Das Jenseits im Mythos der Hellenen: Untersuchungen über antiken Jenseitsglauben [Reprint 2020 ed.] 9783111592374, 9783111217918


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German Pages 152 [164] Year 1903

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Das Jenseits im Mythos der Hellenen: Untersuchungen über antiken Jenseitsglauben [Reprint 2020 ed.]
 9783111592374, 9783111217918

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DAS JENSEITS IM

MYTHOS DER HELLENEN. UNTERSUCHUNGEN ÜBER ANTIKEN JENSEITSGLAUBEN VON

L. RADERMACHER,

BONN A. MARCUS UND E. WEBER'S V E R L A G . 1903.

WILHELM K R O L L RICHARD WUENSCH ZUGEEIGNET.

Vorwort. Ich habe diesem Versuch schicken.

wenige Worte

vorauszu-

Er bringt eine Reihe von Abhandlungen, deren

Zusammenhang zumteil nur ein loser ist; sie sind bestimmt, Lücken auszufüllen, die von den Untersuchungen anderer noch gelassen waren.

Für die Drucklegung ist es vielleicht

nicht von Vorteil gewesen, dass sie mit meiner Übersiedlung nach Greifswald kollidierte;

so erklärt es sich auch,

dass

Rohdes Psyche anfangs nach der dritten Auflage zitiert ist, die ich in einem Exemplar des Bonner Kunstmuseums benutzen konnte, und in den letzten Bogen nach der ersten, die mir hier allein zugänglich blieb.

Ich bitte diese Un-

gleichheit nach L a g e der Umstände zu entschuldigen. Ausserdem sind mir nachträglich folgende Versehen aufgestossen: S. 7 Z. 13 lies 746 statt 756. S. 53 Z. 4 von unten lies "Apiruiai. S. 60 fehlt eine V als Bezeichnung eines neuen Kapitels. G r e i f s w a l d , am 2 1 . Mai

1903. L.

Radermacher.

V e r z e i c h n i s des Inhaltes. Seite Zur Komposition antiker

Nekyien,

I. Aristophanes und Homer

3 ff.

I I . Aeneis V I , 739

13

III. Widersprüche bei Homer D a s T o t e n r e i c h auf der

31

Erde.

I V . Antike Mythen und moderne Märchen.

Orestes . . . .

V . Iason und Theseus

60

V I . Berg und Meer als Hades. Das T o t e n r e i c h unter der

Der Totenwagen

73

Erde.

V I I . Antike Mythen und moderne Märchen V I I I . Ursprüngliches

40

und Unurspriingliches

Unterwelt I X , Die Totenrichter X . Die Empusa

78 im Glauben

an

die 84 98 106

Exkurse. I. Die Orestsage und die antike Tragödie II. Zur alttestamentlichen Simsonlegende

125 141

III. V o m K a m p f mit dem Tode

145

I V . Grenzwasser der Unterwelt

148

Berichtigung. Seite 1 1 9 Zeile 7 lies: Sirenen und Sphingen.

Eine wohlgefügte Eschatologie haben die klassischen Völker ursprünglich nicht besessen. Die Vorstellungen, die sie sich vom Jenseits machten, waren mannigfacher, oft unbestimmter Art. Feste Grenzen zwischen den einzelnen Gebieten scheint es nie gegeben zu haben; schon frühe hat daher ein Prozess der Vermischung eingesetzt. Es ist ein ähnlicher Vorgang, wie wir ihn z. B. bei den alten Ägyptern beobachten. Auch für die Griechen ist diese Feststellung keineswegs neu. Sie weist den, der es wagen will, ohne weiteres auf den W e g der Analyse, um die primitiven Begriffe und Vorstellungen abzuscheiden, mit denen die spätere Jenseitsdichtung arbeitet. Ein gutes Stück Arbeit ist hier bereits geleistet; immerhin bleibt noch manches zu thun übrig. Erst wenn eine reinliche Scheidung erreicht ist, darf man nach der Herkunft der Motive fragen. Mag vorläufig Uberzeugung gegen Überzeugung stehen. Es ist unendlich schwierig, den Ursprung von Gedanken, die oftmals über die ganze Erde verbreitet sind, mit Sicherheit zu ergründen. Neben dem historischen Forscher hat hier auch der Psycholog eine wichtige Aufgabe zu lösen, nämlich die, festzustellen, auf welcher Einrichtung des menschlichen Geistes es beruht, dass sich so viele Gebilde der Phantasie, so viele Grundsätze des Rechtes, des Brauches und der Sitte selbständig und unabhängig von einander immer wieder neu erzeugt haben. Die Wissenschaft hat nicht blos das Recht, sondern auch die Pflicht,

die Möglichkeit eines Zusammenhanges zu erwägen, wenn in verschiedenen Ländern oder Epochen gleiche Gedanken zutage treten, aber sie darf sich nicht mit dieser einen Möglichkeit bescheiden und muss sich freihalten von dem einseitigen Drange, den Anfang der Dinge ausschliesslich bei einem Volke zu suchen. Wer möchte auch gerade den Griechen die Genialität des schöpferischen Denkens absprechen? Die folgenden Betrachtungen dürften der Annahme nicht widersprechen, dass es keine aus der Fremde entlehnten, sondern originale Vorstellungen sind, mit denen wir uns beschäftigen.

I.

Ich muss zunächst einige Worte über die Composition antiker Nekyien sagen. E s wird sich ergeben, dass wir da mit sehr wesentlichen Unterschieden zu rechnen haben. Der A n f a n g sei mit Aristophanes gemacht, dessen Hades am reichlichsten volkstümliche Elemente enthält. Dies Jenseits, wie es in den „Fröschen" geschildert wird, hat seine Schrecken, aber auch seine Freuden. Es giebt in ihm zunächst einen grossen, abgrundtiefen S e e ; über diesen muss, von Charon gesteuert, fahren, wer in die Unterwelt wollte 1 ). Dann freilich kam man zu einer Nochmals

möchte

zurückkommen, wo Dionysos

ich

bei

dieser Gelegenheit

a u f F r . 264 ff.

sagt: Keicpucoiiai 'fd.p,

KÖV

6R),

61'

ßp€KGK€K££

Die Entscheidung erfolgen,

wenn

ü b e r das

I^POU;

KOOtS

sämtliche Möglichkeiten

D i e E i n s e t z u n g v o n KÖV

KodS,

richtige V e r s t ä n d n i s für KÖV

d i e s e r V e r s e k a n n erst

der E r k l ä r u n g

erwogen

sind.

6r| scheint mir i m m e r n o c h v e r -

h ä l t n i s m ä s s i g u n w a h r s c h e i n l i c h , d i e A n n a h m e , d a s s örj f ü r ö i f l stehe, ü b e r haupt

indiscutabel.

Die

von m i r

R h . Mus.

1902,

S. 478

ausgeführte

A u f f a s s u n g , w o n a c h KÖV |ae ör| „ a u c h w e n n m a n m i c h b i n d e t ( e i n s p e r r t ) " bedeuten soll,

hat eine S c h w i e r i g k e i t ;

•werden k a n n ,

d a s s d i e dritte P e r s o n d e s S i n g u l a r s i m S i n n e e i n e r V e r -

d e n n w e n n g l e i c h nicht

geleugnet

a l l g e m e i n e r u n g g e b r a u c h t w o r d e n ist, so sind die F ä l l e d o c h selten, u n d m a n entschliesst sich u n g e r n zu einer s o l c h e n A u s k u n f t .

W e r daran

h ä l t , bfl, w a s e i n m a l ü b e r l i e f e r t ist, v o n ' ö i u j i c h b i n d e ' a b z u l e i t e n , ein S u b j e c t z u m V e r b u m

suchen.

festmuss

U n d d a s k ö n n t e ßp6K£K€K^£ KodS KodE

sein.

D i e s e B u c h s t a b e n r e i h e hat k e i n e n Sinn, a b e r die 'Eqpiöia Ypü ( U(iaTa

sind

ganz

Bindens

entsprechend.

Also

(beiv) innewohnt,

ist

eine Z a u b e r f o r m e l , dies

der

die

ßp6K€K€Kig Kod£ KodS.

Kraft Man

s i c h s e h r w o h l d e n k e n , dass d e r D i c h t e r a u f solche, d e r b e W e i s e

des kann

allerlei

-

i



Stätte des Grauens, wo fürchterliche Bestien hausten und wo, tief im Schmutz und K o t begraben, die argen Siinder steckten 1 ). Hieran schliessen sich unmittelbar die seligen Gefilde, auf denen bei ewigem Sonnenschein in Myrthenhainen die Mysten ihre Feste feiern. Von dort bis zum Palaste des Pluton und der Persephone soll der W e g nicht mehr weit sein. Aber nun wird die Topographie sehr merkwürdig. Nachdem Dionysos und Xanthias den Chor der Mysten passiert haben, gelangen sie an eine Türe, die sich auf kräftiges Anpochen hin öffnet. Der Pförtner glaubt in dem verkappten Dionysos-Herakles den Mann wiederzuerkennen, der einst den Kerberos gestohlen; er triumphiert, ihn nun umschlossen zu sehen von den Klippen der S t y x und des Acheron und stürzt fort, um die „tithrasischen" Gorgonen herbeizuholen. K a u m ist er verschwunden, so erscheint eine Dienerin, die den Herakles in den Palast des Pluton und der Persephone einlädt; da seien alle Vorbereitungen zu einem Feste getroffen, Kuchen gebacken und Tänzerinnen bestellt. Während die beiden Helden noch streiten, wem die Einladung gelte, treten zwei Damen der Halle 2 ) auf; sie haben mit Herakles eine alte Rechnung zu begleichen, weil er damals bei seiner Hadesfahrt in ihre Kaufbuden eingebrochen sei und alles Essbare verschlungen habe. S o fordern sie ihn jetzt vor ein ordentliches Gericht, und Kleon soll ihr Vertreter sein. E s ist klar, dass sich diese Unterwelt in zwei Hauptabteilungen gliedert, eine für die grossen Sünder und die Zauberunfug verspottete, der doch auch schon damals in Athen getrieben worden sein muss. W i r finden in den Defixionen Lautverbindungen wie ßciKaSixux aßpaöaS ( K e n y o n Greek Papyri in the British Museum, London 1 8 9 3 , p. 74, V . 366. V g l . Wünsch, defixionum tabellae Atticae, praef. X X X I b ) . Das klingt doch ganz ähnlich. x ) Dort liegt auch der Aüaivou XiOoc, den Aristophanes nicht erdichtet hat. 2

) V s . 549 ff.



5



seligen Geweihten, und eine zweite für die Menschen, die weder grosse Sünder noch auch Mysten während ihres irdischen Daseins waren. Hier steht der Palast des Pluton und der Persephone, hier giebt es Buden, um Fleisch, Knoblauch, K ä s e und andere , , L e b e n s b e d ü r f n i s s e einzukaufen, hier wird Gericht gehalten, gefoltert und geflucht, ganz wie im diesseitigen Leben. Dass aber diese Schilderung eines sehr irdischen Daseins im Jenseits keine Ausgeburt der travestierenden Muse des Dichters ist, sondern vielmehr sich an volkstümliche Anschauungen anlehnt, können wir noch heute erweisen. Lukian erzählt im Philopseudes, wahrscheinlich nach dem V o r g a n g e d e s Herakleides Pontikos, eine Jenseitsvision; dort erscheinen die Toten in derselben Gestalt, die sie einst als Lebende besassen, und sie weilen, nach Phylen und Phratrien geordnet, zusammen mit Freunden und Verwandten auf der Asphodeloswiese. Merkwürdige Ubereinstimmung verrät ein antiker Bericht 2 ), in dem Britannien als das Eiland

Vgl. Festschrift für Theodor Gomperz, W i e n 1902. S. 203 ff. Prokop ist unser Gewährsmann. Tzetzes, der ihn ausschreibt, beruft sich in bedenklich allgemeiner Wendung auf Homer, Hesiod, Lykophron, Plutarch, Philostratos und Dion; alle diese haben einmal von den Inseln der Seligen geredet, aber nicht in der Form, die bei Tzetzes vorliegt. Die Geschichte (dass die Bewohner der belgischen Küste nachts herausgeklopft werden, um die Toten überzufahren) geht auf eine jüngere Quelle zurück, wie allein schon die Erwähnung der Franken beweist. W i e Plutarch zu der Ehre kam, zitiert zu werden, lässt sich vielleicht noch absehen. Kronos ist es ja, der auf den Inseln der Seligen die Herrschaft führt; nun hat Plutarch in der Schrift „über das Gesicht im Monde" die ausführliche Schilderung einer Insel bei Britannien, wo die glücklichsten Verhältnisse herrschen und Kronos in einer Höhle schläft. Da ist die Combination gegeben. Ausserdem könnte der Bericht in de defectu oraculorum 419 E ff. in Betracht kommen. Auch Proklos in seinem Timaioscommentar (p. 35 ed. Basil.) hat uns darüber eine umfangreiche Notiz bewahrt; es heisst bei ihm: T T \ o u x a p x o t ; 6 Xatpujveix; iaxopei TÜLIV trepl xriv Bpexxaviav vr)