erwägungsgründe, siehe dazu Herresthal, ZEuP 2009, 598, 606; Höpfner/Rüthers, AcP 209 (2009), 1, 15. 136 Neuner, in: Riesenhuber (Hrsg.), Europäische Methodenlehre, 4. Aufl. 2021, § 12 Rn. 18; Langenbucher, in: dies. (Hrsg.), Europäisches Privat- und Wirtschaftsrecht, 4. Aufl. 2017, § 1 Rn. 16. Ob die Erforschung des historischen Gesetzgeberwillens „einfach“ oder „schwer“ ist, kann aber ohnehin nicht das ausschlaggebende Argument bei der Entscheidung für eine objektive oder subjektive Auslegungstheorie sein, vgl. dazu Leisner, EuR 2007, 0689, 696 (allerdings im Zusammenhang mit der Bedeutung eines genetischen Auslegungskriteriums). 137 Henninger, Methode, 2009, S. 375. 138 Riesenhuber, in: ders. (Hrsg.), Europäische Methodenlehre, 4. Aufl. 2021, § 10 Rn. 10; vgl. auch Herresthal, ZEuP 2009, 598, 606.

§ 1 Rechtsfindung im europäischen Kollisionsrecht

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her vom Normgeber möglicherweise nicht bedacht werden konnte.139 Dies soll insbesondere in dem auf Dynamik und Integration gerichteten Primärrecht gelten.140 Einzig eine objektiv ausgerichtete Auslegungstheorie ist hinreichend flexibel, um die beschriebene Tatsache zu berücksichtigen und die damit verbundenen Probleme zu lösen.141 Gleichwohl vermag auch eine streng objektiv orientierte Auffassung nicht zu überzeugen, weil sie dem Rechtsanwender zu viel Interpretationsspielraum bietet. Bei der Feststellung des „objektiven Gesetzeswillens“ handelt es sich stets um eine richterliche Eigenwertung. Ferner greifen der für die streng objektive Auslegungstheorie angeführte Vertrauensschutz und das Gebot der Rechtssicherheit nicht durch.142 Der gemäß Art. 297 Abs. 1 UAbs. 3 Satz 1 AEUV förmlich zu veröffentlichende Normtext erzeugt zwar einen gewissen Vertrauenstatbestand. Aus diesem allein kann aber nicht auf eine streng objektive Auslegung geschlossen werden, weil das Vertrauen des Normunterworfenen auf den Gesetzestext sowie die Rechtssicherheit bereits durch den Wortlaut als Auslegungsgrenze hinreichend geschützt sind. Ein im besonderen Maße zu beachtendes Vertrauen könnte allenfalls im Rahmen des grammatischen Auslegungskriteriums, welches die Auslegungsgrenze determiniert, zu berücksichtigen sein.143 Die strengen Auffassungen beinhalten daher bloß „Teilwahrheiten“144, die von den vermittelnden Positionen zusammengeführt werden. Nur sie sind flexibel genug, um einen potentiellen Wandel der Lebensverhältnisse berücksichtigen zu können, beachten aber, wo es möglich ist, die unionsverfassungsrechtlich gebotene Rückkopplung des Rechtsanwenders an den Willen des historischen Gesetzgebers. Sie berücksichtigen sowohl subjektive als auch objektive Auslegungsmethoden, gewichten diese dem gerade Skizzierten entsprechend bloß anders.145 Sie sind daher vorzugswürdig. Um zu entscheiden, wann sich die Auslegung von dem (erkennbaren) Willen des historischen Gesetzgebers abkoppeln darf, kann das aus der autonomen deutschen Methodenlehre bekannte Bild vom „alten“ und „jungen“ Gesetz fruchtbar gemacht werden:146 Im Gegensatz zu „jungen Gesetzen“ kennzeich139

Herresthal, ZEuP 2009, 598, 606. Anweiler, Auslegungsmethoden, 1997, S. 67; Henninger, Methode, 2009, S. 278 f.; siehe auch Baldus/Vogel, in: FS Krause, 2006, S. 237, 244 f. Aus diesem Grund scheint auch der EuGH für das Primärrecht eine objektive Auslegungstheorie zu vertreten, siehe dazu Henninger, Methode, 2009, S. 321. 141 Vgl. Henninger, Methode, 2009, S. 375. 142 So aber Henninger, Methode, 2009, S. 278, 375. 143 Siehe S. 33 f. 144 Vgl. den Begriff bei Larenz, Methodenlehre, 6. Aufl. 1991, S. 316. 145 Vgl. Grundmann/Riesenhuber, JuS 2001, 529. 146 Wank, Auslegung, 6. Aufl. 2015, S. 34 f.; so scheint auch Larenz, Methodenlehre, 6. Aufl. 1991 zu unterscheiden, wenn er meint, dass das Gesetz mit fortschreitender Zeit mehr 140

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1. Teil: Methodische Grundlegung

nen sich „alte“ Gesetze dadurch, dass sich seit ihrem Erlass wesentliche Umstände rechtlicher oder tatsächlicher Art geändert haben.147 Grundsätzlich ist der Richter wegen Art. 97 Abs. 1, 20 Abs. 3 GG (im EU-Recht also wegen des Prinzips des institutionellen Gleichgewichts sowie des europäischen Demokratieprinzips) an den erkennbaren gesetzgeberischen Willen gebunden.148 Bei „alten“ Gesetzen muss der Rechtsanwender dagegen den aktuellen Normzweck bestimmen.149 Daran wird sich der „mutmaßliche Gesetzgeberwille“ orientieren.150 Aus Gründen der Methodenklarheit und -ehrlichkeit ist dabei zu fordern, dass der Rechtsanwender im Falle der Abweichung von einer klar erkennbaren Regelungsabsicht diese entsprechend kennzeichnet und begründet.151 3. Auslegungsmittel Der EuGH folgt im Wesentlichen den bereits in der deutschen Methodenlehre152 bekannten Auslegungskriterien: Wortlaut, Entstehungsgeschichte, Systematik und Zweck.153 Dem pflichtet das Schrifttum bei.154 Jedes dieser Kriterien ist bei der Norminterpretation zu berücksichtigen.155 und mehr ein eigenes Leben gewinnt und sich von den Vorstellungen seiner Urheber entfernt (aaO, S. 317); siehe auch aaO, S. 350. 147 Siehe dazu Wank, Auslegung, 6. Aufl. 2015, S. 33 f. 148 Diese Gesetzesbindung umfasst grundsätzlich auch die dahinterstehenden Regelungsabsichten des Gesetzgebers, siehe Larenz, Methodenlehre, 6. Aufl. 1991, S. 317; siehe auch Wank, Auslegung, 6. Aufl. 2015, S. 29 f. und BVerfG 11.6.1980 – 1 PBvU 1/79 = BVerfGE 54, 277, 297 f.: „[…] bei zeitlich neuen und sachlich neuartigen Regelungen kommt den […] Regelungsabsichten des Gesetzgebers erhebliches Gewicht bei der Auslegung zu, sofern Wortlaut und Sinnzusammenhang der Norm Zweifel offenlassen. Über die erkennbare Regelungsabsicht darf die Auslegung in solcher Lage nicht hinweggehen.“ 149 Siehe Larenz, Methodenlehre, 6. Aufl. 1991, S. 351. 150 Siehe Looschelders/Roth, Methodik, 1996, S. 66, die zur Bestimmung des „mutmaßlichen Willens“ in Fn. 177 auf die S. 160 ff., also die teleologische Interpretation, verweisen. 151 Siehe Neuner, in: Riesenhuber (Hrsg.), Europäische Methodenlehre, 4. Aufl. 2021, § 12 Rn. 18; Herresthal, ZEuP 2009, 598, 607; Höpfner/Rüthers, AcP 209 (2009), 1, 16; vgl. (für die autonome deutsche Methodenlehre) Wank, Auslegung, 6. Aufl. 2015, S. 35. 152 Siehe nur Möllers, Methodenlehre, 4. Aufl. 2021, § 4 Rn. 17 ff., insb. 22 und 23 mwN. Diese gehen auf Friedrich Carl von Savigny zurück. Er unterschied vier Auslegungselemente: ein grammatisches, ein logisches, ein systematisches und ein historisches (ders., System Bd. 1, 1840, S. 213 f.). Ein teleologisches kannte er auch (indes nur für „ungesunde“ oder „mangelhafte“ Gesetze), siehe dazu ders., Savigny, System Bd. 1, 1840, S. 222 und 224: „Grund des Gesetzes“. 153 Siehe nur Henninger, Methode, 2009, S. 321, der allerdings darauf hinweist, dass historische Argumente kein eigenständiges Auslegungskriterium seien, sondern nur innerhalb des teleologischen Berücksichtigung fänden. 154 Vgl. etwa Riesenhuber, EU-Vertragsrecht, 2013, § 1 Rn. 34 und Hess, IPRax 2006, 348, 353 jeweils mwN aus der Rechtswissenschaft. 155 Vgl. (indes zur autonomen nationalen Methodenlehre) schon Savigny, System Bd. 1, 1840, S. 215 und auch Larenz, Methodenlehre, 6. Aufl. 1991, S. 319.

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a) Grammatisches Kriterium Den Ausgangspunkt für die Auslegung bildet der Wortlaut der auszulegenden Norm.156 Das grammatische Kriterium zielt darauf ab, den Sinn dieser Zeichen und Wörter unter Berücksichtigung ihrer Stellung im Satzgefüge und im Zusammenhang mit anderen Begriffen zu ermitteln.157 Bei der Erforschung des Wortsinnes ist zunächst zu untersuchen, ob der Unionsgesetzgeber den in Rede stehenden Begriff legaldefiniert hat. Dann ist der Rechtsanwender selbstverständlich an diese Bedeutung gebunden.158 Ist das nicht der Fall, fragt sich weiter, ob der Begriff bereits an anderer, einer mit der jeweiligen Norm zusammenhängender Stelle159 im europäischen Recht eine autonome gemeinschaftsrechtliche Bedeutung erhalten hat. Bejahendenfalls besteht die (durch die anderen Interpretationskriterien) widerlegliche Vermutung, dass ihm diese auch in der zur Auslegung anstehenden Norm zukommt.160 Problematisch wird es aber, wenn der entsprechende Begriff noch nicht gemeinschaftsrechtlich ausgeformt ist oder diese Bedeutung im konkreten Fall nicht übertragen werden kann. Ausgehend vom Wortlaut der Rechtsnorm ist dann ein solches Begriffsverständnis (neu) zu bilden. Hierbei stellen sich zahlreiche Fragen, die zum Teil aus der deutschen Methodenlehre bekannt sind, zum Teil aber auch der Besonderheit der Mehrsprachenauthentizität entspringen. aa) Ausgangspunkt: Mehrsprachenauthentizität – keine „Textkritik“ Bevor die grammatische Auslegung beginnen kann, ist zu klären, auf welcher Grundlage sie erfolgen soll, d. h. welche Sprachfassung/en als Untersuchungsgegenstand heranzuziehen ist/sind. So wird teilweise vertreten, dass schon die Wortlaute der verschiedenen verbindlichen Sprachfassungen vor der Auslegung miteinander zu vergleichen seien, um herauszufinden, welche Formulie156

Siehe nur Weiler, ZEuP 2010, 861, 862 (mwN aus dem rechtswissenschaftlichen Diskurs); Grundmann/Riesenhuber, JuS 2001, 529 (mwN aus der Judikatur des EuGH). 157 Schübel-Pfister, Sprache, 2004, S. 128; Weiler, ZEuP 2010, 861, 867; Maasch, in: FS Raisch, 1995, S. 417, 420 f. 158 Dies wird, soweit ersichtlich, nicht auf der Ebene einer europäischen Methodenlehre thematisiert, allerdings für die autonome nationale Methodenlehre vertreten, siehe Möllers, Methodenlehre, 4. Aufl. 2021, § 4 Rn. 49 ff.; Reimer Methodenlehre, 2. Aufl. 2020, Rn. 294 ff.; Zippelius, Methodenlehre, 12. Aufl. 2021, S. 37 f.; Vogel, Methodik, 1998, S. 114. Diese Überlegung ist auf die europäische Ebene zu übertragen. 159 Hieran zeigt sich eine Besonderheit der europäischen Methodenlehre. Die widerlegliche Vermutung, wonach gleichlautenden Begriffen dieselbe Bedeutung zukommt, kann denknotwendig nur dort greifen, wo nach dem Willen des Unionsgesetzgebers ein zusammenhängendes Normkonvolut besteht, vgl. dazu auch S. 36 f. 160 Riesenhuber, in: ders. (Hrsg.), Europäische Methodenlehre, 4. Aufl. 2021, § 10 Rn. 20; Lutter, JZ 1992, 593, 599; vgl. auch Henninger, Methode, 2009, S. 381 und Buerstedde, Methodik, 2006, S. 110.

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1. Teil: Methodische Grundlegung

rung die „richtige“ ist. Dies soll dazu dienen, Redaktionsversehen und Übersetzungsfehler als solche zu identifizieren und bereits auf dieser Stufe der grammatischen Auslegung auszuscheiden.161 Dagegen spricht jedoch, dass allein aus einer Häufung von gewissen Formulierungen nicht darauf geschlossen werden kann, dass genau diese auch gemeint ist. Es kann sich umgekehrt auch um eine Häufung von Redaktionsversehen und Übersetzungsfehlern handeln. Die Feststellung des vom Unionsgesetzgeber „wirklich gemeinten“ Wortlautes lässt sich nur unter Rückgriff auf andere Kriterien zweifelsfrei feststellen.162 Da die verschiedenen Auslegungskriterien aber den Sinn haben, bei der Entscheidungsfindung die größtmögliche Transparenz herbeizuführen, sollten sie so weit wie möglich voneinander getrennt werden.163 Eine solche, rein auf den Wortlaut der Sprachfassungen bezogene Textkritik muss deshalb ausscheiden. bb) Ermittlung des Auslegungsspielraums Vielmehr ist bei der Ermittlung des Auslegungsspielraums von den Wortlauten aller 24 Sprachfassungen auszugehen. Für jede Sprachfassung ist zunächst der Wortsinn der in ihr enthaltenen Begriffe nach dem jeweiligen nationalen Sprachgebrauch getrennt zu ermitteln.164 Die Verpflichtung des Rechtsanwenders zu einem umfassenden Vergleich aller Sprachfassungen folgt aus der unionsrechtlich vorgeschriebenen Mehrsprachenauthentizität.165 Erst aus einer Zusammenschau aller Sprachfassungen und deren nationaler Bedeutungsvarianten kann sich der gesamte Bedeutungsgehalt der verwendeten Begrifflichkeiten erschließen.166 Dass sich deshalb die Anzahl der möglichen Wortbedeutungen potenziert, liegt auf der Hand.167 Dies wird zumindest dadurch etwas abgemildert, dass viele mögliche Begriffsbedeutungen in den nationalen Sprachgebräuchen aufgrund des konkreten Verwendungszusammenhangs und der Syntax in der jeweiligen Sprachfassung ausscheiden; hieran wird deutlich, dass der Sprachenvergleich, wie schon eingangs gezeigt, nicht nur ein Wort-, sondern auch ein Satzverständnis des Textinterpreten erfordert.168 Aber auch ungeachtet dessen ist es als positiv zu bewerten, wenn der Kreis möglicher Bedeutungen weit gezogen ist. Denn dadurch wird es wahrscheinlicher, dass eine

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So Lutter, JZ 1992, 593, 599 (auch mit Beispielen). Siehe Maasch, in: FS Raisch, 1995, S. 417, 421, die darin auch systematische Aspekte erkennt; zum Verhältnis von grammatischer und systematischer Auslegung aber S. 39 ff. 163 Maasch, in: FS Raisch, 1995, S. 417, 421. 164 Anweiler, Auslegungsmethoden, 1997, S. 149; Maasch, in: FS Raisch, 1995, S. 417, 421; so im Ausgangspunkt auch Nehne, Methodik, 2012, S. 59 f. 165 Siehe etwa S. 13 und 29 ff. 166 Weiler, ZEuP 2010, 861, 864 und 866 (auch mwN zur Judikatur des EuGH). 167 Vgl. auch Riesenhuber, in: ders. (Hrsg.), Europäische Methodenlehre, 4. Aufl. 2021, § 10 Rn. 18 und Maasch, in: FS Raisch, 1995, S. 417, 420; vgl. auch schon oben S. 13 ff. 168 Weiler, ZEuP 2010, 861, 867. 162

§ 1 Rechtsfindung im europäischen Kollisionsrecht

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Begriffsbedeutung gefunden werden kann, die dem Normzweck am besten entspricht. cc) Keine Geltung einer Vorrangregel bei Bedeutungsdivergenzen Nach dem bislang zur europäischen Methodenlehre Gesagten erscheint der folgende Gedanke eigentlich selbstverständlich: Wenn, was meistens der Fall sein wird, die Wortsinnbedeutungen der einzelnen Sprachfassungen divergieren, darf dies wegen der Mehrsprachenauthentizität keinesfalls durch die Einräumung des Vorrangs einer Sprachfassung aufgelöst werden. Die unter den Namen „Klarheitsregel“, „Gemeinsame-Nenner-Regel“, „Mehrheitsregel“ oder „Günstigkeitsregel“169 bekannten unterschiedlichen Vorrangregeln sind allesamt abzulehnen; Entsprechendes gilt für eine Bevorzugung des Urtextes oder des Textes der Arbeitssprache.170 Die Zugrundelegung (irgend-) einer Vorrangregel hätte zur Folge, dass zumindest eine der Sprachfassungen nicht mehr verbindlich wäre, was gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz der Sprachfassungen verstieße.171 Dies wird nur vereinzelt anders gesehen. Zur Begründung wird darauf verwiesen, dass die Verbindlichkeitsanordnung nur die Wortlaute, nicht aber die Wortbedeutungen erfasse, weil eine einheitliche Rechtsgemeinschaft im Falle der Verbindlichkeit divergierender Bedeutungen nicht möglich sei.172 Die Verbindlichkeitsanordnung muss sich aber denknotwendigerweise auch auf den hinter den jeweiligen Fassungen stehenden Wortsinn beziehen; andernfalls wäre sie entwertet. Jede Vorrangregel verstößt schon deshalb gegen die Mehrsprachenauthentizität.173 Sie werden hier nicht weiter berücksichtigt. dd) Zum maßgeblichen Sprachgebrauch Sodann stellt sich ein aus der deutschen Methodenlehre bekanntes Problem. Es ist fraglich, welcher Sprachgebrauch für die Ermittlung des Wortsinns relevant ist: ein allgemeiner oder ein fachspezifischer? Grundsätzlich gilt, dass der allgemeine Sprachgebrauch für die Auslegung zu ermitteln ist,174 da sich die Ge-

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Siehe zu ihnen Nehne, Methodik, 2012, S. 61 ff. mwN. Siehe auch dazu Nehne, Methodik, 2012, S. 62 f. mwN. 171 Ohne nähere Begründung auch Baldus/Vogel, in: FS Krause, 2006, S. 237, 246. 172 Buerstedde, Methodik, 2006, S. 21, der allerdings auch meint, dass „die Entscheidung noch mit dem Wortlaut sämtlicher Fassungen vereinbar sein“ muss. 173 Gegen die Bevorzugung einer oder mehrere Sprachfassungen sprechen aber auch andere Argumente, die sich bei Nehne, Methodik, 2012, S. 61 ff. finden. 174 Riesenhuber, in: ders. (Hrsg.), Europäische Methodenlehre, 4. Aufl. 2021, § 10 Rn. 17 und Buck, Auslegungsmethoden, 1998, S. 165 (jeweils mwN zur Judikatur des EuGH). Siehe für die autonome deutsche Methodenlehre Larenz, Methodenlehre, 6. Aufl. 1991, S. 320; Bydlinski, Methodenlehre, 1982, S. 438; Reimer, Methodenlehre, 2. Aufl. 2020, Rn. 285. 170

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setze an den Bürger richten.175 Aus der Alltagssprache bildet sich der juristischfachsprachliche Sinn.176 Eine Ausnahme von diesem Grundsatz stellt die Verwendung technischer Begriffe dar – sei es naturwissenschaftliches oder juristisches Fachvokabular, das in den Mitgliedstaaten eine bestimmte Bedeutung erhalten hat. In diesen Fällen besteht ebenfalls die widerlegliche Vermutung, dass dem jeweiligen Begriff in der einzelnen Sprachfassung diese feststehende (juristisch-) fachsprachliche Bedeutung zukommt.177 Die Vermutung kann allerdings aufgrund eines unterschiedlichen Normzwecks widerlegt werden.178 Problematisch wird es für die Bestimmung einer fachjuristischen Bedeutung, wenn eine Sprachfassung mehr als nur eine mitgliedstaatliche Rechtsordnung repräsentiert und sich in beiden eine fachsprachliche Bedeutung zur Auslegung anbietet. Die deutschen Textfassungen etwa umfassen alle Mitgliedstaaten, deren Amtssprache Deutsch ist und deren entsprechender Rechtstext zumindest auch in Deutsch verbindlich abgefasst ist, namentlich Deutschland und Österreich.179 Wenn also beispielsweise Art. 11 Rom II-VO in der deutschen Sprachfassung von der „Geschäftsführung ohne Auftrag“ spricht, ist dann die im BGB oder die im österreichischen ABGB kodifizierte gemeint? Denkbar wäre es entweder, die gemeinsame Schnittmenge beider fachsprachlicher Bedeutungen zu ermitteln und zugrunde zu legen, oder die deutschspra175

Henninger, Methode, 2009, S. 381; so auch Martens, Methodenlehre, 2013, S. 375. Buerstedde, Methodik, 2006, S. 110. 177 Vgl. auch – aber restriktiver (entsprechende Bedeutung sei nur dann vorzuziehen, wenn sich auch die anderen Sprachfassungen in diesem Sinne verstehen lassen) – Riesenhuber, in: ders. (Hrsg.), Europäische Methodenlehre, 4. Aufl. 2021, § 10 Rn. 17 und Grundmann/Riesenhuber, JuS 2001, 529, 530 sowie Nehne, Methodik, 2012, S. 60. Die Vorgenannten scheinen mit dieser Einschränkung zu vertreten, dass die nach den nationalen Sprachgebräuchen ermittelte Bedeutung nur dann maßgeblich sein kann, wenn sie sich auch in den anderen spiegelt; dies liefe auf die Ermittlung einer „Minimalübereinstimmung“ hinaus (so ausdrücklich Nehne, aaO). Dagegen spricht allerdings, dass alle Sprachfassungen zumindest theoretisch zu einer einheitlichen zusammengefasst werden müssen. Die Feststellung einer solchen „Minimalübereinstimmung“ führte dazu, dass dieses hypothetische Regelungsganze nicht mehr Gegenstand der Auslegung wäre und damit gegen den Grundsatz der Gleichberechtigung der Sprachfassungen verstoßen würde, siehe zu dem Gesagten Gruber, Methoden, 2004, S. 138 und oben S. 19 ff. 178 Vgl. die Erwägung zur deutschen Methodenlehre von Larenz, Methodenlehre, 6. Aufl. 1991, S. 321. 179 In Belgien, Italien und Luxemburg ist Deutsch (zumindest regional) zwar auch eine Amtssprache. Belgische Gesetze werden indes in französischer und niederländischer Sprache verbindlich abgefasst (vgl. Art. 1 de la loi du 31 mai 1961 relative à l'emploi des langues en matière législative, à la présentation, à la publication et à l'entrée en vigueur des textes légaux et réglementaires), Luxemburg verwendet Französisch (Pereira/Zenthöfer, Einführung in das luxemburgische Recht, § 2 Rn. 8) und in Italien ist Deutsch regional dem Italienischen zwar gleichgestellt, im Zweifel gilt aber der italienische Wortlaut (Wiesmann, Rechtsübersetzung, 2004, S. 98). 176

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chige Fassung (hypothetisch) in eine „deutsche“ und eine „österreichische“ aufzuspalten und damit sowohl die deutsche als auch die österreichische fachjuristische Bedeutung heranzuziehen. Es spricht einiges für die zweite Alternative. Denn die Einführung der Sprachenvielfalt diente dem Ziel der europäischen Integration; jeder Mitgliedstaat soll eine der Sprachfassungen als „seine“ identifizieren können.180 Durch die damit einhergehende höhere Identifikation wird das europäische Gemeinschaftsgefühl gestärkt und dieser integrativen Zielsetzung entsprochen. Diese Sichtweise wird daneben auch durch die Erwägung gestützt, dass so ein möglichst weiter Auslegungsspielraum ermittelt werden kann. Darüber hinaus darf nicht verkannt werden, dass etwa der deutsche und der österreichische Rechtsanwender stets zunächst von ihrer nationalen Perspektive aus auf „ihre“ Sprachfassung blicken werden. Zwar wird vereinzelt eingewandt, dass dadurch Wertungen aus nationalen Rechtsordnungen in die europäische Begriffsbildung einfließen, was dem Ziel einer autonomen Auslegung zuwiderliefe.181 Diese Bedenken greifen indes nicht, da das grammatische Kriterium nur den Spielraum der Auslegung festlegt, nicht aber die finale Begriffsbildung bestimmt. Aus diesen Gründen ist die fachsprachliche Bedeutung eines jeden entsprechenden Mitgliedstaats für die Auslegung der fraglichen Textversion heranzuziehen. ee) Zum maßgeblichen Zeitpunkt Wurde der Kreis des ausschlaggebenden Sprachgebrauchs bestimmt, ist der für die Wortsinnermittlung relevante Zeitpunkt zu bestimmen. In Betracht kommt der Erlasszeitpunkt der in Rede stehenden Rechtsnorm oder jener der konkreten Rechtsanwendung. Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass der Gesetzgeber seine Worte so gewählt hat, wie sie zu seiner Zeit gebraucht wurden. Daher ist eine Bedeutungsänderung grundsätzlich unbeachtlich.182 Maßgebend ist der entstehungszeitliche Sprachgebrauch. Dafür streiten das Prinzip des „institutionellen Gleichgewichts“ sowie das europäische Demokratieprinzip. Die aus ihnen fließende Bindung des Richters an die Absichten des historischen Gesetzgebers muss die Forderung nach der Zugrundelegung eines entstehungszeitlichen Wortsinnverständnisses einschließen. Andernfalls drohte diese Rückkopplung – quasi durch die Hintertür – unterlaufen zu werden.183 Etwas anderes ist nur dann angezeigt, wenn anzunehmen ist, dass der Gesetzgeber die Begriffsbildung an einen gesellschaftlich bedingten Wandel koppeln wollte – etwa wenn

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Dörr, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, 74. EL September 2021, Art. 55 EUV Rn. 4. So Ahmling, Analogiebildung, 2012, S. 106 f. 182 Henninger, Methode, 2009, S. 381. 183 Vgl. auch die Erwägung zur deutschen Methodenlehre bei Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, 12. Aufl. 2022, Rn. 741. 181

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1. Teil: Methodische Grundlegung

er bewusst eine offene, im Wandel befindliche Formulierung oder einen normativen, wertungsbedürftigen Begriff gewählt hat.184 Eine weitere Ausnahme hiervon könnte man erwägen, wenn Rechtsnormen in Rede stehen, die zu besonders eingriffsintensiven Maßnahmen ermächtigen; also vor allem im Steuer- und Strafrecht. Dann könnte nicht nur eine sogenannte „individuelle“ Wortlautgrenze185 zu beachten, sondern die grammatische Auslegung auch an den geltungszeitlichen Sprachgebrauch gebunden sein. So hat das BVerfG für das autonome nationale Recht und innerhalb des Anwendungsbereichs von Art. 103 Abs. 2 GG wiederholt festgestellt, dass der Bürger die Möglichkeit haben muss, den Bedeutungsgehalt einer Norm am Wortlaut zu erkennen und sein Verhalten daran auszurichten.186 Diese Gedanken bedürfen hier aber keiner Vertiefung, da das Internationale Privatrecht kein in diesem Sinne besonders eingriffsintensives Rechtsgebiet ist. Es dirigiert lediglich über die Anwendung der verschiedenen Privatrechtsordnungen.187 ff) Leistungsfähigkeit des grammatischen Auslegungskriteriums Dass eine Auslegung allein anhand des grammatischen Kriteriums zur Bestimmung der autonom-gemeinschaftsrechtlichen Bedeutung in den allermeisten Fällen nicht ausreichen wird, liegt auf der Hand. Selbst wenn sich ergibt, dass die einzelnen Sprachfassungen in ihrem Bedeutungskreis nicht voneinander abweichen, besteht noch das aus der nationalen Methodenlehre bekannte Problem, dass es aufgrund der Vielzahl der Bedeutungsmöglichkeiten nicht den einen „eindeutigen“ Wortsinn gibt.188 Die Relevanz der Auslegung anhand dieses Interpretationskriteriums aufgrund der aufgezeigten Schwierigkeiten zu bezweifeln, ist indes nicht angezeigt.189 Ihre Bedeutung zeigt sich gerade darin, dass sie die möglichen Bedeutungsvarianten und damit den Auslegungsspielraum für die weitere Interpretation absteckt. b) Systematisches Kriterium aa) Ausgangspunkte Mithilfe der systematischen Interpretation wird versucht, aus der Stellung einer europäischen Rechtsnorm im Regelungsganzen Rückschlüsse auf ihren Inhalt 184

Henninger, Methode, 2009, S. 381 f. (mit Beispielen). Vgl. dazu oben S. 20. 186 Siehe nur BVerfG 11.11.1986 – 1 BvR 713/83 u. a. = BVerfGE 73, 206, 235 f. und BVerfG 23.10.1991 – 1 BvR 850/88 = BVerfGE 85, 69, 73. 187 Siehe nur Dornis, RabelsZ 80 (2016), 543, 563. 188 Vgl. nur Martens, Methodenlehre, 2013, S. 363 und Höpfner/Rüthers, AcP 209 (2009), 1, 11. 189 So aber Baldus/Vogel, in: FS Krause, 2006, S. 237, 246; Anweiler, Auslegungsmethoden, 1997, S. 168 ff. 185

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zu ziehen.190 Die Prämisse der systematischen Auslegung liegt dabei in dem Ideal einer widerspruchsfreien und einheitlichen europäischen Rechtsordnung;191 die auszulegende Norm ist als Element eines in äußerlicher und innerlicher Hinsicht strukturierten Regelungsganzen zu sehen,192 so dass der Norminhalt zu ermitteln ist, mit dem sie sich in dieses möglichst widerspruchsfrei und kohärent einfügt.193 Für die Auslegung anhand des systematischen Kriteriums ist zwischen der äußeren und inneren Systematik zu unterscheiden.194 (1) Äußere Systematik Die äußere Systematik betrachtet die Position des Rechtssatzes innerhalb des Rechtsstoffes, also die Einteilung in verschiedene Rechtsakte, sowie deren Aufbau und Unterteilung, den dortigen Standort der Regelung, ob sie vom Unionsgesetzgeber mit einer amtlichen Überschrift versehen wurde und in welchem Rangverhältnis sie zu anderen Normen steht.195 Das äußere System erfüllt zwar in erster Linie Ordnungsaufgaben, so dass es nicht unmittelbar Aufschluss über den Norminhalt geben kann; allerdings entspricht die Stellung der Norm in der Gesamtrechtsordnung ihrem sachlichen Gehalt und lässt deshalb durchaus Schlüsse auf die Regelungsabsicht des Gesetzgebers zu.196 (2) Innere Systematik Die innere Systematik bezeichnet demgegenüber den inneren Aufbau der Rechtsordnung.197 Für die Auslegung anhand der inneren Systematik ist deshalb maßgebend, mit welchem Inhalt die auszulegende Norm am besten und widerspruchfreisten zu den Regelungszwecken der einzelnen Rechtsinstitute und Vorschriften sowie den allgemeinen Rechtsprinzipien passt, in die sie sich einfügen soll. Um es mit den Worten des EuGH zu sagen: „Jede Vorschrift des [Unions]rechts [muss] in ihrem Zusammenhang [gesehen] und im Lichte des gesamten [Unions]rechts, seiner Ziele und seines Entwicklungsstands zur Zeit der Anwendung der betreffenden Vorschrift [ausgelegt] werden.“198 Aus die190

Vgl. nur Nehne, Methodik, 2012, S. 68; Langenbucher, in: dies. (Hrsg.), Europäisches Privat- und Wirtschaftsrecht, 4. Aufl. 2017, § 1 Rn. 11 mwN. 191 Vgl. nur Gruber, Methoden, 2004, S. 149; Anweiler, Auslegungsmethoden, 1997, S. 173; Maasch, in: FS Raisch, 1995, S. 417, 422. 192 Riesenhuber, in: ders. (Hrsg.), Europäische Methodenlehre, 4. Aufl. 2021, § 10 Rn. 22. 193 Vgl. nur Anweiler, Auslegungsmethoden, 1997, S. 173. 194 Siehe Nehne, Methodik, 2012, S. 68. 195 Nehne, Methodik, 2012, S. 68; Riesenhuber, in: ders. (Hrsg.), Europäische Methodenlehre, 4. Aufl. 2021, § 10 Rn. 22 f.; Henninger, Methode, 2009, S. 385. 196 Höpfner/Rüthers, AcP 209 (2009), 1, 11. 197 Nehne, Methodik, 2012, S. 69. 198 EuGH 6.10.1982, Rs. 283/81 = NJW 1983, 1257.

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1. Teil: Methodische Grundlegung

sem Zitat können zwei Erkenntnisse gewonnen werden: Erstens sind systematische und teleologische Kriterien durch die Suche nach der der Rechtsordnung immanenten Teleologie ineinander verschränkt199 und zweitens ist für die Auslegung anhand der Systematik stets die geltungszeitliche Systematik maßgeblich.200 Bezüglich des inneren Systems lässt sich weiter zwischen der vertikalsystematischen und der horizontal-systematischen Auslegung differenzieren.201 Die vertikal-systematische Auslegung meint das „innere Verhältnis“ einer Rechtsnorm niedrigeren Rangs zu solchen eines höheren Rangs. Sie zielt darauf ab, die auszulegende Regelung an den Zwecken der höherrangigen Normen (also insbesondere denen des Primärrechts) auszurichten.202 Bei der horizontal-systematischen Auslegung ist demgegenüber das Verhältnis der fraglichen Regelung zu jenen des gleichen Rangs maßgeblich.203 Dafür kann zunächst der Rechtsakt, in den die auszulegende Norm eingebettet ist, herangezogen werden (sog. rechtsaktinterne Auslegung); die einzelnen Vorschriften des Regelungswerks stellen stets ein aufeinander abgestimmtes Regelungsganzes dar.204 Aber auch eine rechtsaktübergreifende Auslegung kann zur Ermittlung des Norminhalts hilfreich sein. Dies gilt insbesondere für Sekundärrechtsakte, die gemeinsam ein (Teil-) Rechtsgebiet bilden sollen.205 Allerdings ist stets zu beachten, dass die Unionsrechtsordnung aufgrund des Prinzips der begrenzten Einzelermächtigung fragmentarisch ausgestaltet sein kann, so dass – anders als in den historisch gewachsenen, in sich geschlossenen mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen – das Normumfeld unter Umständen (noch) fehlt bzw. (noch) unfertig ist.206 Eine rechtsaktübergreifende Auslegung kann deshalb lediglich dort angewendet werden, wo die Europäische Union auf Grundlage einer entsprechenden Kompetenz legislativ tätig geworden ist und die zur Auslegung herangezogenen, weiteren Rechtsakte auch in einem Zusam-

199 Vgl. auch Henninger, Methode, 2009, S. 285; Buck, Auslegungsmethoden, 1998, S. 201; Schübel-Pfister, Sprache, 2004, S. 130; zu der Abgrenzung der systematischen Interpretation zu den anderen Auslegungskriterien sogleich, S. 39 f. 200 Siehe auch Nehne, Methodik, 2012, S. 68; vgl. auch Hess, IPRax 2006, 348, 355. 201 So etwa Nehne, Methodik, 2012, S. 69 im Anschluss an Schübel-Pfister, Sprache, 2004, S. 129. 202 Vgl. Schübel-Pfister, Sprache, 2004, S. 129; Nehne, Methodik, 2012, S. 69 f. 203 Nehne, Methodik, 2012, S. 69; Schübel-Pfister, Sprache, 2004, S. 129. 204 Vgl. Gruber, Methoden, 2004, S. 151. 205 Vgl. Riesenhuber, in: ders. (Hrsg.), Europäische Methodenlehre, 4. Aufl. 2021, § 10 Rn. 24 (mit Beispielen), der dies allerdings im Zusammenhang mit der äußeren Ordnung anspricht. 206 Darauf weist auch Rebhahn, in: Riesenhuber (Hrsg.), Europäische Methodenlehre, 4. Aufl. 2021, § 17 Rn. 30 hin.

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menhang207 mit jenem der zu interpretierenden Regelung stehen. Dafür bedarf es eines Systembildungswillens sowie eines Kohärenzanspruchs seitens des Unionsgesetzgebers.208 Dass dies der Fall ist, wird umso stärker anzunehmen sein, je näher sich die Rechtsakte von ihren Regelungsgehalten her stehen209 und je stärker sie aufeinander abgestimmt sind.210 Die Tragfähigkeit der rechtsaktübergreifenden systematischen Auslegung ist also von Rechtsgebiet zu Rechtsgebiet anhand der genannten Kriterien stets neu zu bestimmen. Von einem „teilweisen Ausfall dieses Auslegungskriteriums“211 zu sprechen, geht aber wohl zu weit. bb) Grundsätze der systematischen Auslegung Aus der Zielsetzung der systematischen Interpretation – namentlich der Herstellung und Wahrung der Rechtseinheit – ergeben sich die folgenden Grundsätze der systematischen Auslegung. Sie alle zielen darauf ab, Widersprüche und Inkohärenzen in der Rechtsordnung zu vermeiden. (1) Horizontal-systematisch Auf horizontal-systematischer Ebene werden Widersprüche zunächst dadurch vermieden, dass identischen Ausdrücken grundsätzlich dieselbe Bedeutung zukommt.212 Wie bereits bei dem grammatischen Auslegungskriterium dargelegt, besteht hierfür eine widerlegliche Vermutung; Abweichendes kann die Auslegung der entsprechenden Regelung ergeben.213 Außerdem müssen verschiedene, möglicherweise in Betracht kommende Normen zueinander abgegrenzt und damit harmonisiert werden. Dies ergibt sich aus der Erwägung, dass für dieselbe Sachlage keine verschiedenen Rechtsfolgen angeordnet werden.214 Eine Abgrenzung ist aber nicht nur bei möglich207 Vgl. auch Hess, IPRax 2006, 348, 355 (notwendig ist ein inhaltlicher Bezug der Rechtsakte); Kropholler, Einheitsrecht, 1975, S. 273 (maßgeblich ist das bewusste Ineinandergreifen von Rechtsakten). 208 So auch ausdrücklich Herresthal, in: Arnold (Hrsg.), Grundlagen, 2014, S. 49, 75. 209 Grundmann, RabelsZ 75 (2011), 882, 894. 210 Vgl. Buerstedde, Methodik, 2006, S. 160; Gruber, Methoden, 2004, S. 158. 211 So Höpfner/Rüthers, AcP 209 (2009), 1, 12; siehe auch Herresthal, ZEuP 2009, 598, 603 („bisweilen nur begrenzte Aussagekraft des systematischen Arguments“); siehe ferner Adrian, Grundprobleme, 2009, S. 447 („das Gemeinschaftsrecht [wird] dem systematischen Niveau nationaler Kodifikationen kaum gerecht“). Anders aber beispielsweise Riesenhuber, in: ders. (Hrsg.), Europäische Methodenlehre, 4. Aufl. 2021, § 10 Rn. 24: Das europäische Privatrecht sei weitgehend vollständig und nur in wenigen Punkten lückenhaft. 212 Vgl. nur Grundmann, RabelsZ 75 (2011), 882, 894; Anweiler, Auslegungsmethoden, 1997, S. 172; siehe schon oben S. 29. 213 Nehne, Methodik, 2012, S. 70 f.; so für das Verhältnis der Brüssel I-VO und Rom IIVO ausdrücklich auch EuGH 16.1.2014 – C-45/13 = NJW 2014, 1166 Rn. 20. 214 Nehne, Methodik, 2012, S. 71.

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1. Teil: Methodische Grundlegung

erweise konkurrierenden Rechtsnormen innerhalb oder außerhalb des einzelnen Rechtsakts erforderlich, sondern gerade auch bei der Bestimmung des Verhältnisses ganzer Rechtsakte zueinander zu treffen.215 Auch die Ausräumung von Zielkonflikten ist Teil der systematischen Auslegung. Damit ist gemeint, dass die abstrakten Ziele und Rechtsgrundsätze des Unionsrechts, an denen sich die systematische Auslegung orientieren kann, aufeinander abgestimmt werden müssen, da sie mitunter nicht widerspruchsfrei nebeneinanderstehen.216 Damit alle betroffenen Ziele bzw. Rechtsgrundsätze optimal verwirklicht werden, sind die Konflikte mittels praktischer Konkordanz auszugleichen.217 Als weiteres Prinzip der systematischen Auslegung nennt der EuGH den Grundsatz der engen Auslegung von Ausnahmen.218 Allerdings steht hinter diesem „Regel-Ausnahme-Argument“ stets eine Wertung, die von Vorschrift zu Vorschrift anders ausfallen kann und deshalb ihrerseits durch Auslegung zu bestätigen ist.219 In Wirklichkeit handelt es sich also nicht um ein Prinzip oder einen Grundsatz.220 (2) Vertikal-systematisch Schließlich ist im Bereich der vertikal-systematischen Auslegung zu beachten, dass eine Rechtsnorm nicht im Widerspruch zu einer höherrangigen Regelung ausgelegt werden darf;221 es ist sogar die Interpretation zu wählen, die der Wertentscheidung der höherrangigen Vorschrift am ehesten entspricht.222 Die ver-

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Hierfür können die aus der deutschen Methodenlehre bekannten Vorrangregeln fruchtbar gemacht werden: lex posterior derogat legi inferiori und lex specialis derogat legi generali, siehe zu ihnen Riesenhuber, in: ders. (Hrsg.), Europäische Methodenlehre, 4. Aufl. 2021, § 10 Rn. 30 f. mwN. 216 Nehne, Methodik, 2012, S. 71. 217 Nehne, Methodik, 2012, S. 71; Colneric, ZEuP 2005, 225, 227 (Wahrung des „rechten Gleichgewichts“); siehe auch Anweiler, Auslegungsmethoden, 1997, S. 218. 218 Riesenhuber, in: ders. (Hrsg.), Europäische Methodenlehre, 4. Aufl. 2021, § 10 Rn. 62 mwN zur Judikatur des EuGH. 219 Nehne, Methodik, 2012, S. 71 f.; Riesenhuber, in: ders. (Hrsg.), Europäische Methodenlehre, 4. Aufl. 2021, § 10 Rn. 62 ff. 220 Einschränkend aber Franzen, Privatrechtsangleichung, 1999, S. 449, der diesem „Auslegungsgrundsatz“ aber nicht völlig seine Berechtigung absprechen möchte; a. A. auch Bleckmann, NJW 1982, 1177, 1180. 221 Lex superior derogat legi inferiori, siehe dazu nur Riesenhuber, in: ders. (Hrsg.), Europäische Methodenlehre, 4. Aufl. 2021, § 10 Rn. 30 mwN; Franzen, Privatrechtsangleichung, 1999, S. 448. 222 Bleckmann, NJW 1982, 1177, 1181: Es besteht eine Vermutung, dass sich der eine höherrangige Norm durchführende Gesetzgeber auch an dieser ausrichten will. Die Orientierung an den höherrangigen Normen wird im Sekundärrecht dadurch erleichtert, dass die Erwägungsgründe eines Rechtsakts Aufschluss über dessen Ermächtigungsgrundlage und

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tikal-systematische Interpretation unterscheidet sich von allen anderen Auslegungskriterien dadurch, dass sie nicht nur ein Interpretationsergebnis stützt, sondern auch mögliche Auslegungsergebnisse – namentlich die primärrechtswidrigen – ganz ausscheiden lässt.223 Aber auch umgekehrt werden die Sekundärrechtsakte vom EuGH herangezogen, um das Primärrecht auszulegen, da die Sekundärvorschriften eine detaillierte Umsetzung der primärrechtlichen Zielvorgaben darstellen und diese damit konkretisieren können.224 cc) Abgrenzung zu den übrigen Auslegungskriterien Abschließend soll noch das Verhältnis der systematischen Auslegung zu den anderen Interpretationskriterien thematisiert werden. Dies ist auf europäischer Ebene wegen des Hinzutretens der dortigen Besonderheiten, insbesondere der Mehrsprachenauthentizität, besonders neuralgisch. Es wurde bereits gezeigt, dass das systematische Kriterium eng mit teleologischen Auslegungselementen verwoben ist, indem es nach dem „inneren System“ der Rechtsordnung fragt. Aber auch die Grenze zu der grammatischen Auslegung ist nicht ganz klar gezogen; denn die Ermittlung des hinter der Norm stehenden Wortsinnes ist – wie gezeigt – nur durch die Beachtung der Syntax möglich. Auch das grammatische Kriterium weist mithin systematische Züge auf.225 Auf der europäischen Ebene tritt als Besonderheit hinzu, dass die grammatische Auslegung in den Fällen eines neu zu entwickelnden autonomgemeinschaftsrechtlichen Begriffsverständnisses einen Sprachenvergleich erfordert; auch hierin könnte man systematische Elemente entdecken.226 Zur Abgrenzung zwischen dem grammatischen und systematischen Auslegungsmittel sollte darauf abgestellt werden, ob sich die Auslegung innerhalb (dann grammatische Auslegung) oder außerhalb (dann systematische Auslegung) einer in sich geschlossenen Norm, bestehend aus Tatbestand und Rechtsfolge, bewegt; bei bloßen Zielbestimmungen, die nicht dem Muster „Tatbestand-Rechtsfolge“ entsprechen, untersucht das grammatische Auslegungskriterium einen in sich geschlossenen Satz. Aufgrund der Mehrsprachenauthentizität ist diese Norm bzw. dieser Satz aber als Teil des aus allen Sprachfassungen zusammengesetzten hypothetischen Ganzen zu begreifen. Aus diesem Grund zählt der Sprachenvergleich zu dem grammatischen Auslegungselement. damit dessen Verknüpfung mit primärrechtlichen Zielen geben, Colneric, ZEuP 2005, 225, 227 f. 223 Grundmann, RabelsZ 75 (2011), 882, 896. 224 Martens, Methodenlehre, 2013, S. 447 mwN aus der Judikatur des EuGH; befürwortend Grundmann, RabelsZ 75 (2011), 882, 910 f. und Franzen, Privatrechtsangleichung, 1999, S. 448 f.; krit. Henninger, Methode, 2009, S. 285. 225 Aus diesem Grund ordnet Riesenhuber, in: ders. (Hrsg.), Europäische Methodenlehre, 4. Aufl. 2021, § 10 Rn. 21 den sprachlichen Bedeutungszusammenhang dem systematischen Auslegungskriterium zu. Siehe auch Grundmann/Riesenhuber, JuS 2001, 529, 531. 226 So Buerstedde, Methodik, 2006, S. 160.

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Zudem könnten Abgrenzungsschwierigkeiten zu dem historisch-genetischen Auslegungskriterium auftreten, wenn es um die Behandlung der im europäischen Sekundärrecht üblichen Erwägungsgründe, möglichen amtlichen Überschriften oder ausdrücklich in den Rechtsakten enthaltenen Zweckbestimmungen geht. Alle drei Kriterien lassen Rückschlüsse auf die vom historischen Gesetzgeber verfolgten Regelungsabsichten zu. Zur Differenzierung bietet es sich an, so lange von systematischer Auslegung zu sprechen, wie der veröffentlichte Normtext zur Auslegung herangezogen wird. Damit zählen die in Rechtsakten enthaltenen Zweckbestimmungen sowie die amtlichen Überschriften Hilfsmittel zur systematischen Auslegung, während die Erwägungsgründe eher der historisch-genetischen Auslegung zuzuordnen sind.227 Schließlich ist die Unterscheidung von teleologischem und systematischem Element demgegenüber noch schwerer zu treffen, da beide Kriterien Elemente des jeweils anderen benötigen: Das systematische Element bedarf der teleologischen Auslegung für die Bestimmung der „inneren Ordnung“, die Untersuchung der Teleologie einer Norm kann demgegenüber nicht ohne Rückgriff auf systematische Aspekte auskommen.228 Eine exakte Trennung beider Auslegungselemente ist zwar aus Gründen der Methodenklarheit wünschenswert, hätte allerdings letztlich keinen praktischen Mehrwert, weil erst die Zusammenschau aller europäischen Auslegungsmittel zu dem zutreffenden Interpretationsergebnis führt und nur das spezifische Gewicht des jeweiligen Arguments ausschlaggebend ist.229 c) Historisch-genetisches Kriterium Als drittes Auslegungskriterium wird das historisch-genetische Element herangezogen. Seine Legitimation gründet zum einen darauf, dass die Ermittlung (und Befolgung) des historischen Gesetzgeberwillens (jedenfalls bei hier sogenannten „jungen“ Gesetzen230) vor dem Hintergrund der richterlichen Gesetzesbindung sowie der Gewaltentrennung von hoher Relevanz ist. Zum anderen beruht sie auf der Annahme, dass das Verständnis der Sach- oder Rechtsfrage, auf die die auszulegende Norm eine Antwort geben soll, für die Normtextinterpretation unverzichtbar ist.231 Wie auch auf deutscher Ebene ist dafür sowohl die Vor- als auch die Entstehungsgeschichte von Bedeutung; dementsprechend 227 Dass die Erwägungsgründe nicht Teil des Normtextes sind, ergibt sich aus der einleitenden Formulierung „in Erwägung nachstehender Gründe […] haben folgende [Verordnung/Richtlinie] erlassen“, siehe Höpfner/Rüthers, AcP 209 (2009), 1, 15. So auch Hess, IPRax 2006, 348, 354, der die Erwägungsgründe gleichwohl zur systematischen und teleologischen Auslegung zählt. 228 Vgl. Grundmann/Riesenhuber, JuS 2001, 529, 531. 229 Vgl. Martens, Methodenlehre, 2013, S. 455. 230 Siehe oben S. 25 ff. 231 Höpfner/Rüthers, AcP 209 (2009), 1, 13.

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lässt sich das historisch-genetische Kriterium in zwei eigenständige Auslegungsmittel aufspalten: eben das historische und das genetische.232 aa) Historie Fragt die historische Auslegung nach der Vorgeschichte der Norm, so meint dies sowohl die vor Erlass der fraglichen Regelung bestehende Rechtslage als auch eine mögliche Vorläufernorm. Sofern eine solche existiert, können aus ihr und ihrer Handhabung Erkenntnisse für die Auslegung gewonnen werden.233 Ein europäisches Sonderproblem besteht in der Frage, wie mit nationalen Regelungen, die für die fragliche Norm Modell gestanden haben, umgegangen werden soll:234 Hat die nationale Handhabung auch Einfluss auf die europäische? Eine Berücksichtigung solcher Vorbilder kommt allenfalls bei einer ausdrücklichen Verweisung in Betracht. Diese Zurückhaltung folgt aus der Autonomie des Unionsrechts, wonach der europäische Gesetzgeber seinen Regeln andere Zwecke beilegen kann und sie in sein eigenes Regelungssystem einbettet.235 Außerdem ist bei einer stillschweigenden Verweisung oft nicht eindeutig erkennbar, auf die Regelung welches Mitgliedstaats verwiesen wurde; kommen mehrere Rechtsordnungen in Betracht, die die Regelung uneinheitlich interpretieren, stellte sich die Frage, welche nun die Vorbildrolle hatte.236 Und auch dann ist fraglich, ob diese Verweisung dynamisch oder statisch zu verstehen ist. Im ersten Fall läge es in der Hand des entsprechenden Mitgliedstaates, auch die europäische Handhabung zu verändern, während die zweite Alternative zu einer Versteinerung des Unionsrechts führte.237 Überzeugend scheint die letztgenannte Lösung, da der Unionsgesetzgeber eine solche Regelung nur dann übernehmen wird, wenn er sie für sachgerecht hält;238 die Sachgerechtigkeit wird aber anhand der zum Zeitpunkt des Erlasses der europäischen Rechtsnorm geltenden nationalen Norminterpretation bestimmt. Die Bedenken, dass dies zu 232 Siehe zu dieser Unterscheidung auch auf europäischer Ebene nur Nehne, Methodik, 2012, S. 64; Riesenhuber, in: ders. (Hrsg.), Europäische Methodenlehre, 4. Aufl. 2021, § 10 Rn. 32 (auch mwN aus der Judikatur des EuGH). 233 Zur Relevanz des EVÜ als Vorgängerregelung der Rom I-VO für deren Auslegung siehe Martiny, in: MüKo BGB, 8. Aufl. 2021, Vorb. Art. 1 Rom I-VO Rn. 26; siehe auch Lutter, JZ 1992, 593, 600 (am Beispiel der Richtlinie): Vorgängerregelung nicht nur zulässiges, sondern nötiges Auslegungsmittel. 234 Siehe für Beispiele Riesenhuber, in: ders. (Hrsg.), Europäische Methodenlehre, 4. Aufl. 2021, § 10 Rn. 39. 235 Riesenhuber, in: ders. (Hrsg.), Europäische Methodenlehre, 4. Aufl. 2021, § 10 Rn. 39; zudem Grundmann/Riesenhuber, JuS 2001, 529, 530: Gleichberechtigung der Rechtsordnungen. 236 Lutter, JZ 1992, 593, 602. 237 Grundmann/Riesenhuber, JuS 2001, 529, 530. 238 Lutter, JZ 1992, 593, 602.

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einer Versteinerung des Unionsrechts führte, verlieren dadurch an Gewicht, dass nach hier vertretener Auffassung auch von einer ausdrücklichen Regelungsabsicht des historischen Gesetzgebers abgewichen werden kann, wenn dies beispielsweise durch veränderte Anschauungen geboten ist.239 bb) Genese Die genetische Auslegung zielt demgegenüber darauf ab, den historischen Gesetzgeberwillen anhand des Legislativprozesses der jeweiligen Norm festzustellen. Die Suche nach dem „historischen Gesetzgeberwillen“ meint aber nicht, dass die Aussagen und Wertungen des einzelnen am Gesetzgebungsverfahren beteiligten Individuums maßgeblich wären. Der Willensbegriff ist also ein normativer. Über ihn können die Gesetzgebungsmaterialien Aufschluss geben; entscheidend ist das aus ihnen ermittelbare verbindliche Werturteil über den der Norm zugrunde liegenden Interessenkonflikt.240 Allgemein als autoritativ anzusehen sind solche Materialien, die über den mit der Norm verfolgten Zweck Aufschluss geben können: Als prominentestes Beispiel dürften die jedem Sekundärrechtsakt vorangestellten Erwägungsgründe241 gelten, in denen der Unionsgesetzgeber die für den Erlass des Rechtsakts und seiner einzelnen Normen maßgeblichen Beweggründe darlegt und die einzelnen Vorschriften mitunter erläutert.242 Dokumente des Rates, der das maßgebliche Legislativorgan im europäischen Rechtsetzungsverfahren darstellt und dessen Materialien in der Regel öffentlich zugänglich sind, vgl. Art. 15 AEUV, können ebenfalls Berücksichtigung finden.243 Dies gilt gleichermaßen für Stellungnahmen bzw. Entwurfsbegründungen der Kommission, die im europäischen Legislativprozess das Initiativrecht besitzt; denn es ist anzunehmen, dass ihre für die Normentwicklung relevanten Erwägungen auch für die abschließende Normsetzung bestimmend waren, sofern sie unwidersprochen blieben.244 Stellungnahmen des Europäischen Parlaments sind vor allem dann relevant, wenn dieses im Legislativprozess nicht bloß anzuhören war.245 Äußerungen von Organen und Ausschüssen, die im Gesetzgebungsverfahren 239

S. 25 ff. Höpfner/Rüthers, AcP 209 (2009), 1, 13. 241 Vgl. zur Begründungspflicht Art. 296 Abs. 2 AEUV. 242 Riesenhuber, in: ders. (Hrsg.), Europäische Methodenlehre, 4. Aufl. 2021, § 10 Rn. 35; Colneric, ZEuP 2005, 225, 227 f.; siehe auch Weiler, ZEuP 2010, 861, 863, der ferner zutreffend darauf hinweist, dass diese ebenso wie der Normtext in allen verbindlichen Amtssprachen abgefasst sind, so dass sich auch hier das Problem der Mehrsprachenauthentizität stellt. 243 Nehne, Methodik, 2012, S. 66. 244 Gruber, Methoden, 2004, S. 172; vgl. auch Höpfner/Rüthers, AcP 209 (2009), 1, 13 f.; wohl auch Nehne, Methodik, 2012, S. 66 (Äußerungen anderer Organe sind nur autoritativ, wenn sie im Legislativprozess „umgesetzt worden sind“). 245 Gruber, Methoden, 2004, S. 173. 240

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nur anzuhören waren, oder den Mitgliedstaaten können grundsätzlich kein Hilfsmittel sein, da diese nicht als Unionsgesetzgeber anzusehen sind.246 Gleichwohl können die dortigen Erwägungen für die Auslegung dann fruchtbar gemacht werden, wenn sie von den Legislativorganen in ihren Willen aufgenommen wurden; andernfalls wäre einzig ein argumentum e contrario in dem Sinne denkbar, dass der Unionsgesetzgeber die getätigten Ausführungen ablehnte.247 Fraglich ist aber, welche Kriterien diese Materialien erfüllen müssen, damit ihnen auch im konkreten Auslegungsprozess hinreichend Gewicht zukommt. Analysiert man das Schrifttum zur europäischen Methodenlehre, erkennt man, dass vor allem das Kriterium der allgemeinen Zugänglichkeit der Materialien den Ausschlag geben soll.248 Vereinzelt wird als zusätzliche Voraussetzung genannt, dass sich der Inhalt des fraglichen Materials auch in der auszulegenden Regelung niedergeschlagen haben muss.249 Diese Auswahlkriterien sollten um die aus der deutschen Methodenlehre bekannten, von Wischmeyer250 entwickelten ergänzt werden: Die in Frage kommenden Materialien müssen repräsentativ sein, dürfen also nicht bloß Aussagen Einzelner oder von Minderheiten darstellen; ferner kommen grundsätzlich nur solche Materialien in Betracht, die notwendige Zwischenschritte des Verfahrens dokumentieren (Schlüsselstellung); zudem müssen sie dem ganzen Parlament offen vorgelegen und die Basis seiner Entscheidungen gebildet haben (Transparenz); schließlich dürfen nur solche Aussagen verwendet werden, die innerhalb des Verfahrens keinen beachtlichen Widerspruch erfahren haben (Konsistenz).251 Wenngleich sie für die deutsche Methodenlehre aufgestellt worden sind, können sie bedenkenlos auch für die europäische Ebene fruchtbar gemacht werden, da sie abstrakte, von nationalen Besonderheiten losgelöste Kriterien für die Materialauswahl aufstellen. 246 Riesenhuber, in: ders. (Hrsg.), Europäische Methodenlehre, 4. Aufl. 2021, § 10 Rn. 33; Nehne, Methodik, 2012, S. 66; Gruber, Methoden, 2004, S. 173 ff.; vgl. auch Franzen, Privatrechtsangleichung, 1999, S. 451 f. 247 Riesenhuber, in: ders. (Hrsg.), Europäische Methodenlehre, 4. Aufl. 2021, § 10 Rn. 34 und Grundmann/Riesenhuber, JuS 2001, 529, 530. 248 Siehe nur Höpfner/Rüthers, AcP 209 (2009), 1, 14; Nehne, Methodik, 2012, S. 66; Lutter, JZ 1992, 593, 600 und Maasch, in: FS Raisch, 1995, S. 417, 422: Beschränkung auf veröffentlichte Materialien ist rechtsstaatlich geboten. 249 Nehne, Methodik, 2012, S. 66. 250 JZ 2015, 957, 964 f.; siehe auch die Faustformel bei Looschelders/Roth, Methodik, 1996, S. 159: Je näher der Beteiligte oder das Organ, von dem die übermittelte Äußerung stammt, dem abschließenden Gesetzgebungsakt stand und je repräsentativer die Auffassung hinsichtlich der Regelungsabsicht des Gesetzes war, desto mehr Gewicht kommt diesen konkreten Materialien zu. 251 Sie finden sich vereinzelt und manchmal auch nur implizit gleichfalls in den Beiträgen zur europäischen Methodenlehre, niemals aber in dieser Deutlichkeit, siehe etwa Gruber, Methoden, 2004, S. 172; Lutter, JZ 1992, 593, 600 f.

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Neben diesen Fragen erweist sich hier erneut die Mehrsprachigkeit des Unionsrechts als problematisch. Die fraglichen Materialien sind in aller Regel in sämtlichen Amtssprachen der EU verfügbar.252 Daher wird man grundsätzlich auch alle Sprachfassungen zu berücksichtigen haben. Etwas anderes kann nur dann gelten, wenn die Arbeitssprache des jeweiligen Urhebers bekannt ist oder mit hinreichender Sicherheit bestimmt werden kann. Weil die genetische Auslegung ausschließlich auf die Offenlegung des historischen Gesetzgeberwillens abzielt, braucht dann nur diese Fassung herangezogen zu werden; es kann angenommen werden, dass der Gesetzgeber jedenfalls dort seinen Willen am besten auszudrücken wusste.253 cc) Leistungsfähigkeit des historisch-genetischen Auslegungskriteriums Das historisch-genetische Auslegungskriterium wird oftmals, insbesondere im Primärrecht, als nicht allzu bedeutend oder gar als völlig unerheblich für die Norminterpretation angesehen. Als Grund dafür wird die schlechte Zugänglichkeit der den Gesetzgebungsprozess begleitenden Materialien genannt.254 Dass dem Interpretationselement deshalb aber nicht seine Existenzberechtigung abgesprochen werden kann, liegt auf der Hand; zweifeln lässt sich allenfalls an dessen Leistungsfähigkeit.255 Aus ihm können natürlich nur dann tragfähige Argumente gewonnen werden, soweit Materialien überhaupt vorhanden und diese auch nach den oben genannten Kriterien bedeutsam sind. Sollte das aber der Fall sein, kommt dem historisch-genetischen Auslegungskriterium bei der Norminterpretation, wie gezeigt,256 erhebliches Gewicht zu. d) Teleologisches Kriterium Das teleologische Kriterium genießt bei der Interpretation des Unionsrechts große Beachtung.257 Es ermittelt den Norminhalt anhand des Normzwecks, der sich seinerseits erst aus einer Zusammenschau aller anderen Interpretationsmittel ergibt; daraus folgt, dass der konkrete Zweck einer Norm Auslegungsmittel und -ergebnis zugleich ist.258 252

Darauf weist auch Weiler, ZEuP 2010, 861, 863 hin. Vgl. die Erwägung bei Martens, Methodenlehre, 2013, S. 343. 254 Siehe Weiler, ZEuP 2010, 861, 863 mwN aus dem rechtswissenschaftlichen Diskurs betreffend sowohl das Primär- als auch das Sekundärrecht; Höpfner/Rüthers, AcP 209 (2009), 1, 14 mwN zu der einer historisch-genetischen Auslegung auch im Sekundärrecht die Bedeutung absprechenden Literatur; vgl. auch Franzen, Privatrechtsangleichung, 1999, S. 450 (zwischen Primär- und Sekundärrecht differenzierend). 255 Vgl. auch Mayer, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, 74. EL September 2021, Art. 19 EUV Rn. 66. 256 Siehe die Ausführungen zum Auslegungsziel S. 25 ff. 257 Martens, Methodenlehre, 2013, S. 456 mwN aus Rechtsprechung und Wissenschaft. 258 Nehne, Methodik, 2012, S. 72. 253

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Dabei ist vor allem die Ausrichtung der Norm am „inneren System“ zu fokussieren.259 Aus diesem Grund sind – neben den Zwecken der anderen Normen des Rechtssystems – auch die hinter ihnen stehenden allgemeinen Rechtsgrundsätze, die allgemeinen Ziele und Zwecke des Rechtsakts, in den die Norm eingegliedert ist, sowie jene des gesamten Rechtsgebiets zu beachten.260 Sie können sich entweder aus dem Unionsrecht selbst oder aus einer wertenden rechtsvergleichenden Betrachtung der mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen ergeben.261 Im Unionsrecht besonders zu beachten sind etwa der effet utile, wonach jenes Interpretationsergebnis zu wählen ist, das die Norm in der Praxis zur größten Wirksamkeit führt, das Prinzip der Funktionsfähigkeit der Europäischen Union, welches den Vorrang des Unionsrechts vor nationalem Recht beschreibt, die Dynamik des Unionsrechts sowie die formalen Zwecke der Rechtsvereinheitlichung.262 Diese allgemeinen und damit gegenüber dem Normzweck abstrakteren Ziele sind indes stets daraufhin zu überprüfen, ob sie auch für die Auslegung der fraglichen Norm fruchtbar gemacht werden können.263 Denn die einzelnen Rechtsnormen konkretisieren die ihr übergeordneten Ziele und gleichen diese wechselseitig aus oder räumen gar einem strikt den Vorrang ein.264 Je ausdifferenzierter ein Regelungssystem ist, desto detailreicher ist auch der ihm zugrunde liegende Regelungszweck.265 Auf die übergeordneten Ziele und Rechtsgrundsätze kann daher allenfalls ergänzend zurückgegriffen werden; ferner ist deren hoher Abstraktionsgrad der Rechtssicherheit im Sinne einer Vorhersehbarkeit der Rechtsanwendung abträglich.266 e) Die Gewichtung der Auslegungskriterien Wenn die verschiedenen Auslegungsmittel zu divergierenden Ergebnissen führen, ist fraglich, welche Rangfolge unter den Kriterien besteht. Die Antwort 259

Ausdrücklich Grundmann/Riesenhuber, JuS 2001, 529, 531: „Bei der Ermittlung des Regelungszwecks ist es ganz regelmäßig erforderlich, die auszulegende Vorschrift nicht isoliert, sondern als Teil des Systems des Europäischen Privatrechts als Ganzes zu verstehen.“ 260 Henninger, Methode, 2009, S. 391; siehe auch Martens, Methodenlehre, 2013, S. 457 und Hess, IPRax 2006, 348, 357. Speziell für die Ziele und Zwecke der Rom II-VO Junker, in: MüKo BGB, 8. Aufl. 2021, Vorb. Art. 1 Rom II-VO Rn. 34. 261 Henninger, Methode, 2009, S. 391; EuGH 14.10.1976, Rs. 29/76 = NJW 1977, 489, 490: Bei der Auslegung unionsrechtlicher Begriffe müssen „die Zielsetzungen und die Systematik des Übereinkommens sowie die allgemeinen Rechtsgrundsätze, die sich aus der Gesamtheit der innerstaatlichen Rechtsordnungen ergeben“, berücksichtigt werden. Siehe zu letzterem S. 58 f. und auch 87 f. 262 Siehe zu ihnen Nehne, Methodik, 2012, S. 75 f. 263 Vgl. Herresthal, ZEuP 2009, 598, 604 (speziell für Zwecke und Ziele des Rechtsakts). 264 Vgl. Herresthal, ZEuP 2009, 598, 604 (speziell für Zwecke und Ziele des Rechtsakts). 265 Vgl. Herresthal, ZEuP 2009, 598, 604 (speziell für Zwecke und Ziele des Rechtsakts). 266 Vgl. Herresthal, ZEuP 2009, 598, 604 (speziell für Zwecke und Ziele des Rechtsakts).

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1. Teil: Methodische Grundlegung

fällt mit Blick auf das Auslegungsziel267 leicht. Es ist das Interpretationskriterium vorzuziehen, das den Willen des historischen Gesetzgebers am besten zur Geltung bringt. Ergibt die Auslegung indes, dass es an einem ausdrücklichen Gesetzgeberwillen mangelt oder dieser aufgrund geänderter Lebensverhältnisse keine Geltung mehr beansprucht, muss das Ergebnis gewählt werden, das seinem mutmaßlichen oder fortgeschriebenen Willen am ehesten entspricht. Hierbei wird vor allem die Auslegung anhand des „inneren Systems“ entscheidend sein. B. Rechtsfortbildung I. Begriffsklärung Der Begriff der „Rechtsfortbildung“ ist auf europäischer Ebene in zweierlei Hinsicht umstritten. Zum einen wird er in terminologischer Hinsicht abgelehnt, zum anderen ist seine inhaltliche Bedeutung fraglich. Im Folgenden soll sich zunächst der Bedeutungsebene zugewandt und erst daraufhin terminologische Kritik geübt werden. Geht man mit der hier vertretenen Auffassung davon aus, dass begrifflich und methodisch zwischen Auslegung im engeren Sinne und darüberhinausgehender Rechtsfindung unterschieden werden muss, umfasst der Terminus allgemein gesprochen jedenfalls letzteres. Soweit dem im Schrifttum gefolgt wird, ist zudem – trotz vereinzelter begrifflicher Abweichungen – die Aufteilung in zulässige und unzulässige Rechtsfortbildung allgemein anerkannt. Während manche Stimmen in der Literatur es bei dieser Zweiteilung belassen,268 findet sich aber auch eine weitergehende Differenzierung. So unterscheiden andere innerhalb der zulässigen Rechtsfortbildung zwischen jener praeter legem und jener extra legem.269 Sie übertragen damit das nationale Rechtsfortbildungsmodell Larenz‘270. Jene Autoren, die ausdrücklich den von Larenz für die deutsche Methodenwissenschaft entwickelten Rechtsfortbildungsbegriff transferieren, führen dafür an, dass man sich angesichts mangelnder gemeinschaftsrechtlicher Rechtsfortbildungsmethodik dazu gezwungen sehe, das innerstaatliche Modell zu übertragen,271 oder dass die Wirkungen der Rechtsfortbildung extra legem sich von jener praeter legem unterscheiden.272 267

Siehe S. 25 ff. Neuner, in: Riesenhuber (Hrsg.), Europäische Methodenlehre, 4. Aufl. 2021, § 12 Rn. 27 ff. (praeter und contra legem); Walter, Rechtsfortbildung, 2009, S. 75 f.; Höpfner/Rüthers, AcP 209 (2009), 1, 5 f.; Calliess, NJW 2005, 929, 932; Grundmann/Riesenhuber, JuS 2001, 529, 535 f.; Wank, in: FS Stahlhacke, 1995, S. 633, 641. 269 Franzen, Privatrechtsangleichung, 1999, S. 576; Gruber, Methoden, 2004, S. 276 f.; Adrian, Grundprobleme, 2009, S. 891. 270 Methodenlehre, 6. Aufl. 1991, S. 370 ff. 271 Franzen, Privatrechtsangleichung, 1999, S. 576. 272 Gruber, Methoden, 2004, S. 276 f. 268

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Es trifft zwar zu, dass auf europäischer Ebene nur wenige Untersuchungen zur Rechtsfortbildung zu finden sind,273 allerdings macht dies den ausweichenden Rückgriff auf mitgliedstaatliche Modelle keineswegs zwingend.274 Vielmehr hat die europäische Methodenlehre aus sich heraus eine eigene Methodik zu entwickeln, die auf mögliche Besonderheiten des Unionsrechts zugeschnitten ist. Dabei können nationale Modelle helfen; sie dürfen aber nur dann übertragen werden, wenn dies sinnhaft ist. Letztlich hängt die Frage, ob man innerhalb der per se zulässigen Rechtsfortbildung noch weiter differenzieren muss, maßgeblich vom verwendeten Lückenbegriff ab,275 auf den unten eingegangen wird.276 Ungeachtet dessen bleibt fraglich, ob überhaupt an dem Terminus „Rechtsfortbildung“ auf europäischer Ebene festgehalten werden sollte. Dies kann nicht schon mit dem Argument abgelehnt werden, dass es sich um eine national vorgeprägte Begrifflichkeit handele, die aufgrund unionsrechtlicher Besonderheiten nicht unmodifiziert auf die europäische Ebene übertragen werden könne.277 Dass ein national vorgeprägter Begriff wie der der „Rechtsfortbildung“ auch auf europäischer Ebene verwendet wird, bedeutet nicht, dass trotz einer gleichen Terminologie zwingend auch der gleiche Inhalt gemeint sein muss.278 Gleichwohl ist die Verwendung des Begriffs der „Rechtsfortbildung“ deshalb abzulehnen, weil dieser den anderen Mitgliedstaaten unbekannt ist.279 Ihm vorzuziehen ist der international geläufige Terminus „Lückenfüllung“.280 Es ist kein Grund ersichtlich, wieso für die Entwicklung einer europäischen Methodenlehre auf einer deutschen Begrifflichkeit beharrt werden sollte, wenn ein Terminus zur Verfügung steht, der auch den Rechtsanwendern aus den anderen Mitgliedstaaten bekannt ist.281 Die begriffliche Abweichung könnte für den deutschen Rechtsanwender sogar eine Hinweisfunktion dahingehend 273

Siehe Walter, Rechtsfortbildung, 2009, S. 18 mwN. So auch Nehne, Methodik, 2012, S. 28. 275 Adrian, Grundprobleme, 2009, S. 931. 276 S. 54. 277 So aber Nehne, Methodik, 2012, S. 28 f. 278 So überträgt beispielsweise Franzen, Privatrechtsangleichung, 1999, S. 576 ausdrücklich das Rechtsfortbildungsmodell von Larenz, modifiziert aber den Lückenbegriff, Franzen, aaO, S. 604 ff. Diese Tatsache verkennt Nehne, wenn er die Übertragung der innerstaatlichen Terminologie auf das Unionsrecht damit ablehnt, dass zweifelhaft ist, ob „Lücken oder ‚planwidrige Unvollständigkeiten‘ im EU-Recht überhaupt existieren.“ (Methodik, 2012, S. 28). Damit impliziert er, dass die Übertragung (bloß) des innerstaatlichen Terminus „Rechtsfortbildung“ auch dessen Inhalt umfasst. 279 Nehne, Methodik, 2012, S. 28 f. 280 Nehne, Methodik, 2012, S. 29. 281 Der Gedanke von ausfüllungsbedürftigen Lücken im Recht ist in wohl allen modernen westlichen Rechtsordnungen Gegenstand des methodenwissenschaftlichen Diskurses, siehe Martens, Methodenlehre, 2013, S. 505 mwN. Auch Nehne, Methodik, 2012, S. 29 weist darauf hin, dass der Begriff international bekannt ist. 274

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erfüllen, dass die über die Auslegung im engeren Sinne hinausgehende Rechtsfindung auf europäischer Ebene in methodischer Hinsicht von jener aus der nationalen Methodenlehre bekannten differieren kann. Im Ergebnis ist es deshalb vorzugswürdig, die über die Gesetzesauslegung hinausgehende Rechtsfindung schlicht als „Lückenfüllung“ oder „Lückenschließung“ zu bezeichnen. Der Begriff umfasst in der europäischen Methodenlehre nach hier vertretener Auffassung jede Rechtsfindung, die sich außerhalb des möglichen Wortsinns der weitesten Sprachfassung, aber innerhalb der Grenzen richterlicher Rechtsfindungsbefugnis bewegt. II. Befugnis des EuGH zur Lückenfüllung Der EuGH hat die Befugnis zur Lückenfüllung. Ihre dogmatische Herleitung ist indes umstritten: So wird vertreten, dass sie sich aus dem Rechtsverweigerungsverbot,282 Art. 4 Abs. 3 EUV,283 Art. 19 Abs. 1 Satz 2 EUV,284 Art. 2 EUV285 oder aus dem dynamischen Charakter der Unionsrechtsordnung286 ergebe. Einer Entscheidung287 dieses Streits bedarf es vorliegend aber nicht, da die Kompetenz zur Lückenfüllung jedenfalls im Ergebnis einhellig anerkannt ist.288 282 EuGH 12.7.1957, Rs. 7/56 = BeckRS 2004, 73551; Martens, Methodenlehre, 2013, S. 510. Siehe auch – allerdings einschränkend – Franzen, Privatrechtsangleichung, 1999, S. 577 f. (auch mwN aus dem rechtswissenschaftlichen Diskurs). 283 Henninger, Methode, 2009, S. 408. 284 Calliess, NJW 2005, 929, 930; Martens, Methodenlehre, 2013, S. 510; Höpfner/Rüthers, AcP 209 (2009), 1, 18 (i. V. m. Art. 6 Abs. 1 EUV); Walter, Rechtsfortbildung, 2009, S. 145 (i. V. m. den konkreten Verfahrensarten vor dem EuGH); vgl. auch Wank, in: FS Stahlhacke, 1995, S. 633, 638. A. A. Mayer, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, 74. EL September 2021, Art. 19 EUV Rn. 31: „Wahrung des Rechts“ impliziere ein konservatorisches Element, das eine Lückenfüllung nur bedingt möglich erscheinen lasse. Richtigerweise ist in dieser Formulierung aber eine Entsprechung zu der Wendung „Gesetz und Recht“ in Art. 20 Abs. 3 GG zu sehen, siehe nur Riesenhuber, System, 2003, S. 67 mwN und auch Walter, Rechtsfortbildung, 2009, S. 145. 285 Neuner, in: Riesenhuber (Hrsg.), Europäische Methodenlehre, 4. Aufl. 2021, § 12 Rn. 8 (i. V. m. Art. 19 Abs. 1 Satz 2 EUV). 286 Ahmling, Analogiebildung, 2012, S. 144; Wank, in: FS Stahlhacke, 1995, S. 633, 638. 287 Siehe für eine eingehende Auseinandersetzung mit den vorgetragenen Auffassungen Walter, Rechtsfortbildung, 2009, S. 134 ff. 288 Zustimmend auch das BVerfG 8.4.1987 – 2 BvR 687/85 = BVerfGE 75, 223, 242. Wird der EuGH also lückenfüllend tätig, stellt dies nicht zwingend zugleich einen ultra-vires Akt dar. Zu beachten ist aber, dass hier nur die Rechtsfortbildungsbefugnis des EuGH thematisiert wurde, nicht aber die der nationalen Gerichte, die vor allem das europäische Sekundärrecht anzuwenden haben und damit in funktioneller Hinsicht als europäische Richter entscheiden, vgl. Weiler, ZEuP 2010, 861, 877. Für die vorliegende Bearbeitung ist es indes unerheblich, ob jeder Rechtsanwender oder nur die Richter des EuGH die Rechtsfortbildungsbefugnis haben, da sich jeder Rechtsanwender (gleich ob nationaler Richter oder Rechtsberater) in der Praxis stets an der unionsgerichtlichen Rechtsprechung orientieren

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III. Grenzen der Lückenfüllungsbefugnis Diese ist aber nicht grenzenlos gewährt. Weil die Befugnis des EuGH zur Lückenfüllung, wie zuvor gezeigt, unmittelbarer Ausfluss seiner unionsverfassungsrechtlichen Stellung ist, handelt es sich bei der Begrenzung seiner Lückenfüllungsbefugnis primär um ein unionsverfassungsrechtliches Problem. Daneben bestehen aber auch methodische Beschränkungen,289 die als inhaltliche Lückenfüllungsgrenze bezeichnet werden können.290 Bevor sich nun den einzelnen Grenzen genähert wird, sind vorweg zwei Einschränkungen für die folgende Darstellung zu treffen: Die vorliegende Arbeit beschränkt sich auf die für das Sekundärrecht bestehenden Lückenfüllungsgrenzen, so dass die besonders komplizierte und politisch sensible Frage nach der Lückenfüllung im Primärrecht hier ausgeklammert bleibt. Zudem können die einzelnen Grenzen nur skizziert werden.291 Im Fokus stehen also kompetenzrechtliche Abgrenzungsfragen. Während sich solche auf deutscher Ebene lediglich in horizontaler Hinsicht zu anderen Verfassungsorganen – insbesondere der Legislative – stellen, werden diese in der europäischen Methodenlehre um vertikale Aspekte ergänzt.292 Denn die Rechtssetzungskompetenz der Europäischen Union ist von der Übertragung ihrer Mitgliedstaaten abhängig,293 so dass eine Lückenfüllung durch den europäischen Richter nicht nur in die Kompetenzen der übrigen europäischen Organe, sondern auch in jene der einzelnen Mitgliedstaaten eingreifen kann.294 1. Vertikale Grenzen Die vertikalen Schranken der Lückenfüllungsbefugnis schützen also die Souveränität der Mitgliedstaaten. Sie fragen danach, ob die Unionsorgane – und damit auch der EuGH – in Abgrenzung zu den Mitgliedstaaten überhaupt die Verbandskompetenz zur Beantwortung der Rechtsfrage haben und sind deshalb einer Prüfung nach den innerunionsverfassungsrechtlichen Zuständigkei-

wird, vgl. Nehne, Methodik, 2012, S. 34. Gleiches gilt für die Lückenfüllungsgrenzen und die Lückenfüllungsmethoden. 289 Vgl. auch Neuner, in: Riesenhuber (Hrsg.), Europäische Methodenlehre, 4. Aufl. 2021, § 12 Rn. 48. Siehe für den zwingenden Kanon an Lückenfüllungstechniken S. 56 ff. 290 Vgl. Nehne, Methodik, 2012, S. 38 f. 291 Zu einer eingehenden Behandlung der Lückenfüllungsgrenzen auch für das Primärrecht siehe Walter, Rechtsfortbildung, 2009, S. 227 ff. 292 Diese Gliederung ist im methodenwissenschaftlichen Schrifttum geläufig (siehe nur Martens, Methodenlehre, 2013, S. 511 und Nehne, Methodik, 2012, S. 34 ff. mwN) und soll auch dieser Arbeit zugrunde liegen. 293 Vgl. nur BVerfG 6.7.2010 – 2 BvR 2661/06 = BVerfGE 126, 286, 302: „Das Unionsrecht bleibt als autonomes Recht von der vertraglichen Übertragung und Ermächtigung abhängig.“ 294 Vgl. Nehne, Methodik, 2012, S. 25.

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ten logisch vorgeschaltet.295 Der EuGH darf keine Rechtsfolge aussprechen, die schon der Unionsgesetzgeber nicht festlegen darf.296 Konkret sind deshalb die folgenden drei Prinzipien, die die Rechtsetzungsbefugnis der Europäischen Union beschränken, zu beachten: das Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung, das Subsidiaritäts- sowie das Verhältnismäßigkeitsprinzip.297 Das Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung ist in Art. 5 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 EUV kodifiziert. Es besagt, dass die Organe der Europäischen Union nur handeln dürfen, wenn und soweit dafür im Primärrecht eine ausdrückliche Ermächtigungsgrundlage existiert.298 Die Lückenfüllung im Sekundärrecht darf durch den EuGH also nur durchgeführt werden, soweit die Europäische Union auch eine entsprechende Rechtsetzungskompetenz hat.299 Diese findet eine weitere Grenze im Subsidiaritätsprinzip. Soweit dieses, aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2, Abs. 3 EUV folgende Prinzip Anwendung findet,300 begrenzt es auch die Lückenfüllungsbefugnis des EuGH.301 Bei der Lückenschließung ist gemäß Art. 5 Abs. 3 EUV deshalb zu hinterfragen, ob das mit ihr verfolgte Ziel nicht besser auf mitgliedstaatlicher Ebene erreicht werden kann. Dazu ist eine Abwägung zwischen dem Integrationsgewinn auf Gemeinschaftsebene und dem Kompetenzverlust der Mitgliedstaaten anzustellen.302 Schließlich ist das Verhältnismäßigkeitsprinzip zu beachten. Es folgt aus Art. 5 Abs. 4 EUV und verlangt, dass die Lückenfüllung des EuGH inhaltlich wie formal nicht über das zur Erreichung der primärrechtlichen Ziele erforderliche Maß hinausgeht, Art. 5 Abs. 4 EUV. Schutzgut ist – wie auch beim Subsidiaritätsprinzip – die mitgliedstaatliche Autonomie, die bei kompetenzge295

Walter, Rechtsfortbildung, 2009, S. 267 f.: „[…] wo es bereits an der Verbandskompetenz fehlt, kann auch keine Organkompetenz vorliegen.“ 296 Neuner, in: Riesenhuber (Hrsg.), Europäische Methodenlehre, 4. Aufl. 2021, § 12 Rn. 15 (auch mwN); Franzen, Privatrechtsangleichung, 1999, S. 592. 297 Siehe nur Walter, Rechtsfortbildung, 2009, S. 228. 298 Vgl. nur Bast, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, 74. EL September 2021, Art. 5 EUV Rn. 14b; BVerfG 6.7.2010 – 2 BvR 2661/06 = BVerfGE 126, 286, 302. 299 Vgl. Nehne, Methodik, 2012, S. 35. 300 Das ist dann der Fall, wenn die EU in den Bereichen, die nicht in ihre ausschließliche Zuständigkeit fallen, tätig wird, vgl. Art. 5 Abs. 3 EUV. Siehe dazu Walter, Rechtsfortbildung, 2009, S. 262 f. 301 Die (unmittelbare oder mittelbare) Anwendbarkeit des Subsidiaritätsprinzips auf den EuGH ist allerdings nicht unumstritten. Sie wird vereinzelt verneint, weil der EuGH für die ihm zugewiesenen Rechtsstreitigkeiten stets eine ausschließliche Entscheidungskompetenz besitzt, siehe Walter, Rechtsfortbildung, 2009, S. 259 f. Allerdings wendet auch Walter, aaO, S. 261 das Subsidiaritätsprinzip (zu Recht) letztlich mittelbar auf den EuGH an. Denn im Falle der Lückenfüllung nimmt der EuGH Aufgaben der Legislative wahr; seine Rechtsetzungsbefugnis kann deshalb nicht weitergehen als die des Unionsgesetzgebers, so auch Ahmling, Analogiebildung, 2012, S. 145 mwN; vgl. auch Neuner, in: Riesenhuber (Hrsg.), Europäische Methodenlehre, 4. Aufl. 2021, § 12 Rn. 15. 302 Walter, Rechtsfortbildung, 2009, S. 265 und 267.

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mäßem Handeln der Union ebenfalls nur so weit wie zur Erreichung des Regelungsziels nötig zurückweichen soll.303 2. Horizontale Grenzen Die horizontalen Grenzen der Lückenfüllungsbefugnis leiten sich ab aus dem Verhältnis des EuGH zu anderen Unionsorganen, insbesondere dem Unionsgesetzgeber. Hierbei kommt vor allem dem „institutionellen Gleichgewicht“ eine herausragende Bedeutung zu. Es stellt die praktisch wohl bedeutsamste Lückenfüllungsgrenze dar. a) Institutionelles Gleichgewicht Aus dem Prinzip des „institutionellen Gleichgewichts“ ergibt sich zunächst, dass eine klar erkennbare Regelungsabsicht des Unionsgesetzgebers nicht durch den EuGH korrigiert werden darf, denn dieser besitzt bei der Regelbildung eine (ausschließliche) Entscheidungsprärogative.304 Dies gilt allerdings nicht nur für bereits in Kraft getretene Rechtsakte: Nach dem Prinzip der Unionsverfassungsorgantreue muss der EuGH darüber hinaus auch die in einem nach Art. 297 Abs. 1 UAbs. 3 Satz 1 AEUV bereits veröffentlichten Legislativakt305 zum Ausdruck kommenden gesetzgeberischen Ziele beachten.306 Darüber hinaus leitet sich aus der Entscheidungsprärogative des Unionsgesetzgebers das Verbot ab, wonach der EuGH eine von ihm für primärrechtswidrig erklärte Unionsnorm grundsätzlich nicht durch eine primärrechtskonforme Regelung ersetzen darf. Auch im Unionsrecht obliegt dies der Legislative.307 Davon wird man eine Ausnahme machen können, wenn sich der Handlungsspielraum des europäischen Gesetzgebers auf eine Handlungsmöglichkeit verdichtet hat.308 Schließlich ist es dem EuGH aufgrund der genannten Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers verwehrt, spezifische politische Entscheidungen

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Bast, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, 74. EL September 2021, Art. 5 EUV Rn. 66. Neuner, in: Riesenhuber (Hrsg.), Europäische Methodenlehre, 4. Aufl. 2021, § 12 Rn. 14; Höpfner/Rüthers, AcP 209 (2009), 1, 19; Calliess, NJW 2005, 929, 932. 305 A. A. Nehne, Methodik, 2012, S. 39: Sperrwirkung beginnt schon, wenn Sekundärrechtsetzung im Gang ist. Dagegen spricht jedoch, dass es bis zur Veröffentlichung im Amtsblatt der Union stets noch zu Änderungen kommen kann oder letztlich überhaupt kein Konsens erzielt wird, siehe Neuner, in: Riesenhuber (Hrsg.), Europäische Methodenlehre, 4. Aufl. 2021, § 12 Rn. 20. 306 Neuner, in: Riesenhuber (Hrsg.), Europäische Methodenlehre, 4. Aufl. 2021, § 12 Rn. 20; Franzen, Privatrechtsangleichung, 1999, S. 588. 307 Neuner, in: Riesenhuber (Hrsg.), Europäische Methodenlehre, 4. Aufl. 2021, § 12 Rn. 45 und 50. 308 Vgl. die Erwägungen zur autonomen nationalen Methodenlehre bei Hillgruber, JZ 1996, 118, 122 und Krey, JZ 1978, 465, 467. 304

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zu treffen.309 Dazu zählen etwa jene, die die Haushaltsentscheidungen des Unionsgesetzgebers korrigieren,310 oder solche, die es notwendig machen, nicht absehbare Tatsachen zu berücksichtigten, oder die in politischer Hinsicht im besonderen Maße umstritten sind.311 b) Schutz des Unionsbürgers Auch die Rechtstellung des Unionsbürgers kann die Lückenfüllungsbefugnis begrenzen.312 Diesbezüglich sind vor allem unionsrechtliche „Analogieverbote“ zu beachten, welche sich im europäischen Recht ausdrücklich oder implizit ausfindig machen lassen.313 Innerhalb ihres Anwendungsbereichs begrenzen sie die Lückenfüllungsbefugnis;314 eine Rechtsfindung, die über den Normwortlaut hinausgeht, ist dann unzulässig.315 Schließlich muss eine Lückenfüllung auch dann unterbleiben, wenn sie den Bürger grundrechtsrelevant belastet,316 d. h. soweit der Vorbehalt des Gesetzes reicht.317 Diese Grenze wird aber wohl dort nicht greifen, wo sich die Lückenfüllung auf eine Entscheidung des Unionsgesetzgebers zurückführen lässt.318

309 Nehne, Methodik, 2012, S. 37; Ahmling, Analogiebildung, 2012, S. 166 (auch mwN zur Rspr. des EuGH); Henninger, Methode, 2009, S. 300; Calliess, NJW 2005, 929, 932; Franzen, Privatrechtsangleichung, 1999, S. 583; Wank, in: FS Stahlhacke, 1995, S. 633, 640. 310 Martens, Methodenlehre, 2013, S. 514; Nehne, Methodik, 2012, S. 37; Walter, Rechtsfortbildung, 2009, S. 284 ff. 311 Zu diesen Kriterien siehe Nehne, Methodik, 2012, S. 37 mwN; vgl. auch Franzen, Privatrechtsangleichung, 1999, S. 583. 312 Diese Beschränkung ist den horizontalen Lückenfüllungsgrenzen zuzuordnen, weil es hierbei primär um die Abgrenzung der Kernkompetenzbereiche von europäischer Legislative und europäischem Gesetzgeber geht. Innerhalb dieses Rahmens darf nur der Gesetzgeber tätig werden, Walter, Rechtsfortbildung, 2009, S. 289 ff. Anders aber Nehne, Methodik, 2012, S. 34 f.: vertikale Grenze. Die Einteilung hat allerdings keine Auswirkungen auf den Inhalt der Lückenfüllungsgrenzen, so dass der Streit um die richtige Einteilung auf sich beruhen kann. 313 Siehe dazu Martens, Methodenlehre, 2013, S. 320 f. und Walter, Rechtsfortbildung, 2009, S. 289 ff. Für Beispiele aus der Judikatur des EuGH siehe Neuner, in: Riesenhuber (Hrsg.), Europäische Methodenlehre, 4. Aufl. 2021, § 12 Rn. 47 und Ahmling, Analogiebildung, 2012, S. 167 mwN. 314 Martens, Methodenlehre, 2013, S. 514. 315 So wohl auch der EuGH in seiner Judikatur, siehe Anweiler, Auslegungsmethoden, 1997, S. 401 ff. Offen bleibt freilich, ob die Auslegungsgrenze „individuell“ ist, siehe dazu oben S. 20. 316 Nehne, Methodik, 2012, S. 37. 317 Dazu, dass der Vorbehalt des Gesetzes als allgemeiner Rechtsgrundsatz im Unionsrecht anerkannt ist, siehe Walter, Rechtsfortbildung, 2009, S. 297 ff. 318 Vgl. die Erwägung zur autonomen nationalen Methodenlehre von Schmidt, VerwArch 2006, 139, 158.

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3. Ergebnis Die Lückenfüllungsbefugnis reicht jedenfalls nur so weit, wie die EU auch die Verbandskompetenz zur Aufstellung der auszusprechenden Rechtsfolge hat. Diese vertikalen Grenzen stecken aber nur den äußersten Rahmen der Lückenfüllung ab. Konkretisiert wird dieser durch die horizontalen Grenzen: Dem EuGH ist es insbesondere verwehrt, eine klare gesetzgeberische Regelungsentscheidung aus rechtspolitischen Gründen zu korrigieren. Wann dies der Fall ist, kann indes nicht immer ohne Weiteres bestimmt werden, sondern ist stets selbst eine Wertungsfrage.319 Der EuGH darf darüber hinaus keine rechtspolitischen oder grundrechtsrelevanten Entscheidungen treffen; diese sind dem Unionsgesetzgeber vorbehalten. Bei der Lückenschließung muss er sich methodisch leiten lassen. Überschreitet er eine dieser Grenzen, ist die Lückenfüllung unzulässig. IV. Lückenfüllungstechnik Das Unionsrecht kann lückenhaft sein, daher besteht auch auf unionsrechtlicher Ebene die Notwendigkeit zur Lückenschließung.320 Wird der Rechtsanwender lückenfüllend tätig, sind, wie gezeigt,321 erhöhte Anforderungen an Nachvollziehbarkeit und Begründung seiner Entscheidung zu stellen. Um dem gerecht zu werden, sind europäisch-autonome Methoden zu entwickeln. Dabei kommt dem Begriff der „Lücke“, welcher schon expressis verbis die Voraussetzung für die Lückenfüllung bildet, eine herausragende methodische Bedeutung zu. Es ist daher zu klären, wie dieser definiert wird und wie eine

319 Veranschaulichen lässt sich dies an der nationalen Methodenlehre anhand der Rezeption einer Entscheidung des BVerfG (14.2.1973 – 1 BvR 112/65 = BVerfGE 34, 269) in der Wissenschaft. Diese wies die gegen eine Entscheidung des BGH (8.12.1964 – VI ZR 201/63 = NJW 1965, 685), in der der Klägerin Schmerzensgeld wegen Verletzung ihres Persönlichkeitsrechts analog § 847 BGB a. F. zugesprochen wurde, gerichtete Verfassungsbeschwerde zurück; die Grenzen zulässiger richterlicher Rechtsfortbildung seien nicht überschritten. Während Hillgruber, JZ 1966, 118, 120 in der Entscheidung des BGH eine partielle Verwerfung des § 253 BGB a. F. sieht und damit die Analogie für unzulässig hält, steht § 253 BGB a. F. nach Schmidt, VerwArch 2006, 154 der Analogie nicht entgegen, weil die Verwendung des Wortes „nur“ in der Vorschrift lediglich die Umkehrung des Regel-Ausnahme-Verhältnisses ausschließen wollte, nicht aber die Anerkennung neuer Ausnahmen. Ebenso hatte auch das BVerfG in seiner Entscheidung argumentiert: „[Der Bundesgerichtshof] hat das in der Bestimmung zum Ausdruck kommende Enumerationsprinzip unangetastet gelassen und lediglich die Fälle, in denen der Gesetzgeber bereits die Erstattung immateriellen Schadens verfügt hat, um einen Fall erweitert […].“, BVerfG 14.2.1973 – 1 BvR 112/65 = BVerfGE 34, 269, 292. 320 Walter, Rechtsfortbildung, 2009, S. 76 ff. auch mit Beispielen aus der EuGH-Judikatur. 321 S. 8 ff.

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Lücke zu bestimmen ist. Erst im Anschluss kann untersucht werden, wie die so gefundene Lücke methodisch geschlossen werden kann. 1. Begriff der Lücke Der Lückenbegriff des europäischen Sekundärrechts wurde jüngst von Timo Nehne322 grundlegend und umfassend analysiert. Er hat überzeugend dargelegt, dass der aus dem Internationalen Einheitsrecht bekannte Begriff zu übernehmen ist, welchen er lediglich leicht an die (von ihm festgestellten323) begrifflichen Bedürfnisse des Unionsrechts anpasst.324 Dies wird dem gegenwärtigen Integrationsstand auf europäischer Ebene gerecht, da sich auch hier – wie im Internationalen Einheitsrecht – einzelne Rechtsakte und nationale Rechtsordnungen gegenüberstehen. Eine weitere Parallele zum Internationalen Einheitsrecht besteht darin, dass Lücken im Europäischen Recht gegenüber innerstaatlichen ebenfalls eine „Doppeldimension“ aufweisen.325 Aus diesen Gründen ist, wie der international-einheitsrechtliche Lückenbegriff es verlangt, jede einzelne zu prüfende Verordnung in den Blick zu nehmen und auf ihre Lückenhaftigkeit hin zu untersuchen.326 Von einer Lücke im europäischen Kollisionsrecht kann vor diesem Hintergrund dann gesprochen werden, wenn eine Rechtsfrage von dem geprüften Sekundärrechtsakt ganz oder teilweise nicht geregelt wird. Zu unterscheiden ist dabei zwischen „internen“ und „externen“ Lücken. „Interne“ Lücken sind normativ ganz oder teilweise ungeregelte Bereiche, die innerhalb des Anwendungsbereichs des untersuchten Sekundärrechtsakts liegen. Demgegenüber meint der Begriff der „externen“ Lücke, dass eine bestimmte Rechtsfrage vom Anwendungsbereich des Sekundärrechtsakts ausgenommen und deshalb von ihm ungeregelt ist.327 322

Methodik, 2012, S. 83 ff. Nehne, Methodik, 2012, S. 88 und 11 ff. 324 Siehe zur Auseinandersetzung mit den Gegenpositionen und zur ausführlichen Begründung Nehne, Methodik, 2012, S. 84 und 88. 325 Nehne, Methodik, 2012, S. 86 im Anschluss an Franzen, Privatrechtsangleichung, 1999, S. 606. 326 Nehne, Methodik, 2012, S. 87 und 88. 327 Nehne, Methodik, 2012, S. 88; ähnlich scheint auch Herresthal, in: Arnold (Hrsg.), Grundlagen, 2014, S. 49, 76 f. zu differenzieren, wenn er vom einzelnen Sekundärrechtsakt als Bezugspunkt für das Regelungsganze spricht. Martens (Methodenlehre, 2013, S. 506) definiert den gemeinschaftsrechtlichen Lückenbegriff mit der anglo-amerikanischen Rechtsphilosophie als jede Unvollständigkeit bzw. Unbestimmtheit, so dass eine Gesetzeslücke dann vorläge, wenn die Lösung einer Rechtsfrage nicht mithilfe eines Gesetzes gelöst werden kann, obwohl sie in dessen Regelungsbereich fällt. Damit entspricht sein Lückenbegriff im Wesentlichen der von Nehne entwickelten „internen Lücke“. Martens klammert dadurch aber die Möglichkeit „externer Lücken“ scheinbar aus. Aus diesem Grund ist sein Modell nicht zugrunde zu legen. 323

§ 1 Rechtsfindung im europäischen Kollisionsrecht

55

2. Methodische Feststellung der Lücke Ob eine Lücke im Unionsrecht vorliegt, ist durch Auslegung des zur Untersuchung anstehenden Sekundärrechtsakts zu beantworten, da sowohl die interne als auch die externe Lücke es erfordern, dass ein bestimmter Bereich normativ von ihm nicht umfasst ist.328 Für die Feststellung der Lücke hat Nehne die folgende Prüfungsfolge entwickelt.329 Zunächst ist der Anwendungsbereich des betroffenen Sekundärrechtsakts auszulegen, um zu ermitteln, ob die konkrete Rechtsfrage diesem überhaupt unterfällt. Ist dies nicht der Fall, liegt eine externe Lücke vor. Umfasst der Anwendungsbereich die Rechtsfrage demgegenüber, muss in einem zweiten Schritt untersucht werden, ob eine interne Lücke vorliegt; dies geschieht wiederum durch Auslegung – und zwar des Regelungskonvoluts des fraglichen Sekundärrechtsakts.330 Wird im Rahmen der Auslegung festgestellt, dass eine (externe oder interne) Lücke vorliegt, der Unionsgesetzgeber aber bewusst von einer Regelung abgesehen hat, ist diese Entscheidung des Unionsgesetzgebers – wie gezeigt331 – zu beachten und eine Lückenfüllung ausgeschlossen. Der Unionsgesetzgeber darf sich der Lücke also nicht bewusst gewesen sein.332 Sollte dies aber ausnahmsweise der Fall sein, kann eine Lückenfüllung gleichwohl zulässig sein, wenn ersichtlich wird, dass er diese Aufgabe den Gerichten überlassen wollte.333 Hieran wird ein Unterschied zwischen dem gemeinschaftsrechtlichen und dem aus der innerstaatlichen Methodenlehre bekannten Lückenbegriff deutlich: Während letzterer mit dem Erfordernis der „Planwidrigkeit“ bereits ein wertendes Element zur Identifikation von Lücken enthält und damit Feststellung und Ausfüllung von Lücken in gewisser Hinsicht fließend ineinander

328

Nehne, Methodik, 2012, S. 89. Methodik, 2012, S. 90. 330 Methodik, 2012, S. 90. 331 Vgl. auch S. 51 f. 332 Siehe Nehne, Methodik, 2012, S. 90, der das Kriterium aber ersichtlich nur der internen Lücke zuordnet. Dem ist aber entgegenzutreten. Auch bei externen Lücken kann eine solche bewusste Entscheidung, die Antwort auf die konkrete Rechtsfrage unionsrechtlich nicht regeln zu wollen, vorliegen – auch wenn der Unionsgesetzgeber die Regelungskompetenz besitzt, vgl. Riesenhuber, System, 2003, S. 66; vgl. auch Ahmling, Analogiebildung, 2012, S. 146 für die Regelsetzung im Rahmen geteilter Zuständigkeiten gemäß Art. 4 AEUV. Dass Nehne dieses Kriterium nicht bei der externen Lücke anwendet, könnte darauf zurückzuführen sein, dass er deren Schließung anders beurteilt als es hier vertreten wird, siehe S. 56 f. 333 Martens (Methodenlehre, 2013, S. 506) verzichtet auf das Merkmal des „Sich-Bewusstseins“ aus genau diesem Grund. Mit Blick auf die Grenzen richterlicher Lückenfüllungsbefugnis erscheint es aber vorzugswürdig, bereits im Rahmen der Lückenfeststellung zu prüfen, ob dem Gesetzgeber die Lücke bewusst oder unbewusst gewesen ist. 329

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1. Teil: Methodische Grundlegung

übergehen lässt,334 stellt Nehnes Lückenbegriff (lediglich) auf das tatsächliche Element des Bewusstseins ab. 3. Vorgehen bei der Lückenfüllung Bezüglich der Lückenfüllung kommen je nach Art der Lücke andere Techniken zu ihrer Füllung in Betracht. Es ist daher zwischen externen und internen Lücken zu differenzieren.335 a) Füllung externer Lücken Externe Lücken liegen, wie gezeigt,336 vor, wenn eine bestimmte Rechtsfrage bereits von dem Anwendungsbereich des konkreten Sekundärrechtsakts nicht umfasst ist. Ist dies der Fall, ist zunächst durch Auslegung zu ermitteln, ob das Rechtsgebiet, zu dem die Rechtsfrage gehört, einem anderen unionsrechtlichen Sekundärrechtsakt zugeordnet werden kann; bejahendenfalls muss auf die nachfolgend darzustellenden Methoden zur Füllung interner Lücken zurückgegriffen werden, wenn dieser seinerseits lückenhaft ist.337 Ergibt die Auslegung allerdings, dass die Rechtsfrage unter keinen Sekundärrechtsakt fällt, ist umstritten, wie weiter zu verfahren ist. Nehne zieht letztlich das nationale Recht des Forumstaates heran, um diese Lücke zu füllen.338 Vorzugswürdig erscheint es allerdings, zunächst zu prüfen, ob nicht der Anwendungsbereich der zu untersuchenden Verordnungen selbst unbewusst lückenhaft ist, so dass die Rechtsfrage doch unter einen existierenden Sekundärrechtsakt gefasst werden kann; etwa durch eine teleologische Reduktion339

334 Claus-Wilhelm Canaris definiert die Lücke für das autonome nationale Methodenmodell als „eine planwidrige Unvollständigkeit innerhalb des positiven Rechts (d. h. des Gesetzes im Rahmen seines möglichen Wortsinnes und des Gewohnheitsrechts) gemessen am Maßstab der gesamten geltenden Rechtsordnung“, Canaris, Lückenfeststellung, 2. Aufl. 1983, S. 39. 335 Die folgenden Ausführungen können nur für die Lückenfüllung im Rahmen von Verordnungen gelten. Bei Richtlinien bestehen die Besonderheiten, dass diese gemäß Art. 288 Abs. 3 AEUV nur mittelbar in den Mitgliedstaaten gelten (vgl. auch Nehne, Methodik, 2012, S. 94) und unter Umständen auch nur einen Regelungsrahmen setzen, dessen Ausfüllung den nationalen Gesetzgebern überlassen bleibt (Riesenhuber, System, 2003, S. 66). Diese methodischen Spezifika können bei der Lückenfüllung nicht außer Acht gelassen werden, siehe nur bespielhaft, Nehne, aaO. Da sich die vorliegende Arbeit aber vor allem mit dem europäischen Kollisionsrecht beschäftigt, können Fragen betreffend die Lückenfüllung von Richtlinien hier ausgenommen bleiben. 336 S. 54. 337 Nehne, Methodik, 2012, S. 94. 338 Vgl. Nehne, Methodik, 2012, S. 97 (speziell für das europäische Kollisionsrecht: Kollisionsrecht der lex fori). 339 Dazu S. 58.

§ 1 Rechtsfindung im europäischen Kollisionsrecht

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einer der Bereichsausnahmen oder eine teleologische Extension340 des positiven Anwendungsbereichs. Denn selbstverständlich kann es auch im Rahmen der den Anwendungsbereich eines Rechtsakts regelnden Normen dazu kommen, dass diese entweder weiter oder enger gefasst sind, als es der Unionsgesetzgeber beabsichtigte, die Wortlautgrenze aber einer aus diesem Grund erforderlichen restriktiven oder extensiven Auslegung im Wege steht. Ist dies nicht der Fall, bleibt die Möglichkeit, durch richterliche Lückenfüllung eine völlig neue, dem Unionsrecht bislang unbekannte gemeinschaftsrechtliche Regelung zu schaffen, die das fragliche Rechtsproblem gemeinschaftsrechtlich löst. Dies kann etwa unter Rekurs auf die allgemeinen Rechtsgrundsätze des Unionsrechts geschehen; dazu zählen auch jene, die mittels wertender Rechtsvergleichung aus den mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen gewonnen werden.341 Mit Blick auf die Grenzen der Lückenfüllungsbefugnis ist aber zu hinterfragen, ob der Unionsgesetzgeber diese externe Lücke bewusst gelassen hat. Das wird wohl in aller Regel anzunehmen sein, da dem europäischen Gesetzgeber grundsätzlich Kenntnis von seinen Kompetenzen zu unterstellen ist. Darüber hinaus wird diese Form der Lückenfüllung dadurch erschwert, dass der Rechtsanwender keine politische Entscheidung treffen darf.342 Ist die Lückenfüllung durch das Unionsrecht fehlgeschlagen, bewegt sich die Rechtsfrage außerhalb des (geschriebenen und ungeschriebenen) Unionsrechts. Der Rechtsanwender hat dann sein nationales Recht anzuwenden, da es in diesen Fällen nicht vom Gemeinschaftsrecht verdrängt wird.343 b) Füllung interner Lücken Interne Lücken liegen vor, wenn eine konkrete Rechtsfrage zwar vom Anwendungsbereich eines europäischen Sekundärrechtsakts umfasst, innerhalb dessen gleichwohl ungeregelt geblieben ist.344 Bezüglich der Lückenfüllungs-

340

Dazu S. 58. Vgl. – allerdings auf der Grundlage seines Lückenbegriffs – Franzen, Privatrechtsangleichung, 1999, S. 637. Siehe zu den allgemeinen Rechtsgrundsätzen und deren methodischer Herleitung sogleich S. 58 f. und 87 f. Dass externe Lücken vor allem mit Wertsummen (dazu sogleich, S. 58 f.) geschlossen werden, gründet auf der Tatsache, dass sich der EuGH hier großflächig ungeregelten Rechtsbereichen gegenübersieht, für deren Füllung sich der Rückgriff auf Wertsummen besser eignet, vgl. Heiderhoff, Europäisches Privatrecht, 5. Aufl. 2020, Rn. 116. 342 Siehe S. 51 f. 343 Aus diesem Grund erscheinen die Ausführungen Nehnes (Methodik, 2012, S. 95 ff.) zur Lückenfüllung mittels nationalen Rechts überflüssig. Wenn eine externe Lücke vorliegt, die mittels der anerkannten Methoden nicht gefüllt werden kann, ist, wie gezeigt, selbstverständlich das (Internationale Privat-) Recht der lex fori heranzuziehen. 344 S. 54. 341

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1. Teil: Methodische Grundlegung

methode kann man danach differenzieren, ob eine einzelne Wertung oder eine Wertsumme zur Lückenfüllung herangezogen wird.345 aa) Lückenfüllung durch einzelne Wertungen Die Lückenfüllung anhand einer einzelnen Wertung erfolgt insbesondere durch Analogie oder teleologische Reduktion. Die teleologische Extension stellt – wie sogleich zu zeigen sein wird – einen Sonderfall der Lückenschließungsmittel dar, kann aber ebenfalls der Lückenschließung durch eine Einzelwertung zugeordnet werden. Die Analogie meint die Übertragung einer für einen Tatbestand gegebenen Regel auf einen vom Sekundärrechtsakt nicht geregelten, ihm aber ähnlichen Tatbestand.346 Dabei ist zwar zunächst von der untersuchten Verordnung auszugehen; ist die Gewinnung einer gleichgelagerten Wertung aus ihr aber nicht möglich, kann eine solche auch Vorschriften anderer Verordnungen entnommen werden.347 Unter teleologischer Reduktion versteht man, dass einer Norm ein einschränkendes Tatbestandsmerkmal hinzugefügt wird, um zu verhindern, dass zwei ungleiche Tatbestände gleichbehandelt werden.348 Beide Lückenfüllungsmethoden entsprechen sich also insoweit, als dass sie den (positiven oder negativen) Gleichheitssatz verwirklichen, der auch in der Unionsrechtsordnung Geltung beansprucht;349 sie werden dadurch methodisch legitimiert. Die teleologische Extension zielt darauf ab, die Ratio einer Norm zu verwirklichen, indem sie über ihren Wortlaut hinaus erweitert wird. Sie verhilft also einer in der Norm nur unvollkommen zum Ausdruck gekommenen Regelungsabsicht des Gesetzgebers zur Geltung und findet darin ihre methodische Berechtigung.350 bb) Lückenfüllung durch Wertsummen Interne Lücken können subsidiär351 auch durch die Übertragung einer Wertsumme – namentlich durch allgemeine Rechtsgrundsätze – geschlossen werden. In methodischer Hinsicht bieten sich zur Gewinnung solcher allgemeiner 345

Nehne, Methodik, 2012, S. 98. Vgl. nur Walter, Rechtsfortbildung, 2009, S. 161 (für Beispiele aus der Judikatur des EuGH S. 162 ff.). 347 Nehne, Methodik, 2012, S. 98. Dabei ist die konkrete Zulässigkeit der rechtsaktübergreifenden Rechtsfortbildung wegen der mangelnden Prinzipienstruktur stets kritisch zu prüfen, Herresthal, in: Arnold (Hrsg.), Grundlagen, 2014, S. 49, 76 f. 348 Vgl. nur Walter, Rechtsfortbildung, 2009, S. 181 f. (für Beispiele aus der Judikatur des EuGH S. 182 ff.). 349 Neuner, in: Riesenhuber (Hrsg.), Europäische Methodenlehre, 4. Aufl. 2021, § 12 Rn. 33 und 37 und Ahmling, Analogiebildung, 2012, S. 162 jeweils mwN. 350 Walter, Rechtsfortbildung, 2009, S. 198 f. 351 Siehe Nehne, Methodik, 2012, S. 99 und 101; Gruber, Methoden, 2004, S. 288. 346

§ 1 Rechtsfindung im europäischen Kollisionsrecht

59

Rechtsgrundsätze zwei Wege an: In Betracht kommt das originäre Unionsrecht sowie eine wertende Rechtsvergleichung aus den mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen;352 Art. 340 Abs. 2 AEUV soll für letzteres ein Einfallstor darstellen.353 Allgemeine Rechtsgrundsätze lassen sich sowohl aus dem Primärrecht als auch aus dem Sekundärrecht herleiten – und zwar verordnungsspezifisch oder -übergreifend,354 wobei aber letztere kritisch auf ihre Zulässigkeit hin zu überprüfen ist.355 In methodischer Hinsicht geschieht dies, indem eine Wertung aus mehreren Normen, die an ähnliche Tatbestände dieselbe Rechtsfolge knüpfen, ein solcher allgemeiner Rechtsgrundsatz entnommen wird.356 Dieser wird dann auf einen ungeregelten, aber wertungsmäßig gleichen Tatbestand übertragen. Allerdings ist Vorsicht geboten, da es sich bei den fraglichen Rechtsvorschriften auch lediglich um eine Aneinanderreihung von Ausnahmetatbeständen handeln könnte.357 Allgemeine Rechtsgrundsätze können unter Umständen aber auch aus einzelnen Vorschriften abgeleitet werden.358 Für die Herleitung eines allgemeinen Rechtsgrundsatzes aus den mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen, ist es nicht erforderlich, dass dieser überall bekannt ist. Er muss nur in einer Mehrzahl von ihnen vorkommen und keine andere darf ihm widersprechen.359 Liegen die mitgliedstaatlichen Regelungssysteme so weit auseinander, dass kein konsensfähiger Inhalt gefunden wird, kann aus ihnen folglich kein allgemeiner Rechtsgrundsatz abgeleitet werden.360 cc) Zwischenergebnis Es wurde aufgezeigt, dass zur Füllung einer internen Lücke im Unionsrecht mehrere methodische Mittel zu Verfügung stehen. Die Lückenschließung ist dort erfolglos, wo sich weder eine Einzelwertung noch eine Wertsumme findet, die sich auf die in Rede stehende, ungeregelte Rechtsfrage übertragen lässt. In 352

Siehe EuGH 14.10.1976, Rs. 29/76 = NJW 1977, 489, 490: Bei der Auslegung unionsrechtlicher Begriffe müssen „die Zielsetzungen und die Systematik des Übereinkommens sowie die allgemeinen Rechtsgrundsätze, die sich aus der Gesamtheit der innerstaatlichen Rechtsordnungen ergeben“, berücksichtigt werden. Dazu ferner Walter, Rechtsfortbildung, 2009, S. 168 (insb. 171 ff. für Beispiele aus der EuGH-Judikatur). 353 Walter, Rechtsfortbildung, 2009, S. 170 f. Siehe auch unten S. 87 f. 354 Vgl. Nehne, Methodik, 2012, S. 100. 355 Vgl. Herresthal, in: Arnold (Hrsg.), Grundlagen, 2014, S. 49, 76 f. 356 Nehne, Methodik, 2012, S. 100; vgl. auch Neuner, in: Riesenhuber (Hrsg.), Europäische Methodenlehre, 4. Aufl. 2021, § 12 Rn. 41. 357 Siehe Neuner, in: Riesenhuber (Hrsg.), Europäische Methodenlehre, 4. Aufl. 2021, § 12 Rn. 41 mwN zur Judikatur des EuGH. 358 Siehe nur Walter, Rechtsfortbildung, 2009, S. 177 ff. (auch mwN zur Judikatur des EuGH). 359 Walter, Rechtsfortbildung, 2009, S. 170. 360 Franzen, Privatrechtsangleichung, 1999, S. 637.

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1. Teil: Methodische Grundlegung

diesen Fällen lässt sie sich nicht mittels Unionsrecht beantworten, so dass auf nationales Recht zur Entscheidungsfindung zurückgegriffen werden muss.

§ 2 Zum teleologischen Kriterium und der Auslegung anhand des „inneren Systems“ Bei den vorstehenden Ausführungen zu der Auslegung von europäischen IPRNormen ist bislang ein Punkt nur kursorisch behandelt worden. Dieser ist oftmals aber ganz entscheidend. Es handelt sich um die konkrete Ausgestaltung des teleologischen Kriteriums. Nach der hier vertretenen Auffassung ist dieses immer dann maßgeblich, wenn sich kein historischer Gesetzgeberwille für die Lösung der in Rede stehenden Rechtsfrage finden lässt oder dieser nicht mehr „aktuell“ ist.361 Ohne nähere Begründung wurde oben behauptet, dass sich die teleologische Auslegung vor allem an dem „inneren System“ einer Rechtsordnung zu orientieren habe.362 Beides gilt auch für die Auslegung anhand des autonomen nationalen Methodenmodells, das für Art. 39 EGBGB anzulegen ist.363 Der Grund dafür, wieso gerade das „innere System“ maßgebend ist, soll auf den folgenden Seiten am Beispiel der Konkretisierung des Anknüpfungspunkts einer Kollisionsnorm näher erläutert werden. Als Ausgangspunkt der folgenden Überlegungen ist zunächst festzuhalten, dass der Rechtsanwender im Rahmen der teleologischen Auslegung im gesteigerten Maße schöpferisch tätig wird. Er wird dann von der nach hier vertretener Auffassung geforderten prinzipiellen Orientierung am historischen Gesetzgeberwillen befreit und muss die zur Auslegung anstehende Regel so interpretieren, wie er denkt, dass es im Sinne des Gesetzgebers wäre; er hat den historischen Gesetzgeberwillen fortzuschreiben.364 Der Rechtsanwender muss sich bei der teleologischen Auslegung daher gleichfalls an den Leitlinien orientieren, die auch für die Norm(zweck)bildung durch den Gesetzgeber maßgebend waren.365 Sie helfen, auch mit seinerzeit noch unbekannten (weil übersehenen 361

Siehe oben S. 25 ff. und 45 f. S. 44 f. 363 Siehe dazu, dass auch im deutschen Recht die Auslegung primär auf die Freilegung des historischen Gesetzgebers abzielt, die Nachweise in Fn. 146 ff. (1. Teil). Zur Orientierung der teleologischen Auslegung am „inneren System“ siehe Bydlinski, Methodenlehre, 1982, S. 454: „In systematisch-teleologischem Vergleich mit sachnahen anderen Normen, deren Inhalt und Zweck bereits geklärt […] lassen sich daher bestimmte denkmögliche Zwecke und damit Auslegungshypothesen der auszulegenden Norm bestätigen bzw eliminieren.“ 364 Unter Zuhilfenahme von Überlegungen auch aus der autonomen nationalen Methodenlehre, wurde dies oben für die europäische Ebene dargelegt, S. 25 ff. und 45 f. 365 So auch für das IPR ausdrücklich Otte, in: Mansel (Hrsg.), IPR im 20. Jahrhundert, 2014, S. 27, 29 und Lüderitz, IPR, 2. Aufl. 1992, Rn. 94; siehe auch Junker, IPR, 4. Aufl. 2021, § 5 Rn. 23 und Kegel/Schurig, IPR, 9. Aufl. 2004, S. 134. 362

§ 2 Zum teleologischen Kriterium

61

oder noch nicht existenten) Fallkonstellationen umzugehen. Die Frage nach diesen Leitlinien führt in die methoden-theoretischen Grundlagen eines Rechtsgebiets. Im Zentrum steht die Frage, welche Regel den Gesetzgeber bei der Bildung entsprechender Normen leitet, welcher Struktur er folgt. Angesprochen werden damit Fragen zur (Zivil-) Rechtstheorie. A. Struktur des Internationalen Privatrechts In der vorliegenden Arbeit wird vor allem das Internationale Privatrecht behandelt. Es speist sich aus mehreren Rechtsquellen: So findet sich autonomes nationales, europäisches und auch staatsvertragliches Recht.366 An dieser Stelle sind das autonome deutsche und das europäische IPR von Interesse, namentlich Art. 11 Rom II-VO und Art. 39, 41 EGBGB. Da beide Normen von unterschiedlichen Gesetzgebern stammen, werden beide Rechtsquellen zunächst unabhängig voneinander untersucht. Begonnen werden soll mit dem autonomen deutschen IPR. I. Autonomes deutsches IPR Das autonome deutsche IPR geht auf das von Friedrich Carl von Savigny367 entwickelte IPR-Modell zurück. Seine grundlegenden Arbeiten, aus denen die heute als „klassisch“368, teils aber auch als „modern“369 bezeichnete IPR-Methode entstanden ist, bedeuteten eine Abkehr von der bis dahin herrschenden Statutenlehre. Diese stellte sich bei dem Vorliegen internationaler Sachverhalte stets die Frage, ob ein bestimmtes Statut innerhalb seines räumlichen Anwendungsbereichs auch für Fremde gilt und ob ihm auch über sein eigenes Territorium hinaus Wirkung zukommt.370 Bei Sachverhalten mit Auslandsberührung wurde also stets die einzelne Sachnorm in den Blick genommen und nach ihrem räumlichen Anwendungsbereich befragt.371 Man teilte dabei sämtliche Sachnormen in drei Gruppen ein: statuta personalia, realia und mixta. Statuta personalia entnahm man dem Recht des Wohnsitzes der Person, statuta realia dem Recht des Ortes, an dem die Sache belegen war, und statuta mixta dem Recht des Handlungsortes.372

366

Vgl. Junker, IPR, 4. Aufl. 2021, § 2. Savigny, System Bd. 8, 1849. 368 Looschelders, in: Staudinger, Neubearb. 2019, Einl. IPR Rn. 54; Junker, IPR, 4. Aufl. 2021, § 5 Rn. 3. 369 Weller, in: Arnold (Hrsg.), Grundfragen, 2016, S. 133, 137 mwN. 370 Looschelders, in: Staudinger, Neubearb. 2019, Einl. IPR Rn. 51; Junker, IPR, 4. Aufl. 2021, § 4 Rn. 6. 371 Junker, IPR, 4. Aufl. 2021, § 4 Rn. 19; Schurig, in: Mansel (Hrsg.), IPR im 20. Jahrhundert, 2014, S. 5, 6. 372 Kegel, in: FS Lewald, 1953, S. 259 f. 367

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1. Teil: Methodische Grundlegung

Savigny war der erste, der diese auch heute das IPR beherrschende Frage umkehrte. Nach seinem Verständnis vom IPR ging es nicht um die Orientierung am räumlichen Geltungsbereich der Sachnorm, sondern um die gerechte Lokalisierung eines konkreten Rechtsverhältnisses.373 Ausgerufen wurde das Ziel, „daß bei jedem Rechtsverhältnis dasjenige Rechtsgebiet aufgesucht werde, welchem dieses Rechtsverhältnis seiner eigenthümlichen Natur nach angehört oder unterworfen ist, (worin dasselbe seinen Sitz hat)“374. Ausgangspunkt der Rechtsanwendung war also nicht das Gesetz, sondern – im Gegenteil – das fragliche Rechtsverhältnis.375 Dieser methodische Perspektivwechsel wird heute (zurückgehend auf Neuhaus376) als „kopernikanische Wende“ des IPR bezeichnet.377 Er wird in der IPR-Methodik als derart fundamental empfunden, da durch ihn die Emanzipation des IPR vom Sachrecht und das Prinzip der Gleichwertigkeit der eigenen mit der fremden Rechtsordnung gefördert wurde.378 Offen blieb indes die Antwort auf die Frage, nach welchen genauen Kriterien der „Sitz des Rechtsverhältnisses“ zu lokalisieren sei.379 Das heutige IPR baut auf diesem Fundament auf, wenngleich es mit der Suche Savignys nach dem „Sitz des Rechtsverhältnisses“ nur noch die hinter beiden Methoden stehenden Ideen gemein hat.380 So teilt es zwar grundsätzlich381

373

Rauscher, IPR, 5. Aufl. 2017, Rn. 32; Junker, IPR, 4. Aufl. 2021, § 4 Rn. 23. Savigny, System Bd. 8, 1849, S. 108. 375 Junker, IPR, 4. Aufl. 2021, § 4 Rn. 23; v. Hein, in: MüKo BGB, 8. Aufl. 2020, Einl. IPR Rn. 28. 376 RabelsZ 15 (1949/1950), 364, 366. 377 Siehe etwa Rauscher, IPR, 5. Aufl. 2017, Rn. 32; v. Hein, in: MüKo BGB, 8. Aufl. 2020, Einl. IPR Rn. 19; äußerst krit. zum Begriff aber Schurig, in Mansel (Hrsg.), IPR im 20. Jahrhundert, 2014, S. 5, 7 f. 378 Looschelders, in: Staudinger, Neubearb. 2019, Einl. IPR Rn. 55; Rauscher, IPR, 5. Aufl. 2017, Rn. 33. 379 Rauscher, IPR, 5. Aufl. 2017, Rn. 34. 380 Hirse, Ausweichklausel, 2006, S. 164. Bis zu der Herausbildung der heute als Prinzip der engsten Verbindung verstandenen Verbindung von Lebenssachverhalt und Rechtsordnung brauchte es noch weitere Entwicklungsschritte, deren Darstellung hier den Rahmen sprengte; verwiesen sei deshalb auf Hirse, aaO, S. 164 ff. 381 Eine Ausnahme stellen die Eingriffsnormen dar. Sie sind international zwingende sachrechtliche Bestimmungen, die ohne Rücksicht auf die mögliche Berufung ausländischen Rechts im Inland Geltung beanspruchen, (vgl. Kropholler, IPR, 6. Aufl. 2006, S. 19) und mit denen bestimmte materiell-rechtliche wirtschafts- und sozialpolitische Zielvorstellungen verfolgt werden (vgl. v. Hein, in: MüKo BGB, 8. Aufl. 2020, Einl. IPR Rn. 309). Da bei ihnen die kollisionsrechtliche Fragestellung also vom Gesetz ausgeht, spricht man auch von der „Zweipoligkeit des IPR“, Kropholler, IPR, 6. Aufl. 2006, S. 23. Auch Savigny kannte sie schon, ders., System Bd. 8, 1849, S. 33; die heute als Eingriffsnormen verstandenen Regelungen machen aber nur einen Teilbereich seiner „Gesetze von streng positiver, zwingender Natur“ aus, siehe Schurig, in: Mansel (Hrsg.), IPR im 20. Jahrhundert, 2014, S. 5, 8. 374

§ 2 Zum teleologischen Kriterium

63

Savignys Perspektive,382 fasst allerdings einen konkreten Lebenssachverhalt und nicht abstrakte Rechtsverhältnisse ins Auge.383 Entscheidend für die Anwendung einer Rechtsordnung ist aber auch heute grundsätzlich384 das Kriterium der „engsten Verbindung“ zwischen Lebenssachverhalt und Rechtsordnung.385 Die Bestimmung der „engsten Verbindung“ zwischen Lebenssachverhalt und Rechtsordnung geschieht im autonomen deutschen Kollisionsrecht durch eine formale Anwendung von durch den Gesetzgeber aufgestellten, abstraktgenerellen Rechtsnormen.386 Ausgehend von bestimmten Anknüpfungsgegenständen verweisen sie mithilfe von Anknüpfungspunkten auf die anzuwendende Rechtsordnung.387 Sie sind regelmäßig allseitig konzipiert.388 Da den Anknüpfungspunkten die beschriebene Verknüpfungsfunktion zukommt, müssen sie zwingend zumindest mittelbar eine räumliche Komponente aufweisen. Mit dem Anknüpfungsgegenstand einer Kollisionsnorm wird demgegenüber eine bestimmte teleologisch zusammengehörige Normgruppe des Sachrechts gekennzeichnet; er wird durch die Systembegriffe der lex fori vorgeprägt.389 Das Prinzip der „engsten Verbindung“ ist hierbei aufgrund des abstrakt-generellen Charakters einer Kollisionsnorm im Anknüpfungspunkt typisiert; dieser stellt jeweils eine spezielle Ausprägung des Prinzips der engsten Verbindung dar.390 Deutlich wird dies schon an der in dieser Arbeit zur Analyse anstehenden Kollisionsnorm: Art. 39 EGBGB, der im Zusammenhang mit Art. 41 EGBGB zu lesen ist, knüpft gesetzliche Ansprüche aus Geschäftsführung ohne Auftrag grundsätzlich an den Vornahmeort des Geschäftes an, 382

Junker, IPR, 4. Aufl. 2021, § 5 Rn. 8; Kropholler, IPR, 6. Aufl. 2006, S. 16 f.; Looschelders, in: Staudinger, Neubearb. 2019, Einl. IPR Rn. 54; v. Hein, in: MüKo BGB, 8. Aufl. 2020, Einl. IPR Rn. 28. 383 Die Suche nach der engsten Verbindung von Rechtsordnung und Rechtsverhältnis wäre in sich widersprüchlich. Darauf hat Hirse, Ausweichklausel, 2006, S. 157 f. zutreffend hingewiesen. 384 Zu den Ausnahmen sogleich S. 66 f. 385 Junker, IPR, 4. Aufl. 2021, § 4 Rn. 23, § 5 Rn. 6 und v. Hein, in: MüKo BGB, 8. Aufl. 2020, Einl. IPR Rn. 28, die allerdings von der engsten Verbindung zwischen Rechtsverhältnis und Rechtsordnung sprechen. 386 Rauscher, IPR, 5. Aufl. 2017, Rn. 45. 387 Junker, IPR, 4. Aufl. 2021, § 5 Rn. 12. 388 Einseitige Kollisionsnormen, die als Rechtsfolge nur eine Rechtsordnung für auf einen Anknüpfungsgegenstand anwendbar erklären, sind die Ausnahme, siehe Junker, IPR, 4. Aufl. 2021, § 6 Rn. 16. 389 Hirse, Ausweichklausel, 2006, S. 193 f. Eine ähnliche Einteilung der Sachnormen findet sich auch schon bei Savigny, System Bd. 8, 1849, S. 118: Aufgabe des IPR ist es, „für jede Klasse der Rechtsverhältnisse ein bestimmtes Rechtsgebiet […] aufzusuchen.“ 390 v. Hein, in: MüKo BGB, 8. Aufl. 2020, Einl. IPR Rn. 31; v. Bar/Mankowski, IPR Bd. 1, 2. Aufl. 2003, § 7 Rn. 108. Man kann auch von einer „(widerlegbaren) Verweisungsvermutung“ sprechen, so Weller, in: Arnold (Hrsg.), Grundfragen, 2016, S. 133, 141.

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1. Teil: Methodische Grundlegung

Art. 39 Abs. 1 EGBGB. Eine Ausnahme gilt für Ansprüche aus der Tilgung einer fremden Verbindlichkeit, die gemäß Art. 39 Abs. 2 EGBGB akzessorisch an das Statut der jeweiligen Verbindlichkeit angeknüpft werden. Art. 41 Abs. 1 EGBGB bestimmt allerdings, dass das Recht eines anderen Staates anzuwenden ist, wenn zu diesem im konkreten Einzelfall eine wesentlich engere Verbindung besteht. In Art. 41 Abs. 2 EGBGB werden sodann Regelbeispiele für eine engere Verbindung in diesem Sinne gegeben. Eine solche typisierte, starre Anknüpfung dient vor allem der Rechtssicherheit, da die Parteien auf diese Weise stets mit Verlässlichkeit bestimmen können, welcher Rechtsordnung ihr Handeln unterliegt.391 Das Prinzip der engsten Verbindung wird dadurch aber nicht durchgehend, d. h. nicht in jedem Einzelfall, verwirklicht; erreichbar wäre dies etwa durch eine Generalklausel, welche die Bestimmung der jeweils engsten Verbindung in das richterliche Ermessen stellte und damit eine konkret-individuelle Schwerpunktermittlung erlaubte.392 Die abstrakt-generellen, typisierten Kollisionsnormen streben also nur nach der Verwirklichung des Prinzips der engsten Verbindung; mit Lüderitz kann gesagt werden: „Totale Gerechtigkeit des Einzelfalls lässt sich so nicht erzielen; wo gehobelt wird, fallen Späne.“393 Bewältigt wird der beschriebene Konflikt erstens durch die zunehmende Ausdifferenzierung der gebildeten Typen.394 Zweitens kennt das autonome deutsche IPR Normen wie Art. 41 EGBGB, die dem Richter im Einzelfall eine Abweichung erlauben, um die Regelanknüpfung aufzulockern; sie werden Ausweichklauseln genannt.395 Fraglich ist indes noch immer, wonach sich nun die – wenn auch typisierte – „engste Verbindung“ richtet. Maßgeblich ist wie schon bei Savigny die Nähe einer Rechtsordnung zu einem bestimmten Lebenssachverhalt. Diese kennzeichnet sich dabei aber nicht etwa durch geographische Aspekte. Vielmehr ist sie personen- bzw. sachbezogen zu verstehen; es soll die an sozialen Faktoren gemessene „beste“ Rechtsordnung zur Anwendung berufen werden.396 Grundsätzlich unerheblich für das IPR ist die Suche nach dem „besten“ materiellen

391

Rauscher, IPR, 5. Aufl. 2017, Rn. 66. Kropholler, IPR, 6. Aufl. 2006, S. 30: Formale Rechtssicherheit ist Gegenpol zum inhaltlichen Ideal der IPR-Gerechtigkeit. 393 Lüderitz, in: FS Kegel, 1977, S. 31, 40 (im Zusammenhang mit der Typisierung und Tatbestandsbildung von kollisionsrechtlichen Interessen auf der Grundlage der Interessentheorie; zu ihr sogleich mehr S. 68 ff.). 394 Junker, IPR, 4. Aufl. 2021, § 5 Rn. 12; v. Hoffmann/Thorn, IPR, 9. Aufl. 2007, § 2 Rn. 53; Kropholler, IPR, 6. Aufl. 2006, S. 30 und 113. 395 Junker, IPR, 4. Aufl. 2021, § 5 Rn. 13; Looschelders, in: Staudinger, Neubearb. 2019, Einl. IPR Rn. 151 und 154; v. Hoffmann/Thorn, IPR, 9. Aufl. 2007, § 2 Rn. 54. 396 Junker, IPR, 4. Aufl. 2021, § 5 Rn. 5 und 7; v. Hein, in: MüKo BGB, 8. Aufl. 2020, Einl. IPR Rn. 29; vgl. auch Kropholler, IPR, 6. Aufl. 2006, S. 25 Fn. 4 und Rauscher, IPR, 5. Aufl. 2017, Rn. 51. 392

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Ergebnis;397 die Bewertung eines materiellen Ergebnisses als gerecht oder ungerecht ist stets subjektiv geprägt und damit relativ – erst recht auf internationaler Ebene.398 Gerecht im international-privatrechtlichen Sinne ist immer nur die Anwendung einer bestimmten Rechtsordnung.399 Bei der kollisionsrechtlichen Verweisung handelt es sich folglich um einen „Sprung ins Dunkle“400. Das IPR beruht damit noch immer auf der Prämisse der Gleichwertigkeit von in- und ausländischer Rechtsordnung,401 womit es einen eigenständigen Gerechtigkeitsgehalt aufweist.402 Über die Ausfüllung des recht vagen Begriffs der „engsten Verbindung“ ist damit freilich noch immer nur wenig gesagt. II. Europäisches IPR Das europäische IPR folgt diesem grundlegenden kollisionsrechtlichen Aufbau. Auch die europäischen IPR-Normen gehen in ihrer Fragestellung grundsätzlich vom Lebenssachverhalt aus und orientieren sich dabei grundsätzlich am Prinzip der engsten Verbindung zwischen Rechtsordnung und Lebenssachverhalt.403 Sie entsprechen dem äußeren Aufbau der deutschen Kollisionsnormen, weisen also ebenfalls einen Anknüpfungsgegenstand und einen Anknüpfungspunkt auf; die „engste Verbindung“ ist folglich auch hier typisiert: Art. 11 Rom II-VO knüpft beispielsweise Ansprüche aus Geschäftsführung ohne Auftrag primär akzessorisch an ein bestehendes Rechtsverhältnis an (Abs. 1), hilfsweise an den gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt, den die Parteien im Zeitpunkt des Eintritts des schadensbegründenden Ereignisses hatten (Abs. 2), an, und äußerst hilfsweise an den Ort an, an dem die Geschäftsführung erfolgt ist (Abs. 3). Art. 11 Abs. 4 Rom II-VO stellt schließlich klar, dass das Recht eines anderen Staates anwendbar sein kann, wenn sich aus der Gesamtheit der Umstände eine offensichtlich engere Verbindung zu diesem ergibt. Im europäischen IPR finden sich zwar vereinzelt weitere methodische Ansätze, wie etwa die Anerkennung von Rechtslagen. Insoweit ist allerdings fest397 Rauscher, IPR, 5. Aufl. 2017, Rn. 46; Kropholler, IPR, 6. Aufl. 2006, S. 25; Kegel/Schurig, IPR, 9. Aufl. 2004, S. 55; siehe auch v. Hein, in: MüKo BGB, 8. Aufl. 2020, Einl. IPR Rn. 29. 398 Kegel/Schurig, IPR, 9. Aufl. 2004, S. 131; vgl. auch Rauscher, IPR, 5. Aufl. 2017, Rn. 50. 399 Kropholler, IPR, 6. Aufl. 2006, S. 25. 400 Raape, IPR, 5. Aufl. 1961, S. 90. 401 Kropholler, IPR, 6. Aufl. 2006, S. 16; Kegel/Schurig, IPR, 9. Aufl. 2004, S. 6; so schon Savigny, System Bd. 8, 1849, S. 26 ff. 402 v. Hein, in: MüKo BGB, 8. Aufl. 2020, Einl. IPR Rn. 30; Rauscher, IPR, 5. Aufl. 2017, Rn. 49; Kropholler, IPR, 6. Aufl. 2006, S. 25; Kegel, in: FS Lewald, 1953, S. 259, 270 im Anschluss an Zweigert und Beitzke, siehe die Nachweise aaO. 403 v. Hein, in: MüKo BGB, 8. Aufl. 2020, Einl. IPR Rn. 40 ff., insb. 43; Looschelders, in: Staudinger, Neubearb. 2019, Einl. IPR Rn. 49 und 137.

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1. Teil: Methodische Grundlegung

zuhalten, dass diese lediglich ergänzenden Charakter haben und an dem auf der klassischen kollisionsrechtlichen Verweisungsmethodik liegenden Fokus nichts ändern.404 III. Keine Abkehr von der „klassischen“ Methode durch besondere Anknüpfungen Allerdings ist festzustellen, dass nicht alle Kollisionsnormen dem eben dargestellten Prinzip der engsten Verbindung folgen. So existieren beispielsweise sowohl im autonomen deutschen als auch im europäischen IPR Regelungen, die für einen Anknüpfungsgegenstand zwei oder gar mehrere Anknüpfungspunkte bereithalten. Sie weichen von dem oben dargestellten IPR-Modell ab, weil sie sich zwar innerhalb des allseitigen Verweisungsmodells bewegen, aber nicht die engste, sondern bloß enge Verbindungen eines Lebenssachverhalts zu einer Rechtsordnung genügen lassen.405 Gleichwohl kann mit Blick auf das international-privatrechtliche Regelungskonvolut in beiden hier untersuchten Rechtsquellen festgehalten werden, dass sie die Ausnahme und nicht die Regel bilden, so dass sie an der grundsätzlichen Ausrichtung des IPR am Prinzip der engsten Verbindung nichts ändern.406 Wie sich diese kollisionsrechtlichen Besonderheiten erklären lassen, soll später aufgezeigt werden.407 Eine prominente Stellung kommt aber der subjektiven Anknüpfung zu: Heutzutage bieten sowohl das autonome deutsche als auch das europäische IPR verschiedentlich die Möglichkeit, eine Rechtswahl zu treffen – das europäische IPR mehr, das autonome deutsche weniger.408 Es ermöglicht den Parteien – teils beschränkt, teils unbeschränkt – unter den verschiedenen staatlichen Rechtsordnungen zu wählen. Insbesondere im Zusammenhang mit dem europäischen IPR wird davon gesprochen, dass sich die subjektive Anknüpfung aufgrund ihrer Verbreitung mittlerweile zum „zentralen Eckstein“409 oder zum „zweiten Grundprinzip“410 neben dem Prinzip der engsten Verbindung entwickelt habe. Auch das Kollisionsrecht der Geschäftsführung ohne Auftrag ist ein Beispiel für diese Entwicklung: Art. 11 Rom II-VO ist gegenüber einer 404

Looschelders, in: Staudinger, Neubearb. 2019, Einl. IPR Rn. 137. Siehe etwa Art. 17 Abs. 4 Satz 1 EGBGB sowie Art. 11 Abs. 1 Rom I-VO. 406 So auch für das europäische IPR Schwemmer, Anknüpfungsprinzipien, 2018, S. 202. 407 Siehe dazu S. 75 ff., insb. 81 f. 408 Zum europäischen IPR siehe Mansel, in: Leible/Unberath (Hrsg.), Rom 0-Verordnung?, 2013, S. 243, 256 ff. Zu der (schwächer ausgeprägten) Möglichkeit der Rechtswahl im deutschen Recht siehe Looschelders, in: Staudinger, Neubearb. 2019, Einl. IPR Rn. 161 und 163 (vertragliche Schuldverhältnisse und gewillkürte Stellvertretung), 168 (außervertragliche Schuldverhältnisse), 178 (Familienrecht), 186 (Erbrecht) und v. Hein, in: MüKo BGB, 8. Aufl. 2020, Einl. IPR Rn. 35. 409 Mansel, in: Leible/Unberath (Hrsg.), Rom 0-Verordnung?, 2013, S. 243, 261; vgl. auch ErwGr. 11 Rom I-VO. 410 Looschelders, in: Staudinger, Neubearb. 2019, Einl. IPR Rn. 157. 405

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durch Art. 14 Rom II-VO (beschränkt) möglichen Rechtswahl subsidiär; für Art. 39, 41 EGBGB ist die Möglichkeit der subjektiven Anknüpfung nach Art. 42 EGBGB zu beachten. Eine solche subjektive Anknüpfung ist dem „klassischen“ IPR im Sinne Savignys zwar fremd411 und hat mit der in objektiven Kollisionsnormen typisierten, vom Gesetzgeber aufgenommenen Suche nach der engsten Verbindung nichts gemein. Die Rechtswahlmöglichkeit erscheint aber als eine den Parteien eingeräumte Möglichkeit, die Bestimmung der „engsten Verbindung“ und damit letztlich die räumlich gerechte Zuordnung ihrer Sachverhalte zu einer Rechtsordnung (innerhalb der durch die Norm möglicherweise gezogenen Grenzen) selbst zu übernehmen.412 Das ist auch dann der Fall, wenn man die rechtspolitische Rechtfertigung der subjektiven Anknüpfung darin erblickt, dass die Möglichkeit zur Rechtswahl – neben der generellen Förderung der Rechtssicherheit für die Parteien413 – ein „Gegengewicht zu den Ausweichklauseln“414 darstellt, weil sich die an einem Lebenssachverhalt Beteiligten durch eine Rechtswahl den Unwägbarkeiten richterlicher Ermessensausübung im Rahmen der Anwendung einer solchen Ausweichklausel entziehen können.415 Entsprechendes gilt für fakultative Anknüpfungen.416 Es handelt sich also lediglich um eine subjektive Art der Bestimmung der „engsten Verbindung“, die neben die objektive tritt, diese aber nicht ersetzt. Solange keine Rechtswahl getroffen wird bzw. werden kann, ist das objektive Kollisionsrecht anzuwenden. Dass dieses die durch den Gesetzgeber typisierte Verwirklichung der engsten Verbindung anstrebt, ändert sich durch die Existenz der subjektiven Anknüpfungen nicht.

411

Looschelders, in: Staudinger, Neubearb. 2019, Einl. IPR Rn. 157. Vgl. Schurig, in: Mansel (Hrsg.), IPR im 20. Jahrhundert, 2014, S. 5, 23 (speziell zur Bestimmung der „engsten Verbindung“ anhand der Interessenlehre; zu ihr sogleich S. 68 ff.): „Er [der Gesetzgeber, Anm. d. Verf.] kann auch die Interessenbewertung bewusst nicht zu Ende führen, um […] den Parteien generell einen größeren eigenen Spielraum zu lassen von der Hypothese ausgehend, dass diese ihre […] Interessen am besten selbst bewerten könnten.“ So auch ausdrücklich Arnold, in: ders. (Hrsg.), Grundfragen, 2016, S. 23, 28 und Looschelders, in: Staudinger, Neubearb. 2019, Einl. IPR Rn. 159 im Anschluss an Mansel, in: Leible/Unberath (Hrsg.), Rom 0-Verordnung?, 2013, S. 243, 262; Weller, IPRax 2011, 429, 431 f. 413 v. Hein, in: MüKo BGB, 8. Aufl. 2020, Einl. IPR Rn. 36; vgl. auch ErwGr. 31 Rom IIVO. 414 Junker, IPR, 4. Aufl. 2021, § 5 Rn. 17; siehe auch v. Hein, in: MüKo BGB, 8. Aufl. 2020, Einl. IPR Rn. 36. 415 Arnold, in: ders. (Hrsg.), Grundfragen, 2016, S. 23, 28 f. 416 Sie knüpfen ebenso an mehrere Rechtsordnungen an, überlassen aber mindestens einer Partei die Bestimmung der anwendbaren Rechtsordnung, siehe dazu v. Hein, in: MüKo BGB, 8. Aufl. 2020, Einl. IPR Rn. 63 412

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1. Teil: Methodische Grundlegung

B. Interessenlehre im Internationalen Privatrecht I. Einführung und Darstellung Das autonome deutsche und das europäische IPR verweisen mit ihren (objektiven) Kollisionsnormen also grundsätzlich auf die Rechtsordnung, die mit dem Lebenssachverhalt am engsten verbunden ist. Diese „engste Verbindung“ wird dabei, wie gezeigt,417 maßgeblich durch soziale Aspekte bestimmt. Bislang ist allerdings offengeblieben, nach welchen Kriterien der Gesetzgeber diese soziale Bindung konkretisiert, welcher soziale Faktor also letztlich die Entscheidung für einen Anknüpfungspunkt ausschlaggebend beeinflusst. Er benötigt eine „Richtungsvorgabe“ für die Bildung von Kollisionsnormen, der Rechtsanwender sodann für deren Auslegung.418 An diesem Punkt setzt die nach dem Zweiten Weltkrieg entwickelte sogenannte Interessenlehre419 an; vor allem Kegel begründete sie.420 Er meinte, dass spezifische kollisionsrechtliche Interessen – das seien solche, die durch eine kollisionsrechtliche Verweisung verwirklicht würden – für die Bildung von Kollisionsnormen ausschlaggebend seien.421 Damit wurde die Idee der Interessenjurisprudenz, die bereits im späten 19. Jahrhundert für das materielle deutsche Zivilrecht entwickelt wurde, auf das Kollisionsrecht übertragen.422 Diese ist eine Methode, die der Bestimmung des Gesetzeszwecks dient423 und von Jhering begründet, insbesondere aber von Heck, Stoll und Rümelin entscheidend fortentwickelt wurde.424 In der Rechtsprechung war sie lange anerkannt.425 Hinter ihr steht die Grundannahme, dass jede Rechtsnorm Ausdruck 417

Siehe S. 61 ff. Schurig, in: Mansel (Hrsg.), IPR im 20. Jahrhundert, 2014, S. 5, 11. 419 So etwa Otte, in: Mansel (Hrsg.), IPR im 20. Jahrhundert, 2014, S. 27 ff. 420 Kegel, in: FS Lewald, 1953, S. 259. Der Weg hin zu „seiner“ Interessenlehre führte über die „sechs allgemeinen Rechtsgrundsätze oder Maximen des IPR“ nach Wengler (ZöffR 1943/1944, 473 ff.), Zweigerts (FS Raape, 1948, S. 35, 49) Frage nach dem „spezifischen Gerechtigkeitsziel“ des IPR sowie Beitzkes (FS Smend, 1952, S. 2, 14 ff.) Suche nach den das IPR und die dessen Entscheidung tragenden Gründen. Kegel setzte sich kritisch mit den genannten Beiträgen auseinander und baute teilweise darauf auf (Kegel, in: FS Lewald, 1953, S. 259, 267 ff.). Er war es, der die Ideen der Vorgenannten als Interessen erkannte. 421 Kegel, in: FS Lewald, 1953, S. 253, 273 ff. 422 Kegel, in: FS Lewald, 1953, S. 259, 261 ff. Schon der Begründer der Interessenjurisprudenz, Philipp Heck, wollte diese Methode auf der international-privatrechtlichen Ebene etablieren, siehe die Nachweise bei Kegel, aaO, S. 259, 262. Allerdings war seine Forderung nach einer Interessenprüfung im IPR noch nicht ausdrücklich und substantiiert genug, Dornis, RabelsZ 80 (2016), 543, 558; so auch Kegel, aaO. 423 Honsell, in: Staudinger, Neubearb. 2018, Einl. BGB Rn. 178. 424 Siehe die Nachweise bei Möllers, Methodenlehre, 4. Aufl. 2021, § 5 Rn. 19. 425 So schon RG 7.6.1921 – III 508/20 = RGZ 102, 272, 274: „Bei der Rechtsfindung […] müssen […] in erster Linie die wirtschaftlichen Interessen berücksichtigt werden, und das Recht muss ihnen, soweit es nur irgend möglich ist, elastisch angepasst werden. Nur so kann die Rechtsprechung ihrer wahren Aufgabe, dem praktischen Leben, also den Lebensbedürf418

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des Ausgleichs eines gewissen Interessenkonflikts innerhalb der Gesellschaft sei.426 Bei der Normbildung stünden sich stets verschiedene Interessen427 gegenüber, den Ausschlag für die Bevorzugung des einen oder anderen gebe dann das sogenannte „Gemeinschaftsinteresse“ – beispielsweise das Interesse an Verkehrssicherheit.428 Der Konfliktlösungsprozess wurde mit dem tatsächlichen Ablauf des Gesetzgebungsverfahrens verglichen: Dieses diene dazu, konfligierende Interessen in einen Ausgleich zu bringen. Die abschließend gebildete Norm spiegele das Ergebnis der miteinander ringenden Interessen.429 Kegel konstatierte für das IPR zunächst, dass die Interessen hier nicht die aus dem materiellen Recht Bekannten sein konnten, denn jene zielten auf das Ergebnis in der Sache ab; das IPR weise demgegenüber mit dem Prinzip der „engsten Verbindung“ einen gegenüber dem Sachrecht eigenständigen, einen international-privatrechtlichen Gerechtigkeitsgehalt auf.430 Entscheidend seien deshalb vielmehr jene Interessen, die auf die Anwendung einer bestimmten Rechtsordnung als solche gerichtet sind – sogenannte kollisionsrechtliche Interessen.431 Sowohl bei der Bildung als auch bei der Auslegung von Kollisionsnormen gehe es stets um deren „Feststellung, Bewertung und Abwägung“432. Er unterschied verschiedene Typen von international-privatrechtlichen Interessen. Ohne Anspruch auf Vollständigkeit433 nannte er die folgenden drei Gruppen: Partei-, Verkehrs- und Ordnungsinteressen.434 Diese bildete er in seinem Lehrbuch zum IPR gemeinsam mit Schurig weiter aus.435 nissen und Lebensanforderungen zu dienen, gerecht werden.“ Siehe auch BGH 18.5.1955 – I ZR 8/54 = BGHZ 17, 266, 276: „Jedem Gesetz liegt eine Interessenabwägung zugrunde, die in bestimmter Weise auf das soziale Leben einwirken will.“ 426 Möllers, Methodenlehre, 4. Aufl. 2021, § 5 Rn. 19; Honsell, in: Staudinger, Neubearb. 2018, Einl. BGB Rn. 179; BGH 18.5.1955 – I ZR 8/54 = BGHZ 17, 266, 276. Deutlich bei Stoll, Festgabe für Philipp Heck, Max Rümelin und Arthur Benno Schmidt, 1931, S. 60, 66: Die Interessenjurisprudenz „geht davon aus, daß das Recht zweckbewusst von Menschen geschaffen wird und daß alle Rechtssätze auf die Vorstellung und Verfolgung, die Ausgleichung und Durchsetzung von Interessen zurückzuführen sind.“ 427 Der Begriff des „Interesses“ sei dabei weit zu verstehen und umfasse nicht nur materielle, sondern etwa auch ideelle Interessen, siehe Honsell, in: Staudinger, Neubearb. 2018, Einl. BGB Rn. 179. 428 Bydlinski, Methodenlehre, 2. Aufl. 1991, S. 115 mwN. 429 Honsell, in: Staudinger, Neubearb. 2018, Einl. BGB Rn. 179. 430 Kegel, in: FS Lewald, 1953, S. 259, 273; Kegel/Schurig, IPR, 9. Aufl. 2004, S. 132. 431 Kegel/Schurig, IPR, 9. Aufl. 2004, S. 132. Schurig, in: Mansel (Hrsg.), IPR im 20. Jahrhundert, 2014, S. 5, 11; Hirse, Ausweichklausel, 2006, S. 209. 432 Kegel, in: FS Lewald, 1953, S. 259, 261 und 273; siehe auch Kegel/Schurig, 9. Aufl. 2004, S. 132. 433 Siehe Kegel, in: FS Lewald, 1953, S. 259, 279: „Programm muß sein: Weiterentwicklung durch Differenzierung, d.h. durch Aufspüren und Bewerten der […] Interessen im Einzelfall“. 434 Kegel, in: FS Lewald, 1953, S. 259, 274 ff. 435 Kegel/Schurig, IPR, 9. Aufl. 2004, S. 128 ff.

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1. Teil: Methodische Grundlegung

Da die Allgemeinheit ein Interesse an objektiven, also reproduzierbaren Kriterien habe und deshalb abstrakt-generelle Kollisionsnormen zu bilden seien,436 seien einzig „vorgestellte, typisierbare, präsumtive Interessen“437 für die Normbildung von Relevanz. Sie seien sowohl Objekt als auch Maßstab der Wertung.438 Letztlich müsse das „überwiegende“ Interesse bevorzugt werden – konkretere Angaben zu der Frage, wann ein Interesse „überwiegt“, werden indes vermisst;439 Maßstäbe zur Bewertung und Abwägung wurden nicht gegeben,440 so dass der tatsächliche Bewertungs- und Abwägungsvorgang Kegels und Schurigs unklar bleibt. Die Interessentheorie vermag also nur im Nachhinein anhand des gewählten Anknüpfungspunkts aufzeigen, welches Interesse sich im Ergebnis durchgesetzt hat, nicht aber wieso.441 Dies verwundert aber nicht sonderlich, wenn man sich vor Augen führt, dass die Interessentheorie im IPR – wie auch die Interessenjurisprudenz im materiellen Privatrecht442 – primär den Zweck verfolgt, das bestehende kollisionsrechtliche System zu legitimieren.443 II. Kritik Dieser Befund leitet zu der Kritik an der Interessenlehre Kegels und Schurigs über. Sie leidet an dem gleichen theoretischen Mangel wie ihr Pendant aus dem materiellen Privatrecht. Die Vertreter der Interessenjurisprudenz nehmen den Gesetzgeber nicht als ein die Rechtsnorm bildendes, eigenständiges Subjekt wahr, das seine eigene Wertung in die Interessenabwägung einfließen lässt. Vielmehr werden die Gesetze schlicht als „die Resultante der in jeder Rechtsgemeinschaft einander gegenübertretenden und um Anerkennung ringenden Interessen materieller, nationaler, religiöser und ethischer Richtung“444 verstanden. Der Begriff des „Gesetzgebers“ sei lediglich eine Zusammenfassung aller für das Gesetz „kausalen 436

Schurig, Kollisionsnorm, 1981, S. 96 f. Kegel/Schurig, IPR, 9. Aufl. 2004, S. 134. 438 Kegel/Schurig, IPR, 9. Aufl. 2004, S. 133. 439 Hirse, Ausweichklausel, 2006, S. 215 f. zeigt auf, dass sich die Darstellung lediglich in kursorischen Ausführungen und apodiktischen Feststellungen eines durchschlagenden Interesses erschöpft; siehe auch Flessner, Interessenjurisprudenz, 1990, S. 45 f. 440 Sturm/Sturm, in: Staudinger, Neubearb. 2012, Einl. IPR Rn. 59; vgl. auch Sonnenberger, in: MüKo BGB, 5. Aufl. 2010, Einl. IPR Rn. 83 und 93. 441 Siehe dazu Kegel, in: FS Lewald, 1953, S. 259, 274 ff.; Kegel/Schurig, IPR, 9. Aufl. 2004, S. 135 ff. 442 Dazu Honsell, in: Staudinger, Neubearb. 2018, Einl. BGB Rn. 179. 443 Flessner, Interessenjurisprudenz, 1990, S. 14; plastisch Sturm/Sturm, in: Staudinger, Neubearb. 2012, Einl. IPR Rn. 59: Interessenkatalog Kegels solle „offenbar nur mit modernen Waffen die Zitadelle der überkommenen Regeln absichern“. Siehe auch Schurig, RabelsZ 59 (1995), S. 229, 235. 444 Heck, Gesetzesauslegung, 1914, S. 17. 437

§ 2 Zum teleologischen Kriterium

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Interessen“.445 Dies ist aber unzutreffend; der Gesetzgeber darf nicht nur als ein Interessenabwägungsautomat oder „Transformator“446 betrachtet werden. Ihm kommt vielmehr die Aufgabe zu, die miteinander kollidierenden Interessen zu ermitteln und wertend zueinander in Beziehung zu setzen.447 Dieser Wertungsvorgang ist ein Prozess der eigenen menschlichen Stellungnahme, der nicht völlig determiniert ist und deshalb auch nicht mit naturwissenschaftlich anmutender Kausalität („Resultante“) erfasst werden kann.448 Bestimmen lässt sich lediglich, wovon dieser subjektiv geprägte Abwägungsvorgang beeinflusst wird.449 Indem die Vertreter der Interessenjurisprudenz aber einen weiten Interessenbegriff zugrunde legen und die Norm als deren bloße Resultante verstehen, fassen sie die Bewertungsmaßstäbe, nach Heck die sogenannten Gemeinschaftsinteressen,450 mit ein. Dadurch ist es für den Rechtsanwender nicht nachvollziehbar, auf welche Weise der Bewertungs- und Abwägungsvorgang beeinflusst wird, so dass sich die rechtsauslegende oder -fortbildende Rechtsfindung auch nicht daran orientieren kann. Die dargestellten Kritikpunkte treffen auch auf Kegels und Schurigs Interessentheorie zu. Wie gezeigt, versteht sie den ihrer Theorie zugrunde liegenden Interessenbegriff weit und bezieht neben den konkreten Begehrungsvorstellungen der Parteien zugleich die von ihnen als Verkehrs- und Ordnungsinteressen beschriebenen Aspekte ein. Diese Theorie überträgt damit das Bild der (Kollisions-) Norm als eine „Resultante“ aller kollidierenden, kausalen Interessen auf das IPR.451 Zur Verteidigung der Interessentheorie wird gleichwohl angeführt, dass das Kollisionsrecht den weiten Interessenbegriff fordere, weil kollisionsrechtliche Interessen nicht nur von ihrem Gegenstand her, sondern auch hinsichtlich des 445

Heck, Gesetzesauslegung, 1914, S. 64 f. und 8. Begriff bei Larenz, Methodenlehre, 6. Aufl. 1991, S. 51. 447 Bydlinski, Methodenlehre, 2. Aufl. 1991, S. 124. 448 Hirse, Ausweichklausel, 2006, S. 204; siehe auch Bydlinski, Methodenlehre, 2. Aufl. 1991, S. 126 f. 449 Hirse, Ausweichklausel, 2006, S. 204. 450 Siehe Bydlinski, Methodenlehre, 2. Aufl. 1991, S. 115 mwN. 451 Deutlich wird das an dem folgenden Passus: Nach Kegel und Schurig sind Interessen „nicht nur ‚Begehrungsvorstellungen‘, sondern auch und vor allem die hinter einer Rechtsnorm stehenden, teils parallelen, teils gegensätzlichen, einander verstärkenden oder dämpfenden abstrakten gesellschaftlichen ‚Kräfte‘, sozusagen die Vektoren der Rechtsbildung“ (siehe nur Kegel/Schurig, IPR, 9. Aufl. 2004, S. 133). Zwar sprechen Kegel und Schurig an anderer Stelle (aaO, S. 319) davon, dass es für die Entscheidung für einen Anknüpfungspunkt eines „rechtspolitischen Kraftaktes“ bedarf; dieser wird indes gleich im Folgesatz als Ordnungsinteresse bezeichnet. Außerdem kann auch Schurigs Flucht auf ein „Meta-Interesse“ als ein die Bewertungsentscheidung leitendes Interesse höherer Ebene nicht überzeugen. Denn schon er selbst weist darauf hin, dass ein solches „Meta-Systemrecht“ schwer begründbar ist (ders., RabelsZ 59 [1995], 229, 236). Trennte man schlicht zwischen Interesse und Wert, benötigte man dieses aber überhaupt nicht. 446

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1. Teil: Methodische Grundlegung

Interessensubjekts abstrakter seien und innerhalb des engen Interessenbegriffs kein Platz sei für die Berücksichtigung der Interessen von potentiell am Rechtsvorgang Beteiligten; diese würden lediglich den Werten zugerechnet.452 Dabei wird jedoch verkannt, dass auch dieser Personenkreis aus Personen besteht und deshalb auch deren konkrete Begehrungsvorstellungen berücksichtigt werden können. Wieso dies mit einem eng gefassten, nur an menschlichen Begehrungsvorstellungen orientiertem Interessenbegriff nicht möglich sein soll, leuchtet nicht ein. Denn Rechtssicherheit ist letztlich ein Wert, der beispielsweise dem Interesse eines potentiell beteiligten Dritten an der Anwendung des Rechts des Ortes, an dem er mit einer Sache regelmäßig in Berührung kommen wird, namentlich dem Belegenheitsort, zur Geltung verhilft.453 Schließlich kann auch nicht vorgebracht werden, dass Begehrungsvorstellungen an der Anwendung einer Rechtsordnung als solcher bei Zugrundelegung eines engen Interessenbegriffs nur schwer vorstellbar seien.454 Denn schon die Beteiligten eines konkret in Rede stehenden Einzelfalls werden zwar vor allem ein bestimmtes materielles Ergebnis, wie etwa Schadenersatz in einer bestimmten Höhe etc., vor Augen haben. Gleichwohl müssen sie damit zwangsläufig eine Vorstellung davon haben, auf der Grundlage welcher Rechtsordnung sie dieses erreichen können. Auf genau diese werden dann ihre Rechtsanwendungsinteressen gerichtet sein.455 Bei der abstrakten Kollisionsnormbildung können andere Interessen als jene an der Anwendung einer bestimmten Rechtsordnung ohnehin nicht berücksichtigt werden.456 Die vorgetragenen Bedenken gegen die Zugrundelegung eines engen Interessenbegriffs schlagen folglich nicht durch. C. Flessners „reale Interessenjurisprudenz“ I. Darstellung Einen wichtigen Beitrag zu der vorliegenden Thematik leistet Flessner mit seinem Werk „Interessenjurisprudenz im Internationalen Privatrecht“ aus dem Jahre 1990. Er hinterfragt Kegels interessenjuristischen Ansatz kritisch anhand von „vier großen Themen“ des IPR. Anhand dieser zeigt er auf, dass Kegels Ansatz nicht entscheidend zur Lösung dieser Probleme beigetragen hat.457 Dies sieht Flessner darin begründet, dass die von Kegel geforderte „Feststellung, Abwägung und Bewertung“ der Interessen nicht in nachvollziehbarer Art und Weise erfolge.458 Letztlich seien Kegels „Interessen“ keine Interessen im Sinne 452

Kegel/Schurig, IPR, 9. Aufl. 2004, S. 132 f. Siehe zu dieser Begründung Hirse, Ausweichklausel, 2006, S. 216. 454 So aber Kegel/Schurig, IPR, 9. Aufl. 2004, S. 133. 455 Hirse, Ausweichklausel, 2006, S. 218. 456 Dazu später mehr S. 79 ff. 457 Flessner, Interessenjurisprudenz, 1990, S. 47. 458 Flessner, Interessenjurisprudenz, 1990, S. 45 f. 453

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der Interessenjurisprudenz, sondern nur eine Bezeichnung „für das, was man sonst […] ‚Sinn und Zweck der Norm‘[…] oder ähnliches nennen würde“459. Außerdem hätten Kegels Interessen „einen Zug zum Abstrakten, Pauschalen […]“460. Dessen Lehren stellten zu sehr auf Vermutungen hinsichtlich der Parteiinteressen und ihrer Zielsetzung ab und rückten dadurch möglicherweise feststellbare „reale Interessen“ in den Hintergrund.461 Flessner bricht die Schwächen des interessentheoretischen Ansatzes Kegels darauf hinunter, dass sich dieser von der Wirklichkeit der Interessen zu weit entfernt hätte.462 Diese Mängel im theoretischen Fundament seien reparabel und die Interessenjurisprudenz im IPR deshalb nicht aufzugeben; konsequenterweise sieht er sich zu ihrer „Neubegründung und Weiterentwicklung“ aufgerufen.463 Seine Theorie findet ihren Ausgangspunkt in der Feststellung, dass das IPR der „sozialen Realität, die den Bedarf nach [IPR] überhaupt entstehen läßt“, diene. Recht sei „Sozialordnung und muß reale Bedürfnisse von Menschen befriedigen, das internationale Privatrecht deshalb speziell die Bedürfnisse, die aus der Internationalität von Sozialbeziehungen entstehen“.464 Dem IPR komme deshalb dieselbe Aufgabe zu wie dem Privatrecht, namentlich die „Anerkennung oder Abweisung, Koordination oder Abwägung realer menschlicher Interessen, die sich in Konkurrenz oder Konflikt befinden“.465 Daraus zieht er den Schluss, dass Interessenjurisprudenz realistisch orientiert sein müsse.466 Dies gelte sowohl für die Interessenfeststellung als auch für die Interessenbewertung und -abwägung.467 Das „oberste Arbeitsprinzip“ seiner realistischen Interessenjurisprudenz im Rahmen der Interessenfeststellung sei deshalb das Verbot der Interessenleugnung sowie der Interessenerfindung.468 Die Existenz spezifisch kollisionsrechtlicher Interessen bejaht er zwar. Diese genössen den Vorrang allerdings „nur solange die beteiligten Personen über den Inhalt der in Frage kommenden materiellen Rechtssätze nichts wissen und nichts vermuten, vielmehr einer Rechtsordnung allgemein vertrauen, sich mit ihr verbunden fühlen oder die Heranziehung des ‚richtigen‘ Rechts dem Richter überlassen wollen“. Andernfalls würden sie durch sachrechtlich motivierte Anwendungsinteressen „ergänzt, überlagert oder verdrängt in dem Maße, wie die Beteiligten sich des 459

Flessner, Interessenjurisprudenz, 1990, S. 46. Flessner, Interessenjurisprudenz, 1990, S. 45. 461 Flessner, Interessenjurisprudenz, 1990, S. 45 f. 462 Flessner, Interessenjurisprudenz, 1990, S. 47. 463 So ausdrücklich Flessner, Interessenjurisprudenz, 1990, S. 52. 464 Flessner, Interessenjurisprudenz, 1990, S. 49. 465 Flessner, Interessenjurisprudenz, 1990, S. 51 f. 466 Flessner, Interessenjurisprudenz, 1990, S. 52 f. 467 Flessner, Interessenjurisprudenz, 1990, S. 67 (und ff.). 468 Flessner, Interessenjurisprudenz, 1990, S. 53. 460

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1. Teil: Methodische Grundlegung

unterschiedlichen Inhalts der zur Verfügung stehenden Rechtssätze bewußt werden und ihre Belange als davon betroffen ansehen“469. Zu unterscheiden sei dabei allerdings zwischen den Ebenen der Normbildung sowie der Normanwendung. Bei der Aufstellung abstrakt-genereller Normen könnten die Interessen nur als „typische, generalisierte Interessen abstrakt bestimmter Betroffener gedacht werden“470. Konkrete sachrechtlich motivierte Interessen fänden hier naturgemäß keine Berücksichtigung. Bei der Normanwendung allerdings müssen diese dann aber beachtet werden.471 Die einer Kollisionsnorm bei ihrer Bildung zugrunde gelegten Interessen sollen bereits dann verdrängt werden, „wenn die Beteiligten ein Interesse an der Anwendung des einen oder anderen Rechts wegen dessen materiellen Inhalts haben.“472 Die Forderung nach mehr Realismus soll aber nicht nur bei der Interessenfeststellung, sondern auch bei ihrer Bewertung und Abwägung gelten. Da eine abstrakte Beschreibung von Wertmaßstäben und Abwägungskriterien für ein ganzes Rechtsgebiet zu offen und damit wirkungslos sei, verdeutlicht er die Folgen einer an der Realität orientierten Interessenjurisprudenz an ausgewählten Beispielen,473 von deren Darstellung an dieser Stelle abgesehen werden soll. II. Kritik Flessner lehnt den weiten Interessenbegriff Kegels und Schurigs ab und legt seiner „realen Interessenjurisprudenz“ zutreffend nur die konkreten Begehrungsvorstellungen der Beteiligten als Interessen zugrunde. Soweit er auf „Ordnungsinteressen“ oder „Verkehrsinteressen“ rekurriert, scheinen diese bei ihm mehr der Wertungsebene zugeordnet.474 Diese sachliche Trennung zwischen der Interessen- und der Wertungsebene ist zu begrüßen. Allerdings äußert sich Flessner kaum zu der Kollisionsrechtsbildung, so dass seine Arbeit diesbezüglich auch nicht weitergehend kritisch hinterfragt werden kann. Die abstrakt-generellen Kollisionsnormen will er nach dem oben

469

Flessner, Interessenjurisprudenz, 1990, S. 55. Flessner, Interessenjurisprudenz, 1990, S. 57. 471 Alles andere sei „eine inakzeptable Ausblendung eines Sektors der Interessenwirklichkeit“, Flessner, Interessenjurisprudenz, 1990, S. 58. Hierbei sei auch von Relevanz, ob es um die Auslegung in einem anhängigen Verfahren geht. Flessner zufolge habe diese Tatsache Auswirkungen auf die Frage nach dem anwendbaren Recht. Denn „die Kenntnisse, das Verständnis und die Fähigkeiten des angerufenen Richters [bestimmen] entscheidend mit [über die Qualität der Rechtsanwendung]“, was das Rechtsanwendungsinteresse der Beteiligten mitprägen könne, ders., Interessenjurispurdenz, 1990, S. 59 f. 472 Flessner, Interessenjurisprudenz, 1990, S. 92. 473 Flessner, Interessenjurisprudenz, 1990, S. 67 (und ff.). 474 Hirse, Ausweichklausel, 2006, S. 226 Fn. 128. A. A. Schurig, RabelsZ 59 (1995), 229, 236. 470

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Gesagten gerade nicht angetastet wissen.475 Im Wesentlichen fokussiert und kritisiert Flessner die Ebene der Normanwendung, mithin die Interessenfeststellung, -bewertung und -abwägung im konkreten Einzelfall. Genau diese ist für die hier vorliegende Arbeit, die sich den ihr zur Analyse anstehenden Kollisionsnormen im Gegensatz zur praktischen Behandlung konkret-individueller Sachverhalte auf einer abstrakt-generellen Ebene nähern muss, indes unbeachtlich. Erlaubt seien an dieser Stelle aber dennoch kritische Worte zu Flessners Auffassung, wonach sich die der objektiven abstrakt-generellen Kollisionsnorm zugrunde liegenden typisierten kollisionsrechtlichen Interessen schon dann verflüchtigten, wenn konkrete, materiell-rechtlich ausgerichtete Interessen vorhanden sind. Klar ist, dass der Rechtsanwender (gegebenenfalls mit den Mitteln der Rechtsfortbildung) darauf zu reagieren hat, wenn sich die einer Norm zugrunde liegende Interessenlage ändert.476 Dies ist aber nicht so zu verstehen, dass die im Rechtsstreit konkret vorliegende Interessenlage mit jener der Norm zugrunde liegenden, typisierten zu vergleichen ist; vielmehr muss im Zeitpunkt der konkreten Normanwendung eine aktualisierte typische Interessenlage jener aus der Zeit des Normerlasses gegenüber gestellt werden.477 Alles andere unterliefe die (unions-) verfassungsrechtliche Bindung des Richters an Recht und Gesetz.478 Darüber hinaus sind selbst im Rahmen richterlicher Rechtsfortbildung keine konkret-individuellen Interessen berücksichtigungsfähig; die Bewertung und Abwägung der Interessen muss auch hier auf eine typisierte Art und Weise erfolgen.479 Flessners Auffassung präsentiert sich daher in dieser Hinsicht als (unions-) verfassungswidrig. Eine derart flexible Ausgestaltung des Kollisionsrechts kann allenfalls de lege ferenda Bedeutung haben.480 D. Weiterentwicklung hin zu einer wertungsjuristischen Erfassung des IPR Die vorstehende Kritik an der Interessentheorie soll allerdings nicht den großen Verdienst insbesondere Kegels herunterspielen. Wie auch im materiellen Privatrecht tragen die Bemühungen um eine interessenjuristische Erfassung des Rechts und die damit einhergehende Entdeckung der Interessen erheblich zum Normverständnis bei; Normbildung und Normanwendung kommen nicht ohne 475

Dies zeigt sich nicht zuletzt daran, dass er ihre Relevanz als „rechtliche ‚Infrastruktur‘“ (Flessner, Interessenjurisprudenz, 1990, S. 123) anerkennt. 476 Siehe oben S. 25 ff. und 45 f. 477 Ähnlich Schurig, RabelsZ 59 (1995), 229, 239 f.: „Ein Abgehen im Regelfall immer schon dann, wenn die Beteiligten etwas anderes wünschen, […], wäre aber nur denkbar bei einem durch neuere Gesetzgebung ausgewiesenen grundsätzlichen Wertewandel […].“ 478 Sonnenberger, in: MüKo BGB, 5. Aufl. 2010, Einl. IPR Rn. 99; Schurig, RabelsZ 59 (1995), 229, 239. 479 Sonnenberger, in: MüKo BGB, 5. Aufl. 2010, Einl. IPR Rn. 99. 480 Siehe auch Hirse, Ausweichklausel, 2006, S. 227.

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1. Teil: Methodische Grundlegung

Kenntnis und Analyse der ihr zugrunde liegenden Interessen aus.481 Es verwundert daher nicht, dass eine Argumentation anhand von Interessen – gleich wie weit man den Interessenbegriff fasst – in international-privatrechtlichen Arbeiten großen Anklang findet.482 Aus diesem Grund präsentiert sich die im materiellen Privatrecht bereits prominent ausgebildete Wertungsjurisprudenz auch nicht als eine völlig neu entwickelte Rechtstheorie, sondern lediglich als eine Evolution der Interessenjurisprudenz. Sie merzt die Schwächen der Interessenjurisprudenz so weit wie möglich aus und sollte deshalb auf das IPR übertragen werden. I. Wertungsjurisprudenz im materiellen Privatrecht Die Wertungsjurisprudenz greift zunächst die zutreffende Erkenntnis der Interessenjurisprudenz auf, nach der hinter jedem Gesetz Einzelinteressen bzw. Begehrungsvorstellungen stehen, die durch das Gesetz in einen Ausgleich gebracht werden. Anders als die Interessenjurisprudenz fasst sie den Interessenbegriff aber eng und versteht unter ihm nur die konkreten Begehrungsvorstellungen.483 Die Vertreter der Wertungsjurisprudenz erkennen, dass diese Begehrungsvorstellungen anhand bestimmter, von ihnen zu unterscheidender Kriterien bewertet und abgewogen werden müssen.484 Damit setzt sie an dem theoretischen Schwachpunkt der Interessenjurisprudenz an. Die Wertungsjurisprudenz muss sich also fragen, nach welchen Kriterien genau diese Einzelinteressen bewertet und in einen Ausgleich gebracht werden. Ihre Antwort baut sie auf der These auf, dass jeder Rechtsordnung bestimmte Werte inhärent sind, die sich zu einer Wertsynthese zusammenschließen. Auf der daraus folgenden notwendigen Abgrenzung zwischen diesen Werten beruht dann die Bewertung der Interessen. Deshalb bildet die Kenntnis von ihnen die Grundlage des Verständnisses des Gesetzes sowie dessen Auslegung und Fortbildung.485 Dem Gesetzgeber kommt im Rahmen der Gesetzgebung die Abgrenzungsfunktion zu: Er muss unter einer von mehreren Möglichkeiten, den der Norm zugrunde liegenden Konflikt von Einzelinteressen aufzulösen, auswählen und die konfligierenden Einzelinteressen so in einer bestimmten Weise bewerten.486 Hierbei existieren mehrere Möglichkeiten, da Wertungen im Gesetz ihrerseits miteinander kollidieren können. Sie müssen zueinander in Be481 So für das IPR ausdrücklich Sonnenberger, in: MüKo BGB, 5. Aufl. 2010, Einl. IPR Rn. 84. 482 Siehe nur die Nachweise bei Sonnenberger, in: MüKo BGB, 5. Aufl. 2010, Einl. IPR Rn. 94 und Lüderitz, in: FS der Rechtswissenschaftlichen Fakultät zur 600-Jahr-Feier der Universität zu Köln, 1988, S. 271, 280. 483 Siehe Möllers, Methodenlehre, 4. Aufl. 2021, § 5 Rn. 23 mwN. 484 Honsell, in: Staudinger, Neubearb. 2018, Einl. BGB Rn. 183. 485 Honsell, in: Staudinger, Neubearb. 2018, Einl. BGB Rn. 184. 486 Pawlowski, Einführung, 2. Aufl. 2000, Rn. 176.

§ 2 Zum teleologischen Kriterium

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ziehung gesetzt und ebenfalls gegeneinander abgewogen werden.487 Wie dieser Abwägungsprozess vonstatten geht, kann wertungsjuristisch nicht vollständig erfasst werden. Mit der Anerkennung solcher Wertvorstellungen und dem Verständnis von der Rolle des Gesetzgebers werden die dargestellten Kritikpunkte an der Interessenjurisprudenz ausgemerzt: Erstens wird dadurch schärfer zwischen Bewertungsobjekt und -maßstab getrennt und zweitens der wertende, stellungnehmende Charakter des Gesetzgebers hervorgehoben. Es wird aber zugleich die Frage aufgeworfen, welcher Quelle diese Werte entspringen sollen, die der Gesetzgeber gegeneinander abzugrenzen hat.488 Seitdem sich das Verständnis der Verfassung, insbesondere der Grundrechte, dahingehend entwickelt hat, dass sie (auch) eine objektive Werteordnung darstellen,489 liegt es auf der Hand, vor allem diese als Wertquelle anzusehen.490 Davon ausgehend lassen sich die folgenden weiteren Schlüsse ziehen: Jedenfalls nachkonstitutionelles Recht491 stellt sich immer als ein Ausgleich von Einzelinteressen anhand grundrechtlicher Wertungen dar; mit anderen Worten: In einfachgesetzlichen Normen kommen verfassungskonkretisierende Werte zum Ausdruck. Das Recht bewältigt also nicht nur Interessenkonflikte, sondern konkretisiert zugleich das grundgesetzliche Wertesystem.492 Als Ergebnis lässt sich daher festhalten, dass nach der für das materielle Privatrecht entwickelten Wertungsjurisprudenz bei der Norminterpretation anhand des teleologischen Kriteriums der grundgesetzliche Werterahmen und vor allem die in den einfachgesetzlichen Normen erkennbaren Abwägungsergebnisse, d. h. die verfassungskonkretisierenden Wertungen, zu berücksichtigen 487

Vgl. Pawlowski, Einführung, 2. Aufl. 2000, Rn. 184. Honsell, in: Staudinger, Neubearb. 2018, Einl. BGB Rn. 184. 489 Ständige bundesverfassungsgerichtliche Rechtsprechung seit BVerfG 15.1.1958 – 1 BvR 400/51 = BVerfGE 7, 198, 205: Das Grundgesetz hat „in seinem Grundrechtsabschnitt auch eine objektive Wertordnung aufgerichtet […]. Dieses Wertsystem, das seinen Mittelpunkt in der innerhalb der sozialen Gemeinschaft sich frei entfaltenden menschlichen Persönlichkeit und ihrer Würde findet, muß als verfassungsrechtliche Grundentscheidung für alle Bereiche des Rechts gelten […]. [Jede bürgerlich-rechtliche Vorschrift] muß in seinem Geiste ausgelegt werden.“ Siehe aber auch BVerfG 16.1.1957 – 1 BvR 253/56 = BVerfGE 6, 32, 41 (gesamte Verfassung ist Werteordnung). 490 Siehe Möllers, Methodenlehre, 4. Aufl. 2021, § 5 Rn. 25 auch mwN. Der Gedanke, dass Grundrechte eine Wertsynthese darstellen, zu der sich eine bestimmte Nation bekannt habe und unter die sie sich integriere, wurde schon zu Zeiten der Weimarer Reichsverfassung erkannt, siehe Honsell, in: Staudinger, Neubearb. 2018, Einl. BGB Rn. 185. 491 Das Folgende gilt auch für vorkonstitutionelles Recht, wenn ein an das Grundgesetz gebundener Gesetzgeber dieses in seinen Willen und damit in das nachkonstitutionelle Regelungskonvolut aufgenommen hat. Siehe zu den Voraussetzungen für einen solchen Bestätigungswillen nur Sieckmann/Kessal-Wulf, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, 7. Aufl. 2018, Art. 100 Rn. 27 ff. 492 Vgl. auch Säcker, in: MüKo BGB, 9. Aufl. 2021, Einl. BGB Rn. 64 und 67. 488

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1. Teil: Methodische Grundlegung

sind. Aus genau diesem Grund ist im materiellen Privatrecht – und hier wird erstmals ersichtlich, dass sich der Kreis dieses Unterkapitels in seinem weiteren Verlauf schließen wird – vor allem die „innere Systematik“ für die teleologische Auslegung bedeutsam. II. Übertragung auf das IPR Auch für das IPR gilt, dass die Kenntnis und Analyse der dem Fall zugrunde liegenden Interessen unumgänglich sind.493 Es wird zudem erkannt, dass aus ihnen selbst noch nicht die kollisionsrechtlich gerechte Lösung folgt; letztlich entscheidend sind vielmehr die Wertungen.494 Wie genau diese Wertungsebene ausgestaltet ist, soll im Folgenden behandelt werden. Davor ist aber zunächst auf die relevanten Interessen einzugehen. 1. Interessen Auf der Ebene des IPR ist also ebenfalls die These aufzugreifen, wonach jede Kollisionsnorm dem Ausgleich von verschiedenen Interessen dient. Um zu untersuchen, was für Interessen dies sind, soll zuerst auf die Frage eingegangen werden, wer überhaupt als maßgeblicher Interessent in Betracht kommt. a) Maßgeblicher Interessent Dies zu beantworten fällt relativ leicht. Denn das Internationale Privatrecht ist ein Teil des Privatrechts. Es richtet sich – wie auch das materielle Privatrecht – an Private und beansprucht, ihre Beziehung untereinander sachgerecht zu lösen. Auch auf internationaler Ebene geht es dabei um die „Anerkennung oder Abweisung, Koordination oder Abwägung realer menschlicher Interessen, die sich in Konkurrenz oder Konflikt befinden“495. Aus diesem Grund kommen nur die Interessen von Privatrechtssubjekten in Betracht.496 „Interessen“ des Staates sind demgegenüber für die Konkretisierung der engsten Verbindung nicht berücksichtigungsfähig.497 Auch die Rechtsanwender kommen als Interessenten nicht in Betracht, weil das Recht sie in dienender und nicht eigeninteressierter Funktion voraussetzt.498 Im IPR ist somit auf die Bedürfnisse und Vor-

493

So ausdrücklich Sonnenberger, in: MüKo BGB, 5. Aufl. 2010, Einl. IPR Rn. 84; siehe ferner Looschelders, in: Staudinger, Neubearb. 2019, Einl. IPR Rn. 60; v. Hein, in: MüKo BGB, 8. Aufl. 2020, Einl. IPR Rn. 30; Kropholler, IPR, 6. Aufl. 2006, S. 33. 494 Looschelders, in: Staudinger, Neubearb. 2019, Einl. IPR Rn. 60; Kropholler, IPR, 6. Aufl. 2006, S. 33. 495 Flessner, Interessenjurisprudenz, 1990, S. 47 ff., insb. 51 f. 496 Ebenfalls ausschließlich auf private (Rechtsanwendungs-) Interessen abstellend Sonnenberger, in: MüKo BGB, 5. Aufl. 2010, Einl. IPR Rn. 86. 497 Vgl. auch Rauscher, IPR, 5. Aufl. 2017, Rn. 53. 498 Flessner, Interessenjurisprudenz, 1990, S. 91 und 117.

§ 2 Zum teleologischen Kriterium

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stellungen der Adressaten des IPR abzustellen.499 Eine potentielle Betroffenheit genügt, um berücksichtigt zu werden.500 b) Maßgebliche Interessen Den Ausgangspunkt für die Beantwortung der Frage, welche spezifischen Interessen der Privatrechtssubjekte zu beachten sind, bildet die Funktion des IPR. Ihm kommt die Aufgabe zu, die miteinander konkurrierenden materiellen Normen voneinander abzugrenzen und zu ordnen. Dies geschieht durch die räumliche Zuweisung eines Lebenssachverhalts zu einer ganz bestimmten Rechtsordnung.501 Die das IPR beherrschenden Interessen sind aus diesem Grund denknotwendig abstrakter als jene aus dem materiellen Privatrecht: Es kann stets nur um solche Interessen gehen, die auf die Anwendung einer Rechtsordnung als solche gerichtet sind, sogenannte kollisionsrechtliche Interessen.502 aa) Kollisionsrechtliche Interessen „Interessen gibt es viele. Sie sind wandelbar und oft widersprüchlich […].“503 Hiermit bringt Sonnenberger das zentrale Problem einer jeden interessen- oder wertungsjuristischen Arbeit im Rahmen der Interessenfeststellung auf den Punkt: (Kollisionsrechtliche) Interessen existieren in mannigfaltiger Form.504 Die menschlichen Interessen sind zu vielseitig und vielschichtig, als dass ein abschließend gedachter Katalog gebildet werden könnte. Sie sind nicht nur vom in Rede stehenden Sachbereich abhängig, vielmehr können sie auch innerhalb eines solchen zusätzlich durch die Zeit beeinflusst sein.505 Aus diesem Grund wird vorliegend auf den Versuch des Entwurfs eines allumfassenden Interessenkatalogs verzichtet. Nichtsdestotrotz soll noch auf die Frage eingegangen werden, auf welchem Weg die für den jeweiligen Sachbereich maßgeblichen Interessen bestimmt werden. In diesem Zusammenhang wird gefordert, dass Interessen stets empirisch tatsächlich zu ermitteln seien; die Interessenfeststellung obliege also der rechtssoziologischen Forschung.506 Dies könnte damit begründet werden, dass

499

Siehe auch Lüderitz, IPR, 2. Aufl. 1992, Rn. 96. Vgl. Hirse, Ausweichklausel, 2006, S. 216. 501 Vgl. oben S. 61 ff. 502 Kegel, in: FS Lewald, 1953, S. 259, 273; Kegel/Schurig, IPR, 9. Aufl. 2004, S. 132; Schurig, Kollisionsnorm, 1981, S. 96 f.; ebenso Sonnenberger, in: MüKo BGB, 5. Aufl. 2010, Einl. IPR Rn. 86 f. 503 Sonnenberger, in: MüKo BGB, 5. Aufl. 2010, Einl. IPR Rn. 84. 504 Schurig, Kollisionsnorm, 1981, S. 183. 505 Siehe Sonnenberger, in: MüKo BGB, 5. Aufl. 2010, Einl. IPR Rn. 94. 506 So ausdrücklich Sonnenberger, in: MüKo BGB, 5. Aufl. 2010, Einl. IPR Rn. 94 und Hirse, Ausweichklausel, 2006, S. 233. Schon Lüderitz, in: FS Kegel, 1977, S. 31 ff. 500

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1. Teil: Methodische Grundlegung

sich das IPR stets an den realen Bedürfnissen von realen Menschen ausrichten muss und dass nur die Rechtssoziologie diese realen, d. h. wirklich vorhandenen, Interessen der Menschen exakt erfassen könne. Öffnete man sich nicht für diese empirische Tatsachenforschung, verschlösse man die Augen vor der Lebenswirklichkeit und es drohte, dass die einer Norm zugrunde gelegten Interessen nur bloße Fiktionen sind.507 Diese Forderung geht indes zu weit. Zum einen dürfte ihr Gewinn, namentlich die strenge Orientierung an der Lebenswirklichkeit, sich dadurch relativieren, dass auch die durch empirische Forschung gewonnenen Ergebnisse für die Normbildung gewissermaßen typisiert werden müssen. Die Rechtstatsachenforschung verhindert lediglich, dass sich die typisierten Interessen allzu weit von der Lebenswirklichkeit entfernen.508 Zum anderen aber überbetont sie die Relevanz der Interessenfeststellung. Die Interessenforschung ist für die Normzweckerfassung zwar ein wichtiger Ausgangspunkt. Gleichwohl darf man den Interessen selbst nicht zu viel Gewicht beimessen. Sie sind nicht mehr als „heuristische Hilfen der Rechtsbildung“, die auf ihre eigene Abwägung selbst keinen Einfluss haben.509 Wie eingangs schon gesagt wurde, ist für die Kollisionsrechtsbildung am Ende die Wertung entscheidend. Interessen dienen also – mit der Ermittlung des Wortsinnes vergleichbar – nur dazu, das „Spielfeld“ aufzudecken, auf dem sich der Gesetzgeber (und der rechtsauslegende und -fortbildende Richter) mithilfe der Wertungen frei bewegt. Aus diesem Grund genügt es, wenn sich der Gesetzgeber (und auch der rechtsauslegende oder -fortbildende Richter) in die Stellung der potentiell von der Norm Betroffenen versetzt, dabei gegebenenfalls wichtige aktuelle gesellschaftspolitische Themen im Blick hat, und versucht, möglichst viele, differenzierte typischerweise vorhandene Interessen sorgfältig herauszubilden. Dadurch wird ebenfalls verhindert, dass die der Norm zugrunde gelegten Interessen zu bloßen Hypothesen verkommen. Die rechtssoziologische Forschung könnte allerdings dort von Relevanz sein, wo entschieden werden muss, welches Recht genau den Normadressaten beispielsweise „vertraut“ ist: das Recht ihrer Staatsangehörigkeit, ihres gewöhnlichen Aufenthalts oder ihres Wohnortes?

differenzierte die dem Personalstatut zugrunde liegenden Interessen mithilfe der soziologischen Forschung aus. 507 So Hirse, Ausweichklausel, 2006, S. 234. Das könnte auch Flessner mit seiner Forderung nach einem Verbot der Interessenleugnung und -erfindung gemeint haben (Interessenjurisprudenz, 1990, S. 53). Auch er nimmt Bezug auf rechtssoziologische Forschung (aaO, S. 32 ff., 38 f.). 508 So letztlich auch Hirse, Ausweichklausel, 2006, S. 234. 509 Sonnenberger, in: MüKo BGB, 5. Aufl. 2010, Einl. IPR Rn. 93.

§ 2 Zum teleologischen Kriterium

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bb) Existenz materiell-rechtlich motivierter Interessen? Problematisch ist daneben die Frage, inwieweit materiell-rechtlich motivierte Interessen vorhanden und berücksichtigungsfähig sind. Die Existenz solcher Interessen im konkreten Einzelfall lässt sich nicht leugnen, weil insbesondere für Rechtslaien das, was „am Ende rauskommt“, interessanter sein wird als der rechtstechnische Weg dorthin. Insofern ergibt sich auch durch die Internationalität des Sachverhalts keine Abweichung vom reinen Inlandsfall.510 Ihre Berücksichtigung auch auf einer abstrakten Ebene wie die der Kollisionsnormbildung ist aber schwierig, da auch materiell-rechtlich motivierte Interessen in diesem Rahmen nur typisiert berücksichtigt werden.511 Hier müssen materiell-rechtlich orientierte Interessen abstrakt formuliert, d. h. in kollisionsrechtliche übersetzt werden, um beachtet werden zu können. Diese Übersetzung geschieht im Rahmen der Normbildung durch die Verwendung mehrerer Anknüpfungspunkte. So kann der Gesetzgeber die räumliche Zuordnung eines Sachverhalts zu einer Rechtsordnung wie beispielsweise im Rahmen der subjektiven Anknüpfung gar nicht vornehmen und diese damit den Parteien eines konkreten Rechtsstreits überlassen.512 Aber nicht nur die Parteiautonomie im IPR gibt über die Berücksichtigung materiell-rechtlich orientierter Interessen beredtes Zeugnis: Der Gesetzgeber hat auch die Möglichkeit, die räumliche Zuordnung selbst und gleich mehrfach vorzunehmen. Indem mehrere Rechtsordnungen gleichzeitig berufen werden, steigt oder sinkt die Wahrscheinlichkeit, dass ein bestimmtes materielles Ergebnis erzielt wird. Auf diese Weise wird eine – freilich abstrakte – Berücksichtigung materieller Interessen auch bei der Aufstellung von Kollisionsnormen möglich.513 Wie dies konkret gelingt, lässt sich am Regelungssystem des autonomen deutschen und europäischen IPR verdeutlichen; die dort vorhandenen Alternativ-514 und Kumulativ510 Vgl. Flessner, Interessenjurisprudenz, 1990, S. 51 f. So argumentiert auch Hirse, Ausweichklausel, 2006, S. 235 f. 511 So auch Hirse, Ausweichklausel, 2006, S. 235 f.; Otte, in: Mansel (Hrsg.), IPR im 20. Jahrhundert, 2014, S. 27, 38. 512 Die parteiautonome Auswahl eines Rechts wird in erster Linie durch dessen materiellrechtlichen Inhalt bestimmt, Hirse, Ausweichklausel, 2006, S. 236. 513 Hirse, Ausweichklausel, 2006, S. 237. 514 Alternative Anknüpfungen dienen dazu, die Erreichung eines abstrakten bzw. typischerweise gewollten oder wünschenswerten materiellen Ergebnisses zu begünstigen, indem gleich mehrere Rechtsordnungen zur Verfügung gestellt werden. Dadurch erhöht sich die Wahrscheinlichkeit, dass unter ihnen eine Rechtsordnung ist, die das gewünschte Ergebnis erzielt, siehe Rauscher, IPR, 5. Aufl. 2017, Rn. 317 und auch Junker, IPR, 4. Aufl. 2021, § 6 Rn. 56. Die fakultative Anknüpfung knüpft demgegenüber zwar ebenfalls an mehrere Rechtsordnungen an, überlasst aber mindestens einer Partei die Bestimmung der letztlich anwendbaren, v. Hein, in: MüKo BGB, 8. Aufl. 2020, Einl. IPR Rn. 63. Hierbei wird sich die betroffene Partei meist durch den materiellen Inhalt einer Rechtsordnung leiten lassen, so dass auch die fakultative Anknüpfung materiell-rechtliche Interessen unterstützt.

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1. Teil: Methodische Grundlegung

anknüpfungen515 sind beispielsweise ebenfalls Ausdruck materieller Interessen. 2. Einschränkung Die gerade gewonnenen Erkenntnisse bedürfen aber einer entscheidenden Einschränkung. Denn im materiellen Privatrecht ist zu beobachten, dass der Gesetzgeber der hier beschriebenen Feststellung, Bewertung und Abwägung von privaten Interessen nicht immer folgt, sondern zum Wohle der Allgemeinheit regulierend tätig wird. In den beschriebenen Bereichen geht die kollisionsrechtliche Fragestellung nicht vom Lebenssachverhalt, sondern von der Sachrechtsnorm aus. Die dem Allgemeinwohl dienende jeweilige Sondernorm wird nach ihrem „internationalen Anwendungswillen“ befragt und strahlt dann gegebenenfalls in das IPR hinein. Damit verdrängt sie den durch die Kollisionsnormen entschiedenen Interessenkonflikt, soweit ihr eigener materieller Anwendungsbereich reicht und sie zudem auch internationale Geltung beansprucht. Diese Regelungen sind im IPR als Eingriffsnormen bekannt und werden, weil sie eine Ausnahme vom oben beschriebenen Grundsatz darstellen, kollisionsrechtlich gesondert behandelt.516 3. Maßstäbe für die Bewertung der (kollisionsrechtlichen) Interessen Fraglich ist schließlich, woher die Bewertungsmaßstäbe für das IPR kommen. Die Antwort fällt zunächst recht leicht. a) Dem IPR immanente Wertungen Zu beachten sind selbstverständlich die Normen des besonderen Teils des IPR. Diese sind selbst jeweils ein Ausgleich der konfligierenden kollisionsrechtlichen Interessen. In ihnen tritt deshalb zugleich auch eine (kollisionsrechtliche) Wertentscheidung des Gesetzgebers zutage. Auf autonomer nationaler Ebene sind dabei die Normen des EGBGB und gegebenenfalls ratifizierte Staatsverträge zu sehen, auf europäischer Ebene demgegenüber Normen des europäischen IPR.517 Auf genau diese Wertungen kann im Rahmen der Normbildung und muss im Rahmen der Normanwendung zurückgegriffen werden. Mit Blick 515

Eine kumulative Anknüpfung verfolgt stets ein der alternativen Anknüpfung diametral gegenüberstehendes Ziel: Eine materielle Rechtsfolge soll nur dann eintreten, wenn alle durch die Kollisionsnorm berufenen Rechtsordnungen ihr bejahend gegenüberstehen, Junker, IPR, 4. Aufl. 2021, § 6 Rn. 57 f. 516 Diese Einschränkung hat Hirse, Ausweichklausel, 2006, S. 231 f. aufgezeigt, der allerdings den Begriff des „Gemeinschaftsinteresses“ nutzt. Da Interessen aber nicht mehr als menschliche Begehrungsvorstellung sind und deshalb nur der einzelne Mensch, niemals aber eine Gemeinschaft ihr Träger sein kann, ist dieser Begriff hier mit dem des Allgemeinwohls ersetzt worden. 517 Vgl. Kropholler, IPR, 6. Aufl. 2006, S. 33.

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auf das systematische Auslegungskriterium stellt diese Erkenntnis in methodischer Hinsicht jedoch noch keine Besonderheit dar. b) Wertungen des Sachrechts? Eine (vermeintliche) international-privatrechtliche Eigenart zeigt sich aber an der Frage, ob auch aus dem Sachrecht Wertungen für die Kollisionsrechtsbildung gewonnen werden können. Nimmt man das Ideal einer widerspruchsfreien und kohärenten Gesamtrechtsordnung ernst, müssten die IPR-Normen konsequenterweise auch auf die im Sachrecht zum Ausdruck kommenden Wertungen abgestimmt werden. Dies war aber nicht immer unumstritten, wie sogleich zu zeigen sein wird. aa) (Unions-) Verfassungsrecht (1) Autonomes deutsches IPR So war schon die Bedeutung des Grundgesetzes – insbesondere des Gleichberechtigungsgebots – für das IPR lange Zeit Gegenstand intensiver Diskussion. Zwar ist das autonome deutsche IPR insbesondere im EGBGB kodifiziert und damit als einfaches Gesetzesrecht prinzipiell auch dem Grundgesetz unterworfen, vgl. Art. 1 Abs. 3, 20 Abs. 3 GG. Gleichwohl argumentierte man, dass das IPR bloßen Ordnungscharakter habe, so dass die Vereinbarkeit der deutschen Kollisionsnormen selbst mit dem Grundgesetz, insbesondere den Grundrechten, lediglich summarisch geprüft werden müsse oder gar nur auf das Willkürverbot oder die Wesensgehaltsgarantie nach Art. 19 Abs. 2 GG beschränkt sei.518 Dass das IPR und seine Normen aber gleichwohl dem Grundgesetz unterworfen sind, hat das BVerfG in seiner sogenannten „Spanier-Entscheidung“ mit Verweis auf Art. 1 Abs. 3 GG klargestellt.519 Deutsche Kollisionsnormen sind als nationales Recht daher vollständig an den Grundrechten zu messen. Ist diese Verbindung zwischen IPR und den Grundrechten erst einmal hergestellt, kann der Schluss, dass auch das gesamte Grundgesetz als objektive Werteordnung für die Bildung und Anwendung der IPR-Normen fruchtbar gemacht werden kann, leicht gezogen werden. Dies gilt nicht nur für die übrigen Grundrechte, die in den zitierten bundesverfassungsgerichtlichen Entscheidungen, welche das autonome deutsche IPR lediglich auf ihre Vereinbarkeit mit Art. 3 und 6 Abs. 1 GG hin überprüften, nicht thematisiert wurden.520 Daneben 518

Siehe die Nachweise bei BVerfG 4.5.1972 – 1 BvR 636/68 = BVerfGE 31, 58, 71 f. BVerfG 4.5.1972 – 1 BvR 636/68 = BVerfGE 31, 58, 72 f.; bestätigend etwa BVerfG 22.2.1983 – 1 BvL 17/81 = BVerfGE 63, 181, 195. Im Anschluss dann auch BGH 8.12.1982 – IVb ZR 334/81 = NJW 1983, 1259, 1260. 520 So weisen v. Bar und Mankowski in ihrem Lehrbruch (IPR Bd. 1, 2. Aufl. 2003, § 4 Rn. 49) auf weitere Fragestellungen aus dem Bereich IPR und Grundrechte, speziell der Freiheitsgrundrechte, hin. 519

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1. Teil: Methodische Grundlegung

enthält auch der staatsorganisationsrechtliche Teil eine Reihe von Wertungen und kann deshalb – wie auch im materiellen Privatrecht – als Wertquelle dienen.521 Zudem sind auch die subjektiv-rechtlichen Garantien des Unionsrechts zu beachten.522 (2) Europäisches IPR Vergleichbares lässt sich auf der europäischen Ebene festhalten. Das Sekundärrecht der EU hat sich nicht nur an den subjektiv-rechtlichen Garantien des Unionsrechts zu messen.523 Darüber hinaus ist auch das übrige Primärrecht der EU bei der Bildung international-privatrechtlicher Normen zu berücksichtigen. Dessen Einfluss hat jüngst Anja Sophia Schwemmer524 in monographischem Umfang herausgearbeitet. Ihre wesentlichen Überlegungen sollen im Folgenden kurz skizziert werden: Den Ausgangspunkt bildet die Erkenntnis, dass der unionsgesetzgeberische Handlungsspielraum aufgrund der besonderen Rechtsnatur der EU beschränkt ist. Obwohl ihre Struktur über eine typische internationale Organisation hinausgeht, kommt ihr dennoch keine Staatsqualität zu. Sie ist eine „Vertragsunion souveräner Staaten“525 und damit lediglich staatsvertraglich erfasst. Ihre Hoheitsrechte leitet sie von ihren souveränen Mitgliedstaaten ab. Diese übertragen ihr punktuell, vgl. Art. 5 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 EUV, ihre Zuständigkeiten zur Verwirklichung ihrer gemeinsamen Ziele, Art. 1 Abs. 1 EUV.526 Diese Ziele sind insbesondere in Art. 3 EUV niedergelegt und gemäß Art. 7 AEUV in allen Bereichen der Unionspolitik verbindlich. Sie sind dabei selbstverständlich nicht nur auf der Ebene der Rechtsanwendung durch die Unionsorgane, sondern insbesondere auch im Rahmen der Rechtsetzung durch den europäischen Gesetzgeber zu beachten. Konkret bedeutet dies, dass die Rechtsetzung 521 Vgl. auch BVerfG 16.1.1957 – 1 BvR 253/56 = BVerfGE 6, 32, 41 (gesamte Verfassung ist Werteordnung). 522 Zum Begriff der subjektiv-rechtlichen Garantien siehe Schwemmer, Anknüpfungsprinzipien, 2018, S. 28 f. Dies hat der EuGH in mehreren Entscheidungen betreffend insbesondere das Internationale Namensrecht (Junker, IPR, 4. Aufl. 2021, § 13 Rn. 33 mwN auf die Rspr. des EuGH) und das Internationale Gesellschaftsrecht (Junker, IPR, 4. Aufl. 2021, § 13 Rn. 53 mwN auf die Rspr. des EuGH) klargestellt. Mansel (RabelsZ 70 [2006], S. 651, 677) zeigt auf, dass sich aus der Einwirkung der Grundfreiheiten kein europäisches IPR bildet, sondern es sich lediglich um ein primärrechtskonformes autonomes deutsches IPR handelt, da die Grundfreiheiten nur das Ziel, nicht aber den methodischen Weg dorthin vorgeben. Er hebt die bestehende Parallele zur Einwirkung der Grundrechte auf das IPR hervor. 523 Dass nicht nur die Mitgliedstaaten, sondern auch der Unionsgesetzgeber an sie gebunden ist, ist h. M., siehe nur Schwemmer, Anknüpfungsprinzipien, 2018, S. 28 mwN auf die Rechtswissenschaft und die EuGH-Judikatur. 524 Anknüpfungsprinzipien, 2018, S. 22 ff. 525 BVerfG 30.6.2009 – 2 BvE 2/08 u. a. = BVerfGE 123, 267. 526 Schwemmer, Anknüpfungsprinzipien, 2018, S. 22 f.

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der EU nur dann legitimiert ist, wenn sie zur Verwirklichung dieser Ziele beiträgt.527 Besonders deutlich trete diese Rückbindung an die Ziele der EU am Beispiel des europäischen Internationalen Wirtschaftsrecht, namentlich der Rom I-VO, Rom II-VO und der EuInsVO zutage. Denn diese Sekundärrechtsakte stützen sich auf den mit dem Vertrag von Amsterdam im Jahre 1999 geschaffenen Kompetenztitel Art. 65 lit. b) EGV i. V. m. Art. 61 lit. c) EGV. Tatbestandsvoraussetzung ist nach Art. 65 lit. b) EGV insbesondere die Erforderlichkeit der Maßnahme für das reibungslose Funktionieren des Binnenmarktes. Darin sieht Schwemmer die Rückbindung der Kollisionsrechtsvereinheitlichung an das Binnenmarktziel, welches wiederum insbesondere in Art. 3 Abs. 3 EUV genannt wird.528 Jene Kollisionsrechtsakte, die seit dem Vertrag von Lissabon erlassen wurden (oder noch erlassen werden), sind indes ihrer Auffassung nach nicht mehr nur an die Verwirklichung des Binnenmarktzieles gekoppelt. Denn der neu gefasste Kompetenztitel für die Kollisionsrechtsvereinheitlichung, Art. 81 Abs. 2 lit. c) AEUV, gibt die Binnenmarktförderung nur noch als ein Regelbeispiel für die mit der Schaffung eines europäischen IPR zu erreichenden Ziele aus.529 Da allerdings die wirtschaftsrechtlich ausgerichteten IPR-Verordnungen eben auf Basis des Vertrags von Amsterdam und dessen Kompetenztitel erlassen wurden, seien diese insbesondere an den Erfordernissen des Binnenmarktes zwingend auszurichten.530 Konsequenterweise erkennt Schwemmer an vielen Stellen des europäischen Kollisionsrechts eine entsprechende primärrechtliche Ausrichtung.531 527 Schwemmer, Anknüpfungsprinzipien, 2018, S. 23 f.; siehe auch Weller, RabelsZ 81 (2017), 747, 758. 528 Schwemmer, Anknüpfungsprinzipien, 2018, S. 25 f. im Anschluss an Weller IPRax 2011, 429, 433 und 436; siehe auch ders., in: Arnold (Hrsg.), Grundfragen, 2016, S. 133, 143. 529 Schwemmer, Anknüpfungsprinzipien, 2018, S. 26 f.; die Rückbindung des europäischen Gesetzgebers an die in Art. 3 EUV niedergelegten Ziele über die Kompetenznorm und das Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung ebenfalls begründend Weller, RabelsZ 81 (2017), 747, 758 f.; ders., in: Arnold (Hrsg.), Grundfragen, 2016, S. 133, 142; siehe zur „Entkoppelung des IPR vom Binnenmarkt“ und dem Bedeutungsgewinn des „Raum des Rechts“ auch ders., IPRax 2011, 429, 436; siehe ferner Roth, AcP 220 (2020), 458, 472. 530 Schwemmer, Anknüpfungsprinzipien, 2018, S. 27. 531 Schwemmer, Anknüpfungsprinzipien, 2018, S. 41 ff. In der Parteiautonomie sieht sie beispielsweise eine Ausprägung des Binnenmarktzieles, weil diese nicht nur mobilitätsfördernd wirkt, sondern auch ökonomischen Effizienzerwägungen gerecht wird (aaO, S. 84 und 137). Aus sozialpolitischen Gründen wird die Rechtswahlfreiheit aber zugunsten des Schwächerenschutzes eingeschränkt (aaO, S. 155). Auch die Abkehr vom Staatsangehörigkeitsprinzip zugunsten der Anknüpfung an den gewöhnlichen Aufenthalt führt sie auf die Verwirklichung des Binnenmarktzieles zurück, da diese Ausdruck eines Mobilitätsparadigmas und dem Ideal der Diskriminierungsfreiheit sei (aaO, S. 106).

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1. Teil: Methodische Grundlegung

Ob man der Auffassung hinsichtlich der strengen, zwingenden Rückkopplung der Rom I-VO, Rom II-VO und der EuInsVO an das Binnenmarktziel teilen möchte oder ob man die in Art. 65 lit. b) EGV genannte Erforderlichkeitsklausel sowie ferner das aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 EUV folgende Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung bereits dadurch als erfüllt ansieht, dass überhaupt ein europäisch vereinheitlichtes IPR geschaffen und damit letztlich forum shopping vermieden sowie ein europäischer Entscheidungseinklang erreicht wird,532 kann hier dahinstehen. Denn letztlich hat ihre Untersuchung gezeigt, dass die EU ihre verschiedenen Ziele auch mit dem IPR verfolgt.533 Ob dies nun aufgrund primärrechtlichen Zwangs geschieht oder nur, weil auch der europäische Gesetzgeber um Systembildung bemüht ist und das Primärrecht der EU einfach deutlich zielorientierter formuliert ist als das Grundgesetz, soll und kann hier offenbleiben. In beiden Fällen jedenfalls steht das Primärrecht der EU als Wertquelle zur Verfügung. bb) Materielles Privatrecht Aber auch das materielle Privatrecht stellt eine Wertquelle dar. Im Folgenden sollen erneut beide Rechtsquellen differenziert betrachtet werden, da, wie gleich zu zeigen sein wird, auf europäischer Ebene aufgrund der Eigenarten des Unionsrechts Besonderheiten gegenüber der deutschen Rechtsordnung bestehen. (1) Autonomes deutsches IPR Der Schluss, dass auch das materielle Privatrecht im autonomen deutschen IPR als eine Wertquelle dient, liegt nach dem bisher Gesagten nahe. Denn wer die Verfassung als eine solche begreift, an der sich jede nachrangige Norm auszurichten hat, muss auch das materielle Privatrecht ebenso wie die einfachgesetzlichen Normen des IPR jeweils als eine Konkretisierung der grundgesetzlichen Wertentscheidungen verstehen.534 Das IPR ist als ein Teilgebiet einer Gesamtrechtsordnung zu betrachten und bildet daher keine Ausnahme zum Ideal der Widerspruchsfreiheit und Kohärenz der Rechtsordnung. Seine Werturteile müssen deshalb ebenso auf die des materiellen Privatrechts abgestimmt sein wie auf jene des Grundgesetzes. Hierbei ist das materielle Privatrecht sogar von größerer Relevanz, da es bereits ausdifferenzierte verfassungsrechtliche Wertentscheidungen enthält und es zudem keine (geschriebene oder ungeschriebene) Regelung des deutschen materiellen Privatrechts gibt, die nicht ein (geschriebenes oder ungeschriebenes) kollisionsrechtliches Pendant hat. Das 532 Vgl. die Begründung des Kommissionsvorschlags zur Rom II-VO KOM (2003) 427 endg., S. 8. 533 Siehe dazu auch Roth, AcP 220 (2020), 458, 480 ff. 534 Vgl. auch die Wertungsjurisprudenz im materiellen Recht S. 76 ff.

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IPR kann sich daher stets an ihnen orientieren. Dass der deutsche Gesetzgeber dies tut, ist schon lange bekannt.535 (2) Europäisches IPR Soweit auf europäischer Ebene ebenfalls materielles Privatrecht vorhanden ist – sei es in Form von Verordnungen oder Richtlinien –, gilt hier aufgrund des soeben Gesagten Entsprechendes.536 Allerdings ist das europäische materielle Privatrecht keinesfalls mit der deutschen materiellen Privatrechtsordnung vergleichbar, da es im Gegensatz zu ihr nicht auf Lückenlosigkeit angelegt ist; weite Bereiche des europäischen Privatrechts sind bis heute nicht geregelt und werden es wohl auch nie sein, da der EU in weiten Teilen schlichtweg die Kompetenzen zum Normerlass fehlen. Wo aber kein europäisches Privatrecht existiert, kann es auch nicht als Wertquelle dienen. Allerdings bedeutet dies nicht, dass an diesen Stellen die Ebene des materiellen Privatrechts bedeutungslos ist. Wie bereits gezeigt, ist die EU in ihrer Entstehung und ihren (Gesetzgebungs-) Kompetenzen abhängig von ihren Mitgliedstaaten. Diese übertragen ihr vereinzelt Kompetenztitel in Bereichen, in denen diese sich eine europäisch vereinheitlichte Regelung wünschen. Ist eine solche Kompetenz übertragen, bleibt die EU von den Wünschen ihrer Mitgliedstaaten abhängig, welche sich im Primärrecht der EU ausdrücken. Die Verträge beinhalten also die gemeinsamen politischen Zielvorstellungen der Mitgliedstaaten, die Mitgliedstaaten sind die „Herren der Verträge“537. Das Sekundärrecht differenziert diese Zielvorstellungen weiter aus. Daher können die in den materiellen mitgliedstaatlichen Privatrechtsordnungen erkennbaren Wertvorstellungen, die ihrerseits eine ausdifferenzierte Form der jeweiligen Verfassung der Mitgliedstaaten darstellen, ebenso wie die des Sekundärrechts für die Bildung, Auslegung und Fortbildung des europäischen Sekundärrechts herangezogen werden, solange sich eine bestimmte Wertung in einer Mehrzahl von 535 Siehe nur Kahn, IPR, 1928, S. 493 (Sachrecht ist der Stoff, aus dem Kollisionsrecht gemacht wird); Wengler, ZöffR 1943/1944, 473, 480 ff. (Zweck der Sachnorm); Siehr, RabelsZ 37 (1973), 466 ff.; Neuhaus, Grundbegriffe, 2. Aufl. 1976, S. 45 und Kropholler, IPR, 6. Aufl. 2006, S. 33 („IPR ist nicht nur an eigene Gesetzlichkeit gebunden, sondern an die Wertentscheidungen der Rechtsordnungen als ganzer“); ders., RabelsZ 42 (1978), 634, 660. Siehe auch v. Hein, in: MüKo BGB, 8. Aufl. 2020, Einl. IPR Rn. 30 (IPR muss Funktionen des Sachrechts Rechnung tragen) und v. Bar/Mankowski, IPR Bd. 1, 2. Aufl. 2003, § 6 Rn. 94 ff.; vgl. auch Rauscher, IPR, 5. Aufl. 2017, Rn. 72. Auch Kegel und Schurig (IPR, 9. Aufl. 2004, S. 132, 145) anerkennen einen funktionellen Zusammenhang zwischen IPR und Sachrecht; siehe auch Schurig, in: Mansel (Hrsg.), IPR im 20. Jahrhundert, 2014, S. 5, 18 f.; ders., Kollisionsnorm, 1981, S. 99, 211. 536 Bereits oben wurde gezeigt, dass sich der EuGH zur Auslegung des Primärrechts auch des Sekundärrechts bedient, weil dieses die primärrechtlichen Ziele konkretisiert, siehe oben S. 39. 537 Siehe BVerfG 30.6.2009 – 2 BvE 2/08 u. a. = BVerfGE 123, 267, 349 f.

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Rechtsordnungen findet und keine andere dieser zuwiderläuft.538 Denn dann ist es möglich, wie beim Sekundärrecht von einem „mitgliedstaatlichen Kompromiss an Werten“ zu sprechen. Man kann es auch mit den Worten des EuGH ausdrücken: „[…] das Gemeinschaftsrecht beruht darauf, daß die Mitgliedstaaten nicht nur auf wirtschaftlichem, sondern auch auf rechtlichem Gebiet miteinander verflochten sind, und [dieses] muß daher den Grundsätzen und Vorstellungen Rechnung tragen, die den Rechtsordnungen dieser Staaten […] gemeinsam sind.“539 Das europäische IPR nimmt deshalb Rücksicht auf die Wertungen der mitgliedstaatlichen Sachrechtsordnungen.540 cc) Kollisionsrechtliche Umsetzung Wichtig ist indes, dass die Wertungen des Sachrechts nicht leichthin auf das IPR übertragen werden können. Die dort zutage tretenden Wertungen sind Ausdruck eines Ausgleichs materieller Interessen, im Kollisionsrecht werden demgegenüber, aufgrund der Abstraktheit des IPR, kollisionsrechtliche Interessen gegeneinander abgewogen. Aus diesem Grund müssen materiell-rechtliche Wertentscheidungen in kollisionsrechtliche übersetzt werden; beide stehen deshalb zueinander in einer Art der „Parallelität“ 541. Zieht man beispielsweise die Ausgestaltung der gemäß Art. 2 Abs. 1 GG verfassungsrechtlich gebotenen und auf materieller Ebene umgesetzten Privatautonomie heran, so wird deutlich, dass sich diese gerade dadurch auszeichnet, dass die Parteien schon durch ihre Erklärungen unmittelbar eine materielle Rechtsfolge herbeiführen können, vgl. §§ 311 Abs. 1, 241 Abs. 1 BGB. Auf international-privatrechtlicher Ebene kann die Privatautonomie dagegen denknotwendig nur abstrakter verstanden werden: Privatautonomie bedeutet hier, dass die Parteien ein ihnen genehmes Recht grundsätzlich nach Gutdünken bestimmen können.542 Zwar wird dabei – vor allem bei rechtlich beratenen Parteien – die günstigere materielle Rechtsfolge regelmäßig den Ausschlag geben. Diese wird so aber jedenfalls nur mittelbar durch die Erklärung einer Rechtswahl erreicht. Eine dementsprechende Übersetzung materiell-rechtlicher Wertungen kann auch an anderen Stellen beobachtet werden: So erfahren etwa Personen, die im

538

Siehe auch schon oben S. 58 f. EuGH 18.5.1982, Rs. 155/79 = NJW 1983, 503, 504. Siehe auch Jacob/Kottmann, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, 74. EL September 2021, Art. 340 AEUV Rn. 32 („fundamentale Verwobenheit von Unionsrecht und innerstaatlichem Recht“). 540 Siehe etwa ErwGr. 16 Rom II-VO. Den Zusammenhang zwischen europäischem IPR und mitgliedstaatlichen Sachrechtsordnungen hat zudem Roth, AcP 220 (2020), 458, 482 ff. aufgezeigt. 541 Kropholler, IPR, 6. Aufl. 2006, S. 34; Schurig, Kollisionsnorm, 1981, S. 212. 542 Looschelders, in: Staudinger, Neubearb. 2019, Einl. IPR Rn. 62. 539

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materiellen Privatrecht besonders geschützt werden, auch im IPR eine gewisse – kollisionsrechtlich ausgestaltete – Protektion.543 dd) Vereinbarkeit mit der international-privatrechtlichen Gerechtigkeit? Ein solches sachrechtsorientiertes IPR wird heute vereinzelt als dem „klassischen“ IPR im Sinne Savignys zuwiderlaufend bezeichnet, da dies mit der international-privatrechtlichen Gerechtigkeit, die in dem Prinzip der engsten Verbindung zum Ausdruck kommt, nichts mehr gemein habe. Diese sei lediglich dann verwirklicht, wenn das IPR wertneutral und nur dem Ideal des internationalen Entscheidungseinklangs verpflichtet ist.544 Bevor auf diese These eingegangen wird, soll in Erinnerung gerufen werden, dass das Prinzip der engsten Verbindung eine an sozialen Faktoren gemessene, räumlich gerechte Zuordnung einer Rechtsordnung zu einem bestimmten Lebenssachverhalt verlangt.545 Jene Anknüpfungen, die mehrere Rechtsordnungen gleichzeitig zur Anwendung berufen und damit materiell-rechtlich orientierte Interessen durchsetzen, fallen vor diesem Hintergrund natürlich heraus; sie verabschieden sich von dem mit diesem Prinzip ausgedrückten Gedanken, abstrakt-generell einen Lebenssachverhalt mit einer Rechtsordnung zu verbinden. Um sie geht es vorliegend aber auch nicht. Hier ist die Frage maßgeblich, wie es um jene (objektiven) Anknüpfungen steht, die einen Lebenssachverhalt ausschließlich einer Rechtsordnung zuweisen. Ist eine offene Ausrichtung der IPR-Normen an der Werteordnung der Verfassung sowie dem materiellen Privatrecht mit der international-privatrechtlichen Gerechtigkeit wirklich unvereinbar? Richtig ist zunächst, dass mit der Suche nach dem räumlich besten Recht die Gleichwertigkeit von in- und ausländischer Rechtsordnung betont werden soll.546 Hieraus kann auf die Gleichwertigkeit aller staatlichen Rechtsordnungen geschlossen werden.547 Unzutreffend ist aber die Folgerung, dass das IPR deshalb wertneutral und nur am internationalen Entscheidungseinklang orientiert sein dürfe. Denn das IPR soll sich lediglich vom Inhalt des potentiell durch ihn berufenen Sachrechts unbeeindruckt zeigen.548 543 Vgl. Kropholler, IPR, 6. Aufl. 2006, S. 34; siehe zur eigenständigen Umsetzung materiell-rechtlicher Wertungen im IPR auch Looschelders, in: Staudinger, Neubearb. 2019, Einl. IPR Rn. 62 und Rauscher, IPR, 5. Aufl. 2017, Rn. 74 f. 544 So Weller, RabelsZ 81 (2017), 747, 767; ders., in: Arnold (Hrsg.), Grundfragen 2016, S. 133, 140; ders., IPRax 2011, 429, 430 f. 545 Vgl. S. 61 ff. 546 Junker, IPR, 4. Aufl. 2021, § 5 Rn. 8; Kropholler, IPR, 6. Aufl. 2006, S. 16; Kegel/Schurig, IPR, 9. Aufl. 2004, S. 6. Dies deckt sich auch mit dem Verständnis Savignys, siehe ders., System Bd. 8, 1849, S. 26 ff. 547 So etwa auch Junker, IPR, 4. Aufl. 2021, § 5 Rn. 8. 548 Raape hat dies pointiert zum Ausdruck gebracht: Es handelt sich um einen „Sprung ins Dunkle“, siehe ders., IPR, 5. Aufl. 1961, S. 90.

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Damit steht auch eine offene Ausrichtung an sachrechtlichen Wertungen in Einklang. Exemplarisch verdeutlichen soll dies Art. 6 Abs. 1 Rom I-VO, der ein von der EU materiell-rechtlich verfolgtes Ziel, den Verbraucherschutz, auf die Ebene des IPR übersetzt.549 Dieser knüpft den Verbrauchervertrag an den gewöhnlichen Aufenthalt des Verbrauchers an, wenn der Unternehmer seine berufliche oder gewerbliche Tätigkeit in diesem Staat ausübt oder sie darauf ausrichtet. Wenn das IPR hier an das Umgebungsrecht des Verbrauchers anknüpft, sagt das nichts darüber aus, wie der Unionsgesetzgeber den Inhalt jener übrigen Rechtsordnungen bewertet, die zwar ebenfalls eine enge Verbindung zu dem Lebenssachverhalt haben – man denke etwa an den gewöhnlichen Aufenthalt bzw. den Sitz des Unternehmers oder den Erfüllungsort der einzelnen Leistungspflichten –, aber im Rahmen der Kollisionsnormbildung zugunsten der Anknüpfung an das Umgebungsrecht zurückgestellt wurden. In diesem Stadium ist die im Einzelfall anwendbare Rechtsordnung schließlich noch gar nicht bestimmbar. Eine Abkehr von der Gleichwertigkeit der in- und ausländischen Rechtsordnung folgt daraus also nicht. Ferner durchbricht Art. 6 Abs. 1 Rom II-VO das in Art. 4 Rom II-VO zum Ausdruck kommende Prinzip der engsten Verbindung nicht.550 Die divergierenden Anknüpfungspunkte erklären sich schlicht daraus, dass die speziellen Verbrauchervertragskonstellationen bei der Bildung der allgemeinen Vertragskollisionsnorm lediglich nicht genug Gewicht gehabt haben, um das Abwägungsergebnis entscheidend zu beeinflussen.551 Das ändert sich indes, wenn der Gesetzgeber das Vertragsstatut, wie hier geschehen, weiter ausdifferenziert. Wenn man so will, kann man die durch die Interessenfeststellung tangierten, mittels der räumlichen Komponente des Anknüpfungspunkts abstrakt umschriebenen Rechtsordnungen als jeweils enge Verbindungen des Lebenssachverhalts verstehen. Aufgabe der jeweiligen sachrechtlichen Wertung ist es dann, darunter die engste zu bestimmen. Das Prinzip der engsten Verbindung wird durch eine sachrechtliche Ausrichtung von Kollisionsnormen also nicht durchbrochen, sondern bloß wertungsmäßig konkretisiert.552 Die Möglichkeit einer solchen wertungsmäßigen Konkretisierung wird aber auch nicht in Abrede gestellt; vielmehr wird vorgebracht, dass die Staaten von der Möglichkeit einer offenen Ausrichtung an sachrechtlichen Wertungen nur selten Gebrauch gemacht hätten, um nicht von der „Savignyschen Neutralität“ abzukehren.553 Diese Beobachtung mag durchaus zutreffen. Die entscheidende Frage lautet in diesem Zusammenhang aber vielleicht: War die Savignysche 549

Weller, RabelsZ 81 (2017), 747, 759; ders., in: Arnold (Hrsg.), Grundfragen, 2016, S. 133, 151 ff.; ders., IPRax 2011, 429, 434 f. 550 A. A. Looschelders, in: Staudinger, Neubearb. 2019, Einl. IPR Rn. 191; krit. auch Schwemmer, Anknüpfungsprinzipien, 2018, S. 201. 551 „Totale Gerechtigkeit des Einzelfalls lässt sich so nicht erzielen; wo gehobelt wird, fallen Späne“, Lüderitz, in: FS Kegel, 1977, S. 31, 40. 552 So auch Hirse, Ausweichklausel, 2006, S. 239. 553 Weller, RabelsZ 81 (2017), 747, 758.

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Neutralität wirklich Ausdruck einer wie auch immer ausgestalteten Unabhängigkeit von sachrechtlichen Wertungen oder war womöglich einfach das Sachrecht zu Savignys Zeit ebenfalls nur wertneutral und unpolitisch? Schwemmer hat in diesem Zusammenhang zurecht darauf hingewiesen, dass der Gleichwertigkeitsgrundsatz auch bei Savigny nicht uneingeschränkt galt; er wurde von ihm nur im sogenannten „reinen Rechtsgebiet“ verfolgt. Dieses zeichnet sich dadurch aus, dass sich der Gesetzgeber bei der Normaufstellung ausschließlich auf die (neutrale) Abgrenzung der Freiheits- und Vermögenssphären der Individuen beschränkt. Das materielle Recht selbst war also unpolitisch, d. h. ohne besondere Wertungen.554 Die politischen Gesetze, das „anomalische Recht“, entzögen sich Savigny zufolge demgegenüber dem System allseitiger Verweisungsnormen.555 Wenn aber nur die wertneutralen Privatrechtsnormen zu diesem IPR-System gehören sollten, liegt es auf der Hand, dass dieses gleichfalls wertneutral war. Wo schon im Sachrecht keine besonderen politischen Einflüsse erkennbar sind, können solche auch nicht auf das IPR übertragen werden.556 Pointiert könnte man wohl sagen: Auch Savigny berücksichtigte sachrechtliche Wertungen – eben die der politischen Neutralität. Das IPR ist also nur dann wertblind und unpolitisch, wenn es auch sein Regelungsgegenstand ist. Das heutige IPR hat aber nicht mehr nur Savignys „reines Recht“ zum Gegenstand. Es erfasst nicht nur das wertneutrale Recht, sondern auch jene Normen des materiellen Privatrechts, in denen es dem Gesetzgeber nicht allein um die Abgrenzung von Freiheitssphären geht.557 Auf diese Tatsache reagiert das IPR, wodurch sich zwingend auch die Konkretisierung der jeweils „engsten Verbindung“ verändert. Das IPR entsteht niemals im „luftleeren“ Raum, sondern immer im Umfeld einer bestehenden Rechtsordnung und ihren Wertvorstellungen. Ein Wertewandel im Sachrecht wirkt sich deshalb stets auch auf das IPR aus.558 Das Prinzip der engsten Verbindung ist dabei hinreichend flexibel, um diese Veränderung inhaltlich aufzunehmen.559 Es dürfte im Laufe dieses Unterkapitels aber gerade mit Blick auf den auch heute noch nicht eindeutig vollzogenen Wandel von der Interessen554

Schwemmer, Anknüpfungsprinzipien, 2018, S. 210; siehe auch Schurig, Kollisionsnorm, 1981, S. 18 (dies sei „Geschäftsgrundlage“ für Savignys IPR) und Roth, AcP 220 (2020), 458, 460. 555 Schwemmer, Anknüpfungsprinzipien, 2018, S. 210 f.; Roth, AcP 220 (2020), 458, 461. 556 Vgl. auch Roth, AcP 220 (2020), 458, 460: Verlängerung der verfolgten Zielsetzungen der Rechtsklarheit und Rechtssicherheit in das IPR hinein. 557 Vgl. Schwemmer, Anknüpfungsprinzipien, 2018, S. 211 und Kropholler, RabelsZ 42 (1978), 634, 637 mwN. 558 Kropholler, IPR, 6. Aufl. 2006, S. 34; Siehr, RabelsZ 37 (1973), 466, 478 ff., insb. 482; siehe auch Roth, AcP 220 (2020), 458, 464 f., 472 und Schwemmer, Anknüpfungsprinzipien, 2018, S. 207. 559 Kropholler, RabelsZ 42 (1978), 634, 660.

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1. Teil: Methodische Grundlegung

hin zu einer Wertungsjurisprudenz klar geworden sein, dass die Gesetzgebung im IPR generell behäbiger zu sein scheint als jene im materiellen Privatrecht. Ein Wertewandel vollzieht sich deshalb nur langsam nach. So wurde beispielsweise auch die Gleichstellung von Mann und Frau, die das Grundgesetz bereits seit 1949 fordert, erst in den 1970er und 1980er Jahren umgesetzt.560 Die international-privatrechtliche Gerechtigkeit würde erst dann verletzt, wenn mit der Anknüpfung strukturell das Ziel verfolgt würde, das eigene Recht zur Anwendung zu berufen, da dies letztlich die Bevorzugung der inländischen gegenüber der ausländischen Rechtsordnung bedeutete. Ob solche Tendenzen im (europäischen) IPR wahrnehmbar sind, soll hier nicht beurteilt werden. Anzeichen dafür sind wohl vorhanden.561 Dies ändert indes nichts daran, dass das europäische IPR gleichwohl noch immer weit überwiegend, und insbesondere mit Art. 11 Rom II-VO, dem Prinzip der engsten Verbindung und dem damit ausgedrückten Gerechtigkeitsgedanken folgt. Ein an sachrechtlichen Wertungen orientiertes IPR stellt also keinen Verstoß gegen die im Prinzip der engsten Verbindung zum Ausdruck kommende international-privatrechtliche Gerechtigkeit dar. Das IPR vollzieht lediglich den Wandel der materiellen Privatrechtsordnung nach. Ein offenes Bekenntnis zu einem sachrechtsorientierten IPR ist kein Verlust, sondern vielmehr ein Gewinn, weil die Konkretisierung des Prinzips der engsten Verbindung durch Zuhilfenahme der materiell-rechtlichen Ratio indiziert und damit vereinfacht wird. III. IPR und Wertungsjurisprudenz Seinen Ausgangspunkt hatte dieses Unterkapitel in der Frage, wieso im Rahmen des Kollisionsrechts das „innere System“ für die Bestimmung des geltungszeitlichen Normzwecks relevant ist. Die Antwort begann mit der Erkenntnis, dass der Rechtsanwender bei der Auslegung anhand des Normzwecks an die Struktur gebunden ist, der auch der Kollisionsrechtsgesetzgeber bei der Aufstellung seiner Normen folgt. Diesbezüglich wurde herausgearbeitet, dass mit Ausnahme der Eingriffsnormen jeder seiner Regelungen menschliche Interessen zugrunde liegen, die anhand von bestimmten, aus dem geschriebenen Recht folgenden Maßstäben bewertet und gegeneinander abgewogen werden. Sowohl das autonome deutsche als auch das europäische IPR orientieren sich dabei jeweils an den ihnen übergeordneten Normen und den darin zum Ausdruck kommenden Wertentscheidungen. Insbesondere die einfachgesetzlichen 560 Flessner, Interessenjurisprudenz, 1990, S. 16 weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass es wohl zusätzlich eines generationenbedingten Wandels der allgemeinen Einstellung gebraucht hat. 561 Schwemmer, Anknüpfungsprinzipien, 2018, S. 134 ff. (relativierend aber auf S. 217); siehe auch Weller, RabelsZ 81 (2017), 747, 769 f.; ders., in: Arnold (Hrsg.), Grundfragen, 2016, S. 133, 158 f.

§ 2 Zum teleologischen Kriterium

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Normen sind hinzuzuziehen, weil in ihnen Wertungen zutage treten, die die (unions-) verfassungsrechtlichen konkretisieren. Diese Wertungen nehmen Einfluss auf die Entscheidung des Gesetzgebers, determinieren sie aber nicht. Bei der Gestaltung der Kollisionsnormen kommt ihm ein erheblicher rechtspolitischer Gestaltungsspielraum zu: Wie er die aus den verschiedenen Quellen gewonnenen Wertungen zueinander ins Verhältnis setzt und abwägt, bleibt ihm überlassen; es gibt keine feste Rangordnung der im IPR zu berücksichtigenden Werte.562 Ferner steht es ihm frei, mit der Anknüpfung dem Prinzip der „engsten Verbindung“ zu folgen oder materiell-rechtlichen Interessen Raum zu geben. Genau dies ist der letzte Rest an voluntativem Element im gesetzgeberischen Entscheidungsprozess, der nicht vollständig durchrationalisierbar ist.563 Der Rechtsanwender hingegen darf aus (unions-) verfassungsrechtlichen Gründen weder bei der Auslegung noch im Rahmen der Rechtsfortbildung rechtspolitisch tätig werden.564 Er muss seine Entscheidung deshalb stets an den im Gesetz erkennbaren Wertentscheidungen des Gesetzgebers ausrichten. Konkret bedeutet dies zunächst, dass er sich nicht nur in dem vom Gesetzgeber vorgegebenen Verweisungsmodell zu bewegen hat, sondern er muss dem Gesetzgeber dort, wo dieser das Prinzip der engsten Verbindung durchsetzen möchte, auch Folge leisten. Grundsätzlich sind bei der Kollisionsrechtsanwendung und -fortbildung daher lediglich kollisionsrechtliche Interessen zu beachten. Bezüglich ihrer Bewertung und Abwägung muss sich der Rechtsanwender so eng wie möglich an den im Recht zutage tretenden Wertungen orientieren. Diese entspringen nicht nur den jeweiligen IPR-Kodifikationen, sondern insbesondere dem Sachrecht. Der Rechtsanwender muss die Auslegung wählen, mit der sich die in Rede stehende Norm am besten in das aktuell bestehende Regelungsgefüge einpasst. Genau aus diesem Grund bezieht sich die Auslegung anhand des Normzwecks (auch im Kollisionsrecht) auf das „innere System“ einer Rechtsordnung.

562

Kropholler, IPR, 6. Aufl. 2006, S. 35; Hirse, Ausweichklausel, 2006, S. 245. Vgl. Hirse, Ausweichklausel, 2006, S. 245. 564 Siehe oben für die europäische Ebene S. 51 f. Zu dem autonomen deutschen Methodenmodell vgl. nur Walter, Rechtsfortbildung, 2009, S. 221. 563

2. Teil:

Die Geschäftsführung ohne Auftrag im Internationalen Privatrecht In international-privatrechtlicher Hinsicht ist für das Kollisionsrecht der Geschäftsführung ohne Auftrag insbesondere die Rom II-VO zu beachten. Denn diese hat das deutsche IPR weitgehend, d. h. innerhalb ihres sachlichen1 und zeitlichen2 Anwendungsbereichs, verdrängt, vgl. Art. 52 EUV, 288 Abs. 2, 355 AEUV; sie ist auch dann anzuwenden, wenn das nach ihr bezeichnete Recht nicht das Recht eines Mitgliedstaats ist, vgl. Art. 3 Rom II-VO (sog. loi uniforme). Aus diesem Grund soll nachfolgend zunächst Art. 11 Rom II-VO analysiert werden; im Anschluss wird ein Blick auf Art. 39 EGBGB geworfen.

§ 3 Art. 11 Rom II-VO A. Einführung Die auftragslose Geschäftsführung wurde im Rahmen der Rom II-VO mit einer eigenen Kollisionsnorm – Art. 11 Rom II-VO – versehen. Hiernach wird für ein solches außervertragliches Schuldverhältnis mangels einer nach Art. 14 Rom II-VO zulässigen Rechtswahl grundsätzlich an ein zwischen den Parteien bestehendes Rechtsverhältnis angeknüpft, sofern dieses eine enge Verbindung mit der auftragslosen Geschäftsführung aufweist, Abs. 1. Hilfsweise ist nach Abs. 2 das Recht des Ortes anwendbar, in dem die Parteien zum Zeitpunkt des Eintritts des schadensbegründenden Ereignisses ihren gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt haben. Lässt sich ein solcher nicht feststellen, ist schließlich gemäß Abs. 3 das Recht des Staates anwendbar, in dem die Geschäftsführung erfolgt ist. Nach Abs. 4 ist eine Anknüpfung nach den vorherigen Absätzen zu korrigieren, wenn sich aus der Gesamtheit der Umstände ergibt, dass eine offensichtlich engere Verbindung zu einem anderen Staat besteht. Eine Rückoder Weiterverweisung ist gemäß Art. 24 Rom II-VO ausgeschlossen.

1

Vgl. Art. 1 Rom II-VO. Dazu später mit Blick auf Art. 11 Rom II-VO mehr, S. 154 ff. In zeitlicher Hinsicht ist sie auf alle „schadensbegründenden Ereignisse“, die ab dem 11. Januar 2009 eintreten, anzuwenden, vgl. Art. 31, 32 Rom II-VO. Zum zeitlichen Anwendungsbereich siehe unten S. 258 f. 2

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2. Teil: Die Geschäftsführung ohne Auftrag im IPR

Der Umgang mit der Kollisionsnorm für Schuldverhältnisse aus Geschäftsführung ohne Auftrag ist auch nach über einem Jahrzehnt ihrer Anwendbarkeit noch nicht zufriedenstellend geklärt. Ganz prominent ist dabei die in Abs. 3 enthaltene Anknüpfung an den Vornahmeort. Aber auch in Bezug auf die übrigen Anknüpfungspunkte können einige klarstellende Worte verloren werden. Schließlich soll auch Art. 11 Abs. 4 Rom II-VO und die Rolle, die ihr von der Rechtswissenschaft zugeschrieben wird, kritisch hinterfragt werden. Komplettiert wird die Normanalyse durch eine eingehende Untersuchung des Anknüpfungsgegenstands sowie der Statutreichweite, welche sich insbesondere hinsichtlich des Umgangs mit einer materiell-rechtlich möglicherweise vorhandenen Anspruchskonkurrenz als neuralgisch erweist. Bevor aber auf diese Punkte eingegangen wird, soll nachfolgend zunächst die Genese des Art. 11 Rom IIVO näher beleuchtet werden. B. Überblick zur Normgenese Das europäische Kollisionsrecht der Geschäftsführung ohne Auftrag, das letztlich in Art. 11 der Rom II-VO kodifiziert wurde, blickt auf eine durchaus bewegte Entstehungsgeschichte zurück. Deren Kenntnis wird für die Auslegung des Art. 11 Rom II-VO von großer Bedeutung sein, so dass sie schon hier zu Beginn des Kapitels anhand der Entwicklung der deutschen Sprachfassung einführend dargestellt werden soll. Die Fokussierung bloß einer Sprachfassung genügt zwar nicht den Anforderungen, die das Unionsrecht an die Auslegung der Rom II-VO stellt,3 allerdings kann eine umfassende Betrachtung an den wirklich neuralgischen Stellen nachgeholt werden. Hier soll die Genese bloß überblicksartig aufgezeigt werden. Die Anknüpfung einer „Geschäftsführung ohne Auftrag“ sah schon der erste Kommissionsentwurf zur Rom II-VO aus dem Jahre 2003 vor.4 Ursprünglich war sie in Art. 9, dem einzigen Artikel im „Abschnitt 2 – Die auf außervertragliche Schuldverhältnisse aus anderer als unerlaubter Handlung anzuwendenden Vorschriften“, enthalten. Dieser sollte die Anknüpfung solcher außervertraglicher Schuldverhältnisse aus anderer als unerlaubter Handlung allgemein regeln und war damit grundsätzlich als Auffangtatbestand konzipiert. Nur für die ungerechtfertigte Bereicherung und die Geschäftsführung ohne Auftrag fanden sich innerhalb des Art. 9 Spezialbestimmungen – und zwar für letztere in dessen Abs. 4.5 Danach sollte auf die Geschäftsführung ohne Auftrag „unbeschadet der Absätze 1 und 2“ das Recht des Staates anwendbar sein, „in dem der Geschäftsherr zum Zeitpunkt der Geschäftsbesorgung seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte.“ Soweit sich ein entsprechendes Schuldverhältnis jedoch auf 3

Vgl. oben insb. S. 29 ff. KOM (2003) 427 endg., S. 39. 5 Abs. 3 galt der Anknüpfung der ungerechtfertigten Bereicherung. Anwendbar sei „unbeschadet der Absätze 1 und 2“ das Recht des Staates, „in dem die Bereicherung erfolgt ist.“ 4

§ 3 Art. 11 Rom II-VO

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den „physischen Schutz einer Person oder die Sicherstellung eines bestimmten körperlichen Gegenstands bezieht, ist das Recht des Staates anwendbar, in dem sich die Person oder der Gegenstand zum Zeitpunkt der Geschäftsbesorgung befunden haben.“ Die Wendung „unbeschadet der Absätze 1 und 2“ brachte zum Ausdruck, dass eine Geschäftsführung ohne Auftrag in jedem Fall primär „an ein bestehendes Rechtsverhältnis zwischen den Parteien wie einen Vertrag anknüpft“. „Unbeschadet“ dessen sollte, falls die Parteien „zum Zeitpunkt des Schadenseintritts ihren gewöhnlichen Aufenthalt im selben Staat hatten“, dieses Recht Anwendung finden. Abs. 5 enthielt eine Ausweichklausel. Vom Anwendungsbereich des Art. 9 insgesamt ausgenommen war schließlich gemäß Abs. 6 der Bereich des geistigen Eigentums; dieser sollte einheitlich Art. 8 unterfallen. In der Legislativen Entschließung des Europäischen Parlaments zu dem Vorschlag für die Rom II-VO6 wurde sodann stärker zwischen der ungerechtfertigten Bereicherung und der Geschäftsführung ohne Auftrag differenziert. Die Regelungen zur ungerechtfertigten Bereicherung verblieben in Art. 9, letztere wurden in Art. 10 eigenständig geregelt. Beide Kollisionsnormen waren dem „Abschnitt 2 – Sonderregeln für spezifische unerlaubte Handlungen und außervertragliche Schuldverhältnisse“ zugeordnet. Während die beiden primären Anknüpfungspunkte („bestehendes Rechtsverhältnis zwischen den Parteien“ und „gemeinsame[r] gewöhnliche[r] Aufenthalt“ zum Zeitpunkt des Schadenseintritts) bis auf kleinere, redaktionelle Arbeiten unverändert blieben und auch Art. 9 Abs. 5 nahezu wortlautgetreu in Art. 10 Abs. 4 übertragen wurde, erfuhr die damalige Spezialanknüpfung der Geschäftsführung ohne Auftrag in Art. 10 Abs. 3 eine Überarbeitung. Im Gleichlauf mit dem neu gefassten Art. 9 für die ungerechtfertigte Bereicherung war nun „das Recht des Staates [anzuwenden], in dem die Ereignisse stattgefunden haben, die im Wesentlichen zu der Geschäftsführung ohne Auftrag geführt haben, unabhängig von dem Staat, in dem die Geschäftsführung erfolgt ist“. Eine Differenzierung nach Art bzw. Gegenstand der Geschäftsführung, wie sie noch der ursprüngliche Kommissionsentwurf vorsah, existierte nicht mehr. Gleiches gilt für eine ausdrückliche Ausnahme des Bereiches des geistigen Eigentums.7 Im geänderten Kommissionsvorschlag von 20068 wurde diese Kollisionsnorm für die Geschäftsführung ohne Auftrag nahezu unverändert in den Art. 11 überführt, welcher in „Abschnitt 4 – Spezielle Kollisionsnormen für außervertragliche Schuldverhältnisse aus ungerechtfertigter Bereicherung und Geschäftsführung ohne Auftrag“ eingegliedert wurde. Nur die Anknüpfung in

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P6_TA(2005)0284 = ABl. 2006 C157E/370 ff. Insgesamt entsprach dies inhaltlich dem Vorschlag der Berichterstatterin des Europäischen Parlaments Diana Wallis, vgl. A6-0211/2005, S. 28 f. 8 KOM (2006) 83 endg., S. 18. 7

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2. Teil: Die Geschäftsführung ohne Auftrag im IPR

Abs. 3 erfuhr erneut eine Revision: Anwendbar war nunmehr das Recht des Staates, „in dem die Geschäftsführung erfolgt ist.“ Der gemeinsame Standpunkt des Rates9 sah in den Abs. 1, 3 und 4 keine wesentlichen Änderungen des Wortlauts mehr vor. Allerdings wurde die Anknüpfung in Art. 11 Abs. 2 Rom II-VO überarbeitet: Maßgebender Zeitpunkt war nun nicht mehr der Schadenseintritt, sondern der „Eintritt des schadensbegründenden Ereignisses“. Außerdem änderte man die äußere Einkleidung in das Regelwerk: Nunmehr befand sich die Geschäftsführung ohne Auftrag in „Kapitel III – Ungerechtfertigte Bereicherung, Geschäftsführung ohne Auftrag und Verschulden bei Vertragsverhandlungen“ – gemeinsam mit den für diese Institute vorgesehenen Kollisionsregeln; hinzugekommen war mit Art. 12 nun also eine Anknüpfung für Ansprüche aus Verschulden bei Vertragsverhandlungen. In Art. 13 wurde klargestellt, dass auf außervertragliche Schuldverhältnisse aus einer Verletzung von Rechten des geistigen Eigentums nicht die Art. 10 bis 12, sondern Art. 8 anzuwenden ist. Von kleineren redaktionellen Änderungen abgesehen wurde diese Fassung von Art. 11 Rom II-VO letztlich verabschiedet.10 C. Anknüpfungsgegenstand Nach diesem kurzen Blick auf die Genese von Art. 11 Rom II-VO soll sich in dem folgenden Unterkapitel zunächst dessen Anknüpfungsgegenstand zugewandt werden. Um zu untersuchen, wie dieser beschaffen ist, wird zuerst das Meinungsbild in Rechtsprechung und Rechtswissenschaft dargestellt. Im Anschluss daran ist er mithilfe der in Teil 1 gewonnenen Erkenntnisse zur europäischen Auslegungsmethodik zu untersuchen. I. Meinungsstand Wird der Blick auf den Meinungsstand in Literatur und Rechtsprechung gerichtet, so ergeben sich unmittelbar zwei Erkenntnisse: Zunächst ist auffällig, dass der Anknüpfungsgegenstand von Art. 11 Rom II-VO bislang kaum Mittelpunkt gerichtlicher Entscheidungen war.11 Ferner wird ersichtlich, dass in der (europäischen) Rechtswissenschaft eine überraschend weitgehende Einig-

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ABl. 2006 C289E/68, 72 f. ABl. 2007 C L 199/1, 45. 11 Die wenigen Gerichtsentscheidungen, die sich zumindest rudimentär mit dem Anknüpfungsgegenstand auseinandersetzen, beschränken sich auf eine Argumentation anhand jedenfalls erfasster Fallgruppen, siehe LG München I 18.4.2013 – 10 O 6084/12 = IPRax 2014, 438, 439 Rn. 23; OLG Düsseldorf 26.2.2014 – I-18 U 27/12 = RdTW 2014, 318, 326 Rn. 50; wohl auch OGH 27.5.2015 – 6 Ob 29/15f = IPRax 2017, 515, 516. OGH 21.5.2014 – 3 Ob 42/14v = BeckRS 2016, 81222 lässt die Abgrenzung zwischen dem Bereicherungsstatut und jenem der Geschäftsführung ohne Auftrag ausdrücklich offen. 10

§ 3 Art. 11 Rom II-VO

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keit bezüglich der Notwendigkeit und auch der Ausgestaltung einer weitergehenden Konkretisierung herrscht. 1. Autonome Auslegung Nach ganz herrschender Meinung ist der Begriff europäisch autonom auszulegen. Vereinzelt wird dieses Ergebnis zwar nicht gesondert begründet.12 Wo indes Argumente vorgebracht werden, wird die Forderung nach einer autonomen Auslegung auf ErwGr. 11 Rom II-VO13 oder die bestehenden, erheblichen Unterschiede in den mitgliedstaatlichen Sachrechtsordnungen bezüglich der Geschäftsführung ohne Auftrag, die ein solches autonom-einheitliches Begriffsverständnis erforderlich machten,14 gestützt. 2. Grundtatbestand Diese autonome Auslegung scheint von der englischen Sprachversion des Art. 11 Rom II-VO auszugehen.15 Konsens besteht nämlich zunächst darin, dass eine Person eine Handlung16 vorzunehmen hat, die den Rechts- und Interessenkreis eines anderen berührt, um den Anwendungsbereich des Art. 11

12 Stürner, in: Erman, 16. Aufl. 2020, Art. 11 Rom II-VO Rn. 11; Limbach, in: NK-BGB, 3. Aufl. 2019, Art. 11 Rom II-VO Rn. 4; v. Bar/Mankowski, IPR Bd. 2, 2. Aufl. 2019, § 2 Rn. 505; Junker, in: MüKo BGB, 8. Aufl. 2021, Art. 11 Rom II-VO Rn. 9; Dornis, RabelsZ 80 (2016), 543, 548; Bittmann, in: Weller (Hrsg.), Europ. Kollisionsrecht, 1. Aufl. 2016, Rn. 340; Looschelders, IPRax 2014, 406, 408; Nehne, IPRax 2012, 136, 137. 13 Wendelstein, in: Soergel, 13. Aufl. 2019, Art. 11 Rom II-VO Rn. 3 Fn. 5; Jakob/Picht, in: Europ. Zivilprozess- und Kollisionsrecht, 4. Aufl. 2016, Art. 11 Rom II-VO Rn. 6; Huber/Bach, in: Huber (ed.), Rome II, 2011, Art. 11 para. 1. 14 Tichy, in: Magnus/Mankowski (eds.), ECPIL Vol. 3, 2019, Art. 11 Rome II para. 10 and 12 (auch mit Verweis auf ErwGr. 11 Rom II-VO); Schinkels, in: BeckOGK, 1.8.2018, Art. 11 Rom II-VO Rn. 11; ders., in: Calliess (ed.), Rome, 2nd ed. 2015, Art. 11 Rome II para. 1; Dickinson, Rome II, 2013, para. 11.02; Wendelstein, GPR 2014, 46, 47. Siehe aber auch Junker, in: MüKo BGB, 8. Aufl. 2021, Art. 11 Rom II-VO Rn. 9 („dennoch“); krit. deshalb auch Limbach, in: NK-BGB, 3. Aufl. 2019, Art. 11 Rom II-VO Rn. 4 und Dornis, RabelsZ 80 (2016), 543, 548 sowie Looschelders, IPRax 2014, 406, 408. Gerade aus diesem Grund und wegen des Verweises auf eine hier im Gegensatz zu anderen Stellen fehlende ausdrückliche Anordnung zur autonomen Auslegung abl. Brière, Clunet 135 (2008), 31, 50 (Anwendung der lex fori). 15 Ausdrücklich auf die englische Fassung verweisen Schinkels, in: BeckOGK, 1.8.2018, Art. 11 Rom II-VO Rn. 11; ders., in: Calliess (ed.), Rome, 2nd ed. 2015, Art. 11 Rome II para. 2 und Plender/Wilderspin, EPIL of Obligations, 3rd ed. 2009, para. 25-016 et. seq. 16 Dulden oder Unterlassen soll nicht erfasst sein, da die Geschäftsführung ohne Auftrag auf die Förderung gewünschter aktiver Eingriffe abziele, das Untätigbleiben aber nicht sanktionieren wolle, siehe Plender/Wilderspin, EPIL of Obligations, 3rd ed. 2009, para. 25-021 et. seq.

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2. Teil: Die Geschäftsführung ohne Auftrag im IPR

Rom II-VO zu eröffnen.17 Diese müsse auftragslos bzw. unbefugt erfolgen,18 was auch dann anzunehmen sei, wenn die Person bloß eine abstrakte (Hilfeleistungs-) Pflicht befolgt.19 Ganz überwiegend wird darüber hinaus gefordert, dass die tätig werdende Person (ab hier: der Geschäftsführer) die Handlung (ab hier: die Geschäftsführung) jedenfalls nicht ausschließlich im eigenen Interesse vornimmt. Es bedürfe also sowohl des Bewusstseins als auch des Willens seitens des Geschäftsführers, die Interessen der anderen Partei (ab hier: der Geschäftsherr) zu fördern (ab hier: Fremdgeschäftsführungswille).20 Wo dies begründet wird, wird darauf verwiesen, dass die Regelungen in den mitgliedstaatlichen Sachrechten

17 Stürner, in: Erman, 16. Aufl. 2020, Art. 11 Rom II-VO Rn. 11; Limbach, in: NK-BGB, 3. Aufl. 2019, Art. 11 Rom II-VO Rn. 6; Wendelstein, in: Soergel, 13. Aufl. 2019, Art. 11 Rom II-VO Rn. 5; ders., GPR 2014, 46, 47; v. Bar/Mankowski, IPR Bd. 2, 2. Aufl. 2019, § 2 Rn. 505; Junker, in: MüKo BGB, 8. Aufl. 2021, Art. 11 Rom II-VO Rn. 9; Jakob/Picht, in: Europ. Zivilprozess- und Kollisionsrecht, 4. Aufl. 2016, Art. 11 Rom II-VO Rn. 6; Bittmann, in: Weller (Hrsg.), Europ. Kollisionsrecht, 1. Aufl. 2016, Rn. 340; Dornis, RabelsZ 80 (2016), 543, 548; Dickinson, Rome II, 2013, para. 11.03; Thorn, in: Grüneberg, 81. Aufl. 2022, Art. 11 Rom II-VO Rn. 2; Looschelders, IPRax 2014, 406, 408; Nehne, IPRax 2012, 136, 137. 18 Junker, in: MüKo BGB, 8. Aufl. 2021, Art. 11 Rom II-VO Rn. 9; Limbach, in: NKBGB, 3. Aufl. 2019, Art. 11 Rom II-VO Rn. 6; Wendelstein, in: Soergel, 13. Aufl. 2019, Art. 11 Rom II-VO Rn. 5; ders., GPR 2014, 46, 47; Jakob/Picht, in: Europ. Zivilprozessund Kollisionsrecht, 4. Aufl. 2016, Art. 11 Rom II-VO Rn. 6; Dickinson, Rome II, 2013, para. 11.03; Dornis, RabelsZ 80 (2016), 543, 548; Looschelders, IPRax 2014, 406, 408. 19 Limbach, in: NK-BGB, 3. Aufl. 2019, Art. 11 Rom II-VO Rn. 6. 20 Tichy, in: Magnus/Mankowski (eds.), ECPIL Vol. 3, 2019, Art. 11 Rome II para. 11 and 15; v. Bar/Mankowski, IPR Bd. 2, 2. Aufl. 2019, § 2 Rn. 505; Limbach, in: NK-BGB, 3. Aufl. 2019, Art. 11 Rom II-VO Rn. 6; Wendelstein, in: Soergel, 13. Aufl. 2019, Art. 11 Rom II-VO Rn. 5; ders., GPR 2014, 46, 47; Schinkels, in: BeckOGK, 1.8.2018, Art. 11 Rom II-VO Rn. 13; Junker, in: MüKo BGB, 8. Aufl. 2021, Art. 11 Rom II-VO Rn. 9; Jakob/Picht, in: Europ. Zivilprozess- und Kollisionsrecht, 4. Aufl. 2016, Art. 11 Rom II-VO Rn. 13; Dickinson, Rome II, 2013, para. 11.05; Huber/Bach, in: Huber (ed.), Rome II, 2011, Art. 11 para. 2; Dornis, RabelsZ 80 (2016), 543, 548; Looschelders, IPRax 2014, 406, 408; Nehne, IPRax 2012, 136, 137; siehe auch Schinkels, in: Calliess/Renner (eds.), Rome, 3rd ed. 2020, Art. 11 Rome II para. 3 und Thorn, in: Grüneberg, 81. Aufl. 2022, Art. 11 Rom II-VO Rn. 2 sowie OLG Düsseldorf 26.2.2014 – I-18 U 27/12 = RdTW 2014, 318, 326 Rn. 50 (Fälle mit Eigengeschäftsführungswillen von Art. 4 Rom II-VO erfasst). A. A. Bittmann, in: Weller (Hrsg.), Europ. Kollisionsrecht, 1. Aufl. 2016, Rn. 340 und G. Fischer, in: FS Spellenberg, 2010, S. 151, 163 (erfasst seien echte und unechte Geschäftsführung ohne Auftrag); siehe auch Mankowski, in: Encyclopedia Vol. 2, 2017, p. 1303 („[…] the Regulation correctly refrains from introducing benevolence as a prerequisite. [This] would introduce additional limitations and unduly burden the characterization process through looking ex post into a person’s mind. [It] must attempt to cover divergent approaches […].“) und Plender/Wilderspin, EPIL of Obligations, 3rd ed. 2009, para. 25-018 („[…] the language of art.11 does not compel this conclusion“).

§ 3 Art. 11 Rom II-VO

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sowie die im ursprünglichen Kommissionsentwurf genannten Beispiele21 dafür sprächen.22 Unerheblich soll es nach überwiegender Auffassung zudem sein, ob der Geschäftsführer bei seinem Tätigwerden zusätzlich eigene Interessen verfolgt, solange er dabei zumindest auch Fremdgeschäftsführungswillen hat. Das durch die Geschäftsführung erfolgende Zusammentreffen der Rechts- und Interessenkreise beider Parteien – eine im deutschen Sachrecht als „auch fremdes Geschäft“ bekannte Fallgruppe – sei demnach von Art. 11 Rom II-VO erfasst.23 Zwar wird unter Rekurs auf Art. V.-1:101: (1) Draft Common Frame of Reference (DCFR) erwogen, dies insoweit einzuschränken, als dass der Fremdgeschäftsführungswille überwiegen müsse.24 Gegen eine solche Restriktion werden aber zwei Argumente vorgebracht: Erstens beruhe die im DCFR gemachte Einschränkung nicht auf einem gemeinsamen Verständnis der mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen – diese forderten lediglich, dass die Geschäftsführung nicht ausschließlich auf altruistische Motive zurückzuführen sei. Zweitens bedeutete dieses einschränkende Merkmal eine erhebliche Verkleinerung des Anwendungsbereichs der Kollisionsnorm. Um den verschiedenen materiell-rechtlichen Ansätzen in den Rechtsordnungen hinreichend Rechnung tragen zu können, sei eine solche Einengung auf kollisionsrechtlicher Ebene zu vermeiden.25 Zudem werden Qualifikationsprobleme in Bezug auf Aufwendungsersatzansprüche, die aus dieser Art von Geschäften resultieren können, befürchtet; da solche „auch fremden Geschäfte“ das Vorliegen des Fremdgeschäftsführungs-

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Zu ihnen siehe KOM (2003) 427 endg., S. 24. Schinkels, in: BeckOGK, 1.8.2018, Art. 11 Rom II-VO Rn. 13; siehe auch ders., in: Calliess (ed.), Rome, 2nd ed. 2015, Art. 11 Rome II para. 3 (mitgliedstaatliche Traditionen und Art. V.-1:101 DCFR). 23 Limbach, in: NK-BGB, 3. Aufl. 2019, Art. 11 Rom II-VO Rn. 6; Jakob/Picht, in: Europ. Zivilprozess- und Kollisionsrecht, 4. Aufl. 2016, Art. 11 Rom II-VO Rn. 6; siehe auch v. Bar/Mankowski, IPR Bd. 2, 2. Aufl. 2019, § 2 Rn. 505 und Dornis, RabelsZ 80 (2016), 543, 548 (keine überwiegend altruistische Motivation nötig); trotz Zurückhaltung wohl zust. Schinkels, in: Calliess/Renner (eds.), Rome, 3rd ed. 2020, Art. 11 Rome II para. 3 („it does not seem necessary to a priori exclude [such] claims“) und ders., in: BeckOGK, 1.8.2018, Art. 11 Rom II-VO Rn. 14. Widersprüchlich Tichy, in: Magnus/Mankowski (eds.), ECPIL Vol. 3, 2019, Art. 11 Rome II para. 17 („[…] with exclusion of cases of inter alia benevolent intervention aiming at a profit of the intervenor.“) und Rn. 11 a. E. Ebenfalls widersprüchlich Rushworth/Scott, Lloyd’s M. C. L. Q. 2008, 274, 288, die zwar vortragen, dass Art. 11 Rom II-VO Handlungen erfordere, deren Zweck „at least in part, is to transact another’s affairs“, wenige Sätze weiter aber feststellen, dass jemand, der eine fremde Schuld bezahlt, welche durch eine Sache des Geschäftsführers besichert wird, nur in seinem eigenen Interesse handele. A. A. Junker, in: MüKo BGB, 8. Aufl. 2021, Art. 11 Rom II-VO Rn. 9, der einen vorrangigen Fremdgeschäftsführungswillen fordert; wohl auch Huber/Bach, in: Huber (ed.), Rome II, 2011, Art. 11 para. 1. 24 So ausdrücklich Huber/Bach, in: Huber (ed.), Rome II, 2011, Art. 11 para. 1. 25 Looschelders, IPRax 2014, 406, 408. 22

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2. Teil: Die Geschäftsführung ohne Auftrag im IPR

willens letztlich ebenfalls voraussetzten, seien sie Art. 11 Rom II-VO zu subsumieren.26 Schließlich wird vertreten, dass der Eingriff in einen fremden Rechts- und Interessenkreis nicht schon aus objektiver Perspektive vorliegen müsse. Es soll für die Anwendbarkeit von Art. 11 Rom II-VO genügen, wenn ein objektiv nicht zuordenbares Geschäft mit einem entsprechend feststellbaren Fremdgeschäftsführungswillen geführt wird.27 3. Keine Differenzierung zwischen erwünschten/unerwünschten oder vorteilhaften/unvorteilhaften Geschäftsführungen Schließlich ist fraglich, ob Art. 11 Rom II-VO nur (subjektiv) erwünschte oder (objektiv) vorteilhafte Geschäftsführungen erfassen soll. Dies spielt auf die im deutschen Sachrecht bekannte Unterscheidung von berechtigter und unberechtigter Geschäftsführung ohne Auftrag an. Überwiegend wird eine solche Differenzierung verneint, da sie im Wortlaut des Art. 11 Rom II-VO nicht angelegt sei,28 zudem nur auf sachrechtlicher Ebene wirklich trennscharf und sachgemäß bestimmt werden kann29 und weil schließlich beide Formen der Geschäftsführung im Wesentlichen dem gleichen Tatbestand unterfallen, so dass eine unterschiedliche kollisionsrechtliche Behandlung einen eigentlich zusammenhängenden Regelungsbereich auseinandersprengte und deshalb die Gefahr von Wertungswidersprüchen schaffte.30

26

Schinkels, in: BeckOGK, 1.8.2018, Art. 11 Rom II-VO Rn. 14. Für die Einbeziehung solcher Geschäfte G. Fischer, in: FS Spellenberg, 2010, S. 151, 166 f. 28 Siehe Schinkels, in: BeckOGK, 1.8.2018, Art. 11 Rom II-VO Rn. 16; Dickinson, Rome II, 2013, para. 11.07; (wohl mit diesem Argument) auch v. Domarus, Internationales Arzthaftungsrecht, 2013, S. 76 (Art. 11 Rom II-VO unterscheide diesbezüglich nicht); zurückhaltender Plender/Wilderspin, EPIL of Obligations, 3rd ed. 2009, para. 25-019 („Pending a definitive ruling on the point […]“.). 29 Schinkels, in: BeckOGK, 1.8.2018, Art. 11 Rom II-VO Rn. 16; ders., in: Calliess (ed.), Rome, 2nd ed. 2015, Art. 11 Rome II para. 4; Junker, in: MüKo BGB, 8. Aufl. 2021, Art. 11 Rom II-VO Rn. 10; Dornis, RabelsZ 80 (2016), 543, 549; Looschelders, IPRax 2014, 406, 408; Wendelstein, in: Soergel, 13. Aufl. 2019, Art. 11 Rom II-VO Rn. 7; ders., GPR 2014, 46, 47; Plender/Wilderspin, EPIL of Obligations, 3rd ed. 2009, para. 25-020; siehe auch Stürner, in: Erman, 16. Aufl. 2020, Art. 11 Rom II-VO Rn. 14 und LG München I 18.4.2013 – 10 O 6084/12 = IPRax 2014, 438, 439 Rn. 24 (anwendbares Recht stellt Maßstäbe für Berechtigung der Tätigkeit). 30 So ausdrücklich Jakob/Picht, in: Europ. Zivilprozess- und Kollisionsrecht, 4. Aufl. 2016, Art. 11 Rom II-VO Rn. 7; ähnlich Mankowski, in: Encyclopedia Vol. 2, 2017, p. 1303; siehe auch v. Bar/Mankowski, IPR Bd. 2, 2. Aufl. 2019, § 2 Rn. 505 und Wendelstein, in: Soergel, 13. Aufl. 2019, Art. 11 Rom II-VO Rn. 8 sowie ders., GPR 2014, 46, 47 (kollisionsrechtliche Interessenlage veranlasse Unterscheidung nicht). Ähnlich auch Schinkels, in: BeckOGK, 1.8.2018, Art. 11 Rom II-VO Rn. 16, der auf sich sonst ergebende Qualifika27

§ 3 Art. 11 Rom II-VO

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Nur vereinzelt wird die Einbeziehung auch der unberechtigten Geschäftsführung ohne Auftrag in den Anwendungsbereich des Art. 11 Rom II-VO abgelehnt. Zum einen sei der aus dem deutschen Sachrecht bekannte, weite Begriff der Geschäftsführung ohne Auftrag nicht europaweit bekannt.31 Zum anderen ziele Art. 11 Rom II-VO mit seinen Anknüpfungen, insbesondere der in Abs. 3 enthaltenen, auf eine kollisionsrechtliche Privilegierung des Geschäftsführers ab, die dieser dann nicht genießen dürfe, wenn er unberechtigt in den Rechts- und Interessenkreis des Geschäftsherrn eingreift.32 Andere ziehen Art. V.-1:101 DCFR heran, wonach der Anwendungsbereich des Rechtsinstituts auf Fälle zu beschränken sei, in denen ein objektiver Dritter in der Person des Geschäftsführers davon ausgehen darf, dass der Geschäftsherr von der Geschäftsführung profitieren wird.33 Dies solle dazu dienen, die Gerichte von der Aufgabe zu befreien, das subjektive Merkmal des Fremdgeschäftsführungswillens zu untersuchen und zu bewerten.34 4. Zusammenfassung Nach der überwiegenden Auffassung in der Literatur erfordert Art. 11 Rom IIVO ein ohne Auftrag oder sonstige Befugnis erfolgendes Tätigwerden des Geschäftsführers im Rechts- und Interessenkreis des Geschäftsherrn. Der Geschäftsführer muss zumindest auch mit Willen und Bewusstsein zur Fremdgeschäftsführung gehandelt haben, eine Berechtigung oder ähnliches darf nicht vorliegen. II. Stellungnahme Mit diesem Bild vor Augen fragt es sich nun, wie der Begriff des „außervertragliche[n] Schuldverhätlnis[ses] aus Geschäftsführung ohne Auftrag“ im Sinne des Art. 11 Rom II-VO auszulegen ist. Bevor aber direkt auf eine autonome europäische Auslegung rekurriert wird, muss – wie oben ausgeführt35 – tionsschwierigkeiten bei Ansprüchen, die aus einer nachträglich genehmigten unberechtigten Geschäftsführung ohne Auftrag entstehen, verweist. 31 Interessanterweise ist dies einer der Gründe, wieso Junker, in: MüKo BGB, 8. Aufl. 2021, Art. 11 Rom II-VO Rn. 10 die unberechtigte Geschäftsführung ohne Auftrag erfasst; so wohl auch v. Bar/Mankowski, IPR Bd. 2, 2. Aufl. 2019, § 2 Rn. 505 (eine Differenzierung stünde im „Widerspruch zu einer autonomen Qualifikation“). 32 So Limbach, in: NK-BGB, 3. Aufl. 2019, Art. 11 Rom II-VO Rn. 6. A. A. aber v. Bar/Mankowski, IPR Bd. 2, 2. Aufl. 2019, § 2 Rn. 505 (Unterscheidung zwischen berechtigter und unberechtigter Geschäftsführung ohne Auftrag sei „durch die kollisionsrechtliche Interessenlage nicht veranlasst“). 33 Diese Einschränkung ergibt sich nicht unmittelbar aus dem Wortlaut, siehe aber dazu die „Comments“ in v. Bar/Clive (eds.), Principles, Definitions and Model Rules of European Private Law Vol. 3, 2009, p. 2891. 34 Huber/Bach, in: Huber (ed.), Rome II, 2011, Art. 11 para. 3. 35 S. 22 f.

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2. Teil: Die Geschäftsführung ohne Auftrag im IPR

zunächst überprüft werden, ob der Begriff wirklich autonom zu verstehen ist oder seine Konkretisierung nicht der jeweiligen lex fori unterliegt. Insbesondere hier, bei der auftragslosen Geschäftsführung, sind diesbezügliche Bedenken nicht völlig ausgeschlossen, wie zu zeigen sein wird. 1. Autonome Auslegung? Eine solche „Vorprüfung“ muss, wie oben gezeigt,36 die Norm umfassend, d. h. unter Rückgriff auf alle unionsrechtlichen Interpretationsmittel, auslegen. Da nach der hier vertretenen Theorie eines grundsätzlich historisch orientierten Auslegungsziels die Interpretation des Unionsrechts primär auf die Verwirklichung des historischen Gesetzgeberwillens abzielt,37 empfiehlt es sich, mit dem genetischen Auslegungskriterium zu beginnen. In den Erwägungsgründen findet sich keine ausdrückliche Anordnung, den Begriff der Geschäftsführung ohne Auftrag verordnungsautonom auszulegen. Dort heißt es in ErwGr. 11 Rom II-VO lediglich, dass der ihm übergeordnete Terminus des „außervertraglichen Schuldverhältnisses“ autonom zu interpretieren ist. Lediglich für einzelne Unterkategorien, wie etwa das „Verschulden bei Vertragsverhandlungen“ in ErwGr. 30 Rom II-VO oder den des „Rechts des geistigen Eigentums“ in ErwGr. 26 Rom II-VO sowie für weitere, in der Verordnung verwendete Termini38 enthalten die Erwägungsgründe Passagen, aus denen die Anordnung einer autonomen Interpretation ausdrücklich hervorgeht. Auf den ersten Blick ließe sich hieraus der (Umkehr-) Schluss ziehen, dass die Interpretation jener Begriffe, für die eine solche Anordnung fehlt, stets der jeweiligen lex fori obliegt. Dies ginge freilich zu weit. Aus dem Fehlen einer solchen ausdrücklichen Regelung für Art. 11 Rom II-VO kann einzig abgeleitet werden, dass die Begriffsbildung auch der jeweiligen lex fori überlassen worden sein könnte. Zwingend ausgeschlossen ist ein autonomes Begriffsverständnis deshalb aber nicht. Vermutlich wollte der Unionsgesetzgeber in den genannten Fällen nur ausdrücklich sicherstellen, dass diese Begriffe autonom ausgelegt werden. Dass der Begriff „Verschulden bei Vertragsverhandlungen“ dabei als einziges nicht deliktisches außervertragliches Schuldverhältnis eine entsprechende Anordnung erhalten hat, könnte darüber hinaus auch damit erklärt werden, dass eine spezielle Anknüpfung hierfür im ursprünglichen Kommissionsentwurf noch nicht vorgesehen war und erst relativ spät in die Verordnung eingeführt wurde.39 Schließlich zeigt sich auch mit Blick auf 36

S. 22 f. S. 23 ff. 38 Siehe beispielsweise ErwGr. 10 Satz 1 („Familienverhältnisse“), 23 („Einschränkung des Wettbewerbs“), 24 („Umweltschaden“) Rom II-VO. 39 Eine eigene Regelung für das „Verschulden bei Vertragsverhandlungen“ wurde erst mit dem Gemeinsamen Standpunkt des Rates (ABl. 2006 C289E/68, 73) in die Rom II-VO eingeführt. Dies kann als eine Reaktion der Verfasser der Rom II-VO auf den erstmaligen 37

§ 3 Art. 11 Rom II-VO

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ErwGr. 10 Satz 2 oder 27 Rom II-VO, dass das Argument anhand des Umkehrschlusses keinesfalls zwingend ist. Beispielsweise im letztgenannten Erwägungsgrund erklärt der Unionsgesetzgeber explizit, dass die Definition des Begriffs „Arbeitskampfmaßnahme“ aufgrund der Bedeutungsunterschiede in den Mitgliedstaaten der jeweiligen lex fori obliegen soll. Man könnte also auch umgekehrt vertreten, dass der Verordnungsgeber nur jene Normen nicht autonom verstanden wissen will, für die er dies ausdrücklich anordnet. Aus den Erwägungsgründen lässt sich folglich kein eindeutiges Ergebnis ableiten. Gewichtig gegen eine verordnungsautonome Auslegung spricht allerdings die Begründung des ursprünglichen Kommissionsentwurfs; dieser enthält einen etwas verwirrenden Absatz bezüglich der Ausgestaltung einer Kollisionsnorm für „außervertragliche Schuldverhältnisse aus anderer als unerlaubter Handlung“. Da die Rom II-VO sehr wahrscheinlich in englischer Sprache erarbeitet wurde,40 soll die Passage des Verordnungsentwurfs hier der englischen Fassung entnommen werden.41 „To reflect the wide divergences between national systems here, technical terms need to be avoided. This Regulation refers therefore to ‚non-contractual obligations arising out of an act other than a tort or delict‘. In most Member States there are sub-categories for repayment of amounts wrongly received or unjust enrichment on the one hand and agency without authority (negotiorum gestio) on the other. Both the substantive law and the conflict rules are still evolving rapidly in most of the Member States, which means that the law is far from certain. The uniform conflict rule must reflect the divergences in the substantive rules. The difficulty is in laying down rules that are neither so precise that they cannot be applied in a Member State whose substantive law makes no distinction between the various relevant hypotheses nor so general that they might be open to challenge as serving no obvious purpose. Article 9 seeks to overcome the problem by laying down specific rules for the two subKommissionsvorschlag für den Erlass einer Rom I-VO betrachtet werden. Hier wurde – mit Rekurs auf die mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen und die restriktive Auslegung des Vertragsbegriffs durch den EuGH – klargestellt, dass Ansprüche aus Verschulden bei Vertragsverhandlungen von der Verordnung nicht erfasst sein sollten, Art. 1 lit. i des Entwurfs (COM (2005) 650 final, p. 5). Angespielt wurde dabei insbesondere auf die Tacconi-Entscheidung des EuGH (17.9.2002 – C-334/00 = NJW 2002, 3159). Im Zeitpunkt des ersten Entwurfs zur Rom II-VO war diese zwar ebenfalls schon bekannt, siehe COM (2003) 427 final, p. 8 Fn. 15. Hier hieß es aber noch: „It [the Court of Justice] will no doubt refine its analysis when interpreting the proposed regulation.“ Der Verordnungsgeber übte sich also noch in Zurückhaltung – wohl, weil man unsicher war, ob Ansprüche aus Verschulden bei Vertragsverhandlungen dem damaligen EVÜ – dieses schloss seine Anwendbarkeit jedenfalls nicht ausdrücklich aus – oder der Rom II-VO unterfallen, vgl. auch Schinkels, in: BeckOGK, 1.8.2018, Art. 12 Rom II-VO Rn. 5 f. Diese Unsicherheit wurde erst mit den Arbeiten an der Rom I-VO ausgeräumt. 40 Darauf deuten etwa die Entwicklungslinien der Anknüpfungen nach Art. 11 Abs. 2 und 3 Rom II-VO hin. Für bestimmte Dokumente des Europäischen Parlaments hat R. Wagner, in: FS Kropholler, 2008, S. 715, 716 Fn. 12 dies sogar ausdrücklich festgehalten. 41 Zur Maßgeblichkeit der Arbeitssprache bei der Analyse genetischer Materialien siehe S. 44.

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2. Teil: Die Geschäftsführung ohne Auftrag im IPR

categories, unjust enrichment and agency without authority, while leaving the courts with sufficient flexibility to adapt the rule their national systems.“42

Interessant ist insbesondere der letzte Satz. Der Verweis auf die bestehenden Differenzen in den mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen soll offenbar eine von Mitgliedstaat zu Mitgliedstaat verschiedene, flexible Handhabung der Kollisionsnormen für die ungerechtfertigte Bereicherung und Geschäftsführung ohne Auftrag rechtfertigen. Während dies mit den in ErwGr. 27 Rom II-VO ersichtlichen Überlegungen des Verordnungsgebers übereinstimmt, steht genau dies aber in klarem Kontrast zu den Ausführungen bezüglich des Oberbegriffs „außervertragliche Schuldverhältnisse aus anderer als unerlaubter Handlung“; ausweislich der zitierten Passage sollen technische Ausdrücke gerade wegen der Unterschiede in den mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen vermieden werden. Aus demselben Grund stellt ErwGr. 11 Rom II-VO heute klar, dass der Begriff des „außervertraglichen Schuldverhältnisses“ autonom auszulegen ist. Der Unionsgesetzgeber scheint diese Unterschiede also als Argument sowohl für als auch gegen eine europäisch autonome Begriffsbildung zu bemühen. Betrachtet man das Telos der Rom II-VO, wird ersichtlich, dass sie mit ihrer Kollisionsrechtsvereinheitlichung darauf abzielt, die Unterschiede in den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten einzuebnen. Allgemein beabsichtigt sie, das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht europaweit einheitlich zu regeln. Dieses Vorhaben der Rechtsvereinheitlichung ist nicht nur an prominenter Stelle in den Erwägungsgründen (ErwGr. 6 Rom II-VO) niedergelegt, sondern durchzieht auch den Kommissionsentwurf aus dem Jahre 2003.43 Eine solche Rechtsvereinheitlichung muss konsequenterweise auch das dem Wortlaut zugrunde liegende Begriffsverständnis umfassen.44 Dies und gerade die in der vorstehenden Fußnote zitierten Stellen aus dem Kommissionsentwurf von 2003 sprechen sehr stark dafür, die Normen der Rom II-VO grundsätzlich autonom auszulegen, sofern Abweichendes nicht ersichtlich wird. Bestätigt wird dieser Befund mit Blick auf die Begründung im Kommissionsentwurf zu der vom Gesetzgeber gewählten Form des Rechtsakts. Dort 42

COM (2003) 427 final, p. 21. COM (2003) 427 final, p. 2 ff.; siehe auch aaO, p. 7 (Vermeidung von forum shopping durch den Ersatz der über 15 verschiedenen Kollisionsnormensysteme mit nur einem). 44 Deutlich wird dies auch bei COM (2003) 427 final, p. 5: „Instead of having to study often widely differing conflict rules of all the Member States' courts that might have jurisdiction in a case, this proposal allows the parties to confine themselves to studying a single set of conflict rules, thus reducing the cost of litigation and boosting the foreseeability of solutions and certainty as to the law.“ Die genannten Rechtsermittlungskosten sind nur dann niedrig, wenn sich auch das Begriffsverständnis nicht von Mitgliedstaat zu Mitgliedstaat unterscheidet. Siehe darüber hinaus aaO, p. 6: „This proposal for a Regulation would allow parties to determine the rule applicable to a given legal relationship in advance, and with reasonable certainty, especially as the proposed uniform rules will receive a uniform interpretation from the Court of Justice.“ (Hervorh. d. Verf.). 43

§ 3 Art. 11 Rom II-VO

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heißt es, dass das Ziel der Kollisionsrechtsvereinheitlichung durch eine Verordnung am besten erreicht werde, weil den Mitgliedstaaten anders als im Rahmen einer Richtlinie bei der Umsetzung kein Ermessen zusteht.45 Der europäische Gesetzgeber war aber nicht nur bemüht, das Ermessen der mitgliedstaatlichen Legislativorgane einzuschränken. Darüber hinaus können dessen Bemühungen, das Ermessen auch der einzelnen mitgliedstaatlichen Gerichte bei der Anwendung der Rom II-VO so weit wie möglich zu begrenzen, in dem dokumentierten Gesetzgebungsverfahren nachgewiesen werden. Verdeutlichen lässt sich das an einem letztlich nicht übernommenen Änderungswunsch des Europäischen Parlaments: Es schlug vor, den Wortlaut des ErwGr. 14 Rom IIVO wie folgt auszugestalten: „Nevertheless, the need to avoid distortions of competition and the requirement of legal certainty must be tempered by the need to do justice in individual cases, and consequently the courts must have a margin of discretion.“46 Auch wenn damit wohl keine Abweichung von der generellen Anknüpfungsmethode der Rom II-VO – namentlich der Anwendung präziser, aber starrer Verweisungsnormen mit verbleibender Möglichkeit der Herstellung von Einzelfallgerechtigkeit über die jeweiligen Ausweichklauseln – gemeint war,47 schlug der Rat letztlich einen präziser gefassten Wortlaut vor, der die Grundlage für den heutigen ErwGr. 14 Rom II-VO bildet. Wenngleich diese Änderung lediglich terminologischer Natur war,48 lässt sich wohl auch an diesem Beispiel gut verdeutlichen, wie sehr der Unionsgesetzgeber letztlich bemüht war, jeden Zweifel über eine grundsätzlich verordnungsautonome, einheitliche Auslegung auszuräumen. Ferner fragt es sich, wieso lediglich die Begriffe „außervertragliches Schuldverhältnis“ und „Verschulden bei Vertragsverhandlungen“ verordnungsautonom auszulegen sein sollen, nicht aber auch die anderen Institute, die gemeinsam mit dem „Verschulden bei Vertragsverhandlungen“ diese außervertraglichen Schuldverhältnisse bilden. Im Sinne einer einheitlichen Systembildung erscheint es sinnvoll, den in der Rom II-VO verwendeten Anknüpfungsgegenständen allesamt ein autonomes Begriffsverständnis zugrunde zu legen, soweit nicht ein anderes, wie in ErwGr. 27 Rom II-VO, ausdrücklich vorgesehen ist. Schließlich lässt sich ein weiteres, bedeutendes Argument für eine europäisch-autonome Auslegung anführen: Bereits mit dem ersten Blick auf die Wortlaute der verschiedenen Sprachfassungen fällt auf, dass der Unionsgesetzgeber in manchen von ihnen deskriptiv anmutende Begriffe für den Anknüpfungs45

COM (2003) 427 final, p. 8. So die vom Europäischen Parlament gewünschte Änderung, siehe P6_TC2COD(2003)0168 = Official Journal of the European Union 2007 C244E/194, 195. 47 Siehe die vielen unberührt gebliebenen Kollisionsnormen, die gerade Ausdruck dieser Methodik sind, P6_TC2-COD(2003)0168 = Official Journal of the European Union 2007 C244E/199 ff. 48 Siehe dazu R. Wagner, in: FS Kropholler, 2008, S. 715, 729. 46

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gegenstand verwendet hat. So wird etwa in der englischen Textversion die „negotiorum gestio“ als eine „non-contractual obligation arising out of an act performed without due authority in connection with the affairs of another person“ umschrieben. Die spanische Sprachfassung bezieht sich auf die „gestión de negocios“, die wiederum als „una obligación extracontractual que se derive de un acto realizado sin la debida autorizacíon en relación con los negocios de otra persona“ beschrieben wird. Der portugiesische Gesetzestext rekurriert ebenfalls auf den Begriff der „negotiorum gestio“, welchen er als „uma obrigação extracontratual que decorra da práctica de um acto relativamente a negócios alheios sem a devida autorição“ definiert. In diesen Sprachfassungen gibt der Unionsgesetzgeber dem Rechtsanwender bereits durch den Gesetzestext jeweils präzise Umschreibungen in Bezug auf den Anknüpfungsgegenstand an die Hand. Wieso sollten diese nicht einfach einen vorhandenen, national vorgeprägten Systembegriff verwenden, wenn es doch letztlich sowieso nur auf das Begriffsverständnis der lex fori ankommt? Einen solchen vorgeprägten Systembegriff verwenden etwa die deutsche Fassung („außervertragliches Schuldverhältnis aus Geschäftsführung ohne Auftrag“) oder die französische („obligation non contractuelle découlant d’une gestion d’affaires“) sowie die italienische („obbligazione extracontrattuale che deriva da una gestione d’affari altrui“) Textversion. Zwar könnte man argumentieren, dass manche Sprachfassungen solche umschreibenden Passagen als „Verständnishilfe“ enthalten müssten, weil die Mitgliedstaaten, an die sie sich richten,49 ein eigenes Rechtsinstitut in der Form der auftragslosen Geschäftsführung nicht kennen und daher über keinen solchen Systembegriff verfügen. Diese Überlegung griffe aber nur, wenn sich die deskriptiven Begriffe auch ausschließlich in den Sprachfassungen finden ließen, die sich eben an solche Mitgliedstaaten wenden. Dass dies nicht der Fall ist, zeigt ein Blick auf die spanische Textversion. Auch sie enthält erläuternde Passagen, obwohl der spanischen Sachrechtsordnung dieses Rechtsinstitut bekannt ist, vgl. Art. 1888 ff. span. ZGB.50 Gleiches gilt für die portugiesische Textfassung und Rechtsordnung.51 Aus diesem Grund sind jene Sprachfassungen nicht als bloße „Hilfestellung“ anzusehen, so dass schließlich auch die Existenz der verwendeten deskriptiven Termini für eine autonome Auslegung spricht. Im Ergebnis ist der Anknüpfungsgegenstand daher europäisch autonom zu bestimmen. 2. Konkretisierung des Anknüpfungsgegenstands Aus diesem Grund kann mit der europäisch-autonomen Begriffsbildung begonnen werden. Führt man sich die in der Rechtswissenschaft angeführten Gründe 49

Vgl. oben S. 32 f. Dazu unten mehr, S. 142 ff. 51 Auf Spanien und Portugal verweist auch Dickinson, Rome II, 2013, para. 11.06 (Fn. 29). 50

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für oder gegen eine weitere Konkretisierung des Anknüpfungsgegenstands vor Augen, wird ersichtlich, dass oft die mitgliedstaatlichen Sachrechte zur Begründung bemüht werden. Eine solche rechtsvergleichende Betrachtung ist zwar eines der zu berücksichtigenden Auslegungsmittel, sie ist aber nicht das einzige. a) Erkenntnisse aus dem Wortlaut Die autonome europäische Auslegung hat ihren Ausgangspunkt im Wortlaut. Gemäß der aus Art. 55 EUV, 358 AEUV, 4 VO Nr. 1 folgenden Mehrsprachenauthentizität sind bei der Auslegung europäischer Rechtstexte alle Sprachfassungen gleichermaßen zu berücksichtigen.52 Ausgehen soll die grammatische Interpretation an dieser Stelle von jenen Textversionen, die deskriptive Begrifflichkeiten verwenden, da durch sie bereits im Gesetzestext selbst eine nähere und ohne weiteren Aufwand ablesbare Konkretisierung des Anknüpfungsgegenstands vorgegeben wird. Insbesondere die englische Sprachfassung hält, wie gezeigt, eine solche bereit. Hier wird die Geschäftsführung ohne Auftrag als „a non-contractual obligation arising out of an act performed without due authority in connection with the affairs of another person“ beschrieben. Dem englischen Wortlaut entsprechen inhaltlich auch die anderen Sprachfassungen, welche gleichfalls deskriptive Begriffe zur Umschreibung des Anknüpfungsgegenstands enthalten.53 Aus ihnen allen lässt sich ableiten, dass Art. 11 Rom II-VO zumindest jedes auftragslose bzw. unbefugte Tätigwerden im Zusammenhang mit den Belangen einer anderen Person erfasst. Der Begriff „act“ (oder „acto“) ist dabei so offen, dass er rechtsgeschäftliches Handeln und tatsächliches Tätigwerden gleichermaßen erfassen kann. Er scheint aber ein aktives Verhalten zu verlangen; ein Unterlassen dürfte die Anforderungen des Wortlauts nicht erfüllen. Die übrigen Textversionen sind im Rahmen der Wortlautauslegung primär darauf hin zu untersuchen, ob sie einen Terminus verwenden, der in dem entsprechenden Mitgliedstaat, den sie adressieren, bereits eine bestimmte juristische Bedeutung erhalten hat.54 Vermutlich werden sich hier Sprachfassungen finden, die nach der Wortlautauslegung den Anknüpfungsgegenstand enger fassen – etwa weil der verwendete Fachbegriff auf ein Rechtsinstitut Bezug nimmt, das engere Voraussetzungen hat als die oben Genannten. So liegt es beispielsweise bei der deutschsprachigen Fassung: Sie ist nach hier vertretener

52

Siehe auch S. 30 f. Siehe beispielsweise die spanische („obligación extracontractual que se derive de un acto realizado sin la debida autorizacíon en relación con los negocios de otra persona“) und die portugiesische („uma obrigação extracontratual que decorra da práctica de um acto relativamente a negócios alheios sem a devida autorização“) Sprachversion. 54 Siehe oben S. 31 ff. 53

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2. Teil: Die Geschäftsführung ohne Auftrag im IPR

Auffassung55 hypothetisch in eine deutsche und eine österreichische aufzuspalten, so dass sie jene Mitgliedstaaten repräsentiert, deren Amtssprache Deutsch ist und deren entsprechender Rechtstext – gemeint ist jener, in dem der Begriff „Geschäftsführung ohne Auftrag“ beschrieben wird – verbindlich in Deutsch abgefasst ist. Betrachtet man die so gebildete österreichische Version, wird ersichtlich, dass sie den Begriff „Geschäftsführung ohne Auftrag“ verwendet, welcher in Österreich eine bereits feststehende juristische Bedeutung hat. Die österreichische Geschäftsführung ohne Auftrag kennzeichnet sich aber dadurch, dass sie nur solche Geschäftsführungsmaßnahmen umfasst, die (zumindest auch) mit Fremdgeschäftsführungswillen erbracht worden sind.56 Diese – und auch weitere, vielleicht sogar noch enger gefasste – Sprachfassungen haben für die Auslegung anhand des Wortlauts aber keine weitere Bedeutung. Denn diesem Kriterium kommen im Rahmen der Auslegung, wie oben dargestellt,57 nur zwei Funktionen zu: Erstens die Freilegung aller möglichen Bedeutungsvarianten und zweitens die Ermittlung des Auslegungsrahmens. Von echter praktischer Relevanz ist nur die letztgenannte Funktion, da sie die Auslegung zur Lückenfüllung abgrenzt. Weil aber die jeweils weiteste Sprachfassung diese Grenze markiert58 und es äußerst unwahrscheinlich erscheint, dass sich ein noch großzügigerer Wortlaut findet als jener der englischen, spanischen oder portugiesischen, kann an dieser Stelle auf eine weitergehende Analyse des Wortlauts verzichtet werden. b) Historie und Genese Der historisch-genetischen Auslegung kommt besonderes Gewicht zu, da nach der hier vertretenen Auffassung jede europäisch autonome Auslegung primär auf die Verwirklichung des historischen Gesetzgeberwillens abzielt.59 Auf diesen lässt insbesondere die genetische Auslegung meist besonders deutliche Rückschlüsse zu. Zunächst aber kurz zur historischen Auslegung,60 die vorliegend ins Leere führt. Auf europäischer Ebene existierte keine Vorgängerregelung für Art. 11 Rom II-VO; insbesondere das EVÜ war lediglich ein Abkommen für das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht. Ferner folgte der Verordnungsgeber bei Art. 11 Rom II-VO ersichtlich keiner mitgliedstaatlichen Vorbildnorm.

55

S. 32 f. Siehe dazu nur IPG 2015–2017 Nr. 5, Rn. 6 und eingehend auch unten, S. 129 ff. 57 S. 34. 58 Siehe S. 19 ff. 59 S. 23 ff. 60 Dazu S. 41 f.

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Auch in genetischer Hinsicht61 scheint das Auslegungskriterium auf den ersten Blick nicht wirklich weiterzuführen. Der Anknüpfungsgegenstand hat im Vergleich zur äußeren Einkleidung der Kollisionsnorm sowie der in Abs. 3 enthaltenen Anknüpfung ersichtlich bloß geringe Beachtung im Rahmen der Normfindung erfahren. Auffällig ist nur, dass noch der erste Verordnungsentwurf eine Differenzierung zwischen Maßnahmen vorsah, die allgemein als Einmischung in fremde Rechts- und Interessenkreise begriffen werden konnten,62 und solchen, die speziell auf den Schutz einer Person oder einer Sache gerichtet sind, also eine Hilfeleistung darstellen.63 Von dieser Aufspaltung der kollisionsrechtlichen Anknüpfung rückte der Verordnungsgeber im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens aber wieder ab,64 so dass sich diese Fallgruppen auch nicht mehr in der endgültig erlassenen Verordnung wiederfinden. Diese Absage wird man allerdings wohl nicht auf die zugrunde liegenden Fallgruppen, sondern nur auf deren jeweilige gesonderte Anknüpfung beziehen können; die Fallgruppen blieben im Laufe des Gesetzgebungsverfahren ohne ausdrücklichen Widerspruch. Es kann daher angenommen werden, dass sie auch heute noch Beispiele für Schuldverhältnisse aus Geschäftsführung ohne Auftrag darstellen.65 Sie können folglich zur Konkretisierung des Anknüpfungsgegenstands herangezogen werden. In erster Linie stützen sie das im Rahmen der Wortlautauslegung gefundene Ergebnis. Mit Blick auf die Fallgruppe der „Hilfeleistung“ in Bezug auf eine Person oder Sache kann zunächst festgehalten werden, dass die Geschäftsführungshandlung in tatsächlichem Tätigwerden bestehen kann, weil solche Hilfeleistungsmaßnahmen wohl typischerweise durch tatsächliches Handeln vorgenommen werden. Darüber hinaus spricht das vom Verordnungsentwurf angeführte Beispiel für die (sonstigen) Einmischungen in den Rechts- und Interessenkreis eines anderen, namentlich die Begleichung fremder Schulden,66 dafür, dass auch rechtsgeschäftliches Handeln die Anforderungen an den „act“ erfüllen wird. Außerdem bestätigen sie die im Rahmen der Wortlautauslegung 61

Zur genetischen Auslegung siehe S. 42 ff. Siehe den englischen Wortlaut des Art. 9 Abs. 4 Satz 1 VO-E bei COM (2003) 427 final, p. 35: „[…] the law applicable to a non-contractual obligation arising out of actions performed without due authority in connection with the affairs of another person“. Siehe auch die Begründung zu dieser Regelung, COM (2003) 427 final, p. 22: „measures of interference in the assets of another person“. 63 Siehe den englischen Wortlaut des Art. 9 Abs. 4 Satz 2 VO-E bei COM (2003) 427 final, p. 36: „However, where a non-contractual obligation arising out of actions performed without due authority in connection with the affairs of another person relates to the physical protection of a person or of specific tangible property, the law applicable shall be the law of the country in which the beneficiary or property was situated at the time of the unauthorised action“. 64 Vgl. S. 96 ff. 65 Schinkels, in: BeckOGK, 1.8.2018, Art. 11 Rom II-VO Rn. 12. 66 Siehe COM (2003) 427 final, p. 22. 62

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2. Teil: Die Geschäftsführung ohne Auftrag im IPR

angestellte Vermutung, wonach bloßes Unterlassen oder bloße Untätigkeit aus dem Anwendungsbereich von Art. 11 Rom II-VO fallen, weil beide Fallgruppen ein proaktives Verhalten erfordern: die Einmischung in den fremden Rechts- und Interessenkreis. Dies ist aber nicht allzu gravierend; in den meisten Fällen wird man wohl mithilfe einer Schwerpunktbetrachtung zu dem Ergebnis gelangen, dass dieser auf einem aktiven Tun liegt, so dass gleichwohl eine „Geschäftsführung“ angenommen werden kann.67 Ferner, und das soll nur der Vollständigkeit halber erneut erwähnt werden, lässt sich aus den Fallgruppen schließen, dass es eines Eingriffs in einen fremden Rechts- und Interessenkreis, also das Vorliegen eines fremden Geschäftes, bedarf. Lässt sich aus diesen Fallgruppen aber wirklich eine weitere Konkretisierung des Anknüpfungsgegenstands ableiten? Wenigstens mit Blick auf die Anknüpfung für die Fälle, die als eine Hilfeleistung qualifiziert werden, könnte man auf den ersten Blick meinen, dass sich aus dem genetischen Kriterium das Erfordernis eines Willens zur Förderung fremder Interessen, also eines Fremdgeschäftsführungswillens, ergibt. Allerdings kann die zweite Fallgruppe, die (sonstige) Einmischung in fremde Rechts- und Interessenkreise, typischerweise auch ohne das Vorliegen eines Fremdgeschäftsführungswillen verwirklicht werden. Schon die von der Kommission als charakteristisches Beispiel für einen solchen sonstigen Eingriff in fremde Rechts- und Interessenkreise genannte Begleichung fremder Schulden verdeutlicht dies hervorragend, wie sogleich zu zeigen sein wird.68 Aus dem genetischen Kriterium allein lässt sich also nicht zweifelsfrei folgern, dass Art. 11 Rom II-VO das Vorliegen eines Fremdgeschäftsführungswillens erfordert. Man kann zusammenfassend lediglich ableiten, dass Art. 11 Rom II-VO ein auftragsloses bzw. unbefugtes Tätigwerden im fremden Rechts- und Interessenkreis verlangt. Dieses Ergebnis entspricht den Erkenntnissen, die aus dem grammatischen Kriterium gewonnen wurden. c) Systematische Erwägungen Die Wortlautauslegung sowie die historisch-genetische Interpretation liefern keine weitergehenden Differenzierungen. Daher ist zur Beantwortung der Frage, ob (und wenn ja wie) der Anknüpfungsgegenstand des Art. 11 Rom IIVO weiter zu konkretisieren ist, zunächst eine systematische Betrachtung anzustellen. Dafür soll das Statut der auftragslosen Geschäftsführung von den anderen in der Rom II-VO geregelten und abweichend angeknüpften Sachbereichen abgegrenzt werden. Dieser Erwägung liegt die These zugrunde, dass 67

Siehe nur das Beispiel bei Plender/Wilderspin, EPIL of Obligations, 3rd ed. 2009, para. 25-021: Ein Bootskapitän stoppt die Motoren seines Schiffes, um die Weiterfahrt zu unterbrechen und so den lauernden Piraten aus dem Weg zu gehen. Hier wird man in dem Stoppen der Maschinen eine Geschäftsführung erblicken können. 68 S. 113 ff.

§ 3 Art. 11 Rom II-VO

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sich Art. 11 Rom II-VO mit seinem Anknüpfungsgegenstand widerspruchsund friktionslos in das Regelungsgefüge der Rom II-VO einzufügen hat. aa) Ausgangspunkt: Widerspruchs- und Friktionslosigkeit der Rom II-VO Ausweislich des Art. 1 Abs. 1 Satz 1 Rom II-VO soll die Verordnung für außervertragliche Schuldverhältnisse gelten. Der Begriff des „außervertraglichen Schuldverhältnisses“ ist gemäß ErwGr. 11 Rom II-VO verordnungsautonom zu bestimmen. Aus ErwGr. 29 Rom II-VO, Art. 2 Abs. 1 Rom II-VO sowie der äußeren Systematik der Verordnung kann geschlossen werden, dass sich der Begriff aus den außervertraglichen Schuldverhältnissen aus unerlaubter Handlung, ungerechtfertigter Bereicherung, Geschäftsführung ohne Auftrag und Verschulden bei Vertragsverhandlungen zusammensetzt.69 Anders als noch im Kommissionsentwurf aus dem Jahre 2003 sieht die Rom II-VO keine Auffangvorschrift für sonstige außervertragliche Schuldverhältnisse aus anderer als unerlaubter Handlung vor.70 Ein außervertragliches Schuldverhältnis im Sinne der Rom II-VO ist also entweder dem Statut der unerlaubten Handlung, der ungerechtfertigten Bereicherung, der Geschäftsführung ohne Auftrag oder des Verschuldens bei Vertragsverhandlungen zuzuordnen. Folglich ist der Anknüpfungsgegenstand des Art. 11 Rom II-VO zu den Statuten der Art. 4 ff., 10 und 12 Rom II-VO abzugrenzen. bb) Erforderlichkeit eines Fremdgeschäftsführungswillens Versucht man, die bislang gewonnene Definition des Anknüpfungsgegenstands anhand der im ursprünglichen Verordnungsentwurf vorhandenen verschiedenen Fallgruppen zu veranschaulichen und grenzt hierbei zu den Art. 4 ff., 10 und 12 Rom II-VO ab, wird das Erfordernis (irgend-) eines Fremdgeschäftsführungswillens augenfällig. Dies ist, wie bereits angedeutet, der Fall, wenn man die in Art. 9 Abs. 4 Satz 1 VO-E und die seinerzeit dort enthaltene Anknüpfung aller sonstigen Einmischungen in einen fremden Rechts- und Interessenkreis in den Blick nimmt. Diese Gruppe an möglichen Fallgestaltungen ist sehr weit gefasst: Einmischungen in fremde Rechts- und Interessenkreise sind immer dann gegeben, 69

Siehe auch EuGH 21.1.2016 – C-359/14, C-475/14 = NJW 2016, 1005, 1006 Rn. 45 f. Zur Regelung im Kommissionsentwurf aus 2003 siehe oben S. 96 f. Dass der Kommissionsentwurf noch eine solche enthielt, gründete sich wohl auf der seinerzeit herrschenden Unsicherheit, ob Ansprüche aus Verschulden bei Vertragsverhandlungen dem EVÜ oder der Rom II-VO unterfallen. Nachdem aber mit Beginn der Arbeiten an der Rom I-VO diese Zweifel beseitigt wurden (siehe oben Fn. 39 [2. Teil]), entfiel wohl aus Sicht des Verordnungsgebers der Bedarf an einem Auffangtatbestand. Daher gibt es aus deutscher sachrechtlicher Perspektive manche Schuldverhältnisse, die weder der Rom I- noch der Rom II-VO zuzuordnen sind; als Beispiel wird die Haftung aus Unternehmensfortführung genannt, siehe Junker, in: MüKo BGB, 8. Aufl. 2021, Art. 1 Rom II-VO Rn. 5. 70

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2. Teil: Die Geschäftsführung ohne Auftrag im IPR

wenn etwa eine unerlaubte Handlung vorliegt, und können mitunter auch bei Ansprüchen aus ungerechtfertigter Bereicherung bestehen. Das wohl beste Beispiel dafür liefert die Begründung zum Kommissionsentwurf aus dem Jahre 2003 selbst – namentlich die Begleichung fremder Schulden. Sie wurde dort als das Beispiel für sonstige Einmischungen des Geschäftsführers in fremde Rechts- und Interessenkreise im Sinne des damaligen Art. 9 Abs. 4 Satz 1 angeführt.71 Blickt man auf Art. 10 Rom II-VO, der das Statut der ungerechtfertigten Bereicherung regelt, erkennt man, dass sich dessen Anwendungsbereich an der Funktion seines Regelungsgegenstands, also des Bereicherungsrechts, orientiert und somit die Rückabwicklung rechtsgrundlos erfolgter Vermögensverschiebungen erfasst.72 Eine solche Rückabwicklung kommt beispielsweise auch dann in Betracht, wenn jemand eine fremde Schuld tilgt ohne dazu selbst verpflichtet zu sein. Nach der bislang gefundenen, weiten Definition der „Geschäftsführung ohne Auftrag“ im hier untersuchten Sinn wäre also der Anwendungsbereich von Art. 10 und 11 Rom II-VO eröffnet. Da dies nicht im Sinne des Verordnungsgebers sein kann,73 muss bei einem der beiden Institute ein einschränkendes Merkmal hinzugefügt werden, um diese Friktion aufzuheben. Hierzu bietet es sich an, Art. 11 Rom II-VO aufgrund seines (nach dem bislang hier gefundenen Interpretationsergebnis) recht weit gezogenen Anwendungsbereichs enger zu fassen. Es ist einschränkend zu verlangen, dass der Geschäftsführer (zumindest auch) den Willen haben muss, die Interessen einer anderen Partei zu fördern. Voraussetzung für die Anwendung von Art. 11 Rom II-VO ist somit das Vorliegen von Fremdgeschäftsführungswillen74 und – implizit – Fremdgeschäftsführungsbewusstsein. Dass nicht der Anknüpfungsgegenstand von Art. 10 Rom II-VO, sondern jener des Art. 11 Rom II-VO in dieser Hinsicht zu konkretisieren ist, bestätigt sich mit einem Blick auf weitere Fallgruppen, die als eine Einmischung in fremde Rechts- und Interessenkreise begriffen werden können. Beispielhaft zu nennen sei hier etwa der Dritte, der eine im fremden Eigentum befindliche Sache beschädigt oder zerstört. Die Beschädigung oder gar Zerstörung einer fremden Sache ist jedenfalls nach deutschem Verständnis zweifellos deliktisch zu qualifizieren, was auch unter dem europäisch-autonomen Maßstab der Rom II-VO gilt: Von Art. 4 Rom II-VO (und seinen speziellen Ausprägungen in den Art. 5 bis 9 Rom II-VO) erfasst ist jede Schadenshaftung, die nicht auf

71 COM (2003) 427 final, p. 22: „In the case of measures of interference in the assets of another person, as in the case of payment of a third-party debt, […].“ 72 Siehe nur Junker, in: MüKo BGB, 8. Aufl. 2021, Art. 10 Rom II-VO Rn. 13 mwN. 73 Vgl. oben S. 37 f. 74 Das Abgrenzungsproblem zwischen Art. 10 und 11 Rom II-VO illustriert an diesem Beispiel auch Junker, in: MüKo BGB, 8. Aufl. 2021, Art. 10 Rom II-VO Rn. 12.

§ 3 Art. 11 Rom II-VO

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einem Vertrag beruht.75 Erforderlich ist sowohl die Geltendmachung eines Schadens als auch die Forderung nach einem Ausgleich dafür.76 Beide Voraussetzungen sind in dem gebildeten Beispielsfall erfüllt. Zugleich aber kann in der Beschädigung oder Zerstörung einer Sache auch eine Einmischung in fremde Rechts- und Interessenkreise erblickt werden, da grundsätzlich nur der Eigentümer zu diesen Handlungen befugt ist und sich der zerstörende Dritte bzw. der Dieb durch seine Handlungen diese Eigentümerstellung anmaßt. Kein Jurist würde bei der Lösung solcher Fälle indes ernsthaft zuerst an Ansprüche aus Geschäftsführung ohne Auftrag denken; dies gilt ganz besonders bei dem Dritten, der die fremde Sache nicht einmal in Besitz nimmt, sondern schlicht zerstört. Verlangte Art. 11 Rom II-VO keinen Fremdgeschäftsführungswillen, wären sie aber nicht nur von Art. 4 ff., sondern auch von Art. 11 Rom II-VO erfasst. Erforderlich für die Anwendung von Art. 11 Rom II-VO muss also ein (zumindest auch) vorhandener Fremdgeschäftsführungswillen sein. Ausgeschlossen sind damit zugleich jene Fälle, in denen es schon am Fremdgeschäftsführungsbewusstsein fehlt. Ungeklärt bleibt aber die Frage, welche Anforderungen an den Fremdgeschäftsführungswillen zu stellen sind. Genügt wie im deutschen Sachrecht ein zumindest teilweise vorhandener Wille zur Förderung fremder Interessen oder muss die tragende, überwiegende Intention altruistischer Natur sein? Darüber hinaus ist offen, ob Art. 11 Rom II-VO nur (subjektiv) erwünschte oder (objektiv) vorteilhafte Geschäftsführungen erfassen soll. Die bisherigen Interpretationskriterien sind zu diesen Fragen nicht ergiebig. d) Teleologische Kriterien Daher müssen letztlich teleologische Kriterien die Antwort auf diese Fragen liefern. Bereits in Teil 1 wurde am Beispiel des Anknüpfungspunkts aufgezeigt, dass sich dieses Interpretationskriterium mit der Wertungsjurisprudenz am inneren System orientiert. In Bezug auf den Anknüpfungsgegenstand ist dies nicht anders. Auch hier finden die teleologischen Ausführungen ihren Ausgangspunkt in den Erkenntnissen der Wertungsjurisprudenz. Die Ermittlung, Bewertung und Abwägung der privaten Rechtsanwendungsinteressen vermag also nicht nur zu erklären, wie Anknüpfungspunkte bestimmt werden, sondern auch, wie sich Anknüpfungsgegenstände bilden. Diesen Vorgang hat

75 Siehe nur Junker, in: MüKo BGB, 8. Aufl. 2021, Art. 4 Rom II-VO Rn. 14 mwN zur EuGH-Judikatur. 76 Rühl, in: BeckOGK, 1.12.2017, Art. 4 Rom II-VO Rn. 36. Insbesondere letztere Voraussetzung grenzt die Art. 4 ff. Rom II-VO zum Institut der ungerechtfertigten Bereicherung in Art. 10 Rom II-VO ab, welches Ansprüche erfasst, die demgegenüber eine Abschöpfungsfunktion haben (und deshalb auch einen Vermögenszuwachs auf Seiten des Schuldners voraussetzen), siehe Schinkels, in: BeckOGK, 1.8.2018, Art. 10 Rom II-VO Rn. 9.

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2. Teil: Die Geschäftsführung ohne Auftrag im IPR

Klaus Schurig77 anhand der im Spiel befindlichen „Interessen“ erklärt; sein sogenanntes „Bündelungsmodell“ soll nachfolgend skizziert werden. aa) Ausgangspunkt: Wertungsjurisprudenz – Bündelungsmodell (1) Darstellung Bereits oben wurde aufgezeigt, dass der Anknüpfungsgegenstand einer autonomen deutschen Kollisionsnorm eine bestimmte teleologisch zusammengehörige Normgruppe des Sachrechts bezeichnet, der aus diesem Grund von der lex fori vorgeprägt wird.78 Dabei muss er aber auch flexibel genug sein, um alle mit dieser Normgruppe vergleichbaren Sachnormen auf der Welt einzufassen. Es soll letztlich keine Sachnorm existieren, die sich nicht einer (geschriebenen oder ungeschriebenen) international-privatrechtlichen Norm subsumieren lässt. Dem IPR kommt deshalb genau genommen nicht nur die Aufgabe zu, den Sachverhalt mit den aus kollisionsrechtlicher Sicht „gerechten“ Sachnormen zu verknüpfen, sondern auch innerhalb seines eigenen Anwendungsbereichs jeder potentiell anwendbaren Sachrechtsnorm auf der Welt ihren kollisionsrechtlichen Anwendungsbereich zuzuweisen.79 An diesem Punkt setzt Schurig an und postuliert, dass Kollisionsnormen die Summe aus einer Vielzahl an kollisionsrechtlichen Einzelverknüpfungen individueller Sachnormen mit den ihnen zugrunde liegenden Sachverhalten seien (sog. Elementkollisionsnormen). Diese Einzelverknüpfungen bestimmen sich jeweils durch die kollisionsrechtlichen Interessen.80 Kollisionsnormen entstehen nun dadurch, dass eine Vielzahl an solchen Einzelverknüpfungen, also Elementkollisionsnormen, zusammengefasst, gebündelt, werden.81 Auch dies richtet sich wieder nach den maßgeblichen Interessen: Zusammenfassen bzw. bündeln, lassen sich jene Elementkollisionsnormen, die „auf einer einander ähnlichen kollisionsrechtlichen Interessenabwägung beruhen, welche stets zu demselben Ergebnis, nämlich zu derselben abstrakten Anknüpfung, führt“82.

77

Kollisionsnorm, 1981, S. 89 ff. Siehe oben S. 63. 79 Schurig, in: Mansel (Hrsg.), IPR im 20. Jahrhundert, 2014, S. 5, 14. Ein solcher Ansatz am Gesetz steht auch nicht im Gegensatz zu dem eigentlich vom Sachverhalt ausgehenden „klassischen“ IPR, weil es sich nur um die andere Seite desselben Problems handelt, solange der Anwendungsbereich „autonom“ bestimmt und nicht auf den „Anwendungswillen“ des Gesetzes abgestellt wird, siehe ders., Kollisionsnorm, 1981, S. 89 ff., insb. 92. 80 Schurig, in: Mansel (Hrsg.), IPR im 20. Jahrhundert, 2014, S. 5, 14; siehe auch ders., Kollisionsnorm, 1981, S. 102 f. 81 Schurig, in: Mansel (Hrsg.), IPR im 20. Jahrhundert, 2014, S. 5, 14; ders., Kollisionsnorm, 1981, S. 102. 82 Schurig, in: Mansel (Hrsg.), IPR im 20. Jahrhundert, 2014, S. 5, 14. 78

§ 3 Art. 11 Rom II-VO

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Diese Bündelung erfolgt in horizontaler wie vertikaler Hinsicht.83 Die horizontale Bündelung entscheidet darüber, welche der verschiedenen Rechtsordnungen auf der Welt in eine Kollisionsnorm einbezogen werden und welche nicht. Sie beantwortet demnach die Frage, ob eine Kollisionsnorm allseitig, beschränkt allseitig oder einseitig ausgestaltet ist.84 In vertikaler Hinsicht werden teleologisch einander nahestehende materiell-rechtliche Normen zusammengefasst. Der „Systembegriff“ respektive der Anknüpfungsgegenstand bündelt somit die Normen eines aufgrund der zugrunde liegenden materiell-rechtlichen Interessenabwägung zusammenhängenden Sachgebietes.85 (2) Überführung in die Wertungsjurisprudenz Nicht unerwähnt darf an dieser Stelle indes bleiben, dass Schurigs Modell der weite Interessenbegriff der Interessenjurisprudenz zugrunde liegt.86 Aufgrund der oben dargestellten Gründe87 ist sein „Bündelungsmodell“ allerdings vor dem Hintergrund der Wertungsjurisprudenz zu verstehen. Mit „Interessen“ sind demnach stets und ausschließlich die privaten Rechtsanwendungsinteressen gemeint. Deren Bewertung und Abwägung vollzieht sich nach gesetzesimmanenten Maßstäben, so dass das „innere System“ einer Rechtsordnung maßgebend ist.88 Das gilt nicht nur für die Einzelverknüpfung der jeweiligen Sachnorm mit dem Sachverhalt.89 Auch für ihre Bündelung ist entscheidend, welche Sachnormen wertungsmäßig zusammengefasst werden. In Bezug auf letzteres ergibt sich aber kein großer Unterschied zu Schurig, der letztlich auf die in den Normen zum Ausdruck kommenden Wertungen abstellt, indem er die vergleichbare Interessenabwägung für maßgeblich erklärt.90 (3) Bedeutung für Art. 11 Rom II-VO Hier steht Art. 11 Rom II-VO, also eine bereits erlassene Kollisionsnorm in Rede. Eine Interessenfeststellung, -bewertung und -abwägung durch den Unionsgesetzgeber hat bereits stattgefunden. Diese kann allerdings aufgrund der unzureichenden Aussagekraft der vorgenannten Auslegungskriterien nicht vollständig nachvollzogen werden. Es ist daher nun Aufgabe des Rechtsan83 Schurig, in: Mansel (Hrsg.), IPR im 20. Jahrhundert, 2014, S. 5, 14 f.; ders., Kollisionsnorm, 1981, S. 102. 84 Schurig, in: Mansel (Hrsg.), IPR im 20. Jahrhundert, 2014, S. 5, 15; ders., Kollisionsnorm, 1981, S. 105 f. 85 Schurig, in: Mansel (Hrsg.), IPR im 20. Jahrhundert, 2014, S. 5, 14; ders., Kollisionsnorm, 1981, S. 102 ff. 86 Siehe dazu oben S. 68 ff. 87 Zur Kritik an der Interessenlehre siehe S. 70 ff.; zur Wertungsjurisprudenz S. 75 ff. 88 Vgl. S. 82 ff. und 92 f. 89 Vgl. dazu schon oben S. 61 ff. 90 Schurig, in: Mansel (Hrsg.), IPR im 20. Jahrhundert, 2014, S. 5, 14.

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wenders, die in Art. 11 Rom II-VO zum Ausdruck kommende Bündelung weiter zu entschlüsseln. Da die Kollisionsnorm allseitig ausgestaltet ist, muss auf die horizontale Bündelungsebene nicht eingegangen werden. Hier interessiert lediglich, wie die Elementkollisionsnormen durch Art. 11 Rom II-VO in vertikaler Hinsicht gebündelt werden; mit anderen Worten ist fraglich, welche Sachnormen – und damit welche der diesen zugrunde liegenden Lebenssachverhalte – von Art. 11 Rom II-VO erfasst werden. Um dies zu beantworten, müsste der Blick eigentlich zunächst auf die materiell-rechtlichen Regelungen des europäischen Gesetzgebers fallen, da sich die Anknüpfungsgegenstände der Kollisionsnormen, wie gezeigt,91 an die Regelungen der lex fori anlehnen. Allerdings kennt das europäische Privatrecht keine dem Institut der Geschäftsführung ohne Auftrag entsprechende Regelung, an der sich der europäische Gesetzgeber bei der Aufstellung seiner Kollisionsnorm hätte orientieren können. Aus diesem Grund wird man sich letztlich die Frage stellen müssen, wie die Institute der Geschäftsführung ohne Auftrag jeweils in den Mitgliedstaaten ausgestaltet sind und wie sie kollisionsrechtlich behandelt werden. Aus einer solchen Analyse wird sich ableiten lassen, wie die Mitgliedstaaten die den verschiedenen Sachverhalten zugrunde liegenden Interessen bei der Normbildung bewertet und abgewogen haben; mit anderen Worten ist danach zu fragen, welche Sachbereiche die Mitgliedstaaten dem Institut der Geschäftsführung ohne Auftrag wertungsmäßig zuordnen. Daran (und, soweit vorhanden, auch an der Ausgestaltung ihrer eigenen kollisionsrechtlichen Regelung) richtet sich die Bestimmung der Reichweite der europäischen international-privatrechtlichen Geschäftsführung ohne Auftrag aus.92 Kann also aus den mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen eine gemeineuropäische Wertung gewonnen werden, die den Anknüpfungsgegenstand des Art. 11 Rom II-VO weiter einschränkt? bb) Die Geschäftsführung ohne Auftrag in den mitgliedstaatlichen (Sach-) Rechtsordnungen Hierzu ist zunächst anzumerken, dass ein Blick in alle mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen an dieser Stelle nicht geleistet werden kann. Zum einen würde dies den Umfang der vorliegenden Untersuchung sprengen. Zum anderen sind die Sprachkompetenzen des Verfassers begrenzt. Daher werden sich die nachfolgenden Ausführungen auf einige wenige ausgewählte Rechtsordnungen konzentrieren. Es ist an dieser Stelle aber auch nicht nötig, einen solchen umfassenden Überblick zu leisten. Denn entscheidend ist gerade nicht die Feststellung eines 91

Siehe oben S. 63. Vgl. zur Begründung der These, dass die mitgliedstaatlichen (Sach-) Rechtsordnungen aus wertungsjuristischer Sicht subsidiär für die teleologische Auslegung relevant sind, oben S. 58 f. und insb. 87 f. 92

§ 3 Art. 11 Rom II-VO

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„Mindestkonsens“ an Wertungen in den mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen. Voraussetzung für eine zulässige Orientierung an den in den mitgliedstaatlichen Sachrechtsordnungen zutage tretenden Wertungen ist vielmehr, dass sich in einer Mehrzahl von Rechtsordnungen eine bestimmte Wertung findet und keine andere Sachrechtsordnung dieser zuwiderläuft. Eine Einschränkung des Anwendungsbereichs auf der Grundlage von gemeinsamen Wertungen der Mitgliedstaaten müsste ferner dann ausscheiden, wenn ihre Regelungssysteme so weit voneinander entfernt sind, dass überhaupt kein konsensfähiger Inhalt gefunden werden kann.93 Im Folgenden wird sich selbst bei Betrachtung einiger weniger mitteleuropäischer Rechtsordnungen zeigen, dass letzteres der Fall ist; bereits sie liegen zu weit auseinander, als dass das bislang gefundene Interpretationsergebnis des Anknüpfungsgegenstands mittels einer gemeineuropäischen Wertung weiter ausdifferenziert werden kann. (1) Kein Rückgriff auf den DCFR Beachtenswert erscheinen zu Beginn der Untersuchung zunächst die Regelungen des DCFR.94 Dieser ist das Ergebnis einer gemeinsamen Arbeit der Study Group on a European Civil Code und der Research Group on EC Private Law. Ziel dieser Arbeitsgemeinschaften war es, mit dem DCFR Prinzipien, Definitionen und Modellregeln95 eines europäischen Privatrechts unter Berücksichtigung der mitgliedstaatlichen (Sach-) Rechtsordnungen und des acquis communautaire des Gemeinschaftsprivatrechts zu erarbeiten. Die Forschung der beiden Gruppen wurde von der Europäischen Kommission initiiert und finanziell unterstützt,96 die sich hiervon Anregungen für rechtsvereinheitlichende Gesetzgebungsakte erhoffte.97 Der DCFR selbst möchte einen akademischen Referenzrahmen für diesen Zweck bieten. Politischer Natur ist er zwar nicht und Gesetzeskraft kommt ihm deshalb erst recht nicht zu,98 allerdings entsprechen sein äußerer Aufbau und die Gestaltung der Prinzipien einem „echten“ Rechtsakt. Obwohl es sich beim DCFR in formaler Hinsicht lediglich um einen akademischen Regelungsvorschlag für ein gemeineuropäisches Privatrecht handelt, könnte man aber schon ob dessen Selbstverständnisses als ein Referenzrahmen für Rechtsvereinheitlichung und -angleichung durchaus erwägen, seine Ergeb93

Vgl. dazu schon oben S. 58 f. und insb. 87 f. Siehe v. Bar/Clive (eds.), Principles, Definitions and Model Rules of European Private Law Vol. 1–6, 2009. 95 Zu diesen Begriffen näher v. Bar/Clive (eds.), Principles, Definitions and Model Rules of European Private Law Vol. 1, 2009, p. 4 et. seq. 96 Siehe v. Bar/Clive (eds.), Principles, Definitions and Model Rules of European Private Law Vol. 1, 2009, p. 2. 97 Vgl. ABl. 2003 C63/4, 11. 98 Siehe auch v. Bar/Clive (eds.), Principles, Definitions and Model Rules of European Private Law Vol. 1, 2009, p. 3. 94

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nisse auch für die Interpretation des existierenden Unionsrechts fruchtbar zu machen. Immerhin scheint der DCFR mit seinem rechtsvergleichenden Ansatz genau das zu bieten, was oben für die Heranziehung der in den mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen zum Ausdruck kommenden Wertungen verlangt wurde. Aus diesem Grund lohnt ein genauerer Blick. Die Regelungen zum DCFR finden sich in zehn Büchern und bilden eine große thematische Bandbreite ab: Sie umfassen neben allgemeinen Bestimmungen zum Anwendungsbereich und der Handhabung des DCFR auch Vorschriften zum Vertragsschluss. Ferner finden sich Regelungen betreffend das allgemeine Schuldrecht sowie solche zu einzelnen vertraglichen Schuldverhältnissen. Darüber hinaus existieren Programme für verschiedene außervertragliche Schuldverhältnisse und auch sachenrechtliche Bestimmungen.99 In seinem „Book V“ sieht der DCFR auch Regelungen für die „Benevolent intervention in another’s affairs“ vor. Ein solches gesetzliches Schuldverhältnis entsteht gemäß Art. V.-1:101: (1) DCFR, wenn der Geschäftsführer („intervener“) mit überwiegend altruistischer Absicht für einen anderen, den Geschäftsherrn, („predominant intention of benefiting another, the principal“) gehandelt hat. Ferner wird vorausgesetzt, dass entweder der Geschäftsführer einen nachvollziehbaren Grund für sein Handeln gehabt hat („reasonable ground for acting“) oder der Geschäftsherr die Geschäftsführung ohne ungebührliche Verzögerung genehmigt („or the principal approves the act without such undue delay […]“); ein vernünftiger Grund liegt gemäß Art. V.-1:101: (2) DCFR nicht vor, wenn der Geschäftsführer den entgegenstehenden Willen des Geschäftsherrn kannte oder kennen musste, oder er es trotz bestehender angemessener Möglichkeit unterlassen hat, den Willen des Geschäftsherrn in Erfahrung zu bringen. Die Regelungen des „Book V“ finden gemäß Art. V.-1:102 DCFR aber gleichwohl Anwendung, wenn der Geschäftsführer eine Verpflichtung des Geschäftsherrn wahrnimmt, deren Erfüllung wegen eines überwiegenden öffentlichen Interesses dringend geboten ist („performance of which is due and urgently required as a matter of overriding public interest“); aber auch in diesen Fällen ist es ausweislich des Wortlauts erforderlich, dass der Geschäftsführer die überwiegende Absicht hat, den Geschäftsherrn mit seiner Handlung zu begünstigen. Art. V.-1:103 DCFR besagt schließlich, dass das Schuldverhältnis dann nicht entsteht, wenn der Geschäftsführer vertraglich oder aus sonstigen Gründen zu seinem Handeln berechtigt oder aufgrund einer Verpflichtung zu einem Dritten verpflichtet war, Art. V.-1:103 DCFR. Den Geschäftsführer treffen bestimmte, in Art. V.-2:101: (1) DCFR normierte Sorgfalts- und Informationspflichten. Gemäß Abs. 2 dieser Regelung darf der Geschäftsführer die Geschäftsführung nicht ohne wichtigen Grund einstellen. Der Geschäftsführer muss gemäß Art. V.-2:103 DCFR das Erlangte 99

Zu den behandelten Materien siehe v. Bar/Clive (eds.), Principles, Definitions and Model Rules of European Private Law Vol. 1, 2009, p. 10 et. seq.

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herausgeben und Rechenschaft ablegen; tut er dies nicht, gilt die Verweisung des Art. V.-2:103: (3) DCFR. Zudem haftet er – im Rahmen des Art. V.-2:102: (2) DCFR – auf Schadenersatz, wenn er eine ihn treffende Pflicht verletzt, Art. V.-2:102: (1) DCFR. Art. V.-2:102: (3) und V.-2:103: (2) DCFR enthalten jeweils Sonderbestimmungen für den nicht voll geschäftsfähigen Geschäftsführer. Im Gegenzug gewähren die Regelungen des DCFR dem Geschäftsführer einen Ersatzanspruch für angemessene Aufwendungen (Art. V.-3:101 DCFR) und sogar einen marktüblichen oder einen angemessenen Vergütungsanspruch, wenn sein Einschreiten angemessen war und im Rahmen der beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit erfolgte (Art. V.-3:102 DCFR). In Fällen der Nothilfe kann er gemäß Art. V.-3:103 DCFR zudem Schadenersatz für Sach- und Personenschäden verlangen, wenn die Geschäftsführung das Risiko eines solchen erheblich erhöht und dieses Risiko, soweit vorhersehbar, in einem angemessenen Verhältnis zum Risiko des Auftraggebers stand. Die Ansprüche des Geschäftsführers sind gemäß Art. V.-3:104: (1) DCFR insoweit ausgeschlossen, wie er im Zeitpunkt der Geschäftsführung auf sie verzichtet hat oder dies aus anderen, in Abs. 2 genannten Gründen angemessen erscheint. Schließlich konstituiert Art. V.-3:106: (1) DCFR eine Befugnis des Geschäftsführers, den Geschäftsherrn rechtsgeschäftlich zu vertreten. Bei einseitigen Rechtsgeschäften besteht allerdings die Möglichkeit, dass der Adressat dieses unverzüglich zurückweist, Art V.-3:106: (2) DCFR. Nach Art. V.-3:105 DCFR ist in bestimmten Nothilfefällen, in denen die Gefahr für den Geschäftsherrn von einem Dritten verursacht wurde, dieser dem Geschäftsherrn gegenüber verpflichtet, ihn von Aufwendungs- und Schadenersatzansprüchen von Seiten des Geschäftsführers freizustellen bzw. diese auszugleichen. Der DCFR beinhaltet in „Book V“ also Vorschläge für die Regelung einer europäischen auftragslosen Geschäftsführung. Er weist mit seinen Bestimmungen zur „Benevolent intervention in another’s affairs“ dem Rechtsinstitut dabei aber lediglich einen kleinen Anwendungsbereich zu; er fordert eine überwiegende Fremdbegünstigungsabsicht und erfasst ferner nur solche Eingriffe, die man als berechtigte Geschäftsführung begreifen kann. Fraglich ist also, ob die Regelungen, hier speziell zum Anwendungsbereich, für die Auslegung des Anknüpfungsgegenstands des Art. 11 Rom II-VO fruchtbar gemacht werden können. Das ist zu verneinen. Die Arbeiten der Study Group on a European Civil Code und der Research Group on Existing EC Private Law werden in Bezug auf die „Benevolent intervention in another’s affairs“ heftig kritisiert. So wird vorgetragen, dass eine dem DCFR entsprechende Restriktion des Anwendungsbereichs keinen „common core des europäischen Privatrechts“ bilde.100 100

Jansen, ZEuP 2007, 958, 984 und 990; schärfer Rademacher, JURA 2008, 87, 93: „Keine europäische Rechtsordnung macht die Anwendbarkeit ihrer Regeln über die

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Es wird angenommen, dass die Untersuchung der Arbeitsgemeinschaften in ihrem konzeptionellen Zuschnitt von vornherein auf die berechtigte, altruistisch motivierte „benevolent intervention“ beschränkt und deshalb der rechtsvergleichende Blick a limine verengt gewesen sei.101 Ferner wird die Vermutung aufgestellt, dass „anscheinend auch die Auswahl und Übersetzung der Referenzen nicht zuletzt von dem Bestreben geleitet war, ein der Konzeption der Study Group entsprechendes Bild zu vermitteln. So erwecken die „Notes“ den Eindruck als seien sie erst im Nachhinein in ein abstrakt vorformuliertes Regelwerk eingefügt worden.“102 Nur nebenbei, weil für die vorliegende Arbeit irrelevant, sei noch darauf hingewiesen, dass das Erfordernis der überwiegenden Fremdbegünstigungsabsicht auch in materieller Hinsicht aus mehreren Gründen starker Kritik ausgesetzt war – insbesondere da es als subjektives Merkmal dem Beweis nicht zugänglich ist und deshalb die richterliche Rechtsfindung erschwert.103 Zudem sei auch die Beschränkung auf die berechtigte Geschäftsführung abzulehnen, da das Verhältnis der „benevolent intervention“ zum Bereicherungs- und Haftungsrecht nicht durchdacht sei und deshalb zu Rechtsschutzlücken führe.104 Ob diese (überaus scharfe) Kritik zutrifft und die Mitglieder der Arbeitsgemeinschaften tatsächlich von einem Vorverständnis ausgingen, welches ihre rechtsvergleichende Arbeit beeinflusste, soll (und kann) an dieser Stelle nicht weiter beurteilt werden. Denn jedenfalls in Bezug auf das Erfordernis des überwiegend altruistischen Motivs räumen die Arbeitsgemeinschaften selbst ein, dass eine entsprechende ausdrückliche Regelung keiner mitgliedstaatlichen Rechtsordnung bekannt ist.105 Nach den „Notes“ zu Art. V.-1:101 DCFR finde sich eine solche Limitierung nur in der italienischen Rechtsprechung.106 Dass dies unzutreffend ist, belegen schon die eigenen Ausführungen der Arbeitsgemeinschaften: Für die italienische Rechtsprechung sei den „Notes“ zufolge nur die Frage relevant, ob das Geschäft objektiv überwiegend im Interesse des Geschäftsherrn lag.107 Damit tragen die Untersuchungen der Arbeitsgemeinschaften also nicht die subjektive Begrenzung, welche Art. V-1:101 DCFR zugrunde

Geschäftsführung ohne Auftrag von der überwiegend altruistischen Gesinnung des Geschäftsführers abhängig.“ 101 Jansen, ZEuP 2007, 958, 981. 102 Jansen, ZEuP 2007, 958, 990. 103 Jansen, ZEuP 2007, 958, 984 f.; so auch Rademacher, JURA 2008, 87, 93. 104 Jansen, ZEuP 2007, 958, 987. 105 v. Bar/Clive (eds.), Principles, Definitions and Model Rules of European Private Law Vol. 3, 2009, p. 2917 para. 38: „However, no national legal system contains a clear provision which states with clarity that the intervener must act with the ‚predominant‘ intention to benefit another […].“ 106 v. Bar/Clive (eds.), Principles, Definitions and Model Rules of European Private Law Vol. 3, 2009, p. 2919 para. 45. 107 Darauf weist zutreffend Rademacher JURA 2008, 87, 93 Fn. 115 hin.

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liegt. Selbst wenn dies anders wäre, stünde das Erfordernis des überwiegenden Fremdgeschäftsführungswillens in materieller Hinsicht auf äußerst wackeligen Beinen (und hätte deshalb weiterer Rechtfertigung bedurft, die, soweit ersichtlich, unterblieben ist108). Wegen dieses unzureichenden Fundaments kann sich die vorliegende Untersuchung nicht auf die „Principles“ des DCFR stützen. Erforderlich ist somit eine eigene Analyse der mitgliedstaatlichen Sachrechtsordnungen in Bezug auf den Tatbestand und die Rechtsfolgen der Geschäftsführung ohne Auftrag. (2) Deutschland (a) Anwendungsbereich In Deutschland ist die Geschäftsführung ohne Auftrag in den §§ 677–687 BGB geregelt. Die h. M. unterteilt das Rechtsinstitut in vier verschiedene Ausprägungen, welche allerdings alle gemeinsam von den folgenden drei Grundvoraussetzungen ausgehen: Ein fremdes Geschäft muss ohne Auftrag oder sonstige Berechtigung vom Geschäftsführer besorgt werden. Das Merkmal des „Geschäfts“ ist weit zu verstehen; es umfasst rechtsgeschäftliches wie tatsächliches Handeln.109 Nach h. M. kann ein Geschäft nur durch aktives Tun besorgt werden.110 Es ist fremd, wenn es in den Rechts- und Interessenkreis eines anderen fällt.111 Die „Fremdheit“ des Geschäfts bestimmt auch, wer neben dem Geschäftsführer die andere Partei des Schuldverhältnisses, der Geschäftsherr, ist. Gemeinhin differenziert man zwischen objektiv fremden, objektiv neutralen und objektiv eigenen Geschäften.112 Ersteres liegt vor, wenn das Geschäft schon nach dem äußeren Erscheinungsbild in den Rechts- und Interessenkreis eines anderen gehört.113 Von einem objektiv neutralen Geschäft wird dann gesprochen, wenn das Geschäft anhand dieses Maßstabs keiner bestimmten Person zugeordnet werden kann. Das objektiv neutrale Geschäft kann zu einem subjektiv fremden Geschäft werden, wenn sich der Wille des Geschäftsführers

108 Auch Rademacher, JURA 2008, 87, 93 bemerkt: Die Arbeitsgemeinschaften gehen über dieses Kriterium „bemerkenswert flüchtig hinweg“. 109 Thole, in: BeckOGK, 1.8.2021, § 677 BGB Rn. 89; Schäfer, in: MüKo BGB, 8. Aufl. 2020, § 677 BGB Rn. 34; Bergmann, in: Staudinger, Neubearb. 2020, Vorb. §§ 677 ff. BGB Rn. 107; Meier, Geschäftsführung ohne Auftrag, 2019, S. 4 mwN. 110 Meier, Geschäftsführung ohne Auftrag, 2019, S. 6 mwN. 111 Meier, Geschäftsführung ohne Auftrag, 2019, S. 4. 112 Meier, Geschäftsführung ohne Auftrag, 2019, S. 5 mwN; siehe auch Schäfer, in: MüKo BGB, 8. Aufl. 2020, § 677 BGB Rn. 37. 113 Bergmann, in: Staudinger, Neubearb. 2020, Vorb. §§ 677 ff. BGB Rn. 130; Schäfer, in: MüKo BGB, 8. Aufl. 2020, § 677 BGB Rn. 39; Meier, Geschäftsführung ohne Auftrag, 2019, S. 5 mwN.

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manifestiert, das Geschäft für eine andere Person auszuführen.114 Ein objektiv eigenes Geschäft liegt demgegenüber vor, wenn es seinem äußeren Erscheinungsbild nach dem Rechts- und Interessenkreis des Geschäftsführers zugeordnet ist. Dieses kann niemals, auch nicht bei einem entsprechenden Willen des Geschäftsführers, den Tatbestand der Geschäftsführung ohne Auftrag erfüllen.115 Liegen objektiv sowohl ein eigenes als auch ein fremdes Geschäft vor, spricht man von einem „auch fremden Geschäft“, welches die Eröffnung des Anwendungsbereichs der Geschäftsführung ohne Auftrag grundsätzlich nicht hindert.116 Dies gilt indes dann nicht, wenn sich der Vorteil des Dritten lediglich als „Reflex“ der fraglichen Handlung darstellt.117 Mit Blick auf § 687 BGB ist darauf hinzuweisen, dass die dort geregelte irrtümliche und angemaßte Geschäftsführung ohne Auftrag aber ein objektiv fremdes Geschäft voraussetzen; subjektiv fremde Geschäfte genügen nicht.118 Schließlich muss der Geschäftsführer das Geschäft des Geschäftsherrn ausgeführt haben „ohne von ihm beauftragt oder ihm gegenüber sonst dazu berechtigt zu sein“, § 677 Hs. 1 BGB. „Auftrag“ ist dabei nicht im rechtstechnischen Sinne zu verstehen, sondern meint jedes Rechtsgeschäft, das eine Geschäftsbesorgung enthalten kann. Der „sonstigen Berechtigung“ kommt eine Auffangfunktion zu; erfasst werden von ihm alle Berechtigungstatbestände, die außerhalb eines Rechtsgeschäfts liegen.119 Da der Geschäftsführer aber „ihm [Anm. d. Verf.: dem Geschäftsherrn] gegenüber“ verpflichtet sein muss, sind solche Normen ausgeklammert, die sich an die Allgemeinheit richten.120 Das erste Unterscheidungskriterium der vier Arten der Geschäftsführung ohne Auftrag grenzt die sogenannte „echte“ von der „unechten“ Geschäftsführung ab. Maßgebend dafür ist ein subjektives Element, namentlich der Fremdgeschäftsführungswille. Dieser ist empirisch zu ermitteln. Eine echte Geschäftsführung ohne Auftrag liegt dann vor, wenn jemand bewusst und willentlich ein Geschäft für jemand anderen führt.121 Wie § 686 BGB zeigt, genügt 114

Thole, in: BeckOGK, 1.8.2021, § 677 BGB Rn. 106; Schäfer, in: MüKo BGB, 8. Aufl. 2020, § 677 BGB Rn. 42; Meier, Geschäftsführung ohne Auftrag, 2019, S. 5 und 8 mwN; siehe auch Bergmann, in: Staudinger, Neubearb. 2020, Vorb. §§ 677 ff. BGB Rn. 137. 115 Schäfer, in: MüKo BGB, 8. Aufl. 2020, § 677 BGB Rn. 40; Bergmann, in: Staudinger, Neubearb. 2020, Vorb. §§ 677 ff. BGB Rn. 132. 116 Schäfer, in: MüKo BGB, 8. Aufl. 2020, § 677 BGB Rn. 41 mwN auf die st. Rspr. 117 Bergmann, in: Staudinger, Neubearb. 2020, Vorb. §§ 677 ff. BGB Rn. 134; Schäfer, in: MüKo BGB, 8. Aufl. 2020, § 677 BGB Rn. 43 jeweils mwN. 118 Meier, Geschäftsführung ohne Auftrag, 2019, S. 5 mwN. Dies gilt zudem für objektiv „auch fremde Geschäfte“, siehe Bergmann, in: Staudinger, Neubearb. 2020, § 687 Rn. 14 (mwN) und 16. 119 Meier, Geschäftsführung ohne Auftrag, 2019, S. 6 mwN. 120 Meier, Geschäftsführung ohne Auftrag, 2019, S. 6 mwN. 121 Meier, Geschäftsführung ohne Auftrag, 2019, S. 7 mwN; siehe auch Schäfer, in: MüKo BGB, 8. Aufl. 2020, § 677 Rn. 47; Bergmann, in: Staudinger, Neubearb. 2020, Vorb. §§ 677 ff. BGB Rn. 163 ff.

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aber ein abstrakter Fremdgeschäftsführungswille.122 Unerheblich ist, wie bereits gezeigt, auch, ob der Geschäftsführer zugleich eigene Interessen verfolgt.123 Fehlt jemandem das Fremdgeschäftsführungsbewusstsein, erklärt § 687 Abs. 1 BGB die §§ 677 bis 686 BGB für unanwendbar. Behandelt der Geschäftsführer ein fremdes Geschäft als sein eigenes, obwohl er weiß, dass er dazu nicht berechtigt ist, verweist § 687 Abs. 2 BGB auf die Rechtsfolgen ausgesuchter Normen der §§ 677–686 BGB. Da der Fremdgeschäftsführungswille als subjektives Merkmal nur schwerlich dem Beweis zugänglich ist, vermutet die h. M. sein Vorliegen bei objektiv fremden Geschäften widerleglich, da anzunehmen ist, dass sich in der Regel jede Person nur um die eigenen Angelegenheiten kümmert.124 Eine solche Vermutung besteht zudem beim „auch fremden Geschäft“.125 Lediglich bei objektiv neutralen Geschäften muss er vom Geschäftsführer dargelegt werden. Die Beweisschwierigkeiten relativieren sich hier, da die genannten Geschäfte, wie gezeigt, nur dann zu subjektiv fremden Geschäften werden, wenn sich der Fremdgeschäftsführungswille nach außen manifestiert hat. Innerhalb der echten Geschäftsführung ohne Auftrag wird weiter zwischen der „berechtigten“ und „unberechtigten“ differenziert. Dies erfolgt gemäß § 683 Satz 1 BGB danach, ob „die Übernahme der Geschäftsführung dem Interesse und dem wirklichen oder dem mutmaßlichen Willen des Geschäftsherrn“ entspricht.126 Anders als es der Wortlaut auf den ersten Blick vermuten lässt, genießt der wirkliche Wille gegenüber dem mutmaßlichen Vorrang; erst wenn kein wirklicher Wille festgestellt werden kann, ist der mutmaßliche Wille beachtlich.127 Dieser Vorrang gilt auch gegenüber dem Merkmal des „Interesses“, das objektiv zu bestimmen ist und grundsätzlich auf den mutmaßlichen Willen des Geschäftsherrn schließen lässt.128 Ausnahmen bestehen in zwei Fällen: Ein fehlender Geschäftsherrnwille kann erstens dadurch überwunden werden, dass der Geschäftsherr die Geschäftsführung nachträglich genehmigt; gemäß § 684 Satz 2 BGB wird die unberechtigte Geschäftsführung dann ex tunc129 zur berechtigten. Zweitens liegt eine berechtigte Geschäftsführung ge122

Meier, Geschäftsführung ohne Auftrag, 2019, S. 7 mwN. Schäfer, in: MüKo BGB, 8. Aufl. 2020, § 677 Rn. 48. 124 Meier, Geschäftsführung ohne Auftrag, 2019, S. 7 f. mwN; siehe auch Schäfer, in: MüKo BGB, 8. Aufl. 2020, § 677 BGB Rn. 139; Bergmann, in: Staudinger, Neubearb. 2020, Vorb. §§ 677 ff. BGB Rn. 168. 125 Bergmann, in: Staudinger, Neubearb. 2020, Vorb. §§ 677 ff. BGB Rn. 168 mwN auf die Rspr. 126 Meier, Geschäftsführung ohne Auftrag, 2019, S. 8. 127 Thole, in: BeckOGK, 1.8.2021, § 683 BGB Rn. 24; Schäfer, in: MüKo BGB, 8. Aufl. 2020, § 683 BGB Rn. 17; Meier, Geschäftsführung ohne Auftrag, 2019, S. 9 mwN. 128 Bergmann, in: Staudinger, Neubearb. 2020, § 683 BGB Rn. 31; Thole, in: BeckOGK, 1.8.2021, § 683 BGB Rn. 7; Meier, Geschäftsführung ohne Auftrag, 2019, S. 8 f. mwN. 129 Schäfer, in: MüKo BGB, 8. Aufl. 2020, § 684 BGB Rn. 16; Meier, Geschäftsführung ohne Auftrag, 2019, S. 10 mwN. 123

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mäß §§ 683 Satz 2, 679 BGB (von Anfang an) vor, „wenn ohne die Geschäftsführung eine Pflicht des Geschäftsherrn, deren Erfüllung im öffentlichen Interesse liegt, oder eine gesetzliche Unterhaltspflicht des Geschäftsherrn nicht rechtzeitig erfüllt werden würde.“ (b) Rechtsfolgen Der Geschäftsführer einer echten berechtigten Geschäftsführung ohne Auftrag hat gemäß § 677 Hs. 2 BGB das Geschäft so zu führen, „wie das Interesse des Geschäftsherrn mit Rücksicht auf dessen wirklichen oder mutmaßlichen Willen es erfordert.“ Bei Nichtbeachtung kann er unter den Voraussetzungen des § 280 Abs. 1 BGB dem Geschäftsherrn gegenüber schadenersatzpflichtig sein. Ferner muss der Geschäftsführer gemäß § 681 Satz 1 BGB „die Übernahme der Geschäftsführung, sobald es tunlich ist, dem Geschäftsherrn [anzeigen] und, wenn nicht mit dem Aufschub Gefahr verbunden ist, dessen Entschließung [abwarten].“ Zudem treffen ihn bei der Geschäftsausführung gemäß §§ 681 Satz 2, 666 BGB Benachrichtigungs-, Auskunfts- und Rechenschaftspflichten. Auch bei Verletzung dieser Pflichten ist ein Anspruch auf Schadenersatz aus § 280 Abs. 1 BGB grundsätzlich denkbar. Außerdem ist der Geschäftsführer zur Herausgabe des zur Ausführung der Geschäftsbesorgung Erhaltenen sowie des durch die Geschäftsführung Erlangten verpflichtet, §§ 681 Satz 2, 667 BGB. Dies gilt aber nur, sofern das Erhaltene oder Erlangte in einem inneren Zusammenhang zur Geschäftsführung steht. Der Anspruch ist gegenständlich-objektiv zu verstehen, so dass der erhaltene oder erlangte Gegenstand selbst herauszugeben ist.130 Schließlich kann den Geschäftsführer gemäß §§ 681 Satz 2, 668 BGB eine Verzinsungspflicht treffen. Im Gegenzug steht dem Geschäftsführer einer echten berechtigten Geschäftsführung ohne Auftrag ein Aufwendungsersatzanspruch aus §§ 683 Satz 1, 670 BGB zu. Dieser umfasst nach h. M. auch risikotypische Schäden131 und gewährt ferner in gewissen Fällen eine Vergütung, namentlich sofern die Geschäftsführung zur beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit des Geschäftsführers zählt.132 Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass § 682 BGB den geschäftsunfähigen oder in der Geschäftsfähigkeit beschränkten Geschäftsführer begünstigt und § 680 BGB eine Haftungsprivilegierung für den Fall enthält, in dem die Geschäftsführung zur 130 Meier, Geschäftsführung ohne Auftrag, 2019, S. 15 mwN; siehe auch Thole, in: BeckOGK, 1.8.2021, § 681 BGB Rn. 21 ff.; Schäfer, in: MüKo BGB, 8. Aufl. 2020, § 681 BGB Rn. 17 ff. 131 Thole, in: BeckOGK, 1.8.2021, § 683 BGB Rn. 38 ff.; Bergmann, in: Staudinger, Neubearb. 2020, § 683 BGB Rn. 62 ff., insb. 66; Meier, Geschäftsführung ohne Auftrag, 2019, S. 12 mwN. 132 Schäfer, in: MüKo BGB, 8. Aufl. 2020, § 683 BGB Rn. 37; Meier, Geschäftsführung ohne Auftrag, 2019, S. 12 mwN; siehe auch Thole, in: BeckOGK, 1.8.2021, § 683 BGB Rn. 45, 47; Bergmann, in: Staudinger, Neubearb. 2020, § 683 BGB Rn. 58.

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Gefahrenabwehr erfolgt. Gemäß § 685 BGB scheidet ein Anspruch des Geschäftsführers aus, wenn er „nicht die Absicht hatte, von dem Geschäftsherrn Ersatz zu verlangen“. Eine solche Schenkungsabsicht liegt im Zweifel vor, wenn „Eltern oder Voreltern ihren Abkömmlingen oder diese jenen Unterhalt“ gewähren, § 685 Abs. 2 BGB. Den Geschäftsführer trifft gemäß § 678 BGB ein Schadenersatzanspruch, wenn die Übernahme der Geschäftsführung mit dem wirklichen oder mutmaßlichen Willen des Geschäftsherrn in Widerspruch steht und der Geschäftsführer dies erkennen musste. Dies ist auch der Bezugspunkt für das Verschulden; auf ein sonstiges Verschulden kommt es nicht an. Ferner treffen ihn die Pflichten aus § 681 Satz 1 BGB sowie den §§ 681 Satz 2, 666–668 BGB und – nach überwiegender Auffassung133 – auch die aus § 677 Hs. 2 BGB folgenden Pflichten, so dass auch in Bezug auf ihre Verletzung ein Anspruch auf Schadenersatz aus § 280 Abs. 1 BGB bestehen kann. Der Geschäftsherr ist dem Geschäftsführer gegenüber im Gegenzug verpflichtet, alles, was er durch die Geschäftsführung erlangt hat, nach den Vorschriften über die Herausgabe einer ungerechtfertigten Bereicherung herauszugeben, § 684 Satz 1 BGB. Dies ist nach h. M. eine Rechtsfolgenverweisung.134 Es besteht die Möglichkeit, dass der Geschäftsherr den Entreicherungseinwand erhebt, § 818 Abs. 3 BGB. Schließlich kann auf den Geschäftsführer einer echten unberechtigten Geschäftsführung ohne Auftrag die Privilegierung des § 682 BGB sowie jene des § 680 BGB Anwendung finden. Gemäß § 687 Abs. 1 BGB finden die §§ 677–686 BGB im Falle einer irrtümlichen Eigengeschäftsführung keine Anwendung. Es gelten die übrigen gesetzlichen Schuldverhältnisse. Behandelt der Geschäftsführer aber ein fremdes Geschäft als sein eigenes, obwohl er weiß, dass er dazu nicht berechtigt ist, kann der Geschäftsherr zunächst den Schadenersatzanspruch aus § 678 BGB geltend machen, § 687 Abs. 2 Satz 1 BGB. Den Geschäftsführer treffen gemäß § 687 Abs. 2 Satz 1 BGB die Pflichten aus § 681 Satz 1 und §§ 681 Satz 2, 666–668 BGB. Ferner ist der Geschäftsführer dem Geschäftsherrn gegenüber nach h. M. auch gemäß § 677 Hs. 2 BGB verpflichtet;135 die Verletzung dieser Pflichten kann einen Schadenersatzanspruch aus § 280 Abs. 1 BGB nach sich ziehen. Vorausgesetzt, der Geschäftsherr macht die eben dargestellten Ansprüche geltend, ist er dem Geschäftsführer nach § 684 Satz 1 BGB verpflichtet. Der dann aus §§ 687 133

Bergmann, in: Staudinger, Neubearb. 2020, § 677 BGB Rn. 28; siehe auch Schäfer, in: MüKo BGB, 8. Aufl. 2020, § 677 BGB Rn. 122 und Meier, Geschäftsführung ohne Auftrag, 2019, S. 16 f. jeweils mwN. 134 Bergmann, in: Staudinger, Neubearb. 2020, § 684 BGB Rn. 5 und Meier, Geschäftsführung ohne Auftrag, 2019, S. 10 jeweils mwN. 135 Bergmann, in: Staudinger, Neubearb. 2020, § 687 BGB Rn. 45; siehe auch Schäfer, in: MüKo BGB, 8. Aufl. 2020, § 687 BGB Rn. 29 und Meier, Geschäftsführung ohne Auftrag, 2019, S. 18 jeweils mwN.

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2. Teil: Die Geschäftsführung ohne Auftrag im IPR

Abs. 2 Satz 2, 684 Satz 1, 818 ff. BGB folgende Anspruch des Geschäftsführers gegen den Geschäftsherrn ist aber auf die den Geschäftsherrn bereichernden Aufwendungen beschränkt.136 Schließlich gilt gemäß § 687 Abs. 2 Satz 1 BGB auch die in § 682 BGB enthaltene Privilegierung. (c) Internationales Privatrecht Das autonome deutsche IPR kennt eine spezielle Regelung für die Geschäftsführung ohne Auftrag in Art. 39 EGBGB; dessen Grundanknüpfungen können über die Ausweichklausel des Art. 41 EGBGB, die dafür zwei Regelbeispiele nennt, korrigiert werden. Bezüglich des Anwendungsbereichs von Art. 39 EGBGB finden sich in den Gesetzgebungsmaterialien kaum Hinweise; auch hier sind lediglich einzelne Fallgruppen wie die klassischen Hilfeleistungsfälle sowie die Einwirkung auf fremde Güter und die Tilgung fremder Schulden genannt.137 Die herrschende Auffassung definiert den Anknüpfungsgegenstand als die Führung eines fremden Geschäfts mit Fremdgeschäftsführungswillen. Umfasst sind „auch fremde“ Geschäfte sowie die unberechtigte Geschäftsführung ohne Auftrag.138 Die Fälle des § 687 BGB, also die irrtümliche und angemaßte Eigengeschäftsführung, sind folglich nicht einbezogen. Dies gilt auch für hoheitliches Tätigwerden der öffentlichen Hand.139 Zwischen berechtigter und unberechtigter Geschäftsführung wird nicht differenziert. Durch die Exklusion der Fälle des § 687 BGB ist der kollisionsrechtliche Begriff aber enger gefasst als der materiell-rechtliche. In seiner Reichweite ist das Statut der Geschäftsführung ohne Auftrag aber keineswegs enger als das Rechtsinstitut des materiellen Rechts; es umfasst gleichermaßen die Ansprüche des Geschäftsherrn gegen den Geschäftsführer und umgekehrt, was freilich auch Schadenersatzansprüche einschließt. Es entscheidet über Voraussetzungen, Inhalt und Rechtsfolgen der entsprechenden Ansprüche.140 Anwendbar sein soll grundsätzlich das Recht des Staates, „in dem das Geschäft vorgenommen worden ist“, Art. 39 Abs. 1 EGBGB. Für Ansprüche aus der Tilgung einer fremden Verbindlichkeit soll demgegenüber das Statut dieser Verbindlichkeit anwendbar sein, Art. 39 Abs. 2 EGBGB. Besteht eine wesent136 Bergmann, in: Staudinger, Neubearb. 2020, § 687 BGB Rn. 51; Meier, Geschäftsführung ohne Auftrag, 2019, S. 19 mwN. 137 BT-Drs. 14/343, S. 9. 138 Schinkels, in: BeckOGK, 1.8.2018, Art. 39 EGBGB Rn. 16; siehe auch Junker, in: MüKo BGB, 8. Aufl. 2021, Art. 39 EGBGB Rn. 2 und Huber, in: NK-BGB, 4. Aufl. 2021, Art. 39 EGBGB Rn. 14 sowie v. Hoffmann/Thorn, in: Staudinger, Neubearb. 2001, Art. 39 EGBGB Rn. 2. 139 Schinkels, in: BeckOGK, 1.8.2018, Art. 39 EGBGB Rn. 16; v. Hoffmann/Thorn, in: Staudinger, Neubearb. 2001, Art. 39 EGBGB Rn. 3. 140 Junker, in: MüKo BGB, 8. Aufl. 2021, Art. 39 EGBGB Rn. 23; Schinkels, in: BeckOGK, 1.8.2018, Art. 39 EGBGB Rn. 22; Huber, in: NK-BGB, 4. Aufl. 2021, Art. 39 EGBGB Rn. 14.

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lich engere Verbindung mit dem Recht eines anderen Staates, soll ausnahmsweise daran angeknüpft werden, Art. 41 Abs. 1 EGBGB. Für die Frage, wann eine solche vorliegt, gibt der deutsche Gesetzgeber dem Rechtsanwender in Art. 41 Abs. 2 EGBGB zwei Regelbeispiele an die Hand. Da an dieser Stelle vor allem die Reichweite des Anknüpfungsgegenstands interessiert und die Anknüpfungspunkte der Art. 39, 41 EGBGB und die damit zusammenhängenden Probleme hier nur der Vollständigkeit halber erwähnt werden sollen, ist an dieser Stelle nicht näher auf sie einzugehen; mit ihnen wird sich unten näher auseinandergesetzt werden.141 (3) Österreich (a) Einführung und Grundtatbestand Das österreichische Sachrecht enthält in den §§ 1035 ff. ABGB Regelungen zur Geschäftsführung ohne Auftrag. Diese beschreiben ein gesetzliches Schuldverhältnis, dessen Rechtsfolgen davon abhängen, ob die Geschäftsführung „im Notfalle“ (§ 1036 ABGB), „zum Nutzen des anderen“ (§ 1037 ABGB), ohne Nutzen (§ 1038 ABGB) oder „gegen den Willen des anderen“ (§ 1040 ABGB) erfolgt ist.142 Anders als das deutsche Sachrecht geht die österreichische Rechtsordnung von einem grundsätzlichen Verbot der unbefugten „Einmengung“ in die Geschäfte eines anderen aus, § 1035 ABGB. Der Begriff „Geschäft“ wird hier – wie im deutschen Recht – weit verstanden; er umfasst rechtsgeschäftliches, rechtsgeschäftsähnliches und tatsächliches Handeln.143 Von dem „Geschäft eines andern“ wird dann gesprochen, wenn es in den Interessenbereich einer anderen Person fällt.144 Wie im deutschen Recht findet sich die Unterscheidung zwischen objektiv und subjektiv fremden Geschäften.145 Durch dieses Merkmal wird auch bestimmt, wer die andere Partei des gesetzlichen Schuldverhältnisses ist: Geschäftsherr ist also die Person, deren Geschäft geführt wird.146 Wie auch im deutschen Recht ist es unerheblich, ob der Geschäftsführer diese

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S. 264 ff. Koziol/Spitzer, in: Koziol/Bydlinski/Bollenberger (Hrsg.), 6. Aufl. 2020, § 1035 ABGB Rn. 1. 143 Koziol/Spitzer, in: Koziol/Bydlinski/Bollenberger (Hrsg.), 6. Aufl. 2020, § 1035 ABGB Rn. 2; Welser/Zölching-Jud, Bürgerliches Recht Bd. 2, 14. Aufl. 2015, Rn. 1777; Meissel, in: FS Koziol, 2010, S. 283, 295; ders., Geschäftsführung ohne Auftrag, 1993, S. 58. 144 Meissel, Geschäftsführung ohne Auftrag, 1993, S. 59 ff. 145 Meissel, Geschäftsführung ohne Auftrag, 1993, S. 62 ff. 146 Koziol/Spitzer, in: Koziol/Bydlinski/Bollenberger (Hrsg.), 6. Aufl. 2020, § 1035 ABGB Rn. 7; Meissel, Geschäftsführung ohne Auftrag, 1993, S. 59. 142

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Person kennt.147 Ausgeschlossen ist ein Schuldverhältnis aus Geschäftsführung ohne Auftrag gemäß § 1035 ABGB bei ausdrücklichem oder stillschweigendem Vertrag oder einer vom Gericht oder Gesetz verliehenen Befugnis. Etwas anderes gilt indes, wenn der Geschäftsführer bloß einer allgemeinen gesetzlichen Hilfeleistungspflicht nachkommt.148 Für die Eröffnung des Anwendungsbereichs der §§ 1035 ff. ABGB ist ferner erforderlich, dass der Geschäftsführer mit der Absicht handelt, fremde Interessen zu besorgen.149 Keine Geschäftsführung ohne Auftrag liegt also vor, wenn jemand irrtümlich meint, er verfolge mit seinem Handeln eigene Interessen.150 Dies muss erst recht für denjenigen gelten, der wissentlich ein fremdes Geschäft zum eigenen Vorteil führt.151 Erforderlich ist also ein Fremdgeschäftsführungswille. Unschädlich soll es aber sein, wenn der Geschäftsführer mit der Handlung auch eigene Interessen verfolgt. Eine Rückausnahme dazu besteht, wenn sich der für die Verfolgung fremder Interessen gemachte Aufwand von der eigenen Sphäre des Geschäftsführers nicht abtrennen lässt.152 Weil das Merkmal der „Abtrennbarkeit“ aber extensiv interpretiert wird, werden die §§ 1035 ff. ABGB regelmäßig Anwendung finden.153 Ein Interesse ist nur dann nicht „abtrennbar“, wenn „ein Aufwand unmittelbar zu einem Nutzen der handelnden Person führt […]. Dass derselbe Aufwand auch einem Dritten zum Vorteil gereicht, soll dann unerheblich 147

Koziol/Spitzer, in: Koziol/Bydlinski/Bollenberger (Hrsg.), 6. Aufl. 2020, § 1035 ABGB Rn. 7; Welser/Zölching-Jud, Bürgerliches Recht Bd. 2, 14. Aufl. 2015, Rn. 1777; Meissel, Geschäftsführung ohne Auftrag, 1993, S. 82. 148 OGH 18.6.1997 – 3Ob507/96; Meissel, Geschäftsführung ohne Auftrag, 1993, S. 74; Rummel, in: ders. (Hrsg.), ABGB Kommentar Bd. 1, 2. Aufl. 1990, § 1035 ABGB Rn. 6. 149 OGH 21.8.2014 – 3 Ob 228/13w = IPRax 2016, 73, 75; Koziol/Spitzer, in: Koziol/Bydlinski/Bollenberger (Hrsg.), 6. Aufl. 2020; § 1035 ABGB Rn. 1; Welser/Zölching-Jud, Bürgerliches Recht Bd. 2, 14. Aufl. 2015, Rn. 1776. 150 Koziol/Spitzer, in: Koziol/Bydlinski/Bollenberger (Hrsg.), 6. Aufl. 2020, § 1035 ABGB Rn. 4; Welser/Zölching-Jud, Bürgerliches Recht Bd. 2, 14. Aufl. 2015, Rn. 1780. 151 Dies ist allerdings umstritten. Der Streit entzündet sich wohl an der Frage, auf welchem Wege man sonst dem Geschäftsführer einer solchen „unechten Geschäftsführung ohne Auftrag“ Vollendungs- und Rechnungslegungspflichten auferlegt. Teile der Literatur wenden deshalb die §§ 1035 ff. ABGB – insbesondere § 1039 ABGB – auf diesen an, siehe dazu Rummel, in: ders. (Hrsg.), ABGB Kommentar Bd. 1, 2. Aufl. 1990, § 1039 ABGB Rn. 7 und Koziol/Spitzer, in: Koziol/Bydlinski/Bollenberger (Hrsg.), 6. Aufl. 2020, § 1035 ABGB Rn. 8 jeweils mwN. Überzeugend ist dies aber nicht, da solche Vollendungs- und Rechnungspflichten auch ohne (Analogie zu) § 1039 ABGB begründet werden können, siehe Meissel, Geschäftsführung ohne Auftrag, 1993, S. 166 ff. 152 OGH 21.8.2014 – 3 Ob 228/13w = IPRax 2016, 73, 75 und IPG 2015–2017 Nr. 5, Rn. 6 jeweils mwN auf die Rspr.; Koziol/Spitzer, in: Koziol/Bydlinski/Bollenberger (Hrsg.), 6. Aufl. 2020, § 1035 ABGB Rn. 5; siehe zur Unschädlichkeit der Verfolgung auch eigener Interessen ferner Welser/Zölching-Jud, Bürgerliches Recht Bd. 2, 14. Aufl. 2015, Rn. 1779 und Meissel, Geschäftsführung ohne Auftrag, 1993, S. 80 f. 153 Siehe die Nachweise bei Rummel, in: ders. (Hrsg.), ABGB Kommentar Bd. 1, 2. Aufl. 1990, § 1035 ABGB Rn. 5.

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sein.“ Ausgeschlossen werden damit also die Fallgruppen, in denen sich die Begünstigung des „Geschäftsherrn“ lediglich als Reflex darstellt.154 Fraglich ist schließlich, wie mit jenen Fällen umzugehen ist, in denen der Geschäftsführer mit Schenkungsabsicht tätig wird. Eine dem § 685 BGB entsprechende Regelung fehlt im österreichischen Recht. Herrschend ist wohl die Auffassung, dass ein solcher anmius donandi die Anwendbarkeit der §§ 1035 ff. ABGB nicht ausschließt, sondern sich allein auf die Zuwendung des vom Geschäftsführer getätigten Aufwands bezieht. Ansprüche des Geschäftsführers auf Aufwandersatz sind daher dann ausgeschlossen, wenn er die Schenkung annimmt.155 (b) Geschäftsführung „im Notfalle“ Entgegen des in § 1035 ABGB zum Ausdruck kommenden Grundsatzes erlaubt § 1036 ABGB aber die Geschäftsführung ohne Auftrag „im Notfalle“. Dem Geschäftsführer, der „obgleich unberufen, ein fremdes Geschäft zur Abwendung eines bevorstehenden Schadens besorgt“, ist „derjenige, dessen Geschäft er besorgt hat, den notwendigen und zweckmäßig gemachten Aufwand zu ersetzen schuldig“. Dies gilt auch, „wenngleich die Bemühung ohne Verschulden fruchtlos geblieben ist (§ 403).“ Diese „Notgeschäftsführung“ erfordert also einen bevorstehenden Schaden und die Absicht des Geschäftsführers, diesen zu verhindern. Einschränkend wird ferner die fehlende Möglichkeit des Geschäftsführers, die Zustimmung des Geschäftsherrn einzuholen, verlangt.156 Bei der Auslegung und Anwendung dieser Vorschrift ist ihr Ausnahmecharakter zu beachten; denn gemäß der aus § 1035 ABGB folgenden Wertung sind Eingriffe in die Dispositionsfreiheit des Geschäftsherrn grundsätzlich unzulässig. Der Schaden im Sinne des § 1036 ABGB muss deshalb so schwerwiegend sein, dass er diesen Eingriff rechtfertigen kann.157 Wie sich aus § 1293 ABGB ergibt, meint Schaden dabei jeden Nachteil, der an Vermögen, Rechten oder einer Person zugefügt worden ist; davon zu unterscheiden ist das Entgehen eines künftigen Gewinns.158 Entscheidend für die Beurteilung ist also letztlich eine Einzelfallabwägung. Maßgebend ist dabei die Sicht eines objektiven, redlichen Geschäftsführers im Zeitpunkt der Geschäftsführung (ex ante-Perspek154 Dieses und die vorangegangenen Zitate bei OGH 21.8.2014 – 3 Ob 228/13w = IPRax 2016, 73, 75 (auch mit Beispielen, wann ein Interesse nicht „abtrennbar“ ist). 155 Meissel, Geschäftsführung ohne Auftrag, 1993, S. 81 f. 156 IPG 2015–2017 Nr. 5, Rn. 7 mwN auf die Rspr.; Koziol/Spitzer, in: Koziol/Bydlinski/Bollenberger (Hrsg.), 6. Aufl. 2020, § 1036 ABGB Rn. 1; Meissel, Geschäftsführung ohne Auftrag, 1993, S. 29 ff.; Welser/Zölching-Jud, Bürgerliches Recht Bd. 2, 14. Aufl. 2015, Rn. 1784. 157 Koziol/Spitzer, in: Koziol/Bydlinski/Bollenberger (Hrsg.), 6. Aufl. 2020, § 1036 ABGB Rn. 2; Meissel, Geschäftsführung ohne Auftrag, 1993, S. 32. 158 Koziol/Spitzer, in: Koziol/Bydlinski/Bollenberger (Hrsg.), 6. Aufl. 2020, § 1036 ABGB Rn. 2.

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tive).159 Stellt sich ex post heraus, dass eine Notfallsituation tatsächlich nicht gegeben war, greift § 1036 ABGB nur, wenn dem Geschäftsherrn die Erweckung des Anscheins zurechenbar ist.160 Ebenfalls anhand dieses objektiven Kriteriums bestimmt sich, ob ein Aufwand notwendig und zweckmäßig in diesem Sinne war. In diesem Zusammenhang ist den wahrscheinlichen Intentionen des Geschäftsherrn Rechnung zu tragen; es sind also jene Kosten zu vermeiden, die vermutlich nicht im Willen des Geschäftsherrn liegen. Damit wird die in § 677 BGB normierte Pflicht vom OGH ausdrücklich übertragen.161 Zu dem zu tragenden Aufwand kann auch ein Zeitaufwand zählen, wenn mit der Geschäftsführung ein Verdienstausfall einhergeht.162 Ein Lohn wird im Übrigen dann gewährt, wenn es sich bei der Geschäftsführung um die berufs- oder gewerbsmäßige Tätigkeit des Geschäftsführers handelt.163 Mit Blick auf die in § 403 ABGB zum Ausdruck kommende Wertung soll dies auch bei der Verhütung anderer Nachteile – wie insbesondere bei der Rettung einer Person – gelten.164 Der Geschäftsführer hat gegen den Geschäftsherrn analog § 1014 ABGB einen Anspruch auf Ersatz der Schäden, die mit der Durchführung der Geschäftsführung verbunden sind, wenn der Geschäftsherr die Geschäftsführung zurechenbar veranlasst hat.165 Eine Schadenersatzpflicht des Geschäftsführers gegenüber dem Geschäftsherrn kommt einzig nach den allgemeinen Regeln in Betracht. Hierbei muss sich das Verschulden aber auf eine im Rahmen der Geschäftsführung sorgfaltswidrig begangene Rechtsverletzung beziehen. Es genügt grundsätzlich nicht, schon die „Einmengung“ als solche für die Begründung der Haftung heranzuziehen, da die Notgeschäftsführung – anders als die übrigen Arten der auftragslosen Geschäftsführung – rechtmäßig ist. Etwas anderes gilt gemäß §§ 1311 f. ABGB nur, wenn der Geschäftsführer andere, zur Nothilfe bereite Personen 159

IPG 2015–2017 Nr. 5, Rn. 9 mwN auf die Rspr.; Koziol/Spitzer, in: Koziol/Bydlinski/Bollenberger (Hrsg.), 6. Aufl. 2020, § 1036 ABGB Rn. 3; Meissel, Geschäftsführung ohne Auftrag, 1993, S. 102. 160 IPG 2015–2017 Nr. 5, Rn. 9; Koziol/Spitzer, in: Koziol/Bydlinski/Bollenberger (Hrsg.), 6. Aufl. 2020, § 1036 ABGB Rn. 3 unter Verweis auf Meissel, Geschäftsführung ohne Auftrag, 1993, S. 101 ff. 161 Siehe IPG 2015–2017 Nr. 5, Rn. 10 mwN auf die Rspr.; siehe auch Meissel, Geschäftsführung ohne Auftrag, 1993, S. 171, der ohne Rekurs auf § 677 BGB auf die erkennbaren Interessen des Geschäftsherrn abstellt. 162 Koziol/Spitzer, in: Koziol/Bydlinski/Bollenberger (Hrsg.), 6. Aufl. 2020, § 1036 ABGB Rn. 4. 163 IPG 2015–2017 Nr. 5, Rn. 11 mwN auf die Rspr.; Koziol/Spitzer, in: Koziol/Bydlinski/Bollenberger (Hrsg.), 6. Aufl. 2020, § 1036 ABGB Rn. 5; Welser/Zölching-Jud, Bürgerliches Recht Bd. 2, 14. Aufl. 2015, Rn. 1786. 164 Koziol/Spitzer, in: Koziol/Bydlinski/Bollenberger (Hrsg.), 6. Aufl. 2020, § 1036 ABGB Rn. 5; Meissel, in: FS Koziol, 2010, S. 283, 309 ff. 165 Koziol/Spitzer, in: Koziol/Bydlinski/Bollenberger (Hrsg.), 6. Aufl. 2020, § 1036 ABGB Rn. 6; Welser/Zölching-Jud, Bürgerliches Recht Bd. 2, 14. Aufl. 2015, Rn. 1786.

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von der Rettung abgehalten hat; dann kann er aber gleichwohl den verschafften Nutzen anspruchsmindernd geltend machen.166 (c) Nützliche Geschäftsführung § 1037 ABGB regelt die nützliche Geschäftsführung ohne Auftrag. Gemäß § 1037 Satz 1 ABGB hat derjenige, der ein fremdes Geschäft zum Nutzen des anderen übernehmen will, zunächst dessen Einwilligung einzuholen. Hat er dies unterlassen, steht ihm gleichwohl ein Ersatz der von ihm darauf verwendeten Kosten zu, wenn die durch das Geschäft entstandenen Vorteile des anderen klar sind und überwiegen, § 1037 Satz 2 ABGB. Ob ein Vorteil vorliegt, bestimmt sich ex post durch eine vernünftige Bewertung nach der Verkehrsauffassung unter Berücksichtigung der Interessen des Geschäftsherrn. Im Zweifel soll es auf den Willen des Geschäftsherrn ankommen.167 § 1037 Satz 2 ABGB umfasst auf Rechtsfolgenseite die tatsächlich angefallenen Kosten, die aber auf den eingetretenen Vorteil des Geschäftsherrn begrenzt sind. Risikotypische Begleitschäden, also solche, die mit der Durchführung der Geschäftsführung verbunden sind, werden analog § 1014 ABGB ersetzt.168 Bezüglich des Ersatzes für Zeitaufwand und Zusprechung eines Lohns gilt das Gleiche wie im Rahmen des § 1036 ABGB.169 Der Geschäftsführer kann dem Geschäftsherrn gegenüber nach allgemeinen Regeln zum Schadenersatz verpflichtet sein. Hierbei braucht sich sein Verschulden sogar nur auf die unerlaubte „Einmengung“ zu beziehen. Ein Vorteilsausgleich nach § 1312 Satz 2 ABGB findet nicht statt.170 Entsteht durch die Geschäftsführung kein klarer und überwiegender Vorteil, ist der Geschäftsherr nicht zum Ersatz nach § 1037 Satz 2 ABGB verpflichtet, § 1038 Hs. 1 ABGB. Zudem kann er verlangen, dass der Geschäftsführer auf eigene Kosten die Sache wiederherstellt, § 1038 Hs. 2 Alt. 1 ABGB, oder, wenn unmöglich, ihm „volle Genugtuung“, also Schadenersatz, der den positiven Schaden und den entgangenen Gewinn umfasst,171 leistet, § 1038 Hs. 1 Alt.

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Zur Schadenersatzpflicht Koziol/Spitzer, in: Koziol/Bydlinski/Bollenberger (Hrsg.), 6. Aufl. 2020, § 1036 ABGB Rn. 7; Rummel, in: ders. (Hrsg.), ABGB Kommentar Bd. 1, 2. Aufl. 1990, § 1036 ABGB Rn. 3. 167 Koziol/Spitzer, in: Koziol/Bydlinski/Bollenberger (Hrsg.), 6. Aufl. 2020, § 1037 ABGB Rn. 2; Meissel, Geschäftsführung ohne Auftrag, 1993, S. 172 f., 228. 168 Koziol/Spitzer, in: Koziol/Bydlinski/Bollenberger (Hrsg.), 6. Aufl. 2020, § 1037 ABGB Rn. 3. 169 Koziol/Spitzer, in: Koziol/Bydlinski/Bollenberger (Hrsg.), 6. Aufl. 2020, § 1037 ABGB Rn. 3 und 4. 170 Zur Schadenersatzpflicht Rummel, in: ders. (Hrsg.), ABGB Kommentar Bd. 1, 2. Aufl. 1990, § 1037 ABGB Rn. 6. 171 Koziol/Spitzer, in: Koziol/Bydlinski/Bollenberger (Hrsg.), 6. Aufl. 2020, § 1038 ABGB Rn. 2.

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2 ABGB. Die Schadenersatzpflicht setzt Verschulden voraus.172 Eine fehlende Nützlichkeit wird von § 1038 ABGB dann vermutet, wenn der Geschäftsführer die Sache des Geschäftsherrn derart umgestaltet hat, dass sie für ihren bisherigen Zweck unbrauchbar geworden ist. Dies lässt darauf schließen, dass die Umgestaltung im Widerspruch zu den Interessen des Geschäftsherrn steht.173 Diese Vermutung wird man aber als widerlegt ansehen müssen, wenn aus den konkreten Umständen auf Gegenteiliges geschlossen werden kann.174 Ist die Geschäftsführung ohne Auftrag nicht „nützlich“ in diesem Sinne, so besteht freilich die Möglichkeit der (nachträglichen) Genehmigung durch den Geschäftsherrn; hierdurch wird die Geschäftsführung von einer ursprünglich unerlaubten zur erlaubten.175 (d) Geschäftsführung gegen den Willen des Geschäftsherrn Führt indes jemand gegen den gültig erklärten Willen des Geschäftsherrn ein Geschäft oder hindert den rechtmäßigen Bevollmächtigten durch seine „Einmengung“ an der Besorgung des Geschäfts, ist dieser gemäß § 1040 ABGB zum einen zum Ersatz des hieraus erwachsenen Schadens und entgangenen Gewinns nach den allgemeinen Regeln verantwortlich. Der Bezugspunkt für das Verschulden ist schon die unerlaubte „Einmengung“ des Geschäftsherrn. Ein Vorteilsausgleich nach § 1312 Satz 2 ABGB findet nicht statt.176 Zum anderen verliert der Geschäftsführer auch den Anspruch auf Ersatz des Aufwands, sofern dieser nicht in Natur zurückgewährt werden kann. Diese Rückgewährung erfolgt nach bereicherungsrechtlichen Grundsätzen.177 Gültig in diesem Sinne ist ein Wille nur dann, wenn er nicht gesetzes- oder sittenwidrig ist.178 Die Verknüpfung des § 1040 ABGB mit der Versagung eines prinzipiell gegebenen Anspruchs auf Ersatz des Aufwands beweist, dass auch § 1040 ABGB das Vorliegen eines Fremdgeschäftsführungswillens fordert – auch wenn der Wortlaut einen deutschen Juristen an § 687 Abs. 2 BGB erinnern mag („eines fremden

172 Koziol/Spitzer, in: Koziol/Bydlinski/Bollenberger (Hrsg.), 6. Aufl. 2020, § 1038 ABGB Rn. 2. 173 Meissel, Geschäftsführung ohne Auftrag, 1993, S. 175. 174 Vgl. Meissel, Geschäftsführung ohne Auftrag, 1993, S. 175 Fn. 19; Welser/ZölchingJud, Bürgerliches Recht Bd. 2, 14. Aufl. 2015, Rn. 1788. 175 Rummel, in: ders. (Hrsg.), ABGB Kommentar Bd. 1, 2. Aufl. 1990, § 1037 ABGB Rn. 2. 176 Zur Schadenersatzpflicht Koziol/Spitzer, in: Koziol/Bydlinski/Bollenberger (Hrsg.), 6. Aufl. 2020, § 1040 ABGB Rn. 2. 177 Koziol/Spitzer, in: Koziol/Bydlinski/Bollenberger (Hrsg.), 6. Aufl. 2020, § 1040 ABGB Rn. 2. 178 Koziol/Spitzer, in: Koziol/Bydlinski/Bollenberger (Hrsg.), 6. Aufl. 2020, § 1040 ABGB Rn. 1; Rummel, in: ders. (Hrsg.), ABGB Kommentar Bd. 1, 2. Aufl. 1990, § 1040 ABGB Rn. 1.

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Geschäftes anmaßt“). Eine Genehmigung der Geschäftsführung durch den Geschäftsherrn ist möglich und führt zu einem Aufwendungsersatzanspruch.179 (e) Allgemeine Pflichten des Geschäftsführers Gemäß § 1039 ABGB ist der Geschäftsführer verpflichtet, das auf sich genommene Geschäft bis zur Vollendung fortzusetzen und wie ein Bevollmächtigter Rechnung darüber abzulegen. Anders als es der in dieser Hinsicht offene Wortlaut nahelegt, bezieht sich die Fortsetzungspflicht allerdings nur auf die nützliche Geschäftsführung ohne Auftrag (§ 1037 ABGB). Für die Geschäftsführung ohne Auftrag im Notfalle (§ 1036 ABGB) folgt dies bereits aus § 1312 ABGB, für die unnütze Geschäftsführung ohne Auftrag (§ 1038 ABGB) sowie für jene gegen den Willen des Geschäftsherrn (§ 1040 ABGB) aus Sinn und Zweck.180 Ferner ist der nicht voll Geschäftsfähige ebenfalls nicht zur Fortsetzung verpflichtet.181 Die Fortsetzungspflicht ist aber auch im Rahmen der nützlichen Geschäftsführung ohne Auftrag nur so zu verstehen, dass der Schaden durch den Abbruch der Geschäftsführung nicht vergrößert werden darf.182 Eine Pflicht zur Rechnungslegung besteht demgegenüber bei allen Arten der Geschäftsführung ohne Auftrag.183 Ferner ist der Geschäftsführer analog § 1009 ABGB zur Herausgabe des durch die Geschäftsführung Erlangten verpflichtet.184 (f) Internationales Privatrecht Das IPR Österreichs enthielt in § 47 öst. IPR-Gesetz a. F. eine Bestimmung zur Anknüpfung der Geschäftsführung ohne Auftrag. Unter dem Begriff der „Geschäftsführung ohne Auftrag“ wurde die eigenmächtige Besorgung fremder Angelegenheiten mit der Absicht, die Interessen des Geschäftsherrn zu fördern, verstanden. Das „Geschäft“ konnte tatsächlicher wie rechtlicher Natur sein. Die Identität des Geschäftsherrn musste nicht bekannt sein. Das Statut schloss Aufwandersatz und Entlohnungsansprüche sowie Herausgabe- und Schadener-

179

Meissel, Geschäftsführung ohne Auftrag, 1993, S. 184. Koziol/Spitzer, in: Koziol/Bydlinski/Bollenberger (Hrsg.), 6. Aufl. 2020, § 1039 ABGB Rn. 1; Welser/Zölching-Jud, Bürgerliches Recht Bd. 2, 14. Aufl. 2015, Rn. 1793. 181 Koziol/Spitzer, in: Koziol/Bydlinski/Bollenberger (Hrsg.), 6. Aufl. 2020, § 1035 ABGB Rn. 6. 182 Welser/Zölching-Jud, Bürgerliches Recht Bd. 2, 14. Aufl. 2015, Rn. 1793. 183 Koziol/Spitzer, in: Koziol/Bydlinski/Bollenberger (Hrsg.), 6. Aufl. 2020, § 1039 ABGB Rn. 2. 184 Koziol/Spitzer, in: Koziol/Bydlinski/Bollenberger (Hrsg.), 6. Aufl. 2020, § 1039 ABGB Rn. 3; Rummel, in: ders. (Hrsg.), ABGB Kommentar Bd. 1, 2. Aufl. 1990, § 1039 ABGB Rn. 4. 180

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2. Teil: Die Geschäftsführung ohne Auftrag im IPR

satzansprüche aus beiden Anspruchsrichtungen ein.185 Eine Unterscheidung zwischen den verschiedenen Arten der Geschäftsführung wurde nicht getroffen. Für Ansprüche aus Geschäftsführung ohne Auftrag sollte das Recht des Staates maßgeblich sein, „in dem sie besorgt worden ist“, § 47 Hs. 1 öst. IPRGesetz a. F. Gemeint war damit der Handlungsort; bei sukzessiven Geschäftsführungshandlungen sei jede Handlung getrennt anzuknüpfen.186 Stand die Geschäftsführung in einem inneren Zusammenhang zu einem anderen Rechtsverhältnis, sollte vorrangig akzessorisch daran angeknüpft werden, § 47 Hs. 2 öst. IPR-Gesetz a. F. Diese Kollisionsnorm ist indes seit dem 18.11.2009 als Reaktion auf die nun zur Anwendung gelangende Anknüpfung in Art. 11 Rom II-VO ersatzlos weggefallen.187 Vorgesehen ist in § 48 öst. IPR-Gesetz nunmehr nur noch eine Anknüpfung für „außervertragliche Schadenersatzansprüche“, die nicht von der Rom II-VO erfasst werden. Dieses gilt aber – wie es auch die zitierte amtliche Überschrift schon vermuten lässt – nur für das Deliktsstatut.188 Somit bleibt es für die Anknüpfung der Ansprüche aus Geschäftsführung ohne Auftrag, sofern die Rom II-VO unanwendbar ist,189 wohl bei dem Auffangtatbestand des § 1 Abs. 1 öst. IPR-Gesetz, wonach die Rechtsordnung zu berufen ist, zu der die stärkste Beziehung besteht. (4) Frankreich (a) Anwendungsbereich Das französische Recht kennt ebenfalls ein mit der Geschäftsführung ohne Auftrag vergleichbares Institut: die „gestion d’affaires“. Dieses war lange Zeit – gemeinsam mit den Vorschriften zur ungerechtfertigten Bereicherung – in den Art. 1371 ff. frz. ZGB a. F. geregelt und wurde ausweislich der amtlichen Überschrift des Kapitels den Quasikontrakten („Des quasi-contrats“) zugeordnet. Ein solcher Quasikontrakt lag gemäß Art. 1371 frz. ZGB a. F. vor, wenn eine Person eine rein freiwillige Handlung („les faits purement volontaires“) 185

Siehe nur Schwimann, in: Rummel (Hrsg.), ABGB Kommentar Bd. 2, 2. Aufl. 1992, § 47 IPRG Rn. 1 mwN. 186 Schwimann, in: Rummel (Hrsg.), ABGB Kommentar Bd. 2, 2. Aufl. 1992, § 47 IPRG Rn. 4. 187 Siehe Neumayr, in: Koziol/Bydlinski/Bollenberger (Hrsg.), 6. Aufl. 2020, §§ 46–47 IPRG Rn. 1; siehe auch 109. Bundesgesetz, mit dem das IPR-Gesetz, das Versicherungsaufsichtsgesetz sowie das Verkehrsopferentschädigungsgesetz geändert und das Bundesgesetz über internationales Versicherungsvertragsrecht für den Europäischen Wirtschaftsraum aufgehoben werden, in der Fassung der Kundmachung vom 17. November 2009, BGBl. I Nr. 109/2009. 188 Neumayr, in: Koziol/Bydlinski/Bollenberger (Hrsg.), 6. Aufl. 2020, § 48 IPRG Rn. 1. 189 Siehe zu dem Anwendungsbereich, den die autonomen nationalen Kollisionsnormen weiterhin haben unten S. 154 ff., insb. 165 ff.

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vornahm, „aus der eine Verpflichtung gegenüber einem Dritten und manchmal auch eine gegenseitige Verpflichtung beider Parteien entsteht“ („dont il résulte un engagement quelconque envers un tiers, et quelquefois un engagement réciproque des deux parties“). Von einer „gestion d’affaires“ sprach man, wenn jemand freiwillig das Geschäft eines anderen führte, Art. 1372 Abs. 1 frz. ZGB a. F. („volontairement on gère l’affaire d’autrui“).190 Im Februar 2016 wurde das französische Schuld- und Vertragsrecht allerdings überarbeitet – und mit ihm die Vorschriften über die „gestion d’affaires“. Diese finden sich nun in den Art. 1301 bis 1301-5 frz. ZGB. Systematisch ist das Rechtsinstitut noch immer den Quasikontrakten zugeordnet, wie Art. 1300 Abs. 2 frz. ZGB klarstellt. In inhaltlicher Hinsicht kodifizierte man die höchstrichterliche Rechtsprechung und präzisierte die gesetzlichen Regelungen.191 Gemäß Art. 1301 frz. ZGB liegt eine „gestion d’affaires“ vor, wenn eine Person – ohne dazu verpflichtet zu sein – wissentlich und zweckdienlich das Geschäft einer anderen Person ohne deren Wissen oder Widerspruch führt. Demgemäß müssen also (grundsätzlich) die folgenden fünf Voraussetzungen erfüllt sein, um von einer „gestion d’affaires“ sprechen zu können: Vorliegen eines fremden Geschäfts, wissentliches Handeln, zweckdienliches Handeln, mangelnde Kenntnis oder fehlender Widerspruch der Person, dessen Geschäft geführt wird, und schließlich die fehlende eigene Verpflichtung zum Tätigwerden seitens des Geschäftsführers. Der Begriff des „Geschäfts“ („l’affaire“) ist – wie auch unter der früheren Rechtslage192 – weit zu verstehen. Er umfasst gemäß Art. 1301 frz. ZGB rechtsgeschäftliches wie tatsächliches Tätigwerden („des actes juridiques et matériels“). Das Geschäft muss das eines Dritten sein („l’affaire d’autrui“). Hierdurch bestimmt sich zugleich, wer die andere Partei des Schuldverhältnisses, der Geschäftsherr, ist („[…] du maître de cette affaire“). Ist eine objektive Zuordnung nicht möglich, kann das Geschäft auch durch die erkennbare Willensrichtung des Geschäftsführers zu einem fremden Geschäft werden.193 Wie auch unter der früheren Rechtslage194 wird es unerheblich sein, ob der Geschäftsführer den Geschäftsherrn kennt oder sich gar über dessen Person irrt. 190 Siehe auch Ferid/Sonnenberger, Das französische Zivilrecht Bd. 2, 2. Aufl. 1986, 2 K 301 mwN. 191 Chantepie/Latina, La réforme du droit des obligations, 2016, para. 706 à la fin. Siehe auch die Begründung zu den einzelnen Regelungen im Rapport au Président de la République relative à l’ordonnance n°2016-131 du 10 février 2016 portant réforme du droit des contrats, du régime général et de la preuve des obligations: Journal Officiel de la République Française, p. 25. 192 Zur früheren Rechtslage siehe Ferid/Sonnenberger, Das französische Zivilrecht Bd. 2, 2. Aufl. 1986, 2 K 302 mwN. 193 Vgl. zur früheren Rechtslage Deppenkemper, Negotiorum gestio Bd. 1, 2014, S. 269 mwN. 194 Ferid/Sonnenberger, Das französische Zivilrecht Bd. 2, 2. Aufl. 1986, 2 K 315 Fn. 29.

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2. Teil: Die Geschäftsführung ohne Auftrag im IPR

Die Existenz von Art. 1301-4 frz. ZGB, wonach ein persönliches Interesse des Geschäftsführers die Anwendung der Art. 1301 ff. frz. ZGB nicht ausschließt, belegt, dass es unschädlich ist, wenn der Geschäftsführer zugleich ein eigenes Geschäft besorgt. Dies war auch ohne eine ausdrückliche Regelung schon unter der früheren Rechtslage anerkannt.195 Zu beachten ist indes, dass Art. 1301-4 Abs. 2 frz. ZGB die Teilung der Last der Verpflichtungen, Kosten und Schäden im Verhältnis zu den Interessen der Parteien vorschreibt, wenn zugleich eigene Interessen bei der Geschäftsführung verfolgt werden.196 Wie sich aus Art. 1301 frz. ZGB ergibt, bedarf es zumindest des Wissens seitens des Geschäftsführers, das Geschäft für eine andere Person zu führen („Celui qui […] gère sciemment […] l'affaire d'autrui“). Auch wenn der Wortlaut des Art. 1301 frz. ZGB es nicht ausdrücklich fordert, wird es wohl weiterhin eines Fremdgeschäftsführungswillens bedürfen.197 Die „Zweckdienlichkeit“ (bzw. „utilité“) bestimmt sich vom Standpunkt des Geschäftsführers zum Zeitpunkt der Geschäftsführung aus.198 Diese ex antePerspektive wurde auch früher schon zugrunde gelegt; damals war sie aber aus der in Art. 1372 Abs. 1 frz. ZGB a. F. kodifizierten Pflicht des Geschäftsführers, die Geschäfte so lange fortzuführen, bis der Geschäftsherr sie selbst besorgen kann, gesondert herzuleiten.199 Die Wendung „ohne Wissen oder Widerspruch des Geschäftsherrn“ („à l'insu ou sans opposition du maître de cette affaire“) fand sich in den Art. 1371 ff. frz. ZGB a. F. nicht. Obwohl Art. 1372 Abs. 1 frz. ZGB a. F. davon sprach, dass das Wissen oder die Kenntnis des Geschäftsherrn von der Tätigkeit des Geschäftsführers unerheblich war („[…] soit que le propriétaire connaisse la gestion, soit qu’il l’ignore […]“), wurde von Rechtsprechung und Rechtswissenschaft gefordert, dass die Geschäftsführung ohne dessen Wissen vollzogen wurde. Dies sollte die Geschäftsführung ohne Auftrag zu den vertraglichen Verhältnissen, meist speziell zum ausdrücklichen Auftrag, sowie zu den deliktischen Ansprüchen abgrenzen: Kannte der Geschäftsherr die Tätigkeit, so konnte er entweder zustimmen, schweigen oder widersprechen. Im Falle der Zustimmung sollte ein Vertrag vorliegen, meist ein Auftragsverhält195 Ferid/Sonnenberger, Das französische Zivilrecht Bd. 2, 2. Aufl. 1986, 2 K 302 und 318 mwN. 196 Vgl. auch Rapport au Président de la République relative à l’ordonnance n°2016-131 du 10 février 2016 portant réforme du droit des contrats, du régime général et de la preuve des obligations: Journal Officiel de la République Française, p. 25. 197 Vgl. Henry/Ancel/Venandet/Wiederkehr/Tisserand-Martin, Code civil, 120e éd. 2021, Art. 1301 para. 1: „La gestion d’affaires, qui implique l’intention du gérant d’agir pour le compte et dans l’intérêt du maître de l’affaire […].“ Siehe zur früheren Rechtslage Ferid/Sonnenberger, Das französische Zivilrecht Bd. 2, 2. Aufl. 1986, 2 K 315. 198 Chantepie/Latina, La réforme du droit des obligations, 2016, para. 716. 199 Ferid/Sonnenberger, Das französische Zivilrecht Bd. 2, 2. Aufl. 1986, 2 K 309 f. mwN.

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nis. Dies sollte sogar gelten, wenn der Geschäftsherr bloß schwieg; hier wurde der stillschweigende Abschluss eines Vertrags angenommen. Widersprach der Geschäftsherr, konnte die Handlung sogar unter Umständen als deliktisch eingeordnet werden; eine Geschäftsführung ohne Auftrag sollte aber jedenfalls ausscheiden, weil das Tätigwerden des Geschäftsführers gegen den Widerspruch des Geschäftsherrn widerrechtlich ist.200 Nicht jeder Widerspruch sollte indes beachtlich sein; an dieser Stelle flossen auch objektive Kriterien in die Beurteilung ein.201 Durch die Neuregelung dürfte sich in der Sache daran nichts geändert haben.202 Einzig die Annahme eines stillschweigend abgeschlossenen Vertrags in den Fällen, in denen der Geschäftsherr trotz Kenntnis von der Geschäftsführung schweigt, dürfte nicht mehr vertretbar sein, da die zweite Alternative „ohne Widerspruch“ sonst keinen eigenständigen Anwendungsbereich hätte: Mangels Widerspruchs wäre einzig das Zustandekommen eines Vertragsverhältnisses denkbar, entweder durch Zustimmung oder Schweigen.203 Mit Blick auf Art. 1301-1 frz. ZGB wird zudem vereinzelt gefordert, dass es dem Geschäftsherrn nicht möglich sein darf, die Geschäftsführung selbst zu übernehmen. Denn diese Norm verpflichtet den Geschäftsführer, die Geschäftsführung so lange fortzuführen, bis der Geschäftsherr (oder seine Erben) sie übernehmen können.204 Für die „gestion d’affaires“ im Rahmen der Art. 1371 ff. frz. ZGB a. F. wurde schließlich verlangt, dass die Geschäftsführung „spontan“ zu erfolgen habe, womit eine Subsidiarität des Rechtsinstituts gegenüber gesetzlichen und vertraglichen Bestimmungen zum Ausdruck gebracht wurde.205 Diese Subsidiarität galt allerdings nicht gegenüber abstrakten Hilfeleistungspflichten; in diesen Fällen gelangten die Art. 1372 ff. frz. ZGB a. F. gleichwohl zur Anwendung.206 Durch die Neuregelung wird sich hieran nichts geändert haben; der Geschäftsführer muss gemäß Art. 1301 frz. ZGB ohne eigene Verpflichtung 200

Siehe zur vorstehenden Darstellung der früheren Rechtslage Ferid/Sonnenberger, Das französische Zivilrecht Bd. 2, 2. Aufl. 1986, 2 K 308 mwN. A. A. in Bezug auf die Annahme eines Mandatvertrags bei Schweigen des Geschäftsführers Chantepie/Latina, La réforme du droit des obligations, 2016, para. 713 (nach der Rechtswissenschaft wären hierfür eindeutige Handlungen erforderlich gewesen). 201 Ferid/Sonnenberger, Das französische Zivilrecht Bd. 2, 2. Aufl. 1986, 2 K 314. 202 Chantepie/Latina, La réforme du droit des obligations, 2016, para. 713. 203 Anders wohl Chantepie/Latina, La réforme du droit des obligations, 2016, para. 713, die zur Diskussion stellen, ob das Schweigen des Geschäftsherrn als ein Indiz im Sinne des Art. 1120 frz. ZGB zu werten und deshalb in diesen Fällen der stillschweigende Abschluss eines Auftrags anzunehmen ist. 204 So argumentieren Chantepie/Latina, La réforme du droit des obligations, 2016, para. 714. 205 Ferid/Sonnenberger, Das französische Zivilrecht Bd. 2, 2. Aufl. 1986, 2 K 302 mwN und 2 K 307. 206 Ferid/Sonnenberger, Das französische Zivilrecht Bd. 2, 2. Aufl. 1986, 2 K 307.

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handeln („sans y être tenu“). Bestand ursprünglich keine Verpflichtung, genehmigt der Geschäftsherr die Geschäftsführung aber nachträglich, liegt gleichwohl ein Auftragsverhältnis vor, Art. 1301-3 frz. ZGB. Dies war bis 2016 zwar nicht ausdrücklich geregelt, es galt aber als allgemein anerkannt, dass bei Genehmigung rückwirkend ein Auftragsverhältnis vorlag.207 Dem ist der Gesetzgeber mit seiner Neuregelung gefolgt.208 Erfüllt das Handeln des Geschäftsführers nicht die oben beschriebenen Voraussetzungen, kommt die Geschäftsführung dem Geschäftsherrn aber gleichwohl zugute, muss ihn dieser nach den Regeln der ungerechtfertigten Bereicherung, der „enrichissement injustifié“ (Art. 1303 bis 1303-4 frz. ZGB), entschädigen, Art. 1301-5 frz. ZGB. Als ein Beispiel führt der Rapport au Président de la République das fehlende Bewusstsein („sciemment“) des Geschäftsführers an. Bis zur Reform im Jahre 2016 war es umstritten, ob die Fälle, die im deutschen Sachrecht von § 687 Abs. 1 BGB erfasst werden, der „gestion d’affaires“ unterstehen.209 Dieser Streit wurde auch durch die Gesetzesnovelle nicht beigelegt. Denn ob Art. 1301-5 frz. ZGB zur Folge hat, dass in diesen Konstellationen tatbestandlich eine „gestion d’affaires“ vorliegt oder nicht, ist unklar; es könnte sich auch schlicht um einen (klarstellenden) Verweis auf die Regeln der „enrichissement injustifié“ handeln. (b) Rechtsfolgen Art. 1301-1 frz. ZGB normiert den bislang in Art. 1372 Abs. 1 frz. ZGB a. F. kodifizierten Sorgfaltsmaßstab des Geschäftsführers (er hat die Geschäftsführung „tous les soins d’une personne raisonnable“ zu besorgen) und überträgt dessen Pflicht zur Fortführung der Geschäfte, bis der Geschäftsherr oder seine Erben in der Lage sind, sie zu übernehmen, auf die neue Rechtslage. Wie früher wird man eine Grenze der Fortführungspflicht dort annehmen müssen, wo sich der Geschäftsführer bei weiterer Ausführung in Gefahr begäbe.210 Gemäß Art. 1301 frz. ZGB treffen den Geschäftsführer darüber hinaus alle Pflichten des Beauftragten (Art. 1991 bis 1997 frz. ZGB), wozu insbesondere die Pflicht zur Rechenschaft gehört.211 Gemäß Art. 1301-1 Abs. 2 frz. ZGB kann das Gericht wie unter Art. 1374 Abs. 2 frz. ZGB a. F. die Haftung des Geschäftsführers aber den Umständen des Einzelfalls entsprechend anpassen.212 207

Ferid/Sonnenberger, Das französische Zivilrecht Bd. 2, 2. Aufl. 1986, 2 K 330. Vgl. Rapport au Président de la République relative à l’ordonnance n°2016-131 du 10 février 2016 portant réforme du droit des contrats, du régime général et de la preuve des obligations: Journal Officiel de la République Française, p. 25. 209 Ferid/Sonnenberger, Das französische Zivilrecht Bd. 2, 2. Aufl. 1986, 2 K 316 mwN. 210 Zur alten Rechtslage Ferid/Sonnenberger, Das französische Zivilrecht Bd. 2, 2. Aufl. 1986, 2 K 324. 211 Zu den einzelnen Pflichten siehe Chantepie/Latina, La réforme du droit des obligations, 2016, para. 719 ss. 212 Dazu Chantepie/Latina, La réforme du droit des obligations, 2016, para. 721. 208

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Unter der früheren Rechtslage war es umstritten, wie mit einer Schenkungsabsicht („intention libérale“) auf Seiten des Geschäftsführers umzugehen war. Nach einhelliger Auffassung waren die Regelungen über die Geschäftsführung ohne Auftrag unanwendbar, wenn eine solche vorlag und der Geschäftsherr dieses Angebot zumindest stillschweigend annahm, was insbesondere bei Unterhaltsleistungen angenommen wurde. Erfolgte keine Annahme, so wurde teilweise vertreten, dass dem Geschäftsführer wegen seiner intention libérale der Fremdgeschäftsführungswille fehle. Andere wandten die Regelungen über die Geschäftsführung ohne Auftrag an und schlossen lediglich die Verpflichtungen des Geschäftsherrn aus.213 Weil seit 2016 wohl kein Fremdgeschäftsführungswille mehr für die „gestion d’affaires“ erforderlich ist, werden ihre Regelungen Anwendung finden, die Verpflichtungen des Geschäftsherrn aber ausgeschlossen sein. Liegt keine intention libérale vor, trifft den Geschäftsherrn – wie schon unter Art. 1375 frz. ZGB a. F. – die Verpflichtung, die vom Geschäftsführer in seinem Namen eingegangenen Verbindlichkeiten zu erfüllen, wenn das Geschäft zweckmäßig („dont l’affaire a été utilement“) geführt worden ist, Art. 1301-2 Abs. 1 frz. ZGB. Ferner muss er ihm in diesen Fällen gemäß Art. 1301-2 Abs. 2 frz. ZGB alle in seinem Interesse entstandenen Aufwendungen erstatten sowie ihm die Schäden214 ersetzen, die er durch die Geschäftsführung erlitten hat. Art. 1301-2 Abs. 3 frz. ZGB enthält eine Regelung zur Verzinsung.215 Von Art. 1301-2 frz. ZGB nicht erfasst ist eine Pflicht zur Vergütung des Geschäftsführers. Eine solche war zwar noch im Gesetzesentwurf für die Reform enthalten, wurde aber nicht in geltendes Recht überführt. Von der Literatur wird dies begrüßt, da Altruismus als die Grundlage für die „gestion d’affaires“ angesehen wird. Zudem würden Einmischungen in fremde Angelegenheiten andernfalls gefördert, obwohl der Gesetzgeber den Geschäftsführer durch die Einführung des Ersatzanspruchs lediglich nicht entmutigen wollte.216 Mit der Neuregelung wurden dahingehenden Tendenzen der Rechtsprechung217 unter der früheren Rechtslage also ein Riegel vorgeschoben.

213

Ferid/Sonnenberger, Das französische Zivilrecht Bd. 2, 2. Aufl. 1986, 2 K 319 mwN. Dies sahen die Art. 1371 ff. frz. ZGB in ihrem Normtext zwar nicht ausdrücklich vor, siehe Chantepie/Latina, La réforme du droit des obligations, 2016, para. 723, war aber gleichwohl anerkannt, siehe Ferid/Sonnenberger, Das französische Zivilrecht Bd. 2, 2. Aufl. 1986, 2 K 328 mwN. 215 Auch die Verzinsungspflicht war früher nicht kodifiziert; letztlich wurde hier die französische Rechtsprechung in Gesetzesform gegossen. Zur früheren Rechtslage siehe Ferid/Sonnenberger, Das französische Zivilrecht Bd. 2, 2. Aufl. 1986, 2 K 328 mwN. 216 Chantepie/Latina, La réforme du droit des obligations, 2016, para. 724. 217 Siehe für Nachweise zu dieser Rechtsprechung Ferid/Sonnenberger, Das französische Zivilrecht Bd. 2, 2. Aufl. 1986, 2 K 329 sowie die rechtsvergleichenden Ausführungen von Bergmann, in: Staudinger, Neubearb. 2020, § 683 BGB Rn. 57. 214

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(c) Internationales Privatrecht Das autonome französische IPR ist nicht gesetzlich geregelt; es besteht in weiten Teilen aus Richterrecht. Die französische Rechtsprechung knüpft Ansprüche aus „quasi-contrats“ an den Ort an, an dem das Ereignis eingetreten ist, von dem angenommen wird, dass es zu einer Verpflichtung geführt hat („à la loi du lieu où est survenu le fait qui est censé avoir donné naissance à une obligation“).218 Speziell für die „gestion d’affaires“ wurde vertreten, dass an den Ort angeknüpft werden sollte, an dem der Geschäftsführungserfolg eintritt („pour le lieu où le résultat de la gestion apparaît“).219 Vorgeschlagen wurde zudem, dass jenes Recht vorrangig Anwendung finden soll, das auf ein bereits bestehendes Rechtsverhältnis anzuwenden ist, wenn der Quasikontrakt in dessen Rahmen entsteht.220 Da sich keine abweichende Bestimmung bezüglich des Anknüpfungsgegenstands findet, ist davon auszugehen, dass er dem aus dem französischen Sachrecht bekannten Begriff der „gestion d’affaires“ entspricht. (5) Spanien (a) Anwendungsbereich Das spanische Recht kennt mit der „gestión de negocios ajenos“ ebenfalls ein Institut der auftragslosen Geschäftsführung und regelt es in den Art. 1888 ff. span. ZGB. Die Normen finden sich in „Sección 1“ und bilden mit den Vorschriften über die ungerechtfertigte Bereicherung („del cobro de lo indebido“), die in „Sección 2“ geregelt sind, das „Capítulo 1 – De los cuasi contratos“. Sie und die in „Capítulo 2 – De las obligaciones que nacen de culpa o negligencia“ geregelten Vorschriften über unerlaubte Handlungen stellen die gesetzlichen Schuldverhältnisse dar; sie sind in „Título XVI. – De las obligaciones que se contraen sin convenio“ geregelt. Art. 1888 span. ZGB beschreibt den Tatbestand der „gestión de negocios ajenos“. Sie liegt vor, wenn jemand rechtmäßig (vgl. Art. 1887 span. ZGB: „lícitos“) und freiwillig („voluntariamente“) die Geschäfte eines anderen besorgt, ohne von diesem beauftragt worden zu sein („se encarga […] los negocios de otro, sin mandato de éste“). Der Begriff des Geschäfts umfasst rechtsgeschäftliches und tatsächliches Tätigwerden.221 Das Geschäft muss nach dem Wortlaut des Art. 1888 span. ZGB fremd sein („los negocios de otro“). Maßgebend ist, in wessen Rechts- und Interessenkreis das Geschäft bei objektiver Betrachtung fällt, kann 218 Auf Civ. 1er juin 1976, J.D.I. 1977.91, note Audit verweisen Mayer/Heuzé, Droit international privé, 7e éd. 2001, para. 688. 219 Mayer/Heuzé, Droit international privé, 7e éd. 2001, para. 688. 220 Mayer/Heuzé/Remy, Droit international privé, 12e éd. 2019, para. 737. 221 O’Callaghan Muñoz, Código Civil, 9a ed. 2019, Art. 1888 párrafo 1 apartado 1; vgl. Deppenkemper, Negotiorum gestio Bd. 1, 2014, S. 317 f. mwN.

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aber bei äußerlich neutralen Geschäften auch durch die Willensrichtung des Geschäftsherrn bestimmt werden.222 Geschäftsherr ist derjenige, dessen Geschäft geführt wird. Die Geschäftsführung kann auch für einen noch unbekannten Geschäftsherrn erfolgen.223 Der Geschäftsführer muss mit dem Willen handeln, die Geschäfte für einen anderen zu besorgen.224 Dies wird bei Vorliegen eines objektiv fremden Geschäfts vermutet.225 Verfolgt er gleichzeitig auch eigene Interessen, ist dies grundsätzlich unschädlich,226 da Art. 1891 span. ZGB gerade voraussetzt, dass der Geschäftsführer auch eigene Interessen verfolgt.227 Die Besorgung fremder Interessen darf indes nicht bloß mittelbare Folge der Geschäftsführung sein.228 Gemäß Art. 1888 span. ZGB muss der Geschäftsführer ohne ausdrücklichen Auftrag des Geschäftsherrn handeln („sin mandato de éste“). Dieser Passus wird aber auf jede gesetzliche oder vertragliche Verpflichtung zum Tätigwerden ausgedehnt, so dass auch die „gestion de negocios ajenos“ subsidiär ist.229 Er darf ferner nicht zum Handeln bevollmächtigt sein.230 Art. 1892 span. ZGB eröffnet dem Geschäftsherrn indes die Möglichkeit, die Geschäftsführung zu genehmigen, woraufhin rückwirkend231 die Rechtsfolgen des Auftragsrechts („los efectos del mandato expreso“) Anwendung finden. Die Genehmigung kann ausdrücklich oder konkludent erfolgen.232 Darüber hinaus wird einschränkend gefordert, dass der Geschäftsherr abwesend ist oder nicht widerspricht.233 Als abwesend gilt der Geschäftsherr schon dann, wenn er sich nicht um sein Geschäft kümmert.234 Dieses Kriterium lässt sich wohl – wie unter der früheren Rechtslage in Frankreich235 – aus einem Umkehrschluss aus der Fortsetzungspflicht gemäß Art. 1888 span. ZGB ableiten.

222

Deppenkemper, Negotiorum gestio Bd. 1, 2014, S. 306 mwN. v. Bar/Clive (eds.), Principles, Definitions and Model Rules of European Private Law Vol. 3, 2009, p. 2927 para. 66. 224 Deppenkemper, Negotiorum gestio Bd. 1, 2014, S. 473. 225 Siehe Deppenkemper, Negotiorum gestio Bd. 1, 2014, S. 473. 226 Deppenkemper, Negotiorum gestio Bd. 1, 2014, S. 476 mwN. 227 Deppenkemper, Negotiorum gestio Bd. 1, 2014, S. 311 mwN. 228 Deppenkemper, Negotiorum gestio Bd. 1, 2014, S. 311 mwN. 229 O’Callaghan Muñoz, Código Civil, 9a ed. 2019, Art. 1888 párrafo 1 apartado 4; Deppenkemper, Negotiorum gestio Bd. 1, 2014, S. 575 Fn. 2905 mwN. 230 O’Callaghan Muñoz, Código Civil, 9a ed. 2019, Art. 1888 párrafo 1 apartado 4. 231 O’Callaghan Muñoz, Código Civil, 9a ed. 2019, Art. 1892 („con efecto retroactivo“). 232 O’Callaghan Muñoz, Código Civil, 9a ed. 2019, Art. 1892 („expresa o tácita“). 233 O’Callaghan Muñoz, Código Civil, 9a ed. 2019, Art. 1888 párrafo 1 apartado 4; Deppenkemper, Negotiorum gestio Bd. 1, 2014, S. 610 mwN. 234 Deppenkemper, Negotiorum gestio Bd. 1, 2014, S. 610 mwN. 235 Siehe zur „gestion d’affaires“ oben S. 136 ff. 223

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(b) Rechtsfolgen Gemäß Art. 1888 span. ZGB trifft den Geschäftsführer die Verpflichtung, die Geschäftsführung bis zu ihrer Beendigung fortzusetzen oder den Geschäftsherrn aufzufordern, die Führung der Geschäfte zu übernehmen, soweit diesem das möglich ist („está obligado a continuar su gestión hasta el término del asunto y sus incidencias, o a requerir al interesado para que le sustituya en la gestión, si se hallase en estado de poder hacerlo por sí“). Nicht ausdrücklich in den Art. 1888 ff. span. ZGB geregelt, aber gleichwohl anerkannt sind die Verpflichtungen des Geschäftsführers zur Rechnungslegung und Herausgabe.236 Ferner stellt Art. 1889 Abs. 1 Satz 1 Hs. 2 span. ZGB für den Geschäftsführer die Pflicht zum Ersatz des beim Geschäftsherrn durch die Geschäftsführung eingetretenen und von ihm schuldhaft oder fahrlässig verursachten Schadens auf. Es gilt der in Art. 1889 Abs. 1 Satz 1 Hs. 1 span. ZGB aufgestellte Sorgfaltsmaßstab: Der Geschäftsführer hat die Geschäftsführung „con toda la diligencia de un buen padre de familia“ auszuführen. Abs. 2 eröffnet den Gerichten indes die Möglichkeit, die Höhe des Ersatzanspruchs den Umständen des Einzelfalls entsprechend zu begrenzen. Darüber hinaus trifft den Geschäftsführer nach Art. 1891 span. ZGB die Haftung für Zufall,237 sofern er risikoreiche Maßnahmen ergreift, die der Eigentümer nicht zu unternehmen pflegt („operaciones arriesgadas que el dueño no tuviese costumbre de hacer“), oder wenn er seine Interessen über die des Eigentümers stellt („o cuando hubiese pospuesto el interés de éste al suyo propio“). Sollte der Geschäftsführer alle oder einige seiner Pflichten an Dritte delegieren, haftet er gemäß Art. 1890 Abs. 1 span. ZGB für deren Handlungen. Unberührt davon bleibt aber die eigene Haftung der Delegierten dem Geschäftsherrn gegenüber. Sind mehrere Geschäftsführer vorhanden, haften sie nach Art. 1890 Abs. 2 span. ZGB gesamtschuldnerisch. Unabhängig von einer Genehmigung seitens des Geschäftsherrn („aunque no hubiese ratificado“), haftet der Geschäftsherr nach den Regeln der „gestión de negocios ajenos“ für die in seinem Interesse eingegangenen Verpflichtungen („será responsable de las obligaciones contraídas en su interés“) und muss dem Geschäftsführer gegenüber zudem die notwendigen und nützlichen Ausgaben, die dieser bei der Geschäftsführung getätigt hat, sowie die bei der Geschäftsführung erlittenen Schäden ersetzen („e indemnizará al gestor los gastos necesarios y útiles que hubiese hecho y los perjuicios que hubiese sufrido en el desempeño de su cargo“), Art. 1893 Abs. 1 span. ZGB. Dieselbe Verpflichtung trifft ihn – unabhängig davon, ob sich aus der Geschäftsführung Vorteile für ihn ergeben („aunque de ella no resultase provecho alguno“) –, wenn die Ge236

Deppenkemper, Negotiorum gestio Bd. 2, 2014, S. 533 und 551 jeweils mwN. Siehe zu der Einordnung als Zufallshaftung O’Callaghan Muñoz, Código Civil, 9a ed. 2019, Art. 1891 párrafo 2 und auch Deppenkemper, Negotiorum gestio Bd. 2, 2014, S. 497 mwN. 237

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schäftsführung der Abwendung eines drohenden und offenkundigen Schadens („perjuicio inminente y manifiesto“) dient, Art. 1893 Abs. 2 span. ZGB. Ob die Ausgaben notwendig und nützlich sind, und ob ein drohender und offenkundiger Schaden vorlag, beurteilt sich nach einem objektiven Maßstab.238 Die Vorschrift umfasst allerdings keinerlei Vergütung.239 Handelt der Geschäftsführer schenkweise, so entfällt sein Aufwendungsersatzanspruch.240 Speziell geregelt ist dies im Fall des Art. 1894 Abs. 1 span. ZGB. Demgemäß können die von einem Dritten erfüllten Unterhaltspflichten dann nicht vom Unterhaltsverpflichteten zurückgefordert werden, wenn der leistende Dritte aus Barmherzigkeit und ohne Absicht der Rückforderung handelte („por oficio de piedad y sin ánimo de reclamarlos“). In diesen Konstellationen wird das Vorliegen eines animus donandi widerleglich vermutet.241 An Art. 1894 Abs. 1 span. ZGB zeigt sich eine im Vergleich zum deutschen Sachrecht überraschende (und daher hier erwähnenswerte) Besonderheit des spanischen Rechts: Die Zahlung auf eine fremde Schuld ist nur für die in Art. 1894 Abs. 1 und 2 span. ZGB genannten Gebiete systematisch der Geschäftsführung ohne Auftrag zugeordnet. In den übrigen Fällen kommt Art. 1158 span. ZGB zur Anwendung.242 Nach dieser Vorschrift kann der Leistende vom Schuldner das, was er gezahlt hat, verlangen, wenn er nicht gegen dessen Willen gezahlt hat, Abs. 2. Wenn der Dritte gegen den Willen des Schuldners geleistet hat, kann er nur das zurückfordern, um was der Schuldner bereichert ist.243 Art. 1894 Abs. 2 span. ZGB schließlich enthält eine Spezialregel für Beerdigungskosten („gastos funerarios“). Auf sie soll an dieser Stelle nicht näher eingegangen werden.244 (c) Internationales Privatrecht Das spanische IPR enthält in Art. 10.9 span. ZGB eine eigene Kollisionsnorm für außervertragliche Schuldverhältnisse („las obligaciones no contractuales“), wonach für diese das Recht des Ortes maßgeblich ist, an dem das sie begründende Ereignis eingetreten ist („se regirán por la ley del lugar donde hubiere ocurrido el hecho de que deriven“). Speziell für die „gestión de negocios“ stellt Art. 10.9 Abs. 2 span. ZGB auf den Ort ab, an dem der Geschäftsführer hauptsächlich tätig ist („se regulará por la ley del lugar donde el gestor realice la principal actividad“). Die Anknüpfung an diesen Ort wird damit gerechtfertigt, 238

O’Callaghan Muñoz, Código Civil, 9a ed. 2019, Art. 1893 párrafo 2. O’Callaghan Muñoz, Código Civil, 9a ed. 2019, Art. 1893 párrafo 2. 240 Deppenkemper, Negotiorum gestio Bd. 1. 2014, S. 567 mwN. 241 O’Callaghan Muñoz, Código Civil, 9a ed. 2019, Art. 1894 párrafo 2 apartado 2. 242 Vgl. O’Callaghan Muñoz, Código Civil, 9a ed. 2019, Art. 1894 párrafo 2 apartado 2. 243 Dazu O’Callaghan Muñoz, Código Civil, 9a ed. 2019, Art. 1158 párrafo 2 apartado 4. 244 Dazu O’Callaghan Muñoz, Código Civil, 9a ed. 2019, Art. 1894 párrafo 3. 239

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2. Teil: Die Geschäftsführung ohne Auftrag im IPR

dass es der sachrechtlichen Natur der „gestión de negiocios“ entspreche. Ferner sei dies in der Regel der Ort, an dem sich die von der Geschäftsführung betroffenen Vermögenswerte befinden, so dass eine einheitliche Anknüpfung erzielt wird.245 Der Begriff „gestión de negocios“ soll dabei dem aus dem Sachrecht entsprechen.246 (6) Italien (a) Anwendungsbereich Auch das italienische Recht kennt ein mit der Geschäftsführung ohne Auftrag vergleichbares Rechtsinstitut: die „gestione di affari“. Sie ist in den Art. 2028– 2032 ital. ZGB des „Titolo VI – Della gestione di affari“ in „Libro Quarto – Delle obbligazioni“ geregelt und den gesetzlichen Schuldverhältnissen zuzuordnen.247 Gemäß Art. 2028 ital. ZGB liegt eine „gestione di affari“ vor, wenn jemand ohne eigene Verpflichtung („senza esservi obbligato“) wissentlich („scientemente“) die Geschäftsführung eines anderen („la gestione di un affare altrui“) übernimmt. Darüber hinaus wird, um sie zu anderen Rechtsinstituten abzugrenzen,248 einschränkend gefordert, dass der Geschäftsführer willentlich die Geschäftsführung im Interesse und zum Nutzen des abwesenden oder verhinderten Geschäftsherrn besorgt.249 Der Begriff der Geschäftsführung ist, wie auch in den vorgenannten Rechtsordnungen, weit zu verstehen. Erfasst ist sowohl rechtliches als auch tatsächliches Handeln.250 Ob ein Geschäft fremd ist, bestimmt sich grundsätzlich aus einer objektiven Perspektive. Entscheidend ist, wessen Rechtssphäre das Geschäft objektiv zugeordnet werden kann. Es ist unerheblich, ob der Geschäftsführer die Identität des Geschäftsherrn kennt.251 Wo eine objektive Zuordnung des Geschäfts nicht möglich ist, soll es auf den Willen des Geschäftsführers ankommen.252 Ferner, und dies folgt bereits aus dem Wortlaut des Art. 2028 ital. ZGB, darf der Geschäftsführer nicht selbst zum Tätigwerden verpflichtet sein. Mit dem Erfordernis, dass der Geschäftsführer wissentlich („scientemente“) handeln muss, werden die Fälle der irrtümlichen Geschäftsführung von den Art. 2028 ff. ital. ZGB ausgeschlossen. Erst recht hat dies für die aus dem deut245

Fernández Rozas/Lorenzo, Derecho Internacional Privado, 4a ed. 2007, p. 512. Fernández Rozas/Lorenzo, Derecho Internacional Privado, 4a ed. 2007, p. 512. 247 Torrente/Schlesinger, Manuale di diritto privato, 22a ed. 2015, p. 895. 248 Christandl, in: Handbuch Italienisches Zivilrecht, 2009, Rn. 3/600. 249 Christandl, in: Handbuch Italienisches Zivilrecht, 2009, Rn. 3/602 ff. Siehe auch Torrente/Schlesinger, Manuale di diritto privato, 22a ed. 2015, p. 895. 250 Torrente/Schlesinger, Manuale di diritto privato, 22a ed. 2015, p. 895. 251 Deppenkemper, Negotiorum gestio Bd. 1, 2014, S. 254 mwN. 252 Deppenkemper, Negotiorum gestio Bd. 1, 2014, S. 305 mwN. 246

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schen Sachrecht als angemaßte Eigengeschäftsführung bekannten Konstellationen zu gelten. Der Geschäftsführer muss ferner nicht nur wissentlich, sondern auch – zumindest zu Beginn – willentlich die Geschäfte eines anderen führen.253 Besorgt der Geschäftsführer zugleich ein Geschäft, das seinem Interessenbereich angehört, sollen die Regelungen über die „gestione di affari“ nur dann zur Anwendung gelangen, wenn die eigenen Interessen (objektiv gesehen) lediglich nachrangig verfolgt werden.254 Gemäß Art. 2031 ital. ZGB muss die Geschäftsführung – zumindest zu Beginn – auch nützlich gewesen sein („qualora la gestione sia stata utilmente inziata“). Entscheidend ist also nicht, ob der Nutzen später noch vorhanden ist. Maßgebend soll die Perspektive des sogenannten guten Familienvaters sein, womit letztlich ein durchschnittlich sorgfältiger Mensch, man könnte sagen ein objektiver Dritter, in den Schuhen des Geschäftsführers gemeint ist (ex antePerspektive). Unerheblich ist also ein unbekannter, möglicherweise abweichender Wille des Geschäftsherrn.255 Die Abwesenheit oder sonstige Verhinderung des Geschäftsherrn wird vom Gesetz zwar nicht ausdrücklich gefordert, allerdings aus Art. 2028 ital. ZGB abgeleitet. Dieser enthält die Verpflichtung des Geschäftsführers zur Vollendung der Geschäfte bzw. zu deren Fortführung, bis der Geschäftsherr sie selbst besorgen kann. Der Abwesenheit oder Verhinderung soll es gleichstehen, wenn der Geschäftsherr zwar Kenntnis von der Geschäftsführung hat, aber sich ihr nicht widersetzt.256 Die Anwendbarkeit der Regeln über die „gestione di affari“ soll insgesamt ausgeschlossen sein, wenn der Geschäftsführer geschäftsunfähig ist; wie auch bei § 682 BGB soll er dann nur nach den Vorschriften über die unerlaubten Handlungen und die ungerechtfertigte Bereicherung haften. Dies wird aus Art. 2029 ital. ZGB, wonach der Geschäftsführer die Befugnis hat, Verträge für den Geschäftsherrn zu schließen, abgeleitet.257 253

Christandl, in: Handbuch Italienisches Zivilrecht, 2009, Rn. 3/605 mwN. Christandl, in: Handbuch Italienisches Zivilrecht, 2009, Rn. 3/605 mwN; Deppenkemper, Negotiorum gestio Bd. 1, 2014, S. 477 mwN; v. Bar/Clive (eds.), Principles, Definitions and Model Rules of European Private Law Vol. 3, 2009, p. 2919 para. 45. 255 Christandl, in: Handbuch Italienisches Zivilrecht, 2009, Rn. 3/606 mwN. Siehe auch Torrente/Schlesinger, Manuale di diritto privato, 22a ed. 2015, p. 576 („come buon padre di famiglia“) und 895 („obiettivamente utili al’interessato“) sowie Fusaro, in: Trabucchi (fondatore), Istituzioni di diritto civile, 47a ed. 2015, p. 1129 („si deve obiettivamente prevedere“). 256 Christandl, in: Handbuch Italienisches Zivilrecht, 2009, Rn. 3/603 mwN; Torrente/Schlesinger, Manuale di diritto privato, 22a ed. 2015, p. 895; siehe auch Deppenkemper, Negotiorum gestio Bd. 1, 2014, S. 609 mwN. 257 Christandl, in: Handbuch Italienisches Zivilrecht, 2009, Rn. 3/609 mwN. Siehe auch Torrente/Schlesinger, Manuale di diritto privato, 22a ed. 2015, p. 896 und Fusaro, in: Trabucchi (fondatore), Istituzioni di diritto civile, 47a ed. 2015, p. 1128. 254

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Die Art. 2028 ff. ital. ZGB finden schließlich auch dann keine Anwendung, wenn der Geschäftsherr die Geschäftsführung genehmigt hat. Gemäß Art. 2032 ital. ZGB werden durch die Genehmigung die Wirkungen eines Auftragsverhältnisses herbeigeführt. Dies ist hiernach auch dann möglich, wenn der „Geschäftsführer“ irrigerweise annimmt, ein eigenes Geschäft zu führen. (b) Rechtsfolgen Liegt eine „gestione di affari“ vor, so trifft den Geschäftsführer gemäß Art. 2028 ital. ZGB eine Vollendungs- bzw. Fortsetzungspflicht, bis der Geschäftsherr sein Geschäft selbst besorgen kann. Ferner ist der Geschäftsführer gemäß Art. 2030 Abs. 1 ital. ZGB den Pflichten eines Beauftragten (Art. 1710–1718 ital. ZGB) unterworfen, wozu insbesondere die in Art. 1713 Abs. 1 ital. ZGB enthaltene Rechnungslegungs- und Herausgabepflicht zählt. Außerdem hat er die Geschäfte mit der Sorgfalt eines „buon padre di famiglia“ zu führen, Art. 2030 Abs. 1, 1710 Abs. 1 ital. ZGB. Gemäß Art. 2030 Abs. 2 ital. ZGB kann das Gericht eine mögliche Haftung des Geschäftsführers den Umständen der Geschäftsführung entsprechend („in considerazione delle circostanze“) reduzieren. Den Geschäftsherrn trifft gemäß Art. 2031 Abs. 1 ital. ZGB konsequenterweise (vgl. Art. 2029 ital. ZGB) die Pflicht, die in seinem Interesse eingegangenen Verpflichtungen zu erfüllen. Ferner muss er den Geschäftsführer für alle im eigenen Namen übernommenen Verpflichtungen schadlos halten und ihm die notwendigen oder nützlichen Auslagen erstatten. Die Auslagen sind ab dem Tag, an dem sie entstanden sind, zu verzinsen, Art. 2031 Abs. 1 ital. ZGB a. E. Handelt der Geschäftsführer mit animus donandi, ist der Tatbestand der „gestione di affari“ gemäß den Art. 2028 ff. ital. ZGB zwar erfüllt. Der Aufwendungsersatzanspruch ist in diesen Fällen aber ausgeschlossen.258 Im Zusammenhang mit den Pflichten des Geschäftsherrn findet sich in Art. 2031 Abs. 2 ital. ZGB eine interessante Regelung. Gemäß dieser Norm gilt Art. 2031 Abs. 1 ital. ZGB nicht („Questa disposizione non si applica“), wenn die Geschäftsführung dem ausdrücklichen Willen des Geschäftsherrn widerspricht („contro il divieto dell'interessato“). Eine Rückausnahme liegt dann vor, wenn die Willensäußerung gegen Gesetz, öffentliche Ordnung oder Moral verstößt („eccetto che tale divieto sia contrario alla legge, all'ordine pubblico o al buon costume“). Führt jemand also die Geschäfte eines anderen gegen des-

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Deppenkemper, Negotiorum gestio Bd. 1, 2014, S. 566 mwN; auf den ersten Blick a. A. Christandl, in: Handbuch Italienisches Zivilrecht, 2009, Rn. 3/605, der in Fn. 1191 aber lediglich ausführt, dass der Aufwendungsersatzanspruch ausgeschlossen ist, wenn jemand anstelle des Unterhaltsschuldners Unterhaltsleistungen aus Wohltätigkeit schenkungsweise erbringt.

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sen ausdrückliches Verbot, ist der Tatbestand einer „gestione di affari“ eröffnet.259 (c) Internationales Privatrecht Eine autonome italienische Anknüpfung für die „gestione di affari altrui“ findet sich seit der im Jahre 1995 erfolgten italienischen IPR-Reform in Art. 61 ital. IPR-Gesetz. Hiernach soll sie – grundsätzlich gemeinsam mit den anderen gesetzlichen Schuldverhältnissen – nach dem Recht des Staates beurteilt werden, in dem das Ereignis eingetreten ist, welches die Verpflichtung begründet („La gestione di affari altrui […] sono sottoposti alla legge dello Stato in cui si è verificato il fatto da cui deriva l’obbligazione“). cc) Erkenntnisse aus den Länderberichten und Bedeutung für Art. 11 Rom II-VO (1) Bestätigung und Schärfung des oben gefundenen Ergebnisses Die Geschäftsführung ohne Auftrag wird in allen untersuchten Rechtsordnungen als eine auftragslose bzw. sonst unbefugte Einmischung einer Person in den Rechts- und Interessenkreis einer anderen Person verstanden. Der Begriff des „Geschäfts“ ist weit gefasst und meint rechtsgeschäftliches sowie tatsächliches Handeln. Die „Fremdheit“ des Geschäfts ist dann gegeben, wenn dieses objektiv zumindest auch in den Rechts- und Interessenkreis einer anderen Person fällt. Überdies hat die vorstehende Untersuchung gezeigt, dass es unerheblich ist, ob der Geschäftsführer neben den Interessen des Geschäftsherrn zugleich eigene Interessen verfolgt; das „auch fremde Geschäft“ wird anerkannt. Das österreichische Recht, das einschränkend eine „Abtrennbarkeit“ beider Interessen fordert, interpretiert diese Voraussetzung extensiv. Die Regeln über die Geschäftsführung ohne Auftrag gelangen deshalb nur dann nicht zur Anwendung, wenn das Interesse des „Geschäftsherrn“ bloß reflexartig mitbesorgt wird. Dies ist nur auf den ersten Blick ein Sonderweg: Auf dieser Linie liegt auch das spanische Recht, das eine bloß mittelbare Förderung des Geschäftsherrninteresses nicht genügen lässt, und auch die §§ 677 ff. BGB exkludieren jene Fallgruppen, in denen die Geschäftsführung den Geschäftsherrn bloß reflexhaft begünstigt. Lediglich die italienische Rechtsprechung hat die „gestione di affari“ darauf eingegrenzt, dass das geführte Geschäft objektiv überwiegend fremden Interessen dienen muss. Eine solche Restriktion ist aber – unabhängig davon, ob auch andere, im Rahmen dieser Arbeit nicht untersuchte europäische Mitgliedstaaten ihr folgen – nicht auf den Anwendungsbereich von Art. 11 Rom II-VO zu übertragen: Da jedenfalls die deutsche, österreichische, 259

A. A. Fusaro, in: Trabucchi (fondatore), Istituzioni di diritto civile, 47a ed. 2015, p. 1128 (Tatbestandsvoraussetzung für die „gestione di affari“).

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französische und spanische Rechtsordnung diese Einschränkung nicht vorsehen, kann hier nicht von einer gemeineuropäischen Wertung gesprochen werden, die sich auf Art. 11 Rom II-VO übertragen ließe. Ferner bedarf es in allen Rechtsordnungen eines Bewusstseins und eines Willens des Geschäftsführers, für einen anderen tätig zu werden. Liegt ein Fremdgeschäftsführungswille vor, kann durch ihn ein aus objektiver Perspektive neutral erscheinendes Geschäft zu einem „fremden“ werden. Das Vorliegen eines solchen Fremdgeschäftsführungswillens grenzt die Geschäftsführung ohne Auftrag von anderen außervertraglichen Rechtsinstituten, insbesondere von der ungerechtfertigten Bereicherung, ab. Nur in Deutschland ebnet § 687 Abs. 2 BGB den Weg zu bestimmten, in den §§ 677–686 BGB vorgesehenen Verpflichtungen, wenn sich jemand wissentlich die Geschäfte eines anderen anmaßt. Indem allerdings nur solche Normen für anwendbar erklärt werden, die für den Geschäftsherrn günstige Rechtsfolgen bereithalten, während der Herausgabeanspruch des Geschäftsführers durch die Geltendmachung der Ansprüche des Geschäftsherrn bedingt und auch in seinem Umfang erheblich beschränkt ist, zielt diese Regelung erkennbar auf den Schutz des Geschäftsherrn ab. Man kann § 687 Abs. 2 BGB daher wohl nicht zum Institut der Geschäftsführung ohne Auftrag „in einem engeren Sinne“ zählen; nicht zuletzt deshalb spricht man von „unechter“ Geschäftsführung ohne Auftrag. Folgerichtig werden die Fallgruppen auf kollisionsrechtlicher Ebene, also im Rahmen von Art. 39 EGBGB, von der Anknüpfung der Geschäftsführung ohne Auftrag ausgenommen.260 Für die Annahme eines Fremdgeschäftsführungswillens ist es unerheblich, ob der Geschäftsführer die Identität des Geschäftsherrn kennt; die untersuchten Rechtsordnungen lassen einen abstrakten Fremdgeschäftsführungswillen für die Anwendbarkeit des Rechtsinstituts genügen. Darüber hinaus schließt ein animus donandi des Geschäftsherrn die Regeln über die Geschäftsführung ohne Auftrag nicht aus. Nur in Frankreich wurde unter Zugrundelegung der Rechtslage bis 2016 vereinzelt Abweichendes vertreten: Nicht der Aufwendungsersatzanspruch sei ausgeschlossen, sondern die „gestion d’affaires“ mangels Fremdgeschäftsführungswillens schon nicht anwendbar. Da es mittlerweile wohl keines Fremdgeschäftsführungswillens mehr bedarf, um den Anwendungsbereich der „gestion d’affaire“ zu eröffnen, kann sich die intention libérale wohl nur noch auf Rechtsfolgenebene auswirken – wie auch im deutschen, österreichischen, spanischen und italienischen Recht. Selbst wenn aber der Tatbestand der französischen „gestion d’affaires“ weiterhin einen Fremdgeschäftsführungswillen erforderte, wäre eine Abweichung Frankreichs unter Zugrundelegung der vereinzelt vertretenen Auffassung vorliegend aber auch unbeachtlich. Denn bei dem Ausschluss des GoA-Tatbestandes im Falle einer intention libérale oder eines animus donandi handelt es sich um eine Ein260

Vgl. S. 128.

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schränkung der in dieser Hinsicht bislang noch offenen Definition des Anknüpfungsgegenstands. Für eine solche ist, wie gezeigt,261 erforderlich, dass keine weitere mitgliedstaatliche Rechtsordnung ausdrücklich widerspricht. Das ist vorliegend nicht der Fall. Schließlich stellt die grundsätzliche Subsidiarität des Rechtsinstituts gegenüber speziellen vertraglichen und gesetzlichen Verpflichtungen eine europäische Gemeinsamkeit dar. Unterschiede in den untersuchten Rechtsordnungen lassen sich demgegenüber hinsichtlich des Umgangs mit der Befolgung bloß abstrakter Pflichten feststellen. Während die Regelungen über die Geschäftsführung ohne Auftrag in Deutschland, Österreich und Frankreich gleichwohl zur Anwendung gelangen, wenn lediglich eine abstrakte gesetzliche Pflicht wie etwa die allgemeine Hilfeleistungspflicht (in Deutschland beispielsweise § 323c StGB) befolgt wird, konnte Entsprechendes nicht für Spanien oder Italien festgestellt werden. Sollte diese Rückausnahme diesen (und auch den übrigen mitgliedstaatlichen) Rechtsordnungen wirklich unbekannt sein, wäre dies aber unschädlich. Denn auch hier fehlte es dann an einer gemeineuropäischen Wertung, die allein den Anknüpfungsgegenstand des Art. 11 Rom II-VO in dieser Hinsicht einschränken könnte.262 (2) Keine zusätzliche Beschränkung des Anknüpfungsgegenstands Unüberwindbare Disparitäten in den mitgliedstaatlichen Sachrechtsordnungen zeigen sich schließlich bei der Frage, ob der Tatbestand der auftragslosen Geschäftsführung noch weiter einzuschränken und nur auf Fälle zu begrenzen ist, in denen Berechtigungskriterien wie etwa die Willensgemäßheit, Nützlichkeit, das Vorliegen einer Notfalllage oder ähnliches erfüllt sind. Während in Frankreich und Spanien der Weg zur Geschäftsführung ohne Auftrag gänzlich verschlossen ist, wenn der Geschäftsherr die Geschäftsführung ausdrücklich ablehnt, ist die Willensgemäßheit in Deutschland keine Anwendungsvoraussetzung für die §§ 677 ff. BGB, sondern stellt lediglich die Weichen zwischen einer echten berechtigten und einer echten unberechtigten Geschäftsführung ohne Auftrag. Auch in Italien ist sie kein Tatbestandsmerkmal der „gestione di affari“, sondern entfaltet ebenfalls nur auf Rechtsfolgenseite Wirkungen: Widerspricht die Geschäftsführung dem ausdrücklichen Willen des Geschäftsherrn, entfallen dessen Verpflichtungen, während der Geschäftsführer gleichwohl seinen aus der „gestione di affari“ folgenden Pflichten unterworfen ist. Vergleichbares ließ sich für Österreich festhalten, § 1040 ABGB. Auch die Nützlichkeit der Geschäftsführung ist – anders als in Frankreich und Italien – keine Tatbestandsvoraussetzung für die deutsche, österreichische oder spanische Geschäftsführung ohne Auftrag. In Deutschland entscheidet die Frage, ob das Geschäft im mutmaßlichen Willen bzw. im Interesse des Ge261 262

S. 58 f. und insb. 87 f. Siehe auch dazu S. 58 f. und insb. 87 f.

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schäftsherrn steht, lediglich darüber, ob die Geschäftsführung berechtigt oder unberechtigt erfolgt ist; in jedem Fall ist der Anwendungsbereich der §§ 677 ff. BGB aber eröffnet. Gleiches gilt in Österreich, wo das Kriterium des „klaren, überwiegenden Vorteils“ dann über die Frage der Berechtigung befindet, wenn keine Notgeschäftsführung vorliegt. In der spanischen Rechtsordnung entscheiden Kriterien wie die Notwendigkeit und Nützlichkeit, soweit keine Notgeschäftsführung vorliegt, sogar lediglich über das Bestehen eines Aufwendungsersatzanspruchs; sie beziehen sich hier also nur auf die Rechtsfolgenseite, nicht aber auf den Geschäftsführungstatbestand als solchen. Gemeinsame Kriterien für eine weitere Einschränkung des Tatbestandes lassen sich insgesamt also nicht herausarbeiten. Die Verständnisse der Mitgliedstaaten vom Anwendungsbereich des Instituts der auftragslosen Geschäftsführung liegen zu weit auseinander. Aus diesem Grund kann an dieser Stelle auch keine gemeineuropäische Wertung festgestellt werden, die zur weiteren Konkretisierung von Art. 11 Rom II-VO herangezogen werden kann.263 Letztlich muss deshalb das anwendbare Sachrecht über die Frage potentieller weiterer Anspruchsvoraussetzungen entscheiden. 3. Ergebnis zum (positiven) Anwendungsbereich des Anknüpfungsgegenstands a) Definition Nach alledem ergibt sich für den Anknüpfungsgegenstand des Art. 11 Rom IIVO das folgende Bild. Er bündelt grundsätzlich die sich aus dem folgenden Lebenssachverhalt ergebenden Ansprüche: Eine Person greift (durch aktives Tun) rechtsgeschäftlicher oder tatsächlicher Art in den Rechts- und Interessenkreis eines Dritten ein. Ob ein solcher Eingriff vorliegt, wird vorrangig aus objektiver Perspektive bestimmt. Kann eine eindeutige Zuweisung nicht erfolgen, handelt es sich also um ein neutrales Geschäft, liegt auch dann ein Eingriff in einen fremden Rechts- und Interessenkreis vor, wenn der Geschäftsführer mit dem Bewusstsein und dem Willen zur Wahrnehmung bzw. Förderung fremder Interessen gehandelt hat. Erforderlich ist ein solcher Fremdgeschäftsführungswille aber auch, wenn schon aus objektiver Perspektive ein Eingriff in einen fremden Rechts- und Interessenkreis vorliegt. Liegt sowohl ein objektiv fremdes als auch ein objektiv eigenes Geschäft vor, hindert dies die Anwendung von Art. 11 Rom II-VO grundsätzlich nicht. Konsequenterweise ist es unerheblich, ob die Person mit einem solchen Eingriff zugleich eigene Interessen verfolgt. Die Anwendbarkeit von Art. 11 Rom II-VO ist nur dann ausgeschlossen, wenn sich die Wahrnehmung der fremden Interessen lediglich als Reflex, als mittelbarer Vorteil, der Handlung darstellt. Die andere Partei des Schuldverhältnisses, die Person des Ge263

Siehe S. 58 f. und insb. 87 f.

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schäftsherrn, bestimmt sich danach, in wessen Rechts- und Interessenkreis eingegriffen wird. Dem Geschäftsführer muss die Identität des Geschäftsherrn aber nicht bekannt sein; ein abstrakter Fremdgeschäftsführungswille genügt. Schließlich darf der Geschäftsführer nicht aufgrund einer vertraglichen oder gesetzlichen Pflicht tätig werden; befolgt er indes lediglich eine abstrakte Pflicht, ist Art. 11 Rom II-VO gleichwohl anwendbar. Ob der Geschäftsführer mit seinem Handeln einer eigenen Verpflichtung nachkommt, ist, soweit diese Frage nicht bereits während der Prüfung des Anwendungsbereichs der Verordnung beantwortet worden ist, als Erstfrage selbstständig anzuknüpfen.264 Weitere einschränkende Merkmale, wie etwa ein Berechtigungstatbestand, existieren nicht. b) Bestehen Beweisprobleme? Im Zusammenhang mit der gefundenen Definition des Anknüpfungsgegenstands soll an dieser Stelle noch kurz darauf eingegangen werden, wie mit Beweisproblemen umzugehen ist, die sich auch auf kollisionsrechtlicher Ebene, also in Bezug auf die Tatbestandsmerkmale einer Kollisionsnorm, stellen können. Obwohl es sich hierbei um eine allgemeine Frage des IPR handelt, wird dieses Problem bei Art. 11 Rom II-VO doch besonders augenfällig. Problematisch scheint nämlich, dass der Anknüpfungsgegenstand mit dem Erfordernis eines (zumindest auch vorhandenen) Fremdgeschäftsführungswillens ein subjektives Element kennt, bei dem sich schon bei unbefangener Betrachtung im Prozess voraussichtlich Beweisprobleme ergeben werden. Wie gezeigt, wird dieses Problem etwa durch die deutsche265 und spanische266 Sachrechtsordnung mit einer (widerleglichen) Vermutung gelöst. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, ob dies auch auf kollisionsrechtlicher Ebene ein gangbarer Weg wäre. Wer in der Rom II-VO nach einer Vorschrift zum anwendbaren Beweisrecht sucht, stößt auf Art. 1 Abs. 3, 22 Rom II-VO. Gemäß Art. 22 Abs. 1 Rom IIVO ist das nach der Rom II-VO maßgebende Recht auch insoweit anzuwenden, „als es für außervertragliche Schuldverhältnisse gesetzliche Vermutungen aufstellt oder die Beweislast verteilt.“ Schon ihrem Wortlaut nach bestimmt diese Norm also lediglich den Umfang einer bestehenden Verweisung nach den Regeln der Rom II-VO, setzt also voraus, dass der Tatbestand einer Kollisionsnorm bereits erfüllt ist. Sie kann daher nicht herangezogen werden, um

264 Siehe nur v. Hein, in: MüKo BGB, 8. Aufl. 2020, Einl. IPR Rn. 172 ff., insb. 178 (auch mwN). 265 S. 123 ff. 266 S. 142 ff.

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(vermeintlichen) Beweisschwierigkeiten auf der Tatbestandsseite der Kollisionsnorm zu begegnen.267 Bei näherer Betrachtung zeigt sich allerdings, dass es in Bezug auf den Anknüpfungsgegenstand einer Kollisionsnorm schon gar keiner Beweisregel bedarf. Denn ein non liquet ist in Bezug auf den Anknüpfungsgegenstand denknotwendig ausgeschlossen. Dieser selbst hat genau genommen keine eigenen Tatbestandsmerkmale, sondern bildet lediglich einen Tatbestandsrahmen: Er bündelt die aus dem Lebenssachverhalt resultierenden Ansprüche. Deshalb setzt die Kollisionsnorm einen bereits feststehenden Lebenssachverhalt für ihre Anwendung gerade voraus.268 Um dieses Problem zu lösen, wird man letztlich den vom Kläger zur Substantiierung seines materiell-rechtlichen Anspruchs vorgetragenen Lebenssachverhalt zugrunde legen müssen.269 Manipulationen oder Missbrauch seitens des Klägers sind, obwohl sich solche Gefahren bei dieser Lösung auf den ersten Blick aufzudrängen scheinen, letztlich nicht zu erwarten, da der Kläger die vorgetragenen Tatsachen auf materiell-rechtlicher Ebene beweisen muss, so dass er mit Rücksicht darauf vortragen wird.270 Für die kollisionsrechtliche Anknüpfung ist insgesamt also allein das klägerische Vorbringen maßgeblich; Beweisprobleme bestehen hinsichtlich des Anknüpfungsgegenstands somit nicht. Gemäß Art. 22 Abs. 1 Rom II-VO ist dann das durch Art. 11 Rom II-VO bestimmte Recht daraufhin zu untersuchen, ob es materiell-rechtliche Vermutungen oder Beweiserleichterungen beinhaltet. III. Ausnahmen Der Anknüpfungsgegenstand des Art. 11 Rom II-VO ist allerdings stets im Zusammenhang mit dem materiellen Anwendungsbereich der Rom II-VO zu sehen; ist die Verordnung schon nicht anwendbar, kann natürlich auch Art. 11 Rom II-VO nicht für die kollisionsrechtliche Prüfung herangezogen werden. Die Auswirkungen des materiellen Anwendungsbereichs speziell für Art. 11 Rom II-VO, sollen im Folgenden aufgezeigt und näher betrachtet werden. 1. Durch den positiven Anwendungsbereich der Verordnung ausgeschlossene Fallgestaltungen In Bezug auf den positiven Anwendungsbereich der Verordnung sind zwei Fragestellungen zu untersuchen. Zum einen geht es um das Verhältnis des Art. 11 Rom II-VO zum IPR der vertraglichen Schuldverhältnisse. Zum anderen ist

267 Allg. Meinung, siehe nur Varga, in: BeckOGK, 15.2.2016, Art. 22 Rom II-VO Rn. 8 sowie Spellenberg, in: MüKo BGB, 8. Aufl. 2021, Art. 18 Rom I-VO Rn. 9 (für die Parallelvorschrift in der Rom I-VO). 268 Dazu Seibl, Beweislast, 2009, S. 26 ff., insb. 37 f. und 339. 269 Eingehend und überzeugend Seibl, Beweislast, 2009, S. 38 ff. 270 Seibl, Beweislast, 2009, S. 39 f.

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fraglich, inwieweit der Begriff der „Zivil- und Handelssache“ Einfluss auf den Anknüpfungsgegenstand hat. a) Abgrenzung zu den vertraglichen Schuldverhältnissen aa) Im Allgemeinen Zunächst ist die Abgrenzung zu den Anknüpfungen der vertraglichen Schuldverhältnisse zu untersuchen. Zwar erscheint es bei unbefangener Betrachtung zugegebenermaßen durchaus seltsam, dass sich die Frage einer vertraglichen Qualifikation von Ansprüchen aus auftragsloser Geschäftsführung überhaupt stellt. Denn für ein Schuldverhältnis aus Geschäftsführung ohne Auftrag ist es charakteristisch, dass fremde Interessen ohne Auftrag (bzw. sonstige Befugnis) wahrgenommen werden, so dass es für die Geschäftsführung notwendigerweise an einer vertraglichen Grundlage fehlen muss.271 Gleichwohl wird zu zeigen sein, dass zumindest in Bezug auf Ansprüche, die aus bestimmten Sachverhaltskonstellationen folgen, eine vertragliche Qualifikation durchaus erwogen werden kann. Für die Abgrenzung zwischen vertraglichen und außervertraglichen Schuldverhältnissen ist – wenig überraschend – maßgeblich, wie der Begriff des „Vertrags“ auf europäischer Ebene ausgestaltet ist. (1) Übertragung des international-prozessrechtlichen Vertragsbegriffs Um diesen zu konkretisieren, bietet sich in horizontal-systematischer Hinsicht die Berücksichtigung der umfassenden unionsgerichtlichen Judikatur zu Art. 7 Nr. 1 Brüssel Ia-VO (Art. 5 Nr. 1 Brüssel I-VO/EuGVÜ) an. Denn sollte eine solche horizontal-systematische Auslegung vorliegend zulässig sein, besteht die widerlegliche Vermutung, dass gleichlautende Fachtermini einer Rechtsordnung grundsätzlich auch denselben Bedeutungsinhalt haben.272 Dies setzt zunächst voraus, dass die in Rede stehenden Rechtsakte gemeinsam ein (Teil-) Rechtsgebiet bilden. Erforderlich ist dafür ein erkennbarer Kohärenzanspruch und Systembildungswille des Unionsgesetzgebers.273 Ein solcher ist in dem hier interessierenden Bereich des europäischen IPR und IZPR vorhanden: ErwGr. 7 Rom II-VO weist darauf hin, dass der materielle Anwendungsbereich mit der Brüssel I-VO (heute: Brüssel Ia-VO) sowie „den Instrumenten, die das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht zum 271

So hat auch das OLG Köln 13.5.2009 – 6 U 217/08 = IPRax 2011, 174, 175 Rn. 7 darauf hingewiesen, dass Ansprüche aus Geschäftsführung ohne Auftrag nicht vertraglich zu qualifizieren seien, da sie nur in Betracht kämen, „wenn ein Auftrag gerade nicht erteilt worden, mithin ein Vertrag oder auch eine vertragsähnliche Vereinbarung gerade nicht zustande gekommen ist.“ Vgl. auch v. Domarus, Internationales Arzthaftungsrecht, 2013, S. 35. 272 Siehe oben S. 29. 273 Siehe oben S. 29 und 36 f.

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Gegenstand haben, in Einklang stehen“ soll. Dieser etwas kryptisch wirkende Halbsatz – gemeint ist der fehlende ausdrückliche Verweis auf die Rom I-VO – dürfte der Tatsache geschuldet sein, dass diese im Zeitpunkt des Erlasses der Rom II-VO noch in Arbeit war. Auch in der letztlich verabschiedeten Form der Rom I-VO findet sich – dem Vorbild der Rom II-VO folgend und bemerkenswerterweise ebenfalls in ErwGr. 7 – eine inhaltsgleiche Aussage: Ihr materieller Anwendungsbereich solle mit der Brüssel I-VO und der Rom II-VO „im Einklang stehen“. An diesen Stellen wird der Wille des europäischen Gesetzgebers, den Anwendungsbereich der Rom I-, Rom II- und Brüssel Ia-VO aufeinander abzustimmen, deutlich; sein Ziel war eine einheitliche Systembildung auf diesem Gebiet.274 Auch die Rechtswissenschaft ist allgemein der Auffassung, dass die Rom Verordnungen gemeinsam mit der Brüssel Ia-VO als ein „Gesamtsystem mit komplementären Rechtsakten“275 zu verstehen ist.276 Die rechtsaktübergreifende horizontal-systematische Auslegung ist daher zulässig. Damit kann für die Interpretation des Vertragsbegriffs, welcher der Rom Iund Rom II-VO zugrunde liegt, grundsätzlich auf die Rechtsprechung des EuGH im Rahmen der Brüssel I(a)-VO zurückgegriffen werden. Etwas anderes wäre lediglich dann der Fall, wenn der Normzweck von Art. 1 Abs. 1 Rom I/Rom II-VO eine davon abweichende Begriffsbedeutung vorgibt.277 Betrachtet man die abstrakten Regelungszwecke der IPR-Verordnungen und vergleicht sie mit jenen der Brüssel Ia-VO, wird unmittelbar folgender Unterschied ersichtlich: Während die Erstgenannten regelmäßig auf die Verwirklichung des Prinzips der engsten Verbindung zwischen Sachverhalt und Rechtsordnung abzielen,278 verfolgt die prozessrechtliche Verordnung andere Zwecke, wie etwa den Schutz des Beklagten, die Verfahrensökonomie sowie

274 Siehe insbesondere COM (2003) 427 final, p. 8: „The reference to this makes it clear that the ‚Brussels I‘ Regulation, the Rome Convention and the Regulation proposed here constitute a coherent set of instruments covering the general field of private international law in matters of civil and commercial obligations.“ Siehe ferner die Begründung des Kommissionsentwurfs zur Rom I-VO, COM (2005) 650 final, p. 5: „The proposed changes seek to align the scope of the future Rome I instrument on that of the Brussels I Regulation and to reflect the work done by the Council and the European Parliament on the proposed Rome II Regulation.“ 275 Zitat bei Lüttringhaus, RabelsZ 77 (2013), 31, 35. 276 Siehe nur Lüttringhaus, RabelsZ 77 (2013), 31, 41 f. und J. Schmidt, in: BeckOGK BGB, 1.12.2021, Art. 1 Rom II-VO Rn. 9 sowie Junker, in: MüKo BGB, 8. Aufl. 2021, Vorb. Art. 1 Rom II-VO Rn. 33, die ebenfalls zur Begründung auf ErwGr. 7 Rom I-/Rom IIVO verweisen. Siehe ferner v. Hein, in: MüKo BGB, 8. Aufl. 2020, Art. 3 EGBGB Rn. 168: „Grundsatz einer harmonischen Auslegung der kollisionsrechtlichen Rom I und Rom II-Verordnungen mit der verfahrensrechtlichen Brüssel Ia-VO“. 277 Siehe oben S. 29. 278 Eingehend dazu oben S. 61 ff.

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die Berücksichtigung einer besonderen Sach- und Beweisnähe des erkennenden Gerichtes.279 Ungeachtet solcher Unterschiede in den abstrakten Zielen wird man den Begriff des „Vertrags“ aber als einen generellen, gemeineuropäischen Terminus des europäischen IPR und des europäischen IZPR verstehen können, so dass die Judikatur des EuGH in Bezug auf Art. 7 Nr. 1 Brüssel Ia-VO (Art. 5 Nr. 1 Brüssel I-VO/EuGVÜ) auf die international-privatrechtliche Diskussion übertragen werden kann.280 Zur Begründung dieser These ist es zwar nicht möglich, ErwGr. 7 Rom I-/Rom II-VO heranzuziehen,281 da sich diese wohl nur auf jenen materiellen Anwendungsbereich beziehen, den die Rom I-, Rom II- und Brüssel Ia-VO gemein haben.282 Allerdings spricht für eine Übertragung der prozessrechtlichen Ausgestaltung entscheidend, dass schon der Kommissionsentwurf aus dem Jahre 2003 zur Rom II-VO ausdrücklich auf die zu dieser Fragestellung auf dem Gebiet des IZPR bestehende Rechtsprechung verwiesen hat.283

279

Auf die unterschiedlichen abstrakten Zwecke hingewiesen hat Lüttringhaus, RabelsZ 77 (2013), 31, 37 auch mwN. 280 So ausdrücklich Lüttringhaus, RabelsZ 77 (2013), 31, 45 ff.; siehe auch Stürner, Europäisches Vertragsrecht, 2021, § 32 Rn. 4. Auch Teile der Kommentarliteratur greifen für die Abgrenzung von Rom I- und Rom II-VO ausdrücklich auf die Rechtsprechung zum IZPR zurück, siehe J. Schmidt, in: BeckOGK, 1.12.2021, Art. 1 Rom II-VO Rn. 20 und Spickhoff, in: BeckOK BGB, 60. Ed. 1.8.2021, Art. 1 Rom I-VO Rn. 30. Zurückhaltender Knöfel, in: NK-BGB, 3. Aufl. 2019, Art. 1 Rom II-VO Rn. 3 (Begriff des IZPR sei „nach Möglichkeit“ zu übertragen) und Bach, in: Huber (ed.), Rome II, 2011, Art. 1 para. 15 („may serve as guidance“); krit., weil Vertragsbegriff „immer noch recht rudimentär und zudem oft nur aus den Besonderheiten der prozessualen Situation erklärbar“ sei, dagegen etwa Leible, in: NKBGB, 3. Aufl. 2019, Art. 1 Rom I-VO Rn. 7. 281 So aber J. Schmidt, in: BeckOGK, 1.12.2021, Art. 1 Rom II-VO Rn. 20; Stürner, Europäisches Vertragsrecht, 2021, § 32 Rn. 4; Lüttringhaus, RabelsZ 77 (2013), 31, 47. Siehe auch Leible, in: NK-BGB, 3. Aufl. 2019, Art. 1 Rom I-VO Rn. 7 und Bach, in: Huber (ed.), Rome II, 2011, Art. 1 para. 15 in combination with 1. 282 So sind diese Verordnungen allesamt anwendbar auf „Zivil- und Handelssachen“ und gelten nicht für „Steuer- und Zollsachen sowie verwaltungsrechtliche Angelegenheiten“; ausgenommen sind ferner (freilich nur für Rom II-VO und Brüssel Ia-VO) „die Haftung des Staates für Handlungen oder Unterlassungen im Rahmen der Ausübung hoheitlicher Rechte (‚acta iure imperii‘)“. 283 COM (2003) 427 final, p. 8: „The Court of Justice, in actions under Articles 5(1) and (3) of the Brussels Convention, has already had occasion to rule that tort/delict cases are residual in relation to contract cases, which must be defined in strict terms. It will no doubt refine its analysis when interpreting the proposed Regulation.“ Siehe überdies COM (2005) 650 final, p. 5, in der zur Begründung der Bereichsausnahme nach Art. 1 Abs. 2 lit. i) Rom IVO-E ebenfalls auf die Rechtsprechung des EuGH Bezug genommen wurde. Auf die Ausführungen im Kommissionsentwurf zur Rom II-VO verweist auch J. Schmidt, in: BeckOGK, 1.12.2021, Art. 1 Rom II-VO Rn. 20.

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(2) Anwendung auf die Qualifikation von Ansprüchen aus auftragsloser Geschäftsführung Damit stellt sich die Frage, wie der Vertragsbegriff auf europäischer Ebene ausgestaltet ist. Blickt man in die Kommentarliteratur, die die umfangreiche Rechtsprechung des EuGH analysiert hat, wird ein bestimmtes Charakteristikum für ihn ersichtlich: Maßgebend soll sein, ob eine von einer Partei gegenüber einer anderen freiwillig eingegangene Verpflichtung vorliegt.284 Dieses Kriterium wird formal verstanden; maßgeblich ist letztlich, dass sich die Parteien direkt oder indirekt geeinigt haben.285 Unerheblich ist aber die Wirksamkeit des Vertragsschlusses, so dass letztlich der Austausch von Verpflichtungserklärungen genügt,286 was sich für den Bereich des IPR freilich schon aus der Existenz von Art. 10 f. Rom I-VO ergibt. Von dieser Definition ausgehend fragt es sich also, ob Ansprüche, die aus bestimmten Sachverhaltskonstellationen folgen, vertraglich zu qualifizieren sind. Zwar wird zumindest der Geschäftsherr im Zeitpunkt der Geschäftsführung regelmäßig schon überhaupt keine Kenntnis von dem Tätigwerden des Geschäftsführers haben, so dass es typischerweise jedenfalls an seinem Einverständnis mangelt.287 Allerdings ist nicht zu verkennen, dass zumindest die Ansprüche des Geschäftsherrn gegen den auftragslosen Geschäftsführer auf einer freiwillig übernommenen Geschäftsführung beruhen.288 Diese kann durchaus als ein Akt privatautonomer Selbstbindung seitens des Geschäftsführers verstanden werden. Auf diese Weise könnte eine vertragliche Qualifikation zumindest dieser Anspruchsrichtung begründet werden.289 Stützen könnte man 284

Siehe dazu nur J. Schmidt, in: BeckOGK, 1.12.2021, Art. 1 Rom II-VO Rn. 21 und Leible, in: Europ. Zivilprozess- und Kollisionsrecht, 5. Aufl. 2021, Art. 7 Brüssel Ia-VO Rn. 20 sowie Nagel/Gottwald, IZPR, 8. Aufl. 2020, Rn. 3.61 jeweils mwN auf die Judikatur des EuGH. 285 Dutta, IPRax 2011, 134, 136. 286 Lüttringhaus, RabelsZ 77 (2013), 31, 45 mwN auf die Rechtsprechung des EuGH. 287 Dutta, IPRax 2011, 134, 136. Aus diesem Grund eine vertragliche Qualifikation abl. Mankowski, in: Magnus/Mankowski (eds.), ECPIL Vol. 1, 2016, Art. 7 Brussels Ibis Regulation para. 82. 288 Dies wird auch bei „auch fremden“ Geschäften anzunehmen sein. Denn der Vertragsbegriff ist weit auszulegen und erfasst so beispielsweise auch solche Verträge, die nur aufgrund Kontrahierungszwangs entstanden sind, siehe Leible, in: Europ. Zivilprozess- und Kollisionsrecht, 5. Aufl. 2021, Art. 7 Brüssel Ia-VO Rn. 23 und Martiny, in: FS Geimer, 2002, S. 641, 650. 289 So ausdrücklich Dornis, in: Mankowski (ed.), The Brussels Ibis Regulation, 2020, p. 64, 91 et. seq. Seinerzeit auch Schlosser, IPRax 1984, 65, 66 (aber zurückhaltender: „Für Ansprüche gegen den Geschäftsführer ohne Auftrag […] wird man aber gleichwohl den Gedanken der privatautonomen Selbstbindung noch honorieren können.“). Für die Einordnung der Geschäftsübernahme im deutschen Sachrecht aufgrund eines „gewisse[n] privatautonome[n] Element[s]“ als rechtsgeschäftsähnliche Handlung, Meier, Geschäftsführung ohne Auftrag, 2019, S. 266 f.

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eine solche Sichtweise auf die Rechtsprechung des EuGH, wonach es für die vertragliche Qualifikation von einseitigen Verpflichtungen für den eingangs erwähnten erforderlichen Konsens schon genügt, wenn die andere Partei bloß ihre Ansprüche geltend macht.290 Ob die für einseitige Verpflichtungen aufgestellten Regeln aber wirklich auf die hier in Rede stehende Konstellation übertragen werden können, so dass die bloße Geltendmachung von Ansprüchen durch den Geschäftsherrn für eine „Annahme“ genügt, ist aber überaus zweifelhaft und wirkt doch sehr konstruiert.291 Mit diesen Überlegungen wird aber eine Frage aufgeworfen, die besonders dann interessant wird, wenn man jene Fälle betrachtet, in denen der Geschäftsherr nachträglich sein Einverständnis mit der Geschäftsführung zum Ausdruck bringt. In solchen Konstellationen könnte man durchaus einen „Konsens“ von Geschäftsführer und Geschäftsherrn in Bezug auf die stattgefundene Geschäftsführung annehmen, so dass beide Anspruchsrichtungen einheitlich vertraglich qualifiziert würden.292 Dafür wäre es aber notwendig, in der Geschäftsübernahme eine (konkludente) Verpflichtungserklärung zu erblicken, mit welcher dann die Genehmigung des Geschäftsherrn korrespondierte. Vor diesem Hintergrund wird ersichtlich, dass sich die Frage, ob man das Tätigwerden des Geschäftsführers als eine solche (konkludente) Verpflichtungserklärung auffasst, als richtungsgebend erweist. Daher soll nun untersucht werden, ob der Geschäftsübernahme – gemessen an autonom-europäischen Kriterien – ein solcher rechtsgeschäftlicher Erklärungswert beigemessen werden kann. Hierzu ist vorweg klarzustellen, dass eine solche Verpflichtungserklärung rechtsgeschäftlicher Natur sein muss. Dies ergibt sich bereits implizit aus der oben genannten Vertragsdefinition: Von einer „freiwillig eingegangenen Verpflichtung“ wird man nur dann sprechen können, wenn auch ein (zumindest objektiv vorhandener) Wille zur Eingehung einer Verpflichtung vorliegt. Nach dem EuGH ist hierfür ein objektiver Maßstab anzulegen. So hat er im Zusammenhang mit der Qualifikation einer Gewinnzusage konstatiert, dass es genügt, wenn „bei der Empfängerin der Sendung vernünftigerweise [der] Eindruck

290 EuGH 20.1.2005 – C-27/02 = NJW 2005, 811, 813 Rn. 55; vgl. die Überlegungen bei Dutta, IPRax 2011, 134, 136. Ein „minimum degree of consensus on behalf of the principal“ entdeckt Dornis, in: Mankowski (ed.), The Brussels Ibis Regulation, 2020, p. 64, 91 in der Geltendmachung der Ansprüche durch den Geschäftsherrn. 291 Vgl. Dutta, IPRax 2011, 134, 136. 292 In diesen Fällen qualifizieren G. Wagner, in: Stein/Jonas, 22. Aufl. 2011, Art. 5 Brüssel I-VO Rn. 37 und Thole, in: BeckOGK, 1.8.2021, § 677 BGB Rn. 186 sowie ders., in: Wieczorek/Schütze, 4. Aufl. 2019, Art. 7 Nr. 2 Brüssel Ia-VO Rn. 99 die Geschäftsführung ohne Auftrag vertraglich. So auch Dornis, in: Mankowski (ed.), The Brussels Ibis Regulation, 2020, p. 64, 92: „Unless the principal expressly approves of the intervention, there is no freely assumed obligation on her side as required by current CJEU doctrine.“

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2. Teil: Die Geschäftsführung ohne Auftrag im IPR

[erweckt wird], dass sie einen Preis erhalten werde, wenn sie den beigefügten ‚Auszahlungs-Bescheid‘ zurücksende.“293 Wegen des anzulegenden objektiven Maßstabes ist die Frage, ob in dem Tätigwerden des Geschäftsführers ein solcher rechtsgeschäftlicher Verpflichtungswille erblickt werden kann, normativ zu bestimmen.294 Dafür müsste der Blick zunächst auf eine im europäischen Privatrecht vorhandene Regelung zur auftragslosen Geschäftsführung fallen: Sollte hiernach eine Genehmigung durch den Geschäftsherrn zur Annahme eines Vertragsverhältnisses führen, müsste schon in der Geschäftsübernahme ein (konkludentes) Angebot erblickt werden. Ein dem Institut der auftragslosen Geschäftsführung vergleichbares Regelungskonvolut fehlt im europäischen Privatrecht aber. Daher soll nachfolgend analysiert werden, wie die mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen die Übernahme des Geschäftes durch den Geschäftsführer in rechtsgeschäftlicher Hinsicht bewerten.295 Im deutschen Recht werden solche Konstellationen bekanntlich § 684 Satz 2 BGB subsumiert. Diese Norm eröffnet dem Geschäftsherrn einer echten unberechtigten Geschäftsführung ohne Auftrag die Möglichkeit, die Geschäftsführung zu genehmigen; der Geschäftsführer kann daraufhin den in §§ 683 Satz 1, 670 BGB vorgesehenen Aufwendungsersatzanspruch geltend machen. Die Genehmigung beeinflusst hier also die Frage nach der Berechtigung der Geschäftsführung, wandelt das Schuldverhältnis aber nicht rückwirkend in ein Vertragsverhältnis um.296 Konsequenterweise wird in der Geschäftsübernahme typischerweise kein konkludentes Angebot auf Abschluss eines Vertrags erblickt.297 Entsprechendes wird wohl ebenfalls für die österreichische Rechtsordnung gelten. Denn die Genehmigung hat hier gleichfalls nur Einfluss auf die Frage nach der Zulässigkeit bzw. Unzulässigkeit der „Einmengung“.298 Anders scheint es aber beispielsweise im französischen, spanischen und italienischen Recht zu sein. Genehmigt der Geschäftsherr die Geschäftsführung, wandelt sich das Verhältnis zwischen Geschäftsführer und Geschäftsherr rück-

293 Vgl. EuGH 20.1.2005 – C-27/02 = NJW 2005, 811, 813 Rn. 54; siehe auch Leible, in: Europ. Zivilprozess- und Kollisionsrecht, 5. Aufl. 2021, Art. 7 Brüssel Ia-VO Rn. 20 und Mankowski, in: Magnus/Mankowski (eds.), ECPIL Vol. 1, 2016, Art. 7 Brussels Ibis Regulation para. 54. A. A. Wolf, in: Liber amoricum Lindacher, 2007, S. 201, 209 f. i. V. m. 210 f., der meint, für die Eröffnung des vertraglichen Gerichtsstands (er bezieht sich sowohl auf § 29 ZPO als auch auf Art. 5 Nr. 1 Brüssel I-VO) genüge eine natürliche Willensübereinstimmung. 294 Vgl. Dornis, in: Mankowski (ed.), The Brussels Ibis Regulation, 2020, p. 64, 72 et. seq. 295 Zur Relevanz der mitgliedstaatlichen Wertungen im europäischen IPR siehe oben, S. 58 f. und insb. 87 f. 296 Siehe nur Bergmann, in: Staudinger, Neubearb. 2020, § 684 BGB Rn. 19 (auch mwN). 297 Siehe Bergmann, in: Staudinger, Neubearb. 2020, Vorb. § 677 ff. BGB Rn. 54. 298 Siehe S. 134 f.

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wirkend in ein Auftragsverhältnis.299 Es ist allerdings fraglich, ob sich diese rückwirkende Wandlung in ein Auftragsverhältnis wirklich aus einer parteiautonomen Willensübereinstimmung der Parteien oder schlicht kraft Gesetzes ergibt. Da beispielsweise auch das deutsche Recht auf viele Vorschriften des Auftragsrechts verweist, könnte die rückwirkende Annahme eines Auftragsverhältnisses auch schlicht eine andere rechtstechnische Möglichkeit sein, die Anwendung dieser Vorschriften zu erreichen. Untersucht man das Schweizer Obligationenrecht, das in Art. 424 eine entsprechende Regelung kennt,300 wird ersichtlich, dass dazu heute die Auffassung vertreten wird, wonach die Verweisung in das Auftragsrecht auf die gesetzliche Anordnung und nicht auf eine Willensübereinstimmung zurückzuführen ist.301 In der Geschäftsführung soll keine „Realofferte“ zum Abschluss eines Auftragsverhältnisses liegen.302 Ob dies so auch für das spanische, italienische und französische Recht gilt, ist aber fraglich. Insbesondere für Frankreich muss beachtet werden, dass die Gesetzesreform von 2016 weitgehend nur das Ziel verfolgt hat, die bestehende Rechtsprechung zu kodifizieren. Erinnert man, dass bis zu dieser Reform bereits dann ein Vertragsschluss angenommen wurde, wenn der Geschäftsherr trotz Kenntnis von der eigentlich auftragslosen Geschäftsbesorgung schwieg, ist es offensichtlich, dass die Schwelle zur Begründung eines vertraglichen Schuldverhältnisses insgesamt niedrig liegt – auch wenn konkret dieser Weg nach hier vertretener Auffassung seit der Reform von 2016 wohl nicht mehr gangbar ist.303 Letztlich kommt es darauf aber nicht an. Denn selbst wenn die genannten Rechtsordnungen die rückwirkende Begründung des Auftragsverhältnisses auf eine Willensübereinstimmung zurückführen und der Geschäftsübernahme daher rechtsgeschäftlichen Erklärungswert beimäßen, wäre dies für die europäische Ebene unerheblich. Vorliegend geht es schließlich um die Frage, ob man den Anwendungsbereich des Art. 11 Rom II-VO dahingehend beschränkt, dass die Ansprüche des Geschäftsherrn gegen den Geschäftsführer bzw. im Falle der Genehmigung beide Anspruchsrichtungen vertraglich zu qualifizieren sind. Um eine solche Restriktion unter Rückgriff auf mitgliedstaatliche Wertungen vorzunehmen, ist es zwar nicht erforderlich, dass eine bestimmte Wertung allgemein bekannt ist; es darf ihr allerdings keine andere Rechtsordnung widersprechen.304 Da zumindest die deutsche und die österreichische Rechtsordnung der Genehmigung keine vertragsbegründende Wirkung zuschreiben – und 299

Vgl. Art. 1301-3 frz. ZGB, siehe auch S. 140. Die Norm lautet: „Wenn die Geschäftsbesorgung nachträglich vom Geschäftsherrn gebilligt wird, so kommen die Vorschriften über den Auftrag zur Anwendung.“ 301 Schmid, Die Geschäftsführung ohne Auftrag, 1992, Rn. 703. Hierauf hat schon Bergmann, in: Staudinger, Neubearb. 2020, § 684 BGB Rn. 19 hingewiesen. 302 Schmid, Die Geschäftsführung ohne Auftrag, 1992, Rn. 703 Fn. 846 (auch mwN). 303 S. 139. 304 S. 58 f. und insb. 87 f. 300

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2. Teil: Die Geschäftsführung ohne Auftrag im IPR

damit auch in der Geschäftsübernahme durch den Geschäftsführer keine rechtsgeschäftliche Verpflichtungserklärung erkennen –, ist dies aber der Fall. Die bloße Übernahme einer Geschäftsführung stellt folglich keine „freiwillig eingegangene Verpflichtung“ nach gemeineuropäischen Maßstäben dar.305 Eine andere Sichtweise wäre darüber hinaus auch sinnwidrig, da der Geschäftsherr mit der Genehmigung sonst die Möglichkeit hätte, das auf die gegen ihn gerichteten Ansprüche des Geschäftsführers anzuwendende Recht306 einseitig zu bestimmen.307 Dies gilt es schon aufgrund der auch im europäischen IPR hochgehaltenen Vorhersehbarkeit des anzuwendenden Rechts, vgl. etwa ErwGr. 6 Rom I-/Rom II-VO und 16 Rom II-VO,308 zu vermeiden. Ungeachtet der vorstehenden Überlegungen könnte man gleichwohl zu einer vertraglichen Qualifikation von Ansprüchen aus auftragsloser Geschäftsführung gelangen, nähme man die Andeutung des EuGH309 ernst, wonach „gegebenenfalls“ auch vertragsähnliche Ansprüche vom Vertragsgerichtsstand umfasst sind. Dann könnten zumindest solche Konstellationen der auftragslosen Geschäftsführung, in denen die Geschäftsbesorgung mit dem wirklichen, mutmaßlichen oder hypothetischen Willen des Geschäftsherrn übereinstimmt, also keine rechtsgeschäftliche, sondern eine „natürliche“ Willensübereinstimmung vorliegt, vertraglich zu qualifizieren sein.310 Gerade mit Blick auf die Zivilgesetzbücher Frankreichs und Spaniens, die das Rechtsinstitut systematisch den Quasikontrakten zuordnen,311 könnte man die auftragslose Geschäftsführung durchaus als ein solches vertragsähnliches Rechtinstitut auffassen. Und auch im System der §§ 677 ff. BGB wird zumindest für die echte berechtigte Ge305 Siehe auch Stadler, in: FS Musielak, 2004, S. 569, 581 (Geschäftsübernahme erfolgt „regelmäßig nicht in der Absicht einer rechtlichen Bindung“) und Späth, Gewerbliche Erbensuche, 2008, S. 259 („Die Geschäftsführung ohne Auftrag […] beruht nicht auf einer freiwillig eingegangenen Verpflichtung.“); so wohl auch Martiny, in: FS Geimer, 2002, S. 641, 655. 306 Vgl. die divergierenden Anknüpfungspunkte der Rom I-VO mit Art. 11 Rom II-VO. 307 Ein forum shopping wäre demgegenüber nicht möglich, da der Geschäftsherr nach dieser Sichtweise seine Ansprüche gegen den Geschäftsführer ohnehin stets am Vertragsgerichtsstand geltend machen könnte. 308 Vgl. auch COM (2003) 427 final, p. 4. 309 EuGH 14.5.2009 – C-180/06 = EuZW 2009, 489, 491 Rn. 57. 310 Diese Überlegung stellt auch Dutta, IPRax 2011, 134, 136 an; auch Hausmann, in: Wieczorek/Schütze, 3. Aufl. 1994, Art. 5 EuGVÜ Rn. 8 votierte seinerzeit aufgrund der Vertragsähnlichkeit für die Eröffnung des Vertragsgerichtsstands (allerdings ohne zwischen den verschiedenen Arten der GoA zu differenzieren). Siehe ferner Wolf, in: Liber amoricum Lindacher, 2007, S. 201, 209 f. i. V. m. 210 f., der die echte berechtigte Geschäftsführung ohne Auftrag aufgrund dieser „natürlichen Willensübereinstimmung“ als vertragsähnlich auffasst und sie, da ihm zufolge auch ein natürlicher Wille für die Eröffnung des Vertragsgerichtsstands (er bezieht sich sowohl auf § 29 ZPO als auch auf Art. 5 Nr. 1 Brüssel I-VO) genüge, vertraglich qualifiziert. 311 Dort sind die Regelungen zur auftragslosen Geschäftsführung den „quasi contrats“ bzw. den „cuasi contratos“ systematisch zugeordnet, siehe oben S. 136 und 142.

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schäftsführung ohne Auftrag vertreten, dass sie dogmatisch auf einer hypothetischen Willensübereinstimmung der Parteien fuße und damit vertragsähnlich sei.312 Überzeugen kann eine vertragliche Qualifikation dieser Konstellationen aber schon deshalb nicht, weil der Unionsgesetzgeber mit der Zuweisung der Kollisionsnorm zur Rom II-VO, also jenem Rechtsakt, der die Kollisionsnormen für „außervertragliche Schuldverhältnisse“ bereithält, klar belegt hat, dass aus diesem Schuldverhältnis resultierende Ansprüche aus Sicht des europäischen IPR jedenfalls grundsätzlich nicht vertraglicher, sondern außervertraglicher Natur sind. Er hat durch jene Systematisierung eine eigene, autonome Qualifikationsentscheidung getroffen, die es seitens des Rechtsanwenders sowohl auf Ebene des IPR als auch des IZPR zu respektieren gilt.313 Dieser widerspräche es, wenn man einen nicht unerheblichen Part der auftragslosen Geschäftsführung – namentlich die Konstellationen, in denen zwischen Geschäftsführer und Geschäftsherr eine solche „natürliche“ Willensübereinstimmung besteht – aus dem Anwendungsbereich des Art. 11 Rom II-VO entnähme und vertraglich qualifizierte. Ungeachtet dessen lassen auch die in der Begründung zum Kommissionsentwurf genannten Fallgruppen darauf schließen, dass der Gesetzgeber Art. 11 Rom II-VO auch dann für anwendbar hielt, wenn die Geschäftsführung dem (wirklichen, mutmaßlichen oder hypothetischen) Willen des Geschäftsherrn entspricht und daher eine „natürliche“ Willensübereinstimmung vorliegt; besonders augenfällig wird dies gerade in den Fällen der Nothilfe, die wohl in aller Regel im Interesse der anderen Partei liegen wird.314 Ansprüche aus auftragsloser Geschäftsführung können daher nicht, auch nicht in Teilen, vertraglich qualifiziert werden.315 312 Siehe nur Wolf, in: Liber amoricum Lindacher, 2007, S. 201, 209 f.; auch Dutta, IPRax 2011, 134 sieht „jedenfalls“ die echte berechtigte GoA aufgrund der hypothetischen Willensübereinstimmung als vertragsähnlich an. 313 So für die Abgrenzung vertraglich/außervertraglich hinsichtlich der Geschäftsführung ohne Auftrag ausdrücklich auch Mankowski, in: Magnus/Mankowski (eds.), ECPIL Vol. 1, 2016, Art. 7 Brussels Ibis Regulation para. 82; im Ergebnis auch Dutta, IPRax 2011, 134, 136 (allerdings etwas zurückhaltender: gesetzgeberische Entscheidung muss „Berücksichtigung finden“). 314 Zu den Fallgruppen des Kommissionsentwurfs siehe oben S. 96 f. 315 So auch OLG Köln 13.5.2009 – 6 U 217/08 = IPRax 2011, 174, 175 Rn. 7 und (obiter) OLG Düsseldorf 26.10.1995 – 13 U 192/94 = IPRax 1998, 210 sowie die übrige, begründungslos zustimmende h. M. in der Literatur: Leible, in: Europ. Zivilprozess- und Kollisionsrecht, 5. Aufl. 2021, Art. 7 Brüssel Ia-VO Rn. 35; Thode, in: BeckOK ZPO, 43. Ed. 1.12.2021, Art. 7 Brüssel Ia-VO Rn. 22; Nagel/Gottwald, IZPR, 8. Aufl. 2020, Rn. 3.69; Gebauer, in: Wieczorek/Schütze, 4. Aufl. 2019, Art. 7 Nr. 1 Brüssel Ia-VO Rn. 25; Gottwald, in: MüKo ZPO, 6. Aufl. 2022, Art. 7 Brüssel Ia-VO Rn. 13; v. Domarus, Internationales Arzthaftungsrecht, 2013, S. 35; vgl. auch G. Wagner, in: Stein/Jonas, 22. Aufl. 2011, Art. 5 Brüssel I-VO Rn. 37 und Thole, in: BeckOGK, 1.8.2021, § 677 BGB Rn. 186 (für die Fälle, in denen keine Genehmigung seitens des Geschäftsherrn vorliegt).

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bb) Im Speziellen: Art. 12 Rom I-VO Neben diesen allgemeinen Erwägungen darf aber auch Art. 12 Rom I-VO nicht unbeachtet bleiben. Nach dessen Abs. 1 lit. e) erstreckt sich das nach der Rom I-VO anzuwendende Recht auch auf die „Folgen der Nichtigkeit des Vertrages“. Hiervon ist insbesondere die Rückabwicklung eines nichtigen Vertrags nach (vollständig oder bloß teilweise) vollzogenem Leistungsaustausch erfasst. Unerheblich ist dabei, ob die lex causae das Rückabwicklungsinstitut dem Vertragsrecht oder den außervertraglichen Schuldverhältnissen zuordnet.316 Dienen Ansprüche aus auftragsloser Geschäftsführung also als Ausgleichmechanismus für auf Grundlage nichtiger Verträge erbrachter Leistungen,317 folgen diese unmittelbar aus der Vertragsnichtigkeit und sind daher vertraglich zu qualifizieren. Kommt mithin jemand einer vertraglich vereinbarten, aber nur vermeintlich bestehenden Pflicht nach, findet die Rom II-VO, und damit auch Art. 11, mithin von vornherein keine Anwendung.318 b) „Zivil- und Handelssachen“ Gemäß Art. 1 Abs. 1 Satz 1 Rom II-VO ist die Verordnung auf „Zivil- und Handelssachen“ anwendbar. Sie gilt nach Satz 2 „insbesondere nicht für Steuer- und Zollsachen, verwaltungsrechtliche Angelegenheiten oder die Haftung des Staates für Handlungen oder Unterlassungen im Rahmen der Ausübung hoheitlicher Rechte (‚acta iure imperii‘)“. Der so umschriebene Anwendungsbereich ist unionsautonom und im Einklang mit der Rom I-VO und Brüssel Ia-VO auszulegen, vgl. ErwGr. 7 Rom I- und Rom II-VO. In Bezug auf das in Art. 11 Rom II-VO geregelte Statut der Geschäftsführung ohne Auftrag könnte sich dieser hinsichtlich der Anknüpfung der schon im Rahmen der §§ 677 ff. BGB319 diskutierten Fallgruppen, bei denen ein Hoheitsträger beteiligt ist, als neuralgisch erweisen. An dieser Stelle wird man – wie im materiellen Recht – zum Gebiet des öffentlichen Rechts hin abgrenzen müssen. Hierfür ist auf kollisionsrechtlicher Ebene nach herrschender Meinung zunächst entscheidend, ob ein Hoheitsträger handelt und sein Tätigwerden im Zusammenhang mit der Ausübung hoheitlicher Befugnisse steht.320 Dieses Kri316

Siehe nur Weller, in: BeckOGK, 1.10.2020, Art. 12 Rom I-VO Rn. 43. Siehe für Verweise auf die entsprechende deutsche Rechtsprechung nur Thole, in: BeckOGK, 1.8.2021, § 677 BGB Rn. 129. 318 Jakob/Picht, in: Europ. Zivilprozess- und Kollisionsrecht, 4. Aufl. 2016, Art. 11 Rom II-VO Rn. 10; Schinkels, in: Calliess/Renner (eds.), Rome, 3rd ed. 2020, Art. 11 Rome II para. 12 and 14; vgl. auch Limbach, in: NK-BGB, 3. Aufl. 2019, Art. 11 Rom II-VO Rn. 10, der dies aber nur auf die Fälle zu beschränken scheint, in denen der Geschäftsführer um die Nichtigkeit des Vertrags weiß. 319 Siehe zu diesen nur Schäfer, in: MüKo BGB, 8. Aufl. 2020, § 677 Rn. 111 ff. 320 Siehe dafür die Nachweise auf die weitere Rspr. bei EuGH 16.12.1980, Rs. 814/79 Rn. 7 f. 317

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terium sah der EuGH früher beispielsweise schon dann als erfüllt an, wenn ein Hoheitsträger das Wrack eines im Eigentum eines Privaten stehenden Schiffes aus einer Wasserstraße birgt, um einer eigenen völkerrechtlichen Pflicht nachzukommen, und im Anschluss daran von diesem die Kosten für sein Tätigwerden ersetzt verlangt.321 Entscheidend für die Verneinung einer Qualifikation als „Zivil- und Handelssache“ sei die Tatsache, dass der Hoheitsträger gerade einer eigenen öffentlich-rechtlichen Pflicht nachgekommen sei und genau dieses Verhalten der Regressklage zugrunde lag.322 Allerdings ist diese Definition im Laufe der Zeit ergänzt und damit geschärft worden. Ein bloßes Handeln im Zusammenhang mit hoheitlichen Befugnissen allein genügt nun nicht mehr, um das Vorliegen einer „Zivil- und Handelssache“ zu verneinen. Vielmehr muss ein bestimmtes Verhalten in Rede stehen, welches über die zwischen Privatpersonen geltenden Befugnisse hinausgeht. Es kommt damit entscheidend darauf an, ob das entsprechende Verhalten so auch von Privatpersonen vorgenommen werden kann;323 dass die Tätigkeit öffentlichen Zwecken dient, ist folglich zwar notwendig, aber nicht hinreichend. Ein solches Verständnis entspricht auch dem Wortlaut von Art. 1 Abs. 1 Satz 2 Rom II-VO, der ja gerade die Ausübung hoheitlicher Rechte als Grundlage für die Haftung des Staates verlangt. Ein mit dem oben Skizzierten vergleichbarer Fall würde also heute vermutlich anders entschieden werden, da die Bergung eines Schiffwracks aus einer Wasserstraße als schlicht-hoheitliche Tätigkeit natürlich auch von Privatpersonen vorgenommen werden kann. Legt man diese Definition des Begriffs der „Zivil- und Handelssache“ zugrunde, fallen solche Konstellationen, in denen ein Privater die Geschäfte eines Hoheitsträgers besorgt, stets in den Anwendungsbereich von Art. 11 Rom II-VO, weil Private niemals obrigkeitliche Gewalt ausüben können; sie sind allenfalls in der Lage, „schlicht-hoheitlich“ zu handeln. Dieser Befund mag erstaunen, da doch vor allem in diesen Fallgestaltungen bei unbefangener Betrachtungsweise eine „Haftung des Staates“ drohte, namentlich wenn der Private als Geschäftsführer einen Aufwendungsersatzanspruch gegen den Staat als Geschäftsherrn geltend macht. 2. Negativ vom Anwendungsbereich der Verordnung ausgenommene Bereiche Darüber hinaus sind die Bereichsausnahmen der Rom II-VO zu beachten. Die Verordnung kennt in Art. 1 Abs. 2 Rom II-VO sieben solcher Ausnahmetatbestände. Diese grenzen ihrem Wortlaut nach gewisse Schuldverhältnisse, die 321

EuGH 16.12.1980, Rs. 814/79 Rn. 7 ff. EuGH 16.12.1980, Rs. 814/79 Rn. 10 f., 15. 323 Siehe nur EuGH 21.4.1993 – C-172/91 = NJW 1993, 2091 Rn. 21 ff.; siehe ferner Junker, in: MüKo BGB, 8. Aufl. 2021, Art. 1 Rom II-VO Rn. 11; Martiny, in: MüKo BGB, 8. Aufl. 2021, Art. 1 Rom I-VO Rn. 6; Paulus, in: BeckOGK, 1.12.2021, Art. 1 Rom I-VO Rn. 17 jeweils mwN auf die Judikatur des EuGH. 322

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zwar ebenfalls „außervertraglicher“ Natur sind, aber bestimmten Rechtsmaterien zuzuordnen sind, vom Anwendungsbereich der Verordnung aus. Dabei lassen sich schon auf den ersten Blick zwei unterschiedliche Tatbestandskategorien unterscheiden: Die einen verweisen auf Materien, die in anderen Verordnungen geregelt sind, die anderen auf solche, die bislang nicht europaweit einheitlich angeknüpft werden und daher weiterhin dem nationalen IPR verbleiben.324 Im Zusammenhang mit der Anknüpfung eines außervertraglichen Schuldverhältnisses aus Geschäftsführung ohne Auftrag wird insbesondere die Bereichsausnahme des lit. a) diskutiert. Konkret geht es um die Frage, wie anzuknüpfen ist, wenn eine familien- oder unterhaltsrechtliche Schuld von einem Dritten beglichen wird.325 Diese Problematik ist allerdings nicht bloß auf lit. a) beschränkt, sondern kann auch im Rahmen der übrigen Bereichsausnahmen relevant werden, etwa wenn die Tilgung einer fremden Schuld in Rede steht, die aus Schäden durch Kernenergie (lit. f)) oder einer Verletzung der Privatsphäre oder der Persönlichkeitsrechte (lit. g)) resultiert. Fraglich ist in diesen Fällen stets, wie weit die jeweilige Bereichsausnahme reicht. Untersucht werden muss also, anhand welchen Kriteriums sich die Anwendungsgrenze der jeweiligen Bereichsausnahme markieren lässt. Schaut man in die Begründung zum ersten Kommissionsentwurf aus dem Jahre 2003, wird ersichtlich, dass die Beweggründe, die zu dem in Art. 1 Abs. 2 Rom II-VO enthaltenen Katalog geführt haben, nur wenig beleuchtet wurden. Im Allgemeinen wurde betont, dass die Bereichsausnahmen restriktiv auszulegen sind.326 Speziell für lit. a), der gemäß seinem Wortlaut unter anderem außervertragliche Schuldverhältnisse aus einem Familienverhältnis vom Anwendungsbereich der Rom II-VO ausnimmt, findet sich aber ein konkretes Beispiel. So wurde etwa die Frage diskutiert, ob Schadenersatzansprüche, die aus einer verspäteten Unterhaltsleistung resultieren, in den Anwendungsbereich der Verordnung aufzunehmen seien; im Ergebnis wurde dies abgelehnt: In der Vorbereitung des Kommissionsentwurfs hatte man vorgeschlagen, solche Fälle nicht vom Anwendungsbereich auszunehmen, aber über (den heutigen) Art. 4 Abs. 3 Satz 2 Rom II-VO gleichwohl an das zugrunde liegende Familienverhältnis anzuknüpfen. Dem ist der Kommissionsentwurf aus dem Jahre 2003 nicht gefolgt. Zur Begründung wurde vorgetragen, dass es auf europäischer Ebene noch keine vereinheitlichten Kollisionsregeln in Bezug auf das Familienrecht gab.327

324

Vgl. J. Schmidt, in: BeckOGK, 1.12.2021, Art. 1 Rom II-VO Rn. 31. Siehe etwa Schinkels, in: BeckOGK, 1.8.2018, Art. 11 Rom II-VO Rn. 20 und Limbach, in: NK-BGB, 3. Aufl. 2019, Art. 11 Rom II-VO Rn. 8. 326 COM (2003) 427 final, p. 9. 327 COM (2003) 427 final, p. 8. 325

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Art. 1 Abs. 2 lit. a) Rom II-VO soll also ausdrücklich solche Fälle von dem Anwendungsbereich der Rom II-VO ausnehmen, die nach autonom-europäischer Qualifikation per se als außervertragliches Schuldverhältnis in diesem Sinne zu qualifizieren wären; er hat somit konstitutive und nicht allein deklaratorische Bedeutung. Dies wird auch für die übrigen Bereichsausnahmen gelten, die nicht – wie die lit. f) und g) – offensichtlich konstitutiver Natur sind.328 Mit der Schaffung dieser Ausnahmetatbestände hat sich der Verordnungsgeber dafür entschieden, Ansprüche aus Lebenssachverhalten, die prinzipiell als „außervertragliches Schuldverhältnis“ im Sinne der Rom II-VO zu qualifizieren wären, gleichwohl vom Anwendungsbereich der Verordnung auszuschließen. Dies hat zur Folge, dass das nationale Kollisionsrecht für außervertragliche Schuldverhältnisse, in Deutschland also die Art. 38 bis 41 EGBGB, weiterhin Bedeutung für die ausgeklammerten Rechtsgebiete behält. Was aber kann aus dem genannten Beispiel für die Reichweite des Art. 1 Abs. 2 Rom II-VO geschlossen werden? An ihm wird deutlich, dass solche Ansprüche vom Anwendungsbereich der Verordnung ausgeschlossen werden sollen, die in einem familien- oder unterhaltsrechtlichen Verhältnis ihren Rechtsgrund haben. Notwendig – aber niemals hinreichend – ist also, dass allein der Sachverhalt mit ihnen im Zusammenhang steht.329 Dieses Ergebnis lässt sich auch mit Blick auf den Wortlaut von Art. 1 Abs. 2 lit. c) Rom II-VO bestätigen, wonach außervertragliche Schuldverhältnisse aus Wechseln etc. nur dann vom Anwendungsbereich ausgenommen sind, sofern die „Verpflichtungen aus […] deren Handelbarkeit entstehen“.330 Unerheblich ist aber, ob sich bei der materiellen Falllösung eine spezielle, entsprechend zugeschnittene Norm findet oder allgemeine Regelungen – wie beispielsweise die §§ 677 ff. BGB – anwendbar sind.331

328 A. A. aber für die lit. a) bis e) – dass diese Konstellationen ausgenommen sind, folge bereits aus einer europäisch autonomen Qualifikation – beispielsweise Junker, in: MüKo BGB, 8. Aufl. 2021, Art. 1 Rom II-VO Rn. 25; ferner Hohloch, IPRax 2012, 110 ff., insb. 116 und 119 (allerdings soll wegen der Existenz von lit. a) das auf den Unterhaltsregress des Scheinvaters anzuwendende Recht durch Art. 38 EGBGB bestimmt werden, S. 117); siehe auch v. Bar/Mankowski, IPR Bd. 2, 2. Aufl. 2019, § 2 Rn. 18. 329 So auch Cziupka, in: Europ. Zivilprozess- und Kollisionsrecht, 4. Aufl. 2016, Art. 1 Rom II-VO Rn. 47; Thorn, in: Grüneberg, 81. Aufl. 2022, Art. 1 Rom II-VO Rn. 10; J. Schmidt, in: BeckOGK, 1.12.2021, Art. 1 Rom II-VO Rn. 34; Knöfel, in: NK-BGB, 3. Aufl. 2019, Art. 1 Rom II-VO Rn. 33 (allgemein) und 36 (speziell für lit. a)); Dickinson, Rome II, 2013, para. 3.152; Hohloch, IPRax 2012, 110, 116 und 119; vgl. auch Bach, in: Huber (ed.), Rome II, 2011, Art. 1 para. 35 und Junker, in: MüKo BGB, 8. Aufl. 2021, Art. 1 Rom II-VO Rn. 28. Siehe ferner für lit. b) OLG Nürnberg 31.10.2018 – 7 UF 617/18 Rn. 25: bloß mittelbarer Einfluss der familienrechtlichen Beziehung genügt nicht; vgl. auch Hohloch, IPRax 2012, 110, 119. 330 Knöfel, in: NK-BGB, 3. Aufl. 2019, Art. 1 Rom II-VO Rn. 33. 331 Vgl. Andrae, IPRax 2017, 527 (für den Begriff „eheliche Güterstände“, lit. b)).

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An diesem Maßstab gemessen fällt etwa die bereicherungsrechtliche Rückabwicklung von Unterhaltszahlungen des Scheinvaters in die Bereichsausnahme und unterliegt daher nicht der Rom II-VO.332 Entsprechendes wird auch bei der Rückabwicklung rechtsgrundloser Unterhaltszahlungen festzuhalten sein.333 Gleiches muss dann – im Rahmen von Art. 11 Rom II-VO – konsequenterweise auch für die Tilgung fremder Verbindlichkeiten, die beispielsweise aus einem Anspruch auf Unterhaltszahlung folgen, durch Dritte gelten.334 Denn für die Begründung eines solchen Anspruchs aus auftragsloser Geschäftsführung muss der Geschäftsführer ein als genuin familien- bzw. unterhaltsrechtlich zu qualifizierendes Geschäft, namentlich die Zahlung des geschuldeten Unterhalts, führen. Wenn das in Rede stehende außervertragliche Schuldverhältnis seinen Rechtsgrund nicht in einem Familien- oder diesem gleichgestellten Verhältnis hat, sondern bloß im Zusammenhang mit ihm steht, ist diese Tatsache bei der Kollisionsrechtsanwendung allerdings nicht völlig bedeutungslos. Es kann gleichwohl als Grundlage für eine akzessorische Anknüpfung nach Art. 11 Abs. 1 Rom II-VO dienen, sofern dessen Voraussetzungen erfüllt sind.335 Auch die Auslegung und Anwendung der übrigen Bereichsausnahmen richtet sich nach diesem Kriterium. Maßgebend ist folglich, ob die Ansprüche ihren Rechtsgrund in den genannten Gebieten haben. Sollte also die Qualifikation von Ansprüchen aus der Leistung auf fremde Schulden in Rede stehen, die getilgte Verbindlichkeit aber aus einem der in Art. 1 Abs. 2 Rom II-VO beschriebenen Gebiete stammen, findet nicht die Rom II-VO, sondern autonomes mitgliedstaatliches Kollisionsrecht Anwendung. 3. Art. 13 Rom II-VO Gemäß Art. 13 Rom II-VO ist auf „außervertragliche Schuldverhältnisse aus einer Verletzung von Rechten des geistigen Eigentums […] Artikel 8 anzuwen332 Cziupka, in: Europ. Zivilprozess- und Kollisionsrecht, 4. Aufl. 2016, Art. 1 Rom IIVO Rn. 47; so auch Hohloch, IPRax 2012, 110, 117; a. A. Bach, in: Huber (ed.), Rome II, 2011, Art. 1 para. 35 und Thorn, in: Grüneberg, 81. Aufl. 2022, Art. 1 Rom II-VO Rn. 10. 333 Cziupka, in: Europ. Zivilprozess- und Kollisionsrecht, 4. Aufl. 2016, Art. 1 Rom IIVO Rn. 47; Stürner, in: Erman, 16. Aufl. 2020, Art. 1 Rom II-VO Rn. 6; Hohloch, IPRax 2012, 110, 117. 334 Im Ergebnis ebenso G. Fischer, in: FS Spellenberg, 2010, S. 151, 162 f.; a. A. (implizit) Junker, in: MüKo BGB, 8. Aufl. 2021, Art. 11 Rom II-VO Rn. 13 a. E.; Schinkels, in: BeckOGK, 1.8.2018, Art. 11 Rom II-VO Rn. 20 und 26; Limbach, in: NK-BGB, 3. Aufl. 2019, Art. 11 Rom II-VO Rn. 8; wohl auch Jakob/Picht, in: Europ. Zivilprozess- und Kollisionsrecht, 4. Aufl. 2016, Art. 11 Rom II-VO Rn. 14. Siehe auch v. Bar/Mankowski, IPR Bd. 2, 2. Aufl. 2019, § 2 Rn. 514, die keine Friktionen zwischen Art. 1 Abs. 2 lit. a) und Art. 11 Rom II-VO sehen, da diese Bereichsausnahme lediglich deklaratorischer Natur sei; siehe dazu schon in Fn. 328 (2. Teil). 335 Näher zu Art. 11 Abs. 1 Rom II-VO unten S. 189 ff.

§ 3 Art. 11 Rom II-VO

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den.“ Diese Norm stellt folglich, wie Art. 1 Abs. 2 Rom II-VO, eine autonome Qualifikationsentscheidung des Verordnungsgebers dar. Hiernach befindet das nach Art. 8 Rom II-VO anwendbare Recht auch über Ansprüche aus Geschäftsführung ohne Auftrag, sofern – wie im Rahmen des Art. 1 Abs. 2 Rom II-VO – der Rechtsgrund des Anspruchs, also das vom Geschäftsführer geführte Geschäft, in einer Verletzung von Rechten des geistigen Eigentums besteht. 4. Vorrangige Staatsverträge Auch wenn die Rom II-VO sachlich anwendbar ist, lässt sie gemäß Art. 28 Rom II-VO die Anwendung der internationalen Übereinkommen, denen ein oder mehrere Mitgliedstaaten zum Zeitpunkt der Annahme dieser Verordnung angehören (und die Kollisionsnormen für außervertragliche Schuldverhältnisse enthalten), unberührt, solange es sich nicht um Übereinkommen handelt, die ausschließlich zwischen den Mitgliedstaaten bestehen. Soweit die Bundesrepublik Deutschland Partei eines solchen Übereinkommens ist,336 verdrängt dieses folglich innerhalb seines Geltungsbereichs die Rom II-VO. Aus deutscher Perspektive ist im Zusammenhang mit Art. 11 Rom II-VO insbesondere das Internationale Bergungsübereinkommen zu beachten.337 Nach dessen Art. 12 begründen (grundsätzlich nur erfolgreiche, siehe Abs. 2) Bergungsmaßnahmen einen Anspruch auf Bergerlohn, der nach den in Art. 13 enthaltenen Kriterien festgesetzt wird. IV. Reichweite des Statuts Zuletzt soll sich noch der Reichweite der von Art. 11 Rom II-VO ausgesprochenen Verweisung zugewandt werden. Hier ist fraglich, ob wirklich alle Ansprüche, die aus dem oben beschriebenen Sachverhalt folgen, auch geschäftsführungsrechtlich qualifiziert werden. Bislang wurde dies stets mit der Einschränkung „grundsätzlich“ bejaht. Es kann aber durchaus diskutiert werden, ob bestimmte Anspruchsrichtungen oder -arten abweichend anzuknüpfen sind. Insbesondere hinsichtlich der Anknüpfung von bestimmten Schadenersatzansprüchen aus GoA wird von manchen mit Nachdruck vertreten, sie seien deliktisch zu qualifizieren. Im Anschluss daran soll kurz darauf hingewiesen werden, welche Sachfragen die Verweisung erfasst.

336 Zu den (multi- und bilateralen) Übereinkommen der Bundesrepublik Deutschland siehe Schulze/Fervers, in: BeckOGK, 1.8.2021, Art. 28 Rom II-VO Rn. 9 ff. 337 Eingehend zu dessen Anwendungsbereich Junker, in: MüKo BGB, 8. Aufl. 2021, Art. 11 Rom II-VO Rn. 21 ff.

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1. Sind bestimmte Anspruchsrichtungen oder -arten aus dem Statut auszuklammern? a) Meinungsstand Bezüglich der Reichweite der von Art. 11 Rom II-VO ausgesprochenen Verweisung ist konsentiert, dass ihm sowohl Tatbestand als auch Rechtsfolge der erfassten Ansprüche unterfallen.338 Es sollen Ansprüche in beide Richtungen inkludiert sein, also sowohl die des Geschäftsherrn gegen den Geschäftsführer als auch umgekehrt,339 da eine einheitliche Anknüpfung beider Anspruchsrichtungen eines der wesentlichen Argumente für eine gesonderte Anknüpfung der Geschäftsführung ohne Auftrag sei und ein effektiver Gleichlauf mit anderen Schuldverhältnissen sonst gefährdet wäre.340 Außerdem wird darauf hingewiesen, dass eine Abhängigkeit zwischen den gegenseitigen Anspruchsrichtungen bestehe.341 Eine Unterscheidung nach Art bzw. Ziel der jeweiligen Ansprüche findet nach überwiegender Auffassung ebenfalls nicht statt.342 Nach einer teilweise vertretenen Auffassung sollen indes zumindest solche Schadensersatzansprüche aus GoA nicht umfasst sein, die aus einem aus der Geschäftsführung resultierenden Schuldverhältnis „deliktischer“ Natur resultieren. In diesen Fällen seien diese Schadenersatzansprüche „ausschließlich deliktisch zu qualifizieren und unterstehen daher einzig Art. 4 und nicht Art. 11“343. Schuldverhältnisse 338

Siehe nur Schinkels, in: BeckOGK, 1.8.2018, Art. 11 Rom II-VO Rn. 45 unter Verweis auf Art. 15 i. V. m. Art. 2 Abs. 1 Rom II-VO. 339 Siehe nur Junker, in: MüKo BGB, 8. Aufl. 2021, Art. 11 Rom II-VO Rn. 28; Stürner, in: Erman, 16. Aufl. 2020, Art. 11 Rom II-VO Rn. 14; Limbach, in: NK-BGB, 3. Aufl. 2019, Art. 11 Rom II-VO Rn. 6; Schinkels, in: BeckOGK, 1.8.2018, Art. 11 Rom II-VO Rn. 18; v. Bar/Mankowski, IPR Bd. 2, 2. Aufl. 2019, § 2 Rn. 506; Rushworth/Scott, Lloyd’s M. C. L. Q. 2008, 274, 289. 340 Jakob/Picht, in: Europ. Zivilprozess- und Kollisionsrecht, 4. Aufl. 2016, Art. 11 Rom II-VO Rn. 15. 341 Rushworth/Scott, Lloyd’s M. C. L. Q. 2008, 274, 289: „Given the likely interdependency of the parties’ various obligations, it is desirable that a single law applies to them.“ 342 Stürner, in: Erman, 16. Aufl. 2020, Art. 11 Rom II-VO Rn. 14; Limbach, in: NK-BGB, 3. Aufl. 2019, Art. 11 Rom II-VO Rn. 6; Tichy, in: Magnus/Mankowski (eds.), ECPIL Vol. 3, 2019, Art. 11 Rome II para. 18; v. Bar/Mankowski, IPR Bd. 2, 2. Aufl. 2019, § 2 Rn. 506; Junker, in: MüKo BGB, 8. Aufl. 2021, Art. 11 Rom II-VO Rn. 28; Schinkels, in: BeckOGK, 1.8.2018, Art. 11 Rom II-VO Rn. 18 f.; ders., in: Calliess (ed.), Rome, 2nd ed. 2015, Art. 11 para. 5; Huber/Bach, in: Huber (ed.), Rome II, 2011, Art. 11 para. 4; Dornis, RabelsZ 80 (2016), 543, 547; Ofner, ZfRV 2008, 13, 20; Rushworth/Scott, Lloyd’s M. C. L. Q. 2008, 274, 289; Heiss/Loacker, JBl. 129 (2007), 613, 643 f. 343 Zitat bei Wendelstein, in: Soergel, 13. Aufl. 2019, Art. 11 Rom II-VO Rn. 8; siehe auch ders., GPR 2014, 46, 48 und Jakob/Picht, in: Europ. Zivilprozess- und Kollisionsrecht, 4. Aufl. 2016, Art. 11 Rom II-VO Rn. 6 a. E. Noch weitergehend Dickinson, Rome II, 2013, para. 11.08 et. seq., der eine generelle Subsidiarität des GoA-Statuts gegenüber dem der unerlaubten Handlung erkennt.

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„deliktischer“ Natur seien bei der Verletzung subjektiver Rechte, insbesondere von Eigentum, Körper und Gesundheit anzunehmen. Zur Begründung wird angeführt, dass die „kollisionsrechtliche Interessenlage“ jener von Art. 4 Rom IIVO entspreche.344 Außerdem sei in den mitgliedstaatlichen Sachrechtsordnungen anerkannt, dass dem Institut der Geschäftsführung ohne Auftrag eine subsidiäre Funktion gegenüber vertrags- und deliktsrechtlichen Ansprüchen zukomme.345 b) Stellungnahme aa) Einheitliche Anknüpfung beider Anspruchsrichtungen Das Statut der auftragslosen Geschäftsführung erfasst einheitlich sowohl die Ansprüche des Geschäftsführers gegen den Geschäftsherrn als auch umgekehrt die Ansprüche des Geschäftsherrn gegen den Geschäftsführer. Diese Erkenntnis folgt aus der autonomen Qualifikationsentscheidung des Verordnungsgebers, welche durch die (äußere) Systematik des Rechtsakts indiziert wird: Der Unionsgesetzgeber hat mit Art. 11 Rom II-VO eine Kollisionsnorm für „außervertragliche Schuldverhältnisse aus Geschäftsführung ohne Auftrag“ geschaffen; es bestehen keinerlei Anhaltspunkte dafür, die Ansprüche der jeweiligen Parteien des Schuldverhältnisses unterschiedlich anzuknüpfen. Auch nach den hier analysierten mitgliedstaatlichen Sachrechtsordnungen entspringen diesem Rechtsinstitut in materiell-rechtlicher Hinsicht Ansprüche des Geschäftsführers gegen den Geschäftsherrn und umgekehrt.346 Dass die Mitgliedstaaten von dieser materiell-rechtlichen Wertungseinheit in ihrer autonomen kollisionsrechtlichen Behandlung abweichen und für die Anknüpfung der Ansprüche aus auftragsloser Geschäftsführung zwischen den verschiedenen Anspruchsrichtungen differenzieren, ist nicht zu erkennen; für Art. 39 EGBGB und § 47 öst. IPR-Gesetz a. F. konnte sogar ausdrücklich festgehalten werden, dass beide Anspruchsrichtungen einheitlich angeknüpft werden.347 Sollte sich eine andere, davon abweichende mitgliedstaatliche Rechtsordnung finden lassen, wäre dies unerheblich. Denn um den Verweisungstatbestand des Art. 11 Rom II-VO mithilfe eines Rückgriffs auf die in den mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen erkennbaren Wertungen einzuschränken, bedarf es einer dahingehenden gemeineuropäischen Wertung.348 Hiervon kann aber nicht gesprochen werden, da schon die in dieser Arbeit untersuchten Rechtsordnungen keine Unterscheidung zwischen der Anspruchsrichtung anstellen bzw. im Rah-

344 Wendelstein, in: Soergel, 13. Aufl. 2019, Art. 11 Rom II-VO Rn. 8; ders., GPR 2014, 46, 48. 345 Dickinson, Rome II, 2013, para. 11.08 et. seq. 346 Siehe S. 123 ff. 347 S. 128 f. (für Art. 39 EGBGB) und S. 135 f. (für § 47 öst. IPR-Gesetz a. F.). 348 S. 58 f. und insb. 87 f.

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men der diesbezüglich angestellten Analyse dahingehend nichts festgestellt werden konnte. Eine nach Anspruchsrichtung differenzierende Anknüpfung wäre darüber hinaus aus dem folgenden Grund sachwidrig: Die untersuchten Rechtsordnungen haben gezeigt, dass sie unterschiedliche Maßstäbe anlegen, um zwischen „erwünschten“ oder „unerwünschten“ bzw. „vorteilhaften“ oder „unvorteilhaften“ Geschäftsführungen zu differenzieren. Knüpfte man nun die Anspruchsrichtungen unterschiedlich an, könnte es dazu kommen, dass die Ansprüche des Geschäftsherrn einer anderen Rechtsordnung unterliegen als jene des Geschäftsführers. Ist die Geschäftsführung nach einer Rechtsordnung „erwünscht“ bzw. „vorteilhaft“, nach der anderen hingegen nicht, bestünde die Gefahr von Wertungswidersprüchen; die sich wohl nur durch Anpassung lösen ließen. Ein solches international-privatrechtliches Notfallwerkzeug benötigte man indes nicht, wenn man einheitlich anknüpfte.349 bb) Einheitliche Anknüpfung der verschiedenen Anspruchsarten Eben diese Argumente können auch dafür ins Feld geführt werden, dass nicht nach der Anspruchsart zu unterscheiden ist: Art. 11 Rom II-VO sowie dessen Genese bieten keinen Anhaltspunkt, um zwischen den verschiedenen Anspruchsarten zu differenzieren. Ferner kennen die mitgliedstaatlichen Sachrechtsordnungen mannigfaltige Ansprüche unterschiedlicher Art aus auftragsloser Geschäftsführung350 und auch in den autonomen nationalen Kollisionsrechtsordnungen wird diesbezüglich einheitlich angeknüpft, wie für Art. 39 EGBGB und § 47 öst. IPR-Gesetz a. F. ausdrücklich festgestellt werden konnte.351 Art. 11 Rom II-VO erfasst und verweist daher grundsätzlich auf alle Ansprüche, die aus dem beschriebenen Lebenssachverhalt352 resultieren.

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Auch Rushworth/Scott, Lloyd’s M. C. L. Q. 2008, 274, 289 weisen auf die „likely interdependency“ hin. Vgl. ferner Wandt, GoA im IPR, 1989, S. 105 ff., der neben der Gefahr des Auseinanderreißens einer wertungsmäßig in sich stimmigen Rechtsordnung auch auf die Frage hinweist, nach welchem Recht eine Genehmigung des Geschäftsherrn zu beurteilen wäre. Vgl. zudem Habermann, Die Geschäftsführung ohne Auftrag im System des deutschen Internationalen Privatrechts, 1990, S. 85 f., der ebenfalls auf die Wahrung des inneren Entscheidungseinklangs verweist. 350 Vgl. S. 123 ff. 351 S. 128 f. (für Art. 39 EGBGB) und S. 135 f. (für § 47 öst. IPR-Gesetz a. F.). 352 S. 152 f.

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cc) Abweichende Qualifikation von Schuldverhältnissen „deliktischer“ Natur? Durch Stimmen in der rechtswissenschaftlichen Literatur wurde indes, wie eingangs gezeigt, die Frage aufgeworfen, ob zumindest353 Schadenersatzansprüche, die aus einem aus der Geschäftsführung resultierenden Schuldverhältnis „deliktischer“ Natur resultieren, davon auszunehmen und deliktisch zu qualifizieren, also nach Art. 4 ff. Rom II-VO anzuknüpfen seien.354 Das soll immer dann geschehen, wenn durch die Geschäftsausführung eine Verletzung subjektiver Rechte, insbesondere an Eigentum, Körper oder Gesundheit, erfolgt.355 Die Prämisse für eine solche Sichtweise wäre, dass die möglicherweise konkurrierenden materiell-rechtlichen Schadenersatzansprüche aus auftragsloser Geschäftsführung und unerlaubter Handlung356 einheitlich einem Statut – hier namentlich dem Deliktsstatut – unterstellt würden. Ob eine solche einheitliche Qualifikation von in materieller Hinsicht konkurrierenden Ansprüchen aber überhaupt zulässig ist, kann durchaus hinterfragt werden. Viele Autoren scheinen dies zumindest implizit abzulehnen, indem sie bei der Qualifikation wohl differenzieren: Resultieren aus einer einzigen schädigenden Geschäftsführungshandlung beispielsweise Ansprüche des Geschäftsherrn aus §§ 677, 280 Abs. 1 BGB sowie aus § 823 Abs. 1 BGB, die bekanntermaßen zueinander in freier Anspruchskonkurrenz stehen, wird der erstgenannte Anspruch wohl Art. 11 Rom II-VO unterstellt, während der zweitgenannte Anspruch als unerlaubte Handlung qualifiziert wird. Ausdrücklich geäußert wird sich dazu zwar nicht, allerdings lässt sich dies implizit aus dem folgenden Disput ableiten: Umstritten ist die Frage, ob über Art. 4 Abs. 3 Satz 2 Rom II-VO eine Anknüpfung des Deliktsstatuts an das Statut der Geschäftsführung ohne Auftrag erreicht werden soll, um Schadenersatzansprüche aus auftragsloser Geschäftsführung und unerlaubter Handlung einheitlich

353 Weitergehend, wie gezeigt, nur Dickinson, Rome II, 2013, para. 11.08 et. seq. (sämtliche Schadenersatzansprüche aus auftragsloser Geschäftsführung unterstehen einheitlich dem Deliktsstatut). 354 So ausdrücklich Jakob/Picht, in: Europ. Zivilprozess- und Kollisionsrecht, 4. Aufl. 2016, Art. 11 Rom II-VO Rn. 6 a. E.; Wendelstein, in: Soergel, 13. Aufl. 2019, Art. 11 Rom II-VO Rn. 8; ders., GPR 2014, 46, 48; weitergehend Dickinson, Rome II, 2013, para. 11.08 et. seq. (generelle Subsidiarität des GoA-Statuts gegenüber dem der unerlaubten Handlung). 355 Wendelstein, in: Soergel, 13. Aufl. 2019, Art. 11 Rom II-VO Rn. 8; ders., GPR 2014, 46, 48. 356 Insbesondere in der deutschen Rechtsordnung ist es aufgrund des Prinzips der freien Anspruchskonkurrenz möglich, dass Schadenersatzansprüche aus den §§ 677 ff. BGB von solchen aus §§ 823 ff. BGB begleitet werden. Es verwundert daher nicht, dass diese Frage vor allem von Rechtswissenschaftlern aus Deutschland diskutiert wird.

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einem Recht zu unterstellen.357 Dafür wird vorgebracht, dass die Geschäftsführung ohne Auftrag in diesen Fällen den Rahmen für die unerlaubte Handlung stelle und deshalb auch das maßgebliche Rechtsverhältnis für diesen Lebenssachverhalt sei. Außerdem sei eine solche Anknüpfung „interessengerechter“, da so nicht auf den Ort des Schadenseintritts, sondern den der Geschäftsführung abgestellt würde.358 Von anderen wird dies indes mit Verweis auf ErwGr. 30 Satz 4 Rom II-VO abgelehnt, welcher „Fälle, in denen einer Person während der Vertragsverhandlungen ein Personenschaden zugefügt wird, Artikel 4 oder andere[n] einschlägige[n] Bestimmungen dieser Verordnung“ unterstellt. Auch etwaige Haftungsprivilegierungen, die das Institut der Geschäftsführung ohne Auftrag im materiellen Recht möglicherweise bereithält, sollen die akzessorische Anknüpfung an dieses Rechtsverhältnis daher nicht mehr rechtfertigen.359 Die zuvor Genannten vertreten also (implizit) die Auffassung, dass eine materiell-rechtlich vorhandene Anspruchskonkurrenz zwischen Schadenersatzansprüchen aus auftragsloser Geschäftsführung, einer Sonderverbindung, und solchen aus unerlaubter Handlung kollisionsrechtlich zu einer Statutenkonkurrenz zwischen Art. 11 Rom II-VO und Art. 4 (ff.) Rom II-VO führt, die nur unter Umständen mithilfe der akzessorischen Anknüpfung aufgelöst werden kann.360 Es ist daher zu fragen, wie sich eine materiell-rechtlich vorhandene Konkurrenz von Schadenersatzansprüchen aus auftragsloser Geschäftsführung und aus Delikt auf die international-privatrechtliche Qualifikation auswirkt.

357 Dieses Ziel klingt zumindest an bei G. Fischer, in: FS Spellenberg, 2010, S. 151, 163 f., wird aber sonst nicht ausdrücklich erwähnt. 358 So Limbach, in: NK-BGB, 3. Aufl. 2019, Art. 11 Rom II-VO Rn. 11; siehe auch Thorn, in: Grüneberg, 81. Aufl. 2022, Art. 11 Rom II-VO Rn. 5 sowie Stürner, in: Erman, 16. Aufl. 2020, Art. 11 Rom II-VO Rn. 7 und Tichy, in: Magnus/Mankowski (eds.), ECPIL Vol. 3, 2019, Art. 11 Rome II para. 41, welche ebenfalls die akzessorische Anknüpfung des Deliktsstatuts an das Statut der Geschäftsführung ohne Auftrag als das speziellere Ausgleichsverhältnis befürworten. 359 G. Fischer, in: FS Spellenberg, 2010, S. 151, 163 f. 360 Deutlicher tritt dieser Gedanke bei Junker, in: MüKo BGB, 8. Aufl. 2021, Art. 11 Rom II-VO Rn. 28 zutage, der meint, dass in Fällen von „Schuldverhältnisse[n] deliktischer Natur“ die Deliktskollisionsregeln nicht von Art. 11 Rom II-VO verdrängt würden. Der aus dem materiellen Recht bekannten Anspruchskonkurrenz von Ansprüchen aus auftragsloser Geschäftsführung und unerlaubter Handlung entspreche auf kollisionsrechtlicher Ebene eine „Doppelqualifikation“. Was er damit meint, bleibt offen; im technischen Sinne wird man sie wohl nicht verstehen können (dazu v. Hein, in: MüKo BGB, 8. Aufl. 2020, Einl. IPR Rn. 153 und Looschelders, in: Staudinger, Neubearb. 2019, Einl. IPR Rn. 1115).

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(1) Vorweg: Keine selbstständige Anknüpfung der Konkurrenzfrage an die lex fori Bevor hierauf eingegangen wird, ist indes darauf hinzuweisen, dass im rechtswissenschaftlichen Diskurs einige Möglichkeiten zum Umgang mit einer materiell-rechtlich vorhandenen Anspruchskonkurrenz auf kollisionsrechtlicher Ebene aufgezeigt werden; sie reichen von einer selbstständigen Anknüpfung der Konkurrenzfrage an die lex fori, über eine funktionell-einheitliche Qualifikation der materiell-rechtlich konkurrierenden Ansprüche, eine akzessorische Anknüpfung nebeneinander anwendbarer Statute hin zu einer kollisionsrechtlichen oder materiell-rechtlichen Anpassung.361 Die überzeugenden Gründe gegen eine selbstständige Anknüpfung der Konkurrenzfrage an die lex fori wurden bereits an anderer Stelle aufgezeigt.362 Hier soll daher nicht weiter auf sie eingegangen werden. Die folgende Bearbeitung fokussiert vielmehr den zweitgenannten Gedanken; es wird zu zeigen sein, dass er schon für sich allein überzeugt und auch unter den übrigen Lösungswegen der vorzugswürdige ist. Die aus dem deutschen materiellen Privatrecht bekannte Anspruchskonkurrenz zwischen Ansprüchen aus einer Geschäftsführung ohne Auftrag – einer Sonderbeziehung – und aus Delikt ist mittels funktionell-einheitlicher Qualifikation aufzulösen.363 (2) Funktionell-einheitliche Qualifikation als Lösung Die funktionelle Qualifikationsmethode ist schon lange als die Herrschende anerkannt.364 Hiernach kommt es für die international-privatrechtliche Qualifikation nicht darauf an, auf welchem Weg, also nach welchen systematischen Vorstellungen, die beteiligten Sachrechte ein bestimmtes Ordnungsziel verwirklichen; maßgebend ist vielmehr allein das Ordnungsziel selbst, das von anderen Ordnungszielen anhand der jeweils zugrunde liegenden Interessenwertungen abgegrenzt wird.365 Bestimmt Art. 11 Rom II-VO also das auf ein „außervertragliches Schuldverhältnis aus Geschäftsführung ohne Auftrag“ anwendbare Recht, verfolgt es damit das Ziel, für die Lösung des Interessenkonflikts, der zwischen den Beteiligten des zugrunde liegenden 361

Dazu näher Spelsberg-Korspeter, Anspruchskonkurrenz, 2009, S. 8 ff. Spelsberg-Korspeter, Anspruchskonkurrenz, 2009, S. 87 ff. 363 Vgl. Looschelders, Anpassung, 1995, S. 150 ff., 329 ff. (speziell für das Verhältnis Vertrags- und Deliktsstatut); auch Stoll, IPRax 1989, 89, 91 (speziell für das Verhältnis Vertrags- und Deliktsstatut) erblickt hierin ein Qualifikationsproblem: „typische Zusammenhänge zwischen den Sachnormen [sind] tunlichst zu wahren“. 364 Siehe zur teleologischen Qualifikation etwa v. Hein, in: MüKo BGB, 8. Aufl. 2020, Einl. IPR Rn. 134 (für die europäische Ebene) und 121 (für die autonome deutsche Ebene). 365 Looschelders, Anpassung, 1995, S. 150 f.; vgl. auch Stoll, IPRax 1989, 89, 91: maßgebend sei der „Erwartungshorizont der Parteien“. Siehe zum „Bündelungsmodell“ Schurigs schon oben S. 116 f. 362

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Lebenssachverhalts besteht, namentlich Geschäftsführer und Geschäftsherrn, die in kollisionsrechtlicher Hinsicht am „besten“ geeignete Rechtsordnung zu bestimmen. Aus diesem Grund wird innerhalb der so gefundenen Rechtsordnung freilich zunächst auf das materielle Rechtsinstitut verwiesen, das originär zur Lösung dieses Konflikts geschaffen wurde. Am Beispiel von Art. 11 Rom II-VO und dem deutschen Sachrecht würden also die §§ 677 bis 686 BGB zur Anwendung gelangen. Die kollisionsrechtliche Verweisung ist aber keinesfalls nur auf das originär zur Lösung dieses Interessenkonflikts berufene Rechtsinstitut beschränkt. Nimmt man die funktionelle Qualifikationsmethode ernst, ist es nicht nur möglich, sondern geboten, auch andere Ansprüche, die die lex causae systematisch zwar anderen Rechtsinstituten zuordnet, sie aber in freier Anspruchskonkurrenz neben den Regelungen der Sonderverbindung zur Anwendung bringt, als von dieser Verweisung erfasst zu betrachten, wenn diese Normen dasselbe Ordnungsziel verfolgen. Auf das hier in Rede stehende Problem gewendet ist deshalb zu fragen, ob beispielsweise die Ansprüche aus §§ 677, 280 Abs. 1 BGB und § 823 Abs. 1 BGB, die durch dieselbe (Geschäftsführungs-) Handlung ausgelöst werden, auf die Lösung eines einzigen, und bejahendenfalls welchen Interessenkonflikts abzielen. Die erste Frage wird man grundsätzlich bejahen müssen: Prinzipiell verfolgen alle Rechtsinstitute dasselbe Ordnungsziel, wenn dieselbe Handlung ihre Tatbestände erfüllt, sie auf dieselbe Leistung gerichtet sind und sie sich in materieller Hinsicht nicht gegenseitig konkurrenzrechtlich ausschließen.366 Dies leuchtet auch unmittelbar ein, wenn man alle materiell-rechtlichen Regelungen mit der Wertungsjurisprudenz als Ausgleich eines zuvor in der Gesellschaft bestehenden Interessenkonflikts begreift.367 Ob dieser Ausgleich durch bloß einen oder gleich mehrere miteinander konkurrierende Ansprüche erreicht wird, ist grundsätzlich unerheblich; der dem Lebenssachverhalt zugrunde liegende Interessenkonflikt ändert sich prinzipiell nicht. (3) Das für die funktionell-einheitliche Qualifikation maßgebliche Statut Es ist also grundsätzlich möglich, materiell-rechtlich miteinander „frei“ konkurrierende Ansprüche funktionell-einheitlich zu qualifizieren. Diese Erkenntnis leitet unmittelbar über zu der Frage, welches Ordnungsziel, welchen Interessenkonflikt, die konkurrierenden materiell-rechtlichen Ansprüche lösen. Die Antwort auf diese Frage wurde bereits zuvor angedeutet: Sämtliche Rechtsinstitute zielen grundsätzlich darauf ab, den der Sonderverbindung

366 Vgl. Looschelders, Anpassung, 1995, S. 157: dann sei die „kollisionsrechtliche Interessenlage“ grundsätzlich einheitlich. 367 Siehe oben S. 75 ff.

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zugrunde liegenden Interessenkonflikt zu regeln.368 Daher sollten Ansprüche aus unerlaubter Handlung, die mit Schadenersatzansprüchen aus Geschäftsführung ohne Auftrag – einer Sonderverbindung – konkurrieren, grundsätzlich in den Verweisungskanal dieses Sonderverbindungsstatuts aufgenommen werden. Betrachtet man nämlich speziell die Konkurrenz von Ansprüchen aus auftragsloser Geschäftsführung und Delikt am Beispiel des deutschen Sachrechts, offenbart sich, dass es sich bei Schädigungen, die durch die Geschäftsführung entstehen, grundsätzlich um die Verletzung konkreter (zwischen den Parteien bestehender) geschäftsführungsspezifischer Pflichten handelt.369 Dies zeigt sich schon daran, dass überhaupt eine Anspruchskonkurrenz zwischen Schadenersatzansprüchen aus auftragsloser Geschäftsführung und unerlaubter Handlung vorliegt: Würde aus materieller Sicht keine geschäftsführungsspezifische Pflicht verletzt, existierte schon kein Anspruch aus §§ 677 ff. BGB. Wenn die deutsche Rechtsordnung neben Ansprüchen aus dieser Sonderverbindung auch solche aus unerlaubter Handlung gewährt, liegt dies bloß daran, dass aus sachrechtlicher Perspektive mangels eines drohenden Wertungswiderspruchs (grundsätzlich) keine Not besteht, deren Anwendbarkeit

368 So die wohl h. M. unter denen, die eine solche funktionelle Qualifikation vertreten: Looschelders, Anpassung, 1995, S. 157: Die „legitimen Schutzerwartungen des Geschädigten [konzentrieren sich] auf das Sonderverbindungsstatut“ und auch dem Schädiger darf zugestanden werden, „daß er sein Verhalten und seine Vorsorge für den Schadensfall auf das Sonderverbindungsstatut ausrichten darf“; siehe auch Looschelders, aaO, S. 331: „Dabei sind auch dessen [Anm. d. Verf.: gemeint ist das Vertragsstatut] deliktische Anspruchsnormen anwendbar, weil sie funktionell die Sonderverbindung zwischen den Parteien betreffen.“ Exemplarisch auch Stoll, IPRax 1989, 89, 91 f.: „So hat ein Reisekunde die verständliche und berechtigte Erwartung, daß er Rechtsschutz gegen Gesundheitsschädigungen und Körperverletzungen, die ihm am Ferienort durch mangelhafte Reiseleistungen zugefügt werden, nach der Rechtsordnung erhält, unter deren Herrschaft der Reiseveranstalter seine Leistungen erbringt.“ (Speziell für die Konkurrenz von Ansprüchen aus GoA und Delikt) so wohl auch Rushworth/Scott, Lloyd’s M. C. L. Q. 2008, 274, 289 („For example, where a defendant acts to administer another‘s affairs, and that other claims that a tort was committed as a result, it is submitted that it is preferable for all of the obligations arising out of the act to fall within Art. 11.“), was allerdings in einem gewissen Widerspruch zu den Ausführungen auf p. 298 steht, wo auf die Ausweichklausel verwiesen wird, um einen materiell-rechtlich gegebenen Zusammenhang zwischen verschiedenen Rechtsinstituten auch auf kollisionsrechtlicher Ebene herzustellen. 369 Dies gilt übrigens auch für den Fall, dass Geschäftsübernahme und schädigende Handlung zusammenfallen. Am Beispiel des deutschen Sachrechts kann verdeutlicht werden, dass es sich auch hierbei um eine Verletzung geschäftsführungsspezifischer Pflichten handelt: § 678 BGB begründet – wie §§ 677, 280 Abs. 1 BGB – eine Haftung des Geschäftsführers, wenn dieser „dem wirklichen oder dem mutmaßlichen Willen des Geschäftsherrn“ zuwidergehandelt hat.

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auszuschließen. Ein solcher Wertungswiderspruch drohte aber beispielsweise370 dann, wenn die Regelungen der Sonderverbindung anders als die konkurrierenden Rechtsinstitute eine Modifikation des gewöhnlichen Verschuldensmaßstabs bereithalten. In diesem Fall müssen die Ansprüche aus unerlaubter Handlung insoweit korrigiert werden, als dass sie in keinem Widerspruch zu den aus den Regelungen der Sonderverbindung fließenden Wertungen stehen: So wird beispielsweise § 680 BGB analog auf die deliktische Haftung angewandt, um drohende Wertungswidersprüche zu vermeiden.371 Hieran zeigt sich deutlich, dass es grundsätzlich der der auftragslosen Geschäftsführung zugrunde liegende Interessenkonflikt ist, welcher zugleich von konkurrierenden Ansprüchen aus Delikt gelöst wird. Dies ändert sich auch dann nicht, wenn die konkret verletzte Pflicht (vermeintlich) auch ohne die Existenz des Schuldverhältnisses aus auftragsloser Geschäftsführung bestünde, es sich also um eine auch im allgemeinen Verkehr bestehende Pflicht handelt. Das könnte man aus deutscher Sicht etwa dann annehmen, wenn absolut geschützte Rechtsgüter, wie Eigentum, Körper und Gesundheit verletzt werden. Solange die Existenz der Sonderverbindung diese gegenüber dem allgemeinen Verkehr bestehende Pflicht in irgendeiner Hinsicht modifiziert, handelt es sich nicht mehr um eine allgemeine, sondern um eine aus der Sonderverbindung folgende Pflicht, die verletzt wird. Es kann daher nicht, wie von den Vertretern, die in Fällen „deliktischer“ Schuldverhältnisse sämtliche Schadenersatzansprüche einheitlich dem Deliktsstatut unterstellen, vorgebracht werden, dass in solchen Sachverhaltskonstellationen die „kollisionsrechtliche Interessenlage“ mit jener der Art. 4 ff. Rom IIVO vergleichbar sei. Dass die Anknüpfung an den Erfolgsort im Rahmen des Art. 4 Rom II-VO den „funktionalen Zusammenhang zwischen Rechtszuweisung und Rechtsschutz wahren“ wolle, indem es für die Beurteilung, ob ein subjektives Recht (rechtswidrig und schuldhaft) verletzt ist, an die Rechtsordnung anknüpft, die auch über dessen Inhalt und Umfang entscheidet,372 trifft vielleicht zu,373 ist aber letztlich irrelevant, solange es materiell-rechtlich 370

Vgl. auch Looschelders, Anpassung, 1995, S. 326, der für die Abhängigkeit der Regelungen über die unerlaubten Handlungen von einem Vertrag neben etwaigen Haftungsmilderungen auch auf die Erstreckung spezieller vertraglicher Verjährungsregeln hinweist. 371 Siehe nur Bergmann, in: Staudinger, Neubearb. 2020, § 680 BGB Rn. 18 (auch mwN). 372 Wendelstein, in: Soergel, 13. Aufl. 2019, Art. 11 Rom II-VO Rn. 8. 373 Nur nebenbei sei gesagt, dass die von Wendelstein angestellte Unterscheidung sehr stark auf das Verhältnis §§ 677 ff. BGB und §§ 823 ff. BGB zugeschnitten scheint. Anders als das deutsche materielle Deliktsrecht ist die in Art. 4 Rom II-VO vorgesehene Anknüpfung für außervertragliche Schuldverhältnisse aus unerlaubter Handlung nicht auf die Verletzung subjektiver Rechte beschränkt, sondern erfasst alle außervertraglich zu qualifizierenden Schadenshaftungen, siehe nur Junker, in: MüKo BGB, 8. Aufl. 2021, Art. 4 Rom IIVO Rn. 14 mwN zur EuGH-Judikatur. Ob Art. 4 Rom II-VO daher die von Wendelstein beigemessene Zielsetzung zugesprochen werden kann, ist fraglich. Konsequenter wäre es

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gerade nicht um den Ausgleich der „bloßen“ Verletzung eines subjektiven Rechts, sondern um den Umgang mit einer aus einer Sonderverbindung resultierenden Pflicht geht. Auch mag es vielleicht sein, dass Art. 4 Rom II-VO „einen gewissen Grad an Opferschutz [bezweckt], allerdings nicht ohne die Interessen des potentiellen Schädigers völlig in den Hintergrund zu drängen (Art. 17 Rom II)“374, und dass sich dieser Interessekonflikt auch zu stellen scheint, wenn der Geschäftsführer den Geschäftsherrn durch seine Geschäftsführung schädigt. Solche Sachverhalte unterscheiden sich letztlich von den nach Art. 4 ff. Rom II-VO anzuknüpfenden Konstellationen dadurch, dass sich „Schädiger“ und „Geschädigter“ aufgrund des sie verbindenden Schuldverhältnisses aus Geschäftsführung ohne Auftrag näherstehen als der allgemeine Verkehr. Außerdem muss bei der Prüfung einer Übereinstimmung der „Interessenlagen“ beachtet werden, dass der „Schädiger“ bei der schädigenden Handlung mit der Absicht gehandelt haben muss, fremde Interessen zu fördern, um den Anwendungsbereich von Art. 11 Rom II-VO überhaupt zu eröffnen.375 Der Art. 11 Rom II-VO zugrunde liegende Interessenkonflikt ist also gewissermaßen spezieller als jener den Art. 4 ff. Rom II-VO kollisionsrechtlich gerecht lösen möchten. Von einer „übereinstimmenden kollisionsrechtlichen Interessenlage“ kann vor diesem Hintergrund nicht gesprochen werden. Schließlich kann für eine entsprechende Qualifikation „deliktischer“ Schuldverhältnisse auch nicht die These vorgebracht werden, dass das Institut der Geschäftsführung ohne Auftrag in den mitgliedstaatlichen Sachrechtsordnungen eine subsidiäre Position gegenüber Schuldverhältnissen aus unerlaubter Handlung einnehme und deshalb zurückhaltend angewandt werden sollte.376 Ihm kommt nicht lediglich eine lückenfüllende Funktion zu.377 Dickinson, der dieses Argument vorträgt, stellt in seinen Ausführungen zwar zunächst zutreffend darauf ab, dass das Rechtsinstitut gegenüber vertraglichen Verhältnissen subsidiär ist. Seine begründungslos vorgenommene Übertragung378 dieses Subsidiaritätsgedankens auf das Verhältnis zwischen Geschäftsführung ohne Auftrag und unerlaubte Handlung überzeugt aber nicht. Der prägende Einfluss, den die Sonderverbindung auf möglicherweise konkurrierende deliktische Ansprüche nach deutschem Sachrecht hat, wurde bereits anhand der Haftungsprivilegierung des § 680 BGB exemplifiziert. Er kann darüber hinaus an dem wohl, wie Dickinson (Rome II, 2013, para. 11.09 et. seq.) Art. 11 Rom II-VO schlicht alle Schadenersatzforderungen zu entnehmen und über die Art. 4 ff. Rom II-VO anzuknüpfen. 374 Wendelstein, GPR 2014, 46, 48; siehe auch ders., in: Soergel, 13. Aufl. 2019, Art. 11 Rom II-VO Rn. 8. 375 Vgl. S. 152 f. 376 So Dickinson, Rome II, 2013, para. 11.09 et. seq. (indes sogar für alle Schadenersatzforderungen). 377 So aber Dickinson, Rome II, 2013, para. 11.11 (indes sogar für alle Schadenersatzforderungen). 378 Dickinson, Rome II, 2013, para. 11.12.

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folgenden Punkt verdeutlicht werden: Das Vorliegen einer echten berechtigten Geschäftsführung ohne Auftrag stellt nach herrschender Meinung einen Rechtfertigungsgrund dar, so dass die §§ 823 ff. BGB in diesen Fällen keine Anwendung finden.379 Von einer Subsidiarität der Regelungen zur Geschäftsführung ohne Auftrag gegenüber dem Deliktsrecht kann – anders als gegenüber dem Vertragsrecht – zumindest im deutschen Sachrecht daher unter keinen Umständen gesprochen werden. Vielmehr haben die Regelungen über die auftragslose Geschäftsführung einen prägenden Einfluss auf die konkurrierenden deliktischen Ansprüche. Fraglich ist, ob sich an diesem Ergebnis etwas ändert, wenn ErwGr. 30 Satz 4 Rom II-VO in den Blick genommen wird. ErwGr. 30 Rom II-VO beschäftigt sich insgesamt mit der (verordnungsautonomen) Definition des Begriffs „Verschulden bei Vertragsverhandlungen“ nach Art. 12 Rom II-VO. Gemäß Satz 2 soll er „die Verletzung der Offenlegungspflicht und den Abbruch von Vertragsverhandlungen einschließen.“ Sodann wird in Satz 3 klargestellt, dass mit dem Begriff „Verschulden bei Vertragsverhandlungen“ nur solche außervertraglichen Schuldverhältnisse gemeint seien, die „in unmittelbarem Zusammenhang mit den Verhandlungen vor Abschluss eines Vertrags stehen.“ Nach Satz 4 soll in Fällen, „in denen einer Person während der Vertragsverhandlungen ein Personenschaden zugefügt wird, Artikel 4 […] zur Anwendung gelangen.“ ErwGr. 30 Satz 4 Rom II-VO drückt damit ein Unmittelbarkeitserfordernis aus: Art. 12 Rom II-VO soll nur die Verletzung transaktionsspezifischer Pflichten erfassen.380 Aus diesem Grund werden auch Sachschäden von der Literatur aus dem Anwendungsbereich des Art. 12 Rom II-VO ausgenommen, wenn kein spezifischer Zusammenhang zu den Vertragsverhandlungen besteht.381 ErwGr. 30 Satz 4 Rom II-VO deutet nur auf den ersten Blick darauf hin, dass Personen- oder Sachschäden im Rahmen einer auftragslosen Geschäftsführung einheitlich dem Deliktsstatut unterstehen. Bei genauerer Betrachtung zeigt sich, dass der Verordnungsgeber hiermit die Grenze der funktionell-einheitlichen Qualifikation genau trifft. (4) Grenzen funktionell-einheitlicher Qualifikation Die Möglichkeit, bloß eine Rechtsordnung einheitlich auf einen Lebenssachverhalt anzuwenden, wird dadurch begrenzt, dass die

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Bergmann, in: Staudinger, Neubearb. 2020, Vorb. § 677 ff. BGB Rn. 243 f. So die überwiegende Auffassung, siehe nur Budzikiewicz, in: NK-BGB, 3. Aufl. 2019, Art. 12 Rom II-VO Rn. 22; Schinkels, in: BeckOGK, 1.8.2018, Art. 12 Rom II-VO Rn. 69; Jakob/Picht, in: Europ. Zivilprozess- und Kollisionsrecht, 4. Aufl. 2016, Art. 12 Rom II-VO Rn. 10. 381 Schinkels, in: BeckOGK, 1.8.2018, Art. 12 Rom II-VO Rn. 69; Junker, in: MüKo BGB, 8. Aufl. 2021, Art. 12 Rom II-VO Rn. 34. 380

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„Anknüpfungsinteressen“ übereinstimmen müssen.382 Bei einer Konkurrenz von Schadenersatzansprüchen aus einer Sonderverbindung und aus unerlaubter Handlung ist das der Fall, „wenn das schädigende Ereignis sich als Ausfluß einer spezifischen Gefahr der betreffenden Sonderverbindung darstellt“. Anders ist es nur bei einem schädigenden Ereignis, „das den allgemeinen Verkehr betrifft und nicht auf einem spezifischen Risiko der Sonderverbindung beruht“.383 Dann kann nicht mehr von der Verletzung einer sonderverbindungsspezifischen Pflicht gesprochen werden.384 Mit Blick auf diese Regel zeigt sich, wieso es nur konsequent ist, wenn ErwGr. 30 Satz 4 Rom II-VO Personenschäden aus dem Anwendungsbereich des Art. 12 Rom II-VO ausklammert (und die Literatur dies auf Sachschäden erweitert): Es ist kaum vorstellbar, dass die Schädigung einer Person oder Sache mit Vertragsverhandlungen im Zusammenhang steht und nicht nur „bei Gelegenheit“ erfolgt. Vertragsverhandlungen erfordern schließlich bloß rechtsgeschäftliches Handeln. Schädigungen zwischen den Parteien eines solchen vorvertraglichen Schuldverhältnisses erfolgen deshalb lediglich „bei Gelegenheit“, die dann selbstverständlich den Kollisionsnormen der Art. 4 ff. Rom IIVO unterliegen. Bei dem Schuldverhältnis aus Geschäftsführung ohne Auftrag stellt sich die Lage indes anders dar. Für dieses ist ja gerade kennzeichnend, dass es auch durch tatsächliches Handeln begründet werden kann.385 Tatsächliches Handeln birgt indes stets die Gefahr, dass es zu einer Verletzung von Personen oder zu Sachschäden kommt. Die Unterscheidung zwischen der Verwirklichung einer sonderverbindungsspezifischen Gefahr und einer bloß den allgemeinen Verkehr betreffenden „Pflichtverletzung“ wird freilich nicht immer völlig trennscharf zu ziehen sein; schon gar nicht auf einer abstrakten Ebene. Looschelders stellt deshalb die Regel auf, wonach die Verwirklichung einer sonderverbindungsspezifischen Gefahr dann zu verneinen ist, wenn etwaige materiell-rechtliche Haftungsprivilegierungen, die die Sonderverbindung bereithält, nicht greifen würden. Darüber hinaus sollen deliktische Ansprüche, die durch vorsätzliche oder sittenwidrige Schädigungen herbeigeführt wurden, sowie solche, die aus „bei Gelegenheit“ stattfindenden Handlungen resultieren, ausgeklammert sein und sowohl dem Sonderverbindungsstatut als auch dem Deliktsstatut unterfallen.386

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Looschelders, Anpassung, 1995, S. 153 ff. Zitate bei Looschelders, Anpassung, 1995, S. 157, 329 (speziell für das Verhältnis Vertrags- und Deliktsstatut). 384 Looschelders (Anpassung, 1995, S. 157) weist zurecht darauf hin, dass dann freilich auch eine akzessorische Anknüpfung ausscheiden muss. 385 Vgl. oben S. 152 f. 386 Looschelders, Anpassung, 1995, S. 157 f., 329 ff. (speziell für das Verhältnis Vertrags- und Deliktsstatut); vgl. auch die nahezu identischen Kriterien bei Stoll, IPRax 1989, 89, 92 (speziell für das Verhältnis Vertrags- und Deliktsstatut und – vor dem Hintergrund 383

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In dieser Unterscheidung bereits angelegt, aber nicht völlig deutlich zum Ausdruck kommend, ist die Erkenntnis, dass letztlich das auf die Sonderverbindung anzuwendende Recht über die Frage befinden muss, ob eine aus der Sonderverbindung fließende spezielle oder bloß eine gegenüber dem allgemeinen Verkehr bestehende Pflicht verletzt worden ist. Eine solche Unterscheidung ist nur unter Zuhilfenahme materiell-rechtlicher Regelungen (und mitunter mit Blick auf den jeweiligen Einzelfall) trennscharf möglich. Pointiert gesagt stellt also die lex causae das „Konkurrenzstatut“. Sieht es – neben Schadenersatzansprüchen aus auftragsloser Geschäftsführung – zugleich konkurrierende deliktische Ansprüche vor, kommt es entscheidend darauf an, ob diese nach der Vorstellung des auf die Sonderverbindung anwendbaren Rechts in casu wegen des Vorliegens der Sonderverbindung aus auftragsloser Geschäftsführung modifiziert würden. Ist das der Fall, zielen auch die per se deliktischen Ansprüche im Kern auf den Ausgleich für die Verletzung geschäftsführungsspezifischer Pflichten ab, so dass sich eine weitere, eigenständige Anknüpfung des Sachverhalts über die Deliktskollisionsregeln verbietet. Entsprechendes gilt, wenn die lex causae eine Kumulation von Schadenersatzansprüchen und Ansprüchen aus auftragsloser Geschäftsführung generell nicht vorsieht und nur Schadenersatzansprüche aus auftragsloser Geschäftsführung gewährt. Sollte eine Statutenkonkurrenz schließlich ausnahmsweise vorliegen, versteht es sich von selbst, dass Art. 4 (ff.) Rom II-VO auch nur auf die originär deliktischen Ansprüche verweisen. Sieht die hiernach zur Anwendung gelangende Rechtsordnung also vor, dass Schadenersatzansprüche aus unerlaubter Handlung ausgeschlossen sind, weil sie gegenüber dort vorhandenen Schadenersatzansprüchen aus auftragsloser Geschäftsführung subsidiär sind, läuft die Verweisung ins Leere; die GoA-Schadenersatzansprüche sind nicht von der Verweisung des Deliktstatuts erfasst. (5) Kritik an funktionell-einheitlicher Qualifikation überzeugt nicht Der Gedanke, mittels funktioneller Qualifikation auch konkurrierende Ansprüche aus unerlaubter Handlung an eine Sonderverbindung zu binden, ist eigentlich so einleuchtend, dass er kaum zu widerlegen ist. Es ist schlicht nicht ersichtlich, wieso man eine solche Verweisungserstreckung dort, wo sie möglich (und vom materiellen Recht [und daher auch von der europäisch-autonomen Qualifikation], wie gezeigt, sogar geboten) ist, nicht nutzen sollte, um eine andernfalls im Raum stehende Gefahr von Anpassungsproblemen zu umgehen. Wohl aus diesem Grund werden einer solchen einheitlichen Qualifikation vor allem nur die folgenden zwei formalen Argumente entgegengehalten: Erstens wird darauf verwiesen, dass der Gesetzgeber zwei unterschiedliche, voneinander grundsätzlich unabhängige Kollisionsnormen für der im Beitrag zuvor vertretenen Meinung etwas verwunderlich – für den Ausschluss der „akzessorischen Anknüpfung“).

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außervertragliche Schuldverhältnisse aus „Geschäftsführung ohne Auftrag“ und für solche aus „unerlaubter Handlung“ geschaffen hat. Hieraus wird gefolgert, dass materiell-rechtliche Ansprüche aus auftragsloser Geschäftsführung stets unter die erstgenannte Kollisionsregel fallen, während materiell-rechtliche Ansprüche aus unerlaubter Handlung stets dem letztgenannten Statut zu subsumieren seien. Jede andere Qualifikationsentscheidung würde die aus Art. 20 Abs. 3 GG folgende Bindung des Richters an Gesetz und Recht verletzen.387 Es ist aber sehr fraglich, ob der Gesetzgeber durch die Schaffung zweier grundsätzlich eigenständiger Kollisionsregeln wirklich zum Ausdruck bringen wollte, dass Ansprüche aus unerlaubter Handlung immer und ausschließlich nach der für sie vorgesehenen Kollisionsnorm anzuknüpfen sind, also auch dann, wenn der Anspruch einem Lebenssachverhalt entspringt, der zugleich die Grundlage für Ansprüche aus auftragsloser Geschäftsführung, also einer Anknüpfung nach Art. 11 Rom II-VO, darstellt. Mit der Bindung des Richters an Gesetz und Recht, die freilich auch im europäischen Kollisionsrecht zu beachten ist,388 zu argumentieren, wäre nur in zwei Fällen tragfähig: Erstens, wenn die Deliktskollisionsnormen, also Art. 4 ff. Rom II-VO, durch eine solche funktionelle Qualifikation ihren gesamten Anwendungsbereich verlören und damit überflüssig würden, oder, zweitens, wenn sich der Gesetzgeber des Problems materiell-rechtlicher Anspruchskonkurrenz bewusst gewesen wäre und andere Lösungsmöglichkeiten für dieses Problem aufgezeigt hätte. Ersteres ist natürlich nicht der Fall. Selbstverständlich wird es auch trotz einer solchen Verweisungserstreckung auf konkurrierende Ansprüche aus unerlaubter Handlung weiterhin Konstellationen geben, die originär dem Deliktsstatut unterfallen. So existieren ja auch im deutschen materiellen Privatrecht Fälle, die rein deliktischer Natur sind und daher ausschließlich den Anwendungsbereich der §§ 823 ff. BGB eröffnen. Mehr Beachtung verdient da schon der zweitgenannte Fall. Denn es scheint so, dass der europäische Gesetzgeber das Problem des Umgangs mit einer materiell-rechtlichen Anspruchskonkurrenz auf kollisionsrechtlicher Ebene bei der Schaffung der Rom II-VO gesehen und eine Lösungsmöglichkeit dafür gegeben hat: In der Gesetzesbegründung zu Art. 3 Abs. 3 Satz 2 VO-E (2003), der wie Art. 4 Abs. 3 Satz 2 Rom II-VO die Möglichkeit einer akzessorischen Anknüpfung an ein zwischen den Parteien bestehendes Rechtsverhältnis vorsah, heißt es: „This solution is particularly interesting for Member States whose 387 So Spelsberg-Korspeter, Anspruchskonkurrenz, 2009, S. 118 f. (für das Verhältnis von Vertrags- und Deliktsstatut). Das meint wohl auch Hoffmann, Koordination, 2006, S. 174, wenn sie sagt, dass die „Qualifikation […] die Unterscheidung des Kollisionsrechts in Vertrags- und Deliktsrecht nicht überwinden [kann], da sie als Form der Auslegung an die Struktur der auszulegenden Vorschriften gebunden ist.“ 388 Dies folgt aus dem Prinzip des institutionellen Gleichgewichts sowie des europäischen Demokratieprinzips, vgl. oben S. 25 f.

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legal system allows both contractual and non-contractual obligations between the same parties.“389 Weiter heißt es: „By having the same law apply to all their relationships, this solution respects the parties’ legitimate expectations and meets the need for sound administration of justice.“390 Auf den ersten Blick hat der Verordnungsgeber die Lösung möglicher Anpassungsprobleme, die aus einer materiell-rechtlich vorhandenen Anspruchskonkurrenz erwachsen können, also wohl weniger in einer funktionellen Qualifikation und eher in einer akzessorischen Anknüpfung gesucht. Dieser Befund leitet unmittelbar über zu dem zweiten Argument, das der eingangs dargestellten funktionell-einheitlichen Qualifikation konkurrierender Ansprüche entgegengehalten wird: namentlich die Existenz der akzessorischen Anknüpfung. Es sei nicht zu erklären, wieso der Gesetzgeber in seinen Kollisionsnormen eine akzessorische Anknüpfung an eine zwischen den Parteien bestehende Sonderverbindung vorsieht, wenn Ansprüche aus einer Sonderverbindung und solche aus unerlaubter Handlung ohnehin einheitlich einem Statut unterstellt würden.391 Unabhängig davon, dass die akzessorischen Anknüpfungen in der Rom IIVO auch ungeachtet einer funktionell-einheitlichen Qualifikation konkurrierender Ansprüche nicht gegenstandlos würden,392 verkennt eine solche Argumentation bereits, dass der Verordnungsgeber mit der Möglichkeit zur akzessorischen Anknüpfung zwar auch Anpassungsprobleme relativieren wollte, die sich dann ergeben könnten, wenn das Statut der Sonderverbindung und das der unerlaubten Handlung auseinanderfallen – das ergibt sich aus den oben zitierten Stellen. Zugleich verweist er aber ausdrücklich darauf, dass die akzessorische Anknüpfung eine überbrückende Lösung für den Umgang mit materiellrechtlichen Anspruchskonkurrenzen sein sollte, bis der EuGH ein autonomes Qualifikationskonzept für auf der Schnittstelle von Sonderverbindung und Delikt liegende Fälle ausgearbeitet hat.393 389

COM (2003) 427 final, p. 12 f. COM (2003) 427 final, p. 13: „By having the same law apply to all their relationships, this solution respects the parties’ legitimate expectations and meets the need for sound administration of justice.“ 391 Mit diesem „Umkehrschluss“ argumentiert Spelsberg-Korspeter, Anspruchskonkurrenz, 2009, S. 119 (für das Verhältnis von Vertrags- und Deliktsstatut). 392 Für Art. 11 Abs. 1 Rom II-VO nannte der Verordnungsgeber sogar nur zwei Beispiele, die durch eine hier diskutierte funktionelle Qualifikation von konkurrierenden Ansprüchen überhaupt nicht berührt würden: „where an agent exceeds his authority or where a thirdparty debt is settled“ (COM [2003] 427 final, p. 21). Darüber hinaus gibt es – wie im Rahmen der Untersuchung des Art. 11 Abs. 1 Rom II-VO sogleich zu zeigen sein wird, S. 189 ff. – vielfältige Konstellationen, in denen eine solche akzessorische Anknüpfung gleichwohl zur Anwendung gelangen kann. 393 COM (2003) 427 final, p. 13: „On a more technical level, it means that the consequences of the fact that one and the same relationship may be covered by the law of contract in one Member State and the law of tort/delict in another can be mitigated, until such time 390

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Im Übrigen wäre mit den akzessorischen Anknüpfungen in Art. 4 Abs. 3 Satz 2 bzw. 11 Abs. 1 Rom II-VO auch nicht viel dazu beigetragen, dass Schadenersatzansprüche aus auftragsloser Geschäftsführung und Delikt stets derselben Rechtsordnung unterliegen. Befürwortete man eine deliktsakzessorische Anknüpfung des GoA-Statuts über Art. 11 Abs. 1 Rom II-VO, müsste diese Norm überhaupt erst dahingehend ausgelegt werden können, dass auch dann akzessorisch anzuknüpfen ist, wenn dieses Schuldverhältnis zumindest gleichzeitig mit dem der Geschäftsführung ohne Auftrag entsteht. Jedenfalls mit Blick auf den deutschen Wortlaut, der ein „bestehendes Rechtsverhältnis“ fordert, ist diese Sichtweise zumindest nicht zwingend geboten.394 Von vornherein aus der deliktsakzessorischen Anknüpfung ausgeschlossen wären aber jedenfalls die Konstellationen, in denen das deliktische Schuldverhältnis in zeitlicher Hinsicht erst nach jenem der Geschäftsführung ohne Auftrag entsteht. Eine GoA-akzessorische Anknüpfung des Deliktsstatuts wäre demgegenüber ausschließlich in den gerade benannten Fällen möglich: Fallen Geschäftsübernahme und schädigende Handlung zusammen, schließt der Wortlaut des Art. 4 Abs. 3 Satz 2 Rom II-VO, der nicht nur in der deutschen Fassung ein „bereits bestehendes Rechtsverhältnis“ verlangt, die akzessorische Anknüpfung aus. Sollte eine GoA-akzessorische Anknüpfung in casu nicht möglich sein, besteht hinsichtlich etwaiger Haftungsprivilegierungen, die das GoA-Statut bereithält, das Problem, dass diese für das abweichende Deliktsstatut nicht greifen würden. Sie können auch nicht leichthin auf das nach den Art. 4 ff. Rom IIVO anwendbare Recht übertragen werden; insbesondere Art. 15 lit. b) Rom IIVO trifft keine solche Aussage.395 Diese Norm ist eine Qualifikationsnorm396 und bezieht sich gerade deshalb auf die Reichweite der jeweiligen Verweisung der Art. 4 ff. Rom II-VO; sie bezeichnet stets den Umfang des jeweils in Rede stehenden Statuts.397 Art. 15 Rom II-VO darf daher nicht dahingehend verstanden werden, dass die in den Rechtsordnungen enthaltenen Regelungen, welche möglicherweise parallel nebeneinander auf einen einheitlichen

as the Court of Justice comes up with its own autonomous response to this situation.“ Vgl. auch Brière, Clunet 135 (2008), 31, 50: „En effet, les obligations non contractuelles découlant d’un quasi contrat viennent parfois se greffer sur une relation préexistante entre les parties dont l’origine importe peu. C’est la raison pour laquelle la loi qui régit cette relation a été retenue par les co-législateurs ce qui permet d’écarter les conflits de qualifications et de respecter la relation initialement mise en place.“ (Hervorh. d. Verf.). Dies hat (vor dem Hintergrund der von ihm vertretenen Auffassung erstaunlicherweise) auch Spelsberg-Korspeter, Anspruchskonkurrenz, 2009, S. 31 erkannt. 394 Eingehend zu Art. 11 Abs. 1 Rom II-VO unten S. 189 ff. 395 A. A. Wendelstein, in: Soergel, 13. Aufl. 2019, Art. 11 Rom II-VO Rn. 10 a. E.; ders., GPR 2014, 46, 55. 396 Siehe nur Junker, in: MüKo BGB, 8. Aufl. 2021, Art. 15 Rom II-VO Rn. 1. 397 Zu Art. 15 Rom II-VO sogleich S. 188.

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Lebenssachverhalt anzuwenden sind, miteinander vermengt werden können; sie sind vielmehr unabhängig voneinander. Auch das Deliktsstatut wäre folglich darauf hin zu untersuchen, ob es eine deliktische Verschuldensmodifikation bereithält.398 Das wäre nicht problematisch, wenn das abweichende Deliktsstatut – wie etwa das deutsche Sachrecht – eine Haftungsprivilegierung aus „seinem“ Rechtsinstitut der Geschäftsführung ohne Auftrag kraft Analogie auf die konkurrierenden Ansprüche aus Delikt anwendete, da es sich dann um eine – ungeschrie-bene – deliktische Haftungsprivilegierung handelte.399 Sollte das aber nicht der Fall sein, könnte man solche Modifikationen des Verschuldensmaßstabes allenfalls über Art. 17 Rom II-VO zur Anwendung bringen, der solche Sicherheits- und Verhaltensregeln materiell-rechtlich zur Anwendung bringt, die am Ort und zum Zeitpunkt des „haftungsbegründenden Ereignisses“, also am Ort der Geschäftsführungshandlung, bestehen. Diese Norm griffe aber nicht für den Haftungsumfang400 oder eine spezielle Verjährungsfrist, die das Institut der auftragslosen Geschäftsführung möglicherweise bereithalten. Hier würde letztlich nur noch eine Anpassung helfen.401 Diese Not würde mit einer funktionellen Qualifikation elegant vermieden werden. Die gegen die dargestellte funktionelle Qualifikation geäußerten Bedenken überzeugen daher nicht. Sollte eine Rechtsordnung mehrere konkurrierende Ansprüche aus unterschiedlichen Rechtsinstituten enthalten, so unterliegen diese einheitlich dem Statut der Sonderverbindung, sofern die oben dargestellten Voraussetzungen erfüllt sind. Diese Sichtweise lässt sich grundsätzlich auch mit Verweisen auf die unionsgerichtliche Rechtsprechung stützen. In der Rs. Brogsitter hat der EuGH zur Abgrenzung des Vertrags- und Deliktsgerichtsstands entschieden, dass der Vertragsgerichtsstand für (nach nationalem Recht per se) deliktische Ansprüche auch dann maßgebend ist, wenn das Verhalten zugleich als Verstoß gegen 398 So zunächst auch Wendelstein, in: Soergel, 13. Aufl. 2019, Art. 11 Rom II-VO Rn. 8 a. E., der aber für die Reichweite des Deliktsstatuts in Bezug auf den Verschuldensmaßstab ausdrücklich auf § 680 BGB verweist – also eine Haftungsprivilegierung des Instituts der Geschäftsführung ohne Auftrag. Hierbei verkennt er aber, dass diese in unmittelbarer Anwendung gar nicht von der Verweisung des Deliktsstatuts umfasst wäre; allenfalls kann die ungeschriebene, von der Rechtsprechung analog zu § 680 BGB für das Deliktsrecht entwickelte Modifikation des Verschuldensmaßstabes greifen, siehe dazu im Text. 399 A. A. wohl Looschelders, Anpassung, 1995, S. 339: Nur in diesen Fällen könne eine Haftungsprivilegierung des Vertragsstatuts übertragen werden. 400 Zum Haftungsumfang etwa Art. 1301-1 Abs. 2 frz. ZGB, Art. 1889 Abs. 2 span. ZGB, Art. 2030 Abs. 2 ital. ZGB. 401 (Für das Verhältnis Vertrags- zu Deliktsstatut) zurückhaltender Looschelders, Anpassung, 1995, S. 328: „Ob und inwieweit vertragsrechtliche Haftungsmilderungen und -beschränkungen sowie besondere Rechtfertigungsgründe und Verjährungsregeln auf deliktischen [Anm. d. Verf.: Hierbei handelt es sich wohl um einen Tippfehler.] Ansprüche ‚übergreifen‘ können, welche nach einer anderen (vertragsstatutsfremden) Rechtsordnung zu beurteilen sind, ist indes zweifelhaft.“

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Rechte und Pflichten eines zwischen den Parteien bestehenden Vertrags angesehen werden kann. Dies sei grundsätzlich der Fall, wenn es einer Auslegung des Vertrags bedarf, um zu klären, ob das schädigende Verhalten rechtmäßig oder widerrechtlich ist.402 Zwar ist diese Entscheidung auf der Ebene des europäischen Internationalen Zivilprozessrechts ergangen, sie lässt sich aber auch für die Abgrenzung der Art. 4 ff. Rom II-VO von den Kollisionsnormen der Rom I-VO fruchtbar machen.403 Ferner wird man den ihr zugrunde liegenden Gedanken bedenkenlos auf das Verhältnis von unerlaubter Handlung zu anderen Sonderverbindungen, wie einem Schuldverhältnis aus auftragsloser Geschäftsführung, übertragen können. Sie wurde durch zwei jüngere Entscheidungen des EuGH bestätigt.404 Hieraus wurde in der Literatur gefolgert, dass nur noch in seltenen Fällen, namentlich wenn die schädigende Handlung gar nicht im Zusammenhang mit dem Vertrag steht, noch deliktisch anzuknüpfen sei.405 Auch wenn die vom EuGH vorgenommene Unterscheidung die Grenze zwischen statthafter und nicht statthafter funktionell-einheitlicher Qualifikation406 auf den ersten Blick zu treffen scheint, ist anzumerken, dass der EuGH von den Tatgerichten für die Feststellung eines zugleich gegebenen Verstoßes gegen vertraglich begründete Rechte und Pflichten ausdrücklich die Zugrundelegung einer „vernünftigen Betrachtungsweise“ verlangt.407 Dies hat den Anschein, dass eine pauschale, vielleicht nur summarische gerichtliche Prüfung genügte, um zwischen vertraglichen Ansprüchen und solchen aus unerlaubter Handlung abzugrenzen. Die Abgrenzung zu den deliktischen Ansprüchen sollte indes auf der Grundlage einer vollwertigen materiell-rechtlichen Prüfung erfolgen. Dass dadurch die Beantwortung der Frage nach dem anwendbaren Recht (bzw. im Fall der Abgrenzung Vertrag und Delikt auch die Frage nach der Internationalen Zuständigkeit408) verkompliziert würde, mag durchaus zutreffen. Dies sollte aber hingenommen werden, da schon der vom EuGH geforderte 402

EuGH 13.3.2014 – C-548/12 = NZI 2014, 721, 722 Rn. 24 f.; siehe auch OGH 11.8.2015 – 4Ob78/15x. 403 Siehe nur Rühl, in: BeckOGK, 1.12.2017, Art. 4 Rom II-VO Rn. 40 f. und Lehmann, in: NK-BGB, 3. Aufl. 2019, Art. 4 Rom II-VO Rn. 52. Siehe zum Zusammenhang zwischen IPR und IZPR hinsichtlich der Abgrenzung vertraglicher von außervertraglicher Materie auch oben S. 155 ff. 404 EuGH 10.9.2015 – C-47/14 = NZG 2015, 1199, 1203 Rn. 71; EuGH 24.11.2020 – C59/19 = GRUR 2021, 116, 118 Rn. 33. 405 Lehmann, in: NK-BGB, 3. Aufl. 2019, Art. 4 Rom II-VO Rn. 52. 406 Siehe oben S. 180 ff. 407 EuGH 13.3.2014 – C-548/12 = NZI 2014, 721, 722 Rn. 26. 408 Es wird zu zeigen sein, dass der Deliktsgerichtsstand in vielen Konstellationen auftragsloser Geschäftsführung zugleich für Ansprüche aus auftragsloser Geschäftsführung im Sinne von Art. 11 Rom II-VO eröffnet ist, so dass sich speziell für das Verhältnis GoA und Delikt die Abgrenzungsfrage auf der Zuständigkeitsebene regelmäßig nicht stellt, siehe unten S. 291 ff.

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Prüfungsumfang die Abgrenzung erschwert. Gegenüber der in der Rs. Brogsitter gewählten Formel hat eine vollumfängliche Prüfung zudem den Vorteil, dass sie vollständig konsequent ist und die Rechtsunsicherheiten, die mit einer nur summarischen Analyse einhergingen, ausmerzt. (6) Zwischenergebnis Konkurrieren nach dem durch Art. 11 Rom II-VO bezeichneten Recht Ansprüche aus auftragsloser Geschäftsführung mit solchen aus unerlaubter Handlung, schließt das GoA-Statut auch die Letztgenannten in seine Verweisung ein. Etwas anderes gilt, wenn die schädigende Handlung nicht auf einem spezifischen, aus der Sonderverbindung fließenden Risiko beruht. Wann dies der Fall ist, bestimmt das nach Art. 11 Rom II-VO maßgebliche Recht. Sieht es beispielsweise konkurrierende Ansprüche aus Delikt vor, würde diese in casu aber modifizieren – etwa hinsichtlich des Verschuldensmaßstabes, des Haftungsumfanges oder der Verjährung – werden jene Ansprüche von der Verweisung erfasst, da es sich auch bei den deliktischen Ansprüchen der Sache nach um einen Ausgleich für die Verletzung geschäftsführungsspezifischer Pflichten handelt. Eine weitere Anknüpfung über die Deliktskollisionsregeln verbietet sich dann. Das gilt auch, wenn das auf die Sonderverbindung anwendbare Recht einer Anspruchskumulation in diesem Sinne generell ablehnend gegenübersteht, also keine deliktischen Ansprüche gewährt. 2. Reichweite des auf den jeweiligen Anspruch anzuwendenden Rechts Art. 11 Rom II-VO verweist also mit Ausnahme ganz bestimmter Konstellationen auf alle Ansprüche, die aus dem oben beschriebenen Lebenssachverhalt folgen. Den Umfang des auf sie jeweils anzuwendenden Rechts bestimmt – und das wurde bereits angedeutet – Art. 15 Rom II-VO. Diese Norm scheint zwar ihrem Wortlaut nach stark auf Schuldverhältnisse aus „unerlaubten Handlungen“ zugeschnitten zu sein. Für ihre Auslegung ist aber Art. 2 Abs. 1 Rom II-VO zu beachten, nach dem der Begriff des „Schadens“ sämtliche Folgen auch einer Geschäftsführung ohne Auftrag erfasst.409 Allgemein lässt sich daher sagen, dass das Statut über Tatbestand und Rechtsfolgen (Art. 15 lit. a) und c) Rom II-VO), etwaige Ausschlusstatbestände (Art. 15 lit. b) Rom II-VO) sowie mögliche Erlöschensgründe und Fragen der Verjährung (Art. 15 lit. h) Rom II-VO) entscheidet. In diesem Zusammenhang soll zudem erneut auf Art. 22 Rom II-VO hingewiesen werden, wonach das nach Art. 11 Rom II-VO anwendbare Recht auch insofern maßgebend ist, „als es für außervertragliche Schuldverhältnisse gesetzliche Vermutungen aufstellt oder die Beweislast verteilt.“ 409

Siehe auch Schinkels, in: BeckOGK, 1.8.2018, Art. 11 Rom II-VO Rn. 45: die Definitionsvorgabe müsse „hineingelesen“ werden.

§ 3 Art. 11 Rom II-VO

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D. Anknüpfungspunkte Nachdem der Anknüpfungsgegenstand der europäischen Kollisionsnorm für das Schuldverhältnis aus Geschäftsführung ohne Auftrag untersucht worden ist, soll nun auf die Anknüpfungspunkte eingegangen werden. Art. 11 Rom IIVO knüpft außervertragliche Schuldverhältnisse aus Geschäftsführung ohne Auftrag, sofern keine Rechtswahl nach Art. 14 Rom II-VO vorliegt, primär „an ein zwischen den Parteien bestehendes Rechtsverhältnis […], das eine enge Verbindung mit dieser […] aufweist“, an, Abs. 1. Sollte eine solche akzessorische Anknüpfung nicht möglich sein, ist gemäß Abs. 2 das Recht des Staates maßgebend, in dem „die Parteien zum Zeitpunkt des Eintritts des schadensbegründenden Ereignisses ihren [gemeinsamen] gewöhnlichen Aufenthalt“ (gehabt) haben. Der dritte und letzte Anknüpfungspunkt ist, sofern das anwendbare Recht nicht schon nach den vorstehenden Absätzen ermittelt werden kann, der Ort, an dem „die Geschäftsführung erfolgt ist“, Abs. 3. Die Kollisionsnorm enthält in ihrem Abs. 4 eine Klausel, wonach das Recht eines anderen Staates ausnahmsweise Anwendung findet, sofern „sich aus der Gesamtheit der Umstände [ergibt], dass das außervertragliche Schuldverhältnis aus Geschäftsführung ohne Auftrag eine offensichtlich engere Verbindung mit einem anderen als dem in den Absätzen 1, 2 und 3 bezeichneten Staat aufweist“. Die in Art. 11 Rom II-VO enthaltenen Anknüpfungspunkte stehen also in einem Stufenverhältnis zueinander. Dementsprechend soll auch die vorliegende Arbeit zunächst die Anknüpfungen gemäß Abs. 1 und Abs. 2 in den Blick nehmen. Bereits vorweg kann aber verraten werden, dass diese beiden Anknüpfungspunkte aus wissenschaftlicher Sicht eher uninteressant sind. Anders ist dies bei Abs. 3, über den auch in der Literatur am heftigsten gestritten wird. I. Anknüpfungspunkt des Art. 11 Abs. 1 Rom II-VO Zunächst soll aber die Anknüpfung nach Abs. 1 analysiert werden. Diese kommt immer dort zum Zuge, wo das Schuldverhältnis aus Geschäftsführung ohne Auftrag „an ein zwischen den Parteien bestehendes Rechtsverhältnis“410 „anknüpft“411, welches eine „enge Verbindung“412 mit der Geschäftsführung aufweist. Als Regelbeispiele dafür nennt der Verordnungstext „einen Vertrag oder eine unerlaubte Handlung“413. Während die akzessorische Anknüpfung an 410

„[A] relationship existing between the parties“ [EN]; „à une relation existante entre les parties“ [FR]; „a una relacíon existente entre las partes“ [ES]; „ad una relazione esistente tra le parti“ [IT]. 411 „[C]oncerns“ [EN]; „se rattache“ [FR]; „concierna“ [ES]; „si ricolleghi“ [IT]. 412 „[T]hat is closely connected“ [EN]; „un lien étroit“ [FR]; „estrechamente vinculada“ [ES]; „uno stretto collegamento“ [IT]. 413 „[S]uch as one arising out of a contract or a tort/delict“ [EN]; „telle qu’une obligation découlant d’un contrat ou d’un fait dommageable“ [FR]; „como por ejemplo la derivada de

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2. Teil: Die Geschäftsführung ohne Auftrag im IPR

einen Vertrag bereits im ersten Kommissionsentwurf aus dem Jahre 2003 vorgesehen war, wurde das zweite Regelbeispiel, die akzessorische Anknüpfung an das Statut einer unerlaubten Handlung, bemerkenswerterweise erst mit dem geänderten Kommissionsentwurf aus dem Jahre 2006 eingefügt.414 Die akzessorische Anknüpfung des Absatzes 1 kann auf den ersten Blick verwundern. Insbesondere das Vorliegen des ersten Regelbeispiels – der Vertrag – schließt doch in den meisten Fällen eine Geschäftsführung ohne Auftrag aus – weil die Tätigkeit nicht auftragslos erfolgt. Der Verordnungsgeber scheint ihr dennoch eine große Bedeutung beigemessen zu haben.415 Schaut man in dessen Begründung (welche allerdings den damaligen Art. 9 Abs. 1 VO-E betraf und sich deshalb zugleich auf die Anknüpfung der ungerechtfertigten Bereicherung bezog), erkennt man, dass die Frage, in welchen Fällen eine akzessorische Anknüpfung in Betracht kommt, auch den Verordnungsgeber beschäftigt hat. So soll sie etwa zum Zuge kommen, „where an agent exceeds his authority or where a third-party debt is settled“416. In der rechtswissenschaftlichen Literatur lassen sich zudem einige weitere beispielhafte Konstellationen finden: So ist etwa die akzessorische Anknüpfung an ein Miteigentümerverhältnis417, Leasingverträge sowie Sicherungsverhältnisse418 oder Rahmenverträge419 vorstellbar. Von dem ersten Beispiel des Verordnungsgebers ausgehend konstatiert die Literatur, dass auch generell in solchen Fällen vertragsakzessorisch angeknüpft werden kann, in denen ein Schuldner über das vertraglich geschuldete Pflichtenprogramm hinausgeht.420 An eine deliktsakzessorische Anknüpfung ließe sich demgegenüber etwa in solchen Konstellationen denken, in denen jemand eine andere Person durch deliktisches Handeln in Gefahr bringt, anschließend aber Rettungsmaßnahmen zu ihren Gunsten ergreift,421 oder – umgekehrt – der Geschädigte Sicherungsmaßnahmen für den Schädiger vornimmt.422 Eine solche Anknüpfung wird un contrato o un hecho dañoso“ [ES]; „come quella derivante da un contratto o da un fatto illecito“ [IT]. 414 Siehe etwa die deutschsprachige Fassung KOM (2006) 83 endg., S. 18. 415 COM (2003) 427 final, p. 21. 416 COM (2003) 427 final, p. 21. 417 Siehe nur Junker, in: MüKo BGB, 8. Aufl. 2021, Art. 11 Rom II-VO Rn. 13. 418 Siehe nur Tichy, in: Magnus/Mankowski (eds.), ECPIL Vol. 3, 2019, Art. 11 Rome II para. 35. 419 Jakob/Picht, in: Europ. Zivilprozess- und Kollisionsrecht, 4. Aufl. 2016, Art. 11 Rom II-VO Rn. 19. 420 Siehe Junker, in: MüKo BGB, 8. Aufl. 2021, Art. 11 Rom II-VO Rn. 13; Limbach, in: NK-BGB, 3. Aufl. 2019, Art. 11 Rom II-VO Rn. 10; Wendelstein, in: Soergel, 3. Aufl. 2019, Art. 11 Rom II-VO Rn. 14. 421 Wendelstein, in: Soergel, 3. Aufl. 2019, Art. 11 Rom II-VO Rn. 17; ders., GPR 2014, 46, 50; Dickinson, Rome II, 2013, para. 11.19. 422 Tichy, in: Magnus/Mankowski (eds.), ECPIL Vol. 3, 2019, Art. 11 Rome II para. 41; Dickinson, Rome II, 2013, para. 11.19.

§ 3 Art. 11 Rom II-VO

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auch dann in Betracht gezogen, wenn ein Jugendlicher unbefugt ein fremdes Auto nutzt, um damit eine Spritztour zu unternehmen, und in diesem Rahmen spontan eine Reparatur an dem PKW durchführt.423 Auch ist vorstellbar, dass ein deliktisch handelnder Schädiger mit entsprechendem Fremdgeschäftsführungswillen Leistungen für den Geschädigten erbringt, die über den geschuldeten Schadenersatz hinausgehen,424 wobei gerade dieser Sachverhalt doch sehr praxisfern wirkt. Mit der akzessorischen Anknüpfung verfolgt der Verordnungsgeber ausdrücklich zwei Ziele: Erstens sollen Wertungswidersprüche vermieden werden, die sich durch die Anwendbarkeit von zwei oder mehr Rechtsordnungen auf denselben Sachverhalt ergeben können.425 Zweitens zielt er darauf ab, wertungsmäßig zusammengehörige Sachverhalte einheitlich zu beurteilen;426 auf diese Weise wird die Beantwortung der Erstfrage – namentlich ob es sich um eine Geschäftsführung „ohne Auftrag“ handelt – entbehrlich. 1. Reichweite der Wendung „Rechtsverhältnis“ Den ersten Diskussionspunkt bildet die Bedeutung des Wortes „Rechtsverhältnis“. Es wirft die folgenden Fragen auf. a) Anknüpfung an rein faktische Verhältnisse? Umstritten ist zunächst, ob sich der Begriff des „Rechtsverhältnisses“ nur auf rechtsgeschäftliche Verhältnisse bezieht oder auch rein faktische Bindungen umfasst. Während der deutsche Wortlaut ersteres nahelegt, scheinen die englische, französische, spanische und italienische Sprachfassung offener – rekurrieren sie alle doch nur auf eine „Verbindung“.427 Andererseits sprechen die

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Schinkels, in: BeckOGK, 1.8.2018, Art. 11 Rom II-VO Rn. 34; ders., in: Calliess (ed.), Rome, 2nd ed. 2015, Art. 11 Rome II para. 3; ihm folgend Limbach, in: NK-BGB, 3. Aufl. 2019, Art. 11 Rom II-VO Rn. 11. 424 Junker, in: MüKo BGB, 8. Aufl. 2021, Art. 11 Rom II-VO Rn. 13. 425 Vgl. Die Erwägungen zu Art. 3 Abs. 3 VO-E in COM (2003) 427 final, p. 12: „This solution is particularly interesting for Member States whose legal system allows both contractual and non-contractual obligations between the same parties“. Dieser Zweck ist aber aus den oben genannten Argumenten für eine funktionell-einheitliche Qualifikation hinfällig, siehe dazu S. 173 ff. 426 COM (2003) 427 final, p. 21: „The secondary connection technique […] is particularly important here, for example where an agent exceeds his authority or where a third-party debt is settled. […] The obligation is so closely connected with the preexisting relationship between the parties that it is preferable for the entire legal situation to be governed by the same law.“ 427 So auch Schinkels, in: BeckOGK, 1.8.2018, Art. 11 Rom II-VO Rn. 23; Nehne, IPRax 2012, 136, 138.

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beiden in der Kollisionsnorm genannten Regelbeispiele428 sowie die im Verordnungsentwurf aus dem Jahre 2003 genannten Beispiele429 des Verordnungsgebers gegen die Anknüpfung auch an faktische Verhältnisse. Betrachtet man das Problem genauer, wird ersichtlich, dass Abs. 1 schon durch seine eigene Natur, d. h. die akzessorische Anknüpfungstechnik selbst, auf die Anknüpfung an Rechtsverhältnisse limitiert ist. Abs. 1 setzt ja gerade voraus, dass eine Kollisionsnorm für das fragliche Verhältnis existiert, welche dann die maßgebliche räumliche Komponente enthält. Dies ist aber bei faktischen Beziehungen gerade nicht möglich. Für sie kann es denknotwendig keine Kollisionsnorm geben, da aus rein faktischen Beziehungen keine materiellrechtlichen Rechtswirkungen oder Ansprüche resultieren, die dem Anknüpfungsgegenstand einer Kollisionsnorm, der bloß einen Tatbestandsrahmen für die in ihm gebündelten Ansprüche bildet,430 zugeordnet werden können.431 Abs. 1 kann daher denknotwendigerweise nur an Rechtsverhältnisse anknüpfen. b) Keine Beschränkung auf bestimmte Rechtsverhältnisse Die akzessorische Anknüpfung nach Abs. 1 ist nicht auf bestimmte Rechtsverhältnisse beschränkt. Insbesondere kann sie – wie es schon das erste Regelbeispiel für das Vorliegen eines Rechtsverhältnisses, namentlich der Vertrag, nahelegt – auch an Rechtsverhältnisse anknüpfen, die außerhalb des sachlichen Anwendungsbereichs der Rom II-VO liegen.432

428 Schinkels, in: BeckOGK, 1.8.2018, Art. 11 Rom II-VO Rn. 23; Nehne, IPRax 2012, 136, 138. 429 COM (2003) 427 final, p. 21. 430 Siehe oben S. 116 f. 431 So auch Schinkels, in: BeckOGK, 1.8.2018, Art. 11 Rom II-VO Rn. 23; ders., in: Calliess (ed.), Rome, 2nd ed. 2015, Art. 11 Rome II para. 10; Huber/Bach, in: Huber (ed.), Rome II, 2011, Art. 11 para. 15; Nehne, IPRax 2012, 136, 138. Nur auf den ersten Blick a. A. ist Tichy, in: Magnus/Mankowski (eds.), ECPIL Vol. 3, 2019, Art. 11 Rome II para. 37, der eine akzessorische Anknüpfung dann vornimmt, wenn „such relationship can be legally classified, e. g. subsumed under legal institution.“ Hierbei verkennt er aber, dass schon kein rein faktisches Verhältnis vorliegt, wenn der Sachverhalt einer rechtlichen Regelung unterworfen ist. 432 Siehe Tichy, in: Magnus/Mankowski (eds.), ECPIL Vol. 3, 2019, Art. 11 Rome II para. 35; Jakob/Picht, in: Europ. Zivilprozess- und Kollisionsrecht, 4. Aufl. 2016, Art. 11 Rom II-VO Rn. 17; Nehne, IPRax 2012, 136, 138; LG München I 18.4.2013 – 10 O 6084/12 = IPRax 2014, 438, 439 Rn. 28; Brière, Clunet 135 (2008), 31, 50. So grds. Auch Schinkels, in: BeckOGK, 1.8.2018, Art. 11 Rom II-VO Rn. 26 und ders., in: Calliess (ed.), Rome, 2nd ed. 2015, Art. 11 Rome II para. 9 et. seq. sowie G. Fischer, in: FS Spellenberg, 2010, S. 151, 162.

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Das gilt auch für jene Schuldverhältnisse, die einem der in Art. 1 Abs. 2 Rom II-VO genannten Bereiche zuzuordnen sind.433 Solange die Geschäftsführung selbst nicht dem Ausnahmekatalog unterfällt, ist Art. 11 Rom II-VO einschlägig, so dass auch eine akzessorische Anknüpfung grundsätzlich möglich ist. So kann etwa an ein Eheverhältnis angeknüpft werden, wenn die Geschäftsführung nicht einer der Bereichsausnahmen subsumiert werden kann und ein Ehemann (mit entsprechender Willensrichtung) die Geschäfte seiner Ehefrau führt.434 Ob dann aber auch eine „enge Verbindung“ zwischen diesen Rechtsverhältnissen besteht, ist eine andere Frage (und wohl regelmäßig zu verneinen). Denkbar wäre eine akzessorische Anknüpfung aber beispielsweise, wenn der Geschäftsführer oder Vorstand einer Kapitalgesellschaft über seine organschaftliche Verpflichtung gegenüber der Gesellschaft hinausgeht und Maßnahmen in ihrem Interesse vornimmt. Die Bereichsausnahme des Art. 1 Abs. 2 lit. d) Rom II-VO greift nicht, sofern kein spezifisch gesellschaftsrechtliches Geschäft geführt wird, da der resultierende Anspruch seinen Rechtsgrund dann nicht im Gesellschaftsrecht hat.435 Denkbar ist darüber hinaus auch die Anknüpfung an ein Rechtsverhältnis aus Verschulden bei Vertragsverhandlungen. Die Kommissionsbegründung aus dem Jahre 2003 legt sogar nahe, dass der Verordnungsgeber der Meinung war, vorvertragliche Beziehungen würden einen der Hauptanwendungsfälle für Abs. 1 bilden.436 Schließlich ist auch die Anknüpfung an ein Schuldverhältnis aus ungerechtfertigter Bereicherung möglich.437 433 A. A. wohl Schinkels, in: BeckOGK, 1.8.2018, Art. 11 Rom II-VO Rn. 26; deutlicher ders., in: Calliess (ed.), Rome, 2nd ed. 2015, Art. 11 Rome II para. 11: „However, the Commission – in consideration of the secondary connection technique – has argued that noncontractual (tortious) obligations arising out of family relationship […] are excluded from the scope of the Regulation […].“ Differenzierend wie Schinkels wohl auch G. Fischer, in: FS Spellenberg, 2010, S. 151, 162. 434 Vgl. Huber/Bach, in: Huber (ed.), Rome II, 2011, Art. 11 para. 15 (Anknüpfung an das zwischen Vater und Sohn bestehende Verhältnis, wenn der Vater die Geschäfte seines Sohnes führt). 435 A. A. Stürner, in: Erman, 16. Aufl. 2020, Art. 39 EGBGB Rn. 7. 436 COM (2003) 427 final, p. 21: „As in the case of the general exception clause in Article 3(3), the expression ‚pre-existing relationship‘ applies particularly to pre-contractual relationships and to void contracts.“ Daran anschließend Schinkels, in: BeckOGK, 1.8.2018, Art. 11 Rom II-VO Rn. 24. 437 Vgl. dazu Schinkels, in: BeckOGK, 1.8.2018, Art. 11 Rom II-VO Rn. 25, der bezüglich einer akzessorischen Anknüpfung an Art. 10 Rom II-VO aber kritisch ist, da „eine berechtigte Geschäftsführung ihrerseits die Frage nach der mangelnden Berechtigung einer Bereicherung präjudizieren kann“; siehe auch ders., in: Calliess (ed.), Rome, 2nd ed. 2015, Art. 11 Rome II para. 13. Schinkels geht scheinbar davon aus, dass derselbe Lebenssachverhalt sowohl nach Art. 10 als auch nach Art. 11 Rom II-VO angeknüpft werden kann – abhängig vom jeweiligen, aus diesem resultierenden materiell-rechtlichen Anspruch. Dass diese Sichtweise verfehlt ist, wurde oben für das Verhältnis GoA und unerlaubte Handlung aufgezeigt. Gleiches gilt auch für die Konkurrenz von Ansprüchen aus ungerechtfertigter

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Ferner stellt sich die Frage, ob auch an vermeintlich bestehende Rechtsverhältnisse angeknüpft werden kann. Als gewichtiges Indiz dient insofern zunächst die Begründung der Kommission aus dem Jahre 2003. Dort ging sie davon aus, dass auch nichtige Verträge die Anforderungen des Abs. 1 erfüllen können.438 Dieser Passus kann auch nicht allein auf die Begründung für die – in Art. 9 Abs. 1 VO-E zugleich mitgeregelte – akzessorische Anknüpfung der ungerechtfertigten Bereicherung bezogen werden, bei der dieser Anwendungsfall zumindest auf den ersten Blick passender erscheint. Denn zwar existierte damals Art. 12 Abs. 1 lit. e) Rom I-VO, wonach die Folgen der Nichtigkeit eines Vertrags auch dem nach der Rom I-VO maßgeblichen Statut unterliegen, noch nicht. Allerdings kannte schon das EVÜ in Art. 10 eine entsprechende Regelung, so dass die Rückabwicklung nichtiger Verträge schon damals schlicht vertraglich zu qualifizieren war. Allerdings scheint eine akzessorische Anknüpfung auch an nichtige Verträge auf den ersten Blick mit dem Wortlaut des Abs. 1, der ein „bestehendes“ Rechtsverhältnis fordert, zu konfligieren.439 Wie insbesondere Art. 12 Abs. 1 lit. e) und 10 f. Rom I-VO aber zeigen, ist es für die kollisionsrechtliche Behandlung unerheblich, ob ein Vertrag wirksam ist; maßgebend ist in jedem Fall das Vertragsstatut.440 Zu beachten bleibt aber, dass nach Art. 12 Abs. 1 lit. e) Rom I-VO auch Ansprüche aus auftragsloser Geschäftsführung vertraglich zu qualifizieren sind, sofern sie als Ausgleichsmechanismus für auf Grundlage nichtiger Verträge erbrachter Leistungen dienen.441 Art. 11 Abs. 1 Rom II-VO kommt daher beispielsweise dort zum Zuge, wo eine Vertragspartei über das von ihr vermeintlich geschuldete Pflichtenprogramm hinausgegangen ist. Diese Handlung ist als auftragslose Geschäftsführung zu qualifizieren und gemäß Art. 11 Abs. 1 Rom II-VO akzessorisch an das Vertragsstatut anzuknüpfen. Sollte also eine Handlung im Zusammenhang mit einem nichtigen Vertrag vorgenommen werden, kann gemäß Abs. 1 an das vermeintliche Vertragsstatut angeknüpft werden, sofern sich diese als auftragslose Geschäftsführung im Sinne des Art. 11 Rom II-VO darstellt (und eine „enge Verbindung“ zwischen der Geschäftsführung und dem Verhältnis vorliegt).442 Unerheblich muss Bereicherung und auftragsloser Geschäftsführung: Soweit die Grenzen funktioneller Qualifikation reichen, sind Ansprüche aus ungerechtfertigter Bereicherung, die mit GoA-Ansprüchen konkurrieren, als vom GoA-Statut erfasst anzusehen, vgl. S. 173 ff. 438 COM (2003) 427 final, p. 21. 439 Die Hamburg Group for Private International Law, RabelsZ 67 (2003), 1, 31 empfahl eine terminologische Klarstellung. Auch Sonnentag, ZVglRWiss 105 (2006), 256, 299 f. legte eine solche nahe. 440 Vgl. auch Martiny, in: MüKo BGB, 8. Aufl. 2021, Art. 1 Rom I-VO Rn. 9. 441 Siehe S. 164. 442 Vgl. auch Schinkels, in: BeckOGK, 1.8.2018, Art. 11 Rom II-VO Rn. 25, der zur Begründung in Fn. 58 allerdings nur auf die Ausführungen des Unionsgesetzgebers zum ersten Verordnungsentwurf verweist. Siehe auch Junker, in: MüKo BGB, 8. Aufl. 2021, Art. 11

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konsequenterweise auch sein, ob das Vertragsverhältnis beendet oder noch nicht in Kraft getreten ist.443 Eine solche Ausdehnung des Anwendungsbereichs des Abs. 1 entspricht auch der Vorstellung der Kommission, wonach die akzessorische Anknüpfung von besonderer Relevanz444 sei.445 c) Anknüpfung an ein „hypothetisches Vertragsstatut“ bei abgelehntem Vertragsschluss? Problematisch ist allerdings die Frage, ob in Konstellationen, in denen Verhandlungen stattgefunden haben, ein Vertragsschluss aber letztlich abgelehnt wurde, an das hypothetische Vertragsstatut angeknüpft werden kann. Zunächst kommen in diesem Zusammenhang solche Fälle in den Sinn, in denen der Geschäftsführer dem Geschäftsherrn vor der Geschäftsausführung Gelegenheit gegeben hat, mit einer entsprechenden Willensäußerung die dann folgenden Handlungen auf eine vertragliche Grundlage zu stellen. Diese Frage stellt sich aber auch dann, wenn im Nachgang an die Geschäftsführung Vertragsverhandlungen gesucht werden, welche aber nicht erfolgreich zu Ende geführt werden, so dass letztlich ebenfalls kein Vertragsschluss vorliegt. Besonders diskutiert werden diesbezüglich die Fälle der gewerblichen Erbensuche. Eine solche Anknüpfung an ein hypothetisches Rechtsverhältnis ist abzulehnen. Anders als bei unwirksamen oder noch nicht in Kraft getretenen Verträgen liegt letztlich überhaupt kein Willensaustausch vor, der aus kollisionsrechtlicher Sicht446 ein „bestehendes Rechtsverhältnis“ darstellte.447 Darüber hinaus wären die subsidiären Anknüpfungspunkte, namentlich Abs. 2 und 3, dann regelmäßig unanwendbar, wenn man in solchen Fällen über Abs. 1 an ein hypothetisches Vertragsstatut anknüpfte, da eine Geschäftsführungshandlung

Rom II-VO Rn. 12; Tichy, in: Magnus/Mankowski (eds.), ECPIL Vol. 3, 2019, Art. 11 Rome II para. 36; LG München I 18.4.2013 – 10 O 6084/12 = IPRax 2014, 438, 439 Rn. 28; Brière, Clunet 135 (2008), 31, 50. 443 Junker, in: MüKo BGB, 8. Aufl. 2021, Art. 11 Rom II-VO Rn. 12; Tichy, in: Magnus/Mankowski (eds.), ECPIL Vol. 3, 2019, Art. 11 Rome II para. 38; LG München I 18.4.2013 – 10 O 6084/12 = IPRax 2014, 438, 439 Rn. 28; Sonnentag, ZVglRWiss 105 (2006), 256, 299 f. 444 COM (2003) 427 final, p. 21. 445 Junker, in: MüKo BGB, 8. Aufl. 2021, Art. 11 Rom II-VO Rn. 12 i. V. m. Art. 10 Rom II-VO Rn. 18. 446 Vgl. Art. 10 f. Rom I-VO; vgl. auch oben S. 158. 447 Siehe auch LG München I 18.4.2013 – 10 O 6084/12 = IPRax 2014, 438, 439 Rn. 29: „Durch die Weigerung liegt kein unwirksamer Vertrag vor, sondern überhaupt keiner.“ Im Anschluss an das Gericht Limbach, in: NK-BGB, 3. Aufl. 2019, Art. 11 Rom II-VO Rn. 10 Fn. 35 und Junker, in: MüKo BGB, 8. Aufl. 2021, Art. 11 Rom II-VO Rn. 12. Auch Looschelders, IPRax 2014, 406, 408 f. und Späth, Gewerbliche Erbensuche, 2008, S. 275 f. verweisen auf den Wortlaut des Abs. 1.

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meist zugleich Inhalt einer vertraglichen Abrede sein kann.448 Gerade, wenn im Vorhinein noch keine Vertragsverhandlungen stattgefunden haben, könnte entweder der Geschäftsführer oder der Geschäftsherr, indem er solche aufnimmt, zudem einseitig nachträglich das anwendbare Recht manipulieren, wenn Abs. 1 in casu nicht zufällig mit der Anknüpfung des Abs. 2 oder 3 übereinstimmt. Schließlich kann in beiden Fällen eine akzessorische Anknüpfung an das hypothetische Vertragsstatut zudem nicht über Art. 12 Abs. 1 Rom II-VO erfolgen, da die Geschäftsführungshandlungen entweder schon im Vorfeld potentieller Vertragsverhandlungen oder im Nachgang zu bereits gescheiterten und damit beendeten Verhandlungen stattgefunden haben und hieraus resultierende Ansprüche folglich nicht als Ansprüche aus „Verschulden bei Vertragsverhandlungen“ qualifiziert werden können.449 Indes ist fraglich, ob sich an diesem Ergebnis etwas ändert, wenn in den Fällen gewerblicher Erbensuche vor allem der folgende Aspekt betont wird: In jenen Konstellationen wird nahezu immer eine Unternehmer-Verbraucher-Situation vorliegen. Es stellt sich daher die Frage, ob zum Schutze des Verbrauchers in seiner Position als Geschäftsherr über Art. 11 Abs. 4 Rom II-VO abweichend angeknüpft werden sollte. Solche Überlegungen sind allerdings nicht bloß auf die Fälle der gewerblichen Erbensuche beschränkt, sondern lassen sich immer dann anstellen, wenn der Geschäftsführer als Unternehmer handelt, während der Geschäftsherr als Verbraucher angesehen werden kann. Da über Abs. 1 (oder Art. 12 Abs. 1 Rom II-VO) nach dem bisher Gesagten keine Anknüpfung an ein hypothetisches Vertragsstatut möglich ist, können solche Überlegungen allenfalls im Rahmen der Ausweichklausel diskutiert werden.450 2. Parteiidentität erforderlich Art. 11 Rom II-VO erfordert für die akzessorische Anknüpfung an ein bestehendes Rechtsverhältnis ferner, dass dieses „zwischen den Parteien“ besteht. Diese Wendung bezieht sich semantisch auf die Parteien der Geschäftsführung ohne Auftrag, so dass Abs. 1 Parteiidentität erfordert. 448

Darauf weisen Limbach, in: NK-BGB, 3. Aufl. 2019, Art. 11 Rom II-VO Rn. 10 und Jakob/Picht, in: Europ. Zivilprozess- und Kollisionsrecht, 4. Aufl. 2016, Art. 11 Rom II-VO Rn. 16 hin, die die Frage der akzessorischen Anknüpfung an ein hypothetisches Vertragsverhältnis aber schon in Konstellationen, in denen keinerlei Vertragsverhandlungen stattgefunden haben, diskutieren und mit dem im Text genannten Argument zurecht ablehnen. 449 Vgl. Schinkels, in: BeckOGK, 1.8.2018, Art. 11 Rom II-VO Rn. 24 und 30 für die Fälle der gewerblichen Erbensuche. 450 Siehe Späth, Gewerbliche Erbensuche, 2008, S. 278, die allerdings wohl nicht der Schutz des Geschäftsherrn motiviert. Solche Schutzüberlegungen stellt das LG München I (18.4.2013 – 10 O 6084/12 = IPRax 2014, 438, 442 Rn. 47) für die gewerbliche Erbensuche an und auch Looschelders (IPRax 2014, 406, 409) verweist in diesen Fällen für eine mögliche Anknüpfung an ein hypothetisches Vertragsstatut auf Art. 11 Abs. 4 Rom II-VO. Siehe dazu unten S. 255 ff.

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Hiergegen werden indes mehrere Argumente vorgebracht. Es wird erstens vorgetragen, dass der Wortlaut ein solches Ergebnis nicht nahelege, weil er nicht von einem „zwischen denselben Parteien“ bestehenden Rechtsverhältnis spreche. Für den Verordnungsgeber wäre es ein Leichtes gewesen, das Erfordernis der Parteiidentität klar herauszuheben – etwa indem er die aus Art. 19 Rom II-VO bekannten Begriffe „Gläubiger“ und „Schuldner“ verwendet.451 Dieses Argument kann allerdings auch umgekehrt werden: Der Verordnungsgeber hätte das Erfordernis („zwischen den Parteien“) auch einfach entfallen lassen oder modifizieren („zwischen irgendwelchen Parteien“) können. Darüber hinaus passen die Begriffe „Gläubiger“ und „Schuldner“ für die Geschäftsführung ohne Auftrag nicht, da dieses Rechtsinstitut Ansprüche in beide Richtungen vorsieht und folglich sowohl der Geschäftsherr als auch der Geschäftsführer zugleich Gläubiger und Schuldner sein können. Darüber hinaus wird vorgebracht, dass die Begründung des ursprünglichen Kommissionsentwurfs für ein solches Ergebnis spreche, da sie (was zutrifft) in ihrer Begründung zu Art. 9 Abs. 1 VO-E die Fallgruppe der Begleichung fremder Schulden durch einen Dritten ausdrücklich nennt.452 Da die Gesetzesinterpretation nach der hier vertretenen Auslegungstheorie453 primär darauf abzielt, den Gesetzgeberwillen zu verwirklichen, ist dies ein überaus starkes Argument. Allerdings darf nicht übersehen werden, dass der noch mögliche Wortsinn die äußerste Grenze der europäisch autonomen Auslegung darstellt;454 ein bloßer Verweis auf den Gesetzgeberwillen kann deshalb grundsätzlich nicht über die tatsächliche Gesetzgeberaussage hinweghelfen. Der Wortlaut des Abs. 1 kennt in allen Sprachfassungen die Wendung „zwischen den Parteien“.455 Außerdem ist anzumerken, dass die Verordnungsbegründung nicht völlig frei von Widersprüchen ist, da in den Ausführungen bezüglich Art. 9 Abs. 4 VO-E, also der damaligen Spezialanknüpfung für Schuldverhältnisse aus auftragsloser Geschäftsführung, ebenfalls die Begleichung fremder Schulden als Beispiel genannt wird.456

451

Nehne, IPRax 2012, 136, 139. Nehne, IPRax 2012, 136, 139. 453 Siehe oben S. 23 ff. 454 Siehe oben S. 7 ff., insb. 22. 455 Um aufzuzeigen, dass die Sprachfassungen zumindest die Wörter „zwischen den Parteien“ enthalten, benötigt man keine ausgereiften Sprachkenntnisse. Es genügt bereits ein Blick in die Wörterbücher: „между страните“ [BG]; „mezi stranami“ [CS]; „mellem parterne“ [DA]; „poolte vahel“ [ET]; „μεταξύ των μερών“ [EL]; „idir na páirtithe“ [GA]; „osapuolten välistä“ [FI]; „između stranaka“ [HR]; „pastāvošām pušu attiecībām“ [LV]; „tarp šalių“ [LT]; „felek között“ [HU]; „bejn il-partijiet“ [MT]; „betrekking tussen de partijen“ [NL]; „entre as partes“ [PT]; „między stronami“ [PL]; „între părți“ [RO]; „medzi stranami“ [SK]; „med strankama“ [SL]; „mellan parterna“ [SV]. Siehe zudem die in Fn. 410 (2. Teil) dargestellten Sprachversionen. 456 COM (2003) 427 final, p. 22. 452

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2. Teil: Die Geschäftsführung ohne Auftrag im IPR

Es bleibt folglich dabei, dass Art. 11 Abs. 1 Rom II-VO Parteiidentität erfordert.457 Leistet also ein Dritter auf eine fremde Schuld, kann nicht nach Art. 11 Abs. 1 Rom II-VO akzessorisch an das Schuldstatut angeknüpft werden. Daran ändert sich auch nichts, wenn man argumentiert, der Dritte (Geschäftsführer) gehe von dem Bestehen eines zwischen Gläubiger und Schuldner (Geschäftsherrn) bestehenden Schuldverhältnisses aus, welches auch ihn betreffe und daher die Beziehung zwischen ihm und seinem Geschäftsherrn hinreichend prägen könne.458 Gleichwohl ist das dem Abs. 1 zugrunde liegende Telos – namentlich die (unionsweite) Herstellung materieller Harmonie – gerade in diesen Fällen besonders geboten. Denn im Falle einer akzessorischen Anknüpfung an das Statut der Verbindlichkeit befände dieselbe Rechtsordnung darüber, ob und in welcher Höhe eine Verbindlichkeit überhaupt bestand, wie und unter welchen Voraussetzungen deren Tilgung durch einen Dritten erfüllende Wirkung hat, vgl. Art. 12 Abs. 1 lit. a), b) und d) Rom I-VO, sowie über das Vorliegen und die Ausgestaltung eines möglichen Regressanspruches. Divergierende Entscheidungen über dieselbe Rechtsfrage (erfolgte oder nicht erfolgte Tilgung) würden so zumindest innerhalb der Europäischen Union vermieden. Aus diesem Grund wird ganz überwiegend die Erzielung eines solchen – sachlich sinnvollen – Ergebnisses über die in Art. 11 Abs. 4 Rom II-VO enthaltene Ausweichklausel vertreten.459 Vereinzelt wird aber auch für eine weite teleologische Auslegung des Abs. 1 plädiert,460 die indes nach hier vertretener Auffassung 457 So auch Junker, in: MüKo BGB, 8. Aufl. 2021, Art. 11 Rom II-VO Rn. 12; Thorn, in: Grüneberg, 81. Aufl. 2022, Art. 11 Rom II-VO Rn. 6; Limbach, in: NK-BGB, 3. Aufl. 2019, Art. 11 Rom II-VO Rn. 12; Tichy, in: Magnus/Mankowski (eds.), ECPIL Vol. 3, 2019, Art. 11 Rome II para. 40; v. Bar/Mankowski, IPR Bd. 2, 2. Aufl. 2019, § 2 Rn. 515; Schinkels, in: BeckOGK, 1.8.2018, Art. 11 Rom II-VO Rn. 22; Jakob/Picht, in: Europ. Zivilprozess- und Kollisionsrecht, 4. Aufl. 2016, Art. 11 Rom II-VO Rn. 17; Huber/Bach, in: Huber (ed.), Rome II, 2011, Art. 11 para. 18; siehe auch OGH 21.5.2014 – 3 Ob 42/14v = BeckRS 2016, 81222 (keine Anwendung von Abs. 1 bei Tilgung einer fremden Unterhaltspflicht); Sonnentag, ZVglRWiss 105 (2006), 256, 305; vgl. auch G. Fischer, in: FS Spellenberg, 2010, S. 151, 163 und 165; zurückhaltend Schinkels, in: Calliess/Renner (eds.), Rome, 3rd ed. 2020, Art. 11 Rome II para. 9 („in principle“) and 16. 458 So aber Stürner, in: Erman, 16. Aufl. 2020, Art. 11 Rom II-VO Rn. 13. 459 Jakob/Picht, in: Europ. Zivilprozess- und Kollisionsrecht, 4. Aufl. 2016, Art. 11 Rom II-VO Rn. 17; G. Fischer, in: FS Spellenberg, 2010, S. 151, 163 und 165; G. Wagner, IPRax 2008, 1, 12; zurückhaltend Limbach, in: NK-BGB, 3. Aufl. 2019, Art. 11 Rom II-VO Rn. 14 und Junker, in: MüKo BGB, 8. Aufl. 2021, Art. 11 Rom II-VO Rn. 27; vgl. auch Thorn, in: Grüneberg, 81. Aufl. 2022, Art. 11 Rom II-VO Rn. 6 und Fehrenbacher, in: Prütting/Wegen/Weinreich, 16. Aufl. 2021, Art. 11 Rom II-VO Rn. 6. A. A. aber Tichy, in: Magnus/Mankowski (eds.), ECPIL Vol. 3, 2019, Art. 11 Rome II para. 40, der meint, dass durch eine derart pauschale Betrachtung die Interessen des Geschäftsführers in den Hintergrund gerückt werden könnten. 460 Siehe Schinkels, in: BeckOGK, 1.8.2018, Art. 11 Rom II-VO Rn. 31 und ders., in: Calliess (ed.), Rome, 2nd ed. 2015, Art. 11 Rome II para. 9 and 16, der allerdings im Falle

§ 3 Art. 11 Rom II-VO

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eine über die Auslegung hinausgehende, lückenfüllende Rechtsfindung wäre.461 Es wird an späterer Stelle zu zeigen sein, dass beide Lösungsmöglichkeiten nicht überzeugen.462 Mit Blick auf den Normzweck des Abs. 1 muss es aber unerheblich sein, wenn an dem zwischen Geschäftsführer und Geschäftsherrn bestehenden Rechtsverhältnis zugleich noch andere Personen beteiligt sind. Hier ist etwa an Konstellationen aus dem Bereich des Gesellschaftsrechts zu denken, sofern diese nicht bereits durch die Bereichsausnahme nach Art. 1 Abs. 2 lit. d) Rom II-VO vom Anwendungsbereich ausgeschlossen sind. Dies ist insbesondere bei Gesellschaften ohne eigene Rechtspersönlichkeit der Fall.463 Wenn also ein Ge-sellschafter einer sogenannten „Innen-GbR“ mit Fremdgeschäftsführungswillen Maßnahmen für seinen Mitgesellschafter ergreift, ist die Anknüpfung an dieses Rechtsverhältnis nicht von vornherein ausgeschlossen. 3. Zur Entstehungsreihenfolge Diskutiert wird zudem die Frage, ob das jeweilige Rechtsverhältnis zum Zeitpunkt der Geschäftsführung bereits vorliegen muss oder gleichzeitig mit dem Schuldverhältnis aus Geschäftsführung ohne Auftrag entstehen kann. Dieses Problem wird insbesondere im Zusammenhang mit einer möglichen deliktsakzessorischen Anknüpfung der Geschäftsführung ohne Auftrag diskutiert, wenn der Geschäftsführer den Geschäftsherrn durch die Geschäftsführung an einem subjektiven Recht schädigt.464 Nach hier vertretener Auffassung ist dies ein Problem der Qualifikation und daher keine Frage des Abs. 1. Solche Schädigungen sind entweder ausschließlich dem GoA-Statut zuzuordnen, oder ausschließlich deliktisch zu qualifizieren. Da in beiden Fällen kein konkurrierendes Statut existiert, verliert der Streit insgesamt erheblich an Relevanz.465 Das hier zu untersuchende Problem wurde wohl gewissermaßen auch durch die Normgenese provoziert. Erst ab dem Kommissionsentwurf aus dem Jahre 2006 verlangte die deutsche Textversion, dass das Rechtsverhältnis zwischen den Parteien bestehen muss.466 Hierbei handelt es sich indes augenscheinlich nur um eine Korrektur der deutschen Übersetzung, da die englische467, der Unzulässigkeit einer solchen weiten teleologischen Auslegung auf Art. 11 Abs. 4 Rom II-VO abstellt. 461 Siehe zum Wortlaut als Auslegungsgrenze S. 7 ff., insb. 22. 462 S. 253 ff. 463 Siehe J. Schmidt, in: BeckOGK, 1.12.2021, Art. 1 Rom II-VO Rn. 53. 464 Siehe nur Schinkels, in: BeckOGK, 1.8.2018, Art. 11 Rom II-VO Rn. 27 i. V. m. Art. 10 Rom II-VO Rn. 27 und Wendelstein, GPR 2014, 46, 49 f. 465 Siehe zur funktionell-einheitlichen Qualifikation oben S. 173 ff. 466 KOM (2006) 83 endg., S. 18. Siehe aber demgegenüber wieder den Gemeinsamen Standpunkt des Rates, ABl. 2006 C289E/68, 72: „ein Rechtsverhältnis zwischen den Parteien“. 467 COM (2003) 427 final, p. 35.

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2. Teil: Die Geschäftsführung ohne Auftrag im IPR

französische468, spanische469 und italienische470 Fassung des ursprünglichen Kommissionsentwurfs aus dem Jahre 2003 dieses Merkmal bereits vorsahen und sogar von einer „relationship previously existing“ [EN]; „une relation préexistante“ [FR]; „una relación preexistente“ [ES]; „una relazione preesistente“ [IT] sprachen.471 Diese wurden erst mit dem Gemeinsamen Standpunkt des Rates in die letztlich verabschiedete Version des Abs. 1 geändert.472 Bereits aus diesem Einblick in die Normgenese lässt sich ableiten, dass es in zeitlicher Hinsicht einen Unterschied machen muss, ob ein Rechtsverhältnis „zuvor besteht“ oder einfach nur „besteht“.473 Dies leuchtet gerade dann ein, wenn auch Art. 4 Abs. 3 Satz 2 Rom II-VO zur Auslegung hinzugezogen wird, dessen Normwortlaut diesbezüglich keine Änderung erfahren hat, also noch immer ein „bereits bestehendes“ Rechtsverhältnis voraussetzt.474 Die Anpassungen der englischen, französischen, spanischen und italienischen Fassung wird man daher nicht so verstehen können, dass es sich um eine bloß redaktionelle oder gar versehentliche Änderung handelt, die keinerlei inhaltliche Auswirkungen nach sich zieht.475 Schließlich kann auch nicht vorgebracht werden, dass die polnische476 und die portugiesische477 Sprachfassung selbst in der letztlich verabschiedeten Form noch ein zuvor bestehendes Rechtsverhältnis verlangen. Denn die Auslegungsgrenze bildet die jeweils weiteste Textversion.478 Zusammenfassend genügt es daher, wenn das Rechtsverhältnis zeitgleich mit dem der Geschäftsführung entsteht.479 468

COM (2003) 427 final, p. 37. COM (2003) 427 final, p. 37. 470 COM (2003) 427 definitivo, p. 38. 471 Hervorh. d. Verf. Siehe die Nachweise in den vorstehenden Fußnoten. 472 Siehe für die englische Sprachfassung Official Journal of the European Union 2006 C289E/68, 72. 473 Junker, in: MüKo BGB, 8. Aufl. 2021, Art. 11 Rom II-VO Rn. 12 i. V. m. Art. 10 Rom II-VO Rn. 18 Fn. 28; Schinkels, in: BeckOGK, 1.8.2018, Art. 11 Rom II-VO Rn. 27 i. V. m. Art. 10 Rom II-VO Rn. 27. 474 Junker, in: MüKo BGB, 8. Aufl. 2021, Art. 11 Rom II-VO Rn. 12 i. V. m. Art. 10 Rom II-VO Rn. 18; Schinkels, in: BeckOGK, 1.8.2018, Art. 11 Rom II-VO Rn. 27 i. V. m. Art. 10 Rom II-VO Rn. 27. 475 So aber Huber/Bach, in: Huber (ed.), Rome II, 2011, Art. 11 para. 16. 476 „[…] istniejącego wcześniej między stronami stosunku […]“. 477 „[…] uma relação previamente existente […]“. 478 Dazu oben S. 19 ff. 479 So auch Tichy, in: Magnus/Mankowski (eds.), ECPIL Vol. 3, 2019, Art. 11 Rome II para. 35. A. A. v. Bar/Mankowski, IPR Bd. 2, 2. Aufl. 2019, § 2 Rn. 513 und Wendelstein, GPR 2014, 46, 50: Der Wortlaut des Art. 11 Abs. 1 Rom II-VO verlange es, dass das Rechtsverhältnis vor dem der Geschäftsführung ohne Auftrag entsteht. A. A. zudem Dickinson, Rome II, 2013, para. 11.18 in combination with 10.25, der seinen Ausführungen aber einen unrichtigen Wortlaut des Abs. 1 („pre-existing“) zugrunde zu legen scheint; so wohl auch Brière, Clunet 135 (2008), 31, 50 („une relation preexistante“) und Späth, Gewerbliche Erbensuche, 2008, S. 275 f. 469

§ 3 Art. 11 Rom II-VO

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4. Voraussetzungen einer „engen Verbindung“ Die „enge Verbindung“ muss nicht zwingend auf rechtlichen Gegebenheiten beruhen, sondern kann auch tatsächlicher, faktischer Natur sein.480 Es bedarf eines „inneren Zusammenhangs“ beider Rechtsverhältnisse.481 Letztlich entscheidend ist in jedem Fall das Telos des Abs. 1: Eine enge Verbindung ist stets dann anzunehmen, wenn es sinnvoll und geboten erscheint, die Geschäftsführung ohne Auftrag sowie das andere in Rede stehende Rechtsverhältnis einheitlich einer Rechtsordnung zu unterwerfen, weil die rechtlichen Fragestellungen beispielsweise miteinander eng verzahnt sind.482 Wann dies der Fall ist, kann nur im Einzelfall entschieden werden.483 Darüber zu befinden, ist daher originäre Aufgabe des Rechtsanwenders. Eine „enge Verbindung“ wird in der Rechtswissenschaft abstrakt angenommen, wenn eine einzige Handlung zugleich mehrere außervertragliche Schuldverhältnisse begründet.484 Nach hier vertretener Auffassung werden die aus einer Handlung resultierenden Ansprüche oder Schuldverhältnisse indes grundsätzlich nach einem Statut angeknüpft, so dass oftmals kein Raum für eine akzessorische Anknüpfung bleibt.485 Denkbar sind aber etwa solche Konstellationen, in denen der Vertreter seine ihm aufgrund eines Rechtsverhältnisses zum Vertretenen gewährte Vertretungsmacht überschreitet, aber gleichwohl in dessen Interesse handelt.486 Umstritten sind die Konstellationen, in denen die Geschäftsführung zu mehreren Rechtsverhältnissen eine enge Verbindung aufweist. Mit Blick auf den Wortlaut des Art. 11 Abs. 1 Rom II-VO könnte durchaus vertreten werden, dass nur „ein […] Rechtsverhältnis“ (Hervorh. d. Verf.) eine enge Verbindung zu dem Schuldverhältnis aus Geschäftsführung ohne Auftrag aufweisen darf. Ist die Geschäftsführung daher mit mehreren Rechtsverhältnissen eng verbunden, wird – unter Verweis auf den Wortlaut – vertreten, dass Abs. 1 unanwendbar sei.487 Demgegenüber geht man überwiegend davon aus, dass es in solchen Konstellationen darauf ankommt, zu welchem Rechtsverhältnis die 480 Junker, in: MüKo BGB, 8. Aufl. 2021, Art. 11 Rom II-VO Rn. 12 i. V. m. Art. 10 Rom II-VO Rn. 20; Jakob/Picht, in: Europ. Zivilprozess- und Kollisionsrecht, 4. Aufl. 2016, Art. 11 Rom II-VO Rn. 18 i. V. m. Art. 10 Rom II-VO Rn. 30. 481 Jakob/Picht, in: Europ. Zivilprozess- und Kollisionsrecht, 4. Aufl. 2016, Art. 11 Rom II-VO Rn. 18. 482 Vgl. auch COM (2003) 427 final, p. 21. 483 Vgl. Jakob/Picht, in: Europ. Zivilprozess- und Kollisionsrecht, 4. Aufl. 2016, Art. 11 Rom II-VO Rn. 18. 484 Schinkels, in: BeckOGK, 1.8.2018, Art. 11 Rom II-VO Rn. 28 i. V. m. Art. 10 Rom IIVO Rn. 27; siehe auch Jakob/Picht, in: Europ. Zivilprozess- und Kollisionsrecht, 4. Aufl. 2016, Art. 11 Rom II-VO Rn. 18 i. V. m. Art. 10 Rom II-VO Rn. 30. 485 Vgl. oben S. 173 ff. 486 Vgl. COM (2003) 427 final, p. 21. 487 Plender/Wilderspin, EPIL of Obligations, 3rd ed. 2009, para. 25-031 in combination with 24-090.

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2. Teil: Die Geschäftsführung ohne Auftrag im IPR

Geschäftsführung die engste Verbindung aufweist.488 Unterliegen alle mit der Geschäftsführung eng verbundenen Rechtsverhältnisse einem Recht, soll nach einer teilweise vertretenen Auffassung dieses Recht maßgebend sein.489 Gegen die Suche nach der „engsten“ unter den „engen“ Verbindungen wird eingewandt, dass sich im Gesetzeswortlaut keine Anhaltspunkte für ein solches Abgrenzungskriterium finden.490 Dabei wird allerdings verkannt, dass es nicht Aufgabe des abstrakt-generellen Kollisionsrechts ist, eine entsprechende Grenze abzustecken oder dafür Kriterien an die Hand zu geben. Wie dargestellt, obliegt dies gerade dem Richter; das Kollisionsrecht öffnet sich an dieser Stelle für seine richterliche Eigenwertung. Es spricht nichts dagegen, in der richterlichen Entscheidungsfindung aus vielen „engen“ Verbindungen, diejenige auswählen zu können, für die das Telos des Art. 11 Abs. 1 Rom II-VO am besten passt. Mit Blick darauf muss es konsequenterweise ebenfalls möglich sein, akzessorisch an die Rechtsordnung anzuknüpfen, die gleichzeitig alle eng mit der Geschäftsführung verbundenen Rechtsverhältnisse dominiert. II. Anknüpfungspunkt des Art. 11 Abs. 2 Rom II-VO 1. Einführung Sollte sich das anwendbare Recht nicht nach Abs. 1 bestimmen lassen, ist zunächst nach Abs. 2 anzuknüpfen. Danach findet die dementsprechende Rechtsordnung Anwendung, wenn „die Parteien zum Zeitpunkt des Eintritts des schadensbegründenden Ereignisses ihren gewöhnlichen Aufenthalt in demselben Staat“491 haben. In sachlicher Hinsicht erfuhr die Regelung in Abs. 2 grundsätzlich Zustimmung durch die Rechtswissenschaft. Sie stelle sicher, dass in vielen Fällen ein Gleichlauf von forum und ius erreicht wird, da anzunehmen sei, dass die Klagen zwischen den Parteien des Schuldverhältnisses meist bei den Gerichten des

488 Schinkels, in: BeckOGK, 1.8.2018, Art. 11 Rom II-VO Rn. 27 i. V. m. Art. 10 Rom IIVO Rn. 28; Tichy, in: Magnus/Mankowski (eds.), ECPIL Vol. 3, 2019, Art. 11 Rome II para. 39; Jakob/Picht, in: Europ. Zivilprozess- und Kollisionsrecht, 4. Aufl. 2016, Art. 11 Rom II-VO Rn. 18 i. V. m. Art. 10 Rom II-VO Rn. 31; Huber/Bach, in: Huber (ed.), Rome II, 2011, Art. 11 para. 17. 489 Schinkels, in: BeckOGK, 1.8.2018, Art. 11 Rom II-VO Rn. 27 i. V. m. Art. 10 Rom IIVO Rn. 27. 490 Plender/Wilderspin, EPIL of Obligations, 3rd ed. 2009, para. 25-031 in combination with 24-090. 491 „[T]he parties have their habitual residence in the same country when the event giving rise to the damage occurs“ [EN]; „les parties ont leur résidence habituelle dans le même pays au moment où le fait donnant lieu au dommage survient“ [FR]; „las partes tengan su residencia habitual en el mismo país en el momento en que se produce el hecho generador del daño“ [ES]; „le parti hanno la loro residenza abituale nel medesimo paese nel momento in cui si verifica il fatto che determina il danno“ [IT].

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Staates eingereicht werden, in dem beide Parteien leben.492 Der Begründung des Kommissionsentwurfs aus dem Jahre 2003 zufolge soll Abs. 2 aber schlicht den berechtigten Erwartungen der Parteien, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt im selben Staat haben, an das anwendbare Recht Rechnung tragen.493 Trotz grundsätzlicher Zustimmung in der Rechtswissenschaft wurde Abs. 2 von einigen Stimmen als zu pauschal kritisiert. So sei die Anknüpfung an den gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt der Parteien in manchen Konstellationen – etwa bei Einwirkungen auf Gegenstände – rechtspolitisch verfehlt.494 Letztlich ist die Entscheidung des Verordnungsgebers, Abs. 2 als zwingende Regelkollisionsnorm auszugestalten, aber vom Rechtsanwender zu respektieren.495 Aus diesem Grund wird man auch die Fallgruppe der Begleichung fremder Schulden – zumindest nicht voreilig – über Abs. 4 an das Statut der getilgten Forderung anknüpfen können, wenn beide Parteien einen gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt haben.496 Auf die Rolle des Abs. 4 im Rahmen des Anknüpfungssystems von Art. 11 Rom II-VO wird an späterer Stelle noch eingegangen.497 2. Zum Anknüpfungspunkt Die Anknüpfung gemäß Art. 11 Abs. 2 Rom II-VO bereitet insgesamt wenige Probleme bei der Rechtsanwendung. Die Wendung „die Parteien“ bezieht sich – wie auch in Abs. 1 – auf den Geschäftsführer und den Geschäftsherrn.498 Wann ein „gewöhnlicher Aufenthalt“ vorliegt, ist lediglich für 492 Hamburg Group for Private International Law, RabelsZ 67 (2003), 1, 32; Heiss/Loacker, JBl. 129 (2007), 613, 642. 493 COM (2003) 427 final, p. 21: „Paragraph 2 reflects the legitimate expectations of the parties where they are habitually resident in the same country.“ 494 Jakob/Picht, in: Europ. Zivilprozess- und Kollisionsrecht, 4. Aufl. 2016, Art. 11 Rom II-VO Rn. 22; Junker, in: MüKo BGB, 8. Aufl. 2021, Art. 11 Rom II-VO Rn. 16. 495 Anders wohl Junker, in: MüKo BGB, 8. Aufl. 2021, Art. 11 Rom II-VO Rn. 16, wonach der gemeinsame gewöhnliche Aufenthalt in Einwirkungsfällen eine Rolle spielen „kann“. 496 A. A. Junker, in: MüKo BGB, 8. Aufl. 2021, Art. 11 Rom II-VO Rn. 16 und Jakob/Picht, in: Europ. Zivilprozess- und Kollisionsrecht, 4. Aufl. 2016, Art. 11 Rom II-VO Rn. 23. Auch die Hamburg Group for Private International Law bevorzugte in den Fällen der Tilgung fremder Schulden eine akzessorische Anknüpfung an das Schuldstatut – und zwar unabhängig davon, ob die Parteien einen gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt haben, RabelsZ 67 (2003), 1, 30 und 32 f. 497 Siehe unten S. 252 ff. 498 Siehe nur Wendelstein, in: Soergel, 13. Aufl. 2019, Art. 11 Rom II-VO Rn. 20; Schinkels, in: BeckOGK, 1.8.2018, Art. 11 Rom II-VO Rn. 36; ders., in: Calliess (ed.), Rome, 2nd ed. 2015, Art. 11 Rome II para. 18; Junker, in: MüKo BGB, 8. Aufl. 2021, Art. 11 Rom II-VO Rn. 16 („der gemeinsame gewöhnliche Aufenthalt der GoA-Beteiligten“); v. Bar/Mankowski, IPR Bd. 2, 2. Aufl. 2019, § 2 Rn. 516; vgl. auch Dickinson, Rome II, 2013, para. 11.20 in combination with 10.28.

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2. Teil: Die Geschäftsführung ohne Auftrag im IPR

„Gesellschaften, Vereine und juristische Personen“ sowie für eine „natürliche Person, die im Rahmen der Ausübung ihrer beruflichen Tätigkeit handelt“, durch Art. 23 Rom II-VO vorgegeben;499 für die übrigen natürlichen Personen ist auf die allgemeine Konkretisierung durch die europäische Rechtsprechung und -wissenschaft zurückzugreifen.500 Danach ist der gewöhnliche Aufenthalt einer natürlichen Person an ihrem Daseinsmittelpunkt, dem Schwerpunkt ihrer Lebensverhältnisse,501 belegen. Diskutieren lässt sich allerdings der für Abs. 2 maßgebliche Zeitpunkt. Bis zum Gemeinsamen Standpunkt des Rates502 stellte die Norm interessanterweise etwa in der deutschen, französischen, spanischen und italienischen Sprachfassung noch auf den „Zeitpunkt des Schadenseintritts“ („au moment de la survenance du dommage“ [FR], „cuando se produce el daño“ [ES], „nel momento in cui si verifica il danno“ [IT]) ab. Die englische Fassung blieb demgegenüber aber durchgehend unverändert. Aus diesem Grund kann angenommen werden, dass die übrigen Textversionen an die englische bloß redaktionell angepasst werden sollten. Erst ab da war nach dem Wortlaut der verschiedenen Sprachfassungen der „Eintritt des schadensbegründenden Ereignisses“ entscheidend. Diese Formulierung ist zwar ungewöhnlich, da im Rahmen einer Geschäftsführung ohne Auftrag vor allem Aufwendungs- und Herausgabeansprüche im Fokus stehen und Schadenersatzforderungen – wenn überhaupt – von bloß sekundärer Bedeutung sind.503 Allerdings meint „Schaden“ im Sinne der Verordnung „sämtliche Folgen einer unerlaubten Handlung, einer ungerechtfertigten Bereicherung, einer Geschäftsführung ohne Auftrag (‚Negotiorum gestio‘) oder eines Verschuldens bei Vertragsverhandlungen (‚Culpa in contrahendo‘)“, vgl. Art. 2 Abs. 1 Rom II-VO. Die Anknüpfung gemäß Art. 11 Abs. 2 Rom II-VO ist deshalb – anders als es eine Stimme in der Literatur504 vertritt – nicht nur dann anwendbar, wenn durch oder im Rahmen der Geschäftsführung ein Schaden eintritt. Der im Kontext von Abs. 2 maßgebliche Zeitpunkt ist also – mit Blick auf Art. 2 Abs. 1 Rom II-VO – der Eintritt des Ereignisses, welches die Folgen der Geschäftsführung ohne Auftrag begründet

499

Siehe dazu näher Rass-Masson, in: BeckOGK, 1.9.2021, Art. 23 Rom II-VO Rn. 9 ff. So auch Stürner, in: Erman, 16. Aufl. 2020, Art. 11 Rom II-VO Rn. 8. 501 Siehe nur Junker, in: MüKo BGB, 8. Aufl. 2021, Art. 23 Rom II-VO Rn. 16 f. mwN. 502 ABl. 2006 C289E/68, 72 f. 503 Vgl. auch Junker, in: MüKo BGB, 8. Aufl. 2021, Art. 11 Rom II-VO Rn. 15. 504 Plender/Wilderspin, EPIL of Obligations, 3rd ed. 2009, para. 25-031, die einen gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt aber auch in den übrigen Fällen über Art. 11 Abs. 4 Rom II-VO berücksichtigen. 500

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bzw. auslöst.505 Hieraus wird in der Literatur zurecht gefolgert, dass die Geschäftsführungshandlung maßgeblich ist.506 Diese Definition ist allerdings bei mehraktigen Geschäftsführungshandlungen ungenau. Deshalb ist der „Handlungsort“ weiter zu konkretisieren. Gemeint sein muss letztlich der Ort, an dem die Handlung vorgenommen wird, mit welcher der Geschäftsführer das Geschäft übernimmt. Denn mit dessen Übernahme entstehen die geschäftsführungsspezifischen Pflichten des Handelnden und damit bereits „Folgen“ der Geschäftsführung.507 Eine Schwerpunktbetrachtung der Geschäftsführungshandlung, wie sie das LG München I508 im Rahmen der Frage nach der zeitlichen Anwendbarkeit der Rom IIVO (Art. 31, 32 Rom II-VO stellen ebenfalls auf das „schadensbegründende Ereignis“ als maßgeblichen Zeitpunkt ab) vorgenommen hat, kann unabhängig von der dem Urteil zugrunde liegenden Konstellation schon deshalb nicht entscheidend sein, da sie Unsicherheiten in die Rechtsanwendung einführt und deshalb dem erklärten Ziel der Rom II-VO, Rechtssicherheit im Sinne der Vorhersehbarkeit für die Parteien zu schaffen, vgl. ErwGr. 6 und 16 Satz 1 Rom IIVO,509 widerspricht. Gegen die pauschale Relevanz des Ortes der Geschäftsübernahme könnte man allerdings einwenden, dass die auftragslose Geschäftsführung, wie schon oben gezeigt,510 ein einheitlicher, aber zeitlich gestreckter Vorgang mit unter505 Wendelstein, in: Soergel, 13. Aufl. 2019, Art. 11 Rom II-VO Rn. 22; Schinkels, in: BeckOGK, 1.8.2018, Art. 11 Rom II-VO Rn. 38; Limbach, in: NK-BGB, 3. Aufl. 2019, Art. 11 Rom II-VO Rn. 13; siehe auch Thorn, in: Grüneberg, 81. Aufl. 2022, Art. 11 Rom IIVO Rn. 7; vgl. ferner Dickinson, Rome II, 2013, para. 11.20 in combination with 10.28; Nehne, IPRax 2012, 136, 139; wohl auch Junker, in: MüKo BGB, 8. Aufl. 2021, Art. 11 Rom II-VO Rn. 15 (Vorgang, „durch den die GoA-Ansprüche entstehen“). 506 So die ganz h. M. in der Literatur, siehe Wendelstein, in: Soergel, 13. Aufl. 2019, Art. 11 Rom II-VO Rn. 22 („Zeitpunkt der Geschäftsführungshandlung“); Schinkels, in: BeckOGK, 1.8.2018, Art. 11 Rom II-VO Rn. 38 („Geschäftsführungshandlung“), der dieses Ergebnis aber aus einer systematischen Abgrenzung zu Abs. 3 ableitet; siehe auch Nehne, IPRax 2012, 136, 139 („Verhalten […], das die Folgen einer GoA auslöst“, da zu Art. 4 Abs. 1 Rom II-VO abzugrenzen sei); siehe ferner Stürner, in: Erman, 16. Aufl. 2020, Art. 11 Rom II-VO Rn. 8 („Zeitpunkt der Vornahme der Geschäftsführung“); Tichy, in: Magnus/Mankowski (eds.), ECPIL Vol. 3, 2019, Art. 11 Rome II para. 44 („act of the intervener“); Jakob/Picht, in: Europ. Zivilprozess- und Kollisionsrecht, 4. Aufl. 2016, Art. 11 Rom II-VO Rn. 20 („Vornahme der Geschäftsführungsmaßnahme“); Huber/Bach, in: Huber (ed.), Rome II, 2011, Art. 11 para. 20 („time of action“); etwas ungenau Kadner Graziano, RabelsZ 73 (2009), 1, 65 („Zeitpunkt der Geschäftsführung“) und G. Fischer, in: FS Spellenberg, 2010, S. 151, 164 („Geschäftsführung“). 507 Dies wird in den Kommentierungen zu Art. 2 Rom II-VO oftmals übersehen, siehe etwa Stürner, in: Erman, 16. Aufl. 2020, Art. 2 Rom II-VO Rn. 1; Junker, in: MüKo BGB, 8. Aufl. 2021, Art. 2 Rom II-VO Rn. 4; Bach, in: Huber (ed.), Rome II, 2011, Art. 2 para. 6. 508 18.4.2013 – 10 O 6084/12 = IPRax 2014, 438, 439 Rn. 22. 509 Vgl. auch COM (2003) 427 final, p. 4. 510 Vgl. die obige Analyse einiger mitgliedstaatlicher Rechtsordnungen, S. 123 ff.

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2. Teil: Die Geschäftsführung ohne Auftrag im IPR

schiedlichen Verhaltensweisen sein kann, aus denen jeweils mannigfaltige Rechtsfolgen für beide Parteien resultieren können. Sie unterscheidet sich insofern von Ansprüchen aus unerlaubter Handlung, ungerechtfertigter Bereicherung oder Verschulden bei Vertragsverhandlungen, als dass bei den genannten Instituten meist bloß ein bestimmtes Verhalten eine Rechtsfolge auslöst; liegen mehrere Verhaltensweisen vor, so sind diese in der kollisionsrechtlichen Betrachtung, anders als bei der auftragslosen Geschäftsführung, grundsätzlich unabhängig voneinander. Wegen dieser Besonderheit der Geschäftsführung ohne Auftrag könnte man zumindest erwägen, für jeden einzelnen geltend gemachten Anspruch auf das ihn begründende Ereignis abzustellen. Dagegen spricht allerdings das Bestreben des Unionsgesetzgebers, materielle Harmonie herzustellen. Dieses zeigt sich nicht nur an den vielen akzessorischen Anknüpfungen der Rom II-VO im Allgemeinen und in Art. 11 Abs. 1 Rom II-VO im Speziellen, sondern wird auch belegt durch die einheitliche Anknüpfung sämtlicher Ansprüche aus Geschäftsführung ohne Auftrag in Abs. 3.511 Es ist daher nicht nur aufgrund des oben genannten Verordnungszieles der Rechtssicherheit vorzugswürdig, für sämtliche „Folgen“ der Geschäftsführung ohne Auftrag einheitlich auf die Geschäftsübernahme abzustellen. Eine solche Sichtweise entspricht letztlich auch dem erklärten Ziel des Verordnungsgebers, mit Abs. 2 den berechtigten Erwartungen der Parteien an die Anwendung eines gemeinsamen Umweltrechts Rechnung zu tragen. Denn der Geschäftsführer entscheidet zum Zeitpunkt der Geschäftsübernahme über das „Ob“ und „Wie“ seiner Handlungen, so dass gerade dann die Vorstellung von seinem Umweltrecht relevant ist.512 Schließlich wäre auch fraglich, wann etwa das einen Aufwendungsersatzanspruch begründende Ereignis eintritt. Während dies bei Schadenersatzansprüchen – noch recht einfach – die sie auslösende schädigende Handlung ist, müsste man bei Aufwendungsersatzansprüchen wohl auf die Tätigung der Aufwendungen abstellen. Dann würde aber die Grenze zwischen dem „Eintritt des schadensbegründenden Ereignisses“ und dem „Zeitpunkt des Schadenseintritts“, wie es die Norm bis zum Gemeinsamen Standpunkt des Rates verlangte und auch Art. 4 Abs. 2 Rom II-VO513 noch heute erfordert, verschwimmen. Es ist daher unerheblich, zu welchem Zeitpunkt etwa Aufwendungen getätigt worden oder Schäden eingetreten sind.514 Dieser kann zwar mit der Geschäftsübernahme zusammenfallen, muss es aber nicht.

511

Siehe zur Reichweite der Verweisung oben S. 170 ff. Jakob/Picht, in: Europ. Zivilprozess- und Kollisionsrecht, 4. Aufl. 2016, Art. 11 Rom II-VO Rn. 20; Tichy, in: Magnus/Mankowski (eds.), ECPIL Vol. 3, 2019, Art. 11 Rome II para. 45. 513 Mit diesem systematischen Vergleich begründet auch G. Fischer, in: FS Spellenberg, 2010, S. 151, 164 die Maßgeblichkeit des Handlungsortes. 514 So ausdrücklich auch G. Fischer, in: FS Spellenberg, 2010, S. 151, 164. A. A. aber Schinkels, in: Calliess/Renner (eds.), Rome, 3rd ed. 2020, Art. 11 Rome II para. 19 512

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Inwieweit die Diskussion um den maßgeblichen Zeitpunkt allerdings auch in der Praxis relevant wird, ist unsicher. Vor allem kurzfristige, punktuelle Geschäftsführungshandlungen dürften die Regel darstellen.515 Unabhängig davon wird sich der gewöhnliche Aufenthalt einer natürlichen Person bzw. der Gesellschafts- oder Vereinssitz (vgl. Art. 23 Abs. 1 Rom II-VO) auch bei mehraktigen Geschäftsführungen in aller Regel nicht ändern.516 III. Anknüpfungspunkt des Art. 11 Abs. 3 Rom II-VO Sofern das anzuwendende Recht nicht nach den Abs. 1 oder 2 bestimmt werden kann, ist gemäß Art. 11 Abs. 3 Rom II-VO anzuknüpfen. Hiernach ist das Recht des Staates maßgeblich, „in dem die Geschäftsführung erfolgt ist“517. Im rechtswissenschaftlichen Diskurs wird dieser Anknüpfung die größte praktische Bedeutung zugeschrieben.518 Vor allem aber ist sie in dogmatischer Hinsicht hochumstritten und -interessant. Dabei scheint der reine Wortlaut des Art. 11 Abs. 3 Rom II-VO auf den ersten Blick keine großen Probleme zu bereiten. Während im Kommissionsentwurf aus dem Jahre 2003 hinsichtlich der Anknüpfung noch zwischen Geschäftsführungsmaßnahmen, die als Hilfeleistung qualifiziert werden können (personen- bzw. sachbezogene Anknüpfung), und solchen, die einen (sonstigen) Eingriff in fremde Rechts- bzw. Interessenkreise darstellen (gewöhnlicher Aufenthalt des Geschäftsherrn als Anknüpfungspunkt), differenziert wurde,519 liegt Art. 11 Abs. 3 Rom II-VO nunmehr ein geschäftsführungsspezifischer Fokus zugrunde. Angeknüpft wird an den Ort, an dem der Geschäftsführer die Geschäfte seines Geschäftsherrn führt, letztlich also dessen Interessen wahrnimmt. Es handelt sich um den Vornahmeort; die lex loci actus ist anzuwenden.

(„expenditures“); G. Wagner, IPRax 2008, 1, 11 und v. Domarus, Internationales Arzthaftungsrecht, 2013, S. 79 (Zeitpunkt der Aufwendungen). 515 In einem klaren Kontrast zu dieser These steht allerdings die Entscheidung des LG München I (18.4.2013 – 10 O 6084/12 = IPRax 2014, 438), der ein Fall mit einer knapp eineinhalb Jahre andauernden Geschäftsführung zugrunde lag. 516 Auch in der Entscheidung des LG München I (18.4.2013 – 10 O 6084/12 = IPRax 2014, 438 Rn. 36) änderte sich der gewöhnliche Aufenthalt der Prozessbeteiligten offenbar nicht. 517 „[I]n which the act was performed“ [EN]; „dans lequel la gestion d’affaires s’est produite“ [FR]; „en que se haya realizado el acto“ [ES]; „in cui si è svolta la gestione d’affari“ [IT]. 518 Siehe etwa Stürner, in: Erman, 16. Aufl. 2020, Art. 11 Rom II-VO Rn. 9 und Mankowski, in: Encyclopedia Vol. 2, 2017, p. 1304 („[Art. 11 Abs. 3 Rom II-VO] contains the most specific and perhaps even the principal rule.“). A. A. aber Dickinson, Rome II, 2013, para. 11.21: „As Art 11 (3) is arguably the least significant, from a legal and economic viewpoint, of the rules of applicable law in Chapters II and III of the Regulation […].“ 519 COM (2003) 427 final, p. 22: „Paragraph 4 […] distinguishes between measures to be described as assistance and measures that might be described as interference.“

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2. Teil: Die Geschäftsführung ohne Auftrag im IPR

In vielen Fällen wird der Anknüpfungspunkt daher schnell zu lokalisieren sein. Wenn etwa ein deutscher Urlauber einen in den mallorquinischen Wellen zu ertrinken drohenden Briten an den Strand rettet, erscheint selbstverständlich, dass spanisches Recht anzuwenden ist. Sollte ein französischer Abschleppunternehmer einen deutschen Geschäftsreisenden, der auf der Autobahn kurz vor Paris einen Motorschaden hatte und sich hilfesuchend von seinem Fahrzeug entfernt hat, dieses ungefragt abschleppen und den Motor reparieren, liegt es auf der Hand, dass französisches Recht auf die daraus resultierende Rechtsbeziehung zwischen diesen Personen Anwendung findet. Dennoch bereitet die Bestimmung des Vornahmeortes einige Probleme, etwa wenn sich das Handeln des Geschäftsführers über mehrere Staaten erstreckt oder wenn seine Tätigkeit in einem anderen Staat als dem „Handlungsstaat“ Wirkungen entfaltet. So hatte das LG München I in seiner prominent zu Art. 11 Rom II-VO ergangenen Entscheidung über Ansprüche aus internationaler Erbensuche zu befinden.520 Das anwendbare Recht war hier über Abs. 3 zu ermitteln, wobei sich insbesondere als problematisch erwies, dass der Geschäftsführer seine Suche in mehreren Staaten betrieben hat. In all den genannten Fällen besteht Uneinigkeit über die Lokalisierung des durch Art. 11 Abs. 3 Rom II-VO bezeichneten Ortes, weil die Geschäftsführung Bezüge zu mehreren Staaten aufweist. Der bloße Normwortlaut des Art. 11 Abs. 3 Rom II-VO führt nicht weiter; die Norm ist zu konkretisieren. 1. Meinungsstand Wirft man hierfür einige erste Blicke in Literatur (und Rechtsprechung), fällt auf, dass meist zwischen der Anknüpfung an den „Handlungsort“ und einer solchen an den „Erfolgsort“ unterschieden wird. Problematisch ist indes, dass insbesondere in Bezug auf die Lokalisierung des „Handlungsortes“ Unsicherheiten zu bestehen scheinen. Vor allem dies macht die Abgrenzung zu dem Ort, der als „Erfolgsort“ beschrieben wird, nicht ganz einfach. Bevor aber auf die konkrete Lokalisierung dieser Orte eingegangen wird, sollen die vertretenen Auffassungen systematisiert und die für sie ins Feld geführten Argumente dargestellt werden.

520

LG München I 18.4.2013 – 10 O 6084/12 = IPRax 2014, 438.

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a) Kategorisierung aa) „Handlungsort“ Wohl überwiegend wird eine Anknüpfung an den Handlungsort befürwortet.521 Für eine solche Sichtweise spreche die Normgenese,522 in systematischer Hin-

sicht eine Abgrenzung zu den Anknüpfungen anderer Sachbereiche in der Rom II-VO523 sowie der Normwortlaut.524 Ferner sei dieser Ort in der Praxis leichter zu bestimmen.525 Außerdem wird vorgebracht, dass der Geschäftsführer ein kollisionsrechtliches Interesse daran habe, dass das Recht an seinem Handlungsort zur Anwendung gelangt, da der Erfolgsort unter Umständen nur schwer für ihn erkennbar sei. Die Erkennbarkeit des anwendbaren Rechts sei gerade für den Geschäftsführer von Relevanz, da bei der auftragslosen Geschäftsführung nicht der Schutz des Geschäftsherrn vor unerwünschter Einmischung in seinen Rechtskreis im Fokus stehe, sondern der „Belohnungsaspekt“

521 Junker, in: MüKo BGB, 8. Aufl. 2021, Art. 11 Rom II-VO Rn. 17; Limbach, in: NKBGB, 3. Aufl. 2019, Art. 11 Rom II-VO Rn. 13; Tichy, in: Magnus/Mankowski (eds.), ECPIL Vol. 3, 2019, Art. 11 Rome II para. 50; Wendelstein, in: Soergel, 13. Aufl. 2019, Art. 11 Rom II-VO Rn. 26 f.; ders., GPR 2014, 46, 50 ff.; Nehne, IPRax 2012, 136, 139 f.; Heiss/Loacker, JBl. 129 (2007), 613, 643; LG München I 18.4.2013 – 10 O 6084/12 = IPRax 2014, 438, 441 Rn. 42; Ofner, ZfRV 2008, 13, 20; wohl auch Brière, Clunet 135 (2008), 31, 51 („le lieu où l’affaire est gérée“) und Stürner, in: Erman, 16. Aufl. 2020, Art. 11 Rom IIVO Rn. 9 („Vornahmeort“ unter Bezugnahme auf Junker, aaO, und LG München I, aaO); unklar Huber/Bach, in: Huber (ed.), Rome II, 2011, Art. 11 para. 22, die auf die „performance“ des „acts“ abstellen. 522 Junker, in: MüKo BGB, 8. Aufl. 2021, Art. 11 Rom II-VO Rn. 17; LG München I 18.4.2013 – 10 O 6084/12 = IPRax 2014, 438, 441 Rn. 42; Nehne, IPRax 2012, 136, 139. 523 Junker, in: MüKo BGB, 8. Aufl. 2021, Art. 11 Rom II-VO Rn. 17 (Abgrenzung zu Art. 4 Abs. 1 und 10 Abs. 3 Rom II-VO; Limbach, in: NK-BGB, 3. Aufl. 2019, Art. 11 Rom II-VO Rn. 13 (Verweis auf Art. 10 Abs. 3 Rom II-VO); auf Art. 4 Abs. 1 Rom II-VO verweisen auch LG München I 18.4.2013 – 10 O 6084/12 = IPRax 2014, 438, 441 Rn. 42 und Nehne, IPRax 2012, 136, 140. Siehe ferner Heiss/Loacker, JBl. 129 (2007), 613, 643 und Ofner, ZfRV 2008, 13, 20. 524 Junker, in: MüKo BGB, 8. Aufl. 2021, Art. 11 Rom II-VO Rn. 17; Tichy, in: Magnus/Mankowski (eds.), ECPIL Vol. 3, 2019, Art. 11 Rome II para. 50; LG München I 18.4.2013 – 10 O 6084/12 = IPRax 2014, 438, 441 Rn. 42; Nehne, IPRax 2012, 136, 139. 525 Brière, Clunet 135 (2008), 31, 51: „D’un point de vue pratique, […] le lieu où l’affaire est gérée [est] toutefois plus aisés à localiser.“

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2. Teil: Die Geschäftsführung ohne Auftrag im IPR

für den Geschäftsführer bei erwünschter Hilfeleistung.526 In Fällen der Nothilfe komme hinzu, dass dem Geschäftsführer am Handlungsort möglicherweise Hilfeleistungspflichten auferlegt werden, so dass durch eine Anknüpfung an eben diesen Ort der funktionale Zusammenhang zwischen strafrechtlichen Hilfeleistungspflichten und zivilrechtlichen Entschädigungsnormen gewahrt bliebe. Dies gelte auch für entsprechende Normen des Sozialrechts, die eine Hilfeleistung zu fördern versuchen.527 Bei sukzessiv erfolgenden Geschäftsführungshandlungen sei der Ort des Tätigkeitsbeginns maßgeblich.528 Zumindest in Hilfeleistungsfällen spreche dafür die Wahrung des funktionalen Zusammenhangs zwischen öffentlichem Recht, Strafrecht und Zivilrecht.529 Aber auch im Allgemeinen liefe eine „Schwerpunktbildung“, wie sie von anderen Stimmen in der Literatur gefordert wird, dem Streben der Verordnung nach Rechtssicherheit zuwider, das in ErwGr. 14 Satz 1 Rom II-VO zum Ausdruck komme.530 Dem treten die Stimmen, die eine Schwerpunktbetrachtung fordern, entgegen und verweisen darauf, dass der Tätigkeitsbeginn zwar die Bestimmung des maßgeblichen Rechts vereinfachen könne, allerdings kein weiterer Grund oder Vorteil für eine Bevorzugung des Tätigkeitsbeginns ersichtlich sei.531 Vereinzelt wird auch eine Mosaikbetrachtung vertreten, wonach die Geschäftsführung in verschiedene Teile zu spalten und folglich die Rechtsordnung jedes einzelnen Staates für die auf seinem Hoheitsgebiet stattfindenden Handlungen maßgeblich sei. Nur notfalls solle über Art. 11 Abs. 4 Rom II-VO eine Korrektur erfolgen.532 Nach wieder anderer 526 So Wendelstein, in: Soergel, 13. Aufl. 2019, Art. 11 Rom II-VO Rn. 26 (allerdings auf der Basis seines Verständnisses von der Reichweite des GoA-Statuts [deliktisch anmutende Schuldverhältnisse seien einzig dem Deliktsstatut zu unterstellen, dazu schon oben S. 173 ff.]). 527 Wendelstein, in: Soergel, 13. Aufl. 2019, Art. 11 Rom II-VO Rn. 27; ders., GPR 2014, 46, 53. 528 Junker, in: MüKo BGB, 8. Aufl. 2021, Art. 11 Rom II-VO Rn. 18; Tichy, in: Magnus/Mankowski (eds.), ECPIL Vol. 3, 2019, Art. 11 Rome II para. 50; Wendelstein, in: Soergel, 13. Aufl. 2019, Art. 11 Rom II-VO Rn. 29; ders., GPR 2014, 46, 51 ff.; LG München I 18.4.2013 – 10 O 6084/12 = IPRax 2014, 438, 440 f. Rn. 38 ff.; wohl auch Stürner, in: Erman, 16. Aufl. 2020, Art. 11 Rom II-VO Rn. 9. 529 Wendelstein, in: Soergel, 13. Aufl. 2019, Art. 11 Rom II-VO Rn. 29; ders., GPR 2014, 46, 53. 530 Junker, in: MüKo BGB, 8. Aufl. 2021, Art. 11 Rom II-VO Rn. 18; vgl. auch Wendelstein, in: Soergel, 13. Aufl. 2019, Art. 11 Rom II-VO Rn. 28; ders., GPR 2014, 46, 51 (es fehle an Kriterien für die Bestimmung dieses Schwerpunktes); wohl auch Stürner, in: Erman, 16. Aufl. 2020, Art. 11 Rom II-VO Rn. 9 („Zweckmäßigkeitsgründe“ sprächen für Maßgeblichkeit des ersten Handlungsortes). 531 Limbach, in: NK-BGB, 3. Aufl. 2019, Art. 11 Rom II-VO Rn. 13. Begründungslos für eine Schwerpunktbetrachtung („‘center of action‘“) Huber/Bach, in: Huber (ed.), Rome II, 2011, Art. 11 para. 22, die aber auf den Tätigkeitsbeginn als Schwerpunkt abstellen, wenn die Geschäftsführung „consists in the transport of a person or a good“. 532 Nehne, IPRax 2012, 136, 140; so wohl auch Heiss/Loacker, JBl. 129 (2007), 613, 643.

§ 3 Art. 11 Rom II-VO

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Auffassung soll eine Mosaikbetrachtung dann angewendet werden, wenn eine Schwerpunktbetrachtung unmöglich ist.533 Schließlich wird auch überlegt, an das Tätigkeitsende anzuknüpfen.534 bb) „Erfolgsort“ Andere Stimmen erklären den Erfolgsort für maßgeblich.535 Zur Begründung ziehen die Vertreter dieser Auffassung ebenfalls die Normgenese536 und den Wortlaut des Abs. 3, der das Ergebnis der Geschäftsführung betone,537 heran. Ferner wird eine systematische Abgrenzung zu dem Anknüpfungspunkt des Art. 11 Abs. 2 Rom II-VO angeführt.538 Außerdem wird darauf verwiesen, dass in Bezug auf den Handlungsort Manipulationsmöglichkeiten für den Geschäftsführer bestünden, die er bei der Maßgeblichkeit des Erfolgsort nicht hätte.539 Für den Geschäftsführer sei es zudem zumutbar, wenn das Recht dieses Ortes zur Anwendung gelange, da er hierauf sein Handeln gezielt ausrichte und folglich mit dessen Anwendung rechnen müsse.540 Schließlich sei die Anknüpfung an den Erfolgsort vorzugswürdig, da auf diese Weise ein Gleichlauf mit anderen Statuten erreicht werde.541 533

Huber/Bach, in: Huber (ed.), Rome II, 2011, Art. 11 para. 22. Rushworth/Scott, Lloyd’s M. C. L. Q. 2008, 274, 289 erwägen dies neben einer Anknüpfung an den Tätigkeitsbeginn („by choosing either the country in which the act was commenced or completed“). 535 Schinkels, in: BeckOGK, 1.8.2018, Art. 11 Rom II-VO Rn. 39; ders., in: Calliess (ed.), Rome, 2nd ed. 2015, Art. 11 Rome II para. 20; Jakob/Picht, in: Europ. Zivilprozess- und Kollisionsrecht, 4. Aufl. 2016, Art. 11 Rom II-VO Rn. 26; G. Fischer, in: FS Spellenberg, 2010, S. 151, 165; Thorn, in: Grüneberg, 81. Aufl. 2022, Art. 11 Rom II-VO Rn. 8; Fehrenbacher, in: Prütting/Wegen/Weinreich, 16. Aufl. 2021, Art. 11 Rom II-VO Rn. 5; Looschelders, IPRax 2014, 406, 410; siehe auch Sonnentag, ZVglRWiss 105 (2006), 256, 305; Mankowski, in: Encyclopedia Vol. 2, 2017, p. 1304 („consequences“). 536 Schinkels, in: BeckOGK, 1.8.2018, Art. 11 Rom II-VO Rn. 39; ders., in: Calliess (ed.), Rome, 2nd ed. 2015, Art. 11 Rome II para. 20. 537 Jakob/Picht, in: Europ. Zivilprozess- und Kollisionsrecht, 4. Aufl. 2016, Art. 11 Rom II-VO Rn. 26; krit. aber Looschelders, IPRax 2014, 406, 409 f. (Erfolgsortanknüpfung stehe „in einem gewissen Spannungsverhältnis zum Wortlaut der Vorschrift“). 538 Schinkels, in: BeckOGK, 1.8.2018, Art. 11 Rom II-VO Rn. 39. 539 Schinkels, in: BeckOGK, 1.8.2018, Art. 11 Rom II-VO Rn. 39; Jakob/Picht, in: Europ. Zivilprozess- und Kollisionsrecht, 4. Aufl. 2016, Art. 11 Rom II-VO Rn. 26; G. Fischer, in: FS Spellenberg, 2010, S. 151, 165; Fehrenbacher, in: Prütting/Wegen/Weinreich, 16. Aufl. 2021, Art. 11 Rom II-VO Rn. 5. 540 G. Fischer, in: FS Spellenberg, 2010, S. 151, 165; siehe auch Jakob/Picht, in: Europ. Zivilprozess- und Kollisionsrecht, 4. Aufl. 2016, Art. 11 Rom II-VO Rn. 26 (in Bezug auf einen bestimmten Belegenheitsort). 541 Jakob/Picht, in: Europ. Zivilprozess- und Kollisionsrecht, 4. Aufl. 2016, Art. 11 Rom II-VO Rn. 26 und Fehrenbacher, in: Prütting/Wegen/Weinreich, 16. Aufl. 2021, Art. 11 Rom II-VO Rn. 5 (Deliktsstatut); Mankowski, in: Encyclopedia Vol. 2, 2017, p. 1304; vgl. auch G. Fischer, in: FS Spellenberg, 2010, S. 151, 165 (Gleichlauf mit 534

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2. Teil: Die Geschäftsführung ohne Auftrag im IPR

Bei „sukzessiven Geschäftsführungseffekten in mehreren Rechtsordnungen“542 müsse der Ort maßgeblich sein, an dem die erste Einwirkung auf die Rechtsgüter bzw. Interessen des Geschäftsherrn stattgefunden hat.543 Eine „Mosaikbetrachtung“, d. h. die Beurteilung jedes Teilaktes nach dem Recht des Staates, in dem er stattgefunden hat, komme nicht in Betracht.544 Andernfalls würde die richterliche Entscheidung in solchen Fällen verkompliziert und zudem die Gefahr von Normenkollisionen geschaffen.545 Es dürfe auch keine Schwerpunktbetrachtung angestellt werden, da für eine solche stets Wertungen erforderlich wären, so dass sie mit Subjektivität behaftet sei, was der Rechtssicherheit nicht zuträglich sei.546 Dem wird entgegengehalten, dass nicht nur die Konkretisierung des „Beginns“ einer Geschäftsführung mit Unsicherheiten belastet sei, sondern auch dessen Rekonstruktion im späteren Prozess. Darüber hinaus soll der Ort, an dem der Schwerpunkt der Geschäftsführung liegt, sachnäher sein.547 Maßgeblich müsse daher eine Schwerpunktbetrachtung sein, an die allerdings nicht zu geringe Anforderungen gestellt werden dürfen.548 Sollte kein Schwerpunkt festgestellt werden können, müsse hilfsweise an den ersten Erfolgsort angeknüpft werden.549 Wenn gleichzeitig mehrere, in verschiedenen Staaten belegene Erfolgsorte vorhanden sind, besteht – dort, wo das Problem diskutiert wird – Einigkeit über die Lokalisierung des Ortes: Maßgeblich ist in diesen Fällen eine

Verwendungsersatzansprüchen als Vindikationsfolge und der Rückgriffskondiktion); siehe auch Sonnentag, ZVglRWiss 105 (2006), 256, 305 (Gleichlauf mit Delikts- und Bereicherungsstatut). 542 Schinkels, in: BeckOGK, 1.8.2018, Art. 11 Rom II-VO Rn. 40. 543 Schinkels, in: BeckOGK, 1.8.2018, Art. 11 Rom II-VO Rn. 40; ders., in: Calliess (ed.), Rome, 2nd ed. 2015, Art. 11 Rome II para. 21. Begründungslos für eine Anknüpfung an den Ort des Geschäftsführungsbeginns auch Thorn, in: Grüneberg, 81. Aufl. 2022, Art. 11 Rom II-VO Rn. 8. 544 Schinkels, in: BeckOGK, 1.8.2018, Art. 11 Rom II-VO Rn. 40; Jakob/Picht, in: Europ. Zivilprozess- und Kollisionsrecht, 4. Aufl. 2016, Art. 11 Rom II-VO Rn. 28. 545 Jakob/Picht, in: Europ. Zivilprozess- und Kollisionsrecht, 4. Aufl. 2016, Art. 11 Rom II-VO Rn. 28; siehe auch Schinkels, in: Calliess/Renner (eds.), Rome, 3rd ed. 2020, Art. 11 Rome II para. 21 („avoid dépeçage“). 546 Schinkels, in: BeckOGK, 1.8.2018, Art. 11 Rom II-VO Rn. 40; ders., in: Calliess (ed.), Rome, 2nd ed. 2015, Art. 11 Rome II para. 21. 547 Jakob/Picht, in: Europ. Zivilprozess- und Kollisionsrecht, 4. Aufl. 2016, Art. 11 Rom II-VO Rn. 28. 548 Jakob/Picht, in: Europ. Zivilprozess- und Kollisionsrecht, 4. Aufl. 2016, Art. 11 Rom II-VO Rn. 28 f.; für eine Schwerpunktbetrachtung wohl auch Plender/Wilderspin, EPIL of Obligations, 3rd ed. 2009, para. 25-037. 549 Jakob/Picht, in: Europ. Zivilprozess- und Kollisionsrecht, 4. Aufl. 2016, Art. 11 Rom II-VO Rn. 29.

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Schwerpunktbildung.550 Wo dies nicht möglich ist, soll nach vereinzelt vertretener Auffassung das Günstigkeitsprinzip herangezogen werden.551 Sind mehrere Geschäftsführer oder Geschäftsherrn vorhanden, komme grundsätzlich keine Schwerpunktbetrachtung für die Gesamtkonstellation in Betracht: Wenn sich einzelne Teile des vorgefundenen Sachverhalts abgrenzen lassen, soll für jeden einzelnen Part gesondert angeknüpft werden.552 Den Vertretern einer Anknüpfung an den Erfolgsort wird man wohl auch Dornis553 zuordnen können. Er postuliert indes eine flexible, an den Parteiinteressen und Parteierwartungen orientierte Anknüpfung. Entscheidend sei für die Anknüpfung der Ort, an dem sich die „statischen Erwartungen des Geschäftsherrn“ mit den „dynamischen Erwartungen des Geschäftsführers“ decken.554 Dies soll regelmäßig am Ort des gewöhnlichen Aufenthalts des Geschäftsherrn geschehen, sofern dieser seinen Rechtskreis nicht willentlich erweitert hat. Dehnte er seinen Rechtskreis indes auf andere Rechtsordnungen aus, müsse er auch mit deren Anwendung rechnen.555 Besteht die Geschäftsführung beispielsweise in einer Hilfeleistung oder dient sie der Sicherstellung einer Sache, soll damit grundsätzlich der Belegenheitsort des konkreten Rechtsguts maßgeblich sein.556 Wird eine Sache indes ohne seinen Willen von ihrem bestimmungsgemäßen Belegenheitsort entfernt, sei die neue lex rei sitae nur dann entscheidend, wenn der Geschäftsherr mit einem Abhandenkommen hätte rechnen müssen.557 Sowohl bei sukzessiv als auch bei gleichzeitig erfolgenden Geschäftsführungen sei eine Mosaikbetrachtung vorzunehmen; darauf zielten die Parteiinteressen und -erwartungen. Nur ausnahmsweise könne über Art. 11 Abs. 4 Rom II-VO einheitlich an eine Rechtsordnung angeknüpft werden, wenn eine Schwerpunktbetrachtung dies ermögliche.558 Sei die Geschäftsführung auf eine bestehende Verpflichtung des Geschäftsherrn bezogen, habe der Geschäftsführer keinen räumlichen Anhaltspunkt, auf den sich seine Erwartungen an das anwendbare Recht beziehen können. Daher könne er nur mit der Anknüpfung des Forderungsstatuts rechnen, was auch für den Geschäftsherrn gelte.559 Schließlich solle bei Geschäftsführungen „ohne Rechtsgut- und 550 Schinkels, in: BeckOGK, 1.8.2018, Art. 11 Rom II-VO Rn. 41; Thorn, in: Grüneberg, 81. Aufl. 2022, Art. 11 Rom II-VO Rn. 8; so auch Jakob/Picht, in: Europ. Zivilprozess- und Kollisionsrecht, 4. Aufl. 2016, Art. 11 Rom II-VO Rn. 28. 551 Fehrenbacher, in: Prütting/Wegen/Weinreich, 16. Aufl. 2021, Art. 11 Rom II-VO Rn. 5. 552 Jakob/Picht, in: Europ. Zivilprozess- und Kollisionsrecht, 4. Aufl. 2016, Art. 11 Rom II-VO Rn. 30. 553 RabelsZ 80 (2016), 543, 570 ff. 554 Dornis, RabelsZ 80 (2016), 543, 570. 555 Dornis, RabelsZ 80 (2016), 543, 570 und 576 f. 556 Dornis, RabelsZ 80 (2016), 543, 570. 557 Dornis, RabelsZ 80 (2016), 543, 571. 558 Dornis, RabelsZ 80 (2016), 543, 572 f. 559 Dornis, RabelsZ 80 (2016), 543, 573 f.

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2. Teil: Die Geschäftsführung ohne Auftrag im IPR

Verpflichtungsbezug“ an den gewöhnlichen Aufenthalt des Geschäftsherrn angeknüpft werden. Beispielhaft genannt wird dafür der Fall des Erwerbs einer Sammlerbriefmarke für den Geschäftsherrn. Der Geschäftsführer müsse davon ausgehen, dass die Geschäftsbesorgung erst mit der Eingliederung in das Vermögen des Geschäftsherrn ihren Abschluss finde.560 Bei der internationalen Erbensuche müsse ebenfalls an den gewöhnlichen Aufenthalt des Geschäftsherrn angeknüpft werden, da er seinen Rechtskreis nicht willentlich erweitert habe und daher nicht mit der Anwendung einer fremden Rechtsordnung zu rechnen brauche.561 b) Begriffsverständnis Die dargestellten Auffassungen belegen, dass sich sowohl bei den Vertretern, die auf den „Handlungsort“ abstellen, als auch bei denen, die den „Erfolgsort“ für maßgeblich erachten, dieselben Probleme stellen: Insbesondere ist stets fraglich, was gilt, wenn der „Handlungsort“ bzw. der „Erfolgsort“ sukzessive in mehreren Staaten lokalisiert werden kann. Die Begriffe „Handlungsort“ und „Erfolgsort“ stehen sich also nicht so klar gegenüber, wie durch die vorangegangene Darstellung suggeriert wird. Um den Grund dafür aufzuzeigen, muss auf das Verständnis dieser Begriffe eingegangen werden. aa) „Handlungsort“ Wie eingangs gesagt, liegt dem Begriff des „Handlungsortes“ wohl keine allgemein anerkannte Definition zugrunde; es scheinen Unsicherheiten zu bestehen. Das verwundert. Denn dessen genaue Lokalisierung scheint sich eigentlich aus sich selbst heraus zu erklären. Vermutlich wird der Begriff wohl deshalb oftmals auch gar nicht näher erläutert. Bei unbefangener Betrachtung müsste der Ort maßgeblich sein, an dem der Geschäftsführer die Geschäftsführungshandlung vornimmt.562 Wo indes konkrete Beispiele für den „Handlungsort“ genannt werden, offenbaren sich nicht unerhebliche Divergenzen und Unsicherheiten hinsichtlich der Qualifizierung verschiedener Handlungen als eine solche Geschäftsführungshandlung. Hierfür sei zunächst auf das Beispiel Wendelsteins563 für eine von ihm so bezeichnete „Distanznotgeschäftsführung“ verwiesen: 560

Dornis, RabelsZ 80 (2016), 543, 574 f. Dornis, RabelsZ 80 (2016), 543, 575 f. 562 So wohl das LG München I (18.4.2013 – 10 O 6084/12 = IPRax 2014, 438, 441 Rn. 43), wenn es darauf abstellt, dass eine Manipulation der Anknüpfungstatsachen durch den Geschäftsführer in vielen Fällen nicht zu befürchten ist, da der Geschäftsherr ein Tatsachensubstrat hinterlässt. (Anm. d. Verf.: Der Wortlaut der Entscheidung ist insofern wohl versehentlich gewählt; das Gericht spricht davon, dass der Geschäftsherr ein Tatsachensubstrat vorfindet, das er nicht wesentlich verändern kann.). 563 Wendelstein, GPR 2014, 46, 46 f. und 51. 561

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„A begibt sich für eine Begehung des Jubiläumsgrats in das Zugspitzgebiet. Aufgrund eines heftigen Wetterumsturzes mit schnell sinkenden Temperaturen kommt er (auf deutschem Hoheitsgebiet) in eine Notlage, aus der er sich aus eigener Kraft nicht mehr befreien kann. Aufgrund eines telefonischen Hinweises des W, welcher A vom Gipfel der Zugspitze aus weiter Ferne beobachtet hat, kommt dem A die privat organisierte, österreichische Bergrettung aus Ehrwald mittels eines Helikopters zur Hilfe und kann diesen schließlich durch Einsatz der Seilwinde retten und in die Universitätsklinik Innsbruck fliegen. Bei der Rettung wird A infolge leichter Fahrlässigkeit des Bergretters B leicht verletzt.“

Nach Wendelstein kommt für die Lokalisierung des „Handlungsortes“ grundsätzlich die Anknüpfung an mehrere Handlungen in Betracht: Der Handlungsort könne in Deutschland belegen sein, da von hier der telefonische Hinweis ausging und auch die Bergung des A stattfand; aber auch das Hoheitsgebiet Österreichs komme in Betracht, weil der Helikopter dort gestartet und gelandet ist.564 Er selbst bestimmt letztlich Österreich aufgrund des dort stattfindenden Helikopterstarts zum Handlungsort.565 In einem anderen Beispiel überlegen Plender und Wilderspin, ob eine relevante Geschäftsführungshandlung sogar schon darin bestehen könnte, dass sich der Geschäftsführer zum Tätigwerden entscheidet. In dem von ihnen gebildeten Fall führte eine solche Sichtweise zu einem weiteren möglichen Anknüpfungspunkt:566 „A is a builder habitually resident in France, B is habitually resident in Luxembourg. On his way to work in Belgium, A drives past B’s house and sees it has been broken into and the windows smashed. At work in Belgium A decides that afternoon to fix B’s house. He purchases the materials he needs from a shop in Luxembourg and boards over the windows. A now seeks to recover his loss and expenses.“

Auf den ersten Blick erscheinen aber sowohl der Ort, an dem die Entscheidung zum Eingriff getroffen wird, als auch jener, von dem aus im vorgenannten Beispiel das Telefonat mit dem rettenden Hinweis geführt wurde, nicht als Ort einer Geschäftsführungs-, sondern lediglich als solcher einer Vorbereitungshandlung. Das gilt auch für den Start des Rettungsflugs. Der Frage, ob solche für die Lokalisierung des Geschäftsführungsortes im Rahmen von Art. 11 Abs. 3 Rom II-VO eine Rolle spielen können und wie sie von der Geschäftsausführung abzugrenzen sind, soll später nachgegangen werden.567 Daneben wird bezüglich Wendelsteins Beispiel zu hinterfragen sein, ob der Helikopterstart bzw. dessen Landung überhaupt als taugliche Anknüpfungspunkte in 564

Wendelstein, GPR 2014, 46, 50. Wendelstein, GPR 2014, 46, 53. 566 Plender/Wilderspin, EPIL of Obligations, 3rd ed. 2009, para. 25-034 sowie das Beispiel in para. 25-035 et. seq. Tichy, in: Magnus/Mankowski (eds.), ECPIL Vol. 3, 2019, Art. 11 Rome II para. 50 stellt sogar ausdrücklich auf den Ort, „where the intervenor decided to intervene“ ab, obwohl er aaO, einige Sätze, zuvor noch den Ort „on which the intervenor’s actions materialised on the object of performance“ für maßgeblich erklärt. 567 S. 218 ff. 565

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2. Teil: Die Geschäftsführung ohne Auftrag im IPR

Betracht kommen, wenn doch der W, der die Luftrettung telefonisch informiert hat, Ansprüche aus GoA geltend macht.568 bb) „Erfolgsort“ Zur Lokalisierung des „Erfolgsortes“ wird in der Literatur ganz überwiegend569 auf den Ort abgestellt, an dem die Geschäftsführungsmaßnahmen ihre Wirkungen auf den Geschäftsführungsgegenstand entfalten.570 Im Falle der Erfolglosigkeit der Geschäftsführung sei auf den Ort abzustellen, an dem die Maßnahmen ihre Wirkungen entfaltet hätten.571 Im Allgemeinen sei maßgeblich, wann die Handlungen des Geschäftsführers auf die Rechtsgüter und Interessen des Geschäftsherrn treffen.572 Bei Einwirkungen auf Rechtsgüter soll das der Ort ihrer Belegenheit zum Zeitpunkt der Einwirkung sein.573 In den Fällen der grenzüberschreitenden, sukzessiven Erbensuche sei der Erfolgsort – an diesen Maßstäben gemessen – der Lageort des Nachlasses, hilfsweise der Ort der Durchführung des Nachlassverfahrens, da die Erbschaft den Geschäftsführungsgegenstand bilde.574 Bei der Vornahme „neutraler Geschäfte“, d. h. solcher, die nicht objektiv auf den Rechtskreis des Geschäftsherrn einwirken, solle der „Wirkungsort“ nach vereinzelter, von G. Fischer vertretener Auffassung hingegen dort liegen, wo dem Geschäftsherrn die Interessenwahrnehmung zugutekommt.575 Entsprechendes gilt ihm zufolge bei der Einziehung einer fremden Forderung; hier sei der „Wirkungsort“ am Ort des Gläubigervermögens, d. h. regelmäßig am Ort des gewöhnlichen Aufenthalts bzw. der 568

S. 220. Flexibler ist, wie gezeigt, Dornis, RabelsZ 80 (2016), 543, 570 ff. 570 Jakob/Picht, in: Europ. Zivilprozess- und Kollisionsrecht, 4. Aufl. 2016, Art. 11 Rom II-VO Rn. 26. 571 Schinkels, in: BeckOGK, 1.8.2018, Art. 11 Rom II-VO Rn. 39; siehe auch Looschelders, IPRax 2014, 406, 410. 572 Looschelders, IPRax 2014, 406, 410; vgl. auch Jakob/Picht, in: Europ. Zivilprozessund Kollisionsrecht, 4. Aufl. 2016, Art. 11 Rom II-VO Rn. 30. So wohl schon Habermann, Die Geschäftsführung ohne Auftrag im System des deutschen Internationalen Privatrechts, 1990, S. 130, der in seiner Arbeit einen Gesetzesvorschlag für die Anknüpfung von Ansprüchen aus auftragsloser Geschäftsführung im autonomen deutschen IPR erarbeitete und für die Maßgeblichkeit des Vornahmeortes votierte (Erfolgsort sei der Ort, „an dem sich die Geschäftsführungshandlung im Rechtskreis des Geschäftsherrn materialisiert“). 573 Schinkels, in: BeckOGK, 1.8.2018, Art. 11 Rom II-VO Rn. 39; G. Fischer, in: FS Spellenberg, 2010, S. 151, 165; so auch Dornis, RabelsZ 80 (2016), 543, 570; wohl auch Jakob/Picht, in: Europ. Zivilprozess- und Kollisionsrecht, 4. Aufl. 2016, Art. 11 Rom II-VO Rn. 26 („Belegenheits- und Wirkungsort“). 574 Looschelders, IPRax 2014, 406, 410; siehe auch Schinkels, in: BeckOGK, 1.8.2018, Art. 11 Rom II-VO Rn. 40 und Spickhoff, in: BeckOK BGB, 60. Ed. 1.8.2021, Art. 11 Rom II-VO Rn. 6: Lageort des Nachlasses. Dass diese Sichtweise unzutreffend ist, wird später zu zeigen sein, siehe S. 234 ff. 575 G. Fischer, in: FS Spellenberg, 2010, S. 151, 167. 569

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Geschäftsniederlassung des Geschäftsherrn, zu lokalisieren.576 In diese Richtung geht wohl auch Mankowski, wenn er – ohne näher darauf einzugehen – auf die „consequences“ abstellt und diese dem „act“ gegenüberstellt.577 Insbesondere die letztgenannten Beispiele – die internationale Erbensuche und die Führung „neutraler Geschäfte“ – belegen, dass bei genauerer Betrachtung auch der Begriff des „Erfolgsortes“ schillert. 2. Stellungnahme a) Vorweg: Beachtung der Wortlautgrenze ist zwingend Im Rahmen der Auslegung nicht gefolgt werden kann der flexiblen Auffassung von Dornis. Sie überdehnt in gleich zweifacher Hinsicht den Wortlaut von Art. 11 Abs. 3 Rom II-VO, der auch im europäischen Recht die Auslegungsgrenze markiert.578 Erstens zielt Art. 11 Abs. 3 Rom II-VO darauf ab, sämtliche Fälle mittels einer lokalen Anknüpfung zu lösen. Es verbietet sich daher, einer akzessorischen Anknüpfung an das Statut der getilgten Forderung mangels „räumlichen Anhaltspunkts“ den Vorzug gegenüber einer lokalen Verortung zu gewähren.579 Dass es auch bei der Tilgung einer fremden Schuld nicht an einem örtlichen Bezugspunkt für die Anknüpfung mangelt, belegt obendrein schon die Untersuchung Manfred Wandts bezüglich der bis dato in der Wissenschaft diskutierten Anknüpfungspunkte für die auftragslose Leistung auf eine fremde Schuld.580 Zweitens überschreitet die von ihm in den Fällen der internationalen Erbensuche vorgeschlagene Anknüpfung an den gewöhnlichen Aufenthalt des Geschäftsherrn ebenfalls den Wortlaut, wenn die Geschäftsführung keinen über die bloße Parteienstellung des Geschäftsherrn hinausgehenden Bezug zum Ort seines gewöhnlichen Aufenthalts hat. Der Anknüpfung nach Art. 11 Abs. 3 Rom II-VO liegt, wie eingangs aufgezeigt, ein geschäftsführungsspezifischer Fokus zugrunde.581 Darüber hinaus wurde in der Literatur an dieser Sichtweise kritisiert, dass sie zu der bewussten Entscheidung des Verordnungsgebers, von der in Art. 9 Abs. 4 Satz 1 VO-E (2003) vorgesehenen Anknüpfung für

576

G. Fischer, in: FS Spellenberg, 2010, S. 151, 166. Mankowski, in: Encyclopedia Vol. 2, 2017, p. 1304. 578 S. 7 ff., insb. 22. 579 So aber Dornis, RabelsZ 80 (2016), 543, 573. Auch v. Bar/Mankowski, IPR Bd. 2, 2. Aufl. 2019, § 2 Rn. 524 präferieren eine normative Verortung (was ebenso für die Einziehung einer fremden Forderung gelten soll). Die Entscheidung des Verordnungsgebers für eine Anknüpfung an den Vornahmeort ist aber zu respektieren, vgl. S. 23 ff. zur Bindung des Rechtsanwenders an den Willen des historischen Gesetzgebers. 580 Wandt, GoA im IPR, 1989, S. 165 ff. 581 S. 207. 577

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2. Teil: Die Geschäftsführung ohne Auftrag im IPR

(sonstige) Eingriffe in fremde Rechts- und Interessenkreise abzusehen, in Widerspruch stehe.582 Aus diesen Gründen überzeugen Dornis‘ Überlegungen für die Auslegung von Art. 11 Abs. 3 Rom II-VO nicht. Für eine eventuell anzustellende Lückenfüllung indes wären seine Vorschläge zu diskutieren.583 Wegen des von Art. 11 Abs. 3 Rom II-VO gewählten, an der durch den Geschäftsführer erfolgenden Geschäftsführung orientierten Zuschnitts der Anknüpfung, ist es darüber hinaus auch verfehlt, wenn man – wie in der Literatur vereinzelt vertreten – auf den Ort abstellt, an dem die „consequences“ der Geschäftsführung eintreten.584 Zwar wird dieser Begriff nicht näher konkretisiert; dadurch, dass er aber dem „act“ gegenübergestellt wird, liegt der Schluss nahe, dass er ebenso verstanden werden soll, wie der „Wirkungsort“ in der oben dargestellten, von G. Fischer vertretenen Auffassung zur Anknüpfung „neutraler Geschäfte“ und der Einziehung einer fremden Forderung.585 Auf die aus der Geschäftsführung resultierenden Ergebnisse stellt Art. 11 Abs. 3 Rom II-VO aber nicht ab. Er fokussiert vielmehr die Geschäftsführung, also die Interessenwahrnehmung durch den Geschäftsführer an sich. b) Kritik am Begriffsverständnis des Schrifttums Ungeachtet dessen ist es problematisch, dass in Bezug auf den „Handlungsort“ die dargestellten Unsicherheiten bestehen. Wie bereits angedeutet, erscheinen in den diskutierten Beispielsfällen viele Orte, die den Anknüpfungspunkt des Art. 11 Abs. 3 Rom II-VO konkretisieren, als solche, an denen bloße Vorbereitungshandlungen stattgefunden haben. Solche dürfen für die kollisionsrechtliche Beurteilung allerdings keine Rolle spielen, wie nachfolgend belegt werden soll. Ferner wird dargelegt, dass bei der Zugrundelegung des vorzugswürdigen Verständnisses vom „Handlungsort“ dieser stets mit dem „Erfolgsort“ zusammenfallen wird, wenn man letzteren so versteht, dass entscheidend ist, wann die Handlungen auf die Rechts- und Interessensphäre des Geschäftsherrn treffen. Vorbereitungshandlungen sind schon a priori wegen des eindeutigen Wortlauts von Art. 11 Abs. 3 Rom II-VO nicht relevant: So beziehen sich beispielsweise sowohl die deutsche als auch die französische und die italienische Sprachfassung mit ihrer Anknüpfung klar auf die „Geschäftsführung“ („la gestion d’affaires“ [FR]; „la gestione d’affari altrui“ [IT]). Diese beginnt aber stets erst mit dem Akt, mit welchem die Interessen des Geschäftsherrn erstmalig vom Geschäftsführer wahrgenommen werden; maßgeblich ist der Zeitpunkt, in dem die Handlungen des Geschäftsführers auf die Rechts- und 582

Schinkels, in: BeckOGK, 1.8.2018, Art. 11 Rom II-VO Rn. 40 a. E. Siehe zur Lückenfüllung unten, S. 242 ff. 584 Mankowski, in: Encyclopedia Vol. 2, 2017, p. 1304 585 G. Fischer, in: FS Spellenberg, 2010, S. 151, 166 und 167. 583

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Interessensphäre des Geschäftsherrn treffen. Deutlich zeigt sich dies an der englischen Fassung, die auf den Ort abstellt, an dem der „act […] performed“ wurde. Dieser „act“ ist im Zusammenhang mit Abs. 1 zu lesen, in dem der Anknüpfungsgegenstand als „a non-contractual obligation arising out of an act performed without due authority in connection with the affairs of another person“ (Hervorh. d. Verf.) beschrieben wird. Handlungen, die diese Interessenwahrnehmung bloß vorbereiten, genügen diesen Anforderungen nicht. Vor der Geschäftsübernahme liegt schon tatbestandlich keine (auftragslose) Geschäftsführung, kein „act“, vor. Der Zeitpunkt, zu dem das Tätigwerden des Geschäftsführers aus dem Vorbereitungs- in das Ausführungsstadium tritt, die Geschäftsausführung also beginnt, ist dabei stets einzelfallbezogen, d. h. konkret geschäftsspezifisch zu bestimmen.586 An dem Ort, wo die Handlungen des Geschäftsführers auf die Rechts- und Interessensphäre des Geschäftsherrn treffen, liegt nach dem Verständnis in der Literatur aber auch der „Erfolgsort“. Diese Definition ist also auf die Geschäftsausführung bezogen. Der „Erfolgsort“ fällt stets mit dem „Handlungsort“ zusammen, wenn man diesen richtigerweise so konkretisiert, wie eben dargestellt. Führt man sich das Beispiel von Plender und Wilderspin587 nochmal vor Augen, wird deutlich, dass sowohl die Entscheidung zum Tätigwerden als auch der Einkauf der zur Verkleidung der Fenster erforderlichen Baumaterialien nicht als Geschäftsführungsmaßnahmen anzusehen sind. Denn letztlich geht es bei der Geschäftsführung von A einzig um die Verkleidung der Fenster, so dass maßgeblich ist, wann genau damit begonnen wird. 586 An dieser Stelle sei lediglich angemerkt, dass eine solche Sichtweise es freilich nicht ausschließt, materiell-rechtlich Ersatz für Aufwendungen, die der Geschäftsführer vorbereitend, also im Vorfeld seiner Geschäftsführung tätigt, zu gewähren. Die kollisionsrechtliche Perspektive sagt nichts darüber aus, wie das danach anzuwendende Sachrecht den zugrunde liegenden Sachverhalt rechtlich einordnet; Handlungen, die aufgrund verordnungsautonomer Interpretation kollisionsrechtlich als Vorbereitungshandlungen eingestuft werden, können nach nationalem dogmatischem Verständnis selbstverständlich als Geschäftsführungshandlungen eingeordnet werden. Außerdem lässt sich am deutschen Sachrecht verdeutlichen, dass Aufwendungen, die im Vorfeld einer Geschäftsführung getätigt werden und nach deutscher Dogmatik deshalb als Vorbereitungshandlung zu qualifizieren sind, durchaus ersatzfähig sein können: Der Geschäftsführer kann hiernach etwa – vorbehaltlich des Kriteriums der Erforderlichkeit – die Kosten für eine Taxifahrt ersetzt verlangen, wenn diese dadurch entstanden sind, dass er zum Ort seiner sich anschließenden Geschäftsführung angereist ist, siehe zutreffend Bergmann, in: Staudinger, Neubearb. 2020, Vorb. §§ 677 ff. BGB Rn. 226 und § 683 BGB Rn. 46. Dies gilt freilich auch für etwaige, bei der Ausführung von Vorbereitungshandlungen erlittene Schäden, wenn sich diese als sog. risikotypische Begleitschäden darstellen, siehe auch dazu zutreffend Bergmann, in: Staudinger, Neubearb. 2020, § 683 BGB Rn. 62. Probleme in Bezug auf die kollisionsrechtliche Behandlung dieser Fälle sind nicht zu erwarten, da die Geschäftsführung im Nachgang an die im Vorfeld getätigten Aufwendungen zumindest übernommen worden sein muss – es liegt also in jedem Fall mindestens eine Geschäftsführungshandlung vor, an die angeknüpft werden kann. 587 S. 214 f.

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2. Teil: Die Geschäftsführung ohne Auftrag im IPR

Die Schwierigkeiten in Bezug auf die Lokalisierung der genannten Orte sollen ferner an dem folgenden Fall veranschaulicht werden, der an ein Beispiel Schinkels588 zur Verdeutlichung des Unterschieds zwischen Handlungs- und Erfolgsort angelehnt ist: Der D ist Eigentümer eines Ferienhauses auf der Mittelmeerinsel M. Als sich D in Deutschland befindet, beobachtet er mittels einer an seinem Ferienhaus angebrachten Überwachungskamera einen schwankenden, auf dem Grundstück des Nachbarn N stehenden Baum, der auf die angrenzende Straße zu stürzen droht. Um diesen Baum vorsorglich fällen zu lassen, benachrichtigt er telefonisch einen auf M ansässigen Garten- und Landschaftsbauer G, der ihm für seine Tätigkeit dafür 500 Euro in Rechnung stellt.

Man könnte meinen, dass das Handeln des D mehraktig ausgestaltet sei: Er handelt nicht nur dort, wo er die telefonische „Beauftragung“ des Garten- und Landschaftsbauer vornimmt, sondern auch dort, wo G den Baum fällt. Dann müsste man das Fällen des Baumes durch den G als eine Handlung des D ansehen, was möglich wäre, wenn dieser lediglich als Geschäftsführungsgehilfe des D zu qualifizieren wäre. Eine solche Sichtweise könnte man vertreten, indem man darauf verweist, dass G selbst nicht zum Zwecke der Fremdinteressenwahrnehmung tätig geworden ist, sondern um seinen mit D geschlossenen Vertrag zu erfüllen. Außerdem hat D das Tätigwerden des G angestoßen.589 Wollte man dieser Argumentation folgen und ließe man richtigerweise bloße Vorbereitungshandlungen außer Betracht, fielen „Handlungs- und Erfolgsort“ zusammen; sie beide wären auf der Insel M zu verorten. Denn erst wenn G auf dem Grundstück des N beginnt, den Baum zu fällen, treffen auch die Handlungen des D auf die Rechts- und Interessensphäre des N. Offensichtlich wird dies, wenn man untersucht, welches Geschäft des N hier konkret geführt wurde: N ist als Eigentümer des Grundstücks dafür verantwortlich, vom Grundstück ausgehende Gefahren zu beseitigen. Die Geschäftsführung bestünde folglich in der Beseitigung der Gefahrenquelle, also in dem Fällen des Baumes. Daher würde das Schuldverhältnis aus Geschäftsführung ohne Auftrag auch erst mit dem Ansetzen der Kettensäge am Baum und nicht schon mit der von Deutschland aus erfolgenden, telefonischen „Beauftragung“ des G beginnen. Diese wäre eine reine Vorbereitungshandlung. Auch bei dem von Wendelstein gewählten Beispielsfall590 wären – wollte man die Ehrwalder Bergrettung als Geschäftsführungsgehilfin des W qualifizieren – sowohl die telefonische Benachrichtigung der Bergrettung als auch 588

Schinkels, in: BeckOGK, 1.8.2018, Art. 11 Rom II-VO Rn. 39. Auch Wendelstein (GPR 2014, 46, 46 f. und 53) scheint in seinem oben zitierten Beispielsfall die Handlungen der Bergrettung dem W zuzurechnen. Wandt (GoA im IPR, 1989, S. 138) hingegen lehnt die Zurechnung der Handlungen eines beauftragten Handwerkers ab; eine Zurechenbarkeit sei allenfalls denkbar, wenn der Geschäftsführer seinen Angestellten anweist. 590 Siehe oben S. 214. 589

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das Abheben mit dem Helikopter bloße Vorbereitungshandlungen. Die Geschäftsführung würde in casu erst mit der Aufnahme in den Rettungshubschrauber beginnen und andauern, bis der A in die Innsbrucker Klinik gebracht würde. Denn das Geschäft läge in der Verbringung des Verletzten vom Berg hinab in ein Klinikum. Sowohl in dem an Schinkels Beispiel angelehnten Fall als auch in der von Wendelstein angeführten Konstellation wird man aber kritisch hinterfragen können, ob das von D bzw. von W geführte Geschäft wirklich darin besteht, den Baum zu fällen bzw. den A vom Gipfel zu retten. Vorzugswürdig erscheint es, den Landschaftsbauer G und die Ehrwalder Bergrettung nicht als Geschäftsführungsgehilfen einzuordnen und das von D bzw. W geführte Geschäft allein in der Beauftragung des G bzw. dem Anruf bei der Luftrettung zu erblicken; schon diese liegen im Interesse des jeweiligen Geschäftsherrn. Bei Zugrundelegung dieses Verständnisses bewegte man sich im Bereich der „neutralen Geschäfte“, deren Anknüpfung nach Art. 11 Abs. 3 Rom II-VO nicht nur wegen der Abgrenzung von Geschäftsführungs- und Vorbereitungshandlungen problematisch ist, wie noch zu zeigen sein wird.591 Im Laufe dieses Kapitels wird ersichtlich werden, dass jene Fälle kraft verordnungsinterner Lückenfüllung gleichwohl an den Belegenheitsort des Grundstücks, auf dem der gefällte Baum steht, bzw. an den Aufenthaltsort des A im Zeitpunkt des telefonischen Hinweises anzuknüpfen sind.592 Schließlich sind auch die Fälle der Tilgung fremder Verbindlichkeiten in den Blick zu nehmen. Hier könnte man dann ein Auseinanderfallen von „Handlungsort“ und „Erfolgsort“ annehmen, wenn die getilgte Verbindlichkeit – wie in den wohl häufigsten Konstellationen – in einer Geldzahlung bestand und der Geschäftsführer das Geld entweder per Überweisung oder, sollte in bar zu zahlen sein, mittels Postversand zum Gläubiger schickt. Der „Handlungsort“ wird entsprechend in der Literatur dort lokalisiert, wo der Geschäftsführer das Geld absendet, während der „Erfolgsort“ dort liegen soll, wo die Tilgungswirkungen eintreten.593 Bei Lichte betrachtet ist jedoch zu erkennen, dass es auch in diesen Konstellationen nicht zu einem Auseinanderfallen von „Handlungs- und Erfolgsort“ kommt. Das konkrete Geschäft besteht ja gerade in der Tilgung der Verbindlichkeit, mithin dem Eintritt des Leistungserfolges. Was für die Tilgung nötig ist, bestimmt das Statut der in Rede stehenden Verbindlichkeit, wie auch die Art. 12 Abs. 1 lit. b) Rom I-VO und Art. 15 lit. h) Rom II-VO zeigen. Haben die Parteien eines Rechtsverhältnisses beispielsweise vereinbart, dass der zur 591

Vgl. S. 236 f. Siehe S. 244 ff. 593 Vgl. schon Wandt, GoA im IPR, 1989, S. 183 f. (Handlungsort sei „jedenfalls der Ort, an dem der Geschäftsführer selbst handelt“; diesem Ort stellt er den Ort des Leistungserfolges gegenüber); für den Ort der Überweisung als Handlungsort auch Junker, in: MüKo BGB, 8. Aufl. 2021, Art. 11 Rom II-VO Rn. 17 und Heiss/Loacker, JBl. 129 (2007), 613, 643. 592

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2. Teil: Die Geschäftsführung ohne Auftrag im IPR

Erfüllung nötige Geldbetrag auf ein bestimmtes Konto zu überweisen ist, liegt der Ort der Geschäftsführung dort, wo das entsprechende Konto geführt wird; sind sie übereingekommen, dass es in bar am Wohnort oder Sitz des Gläubigers zu zahlen ist, ist dieser Ort für die Herbeiführung der Tilgungswirkung entscheidend. Die Überweisung (und auch der postalische Versand von Bargeld) ist als eine Leistungshandlung in Wahrheit eine Handlung, die die Rechts- und Interessensphäre des Schuldners überhaupt nicht tangiert; sie muss daher als eine Vorbereitungshandlung eingeordnet werden und ist als solche für die Anknüpfung nach Art. 11 Abs. 3 Rom II-VO an die lex loci actus irrelevant.594 Dies wird greifbarer, wenn die Tilgung einer aus einem Werklieferungsvertrag folgenden Verpflichtung auf Herstellung und Übereignung des vereinbarten Gegenstandes in Rede steht. Stellt ein Dritter die Sache her und schickt sie zum Gläubiger, so tritt erst an dem Ort Erfüllung ein – oder mit anderen Worten: wird erst dort das Geschäft des Schuldners geführt –, wo der Leistungserfolg eintritt, der Gläubiger also Eigentum an dem Gegenstand erwirbt. Die Handlungen der beim Lieferdienst angestellten Person werden dem Schuldner zugerechnet, da der Lieferdienst als Geschäftsführungsgehilfe tätig wird. All diese Fälle haben belegt, dass der Handlungsort und – bei Bezugnahme auf die Definition der (überwiegenden) Literatur – auch der Erfolgsort übereinstimmen, wenn man den Handlungsort richtigerweise als den Ort, an dem der erste Akt der Geschäftsausführung begangen wird, versteht. Das lässt die Vermutung zu, dass die Vertreter einer erfolgsortorientierten Anknüpfung lediglich darauf abzielten, Vorbereitungshandlungen bei der kollisionsrechtlichen Beurteilung außer Betracht zu lassen. Dies ist auch wichtig, wenn man auf die Unsicherheiten in Bezug auf die Bestimmung des Handlungsortes und die durch den Wortlaut auf die Geschäftsführung begrenzte Auslegungsmöglichkeit blickt. Bei Zugrundelegung des richtigen Verständnisses vom

594 Vgl. auch OLG Köln 22.11.2018 – 3 U 78/17 = RdTW 2019, 136, 141 Rn. 21. Hier stellte der Senat fest, dass für die Anknüpfung von Ansprüchen aus auftragsloser Geschäftsführung aufgrund verauslagter Zölle nach Art. 11 Abs. 3 Rom II-VO viel dafür spreche, das Recht desjenigen Staates anzuwenden, in dem „die Erledigung der Zollformalitäten“ erfolgt sind. Vgl. diesbezüglich auch die Erwägungen des TA Luxembourg, 31.1.2014, no. 204/2014 und 19.12.2014, no. 2585/2014, no. 149.694 – zit. Nach Lein et al., Study on the Rome II Regulation, 2021, p. 374. Auch dieses stellte auf die „payment of the invoice“ ab. Zwar wird die Zahlung wohl in den diesen Urteilen zugrunde liegenden Sachverhalten auch auf demselben Hoheitsgebiet veranlasst worden sein, auf dem jene letztlich auch bei den Zollbehörden einging (so zahlte im Urteil des OLG Köln die schweizerische Klägerin an die schweizerischen Zollbehörden, im Urteil des TA Luxembourg war es ein deutsches Unternehmen, das die von deutschen Behörden erhobenen Zollgebühren an diese abführte); vor allem aber die Formulierung des deutschen Urteils („Erledigung der Zollformalitäten“) spricht dafür, dass das Gericht für eine Anknüpfung nach Abs. 3 wohl ebenfalls dem Ort der Tilgungswirkung zuneigte.

§ 3 Art. 11 Rom II-VO

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Handlungsort595 sind sie allerdings nicht mehr nötig. Um klarzustellen, dass der Geschäftsführer selbst nicht vor Ort unmittelbar gehandelt haben muss, etwa weil er sich Geschäftsführungsgehilfen bedient, sollte der Begriff des „Handlungsortes“ aber vermieden werden. c) Definition des Ortes der Geschäftsführung Aus den dargestellten Gründen ist der Ort der Geschäftsführung im Sinne von Art. 11 Abs. 3 Rom II-VO jener, an dem die Handlungen des Geschäftsführers bzw. die seiner Geschäftsführungsgehilfen auf den Rechts- bzw. Interessenkreis des Geschäftsherrn treffen. Bloße Vorbereitungshandlungen sind irrelevant. Die Unterscheidung zwischen Vorbereitungs- und Geschäftsführungshandlungen ist geschäftsspezifisch zu treffen. d) Problem: Mehrheit von Geschäftsführungsorten Zu beachten ist aber, dass der Geschäftsführer auch im Stadium der Fremdinteressenwahrnehmung sukzessiv handeln bzw. ihm sukzessives Tätigwerden zuzurechnen sein kann. So muss etwa der Altruist A, der die zerbrochenen Fenster des B auskleiden möchte, mehrere Handlungsschritte vornehmen, um sein Ziel zu erreichen.596 Diese Fälle sind aber – wie die in der Einleitung zu diesem Unterkapitel gegebenen Beispiele – deshalb (zumindest in der Praxis) unkompliziert, weil sich die Geschäftsführungsakte im Hoheitsgebiet eines einzigen Staates abspielen und eine weitergehende Konkretisierung der Norm daher unterbleiben kann.597 Natürlich ist es aber möglich, dass der Geschäftsführer Geschäftsführungshandlungen auch in unterschiedlichen Staaten vornimmt bzw. ihm die dortigen Handlungen seiner Geschäftsführungsgehilfen zurechenbar sind. Das belegt schon der von Wendelstein gebildete, oben wiedergegebene Beispielsfall; die Rettung des erfolglosen Gipfelstürmers A beginnt auf der Zugspitze, deutschem Hoheitsgebiet, und endet auf dem Helikopterlandeplatz der Innsbrucker Klinik, österreichischem Staatsgebiet. Hier kommen also zwei 595 So ein Verständnis legt wohl auch das LG München I 18.4.2013 – 10 O 6084/12 = IPRax 2014, 438, 441 Rn. 43 zugrunde: „So kann das havarierte Segelboot nur dort gerettet werden, [wo] es in Seenot geraten ist, oder der verunglückte Skifahrer nur dort aus einer Gletscherspalte befreit werden, wo sich letztere eben befindet.“ 596 Siehe das obige Beispiel auf S. 214 f. 597 In diesem Zusammenhang kann auf ein Urteil des Tribunale di Bergamo (24 April 2018, No. 958, GiustUp – zit. Nach Lein et al., Study on the Rome II Regulation, 2021, p. 319) hingewiesen werden. Dem Gericht lag ein Fall vor, in dem ein österreichisches Rettungsunternehmen eine in Italien lebende Person, die bei einer in Österreich stattfindenden Radtour verunglückt war, mit einem Helikopter in das nächstgelegene österreichische Krankenhaus transportierte. Es bestimmte das anzuwendende Recht nach Art. 11 Abs. 3 Rom IIVO und urteilte daher auf der Grundlage österreichischen Rechts.

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2. Teil: Die Geschäftsführung ohne Auftrag im IPR

mögliche Hoheitsgebiete in Betracht, wenn man der Meinung ist, dass die Ehrwalder Bergrettung Geschäftsführungsgehilfin des W ist, so dass ihm ihre Handlungen zuzurechnen sind.598 Die Regel, es müsse an den Ort angeknüpft werden, an dem der Geschäftsführer die Geschäftsführungshandlung vornimmt, ist weiter zu konkretisieren. Damit beschäftigt sich, wie oben aufgezeigt, auch die Rechtswissenschaft – und zwar sowohl die Vertreter der Maßgeblichkeit des „Handlungsortes“ als auch jene, die auf den „Erfolgsort“ abstellen. Zwar ist die Terminologie aufgrund der angesprochenen Unterscheidung nicht einheitlich, im Wesentlichen konnten oben aber drei Anknüpfungspunkte herausgearbeitet werden: die Anknüpfung an den Geschäftsführungsbeginn, den Geschäftsführungsschwerpunkt oder das Ende der Geschäftsführung. Andere wiederum lehnen eine einheitliche Anknüpfung der in mehreren Staaten erfolgenden Geschäftsführung ab und stellen eine Mosaikbetrachtung an. aa) Keine Mosaikbetrachtung Eine Mosaikbetrachtung überzeugt indes schon von vornherein nicht. Sie zerrisse einen per se einheitlichen Lebenssachverhalt in verschiedene Teile und unterstellte die so gewonnenen Teile verschiedenen Rechtsordnungen. Dies ist aufgrund des klaren, schon öfter aufgezeigten Strebens der Rom II-VO nach materieller Harmonie unzulässig.599 Dem kann auch nicht entgegengehalten werden, dass eine solche zerstückelte Betrachtung gleichfalls dann anzustellen wäre, wenn sich mehrere Geschäftsführer beispielsweise bei einem grenzüberschreitenden Krankentransport vom Berggipfel hinab ins Tal an den jeweiligen Staatengrenzen ablösen würden.600 In diesen Fällen rechtfertigt der Wechsel in der Parteienstellung eine getrennte Anknüpfung der einzelnen Geschäftsführungshandlungen. Dass die Handlungen einem einheitlichen Ziel dienen mögen – in casu namentlich der Gesundheitsversorgung des Geschäftsherrn – ist unerheblich. Es handelt sich um voneinander unabhängige Schuldverhältnisse aus auftragsloser Geschäftsführung, die von der Anknüpfung des Art. 11 Abs. 3 Rom II-VO einzeln fokussiert werden.

598 Vorzugswürdig ist es allerdings, die Bergrettung nicht als Geschäftsführungsgehilfin anzusehen, sondern in der telefonischen Beauftragung ein „neutralen Geschäft“ zu erblicken, siehe S. 220. 599 Vgl. zum Streben nach materieller Harmonie etwa oben auf S. 170 ff. und siehe auch Schinkels, in: Calliess/Renner (eds.), Rome, 3rd ed. 2020, Art. 11 Rome II para. 21 („avoid dépeçage“); siehe ferner Jakob/Picht, in: Europ. Zivilprozess- und Kollisionsrecht, 4. Aufl. 2016, Art. 11 Rom II-VO Rn. 28 (Verkomplizierung der Behandlung solcher Fälle und Gefahr der Schaffung von Normenkollisionen). 600 So argumentiert aber Dornis, RabelsZ 80 (2016), 543, 572.

§ 3 Art. 11 Rom II-VO

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bb) Keine Schwerpunktbildung Dies führt zu der Frage, ob eine Schwerpunktbetrachtung vorgenommen werden kann. Gegen sie spricht nicht schon, dass nach der in der Legislativen Entschließung des Europäischen Parlaments vorgesehenen Anknüpfung das Recht des Staates maßgeblich war, „in dem die Ereignisse stattgefunden haben, die im Wesentlichen zu der Geschäftsführung ohne Auftrag geführt haben, unabhängig von dem Staat, in dem die Geschäftsführung erfolgt ist“, diese im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens aber wieder aufgegeben wurde.601 Denn hierbei handelt es sich, wie zu zeigen sein wird,602 bloß um eine Besonderheit der deutschen Sprachfassung, die sich in den übrigen hier untersuchten Textversionen nicht fand. Außerdem können die „Ereignisse, die zu der auftragslosen Geschäftsführung“ geführt haben, bei strenger Betrachtung auch so verstanden werden, dass damit vor der Geschäftsübernahme (hiermit entsteht das Schuldverhältnis603) stattfindende Handlungen, also Vorbereitungshandlungen gemeint waren. Für die Bildung eines Schwerpunkts der Geschäftsführung ließe sich die autonome deutsche und die autonome spanische Kollisionsnorm für Ansprüche aus Geschäftsführung ohne Auftrag bzw. „gestión de negocios ajenos“ anführen.604 Während Art. 10.9 Abs. 2 span. ZGB ausdrücklich auf den Ort abstellt, an dem „el gestor realice la principal actividad“, geht dieses Ergebnis nicht unmittelbar aus dem Wortlaut von Art. 39 Abs. 1 EGBGB hervor, wird aber zumindest von der Gesetzesbegründung gestützt: bei sukzessiv erfolgenden Hilfeleistungen „wird im Einzelfall der Schwerpunkt zu ermitteln sein“.605 Um eine Schwerpunktbildung vornehmen zu können, müssten indes Kriterien existieren, die die Gerichte bei der Würdigung des ihrer Entscheidung zugrunde liegenden Einzelfalls anzuwenden hätten. Solche werden aber weder aus Art. 11 (Abs. 3) Rom II-VO noch aus den Verordnungsbegründungen ersichtlich. Wollte man auf die Erheblichkeit der Geschäftsführungsmaßnahme abstellen, also einen qualitativen Maßstab anlegen, so wird in aller Regel der Ort der Geschäftsübernahme als Schwerpunkt in Betracht kommen. Denn hier werden die Interessen des Geschäftsherrn überhaupt erstmalig wahrgenommen.606 Man könnte freilich auch den Ort der Beendigung der Geschäftsführung für maßgeblich erklären, da hier in aller Regel das mit der Fremdinteressenwahrnehmung verfolgte Ziel erreicht wird. Eine rein zeitliche Perspektive, 601

So argumentiert aber Nehne, IPRax 2012, 136, 140. Siehe die Ausführungen zur Genese auf S. 226 ff. 603 Siehe schon oben S. 203 ff. und S. 218. 604 Zur Relevanz der mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen für die Auslegung des Unionsrechts siehe oben S. 58 f. und insb. 87 f. 605 BT-Drs. 13/343, S. 9. Diesem Passus wird man aber richtigerweise nicht allzu viel Bedeutung beimessen, siehe S. 266 ff. 606 Vgl. die Erwägungen bei Wandt, GoA im IPR, 1989, S. 148. 602

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2. Teil: Die Geschäftsführung ohne Auftrag im IPR

also ein quantitativer Maßstab, wäre zwar ebenfalls denkbar, kann im Ergebnis aber gleichfalls nicht überzeugen. Es ist schlicht kein Grund ersichtlich, warum gerade sie entscheidend sein soll. Ferner liefert sie kein eindeutiges Resultat, wenn die Geschäftsführungshandlungen in den jeweiligen Staaten in etwa gleich lang waren. Mangels abstrakt-genereller Kriterien für die Schwerpunktbestimmung würde es erhebliche Unsicherheiten in die Rechtsanwendung hineintragen und widerspräche daher schließlich auch dem erklärten Ziel der Rom II-VO, Rechtssicherheit im Sinne der Vorhersehbarkeit für die Parteien zu schaffen, vgl. ErwGr. 6 und 16 Satz 1 Rom II-VO,607 wenn man sie gleichwohl anstellen wollte. Eine Schwerpunktbetrachtung verlagerte lediglich die Probleme, die eine sachgerechte Konkretisierung des „Ortes der Geschäftsführung“ mit sich bringt, von einer abstrakt-generellen Ebene auf die konkret-individuelle Rechtsanwendung. Sie ist schon deshalb abzulehnen. Gegen eine Anknüpfung an den Geschäftsführungsschwerpunkt spricht darüber hinaus auch ein anderes Argument, welches zugleich ganz maßgeblich für die Anknüpfung an den Geschäftsführungsbeginn spricht. Hierauf soll im folgenden Abschnitt eingegangen werden. cc) Gründe für die Anknüpfung an den Tätigkeitsbeginn Als mögliche Konkretisierungsergebnisse bleiben damit nur noch der Ort des Geschäftsführungsbeginn und jener ihrer Beendigung. Überzeugen kann letztlich nur die Anknüpfung an den erstgenannten Ort. Für ihn sprechen ganz gewichtige genetische sowie teleologische Argumente. Diese sollen im folgenden Abschnitt erläutert werden. (1) Genese Einleitend wurde schon darauf hingewiesen, dass die Anknüpfung nach Art. 11 Abs. 3 Rom II-VO im Gesetzgebungsverfahren vergleichsweise großen Veränderungen unterworfen war. Art. 9 Abs. 4 Satz 1 VO-E aus dem Jahre 2003 sah eine Anknüpfung an das Recht des Staates vor, „in dem der Geschäftsherr zum Zeitpunkt der Geschäftsbesorgung seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte“608. Soweit ein solches Schuldverhältnis jedoch „[sich] auf den physischen Schutz einer Person oder die Sicherstellung eines bestimmten körperlichen Gegenstands bezieht, ist das Recht des Staates anwendbar, in dem sich die Person

607

Vgl. auch COM (2003) 427 final, p. 4. „[I]n which the beneficiary has his habitual residence at the time of the unauthorised action“ [EN]; „dans lequel le maître de l’affaire a sa résidence habituelle au moment de la gestion“ [FR]; „en el cual tiene su residencia habitual el dueño del negocio en el momento de la gestión“ [ES]; „nel quale l’interessato risiede abitualmente al momento della gestione“ [IT]. 608

§ 3 Art. 11 Rom II-VO

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oder der Gegenstand zum Zeitpunkt der Geschäftsbesorgung befunden haben“609, Art. 9 Abs. 4 Satz 2 VO-E. Seit der Legislativen Entschließung des Europäischen Parlaments wurde die Differenzierung zwischen solchen Hilfeleistungskonstellationen (Schutz einer Person oder Sicherstellung eines Gegenstands) einerseits und den übrigen Anwendungsfällen andererseits aber aufgegeben. Nach Art. 10 Abs. 3 der Legislativen Entschließung sollte nun „das Recht des Staates [anzuwenden sein], in dem die Ereignisse stattgefunden haben, die im Wesentlichen zu der Geschäftsführung ohne Auftrag geführt haben, unabhängig von dem Staat, in dem die Geschäftsführung erfolgt ist“. Bei der deutschen Sprachversion handelte es sich aber gewissermaßen um eine Besonderheit; nach der englischen Fassung etwa sollte sich das anwendbare Recht nach dem Ort bestimmen, „in which the action took place“, und auch die französische, spanische und italienische Sprachversionen konnten nicht als eine wörtliche Übersetzung der deutschen Fassung angesehen werden.610 Die Anknüpfung in Abs. 3 wurde durch den Kommissionsentwurf aus dem Jahre 2006 erneut revidiert. Die deutsche Fassung entsprach von diesem Zeitpunkt an dem letztlich veröffentlichten Normtext.611 Währenddessen erklärte die englische Fassung noch immer den Ort, „in which the action took place“, für maßgeblich. Die französische612 und die spanische613 Version wurden jeweils überarbeitet. Die heute gültige Version der französischen, spanischen und englischen Sprachfassung fand sich schließlich erstmalig im Gemeinsamen Standpunkt des Rates.614

609 „[R]elates to the physical protection of a person or of specific tangible property, the law applicable shall be the law of the country in which the beneficiary or property was situated at the time of the unauthorised action“ [EN]; „se rapporte à la protection physique d’une personne ou à la sauvegarde d’un bien corporel déterminé, la loi applicable est celle du pays dans lequel se trouvait la personne ou le bien au moment de la gestion“ [FR]; „se produce en beneficio de la protección física de una persona o de la protección de un bien corporal determinado, la ley aplicable es la del país en el cual se encuentra la persona o el bien en el momento de la gestión“ [ES]; „si ricolleghi alla protezione fisica di una persona o alla salvaguardia di un determinato bene materiale, la legge applicabile è quella del paese in cui si trovano la persona o il bene al momento della gestione“ [IT]. 610 „[L]a loi applicable est la loi du pays où a eu lieu la gestion d’affaires“ [FR]; „la ley aplicable será la del país en el que se hayan producido el acto o actos que constituyen la gestión de negocios“ [ES]; „la legge applicabile è quella del paese in cui si è prodotta tale azioine “ [IT]. 611 Anwendbar ist das Recht des Staates, „in dem die Geschäftsführung erfolgt ist“. 612 „[D]ans lequel le gérant a agi“ [FR]. 613 „[E]n el que el gerente haya actuado“ [ES]. 614 Siehe Diario Oficial de la Unión Europea 2006 C289E/68, 73; Journal officiel de l’Union européenne 2006 C289E/68, 73; Official Journal of the European Union 2006 C289E/68, 73.

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2. Teil: Die Geschäftsführung ohne Auftrag im IPR

Mit der Legislativen Entschließung des Europäischen Parlaments wurde also die Unterscheidung zwischen verschiedenen Typen bzw. Konstellationen der auftragslosen Geschäftsführung aufgegeben. Obwohl die Gründe hierfür aus den Materialien nicht ersichtlich werden, darf angenommen werden, dass diese Abkehr eine Reaktion auf die deutliche Kritik aus der Rechtswissenschaft darstellt. Nahezu einhellig wurde dort die Anknüpfung an den gewöhnlichen Aufenthalt des Geschäftsherrn und dessen damit einhergehende ausdrückliche kollisionsrechtliche Bevorzugung615 abgelehnt.616 Außerdem sei die Differenzierung zwischen „Hilfeleistung“ und „sonstigen Eingriffen“ durch den Verordnungsentwurf zu pauschal617 und im Einzelfall zu unsicher.618 Es müsse vielmehr ein neutraler Anknüpfungspunkt gefunden werden, der weder den Geschäftsherrn, noch den Geschäftsführer begünstigt. Der Vornahmeort der Geschäftsführung solle diese Kriterien erfüllen.619 Art. 9 Abs. 4 Satz 2 VO-E betrachtete man als eine dahin tendierende Regelung.620 In der Literatur wird daher vermutet, dass die Privilegierung des Geschäftsherrn aufgehoben und die differenzierte Anknüpfung nach den dortigen Fallgruppen eingeebnet werden sollte, um Platz für einen allgemeinen, aber neutralen Anknüpfungspunkt zu schaffen.621 Diese Schlossfolgerung liegt durchaus nahe, lässt sich durch die Materialien aber nicht sicher bestätigen. (2) Teleologische Betrachtung Sie wird aber durch teleologische Überlegungen gestärkt. Nach dem oben zur Wertungsjurisprudenz Gesagten kommt es für die teleologische Auslegung des in Abs. 3 enthaltenen Anknüpfungspunkts darauf an, wie die ihm zugrunde 615 In der Anknüpfung an den gewöhnlichen Aufenthalt des Geschäftsherrn kam aber keinesfalls ein „Erfolgsortprinzip“ zum Ausdruck, so aber Junker, in: MüKo BGB, 8. Aufl. 2021, Art. 11 Rom II-VO Rn. 17; LG München I 18.4.2013 – 10 O 6084/12 = IPRax 2014, 438, 441 Rn. 42. Die pauschale Anknüpfung an den gewöhnlichen Aufenthalt des Geschäftsherrn ist vielmehr als eine (einseitige) Bevorzugung seines kollisionsrechtlichen Interesses an der Anwendung seines Umweltrechts wegen einer angeblichen besonderen Schutzbedürftigkeit anzusehen; siehe dazu auch COM (2003) 427 final, p. 22: „In the case of measures of interference in the assets of another person, […] it is the ‚principal‘ who deserves protection. The applicable law is therefore generally the law of the latter’s place of habitual residence.“ 616 A. A. aber Huber/Bach, IPRax 2005, 73, 81 (Anknüpfung an den gewöhnlichen Aufenthalt des Geschäftsherrn sei „aus rechtspolitischer Sicht nicht zu kritisieren“). 617 Benecke, RIW 2003, 830, 832. 618 Sonnentag, ZVglRWiss 105 (2006), 256, 304 Fn. 334 (auch mwN). 619 Sonnentag, ZVglRWiss 105 (2006), 256, 304; Fricke, VersR 2005, 726, 741; Benecke, RIW 2003, 830, 832; siehe auch Fuchs, GPR 2003 bis 2004, 100, 104; siehe ferner die Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses in ABl. 2004 C241/1, 5. 620 Fricke, VersR 2005, 726, 741; siehe auch die Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses in ABl. 2004 C241/1, 5. 621 Schinkels, in: BeckOGK, 1.8.2018, Art. 11 Rom II-VO Rn. 39; siehe auch ders., in: Calliess (ed.), Rome, 2nd ed. 2015, Art. 11 Rome II para. 20.

§ 3 Art. 11 Rom II-VO

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liegenden (kollisionsrechtlichen) Interessen abgewogen und bewertet worden sind, mithin welche Wertung in dieser Norm zum Ausdruck kommen sollte.622 (a) Verwirklichung des Prinzips der engsten Verbindung Erwähnt werden muss an dieser Stelle zunächst, dass Art. 11 Abs. 3 Rom IIVO mit seinem Anknüpfungspunkt nicht auf mehrere Orte abzielt; eine alternative oder fakultative Anknüpfung verbietet sich.623 Dies erklärt sich schon mit Blick auf die in Art. 11 Abs. 4 Rom II-VO enthaltene Klausel, wonach ausnahmsweise das Recht eines Staates anwendbar sein kann, zu dem der Sachverhalt eine „offensichtlich engere Verbindung“ aufweist. Mit dieser Ausweichklausel624 bringt der Unionsgesetzgeber zum Ausdruck, dass er selbst das Prinzip der engsten Verbindung in Art. 11 Rom II-VO verwirklichen möchte625 – freilich sofern die Parteien keine ohnehin vorrangig zu beachtende Rechtswahl nach Art. 14 Rom II-VO getroffen haben. Damit wäre eine alternative oder fakultative Anknüpfung unvereinbar. Der Rechtsanwender hat diese Entscheidung des Verordnungsgebers zu respektieren.626 Darüber hinaus stünde dann die Frage im Raum, ob der Richter das anwendbare Recht nach dem Günstigkeitsprinzip bestimmen sollte (alternative Anknüpfung) oder dies den Parteien obliegt (fakultative Anknüpfung). Es fragte sich also, wessen Sicht für die Beurteilung einer Rechtsordnung als „günstiger“ zugrunde gelegt werden soll bzw. welche Partei die Entscheidungshoheit hat. Eine getrennte Anknüpfung der Ansprüche kommt jedenfalls nicht in Betracht, da dies dem Bestreben des Verordnungsgebers, materielle Harmonie herzustellen, zuwiderliefe, welches in der Rom II-VO allgemein und in der einheitlichen Anknüpfung der wechselseitigen Ansprüche durch Art. 11 Rom II-VO speziell zum Ausdruck kommt.627 622

Vgl. S. 78 ff. In diese Richtung geht aber Fehrenbacher, in: Prütting/Wegen/Weinreich, 16. Aufl. 2021, Art. 11 Rom II-VO Rn. 5, wenn er meint, dass bei Unmöglichkeit einer Schwerpunktbildung im Falle des Vorliegens mehrerer Erfolgsorte nach dem Günstigkeitsprinzip zu verfahren sei. 624 Dazu unten mehr S. 252 ff. 625 Siehe auch den klaren Kontrast zwischen Art. 11 Rom II-VO und Art. 7 Rom II-VO, der keine Ausweichklausel kennt und dem eine fakultative Anknüpfung zum Schutz des Geschädigten zugrunde liegt. 626 Vgl. S. 92 f. 627 Eine solche Zersplitterung befürchten auch Jakob/Picht, in: Europ. Zivilprozess- und Kollisionsrecht, 4. Aufl. 2016, Art. 11 Rom II-VO Rn. 27, die ferner (zutreffend) betonen, dass es eine ungerechtfertigte Bevorzugung bedeuten würde, ausschließlich einer Partei ein Wahlrecht einzuräumen. Dazu, dass die Ansprüche beider Parteien einheitlich anzuknüpfen sind, schon oben S. 171 ff. Mit Verweis auf die Wechselseitigkeit der Ansprüche verneint auch Spickhoff, in: BeckOK BGB, 60. Ed. 1.8.2021, Art. 11 Rom II-VO Rn. 6 eine alternative Anknüpfung. 623

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2. Teil: Die Geschäftsführung ohne Auftrag im IPR

(b) Keine Aussagekraft der „Interessen“ Auf welchen Ort verweist also Art. 11 Abs. 3 Rom II-VO? Um dies zu beantworten, müsste eigentlich zunächst ein Blick auf die bei der Geschäftsführung ohne Auftrag relevanten kollisionsrechtlichen Interessen fallen. Wie gezeigt, treffen diese allerdings aus sich heraus keine Aussage über den richtigen Ort, sondern decken lediglich die Vielfalt an potentiellen Lokalisierungen auf.628 Diese Zahl ist – gerade bei einem so offen gefassten Anknüpfungsgegenstand – unüberschaubar groß. Letztlich wird sich für jeden Ort, der in irgendeinem Zusammenhang mit dem der Geschäftsführung ohne Auftrag zugrunde liegenden Sachverhalt steht, ein kollisionsrechtliches Interesse begründen lassen. Dies gilt sogar für Orte, die außer der Tatsache, dass sie das Umweltrecht einer der Parteien oder das Recht am Gerichtsort darstellen, keinen weiteren Bezug zur konkreten Geschäftsführung haben müssen. Denn die Parteien haben typischerweise stets auch ein Interesse an der Anwendung eines ihnen vertrauten Rechts. Daneben sind Parteien typischerweise auch an der Anwendung der lex fori interessiert, da sich der Richter dann auf „bekanntem Terrain“ bewegt und die Rechtsanwendung in qualitativer Hinsicht besser ist. Der internationale Gerichtsstand muss aber wie auch das Umweltrecht der Parteien nicht zwingend mit den Orten, an denen die auftragslose Geschäftsführung „erfolgt“ ist, übereinstimmen.629 (c) Ziel: Anknüpfung an einen neutralen Ort Letztlich entscheidend sind die Wertungen. Das führt direkt zu der Frage, welche Wertung in der Anknüpfung des Abs. 3 zum Ausdruck kommen soll. Die genetische Untersuchung hat nahegelegt, dass mit der Einebnung der Unterscheidung zwischen Nothilfefällen und den übrigen Geschäftsführungskonstellationen vermutlich ein neutrales Kriterium gewählt werden sollte, das keine Partei des Schuldverhältnisses aus Geschäftsführung ohne Auftrag bevorzugt.630 Im Folgenden wird zu zeigen sein, dass auch ein Rekurs auf die in den mitgliedstaatlichen (Sach-) Rechtsordnungen zutage tretenden Wertungen, die an dieser Stelle mangels einer gemeineuropäischen Regelung der auftragslosen Geschäftsführung als teleologische Auslegungshilfe bereitstehen,631 ein neutrales Kriterium stützt: Blickt man auf die diesbezüglich angestellten obigen Untersuchungen, wird schnell ersichtlich, dass dem Institut der Geschäftsführung ohne Auftrag in allen untersuchten Rechtsordnungen dieselbe Funktion zukommt. In Deutschland ist schon lange anerkannt, dass die Regelungen zur auftragslosen 628

Vgl. S. 80. Siehe zu der Frage nach dem Internationalen Gerichtsstand unten S. 285 ff. 630 Siehe oben S. 226 ff. 631 S. 58 f. und insb. 87 f. 629

§ 3 Art. 11 Rom II-VO

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Geschäftsführung den Schutz der Freiheitssphäre des Geschäftsherrn vor unerwünschten Einmischungen von dem Bestreben des Geschäftsführers, einen Ausgleich für sein mitunter hilfreiches Eingreifen zu erhalten, abgrenzt.632 Entsprechendes kann auch für die vergleichbaren Rechtsinstitute der oben untersuchten Rechtsordnungen633 festgehalten werden. Zwar divergieren, wie oben gezeigt, die Kriterien, nach denen sich in den verschiedenen Rechtsordnungen bestimmt, ob ein Eingriff in den Rechts- und Interessenkreis eines anderen „erwünscht“ oder „unerwünscht“ bzw. „vorteilhaft“ oder „unvorteilhaft“ ist.634 Allerdings lässt sich diese, die Freiheitssphären der Beteiligten voneinander abgrenzende Funktion der Geschäftsführung ohne Auftrag sehr wohl als gemeineuropäisches Gut festhalten; eine entsprechende Funktion wird diesem Rechtsinstitut in allen anderen Rechtsordnungen zukommen, die ein vergleichbares Regelungskonvolut kennen.635 Stimmen, die auf eine kollisionsrechtliche Bevorzugung des Geschäftsführers abzielen, weil in materieller Hinsicht die Schaffung eines „Belohnungsanreizes“ für den Geschäftsführer im Vordergrund stehe, überzeugen daher nicht.636 Dieser Aspekt hält sich mit dem Schutz des Geschäftsherrn vor Einmischungen in seine Rechts- und Interessensphäre die Waage. Das ändert sich auch dann nicht zugunsten des Geschäftsführers, wenn man vertritt, dass Schuldverhältnisse, die sich aus der Verletzung subjektiver Rechte ergeben, vom Anwendungsbereich des Art. 11 Rom II-VO ausgenommen sind.637 Die dann im GoA-Statut verbleibenden Aufwendungsersatzansprüche des Geschäftsführers gegen den Geschäftsherrn sind schließlich noch immer das Resultat eines Eingriffs in einen fremden Rechts- und Interessenkreis, der „erwünscht“ oder „unerwünscht“ bzw. „vorteilhaft“ oder „unvorteilhaft“ sein kann.638 Die kollisionsrechtliche Begünstigung des Geschäftsführers kann schließlich auch nicht damit begründet werden, dass das Institut der auftragslosen 632

So zum deutschen Sachrecht Thole, in: BeckOGK, 1.8.2021, § 677 BGB Rn. 3 a. E. und Wandt, GoA im IPR, 1989, S. 104 (auch mwN). Ein solcher liberalistischer Ansatz schwebte auch den Vätern des BGB vor, siehe Meier, Geschäftsführung ohne Auftrag, 2019, S. 30 ff., insb. 35. 633 Siehe oben S. 123 ff. 634 Dazu, dass aus den mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen kein europäischer „Berechtigungstatbestand“ (oder ähnliches) gebildet werden kann, schon oben S. 151 f.; siehe auch Dornis, RabelsZ 80 (2016), 543, 562. 635 Siehe dazu Dornis, RabelsZ 80 (2016), 543, 563 mwN. 636 So Wendelstein, in: Soergel, 13. Aufl. 2019, Art. 11 Rom II-VO Rn. 26. 637 So aber Wendelstein, in: Soergel, 13. Aufl. 2019, Art. 11 Rom II-VO Rn. 26. 638 Anders wohl Wendelstein, in: Soergel, 13. Aufl. 2019, Art. 11 Rom II-VO Rn. 26: „Die letztgenannten Aspekte sind bei wertender Betrachtung nicht das Resultat eines rechtswidrigen Eingriffs in einen fremden Rechtskreis und erscheinen damit nicht als unerlaubte Handlung.“ Die Frage nach der Rechtmäßigkeit beantwortet aber sowohl im Rahmen von Art. 4 Rom II-VO als auch bei Art. 11 Rom II-VO stets das anwendbare Sachrecht.

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2. Teil: Die Geschäftsführung ohne Auftrag im IPR

Geschäftsführung auf rein altruistische Eingriffe beschränkt sei. Die Theorie der „Menschenhülfe“ wurde schon von den Vätern des BGB verworfen639 und auch in den anderen untersuchten Rechtsordnungen zeigt sich insbesondere an der Tatsache, dass „auch fremde“ Geschäfte den Anwendungsbereich der Geschäftsführung ohne Auftrag eröffnen, dass diese Rechtsinstitute keinesfalls bloß auf rein altruistische Interventionen limitiert sind. Das Rechtsinstitut war schon und ist noch immer in erster Linie ein Regressinstrument für allgemein auftragsloses Handeln im fremden Rechts- und Interessenkreis.640 Es ist daher auch nur bedingt möglich, mit einer in Nothilfefällen erforderlichen Wahrung oder Herstellung des „funktionalen Zusammenhangs“ zwischen Zivil-, Strafund Sozialrecht zu argumentieren641 – eine These, die in der Rechtswissenschaft ohnehin nicht unwidersprochen geblieben ist,642 hier aber keiner weiteren Beachtung bedarf. Auch der Geschäftsherr ist nach dem bisher Gesagten bei der Anknüpfung nicht zu bevorzugen. Während darauf schon die Genese hindeutet – die als Privilegierung des Geschäftsherrn empfundene Anknüpfung an seinen gewöhnlichen Aufenthalt wurde, wie gezeigt,643 aufgegeben –, kann eine entsprechende Privilegierung auch nicht aus den mitgliedstaatlichen Sachrechtsordnungen abgeleitet werden. Wäre es auf kollisionsrechtlicher Ebene möglich, zwischen „erwünschten“ und „unerwünschten“ bzw. „vorteilhaften“ und „unvorteilhaften“ Geschäftsführungen zu unterscheiden, läge es freilich nahe, im erstgenannten Fall den Geschäftsführer kollisionsrechtlich zu begünstigen, im letztgenannten Fall hingegen den Geschäftsherrn. Wie die oben angestellten Untersuchungen zeigen, ist dies aber für den Rechtsanwender nicht möglich; hierzu bedürfte es mangels gemeineuropäischer Wertung einer rechtspolitischen Entscheidung, die nur der Gesetzgeber treffen darf.644 Dieser hat aber zumindest von seinem eigenen Differenzierungsversuch, wie er noch im Kommissionsentwurf aus dem Jahre 2003 enthalten war, Abstand genommen. Letztlich ist aus diesem Grund ein Ort für die Anknüpfung der auftragslosen Geschäftsführung zu wählen. Dieser muss neutral sein. Er sollte möglichst durch keinen der Beteiligten zu seinen Gunsten manipuliert werden können.645 Außerdem sollte insbesondere der

639

Dazu Meier, Geschäftsführung ohne Auftrag, 2019, S. 30 ff., insb. 35. Siehe auch Dornis, RabelsZ 80 (2016), 543, 566 f. 641 So aber Wendelstein, in: Soergel, 13. Aufl. 2019, Art. 11 Rom II-VO Rn. 27; ders., GPR 2014, 46, 53. 642 Zu diesem „Gleichlauf“ krit. Dornis, RabelsZ 80 (2016), 543, 567 f. 643 S. 228. 644 Vgl. oben S. 51 f. 645 Siehe die Argumente jener Stimmen, die auf den „Erfolgsort“ statt auf den „Handlungsort“ abstellen: Schinkels, in: BeckOGK, 1.8.2018, Art. 11 Rom II-VO Rn. 39; Jakob/Picht, in: Europ. Zivilprozess- und Kollisionsrecht, 4. Aufl. 2016, Art. 11 Rom II-VO 640

§ 3 Art. 11 Rom II-VO

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Geschäftsherr, der in aller Regel der inaktive Part sein wird, zu diesem Ort eine hinreichend enge Beziehung aufweisen, so dass er mit der Anwendung des dort geltenden Rechts zumindest rechnen kann.646 (3) Ort des Tätigkeitsbeginns als (grundsätzlich) neutraler Anknüpfungspunkt Im folgenden Abschnitt soll aufgezeigt werden, dass es der Ort des Geschäftsbeginns – d. h. der Ort der Geschäftsübernahme – ist, welcher die soeben aufgestellten Anforderungen (zumindest meist) erfüllt. Er ist grundsätzlich ein neutraler und nicht manipulierbarer Anknüpfungspunkt, zu dem auch der Geschäftsherr regelmäßig eine hinreichend enge Beziehung hat. Eine Manipulation des Ortes, an dem die Geschäftsführung beginnt, ist vor allem von Seiten des Geschäftsführers vorstellbar, da dieser in aller Regel der aktive Teil des Schuldverhältnisses ist. Bestimmt man den Ort des Geschäftsbeginns indes sorgfältig, so wird deutlich, dass dieser regelmäßig dort liegt, wo ein bestimmtes „Tatsachensubstrat“ vorhanden ist, welches dem Geschäftsherrn zuzurechnen ist und das der Geschäftsführer selbst nicht verändern kann.647 Offenkundig wird dies in den klassischen Hilfeleistungsfällen: Ein havariertes Segelboot kann nur dort geborgen werden, wo es sich gerade in Not befindet, und die Rettung eines schwer verunglückten Skifahrers aus einer Gletscherspalte kann ebenfalls nur am Ort dieser Gletscherspalte erfolgen.648 In all diesen Konstellationen hat der Geschäftsherr seinen Rechtskreis dorthin ausgedehnt und dadurch gewissermaßen selbst den Ort der potentiellen Geschäftsübernahme bestimmt; der Geschäftsführer hat keine Möglichkeit zu dessen Manipulation. Hier erscheinen vielmehr die Orte, an denen weitere Geschäftsführungshandlungen vorgenommen werden, als anfälliger für eine Beeinflussung seitens des Geschäftsführers. Denn dieser kann selbst entscheiden, an welches Ufer er das Segelboot bzw. in welches Krankenhaus er den möglicherweise verletzten Skifahrer verbringt und die Geschäftsführung damit Rn. 26; G. Fischer, in: FS Spellenberg, 2010, S. 151, 165; Fehrenbacher, in: Prütting/Wegen/Weinreich, 16. Aufl. 2021, Art. 11 Rom II-VO Rn. 5. 646 Vgl. die Erwägung bei Dornis, RabelsZ 80 (2016), 543, 570: „Der Geschäftsherr darf sich auf die Anwendung derjenigen Rechtsordnung verlassen, auf die er sich […] eingerichtet hat. Hat [er] seinen Interessenbereich in eine andere Jurisdiktion ausgeweitet, […], muss er sich im Hinblick auf seine räumlich verlagerten Rechtsgüter und eine diesbezügliche Geschäftsbesorgung an den dort geltenden Regelungen festhalten lassen.“ Diese Aussage impliziert allerdings, dass der Geschäftsherr seinen Rechts- und Interessenkreis willentlich ausgedehnt haben muss. Es wird zu zeigen sein, dass dies nicht erforderlich ist, siehe S. 249. Die Erwägung, den Geschäftsherrn keiner Rechtsordnung zu unterstellen, „mit der er keine Berührung hat“, findet sich auch in der Arbeit von Wandt, GoA im IPR, 1989 beispielsweise auf S. 137 und 148. 647 LG München I 18.4.2013 – 10 O 6084/12 = IPRax 2014, 438, 441 Rn. 43. 648 Beispiele aus LG München I 18.4.2013 – 10 O 6084/12 = IPRax 2014, 438, 441 Rn. 43.

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2. Teil: Die Geschäftsführung ohne Auftrag im IPR

erfolgreich beendet.649 Das spricht gegen ein Abstellen auf den Ort des Geschäftsschwerpunkts – sofern dieser nicht am Ort des Geschäftsbeginns lokalisiert wird – oder den der Beendigung der Geschäftsführung. Allerdings ist fraglich, ob sich der Geschäftsführer in solchen Hilfeleistungsfällen überhaupt Gedanken über das anwendbare Sachrecht machen wird. Dies muss nicht notwendigerweise schon wegen der oftmals spontanen und zeitlich drängenden Situationen, in denen Hilfsbedürfnisse auftreten, der Fall sein.650 Vielmehr wird – neben den oben Untersuchten – sehr wahrscheinlich auch jede weitere Rechtsordnung in Hilfeleistungsfällen einen entsprechenden Ersatzanspruch gewähren. Nur in ganz bestimmten Einzelheiten weichen die analysierten Rechtsordnungen voneinander ab – etwa in Bezug auf die Frage, ob auch ein Vergütungsanspruch gewährt wird oder inwieweit der Putativnothelfer651 einen Anspruch auf Aufwendungsersatz hat. Während die letztgenannte Frage wohl für keinen Geschäftsführer erheblich sein wird, da es für die Putativnothilfe charakteristisch ist, dass in der konkreten Situation nicht zu erkennen ist, ob ein Notfall vorliegt, ist die Frage nach einem Vergütungsanspruch gerade für professionell handelnde Nothelfer essentiell; hierauf können sie ihr Handeln durchaus im Vorhinein einstellen. Da ist es auch nur ein schwacher Trost, dass der Ort der Beendigung der Geschäftsführung nicht in allen Fällen beeinflussbar, sondern durch das zu führende Geschäft determiniert ist – etwa bei der Rückführung eines in die Niederlande entlaufenen Hundes zu seinen in Aachen lebenden Eigentümern. Das Gleiche gilt für die bereits oben genannten Fälle, wenn D den auf M stehenden Baum seines Nachbarn N fällen lässt oder A die Fenster des B nach einem Einbruch in dessen Haus mit Holz auskleidet. 649 Vgl. die Erwägungen zu Art. 39 EGBGB bei v. Hoffmann/Thorn, in: Staudinger, Neubearb. 2001, Art. 39 EGBGB Rn. 14. 650 Vgl. Dornis, RabelsZ 80 (2016), 543, 566: „Es ist fraglich, ob überhaupt und inwieweit sich ein Hilfeleistender in Notsituationen über die Rechtslage informieren kann. Jedenfalls im Bereich privater Nothilfe wird man nicht von einer signifikanten Anreizwirkung der Anknüpfung an den Handlungsort ausgehen können.“ 651 Siehe dazu Dornis, RabelsZ 80 (2016), 543, 562. In der sog. Putativnothilfe erblickt er einen Unterschied zwischen den verschiedenen Rechtsordnungen: Geht der Geschäftsführer irrigerweise von einer bestehenden Notlage aus, so versage ihm die österreichische Sachrechtsordnung den Anspruch aus § 1036 ABGB, weil die Notlage objektiv vorgelegen haben müsse. Im Kontrast dazu verweist er auf zwei Urteile deutscher Instanzgerichte, wonach die Putativnothilfe einen Anspruch aus § 683 BGB eröffne. Er selbst fügt aber die Anmerkung hinzu, dass die wohl h. M. im Schrifttum diesen Urteilen nicht folgt; ihr zufolge ist auch im deutschen Recht ein objektiver Maßstab anzulegen. In Bezug auf die österreichische Rechtsordnung wird verkannt, dass diese keine ex post, sondern eine ex ante-Perspektive zugrunde legt (S. 131 f.); dies gilt wohl auch für die französische und italienische Rechtsordnung, die für die Zweckdienlichkeit einen ex ante-Maßstab anlegen (S. 138 und S. 147). Anders ist es wiederum in Spanien: Art. 1893 Abs. 2 span. ZGB legt wie die h. M. in Deutschland einen objektiven Maßstab an (S. 145).

§ 3 Art. 11 Rom II-VO

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Die Anfälligkeit für Missbrauch in Bezug auf den Ort der Geschäftsübernahme zeigt sich aber, wenn die Geschäftsführung in der Beschaffung einer Information besteht. In diese Gruppe gehören insbesondere die (vergleichsweise) viel diskutierten652 Fälle der internationalen Erbensuche. Aber auch der einer Entscheidung des OLG Düsseldorf aus dem Jahre 1982 zugrunde liegende Sachverhalt ist hierunter zu fassen:653 Ein gewerbsmäßig tätiger Schiffsdetektiv fand während seiner Recherchen für einen anderen Auftraggeber eine Motorjacht, die zwecks Wartungsarbeiten im Hafen von Barcelona vor Anker liegen sollte, von dort indes wenige Zeit zuvor gestohlen worden war. Das Gericht hatte über die Frage zu befinden, ob der Schiffsdetektiv als Geschäftsführer von dem Schiffsinhaber als Geschäftsherrn Aufwendungsersatz für die ihm im Rahmen der Suche entstandenen Kosten verlangen kann. In diesem Fall ist – wie auch bei der Erbensuche – die Informationsbeschaffung der Gegenstand der Geschäftsführung. Zwar wird für die grenzüberschreitende Erbensuche vereinzelt angenommen, dass die Erbschaft den Geschäftsführungsgegenstand bilde,654 so dass jene wohl auch im Schiffsdetektivfall meinen könnten, dass die Motorjacht oder etwa die Person des Geschäftsherrn der Gegenstand der Geschäftsführung sei. Bei einer solchen Sichtweise wird aber verkannt, dass Art. 11 Abs. 3 Rom II-VO schon seinem Wortlaut nach auf die Geschäftsführung, also auf die Interessenwahrnehmung durch den Geschäftsführer, zugeschnitten ist. Es ist sein Handeln, das an die Stelle eines Handelns des Geschäftsherrn tritt, dieses substituiert: in casu die Informationsbeschaffung. Für die Lokalisierung des Ortes der Geschäftsübernahme muss es daher darauf ankommen, wo der Geschäftsführer die Informationsbeschaffung übernimmt, wann er also die Suche antritt. Dieser Ort ist indes nicht nur vom Zufall abhängig. Es ist zudem überhaupt nicht klar, welche Anforderungen an den Suchbeginn zu stellen sind. Wollte man rein auf die innere Willensrichtung abstellen, ohne dass eine objektive Manifestation gefordert wird, eröffneten sich nicht nur Missbrauchsmöglichkeiten für den Geschäftsführer, vielmehr wird diese innere Tatsache auch nur schwer zu beweisen sein. Anders wird es dann aber bei der weiteren Recherche sein; anstelle des eigenen Entschlusses könnte man auch auf objektive Umstände abstellen, so dass es etwa darauf ankäme, wo der Geschäftsführer bestimmte Schiffsregister abruft. Diese Anknüpfungspunkte könnte der Geschäftsführer zwar selbst nicht verändern.655 652 Siehe nur LG München I 18.4.2013 – 10 O 6084/12 = IPRax 2014, 438 ff.; Looschelders, IPRax 2014, 406 ff.; Dornis, ZfPW 2015, 376 ff. Für das autonome deutsche IPR vor allem Späth, Gewerbliche Erbensuche, 2008, S. 263 ff. 653 OLG Düsseldorf 1.10.1982 – 22 U 122/82, 154/82. Hiermit beschäftigen sich auch Dornis, RabelsZ 80 (2016), 543, 570 f. und Wandt, GoA im IPR, 1989, S. 149. 654 So für die grenzüberschreitende Erbensuche Looschelders, IPRax 2014, 406, 410 und Schinkels, in: BeckOGK, 1.8.2018, Art. 11 Rom II-VO Rn. 40. 655 Siehe LG München I 18.4.2013 – 10 O 6084/12 = IPRax 2014, 438, 441 Rn. 43: Archive oder Notariate (für die internationale Erbensuche). Späth, Gewerbliche Erbensuche,

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2. Teil: Die Geschäftsführung ohne Auftrag im IPR

Allerdings ist es in gewisser Weise ebenfalls vom Zufall abhängig, welches unter möglicherweise mehreren Tatsachensubstraten er als Erstes für die Suche heranzieht. Aber nicht nur der Ort der Geschäftsübernahme, sondern auch der Ort, an dem der Geschäftsführer die benötigte Information letztlich erhält, mithin der Ort der Geschäftsführungsbeendigung, erscheint völlig zufällig, hängt er doch in hohem Maße von potentiellen Vorrecherchen ab. Außerdem muss der Geschäftsherr nicht notwendigerweise eine Beziehung zu diesem Ort aufweisen. Nur nebenbei sei erwähnt, dass dieser Ort im Prozess zudem wohl ebenfalls meist schwierig zu beweisen sein wird.656 Diese Nachteile werden auch nicht dadurch aufgewogen, dass dieser Ort vom Geschäftsführer nicht willentlich im Vorhinein beeinflusst werden kann. Man könnte sich zwar die Frage stellen, ob nicht eher an den Ort anzuknüpfen ist, an dem der Geschäftsherr schließlich die Information vom Geschäftsführer erhält.657 Genau dies ist ja gerade das eigentliche, man könnte sagen das übergeordnete Ziel der Geschäftsführung. Dieser Ort wird auch weniger vom Zufall abhängen, da die Information den Geschäftsherrn regelmäßig dort erreicht, wo dieser sich gewöhnlich aufhält, und zudem im Prozess leichter zu rekonstruieren sein.658 Wie gesagt, ist aber die durch den Geschäftsführer erfolgende Interessenwahrnehmung maßgebend für die Anknüpfung nach Art. 11 Abs. 3 Rom II-VO. Daher muss es für die (erfolgreiche) Beendigung der Geschäftsführung entscheidend darauf ankommen, wann er Kenntnis von der Information erlangt.659 In den genannten Fällen könnte allerdings auch vertreten werden, dass die Geschäftsführung darin besteht, bestimmte Verhältnisse festzustellen – im Bereich der Erbensuche also die Verwandtschaftsverhältnisse, im Schiffsdetektivfall demgegenüber die Eigentumsverhältnisse. Dann wäre es möglich – mit ähnlichen Argumenten wie bei der Fallgruppe der Tilgung fremder Verbindlichkeiten – anzunehmen, dass der Suchvorgang des Geschäftsführers lediglich als Vorbereitungshandlung zu qualifizieren ist und es einzig auf den Akt des

2008, S. 266 meint, dass die Geschäftsführung dort beginne, wo der Erblasser zuletzt seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte, weil der Erbensucher hier mit den Recherchen beginne. 656 Auch in der dem Urteil des LG München I (18.4.2013 – 10 O 6084/12 = IPRax 2014, 438 ff.) zugrunde liegenden internationalen Erbensuche waren die Einzelheiten des Suchvorgangs umstritten, siehe aaO, Rn. 9. 657 So wohl Späth, Gewerbliche Erbensuche, 2008, S. 266, die zusätzlich noch die Lokalisierung des von ihr als „Erfolgsort“ bezeichneten Ortes dort erwägt, wo der Nachlass belegen ist. 658 In der dem Urteil des LG München I (18.4.2013 – 10 O 6084/12 = IPRax 2014, 438 ff.) zugrunde liegenden internationalen Erbensuche war die „Informationsübergabe“ wohl am Wohnsitz des Geschäftsherrn, siehe aaO, Rn. 9. 659 Siehe auch oben S. 216 f., wo jene Stimme in der Literatur, die auf die „consequences“ der Geschäftsführung abstellt, als nicht vom Wortlaut gedeckt abgelehnt wurde.

§ 3 Art. 11 Rom II-VO

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Erkenntnisgewinns ankommt. Allerdings bliebe das bereits beschriebene Problem, namentlich dass der Ort, an dem der Geschäftsführer die jeweiligen Verhältnisse endgültig feststellen kann, zufällig erscheint und der Geschäftsherr zu diesem Ort auch nicht notwendigerweise eine Beziehung aufweisen muss. Die Ausführungen zu diesen Fallkonstellationen haben deutlich gemacht, dass die Anknüpfung von Art. 11 Abs. 3 Rom II-VO auf sie nicht so recht zu passen scheint. Die mit der Norm verfolgte kollisionsrechtliche Neutralität wird nicht verwirklicht. Dies wird sich auch bei solchen Konstellationen zeigen, in denen der Geschäftsführer für den Geschäftsherrn einen Gegenstand erwirbt oder diesem ein Recht verschafft, etwa durch den Abschluss eines Versicherungsvertrags.660 Für die Anknüpfung an die lex loci actus müsste es entscheidend darauf ankommen, wo der konkrete (schuldrechtliche661) Anspruch begründet worden ist, mithin die letzte, für den Abschluss des jeweiligen Vertrags notwendige Handlung stattgefunden hat. Entscheidend ist damit die Frage, wo die letzte erforderliche Willenserklärung wirksam geworden ist. Dieser Ort ist natürlich in vielen Fällen offen für Manipulationen durch den Geschäftsführer, da er entscheiden kann, wo auf der Welt er den entsprechenden Vertrag abschließt.662 Auch hier scheint die gewählte Anknüpfung untauglich, um kollisionsrechtliche Neutralität herzustellen. Nur nebenbei sei erwähnt, dass der ordre public in jenen Fällen selbstverständlich nicht weiterhilft, da sich eine solche Korrektur nicht auf die kollisionsrechtliche Anknüpfung, sondern nur auf das materiell-rechtliche Ergebnis bezieht.663 Dieses selbst wird in den meisten Fällen aber nicht gegen den ordre public verstoßen, da es sich bei der Grenzziehung zwischen Freiheitsschutz und Eingriffsförderung zunächst nur um einen prinzipiell hinzunehmenden Regelungsunterschied zwischen verschiedenen Rechtsordnungen handelt.664 Die Anknüpfung an den Ort der Geschäftsübernahme versagt darüber hinaus auch dann, wenn eine von Manfred Wandt als rechtsbezogene Geschäftsführung bezeichnete Interessenwahrnehmung in Rede steht. Darunter fällt etwa die Einziehung einer fremden Forderung oder die Führung eines 660

Wandt, GoA im IPR, 1989, S. 213 hat sie unter dem Begriff „neutrale Geschäftsführung ohne Auftrag“ zusammengefasst; siehe auch Dornis, RabelsZ 80 (2016), 543, 574 f. („neutrale Geschäftsführung ohne Auftrag ohne Rechtsgut- und Verpflichtungsbezug“). 661 Im Falle des Erwerbs eines Gegenstands ist der Eigentumsübergang unerheblich (sofern er – wie im deutschen Sachrecht – nicht bereits mit Abschluss des Kaufvertrags übergeht), da bereits mit Abschluss des Verpflichtungsgeschäfts seitens des Geschäftsführers ein Anspruch auf Übereignung besteht, der, sofern nötig, an den Geschäftsherrn abgetreten werden kann. 662 Darauf hat auch Wandt, GoA im IPR, 1989, S. 219 hingewiesen. 663 Insofern ist der Wortlaut der hier maßgeblichen Vorschrift, Art. 26 Rom II-VO eindeutig; siehe auch Hemler, in: BeckOGK, 1.12.2021, Art. 26 Rom II-VO Rn. 4. 664 Siehe die Ausführungen zur Erbensuche bei LG München I 18.4.2013 – 10 O 6084/12 = IPRax 2014, 438, 443 Rn. 94.

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2. Teil: Die Geschäftsführung ohne Auftrag im IPR

Aktivprozesses über ein fremdes Recht.665 Wo der Geschäftsführer die fremde Forderung einzieht und damit auf die Rechts- bzw. Interessensphäre des Geschäftsherrn einwirkt, wird in vielen Fällen in seinem freien Ermessen stehen.666 Selbiges gilt auch für den Ort, an dem er über ein Recht des Geschäftsherrn prozessiert – auch wenn die Vorschriften über die internationale Zuständigkeit die Missbrauchsgefahren zumindest eindämmen mögen. Schließlich soll noch auf die Fallgruppe des auftragslosen Verwaltens fremden Vermögens eingegangen werden. Sie steht exemplarisch für alle Konstellationen, in denen mehrere einzelne Geschäftsführungen vorliegen, welche aber wertungsmäßig als Einheitliche behandelt werden. Auch für sie passt die Anknüpfung an den Ort der Geschäftsübernahme nicht. Denn wenn man sich fragt, wann in diesen Konstellationen mit der Interessenwahrnehmung begonnen wird, müsste man wohl – weil es sich eben um eine Kompilation aus verschiedenen Einzelgeschäftsführungen handelt – den Zeitpunkt für maßgeblich erklären, in dem der Geschäftsführer die Ausführung des ersten Einzelgeschäfts übernimmt. Der Geschäftsführer kann indes frei entscheiden, welches (Einzel-) Geschäft er zuerst führt, und so in gewisser Weise die Anknüpfung einseitig manipulieren. Darüber hinaus ist es gerade bei der Verwaltung fremden Vermögens denkbar, dass der Geschäftsführer zu diesem Zweck auch rechtsgeschäftlich tätig wird; etwa indem er Vermögensgegenstände des Geschäftsherrn veräußert oder mit dessen Barvermögen Anlageobjekte wie Goldbarren oder teure Uhren erwirbt. Wenn er ein solches Geschäft zu Beginn vornimmt, besteht, wie gezeigt, quasi in zweifacher Hinsicht Manipulationsgefahr durch den Geschäftsführer. (4) Zusammenfassung und Bedeutung für Art. 11 Abs. 3 Rom II-VO Die vorstehenden Ausführungen haben offenbart, dass im Rahmen des Art. 11 Abs. 3 Rom II-VO grundsätzlich einheitlich auf den Ort der Geschäftsübernahme, also auf den Ort, an dem das Handeln des Geschäftsführers erstmalig die Rechts- und Interessensphäre des Geschäftsherrn tangiert, abzustellen ist. Dieser Ort ist in vielen Fällen manipulationssicher; meist wird der Geschäftsführer hier einen Teil des Rechts- und Interessenkreises des Geschäftsherrn vorfinden. Dadurch kann er schnell und ohne Weiteres erkennen, welches Recht auf sein Handeln anwendbar sein wird, was ihm entgegenkommen wird. Aber auch der Geschäftsherr ist nicht schutzlos gestellt. Weil sein Rechts- und Interessenkreis auf die ihm möglicherweise fremde Rechtsordnung ausgedehnt ist, muss er zumindest in Bezug auf den dort belegenen Teil seines Rechts- und Interessenkreises die von der dortigen Rechtsordnung gezogene, materiellrechtliche Trennlinie zwischen Freiheitsschutz auf Seiten des Geschäftsherrn

665 666

Wandt, GoA im IPR, 1989, S. 208. Wandt, GoA im IPR, 1989, S. 210.

§ 3 Art. 11 Rom II-VO

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und Eingriffsrecht des Geschäftsführers akzeptieren.667 Das gilt auch für die Fälle der Leistung auf fremde Schulden. Bei vertraglich begründeten Verbindlichkeiten hat er an ihrer Entstehung mitgewirkt, bei außervertraglich bzw. gesetzlich begründeten Pflichten ist seine Beziehung zum Erfüllungsort dadurch hinreichend ausgeprägt, dass er infolge seines den Tatbestand der Norm erfüllenden Verhaltens in die Schuldnerstellung gerückt ist. Wie gezeigt, existieren allerdings Fälle, in denen die Anknüpfung an den Ort der Geschäftsübernahme nicht passt, weil der geschäftsführungsspezifische Fokus der Anknüpfung die damit vom Unionsgesetzgeber verfolgte kollisionsrechtliche Neutralität nicht durchzusetzen vermag. Die Anknüpfung ist dann entweder manipulationsanfällig, unsicher, d. h. schwer zu rekonstruieren, oder beides zusammen. Weil der Anknüpfungsgegenstand des Art. 11 Abs. 3 Rom II-VO diese Fälle gleichwohl prinzipiell erfasst,668 ist er teleologisch zu reduzieren. Diese Reduktion sollte so weit reichen, dass Art. 11 Abs. 3 Rom IIVO nur solche Fälle einschließt, bei denen der Geschäftsführer mit der Geschäftsübernahme unmittelbar auf Rechtsgüter oder bestehende Verpflichtungen des Geschäftsherrn einwirkt. Auch sind jene Konstellationen aus dem unmittelbaren Anwendungsbereich des Art. 11 Abs. 3 Rom II-VO auszuschließen, in denen mehrere Einzelgeschäftsführungen wertungsmäßig zu einer zusammengefasst werden; beispielhaft dafür steht die Verwaltung fremden Vermögens. Diese teleologische Reduktion ist möglich, weil der Verordnungsgeber, wie der Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens gezeigt hat, darum bemüht war, für Abs. 3 einen Anknüpfungspunkt zu wählen, der seinen Vorstellungen von einem gerechten Ausgleich der kollisionsrechtlichen Interessen am besten entspricht. Es wäre deshalb wohl nicht in seinem Sinne, wenn der Anknüpfungsgegenstand in den genannten Fällen nicht teleologisch reduziert würde, so dass die Anknüpfung nach Abs. 3 auch dort gälte, wo diese zu dem von ihm verfolgten Zweck eigentlich nicht passt. Er selbst hat sich auch nur undeutlich zum Anwendungsbereich von Art. 11 Rom II-VO geäußert; ausweislich des Kommissionsentwurfs aus dem Jahre 2003 hatte er bei der Anknüpfung der auftragslosen Geschäftsführung nur zwei Fallgruppen vor Augen: Maßnahmen, die als Hilfeleistung qualifiziert werden können, und solche, die einen (sonstigen) „Eingriff“ darstellen.669 Ausdrücklich konkretisiert wird lediglich die zweite Fallgruppe. Der dort beschriebene „Eingriff“ wird wenige Sätze später als „Eingriff in das Vermögen eines anderen“ definiert und mit dem Beispiel der Begleichung fremder Schulden konkretisiert.670 Dabei handelt es sich um 667

Siehe die Erwägung bei Dornis, RabelsZ 80 (2016), 543, 566. Siehe oben S. 152 f. 669 COM (2003) 427 final, p. 22: „Paragraph 4 […] distinguishes between measures to be described as assistance and measures that might be described as interference.“ 670 COM (2003) 427 final, p. 22: „measures of interference in the assets of another person, as in the case of payment of a third-party debt“. 668

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2. Teil: Die Geschäftsführung ohne Auftrag im IPR

eine Fallgruppe, die sich, wie gezeigt, mit der Anknüpfung an den Vornahmeort sachgemäß lösen lässt. Demgegenüber lässt sich aus der seinerzeit in Art. 9 Abs. 4 Satz 2 VO-E enthaltenen Anknüpfung der Hilfeleistungskonstellationen zwar ableiten, dass sich die (hilfeleistende) Geschäftsführung auf die Sicherstellung eines körperlichen Gegenstandes oder den physischen Schutz einer Person beziehen muss.671 Ein solcher Bezug kann freilich auch dann vorliegen, wenn neutrale Geschäfte geführt werden, um eben einen körperlichen Gegenstand zu sichern oder eine Person physisch zu schützen – beispielsweise durch Abschluss eines Vertrags mit einer Objektsicherungsfirma, der dazu dient, potentielle Diebe von einem Einbruch abzuhalten. Dass der Unionsgesetzgeber die oben als unpassend identifizierten Fallgruppen, zu denen auch die neutralen Geschäfte zählen, ausdrücklich in die Verweisung gemäß Art. 11 Rom II-VO einfasst, kann daraus aber nicht geschlossen werden. Auch wenn man der hier vertretenen Auffassung, wonach in den oben genannten Fallgruppen mittels Anknüpfung an den Ort, an dem die Geschäftsführung erfolgt ist, nicht das vom Verordnungsgeber mit der Wahl dieses Anknüpfungspunkts verfolgte Ziel erreicht wird, grundsätzlich zustimmen wollte, könnte man natürlich die teleologische Reduktion kritisch sehen und all die als problematisch identifizierten Konstellationen ausweichend über Art. 11 Abs. 4 Rom II-VO anknüpfen, um auf diese Weise sachwidrige Ergebnisse zu vermeiden. Der Anknüpfungsgegenstand des Abs. 3 wäre dann nicht teleologisch zu reduzieren. Eine solche Lösung hätte allerdings den Nachteil, dass sie methodisch wohl nicht ganz richtig wäre, wie nachfolgend aufgezeigt werden soll. Ausweichklauseln dienen allgemein der Flexibilisierung der vom Gesetzgeber vorgegebenen, starren Regelanknüpfung, was auch der Wortlaut des Art. 11 Abs. 4 Rom II-VO zeigt: Entscheidet sich der Gesetzgeber dazu, sein Kollisionsrechtssystem durch objektive, zwingend zu beachtende Normen auszugestalten, in denen er das Prinzip der engsten Verbindung in typisierter Form zum Ausdruck zu bringen versucht, geht dies selbstverständlich zu Lasten des Ziels, international-privatrechtliche Gerechtigkeit in jedem Einzelfall zu verwirklichen; „[t]otale Gerechtigkeit des Einzelfalls lässt sich so nicht erzielen; wo gehobelt wird, fallen Späne.“672 Während dies von Seiten des Gesetzgebers durch eine zunehmende Ausdifferenzierung seines Kollisionsrechtssystems abgemildert werden kann, gibt die Ausweichklausel dem Rechtsanwender eine Möglichkeit an die Hand, für international-privatrechtliche Gerechtigkeit zu sorgen.673 Hierbei steht sie in einem Spannungsfeld zwischen der Entscheidung für ein der Rechtssicherheit (im Sinne der Vorhersehbarkeit des 671

Vgl. COM (2003) 427 final, p. 36: „However, where a non-contractual obligation arising out of actions performed without due authority in connection with the affairs of another person relates to the physical protection of a person or of specific tangible property, […].“ 672 Lüderitz, in: FS Kegel, 1977, S. 31, 40. 673 Siehe dazu schon oben S. 64.

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anzuwendenden Rechts für die Parteien) entsprechendes, durchrationalisiertes und ausgebildetes Normensystem einerseits und dem Streben nach Gerechtigkeit in jedem einzelnen Fall andererseits.674 Um das Ziel, das anwendbare Recht primär über ein geschriebenes, typisiertes Regelungssystem zu bestimmen, nicht zu unterlaufen, müssen Ausweichklauseln nach allgemeiner Meinung zurückhaltend angewandt werden.675 Deutlich wird dies auch am Wortlaut des Art. 11 Abs. 4 Rom II-VO, der eine „offensichtlich engere Verbindung“ mit einem anderen Staat verlangt.676 Eine Ausweichklausel ist also „kein Freibrief zur abstrakten Unterregelbildung.“677 Andererseits schließt die Funktion der Ausweichklausel es aber auch nicht aus, aus einer Vielzahl gleichgelagerter Einzelfälle Fallgruppen zu bilden.678 Deshalb treten Ausweichklauseln durchaus in ein gewisses Konkurrenzverhältnis zur Lückenfüllung. Diesbezüglich hat man bislang jedenfalls erkannt, dass es sich bei Ausweichklauseln um kodifizierte Anwendungsfälle der teleologischen Reduktion handelt.679 Gleichwohl ist das Konkurrenzverhältnis noch nicht abschließend geklärt. Die teleologische Reduktion korrigiert bekanntermaßen eine ihrem Wortlaut nach zu weit gefasste Norm und ergänzt sie um die mit Blick auf den Normzweck gebotene Einschränkung. Sie setzt allerdings eine Lücke voraus. Die vom Normzweck geforderte Einschränkung darf letztlich versehentlich keinen Weg ins Gesetz gefunden haben.680 Die Möglichkeit, eine Rechtsnorm auf diese Weise anzupassen, ist allgemein bekannt – und zwar sowohl in Deutschland als auch auf europäischer Ebene.681 Für sie braucht es keine Ermächtigung im Gesetz, etwa in Form einer Ausweichklausel. Was nach allgemeinen methodischen Grundsätzen indes nicht angeht, ist die Korrektur einer vom Gesetzgeber bewusst getroffenen Entscheidung. Griffe der Rechtsanwender hier korrigierend ein, etwa, weil er im Einzelfall den Normzweck nicht für verwirklicht erachtet, ersetzte er die in der Norm zum 674

So auch Looschelders, in: Staudinger, Neubearb. 2019, Einl. IPR Rn. 151. Siehe auch COM (2003) 427 final, p. 22 in combination with 12: „Since this clause generates a degree of unforeseeability as to the law that will be applicable, it must remain exceptional.“ 676 Looschelders, in: Staudinger, Neubearb. 2019, Einl. IPR Rn. 152. 677 v. Bar/Mankowski, IPR Bd. 2, 2. Aufl. 2019, § 2 Rn. 525; siehe auch Spickhoff, in: BeckOK BGB, 60. Ed. 1.8.2021, Art. 11 Rom II-VO Rn. 7 („nicht: ‚Aufweich‘-Klausel”) und Mankowski, in: Encyclopedia Vol. 2, 2017, p. 1304 et. seq.: „As with all escape clauses, this rule has to be employed with extreme caution and must not be misunderstood as a backdoor device granting the liberty to deviate at will from the preceding rules.“ 678 Junker, IPR, 4. Aufl. 2021, § 5 Rn. 15. 679 Siehe nur Looschelders, in: Staudinger, Neubearb. 2019, Einl. IPR Rn. 153 mit Verweis u. a. auf ders., Anpassung, 1995, S. 215 f.; krit. Hirse, Ausweichklausel, 2006, S. 92 f. 680 S. 53 ff. 681 Siehe oben S. 58, vgl. für das autonome deutsche Recht nur Larenz, Methodenlehre, 6. Aufl. 1991, S. 391 f. 675

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Ausdruck kommende rechtspolitische Entscheidung des Gesetzgebers mit seiner eigenen. Das ist unzulässig.682 Im Kollisionsrecht, das vor allem der Verwirklichung des Prinzips der engsten Verbindung verschrieben ist, hat der Gesetzgeber nun aber verschiedentlich die Möglichkeit eröffnet, von seiner bewusst getroffenen Regelentscheidung durch eine Anwendung der Ausweichklausel abweichen zu können. Das, was also nach allgemeinen methodischen Maßstäben eigentlich unzulässig ist, wird hier durch die in der Ausweichklausel geschriebene Ermächtigung ausnahmsweise zulässig. Die Voraussetzung für eine solche ausnahmsweise mögliche Korrektur finden sich im Wortlaut der jeweiligen Ausweichklausel: Aus der Gesamtheit der Umstände muss sich eine wesentlich engere Verbindung mit einem anderen Staat ergeben. Das ist eine enge Voraussetzung, was vor dem Hintergrund des soeben Ausgeführten nicht verwundert. Das Überwiegen der Nähe der Verbindung muss in Relation zu den Regelanknüpfungen erheblich bzw. wesentlich sein,683 was in dem Wortlaut der englischen, französischen, spanischen und italienischen Sprachfassung deutlicher zum Ausdruck kommt. Die Anwendung der Ausweichklausel unterscheidet sich folglich von der „gewöhnlichen“ teleologischen Reduktion darin, dass erstere eine Art „Ausnahmegenehmigung“ für die Korrektur einer bewusst getroffenen gesetzgeberischen Wertentscheidung enthält.684 Die dargelegte Differenzierung lässt sich wohl auch aus Wortlaut und systematischem Bezug des Art. 11 Abs. 4 Rom II-VO ableiten. Denn diese Norm knüpft an die Regelkollisionsnormen, Abs. 1 bis 3, an. Die Auslegung dieser Regelkollisionsnormen ist der Anwendung der Ausweichklausel aber vorgeschaltet. Ergibt diese Auslegung, dass eine bestimmte Fallgruppe zwar unter die Norm gefasst werden kann, der Normzweck aber nicht wirklich passt, ist zunächst zu prüfen, ob der Gesetzgeber den Normanwendungsbereich nicht versehentlich zu weit ausgestaltet hat. Ist das der Fall, kann das anwendbare Recht schon gar nicht nach der Regelkollisionsnorm bestimmt werden, weil der Norm ein einschränkendes Tatbestandsmerkmal hinzuzufügen ist. Das anwendbare Recht wird dann also nicht, wie es beispielsweise Art. 11 Abs. 4 für seine Anwendung verlangt, „nach den Absätzen 1, 2 und 3“ bezeichnet. 682

S. 51 f. Siehe dazu Schinkels, in: BeckOGK, 1.8.2018, Art. 11 Rom II-VO Rn. 43. 684 Wie hier differenziert scheinbar auch Hirse, Ausweichklausel, 2006, S. 90 ff., insb. 92: „Der Richter darf sich des methodischen Mittels der teleologischen Reduktion nur dann bedienen, wenn der Gesetzgeber selbst die Notwendigkeit einer Ausnahmeregelung für atypische Fälle, in denen der Normzweck nicht erreicht werden kann […], nicht gesehen hat. Sie setzt also voraus, dass der Gesetzgeber versäumt hat, der Norm eine nach Sinn und Zweck gebotene Ausnahmeregelung hinzuzufügen. Mit der Ausweichklausel hat er dagegen gerade eine solche gesetzlich fixierte Ausnahmeregelung geschaffen.“ Er hält die Bezeichnung der Ausweichklausel als „gesetzgewordene teleologische Reduktion“ für verfehlt (aaO, S. 92 ff.). 683

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Aber auch in rechtspolitischer Hinsicht wäre der Weg über eine teleologische Reduktion und eine sich anschließende Lückenfüllung aus der Sicht des Verordnungsgebers wohl von „Vorteil“. Ihm wird nicht der Vorwurf der unsorgsamen Wahl eines Anknüpfungspunkts gemacht. Er muss sich einzig vorhalten lassen, dass er bestimmte Konstellationen der auftragslosen Geschäftsführung nicht erkannt hat. Dies wiegt aber nicht besonders schwer, da das Rechtsinstitut der Geschäftsführung ohne Auftrag derart schillernd ist, dass beispielsweise auch der deutsche Gesetzgeber den Gesetzgebungsmaterialien zu Art. 39 Abs. 1 EGBGB zufolge wohl primär nur solche Konstellationen vor Augen hatte, bei denen die Geschäftsübernahme unmittelbar mit einem Eingriff in Rechtsgüter des Geschäftsherrn zusammenfällt.685 Schließlich ist auch die europäische Rechtswissenschaft, die die Genese des Art. 11 Rom II-VO begleitet hat, soweit ersichtlich, beispielsweise nicht auf neutrale Geschäftsführungen eingegangen. Die Lösung für die verbleibenden Konstellationen ist daher auf der Ebene der Lückenfüllung zu suchen. Darauf soll nun eingegangen werden. 3. Lückenfüllung Soeben wurde aufgezeigt, dass es für einige Fälle, die nach europäisch-autonomem Begriffsverständnis eigentlich in den Anwendungsbereich von Art. 11 Abs. 3 Rom II-VO fallen, nicht sachgerecht erscheint, an den Ort der Geschäftsübernahme anzuknüpfen. Sie werden dadurch nicht „interessengerecht“ gelöst. Dies gilt für all jene Fälle, in denen der Geschäftsführer mit der Geschäftsübernahme nicht unmittelbar in Rechtsgüter oder bestehende Verpflichtungen des Geschäftsherrn eingreift, sowie solche, bei denen Einzelgeschäftsführungen wertungsmäßig zu einer zusammengefasst werden. Der Anknüpfungsgegenstand des Art. 11 Abs. 3 Rom II-VO ist daher dergestalt teleologisch zu reduzieren, dass diese Konstellationen nicht erfasst werden.686 Fraglich ist nun aber, ob die dadurch entstandene Lücke auch durch eine europäisch-autonome Lückenfüllung geschlossen werden kann. a) Vorliegen einer Lücke Dafür muss bekanntermaßen eine Lücke vorliegen. Eine interne Lücke liegt in Abgrenzung zu einer Externen vor, wenn innerhalb des Anwendungsbereichs des untersuchten Sekundärrechtsakts ein Bereich ganz oder teilweise ungeregelt geblieben ist.687 Oben wurde dargelegt, dass der Anknüpfungsgegenstand des Art. 11 Abs. 3 Rom II-VO teleologisch zu reduzieren ist, da er für manche der von ihm erfassten Fallgestaltungen nicht passt. Problematisch ist in dieser 685

Siehe dazu unten S. 268 f. S. 238 ff. 687 Siehe zum Lückenbegriff S. 54 f. 686

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Hinsicht aber, dass der materielle Anwendungsbereich der Rom II-VO auf die Anknüpfung „außervertraglicher Schuldverhältnisse“ beschränkt ist, welche sich wiederum aus den Begriffen „unerlaubte Handlung“, „ungerechtfertigte Bereicherung“, „Geschäftsführung ohne Auftrag“ und „Verschulden bei Vertragsverhandlungen“ zusammensetzt.688 Diskutiert man daher für Art. 11 Abs. 3 Rom II-VO eine teleologische Reduktion des Begriffs „Geschäftsführung ohne Auftrag“, steht zugleich die Anwendbarkeit der Rom II-VO insgesamt und damit das Vorliegen einer externen Lücke in Frage. Für die Annahme einer externen Lücke spricht zunächst die Vermutung, wonach gleichlautende Begriff auch gleichbedeutend auszulegen sind. Diese Vermutung kann indes widerlegt werden, wenn sich eine abweichende Auslegung mit Blick auf die jeweiligen, voneinander abweichenden Normzwecke gebietet.689 So liegt der Fall hier. Oben wurde festgehalten, dass sich der Verordnungsgeber nur undeutlich zum Anwendungsbereich von Art. 11 Rom II-VO geäußert hat. Deshalb war es möglich, mit Blick auf den Normzweck des Art. 11 Abs. 3 Rom II-VO dieser Regelung eine eigentlich nicht vorhandene Beschränkung hinzuzufügen. Schon in Bezug auf die in Art. 11 Abs. 1 und 2 Rom II-VO enthaltenen Anknüpfungspunkte braucht es diese Restriktion indes nicht. Der Normzweck jener Kollisionsnormen stimmt zwar insoweit mit dem von Abs. 3 überein, als dass auch sie das anwendbare Recht bestimmen; bei ihnen besteht aber gerade mit Blick auf die vom Gesetzgeber hier verfolgte Wertung keinerlei Anlass dazu, ihrem Tatbestand irgendein einschränkendes Merkmal beizugeben. Denn sie lösen auch die hier diskutierten Problemfälle des Abs. 3 „interessengerecht“ im Sinne des Verordnungsgebers und erfassen sie deshalb auch. Bereits innerhalb von Art. 11 Rom II-VO ist die Vermutung also widerlegt. Erst recht gilt dies mit Blick auf Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 1 Rom II-VO. Diese Normen bestimmen schließlich schon gar nicht das anwendbare Recht, sondern dienen dazu, den Anwendungsbereich der Verordnung zu regeln. Dieser soll dem Willen des Verordnungsgebers zufolge die Kollisionsnormen für die Bestimmung des auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendenden Rechts europaweit vereinheitlichen und damit die Harmonisierung des mitgliedstaatlichen Rechts auf diesem Gebiet erweitern.690 Dieser Zwecksetzung widerspräche es erheblich, wenn man den Anwendungsbereich der Verordnung entsprechend begrenzte (und dadurch auch den Weg zu den vorrangigen und, wie gesagt, in dieser Hinsicht unproblematischen Anknüpfungen der Abs. 1 und 2 verschlösse).

688

Siehe schon S. 113. Siehe S. 29 f. 690 Vgl. COM (2003) 427 final, p. 4. 689

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Die teleologische Reduktion des Anwendungsbereichs von Art. 11 Abs. 3 Rom II-VO hat daher keinen Einfluss auf den materiellen Anwendungsbereich der Rom II-VO. Es liegt folglich eine interne Lücke vor. b) Lückenfüllung Um diese zu füllen, stehen dem Rechtsanwender verschiedene Mittel zur Verfügung. Vorrangig ist an eine Lückenschließung anhand einzelner Wertungen zu denken.691 Hier gerät sofort eine Analogie zu Art. 11 Abs. 3 Rom II-VO in den Fokus. Ein solcher Analogieschluss ist zulässig, wenn die für einen Tatbestand gegebene Regel auf einen ungeregelten, ihm aber wertungsmäßig ähnlichen Tatbestand übertragen werden kann.692 Auf den ersten Blick scheint eine Analogie zu Art. 11 Abs. 3 Rom II-VO nahezuliegen: Sowohl bei den von Art. 11 Abs. 3 Rom II-VO erfassten Fällen als auch bei den hier diskutierten GoA-Konstellationen geht es stets um dasselbe Telos: Es ist ein (kollisionsrechtlicher) Ausgleich zu finden zwischen dem Schutz der Freiheitssphäre des Geschäftsherrn und dem Interesse des auftragslosen, aber mit Fremdgeschäftsführungswillen in diese eingreifenden Geschäftsführers. Hierzu ist, wie gezeigt, eine neutrale Anknüpfung zu wählen, da sich beide Interessen die Waage halten. Der Ort darf nicht manipulierbar sein. Der Geschäftsherr muss eine ihm zurechenbare Beziehung zu diesem Ort aufweisen und auch für den Geschäftsführer sollte grundsätzlich im Vorhinein erkennbar sein, welchem Recht sein Handeln unterliegen wird. Bei Lichte betrachtet wird der Analogieschluss aber wohl nicht zur Lückenfüllung herangezogen werden können. Es ist bereits umstritten, ob der Anknüpfungspunkt einer IPR-Norm zu ihrem Tatbestand zählt oder ob er lediglich ihre Rechtsfolge konkretisiert. Dies ist auch eine Frage der Lesart,693 wie etwa der Unterschied des Wortlauts von Art. 11 Abs. 2 zu dem des Abs. 3 Rom II-VO verdeutlicht. Folgte man der Auffassung, wonach der Anknüpfungspunkt zur Rechtsfolge einer Kollisionsnorm zählt,694 kommt eine Analogie wohl schon deshalb nicht in Betracht, weil die Anknüpfung an den Ort der Geschäftsführung Teil der mittels Analogie zu übertragenden Rechtsfolge wäre und eben diese Anknüpfung als nicht „interessengerecht“ identifiziert wurde. Andererseits stellte sich die Frage, wieso man gerade die Rechtsfolge von Art. 11 Abs. 3 Rom II-VO übertragen sollte, wenn man den Anknüpfungspunkt als Tatbestandsmerkmal verstünde.695 Denn dann lautete die Rechtsfolge einer 691

Dazu oben S. 58. S. 58. 693 Darauf weist v. Hein, in: MüKo BGB, 8. Aufl. 2020, Einl. IPR Rn. 57 hin. 694 Dafür etwa Kropholler, IPR, 6. Aufl. 2006, S. 106; Lorenz, in: BeckOK BGB, 60. Ed. 1.11.2021, Einl. IPR Rn. 34. 695 Mit beachtlichen Gründen hierfür etwa Looschelders, in: Staudinger, Neubearb. 2019, Einl. IPR, Rn. 1047. Siehe auch Kegel/Schurig, IPR, 6. Aufl. 2004, S. 310 ff., insb. 312. 692

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jeden (geschriebenen oder ungeschriebenen) Kollisionsnorm schlicht: „[…] dann ist das Recht dieses Staates anzuwenden.“ Bei Normen, die das anwendbare Recht bestimmen, bringt die Rechtsfolge nach dieser Lesart also keine bestimmte Wertung zum Ausdruck. Das IPR unterscheidet sich in dieser Hinsicht vom materiellen Privatrecht: Dort steht bei der Diskussion um einen Analogieschluss beispielsweise die Frage im Raum, ob Schadenersatz gewährt wird oder eben nicht; im IPR ist das anwendbare Recht dagegen immer zu bestimmen. Ein Analogieschluss ist daher hier wohl nicht möglich. Ob es sich um eine Analogie handelt oder nicht, sollte letztlich aber auch dahinstehen können. Entscheidend ist allein, dass der Rechtsanwender sich bei der Lückenschließung an den im Gesetz erkennbaren Wertungen orientiert696 und keine Lückenfüllungsgrenze697 erreicht. Es ist daher zulässig (und aufgrund der wertungsmäßigen Ähnlichkeit hier sogar geboten), die vom Verordnungsgeber mit Art. 11 Abs. 3 Rom II-VO verfolgte Neutralitätswertung aufzugreifen und diese als „Leitstern“ für eine Anknüpfung jener Konstellationen, die nach erfolgter teleologischer Reduktion nicht unter Art. 11 Rom II-VO fallen, heranzuziehen. Führt man sich deshalb die eingangs genannten Kriterien für einen neutralen Anknüpfungspunkt jener Fallgruppen vor Augen, wird ersichtlich, dass sie alle erfüllt werden, wenn man an den Ort anknüpft, an dem das Geschäftsherrninteresse, das vom Geschäftsführer konkret wahrgenommen wird, zu lokalisieren ist. Die Lokalisierung dieses Orts ist letztlich vom im Einzelfall geführten Geschäft abhängig. Eine Hilfestellung kann indes die Arbeit Manfred Wandts aus dem Jahre 1989 geben. Diese war zwar auf die Bildung einer autonomen deutschen Kollisionsnorm gerichtet, die seinerzeit noch nicht existierte; seine Gedanken können gleichwohl übertragen werden: Aus den oben dargelegten Gründen698 indiziert die materiell-rechtliche Ratio, die den §§ 677 ff. BGB zugrunde liegt, die Wahl des autonomen deutschen Anknüpfungspunkts. Diese Ratio besteht, wie oben aufgezeigt, darin, das zwischen Geschäftsführer und Geschäftsherrn bestehende Schuldverhältnis aus GoA so auszugestalten, dass ihre jeweiligen Interessen gegeneinander ausbalanciert werden.699 Es überrascht daher nicht, dass Wandt wie der Verordnungsgeber im Rahmen von Art. 11 Abs. 3 Rom II-VO auf die Herstellung kollisionsrechtlicher Neutralität abzielte – auch wenn Wandt sich wohl nur unbewusst an der materiell-

696

Vgl. oben S. 92 f. S. 49 ff. 698 S. 75 ff., insb. 82 ff. 699 S. 230 ff. 697

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rechtlichen Ratio orientierte.700 Er hat die folgende abstrakt-generelle Regelung vorgeschlagen:701 1

Bezieht sich die auftragslose Geschäftsführung auf die Person des Geschäftsherrn oder eine ihm gehörende Sache, ist das Recht des Staates maßgeblich, in dem sich der Geschäftsherr oder seine Sache im Zeitpunkt der Geschäftsübernahme befand.702 2Bezieht sie sich demgegenüber auf eine Verpflichtung oder ein Recht des Geschäftsherrn, gilt das Recht, das die Verpflichtung oder das Recht beherrscht.703 3Hilfsweise ist an den gewöhnlichen Aufenthalt des Geschäftsherrn anzuknüpfen.

Damit lassen sich etwa die Fälle „neutraler Geschäftsführungen“ sachgerecht lösen. Anzuknüpfen ist grundsätzlich an den gewöhnlichen Aufenthalt des Geschäftsherrn, also an den Ort, an dem dieser auch typischerweise seine rechtsgeschäftliche Entschließungsfreiheit ausübt.704 Erinnert man indes die oben angeführten Beispielsfälle705 und erblickt man (richtigerweise) bereits in der telefonischen Beauftragung des G bzw. der Ehrwalder Bergrettung ein „neutrales Geschäft“, wäre aber gleichwohl an die lex rei sitae bzw. den Aufenthaltsort des A anzuknüpfen. Denn die jeweilige Geschäftsführung bezieht sich auf das 700

Interessanterweise stellt Wandt recht früh in seiner Arbeit (GoA im IPR, 1989, S. 104) fest, dass der Regelungszweck der §§ 677 ff. BGB grundsätzlich keine Orientierung für die Wahl eines bestimmten Anknüpfungspunkts biete: Er konstatiert, dass „[d]er Gesamtregelung […] ein in diesem Sinne richtungsweisender Zweck [fehlt]. Die Versuche, die gesetzliche Regelung allein auf den Zweck der Förderung altruistischen Handelns zurückzuführen, sind gescheitert“. Wenige Sätze danach stellt er aber klar, dass „[d]er Förderung altruistischen Handelns des Geschäftsführers […] grundsätzlich gleichrangig das Bestreben gegenüber[steht], den Geschäftsherrn vor ungebetener Einmischung zu schützen.“ Er erkennt also die hinter dem Regelungskonvolut der §§ 677 ff. BGB stehende Neutralität, identifiziert sie allerdings nicht (zumindest nicht ausdrücklich) als ein die kollisionsrechtliche Anknüpfung leitendes Prinzip. Dass Wandt seine Arbeit gleichwohl daran orientiert, zeigt sich insbesondere daran, dass er die von ihm gewählten Anknüpfungspunkte – wie hier – mit der fehlenden (oder geringeren) Manipulierbarkeit oder der Vorhersehbarkeit insbesondere für den Geschäftsherrn argumentativ stützt, siehe beispielsweise Wandt, GoA im IPR, 1989, S. 137 f., 148, 184, 219. 701 Wandt, GoA im IPR, 1989, S. 273 f. 702 Wandt (GoA im IPR, 1989, S. 274) hat an dieser Stelle ein Wahlrecht für den Geschäftsführer vorgesehen: Sollte dieser nach einem anderen Recht gesetzlich zur Geschäftsführung verpflichtet sein, müsse er dieses Recht wählen können. Eine solche fakultative Anknüpfung lässt sich hier nicht verwirklichen. Denn in Art. 11 Rom II-VO kommt nicht nur kollisionsrechtliche Neutralität zum Ausdruck, sondern, wie gezeigt, auch der Wille des Gesetzgebers, mit dieser Norm das Prinzip der engsten Verbindung zu verwirklichen. Dieser ist auch bei einer verordnungsinternen Lückenfüllung zu beachten. 703 Für die Anknüpfung an das Statut der eingezogenen Forderung auch (allerdings unter unmittelbarer Anwendung von Art. 11 Abs. 3 Rom II-VO) G. Fischer, in: FS Spellenberg, 2010, S. 151, 166; konkurrierende bereicherungsrechtliche Ansprüche seien über Art. 10 Abs. 4 Rom II-VO ebenfalls akzessorisch daran anzuknüpfen. 704 Wandt, GoA im IPR, 1989, S. 222. 705 S. 219 f.

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2. Teil: Die Geschäftsführung ohne Auftrag im IPR

Grundstück des Ferienhauses bzw. die Person des A.706 Jene Geschäfte grenzen sich zu den übrigen „neutralen Geschäften“ darin ab, dass die Letztgenannten darauf abzielen, die Vermögensposition – wobei dieser Begriff weit zu verstehen ist und auch ideelle Aspekte erfasst – des Geschäftsherrn allgemein zu verbessern und daher nicht auf ein Objekt oder die Person des Geschäftsherrn bezogen sind.707 Die Abgrenzung zwischen ihnen wird aber zugegebenermaßen nicht immer leicht zu treffen sein. Sie ist allerdings wichtig, da es in der Anknüpfung keinen Unterschied machen kann, ob der Geschäftsführer in den Beispielsfällen den Baum selbst fällt bzw. den A eigenhändig von der Zugspitze rettet oder dies jeweils durch „beauftragte“ Dritte erledigen lässt. Andernfalls könnte der Geschäftsführer vor seinem Tätigwerden Einfluss auf die Anknüpfung nehmen, indem er auf eine bestimmte Art und Weise (rechtsgeschäftlich [also durch andere] oder tatsächlich [selbst]) tätig wird. Die genannte Formel kann aber, wie gesagt, lediglich eine Hilfestellung sein. Denn auch sie stellt nur eine Annäherung an die Verwirklichung der international-privatrechtlichen Gerechtigkeit durch die Anknüpfung aller auftragsloser Geschäftsführungen an den für sie optimalen, weil neutralen, Anknüpfungspunkt dar. Es handelt sich nicht um eine in jedem Einzelfall „perfekte“ Regelung, sondern schlichtweg um einen Kompromiss.708 Dieses Maß an Kompromissbereitschaft ergibt auch Sinn, wenn man sich vor Augen führt, dass Wandt auf die Bildung einer abstrakt-generellen Kollisionsnorm abgezielt hat. Auf der Ebene der Lückenfüllung muss (und darf) man hingegen keine solche Zugeständnisse machen. Aus diesem Grund bedarf es auch keines Kompromisses für Sachgesamtheiten. Eine Sonderanknüpfung für sie fehlt in Wandts Vorschlag. Dieses Zugeständnis wird damit begründet, dass die Sachgesamtheiten des Geschäftsherrn meist an dessen gewöhnlichen Aufenthalt lokalisiert werden können, so dass die Hilfsanknüpfung bereits zum gewünschten Ziel führt; Sonderfälle wie Geschäftsführungen in Bezug auf Unternehmen oder Auslandsvermögen könnten ihm zufolge über eine allgemeine Ausweichklausel gelöst werden.709 Auch er erkennt also, dass es eine „Fiktion“710 wäre, für sämtliche Vermögen auf den gewöhnlichen Aufenthalt des Geschäftsherrn abzustellen. Allerdings belegen nicht nur die von Wandt aufgeführten Beispiele, dass es durchaus Vermögen 706

Vgl. Wandt, GoA im IPR, 1989, S. 163 f., wobei aber nicht ganz klar wird, ob er sich mit seinen Ausführungen nur auf jene Geschäftsführungen bezieht, in denen der Geschäftsführer sowohl rechtsgeschäftlich als auch tatsächlich handelt. Nimmt man aber das aaO, S. 138 gegebene Beispiel der Vermietung einer dem Geschäftsherrn gehörende Sache hinzu, spricht vieles dafür, dass Wandt diese Unterscheidung ebenfalls so träfe. 707 Vgl. Wandt, GoA im IPR, 1989, S. 270 f., 117. 708 Siehe erneut plastisch Lüderitz, in: FS Kegel, 1977, S. 31, 40: „Totale Gerechtigkeit des Einzelfalls lässt sich so nicht erzielen; wo gehobelt wird, fallen Späne.“ 709 Wandt, GoA im IPR, 1989, S. 213, 272 f. 710 Wandt, GoA im IPR, 1989, S. 213.

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geben kann, das dem Geschäftsherrn zugeordnet, aber nicht zwingend an dessen gewöhnlichem Aufenthalt zu verorten ist. Auch bei der (vergleichsweise) viel diskutierten Konstellation der internationalen Erbensuche ist es so. In diesem Fall lässt sich indes durchaus darüber streiten, ob an den Belegenheitsort des Nachlasses (bzw. dessen wirtschaftlichen Schwerpunkt)711 oder an den gewöhnlichen Aufenthalt des Geschäftsherrn angeknüpft werden sollte. Für die zweitgenannte Alternative wird (für sich genommen zutreffend) vorgebracht, dass der Geschäftsherr am Anfallen der Erbschaft nicht mitgewirkt, deshalb seinen Rechtskreis nicht willentlich über seinen Aufenthaltsort hinaus erweitert und folglich keine zurechenbare Beziehung zu diesem Ort gesetzt hat.712 Vergleichbare Erwägungen kann man im Schiffsdetektivfall anstellen. Geht man von der oben dargestellten Regel aus, wäre eigentlich an die lex rei sitae – gemeint ist der Ort, an dem der (spätere) Geschäftsführer das abhanden gekommene Objekt entdeckt – anzuknüpfen. Dieser Ort ist aber völlig zufällig und hängt schlicht vom Verhalten des Diebes ab. Man könnte darüber hinaus argumentieren, dass der Geschäftsherr an der Verbringung seiner Sache an diesen Ort nicht unmittelbar mitgewirkt hat, so dass auch hier wieder die zurechenbare Beziehung fehlt. Konsequenterweise wird deshalb gefordert, auf den gewöhnlichen Lageort abzustellen.713 Etwas anderes gälte nur, wenn der Geschäftsherr mit dieser Verbringung im Vorhinein zu rechnen hatte714 – mit anderen Worten: wenn der Geschäftsherr mit einem Diebstahl rechnen musste. An eine solche Sichtweise schließt sich aber natürlich zwangsläufig die Frage an, wann dies nicht der Fall ist; nach der Lebenserfahrung wird man wohl stets mit einem Diebstahl beweglicher Sachen rechnen müssen – welchem Zweck dienten sonst Fahrradschlösser, Autoschlüssel und Tresore? Letztlich sollte in beiden Fällen auf den Belegenheitsort der Sache bzw. der Sachgesamtheit im Zeitpunkt der Geschäftsübernahme abgestellt werden. Sowohl bei unbekanntem Anfall einer Erbschaft als auch bei einer abhanden gekommenen (beweglichen) Sache ist der Rechts- und Interessenkreis des Geschäftsherrn schon durch die Belegenheit in der entsprechenden Rechtsordnung (zumindest wirtschaftlich715) gesehen dorthin erweitert; dass dies nicht willentlich erfolgt ist, ändert daran nichts. Der Geschäftsführer wird regelmäßig nicht erkennen können, ob eine bestimmte Sache, willentlich oder 711 Dafür Looschelders, IPRax 2014, 406, 410; Schinkels, in: BeckOGK, 1.8.2018, Art. 11 Rom II-VO Rn. 40; Spickhoff, in: BeckOK BGB, 60. Ed. 1.8.2021, Art. 11 Rom IIVO Rn. 6. 712 Dornis, RabelsZ 80 (2016), 543, 575; siehe auch ders., ZfPW 2015, 376, 384. 713 Dornis, RabelsZ 80 (2016), 543, 571; im Ergebnis auch Wandt, GoA im IPR, 1989, S. 151 f. 714 Dornis, RabelsZ 80 (2016), 543, 571. 715 Etwa wenn der Erbe noch in den Nachlass eingeantwortet werden muss, vgl. § 797 Abs. 1 ABGB.

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2. Teil: Die Geschäftsführung ohne Auftrag im IPR

unwillentlich von ihrem gewöhnlichen Belegenheitsort entfernt wurde. Am Schiffsdetektivfall zeigt sich außerdem, dass der Geschäftsherr trotz des Abhandenkommens seiner Sache weiterhin ein Interesse daran hat, dass seine Eigentumsposition auch durch die neue, ihm unbekannte lex rei sitae geschützt wird.716 Er weist dadurch eine hinreichend starke Beziehung zu diesem Ort auf.717 Darüber hinaus muss er, auch wenn ihm eine Sache abhanden gekommen ist, damit rechnen, in anderer Hinsicht für sie verantwortlich zu sein; etwa wenn sein gestohlenes Auto in Österreich Öl leckt und einen Acker verschmutzt. Der Geschäftsführer muss demgegenüber im Zeitpunkt der Übernahme der Geschäftsführung zwar nicht zwingend Kenntnis vom Belegenheitsort haben. Er ist aber diesbezüglich nicht schutzwürdig. Schließlich kann er völlig frei entscheiden, ob er sich in die Angelegenheiten eines Dritten einbringt oder nicht. Sollte er sich trotz Unsicherheiten in Bezug auf den Belegenheitsort der Sache für einen Eingriff entscheiden, muss er mit einer gewissen Unsicherheit in Bezug auf die anwendbare Rechtsordnung rechnen.718 Ein rational handelnder Geschäftsführer wird diese Unsicherheiten in seine Abwägungsentscheidung bezüglich der Frage, ob er eingreifen soll oder nicht, miteinbeziehen. Der Geschäftsherr auf der anderen Seite wird dadurch geschützt, dass es dem Geschäftsführer obliegt, den Belegenheitsort der Sache im Prozess gegebenenfalls zu beweisen. Entsprechend dieser Erwägungen sollte auch dann an die lex rei sitae angeknüpft werden, wenn der Geschäftsführer Maßnahmen in Bezug auf sogenannte „reisende Waren“719 trifft. Der Geschäftsherr hat schon aus den oben angegebenen Gründen eine Beziehung zu den von der Sache passierten Rechtsordnungen; nur nebenbei sei gesagt, dass er sie auch meist willentlich auf die Reise geschickt haben wird. Der Geschäftsführer kann sich darüber informieren, wo diese bei Übernahme der Geschäftsführung belegen sind; ist ihm das nicht möglich, obliegt ihm die Entscheidung, die Geschäftsführung gleichwohl durchzuführen oder schlicht zu unterlassen. Abschließend sind noch zwei Punkte anzumerken. Zunächst soll betont werden, dass die Anknüpfung an den Ort, an dem das Geschäftsherrninteresse zu lokalisieren ist, auf den ersten Blick vielleicht an die im Kommissionsentwurf aus dem Jahre 2003 enthaltene Differenzierung erinnern mag. Bei Lichte betrachtet fällt aber auf, dass die von Wandt gebildete und hier herangezogene Regelung nicht an den von der Rechtswissenschaft monierten Fehlern leidet, welche dann sehr wahrscheinlich auch zur Abkehr von den dort niedergelegten 716

Vgl. die Erwägung bei Wandt, GoA im IPR, 1989, S. 135 f. A. A. Dornis, RabelsZ 80 (2016), 543, 571 (Ausn., wie gezeigt, wenn mit Verbringung „vorab zu rechnen gewesen wäre“). 718 Vgl. Dornis, RabelsZ 80 (2016), 543, 572. 719 Siehe zum Begriff Wandt, GoA im IPR, 1989, S. 152, der – wie im Schiffsdetektivfall – für eine Anknüpfung an den gewöhnlichen Belegenheitsort votiert, weil der Belegenheitsort der Sache zum Zeitpunkt der Geschäftsübernahme für beide Parteien unbekannt ist. 717

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Anknüpfungspunkten geführt hat:720 Die als zu pauschal empfundenen Hilfeleistungsfälle finden sich hier nicht und auch die Anknüpfung an den gewöhnlichen Aufenthalt des Geschäftsherrn ist nicht Ausdruck einer kollisionsrechtlichen Privilegierung, sondern entspringt dem Neutralitätsgedanken. Ferner bleibt noch zu erinnern, dass sich auch die auf diese Weise abstraktgenerell gebildete ungeschriebene Kollisionsnorm im Einzelfall als nicht „perfekt“ erweisen kann – namentlich dann, wenn das ihr zugrunde liegende neutrale Anknüpfungsziel sich für die kollisionsrechtliche Behandlung des zur Entscheidung anstehenden Einzelfalls als ungeeignet präsentiert. Sie sollte daher wie auch die geschriebenen Regelanknüpfungen korrigiert werden können, wenn aus der Gesamtheit der Umstände eine wesentlich engere Verbindung zu einem anderen Staat als dem, in dem das Geschäftsherrninteresse zu lokalisieren ist, folgt. Damit bleiben die hohen Anforderungen, die Art. 11 Abs. 4 Rom II-VO aufstellt, bestehen. Denn zwar handelt es sich dann nicht mehr um die Korrektur einer eindeutigen gesetzgeberischen Wertentscheidung, allerdings bildet die zur Lückenfüllung gefundene Regel die ausdrückliche gesetzgeberische Wertentscheidung fort. 4. Sonderkonstellation: Geschäftsführung erfolgt in extraterritorialem Gebiet Diskussionswürdig ist in dem Zusammenhang mit Art. 11 Abs. 3 Rom II-VO noch die Frage, welches Recht zur Anwendung gelangt, wenn die Geschäftsführung in extraterritorialem Gebiet erfolgt. Zu denken ist hier insbesondere an Hilfeleistungsfälle auf hoher See. Für diese Konstellationen mangelt es der Rom II-VO an einer Spezialregelung. Die meisten dieser Fälle werden in der modernen Schifffahrt allerdings auch entweder auf vertraglicher Grundlage gelöst oder zumindest vom internationalen Bergungsübereinkommen erfasst sein.721 Es ist gleichwohl nicht ausgeschlossen, dass Fallgestaltungen vorkommen, die außerhalb des Anwendungsbereichs dieses Abkommens liegen. Dann ist Art. 11 Abs. 3 Rom II-VO anzuwenden, sofern das anwendbare Recht auch nicht nach den Abs. 1 oder 2 bestimmt werden kann.722 Zunächst ist in diesem 720

Vgl. oben S. 226 ff. So auch die Argumentation der Hamburg Group for Private International Law, RabelsZ 67 (2003), 1, 32 zu der Frage, wieso es keine Sonderregelung für diese Fälle geben sollte. Eingehend zum Anwendungsbereich des Übereinkommens Junker, in: MüKo BGB, 8. Aufl. 2021, Art. 11 Rom II-VO Rn. 21 ff. 722 Die im folgenden Fließtext diskutierten Problempunkte werden vereinzelt auch schon im Rahmen der Anknüpfung nach Art. 11 Abs. 2 Rom II-VO angesprochen, vgl. Jakob/Picht, in: Europ. Zivilprozess- und Kollisionsrecht, 4. Aufl. 2016, Art. 11 Rom II-VO Rn. 31 und G. Fischer, in: FS Spellenberg, 2010, S. 151, 168 sowie Spickhoff, in: BeckOK BGB, 60. Ed. 1.8.2021, Art. 11 Rom II-VO Rn. 7, die für die Anknüpfung nach Art. 11 Abs. 2 Rom II-VO nach einem gemeinsamen Flaggenrecht suchen. Eine Sonderbehandlung dieser Fälle ist im Rahmen des Art. 11 Abs. 2 Rom II-VO indes nicht nötig, da ein 721

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2. Teil: Die Geschäftsführung ohne Auftrag im IPR

Fall kritisch zu hinterfragen, ob die Geschäftsführung wirklich in staatenlosem Gebiet erfolgt ist. Schließt man sich der hier vertretenen Auffassung an, ist das der Fall, wenn die Geschäftsübernahme in staatsfreiem Gebiet erfolgt.723 Beispielhaft sei darauf verwiesen, dass ein Eisbrecher ein in einem anderen Staat registriertes Forschungsschiff auf hoher See aus dem Packeis befreit. In diesen Fällen soll nach der herrschenden Meinung auf das Recht der Flagge des geretteten Schiffes abgestellt werden.724 Begründen ließe sich dies im Rahmen des Art. 11 Abs. 3 Rom II-VO mit einem Verweis auf Art. 18 lit. b des Kommissionsentwurfs aus dem Jahre 2003.725 Andere halten die Anknüpfung nach Art. 11 Abs. 3 Rom II-VO für nicht anwendbar und verweisen auf die deshalb notwendige Rechtsfortbildung; ihnen zufolge soll aber gleichwohl das Heimatrecht des geretteten Schiffes anwendbar sein.726 Die Ergebnisse entsprechen sich folglich. In methodischer Hinsicht vorzugswürdig erscheint wohl der Weg über die Lückenfüllung, da eine dem Art. 18 VO-E ähnliche Regelung in der verabschiedeten Rom II-VO letztlich fehlt, so dass eine entsprechende Interpretation sich nicht mehr innerhalb der Auslegungsgrenzen bewegt. Lückenfüllend lassen sich auch andere, für die auftragslose Geschäftsführung typische Fallkonstellationen lösen. Leistet ein Arzt während einer Schiffsreise Nothilfe, so wird auch in diesen Konstellationen das Flaggen- bzw. Heimatrecht desjenigen Schiffes maßgeblich sein. Entsprechendes gilt bei

gewöhnlicher Aufenthalt – und damit ein tauglicher Anknüpfungspunkt – auch dann (noch) vorliegt – und damit grundsätzlich ermittelbar ist –, wenn die Geschäftsführung außerhalb jeglichen staatlichen Hoheitsgebiets erfolgt. Völlig unproblematisch ist es, wenn eine unter Art. 23 Rom II-VO fallende Person Partei des Schuldverhältnisses ist, siehe auch Schinkels, in: BeckOGK, 1.8.2018, Art. 11 Rom II-VO Rn. 37. Fraglich sind daher einzig die Fälle, in denen eine nicht unter diese Regelung fallende Partei ihren Daseinsmittelpunkt nicht in territorialen Gebieten hat. Dies dürfte aber äußerst selten vorkommen, da selbst Fernfahrer zur See einen Ort haben, an dem sie ihren Daseinsmittelpunkt lokalisieren. Der Vergleich mit der Diskussion um den gewöhnlichen Arbeitsort, Art. 8 Abs. 2 Nr. 1 Rom I-VO, den Schinkels (aaO) anstellt, hinkt, da gerade nicht der Arbeits-, sondern der Lebensmittelpunkt in Rede steht. 723 Huber/Bach, in: Huber (ed.), Rome II, 2011, Art. 11 para. 23 knüpfen über die in Art. 11 Abs. 4 Rom II-VO enthaltene Ausweichklausel an das Flaggenrecht bzw. den Abreise- bzw. Zielort an, auch wenn sich das Schiff oder Flugzeug zum Zeitpunkt der Geschäftsführung in territorialem Gebiet befand. Siehe zu ihrer Auffassung unten Fn. 727 (2. Teil). 724 Stürner, in: Erman, 16. Aufl. 2020, Art. 11 Rom II-VO Rn. 9; Thorn, in: Grüneberg, 81. Aufl. 2022, Art. 11 Rom II-VO Rn. 8. 725 Jakob/Picht, in: Europ. Zivilprozess- und Kollisionsrecht, 4. Aufl. 2016, Art. 11 Rom II-VO Rn. 31. 726 Spickhoff, in: BeckOK BGB, 60. Ed. 1.8.2021, Art. 11 Rom II-VO Rn. 7 und G. Fischer, in: FS Spellenberg, 2010, S. 151, 168 sowie Schinkels, in: Calliess/Renner (eds.), Rome, 3rd ed. 2020, Art. 11 Rome II para. 22.

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Geschäftsführungen in einem Flugzeug, die über nichtstaatliches Gebiet fliegen, vgl. Art. 18 lit. c VO-E.727 IV. Zur Ausweichklausel des Art. 11 Abs. 4 Rom II-VO Gemäß Art. 11 Abs. 4 Rom II-VO ist auf das in Rede stehende Schuldverhältnis aus Geschäftsführung ohne Auftrag das Recht eines anderen Staates anzuwenden, wenn sich „aus der Gesamtheit der Umstände“728 ergibt, dass dieses eine „offensichtlich engere Verbindung mit einem anderen als dem in den Absätzen 1, 2 und 3 bezeichneten Staat aufweist“729. Bei dieser Regelung handelt es sich um eine Ausweichklausel. Zur Funktion der Ausweichklauseln wurde bereits oben Stellung bezogen: Nach der hier vertretenen Auffassung ermöglichen es diese, eine vom Gesetzgeber bewusst getroffene Wertentscheidung des Gesetzgebers ausnahmsweise zu korrigieren, wenn die eingangs genannten Anwendungsvoraussetzungen der Ausweichklausel erfüllt sind.730 Vor dem Hintergrund der in Art. 11 Abs. 4 Rom II-VO enthaltenen Ausweichklausel werden insbesondere zwei Fallgruppen diskutiert. Sie sollen auch hier Beachtung erfahren. 1. Fallgruppe der Begleichung fremder Schulden Wie oben aufgezeigt,731 wird die Frage aufgeworfen, ob man im Falle der Begleichung fremder Schulden akzessorisch an das Statut der getilgten 727 Vgl. Huber/Bach, in: Huber (ed.), Rome II, 2011, Art. 11 para. 23, die dieses Ergebnis aber schlicht über Art. 11 Abs. 4 Rom II-VO erreichen. Diese kann indes schon ihrem Wortlaut nach nicht zur Anwendung gelangen, wenn man, wie Huber/Bach (aaO), die Anknüpfung nach Art. 11 Abs. 3 Rom II-VO für nicht anwendbar hält, siehe nur Spickhoff, in: BeckOK BGB, 60. Ed. 1.8.2021, Art. 11 Rom II-VO Rn. 7 und G. Fischer, in: FS Spellenberg, 2010, S. 151, 168. Auch Dickinson, Rome II, 2013, para. 11.21 stellt auf das Flaggenbzw. Registerrecht ab. Huber/Bach, in: Huber (ed.), Rome II, 2011, Art. 11 para. 23 knüpfen über die in Art. 11 Abs. 4 Rom II-VO enthaltene Ausweichklausel sogar dann an das Flaggenrecht bzw. den Abreise- bzw. Zielort an, wenn sich das Schiff oder Flugzeug zum Zeitpunkt der Geschäftsführung in territorialem Gebiet befand. Da Art. 11 Abs. 3 Rom II-VO in diesen Fällen aber zur Anwendung gelangen kann, ist kein Grund ersichtlich, von einer Anknüpfung an das Recht des Staates, in dem die Geschäftsführung erfolgt ist, abzurücken. 728 „[F]rom all circumstances of the case“ [EN]; „de toutes les circonstances“[FR]; „del conjunto de las circunstancias“ [ES]; „delle circostanze del caso“ [IT]. 729 „[I]s manifestly more closely connected with a country other than that indicated in paragraphs 1, 2 and 3“ [EN]; „présente des liens manifestement plus étroits avec un pays autre que celui visé aux paragraphes 1, 2 et 3“ [FR]; „presenta vínculos manifiestamente más estrechos con otro país distinto del indicado en los apartados 1, 2 y 3“ [ES]; „presenta collegamenti manifestamente più stretti con un paese diverso da quello di cui ai paragrafi 1, 2 e 3“ [IT]. 730 S. 239 ff. 731 S. 196 ff.

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2. Teil: Die Geschäftsführung ohne Auftrag im IPR

Verbindlichkeit anknüpfen könnte. Dieses Ergebnis soll nach einer Auffassung über die Anwendung der Ausweichklausel, nach einer anderen Meinung durch eine weite teleologische Auslegung erreicht werden, was nach hier vertretener Auffassung indes eine Lückenfüllung wäre. a) Lösung mittels teleologischer Extension des Abs. 1? Eine akzessorische Anknüpfung an das Forderungsstatut wäre, wie oben dargelegt, vor dem Hintergrund der materiellen Harmonie in sachlicher Hinsicht wünschenswert. Auch für den Gesetzgeber erschien diese Fallgruppe als derart wichtiges Einsatzgebiet der in Art. 11 Abs. 1 Rom II-VO vorgesehenen akzessorischen Anknüpfung, dass er sie in dem ersten Kommissionsentwurf ausdrücklich benannte.732 Die Annahme, Abs. 1 dahingehend teleologisch extendieren zu können, liegt daher nahe.733 Letztlich sind die Voraussetzungen für eine entsprechende Lückenfüllung hier aber nicht erfüllt. Führt man sich das oben zur Lückenfüllung auf europäischer Ebene Gesagte vor Augen, wird ersichtlich, dass für eine (interne) Lücke zunächst eine Unvollständigkeit des Sekundärrechtsaktes benötigt wird. Dies ist durch Auslegung zu ermitteln,734 welche auch im europäischen Recht primär auf die Verwirklichung des gesetzgeberischen Willens abzielt.735 Hierbei stechen Art. 11 Abs. 2 und 3 Rom II-VO ins Auge. Beide können jene Konstellation der auftragslosen Geschäftsführung problemlos erfassen; selbst wenn die Parteien des Schuldverhältnisses keinen gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt haben, ist jedenfalls die „catch-all“736 Anknüpfung des Abs. 3 anwendbar. Wirft man allerdings einen Blick auf die Begründung zum ursprünglichen Kommissionsentwurf für die Rom II-VO aus dem Jahre 2003 zeigt sich, dass der Verordnungsgeber die hier in Rede stehende Fallgruppe Art. 9 Abs. 1 VO-E zugeordnet hat. Im Umkehrschluss könnte aus dieser Tatsache durchaus gefolgert werden, dass Art. 9 Abs. 2 und 4 VO-E (heute Art. 11 Abs. 2 und 3 Rom II-VO) nach seinem Willen in diesen Fällen keine Anwendung finden sollten. Dann ergäbe eine Auslegung von Art. 11 Rom II-VO, dass eine Lücke vorliegt, welche zudem unbewusst gewesen wäre. Allerdings hat der Unionsgesetzgeber nicht nur die akzessorische Anknüpfung, sondern zugleich die damals in Art. 9 Abs. 4 Satz 1 VO-E enthaltene (dem heutigen Abs. 3 entsprechende) Anknüpfung für einschlägig erachtet.737 Eine genetische Auslegung von Art. 11 Abs. 3 732

Siehe COM (2003) 427 final, p. 21: „The secondary connection technique […] is particularly important here, for example where […] a third-party debt is settled.“ 733 Vgl. Schinkels, in: BeckOGK, 1.8.2018, Art. 11 Rom II-VO Rn. 31 und ders., in: Calliess (ed.), Rome, 2nd ed. 2015, Art. 11 Rome II para. 9 and 16. 734 S. 55 f. 735 S. 23 ff. 736 Mankowski, in: Encyclopedia Vol. 2, 2017, p. 1304. 737 COM (2003) 427 final, p. 22.

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Rom II-VO ergibt folglich, dass diese Fälle nach dem eindeutig erkennbaren Gesetzgeberwillen auch von dieser Regelung erfasst sein sollten. Gerade wegen der teils erheblichen, das Gesetzgebungsverfahren begleitenden Kritik an dem Fehlen einer Sonderregelung für diese Fallkonstellation,738 muss es für den Verordnungsgeber erkennbar gewesen sein, dass die Anknüpfung in Art. 9 Abs. 1 VO-E (und ihre Nachfolgeregelungen) nicht greift und es daher einer speziellen, Art. 39 Abs. 2 EGBGB vergleichbaren Regelung bedarf, wenn der Verordnungsgeber in dieser Fallgruppe dem Wert der materiellen Harmonie Geltung verleihen wollte. Da der Unionsgesetzgeber bei seiner Lösung geblieben ist, kann angenommen werden, dass er eine akzessorische Anknüpfung letztlich ablehnte. Daher liegt keine Lücke vor. b) Auch keine Fallgruppe für die Ausweichklausel Es verbliebe also lediglich die Möglichkeit, die vom Verordnungsgeber bewusst getroffene Wertentscheidung über die Ausweichklausel zu korrigieren. Damit ein Abgehen von der Regelanknüpfung über Art. 11 Abs. 4 Rom II-VO zulässig ist, müssten aber über die bloße Fallkonstellation hinausgehende, weitere Sachverhaltsaspekte vorliegen. Denn Art. 11 Abs. 4 Rom II-VO fordert, dass sich im Vergleich des jeweiligen Einzelfalls mit der vom Gesetzgeber ausdrücklich der Regelanknüpfung zugeordneten Fallgruppe eine wesentlich engere Verbindung ergibt. Daher muss mit Einzelfallbezug geprüft werden, ob Abs. 4 Anwendung finden kann.739 c) Rechtspolitische Bewertung Allzu kritisch sollte man dieses Ergebnis allerdings nicht sehen. Denn zur Bejahung eines Anspruchs aus Geschäftsführung ohne Auftrag wegen der Tilgung fremder Schulden ist Voraussetzung, dass die Leistung auch wie geschuldet erbracht wurde. Was indes geschuldet ist, richtet sich nach dem Statut der Verbindlichkeit: Insbesondere die Frage nach dem Bestehen der Verbindlichkeit, ihrer Höhe und den Erfüllungsmodalitäten sind als Vorfrage selbstständig740 anzuknüpfen, so dass die Gefahr sich widersprechender Entscheidungen in Bezug auf die Rechtsfrage „erfolgte oder nicht erfolgte Tilgung“ zumindest innerhalb der Europäischen Union nicht besteht, soweit auch, was zumindest bei vertraglichen Verpflichtungen regelmäßig der Fall sein wird, das Statut der getilgten Verbindlichkeit europaweit vereinheitlicht ist. 738 Siehe nur Sonnentag, ZVglRWiss 105 (2006), 256, 305 und Hamburg Group for Private International Law, RabelsZ 67 (2003), 1, 30 (Art. 10 b section 2 Proposal). 739 Junker, in: MüKo BGB, 8. Aufl. 2021, Art. 11 Rom II-VO Rn. 27; Stürner, in: Erman, 16. Aufl. 2020, Art. 11 Rom II-VO Rn. 10; v. Bar/Mankowski, IPR Bd. 2, 2. Aufl. 2019, § 2 Rn. 525. 740 Siehe zur Vorzugswürdigkeit der selbstständigen Anknüpfung im europäischen Kollisionsrecht v. Hein, in: MüKo BGB, 8. Aufl. 2020, Einl. IPR Rn. 190 mwN.

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2. Teil: Die Geschäftsführung ohne Auftrag im IPR

2. Privilegierung der typischerweise unterlegenen Partei bei einer „Unternehmer-Verbraucher-Geschäftsführung“? Im Zusammenhang mit Art. 11 Abs. 4 Rom II-VO ist aber noch ein weiterer Punkt interessant. Oben wurde die Frage aufgeworfen, ob in Konstellationen, in denen der Geschäftsführer als Unternehmer handelt, während der Geschäftsherr als Verbraucher angesehen werden kann, zum Schutze des Geschäftsherrn über die Ausweichklausel abweichend angeknüpft werden kann.741 Diesbezüglich ist aber nicht nur die Frage relevant, ob über Art. 11 Abs. 4 Rom II-VO von der Regelanknüpfung abgewichen werden sollte, sondern auch wie dieser Schutz aussehen soll. Der letztgenannten Frage soll hier zuerst nachgegangen werden. Speziell für die Fälle gewerblicher Erbensuche wird vorgeschlagen, über Art. 11 Abs. 4 Rom II-VO akzessorisch an das hypothetische Verbrauchervertragsstatut anzuknüpfen.742 Auch wenn Schutzerwägungen hinsichtlich des Geschäftsherrn dabei wohl nicht den Ausschlag geben, wird dafür vorgebracht, dass der Erbensucher die Suche nur unternommen habe, um sich anschließend mit dem Erben über eine Honorarvereinbarung ins Benehmen zu setzen. Ferner würde auf diese Weise die mitunter schwierige Abgrenzung zur Rom I-VO umgangen, da vor der Prüfung von Ansprüchen aus außervertraglichen Schuldverhältnissen zunächst geklärt werden müsse, ob zwischen dem Erben und dem Erbensucher ein Vertrag zustande gekommen sei.743 Diese Argumente können nicht überzeugen; eine Anknüpfung an das hypothetische Verbrauchervertragsstatut ist abzulehnen. Die genannte Abgrenzung, namentlich ob ein Vertrag (im kollisionsrechtlichen Sinne) vorliegt, stellt sich in allen Fällen, in denen zwischen Geschäftsführer und Geschäftsherrn Vertragsverhandlungen stattgefunden haben. Außerdem läge es bei einer solchen Sichtweise in der Hand einer der Parteien, durch die Aufnahme von Vertragsverhandlungen das anwendbare Recht einseitig zu bestimmen. Darüber hinaus wurde zurecht darauf hingewiesen, dass die Tatbestandsvoraussetzungen des Art. 6 Abs. 1 Rom I-VO auf die von Art. 11 Rom II-VO erfassten Fälle nicht passen.744 Ein kollisionsrechtlicher Schutz ließe sich – deutlich einfacher – über eine Anknüpfung an das Umweltrecht des Geschäftsherrn verwirklichen. Auch diese kann aber – unabhängig davon, ob man die Protektion über Art. 11 Abs. 4 Rom II-VO oder über eine lückenfüllende Rechtsfindung erreichen wollte – schon sachlich nicht überzeugen:

741

Siehe S. 195 f. Späth, Gewerbliche Erbensuche, 2008, S. 278. 743 Späth, Gewerbliche Erbensuche, 2008, S. 278. 744 Limbach, in: NK-BGB, 3. Aufl. 2019, Art. 11 Rom II-VO Rn. 10; wohl auch Jakob/Picht, in: Europ. Zivilprozess- und Kollisionsrecht, 4. Aufl. 2016, Art. 11 Rom II-VO Rn. 16 („systemwidrig“). 742

§ 3 Art. 11 Rom II-VO

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Zwar kann entsprechenden Erwägungen nicht schon entgegengehalten werden, dass eine Anknüpfung an das Umweltrecht des Geschäftsherrn für den Geschäftsführer unbillig sei, weil für ihn das anwendbare Recht nicht absehbar ist, wenn der Geschäftsherr im Zeitpunkt der Geschäftsführung noch unbekannt ist.745 Denn der aktive Geschäftsführer, der die Geschäftsführung unter Umständen „ins Blaue hinein“ übernimmt, wird wohl mit der Anwendung einer anderen, ihm fremden und bei Geschäftsübernahme vielleicht sogar unbekannten Rechtsordnung rechnen müssen.746 Daneben verfängt auch das Argument, dass auch im Falle einer akzessorischen Anknüpfung über Art. 11 Rom II-VO nicht die (möglicherweise) verbraucherschützenden Vorschriften des jeweiligen Sachrechts, sondern nur die Vorschriften über die Geschäftsführung ohne Auftrag zur Anwendung gelangten, so dass in materieller Hinsicht für den Geschäftsherrn unter Umständen wohl nicht viel gewonnen wäre, nicht.747 Der Geschäftsherr als Verbraucher würde schon dadurch begünstigt, dass sein Umweltrecht, auf das er sein Handeln in aller Regel einstellt und welches ihm vertraut ist, zur Anwendung gelangte. Er würde eben kollisionsrechtlich privilegiert.748 Wieso aber ist eine solche kollisionsrechtliche Privilegierung im Ergebnis sachlich nicht sinnvoll? Dies wäre nur dann der Fall, wenn der Geschäftsherr als Verbraucher bei einer „Unternehmer-Verbraucher-Geschäftsführung“ in höherem Maße schutzbedürftig wäre als in den gewöhnlichen Konstellationen auftragsloser Geschäftsführungen. Denn genau dies rechtfertigt bei vertraglichen Beziehungen zwischen einem Unternehmer und einem Verbraucher die von den allgemeinen Regeln abweichende Anknüpfung: Im Gegensatz zu den übrigen Fallgestaltungen herrscht hier typischerweise ein Verhandlungsungleichgewicht zwischen den Parteien einer Unternehmer-Verbraucher-Beziehung. Dieses Defizit gleicht Art. 6 Abs. 1 Rom I-VO auf kollisionsrechtlicher Ebene aus, indem er in bestimmten Konstellationen das Umweltrecht des Verbrauchers beruft. Hiermit ist das Verhältnis von Geschäftsherrn und Geschäftsführer aber nicht vergleichbar. Im Rahmen einer Geschäftsführung ohne Auftrag besteht in allen Fällen typischerweise ein Ungleichgewicht: Kein Geschäftsherr kann sich besser oder schlechter gegen einen Eingriff in seinen Rechts- und Interessenkreis wehren; es existiert stets ein gewisses Ungleichgewicht zwischen dem aktiven Geschäftsführer und dem regelmäßig passiven 745 Vgl. die Argumente in Bezug auf die Ablehnung einer Anknüpfung an das hypothetische Vertragsstatut im Falle grenzüberschreitender Erbensuche bei Looschelders, IPRax 2014, 406, 409; Schinkels, in: BeckOGK, 1.8.2018, Art. 11 Rom II-VO Rn. 30; LG München I 18.4.2013 – 10 O 6084/12 = IPRax 2014, 438, 442 Rn. 47. 746 Dornis, RabelsZ 80 (2016), 543, 566 f., 570 f. 747 So aber LG München I 18.4.2013 – 10 O 6084/12 = IPRax 2014, 438, 440 Rn. 33; ihm folgend Limbach, in: NK-BGB, 3. Aufl. 2019, Art. 11 Rom II-VO Rn. 10. 748 Siehe zur Übersetzung materiell-rechtlicher Wertungen in das Internationale Privatrecht schon oben S. 87 f.

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2. Teil: Die Geschäftsführung ohne Auftrag im IPR

Geschäftsherrn. Bei der Geschäftsführung ohne Auftrag handelt es sich also schlicht um ein „Aliud“ zum Vertrag.749

§ 4 Art. 39 EGBGB A. Einführung und verbliebener Anwendungsbereich Das autonome deutsche IPR kennt in Art. 39 EGBGB eine spezielle Kollisionsnorm für Ansprüche aus auftragsloser Geschäftsführung. Bemerkenswerterweise war sie nicht schon im EGBGB von 1896 enthalten, sondern wurde erst im Jahre 1999 mit dem Gesetz zum IPR für außervertragliche Schuldverhältnisse und für Sachen vom 21.5.1999750, also erst rund 100 Jahre später in der zweiten großen IPR-Reformwelle, eingeführt. Wenngleich sich diese Norm mit ihren Anknüpfungspunkten auf den ersten Blick von Art. 11 Rom II-VO zu unterscheiden scheint, zeigt sich bei genauerer Analyse das Gegenteil: Es existieren erhebliche Gemeinsamkeiten, wenn zusätzlich die Ausweichklausel in Art. 41 EGBGB mit ihren Regelbeispielen in den Blick genommen wird:751 Sofern keine nach Art. 42 EGBGB zulässige Rechtswahl getroffen worden ist, verweist Art. 39 Abs. 1 EGBGB auf das Recht des Staates, „in dem das Geschäft vorgenommen worden ist“. Nach Art. 41 Abs. 1 EGBGB kann von dieser Regelanknüpfung abgewichen werden, wenn „mit dem Recht eines [anderen] Staates eine wesentlich engere Verbindung“ besteht. Die erforderliche „wesentlich engere Verbindung“ kann sich gemäß Abs. 2 insbesondere „aus einer besonderen rechtlichen oder tatsächlichen Beziehung zwischen den Beteiligten im Zusammenhang mit dem Schuldverhältnis oder […] aus dem gewöhnlichen Aufenthalt der Beteiligten in demselben Staat im Zeitpunkt des rechterheblichen Geschehens“ ergeben. Die Parallelen zu Art. 11 Rom II-VO sind unverkennbar. Ein Unterschied zur europäischen Kollisionsnorm besteht indes darin, dass die Regelanknüpfung des Art. 39 EGBGB in dessen Abs. 2 eine eigene Anknüpfung für die Ansprüche aus auftragsloser Geschäftsführung, die sich aus der Tilgung einer fremden Verbindlichkeit ergeben, enthält.

749

LG München I 18.4.2013 – 10 O 6084/12 = IPRax 2014, 438, 439 Rn. 32; vgl. auch Looschelders, IPRax 2014, 406, 409: „Auf der kollisionsrechtlichen Ebene gilt für die Geschäftsführung ohne Auftrag, dass kein Beteiligter von vornherein in höherem Maße als der andere schutzwürdig ist. Die Erbensucherfälle verdienen insoweit keine Sonderbehandlung, weil die Interessenlage auch hier durchaus ambivalent ist.“ 750 BGBl. I, S. 1026. 751 Siehe nur Junker, in: MüKoBGB, 8. Aufl. 2021, Art. 11 Rom II VO Rn. 6 f.; G. Wagner, IPRax 2008, 1, 11.

§ 4 Art. 39 EGBGB

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Mit Inkrafttreten der Rom II-VO wurde Art. 39 EGBGB allerdings schon nach knapp zehn Jahren durch Art. 11 Rom II-VO abgelöst.752 Fraglich ist damit, welche Bedeutung Art. 39 EGBGB heute noch zukommt. Da die europäische Kollisionsnorm auch dann anzuwenden ist, wenn das nach ihr bezeichnete Recht nicht das Recht eines Mitgliedstaats ist, vgl. Art. 3 Rom II-VO (sog. loi uniforme), gelangt Art. 39 EGBGB einzig außerhalb des sachlichen oder zeitlichen Anwendungsbereichs der europäischen Kollisionsnorm zur Anwendung. I. Altfälle Zunächst soll sich der Blick auf die Behandlung der sogenannten Altfälle richten. Gemeint sind damit jene Lebenssachverhalte, die schon nicht in den zeitlichen Anwendungsbereich der Rom II-VO fallen. Nach Art. 31, 32 Rom IIVO ist diese Verordnung auf „schadensbegründende Ereignisse“ ab dem 11.1.2009 anzuwenden.753 Schon oben wurde dargelegt,754 dass die Wendung „schadensbegründendes Ereignis“ für die Geschäftsführung ohne Auftrag zwar nicht so recht passt, bei der Auslegung und Anwendung der Verordnung aber Art. 2 Rom II-VO zu beachten ist. Gewendet auf das Institut der Geschäftsführung ohne Auftrag bedeutet dies, dass es maßgeblich auf den Zeitpunkt der Geschäftsübernahme ankommt, da hiermit die geschäftsführungsspezifischen Pflichten des Handelnden und damit bereits „Folgen“ der Geschäftsführung im Sinne des Art. 2 Rom II-VO entstehen. Zur Begründung kann auf die parallel verlaufende Problematik im Rahmen des Art. 11 Abs. 2 Rom II-VO verwiesen werden: Zwar ist es für die Geschäftsführung ohne Auftrag charakteristisch, dass aus einem einzigen Schuldverhältnis mannigfaltige Ansprüche gegebenenfalls auch zu unterschiedlichen Zeitpunkten entstehen können. Allerdings ist aus Gründen der materiellen Harmonie einheitlich auf die Entstehung der geschäftsführungsspezifischen Pflichten als „erste“ Folge abzustellen.755 752 Diese Regelung genießt gemäß Art. 52 EUV, 288 II, 355 AEUV Vorrang vor dem autonomen deutschen Kollisionsrecht. 753 Siehe zum Zusammenspiel von Art. 31, 32 Rom II-VO nur Schulze/Fervers, in: BeckOGK, 1.8.2021, Art. 31 Rom II-VO Rn. 2 ff. 754 Vgl. S. 203 ff. 755 Siehe S. 203 ff. Vgl. auch speziell für Art. 31, 32 Rom II-VO auch Junker, in: MüKo BGB, 8. Aufl. 2021, Art. 31, 32 Rom II-VO Rn. 7; Knöfel, in: NK-BGB, 3. Aufl. 2019, Art. 32 Rom II-VO Rn. 10; Schulze/Fervers, in: BeckOGK, 1.8.2021, Art. 31 Rom II-VO Rn. 21; im Grundsatz auch Picht, in: Europ. Zivilprozess- und Kollisionsrecht, 4. Aufl. 2016, Art. 31, 32 Rom II-VO Rn. 3, der allerdings eine Ausnahme erwägt, „wenn der zentrale (insbesondere: die wesentlichen wechselseitigen Ansprüche auslösende) Geschäftsführungsakt einer länger währenden Geschäftsführungsbeziehung nach Inkrafttreten der Rom II-VO erfolgte.“ Eine solche Schwerpunktbetrachtung – „quantitativ wie qualitativ“ – stellte auch das LG München I 18.4.2013 – 10 O 6084/12 = IPRax 2014, 438, 439 Rn. 22 an, auf das Picht verweist.

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2. Teil: Die Geschäftsführung ohne Auftrag im IPR

Aufgrund des nunmehr seit 2009 vergangenen Zeitraums wird Art. 39 EGBGB für diese Altfälle nur geringe Bedeutung haben. Denn zum einen werden wohl die meisten Rechtsstreitigkeiten bis zum heutigen Tage bereits ausgefochten worden sein – sofern die Parteien dies überhaupt wollten. Zum anderen ist zu beachten, dass Ansprüche aus auftragsloser Geschäftsführung, welche bereits vor dem 11.1.2009 übernommen worden ist, in materiell-rechtlicher Hinsicht sehr wahrscheinlich verjährt sein werden und die Geltendmachung verjährter Ansprüche in aller Regel sinnlos ist. Zwar müssen solche Fälle zur Feststellung der Verjährung zunächst über Art. 39 EGBGB angeknüpft werden, weil das GoA-Statut zugleich das Verjährungsstatut für Ansprüche aus auftragsloser Geschäftsführung darstellt. Allerdings wird es in der Praxis meist nicht auf die genaue Lokalisierung des Anknüpfungspunkts ankommen, da wohl die meisten Rechtsordnungen ähnliche Verjährungsfristen kennen wie das deutsche Recht. Die praktische Relevanz relativiert sich daher wieder. II. Verbliebene Relevanz außerhalb des materiellen Anwendungsbereichs der Rom II-VO Interessanter sind vielmehr solche Fallgestaltungen, die sich außerhalb des materiellen Anwendungsbereichs der Rom II-VO abspielen. Welche Relevanz den autonomen nationalen Kollisionsnormen der Mitgliedstaaten hier noch zukommt, wird in der Rechtswissenschaft durchaus unterschiedlich beantwortet. Maßgebend ist insbesondere, welche Bedeutung man Art. 1 Abs. 2 Rom II-VO für die Anknüpfung der GoA zuschreibt. Während vereinzelt vertreten wird, dass Art. 39 EGBGB einzig für Altfälle anwendbar sein wird,756 halten andere zumindest einige der Bereichsausnahmen für einschlägig.757 Bevor aber auf die 756 Vorsichtig Thorn, in: Grüneberg, 81. Aufl. 2022, Art. 39 EGBGB Rn. 1 und Huber, in: NK-BGB, 4. Aufl. 2021, Art. 39 EGBGB Rn. 3 („dürfte“). Der österreichische Gesetzgeber hat seine autonomen nationalen Kollisionsnormen für die ungerechtfertigte Bereicherung und Geschäftsführung ohne Auftrag (§§ 46, 47 öst. IPR-Gesetz) als Reaktion auf die Geltung der Art. 10 und 11 Rom II-VO sogar aufgehoben, siehe Neumayr, in: Koziol/Bydlinski/Bollenberger (Hrsg.), 6. Aufl. 2020, §§ 46–47 IPRG Rn. 1; siehe auch 109. Bundesgesetz, mit dem das IPR-Gesetz, das Versicherungsaufsichtsgesetz sowie das Verkehrsopferentschädigungsgesetz geändert und das Bundesgesetz über internationales Versicherungsvertragsrecht für den Europäischen Wirtschaftsraum aufgehoben werden, in der Fassung der Kundmachung vom 17. November 2009, BGBl. I Nr. 109/2009. § 48 öst. IPR-Gesetz erfasst einzig dem Deliktsstatut zuzuordnende Ansprüche, Neumayr, in: Koziol/Bydlinski/Bollenberger (Hrsg.), 6. Aufl. 2020, § 48 IPRG Rn. 1. 757 Siehe etwa Junker, in: MüKo BGB, 8. Aufl. 2021, Art. 39 EGBGB Rn. 4 („GoA-Ansprüche im Zusammenhang mit nuklearen Ereignissen oder der Verletzung der Privatsphäre oder der Persönlichkeitsrechte“); Stürner, in: Erman, 16. Aufl. 2020, Art. 39 EGBGB Rn. 7 („GoA auf der Grundlage eines Familienverhältnisses […] GoA-Ansprüche bei Überschreitung nach Gesellschaftsstatut gegebener Vertretungsmacht eines Vertretungsberechtigten […] Geschäftsführung bei Treuhand und ‚trust‘ […] Persönlichkeitsrechtsschutz“); ihm folgend Schinkels, in: BeckOGK, 1.8.2018, Art. 39 EGBGB Rn. 9.

§ 4 Art. 39 EGBGB

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Bereichsausnahmen eingegangen wird, sollen zunächst ein paar Worte zur Anknüpfung auftragsloser Geschäftsführungen, an denen mindestens ein Hoheitsträger beteiligt ist, verloren werden. 1. Öffentlich-rechtliche Geschäftsführung ohne Auftrag Oben wurde gezeigt, dass Art. 11 Rom II-VO nur dann unanwendbar ist, wenn ein Hoheitsträger eine öffentlich-rechtliche Pflicht erfüllt und zugleich in Ausübung hoheitlicher Befugnisse, also nicht bloß schlicht-hoheitlich handelt. Ist der Geschäftsführer hingegen ein Privater, kommt Art. 11 Rom II-VO stets zur Anwendung, da Private niemals hoheitliche Befugnisse ausüben können.758 Der Anwendungsbereich des Art. 11 Rom II-VO ist bei der öffentlich-rechtlichen Geschäftsführung ohne Auftrag damit großzügiger als jener von Art. 39 EGBGB. Denn im Rahmen des autonomen deutschen Kollisionsrechts kommt es nach herrschender Meinung lediglich darauf an, ob durch die Tätigkeit eine hoheitliche Pflicht erfüllt wurde.759 Konflikte zwischen Art. 11 Rom II-VO und Art. 39 EGBGB sind folglich ausgeschlossen. 2. Fallgestaltungen im Rahmen des Art. 1 Abs. 2 Rom II-VO Dies gilt indes nicht für die Bereichsausnahmen des Art. 1 Abs. 2 Rom II-VO. Hier verbleibt dem autonomen deutschen Kollisionsnorm ein eigenständiger Anwendungsbereich. Nach hier vertretener Auffassung kommt es für die Frage, ob der in Rede stehende Anspruch unter eine der Bereichsausnahmen fällt, entscheidend auf den Rechtsgrund des Anspruchs aus auftragsloser Geschäftsführung an, und zwar unabhängig davon, ob eine speziell zugeschnittene materiell-rechtliche Norm vorhanden ist oder auf allgemeine Regelungen – wie beispielsweise die §§ 677 ff. BGB – zu rekurrieren ist. Dies bestimmt sich nach der Natur des geführten Geschäfts: Ist dieses einer der Bereichsausnahmen zuzuordnen, bleibt Raum für das autonome deutsche Kollisionsrecht und Art. 39 EGBGB.760 III. Zwischenergebnis Die autonome deutsche Kollisionsnorm wird meist allenfalls im Rahmen der Bereichsausnahmen von Art. 1 Abs. 2 Rom II-VO weiterhin von Bedeutung sein. Dieses Gebiet ist aber klein; nennenswert erscheint in diesem Zusammenhang einzig die Begleichung fremder Unterhaltsschulden, für die Art. 39 758

S. 164 f. Siehe nur v. Hoffmann/Thorn, in: Staudinger, Neubearb. 2001, Art. 39 EGBGB Rn. 3 (auch mwN); ihnen folgend etwa Huber, in: NK-BGB, 4. Aufl. 2021, Art. 39 EGBGB Rn. 6 und Schinkels, in: BeckOGK, 1.8.2018, Art. 39 EGBGB Rn. 16. 760 Siehe auch schon oben S. 165 ff. 759

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2. Teil: Die Geschäftsführung ohne Auftrag im IPR

EGBGB in Abs. 2 aber eine weitgehend unproblematische Spezialregelung761 kennt. Die folgende Darstellung soll sich daher, der praktischen Relevanz des Art. 39 EGBGB entsprechend, kurzfassen. B. Anknüpfungsgegenstand I. Meinungsstand Die ganz herrschende Meinung versteht unter dem Anknüpfungsgegenstand die Führung eines fremden Geschäfts mit Fremdgeschäftsführungswillen, wobei sogenannte „auch fremde“ Geschäfte erfasst sein sollen.762 Das Geschäft könne in rechtsgeschäftlichem oder tatsächlichem Handeln bestehen.763 Unerheblich sei, ob die Geschäftsführung in irgendeiner Form „berechtigt“ oder „unberechtigt“ erfolgt ist.764 II. Stellungnahme Der Wortlaut der Vorschrift wählt – anders als die amtliche Überschrift – keinen Terminus, der bereits in der deutschen Rechtsordnung, insbesondere dem Sachrecht, eine bestimmte juristische Bedeutung erfahren hat. Es besteht folglich keine Vermutung, dass Art. 39 EGBGB ein mit §§ 677 ff. BGB identisches Rechtsinstitut bezeichnet, die es zu widerlegen gälte.765 Der Wortlaut ist offen. Aus ihm kann zunächst recht einfach gewonnen werden, dass ein fremdes Geschäft besorgt werden muss. Gestützt wird dies durch die genetische Auslegung. In der Gesetzesbegründung766 werden drei „hauptsächliche Typen“ genannt: Fälle der Hilfeleistung für andere, Einwirkung auf fremde Güter sowie die Tilgung fremder Schulden. Aus diesen „Typen“ kann zudem geschlossen werden, dass der Begriff „Geschäft“ weit zu verstehen ist und sowohl tatsächliches als auch rechtliches Handeln erfasst. Eine Beschränkung auf in irgendeiner Art „berechtigte“ oder 761

Dazu unten mehr S. 272 ff. Schinkels, in: BeckOGK, 1.8.2018, Art. 39 EGBGB Rn. 16; Späth, Gewerbliche Erbensuche, 2008, S. 264; v. Hoffmann/Thorn, in: Staudinger, Neubearb. 2001, Art. 39 EGBGB Rn. 2 und 17 a. E.; siehe auch G. Fischer, IPRax 2002, 1, 12 f.; vgl. ferner implizit Junker, in: MüKo BGB, 8. Aufl. 2021, Art. 39 EGBGB Rn. 2 sowie Huber, in: NK-BGB, 4. Aufl. 2021, Art. 39 EGBGB Rn. 6 und Spickhoff, in: BeckOK BGB, 60. Ed. 1.8.2021, Art. 39 EGBGB Rn. 5. 763 Späth, Gewerbliche Erbensuche, 2008, S. 264. 764 So ausdrücklich Schinkels, in: BeckOGK, 1.8.2018, Art. 39 EGBGB Rn. 16; v. Hoffmann/Thorn, in: Staudinger, Neubearb. 2001, Art. 39 EGBGB Rn. 2 und 17 a. E.; G. Fischer, IPRax 2002, 1, 12 f. 765 Vgl. zur Bedeutung feststehender juristischer Fachtermini für die grammatische Auslegung Larenz, Methodenlehre, 6. Aufl. 1991, S. 321; Bydlinski, Methodenlehre, 1982, S. 439, 441 und 448. 766 BT-Drs. 14/343, S. 9. 762

§ 4 Art. 39 EGBGB

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„unberechtigte“ Geschäftsführungen kann der Gesetzesbegründung genauso wenig entnommen werden wie dem Wortlaut. Das Erfordernis des Fremdgeschäftsführungswillens ergibt sich für Art. 39 EGBGB – wie auch bei Art. 11 Rom II-VO – aus der in der Gesetzesbegründung genannten Fallgruppe der Tilgung fremder Schulden sowie aus einem systematischen Vergleich des Art. 39 Abs. 2 EGBGB mit der in Art. 38 EGBGB enthaltenen Anknüpfung für Bereicherungsansprüche. Art. 39 Abs. 2 EGBGB erklärt für Ansprüche, die aus der Tilgung einer fremden Verbindlichkeit resultieren, abweichend von Abs. 1 das Recht für anwendbar, welches auf die Verbindlichkeit anzuwenden ist. Solche Ansprüche können im deutschen Sachrecht vor allem bereicherungsrechtlicher Natur sein oder aus den §§ 677 ff. BGB folgen. Wenn Art. 39 Abs. 2 EGBGB eine Anknüpfung für diese spezielle Konstellation bereithält, meint es, wegen des systematischen Bezugs zur Grundanknüpfung der auftragslosen Geschäftsführung in Abs. 1, selbstverständlich Ansprüche aus Geschäftsführung ohne Auftrag, während Art. 38 EGBGB bereicherungsrechtliche Ansprüche anknüpft. Das maßgebliche Unterscheidungskriterium zwischen Ansprüchen nach §§ 812 ff. BGB und §§ 677 ff. BGB ist auf materieller Ebene das Vorliegen eines Fremdgeschäftsführungswillens. Dies muss auch für die Differenzierung zwischen Art. 38 und 39 EGBGB gelten. Das Gesetz verrät zudem eine weitere Einschränkung des Anknüpfungsgegenstands, die nicht aus dem Normwortlaut, aber aus der amtlichen Überschrift (Geschäftsführung ohne Auftrag) ersichtlich ist. In Abgrenzung beispielsweise zu dem Vertragsstatut muss die Besorgung des fremden Geschäfts auftragslos bzw. unbefugt erfolgt sein, da der Gegenstand der Geschäftsbesorgung stets auch als vertragliche Verpflichtung denkbar ist, so dass es andernfalls auch in diesem Bereich zu Friktionen zwischen zwei oder mehr Statuten käme. Dies gilt auch für gesetzliche Verpflichtungen. III. Reichweite des Statuts Art. 39 EGBGB regelt sowohl den Tatbestand als auch die Rechtsfolgen der aus der Besorgung eines fremden Geschäfts folgenden Ansprüche sowie deren Schicksal.767 Erfasst sind die Ansprüche des Geschäftsherrn gegen den Geschäftsführer und umgekehrt; unerheblich ist neben der Anspruchsrichtung auch das Anspruchsziel.768 767 v. Hoffmann/Thorn, in: Staudinger, Neubearb. 2001, Art. 39 EGBGB Rn. 62; Huber, in: NK-BGB, 4. Aufl. 2021, Art. 39 EGBGB Rn. 14; Stürner, in: Erman, 16. Aufl. 2020, Art. 39 EGBGB Rn. 6; Schinkels, in: BeckOGK, 1.8.2018, Art. 39 EGBGB Rn. 22; Junker, in: MüKo BGB, 8. Aufl. 2021, Art. 39 EGBGB Rn. 23. 768 v. Hoffmann/Thorn, in: Staudinger, Neubearb. 2001, Art. 39 EGBGB Rn. 62; Huber, in: NK-BGB, 4. Aufl. 2021, Art. 39 EGBGB Rn. 14; Schinkels, in: BeckOGK, 1.8.2018, Art. 39 EGBGB Rn. 22; Junker, in: MüKo BGB, 8. Aufl. 2021, Art. 39 EGBGB Rn. 23;

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Eine abweichende Qualifikation von bestimmten, die Verletzung von Eigentum, Körper und Gesundheit betreffenden Schadenersatzansprüchen aus GoA als deliktisch wird auf autonomer deutscher Ebene ersichtlich von niemandem vertreten und wäre auch, wie im Rahmen von Art. 11 Rom II-VO, abzulehnen. Vielmehr sind auch hier – umgekehrt – die möglicherweise mit Schadenersatzansprüchen aus auftragsloser Geschäftsführung konkurrierenden Ansprüche aus unerlaubter Handlung gleichfalls von der Verweisung des GoA-Statuts erfasst. Zwischen Art. 39 EGBGB und Art. 40 EGBGB besteht grundsätzlich keine Statutenkonkurrenz.769 Die gegen die Lösung des Problems einer etwaigen materiell-rechtlichen Anspruchskonkurrenz mittels funktionell-einheitlicher Qualifikation vorgetragenen Argumente können aus den zu Art. 11 Rom II-VO angeführten Gründen auch hier nicht überzeugen.770 Insbesondere kann nicht darauf verwiesen werden, dass der Gesetzgeber mit dem in Art. 41 Abs. 2 Nr. 1 Alt. 1 EGBGB enthaltenen Regelbeispiel, namentlich der akzessorischen Anknüpfung an eine zwischen den Parteien bestehende besondere rechtliche Beziehung, klargestellt hätte, dass er die Lösung für mögliche Anpassungsprobleme in einer akzessorischen Anknüpfung sucht. Zwar erwähnt er an manchen Stellen der Gesetzesbegründung, dass sich über diese Regelung ein „Gleichlauf“ zwischen konkurrierenden Ansprüchen aus auftragsloser Geschäftsführung und unerlaubter Handlung herstellen lässt,771 und auch ungeachtet von Art. 41 EGBGB war die Herstellung eines Anknüpfungsgleichlaufes ein wichtiges Argument für die Wahl des in Art. 38 Abs. 2 EGBGB vorhandenen Anknüpfungspunkts, was ebenfalls auf eine implizite Ablehnung der Lösung mittels funktionell-einheitlicher Qualifikation hinzudeuten scheint.772 Dies sollte man aber nicht allzu stark gewichten. Denn sowohl die akzessorische Anknüpfung über Art. 41 EGBGB als auch die Diskussion um die Herstellung eines „Gleichlaufs“ auf Ebene der Regelanknüpfung des Art. 38 Abs. 2 EGBGB dienten (auch) dazu, Spickhoff, in: BeckOK BGB, 60. Ed. 1.8.2021, Art. 39 EGBGB Rn. 5; BT-Drs. 14/343, S. 9; Kreuzer, RabelsZ 65 (2001), 383, 411. 769 Zur funktionell-einheitlichen Qualifikation und ihren Grenzen siehe schon oben S. 173 ff. Von einer stets gegebenen Statutenkonkurrenz scheinen aber etwa G. Fischer, IPRax 2002, 1, 12 und v. Hoffmann/Thorn, in: Staudinger, Neubearb. 2001, Art. 39 EGBGB Rn. 37 auszugehen. 770 Vgl. oben S. 182 ff. 771 BT-Drs. 14/343, S. 9 f.; siehe auch aaO, S. 13 (allgemein für das Verhältnis von vertraglichen und außervertraglichen Ansprüchen) sowie S. 22 (Gegenäußerung der Bundesregierung zur Stellungnahme des Bundesrates: „Der angestrebte Gleichlauf der Anknüpfung für das Delikts- und ‚Eingriffsbereicherungsrecht‘ kann in komplizierten grenzüberschreitenden Sachverhalten dadurch erreicht werden, daß der bereicherungsrechtliche Anspruch […] über die Ausweichklausel des Artikels 41 EGBGB-E wie der konkurrierende deliktsrechtliche Anspruch angeknüpft wird.“ 772 BT-Drs. 14/343, S. 9; vgl. auch aaO, S. 20 (Stellungnahme des Bundesrates zu dem für Art. 38 Abs. 2 EGBGB gewählten Anknüpfungspunkt).

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Qualifikationsprobleme von vornherein zu vermeiden.773 Außerdem verbleibt auch trotz einer solchen funktionellen Qualifikation von materiell-rechtlich konkurrierenden Ansprüchen ein gewisser Anwendungsbereich für die akzessorischen Anknüpfungen. So hat auch der Gesetzgeber in seiner Begründung auf verschiedene Fallgestaltungen hingewiesen, die mit der hier diskutierten Problematik nichts zu tun haben.774 C. Anknüpfungspunkte Nachfolgend sollen die Anknüpfungspunkte der autonomen deutschen Regelung für Ansprüche aus auftragsloser Geschäftsführung betrachtet werden. Auffällig ist diesbezüglich, dass anders als im europäischen IPR eine Anknüpfung für Ansprüche aus der Tilgung einer fremden Verbindlichkeit vorgesehen ist, Art. 39 Abs. 2 EGBGB. I. Regelanknüpfung 1. Vornahmeort, Art. 39 Abs. 1 EGBGB Bevor hierauf eingegangen wird, soll aber Art. 39 Abs. 1 EGBGB einer Untersuchung unterzogen werden. Hiernach unterliegen Ansprüche aus der Besorgung eines fremden Geschäfts dem Recht des Staates, in dem das Geschäft vorgenommen worden ist. Damit wählt auch der deutsche Gesetzgeber einen geschäftsführungsspezifischen Fokus für seine Anknüpfung. Aus diesem Grund stellen sich hier ebenfalls Probleme bei der kollisionsrechtlichen Behandlung, wenn der Geschäftsführer in mehreren Staatsgebieten handelt oder seine Tätigkeit in einem anderen Staat als dem „Handlungsstaat“ Wirkungen entfaltet.775 Der Vornahmeort im Sinne von Art. 39 Abs. 1 EGBGB ist weiter zu konkretisieren. a) Meinungsstand Auch im Rahmen von Art. 39 EGBGB sind die vertretenen Meinungen zur Konkretisierung des Vornahmeortes äußerst divers. Zunächst wird die Anknüpfung bei dem Auseinanderfallen von „Handlungsort“ und „Erfolgsort“ diskutiert. Beispielhaft genannt wird der Fall, dass ein Geschäftsführer in Deutschland telefonisch den „Auftrag“ zur Reparatur einer in Österreich belegenen Sache gibt.776 In jenen Fällen wird ganz überwiegend der „Erfolgsort“ 773 So ausdrücklich für die Auseinandersetzung mit der Anknüpfung des Art. 38 Abs. 2 EGBGB BT-Drs. 14/343, S. 9. 774 BT-Drs. 14/343, S. 13. 775 Siehe schon die parallel verlaufende Problematik zu Art. 11 Abs. 3 Rom II-VO oben, S. 207 ff. 776 Das Beispiel ist entliehen Huber, in: NK-BGB, 4. Aufl. 2021, Art. 39 EGBGB Rn. 8; siehe auch v. Hoffmann/Thorn, in: Staudinger, Neubearb. 2001, Art. 39 EGBGB Rn. 12;

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für maßgeblich erachtet, da dieser gegenüber dem „Handlungsort“ vor Manipulation durch den Geschäftsführer geschützt sei.777 Darüber hinaus wird – wie auch im Rahmen von Art. 11 Rom II-VO – diskutiert, was gelten soll, wenn die Geschäftsführung sukzessiv in verschiedenen Staaten vorgenommen wird, wie etwa bei der auftragslosen internationalen Erbensuche,778 oder wenn der Geschäftsführungserfolg in mehreren Staaten gleichzeitig lokalisiert werden kann, wie beispielsweise bei einer Tätigkeit als Testamentsvollstrecker, wenn sich die Nachlassgegenstände in mehreren Staaten befinden.779 Im erstgenannten Fall, der sukzessiven grenzüberschreitenden Geschäftsführung, soll nach ganz überwiegender Auffassung der Ort des Tätigkeitsbeginns maßgeblich sein, da eine Schwerpunktbetrachtung, wie sie vereinzelt vertreten wird,780 rechtsunsicher sei.781 In der letztgenannten Konstellation, namentlich der Mehrheit von Erfolgsorten, soll eine Schwerpunktbildung demgegenüber allerdings unausweichlich sein.782 Nach einer anderen Auffassung soll wegen der mit der Schwerpunktbildung verbundenen Rechtsunsicherheit ausnahmsweise der Handlungsort entscheidend sein, indes „besonders sorgfältig nach einer wesentlich engeren Verbindung iSd Art. 41“ geforscht werden.783

Junker, in: MüKo BGB, 8. Aufl. 2021, Art. 39 EGBGB Rn. 7 und Schinkels, in: BeckOGK, 1.8.2018, Art. 39 EGBGB Rn. 17. 777 Junker, in: MüKo BGB, 8. Aufl. 2021, Art. 39 EGBGB Rn. 7; Huber, in: NK-BGB, 4. Aufl. 2021, Art. 39 EGBGB Rn. 8; Schinkels, in: BeckOGK, 1.8.2018, Art. 39 EGBGB Rn. 17; Spickhoff, in: BeckOK BGB, 60. Ed. 1.8.2021, Art. 39 EGBGB Rn. 6; Kreuzer, RabelsZ 65 (2001), 383, 411; v. Hoffmann/Thorn, in: Staudinger, Neubearb. 2001, Art. 39 EGBGB Rn. 12. So auch G. Fischer, IPRax 2002, 1, 12 f., der dasselbe Ergebnis aber über die Ausweichklausel des Art. 41 Abs. 1 EGBGB erreicht. 778 Schinkels, in: BeckOGK, 1.8.2018, Art. 39 EGBGB Rn. 18. 779 Huber, in: NK-BGB, 4. Aufl. 2021, Art. 39 EGBGB Rn. 9. 780 So Spickhoff, in: BeckOK BGB, 60. Ed. 1.8.2021, Art. 39 EGBGB Rn. 6. 781 Siehe Huber, in: NK-BGB, 4. Aufl. 2021, Art. 39 EGBGB Rn. 7 (erster Handlungsort); Junker, in: MüKo BGB, 8. Aufl. 2021, Art. 39 EGBGB Rn. 6 („Ort des Tätigkeitsbeginns“); Kreuzer, RabelsZ 65 (2001), 383, 411; v. Hoffmann/Thorn, in: Staudinger, Neubearb. 2001, Art. 39 EGBGB Rn. 14 („Ort, an dem das Hilfsbedürfnis aufgetreten ist“); siehe auch Schinkels, in: BeckOGK, 1.8.2018, Art. 39 EGBGB Rn. 18 (erster „Erfolgsort“ [Schinkels fasst die Fälle zwar unter den Begriff „Mehrheit von Erfolgsorten“, illustriert dies aber letztlich, wie auch die erstgenannten Autoren, beispielhaft an dem Fall eines grenzüberschreitenden Krankentransports]). 782 Siehe Huber, in: NK-BGB, 4. Aufl. 2021, Art. 39 EGBGB Rn. 9; Schinkels, in: BeckOGK, 1.8.2018, Art. 39 EGBGB Rn. 18; v. Hoffmann/Thorn, in: Staudinger, Neubearb. 2001, Art. 39 EGBGB Rn. 13. 783 Junker, in: MüKo BGB, 8. Aufl. 2021, Art. 39 EGBGB Rn. 6 (obwohl er für die Fälle, in denen Handlungs- und Erfolgsort auseinanderfallen, auf den Erfolgsort abstellt, aaO, Rn. 7). A. A. v. Hoffmann/Thorn, in: Staudinger, Neubearb. 2001, Art. 39 EGBGB Rn. 13, die hilfsweise auf den Sitz des Geschäftsherrn für die Lokalisierung des „Erfolgs“ abstellen.

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b) Stellungnahme Die Diskussion ist – wie bei Art. 11 Rom II-VO – müßig. Sie zeichnet sich hier wie dort dadurch aus, dass den verwendeten Begriffen ein unzutreffendes Verständnis zugrunde liegt. Belegen lässt sich dies an dem genannten Beispiel für ein Auseinanderfallen von Handlungs- und Erfolgsort. Der Handlungsort läge hier – sofern man den telefonisch „Beauftragten“ als Geschäftsführungsgehilfen des „Auftraggebers“ einordnet – keineswegs in Deutschland, sondern in Österreich, also dort, wo der Geschäftsführungsgehilfe des „Auftraggebers“ mit der Reparatur des Hauses beginnt; die telefonische „Beauftragung“ wäre als eine reine Vorbereitungshandlung zu qualifizieren. In Österreich läge zugleich der Erfolgsort.784 Auch Art. 39 Abs. 1 EGBGB verlangt wegen seines geschäftsführungsspezifischen Fokus‘ eine Abgrenzung bloßer Vorbereitungsvon Geschäftsführungshandlungen – für die Anknüpfung ist, wie gezeigt, einzig die Vornahme der „Geschäftsführung“ relevant.785 Von Bedeutung ist deshalb auch bei Art. 39 Abs. 1 EGBGB nur die Frage, welcher unter mehreren Geschäftsführungsakten maßgeblich ist, wenn die Geschäftsführung sukzessiv erfolgt. Möglich wäre eine Anknüpfung an den Geschäftsbeginn, d. h. den Ort der Geschäftsübernahme, den Geschäftsführungsschwerpunkt und das Geschäftsführungsende. Vorweg sei gesagt, dass auch Art. 39 Abs. 1 EGBGB nicht auf mehrere Orte gleichzeitig abzielt; eine alternative oder fakultative Anknüpfung ist unzulässig. Der Gesetzgeber hat – wie der europäische Verordnungsgeber im Rahmen von Art. 11 Rom II-VO – die Möglichkeit der Einzelfallkorrektur über eine Ausweichklausel, namentlich Art. 41 EGBGB, vorgesehen. Damit belegt er, dass primär er selbst das Prinzip der engsten Verbindung verwirklichen möchte – sofern die Parteien keinen Gebrauch von der durch Art. 42 EGBGB eröffneten Rechtswahlmöglichkeit gemacht haben. Außerdem stünde andernfalls auch hier die Frage im Raum, ob der Richter das anwendbare Recht nach dem Günstigkeitsprinzip bestimmen sollte (alternative Anknüpfung) oder dies den Parteien obliegt (fakultative Anknüpfung). In beiden Fällen ist aber die einheitliche Anknüpfung sämtlicher Ansprüche beider Parteien durch Art. 39 Abs. 1 EGBGB problematisch.786 Es kann nicht entschieden werden, aus wessen Sicht die Beurteilung eines „günstigeren“ Rechts erfolgen soll oder welche Partei

784 Zu diesen Konstellationen schon oben S. 220 ff. Es wurde darauf hingewiesen, dass bereits die „Beauftragung“ als solche eine Geschäftsführung durch den „Auftraggeber“ darstellt, so dass eigentlich ein sog. „neutrales Geschäft“ vorliegt. 785 Vgl. die obigen Erwägungen S. 218 f. 786 Vgl. auch Huber, in: NK-BGB, 4. Aufl. 2021, Art. 39 EGBGB Rn. 8; Spickhoff, in: BeckOK BGB, 60. Ed. 1.8.2021, Art. 39 EGBGB Rn. 6; v. Hoffmann/Thorn, in: Staudinger, Neubearb. 2001, Art. 39 EGBGB Rn. 12.

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über das anwendbare Recht befindet. Eine getrennte Anknüpfung ist in jedem Fall wie auch bei Art. 11 Abs. 3 Rom II-VO abzulehnen.787 Nach dem oben zur parallel verlaufenden Problematik im Rahmen des Art. 11 Abs. 3 Rom II-VO Gesagten sprechen gute Gründe dafür, grundsätzlich auf den Geschäftsbeginn, also den Ort der Geschäftsübernahme, abzustellen. Denn hierbei handelt es sich um einen neutralen Anknüpfungspunkt, der meist von keiner der Parteien vorab verändert werden kann und zu dem beide Parteien eine hinreichend enge Beziehung aufweisen.788 Die Notwendigkeit, einen solchen neutralen Anknüpfungspunkt zu wählen, folgt, wie oben dargestellt,789 aus der sachrechtlichen Funktion der Geschäftsführung ohne Auftrag.790 Die Freiheitssphäre des Geschäftsherrn und sein Wunsch, vor unerwünschten Einmischungen geschützt zu werden, sind von dem mitunter legitimen Bestreben des Geschäftsführers, einen Ausgleich für sein eventuell hilfreiches Eingreifen zu erhalten, abzugrenzen. Da der Anknüpfungsgegenstand nicht zwischen „berechtigten“ oder „unberechtigten“ Geschäftsführungen differenziert – und eine entsprechende Unterscheidung innerhalb des Art. 39 Abs. 1 EGBGB vom Gesetzgeber wohl auch nicht intendiert war, weil auf eine solche im Rahmen der Gesetzesbegründung nicht eingegangen wurde – kann keine Partei ausgemacht werden, die es kollisionsrechtlich zu bevorzugen gilt. Für die Anknüpfung an den Ort der Geschäftsübernahme streitet auch die Gesetzesbegründung. Hiernach sei zu unterscheiden zwischen Hilfeleistungsfällen und Fällen der Einwirkung auf fremde Güter.791 In Hilfeleistungsfällen soll an den Ort der Hilfeleistung angeknüpft werden.792 Für die Einwirkungskonstellationen „wird das Recht am Vornahmeort in der Regel mit dem Recht der belegenen Sache identisch sein.“793 Sollte dies nicht der Fall sein, könne über Art. 41 EGBGB das Recht des Belegenheitsorts maßgeblich sein.794 Dem Gesetzgeber war also daran gelegen, an den Ort anzuknüpfen, an dem der Eingriff in die Rechtsgüter des Geschäftsherrn geschieht – hier liegt der Ort der Geschäftsübernahme, wenn man Vorbereitungshandlungen richtigerweise ausklammert. Problematisch erscheint einzig, dass der Gesetzgeber davon ausgeht, dass bei „sukzessiven Handlungen in mehreren Rechtsbieten […] im Einzelfall der Schwerpunkt zu ermitteln sein [wird]“.795 Er scheint hier von einer Schwerpunktbetrachtung auszugehen, um das nach Art. 39 Abs. 1 EGBGB maßgebliche Recht zu ermitteln. Allerdings belegt die Wahl einer so zögerlich 787

Vgl. dazu schon oben S. 228 f. Vgl. dazu S. 232 ff. 789 S. 230 ff. 790 Zur Relevanz der materiell-rechtlichen Ratio im IPR siehe oben S. 75 ff., insb. 82 ff. 791 BT-Drs. 14/343, S. 9. 792 BT-Drs. 14/343, S. 9. 793 BT-Drs. 14/343, S. 9. 794 BT-Drs. 14/343, S. 9. 795 BT-Drs. 14/343, S. 9. 788

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wirkenden Formulierung („wird“), dass der Gesetzgeber seine eigene Interpretation nicht als zwingend betrachtet. Eher liegt es nahe, dass er die Auslegung der Kollisionsnorm der Rechtswissenschaft und Rechtsprechung überlassen wollte. Schließlich bleibt er auch die Kriterien für die Feststellung des Schwerpunkts schuldig. Aus diesen Gründen – und weil die Anknüpfung an den Ort der Geschäftsübernahme grundsätzlich die Voraussetzungen einer neutralen Anknüpfung erfüllt – sollte an eben diesen Ort angeknüpft werden. c) Rechtsfortbildungsbedürftigkeit Wie auch bei Art. 11 Rom II-VO passt die autonome deutsche Kollisionsnorm indes nicht für alle von ihr grundsätzlich erfassten Lebenssachverhalte. Dies gilt, wie oben zu Art. 11 Abs. 3 Rom II-VO aufgezeigt,796 für all jene Konstellationen, in denen die Geschäftsübernahme nicht unmittelbar mit einem Eingriff in Rechtsgüter oder bestehende Verpflichtungen des Geschäftsherrn zusammenfällt, und solche Fälle, in denen einzelne Geschäftsführungen aufgrund eines Wertungszusammenhangs zu einer einheitlichen GoA zusammengefasst werden. Wie auch im europäischen IPR ist der Anknüpfungsgegenstand des Art. 39 EGBGB teleologisch zu reduzieren und die Lösung für diese Konstellationen auf der Rechtsfortbildungsebene zu suchen. aa) Schaffung einer Lücke mittels teleologischer Reduktion Der Begründung zu Art. 39 Abs. 1 EGBGB zufolge, hat der Gesetzgeber bei der Suche nach einer adäquaten Anknüpfung für Ansprüche aus auftragsloser Geschäftsführung zwei typische Konstellationen vor Augen gehabt: Hilfeleistungsfälle sowie die Einwirkung auf fremde Güter.797 Für diese passt die konkret geschäftsbezogene Anknüpfung des Art. 39 Abs. 1 EGBGB auch, soweit Geschäftsübernahme und Hilfeleistung bzw. Einwirkung zusammenfallen. Während der Gesetzgeber wohl der Meinung gewesen ist, Art. 39 Abs. 1 EGBGB führe in Hilfeleistungskonstellationen stets zur Anwendung des Rechts des Ortes, an dem die Hilfeleistung erfolgt ist, hat er für die Einwirkungsfälle indes das Problem gesehen, dass das Recht am Vornahmeort nicht zwingend mit dem Recht der belegenen Sache identisch sein muss. Sollte dies nicht der Fall sein, könne über Art. 41 EGBGB das Recht des Belegenheitsorts zur Anwendung gebracht werden.798 Der Gesetzgeber hat also eine mögliche Korrekturbedürftigkeit in manchen Fallgruppen, für welche die von ihm vorgesehene Grundanknüpfung nicht passt, erkannt, als Korrekturinstrument aber auf Art. 41 EGBGB verwiesen.

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S. 238 ff. BT-Drs. 14/343, S. 9. 798 BT-Drs. 14/343, S. 9. 797

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Damit hat er zumindest für die Einwirkungsfälle auf den ersten Blick eine bewusste Anknüpfungsentscheidung getroffen, was nach hier vertretener Auffassung dazu führen würde, dass für ihre Korrektur nicht eine teleologische Reduktion der Regelkollisionsnorm maßgeblich wäre, sondern die Anwendung der Ausweichklausel.799 Gleichwohl sollte die teleologische Reduktion und eine anschließende Lückenfüllung auch hier das Mittel der Wahl sein. Es existieren noch weitere Konstellationen, die vom Gesetzgeber nicht angesprochen worden sind, in denen die Anknüpfung an den Vornahmeort aber ebenfalls nicht zur „interessengerechten“ Lösung führt, etwa die Führung neutraler Geschäfte (die übrigens auch mit dem Ziel vorgenommen werden können, dem Geschäftsherrn in einer Notlage zu Hilfe zu kommen) – eine teleologische Reduktion wäre hier also ohnehin vorzunehmen. Gegen die Erstreckung der Reduktion auf jene Einwirkungskonstellationen, in denen die Regelanknüpfung gemäß Art. 39 Abs 1 EGBGB nicht dazu führt, dass das Recht des Belegenheitsorts der Sache zur Anwendung gelangt, lässt sich auch nicht einwenden, dass hiermit gegen eine bewusste Gesetzgeberentscheidung dahingehend, dass dieser eben Art. 41 EGBGB angewendet wissen wollte, verstoßen würde; dies ließe eine entsprechende Rechtsfortbildung unzulässig werden.800 Allerdings hat der Gesetzgeber die Korrekturbedürftigkeit seiner Anknüpfung selbst erkannt und dafür lediglich auf einen anderen dogmatischen Weg verwiesen. Dass er hierfür die Ausweichklausel gewählt hat, könnte auf seine wohl unklare Vorstellung vom Verhältnis Ausweichklausel und Rechtsfortbildung801 zurückzuführen sein. Letztlich sollte Art. 39 Abs. 1 EGBGB dergestalt teleologisch reduziert werden, dass die oben zu Art. 11 Abs. 3 Rom II-VO aufgezeigten Fallgruppen von seinem Anwendungsbereich ausgenommen sind. Für sie liegt daher – gemessen an den autonomen deutschen Rechtsfindungsmethoden802 – eine (teleologische) Regelungslücke vor, die zu schließen ist. bb) Schließung der Lücke Die dadurch entstandene Lücke sollte durch die Übertragung der hinter Art. 39 Abs. 1 EGBGB stehenden Wertung geschlossen werden.803 Für die außerhalb des Art. 39 Abs. 1 EGBGB liegenden Fallkonstellationen ist daher eine 799

Siehe oben S. 238 ff. Siehe zu dieser Lückenfüllungsgrenze nur BVerfG 14.2.1973 – 1 BvR 112/65 = BVerfGE 34, 269, 288 ff. 801 Siehe dazu unten S. 275 f. 802 Eine Lücke ist nach Claus-Wilhelm Canaris „eine planwidrige Unvollständigkeit innerhalb des positiven Rechts (d. h. des Gesetzes im Rahmen seines möglichen Wortsinnes und des Gewohnheitsrechts) gemessen am Maßstab der gesamten geltenden Rechtsordnung“, siehe ders., Lückenfeststellung, 2. Aufl. 1983, S. 39. 803 Eine analoge Anwendung von Art. 39 Abs. 1 EGBGB kommt wohl nicht in Betracht, vgl. die Erwägungen oben S. 244 f. 800

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neutrale Anknüpfung zu finden. Diese Funktion erfüllt die Anknüpfung an den Ort, an dem das Interesse, welches vom Geschäftsführer wahrgenommen wird, zu lokalisieren ist. Das ist zwar eine Entscheidung, die konkret geschäftsspezifisch zu treffen ist. Eine Hilfestellung kann allerdings der von Manfred Wandt erarbeitete Gesetzesvorschlag geben:804 1

Bezieht sich die auftragslose Geschäftsführung auf die Person des Geschäftsherrn oder eine ihm gehörende Sache, ist das Recht des Staates maßgeblich, in dem sich der Geschäftsherr oder seine Sache im Zeitpunkt der Geschäftsübernahme befand.805 2Bezieht sie sich demgegenüber auf eine Verpflichtung oder ein Recht des Geschäftsherrn, gilt das Recht, das die Verpflichtung oder das Recht beherrscht. 3Hilfsweise ist an den gewöhnlichen Aufenthalt des Geschäftsherrn anzuknüpfen.

Dieser Normvorschlag führt zu sachgerechten Anknüpfungsergebnissen. Er sollte aber aus den oben zu Art. 11 Abs. 3 Rom II-VO dargestellten Gründen806 noch um eine Regel ergänzt werden, wonach für Geschäftsführungen, die sich auf Sachgesamtheiten des Geschäftsherrn beziehen, der Ort maßgeblich ist, an dem sie (schwerpunktmäßig) im Zeitpunkt der Geschäftsübernahme belegen sind. Daneben sollte es möglich sein, von der Anknüpfung an den „Belegenheitsort“ des Geschäftsherrninteresses abzuweichen, wenn sich im Einzelfall herausstellt, dass die damit verfolgte Anknüpfungsneutralität nicht passt. Art. 41 EGBGB findet also ebenfalls (entsprechende) Anwendung. d) Sonderkonstellation: Geschäftsführung wird in extraterritorialem Gebiet vorgenommen Umstritten ist schließlich noch die Frage, wie zu verfahren ist, wenn eine Geschäftsführung außerhalb hoheitlichen Gebietes vorgenommen wird. Der Gesetzgeber hat für Hilfeleistungen auf hoher See bewusst von einer Regelung abgesehen. Er war der Meinung, dass vorrangige Staatsverträge sowie die Regelungen des Art. 41 EGBGB, die die Regelanknüpfung korrigieren können, die meisten Fälle sachgerecht lösen können.807 Indes ist es nicht ausgeschlossen, dass letztlich Art. 39 Abs. 1 EGBGB die Frage nach dem anwendbaren Recht beantworten muss, sofern keine 804

Wandt, GoA im IPR, 1989, S. 273 f. Wandt (GoA im IPR, 1989, S. 274) hat an dieser Stelle ein Wahlrecht für den Geschäftsführer vorgesehen: Sollte er nach einem anderen Recht gesetzlich zur Geschäftsführung verpflichtet sein, müsse er dieses Recht wählen können. Ein solches Wahlrecht lässt sich hier nicht verwirklichen. Denn in Art. 39 EGBGB kommt nicht nur kollisionsrechtliche Neutralität zum Ausdruck, sondern, wie gezeigt, auch der Wille des Gesetzgebers, mit dieser Norm das Prinzip der engsten Verbindung zu verwirklichen. Damit konfligierte eine solche fakultative Anknüpfung. 806 S. 244 ff. 807 BT-Drs. 14/343, S. 9. 805

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vertragliche Vereinbarung zwischen den Parteien des Schuldverhältnisses vorliegt, welche die Regelungen über die auftragslose Geschäftsführung ausschlösse, und auch keine vorrangigen Staatsverträge zu beachten sind. Das ist nach hier vertretener Auffassung der Fall, wenn die Geschäftsübernahme auf extraterritorialem Gebiet erfolgt. Hier ist – rechtsfortbildend – die engste Verbindung zu bestimmen, da Art. 39 Abs. 1 EGBGB mit seiner Verweisung ins Leere läuft. Art. 41 EGBGB808 kann mangels zu korrigierender Grundanknüpfung dafür nicht herangezogen werden.809 In diesen Fällen sollte rechtsfortbildend auf den Heimathafen des geretteten Schiffes abgestellt werden.810 Dafür spricht der Gleichlauf mit der internationalen Zuständigkeit, da an diesem Ort meist auch der allgemeine Gerichtsstand des Schiffsbetreibers liegt, und auch meist ohne großen Aufwand direkt vollstreckt werden kann.811 Dieses Recht ist identisch mit dem Recht des Flaggenstaates.812 Fraglich ist aber, was gilt, wenn etwa ein Arzt notfallmedizinische Maßnahmen an einem anderen Schiffspassagier vornimmt. Hier sollte ebenfalls mittels Rechtsfortbildung auf das Recht des Staates abgestellt werden, unter dessen Flagge das Schiff betrieben wird. Entsprechendes sollte für in Flugzeugen erfolgende Geschäftsführungen gelten; hier muss es auf die Registrierung der Maschine ankommen.

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Im Rahmen des Art. 41 Abs. 2 Nr. 2 EGBGB käme es übrigens, aus den gleichen Gründen wie oben, siehe Fn. 722 (2. Teil), freilich auf den gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt der Parteien des Schuldverhältnisses an. Irrelevant ist also das Schiff als Bezugsobjekt, vgl. Schinkels, in: BeckOGK, 1.8.2018, Art. 39 EGBGB Rn. 19. A. A. G. Fischer, IPRax 2002, 1, 14; v. Hoffmann/Thorn, in: Staudinger, Neubearb. 2001, Art. 39 EGBGB Rn. 32; Spickhoff, in: BeckOK BGB, 60. Ed. 1.8.2021, Art. 39 EGBGB Rn. 6. 809 So auch Schinkels, in: BeckOGK, 1.8.2018, Art. 39 EGBGB Rn. 19 und Spickhoff, in: BeckOK BGB, 60. Ed. 1.8.2021, Art. 39 EGBGB Rn. 6. 810 So auch Huber, in: NK-BGB, 4. Aufl. 2021, Art. 39 EGBGB Rn. 10 („Heimatrecht des Geretteten“); Spickhoff, in: BeckOK BGB, 60. Ed. 1.8.2021, Art. 39 EGBGB Rn. 6 („Heimatrecht des geretteten Schiffes“). 811 v. Hoffmann, in: v. Caemmerer (Hrsg.), Vorschläge und Gutachten, 1983, S. 90 f.; ders./Thorn, in: Staudinger, Neubearb. 2001, Art. 39 EGBGB Rn. 33 f.; G. Fischer, IPRax 2002, 1, 14, der zusätzlich noch das Vermeiden von forum shopping anführt, welches drohte, wenn man stattdessen auf das Recht der lex fori abstellte. 812 A. A. v. Hoffmann, in: v. Caemmerer (Hrsg.), Vorschläge und Gutachten, 1983, S. 90 f. und ders./Thorn, in: Staudinger, Neubearb. 2001, Art. 39 EGBGB Rn. 33 f., die zwischen dem Begriff des „Heimathafen“ und der „Flagge“ differenzieren.

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2. Art. 39 Abs. 2 EGBGB a) Allgemeines Die Anknüpfung jener (GoA-) Ansprüche, die aus der Tilgung einer fremden Verbindlichkeit folgen, scheint nur wenig Probleme zu bereiten. Maßgeblich ist gemäß Art. 39 Abs. 2 EGBGB das Statut der getilgten Forderung. b) Problembereiche In der Rechtswissenschaft wird indes diskutiert, ob eine Abweichung von der Regelanknüpfung in solchen Fällen geboten ist, in denen der Tilgende selbst zur Leistung verpflichtet ist. Es wird zwischen den folgenden Konstellationen differenziert. aa) Verpflichtung gegenüber dem Schuldner der getilgten Forderung Unproblematisch ist der Fall, in dem der Tilgende dem Schuldner der getilgten Forderung gegenüber (wirksam) zur Leistung verpflichtet ist. Hier liegt schon tatbestandlich keine Geschäftsführung ohne Auftrag vor, da das Geschäft nicht „ohne Auftrag“ besorgt wird.813 Das Statut der zwischen diesen beiden Parteien bestehenden Verbindlichkeit entscheidet über etwaige Regressansprüche gegen den Schuldner der Forderung. Nur auf den ersten Blick neuralgisch ist die Konstellation, in welcher der Tilgende dem Schuldner gegenüber vertraglich zur Leistung verpflichtet scheint, dieser Vertrag aber nichtig ist. Der Anwendungsbereich von Art. 39 EGBGB scheint hier auf den ersten Blick eröffnet, da ein „auch fremdes“ Geschäft vorliegt und das Merkmal „ohne Auftrag“ objektiv zu beurteilen ist. Für diese Fälle wird vorgeschlagen, über Art. 41 Abs. 2 Nr. 1 EGBGB an die Rechtsordnung anzuknüpfen, die das zwischen Geschäftsführer und Geschäftsherrn bestehende Rechtsverhältnis beherrscht.814 Allerdings ist Art. 12 Abs. 1 lit. e) Rom I-VO zu beachten, wonach die „Folgen der Nichtigkeit des Vertrags“ von vornherein vertraglich zu qualifizieren sind. Dies galt auch schon vor Inkrafttreten der Rom I-VO, vgl. Art. 10 Abs. 1 lit. e) EVÜ bzw. Art. 32 Abs. 1 Nr. 5 EGBGB a. F. Die GoA-Kollisionsnorm ist also ebenfalls schon nicht anwendbar.815 813 A. A. G. Fischer, IPRax 2002, 1, 14; vgl. auch v. Hoffmann/Thorn, in: Staudinger, Neubearb. 2001, Art. 39 EGBGB Rn. 46, die die Ausweichklausel wohl auch bei wirksamer Verpflichtung heranziehen („wenn die Zahlung durch eine vertragliche Beziehung zwischen Zahlendem [Geschäftsführer] und Schuldner [Geschäftsherr] veranlaßt war“). 814 Huber, in: NK-BGB, 4. Aufl. 2021, Art. 39 EGBGB Rn. 13; Schinkels, in: BeckOGK, 1.8.2018, Art. 39 EGBGB Rn. 20; vgl. auch v. Hoffmann/Thorn, in: Staudinger, Neubearb. 2001, Art. 39 EGBGB Rn. 46 und Junker, in: MüKo BGB, 8. Aufl. 2021, Art. 39 EGBGB Rn. 20. 815 Auf Art. 32 Abs. 1 Nr. 5 EGBGB verweist auch G. Fischer, IPRax 2002, 1, 14.

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bb) Verpflichtung gegenüber dem Gläubiger der getilgten Forderung Ist der Tilgende dem Gläubiger der getilgten Forderung gegenüber (selbst, aber nachrangig) zur Leistung verpflichtet, spricht dies nicht schon gegen die Annahme eines fremden Geschäfts; es liegt ein „auch fremdes“ Geschäft vor. Der Anwendungsbereich des Art. 39 Abs. 2 EGBGB ist folglich eröffnet.816 In diesem Zusammenhang wird lebhaft diskutiert, ob über die Ausweichklausel an das zwischen Tilgendem und Gläubiger bestehende Schuldverhältnis als „wesentlich engere Verbindung“ anzuknüpfen ist.817 Art. 41 Abs. 2 Nr. 1 EGBGB kann indes nicht angewandt werden, da diese Norm Personenidentität zwischen den Parteien der auftragslosen Geschäftsführung sowie jenen des Rechtsverhältnisses, an das akzessorisch angeknüpft wird, fordert.818 Diese Fragestellung kann daher allenfalls im Rahmen von Art. 41 Abs. 1 EGBGB diskutiert werden. Allerdings ist eine von Art. 39 Abs. 2 EGBGB abweichende Anknüpfung jener Fälle im Ergebnis schon sachlich nicht geboten, wie zu zeigen sein wird: Gemeinhin wird bezüglich dieser Fragestellung innerhalb des Diskurses danach unterschieden, ob der Tilgende die in Rede stehende Verpflichtung freiwillig übernommen hat oder sie ihn kraft Gesetzes trifft.819 Im erstgenannten Fall besteht weitgehend Einigkeit, dass es bei der Grundanknüpfung des Art. 39 Abs. 2 EGBGB bleibt. Der Tilgende sei nicht schutzwürdig, da er die Verpflichtung freiwillig auf sich nimmt.820 Ist der Geschäftsführer hingegen kraft Gesetzes verpflichtet, wird eine akzessorische Anknüpfung an das Statut der Drittschuld vertreten.821 Anders als im Falle einer vertraglichen Verbindlichkeit ist eine gewisse Schutzbedürftigkeit durchaus nicht von der Hand zu weisen, da der Tilgende an der Entstehung der ihn treffenden Verpflichtung nicht mitgewirkt hat und seine eigene Verpflichtung subsidiär ist.822 Außerdem hätte diese Lösung den Vorteil, dass alle möglichen Regresswege einheitlich einem Recht unterlägen, knüpfte man akzessorisch an das Statut der Drittschuld an. Hierdurch würde die Gefahr von Normenwidersprüchen vermieden, 816 Vgl. v. Hoffmann/Thorn, in: Staudinger, Neubearb. 2001, Art. 39 EGBGB Rn. 39; implizit auch G. Fischer, IPRax 2002, 1, 14. 817 Siehe G. Fischer, IPRax 2002, 1, 15. A. A. Huber, in: NK-BGB, 4. Aufl. 2021, Art. 39 EGBGB Rn. 12: Art. 39 EGBGB ist nicht anwendbar, wenn Verpflichtung dem Gläubiger gegenüber bestand. 818 Dazu unten S. 276 ff. So in diesem Zusammenhang auch G. Fischer, IPRax 2002, 1, 15. 819 A. A. Huber, in: NK-BGB, 4. Aufl. 2021, Art. 39 EGBGB Rn. 12: Art. 39 EGBGB nicht anwendbar, wenn Verpflichtung gegenüber dem Gläubiger bestand. 820 G. Fischer, IPRax 2002, 1, 15; v. Hoffmann/Thorn, in: Staudinger, Neubearb. 2001, Art. 39 EGBGB Rn. 45 im Anschluss an Wandt, GoA im IPR, 1989, S. 191 f. 821 v. Hoffmann/Thorn, in: Staudinger, Neubearb. 2001, Art. 39 EGBGB Rn. 45 im Anschluss an Wandt, GoA im IPR, 1989, S. 191 ff. 822 Wandt, GoA im IPR, 1989, S. 192; vgl. auch v. Hoffmann/Thorn, in: Staudinger, Neubearb. 2001, Art. 39 EGBGB Rn. 45.

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die sich dann ergäbe, wenn das Statut der Drittschuld keine Legalzession, sondern einen Rückgriff aus auftragsloser Geschäftsführung vorsieht, während das Hauptschuldstatut den gegenteiligen Weg beschreitet.823 Darüber hinaus könnte man anführen, dass die Verpflichtung des Tilgenden – anders als jene des Geschäftsherrn – bloß subsidiärer Natur ist und der Geschäftsherr es in der Hand habe, eine Regresssituation durch eigene Leistung zu verhindern.824 Das ist allerdings typisch für sämtliche Fälle der Drittzahlung; daher kann dieses Argument nicht für die Begründung einer „wesentlichen engeren Verbindung“ und damit auch nicht für eine Anwendung des Art. 41 Abs. 1 EGBGB herangezogen werden.825 Letztlich sollte die Grundanknüpfung des Art. 39 Abs. 2 EGBGB nicht über die allgemeine Ausweichklausel unterlaufen werden, denn das Problem eines möglichen Normenwiderspruchs besteht gleichermaßen bei einer vertraglichen Verpflichtung gegenüber dem Schuldner, wo man es schlicht hinnimmt, und kann zudem durch Anpassung behoben werden.826 Die fehlende Mitwirkung an dem Entstehen der Verpflichtung sowie die Subsidiarität der den Geschäftsführer treffenden Verpflichtung allein können kein Abgehen von der Regelanknüpfung rechtfertigen. Hätte sich der Gesetzgeber auf eine Anknüpfung freiwillig erfolgender Tilgungen durch Dritte beschränken wollen, wäre es ihm ein Leichtes gewesen, dies durch einen entsprechenden Hinweis im Normwortlaut anzudeuten. Sollte der Tilgende dem Dritten gegenüber gleichrangig mit dem Schuldner, aber aus einem anderen Schuldgrund, zur Leistung verpflichtet sein, so muss es erst recht bei der Regelanknüpfung des Art. 39 Abs. 2 EGBGB bleiben. Die Ranggleichheit und der oftmals ähnliche Verpflichtungsgrund (Vertrag oder Gesetz) führen zu einem „Patt“ zwischen den Regressparteien.827 Allenfalls de lege ferenda könnte man diskutieren, ob nicht der Regressgläubiger in Wahrheit die Lasten des Regresses trägt, so dass ihm nicht auch noch der Zwang, den Regress nach einem ihm fremden Recht durchführen zu müssen, auferlegt werden soll.828 De lege lata ist aber eine Anknüpfung an das Statut der getilgten Verbindlichkeit als Regressstatut vorgesehen. Bei dieser Regel sollte es aus den genannten Gründen bleiben.

823 Wandt, GoA im IPR, 1989, S. 193; im Anschluss an ihn auch G. Fischer, IPRax 2002, 1, 15; vgl. auch v. Hoffmann/Thorn, in: Staudinger, Neubearb. 2001, Art. 39 EGBGB Rn. 45. 824 Wandt, GoA im IPR, 1989, S. 192. 825 G. Fischer, IPRax 2002, 1, 15. 826 G. Fischer, IPRax 2002, 1, 15. 827 Wandt, GoA im IPR, 1989, S. 197. 828 Dazu Wandt, GoA im IPR, 1989, S. 197 f.

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II. Ausweichklausel, Art. 41 EGBGB 1. Allgemeines Art. 41 Abs. 1 EGBGB bestimmt, dass das Recht eines anderen Staates anzuwenden ist, wenn zu diesem eine „wesentlich engere Verbindung [besteht] als mit dem Recht, das nach den Artikeln 38 bis 40 Abs. 2 EGBGB maßgebend wäre“. Es handelt sich folglich um eine Ausweichklausel. Diese Norm ist aber in gewisser Weise eigenartig, weil sie in Abs. 2 zwei Regelbeispiele für die Bestimmung einer wesentlich engeren Verbindung aufweist. Das erstaunt. Denn schon oben wurde die Funktion von Ausweichklauseln dahingehend bestimmt, dass sie ein Werkzeug zur Korrektur einer bewusst getroffenen gesetzgeberischen Wertentscheidung ist.829 Dass sich der Gesetzgeber durch die Regelbeispiele in Art. 41 Abs. 2 EGBGB gewissermaßen selbst korrigiert ist zumindest bemerkenswert. Von einer gesetzgeberischen „Fehlleitung“830 zu sprechen, geht aber wohl zu weit. Vermutlich wird es dem Gesetzgeber gerade darum gegangen sein, die in Art. 41 Abs. 2 EGBGB enthaltenen Anknüpfungspunkte flexibel und mit richterlichem „Augenmaß“ für den Einzelfall angewendet zu wissen. An Art. 41 EGBGB ist aber noch etwas anderes interessant: Art. 41 Abs. 1 EGBGB soll dem Willen des Gesetzgebers zufolge auch ein Instrument zur Anknüpfung „für jetzt noch nicht vorhersehbare Interessenlagen“ sein.831 Genau dies ist aber originärer Teil von Rechtsfortbildung.832 An dieser Stelle zeigt sich, dass wohl auch für den Gesetzgeber das Verhältnis von Ausweichklauseln und Rechtsfortbildung noch nicht geklärt ist. Schließlich ist noch darauf hinzuweisen, dass sich die Ausweichklausel gemäß ihrem Wortlaut auch auf Art. 40 Abs. 1 EGBGB bezieht. Könnte sich der 829

Vgl. auch Kreuzer, RabelsZ 65 (2001), 383, 432: „Durch die Berichtigungsklausel ermächtigt der Gesetzgeber die Rechtsprechung, soweit erforderlich, die allgemeinen Anknüpfungsregeln den Bedürfnissen konkreter Einzelfälle (atypische Fallgestaltungen) anzupassen, aber auch Sonderanknüpfungsregeln für typische Sachverhalte zu entwickeln.“ Letztere Funktion, namentlich die Entwicklung von Sonderanknüpfungsregeln, wird man aber wohl eher der Ebene der originären Rechtsfortbildung zuordnen müssen. 830 So Hirse, Ausweichklausel, 2006, S. 295. 831 BT-Drs. 14/343, S. 13. 832 So wird die Rechtsfortbildungsbefugnis deutscher Gerichte in der nationalen Methodenlehre u. a. damit begründet, dass Gesetze einem Alterungsprozess unterliegen: Sie spiegeln die bei ihrem Erlass maßgebenden sozialen Verhältnisse und gesellschaftspolitischen Anschauungen wider. Diese befinden sich aber in einem steten Wandel, so dass sich dadurch auch der Norminhalt wandeln kann. Aus diesem Grund kann einerseits eine Anpassung des bestehenden Rechts an die geänderten Verhältnisse nötig werden, andererseits können aber auch Gesetzeslücken entstehen, die bei Erlass der fraglichen Rechtsnorm noch nicht vorhanden waren. Siehe dazu BVerfG 12.11.1997 – 1 BvR 479/92 u. a. = BVerfGE 96, 375, 394 f.; Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, 12. Aufl. 2022, Rn. 816; Säcker, in: MüKo BGB, 8. Aufl. 2018, Einl. BGB Rn. 150.

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Richter daher über eine Wahl des Verletzten nach Art. 40 Abs. 1 Satz 2 EGBGB hinwegsetzen? Wie in § 2 der Arbeit aufgezeigt, verfolgt der Gesetzgeber mit solchen fakultativen Anknüpfungen materiell-rechtliche Ziele,833 so dass in jenen Fällen eigentlich keine Korrektur seitens des Rechtsanwenders über eine Ausweichklausel möglich sein kann. Aus diesen Gründen kann auch eine parteiautonome Rechtswahl nicht korrigiert werden, was wohl auch der Gesetzgeber erkannt hat; Art. 42 EGBGB wird in Art. 41 Abs. 1 EGBGB nicht aufgeführt. 2. Regelbeispiele, Art. 41 Abs. 2 EGBGB Art. 41 Abs. 2 EGBGB gibt Regelungen vor, die abstrakt-generellen, typisierten Rechtsätzen sehr ähnlich sind – der Unterschied zu den Regelkollisionsnormen besteht lediglich darin, dass der Richter nicht gezwungen ist, sie anzuwenden, sondern diesbezüglich einen gewissen Ermessensspielraum hat („kann sich ergeben“). Daher kann in der vorliegenden Arbeit auch ohne Ansehung irgendeines Einzelfalls auf von dieser Norm aufgeworfene abstrakte Rechtsfragen eingegangen werden. a) Besondere rechtliche oder tatsächliche Beziehung zwischen den Beteiligten Gemäß Art. 41 Abs. 2 Nr. 1 EGBGB kann sich eine wesentlich engere Verbindung „aus einer besonderen rechtlichen oder tatsächlichen Beziehung zwischen den Beteiligten im Zusammenhang mit dem Schuldverhältnis“ ergeben. Dieses Regelbeispiel ermöglicht also eine akzessorische Anknüpfung an das Statut, das für eine andere Beziehung zwischen den Parteien maßgeblich ist. Die Wendung „rechtliche Beziehung“ meint eine „zwischen Geschäftsführer und Geschäftsherrn im Zeitpunkt der Geschäftsführung bereits bestehende Sonderbeziehung“, insbesondere einen Vertrag.834 Eine solche akzessorische Anknüpfung kommt darüber hinaus auch bei außervertraglich begründeten Sonderbeziehungen in Betracht.835 Aus der zitierten Passage der Gesetzesbegründung wird deutlich, dass die fragliche Sonderverbindung zwischen den Parteien der Geschäftsführung ohne Auftrag bestehen muss.836 Außerdem 833

S. 81 f. BT-Drs. 14/343, S. 13 (Bsp.: akzessorische Anknüpfung an Statut des Arbeitsvertrags; akzessorische Anknüpfung an das Verwahrungsstatut). 835 BT-Drs. 14/343, S. 13 f. (Bsp.: Aufwendungen des deliktischen Schädigers zur Minderung des eingetretenen Schadens; akzessorische Anknüpfung an eine familienrechtliche Sonderverbindung). Für weitere mögliche Rechtsverhältnisse siehe nur v. Hoffmann/Thorn, in: Staudinger, Neubearb. 2001, Art. 39 EGBGB Rn. 54 f. und Junker, in: MüKo BGB, 8. Aufl. 2021, Art. 39 EGBGB Rn. 19. 836 So ausdrücklich auch Junker, in: MüKo BGB, 8. Aufl. 2021, Art. 41 EGBGB Rn. 20; G. Wagner, in: NK-BGB, 4. Aufl. 2021, Art. 41 EGBGB Rn. 7; vgl. auch G. Fischer, IPRax 2002, 1, 14. 834

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scheint sie darauf hinzudeuten, dass die Sonderverbindung in zeitlicher Hinsicht vor dem Schuldverhältnis aus auftragsloser Geschäftsführung bestehen muss. Allerdings hat der Gesetzgeber mehrfach darauf hingewiesen, dass über Art. 41 Abs. 2 Nr. 1 Alt. 1 EGBGB eine Statutenkonkurrenz, die möglicherweise aus in materieller Hinsicht konkurrierenden Ansprüche folgt, aufgelöst werden kann.837 Hierfür wäre es erforderlich, dass die Sonderverbindung auch gleichzeitig mit dem akzessorisch anzuknüpfenden Statut entstehen darf, um Fälle, in denen die Geschäftsübernahme beispielsweise auch eine Verletzung des Eigentums des Geschäftsherrn bedeutete, erfassen zu können. Der Wortlaut lässt dies ohne Weiteres zu. Folgt man indes der hier vertretenen Auffassung und erblickt in den mit Ansprüchen aus einer Sonderverbindung konkurrierenden Ansprüchen aus unerlaubter Handlung die Verfolgung eines einheitlichen Ordnungsziels, erübrigt sich dieses Problem.838 Die zu Art. 39 EGBGB veröffentlichte Literatur lehnt eine solche einheitliche Qualifikation aber implizit ab; hier geht man überwiegend davon aus, dass die konkurrierenden Schuldverhältnisse akzessorisch an jenes aus Geschäftsführung ohne Auftrag angeknüpft werden sollen.839 Schließlich ist für die Anknüpfung an eine „rechtliche Beziehung“ unerheblich, ob das fragliche Schuldverhältnis unwirksam, abgelaufen oder noch nicht in Kraft getreten ist.840 Die Einbeziehung tatsächlicher Beziehungen durch Art. 41 Abs. 2 Nr. 1 Alt. 2 EGBGB wird – anders als die Alt. 1 – wohl nur wenig praktische Relevanz genießen. Es ist schwer vorstellbar, in welcher Konstellation eine auftragslose Geschäftsführung den erforderlichen Zusammenhang zu einer tatsächlichen Beziehung aufweist.841 Die Gesetzesbegründung nennt sozialen Kontakt als 837 BT-Drs. 14/343, S. 9 f.; siehe auch aaO, S. 13 (allgemein für das Verhältnis von vertraglichen und außervertraglichen Ansprüchen) sowie S. 22 (Gegenäußerung der Bundesregierung zur Stellungnahme des Bundesrats): „Der angestrebte Gleichlauf der Anknüpfung für das Delikts- und ‚Eingriffsbereicherungsrecht‘ kann in komplizierten grenzüberschreitenden Sachverhalten dadurch erreicht werden, daß der bereicherungsrechtliche Anspruch […] über die Ausweichklausel des Artikels 41 EGBGB-E wie der konkurrierende deliktsrechtliche Anspruch angeknüpft wird.“ 838 Siehe S. 263 f. 839 Siehe v. Hoffmann/Thorn, in: Staudinger, Neubearb. 2001, Art. 39 EGBGB Rn. 55, die über die akzessorische Anknüpfung einen „Gleichklang der verschiedenen Anspruchsarten“ bei in materieller Hinsicht konkurrierenden Ansprüchen aus mehreren Rechtsinstituten, wie etwa GoA und Bereicherungsrecht, herstellen und das GoA-Verhältnis hierbei als das „speziellste gesetzliche Ausgleichsverhältnis“ für bestimmend erachten, da es die Übrigen beeinflussen kann, dies., aaO, Rn. 55 und 36. So auch G. Fischer, IPRax 2002, 1, 12 f. A. A. Huber, in: NK-BGB, 4. Aufl. 2021, Art. 39 EGBGB Rn. 21, der das GoA-Statut für subsidiär hält. 840 Junker, in: MüKo BGB, 8. Aufl. 2021, Art. 39 EGBGB Rn. 19; v. Hoffmann/Thorn, in: Staudinger, Neubearb. 2001, Art. 39 EGBGB Rn. 54. 841 Fornasier, in: BeckOGK, 1.11.2021, Art. 41 EGBGB Rn. 23 weist zutreffend darauf hin, dass sozialer Kontakt in aller Regel zu flüchtig ist, als dass ein solcher ein Abgehen von

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Beispiel,842 in der Literatur wird insbesondere die nichteheliche Lebensgemeinschaft als Exempel angeführt.843 Wann ein Zusammenhang zwischen der Beziehung und dem Schuldverhältnis aus Geschäftsführung ohne Auftrag vorliegt, ist im Einzelfall und mit Blick auf das Telos der Anknüpfung zu entscheiden. Sinn und Zweck der akzessorischen Anknüpfung ist die Herstellung materieller Harmonie.844 Dies geht bei tatsächlichen Beziehungen freilich ins Leere, da solche keinem rechtlichen Rahmen unterliegen, mit dessen Regeln Einklang hergestellt werden muss. Daher kann ihre Nennung in Art. 41 Abs. 2 Nr. 1 EGBGB selbst innerhalb ihres kleinen Anwendungsbereichs als verfehlt betrachtet werden.845 b) Gemeinsamer gewöhnlicher Aufenthalt Die Anknüpfung an den gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt der Beteiligten „im Zeitpunkt des rechtserheblichen Geschehens“, stellt das zweite Regelbeispiel dar. Da sich Art. 41 Abs. 2 Nr. 2 EGBGB wie auch das restliche autonome deutsche Kollisionsrecht zur Definition des gewöhnlichen Aufenthalts grundsätzlich ausschweigt,846 ist auf die ungeschriebenen, in der Literatur und Rechtsprechung entwickelten Grundsätze abzustellen: Maßgeblich ist der tatsächliche Lebensmittelpunkt einer natürlichen Person847 bzw. die Hauptverwaltung (oder der Ort der jeweils beteiligten Niederlassung) im Falle einer Gesellschaft, eines Vereins oder einer juristischen Person, vgl. Art. 40 Abs. 2 Satz 2 EGBGB. der Regelanknüpfung nach sich ziehen könnte. Vgl. auch G. Wagner, in: NK-BGB, 4. Aufl. 2021, Art. 41 EGBGB Rn. 8 und Junker, in: MüKo BGB, 8. Aufl. 2021, Art. 41 EGBGB Rn. 19, die diese Anknüpfung entweder ganz ablehnen (Junker) oder ihr nahezu jede praktische Relevanz absprechen (G. Wagner). 842 BT-Drs. 14/343, S. 13. 843 v. Hoffmann/Thorn, in: Staudinger, Neubearb. 2001, Art. 39 EGBGB Rn. 53; Fornasier, in: BeckOGK, 1.11.2021, Art. 41 EGBGB Rn. 22. 844 Siehe nur v. Hoffmann/Thorn, in: Staudinger, Neubearb. 2001, Art. 39 EGBGB Rn. 53 und Junker, in: MüKo BGB, 8. Aufl. 2021, Art. 39 EGBGB Rn. 19. Vgl. auch G. Wagner, in: NK-BGB, 4. Aufl. 2021, Art. 41 EGBGB Rn. 9 und Fornasier, in: BeckOGK, 1.11.2021, Art. 41 EGBGB Rn. 18 (Unterscheidung zwischen „im Zusammenhang“ und „bei Gelegenheit“); ähnlich auch Junker, in: MüKo BGB, 8. Aufl. 2021, Art. 41 EGBGB Rn. 21 („sachlicher Zusammenhang“). 845 Fornasier, in: BeckOGK, 1.11.2021, Art. 41 EGBGB Rn. 22 weist daraufhin, dass die Anknüpfung an nichteheliche Lebensgemeinschaften keine Rolle spielen wird, da die Partner dort, wo der Schwerpunkt der Beziehung liegt, ebenfalls meist einen gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt haben. Vgl. auch Junker, in: MüKo BGB, 8. Aufl. 2021, Art. 41 EGBGB Rn. 19. 846 Eine Ausnahme gilt für „Gesellschaften, Vereine oder juristische Personen“, siehe Art. 41 Abs. 2 Nr. 2 i. V. m. 40 Abs. 2 Satz 2 EGBGB. 847 Siehe Junker, in: MüKo BGB, 8. Aufl. 2021, Art. 41 EGBGB Rn. 23 i. V. m. Art. 40 Rn. 56.

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2. Teil: Die Geschäftsführung ohne Auftrag im IPR

Weiter beachtenswert ist einzig der für die rechtliche Beurteilung maßgebende Zeitpunkt. Der Normwortlaut erscheint etwas verklausuliert, da Art. 41 Abs. 2 Nr. 2 EGBGB nicht nur für die Anknüpfung der auftragslosen Geschäftsführung, sondern auch für bestimmte Kollisionsnormen des Internationalen Bereicherungsrechts gilt. Was die Wendung „Zeitpunkt des rechtserheblichen Geschehens“ bedeutet, wird für die Geschäftsführung ohne Auftrag mit Blick auf Art. 39 Abs. 1 EGBGB klar: Gemeint ist die Vornahme der Geschäftsführung,848 mithin der Ort der Geschäftsübernahme. c) Rangverhältnis Aus dem Wortlaut des Art. 41 Abs. 2 EGBGB ergibt sich ein Alternativverhältnis zwischen beiden Regelbeispielen („oder“). Allerdings kann es vorkommen, dass sowohl Nr. 1 als auch Nr. 2 tatbestandlich erfüllt sind. Wenn sie auf unterschiedliche Rechtsordnungen verweisen, ist fraglich, ob ein ungeschriebenes Rangverhältnis zwischen ihnen besteht. Auf abstrakt-genereller Ebene muss von einer Gleichrangigkeit ausgegangen werden. Erst auf konkret-individueller Ebene ist eine Entscheidung nach den gesamten Umständen des Einzelfalls zu treffen;849 diese flexible Handhabung wird durch die Ausgestaltung als bloße Regelbeispiele für die „wesentlich engere Verbindung“ erleichtert.850 Gleichwohl hält die Rechtswissenschaft eine „Faustregel“ für die Einzelfallanwendung bereit: Grundsätzlich soll die Anknüpfung der Nr. 1 Vorrang vor Nr. 2 haben,851 da die Herstellung materieller Harmonie regelmäßig die (gleichgerichteten) Erwartungen der Parteien auf die Anwendung ihres (gemeinsamen) Umweltrechts überwiege.852 Dies wird in den meisten Fällen überzeugen, da der Gesetzgeber – wie Art. 38 Abs. 1 und 39 Abs. 2 EGBGB belegen – Wert auf materielle Harmonie legt. d) Ausnahmen Die Anwendung der Ausweichklausel wird bei der Grundanknüpfung des Art. 39 Abs. 2 EGBGB verneint; es sei kaum ein Fall vorstellbar, in dem eine engere Verbindung als die akzessorische Anknüpfung an das Forderungsstatut bestehe.853 Dies gelte auch für das Regelbeispiel des Art. 41 Abs. 2 Nr. 2 848

Huber, in: NK-BGB, 4. Aufl. 2021, Art. 39 EGBGB Rn. 18; v. Hoffmann/Thorn, in: Staudinger, Neubearb. 2001, Art. 39 EGBGB Rn. 58. 849 v. Hoffmann/Thorn, in: Staudinger, Neubearb. 2001, Art. 39 EGBGB Rn. 52; Junker, in: MüKo BGB, 8. Aufl. 2021, Art. 41 EGBGB Rn. 12. 850 Vgl. auch Junker, in: MüKo BGB, 8. Aufl. 2021, Art. 41 EGBGB Rn. 12. 851 Junker, in: MüKo BGB, 8. Aufl. 2021, Art. 41 EGBGB Rn. 12; v. Hoffmann/Thorn, in: Staudinger, Neubearb. 2001, Art. 39 EGBGB Rn. 52. 852 Vgl. Huber, in: NK-BGB, 4. Aufl. 2021, Art. 39 EGBGB Rn. 22. 853 Junker, in: MüKo BGB, 8. Aufl. 2021, Art. 39 EGBGB Rn. 18; v. Hoffmann/Thorn, in: Staudinger, Neubearb. 2001, Art. 39 EGBGB Rn. 46.

§ 4 Art. 39 EGBGB

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EGBGB.854 Für die Anknüpfung der Leistungskondiktion, Art. 38 Abs. 1 EGBGB, hat der Gesetzgeber dies sogar ausdrücklich festgestellt.855 Die dem zugrunde liegenden Erwägungen – namentlich der besonders enge Bezug zu dem Rechtsverhältnis, auf welches die Leistung bezogen ist – rechtfertigen es auch in den genannten Fällen, die Ausweichklausel nicht anzuwenden. Das Regelbeispiel des Art. 41 Abs. 2 Nr. 2 EGBGB soll aber nicht nur bei Art. 39 Abs. 2 EGBGB unbeachtet bleiben, sondern auch bei der Einwirkung auf fremde Grundstücke.856 Entsprechendes gelte für die Einwirkung auf gewerbliche Schutzrechte oder wettbewerbsrechtliche Abmahnungen.857 Dies ist aber eine Frage des Einzelfalls und kann daher – auch weil sich diesbezüglich anders als oben kein Passus in der Gesetzesbegründung findet – hier nicht entschieden werden. D. Renvoi? Anders als bei Art. 11 Rom II-VO, für den Art. 24 Rom II-VO die Möglichkeit der Rück- oder Weiterverweisung ausschließt, ist im Rahmen des autonomen deutschen Kollisionsrechts ein Renvoi grundsätzlich zu beachten, Art. 4 Abs. 1 EGBGB. Liegt eine nach Art. 42 EGBGB zulässige Rechtswahl der Parteien vor, wird allerdings bloß auf die Sachvorschriften des jeweiligen Staates verwiesen, Art. 4 Abs. 2 EGBGB. Darüber hinaus liegt gemäß Art. 4 Abs. 1 Satz 1 Hs. 2 EGBGB stets auch dann eine Sachnormverweisung vor, wenn eine Gesamtverweisung dem Sinn der Verweisung widerspräche. Dies ist zunächst bei der akzessorischen Anknüpfung der Fall – sei es die Anknüpfung an das Forderungsstatut gemäß Art. 39 Abs. 2 EGBGB oder die Anknüpfung an eine bestehende Sonderbeziehung nach Art. 41 Abs. 2 Nr. 1 EGBGB. Denn der Sinn dieser Verweisungen liegt gerade darin, den in Rede stehenden Sachverhalt jener Rechtsordnung zu unterstellen, die das auf die getilgte Forderung bzw. auf die Sonderverbindung anwendbare Sachrecht stellt. Dieses Ziel, namentlich die Herstellung materieller Harmonie, wäre gefährdet, befragte man zusätzlich dessen IPR nach der kollisionsrechtlichen Behandlung des akzessorisch angeknüpften Statuts.858 854 Junker, in: MüKo BGB, 8. Aufl. 2021, Art. 39 EGBGB Rn. 21; Huber, in: NK-BGB, 4. Aufl. 2021, Art. 39 EGBGB Rn. 23; v. Hoffmann/Thorn, in: Staudinger, Neubearb. 2001, Art. 39 EGBGB Rn. 46 und 59. 855 BT-Drs. 14/343, S. 13; vgl. Fornasier, in: BeckOGK, 1.11.2021, Art. 41 EGBGB Rn. 24 und 24.1. 856 Huber, in: NK-BGB, 4. Aufl. 2021, Art. 39 EGBGB Rn. 23; v. Hoffmann/Thorn, in: Staudinger, Neubearb. 2001, Art. 39 EGBGB Rn. 59. 857 v. Hoffmann/Thorn, in: Staudinger, Neubearb. 2001, Art. 39 EGBGB Rn. 59. 858 v. Hoffmann/Thorn, in: Staudinger, Neubearb. 2001, Art. 39 EGBGB Rn. 64; G. Fischer, IPRax 2002, 1, 18; vgl. auch Junker, in: MüKo BGB, 8. Aufl. 2021, Art. 41 EGBGB Rn. 27 und Kreuzer, RabelsZ 65 (2001), 383, 411, 431 sowie Fornasier, in: BeckOGK, 1.11.2021, Art. 41 EGBGB Rn. 8 (für Art. 41 Abs. 2 Nr. 1 EGBGB). (Begründungslos)

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Bei der Ermittlung des Hauptstatuts indes kann ein Renvoi beachtlich sein; das akzessorisch angeknüpfte Statut (hier: das der auftragslosen Geschäftsführung) vollzieht diesen dann nach. Es kann von einem „akzessorischen Renvoi“ gesprochen werden.859 An dieser notwendigen Koordinierung fehlt es indes bei der Anknüpfung an eine zwischen den Parteien bestehende tatsächliche Beziehung, Art. 41 Abs. 2 Nr. 1 Alt. 2 EGBGB.860 Uneinheitlich wird diese Frage demgegenüber im Bereich der allgemeinen Ausweichklausel, Art. 41 Abs. 1 EGBGB, sowie dem zweiten Regelbeispiel für die Anwendung der Ausweichklausel, die Anknüpfung an den gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt in Art. 41 Abs. 2 Nr. 2 EGBGB, beantwortet. Für Art. 41 Abs. 1 EGBGB wird überwiegend vertreten, dass auch sie wegen Art. 4 Abs. 1 Satz 1 Hs. 2 EGBGB als Sachnormverweisung ausgestaltet sei.861 Hierfür wird zunächst zutreffend vorgebracht, dass es der Sinn und Zweck einer Ausweichklausel ist, ausnahmsweise eine andere Rechtsordnung anzuwenden, wenn sich diese als sachnäher erweist. Diese Sachnähe solle sich „unmittelbar auf der Ebene des materiellen Rechts“ beurteilen, so dass die Beachtung einer Rück- oder Weiterverweisung widersprüchlich wäre.862 Eine solche Begründung kann aber nicht überzeugen. Sie ist schon deshalb unzutreffend, weil auch im Rahmen von Ausweichklauseln ausschließlich kollisionsrechtliche Interessen zu beachten sind; es kommt also gerade nicht auf das in materieller Hinsicht sachnächste Recht, sondern auf das kollisionsrechtlich „beste“ Recht an.863 Das nach Art. 41 Abs. 1 EGBGB maßgebliche Recht sei aber auch sonst, d. h. unabhängig vom materiellen Recht, mit dem Sachverhalt am engsten ver-

zustimmend Huber, in: NK-BGB, 4. Aufl. 2021, Art. 39 EGBGB Rn. 25; Schinkels, in: BeckOGK, 1.8.2018, Art. 39 EGBGB Rn. 14; Junker, in: MüKo BGB, 8. Aufl. 2021, Art. 39 EGBGB Rn. 25; Stürner, in: Erman, 16. Aufl. 2020, Art. 39 EGBGB Rn. 4; so auch BT-Drs. 14/343, S. 8. 859 Begriff bei Junker, in: MüKo BGB, 8. Aufl. 2021, Art. 41 EGBGB Rn. 29; siehe auch v. Hoffmann/Thorn, in: Staudinger, Neubearb. 2001, Art. 39 EGBGB Rn. 64 und Dörner, in: FS Stoll, 2001, S. 491, 501. 860 Dörner, in: FS Stoll, 2001, S. 491, 500. 861 Junker, in: MüKo BGB, 8. Aufl. 2021, Art. 39 EGBGB Rn. 25; ders., in: MüKo BGB, 8. Aufl. 2021, Art. 41 EGBGB Rn. 26; G. Wagner, in: NK-BGB, 4. Aufl. 2021, Art. 41 EGBGB Rn. 4; Fornasier, in: BeckOGK, 1.11.2021, Art. 41 EGBGB Rn. 9; Kreuzer, RabelsZ 65 (2001), 383, 411, 431; so wohl auch v. Hoffmann/Thorn, in: Staudinger, Neubearb. 2001, Art. 39 EGBGB Rn. 64: „[…] das Prinzip der engsten Verbindung, dessen Ausfluß Art 41 Abs 2 Nr 2 ist, spricht indes dafür, hier – wie bei Anknüpfungen aufgrund der Ausweichklausel allgemein – eine Sachnormverweisung anzunehmen“. 862 Fornasier, in: BeckOGK, 1.11.2021, Art. 41 EGBGB Rn. 9. 863 Dazu schon oben S. 64 f. Speziell für Art. 41 Abs. 1 EGBGB auch Kreuzer, RabelsZ 65 (2001), 383, 432 f.

§ 4 Art. 39 EGBGB

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bunden;864 es handele sich um eine „individualisierende Statutbestimmung“, die nicht durch eine „‚blinde‘ Überantwortung an ein fremdes Kollisionsrecht wieder aufgehoben werden“ dürfe.865 Dem ist entgegenzuhalten, dass grundsätzlich jede autonome deutsche Kollisionsnorm das Ziel verfolgt, an die Rechtsordnung anzuknüpfen, mit der der Sachverhalt am engsten verbunden ist,866 so dass man den Renvoi insgesamt hinterfragen müsste, wollte man diesem Argument folgen.867 Gegen den Ausschluss der Rück- oder Weiterverweisung bei der Anwendung von Art. 41 Abs. 1 EGBGB kann zudem die Gesetzesbegründung angeführt werden: Der Gesetzgeber hat diese Norm, anders als Art. 41 Abs. 2 Nr. 1 EGBGB, nicht in den Katalog jener Anknüpfungen eingestellt, bei denen eine Rück- oder Weiterverweisung aus seiner Sicht dem Sinn der Verweisung gemäß ausgeschlossen ist.868 Daher gilt prinzipiell auch bei Art. 41 Abs. 1 EGBGB der Grundsatz des Art. 4 Abs. 1 Satz 1 EGBGB. Etwas anderes käme nur dann in Betracht, wenn die Regelkollisionsnorm, für die Art. 41 Abs. 1 EGBGB die Ausweichklausel bereithält, ebenfalls bloß als Sachnormverweisung ausgestaltet wäre. Denn zwischen beiden Anknüpfungen besteht eine Abhängigkeit.869 Dies gilt auch für Art. 41 Abs. 2 Nr. 2 EGBGB. Da Art. 39 Abs. 2 EGBGB als eine der zwei Regelanknüpfungen, wie eingangs dargestellt, von vornherein renvoi-feindlich ist, weshalb dies auch für die Ausweichklausel gälte, wollte man sie hierauf anwenden, kommt es an dieser Stelle einzig darauf an, ob im Rahmen der Anknüpfung nach Art. 39 Abs. 1 EGBGB eine Rück- oder Weiterverweisung beachtlich ist. Hier gilt ebenso der Grundsatz des Art. 4 Abs. 1 EGBGB, so dass erneut fraglich ist, ob der Ausschluss einer Rück- oder Weiterverweisung dem Sinn der Anknüpfung widerspräche, Art. 4 Abs. 1 Satz 1 Hs. 2 EGBGB. Dafür könnte man allenfalls – wie bei Art. 41 Abs. 1 EGBGB – vorbringen, dass Art. 39 Abs. 1 EGBGB Ausdruck des Prinzips der engsten Verbindung ist, von dem nicht durch die Ausweichklausel abgewichen werden dürfe. Dieses Argument vermag aber aus den soeben dargestellten Gründen nicht zu überzeugen. Art. 39 Abs. 1 EGBGB ist folglich – so auch nach dem Willen des Gesetzgebers870 und in Einklang mit der allgemeinen Auffassung in der Literatur871 – als Gesamtverweisung zu 864 G. Wagner, in: NK-BGB, 4. Aufl. 2021, Art. 41 EGBGB Rn. 4; Junker, in: MüKo BGB, 8. Aufl. 2021, Art. 39 EGBGB Rn. 25; ders., in: MüKo BGB, 8. Aufl. 2021, Art. 41 EGBGB Rn. 26. 865 Kreuzer, RabelsZ 65 (2001), 383, 431. 866 Siehe S. 61 ff. 867 Vgl. auch G. Fischer, IPRax 2002, 1, 10. 868 Vgl. BT-Drs. 14/343, S. 8. 869 Eingehend dazu Hirse, Ausweichklausel, 2006, S. 312 ff., insb. 320. 870 Vgl. die Aufzählung in BT-Drs. 14/343, S. 8. 871 So ausdrücklich G. Fischer, IPRax 2002, 1, 18 und Huber, in: NK-BGB, 4. Aufl. 2021, Art. 39 EGBGB Rn. 25; vgl. auch v. Hoffmann/Thorn, in: Staudinger, Neubearb. 2001, Art. 39 EGBGB Rn. 64; Schinkels, in: BeckOGK, 1.8.2018, Art. 39 EGBGB Rn. 13; Junker,

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2. Teil: Die Geschäftsführung ohne Auftrag im IPR

verstehen; eine Rück- oder Weiterverweisung wäre daher auch bei der Anwendung des Art. 41 Abs. 1 EGBGB zu beachten. Fraglich ist aber, was für die Anknüpfung an den gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt der Parteien nach Art. 41 Abs. 2 Nr. 2 EGBGB gilt. Diese Verweisung soll sich nach einer teilweise vertretenen Auffassung ebenfalls bloß auf die Sachvorschriften des Staates, auf den verwiesen wird, beschränken.872 Nach dem bisher Gesagten ist es indes verfehlt, lediglich zu argumentieren, dass Art. 41 Abs. 2 Nr. 2 EGBGB, wie die allgemeine Ausweichklausel, Ausdruck des Prinzips der engsten Verbindung ist,873 weil dies grundsätzlich auch für alle Regelkollisionsnormen gilt. Wie bei Art. 41 Abs. 2 Nr. 1 EGBGB benötigte es für die Annahme der Sinnwidrigkeit einer Gesamtverweisung einen darüberhinausgehenden Grund. Ein solcher ist indes nicht ersichtlich. Auch der Gesetzgeber erblickte in diesem Regelbeispiel keine Sinnwidrigkeit einer Gesamtverweisung, da Art. 41 Abs. 2 Nr. 2 EGBGB in seiner Aufzählung diesbezüglich fehlt.874 Damit ist er von dem Vorschlag des Deutschen Rats für IPR abgewichen.875 Es kann angenommen werden, dass sich der Gesetzgeber über diesen Gedanken gemacht hat. Aus diesem Grund sollte in Art. 41 Abs. 2 Nr. 2 EGBGB eine Gesamtverweisung erblickt werden.876

in: MüKo BGB, 8. Aufl. 2021, Art. 39 EGBGB Rn. 24; Stürner, in: Erman, 16. Aufl. 2020, Art. 39 EGBGB Rn. 3 f. 872 Huber, in: NK-BGB, 4. Aufl. 2021, Art. 39 EGBGB Rn. 25; Schinkels, in: BeckOGK, 1.8.2018, Art. 39 EGBGB Rn. 14; v. Hoffmann/Thorn, in: Staudinger, Neubearb. 2001, Art. 39 EGBGB Rn. 64. 873 So aber Schinkels, in: BeckOGK, 1.8.2018, Art. 39 EGBGB Rn. 14; Huber, in: NKBGB, 4. Aufl. 2021, Art. 39 EGBGB Rn. 25; G. Wagner, in: NK-BGB, 4. Aufl. 2021, Art. 41 EGBGB Rn. 4; siehe auch v. Hoffmann/Thorn, in: Staudinger, Neubearb. 2001, Art. 39 EGBGB Rn. 64: „[…] das Prinzip der engsten Verbindung, dessen Ausfluß Art 41 Abs 2 Nr 2 ist, spricht indes dafür, hier – wie bei Anknüpfungen aufgrund der Ausweichklausel allgemein – eine Sachnormverweisung anzunehmen“. 874 Siehe BT-Drs. 14/343, S. 8. 875 G. Fischer, IPRax 2002, 1, 10. 876 Ausdrücklich von einer Gesamtverweisung ausgehend Junker, in: MüKo BGB, 8. Aufl. 2021, Art. 39 EGBGB Rn. 25 und Kreuzer, RabelsZ 65 (2001), 383, 411, 431 f.

3. Teil:

Die Geschäftsführung ohne Auftrag im Internationalen Zivilprozessrecht Im dritten und letzten Teil der vorliegenden Arbeit soll untersucht werden, wie jene Ansprüche, die aus dem oben beschriebenen, der Geschäftsführung ohne Auftrag im Sinne der Rom II-VO zugrunde liegenden Sachverhalt folgen, international-prozessrechtlich zu handhaben sind. Hierfür existieren, wie auf der Ebene des IPR, vor allem zwei Rechtsquellen: das europäische Internationale Zivilprozessrecht in Gestalt der Brüssel Ia-VO sowie das autonome deutsche Internationale Zivilprozessrecht. Da ersteres innerhalb seines Anwendungsbereichs Vorrang vor letzterem genießt,1 beginnt die folgende Untersuchung mit den Zuständigkeitsnormen der Brüssel Ia-VO.

§ 5 Europäisches IZPR Diese ist gemäß Art. 1 Abs. 1 Satz 1 Brüssel Ia-VO auf „Zivil- und Handelssachen“ anzuwenden. Ausgenommen davon sind gemäß Art. 1 Abs. 1 Satz 2 Brüssel Ia-VO „insbesondere […] Steuer- und Zollsachen sowie verwaltungsrechtliche Angelegenheiten oder die Haftung des Staates für Handlungen oder Unterlassungen im Rahmen der Ausübung hoheitlicher Rechte (‚acta iure imperii‘)“. Zur Bedeutung dieses Ausschlusskriteriums für die Behandlung von Ansprüchen aus auftragsloser Geschäftsführung kann auf die obigen Ausführungen2 verwiesen werden, da die Rom II-VO und die Brüssel Ia-VO jedenfalls hinsichtlich ihres materiellen Anwendungsbereichs gemäß ErwGr. 7 Rom IIVO „in Einklang“ stehen sollen.3 Die Brüssel Ia-VO gilt gemäß ihrer Art. 81, 66 Abs. 1 im Wesentlichen erst für ab dem 10. Januar 2015 eingeleitete Verfahren. Allerdings war in dem Zeitraum vom 1. März 2002 bis zum 9. Januar 2015 die Brüssel I-VO in Kraft, die denselben Anwendungsbereich wie ihre Nachfolgerverordnung hatte, vgl. Art. 1 Abs. 1 Brüssel I-VO. Davor galt in Deutschland seit dem 1. Februar 1973 vorrangig das EuGVÜ, welches ausweichlich des Wortlauts dessen Art. 1 1

Vgl. Art. 52 EUV, 288 II, 355 AEUV. S. 164 f. 3 Hierzu siehe schon oben Fn. 282 (2. Teil). 2

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3. Teil: Die Geschäftsführung ohne Auftrag im IZPR

Abs. 1 dem Anwendungsbereich der vorgenannten Verordnungen weitgehend entsprach. Aber auch über den bloßen materiellen Anwendungsbereich hinaus ähneln sich diese Rechtsakte sehr: Die hier interessierenden Zuständigkeitsnormen der Brüssel Ia-VO, der Brüssel I-VO und des EuGVÜ entsprechen sich im Wesentlichen, so dass die folgenden, für die Brüssel Ia-VO gewonnenen Erkenntnisse bei ihnen gleichermaßen Geltung beanspruchen. A. Allgemeiner Gerichtsstand Eine internationale Zuständigkeit ergibt sich für Ansprüche aus Geschäftsführung ohne Auftrag zunächst aus dem allgemeinen Gerichtsstand. Art. 4 Brüssel Ia-VO (sowie Art. 2 Abs. 1 Brüssel I-VO/EuGVÜ) eröffnet diesen am Wohnsitz des jeweiligen Beklagten.4 Die Verordnung räumt den hiernach berufenen Gerichten eine umfassende Kognitionsbefugnis über den zur Entscheidung anstehenden Sachverhalt ein. B. Eröffnung eines besonderen Gerichtsstands? Allerdings wäre es unbefriedigend, wenn für Ansprüche aus auftragsloser Geschäftsführung lediglich der allgemeine Gerichtsstand eröffnet wäre. Dies folgt bereits aus der schlichten Erwägung, dass die Parteien des Schuldverhältnisses aus auftragsloser Geschäftsführung in dessen Entstehungszeitpunkt, namentlich der Geschäftsübernahme, nicht zwingend Kenntnis voneinander haben müssen; der Ort, an dem der jeweilige allgemeine Gerichtsstand eröffnet sein wird, ist in diesen Fällen völlig unbekannt. Das gilt umso mehr für den Geschäftsherrn, da er regelmäßig gar nicht absehen kann, wer die Geschäftsführung übernehmen wird.5 Anatol Dutta hat herausgearbeitet, dass ein Gerichtsstand am Ort, an dem die Geschäftsführung erfolgt ist, in sachlicher Hinsicht wünschenswert wäre. Dieser Ort weise wegen Art. 11 Abs. 3 Rom II-VO und Art. 39 Abs. 1 EGBGB zunächst eine Verbundenheit zur anwendbaren Rechtsordnung auf.6 Darüber hinaus bestehe aber auch eine besondere Nähebeziehung zum Sachverhalt: Die Gerichte am Ort der Geschäftsführung würden am ehesten nachvollziehen können, ob die materiellen Tatbestandsvoraussetzungen der auftragslosen Geschäftsführung vorliegen; außerdem könnten sie am leichtesten erkennen, was durch die Geschäftsführung erlangt wurde und ob der Geschäftsführer Aufwendungen getätigt hat, die erforderlich waren. Die Beweisaufnahme würde ausschließlich im Staat des erkennenden Gerichts durchgeführt werden müs4 Das LG München I 18.4.2013 – 10 O 6084/12 = IPRax 2014, 438 Rn. 20 hat in casu die internationale Zuständigkeit über Art. 2 Abs. 1 Brüssel I-VO begründet. 5 Dutta, IPRax 2011, 134, 135. 6 Dutta, IPRax 2011, 134, 135.

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sen, was Rechtshilfeersuchen weitgehend überflüssig mache und damit die Tatsachenfeststellung immens erleichtere.7 Schließlich sei zu beachten, dass beide Parteien eine besondere Beziehung zu dem Ort, an dem die Geschäftsführung erfolgt ist, aufweisen: der Geschäftsführer, indem er dort tätig wird, und der Geschäftsherr dadurch, dass sein Rechts- bzw. Interessenkreis dorthin reicht.8 Diesen Überlegungen ist grundsätzlich zuzustimmen. Für viele Fälle9 auftragsloser Geschäftsführungen ist der „Ort, an dem die Geschäftsführung erfolgt ist“, ein neutraler, von keiner Partei beeinflussbarer Anknüpfungspunkt, zu dem beide Parteien eine zurechenbare Beziehung gesetzt haben. Allerdings sollte mit Blick darauf, dass auch sukzessiv erfolgende Geschäftsführungen möglich sind, der „Ort, an dem die Geschäftsführung erfolgt ist“, als „Ort, an dem die Geschäftsführung übernommen worden ist“, verstanden werden. Denn sollte der Geschäftsführer sukzessiv-grenzüberschreitend tätig werden, muss der Geschäftsherr nicht notwendigerweise eine ihm zurechenbare Beziehung zu diesen Orten gesetzt haben.10 Legt man außerdem Art. 11 Abs. 2 und 3 Rom II-VO und 39 Abs. 1 EGBGB richtigerweise so aus, dass sie auf den Ort der Geschäftsübernahme abzielen, besteht auch nur an diesem der Gleichlauf von forum und ius. Vor diesem Hintergrund fragt sich nun, ob mithilfe der besonderen Gerichtsstände eine internationale Zuständigkeit am Ort der Geschäftsübernahme begründet werden kann. In Betracht kommen hierfür insbesondere Art. 7 Nr. 1 sowie Nr. 2 Brüssel Ia-VO (bzw. Art. 5 Nr. 1 sowie Nr. 3 Brüssel IVO/EuGVÜ). I. Keine internationale Zuständigkeit am Vertragsgerichtsstand Um einen der Gerichtsstände des Art. 7 Nr. 1 Brüssel Ia-VO (Art. 5 Nr. 1 Brüssel I-VO/EuGVÜ) zu eröffnen, muss „ein Vertrag oder Ansprüche aus einem Vertrag den Gegenstand des Verfahrens bilden“. Dafür ist Voraussetzung, dass eine von einer Partei gegenüber einer anderen freiwillig eingegangene Verpflichtung vorliegt. Hierunter fallen Ansprüche aus Geschäftsführung ohne Auftrag, wie gezeigt, nicht.11 Der Vertragsgerichtsstand ist daher für Ansprüche aus auftragsloser Geschäftsführung nicht eröffnet. Mit Blick auf das oben formulierte Ziel eines besonderen GoA-Gerichtsstands am Ort der Geschäftsübernahme wäre es daneben aber auch nicht ziel7

Dutta, IPRax 2011, 134, 135; vgl. zur Vorteilhaftigkeit der Ortsnähe auch Wolf, in: Liber amoricum Lindacher, 2007, S. 201, 210 (indes zu § 29 ZPO). 8 Dutta, IPRax 2011, 134, 135; siehe auch, im Anschluss an ihn, Menden, Anwendungsbereich des deliktischen Gerichtsstands, 2019, S. 150. 9 Das gilt namentlich für alle Fälle, für die Art. 11 Abs. 3 Rom II-VO unmittelbare Anwendung finden kann, siehe dazu oben S. 238 ff. 10 Vgl. die obigen Erwägungen zu Art. 11 Abs. 3 Rom II-VO, S. 232 ff. 11 Eingehend dazu oben S. 155 ff.

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führend, bestimmte Konstellationen – namentlich etwa die Fälle, in denen eine „natürliche“ Willensübereinstimmung12 oder eine Genehmigung seitens des Geschäftsherrn vorliegt13 – vertraglich zu qualifizieren.14 Weder der „Dienstleistungsgerichtsstand“, auf den manche Stimmen in der Literatur für Ansprüche aus auftragsloser Geschäftsführung verweisen, noch der allgemeine Vertragsgerichtsstand würden stets zu einem einheitlichen Gerichtsstand am Ort der Geschäftsübernahme führen. In Bezug auf den „Dienstleistungsgerichtsstand“ ist zudem fraglich, ob Ansprüche aus auftragsloser Geschäftsführung überhaupt entsprechend qualifiziert werden können. 1. Zum „Dienstleistungsgerichtsstand“ Zwar liegt es mit Blick auf den Wortlaut nahe, die auftragslose Geschäftsführung als eine Dienstleistung im Sinne des Art. 7 Nr. 1 lit. b) Strich 2 Brüssel IaVO (Art. 5 Nr. 1 lit. b) Strich 2 Brüssel I-VO) einzuordnen.15 Dieser Gerichtsstand wird allerdings vom EuGH auf entgeltliche Dienstleistungen beschränkt.16 Da die auftragslose Geschäftsführung aber naturgemäß stets ohne Auftrag und damit auf den ersten Blick anders als die Geschäftsbesorgung mit Auftrag, vgl. im deutschen Recht § 675 BGB, unentgeltlich erfolgt, scheint der Dienstleistungsgerichtsstand nicht eröffnet zu sein. Bei genauerer Betrachtung zeigt sich aber, dass von einer Unentgeltlichkeit der Geschäftsführung dann nicht mehr gesprochen werden kann, wenn dem Geschäftsführer von der lex causae für die bloße Interessenwahrnehmung ein Vergütungsanspruch gewährt wird.17 Daneben sind aber auch solche Konstellationen fraglich, in denen der Geschäftsführer während der Geschäftsbesor-

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So ausdrücklich Wolf, in: Liber amoricum Lindacher, 2007, S. 201, 209 f. i. V. m. 210 f. 13 Thole, in: BeckOGK, 1.8.2021, § 677 BGB Rn. 186; ders., in: Wieczorek/Schütze, 4. Aufl. 2019, Art. 7 Nr. 2 Brüssel Ia-VO Rn. 99; Dornis, in: Mankowski (ed.), The Brussels Ibis Regulation, 2020, p. 64, 92 et. seq.; G. Wagner, in: Stein/Jonas, 22. Aufl. 2011, Art. 5 Brüssel I-VO Rn. 37. 14 Die Überlegung, ausschließlich die Ansprüche des Geschäftsherrn gegen den Geschäftsführer vertraglich zu qualifizieren, wäre nicht nur deshalb abzulehnen, weil sie nicht dem europäischen Vertragsbegriff subsumiert werden können, sondern auch weil dies zu einer unterschiedlichen Qualifikation der Anspruchsrichtungen führte, was bereits oben abgelehnt wurde, siehe S. 171 f. 15 Dornis, in: Mankowski (ed.), The Brussels Ibis Regulation, 2020, p. 64, 92 et. seq. Diese Überlegung stellt auch Dutta, IPRax 2011, 134, 137 an. 16 Dutta, IPRax 2011, 134, 137; Thode, in: BeckOK ZPO, 43. Ed. 1.12.2021, Art. 7 Brüssel Ia-VO Rn. 54; Leible in: Europ. Zivilprozess- und Kollisionsrecht, 5. Aufl. 2021, Art. 7 Brüssel Ia-VO Rn. 67. 17 Dutta, IPRax 2011, 134, 137 Fn. 33; im Anschluss an ihn auch Dornis, in: Mankowski (ed.), The Brussels Ibis Regulation, 2020, p. 64, 92.

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gung beispielsweise eine Erwerbsmöglichkeit unterlässt;18 von der Warte des deutschen Sachrechts aus kann er Kompensation für einen wegen der Geschäftsführung erlittenen Verdienstausfall verlangen. In diesen Fällen handelt es sich zwar – anders als bei der Frage einer Vergütung für die bloße Geschäftsbesorgung – um ein freiwilliges Vermögensopfer des Geschäftsführers (das daher auch unzweifelhaft dem originären Aufwendungsersatzanspruch zugewiesen ist).19 Allerdings ist zu beachten, dass der erlittene Verdienstausfall, der zu den „allgemeinen Geschäftsunkosten“ zählt, wie auch diese allgemein nur über die Verweisung des § 683 Satz 1 BGB auf § 670 BGB ersatzfähig ist; der Beauftragte kann – anders als der auftragslose Geschäftsführer – jene Unkosten nicht über § 670 BGB geltend machen. Begründet wird diese Differenzierung mit dem Argument, dass die Ersatzfähigkeit allgemeiner Geschäftsunkosten im Auftragsrecht der Unentgeltlichkeit des Auftrags widersprechen würde, während die Geschäftsführung ohne Auftrag „kein immanent unentgeltliches Schuldverhältnis“20 sei. Aus diesem Grund kann an der Unentgeltlichkeit der auftragslosen Geschäftsbesorgung durchaus gezweifelt werden. Ungeachtet dessen ist fraglich, ob auftragslose Geschäftsführungen als „Dienstleistungen“ im Sinne des Art. 7 Nr. 1 lit. b) Strich 2 Brüssel Ia-VO (Art. 5 Nr. 1 lit. b) Strich 2 Brüssel I-VO) angesehen werden können. Der EuGH definiert diesen Begriff als jede gewerbliche oder freiberufliche Tätigkeit.21 Vor diesem Hintergrund könnte man an die Eröffnung dieses Gerichtsstands wohl allenfalls dann denken, wenn die Geschäftsbesorgung eben dem gewerblichen oder beruflichen Kreis des Geschäftsführers zugeordnet werden kann. Um eine internationale Zuständigkeit über den Dienstleistungsgerichtsstand zu begründen, benötigte es also in jedem Fall eine nicht unkomplizierte „Vorprüfung“, ob die Geschäftsführung zum gewerblichen oder beruflichen Kreis des Geschäftsführers zählt und ob ihm die lex causae einen (originären) Vergütungsanspruch gewährt.22 Nur wenn beide Voraussetzungen erfüllt sind, 18 Für die Annahme einer Entgeltlichkeit im unionsrechtlichen Sinne Dornis, in: Mankowski (ed.), The Brussels Ibis Regulation, 2020, p. 64, 92 et. seq. 19 Siehe nur (für das deutsche Recht) Bergmann, in: Staudinger, Neubearb. 2020, § 683 BGB Rn. 55 und (für das österreichische Recht) Meissel, Geschäftsführung ohne Auftrag, 1993, S. 196. 20 Zitat bei Schäfer, in: MüKo BGB, 8. Aufl. 2020, § 683 Rn. 35; BGH 15.12.1975 – II ZR 54/74 = BGHZ 65, 384, 389 f. 21 Siehe etwa EUGH 23.4.2009 – C-533/07 = NJW 2009, 1865, 1866 Rn. 29 und EuGH 19.12.2013 – C-9/12 = EuZW 2014, 181, 183 Rn. 37, auf die Thode, in: BeckOK ZPO, 43. Ed. 1.12.2021, Art. 7 Brüssel Ia-VO Rn. 54 verweist. 22 Schon mit Blick auf die französische Rechtsordnung dürfte klar sein, dass nicht jede (europäische) Rechtsordnung diesbezüglich mit der deutschen vergleichbar ist: Im Zuge der Reform von 2016 wurde diskutiert, ob es dem Geschäftsführer ermöglicht werden soll, neben dem Ersatz seiner Aufwendungen und Schäden auch Vergütung zu verlangen. Diese Idee wurde letztlich aber nicht in geltendes Recht überführt, siehe oben S. 141.

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wäre die internationale Zuständigkeit gegeben. Vermutlich würde es einige Stimmen geben, die hierin einen Konflikt mit der von ErwGr. 15 f. Brüssel IaVO geforderten Vorhersehbarkeit des international zuständigen Gerichts23 erblickten und diese Lösung daher für unbefriedigend erachteten. Wollte man dies aber hinnehmen, würde der Dienstleistungsgerichtsstand zumindest in diesen Konstellationen an dem Ort der Geschäftsführung eröffnet sein, da nach dieser Norm der Ort, „an dem [die Dienstleistungen] nach dem Vertrag erbracht worden sind oder hätten erbracht werden müssen“ maßgeblich ist. Dies führte wenigstens in den Fällen, in denen der Ort der Geschäftsführung und der Ort der Geschäftsübernahme übereinstimmen, zu dem in sachlicher Hinsicht wünschenswerten Gerichtsstand – wollte man entgegen der hier vertretenen Auffassung überhaupt vertraglich qualifizieren. 2. Der allgemeine Vertragsgerichtsstand eröffnet keinen einheitlichen internationalen Gerichtsstand am Ort der Geschäftsübernahme In allen anderen Konstellationen müsste letztlich auf Art. 7 Nr. 1 lit. a) Brüssel Ia-VO (Art. 5 Nr. 1 lit. a) Brüssel I-VO bzw. Art. 5 Nr. 1 Hs. 1 EuGVÜ) rekurriert und für jede sich aus dem Schuldverhältnis aus auftragsloser Geschäftsführung ergebende Verpflichtung gesondert nach der lex causae angeknüpft werden.24 Ein einheitlicher Gerichtsstand am Ort der Geschäftsübernahme wird sich so nur selten erzielen lassen. Am Beispiel des deutschen Rechts kann verdeutlicht werden, dass dies lediglich bei in irgendeiner Hinsicht fehlerhaft erfolgenden Geschäftsführungen (und auch nur in Kombination mit dem Gerichtsstand der Widerklage, Art. 8 Nr. 3 Brüssel Ia-VO [Art. 6 Nr. 3 Brüssel I-VO/EuGVÜ]) der Fall sein wird. Denn fragt man sich, welches Begehren in der Praxis Anlass für eine Klage geben wird, wird dies bei den fehlerhaft erfolgenden Geschäftsführungen wohl meist ein Anspruch des Geschäftsherrn gegen den Geschäftsführer auf der Grundlage einer Verletzung geschäftsführungsspezifischer Pflichten, also insbesondere §§ 677, 280 Abs. 1 BGB, sein. Da solche Sekundäransprüche an dem Erfüllungsort der verletzten Primärpflicht einzuklagen sind,25 wäre der Ort maßgeblich, an dem den Geschäftsführer ebendiese geschäftsführungsspezifischen Pflichten treffen. Gemäß § 269 Abs. 1 BGB wird dies der Ort der Geschäftsführung sein.26 Wenn dieser mit dem Ort der Geschäftsübernahme zusammenfällt, führt der allgemeine Vertragsgerichtsstand zum Ziel. Für etwaige Gegenansprüche des Geschäftsführers gegen den Geschäftsherrn wäre dann indes nur über den „Umweg“ des Art. 8 Nr. 3 Brüssel Ia-VO ein Gerichtsstand an diesem Ort eröffnet. 23

Dazu sogleich mehr S. 300 f. Dutta, IPRax 2011, 134, 137. 25 Dazu nur Gottwald, in: MüKo ZPO, 6. Aufl. 2022, Art. 7 Brüssel Ia-VO Rn. 35 (auch mwN auf die Judikatur des EuGH). 26 Dutta, IPRax 2011, 134, 137. 24

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Denn der Leistungsort für sein typischerweise streitauslösendes Anspruchsziel auf Ersatz getätigter Aufwendungen – das auch in den prominentesten gerichtlichen Entscheidungen im Bereich der Internationalen Geschäftsführung ohne Auftrag, namentlich der Judikate des LG München I aus dem Jahre 201427 sowie des OLG Köln von 200928 den Anlass zur Klage gab – wäre nach deutschem Verständnis am Wohnsitz des Geschäftsherrn belegen, der nicht zwingend mit dem Ort der Geschäftsübernahme identisch sein muss.29 Schließlich wird wohl auch der Leistungsort für den Anspruch des Geschäftsherrn auf Herausgabe des durch die Geschäftsführung Erlangten oftmals ebenfalls nicht am Ort der Geschäftsübernahme liegen. Denn zumindest nach deutschem Verständnis wird der Belegenheitsort der Sache zumeist auch der Leistungsort sein.30 II. Eröffnung des Deliktsgerichtsstands? Es stellt sich daher die Frage, ob für Ansprüche aus Geschäftsführung ohne Auftrag im Sinne der Rom II-VO der Gerichtsstand nach Art. 7 Nr. 2 Brüssel Ia-VO (Art. 5 Nr. 3 Brüssel I-VO/EuGVÜ) eröffnet werden kann und – bejahendenfalls – ob sich hierüber ein einheitlicher Gerichtsstand am Ort der Geschäftsübernahme begründen lässt. Nach dem deutschen Wortlaut ist für die Anwendung dieser Zuständigkeitsnorm Voraussetzung, dass „eine unerlaubte Handlung oder eine Handlung, die einer unerlaubten Handlung gleichgestellt ist, oder […] Ansprüche aus einer solchen Handlung den Gegenstand des Verfahrens bilden“. 1. Meinungsstand Nur wenige Stimmen des Schrifttums lehnen die Eröffnung des hier sogenannten Deliktsgerichtsstands gemäß Art. 7 Nr. 2 Brüssel Ia-VO pauschal ab.31 Nach überwiegender Ansicht im Schrifttum ist zu differenzieren: Eine in Bezug auf Ansprüche aus auftragsloser Geschäftsführung umfassende Kognitionsbefugnis am Deliktsgerichtsstand wird zwar von den genannten Stimmen allgemein abgelehnt; insbesondere (reine) Aufwendungsersatzansprüche seien nicht erfasst.32 Zumindest aber Schadenersatzansprüche, die aus dem Schuld27

18.4.2013 – 10 O 6084/12 = IPRax 2014, 438. 13.5.2009 – 6 U 217/08 = IPRax 2011, 174. 29 Dutta, IPRax 2011, 134, 137 mwN. 30 Vgl. nur Beurskens, in: BeckOGK, 1.9.2021, § 269 BGB Rn. 36. 31 Thode, in: BeckOK ZPO, 43. Ed. 1.12.2021, Art. 7 Brüssel Ia-VO Rn. 79; so auch Schack, IZVR, 8. Aufl. 2021, Rn. 355 und v. Domarus, Internationales Arzthaftungsrecht, 2013, S. 35. 32 So ausdrücklich OLG Köln 13.5.2009 – 6 U 217/08 = IPRax 2011, 174 Rn. 5 und auch Späth, Gewerbliche Erbensuche, 2008, S. 260, die die deliktische Qualifikation eines „Ausgleichsanspruch[es] aus Geschäftsführung ohne Auftrag“ diskutiert und ablehnt. Siehe aber 28

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verhältnis aus auftragsloser Geschäftsführung resultieren, seien Art. 7 Nr. 2 Brüssel Ia-VO zu subsumieren.33 Dabei soll einigen Stimmen zufolge der Begriff des Schadens aber erweiternd ausgelegt werden, so dass auch Herausgabeansprüche des Geschäftsherrn gegen den Geschäftsführer erfasst seien.34 Darüber hinaus wird vertreten, auch Aufwendungsersatzansprüche des Geschäftsführers gegen den Geschäftsherrn hierunter zu fassen, soweit mit ihnen, wie teilweise im deutschen und österreichischen Recht möglich,35 die Kompensation eines (geschäftsführungstypischen) Schadens verfolgt wird.36 2. Stellungnahme Die folgende Stellungnahme gliedert sich in zwei Punkte: Es soll erstens gefragt werden, ob Ansprüche aus auftragsloser Geschäftsführung überhaupt Art. 7 Nr. 2 Brüssel Ia-VO subsumiert werden können. Bejahendenfalls soll, zweitens, untersucht werden, ob dies für sämtliche Anspruchsbegehren gilt. Da die Brüssel Ia-VO – wie auch die Rom II-VO – zum Sekundärrecht der Europäischen Union zählt und Art. 7 Nr. 2 Brüssel Ia-VO europäisch autonom auszulegen ist,37 kann für das methodische Vorgehen weitgehend auf die hierzu in Teil 138 gewonnenen Erkenntnisse zur gemeinschaftsrechtlichen Methodik verwiesen werden.

Thole, in: BeckOGK, 1.8.2021, § 677 BGB Rn. 187, der auch die Erfassung des „reinen“ Aufwendungsersatzes als „naheliegend, aber [Anm. d. Verf.: mit Verweis auf die Rechtsprechung des EuGH] zugleich zweifelhaft“ bezeichnet; so auch ders., in: Wieczorek/Schütze, 4. Aufl. 2019, Art. 7 Nr. 2 Brüssel Ia-VO Rn. 99. 33 So im Anschluss an Dutta, IPRax 2011, 134, 137: Menden, Anwendungsbereich des deliktischen Gerichtsstands, 2019, S. 149 f.; Leible, in: Europ. Zivilprozess- und Kollisionsrecht, 5. Aufl. 2021, Art. 7 Brüssel Ia-VO Rn. 112; Looschelders, IPRax 2014, 406, 407; Mankowski, in: Magnus/Mankowski (eds.), ECPIL Vol. 1, 2016, Art. 7 Brussels Ibis Regulation para. 245. So auch Thole, in: BeckOGK, 1.8.2021, § 677 BGB Rn. 187; ders., in: Wieczorek/Schütze, 4. Aufl. 2019, Art. 7 Nr. 2 Brüssel Ia-VO Rn. 99. 34 So im Anschluss an Dutta, IPRax 2011, 134, 137: Menden, Anwendungsbereich des deliktischen Gerichtsstands, 2019, S. 149 f. und Leible, in: Europ. Zivilprozess- und Kollisionsrecht, 5. Aufl. 2021, Art. 7 Brüssel Ia-VO Rn. 112. A. A. Kubis, Internationale Zuständigkeit, 1999, S. 107 ff. für Ansprüche aus GoA (wobei er wohl nur auf die unechte GoA abhebt, vgl. aaO, S. 109), die auf die Abschöpfung des Verletzergewinns bei Persönlichkeitsrechtsverletzungen abzielen. 35 Siehe oben S. 123 ff. 36 Siehe Thole, in: BeckOGK, 1.8.2021, § 677 BGB Rn. 187; ders., in: Wieczorek/Schütze, 4. Aufl. 2019, Art. 7 Nr. 2 Brüssel Ia-VO Rn. 99. 37 Heute ganz h. M., siehe nur Thode, in: BeckOK ZPO, 43. Ed. 1.12.2021, Art. 7 Brüssel Ia-VO Rn. 73 und Nagel/Gottwald, IZPR, 8. Aufl. 2020, Rn. 3.92 sowie Gottwald, in: MüKo ZPO, 6. Aufl. 2022, Art. 7 Brüssel Ia-VO Rn. 48 und G. Wagner, in: Stein/Jonas, 22. Aufl. 2011, Art. 5 Brüssel I-VO Rn. 129 jeweils mwN auf die unionsgerichtliche Judikatur. 38 Siehe oben S. 5 ff.

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a) Geschäftsführung ohne Auftrag – ein Schuldverhältnis im Sinne des Art. 7 Nr. 2 Brüssel Ia-VO? aa) Überlegungen mit Blick auf den Wortlaut Nimmt man zunächst den Wortlaut in Blick, so werden nicht unerhebliche Divergenzen zwischen den einzelnen Sprachfassungen erkennbar. Dem deutschen Text zufolge muss „eine unerlaubte Handlung oder eine Handlung, die einer unerlaubten Handlung gleichgestellt ist, oder […] Ansprüche aus einer solchen Handlung den Gegenstand des Verfahrens bilden“. Bei dem Begriff der „unerlaubten Handlung“ handelt es sich um einen juristischen Fachterminus, den das (deutschsprachige) Unionskollisionsrecht in der Rom II-VO als Oberbegriff für die Art. 4 bis 9 verwendet, so dass – freilich vorbehaltlich eines abweichenden Normzwecks – die widerlegliche Vermutung besteht, dass beiden Begriffen eine identische Bedeutung zukommt.39 Hiernach wäre Art. 7 Nr. 2 Brüssel Ia-VO zunächst nur für Ansprüche eröffnet, die auch in den eben genannten Kollisionsnormen gebündelt sind. Ansprüche aus auftragsloser Geschäftsführung könnten daher nur dann erfasst sein, wenn diese „einer unerlaubten Handlung gleichgestellt“ sind. Entsprechendes kann auch für die englische Sprachfassung festgehalten werden, die von „matters relating to tort, delict or quasi-delict“ spricht: Art. 4 bis 9 Rom II-VO regeln gemäß der amtlichen Überschrift des „Chapter II“ die Anknüpfungen von „Torts/Delicts“. Es stellt sich daher die Frage, ob man die auftragslose Geschäftsführung als eine Handlung, die einer unerlaubten Handlung gleichgestellt ist, bzw. als „quasi delict“ auffassen kann. Dies ist äußerst fraglich. Denn es ist zu beachten, dass in Frankreich klassischerweise zwischen verschuldensunabhängiger Haftung (sogenannter „quasi-delicts“) und Verschuldenshaftung differenziert wird und der europäische Gesetzgeber durch die Aufnahme in den Normwortlaut lediglich klarstellen wollte, dass beide Haftungsarten erfasst sein sollen.40 Da die Rom II-VO, wie ihr ErwGr. 11 Satz 3 hervorhebt, auch die Gefährdungshaftung erfasst, dürfte dieser Teil des Wortlauts aber nunmehr insgesamt gegenstandslos sein. Außerdem wurde schon an anderer Stelle dargelegt, dass man die auftragslose Geschäftsführung – auch mit Blick auf die mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen – allenfalls als quasi-vertraglich, nicht aber als quasideliktisch einordnen könnte.41 Offener gestaltet sich demgegenüber bereits die französischsprachige Version des Art. 7 Nr. 2 Brüssel Ia-VO. Hier ist der besondere Gerichtsstand „en 39

S. 29. Mankowski, in: Magnus/Mankowski (eds.), ECPIL Vol. 1, 2016, Art. 7 Brussels Ibis Regulation para. 244 (the addition of quasi-delict is „another reference to, and bowing before, a certain national tradition“); G. Wagner, in: Stein/Jonas, 22. Aufl. 2011, Art. 5 Brüssel I-VO Rn. 129 („auf die quasi-delicts des französischen Rechts zugeschnittene Wendung“). 41 Vgl. S. 162 f. 40

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matière délictuelle ou quasi délictuelle“ eröffnet. Auftragslose Geschäftsführungen als „matière délictuelle“ zu qualifizieren, wäre nicht von vornherein ausgeschlossen, da „Chapitre II“ die „faits dommageables“ regelt. Der Begriff „délictuelle“ taucht nur in ErwGr. 12 Rom II-VO auf. Ein Vergleich mit der deutschen und englischen Fassung zeigt aber, dass dieser Erwägungsgrund lediglich für die „unerlaubte Handlung“ bzw. „tort/delict“ gilt, so dass die Wendungen „matière délictuelle“ und „faits dommageables“ wohl synonym verwendet wurden. Dieser Befund kann durch einen Blick auf die spanische Textfassung gestützt werden; hier findet sich keine solche begriffliche Unschärfe: Während der Deliktsgerichtsstand für „materia[s] delictual o cuasidelictual“ gilt, regeln die Art. 4 bis 9 Rom II-VO gemäß der amtlichen Überschrift des „Capítulo II“ die „hechos dañosos“; genau dieser Begriff findet sich dann auch in ErwGr. 12 Rom II-VO der spanischen Fassung. Der Begriff der „materia delictual“ könnte daher unabhängig von den Kollisionsnormen der Rom II-VO bzw. einem abweichenden Normzweck dergestalt verstanden werden, dass er auch Ansprüche aus auftragsloser Geschäftsführung erfassen kann. Blickt man aber auf die portugiesische Sprachfassung, wird ersichtlich, dass es der vorstehenden Überlegungen nicht bedarf. Denn hiernach ist der Gerichtsstand eröffnet, wenn eine „matéria extracontratual“ vorliegt. Dieser Begriff stimmt mit dem in der portugiesischen Version der Rom II-VO verwendeten Terminus für ein außervertragliches Schuldverhältnis überein.42 Damit besteht nach der portugiesischen Sprachversion die widerlegliche Vermutung, dass Art. 7 Nr. 2 Brüssel Ia-VO auch die in Art. 11 Rom II-VO gebündelten Ansprüche aus auftragsloser Geschäftsführung erfasst. Diese ist für die Auslegung auch entscheidend, weil es die am weitesten gezogene Sprachfassung ist, die die Auslegungsgrenze markiert.43 bb) Teleologische Argumente Neben diesen grammatischen Überlegungen streiten für die Qualifikation des Schuldverhältnisses aus auftragsloser Geschäftsführung als „unerlaubte Handlung“ im Sinne des Art. 7 Nr. 2 Brüssel Ia-VO vor allem die folgenden Punkte. Hinter Art. 7 Nr. 2 Brüssel Ia-VO steht insbesondere die Ratio, das Gericht mit der größtmöglichen Sach- und Beweisnähe international für zuständig zu erklären.44 Diese ist, wie eingangs gezeigt,45 auch im Rahmen der auftragslosen Geschäftsführung von hoher Relevanz, um das Vorliegen der Tatbestands42 Siehe etwa ErwGr. 11 Satz 1 Rom II-VO: „O conceito de obrigação extracontratual varia entre os Estados-Membros.“ (Hervorh. d. Verf.). 43 S. 8 ff., insb. 19 ff. 44 Siehe nur Leible in: Europ. Zivilprozess- und Kollisionsrecht, 5. Aufl. 2021, Art. 7 Brüssel Ia-VO Rn. 103; Gottwald, in: MüKo ZPO, 6. Aufl. 2022, Art. 7 Brüssel Ia-VO Rn. 46; G. Wagner, in: Stein/Jonas, 22. Aufl. 2011, Art. 5 Brüssel I-VO Rn. 119. 45 S. 286 f.

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merkmale beurteilen sowie das durch die Geschäftsführung Erlangte und die Höhe des Aufwendungsersatzes feststellen zu können. Neben der Sach- und Beweisnähe wird dem Deliktsgerichtsstand aber auch der folgende Zweck zugeschrieben: Art. 7 Nr. 2 Brüssel Ia-VO soll vor dem Hintergrund der Vorhersehbarkeit des zuständigen Gerichts auch dem Ausgleich zwischen den Zuständigkeitsinteressen des Klägers sowie denen des Beklagten dienen: Der Geschädigte ist aufgrund der Existenz des Deliktsgerichtsstands nicht nur auf den allgemeinen Gerichtsstand am Wohnsitz des Schädigers, welcher für ihn meist nicht vorhersehbar ist, verwiesen. Andererseits wird durch Art. 7 Nr. 2 Brüssel Ia-VO und die Begründung der internationalen Zuständigkeit am Ort, „an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist“, aber auch kein originärer Klägergerichtsstand geschaffen, so dass auch der Beklagte, der mit seinem schädigenden Handeln aktiv geworden ist, nur an einem für ihn vorhersehbaren Ort verklagt werden kann.46 Diese Zweckerwägung passt auch auf die (meisten47) Konstellationen auftragsloser Geschäftsführungen: Wie oben dargestellt, hat der Geschäftsführer durch sein Handeln, namentlich seine Geschäftsausführung, eine zurechenbare Beziehung zum Ort der Geschäftsübernahme geschaffen und auch für den in aller Regel passiven Geschäftsherrn ist ein Gerichtsstand zumindest am Ort der Geschäftsübernahme zumutbar, da sein Rechts- und Interessenkreis bis dorthin reicht.48 cc) Zwischenergebnis Die Geschäftsführung ohne Auftrag im Sinne von Art. 11 Rom II-VO stellt ein Schuldverhältnis im Sinne des Art. 7 Nr. 2 Brüssel Ia-VO dar. Der Wortlaut ist weit genug, um dieses, in teleologischer Hinsicht sinnvolle Auslegungsergebnis zu ermöglichen. b) Beschränkung der Kognitionsbefugnis durch die Rechtsfolge? Vor diesem Hintergrund fragt es sich nun aber, wieso die überwiegende Auffassung in der Literatur den Deliktsgerichtsstand auf Schadenersatzansprüche begrenzt.49 Dies ließe sich einzig mit Blick auf die Rechtsfolge des Art. 7 Nr. 2 Brüssel Ia-VO (Art. 5 Nr. 3 Brüssel I-VO/EuGVÜ) erklären. 46

So Leible in: Europ. Zivilprozess- und Kollisionsrecht, 5. Aufl. 2021, Art. 7 Brüssel IaVO Rn. 103. 47 Namentlich für jene Fälle, die unmittelbar über Art. 11 Abs. 3 Rom II-VO gelöst werden können, vgl. dazu S. 238 ff. 48 Zur Neutralität des Ortes der Geschäftsübernahme siehe oben S. 232 ff. 49 Im Anschluss an Dutta, IPRax 2011, 134, 137: Menden, Anwendungsbereich des deliktischen Gerichtsstands, 2019, S. 149 f.; Leible, in: Europ. Zivilprozess- und Kollisionsrecht, 5. Aufl. 2021, Art. 7 Brüssel Ia-VO Rn. 112; Looschelders, IPRax 2014, 406, 407; Mankowski, in: Magnus/Mankowski (eds.), ECPIL Vol. 1, 2016, Art. 7 Brussels Ibis Regulation para. 245. So auch Thole, in: BeckOGK, 1.8.2021, § 677 BGB Rn. 187; ders., in:

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Zuständig ist das Gericht an dem Ort, „an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist oder einzutreten droht“50. Art. 7 Nr. 2 Brüssel Ia-VO zielt also, an seiner Rechtsfolge deutlich erkennbar, auf die Eröffnung eines Gerichtsstands für Schadenshaftungen ab. Diese Schadenshaftung muss außervertraglicher Natur sein, was sich aus der zwischen Art. 7 Nr. 1 und 2 Brüssel Ia-VO (Art. 5 Nr. 1 und 3 Brüssel I-VO/EuGVÜ) notwendigen Abgrenzung erklärt. Vor diesem Hintergrund bestätigt sich die vom EuGH gefundene Definition für den Anwendungsbereich des Deliktsgerichtsstands: Es bedarf einer Schadenshaftung, die nicht an einen Vertrag oder Ansprüche aus einem Vertrag anknüpft.51 Hieraus scheinen die Vertreter der genannten Auffassung eine Beschränkung der Kognitionsbefugnis des nach dem Deliktsgerichtsstand zuständigen Gerichts auf Schadenersatzansprüche aus auftragsloser Geschäftsführung abzuleiten.52 Den Begriff des „Schadens“, der vom Normwortlaut („schädigendes Ereignis“) verlangt wird, darf man aber keinesfalls als eine Begrenzung der richterlichen Entscheidungsbefugnis auf bestimmte Anspruchsrichtungen verstehen, sondern muss ihn vielmehr als einen Hinweis auf das Schuldverhältnis aus „unerlaubter Handlung“ im Sinne dieser Norm begreifen; dieses ist der „Schaden“. Der Ort des „schädigenden Ereignisses“ ist folglich mit jenem gleichzusetzen, an dem die Handlung vorgenommen wird, die dieses Schuldverhältnis begründet.53 Das nach Art. 7 Nr. 2 Brüssel Ia-VO (Art. 5 Nr. 3 Brüssel I-VO/EuGVÜ) international zuständige Gericht ist also für sämtliche Rechtsfolgen kognitionsbefugt, die aus der „unerlaubten Handlung“ im Sinne dieser Norm folgen. Das ist auch sachlich sinnvoll, weil schlicht kein Grund ersichtlich ist, wieso nach dem begehrten Anspruchsziel unterschieden werden sollte, wenn sämtliche Ansprüche, die dem Lebenssachverhalt entspringen, letztlich auf den Ausgleich eines einzigen Interessenkonflikts abzielen. Es verwundert daher auch nicht, dass Art. 7 Nr. 2 Brüssel Ia-VO (Art. 5 Nr. 3 Brüssel I-VO/EuGVÜ) nach überwiegender Auffassung auch für „originäre“ unerlaubte Handlungen (vgl. Art. 4–9 Rom II-VO) keinesfalls auf das AnWieczorek/Schütze, 4. Aufl. 2019, Art. 7 Nr. 2 Brüssel Ia-VO Rn. 99; Späth, Gewerbliche Erbensuche, 2008, S. 260. 50 „[F]or the place where the harmful event occured or may occur“ [EN]; „du lieu où le fait dommageable s’est produit ou risque de se produire“ [FR]; „donde se haya producido o pueda producirse el hecho dañoso“ [ES]; „onde ocorreu ou poderá ocorrer o facto danoso“ [PT]. 51 So die st. Rspr., siehe etwa EuGH 13.3.2014 – C-548/12 = EuZW 2014, 383, 384 Rn. 20. Dem pflichtet die h. M. in der Literatur bei, siehe nur Leible in: Europ. Zivilprozessund Kollisionsrecht, 5. Aufl. 2021, Art. 7 Brüssel Ia-VO Rn. 109 und Nagel/Gottwald, IZPR, 8. Aufl. 2020, Rn. 3.92 sowie Thole, in Wieczorek/Schütze, 4. Aufl. 2019, Art. 7 Nr. 2 Brüssel Ia-VO Rn. 61 ff. jeweils unter Verweis auf die Rspr. 52 Ausdrücklich auf die im Text genannte EuGH-Definition verweist Dutta, IPRax 2011, 134, 137, um seine Auffassung zu begründen. 53 Näher dazu sogleich S. 298 f.

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spruchsbegehren „Schadenersatz für erlittene Rechtsgutschäden oder Vermögenseinbußen“ begrenzt ist. Am Deliktsgerichtsstand sind vielmehr beispielsweise auch Unterlassungs- und Auskunftsansprüche54 sowie Ansprüche, die auf Zahlung einer hypothetischen Lizenzgebühr oder Herausgabe des Gewinns im Falle der Verletzung gewerblicher Schutzrechte gerichtet sind,55 einklagbar. Die hier gefundene Interpretation des Art. 7 Nr. 2 Brüssel Ia-VO (Art. 5 Nr. 3 Brüssel I-VO/EuGVÜ) ist letztlich schlicht die Folge einer verordnungsspezifischen Definition des Begriffs „schädigendes Ereignis“. Es muss dafür auch nicht auf Art. 2 Abs. 1 Rom II-VO, wonach „der Begriff des Schadens sämtliche Folgen einer […] Geschäftsführung ohne Auftrag“ umfasst, rekurriert werden. Dies wäre vermutlich ohnehin nicht möglich, da es sich bei dieser Definition lediglich um einen „semantischen Kunstgriff“56 handelt, der ausschließlich dazu dienen soll, den Normtext der Rom II-VO so einfach und knapp wie möglich zu halten.57 Dieser verordnungsspezifische Zuschnitt zeigt sich nicht zuletzt auch schon am Wortlaut des Art. 2 Abs. 1 Rom II-VO selbst, der den Begriff des Schadens „im Sinne dieser Verordnung“ bestimmt. Art. 2 Abs. 1 Rom II-VO stellt also keine gemeineuropäische Schadensdefinition auf und kann daher nicht auf die übrigen Kollisionsrechtsverordnung angewendet werden. Erst recht kann diese Begriffsbestimmung keinen Einfluss auf die Ebene des IZPR haben.58 Es ist nach dem Vorstehenden also unzutreffend, die Eröffnung des Deliktsgerichtsstand für Ansprüche des Geschäftsherrn auf Herausgabe des durch die Geschäftsführung Erlangten mit dem Argument abzulehnen, dass dieser nicht auf der „Entschädigung des Verletzten“ beruhe, sondern lediglich auf die Rückgängigmachung einer eingetretenen Vermögensverschiebung abziele.59 Umgekehrt braucht es aber auch keinen Verweis auf Art. 13 Abs. 1 der Richtlinie 2004/48/EG vom 29. April 2004, wonach Gerichte im Falle der Verletzung geistigen Eigentums alternativ (lit. b)) „den Schadensersatz als Pauschalbetrag festsetzen [können], und zwar auf der Grundlage von Faktoren wie mindestens dem Betrag der Vergütung oder Gebühr, die der Verletzer hätte entrichten müssen, wenn er die Erlaubnis zur Nutzung des betreffenden Rechts des geistigen Eigentums eingeholt hätte“, um zu begründen, dass dieser An-

54 Siehe Gottwald, in: MüKo ZPO, 6. Aufl. 2022, Art. 7 Brüssel Ia-VO Rn. 49; Thole, in Wieczorek/Schütze, 4. Aufl. 2019, Art. 7 Nr. 2 Brüssel Ia-VO Rn. 64; G. Wagner, in: Stein/Jonas, 22. Aufl. 2011, Art. 5 Brüssel I-VO Rn. 135. 55 Siehe Gottwald, in: MüKo ZPO, 6. Aufl. 2022, Art. 7 Brüssel Ia-VO Rn. 48. 56 Junker, in: MüKo BGB, 8. Aufl. 2021, Art. 2 Rom II-VO Rn. 4. 57 Siehe nur J. Schmidt, in: BeckOGK, 1.12.2021, Art. 2 Rom II-VO Rn. 4 (auch mwN). 58 Eine Übertragbarkeit des Begriffs abl. auch Looschelders, IPRax 2014, 406, 407. 59 So aber Kubis, Internationale Zuständigkeit, 1999, S. 107 ff. (allgemein für Ansprüche, die auf die Zahlung einer fiktiven Lizenzgebühr gerichtet sind).

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3. Teil: Die Geschäftsführung ohne Auftrag im IZPR

spruch (selbstverständlich) ebenfalls in der Kognitionsbefugnis des nach dem Deliktsgerichtsstand zuständigen Gerichts liegt.60 c) Zur angeblichen Kausalitätsproblematik In Bezug auf die auftragslose Geschäftsführung stellt sich dann aber die Frage, ob auch die Ansprüche des Geschäftsführers gegen den Geschäftsherrn am Deliktsgerichtsstand einklagbar sein können. Denn der EuGH geht in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass eine für den „Schaden“ kausale Handlung des Anspruchsgegners vorliegen muss, um den Deliktsgerichtsstands zu eröffnen.61 Daran anknüpfend wird vertreten, dass es hieran auf Seiten des in aller Regel unwissenden und passiven Geschäftsherrn fehle. Mangels Kausalität sei der Gerichtsstand des Art. 7 Nr. 2 Brüssel Ia-VO (Art. 5 Nr. 3 Brüssel IVO/EuGVÜ) daher zumindest für die Ansprüche des Geschäftsführers gegen den Geschäftsherrn nicht eröffnet.62 Diese vom EuGH vorgenommene Restriktion erklärt sich aber mit Blick auf das oben schon dargelegte, hinter dem Deliktsgerichtsstand stehende Telos: Der besondere Gerichtsstand verfolgt – neben der Sach- und Beweisnähe – das Ziel, einen „neutralen“ Gerichtsstand für die Ansprüche aus „unerlaubter Handlung“ in diesem Sinne zu schaffen; international zuständig soll das Gericht an dem Ort sein, zu dem beide Parteien kraft des außervertraglichen Schuldverhältnisses eine besondere Beziehung aufweisen. Vor diesem Hintergrund erweist sich das Kausalitätserfordernis des EuGH als ein Schutzmechanismus, der den Schädiger davor bewahren soll, an einem für ihn mangels Zurechenbarkeit nicht vorhersehbaren Gerichtsstand verklagt zu werden. Versteht man den durch Art. 7 Nr. 2 Brüssel Ia-VO bezeichneten Ort daher richtigerweise als den der Geschäftsübernahme, ist zu erkennen, dass grundsätzlich sowohl der Geschäftsführer – durch sein Verhalten – als auch der Geschäftsherr – durch die „Belegenheit“ seines Rechtskreises – jeweils eine zurechenbare Beziehung zu diesem Ort gesetzt haben.63 d) Lokalisierung der internationalen Zuständigkeit Art. 7 Nr. 2 Brüssel Ia-VO (Art. 5 Nr. 3 Brüssel I-VO/EuGVÜ) eröffnet einen Gerichtsstand an dem Ort, „an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist 60

Mit dieser Begründung aber Dutta, IPRax 2011, 134, 137. Dutta, IPRax 2011, 134, 137; Leible in: Europ. Zivilprozess- und Kollisionsrecht, 5. Aufl. 2021, Art. 7 Brüssel Ia-VO Rn. 109; Thole, in Wieczorek/Schütze, 4. Aufl. 2019, Art. 7 Nr. 2 Brüssel Ia-VO Rn. 63; Mankowski, in: Magnus/Mankowski (eds.), ECPIL Vol. 1, 2016, Art. 7 Brussels Ibis Regulation para. 244. 62 So Menden, Anwendungsbereich des deliktischen Gerichtsstands, 2019, S. 150 und Dornis, in: Mankowski (ed.), The Brussels Ibis Regulation, 2020, p. 64, 93 et. seq.; zurückhaltender Dutta, IPRax 2011, 134, 137 („wohl“). 63 Vgl. S. 232 ff. 61

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oder einzutreten droht“. Dieses schädigende Ereignis meint – auf die auftragslose Geschäftsführung bezogen – den Eingriff in die Rechts- und Interessensphäre des Geschäftsherrn, so dass die Geschäftsübernahme hier den Bezugspunkt darstellt. Dem Geschädigten kommt nach ständiger Rechtsprechung des EuGH ein Wahlrecht zwischen Handlungs- und Erfolgsort zu: Der Erfolgsort liegt dort, wo „die schädigenden Auswirkungen des haftungsauslösenden Ereignisses zu Lasten des Betroffenen eintreten“64, während der Handlungsort an dem Ort lokalisiert wird, „von dem aus das schadenstiftende Ereignis ausgelöst wurde“65. Da für den Deliktsgerichtsstand – und hierin besteht diesbezüglich ein Unterschied zu Art. 11 Abs. 3 Rom II-VO – hinsichtlich der Ansprüche aus auftragsloser Geschäftsführung einzig die Geschäftsübernahme maßgeblich ist, dürfte schon fraglich sein, in welchen Fällen Handlungs- und Erfolgsort hier überhaupt auseinanderfallen können. Denkbar wären etwa die Fälle, in denen der Geschäftsführer (oder sein Geschäftsführungsgehilfe) die unmittelbare Einwirkung auf den Rechtskreis des Geschäftsherrn von einem anderen Ort als dem der Einwirkung anstößt oder steuert und deshalb nicht physisch vor Ort ist. Sollte eine solche Konstellation in Rede stehen, ist zu beachten, dass der Geschäftsführer durch sein Handeln sowohl zum Handlungs- als auch zum Erfolgsort eine zurechenbare Beziehung gesetzt hat und daher beide Orte für ihn vorhersehbar sind. Der Geschäftsherr hat demgegenüber zwar keine solche Beziehung zum Handlungsort. Da er in der Terminologie der EuGH-Judikate der „Geschädigte“ bzw. der „Betroffene“ ist, weil in seinen Rechtskreis eingegriffen wird, räumt Art. 7 Nr. 2 Brüssel Ia-VO ihm die Wahlbefugnis ein. Hierdurch wird er hinreichend geschützt. Sollte der Geschäftsführer seine Klage auf Art. 7 Nr. 2 Brüssel Ia-VO stützen, darf für ihn diese Wahlmöglichkeit hingegen nicht bestehen. Er ist schlicht auf den „Erfolgsort“ verwiesen. e) Zwischenergebnis Der Deliktsgerichtsstand des Art. 7 Nr. 2 Brüssel Ia-VO ist nach hier vertretener Auffassung für sämtliche Ansprüche, die aus dem der Anknüpfung nach Art. 11 Rom II-VO zugrunde liegenden Lebenssachverhalt resultieren, eröffnet. Eine Unterscheidung nach Anspruchsart oder -richtung findet nicht statt. Ausgeklammert bleiben aber jene Konstellationen, die aufgrund der obigen Erwägungen nicht unmittelbar über Art. 11 Abs. 3 Rom II-VO angeknüpft werden können.66

64 Thode, in: BeckOK ZPO, 43. Ed. 1.12.2021, Art. 7 Brüssel Ia-VO Rn. 92, der EuGH 7.3.1995 – C-68/93 = NJW 1995, 1881, 1882 Rn. 28 zitiert. 65 Gottwald, in: MüKo ZPO, 6. Aufl. 2022, Art. 7 Brüssel Ia-VO Rn. 57. 66 Dazu S. 238 f.

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3. Teil: Die Geschäftsführung ohne Auftrag im IZPR

III. Jedenfalls keine Lückenfüllung Wollte man dies anders sehen, müsste die Frage aufgeworfen werden, ob der Rechtsanwender lückenfüllend tätig werden kann, um einen ungeschriebenen besonderen Gerichtsstand am Ort der Geschäftsübernahme zu eröffnen, welcher eine einheitliche Zuständigkeit für sämtliche Ansprüche aus beiden Anspruchsrichtungen begründet.67 In sachlicher Hinsicht sprächen hierfür gute Gründe. Denn neben dem dadurch hergestellten Gleichlauf zwischen forum und ius ist die Sach- und Beweisnähe gerade für den nach herrschender Meinung in der Literatur de lege lata nur am allgemeinen Gerichtsstand einklagbaren Aufwendungsersatzanspruch des Geschäftsführers gegen den Geschäftsherrn von besonderer Relevanz.68 In rechtstechnischer Hinsicht böte es sich an, die Wertung des Art. 7 Nr. 2 Brüssel Ia-VO mittels Analogie zu übertragen, da dessen Normzweck – wie gezeigt69 – jenem bei der international-prozessrechtlichen Behandlung der auftragslosen Geschäftsführung nicht nur wegen der Sach- und Beweisnähe, sondern auch aufgrund der besonderen Beziehung, die die Parteien zu diesem Ort haben, entspricht. Allerdings ist schon fraglich, ob die besonderen Gerichtsstände des Art. 7 Brüssel Ia-VO überhaupt analogiefähig sind. Für das EuGVÜ hat der EuGH im Jahre 2000 festgestellt, dass „die Zuständigkeitsregeln, die vom allgemeinen Grundsatz des Art. 2 Abs. 1 EuGVÜ abweichen, […], keiner Auslegung zugänglich [sind], die über die in dem Übereinkommen ausdrücklich vorgesehen Fälle hinausginge“70. In einem anderen Judikat heißt es zudem: „Die von der allgemeinen Regel des Übereinkommens abweichenden Zuständigkeitsregeln […] [müssen] so ausgelegt werden, dass ein informierter, verständiger Bekl. vorhersehen kann, vor welchem anderen Gericht als dem des Staates, in dem er seinen Wohnsitz hat, er verklagt werden könnte“71. ErwGr. 15 Brüssel Ia-VO greift diese Gedanken auf und verlangt, dass die Zuständigkeitsvorschriften „in hohem Maße vorhersehbar sein“ und sich „grundsätzlich nach dem Wohnsitz des Beklagten richten“ müssen; darüberhinausgehende Zuständigkeiten seien nur „in einigen genau festgelegten Fällen, in denen aufgrund des Streitgegenstands […] ein anderes Anknüpfungskriterium gerechtfertigt ist“, vorgesehen. Die besonderen Gerichtsstände der Brüssel I(a)-VO bzw. des EuGVÜ sind daher als abschließend anzusehen. Eine Lückenfüllung wäre mithin schon mangels einer Lücke im internationalen Zuständigkeitsrecht ausgeschlossen.

67 Für einen solchen Gerichtsstand de lege ferenda macht sich Dutta, IPRax 2011, 134, 137 stark. 68 Siehe Dutta, IPRax 2011, 134, 135 und oben S. 286 f. 69 S. 294 f. 70 EuGH 13.7.2000 – C-412/98 = NJW 2000, 3121, 3122 Rn. 49 mwN. 71 EuGH 19.2.2002 – C-256/00 = NJW 2002, 1407, 1408 Rn. 26.

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Das gilt auch für jene Fälle, die nach hier vertretener Auffassung vom unmittelbaren Anwendungsbereich des Art. 11 Abs. 3 Rom II-VO ausgeschlossen sind und folglich nicht vom Deliktsgerichtsstand erfasst werden.72 Für sie scheint aber auch das dem Deliktsgerichtsstand zugrunde liegende Telos nicht vollständig zu passen – es fehlt vor allem an der Sach- und Beweisnähe.73

§ 6 Autonomes deutsches IZPR Trotz der europaweiten Vereinheitlichung der internationalen Zuständigkeitsnormen, verbleibt für das autonome deutsche Internationale Zivilprozessrecht weiterhin ein Anwendungsbereich: Es bestimmt immer dann die internationale Zuständigkeit, wenn die Regelungen der Brüssel I(a)-VO / des EuGVÜ in räumlich-persönlicher Hinsicht nicht einschlägig sind. Das ist (für die hier interessierenden Gerichtsstände) dann der Fall, wenn der Beklagte seinen Wohnsitz nicht im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats im Sinne der Verordnung hat, vgl. Art. 6 Abs. 1 Brüssel Ia-VO. Das autonome deutsche IZPR ist im Wesentlichen in den §§ 12 ff. ZPO geregelt. Obwohl diese Normen auf den ersten Blick bloß die örtliche Zuständigkeit regeln, entnimmt man ihnen zugleich die Frage nach der internationalen Zuständigkeit; man spricht von einer Doppelfunktionalität der Regelungen über die örtliche Zuständigkeit.74 A. Allgemeiner Gerichtsstand Gemäß §§ 12, 13 ZPO ist der allgemeine Gerichtsstand am Wohnsitz des jeweiligen Beklagten eröffnet. Für den allgemeinen Gerichtsstand juristischer Personen enthält § 17 ZPO eine Sonderregel. Mit Blick auf das oben Ausgeführte75 stellt sich aber auch im autonomen deutschen IZPR die Frage, ob ein besonderer Gerichtsstand am Ort der Geschäftsübernahme eröffnet ist. B. Eröffnung eines besonderen Gerichtsstands? I. Keine Eröffnung des Vertragsgerichtsstands § 29 ZPO setzt das Vorliegen von „Streitigkeiten aus einem Vertragsverhältnis“ voraus. Qualifiziert wird in diesem Zusammenhang lege fori, d. h. mit den Systembegriffen des deutschen Sachrechts.76 Unter dem Begriff „Streitigkeiten 72

Siehe S. 286 f. Zum Telos des Deliktsgerichtsstands siehe S. 294 f. 74 Siehe nur BGH 14.6. 1965 – GSZ 1/65 = BGHZ 44, 46, 47; Nagel/Gottwald, IZPR, 8. Aufl. 2020, Rn. 3.519. 75 S. 286 f. 76 Siehe nur Schack, IZVR, 8. Aufl. 2021, Rn. 313 (auch mwN). 73

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3. Teil: Die Geschäftsführung ohne Auftrag im IZPR

aus einem Vertragsverhältnis“ sind „alle schuldrechtlichen, auf eine Verpflichtung gerichteten Vereinbarungen“ zu verstehen.77 Nicht erfasst sind davon Ansprüche aus Geschäftsführung ohne Auftrag.78 Aufgrund der Qualifikation lege fori gilt dies freilich auch für jene Fälle, in denen die Geschäftsführung aus deutscher Sicht aufgrund einer Willens- bzw. Interessenübereinstimmung berechtigt ist, da das BGB die berechtigte Geschäftsführung systematisch den außervertraglichen Schuldverhältnissen zuordnet. Entsprechendes gilt, wenn der Geschäftsherr eine anfänglich unberechtigte Geschäftsführung genehmigt; wie die Regelung des § 684 Satz 2 BGB zeigt, wird aus deutscher Sicht hierdurch kein Vertragsverhältnis begründet. II. Zum Deliktsgerichtsstand Daher stellt sich die Frage, ob die Geschäftsführung ohne Auftrag oder zumindest bestimmte, aus diesem Schuldverhältnis resultierende Ansprüche dem Deliktsgerichtsstand des § 32 ZPO subsumiert werden können. Der Wortlaut, der einen Gerichtsstand für „Klagen aus unerlaubter Handlung“ eröffnet, lässt auf den ersten Blick den Schluss zu, dass hiermit lediglich für Ansprüche aus §§ 823 ff. BGB bzw. damit gleichgestellte Ansprüche erfasst sind. Eine solche Bindung an den materiell-rechtlichen Begriff wird auch heute noch vertreten.79 Hierfür ließe sich die These anführen, wonach gleichlautende Begriffe innerhalb einer Rechtsordnung grundsätzlich, d. h. vorbehaltlich eines abweichenden Normzwecks, dieselbe Bedeutung haben.80 Allerdings wird der Gerichtsstand der unerlaubten Handlung heute mehr und mehr vom materiell-rechtlichen Verständnis gelöst. Die prozessrechtliche Einbettung rechtfertigt eine abweichende Begriffsbildung.81 Man fasst unter den Begriff der unerlaubten Handlung heutzutage jeden rechtswidrigen Eingriff in fremde Rechtskreise.82 77

Zitat aus BGH 28.2.1996 – XII ZR 181/93 = NJW 1996, 1411, 1412. Siehe auch Patzina, in: MüKo ZPO, 6. Aufl. 2020, § 29 ZPO Rn. 10. 78 Ausdrücklich BGH 28.2.1996 – XII ZR 181/93 = NJW 1996, 1411, 1412. Siehe ferner Toussaint, in: BeckOK ZPO, 43. Ed. 1.12.2021, § 29 ZPO Rn. 10; Nagel/Gottwald, IZPR, 8. Aufl. 2020, Rn. 3.540; Smid/Hartmann, in: Wieczorek/Schütze, 4. Aufl. 2015, § 29 ZPO Rn. 25; Roth, in: Stein/Jonas, 23. Aufl. 2014, § 29 ZPO Rn. 6; Späth, Gewerbliche Erbensuche, 2008, S. 261. A. A. Wolf, in: Liber amoricum Lindacher, 2007, S. 201, 209 f., der die echte berechtigte Geschäftsführung ohne Auftrag aufgrund einer „natürlichen Willensübereinstimmung“ zwischen Geschäftsführer und Geschäftsherr vertraglich qualifiziert. 79 Siehe Toussaint, in: BeckOK ZPO, 43. Ed. 1.12.2021, § 32 ZPO Rn. 2 mit Verweis auf RG 20.3.1905 – VI 239/04 = RGZ 60, 300, 302. 80 Vgl. Larenz, Methodenlehre, 6. Aufl. 1991, S. 321; Bydlinski, Methodenlehre, 1982, S. 439, 441 und 448. 81 Vgl. Spickhoff, ZZP 109 (1996), 493, 509 und 511 ff. 82 Siehe Roth, in: Stein/Jonas, 23. Aufl. 2014, § 32 ZPO Rn. 18; Spickhoff, ZZP 109 (1996), 493, 511.

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Trotz dieser Ausweitung sollen Ansprüche aus (echter) Geschäftsführung ohne Auftrag aber anders als solche aus § 687 Abs. 2 BGB nicht erfasst sein.83 Das ist nicht einsichtig. Der Deliktsgerichtsstand des § 32 ZPO verfolgt dieselben Ziele wie Art. 7 Nr. 2 Brüssel Ia-VO – namentlich insbesondere die Berücksichtigung der deutlichen Sach- und Beweisnähe des erkennenden Gerichts sowie die Schaffung eines „neutralen“ Gerichtsstands, zu dem beide Parteien eine besondere Beziehung aufweisen.84 Aufgrund entsprechender Erwägungen ist ein besonderer Gerichtsstand am Ort der Geschäftsübernahme für Ansprüche aus auftragsloser Geschäftsführung wünschenswert, sofern diese auch unmittelbar über Art. 39 Abs. 1 EGBGB „interessengerecht“ angeknüpft werden können.85 Freilich ist es, zumindest in Bezug auf eine „berechtigte“ Geschäftsführung ohne Auftrag, schwer, von einem rechtswidrigen Eingriff in einen fremden Rechtskreis zu sprechen. Allerdings sollte § 32 ZPO aufgrund der eben angeführten Argumente erweiternd ausgelegt und das Erfordernis eines rechtswidrigen Eingriffs in fremde Interessenkreise aufgegeben werden. So würden sämtliche Ansprüche aus auftragsloser Geschäftsführung erfasst – und zwar ohne Rücksicht auf einen Berechtigungstatbestand. Anzeichen für die Aufgabe des Rechtswidrigkeitserfordernisses sind bereits erkennbar: Schon jetzt sollen mitunter auch rechtmäßige Eingriffe unter den Deliktsgerichtsstand fallen.86 Wenn § 32 ZPO also einen Gerichtsstand am Ort des Gerichtes, „in dessen Bezirk die Handlung begangen ist“, eröffnet, ist damit in Bezug auf Ansprüche aus auftragsloser Geschäftsführung einheitlich der Ort der Geschäftsübernahme gemeint.

§ 7 Insbesondere: Behandlung des internationalen Unterhaltsregresses A. Einführung In international-prozessrechtlicher Hinsicht spannend ist darüber hinaus die Behandlung einer speziellen, schon an anderer Stelle aufgegriffenen Fallgruppe: Oben wurde aufgezeigt, dass für die Tilgung fremder Verbind83

Roth, in: Stein/Jonas, 23. Aufl. 2014, § 29 ZPO Rn. 21; Späth, Gewerbliche Erbensuche, 2008, S. 261; siehe auch v. Hoffmann/Thorn, in: Staudinger, Neubearb. 2001, Art. 39 EGBGB Rn. 68; allgemein die Geschäftsführung ohne Auftrag ausschließend Smid/Hartmann, in: Wieczorek/Schütze, 4. Aufl. 2015, § 32 ZPO Rn. 10 a. E. 84 Roth, in: Stein/Jonas, 23. Aufl. 2014, § 32 ZPO Rn. 1 und Smid/Hartmann, in: Wieczorek/Schütze, 4. Aufl. 2015, § 32 ZPO Rn. 1; vgl. die Erwägungen zum europäischen Deliktsgerichtsstand S. 294 ff. 85 Vgl. oben S. 268. 86 Siehe Roth, in: Stein/Jonas, 23. Aufl. 2014, § 32 ZPO Rn. 20 (auch mwN); Spickhoff, ZZP 109 (1996), 493, 511 („rechtswidrigkeitslose Gefährdungshaftung“).

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3. Teil: Die Geschäftsführung ohne Auftrag im IZPR

lichkeiten, die unterhaltsrechtlicher Natur sind, auch nach Inkrafttreten der Rom II-VO weiterhin autonomes deutsches Kollisionsrecht anzuwenden ist, da Art. 1 Abs. 2 lit. a) Rom II-VO hier eine entsprechende Bereichsausnahme vorsieht.87 Auch die Brüssel Ia-VO enthält eine solche: Gemäß Art. 1 Abs. 2 lit. e) Brüssel Ia-VO ist die Verordnung nicht auf Unterhaltspflichten anzuwenden, „die auf einem Familien-, Verwandtschafts-, oder eherechtlichen Verhältnis oder auf Schwägerschaft beruhen“. Diese Bereichsausnahme findet sich aber weder in der Brüssel I-VO noch im EuGVÜ. Erklären lässt sich dies dadurch, dass diese Rechtsakte noch in ihren Art. 5 Nr. 2 jeweils einen besonderen Gerichtsstand für Unterhaltsklagen kannten. Dass diese Fälle nun von der Brüssel Ia-VO ausgenommen sind, darf als Reaktion auf die EuUntVO verstanden werden, die im Wesentlichen für seit dem 18. Juni 2011 eingeleitete Verfahren Anwendung findet88 und gemäß ihrem Art. 1 Abs. 1 für „Unterhaltspflichten [gilt], die auf einem Familien-, Verwandtschafts-, oder eherechtlichen Verhältnis oder auf Schwägerschaft beruhen.“ Von ihr erfasst werden auch Regressklagen eines privaten Dritten – und zwar unabhängig davon, ob sich dieser auf eine cessio legis oder ein anderes Rückforderungsinstitut, wie etwa eine auftragslose Geschäftsführung, stützt.89 Gleiches gilt bei der Regressklage durch eine öffentliche Einrichtung.90 B. Gerichtsstände Die EuUntVO sieht vier konkurrierende Gerichtsstände vor, von denen für die hier interessierende Fallgruppe die folgenden zwei relevant sind: Art. 3 lit. a) EuUntVO erklärt das Gericht des Ortes für zuständig, an dem der Beklagte seinen gewöhnlichen Aufenthalt91 hat; dieser Gerichtsstand ist freilich sowohl für Regressklagen von privaten Dritten als auch von öffentlichen Einrichtungen eröffnet.92 Daneben könnte aber auch der Gerichtsstand des Art. 3 lit. b) EuUntVO eröffnet sein. Hiernach ist das Gericht des Ortes zuständig, an dem die unterhaltsberechtigte Person ihren gewöhnlichen Aufenthalt hat. Anders als bei lit. a) ist für diesen die Frage, ob er auch für Regressklagen (privater) Dritter gilt, nicht unumstritten.

87

S. 165 ff. Wurmnest, in: BeckOGK, 1.12.2020, Art. 1 EuUntVO Rn. 127. 89 Wurmnest, in: BeckOGK, 1.12.2020, Art. 1 EuUntVO Rn. 104 f. (auch mwN auf die Judikatur des EuGH); so auch Lipp, in: MüKo FamFG, 3. Aufl. 2019, Art. 1 EuUntVO Rn. 53 ff. (mwN auf den rechtswissenschaftlichen Diskurs). 90 Vgl. nur EuGH 17.9.2020 – C-540/19 = NJW 2020, 3229; siehe ferner Wurmnest, in: BeckOGK, 1.12.2020, Art. 1 EuUntVO Rn. 107 ff. 91 Erwähnenswert erscheint, dass der Beklagtengerichtsstand der EuUntVO von dem der Brüssel I(a)-VO und des EuGVÜ, welche auf den Wohnsitz oder den gewöhnlichen Aufenthalt abstellen, abweicht. 92 Siehe nur Wurmnest, in: BeckOGK, 1.12.2020, Art. 3 EuUntVO Rn. 28 f. 88

§ 7 Insbesondere: Internationaler Unterhaltsregress

305

Diese Frage stellte sich auch schon unter Geltung der Art. 5 Nr. 2 Brüssel IVO/EuGVÜ und war damals Gegenstand unionsgerichtlicher Rechtsprechung: Im Jahre 2004 entschied der EuGH, dass der Gerichtsstand des Art. 5 Nr. 2 EuGVÜ nicht für Unterhaltsregressklagen einer öffentlichen Einrichtung gilt.93 Zur Begründung stellte er zunächst fest, dass Art. 5 Nr. 2 EuGVÜ als Ausnahmetatbestand zu dem durch Art. 2 EuGVÜ gewährten Beklagtenschutz besonders eng auszulegen sei.94 Ferner konstatierte er, dass Art. 5 Nr. 2 EuGVÜ dem Zweck diene, den Unterhaltsberechtigten als typischerweise schwächere Partei durch einen Gerichtsstand an seinem Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt prozessrechtlich zu begünstigen. Eine öffentliche Einrichtung befände sich nicht in einer solchen unterlegenen Position, was gleichermaßen für den Unterhaltsberechtigten gelte, da dessen finanziellen Nöte durch die Leistungen der Behörde verschwunden seien.95 Inwieweit diese Erwägungen auch auf Regressklagen privater Dritter übertragen werden konnten, war seinerzeit umstritten.96 Jedenfalls für die Klagen von jenen Dritten, die die Durchsetzung von Unterhaltsansprüchen gewerblich betreiben, dürften die die Entscheidung tragenden Gründe entsprechend gelten.97 Die übrigen Privaten werden sich demgegenüber jedoch typischerweise in einer mit dem Unterhaltsberechtigten vergleichbaren, finanziell schwächeren Situation befinden, wenn sie den Unterhalt mit eigenem, meist begrenzten Vermögen vorfinanzieren. Außerdem spricht die räumliche Nähe des Gerichts zum Unterhaltsberechtigten und die daraus folgende einfachere Möglichkeit, den Unterhaltsbedarf zu bestimmen, für eine Einbeziehung ihrer Regressklagen. Schließlich wird auf diese Weise auch der Gleichlauf zwischen forum und ius gesichert.98 Für ihre Regressklagen sollte der Gerichtsstand des Art. 5 Nr. 2 Brüssel I-VO/EuGVÜ daher eröffnet sein. Unter Geltung von Art. 3 lit. b) EuUntVO hat der EuGH ebenfalls zu der Frage Stellung genommen, ob dieser Gerichtsstand für Regressklagen öffentlicher Einrichtungen eröffnet ist. Anders als zu den Vorgängerregelungen entschied er, dass die öffentliche Einrichtung an diesem Gerichtsstand klagen könne. Zur Begründung führte der Gerichtshof zunächst an, dass Art. 3 lit. b) EuUntVO – anders als noch Art. 5 Nr. 2 Brüssel I-VO/EuGVÜ – ein im Vergleich zum Gerichtsstand des Art. 3 lit. a) EuUntVO gleichwertiger alter93

EuGH 15.1.2004 – C-433/01 = NJW 2004, 1439. EuGH 15.1.2004 – C-433/01 = NJW 2004, 1439 Rn. 25. 95 EuGH 15.1.2004 – C-433/01 = NJW 2004, 1439, 1440 Rn. 29 ff. 96 Siehe G. Wagner, in: Stein/Jonas, 22. Aufl. 2011, Art. 5 Brüssel I-VO Rn. 101 und Martiny, IPRax 2004, 195, 202 jeweils mwN. 97 Vgl. Wurmnest, in: BeckOGK, 1.12.2020, Art. 3 EuUntVO Rn. 41 (allerdings zu Art. 3 EuUntVO). Vgl. auch Martiny, IPRax 2004, 195, 203, der aber zusätzlich darauf hinweist, dass die Verordnung selbst keine solche Unterscheidung trifft. 98 Vgl. die Argumente von Wurmnest, in: BeckOGK, 1.12.2020, Art. 3 EuUntVO Rn. 41 (allerdings zu Art. 3 EuUntVO). 94

306

3. Teil: Die Geschäftsführung ohne Auftrag im IZPR

nativer Tatbestand sei, was sich schon an der Konjunktion „oder“ im Wortlaut erkennen lasse.99 Auch schreibe es der Normwortlaut nicht vor, dass das Gericht vom Unterhaltsberechtigten selbst angerufen werden muss.100 Ferner spreche für die Eröffnung dieses Gerichtsstands auch in diesen Fällen, dass die EuUntVO – neben der Herstellung einer räumlichen Nähe zwischen dem zuständigen Gericht und dem Unterhaltsberechtigten – auch auf die effektive Durchsetzung von internationalen Unterhaltsforderungen abziele.101 Gerade letzteres sei besonders dann gefährdet, wenn der Unterhaltspflichtige seinen gewöhnlichen Aufenthalt in einem Drittstaat habe; in diesem Fall müsste die öffentliche Einrichtung meist außerhalb der Europäischen Union klagen.102 Darüber hinaus würden auch die Interessen des Unterhaltspflichtigen an der Vorhersehbarkeit der anwendbaren Zuständigkeitsregeln nicht beeinträchtigt, da dieser ohnehin mit einer Klage vor den Gerichten des Art. 3 lit. a) und b) EuUntVO rechnen müsse.103 Schließlich werde mit einer Zuständigkeit am Ort des gewöhnlichen Aufenthalts des Unterhaltspflichtigen in der Regel ein Gleichlauf zwischen forum und ius hergestellt, was ebenfalls der effektiven Durchsetzung internationaler Unterhaltsforderungen zuträglich sei.104 Diese Argumente lassen sich auf Regressklagen privater Dritter übertragen. Daher sollte der Gerichtsstand des Art. 3 lit. b) EuUntVO auch in diesen Fällen eröffnet sein.105 C. Restbedeutung des autonomen deutschen IZPR Das autonome deutsche IZPR genießt für die prozessrechtliche Behandlung des internationalen Unterhaltsregresses lediglich für Altfälle, d. h. für vor dem 18. Juni 2011 eingeleitete Verfahren, Bedeutung. Denn anders als Brüssel I(a)VO/EuGVÜ ist die EuUntVO nicht darauf beschränkt, dass der Beklagte seinen Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats hat. Im Zusammenhang mit dieser speziellen Fallgruppe der auftragslosen Geschäftsführung ist zunächst der mit Wirkung vom 1. September 2009 aufgehobene § 23a ZPO von Bedeutung. Gemäß dieser Vorschrift ist für Klagen in Unterhaltssachen gegen eine Person, die im Inland keinen Gerichtsstand hat, das Gericht zuständig, bei dem der Kläger im Inland seinen allgemeinen Gerichtsstand hat. Für diesen Gerichtsstand wurde überwiegend angenommen, 99

EuGH 17.9.2020 – C-540/19 = NJW 2020, 3229, 3230 Rn. 29. EuGH 17.9.2020 – C-540/19 = NJW 2020, 3229, 3230 Rn. 31. 101 EuGH 17.9.2020 – C-540/19 = NJW 2020, 3229, 3230 Rn. 33. 102 EuGH 17.9.2020 – C-540/19 = NJW 2020, 3229, 3230 Rn. 35. 103 EuGH 17.9.2020 – C-540/19 = NJW 2020, 3229, 3231 Rn. 38. 104 EuGH 17.9.2020 – C-540/19 = NJW 2020, 3229, 3231 Rn. 43. 105 So auch Lipp, in: MüKo FamFG, 3. Aufl. 2019, Art. 3 EuUntVO Rn. 19; grundsätzlich zust. auch Wurmnest, in: BeckOGK, 1.12.2020, Art. 3 EuUntVO Rn. 40 ff. (indes zurückhaltend bei Klagen eines „Inkassozessionars“). 100

§ 7 Insbesondere: Internationaler Unterhaltsregress

307

dass er auch für den Unterhaltsregress einer Privatperson und einer öffentlichen Einrichtung gilt.106 § 23a ZPO a. F. wurde mit Wirkung vom 1. September 2009 in § 232 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 FamFG überführt, der gemäß § 105 FamFG neben der örtlichen Zuständigkeit sogleich die internationale regelt. Zwar ersetzt der gewöhnliche Aufenthalt des Unterhaltsberechtigten den allgemeinen (Wohnsitz-) Gerichtsstand in § 23a ZPO a. F.; eine (weitergehende) inhaltliche Änderung war hiermit aber nicht bezweckt, so dass auch dieser Gerichtsstand für den Unterhaltsregress einer Privatperson oder einer öffentlichen Einrichtung eröffnet sein wird.107

106

Siehe Martiny, IPRax 2004, 195, 202 f. mwN. So heißt es in BT-Drs. 16/6308, S. 255 hierzu schlicht: „Nummer 3 entspricht inhaltlich dem bisherigen § 23a ZPO.“ 107

Wesentliche Ergebnisse in Thesenform § 1 Rechtsfindung im europäischen Kollisionsrecht 1.

Für die Auslegung und Fortbildung des europäischen Kollisionsrechts ist eine autonome Rechtsfindungsmethodik zu entwickeln. Die aus dem autonomen deutschen Recht Bekannte kann nicht herangezogen werden.1 In der Einführung zu dieser Arbeit wurde darauf hingewiesen, dass bei der Rechtsfindung insbesondere die Mehrsprachenauthentizität des Unionsrechts Probleme nach sich zieht. Aus ihr folgt, dass bei der auf europäischer Ebene notwendigen Trennung zwischen Auslegung und darüberhinausgehender Rechtsfindung,2 namentlich Lückenfüllung,3 der Wortlaut der in begrifflicher Hinsicht am weitesten gezogenen Sprachfassung das maßgebliche Abgrenzungskriterium ist.4 Die Mehrsprachenauthentizität macht es daneben erforderlich, im Rahmen der grammatischen Auslegung jede Sprachfassung einzeln zu fokussieren,5 sofern keine Legaldefinition vorhanden ist oder der Begriff in einem anderen, mit dem in Rede stehenden zusammenhängenden Bereich des Unionsrechts eine spezifische Bedeutung erlangt hat.6 Die Textversionen sind vorrangig daraufhin zu überprüfen, ob der Unionsgesetzgeber einen (wissenschaftlichen oder [bestehenden] juristischen) Fachterminus verwendet hat. Erst subsidiär ist ein (neuer) juristischer Fachbegriff aus den Bedeutungsvarianten der Alltagssprache heraus zu bilden.7 Sollte eine Sprachfassung mehrere Mitgliedstaaten repräsentieren, weil mehrere Mitgliedstaaten diese Sprache als (eine der) Amtssprache(n) führen und ihre Rechtstexte zumindest auch in dieser verbindlich abfassen, ist sie entsprechend hypothetisch aufzuspalten. So muss etwa die deutschsprachige Version sowohl aus deutscher als auch aus österreichischer Perspektive analysiert werden.8

2.

3.

1

S. 6 f. S. 8 ff. 3 S. 46 ff. 4 S. 13 ff. 5 Vgl. insb. S. 30 f. 6 S. 29. 7 S. 31 ff. 8 S. 32 f. 2

310 4.

Wesentliche Ergebnisse in Thesenform

Das Problem der Mehrsprachigkeit des Unionsrechts stellt sich auch bei der genetischen Auslegung. Es kann vorkommen, dass die Materialien der Unionsorgane in mehreren Sprachen veröffentlicht werden. Dann sind diese grundsätzlich gleichermaßen beachtlich. Etwas anderes gilt indes dann, wenn mit hinreichender Sicherheit bestimmt werden kann, dass eine Sprachfassung der im Zuge der Dokumentenerstellung verwendeten Arbeitssprache des Unionsorgans entspricht.9 Die Analyse des genetischen Materials ist aufgrund des hier vertretenen Auslegungsziels von besonderer Relevanz. Der Rechtsanwender ist primär an den Willen des historischen Gesetzgebers gebunden und kann nur, wenn ein solcher nicht feststellbar oder nicht mehr aktuell ist, die Norm mittels teleologischer Auslegung am „inneren System“ der Rechtsordnung ausrichten.10 Außerdem wurde die Frage aufgeworfen, inwieweit die mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen auf das (sekundäre) Unionsrecht Einfluss nehmen können. Rechtsmethodisch gelingt dies über Art. 340 Abs. 2 AEUV, der als Einfallstor für mittels wertender Rechtsvergleichung aus den mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen gewonnene Wertungen dient. Dabei gilt, dass eine Wertung dann Teil des Unionsrechts wird, wenn sie in einer Mehrzahl von ihnen vorhanden ist und keine andere ihr ausdrücklich widerspricht. Dann kann von einem „mitgliedstaatlichen Kompromiss an Werten“ gesprochen werden.11

5.

6.

§ 2 Zum teleologischen Kriterium und der Auslegung anhand des „inneren Systems“ 1.

Jede Norm des (Internationalen) Privatrechts stellt den Ausgleich eines Interessenkonflikts der jeweiligen Normadressaten dar. Die von der Norm gewählte Art und Weise des Ausgleichs wird Regelungszweck genannt.12 Dieser ist Ziel jeder Auslegung. Bestenfalls findet sich eine diesbezügliche ausdrückliche Anordnung des jeweiligen historischen Gesetzgebers. Ist dies nicht der Fall, kommt der beigemessene Regelungszweck nur unvollkommen zum Ausdruck oder ist dieser nicht mehr „aktuell“, ist es Aufgabe des Rechtsanwenders, den Normzweck zu bestimmen.13

9

S. 44. S. 23 ff. 11 S. 58 f. und 87 f. 12 S. 75 ff. 13 Siehe nur S. 60. 10

Wesentliche Ergebnisse in Thesenform

2.

311

Dies geschieht durch die Ausrichtung der Norm am „inneren System“ einer Rechtsordnung.14 Hinter diesem kurzen Satz versteckt sich eine nicht unbedeutende Evolution der hinter dem (deutschen) Zivilrechtssystem stehenden Rechtstheorie von der Interessen- hin zur Wertungsjurisprudenz.15 Die insbesondere von Kegel auf das IPR übertragene Interessenjurisprudenz diente wie ihr materiell-rechtliches Pendant vor allem der Absicherung des bestehenden Kollisionsrechtssystem. So vermochte sie zwar festzustellen, welches Interesse sich bei der Bildung einer Kollisionsnorm durchgesetzt hat, war aber außerstande zu erklären, wie sich die Normbildung vollzieht. Es fehlte an Kriterien für die Abwägung und Bewertung der verschiedenen konfligierenden Interessen; der Interessenbegriff wurde weit gefasst, der Gesetzgebungsvorgang als mechanisch angesehen.16 Diese Kritikpunkte werden weitgehend durch die Evolution hin zu einer wertungsjuristischen Erfassung des IPR ausgemerzt. Ihr ist es zu verdanken, dass der Begriff des Interesses eng gefasst wird und damit nur noch die menschlichen Begehrungsvorstellungen der (potentiellen) Normadressaten umschließt. Dadurch wird deutlicher zwischen der Interessen- und Wertungsebene getrennt.17 In Bezug auf das Kollisionsrecht wurde aufgezeigt, dass hinter jeder Kollisionsnorm, die auf die (objektive) Zuweisung einer Rechtsordnung zum Anknüpfungsgegenstand abzielt, kollisionsrechtliche Interessen stehen. Das sind solche privaten Begehrensvorstellungen, die auf die Anwendung einer Rechtsordnung als solcher gerichtet ist. Materiell-rechtliche Interessen sind in diesem Rahmen nicht berücksichtigungsfähig.18 Diese Interessen werden sowohl bei der Normbildung vom Gesetzgeber als auch bei der Normanwendung vom Rechtsanwender, soweit nötig, gegeneinander abgewogen und anhand von aus dem geschriebenen Recht fließenden Wertmaßstäben bewertet.19 Als Wertquelle stehen auf europäischer und autonomer deutscher Ebene die jeweilige Verfassung und das jeweilige (Internationale sowie materielle) Privatrecht zur Verfügung.20 Das IPR ist insofern begünstigt, als dass es sich stets an den Wertungen orientieren kann, die in jenen materiell-rechtlichen Normen zum Ausdruck kommen, die die entsprechende Kollisionsnorm in ihrem Tatbestand „bündelt“.21 Anders als vereinzelt zu bedenken gegeben, widerspricht diese offene Ausrichtung nicht dem Prinzip der engsten Verbindung. Sie ist sogar

3.

4.

5.

6.

7.

14

Siehe nur S. 60 f. S. 68 ff. 16 S. 70 ff. 17 S. 75 ff. 18 S. 78 ff. 19 S. 76 ff. 20 S. 82 ff. 21 Vgl. S. 86. 15

312

Wesentliche Ergebnisse in Thesenform

wünschenswert, weil sie bei der Identifikation des vorzugswürdigen Anknüpfungspunkts hilft und damit für Rechtssicherheit sorgt.22 Soweit sich an materiell-rechtlichen Wertungen orientiert wird, ist aber zu beachten, dass diese aufgrund der Abstraktheit des IPR übersetzt werden müssen. Es geht nicht um die Erzielung eines materiell-rechtlich gewünschten Ergebnisses, sondern nur um die „gerechte“ Auswahl der anzuwendenden Rechtsordnung.23 Während der Rechtsanwender aus (unions-) verfassungsrechtlichen Gründen dazu gezwungen ist, die fragliche Norm so nah wie möglich an den materiell-rechtlichen Wertungen zu orientieren, ist der Gesetzgeber nicht zwingend hieran gebunden. Ihm kommt bei der Kollisionsrechtsgestaltung ein erheblicher rechtspolitischer Spielraum zu, so dass es ihm etwa freisteht, abstrakte Wertungen auf eine völlig neue Weise zu konkretisieren.24

8.

9.

§ 3 Art. 11 Rom II-VO 1.

Der Anknüpfungsgegenstand des Art. 11 Rom II-VO entspricht dem Anwendungsbereich der §§ 677–686 BGB: Er bündelt jene Ansprüche, die sich ergeben, wenn eine Person in rechtsgeschäftlicher oder tatsächlicher Art (aktiv) in den Rechts- und Interessenkreis eines Dritten eingreift, dabei zumindest auch Fremdbegünstigungswillen aufweist und nicht aufgrund einer eigenen vertraglichen oder gesetzlichen Pflicht handelt.25 a) Das Vorliegen eines solchen Eingriffs ist vorrangig aus objektiver Perspektive zu bestimmen, kann aber bei objektiver Uneindeutigkeit aus dem Willen dieser Person zur Wahrnehmung bzw. Förderung fremder Interessen geschlossen werden. Ein solcher Fremdgeschäftsführungswille ist auch bei objektiv fremden Geschäften notwendig. Die Person des Geschäftsherrn muss im Zeitpunkt der Geschäftsführung nicht bekannt sein, ein abstrakter Fremdgeschäftsführungswille genügt. Sowohl in objektiver als auch in subjektiver Hinsicht ist es unerheblich, ob das Geschäft zugleich in den eigenen Rechts- und Interessenkreis dieser Person fällt, solange sich die Wahrnehmung der Fremdinteressen nicht bloß als Reflex bzw. als mittelbarer Vorteil darstellt. Für die Feststellung des Vorliegens eines Fremdgeschäftsführungswillens ist allein der Tatsachenvortrag des Klägers maßgeblich. b) Der Geschäftsführer darf schließlich nicht aufgrund einer vertraglichen oder gesetzlichen Pflicht tätig werden. Die Befolgung bloß 22

Siehe S. 89 ff. S. 88 f. 24 S. 92 f. 25 S. 152 f. 23

Wesentliche Ergebnisse in Thesenform

313

abstrakter Pflichten ist indes unerheblich. Die Frage nach einer bestehenden Verpflichtung zur Wahrnehmung der fremden Interessen ist als (kollisionsrechtliche) Vorfrage selbstständig anzuknüpfen. c) Für den Anknüpfungsgegenstand des Art. 11 Abs. 3 Rom II-VO gilt indes eine Besonderheit: Da die Anknüpfung nach dieser Regelkollisionsnorm in bestimmten Fällen versagt, ist ihr Anknüpfungsgegenstand dahingehend teleologisch zu reduzieren, dass diese Konstellationen nicht erfasst werden. Sie werden mittels ungeschriebener europäisch-autonomer Kollisionsnorm angeknüpft (siehe auch unten § 3 7. lit. c. ff.). Bestimmte Fallgruppen oder Konstellationen sind vom Anwendungsbereich der Rom II-VO allgemein und daher von einer Anknüpfung nach Art. 11 Rom II-VO speziell ausgenommen. a) In Abgrenzung zu den vertraglichen Schuldverhältnissen ist lediglich Art. 12 Abs. 1 lit. e) Rom II-VO zu beachten. Hiernach sind Ansprüche aus auftragsloser Geschäftsführung dann vertraglich zu qualifizieren, wenn sie materiell-rechtlich als Ausgleichmechanismus für auf der Grundlage nichtiger Verträge erbrachter Leistungen dienen.26 Die übrigen Konstellationen, insbesondere jene, in denen eine „natürliche“ Willensübereinstimmung zwischen Geschäftsherr und Geschäftsführer vorliegt oder in denen der Geschäftsherr nachträglich sein Einverständnis mit der Geschäftsführung signalisiert, sind allesamt außervertraglich zu qualifizieren und unterstehen folglich Art. 11 Rom II-VO.27 b) Auftragslose Geschäftsführungen mit der Beteiligung von Hoheitsträgern sind nur dann vom Anwendungsbereich der Verordnung ausgenommen, wenn die Geschäftsführung öffentliche Zwecke erfüllt und in Ausübung hoheitlicher Rechte erfolgt.28 c) Mit Blick auf den Katalog der Bereichsausnahmen, Art. 1 Abs. 2 Rom II-VO, ist festzuhalten, dass viele dieser Tatbestände – anders als weitgehend angenommen wird – nicht bloß deklaratorische Bedeutung haben. Sie schließen solche Konstellationen, die per se als Geschäftsführungen ohne Auftrag zu qualifizieren wären, aus dem Anwendungsbereich der Verordnung aus, in denen das geführte Geschäft einem der Regelungsgebiete des Art. 1 Abs. 2 Rom II-VO zuzuordnen ist. Prominent in diese Kategorie gehören die Fälle der Tilgung einer fremden Unterhaltsschuld.29

2.

26

S. 164. S. 155 ff. 28 S. 164 f. 29 S. 165 ff. 27

314 3.

Wesentliche Ergebnisse in Thesenform

Bezüglich der Reichweite des Statuts ist zu konstatieren, dass dieses die Ansprüche des Geschäftsführers gegen den Geschäftsherrn erfasst und umgekehrt.30 Unerheblich ist ferner die Art des geltend gemachten Anspruchs. Dies gilt auch für Ansprüche auf Schadenersatz; sie sind von Art. 11 Rom II-VO erfasst und unterstehen nicht dem Deliktsstatut. Außerdem beschränkt sich die Reichweite des GoA-Statuts nicht nur auf originäre Schadenersatzansprüche aus auftragsloser Geschäftsführung, sondern schließt auch in sachrechtlicher Hinsicht konkurrierende Ansprüche aus unerlaubter Handlung in seine Verweisung ein, sofern die nach Art. 11 Rom II-VO anzuwendende Rechtsordnung solche vorsieht. Das ist schlicht die Folge funktionell-einheitlicher Qualifikation. Gewährt das anzuwendende Recht hingegen zugleich Ansprüche aus unerlaubter Handlung, begreift diese materiell-rechtlich aber nicht als einen solchen Ausgleich, sind diese Ansprüche nicht von der Verweisung des Art. 11 Rom II-VO erfasst; vielmehr kann in diesem Fall zusätzlich über die Deliktskollisionsregeln angeknüpft werden. Sollte das hiernach anzuwendende Recht keine deliktischen Ansprüche gewähren, weil sie etwa gegenüber den Sonderregeln der auftragslosen Geschäftsführung subsidiär sind, läuft die Verweisung aber ins Leere. Keine solche Statutenkonkurrenz zwischen Art. 11 und 4 (ff.) Rom II-VO liegt auch dann vor, wenn das nach Art. 11 Rom II-VO anwendbare Recht deliktische Ansprüche aufgrund des Vorliegens der Sonderverbindung aus auftragsloser Geschäftsführung ausschließt.31 Art. 11 Abs. 1 Rom II-VO knüpft akzessorisch an ein zwischen den Parteien des Schuldverhältnisses aus auftragsloser Geschäftsführung32 bestehendes Rechtsverhältnis an. Es ist unerheblich, ob das Rechtsverhältnis innerhalb oder außerhalb des Anwendungsbereichs der Rom II-VO liegt.33 Entscheidend ist aufgrund der gewählten Anknüpfungstechnik letztlich, dass für das Rechtsverhältnis eine Kollisionsnorm existiert; an rein tatsächliche Verhältnisse kann daher nicht angeknüpft werden.34 Es muss ein aus kollisionsrechtlicher Sicht bestehendes Rechtsverhältnis vorliegen; die Anknüpfung an hypothetische Vertragsstatute kann nicht überzeugen.35 Es genügt, wenn dieses Rechtsverhältnis auch gleichzeitig mit jenem aus auftragsloser Geschäftsführung entsteht; dies ist aber ohnehin nur dann relevant, wenn man die hier vertretene funktionell-einheitliche Qualifikation von materiell miteinander konkurrierenden Ansprüchen aus auftragsloser Geschäftsführung und Delikt ablehnt.36

4.

30

S. 171 f. S. 172 ff. 32 S. 196 ff. 33 S. 192 ff. 34 S. 191 f. 35 S. 195 f. 36 S. 199 f. 31

Wesentliche Ergebnisse in Thesenform

5.

315

Mit der Anknüpfung von Art. 11 Abs. 1 Rom II-VO verfolgt der europäische Gesetzgeber das Ziel der materiellen Harmonie: Zum einen sollten auf diese Weise Qualifikationsschwierigkeiten aus dem Weg gegangen werden, zum anderen zielt die Regelung darauf ab, die Beantwortung komplizierter (kollisionsrechtlicher) Vorfragen zu vermeiden. Während das erstgenannte Regelungsziel aufgrund der vorzunehmenden funktionelleinheitlichen Qualifikation hinfällig ist, kann der zweite Normzweck die Kollisionsrechtsanwendung bei wertungsmäßig ohnehin als einheitlich zu betrachtenden Sachverhalten vereinfachen.37 An diesem Telos orientiert sich auch die Beantwortung der Frage, wann eine „enge Verbindung“ im Normsinne vorliegt. Dies ist eine Wertungsfrage des jeweiligen Einzelfalls. Liegen mehrere gleich enge Verbindungen vor, verweisen aber alle auf dieselbe Rechtsordnung, kann nach Art. 11 Abs. 1 Rom II-VO hieran angeknüpft werden.38 Nach Art. 11 Abs. 2 Rom II-VO ist subsidiär das Recht des Staates maßgeblich, in dem die Parteien des Schuldverhältnisses aus Geschäftsführung ohne Auftrag ihren gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt haben. Diese Anknüpfung ist als starre Kollisionsregel ausgestaltet, so dass ein gemeinsamer gewöhnlicher Aufenthalt stets beachtet werden muss.39 Der hierfür maßgebliche Zeitpunkt ist einheitlich der Ort der Geschäftsübernahme. Eine Unterscheidung nach Entstehung der verschiedenen, aus Geschäftsführung ohne Auftrag resultierenden Ansprüche ist nicht angezeigt.40 Der in Art. 11 Abs. 3 Rom II-VO enthaltenen Anknüpfung an den Vornahmeort liegt ein geschäftsführungsspezifischer Fokus zugrunde. Die Kollisionsregel fokussiert die durch den Geschäftsführer erfolgende fremdnützige Interessenwahrnehmung. a) Sie verweist auf den Ort, an dem die Handlungen des Geschäftsführers bzw. das ihm zuzurechnende Tätigwerden Dritter auf den Rechtsbzw. Interessenkreis des Geschäftsherrn treffen. Davon scharf abzugrenzen sind bloße Vorbereitungshandlungen, die für die kollisionsrechtliche Behandlung außer Betracht zu bleiben haben.41 b) Der so bestimmte Vornahmeort ist dann weiter zu konkretisieren, wenn die Geschäftsführungsakte in mehreren Staatsgebieten lokalisiert werden können. In diesen Fällen ist der Ort des Geschäftsbeginns, also der Ort der Geschäftsübernahme, maßgeblich. Als (grundsätzlich) neutraler, vom Geschäftsführer nicht veränderlicher Anknüpfungspunkt setzt er sich gegenüber einer Anknüpfung an den Ort

6.

7.

37

S. 189 ff. S. 200 ff. 39 S. 202 f. 40 S. 203 ff. 41 S. 218 ff. 38

316

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der Geschäftsführungsbeendigung durch. Auch eine Schwerpunktbetrachtung kann nicht überzeugen. Eine Mosaikbetrachtung ist ebenfalls nicht angezeigt.42 c) Die Anknüpfung an den Vornahmeort nach Art. 11 Abs. 3 Rom II-VO versagt allerdings in solchen Fällen, in denen die Geschäftsübernahme nicht unmittelbar mit einem Eingriff des Geschäftsführers in Rechtsgüter oder bestehende Verbindlichkeiten des Geschäftsherrn zusammenfällt. Entsprechendes gilt bei verschiedenen Einzelgeschäftsführungen, die wie etwa die auftragslose Verwaltung fremden Vermögens aufgrund eines Wertungszusammenhangs als Einheitliche behandelt werden.43 d) Jene Fälle stehen aufgrund einer vorzunehmenden teleologischen Reduktion außerhalb des Anwendungsbereichs von Art. 11 Abs. 3 Rom II-VO.44 Diese öffnet den Weg zu einer verordnungsinternen Lückenfüllung, welche von der hinter Art. 11 Abs. 3 Rom II-VO stehenden Wertung geleitet wird: Es ist an den Ort anzuknüpfen, an dem das vom Geschäftsführer wahrgenommene Geschäftsherrninteresse belegen ist.45 e) Eine Hilfestellung zu dessen Lokalisierung bietet der von Manfred Wandt im Jahre 1989 für das autonome deutsche IPR erarbeitete Gesetzesvorschlag: Bezieht sich die auftragslose Geschäftsführung auf die Person des Geschäftsherrn oder eine ihm gehörende Sache, ist das Recht des Staates maßgeblich, in dem sich der Geschäftsherr oder seine Sache im Zeitpunkt der Geschäftsübernahme befand. Bezieht sie sich demgegenüber auf eine Verpflichtung oder ein Recht des Geschäftsherrn, gilt das Recht, das die Verpflichtung oder das Recht beherrscht. Hilfsweise ist an den gewöhnlichen Aufenthalt des Geschäftsherrn anzuknüpfen.46 f) Dieser Lösung ist indes noch eine Anknüpfung hinzuzufügen, wonach solche Geschäftsführungen, die sich auf Sachgesamtheiten beziehen, an den (Schwerpunkts-) Belegenheitsort dieser Sachgesamtheiten im Zeitpunkt der Geschäftsübernahme anzuknüpfen sind. Deshalb ist im Falle der internationalen Erbensuche, die in der Rechtswissenschaft vergleichsweise intensiv diskutiert wird, an den Ort anzuknüpfen, an dem der Nachlass belegen ist; hilfsweise ist die Rechtsordnung anzuwenden, in der dessen wirtschaftlicher Schwerpunkt lokalisiert werden kann.47 42

S. 222 ff. S. 232 ff. 44 S. 238 ff. 45 S. 242 ff. 46 S. 244 ff. 47 S. 248 ff. 43

Wesentliche Ergebnisse in Thesenform

8.

317

Die Funktion der in Art. 11 Abs. 4 Rom II-VO enthaltenen Ausweichklausel und ihr Verhältnis zur Rechtsfortbildung bzw. Lückenfüllung ist bis heute nicht zufriedenstellend geklärt. Sie ist primär ein Instrument zur Herstellung der Einzelfallgerechtigkeit, es ist demgegenüber aber nicht ausgeschlossen, aus mehreren gleichgelagerten Einzelfällen auf eine abstrakt-generelle Regel zu schließen. Nach hier vertretener Auffassung ist sie eine Ermächtigung des jeweiligen Gesetzgebers an den Rechtsanwender, ausnahmsweise von einer bewusst getroffenen Wertentscheidung abzuweichen, sofern ihre (engen) Voraussetzungen erfüllt sind. Ihrer Anwendung ist aber die Frage vorgeschaltet, wie eine Regelkollisionsnorm auszulegen und ob diese eventuell teleologisch zu reduzieren ist, weil etwa in bestimmten Fallgruppen das vom Gesetzgeber mit der Wahl des Anknüpfungspunktes verfolgte Ziel (versehentlich) nicht verwirklicht werden kann.48 Die in der Literatur diskutierten Anwendungsfälle für Art. 11 Abs. 4 Rom II-VO können aber jedenfalls schon inhaltlich nicht überzeugen: Die Fälle der Tilgung einer fremden Verbindlichkeit können nicht akzessorisch an das Statut der Hauptschuld angeknüpft werden. Auch eine Privilegierung der typischerweise unterlegenen Partei in einer „Unternehmer-Verbraucher-Geschäftsführung“ kann – unabhängig davon, welchen Weg man für eine solche Besserstellung wählen wollte – im Ergebnis nicht überzeugen.49

§ 4 Art. 39 EGBGB 1.

Die autonome deutsche Kollisionsnorm, Art. 39 EGBGB, hat heute nur noch einen kleinen Anwendungsbereich. Dieser wird sich im Wesentlichen auf die in den Katalog des Art. 1 Abs. 2 Rom II-VO fallenden Konstellationen, insbesondere die Tilgung einer fremden Unterhaltsschuld, beschränken.50 Der Anknüpfungsgegenstand der Kollisionsnorm entspricht dem von Art. 11 Rom II-VO.51 Eine Ausnahme gilt aber ebenfalls für die in Art. 39 Abs. 2 EGBGB enthaltene Regelkollisionsnorm, in der an den Vornahmeort angeknüpft wird (siehe unten § 4 4.). Bezüglich der Statutreichweite gilt ebenfalls Entsprechendes.52 Der Regelanknüpfung des Art. 39 Abs. 1 EGBGB liegt wie Art. 11 Abs. 3 Rom II-VO ein geschäftsführungsspezifischer Fokus zugrunde. Aus die-

2.

3. 4.

48

Siehe S. 239 ff. S. 252 ff. 50 S. 257 ff. 51 S. 261 f. 52 S. 263 f. 49

318

Wesentliche Ergebnisse in Thesenform

sem Grund entsprechen sich die für diese Kollisionsregel diskutierten Probleme und die für sie gewonnenen Erkenntnisse.53 Anders als Art. 11 Rom II-VO knüpft Art. 39 Abs. 2 EGBGB die Fallgruppe der Tilgung fremder Verbindlichkeiten akzessorisch an das Statut der Hauptschuld. Dies gilt auch dann, wenn der Geschäftsführer dem Gläubiger gegenüber selbst zur Leistung verpflichtet war. War er hingegen seinem Geschäftsherrn gegenüber (wirksam oder unwirksam) zur Leistung verpflichtet, unterliegen die Ausgleichsansprüche dem auf diese Verpflichtung anwendbaren Recht.54 Die Anwendung der Ausweichklausel des Art. 41 EGBGB bereitet nur wenige Probleme. Anders als bei Art. 11 Abs. 1 und 2 Rom II-VO sind die Anknüpfungen in Art. 41 Abs. 2 Nr. 1 und 2 EGBGB aber nicht als Regelanknüpfungen ausgestaltet; ihre Anwendung wird in das richterliche Ermessen gestellt.55 Ein Renvoi ist bei Anwendung der Art. 39, 41 EGBGB grundsätzlich zu beachten, vgl. Art. 4 Abs. 1 Satz 1 EGBGB. Dies gilt indes nicht für die Anknüpfung nach Art. 39 Abs. 2 oder 41 Abs. 2 Nr. 1 EGBGB, da die Beachtung einer Rück- oder Weiterverweisung dem Sinn der Verweisung widerspräche, Art. 4 Abs. 1 Satz 1 Hs. 2 EGBGB; ein Renvoi kann aber gegebenenfalls bei dem „führenden“ Statut zulässig sein; dem wäre dann zu folgen. Eine Rück- oder Weiterverweisung ist schließlich in den Fällen des Art. 39 Abs. 1, 41 Abs. 1 und 41 Abs. 2 Nr. 2 EGBGB zu beachten.56

5.

6.

7.

§ 5 Europäisches IZPR 1.

Neben der Eröffnung des allgemeinen Gerichtsstands wäre es wünschenswert, für die auch von Art. 11 Rom II-VO unmittelbar erfassten Konstellationen das Gericht am Ort der Geschäftsübernahme für international zuständig zu erklären.57 Mithilfe des Vertragsgerichtsstands lässt sich eine solche Zuständigkeit indes nicht begründen; Ansprüche aus auftragsloser Geschäftsführung sind nicht vertraglich zu qualifizieren. Das gilt auch dann, wenn der Geschäftsherr die Geschäftsführung genehmigt oder eine „natürliche“ Willensübereinstimmung zwischen den Parteien der auftragslosen Geschäftsführung vorliegt.58 Wollte man dies anders sehen, erschiene – auf europäischer

2.

53

S. 264 ff. S. 272 ff. 55 S. 275 ff. 56 S. 280 ff. 57 S. 286 f. 58 S. 155 ff. 54

Wesentliche Ergebnisse in Thesenform

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Ebene – der Dienstleistungsgerichtsstand mit seiner Rechtsfolge am ehesten geeignet, den gewünschten Gerichtsstand zu begründen. Allerdings würde dieser nicht auf den Ort der Geschäftsübernahme, sondern den der Geschäftsführung verweisen, was zu Problemen bei sukzessiv erfolgenden Geschäftsführungen führte. Letztlich ergeben sich aber schon bei der Auslegung des Tatbestandes der zuständigkeitsbegründenden Norm Schwierigkeiten, weil der EuGH für die Eröffnung dieses Gerichtsstands die entgeltliche Tätigkeit einer gewerblich oder freiberuflich tätigen Person fordert. Dies wäre wohl nur erfüllt, wenn die Geschäftsführung in den gewerblichen oder beruflichen Bereich des Geschäftsführers fiele und die anwendbare Rechtsordnung ihm für sein Tätigwerden einen originären Vergütungsanspruch zubilligte.59 Für die übrigen Fälle müsste auf den allgemeinen Vertragsgerichtsstand rekurriert werden. Dies wäre unbefriedigend, da für jede Pflicht gesondert an ihren Erfüllungsort anzuknüpfen wäre. Für das Schuldverhältnis aus auftragsloser Geschäftsführung bedeutete dies, dass nur dann ein einheitlicher Gerichtsstand am Ort der Geschäftsführung eröffnet wäre, wenn der Geschäftsherr den Rechtsstreit beginnt und vom Geschäftsführer Schadenersatz wegen der Verletzung einer geschäftsführungsspezifischen Pflicht fordert. Nur in dieser speziellen Konstellation könnte der Geschäftsführer seine Ansprüche über den Gerichtsstand der Widerklage vor diesem Gericht geltend machen. Es bliebe freilich das Problem, dass der Ort der Geschäftsführung nicht zwingend mit dem Ort der Geschäftsübernahme identisch sein muss.60 Für (sämtliche) Ansprüche aus auftragsloser Geschäftsführung ist allerdings der Deliktsgerichtsstand eröffnet, sofern auch Art. 11 Rom II-VO unmittelbar anwendbar ist.61 Dieser begründet eine einheitliche internationale Zuständigkeit an dem Gericht des Ortes der Geschäftsübernahme. Sollten Konstellationen auftreten, in der bezüglich der Geschäftsübernahme Handlungs- und Erfolgsort auseinanderfallen, ist dem Geschäftsherrn ein Wahlrecht zwischen beiden einzuräumen, während der Geschäftsführer selbst nur am Erfolgsort klagen kann.62 Wollte man den Deliktsgerichtsstand als nicht eröffnet ansehen, bliebe allenfalls eine Lückenfüllung, um einen Gerichtsstand am Ort der Geschäftsübernahme zu begründen. Eine solche wäre aber ausgeschlossen. Dies gilt gleichfalls für jene Fälle, für die der Deliktsgerichtsstand auch nach hier vertretener Auffassung nicht eröffnet ist.63

3.

4.

59

S. 288 ff. S. 290 f. 61 S. 291 ff. 62 S. 298 f. 63 S. 300 f. 60

320

Wesentliche Ergebnisse in Thesenform

§ 6 Autonomes deutsches IZPR 1.

Auch im autonomen deutschen IZPR wäre es aus denselben Erwägungen wie auf europäischer Ebene wünschenswert, neben dem allgemeinen Gerichtsstand, eine internationale Zuständigkeit am Ort der Geschäftsübernahme zu begründen.64 Der Vertragsgerichtsstand steht indes auch hier nicht zur Verfügung, da Ansprüche aus auftragsloser Geschäftsführung nach autonomer deutscher Qualifikation als außervertraglich einzuordnen sind.65 Diese Ansprüche sind aber auch im autonomen deutschen IZPR als deliktisch zu qualifizieren, so dass sie einheitlich am Deliktsgerichtsstand geltend gemacht werden können. Dieser erklärt das Gericht am Ort der Geschäftsübernahme für international zuständig. Das gilt indes nicht für jene Fälle, die nicht unmittelbar über Art. 39 Abs. 1 EGBGB gelöst werden können.66

2.

3.

§ 7 Insbesondere: Behandlung des internationalen Unterhaltsregresses Die international-prozessrechtliche Behandlung des grenzüberschreitenden Unterhaltsregress hängt davon ab, ob Brüssel I-VO/EuGVÜ oder die EuUntVO zeitlich Anwendung finden. Eine (besondere) Zuständigkeit für bis zum 17. Juni 2011 eingeleitete Verfahren kann auf Art. 5 Nr. 2 Brüssel I-VO/EuGVÜ gestützt werden, während ab dem 18. Juni 2011 die Zuständigkeiten der EuUntVO maßgeblich sind.67 Der besondere Gerichtsstand des Art. 5 Nr. 2 Brüssel I-VO/EuGVÜ ist am Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt des Unterhaltsberechtigten eröffnet. Allerdings gilt diese Zuständigkeit nach der Rechtsprechung des EuGH nicht für Regressklagen einer öffentlichen Einrichtung. Die Begründung dieser Entscheidung lässt sich auf die Regressklagen solcher Privater übertragen, die die Durchsetzung von Unterhaltsansprüchen gewerblich betreiben; für sie bleibt dieser Gerichtsstand ebenfalls verschlossen. Für nicht gewerblich tätige Private gilt das allerdings nicht. Unter Geltung der EuUntVO findet sich auch eine solche Bestimmung, die aber nunmehr für sämtliche Regressklagen eine internationale Zuständigkeit am gewöhnlichen Aufenthalt des Unterhaltsberechtigten begründet.68

1.

2.

64

S. 301. S. 301 f. 66 S. 302 ff. 67 S. 303 f. 68 S. 304 ff. 65

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Sachregister akzessorische Anknüpfung 168, 189– 202, 253–257, 272–275, 276–278, 280 f. – siehe auch Statutenkonkurrenz – siehe auch funktionell-einheitliche Qualifikation allgemeine Rechtsgrundsätze – aus den Mitgliedstaaten, siehe Einfluss mitgliedstaatlichen Rechts auf das Unionsrecht – des Unionsrechts 38, 45, 57, 59 allgemeiner Gerichtsstand – autonomes deutsches IZPR 301 – europäisches IZPR 286 Analogie 58, 244 f., 300 Anspruchskonkurrenz, materiell-rechtliche, siehe Statutenkonkurrenz Anwendungsbereich, verbliebener (Art. 39 EGBGB) 257–261 Auslegung – autonome ~ 7, 22 f. – Befugnis des EuGH 22 – Begriff 7 f. – Funktion 7 f., 10 – grammatische ~ 29–34 – Grenze 8–22 – historisch-genetische ~ 40–44 – systematische ~ 34–40 – teleologische ~ 44 f., 60–93 – Ziel 23–28 Ausweichklausel – Abgrenzung zur teleologischen Reduktion 239–242 – Begriff 64, 252, 275 – Funktion 64, 228, 240–242, 252 f., 275 f. – Voraussetzung 241, 252

autonome Qualifikationsentscheidung 163, 169, 171 Begleichung fremder Schulden 196– 198, 221 f., 253–255 Berechtigungstatbestand 102 f., 151 f., 232, 267 Bereichsausnahmen 165–168, 192 f., 198 f., 260 f., 304 Bündelungsmodell 116–118, 154, 175, 191 f. DCFR – benevolent intervention in another’s affairs 101, 103, 119–123 – Kritik 121–123 Deliktsgerichtsstand – autonomes deutsches IZPR 302 f. – europäisches IZPR 186, 291–299 Deliktsstatut 114 f., 173–188, 263 Demokratieprinzip 25 f., 28, 33, 183 demokratisches Defizit 25 f. Dienstleistungsgerichtsstand, siehe Vertragsgerichtsstand Einfluss mitgliedstaatlichen Rechts auf das Unionsrecht 38, 45, 57, 59, 87 f. Eingriffsnormen 82, 62, 92 Einmengung – IPR 135 f., 171 f., 259 f. – materielles Privatrecht 129–135, 149–152, 160–162, 233 f., 289, 292 Erbensucherfall 195 f., 216, 234–236, 248 f., 255 f. Erstfrage 153, 191

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Sachregister

europäisch-autonome Methodenlehre, Notwendigkeit 6 f. extraterritoriale Geschäftsführung – im autonomen deutschen IPR 271 f. – im europäischen IPR 250–252 faktische Verhältnisse, siehe tatsächliche Beziehungen funktionell-einheitliche Qualifikation – Begriff 175–180 – Grenzen 180–182 – Kritik 182–187, 263 f. gewöhnlicher Aufenthalt, Begriff 203, 206, 278 f. Geschäftsführung ohne Auftrag – §§ 677 ff. BGB 123–128, 149–152, 160–162, 171 f., 177 f., 218, 230– 232, 245 f., 289, 292, 302 – Art. 11 Rom II-VO, Begriff 152 f., 238 f. – Art. 39 EGBGB, Begriff 128, 261– 263, 268–270 – Frankreich, siehe gestion d’affaires – Italien, siehe gestione di affari altrui – Österreich, siehe Einmengung – Spanien, siehe gestión de negocios ajenos gestion d’affaires – IPR 142, 171 f. – materielles Privatrecht 136–141, 149–152, 160–162, 171 f., 186, 230– 232, 234, 289 gestión de negocios ajenos – IPR 145 f., 171 f., 224 f. – materielles Privatrecht 108, 142– 145, 149–153, 160 f., 171 f., 186, 230–232, 234 gestione di affari altrui – IPR 149, 171 f. – materielles Privatrecht 122, 146– 149, 149–152, 160 f., 171 f., 186, 230–232, 234 Hoheitsträgerbeteiligung, siehe öffentlich-rechtliche GoA hypothetisches Vertragsstatut 195 f., 255

Informationsbeschaffung 234–236 institutionelles Gleichgewicht 10 f., 25, 28, 33, 51 f., 183 Interessenjurisprudenz – IPR 68–72 – materielles Privatrecht 68 f. – reale ~ (Flessner) 72–75, 78 f., 80 Internationales Bergungsübereinkommen 169, 250 Kegel, Gerhard 68–70, 71, 87 klassische IPR-Methode 61–66 kollisionsrechtliche Interessen 68–75, 78–82, 88, 93, 116 f., 229 Lückenbegriff, europäischer, siehe Lückenfüllung Lückenfüllung – Abgrenzung zur Anwendung der Ausweichklausel, siehe Ausweichklausel – Befugnis 48 – Begriff 46–48 – externe Lücke 54–56 – Funktion 10 – Grenzen 49–53 – interne Lücke 54–56 – ~ im IZPR 300 f. – ~ im Rahmen von Art. 11 Abs. 3 Rom II-VO, siehe Vornahmeort – teleologische Extension 57, 58, 253 f. – teleologische Reduktion 56, 58, 238–242, 268 f. Manipulationsmöglichkeiten – seitens des Geschäftsführers 232– 238, 247, 299 – seitens des Geschäftsherrn 162 materielle Harmonie 171 f., 198, 205, 224, 229, 278, 279, 281 Mehrsprachigkeit des Unionsrechts 14– 19, 31–33, 44 Mosaikbetrachtung 205, 223 f. natürliche Willensübereinstimmung 162 f., 288. 302 neutrale Geschäfte 236, 239, 242, 247, 266

Sachregister öffentlich-rechtliche GoA 164 f., 260 ordre public 237 Ort der unerlaubten Handlung (§ 32 ZPO) 303 Ort des schädigenden Ereignisses (Art. 7 Nr. 2 Brüssel Ia-VO) 298 f. Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung 36, 50, 86 Prinzip der engsten Verbindung 62–65, 67, 68–93, 228 f., 240, 266 f., 281– 283 Qualifikationsnorm 185, 188, 221 rechtsbezogene Geschäftsführung 237 Reichweite des GoA-Statuts – autonomes deutsches IPR 263 f. – europäisches IPR 169–188 Rechtsfortbildung, deutsche 8, 46 f., 268–272, 275 f. Rechtsfortbildung, europäische, siehe Lückenfüllung Rechtswahl 66 f., 88, 276 reisende Waren 249 renvoi 280–283 sachrechtsorientiertes IPR 83–92 Savigny, Friedrich Carl von 28, 61–64, 67, 89–91 schadensbegründendes Ereignis 204– 206, 258 f. Schiffsdetektivfall 234–236, 248 f. Schuldverhältnis „deliktischer“ Natur 170 f., 173–188, 263 f. Schwerpunktbetrachtung 112, 205, 224 f., 233, 268 Schurig, Klaus 68–70, 71, 87, 116 Statutenlehre 61 Statutenkonkurrenz 173–188, 199, 263, 276 f. Subsidiaritätsprinzip 50 tatsächliche Beziehungen 191 f., 200, 276–278 teleologische Extension, siehe Lückenfüllung

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teleologische Reduktion, siehe Lückenfüllung Theorie der Menschenhülfe 231 Tilgung fremder Schulden, siehe Begleichung fremder Schulden Tilgung fremder Unterhaltsschulden – im IPR 166–168, 261 – im IZPR 303–307 unerlaubte Handlung – im IPR, siehe Deliktsstatut – im IZPR, siehe Deliktsgerichtsstand ungerechtfertigte Bereicherung, autonome deutsche 262, 264 ungerechtfertigte Bereicherung, europäische – Genese 96–98 – Statut 114, 193 Unionsverfassungsorgantreue 51 Unternehmer-Verbraucher-Geschäftsführung 196, 255–257 unwirksame Rechtsverhältnisse 193 f., 277 Verhältnismäßigkeitsprinzip 50 Verschulden bei Vertragsverhandlungen – Genese 98, 104 f., 113 – Statut 179 f., 195 f. vertragsähnliches Schuldverhältnis, siehe natürliche Willensübereinstimmung Vertragsbegriff, europäischer 155–163, 194, 272 f., 287 f. vertragliche Qualifikation – deutsches Recht 301 f. – europäisches Recht 155–164, 287 Vertragsgerichtsstand – allgemeiner ~ (europäisches IZPR) 162, 186, 287–291 – Dienstleistungsgerichtsstand (europäisches IZPR) 290 f. – im autonomen deutschen IZPR 301 f. Verwaltung fremden Vermögens, auftragslose 237, 238 Vorfrage 255 Vornahmeort

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Sachregister

– alternative Anknüpfung 228 f., 266 f. – Beweisprobleme 235 f. – Erfolgsort 210–213, 215 f., 218– 222, 265 f. – fakultative Anknüpfung 228 f., 266 f. – funktionaler Zusammenhang zwischen Zivil-, Straf- und Sozialrecht 209, 231 – Geschäftsführungsgegenstand 218– 222, 234–236 – Geschäftsführungsgehilfe 219 f., 222, 266 – geschäftsführungsspezifischer Fokus 207, 217, 235 f., 264, 266, 268 – Geschäftsherrninteresse 245–250, 270 – Geschäftsübernahme 225–238 – Günstigkeitsprinzip 212, 229, 267 – Handlungsort 208–210, 214 f., 218– 222, 265 f. – kollisionsrechtliche Neutralität 225– 238, 242–250, 267 f., 268–270

– Konkretisierung des ~ 222, 238, 267 f. – Korrekturbedürftigkeit der Regelanknüpfung 238–242 – Lückenschließung 244–250, 270 – sukzessiv erfolgende Geschäftsführung 222–238 – teleologische Reduktion 238–242, 268–270 – verordnungsinterne Lücke 243 f. – Vorbereitungshandlungen 215, 218– 222, 236, 266–268 – Zufälligkeit der Anknüpfung 235– 238 Wandt, Manfred 237, 246–248, 270 Wertungsjurisprudenz – materielles Privatrecht 76–78, 176 – IPR 78–93, 115–117, 228 Zeitpunkt des rechtserheblichen Geschehens 278 f. Zivil- und Handelssache 164 f.