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German Pages 432 [465] Year 2021
Studien zum ausländischen und internationalen Privatrecht 470 Herausgegeben vom
Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht Direktoren: Holger Fleischer, Ralf Michaels und Reinhard Zimmermann
Holger Jacobs
Das Haager Anerkennungs- und Vollstreckungsübereinkommen vom 2. Juli 2019 Eine systematische und rechtsvergleichende Untersuchung
Mohr Siebeck
Holger Jacobs, geboren 1989; Studium der Rechtswissenschaften in Mainz; 2014 Erste juristische Staatsprüfung; Juristischer Vorbereitungsdienst am Landgericht Mainz; 2016 Zweite juristische Staatsprüfung; 2017 Magister rerum publicarum an der Deutschen Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer; 2018 Magister Juris an der University of Oxford; seit 2021 Rechtsanwalt in Frankfurt am Main; 2021 Promotion. Orcid.org/0000-0002-9255-7521
ISBN 978-3-16-160887-2 / eISBN 978-3-16-160888-9 DOI 10.1628/978-3-16-160888-9 ISSN 0720-1141 / eISSN 2568-7441 (Studien zum ausländischen und internationalen Privatrecht) Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind über http://dnb.dnb.de abrufbar.
© 2021 Mohr Siebeck Tübingen. www.mohrsiebeck.com Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für die Verbreitung, Vervielfältigung, Übersetzung und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das Buch wurde von Laupp & Göbel in Gomaringen auf alterungsbeständiges Werkdruckpapier gedruckt und gebunden. Printed in Germany.
Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Wintersemester 2020/21 vom Fachbereich Rechts- und Wirtschaftswissenschaften der Johannes Gutenberg-Universität Mainz als Dissertation angenommen. Die mündliche Prüfung fand am 10. Februar 2021 statt. Das Manuskript habe ich im November 2020 abgeschlossen. Anschließend veröffentlichte Literatur und Rechtsprechung sowie neuere Entwicklungen konnten bis April 2021 berücksichtigt werden. Mein herzlicher Dank gilt allen, die mich bei meiner Dissertation unterstützt haben. Allen voran möchte ich meinem Doktorvater Herrn Prof. Dr. Peter Huber, LL.M. (London) für die engagierte Betreuung danken. Seine Anmerkungen und Hinweise haben entscheidend zum Gelingen der Arbeit beigetragen. Für die zügige Erstellung des Zweitgutachtens danke ich Herrn Prof. Dr. Urs Peter Gruber. Ganz herzlich möchte ich mich auch bei Herrn Prof. Dr. Andreas Roth bedanken, an dessen Lehrstuhl ich während des Studiums und Referendariats tätig sein durfte. Die Teilnahme an seinem familienrechtlichen Seminar hat bei mir bereits während der Studienzeit das wissenschaftliche Interesse geweckt. Ausgangspunkt für die Idee zu dieser Arbeit war eine Referendarstation beim Ständigen Büro der Haager Konferenz für Internationales Privatrecht. Dort konnte ich durch meine Teilnahme am ersten Treffen der Spezialkommission zum Judgments Project unmittelbare Eindrücke von den Verhandlungen zum Haager Anerkennungs- und Vollstreckungsübereinkommen erhalten. In der Folge durfte ich weiteren Treffen der Spezialkommission sowie der Diplomatischen Konferenz beiwohnen, in dessen Rahmen das Übereinkommen vom 2. Juli 2019 angenommen wurde. Zweifelsohne haben diese Einblicke meine Arbeit entscheidend geprägt und erheblich bereichert. Ich möchte mich daher ganz herzlich beim Team des Ständigen Büros der Haager Konferenz bedanken, insbesondere bei Herrn Dr. iur. utr. Christophe Bernasconi (Secretary General), Herrn Dr. João Ribeiro-Bidaoui (First Secretary) und Frau Dr. Ning Zhao (Senior Legal Officer) sowie bei Frau Prof. Dr. Marta Pertegás Sender (ehemals First Secretary). Bedanken möchte ich mich außerdem bei Frau Marie-Charlotte Darbas (Information Manager), die mir bei den Recherchen während meines Forschungsaufenthalts am Ständigen Büro zur Seite stand.
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Vorwort
Für die Einladung zu einem Forschungsaufenthalt am Max-Planck-Institut Luxemburg für internationales, europäisches und regulatorisches Verfahrensrecht möchte ich mich herzlich bei Herrn Prof. Dr. Dres. h.c. Burkhard Hess (Direktor des Instituts) bedanken. Für die Unterstützung vor Ort und den wertvollen fachlichen Austausch danke ich Frau Dr. Cristina M. Mariottini, LL.M. (Pittsburgh) (Senior Research Fellow). Ich darf mich sehr glücklich schätzen, dass die Studienstiftung des deutschen Volkes mich während meiner Promotionszeit sowohl finanziell als auch ideell gefördert und meine Forschungsaufenthalte beim Ständigen Büro der Haager Konferenz und am Max-Planck-Institut in Luxemburg unterstützt hat. Dankbar bin ich auch der Gutenberg Akademie der Universität Mainz für den interdisziplinären Austausch und die Übernahme von Kosten für Konferenzteilnahmen und Literaturanschaffungen sowie einen großzügigen Druckkostenzuschuss. Im Rahmen des Mentoring-Programms der Gutenberg Akademie durfte ich mich über die Unterstützung von Herrn Prof. Dr. Ralf Michaels, LL.M. (Cambridge) freuen, dem ich herzlichst für wertvolle Ratschläge zur Dissertation, die Einladung an das Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht sowie die Aufnahme in die „IPR-Runde“ des Instituts danken möchte. Bei ihm sowie den anderen Direktoren des Instituts, Herrn Prof. Dr. Dr. h.c. Holger Fleischer, LL.M. (Univ. of Michigan) und Herrn Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Reinhard Zimmermann bedanke ich mich für die Aufnahme meiner Arbeit in diese Schriftenreihe. Meiner Partnerin Carina Czarnetzki danke ich herzlichst für die persönliche Unterstützung und das Korrekturlesen des Manuskripts. Ganz besonders möchte ich auch meiner Familie, insbesondere meinen Eltern Gisela und Wolfgang Jacobs für ihre Unterstützung danken. Mainz, im Mai 2021
Holger Jacobs
Inhaltsübersicht Vorwort ........................................................................................................ V Inhaltsverzeichnis ........................................................................................ XI Abkürzungsverzeichnis .......................................................................... XXIII
Einleitung ................................................................................................... 1 A. Einführung ................................................................................................ 1 B. Gang der Darstellung ................................................................................ 6 C. Umgang mit Sprachfassungen und fremdsprachiger Terminologie............ 8 D. Das HAVÜ im Überblick .......................................................................... 8
Kapitel 1: Historischer Kurzüberblick .............................................. 11 A. Modellübereinkommen von 1925/28....................................................... 12 B. Vollstreckungsübereinkommen von 1971 ............................................... 15 C. Vorschlag der USA 1992 ........................................................................ 20 D. Konventionsentwurf 1999 ....................................................................... 24 E. Interim Text 2001 ................................................................................... 27 F. Haager Gerichtsstandsübereinkommen 2005 ........................................... 30 G. Fortsetzung des Judgments Project 2011 ................................................ 32 H. Diplomatische Konferenz 2019 ............................................................... 35 I. Zwischenbilanz ........................................................................................ 38
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Inhaltsübersicht
Kapitel 2: Auslegung ............................................................................ 41 A. Anwendbare Auslegungsregeln............................................................... 42 B. Auslegungsmethoden .............................................................................. 52 C. Grundsatz der autonomen Auslegung ...................................................... 84
Kapitel 3: Wesentliche Charakteristika ............................................ 87 A. Rechtsnatur ............................................................................................. 87 B. Convention simple .................................................................................. 91 C. Grundlegende Systematik ....................................................................... 98 D. Günstigkeitsprinzip ................................................................................. 99 E. Treaty relationship mechanism .............................................................. 102 F. Das HAVÜ als Bündel bilateraler Beziehungen .................................... 113 G. (K)ein „à-la-carte Übereinkommen“? ................................................... 115
Kapitel 4: Anwendungsbereich ........................................................ 118 A. Sachlicher Anwendungsbereich ............................................................ 121 B. Gegenständlicher Anwendungsbereich.................................................. 137 C. Territorialer Anwendungsbereich .......................................................... 161 D. Persönlicher Anwendungsbereich ......................................................... 167 E. Zeitlicher Anwendungsbereich .............................................................. 171 F. Verhältnis zu anderen Instrumenten ...................................................... 173 G. Verhältnis zum nationalen Recht .......................................................... 178
Kapitel 5: Voraussetzungen der Anerkennung und Vollstreckung .................................................................... 195 A. Wirksamkeit bzw. Vollstreckbarkeit im Ursprungsstaat........................ 195 B. Indirekte Zuständigkeit des Ursprungsgerichts...................................... 200
Inhaltsübersicht
IX
Kapitel 6: Versagungsgründe ............................................................ 268 A. Fakultativer Charakter .......................................................................... 269 B. Rügeerfordernis?................................................................................... 273 C. Restriktive Auslegung ........................................................................... 274 D. Die Versagungsgründe im Einzelnen .................................................... 275 E. Verbot der révision au fond ................................................................... 319
Kapitel 7: Anerkennungsbegriff ....................................................... 325 A. Denkbare Lösungsansätze ..................................................................... 325 B. Keine Anwendung von Art. 13 Abs. 1 S. 1 HAVÜ ............................... 326 C. Keine Gleichstellung ............................................................................. 327 D. Keine umfassende Wirkungserstreckung .............................................. 328 E. Der Ansatz des HAVÜ .......................................................................... 329
Kapitel 8: Verweise und Bezugnahmen auf nationales Recht .. 332 A. Verweise auf nationales Recht .............................................................. 333 B. Subsumtion unter normative Tatbestandsmerkmale .............................. 342 C. Ermittlung ausländischen Rechts .......................................................... 343 D. Fazit ..................................................................................................... 344
Kapitel 9: Rechtsvergleichende Perspektive ................................. 346 A. Einleitung ............................................................................................. 346 B. Gegenstand der Anerkennung oder Vollstreckung ................................ 349 C. Indirekte Zuständigkeit ......................................................................... 357 D. Verbürgung der Gegenseitigkeit ........................................................... 376 E. Abwehr inakzeptabler Entscheidungen .................................................. 379 F. Fazit ...................................................................................................... 387
X
Inhaltsübersicht
Zusammenfassung und Schluss ........................................................ 389 Literaturverzeichnis ................................................................................... 397 Materialienverzeichnis .............................................................................. 421 Sachverzeichnis ......................................................................................... 429
Inhaltsverzeichnis Vorwort ........................................................................................................ V Inhaltsübersicht .......................................................................................... VII Abkürzungsverzeichnis .......................................................................... XXIII
Einleitung ................................................................................................... 1 A. Einführung ................................................................................................ 1 B. Gang der Darstellung ............................................................................... 6 C. Umgang mit Sprachfassungen und fremdsprachiger Terminologie ........... 8 D. Das HAVÜ im Überblick .......................................................................... 8
Kapitel 1: Historischer Kurzüberblick .............................................. 11 A. Modellübereinkommen von 1925/28 ........................................................ 12 B. Vollstreckungsübereinkommen von 1971 ................................................. 15 C. Vorschlag der USA 1992 ......................................................................... 20 I. II.
Hintergrund und Vision ...................................................................... 20 Reaktion und vorbereitende Arbeiten .................................................. 23
D. Konventionsentwurf 1999 ....................................................................... 24 E. Interim Text 2001 .................................................................................... 27 F. Haager Gerichtsstandsübereinkommen 2005 .......................................... 30 G. Fortsetzung des Judgments Project 2011 ................................................ 32
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Inhaltsverzeichnis
H. Diplomatische Konferenz 2019 ............................................................... 35 I. Zwischenbilanz......................................................................................... 38
Kapitel 2: Auslegung ............................................................................ 41 A. Anwendbare Auslegungsregeln ............................................................... 42 I.
II.
Meinungsstand .................................................................................... 43 1. Anwendbarkeit völkerrechtlicher Auslegungsregeln ...................... 43 2. Nichtanwendbarkeit völkerrechtlicher Auslegungsregelungen ....... 46 3. Anpassung völkerrechtlicher Auslegungsregelungen ..................... 47 Stellungnahme .................................................................................... 47 1. Ausgangspunkt: Anwendbarkeit der Art. 31–33 WVK .................. 47 2. Grundsätzlich kein „fehlender Zuschnitt“ auf das HAVÜ .............. 48 3. Besondere Zwecke und Interpretationsklausel ............................... 50 4. Entstehungsgeschichte ................................................................... 51 5. Fazit .............................................................................................. 51
B. Auslegungsmethoden ............................................................................... 52 I. II.
Wortlaut.............................................................................................. 53 Systematischer Zusammenhang .......................................................... 54 1. Allgemeines .................................................................................. 54 2. Einordnung des Explanatory Reports ............................................ 56 a) Art. 20 HAVÜ als rechtliche Grundlage der Berücksichtigung?.................................................................... 58 b) Übereinkunft im Sinne von Art. 31 Abs. 2 lit. a oder Abs. 3 lit. a WVK .................................................................... 58 aa) Voraussetzungen ............................................................... 59 bb) Entstehung und Finalisierung des Explanatory Reports ..... 60 cc) Differenzierte Betrachtung ................................................ 62 c) Ergänzendes Auslegungsmittel gemäß Art. 32 WVK ............... 64 d) Fazit ......................................................................................... 66 3. Konventionsübergreifende Auslegung ........................................... 67 a) Allgemeines ............................................................................. 67 b) HGÜ ........................................................................................ 69 c) Sonstige Übereinkommen der Haager Konferenz ..................... 72 d) Brüssel Ia-VO, UNÜ und sonstige Instrumente ........................ 73 e) Fazit ......................................................................................... 74 III. Ziel und Zweck ................................................................................... 75 IV. Ergänzende Auslegungsmittel ............................................................. 76 V. Relevanz der Rechtsvergleichung ....................................................... 78
Inhaltsverzeichnis
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VI. Rechtsfortbildung zur Lückenfüllung? ................................................ 82 VII. Souveränitätsfreundliche, restriktive Auslegung? ............................... 83 C. Grundsatz der autonomen Auslegung ...................................................... 84
Kapitel 3: Wesentliche Charakteristika ............................................ 87 A. Rechtsnatur ............................................................................................. 87 B. Convention simple ................................................................................... 91 I. Keine Regelungen über die Entscheidungszuständigkeit ..................... 91 II. Das „jurisdictional gap-Problem“ ....................................................... 93 III. Mittelbare Effekte der indirekten Zuständigkeitsgründe des HAVÜ ... 96 C. Grundlegende Systematik ........................................................................ 98 I. II.
Übereinkommen verpflichtet zur Anerkennung ................................... 98 Übereinkommen verpflichtet nicht zur Anerkennung, verbietet diese aber auch nicht ........................................................................... 99 III. Übereinkommen verbietet die Anerkennung ....................................... 99 D. Günstigkeitsprinzip ................................................................................. 99 E. Treaty relationship mechanism ............................................................. 102 I. II.
Allgemeines ...................................................................................... 102 Praxis in früheren Übereinkommen der Haager Konferenz ............... 103 1. System der Bilateralisierung ........................................................ 103 2. Zustimmungslösung .................................................................... 104 3. Einspruchslösung ........................................................................ 105 4. Veto-Lösung ................................................................................ 106 5. „Völlig offene“ Übereinkommen ................................................. 107 III. Die Lösung in Art. 29 HAVÜ ........................................................... 108 1. Keine Privilegierung bestimmter Staaten ..................................... 109 2. Zeitpunkt ..................................................................................... 110 3. Widerruf ...................................................................................... 112 4. Keine materiellen Voraussetzungen ............................................. 113 F. Das HAVÜ als Bündel bilateraler Beziehungen .................................... 113 G. (K)ein „à-la-carte Übereinkommen“? .................................................. 115
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Inhaltsverzeichnis
Kapitel 4: Anwendungsbereich ........................................................ 118 A. Sachlicher Anwendungsbereich ............................................................. 121 I. II.
Zivil- oder Handelssachen ................................................................ 121 Ausgeschlossene Sachmaterien ......................................................... 123 1. Katalog des Art. 2 Abs. 1 HAVÜ ................................................ 123 2. Erklärungsmechanismus des Art. 18 HAVÜ ................................ 129 III. Vorfragen ......................................................................................... 130 IV. Teilbarkeit ........................................................................................ 131 V. Schiedsgerichtsbarkeit ...................................................................... 132 1. Funktion und Reichweite von Art. 2 Abs. 3 HAVÜ ..................... 132 2. Unanwendbarkeit von Art. 2 Abs. 2 und Art. 8 Abs. 2 HAVÜ..... 134 VI. Ausschließliche Gerichtsstandsvereinbarungen ................................. 136 B. Gegenständlicher Anwendungsbereich .................................................. 137 I. II. III. IV.
Unerheblichkeit von Bezeichnung und Gericht ................................. 137 Entscheidungen in der Sache ............................................................ 139 Kein Doppelexequatur ...................................................................... 141 Nicht-Geldleistungsurteile ................................................................ 142 1. Grundsatz .................................................................................... 142 2. Erklärungsmechanismus .............................................................. 143 V. Penalty Orders.................................................................................. 144 VI. Kostenfestsetzungen und Kostenentscheidungen............................... 147 VII. Einstweilige Sicherungsmaßnahmen ................................................. 149 VIII. Anti-suit injunctions .......................................................................... 150 1. Anti-suit injunctions als einstweilige Sicherungsmaßnahmen?..... 151 2. Begriff der Sachentscheidung ...................................................... 152 3. Konzeption des HAVÜ ................................................................ 152 4. Entstehungsgeschichte ................................................................. 153 5. Fazit ............................................................................................ 154 IX. Gerichtliche Vergleiche .................................................................... 154 1. Grundsatz .................................................................................... 154 2. Abgrenzung zur Entscheidung ..................................................... 157 3. Beispiele...................................................................................... 159 X. Vollstreckbare öffentliche Urkunden ................................................ 160 C. Territorialer Anwendungsbereich ......................................................... 161 I. II. III. IV.
Grundsatz ......................................................................................... 161 Common Courts ................................................................................ 162 International Commercial Courts ..................................................... 163 Entscheidungen aus Drittstaaten ....................................................... 164
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V. Internationale Fälle ........................................................................... 165 VI. Nicht einheitliche Rechtssysteme ...................................................... 166 D. Persönlicher Anwendungsbereich ......................................................... 167 I. II.
Grundsatz: keine Einschränkung ....................................................... 167 Sonderfall: Staaten als Beteiligte – Erklärungsmechanismus des Art. 19 HAVÜ .................................................................................. 168 1. Funktionsweise im Überblick ...................................................... 168 2. Einordnung als Regelung des Anwendungsbereichs?................... 170
E. Zeitlicher Anwendungsbereich .............................................................. 171 I. II.
Verfahrensleitung im Ursprungsstaat ................................................ 171 Wirksamkeit im Verhältnis von Ursprungsstaat und ersuchtem Staat .................................................................................................. 172
F. Verhältnis zu anderen Instrumenten ...................................................... 173 I. II.
Kollisionsfälle................................................................................... 173 Bestimmung des Verhältnisses .......................................................... 176
G. Verhältnis zum nationalen Recht .......................................................... 178 I. Drittstaatliche Entscheidungen .......................................................... 178 II. Günstigkeitsprinzip ........................................................................... 179 III. Anerkennungs-, Exequatur- und Zwangsvollstreckungsverfahren ..... 179 1. Grundsatz .................................................................................... 179 2. Verfahrensvorschriften des HAVÜ .............................................. 181 3. Darlegungs- und Beweislast ........................................................ 183 4. Grundsatz von Treu und Glauben ................................................ 184 5. Urteilsverjährung ......................................................................... 185 6. Internationale Zuständigkeit der Gerichte des ersuchten Staats (Art. 13 Abs. 2 HAVÜ) ............................................................... 186 a) Nationale Zuständigkeitsregelungen....................................... 187 b) Wortlaut des Art. 13 Abs. 2 HAVÜ........................................ 188 c) Entstehungsgeschichte ........................................................... 190 d) Explanatory Report ................................................................ 191 e) Ziel und Zweck des HAVÜ .................................................... 192 f) Systematische Argumente ...................................................... 192 g) Fazit ....................................................................................... 194 IV. Sonstige Fragen ................................................................................ 194
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Inhaltsverzeichnis
Kapitel 5: Voraussetzungen der Anerkennung und Vollstreckung .................................................................... 195 A. Wirksamkeit bzw. Vollstreckbarkeit im Ursprungsstaat ......................... 195 I. Grundsatz ......................................................................................... 195 II. Formelle Rechtskraft wird nicht vorausgesetzt .................................. 197 III. Gerichtliche Vergleiche .................................................................... 199 B. Indirekte Zuständigkeit des Ursprungsgerichts ..................................... 200 I. II. III. IV. V.
Allgemeines ...................................................................................... 200 Keine Anwendung der forum non conveniens-Doktrin ...................... 202 Rechtsmissbräuchliche Erschleichung der indirekten Zuständigkeit.. 203 Abschließender Charakter des Katalogs ............................................ 204 Die einzelnen Zuständigkeitsgründe ................................................. 206 1. Gewöhnlicher Aufenthalt / Ort einer Niederlassung .................... 206 a) Art. 5 Abs. 1 lit. a HAVÜ – Gewöhnlicher Aufenthalt ........... 206 aa) Anknüpfung an den gewöhnlichen Aufenthalt ................. 206 bb) Bestimmung des maßgeblichen Zeitpunkts...................... 208 cc) Aufenthaltsbegründung im Laufe des Ursprungsverfahrens? ..................................................... 209 b) Art. 5 Abs. 1 lit. b HAVÜ – Hauptniederlassung natürlicher Personen ................................................................................ 210 c) Art. 5 Abs. 1 lit. d HAVÜ – Zweigniederlassung, Agentur oder sonstige Niederlassung ................................................... 212 2. Auf „Zustimmung“ basierende Zuständigkeitsgründe .................. 213 a) Art. 5 Abs. 1 lit. e HAVÜ – Ausdrückliche Zustimmung ....... 214 b) Art. 5 Abs. 1 lit. f HAVÜ – Rügelose Einlassung ................... 215 c) Art. 5 Abs. 1 lit. c HAVÜ – Kläger des Ursprungsverfahrens .............................................................. 217 d) Art. 5 Abs. 1 lit. l HAVÜ – Widerklage ................................. 218 e) Art. 5 Abs. 1 lit. m HAVÜ – Nichtausschließliche Gerichtsstandsvereinbarung ................................................... 220 aa) Formelle und materielle Wirksamkeit ............................. 220 bb) Beschränkung auf nichtausschließliche Gerichtsstandsvereinbarungen ......................................... 222 3. (Sonstige) Besondere Zuständigkeitsgründe ................................ 224 a) Art. 5 Abs. 1 lit. g HAVÜ – Vertragliche Schuldverhältnisse ................................................................. 225 aa) Anknüpfung an Erfüllungsort .......................................... 225 bb) Zweckgerichtete und wesentliche Verbindung ................ 227
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cc) Erfüllungsort bei geografisch unbegrenzten Unterlassungspflichten .................................................... 229 b) Art. 5 Abs. 1 lit. h HAVÜ – Miete oder Pacht von unbeweglichen Sachen ........................................................... 230 c) Art. 5 Abs. 1 lit. i HAVÜ – Dinglich gesicherte vertragliche Ansprüche .............................................................................. 231 d) Art. 5 Abs. 1 lit. j HAVÜ – Außervertragliche Schuldverhältnisse ................................................................. 232 e) Art. 5 Abs. 1 lit. k HAVÜ – Trusts ......................................... 235 f) Art. 5 Abs. 3 S. 2 HAVÜ – Wohnraummiete und Registrierung unbeweglichen Eigentums................................ 237 g) Art. 6 HAVÜ – Dingliche Rechte an unbeweglichen Sachen . 238 aa) Grundsatz ........................................................................ 238 bb) Dingliche Rechte ............................................................. 238 cc) Unbewegliche Sachen ..................................................... 239 VI. Schutz von Verbrauchern und Arbeitnehmern ................................... 243 1. Keine besonderen Zuständigkeitsgründe...................................... 243 2. Anwendungsbereich des Art. 5 Abs. 2 HAVÜ ............................. 244 a) Überblick................................................................................. 244 b) Verträge zwischen Verbrauchern? ........................................... 244 3. Schutzmechanismus .................................................................... 246 4. Verbleibende Zuständigkeitsgründe für eine Anerkennung und Vollstreckung gegen Verbraucher oder Arbeitnehmer ................. 247 5. Abschließende Bewertung des Schutzniveaus.............................. 248 VII. Verhältnis der indirekten Zuständigkeitsgründe zueinander .............. 249 1. Nichtausschließliche Zuständigkeitsgründe ................................. 249 2. Die „relativ“ ausschließlichen Zuständigkeitsgründe des Art. 5 Abs. 3 S. 2 HAVÜ ....................................................................... 250 3. Der „absolut“ ausschließliche Zuständigkeitsgrund des Art. 6 HAVÜ ......................................................................................... 252 a) Grundsatz ............................................................................... 252 b) Grundstücksbelegenheit in einem Nichtvertragsstaat.............. 252 c) Grundstücksbelegenheit im ersuchten Staat............................ 255 d) Das Verhältnis von Art. 6 und Art. 29 HAVÜ ........................ 256 aa) Notifikation im Verhältnis zwischen Urteilsstaat und ersuchtem Staat ............................................................... 256 bb) Notifikation im Verhältnis zwischen Belegenheitsstaat und ersuchtem Staat ........................................................ 258 cc) Notifikation im Verhältnis zwischen Urteilsstaat und Belegenheitsstaat............................................................. 258 e) Zusammenfassung .................................................................. 259 VIII. Bedeutung einer Rechtsnachfolge im Rahmen der indirekten Zuständigkeitsgründe ...................................................................... 260
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IX. Gerichtliche Vergleiche .................................................................... 261 1. Ausgangspunkt ............................................................................ 261 2. Wortlaut der authentischen Sprachfassungen ............................... 263 3. Sinn und Zweck ........................................................................... 264 4. Parallelvorschrift: Art. 12 HGÜ ................................................... 265 5. Entstehungsgeschichte ................................................................. 265 6. Fazit ............................................................................................ 266
Kapitel 6: Versagungsgründe ............................................................ 268 A. Fakultativer Charakter.......................................................................... 269 I. II.
Grundsatz ......................................................................................... 269 Unterschiedliche Maßstäbe für verschiedene Vertragsstaaten?.......... 272
B. Rügeerfordernis? .................................................................................. 273 C. Restriktive Auslegung............................................................................ 274 D. Die Versagungsgründe im Einzelnen .................................................... 275 I.
Art. 7 Abs. 1 lit. a HAVÜ – Übermittlung des verfahrenseinleitenden Schriftstücks ................................................................. 275 1. Schutz des Beklagten vor unangemessener Verfahrenseinleitung ................................................................... 275 2. Souveränitätsinteressen des ersuchten Staats ............................... 277 II. Art. 7 Abs. 1 lit. b HAVÜ – Betrug................................................... 279 III. Art. 7 Abs. 1 lit. c HAVÜ – Ordre public-Vorbehalt ........................ 280 1. Grundsatz .................................................................................... 280 2. Kein Erfordernis einer Inlandsbeziehung ..................................... 283 3. Präklusion als Frage des nationalen Rechts.................................. 284 IV. Art. 7 Abs. 1 lit. d HAVÜ – Verfahren im Widerspruch zu Gerichtsstandsvereinbarung oder -bestimmung ................................. 284 1. Grundsatz .................................................................................... 284 2. Verhältnis zu den auf Zustimmung beruhenden indirekten Zuständigkeitsgründen................................................................. 288 3. Kein genereller Schutz ausschließlicher Zuständigkeiten des ersuchten Staates ......................................................................... 289 V. Art. 7 Abs. 1 lit. e HAVÜ – Unvereinbarkeit mit Entscheidung aus ersuchtem Staat ................................................................................. 290 1. Grundsatz .................................................................................... 290 2. Unvereinbarkeit ........................................................................... 290
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3. Ausnahme vom unbedingten Vorrang der inländischen Entscheidung? ............................................................................. 292 4. Gegenüber Art. 9 lit. f HGÜ angepasster Wortlaut ...................... 295 VI. Art. 7 Abs. 1 lit. f HAVÜ – Unvereinbarkeit mit früherer, anerkennungsfähiger Entscheidung ................................................... 296 1. Grundsatz .................................................................................... 296 2. Identität des Gegenstands ............................................................ 297 3. Prioritätsprinzip bei formeller Rechtskraft als Anerkennungsvoraussetzung ....................................................... 298 VII. Art. 7 Abs. 2 HAVÜ – Frühere Anhängigkeit im ersuchten Staat ..... 301 1. Früheres inländisches Verfahren .................................................. 301 2. Enge Verbindung ......................................................................... 302 VIII. Art. 8 Abs. 2 HAVÜ – Vorfragen ..................................................... 304 1. Erfasste Fälle ............................................................................... 304 2. Beruhen ....................................................................................... 306 3. Abweichende Beurteilung des ersuchten Gerichts ....................... 307 IX. Art. 10 HAVÜ – Nichtkompensatorischer Schadensersatz ................ 310 X. Art. 4 Abs. 4 HAVÜ – Rechtsbehelf im Ursprungsstaat .................... 312 XI. Versagung in sonstigen Fällen .......................................................... 315 1. Art. 19 Abs. 2 HAVÜ – Staaten als Beteiligte ............................. 315 2. Art. 17 HAVÜ – Inlandssachverhalte .......................................... 315 3. Art. 2 Abs. 3 HAVÜ – Schiedsgerichtsbarkeit ............................. 316 4. Art. 2 Abs. 5 HAVÜ – Immunität ................................................ 318 E. Verbot der révision au fond ................................................................... 319 I. II.
Grundsatz: Art. 4 Abs. 2 S. 1 HAVÜ ................................................ 319 „Einschränkung“ in Art. 4 Abs. 2 S. 2 HAVÜ .................................. 320 1. „Untersuchung“ der Entscheidung ............................................... 321 2. Abweichende Beurteilung von Rechtsfragen ............................... 321 3. Keine Bindung an Tatsachenfeststellungen .................................. 322 4. Ordre public-Kontrolle ................................................................ 324
Kapitel 7: Anerkennungsbegriff ....................................................... 325 A. Denkbare Lösungsansätze ..................................................................... 325 B. Keine Anwendung von Art. 13 Abs. 1 S. 1 HAVÜ .................................. 326 C. Keine Gleichstellung ............................................................................. 327 D. Keine umfassende Wirkungserstreckung ............................................... 328
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E. Der Ansatz des HAVÜ ........................................................................... 329
Kapitel 8: Verweise und Bezugnahmen auf nationales Recht .. 332 A. Verweise auf nationales Recht............................................................... 333 I.
Recht des Ursprungsstaats ................................................................ 333 1. Status und Wirkungen der Entscheidung ..................................... 333 2. Prozessuale Ereignisse im Ursprungsverfahren............................ 334 3. Bewertung von Parteiverhalten .................................................... 335 4. Sonstige Verweise ....................................................................... 337 II. Recht des ersuchten Staates .............................................................. 337 1. Vorbehaltsklauseln und Kontrollmechanismen ............................ 337 2. Wirksamkeit von Gerichtsstandsvereinbarungen oder -bestimmungen ........................................................................................ 338 3. Materiell-rechtliche Fragen ......................................................... 339 4. Abgrenzung von Regelungsbereichen .......................................... 340 III. Recht sonstiger Staaten ..................................................................... 340 IV. Grundsatz der Gesamtverweisung ..................................................... 341 B. Subsumtion unter normative Tatbestandsmerkmale ............................... 342 C. Ermittlung ausländischen Rechts .......................................................... 343 D. Fazit ..................................................................................................... 344
Kapitel 9: Rechtsvergleichende Perspektive ................................. 346 A. Einleitung ............................................................................................. 346 B. Gegenstand der Anerkennung oder Vollstreckung ................................. 349 I. II. III. IV. V.
Zivil- oder Handelssachen ................................................................ 349 Entscheidungen in der Sache ............................................................ 350 Finalität der Entscheidung ................................................................ 352 Nicht-Geldleistungsurteile ................................................................ 354 Gerichtliche Vergleiche .................................................................... 356
C. Indirekte Zuständigkeit ......................................................................... 357 I.
Deutsches Recht ............................................................................... 357 1. Wohnsitz, Sitz und Niederlassungen ............................................ 358
Inhaltsverzeichnis
XXI
2. Kläger, Widerklage, ausdrückliche Unterwerfung, rügelose Einlassung, Gerichtsstandsvereinbarung ...................................... 361 3. Weitere Gerichtsstände ................................................................ 364 4. Zwischenfazit .............................................................................. 366 II. Englisches Recht............................................................................... 367 1. Unterwerfung .............................................................................. 368 a) Kläger/Widerkläger des Ursprungsverfahrens ........................ 368 b) Voluntary appearance ............................................................ 369 c) Gerichtsstandsvereinbarung ................................................... 370 2. Anwesenheit ................................................................................ 371 a) Natürliche Personen ............................................................... 371 b) Juristische Personen ............................................................... 373 3. Keine weiteren Anerkennungszuständigkeiten............................. 374 III. Fazit .................................................................................................. 375 D. Verbürgung der Gegenseitigkeit ........................................................... 376 E. Abwehr inakzeptabler Entscheidungen .................................................. 379 I. II. III. IV.
Verfahrenseinleitung ......................................................................... 380 Ordre public, Betrug und nichtkompensatorischer Schadensersatz ... 381 Urteilskollisionen und anhängiges Verfahren im ersuchten Staat ...... 383 Sonstige Schutzmechanismen des HAVÜ ......................................... 385
F. Fazit ...................................................................................................... 387
Zusammenfassung und Schluss ........................................................ 389 Literaturverzeichnis ................................................................................... 397 Materialienverzeichnis .............................................................................. 421 Sachverzeichnis ......................................................................................... 429
Abkürzungsverzeichnis a.A. a.E. a.F. ABl. Abs. AC AcP AEUV AG AJA 1920 Alb. L. Rev. Alt. Amer. J. Comp. L. Amer. J. Int'l. L. Anm. Anm. d. Verf. Art. ASLR AUDJ Aufl. Austl. Int'l L.J. Austrian Rev. Int'l & Eur. L. BAG BB Bd. BeckOK BeckRS Begr. BGB BGBl. BGE BGer BGH BGHZ BRAK Brook. J. Int’l L.
anderer Ansicht am Ende alte Fassung Amtsblatt Absatz Appeal Cases Archiv für die civilistische Praxis Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (ABl. 2016 C 202/47) Die Aktiengesellschaft Administration of Justice Act 1920 Albany Law Review Alternative The American Journal of Comparative Law American Journal of International Law Anmerkung Anmerkung des Verfassers Artikel Aberdeen Student Law Review Acta Universitatis Danubius. Juridica Auflage Australian International Law Journal Austrian Review of International & European Law Bundesarbeitsgericht Betriebs-Berater Band Beck‘scher Online-Kommentar Beck‘sche Rechtsprechungssammlung Begründer Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgesetzblatt Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts (amtliche Sammlung) Bundesgericht (Schweiz) Bundesgerichtshof Entscheidungen des Bundesgerichtshofes in Zivilsachen Bundesrechtsanwaltskammer Brooklyn Journal of International Law
XXIV
Abkürzungsverzeichnis
Brüssel Ia-VO
Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (Neufassung) (ABl. 2012 L 351/1), zuletzt geändert durch Art. 1 ÄndVO (EU) 2015/281 vom 26.11.2014 (ABl. 2015 L 54/1) Verordnung (EG) Nr. 2201/2003 des Rates vom 27. November 2003 über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1347/2000 (ABl. 2003 L 338/1), zuletzt geändert durch Art. 104 Abs. 1 Brüssel IIa-VO 2022 vom 25.6.2019 (ABl. L 178/1) Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (ABl. 2001 L 12/1), zuletzt geändert durch Art. 1 ÄndVO (EU) 2015/263 vom 16.1.2015 (ABl. 2015 L 45/2) Drucksache des Deutschen Bundestages Bundesverfassungsgericht
Brüssel IIa-VO
Brüssel I-VO
BT-Drs. BVerfG C.J.Q. China-EU L.J. Chinese JIL CISG
Cornell Int'l L.J. CPR
Civil Justice Quarterly China-EU Law Journal Chinese Journal of International Law Übereinkommen der Vereinten Nationen vom 11. April 1980 über Verträge über den internationalen Warenkauf (BGBl. 1989 II S. 586, 588; 1990 II S. 1699) Civil Jurisdiction and Judgments Act 1982 Commonwealth Law Reports Übereinkommen vom 19. Mai 1956 über den Beförderungsvertrag im internationalen Straßengüterverkehr (BGBl. 1961 II S. 1119), zuletzt geändert durch Protokoll zum Übereinkommen über den Beförderungsvertrag im int. Straßenverkehr (CMR) vom 5.7.1978 (BGBl. 1980 II S. 733) Cornell International Law Journal Civil Procedure Rules 1998 (SI 1998/3132)
D.L.R. Dalhousie L.J. DePaul L. Rev. Duke J. Comp. & Int'l L.
Dominion Law Reports Dalhousie Law Journal Depaul Law Review Duke Journal of Comparative & International Law
ECLI ECLIC EGBGB
European Case Law Identifier EU and Comparative Law Issues and Challenges Series Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche
CJJA 1982 CLR CMR
Abkürzungsverzeichnis Einl. EJIL EMRK
ErwSÜ
EuErbVO
EuG EuGFVO
EuGH EuGüVO
EuGVÜ
EuMahnVO
EuPartVO
EuR Eur. J. Law Reform
XXV
Einleitung European Journal of International Law Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 2010 II S. 1198), zuletzt geändert durch 15. EMRK-Protokoll vom 24.6.2013 (BGBl. 2014 II S. 1034) Haager Übereinkommen vom 13. Januar 2000 über den internationalen Schutz von Erwachsenen (BGBl. 2007 II S. 323) Verordnung (EU) Nr. 650/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. Juli 2012 über die Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen und die Annahme und Vollstreckung öffentlicher Urkunden in Erbsachen sowie zur Einführung eines Europäischen Nachlasszeugnisses (ABl. 2012 L 201/107) Gericht der Europäischen Union (als Teil des Gerichtshofs der Europäischen Union) Verordnung (EG) Nr. 861/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Juli 2007 zur Einführung eines europäischen Verfahrens für geringfügige Forderungen (ABl. 2007 L 199/1), zuletzt geändert durch Art. 1 ÄndVO (EU) 2017/1259 vom 19.6.2017 (ABl. 2017 L 182/1) Gerichtshof (als Teil des Gerichtshofs der Europäischen Union) Verordnung (EU) 2016/1103 des Rates vom 24. Juni 2016 zur Durchführung einer Verstärkten Zusammenarbeit im Bereich der Zuständigkeit, des anzuwendenden Rechts und der Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Fragen des ehelichen Güterstands (ABl. 2016 L 183/1) Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivilund Handelssachen vom 27. September 1968 (BGBl. 1972 II S. 774) Verordnung (EG) Nr. 1896/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2006 zur Einführung eines Europäischen Mahnverfahrens (ABl. 2006 L 399/1), zuletzt geändert durch Art. 1 ÄndVO (EU) 2017/1260 vom 19.6.2017 (ABl. 2017 L 182/20) Verordnung (EU) 2016/1104 des Rates vom 24. Juni 2016 zur Durchführung der Verstärkten Zusammenarbeit im Bereich der Zuständigkeit, des anzuwendenden Rechts und der Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Fragen güterrechtlicher Wirkungen eingetragener Partnerschaften (ABl. 2016 L 183/30) Zeitschrift Europarecht European Journal of Law Reform
XXVI
Abkürzungsverzeichnis
EuUnthVO
Verordnung (EG) Nr. 4/2009 des Rates vom 18. Dezember 2008 über die Zuständigkeit, das anwendbare Recht, die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen und die Zusammenarbeit in Unterhaltssachen (ABl. 2009 L 7/1), zuletzt geändert durch Art. 1 ÄndVO (EU) 2018/1937 vom 10.12.2018 (ABl. 2018 L 314/36) Vertrag über die Europäische Union (ABl. 2016 C 202/13) Verordnung (EG) Nr. 805/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. April 2004 zur Einführung eines europäischen Vollstreckungstitels für unbestrittene Forderungen (ABl. 2004 L 143/15), zuletzt geändert durch Anh. Nr. 4 ÄndVO (EG) 1103/2008 vom 22.10.2008 (ABl. 2008 L 304/80) Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht Übereinkommen vom 19. Juni 1980 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (BGBl. 1986 II S. 809) England & Wales High Court Entscheidungen zum Wirtschaftsrecht
EUV EuVTVO
EuZW EVÜ
EWHC EWiR f./ff. F.3d FactÜ FJA 1933 FLC FLR Fn. FS
folgende Federal Reporter, Third Series UNIDROIT-Übereinkommen vom 28. Mai 1988 über das internationale Factoring (BGBl. 1998 II S. 173) Foreign Judgments (Reciprocal Enforcement) Act 1933 Family Law Cases Family Law Reports Fußnote Festschrift
Geo. L.J. GG GRUR GS GWR
The Georgetown Law Journal Grundgesetz Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht Gedenkschrift Gesellschafts- und Wirtschaftsrecht
Haager Konferenz HAdoptÜ
Haager Konferenz für Internationales Privatrecht Haager Übereinkommen vom 29. Mai 1993 über den Schutz von Kindern und die Zusammenarbeit auf dem Gebiet der internationalen Adoption (BGBl. 2001 II S. 1034) Haager Übereinkommen vom 5. Oktober 1961 zur Befreiung ausländischer öffentlicher Urkunden von der Legalisation (BGBl. 1965 II S. 875) Haager Übereinkommen vom 2. Juli 2019 über die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Entscheidungen in Zivil- oder Handelssachen
HApostilleÜ
HAVÜ
Abkürzungsverzeichnis HBewÜ
HGÜ HGÜIK
HGÜWG HKÜ
HKUnthÜ
HRpflÜ Hrsg. hrsg. v. HStVÜ HUnthGÜ
HUnthP
HUnthÜ
HVÜ
HVÜ-Zusatzprotokoll
HWpÜ
HZPÜ HZÜ
XXVII
Haager Übereinkommen vom 18. März 1970 über die Beweisaufnahme im Ausland in Zivil- oder Handelssachen (BGBl. 1977 II S. 1472) Haager Übereinkommen vom 30. Juni 2005 über Gerichtsstandsvereinbarungen (ABl. 2009 L 133/3) Haager Übereinkommen vom 15. April 1958 über die Zuständigkeit des vertraglich vereinbarten Gerichts bei internationalen Kaufverträgen Haager Übereinkommen vom 25. November 1965 über Gerichtsstandsvereinbarungen Haager Übereinkommen vom 25. Oktober 1980 über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführung (BGBl. 1990 II S. 206) Haager Übereinkommen vom 24. Oktober 1956 über das auf Unterhaltsverpflichtungen gegenüber Kindern anzuwendende Recht (BGBl. 1961 II S. 1012) Haager Übereinkommen vom 25. Oktober 1980 über den internationalen Zugang zur Rechtspflege Herausgeber/-in herausgegeben von Haager Übereinkommen vom 4. Mai 1971 über das auf Straßenverkehrsunfälle anzuwendende Recht Haager Übereinkommen vom 23. November 2007 über die internationale Geltendmachung der Unterhaltsansprüche von Kindern und anderen Familienangehörigen (ABl. 2011 L 192/51) Haager Protokoll vom 23. November 2007 über das auf Unterhaltspflichten anzuwendende Recht (ABl. 2009 L 331/19) Haager Übereinkommen vom 2. Oktober 1973 über die Anerkennung und Vollstreckung von Unterhaltsentscheidungen (BGBl. 1986 II S. 826) Convention of 1 February 1971 on the Recognition and Enforcement of Foreign Judgments in Civil and Commercial Matters Supplementary Protocol of 1 February 1971 to the Hague Convention on the Recognition and Enforcement of Foreign Judgments in Civil and Commercial Matters (Concluded 1 February 1971) Haager Übereinkommen vom 5. Juli 2006 über die auf bestimmte Rechte an Intermediär-verwahrten Wertpapieren anzuwendende Rechtsordnung Haager Übereinkommen vom 1. März 1954 über den Zivilprozess (BGBl. 1958 II S. 576) Haager Übereinkommen vom 15. November 1965 über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke im Ausland in Zivil- oder Handelssachen (BGBl. 1977 II S. 1452)
XXVIII
Abkürzungsverzeichnis
I.C.L.Q. i.Erg. i.S.d. i.V.m. ICCA IGH IIC
IWRZ IZPR IZVR
International and Comparative Law Quarterly im Ergebnis im Sinne des in Verbindung mit International Council for Commercial Arbitration Internationaler Gerichtshof International Review of Intellectual Property and Competition Law Information Document Internationales Privatrecht Praxis des Internationalen Privat- und Verfahrensrechts Bundesgesetz über das Internationale Privatrecht (Schweiz) Zeitschrift für europäische und internationale Steuerund Wirtschaftsberatung Zeitschrift für Internationales Wirtschaftsrecht Internationales Zivilprozessrecht Internationales Zivilverfahrensrecht
J. Marshall L. Rev. J.L. & Com. JIDS JPIL jurisPK JZ
The John Marshall Law Review Journal Of Law And Commerce Journal of International Dispute Settlement Journal of Private International Law juris PraxisKommentar JuristenZeitung
Kap. KSÜ
Kapitel Haager Übereinkommen vom 19. Oktober 1996 über die Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, die Anerkennung, Vollstreckung und Zusammenarbeit auf dem Gebiet der elterlichen Verantwortung und der Maßnahmen zum Schutz von Kindern (BGBl. 2009 II S. 602, 603)
L.Q.R. Law & Contemp. Probs. LG lit. LMCLQ Loy. L.A. Int'l & Comp. L. Rev
Law Quarterly Review Law and Contemporary Problems Landgericht littera Lloyd's Maritime and Commercial Law Quarterly Loyola of Los Angeles International and Comparative Law Review Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivilund Handelssachen vom 16. September 1988 (ABl. 1988 L 319/9) Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 30. Oktober 2007 (ABl. 2009 L 147/5), zuletzt geändert durch ÄndÜbk. vom 3.3.2017 (ABl. 2017 L 57/63)
InfoDoc IPR IPRax IPRG IStR
LugÜ 1988
LugÜ 2007
Abkürzungsverzeichnis
XXIX
M. & W. m.w.N. Melb. J. Int'l L. Mich. J. Int'l L. Mor. MSA
Meeson & Welsby's Exchequer Reports mit weiteren Nachweisen Melbourne Journal of International Law Michigan Journal of International Law Morison's Dictionary of Decisions Haager Übereinkommen vom 5. Oktober 1961 über die Zuständigkeit der Behörden und das anzuwendende Recht auf dem Gebiet des Schutzes von Minderjährigen (BGBl. 1971 II S. 217)
n.F. N.Y. App. Div. N.Y.U. J. Int'l L. & Pol.
Nordic J. Int'l L. Northwest. J. Int'l L. & Bus. NVwZ NZA NZFLR NZG NZLR
neue Fassung Appellate Division of the Supreme Court of New York New York University Journal of International Law and Politics New York University Law Review Netherlands International Law Review Nederlands Internationaal Privaatrecht Neue Juristische Online-Zeitschrift Neue Juristische Wochenzeitschrift Neue Juristische Wochenschrift Rechtsprechungs-Report Zivilrecht Nordic Journal of International Law Northwestern Journal of International Law and Business Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht Neue Zeitschrift für Arbeitsrecht New Zealand Family Law Reports Neue Zeitschrift für Gesellschaftsrecht New Zealand Law Reports
OGH OLG ONSC Osgoode Hall L.J.
Oberster Gerichtshof (Österreich) Oberlandesgericht Superior Court of Justice – Ontario Osgoode Hall Law Journal
PPIL PrelDoc
Public and Private International Law Bulletin Preliminary Document
RabelsZ
Rabels Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht Rat für Allgemeine Angelegenheiten und die Politik der Haager Konferenz Revue Critique de Droit International Privé Revista da Secretaria do Tribunal Permanente de Revisão Reichsgesetzblatt Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivilsachen Recht der internationalen Wirtschaft Randnummer
N.Y.U. L. Rev. Neth. Int'l L. Rev. NIPR NJOZ NJW NJW-RR
Rat der Haager Konferenz Rev. crit. DIP Rev. secr. Trib. perm. revis RGBl. RGZ RIW Rn.
XXX
Abkürzungsverzeichnis
Rom II-VO
Verordnung (EG) Nr. 864/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Juli 2007 über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht („Rom II“) (ABl. L 199/40, ber. 2012 L 310/52) Verordnung (EG) Nr. 593/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Juni 2008 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Rom I) (ABl. L 177 S. 6, ber. 2009 L 309/87)
Rom I-VO
S. S.C.R. S.D.N.Y.
Slg. SRIEL
Seite Supreme Court Reports (Canada) United States District Court for the Southern District of New York Supreme Court of Canada Zeitschrift für Schiedsverfahren Schweizer Jahrbuch für internationales Recht Section Singapore Court of Appeal Singapore High Court Registrar Statutory Instruments UN-Übereinkommen über durch Mediation erzielte internationale Vergleichsvereinbarungen Sammlung Swiss Review of International and European Law
Tex. Int'l L.J.
Texas International Law Journal
U.C. Davis L. Rev. UAbs. UKHL Unif. L. Rev. UNÜ
University of California Davis Law Review Unterabsatz United Kingdom House of Lords Uniform Law Review Übereinkommen über die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche vom 10. Juni 1958 (BGBl. 1961 II S. 123)
v Var. VersR
versus Variante Zeitschrift für Versicherungsrecht, Haftungs- und Schadensrecht vergleiche Volume Vorbemerkung
SCC SchiedsVZ SchwJbIntR Sec. SGCA SGHCR SI Singapur-Konvention
vgl. Vol. Vorbem. WLR WorkDoc WVK
The Weekly Law Reports Working Document Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge vom 23. Mai 1969
YbPIL
Yearbook of Private International Law
Abkürzungsverzeichnis z.B. ZaöRV ZessÜ ZEuP ZfRV ZPO ZVglRWiss ZZP
XXXI
zum Beispiel Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht UN-Übereinkommen vom 1. Dezember 2001 über die Abtretung von Forderungen im internationalen Handel Zeitschrift für Europäisches Privatrecht Zeitschrift für Europarecht, Internationales Privatrecht und Rechtsvergleichung Zivilprozessordnung Zeitschrift für Vergleichende Rechtswissenschaft Zeitschrift für Zivilprozess
Einleitung A. Einführung Gegenstand der vorliegenden Arbeit ist das Haager Übereinkommen vom 2. Juli 2019 über die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Entscheidungen in Zivil- oder Handelssachen (im Folgenden: „HAVÜ“).1 Der Zweck des HAVÜ besteht in der Erleichterung der grenzüberschreitenden Anerkennung und Vollstreckung zivilrechtlicher Urteile2 auf globaler Ebene.3 Im Grundsatz entfalten Urteile als staatliche Hoheitsakte nur dort Wirkungen, wo der erlassende Staat („Ursprungsstaat“, „Urteilsstaat“ oder „Erststaat“) Hoheitsgewalt ausübt, also innerhalb seiner Staatsgrenzen.4 Ob und unter welchen Bedingungen ein Urteil in anderen Staaten Wirkungen entfaltet, richtet sich nach der jeweiligen Rechtsordnung.5 Eine völkerrechtliche Pflicht zur Anerkennung oder Vollstreckung fremder Urteile besteht (in Abwesenheit eines völkerrechtlichen Vertrages) grundsätzlich nicht.6 Vor diesem Hintergrund ist 1 Convention of 2 July 2019 on the Recognition and Enforcement of Foreign Judgments in Civil or Commercial Matters (übliche Kurzbezeichnungen: „HCCH Judgments Convention“ oder „Hague Judgments Convention“), abrufbar in englischer und französischer Sprache unter ; in englischer Sprachfassung abgedruckt in Neth. Int'l L. Rev. 2020, 169–181. 2 Der Begriff der Entscheidung oder Gerichtsentscheidung und der Begriff des Urteils werden in dieser Arbeit synonym verwendet. Mit „Urteil“ sind also nicht nur solche gerichtlichen Entscheidungen gemeint, die formal als Urteil bezeichnet werden. Zum Begriff der Entscheidung im Rahmen des HAVÜ siehe Kapitel 4 B. (S. 137). 3 Siehe Abs. 3 der Präambel des HAVÜ; vgl. auch Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 14, 21. 4 Gerasimchuk, Urteilsanerkennung, S. 45, 51; Junker, IZPR, § 27 Rn. 1; Laugwitz, Anerkennung, S. 1; Linke/Hau, IZVR, Rn. 12.1; Martiny, in: Hdb. IZVR III/1, Rn. 152; Michaels, in: Wolfrum, MPEPIL, Rn. 1; Nagel/Gottwald, IZPR, Rn. 12.119; Schack, IZVR, Rn. 923; Schärtl, Spiegelbildprinzip, S. 10; Schönau, Anerkennung, S. 46 f.; Stojan, Anerkennung, S. 11 f. 5 Cuniberti, Recueil des Cours, Bd. 394, S. 104; Geimer, Anerkennung, S. 1; Gottwald, in: MüKo-ZPO, § 328 Rn. 1; Ho, I.C.L.Q. 46 (1997) 443 (449); Laugwitz, Anerkennung, S. 1; Martiny, in: Hdb. IZVR III/1, Rn. 153; Schärtl, Spiegelbildprinzip, S. 11 f.; Stojan, Anerkennung, S. 11. 6 Cuniberti, Recueil des Cours, Bd. 394, S. 104; Decker, Anerkennung, S. 205; Geimer, Anerkennung, S. 10 f.; Gerasimchuk, Urteilsanerkennung, S. 46; Gottwald, in: MüKo-ZPO,
2
Einleitung
es nicht überraschend, dass in verschiedenen Rechtsordnungen unterschiedliche Regelungen zur Anerkennung oder Vollstreckung fremder Urteile gelten. In einigen Staaten werden fremde Urteile (in Abwesenheit einer völkervertraglichen Verpflichtung) generell nicht anerkannt7 oder einer Nachprüfung in der Sache (révision au fond) unterzogen.8 Die meisten Staaten erkennen unter bestimmten Voraussetzungen ausländische Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen an, wobei sich die Regelungen hinsichtlich des Verfahrens, der Anerkennungsvoraussetzungen und -hindernisse unterscheiden. Eine nicht unerhebliche Zahl von Staaten, einschließlich der Bundesrepublik Deutschland, folgt dabei dem sogenannten Gegenseitigkeitsprinzip, das in unterschiedlichen Formen und Ausprägungen existiert.9 In diesen Staaten werden ausländische Urteile grundsätzlich nur anerkannt, wenn umgekehrt auch der andere Staat eigene Urteile anerkennt oder anerkennen würde. Für die Parteien kann eine restriktive Anerkennungspraxis bedeuten, dass sie den Rechtsstreit im Zweitstaat erneut führen müssten, obwohl es an dem erststaatlichen Gerichtsverfahren und dem Urteil nichts auszusetzen gibt. Die Durchführung eines erneuten Verfahrens birgt die Gefahr einander widersprechender Entscheidungen, ist ineffizient und wird den legitimen Parteiinteressen regelmäßig nicht gerecht.10 Nicht selten verhindert die Nichtanerkennung aus-
§ 328 Rn. 1; Ho, I.C.L.Q. 46 (1997) 443 (449); Laugwitz, Anerkennung, S. 1 f.; Maier, Alb. L. Rev. 61 (1998), 1207 (1223); Martiny, in: Hdb. IZVR III/1, Rn. 156; Michaels, in: Wolfrum, MPEPIL, Rn. 11; Nagel/Gottwald, IZPR, Rn. 12.119 und Rn. 16.2; Roth, in: Stein/Jonas, § 328 Rn. 1; Schack, IZVR, Rn. 923; Schönau, Anerkennung, S. 46 f. Die Streitfrage, ob vor dem Hintergrund menschenrechtlicher Vorgaben eine Ausnahme für Statusentscheidungen zu machen ist (so Geimer, IZPR, Rn. 2757; a.A. Roth, in: Stein/Jonas, § 328 Rn. 1), bedarf hier keiner Klärung, da Statusentscheidungen nicht in den Anwendungsbereich des HAVÜ fallen, vgl. Art. 2 Abs. 1 lit. a HAVÜ. 7 Dies gilt beispielsweise (teilweise mit Einschränkungen) für Liechtenstein (Mankowski, IPRax 2015, 410 (410 f.)), Schweden, Norwegen, Finnland (Schack, IZVR, Rn. 1063; Elbalti, JPIL 2017, 184 (196, 210 ff.); Wilderspin/Vysoka, NIPR 2020, 34 (41)), Thailand, Indonesien (Chong, JPIL 2020, 31 (38–40); Cuniberti, Recueil des Cours, Bd. 394, S. 175 f.; Kusumadara, in: Reyes, Recognition and Enforcement, S. 243 (251); Nagel/Gottwald, IZPR, Rn. 16.127) und Russland (Elbalti, JPIL 2017, 184 (197–199)). Für weitere Beispiele vgl. Jones Day, Comparative Study of Jurisdictional Gaps and Their Effect on the Judgments Project, S. 2. 8 So z.B. auf den Philippinen (Jo/Cruz, in: Reyes, Recognition and Enforcement, S. 223 (233 ff.); Elbalti, JPIL 2017, 184 (209); Nagel/Gottwald, IZPR, Rn. 16.129). 9 Vgl. Elbalti, JapYbPIL 16 (2014), 264 (271 f.); Cuniberti, Recueil des Cours, Bd. 394, S. 202 ff.; Schack, IZVR, Rn. 1064. Siehe für Beispiele und Nachweise Kapitel 3 A. (S. 87). 10 Vgl. Ho, I.C.L.Q. 46 (1997) 443 (460); Juenger, Amer. J. Comp. L. 36-1 (1988), 1 (4); Schack, IZVR, Rn. 935 ff.; zur Kritik am Gegenseitigkeitserfordernis vgl. z.B. Basedow, FS Coester-Waltjen, S. 335 (346 f.); Chong, JPIL 2020, 31 (55 f.); Decker, Anerkennung, S. 284.; Gerasimchuk, Urteilsanerkennung, S. 137–139; Gottwald, ZZP 103 (1990), 257 (279–282); Juenger, Amer. J. Comp. L. 36-1 (1988), 1 (32 f.); Laugwitz, Anerkennung,
A. Einführung
3
ländischer Urteile insgesamt die Durchsetzung der dahinterstehenden zivilrechtlichen Ansprüche. Sofern im Ursprungsstaat kein Vermögen des Schuldners (mehr) vorhanden ist und das Urteil dort, wo Vollstreckungsmasse verfügbar ist, nicht anerkannt wird, geht der Gläubiger leer aus. Ob er ein erneutes Erkenntnisverfahren einleiten kann und will, ist oftmals fraglich. Das erklärte Ziel des HAVÜ besteht darin, das Niveau der gegenseitigen grenzüberschreitenden Anerkennung zu heben und so die effektive Durchsetzung von Ansprüchen zu fördern.11 Unternehmen, Verbrauchern, Arbeitnehmern und anderen Parteien soll geholfen werden, ihre zivilrechtlichen Ansprüche auch grenzüberschreitend durchzusetzen. Dazu stellt das HAVÜ die Regel auf, dass eine vertragsstaatliche Entscheidung unter näher definierten Voraussetzungen in einem anderen Vertragsstaat („ersuchter Staat“, „Zweitstaat“, „Anerkennungsstaat“ oder „Vollstreckungsstaat“) anerkannt und vollstreckt wird.12 Die einheitlichen Regelungen sollen für größere Rechtssicherheit und Vorhersehbarkeit bei der Urteilsanerkennung sorgen und so auch den internationalen Handel sowie Investitionen und grenzüberschreitende Mobilität begünstigen.13 Die Anerkennung fremder Entscheidungen fördert den internationalen Entscheidungseinklang, da sich die Gefahr widersprechender Entscheidungen und hinkender Rechtsverhältnisse im Fall der Anerkennung nicht realisiert.14 Andererseits kann es im Einzelfall auch gute Gründe dafür geben, fremden Urteilen die Anerkennung zu versagen, z.B. wenn das ursprungsstaatliche Verfahren rechtsstaatlichen Mindestanforderungen nicht gerecht geworden ist.15 Die Anerkennungsvoraussetzungen und Versagungsgründe des HAVÜ berücksichtigen entsprechende Bedenken und sehen verschiedene Sicherungsmechanismen zur Abwehr „inakzeptabler“ Entscheidungen vor. Das praktische Bedürfnis für international vereinheitlichte Regelungen zur Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Entscheidungen in Zivil- oder Handelssachen ist vor dem Hintergrund der fortschreitenden Globalisierung
S. 290–293; Martiny, in: Hdb. IZVR III/1, Rn. 1294 ff.; von Mehren, Recueil des Cours, Bd. 167, S. 49 f.; Nagel/Gottwald, IZPR, Rn. 12.207; Schack, IZVR, Rn. 1026–1028; Thole, in: Hess, Anerkennung im IZPR, S. 25 (50 f.). 11 Siehe Abs. 2 und 3 der Präambel des HAVÜ; vgl. auch: Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 14.; Goddard, Duke J. Comp. & Int'l L. 29 (2019), 473 (476); siehe auch: Europäische Kommission, Inception impact assessment, unter C. 12 Art. 4 Abs. 1 S. 1 HAVÜ. 13 Siehe Abs. 2 und 4 der Präambel des HAVÜ; vgl. auch: Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 12, 17; aus Perspektive der Europäischen Union: Europäische Kommission, Inception impact assessment, unter B und C. 14 Geimer, Anerkennung, S. 2 f.; Gerasimchuk, Urteilsanerkennung, S. 50 f.; Linke/Hau, IZVR, Rn. 12.5; Martiny, in: Hdb. IZVR III/1, Rn. 104; Stojan, Anerkennung, S. 13 f. 15 Vgl. Geimer, Anerkennung, S. 3; Juenger, Amer. J. Comp. L. 36-1 (1988), 1 (11 f.); Martiny, in: Hdb. IZVR III/1, Rn. 86; Michaels, in: Wolfrum, MPEPIL, Rn. 1.
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Einleitung
und Digitalisierung immens.16 Unternehmen und Privatpersonen agieren zunehmend grenzüberschreitend, ob im internationalen Handelsverkehr, beim Sommerurlaub oder der Bestellung von Waren und Dienstleistungen über das Internet.17 Wenn Personen und Vermögen ohne größere Schwierigkeiten Landesgrenzen überschreiten, die Wirkung zivilrechtlicher Urteile aber an der Grenze Halt macht, bietet dies Anreize, das Vermögen dorthin zu transferieren, wo eine Vollstreckung des Urteils ausscheidet. Ein Titelschuldner, der sich der Haftung entziehen will, hat dann leichtes Spiel. Auch aus anderen Gründen, die vielfältiger Natur sein können, kann eine grenzüberschreitende Anerkennung oder Vollstreckung erforderlich werden (z.B., weil ein Kläger sein Glück nach verlorenem Prozess in einem anderen Staat erneut versuchen will). Während das New Yorker UN-Übereinkommen über die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche (UNÜ)18 nahezu weltweite Geltung beanspruchen kann,19 fehlt es für die gegenseitige Anerkennung und Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- oder Handelssachen bislang an (erfolgreichen) Übereinkommen auf globaler Ebene.20 Das Haager Vollstreckungsübereinkommen von 1971 (HVÜ)21 ist nie operativ geworden und daher ohne praktische Relevanz geblieben.22 Andere Übereinkommen sind sachlich und/oder persönlich stärker beschränkt und erfassen nur einen kleinen Teilbereich zivilrechtlicher Entscheidungen.23 Daneben existieren zahlreiche bilaterale Abkommen und regionale Übereinkommen und Instrumente. So zirkulieren innerhalb der Europäischen Union gerichtliche Entscheidungen in Zivilund Handelssachen nach den Regelungen der Brüssel Ia-Verordnung.24 Im 16
Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 19; Bläsi, HGÜ, S. 1; Rühl, IPRax 2005, 410 (410). 17 Vgl. Jueptner, JPIL 2020, 247 (247); Goddard, Duke J. Comp. & Int'l L. 29 (2019), 473 (478). 18 Übereinkommen über die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche vom 10. Juni 1958 (BGBl. 1961 II S. 123). 19 Das UNÜ hat aktuell 168 Vertragsstaaten, vgl. (Stand: 25.4.2021); allgemein zum Erfolg des UNÜ: Born, International Commercial Arbitration I, S. 103 f. 20 Vgl. Symeonides, Cross-Border Infringement of Personality Rights, S. 130; Laugwitz, Anerkennung, S. 24 f.; Zhao, SRIEL 2020, 345 (346); so auch: Europäische Kommission, Inception impact assessment, unter A. 21 Convention of 1 February 1971 on the Recognition and Enforcement of Foreign Judgments in Civil and Commercial Matters, abrufbar unter: . 22 Siehe Kapitel 1 B. (S. 15). 23 So z.B. die CMR für Beförderungsverträge im internationalen Straßengüterverkehr oder das HGÜ für ausschließliche Gerichtsstandsvereinbarungen im B2B-Verkehr. Siehe zu letzterem Kapitel 1 F. (S. 30). 24 Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung
A. Einführung
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Verhältnis zwischen den EU-Mitgliedsstaaten, der Schweiz, Norwegen und Island gilt das Lugano-Übereinkommen von 2007 (LugÜ 200725). Auch in anderen Teilen der Welt gibt es regionale Übereinkommen über die grenzüberschreitende Urteilsanerkennung (z.B. innerhalb der Organisation Amerikanischer Staaten26 und der Arabischen Liga27). Das HAVÜ soll über die vielen bilateralen und regionalen Lösungen hinaus einen (möglichst) weltweiten Mindeststandard der gegenseitigen Urteilsanerkennung schaffen, und zwar ohne die Anwendbarkeit der bereits geltenden Übereinkommen und Instrumente in Frage zu stellen.28 Das HAVÜ wurde im Rahmen der Haager Konferenz für Internationales Privatrecht (im Folgenden: Haager Konferenz) ausgehandelt und stellt das Ergebnis des sogenannten Judgments Project dar. Das HAVÜ wurde am 2. Juli 2019 verabschiedet, ist aber bislang nicht in Kraft getreten. Allerdings laufen in verschiedenen Staaten Vorbereitungen, das Übereinkommen in Kraft zu setzen. Uruguay, die Ukraine und Israel haben das HAVÜ bereits unterzeichnet, aber noch nicht ratifiziert.29 Die Europäische Union, der insoweit die ausschließliche Außenkompetenz zusteht,30 bereitet eine Annahme des HAVÜ vor.31 Dabei könnte das HAVÜ auch eine Möglichkeit darstellen, die gegenseitige Urteilsanerkennung zwischen den EU-Mitgliedsstaaten und dem Vereinigten Königreich in Folge des Austritts des Vereinigten Königreichs aus der Europäischen Union (Brexit) neu zu ordnen.32
von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (Neufassung) (ABl. 2012 L 351/1), zuletzt geändert durch Art. 1 ÄndVO (EU) 2015/281 vom 26.11.2014 (ABl. 2015 L 54/1). 25 Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 30. Oktober 2007 (ABl. 2009 L 147/5), zuletzt geändert durch ÄndÜbk. vom 3.3.2017 (ABl. 2017 L 57/63). 26 Vgl. Samtleben, RabelsZ 56 (1992), 1 (18 ff.). 27 Vgl. Bälz, RIW 2012, 354 (356); El Chazli, YbPIL 15 (2013/14), 387 (394 ff.). 28 Siehe Kapitel 3 D. (S. 99) und Kapitel 4 F.II. (S. 176). 29 Siehe (Stand: 25. 4.2021). 30 Siehe Kapitel 4 G.III.1. (S. 179). 31 Siehe . 32 Vgl. Bonze/Lein/Migliorini, Judicial Cooperation after Brexit, Rn. 55; Dickinson, ZEuP 2017, 539 (561 f.); Hess, IPRax 2016, 409 (415 f.); van Loon, Rev. crit. DIP 2019/2, 353; Rühl, NJW 2020, 443 (447); Ungerer, in: Kramme/Baldus/Schmidt-Kessel, Brexit, S. 605 (627); Wagner, IPRax 2021, 2 (15).
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Einleitung
B. Gang der Darstellung Diese Arbeit untersucht systematisch die Voraussetzungen, unter denen das HAVÜ künftige Vertragsstaaten zur Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen verpflichtet. Im Zentrum der Untersuchung stehen der Anwendungsbereich des Übereinkommens, die positiven Voraussetzungen der Anerkennung und Vollstreckung und die Versagungsgründe. Aufgrund des engen Zusammenhangs des HAVÜ mit dem Haager Gerichtsstandsübereinkommen vom 30. Juni 2005 (HGÜ)33 werden etwaige Unterschiede zwischen den beiden Übereinkommen an den jeweiligen Stellen herausgearbeitet und eingeordnet. Kapitel 1 gibt zunächst einen historischen Kurzüberblick, der eine Einordnung des HAVÜ in die bisherigen Entwicklungen ermöglichen soll. Im Rahmen von Kapitel 2 wird untersucht, nach welchen Regeln sich die Auslegung des HAVÜ richtet. Es folgt eine Darstellung der anwendbaren Auslegungsmethoden und eine Erörterung ihrer Relevanz für die Auslegung des HAVÜ. Dabei stehen insbesondere die Bedeutung des Explanatory Reports für die Auslegung des HAVÜ sowie das Verhältnis zum HGÜ im Vordergrund. Kapitel 3 stellt einige der besonders prägenden Eigenschaften des HAVÜ vor, die für das Verständnis des Übereinkommens und der anschließenden Untersuchungen von zentraler Bedeutung sind. In den vier folgenden Kapiteln werden der Anwendungsbereich des HAVÜ (Kapitel 4), die Voraussetzungen der Anerkennung und Vollstreckung (Kapitel 5), die Versagungsgründe (Kapitel 6) sowie der Begriff der Anerkennung (Kapitel 7) näher untersucht. Im Rahmen seiner Vorschriften verweist das HAVÜ verschiedentlich auf nationales Recht. Kapitel 8 wagt eine Systematisierung dieser Verweise und Bezugnahmen und arbeitet die dahinterstehenden Erwägungen heraus. Im abschließenden Kapitel 9 wird das HAVÜ rechtsvergleichend aus der Perspektive des deutschen und des englischen Rechts untersucht. Dabei liegt der Fokus auf dem autonomen Recht Deutschlands und Englands unter Ausschluss europäischer und völkervertraglicher Regelungen. Welche Bedeutung das HAVÜ für eine Rechtsordnung hätte, hängt insbesondere davon ab, ob und unter welchen Voraussetzungen dort bisher eine Anerkennung oder Vollstreckung möglich ist.34 Die rechtsvergleichende Perspektive erlaubt daher eine erste Einordnung des HAVÜ aus Sicht der beiden Rechtsordnungen. Hingegen dient die Brüssel Ia-VO im Rahmen dieser Arbeit nicht generell als Vergleichsgegenstand. Aufgrund des zwischen den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union geltenden Grundsatzes des gegenseitigen Vertrauens,35
33 Haager Übereinkommen vom 30. Juni 2005 über Gerichtsstandsvereinbarungen (ABl. 2009 L 133/3). 34 Vgl. Wilderspin/Vysoka, NIPR 2020, 34 (41). 35 Vgl. Erwägungsgrund 26 der Brüssel Ia-VO.
B. Gang der Darstellung
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würde ein Vergleich mit einem (potenziell) globalen Anerkennungs- und Vollstreckungsübereinkommen in vielerlei Hinsicht hinken. Das gegenseitige Vertrauen rechtfertigt einen Modus der automatischen Anerkennung und Vollstreckung mit sehr eingeschränkten Kontrollmöglichkeiten im ersuchten Staat.36 Ein vergleichbares Vertrauen in die Zivilrechtspflege und das Justizsystem anderer Staaten besteht auf globaler Ebene nicht.37 Nichtsdestotrotz hat die Brüssel Ia-VO im Entstehungsprozess des HAVÜ in mancher Hinsicht als Vorbild oder Inspiration gedient.38 Vor diesem Hintergrund wird auf die Brüssel Ia-VO im Rahmen dieser Arbeit Bezug genommen, wo dies zum Verständnis des HAVÜ notwendig oder hilfreich ist. Ebenso werden andere nationale und internationale Rechtsquellen, wie insbesondere andere Übereinkommen der Haager Konferenz, europäische Verordnungen oder das UNÜ nur an geeigneter Stelle in den Blick genommen, aber nicht systematisch dem vorliegenden Übereinkommen gegenübergestellt. Wie viele nationale Rechtsordnungen und andere Übereinkommen differenziert das HAVÜ zwischen dem Begriff der Anerkennung (recognition bzw. reconnaissance) einerseits und dem Begriff der Vollstreckung (enforcement bzw. exécution) andererseits.39 Die Voraussetzungen sind jedoch weitgehend identisch, so dass aus Gründen der besseren Lesbarkeit im Rahmen dieser Arbeit nicht stets beide Varianten genannt werden. Soweit es auf die Differenzierung zwischen den beiden Konzepten ankommt, wird explizit darauf hingewiesen. Das HAVÜ regelt im Grundsatz nur das „Ob“ und nicht das „Wie“ der Anerkennung und Vollstreckung. Insbesondere unterfällt das Verfahren der Zwangsvollstreckung nicht dem HAVÜ, sondern richtet sich nach nationalem Recht. Soweit im Rahmen dieser Arbeit von „Vollstreckung“ gesprochen wird, geht es daher nur um die grundsätzliche Vollstreckbarkeit der Entscheidung, die im ersuchten Staat regelmäßig noch durch eine Vollstreckbarerklärung oder Registrierung verliehen werden muss.40
36
Vgl. Art. 36, 39, 45 und 52 Brüssel Ia-VO. Vgl. z.B. Borrás, in: Pocar/Honorati, The Hague Preliminary Draft Convention, S. 41 (49 f.); Weller, FS Kronke, S. 621 (621 f.). 38 Siehe Kapitel 2 B.II.3.d) (S. 73). Auch die Bezugnahmen des Explanatory Reports auf Vorschriften der Brüssel Ia-VO und die Rechtsprechung des EuGH deuten auf einen gewissen Einfluss europäischen Rechts für die Entstehung des HAVÜ hin, vgl. z.B. Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 58 Fn. 62, Rn. 193 Fn. 139, Rn. 271 Fn. 197, Rn. 296 Fn. 214; vgl. auch Jovanovic, YbPIL 21 (2019/20), 309 (330); Spitz, YbPIL 21 (2019/20), 333 (343). 39 Vgl. Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 113–117. 40 Siehe Kapitel 4 G.III.1. (S. 179). 37
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Einleitung
C. Umgang mit Sprachfassungen und fremdsprachiger Terminologie Das HAVÜ liegt (bisher) nicht in deutscher Übersetzung vor. Authentisch und somit für die Auslegung maßgeblich sind allein die englische und französische Fassung des Übereinkommens.41 Auch die Materialien aus dem Entstehungsprozess des Übereinkommens liegen lediglich in englischer und französischer Sprachfassung vor. Im Rahmen dieser Arbeit werden vielfach die jeweiligen Formulierungen, Begrifflichkeiten und Inhalte in deutscher Sprache wiedergegeben. Als Orientierungshilfe wurde dazu auf die zwischen Deutschland, Österreich und der Schweiz im Jahr 2006 abgestimmte Übersetzung des HGÜ42 sowie des Explanatory Reports zum HGÜ43 zurückgegriffen. Auch die deutschen Übersetzungen anderer Haager Übereinkommen konnten teilweise Hilfestellungen bieten. Soweit das HAVÜ Regelungen enthält, die sich in gleicher oder ähnlicher Form in europäischen Verordnungen wiederfinden, diente auch die deutsche Sprachfassung44 des jeweiligen europäischen Rechtsakts als Ausgangspunkt für die Suche nach einer geeigneten Übersetzung oder Erläuterung. Wo es für die Auslegung von besonderer Bedeutung ist, werden im Rahmen dieser Arbeit die jeweiligen Begriffe oder Formulierungen zusätzlich in der englischen und/oder französischen Originalfassung wiedergegeben.
D. Das HAVÜ im Überblick Das HAVÜ besteht aus einer Präambel sowie 32 Artikeln, die in die vier folgenden Kapitel untergliedert sind: – Kapitel I – Anwendungsbereich und Begriffsbestimmungen (Art. 1–3 HAVÜ) – Kapitel II – Anerkennung und Vollstreckung (Art. 4–15 HAVÜ) – Kapitel III – Allgemeine Vorschriften (Art. 16–23 HAVÜ) – Kapitel IV – Schlussbestimmungen (Art. 24–32 HAVÜ) Das Übereinkommen schließt mit der üblichen Schlussformel (in cuius rei testimonium-Klausel). Daneben steht ein Musterformblatt (Recommended
41
Siehe Kapitel 2 B.I. (S. 53). Die Übersetzung ist abrufbar unter . 43 Die Übersetzung ist abrufbar unter . 44 Für europäische Rechtsakte sind alle Amtssprachen der Europäischen Union verbindlich, vgl. Art. 1 Verordnung Nr. 1 des Rates vom 15. April 1958 zur Regelung der Sprachenfrage für die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (ABl. 1958 17/385), zuletzt geändert durch VO (EU) Nr. 517/2013 des Rates vom 13.5.2013 (ABl. 2013 L 158/1, 71). 42
D. Das HAVÜ im Überblick
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Form)45 zur Verfügung (vgl. Art. 12 Abs. 3 HAVÜ), das vom Ursprungsgericht ausgefüllt werden kann und zur Erleichterung der Anerkennung und Vollstreckung im ersuchten Staat dienen soll.46 Das Formblatt ist jedoch nicht Bestandteil des Übereinkommens und seine Verwendung ist nicht obligatorisch.47 Das Übereinkommen gilt, von einer Reihe von Ausnahmen abgesehen, für Zivil- oder Handelssachen (Art. 1 Abs. 1 HAVÜ).48 Es regelt die Anerkennung und Vollstreckung von gerichtlichen Entscheidungen (Art. 3 Abs. 1 lit. b HAVÜ) und die Vollstreckung gerichtlicher Vergleiche (Art. 11 HAVÜ) zwischen Vertragsstaaten.49 Das HAVÜ beschränkt sich im Grundsatz darauf, einen Mindeststandard für die Anerkennung und Vollstreckung festzulegen. Dazu definiert es die Voraussetzungen, unter denen Vertragsstaaten verpflichtet sind, die Urteile anderer Vertragsstaaten anzuerkennen und zu vollstrecken. Besteht keine Verpflichtung zur Anerkennung oder Vollstreckung unter dem HAVÜ, kann die Entscheidung gleichwohl nach nationalem Recht oder anderen Instrumenten anerkannt werden (Art. 15, 23 HAVÜ).50 Lediglich Art. 6 HAVÜ bildet eine Ausnahme von diesem Grundsatz und verbietet die Anerkennung oder Vollstreckung von Urteilen über dingliche Rechte an unbeweglichen Sachen aus anderen Staaten als demjenigen, in dem die unbewegliche Sache belegen ist. Auch eine Anerkennung nach nationalem Recht und nach anderen Übereinkommen wird dadurch weitgehend ausgeschlossen.51 Die Grundregel des Übereinkommens lautet, dass eine vertragsstaatliche Entscheidung, die in den Anwendungsbereich des Übereinkommens fällt, dann in allen anderen Vertragsstaaten anerkannt und vollstreckt werden muss, wenn ein indirekter Zuständigkeitsgrund nach Art. 5 oder 6 HAVÜ gegeben ist (Art. 4 Abs. 1 HAVÜ).52 Ein solcher liegt beispielsweise vor, wenn die Person, gegen die vollstreckt werden soll, im Ursprungsstaat ihren gewöhnlichen Auf-
45
Abrufbar unter: . 46 Im Rahmen der 22. Haager Konferenz fehlte die Zeit, das Formblatt zu finalisieren. Stattdessen wurde das Ständige Büro beauftragt, den entsprechenden Entwurf zu überarbeiten, um das Formblatt dem Rat der Haager Konferenz zur Bestätigung vorzulegen, vgl. Final Act – Twenty-Second Session, B. 1 (abrufbar unter: ). Auf seiner Sitzung vom 3.–6. März 2020 hat der Rat der Haager Konferenz das Musterformblatt angenommen, vgl. Ständiges Büro der Haager Konferenz, Conclusions and Decisions adopted by the Council (3–6 March 2020) Rn. 37. 47 Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 304. 48 Siehe zum Anwendungsbereich Kapitel 4 (S. 118). 49 Vgl. zum Begriff des Vertragsstaats Art. 2 Abs. 1 lit. f WVK. 50 Siehe Kapitel 3 D. (S. 99). 51 Siehe Kapitel 4 F.II. (S. 176) und Kapitel 5 B.VII.3. (S. 252). 52 Siehe zu den positiven Voraussetzungen der Anerkennung oder Vollstreckung Kapitel 5 (S. 195).
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Einleitung
enthalt hatte (Art. 5 Abs. 1 lit. a HAVÜ) oder wenn bei deliktischen Ansprüchen wegen der Verletzung von Leben, Körper oder Eigentum der Handlungsort im Ursprungsstaat lag (Art. 5 Abs. 1 lit. j HAVÜ). Liegt ein indirekter Zuständigkeitsgrund nach Art. 5 oder 6 HAVÜ vor, darf die Anerkennung und Vollstreckung nur aufgrund der im Übereinkommen festgelegten Gründe versagt werden (Art. 4 Abs. 1 S. 2 HAVÜ).53 Die zentrale Vorschrift für die Versagungsgründe findet sich in Art. 7 HAVÜ. Neben dem ordre public-Vorbehalt (Abs. 1 lit. c) kommen Versagungsgründe etwa aufgrund unzureichender Bekanntgabe des verfahrenseinleitenden Schriftstücks (Abs. 1 lit. a), Betruges (Abs. 1 lit. b), entgegenstehenden Entscheidungen (Abs. 1 lit. e, f) oder einer Anhängigkeit des Rechtsstreits im ersuchten Staat (Abs. 2) in Betracht. Eine Überprüfung der Entscheidung in der Sache (révision au fond) ist ausgeschlossen (Art. 4 Abs. 2 S. 1 HAVÜ). Die Anerkennung und Vollstreckung darf also nicht mit dem Argument verweigert werden, dass das Gericht den Fall falsch entschieden habe oder ein anderes Recht angewandt habe als jenes, das nach dem internationalen Privatrecht des ersuchten Staats auf den Rechtsstreit anwendbar gewesen wäre.54 Die nähere Ausgestaltung des Anerkennungs-, Exequatur- und Vollstreckungsverfahrens überlässt das Übereinkommen dem nationalen Recht (Art. 13 Abs. 1 S. 1 HAVÜ). Das Inkrafttreten des HAVÜ setzt voraus, dass sich zwei Staaten bzw. Organisationen der regionalen Wirtschaftsintegration an das HAVÜ durch Ratifikation, Annahme, Genehmigung oder Beitritt binden (Art. 28 Abs. 1 HAVÜ). In zeitlicher Hinsicht findet das Übereinkommen auf Entscheidungen Anwendung, sofern das Übereinkommen im Zeitpunkt der Einleitung des Ursprungsverfahrens im Verhältnis zwischen Ursprungsstaat und ersuchtem Staat wirksam war (Art. 16, 29 HAVÜ). Im Falle einer Ratifizierung des HAVÜ durch die Europäische Union bleibt es für die Urteilsanerkennung im Verhältnis der EU-Mitgliedsstaaten untereinander bei der Geltung der Brüssel Ia-VO (vgl. Art. 23 Abs. 4 HAVÜ).
53 54
Siehe Kapitel 6 (S. 268). Dazu näher Kapitel 6 E. (S. 319).
Kapitel 1
Historischer Kurzüberblick Das folgende Kapitel gibt einen Überblick über die historische Entwicklung des Judgments Project der Haager Konferenz.1 Inhalt und Konzeption des HAVÜ erklären sich gerade auch aus den gescheiterten Anläufen in der Vergangenheit. Zum Verständnis des Übereinkommens ist daher eine Kenntnis der historischen Entwicklung und Zusammenhänge in ihren Grundzügen notwendig. Der Explanatory Report2 des HAVÜ nimmt vielfach auf verschiedene Texte und Entwürfe aus der Geschichte des Judgments Project Bezug.3 Dies deutet bereits an, dass die Geschichte des Judgments Project auch für die Auslegung des HAVÜ, die in Kapitel 2 näher behandelt wird, von Bedeutung ist. Eingeleitet wurde das Judgments Project auf eine entsprechende Anregung von US-amerikanischer Seite hin. Mit einem Brief des Department of State vom 5. Mai 1992 an den Generalsekretär der Haager Konferenz schlugen die USA vor, die Arbeit an einem Übereinkommen zur Regelung der internationalen Anerkennung und Vollstreckung zivilrechtlicher Urteile aufzunehmen. Die Bemühungen im Rahmen der Haager Konferenz, ein Instrument für die Anerkennung und Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivilsachen zu schaffen, gehen historisch allerdings sehr viel weiter zurück. Im Folgenden werden die Entwicklungsschritte überblicksartig nachvollzogen und die relevanten Übereinkommen und Entwürfe in ihren Grundzügen vorgestellt.4 Zunächst soll ein Blick auf die Bemühungen vor Beginn des Judgments Project geworfen werden (im Folgenden A. und B.). Der Vorschlag der USA von 1992 (im Folgenden C.) kann als Startschuss des Judgments Project 1
Eine Chronologie des Judgments Project findet sich auf der Homepage der Haager Konferenz: . 2 Zur Relevanz des Explanatory Reports für die Auslegung des HAVÜ: siehe Kapitel 2 B.II.2. (S. 56). 3 Vgl. z.B. Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 300 Fn. 223 und Rn. 298 Fn. 220. 4 Diese Arbeit macht nicht den Versuch, die Gründe für das zwischenzeitliche Scheitern des Judgments Project zu Beginn dieses Jahrtausends sowie für die gescheiterten Anläufe, die internationale Entscheidungszuständigkeit zu vereinheitlichen, zu identifizieren. Derartige Versuche sind an anderer Stelle bereits vielfach unternommen worden. Siehe z.B. Baumgartner, The Proposed Hague Convention, S. 169 ff.; Basedow, RabelsZ 82 (2018), 922 (925 ff.); Bennett, GS Nygh, S. 19 (19 ff.); Michaels, Mich. J. Int'l L. 27 (2006), 1003 (1027 ff.); Okoli, Promoting Foreign Judgments, § 3.03.
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Kapitel 1: Historischer Kurzüberblick
bezeichnet werden, das nach den Entwürfen von 1999 und 2001 (im Folgenden D. und E.) zunächst zu scheitern drohte. Erste Früchte trug das Projekt im Jahr 2005 mit der Annahme des HGÜ (im Folgenden F.). Seit 2011 wird das Judgments Project fortgesetzt (im Folgenden G. und H.).
A. Modellübereinkommen von 1925/28 Das 1992 eingeleitete Judgments Project ist nicht der erste Anlauf der Haager Konferenz zur Schaffung eines internationalen Übereinkommens zur Regelung der Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Zivilurteile. Bereits 1925 und 1928 arbeitete die 5. und 6. Haager Konferenz5 an der Vereinheitlichung des Rechts der internationalen Urteilsanerkennung und -vollstreckung. Dabei sollten neben Urteilen in vermögensrechtlichen und nichtvermögensrechtlichen Angelegenheiten auch gerichtliche Vergleiche und (zunächst auch6) Schiedssprüche erfasst werden.7 Das Ergebnis dieser Bemühungen war ein Modellübereinkommen, das 1925 entworfen8 und 1928 noch einmal überarbeitet
5
Häufig werden für die diplomatischen Konferenzen auch die Begriffe „Sitzung“, „Tagung“ oder „Session“ verwendet. 6 Die Regelung über Schiedssprüche, die im Entwurf von 1925 noch in Art. 4 enthalten war, wurde 1928 gestrichen, nachdem man vor dem Hintergrund des inzwischen verabschiedeten Genfer Abkommens zur Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche vom 26. September 1927 (RGBl. II 1930 S. 1068) unnötige Doppelregelungen vermeiden wollte, vgl. dazu Actes de la Sixième Session tenue du 5 au 28 Janvier 1928, Den Haag 1928, S. 258, 421 sowie den Report der Schweizer Delegation, abgedruckt in: Merz/Guex/Alexander, Die sechste Session der Haager Konferenz für internationales Privatrecht, S. 12 f. 7 Vgl. dazu auch: Schack, RabelsZ 57 (1993), 224 (234 f.). 8 Projet d'une Convention sur la reconnaissance et l'exécution de décisions judiciaires, abgedruckt, in: Actes de la Cinquième Session tenue du 12 Octobre au 7 Novembre 1925, Den Haag 1926, S. 344 f.: Article 1er. L'autorité des décisions judiciaires, rendues en matière civile ou en matière commerciale dans l'un des Etats contractants, sera reconnue dans l'autre Etat si elles réunissent les conditions suivantes: 1°. que, pour le litige en question, les règles de compétence judiciaire internationale, admises par le droit de l'Etat dans lequel la décision est invoquée, n'excluent pas la juridiction de l'autre Etat; 2°. que la reconnaissance de la décision ne soit pas contraire à l'ordre public ou aux principes du droit public de l'Etat où la décision est invoquée; 3°. que d'après la loi de l'Etat où la décision a été rendue, elle soit passé en force de chose jugée; 4°. qu'en cas de jugement par défaut, la'partie ait été déclarée défaillante conformément à la loi du pays où le jugement a été rendu et aux dispositions des traités en vigueur entre les Etats contractants.
A. Modellübereinkommen von 1925/28
13
und ergänzt wurde.9 Die internationale Entscheidungszuständigkeit10 blieb im Modellübereinkommen ungeregelt.11 Es handelte sich folglich um den Entwurf einer sogenannten convention simple,12 also eines Übereinkommens, das sich
L'examen à faire par les autorités de l'Etat où la décision est invoquée, se borne aux conditions énumérées dans l'alinéa, 1er. n°. 1–4. Ces autorités doivent examiner d'office, si ces conditions sont remplies. Article 2. Les décisions judiciaires rendues dans un des Etats contractants peuvent être mises à exécution dans l'autre Etat après y avoir été déclarées exécutoires. L'exequatur est accordé, si la décision est exécutoire dans l'Etat où elle a été rendue et si elle remplit les conditions énumérées dans l'article ler, alinéa 1er, n°. 1–4. L'alinéa 2 de cet article s'applique à l'examen à faire par les autorités de l'Etat où l'exécution est demandée. Article 3. La partie qui invoque la décision ou qui demande l'exequatur doit produire: 1°. une expédition de la décision réunissant les conditions nécessaires à son authenticité; 2°. les pièces de nature à établir que la décision est passée en force de chose jugée et, s'il y a lieu, qu'elle est devenue exécutoire; 3°. une copie authentique dûment légalisée de l'assignation de la partie qui a fait défaut à l'instance; 4°. une traduction des pièces énumérées ci-dessus, certifiée conforme d'après les règles admises par l'Etat dans lequel l'exequatur est demandé, sauf dispense de cette obligation par l'autorité compétente. Article 4. Les sentences arbitrales rendues dans l'un des Etats contractants et y ayant la même autorité que les décisions judiciaires seront reconnues et déclarées exécutoires dans l'autre Etat, si elles satisfont aux prescriptions des articles précédents, en tant qu'elles sont applicables. Il en est de même pour les transactions judiciaires. Article 5. Les dispositions de la présente Convention s'appliquent, quelle que soit la nationalité des parties. 9 Actes de la Sixième Session tenue du 5 au 28 Janvier 1928, Den Haag 1928, S. 421– 423 mit einer Neufassung des Art. 4 („Les transactions judiciaires intervenues entre parties à un procès dans l'un des Etats contractants seront reconnues et déclarées exécutoires dans un autre Etat contractant, si elles satisfont aux prescriptions des articles précédents, en tant qu'elles sont applicables.“) sowie einer Reihe von Schlussbestimmungen; vgl. auch Fragistas, Rapport explicatif, S. 361; Coester-Waltjen, RabelsZ 57 (1993), 263 (284). 10 Die Entscheidungszuständigkeit, welche „direkt“ die internationale Zuständigkeit regelt, ist von der internationalen Anerkennungszuständigkeit (auch: indirekte internationale Zuständigkeit) abzugrenzen. Bei der Anerkennungszuständigkeit handelt es sich um eine Voraussetzung der Anerkennung und Vollstreckung, bei der das um Anerkennung oder Vollstreckung ersuchte Gericht prüft, ob die Gerichte des Urteilsstaats zur Sachentscheidung berufen gewesen sind. Vgl. Kegel/Schurig, IPR, § 22 V 1 c); von Bar/Mankowski, IPR I § 5 Rn. 124; Bach, in: BeckOK-ZPO, § 328 Rn. 15. 11 Schack, RabelsZ 57 (1993), 224 (235). 12 Baumgartner, The Proposed Hague Convention, S. 3 Fn. 14; Gerasimchuk, Urteilsanerkennung, S. 202.
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Kapitel 1: Historischer Kurzüberblick
darauf beschränkt, die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Entscheidungen zu regeln und auf Vorschriften zur Entscheidungszuständigkeit verzichtet. Die Anerkennung und Vollstreckung sollte nach dem Modellübereinkommen voraussetzen, dass die Entscheidung in einem Vertragsstaat ergangen ist,13 die Entscheidung rechtskräftig ist,14 sie nicht gegen den ordre public des Anerkennungsstaates verstößt15 und die Regeln der internationalen Zuständigkeit des Anerkennungsstaats die Zuständigkeit des Urteilsstaats nicht ausschließen.16 Wie der Verweis auf die Zuständigkeitsregeln des Anerkennungsstaats gemeint war, ergibt sich aus dem Wortlaut nicht eindeutig. Er lässt sich als Normierung des Spiegelbildprinzips lesen: Die Anerkennung kann verweigert werden, wenn das Gericht im Urteilsstaat nach den spiegelbildlich angewandten Zuständigkeitsregeln des Anerkennungsstaats nicht zuständig gewesen wäre.17 Der Formulierung nach wäre allerdings auch denkbar, dass die Anerkennung nur dann verweigert werden kann, wenn nach den Zuständigkeitsregeln des Anerkennungsstaates eine ausschließliche Zuständigkeit des Anerkennungsstaates bestand.18 Die Materialien sprechen jedoch dafür, dass die Konferenz die Frage der Anerkennungszuständigkeit insgesamt in der Hand des nationalen Gesetzgebers belassen wollte und eine ausschließliche Zuständigkeit des Anerkennungsstaates nicht Voraussetzung sein sollte.19 Für die besonders wichtige Frage der Anerkennungszuständigkeit sah das Modellübereinkommen also statt einer vereinheitlichten Regelung lediglich den Verweis auf das nationale Recht vor.20
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Art. 1 Abs. 1 Modellübereinkommen 1925/28. Art. 1 Abs. 1 Nr. 3 Modellübereinkommen 1925/28. 15 Art. 1 Abs. 1 Nr. 2 Modellübereinkommen 1925/28. 16 Art. 1 Abs. 1 Nr. 1 Modellübereinkommen 1925/28; zu den Voraussetzungen im Einzelnen: Droz/Dyer, Northwest. J. Int'l L. & Bus. 3 (1981), 155 (176 ff.); Coester-Waltjen, RabelsZ 57 (1993), 263 (285). 17 Coester-Waltjen, RabelsZ 57 (1993), 263 (285). 18 Vgl. Schack, RabelsZ 57 (1993), 224 (235); Coester-Waltjen, RabelsZ 57 (1993), 263 (285). 19 Siehe insbesondere Actes de la Cinquième Session tenue du 12 Octobre au 7 Novembre 1925, Den Haag 1926, S. 187 f.; ebenso bereits Schack, RabelsZ 57 (1993), 224 (235). 20 Kritisch daher: Gerasimchuk, Urteilsanerkennung, S. 202; Lipstein, I.C.L.Q. 42-3 (1993), 553 (571); Schack, RabelsZ 57 (1993), 224 (235); Schack, ZEuP 1993, 306 (307) („eine solche Regelung, aber ist keine.“). 14
B. Vollstreckungsübereinkommen von 1971
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Trotz späterer Bemühungen21 ist aus dem Modellübereinkommen von 1925/28 nie ein völkerrechtliches Übereinkommen geworden.22 Der Text diente jedoch als Inspiration für verschiedene bilaterale Abkommen.23
B. Vollstreckungsübereinkommen von 1971 Nach dem Zweiten Weltkrieg knüpfte die Haager Konferenz an die Bestrebungen an, ein globales Anerkennungs- und Vollstreckungsübereinkommen zu schaffen. Sowohl bei der 7. Haager Konferenz 1951 als auch bei der 9. Haager Konferenz 1960 stand das Thema auf der Tagesordnung.24 Für die 10. Haager Konferenz 1964 lag bereits ein Entwurf zur Verhandlung vor. Aus Zeitmangel verschob man die Verhandlungen jedoch auf eine Sondersitzung, die 1966 stattfand.25 In deren Rahmen wurde der Text des ersten internationalen Übereinkommens zur Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen finalisiert,26 das Vollstreckungsübereinkommen von 1971 (HVÜ).27 Das Übereinkommen ist zwar am 20. August 1979 in Kraft getreten,28 aber nie zur Anwendung gelangt. Das HVÜ regelt als convention simple nur die Anerkennung und Vollstreckung von vertragsstaatlichen Urteilen. Der Anwendungsbereich des Übereinkommens ist sachlich auf Zivil- oder Handelssachen beschränkt und enthält darüber hinaus eine Reihe von Bereichsausnahmen, z.B. für familien- und erbrechtliche Streitigkeiten (Art. 1 HVÜ). Regelungen zur internationalen Entscheidungszuständigkeit enthält das Übereinkommen im Unterschied zum
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Coester-Waltjen, RabelsZ 57 (1993), 263 (285). Fragistas, Rapport explicatif, S. 361. 23 Coester-Waltjen, RabelsZ 57 (1993), 263 (284 f.); Fragistas, Rapport explicatif, S. 361; Kessedjian, Report, Rn. 3; Panchaud, SchwJbIntR 23 (1966), 37 (38), der u.a. das deutsch-schweizerische Abkommen über die gegenseitige Anerkennung und Vollstreckung von gerichtlichen Entscheidungen und Schiedssprüchen vom 2. November 1929 (RGBl. II 1930 S. 1066) nennt. 24 Coester-Waltjen, RabelsZ 57 (1993), 263 (285). 25 Fragistas, Rapport explicatif, S. 361; Nadelmann/von Mehren, Amer. J. Int'l. L. 60 (1966) 803. 26 Die erste Unterzeichnung des Übereinkommens bestimmte das im Titel genannte Datum. Heute tragen die Übereinkommen der Haager Konferenz das Datum der Verabschiedung des Texts im Titel. 27 Convention of 1 February 1971 on the Recognition and Enforcement of Foreign Judgments in Civil and Commercial Matters, abrufbar unter: . 28 Siehe die Statustabelle auf der Homepage der Haager Konferenz: (Stand: 25.4.2021). 22
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Kapitel 1: Historischer Kurzüberblick
etwa zeitgleich verhandelten Brüsseler Übereinkommen (EuGVÜ)29 nicht. In den Anwendungsbereich einbezogen sind auch gerichtliche Vergleiche (Art. 19 HVÜ), nicht hingegen einstweilige Maßnahmen oder Sicherungsmaßnahmen (Art. 2 Abs. 2 HVÜ).30 Auch Schiedssprüche werden von dem Übereinkommen nicht erfasst. Ein Urteil ist nach Art. 4 HVÜ anzuerkennen, wenn es im Urteilsstaat nicht mehr Gegenstand eines ordentlichen Rechtsbehelfs sein kann und ein indirekter Zuständigkeitsgrund31 vorliegt. Für die Zwecke der Vollstreckung wird zudem die Vollstreckbarkeit im Ursprungsstaat vorausgesetzt. Anders als noch das Modellübereinkommen von 1925/28 sieht das HVÜ einen eigenen Katalog von indirekten Zuständigkeitsgründen als positive Anerkennungsvoraussetzungen vor (Art. 10 f. HVÜ).32 Allerdings findet sich auch hier ein Verweis auf das nationale Zuständigkeitsrecht in Form einer Ausnahme. Selbst wenn ein indirekter Zuständigkeitsgrund besteht, also die Anerkennungszuständigkeit gegeben ist, muss das Urteil nicht anerkannt werden, sofern der um Anerkennung ersuchte Staat für die Streitigkeit eine ausschließliche Zuständigkeit vorsieht (Art. 12 Nr. 1 und 2 HVÜ). Damit wird die durch die Normierung der indirekten Zuständigkeitsgründe erreichte Vereinheitlichung zum Teil wieder in Frage gestellt,33 da sich die nationalen ausschließlichen Gerichtsstände gegen die indirekten Zuständigkeitsgründe des Übereinkommens durchsetzen und der nationale Gesetzgeber durch entsprechende Änderungen auch nachträglich noch die Reichweite des Übereinkommens beeinflussen kann. Art. 5 HVÜ enthält eine Liste von Gründen, bei deren Vorliegen der ersuchte Staat die Anerkennung und Vollstreckung der Entscheidung – auch bei gegebener Anerkennungszuständigkeit – verweigern kann. Insbesondere ist dies möglich, wenn die ausländische Entscheidung gegen die öffentliche Ordnung (ordre public) des ersuchten Staates verstößt,34 wenn sie durch Prozess-
29 Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 27. September 1968 (BGBl. 1972 II S. 774). 30 Vgl. aber Art. 23 Nr. 4 HVÜ, der die Möglichkeit vorsieht, einstweilige Maßnahmen und Sicherungsmaßnahmen im Rahmen der bilateralen Abkommen doch in den Anwendungsbereich einzubeziehen. 31 Auch: „Zuständigkeitsfilter“; im Englischen: „indirect grounds of jurisdiction“ oder „jurisdictional filters“. 32 Das Übereinkommen schließt es allerdings nicht aus, dass die Anerkennung auf andere, nach nationalem Recht verfügbare indirekte Zuständigkeitsgründe gestützt wird, vgl. dazu Michaels, in: Gottschalk/Michaels/Rühl/von Hein, S. 29 (34 f.); Zhang/Tu, JIDS 2020, 614 (628). 33 Kritisch auch Schack, RabelsZ 57 (1993), 224 (248); Zhang/Tu, JIDS 2020, 614 (622). 34 Die fränzösische Fassung spricht schlicht von einer manifesten Inkompatibilität mit dem ordre public des ersuchten Staates, während die englische Fassung ca. dreimal so viele
B. Vollstreckungsübereinkommen von 1971
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betrug erlangt wurde oder in bestimmten Fällen anderweitiger Rechtshängigkeit und entgegenstehender Rechtskraft. Art. 6 HVÜ sieht die zwingende Nichtanerkennung von Versäumnisurteilen vor, wenn das verfahrenseinleitende Schriftstück nicht ordnungsgemäß und rechtzeitig zugestellt wurde. Die Nachprüfung der rechtlichen und tatsächlichen Grundlagen der Entscheidung (révision au fond) ist im Übrigen ausgeschlossen (Art. 8 HVÜ). Auch der Umstand, dass das Ursprungsgericht ein anderes Recht angewandt hat als das, das nach dem internationalen Privatrecht des Anerkennungsstaates anwendbar wäre, rechtfertigt eine Verweigerung der Anerkennung und Vollstreckung grundsätzlich nicht (Art. 7 Abs. 1 HVÜ).35 Das HVÜ ist zwar – im Unterschied zum Modellentwurf von 1925/28 – in Kraft getreten, allerdings bis heute nur in fünf Staaten.36 Für den ausbleibenden Erfolg des Übereinkommens werden insbesondere der Erfolg des EuGVÜ,37 das Fehlen von Regelungen zur Entscheidungszuständigkeit sowie die komplexe Struktur des Übereinkommens verantwortlich gemacht.38 Die Struktur des Übereinkommens zeichnet sich durch eine Kombination bilateraler und multilateraler Elemente aus.39 Die Ratifizierung des multilateralen Übereinkommens40 genügt allein noch nicht, um den Mechanismus der gegenseitigen Anerkennung und Vollstreckung zwischen den Vertragsstaaten in Gang zu setzen.41 Vielmehr bedarf es daneben des Abschlusses bilateraler
Worte benötigt: „[…] if recognition or enforcement of the decision is manifestly incompatible with the public policy of the State addressed or if the decision resulted from proceedings incompatible with the requirements of due process of law or if, in the circumstances, either party had no adequate opportunity fairly to present his case.“ 35 Eine Ausnahme enthält Art. 7 Abs. 2 HVÜ. 36 Und zwar in Albanien, Kuwait, den Niederlanden, Portugal und Zypern, siehe die entsprechende Statustabelle (Stand: 25.4.2021). 37 Verschiedene Vorschriften des EuGVÜ wurden durch das HVÜ beeinflusst, vgl. z.B. Schlosser, Bericht, Rn. 205. 38 Vgl. Baumgartner, Eur. J. Law Reform 4-1 (2002), 219 (220 f.); Bläsi, HGÜ, S. 7 f.; Blom, Osgoode Hall L.J. 55-1 (2018), 257 (260); Coester-Waltjen, RabelsZ 57 (1993), 263 (287); Kessedjian, Report, Rn. 7 f.; Laugwitz, Anerkennung, S. 21–24; van Loon, NIPR 2020, 4 (6 f.); von Mehren, RabelsZ 57 (1993), 449 (449); Tebbens, in: Jayme, Ein internationales Zivilverfahrensrecht für Gesamteuropa, S. 301 (311); Vedie, von Mehren, S. 320 f.; Wagner, IPRax 2001, 533 (534); Schack, RabelsZ 57 (1993), 224 (248 f.); Schack, ZEuP 1993, 306 (307): „gestorben“ sei das Übereinkommen an seinem „Geburtsfehler“, dem System der Bilateralisierung. 39 von Mehren, RabelsZ 57 (1993), 449 (449). 40 Majoros, ZfRV 14 (1973), 4 (16) spricht von einem „multilateralen Dachvertrag“; andere Autoren sprechen von einem „multilateralen Rahmenabkommen“ (z.B. Coester-Waltjen, RabelsZ 57 (1993), 263 (289); Wagner, IPRax 2001, 533 (534)). 41 Siehe zu Kontrollmechanismen im Rahmen von sonstigen Übereinkommen der Haager Konferenz Kapitel 3 E. (S 102).
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Kapitel 1: Historischer Kurzüberblick
Zusatzabkommen42 („Supplementary Agreement“) zwischen den Vertragsstaaten (Art. 21 HVÜ). Man spricht hinsichtlich des Erfordernisses zusätzlicher bilateraler Abkommen von einem System der Bilateralisierung oder Bilateralisation bzw. bilatéralisation.43 Art. 23 HVÜ enthält eine abschließende Liste von Materien, die die Vertragsstaaten in den bilateralen Abkommen regeln können. So können die Vertragsstaaten zum Beispiel näher konkretisieren, was Zivilund Handelssachen im Sinne des Übereinkommens sein sollen (Art. 23 Nr. 1 HVÜ) oder den Anwendungsbereich des Übereinkommens um einstweilige Maßnahmen und Sicherungsmaßnahmen (Art. 23 Nr. 4 HVÜ) oder um öffentliche Urkunden erweitern (Art. 23 Nr. 22 HVÜ). Insgesamt 22 solcher „Regelungsanregungen“ finden sich in Art. 23 HVÜ. Mit dem System der Bilateralisierung ist die Gefahr verbunden, dass es einem Staat nach Ratifikation oder Beitritt zum Übereinkommen nicht gelingt, sich mit den anderen Vertragsstaaten auf bilaterale Abkommen zu einigen („Auswahl des Partners“) oder aber sich nur unter jeweils unterschiedlichen Bedingungen zu einigen („Auswahl der Materien“).44 Denkbar ist etwa die Situation, dass Vertragsstaat A sich mit den Vertragsstaaten B, C und D auf bilaterale Abkommen im Sinne des Art. 21 HVÜ einigt, aber der Begriff der Zivil- oder Handelssache in den bilateralen Verhältnissen jeweils unterschiedlich konkretisiert wird. Vor diesem Hintergrund ist der Ansatz des HVÜ fraglich und seine vereinheitlichende Wirkung begrenzt.45 Bezeichnend ist, dass selbst die fünf Staaten, die das Übereinkommen in Kraft gesetzt haben, keine bilateralen Abkommen im Sinne des Art. 21 HVÜ untereinander geschlossen haben.46 Das Übereinkommen ist daher selbst zwischen den Vertragsstaaten nie zur Anwendung gelangt. 42
Im Rahmen dieser Arbeit wird der Begriff „Abkommen“ für bilaterale, der Begriff „Übereinkommen“ für multilaterale völkerrechtliche Verträge verwendet (ebenso differenzierend: Linke/Hau, IZVR, Rn. 1.37). Eine Ausnahme wird lediglich insoweit gemacht als sich für bestimmte multilaterale Verträge die Bezeichnung als Abkommen eingebürgert hat (z.B. für das Warschauer Abkommen vom 12. Oktober 1929 zur Vereinheitlichung von Regeln über die Beförderung im internationalen Luftverkehr). 43 Ausführlich Fragistas, Rapport explicatif, S. 362–364; Jenard, Revue belge de droit international 1966, 386; Majoros, ZfRV 14 (1973), 4 (6 ff.); Panchaud, SchwJbIntR 23 (1966), 37 (40 ff.). 44 Vgl. Majoros, ZfRV 14 (1973), 4 (15), der „Auswahl des Partners“ und „Auswahl der Materie(n)“ als die beiden Eckpfeiler des Bilateralisationssystems bezeichnet. 45 Sehr kritisch: Schack, RabelsZ 57 (1993), 224 (249); Vedie, von Mehren, S. 320 („[o]hne Mehrwert gegenüber bilateralen Einzelabkommen“); wohlwollender: Nadelmann/von Mehren, Amer. J. Int'l. L. 60 (1966) 803 (804) („Even if many of the permitted deviations are used, a large degree of uniformity of law will have been secured by the convention.”). 46 Dem Verfasser liegt eine entsprechende Auskunft des niederländischen Außenministeriums per E-Mail vom 19. Oktober 2018 vor. Nach Art. 32 HVÜ wäre eine Abschrift etwaiger bilateraler Abkommen gemäß Art. 21 HVÜ dem niederländischen Außenministerium
B. Vollstreckungsübereinkommen von 1971
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Das System der Bilateralisierung war bereits während der Verhandlungen, insbesondere von deutscher Seite, stark kritisiert worden.47 Da man aber einerseits ein klassisches multilaterales Vollstreckungsübereinkommen als nicht realisierbar ansah und sich andererseits nicht mit einem bloßen Modellübereinkommen begnügen wollte,48 erschien das System der Bilateralisierung, das auf einen Vorschlag des belgischen Delegierten Jenard zurückgeht, der Konferenz als realisierbarer Mittelweg.49 Die Haager Konferenz hoffte, dass aufgrund der zusätzlich erforderlichen bilateralen Abkommen die Hemmschwelle zur Ratifizierung des multilateralen Dachübereinkommens niedrig sei und viele Mitgliedsstaaten der Haager Konferenz das Übereinkommen ratifizieren würden.50 Ganz offenbar war diese Hoffnung unbegründet. Begleitet wurde das Übereinkommen von einem Zusatzprotokoll (HVÜ-Zusatzprotokoll).51 Mit Ausnahme von Albanien haben die fünf Vertragsstaaten des Übereinkommens auch das Zusatzprotokoll ratifiziert.52 Der Zweck des Protokolls besteht darin, Urteilsschuldner mit Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthalt in einem Vertragsstaat vor exorbitanten Gerichtsständen zu schützen.53 Allerdings wird auch durch das Protokoll nicht die internationale Entscheidungszuständigkeit geregelt.54 Der Schutz erfolgt vielmehr indirekt im Stadium der Anerkennung und Vollstreckung.55 Dazu enthält das Protokoll eine Liste von exorbitanten Gerichtsständen (Art. 4 HVÜ-Zusatzprotokoll). zu übermitteln. Siehe auch Brand, Neth. Int'l L. Rev. 2020, 3 (6); Weller, YbPIL 21 (2019/20), 279 (280). 47 Majoros, ZfRV 14 (1973), 4 (13). 48 Der Unterschied des HVÜ zu einem Modellübereinkommen wird in der Bindung an das multilaterale Übereinkommen gesehen, dem die Staaten bei Abschluss der bilateralen Abkommen unterliegen, vgl. Arnold, JZ 1965, 708 (712). 49 Fragistas, Rapport explicatif, S. 362; Jenard, Revue belge de droit international 1966, 386 (386 ff.). 50 Fragistas, Rapport explicatif, S. 362. 51 Supplementary Protocol of 1 February 1971 to the Hague Convention on the Recognition and Enforcement of Foreign Judgments in Civil and Commercial Matters (Concluded 1 February 1971), abrufbar unter: . 52 Vgl. die Statustabelle auf der Homepage der Haager Konferenz (Stand: 25.4.2021). 53 Insofern unterscheidet sich der personelle Anwendungsbereich des Protokolls von dem des Übereinkommens. In Letzterem kommt es gerade nicht auf die Person des Vollstreckungsschuldners an (vgl. Art. 3 HVÜ). 54 Michaels, in: Gottschalk/Michaels/Rühl/von Hein, S. 29 (49); unklar bei Juenger, Brook. J. Int'l L. 24-1 (1998), 111 (112): „Not only was that document [the 1971 Judgments Convention] of the ‘unilateral’ variety, thus leaving signatories free to claim jurisdiction on their own idiosyncratic grounds (though an optional ‘Supplementary Protocol’ would have eliminated exorbitant jurisdictional bases), but […].“ (Kursive durch Verfasser). 55 Droz, Rapport explicatif, S. 498; Michaels, in: Gottschalk/Michaels/Rühl/von Hein, S. 29 (49).
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Kapitel 1: Historischer Kurzüberblick
Konnte das Gericht im Urteilsstaat seine internationale Zuständigkeit ausschließlich auf einen oder mehrere der dort genannten Gründe stützen (z.B. die Nationalität des Klägers oder die vorübergehende schlichte Anwesenheit) sind die Vertragsstaaten des Zusatzprotokolls verpflichtet, die Anerkennung und Vollstreckung auf einen entsprechenden Einwand des Vollstreckungsschuldners hin zu verweigern (Art. 2 HVÜ-Zusatzprotokoll). Dabei kommt es ausdrücklich nicht darauf an, ob der Ursprungsstaat Vertragsstaat des Vollstreckungsübereinkommens ist.56 Das Protokoll regelt insoweit auch den Umgang mit drittstaatlichen Entscheidungen.57 Das HVÜ-Zusatzprotokoll liegt ausschließlich den Vertragsstaaten des HVÜ zur Unterzeichnung auf (Art. 9 HVÜZusatzprotokoll). Allerdings ist die Unterzeichnung des Protokolls, entgegen der Forderung einiger Delegationen, keine Bedingung für Ratifikation oder Beitritt zum HVÜ geworden.58 Auch das Protokoll ist in seiner Anwendbarkeit von dem vorigen Abschluss bilateraler Abkommen nach Art. 21 HVÜ abhängig (vgl. Art. 3 HVÜ-Zusatzprotokoll). Da solche bis heute nicht geschlossen worden sind, ist neben dem HVÜ auch das Zusatzprotokoll bis heute nicht zur Anwendung gelangt.
C. Vorschlag der USA 1992 I. Hintergrund und Vision Nachdem das HVÜ mit seinem Zusatzprotokoll praktisch wirkungslos geblieben war, gab 1992 ein US-amerikanischer Vorschlag den Anstoß für das Judgments Project der Haager Konferenz. Mit dem Begriff wird das Vorhaben der Haager Konferenz bezeichnet, die Bereiche der internationalen Zuständigkeit und der Anerkennung und Vollstreckung von ausländischen Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen weltweit zu vereinheitlichen.59 Dass die Initiative dazu von den USA ausging, lässt sich unter anderem mit der relativ eingeschränkten internationalen Verkehrsfähigkeit US-amerikanischer Entscheidungen erklären.60 Während ausländische Urteile in Zivil- und 56 Vgl. Art. 1 HVÜ-Zusatzprotokoll: „This Protocol shall apply to all foreign decisions, regardless of their State of origin […]“ (Kursive durch Verfasser). 57 Droz, Rapport explicatif, S. 499; Kegel/Schurig, IPR, § 22 V 2. 58 Droz, Rapport explicatif, S. 504. 59 Seit Abschluss des HAVÜ wird hinsichtlich der Fortführung mit dem Ziel der Vereinheitlichung der internationalen Entscheidungszuständigkeit von „Jurisdiction Project“ gesprochen, vgl. . 60 Für entsprechende Analysen der Interessenlage aus US-amerikanischer Perspektive, siehe z.B.: von Mehren, RabelsZ 57 (1993), 449 (452–455); von Mehren, Law & Contemp. Probs. 57-3 (1994), 271 (276–278); Borchers, Brook. J. Int'l L. 24-1 (1998), 157 (157–160); Clayton, J. Marshall L. Rev. 36 (2002), 223 (228); Fastiff, Cornell Int'l L.J. 28-2 (1995), 469 (470–473).
C. Vorschlag der USA 1992
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Handelssachen in den USA relativ großzügig anerkannt werden, bereitete61 die Anerkennung und Vollstreckung US-amerikanischer Entscheidungen in anderen Teilen der Welt – auch mangels entsprechender Übereinkommen62 – vergleichsweise häufig Probleme.63 Um dieses so empfundene Ungleichgewicht zu kompensieren, wandte sich das US-amerikanische Department of State mit Brief vom 5. Mai 1992 an den damaligen Generalsekretär der Haager Konferenz Georges Droz und schlug vor, die Arbeit an einem neuen Übereinkommen aufzunehmen.64 Der Vorschlag der USA zur Konzeption des Übereinkommens beruhte auf der Vision des US-amerikanischen Professors Arthur Taylor von Mehren von einer convention mixte.65 Gemeint war damit zum einen, dass das vorgeschlagene Übereinkommen sowohl die internationale Entscheidungszuständigkeit als auch die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Urteile regeln sollte. Und zum anderen sollte das Übereinkommen eine grundlegende Unterscheidung treffen zwischen vorgeschriebenen, unzulässigen und erlaubten Gerichtsständen.66 Das Übereinkommen sollte einen Katalog vorgeschriebener Gerichtsstände („weiße Liste“) und einen Katalog unzulässiger Gerichtsstände („schwarze Liste“) enthalten. Auf einen vorgeschriebenen Gerichtsstand gestützte Entscheidungen würden grundsätzlich anerkannt und vollstreckt. Entscheidungen, die auf einem unzulässigen Gerichtsstand basieren, dürften nicht anerkannt und vollstreckt werden. Im Übrigen, das heißt, sofern der Gerichtsstand weder auf der Liste vorgeschriebener noch auf der Liste unzulässiger Gerichtsstände steht, wäre es den Vertragsstaaten gestattet, ihre internationale Zuständigkeit auch auf autonomes Recht zu stützen, („Graubereich“).67 In diesem 61 Heute werden die Chancen auf eine Vollstreckung US-amerikanischer Entscheidungen im Ausland teilweise besser bewertet, vgl. z.B. Coco, N.Y.U. L. Rev. 94 (2019), 1209 (1221 ff.). 62 Gescheitert sind insbesondere die Verhandlungen zu einem Vollstreckungsübereinkommen zwischen den USA und dem Vereinigten Königreich in den 1970er Jahren, durch das die USA die Folgen des Art. 59 EuGVÜ auslösen wollten, vgl. North, Current Legal Problems 55-1 (2002), 395 (402 f.); Schack, ZEuP 1993, 306 (309 ff.). 63 Brand/Herrup, The 2005 Hague Choice of Court Convention, S. 4; Baumgartner, N.Y.U. J. Int'l L. & Pol. 45 (2013), 965 (970); Fastiff, Cornell Int'l L.J. 28-2 (1995), 469 (470–473); von Mehren, RabelsZ 57 (1993), 449 (452–454); Moss, Geo. L.J. 106 (2017), 209 (244); Porterfield, Duke J. Comp. & Int'l L. 25 (2014), 81 (83 f., 99–104). 64 Letter of 5 May 1992 from Edwin D. Williamson, Legal Adviser, US Department of State, to Georges Droz, Secretary General, The Hague Conference on Private International Law (abrufbar unter: . 65 Ausführlich: Vedie, von Mehren, S. 326 ff. 66 von Mehren, Law & Contemp. Probs. 57-3 (1994), 271 (283). 67 Der Wortlaut des Vorschlags: „We believe that there should be consideration of the possibility for party States to utilize jurisdictional bases for litigation that are not designated as permissible or exorbitant by the convention. So long as such jurisdictional bases are not excluded as exorbitant, judgments based on them would not be entitled to recognition and
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Kapitel 1: Historischer Kurzüberblick
Graubereich „erlaubter Gerichtsstände“ sollte eine Anerkennung weder vorgeschrieben, noch verboten sein. In den Beiträgen von Mehrens sowie in den Verhandlungen und Diskussionen um ein weltweites Zuständigkeits- und Vollstreckungsübereinkommen wurde der US-amerikanische Vorschlag einer convention mixte den Möglichkeiten einer convention simple nach dem Vorbild des HVÜ und der einer convention double nach dem Vorbild des EuGVÜ oder des Lugano Übereinkommens von 1988 (LugÜ 1988)68 gegenübergestellt.69 Dabei versteht man unter einer convention simple ein Übereinkommen, das keine Regelungen zur Entscheidungszuständigkeit enthält, sondern lediglich die Anerkennung und Vollstreckbarkeit von Urteilen regelt.70 Charakteristikum einer convention double ist, dass sie zusätzlich die internationale Entscheidungszuständigkeit regelt und zwar – in ihrer Reinform71 – indem die Zuständigkeitsgründe abschließend normiert werden.72 Eine „reine“ convention double wird demnach als „geschlossenes System“ verstanden.73 Das heißt, dass ein Vertragsstaat seine internationale Zuständigkeit nur dann bejahen darf, wenn eine entsprechende Zuständigkeit nach dem Übereinkommen besteht. Wenn nicht, sind die Gerichte des Vertragsstaates unzuständig. Ein Rückgriff auf nationale Regelungen zur internationalen Zuständigkeit ist nicht möglich.74 Es gibt also
enforcement under the convention, but party States would remain free to recognize and enforce them under their general law.“ Zu den drei anvisierten Regelungsbereichen: Schack, ZEuP 1993, 306 (315 f.). 68 Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 16. September 1988 (ABl. 1988 L 319/9). 69 Vgl. z.B. von Mehren, Law & Contemp. Probs. 57-3 (1994), 271 (282 f.); Ständiges Büro der Haager Konferenz, PrelDoc No 17 of May 1992; Nygh/Pocar, Report, Rn. 7–12; Baumgartner, Eur. J. Law Reform 4-1 (2002), 219 (220 f.); Rosner, Foreign Money Judgments, S. 185; Schack, ZEuP 2014, 824 (827). 70 von Mehren, Law & Contemp. Probs. 57-3 (1994), 271 (282). 71 von Mehren sprach von „pure“ oder „true“ convention double (Law & Contemp. Probs. 57-3 (1994), 271 (283)), das Ständige Büro der Haager Konferenz von „complete“ double convention (Background Note (2012), Rn. 40), Nygh von „closed“ double convention (FS von Mehren, S. 151 (153)), Lussier von „strict convention double“ (Brook. J. Int'l L. 24-1 (1998), 31 (57, 66)). Häufig wird auch ohne Zusatz schlicht von einer „convention double“ gesprochen, wenn ein Zuständigkeits- und Vollstreckungsübereinkommen gemeint ist, das die Gerichtsstände abschließend positiv regelt (z.B. Schack, ZEuP 2014, 824 (827)). 72 von Mehren, Brook. J. Int'l L. 24-1 (1998), 17 (19); von Mehren, Law & Contemp. Probs. 57-3 (1994), 271 (282 f.). 73 Schack, ZEuP 2014, 824 (827). 74 EuGVÜ und LugÜ 1988 stellen keine convention double in Reinform dar (ebenso von Mehren, Brook. J. Int'l L. 24-1 (1998), 17 (20)), denn die Zuständigkeit wird nur für Beklagte mit Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Vertragsstaats abschließend geregelt (vgl. Art. 3 EuGVÜ, Art. 3 LugÜ 1988). Für andere Beklagte ist hingegen der Rückgriff auf nationales
C. Vorschlag der USA 1992
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im Rahmen einer reinen convention double lediglich zwei „Kategorien“. Entweder das Übereinkommen enthält einen anwendbaren Zuständigkeitsgrund und die Gerichte des Staates sind zuständig oder nicht.75 Der entscheidende Unterschied zu der von den USA vorgeschlagenen convention mixte liegt darin, dass die convention mixte einen „Graubereich“ im oben beschriebenen Sinne vorsieht, es sich also um eine nicht abschließend konzipierte convention double handelt.76 II. Reaktion und vorbereitende Arbeiten Im Unterschied zu einer reinen convention double schafft eine convention mixte im Sinne der Vision von Mehrens weniger Vereinheitlichung und erlaubt den Vertragsstaaten im Grundsatz, ihr autonomes internationales Zuständigkeitsrecht beizubehalten.77 Die Frage, ob das angestrebte Übereinkommen eine convention mixte oder eine reine convention double werden sollte, hing daher vor allem davon ab, wie ambitioniert das Übereinkommen werden sollte und als wie realistisch man es ansah, sich international auf abschließende direkte und indirekte Zuständigkeitsregeln zu einigen. Das Ständige Büro der Haager Konferenz reagierte auf den Vorschlag der USA zunächst mit Skepsis und machte sich stattdessen für eine convention simple ohne ein System der Bilateralisierung stark.78 Die anschließend eingesetzte Arbeitsgruppe gelangte jedoch zu der Auffassung, dass eine convention simple gegenwärtigen Bedürfnissen nicht entspreche und empfahl die Vorbereitung eines dem Vorschlag der USA entsprechenden Übereinkommens mit vorgeschriebenen, verbotenen und erlaubten Gerichtsständen, allerdings ohne Stellung zur Frage der Bilateralisierung zu beziehen.79
Zuständigkeitsrecht möglich (vgl. Art. 4 EuGVÜ, Art. 4 LugÜ 1988; heute: Art. 6 Brüssel Ia-VO und Art. 4 LugÜ 2007). 75 von Mehren, Brook. J. Int'l L. 24-1 (1998), 17 (19). 76 Die traditionelle Unterscheidung zwischen convention simple, convention double und convention mixte ist, wie Michaels überzeugend herausgearbeitet hat, zur präzisen Beschreibung der Charakteristika von Zuständigkeits- und Vollstreckungsübereinkommen unzureichend und verstellt den Blick auf mögliche Lösungen, Michaels, in: Gottschalk/Michaels/Rühl/von Hein, S. 29 ff. 77 Für eine Diskussion der Vor- und Nachteile vgl. z.B. von Mehren, Law & Contemp. Probs. 57-3 (1994), 271 (283 ff.); von Mehren, Brook. J. Int'l L. 24-1 (1998), 17 (23 ff.); Schack, ZEuP 2014, 824 (828); Vedie, von Mehren, S. 329 ff. 78 Ständiges Büro der Haager Konferenz, PrelDoc No 17 of May 1992, Rn. 17, 24; siehe auch Beaumont, NIPR 2014, 532 (532). 79 Ständiges Büro der Haager Konferenz, PrelDoc No 19 of November 1992; zu den Reaktionen in der rechtswissenschaftlichen Literatur in den USA und Europa, vgl. Vedie, von Mehren, S. 343 f.
24
Kapitel 1: Historischer Kurzüberblick
In der Folge wurde im Rahmen von mehreren Sitzungen einer Spezialkommission über verschiedene Aspekte eines zukünftigen Übereinkommens diskutiert, um die Realisierbarkeit und mögliche Probleme des Vorhabens auszuloten. Im Unterschied zur Arbeitsgruppe favorisierte die Spezialkommission eine reine convention double.80 Im Zentrum der inhaltlichen Diskussionen in der Spezialkommission stand unter anderem die Frage, ob die forum non conveniens-Doktrin bzw. eine abgewandelte Form der Doktrin Bestandteil des Übereinkommens werden sollte.81 Ferner wurde der Umgang mit Urteilen diskutiert, die Schadensersatzansprüche zusprechen, welche über die bloße Kompensation des erlittenen Schadens hinausgehen, also sogenannten Mehrfach-, Strafoder exzessiven Schadensersatz.82 Die 18. Haager Konferenz beschloss schließlich im September 1996, das Vorhaben auf die Agenda der Konferenz zu setzen.83 Zwischen 1997 und 1999 erarbeitete die eingesetzte Spezialkommissionen einen vorläufigen Konventionsentwurf („Konventionsentwurf 1999“).84
D. Konventionsentwurf 1999 Der Konventionsentwurf 1999 entsprach in seiner grundlegenden Architektur weitgehend dem ursprünglichen Vorschlag der USA von 1992, also einer convention mixte,85 glich aber in vielerlei Hinsicht dem EuGVÜ.86 Dies ist auch darauf zurückzuführen, dass erst im Juni 1999 im Rahmen der Spezialkommission die Entscheidung zugunsten einer convention mixte gefallen ist, nachdem
80
Ständiges Büro der Haager Konferenz, PrelDoc No 1 of August 1994, Rn. 6. Ständiges Büro der Haager Konferenz, PrelDoc No 6 of August 1996, Rn. 6 ff. 82 Ständiges Büro der Haager Konferenz, PrelDoc No 6 of August 1996, Rn. 21 ff. 83 Final Act of the Eighteenth Session, Part B, No 1, in: Proceedings of the Eighteenth Session (1996), Tome I, Miscellaneous matters, Den Haag 1999, S. 47. 84 Preliminary Draft Convention on Jurisdiction and Foreign Judgments in Civil and Commercial Matters, adopted by the Special Commission on 30 October 1999, Preliminary Document No 11 of August 2000, in: Proceedings of the Twentieth Session (2005), Tome II, Judgments, Cambridge/Antwerpen/Portland 2013, S. 190–205; ausführlich zum Entwurf: Nygh/Pocar, Report; siehe zudem: Black, Osgoode Hall L.J. 38-2 (2000), 237 (253 ff.); Borrás, in: Pocar/Honorati, The Hague Preliminary Draft Convention, S. 41 ff.; Brand, University of Pittsburgh Law Review 62 (2001), 581 (586 ff.); O’Brian Jr, The Modern Law Review 66-4 (2003), 491 (498 ff.); Gerasimchuk, Urteilsanerkennung, S. 206 ff.; Nygh, FS Juenger, S. 261 (268 ff.); Rosner, Foreign Money Judgments, S. 185 ff. 85 Vgl. Nygh/Pocar, Report, Rn. 12; einschränkend: Vedie, von Mehren, S. 340 („nur vordergründig“). 86 Wagner, IPRax 2001, 533 (536); Gerasimchuk, Urteilsanerkennung, S. 204. 81
D. Konventionsentwurf 1999
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zuvor – insbesondere auf Drängen der Mitgliedsstaaten der Europäischen Gemeinschaft hin – eine reine convention double nach Vorbild des EuGVÜ anvisiert worden war.87 Der sachliche Anwendungsbereich des Konventionsentwurfs 1999 erstreckt sich grundsätzlich auf alle Zivil- und Handelssachen, wobei jedoch einige Bereiche ausgeklammert sind.88 Sodann regelt der Entwurf positive, direkte Zuständigkeitsgründe.89 Kann sich ein Kläger auf einen derartigen Zuständigkeitsgrund berufen, muss das angerufene Gericht den Rechtsstreit grundsätzlich entscheiden. Allerdings sind insoweit zweierlei Einschränkungen vorgesehen. Zum einen ist ein an sich zuständiges Gericht unter Umständen verpflichtet, das Verfahren auszusetzen, wenn die Streitsache bereits bei einem ebenfalls zuständigen vertragsstaatlichen Gericht anhängig ist (lis pendens).90 Zum anderen enthält der Konventionsentwurf in Art. 22 eine an die forum non conveniens-Doktrin angelehnte Ausnahmeregel.91 Damit sucht der Entwurf im Umgang mit positiven Kompetenzkonflikten eine Kombination der Antworten des Common Law (forum non conveniens) und der Civil Law-Rechtsordnungen (lis pendens).92 Neben der Auflistung vorgeschriebener Gerichtsstände in den Art. 3–16 sieht der Entwurf in Art. 18 eine Regelung zu unzulässigen exorbitanten Gerichtsständen vor. Die Funktion von Art. 18 erschließt sich im Zusammenhang mit Art. 17 des Konventionsentwurfs, der den sogenannten Graubereich regelt. Vertragsstaaten dürfen gemäß Art. 17, abgesehen von einigen explizit normierten Ausnahmen, ihre internationale Zuständigkeit auch auf nationales Recht stützen. Art. 18 des Entwurfs setzt dem Rückgriff auf nationales Zuständigkeitsrecht Grenzen. Wenn der Beklagte seinen gewöhnlichen Aufenthalt in einem Vertragsstaat hat, dürfen vertragsstaatliche 87 Beaumont, JPIL 2009, 125 (132); Brand, in: Carmody/Iwasawa/Rhodes, Trilateral Perspectives, S. 71 (77 f.); Wagner, RabelsZ 73 (2009), 100 (104). 88 Art. 1 Abs. 1 und Abs. 2 Konventionsentwurf 1999. 89 Art. 3–16 Konventionsentwurf 1999. 90 Art. 21 Konventionsentwurf 1999. 91 Im Einzelnen unterscheidet sich Art. 22 des Entwurfs jedoch erheblich von den nationalen Regelungen in den Common Law-Staaten. So lautet der Test nach australischem Recht ob das Forum „clearly inappropriate“ ist, während es nicht darauf ankommt, ob ein anderes Forum angemessener wäre (vgl. Voth v Manildra (1991) 171 CLR 538; Dicey, Morris & Collins, The Conflict of Laws, Rn. 12-011). Nach englischem Recht ist der Test hingegen, ob es ein anderes Forum gibt, das „clearly more appropriate“ ist (vgl. Spiliada Maritime Corp v Cansulex Ltd [1987] AC 460 (476)). Ob England als Forum „clearly inappropriate“ ist, wird nicht als gesonderter Punkt geprüft. Vgl. zur Kombination beider Tests in Art. 21, 22 Interim Text 2001: Cook, Austl. Int'l L.J. 21 (2014), 19 (32 ff.). 92 Nygh/Pocar, Report, Rn. 250; Walter, FS Geimer, S. 1429 (1439); zu den im Wesentlichen unveränderten Regelungen im Interim Text 2001: Andrieux, Loy. L.A. Int'l & Comp. L. Rev. 27 (2005), 323 (368); Brand, Tex. Int'l L.J. 37 (2002), 467 (492 ff.); Cook, Austl. Int'l L.J. 21 (2014), 19 (32 ff.); Philip, GS Nygh, S. 299 (301 ff.).
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Kapitel 1: Historischer Kurzüberblick
Gerichte ihre internationale Zuständigkeit nicht auf einen im nationalen Recht normierten Gerichtsstand stützen, wenn die Streitsache keine wesentliche Verbindung mit dem Vertragsstaat aufweist.93 In Art. 18 Abs. 2 Konventionsentwurf 1999 sind dann als Konkretisierung der Voraussetzung der fehlenden wesentlichen Verbindung ausgeschlossene, exorbitante Gerichtsstände normiert (z.B. die Nationalität des Klägers,94 der Vermögensgerichtsstand95 oder die sogenannte tag jurisdiction96). Diese an Art. 4 HVÜ-Zusatzprotokoll angelehnte Liste ist allerdings nicht abschließend konzipiert. Der Entwurf begnügt sich nicht mit dem Aufstellen einer Liste unzulässiger Gerichtsstände, sondern versucht, Beklagte mit gewöhnlichem Aufenthalt in einem Vertragsstaat durch eine Generalklausel vor exorbitanten Gerichtsständen zu schützen.97 Der Ausschluss exorbitanter Gerichtsstände sollte im Falle gravierender Menschenrechtsverletzungen eine Einschränkung erfahren, wobei die Reichweite dieser Ausnahme bis zuletzt kontrovers diskutiert wurde.98 Kapitel III des Konventionsentwurfs enthält die Regelungen zur Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen sowie von öffentlichen Urkunden99 und Gerichtsvergleichen100 aus anderen Vertragsstaaten.101 Hinsichtlich der Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen ist zwischen den drei verschiedenen Bereichen zu differenzieren. Soweit der Konventionsentwurf die Zuständigkeit ausschließt, also im Fall unzulässiger Gerichtsstände und bei Entscheidungen, die im Konflikt mit den ausschließlichen Gerichtsständen, den Schutzgerichtsständen oder den auf Parteiautonomie beruhenden Gerichtsständen stehen, ist eine Anerkennung und Vollstreckung ausgeschlossen.102 Der Konventionsentwurf sieht also die Verpflichtung vor, die entsprechenden Entscheidungen nicht anzuerkennen und nicht zu vollstrecken.103 Für die in Art. 3–13 des Konventionsentwurfs geregelten vorgeschriebenen Gerichtsstände, gilt hingegen, dass entsprechende Entscheidungen vorbehaltlich eines Anerkennungsversagungsgrundes im Sinne des Art. 28 in Vertragsstaaten anerkannt und vollstreckt werden 93
Art. 18 Abs. 1 Konventionsentwurf 1999. Art. 18 Abs. 2 lit. b Konventionsentwurf 1999. 95 Art. 18 Abs. 2 lit. a Konventionsentwurf 1999. 96 Art. 18 Abs. 2 lit. f Konventionsentwurf 1999. 97 Nygh, FS Juenger, S. 261 (268); kritisch aufgrund der damit verbundenen Unbestimmtheit: Walter, FS Geimer, S. 1429 (1437); Gerasimchuk, Urteilsanerkennung, S. 216. 98 Art. 18 Abs. 3 Konventionsentwurf 1999; vgl. auch Nygh, FS von Mehren, S. 151 (160). 99 Art. 35 Konventionsentwurf 1999 (nur Vollstreckung). 100 Art. 36 Konventionsentwurf 1999. 101 Vgl. Art. 2 Abs. 2 sowie Art. 35 und 36 Konventionsentwurf 1999. 102 Art. 26 Konventionsentwurf 1999. 103 Nygh/Pocar, Report, Rn. 318. 94
E. Interim Text 2001
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müssen.104 Für den Graubereich regelt der Entwurf die Anerkennung und Vollstreckung nicht.105 Die Anerkennung und Vollstreckung dieser Entscheidungen nach nationalem Recht bleibt möglich.106 Die Verhandlungen zum Konventionsentwurf waren sehr stark von einer Dynamik „USA gegen Europa“ geprägt.107 Wesentliche Streitpunkte der transatlantischen Auseinandersetzung waren unter anderem die Form des Übereinkommens (reine convention double nach Vorbild des EuGVÜ oder convention mixte entsprechend dem US-amerikanischen Vorschlag), der Verbrauchergerichtsstand, der Gerichtsstand der wirtschaftlichen Betätigung sowie der Umgang mit nichtkompensatorischem Schadensersatz.108 Diese Uneinigkeiten offenbarten auch immer wieder divergierende Grundüberzeugungen sowie rechtskulturelle Unterschiede,109 beruhten daneben aber auch auf konfligierenden politischen und wirtschaftlichen Interessen.110
E. Interim Text 2001 Schon bald nach der Fertigstellung des Konventionsentwurfs im Oktober 1999 meldeten einige Staaten Bedenken an und baten um eine Änderung des vorgesehenen Zeitplans.111 Die USA stellten klar, dass der Konventionsentwurf 1999 keinesfalls akzeptiert werden könne,112 was nicht zuletzt auch an verfassungsrechtlichen Bedenken lag.113 Nach einer Phase informeller 104
Art. 25 Konventionsentwurf 1999. Art. 24 Konventionsentwurf 1999. 106 Nygh/Pocar, Report, Rn. 13. 107 Vgl. Baumgartner, Eur. J. Law Reform 4-1 (2002), 219 (222 f.); O’Brian Jr, The Modern Law Review 66-4 (2003), 491 (492 f.); van Loon, NIPR 2020, 4 (8 f.); Wagner, RabelsZ 73 (2009), 100 (104 f.); Black, Osgoode Hall L.J. 38-2 (2000), 237 (261–263) spricht sogar von „United States versus Rest of the World“. 108 Vgl. z.B. Heß, IPRax 2000, 342 (343); North, Current Legal Problems 55-1 (2002), 395 (421); Nygh, FS von Mehren, S. 151 (164 ff.); Philip, GS Nygh, S. 299 (300). 109 Heß, IPRax 2000, 342 (343); von Mehren, Amer. J. Comp. L. 49-2 (2001), 191 (195); Michaels, Mich. J. Int'l L. 27 (2006), 1003 (1027 ff.); Silberman, DePaul L. Rev. 52 (2002), 319 (328 ff.); ausführlich: Baumgartner, The Proposed Hague Convention. 110 Heß, IPRax 2000, 342 (343). 111 Ständiges Büro der Haager Konferenz, PrelDoc No 10 of June 2000. 112 Brief von Jeffrey Kovar, Assistant Legal Adviser und Leiter der US-Delegation an J.H.A. van Loon, Generalsekretär der Haager Konferenz vom 22. Februar 2000, auszugsweise abgedruckt bei von Mehren, Amer. J. Comp. L. 49-2 (2001), 191 (192 f.); siehe auch Brand, in: Carmody/Iwasawa/Rhodes, Trilateral Perspectives, S. 71 (72). 113 Heß, IPRax 2000, 342 (343); Wagner, RabelsZ 73 (2009), 100 (106); vgl. zur verfassungsrechtlichen Problematik eines Zuständigkeits- und Vollstreckungsübereinkommens aus US-amerikanischer Sicht: Brand, University of Pittsburgh Law Review 60 (1999), 661; Maier, Alb. L. Rev. 61 (1998), 1207 (1210 ff.). 105
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Kapitel 1: Historischer Kurzüberblick
Treffen,114 im Rahmen derer verschiedene kontroverse Punkte weiter diskutiert wurden, fand der erste Teil der 19. Haager Konferenz (erst) im Juni 2001 statt. Im Unterschied zu den vorherigen Verhandlungen, bei denen man nach dem Mehrheitsprinzip vorgegangen war, wurde in dieser Sitzung auf Vorschlag der USA hin115 nach dem Konsensprinzip verhandelt.116 Eine Einigung über den Konventionsentwurf 1999 konnte im Verlauf der Sitzung nicht erzielt werden. Das Ergebnis der Sitzung war schließlich eine weitere Textfassung, der sogenannte Interim Text („Interim Text 2001“)117. Der Interim Text 2001 entspricht in seiner grundlegenden Struktur dem Konventionsentwurf 1999.118 Durch zahlreiche Fußnoten, eckige Klammern und Regelungsalternativen zeigt der Text auf, wie weit die Haager Konferenz von einer Finalisierung des Übereinkommens entfernt war.119 Dissens bestand unter anderem im Hinblick auf den sachlichen Anwendungsbereich, etwa hinsichtlich der Frage, ob und inwieweit das Übereinkommen Verfahren und Entscheidungen betreffend dingliche Rechte an unbeweglichen Sachen, die Haftung für nukleare Schäden, kartellrechtliche oder wettbewerbsrechtliche Angelegenheiten erfassen sollte.120 Es bestand ferner Uneinigkeit in der Abgrenzung des Übereinkommens zu Fragen der Schiedsgerichtsbarkeit121 und ob und wie einstweilige Maßnahmen oder Sicherungsmaßnahmen122 geregelt werden sollten. Besonders umstritten waren ferner die Schutzgerichtsstände für Verbraucher und Arbeitnehmer,123 der Deliktsgerichtsstand,124 der Gerichtsstand der wirtschaftlichen Betätigung125 sowie der Umgang mit 114
Vgl. Ständiges Büro der Haager Konferenz, PrelDoc No 15 of May 2001. Brief von Jeffrey Kovar, Assistant Legal Adviser und Leiter der US-Delegation an J.H.A. van Loon, Generalsekretär der Haager Konferenz vom 22. Februar 2000, auszugsweise abgedruckt bei von Mehren, Amer. J. Comp. L. 49-2 (2001), 191 (192 f.). 116 Brand, in: Carmody/Iwasawa/Rhodes, Trilateral Perspectives, S. 71 (72, 79 ff.); McClean, FS North, S. 255 (265). 117 Interim Text, Summary of the Outcome of the Discussion in Commission II of the First Part of the Diplomatic Conference 6 – 20 June 2001, in: Proceedings of the Twentieth Session (2005), Tome II, Judgments, Cambridge/Antwerpen/Portland 2013, S. 620–657. 118 Vgl. Brand/Herrup, The 2005 Hague Choice of Court Convention, S. 8; Borrás, in: Pocar/Honorati, The Hague Preliminary Draft Convention, S. 41 (46). 119 Blom, Osgoode Hall L.J. 55-1 (2018), 257 (262); McClean, FS North, S. 255 (266); Wagner, RabelsZ 73 (2009), 100 (107). Für eine ausführliche Darstellung des Entwurfs und der Meinungsverschiedenheiten vgl. Silberman, DePaul L. Rev. 52 (2002), 319 (331 ff.); Wagner, IPRax 2001, 533 (536 ff.). 120 Vgl. Art. 1 Abs. 2 lit. i, j, l Interim Text 2001; vgl. dazu Wagner, IPRax 2001, 533 (536 f.). 121 Vgl. Art. 1 Abs. 2 lit. g, Art. 1 Abs. 3 Interim Text 2001. 122 Vgl. Art. 1 Abs. 2 lit. k, Art. 13 und Art. 23 Interim Text 2001. 123 Vgl. Art. 7, 8 sowie Anhang II Interim Text 2001. 124 Vgl. Art. 10 Interim Text 2001. 125 Vgl. Art. 9 Interim Text 2001; dazu: Borrás, in: Pocar/Honorati, The Hague Preliminary Draft Convention, S. 41 (63 ff.). 115
E. Interim Text 2001
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geistigem Eigentum126. Auch hinsichtlich der Liste unzulässiger Gerichtsstände in Art. 18 Interim Text 2001 herrschte Dissens hinsichtlich konzeptioneller und Detailfragen.127 Schließlich waren die Mitglieder der Haager Konferenz uneinig, wie das Verhältnis des Übereinkommens zu anderen Instrumenten (z.B. dem EuGVÜ und dem LugÜ 1988) bestimmt werden128 und ob das Übereinkommen in Anlehnung an das HVÜ dem System der Bilateralisierung folgen sollte.129 Hinzu kamen zunehmend Bedenken am Entwurf vor dem Hintergrund, dass der Bedeutung des Internets und insbesondere dem Bereich des Internethandels bis dato keine besondere Aufmerksamkeit geschenkt worden war.130 Vergleichsweise weitgehender Konsens bestand demgegenüber hinsichtlich der einzelnen Vorschriften des Kapitels über die Anerkennung und Vollstreckung.131 Aufgrund der vorgesehenen Parallelität von direkten und indirekten Zuständigkeitsgründen,132 lassen sich die Bereiche der Entscheidungszuständigkeit und der Anerkennung und Vollstreckung jedoch nicht völlig trennen. Dass die Vorschriften des Kapitels wenig umstritten waren, sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass über die indirekten Zuständigkeitsgründe, also die Grundvoraussetzung der Anerkennung gerade keine Einigkeit bestand. Die Ausarbeitung des Interim Texts 2001, mit dem niemand wirklich glücklich zu sein schien,133 stellte sich in der Folge als vorläufiger Schlusspunkt der Bemühungen dar, ein umfassendes, weltweites Zuständigkeits- und Vollstreckungsübereinkommen auf den Weg zu bringen. Knapp zehn Jahre nach Einleitung des Judgments Project schien man in einer Sackgasse zu stecken. Das Projekt schien gescheitert.134 Im Rahmen des zweiten Teils der 19. Haager Konferenz im April 2002 wurde vor dem Hintergrund der fehlenden Erfolgsaussichten ein Kurswechsel beschlossen.135 Man entschied, sich zunächst auf einen Kernbereich an Zuständigkeitsgründen zu konzentrieren, hinsichtlich derer im Rahmen der bisherigen Verhandlungen ein breiter Konsens bestanden
126
Vgl. Art. 12 Interim Text 2001. Umstritten war, ob die Generalklausel des Art. 18 Abs. 1 Interim Text 2001 beibehalten werden sollte. Zudem bestand nur hinsichtlich vier von zwölf in Art. 18 Abs. 2 Interim Text 2001 gelisteten Gerichtsständen Einigkeit. Vgl. auch Wagner, IPRax 2001, 533 (542 f.). 128 Anhang I Interim Text 2001. 129 Vgl. Art. 42 Interim Text 2001; dazu auch Wagner, IPRax 2001, 533 (546). 130 Wagner, RabelsZ 73 (2009), 100 (106); vgl. dazu Haines, The Impact of the Internet on the Judgments Project, PrelDoc No 17 of February 2002. 131 Vgl. Ständiges Büro der Haager Konferenz, PrelDoc No 16 of February 2002, Rn. 7; Baumgartner, The Proposed Hague Convention, S. 184; Teitz, Duke J. Comp. & Int'l L. 29 (2019), 491 (495). 132 Vgl. Art. 25 Abs. 1 und Art. 26 Interim Text 2001. 133 Borrás, in: Pocar/Honorati, The Hague Preliminary Draft Convention, S. 41 (46). 134 Borrás, in: Pocar/Honorati, The Hague Preliminary Draft Convention, S. 41 (46). 135 Ständiges Büro der Haager Konferenz, Conclusions of Commission I (2002). 127
30
Kapitel 1: Historischer Kurzüberblick
hatte.136 Eine informelle Arbeitsgruppe identifizierte in der Folge Gerichtsstandsvereinbarungen137 ohne Beteiligung von Verbrauchern als gemeinsamen Nenner und erarbeitete einen ersten Text für ein zukünftiges Gerichtsstandsübereinkommen.138
F. Haager Gerichtsstandsübereinkommen 2005 Ergebnis dieser Entwicklung war das HGÜ, das am 30. Juni 2005 verabschiedet wurde.139 Es regelt im Hinblick auf ausschließliche140 Gerichtsstandsvereinbarungen im Geschäftsverkehr141 sowohl die Frage der Zuständigkeit als auch die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen und gerichtlichen Vergleichen (convention double). Das Übereinkommen kann als Pendant zum New Yorker UN-Übereinkommen über die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche (UNÜ) angesehen werden.142 Das UNÜ bezweckt die Durchsetzung von Schiedsvereinbarungen sowie die Anerkennung und Vollstreckung von Schiedssprüchen.143 Das HGÜ stellt vergleichbare Regelungen zur Durchsetzung von ausschließlichen Gerichtsstandsvereinbarungen und zur Anerkennung und Vollstreckung der daraus erwachsenden Urteile auf.
136
Ständiges Büro der Haager Konferenz, Conclusions of Commission I (2002). Die beiden früheren Haager Gerichtsstandsübereinkommen (Haager Übereinkommen vom 15. April 1958 über die Zuständigkeit des vertraglich vereinbarten Gerichts bei internationalen Kaufverträgen (HGÜIK) sowie das Haager Übereinkommen vom 25. November 1965 über Gerichtsstandsvereinbarungen (HGÜWG)) sind nicht in Kraft getreten; Die Übereinkommenstexte und Statustabellen sind abrufbar unter: . 138 Vgl. Schulz, Report on the Work of the Informal Working Group on the Judgments Project, PrelDoc No 22 of June 2003. 139 Vgl. dazu Hartley/Dogauchi, Explanatory Report; aus der Literatur z.B. Antomo, NJW 2015, 2919; Beaumont, JPIL 2009, 125; Bläsi, HGÜ; Brand/Herrup, The 2005 Hague Choice of Court Convention; Huber, IPRax 2016, 197; Moebus, Das Haager Übereinkommen von 2005; Pfeiffer, IWRZ 2016, 19 und 69; Schulz, JPIL 2006, 243; Wagner, RabelsZ 73 (2009), 100. 140 Die Ausschließlichkeit wird vermutet (Art. 3 lit. b HGÜ). Über vertragsstaatliche Erklärungen gemäß Art. 22 HGÜ können auch nichtausschließliche Gerichtsstandsvereinbarungen in den Anwendungsbereich einbezogen werden. Allerdings haben die Vertragsstaaten des HGÜ bisher keine derartigen Erklärungen abgegeben, vgl. die Statustabelle des Übereinkommens: (Stand: 25. 4.2021). 141 Vgl. Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 1 HGÜ. 142 Brand/Herrup, The 2005 Hague Choice of Court Convention, S. 3; Moebus, Das Haager Übereinkommen von 2005, S. 46 ff. 143 Vgl. Art. II und Art. III UNÜ. 137
F. Haager Gerichtsstandsübereinkommen 2005
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Dazu sieht das HGÜ drei grundlegende Regeln vor.144 Erstens ist das in einer ausschließlichen Gerichtsstandsvereinbarung benannte Gericht zuständig und muss diese Zuständigkeit auch ausüben und den Rechtsstreit entscheiden (Art. 5 HGÜ). Zweitens müssen Gerichte in anderen Vertragsstaaten die Gerichtsstandsvereinbarung anerkennen und dürfen selbst nicht entscheiden (Art. 6 HGÜ). Und drittens muss die Entscheidung des prorogierten Gerichts in anderen Vertragsstaaten anerkannt und vollstreckt werden (Art. 8 HGÜ). Die Anerkennung und Vollstreckung der Entscheidung darf nur ausnahmsweise aufgrund abschließend geregelter Gründe verweigert werden (Art. 8 Abs. 1 S. 2 HGÜ). Das HGÜ ist am 1. Oktober 2015, also mehr als zehn Jahre nach seiner Verabschiedung, in Folge des Beitritts Mexikos und der Genehmigung des Übereinkommens durch die Europäischen Union145 in Kraft getreten. Heute gilt das HGÜ in 31 Staaten.146 Neben den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union (inkl. Dänemark147) sind dies Mexiko, Montenegro, Singapur und das Vereinigte Königreich. Das Vereinigte Königreich war in Folge des Austritts aus der Europäischen Union zunächst gemäß Art. 129 Abs. 1 des Austrittsabkommens148 weiterhin bis zum 31. Dezember 2020 an das HGÜ gebunden.149 Am 28. September 2020 hat das Vereinigte Königreich seinen Beitritt zum HGÜ mit Wirkung zum 1. Januar 2021 erklärt, so dass die Kontinuität der Anwendung sichergestellt
144 Vgl. Hartley/Dogauchi, Explanatory Report, Rn. 3–5; Brand/Herrup, The 2005 Hague Choice of Court Convention, S. 11 ff.; Wagner, RabelsZ 73 (2009), 100 (110). 145 Gemäß Art. 31 Abs. 1 HGÜ war für das Inkrafttreten die Ratifikation, Annahme, Genehmigung oder der Beitritt von zwei Parteien (Staaten oder Organisationen der regionalen Wirtschaftsintegration) durch Hinterlegung der jeweiligen Urkunde erforderlich. 146 Vgl. die Statustabelle zum HGÜ auf der Homepage der Haager Konferenz: (Stand: 25.4.2021). 147 Dänemark ist nicht aufgrund der Genehmigung des HGÜ durch die EU gebunden, sondern aufgrund des eigenen Beitritts am 30. Mai 2018, vgl. Statustabelle zum HGÜ: (Stand: 25.4.2021). 148 Abkommen über den Austritt des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland aus der Europäischen Union und der Europäischen Atomgemeinschaft, ABl. 2019 C 384 I/1. 149 Vgl. Rühl, NJW 2020, 443 (447). Näher zur völkerrechtlichen Problematik Voland, ZaöRV 2019, 1 (38 f.).
32
Kapitel 1: Historischer Kurzüberblick
sein dürfte.150 Die USA,151 China, die Ukraine, die Republik Nordmazedonien sowie Israel haben das Übereinkommen unterzeichnet, aber bisher nicht ratifiziert.
G. Fortsetzung des Judgments Project 2011 Mit der Verabschiedung des HGÜ im Juni 2005 war lediglich eine Teiletappe des Judgments Project abgeschlossen. Das HGÜ stellt gerade kein umfassendes Übereinkommen zur Regelung der Zuständigkeit sowie der Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- oder Handelssachen dar. Denn insbesondere greift das HGÜ in Fällen, in denen Verbraucher am Rechtsstreit beteiligt sind oder die Parteien keine ausschließliche Gerichtsstandsvereinbarung geschlossen haben, nicht ein.152 Vor einer möglichen Fortsetzung des Projekts mit dem Ziel, das HGÜ durch ein oder mehrere Instrumente über die internationale Zuständigkeit und 150
Vgl. (Stand: 25.4.2021). Vor Abschluss des Austrittsabkommens war teilweise bezweifelt worden, ob die vom Vereinigten Königreich beabsichtigte ununterbrochene Fortgeltung des HGÜ durch eine Beitrittserklärung gewährleistet werden könne, da das Vereinigte Königreich erst mit dem Vollzug des Brexits die erforderliche Außenkompetenz wiedererlange. Es wurde vertreten, dass das Vereinigte Königreich erst ab diesem Zeitpunkt den Beitritt wirksam erklären könne, was zu einer Übergangsfrist im Sinne des Art. 31 Abs. 2 lit. a HGÜ geführt hätte (vgl. Dickinson, ZEuP 2017, 539 (560); Rühl, NJW 2020, 443 (447) Fn. 63; Sonnentag, Brexit, S. 90; Basedow, China-EU L.J. 5 (2017), 101 (116); Ungerer, in: Kramme/Baldus/Schmidt-Kessel, Brexit, S. 605 (613)). Diese Auffassung überzeugte nicht, da die Außenkompetenz der Europäischen Union durch eine Beitrittserklärung, die sich auf einen Zeitpunkt nach dem Austritt bezieht, nicht beeinträchtigt wird (i.Erg. ebenso Ahmed/Beaumont, JPIL 2017, 386 (409)). Selbst wenn der vorher erklärte Beitritt eine Verletzung der europäischen Kompetenzordnung dargestellt hätte, hätte dies an der völkerrechtlichen Wirksamkeit eines Beitritts wohl nichts geändert (zweifelnd: Geimer, in Geimer/Schütze, EuZVR, EuGVVO Einl. Rn. 329). Denn die Fähigkeit zum Abschluss völkerrechtlicher Verträge (Art. 6 WVK) wird durch die europarechtliche Kompetenzverteilung grundsätzlich nicht berührt (vgl. Schmalenbach, in: Dörr/Schmalenbach, VCLT, Art. 6 Rn. 19.) Aufgrund des Austrittsabkommens dürfte sich die Frage erledigt haben. Es ist klar, dass die ausschließliche Außenkompetenz der Europäischen Union einem bereits vor Ablauf des Übergangszeitraums erklärten Beitritt des Vereinigten Königreichs zum HGÜ nicht entgegensteht. Art. 129 Abs. 4 des Austrittsabkommens erlaubt dem Vereinigten Königreich nun ausdrücklich, während des Übergangszeitraums internationale Übereinkünfte in Bereichen der ausschließlichen Zuständigkeit der Union auszuhandeln, zu unterzeichnen und zu ratifizieren, sofern diese Übereinkünfte nicht während des Übergangszeitraums in Kraft treten oder gelten. 151 Zum Streit über die Implementierung des HGÜ im föderalen System der USA: Dubinsky, Tex. Int'l L.J. 54 (2018), 39 (70 ff.). 152 Vgl. Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 1 HGÜ.
G. Fortsetzung des Judgments Project 2011
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Anerkennung und Vollstreckung zu ergänzen, wollte der Rat für Allgemeine Angelegenheiten und die Politik der Haager Konferenz (im Folgenden: Rat der Haager Konferenz) allerdings das Inkrafttreten des HGÜ abwarten.153 Auf wiederholte Anregungen des Ständigen Büros hin,154 beschloss der Rat der Haager Konferenz dann jedoch bereits im Jahr 2011, eine Expertengruppe155 einzusetzen, um die Möglichkeiten und Aussichten einer Wiederaufnahme des Projekts zu analysieren.156 Die Expertengruppe empfahl im April 2012, die Arbeit an einem Anerkennungs- und Vollstreckungsübereinkommen mit indirekten Zuständigkeitsgründen aufzunehmen.157 Zu diesem Zweck setzte der Rat der Haager Konferenz im April 2012 eine Arbeitsgruppe ein,158 die im Rahmen von fünf Sitzungen zwischen 2013 und 2015159 unter dem Vorsitz von David Goddard (Neuseeland)160 einen vorläufigen Entwurfstext für ein Anerkennungs- und Vollstreckungsübereinkommen erarbeitete (im Folgenden: vorläufiger Entwurfstext)161. Der vorläufige Entwurfstext der Arbeitsgruppe ist nicht unbedingt als inhaltlicher Kompromiss der Teilnehmer zu werten. Denn die Vorschriften des vorläufigen Entwurfstexts sollten als Diskussionsgrundlage für die weiteren Verhandlungen dienen und zielten auch darauf ab, auf bestimmte Aspekte oder Probleme aufmerksam zu machen. Das Mandat der Arbeitsgruppe umfasste
153
Ständiges Büro der Haager Konferenz, Conclusions and Recommendations adopted by the Council (7–9 April 2010); siehe auch Wagner, IPRax 2016, 97 (97). 154 Ständiges Büro der Haager Konferenz, PrelDoc No 14 of February 2010; Ständiges Büro der Haager Konferenz, PrelDoc No 12 of March 2011. 155 In Abgrenzung zur Arbeitsgruppe („Working Group“), deren Mandat typischerweise vorbereitende Arbeiten für ein konkretes Instrument umfasst, verwendet die Haager Konferenz den Begriff der Expertengruppe („Experts‘ Group“), soweit es in einer vorgelagerten Sondierungsphase noch um grundsätzlichere Fragen der Entscheidungsfindung geht, vgl. Pertegás, in: Basedow/Rühl/Ferrari/de Miguel Asensio, EPrIL, Bd. 1, Eintrag „Hague Conference on Private International Law“, S. 870 (872). 156 Ständiges Büro der Haager Konferenz, Conclusions and Recommendations adopted by the Council (5–7 April 2011), Rn. 15. 157 Ständiges Büro der Haager Konferenz, WorkDoc No 2 E of April 2012. 158 Ständiges Büro der Haager Konferenz, Conclusions and Recommendations adopted by the Council (17–20 April 2012), Rn. 17. 159 Zu den Beratungen der Arbeitsgruppe siehe Wagner, IPRax 2016, 97 (98 f.). 160 Vgl. Ständiges Büro der Haager Konferenz, PrelDoc No 3 of March 2013, Annex 1. 161 Der vorläufige Entwurfstext ist als Anhang in folgendem Dokument enthalten: Ständiges Büro der Haager Konferenz, PrelDoc No 7A of November 2015; vgl. dazu: Wagner, IPRax 2016, 97 (99 ff.); Khanderia, Commonwealth Law Bulletin 44-3 (2018), 452. Der Beitrag von Khanderia gibt zwar vor, auf Basis des Konventionsentwurfs von Februar 2017 geschrieben zu sein (S. 453), den Ausführungen liegt aber der vorläufige Entwurfstext der Arbeitsgruppe zugrunde (vgl. z.B. S. 459: „The Draft Convention, presently contains 15 Articles“).
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Kapitel 1: Historischer Kurzüberblick
nicht die Erarbeitung von Regeln zur Entscheidungszuständigkeit.162 Der vorläufige Entwurfstext ist dementsprechend als convention simple konzipiert und sieht ausschließlich Vorschriften zur grenzüberschreitenden Anerkennung und Vollstreckung zivilrechtlicher Entscheidungen vor. Zur Erleichterung der weiteren Verhandlungen hat das Ständige Büro den vorläufigen Entwurfstext in einer Explanatory Note näher erläutert.163 Die Explanatory Note kommentiert die einzelnen Vorschriften des vorläufigen Entwurfstexts und gibt Hinweise auf die Hintergründe und die Diskussionen in der Arbeitsgruppe. Im März 2016 begrüßte der Rat der Haager Konferenz die vorgelegten Ergebnisse der Arbeitsgruppe und beauftragte eine Spezialkommission damit, auf dieser Grundlage einen Konventionsentwurf zu erarbeiten.164 Zugleich wurde beschlossen, die Frage eines möglichen Instruments zur Regelung der internationalen Entscheidungszuständigkeit nach hinten zu verschieben und erst nach Abschluss der Arbeit der Spezialkommission wieder auf die Tagesordnung zu setzen.165 Die eingesetzte Spezialkommission nahm daraufhin die Arbeit auf und erarbeite unter dem Vorsitz von David Goddard (Neuseeland)166 in vier Sitzungen zwischen 2016 und 2018 einen Konventionsentwurf. In den Sitzungen entwickelte die Spezialkommission den vorläufigen Entwurfstext der Arbeitsgruppe fort, ohne dabei die grundlegende Struktur zu ändern. Die Sitzungen fanden vom 1. bis zum 9. Juni 2016,167 vom 16. bis zum 24. Februar 2017,168 162
Vgl. Ständiges Büro der Haager Konferenz, Conclusions and Recommendations adopted by the Council (17–20 April 2012), Rn. 17. Erst später wurde die Arbeitsgruppe beauftragt, auch Empfehlungen hinsichtlich der Fragen der Entscheidungszuständigkeit und zur Vermeidung von Parallelverfahren abzugeben (vgl. Ständiges Büro der Haager Konferenz, Conclusions and Recommendations adopted by the Council (24–26 March 2015), Rn. 4). Die Empfehlung lautete, dass die Expertengruppe nach Fertigstellung eines Konventionsentwurfs die Möglichkeit eines zusätzlichen Instruments zur Regelung dieser Fragen erörtern sollte (Ständiges Büro der Haager Konferenz, PrelDoc No 7A of November 2015). 163 Ständiges Büro der Haager Konferenz, Explanatory Note, PrelDoc No 2 of April 2016. 164 Ständiges Büro der Haager Konferenz, Conclusions and Recommendations adopted by the Council (15–17 March 2016), Rn. 12. 165 Ständiges Büro der Haager Konferenz, Conclusions and Recommendations adopted by the Council (15–17 March 2016), Rn. 13. 166 Vgl. Minutes of the Special Commission on the Recognition and Enforcement of Foreign Judgments (1–9 June 2016), Minutes No 1, Meeting of 1 June 2016 (morning), Rn. 2 (bisher unveröffentlicht). 167 Der Zwischenstand nach der ersten Sitzung der Spezialkommission wird als „vorläufiger Konventionsentwurf 2016“ („2016 Preliminary draft Convention“) bezeichnet (veröffentlicht als Working Document No 76 Revised); vgl. zum Entwurf: Bonomi, YbPIL 17 (2015/16), 1; Jacobs, ZfRV 2017, 24. 168 Das Ergebnis der zweiten Sitzung trägt den Titel „Konventionsentwurf Februar 2017“ („February 2017 draft Convention“) (veröffentlicht als Working Document No 170 Revised); vgl. zum Entwurf: Khanderia, Journal of African Law 63 (2019), 413; Moss, Geo. L.J. 106 (2017), 209 (243–245).
H. Diplomatische Konferenz 2019
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vom 13. bis zum 17. November 2017169 und vom 24. bis zum 29. Mai 2018170 in Den Haag statt. Mit dem Konventionsentwurf 2018 war das Mandat der Spezialkommission erfüllt und der Weg für eine Diplomatische Konferenz geebnet.
H. Diplomatische Konferenz 2019 Die 22. Haager Konferenz171, in welcher der Text des HAVÜ finalisiert und das Übereinkommen angenommen wurde, fand vom 18. Juni bis zum 2. Juli 2019 in Den Haag statt. Als Vorsitzender der Niederländischen Staatskommission für Internationales Privatrecht saß Paul Vlas kraft Amtes172 der Plenarsitzung der Diplomatischen Konferenz vor.173 Zum Vorsitzenden174 der
169 Der Zwischenstand nach der dritten Sitzung wird als „Konventionsentwurf November 2017“ („November 2017 draft Convention“) bezeichnet (veröffentlicht als Working Document No 236 Revised); vgl. zum Entwurf: Blom, Osgoode Hall L.J. 55-1 (2018), 257; Heinze, GRUR Newsletter 02/2017, 38; De Miguel Asensio/Cuniberti/Franzina/Heinze/Requejo Isidro, Judgments Convention Study. 170 Der abschließende Konventionsentwurf nach der vierten und letzten Sitzung der Spezialkommission trägt die Bezeichnung „Konventionsentwurf 2018“ („2018 draft Convention“) (veröffentlicht als Working Document No 262 Revised); vgl. dazu: Garcimartín/Saumier, Judgments Convention: Revised Draft Explanatory Report, PrelDoc No 1 of December 2018; Araujo/De Nardi/Lopes/Polido, Revista de Direito Internacional 16 (2019), 19 (21 ff.); Brand, University of Pittsburgh Legal Studies Research Paper No. 2019-02; Douglas/Keyes/McKibbin/Mortensen, Federal Law Review 47-3 (2019), 420 (426 ff.); Goddard, Duke J. Comp. & Int'l L. 29 (2019), 473; van Loon, Collection of Papers of the Faculty of Law, Niš, No 82, Year LVIII, 2019, 15; Rumenov, ECLIC 3 (2019) 385; Teitz, Duke J. Comp. & Int'l L. 29 (2019), 491. 171 Es war die erste Diplomatischen Konferenz seit zwölf Jahren. Im Rahmen der 21. Sitzung im Jahr 2007 sind das HUnthGÜ und das HUnthP angenommen worden. 172 Vgl. Art. 4 Abs. 5 S. 2 der Satzung der Haager Konferenz für Internationales Privatrecht (abrufbar unter ), sowie Art. 5A I 1a der zur Zeit der Konferenz geltenden Verfahrensordnung. Am 6. März 2020 ist eine neue Verfahrensordnung in Kraft getreten (abrufbar unter ). 173 Als stellvertretende Vorsitzende der Diplomatischen Konferenz wurden gewählt: Hong Xu (China), Andreas Stein (EU), Mikhail Galperin (Russland), Paul Herrup (USA), Pieter André Stemmet (Südafrika) und Marcos Dotta Salgueiro (Uruguay), siehe: Minutes of the 22nd Session, Plenary Session, Minutes No 1, Opening Session of 18 June 2019 (morning), Rn. 1 und 8 (bisher unveröffentlicht). 174 Als Stellvertretende Vorsitzende der Kommission wurden gewählt: Kathryn Sabo (Kanada), Boni de M. Soares (Brasilien), Elisabeth Aguiling-Pangalangan (Philippinen) und Tonje Meinich (Norwegen), siehe: Minutes of the 22nd Session, Plenary Session, Minutes No 1, Opening Session of 18 June 2019 (morning), Rn. 9 f. (bisher unveröffentlicht).
36
Kapitel 1: Historischer Kurzüberblick
Kommission der Diplomatischen Konferenz („Commission I“)175 wurde David Goddard (Neuseeland) gewählt, der bereits den Sitzungen der Spezialkommission und der Arbeitsgruppe vorgesessen hatte.176 Er leitete als Vorsitzender der ersten Kommission der Diplomatischen Sitzung die inhaltlichen Verhandlungen, in denen der Text finalisiert wurde. Verhandelt wurde dabei entsprechend den Vorgaben der Satzung und der Verfahrensordnung der Haager Konferenz nach dem Konsensprinzip.177 Dabei setzt ein Konsens nach der Praxis der Haager Konferenz nicht zwingend die positive Zustimmung aller Staaten voraus. Ausreichend ist, dass Staaten – auch wenn sie ihre Einwände gegenüber bestimmten Vorschriften deutlich gemacht haben – auf die entsprechende Frage des Vorsitzenden hin den Konsens nicht blockieren.178 Staaten können damit eine Position einnehmen, die einer Enthaltung bei Abstimmungsverfahren nicht unähnlich ist.179 Zwar erlaubt die Verfahrensordnung in Ausnahmesituationen auch eine Beschlussfassung durch Abstimmung.180 Jedoch ist dies im Rahmen der Diplomatischen Sitzung nicht erforderlich geworden, da stets ein Konsens im oben beschriebenen Sinne erzielt werden konnte. Im Rahmen der Verhandlungen wurden die einzelnen Artikel des Konventionsentwurfs 2018 sowie die als Working Documents von einer oder mehreren Delegationen vorgelegten Änderungsvorschläge im Plenum diskutiert. Um hinsichtlich besonders schwieriger oder umstrittener Fragen konsensfähige Lösungen zu erarbeiten oder zumindest die divergierenden Positionen klarer herauszuarbeiten, wurde zudem von informellen Arbeitsgruppen Gebrauch gemacht, die insbesondere in den Mittagspausen oder abends im Anschluss an die Plenarsitzungen tagten. Das Drafting Committee unter Vorsitz von Fausto Pocar (Italien) arbeitete die im Plenum getroffenen Entscheidungen jeweils in englischer und französischer Sprache in den Text ein. Eine besonders wichtige Rolle nahmen im Rahmen der Verhandlungen auch Francisco Garcimartín (Spanien) und Geneviève Saumier (Kanada), die beiden Verfasser (co-Rapporteurs) des Explanatory Reports, ein. Sie wurden vielfach gebeten, bestimmte 175
Vgl. Art. 5A I 1b der Verfahrensordnung a.F. Während Diplomatischen Sitzungen kann der Rat der Haager Konferenz als Kommission für Allgemeine Angelegenheiten und die Politik der Haager Konferenz tagen (Art. 5A I 1c der Verfahrensordnung a.F.) In diesem Fall wird von „Commission II“ gesprochen. 176 Minutes of the 22nd Session, Plenary Session, Minutes No 1, Opening Session of 18 June 2019 (morning), Rn. 9 f. (bisher unveröffentlicht). 177 Vgl. Art. 8 Abs. 2 der Satzung der Haager Konferenz für Internationales Privatrecht sowie Art. 1A S. 1 der Verfahrensordnung a.F.; zu den Hintergründen: Beaumont, Recueil des Cours, Bd. 340, S. 9 (55 ff.). 178 Beaumont, Recueil des Cours, Bd. 340, S. 9 (60 f.). 179 Vgl. Beaumont, Recueil des Cours, Bd. 340, S. 9 (60). 180 Art. 1A S. 2 der Verfahrensordnung a.F.; siehe nunmehr Art. II.H.4. Verfahrensordnung n.F.
H. Diplomatische Konferenz 2019
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Klarstellungen in den Report aufzunehmen und trugen durch Rückfragen und Anmerkungen zur Klärung von Problemen bei. Nach zwei Lesungen stand der finale Text des Übereinkommens fest. Auf eine dritte Lesung wurde verzichtet. Am 2. Juli 2019 wurde in der Great Hall of Justice im Friedenspalast in Den Haag die Schlussakte (Final Act)181 von den Delegationen unterschrieben und damit das Haager Übereinkommen vom 2. Juli 2019 über die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Entscheidungen in Zivil- oder Handelssachen (HAVÜ) angenommen. Die Verhandlungen der Spezialkommission und der Diplomatischen Konferenz waren, anders als noch im „ersten Anlauf“,182 nicht mehr beherrschend durch eine Dynamik „USA gegen Europa“ geprägt.183 Viele Staaten aus anderen Teilen der Welt haben eine sehr aktive Rolle im Rahmen der Verhandlungen eingenommen und dem Projekt stärker als zuvor einen globalen Charakter verliehen.184 Die auch heute noch verbreitete Konzentration der Perspektive auf das Verhältnis zwischen Europa und den USA185 erscheint auch vor diesem Hintergrund nicht als sachgerecht. Wenn mit einer Ratifizierung des HAVÜ durch die USA in absehbarer Zeit ohnehin nicht gerechnet wird,186 sollte der Blick (zumindest auch) auf andere Regionen der Erde gerichtet werden.187 Nachdem das Judgments Project mit dem HAVÜ nun ein Anerkennungs- und Vollstreckungsübereinkommen hervorgebracht hat, steht die Vereinheitlichung des Rechts der internationalen Entscheidungszuständigkeit weiterhin auf der Agenda der Haager Konferenz (Jurisdiction Project).188 Im Februar und November 2020 sowie im Februar 2021 ist dazu die Expertengruppe erneut zusammen gekommen, um die Frage nach einem zusätzlichen Instrument zur internationalen Entscheidungszuständigkeit zu diskutieren.189 Im März 2021 hat der Rat der Haager Konferenz eine Arbeitsgruppe damit beauftragt, Ent-
181 Abrufbar unter: . 182 Siehe Kapitel 1 D. (S 24). 183 Vgl. van Loon, NIPR 2020, 4 (11). 184 van Loon, NIPR 2020, 4 (11); Hess, EuZPR, Rn. 5.61. 185 Vgl. z.B. Schack, IPRax 2020, 1 (6); Schack, ZEuP 2014, 824 (842). 186 Vgl. Schack, IPRax 2020, 1 (6). 187 Ähnlich De Miguel Asensio/Cuniberti/Franzina/Heinze/Requejo Isidro, Judgments Convention Study, S. 37 f.; Stein, IPRax 2020, 197 (202); Vedie, von Mehren, S. 326. 188 Dazu ausführlich Jueptner, JPIL 2020, 247. 189 Vgl. Ständiges Büro der Haager Konferenz, Mitteilung vom 21.2.2020, „Third meeting of the Experts’ Group on Jurisdiction“, ; Ständiges Büro der Haager Konferenz, Mitteilung vom 19.11.2020, „Fourth meeting of the Experts’ Group on Jurisdiction“, ; Ständiges Büro der Haager Konferenz, Mitteilung vom 5.2.2021, „Fifth meeting of the Experts’ Group on Jurisdiction“, .
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Kapitel 1: Historischer Kurzüberblick
würfe für Zuständigkeitsbestimmungen (einschließlich Regeln für konkurrierende Verfahren) zu erarbeiten.190 Bisher ist offen, ob ein Instrument geschaffen wird und welche Form es annehmen könnte.191 Erste Stellungnahmen zum Vorhaben sind eher verhalten und empfehlen, erst einmal die Resonanz auf das HAVÜ abzuwarten.192
I. Zwischenbilanz Seit über einem Jahrhundert steht die Vereinheitlichung des Rechts der internationalen Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen auf der Agenda der Haager Konferenz. Dabei wurden immer wieder unterschiedliche Ansätze verfolgt, wobei insbesondere der sachlich-gegenständliche Anwendungsbereich und der Grad der angestrebten Rechtsvereinheitlichung stark variierten. Diese beiden Aspekte stehen nicht beziehungslos nebeneinander. Denn je breiter der sachlich-gegenständliche Anwendungsbereich, umso schwieriger ist es in der Regel, sich international auf eine Vereinheitlichung des Rechts zu verständigen. 1925 wollte man noch alle vermögensrechtlichen und nichtvermögensrechtlichen Angelegenheiten sowie Schiedssprüche erfassen.193 Das Modellübereinkommen 1925/28 sah für die wichtigen Regelungen der Anerkennungszuständigkeit aber keine einheitlichen Regelungen vor, sondern verwies stattdessen auf das jeweilige nationale Recht.194 Bei den nachfolgenden Anläufen wurde ein höherer Grad der Rechtsvereinheitlichung angestrebt. Das HVÜ sieht bereits einen eigenen Katalog indirekter Zuständigkeitsgründe vor. Das System der Bilateralisierung zeigte jedoch die Vorbehalte, die gegenüber einem weltweiten Anerkennungs- und Vollstreckungsübereinkommen bestanden.195 Im Rahmen des Judgments Project strebte man im Rahmen der Haager Konferenz zeitweise sogar eine (beinahe) vollständige Vereinheitlichung des Zuständigkeitsrechts und des Rechts der Anerkennung und Vollstreckung im Sinne einer reinen convention double an, allerdings ohne Erfolg. Erst eine radikale Beschränkung des Anwendungsbereichs auf Gerichtsstandsvereinbarungen im Geschäftsverkehr im Rahmen des HGÜ führte zu einem Zwischenerfolg.196
190
Ständiges Büro der Haager Konferenz, Conclusions and Decisions adopted by the Council (1–5 March 2021), Rn. 8 f. 191 Vgl. Zhao, SRIEL 2020, 345 (365–367). 192 Brand, Neth. Int'l L. Rev. 2020, 3 (16 f.); Schack, IPRax 2020, 1 (6). 193 Schack, RabelsZ 57 (1993), 224 (234 f.). 194 Siehe Kapitel 1 A. (S 12). 195 Siehe Kapitel 1 B. (S 15). 196 Siehe Kapitel 1 F. (S 30).
I. Zwischenbilanz
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Das zwischenzeitliche Scheitern der Verhandlungen um die Jahrtausendwende hat zu einem Umdenken im Rahmen der Haager Konferenz geführt.197 Anstatt mit der gleichzeitigen Vereinheitlichung von Zuständigkeits- und Anerkennungsrecht den „großen Wurf“ zu versuchen, konzentrierte man sich seit der Fortsetzung des Judgments Project – mit Erfolg – auf die Aushandlung eines Anerkennungs- und Vollstreckungsübereinkommens. Das praktische Bedürfnis für international vereinheitlichte Regelungen zur Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Entscheidungen in Zivil- oder Handelssachen ist vor dem Hintergrund der zunehmenden Globalisierung und Digitalisierung heute wohl größer als je zuvor in der Geschichte der Haager Konferenz.198 Allerdings hat sich die institutionelle Ausgangslage für die Verhandlungen im Rahmen der Haager Konferenz mit der Zeit erheblich gewandelt. 1925 und 1928 verhandelten im Rahmen der 5. und 6. Haager Konferenz ausschließlich europäische Staaten und Japan über eine gegenseitige Urteilsanerkennung.199 Selbst zu Beginn des Judgments Project Anfang der 1990er Jahre war die Haager Konferenz noch stark eurozentrisch geprägt.200 Inzwischen ist die Haager Konferenz eine globale Organisation. Zum Zeitpunkt der 22. Sitzung im Juni und Juli 2019 hatte sie 83 Mitglieder (darunter auch die Europäische Union201).202 Im Jahr 2000 waren es bloß 47.203 Die heutigen Mitglieder repräsentieren die unterschiedlichsten Rechtssysteme und Rechtskulturen, was es nicht leichter macht, einen gemeinsamen Nenner zu finden.
197
Vgl. Basedow, IPRax 2017, 194 (197) („Aus Schaden klug geworden“). Goddard, Duke J. Comp. & Int'l L. 29 (2019), 473 (478); vgl. bereits Coester-Waltjen, RabelsZ 57 (1993), 263 (264). 199 An den beiden Konferenzen haben teilgenommen: Deutschland, Österreich, Belgien, Dänemark, Spanien, Finnland, Frankreich, Großbritannien, Ungarn, Italien, Japan, Lettland, Luxemburg, Norwegen, die Niederlande, Polen, Portugal, Rumänien, Jugoslawien, Schweden, die Schweiz und die Tschechoslowakei (vgl. Actes de la Cinquième Session tenue du 12 Octobre au 7 Novembre 1925, Den Haag 1926, S. 9–11; Actes de la Sixième Session tenue du 5 au 28 Janvier 1928, Den Haag 1928, S. 11–13; siehe auch van Loon, in: Jacobs/Roberts, The Effect of Treaties in Domestic Law, S. 221 (222)). 200 Ende 1992 hatte die Haager Konferenz 37 Mitglieder. Davon waren knapp zwei Drittel europäische Staaten (ganz überwiegend aus Westeuropa). 201 Zur Mitgliedschaft der EU in der Haager Konferenz: van Loon/Schulz, in: Martenczuk/van Thiel, Justice, Liberty, Security, S. 257; Schulz, in: von Hein/Rühl, Kohärenz; S. 110; Wagner, RabelsZ 73, (2009), 215 (223 f.); Hess, EuZPR, Rn. 2.81 ff. 202 Siehe die Statustabelle auf der Homepage der Haager Konferenz: (Stand: 25.4.2021); zur Wandlung der Mitgliederstruktur und der „Verschiebung des geografischen Zentrums der Haager Konferenz“: Basedow, IPRax 2017, 194 (195 f.); vgl. auch Teitz, Duke J. Comp. & Int'l L. 29 (2019), 491 (496 f.). 203 Siehe die Statustabelle auf der Homepage der Haager Konferenz: (Stand: 25.4.2021). 198
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Kapitel 1: Historischer Kurzüberblick
Eine Konstante der letzten hundert Jahre in den Bemühungen der Haager Konferenz zur Vereinheitlichung des Rechts der internationalen Urteilsanerkennung war jedoch die weit verbreitete Überzeugung, dass eine internationale Regelung grundsätzlich wünschenswert wäre. Diese Grundüberzeugung ist unter sich erheblich wandelnden politischen, wirtschaftlichen und institutionellen Bedingungen stets erhalten geblieben und hat nach langen und intensiven Verhandlungen zur Verabschiedung des HAVÜ geführt, welches in den folgenden Kapiteln näher analysiert werden soll.
Kapitel 2
Auslegung Bevor die Regelungen des HAVÜ einer näheren Untersuchung unterzogen werden, soll in diesem Kapitel zunächst die Frage behandelt werden, nach welchen Maßstäben das HAVÜ auszulegen ist. Dieser Frage kommt eine große Relevanz für Theorie und Praxis zu. Vertragsstaatliche Gerichte werden die Bedeutung von Bestimmungen des Übereinkommens sowie das Verhältnis verschiedener Vorschriften ermitteln müssen. Jede rechtswissenschaftliche Analyse des Übereinkommens wird explizit oder stillschweigend bestimmte Auslegungsmethoden zugrunde legen.1 Anders als für das Recht der Europäischen Union existiert für Übereinkommen der Haager Konferenz bisher keine zentrale rechtsprechende Instanz zu deren Auslegung. Bestrebungen, die einheitliche Auslegung der Haager Übereinkommen durch eine Auslegungsbefugnis des Ständigen Internationalen Gerichtshofs des Völkerbundes (bzw. nachfolgend des IGH) sicherzustellen,2 sind wirkungslos geblieben und gegenwärtig ohne praktische Relevanz.3 Das HAVÜ sieht auch kein System zur Bildung bzw. Anrufung von ad hoc-Expertengremien zur Erteilung von Auslegungsempfehlungen vor.4 Es wird daher in erster Linie den Gerichten der künftigen Vertragsstaaten (einschließlich des EuGH5) obliegen, das HAVÜ auszulegen. Das Übereinkommen selbst enthält zwar in Art. 20 HAVÜ eine verbindliche6 Regelung zur Auslegung. Diese erschöpft sich allerdings darin klarzustellen, dass bei der Auslegung dem internationalen Charakter des Übereinkom-
1
Für das CISG: Magnus, in: Janssen/Meyer, CISG Methodology, S. 33 (33). Vgl. Protokoll v. 27.3.1931 (abgedruckt bei Linhart, Internationales Einheitsrecht, S. 153). 3 Linhart, Internationales Einheitsrecht, S. 150 ff.; Ribeiro‑Bidaoui, Neth. Int'l L. Rev. 2020, 139 (152). 4 Ein entsprechendes System wurde in früheren Phasen des Judgments Project diskutiert: vgl. Art. 40 Abs. 1 Konventionsentwurf 1999; Nygh/Pocar, Report, Rn. 393; Kessedjian, Report Rn. 200 f.; Ribeiro‑Bidaoui, Neth. Int'l L. Rev. 2020, 139 (152 f.). 5 Wilderspin/Vysoka, NIPR 2020, 34 (46 f.); Schack, IPRax 2020, 1 (2); De Miguel Asensio/Cuniberti/Franzina/Heinze/Requejo Isidro, Judgments Convention Study, S. 16. 6 Vgl. den Wortlaut des Art. 20 HAVÜ: „shall be had“. 2
42
Kapitel 2: Auslegung
mens und der Notwendigkeit seine einheitliche Anwendung zu fördern, Rechnung zu tragen ist.7 Welche Auslegungsmethoden Anwendung finden und welchen Ursprungs diese sind, dazu schweigt der Übereinkommenstext. Art. 20 HAVÜ gibt ein Ziel vor, bietet aber nicht unmittelbar Hilfestellungen dazu, wie dieses zu erreichen ist.8 Von den anwendbaren Auslegungsregelungen hängen aber zahlreiche Fragen ab, die für den Auslegungsvorgang und das -ergebnis entscheidend sein können, zum Beispiel welche Rolle den Materialien zukommt, ob und in welchem Umfang eine rechtsvergleichende Auslegung zulässig ist, inwiefern die Auslegung dynamisch ist oder sein darf und vieles mehr.
A. Anwendbare Auslegungsregeln Schon aus Art. 20 HAVÜ,9 der Natur und den Zwecken des Übereinkommens lässt sich folgern, dass ein Rückgriff auf nationale Auslegungsmethoden ausscheidet.10 Denn dies würde dem Ziel der Rechtsvereinheitlichung zuwiderlaufen.11 Die Ziele und Methoden der Gesetzesauslegung unterscheiden sich zwischen verschiedenen Rechtsordnungen erheblich.12 Würde der jeweilige Rechtsanwender auf die Methoden der eigenen Rechtsordnung zurückgreifen, drohte die Gefahr, dass das Übereinkommen in verschiedenen Staaten unterschiedlich interpretiert und angewandt würde. Es drohte eine „Re-Nationalisierung“13 bzw. „De-Unifikation“14 des Übereinkommens. Art. 20 HAVÜ fordert 7
Vergleichbare Vorschriften finden sich in zahlreichen zivilrechtsbezogenen internationalen Übereinkommen: vgl. z.B. Art. 7 Abs. 1 CISG, Art. 23 HGÜ, Art. 13 HWpÜ, Art. 53 HUnthGÜ. 8 Vgl. allgemein Linhart, Internationales Einheitsrecht, S. 211; Meyer-Sparenberg, Staatsvertragliche Kollisionsnormen, S. 102. 9 In entsprechender Weise wird aus dem Gebot der Berücksichtigung des internationalen Charakters im Rahmen von Art. 7 Abs. 1 CISG der Grundsatz der autonomen Auslegung gefolgert: Basedow, RabelsZ 81 (2017), 1 (20); Köhler, Die Haftung nach UN-Kaufrecht, S. 16 f.; Schlechtriem/Schroeter, Internationales UN-Kaufrecht, Rn. 91. 10 Ribeiro‑Bidaoui, Neth. Int'l L. Rev. 2020, 139 (146 f.). 11 Ebenso z.B. für das HGÜ: Moebus, Das Haager Übereinkommen von 2005, S. 11; für das HKÜ: Schoch, Ausnahmetatbestände HKÜ, S. 49; grundsätzlich einen Rückgriff auf nationale Methodenlehren im Rahmen internationalen Einheitsrechts ablehnend: Gruber, Methoden des internationalen Einheitsrechts, S. 62 f.; Kropholler, Internationales Einheitsrecht, S. 236; Meyer-Sparenberg, Staatsvertragliche Kollisionsnormen, S. 101. 12 Vgl. Gruber, Methoden des internationalen Einheitsrechts, S. 62; vgl. jedoch auch Vogenauer, Die Auslegung von Gesetzen, Bd. 2, S. 1295 ff., der darauf verweist, dass die Unterschiede zwischen den englischen und den kontinentaleuropäischen Auslegungsmethoden gering und nicht von fundamentaler Bedeutung sind. 13 Vgl. Reinhart, RIW 1994, 445 (446). 14 Vgl. Jarass, Privates Einheitsrecht, S. 55.
A. Anwendbare Auslegungsregeln
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aber – wie schon in der Artikelüberschrift („Uniform interpretation“ bzw. „Interprétation uniforme“) zum Ausdruck kommt – gerade eine (möglichst) einheitliche Auslegung des Übereinkommens. Unklar ist allerdings, auf welchen Bestand methodischer Grundsätze anstelle der nationalen Auslegungsregeln zurückzugreifen ist. Insoweit sind im Wesentlichen drei unterschiedliche Ansätze denkbar. Erstens wäre die Anwendung völkerrechtlicher Auslegungsregeln möglich. Zweitens kommt die Anwendung eigenständiger Auslegungsmethoden des internationalen Einheitsrechts in Betracht. Und Drittens ist eine Anpassung völkerrechtlicher Auslegungsregeln an die Erfordernisse des internationalen Einheitsrechts denkbar.15 I. Meinungsstand Die Frage, nach welchen Regeln sich die Auslegung des HAVÜ richtet, ist in der bisher zum Übereinkommen veröffentlichten rechtswissenschaftlichen Literatur nicht näher behandelt worden. Im Zusammenhang mit anderen Übereinkommen, die vereinheitlichte materiell-rechtliche, kollisionsrechtliche oder zivilverfahrensrechtliche Regelungen enthalten, ist die Frage jedoch bereits seit längerem Diskussionsgegenstand. 1. Anwendbarkeit völkerrechtlicher Auslegungsregeln Als Ausgangspunkt für die Auslegung des Übereinkommens kommen zunächst die Grundsätze des Völkervertragsrechts in Betracht, welche insbesondere in den Art. 31–33 der Wiener Vertragsrechtskonvention von 1969 (WVK)16 Ausdruck gefunden haben. Art. 31 Abs. 1 WVK normiert folgende allgemeine Auslegungsregel: „Ein Vertrag ist nach Treu und Glauben in Übereinstimmung mit der gewöhnlichen, seinen Bestimmungen in ihrem Zusammenhang zukommenden Bedeutung und im Lichte seines Zieles und Zweckes auszulegen.“ Unmittelbar gilt die WVK nur für Übereinkommen, die zwischen Staaten geschlossen werden, für die die WVK in Kraft ist (Art. 4 WVK). Aktuell hat die WVK 116 Vertragsstaaten.17 Das vorliegende Haager Übereinkommen steht jedoch allen Staaten der Welt offen (Art. 24 HAVÜ). Es ist also ohne Weiteres denkbar, dass sich Staaten an das HAVÜ binden, die nicht an die WVK gebun-
15 Dabei können die Grenzen zwischen einer Anpassung der völkerrechtlicher Auslegungsregeln und der völligen Loslösung von diesen fließend sein. 16 Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge vom 23. Mai 1969 (BGBl. 1985 II S. 927). 17 Statusübersicht (Stand: 25.4.2021), abrufbar unter: .
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Kapitel 2: Auslegung
den sind. Die Art. 31–33 WVK sind jedoch als anerkannte Grundsätze des Völkerrechts und Völkergewohnheitsrechts anzusehen.18 Sie werden daher auch herangezogen, sofern an völkerrechtlichen Verträgen Staaten beteiligt sind, die nicht Vertragsstaaten der WVK sind.19 Da es sich beim HAVÜ um einen völkerrechtlichen Vertrag handelt, liegt die Anwendung der völkerrechtlichen Auslegungsgrundsätze nahe. Die völkerrechtlichen Auslegungsgrundsätze werden in Rechtsprechung und Literatur verbreitet für multilaterale Übereinkommen, die materiell-rechtliche, kollisionsrechtliche oder zivilverfahrensrechtliche Regelungen enthalten, für anwendbar gehalten.20 Dies gilt etwa für das UN-Kaufrechtsübereinkommen (CISG21),22 das Übereinkommen über den Beförderungsvertrag im internationalen Straßengüterverkehr (CMR23),24 das Montrealer Übereinkommen
18 IGH 27.6.2001, ICJ-Reports 2001, 466 (501) – LaGrand (Deutschland v USA); IGH 13.12.1999, ICJ-Reports 1999, 1045 (1059) – Kasikili/Sedudu Island (Botswana v Namibia); EGMR (Große Kammer) 15.10.2015 – Nr. 27510/08, NJW 2016, 3353, Rn. 149 f. – Perinçek/Schweiz; EGMR 21.2.1975 – Nr. 4451/70, Series A Nr. 18 – Golder/Vereinigtes Königreich; EuGH 17.2.2016 – C-429/14, ECLI:EU:C:2016:88 Rn. 24 – Air Baltic Corporation/Lietuvos Respublikos specialiųjų tyrimų tarnyba; BVerfG 8.12.2014 – 2 BvR 450/11, NVwZ 2015, 361 (364); BGH 6.10.2016 – I ZB 13/15, NJW-RR 2017, 313 (315); Fothergill v Monarch Airlines Ltd [1981] AC 251 (Vereinigtes Königreich); Basedow, RabelsZ 81 (2017), 1 (22.); Dörr, in: Dörr/Schmalenbach, VCLT, Art. 31 Rn. 6; Linderfalk, On the Interpretation of Treaties, S. 7. 19 IGH 13.12.1999, ICJ-Reports 1999, 1045 (1059) – Kasikili/Sedudu Island (Botswana v Namibia); Dörr, in: Dörr/Schmalenbach, VCLT, Art. 31 Rn. 7; Linderfalk, On the Interpretation of Treaties, S. 7. 20 Vgl. z.B. Basedow, FS BGH, S. 777 (786 f.); Basedow, RabelsZ 81 (2017), 1 (21 f.); Beaumont/McEleavy, Anton's Private International Law, Rn. 3.33 f.; Bernasconi, in: Heere, International Law and The Hague's 750th Anniversary, S. 139 (140); Looschelders, in: Staudinger, Einl. zum IPR Rn. 611; Lendermann, Strafschadensersatz, S. 145; van Loon, in: Jacobs/Roberts, The Effect of Treaties in Domestic Law, S. 221 (238); Ludwig, in: jurisPKBGB, Art. 3 EGBGB Rn. 54 f.; Mann, L.Q.R. 99 (1983) 376 (377 ff.); Meyer-Sparenberg, Staatsvertragliche Kollisionsnormen, S. 102 ff.; vgl. im Übrigen die folgenden Nachweise zu einzelnen Übereinkommen. 21 Übereinkommen der Vereinten Nationen vom 11. April 1980 über Verträge über den internationalen Warenkauf (BGBl. 1989 II S. 586, 588; 1990 II S. 1699). 22 Happ, RIW 1997, 376; Ferrari, in: Schlechtriem/Schwenzer/Schroeter, UN-Kaufrecht, Art. 7 Rn. 33 m.w.N.; Magnus, in: Janssen/Meyer, CISG Methodology, S. 33 (47); Köhler, Die Haftung nach UN-Kaufrecht, S. 34; Sheehy, in: Review of the CISG 2005–2006, S. 153 (159); siehe für Nachweise zur Gegenansicht den folgenden Abschnitt. 23 Übereinkommen vom 19. Mai 1956 über den Beförderungsvertrag im internationalen Straßengüterverkehr (BGBl. 1961 II S. 1119). 24 BGH 10.10.1991 – I ZR 193/89, BGHZ 115, 299 (302) = NJW 1992, 621 (622); JesserHuß, in: MüKO-HGB, Einl. CMR Rn. 18 ff.
A. Anwendbare Auslegungsregeln
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(MÜ25),26 das UN-Übereinkommen über die Abtretung von Forderungen im internationalen Handel (ZessÜ27),28 das UNIDROIT-Übereinkommen über das internationale Factoring (FactÜ29),30 das römische Schuldvertragsübereinkommen (EVÜ31),32 das LugÜ 200733 und das UNÜ.34 Auch für diverse Übereinkommen der Haager Konferenz, die Fragen des internationalen Privat- und Verfahrensrechts betreffen, wird in Rechtsprechung und Literatur, soweit die Frage explizit erörtert wird, regelmäßig von der Maßgeblichkeit der Art. 31–33 WVK bzw. der völkerrechtlichen Auslegungsgrundsätze ausgegangen.35 Entsprechende Nachweise in Rechtsprechung und Literatur betreffen unter anderem das Haager Kindesentführungs-Übereinkommen (HKÜ36),37 das Haager Zustellungsübereinkommen
25 Montrealer Übereinkommen vom 28. Mai 1999 zur Vereinheitlichung bestimmter Vorschriften über die Beförderung im internationalen Luftverkehr (BGBl. 2004 II S. 458). 26 EuGH 12.4.2018 – C‑258/16, ECLI:EU:C:2018:252 Rn. 21 f. – Finnair Oyj/ Keskinäinen Vakuutusyhtiö Fennia; Pokrant, in: Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, vor Art. 1 MÜ Rn. 20. 27 UN-Übereinkommen vom 1. Dezember 2001 über die Abtretung von Forderungen im internationalen Handel (abgedruckt in ZEuP 2002, 860). 28 Rudolf, Einheitsrecht für internationale Forderungsabtretungen, S. 37. 29 UNIDROIT-Übereinkommen vom 28. Mai 1988 über das internationale Factoring (BGBl. 1998 II S. 173). 30 Rudolf, Einheitsrecht für internationale Forderungsabtretungen, S. 37. 31 Übereinkommen vom 19. Juni 1980 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (BGBl. 1986 II S. 809). 32 Junker, RabelsZ 55 (1991), 674 (677 f.); vgl. aber auch Kropholler, FS MPI, S. 583 (589). 33 BGer 4.10.2004 – 4C.172/2004, BGE 131 III 76, E. 3.3 (Schweiz); Keller, Rechtshängigkeit, S. 8 f. 34 Yugraneft Corp. v Rexx Management Corp., [2010] 1 S.C.R. 649 (Kanada); BGer 2.7.2012 – 5A_754/2011 (Schweiz); Born, International Commercial Arbitration I, S. 117; Paulsson, New York Convention, S. 32 f, 42 ff.; Spitz, YbPIL 21 (2019/20), 333 (346); ICCA's Guide to the Interpretation of the 1958 New York Convention, 2011, S. 12 ff. 35 Generell: van Loon, in: Jacobs/Roberts, The Effect of Treaties in Domestic Law, S. 221 (238); Ribeiro‑Bidaoui, Neth. Int'l L. Rev. 2020, 139 (144 ff.). 36 Haager Übereinkommen vom 25. Oktober 1980 über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführung (BGBl. 1990 II S. 206). 37 BGH 16.8.2000 – XII ZB 210/99, BGHZ 145, 97 (100) = NJW 2000, 3349 (3350); Office of the Children’s Lawyer v Balev, 2018 SCC 16, Rn. 32 f. (Kanada); Croll v Croll, 229 F.3d 133 (2d Cir 2000) (USA); Re C (Abduction: Settlement) [2004] EWHC 1245 (Fam) (Vereinigtes Königreich); S. Hanbury-Brown and R. Hanbury-Brown and Director General of Community Services (Central Authority) (1996) FLC 92-671 (Australien); P. v Secretary for Justice [2004] 2 NZLR 28 (Neuseeland); Beaumont/McEleavy, The Hague Convention on International Child Abduction, S. 227; Daskalov, Das Haager Kindesentführungsübereinkommen, S. 190; Schoch, Ausnahmetatbestände HKÜ, S. 49 f.; Schuz, The Hague Child Abduction Convention, S. 93 f.; Silberman, U.C. Davis L. Rev. 38 (2005), 1049 (1059 f.).
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Kapitel 2: Auslegung
(HZÜ38),39 das Haager Beweisaufnahmeübereinkommen (HBewÜ40),41 das Haager Wertpapierübereinkommen (HWpÜ42)43 und das HGÜ44. Zum Teil kommt dies sogar in den Explanatory Reports der jeweiligen Haager Übereinkommen zum Ausdruck.45 2. Nichtanwendbarkeit völkerrechtlicher Auslegungsregelungen Insbesondere in der Literatur wird jedoch teilweise für völkerrechtliche Verträge einheitsrechtlichen Inhalts eine Anwendung der völkerrechtlichen Auslegungsmethoden abgelehnt.46 Diese Auffassung wird insbesondere für das CISG verbreitet vertreten.47 Allein für die Schlussbestimmungen in Teil IV des CISG sollen die völkerrechtlichen Auslegungsgrundsätze anwendbar sein, nicht jedoch für die übrigen Teile des CISG.48 Für die Teile I–III des CISG sollen vielmehr selbstständige Auslegungsgrundsätze Anwendung finden. Die Auslegungsmethodik folge aus dem CISG selbst und sei unabhängig von nationalen und völkerrechtlichen Auslegungsregeln.49
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Haager Übereinkommen vom 15. November 1965 über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke im Ausland in Zivil- oder Handelssachen (BGBl. 1977 II S. 1452). 39 Hopt/Kulms/von Hein, Rechtshilfe und Rechtsstaat, S. 126; Lendermann, Strafschadensersatz, S. 145; Costas-Pörksen, Haager Zustellungsübereinkommen, S. 49. 40 Haager Übereinkommen vom 18. März 1970 über die Beweisaufnahme im Ausland in Zivil- oder Handelssachen (BGBl. 1977 II S. 1472). 41 Lendermann, Strafschadensersatz, S. 145; Costas-Pörksen, Haager Zustellungsübereinkommen, S. 48. 42 Haager Übereinkommen vom 5. Juli 2006 über die auf bestimmte Rechte an Intermediär-verwahrten Wertpapieren anzuwendende Rechtsordnung. Eine deutsche Übersetzung ist verfügbar unter . 43 Ege, Das Kollisionsrecht der indirekt gehaltenen Wertpapiere, S. 134 Fn. 598. 44 Ahmed/Beaumont, JPIL 2017, 386 (399) Fn. 65; Brand/Herrup, The 2005 Hague Choice of Court Convention, S. 27 Fn. 5, S. 30 Fn. 9 und S. 160. 45 Vgl. Pérez-Vera, Explanatory Report, Rn. 84 Fn. 36. 46 In diesem Sinne offenbar Gebauer, Unif. L. Rev. 5 (2000), 683 (691 f.). 47 Vgl. z.B. Volken, in: Šarčević/Volken, International sale of goods, S. 37 f.; Honnold, Uniform Law for International Sales, Rn. 103; Perales Viscasillas, in: Kröll/Mistelis/Perales Viscasillas, CISG, Art. 7 Rn. 9 („The CISG should not be interpreted in light of public international law, and especially in accordance with the 1969 Vienna Convention on the Law of Treaties.“). 48 Perales Viscasillas, in: Kröll/Mistelis/Perales Viscasillas, CISG, Art. 7 Rn. 9; Honnold, Uniform Law for International Sales, Rn. 103; Schwenzer/Hachem, in: Schlechtriem/Schwenzer, CISG, Art. 7 Rn. 23. 49 Vgl. Perales Viscasillas, in: Kröll/Mistelis/Perales Viscasillas, CISG, Art. 7 Rn. 7–9 („almost self-sufficient system“).
A. Anwendbare Auslegungsregeln
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3. Anpassung völkerrechtlicher Auslegungsregelungen Andere Autoren erkennen zwar die grundsätzliche Geltung der Art. 31–33 WVK für internationales Einheitsrecht50 völkerrechtlichen Ursprungs an, fordern aber eine Anpassung dieser Regeln.51 Dazu wird angeführt, dass die „völkerrechtliche Methodenlehre im Hinblick auf das internationale Einheitsrecht erhebliche Lücken“ aufweise.52 Sie sei inhaltlich zugeschnitten auf das Verhältnis von Völkerrechtssubjekten untereinander und nicht auf privatrechtliche Rechtsverhältnisse.53 Es sei daher für das internationale Einheitsrecht, gleich ob dieses staatsvertraglicher oder europarechtlicher Herkunft sei, „eine autonome – sowohl vom nationalen Recht als auch vom Völkerrecht unabhängige – Methodenlehre“ zu entwickeln.54 II. Stellungnahme 1. Ausgangspunkt: Anwendbarkeit der Art. 31–33 WVK Das HAVÜ ist ein völkerrechtlicher Vertrag. Im Ausgangspunkt finden daher die in Art. 31–33 WVK niedergelegten und als Gewohnheitsrecht anerkannten Grundsätze auf seine Auslegung Anwendung. Die dort normierten Auslegungsregeln stellen bindendes Völkerrecht dar.55 Jede Auffassung, die die Anwendung der Art. 31–33 WVK bzw. des inhaltsgleichen völkerrechtlichen Gewohnheitsrechts ganz oder teilweise ablehnt, muss daher methodisch begründen können, warum diese Regelungen auf das HAVÜ nicht anwendbar sein sollen.56 Eine Ausnahme, die bestimmte Regelungsmaterien oder Vertragstypen vom Anwendungsbereich der Vorschriften ausklammern würde, ist in den Art. 31–33 WVK nicht vorgesehen.57 „Vertrag“ im Sinne der Art. 31–33 WVK ist vielmehr jede „in Schriftform geschlossene und vom Völkerrecht bestimmte internationale Übereinkunft zwischen Staaten, gleichviel ob sie in einer oder in mehreren zusammengehörigen Urkunden enthalten ist und welche beson-
50 Unter den Begriff des „internationalen Einheitsrechts“ werden regelmäßig auch vereinheitlichte Regelungen der internationalen Anerkennung und Vollstreckung gefasst, vgl. z.B. Gruber, Methoden des internationalen Einheitsrechts, S. 19, 76. 51 Gruber, Methoden des internationalen Einheitsrechts, S. 64 ff., 121 ff. m.w.N.; Kropholler, Internationales Einheitsrecht, S. 235 ff., 258 ff.; Schmidt-Parzefall, Die Auslegung des Parallelübereinkommens von Lugano, S. 46 f. 52 Gruber, Methoden des internationalen Einheitsrechts, S. 65. 53 Gruber, Methoden des internationalen Einheitsrechts, S. 65. 54 Gruber, Methoden des internationalen Einheitsrechts, S. 60. 55 Zur früher vertretenen, abzulehnenden Auffassung, die Auslegung völkerrechtlicher Verträge würde sich einer Normierung entziehen, Schollendorf, Auslegung völkerrechtlicher Verträge, S. 93–96. 56 Vgl. Meyer-Sparenberg, Staatsvertragliche Kollisionsnormen, S. 105. 57 Gruber, Methoden des internationalen Einheitsrechts, S. 122.
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Kapitel 2: Auslegung
dere Bezeichnung sie hat“ (Art. 2 Abs. 1 lit. 1 WVK). Unhaltbar ist das Argument, die WVK sei nur auf bilaterale Verträge zugeschnitten.58 Auch eine Unterscheidung zwischen normsetzenden Verträgen (traités-lois) und Austauschverträgen (traités-contrats) trifft die WVK nicht. Die WVK ist auf beide Typen völkerrechtlicher Verträge anwendbar.59 Im Übrigen stellen die Art. 31–33 WVK gewohnheitsrechtlich anerkannte Auslegungsregelungen dar, die selbst dann auf einen völkerrechtlichen Vertrag Anwendung fänden, wenn der Vertrag nicht unter die WVK fiele.60 Auf dieser Grundlage ergibt sich eine völkerrechtliche Verpflichtung, das Übereinkommen nach den Art. 31–33 WVK bzw. den völkergewohnheitsrechtlichen Grundsätzen auszulegen.61 Eine tatsächliche oder so empfundene Lückenhaftigkeit ist für sich genommen nicht als Rechtfertigung ausreichend, die Anwendung von völkerrechtlichen Auslegungsregelungen abzulehnen und sie durch ein davon unabhängiges System zu ersetzen. Vielmehr bedarf es für eine Abwandlung oder Außerachtlassung der in Art. 31–33 WVK niedergelegten Auslegungsregeln einer rechtlichen Grundlage. In engen Grenzen ist denkbar, dass Art. 20 HAVÜ herangezogen werden kann, um einen modifizierten Ansatz zu rechtfertigen.62 2. Grundsätzlich kein „fehlender Zuschnitt“ auf das HAVÜ Es erscheint auch fraglich, ob die Anwendung der völkerrechtlichen Auslegungsregeln ganz oder teilweise unter Verweis auf einen fehlenden Zuschnitt dieser Regeln zur Auslegung des HAVÜ abgelehnt werden kann.63 Zum einen handelt es sich bei den Art. 31–33 WVK um recht allgemein gehaltene, nicht abschließend konzipierte Regeln. Sie dienen dazu, die Bedeutung einer Rechtsnorm zu erschließen und sie können dies unabhängig davon leisten, ob die Rechtsnorm Rechtsverhältnisse zwischen einzelnen Völkerrechtssubjekten oder (auch)64 privatrechtliche Rechtsbeziehungen zu
58
Ebenso Basedow, Unif. L. Rev. 2006, 731 (742 f.). Gruber, Methoden des internationalen Einheitsrechts, S. 122; Meyer-Sparenberg, Staatsvertragliche Kollisionsnormen, S. 105; Rudolf, Einheitsrecht für internationale Forderungsabtretungen, S. 38. 60 Dörr, in: Dörr/Schmalenbach, VCLT, Art. 31 Rn. 7. 61 So obiter auch Lord Diplock in einer Entscheidung des House of Lords betreffend das Warschauer Abkommen vom 12. Oktober 1929 zur Vereinheitlichung von Regeln über die Beförderung im internationalen Luftverkehr (BGBl. 1958 II S. 312): Fothergill v Monarch Airlines Ltd [1981] AC 251 (283). 62 Siehe Kapitel 2 A.II.3. (S. 50). 63 Zum Sonderfall des Art. 33 Abs. 3 WVK siehe Kapitel 2 A.II.3. (S. 50). 64 Happ, RIW 1997, 376 (378) weist zurecht darauf hin, dass „multilaterale Abkommen wie das CISG, die als »rechtsetzende Verträge« bezeichnet werden, zunächst jedoch einmal Verträge sind und Rechte und Pflichten zwischen den Vertragsstaaten entstehen lassen“. 59
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regeln beabsichtigt.65 Dies gilt auch vor dem Hintergrund, dass das Völkervertragsrecht nicht (mehr) von der Maxime einer restriktiven, souveränitätsfreundlichen Auslegung ausgeht.66 Selbst wenn man – entgegen der hier vertreten Auffassung – annimmt, dass die Anwendung der völkerrechtlichen Auslegungsregeln nur angemessen ist, soweit das Übereinkommen ausschließlich Rechtsverhältnisse zwischen einzelnen Völkerrechtssubjekten regelt, folgt daraus noch nicht der fehlende Zuschnitt der Auslegungsregeln für das HAVÜ. Das HAVÜ unterscheidet sich seinem Gegenstand nach von international vereinheitlichtem materiellem Zivilrecht, wie beispielsweise dem CISG. Die im Rahmen des CISG befürwortete Differenzierung zwischen den Schlussbestimmungen einerseits und den übrigen Regelungen andererseits67 lässt sich für die Zwecke des HAVÜ nur schwer begründen. Denn alle Regelungen des HAVÜ adressieren Staaten und regeln Pflichten der Staaten untereinander. Im Mittelpunkt des HAVÜ steht die Frage, ob ein Staat verpflichtet ist, einem hoheitlichen Akt eines anderen souveränen Staates im eigenen Staatsgebiet Wirkung zu verleihen. Zwar dient dies der Durchsetzung von Ansprüchen privatrechtlicher Natur,68 eine Prüfung des materiellen Privatrechts erfolgt dazu aber gerade nicht (vgl. Art. 4 Abs. 2 S. 1 HAVÜ). Auch sonst spielen Aspekte der staatlichen Souveränität, der Schutz staatlicher Interessen und allgemein das Verhältnis zwischen den beteiligten Völkerrechtssubjekten im Rahmen des HAVÜ eine weitaus größere Rolle als im Bereich des vereinheitlichten materiellen Zivilrechts. Dies zeigt sich unter anderem daran, dass das HAVÜ auf dem Gegenseitigkeitsprinzip beruht (vgl. z.B. Art. 1 Abs. 2, Art. 18 Abs. 2, Art. 19 Abs. 2, Art. 29 HAVÜ)69 und staatliche Souveränitätsinteressen die Nichtanerkennung vertragsstaatlicher Urteile begründen können (vgl. z.B. Art. 7 Abs. 1 lit. a ii) und lit. c HAVÜ). Man mag es kritisch sehen, dass dem Gegenseitigkeitsprinzip im Rahmen eines international-zivilprozessualen Übereinkommens, eine derart große Bedeutung beigemessen wird.70 Dass das HAVÜ durch das Gegenseitigkeitsprinzip und staatliche Interessen geprägt ist, wird man jedoch kaum leugnen können.
65 Ähnlich Meyer-Sparenberg, Staatsvertragliche Kollisionsnormen, S. 105; Magnus, in: Janssen/Meyer, CISG Methodology, S. 33 (47) („Art. 31–33 Treaties Convention state rather general rules of interpretation that fit for all kinds of international treaties.“); vgl. auch Basedow, Unif. L. Rev. 2006, 731 (746) („[T]he rules on interpretation referring to text, context, purpose and to the preparatory works as a subsidiary means also suit the content of instruments in the field of private law.“). 66 Siehe Kapitel 2 B.VII. (S. 83). 67 Siehe Kapitel 2 A.I.2. (S. 46). Auch für das CISG wird diese Differenzierung zu Recht in Zweifel gezogen: vgl. z.B. Happ, RIW 1997, 376 (378 f.). 68 Vgl. die Festlegung des sachlichen Anwendungsbereichs in Art. 1 Abs. 1 HAVÜ. 69 Vgl. Kessedjian, NIPR 2020, 19 (23 f.). 70 Allgemein Basedow, Unif. L. Rev. 2006, 731 (739).
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3. Besondere Zwecke und Interpretationsklausel Dass das internationale Einheitsrecht besondere Ziele verfolgt und insbesondere Aspekte der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit von herausgehobener Bedeutung sind, steht außer Frage.71 Diesen besonderen Zwecken lässt sich jedoch im Rahmen der Auslegung auf Grundlage der völkerrechtlichen Auslegungsregeln Rechnung tragen. Nach Art. 31 Abs. 1 WVK ist ein Vertrag gerade auch im Lichte seines Zieles und Zweckes auszulegen,72 so dass besondere Zwecke des internationalen Einheitsrechts stets Berücksichtigung finden. Diese Zwecke erfordern nach der hier vertretenen Auffassung nicht vorgelagert schon die Entwicklung einer eigenständigen Auslegungsmethodik.73 Den Anforderungen an die Auslegung des internationalen Einheitsrechts trägt zudem die Interpretationsklausel des Übereinkommens Rechnung. Art. 20 HAVÜ schreibt ausdrücklich vor, dass der internationale Charakter des Übereinkommens zu berücksichtigen ist und die Auslegung in einer Weise erfolgen soll, die die einheitliche Anwendung in allen Vertragsstaaten fördert. Die völkerrechtlichen Auslegungsregeln schließen nicht aus, dass die Vertragsparteien spezielle Auslegungsvorschriften in das Übereinkommen aufnehmen.74 Diese gehen denen der Art. 31–33 WVK im Grundsatz vor, müssen aber gegebenenfalls ihrerseits im Einklang mit den völkerrechtlichen Auslegungsregeln interpretiert werden.75 Es ist grundsätzlich denkbar, dass im Einzelfall auf der Grundlage von Art. 20 HAVÜ eine Modifikation der in Art. 31–33 WVK niedergelegten Auslegungsregeln gerechtfertigt werden kann. In Betracht kommt dies mit Blick auf Art. 33 Abs. 3 WVK.76 In der Literatur ist umstritten, ob Art. 33 Abs. 3 WVK in dem Sinne zu verstehen ist, dass sich Gerichte bei der Auslegung grundsätzlich auf eine authentische Sprachfassung verlassen und die anderen Sprachfassungen, vorbehaltlich konkreter Hinweise auf Diskrepanzen, unberücksichtigt lassen dürfen.77 Im HAVÜ sollte die Berücksichtigung der jeweils 71
Vgl. Gruber, Methoden des internationalen Einheitsrechts, S. 26 f. Siehe Kapitel 2 B.III. (S. 75). 73 Ähnlich: Dörr, in: Dörr/Schmalenbach, VCLT, Art. 31 Rn. 28 (Spezifika besonderer Typen von Übereinkommen kann im Rahmen der teleologischen Auslegung Rechnung getragen werden). 74 Magnus, in: Janssen/Meyer, CISG Methodology, S. 33 (51). 75 Vgl. mit Blick auf das Verhältnis von Art. 7 CISG und Art. 31–33 WVK: Magnus, in: Janssen/Meyer, CISG Methodology, S. 33 (51 f.); siehe auch Dörr, in: Dörr/Schmalenbach, VCLT, Art. 31 Rn. 31. 76 Generell zur Problematik der Anwendung des Art. 33 Abs. 3 WVK auf internationales Einheitsrecht: Gruber, Methoden des internationalen Einheitsrechts, S. 136 f. 77 Bejahend für „routinemäßige“ Auslegung: Dörr, in: Dörr/Schmalenbach, VCLT, Art. 33 Rn. 32; Gardiner, Treaty Interpretation, S. 420 f.; ablehnend: z.B. Kuner, I.C.L.Q. 40 (1991), 953; Messer, Die Verständlichkeit multilingualer Normen, S. 126 ff.; Lang, IStR 2011, 403 (405). 72
A. Anwendbare Auslegungsregeln
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anderen Sprachfassung nicht von der Zufälligkeit abhängig sein, ob sich die Parteien vor einem staatlichen Gericht darauf berufen. Denn dies könnte die Einheitlichkeit der Auslegung gefährden.78 Im Rahmen des HAVÜ wäre ein solcher Ansatz mit Art. 20 HAVÜ nicht in Einklang zu bringen. Es spricht vieles dafür, dass es Art. 20 HAVÜ als lex specialis gegenüber den Art. 31–33 WVK gebietet, im Interesse der Einheitlichkeit von vornherein beide authentische Sprachfassungen bei der Auslegung zu berücksichtigen. Soweit man Art. 33 Abs. 3 WVK also tatsächlich in dem Sinne verstehen will, dass andere authentische Sprachfassungen unberücksichtigt bleiben dürfen, wird die Vorschrift von Art. 20 HAVÜ verdrängt bzw. modifiziert. 4. Entstehungsgeschichte Auch die Entstehungsgeschichte des HAVÜ spricht dafür, dass sich die Auslegung des Übereinkommens nach den in Art. 31–33 WVK niedergelegten Grundsätzen richtet. Bereits der vom Ständigen Büro der Haager Konferenz verfasste Bericht (Explanatory Note) zum vorläufigen Entwurfstext der Arbeitsgruppe enthielt einen Verweis auf die Art. 31–33 WVK.79 In den Verhandlungen der 22. Haager Konferenz kam vereinzelt in Wortbeiträgen zum Ausdruck, dass man von der Anwendbarkeit der völkerrechtlichen Auslegungsgrundsätze ausging.80 Auch der Explanatory Report nimmt auf die Art. 31–33 WVK Bezug.81 Die sehr knapp gehaltenen Ausführungen des Explanatory Reports zur Interpretationsklausel des Art. 20 HAVÜ erwähnen die Art. 31–33 WVK zwar nicht.82 Jedoch findet sich an anderer Stelle eine Bezugnahme auf Art. 31 Abs. 1 WVK, um eine bestimmte Auslegung zu begründen.83 Zudem wird Art. 32 WVK zitiert, um die Rolle des Explanatory Reports als Hilfsmittel für die Auslegung hervorzuheben.84 5. Fazit Insgesamt sprechen die besseren Argumente für die Maßgeblichkeit der völkerrechtlichen Auslegungsgrundsätze wie sie in den Art. 31–33 WVK zum Ausdruck kommen.85 Dies steht im Einklang mit der herrschenden Meinung in 78
Allgemein Gruber, Methoden des internationalen Einheitsrechts, S. 136 f. Vgl. Ständiges Büro der Haager Konferenz, Explanatory Note, PrelDoc No 2 of April 2016, Rn. 235, Fn. 118. 80 Minutes of the 22nd Session, Commission I, Minutes No 11, Meeting of 25 June 2019 (morning), Rn. 30 (bisher unveröffentlicht). 81 Zur Bedeutung des Explanatory Reports im Einzelnen Kapitel 2 B.II.2. (S. 56). 82 Vgl. Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 352 f. 83 Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 313. 84 Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 7 Fn. 14. 85 Ebenso Beaumont, Neth. Int'l L. Rev. 2020, 121 (124 f.); vgl. auch Jang, Neth. Int'l L. Rev. 2020, 97 (105) Fn. 35. 79
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Kapitel 2: Auslegung
Rechtsprechung und Literatur zu anderen Vollstreckungsübereinkommen und Haager Übereinkommen auf dem Gebiet des internationalen Privat- und Verfahrensrechts.86 Allenfalls Art. 20 HAVÜ könnte im Einzelfall herangezogen werden, um einen modifizierten Ansatz zu rechtfertigen. Ein Vorteil dieser Auffassung besteht darin, dass die Art. 31–33 WVK, wenn auch das Verständnis der Regelungen mangels einer zentralen rechtsprechenden Instanz nicht stets einheitlich ist,87 eine gemeinsame Grundlage zur Verfügung stellen, anhand derer Auslegungsfragen im Rahmen des HAVÜ erörtert werden können. Nehmen Gerichte bei der Begründung ihrer Auslegung des HAVÜ auf die Art. 31–33 WVK Bezug, dürfte dies die Nachvollziehbarkeit und unter Umständen auch die Akzeptanz der Entscheidung in anderen Vertragsstaaten erleichtern88 und damit letztlich auch der von Art. 20 HAVÜ geforderten Einheitlichkeit der Auslegung dienen.
B. Auslegungsmethoden Zur Auslegung nach völkerrechtlichen Grundsätzen und den Art. 31–33 WVK existiert ein enormer Bestand an Literatur sowie an Rechtsprechung nationaler und internationaler Gerichte. Die folgenden Ausführungen erheben nicht den Anspruch, den aktuellen Stand von Praxis und Wissenschaft in diesem Bereich erschöpfend wiederzugeben. Vielmehr soll ein Überblick über die nach Ansicht des Verfassers wesentlichen Grundsätze in Bezug zum vorliegenden Übereinkommen gegeben werden. Dabei wird der wohl überwiegenden Auffassung folgend von einem objektiven Ansatz bei der Auslegung völkerrechtlicher Verträge ausgegangen, nach dem es Ziel der Auslegung ist, die objektive Bedeutung des Vertragstextes zu ermitteln.89 Nach Art. 31 Abs. 1 WVK sind der Wortlaut (im Folgenden I.), der systematische Zusammenhang (im Folgenden II.) sowie Ziel und Zweck (im Folgenden III.) die zentralen Elemente der Auslegung. Eine Rangfolge oder Hierarchie der Elemente ist
86
Siehe Kapitel 2 A.I.1. (S. 43). Reinhardt, Die Auslegung der völkerrechtlichen Verträge der Europäischen Union, S. 7 f. 88 Zur Berücksichtigung der Rechtsprechung anderer Staaten bei der Auslegung des HAVÜ siehe Kapitel 2 B.V. (S. 78). 89 Vgl. z.B. Bernasconi, in: Heere, International Law and The Hague's 750th Anniversary, S. 139 (140); Heintschel von Heinegg, in: Ipsen, Völkerrecht, § 14 Rn. 5; Magnus, in: Janssen/Meyer, CISG Methodology, S. 33 (50); Meyer-Sparenberg, Staatsvertragliche Kollisionsnormen, S. 105 f.; Schoch, Ausnahmetatbestände HKÜ, S. 50; Sinclair, The Vienna Convention, S. 115; ausführlich auch zur Gegenansicht: Schollendorf, Auslegung völkerrechtlicher Verträge, S. 34 ff. 87
B. Auslegungsmethoden
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nicht vorgegeben.90 Die Elemente sind, wie in der Überschrift von Art. 31 WVK zum Ausdruck kommt, Teil einer einheitlichen Auslegungsregel.91 Daneben können ergänzende Auslegungsmittel herangezogen werden (im Folgenden IV.). Auch der Rechtsvergleichung kommt für die Auslegung eine nicht unbedeutende Rolle zu (im Folgenden V.). Besondere Zurückhaltung ist bei einer Lückenfüllung durch richterliche Rechtsfortbildung geboten (im Folgenden VI.). Eine Auslegungsmaxime, nach der im Zweifel stets eine restriktive, souveränitätsfreundliche Auslegung zu bevorzugen sei, ist nicht anzuerkennen (im Folgenden VII.). I. Wortlaut Dem Wortlaut kommt für die Auslegung des Übereinkommens eine besondere Bedeutung zu.92 Er ist Ausgangspunkt und Gegenstand der Auslegung.93 Gerade im Text des Übereinkommens spiegelt sich der Kompromiss wider, den die Mitgliedsstaaten der Haager Konferenz ausgehandelt haben. Maßgeblich ist nach Art. 31 Abs. 1 WVK der übliche Wortsinn, also der Wortlaut des Übereinkommens in seiner gewöhnlichen Bedeutung.94 Sofern allerdings – etwa aufgrund eines entsprechenden Hinweises im Explanatory Report – klar ist, dass einem Begriff eine vom üblichen Wortsinn abweichende „besondere Bedeutung“ zukommen sollte, geht diese vor (Art 31 Abs. 4 WVK).95 Nach dem Grundsatz der autonomen Auslegung erfolgt die Begriffsbestimmung grundsätzlich ohne Rückgriff auf nationales Recht.96 Bei der Auslegung sind die englische und die französische Version als authentische Sprachfassungen des Übereinkommens (siehe Schlussklausel des Übereinkommens) gleichermaßen verbindlich, ohne dass bei Zweifelsfragen die eine oder andere Fassung Vorrang beanspruchen könnte (Art. 33 Abs. 1 WVK). Grundsätzlich sollten der Auslegung beide Sprachfassungen zugrunde gelegt werden. Dies kann in der Praxis auch indirekt dadurch erfolgen, dass auf Literatur zurückgegriffen wird, 90 Magnus, in: Janssen/Meyer, CISG Methodology, S. 33 (49); Schollendorf, Auslegung völkerrechtlicher Verträge, S. 74; Villiger, Vienna Convention, Art. 31 Rn. 28 ff. 91 Aust, Treaty Law, S. 208; Schollendorf, Auslegung völkerrechtlicher Verträge, S. 74. 92 Ebenso für das HGÜ: Moebus, Das Haager Übereinkommen von 2005, S. 11; Brand/Herrup, The 2005 Hague Choice of Court Convention, S. 26 f.; vgl. auch: BGH 25.6.1969 – I ZR 15/67, BGHZ 52, 216 (220) = NJW 1969, 2083 (2084); Meyer-Sparenberg, Staatsvertragliche Kollisionsnormen, S. 107; Schollendorf, Auslegung völkerrechtlicher Verträge, S. 34. 93 Magnus, in: Janssen/Meyer, CISG Methodology, S. 33 (53). 94 Zum zeitlichen Element: Heintschel von Heinegg, in: Ipsen, Völkerrecht, § 14 Rn. 21; Linderfalk, On the Interpretation of Treaties, S. 61 ff. 95 So kann mit „a court of a Contracting State“ (Art. 4 Abs. 1 S. 1 HAVÜ) beispielsweise auch ein gemeinsames Gericht mehrerer Vertragsstaaten („common court“) gemeint sein, vgl. Kapitel 4 C.II. (S. 162). 96 Siehe Kapitel 2 C. (S. 84).
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Kapitel 2: Auslegung
die beide Sprachfassungen herangezogen hat. Die Berücksichtigung setzt also nicht zwingend voraus, dass das Gericht selbst die erforderlichen Sprachkenntnisse besitzt. Abzulehnen ist ein Ansatz, wonach sich Gerichte bei der Auslegung auf eine authentische Sprachfassung verlassen und die andere Sprachfassung, vorbehaltlich konkreter Hinweise auf Diskrepanzen, unberücksichtigt lassen dürfen.97 Im Rahmen des CISG wird teilweise die Auffassung vertreten, dass im Zweifel der englischen Fassung ausschlaggebende Bedeutung zukommen könne, weil Englisch die hauptsächliche Verhandlungssprache war, die ersten Entwurfsfassungen in Englisch verfasst wurden und Englisch die Arbeitssprache des Redaktionskomitees war.98 Ob dies angesichts der equal authenticity clause in der Schlussklausel des CISG99 und der Regelung des Art. 33 WVK zulässig ist, mag man bezweifeln.100 Auf das vorliegende Übereinkommen lässt sich dieser Ansatz jedenfalls nicht übertragen. Die Verhandlungen der Spezialkommission und der Diplomatischen Konferenz fanden in englischer und französischer Sprache mit Simultandolmetschern statt, wenn auch die große Mehrzahl der Wortbeiträge in englischer Sprache erfolgte. Zudem hat das Drafting Committee die im Plenum getroffenen Entscheidungen im Rahmen seiner Sitzungen jeweils selbst in englischer und französischer Sprache in den Text eingearbeitet.101 Der französische Wortlaut wurde im Rahmen der Diplomatischen Konferenz nicht selten auch im Plenum diskutiert.102 Im Übrigen stehen einer Analyse der beiden authentischen Sprachfassungen durch den Rechtsanwender – anders als im Rahmen des CISG103 – auch keine unüberwindbaren praktischen Schwierigkeiten entgegen. II. Systematischer Zusammenhang 1. Allgemeines Zur Ermittlung des Wortsinns ist das Übereinkommen in seiner Gesamtheit in den Blick zu nehmen. Art. 31 Abs. 1 WVK spricht insoweit von dem „Zusammenhang“ der vertraglichen Bestimmungen und ergänzt die grammatikalische 97
Siehe Kapitel 2 A.II.3. (S. 50). Vgl. z.B. Schlechtriem/Schroeter, Internationales UN-Kaufrecht, Rn. 104; Magnus, in: Janssen/Meyer, CISG Methodology, S. 33 (53). 99 Im englischen Wortlaut: „DONE at Vienna, this day of eleventh day of April, one thousand nine hundred and eighty, in a single original, of which the Arabic, Chinese, English, French, Russian and Spanish texts are equally authentic.“ 100 Köhler, Die Haftung nach UN-Kaufrecht, S. 36. 101 Zum Vorgehen des Drafting Committee bei Verhandlungen der Haager Konferenz: Beaumont, Recueil des Cours, Bd. 340, S. 9 (23 f.). 102 Vgl. z.B. Minutes of the 22nd Session, Commission I, Minutes No 19, Meeting of 1 July 2019 (morning), Rn. 20–24, 33–59, 64–73, 75–78 (bisher unveröffentlicht). 103 Magnus, in: Janssen/Meyer, CISG Methodology, S. 33 (53). 98
B. Auslegungsmethoden
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Auslegung damit um eine systematische. In der Literatur wird teilweise ausgeführt, dass der systematischen Auslegung keine große Rolle zukomme, weil aufgrund der geringen Zahl an Vorschriften selten systematische Argumente gefunden werden könnten.104 Es lassen sich jedoch für das vorliegende Übereinkommen ohne Weiteres Fälle nennen, in denen die Einordnung in den Zusammenhang des Übereinkommens und ein Vergleich mit anderen Vorschriften Rückschlüsse über das Verständnis einzelner Regelungen zulässt. Beispielsweise lässt eine systematische Auslegung der ordre public-Klausel in Art. 7 Abs. 1 lit. c HAVÜ den Schluss zu, dass die Vorschrift die von Art. 7 Abs. 1 lit. a HAVÜ speziell geregelten Verfahrensfragen bei der Zustellung des verfahrenseinleitenden Schriftstücks nicht erfasst.105 In ähnlicher Weise kann auch Art. 10 HAVÜ Aufschluss über den Anwendungsbereich von Art. 7 Abs. 1 lit. c HAVÜ geben.106 Als weiteres Beispiel lässt sich Art. 5 Abs. 1 lit. e HAVÜ anführen, wonach ein indirekter Zuständigkeitsgrund besteht, sofern der Beklagte im Laufe des Verfahrens explizit die Zuständigkeit des Gerichts akzeptiert hat.107 Nach dem Wortlaut der Vorschrift ist nicht eindeutig, ob die Zustimmung des Beklagten unmittelbar dem Gericht gegenüber zum Ausdruck gebracht worden sein muss. Liest man die Vorschrift zusammen mit Art. 5 Abs. 2 lit. a HAVÜ, der die Anwendbarkeit des Zuständigkeitsgrundes für Entscheidungen gegen Verbraucher und Arbeitnehmer auf Fälle beschränkt, in denen die Zustimmung dem Gericht gegenüber zum Ausdruck gebracht wurde, kann jedoch kein Zweifel bestehen, dass für Art. 5 Abs. 1 lit. e HAVÜ im Übrigen eine gegenüber der anderen Partei erklärte Zustimmung genügt.108 Die systematische Auslegung geht aber darüber hinaus, eine Vorschrift im Kontext des Übereinkommenstexts zu betrachten. Zum einzubeziehenden Kontext gehören auch Präambel und Anhänge (Art. 31 Abs. 2 WVK) sowie unter bestimmten, in Art. 31 Abs. 2 und 3 WVK näher beschriebenen Voraussetzungen auch im Zusammenhang stehende Übereinkünfte der Vertragspartien, eine nachfolgende Anwendungspraxis und zwischen den Vertragsparteien anwendbare Völkerrechtssätze. Demgegenüber zählen Regelungen des autonomen internationalen Zivilverfahrensrechts einzelner Vertragsstaaten nicht zum auslegungsrelevanten Gesamtzusammenhang.109 Schon wegen der angestreb-
104 Vgl. z.B. Meyer-Sparenberg, Staatsvertragliche Kollisionsnormen, S. 109; Moebus, Das Haager Übereinkommen von 2005, S. 13. 105 Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 250 Fn. 166. 106 Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 265. 107 Siehe hierzu Kapitel 5 B.V.2.a) (S. 214) und Kapitel 5 B.VI.3. (S. 246). 108 Ebenso Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 162. 109 Gruber, Methoden des internationalen Einheitsrechts, S. 151; von Hein, in: MüKOBGB, Art. 3 EGBGB Rn. 188; weniger streng: Kropholler, Internationales Einheitsrecht, S. 271 f. („Der Gesamtzusammenhang der nationalen Rechtsordnung des Forums darf für die Auslegung des internationalen Einheitsrechts nur beschränkt herangezogen werden.“).
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Kapitel 2: Auslegung
ten Einheitlichkeit der Auslegung (Art. 20 HAVÜ) kann der jeweilige nationale Kontext für das Verständnis des Übereinkommens nicht entscheidend sein. 2. Einordnung des Explanatory Reports Unbestritten kommt dem Explanatory Report, also dem erläuternden Bericht zum HAVÜ, eine wichtig Bedeutung bei der Auslegung zu.110 Fraglich ist aber, ob der Explanatory Report als systematischer Kontext im Sinne des Art. 31 WVK herangezogen werden kann oder wie sich die Rolle des erläuternden Berichts für die Auslegung andernfalls bestimmen lässt.111 In der Vergangenheit haben verschiedene Berichterstatter zu Übereinkommen der Haager Konferenz im Rahmen ihrer Explanatory Reports selbst Ausführungen zur Entstehung und Bedeutung des Berichts gemacht. So führt beispielsweise Pérez Vera in ihrem Explanatory Report zum HKÜ aus, dass der Bericht nicht von der Konferenz verabschiedet wurde, und dass einige Passagen trotz des Bemühens um Objektivität von den persönlichen Auffassungen der Autorin gefärbt sein könnten.112 Die Autoren des Explanatory Reports zum HWpÜ führen aus, dass die Funktion des Reports darin bestehe, die tatsächlich intendierte Bedeutung des Übereinkommens zu erläutern und sie betonen, dass der Explanatory Report von den Mitgliedsstaaten der Konferenz geprüft und akzeptiert wurde.113 Der Explanatory Report zum HAVÜ führt aus, dass er als Hilfestellung für die Auslegung fungieren soll.114 In der Fußnote wird Art. 32 WVK genannt,115 was darauf schließen lässt, dass die Berichterstatter von einer Einordnung als ergänzendes Auslegungsmittel ausgegangen sind. Im Schrifttum wird im Allgemeinen die Nützlichkeit und Bedeutung der Explanatory Reports für die Auslegung der Haager Übereinkommen betont.116 110 Beaumont, Neth. Int'l L. Rev. 2020, 121 (124); De Miguel Asensio/Cuniberti/Franzina/Heinze/Requejo Isidro, Judgments Convention Study, S. 16. 111 Zur oftmals bestehenden Unklarheit der Einordnung von Explanatory Reports vgl. Gardiner, Treaty Interpretation, S. 402 f.; siehe auch: Schuz, The Hague Child Abduction Convention, S. 95. Der von der Haager Konferenz herausgegebene Guide to Good Practice zu Art. 13 Abs. 1 lit. b HKÜ verdeutlicht die Unklarheit, wenn er bei der Heranziehung des Explanatory Reports zwar von ergänzender Auslegung spricht, aber dazu Art. 31 WVK zitiert, vgl. Ständiges Büro der Haager Konferenz, Guide to Good Practice, Part VI: Article 13(1)(b), Rn. 100 Fn. 134 (vgl. auch Rn. 3 Fn. 10). 112 Pérez-Vera, Explanatory Report, Rn. 8. 113 Goode/Kanda/Kreuzer, Explanatory Report, Rn. Int-78 („It is the function of the Report to explain the meaning of the Convention as actually agreed […] It is the final text and this Report which were reviewed and accepted by the Member States.“). 114 Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 7. 115 Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 7 Fn. 14. 116 Vgl. z.B. Bernasconi, in: Heere, International Law and The Hague's 750th Anniversary, S. 139 (146); Brandi, Das Haager Abkommen von 1989, S. 24; Gruber, Methoden des internationalen Einheitsrechts, S. 169 f., 179; Linhart, Internationales Einheitsrecht,
B. Auslegungsmethoden
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Die Gerichte der Vertragsstaaten ziehen Ausführungen der Explanatory Reports regelmäßig zur Auslegung von Haager Übereinkommen heran und messen diesen oftmals große Bedeutung zu (z.B. in Deutschland,117 England,118 Israel119 und den USA120). Ausführungen zur rechtlichen Grundlage der Heranziehung zur Auslegung werden dabei selten gemacht.121 Auch diejenigen Gerichtsentscheidungen, die explizit die Anwendbarkeit der Art. 31–33 WVK bejahen, verzichten regelmäßig auf eine Einordnung des Explanatory Reports.122 In Abbott v Abbott hat der US-amerikanische Supreme Court explizit offengelassen, ob dem Explanatory Report zum HKÜ größerer Wert zukomme als Stellungnahmen in der rechtswissenschaftlichen Literatur.123 Klar ist zunächst, dass sich die Frage nach der Bedeutung erläuternder Berichte zu völkerrechtlichen Verträgen nicht einheitlich beantworten lässt. Selbst im Rahmen der Haager Konferenz hat sich das Verfahren zur Erstellung und Finalisierung der erläuternden Berichte im Laufe der Zeit stark gewandelt.124 Die folgenden Ausführungen lassen sich daher nicht ohne Weiteres auf Explanatory Reports zu anderen Übereinkommen der Haager Konferenz und schon gar nicht generell auf erläuternde Berichte zu sonstigen internationalen Übereinkommen übertragen. Sie betreffen allein den von Francisco Garcimartín und Geneviève Saumier verfassten Explanatory Report zum HAVÜ. S. 159 f.; Kropholler, Internationales Einheitsrecht, S. 275 f.; von Hein, in: MüKO-BGB, Art. 3 EGBGB Rn. 189; Silberman, U.C. Davis L. Rev. 38 (2005), 1049 (1060 f.); für das HGÜ: Brand/Herrup, The 2005 Hague Choice of Court Convention, S. 29 f.; Huber, IPRax 2016, 197 (198); Moebus, Das Haager Übereinkommen von 2005, S. 16, 221; für das HUnthP: Yassari, in: BeckOGK-HUP, (Stand: 1.12.2020), HUntProt Art. 1 Rn. 18. 117 OLG Frankfurt a.M. 15.2.2006 – 1 WF 231/05, NJW-RR 2006, 938 (939) („wertvolle Auslegungshilfe“); OLG Stuttgart 27.2.2003 – 17 UF 277/02, FamRZ 2003, 959 („ist für das Verständnis dieser Bestimmung […] zu beachten.“); KG Berlin 12.8.2013 – 16 UF 122/13, Rn. 23, juris („wertvolle Auslegungshilfe“). 118 R. v R. (Residence Order: Child Abduction) [1995] Fam 209, [1995] 3 WLR 425 („permissible, useful and indeed authoritative aid to the construction of the Convention“). 119 Family, appeal request 1930/14, Plonit v Ploni („official commentary on the Convention“). 120 Gitter v Gitter, 396 F.3d 124 (2nd Cir. 2005) („authoritative source for interpreting the Convention's provisions“). 121 Vgl. aber BGer 31.7.2018 – 5A_576/2018, E. 4.3.2. (Berücksichtigung des Explanatory Reports zum HKÜ als „historische Auslegung“). 122 Vgl. z.B. BGH 16.8.2000 – XII ZB 210/99, BGHZ 145, 97 = NJW 2000, 3349; Office of the Children’s Lawyer v Balev 2018 SCC 16 (Kanada). 123 Abbott v Abbott, 560 U.S. 1 (2010) („We need not decide whether this Report should be given greater weight than a scholarly commentary.“); vgl. auch: S v S (Child Abduction: Custody Rights: Acquiescence) [2003] 2 WLUK 144 (Schottland) („[S]trictly speaking, it reflects only the interpretation of the reporter.“); OLG Schleswig 30.9.2013 – 12 UF 58/13, FamRZ 2014, 498 („Dabei handelt es sich […] nur um die Ausführung des Delegationsleiters eines Landes […].“). 124 Vgl. Beaumont/Walker, JPIL 2015, 31 (56); Wagner, RabelsZ 73 (2009), 100 (109 f.).
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Kapitel 2: Auslegung
a) Art. 20 HAVÜ als rechtliche Grundlage der Berücksichtigung? Denkbar wäre zunächst, die Heranziehung des Explanatory Reports auf der Grundlage von Art. 20 HAVÜ als eine den Art. 31–33 WVK vorgehende Spezialnorm125 zu begründen.126 Dafür spricht, dass gerade der Explanatory Report in herausragendem Maße dazu geeignet ist, die von Art. 20 HAVÜ angestrebte einheitliche Anwendung zu fördern.127 Es kann jedoch bezweifelt werden, ob Art. 20 HAVÜ als solches zur Bedeutung des Explanatory Reports eine Aussage treffen wollte. Die Vorschrift definiert Ziele der Auslegung, trifft jedoch zu Auslegungsmitteln und -methoden keine unmittelbare Aussage. Jedenfalls lässt sich Art. 20 HAVÜ aber als Argument für eine maßgebliche Berücksichtigung des Explanatory Reports anführen. Eine Auslegung, die den Ausführungen des Explanatory Reports widerspricht, dürfte stets eine gewisse Gefahr für die Einheitlichkeit der Auslegung des HAVÜ darstellen. b) Übereinkunft im Sinne von Art. 31 Abs. 2 lit. a oder Abs. 3 lit. a WVK In Betracht zu ziehen ist daher eine Einordnung als eine sich auf den Vertrag beziehende Übereinkunft, die zwischen allen Vertragsparteien anlässlich128 des Vertragsabschlusses (Art. 31 Abs. 2 lit. a WVK) oder später (Art. 31 Abs. 3 lit. a WVK) getroffen wurde. Als solche würde der Explanatory Report zum systematischen Zusammenhang des Übereinkommens gehören, in dessen Licht einzelne Vorschriften auszulegen wären. Der Explanatory Report wäre dann stets als Auslegungsmittel heranzuziehen und nicht bloß – wie bei einer Einordnung als ergänzendes Auslegungsmittel – im Fall der Mehrdeutigkeit oder eines offensichtlich sinnwidrigen Ergebnisses (vgl. Art. 32 WVK). Vereinzelt werden in der Literatur erläuternde Berichte zu Haager Übereinkommen als Übereinkünfte in diesem Sinne eingeordnet, allerdings regelmäßig ohne dass eine nähere Auseinandersetzung mit den Voraussetzungen erfolgt.129 Auch erläuternde Berichte zu sonstigen Übereinkommen (z.B. des Europarats) werden zuweilen als Kontext im Sinne des Art. 31 Abs. 2 WVK eingeordnet, jedenfalls wenn sie formell verabschiedet wurden.130
125
Siehe Kapitel 2 A.II.3. (S. 50). Dies im Rahmen des HWpÜ in Erwägung ziehend: Ege, Das Kollisionsrecht der indirekt gehaltenen Wertpapiere, S. 134 Fn. 598. 127 Vgl. Ege, Das Kollisionsrecht der indirekt gehaltenen Wertpapiere, S. 134 Fn. 598. 128 In der englischen Fassung: „in connexion with“; in der französischen: „à l’occasion“. 129 Vgl. Ege, Das Kollisionsrecht der indirekt gehaltenen Wertpapiere, S. 134 Fn. 598; Ribeiro‑Bidaoui, Neth. Int'l L. Rev. 2020, 139 (150). 130 Vgl. z.B. Aust, Treaty Law, S. 211; Dörr, in: Dörr/Schmalenbach, VCLT, Art. 31 Rn. 66; Gardiner, Treaty Interpretation, S. 235, 401; Sinclair, The Vienna Convention, S. 129 f.; Villiger, Vienna Convention, Art. 31 Rn. 19. 126
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aa) Voraussetzungen Um eine Einordnung unter Art. 31 Abs. 2 lit. a oder Abs. 3 lit. a WVK zu rechtfertigen, müsste der Explanatory Report eine Übereinkunft aller Vertragsparteien des Übereinkommens darstellen. Erforderlich ist ein Konsens, der außerhalb des Übereinkommenstexts liegt,131 aber nicht selbst einen völkerrechtlichen Vertrag darstellt.132 Eine bestimmte Form ist für eine solche Übereinkunft nicht erforderlich,133 wohl aber ein Rechtsbindungswille.134 Der Konsens müsste nach Art. 31 Abs. 2 lit. a oder Abs. 3 lit. a WVK zwischen den Vertragsparteien bestehen, also zwischen all jenen Staaten, die zugestimmt haben, durch das HAVÜ gebunden zu sein, und für die das Übereinkommen in Kraft ist (Art. 2 Abs. 1 lit. g WVK). Als Anknüpfungspunkt für die Feststellung einer Übereinkunft kommt primär der Abschluss des Verfahrens zur Annahme des Explanatory Reports in Betracht. Spätere Ratifikationen, Annahmen, Genehmigungen und Beitritte von Nicht-Verhandlungsstaaten könnten als konkludente135 Zustimmung zur Übereinkunft zu deuten sein.136 Ob man einen etwaigen Konsens als Übereinkunft „anlässlich des Vertragsabschlusses“ (Art. 31 Abs. 2 lit. a WVK) oder als eine „spätere Übereinkunft“ (Art. 31 Abs. 3 lit. a WVK)137 einordnen würde, wäre nicht entscheidend.138
131
Vgl. Dörr, in: Dörr/Schmalenbach, VCLT, Art. 31 Rn. 62. Aust, Treaty Law, S. 211. 133 Linderfalk, On the Interpretation of Treaties, S. 136 ff.; Villiger, Vienna Convention, Art. 31 Rn. 18. 134 Linderfalk, On the Interpretation of Treaties, S. 136; Villiger, Vienna Convention, Art. 31 Rn. 16, 18. 135 Dies erscheint nicht von vorneherein ausgeschlossen. Ein interessierter Staat, der an den Verhandlungen nicht beteiligt war, wird sich ohnehin mittels des Explanatory Reports darüber informieren, wie das Übereinkommen im Einzelnen zu verstehen ist. Auch weitere Anhaltspunkte könnten im Einzelfall für ein Einverständnis des beitretenden Staates sprechen, z.B. eine ausdrückliche Aufforderung zur Heranziehung des Explanatory Reports im Rahmen eines nationalen Umsetzungsakts (Vgl. z.B. Sec. 3(3) CJJA 1982 zur Heranziehung der Reports zum EuGVÜ; vgl. dazu Maher, C.J.Q. 1995, 21 (38 f.)). 136 Da es gemäß Art. 24 HAVÜ allen Staaten der Welt offen steht, sich an das Übereinkommen zu binden, ist es denkbar, dass für den im Rahmen des Art. 31 Abs. 2 lit. a oder Abs. 3 lit. a WVK erforderlichen Konsens auch auf Staaten abzustellen sein wird, die an den Verhandlungen und an dem Verfahren zur Finalisierung des Berichts nicht beteiligt waren. 137 Davon wohl ausgehend: Beaumont, Recueil des Cours, Bd. 340, S. 9 (31). 138 Die Abgrenzung ist wenig eindeutig, da unklar ist, welchen zeitlichen Zusammenhang Art. 31 Abs. 2 lit. a WVK erfordert, vgl. Dörr, in: Dörr/Schmalenbach, VCLT, Art. 31 Rn. 65. 132
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bb) Entstehung und Finalisierung des Explanatory Reports Der Explanatory Report zum HAVÜ ist seit der ersten Sitzung der Spezialkommission parallel zu den Verhandlungen verfasst und immer wieder angepasst und überarbeitet worden.139 Die finale Version des Explanatory Reports lag nicht schon bei Verabschiedung des Übereinkommens am 2. Juli 2019 vor. Vielmehr wurde der Report erst in der Folge fertig gestellt, um die durch die Verhandlungen der Diplomatischen Konferenz erforderlich gewordenen Änderungen einzuarbeiten und allen Staaten ausreichend Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. Betrachtet man den Entstehungsprozess des Explanatory Reports zum HAVÜ, lassen sich eine Reihe von beachtlichen Argumenten für die Einordnung als Übereinkunft im Sinne des Art. 31 Abs. 2 lit. a oder Abs. 3 lit. a HAVÜ finden. Anders als dies zum Teil bei früheren Haager Übereinkommen der Fall war, wurde der Explanatory Report zwischen den Verhandlungsparteien abgestimmt.140 Er kann nicht als Wiedergabe der Privatmeinung seiner Verfasser verstanden werden, sondern stellt das Produkt langwieriger Verhandlungen, Abstimmungen und Konsultationen dar.141 Im Rahmen der Verhandlungen der Spezialkommission und der 22. Haager Konferenz war es häufig eine Abwägungsfrage, ob eine Definition oder ein bestimmtes Begriffsverständnis in den Übereinkommenstext selbst einfließen sollte oder ob die Berichterstatter142 gebeten wurden, eine entsprechende Klarstellung in den Bericht aufzunehmen.143 Gegenstand der Verhandlungen war
139
Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 7. Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 7. So auch schon das Vorgehen hinsichtlich des Explanatory Reports zum HGÜ: vgl. Beaumont, Recueil des Cours, Bd. 340, S. 9 (31); Wagner, RabelsZ 73 (2009), 100 (109 f.). 141 Vgl. Beaumont, Neth. Int'l L. Rev. 2020, 121 (124); Ribeiro‑Bidaoui, Neth. Int'l L. Rev. 2020, 139 (150). 142 Die co-Rapporteurs waren zugleich Delegierte in den Verhandlungen: Francisco Garcimartín für Spanien und Geneviève Saumier für Kanada. Sie wurden im Rahmen der ersten Sitzung der Spezialkommission im Juni 2016 nach der Verfahrensordnung (Rules of Procedure) der Haager Konferenz als Berichterstatter berufen (Minutes of the Special Commission on the Recognition and Enforcement of Foreign Judgments (1–9 June 2016), Minutes No 1, Meeting of 1 June 2016 (morning), Rn. 13 (bisher unveröffentlicht)). 143 Vgl. z.B. Minutes of the Special Commission on the Recognition and Enforcement of Foreign Judgments (24–29 May 2018), Minutes No 7, Meeting of 28 May 2018 (afternoon), Rn. 89 (bisher unveröffentlicht); Minutes of the 22nd Session, Commission I, Minutes No 10, Meeting of 24 June 2019 (afternoon), Rn. 9–25 (bisher unveröffentlicht); Minutes of the 22nd Session, Commission I, Minutes No 16, Meeting of 28 June 2019 (morning), Rn. 108 (bisher unveröffentlicht); Minutes of the 22nd Session, Commission I, Minutes No 18, Meeting of 29 June 2019 (morning), Rn. 32–42 (bisher unveröffentlicht); dies entspricht der Praxis zu bisherigen Übereinkommen der Haager Konferenz: vgl. Kropholler, in: Staudinger (2003), Vorbem. zu Art. 19 EGBGB, Rn. 17. 140
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häufig nicht nur der Übereinkommenstext selbst, sondern auch die Frage, welche Klarstellungen, Beispiele usw. in den Explanatory Report aufgenommen werden sollten.144 Schon lange vor der Diplomatischen Konferenz lag den Verhandlungsstaaten der überarbeitete Entwurf des Explanatory Reports145 vor und die Staaten nutzten in erheblichem Umfang bereits die Diplomatische Konferenz, Unstimmigkeiten aufzuzeigen und Änderungsvorschläge zu machen. Dazu wurden von verschiedenen Delegationen auch Working Documents eingereicht und in der Diplomatischen Konferenz zur Diskussion gestellt, die Ergänzungen oder alternative Formulierungsvorschläge zu einzelnen Passagen des Explanatory Reports vorsahen.146 Unzählige Wortbeiträge im Rahmen der Verhandlungen hatten den Inhalt des zukünftigen Explanatory Reports zum Gegenstand. Eine Vielzahl von Definitionen, Klarstellungen und Beispielen im Explanatory Report wurde explizit aufgrund eines zwischen den Verhandlungsparteien in der Diplomatischen Konferenz oder der Spezialkommission erreichten Einverständnisses dort aufgenommen. Einige Klarstellungen im Explanatory Report waren Teil behutsam ausgehandelter Kompromisse (z.B. zur Bereichsausnahme der Privatsphäre in Art. 2 Abs. 1 lit. l HAVÜ147 oder zum Begriff des dinglichen Rechts in Art. 6 HAVÜ148). Dies verdeutlicht die Bedeutung, die die Verhandlungsparteien dem Explanatory Report beigemessen haben. Um im Anschluss an die Diplomatische Konferenz zwischen den Verhandlungsparteien abschließend einen Konsens149 hinsichtlich der finalen Version des Explanatory Reports herzustellen, wurde ein mehrstufiges Verfahren durchgeführt. Im Rahmen dessen hatten die Staaten zunächst Gelegenheit zur Stellungnahme zur überarbeiteten Version des Berichts, und zwar in englischer 144
Vgl. z.B. Minutes of the 22nd Session, Commission I, Minutes No 11, Meeting of 25 June 2019 (morning), Rn. 22–31 (bisher unveröffentlicht) (zur Urteilsverjährung); Minutes of the 22nd Session, Commission I, Minutes No 17, Meeting of 28 June 2019 (afternoon), Rn. 51–78 (bisher unveröffentlicht) (zu diversen Vorschlägen zum Inhalt des Reports). 145 Garcimartín/Saumier, Judgments Convention: Revised Draft Explanatory Report, PrelDoc No 1 of December 2018. 146 Z.B. WorkDoc No 26 of May 2019 und WorkDoc No 11 of May 2019 (bisher unveröffentlicht). 147 Vgl. Minutes of the 22nd Session, Commission I, Minutes No 10, Meeting of 24 June 2019 (afternoon), Rn. 9–25 (bisher unveröffentlicht); siehe Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 63. 148 Vgl. Minutes of the 22nd Session, Commission I, Minutes No 15, Meeting of 27 June 2019 (afternoon), Rn. 84–111 (bisher unveröffentlicht); siehe Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 234. 149 Vgl. Ständiges Büro der Haager Konferenz, Conclusions and Recommendations adopted by the Council (5–8 March 2019), Rn. 6 („Council asked the Permanent Bureau to revise Preliminary Document No 26 to reflect the Members’ discussions on the finalisation of the Explanatory Report and to affirm the fundamental importance of the principle of consensus.“).
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und französischer Sprachfassung. Daraufhin haben die Verfasser den Bericht erneut unter Berücksichtigung der Kommentare und Verbesserungsvorschläge und in Konsultation mit den betreffenden Staaten überarbeitet. Die überarbeitete Fassung wurde am 22. Juli 2020 an die Mitglieder der Haager Konferenz übermittelt und zum Gegenstand eines „stillen“ Annahmeverfahrens gemacht.150 Da bis zum Ablauf der Frist am 22. September 2020 kein Einspruch eingelegt wurde, ist der Text formal angenommen und bildet den offiziellen erläuternden Bericht zum HAVÜ.151 Vor diesem Hintergrund sprechen zwar gewichtige Argumente für eine Einordnung als Übereinkunft im Sinne von Art. 31 Abs. 2 lit. a oder Abs. 3 lit. a WVK. Die Verhandlungen im Rahmen der Spezialkommission und der Diplomatischen Sitzung sowie das Verfahren zur Finalisierung und Annahme des Explanatory Reports verdeutlichen die herausragende Bedeutung des Berichts für die Auslegung des HAVÜ. Allerdings wurde in den Verhandlungen verschiedentlich zum Ausdruck gebracht, dass nicht von einer „bindenden“ Wirkung des Berichts ausgegangen wird.152 Das Fehlen einer Bindungswirkung stellt auch der Explanatory Report selbst klar.153 Der Begriff der Übereinkunft in Art. 31 Abs. 2 lit. a oder Abs. 3 lit. a WVK legt jedoch nahe, dass eine gewisse Verbindlichkeit gegeben sein, ein rechtlicher Bindungswille vorliegen muss.154 Außerdem ist zu berücksichtigen, dass der Explanatory Report selbst lediglich den Status als ergänzendes Auslegungsmittel für sich beansprucht.155 Vor diesem Hintergrund ist der Explanatory Report – jedenfalls in seiner Gesamtheit – nicht als Übereinkunft im Sinne des Art. 31 Abs. 2 lit. a oder Abs. 3 lit. a WVK einzuordnen. Man wird aber jedenfalls konstatieren können, dass der Explanatory Report sich dem Status einer Übereinkunft „angenähert“ hat. cc) Differenzierte Betrachtung Auch wenn der Bericht wohl nicht im Ganzen als systematischer Kontext im Sinne des Art. 31 WVK einzuordnen ist, schließt dies nicht aus, dass man hinsichtlich einzelner Aussagen oder Passagen des Expalanatory Reports eine 150
Vgl. Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 7. Vgl. Ständiges Büro der Haager Konferenz, Mitteilung vom 22.9.2020, „Explanatory Report on the HCCH Judgments Convention“, . 152 Vgl. z.B. Minutes of the Special Commission on the Recognition and Enforcement of Foreign Judgments (24–29 May 2018), Minutes No 7, Meeting of 28 May 2018 (afternoon), Rn. 89 (bisher unveröffentlicht); Minutes of the 22nd Session, Commission I, Minutes No 10, Meeting of 24 June 2019 (afternoon), Rn. 24 (bisher unveröffentlicht). 153 Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 7 a.E. 154 Vgl. Linderfalk, On the Interpretation of Treaties, S. 136 m.w.N.; Villiger, Vienna Convention, Art. 31 Rn. 16, 18. 155 Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 7 Fn. 14. 151
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Übereinkunft im Sinne des Art. 31 Abs. 2 lit. a WVK belegen und diese folglich im Rahmen der systematischen Auslegung heranziehen kann.156 Eine vergleichbare differenzierte Betrachtungsweise wurde von Kropholler hinsichtlich der Explanatory Reports zum Haager Minderjährigenschutzabkommen (MSA)157, zum Haager Kinderschutzübereinkommen (KSÜ)158 und zum HKÜ vertreten. Es sei zwischen solchen Passagen zu differenzieren, die erkennbar nur eigene Eindrücke aus den Diskussionen enthalten, und solchen, in denen die Kommission den Berichterstatter beauftragt habe, bestimmte Lösungen im Bericht wiederzugeben. In letzterem Fall, so Kropholler, „wird man die Lösung im allgemeinen zu akzeptieren haben.“ 159 Schwierigkeiten könnte eine Einordnung einzelner Teile oder Aussagen des Explanatory Reports als Übereinkunft im Sinne des Art. 31 Abs. 2 lit. a oder Abs. 3 lit. a HAVÜ jedoch im Verhältnis zu Staaten bereiten, die Vertragsstaaten werden, aber an den Verhandlungen nicht beteiligt waren, in denen beispielsweise aufgrund eines sorgsam ausgehandelten Kompromisses im allgemeinen Einvernehmen bestimmte Aussagen in den Explanatory Report aufgenommen wurden.160 Insoweit erscheint es jedoch denkbar, von einer konkludenten Zustimmung im Rahmen der Ratifikation, Annahme, Genehmigung oder dem Beitritt zum HAVÜ auszugehen.161 So wird im Rahmen von Art. 32 HAVÜ davon ausgegangen, dass (jedenfalls zugängliche) travaux préparatoires auch gegenüber Nicht-Verhandlungsstaaten verwendet werden können.162 Man könne diesen Staaten zumuten, sich über die Verhandlungen zu 156 Ähnlich Beaumont, Recueil des Cours, Bd. 340, S. 9 (27) mit Blick auf eine vom Plenum angenommene und in den Explanatory Report zum HGÜ aufgenommene Erklärung hinsichtlich der in Art. 11 HGÜ enthaltenen Regelung über nichtkompensatorischen Schadensersatz (vgl. Hartley/Dogauchi, Explanatory Report, Rn. 205). 157 Haager Übereinkommen vom 5. Oktober 1961 über die Zuständigkeit der Behörden und das anzuwendende Recht auf dem Gebiet des Schutzes von Minderjährigen (BGBl. 1971 II S. 217). 158 Haager Übereinkommen vom 19. Oktober 1996 über die Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, die Anerkennung, Vollstreckung und Zusammenarbeit auf dem Gebiet der elterlichen Verantwortung und der Maßnahmen zum Schutz von Kindern (BGBl. 2009 II S. 602, 603). 159 Kropholler, in: Staudinger (2003), Vorbem. zu Art. 19 EGBGB, Rn. 17. 160 So z.B. die Klarstellung in Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 63 (vgl. Minutes of the 22nd Session, Commission I, Minutes No 10, Meeting of 24 June 2019 (afternoon), Rn. 9–25 (bisher unveröffentlicht)). 161 Davon scheint unausgesprochen auch Beaumont, Recueil des Cours, Bd. 340, S. 9 (27) auszugehen, wenn er eine vom Plenum angenommene und in den Explanatory Report zum HGÜ aufgenommene Erklärung als Übereinkunft i.S.d. Art. 31 Abs. 3 lit. a WVK einordnet. Denn auch das HGÜ steht allen Staaten und nicht nur den Verhandlungsstaaten offen (Art. 27 HGÜ). 162 Dörr, in: Dörr/Schmalenbach, VCLT, Art. 32 Rn. 16 f.; Le Bouthillier, in: Corten/Klein, The Vienna Conventions, Art. 32 Convention of 1969 Rn. 31; Sinclair, The Vienna Convention, S. 144.
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informieren.163 Eine entsprechende Argumentation erscheint auch mit Blick auf eine Übereinkunft im Sinne des Art. 31 Abs. 2 lit. a oder Abs. 3 lit. a HAVÜ denkbar. Andernfalls könnten sich durch den erstmaligen Beitritt eines Nicht-Verhandlungsstaats kaum hinzunehmende Konsequenzen ergeben. Denn eine je unterschiedliche Auslegung des HAVÜ im Verhältnis der Verhandlungsstaaten untereinander (in deren Verhältnis eine Übereinkunft besteht) und in Fällen unter Beteiligung eines Nicht-Verhandlungsstaats wäre nicht nur unpraktikabel,164 sondern würde dem Ziel der einheitlichen Auslegung des HAVÜ (vgl. Art. 20 HAVÜ) diametral entgegenlaufen. Die Alternative wäre, dass die entsprechende Übereinkunft im Sinne des Art. 31 Abs. 2 lit. a oder Abs. 3 lit. a HAVÜ mit dem Beitritt eines Nicht-Verhandlungsstaats ihren Status als solche verliert und sich dadurch potenziell die Auslegung des HAVÜ wandelt. Auch das erscheint wenig überzeugend und würde die angestrebte Rechtssicherheit und Vorhersehbarkeit165 erheblich gefährden. c) Ergänzendes Auslegungsmittel gemäß Art. 32 WVK Soweit sich die Voraussetzungen einer Übereinkunft im Sinne des Art. 31 Abs. 2 lit. a oder Abs. 3 lit. a WVK nicht belegen lassen, kann der Explanatory Report jedenfalls als ergänzendes Auslegungsmittel im Sinne des Art. 32 WVK fruchtbar gemacht werden.166 Verbreitet werden erläuternde Berichte zu Übereinkommen der Haager Konferenz in diesem Sinne eingeordnet.167 Autoren, die die WVK nicht als maßgeblich erachten oder sich bei ihren Ausführungen nicht direkt an den Art. 31–33 WVK orientieren, sprechen Explanatory Reports der Haager Übereinkommen regelmäßig nicht im Zusammenhang mit der systematischen Auslegungsmethode, sondern im Rahmen der historischen bzw. genetischen Auslegung an.168 Diese Einordnung
163
Vgl. Dörr, in: Dörr/Schmalenbach, VCLT, Art. 32 Rn. 16; Schollendorf, Auslegung völkerrechtlicher Verträge, S. 59. 164 Mit ähnlicher Argumentation zur Frage, ob der Rückgriff auf travaux préparatoires im Rahmen des Art. 32 WVK davon abhängig gemacht werden kann, ob ein Vertragsstaat an den Verhandlungen teilgenommen hat: Sinclair, The Vienna Convention, S. 144. 165 Vgl. insbesondere die Präambel des HAVÜ: „[…] Convinced that such enhanced judicial co-operation requires, in particular, an international legal regime that provides greater predictability and certainty in relation to the global circulation of foreign judgments […].“ 166 Vgl. Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 7 Fn. 14. 167 Beaumont, Recueil des Cours, Bd. 340, S. 9 (31); Bernasconi, in: Heere, International Law and The Hague's 750th Anniversary, S. 139 (146); Meyer-Sparenberg, Staatsvertragliche Kollisionsnormen, S. 114 f.; Schoch, Ausnahmetatbestände HKÜ, S. 52, 55; Schuz, The Hague Child Abduction Convention, S. 95; vgl. auch: BGer 31.7.2018 – 5A_576/2018, E. 4.3.2. (Berücksichtigung des Explanatory Reports zum HKÜ als „historische Auslegung“). 168 Vgl. z.B. Gruber, Methoden des internationalen Einheitsrechts, S. 169 f.; Kropholler, Internationales Einheitsrecht, S. 275 f.; Linhart, Internationales Einheitsrecht, S. 35 f.
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würde – übertragen auf das System der Art. 31–33 WVK – für eine Berücksichtigung als ergänzendes Auslegungsmittel im Sinne des Art. 32 WVK sprechen. Auffällig ist, dass zwar unzählige nationale Gerichtsentscheidungen die Explanatory Reports zu Haager Übereinkommen zitieren und im Rahmen der Auslegung heranziehen (z.B. in Deutschland,169 Israel,170 Kanada,171 Neuseeland,172 den Niederladen,173 Österreich,174 der Schweiz,175 Singapur,176 den USA177 und dem Vereinigten Königreich,178) aber, soweit ersichtlich, keine Entscheidung die Voraussetzungen des Art. 32 WVK thematisiert. Es liegt jedoch fern, aus diesem Umstand auf eine bestimmte implizite Einordnung der erläuternden Berichte zu schließen. Regelmäßig bestehen auch keine Zweifel, dass die Berücksichtigung des Explanatory Reports in einer mit Art. 32 WVK zu vereinbarenden Weise erfolgt. So legt etwa der BGH Art. 16 HKÜ zunächst nach Wortlaut und Zweck aus, um das gefundene Ergebnis anschließend, wie es Art. 32 WVK gestattet, mit den Ausführungen des Explanatory Reports abzusichern.179 Ergänzenden Auslegungsmitteln nach Art. 32 WVK kommt im Rahmen der Auslegung völkerrechtlicher Verträge nach der Konzeption der Art. 31 f. WVK formell eine nachrangige Rolle zu. Sie können zur Bestimmung der Bedeutung einer Vorschrift nur herangezogen werden, sofern die Auslegung nach 169 BGH 14.10.2015 – XII ZB 150/15, FamRZ 2016, 115; BGH 16.8.2000 – XII ZB 210/99, BGHZ 145, 97 (101) = NJW 2000, 3349 (3350); OLG München 10.2.2017 – 34 Wx 175/16, IPRax 2019, 162; OLG Düsseldorf 28.9.2018 – II-1 UF 18/18, NJW-RR 2019, 391 (393); Thüringer Oberlandesgericht 8.6.2015 – 4 UF 98/15, juris; KG Berlin 12.8.2013 – 16 UF 122/13, juris; OLG Stuttgart 25.4.2012 – 17 UF 35/12, FamRZ 2013, 51; OLG Frankfurt a.M. 15.2.2006 – 1 WF 231/05, NJW-RR 2006, 938; OLG Karlsruhe 13.2.1995 – 11 Wx 15/95, juris; OLG Koblenz 19.3.2018 – 9 WF 607/17, FamRZ 2019, 367. 170 Family, appeal request 1930/14, Plonit v Ploni; Motion for Leave to Appeal (Family Matters) 5690/10 A v B. 171 Office of the Children’s Lawyer v Balev 2018 SCC 16; J.E.A. v C.L.M. (2002), 220 D.L.R. (4th) 577. 172 Secretary for Justice (New Zealand Central Authority) v H.J. [2007] 2 NZLR 289; H.J. v Secretary for Justice [2006] NZFLR 1005. 173 Hoge Raad der Nederlanden 14.4.2000 – R99/076HR; Hoge Raad der Nederlanden 14.7.2000 – R99/167HR. 174 OGH 25.5.2016 – 2 Ob 136/15m; OGH 18.7.2002 – 8 Ob 122/02b; OGH 6.9.2005 – 10 Ob 83/05m. 175 BGer 23.3.2017 – 5A_151/2017, BGE 143 III 237, E. 2.2, 2.3; BGer 26.11.2015 – 5A_202/2015, BGE 142 III 1, E. 2.1. 176 Ermgassen & Co Ltd v Sixcap Financials Pte Ltd [2018] SGHCR 8; BDU v BDT [2014] SGCA 12. 177 Gitter v Gitter, 396 F.3d 124 (2nd Cir. 2005); Croll v Croll, 229 F.3d 133 (2d Cir. 2000). 178 Re D. (A Child) (Abduction: Rights of Custody) [2006] UKHL 51; R. v R. (Residence Order: Child Abduction) [1995] Fam 209, [1995] 3 WLR 425. 179 BGH 16.8.2000 – XII ZB 210/99, BGHZ 145, 97 (100 f.) = NJW 2000, 3349 (3350).
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Kapitel 2: Auslegung
Art. 31 WVK die Bedeutung mehrdeutig oder dunkel lässt oder zu einem offensichtlich sinnwidrigen oder unvernünftigen Ergebnis führt (Art. 32 WVK). Allerdings kann dem Explanatory Report auch insoweit eine zentrale Rolle bei der Auslegung beigemessen werden. Denn Situationen, in denen ein Rückgriff auf ergänzende Auslegungsmittel nach Art. 32 WVK untersagt wird, dürften bei echten Auslegungsproblemen aufgrund der regelmäßig verbleibenden Mehrdeutigkeit eher die Ausnahme als die Regel sein.180 Es ist im Übrigen stets möglich, einen Blick in die Materialien zu werfen, um die sich unter Anwendung des Art. 31 WVK ergebende Bedeutung zu bestätigen (Art. 32 WVK). Zeigen sich dann Abweichungen oder Ungereimtheiten, dürfte es möglich sein, den Auslegungsvorgang nach Art. 31 WVK im Lichte eines möglicherweise neu gewonnenen Problembewusstseins zu wiederholen.181 Denkbar ist auch, dass sich eine zuvor nicht erkannte Mehrdeutigkeit offenbart und daher Art. 32 lit. a WVK den Rückgriff erlaubt.182 d) Fazit Klarheit dürfte insoweit bestehen, dass die Ausführungen im Explanatory Report nicht den Rang der rechtlichen Regelungen des Übereinkommenstexts selbst haben.183 Es geht also hinsichtlich der Einordnung des Explanatory Reports lediglich darum, welchen Status dem Bericht als Auslegungsmittel für die Interpretation des Übereinkommens zukommt. Auch wenn sich der Explanatory Report nicht in seiner Gesamtheit als Übereinkunft im Sinne des Art. 31 Abs. 2 lit. a oder Abs. 3 lit. b WVK einordnen lässt, kann man vor dem Hintergrund seines Entstehungsprozesses sagen, dass er sich einem solchen Status angenähert hat. Für eine generelle Berücksichtigung im Rahmen der systematischen Auslegung genügt dies jedoch nicht. Nach der hier vertretenen Auffassung ist es allerdings denkbar, einzelne Aussagen des Explanatory Reports zum HAVÜ im Rahmen einer authentischen Auslegung als systematischen Kontext im Sinne des Art. 31 Abs. 2 lit. a oder Abs. 3 lit. b WVK heranzuziehen. Dies gilt vor allem für diejenigen Fälle, in denen das Plenum die Berichterstatter damit beauftragt hat, ganz konkrete Aussagen oder Klarstellungen in den Report aufzunehmen.184 180
Villiger, Vienna Convention, Art. 32 Rn. 11. Dörr, in: Dörr/Schmalenbach, VCLT, Art. 32 Rn. 31; ähnlich auch Aust, Treaty Law, S. 218. 182 Dörr, in: Dörr/Schmalenbach, VCLT, Art. 32 Rn. 31; Mortenson, Amer. J. Int'l. L. 107 (2013), 780 (787). 183 Kropholler, Internationales Einheitsrecht, S. 254. 184 So z.B. die Ausführungen in Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 63 zum Umfang der Ausklammerung der Privatsphäre vom sachlichen Anwendungsbereich des HAVÜ (vgl. Minutes of the 22nd Session, Commission I, Minutes No 10, Meeting of 24 June 2019 (afternoon), Rn. 9–25 (bisher unveröffentlicht)). Ein weiteres Beispiel ist die 181
B. Auslegungsmethoden
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Soweit eine Berücksichtigung als „Übereinkunft“ ausscheidet, ist dem Explanatory Report im Rahmen des Art. 32 WVK als ergänzendes Auslegungsmittel in angemessener Weise Rechnung zu tragen. Da nach Anwendung von Art. 31 WVK regelmäßig Mehrdeutigkeiten verbleiben werden, kann der Expalanatory Report auch bei einer Einordnung als ergänzendes Auslegungsmittel entscheidend sein. Schließlich ist auch denkbar, dass sich auf Grundlage des Explanatory Reports eine Praxis herausbildet, die dann eine Berücksichtigung im Rahmen des Art. 31 Abs. 3 lit. b WVK zulässt.185 Als ergänzende Auslegungsmittel im Sinne des Art. 32 WVK sollten im Übrigen alle veröffentlichten früheren Entwurfsfassungen des Explanatory Reports aufgefasst werden. Im Einzelfall und unter Anwendung der gebotenen Sorgfalt und Vorsicht können unter den in Art. 32 WVK dargelegten Voraussetzungen aus diesen früheren Entwürfen des Berichts und den Änderungen im Vergleich zur finalen Fassung Rückschlüsse für die Auslegung gezogen werden. 3. Konventionsübergreifende Auslegung a) Allgemeines Klärung bedarf auch die Frage, inwieweit andere Übereinkommen und Instrumente des internationalen Zivilverfahrensrechts zur Auslegung des Übereinkommens herangezogen werden können. Dies betrifft insbesondere das Verhältnis zu anderen Übereinkommen der Haager Konferenz. Unter dem Begriff der „konventionsübergreifenden Auslegung“ wird – mit im Einzelnen unterschiedlicher dogmatischer Einordnung – meist eine Vermutung dahingehend verstanden, dass „[i]m Zweifel […] übereinstimmende Begriffe, die in verschiedenen Konventionen enthalten sind, deshalb im gleichen Sinn ausgelegt werden [sollten].“186 Ob und inwieweit eine konventionsübergreifende Auslegung möglich ist, ist bisher weitgehend ungeklärt.187 Die teilweise vertretene Ansicht, dass ein
Klarstellung, dass eine Erklärung nach Art. 19 Abs. 1 HAVÜ nicht auf Fälle beschränkt werden darf, in denen der Staat Titelschuldner ist, siehe Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 346 (vgl. Kapitel 4 D.II.1. (S. 168)). 185 So Lord Steyn in einer Entscheidung des House of Lords für den Explanatory Report zu Protokoll 7 der EMRK: Regina v Secretary of State for the Home Department (Appellant) ex parte Mullen (Respondent) [2004] UKHL 18 („But the Explanatory Report has great persuasive value in the process of interpretation. For example, it is a basis on which states sign and ratify the Protocol. Inevitably, state practice will be based on the Explanatory Report, and in this way it becomes directly relevant to the interpretation of article 14(6): article 31(3)(b) of the Vienna Convention on the Law of Treaties.“). 186 Magnus, FS MPI, S. 571 (582). 187 Vgl. Gruber, Methoden des internationalen Einheitsrechts, S. 157.
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Kapitel 2: Auslegung
Übereinkommen im Rahmen der Gesamtsystematik des Einheitsrechts ausgelegt werden müsse, sofern den verschiedenen Instrumenten die gleichen gesetzgeberischen Intentionen zugrunde liegen,188 geht meines Erachtens zu weit.189 Danach würde man das HAVÜ im Lichte von Vorschriften und Übereinkommen auslegen, die den Verhandlungsparteien womöglich nicht einmal bekannt waren oder auf die die Vorschriften des vorliegenden Übereinkommens jedenfalls nicht abgestimmt wurden.190 Eine rechtliche Grundlage für eine derart weitgehende konventionsübergreifende Auslegung ist zudem weder in Art. 31–33 WVK noch im Gewohnheitsrecht ersichtlich.191 Auch die spezielle Auslegungsregel des Art. 23 Abs. 1 HAVÜ bietet keine rechtliche Grundlage für eine konventionsübergreifende Auslegung im dargestellten Sinn. Denn die Vorschrift zielt auf Kompatibilität im Sinne einer Vermeidung kollidierender völkerrechtlicher Verpflichtungen unter verschiedenen Übereinkommen,192 jedoch nicht (unbedingt) auf einen Gleichklang der Auslegung.193 Es wäre im Einzelfall sogar denkbar, dass Art. 23 Abs. 1 HAVÜ dafür spricht, dieselben Begriffe abweichend auszulegen, um einen Konflikt zwischen dem HAVÜ und einem anderen völkerrechtlichen Vertrag zu vermeiden. So könnte im Einzelfall gerade eine uneinheitliche Auslegung von übereinstimmenden Begriffen dazu führen, dass nur eines von zwei Instrumenten greift und damit kollidierende Verpflichtungen eines Vertragsstaats vermieden werden. Eine generelle Vermutung für eine übereinstimmende Auslegung übereinstimmender Begriffe lässt sich mit Art. 23 Abs. 1 HAVÜ folglich nicht begründen. Dasselbe gilt für Art. 20 HAVÜ. Die Vorschrift normiert das Ziel einer einheitlichen Auslegung des Übereinkommens, verpflichtet aber nicht zu einer einheitlichen übergreifenden Auslegung der Instrumente des internationalen Einheitsrechts. Eine konventionsübergreifende Auslegung im Kontext des internationalen Einheitsrechts wäre potenziell sogar geeignet, das in Art. 20 HAVÜ festgeschriebene Ziel zu gefährden. Denn der einheitsrechtliche Kontext würde sich für Rechtsanwender in verschiedenen Staaten der Welt jeweils höchst unterschiedlich darstellen und es wäre letztlich von Zufällen und
188
Vgl. Ferrari, in: MüKO-HGB, CISG Art. 7 Rn. 36; Ferrari, Unif. L. Rev. 2000, 69 (76 ff.); ähnlich auch Grundmann, RabelsZ 75 (2011), 882 (928) (verwandter Regelungsgegenstand und ähnliche Regelungsphilosophie). 189 Kritisch auch Linhart, Internationales Einheitsrecht, S. 42. 190 Vgl. Linhart, Internationales Einheitsrecht, S. 42. 191 In Betracht kommt Art. 31 Abs. 3 lit. c WVK allenfalls dann, wenn das heranzuziehende Übereinkommen zwischen allen Vertragsparteien gilt. Großzügiger offenbar: Magnus, in: Janssen/Meyer, CISG Methodology, S. 33 (54 f.). 192 Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 369, 371. 193 Anders kann es insbesondere sein, soweit es um die Auslegung von Bereichsausnahmen geht, siehe im Folgenden c) und d).
B. Auslegungsmethoden
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Praktikabilitätserwägungen abhängig, welche Instrumente im Einzelnen herangezogen würden.194 Ein Rückgriff auf die Auslegung im Rahmen anderer Übereinkommen ist aus diesen Gründen nur dann als zulässig anzusehen, sofern sich – insbesondere mittels des Explanatory Reports oder der Materialien – belegen lässt, dass Begrifflichkeiten oder Vorschriften des Übereinkommens im Gleichklang mit dem anderen Instrument verstanden werden sollten. Man kann insofern vom Erfordernis einer „Aufeinanderbezogenheit“ der Regelungen sprechen.195 Es genügt nach der hier vertretenen Auffassung also nicht ein – ohnehin schwer feststellbarer – „objektiver Sinnzusammenhang“, sondern es bedarf einer „subjektiven Bezugnahme“.196 Denkbar ist dann eine Einordnung des zur Auslegung herangezogenen Übereinkommens als ergänzendes Auslegungsmittel im Sinne des Art. 32 WVK.197 b) HGÜ Eine solche subjektive Bezugnahme liegt in Bezug auf das HGÜ vor. Diesem kommt daher eine besondere Bedeutung für die Auslegung des vorliegenden Übereinkommens zu.198 Dies gilt damit indirekt auch für den zugehörigen Bericht von Trevor Hartley und Masato Dogauchi.199 Die Annahme einer subjektiven Bezugnahme ist vor dem Hintergrund gerechtfertigt, dass das HGÜ als Blaupause für das HAVÜ diente.200 Der vierte Absatz der Präambel des HAVÜ stellt ausdrücklich klar, dass das HAVÜ als Ergänzung zum HGÜ konzipiert ist („complementary to the Convention of 30 June 2005 on Choice of Court Agreements“).201 Während den Verhandlungen wurde zum Teil von „sister Conventions“ gesprochen.202 194
Vgl. Magnus, FS MPI, S. 571 (579); Linhart, Internationales Einheitsrecht, S. 42. Gruber, Methoden des internationalen Einheitsrechts, S. 157 f.; ähnlich auch: Basedow, RabelsZ 81 (2017), 1 (22); von Hein, in: MüKO-BGB, Art. 3 EGBGB Rn. 188 („aufeinander abgestimmt“); Kropholler, Internationales Einheitsrecht, S. 273 (bewusstes Ineinandergreifen / einem anderen Text nachgebildet); Wanner-Laufer, Art. 3 Haager Minderjährigenschutzabkommen, S. 14 („bewußt in Kontext gesetzt“). 196 Zu den Begrifflichkeiten Grundmann, RabelsZ 75 (2011), 882 (926 ff.), der ein striktes Bezugnahmekriterium jedoch unter Verweis auf ein Kooperationsverhältnis zwischen verschiedenen supra- und internationalen Gesetzgebern für entbehrlich hält. 197 Vgl. Linderfalk, On the Interpretation of Treaties, S. 255. 198 So auch Schack, IPRax 2020, 1 (4); Spitz, YbPIL 21 (2019/20), 333 (351). 199 Hartley/Dogauchi, Explanatory Report. 200 Liakopoulos, AUDJ 15 (2019), 5 (8); ähnlich Araujo/De Nardi, Rev. secr. Trib. perm. revis. 7 (2019), 198 (205); Mansel/Thorn/Wagner, IPRax 2020, 97 (124). 201 Vgl. auch Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 20. 202 Vgl. z.B. Minutes of the Special Commission on the Recognition and Enforcement of Foreign Judgments (16–24 February 2017), Minutes No 1, Meeting of 16 February 2017 (morning), Rn. 15 (bisher unveröffentlicht); Minutes of the 22nd Session, Commission I, 195
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Man orientierte sich in den Verhandlungen zum HAVÜ von Anfang an am HGÜ und baute auf die dortigen Regelungskonzepte und Begrifflichkeiten auf.203 Schon der vorläufige Entwurfstext der Arbeitsgruppe ist in enger Anlehnung an die Regelungen des HGÜ verfasst worden.204 In der Arbeitsgruppe ging man bei der Erarbeitung des vorläufigen Entwurfstexts von dem Grundsatz aus, dass vom Wortlaut des HGÜ im Rahmen der jeweiligen Parallelvorschriften nur aus gutem Grund abgewichen werden soll.205 Diesem Ansatz ist man während der gesamten Verhandlungen treu geblieben und er wurde auch im Rahmen der Sitzungen der Spezialkommission206 und der Diplomatischen Konferenz207 immer wieder betont. In der Endphase der Verhandlungen ist man vor diesem Hintergrund auch verschiedentlich zu einem dem HGÜ entsprechenden Wortlaut zurückgekehrt, nachdem zwischenzeitliche Entwurfsfassungen andere Formulierungen oder Lösungen favorisiert hatten. Als Beispiel lässt sich Art. 4 Abs. 4 HAVÜ nennen, der nahezu wörtlich mit Art. 8 Abs. 4 HGÜ übereinstimmt. Die jeweiligen Vorschriften des vorläufigen Entwurfstexts sowie der Konventionsentwürfe 2016, Februar 2017, November 2017, und 2018 folgten noch allesamt einem anderen Ansatz (aktive statt passiver Formulierung sowie enumerative Auflistung der Handlungsmöglichkeiten des Gerichts).208 Die Abstimmung des HAVÜ auf das HGÜ wurde durch den Umstand erleichtert, dass das HAVÜ in
Minutes No 12, Meeting of 25 June 2019 (afternoon), Rn. 22, 39 (bisher unveröffentlicht); so auch Araujo/De Nardi/Lopes/Polido, Revista de Direito Internacional 16 (2019), 19 (21). 203 Vgl. Ständiges Büro der Haager Konferenz, PrelDoc No 3 of March 2013, Annex 1 („In view of the complementary nature of these two instruments, the Working Group determined that the starting point for preparing proposals for inclusion in the future instrument should be the corresponding provisions of the Choice of Court Convention, where relevant.“); Ständiges Büro der Haager Konferenz, PrelDoc No 7A of November 2015, S. 4; siehe auch Garnett, in: John/Gulati/Köhler, Elgar Companion, S. 309 (320); Goddard, Duke J. Comp. & Int'l L. 29 (2019), 473 (478). 204 Garnett, in: John/Gulati/Köhler, Elgar Companion, S. 309 (316 f.); Wagner, IPRax 2016, 97 (99). 205 Ständiges Büro der Haager Konferenz, Explanatory Note, PrelDoc No 2 of April 2016, Rn. 19. 206 Vgl. z.B. Minutes of the Special Commission on the Recognition and Enforcement of Foreign Judgments (1–9 June 2016), Minutes No 1, Meeting of 1 June 2016 (morning), Rn. 29 (bisher unveröffentlicht); Minutes of the Special Commission on the Recognition and Enforcement of Foreign Judgments (16–24 February 2017), Minutes No 1, Meeting of 16 February 2017 (morning), Rn. 17 (bisher unveröffentlicht). 207 Vgl. z.B. Minutes of the 22nd Session, Commission I, Minutes No 9, Meeting of 24 June 2019 (morning), Rn. 22 (bisher unveröffentlicht); Minutes of the 22nd Session, Commission I, Minutes No 12, Meeting of 25 June 2019 (afternoon), Rn. 39, 41 (bisher unveröffentlicht). 208 Siehe Kapitel 5 A.II. (S. 197).
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nicht unerheblicher Anzahl von Delegierten ausgehandelt wurde, die schon an den Verhandlungen zum HGÜ beteiligt waren.209 Im Ergebnis hat das HAVÜ eine Vielzahl von Vorschriften wortgleich oder mit geringfügigen Modifikationen aus dem HGÜ übernommen.210 Der Explanatory Report nimmt durchgehend auf das HGÜ und den Hartley/Dogauchi-Report Bezug und erläutert im Einzelnen die Gründe, wenn vom Wortlaut oder Inhalt der Parallelregelung des HGÜ abgewichen worden ist.211 Es ist gerechtfertigt zu sagen, dass das HGÜ als Modell für das vorliegende Übereinkommen diente.212 Vor diesem Hintergrund ist die Vermutung begründet, dass übereinstimmende Begriffe und Vorschriften im Zweifel im gleichen Sinn auszulegen sind. Gleichwohl ist nicht gänzlich ausgeschlossen, dass im Einzelfall ein identischer Wortlaut ausnahmsweise auch anders zu verstehen sein kann als im Rahmen des HGÜ.213 Und umgekehrt bedeutet ein abweichender Wortlaut nicht zwingend, dass eine abweichende Auslegung angezeigt ist, da Änderungen und Ergänzungen teilweise nur aus Klarstellungsgründen erfolgt sind.214
209 Teilnehmerlisten der Verhandlungen für das HGÜ sind veröffentlicht in: Proceedings of the Twentieth Session 14 to 30 June 2005, Tome III, Choice of Court, Antwerpen/Oxford/Portland 2010, S. 376 ff., 484 ff. Die Teilnehmerlisten der Verhandlungen zum HAVÜ sind bisher unveröffentlicht. 210 Z.B. Art. 2 Abs. 4 HGÜ (in Art. 2 Abs. 3 HAVÜ); Art. 2 Abs. 5 HGÜ (in Art. 2 Abs. 4 HAVÜ); Art. 2 Abs. 6 HGÜ (in Art. 2 Abs. 5 HAVÜ), Art. 4 Abs. 1 HGÜ (in Art. 3 Abs. 1 lit. b HAVÜ), Art. 8 Abs. 1 HGÜ (in Art. 4 Abs. 1 HAVÜ), Art. 8 Abs. 3 HGÜ (in Art. 4 Abs. 3 HAVÜ), Art. 8 Abs. 4 HGÜ (in Art. 4 Abs. 4 HAVÜ), Art. 9 HGÜ (in weiten Teilen in Art. 7 HAVÜ), Art. 11 HGÜ (in Art. 10 HAVÜ), Art. 12 HGÜ (in Art. 11 HAVÜ), Art. 13 HGÜ (in Art. 12 HAVÜ), Art. 14 HGÜ (in Art. 13 Abs. 1 HAVÜ), Art. 15 HGÜ (in Art. 9 HAVÜ), Art. 20 HGÜ (in Art. 17 HAVÜ), Art. 21 HGÜ (in Art. 18 HAVÜ), Art. 23 HGÜ (in Art. 20 HAVÜ), Art. 25 HGÜ (weitgehend in Art. 22 HAVÜ), Art. 27–30 HGÜ (in weiten Teilen in Art. 24–27 HAVÜ), Art. 32–34 HGÜ (in weiten Teilen in Art. 30–34 HAVÜ). 211 Vgl. z.B. Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 34, 50, 55, 64, 120 f., 256 f., 264, 272, 287 f., 301 Fn. 227, Rn. 364, 407. 212 Ebenso: Goddard, Duke J. Comp. & Int'l L. 29 (2019), 473 (478); van Loon, NIPR 2020, 4 (10); Liakopoulos, AUDJ 15 (2019), 5 (8); Stein, IPRax 2020, 197 (197); Zhao, SRIEL 2020, 345 (350); Brüggemann, Die Anerkennung prorogationswidriger Urteile, S. 209. 213 Vgl. z.B. Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 337 Fn. 243. 214 Z.B. die Klarstellung in Art. 1 Abs. 1 S. 2 HAVÜ, dass Steuer- und Zollsachen sowie verwaltungsrechtliche Angelegenheiten nicht erfasst sind, Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 34; ein weiteres Beispiel ist der Verweis auf die staatliche Sicherheit und Souveränität im Rahmen der ordre public-Klausel, vgl. Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 264.
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c) Sonstige Übereinkommen der Haager Konferenz Vorsichtiger wird man im Hinblick auf eine konventionsübergreifende Auslegung im Verhältnis zu anderen Haager Übereinkommen sein müssen. Zwar ist zumindest punktuell ein Bemühen feststellbar, eine begriffliche und regelungstechnische Kontinuität herzustellen (z.B. für den Begriff der Zivil- oder Handelssache215 oder beim ordre public-Vorbehalt). Sofern aber nicht Vorschriften im Ganzen bewusst übernommen wurden216 oder sich im Explanatory Report oder den Materialien eindeutige Hinweise finden,217 wird oftmals zweifelhaft sein, ob ein hinreichender Bezug zu Vorschriften anderer Haager Übereinkommen besteht. So gibt es beispielsweise gute Gründe, für den Begriff der unbeweglichen Sache nicht an das entsprechende Begriffsverständnis des Haager Übereinkommens über das auf das Ehegüterrecht anwendbare Recht anzuknüpfen.218 Bei der Anzahl an Übereinkommen, die inzwischen im Rahmen der Haager Konferenz entstanden sind,219 ist es auch fernliegend anzunehmen, dass die Delegierten stets sämtliche gleichlautenden Begrifflichkeiten anderer Haager Übereinkommen und das sich insoweit in Rechtsprechung und Literatur entwickelte Begriffsverständnis im Blick hatten. Insoweit ist berücksichtigen, unter welchem Zeitdruck die Verhandlungen und insbesondere die Sitzungen des Drafting Committee stattfanden.220 Aus dem Sinn und Zweck und der Entstehungsgeschichte kann sich jedoch ausnahmsweise ergeben, dass ein Begriff des HAVÜ im Einklang mit entsprechenden Begriffen anderer Übereinkommen auszulegen ist. Dies betrifft insbesondere die „Abgrenzungsnormen“221 in Art. 2 Abs. 1 HAVÜ. Eine Reihe von Bereichsausnahmen existiert nur deshalb, weil es für den entsprechenden Bereich bereits andere Übereinkommen gibt.222 Eine enge Auslegung der jeweiligen Bereichsausnahme, die dazu führt, dass es gleichwohl zu Überschneidungen der Instrumente kommt, wäre ebenso wenig gerechtfertigt, wie eine extensive Auslegung, die durch die Abgrenzung zu anderen Instrumenten nicht geboten ist und ungewollte „Lücken“ lässt. Vor diesem Hintergrund spricht oftmals vieles dafür, die jeweilige Bereichsausnahme des HAVÜ so auszulegen wie die entsprechende positive Bestimmung des Anwendungsbereichs in dem oder den anderen Übereinkommen. Wenn also beispielsweise Art. 2 Abs. 1 215
Vgl. Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 32. Vgl. z.B. Art. 20 HAVÜ, der Art. 13 HWpÜ und Art. 53 HUnthGÜ entspricht. Art. 14 Abs. 1 HAVÜ ist stark an Art. 14 HRpflÜ und Art. 14 Abs. 2 HAVÜ an Art. 15 HRpflÜ angelehnt. Siehe Kapitel 4 B.VI. (S. 147) und G.III.2. (S. 181). 217 Z.B. Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 200, 222. 218 Siehe Kapitel 5 B.V.3.g)cc) (S. 239). 219 Vgl. . 220 Vgl. allgemein dazu Clive, GS Nygh, S. 37 (39 f.). 221 Vgl. Lüttringhaus, RabelsZ 77 (2013), 31 (41 ff.) (zur rechtsaktübergreifenden Auslegung im europäischen Zivilprozess- und Kollisionsrecht). 222 Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 44. 216
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lit. b HAVÜ Unterhaltspflichten vom Anwendungsbereich ausschließt, dann sollte sich die Auslegung dieser Bereichsausnahme an dem Haager Unterhaltsübereinkommen vom 23. November 2007 (HUnthGÜ)223 und den anderen Haager Übereinkommen zu diesem Rechtsgebiet orientieren.224 Die „Aufeinanderbezogenheit“, die eine konventionsübergreifende Auslegung rechtfertigt, ist hier gegeben. Auch Art. 23 Abs. 1 HAVÜ spricht in der Abgrenzung zu anderen Übereinkommen und Instrumenten für eine Auslegung, die mögliche Konflikte vermeidet. d) Brüssel Ia-VO, UNÜ und sonstige Instrumente Im Verhältnis zur Brüssel Ia-VO, dem UNÜ und sonstigen internationalen Rechtsinstrumenten dürfte es nach dem hier zugrunde gelegten Verständnis regelmäßig an einer „Aufeinanderbezogenheit“ fehlen. Insoweit sollte man mit einer generellen Vermutung der gleichen Bedeutung auch dann vorsichtig sein, wenn es Anhaltspunkte dafür gibt, dass eine entsprechende Formulierung übernommen wurde.225 Die Übernahme einer Formulierung ist nicht stets gleichzusetzen mit der Übernahme des Inhalts. So wurde in Art. 1 Abs. 1 S. 2 HAVÜ in Anlehnung an Art. 1 Abs. 1 S. 2 Brüssel Ia-VO die Klarstellung aufgenommen, dass Steuer- und Zollsachen sowie verwaltungsrechtliche Angelegenheiten nicht vom sachlichen Anwendungsbereich des Übereinkommens erfasst sind. Ob daraus aber der Schluss gezogen werden kann, dass die EuGH-Rechtsprechung zur Abgrenzung zwischen steuer- oder verwaltungsrechtlichen Angelegenheiten und Zivil- und Handelssachen für Art. 1 HAVÜ Geltung beanspruchen kann, ist zweifelhaft.226 Eine „Aufeinanderbezogenheit“ kann sich aber wiederum für die Abgrenzungsnormen in Art. 2 Abs. 1 HAVÜ ergeben, wo die Bereichsausnahme gerade dazu dient, Überschneidungen mit anderen Instrumenten zu vermeiden.227 Aus diesem Grund wurden zur Formulierung der Bereichsausnahmen zum Teil 223 Haager Übereinkommen vom 23. November 2007 über die internationale Geltendmachung der Unterhaltsansprüche von Kindern und anderen Familienangehörigen (ABl. 2011 L 192/51). 224 Siehe auch Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 46 Fn. 34. 225 Tendenziell vorsichtig auch De Miguel Asensio/Cuniberti/Franzina/Heinze/Requejo Isidro, Judgments Convention Study, S. 16 („Therefore, the interpretation of the same term in EU law and the Draft Convention may differ.“); Wilderspin/Vysoka, NIPR 2020, 34 (43) Fn. 51. 226 Dass Argumente oder Erwägungen des EuGH zu europäischen Verordnungen auch im Rahmen des Übereinkommens inhaltlich überzeugen und folglich herangezogen werden können, sei damit nicht bestritten. Insofern unterscheidet sich die EuGH-Rechtsprechung aber nicht von sonstigen Erkenntnisquellen (z.B. nationalen Gerichtentscheidungen, rechtswissenschaftlicher Literatur etc.). 227 Siehe dazu im Hinblick auf andere Übereinkommen der Haager Konferenz bereits Kapitel 2 B.II.3.c) (S. 72).
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Kapitel 2: Auslegung
Begriffe und Konzepte aus anderen Übereinkommen228 oder sonstigen Quellen (z.B. aus UN-Resolutionen,229 Empfehlungen der OECD230) verwendet. Dasselbe gilt für die Auslegung des Art. 11 HAVÜ über die Vollstreckbarkeit gerichtlicher Vergleiche in Abgrenzung zum Anwendungsbereich des UN-Übereinkommens über durch Mediation erzielte internationale Vergleichsvereinbarungen (Singapur-Konvention231).232 Grundsätzlich denkbar ist auch, dass andere völkerrechtliche Übereinkommen gemäß Art. 31 Abs. 3 lit. c WVK als zwischen den Vertragsparteien anwendbare und einschlägige Völkerrechtssätze Berücksichtigung finden können. Dies dürfte jedoch voraussetzen, dass der zur Interpretation herangezogene völkerrechtliche Vertrag zwischen allen Vertragsparteien des HAVÜ (und nicht nur zwischen Ursprungsstaat und ersuchtem Staat) anwendbar ist.233 e) Fazit Wenngleich eine einheitliche Begriffsbildung in einem weiteren Kontext international privat- und zivilverfahrensrechtlicher Instrumente wünschenswert wäre, bestehen doch gegen eine weitgehende konventionsübergreifende Auslegung erhebliche Einwände. Andere Übereinkommen und Instrumente gehören in der Regel nicht zum auslegungsrelevanten Zusammenhang im Sinne des Art. 31 WVK. Nur ausnahmsweise lässt sich eine konventionsübergreifend einheitliche Auslegung rechtfertigen. Im Verhältnis zum HGÜ spricht jedoch viel für eine einheitliche Auslegung. Es sei jedoch angemerkt, dass die Grenzen zu anderen Auslegungsmethoden fließend sein können. Wird etwa ein Begriff in zahlreichen Übereinkommen und Instrumenten stets in gleicher Weise verstanden, kann dies dazu führen, dass sich eine gewöhnliche Bedeutung etabliert, die es bei der Auslegung nach dem Wortlaut gemäß Art. 31 Abs. 1 WVK zu beachten gilt. Schollendorf spricht insofern von der „Wörterbuchfunktion völkerrechtlicher Verträge“.234 Es ist daher möglich und zulässig, mit einem in anderen Zusammenhängen bestehenden Begriffsverständnis zu argumentieren, sofern damit dargelegt werden soll, dass eine bestimmte Lesart dem üblichen Wortsinn entspricht. Für
228
Vgl. z.B. Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 55 Fn. 56 (mit Verweis auf das Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen vom 10. Dezember 1982 (BGBl. 1994 II S. 1798)). 229 Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 74. 230 Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 71. 231 United Nations Convention on International Settlement Agreements Resulting from Mediation (abrufbar unter ). 232 Siehe Kapitel 4 B.IX.1. (S. 154). 233 Vgl. zu dieser Frage Dörr, in: Dörr/Schmalenbach, VCLT, Art. 31 Rn. 103 f. 234 Schollendorf, Auslegung völkerrechtlicher Verträge, S. 65.
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eine generelle Vermutung, dass übereinstimmende Begriffe konventionsübergreifend in derselben Weise zu verstehen sind, fehlt es jedoch – auch wenn die anderen Instrumente ebenfalls die internationale Anerkennung und Vollstreckung betreffen – an einer hinreichenden rechtlichen und tatsächlichen Grundlage. III. Ziel und Zweck Art. 31 Abs. 1 WVK legt fest, dass die Bedeutung einer Bestimmung nicht nur in ihrem Kontext, sondern auch im Lichte des Zieles und Zweckes („object and purpose“) des Übereinkommens zu bestimmen ist. Dem Ziel und Zweck wird insbesondere bei unklarem Wortlaut eine besondere Bedeutung beigemessen.235 Die Auslegung nach Ziel und Zweck dient dazu, unter den denkbaren Bedeutungen des Wortsinns diejenige zu identifizieren, die mit dem Zweck oder den Zwecken des Übereinkommens am besten vereinbar ist.236 Zur Ermittlung der Zwecke ist in erster Linie auf den Titel, den Text und die Präambel des Übereinkommens zurückzugreifen.237 Ob eine unmittelbare Heranziehung auch der travaux préparatoires238 zur Bestimmung des Übereinkommenszwecks im Rahmen von Art. 31 Abs. 1 WVK möglich ist, erscheint vor dem Hintergrund des Art. 32 WVK fraglich.239 Die Präambel des HAVÜ gibt Aufschluss über die wesentlichen Anliegen des Übereinkommens. Auf einer übergeordneten Ebene soll das Übereinkommen nach dem zweiten Absatz der Präambel die effektive Rechtsdurchsetzung fördern und den internationalen Handel sowie Investitionen und grenzüberschreitende Mobilität begünstigen.240 Für die teleologische Auslegung dürften vor allem der dritte und vierte Absatz der Präambel Hilfestellungen liefern, die näher konkretisieren, wie diese Ziele gefördert werden sollen. Der dritte Absatz nennt insoweit einheitliche Regelungen zur Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Entscheidungen in Zivil- oder Handelssachen, wobei – in Abweichung von der in der Präambel des HGÜ gewählten Formulierung – besonders hervorgehoben wird, dass die effektive Anerkennung und Vollstre-
235
Linhart, Internationales Einheitsrecht, S. 36; Meyer-Sparenberg, Staatsvertragliche Kollisionsnormen, S. 109 f. 236 Villiger, Vienna Convention, Art. 31 Rn. 14. 237 Dörr, in: Dörr/Schmalenbach, VCLT, Art. 31 Rn. 55; Heintschel von Heinegg, in: Ipsen, Völkerrecht, § 14 Rn. 15; Buffard/Zemanek, Austrian Rev. Int'l & Eur. L. 3 (1998), 311 (332); Schoch, Ausnahmetatbestände HKÜ, S. 53; Schollendorf, Auslegung völkerrechtlicher Verträge, S. 52; speziell zur Rolle der Präambel zur Ermittlung von Ziel und Zweck eines Übereinkommens: Klabbers, in: Bowman/Kritsiotis, S. 172 (184). 238 So etwa Linhart, Internationales Einheitsrecht, S. 37. 239 Schoch, Ausnahmetatbestände HKÜ, S. 53. 240 Vgl. auch: Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 12 ff.
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Kapitel 2: Auslegung
ckung von Urteilen erleichtert werden soll (dritter Absatz). Das Übereinkommen soll zudem für mehr Vorhersehbarkeit und Rechtssicherheit sorgen (vierter Absatz). Das HAVÜ verfolgt daneben – zumindest in einzelnen Vorschriften – weitere Ziele und Zwecke. Beispielsweise sollen auch staatliche Interessen (vgl. Art. 7 Abs. 1 lit. c241 und lit. a ii)242 HAVÜ) sowie Verfahrensrechte des Beklagten (vgl. Art. 7 Abs. 1 lit. a i), lit. c HAVÜ)243 geschützt werden. Die teleologische Auslegung erfordert eine Auslegung der Begriffe und Vorschriften des Übereinkommens, die mit den Zwecken im Einklang steht und diese nicht konterkariert (z.B. durch eine weite Auslegung der Versagungsgründe244). Neben den angesprochenen „Sachzwecken“ ist stets auch der „Vereinheitlichungszweck“ des Übereinkommens zu beachten.245 Aus letzterem folgt insbesondere der Grundsatz der autonomen Auslegung.246 IV. Ergänzende Auslegungsmittel Nach Maßgabe des Art. 32 WVK, der keine abschließende Auflistung ergänzender Auslegungsmittel enthält,247 kann insbesondere die Entstehungsgeschichte des Übereinkommens herangezogen werden. Außer zur Bestätigung eines nach Maßgabe des Art. 31 WVK gefundenen Auslegungsergebnisses kommen ergänzende Auslegungsmittel nach Art. 32 WVK zum Tragen, sofern die Auslegung nach Art. 31 WVK die Bedeutung mehrdeutig oder dunkel lässt oder zu einem offensichtlich sinnwidrigen oder unvernünftigen Ergebnis führt. Häufig sind diese Voraussetzungen jedoch gegeben.248 Voraussetzung für eine Berücksichtigung als ergänzendes Auslegungsmittel ist nach verbreiteter Auffassung, dass die entsprechenden Materialien öffentlich zugänglich sind.249 Die Haager Konferenz veröffentlicht regelmäßig umfangreiche Materialien aus dem Entstehungsprozess eines Übereinkommens in den Actes et Documents. Diese enthalten neben vorbereitenden Dokumenten auch die Verhandlungsprotokolle („Minutes“ bzw. „Procès241 Besonders deutlich zeigt dies die Klarstellung im Wortlaut, dass auch Beeinträchtigungen der staatlichen Souveränität oder Sicherheit des angerufenen Staates die Anwendung des ordre public rechtfertigen können. 242 Vgl. Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 252 f. 243 Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 250, 261. 244 Ähnlich für das HGÜ Beaumont, Recueil des Cours, Bd. 340, S. 9 (26). 245 Vgl. Riesenhuber, AcP 218 (2018), 693 (702). 246 Siehe Kapitel 2 C. (S. 84). 247 In Art. 32 WVK wird oftmals auch eine Heranziehung „rationaler Auslegungsmittel“ (z.B. Analogieschluss, Umkehrschluss oder lex specialis-Grundsatz) verortet, vgl. Villiger, Vienna Convention, Art. 32 Rn. 5. 248 Siehe dazu bereits Kapitel 2 B.II.2.c) (S. 64). 249 Vgl. Fothergill v Monarch Airlines Ltd [1981] AC 251 (Vereinigtes Königreich); Gruber, Methoden des internationalen Einheitsrechts, S. 181.
B. Auslegungsmethoden
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verbal“). Ob entsprechende Materialien auslegungsrelevante Rückschlüsse zulassen, ist eine Frage des Einzelfalls.250 Man sollte jedenfalls nicht vorschnell etwa den Äußerungen einzelner Delegationen im Rahmen der Verhandlungen maßgebende Bedeutung zumessen.251 Zudem ist zu beachten, dass die Verhandlungsprotokolle Zusammenfassungen der von den Delegierten gemachten Wortbeiträge darstellen und keine wörtliche Wiedergabe des Gesagten.252 Von herausragender Bedeutung ist jedoch der Explanatory Report zum HAVÜ.253 Im Einzelfall kann auch die Explanatory Note254 des Ständigen Büros zum vorläufigen Entwurfstexts der Arbeitsgruppe wichtige Hinweise auf die Hintergründe einzelner Vorschriften geben. Von praktischer Relevanz für die Auslegung des HAVÜ können auch ältere Materialen aus früheren Stadien des Judgments Project sein.255 Zum Teil haben grundlegende Begriffsverständnisse und einzelne Regelungen256 ihre Ursprünge in früheren Phasen der Verhandlungen. Dies nachzuvollziehen erleichtert der von Peter Nygh und Fausto Pocar verfasste Bericht257 zum Konventionsentwurf 1999.258 Dessen Relevanz wird auch anhand der großen Anzahl an Bezugnahmen im Rahmen des Explanatory Reports zum HAVÜ deutlich.259 Bei alledem sollte aber nicht außer Acht gelassen werden, dass zwischen der Verabschiedung des HAVÜ und dem Konventionsentwurf 1999 zwanzig Jahre vergangen sind,260 der Konventionsentwurf 1999 konzeptionell auf einen völlig
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Villiger, Vienna Convention, Art. 32 Rn. 6. Gruber, Methoden des internationalen Einheitsrechts, S. 179 f.; Kropholler, Internationales Einheitsrecht, S. 275; Meyer-Sparenberg, Staatsvertragliche Kollisionsnormen, S. 115; vgl. auch Aust, Treaty Law, S. 218 f.; Le Bouthillier, in: Corten/Klein, The Vienna Conventions, Art. 32 Convention of 1969 Rn. 33 ff. 252 Aus diesem Grund zur Vorsicht mahnend Brand/Herrup, The 2005 Hague Choice of Court Convention, S. 30 (zum HGÜ). 253 Siehe dazu bereits Kapitel 2 B.II.2. (S. 56). 254 Ständiges Büro der Haager Konferenz, Explanatory Note, PrelDoc No 2 of April 2016. 255 Zur Geschichte des Judgments Project siehe Kapitel 1 C.–H. (S. 20). 256 So sind etwa eine Reihe von Vorschriften des HAVÜ seit dem Konventionsentwurf 1999 im Wesentlichen unverändert beibehalten worden, siehe z.B. Art. 30 Konventionsentwurf 1999 (Art. 13 Abs. 1 HAVÜ); Art. 34 Konventionsentwurf 1999 (Art. 9 HAVÜ) sowie Art. 1 Abs. 2 lit. a–e Konventionsentwurf 1999 (Art. 2 Abs. 1 lit. a–e HAVÜ). 257 Nygh/Pocar, Report. 258 Ähnlich für die Auslegung des HGÜ: Brand/Herrup, The 2005 Hague Choice of Court Convention, S. 32. 259 Es finden sich knapp 25 Bezugnahmen im Explanatory Report zum HAVÜ. 260 Vgl. Garcimartín/Saumier, Judgments Convention: Revised Draft Explanatory Report, PrelDoc No 1 of December 2018, Rn. 213 Fn. 138 (Erläuterung der vom Nygh/PocarReport vorgenommenen Differenzierung zwischen Widerklage und Aufrechnung mit dem Hinweis, dass sich die Ansichten dazu seit 2001 weiterentwickelt haben könnten). 251
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anderen Typ von Übereinkommen zielte261 und viele Regelungen des Konventionsentwurfs 1999 stark umstritten waren.262 V. Relevanz der Rechtsvergleichung Häufig wird im Rahmen von Erläuterungen zu den auf Haager Übereinkommen oder sonstige international-einheitsrechtliche Texte anwendbaren Auslegungsmethoden auch die rechtsvergleichende Auslegung genannt.263 Die Art. 31–33 WVK enthalten keine Regelung zur rechtsvergleichenden Auslegung.264 Dies schließt es jedoch nicht aus, die Rechtsvergleichung im Wege der Auslegung heranzuziehen, da die Art. 31–33 WVK nicht abschließend konzipiert sind265 und zudem eine Beachtung im Rahmen der normierten Auslegungsmethoden266 nicht von vorneherein ausgeschlossen erscheint. Grundsätzlich sind die Regelungen und Begriffsverständnisse nationaler Rechtsordnungen für die Auslegung des Übereinkommens irrelevant.267 Wenn also beispielsweise der Begriff der Zivil- oder Handelssache (Art. 1 Abs. 1 HAVÜ) auszulegen ist, dann muss dies ohne Rückgriff auf nationale Vorschriften und Begriffsverständnisse erfolgen. Nicht veranlasst wäre ein Ansatz, der den gemeinsamen Nenner der Vertragsstaaten zu ermitteln sucht und unter den Begriff nur subsumieren will, was nach dem Recht aller Vertragsstaaten als zivil- oder handelsrechtlich zu qualifizieren wäre.268 Ebenso ist es für die Auslegung des Übereinkommens nicht entscheidend, wenn die Mehrzahl der Staaten in ihren nationalen Rechtsordnungen einem bestimmten Ansatz folgt oder ein bestimmtes Begriffsverständnis zugrunde legt,269 sofern sich daraus nicht im Einzelfall eine gewöhnliche Bedeutung im Sinne des Art. 31 Abs. 1 WVK begründen lässt. Einem solchen Ansatz stünden in einem potenziell weltweiten 261 Entsprechende Vorbehalte formulieren für die Auslegung des HGÜ: Brand/Herrup, The 2005 Hague Choice of Court Convention, S. 32. Zur Konzeption des Konventionsentwurfs 1999 siehe Kapitel 1 D. (S. 24). 262 Siehe Kapitel 1 D. (S. 24) und E. (S. 27). 263 Vgl. z.B. Gruber, Methoden des internationalen Einheitsrechts, S. 188 ff.; Köhler, Die Haftung nach UN-Kaufrecht, S. 41 ff.; Kötz, FS BGH, S. 825 (826 ff.); Kropholler, Internationales Einheitsrecht, S. 278 ff.; Meyer-Sparenberg, Staatsvertragliche Kollisionsnormen, S. 110 ff.; Moebus, Das Haager Übereinkommen von 2005, S. 17; Schoch, Ausnahmetatbestände HKÜ, S. 55 f.; Wanner-Laufer, Art. 3 Haager Minderjährigenschutzabkommen, S. 15. 264 Meyer-Sparenberg, Staatsvertragliche Kollisionsnormen, S. 110. 265 Sinclair, The Vienna Convention, S. 153; siehe auch Basedow, Unif. L. Rev. 2006, 731 (744). 266 So z.B. Gruber, Methoden des internationalen Einheitsrechts, S. 189. 267 Siehe zum Grundsatz der autonomen Auslegung Kapitel 2 C. (S. 84). 268 Siehe Kapitel 4 A.I. (S. 121). 269 Vgl. Linhart, Internationales Einheitsrecht, S. 38; Riesenhuber, AcP 218 (2018), 693 (697 f.).
B. Auslegungsmethoden
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Übereinkommen auch kaum überwindbare praktische Schwierigkeiten entgegen. Der Rechtsvergleichung kommt jedoch zunächst eine wichtige Inspirationsfunktion zu.270 Eine „rechtsvergleichende Umschau“ kann dem Rechtsanwender helfen, überhaupt zu erkennen, welche Möglichkeiten des Begriffsverständnisses oder Auslegungsergebnisse möglich sind und so auch der Neigung zur Heranziehung der Lösungen der eigenen Rechtsordnung („Trend heimwärts“) vorbeugen.271 Kadner Graziano hat diese Funktion der Rechtsvergleichung für die Auslegung auf den Punkt gebracht: „Rechtsvergleichung weitet so den juristischen Horizont und vervollständigt das Spektrum möglicher Auslegungen und Lösungen, die dem Gericht zur Bewältigung des jeweiligen Problems zur Verfügung stehen.“272 Insoweit ist der Blick in nationale Rechtsordnungen ebenso zulässig wie in andere völkerrechtliche Verträge, europäisches Recht und soft law-Instrumente.273 Eine Rolle kann der Rechtsvergleichung ferner zukommen, soweit das HAVÜ nationale Rechtsinstitute übernommen hat oder Regelungen des HAVÜ durch nationale Konzepte inspiriert wurden. Als Grundlage für eine Berücksichtigung des nationalen Rechts dient in diesen Fällen die historische Auslegung.274 So ist beispielsweise die in Art. 5 Abs. 1 lit. g HAVÜ formulierte Einschränkung des indirekten Erfüllungsortgerichtsstands für vertragliche Streitigkeiten („unless the activities of the defendant in relation to the transaction clearly did not constitute a purposeful and substantial connection to that State“)275 vor allem aufgenommen worden, um verfassungsrechtlichen Anforderungen in den USA gerecht zu werden.276 Für den Begriff der zweckgerichteten und wesentlichen Verbindung („purposeful and substantial connection“)
270 Riesenhuber, AcP 218 (2018), 693 (697); Unberath/Stadler, in: Andenas/Fairgrieve, S. 581 (587 ff.); siehe auch Kadner Graziano, RIW 2014, 473 (482), der von „Informationsfunktion“ spricht. Für die Auslegung von Art. 7 Abs. 1 lit. c HAVÜ wird vorgeschlagen, den ordre public-Vorbehalt des Art. V Abs. 2 lit. b UNÜ als Inspirationsquelle heranzuziehen, vgl. Spitz, YbPIL 21 (2019/20), 333. 271 Riesenhuber, AcP 218 (2018), 693 (697). 272 Kadner Graziano, in: Blaurock/Maultzsch, Einheitliches Kaufrecht und Vereinheitlichung der Rechtsanwendung, S. 13 (28). 273 Zur Frage der konventionsübergreifenden Auslegung siehe Kapitel 2 B.II.3. (S. 67). 274 Ähnlich: Riesenhuber, AcP 218 (2018), 693 (700 f.) („Aspekt der historischen Auslegung“); Gruber, Methoden des internationalen Einheitsrechts, S. 189 (Begründung der rechtsvergleichenden Auslegung mit historisch-genetischen Erwägungen); Kadner Graziano, RIW 2014, 473 (482) („Ergänzung der historischen Auslegung“). 275 Siehe dazu Kapitel 5 B.V.3.a)bb) (S. 227). 276 Wagner, IPRax 2016, 97 (101); vgl. auch Bonomi, YbPIL 17 (2015/16), 1 (20 f.); De Miguel Asensio/Cuniberti/Franzina/Heinze/Requejo Isidro, Judgments Convention Study, S. 34.
80
Kapitel 2: Auslegung
hat neben dem US-amerikanischen277 auch das kanadische Recht („real and substantial connection“278) Vorbild gestanden.279 Die Regelung stellt folglich einen Kompromiss dar und nicht die umfassende Übernahme eines nationalen Begriffsverständnisses.280 Das kanadische und das US-amerikanische Recht können jedoch aufgrund der Entstehungsgeschichte des Art. 5 Abs. 1 lit. g HAVÜ Hilfestellungen und Impulse für die Auslegung bieten. Die Vorschrift ist allerdings stets auch in ihrem spezifischen Regelungskontext zu sehen. Im Übrigen ist für die Auslegung des Übereinkommens vor dem Hintergrund von Art. 20 HAVÜ281 eine Berücksichtigung ausländischer Literatur und Rechtsprechung zum Übereinkommen (nicht jedoch zum jeweiligen nationalen Recht) geboten.282 Die Berücksichtigung kann dazu beitragen, eine einheitliche Auslegung in allen Vertragsstaaten zu fördern.283 Eine Bindung an ausländische Gerichtsentscheidungen besteht jedoch nicht.284 277 Vgl. z.B. Asahi Metal Industry Co. v Superior Court, 480 U.S. 102, 112 (1987) („action of the defendant purposefully directed toward the forum State“). 278 Beals v Saldanha [2003] 3 SCR 416. 279 Vgl. Brand/Mariottini, Note on the concept of “Purposeful and Substantial Connection”, PrelDoc No 6 of September 2017, Rn. 28; Bonomi/Mariottini, YbPIL 20 (2018/19), 537 (556); Kessedjian, NIPR 2020, 19 (30); Stein, IPRax 2020, 197 (201). 280 Brand/Mariottini, Note on the concept of “Purposeful and Substantial Connection”, PrelDoc No 6 of September 2017, Rn. 2 („[…] while the term ‘purposeful and substantial connection’ was partially borrowed from the case-law of the US Supreme Court, it was nevertheless the result of a compromise and has no specific history in any one country.“); vgl. auch Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 188 („This clause has no counterpart in other instruments or national laws, although it reflects concerns in some systems about the fairness afforded to non-resident defendants or to their due process rights.“). 281 In Art. 38 Abs. 2 Konventionsentwurf 1999 war dies noch ausdrücklich im Text vorgesehen: „The courts of each Contracting State shall, when applying and interpreting the Convention, take due account of the case law of other Contracting States.“ 282 Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 352; Ribeiro‑Bidaoui, Neth. Int'l L. Rev. 2020, 139 (148 f.); Brand/Herrup, The 2005 Hague Choice of Court Convention, S. 28 (zum HGÜ); entsprechend wird eine Pflicht zur Berücksichtigung ausländischer Rechtsprechung und Literatur im Rahmen des CISG auf Art. 7 Abs. 1 CISG gestützt, Magnus, in: Janssen/Meyer, CISG Methodology, S. 33 (41). Zur eher zögerlichen, aber zunehmenden Berücksichtigung ausländischer Rechtsprechung durch deutsche Gerichte bei der Auslegung multilateraler Übereinkommen siehe Unberath/Stadler, in: Andenas/Fairgrieve, S. 581 (583 ff.). 283 BGH 2.5.1990 – XII ZB 63/89, BGHZ 111, 199 (209) = NJW 1990, 3073 (3075); Kötz, FS BGH, S. 825 (827); Kropholler, Internationales Einheitsrecht, S. 280. 284 Brand, Neth. Int'l L. Rev. 2020, 3 (15); Ribeiro‑Bidaoui, Neth. Int'l L. Rev. 2020, 139 (149); Stewart, Amer. J. Int'l. L. 113 (2019), 772 (779); Brand/Herrup, The 2005 Hague Choice of Court Convention, S. 28 (zum HGÜ); vgl. allgemein auch Gruber, Methoden des internationalen Einheitsrechts, S. 343; Kropholler, Internationales Einheitsrecht, S. 280 f.; Meyer-Sparenberg, Staatsvertragliche Kollisionsnormen, S. 111; Schoch, Ausnahmetatbestände HKÜ, S. 56; für das CISG: Magnus, in: Janssen/Meyer, CISG Methodology, S. 33 (42).
B. Auslegungsmethoden
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Ob man bei der Berücksichtigung ausländischer Literatur und Rechtsprechung zum Übereinkommen von einer rechtsvergleichenden Auslegung sprechen sollte,285 erscheint zweifelhaft, da gerade nicht verschiedene Rechtsordnungen verglichen werden, sondern die Auslegung des Übereinkommens in anderen Jurisdiktionen in Betracht gezogen wird.286 Man könnte von einem „Auslegungs- oder Anwendungsvergleich“ sprechen.287 Soweit eine einheitliche Praxis ausländischer Gerichte Ausdruck einer Übereinstimmung der Vertragsparteien über die Auslegung des Übereinkommens ist, muss diese Rechtsprechung auch gemäß Art. 31 Abs. 3 lit. b WVK zur Auslegung herangezogen werden.288 Es ist zu erwarten, dass das Ständige Büro der Haager Konferenz im Fall des Inkrafttretens des Übereinkommens auf vielfältige Weise dazu beitragen wird, die Berücksichtigung ausländischer Literatur und Rechtsprechung zu erleichtern. Zu denken ist etwa an Handbücher, Urteilsdatenbanken,289 Newsletter, Bibliografien290 sowie verschiedene Foren zum Erfahrungs- und Meinungsaustausch wie etwa Richterseminare oder Spezialkommissionen.291 Art. 21 HAVÜ schreibt zudem vor, dass seitens des Generalsekretärs der Haager Konferenz – gerade auch mit Blick auf das Ziel der einheitlichen Auslegung292 – regelmäßig Vorkehrungen für die Prüfung der praktischen Durchführung des HAVÜ zu treffen sind. Das HAVÜ verpflichtet die Vertragsstaaten jedoch nicht zur Weiterleitung relevanter Gerichtsentscheidungen an das Ständige Büro oder zu ähnlichen Formen des Informationsaustauschs.293
285
So etwa Kropholler, Internationales Einheitsrecht, S. 281. Vgl. Kadner Graziano, in: Blaurock/Maultzsch, Einheitliches Kaufrecht und Vereinheitlichung der Rechtsanwendung, S. 13 (14); Schoch, Ausnahmetatbestände HKÜ, S. 56. 287 So Kadner Graziano, in: Blaurock/Maultzsch, Einheitliches Kaufrecht und Vereinheitlichung der Rechtsanwendung, S. 13 (14); ähnlich: Schoch, Ausnahmetatbestände HKÜ, S. 56 („Rechtsanwendungsvergleich“). 288 Office of the Children’s Lawyer v Balev 2018 SCC 16, Rn. 33 (Kanada); Basedow, FS BGH, S. 777 (790); Weiner, Columbia Human Rights Law Review 33 (2002), 275 (298). 289 Eine solche Datenbank existiert beispielsweise zum HKÜ, abrufbar unter . 290 Bereits heute existieren Bibliografien zum HAVÜ (abrufbar unter ) und zum Judgments Project (abrufbar unter ). 291 Für einen Überblick über die konventionsbegleitenden Maßnahmen der Haager Konferenz: Ribeiro‑Bidaoui, Neth. Int'l L. Rev. 2020, 139 (150 ff.); Linhart, Internationales Einheitsrecht, S. 159 ff.; Schoch, Ausnahmetatbestände HKÜ, S. 363 ff.; siehe auch: Beaumont/McEleavy, The Hague Convention on International Child Abduction, S. 239 f. 292 Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 353. 293 Eine solche Verpflichtung wurde in früheren Phasen des Judgments Project vorgeschlagen, vgl. Art. 39 Abs. 1 Konventionsentwurf 1999 sowie Nygh/Pocar, Report, Rn. 390. 286
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Kapitel 2: Auslegung
VI. Rechtsfortbildung zur Lückenfüllung? Anders als etwa das CISG,294 sieht das vorliegende Übereinkommen keine Vorschrift zur Lückenfüllung vor.295 Es stellt sich daher die Frage, ob und wie etwaige Regelungslücken zu schließen sind. Die Grenzen zur Auslegung können dabei fließend sein.296 Nach der hier vertretenen Auffassung ist hinsichtlich der Annahme einer planwidrigen Regelungslücke297 im Rahmen des Übereinkommens äußerste Vorsicht geboten. Denn das Übereinkommen beabsichtigt auch im Rahmen seines Anwendungsbereichs nicht, die Rechtsbeziehung bzw. einzelne Aspekte der Rechtsbeziehung zwischen Parteien abschließend zu regeln. Vielmehr soll lediglich ein Mindeststandard der Anerkennung und Vollstreckung vertragsstaatlicher Entscheidungen geschaffen werden.298 Dass eine Anerkennung etwa mangels einschlägigem indirektem Zuständigkeitsgrund ausscheidet, wird in aller Regel keine ungewollte Regelungslücke begründen. Art. 15 HAVÜ erlaubt in diesen Fällen die Anwendung nationalen Anerkennungsrechts. Das Übereinkommen ist bewusst fragmentarisch. Zum Beispiel begründet Art. 5 Abs. 1 lit. j HAVÜ einen indirekten Zuständigkeitsgrund, wenn die Entscheidung über einen nichtvertraglichen Anspruch wegen Verletzung des Lebens, der Gesundheit oder Sachschäden ergangen ist und das unmittelbar schadensbegründende Verhalten im Ursprungsstaat erfolgt ist.299 Eine Ausdehnung der Liste der genannten Rechtsgüter per Analogie (z.B. auf Mitgliedschaftsrechte) dürfte auch dann ausscheiden, wenn eine vergleichbare Interessenlage angenommen werden könnte und sich nachweisen ließe, dass die Verhandlungsparteien an diesen Fall nicht gedacht haben. Zwar stünde eine Anerkennung der Entscheidung in einem solchen Fall (analoge Anwendung des Art. 5 Abs. 1 lit. j HAVÜ bei Verletzung eines sonstigen Rechtsguts) nicht im Konflikt mit dem Übereinkommen,300 wäre durch das Übereinkommen aber auch nicht geboten. Abgesehen von denkbaren Problemen für die Einheitlichkeit der Anwendung,301 spricht für eine äußerste Zurückhaltung bei der Begründung von zusätzlichen Pflichten der Vertragsstaaten zur Urteilsan-
294
Vgl. Art. 7 Abs. 2 CISG. Jang, Neth. Int'l L. Rev. 2020, 97 (104). 296 Vgl. Gruber, Methoden des internationalen Einheitsrechts, S. 275; Kropholler, Internationales Einheitsrecht, S. 292; Meyer-Sparenberg, Staatsvertragliche Kollisionsnormen, S. 121. 297 Zum Begriff: Gruber, Methoden des internationalen Einheitsrechts, S. 280 ff. 298 Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 326. 299 Siehe Kapitel 5 B.V.3.d) (S. 232). 300 Denn das Übereinkommen will – abgesehen von Art. 6 HAVÜ – eine Anerkennung nicht verbieten, vgl. Art. 15 HAVÜ. 301 Daher generell Vorsicht bei der Rechtsfortbildung fordernd: Looschelders, in: Staudinger, Einl. zum IPR Rn. 613. 295
B. Auslegungsmethoden
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erkennung mittels richterlicher Rechtsfortbildung die staatliche Souveränität.302 In der Sache würde es sich bei einer analogen Anwendung des Art. 5 Abs. 1 lit. j HAVÜ auf die Verletzung von sonstigen Rechten daher um eine bloß nationale, überobligatorische Anerkennung handeln, die unter Art. 15 HAVÜ fällt. Sie wäre nicht anders einzuordnen als ein nationaler Umsetzungsakt, der über die Verpflichtungen des Übereinkommens hinaus die Liste der indirekten Zuständigkeitsgründe erweitern würde. Unzulässig dürfte es grundsätzlich sein, die Liste der Versagungsgründe per Analogie zu erweitern, wozu jedoch aufgrund der potenziellen Rechtweite des ordre public-Vorbehalts in der Regel auch wenig Anlass bestehen wird. Ebenso problematisch wäre eine Einschränkung des Anwendungsbereichs durch eine teleologische Reduktion oder durch analoge Anwendung der Ausnahmetatbestände in Art. 2 HAVÜ. Gleichwohl gibt es auch innerhalb der im vorliegenden Übereinkommen geregelten Komplexe ausnahmsweise ungeregelte Einzelfragen, für die Lösungen gefunden werden müssen. So findet beispielsweise die Frage der Rechtsnachfolge (z.B. in die Position des Vollstreckungsschuldners im Rahmen von Art. 5 Abs. 1 lit. a HAVÜ) im Übereinkommen keine Erwähnung. Insoweit gibt aber der Explanatory Report vor, wie die Lücke zu schließen ist.303 Sofern sich eine Antwort auf eine echte, ergänzungsbedürftige interne Regelungslücke nicht dem Explanatory Report entnehmen lässt, spricht schon Art. 20 HAVÜ dafür, ähnlich dem Ansatz des Art. 7 Abs. 2 CISG, primär eine Lösung innerhalb des Übereinkommens zu suchen.304 Denn ein Rückgriff auf nationales Recht gefährdet die Einheitlichkeit der Anwendung.305 Voraussetzung ist aber stets, dass bei der gebotenen restriktiven Sichtweise tatsächlich eine ergänzungsbedürftige Regelungslücke festgestellt werden kann. VII. Souveränitätsfreundliche, restriktive Auslegung? Aus dem Umstand, dass hinsichtlich einer Rechtsfortbildung innerhalb des Übereinkommens nach hier vertretener Auffassung Zurückhaltung geboten ist, sollte jedoch nicht der Schluss gezogen werden, dass das Übereinkommen generell restriktiv auszulegen ist. Eine besondere Auslegungsregel in dem Sinne, 302
In der Literatur wird oftmals darauf hingewiesen, dass Souveränitätserwägungen im internationalen Einheitsrecht eine untergeordnete Rolle spielen und daher der Rechtsfortbildung nicht entgegenstehen (vgl. z.B. Kropholler, Internationales Einheitsrecht, S. 295). Dies vermag jedenfalls für das vorliegende Übereinkommen nicht vollends zu überzeugen, da sich im Text zeigt, wie stark das Übereinkommens auch von staatlichen Interessen geprägt ist (siehe Kapitel 2 A.II.2. (S. 48)). 303 Siehe dazu Kapitel 5 B.VIII. (S. 260). Ob es sich dabei noch um Auslegung handelt oder schon um Lückenfüllung, ist unklar. 304 Eine Analogie oder ähnliche Figur kann dann unter Umständen auf Art. 32 WVK gestützt werden, vgl. Villiger, Vienna Convention, Art. 32 Rn. 5. 305 Vgl. Gruber, Methoden des internationalen Einheitsrechts, S. 279 f.
84
Kapitel 2: Auslegung
dass im Zweifel gegen eine Verpflichtung zur Anerkennung oder Vollstreckung zu entscheiden sei, damit größtmögliche Rücksicht auf die staatliche Souveränität der beteiligten Staaten genommen würde (in dubio mitius), ist nicht begründet.306 Eine solche Maxime der restriktiven Auslegung findet sich nicht in der WVK und es ist auch nicht erkennbar, dass sie generell, das heißt unabhängig von den Charakteristika und Zwecken des konkreten Übereinkommens, im Völkerrecht anerkannt wäre.307
C. Grundsatz der autonomen Auslegung Die Frage, ob und inwiefern das Übereinkommen autonom auszulegen ist, wird teilweise als „Vorfrage der Auslegung“ bezeichnet.308 Man kann sich die Auslegung von Begriffen des Übereinkommens als einen zweistufigen Prozess vorstellen.309 In einem ersten Schritt (der „Vorfrage“) ist zu klären, ob die Bedeutung eines Begriffs autonom zu ermitteln ist oder ob auf Begriffsvorstellungen oder Normen des nationalen Rechts zurückzugreifen ist. Die Klärung dieser Frage muss selbst nach autonomen Maßstäben, also ohne Rückgriff auf nationales Recht, erfolgen. In einem zweiten Schritt ist der Begriff dann nach den entsprechenden Maßstäben mit Bedeutung zu füllen. Spricht das Übereinkommen etwa von unbeweglichen Sachen („immovable property“),310 ist in einem ersten Schritt autonom zu klären, ob das Übereinkommen dem Begriff eine autonome Bedeutung gibt oder aber beispielsweise die Einordnung nach dem 306
Auch die Ausführungen des Explanatory Reports zur Anwendung von Art. 6 HAVÜ im Verhältnis zu Nichtvertragsstaaten (Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 241) sind nicht in diesem Sinne zu verstehen. Denn das Argument ist gerade nicht, dass die Staaten im Zweifel ihre Souveränität nicht einschränken wollten. Es wird vielmehr zum Ausdruck gebracht, dass es fernliege, dass die Vertragsstaaten ohne Gegenleistung („voluntarily“) die Interessen von Nichtvertragsstaaten schützen wollten. Siehe Kapitel 5 B.VII.3.b) (S. 252). 307 Dörr, in: Dörr/Schmalenbach, VCLT, Art. 31 Rn. 33; Happ, RIW 1997, 376 (378); Meyer-Sparenberg, Staatsvertragliche Kollisionsnormen, S. 117 f.; Rauber, ZaöRV 2015, 259 (283 f.); siehe auch: IGH 13.7.2009, ICJ-Reports 2009, 213 (237) – Dispute Regarding Navigational and Related Rights (Costa Rica v Nicaragua): „While it is certainly true that limitations of the sovereignty of a State over its territory are not to be presumed, this does not mean that treaty provisions establishing such limitations [...] should for this reason be interpreted a priori in a restrictive way. A treaty provision which has the purpose of limiting the sovereign powers of a State must be interpreted like any other provision of a treaty, i.e. in accordance with the intentions of its authors as reflected by the text of the treaty and the other relevant factors in terms of interpretation“. 308 Riesenhuber, AcP 218 (2018), 693 (696). 309 Vgl. Scholz, Das Problem der autonomen Auslegung des EuGVÜ, S. 44; Gebauer, Unif. L. Rev. 5 (2000), 683 (687). 310 Vgl. Art. 5 Abs. 1 lit. h und i, Art. 5 Abs. 3 sowie Art. 6 HAVÜ.
C. Grundsatz der autonomen Auslegung
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Recht des ersuchten Staates oder des Belegenheitsorts maßgeblich ist.311 Gelangt man zu der Erkenntnis, dass das Übereinkommen – wie regelmäßig – einen autonomen Begriff verwendet, so ist der Begriff unter Heranziehung der oben erörterten Methoden auszulegen. Auch die Beantwortung der ersten Frage, ob eine autonome Begriffsbedeutung zugrunde zu legen ist, muss jedoch unter Rückgriff auf die völkerrechtlichen Auslegungsmethoden erfolgen. Insofern kann die Bezeichnung als „Vorfrage der Auslegung“ zu dem Missverständnis führen, dass deren Beantwortung ohne „Auslegung“ möglich sei. Ein autonomes Begriffsverständnis ist unter dem Übereinkommen der Regelfall, der Rückgriff auf nationales Recht die Ausnahme, welche einer besonderen Rechtfertigung bedarf. Das Übereinkommen selbst verwendet den Begriff der autonomen Auslegung nicht und spricht stattdessen in der Überschrift von Art. 20 HAVÜ von einheitlicher Auslegung („Uniform interpretation“ bzw. „Interprétation uniforme“). Als autonom lässt sich die vom Übereinkommen geforderte Auslegung insoweit bezeichnen, als der im jeweiligen nationalen Recht geltende Wortsinn grundsätzlich nicht maßgeblich für das Begriffsverständnis ist.312 Dies ist in Art. 20 HAVÜ angelegt. Denn bei Rückgriff auf nationale Begriffsverständnisse und Prinzipien wäre das Ziel der Einheitlichkeit nicht zu erreichen.313 Wenn Art. 1 Abs. 1 HAVÜ also beispielsweise den Anwendungsbereich auf Entscheidungen in Zivil- oder Handelssachen begrenzt, darf ein deutscher Richter nicht einfach die nach deutschem Recht übliche Definition der Zivil- und Handelssachen und die entsprechende Abgrenzung zum öffentlichen Recht zugrunde legen. Dasselbe gilt, um weitere Beispiele zu nennen, für die Begriffe „contractual obligation“ (Art. 5 Abs. 1 lit. g HAVÜ) und „non-contractual obligation“ (Art. 5 Abs. 1 lit. j HAVÜ) oder den Begriff des Gerichts, der unter anderem in der Definition der Entscheidung verwendet wird (Art. 3 Abs. 1 lit. b HAVÜ). Zur Gewährleistung einer einheitlichen Auslegung sind diese Begriffe vielmehr autonom, also ohne Rückgriff auf ein nationales Begriffsverständnis, zu bestimmen.314 Dies schließt jedoch nicht aus, dass die autonome Auslegung im Einzelfall zu einem Begriffsverständnis führt, das dem einer bestimmten nationalen Rechtsordnung entspricht.315 Der entsprechende Begriff ist dann aber nicht deshalb in einer bestimmten Weise zu verstehen, weil das HAVÜ einen Begriff
311
Siehe dazu Kapitel 5 B.V.3.g)cc) (S. 239). Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 393 Fn. 263 („not depending on the law of any state“); vgl. auch Gruber, Methoden des internationalen Einheitsrechts, S. 85. 313 Vgl. zum Zusammenhang von einheitlicher und autonomer Auslegung Martiny, RabelsZ 45 (1981), 427 (436). 314 Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 32 (Zivil- oder Handelssache), Rn. 102 (Gericht), Rn. 195 (vertragliche und nichtvertragliche Ansprüche). 315 Gruber, Methoden des internationalen Einheitsrechts, S. 85. 312
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Kapitel 2: Auslegung
verwendet, der in der juristischen Fachterminologie eines Staates in einer bestimmten Weise verstanden wird, sondern weil ein von nationalen Begriffsverständnissen losgelöster, autonomer Auslegungsvorgang zu dem Ergebnis führt, dass der Begriff in diesem Sinne zu verstehen ist.316 Auf der Grundlage von Art. 20 HAVÜ und den Zielen des Übereinkommens lässt sich eine Vermutung für eine autonome Begriffsbestimmung ableiten. Die autonome Auslegung (auf der „ersten Stufe“) kann aber ausnahmsweise auch ergeben, dass für bestimmte Fragen oder Voraussetzungen auf nationale Begriffsverständnisse oder nationales Recht zurückzugreifen ist. Teilweise nimmt das Übereinkommen auch ausdrücklich auf nationales Recht Bezug. Dies steht nicht im Widerspruch zum Grundsatz der autonomen Auslegung, ist es doch gerade diese autonome Auslegung, die zur Erkenntnis führt, dass das Übereinkommen auf nationales Recht verweist.317 Insbesondere sind Art und Umfang einer Verweisung oder Bezugnahme auf nationales Recht stets autonom zu bestimmen. Soweit jedoch nationales Recht im Rahmen des Übereinkommens relevant ist, gelten für die Auslegung dieses nationalen Rechts die jeweiligen nationalen Auslegungsmethoden und -regeln.318 In welchen Konstellationen das HAVÜ die Prüfung nationalen Recht erfordert, wird im Rahmen von Kapitel 8 näher untersucht.
316 Ähnlich im Rahmen des CISG: Köhler, Die Haftung nach UN-Kaufrecht, S. 18 (keine Ausnahme vom Grundsatz der autonomen Auslegung). 317 Vgl. Gruber, Methoden des internationalen Einheitsrechts, S. 86. 318 Vgl. Landbrecht, JPIL 2019, 339 (342) (für das HGÜ).
Kapitel 3
Wesentliche Charakteristika A. Rechtsnatur Das HAVÜ ist ein völkerrechtlicher Vertrag im Sinne von Art. 2 Abs. 1 lit. a WVK. Tritt das Übereinkommen in Kraft,1 bindet es die Vertragsparteien und ist von ihnen nach Treu und Glauben zu erfüllen (Art. 26 WVK). In der Anfangsphase der Fortsetzung des Judgments Project war zunächst erwogen worden, ob anstelle eines Übereinkommens ein nicht bindendes Instrument angestrebt werden sollte.2 Für ein solches wäre ein internationaler Konsens womöglich leichter zu erreichen gewesen als für ein bindendes Übereinkommen.3 In Betracht gekommen wäre beispielsweise ein Katalog von Prinzipien nach dem Vorbild der 2015 von der Haager Konferenz angenommenen Prinzipien über die Rechtswahl in internationalen kommerziellen Verträgen4 oder ein Modellübereinkommen wie schon 1925/28.5 Es bestand jedoch schnell Klarheit darüber, dass zunächst der Versuch unternommen werden sollte, ein bindendes völkerrechtliches Übereinkommen zu verhandeln.6 Dabei ist in den letzten Jahren ein Trend zu beobachten, bei der internationalen Harmonisierung des Zivil- und Zivilprozessrechts verstärkt auf nicht bindende Instrumente, wie Modellgesetze, Legislative Guides und Principles zu setzen.7 Organisationen wie UNCITRAL, UNIDROIT und zuletzt auch die Haager Konferenz erhoffen sich so, auf flexible Weise internationale Standards zu schaffen. Ein Vorteil wird häufig darin gesehen, dass der Prozess der Aus-
1
Das Inkrafttreten bestimmt sich nach Art. 28 HAVÜ. Vgl. Ständiges Büro der Haager Konferenz, Background Note (2012), Rn. 35 ff. 3 Ständiges Büro der Haager Konferenz, Background Note (2012), Rn. 37. 4 Prinzipien über die Rechtswahl in internationalen kommerziellen Verträgen vom 19. März 2015, abrufbar unter: . 5 Zum Modellübereinkommen 1925/28 siehe oben Kapitel 1 A. (S. 12). 6 Vgl. Ständiges Büro der Haager Konferenz, WorkDoc No 2 E of April 2012 unter 2; Wagner, IPRax 2016, 97 (98). 7 Basedow, RabelsZ 81 (2017), 1 (17); Jarass, Privates Einheitsrecht, S. 58 f.; Vogenauer, in: Vogenauer, PICC, Introduction Rn. 7 ff.; Gopalan, J.L. & Com. 23 (2004), 117 (151 ff.). 2
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Kapitel 3: Wesentliche Charakteristika
arbeitung weniger Schwierigkeiten bereitet und soft law keiner Ratifikation bedarf und daher mitunter sofort Wirkung entfalten kann.8 Eine Anpassung der Regeln an geänderte Umstände oder Bedürfnisse ist zudem in aller Regel einfacher möglich als bei völkerrechtlichen Verträgen.9 Des Weiteren können Modellgesetze oder Legislative Guides bei einer eventuellen Umsetzung im nationalen Recht flexibel an die jeweiligen Besonderheiten und Eigenheiten der Rechtsordnung angepasst werden.10 In einigen Bereichen haben soft law-Instrumente bereits äußerst erfolgreich zur Rechtsangleichung geführt.11 Nicht bindende Instrumente können zudem ein erster Schritt auf dem Weg zur Vereinheitlichung sein, an den sich später ein bindendes völkerrechtliches Instrument anschließt.12 Für den Bereich der grenzüberschreitenden Urteilsanerkennung lassen sich jedoch gegen eine Rechtsangleichung mittels nicht bindender Instrumente verschiedene Bedenken formulieren.13 Zunächst ist die vereinheitlichende Wirkung durch ein Übereinkommen größer.14 Es gelten einheitlich identische Vorschriften, einheitliche Auslegungsregeln15 und die Anwendung des Übereinkommens ist durch eine völkerrechtliche Verpflichtung „gesichert“. Durch ein bindendes Instrument kann ein höherer Grad an Vorhersehbarkeit und Rechtssicherheit erreicht werden.16 Zudem ist der Gedanke der Gegenseitigkeit – trotz aller Einwände17 und seiner tendenziell nachlassenden Bedeutung18 – im internationalen Zivilprozessrecht nach wie vor verbreitet. Verankert ist das Erfordernis der Gegenseitigkeit als Voraussetzung der Anerkennung und Vollstreckung zum Beispiel im deutschen,19 tschechischen,20 8
Jarass, Privates Einheitsrecht, S. 52 ff.; Gabriel, Brook. J. Int’l L. 34-3 (2009), 655 (664). 9 Vogenauer, in: Vogenauer, PICC, Introduction Rn. 8; Gopalan, J.L. & Com. 23 (2004), 117 (156); Jarass, Privates Einheitsrecht, S. 58. 10 Vogenauer, in: Vogenauer, PICC, Introduction Rn. 9–10. 11 Besonders erfolgreich ist z.B. das UNCITRAL Model Law on International Commercial Arbitration (1985), with amendments as adopted in 2006. 12 So sprechen z.B. die Haager Prinzipien über die Rechtswahl in internationalen kommerziellen Verträgen die Möglichkeit eines späteren bindenden Instruments explizit an (Introduction I.9). 13 Vgl. Ständiges Büro der Haager Konferenz, Background Note (2012), Rn. 39. 14 Allgemein: Basedow, Unif. L. Rev. 2006, 731 (735); Jarass, Privates Einheitsrecht, S. 60; Vogenauer, in: Vogenauer, PICC, Introduction Rn. 7. 15 Siehe Kapitel 2 (S. 41). 16 Vgl. Jueptner, JPIL 2020, 247 (257–259). 17 Vgl. z.B. Basedow, FS Coester-Waltjen, S. 335 (346 f.). 18 Elbalti, JapYbPIL 16 (2014), 264 (271 f.); Basedow, FS Coester-Waltjen, S. 335 (348); Chong, JPIL 2020, 31 (56). 19 § 328 Abs. 1 Nr. 5 ZPO. 20 § 15 Abs. 1 lit. f des tschechischen IPR-Gesetzes (Nr. 91/2012), dazu Kozárek, in: Drličková, Czech Private International Law, S. 69; Elbalti, JPIL 2017, 184 (189).
A. Rechtsnatur
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türkischen,21 russischen,22 japanischen,23 südkoreanischen24 und chinesischen25 Recht sowie im Recht vieler arabischer Staaten,26 wenn auch jeweils in unterschiedlichen Formen und Ausprägungen.27 Allgemein gesprochen, ist eine nicht unerhebliche Zahl von Staaten nur dann bereit, ausländischen Urteilen im eigenen Hoheitsgebiet Wirkung zu verleihen, wenn umgekehrt auch der andere Staat die eigenen Urteile anerkennt oder anerkennen würde. Dies kann unter Umständen zu einer „Patt-Situation“ führen, in der eine gegenseitige Anerkennung von Entscheidungen in Ermangelung einer völkervertraglichen Verpflichtung nicht stattfindet, weil die Gerichte keiner der beiden Staaten bereit sind, „den ersten Schritt“ zu machen.28 Um diese Patt-Situation zu überwinden und eine Anerkennung und Vollstreckung im Gegenseitigkeitsverhältnis zu gewährleisten, ist ein Anerkennungs- und Vollstreckungsübereinkommen in besonderem Maße geeignet,29 da es eine gegenseitige völkerrechtliche Verpflichtung begründet.30 Demgegenüber wäre ein Modellgesetz unter Umständen dem Einwand ausgesetzt gewesen, dass manche 21 Art. 54 lit. a des türkischen Gesetzes über das internationale Privatrecht und Zivilverfahrensrecht; dazu: Süral/Tarman, YbPIL 15 (2013/14), 485 (495–497); Elbalti, JPIL 2017, 184 (189). 22 Dazu: Basedow, FS Coester-Waltjen, S. 335 (345); Schreiber, IPRax 2017, 368 (369); Mosgo/Belova, WiRO 2018, 321. 23 Art. 118 Nr. 4 der japanischen Zivilprozessordnung, dazu He/Wang, YbPIL 19 (2017– 18), 83 (92 f.); Nishioka, in: Reyes, Recognition and Enforcement, S. 97 (107 f.); Elbalti, JPIL 2017, 184 (192–194). 24 Art. 217 Abs. 1 Nr. 4 der koreanischen Zivilprozessordnung; dazu: Jeong, in: Hess, Anerkennung im IZPR, S. 79 (90–92); Lee, in: Reyes, Recognition and Enforcement, S. 119 (126 f.). 25 Art. 282 der chinesischen Zivilprozessordnung, dazu: He/Wang, YbPIL 19 (2017–18), 83 (85); Gu, in: Reyes, Recognition and Enforcement, S. 31 (41–46); Zhang/Tu, JIDS 2020, 614 (631 ff.). 26 Im Einzelnen: Bälz, RIW 2012, 354 (355); Bälz, RIW 2013, 55 (55); Elbalti, in: Sooksripaisarnkit/Garimella, China's One Belt One Road Initiative and Private International Law, Kapitel 12. 27 Vgl. Elbalti, JPIL 2017, 184; Elbalti, JapYbPIL 16 (2014), 264 (271 f.); Cuniberti, Recueil des Cours, Bd. 394, S. 202 ff. 28 Basedow, FS Coester-Waltjen, S. 335 (347); Chong, JPIL 2020, 31 (56); Laugwitz, Anerkennung, S. 291 f.; Nagel/Gottwald, IZPR, Rn. 12.207; Reyes, Recognition and Enforcement, S. 26; vgl. auch He/Wang, YbPIL 19 (2017–18), 83 (90 ff.), die die Situation im Verhältnis zwischen China und Japan analysieren. Zur rechtspolitischen Kritik am Gegenseitigkeitserfordernis siehe auch Laugwitz, Anerkennung, S. 290 ff. m.w.N. 29 Ähnlich: van Loon, FS Kreuzer, S. 33 (40); vgl. auch Reyes, FS Thümmel, S. 695 (706 f.). 30 Es scheint jedoch auch eine zunehmende Tendenz zu geben, entsprechende Unklarheiten mittels nichtbindender Memoranda of Guidance („MOGs“) unmittelbar zwischen Gerichten verschiedener Staaten zu klären, siehe z.B. das MOG zwischen dem Obersten Volksgericht Chinas und dem Supreme Court Singapurs vom 31.8.2018 () und das Multilateral Memorandum on Enforcement of Commercial Judgments for Money des Standing International Forum of Commercial Courts, 2. Aufl. 2020, S. 3 (verfügbar unter ); vgl. allgemein Chong, JPIL 2020, 31 (62 f.). 31 Vgl. Fragistas, Rapport explicatif, S. 361; Kessedjian, Report, Rn. 3; Coester-Waltjen, RabelsZ 57 (1993), 263 (284 f.); Panchaud, SchwJbIntR 23 (1966), 37 (38). 32 Martiny, in: Hdb. IZVR III/1, Rn. 66. 33 Agreement between the Government of Australia and the Government of New Zealand on Trans-Tasman Court Proceedings and Regulatory Enforcement (Christchurch 24 July 2008), abrufbar unter: . 34 Goddard, FS van Loon, S. 195 (197). 35 Commonwealth Secretariat, Model Law on the Recognition and Enforcement of Foreign Judgments, 2018, abrufbar unter: . 36 Vgl. Commonwealth Secretariat, Commonwealth Law Bulletin 43:3–4 (2017), 545 (545, 562 ff.). 37 UNCITRAL secretariat, Model Law on Recognition and Enforcement of InsolvencyRelated Judgments, 2019, abrufbar unter: . 38 Vgl. Ständiges Büro der Haager Konferenz, InfoDoc No 1 of May 2016, Rn. 4; Clift, UNCITRAL draft model law on the recognition and enforcement of insolvency-related judgments, InfoDoc No 12 of October 2017, Rn. 9, 12 f.
B. Convention simple
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Festlandchina und Hongkong eine Vereinbarung über die gegenseitige Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen getroffen, die sich stark an den Entwürfen der Spezialkommission orientiert.39 Vor diesem Hintergrund deutet vieles darauf hin, dass das HAVÜ künftig als Vorbild und Referenztext dienen wird. Es könnte so gegebenenfalls auch für Staaten, die sich nicht an das Übereinkommen binden wollen, eine wichtige Bedeutung erlangen.40
B. Convention simple I. Keine Regelungen über die Entscheidungszuständigkeit Von den drei klassischen Regelungsfeldern des internationalen Privat- und Zivilverfahrensrechts – dem anwendbaren Recht, der internationalen Zuständigkeit und der internationalen Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen – sieht das HAVÜ nur für den zuletzt genannten Bereich Regelungen vor.41 Das Übereinkommen ist als convention simple konzipiert und betrifft damit lediglich die Anerkennung und Vollstreckung von Gerichtsentscheidungen und gerichtlichen Vergleichen, nicht jedoch die internationale Entscheidungszuständigkeit.42 Das Übereinkommen enthält vielmehr einen Katalog indirekter Zuständigkeitsgründe (Art. 5 und 6 HAVÜ). Das Vorliegen eines solchen Grundes ist positive Voraussetzung für die Pflicht zur Anerkennung und Vollstreckung der Entscheidung. Der ausschließliche Zuständigkeitsgrund in Art. 6 HAVÜ hat darüber hinaus einen negativen Effekt, schließt also eine Anerkennung von Entscheidungen über dingliche Rechte an unbeweglichen Sachen aus anderen Staaten aus.43 Über die Entscheidungszuständigkeit (compétence directe) wird durch die Liste von indirekten Zuständigkeitsgründen in Art. 5 und 6 HAVÜ keine (auch keine konkludente) Regelung getroffen.44 Die Auffassung, durch das HAVÜ würden weltweit Regelungen zur direkten Zuständigkeit geschaffen,45 ist nicht haltbar. 39
Vgl. Zhang/Tu, JIDS 2020, 614 (634); der Text der Vereinbarung ist abrufbar unter . 40 Vgl. zur Bedeutung von Haager Übereinkommen als Vorbild für nationale Gesetzgeber: van Loon, in: Jacobs/Roberts, The Effect of Treaties in Domestic Law, S. 221 (227). 41 Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 11; Garcimartín, Neth. Int'l L. Rev. 2020, 19 (19). 42 Zur Begrifflichkeit siehe Kapitel 1 C.I. (S. 20). 43 Siehe Kapitel 5 B.VII.3. (S. 252). 44 Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 135; Araujo/De Nardi, Neth. Int'l L. Rev. 2020, 67 (69); Liakopoulos, AUDJ 15 (2019), 5 (9); Solomon, FS Thümmel, S. 873 (874). 45 Vgl. Dubinsky, Tex. Int'l L.J. 54 (2018), 39 (74 f.) bezogen auf den vorläufigen Konventionsentwurf 2016: „This is significant because the June 2016 draft, were it to become
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Kapitel 3: Wesentliche Charakteristika
Ein Vertragsstaat verletzt folglich keine Pflichten unter dem HAVÜ, wenn er eine internationale Zuständigkeit zur Entscheidung eines Rechtsstreits beansprucht, obwohl nach den Regeln des HAVÜ keine Zuständigkeitsanknüpfung gegeben ist.46 Er muss dann lediglich akzeptieren, dass seine Entscheidung mangels Anerkennungszuständigkeit nicht unter dem Übereinkommen zirkuliert. Ein Vertragsstaat verletzt auch dann keine Pflicht, wenn er umgekehrt die eigene Zuständigkeit verneint oder deren Ausübung (z.B. im Rahmen der forum non conveniens-Doktrin47) verweigert, obgleich ein Zuständigkeitsgrund nach Art. 5 oder 6 HAVÜ vorliegt.48 Das Übereinkommen verpflichtet andere Vertragsstaaten prinzipiell zur Anerkennung des Urteils, sofern ein indirekter Zuständigkeitsgrund zugunsten des Vertragsstaats vorliegt, verpflichtet aber keinen Vertragsstaat, einen Ausgangsrechtsstreit zu entscheiden. Auch Art. 6 HAVÜ hat keine unmittelbaren Konsequenzen für die internationale Entscheidungszuständigkeit.49 Ein solches Verständnis ist mit der Natur des HAVÜ und dem Wortlaut der Vorschrift nicht in Einklang zu bringen und widerspricht den Ausführungen im Explanatory Report.50 Art. 6 HAVÜ verbietet es den Vertragsstaaten daher nicht, einen Rechtsstreit über dingliche Rechte an in anderen Staaten belegenen Grundstücken zu entscheiden. Die gegenteilige Auffassung lässt sich insbesondere nicht überzeugend darauf stützten, dass ein Vertragsstaat durch Erlass der Entscheidung die Möglichkeit schafft, vertragsstaatlichen Urteilen aus dem Belegenheitsstaat später unter Berufung auf Art. 7 Abs. 1 lit. e HAVÜ die Anerkennung zu versagen. Das ist kein Sonderproblem des Art. 6 HAVÜ, sondern kann immer dann vorkommen, wenn ein Staat eine nationale Zuständigkeit in Anspruch nimmt, die keine Entsprechung im HAVÜ hat. In solchen Situationen steht die frühere inländische Entscheidung einer Verpflichtung zur Anerkennung der vertragsstaatlichen Entscheidung entgegen, obwohl sich die inländische Entscheidung nicht auf eine im HAVÜ vorgesehene Zuständigkeitsgrundlage stützen kann. the basis for a widely-ratified treaty, would establish global rules on direct jurisdiction and on recognition that do not owe their validity to the consent of the parties to the dispute.“ 46 Vgl. allgemein Geimer, Anerkennung, S. 17 Fn. 54. 47 Vgl. van Loon, NIPR 2020, 4 (17) Fn. 66. 48 Vgl. De Miguel Asensio/Cuniberti/Franzina/Heinze/Requejo Isidro, Judgments Convention Study, S. 24 (zum Konventionsentwurf November 2017). 49 In diesem Sinne aber offenbar Brand, University of Pittsburgh Legal Studies Research Paper No. 2020-36, S. 10 („Article 6 departs from the basic character of the Convention by inserting a single direct jurisdiction rule.“); Zhao, SRIEL 2020, 345 (349, Fn. 19); Araujo/De Nardi/Lopes/Polido, Revista de Direito Internacional 16 (2019), 19 (22) („A closer reading of this provision reveals that it translates a harmonization of PIL rules on jurisdiction: States that accede to the future convention will agree that for the matters dealt with in Article 6 the only acceptable bases for jurisdiction are those declared there.“). 50 Vgl. z.B. Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 11, 135.
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Hinsichtlich des Grundsatzes, dass das HAVÜ die Entscheidungszuständigkeit unberührt lässt, bedarf es abschließend noch einer wichtigen Klarstellung. Dieser Grundsatz gilt für die internationale Entscheidungszuständigkeit des Ursprungsstaats, also für das Ausgangsverfahren. Er gilt nicht für die internationale Zuständigkeit zur Anerkennung oder Vollstreckung, also die internationale Zuständigkeit des ersuchten Staates. Das HAVÜ lässt etwaige nationale Vorschriften über die internationale Zuständigkeit des ersuchten Staats für die Anerkennung oder Vollstreckung vertragsstaatlicher Entscheidungen nicht unberührt.51 II. Das „jurisdictional gap-Problem“ Zahlreiche Staaten beanspruchen in ihrem autonomen Recht für sich selbst in weitaus größerem Umfang eine internationale Zuständigkeit, als sie in ihrem Anerkennungsrecht anderen Staaten zubilligen.52 Diese Staaten haben viele direkte Zuständigkeitsgründe und nur wenige eng gefasste indirekte Zuständigkeitsgründe. Der Begriff jurisdictional gap beschreibt diese „Kluft“ zwischen indirekten und direkten Zuständigkeitsgründen.53 Das Resultat ist, dass Staaten fremden Entscheidungen aufgrund fehlender indirekter Zuständigkeit des Ursprungsstaats die Anerkennung verweigern, obwohl sie selbst in einer entsprechenden Situation eine internationale Zuständigkeit beansprucht hätten. So stellt sich die Situation beispielsweise nach englischem Recht dar.54 Besonders groß ist der jurisdictional gap regelmäßig bei Staaten, die fremde Entscheidungen in Abwesenheit einer völkervertraglichen Verpflichtung gar nicht anerkennen.55
51
Dazu im Einzelnen Kapitel 4 G.III.6. (S. 186). Vgl. Jones Day, Comparative Study of Jurisdictional Gaps and Their Effect on the Judgments Project, S. 2 f. Die Studie lässt allerdings Aspekte außer Betracht, die relevant wären, um die tatsächliche Praxis in den Staaten zu bewerten (z.B. die forum non conveniens-Doktrin). 53 Denkbar ist auch, dass Staaten weniger direkte Zuständigkeitsgründe und mehr oder weitere indirekte Zuständigkeiten haben („reverse jurisdictional gap“), vgl. Jones Day, Comparative Study of Jurisdictional Gaps and Their Effect on the Judgments Project, S. 3. Diese Situation soll hier außen vor bleiben. 54 Brand, University of Pittsburgh Legal Studies Research Paper No. 2019-02, S. 25–29; Jones Day, Comparative Study of Jurisdictional Gaps and Their Effect on the Judgments Project, S. 36–38. 55 Das betrifft nach einer von Jones Day durchgeführten Studie z.B., Dänemark, Finnland, Indonesien, Island, Kasachstan, Laos, Norwegen, Sri Lanka, Schweden, Thailand, Usbekistan und Zypern, vgl. Jones Day, Comparative Study of Jurisdictional Gaps and Their Effect on the Judgments Project, S. 2; siehe auch Schack, IZVR, Rn. 1063; Wilderspin/Vysoka, NIPR 2020, 34 (41) (Dänemark, Finnland und Schweden). 52
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Kapitel 3: Wesentliche Charakteristika
Ein Gleichlauf zwischen direkten und indirekten Zuständigkeitsgründen ist allerdings keineswegs zwingend, da es sich um unterschiedliche Konzepte handelt, unterschiedliche Interessen berührt und verschiedene Verfahrenssituationen betroffen sind.56 Jurisdictional gaps im beschriebenen Sinne werden jedoch häufig als diskriminierend und ungerecht kritisiert.57 Sie könnten dazu führen, dass bei einer Streitigkeit zwischen zwei Parteien mit Sitz in unterschiedlichen Staaten, zwar eine Prozessführung in beiden Staaten möglich ist, aber nur der eine Staat das Urteil des anderen anerkennen würde und nicht umgekehrt.58 Dies führe zu einem ungerechten Ungleichgewicht zwischen den Staaten und einer Benachteiligung von Parteien, die ihren Sitz in einem Staat ohne jurisdictional gap haben.59 Es wurde zum Teil die Erwartung formuliert, dass ein Haager Anerkennungs- und Vollstreckungsübereinkommen dazu beitragen soll, die „Kluft“ zu schließen.60 Da das HAVÜ die internationale Entscheidungszuständigkeit (abgesehen von derjenigen des ersuchten Staates61) unberührt lässt, kann das HAVÜ diese Bedenken allenfalls über das Anerkennungsrecht adressieren. Ein denkbarer Ansatz wäre die Aufnahme einer indirekten Zuständigkeitsregel gewesen, die – ähnlich der Vorschrift des § 328 Abs. 1 Nr. 1 ZPO – auf die direkten Zuständigkeitsgründe des ersuchten Staates Bezug genommen hätte.62 Dies hätte den ersuchten Staat gezwungen, die Zuständigkeit des Ursprungsstaats (zumindest als Auffangregel) an denselben Zuständigkeitsregeln zu messen, auf die er seine eigene Entscheidungszuständigkeit stützt. Eine solche Regel hätte daher womöglich auch Anreize für Vertragsstaaten setzen können, die eigenen Regeln über die internationale Entscheidungszuständigkeit zu überdenken.63 Wer auf exorbitanten Zuständigkeiten beruhende Entscheidungen anderer Vertragsstaaten nicht hätte anerkennen wollen, hätte solche Zuständigkeitsgründe auch im eigenen Recht abschaffen müssen. Das Spiegelbildprinzip hätte im Rahmen 56 Vgl. z.B. von Mehren, Recueil des Cours, Bd. 167, S. 61 f.; Martiny, in: Hdb. IZVR III/1, Rn. 646, 802; Michaels, in: Gottschalk/Michaels/Rühl/von Hein, S. 29 (36 ff.); Jueptner, JPIL 2020, 247 (266). 57 Brand, University of Pittsburgh Legal Studies Research Paper No. 2019-02, S. 22 ff.; Jones Day, Comparative Study of Jurisdictional Gaps and Their Effect on the Judgments Project, S. 3 f.; Fricke, Anerkennungszuständigkeit, S. 97 ff. 58 Jones Day, Comparative Study of Jurisdictional Gaps and Their Effect on the Judgments Project, S. 4. 59 Jones Day, Comparative Study of Jurisdictional Gaps and Their Effect on the Judgments Project, S. 4. 60 Jones Day, Comparative Study of Jurisdictional Gaps and Their Effect on the Judgments Project, S. 1. 61 Siehe Kapitel 4 G.III.6. (S. 186). 62 Vgl. Jones Day, Comparative Study of Jurisdictional Gaps and Their Effect on the Judgments Project, S. 5. 63 Vgl. Fricke, Anerkennungszuständigkeit, S. 99 („Das Spiegelbildprinzip hilft uns, unsere eigenen zuständigkeitsrechtlichen Fehler zu erkennen.“).
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des HAVÜ jedoch den gravierenden Nachteil gehabt, dass Parteien die Antwort auf die zentrale Frage, ob eine Entscheidung unter dem HAVÜ zirkuliert, letztlich im nationalen Recht hätten suchen müssen.64 Ein Blick in das HAVÜ hätte nicht genügt. Zudem hätte eine solche Regel insbesondere mit Blick auf Staaten, die der forum non conveniens-Doktrin folgen, zu Schwierigkeiten geführt.65 Eine das Spiegelbildprinzip normierende Regel findet sich im HAVÜ nicht. Auch Art. 5 Abs. 1 lit. k des vorläufigen Entwurfstexts der Arbeitsgruppe war keine Normierung des Spiegelbildprinzips. Denn die Vorschrift verwies, was teilweise fehlverstanden wurde,66 nicht auf die direkten, sondern ausdrücklich auf die indirekten Zuständigkeitsgründe des ersuchten Staats.67 Das HAVÜ kann aber gleichwohl einen Beitrag dazu leisten, die Diskrepanz zwischen direkten und indirekten Zuständigkeitsgründen der Vertragsstaaten zu verkleinern.68 Denn die Positivliste der indirekten Zuständigkeitsgründe in Art. 5–6 HAVÜ ist für Vertragsstaaten des HAVÜ verbindlich. Dabei bleiben die nach nationalem Recht bestehenden indirekten Zuständigkeitsgründe vom HAVÜ grundsätzlich unberührt (Art. 15 HAVÜ).69 Sofern sich in der Liste der indirekten Zuständigkeitsgründe des HAVÜ ein indirekter Zuständigkeitsgrund findet, den das nationale Recht des jeweiligen Vertragsstaats nicht kennt oder der weiter gefasst ist als der entsprechende indirekte Zuständigkeitsgrund des nationalen Rechts, kann das HAVÜ die Diskrepanz zwischen indirekten und direkten Zuständigkeiten verringern. Dies wird besonders deutlich bei Staaten, die fremde Entscheidungen in Abwesenheit einer völkervertraglichen Verpflichtung nicht anerkennen. Aber auch Rechtsordnungen, wie das englische Recht, die eng gefasste indirekte Zuständigkeitsgründe haben, würden durch einen Beitritt zum HAVÜ den jurisdictional gap verkleinern.70 Entscheidender ist aber letztlich, dass das HAVÜ dazu beitragen kann, durch die Schaffung eines Mindeststandards71 die Unterschiede im Anerkennungsrecht der Vertragsstaaten zu verringern und die gegenseitige Anerkennung oder Vollstreckung von Entscheidungen zu erleichtern. Denn bei genauerer Betrachtung sind es nicht die jurisdictional gaps an sich, die zu der als 64 Vgl. Schack, ZEuP 2014, 824 (834); Schack, IPRax 2020, 1 (4); Vedie, von Mehren, S. 362 f. 65 Vgl. Beaumont, NIPR 2014, 532 (539). 66 Vgl. z.B. Vedie, von Mehren, S. 362. 67 Im Wortlaut: „the court of origin would have had jurisdiction in accordance with the law of the requested State concerning recognition and enforcement of foreign judgments.“ (Kursive durch Verfasser). Vgl. auch Ständiges Büro der Haager Konferenz, Explanatory Note, PrelDoc No 2 of April 2016, Rn. 130 f.; Wagner, IPRax 2016, 97 (101); Jacobs, ZfRV 2017, 24 (29). 68 Vgl. Jones Day, Comparative Study of Jurisdictional Gaps and Their Effect on the Judgments Project, S. 6. 69 Siehe Kapitel 3 D. (S. 99). 70 Siehe Kapitel 9 C.II. (S. 367). 71 Siehe Kapitel 3 D. (S. 99).
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Kapitel 3: Wesentliche Charakteristika
diskriminierend kritisierten Situation führen,72 sondern die Unterschiedlichkeit der nationalen Zuständigkeits- und Anerkennungssysteme.73 Hätte jeder Staat dieselben direkten und indirekten Zuständigkeitsgründe, würde allein der Umstand, dass sich die direkten und die indirekten Zuständigkeitsgründe nicht decken, nicht zu einer Diskriminierung führen. Auch die Erforderlichkeit mehrerer Prozesse in verschiedenen Jurisdiktionen ist keine spezifische Folge von jurisdictional gaps,74 sondern kann immer dann entstehen, wenn eine Entscheidung in anderen Staaten nicht anerkannt wird, ganz gleich aus welchem Grund. III. Mittelbare Effekte der indirekten Zuständigkeitsgründe des HAVÜ Wenngleich, wie gesehen, die Entscheidungszuständigkeit des Ursprungsstaats vom HAVÜ unberührt bleibt,75 dürften die indirekten Zuständigkeitsgründe des Übereinkommens zukünftig Einfluss darauf haben, wo de facto geklagt werden wird.76 Denn Kläger können nur dann auf eine möglichst weitreichende Anerkennung und Vollstreckbarkeit ihrer Entscheidung unter dem HAVÜ hoffen, wenn sie in einem Vertragsstaat klagen, der nicht nur eine internationale Entscheidungszuständigkeit beansprucht, sondern auch einen Anknüpfungspunkt der indirekten Zuständigkeitsgründe nach den Art. 5 oder 6 HAVÜ erfüllt.77 So wird sich der Geschädigte eines grenzüberschreitenden Delikts für eine Klage am Handlungsort und nicht am Erfolgsort entscheiden müssen, wenn die resultierende Entscheidung unter dem HAVÜ zirkulieren soll.78 Durch die Positivliste indirekter Zuständigkeitsgründe kann das HAVÜ auch 72 In diese Richtung aber: Jones Day, Comparative Study of Jurisdictional Gaps and Their Effect on the Judgments Project, S. 4. 73 So funktioniert das in der Jones Day-Studie geschilderte Beispiel von Parteien mit Sitz in New York und Australien auch nur, weil New York dem Spiegelbildprinzip folgt und Australien nicht (vgl. Jones Day, Comparative Study of Jurisdictional Gaps and Their Effect on the Judgments Project, S. 4). 74 In diese Richtung aber: Jones Day, Comparative Study of Jurisdictional Gaps and Their Effect on the Judgments Project, S. 3 f. 75 Da die unberührt bleibenden direkten und die vom HAVÜ geregelten indirekten Zuständigkeitsgründe einander nicht (stets) entsprechen werden, kann das HAVÜ als „asymmetrisches“ Übereinkommen bezeichnet werden, vgl. zur Terminologie und den verschiedenen Übereinkommenstypen Michaels, in: Gottschalk/Michaels/Rühl/von Hein, S. 29 (59 f.). 76 Vgl. Brand, University of Pittsburgh Legal Studies Research Paper No. 2019-02, S. 30 f.; Goddard, Duke J. Comp. & Int'l L. 29 (2019), 473 (477 f.); Bonomi/Mariottini, YbPIL 20 (2018/19), 537 (549). Siehe auch bereits: Ständiges Büro der Haager Konferenz, WorkDoc No 2 E of April 2012 unter 3(f). 77 Wobei zu beachten ist, dass sich die indirekte Zuständigkeit auch noch im Laufe des Verfahrens ergeben kann, etwa durch rügelose Einlassung des Beklagten nach Art. 5 Abs. 1 lit. f HAVÜ. 78 Vgl. Art. 5 Abs. 1 lit. j HAVÜ (siehe Kapitel 5 B.V.3.d) (S. 232)). Daneben würde auch eine Entscheidung aus dem Staat des gewöhnlichen Aufenthalts des Beklagten unter dem HAVÜ zirkulieren, vgl. Art. 5 Abs. 1 lit. a HAVÜ (siehe Kapitel 5 B.V.1.a) (S. 206)).
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Anreize setzen, dass Streitparteien auf eine Inanspruchnahme exorbitanter Gerichtsstände verzichten (z.B. Klägerwohnsitz, Vermögensbelegenheit).79 Darüber hinaus werden die indirekten Zuständigkeitsgründe Einfluss auf die Entscheidung des Beklagten nehmen, ob er sich auf ein Verfahren vor den Gerichten eines Vertragsstaats einlassen und sich gegen die Klage verteidigen sollte.80 Das Fehlen eines indirekten Zuständigkeitsgrundes im Sinne der Art. 5 und 6 HAVÜ genügt jedoch für sich genommen nicht, um darauf die Entscheidung zu stützen, dem Verfahren fernzubleiben. Denn ein Versäumnisurteil könnte gemäß Art. 15 HAVÜ stets auch nach nationalem Recht von den Vertragsstaaten anerkannt und vollstreckt werden.81 Die internationale Gerichtspflichtigkeit82 wird also nicht abschließend durch das HAVÜ begrenzt. Wenn andererseits der Anwendungsbereich des HAVÜ eröffnet ist und ein indirekter Zuständigkeitsgrund vorliegt, kann sich der Beklagte darauf einstellen, dass die Entscheidung mit hoher Wahrscheinlichkeit in den Vertragsstaaten des HAVÜ anerkannt werden wird. Das HAVÜ enthält – anders als das HVÜ83 – keine Regelung zur Abweisung oder Aussetzung von Parallelverfahren (z.B. eine lis pendens-Regel oder forum non conveniens-Regel).84 Allerdings kann das Übereinkommen auch insoweit einen indirekten Einfluss auf die Entscheidung potenzieller Kläger haben. So tragen Art. 7 Abs. 1 lit. e und f sowie Art. 7 Abs. 2 HAVÜ der Möglichkeit von Parallelverfahren Rechnung und erlauben die Verweigerung der Anerkennung oder Vollstreckung in bestimmten Fällen unvereinbarer Entscheidungen und anderweitig anhängiger Verfahren.85 Abgesehen von Auswirkungen auf das Verhalten der Parteien ist auch denkbar, dass der Katalog indirekter Zuständigkeitsgründe langfristig einen Beitrag zur Angleichung der direkten Zuständigkeitsgründe im nationalen Recht leisten wird.86 Zum einen könnten die indirekten Zuständigkeitsgründe des HAVÜ für das Jurisdiction Project der Haager Konferenz87 den Ausgangspunkt der Diskussion für Regelungen über die internationale Entscheidungszuständigkeit 79
Bonomi/Mariottini, YbPIL 20 (2018/19), 537 (550). Ständiges Büro der Haager Konferenz, Explanatory Note, PrelDoc No 2 of April 2016, Rn. 67. 81 Siehe Kapitel 3 D. (S. 99). 82 Vgl. Geimer, Anerkennung, S. 48; Martiny, in: Hdb. IZVR III/1, Rn. 636. 83 Vgl. Art. 20 HVÜ. 84 Bedauernd Bonomi, YbPIL 17 (2015/16), 1 (29 f.); Bonomi/Mariottini, YbPIL 20 (2018/19), 537 (541). Zu den frühen Überlegungen zur Aufnahme solcher Regelungen in eine convention simple: Ständiges Büro der Haager Konferenz, Background Note (2012), Rn. 64 f.; Ständiges Büro der Haager Konferenz, Issues paper on matters of jurisdiction (2013), Rn. 26 ff. 85 Siehe hierzu Kapitel 6 D.V–VII. (S. 290). 86 Vgl. Liakopoulos, AUDJ 15 (2019), 5 (9); Rumenov, ECLIC 3 (2019), 385 (392); Weller, YbPIL 21 (2019/20), 279 (281). 87 Siehe Kapitel 1 H. (S. 35). 80
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Kapitel 3: Wesentliche Charakteristika
bilden.88 Zum anderen könnte die Liste in zukünftigen Prozessrechtsreformen als Inspiration für nationale Gesetzgeber dienen.89
C. Grundlegende Systematik Wie gesehen, beschränkt sich das HAVÜ auf Regelungen zur Anerkennung oder Vollstreckung. Es richtet sich an einen Vertragsstaat, der um Anerkennung oder Vollstreckung einer Entscheidung ersucht wird. Dabei kann hinsichtlich der Vorgaben, die das HAVÜ dem ersuchten Staat zum Umgang mit der Entscheidung macht (oder nicht macht), im Wesentlichen zwischen drei unterschiedlichen Konstellationen differenziert werden. Erstens, das Übereinkommen verpflichtet zur Anerkennung oder Vollstreckung (im Folgenden I.). Zweitens, das Übereinkommen verpflichtet nicht zur Anerkennung oder Vollstreckung, verbietet diese aber auch nicht (im Folgenden II.). Und drittens, das Übereinkommen verbietet die Anerkennung oder Vollstreckung (im Folgenden III.). I. Übereinkommen verpflichtet zur Anerkennung Das Übereinkommen verpflichtet zur Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen, wenn der Anwendungsbereich eröffnet ist, die positiven Voraussetzungen gegeben sind und kein Versagungsgrund greift.90 Rechtlicher Ausgangspunkt dieser Verpflichtung ist Art. 4 Abs. 1 HAVÜ, der festlegt, dass die Entscheidung eines Vertragsstaats in anderen Vertragsstaaten nach Maßgabe des Kapitels II anerkannt und vollstreckt werden muss (S. 1) und, dass die Anerkennung oder Vollstreckung nur aus den im Übereinkommen genannten Gründen versagt werden darf (S. 2). Diese generell formulierte Pflicht wird durch die Regelung von zwei positiven Voraussetzungen qualifiziert. Zum einen setzt Art. 4 Abs. 3 HAVÜ voraus, dass die Entscheidung im Ursprungsstaat wirksam (für Zwecke der Anerkennung) bzw. vollstreckbar (für Zwecke der Vollstreckung) ist. Zum anderen muss ein indirekter Zuständigkeitsgrund nach Art. 5 oder 6 HAVÜ gegeben sein. Wenn diese Voraussetzungen erfüllt sind, ist die Entscheidung grundsätzlich anzuerkennen und zu vollstrecken, es sei denn, dass einer der Versagungsgründe des Übereinkommens greift.
88
Vgl. Mansel/Thorn/Wagner, IPRax 2020, 97 (125); Wagner, IPRax 2016, 97 (102); Weller, YbPIL 21 (2019/20), 279 (281). 89 Franzina/Leandro, Quaderni di SIDIBlog 6 (2019), 215 (218); Liakopoulos, AUDJ 15 (2019), 5 (9). 90 Vgl. Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 111.
D. Günstigkeitsprinzip
99
II. Übereinkommen verpflichtet nicht zur Anerkennung, verbietet diese aber auch nicht Fehlt es an einer der genannten Voraussetzungen, sind die Vertragsstaaten zur Anerkennung und Vollstreckung der fremden Entscheidung nicht verpflichtet, sind aber daran grundsätzlich auch nicht gehindert. Dies ist (außer für Entscheidungen, die schon nicht in den Anwendungsbereich des Übereinkommens fallen) der Fall, wenn es an mindestens einer Voraussetzung fehlt oder ein Versagungsgrund gegeben ist. Sofern nicht Art. 6 HAVÜ eine Anerkennung verbietet, können Vertragsstaaten eine in den Anwendungsbereich des Übereinkommens fallende Entscheidung auch dann anerkennen und vollstrecken, wenn die Entscheidung unter dem Übereinkommen nicht zirkuliert (vgl. Art. 15 HAVÜ).91 III. Übereinkommen verbietet die Anerkennung Nur ausnahmsweise verbietet das Übereinkommen die Anerkennung und Vollstreckung einer Entscheidung. Dies ist nur der Fall, wenn die Entscheidung der in Art. 6 HAVÜ normierten ausschließlichen Zuständigkeitsvorschrift widerspricht.92 Eine Anerkennung und Vollstreckung der Entscheidung (auch nach nationalem Recht) ist dann ausgeschlossen (vgl. Art. 15 HAVÜ).93
D. Günstigkeitsprinzip Das Übereinkommen beschränkt sich nach seiner Systematik darauf, einen Mindeststandard für die gegenseitige Anerkennung und Vollstreckung im Verhältnis zwischen den Vertragsstaaten festzulegen. Abgesehen von Fällen des Art. 6 HAVÜ können Entscheidungen aus anderen Vertragsstaaten auch nach nationalem Recht oder anderen völkerrechtlichen Verträgen anerkannt und vollstreckt werden.94 Damit folgt das Übereinkommen dem
91 Da folglich indirekte Zuständigkeitsgründe des nationalen Rechts zur Anwendung gelangen können, kann man das HAVÜ auch als „Mischübereinkommen“ oder „mixed convention“ bezeichnen, vgl. zur Terminologie und den verschiedenen Übereinkommenstypen Michaels, in: Gottschalk/Michaels/Rühl/von Hein, S. 29 (56 f.). 92 Siehe Kapitel 5 B.VII.3. (S. 252). 93 Da das HAVÜ bei Vorliegen eines indirekten Zuständigkeitsgrunds die Anerkennung positiv vorschreibt und im Hinblick auf Entscheidungen über dingliche Rechte an unbeweglichen Sachen alle indirekten Zuständigkeitsgründe außer dem des Belegenheitsstaats ausschließt (Art. 6 HAVÜ), kann man das Übereinkommen als „bivalentes“ Übereinkommen bezeichnen, vgl. zur Terminologie und den verschiedenen Übereinkommenstypen Michaels, in: Gottschalk/Michaels/Rühl/von Hein, S. 29 (57). 94 Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 21.
100
Kapitel 3: Wesentliche Charakteristika
Günstigkeitsprinzip (favor recognitionis).95 Für „nationales Recht“ ist dieser Grundsatz in Art. 15 HAVÜ ausdrücklich festgehalten. Ist eine Entscheidung unter dem Übereinkommen nicht anerkennungsfähig, kann sie daher nach dem großzügigeren nationalen Recht gleichwohl anerkannt werden.96 Dies betrifft zum Beispiel Fälle, in denen nach nationalem Recht – nicht aber nach dem HAVÜ – ein indirekter Zuständigkeitsgrund greift. Möglich ist auch, dass die positiven Voraussetzungen der Anerkennung und Vollstreckung sowohl nach dem HAVÜ als auch nach nationalem Recht gegeben sind, unter dem HAVÜ jedoch ein Versagungsgrund greift, nicht aber nach nationalem Recht. Zudem ist die Anerkennung einer vorfrageweisen Beurteilung, die das HAVÜ nach Art. 8 Abs. 1 HAVÜ (und auch generell97) nicht verlangt, nach nationalem Recht möglich.98 Auch die „Anerkennung“ gerichtlicher Vergleiche, die in Art. 11 HAVÜ nicht vorgesehen ist, kann im Einklang mit dem Günstigkeitsprinzip nach nationalem Recht erfolgen. 99 Das Günstigkeitsprinzip gilt auch im Verhältnis zu anderen völkerrechtlichen Verträgen.100 Wenn die Voraussetzungen für eine Anerkennung unter dem HAVÜ nicht vorliegen, bleibt eine Anerkennung nach anderen völkerrechtlichen Verträgen grundsätzlich möglich. Zur dogmatischen Begründung sind insofern zwei Wege denkbar. Zum einen könnte man auf den Wortlaut von Art. 23 Abs. 2 und 3 HAVÜ abstellen, wonach das HAVÜ die Anwendung von früher und (unter bestimmten Voraussetzungen101) von später abgeschlossenen Übereinkommen unberührt lässt.102 Zum anderen ließe sich Art. 15 HAVÜ so lesen, dass nicht nur die Anerkennung und Vollstreckung nach nationalem Recht im engeren Sinne unberührt bleibt, sondern insgesamt die Anerkennung und Vollstreckung nach dem aus nationaler Sicht anwendbaren Recht. Letzte-
95 Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 326; Mansel/Thorn/Wagner, IPRax 2020, 97 (125); Nielsen, JPIL 2020, 205 (228); Pertegás, in: Van Calster, European Private International Law at 50, S. 67 (75); Noodt Taquela/Ruiz Abou-Nigm, YbPIL 19 (2017/18), 449 (464). 96 Ob dies von Amts wegen geschieht oder geltend zu machen ist, bestimmt das nationale Verfahrensrecht, siehe Kapitel 4 G.II. (S. 179). 97 Siehe Kapitel 7 D. (S. 328). 98 Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 282; van Loon, NIPR 2020, 4 (15). 99 Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 298; ebenso zu Art. 12 HGÜ: Brand/Herrup, The 2005 Hague Choice of Court Convention, S. 131. 100 Zweifelnd aber offenbar Kessedjian, NIPR 2020, 19 (26). 101 Dazu näher Kapitel 4 F.II. (S. 176). 102 In diese Richtung wohl: Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 21 („To facilitate the circulation of judgments, the text does not prevent States from recognising or enforcing judgments under national law or under other treaties (Arts 15, 23), subject to one exclusive basis for recognition and enforcement (Art. 6).“); so auch Schack, IPRax 2020, 1 (2); De Miguel Asensio/Cuniberti/Franzina/Heinze/Requejo Isidro, Judgments Convention Study, S. 20 (zum Konventionsentwurf November 2017).
D. Günstigkeitsprinzip
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res würde auch die im jeweiligen Staat anwendbaren völkerrechtlichen Verträge erfassen.103 Bei dieser Lesart von Art. 15 HAVÜ würde sich die Funktion des Art. 23 HAVÜ auf den Umgang mit Konventionskonflikten beschränken, also solchen Situationen, in denen die verschiedenen Instrumente nicht nur zu unterschiedlichen, sondern zu einander widersprechenden Ergebnissen führen.104 Unabhängig von der dogmatischen Begründung bestehen aber keine Zweifel an dem Ausgangspunkt, dass das HAVÜ den Rückgriff auf anerkennungsfreundlichere völkerrechtliche Verträge nicht ausschließt. Die Grenzen dieses Grundsatzes zeigt Art. 23 Abs. 3 HAVÜ auf.105 Das Günstigkeitsprinzip kommt stets dem Urteilsgläubiger zugute, der eine Anerkennung auch dann noch erreichen kann, wenn sie nach dem Übereinkommen ausscheidet.106 Für den Schuldner kann das Günstigkeitsprinzip nach Art. 15 HAVÜ demgegenüber bedeuten, dass eine Anerkennung nach denjenigen Regelungen erfolgt, die ihn im geringsten Umfang schützen. Soweit Vorschriften des Übereinkommens dem Schutz des Schuldners dienen (z.B. Art. 5 Abs. 2 HAVÜ oder der Versagungsgrund in Art. 7 Abs. 1 lit. a i) HAVÜ), ist damit also kein absoluter Schutz im Sinne eines Anerkennungsverbots gewährt, sondern nur ein relativer Schutz beschränkt auf das System des Übereinkommens. Die Anerkennung nach Vorschriften, die hinter diesem Schutzniveau zurückbleiben, wird nicht verhindert.107 Dabei zeigt Art. 52 Abs. 2 HUnthGÜ, dass es auch möglich gewesen wäre, den Rückgriff auf nationales Recht im Sinne eines eingeschränkten Günstigkeitsprinzips von der Gewährung verfahrensrechtlicher Mindeststandards abhängig zu machen. Der Explanatory Report stellt klar, dass das nationale Recht dem Urteilsgläubiger auch die Möglichkeit eröffnen kann, Vorschriften des nationalen Rechts und des Übereinkommens zu kombinieren, um eine Anerkennung der Entscheidung zu erreichen.108 Dass das nationale Recht ein solches „Rosinenpicken“ erlauben kann, ist eine Selbstverständlichkeit (solange dies nicht dazu führt, dass man hinter den Mindeststandard des HAVÜ zurückfällt). Denn der nationale Gesetzgeber kann das nach Art. 15 HAVÜ anwendbar bleibende eigene Recht im Grundsatz nach Belieben gestalten und im Rahmen seines nationalen Rechts auch auf die Regelungen des Übereinkommens verweisen. Ob es sinnvoll ist, die Kombination von Vorschriften zweier jeweils in sich abge-
103 In diesem Sinne wohl auch Bonomi/Mariottini, YbPIL 20 (2018/19), 537 (541); vgl. auch Ständiges Büro der Haager Konferenz, Explanatory Note, PrelDoc No 2 of April 2016, Rn. 18 (im Hinblick auf Art. 15 des vorläufigen Entwurfstexts); a.A. Wagner, IPRax 2016, 97 (101) Fn. 48. 104 Siehe dazu Kapitel 4 F.I. (S. 173). 105 Siehe dazu Kapitel 4 F.II. (S. 176) und Kapitel 5 B.VII.3. (S. 252). 106 Martiny, FS Geimer, S. 451 (452). 107 Siehe auch Kapitel 5 B.V.2.b) (S. 215). 108 Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 326.
102
Kapitel 3: Wesentliche Charakteristika
stimmter Regelungssysteme zuzulassen, ist jedoch zweifelhaft. Keinesfalls erfordert das Übereinkommen eine solche nationale Regelung. Ist eine solche nicht getroffen, spricht jedenfalls aus deutscher Sicht viel für ein Vermischungs- bzw. Kombinationsverbot.109
E. Treaty relationship mechanism I. Allgemeines Beim HAVÜ handelt es sich um ein „offenes“ Übereinkommen.110 Das heißt, dass es jedem Staat der Welt sowie Organisationen der regionalen Wirtschaftsintegration (und nicht nur den Mitgliedern der Haager Konferenz) offen steht, sich an das Übereinkommen zu binden (Art. 24, 26 f. HAVÜ)111 und damit eine grundsätzliche Verpflichtung zur Anerkennung von Entscheidungen anderer Vertragsstaaten zu übernehmen und umgekehrt andere Vertragsstaaten zur Anerkennung eigener Entscheidungen zu verpflichten (Art. 4 Abs. 1 HAVÜ). Nicht jeder Staat ist jedoch bereit, ein System der gegenseitigen Urteilsanerkennung und -vollstreckung im Verhältnis zu jedem beliebigen Staat der Welt zu begründen. Einwände beruhen insbesondere auf Bedenken, die generell hinsichtlich der Verlässlichkeit des Justizsystems bestimmter Staaten bestehen mögen.112 Aber auch politische Gründe können der Grund dafür sein, dass manche Staaten auch im Rahmen eines multilateralen Anerkennungs- und Vollstreckungsübereinkommens die Kontrolle darüber behalten möchten, im Verhältnis zu welchen Staaten das Übereinkommen zur Anerkennung oder Vollstreckung verpflichtet. Um diesen Vorbehalten und Bedenken Rechnung zu tragen, sieht das HAVÜ, wie die Mehrzahl aller Haager Übereinkommen, einen sogenannten treaty relationship mechanism vor, also einen Mechanismus zur Kontrolle über das Entstehen völkervertraglicher Beziehungen.113 Es geht dabei um den Grad der „Offenheit“ multilateraler Übereinkommen. Im Unterschied zum HVÜ114 erfordert das HAVÜ zwar nicht den Abschluss von bilateralen Zusatzabkommen, um die gegenseitige Anerkennung und 109
Vgl. Martiny, FS Geimer, S. 451 (453); Martiny, in: Hdb. IZVR III/1, Rn. 225; Linke/Hau, IZVR, Rn. 12.26; Nagel/Gottwald, IZPR, Rn. 12.122; a.A. Geimer, Anerkennung, S. 82 f. 110 Zur Begrifflichkeit: Kropholler, IPR, S. 67. 111 Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 386; Mariottini, YbPIL 21 (2019/20), 365 (366). 112 Vgl. Bonomi/Mariottini, YbPIL 20 (2018/19), 537 (546); Brand, University of Pittsburgh Legal Studies Research Paper No. 2019-02, S. 34; Chong, JPIL 2020, 31 (62); Stein, IPRax 2020, 197 (198); Stewart, Amer. J. Int'l. L. 113 (2019), 772 (780). 113 Fuchs, GWR 2019, 395 (398) spricht von einem „Hintertürchen“. 114 Vgl. Art. 21–23 HVÜ.
E. Treaty relationship mechanism
103
Vollstreckung im Verhältnis zwischen Vertragsstaaten des Übereinkommens in Gang zu setzen. Das HAVÜ folgt also nicht dem „System der Bilateralisierung“.115 Vielmehr sind Entscheidungen zwischen den Vertragsstaaten des HAVÜ anerkennungsfähig und vollstreckbar, ohne dass es einer zusätzlichen Erklärung oder Vereinbarung bedürfte, um das Übereinkommen gegenüber dem jeweiligen Vertragsstaat in Kraft zu setzen. Allerdings wirkt das Übereinkommen im Verhältnis von zwei Vertragsstaaten nur, wenn keiner der beiden Staaten das Zustandekommen von bilateralen Vertragsbeziehungen durch eine entsprechende Notifikation verhindert hat (Art. 29 Abs. 1 HAVÜ). Im Folgenden soll zunächst ein Blick auf die bisherige Praxis in Haager Übereinkommen geworfen werden (im Folgenden II.), bevor der Mechanismus des Art. 29 HAVÜ näher behandelt wird (im Folgenden III.). II. Praxis in früheren Übereinkommen der Haager Konferenz Im Rahmen der bisherigen Haager Übereinkommen kann zwischen verschiedenen Grundtypen von treaty relationship mechanisms differenziert werden. Neben dem System der Bilateralisierung im Sinne des HVÜ (im Folgenden 1.), lassen sich die Zustimmungslösung (im Folgenden 2.) die Einspruchslösung (im Folgenden 3.) sowie die Veto-Lösung (im Folgenden 4.) unterscheiden.116 Die Ausnahme stellen bisher „völlig offene“ Übereinkommen dar, die auf einen entsprechenden Kontrollmechanismus gänzlich verzichten (im Folgenden 5.). 1. System der Bilateralisierung Eine besonders weitgehende Kontrolle sieht das HVÜ mit dem System der Bilateralisierung117 vor. Im Rahmen des HVÜ sind bilaterale Zusatzabkommen („Supplementary Agreements“) zwischen den Vertragsstaaten nötig, um die gegenseitige Anerkennung und Vollstreckung zwischen den Vertragsstaaten in Gang zu setzen (Art. 21 HVÜ).118 Jeder Vertragsstaat des HVÜ hat so die volle 115
Siehe hierzu bereits Kapitel 1 B. (S. 15). Vgl. dazu: Pertegás, in: Basedow/Rühl/Ferrari/de Miguel Asensio, EPrIL, Bd. 2, Eintrag „Treaties in Private International Law“, S. 1743 (1747); Nielsen, JPIL 2020, 205 (242– 244). 117 Im Englischen wird der Begriff „bilateralisation“ regelmäßig in einem weiten Sinne verwendet. Er erfasst dann alle Mechanismen, die das Entstehen bilateraler Beziehungen kontrollieren (vgl. z.B. Teitz, Duke J. Comp. & Int'l L. 29 (2019), 491 (506); Stewart, Amer. J. Int'l. L. 113 (2019), 772 (780)). In der deutschen Literatur wird der Begriff der Bilateralisierung (bzw. „bilatéralisation“) regelmäßig im Zusammenhang mit dem in Art. 21–23 HVÜ niedergelten System verwendet (z.B. Schack, RabelsZ 57 (1993), 224 (249)). Dem folgend steht der Begriff im Rahmen dieser Arbeit für die Erforderlichkeit bilateraler Abkommen zur Entstehung von völkervertraglichen Beziehungen im Rahmen multilateraler Übereinkommen. 118 Siehe Kapitel 1 B. (S. 15). 116
104
Kapitel 3: Wesentliche Charakteristika
Kontrolle darüber, ob er sich im Verhältnis zu einem anderen Vertragsstaat zur gegenseitigen Urteilsanerkennung verpflichten möchte. Die diversen Regelungsoptionen (vgl. Art. 23 HVÜ) machen erneute Verhandlungen im Verhältnis der einzelnen Vertragsstaaten erforderlich und riskieren eine Fragmentierung, da im jeweiligen bilateralen Verhältnis unterschiedliche Regelungen gelten können. Das System der Bilateralisierung wurde als wesentlicher Grund für das Scheitern des HVÜ verantwortlich gemacht119 und findet sich in dieser Form in keinem anderen Übereinkommen der Haager Konferenz.120 Man kann es als einen besonders aufwändigen Sonderfall einer Zustimmungslösung beschreiben. 2. Zustimmungslösung Bei der Zustimmungslösung (auch „opt-in-Mechanismus“) wird die Anwendbarkeit im Verhältnis zwischen zwei Staaten von einer Zustimmung zum Beitritt abhängig gemacht. Ein solches Zustimmungserfordernis findet sich etwa in Art. 38 Abs. 4 HKÜ. Das HKÜ sieht, wie in Übereinkommen der Haager Konferenz üblich, zwei unterschiedliche Wege für Staaten vor, sich an das Übereinkommen zu binden. Zum einen den Beitritt und zum anderen die Unterzeichnung gefolgt von Ratifikation, Annahme oder Genehmigung (vgl. Art. 37 f. HKÜ). Wie die meisten bisherigen Haager Übereinkommen liegt auch das HKÜ nicht für alle Staaten zur Unterzeichnung auf.121 Gemäß Art. 37 Abs. 1 HKÜ können nur Staaten, die zum Zeitpunkt der Vierzehnten Tagung der Haager Konferenz Mitglied der Konferenz waren, das Übereinkommen unterzeichnen.122 Allen anderen Staaten bleibt nur der Weg über einen Beitritt (Art. 38 Abs. 1 HKÜ). Gemäß Art. 38 Abs. 4 HKÜ wirkt ein Beitritt jedoch nur in den Beziehungen zwischen dem beitretenden Staat und den Vertragsstaaten, die erklären, den Beitritt anzunehmen.123 Dieses Zustimmungserfordernis gilt jedoch ausschließlich für „Beitritte“. Im Verhältnis zu Staaten, die zum Zeitpunkt der Tagung Mitglied der Haager Konferenz waren, wirkt das Übereinkommen nach deren Ratifikation, Annahme oder Genehmigung im Verhältnis zu allen anderen Vertragsstaaten, ohne dass eine Zustimmung zu Ratifikation, Annahme oder 119
Siehe Kapitel 1 B. (S. 15). Das System der Bilateralisierung wird jedoch zum Teil als Option für künftige Vorhaben ins Gespräch gebracht, vgl. Coester-Waltjen RabelsZ 57 (1993), 263 (289): „interessantes Vorbild für komplexe, nur teilweise allgemein kompromißfähige Rechtsgebiete“. 121 Seltene Ausnahmen finden sich etwa in Art. 27 HGÜ, Art. 23 HUnthP, Art. 17 HWpÜ. 122 In anderen Haager Übereinkommen wird zum Teil nach anderen Kriterien eingeschränkt, z.B. Teilnahme an der Diplomatischen Konferenz unabhängig von einer Mitgliedschaft (z.B. Art. 26 Abs. 1 HZÜ). 123 Vgl. Basedow, RabelsZ 82 (2018), 922 (930), der eine vergleichbare Regelung im Rahmen eines weltweiten Haager Vollstreckungsübereinkommens vorschlägt. 120
E. Treaty relationship mechanism
105
Genehmigung erforderlich wäre.124 Ähnliche Mechanismen finden sich auch in Art. 28 Abs. 4 des Haager Scheidungsübereinkommen,125 in Art. 18 Abs. 4 HStVÜ126 sowie in Art. 39 Abs. 4 HBewÜ.127 3. Einspruchslösung Andere Übereinkommen der Haager Konferenz sehen eine Einspruchslösung (auch: „Widerspruchlösung“ oder „opt-out-Mechanismus“) vor. Charakteristisch für diesen Mechanismus ist, dass der Beitritt eines Staates nur im Verhältnis zwischen dem beitretenden Staat und den Vertragsstaaten wirkt, die innerhalb einer bestimmten Frist keinen Einspruch dagegen erhoben haben. Während die Zustimmungslösung ein Aktivwerden der Vertragsstaaten erfordert, um das Entstehen von völkervertraglichen Beziehungen im bilateralen Verhältnis zustande zu bringen, müssen Vertragsstaaten bei der Einspruchslösung tätig werden, wenn sie das Entstehen bilateraler Beziehungen verhindern möchten. Als Beispiele für die Einspruchslösung lassen sich unter anderem Art. 58 Abs. 5 HUnthGÜ, Art. 54 Abs. 3 ErwSÜ,128 Art. 58 Abs. 3 KSÜ, Art. 44 Abs. 3 HAdoptÜ,129 Art. 28 Abs. 3 des Haager Trust-Übereinkommen,130 Art. 32 Abs. 3 HRpflÜ,131 Art. 42 Abs. 3 und 4 des Haager Nachlassverwaltungsübereinkommens,132 Art. 31 Abs. 3 HUnthÜ133 sowie Art. 12 Abs. 2 124
Heiderhoff, in: MüKO-BGB, Vorbem. zum KindEntfÜbk, Rn. 23. Haager Übereinkommen vom 1. Juni 1970 über die Anerkennung von Ehescheidungen und Ehetrennungen. Eine deutsche Übersetzung ist verfügbar unter . 126 Haager Übereinkommen vom 4. Mai 1971 über das auf Straßenverkehrsunfälle anzuwendende Recht. Eine deutsche Übersetzung ist verfügbar unter . 127 Ein Art. 38 Abs. 4 HKÜ entsprechender Vorschlag für einen opt-in-Mechanismus fand sich auch als Alternative B in Art. 42 Interim Text 2001. 128 Haager Übereinkommen vom 13. Januar 2000 über den internationalen Schutz von Erwachsenen (BGBl. 2007 II S. 323). 129 Haager Übereinkommen vom 29. Mai 1993 über den Schutz von Kindern und die Zusammenarbeit auf dem Gebiet der internationalen Adoption (BGBl. 2001 II S. 1034). 130 Haager Übereinkommen vom 1. Juli 1985 über das auf Trusts anzuwendende Recht und über ihre Anerkennung (Text abrufbar unter ). 131 Haager Übereinkommen vom 25. Oktober 1980 über den internationalen Zugang zur Rechtspflege (Text abrufbar unter ). 132 Haager Übereinkommen vom 2. Oktober 1973 über die internationale Nachlassverwaltung (Text abrufbar unter ). 133 Haager Übereinkommen vom 2. Oktober 1973 über die Anerkennung und Vollstreckung von Unterhaltsentscheidungen (BGBl. 1986 II S. 825). 125
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Kapitel 3: Wesentliche Charakteristika
HApostilleÜ134 anführen. Bei der Einspruchslösung im Rahmen der genannten Übereinkommen wurde regelmäßig zwischen Staaten unterschieden, die während der Verhandlungen Mitglied der Haager Konferenz waren oder sonst an den Verhandlungen teilgenommen haben (im Folgenden: „privilegierte Staaten“) und solchen, auf die beides nicht zutrifft (im Folgenden: „nichtprivilegierte Staaten“).135 Die Vorschriften sehen vor, dass ein Vertragsstaat binnen einer bestimmten Zeit einen Einspruch einlegen kann, wenn ein nichtprivilegierter Staat dem Übereinkommen beitritt (z.B. Art. 58 Abs. 5 S. 1 HUnthGÜ). Ein privilegierter Staat kann zudem bei der Ratifikation des Übereinkommens einen Einspruch erklären, wenn ein nicht-privilegierter Staat bereits Vertragsstaat des Übereinkommens ist (vgl. z.B. Art. 58 Abs. 5 S. 2 HUnthGÜ). Ein Einspruch verhindert nicht, dass der betreffende Staat Vertragsstaat wird, sondern führt lediglich dazu, dass das Übereinkommen im Verhältnis der beiden Staaten keine Wirkung entfaltet (vgl. z.B. Art. 58 Abs. 5 S. 1 HUnthGÜ). Es ist jederzeit möglich, den Einspruch zu widerrufen, wodurch das Übereinkommen im Verhältnis der beiden Staaten ab diesem (oder einem anderweitig bestimmten) Zeitpunkt in Kraft tritt.136 4. Veto-Lösung Einige wenige Haager Übereinkommen sehen für Vertragsstaaten, die das jeweilige Übereinkommen zuvor ratifiziert haben, die Möglichkeit vor, ein Veto gegen den Beitritt von Staaten einzulegen. Terminologisch wird in den englischen Sprachfassungen nicht unterschieden zwischen Einspruch und Veto. In beiden Fällen sprechen die Übereinkommen von „objection“. In den französischen Sprachfassungen wurde jedoch regelmäßig der Begriff „opposition“ für ein Veto (z.B. in Art. 28 Abs. 2 HZÜ) und der Begriff „objection“ für einen Einspruch (z.B. in Art. 58 Abs. 5 HUnthGÜ) verwendet. Der Unterschied zwischen Einspruch und Veto liegt in ihrer Wirkung. Denn ein Veto verhindert insgesamt, dass ein Staat Vertragspartei wird und betrifft nicht bloß die zwischenstaatliche Anwendbarkeit zwischen beitretendem und dem den Einspruch erhebenden Staat. Der Veto-Lösung folgen Art. 28 Abs. 2 HZÜ, Art. 20 Abs. 2 des Haager Adoptionsübereinkommens von 1965,137 134
Haager Übereinkommen vom 5. Oktober 1961 zur Befreiung ausländischer öffentlicher Urkunden von der Legalisation (BGBl. 1965 II S. 875). 135 Borrás/Degeling, Explanatory Report, Rn. 693 f. 136 Dies entspricht der ständigen Praxis: vgl. z.B. zum HApostilleÜ den Widerruf des Einspruchs Deutschlands gegen den Beitritt Perus oder den Widerruf des Einspruchs der USA gegen den Beitritt Liberias, vgl. die entsprechenden Hinweise in der Statustabelle: (Stand: 25.4.2021). 137 Haager Übereinkommen vom 15. November 1965 über die behördliche Zuständigkeit, das anzuwendende Recht und die Anerkennung von Entscheidungen auf dem Gebiet der Annahme an Kindesstatt (Text abrufbar unter ).
E. Treaty relationship mechanism
107
Art. 18 Abs. 2 HGÜWG, Art. 10 Abs. 1 HKUnthÜ138 sowie Art. 31 Abs. 1 HZPÜ139. Ein weiteres Beispiel findet sich in Art. 29 Abs. 2 HVÜ.140 Das HVÜ sah insofern mit der Möglichkeit eines Vetos und dem System der Bilateralisierung eine doppelte Absicherung hinsichtlich der Entstehung von zwischenstaatlichen Vertragsbeziehungen vor.141 Das Veto-Recht ist im Rahmen der Haager Übereinkommen nie genutzt worden. Das Haager Adoptionsübereinkommen von 1965 sowie das HGÜWG sind nicht in Kraft getreten,142 so dass Beitritte, gegen die ein Veto hätte erklärt werden können, bisher nicht möglich waren.143 Im Rahmen der übrigen Übereinkommen (HVÜ, HZÜ, HKUnthÜ und HZPÜ) kam es zwar zu Beitritten, jedoch ist ein Veto nie erklärt worden.144 5. „Völlig offene“ Übereinkommen Andere Haager Übereinkommen verzichten gänzlich auf einen treaty relationship mechanism. Sie können als „völlig offene“ Übereinkommen bezeichnet werden. Das gilt beispielsweise für das HWpÜ und das Haager Unterhaltsprotokoll (HUnthP)145. Beide Übereinkommen sehen keinen treaty relationship mechanism vor. Die Interessenlage ist jedoch bei Übereinkommen, die lediglich das anwendbare Recht regeln, schwerlich mit einem Anerkennungs- und Vollstreckungsübereinkommen zu vergleichen.146 Denn für die Anwendung der kollisionsrechtlichen Regeln dieser Übereinkommen ist es aus Perspektive eines Vertragsstaats aufgrund des Grundsatzes der universellen Anwendung147
138
Haager Übereinkommen vom 24. Oktober 1956 über das auf Unterhaltsverpflichtungen gegenüber Kindern anzuwendende Recht (BGBl. 1961 II S. 1012). 139 Haager Übereinkommen vom 1. März 1954 über den Zivilprozess (BGBl. 1958 II S. 576). 140 Pertegás, in: Basedow/Rühl/Ferrari/de Miguel Asensio, EPrIL, Bd. 2, Eintrag „Treaties in Private International Law“, S. 1743 (1747). 141 Man mag sich fragen, warum Vertragsstaaten ein Veto-Recht gegenüber beitretenden Staaten zugestanden wird, wenn der Beitritt mangels eines bilateralen Abkommens mit dem beitretenden Staat ohnehin keine Pflicht zur gegenseitigen Urteilsanerkennung auslöst (vgl. Art. 21 HVÜ). 142 Vgl. die jeweiligen Statustabellen, abrufbar unter . 143 Vgl. Art. 20 Abs. 1 S. 1 des Haager Adoptionsübereinkommens von 1965 sowie Art. 18 Abs. 1 S. 1 HGÜWG. 144 Vgl. die jeweiligen Statustabellen, abrufbar unter . 145 Haager Protokoll vom 23. November 2007 über das auf Unterhaltspflichten anzuwendende Recht (ABl. 2009 L 331/19). 146 Schack, RabelsZ 57 (1993), 224 (257). 147 Vgl. dazu von Bar/Mankowski, IPR I § 3 Rn. 72. Anders teilweise noch in älteren Haager Übereinkommen, vgl. z.B. Art. 6 HKUnthÜ.
108
Kapitel 3: Wesentliche Charakteristika
(vgl. Art. 9 HWpÜ und Art. 2 HUnthP) letztlich ohne Auswirkung, ob ein anderer Staat Vertragsstaat ist oder nicht. Allerdings verzichtet auch das HGÜ, welches als convention double sowohl die Zuständigkeit als auch die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen regelt, auf einen treaty relationship mechanism. Das HGÜ ist vielmehr als „völlig offenes“ Übereinkommen konzipiert. Maßgeblich dürfte dafür primär die Erwägung gewesen sein, dass das HGÜ auf dem Grundsatz der Parteiautonomie beruht148 und das UNÜ, dessen Pendant das HGÜ darstellt, ebenfalls ohne einen treaty relationship mechanism auskommt. III. Die Lösung in Art. 29 HAVÜ Die Frage, ob und in welcher Form ein treaty relationship mechanism Teil des HAVÜ werden sollte, wurde, obgleich dazu kein Text in die Konventionsentwürfe aufgenommen worden war, bereits im Vorfeld der 22. Haager Konferenz diskutiert.149 Es handelte sich um einen besonders strittigen Punkt während der Diplomatischen Konferenz.150 Dabei präferierten einige Staaten ein „völlig offenes“ Übereinkommen, also das Absehen von einem treaty relationship mechanism, während andere einen opt-out-Mechanismus im Sinne der Einspruchslösung bevorzugten (mit unterschiedlichen Vorstellungen hinsichtlich der Ausgestaltung im Einzelnen). Demgegenüber gab es nur wenig Unterstützung für einen opt-in-Mechanismus im Sinne der Zustimmungslösung.151 Die Fehler des HVÜ wollte man in jedem Fall vermeiden.152 Der in Art. 29 HAVÜ gefundene Kompromiss folgt der Einspruchslösung. Der Mechanismus weist jedoch im Unterschied zu bisherigen Haager Übereinkommen einige Besonderheiten auf. Art. 29 HAVÜ vermeidet den Begriff des Einspruchs („objection“), der bisher in Übereinkommen der Haager Konferenz verwendet wurde. Das HAVÜ spricht nun von einer „Notifikation“ darüber, 148
Vgl. Schulz, Report on the First Meeting of the Informal Working Group on the Judgments Project, PrelDoc No 20 of November 2002, Rn. 82; so auch Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 407; Bonomi/Mariottini, YbPIL 20 (2018/19), 537 (547); Stein, IPRax 2020, 197 (198); Zhao, SRIEL 2020, 345 (355); kritisch zu dieser Rechtfertigung: Mariottini, YbPIL 21 (2019/20), 365 (378 f.). 149 Vgl. Brand, University of Pittsburgh Legal Studies Research Paper No. 2019-02, S. 33 f.; Goddard, Duke J. Comp. & Int'l L. 29 (2019), 473 (488 f.); Teitz, Duke J. Comp. & Int'l L. 29 (2019), 491 (505 f.). 150 Siehe z.B. Minutes of the 22nd Session, Commission I, Minutes No 13, Meeting of 26 June 2019 (afternoon), Rn. 99–116 (bisher unveröffentlicht). Siehe auch Stein, IPRax 2020, 197 (198). 151 Minutes of the 22nd Session, Commission I, Minutes No 4, Meeting of 19 June 2019 (afternoon), Rn. 93 ff., 109 (bisher unveröffentlicht). 152 Vgl. Minutes of the 22nd Session, Commission I, Minutes No 13, Meeting of 26 June 2019 (afternoon), Rn. 111 (bisher unveröffentlicht); vgl. auch Zhang/Tu, JIDS 2020, 614 (617 f.).
E. Treaty relationship mechanism
109
dass die Ratifikation, Annahme, Genehmigung oder der Beitritt des anderen Staates nicht die Entstehung einer bilateralen Beziehung zwischen den Staaten zur Folge haben soll. In der Wirkung unterscheidet sich eine solche Notifikation jedoch nicht entscheidend von einem „Einspruch“ im Sinne anderer Haager Übereinkommen. 1. Keine Privilegierung bestimmter Staaten Die bisher übliche Unterscheidung zwischen Mitgliedsstaaten der Haager Konferenz oder solchen Staaten, die an den Verhandlungen teilgenommen haben einerseits und den übrigen Staaten andererseits, wurde aufgegeben.153 Dies trägt dem Umstand Rechnung, dass die Haager Konferenz heute eine globale Organisation darstellt154 und Vorbehalte gegenüber anderen Staaten auch innerhalb der Haager Konferenz nicht ausgeschlossen sind.155 Jeder Staat der Welt kann gemäß Art. 24 HAVÜ frei wählen, auf welchem Wege er sich an das Übereinkommen binden möchte (d.h. Beitritt oder aber Unterzeichnung gefolgt von Ratifikation, Annahme oder Genehmigung). Die Möglichkeit zum „Einspruch“ besteht unabhängig davon, welcher Weg gewählt wird und ist in keiner Weise an eine Mitgliedschaft oder Teilnahme an den Verhandlungen gekoppelt. Jeder Vertragsstaat hat bezüglich jedem neu hinzukommenden Staat die Möglichkeit, eine Notifikation nach Art. 29 Abs. 1 HAVÜ abzugeben, um zu verhindern, dass das Übereinkommen im Verhältnis zwischen den beiden Staaten zur Anwendung gelangt (Art. 29 Abs. 2 HAVÜ). Genauso kann jeder neu hinzukommende Vertragsstaat auch im Verhältnis zu jedem beliebigen bisherigen Vertragsstaat das Entstehen von Vertragsbeziehungen durch Notifikation verhindern (Art. 29 Abs. 3 HAVÜ). Sofern eine Organisation der regionalen Wirtschaftsintegration selbst Vertragspartei des HAVÜ wird, kann sich eine Notifikation nur auf die Organisation als Ganzes beziehen.156 Wird die Europäische Union nach Maßgabe des Art. 27 HAVÜ Vertragspartei des Übereinkommens, ist ein „Einspruch“ nur gegenüber der Europäischen Union insgesamt möglich und nicht gegenüber einzelnen Mitgliedsstaaten der Europäischen Union.157 Entsprechend kann ein „Einspruch“ betreffend Staaten mit nicht einheitlichen Rechts- bzw. Justizsystemen nicht auf einzelne territoriale Einheiten beschränkt werden.158 Aus 153 Mariottini, YbPIL 21 (2019/20), 365 (375); Stein, IPRax 2020, 197 (198); Wilderspin/Vysoka, NIPR 2020, 34 (48). 154 Siehe Kapitel 1 I. (S. 38). 155 Vgl. Mariottini, YbPIL 21 (2019/20), 365 (375 f.); Stein, IPRax 2020, 197 (198). 156 Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 411; Mariottini, YbPIL 21 (2019/20), 365 (368 f.). 157 Stein, IPRax 2020, 197 (199). 158 Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 411; Mariottini, YbPIL 21 (2019/20), 365 (368 f.).
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Kapitel 3: Wesentliche Charakteristika
Art. 22 Abs. 1 HAVÜ ergibt sich hier nichts anderes, da Art. 29 HAVÜ Staaten die Möglichkeit der Notifikation gegenüber anderen Staaten einräumt. Art. 22 HAVÜ fordert aber die Bezugnahme auf das Recht, das Verfahren, die Gerichte eines Staates oder die Bezugnahme auf einen anderen Anknüpfungsmoment. Derartige Bezugnahmen finden sich in Art. 29 HAVÜ nicht. 2. Zeitpunkt Vertragsstaaten des HAVÜ steht ein Zeitraum von 12 Monaten zur Verfügung, um im Verhältnis zu neu hinzukommenden Vertragsstaaten per Notifikation das Entstehen von Vertragsbeziehungen zu verhindern (Art. 29 Abs. 2 HAVÜ). Die 12-Monatsfrist läuft ab der Notifikation durch den Depositar über die Ratifikation, Annahme, Genehmigung oder Beitritt des neuen Vertragsstaats (Art. 29 Abs. 2 HAVÜ). Im Verhältnis zu bisherigen Vertragsstaaten können neu hinzukommende Vertragsstaaten ihren „Einspruch“ nur bei ihrer Ratifikation, Annahme, Genehmigung oder Beitritt erklären (Art. 29 Abs. 3 HAVÜ). Da sie sich im Vorfeld über die bisherigen Vertragsstaaten informieren können, sah man für sie kein Bedürfnis für eine Überlegungsfrist.159 Ebenso wie bei den Einspruchslösungen in bisherigen Haager Übereinkommen ist eine Notifikation also nur zeitlich begrenzt im Zusammenhang mit Ratifikation, Annahme, Genehmigung oder Beitritt möglich. Die Notifikation nach Art. 29 Abs. 1 HAVÜ ist nur binnen 12 Monaten gegenüber neu hinzukommenden Vertragsstaaten möglich (Abs. 2) oder durch den neu hinzukommenden Vertragsstaat bei Hinterlegung der Ratifikations-, Annahme-, Genehmigungs- oder Beitrittsurkunde (Abs. 3), also jeweils zu Zeitpunkten, in dem das Übereinkommen im Verhältnis der jeweiligen Staaten zueinander noch nicht in Kraft getreten ist. Das Inkrafttreten ist nämlich gerade an den Ablauf der Frist nach Art. 29 Abs. 2 HAVÜ gekoppelt (Art. 28 Abs. 1 und Abs. 2 lit. a HAVÜ).160 Eine Möglichkeit, im Verhältnis zu einem anderen Vertragsstaat nach diesem Zeitpunkt, also nachdem das Übereinkommen im Verhältnis der beiden Staaten wirksam geworden ist, einen „Einspruch“ zu erklären, sieht das HAVÜ nicht vor. Der Begriff der „Eingangskontrolle“161 ist in diesem Zusammenhang allerdings missverständlich, da auch der neu hinzukommende Staat eine Notifikation nach Art. 29 Abs. 1 HAVÜ gegenüber bisherigen Vertragsstaaten abgeben kann.
159 Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 413; Bonomi/Mariottini, YbPIL 20 (2018/19), 537 (547); Mariottini, YbPIL 21 (2019/20), 365 (368); Stein, IPRax 2020, 197 (198). 160 Siehe exemplarisch auch Art. 60 Abs. 2 lit. b HUnthGÜ, der sicherstellt, dass das Übereinkommen für einen beitretenden Staat erst nach Ablauf der Frist zur Erhebung von Einsprüchen in Kraft tritt. 161 Vgl. Stein, IPRax 2020, 197 (198).
E. Treaty relationship mechanism
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In den Verhandlungen war von einigen Staaten zunächst eine zeitlich unbeschränkte „Einspruchsmöglichkeit“162 befürwortet worden.163 Für eine solche Möglichkeit lassen sich verschiedene Argumente anführen. Versteht man die „Einspruchsmöglichkeit“ als einen generellen Sicherungsmechanismus gegenüber Urteilen von Gerichten, deren Unparteilichkeit und Zuverlässigkeit aufgrund systemischer Mängel des Rechts- und Justizsystems in Frage steht, dann ist eine zeitliche Beschränkung inkonsequent. Denn die Funktionsfähigkeit und Unparteilichkeit der Justiz kann dynamischen Entwicklungen unterliegen.164 Rechts- und Justizsysteme, die heute noch als neutral und zuverlässig erscheinen, können in einigen Jahren oder Jahrzehnten vielleicht parteilich und korrupt sein. Außerdem lässt sich die Sorge formulieren, dass Staaten, wenn sie nur eine einmalige Chance haben, den „Einspruch“ zu erklären, sich im Zweifel für den „Einspruch“ entscheiden könnten.165 Demgegenüber hätte der jeweilige Staat bei fortbestehender „Einspruchsmöglichkeit“ zunächst noch einmal abwarten können. Es ist damit denkbar, dass eine zeitlich unbeschränkte „Einspruchsmöglichkeit“ die Reichweite des Übereinkommens gefördert und zudem die Hemmschwelle gesenkt hätte, Vertragsstaat des Übereinkommens zu werden. Demgegenüber hätte eine zeitlich unbeschränkte „Einspruchsmöglichkeit“ jedoch erhebliche Nachteile im Hinblick auf die Rechtsklarheit und -sicherheit.166 Rechtsanwender müssten immer wieder prüfen, ob nicht doch noch ein „Einspruch“ eingelegt worden ist. Im Rahmen von fortlaufenden Geschäftsbeziehungen zwischen Unternehmen könnte ein plötzlicher opt-out die Grundla-
162 Eine zeitlich unbefristete Möglichkeit, bereits entstandene Vertragsverhältnisse voraussetzungslos wieder zu beenden, wurde in Art. 42 Interim Text 2001 (als Alternative A) zur Diskussion gestellt – allerdings als Teil eines opt-in-Mechanismus. Nach Art. 42 Abs. 1 Interim Text 2001 sollte das Übereinkommen nur zwischen Staaten in Kraft treten, die dahingehend übereinstimmend eine Erklärung abgegeben haben. Allerdings sollte es den Vertragsstaaten nach diesem Vorschlag jederzeit freistehen, solche Erklärungen zu ändern oder zurückzuziehen (Art. 42 Abs. 2 S. 2 Interim Text 2001). 163 WorkDoc No 24 E REV REV of June 2019 (bisher unveröffentlicht) sah als Teil von einer von zwei zur Diskussion gestellten Optionen folgende Regelung vor: „A Contracting State may at any time notify the depositary that relations with another State pursuant to the Convention shall not continue.“; vgl. auch: Minutes of the 22nd Session, Commission I, Minutes No 13, Meeting of 26 June 2019 (afternoon), Rn. 100 (bisher unveröffentlicht); Minutes of the 22nd Session, Commission I, Minutes No 16, Meeting of 28 June 2019 (morning), Rn. 55–64 (bisher unveröffentlicht). 164 Vgl. Nielsen, JPIL 2020, 205 (244). 165 Vgl. Minutes of the 22nd Session, Commission I, Minutes No 13, Meeting of 26 June 2019 (afternoon), Rn. 100 (bisher unveröffentlicht). 166 Vgl. auch Minutes of the 22nd Session, Commission I, Minutes No 4, Meeting of 19 June 2019 (afternoon), Rn. 104 (bisher unveröffentlicht); Sun/Wu, Chinese JIL 2020, 481 (488).
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Kapitel 3: Wesentliche Charakteristika
gen der wirtschaftlichen Zusammenarbeit gefährden. Ein ebenfalls sehr gewichtiges Argument gegen eine zeitlich unbeschränkte „Einspruchsmöglichkeit“ ist die drohende Politisierung des Übereinkommens.167 Es bestünde die Gefahr, dass Staaten den „Einspruch“ als Drohmittel oder Sanktion gegenüber anderen Staaten einsetzen und so zwischenstaatliche Konflikte auf dem Rücken von Privaten austragen. Durch die zeitliche Beschränkung ist die Gefahr der Politisierung des Übereinkommens zumindest reduziert. Im Übrigen lässt sich dem Argument, dass sich Staaten im Zweifel für einen „Einspruch“ entscheiden, wenn sie nur einmalig die Möglichkeit dazu haben, entgegnen, dass die Hemmschwelle zum offenen Affront gegenüber anderen Staaten in der Regel relativ hoch ist. Lediglich vorsichtshalber erklärte „Einsprüche“ dürften daher die Ausnahme darstellen. 3. Widerruf Der „Einspruch“ kann vom Staat, der ihn erhoben hat, jederzeit widerrufen werden. Dies war und ist bereits bisher die ständige Praxis im Rahmen von Haager Übereinkommen, die der Einspruchslösung folgen.168 Art. 29 Abs. 4 HAVÜ normiert dies nun ausdrücklich und regelt zudem das Wirksamwerden des Widerrufs in zeitlicher Hinsicht. Art. 29 Abs. 4 HAVÜ erlaubt jedoch keinen Widerruf des Widerrufs. Dies käme einer zeitlich unbeschränkten „Einspruchsmöglichkeit“ gleich. Eine solche war im Rahmen der Verhandlungen jedoch auf erhebliche Bedenken gestoßen und schließlich abgelehnt worden.169 Art. 29 Abs. 4 HAVÜ erlaubt seinem Wortlaut nach nur einen Widerruf der nach Art. 29 Abs. 2 oder 3 HAVÜ abgegebenen Notifikationen, nicht hingegen einen Widerruf des Widerrufs nach Art. 29 Abs. 4 HAVÜ. Mit der gewählten Regelungstechnik haben sich die Staaten auf eine im Ausgangspunkt zeitlich unbegrenzte Wirksamkeit des „Einspruchs“ festgelegt. Er gilt solange, bis er gemäß Art. 29 Abs. 4 HAVÜ zurückgezogen wird. Alternativ wäre ein Mechanismus denkbar gewesen, wonach der „Einspruch“ nach einer gewissen Zeit (z.B. nach drei oder fünf Jahren) verfällt, sofern er nicht erneuert wird.170 Dies hätte Vertragsstaaten dazu gezwungen, sich immer wieder damit auseinanderzusetzen, ob die Gründe für den „Einspruch“ weiterhin gegeben sind. Es wird, da das HAVÜ auf einen solchen Mechanismus verzichtet
167
Vgl. auch Minutes of the 22nd Session, Commission I, Minutes No 4, Meeting of 19 June 2019 (afternoon), Rn. 105 (bisher unveröffentlicht). 168 Siehe Kapitel 3 E.II.3. (S. 105). 169 Minutes of the 22nd Session, Commission I, Minutes No 16, Meeting of 28 June 2019 (morning), Rn. 54–64 (bisher unveröffentlicht). 170 Vgl. auch den Ansatz von Basedow, RabelsZ 82 (2018), 922 (930), der vorschlägt, dass Staaten durch eine zeitlich nur begrenzt wirksame Erklärung positiv die Vertragsstaaten bestimmen sollen, deren Urteile sie anerkennen, was gleichzeitig die übrigen ausschließt.
F. Das HAVÜ als Bündel bilateraler Beziehungen
113
hat, die Rolle des Ständigen Büros der Haager Konferenz bzw. dessen Generalsekretärs sein, Vertragsstaaten in regelmäßigen Intervallen an die Überprüfung der Notifikationen im Sinne des Art. 29 HAVÜ zu erinnern (vgl. Art. 21 HAVÜ).171 4. Keine materiellen Voraussetzungen Art. 29 HAVÜ stellt – ebenso wie bisherige Haager Übereinkommen – keine Voraussetzungen für die Erklärung eines „Einspruchs“ auf. Jeder Staat kann frei entscheiden, ob und aus welchen Gründen er einen „Einspruch“ gegenüber einem anderen Staat erklärt. Im Rahmen der 22. Haager Konferenz wurde zwar durchaus darüber nachgedacht, Voraussetzungen in den Text aufzunehmen, um den Ausnahmecharakter zu verdeutlichen.172 Denkbar wäre etwa die Voraussetzung „schwerwiegender Umstände“ oder das Erfordernis „eines starken Interesses“ gewesen, wie es in Art. 18 Abs. 1 HAVÜ als Voraussetzung für eine Erklärung zum Ausschluss bestimmter Materien vom Anwendungsbereich formuliert ist. In dieser Form hätte der Ausnahmecharakter einer Notifikation unter Art. 29 Abs. 1 HAVÜ verdeutlicht werden können. Es gab jedoch keine hinreichende Unterstützung für die Aufnahme einer entsprechenden Voraussetzung in den Text oder den Explanatory Report. Im Hinblick auf die diplomatischen Beziehungen zwischen Staaten ist es wohl regelmäßig besser, wenn die hinter einer Notifikation stehenden Erwägungen unausgesprochen bleiben.
F. Das HAVÜ als Bündel bilateraler Beziehungen Ungeachtet der Tatsache, dass das HAVÜ ein multilaterales Übereinkommen darstellt, bedarf es stets einer Betrachtung des bilateralen Verhältnisses zwischen Ursprungsstaat und ersuchtem Staat. Der Mechanismus des Art. 29 HAVÜ regelt die Frage, unter welchen Bedingungen unter dem HAVÜ ein System gegenseitiger Urteilsanerkennung im bilateralen Verhältnis zwischen Vertragsstaaten des HAVÜ zur Entstehung gelangt. Damit ist die Frage nach multilateralen und bilateralen Elementen des Übereinkommens allerdings noch nicht erschöpfend beantwortet. Denn Art. 29 HAVÜ sagt nicht unmittelbar, „wem gegenüber“ Pflichten unter dem HAVÜ bestehen. Ist das HAVÜ mangels Notifikation nach Art. 29 Abs. 1 HAVÜ zwischen den Vertragsstaaten A 171 Die Notifikation ist zwar keine Erklärung i.S.d. Art. 21 HAVÜ (vgl. Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 354). Das HAVÜ unterscheidet vielmehr begrifflich zwischen „notification“ und „declaration“ (vgl. z.B. Art. 32 lit. c HAVÜ). Auch die Notifikation des Art. 29 HAVÜ dürfte aber zur praktischen Durchführung des Übereinkommens („operation of this Convention“) i.S.d. Art. 21 HAVÜ zu zählen sein. 172 Vgl. Minutes of the 22nd Session, Commission I, Minutes No 13, Meeting of 26 June 2019 (afternoon), Rn. 104 (bisher unveröffentlicht).
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Kapitel 3: Wesentliche Charakteristika
und B wirksam geworden, stellt sich die Frage, ob die Verpflichtung von A, ein in den Anwendungsbereich fallendes Urteil aus B anzuerkennen, nur gegenüber B oder aber gegenüber allen Vertragsstaaten (erga omnes partes) besteht. Mit anderen Worten: Normiert Art. 4 Abs. 1 HAVÜ eine bilaterale oder eine multilaterale völkerrechtliche Verpflichtung?173 Als Ausgangspunkt kann im Völkerrecht die Annahme gelten, dass völkervertragliche Pflichten typischerweise bilateraler Natur sind, und zwar auch wenn sie Bestandteil eines multilateralen Übereinkommens sind.174 Für eine multilaterale Verpflichtung ließe sich zwar anführen, dass die vom HAVÜ bezweckte Förderung der Rechtssicherheit im grenzüberscheitenden Rechtsverkehr als Kollektivinteresse eingeordnet werden kann. Es geht zudem um effektive Rechtsdurchsetzung für private Parteien. Daran können Staaten unabhängig davon ein Interesse haben, ob sie Ursprungsstaat des konkret in Frage stehenden Urteils waren. Dieses allgemeine Interesse dürfte jedoch nicht genügen, um von einem multilateralen Charakter der unter dem HAVÜ bestehenden Pflicht zur Urteilsanerkennung auszugehen. Denn die Urteilsanerkennung betrifft naturgemäß zunächst das Verhältnis zwischen zwei Staaten, dem Ursprungsstaat und dem ersuchten Staat. Es ist also – anders als etwa bei Umweltschutzübereinkommen oder Menschenrechtskonventionen175 – ohne größere Schwierigkeiten möglich, zuzuordnen, welchen anderen Staat eine Pflichtverletzung betrifft. Ein Indiz für die bilaterale Natur der Pflicht unter Art. 4 Abs. 1 HAVÜ ist außerdem, dass der Umfang der Pflichten des ersuchten Staats von abgegebenen Erklärungen des Ursprungsstaats abhängen kann.176 Wenn also für die Frage nach einer Pflicht zur Anerkennung unter dem HAVÜ das jeweils bilaterale Verhältnis zwischen Ursprungsstaat und ersuchtem Staat zu betrachten ist, dann spricht dies dafür, dass die entsprechende Pflicht auch nur im Verhältnis zu dem anderen Vertragsstaat besteht. Versteht man die Pflicht zur Anerkennung und Vollstreckung nach Art. 4 Abs. 1 HAVÜ als bilaterale Pflicht des ersuchten Staates gegenüber dem Ursprungsstaat, lässt sich auch plausibel erklären, warum ein später abgeschlossenes völkerrechtliches Abkommen zwischen ersuchtem Staat und Ursprungsstaat diese Pflicht entfallen lassen kann (vgl. Art. 23 Abs. 3 S. 1 HAVÜ).177 Auch hinsichtlich der Pflicht zur Nichtanerkennung nach Art. 6 HAVÜ („if and only if“) sprechen überzeugende Argumente für eine Einordnung als bilaterale Verpflichtung. Mit der Nichtanerkennung erfüllt der ersuchte Staat eine 173 Ausführlich zu dieser Unterscheidung: Pauwelyn, EJIL 14 (2003), 907 (908 ff.); siehe auch IGH 20.7.2012, ICJ-Reports 2012, 422 (449 f.) – Questions relating to the Obligation to Prosecute or Extradite (Belgien v Senegal). 174 Pauwelyn, EJIL 14 (2003), 907 (926); Sicilianos, EJIL 13 (2002), 1127 (1133). 175 Vgl. Pauwelyn, EJIL 14 (2003), 907 (933 f.). 176 Vgl. z.B. Art. 18, 19 HAVÜ. Näher dazu Kapitel 4 A.II.2. (S. 129) und D.II. (S. 168). 177 Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 379, 381.
G. (K)ein „à-la-carte Übereinkommen“?
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Verpflichtung im Verhältnis zum Belegenheitsstaat. Dafür sprechen insbesondere zwei Erwägungen. Erstens erfolgt die Nichtanerkennung des Urteils im Interesse des Belegenheitsstaats. Es ist die ausschließliche Zuständigkeit des Belegenheitsstaats über dingliche Rechte an unbeweglichen Sachen, die die Nichtanerkennung gebietet. Zweitens sprechen die Art. 23 Abs. 3 S. 2 und Abs. 4 lit. b HAVÜ von Verpflichtungen unter Art. 6 HAVÜ gegenüber anderen Vertragsstaaten („obligations under Article 6 towards Contracting States that are […]“). Diese Formulierung und die entsprechenden Ausführungen im Explanatory Report178 deuten darauf hin, dass die Verpflichtung zur Nichtanerkennung als eine Verpflichtung des ersuchten Staates im Verhältnis zum Belegenheitsstaat verstanden wird.179 Das HAVÜ kann daher als multilaterales Übereinkommen betrachtet werden, das ein Bündel bilateraler Beziehungen zusammenfasst. Als Kontrollüberlegung mag die Frage dienen, ob das HAVÜ theoretisch durch eine Reihe bilateraler Verträge ersetzt werden könnte.180 Würden künftige Beitrittskandidaten nicht dem HAVÜ beitreten, sondern – was sehr umständlich wäre und an den gescheiterten Ansatz des HVÜ erinnert – jeweils im bilateralen Verhältnis gleichlautende Abkommen schließen, wären ihre Pflichten im Wesentlichen identisch. Aus international-zivilverfahrensrechtlicher Sicht könnte man geneigt sein, die Frage für wenig relevant zu halten, wem gegenüber völkerrechtlich die Pflicht zur Anerkennung oder Nichtanerkennung besteht. Im Rahmen des HAVÜ greifen jedoch Völkerrecht und internationales Zivilverfahrensrecht ineinander. Ein grundlegendes Verständnis der durch das HAVÜ begründeten völkerrechtlichen Pflichten, ist auch für die praktische Anwendung des HAVÜ und seine Auslegung von entscheidender Bedeutung. Die Einordnung der Pflicht zur Nichtanerkennung als bilaterale, gegenüber dem Belegenheitsstaat bestehende Pflicht, ist beispielsweise grundlegend für die Bestimmung der Reichweite dieser Pflicht und des Verhältnisses von Art. 6 HAVÜ zu Art. 29 HAVÜ.181
G. (K)ein „à-la-carte Übereinkommen“? Das Übereinkommen ist im Grundsatz als einheitliches, feststehendes Regelungswerk konzipiert, welchem sich Staaten durch Ratifikation, Annahme, Genehmigung oder Beitritt in seiner Gesamtheit verpflichten. Das Übereinkom-
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Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 380, 383. In diesem Sinne wohl auch Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 241. 180 Vgl. Ratz, Investment Arbitration, S. 78. 181 Siehe Kapitel 5 B.VII.3. (S. 252). 179
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Kapitel 3: Wesentliche Charakteristika
men stellt im Ausgangspunkt kein Baukastenmodell oder „à-la-carte Übereinkommen“182 zur Verfügung, in welchem einzelne Abschnitte oder Artikel herausgepickt und andere aber abgelehnt werden könnten. Das HAVÜ erlaubt es Staaten nicht generell,183 lediglich einzelne der indirekten Zuständigkeitsgründe in Art. 5 und 6 HAVÜ als bindend zu akzeptieren und andere abzulehnen.184 Allerdings lässt das Übereinkommen an verschiedenen Stellen ausdrücklich einen gewissen Grad an Flexibilität zu. Es sieht teilweise vor, dass Staaten durch Abgabe von Erklärungen den Anwendungsbereich des Übereinkommens einschränken,185 spezielle Versagungsgründe schaffen186 oder bestimmte Verfahrensvorschriften abbedingen187 können.188 Entsprechende Regelungen unterliegen regelmäßig der Gegenseitigkeit189 und sind in ihrer Ausgestaltung restriktiv.190 Auch über die normierten Erklärungsmechanismen hinaus schließt das Übereinkommen es – im Unterschied zu einer Reihe früherer Haager Übereinkommen191 – allerdings nicht prinzipiell aus, dass Vertragsstaaten bei der Unterzeichnung, Ratifikation, Annahme oder Genehmigung des Übereinkommens im Einklang mit den völkerrechtlichen Regelungen Vorbehalte erklären.192 In den Verhandlungen stieß der Vorschlag, die Erklärung von Vorbehalten ausdrücklich auszuschließen, auf Bedenken.193 Der Vorschlag wurde
182 Der Begriff wird verwendet von Luginbühl/Wollgast, GRUR Int 2006, 208 (213). Siehe außerdem Schack, IPRax 2020, 1 (3): „Können Vertragsstaaten frei à la carte entscheiden, inwieweit sie sich binden wollen, so entweicht die letzte Luft aus dem mit Art. 2 Abs. 1 HAVÜ ohnehin schon durchlöcherten Anerkennungsübereinkommen.“ (mit Blick auf Art. 18 HAVÜ), siehe hierzu Kapitel 4 A.II.2. (S. 129). 183 Denkbar ist allenfalls, bestimmten besonderen Zuständigkeitsgründen durch entsprechende Erklärungen unter Art. 18 HAVÜ den Anwendungsbereich zu entziehen. 184 Die Idee eines solchen Modells ist jedoch anfangs ebenfalls in die Diskussion eingeflossen, vgl. Ständiges Büro der Haager Konferenz, PrelDoc No 5 of March 2012, Rn. 22 Fn. 36 und Rn. 32. 185 Siehe z.B. Art. 18 (siehe dazu Kapitel 4 A.II.2. (S. 129)) und Art. 19 Abs. 1 HAVÜ (siehe dazu Kapitel 4 D.II. (S. 168)). 186 Art. 17 HAVÜ (siehe dazu Kapitel 6 D.XI.2. (S. 315)). 187 Siehe Art. 14 Abs. 3 HAVÜ. 188 Die verfahrensrechtliche Zentralnorm ist Art. 30 HAVÜ, der die Vorschriften zu den einzelnen Erklärungsmechanismen in Bezug nimmt. 189 Siehe Art. 18 Abs. 2 und Art. 19 Abs. 2 HAVÜ; unklar für Art. 14 Abs. 3 HAVÜ: vgl. Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 325; die Gegenseitigkeitswirkung für Art. 14 Abs. 3 HAVÜ ablehnend Dotta Salgueiro, Neth. Int'l L. Rev. 2020, 113 (119). 190 Vgl. etwa Art. 18 Abs. 1 und Art. 19 Abs. 1 HAVÜ. 191 Vgl. z.B. Art. 27 HUnthP, Art. 21 HWpÜ, Art. 40 HAdoptÜ. 192 Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 420; Wilderspin/Vysoka, NIPR 2020, 34 (45). 193 Minutes of the 22nd Session, Commission I, Minutes No 4, Meeting of 19 June 2019 (afternoon), Rn. 85–92 (bisher unveröffentlicht).
G. (K)ein „à-la-carte Übereinkommen“?
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schließlich fallen gelassen.194 Ebenfalls zurückgenommen wurde der Vorschlag, die Möglichkeit, Vorbehalte zu erklären, ausdrücklich im Übereinkommenstext aufzunehmen. Dieser Vorschlag war als Alternative zum treaty relationship mechanism in Art. 29 HAVÜ gedacht gewesen und hatte sich aufgrund der insoweit erzielten Einigung zwischenzeitlich erledigt.195 Folglich schweigt das HAVÜ zur Frage der Zulässigkeit von Vorbehalten. Maßgeblich sind daher die Art. 2 Abs. 1 lit. d, Art. 19–23 WVK, die auch völkergewohnheitsrechtlich anerkannt sind.196 Die Erklärung von Vorbehalten ist danach nicht unbeschränkt möglich. Insbesondere ist gemäß Art. 19 lit. c WVK ein Vorbehalt nicht zulässig, wenn er mit Ziel und Zweck des Vertrags unvereinbar ist, wenn er also die raison d’être des Vertrages in Frage stellt.197 Insofern setzt das im dritten Absatz der Präambel des HAVÜ genannte Ziel, durch rechtssichere und einheitliche Regelungen die effektive Urteilsanerkennung und -vollstreckung zu fördern, der Erklärung von Vorbehalten Grenzen. Denn jede durch Vorbehalt erklärte individuelle Anpassung der Vertragspflichten stünde mit den Grundsätzen der Effektivität und Einheitlichkeit im Konflikt.198 Ab wann dabei die Grenze zur Unvereinbarkeit überschritten wird, ist eine Frage des Einzelfalls. Als unzulässig anzusehen wären jedoch jedenfalls vage und unbestimmt formulierte Vorbehalte, denn sie stünden der durch das HAVÜ bezweckten Vorhersehbarkeit und Rechtssicherheit entgegen.199
194 Minutes of the 22nd Session, Commission I, Minutes No 16, Meeting of 28 June 2019 (morning), Rn. 70 (bisher unveröffentlicht). 195 Minutes of the 22nd Session, Commission I, Minutes No 16, Meeting of 28 June 2019 (morning), Rn. 69 (bisher unveröffentlicht). 196 Pellet, in: Corten/Klein, The Vienna Conventions, Art. 19 Convention of 1969 Rn. 58 ff.; Villiger, Vienna Convention, Art. 19–23 Rn. 6 f. m.w.N.; ebenso: Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 420. 197 Walter, in: Dörr/Schmalenbach, VCLT, Art. 19 Rn. 74. 198 Ähnlich für das HGÜ Beaumont, Recueil des Cours, Bd. 340, S. 9 (40). 199 Vgl. allgemein Walter, in: Dörr/Schmalenbach, VCLT, Art. 19 Rn. 78 ff.
Kapitel 4
Anwendungsbereich Kapitel 4: Anwendungsbereich Die Überschrift von Kapitel I des HAVÜ („Scope and Definitions“ bzw. „Champ d’application et définitions“) legt bei unbefangener Lektüre nahe, dass im ersten Kapitel eine erschöpfende Regelung des Anwendungsbereichs erfolgt. Tatsächlich aber finden sich Vorschriften, die den Anwendungsbereich des Übereinkommens betreffen, verteilt über das gesamte Übereinkommen.1 Außer in der Überschrift von Kapitel I spricht das Übereinkommen in Art. 1 und 2 sowie Art. 19 HAVÜ von Anwendungsbereich („scope“ bzw. „champ d’application“). In diesen Normen geht es insbesondere um die Bestimmung des sachlichen (Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1–3 HAVÜ), des territorialen (Art. 1 Abs. 2 HAVÜ) und des persönlichen Anwendungsbereichs (Art. 2 Abs. 4, Art. 19 HAVÜ). Eine klare Differenzierung zwischen verschiedenen Aspekten des Anwendungsbereichs trifft das Übereinkommen nicht. So wird der Begriff „scope“ innerhalb des Übereinkommens nie in Verbindung mit einem erläuternden Adjektiv (z.B. „substantive“ oder „territorial“) verwendet. Dafür, dass die den Anwendungsbereich betreffenden Vorschriften sich an unterschiedlichster Stelle finden, lassen sich verschiedene Erklärungsansätze finden. Systematisch nachvollziehbar ist zunächst, dass das Übereinkommen in seinem Aufbau differenziert zwischen der generellen Bestimmung des Anwendungsbereichs, die insbesondere in den Art. 1 und 2 HAVÜ erfolgt, und den verschiedenen Erklärungsmechanismen, die Einfluss auf den Anwendungsbereich haben (insbesondere Art. 18 und 19 HAVÜ). Letztere werden nur dann relevant, wenn der Urteilsstaat oder der ersuchte Staat eine entsprechende Erklärung abgegeben hat. Der systematische Standort der Regelung des zeitlichen Anwendungsbereichs (Art. 16 HAVÜ) im Kapitel Allgemeine Vorschriften („General Clauses“ bzw. „Clauses générales“) dient zwar nicht der Übersichtlichkeit, ist jedoch in Übereinkommen der Haager Konferenz üblich.2 Schwieriger einzuordnen ist der uneinheitliche Regelungsstandort derjenigen Vorschriften, die den gegenständlichen Anwendungsbereich betreffen. Mit gegenständlichem Anwendungsbereich ist die Bestimmung derjenigen Akte 1
Vgl. auch De Miguel Asensio/Cuniberti/Franzina/Heinze/Requejo Isidro, Judgments Convention Study, S. 12, die darauf hinweisen, dass die Bestimmung des sachlichen Anwendungsbereichs eine komplexe Zusammenschau verschiedener Vorschriften in unterschiedlichen Kapiteln verlange (zum Konventionsentwurf November 2017). 2 Vgl. z.B. Art. 16 HGÜ, Art. 35 HKÜ, Art. 56 HUnthGÜ.
Kapitel 4: Anwendungsbereich
119
gemeint, die ihrer Art nach im Rahmen des Übereinkommens anzuerkennen und/oder zu vollstrecken sind. Der gegenständliche Anwendungsbereich klingt mit der Erwähnung von „judgments“ bzw. „jugements“ bereits in Art. 1 HAVÜ an. Der Begriff wird in Art. 3 Abs. 1 lit. b HAVÜ, einem Artikel, der verschiedene Begriffsbestimmungen enthält, präziser gefasst. Dabei bestimmt Art. 3 Abs. 1 lit. b HAVÜ den Begriff nicht nur für Zwecke des gegenständlichen Anwendungsbereichs. Der dort definierte Entscheidungsbegriff dürfte vielmehr auch für Entscheidungen von Drittstaaten heranzuziehen sein, soweit sie im Übereinkommen eine Rolle spielen (z.B. in Art. 7 Abs. 1 lit. f HAVÜ).3 Fast schon beiläufig wird allerdings im Rahmen des Kapitels II der gegenständliche Anwendungsbereich an verschiedener Stelle (Art. 11 und 14 Abs. 2 HAVÜ)4 erweitert. Dies kann man als systematische Unordnung deuten. Der überzeugendere Erklärungsansatz dürfte jedoch der sein, dass das Übereinkommen die Bestimmung des gegenständlichen Anwendungsbereichs schlicht nicht als eine eigene, innerlich zusammenhängende Kategorie versteht.5 Auch hinsichtlich anderer Vorschriften, die sich in Kapitel II, also unter der Überschrift „Recognition and Enforcement“ bzw. „Reconnaissance et exécution“ finden, lässt sich die Frage aufwerfen, ob die jeweilige Norm nicht ebenso gut im Kapitel zum Anwendungsbereich zu verorten gewesen wäre. Denkbar wäre es etwa, die in Art. 4 Abs. 3 HAVÜ normierten Voraussetzungen als eine Regelung des gegenständlichen Anwendungsbereichs zu lesen. In den meisten Fällen ist die Einordnung als Regelung des Anwendungsbereichs oder als Voraussetzung der Anerkennung oder Vollstreckung ohne praktische Konsequenz. Folgt aus der Anwendung einer Vorschrift, dass die Entscheidung im Rahmen des Übereinkommens nicht anerkannt bzw. vollstreckt werden braucht, dann ist – von den Fällen des Art. 6 HAVÜ abgesehen – grundsätzlich irrelevant, ob man die Vorschrift als Regelung des Anwendungsbereichs oder als eine Voraussetzung der Anerkennung oder Vollstreckung begreift. In beiden Fällen bleibt eine Anerkennung und Vollstreckung nach nationalem Recht möglich (vgl. Art. 15 HAVÜ). So ist beispielsweise Art. 5 HAVÜ der Überschrift, dem Wortlaut und der Systematik nach als positive Anerkennungsvoraussetzung konzipiert und nicht als Regelung des Anwendungsbereichs. Würde man die Vorschrift gleichwohl (wenig überzeugend) als Bestimmung des Anwendungsbereichs interpretieren, hätte dies im Ergebnis keine Konsequenzen für die Frage der Anerkennung bzw. Vollstreckbarkeit der jeweiligen
3
Ebenso: Jovanovic, YbPIL 21 (2019/20), 309 (325). Siehe Kapitel 4 B.VI. (S. 147) und B.IX. (S. 154). 5 Vgl. auch De Miguel Asensio/Cuniberti/Franzina/Heinze/Requejo Isidro, Judgments Convention Study, S. 12, die die hier im Rahmen des gegenständlichen Anwendungsbereichs behandelten Fragen unter der Überschrift „Substantive scope“ thematisieren. 4
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Kapitel 4: Anwendungsbereich
Entscheidung.6 Dies verdeutlicht, dass die Vorschriften zum Anwendungsbereich des Übereinkommens ihrer Funktion nach grundsätzlich auch nur der Klärung der Frage dienen, ob die Entscheidung unter dem Übereinkommen anerkannt und vollstreckt werden muss.7 Gleichwohl kann die Differenzierung zwischen Regelungen zum Anwendungsbereich einerseits und Voraussetzungen der Anerkennung und Vollstreckung andererseits wichtig sein. Dies gilt vor allem für die Fälle des Art. 6 HAVÜ. Gemäß Art. 6 HAVÜ darf ein Urteil über dingliche Rechte an einer in einem anderen als dem Urteilsstaat belegenen unbeweglichen Sache nicht anerkannt oder vollstreckt werden. Würde man Art. 4 Abs. 3 HAVÜ als Regelung des gegenständlichen Anwendungsbereichs lesen, wäre das Übereinkommen und damit Art. 6 HAVÜ gar nicht anwendbar, solange das Urteil im Urteilsstaat nicht wirksam bzw. vollstreckbar ist. Folglich wären Vertragsstaaten jedenfalls bis zum Eintritt der Wirksamkeit bzw. Vollstreckbarkeit nach dem Recht des Ursprungsstaats auch nicht gehindert, das Urteil nach nationalem Recht anzuerkennen und zu vollstrecken. Richtigerweise ist Art. 4 Abs. 3 HAVÜ aber nicht als Regelung des Anwendungsbereichs, sondern als positive Voraussetzung der Anerkennung oder Vollstreckung zu lesen. Daher greift die negative Funktion des Art. 6 HAVÜ auch dann, wenn das Urteil im Ursprungsstaat (noch) nicht wirksam bzw. vollstreckbar ist und verbietet damit anderen Vertragsstaaten die Anerkennung oder Vollstreckung. Im Übrigen entspricht die Differenzierung zwischen Regelungen zum Anwendungsbereich einerseits und Voraussetzungen der Anerkennung und Vollstreckung andererseits nicht nur der traditionellen Lesart, sondern ist auch im Übereinkommenstext verankert8 und im Explanatory Report vorausgesetzt.9 Die hier vorgeschlagene Systematisierung unterscheidet zwischen sachlichem (im Folgendem A.), gegenständlichem (im Folgendem B.), territorialem (im Folgendem C.), persönlichem (im Folgendem D.) und zeitlichem Anwendungsbereich (im Folgendem E.) des Übereinkommens. Darüber hinaus wird 6 Besonders deutlich wurde dies in den Ausführungen des Draft Explanatory Reports zu Art. 5 Abs. 3 Konventionsentwurf 2018, in denen es um die Situation ging, dass für bestimmte Rechte im Bereich des geistigen Eigentums kein direkter Zuständigkeitsgrund besteht: Garcimartín/Saumier, Judgments Convention: Revised Draft Explanatory Report, PrelDoc No 1 of December 2018, Rn. 237 („The consequence of this difference between the open list of the chapeau and the closed or semi-closed lists of sub-paragraphs (a) to (c) is that judgments on intellectual property rights and analogous rights that are not included in this latter list do not circulate under the draft Convention. It is as if they were excluded from its scope of application.“ – Kursive durch Verfasser). 7 So nennt auch der Explanatory Report die Eröffnung des Anwendungsbereichs als eine von drei positiven Anerkennungs- und Vollstreckungsvoraussetzungen, Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 111. 8 Vgl. Art. 2 Abs. 2 und 4 und Art. 19 Abs. 1 HAVÜ sowie die Überschriften von Kapitel I, Art. 1 und Art. 2 HAVÜ. 9 Vgl. z.B. Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 27, 39.
A. Sachlicher Anwendungsbereich
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das Verhältnis zu anderen internationalen Regelungswerken (im Folgendem F.) und nationalem Recht (im Folgenden G.) in diesem Kapitel behandelt.
A. Sachlicher Anwendungsbereich Im Hinblick auf den sachlichen Anwendungsbereich folgt das HAVÜ der auch in anderen Haager Übereinkommen, europäischen Verordnungen und vielen sonstigen Instrumenten üblichen Regelungstechnik.10 Der sachliche Anwendungsbereich wird in Art. 1 Abs. 1 HAVÜ positiv über den umfassenden Begriff der Zivil- oder Handelssache beschrieben. In Gestalt von bestimmten Bereichsausnahmen wird der zunächst weit gefasste sachliche Anwendungsbereich anschließend in Art. 2 HAVÜ in nicht unerheblichem Maße wieder eingeschränkt. I. Zivil- oder Handelssachen Das Übereinkommen erfasst in sachlicher Hinsicht „Zivil- oder Handelssachen“ (Art. 1 Abs. 1 S. 1 HAVÜ). Dem Umstand, dass die Wendung in manchen Haager Übereinkommen kumulativ („civil and commercial matters“)11 und in anderen – wie hier12 – alternativ („civil or commercial matters“)13 formuliert ist, ist keine Bedeutung beizumessen.14 Teilweise ist die Formulierung selbst innerhalb einzelner Haager Übereinkommen und zwischen der englischen und französischen Fassung insoweit nicht einheitlich.15 Eine Abgrenzung von Zivilsachen zu Handelssachen ist entbehrlich. Für die Zwecke des Übereinkommens ist allein relevant, ob es sich um eine „Zivil- oder Handelssache“ handelt. Der Begriff ist autonom auszulegen (vgl. Art. 20 HAVÜ) und sollte möglichst im Einklang mit anderen Haager Übereinkommen interpretiert werden.16 Die Einordnung nach
10
Bonomi/Mariottini, YbPIL 20 (2018/19), 537 (541). Vgl. z.B. Art. 1 Abs. 1 HRpflÜ; Art. 1 HVÜ-Zusatzprotokoll; vgl. auch Art. 1 Abs. 1 Brüssel Ia-VO und Art. 1 Abs. 1 LugÜ 2007. 12 Ebenso ist es in der französischen Sprachfassung: „matière civile ou commerciale“ (Art. 1 Abs. 1 S. 1 HAVÜ). 13 Vgl. z.B. Art. 1 Abs. 1 HZÜ; Art. 1 Abs. 1 HBewÜ; Art. 1 Abs. 1 HGÜ. 14 Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 33. 15 So heißt es in Art. 1 HVÜ „civil or commercial matters“, während Art. 23 Nr. 1 HVÜ vorsieht, dass die Vertragsstaaten „the meaning of the expression ‚civil and commercial matters‘ klarstellen können. In der französischen Fassung heißt es in Art. 1 und Art. 23 einheitlich „en matière civile ou commerciale“, im Titel hingegen „matière civile et commerciale“ (Kursive durch Verfasser); vgl. auch Nygh/Pocar, Report, Rn. 22. 16 Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 32; Nielsen, JPIL 2020, 205 (210 f.). Für eine Zusammenstellung der Rechtsprechung zum Begriff der Zivil- oder Handelssache 11
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Kapitel 4: Anwendungsbereich
nationalem Recht ist nicht maßgebend.17 Der erforderlichen autonomen Begriffsbestimmung würde auch ein kumulativer Ansatz im Sinne einer Doppelqualifikation18 widersprechen, wonach die Voraussetzung nur dann erfüllt wäre, wenn in Ursprungsstaat und ersuchtem Staat nach dem jeweiligen nationalen Recht übereinstimmend eine Zivil- oder Handelssache gegeben wäre. In Abgrenzung zum Strafrecht und öffentlichem Recht liegt Zivil- oder Handelssachen im Sinne des Art. 1 Abs. 1 S. 1 HAVÜ eine Rechtsbeziehung zugrunde, in der keine der beteiligten Parteien staatliche Hoheitsgewalt ausübt.19 Eine Zivil- oder Handelssache liegt also nicht vor, wenn eine der Parteien von Befugnissen Gebrauch macht, die Privatpersonen nicht zustehen können.20 Lediglich klarstellend weist Art. 1 Abs. 1 S. 2 HAVÜ darauf hin, dass Steuerund Zollsachen sowie verwaltungsrechtliche Angelegenheiten nicht erfasst sind.21 Im Kern dient der Begriff der Zivil- oder Handelssache also dazu, öffentlich-rechtliche Streitigkeiten vom Anwendungsbereich des Übereinkommens auszunehmen.22 Wie ein Umkehrschluss aus Art. 10 HAVÜ zeigt, fallen
in anderen Haager Übereinkommen siehe: Ständiges Büro der Haager Konferenz, PrelDoc No 4 of December 2016, Annexe II–III. 17 Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 32; Beaumont, Neth. Int'l L. Rev. 2020, 121 (125); Franzina/Leandro, Quaderni di SIDIBlog 6 (2019), 215 (220); Zhao, SRIEL 2020, 345 (352). Zweifelhaft sind insofern die Ausführungen in BGH 17.12.2015 – I ZR 275/14, BeckRS 2016, 1206 Rn. 14, wonach „in Bezug auf Staatsverträge […] zur Qualifikation die Rechtsordnung des Urteilsstaates“ heranzuziehen sein soll. Dies kann hier keine Geltung beanspruchen. 18 So zum HBewÜ: Re State of Norway’s Application (No 1 & 2) [1990] 1 AC 723 (Vereinigtes Königreich); allgemein zu diesem Ansatz auch Basedow, in: Schlosser, Materielles Recht und Prozeßrecht, S. 131 (141); Costas-Pörksen, Haager Zustellungsübereinkommen, S. 46; Lowenfeld, Law & Contemp. Probs. 57-3 (1994), 289 (301). 19 Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 34–37; Ständiges Büro der Haager Konferenz, PrelDoc No 4 of December 2016, Rn. 40 (zum vorläufigen Konventionsentwurf 2016). 20 Vgl. Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 35; Beaumont, Neth. Int'l L. Rev. 2020, 121 (125 f.); Ständiges Büro der Haager Konferenz, PrelDoc No 4 of December 2016, Rn. 40 (zum vorläufigen Konventionsentwurf 2016). 21 Die Vorschrift übernimmt insoweit zum Teil die in den EU-Verordnungen gebräuchliche Wendung: vgl. z.B. Art. 1 Abs. 1 S. 2 Brüssels Ia-VO, Art. 2 Abs. 1 S. 2 EuVTVO, Art. 2 Abs. 1 S. 2 EuMahnVO, Art. 2 Abs. 1 S. 2 EuGFVO. In Art. 1 HGÜ findet sich die Klarstellung zwar nicht. Gleichwohl ist das HAVÜ insoweit nicht anders auszulegen als das HGÜ, vgl. Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 34; Bonomi/Mariottini, YbPIL 20 (2018/19), 537 (541 f.). 22 Vgl. De Miguel Asensio/Cuniberti/Franzina/Heinze/Requejo Isidro, Judgments Convention Study, S. 12; Beaumont, Neth. Int'l L. Rev. 2020, 121 (122); Ständiges Büro der Haager Konferenz, PrelDoc No 4 of December 2016, Rn. 40 (zum vorläufigen Konventionsentwurf 2016).
A. Sachlicher Anwendungsbereich
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Urteile, die Strafschadensersatz (punitive damages) zusprechen, in den sachlichen Anwendungsbereich des Übereinkommens.23 Für die Einordnung als Zivil- oder Handelssache sind die Natur des Gerichts und die Identität der beteiligten Parteien irrelevant.24 Insbesondere ist es nicht entscheidend, ob an der Streitigkeit ein Staat oder ein anderer Träger staatlicher Gewalt beteiligt ist (Art. 2 Abs. 4 HAVÜ). Allerdings eröffnet Art. 19 HAVÜ den Vertragsstaaten die Möglichkeit, eine Erklärung dahingehend abzugeben, dass das Übereinkommen nicht auf Verfahren unter Beteiligung des Staates selbst, einer Regierungsstelle oder einer für den Staat oder die Regierungsstelle handelnden natürlichen Person angewendet wird.25 II. Ausgeschlossene Sachmaterien 1. Katalog des Art. 2 Abs. 1 HAVÜ Art. 2 Abs. 1 HAVÜ enthält eine Liste von Materien, die, obgleich es sich um Zivil- oder Handelssachen handelt,26 vom Anwendungsbereich des Übereinkommens ausgeklammert sind.27 Der Ausnahmenkatalog stimmt in vielen Punkten mit dem des HGÜ überein.28 Allerdings gibt es auch eine Reihe von Vorschriften, die gegenüber dem HGÜ abgewandelt wurden, sowie Bereichsausnahmen, die im HGÜ nicht zu finden sind, und umgekehrt. Insbesondere findet das HAVÜ anders als das HGÜ29 auch auf Verbraucherstreitigkeiten und arbeitsrechtliche Streitigkeiten Anwendung.30 Außerdem haben die Art. 2 Abs. 2 lit. j, k und l HGÜ, die dingliche Rechte an unbeweglichen Sachen, die Miete oder Pacht von unbeweglichen Sachen sowie (weitgehend) deliktische 23 Vgl. für das HGÜ: Bläsi, HGÜ, S. 64 f. Im Rahmen des HZÜ ist die Einordnung entsprechender Entscheidungen als Zivil- oder Handelssache strittig: dafür OLG München 9.5.1989 – 9 VA 3/89, NJW 1989, 3102; OLG München 15.7.1992 – 9 VA 1/92, NJW 1992, 3113; dagegen: OLG Koblenz 27.6.2005 – 12 VA 2/04, NJOZ 2005, 3122; generell zum Meinungsstreit: Lendermann, Strafschadensersatz, S. 145 f.; Costas-Pörksen, Haager Zustellungsübereinkommen, S. 65 ff. 24 North, IPRax 2020, 202 (205); Zhao, SRIEL 2020, 345 (352); siehe auch Kapitel 4 B.I. (S. 137) und D.I. (S. 167). 25 Siehe Kapitel 4 D.II. (S. 168). 26 Einige Bereichsausnahmen dürften jedoch nur einen marginalen Anwendungsbereich haben, da die darunter fallenden Fragen in aller Regel ohnehin keine Zivil- oder Handelssachen darstellen (z.B. Art. 1 Abs. 1 lit. n, o und q HAVÜ). Sie sind daher primär klarstellender Natur. Die bloße Anzahl der in Art. 2 Abs. 1 HAVÜ gelisteten Bereichsausnahmen oder ihr Vergleich mit der Anzahl von Ausnahmetatbeständen anderer Instrumente hat daher nur einen begrenzten Aussagewert. 27 Schack, IPRax 2020, 1 (2) spricht von einer „Verlustliste“. 28 Vgl. Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 44; Zhao, SRIEL 2020, 345 (353). 29 Vgl. Art. 2 Abs. 1 HGÜ. 30 Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 44; Bonze/Lein/Migliorini, Judicial Cooperation after Brexit, Rn. 56.
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Kapitel 4: Anwendungsbereich
Streitigkeiten vom Anwendungsbereich des HGÜ ausklammern, keine Entsprechung im HAVÜ.31 Hintergrund der Bereichsausnahmen in Art. 2 Abs. 1 HAVÜ ist vielfach, dass für den jeweiligen Bereich bereits spezielle internationale Regelungswerke bestehen (z.B. für das Unterhaltsrecht32)33 oder dass es für die entsprechenden Fragen etwa aufgrund ihrer hohen Sensibilität keinen hinreichenden internationalen Konsens zur Vereinheitlichung gab.34 Letzteres gilt beispielsweise für die Ausnahmetatbestände der Verleumdung (Art. 2 Abs. 1 lit. k HAVÜ)35 und der Privatsphäre (Art. 2 Abs. 1 lit. l HAVÜ),36 die grund- und menschenrechtliche Garantien der Meinungs- und Pressefreiheit und des Schutzes der Persönlichkeit berühren.37 Der Verweis auf bereits bestehende Instrumente als Grund für Bereichsausnahmen ist nicht nur unter dem Aspekt der Vermeidung von Kollisionen zu verstehen. Konflikte mit bestehenden Regelungen sind aufgrund des Günstigkeitsprinzips des HAVÜ unwahrscheinlich und ließen sich über Art. 23 Abs. 1 und 2 HAVÜ lösen.38 Die entscheidende Erwägung für die Bereichsausnahmen war oftmals eher die Befürchtung, dass andernfalls die Attraktivität von bestehenden Übereinkommen sinken könnte.39 Wenn die Anerkennung und Vollstreckung entsprechender Entscheidungen vom HAVÜ erfasst wäre, könnte dies für Staaten den Anreiz senken, sich an die bestehenden Spezialübereinkommen zu binden. Vom Anwendungsbereich des HAVÜ ausgeschlossen sind zunächst der Personenstand, die Rechts- und Handlungsfähigkeit, die gesetzliche Vertretung natürlicher Personen sowie familien- und erbrechtliche Streitigkeiten (Art. 2
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Die Einschätzung, dass der sachliche Anwendungsbereich des HAVÜ enger sei als der des HGÜ (so Zhao, SRIEL 2020, 345 (353)), erscheint vor diesem Hintergrund zweifelhaft, vgl. auch Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 44 („The scope of the Convention is broader than the scope of the HCCH 2005 Choice of Court Convention.“). 32 Insbesondere das HUnthGÜ. 33 Zur konventionsübergreifenden Auslegung von Abgrenzungsnormen zur Vermeidung von Überschneidungen mit anderen Instrumenten siehe Kapitel 2 B.II.3.c) (S. 72) und d) (S. 73). 34 Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 44. 35 Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 60; Bonomi, YbPIL 17 (2015/16), 1 (6); Mariottini, YbPIL 19 (2017/18) 475 (477). 36 Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 61; North, Neth. Int'l L. Rev. 2020, 33 (38 ff.) (auch zu weiteren Hintergründen der Bereichsausnahme). 37 Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 60 f.; Schack, IPRax 2020, 1 (3); Stein, IPRax 2020, 197 (200); vgl. auch Mariottini, YbPIL 19 (2017/18) 475 (478 ff.). 38 Siehe Kapitel 4 F. (S. 173). 39 Vgl. z.B. hinsichtlich bestehender Übereinkommen zur Verhütung der Meeresverschmutzung: Minutes of the 22nd Session, Commission I, Minutes No 2, Meeting of 18 June 2019 (afternoon), Rn. 28 (bisher unveröffentlicht).
A. Sachlicher Anwendungsbereich
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Abs. 1 lit. a–d HAVÜ).40 Art. 2 Abs. 1 lit. e HAVÜ klammert das Insolvenzrecht vom Anwendungsbereich aus. Damit werden aber nicht schon alle Fälle vom Anwendungsbereich des HAVÜ ausgenommen, die einen Bezug zum Insolvenzrecht haben. Vielmehr muss die Entscheidung unmittelbar das Insolvenzrecht betreffen (z.B. die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens oder die Rangfolge der Gläubiger).41 Urteile aus Zivilprozessen, die von einem Insolvenzverwalter geführt werden, aber nicht selbst einen insolvenzrechtlichen Gegenstand haben, fallen hingegen in den Anwendungsbereich des HAVÜ.42 Im Unterschied zum insolvenzrechtlichen Ausnahmetatbestand in Art. 2 Abs. 2 lit. e HGÜ, der vor der globalen Banken- und Finanzkrise verfasst wurde, führt die Vorschrift zusätzlich die Abwicklung von Finanzinstituten auf. Solche Streitigkeiten dürften allerdings häufig schon keine Zivil- oder Handelssachen darstellen.43 Die seerechtliche Ausnahme in Art. 2 Abs. 1 lit. g HAVÜ ist im Vergleich zur Parallelvorschrift in Art. 2 Abs. 2 lit. g HGÜ enger gefasst worden.44 Der sachliche Anwendungsbereich des HAVÜ umfasst seeprivatrechtliche Streitigkeiten, die Notschlepp- und Bergungsdienste zum Gegenstand haben, während das HGÜ diese Bereiche noch umfassend ausklammerte. Zudem sind zivilrechtliche Streitigkeiten aufgrund von Meeresverschmutzungen im Unterschied zum HGÜ nicht generell vom Anwendungsbereich des HAVÜ ausgeschlossen, sondern nur soweit es sich um grenzüberschreitende Meeresverschmutzung, Meeresverschmutzung in Gebieten außerhalb der nationalen Gerichtsbarkeit oder von Schiffen verursachte Meeresverschmutzungen handelt.45 Demgegenüber fallen nicht von Schiffen verursachte Meeresverschmutzungen in Territorialgewässern unter das HAVÜ. Im Einklang mit Art. 2 Abs. 2 lit. g HGÜ schließt das HAVÜ die Beschränkung der Haftung für Seeforderungen sowie die große Haverei von seinem Anwendungsbereich aus. Der Ausnahmekatalog des Art. 2 Abs. 1 HAVÜ listet außerdem die Beförderung von Reisenden und Gütern (lit. f),46 die Haftung für nukleare Schäden (lit. h),47 bestimmte gesellschaftsrechtliche Streitigkeiten (lit. i)48 sowie die 40
Vgl. Art. 2 Abs. 2 lit. a–d HGÜ. Vgl. Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 51. 42 Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 52; vgl. auch Bläsi, HGÜ, S. 92 (zu Art. 2 Abs. 2 lit. e HGÜ). 43 Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 50. 44 Bonomi/Mariottini, YbPIL 20 (2018/19), 537 (542 f.). 45 Die Differenzierung zwischen verschiedenen Quellen der Meeresverschmutzung ist auf die Vielzahl bestehender Übereinkommen über die durch Schiffe verursachte Meeresverschmutzung zurückzuführen, vgl. Ständiges Büro der Haager Konferenz, PrelDoc No 12 of June 2019, Rn. 43. 46 Vgl. Art. 2 Abs. 2 lit. f HGÜ. 47 Vgl. Art. 2 Abs. 2 lit. i HGÜ. 48 Vgl. Art. 2 Abs. 2 lit. m HGÜ. 41
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Kapitel 4: Anwendungsbereich
Gültigkeit von Eintragungen in öffentliche Register (lit. j)49. Vom sachlichen Anwendungsbereich des HAVÜ außerdem ausgeschlossen sind die besonders sensiblen Bereiche der Verleumdung (lit. k) und der Privatsphäre (lit. l).50 Vom Ausschluss der Privatsphäre wird insbesondere die unautorisierte Offenlegung von personenbezogenen Informationen erfasst.51 Demgegenüber fallen vertragliche Streitigkeiten im Geschäftsverkehr zwischen Unternehmen (B2B-Verträge) auch dann in den sachlichen Anwendungsbereich des HAVÜ, wenn die Verträge Verpflichtungen zum Schutz personenbezogener Daten beinhalten oder zum Gegenstand haben.52 Während in den Verhandlungen Einigkeit bestand, dass lit. k auch eine Verleumdung gegenüber juristischen Personen oder sonstigen Personengemeinschaften erfasst,53 blieb ungeklärt, ob die Privatsphäre (lit. l) sich auf natürliche Personen beschränkt.54 Die Frage, ob und inwieweit das geistige Eigentum vom HAVÜ erfasst sein sollte, war in und außerhalb der Verhandlungen kontrovers diskutiert worden.55 Nachdem in früheren Übereinkommensentwürfen noch Regelungen zum geistigen Eigentum enthalten waren,56 fiel im Rahmen der Diplomatischen Konferenz die Entscheidung, diese Materie vom Anwendungsbereich des HAVÜ auszuklammern (lit. m).57 Der Begriff des geistigen Eigentums ist im Einklang mit Art. 20 HAVÜ autonom auszulegen.58 Es ist daher nicht entscheidend, dass das Immaterialgüterrecht, das Gegenstand der Entscheidung war, im ersuchten Staat als solches anerkannt ist. Art. 2 Abs. 1 lit. m HAVÜ ist mit Blick auf die vom Begriff des geistigen Eigentums erfassten Rechte weit zu verstehen,59 49
Vgl. Art. 2 Abs. 2 lit. p HGÜ. Unter die Bereichsausnahme der Privatsphäre können auch datenschutzrechtliche Fragen fallen, soweit es um den Schutz persönlicher Daten geht, vgl. Bonomi/Mariottini, YbPIL 20 (2018/19), 537 (544). Ausführlich zu der Bereichsausnahme North, Neth. Int'l L. Rev. 2020, 33 (41 ff.). 51 Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 62; Stein, IPRax 2020, 197 (199). 52 Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 63. Vgl. die entsprechenden Diskussionen im Rahmen der Diplomatischen Konferenz: Minutes of the 22nd Session, Commission I, Minutes No 8, Meeting of 21 June 2019 (afternoon), Rn. 102–119 (bisher unveröffentlicht); Minutes of the 22nd Session, Commission I, Minutes No 10, Meeting of 24 June 2019 (afternoon), Rn. 6–25 (bisher unveröffentlicht). 53 Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 60; vgl. Minutes of the Special Commission on the Recognition and Enforcement of Foreign Judgments (16–24 February 2017), Minutes No 9, Meeting of 22 February 2017 (morning), Rn. 24 f. (bisher unveröffentlicht). 54 Vgl. Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 62; für eine Einbeziehung von Ansprüchen juristischer Personen: North, Neth. Int'l L. Rev. 2020, 33 (43). 55 Vgl. Heinze, GRUR Newsletter 02/2017, 38; Lundstedt, IIC 50 (2019), 933. 56 Vgl. z.B. Art. 5 Abs. 3, Art. 6 lit. a, Art. 7 Abs. 1 lit. g, Art. 8 Abs. 3 und Art. 11 Konventionsentwurf 2018. 57 Dazu Araujo/De Nardi, Rev. secr. Trib. perm. revis. 7 (2019), 198 (207); siehe auch Lundstedt, IIC 50 (2019), 933 (935): „missed opportunity“. 58 Vgl. Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 64. 59 Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 64. 50
A. Sachlicher Anwendungsbereich
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auch um künftigen Entwicklungen im Bereich des geistigen Eigentums Rechnung tragen zu können. Dabei ist allerdings zu beachten, dass die Bereichsausnahme60 trotz ihrer pauschalen Formulierung nicht zum Ausschluss aller Entscheidungen führt, die mit geistigem Eigentum zusammenhängen.61 Der Explanatory Report stellt klar, dass es in Abgrenzung zu vertraglichen Streitigkeiten darauf ankommen soll, ob die Entscheidung schwerpunktmäßig auf Vertragsrecht oder auf dem Recht des geistigen Eigentums beruht.62 Eine Entscheidung, die zur Zahlung von Lizenzgebühren auf Grundlage eines Markenlizenzvertrages verurteilt, kann nach diesem Maßstab in den Anwendungsbereich des HAVÜ fallen.63 Darüber hinaus wird die Haager Konferenz zukünftig die Möglichkeit eines weiteren, das geistige Eigentum betreffenden Instruments prüfen.64 Denkbar wäre beispielsweise, im Rahmen eines das HAVÜ ergänzenden Protokolls Regelungen für das geistige Eigentum zu treffen. Dieses könnte, ähnlich wie das HUnthP im Verhältnis zum HUnthGÜ,65 als eigenständiges Übereinkommen konzipiert werden oder aber, entsprechend des Verhältnisses des HVÜ-Zusatzprotokolls zum HVÜ,66 eine Bindung an das HAVÜ voraussetzen. Intensiv diskutiert wurde im Rahmen der Verhandlungen auch, ob die private Kartellrechtsdurchsetzung in den Anwendungsbereich des HAVÜ fallen soll.67 Das HGÜ schließt kartellrechtliche Angelegenheiten umfassend vom Anwendungsbereich aus.68 Im Rahmen des HAVÜ hat man sich hingegen auf einen Kompromiss verständigen können (lit. p).69 Die Vorschrift schließt kartellrechtliche (wettbewerbsrechtliche) Angelegenheiten weitgehend, aber nicht umfassend aus.70 Im Anwendungsbereich des HAVÜ verbleiben sogenannte
60
Die Ausnahme im HAVÜ ist umfassender als Art. 2 Abs. 2 lit. n und o HGÜ. Bonomi/Mariottini, YbPIL 20 (2018/19), 537 (544); Zhao, SRIEL 2020, 345 (362). 62 Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 65. 63 Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 65; vgl. auch Stein, IPRax 2020, 197 (199). 64 Vgl. Final Act – Twenty-Second Session, B. 3 (abrufbar unter: ); Ständiges Büro der Haager Konferenz, Conclusions and Decisions adopted by the Council (3–6 March 2020) Rn. 14. 65 Vgl. Bonomi, Explanatory Report, Rn. 208. 66 Vgl. Art. 9 HVÜ-Zusatzprotokoll. 67 Die öffentliche bzw. behördliche Kartellrechtsdurchsetzung ist bereits durch den Begriff der Zivil- oder Handelssache sowie durch den Entscheidungsbegriff vom Anwendungsbereich des HAVÜ ausgeschlossen, vgl. Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 35, 73; North, The possible exclusion of anti-trust matters, PrelDoc No 2 of December 2018, Rn. 12–16. 68 Vgl. Art. 2 Abs. 2 lit. h HGÜ. 69 Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 69; Zhao, SRIEL 2020, 345 (363). 70 Zum Begriff des Kartellrechts: North, The possible exclusion of anti-trust matters, PrelDoc No 2 of December 2018. 61
128
Kapitel 4: Anwendungsbereich
Hardcore-Kartelle, sofern sowohl das entsprechende Verhalten als auch Wirkungen im Ursprungsstaat aufgetreten sind. Der Ausschlusstatbestand kombiniert die Umschreibung des sachlichen Gegenstands also mit einem territorialen Anknüpfungspunkt71 und verlagert damit zuständigkeitsrechtliche Wertungen auf die Ebene der Bestimmung des sachlichen Anwendungsbereichs.72 Gleichwohl müssen zusätzlich die Voraussetzungen eines indirekten Zuständigkeitsgrundes nach Art. 5–6 HAVÜ erfüllt sein, damit eine kartellprivatrechtliche Entscheidung unter dem HAVÜ anzuerkennen ist.73 Im Wesentlichen von klarstellender Bedeutung sind die beiden Ausnahmen in lit. n und lit. o, da das Verhalten von Streitkräften sowie Strafverfolgungsmaßnahmen (z.B. von Polizei, Grenzschutz oder anderen Ordnungsbehörden74) nur selten als Zivil- oder Handelssache im Sinne des autonomen Begriffsverständnisses zu qualifizieren sein wird.75 Beiden Vorschriften liegt eine Differenzierung zugrunde zwischen den Aktivitäten der Streitkräfte bzw. Strafverfolgungsmaßnahmen als solchen und dem Verhalten des jeweiligen Personals. Das Verhalten des Personals wird vom Ausnahmetatbestand nur erfasst, wenn es in Ausübung offizieller Dienstpflichten erfolgt. Gedacht hat man bei den Vorschriften beispielsweise an Verkehrsunfälle im Rahmen von Militärübungen.76 Von den Bereichsausnahmen können auch vertragliche Streitigkeiten (z.B. über Waffenkäufe) erfasst sein.77 Kurz vor Ende der Diplomatischen Konferenz ist auf Betreiben der Republik Argentinien hin78 eine weitere Bereichsausnahme in Art. 2 Abs. 1 lit. q HAVÜ aufgenommen worden. Danach ist die durch einseitige staatliche Maßnahmen erfolgte Restrukturierung von Staatsschulden vom sachlichen Anwendungsbereich des Übereinkommens ausgenommen.79 Unabhängig von Art. 2 Abs. 1
71
Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 69. Ähnlich Kessedjian, NIPR 2020, 19 (22) Fn. 15; Bonomi/Mariottini, YbPIL 20 (2018/19), 537 (545) Fn. 28. 73 Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 72; zu den in Betracht kommenden indirekten Zuständigkeitsgründen: North, The possible exclusion of anti-trust matters, PrelDoc No 2 of December 2018, Rn. 43–46. 74 Vgl. Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 68. 75 So auch Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 68; Nielsen, JPIL 2020, 205 (213); Stein, IPRax 2020, 197 (199). 76 Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 67; vgl. Minutes of the Special Commission on the Recognition and Enforcement of Foreign Judgments (24–29 May 2018), Minutes No 2, Meeting of 24 May 2018 (afternoon), Rn. 73 f. (bisher unveröffentlicht). 77 Beaumont, Neth. Int'l L. Rev. 2020, 121 (129 f.); vgl. Minutes of the Special Commission on the Recognition and Enforcement of Foreign Judgments (24–29 May 2018), Minutes No 2, Meeting of 24 May 2018 (afternoon), Rn. 72 (bisher unveröffentlicht). 78 Vgl. zum Hintergrund Beaumont, Neth. Int'l L. Rev. 2020, 121 (128) Fn. 5. 79 Die Bereichsausnahme ist auch vor dem Hintergrund der zahlreichen Verfahren vor deutschen und ausländischen Gerichten gegen die Republik Argentinien im Zusammenhang 72
A. Sachlicher Anwendungsbereich
129
lit. q HAVÜ hätte sich die Frage gestellt, ob derartige Angelegenheiten überhaupt Zivil- oder Handelssachen im Sinne des HAVÜ darstellen können.80 2. Erklärungsmechanismus des Art. 18 HAVÜ Der Ausnahmenkatalog in Art. 2 Abs. 1 HAVÜ ist grundsätzlich abschließend. Auf Zivil- oder Handelssachen, die nicht ausdrücklich vom sachlichen Anwendungsbereich ausgeschlossen sind, findet das Übereinkommen Anwendung. Allerdings kann ein Vertragsstaat die Liste der ausgeschlossenen Materien gemäß Art. 18 HAVÜ durch eine entsprechende Erklärung für sich erweitern, den sachlichen Anwendungsbereich des HAVÜ also weiter einschränken.81 Voraussetzung ist, dass der Vertragsstaat ein „starkes Interesse“ daran hat, den Bereich auszuklammern (Art. 18 Abs. 1 S. 1 HAVÜ), zum Beispiel aufgrund verfassungsrechtlicher Bedenken oder ausschließlicher Zuständigkeiten im nationalen Recht.82 Die Bereichsausnahme darf dann nicht weiter gefasst werden, als dies erforderlich ist und muss klar definiert sein (Art. 18 Abs. 1 S. 2 HAVÜ).83 Hat ein Vertragsstaat erklärt, das Übereinkommen nicht auf eine bestimmte Materie anzuwenden, so gilt die Ausnahme im Gegenseitigkeitsverhältnis.84 Die Folge ist, dass der Vertragsstaat, der die Erklärung abgegeben hat, dieses Rechtsgebiet betreffende Entscheidungen anderer Vertragsstaaten nicht anerkennen muss (Art. 18 Abs. 2 lit. a HAVÜ). Umgekehrt müssen aber andere Vertragsstaaten Entscheidungen dieses Staates zu dem Rechtsgebiet ebenfalls nicht anerkennen (Art. 18 Abs. 2 lit. b HAVÜ). Aus Art. 30 Abs. 4, 5 HAVÜ ergibt sich, dass die Erklärung keinen rückwirkenden Effekt hat (Rückwirkungsverbot). Entscheidungen werden in zeitlicher Hinsicht erst dann von der Erklärung erfasst, wenn das zugrundeliegende Verfahren im Ursprungsstaat nach dem Wirksamwerden der Erklärung85 eingeleitet wurde mit argentinischen Staatsanleihen zu sehen (vgl. zuletzt etwa BVerfG 3.7.2019 – 2 BvR 824/15, 2 BvR 825/15, NJW 2019, 2761 – dazu Anm. Gillen, EWiR 2019, 545). 80 Beaumont, Neth. Int'l L. Rev. 2020, 121 (130); vgl. für die Brüssel Ia-VO im Zusammenhang mit griechischen Staatsanleihen: EuGH 15.11.2018 – C-308/17, ECLI:EU:C: 2018:911 – Hellenische Republik/Kuhn. 81 Regelungsvorbild war Art. 21 HGÜ. 82 Für entsprechende Erklärungen zum Schutz ausschließlicher Zuständigkeiten dürfte aber eher selten ein Bedarf bestehen, vgl. Kapitel 6 D.IV.3. (S. 289). 83 Vgl. die ausdifferenzierte Erklärung der Europäischen Union im Rahmen der Parallelvorschrift des Art. 21 HGÜ. Die Europäische Union hat durch eine entsprechende Erklärung vom 11.6.2015 bestimmte Versicherungsverträge vom Übereinkommen ausgeklammert (abrufbar unter: ). 84 Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 341. 85 Wirksam wird die nachträglich abgegebene Erklärung am ersten Tag des Monats, der auf einen Zeitabschnitt von drei Monaten nach Eingang der Notifikation beim Depositar folgt (Art. 30 Abs. 4 HAVÜ).
130
Kapitel 4: Anwendungsbereich
(Art. 30 Abs. 5 HAVÜ). So wird (weitgehend) verhindert, dass Vertragsstaaten Erklärungen aus strategischen Gründen mit Blick auf konkrete Verfahren oder Urteile abgeben können. Der Erklärungsmechanismus des Art. 18 HAVÜ führt zu einer gewissen Flexibilität hinsichtlich des sachlichen Anwendungsbereichs.86 Er soll Staaten unter Inkaufnahme von Uneinheitlichkeit und einem gewissen Verlust an Rechtsklarheit eine Inkraftsetzung des Übereinkommens erleichtern und es gleichzeitig vermeiden, den sachlichen Anwendungsbereich des Übereinkommens durch weitere Bereichsausnahmen in Art. 2 Abs. 2 HAVÜ generell mit Wirkung für alle Vertragsstaaten einzuschränken.87 Schack sieht das HAVÜ durch den „Freibrief“ des Art. 18 HAVÜ „nahezu völlig entwertet“, der praktische Wert des HAVÜ gehe damit „gegen null“.88 Ob und inwieweit Art. 18 HAVÜ den praktischen Nutzen des Übereinkommens einschränkt, wird jedoch davon abhängen, ob und in welchem Umfang künftige Vertragsstaaten von dem Erklärungsmechanismus Gebrauch machen, was abzuwarten bleibt. Im Rahmen des HGÜ wurde von der Parallelvorschrift in Art. 21 HGÜ bisher nur zurückhaltend Gebrauch gemacht.89 III. Vorfragen Für die Bestimmung des sachlichen Anwendungsbereichs kommt es auf den Gegenstand der Entscheidung, nicht auf die Vorfragen oder das Verteidigungsvorbringen an.90 Mit „Vorfrage“ ist hier eine selbstständige Rechtsfrage gemeint, deren Beurteilung für die Beantwortung der Hauptfrage, also für die Entscheidung über den Klageantrag, notwendig ist. Der Explanatory Report nennt als Beispiel für eine Vorfrage unter anderem die Beurteilung der Geschäftsfähigkeit einer Partei, wenn es in der Hauptsache um Schadensersatz aus einem Kaufvertrag geht.91 Stellen sich Fragen, für die der sachliche Anwendungsbereich nicht eröffnet ist, weil sie entweder schon keine Zivil- oder Handelssachen nach Art. 1 Abs. 1 HAVÜ sind92 oder nach Art. 2 Abs. 1 oder
86
Siehe auch Kapitel 3 G. (S. 115). Vgl. Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 335 f.; zu Art. 19 HGÜ: Wagner, RabelsZ 73 (2009), 100 (116). 88 Schack, IPRax 2020, 1 (3). 89 Siehe die Statustabelle auf der Homepage der Haager Konferenz (Stand: 25.4.2021). 90 Bonomi/Mariottini, YbPIL 20 (2018/19), 537 (563); Zhang/Tu, JIDS 2020, 614 (625). 91 Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 75. 92 Insoweit unterscheidet sich Art. 2 Abs. 2 HAVÜ von der Parallelvorschrift in Art. 2 Abs. 3 HGÜ. Denn letzterer erfasst – jedenfalls seinem Wortlaut nach – lediglich Fälle, die nach Art. 2 Abs. 2 HGÜ ausgeschlossen sind, nicht hingegen solche, die schon nicht als Zivil- oder Handelssache einzuordnen sind. 87
A. Sachlicher Anwendungsbereich
131
Art. 18 HAVÜ93 vom Anwendungsbereich ausgeschlossen sind, als bloße Vorfragen oder werden sie lediglich zur Verteidigung vorgebracht, bleibt das Übereinkommen anwendbar (Art. 2 Abs. 2 HAVÜ). Die Beurteilung der Vorfrage durch das Ursprungsgericht ist unter dem Übereinkommen zwar auch dann nicht anerkennungsfähig, wenn ihr nach dem Prozessrecht des Ursprungsstaats Bindungswirkung über das konkrete Verfahren hinaus zukommt (Art. 8 Abs. 1 HAVÜ).94 Die in der Hauptsache ergangene Entscheidung wird aber – vorbehaltlich des speziellen Versagungsgrundes nach Art. 8 Abs. 2 HAVÜ95 – anerkannt und vollstreckt. IV. Teilbarkeit Zu unterscheiden von der Konstellation der Vorfrage ist die Situation, dass die Entscheidung in der Hauptsache aus mehreren Teilen besteht, die verschiedene Gegenstände betreffen. Der Umstand, dass eine gerichtliche Entscheidung aus einem Vertragsstaat in Teilen Fragen betrifft, die nicht in den sachlichen Anwendungsbereich des Übereinkommens fallen, hindert grundsätzlich nicht die Anerkennung der übrigen Teile unter dem Übereinkommen.96 Art. 9 HAVÜ bestimmt, dass eine Entscheidung zum Teil anerkannt und vollstreckt wird, wenn die Entscheidung im Übrigen nicht nach dem Übereinkommen anerkannt und vollstreckt werden kann (z.B. weil sie keine Zivil- oder Handelssache betrifft97). Voraussetzung ist, dass es sich um einen abtrennbaren Teil der Entscheidung handelt. Damit ist gemeint, dass der Teil auch „allein stehen könnte“.98 Insofern ist entscheidend, ob die durch die Teilentscheidung auferlegten Verpflichtungen der Parteien sich in ihrem Charakter wesentlich dadurch ändern, dass sie ohne den übrigen Teil der Entscheidung vollstreckt werden.99 Für Feststellungs- oder Gestaltungsentscheidungen, in denen eine Vollstreckung nicht erfolgt, wird man diesen Test entsprechend anpassen müssen.
93 Im Wortlaut von Art. 2 Abs. 3 HGÜ fehlt auch ein Verweis zum entsprechenden Erklärungsmechanismus in Art. 21 HGÜ. Insoweit wird jedoch eine entsprechende Anwendung vorgeschlagen, Fricke, VersR 2006, 476 (478); zustimmend: Bläsi, HGÜ, S. 116 f. 94 Nach deutschem Prozessecht entfaltet die vorfrageweise Beurteilung schon keine Bindungswirkung über das Verfahren hinaus, BAG 20.12.2012 – 2 AZR 867/11, NZA 2013, 1003 (1005); BGH 7.7.1993 – VIII ZR 103/92, BGHZ 123, 137 (140) = NJW 1993, 2684 (2685); Bläsi, HGÜ, S. 218; Wagner, RabelsZ 73 (2009), 100 (127). Aus diesem Grund existiert die Zwischenfeststellungsklage nach § 256 ZPO (vgl. Schack, FS Schilken, S. 445 (447); Foerste, in: Musielak/Voit, ZPO, § 256 Rn. 39). 95 Siehe Kapitel 6 D.VIII. (S. 304). 96 Ähnlich bereits Art. 14 Abs. 2 HVÜ. 97 Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 38. 98 Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 290. 99 Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 290.
132
Kapitel 4: Anwendungsbereich
V. Schiedsgerichtsbarkeit 1. Funktion und Reichweite von Art. 2 Abs. 3 HAVÜ Art. 2 Abs. 3 HAVÜ betrifft – anders als Art. 2 Abs. 1 HAVÜ – nicht ausgeschlossene Sachmaterien, sondern mit der Schiedsgerichtsbarkeit einen „prozessualen Fragenkomplex“, der insgesamt vom Anwendungsbereich ausgeklammert wird.100 Art. 2 Abs. 3 HAVÜ ist weit gefasst.101 Die Vorschrift schließt nach dem klaren Wortlaut jedoch nur die Schiedsgerichtsbarkeit sowie Verfahren vom Anwendungsbereich aus, die sich auf ein Schiedsverfahren beziehen („arbitration and related proceedings“ bzw. „l’arbitrage et aux procédures y afférentes“). Gerichtliche Entscheidungen, die andere Formen der alternativen Streitbeilegung betreffen, sind damit – entgegen einer vereinzelten Ansicht in der Literatur102 – nicht ausgeklammert.103 Mit „related proceedings“ sind also nur auf das Schiedsverfahren bezogene Gerichtsverfahren gemeint, nicht hingegen andere Verfahren der alternativen Streitbeilegung. Dies ergibt sich eindeutig aus dem Explanatory Report zum HAVÜ104 und findet zudem eine Stütze in der Entstehungsgeschichte.105 Auch die Ausführungen des Hartley/Dogauchi-Reports zur Parallelregelung in Art. 2 Abs. 4 HGÜ bestätigen dieses Verständnis.106 Art. 2 Abs. 3 HAVÜ kommt zum Tragen, wenn eine schiedsrechtliche Frage Gegenstand der gerichtlichen Entscheidung ist. Schiedssprüche sind unter dem Übereinkommen ohnehin nicht vollstreckbar,107 da gemäß Art. 1 Abs. 1 i.V.m. Art. 3 Abs. 1 lit. b HAVÜ nur Entscheidungen staatlicher Gerichte vom gegenständlichen Anwendungsbereich erfasst werden.108 Art. 2 Abs. 3 HAVÜ schließt jedoch auch Entscheidungen staatlicher Gerichte vom Anwendungsbereich des Übereinkommens aus, die sich auf Schiedsverfahren beziehen.109 Entscheidungen staatlicher Gerichte, durch die Schiedsverfahren kontrolliert 100 Art. 2 Abs. 3 HAVÜ entspricht Art. 2 Abs. 4 HGÜ. Auch die Brüssel Ia-VO klammert die Schiedsgerichtsbarkeit aus, Art. 1 Abs. 2 lit. d HAVÜ, dazu: Czernich, FS Geimer, S. 45 (48 ff.). 101 Kessedjian, NIPR 2020, 19 (21). 102 Rumenov, ECLIC 3 (2019), 385 (387). 103 Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 81. 104 Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 81. 105 Vgl. Ständiges Büro der Haager Konferenz, Annotated Checklist (2013), Rn. 32. 106 Hartley/Dogauchi, Explanatory Report, Rn. 84 („Paragraph 4 excludes arbitration and proceedings relating thereto. This should be interpreted widely and covers any proceedings in which the court gives assistance to the arbitral process […] The purpose of this provision is to ensure that the present Convention does not interfere with existing instruments on arbitration.“). 107 Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 78; Fuchs, GWR 2019, 395 (395). 108 Zum Begriff des Gerichts vgl. Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 101 f. 109 Zur insoweit möglichen Anwendung der deutschen bilateralen Anerkennungs- und Vollstreckungsverträge Czernich, FS Geimer, S. 45 (53 ff.).
A. Sachlicher Anwendungsbereich
133
oder unterstützt werden, zirkulieren daher nicht unter dem HAVÜ.110 Dies gilt beispielsweise für Entscheidungen über die Wirksamkeit oder Anwendbarkeit der Schiedsvereinbarung, die Aufhebung, Abänderung oder Vollstreckbarerklärung von Schiedssprüchen, die Bestellung oder Abberufung von Schiedsrichtern oder die Bestimmung des Schiedsorts.111 Die Funktion von Art. 2 Abs. 3 HAVÜ erschöpft sich jedoch nicht darin, diejenigen Gerichtsentscheidungen vom Anwendungsbereich des HAVÜ auszuklammern, die einen schiedsverfahrensrechtlichen Gegenstand haben. Vielmehr folgt aus Art. 2 Abs. 3 HAVÜ, dass schiedsverfahrensrechtliche Fragestellungen generell nicht vom Anwendungsbereich des HAVÜ erfasst werden. Dies hat auch Auswirkungen auf den Umgang mit Entscheidungen, die eine in den Anwendungsbereich des HAVÜ fallende Zivil- oder Handelssache zum Gegenstand haben. So eröffnet Art. 2 Abs. 3 HAVÜ die Möglichkeit, dass einer Entscheidung – in Abweichung von Art. 4 Abs. 1 S. 2 HAVÜ – auch aufgrund außerhalb des Übereinkommens liegender Gründe die Anerkennung und Vollstreckung versagt werden kann.112 Als Beispiel sei die Konstellation genannt, dass ein Verkäufer die Käuferin trotz einer Schiedsklausel im Kaufvertrag vor staatlichen Gerichten auf Kaufpreiszahlung verklagt und im Prozess ein Versäumnisurteil gegen die Käuferin ergeht, weil diese dem Verfahren fernbleibt. Die Entscheidung fällt als Ziviloder Handelssache in den Anwendungsbereich des HAVÜ. Dass zwischen den Parteien eine Schiedsvereinbarung existiert, steht dem nicht entgegen.113 Dem ersuchten Gericht ist es jedoch aufgrund des Art. 2 Abs. 3 HAVÜ möglich, die Anerkennung und Vollstreckung aufgrund der Missachtung der Schiedsvereinbarung zu verweigern.114 Dies gilt, wie der Explanatory Report ausdrücklich klarstellt, ohne Rücksicht darauf, ob die Schiedsvereinbarung bereits im Ursprungsverfahren eine Rolle gespielt hat.115 Insoweit wird deutlich, dass sich die Bereichsausnahme des Art. 2 Abs. 3 HAVÜ ihrer Natur und Wirkung nach von den nach Art. 2 Abs. 1 HAVÜ ausgeschlossenen Sachmaterien unterscheidet. Im Hinblick auf die nach Art. 2 Abs. 1 HAVÜ ausgeschlossenen Sachmaterien sind zwei Konstellationen denkbar. Zum einen kann die Materie den Gegenstand der Entscheidung bilden
110
Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 78. Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 78. 112 Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 79; vgl. auch Schack, IPRax 2020, 1 (5) Fn. 72; De Miguel Asensio/Cuniberti/Franzina/Heinze/Requejo Isidro, Judgments Convention Study, S. 19 (zum Konventionsentwurf November 2017). 113 Vgl. Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 79. 114 Missverständlich ist die Aussage, dass Verträge, die eine Schiedsvereinbarung enthalten, nicht unter das HAVÜ fallen (so Kessedjian, NIPR 2020, 19 (21)). 115 Vgl. Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 79. 111
134
Kapitel 4: Anwendungsbereich
(z.B. ein Schadensersatzurteil wegen einer Verleumdung116). Der Anwendungsbereich des HAVÜ ist dann nicht eröffnet. Zum anderen kann die Materie als Vorfrage relevant gewesen sein (z.B. die Geschäftsfähigkeit für eine Verurteilung zur Kaufpreiszahlung117). In diesem Fall ist der Anwendungsbereich nach Art. 2 Abs. 2 HAVÜ eröffnet. Unter den Voraussetzungen des Art. 8 Abs. 2 HAVÜ kommt jedoch eine Versagung der Anerkennung und Vollstreckung in Betracht.118 Art. 2 Abs. 3 HAVÜ ermöglicht demgegenüber, wie gesehen, eine Versagung der Anerkennung oder Vollstreckung auch in der Konstellation, dass die Schiedsvereinbarung überhaupt keine Rolle im Verfahren gespielt hat und das Ursprungsgericht die Schiedsvereinbarung daher überhaupt nicht in Betracht gezogen hat. Dabei stellt Art. 2 Abs. 3 HAVÜ nicht selbst einen Versagungsgrund dar. Die Vorschrift eröffnet dem ersuchten Staat aber die Möglichkeit, einer in den Anwendungsbereich des HAVÜ fallenden Entscheidung aus „schiedsverfahrensrechtlichen Gründen“ die Anerkennung und Vollstreckung aufgrund nationaler Rechtsvorschriften oder völkerrechtlicher Verträge zu versagen.119 Neben der Missachtung einer Schiedsvereinbarung kommt als Grund für die Versagung auch die Unvereinbarkeit der Gerichtsentscheidung mit einem im ersuchten Staat anzuerkennenden Schiedsspruch in Betracht.120 Nach alledem hat Art. 2 Abs. 3 HAVÜ, obgleich dies im Wortlaut nicht unmittelbar zum Ausdruck kommt, eine Doppelfunktion. Zum einen regelt Art. 2 Abs. 3 HAVÜ selbst den sachlichen Anwendungsbereich, indem die Vorschrift Entscheidungen staatlicher Gerichte, durch die Schiedsverfahren kontrolliert oder unterstützt werden, vom Anwendungsbereich ausklammert. Zum anderen ermöglicht Art. 2 Abs. 3 HAVÜ die Anerkennungsversagung im Hinblick auf Entscheidungen, die in den sachlichen Anwendungsbereich des HAVÜ fallen.121 2. Unanwendbarkeit von Art. 2 Abs. 2 und Art. 8 Abs. 2 HAVÜ Die Bereichsausnahme des Art. 2 Abs. 3 HAVÜ ist vor dem Hintergrund ihrer besonderen Natur und Wirkung bewusst nicht in die Liste des Art. 2 Abs. 1 HAVÜ aufgenommen worden.122 Die Art. 2 Abs. 2 und Art. 8 Abs. 2 HAVÜ finden im Hinblick auf die Schiedsgerichtsbarkeit betreffende „Vorfragen“ 116
Vgl. Art. 2 Abs. 1 lit. k HAVÜ. Vgl. Art. 2 Abs. 1 lit. a HAVÜ. 118 Siehe Kapitel 6 D.VIII. (S. 304). 119 Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 79. 120 Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 80. 121 Hingegen wird im Rahmen der Brüssel Ia-VO angenommen, dass das ersuchte Gericht die Anerkennung nicht verweigern darf, wenn das Ursprungsgericht die Schiedsvereinbarung übersehen oder für unwirksam gehalten und daher in der Hauptsache entschieden hat, vgl. Gottwald, in: MüKo-ZPO, Art. 1 Brüssel Ia-VO Rn. 35 m.w.N. 122 Vgl. Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 79 Fn. 80. 117
A. Sachlicher Anwendungsbereich
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keine Anwendung. Sofern das Ursprungsgericht in der Hauptsache entschieden hat, weil es die Schiedsvereinbarung zwischen den Parteien als unwirksam erachtet hat, kann das ersuchte Gericht, wenn es die Schiedsvereinbarung für wirksam hält, die Anerkennung über das Vehikel des Art. 2 Abs. 3 HAVÜ versagen.123 Aus Art. 2 Abs. 3 HAVÜ folgt, dass das ersuchte Gericht an die Entscheidung des Ursprungsgerichts über die Wirksamkeit der Schiedsvereinbarung nicht gebunden ist und die Frage selbst neu bewerten kann. Wie der Explanatory Report klarstellt, spielen Art. 2 Abs. 2 und Art. 8 Abs. 2 HAVÜ, also die Vorschriften des HAVÜ über Vorfragen, insoweit keine Rolle.124 Die Wirksamkeit der Schiedsvereinbarung ist folglich keine Vorfrage im Sinne der Art. 2 Abs. 2 und Art. 8 HAVÜ. Diese Auffassung kann sich auf den Wortlaut und die Systematik des HAVÜ stützen. Art. 2 Abs. 2 und Art. 8 HAVÜ sprechen von Materien („matter“, „matière“), auf die das Übereinkommen keine Anwendung findet. Der Begriff wird in Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs 1 HAVÜ des Übereinkommens verwendet, um bestimmte Angelegenheiten zu beschreiben, die gerade durch den materiell-rechtlichen Gegenstand definiert sind (z.B. civil or commercial matters,125 family law matters126). Demgegenüber klammert Art. 2 Abs. 3 HAVÜ nicht bestimmte materiell-rechtliche Bereiche vom sachlichen Anwendungsbereich aus. Vielmehr geht es beim Ausschluss der Schiedsgerichtsbarkeit um das Ausklammern eines bestimmten Verfahrens der Streitbeilegung und der damit zusammenhängenden Gerichtsentscheidungen. Auch der Explanatory Report betont ausdrücklich, dass der Ausschluss der Schiedsgerichtsbarkeit sich seiner Natur nach von den materiell-rechtlich definierten Bereichsausnahmen des Art. 2 Abs. 1 HAVÜ unterscheidet.127 Vor diesem Hintergrund erscheint es naheliegend, dass Art. 2 Abs. 2 sowie Art. 8 Abs. 1 und Abs. 2 HAVÜ mit der Bezugnahme auf Angelegenheiten, auf die das Übereinkommen keine Anwendung findet („a matter to which this Convention does not apply“),128 nicht die Fälle des Art. 2 Abs. 3 HAVÜ erfassen. Auch der systematische Standort von Art. 2 Abs. 3 HAVÜ spricht gegen die Anwendbarkeit von Art. 2 Abs. 2 und Art. 8 HAVÜ. Dass der Ausschluss der Schiedsgerichtsbarkeit nicht in die Liste der ausgeschlossenen Materien in Art. 2 Abs. 1 HAVÜ aufgenommen worden ist, deutet darauf hin, dass Art. 2 123
Vgl. Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 79. Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 79 Fn. 80. 125 Art. 1 Abs. 1 HAVÜ. In der französischen Sprachfassung: „matière civile ou commerciale“. 126 Art. 2 Abs. 1 lit. c HAVÜ. In der französischen Sprachfassung: „matières du droit de la famille“. 127 Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 79 Fn. 80; dies wurde bereits im Rahmen der Arbeitsgruppe thematisiert, vgl. Ständiges Büro der Haager Konferenz, Explanatory Note, PrelDoc No 2 of April 2016, Rn. 39 Fn. 33. 128 In der französischen Sprachfassung: „une matière à laquelle elle ne s’applique pas“. 124
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Kapitel 4: Anwendungsbereich
Abs. 3 HAVÜ mit anderen Rechtsfolgen verbunden ist. Wären Art. 2 Abs. 2 und Art. 8 HAVÜ auch in den Fällen anwendbar, in denen der Entscheidung die vorfrageweise Beurteilung einer die Schiedsgerichtsbarkeit betreffenden Frage zugrunde liegt, wäre es naheliegend gewesen, den Ausschluss der Schiedsgerichtsbarkeit systematisch vor der Vorschrift des Art. 2 Abs. 2 HAVÜ zu regeln. Daraus, dass Art. 2 Abs. 2 HAVÜ keine Anwendung findet, darf allerdings nicht der Umkehrschluss gezogen werden, dass Entscheidungen, die auf einer „vorfrageweisen“ Beurteilung der Wirksamkeit einer Schiedsvereinbarung beruhen, vom Anwendungsbereich ausgeschlossen sind. Denn dann könnte ein Beklagter stets durch die (möglicherweise frei erfundene) Behauptung einer Schiedsvereinbarung dafür sorgen, dass die Hauptsacheentscheidung später nicht unter dem HAVÜ zirkuliert. Wenn das Gericht dies zurückweist und über die Klage entscheidet, wäre „vorfrageweise“ über eine nach Art. 2 Abs. 3 HAVÜ ausgeklammerte Frage entschieden. Mit einer solchen Auslegung wäre sowohl der effektive „Zugang zum Recht“ als auch der vom Übereinkommen beabsichtigte Gewinn an Rechtssicherheit und Vorhersehbarkeit129 in Frage gestellt. Vor diesem Hintergrund geht auch der Explanatory Report davon aus, dass eine vertragsstaatliche Entscheidung in Zivil- oder Handelssachen auch dann unter das HAVÜ fällt, wenn das Ursprungsgericht als vorgelagerte Frage über die Wirksamkeit einer Schiedsvereinbarung entschieden hat.130 Entscheidende Bedeutung hat Art. 2 Abs. 3 HAVÜ in diesen Konstellationen für die Möglichkeit der Versagung der Anerkennung oder Vollstreckung.131 Art. 8 Abs. 2 HAVÜ findet insoweit keine Anwendung. VI. Ausschließliche Gerichtsstandsvereinbarungen Die Regelungen über den Anwendungsbereich schließen in keiner Weise Fälle vom Anwendungsbereich aus, in denen die Zuständigkeit auf eine ausschließliche132 Gerichtsstandsvereinbarung gestützt wurde oder entgegen einer ausschließlichen Gerichtsstandsvereinbarung entschieden wurde. Missverständlich sind insofern Aussagen in der Literatur, dass ausschließliche Gerichtsstandsvereinbarungen bzw. Verträge, die eine solche enthalten, vom HAVÜ nicht erfasst seien.133 129
Vgl. die Abs. 2 und 4 der Präambel des HAVÜ. Vgl. Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 79. 131 Siehe auch Kapitel 6 D.XI.3. (S. 316). 132 Für nichtausschließliche Gerichtsstandsvereinbarungen gilt das HAVÜ ohnehin. Insofern stellt Art. 5 Abs. 1 lit. m HAVÜ einen indirekten Zuständigkeitsgrund zur Verfügung und definiert zudem im Gleichklang mit dem HGÜ den Begriff der ausschließlichen Gerichtsstandsvereinbarung. Siehe Kapitel 5 B.V.2.e) (S. 220). 133 Kessedjian, NIPR 2020, 19 (21). 130
B. Gegenständlicher Anwendungsbereich
137
Denn das HAVÜ gilt auch für Fälle, in denen eine ausschließliche Gerichtsstandsvereinbarung vorliegt.134 Es stellt dafür, um nicht in Konkurrenz mit dem HGÜ zu geraten,135 jedoch keinen indirekten Zuständigkeitsgrund zur Verfügung.136 Besteht gleichwohl ein sonstiger Zuständigkeitsgrund nach Art. 5 HAVÜ (z.B., weil im Staat, dessen Gerichte prorogiert sind, auch der Erfüllungsort im Sinne des Art. 5 Abs. 1 lit. g HAVÜ liegt), ist das Urteil unter dem HAVÜ anerkennungsfähig und vollstreckbar.137 Bejahte das Ursprungsgericht seine Zuständigkeit entgegen einer ausschließlichen Gerichtsstandsvereinbarung zugunsten der Gerichte (irgend-) eines anderen Staates, stellt Art. 7 Abs. 1 lit. d HAVÜ einen Versagungsgrund zur Verfügung.138 Die Existenz dieses Versagungsgrundes ist Beleg dafür, dass Fälle, in denen eine ausschließliche Gerichtsstandsvereinbarung vorliegt, in den Anwendungsbereich des HAVÜ fallen.139 Denkbar ist allenfalls, dass die Anwendbarkeit des HAVÜ in Fällen mit ausschließlichen Gerichtsstandsvereinbarungen durch andere internationale Instrumente verdrängt wird. Soweit sich, was eher unwahrscheinlich ist, ein Konventionskonflikt mit dem HGÜ ergeben sollte, gilt Art. 23 Abs. 2 HAVÜ.140 Nach der Vorschrift gebührt dem HGÜ, als dem früheren Übereinkommen, der Vorrang.
B. Gegenständlicher Anwendungsbereich I. Unerheblichkeit von Bezeichnung und Gericht Gegenständlich erfasst das Übereinkommen nach Art. 1 Abs. 1 S. 1 HAVÜ zunächst Gerichtsentscheidungen („judgments“ bzw. „jugements“). Dieser Begriff wird in Art. 3 Abs. 1 lit. b HAVÜ definiert. Der Begriff ist weit gefasst.141 Irrelevant ist, wie die Entscheidung formal bezeichnet wird (Art. 3 Abs. 1 lit. b HAVÜ). Es werden also insbesondere „Urteile“, „Beschlüsse“ und „Vollstreckungsbescheide“142 erfasst. Es muss sich nach der Definition um die 134
Ebenso Nielsen, JPIL 2020, 205 (208 f. in Fn. 8). Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 215; Stein, IPRax 2020, 197 (197). Vgl. Minutes of the 22nd Session, Commission I, Minutes No 3, Meeting of 19 June 2019 (morning), Rn. 117 f., 123, 125 (bisher unveröffentlicht); Minutes of the 22nd Session, Commission I, Minutes No 5, Meeting of 20 June 2019 (morning), Rn. 73–76 (bisher unveröffentlicht). 136 Kritisch deswegen Bonomi, YbPIL 17 (2015/16), 1 (16). 137 Vgl. Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 220. 138 Siehe Kapitel 6 D.IV. (S. 284). 139 Vgl. auch Pertegás, in: Van Calster, European Private International Law at 50, S. 67 (76). 140 Siehe Kapitel 4 F.II. (S. 176). 141 Bonomi/Mariottini, YbPIL 20 (2018/19), 537 (545). 142 Vgl. Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 95 Fn. 90. 135
138
Kapitel 4: Anwendungsbereich
Entscheidung eines Gerichts handeln,143 nicht notwendigerweise um die Entscheidung eines Richters. So können unter Umständen auch von Gerichtsbediensteten (z.B. Rechtspflegern) erlassene Entscheidungen erfasst sein.144 Für Kostenfestsetzungen wird dies in Art. 3 Abs. 1 lit. b HAVÜ ausdrücklich klargestellt. Die Natur des Gerichts, das die Entscheidung erlassen hat, ist nicht entscheidend.145 Dies ergibt sich daraus, dass die Bestimmung des sachlichen Anwendungsbereichs in Art. 1 Abs. 1 HAVÜ allein an die Natur der Angelegenheit (Zivil- oder Handelssachen146) anknüpft und nicht an die des Gerichts.147 Auch die Definition der Entscheidung in Art. 3 Abs. 1 lit. b HAVÜ sieht keine entsprechende Einschränkung vor. Unter das Übereinkommen fallen also beispielsweise auch Gerichtsentscheidungen von Verwaltungsgerichten oder Strafgerichten, soweit sie, wie zum Beispiel im Adhäsionsverfahren nach §§ 403 ff. StPO, zivilrechtliche Ansprüche betreffen.148 Der Explanatory Report führt dazu aus, dass das HAVÜ beispielsweise auch durch Strafgerichte erlassene Urteile zivilrechtlichen Inhalts erfasst, sofern das Strafgericht nach seinem Verfahrensrecht dazu befugt war.149 Diese Erwähnung des nationalen Verfahrensrechts ist missverständlich. Denn – entgegen einer möglichen Lesart dieser Ausführungen – ist es für die Eröffnung des Anwendungsbereichs des HAVÜ irrelevant, ob das Straf- oder Verwaltungsgericht nach seinem innerstaatlichen Verfahrensrecht tatsächlich befugt war, über zivil- oder handelsrechtliche Fragen zu entscheiden.150 Eine Prüfung nationalen Verfahrensrechts in diesem Zusammenhang stünde im Widerspruch zu Art. 4
143
Zum Begriff des Gerichts unter dem HAVÜ: Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 101 f. 144 Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 95 Fn. 88 (Versäumnisurteile). Siehe auch Kapitel 4 B.IX.3. (S. 159). 145 Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 29; Beaumont, Neth. Int'l L. Rev. 2020, 121 (125). 146 Siehe Kapitel 4 A.I. (S. 121). 147 Vgl. Ständiges Büro der Haager Konferenz, Explanatory Note, PrelDoc No 2 of April 2016, Rn. 22 Fn. 14; siehe auch Brand/Herrup, The 2005 Hague Choice of Court Convention, S. 48 (zum HGÜ). 148 Vgl. Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 29; Ständiges Büro der Haager Konferenz, PrelDoc No 4 of December 2016, Rn. 6 (zum vorläufigen Konventionsentwurf 2016). 149 Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 29 („Thus, for example, the Convention applies to a judgment on civil claims brought before a criminal court where that court had jurisdiction to hear the matter under its procedural law.“). 150 Denkbar ist allerdings, dass eine solche Kompetenzüberschreitung nach dem Recht des Ursprungsstaats die Unwirksamkeit des Urteils zur Folge hat und dieses daher unter dem HAVÜ nicht anerkannt wird (vgl. Art. 4 Abs. 3 HAVÜ).
B. Gegenständlicher Anwendungsbereich
139
Abs. 2 HAVÜ und zu den Ausführungen des Explanatory Reports zur autonomen Interpretation des Begriffs der Zivil- oder Handelssache.151 Der Begriff der Zivil- oder Handelssache soll zudem im Einklang mit anderen Haager Übereinkommen und insbesondere dem HGÜ interpretiert werden.152 Der Hartley/Dogauchi-Report zum HGÜ lässt aber keine Zweifel daran zu, dass jeglicher Rückgriff auf nationales Recht ausgeschlossen ist.153 Entscheidend ist daher allein, ob inhaltlich, nach den vom Übereinkommen aufgestellten Kriterien, über eine Zivil- oder Handelssache entschieden worden ist. Eine Prüfung nationalen Zuständigkeitsrechts hat an dieser Stelle zu unterbleiben. II. Entscheidungen in der Sache Es muss sich gemäß Art. 3 Abs. 1 lit. b HAVÜ um Entscheidungen in der Sache („on the merits“ bzw. „sur le fond“) handeln. Darunter können auch Entscheidungen aus Verfahren des kollektiven Rechtsschutzes fallen.154 Vom gegenständlichen Anwendungsbereich werden auch Versäumnisurteile umfasst, was Art. 12 Abs. 1 lit. b HAVÜ belegt.155 Der Begriff der Sachentscheidung schließt allerdings „procedural rulings“ aus,156 was jedenfalls verfahrensleitende Verfügungen und vergleichbare rein prozessuale Entscheidungen erfasst (mit Ausnahme von Kostenentscheidungen157). Der Explanatory Report nennt als Beispiele für „procedural rulings“ Gerichtsbeschlüsse, mit denen die Vorlage von Dokumenten oder die Vernehmung von Zeugen angeordnet wird.158 Der gerichtliche Befehl zur Vorlage von Dokumenten kann allerdings auch eine Sachentscheidung sein, wenn der klägerische Anspruch gerade (oder im Wege einer Stufenklage zunächst) darauf gerichtet ist.
151
Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 32 („Accordingly, the concept of ‘civil or commercial matters’, like other legal concepts used in the Convention, must be defined autonomously, i.e., by reference to the objectives of the Convention and its international character, and not by reference to national law.“). 152 Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 32. 153 Hartley/Dogauchi, Explanatory Report, Rn. 49 („Like other concepts used in the Convention, ‘civil or commercial matters’ has an autonomous meaning: it does not entail a reference to national law or other instruments.“). 154 Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 95. Insbesondere bei sogenannten optout Verfahren wird aber häufig eine Anerkennungsversagung in Betracht kommen, z.B. unter dem Gesichtspunkt des rechtlichen Gehörs, vgl. Stadler, FS Schütze, S. 561 (566 ff.); Ständiges Büro der Haager Konferenz, Annotated Checklist (2013), Rn. 84. 155 Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 93, 95; Bonomi/Mariottini, YbPIL 20 (2018/19), 537 (545); North, IPRax 2020, 202 (206). 156 Vgl. Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 95; De Miguel Asensio/Cuniberti/Franzina/Heinze/Requejo Isidro, Judgments Convention Study, S. 12 (zum Konventionsentwurf November 2017). 157 Siehe Kapitel 4 B.VI. (S. 147). 158 Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 95.
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Kapitel 4: Anwendungsbereich
Fraglich ist, ob mit dem Begriff der Sachentscheidung sämtliche Entscheidungen vom Anwendungsbereich ausgeschlossen sind, durch die ein Gericht die Klage als unzulässig abweist, also „Prozessurteile“ nach der Terminologie des deutschen Prozessrechts.159 Relevant ist dies unter anderem für die Frage, ob zugehörige Kostenentscheidungen unter dem Übereinkommen vollstreckbar sind.160 Im Rahmen der Brüssel Ia-VO sind Prozessurteile, durch die sich mitgliedsstaatliche Gerichte aufgrund einer Gerichtsstandsvereinbarung zugunsten eines anderen Mitgliedsstaats für unzuständig erklärt haben, nach der Rechtsprechung des EuGH anerkennungsfähig.161 In der Definition des Entscheidungsbegriffs in Art. 2 lit. a Brüssel Ia-VO fehlt allerdings eine entsprechende ausdrückliche Beschränkung auf Entscheidungen „in der Sache“, wie sie Art. 3 Abs. 1 lit. b HAVÜ vorsieht. Im englischen Recht kann der Begriff decision on the merits allerdings auch Entscheidungen erfassen, durch die sich ein Gericht für unzuständig erklärt hat.162 Es ist vor diesem Hintergrund nicht eindeutig, dass die Beschränkung auf Entscheidungen on the merits nach dem üblichen Wortsinn163 Prozessurteile generell ausschließt. Nach den Ausführungen im Explanatory Report zum vorliegenden Übereinkommen fallen allerdings nur Gerichtsentscheidungen in den Anwendungsbereich, die eine „disposition of a claim“ enthalten.164 Gemeint ist damit offenbar eine Entscheidung über das Bestehen oder Nichtbestehen des Klageanspruchs und nicht eine solche über die Zulässigkeit der Klage. Dies wird bestätigt durch eine systematische Auslegung. Art. 5 Abs. 1 lit. f HAVÜ regelt die indirekte Zuständigkeit infolge rügeloser Einlassung. Im Rahmen der Vorschrift wird unterschieden zwischen Einlassungen in der Sache (on the merits) und der Rüge der Zuständigkeit. Dies deutet darauf hin, dass die Entscheidung des Gerichts über die eigene Unzuständigkeit keine Entscheidung on the merits darstellt. Denn eine Einlassung zur Frage der Zuständigkeit wäre nach der Terminologie des Übereinkommens auch keine Argumentation on the merits im Sinne von Art. 5 Abs. 1 lit. f HAVÜ gewesen.165 Gegen eine Einbeziehung von Prozessurteilen spricht ferner, dass der Explanatory Report an anderer Stelle das Konzept der Anerkennung in dem Sinne beschreibt, dass der gerichtlichen
159
Vgl. Gottwald, in: MüKo-ZPO, § 322 Rn. 27. Vgl. Art. 3 Abs. 1 lit. b HAVÜ. 161 EuGH 15.11.2012 – C-456/11, ECLI:EU:C:2012:719 – Gothaer Allgemeine Versicherung AG u. a./Samskip GmbH; zur Kritik: Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, Art. 36 EuGVVO Rn. 2a m.w.N. 162 DSV Silo- und Verwaltungsgesellschaft Mbh v Owners of The Sennar and 13 other ships [1985] 1 WLR 490 (499); vgl. auch Barnett, Res Judicata, Estoppel and Foreign Judgments, Rn. 2.45. 163 Zur Wortlautauslegung siehe Kapitel 2 B.I. (S. 53). 164 Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 95. 165 Vgl. Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 250 Fn. 168. 160
B. Gegenständlicher Anwendungsbereich
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Beurteilung der rechtlichen Ansprüche und Verpflichtungen Wirkung verliehen wird.166 In dieser Definition wird, obgleich sie nicht abschließend formuliert ist („usually“), offenbar vorausgesetzt, dass über den Klagegegenstand bzw. die Klageforderung entschieden worden ist. Insgesamt sprechen daher die besseren Gründe dafür, dass Prozessurteile vom gegenständlichen Anwendungsbereich des HAVÜ generell ausgeschlossen sind. III. Kein Doppelexequatur Eine Entscheidung, durch die ein Urteil für vollstreckbar erklärt oder anerkannt wird, ist keine Sachentscheidung im Sinne des Art. 3 Abs. 1 lit. b HAVÜ. Dabei kommt es nicht darauf an, ob durch das „Doppelexequatur“ oder die „Doppelanerkennung“ im Einzelfall Voraussetzungen umgangen werden, die andernfalls im ersuchten Staat für Anerkennung oder Vollstreckung der ursprünglichen Entscheidung gegolten hätten.167 Denn Entscheidungen, durch die ein Urteil für vollstreckbar erklärt oder anerkannt wird, werden schon vom gegenständlichen Anwendungsbereich des Übereinkommens nicht erfasst („exequatur sur exequatur ne vaut pas“).168 Dabei dürfte irrelevant sein, ob durch die Exequaturentscheidung das ursprüngliche Urteil für vollstreckbar erklärt worden ist oder im Sinne der merger doctrine ein neues (Leistungs-) Urteil mit dem Inhalt der ursprünglichen Entscheidung erlassen wird. Von einem „Verbot“ des Doppelexequaturs zu sprechen, könnte allerdings zu Missverständnissen führen. Denn das HAVÜ hindert Vertragsstaaten nicht daran, ausländische Exequaturentscheidungen anzuerkennen und zu vollstrecken.169 Soweit es um Gerichtsentscheidungen geht, durch die Schiedssprüche anerkannt oder für vollstreckbar erklärt werden, steht – außer dem Begriff der Sachentscheidung – auch Art. 2 Abs. 3 HAVÜ einer Anerkennung oder Vollstreckung unter dem HAVÜ entgegen.170
166 Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 113 („Recognition usually implies that the court addressed gives effect to the determination of the legal rights and obligations made by the court of origin.“). 167 Zur Frage, ob und inwieweit das Doppelexequatur eine Gesetzesumgehung darstellen kann, Kall, IHR 2018, 137 (141 ff.). 168 Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 95; Schack, IPRax 2020, 1 (3); vgl. auch Blom, Osgoode Hall L.J. 55-1 (2018), 257 (277) auf der Grundlage des Konventionsentwurfs November 2017. 169 Dies ergibt sich nicht aus Art. 15 HAVÜ, sondern schon aus dem Umstand, dass das HAVÜ solche Entscheidungen gar nicht erst erfasst und dementsprechend insoweit auch keinerlei Vorgaben macht. 170 Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 78.
142
Kapitel 4: Anwendungsbereich
IV. Nicht-Geldleistungsurteile 1. Grundsatz Das HAVÜ unterscheidet nicht zwischen Entscheidungen, die auf Leistung einer Summe in Geld (Zahlungsurteile oder monetary judgments) lauten und sonstigen Entscheidungen (Nicht-Geldleistungsurteile oder non-monetary judgments). Sowohl der eine als auch der andere Typ von Entscheidung fällt unter das Übereinkommen.171 Der Konventionsentwurf 2018 sah für einen Sonderfall noch eine Einschränkung vor.172 Danach sollten Entscheidungen über die Verletzung geistigen Eigentums nur vollstreckt werden, soweit sie zu einer Geldzahlung wegen im Urteilsstaat erlittener Schäden verurteilen. Mit der Ausklammerung des geistigen Eigentums aus dem Anwendungsbereich (vgl. Art. 2 Abs. 1 lit. m HAVÜ) wurde die Vorschrift im Rahmen der Diplomatischen Konferenz gestrichen. Soweit das Recht des ersuchten Staates für die Vollstreckung eines NichtGeldleistungsurteils keine passenden Rechtsinstitute vorsieht (z.B., weil entsprechende Anordnungen im Recht des ersuchten Staates nicht existieren173), muss der ersuchte Staat keine neuen Vollstreckungsmaßnahmen in seiner Rechtsordnung schaffen.174 Das HAVÜ verpflichtet ihn lediglich dazu, der fremden Entscheidung mit den im eigenen Recht zur Verfügung stehenden Mitteln soweit wie möglich Wirksamkeit zu verleihen.175 Dass der gegenständliche Anwendungsbereich des HAVÜ auch Nicht-Geldleistungsurteile umfasst, ist vor allem aus Sicht der Common Law-Jurisdiktionen bemerkenswert.176 Denn im Common Law werden traditionell nur ausländische Entscheidungen vollstreckt, die auf Zahlung einer bestimmten Geldsumme gerichtet sind.177 Diese Beschränkung wurde aber in den letzten Jahren in einer Reihe von Common Law-Staaten zunehmend in Frage gestellt oder aufgegeben.178 Diese Entwicklung verdeutlicht auch das neue Modellgesetz der
171 Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 95 f.; Bonomi/Mariottini, YbPIL 20 (2018/19), 537 (545); North, IPRax 2020, 202 (206); Sachs/Weiler, FS Thümmel, S. 763 (766); Zhao, SRIEL 2020, 345 (354). 172 Art. 11 Konventionsentwurf 2018. 173 Zum Beispiel bei einer Verurteilung zur Abgabe einer Willenserklärung oder zur Hinterlegung einer beweglichen Sache. 174 Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 118. 175 Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 118; North, IPRax 2020, 202 (206). 176 Douglas/Keyes/McKibbin/Mortensen, Federal Law Review 47-3 (2019), 420 (427); Garnett, Melb. J. Int'l L. 19 (2018), 750 (760). 177 Chong, JPIL 2020, 31 (57); siehe für das englische Recht Kapitel 9 B.IV. (S. 354). 178 Vgl. z.B. die Entscheidung des kanadischen Supreme Court in Pro Swing Inc. v Elta Golf Inc., [2006] 2 S.C.R. 612; für einen rechtsvergleichenden Überblick siehe: Commonwealth Secretariat, Commonwealth Law Bulletin 43:3–4 (2017), 545 (552 f.); Pitel, JPIL 2007, 241.
B. Gegenständlicher Anwendungsbereich
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Commonwealth-Staaten,179 welches auch Regelungen zur Vollstreckung von Nicht-Geldleistungsurteilen vorsieht.180 2. Erklärungsmechanismus Nicht-Geldleistungsurteile fallen also in den Anwendungsbereich und sind unter den vom HAVÜ aufgestellten Voraussetzungen von den Vertragsstaaten anzuerkennen und zu vollstrecken. Grundsätzlich denkbar wäre jedoch eine Erklärung eines Vertragsstaats nach Art. 18 Abs. 1 HAVÜ, Nicht-Geldleistungsurteile in bestimmten Rechtsgebieten nicht oder nur unter bestimmten Voraussetzungen zu vollstrecken.181 Nicht ganz klar ist, ob es einem Staat darüber hinaus auch möglich wäre, eine Erklärung nach Art. 18 HAVÜ dahingehend abzugeben, dass er generell das Übereinkommen nicht auf Nicht-Geldleistungsurteile anwendet. Zweifel dürften – abgesehen vom Vorliegen eines starken Interesses im Sinne des Art. 18 Abs. 1 HAVÜ – vor allem dahingehend bestehen, ob der Begriff „matter“ bzw. „matière“ im Rahmen der Vorschrift auch bestimmte Typen von Entscheidungen bzw. Urteilsgattungen meinen kann. In Art. 2 HAVÜ, mit dem Art. 18 HAVÜ inhaltlich eng zusammenhängt,182 wird der entsprechende Begriff nur mit Blick auf bestimmte Angelegenheiten verwendet, die gerade durch den materiell-rechtlichen Gegenstand definiert sind.183 Es sprechen daher die besseren Gründe dafür, dass sich die Erklärung auf eine bestimmte Sachmaterie bzw. ein Rechtsgebiet beschränken muss und nur zusätzlich andere Kriterien herangezogen werden können (z.B. territoriale Anknüpfungspunkte, bestimmte Entscheidungstypen etc.), um die Ausnahme im Sinne des Verhältnismäßigkeitsprinzips so eng wie möglich zu formulieren.184 Dieses Verständnis steht zudem im Einklang mit dem Explanatory Report. Alle dort genannten Beispiele gehen von der Beschränkung der Erklärung auf ein Rechtsgebiet aus.185 Der Explanatory Report trifft dabei eine Unterscheidung zwischen der grundlegenden Definition der Erklärung anhand von Sachmate-
179
Siehe Kapitel 3 A. (S. 87). Clause 15 und 16 des Model Law on the Recognition and Enforcement of Foreign Judgments. 181 Vgl. Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 337, wonach der erklärte Ausschluss nicht weiter als nötig sein sollte und dementsprechend auch auf bestimmte Rechtsfolgenanordnungen beschränkt werden kann. 182 In der Sache geht es um eine Erweiterung der Liste des Art. 2 Abs. 1 HAVÜ, vgl. Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 335. 183 Siehe auch Kapitel 4 A.V.2. (S. 134). 184 Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 337; so auch zu Art. 21 HGÜ auch Beaumont, NIPR 2014, 532 (534). 185 Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 337. 180
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Kapitel 4: Anwendungsbereich
rien („subject matter“) einerseits und der Einschränkung anhand von zusätzlichen Kriterien andererseits.186 Wenn im Anschluss als Beispiel für zusätzliche einschränkende Kriterien die Begrenzung auf bestimmte Rechtsfolgenanordnungen („particular type of remedy“) verwiesen wird,187 spricht dies dafür, dass die Beschränkung auf bestimmte Entscheidungstypen nur als zusätzliches einschränkendes Kriterium und nicht als „matter“ im Sinne des Art. 18 Abs. 1 HAVÜ verstanden wird. V. Penalty Orders Festzuhalten bleibt, dass das HAVÜ die Anerkennung und Vollstreckung von Nicht-Geldleistungsurteilen regelt und Vertragsstaaten dies auch nicht unter dem Erklärungsmechanismus des Art. 18 HAVÜ generell ausschließen können. Größere Schwierigkeiten bereitet die Frage, ob gerichtliche Anordnungen, die der Durchsetzung eines Nicht-Geldleistungsurteils dienen, indem sie die Nichtbefolgung mit der Verpflichtung zur Leistung einer Geldzahlung sanktionieren (penalty orders), unter dem HAVÜ zirkulieren.188 Solche penalty orders kommen in verschiedenen Rechtsordnungen in sehr unterschiedlicher Gestalt vor (vgl. z.B. Zwangs- und Ordnungsgeldbeschlüsse gemäß §§ 888, 890 ZPO oder die astreinte im französischen Recht189).190 Kann ein Unterlassungsurteil etwa in der Weise durchgesetzt werden, dass man im Urteilsstaat (oder sogar in einem anderen Vertragsstaat nach Anerkennung des Unterlassungsurteils) einen Ordnungsgeldbeschluss erwirkt und diesen dann im Wohnsitzstaat des Schuldners unter dem HAVÜ vollstreckt? Oder kann unter dem HAVÜ nur das Unterlassungsurteil selbst im Wohnsitzstaat des Schuldners mit den dort zur Verfügung stehenden Vollstreckungsmaßnahmen vollstreckt werden? In den Verhandlungen war man sich der Problematik bewusst, gelangte jedoch nicht zu einem Konsens.191 Dementsprechend führt der Explanatory Report aus, dass die Klärung der Frage den vertragsstaatlichen Gerichten überlassen ist.192 Der Begriff der Zivil- oder Handelssache schließt eine Anwendung des HAVÜ auf solche penalties nicht von vornherein aus. Dies gilt selbst für
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Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 337. Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 337. 188 Zum Begriff Garcimartín, Neth. Int'l L. Rev. 2020, 19 (21). 189 Art. L131-1 bis Art. L131-4 Code des procédures civiles d'exécution. 190 Vgl. Ständiges Büro der Haager Konferenz, PrelDoc No 3 of February 2019; Garcimartín, Neth. Int'l L. Rev. 2020, 19 (21 f.). 191 Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 97; Garcimartín, Neth. Int'l L. Rev. 2020, 19 (22). 192 Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 97. 187
B. Gegenständlicher Anwendungsbereich
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deutsche Ordnungsgeldbeschlüsse, obgleich sie Sanktionscharakter haben193 und das Ordnungsgeld – anders als bei der astreinte194 – der öffentlichen Hand und nicht dem Vollstreckungsgläubiger zugutekommt.195 Denn die Ausführungen des Explanatory Reports zum Konzept der Zivil- oder Handelssache196 lassen es naheliegend erscheinen, maßgeblich auf die zugrundeliegende privatrechtliche Rechtsbeziehung abzustellen.197 Dementsprechend betreffen auch Ordnungsgeldbeschlüsse Zivil- oder Handelssachen.198 Allerdings lässt sich argumentieren, dass penalty orders als Vollstreckungsmaßnahmen oder Vollstreckungsakte einzuordnen sind und daher keine Sachentscheidungen im Sinne des Art. 3 Abs. 1 lit. b HAVÜ darstellen.199 Insoweit ist ein Umkehrschluss aus Art. 13 Abs. 1 S. 1 HAVÜ denkbar. Wenn sich die Zwangsvollstreckung nach nationalem Recht richtet, dann ist das Übereinkommen auf Vollstreckungsakte und damit auch auf Ordnungs- und Zwangsgeldbeschlüsse gemäß §§ 888, 890 ZPO und ähnliche nationale Rechtsinstitute unanwendbar.200 Für eine übereinkommensautonome Einordnung als Vollstreckungsakte spricht, dass penalty orders ihrer Funktion nach der Durchsetzung der primären gerichtlichen Anordnung (z.B. auf Unterlassung) dienen.201 Würde man penalty orders in den gegenständlichen Anwendungsbereich des HAVÜ einbeziehen, wäre zudem unklar, inwieweit auch die zugrundliegenden gerichtlichen Anordnungen, deren Durchsetzung die penalty orders dienen, an den Maßstäben des HAVÜ zu messen wären (z.B. im Hinblick auf die ordre 193
Vgl. BVerfG 4.12.2006 – 1 BvR 1200/04, NJW-RR 2007, 860 (861); BGH 10.5.2017 – XII ZB 62/17, NJW-RR 2017, 836 (836); Gruber, in: MüKo-ZPO, § 890 Rn. 2; Schack, IZVR, Rn. 1155. 194 Ständiges Büro der Haager Konferenz, PrelDoc No 3 of February 2019, Rn. 20; Lendermann, Strafschadensersatz, S. 31. 195 Gruber, in: MüKo-ZPO, § 890 Rn. 38; vgl. auch Generalanwalt Mengozzi, Schlussanträge vom 5.4.2011, C-406/09 - Realchemie Nederland BV/Bayer CropScience AG Rn. 66. 196 Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 35 („A key element distinguishing public law matters from ‘civil or commercial’ matters is whether one of the parties is exercising governmental or sovereign powers that are not enjoyed by ordinary persons. It is therefore necessary to identify the legal relationship between the parties to the dispute and to examine the legal basis of the action brought before the court of origin to establish whether the judgment relates to civil or commercial matters.“). 197 Vgl. Ständiges Büro der Haager Konferenz, PrelDoc No 3 of February 2019, Rn. 43. 198 Dies entspricht der Rechtsprechung des EuGH zur Brüssel I-VO: EuGH 18.10.2011 − C-406/09, Slg. 2011, I-9773 Rn. 35 ff. – Realchemie Nederland BV/Bayer CropScience AG; BGH 7.3.2013 – IX ZR 123/12, IPRax 2016, 69. Zu den Gegenargumenten: Generalanwalt Mengozzi, Schlussanträge vom 5.4.2011, C-406/09 – Realchemie Nederland BV/Bayer CropScience AG Rn. 56 ff. 199 Garcimartín, Neth. Int'l L. Rev. 2020, 19 (23); vgl. auch Schack, IZVR, Rn. 1150; Gottwald, in: MüKo-ZPO, Art. 2 Brüssel Ia-VO Rn. 22 (zur Brüssel Ia-VO). 200 Dieses Argument in Erwägung ziehend: Ständiges Büro der Haager Konferenz, PrelDoc No 3 of February 2019, Rn. 44. 201 Garcimartín, Neth. Int'l L. Rev. 2020, 19 (23).
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Kapitel 4: Anwendungsbereich
public-Kontrolle202 oder Urteilskollisionen203).204 Könnte beispielsweise einem Ordnungsgeldbeschluss die Anerkennung und Vollstreckung versagt werden, weil er der Durchsetzung einer Entscheidung dient, die mit einer im ersuchten Staat anzuerkennenden Entscheidung im Sinne des Art. 7 Abs. 1 lit. f HAVÜ unvereinbar ist? Da die Versagungsgründe – und so auch Art. 7 Abs. 1 lit. f HAVÜ – ihrer Formulierung nach auf die konkrete Entscheidung abstellen, um deren Anerkennung oder Vollstreckung es geht, verblieben zumindest Zweifel, inwieweit die Vollstreckbarkeit von penalty orders auch von der Anerkennungsfähigkeit des zugrundliegenden Titels abhinge. Dies gilt insbesondere, weil das HAVÜ allein die Einbeziehung von Kostenentscheidungen explizit von der Anerkennungsfähigkeit des zugehörigen Titels abhängig macht (vgl. Art. 3 Abs. 1 lit. b HAVÜ). Eine entsprechende Regelung würde für penalty orders fehlen. Ein Außerachtlassen der Anerkennungsfähigkeit des zugrundliegenden Titels im Kontext der penalty orders hätte jedoch fragwürdige Konsequenzen, da die Voraussetzungen des HAVÜ so faktisch unterlaufen werden könnten.205 Anstatt des nicht anerkennungsfähigen Urteils würde man einfach den Ordnungs- oder Zwangsgeldbeschluss im ersuchten Staat durchsetzen. Insgesamt zeigt sich, dass das HAVÜ für die mit der Anerkennung und Vollstreckung von penalty orders einhergehenden Schwierigkeiten keine angemessenen Lösungen bereithält. In jedem Fall aber würde die Einbeziehung von penalty orders in den Anwendungsbereich des HAVÜ weitgehende Möglichkeiten des enforcement shoppings eröffnen,206 die im Rahmen eines weltweiten Anerkennungs- und Vollstreckungsübereinkommens bedenklich erscheinen. Auch die Entstehungsgeschichte spricht gegen eine Einbeziehung von penalty orders in den gegenständlichen Anwendungsbereich des HAVÜ. Denn in den Verhandlungen bestand gerade kein Konsens, dass penalty orders unter den Entscheidungsbegriff des HAVÜ fallen sollen.207 Diskutiert wurde die Thematik im Rahmen des 4. Treffens der Spezialkommission vom 24. bis zum 29. Mai 2018. Dabei wurden zu der Frage verschiedene Auffassungen vertreten und unterschiedliche Präferenzen geäußert.208 Im Anschluss an das Treffen verfasste das Ständige Büro der Haager Konferenz ein Preliminary Document, um 202
Art. 7 Abs. 1 lit. c HAVÜ. Art. 7 Abs. 1 lit. e und f HAVÜ. 204 Generell zur Frage, inwieweit die Anerkennungsfähigkeit von Vollstreckungsakten von der Anerkennungsfähigkeit des zugrundeliegenden Titels abhängig zu machen ist, Domej, Internationale Zwangsvollstreckung, S. 523 f. 205 Mit entsprechender Argumentation in anderem Kontext: Domej, Internationale Zwangsvollstreckung, S. 524 f. 206 Vgl. Schlosser, FS Leipold, S. 435 (448 ff.); Schack, IZVR, Rn. 1150. 207 Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 97. 208 Vgl. Minutes of the Special Commission on the Recognition and Enforcement of Foreign Judgments (24–29 May 2018), Minutes No 6, Meeting of 28 May 2018 (morning), Rn. 42–51 (bisher unveröffentlicht). 203
B. Gegenständlicher Anwendungsbereich
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die weiteren Verhandlungen zu erleichtern.209 Das Dokument analysiert die Problematik und diskutiert die voraussichtliche Behandlung von penalty orders unter dem Konventionsentwurf 2018 anhand unterschiedlicher Szenarien, die verschiedene Charakteristiken von penalty orders in verschiedenen nationalen Rechtsordnungen widerspiegeln.210 Das Ständige Büro kommt zu dem Ergebnis, dass vorbehaltlich der Aufnahme einer konkreten Regelung in den Übereinkommenstext wohl keine Verpflichtung der Vertragsstaaten zur Anerkennung oder Vollstreckung von penalty orders bestehen würde.211 Das Dokument wurde den Verhandlungsstaaten im Vorfeld der Diplomatischen Konferenz zur Erleichterung der Verhandlungen zugänglich gemacht. Im Rahmen der Diplomatischen Konferenz vom 18. Juni bis zum 2. Juli 2019 ist die Problematik dann jedoch nicht mehr diskutiert worden.212 Von einer Pflicht zur Anerkennung oder Vollstreckung von penalty orders auszugehen, erschiene vor diesem Hintergrund fragwürdig.213 Allerdings hindert das HAVÜ keinen Vertragsstaat daran, ausländische penalty orders nach nationalem Recht zu vollstrecken. Sofern dies im Recht des ersuchten Staates nicht vorgesehen ist, kann der Titelgläubiger das Nicht-Geldleistungsurteil unter dem HAVÜ jedoch nach hier vertretener Auffassung nur mit den im Recht des ersuchten Staats vorgesehenen Mitteln durchsetzen (Art. 13 Abs. 1 S. 1 HAVÜ). VI. Kostenfestsetzungen und Kostenentscheidungen Kostenfestsetzungsbeschlüsse oder andere Formen der Kostenfestsetzung sind gemäß Art. 3 Abs. 1 lit. b HAVÜ ausdrücklich vom Übereinkommen erfasst, sofern sie in oder zu214 einer Entscheidung ergehen, die selbst in den Anwendungsbereich des HAVÜ fällt. Die Kostenfestsetzung kann auch durch einen Gerichtsbediensteten getroffen worden sein (Art. 3 Abs. 1 lit. b HAVÜ). Über diesen Grundsatz hinaus erweitert Art. 14 Abs. 2 HAVÜ den gegenständlichen Anwendungsbereich.215 Denn Kostenentscheidungen im Sinne des Art. 14 Abs. 2 HAVÜ sind unter dem Übereinkommen vollstreckbar, obwohl
209
Ständiges Büro der Haager Konferenz, PrelDoc No 3 of February 2019. Ständiges Büro der Haager Konferenz, PrelDoc No 3 of February 2019, Rn. 5, 41 ff. 211 Ständiges Büro der Haager Konferenz, PrelDoc No 3 of February 2019, Rn. 57. 212 Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 97. 213 Ähnlich vorsichtig auch Garcimartín, Neth. Int'l L. Rev. 2020, 19 (24 f.). 214 Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 98. 215 Die Vorschrift ist Art. 15 HRpflÜ nachgebildet, vgl. Minutes of the Special Commission on the Recognition and Enforcement of Foreign Judgments (16–24 February 2017), Minutes No 8, Meeting of 21 February 2017 (afternoon), Rn. 82 ff. (bisher unveröffentlicht). Im Unterschied zu Art. 15 HRpflÜ verlangt Art. 14 Abs. 2 HAVÜ jedoch nicht, dass die Kostenentscheidungen kostenfrei für vollstreckbar zu erklären sind. 210
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Kapitel 4: Anwendungsbereich
es an einer in den Anwendungsbereich des Übereinkommens fallenden Hauptsacheentscheidung fehlt.216 Dies ergibt sich aus dem Regelungszusammenhang. Art. 14 Abs. 2 HAVÜ betrifft die Situation, dass demjenigen, der die Vollstreckung einer Entscheidung begehrt hat, Kosten auferlegt werden,217 zum Beispiel weil die Vollstreckbarerklärung in Ermangelung eines indirekten Zuständigkeitsgrundes abgelehnt wurde. Die Hauptsacheentscheidung, zu der die Kostenentscheidung in der Konstellation des Art. 14 Abs. 2 HAVÜ ergeht, ist also eine Entscheidung über die Vollstreckbarkeit eines ausländischen Urteils. Solche Entscheidungen werden vom gegenständlichen Anwendungsbereich nicht erfasst.218 Folglich ist die Kostenentscheidung nach Art. 14 Abs. 2 HAVÜ vollstreckbar, obwohl sie zu einer Hauptsacheentscheidung ergeht, die nicht unter das HAVÜ fällt. Der Zweck von Art. 14 Abs. 2 HAVÜ erschließt sich im Zusammenhang mit Art. 14 Abs. 1 HAVÜ.219 Art. 14 Abs. 1 HAVÜ schließt vorbehaltlich einer Erklärung nach Art. 14 Abs. 3 HAVÜ aus, dass der Antragssteller vor Einleitung eines Exequaturverfahrens aufgrund seiner Ausländereigenschaft oder mangels inländischen (Wohn-)sitzes oder Aufenthalts Sicherheit für die Verfahrenskosten leisten muss (Diskriminierungsverbot).220 Um dem Antragsgegner gleichwohl die Durchsetzung der Kostenentscheidung zu ermöglichen, ordnet Art. 14 Abs. 2 HAVÜ die Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung in allen Vertragsstaaten an.221 Art. 14 Abs. 2 HAVÜ erfasst allerdings nicht nur Fälle, in denen aufgrund des Art. 14 Abs. 1 HAVÜ keine Sicherheit zu zahlen war, sondern auch Konstellationen, in denen nach nationalem Recht – aus welchen Gründen auch immer222 – keine Sicherheit erbracht werden musste.223 216 Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 322; Stein, IPRax 2020, 197 (202); Zhao, SRIEL 2020, 345 (350 f.). Abweichend offenbar: Fuchs, GWR 2019, 395 (396): „Er [der Begriff des Urteils – Anm. d. Verf.] erfasst auch Beschlüsse, sogar Kostenfestsetzungsbeschlüsse (vgl. Art. 14 II), sofern ihnen ein anerkennungsfähiges Urteil zugrunde liegt (Art. 3 I Buchst. b).“ 217 Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 322; Dotta Salgueiro, Neth. Int'l L. Rev. 2020, 113 (119). 218 Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 95. Siehe auch Kapitel 4 B.III. (S. 141). 219 Art. 14 Abs. 1 HAVÜ ist Art. 14 HRpflÜ nachgebildet, vgl. Minutes of the Special Commission on the Recognition and Enforcement of Foreign Judgments (16–24 February 2017), Minutes No 8, Meeting of 21 February 2017 (afternoon), Rn. 82 (bisher unveröffentlicht). Siehe zu Art. 14 Abs. 1 HAVÜ auch Kapitel 4 G.III.2. (S. 181). 220 Vgl. hierzu Dotta Salgueiro, Neth. Int'l L. Rev. 2020, 113 (117 ff.). 221 Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 322. 222 Beispielweise weil der Richter nach nationalem Recht ein Ermessen hat oder weil das nationale Recht eine Sicherheit für die Kosten des Verfahrens generell nicht kennt, vgl. Möller, Explanatory Report, S. 283 (zu Art. 14 HRpflÜ). 223 Insofern wurde der Text des Konventionsentwurfs 2018 im Rahmen der Diplomatischen Konferenz fallen gelassen.
B. Gegenständlicher Anwendungsbereich
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Art. 14 Abs. 2 HAVÜ greift demgegenüber nach dem Wortlaut nicht ein, sofern der Antragssteller Sicherheit für ein Exequaturverfahren gezahlt hat, aber diese letztlich nicht ausreicht, um die Kosten zu decken.224 Diese Situation zu vermeiden, obliegt daher den jeweiligen nationalen Vorschriften zur Prozesskostensicherheit.225 Das Übereinkommen bietet in dieser Konstellation keine Hilfe zur grenzüberschreitenden Vollstreckung des Kostentitels an, um diejenigen Kosten einzutreiben, die von der Sicherheitsleistung nicht gedeckt waren. Nur soweit keine Sicherheitsleistung zu zahlen war, greift Art. 14 Abs. 2 HAVÜ. Einen umfassenden Schutz des Antragsgegners kann auch im Übrigen nur eine nicht-diskriminierende und daher nach Art. 14 Abs. 1 HAVÜ zulässige nationale Regelung zur Prozesskostensicherheit gewährleisten. Dass zugunsten des Antragsgegners keine Sicherheit gestellt wird, will Art. 14 Abs. 2 HAVÜ durch eine Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung unter dem HAVÜ kompensieren. Dies nützt dem Antragsgegner – auch wenn dieser bereit ist, zur Erstattung seiner Kosten ein Verfahren im Ausland zu führen – aber nur, soweit der Antragssteller, der vergeblich die Vollstreckbarerklärung unter dem HAVÜ begehrt hat, vollstreckbares Vermögen in einem Vertragsstaat des HAVÜ hat. Sofern dies nicht der Fall ist, kann Art. 14 Abs. 2 HAVÜ dem Titelschuldner nicht helfen, seine Kosten erstattet zu bekommen. VII. Einstweilige Sicherungsmaßnahmen Einstweilige Sicherungsmaßnahmen („interim measures of protection“ bzw. „mesures provisoires et conservatoires“) werden gemäß Art. 3 Abs. 1 lit. b S. 2 HAVÜ nicht vom Begriff der Entscheidung erfasst und sind daher nicht nach dem Übereinkommen anzuerkennen und zu vollstrecken.226 Der Begriff der einstweiligen Sicherungsmaßnahme im Sinne des Art. 3 Abs. 1 lit. b S. 2 HAVÜ umfasst insbesondere gerichtliche Anordnungen, die darauf abzielen, Vermögenswerte im Hinblick auf eine spätere Vollstreckung zu sichern oder 224 Dies wurde auch in den Verhandlungen angesprochen: Minutes of the 22nd Session, Commission I, Minutes No 8, Meeting of 21 June 2019 (afternoon), Rn. 78 f. (bisher unveröffentlicht). 225 In diesem Sinne erlaubt etwa § 112 Abs. 3 ZPO, dass der Beklagte die Leistung einer weiteren Sicherheit verlangen kann, wenn sich im Verfahren herausstellt, dass die geleistete Sicherheit nicht ausreicht (vgl. auch BGH 30.6.2004 – VIII ZR 273/03, NJW-RR 2005, 148). Eine entsprechende Lösung findet sich auch im österreichischen Recht in § 62 Abs. 2 öZPO. Auch Art. 100 Abs. 2 der schweizerischen ZPO sieht die Möglichkeit der nachträglichen Erhöhung der Sicherheit vor. 226 Art. 4 Abs. 1 S. 2 HGÜ schließt einstweilige Sicherungsmaßnahmen ebenfalls aus. Auch im HVÜ werden einstweilige Maßnahmen und Sicherungsmaßnahmen („decisions which order provisional or protective measures“) nicht vom Anwendungsbereich erfasst, vgl. Art. 2 Abs. 2 HVÜ. Eine Regelung zur Anerkennung und Vollstreckung von einstweiligen Maßnahmen enthielt jedoch Art. 23 lit. b i.V.m. Art. 13 Konventionsentwurf 1999.
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Kapitel 4: Anwendungsbereich
den status quo zu bewahren.227 Einstweilige Maßnahmen stellen gerade keine endgültige Beurteilung der Rechte und Pflichten der Parteien dar. Zudem ergehen sie oftmals in summarischen Verfahren und ohne Anhörung des Gegners. Eine grenzüberschreitende Anerkennung und Vollstreckung einstweiliger Maßnahmen wird daher zum Teil kritisch gesehen.228 Der Draft Explanatory Report in der Version von Dezember 2018 verwies in der Sache korrekt, aber in der Begründung schief, nämlich unter Bezugnahme auf (den jetzigen) Art. 15 HAVÜ, auf eine mögliche Anerkennung und Vollstreckung nach nationalem Recht.229 Da einstweilige Sicherungsmaßnahmen aber schon gegenständlich nicht vom Übereinkommen erfasst werden, ist es nicht Art. 15 HAVÜ, der eine Anerkennung und Vollstreckung nach nationalem Recht erlaubt. So spricht Art. 15 HAVÜ auch nur von „recognition or enforcement of judgments under national law“. Art. 3 Abs. 1 lit. b S. 2 HAVÜ stellt aber gerade klar, dass einstweilige Sicherungsmaßnahmen keine „judgments“ im Sinne des Übereinkommens sind. Sie fallen insgesamt aus dem Übereinkommen heraus und ihre Anerkennung und Vollstreckung richtet sich damit gemäß allgemeinen Grundsätzen nach nationalem Recht.230 Soweit fremde einstweilige Sicherungsmaßnahmen – wie häufig231 – auch nach nationalem Recht nicht anerkannt und vollstreckt werden, bleibt der Partei nur ein neuer Antrag auf Erlass einer entsprechenden Anordnung im anderen Staat. VIII. Anti-suit injunctions In einem Aufsatz von 2014 schrieb Schack mit Blick auf die Perspektiven für ein neues Haager Anerkennungs- und Vollstreckungsübereinkommen, es verstehe sich von selbst, dass anti-suit injunctions, also gerichtliche Anordnungen, durch die einer Partei die Prozessführung in einem bestimmten Staat untersagt wird, nicht anerkennungsfähig seien.232 Im Text des HAVÜ und dem zugehörigen Explanatory Report sucht man allerdings vergeblich nach einer eindeutigen Regelung oder Klarstellung. Die Frage, ob anti-suit injunctions in den ge-
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Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 99. Vgl. z.B. Stojan, Anerkennung, S. 47 f. Selbst in der Brüssel Ia-VO ist die grenzüberschreitende Vollstreckung einstweiliger Maßnahmen nur möglich, wenn der Beklagte vorgeladen wurde oder ihm die Entscheidung vor der Vollstreckung zugestellt wurde (Art. 2 lit. a Brüssel Ia-VO). 229 Garcimartín/Saumier, Judgments Convention: Revised Draft Explanatory Report, PrelDoc No 1 of December 2018, Rn. 87. 230 In diesem Sinne jetzt auch: Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 99. 231 Vgl. z.B. für China: Gu, in: Reyes, Recognition and Enforcement, S. 31 (40); für Deutschland: Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, § 328 Rn. 5; für England: Briggs, Private International Law, Rn. 6.176; für Japan: Nishioka, in: Reyes, Recognition and Enforcement, S. 97 (104); für die Türkei: Süral Efeçınar, PPIL 40-2 (2020), 785 (792). 232 Schack, ZEuP 2014, 824 (833). 228
B. Gegenständlicher Anwendungsbereich
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genständlichen Anwendungsbereich des HAVÜ fallen, ist nicht bloß theoretischer Natur. So haben beispielsweise französische Gerichte in der Vergangenheit US-amerikanische anti-suit injunctions anerkannt.233 Bei einer Einbeziehung von anti-suit injunctions in den Anwendungsbereich wären auch zugehörige Kostenentscheidungen unter dem HAVÜ vollstreckbar (vgl. Art. 3 Abs. 1 lit. b HAVÜ). 1. Anti-suit injunctions als einstweilige Sicherungsmaßnahmen? Zweifelhaft ist, ob mit dem Ausschluss von einstweiligen Sicherungsmaßnahmen (Art. 3 Abs. 1 lit. b S. 2 HAVÜ) auch anti-suit injunctions generell vom Anwendungsbereich des Übereinkommens ausgeklammert sind.234 Im Rahmen des HGÜ werden anti-suit injunctions zum Teil unter Art. 7 HGÜ, der Vorschrift zu einstweiligen Sicherungsmaßnahmen, diskutiert.235 Anti-suit injunctions haben allerdings nicht in jedem Fall einen bloß vorläufigen Charakter.236 So können anti-suit injunctions zum Beispiel nach englischem Recht auch permanente Anordnungen darstellen.237 Es erscheint daher zweifelhaft, ob der Begriff der einstweiligen Sicherungsmaßnahme geeignet ist, anti-suit injunctions generell zu erfassen. Darüber hinaus spricht auch der Explanatory Report tendenziell dafür, dass (auch einstweilige) anti-suit injunctions nicht unter den Begriff der einstweiligen Sicherungsmaßnahmen fallen. Der Report nimmt für den Begriff der einstweiligen Sicherungsmaßnahme auf die Ausführungen des Nygh/Pocar-Reports zu Art. 13 Konventionsentwurf 1999 Bezug.238 Dort heißt es, dass anti-suit injunctions von dem in Art. 13 Konventionsentwurf 1999 verwendeten Begriff der einstweiligen Maßnahmen und Sicherungsmaßnahmen nicht erfasst seien.239 Anti-suit injunctions beträfen die Zuständigkeit und nicht die Sicherung des status quo des Gegenstandes des Rechtsstreits.240 Es verbleiben vor diesem Hintergrund zumindest ernsthafte Zweifel, ob der Ausschluss der einstweiligen Sicherungsmaßnahmen auch den Ausschluss von anti-suit injunctions vom gegenständlichen Anwendungsbereich bedeutet. 233 Cour de Cassation, 1ère civ., 14.10.2009, Nr. 08-16369, 08-16549; besprochen von Illmer, IPRax 2010, 456. 234 Die Einordnung als Zivil- oder Handelssache dürfte regelmäßig keine Schwierigkeiten bereiten, vgl. Hau, IPRax 1997, 245 (246) (zum HZÜ). 235 Vgl. Brand/Herrup, The 2005 Hague Choice of Court Convention, S. 96. 236 Mills, Melb. J. Int'l L. 18 (2017), 1 (9). 237 Ahmed/Beaumont, JPIL 2017, 386 (398 f.); Raphael, The Anit-Suit Injunction, Rn. 3.03, 13.01. 238 Vgl. Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 99 Fn. 97. 239 Bemerkenswert ist allerdings, dass der Ausschluss von anti-suit injunctions vom Begriff der einstweiligen Maßnahmen und Sicherungsmaßnahmen i.S.d. Art. 13 Konventionsentwurf 1999 gerade bewirkte, dass anti-suit injunctions nicht in den gegenständlichen Anwendungsbereich des Entwurfs fielen. 240 Nygh/Pocar, Report, Rn. 179.
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Kapitel 4: Anwendungsbereich
2. Begriff der Sachentscheidung Auf den ersten Blick scheint auch der Begriff der Sachentscheidung in Art. 3 Abs. 1 lit. b HAVÜ anti-suit injunctions nicht auszuschließen. Erkennt das materielle Recht einen Anspruch an, nicht (vor einem derogierten Gericht) verklagt zu werden und wird dieser gerichtlich geltend gemacht, ist fraglich, wieso es sich bei einer Entscheidung darüber nicht um eine Sachentscheidung im Sinne des Art. 3 Abs. 1 lit. b HAVÜ handeln sollte. Die Ausführungen des Explanatory Reports scheinen eher Argumente dafür zu liefern, dass auch antisuit injunctions vom Begriff der Sachentscheidung erfasst sein könnten. Urteile, die den Schuldner anweisen, eine bestimmte Handlung zu unterlassen (z.B. eine „injunction“), fallen in den Anwendungsbereich.241 Danach könnte auch die Anweisung erfasst sein, es zu unterlassen, einen Prozess in einem bestimmten Staat einzuleiten oder fortzuführen.242 Denkbar erscheint jedoch eine Argumentation, die den prozessualen Charakter von anti-suit injunctions hervorhebt und darauf gestützt eine Einordnung als Sachentscheidung im Sinne des HAVÜ verneint.243 Prozessuale Entscheidungen werden vom gegenständlichen Anwendungsbereich des HAVÜ nicht erfasst.244 Es ließe sich zwar argumentieren, dass es bei anti-suit injunctions schlicht um die Durchsetzung einer (typischerweise vertraglichen) Verpflichtung geht.245 Diese bezieht sich aber jedenfalls auf eine verfahrensrechtliche Angelegenheit, nämlich die Prozessführung in einem bestimmten Forum. 3. Konzeption des HAVÜ Hinzu kommt, dass eine Einbeziehung von anti-suit injunctions in den Anwendungsbereich in einem Spannungsverhältnis zur grundsätzlichen Konzeption des HAVÜ stünde. Denn das HAVÜ will als convention simple die Frage der
241
Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 96. So gehen Ahmed/Beaumont, JPIL 2017, 386 (398 f.) davon aus, dass permanente antisuit injunctions unter dem HGÜ, welches eine Art. 3 Abs. 1 lit. b HAVÜ entsprechende Definition der Entscheidung enthält, vollstreckbare Entscheidungen darstellen. 243 So Jang, Neth. Int'l L. Rev. 2020, 97 (107). Mit ähnlicher Begründung wird verbreitet für die Zwecke des § 328 ZPO eine Einordnung von anti-suit injunctions als anerkennungsfähige Entscheidung abgelehnt, vgl. Geimer, IZPR, Rn. 2792; Geimer, in: Zöller, ZPO, § 328 Rn. 42; Gottwald, in: MüKo-ZPO, § 328 Rn. 62; Roth, in: Stein/Jonas, § 328 Rn. 55; Schütze, in: Wieczorek/Schütze, ZPO, § 328 Rn. 14. 244 Siehe Kapitel 4 B.II. (S. 139). 245 Vgl. z.B. Raphael, The Anit-Suit Injunction, Rn. 3.13; Briggs, Private International Law, Rn. 5.105; Fentiman, in: Basedow/Rühl/Ferrari/de Miguel Asensio, EPrIL, Bd. 2, Eintrag „Injunction“, S. 924 (925). 242
B. Gegenständlicher Anwendungsbereich
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internationalen Entscheidungszuständigkeit unberührt lassen.246 Eine Einbeziehung von anti-suit injunctions in den Anwendungsbereich und eine damit einhergehende grundsätzliche Verpflichtung zur Anerkennung derselben würde jedoch bedeuten, dass das HAVÜ mittelbar die internationale Entscheidungszuständigkeit berühren würde.247 Dabei hat die Haager Konferenz bewusst die Entscheidung getroffen, Fragen der internationalen Entscheidungszuständigkeit getrennt zu verhandeln und möglicherweise in einem separaten Instrument zu adressieren (Jurisdiction Project).248 Daher spricht auch die Konzeption des HAVÜ dafür, dass anti-suit injunctions aus dem Anwendungsbereich des HAVÜ fallen. 4. Entstehungsgeschichte Zur Bestätigung dieser Auslegung kann im Einklang mit Art. 32 WVK die Entstehungsgeschichte des HAVÜ als ergänzendes Auslegungsmittel herangezogen werden.249 In der Explanatory Note zum vorläufigen Entwurfstext von 2015 hat das Ständige Büro angeregt, die Spezialkommission möge die Frage diskutieren, ob auch anti-suit injunctions erfasst werden sollen.250 Dabei legte die Formulierung in der Explanatory Note nahe, dass anti-suit injunctions vom Begriff der einstweiligen Maßnahmen und Sicherungsmaßnahmen erfasst wären.251 Denkbar ist vor diesem Hintergrund, dass man im Rahmen der Spezialkommission und der Diplomatischen Konferenz davon ausgegangen ist, dass das Thema aufgrund des Ausschlusses von einstweiligen Sicherungsmaßnahmen vom Entscheidungsbegriff geklärt sei. Denn die Frage, ob anti-suit injunctions unter dem Übereinkommen zirkulieren sollen, wurde im Rahmen der Verhandlungen der Spezialkommission und der Diplomatischen Konferenz nicht mehr thematisiert.
246
Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 11 und 135; siehe auch Kapitel 3 B. (S. 91). 247 Vgl. Schütze, in: Wieczorek/Schütze, ZPO, § 328 Rn. 14. Zur Frage, was die Anerkennung und Vollstreckung einer fremden anti-suit injunction bedeuten könnte: Illmer, IPRax 2010, 456 (462 f.). 248 Siehe Kapitel 1 H. (S. 35). 249 Siehe Kapitel 2 B.IV. (S. 76). 250 Ständiges Büro der Haager Konferenz, Explanatory Note, PrelDoc No 2 of April 2016, Rn. 49. 251 Ständiges Büro der Haager Konferenz, Explanatory Note, PrelDoc No 2 of April 2016, Rn. 49 („The Special Commission may also wish to consider whether the following categories of judgments should be encompassed in the definition of ‘judgment’: […] judgments regarding provisional and protective measures (including anti-suit injunctions)“).
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Kapitel 4: Anwendungsbereich
5. Fazit Insgesamt sprechen die besseren Argumente dafür, dass anti-suit injunctions aufgrund ihres prozessualen Charakters nicht unter den Begriff der Sachentscheidung im Sinne des Art. 3 Abs. 1 lit. b HAVÜ fallen und daher nicht in den gegenständlichen Anwendungsbereich des HAVÜ einbezogen sind. Ein anderes Ergebnis wäre auch angesichts der kritischen Haltung in vielen Rechtsordnungen zu anti-suit injunctions252 schwer vorstellbar. Im Zweifel könnten Vertragsstaaten die Nichtanerkennung aber jedenfalls auch auf den ordre publicVorbehalt in Art. 7 Abs. 1 lit. c HAVÜ stützen. Art. 7 Abs. 1 lit. c HAVÜ stellt explizit klar, dass Beeinträchtigungen der staatlichen Sicherheit oder Souveränität einen ordre public-Verstoß rechtfertigen können.253 Demgegenüber dürften Urteile, die Schadensersatz wegen der Verletzung einer ausschließlichen Gerichtsstandsvereinbarung zusprechen,254 in den gegenständlichen Anwendungsbereich des HAVÜ fallen. Auch wenn solche Urteile viele Gemeinsamkeiten mit anti-suit injunctions haben,255 wird einer Partei dadurch nicht die Prozessführung in einem bestimmten Forum untersagt. Insgesamt spricht daher weniger für einen prozessualen Charakter der Entscheidung. Soweit ein Vertragsstaat solche Schadensersatzurteile wegen der damit verbundenen Bewertung eigener zuständigkeitsrechtlichen Vorschriften als unzulässige Einmischung ansieht, steht insoweit gegebenenfalls der ordre public-Vorbehalt nach Art. 7 Abs. 1 lit. c HAVÜ zur Verfügung. IX. Gerichtliche Vergleiche 1. Grundsatz Art. 11 HAVÜ bezieht gerichtliche Vergleiche (transactions judiciaires) in den Anwendungsbereich des Übereinkommens ein und stellt sie Entscheidungen im Hinblick auf ihre Vollstreckbarkeit gleich. Voraussetzung ist, dass sie im Ursprungsstaat wie gerichtliche Entscheidungen vollstreckbar sind. In Deutschland ist dies nach § 794 Abs. 1 Nr. 1 ZPO der Fall.256 Gerichtliche Vergleiche sind unter dem Übereinkommen vollstreckbar, werden aber, wie sich 252 Vgl. z.B. EuGH 27.4.2004 – C-159/02, Slg. 2004, I-3565 – Turner/Grovit; OLG Düsseldorf 10.1.1996 – 3 VA 11/95, IPRax 1997, 260; siehe auch Naumann, Englische anti-suit injunctions, S. 83 f. 253 Siehe Kapitel 6 D.III.1. (S. 280). 254 Entsprechende Schadensersatzurteile sind beispielsweise in England (Union Discount Co Ltd v Zoller [2001] EWCA Civ 1755; Starlight Shipping Company v Allianz Marine [2014] EWCA Civ 1010) und Deutschland (BGH 17.10.2019 – III ZR 42/19, BGHZ 223, 269 = NJW 2020, 399) ergangen. Ausführlich zur Thematik: Antomo, Schadensersatz wegen der Verletzung einer internationalen Gerichtsstandsvereinbarung?. 255 Vgl. Ruddell, LMCLQ 2015, 9 (12). 256 Vgl. zu Art. 59 Brüssel Ia-VO, der eine ähnliche Voraussetzung aufstellt: Gottwald, in: MüKo-ZPO, Art. 59 Brüssel Ia-VO Rn. 1.
B. Gegenständlicher Anwendungsbereich
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schon am Wortlaut zeigt, nicht „anerkannt“.257 Eine Anerkennung nach nationalem Recht wird dadurch jedoch nicht ausgeschlossen.258 Unberührt bleibt selbstverständlich auch die Möglichkeit, den gerichtlichen Vergleich als materiell-rechtliche Einwendung geltend zu machen (z.B., wenn eine Partei in einem Folgeverfahren Ansprüche erhebt, auf die sie im Vergleich verzichtet hatte).259 Unzutreffend ist die Aussage, der Begriff des Urteils umfasse auch Prozessvergleiche.260 Art. 11 HAVÜ ordnet lediglich an, dass gerichtliche Vergleiche den Gerichtsentscheidungen im Hinblick auf ihre Vollstreckbarkeit gleichgestellt werden. Schon für die Anerkennung gilt diese Gleichstellung nicht. Darüber hinaus zeigen auch Art. 7 Abs. 1 lit. e und f HAVÜ, dass der gerichtliche Vergleich nicht vom Begriff der Gerichtsentscheidung umfasst wird. Denn nichts deutet darauf hin, dass es möglich sein soll, einer Gerichtsentscheidung die Anerkennung oder Vollstreckung unter Verweis auf die Unvereinbarkeit mit einem gerichtlichen Vergleich zu versagen.261 Nur Entscheidungen staatlicher Gerichte können im Rahmen von Art. 7 Abs. 1 lit. e und f HAVÜ die Versagung der Anerkennung oder Vollstreckung rechtfertigen.262 Man sollte im Hinblick auf gerichtliche Vergleiche daher besser von einer teilweisen Gleichstellung mit Gerichtsentscheidungen,263 nicht jedoch von einer Eingliederung in den Entscheidungsbegriff sprechen. Als Vergleiche im Sinne des Art. 11 HAVÜ kommen solche in Betracht, die entweder im Verlauf eines Verfahrens vor dem Gericht geschlossen werden oder die zunächst außergerichtlich geschlossen wurden und anschließend durch ein Gericht gebilligt werden.264 Die nachträgliche „Billigung“ des Vergleichs
257
Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 298. Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 298; ebenso zu Art. 12 HGÜ: Bläsi, HGÜ, S. 196; Brand/Herrup, The 2005 Hague Choice of Court Convention, S. 131. 259 Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 298. 260 So aber Fuchs, GWR 2019, 395 (396). 261 Umgekehrt ist es freilich denkbar, einem gerichtlichen Vergleich, der nach Art. 11 HAVÜ im Grundsatz vollstreckbar ist, die Vollstreckung unter Verweis auf die Unvereinbarkeit mit einer Entscheidung des angerufenen Staates (Art. 7 Abs. 1 lit. e HAVÜ) oder einer früheren, im angerufenen Staat anzuerkennenden Entscheidung (Art. 7 Abs. 1 lit. f HAVÜ) zu versagen. 262 Entsprechendes gilt im europäischen Recht, vgl. EuGH 2.6.1994 – C-414/92, Slg. 1994, I-2237 – Solo Kleinmotoren. 263 Siehe auch Kapitel 5 B.IX. (S. 261). 264 Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 297. In dieser Hinsicht ähnelt Art. 11 HAVÜ dem Art. 2 lit. b Brüssel Ia-VO, der nun für die Zwecke der Brüssel Ia-VO explizit auch nachträglich gebilligte, aber außergerichtlich geschlossene Vergleiche umfasst, vgl. Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, Art. 2 EuGVVO Rn. 10. 258
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Kapitel 4: Anwendungsbereich
im Sinne des Art. 11 HAVÜ setzt keine inhaltliche Nachprüfung des Vergleichs voraus.265 Außergerichtlich geschlossene Vergleiche, die anschließend vom Gericht eines Vertragsstaats gebilligt wurden, werden unabhängig davon erfasst, ob sie während oder überhaupt im Zusammenhang mit einem laufenden Verfahren geschlossen wurden.266 Die Billigung hat nach Art. 11 HAVÜ durch das Gericht zu erfolgen („which a court […] has approved“). Anders als in Art. 51 LugÜ 1988 wird die Beteiligung eines Richters im Wortlaut nicht vorausgesetzt.267 Vor diesem Hintergrund dürfte eine Beschränkung auf durch den Richter gebilligte Vergleiche im Rahmen des Art. 11 HAVÜ nicht geboten sein. Dies gilt umso mehr als auch der Begriff der Entscheidung unter dem HAVÜ eine Beteiligung des Richters nicht in jedem Fall voraussetzt, sondern auch durch andere Gerichtsbedienstete erlassene Entscheidungen umfassen kann (z.B. bei Kostenentscheidungen268 oder Versäumnisurteilen269).270 Überschneidungen mit dem kürzlich verabschiedeten UN-Übereinkommen über durch Mediation erzielte internationale Vergleichsvereinbarungen (Singapur-Konvention) dürften aufgrund von Art. 1 Abs. 3 lit. a der Singapur-Konvention weitgehend ausgeschlossen sein.271 Danach ist die Singapur-Konvention auf Vergleichsvereinbarungen unanwendbar, die von einem Gericht gebilligt oder im Rahmen eines Verfahrens vor einem Gericht abgeschlossen wurden (i) oder die im Ursprungsstaat als Urteile vollstreckbar sind (ii). Von einer (möglichst zu vermeidenden272) abweichenden Auslegung der jeweiligen Begriffe abgesehen, können gerichtliche Vergleiche im Sinne des Art. 11 HAVÜ also nicht von der Singapur-Konvention erfasst werden.
265
Ebenso für die Brüssel Ia-VO: Staudinger, in: Rauscher, EuZPR/EuIPR I, Art. 2 Brüssel Ia-VO Rn. 26. 266 Vgl. Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 297; vgl. Minutes of the Special Commission on the Recognition and Enforcement of Foreign Judgments (16–24 February 2017), Minutes No 8, Meeting of 21 February 2017 (afternoon), Rn. 53, 56 (bisher unveröffentlicht); abweichend zu Art. 12 HGÜ: Hartley/Dogauchi, Explanatory Report, Rn. 207. 267 Auch zu Art. 51 LugÜ 1988 wurde allerdings eine weite Auslegung vertreten, so dass beispielsweise ein Abschluss vor dem Rechtspfleger als ausreichend angesehen wurde, vgl. Atteslander-Dürrenmatt, Prozessvergleich, S. 103 m.w.N. 268 So explizit Art. 3 Abs. 1 lit. b HAVÜ. 269 Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 95 Fn. 88. 270 Siehe Kapitel 4 B.I. (S. 137). 271 Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 297 Fn. 217; Bonomi/Mariottini, YbPIL 20 (2018/19), 537 (546); im Grundsatz auch: Kessedjian, NIPR 2020, 19 (26). 272 Zur konventionsübergreifenden Auslegung von Abgrenzungsnormen zur Vermeidung von Überschneidungen mit anderen Instrumenten siehe Kapitel 2 B.II.3.d) (S. 73).
B. Gegenständlicher Anwendungsbereich
157
2. Abgrenzung zur Entscheidung Zum Teil kann die Grenze zwischen Entscheidung und gerichtlichem Vergleich fließend sein, da nach dem Recht mancher Staaten der Vergleich in einem Urteil aufgenommen wird273 oder, wie nach deutschem Prozessrecht möglich, Zustandekommen und Inhalt eines Vergleichs durch gerichtlichen Beschluss festgestellt werden kann.274 Der Explanatory Report führt aus, dass in Common Law-Rechtsordnungen übliche consent orders,275 also Entscheidungen, die ein Gericht mit Zustimmung beider Parteien trifft, nicht unter Art. 11 HAVÜ fallen, sondern als Entscheidungen gemäß Art. 4 HAVÜ anerkannt und vollstreckt werden.276 Für eine Abgrenzung geben weder der Übereinkommenstext noch der Explanatory Report ein klares Kriterium an. Die Abgrenzung zwischen Entscheidung und gerichtlichem Vergleich kann jedoch wichtig sein, da Entscheidungen anerkannt und vollstreckt werden (Art. 4 Abs. 1 HAVÜ), gerichtliche Vergleiche aber nur vollstreckt (Art. 11 HAVÜ). Klar dürfte sein, dass die Abgrenzung nicht in einer Weise erfolgen kann, dass jeder Fall einer konsensualen Streitbeilegung zur Anwendung des Art. 11 HAVÜ führt.277 Dies widerspräche den Ausführungen im Explanatory Report, wonach consent orders als Entscheidungen einzuordnen sind.278 Bei einer funktionalen Betrachtungsweise im beschriebenen Sinne müsste man diese jedoch als Gerichtsvergleiche einordnen.279 Die Wirkung, die dem jeweiligen Akt nach dem Recht des Ursprungsstaats zukommt, insbesondere die Rechtskraftfähigkeit, dürfte zur Abgrenzung nicht ausreichen.280 Denn Art. 11 HAVÜ erfasst nach dem Explanatory Report auch gerichtliche Vergleiche, die nach dem Recht des Ursprungsstaats in ihren Wirkungen Urteilen vollkommen gleichgestellt sind.281 Einbezogen sind insbeson-
273 Geimer, Anerkennung, S. 99; vgl. auch BGH 6.11.1985 – IV b ZR 73/84, NJW 1986, 1440 (1441). 274 Vgl. § 278 Abs. 6 S. 2 ZPO (sogenannter Beschlussvergleich). 275 Vgl. z.B. für consent orders nach englischem Zivilverfahrensrecht: 40.6. Civil Procedure Rules 1998 (SI 1998/3132) (CPR). 276 Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 296. 277 Ähnlich in anderem Zusammenhang Atteslander-Dürrenmatt, Prozessvergleich, S. 91. 278 Vgl. Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 296. 279 Atteslander-Dürrenmatt, Prozessvergleich, S. 83. 280 Die Rechtskraftwirkung wird im Rahmen des europäischen Zivilverfahrensrechts als Abgrenzungskriterium herangezogen: vgl. z.B. Frische, Verfahrenswirkungen und Rechtskraft gerichtlicher Vergleiche, S. 141 ff. m.w.N. 281 Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 296 („Such agreements have some, or even all, of the effects of a final judgment.“).
158
Kapitel 4: Anwendungsbereich
dere auch solche gerichtlichen Vergleiche, die im Ursprungsstaat der materiellen Rechtskraft fähig sind.282 Der Begriff des gerichtlichen Vergleichs in Art. 11 HAVÜ scheint also keine Beschränkung auf bestimmte dadurch hervorgerufene Wirkungen zu enthalten. Es dürfte daher danach abzugrenzen sein, ob dem Gericht lediglich eine beurkundende oder protokollierende Rolle zukommt (dann gerichtlicher Vergleich) oder ob durch den gerichtlichen Ausspruch – auch wenn diesem wie etwa im Rahmen von § 307 ZPO kein „materielle[r] Akt richterlicher Rechtserkenntnis“283 vorausgeht – eine Verantwortung für die Rechtsfolgen übernommen wird (dann Entscheidung).284 Um dies festzustellen, wird man, wenn auch nicht ausschließlich, auf die äußere Form abstellen können.285 Nur auf den ersten Blick steht das Heranziehen der äußeren Form in einem Widerspruch zur Legaldefinition der Entscheidung in Art. 3 Abs. 1 lit. b HAVÜ. Nach der Vorschrift umfasst der Begriff judgment jede gerichtliche Entscheidung in der Sache, und zwar unabhängig von ihrer Bezeichnung. Es ist jedoch zweifelhaft, ob damit in der Abgrenzung zum gerichtlichen Vergleich irgendetwas gesagt sein soll. In den authentischen französischen und englischen Sprachfassungen wird deutlich, dass Art. 3 Abs. 1 lit. b HAVÜ die Bezeichnung für nicht maßgeblich hält, solange es sich um eine gerichtliche Entscheidung („decision“ bzw. „décision“) handelt. Eine Einordnung als „decision“ bereits vorausgesetzt, kommt es nicht darauf an, wie diese bezeichnet ist (z.B. decree, order, Urteil, Beschluss etc.), um ein „judgment“ im Sinne des Übereinkommens zu sein. Das löst aber nicht die Frage auf, wann eine „decision“ eine „decision“ ist. Dass für diese Frage und damit auch die Abgrenzung zum Prozessvergleich die Bezeichnung oder die äußere Form irrelevant wären, sagt die Vorschrift nicht. Ein weiteres Kriterium mag im Einzelfall eine Hilfestellung geben oder zumindest als Faustregel taugen: Typischerweise wird ein Gericht nach nationalem Prozessrecht für eine Entscheidung im Sinne des Übereinkommens auf den durch die Klage definierten Streitgegenstand des Verfahrens beschränkt sein und nur dann entscheiden dürfen, wenn es nach eigenem Zuständigkeitsrecht dazu berufen ist. Demgegenüber dürften diese Beschränkungen bei gerichtlichen Vergleichen regelmäßig nicht bestehen, da deren Wirkungen nicht primär auf gerichtlicher Autorität, sondern auf der Einigung der Parteien basieren. In Konsequenz der hier vertretenen Abgrenzung können gerichtlich bestätigte Vergleiche, denen im Ursprungsstaat Rechtskraftwirkung zukommt, unter 282 Vgl. Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 298; für Art. 12 HGÜ: Brand/Herrup, The 2005 Hague Choice of Court Convention, S. 130. 283 Vgl. Hess, EuZPR, Rn. 6.295 hinsichtlich des Begriffs der Entscheidung nach Art. 2 lit. a Brüssel Ia-VO. 284 Ähnlich für die Abgrenzung im Rahmen von § 328 ZPO: Geimer, IZPR, Rn. 2860; siehe auch: RGZ 136, 142 (147). 285 Ähnlich für Art. 51 LugÜ 1988: Atteslander-Dürrenmatt, Prozessvergleich, S. 110.
B. Gegenständlicher Anwendungsbereich
159
Art. 11 HAVÜ fallen, wonach sie lediglich vollstreckbar sind. In einem solchen Fall ist aber der ersuchte Staat nicht daran gehindert, nach seinem nationalen Recht auch die Rechtskraftwirkung anzuerkennen.286 3. Beispiele Nach den dargelegten Maßstäben sind consent orders oder consent judgments287 nach englischem Recht als Entscheidungen (und nicht als gerichtliche Vergleiche) im Sinne des Übereinkommens einzuordnen.288 Dies dürfte auch für consent orders gelten, die nach englischem Recht ohne richterliche Beteiligung durch einen Gerichtsbediensteten erlassen wurden (vgl. CPR 40.6(2)).289 Zwar bezieht Art. 3 Abs. 1 lit. b HAVÜ nur hinsichtlich Kostenfeststellungen auch Entscheidungen von Gerichtsbediensteten in den Begriff der Entscheidung ein. Ein Umkehrschluss in dem Sinne, dass außerhalb von Kostenfeststellungen Entscheidungen durch nichtrichterliche Gerichtsbedienstete nicht erfasst sind, ist jedoch nicht zu ziehen. Denn der Explanatory Report stellt klar, dass auch Versäumnisurteile durch Gerichtsbedienstete als Entscheidungen im Sinne des Übereinkommens einzuordnen sind.290 Auch Anerkenntnisurteile291 nach deutschem Recht sind als Entscheidungen im Sinne des Übereinkommens einzuordnen.292 Schwierigkeiten bereitet demgegenüber die Einordnung des sogenannten Beschlussvergleichs nach § 278 Abs. 6 S. 2 ZPO. Man könnte geneigt sein, ihn entgegen der äußeren Form als gerichtlichen Vergleich im Sinne des Art. 11 HAVÜ einzuordnen,293 da das
286
Vgl. Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 298. Diese sind nur im Rahmen des Streitgegenstands zulässig und soweit das Gericht auch im Rahmen streitiger Entscheidung zuständig gewesen wäre, Atteslander-Dürrenmatt, Prozessvergleich, S. 84. 288 Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 296; für Art. 12 HGÜ: Brand/Herrup, The 2005 Hague Choice of Court Convention, S. 130 f.; Wagner, RabelsZ 73 (2009), 100 (133); ebenso im Rahmen der Brüssel Ia-VO: Geimer, in Geimer/Schütze, EuZVR, EuGVVO Art. 59 Rn. 13; Gottwald, in: MüKo-ZPO, Art. 59 Brüssel Ia-VO Rn. 2; Hess, EuZPR, Rn. 6.295; Mäsch, in: Kindl/Meller-Hannich, Art. 2 Brüssel Ia-VO Rn. 10. 289 Dazu: Zuckerman, Civil Procedure, Rn. 23.71; Frische, Verfahrenswirkungen und Rechtskraft gerichtlicher Vergleiche, S. 45. 290 Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 95 Fn. 88. 291 Diese setzen grundsätzlich das Vorliegen der Sachurteilsvoraussetzungen voraus: KG Berlin 11.11.1987 – 18 UF 2044/87, FamRZ 1988, 310; Musielak, in: MüKo-ZPO, § 307 Rn. 15. 292 Das Anerkenntnisurteil nach § 307 ZPO kann ein Fall sein, in dem im Ergebnis die Einigung der Parteien in der Form einer gerichtlichen Entscheidung ergeht, vgl. Koch, FS Schumann, S. 267 (277 f.), der von einem „verdeckte[n] Vergleich in Urteilsform“ spricht. 293 Ebenso für die Einordnung im Rahmen der Brüssel Ia-VO: Geimer, in Geimer/Schütze, EuZVR, EuGVVO Art. 59 Rn. 2; Gottwald, in: MüKo-ZPO, Art. 59 Brüssel Ia-VO Rn. 2; Hess, EuZPR, Rn. 6.297. 287
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Kapitel 4: Anwendungsbereich
Gericht nur deklaratorisch Zustandekommen und Inhalt eines Vergleichs feststellt. Der Beschluss soll den Parteien nach der gesetzgeberischen Vorstellung den „mit der Wahrnehmung eines eigenen Protokollierungstermins verbundenen Zeit- und Kostenaufwand“ ersparen.294 Der Beschluss erfüllt lediglich die Funktion, die sonst der Protokollierung zukäme.295 Bei dem Beschluss nach § 278 Abs. 6 S. 2 ZPO könnte es sich daher um die im Wortlaut von Art. 11 HAVÜ angesprochene Billigung („which a court of a Contracting State has approved“) eines Vergleichs handeln. Derartige gerichtliche Beschlüsse im Zusammenhang mit Vergleichen sind jedoch Grenzfälle und es bedarf, sofern es im Einzelfall auf die Unterscheidung ankommt, einer eingehenden Untersuchung des nationalen Rechtsinstituts, um zu ermitteln, ob mit dem Beschluss lediglich ein Vergleich protokolliert werden oder durch eigenen gerichtlichen Ausspruch – auch trotz fehlender oder nur eingeschränkter inhaltlicher Prüfung – eine Verantwortung für die Rechtsfolgen übernommen werden sollte. X. Vollstreckbare öffentliche Urkunden Eine Regelung über die Vollstreckung von öffentlichen Urkunden (authentic instruments oder actes authentiques), wie sie etwa in Art. 3 lit. e i.V.m. Art. 30 HUnthGÜ, in Art. 57 LugÜ 2007 und in einer Vielzahl von EUVerordnungen296 enthalten ist, sieht das Übereinkommen nicht vor.297 Bereits in frühen Phasen des Judgments Project ist eine Regelung zur Vollstreckbarkeit von öffentlichen Urkunden erwogen worden. So enthielt der Konventionsentwurf 1999 in Art. 35 eine Regelung, die vorsah, dass öffentliche Urkunden unter dem Übereinkommen vollstreckbar sind, wenn die Vertragsstaaten in Ursprungs- und Vollstreckungsstaat entsprechende Erklärungen abgegeben haben.298 Für eine solche Regelung wurden insbesondere praktische Vorteile angeführt.299 Ferner wurde argumentiert, dass öffentliche Urkunden funktional äquivalent zu bestimmten Typen von Gerichtsentscheidungen seien und daher eine Gleichbehandlung im Rahmen
294
BT-Drs. 14/4722, S. 82. Atteslander-Dürrenmatt, Prozessvergleich, S. 64 („Dieser Beschluss ändert jedoch nichts an der Rechtsnatur des Prozessvergleichs, sondern ersetzt lediglich die sonst erforderliche Protokollierung.“). 296 Art. 58 Brüssel Ia-VO, Art. 25 EuVTVO; Art. 46 Brüssel IIa-VO; Art. 48 EuUnthVO, Art. 59 EuGüVO, Art. 59 EuPartVO; Art. 60 EuErbVO. 297 Mansel/Thorn/Wagner, IPRax 2020, 97 (125); De Miguel Asensio/Cuniberti/Franzina/Heinze/Requejo Isidro, Judgments Convention Study, S. 15 (zum Konventionsentwurf November 2017). 298 Auch das HVÜ sieht vor, dass Staaten im Rahmen der bilateralen Abkommen auch „actes authentiques“ in den Anwendungsbereich einbeziehen können (Art. 23 Nr. 22 HVÜ). 299 Nygh/Pocar, Report, Rn. 375; Fleischhauer, IPRax 1999, 216 (219). 295
C. Territorialer Anwendungsbereich
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der grenzüberschreitenden Vollstreckung gerechtfertigt und geboten sei.300 Vor dem Hintergrund, dass das Konzept vollstreckbarer öffentlicher Urkunden – anders als im deutschen Recht und vielen Civil Law-Staaten301 – vielerorts unbekannt ist, gab es jedoch bereits in den Verhandlungen zwischen 1997 und 1999 erhebliche Widerstände gegen eine Aufnahme von öffentlichen Urkunden in den Anwendungsbereich des geplanten Übereinkommens.302 Im Rahmen der ersten Sitzung der Spezialkommission im Juni 2016 wurde die Frage erneut aufgeworfen, aber es gab lediglich vereinzelt Unterstützung für den Vorschlag zur Einbeziehung öffentlicher Urkunden.303 Die Zweifel und Vorbehalte überwogen.
C. Territorialer Anwendungsbereich I. Grundsatz Art. 1 Abs. 2 HAVÜ legt den territorialen Anwendungsbereich des Übereinkommens fest. Das Übereinkommen bindet nur Vertragsstaaten, da Drittstaaten nicht verpflichtet sein können, das Übereinkommen anzuwenden.304 Es gilt nach Art. 1 Abs. 2 HAVÜ zudem nur für die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen aus anderen Vertragsstaaten. Damit das Übereinkommen Anwendung findet, müssen also sowohl Ursprungsstaat als auch der um Anerkennung oder Vollstreckung ersuchte Staat Vertragsstaaten des Übereinkommens sein.305 Außerdem muss das Übereinkommen im Sinne des Art. 29 HAVÜ zwischen den beiden Staaten Wirkung entfalten, was voraussetzt, dass keiner der Staaten der Etablierung von Vertragsbeziehungen im Verhältnis zum anderen Staat widersprochen hat.306 Grundsätzlich kann jeder Staat der Welt, Vertragsstaat des Übereinkommens werden (Art. 24 HAVÜ).
300 301
Fleischhauer, IPRax 1999, 216 (217 ff.); Rechberger, FS Geimer, S. 903 (919). Fleischhauer, IPRax 1999, 216 (217); vgl. im deutschen Recht § 794 Abs. 1 Nr. 5
ZPO. 302
Nygh/Pocar, Report, Rn. 375; Rechberger, FS Geimer, S. 903 (919 f.). Minutes of the Special Commission on the Recognition and Enforcement of Foreign Judgments (1–9 June 2016), Minutes No 8, Meeting of 6 June 2016 (afternoon), Rn. 30–42 (bisher unveröffentlicht). 304 Vgl. Art. 34 WVK. 305 Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 39; Guo, JIDS 2020, 2017 (2018); Kessedjian, NIPR 2020, 19 (23); Schack, IPRax 2020, 1 (2); Spitz, YbPIL 21 (2019/20), 333 (342). 306 Siehe Kapitel 3 E.III. (S. 108). 303
162
Kapitel 4: Anwendungsbereich
II. Common Courts Art. 1 Abs. 2 HAVÜ erwähnt lediglich die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen eines vertragsstaatlichen Gerichts in einem anderen Vertragsstaat. Das Übereinkommen ist darüber hinaus unter Umständen jedoch auch auf Entscheidungen gemeinsamer Gerichte mehrerer Vertragsstaaten (common courts) anwendbar.307 Solche Gerichte unterscheiden sich oftmals ganz erheblich im Hinblick auf ihre Funktionen und Zuständigkeiten. Sie haben aber gemein, dass ihnen seitens mehrerer Staaten, typischerweise durch einen völkerrechtlichen Vertrag, rechtsprechende Gewalt übertragen wurde.308 Zu denken wäre etwa an den Benelux-Gerichtshof, den Caribbean Court of Justice oder das Tribunal de Justicia de la Comunidad Andina.309 Der Umgang mit solchen Gerichten war im Rahmen der Verhandlungen umstritten. Der Konventionsentwurf 2018 sah in Art. 4 Abs. 5 und 6 noch konkrete Regelungsoptionen zu diesen Fragen vor.310 Letztlich hat man auch vor dem Hintergrund der Streichung des geistigen Eigentums aus dem Anwendungsbereich311 darauf verzichtet, die Frage im Übereinkommenstext explizit zu regeln.312 Der Explanatory Report stellt jedoch klar, dass Entscheidungen gemeinsamer Gerichte nicht ausgenommen sind.313 Vielmehr soll es dem ersuchten Staat obliegen, zu prüfen, ob die Entscheidung eines gemeinsamen Gerichts im Einzelfall als Entscheidung eines Vertragsstaats im Sinne des Art. 4 Abs. 1 HAVÜ zu qualifizieren ist und ob ein indirekter Zuständigkeitsgrund vorliegt.314 Die Qualifizierung als Gericht eines Vertragsstaats ist jedenfalls dann unproblematisch, wenn es sich um ein reines Rechtsmittelgericht handelt und erstinstanzlich das Gericht eines Vertragsstaats mit der Sache befasst war (z.B. im Fall des Judicial Committee of the Privy Council).315 Die Rechtsmittelentscheidung 307 Vorschriften zu gemeinsamen Gerichten existierten bisher in Haager Übereinkommen nicht. Das europäische Recht sieht nun jedoch Regelungen vor. Durch die Verordnung (EU) Nr. 542/ 2014 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Mai 2014 zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 bezüglich der hinsichtlich des Einheitlichen Patentgerichts und des Benelux-Gerichtshofs anzuwendenden Vorschriften (ABl. 2014 L 163/1) wurde die Brüssel Ia-VO mit der Maßgabe geändert, dass auch Entscheidungen des Einheitlichen Patentgerichts und des Benelux-Gerichtshofs nach der Brüssel Ia-VO anerkannt und vollstreckt werden können (vgl. Art. 71a ff. Brüssel Ia-VO). 308 Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 103. 309 Für weitere Beispiele: Ständiges Büro der Haager Konferenz, PrelDoc No 7 of April 2019, Annex I. 310 Dazu ausführlich: Ständiges Büro der Haager Konferenz, PrelDoc No 7 of April 2019 Rn. 20 ff. 311 Siehe Kapitel 4 A.II.1. (S. 123). 312 Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 103. 313 Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 103. 314 Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 103. 315 Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 103 Fn. 101.
C. Territorialer Anwendungsbereich
163
übernimmt dann die „Nationalität“ des erststaatlichen Urteils.316 Das HAVÜ ist vor diesem Hintergrund bemüht, Formulierungen zu vermeiden, die den Anschein erwecken könnten, es käme darauf an, wo die Entscheidung in geografischer Hinsicht erlassen worden ist.317 Umgekehrt ist denkbar, dass die Pflichten, die das HAVÜ Vertragsstaaten auferlegt, auch dazu führen können, dass ein gemeinsames Gericht Entscheidungen anderer Vertragsstaaten anzuerkennen hat. Ein gemeinsames Gericht, das rechtsprechende Gewalt für einen oder mehrere Vertragsstaaten des HAVÜ ausübt, dürfte daher zu prüfen haben, ob eine entsprechende Verpflichtung besteht. Die Maßstäbe für eine solche Prüfung sind weitgehend unklar und vom HAVÜ bewusst der Entwicklung durch die Rechtsprechung überlassen. Anders stellt sich die Situation mit Blick auf den Gerichtshof der Europäischen Union318 dar. Wird die Europäische Union Vertragspartei des Übereinkommens, handelt es sich bei dem Gerichtshof der Europäischen Union um das Gericht einer Vertragspartei.319 Damit ist der Gerichtshof der Europäischen Union unter Umständen verpflichtet, vertragsstaatliche Entscheidungen anzuerkennen und umgekehrt besteht eine Verpflichtung zur Anerkennung von Entscheidungen des Gerichtshofs der Europäischen Union für andere Vertragsstaaten. Allerdings dürften Konstellationen, in denen in die eine oder andere Richtung eine Pflicht zur Anerkennung besteht, aufgrund der aktuell bestehenden Zuständigkeiten des Gerichtshofs der Europäischen Union äußerst selten sein.320 Entscheidungen des EuGH in Vorabentscheidungsverfahren nach Art. 267 AEUV sind selbst keine Sachentscheidungen im Sinne des Art. 3 Abs. 1 lit. b HAVÜ und zirkulieren daher nicht unter dem Übereinkommen.321 III. International Commercial Courts Als vertragsstaatliche Gerichte sind auch die sogenannten internationalen Handelsgerichtshöfe (international commercial courts oder international business 316 Vgl. Ständiges Büro der Haager Konferenz, PrelDoc No 7 of April 2019 Rn. 50–52. Dies findet auch eine Stütze in den Verhandlungsprotokollen, vgl. Minutes of the 22nd Session, Commission I, Minutes No 9, Meeting of 24 June 2019 (morning), Rn. 22 (bisher unveröffentlicht); Minutes of the 22nd Session, Commission I, Minutes No 18, Meeting of 29 June 2019 (morning), Rn. 17 f. (bisher unveröffentlicht). 317 Siehe Kapitel 6 D.V.4. (S. 295). 318 Gemeint ist hier das Gesamtorgan i.S.d. Art. 19 Abs. 1 UAbs. 1 EUV. 319 Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 398; Ständiges Büro der Haager Konferenz, PrelDoc No 7 of April 2019 Rn. 12; van Loon, NIPR 2020, 4 (17); Wilderspin/Vysoka, NIPR 2020, 34 (47). 320 Vgl. Ständiges Büro der Haager Konferenz, PrelDoc No 7 of April 2019, Annex II (Explanatory paper on the nature and workings of common courts in the European Union, prepared by the European Union). Die Relevanz ist aufgrund der Ausklammerung des geistigen Eigentums (Art. 2 Abs. 1 lit. m HAVÜ) nun noch geringer. 321 Vgl. Wilderspin/Vysoka, NIPR 2020, 34 (47) Fn. 75.
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Kapitel 4: Anwendungsbereich
courts) einzuordnen, die in den letzten Jahren in einer Vielzahl von Staaten geschaffen wurden. Denn bei diesen handelt es sich (in aller Regel322) um Gerichte bzw. Kammern oder Spruchkörper von Gerichten, die zum Justizsystem des jeweiligen Staates gehören.323 Die Anwendbarkeit des HAVÜ im jeweiligen Staat vorausgesetzt, würden dementsprechend Entscheidungen internationaler Handelsgerichtshöfe (z.B. des Singapore International Commercial Court,324 des China International Commercial Court oder des Netherlands Commercial Court) unter dem HAVÜ zirkulieren.325 IV. Entscheidungen aus Drittstaaten Das HAVÜ ist kein „système égalitaire“,326 das einheitliche Regelungen für die Anerkennung ausländischer Entscheidungen ohne Rücksicht auf die Herkunft der Entscheidungen aufstellt. Das HAVÜ gilt nach Art. 1 Abs. 2 HAVÜ vielmehr nur, wenn der Ursprungsstaat ebenfalls Vertragsstaat des HAVÜ ist. Den Umgang mit Entscheidungen aus Drittstaaten (Nichtvertragsstaaten327) regelt das Übereinkommen nicht,328 auch nicht indirekt. Insbesondere sind vertragsstaatliche Entscheidungen, durch die ein drittstaatliches Urteil für vollstreckbar erklärt oder anerkannt wird, nicht vom Übereinkommen erfasst.329 Auch Art. 6 HAVÜ enthält keine Regelung zum Umgang mit Entscheidungen aus Nichtvertragsstaaten.330 Der Explanatory Report diskutiert zwar, ob der negative Effekt von Art. 6 HAVÜ auch Nichtvertragsstaaten gegenüber gilt.331 Dabei geht es aber um die Frage, ob die Pflicht zur Anerkennungsver-
322
Die Konzeption der verschiedenen Gerichtshöfe unterscheidet sich oftmals erheblich und nicht in jedem Fall ist die Frage in gleicher Weise eindeutig zu beantworten. Als Beispiel seien die Dubai International Financial Centre Courts genannt. Insoweit ist es zum Teil schon zu Schwierigkeiten bei der Anerkennung und Vollstreckung entsprechender Entscheidungen vor staatlichen Gerichten in Dubai gekommen, vgl. Blair, International Commercial Courts and Procedural Innovations, S. 18. 323 Vgl. Requejo Isidro, MPILux Research Paper 2019 (2), S. 4; Zhao, in: Kramer/Sorabji, International Business Courts, S. 159 (163); allgemein zum Begriff des Gerichts unter dem HAVÜ: Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 101 f. 324 Vgl. Reyes, FS Thümmel, S. 695 (702–704). 325 Vgl. Kramer/Sorabji, Erasmus Law Review 2019, 1 (8 f.); Requejo Isidro, MPILux Research Paper 2019 (2), S. 32; Blair, International Commercial Courts and Procedural Innovations, S. 18 f.; Zhao, in: Kramer/Sorabji, International Business Courts, S. 159 (178). 326 Vgl. Fragistas, Rapport explicatif, S. 360. 327 Vgl. Art. 2 Abs. 1 lit. h WVK. 328 Goddard, Duke J. Comp. & Int'l L. 29 (2019), 473 (479); Khanderia, Journal of African Law 63 (2019), 413 (422); Spitz, YbPIL 21 (2019/20), 333 (342). 329 Siehe Kapitel 4 B.III. (S. 141). 330 Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 243. 331 Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 237 ff. („Application vis à vis nonContracting States“).
C. Territorialer Anwendungsbereich
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sagung nach Art. 6 HAVÜ auch den Fall erfasst, dass der territoriale Bezugspunkt, also der Belegenheitsort des Grundstücks, in einem Nichtvertragsstaat liegt.332 Demgegenüber verbietet das Übereinkommen nicht die Anerkennung von Entscheidungen aus einem Nichtvertragsstaat, auch wenn über sachenrechtliche Fragen hinsichtlich eines Grundstücks in einem anderen Nichtvertragsstaat oder in einem Vertragsstaat entschieden wurde.333 Der Umgang mit Entscheidungen aus Nichtvertragsstaaten wird schlicht nicht geregelt (vgl. Art. 1 Abs. 2 HAVÜ). Für die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen aus Nichtvertragsstaaten bleibt in allen Fällen das jeweilige nationale Recht anwendbar. V. Internationale Fälle Wie für Übereinkommen der Haager Konferenz charakteristisch, erfasst das Übereinkommen ausschließlich internationale Fälle.334 Die Internationalität des Falles, die anders als in Art. 1 HGÜ nicht als ausdrückliche Voraussetzung festgeschrieben ist, ergibt sich jedoch bereits unproblematisch aus der Situation grenzüberschreitender Anerkennung und Vollstreckung einer vertragsstaatlichen Entscheidung in einem anderen Vertragsstaat.335 Ein ausschließlich nationaler Sachverhalt, der keinerlei grenzüberschreitende Elemente aufweist, kann also dadurch „international werden“, dass später die Anerkennung oder Vollstreckung der Entscheidung in einem anderen Vertragsstaat begehrt wird.336 Allerdings sieht Art. 17 HAVÜ vor, dass ein Vertragsstaat eine Erklärung dahingehend abgeben kann, dass seine Gerichte die Anerkennung oder Vollstreckung einer Entscheidung versagen können, die von einem Gericht eines anderen Vertragsstaats erlassen wurde, wenn die Parteien ihren Aufenthalt im ersuchten Staat hatten und die Beziehung der Parteien und alle anderen für den Rechtsstreit maßgeblichen Elemente mit Ausnahme des Ortes des Ursprungsgerichts nur zum ersuchten Staat eine Verbindung aufwiesen.337 Die Erklärung erlaubt es dem Vertragsstaat also, die Anerkennung und Vollstreckung dann zu verweigern, wenn der Fall sich – abgesehen von der Entscheidung im Ausland – aus seiner Perspektive als bloßer Inhaltssachverhalt darstellt. Der Erklärungsmechanismus des Art. 17 HAVÜ ist jedoch als spezieller Versagungsgrund
332
Vgl. Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 239–242. Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 243. 334 Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 332; Nielsen, FS Kronke, S. 415 (428); Spitz, YbPIL 21 (2019/20), 333 (341 f.). 335 Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 332; vgl. auch Art. 1 Abs. 3 HGÜ. 336 Vgl. für das HGÜ: Bläsi, HGÜ, S. 33. 337 Die Regelung ist Art. 20 HGÜ nachgebildet. 333
166
Kapitel 4: Anwendungsbereich
(„may refuse“ bzw. „peuvent refuser“) und nicht als Einschränkung des territorialen Anwendungsbereichs des Übereinkommens ausgestaltet.338 VI. Nicht einheitliche Rechtssysteme Auswirkungen auf den territorialen Anwendungsbereich hat jedoch der Erklärungsmechanismus des Art. 25 HAVÜ.339 Die Regelung betrifft Staaten mit nicht einheitlichen Rechts- bzw. Justizsystemen (z.B. die USA, Kanada oder das Vereinigte Königreich340).341 Nach der Vorschrift können diese Mehrrechtsstaaten durch Erklärung festlegen, ob das Übereinkommen in (und im Verhältnis zu) allen oder nur bestimmten territorialen Einheiten gelten soll (Art. 25 Abs. 1 HAVÜ). Gilt das Übereinkommen in mehreren Gebietseinheiten, beziehen sich die im Übereinkommen geregelten Anknüpfungsmomente jeweils auf die konkrete territoriale Einheit, soweit dies für das Merkmal aufgrund der Uneinheitlichkeit des Rechts- bzw. Justizsystems angezeigt ist (Art. 22 Abs. 1 HAVÜ).342 Bei Staaten, deren Gebietseinheiten jeweils eigene Gerichtssysteme mit eigenem Prozessrecht aufweisen, ist der Verweis nach Art. 13 Abs. 1 S. 1 HAVÜ beispielsweise als Verweis auf die prozessualen Bestimmungen dieser Gebietseinheit zu verstehen, wenn vor deren Gerichten die Anerkennung oder Vollstreckung der Entscheidung begehrt wird (Art. 22 Abs. 1 lit. a HAVÜ).343 Art. 22 Abs. 1 HAVÜ ist eine Auslegungsregel, die selbst keine abschließende Antwort darauf gibt, wann es im Einzelfall angezeigt ist, die territoriale Einheit oder den Staat als Ganzen zu betrachten.344 Die Anerkennung oder Vollstreckung einer Entscheidung aus einem anderen Vertragsstaat in einer territorialen Einheit des Mehrrechtsstaats verpflichtet die Gerichte in anderen territorialen Einheiten nicht, die Entscheidung ebenfalls anzuerkennen (Art. 22 Abs. 3 HAVÜ). Insofern werden die territorialen Einheiten also wie separate Vertragsstaaten behandelt. Allerdings stellt Art. 22 Abs. 2 HAVÜ klar, dass der Anwendungsbereich des Übereinkommens nicht 338
Siehe Kapitel 6 D.XI.2. (S. 315). Die Regelung entspricht Art. 28 HGÜ. Die Erklärung Dänemarks vom 30.5.2018, dass das HGÜ in Grönland und auf den Färöer-Inseln keine Anwendung findet (abrufbar unter: ), dürfte als Erklärung unter Art. 28 Abs. 1 HGÜ zu verstehen sein. Eine entsprechende Regelung enthält zudem Art. 61 HUnthGÜ, zu der die USA eine Erklärung über die territoriale Geltung abgegeben haben (abrufbar unter: ). 340 Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 356. 341 Auf die Europäische Union als Organisationen der regionalen Wirtschaftsintegration finden die Art. 22 und 25 HAVÜ keine Anwendung (vgl. Art. 22 Abs. 4 und Art. 25 Abs. 3 HAVÜ). Für sie gelten die Art. 26 f. HAVÜ. 342 Vgl. Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 358. 343 Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 362. 344 Vgl. Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 357. 339
D. Persönlicher Anwendungsbereich
167
für die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen zwischen den territorialen Einheiten eines Mehrrechtsstaates untereinander eröffnet ist.345
D. Persönlicher Anwendungsbereich I. Grundsatz: keine Einschränkung Das HAVÜ enthält im Unterschied zum HGÜ346 keine generelle Einschränkung des persönlichen Anwendungsbereichs. Das HAVÜ findet ohne Rücksicht auf die Person des Antragsstellers oder -gegners und die Parteien des ursprünglichen Verfahrens Anwendung.347 Es kann sich dabei insbesondere auch um Verbraucher oder Arbeitnehmer handeln.348 Dies folgt bereits daraus, dass der Übereinkommenstext insofern keine Einschränkung vorsieht und wird durch Art. 5 Abs. 2 HAVÜ belegt.349 Die Nationalität der beteiligten Parteien spielte historisch schon von Beginn an keine Rolle im Rahmen von Anerkennungs- und Vollstreckungsübereinkommen der Haager Konferenz.350 So wurde insbesondere im Modellübereinkommen 1925/28 der Anwendungsbereich ohne Rücksicht auf die Nationalität von Antragssteller und -gegner bestimmt (Art. 5 Modellübereinkommen 1925/28).351 Auch das HVÜ stellte ausdrücklich klar, dass das Übereinkommen ohne Rücksicht auf die Nationalität der Parteien Anwendung findet (Art. 3 HVÜ). In dieser Tradition ist die Staatsangehörigkeit der Parteien auch im Rahmen des HAVÜ für die Bestimmung des Anwendungsbereichs irrelevant. Ebenso wenig spielt der gewöhnliche Aufenthalt der Beteiligten eine Rolle für die Bestimmung des Anwendungsbereichs.352
345
Vgl. auch Clover Alcolea, McGill Journal of Dispute Resolution 6 (2019–2020), 185
(193). 346
Siehe Art. 2 Abs. 1 HGÜ. Zur Frage der Rechtsnachfolge: Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 144– 146. Siehe auch Kapitel 5 B.VIII. (S. 260). 348 Kessedjian, NIPR 2020, 19 (23). 349 Siehe hierzu Kapitel 5 B.VI. (S. 243). 350 Vgl. Coester-Waltjen, RabelsZ 57 (1993), 263 (298). 351 Vgl. Coester-Waltjen, RabelsZ 57 (1993), 263 (285). 352 Auf den gewöhnlichen Aufenthalt wird aber im Rahmen der Anerkennungszuständigkeit abgestellt, siehe Kapitel 5 B.V.1.a) (S. 206). Auch im Rahmen von Art. 17 HAVÜ kann der gewöhnliche Aufenthalt von Relevanz sein. Bei Art. 17 HAVÜ handelt es sich jedoch nicht um eine Regelung des Anwendungsbereichs, siehe Kapitel 4 C.V. (S. 165). 347
168
Kapitel 4: Anwendungsbereich
II. Sonderfall: Staaten als Beteiligte – Erklärungsmechanismus des Art. 19 HAVÜ 1. Funktionsweise im Überblick Das Übereinkommen findet auch auf Fälle unter Beteiligung von Staaten oder Regierungen, Regierungsstellen oder für einen Staat handelnden Personen Anwendung, sofern Zivil- oder Handelssachen vorliegen. Dies stellt Art. 2 Abs. 4 HAVÜ ausdrücklich klar. Allerdings können Staaten nach Art. 19 Abs. 1 HAVÜ eine Erklärung dahingehend abgeben, dass das Übereinkommen nicht auf Verfahren unter Beteiligung des Staates selbst, einer Regierungsstelle oder einer für den Staat oder die Regierungsstelle handelnden natürlichen Person angewendet werden soll. Demgegenüber werden juristische Personen, die für den Staat oder für eine Regierungsstelle handeln, bewusst nicht genannt. Damit kommt zum Ausdruck, dass sich der Erklärungsmechanismus nicht auf Staatsunternehmen (state-owned enterprises) bezieht.353 Dies war in den Verhandlungen für viele Staaten ein wichtiger Punkt, über den schließlich Einigkeit erzielt werden konnte.354 Die Abgrenzung von einem Staatsunternehmen zu einer Regierungsstelle („government agency“) mit eigener Rechtspersönlichkeit kann aber unter Umständen Probleme bereiten.355 Durch die Abgabe einer Erklärung unter Art. 19 Abs. 1 HAVÜ, die nur im Vorhinein und nicht bezüglich laufender Verfahren möglich ist,356 kann ein Staat versuchen, sich über die ohnehin bestehenden und vom HAVÜ unberührt bleibenden Grundsätze der Staatenimmunität (Art. 2 Abs. 5 HAVÜ) hinaus zusätzlich vor ausländischen ziviloder handelsrechtlichen Entscheidungen zu „schützen“. Ein Rosinenpicken ist für den Staat im Rahmen der Erklärung jedoch nicht möglich. Das heißt, dass der jeweilige Staat die Erklärung nicht auf Konstellationen beschränken kann, in denen die Anerkennung oder Vollstreckung zu seinen Lasten gehen soll (Art. 19 Abs. 1 S. 3). Die Formulierung von Art. 19 Abs. 1 S. 3 HAVÜ ist insofern zwar zu eng, da sie nur auf die Rollenverteilung im Ursprungsverfahren abstellt. Der Wortlaut erwähnt dagegen nicht die Konstellation, in der ein Staat seine Erklärung auf 353 Vgl. Beaumont, Neth. Int'l L. Rev. 2020, 121 (134 f.); Stein, IPRax 2020, 197 (200); Wilderspin/Vysoka, NIPR 2020, 34 (45); vgl. auch Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 345 („ […] but it does not include legal persons acting for the State, unless they qualify as government agencies.“). 354 Vgl. Minutes of the 22nd Session, Commission I, Minutes No 15, Meeting of 27 June 2019 (afternoon), Rn. 155–162 (bisher unveröffentlicht); siehe auch Sun/Wu, Chinese JIL 2020, 481 (500 ff.). 355 Vgl. Beaumont, Neth. Int'l L. Rev. 2020, 121 (134 f.), der vorschlägt, dass als Regierungsstelle nur solche Stellen eingeordnet werden sollten, deren vorrangiger Zweck in der Ausübung hoheitlicher Tätigkeit besteht. 356 Siehe Art. 30 Abs. 4 und 5 HAVÜ; vgl. auch Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 347.
D. Persönlicher Anwendungsbereich
169
Fälle beschränken will, in denen er selbst Titelschuldner ist. Die Vorschrift ist ihrem Sinn und Zweck nach und im Einklang mit dem Explanatory Report aber weit auszulegen und verbietet auch derartige Erklärungen.357 Darüber bestand auch in den Verhandlungen Einigkeit. Im Rahmen der Diplomatischen Konferenz wurde zwischenzeitlich erwogen, die Klarstellung in den Text aufzunehmen.358 Man sah jedoch schließlich davon ab, weil man eine Klarstellung im Explanatory Report als ausreichend erachtete und den Text nicht überfrachten wollte.359 Hinsichtlich der Rechtsfolgen der Erklärung ist zwischen dem erklärenden Staat und anderen Vertragsstaaten zu unterscheiden. Für den erklärenden Staat gilt, dass er das Übereinkommen auf Entscheidungen anderer vertragsstaatlicher Gerichte nicht anwendet, wenn er selbst (bzw. eine Regierungsstelle etc.) Beteiligter des Verfahrens war. Wird Vertragsstaat A, der eine Erklärung nach Art. 19 Abs. 1 HAVÜ abgegeben hat, durch Gerichte des Vertragsstaats B verurteilt, wendet Vertragsstaat A das HAVÜ also nicht auf das Urteil an und muss das Urteil dementsprechend nicht anerkennen und vollstrecken.360 In anderen Vertragsstaaten unterliegt die Entscheidung gegen Vertragsstaat A aber grundsätzlich der Anerkennung oder Vollstreckung nach dem HAVÜ und kann dort – vorbehaltlich Art. 2 Abs. 5 HAVÜ – gegen Vertragsstaat A vollstreckt werden.361 Die Erklärung wirkt darüber hinaus gemäß Art. 19 Abs. 2 HAVÜ auch im Gegenseitigkeitsverhältnis.362 Nicht nur der Staat, der die Erklärung abgegeben hat, muss Entscheidungen anderer Vertragsstaaten unter eigener Beteiligung nicht mehr anerkennen. Auch ein anderer Vertragsstaat muss Entscheidungen aus dem erklärenden Staat nicht anerkennen, wenn entweder der ersuchte Staat selbst oder der erklärende Staat Verfahrensbeteiligter war (Art. 19 Abs. 2 HAVÜ). Der Erklärungsmechanismus des Art. 19 HAVÜ befreit in den genannten Konstellationen von der Verpflichtung zur Anerkennung oder Vollstreckung. Er schränkt jedoch die Befugnis von Vertragsstaaten zur Anerkennung oder Vollstreckung nicht ein. Insbesondere bleibt die Möglichkeit, die Entscheidung nach nationalem Recht anzuerkennen und zu vollstrecken, unberührt (Art. 15 HAVÜ).
357
Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 346. Vgl. Art. 20 Abs. 1 S. 3 in WorkDoc No 91 of June 2019 (bisher unveröffentlicht). 359 Vgl. Minutes of the 22nd Session, Commission I, Minutes No 18, Meeting of 29 June 2019 (morning), Rn. 32–42 (bisher unveröffentlicht). 360 Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 349. 361 Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 349. 362 Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 348; Beaumont, Neth. Int'l L. Rev. 2020, 121 (135). 358
170
Kapitel 4: Anwendungsbereich
2. Einordnung als Regelung des Anwendungsbereichs? Art. 19 Abs. 1 HAVÜ stellt sich seiner Formulierung nach als Regelung des Anwendungsbereichs dar, denn die abzugebende Erklärung betrifft unmittelbar die Anwendbarkeit des Übereinkommens für den jeweiligen Staat („A State may declare that it shall not apply this Convention to judgments […]“).363 Dies zeigt sich gerade in Abgrenzung zu Art. 17 HAVÜ, der einen Erklärungsmechanismus vorsieht, aus dem ein Versagungsgrund folgt („A State may declare that its courts may refuse to recognise or enforce a judgment […]“).364 Die entsprechende Differenzierung findet sich auch in der französischen Sprachfassung.365 Da die Unanwendbarkeit im Rahmen von Art. 19 Abs. 1 HAVÜ aus der „Person“ eines Verfahrensbeteiligten folgt, erscheint eine Einordnung als Regelung des persönlichen Anwendungsbereichs zutreffend. Für den Staat, der die Erklärung abgegeben hat (nicht aber für andere Vertragsstaaten366), fallen entsprechende Entscheidungen nicht unter das Übereinkommen. Art. 19 Abs. 2 HAVÜ, der die Gegenseitigkeit sicherstellen soll, ist demgegenüber als Versagungsgrund konzipiert („Recognition or enforcement […] may be refused […]“).367 Auf Ebene der völkerrechtlichen Beziehung unterscheidet sich dies funktional nicht entscheidend von einem Ausschluss vom persönlichen Anwendungsbereich. Art. 19 Abs. 2 HAVÜ erlaubt dem Vertragsstaat, die Anerkennung und Vollstreckung der Entscheidung zu versagen. Der Vertragsstaat ist also zur Anerkennung völkerrechtlich nicht verpflichtet, daran aber auch grundsätzlich nicht gehindert. Dasselbe gilt auch hinsichtlich Entscheidungen, die gar nicht erst in den Anwendungsbereich des Übereinkommens fallen. Für die praktische Anwendung kann die Einordnung als Versagungsgrund (in Abgrenzung zu einer Regelung des Anwendungsbereichs) jedoch entscheidend sein. Denn es ist denkbar, dass vertragsstaatliche Gerichte die Darlegungs- und Beweislast für die Eröffnung des Anwendungsbereichs demjenigen aufbürden, der sie geltend macht, also etwa dem Antragssteller im Rahmen eines Vollstreckbarerklärungsverfahrens. Demgegenüber wird derjenige, der sich einer Anerkennung widersetzt, womöglich die Voraussetzungen 363
Streng genommen regelt Art. 19 Abs. 1 HAVÜ nicht selbst ausdrücklich, was die Rechtsfolge der Erklärung ist. Vielmehr wird nur die Möglichkeit zur Abgabe der Erklärung eingeräumt. Daraus folgt aber, dass das im Einklang mit der Vorschrift Erklärte auch gelten wird. 364 Siehe Kapitel 4 C.V. (S. 165) und Kapitel 6 D.XI.2. (S. 315). 365 Einerseits Art. 19 Abs. 1 HAVÜ: „Un État peut déclarer qu’il n’appliquera pas la présente Convention aux jugements […]“; andererseits Art. 17 HAVÜ: „Un État peut déclarer que ses tribunaux peuvent refuser de reconnaître ou d’exécuter un jugement […]“. 366 Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 349. 367 Ebenso in der französischen Sprachfassung: „La reconnaissance ou l’exécution […] peut être refusée […]“; von einem Anerkennungsversagungsgrund spricht auch Schack, IPRax 2020, 1 (3); ähnlich: Kessedjian, NIPR 2020, 19 (25); siehe auch Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 348 Fn. 249.
E. Zeitlicher Anwendungsbereich
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eines Versagungsgrundes und folglich auch diejenigen des Art. 19 Abs. 2 HAVÜ darlegen und beweisen müssen.
E. Zeitlicher Anwendungsbereich Der zeitliche Anwendungsbereich des HAVÜ wird von Art. 16 HAVÜ bestimmt. Danach findet das Übereinkommen auf Entscheidungen dann Anwendung, wenn es im Zeitpunkt der Einleitung des Ausgangsverfahrens im Verhältnis zwischen Ursprungsstaat und dem um Anerkennung oder Vollstreckung ersuchten Staat wirksam war. Maßgeblich ist also die Wirksamkeit des Übereinkommens im bilateralen Verhältnis zwischen den beiden Staaten im Zeitpunkt der Verfahrenseinleitung im Ursprungsstaat. Im Vergleich zu anderen Zeitpunkten, die im Rahmen des Entstehungsprozesses erwogen wurden (z.B. Erlass des Urteils im Ursprungsstaat oder der Antrag auf Anerkennung oder Vollstreckung),368 gewährleistet der Zeitpunkt der Verfahrenseinleitung im Ursprungsstaat ein hohes Maß an Vorhersehbarkeit für die Parteien.369 Die Parteien können ihre Entscheidung, wo sie Klage erheben und ob sie sich gegen die Klage verteidigen wollen, in der Gewissheit treffen, ob das HAVÜ im Verhältnis zwischen Ursprungsstaat und einem möglichen Anerkennungs- oder Vollstreckungsstaat zeitlich anwendbar ist oder nicht. Sie müssen nicht fürchten, später von der Anwendbarkeit des HAVÜ überrascht zu werden. Um festzustellen, welche Entscheidungen in den zeitlichen Anwendungsbereich des HAVÜ fallen, ist eine nähere Bestimmung des Zeitpunkts der Verfahrenseinleitung (im Folgenden I.) und die Konkretisierung des Zeitpunkts des Wirksamwerdens des Übereinkommens im Verhältnis der Vertragsstaaten notwendig (im Folgenden II.). I. Verfahrensleitung im Ursprungsstaat Wie sich der gemäß Art. 16 HAVÜ entscheidende Zeitpunkt der Verfahrenseinleitung bestimmt, ist im Übereinkommenstext nicht geregelt. Laut Explanatory Report sollte auf den Abschluss der ersten prozessualen Handlung zur Verfahrenseinleitung abgestellt werden.370 Maßgeblich ist danach die Einreichung des verfahrenseinleitenden Schriftstücks bei Gericht oder, sofern zunächst eine Zustellung erforderlich ist, der Zugang des verfahrenseinleitenden
368
Vgl. WorkDoc No 78 of December 2016 (bisher unveröffentlicht). Das Working Document wurde vom Ständigen Büro der Haager Konferenz erstellt und listet mögliche Regelungsoptionen. Es handelt sich nicht um den Vorschlag einer Delegation. 369 Vgl. Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 328. 370 Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 328, 41.
172
Kapitel 4: Anwendungsbereich
Schriftstücks bei der für die Zustellung zuständigen Stelle (z.B. ein Gerichtsvollzieher, court bailiff oder huissier judiciaire371). Damit wird der Zeitpunkt der Verfahrenseinleitung, unter Berücksichtigung der unterschiedlichen Verfahrensordnungen, autonom bestimmt. Der Ansatz ähnelt demjenigen des Art. 32 Brüssel Ia-VO. Anders als bei Art. 32 Brüssel Ia-VO372 kommt es für die Bestimmung des Zeitpunkts der Verfahrenseinleitung im Rahmen von Art. 16 HAVÜ allerdings nicht darauf an, ob der Kläger in der Folge zeitnah alle erforderlichen Schritte einleitet, um die „endgültige Rechtshängigkeit“ zu bewirken (z.B. Einzahlung des Gerichtskostenvorschusses). Einer solchen Voraussetzung bedarf es im Rahmen von Art. 16 HAVÜ nicht, da hier kein Wettlauf droht. II. Wirksamkeit im Verhältnis von Ursprungsstaat und ersuchtem Staat Das Übereinkommen unterscheidet konzeptionell zwischen dem zeitlichen Anwendungsbereich (Art. 16 HAVÜ), der Wirksamkeit („effect“) im Verhältnis zwischen zwei Staaten (Art. 29 HAVÜ) und dem Inkrafttreten („entry into force“) (Art. 28 HAVÜ).373 Hinsichtlich des Inkrafttretens ist wiederum zwischen dem Inkrafttreten des Übereinkommens als solchem (Art. 28 Abs. 1 HAVÜ) und dem Inkrafttreten für anschließend hinzukommende Staaten zu differenzieren (Art. 28 Abs. 2 lit. a HAVÜ).374 Für den zeitlichen Anwendungsbereich ist nicht ausreichend, dass das Übereinkommen für die betreffenden Staaten in Kraft getreten ist, sondern das Übereinkommen muss außerdem im Verhältnis der Staaten wirksam geworden sein. Erhebt ein Staat im Einklang mit Art. 29 HAVÜ im Verhältnis zu einem anderen Staat einen „Einspruch“, dann tritt das Übereinkommen für den neu hinzukommenden Staat zwar nach Art. 28 Abs. 2 lit. a HAVÜ in Kraft, entfaltet aber im Verhältnis der beiden Staaten keine Wirkung. Wird kein „Einspruch“ eingelegt, entspricht der Zeitpunkt des Inkrafttretens demjenigen des Wirksamwerdens. Das Inkrafttreten ist nämlich gerade an den Ablauf der Frist nach Art. 29 Abs. 2 HAVÜ gekoppelt (Art. 28 Abs. 1 und Abs. 2 lit. a HAVÜ).375 Das Übereinkommen entfaltet dann im Verhältnis zwischen zwei Staaten ab dem ersten Tag des Monats Wirkung, der auf den Ablauf der „Einspruchsfrist“ folgt (Art. 29 Abs. 1 S. 2 HAVÜ). Im Verhältnis der beiden Staa-
371
Vgl. Nygh/Pocar, Report, Rn. 264. Vgl. EuGH 22.10.2015 – C-523/14, ECLI:EU:C:2015:722 Rn. 59 – Aannemingsbedrijf Aertssen; BGH 13.9.2016 – VI ZB 21/15, BGHZ 212, 1 (10 f.) = NJW 2017, 564 (565 f.); Geimer, in Geimer/Schütze, EuZVR, EuGVVO Art. 32 Rn. 11 f.; Gottwald, in: MüKo-ZPO, Art. 32 Brüssel Ia-VO Rn. 2. 373 Vgl. Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 329. 374 Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 400. 375 Vgl. Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 400. 372
F. Verhältnis zu anderen Instrumenten
173
ten fallen Entscheidungen, die aus an oder nach diesem Tag eingeleiteten Verfahren erwachsen, gemäß Art. 16 HAVÜ in den zeitlichen Anwendungsbereich des Übereinkommens.
F. Verhältnis zu anderen Instrumenten Art. 23 HAVÜ enthält Regelungen zum Verhältnis des HAVÜ zu anderen internationalen Rechtsinstrumenten, also insbesondere zu bi- und multilateralen völkerrechtlichen Verträgen.376 Auch auf die Frage nach dem Verhältnis zu europäischem Recht (insbesondere zu Kapitel III der Brüssel IaVO) liefert Art. 23 HAVÜ Antworten. Einleitend weist der Explanatory Report darauf hin, dass sich die Frage nach einem Vorrang zwischen dem HAVÜ und anderen internationalen Rechtsinstrumenten nur stellt, sofern erstens im Einzelfall eine Inkompatibilität zwischen beiden besteht und zweitens der ersuchte Staat an beide Instrumente gebunden, also etwa Vertragsstaat der beiden konfligierenden Übereinkommen ist.377 Letzteres ist eine Selbstverständlichkeit. Denn die Frage, welches Rechtsinstrument anwendbar ist, stellt sich aus der Perspektive eines Gerichts, das um Anerkennung oder Vollstreckung ersucht wurde. Daher können auch nur solche Übereinkommen und Rechtsinstrumente in Betracht kommen, die im ersuchten Staat anwendbar sind. Auf das Erfordernis einer Inkompatibilität zwischen den beiden Instrumenten soll im Folgenden näher eingegangen werden. I. Kollisionsfälle Grundsätzlich bedarf die Frage, welches Rechtsinstrument Vorrang hat, nur dann der Klärung, wenn beide nicht nur zu unterschiedlichen (z.B. Verpflichtung zur Anerkennung und keine Verpflichtung zur Anerkennung), sondern zu einander widersprechenden Ergebnissen (z.B. Verpflichtung zur Anerkennung und Verpflichtung zur Nichtanerkennung) führen.378 Art. 23 Abs. 1 HAVÜ schreibt dazu zunächst vor, dass das HAVÜ zugunsten der Kompatibilität mit anderen Rechtsinstrumenten auszulegen ist. Im Hinblick auf durch Auslegung nicht zu beseitigende Widersprüche lassen sich zwei Konstellationen unterscheiden, und zwar Fälle, in denen die Entscheidung nach den Regelungen des HAVÜ im ersuchten Staat anerkannt werden muss und solche, in denen die Voraussetzungen dazu nicht vorliegen.
376
Zum Günstigkeitsprinzip siehe Kapitel 3 D. (S. 99). Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 369 f. 378 Vgl. Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 370. 377
174
Kapitel 4: Anwendungsbereich
Selten wird ein Konflikt zwischen dem HAVÜ und einem anderen Rechtsinstrument dann sein, wenn die Entscheidung unter dem HAVÜ nicht anerkennungsfähig ist (z.B. mangels Anerkennungszuständigkeit). Denn der bloße Umstand, dass die Entscheidung nach dem HAVÜ nicht anerkannt oder vollstreckt werden muss, ist kaum geeignet, im Widerspruch zu den Regelungen anderer Rechtsinstrumente zu stehen. Die Anerkennung und Vollstreckung nach anderen Vorschriften bleibt schließlich möglich (vgl. Art. 15).379 In solchen Fällen gebietet das HAVÜ die Anerkennung nicht, verbietet sie aber auch nicht. Wenn folglich der Umgang mit dem ausländischen Urteil durch das HAVÜ gerade nicht vorgeschrieben wird, kann insoweit ein Konflikt mit anderen Übereinkommen nicht bestehen. Nur im Fall des Art. 6 HAVÜ untersagt das Übereinkommen die Anerkennung und Vollstreckung einer Entscheidung aus anderen Staaten. Denkbar ist daher ein Konflikt, wenn eine Entscheidung über dingliche Rechte an unbeweglichen Sachen von einem Gericht außerhalb des Belegenheitsstaates getroffen wurde (vgl. Art. 6 HAVÜ)380 und der angerufene Vertragsstaat zugleich nach einem anderen internationalen Rechtsinstrument verpflichtet wäre, die Entscheidung anzuerkennen.381 Muss die Entscheidung nach den Vorschriften des HAVÜ im ersuchten Staat anerkannt werden, kommt ein Konflikt in Betracht, wenn ein anderes Übereinkommen dazu verpflichtet, die Anerkennung abzulehnen.382 So ist beispielsweise nach Art. 35 LugÜ 2007 die Anerkennung zu versagen, wenn die Entscheidung unter Verstoß gegen die Zuständigkeitsregelungen für Versicherungs- und Verbrauchersachen sowie Individualarbeitsverträge zustande gekommen ist. Während aufgrund der Sonderregelung des Art. 5 Abs. 2 HAVÜ Konflikte im Bereich der Verbrauchersachen und der Individualarbeitsverträge selten sein dürften,383 ist es grundsätzlich denkbar, dass das HAVÜ zur Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen gegen beklagte Versicherungsnehmer verpflichtet, die unter Verstoß gegen die Art. 8–14 LugÜ 2007 zustande gekommen sind.384 Auch Menschenrechtsübereinkommen können mit einer Verpflichtung zur Anerkennung und Vollstreckung von Gerichtsentscheidungen in Konflikt stehen.385 Denn im Einzelfall kann aus ihnen eine Verpflichtung zur Versagung
379
Siehe Kapitel 3 D. (S. 99). Siehe Kapitel 5 B.VII.3. (S. 252). 381 So im Beispiel des Explanatory Reports: Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 382; zur Bestimmung des Vorrangs siehe Kapitel 4 F.II. (S. 176). 382 So im Beispiel des Explanatory Reports: Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 374. 383 Vgl. De Miguel Asensio/Cuniberti/Franzina/Heinze/Requejo Isidro, Judgments Convention Study, S. 26 f. 384 Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 373. 385 Vgl. Noodt Taquela/Ruiz Abou-Nigm, YbPIL 19 (2017/18), 449 (456). 380
F. Verhältnis zu anderen Instrumenten
175
der Anerkennung folgen. Dies gilt zum Beispiel für Art. 6 EMRK bei elementaren Verfahrensmängeln.386 Allerdings werden in solchen Fällen regelmäßig die Voraussetzungen eines Versagungsgrundes (z.B. Art. 7 Abs. 1 lit. c HAVÜ) vorliegen, so dass das HAVÜ gar nicht zur Anerkennung verpflichtet und im Ergebnis kein Konflikt der Übereinkommen besteht. Schwierigkeiten können theoretisch auch dann entstehen, wenn eine ausländische Entscheidung sowohl nach dem HAVÜ als auch nach einem anderen Rechtsinstrument anerkennungs- und vollstreckungsfähig ist. Hier scheint ein Konflikt auf den ersten Blick fernzuliegen. Allerdings darf nicht unberücksichtigt bleiben, dass Regelungswerke, die die grenzüberschreitende Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen betreffen, häufig Vorschriften enthalten, die über das bloße „Ob“ der Anerkennung und Vollstreckung hinausgehen. Der Umstand, dass eine Entscheidung nach beiden in Betracht kommenden Rechtsinstrumenten vollstreckbar ist, bedeutet daher noch nicht, dass eine Klärung des Vorrangs stets entbehrlich wäre. So sind Situationen denkbar, in denen es unmöglich ist, sowohl die verfahrensrechtlichen Vorschriften des HAVÜ als auch die des anderen Instruments einzuhalten. Divergierende Regelungen in den Rechtsinstrumenten im Hinblick auf Anerkennungs- und Vollstreckbarerklärungsverfahren können daher eine Klärung des Vorrangs im Einzelfall erforderlich machen. Der Draft Explanatory Report in der Version von Dezember 2018 thematisierte die möglichen Abweichungen im Hinblick auf verfahrensrechtliche Regelungen und führte aus, dass der Antragssteller in diesem Fall das vorteilhaftere Verfahren wählen könne.387 Es ist jedoch nicht klar, ob eine Bestimmung des Vorrangs nach Art. 23 Abs. 2–4 HAVÜ dann stets entbehrlich bleibt. Schließlich lässt sich dem Übereinkommen keine Obliegenheit entnehmen, ein Wahlrecht auszuüben. Was also wäre, wenn ein Antragssteller sich nicht auf eine Rechtsgrundlage beruft und er dies nach nationalem Verfahrensrecht auch nicht muss? Unklar bliebe auch, wieso das vorliegende Übereinkommen (allein) bestimmen können soll, dass zwischen verfahrensrechtlichen Vorschriften zweier konkurrierender Übereinkommen ein Wahlrecht besteht, wohlgemerkt ohne, dass der Vorrang des Übereinkommens gegenüber dem konkurrierenden Instrument festgestellt wäre. Problematisch wäre die Annahme eines Wahlrechts etwa in der Situation, dass eine Auslegung des anderen Übereinkommens ergibt, dass ein Wahlrecht hinsichtlich verfahrensrechtlicher Vorschriften ausgeschlossen sein soll. Hinter dem (durchaus pragmatischen) An-
386 Adolphsen, in: Renzikowski, EMRK, S. 39 (71); Fawcett/Ní Shúilleabháin/Shah, Human Rights and Private International Law, Rn. 5.48 ff. 387 Garcimartín/Saumier, Judgments Convention: Revised Draft Explanatory Report, PrelDoc No 1 of December 2018, Rn. 422.
176
Kapitel 4: Anwendungsbereich
satz des Draft Explanatory Reports zur Lösung des Problems steht daher zumindest als generelle Lösung ein Fragezeichen. In der finalen Version des Berichts fehlt der entsprechende Absatz. II. Bestimmung des Verhältnisses Rechtlicher Ausgangspunkt für die Frage des Verhältnisses des Übereinkommens zu anderen Rechtsinstrumenten sind zunächst die allgemeinen Grundsätze des Völkervertragsrechts, die zum Teil in Art. 30 WVK zum Ausdruck kommen.388 Die Staaten sind danach jedoch weitgehend frei, das Verhältnis zwischen verschiedenen Übereinkommen selbst zu regeln.389 Insbesondere kann ein Übereinkommen gemäß Art. 30 Abs. 2 WVK bestimmen, dass es hinter anderen Übereinkommen zurücktreten soll. In diesem Sinne regelt Art. 23 HAVÜ Fälle, in denen andere Rechtsinstrumente unberührt bleiben, also das Übereinkommen, obwohl sein Anwendungsbereich eröffnet ist, zurücktritt (give-way clause). Unausgesprochen gilt der Grundsatz, dass das HAVÜ im Übrigen, also in den nicht ausdrücklich in Art. 23 Abs. 2–4 HAVÜ geregelten Fällen, Geltung beansprucht.390 Art. 23 HAVÜ differenziert zunächst danach, ob der andere völkerrechtliche Vertrag vor oder nach dem Abschluss des HAVÜ, das heißt vor oder nach dem 2. Juli 2019,391 geschlossen wurde. Auf den Zeitpunkt des Inkrafttretens der Verträge kommt es nicht an, sondern allein auf ihren Abschluss.392 Der Zeitpunkt des Abschlusses multilateraler Übereinkommen wird im Völkervertragsrecht typischerweise nach dem Zeitpunkt der Annahme des Übereinkommens bestimmt,393 oder nach dem Zeitpunkt, zu dem das Übereinkommen zur Unterzeichnung aufgelegt wurde, sofern dies erst zu einem späteren Zeitpunkt geschehen ist.394 Nach diesem Maßstab ist die Singapur-Konvention ein später geschlossener Vertrag, da der Text zwar am 20. Dezember 2018 angenommen wurde, die Konvention aber erst am 7. August 2019, also nach dem Abschluss des HAVÜ, zur Unterzeichnung aufgelegt wurde.395 Früher geschlossene Verträge bleiben vom HAVÜ unberührt (Art. 23 Abs. 2 HAVÜ). Bei einem Konflikt tritt das HAVÜ unabhängig davon zurück, ob
388 Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 368; Noodt Taquela/Ruiz Abou-Nigm, YbPIL 19 (2017/18), 449 (454). 389 Schulz, The Relationship Between the Judgments Project and other International Instruments, PrelDoc No 24 of December 2003, Rn. 51. 390 Vgl. Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 368. 391 Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 372. 392 Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 372 Fn. 255. 393 Vgl. Art. 9 WVK. 394 Aust, Treaty Law, S. 86. 395 Vgl. Art. 11 Abs. 1 Singapur-Konvention.
F. Verhältnis zu anderen Instrumenten
177
auch der Ursprungsstaat Vertragsstaat des früheren Übereinkommens ist.396 Aus deutscher Perspektive würden damit beispielsweise der deutsch-israelische397 und der deutsch-tunesische398 Anerkennungs- und Vollstreckungsvertrag oder auch das LugÜ 2007 und das HGÜ399 im Fall eines Konflikts vorgehen. Ist der andere völkerrechtliche Vertrag erst nach Abschluss des HAVÜ, also nach dem 2. Juli 2019 geschlossen worden,400 verdrängt dieser nach Art. 23 Abs. 3 S. 1 HAVÜ nur dann das HAVÜ, wenn neben dem ersuchten Staat auch der Ursprungsstaat Vertragsstaat des anderen völkerrechtlichen Vertrages ist. So wird sichergestellt, dass die Gegenseitigkeit zwischen den Vertragsstaaten des HAVÜ gewahrt bleibt und ein Staat sich seiner Verpflichtungen unter dem HAVÜ gegenüber einem anderen Vertragsstaat des HAVÜ nicht einseitig entziehen kann.401 Sind aber Ursprungsstaat und ersuchter Staat beide Vertragsstaaten eines später abgeschlossenen Vertrags, der die Anerkennung in einer Situation untersagt, in der nach dem HAVÜ eine Anerkennung vorgeschrieben ist, tritt das HAVÜ gemäß Art. 23 Abs. 3 S. 1 HAVÜ zurück.402 In jedem Fall bleibt nach Art. 23 Abs. 3 S. 2 HAVÜ die Verpflichtung des Art. 6 HAVÜ gegenüber Vertragsstaaten des HAVÜ, die nicht Vertragsstaaten des anderen Vertrags sind, unberührt. Sind also beispielsweise Ursprungsstaat und ersuchter Staat sowohl Vertragsstaaten des HAVÜ als auch eines später abgeschlossenen Vertrags, setzt sich die Verpflichtung zur Nichtanerkennung nach Art. 6 HAVÜ gegen eine nach dem anderen Vertrag bestehende Pflicht
396
Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 372. Vgl. aber noch die Einschränkung in eckigen Klammern in Art. 24 Abs. 2 Konventionsentwurf 2018 („This Convention shall not affect the application by a Contracting State of a treaty [or other international instrument] that was concluded before this Convention entered into force for that Contracting State [as between Parties to that instrument].“). 397 Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Staat Israel über die gegenseitige Anerkennung und Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 20. Juli 1977 (BGBl. 1980 II S. 926). 398 Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Tunesischen Republik über Rechtsschutz und Rechtshilfe, die Anerkennung und Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen sowie über die Handelsschiedsgerichtsbarkeit vom 19. Juli 1966 (BGBl. 1969 II S. 890). 399 Vgl. dazu: Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 375. 400 Anders als in Art. 25 HVÜ (vgl. dazu Nadelmann/von Mehren, Amer. J. Int'l. L. 60 (1966) 803 (804)) gibt es im Übereinkommen keine Regelung, die beabsichtigt, Vertragsstaaten vom Abschluss weiterer Anerkennungs- und Vollstreckungsübereinkommen untereinander abzuhalten. 401 Zur Einordnung der Pflicht zur Anerkennung und Vollstreckung gemäß Art. 4 Abs. 1 HAVÜ als bilaterale Pflicht des ersuchten Staats gegenüber dem Ursprungsstaat siehe Kapitel 3 F. (S. 113). 402 Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 379, 381.
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Kapitel 4: Anwendungsbereich
zur Anerkennung durch, sofern die Entscheidung ein Grundstück aus einem dritten Vertragsstaat des HAVÜ betrifft.403 Für die Europäische Union (als Organisationen der regionalen Wirtschaftsintegration) sieht Art. 23 Abs. 4 HAVÜ eine Sonderregelung vor. Unabhängig von der Reihenfolge von Inkrafttreten des Übereinkommens und Verabschiedung der europäischen Rechtsnorm, geht im Verhältnis der EU-Staaten untereinander stets das Unionsrecht vor. Wiederum gilt jedoch die Ausnahme, dass später verabschiedetes Unionsrecht die Verpflichtung nach Art. 6 HAVÜ im Verhältnis zu Nicht-EU-Staaten, die Vertragsstaaten des HAVÜ sind, unberührt lässt. Nach dem 2. Juli 2019 verabschiedetes Unionsrecht (z.B. eine Neufassung der Brüssel Ia-VO) könnte daher nicht zur Anerkennung von Urteilen aus anderen EU-Mitgliedsstaaten verpflichten, die ein dingliches Recht an unbeweglichem Eigentum betreffen, das außerhalb der EU, aber in einem Vertragsstaat des HAVÜ belegen ist.404 Die Brüssel Ia-VO in ihrer aktuellen Fassung bliebe bei einem Beitritt der Europäischen Union zum HAVÜ jedoch als früher verabschiedetes Unionsrecht vom HAVÜ unberührt und wäre damit weiterhin uneingeschränkt für die gegenseitige Urteilsanerkennung zwischen EU-Mitgliedsstaaten maßgeblich.405
G. Verhältnis zum nationalen Recht I. Drittstaatliche Entscheidungen Das HAVÜ regelt die Anerkennung und Vollstreckung ausschließlich im Verhältnis zu anderen Vertragsstaaten (Art. 1 Abs. 2 HAVÜ).406 Das Übereinkommen schreibt also nicht den Umgang mit Entscheidungen aus Nichtvertragsstaaten (Drittstaaten) vor.407 Für die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen aus Drittstaaten bleibt in allen Fällen das jeweilige nationale Recht anwendbar. Das Übereinkommen berücksichtigt jedoch die Möglichkeit, dass eine nach dem nationalen Recht des ersuchten Staates anzuerkennende Entscheidung aus einem Drittstaat mit einer unter dem HAVÜ anzuerkennenden vertragsstaatlichen Entscheidung unvereinbar sein kann. Dieser Konflikt wird in Form eines Versagungsgrundes nach dem Prioritätsprinzip gelöst. Gemäß Art. 7 Abs. 1 lit. f HAVÜ kann die Anerkennung einer vertragsstaatlichen
403
Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 383. Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 384; Liakopoulos, AUDJ 15 (2019), 5 (17); Wilderspin/Vysoka, NIPR 2020, 34 (38). 405 Antomo, in: BeckOK-ZPO, Brüssel Ia-VO Art. 1 Rn. 27a; Franzina/Leandro, Quaderni di SIDIBlog 6 (2019), 215 (229); Liakopoulos, AUDJ 15 (2019), 5 (17). 406 Zum territorialen Anwendungsbereich siehe Kapitel 4 C. (S. 161). 407 Insoweit ging das HVÜ-Zusatzprotokoll weiter, siehe Kapitel 1 B. (S. 15). 404
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Entscheidung verweigert werden, sofern sie mit einer früheren anerkennungsfähigen drittstaatlichen Entscheidung über denselben Gegenstand und zwischen denselben Parteien unvereinbar ist.408 II. Günstigkeitsprinzip Auch im Verhältnis zu Vertragsstaaten schließt das HAVÜ den Rückgriff auf nationales Anerkennungsrecht grundsätzlich nicht aus. Das Übereinkommen folgt vielmehr dem Günstigkeitsprinzip und beschränkt sich darauf, einen Mindeststandard für die Anerkennung und Vollstreckung festzulegen.409 Ob das Gericht von Amts wegen das günstigste Recht zu berücksichtigen hat oder ob derjenige, der die Anerkennung oder Vollstreckung begehrt, wählen muss, auf welche Rechtsgrundlage(n) er sein Anliegen stützt, ist eine Frage des nationalen Verfahrensrechts (Art. 13 Abs. 1 S. 1 HAVÜ). Aus der Sicht des deutschen Rechts ist die Frage nicht abschließend geklärt.410 III. Anerkennungs-, Exequatur- und Zwangsvollstreckungsverfahren 1. Grundsatz Das Übereinkommen regelt, ob eine Entscheidung oder ein gerichtlicher Vergleich anerkannt und vollstreckt werden muss. Das „Wie“ der Anerkennung oder Vollstreckung regelt das Übereinkommen hingegen grundsätzlich nicht. Anders als das HUnthGÜ schafft das HAVÜ keine (teilweise) einheitlichen Verfahren für die Anerkennung oder Vollstreckung.411 Das Verfahren unterliegt vielmehr den Rechtsvorschriften des ersuchten Staates, soweit nicht ausnahmsweise das Übereinkommen selbst Regelungen trifft (Art. 13 Abs. 1 S. 1 HAVÜ).412 Dabei kann der nationale Gesetzgeber entscheiden, ob er ein besonderes Verfahren zur Anerkennung (Delibationsverfahren) oder aber eine automatische Anerkennung (Inzidentanerkennung) vorsehen möchte.413 Anders als im Rahmen der Brüssel Ia-VO414 sind Entscheidungen im Anwendungsbereich des Übereinkommens nicht ipso iure vollstreckbar.415 Aus
408
Siehe Kapitel 6 D.VI. (S. 296). Siehe ausführlich Kapitel 3 D. (S. 99). 410 Vgl. zum Meinungsstand: Linke/Hau, IZVR, Rn. 12.26. 411 Vgl. zum HUnthGÜ: Borrás/Degeling, Explanatory Report, Rn. 490 ff.; Ständiges Büro der Haager Konferenz, Annotated Checklist (2013), Rn. 116; Beaumont/Walker, JPIL 2015, 31 (59 f.). 412 Art. 13 Abs. 1 HAVÜ entspricht Art. 14 HGÜ. Ähnlich bereits Art. 14 Abs. 1 HVÜ. 413 Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 308; kritisch aufgrund der nicht vorgeschriebenen Inzidentanerkennung Schack, IPRax 2020, 1 (6); siehe bereits Schack, ZEuP 2014, 824 (830). 414 Vgl. Art. 39 Brüssel Ia-VO. 415 Pertegás, in: Van Calster, European Private International Law at 50, S. 67 (73). 409
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Kapitel 4: Anwendungsbereich
dem Wortlaut von Art. 13 Abs. 1 S. 1 HAVÜ ergibt sich vielmehr, dass es eines Verfahrens bedarf, im Rahmen dessen im ersuchten Staat über die Vollstreckbarkeit der fremden Entscheidung entschieden wird (Vollstreckbarerklärungs- oder Registrierungsverfahren).416 Das nationale Recht bestimmt gemäß Art. 13 Abs. 1 S. 1 HAVÜ die Einzelheiten dieses Verfahrens. Das Verfahren kann kontradiktorisch oder als einseitiges Verfahren ausgestaltet werden. Darüber hinaus unterliegt auch die Zwangsvollstreckung dem nationalen Recht des ersuchten Staates (Art. 13 Abs. 1 S. 1 HAVÜ). Das nationale Verfahrensrecht regelt auch, wie nachträglich entstandene Einwendungen gegen den titulierten Anspruch geltend gemacht werden können (z.B. im Fall der Erfüllung des titulierten Anspruchs). Zu dem nach Art. 13 Abs. 1 S. 1 HAVÜ anwendbaren nationalen Verfahrensrecht gehört auch die Frage, ob die Gerichtsbarkeit des ersuchten Staates für ein Anerkennungs-, Exequatur- oder Zwangsvollstreckungsverfahren eröffnet ist. Gemäß Art. 2 Abs. 5 HAVÜ lässt das HAVÜ die Vorrechte und Immunitäten von Staaten oder internationalen Organisationen in Bezug auf sie selbst und ihr Vermögen unberührt. Das bedeutet, dass das ersuchte Gericht Immunitätsfragen (z.B. Immunität in einem Vollstreckbarerklärungsverfahren,417 Vollstreckungsimmunität) eigenständig prüfen kann.418 Sofern die Europäische Union das HAVÜ unter Inanspruchnahme ihrer ausschließlichen Außenkompetenz (Art. 216 Abs. 1, Art. 3 Abs. 2 AEUV)419 mit Wirkung für die EU-Mitgliedsstaaten mit Ausnahme Dänemarks420 in Kraft 416 Vgl. auch Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 309. Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird im Rahmen dieser Arbeit teilweise zusammenfassend von „Exequaturverfahren“ gesprochen. 417 Das Verfahren auf Vollstreckbarerklärung ist im deutschen Recht kein Verfahren der Zwangsvollstreckung, sondern ein Erkenntnisverfahren eigener Art, auf das die Grundsätze über die Immunität ausländischer Staaten im Erkenntnisverfahren anzuwenden sind, vgl. BGH 30.1.2013 – III ZB 40/12, NJW 2013, 3184 (zu § 1061 ZPO). 418 Relevant sind etwa die ungeschriebenen Regeln des Völkerrechts über die Staatenimmunität, das Wiener Übereinkommen vom 18. April 1961 über diplomatische Beziehungen (BGBl. 1964 II S. 957) und das Wiener Übereinkommen vom 24. April 1963 über konsularische Beziehungen (BGBl. 1969 II S. 1585). 419 Europäische Kommission, Inception impact assessment, unter A; Wilderspin/Vysoka, NIPR 2020, 34 (39 f.); Pertegás, in: Van Calster, European Private International Law at 50, S. 67 (70); Schack, IPRax 2020, 1 (2); Stein, IPRax 2020, 197 (197); Franzina/Leandro, Quaderni di SIDIBlog 6 (2019), 215 (229); Liakopoulos, AUDJ 15 (2019), 5 (17); Laugwitz, Anerkennung, S. 435 ff.; Wagner, IPRax 2014, 217 (218 f.); Wagner, NJW 2019, 1782 (1783); grundlegend: EuGH 7.2.2006, Gutachten 1/03, Slg. 2006, I-1145 – Lugano-Gutachten. 420 Wilderspin/Vysoka, NIPR 2020, 34 (40); De Miguel Asensio/Cuniberti/Franzina/ Heinze/Requejo Isidro, Judgments Convention Study, S. 12 Fn. 10; siehe Protokoll Nr. 22 über die Position Dänemarks im Anhang zum AEUV (ABl. 2012 C 326, 299); allgemein zur Rolle Dänemarks im europäischen Privat- und Zivilverfahrensrecht: Nielsen, IPRax 2019, 449.
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setzt (Art. 26, 27 Abs. 1 HAVÜ),421 könnte sie theoretisch auch verfahrensrechtliche Regelungen im Sinne des Art. 13 Abs. 1 S. 1 HAVÜ erlassen. Soweit dies nicht geschieht, findet das nationale Verfahrensrecht des jeweiligen Mitgliedsstaats Anwendung. Mitgliedsstaaten sind dann auch grundsätzlich nicht daran gehindert, im Rahmen von Umsetzungsvorschriften regelnd tätig zu werden.422 Im deutschen Recht läge eine Einbeziehung in den Anwendungsbereich des AVAG nahe, wozu – ähnlich wie im Rahmen des Gesetzes zur Durchführung des HGÜ423 – geringfügige Änderungen und Anpassungen am AVAG erforderlich wären. 2. Verfahrensvorschriften des HAVÜ Im HAVÜ finden sich nur wenige Verfahrensvorschriften, die das Anerkennungsverfahren, das Exequaturverfahren oder das Zwangsvollstreckungsverfahren betreffen. Art. 12 HAVÜ legt fest, welche Schriftstücke vom Antragssteller vorzulegen sind. Eine Befreiung vom Erfordernis der Legalisation, wie sie Art. 18 HGÜ vorsieht, findet sich im HAVÜ nicht. Nach Art. 12 Abs. 1 lit. a, b und Abs. 4 HAVÜ ist jedoch die Vorlage beglaubigter Dokumente vorgesehen. Welche Form des Echtheitsnachweises (insbesondere Legalisation oder Apostille) erforderlich ist, bestimmt sich nach dem Recht des ersuchten Staats (einschließlich völkerrechtlicher Verträge424).425 Art. 14 Abs. 1 HAVÜ426 verbietet die Auferlegung einer Sicherheitsleistung für die Verfahrenskosten (cautio judicatum solvi), sofern diese an eine Ausländereigenschaft oder an das Fehlen eines inländischen (Wohn-)sitzes oder Aufenthalts anknüpft.427 Aus anderen Gründen (z.B. fehlendes Vermögen im Inland) kann eine Sicherheitsleistung hingegen verlangt werden.428 Zulässig wäre es auch, wenn der ersuchte Staat für Vollstreckbarerklärungsverfahren stets, ohne Rücksicht auf die Person des Antragsstellers eine Sicherheitsleistung für die Verfahrenskosten verlangt.429 Art. 14 Abs. 1 HAVÜ, der Art. 14 HRpflÜ nachgebildet ist und kein Vorbild im HGÜ hat, verbietet also nur die Diskriminierung aus den genannten Gründen. 421
Entsprechend ist die EU beim HGÜ vorgegangen (vgl. Art. 29 f. HGÜ). Vgl. Eßer, IPRax 2013, 399 (401 f.) (zur Frage inwieweit Mitgliedsstaaten im Rahmen des HUnthP weitergehende Formvorschriften normieren dürfen). 423 BGBl. I S. 2082. 424 Relevant ist insbesondere das HApostilleÜ. 425 Vgl. Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 307; Weller, FS Kronke, S. 621 (629 f.). 426 Siehe bereits Kapitel 4 B.VI. (S. 147). 427 Gemäß Art. 14 Abs. 3 HAVÜ steht es einem Vertragsstaat jedoch frei zu erklären, dass er diese Regelung nicht anwendet. 428 Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 321; Dotta Salgueiro, Neth. Int'l L. Rev. 2020, 113 (118); Stein, IPRax 2020, 197 (202) Fn. 39. 429 Vgl. Möller, Explanatory Report, S. 282 (zu Art. 14 HRpflÜ). 422
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Der Wortlaut von Art. 14 Abs. 1 HAVÜ spricht nur vom Antrag auf Vollstreckung („applies for enforcement of a judgment“).430 Dies schließt Sicherheitsleistungen für Vollstreckbarerklärungs- bzw. Registrierungsverfahren sowie für das Zwangsvollstreckungsverfahren ein.431 Es ist jedoch zweifelhaft, ob das Diskriminierungsverbot entsprechend gilt, soweit es um einen Antrag auf Anerkennung geht (z.B. in einem nach nationalem Recht vorgesehen Delibationsverfahren). In der Literatur wird zum Teil angenommen, dass Art. 14 HAVÜ auch für auf Anerkennung gerichtete Verfahren gilt.432 Mit Blick auf den Wortlaut erscheint dies jedoch fraglich. Auch im Explanatory Report findet die Auffassung, dass Art. 14 Abs. 1 HAVÜ für die Anerkennung gelte, keine Stütze. Während bei den Ausführungen zu Art. 15 Konventionsentwurf 2018 in einer früheren Entwurfsfassungen des Explanatory Reports noch die Anerkennung erwähnt wurde,433 fehlt es in der finalen Fassung an einer entsprechenden Bezugnahme.434 Eine Art. 18 HVÜ entsprechende Regelung zur Prozesskostenhilfe findet sich im HAVÜ nicht. Art. 13 Abs. 1 S. 2 HAVÜ sieht einen „Beschleunigungsgrundsatz“ für die genannten Verfahren vor, indem er das angerufene Gericht zu zügigem Handeln verpflichtet. Der ersuchte Staat soll unnötige Verzögerungen möglichst vermeiden.435 Eine Verpflichtung, das denkbar schnellste nach nationalem Prozessrecht zur Verfügung stehende Verfahren anzuwenden, besteht jedoch nicht. Von einer solchen Pflicht geht zwar für den gleichlautenden Art. 14 S. 2 HGÜ der Hartley/Dogauchi-Report aus,436 im Wortlaut findet dies jedoch keine Stütze.437 Frühere Entwurfsfassungen des Explanatory Reports zum HAVÜ wiederholten noch die Ausführungen des Hartley/Dogauchi-Reports in diesem Punkt.438 In der finalen Version findet sich die Aussage, dass 430
In der französischen Fassung wird die Anerkennung ebenfalls nicht erwähnt („à la partie qui demande l’exécution dans […].“). 431 Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 320. 432 So Dotta Salgueiro, Neth. Int'l L. Rev. 2020, 113 (119); Bonomi/Mariottini, YbPIL 20 (2018/19), 537 (565). 433 Garcimartín/Saumier, Judgments Convention: Revised Draft Explanatory Report, PrelDoc No 1 of December 2018, Rn. 362 („Article 15 deals with what security may be required in order to guarantee payment of the costs of proceedings, including recognition, declaration of enforceability or registration for enforcement, and the enforcement of the judgment.“). 434 Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 320 („Article 14 deals with security that may be required to guarantee payment of the costs of proceedings, including declaration of enforceability or registration for enforcement, and the enforcement of the judgment.“). 435 Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 314. 436 Hartley/Dogauchi, Explanatory Report, Rn. 216; a.A. Beaumont, JPIL 2009, 125 (147 f.). 437 Beaumont, JPIL 2009, 125 (147) (zum gleichlautenden Art. 14 S. 2 HGÜ). 438 Garcimartín/Saumier, Judgments Convention: Revised Draft Explanatory Report, PrelDoc No 1 of December 2018, Rn. 356.
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der ersuchte Staat das schnellste nach nationalem Prozessrecht zur Verfügung stehende Verfahren nutzen müsse, jedoch nicht mehr.439 Das HAVÜ schreibt hinsichtlich der Durchführung der Verfahren auch keine bestimmte Fristen vor und verlangt auch keine vorrangige Behandlung. Anders als in Art. 11 Abs. 2 HKÜ, der freilich Verfahren betrifft, bei denen der Zeitfaktor eine weitaus größere Bedeutung hat, besteht im Rahmen des HAVÜ auch keine Verpflichtung der Gerichte oder Vollstreckungsorgane, auf Anfrage eine begründete Stellungnahme zu etwaigen Verzögerungen abzugeben. Die Verweisung des Art. 13 Abs. 1 S. 1 HAVÜ auf das Verfahrensrecht des ersuchten Staates gilt, soweit das Übereinkommen keine Regelung trifft. Dies führt oftmals zu einem Zusammenspiel von nationalem Verfahrensrecht mit verfahrensrechtlichen Vorschriften des HAVÜ. So regelt Art. 12 HAVÜ, welche Dokumente die Partei, die die Anerkennung oder Vollstreckung einer Entscheidung unter dem Übereinkommen begehrt, vorzulegen hat. Die Rechtsfolgen der versäumten Vorlage dieser Dokumente regelt das Übereinkommen aber nicht, so dass das Verfahrensrecht des ersuchten Staates berufen ist, diese zu bestimmen.440 3. Darlegungs- und Beweislast Nach Art. 13 Abs. 1 S. 1 HAVÜ unterfallen die Einzelheiten der Beweisführung, der Beweiswürdigung ebenso wie das vom Gericht anzulegende Beweismaß dem nationalen Recht.441 Schwieriger einzuordnen ist die Darlegungs- und Beweislast. Unterfällt dies ebenfalls dem Recht der Vertragsstaaten oder können dem HAVÜ dazu Aussagen entnommen werden? Im Rahmen der Spezialkommission und der Diplomatischen Konferenz ist diese grundsätzliche Frage nicht diskutiert worden. Der Übereinkommenstext trifft zur Darlegungs- und Beweislast keine ausdrücklichen Regelungen.442 Auch der Explanatory Report schweigt zur Frage, ob sich die Darlegungs- und Beweislast nach nationalem Recht oder nach übereinkommensautonomen Maßstäben richtet. In früheren Entwurfsfassungen des Expalanatory Reports fand sich im Rahmen der Ausführungen zu Art. 5 Abs. 1 lit. g HAVÜ noch eine Aussage über die Verteilung der Beweislast.443 Der Satz wurde jedoch für die finale Version des Expalanatory Reports gestrichen.444 Eine naheliegende Erklärung dafür ist, dass man 439
Vgl. Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 314. Vgl. Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 302. 441 Entsprechend für das HGÜ: Hartley/Dogauchi, Explanatory Report, Rn. 92 („rules of evidence“). 442 Im Gegensatz etwa zu Art. V Abs. 1 UNÜ. 443 Garcimartín/Saumier, Judgments Convention: Revised Draft Explanatory Report, PrelDoc No 1 of December 2018, Rn. 195 („The burden of proof is on the defendant (‘unless’) […]). 444 Vgl. Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 187. 440
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davon ausging, dass die Verteilung der Beweislast eine Frage des nationalen Rechts darstellt. Art. 12 Abs. 1 HAVÜ scheint zwar der Gedanke zugrunde zu liegen, dass derjenige, der die Anerkennung oder Vollstreckung begehrt, grundsätzlich die Darlegungs- und Beweislast für die positiven Voraussetzungen der Anerkennung oder Vollstreckung trägt.445 Allerdings stellt der Explanatory Report klar, dass das Recht des ersuchten Staates die Folgen der Nichtvorlage der erforderlichen Dokumente regelt.446 Dies lässt sich als weiterer Anhaltspunkt dafür werten, dass die Darlegungs- und Beweislast letztlich dem nationalen Recht unterfällt.447 Im Hinblick auf die Versagungsgründe ist zu beachten, dass diese insgesamt in das Ermessen des ersuchten Staates gestellt sind.448 Naheliegenderweise kann das Recht des ersuchten Staats daher auch die Modalitäten ihrer Geltendmachung einschließlich der Darlegungs- und Beweislast bestimmen,449 soweit die Zwecke des HAVÜ durch entsprechende Regelungen nicht unterlaufen werden. Unabhängig davon, ob die Darlegungs- und Beweislast dem nationalen Recht unterliegt oder man dem HAVÜ hierzu gewisse Vorgaben entnehmen möchte, sollten der Zweck, die Systematik und der Wortlaut (z.B. „unless“-Wendungen450) der Vorschriften des HAVÜ berücksichtigt werden. 4. Grundsatz von Treu und Glauben Bei der Regelung von Anerkennungs-, Vollstreckbarerklärungs- bzw. Registrierungsverfahren und Zwangsvollstreckungsverfahren sowie bei der Anwendung der nationalen Verfahrensregeln sind die Zwecke des HAVÜ zu beachten. Denn bei der Auslegung und Anwendung des HAVÜ gilt für die Vertragsstaaten der Grundsatz von Treu und Glauben (Art. 26, 31 Abs. 1 WVK).451 Insbesondere dürfen ausländische, unter dem Übereinkommen zu vollstreckende Entscheidungen gegenüber Entscheidungen der eigenen Gerichte nicht schlechter gestellt werden.452 Unzulässig wäre also etwa ein besonderes Vollstreckungsverfahren für ausländische Entscheidungen, das weniger effektive Mechanismen im Vergleich zur Vollstreckung inländischer Entscheidungen 445 Mit entsprechender Argumentation im Rahmen des Konventionsentwurfs 1999: Nygh/Pocar, Report, Rn. 316. 446 Vgl. Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 302. 447 So i.Erg. auch Jang, Neth. Int'l L. Rev. 2020, 97 (101 f.) (im Hinblick auf die Versagungsgründe); vorsichtig: Weller, FS Kronke, S. 621 (629) („If this question is conceived as one of general ‘procedure’, Article 13 refers to the respecive lex fori.“). 448 Siehe Kapitel 6 A.I. (S. 269). 449 Siehe Kapitel 6 B. (S. 273). 450 Vgl. z.B. Art. 5 Abs. 1 lit. f und g HAVÜ. In der französischen Sprachfassung „à moins que“ bzw. „sauf si“. 451 Vgl. Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 313. 452 Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 313.
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vorsieht.453 Der Verweis auf nationales Verfahrensrecht ist, wie der Explanatory Report klarstellt, kein Freibrief.454 Die Effektivität des HAVÜ darf nicht durch nationale Verfahrensregeln unterlaufen werden.455 5. Urteilsverjährung Zu den nationalem Recht unterliegenden Verfahrensfragen gehören auch eventuell geltende Fristen für die Vollstreckbarerklärung oder Registrierung ausländischer Entscheidungen.456 Nach der Konzeption des HAVÜ sind jedoch nicht nur Fristen des ersuchten Staats, sondern auch solche des Ursprungsstaats relevant. Gemäß Art. 4 Abs. 3 HAVÜ muss eine Entscheidung im Ursprungsstaat vollstreckbar sein, um unter dem HAVÜ vollstreckbar zu sein.457 Die Vollstreckbarkeit kann nach dem Recht des Urteilsstaats an Fristen gebunden sein. Aufgrund der Verweisung auf nationales Verfahrensrecht in Art. 13 Abs. 1 S. 1 HAVÜ finden zusätzlich etwaige Fristen im ersuchten Staat Anwendung. Anders als im Rahmen des HUnthGÜ458 kommt im HAVÜ nicht die längere der beiden Fristen zum Tragen, sondern die kürzere.459 Wenn also beispielsweise nach dem Recht des Ursprungsstaats ein Urteil 20 Jahre lang vollstreckbar ist, nach dem Recht des ersuchten Staates jedoch eine Frist von 5 Jahren greift, braucht der ersuchte Staat die fremde Entscheidung nicht mehr zu vollstrecken, wenn die 5-Jahres-Frist abgelaufen ist. Gerade dann, wenn ein Titelgläubiger zuvor erfolglos eine Vollstreckung in einem anderen Staat versucht hat, kann die Urteilsverjährung aufgrund der verlorenen Zeit praktisch relevant werden. Allerdings sind die Vertragsstaaten völkerrechtlich verpflichtet, die Effektivität des HAVÜ nicht durch nationale Verfahrensregeln zu unterlaufen und nicht gegen ausländische Urteile zu diskriminieren.460 Freilich gibt es für eine 453 Eine ausdrückliche Regelung wie sie sich in Art. 33 HUnthGÜ findet, trifft das HAVÜ dazu jedoch nicht. 454 Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 313 („ [T]he reference to the law of the requested State is not a blanket reference.“). 455 Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 313. 456 Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 310; Schack, IPRax 2020, 1 (6). Vgl. Minutes of the Special Commission on the Recognition and Enforcement of Foreign Judgments (1–9 June 2016), Minutes No 12, Meeting of 8 June 2016 (afternoon), Rn. 10–27 (bisher unveröffentlicht); Minutes of the Special Commission on the Recognition and Enforcement of Foreign Judgments (1–9 June 2016), Minutes No 13, Meeting of 9 June 2016 (morning), Rn. 46–63 (bisher unveröffentlicht). 457 Siehe Kapitel 5 A.I. (S. 195). 458 Vgl. Art. 32 Abs. 5 HUnthGÜ: „Die Verjährungsfrist für die Vollstreckung von Zahlungsrückständen wird nach dem Recht des Ursprungsstaats der Entscheidung oder dem Recht des Vollstreckungsstaats bestimmt, je nachdem, welches Recht die längere Frist vorsieht.“ 459 Vgl. Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 310 f. 460 Siehe Kapitel 4 G.III.4. (S. 184).
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inländische Entscheidung kein Exequaturverfahren, so dass ein direkter Vergleich der Behandlung inländischer und ausländischer Entscheidungen insoweit schwer fällt,461 solange der fremden Entscheidung die Vollstreckbarkeit im Inland noch nicht verliehen worden ist. Der Explanatory Report stellt klar, dass Fristen für die Vollstreckbarerklärung oder Registrierung mit dem Grundsatz von Treu und Glauben unvereinbar sein können, wenn sie unangemessen kurz sind.462 Allerdings ist nicht nur die Länge der Frist relevant, sondern die Ausgestaltung der Fristenregelung in ihrer Gesamtheit. Berücksichtigt werden sollte insbesondere auch, an welchen Zeitpunkt für den Fristbeginn angeknüpft wird. Die Fristenregelung darf in ihrer Ausgestaltung die Effektivität des HAVÜ nicht in Frage stellen. Sobald eine Vollstreckbarerklärung erfolgt ist, gebietet der Grundsatz von Treu und Glauben, dass für die Vollstreckung des ausländischen Urteils keine kürzeren Fristen gelten dürfen als für inländische Entscheidungen im ersuchten Staat.463 6. Internationale Zuständigkeit der Gerichte des ersuchten Staats (Art. 13 Abs. 2 HAVÜ) Art. 13 Abs. 2 HAVÜ verbietet es den ersuchten Staaten, einer Entscheidung die Anerkennung oder Vollstreckung mit dem Argument zu versagen, dass die Anerkennung oder Vollstreckung in einem anderen Staat ersucht werden soll. Dies schließt es aus, dass Vertragsstaaten unter Anwendung der forum non conveniens-Doktrin von einer Ausübung ihrer Zuständigkeit absehen, weil sie einen anderen Staat für die Anerkennung und Vollstreckung der Entscheidung für besser geeignet halten. Die Vorschrift wirft aber darüber hinaus die Frage auf, ob das HAVÜ und insbesondere Art. 13 Abs. 2 HAVÜ den ersuchten Staat daran hindern, für die internationale Zuständigkeit zur Einleitung eines Anerkennungs- oder Exequaturverfahrens besondere Voraussetzungen aufzustellen.464 Es geht insoweit nicht um die Überprüfung der Zuständigkeit des Ursprungsgerichts,465 sondern um die internationale Zuständigkeit des ersuchten Staates für die Anerkennung oder Vollstreckung.466 461
Vgl. Minutes of the 22nd Session, Commission I, Minutes No 8, Meeting of 21 June 2019 (afternoon), Rn. 63 (bisher unveröffentlicht). 462 Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 313. 463 Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 313. 464 Vgl. Bonomi/Mariottini, YbPIL 20 (2018/19), 537 (564 f.) („remains to be seen“); zur Parallelproblematik im Rahmen des UNÜ: Born, International Commercial Arbitration III, S. 2981 ff. 465 Siehe Kapitel 5 B.I. (S. 200). 466 Mankowski, RIW 1995, 56 (56 f.) hat den Begriff der „Vollstreckbarerklärungszuständigkeit“ vorgeschlagen, der sich aber nicht allgemein durchgesetzt hat. Da sich die Frage zumindest theoretisch auch mit Blick auf die Anerkennung stellt, wird hier allgemeiner von der internationalen Zuständigkeit des ersuchten Staates für die Anerkennung und Vollstreckung (bzw. die darauf gerichteten Verfahren) gesprochen.
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a) Nationale Zuständigkeitsregelungen Viele Staaten sehen besondere Voraussetzungen für die internationale Zuständigkeit zur Einleitung von Vollstreckbarerklärungs- oder Registrierungsverfahren vor.467 Solche Zuständigkeitserfordernisse können beispielsweise dazu dienen, enforcement shopping zu unterbinden.468 Die Zuständigkeitsvoraussetzungen für Exequaturverfahren sind häufig weit gefasst. Darauf, ob Gerichte im ersuchten Staat nach eigenem Recht auch international zuständig gewesen wären, über die ursprüngliche Klage in der Sache zu entscheiden, kommt es in der Regel nicht an.469 Meist genügt es, dass Vermögen im Inland belegen ist oder eine Vollstreckung im Inland möglich erscheint.470 Im deutschen autonomen Recht ist umstritten, ob auf die internationale Zuständigkeit (bzw. besondere Voraussetzungen für die internationale Zuständigkeit471) für die Vollstreckbarerklärung insgesamt verzichtet werden kann.472 Ausreichend ist es aber jedenfalls, wenn der Schuldner im Inland über Vermögen verfügt und zwar ohne dass darüber hinaus ein Inlandsbezug erforderlich wäre.473 Der Umstand, dass die in den nationalen Rechtsordnungen anzutreffenden Zuständigkeitsgründe regelmäßig weit sind und typischerweise das Vorhandensein von Schuldnervermögen im Inland zur Begründung der internationalen Zuständigkeit genügen lassen, macht die Frage nach der Zulässigkeit entsprechender Zuständigkeitsvoraussetzungen für Exequaturverfahren aber nicht obsolet. Es kann auch dann ein praktisches Bedürfnis für eine Vollstreckbarerklärung (bzw. Anerkennung mit Blick auf eine spätere Vollstreckung) von Urteilen bestehen, wenn der Schuldner abwesend und
467 Vgl. Ständiges Büro der Haager Konferenz, Research Paper on Personal Jurisdiction and Forum Non Conveniens, Rn. 7 ff.; Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 319; Coester-Waltjen, RabelsZ 79 (2015), 471 (511 ff.); zum US-amerikanischen Recht Edsall, The Yale Law Journal 120 (2010), 397; zum kandaischen Recht: Chevron Corp. v Yaiguaje 2015 SCC 42; zum deutschen Recht: Hau, ZVglRWiss 116 (2017), 23 (36 f.); Solomon, AG 2006, 832 (838 ff.). 468 Vgl. Hau, FS Schilken, S. 705 (712 f.). 469 Vgl. für Deutschland: § 722 Abs. 2 ZPO; für die USA: Shaffer v Heitner, 433 U.S. 186 (1977) Fn. 36; Solomon, AG 2006, 832 (835 f.); für Kanada: Chevron Corp. v Yaiguaje 2015 SCC 42. 470 Vgl. z.B. Born, International Commercial Arbitration III, S. 2987. 471 Dann ergibt sich die internationale Zuständigkeit schlicht aus dem Umstand, dass die Vollstreckung künftig im Inland erfolgen soll. 472 Dagegen Schack, IZVR, Rn. 1101 Fn. 25; dafür: Geimer, in: Zöller, ZPO, § 722 Rn. 45 f.; Hau, ZVglRWiss 116 (2017), 23 (36); Schütze, IZPR in der ZPO, § 722 Rn. 16; Solomon, AG 2006, 832 (838). 473 BGH 28.10.1996 – X ARZ 1071/96, NJW 1997, 325 (326); Hau, ZVglRWiss 116 (2017), 23 (37).
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Kapitel 4: Anwendungsbereich
gegenwärtig noch kein Vermögen im Inland vorhanden ist.474 Denn Titelgläubiger möchten vorbereitet sein, falls Schuldnervermögen später ins Inland verbracht wird oder der Schuldner Vermögen im Inland erwirbt.475 Im Übrigen ist auf globaler Ebene kaum überschaubar, welche Zuständigkeitsvoraussetzungen in den verschiedenen Jurisdiktionen für Anerkennungs- oder Exequaturverfahren bestehen, zumal sich das nationale Verfahrensrecht insoweit auch ändern kann. Es ist daher nicht ausgeschlossen, dass vertragsstaatliche Gerichte es in Betracht ziehen könnten, die Anerkennung oder Vollstreckbarerklärung von ausländischen Urteilen im Anwendungsbereich des HAVÜ unter Verweis auf eine fehlende eigene internationale Zuständigkeit für das Anerkennungs- oder Vollstreckbarerklärungs- bzw. Registrierungsverfahren abzulehnen.476 b) Wortlaut des Art. 13 Abs. 2 HAVÜ Art. 13 Abs. 2 HAVÜ verbietet nach seinem Wortlaut nur eine Versagung mit dem Argument, dass die Anerkennung oder Vollstreckung in einem anderen Staat ersucht werden soll („on the ground that recognition or enforcement should be sought in another State“).477 Nimmt man den Wortlaut ernst, wird die Aufstellung von besonderen Voraussetzungen für die internationale Zuständigkeit damit nicht per se ausgeschlossen. Denn wenn es an einer nach nationalem Recht vorausgesetzten Zuständigkeit fehlt, wird die Anerkennung oder Vollstreckung abgelehnt, weil die Anforderungen der Zuständigkeitsnormen nicht erfüllt sind (z.B. keine personal jurisdiction über den Schuldner oder fehlendes Schuldnervermögen im Inland) und nicht, weil die Anerkennung oder Vollstreckung in einem anderen Staat ersucht werden sollte. Das Zuständigkeitsrecht wird die Voraussetzungen der Zuständigkeit typischerweise ohne 474 Vgl. z.B. Yaiguaje v Chevron Corporation [2013] ONSC 2527 (Kanada); Lenchyshyn v Pelko Electric, Inc. 281 A.D.2d 42, 50 (N.Y. App. Div. 2001) (USA); Demirel v Tasarruf Mevduati Sigorta Fonu [2007] EWCA Civ 799 (Vereinigtes Königreich); Edsall, The Yale Law Journal 120 (2010), 397 (404). 475 Vgl. z.B. Yaiguaje v Chevron Corporation [2013] ONSC 2527 Rn. 81 (Kanada); vgl. auch Geimer, in: Zöller, ZPO, § 722 Rn. 45; Born, International Commercial Arbitration III, S. 2987 (Fn. 514). 476 Die praktische Relevanz wird insbesondere durch diverse Entscheidungen US-amerikanischer Gerichte verdeutlicht, in denen die Vollstreckbarerklärung ausländischer Schiedssprüche im Anwendungsbereich des UNÜ aus kompetenzrechtlichen Gründen abgelehnt worden ist, vgl. dazu Born, International Commercial Arbitration III, S. 2982 f.; Solomon, AG 2006, 832 (834 ff.). 477 Im Rahmen des HGÜ fehlt es an einer vergleichbaren Vorschrift (Art. 5 Abs. 2 HGÜ betrifft einen anderen Fall). Gleichwohl ist zweifelhaft, ob im Rahmen des HGÜ ein Antrag auf Anerkennung oder Vollstreckung aus entsprechenden Gründen und insbesondere unter Anwendung der forum non conveniens-Doktrin versagt werden dürfte, vgl. Coester-Waltjen, RabelsZ 79 (2015), 471 (517); Trooboff, The National Law Journal, October 1, 2012; Brand, N.Y.U. J. Int'l L. & Pol. 45 (2013), 1003 (1028 ff.).
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Rücksicht darauf aufstellen, ob in einem anderen Staat die Anerkennung oder Vollstreckung möglich oder zweckmäßig ist. Die Formulierung des Art. 13 Abs. 2 HAVÜ ist auf Staaten zugeschnitten, die der forum non conveniens-Doktrin478 oder ähnlichen nationalen Rechtsinstituten folgend von einer Ausübung ihrer Zuständigkeit absehen, sofern ein anderer Staat für die Anerkennung und Vollstreckung der Entscheidung besser geeignet ist (Art. 13 Abs. 2 HAVÜ).479 Entsprechende Fälle gibt es insbesondere in den USA.480 Aber auch in anderen Jurisdiktionen wie England481 oder Kanada482 ist es denkbar, dass von einer Ausübung der Zuständigkeit für die Anerkennung und Vollstreckung unter Verweis auf die forum non conveniensDoktrin abgesehen wird. Art. 13 Abs. 2 HAVÜ dürfte ebenfalls eingreifen, soweit ein Gericht von der Zustellung der Klage ins Ausland (service out of jurisdiction with leave of the court) absehen will, weil ein anderes Forum angemessener erscheint.483 Zweifelhaft ist, ob Art. 13 Abs. 2 HAVÜ auch die Variante der forum non conveniens-Doktrin erfassen würde, die von einer Ausübung der Zuständigkeit nicht deshalb absieht, weil ein anderes Forum angemessener ist, sondern weil die eigenen Gerichte eindeutig ungeeignet sind, den Rechtsstreit zu entscheiden.484 Denn der Wortlaut des Art. 13 Abs. 2 HAVÜ legt nahe, dass nur Fälle erfasst werden, in denen von der Anerkennung oder Vollstreckung gerade mit Rücksicht auf ein anderes Forum abgesehen wird. Nimmt man die Vorschrift insoweit wörtlich, verbietet Art. 13 Abs. 2 HAVÜ, wie gesehen, grundsätzlich auch keine nationalen Regelungen über die internationale Zuständigkeit des ersuchten Staates für die Anerkennung oder Vollstreckung.
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Zum Teil wird in diesem Kontext auch von executio non conveniens gesprochen, vgl. z.B. Schack, IPRax 2020, 1 (6); Hau, FS Schilken, S. 705 (714). 479 Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 319; Bonomi/Mariottini, YbPIL 20 (2018/19), 537 (564); Stewart, Amer. J. Int'l. L. 113 (2019), 772 (778); Wagner, IPRax 2016, 97 (102). Zur Erforderlichkeit einer solchen Regelung auch Coester-Waltjen, RabelsZ 79 (2015), 471 (517). 480 Turksoy v Acar, 772 N.Y.S.2d 831 (N.Y. App. Div. 2004); Thomas v Carvel, 736 F. Supp. 2d 730 (S.D.N.Y. 2010). 481 Coester-Waltjen, RabelsZ 79 (2015), 471 (515 f.). 482 Vgl. Chevron Corp. v Yaiguaje 2015 SCC 42 Rn. 77. 483 Vgl. zum englischen Recht: Demirel v Tasarruf Mevduati Sigorta Fonu [2007] EWCA Civ 799; generell zur forum conveniens-Voraussetzung für service out jurisdiction nach englischem Recht: Spiliada Maritime Corp v Cansulex Ltd [1987] AC 460; Huber, Die englische forum-non-conveniens-Doktrin, S. 38–40. 484 Diesem Ansatz folgt die australische forum non conveniens-Doktrin (vgl. Voth v Manildra (1991) 171 CLR 538; Dicey, Morris & Collins, The Conflict of Laws, Rn. 12-011). Allerdings ist unklar, ob die forum non conveniens-Doktrin im australischen Recht im Hinblick auf die Zuständigkeit australischer Gerichte für Verfahren zur Anerkennung oder Vollstreckung fremder Entscheidungen Anwendung findet.
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Kapitel 4: Anwendungsbereich
c) Entstehungsgeschichte Ob der Wortlaut damit das wiedergibt, was mit Art. 13 Abs. 2 HAVÜ intendiert war, ist unklar. In der Entstehungsgeschichte des HAVÜ finden sich durchaus Anhaltspunkte, die für ein weites Verständnis von Art. 13 Abs. 2 HAVÜ sprechen, welches nicht nur die Anwendung der forum non conveniensDoktrin ausschließt, sondern den Vertragsstaaten untersagt, für Anerkennungsoder Exequaturverfahren unter dem HAVÜ besondere Voraussetzungen der internationalen Zuständigkeit aufzustellen. Der heutige Art. 13 Abs. 2 HAVÜ wurde bereits in der Arbeitsgruppe erarbeitet (vgl. Art. 12 Abs. 2 vorläufiger Entwurfstext) und ist im Folgenden nicht mehr verändert worden. In der Arbeitsgruppe wurde die Fragestellung nicht nur mit Blick auf die forum non conveniens-Doktrin diskutiert, sondern grundsätzlich danach gefragt, ob es ein Recht geben soll, die Anerkennung oder Vollstreckung ohne weitere Zuständigkeitsvoraussetzungen in jedem Vertragsstaat beantragen zu können. In den Beratungen der Arbeitsgruppe wurde unter anderem auf US-amerikanische Urteile Bezug genommen, unter denen eine Vollstreckung mangels personal jurisdiction oder in Anwendung der forum non conveniens-Doktrin abgelehnt worden war.485 Auf Anfrage der Arbeitsgruppe hat das Ständige Büro der Haager Konferenz ein Hintergrundpapier zu Zuständigkeitsvoraussetzungen und forum non conveniens im Stadium der Vollstreckung erarbeitet.486 In dem Papier hat das Ständige Büro die Möglichkeit angesprochen, die Anwendung der forum non conveniens-Doktrin im zukünftigen Übereinkommen durch eine an Art. 5 Abs. 2 HGÜ angelehnte Vorschrift auszuschließen.487 Diesem Ansatz ist die Arbeitsgruppe mit Art. 12 Abs. 2 des vorläufigen Entwurfstexts (entspricht Art. 13 Abs. 2 HAVÜ) gefolgt. In der im Anschluss veröffentlichen Explanatory Note des Ständigen Büros zum vorläufigen Entwurfstext der Arbeitsgruppe heißt es, dass Art. 12 Abs. 2 des vorläufigen Entwurfstexts den Rückgriff auf die forum non conveniensDoktrin ebenso verbiete wie jegliche Zuständigkeitserfordernisse.488 Auch im Rahmen der ersten Sitzung der Spezialkommission im Juni 2016 trat ein entsprechendes Verständnis der Vorschrift zutage. Ein Vorschlag zur Streichung des Art. 12 Abs. 2489 wurde im Rahmen der Verhandlungen unter anderem mit dem Argument abgelehnt, dass die Vorschrift dazu diene, dass eine Prüfung 485 Vgl. Ständiges Büro der Haager Konferenz, Research Paper on Personal Jurisdiction and Forum Non Conveniens, Rn. 1. 486 Ständiges Büro der Haager Konferenz, Research Paper on Personal Jurisdiction and Forum Non Conveniens. 487 Ständiges Büro der Haager Konferenz, Research Paper on Personal Jurisdiction and Forum Non Conveniens, Rn. 45 (unter g). 488 Ständiges Büro der Haager Konferenz, Explanatory Note, PrelDoc No 2 of April 2016, Rn. 203 („It prohibits forum non conveniens and any jurisdiction rules from operating at the recognition and enforcement stage in relation to judgments under the future Convention.“). 489 WorkDoc No 56 of June 2016 (unveröffentlicht).
G. Verhältnis zum nationalen Recht
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des ersuchten Gerichts, ob es für die Vollstreckbarerklärung eines ausländischen Urteils zuständig ist, unterbleibt.490 Ein anderer Redebeitrag begründete den Wunsch, die Vorschrift unverändert zu lassen, mit dem Ausschluss des forum non conveniens-Einwands.491 Im Rahmen der Diplomatischen Konferenz wurde der heutige Art. 13 Abs. 2 HAVÜ nicht mehr diskutiert. Insgesamt sprechen zwar einige Anhaltspunkte aus der Entstehungsgeschichte für eine extensive Auslegung des Art. 13 Abs. 2 HAVÜ, eindeutig ist der Befund jedoch nicht.492 d) Explanatory Report Obgleich die unterschiedliche Rechtslage in verschiedenen Staaten zur Frage eines Zuständigkeitserfordernisses für Exequaturverfahren sogar angesprochen wird,493 scheint der Explanatory Report ein klares Bekenntnis vermeiden zu wollen. Einzelne Aussagen sprechen zwar für ein weites Verständnis, es verbleiben aber Zweifel, ob sie die Frage der Zuständigkeitsvoraussetzungen in Anerkennungs- oder Exequaturverfahren vor Augen haben.494 Explizit klargestellt wird nur, dass Art. 13 Abs. 2 HAVÜ einen Rückgriff auf die forum non conveniens-Doktrin verbietet.495 Eine denkbare Erklärung für den Wortlaut des Art. 13 Abs. 2 HAVÜ und die Umsichtigkeit des Explanatory Reports könnte darin zu sehen sein, dass mögliche Schwierigkeiten für Staaten vermieden werden sollten, deren Zuständigkeitsrecht stark durch verfassungsrechtliche Vorgaben geprägt ist und für die daher ein völliges Absehen von einer Zuständigkeitsprüfung problematisch sein könnte.496 Hinzu kommt, dass es in der Vergangenheit in erster Linie die forum non conveniens-Doktrin war (und seltener 490 Minutes of the Special Commission on the Recognition and Enforcement of Foreign Judgments (1–9 June 2016), Minutes No 11, Meeting of 8 June 2016 (morning), Rn. 107 (bisher unveröffentlicht). 491 Minutes of the Special Commission on the Recognition and Enforcement of Foreign Judgments (1–9 June 2016), Minutes No 11, Meeting of 8 June 2016 (morning), Rn. 109 (bisher unveröffentlicht). 492 Zur gebotenen Vorsicht bei der Heranziehung einzelner Wortbeiträge aus den Verhandlungen für die Zwecke der Auslegung siehe Kapitel 2 B.IV. (S. 76). 493 Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 318 f. 494 Vgl. z.B. Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 317 („Under the Convention, the judgment creditor may seek recognition and enforcement of the judgment in any State.“). Damit wird aber bei näherer Betrachtung nicht eindeutig zum Ausdruck gebracht, dass Zuständigkeitsvoraussetzungen für Anerkennungs- oder Exequaturverfahren nicht bestehen dürfen. Dass der Schuldner die Anerkennung oder Vollstreckung beantragen kann, sagt nicht unbedingt etwas über zuständigkeitsrechtliche Anforderungen. Mögliche Zuständigkeitsvoraussetzungen werden erst im Anschluss angesprochen (Rn. 319) und in diesem Kontext fehlt es an einer klaren Aussage. 495 Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 319 a.E. 496 Vgl. z.B. First Inv. Corp. of the Marshall Islands v Fujian Mawei Shipbuilding, Ltd. 703 F.3d 742 (2012), wonach eine auf mangelnde Zuständigkeit gestützte Abweisung eines
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Kapitel 4: Anwendungsbereich
die Zuständigkeitsvoraussetzungen), die zu Problemen in der Praxis geführt hat.497 e) Ziel und Zweck des HAVÜ Andererseits gibt es gute Argumente dafür, dass das HAVÜ die grundlegende Frage nach dem „Ob“ der Anerkennung selbst abschließend beantwortet und sich der Verweis auf das nationale Verfahrensrecht in Art. 13 Abs. 1 S. 1 HAVÜ nur auf das „Wie“ der Anerkennung oder Vollstreckung bezieht.498 Nur so kann das HAVÜ tatsächlich Gewähr dafür bieten, dass die effektive Durchsetzung ausländischer Urteile erleichtert499 und die völkervertragliche Verpflichtung zur Anerkennung oder Vollstreckung nicht durch nationale Zuständigkeitserfordernisse wieder unterlaufen wird. Dass Vertragsstaaten für Anträge auf Anerkennung oder Vollstreckung einer in den Anwendungsbereich des HAVÜ fallenden Entscheidung international zuständig sind, kann insoweit als „Geschäftsgrundlage“ des HAVÜ verstanden werden.500 Die internationale Zuständigkeit eines jeden Vertragsstaats ergibt sich dann aus dem HAVÜ selbst und folgt allein aus dem Umstand, dass die Anerkennung oder Vollstreckung im jeweiligen Vertragsstaat begehrt wird.501 f) Systematische Argumente Für dieses Ergebnis streitet auch Art. 4 Abs. 1 S. 2 HAVÜ, nach dem die Anerkennung oder Vollstreckung nur aufgrund eines im HAVÜ normierten Grundes versagt werden kann.502 Denn die Ablehnung, über einen Antrag auf Anerkennung oder Vollstreckung überhaupt zu entscheiden (gleich ob aufgrund fehlender Zuständigkeit oder aus forum non conveniens-Erwägungen), ist letztlich Antrags zur Anerkennung oder Vollstreckung eines Schiedsspruchs im Anwendungsbereich des UNÜ durch die Due Process Clause der US-amerikanischen Verfassung geboten sei. Vgl. auch Coester-Waltjen, RabelsZ 79 (2015), 471 (515); Born, International Commercial Arbitration III, S. 2982 (mit weiteren Rechtsprechungsnachweisen). 497 Vgl. Coester-Waltjen, RabelsZ 79 (2015), 471 (516). 498 So auch für das UNÜ: Solomon, AG 2006, 832 (841). 499 Vgl. die Präambel des HAVÜ. 500 So für den Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Österreich über die gegenseitige Anerkennung und Vollstreckung von gerichtlichen Entscheidungen, Vergleichen und öffentlichen Urkunden in Zivil- und Handelssachen (BGBl. 1960 II S. 1246): Böhmer, IPRax 1991, 90 (91). 501 Ähnlich für Anerkennungs- und Vollstreckungsverträge Böhmer, IPRax 1991, 90 (91); Mankowski, RIW 1995, 56 (59); Solomon, AG 2006, 832 (840). 502 Anders ist es, wenn man die Auffassung vertritt, dass Art. 4 Abs. 1 S. 2 HAVÜ sich nur auf „materielle Versagungsgründe“ bezieht, nicht aber eine Versagung aus Gründen ausschließt, die sich aus der Anwendbarkeit nationalen Verfahrensrechts nach Art. 13 Abs. 1 S. 1 HAVÜ ergeben, vgl. Brand, University of Pittsburgh Legal Studies Research Paper No. 2010-23, S. 20 f. (für Art. 8 Abs. 1 S. 2 HGÜ).
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eine Ablehnung der Anerkennung oder Vollstreckung.503 Zwar kann es auch Konstellationen geben, in denen die Anwendung des nach Art. 13 Abs. 1 S. 1 HAVÜ berufenen Rechts zur Nichtanerkennung oder Nichtvollstreckung der Entscheidung im ersuchten Staat führen kann (z.B., wenn eine dafür bestehende Frist abgelaufen ist504). Nationale Regelungen zur Urteilsverjährung, zur anwaltlichen Vertretung usw. zeichnen sich aber dadurch aus, dass der Antragssteller diese einhalten kann, dass es also im Rahmen seiner Möglichkeiten liegt, diese Regelungen zu befolgen und so eine Anerkennung und Vollstreckung in dem jeweiligen Staat zu erreichen. Im Unterschied dazu können Voraussetzungen der internationalen Zuständigkeit zu einem generellen Hindernis für die Anerkennung oder Vollstreckung in einem Staat führen, und zwar ohne dass der Antragssteller dies beeinflussen könnte.505 Art. 14 Abs. 2 HAVÜ lässt sich ebenfalls als Argument dafür anführen, dass die internationale Zuständigkeit eines jeden Vertragsstaats für die Anerkennung oder Vollstreckung von Entscheidungen im Anwendungsbereich aus dem HAVÜ selbst folgt. Nach der Vorschrift sind von der Norm erfasste Kostenentscheidungen auf Antrag der Gläubigerin in „jedem anderen Vertragsstaat“ für vollstreckbar zu erklären („shall […] be rendered enforceable in any other Contracting State“). Mit dem Wortlaut des Art. 14 Abs. 2 HAVÜ wäre es kaum zu vereinbaren, wenn die Reichweite der Verpflichtung zur Anerkennung oder Vollstreckung der Kostenentscheidung über besondere Voraussetzungen des nationalen Zuständigkeitsrechts wieder eingeschränkt werden könnte. Folgt man dem Argument, dass die internationale Zuständigkeit für Anerkennungs- und Vollstreckungsverfahren aus dem HAVÜ selbst folgt, lässt sich auch erklären, warum der Wortlaut des Art. 13 Abs. 2 HAVÜ Zuständigkeitsfragen nicht generell zu erfassen scheint und der Explanatory Report nur zur forum non conveniens-Doktrin eine ausdrückliche Aussage enthält. Denn Art. 13 Abs. 1 S. 1 HAVÜ verweist dann für die Frage der internationalen Zuständigkeit von vornherein nicht auf das Recht des ersuchten Staates, da das HAVÜ sie im oben beschriebenen Sinne selbst regelt. Art. 13 Abs. 2 HAVÜ ließe sich dann gerade vor dem Hintergrund erklären, dass die forum non conveniens-Doktrin oftmals nicht als zuständigkeitsrechtliche, sondern als verfahrensrechtliche Regelung verstanden wird.506 Denn bei der Anwendung der forum non conveniens-Doktrin wird nicht die eigene
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In diesem Sinne lässt sich auch der Explanatory Report zum HGÜ lesen: Hartley/Dogauchi, Explanatory Report, Rn. 215. Ähnlich für das UNÜ: Solomon, AG 2006, 832 (841). 504 Siehe Kapitel 4 G.III.5. (S. 185). 505 Vgl. Solomon, AG 2006, 832 (841) (mit einer entsprechenden Argumentation hinsichtlich des UNÜ). 506 Vgl. z.B. Monegasque De Reassurances v Nak Naftogaz, 158 F. Supp. 2d 377 (S.D.N.Y. 2001) (USA); dazu auch Coester-Waltjen, RabelsZ 79 (2015), 471 (516).
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Kapitel 4: Anwendungsbereich
Zuständigkeit verneint, sondern lediglich auf ihre Ausübung verzichtet und das Verfahren ausgesetzt.507 g) Fazit Insgesamt sprechen die besseren Argumente dafür, dass Vertragsstaaten keine besonderen Voraussetzungen der internationalen Zuständigkeit für Anerkennungs- und Exequaturverfahren vorsehen dürfen. Für die Anerkennung oder Vollstreckung ist ein Vertragsstaat des HAVÜ allein aufgrund des Umstands international zuständig, dass eine Anerkennung oder Vollstreckung der Entscheidung in dem jeweiligen Staat erfolgen soll. Auch wenn man dieser Argumentation nicht folgt und auch Art. 13 Abs. 2 HAVÜ nicht so versteht, dass er nationale Zuständigkeitsvoraussetzungen für das Exequaturverfahren verbietet, würde dies nicht bedeuten, dass die Vertragsstaaten völlig frei darin wären, Zuständigkeitsvoraussetzungen aufzustellen.508 Zuständigkeitsvoraussetzungen für das Exequaturverfahren dürften aufgrund des völkerrechtlichen Gutglaubensgrundsatzes jedenfalls dann unzulässig sein, wenn sie die Zwecke des HAVÜ konterkarieren.509 Vor diesem Hintergrund ist eine Abweisung des Antrags auf Vollstreckbarerklärung aufgrund fehlender internationaler Zuständigkeit jedenfalls dann als unzulässig anzusehen, wenn der Schuldner im ersuchten Staat über Vermögen verfügt, und zwar unabhängig davon, ob das im ersuchten Staat belegene Vermögen eine Verbindung mit dem zugrunde liegenden Rechtsstreit aufweist.510 IV. Sonstige Fragen Daneben ist nationales Recht als Tatbestandselement verschiedener Vorschriften des Übereinkommens relevant. Das gilt insbesondere für das Recht des ersuchten Staates und das Prozessrecht, unter dem die Entscheidung im Ursprungsstaat zustande gekommen ist. Diese Fragen werden in Kapitel 8 näher behandelt.
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Vgl. z.B. Briggs, The Conflict of Laws, S. 101; Dicey, Morris & Collins, The Conflict of Laws, Rn. 12-007; Schack, IZVR, Rn. 610. 508 Vgl. Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 313 („ [T]he reference to the law of the requested State is not a blanket reference.“); siehe auch Hau, ZVglRWiss 116 (2017), 23 (31). 509 Siehe Kapitel 4 G.III.4. (S. 184). 510 So i.Erg. auch Hau, ZVglRWiss 116 (2017), 23 (32 f.); Solomon, AG 2006, 832 (841) (für das UNÜ).
Kapitel 5
Voraussetzungen der Anerkennung und Vollstreckung Das HAVÜ sieht neben der Eröffnung des Anwendungsbereichs1 zwei weitere Voraussetzungen für die Anerkennung und Vollstreckung einer Entscheidung vor. Zum einen muss die Entscheidung im Ursprungsstaat wirksam bzw. vollstreckbar sein (im Folgenden A.) und zum anderen muss das Ursprungsgericht nach den Maßstäben des HAVÜ zuständig gewesen sein (im Folgenden B.).2
A. Wirksamkeit bzw. Vollstreckbarkeit im Ursprungsstaat I. Grundsatz Voraussetzung für die Anerkennung einer Entscheidung ist nach Art. 4 Abs. 3 HAVÜ, dass die Entscheidung im Ursprungsstaat wirksam ist. Für die Vollstreckbarkeit einer Entscheidung unter dem HAVÜ ist nach derselben Vorschrift die Vollstreckbarkeit im Ursprungsstaat erforderlich.3 Die Wirksamkeit bzw. Vollstreckbarkeit richtet sich nach dem Recht des Ursprungsstaats. Mit der Wirksamkeit meint das Übereinkommen, dass der Entscheidung im Ursprungsstaat Rechtswirkungen zukommen.4 Die Voraussetzung der Vollstreckbarkeit dürfte im Sinne einer „abstrakten Vollstreckbarkeit“ zu verstehen sein, die gegeben ist, wenn aus der Entscheidung dem Grunde nach im Ursprungsstaat die Zwangsvollstreckung betrieben werden kann.5 Hingegen müssen die Voraussetzungen und Formalitäten des Vollstreckungsverfahrensrechts des Ursprungsstaats nicht vorliegen. Denn für das Vollstreckungsverfahren gilt nach Art. 13 Abs. 1 S. 1 HAVÜ das Recht des ersuchten Staates.
1
Siehe Kapitel 4 (S. 118). Zur Darlegungs- und Beweislast siehe Kapitel 4 G.III.3. (S. 183). 3 Art. 4 Abs. 3 HAVÜ entspricht Art. 8 Abs. 3 HGÜ. Art. 9 des UNCITRAL Model Law on Recognition and Enforcement of Insolvency-Related Judgments trifft eine entsprechende Reglung mit nahezu identischer Formulierung. 4 Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 125. 5 Vgl. zur Brüssel I-VO: Wiedemann, Vollstreckbarkeit, S. 154 f.; Geimer, in Geimer/Schütze, EuZVR, EuGVVO Art. 39 Rn. 7. 2
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Kapitel 5: Voraussetzungen der Anerkennung und Vollstreckung
An der Vollstreckbarkeit im Sinne des Art. 4 Abs. 3 HAVÜ kann es insbesondere fehlen, wenn ein Urteil noch nicht vollstreckbar ist, weil im Ursprungsstaat ein Rechtsbehelfsverfahren mit Suspensiveffekt läuft.6 Anders ist es, wenn die vorläufige Vollstreckbarkeit angeordnet ist. Dann ist die Entscheidung im Sinne des Art. 4 Abs. 3 HAVÜ vollstreckbar.7 Dies dürfte vor dem Hintergrund von Art. 4 Abs. 4 HAVÜ auch dann gelten, wenn die Zwangsvollstreckung nach dem Recht des Ursprungsstaats noch von einer Sicherheitsleistung abhängig ist. Eine Entscheidung kann nach dem Recht des Ursprungsstaats auch durch Zeitablauf seine Vollstreckbarkeit verlieren, wenn dies im nationalen Recht vorgesehen ist.8 Fehlende Wirksamkeit im Ursprungsstaat kommt beispielsweise in Betracht, wenn eine nach dem Recht des Ursprungsstaats erforderliche Bedingung für die Wirksamkeit noch nicht eingetreten ist9 oder wenn das „Urteil“ an einem derart eklatanten Fehler leidet, dass es nach dem Recht des Ursprungsstaats keine Wirkung entfaltet. Die bloße Aufhebbarkeit genügt nicht.10 Denkbar ist auch der Fall, dass ein Urteilsentwurf in die Hände einer Partei gelangt, der mangels Verlautbarung nach dem Recht des Ursprungsstaats (noch) unwirksam ist.11 Schließlich kann die gerichtliche Aufhebung der Entscheidung der Wirksamkeit und Vollstreckbarkeit ein Ende setzen.12 Nach Art. 12 Abs. 1 lit. c HAVÜ hat die Partei, die die Anerkennung oder Vollstreckung begehrt, diejenigen Dokumente vorzulegen, die notwendig sind, um nachzuweisen, dass die Entscheidung im Ursprungsstaat wirksam oder gegebenenfalls vollstreckbar ist. Insbesondere kann dies dadurch geschehen, dass
6 Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 126. Art. 4 Abs. 4 HAVÜ erfasst diesen Fall nicht, da die Vorschrift voraussetzt, dass die Entscheidung nach dem Recht des Ursprungsstaats vollstreckbar ist („the judgments referred to under paragraph 3“), vgl. auch Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 127. 7 Vgl. Moebus, Das Haager Übereinkommen von 2005, S. 33; Pfeiffer, IWRZ 2016, 69 (71); Wagner, RabelsZ 73 (2009), 100 (124) (jeweils zu Art. 8 Abs. 3 HGÜ); siehe auch: Borrás/Degeling, Explanatory Report, Rn. 773 (zu Art. 20 Abs. 6 HUnthGÜ). Bei nur vorläufiger Vollstreckbarkeit wird regelmäßig eine Aufschiebung oder Versagung der Vollstreckung gemäß Art. 4 Abs. 4 HAVÜ in Betracht kommen. 8 Auch die nach Art. 13 Abs. 1 S. 1 HAVÜ berufenen Verfahrensvorschriften des ersuchten Staates können zum Wegfall der Vollstreckbarkeit durch Zeitablauf führen (siehe Kapitel 4 G.III.5. (S. 185)). Dies hindert freilich nicht die Vollstreckung nach Art. 4 Abs. 1 HAVÜ in einem anderen Vertragsstaat, solange die Vollstreckbarkeit im Ursprungsstaat fortbesteht. 9 Vgl. Brand/Herrup, The 2005 Hague Choice of Court Convention, S. 107 (zu Art. 8 Abs. 3 HGÜ). 10 Vgl. für das deutsche Anerkennungsrecht: BGH 4.6.1992 – IX ZR 149/91, BGHZ 118, 312 (318 f.) = NJW 1992, 3096 (3098). 11 Vgl. Elzer, in: BeckOK-ZPO, § 310 Rn. 31 f. 12 Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 126 (für die Vollstreckbarkeit).
A. Wirksamkeit bzw. Vollstreckbarkeit im Ursprungsstaat
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das Ursprungsgericht auf dem Musterformblatt13 das entsprechende Kreuzchen setzt.14 Dies soll dazu beitragen, die mit der Ermittlung und Anwendung des fremden Verfahrensrechts verbundenen Schwierigkeiten und den zeitlichen und finanziellen Aufwand nach Möglichkeit zu vermeiden. Das Musterformblatt sieht zudem vor, dass Kontaktdaten einer Kontaktperson des Ursprungsgerichts eingetragen werden.15 Soweit dies nach den nationalen Verfahrensrechten von Ursprungsstaat und ersuchtem Staat zulässig ist,16 kommt daher auch eine direkte Kommunikation zwischen den Gerichten und die Einholung von Auskünften in Betracht. Allerdings ist das ersuchte Gericht weder an die entsprechende Angabe im Formblatt oder sonstigen Dokumenten noch an etwaige Auskünfte gebunden. Das ersuchte Gericht ist nicht daran gehindert, die Wirksamkeit oder Vollstreckbarkeit der Entscheidung nach dem Recht des Ursprungsstaats einer eigenen Prüfung zu unterziehen.17 II. Formelle Rechtskraft wird nicht vorausgesetzt Die formelle Rechtskraft18 im Ursprungsstaat ist keine Voraussetzung für die Anerkennung oder Vollstreckung der Entscheidung.19 Anders ist es nur, wenn das Recht des Ursprungsstaats die formelle Rechtskraft selbst zur Voraussetzung für Wirksamkeit und Vollstreckbarkeit macht. Dann wird die formelle Rechtskraft indirekt nach Art. 4 Abs. 3 HAVÜ zur Voraussetzung der Anerkennung und Vollstreckung unter dem HAVÜ gemacht. Das HAVÜ geht jedoch im Ausgangspunkt von der Möglichkeit der Anerkennung und Vollstreckung nicht formell rechtskräftiger Entscheidung aus.20 Allerdings erlaubt Art. 4 Abs. 4 HAVÜ den Vertragsstaaten, die Anerkennung oder Vollstreckung aufzuschieben oder (unbeschadet der Möglichkeit eines erneuten Antrags21) zu versagen, wenn die Entscheidung Gegenstand einer gerichtlichen 13
Siehe Einleitung unter D. (S. 8). Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 301. 15 Siehe Ziffer 11 des Musterformblatts. 16 Zur Zulässigkeit der direkten, grenzüberschreitenden Kommunikation zwischen Gerichten aus deutscher Sicht: Menne, JZ 2017, 332 (338). 17 Vgl. Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 304. 18 Hier verstanden als autonomes Konzept, dessen Voraussetzungen durch Art. 4 Abs. 4 HAVÜ festgelegt werden: Die Entscheidung ist nicht Gegenstand einer gerichtlichen Nachprüfung im Ursprungsstaat und die Frist für die Einlegung eines ordentlichen Rechtsbehelfs ist verstrichen. 19 Schack, IPRax 2020, 1 (3); entsprechend für das HGÜ: Moebus, Das Haager Übereinkommen von 2005, S. 33; anders noch Art. 4 Abs. 2 HVÜ; siehe auch Art. 25 Abs. 2 Konventionsentwurf 1999, wonach es für die Anerkennungsfähigkeit auf die res judicata-Wirkung nach dem Recht des Ursprungsstaats ankommen sollte (dazu Nygh/Pocar, Report, Rn. 311). 20 Bonomi/Mariottini, YbPIL 20 (2018/19), 537 (549); Mansel/Thorn/Wagner, IPRax 2020, 97 (124). 21 Vgl. Art. 4 Abs. 4 S. 2 HAVÜ. 14
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Kapitel 5: Voraussetzungen der Anerkennung und Vollstreckung
Nachprüfung im Ursprungsstaat ist oder wenn die Frist für die Einlegung eines ordentlichen Rechtsbehelfs noch nicht verstrichen ist. In der Sache bedeutet dies, dass die Vertragsstaaten erst ab dem Zeitpunkt der formellen Rechtskraft völkerrechtlich zur Anerkennung oder Vollstreckung verpflichtet sind.22 Dies wirft die Frage auf, wieso das HAVÜ die formelle Rechtskraft der fremden Entscheidung nicht gleich zur Voraussetzung erhebt. Die vom HAVÜ gewählte Regelungstechnik bringt jedoch im Vergleich zu einem Rechtskrafterfordernis nicht unerhebliche Unterschiede mit sich. Zunächst ist naheliegend, dass Gerichte aus der Regelungssystematik von Art. 4 Abs. 3 und Abs. 4 HAVÜ Folgerungen für die Darlegungs- und Beweislast ableiten werden. Der Antragssteller wird nur die Wirksamkeit bzw. Vollstreckbarkeit dazulegen haben,23 während es nahe liegt, dass vertragsstaatliche Gerichte dem Gegner die Darlegungs- und Beweislast für die Einwände des Art. 4 Abs. 4 HAVÜ aufbürden werden.24 Ferner richtet sich das in Art. 4 Abs. 4 HAVÜ eingeräumte Ermessen („may“ bzw. „peut“) an den Vertragsstaat und nicht unmittelbar an das angerufene Gericht.25 Dieses Verständnis liegt den Ausführungen des Explanatory Reports zugrunde, wenn dieser die Möglichkeit erwähnt, dass der nationale Gesetzgeber regeln kann, ob und unter welchen Voraussetzungen nicht rechtskräftige Entscheidungen anerkannt oder vollstreckt werden können und, wenn nicht, ob entsprechende Anträge aufzuschieben oder (unbeschadet der Möglichkeit eines erneuten Antrags) zu versagen sind.26 Auch die Entstehungsgeschichte zeigt, dass nicht direkt den Gerichten, sondern zunächst dem Vertragsstaat als solchem das Ermessen eingeräumt wird. Art. 4 Abs. 4 Konventionsentwurf 2018 sah noch eine abweichende Formulierung vor, die unmittelbar die Gerichte adressierte („the court addressed may“). Im Rahmen der Diplomatischen Konferenz ist man jedoch bewusst zu der passiven Formulierung zurückgekehrt, die bereits Art. 8 Abs. 4 HGÜ verwendet.27 Auch der Explanatory Report zum HGÜ geht davon aus, dass sich das eingeräumte Ermessen an den Gesetzgeber richtet.28
22
Bonomi/Mariottini, YbPIL 20 (2018/19), 537 (549). Vgl. auch Art. 12 Abs. 1 lit. c HAVÜ. 24 Siehe grundsätzlich Kapitel 4 G.III.3. (S. 183). 25 Missverständlich daher Zhao, SRIEL 2020, 345 (354) („the court addressed will have three options“); Sachs/Weiler, FS Thümmel, S. 763 (772) („the requested court enjoys discretion“). 26 Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 133. Vgl. auch die Ausführungen zu Art. 7 HAVÜ: Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 246. 27 Minutes of the 22nd Session, Commission I, Minutes No 4, Meeting of 19 June 2019 (afternoon), Rn. 21–30 (bisher unveröffentlicht). 28 Vgl. Hartley/Dogauchi, Explanatory Report, Rn. 173, Fn. 211. 23
A. Wirksamkeit bzw. Vollstreckbarkeit im Ursprungsstaat
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Die Vertragsstaaten sind also frei darin, im Rahmen des ihnen durch Art. 4 Abs. 4 HAVÜ eingeräumten Spielraums Regelungen zu treffen. Eine Einschränkung des Ermessens ist weder Art. 4 Abs. 4 HAVÜ noch den Ausführungen des Explanatory Reports zu entnehmen. Der nationale Gesetzgeber könnte also beispielsweise bestimmen, dass nicht formell rechtskräftige Entscheidungen im Rahmen des HAVÜ stets oder aber nie anerkennungsfähig und vollstreckbar sein sollen. Möglich wäre auch, die Anerkennung oder Vollstreckung nicht formell rechtskräftiger Entscheidungen von bestimmten Voraussetzungen abhängig zu machen. Trifft der Gesetzgeber keine Regelung, ist denkbar, dass sich vertragsstaatliche Gerichte aufgrund von Art. 4 Abs. 4 HAVÜ autorisiert sehen, das Ermessen selbst auszuüben.29 Es ist offensichtlich, dass ein Ermessen zu anderen Ergebnissen führen kann als ein generelles Erfordernis der formellen Rechtskraft. Dies gilt auch für Staaten, die in ihrem nationalen Recht eine Vollstreckbarerklärung von der formellen Rechtskraft der Entscheidung im Ursprungsstaat abhängig machen. Auch wenn sich Gerichte für die Ermessenausübung möglicherweise an der nationalen Praxis orientieren,30 wäre unter Geltung von Art. 4 Abs. 4 HAVÜ eine Vollstreckbarerklärung (z.B. gegen Sicherheitsleistung31) nicht formell rechtskräftiger Entscheidung jedenfalls denkbar.32 Auch wenn also eine völkerrechtliche Pflicht zur Anerkennung in der Zusammenschau von Art. 4 Abs. 3 und Abs. 4 HAVÜ erst ab dem Zeitpunkt der formellen Rechtskraft besteht, erhebt das HAVÜ die formelle Rechtskraft nicht zur positiven Voraussetzung der Anerkennung oder Vollstreckung. Vielmehr ist die fehlende formelle Rechtskraft ein Grund, die Anerkennung oder Vollstreckung aufzuschieben bzw. zu versagen. Für die Praxis der Gerichte und die beteiligten Parteien kann dies einen erheblichen Unterschied bedeuten.33 III. Gerichtliche Vergleiche Nach Art. 11 HAVÜ sind gerichtliche Vergleiche (transactions judiciaires)34 unter dem HAVÜ vollstreckbar, sofern sie im Ursprungsstaat wie gerichtliche Entscheidungen vollstreckbar sind. In Deutschland sind gerichtliche Vergleiche gemäß § 794 Abs. 1 Nr. 1 ZPO wie Entscheidungen vollstreckbar.35 Wer 29
Vgl. Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 133. Bonomi/Mariottini, YbPIL 20 (2018/19), 537 (549). 31 Siehe Kapitel 6 D.X. (S. 312). 32 Siehe zum deutschen Recht Kapitel 9 B.III. (S. 352). 33 Anders ist es nur, wenn der Gesetzgeber im Rahmen des ihm durch Art. 4 Abs. 4 HAVÜ eingeräumten Spielraums festlegt, dass nicht rechtskräftige Entscheidungen generell nicht anerkannt oder vollstreckt werden. 34 Zum Begriff siehe Kapitel 4 B.IX. (S. 154). 35 Vgl. zu Art. 59 Brüssel Ia-VO, der eine ähnliche Voraussetzung aufstellt: Gottwald, in: MüKo-ZPO, Art. 59 Brüssel Ia-VO Rn. 1. 30
200
Kapitel 5: Voraussetzungen der Anerkennung und Vollstreckung
unter dem HAVÜ die Vollstreckbarerklärung eines ausländischen gerichtlichen Vergleichs begehrt, hat gemäß Art. 12 Abs. 1 lit. d HAVÜ eine Bescheinigung eines Gerichts des Ursprungsstaats darüber vorzulegen, dass der gerichtliche Vergleich oder ein Teil davon im Ursprungsstaat in derselben Weise wie eine Entscheidung vollstreckbar ist. Auch hierzu kann das Musterformblatt verwendet werden.36
B. Indirekte Zuständigkeit des Ursprungsgerichts I. Allgemeines Art. 5 und 6 HAVÜ betreffen die sogenannte Anerkennungszuständigkeit37 oder indirekte Zuständigkeit (auch: compétence indirecte). Die Vorschriften normieren indirekte Zuständigkeitsgründe (auch: Zuständigkeitsfilter)38 in Form einer Positivliste. Das Vorliegen eines indirekten Zuständigkeitsgrundes ist die zentrale Voraussetzung für die Anerkennung und Vollstreckung einer Entscheidung unter dem HAVÜ.39 Mittels der indirekten Zuständigkeitsgründe wird ex post die Entscheidungskompetenz des Ursprungsgerichts beurteilt.40 Es geht darum, festzustellen, ob nach dem durch das HAVÜ aufgestellten Maßstab,41 eine hinreichende Verbindung zum Ursprungsstaat bestand.42 Die indirekten Zuständigkeitsgründe sollen es für die Parteien vorhersehbar machen, ob eine Entscheidung unter dem HAVÜ zirkulieren wird.43
36
Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 305. Nicht zu verwechseln mit der Frage nach der internationalen Zuständigkeit des Anerkennungs- und Vollstreckungsgerichts, siehe dazu Kapitel 4 G.III.6. (S. 186). 38 Im Englischen: „bases of recognition and enforcement“, „indirect grounds of jurisdiction“ oder „jurisdictional filters“. 39 In früheren Entwurfstexten der Arbeitsgruppe waren die indirekten Zuständigkeitsgründe nicht als positive Voraussetzung für die Pflicht zur Anerkennung oder Vollstreckung konzipiert. Vielmehr stellte das Fehlen eines indirekten Zuständigkeitsgrundes einen Versagungsgrund dar (vgl. Art. 5 Abs. 3 Preliminary Draft Text of the Working Group on the Judgments Project emanating from its Fourth Meeting, veröffentlicht in: Ständiges Büro der Haager Konferenz, Preliminary Document No 7B of February 2015). Dieser Ansatz findet sich auch in Art. 14 lit. g des UNCITRAL Model Law on Recognition and Enforcement of Insolvency-Related Judgments. 40 Vgl. allgemein Martiny, in: Hdb. IZVR III/1, Rn. 632; Linke/Hau, IZVR, Rn. 4.7. 41 In der Terminologie von Mehrens (von Mehren, Recueil des Cours, Bd. 167, S. 57, 65 ff.; dazu auch Vedie, von Mehren, S. 275, 361) folgt das HAVÜ der „non-derivative theory“, da sich die Art. 5 und 6 HAVÜ nicht aus direkten Zuständigkeitsgründen ableiten und ein Gleichlauf mit direkten Zuständigkeitsgründen nicht besteht. 42 Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 134; Nielsen, FS Kronke, S. 415 (421); Zhao, SRIEL 2020, 345 (349, 355). 43 Vgl. Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 17. 37
B. Indirekte Zuständigkeit des Ursprungsgerichts
201
Das nationale Zuständigkeitsrecht des Ursprungsstaats ist nicht Prüfungsmaßstab.44 Irrelevant ist, worauf das Gericht im Urteilsstaat die eigene Entscheidungszuständigkeit gestützt hat.45 Allein entscheidend ist, dass einer der indirekten Zuständigkeitsgründe des HAVÜ gegeben ist. Es ist also unschädlich, wenn das Ursprungsgericht seine Entscheidungszuständigkeit auf einen dem HAVÜ unbekannten Gerichtsstand des nationalen Rechts gestützt hat (z.B. auf service of process oder auf einen reinen Vermögensgerichtsstand), solange auch die Voraussetzungen eines der in Art. 5 und 6 HAVÜ gelisteten indirekten Zuständigkeitsgründe erfüllt sind. Fener spielt es keine Rolle, wenn das Ursprungsgericht das eigene Zuständigkeitsrecht fehlerhaft angewandt hat, sofern dies nicht ausnahmsweise nach dem Recht des Ursprungsstaats zur Unwirksamkeit des Urteils führt (vgl. Art. 4 Abs. 3 HAVÜ).46 Die Voraussetzungen eines indirekten Zuständigkeitsgrundes müssen, sofern gegenüber mehreren Parteien die Anerkennung oder Vollstreckung einer Entscheidung erfolgen soll, separat für jede Partei vorliegen.47 Der Umstand, dass sich einer von mehreren Beklagten im Ursprungsverfahren rügelos eingelassen hat, führt also nur im Verhältnis zu diesem Beklagten zur Bejahung der indirekten Zuständigkeit auf Grundlage des Art. 5 Abs. 1 lit. f HAVÜ. Entsprechendes gilt auch für die sonstigen indirekten Zuständigkeitsgründe des HAVÜ. Dies kann besonders dann zu Problemen führen, wenn sich der Kläger im Ursprungsverfahren einen Streitgenossengerichtsstand oder einen allgemeinen Gerichtsstand des Sachzusammenhangs zunutze gemacht hat.48 Denn das HAVÜ sieht keine vergleichbaren indirekten Zuständigkeitsgründe vor.49 Auch soweit das Ursprungsgericht nur einen Beklagten, aber im Hinblick auf mehrere unterschiedliche Streitgegenstände verurteilt hat, müssen die Voraussetzungen für jeden Streitgegenstand gesondert geprüft werden (vgl. Art. 9
44 Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 135; Weller, YbPIL 21 (2019/20), 279 (282). 45 Bonomi/Mariottini, YbPIL 20 (2018/19), 537 (550); Kessedjian, NIPR 2020, 19 (28) Fn. 26; Nielsen, JPIL 2020, 205 (214); Zhao, SRIEL 2020, 345 (349). 46 Abweichend Symeonides, Cross-Border Infringement of Personality Rights, S. 136, der davon ausgeht, dass die fehlerhafte Anwendung des nationalen Zuständigkeitsrechts stets die Unwirksamkeit des Urteils zur Folge hätte. Dies ist jedoch gemäß Art. 4 Abs. 3 HAVÜ eine Frage des nationalen Rechts des Ursprungsstaats. 47 Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 137; Kessedjian, NIPR 2020, 19 (28). 48 Z.B. Art. 8 Brüssel Ia-VO oder Art. 8a IPRG. Vgl. zu einer solchen Konstellation: Ständiges Büro der Haager Konferenz, Explanatory Note, PrelDoc No 2 of April 2016, Rn. 70. 49 Vgl. Kessedjian, NIPR 2020, 19 (30 f.). Einem entsprechenden Vorschlag (WorkDoc. No 9 of June 2016 (bisher unveröffentlicht)) wurde in den Verhandlungen nicht gefolgt, vgl. Minutes of the Special Commission on the Recognition and Enforcement of Foreign Judgments (1–9 June 2016), Minutes No 5, Meeting of 3 June 2016 (morning), Rn. 62–70 (bisher unveröffentlicht).
202
Kapitel 5: Voraussetzungen der Anerkennung und Vollstreckung
HAVÜ).50 Bei der Prüfung der indirekten Zuständigkeitsgründe ist das um Anerkennung oder Vollstreckung ersuchte Gericht weder an rechtliche noch an tatsächliche Wertungen oder Feststellungen des Ursprungsgerichts gebunden.51 Damit weicht das HAVÜ bewusst52 von der Lösung des HGÜ ab.53 II. Keine Anwendung der forum non conveniens-Doktrin Die Konzeption der indirekten Zuständigkeitsgründe in Art. 5 und 6 HAVÜ lässt keinen Raum für eine (rückblickende) Anwendung der forum non conveniens-Doktrin.54 Liegen die Voraussetzungen eines indirekten Zuständigkeitsgrundes vor, kann die Anerkennung und Vollstreckung durch das ersuchte Gericht nicht mit der Begründung verweigert werden, das Ursprungsgericht sei ein forum non conveniens gewesen. Ob etwa Gerichte eines anderen Staates eindeutig besser geeignet („clearly more appropriate“)55 oder die Gerichte des Urteilsstaates eindeutig ungeeignet („clearly inappropriate“)56 waren, den Rechtsstreit zu entscheiden, ist irrelevant, solange ein indirekter Zuständigkeitsgrund gegeben ist. Dies verdeutlicht auch die am Ende von Art. 7 Abs. 1 lit. g HAVÜ vorgesehene Ausnahme („[…] unless the activities of the defendant in relation to the transaction clearly did not constitute a purposeful and substantial connection to that State“). Diese Ausnahme legt den Umkehrschluss nahe, dass das Fehlen einer wesentlichen Verbindung des Falls zum Urteilsstaat im Rahmen der übrigen Zuständigkeitsgründe nicht zu prüfen ist. Auch im Rahmen des ordre public-Vorbehalts nach Art. 7 Abs. 1 lit. c HAVÜ dürften derartige zuständigkeitsrechtlichen Erwägungen nicht zulässig sein.57 Die indirekten Zuständigkeitsgründe sind damit im Grundsatz starr. Im Einklang mit dem Streben des HAVÜ nach Vorhersehbarkeit und Rechtssicherheit,58 ist eine Korrektur im Einzelfall mit dem Argument, dass es an einer hinreichenden Verbindung zum Urteilsstaat fehle oder der Rechtsstreit besser 50
Vgl. Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 289. Siehe Kapitel 6 E.II. (S. 320). 52 Dazu Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 121. 53 Nach Art. 8 Abs. 2 S. 2 HGÜ ist das ersuchte Gericht an die tatsächlichen Feststellungen gebunden, auf die das Ursprungsgericht seine Zuständigkeit gestützt hat, es sei denn, die Entscheidung ist im Versäumnisverfahren ergangen. 54 Für die Aufnahme einer (begrenzten) forum non conveniens-Doktrin in das Übereinkommen plädierte Coester-Waltjen, RabelsZ 79 (2015), 471 (510 f.); strikt dagegen: Schack, ZEuP 2014, 824 (839). 55 So die englische forum non conveniens-Doktrin, vgl. Spiliada Maritime Corp v Cansulex Ltd [1987] AC 460 (476). 56 So die australische forum non conveniens-Doktrin, vgl. Voth v Manildra (1991) 171 CLR 538; Dicey, Morris & Collins, The Conflict of Laws, Rn. 12-011. 57 Diese Möglichkeit wird aufgeworfen von Coester-Waltjen, RabelsZ 79 (2015), 471 (510). 58 Vgl. die Präambel des HAVÜ. 51
B. Indirekte Zuständigkeit des Ursprungsgerichts
203
in einem anderen Forum entschieden worden wäre (außerhalb von Art. 5 Abs. 1 lit. g HAVÜ) ausgeschlossen. Als Einschränkung dieses Grundsatzes ließe sich allenfalls der Erklärungsmechanismus des Art. 17 HAVÜ ansehen,59 der es einem Staat erlaubt, eine Erklärung dahingehend abzugeben, dass die Anerkennung bei Sachverhalten, die sich aus seiner Perspektive als reine Inlandssachverhalte darstellen, verweigert werden kann. Der Versagungsgrund ist jedoch auf Konstellationen beschränkt, in denen es dem Rechtsstreit an einem grenzüberschreitenden Bezug fehlt,60 und setzt zudem eine vorherige Erklärung durch den ersuchten Staat voraus. Art. 17 HAVÜ dürfte vor diesem Hintergrund regelmäßig nicht zur Verfügung stehen, um der Entscheidung aus einem forum non conveniens die Anerkennung zu versagen. III. Rechtsmissbräuchliche Erschleichung der indirekten Zuständigkeit Wie geht man mit Konstellationen um, in denen derjenige, der die Anerkennung oder Vollstreckung einer Entscheidung begehrt, beispielsweise durch Täuschung, Drohung oder Gewalt dafür gesorgt hat, dass die Voraussetzung eines indirekten Zuständigkeitsgrundes vorliegen? Insoweit wird die Möglichkeit in Erwägung gezogen, die Anerkennung oder Vollstreckung unter Rückgriff auf den ordre public-Vorbehalt in Art. 7 Abs. 1 lit. c HAVÜ zu verweigern.61 Dieser Lösungsansatz ist jedoch Bedenken ausgesetzt.62 Der ordre publicVorbehalt sollte von Erwägungen freigehalten werden, die die indirekten Zuständigkeitsgründe betreffen. Andernfalls bestünde das (schwer abzuschätzende) Risiko, dass weitere zuständigkeitsrechtlichen Erwägungen Eingang in Art. 7 Abs. 1 lit. c HAVÜ finden könnten. Die Art. 5 und 6 HAVÜ regeln die indirekte Zuständigkeit speziell und sollten nicht durch Art. 7 Abs. 1 lit. c HAVÜ unterlaufen werden können. Bei Anwendung des ordre public-Vorbehalts würde der Umgang mit der Problematik zudem stets von den jeweiligen nationalen Anschauungen abhängen. So würde unter Aufgabe der Einheitlichkeit im Ergebnis das nationale Recht über das Vorliegen der indirekten Zuständigkeit entscheiden. Ähnlichen Bedenken wäre auch ein Ansatz ausgesetzt, der die Berufung auf den indirekten Zuständigkeitsgrund in solchen Konstellationen unter Verweis auf Art. 13 Abs. 1 S. 1 HAVÜ nach Maßgaben des nationalen Verfahrensrechts untersagen wollte (z.B. wegen Rechtsmissbrauchs, fraud
59
Vgl. Schack, IPRax 2020, 1 (6). Siehe im Einzelnen Kapitel 6 D.XI.2. (S. 315). 61 Vgl. Jang, Neth. Int'l L. Rev. 2020, 97 (105). 62 Jang, Neth. Int'l L. Rev. 2020, 97 (105) („This is logically possible, but the idea of reviewing indirect jurisdiction as part of the public policy exception is not a very fashionable idea.“). 60
204
Kapitel 5: Voraussetzungen der Anerkennung und Vollstreckung
à la loi). Vorzugswürdig erscheint es, nach Möglichkeit eine einheitliche Lösung zu finden (vgl. Art. 20 HAVÜ). Oftmals wird eine entsprechende Auslegung der indirekten Zuständigkeitsgründe möglich sein. Soweit beispielsweise die ausdrückliche Zustimmung des Beklagten zur Zuständigkeit des Ursprungsgerichts (Art. 5 Abs. 1 lit. e HAVÜ) durch eine Drohung mit Gewalt erlangt worden ist, wird man eine Zustimmung verneinen können, da sie nicht von einem freien Willen getragen ist. Hier kann die Lösung also in einer autonomen Auslegung des Begriffs der Zustimmung gefunden werden. Ausnahmsweise kann die Lösung im nationalen Recht liegen, soweit das HAVÜ eine entsprechende ausdrückliche oder konkludente Verweisung vorsieht. So richtet sich etwa die Wirksamkeit von Vereinbarungen über den Erfüllungsort (Art. 5 Abs. 1 lit. g HAVÜ) sowie die materielle Wirksamkeit von nichtausschließlichen Gerichtsstandsvereinbarungen (Art. 5 Abs. 1 lit. m HAVÜ) nach dem Recht des ersuchten Staates.63 In anderen Konstellationen ist weniger offensichtlich, wie mit rechtsmissbräuchlichem Verhalten im Hinblick auf die indirekten Zuständigkeitsgründe umgegangen werden kann. Jang schildert etwa das Beispiel, dass ein Gläubiger durch physisches Blockieren des Zugangs verhindert, dass der Schuldner seine Hauptniederlassung im Urteilsstaat vor Klageerhebung schließen kann und verweist insoweit auf die indirekten Zuständigkeitsgründe des Art. 5 Abs. 1 lit. a i.V.m. Art. 3 Abs. 2 lit. d HAVÜ und Art. 5 Abs. 1 lit. b HAVÜ. Meines Erachtens kommt jedoch auch hier eine restriktive Auslegung der indirekten Zuständigkeitsgründe in Betracht.64 Wo die Auslegung der indirekten Zuständigkeitsgründe an ihre Grenzen stößt und auch nicht auf nationales Recht verwiesen wird, kann erwogen werden, im Schweigen des HAVÜ zur Frage des Rechtmissbrauchs eine planwidrige Regelungslücke zu sehen, die durch Rechtsfortbildung zu schließen ist.65 IV. Abschließender Charakter des Katalogs Der Katalog der indirekten Zuständigkeitsgründe in Art. 5 und 6 HAVÜ ist abschließend.66 Sofern kein indirekter Zuständigkeitsgrund greift, ist eine Entscheidung unter dem HAVÜ nicht vollstreckbar (unter Umständen aber nach nationalem Recht, Art. 15 HAVÜ67). Eine General- oder Auffangklausel, etwa in dem Sinne, dass eine sonstige enge Verbindung zum Ursprungsstaat ebenfalls die indirekte Zuständigkeit begründet, sieht das HAVÜ nicht vor. Eine 63
Siehe Kapitel 5 B.V.2.e)aa) (S. 220) und 3.a)aa) (S. 225). Vorsichtig Jang, Neth. Int'l L. Rev. 2020, 97 (105). 65 Vgl. Jang, Neth. Int'l L. Rev. 2020, 97 (105). Siehe allgemein zur Rechtsfortbildung im Rahmen des HAVÜ Kapitel 2 B.VI. (S. 82). 66 Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 134; Solomon, FS Thümmel, S. 873 (874); Symeonides, Cross-Border Infringement of Personality Rights, S. 136. 67 Siehe Kapitel 3 D. (S. 99). 64
B. Indirekte Zuständigkeit des Ursprungsgerichts
205
solche Regelung hätte wohl auch mehr Probleme aufgeworfen als sie gelöst hätte. Denn für die Parteien wäre unter Geltung derart unsicherer Regelungen kaum vorhersehbar gewesen, ob eine Entscheidung die Voraussetzungen für die Anerkennung oder Vollstreckung unter dem HAVÜ erfüllt.68 Sie hätte zudem zu endlosen Streitigkeiten im ersuchten Staat führen können. Eine zuständigkeitsrechtliche Voraussetzung auf der Grundlage des generalklauselartigen Merkmals der engen Verbindung („close connection“ bzw. „lien étroit“) findet sich in Art. 7 Abs. 2 lit. b HAVÜ lediglich als Bestandteil eines Versagungsgrunds.69 Die noch in Art. 5 Abs. 1 lit. k des vorläufigen Entwurfstexts vorgesehene Anerkennungszuständigkeit für den Fall, dass das Ursprungsgericht nach den nationalen Regelungen des ersuchten Staats indirekt zuständig war,70 ist von der Spezialkommission gestrichen worden und findet sich im HAVÜ nicht. Der Vorschlag war insbesondere dem Vorwurf ausgesetzt, dass Parteien die Antwort auf die zentrale Frage, ob eine Entscheidung unter dem HAVÜ zirkuliert, im nationalen Recht hätten suchen müssen.71 Zudem hätte die Vorschrift einen Rückgriff auf die Regelungen über die indirekte Zuständigkeit bedeutet, ohne dass dabei das jeweilige nationale Regelungskonzept als Ganzes berücksichtigt worden wäre.72 Über Art. 5 Abs. 1 lit. k des vorläufigen Entwurfstexts wäre es daher unter Bezugnahme auf nationales Recht des ersuchten Staates zu einer Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen gekommen, die ebendiese Rechtsordnung, wenn sie insgesamt auf die Anerkennung und Vollstreckung der Entscheidung anwendbar gewesen wäre, gar nicht vorgesehen hätte.73 Auch eine Erweiterung des Katalogs der indirekten Zuständigkeitsgründe durch Rechtsfortbildung dürfte ausscheiden.74 Demgegenüber wird zum Teil die Möglichkeit der Verhandlung von Protokollen zur künftigen Weiterentwicklung des Übereinkommens in Erwägung gezogen.75 Das HAVÜ könnte
68 Vgl. Beaumont, NIPR 2014, 532 (537 ff.); Schack, IPRax 2020, 1 (4); Schack, ZEuP 2014, 824 (834). 69 Siehe Kapitel 6 D.VII.2. (S. 302). 70 Siehe dazu Wagner, IPRax 2016, 97 (101); Jacobs, ZfRV 2017, 24 (29). 71 Vgl. z.B. Minutes of the Special Commission on the Recognition and Enforcement of Foreign Judgments (1–9 June 2016), Minutes No 1, Meeting of 1 June 2016 (morning), Rn. 33 (bisher unveröffentlicht). Vgl. auch BRAK, Stellungnahme Nr. 34/2016 (unter II.4.1 b). 72 Vgl. Minutes of the Special Commission on the Recognition and Enforcement of Foreign Judgments (1–9 June 2016), Minutes No 5, Meeting of 3 June 2016 (morning), Rn. 46 (bisher unveröffentlicht). 73 Zum Ganzen: Jacobs, ZfRV 2017, 24 (29). 74 Siehe Kapitel 2 B.VI. (S. 82). 75 Teitz, Duke J. Comp. & Int'l L. 29 (2019), 491 (503).
206
Kapitel 5: Voraussetzungen der Anerkennung und Vollstreckung
ein Fundament darstellen, dass in künftigen Verhandlungen der Haager Konferenz durch weitere Verträge erweitert wird. Denkbar wäre dies auch zur Ergänzung des Katalogs indirekter Zuständigkeitsgründe. V. Die einzelnen Zuständigkeitsgründe Im Folgenden werden die einzelnen im HAVÜ vorgesehenen indirekten Zuständigkeitsgründe vorgestellt. Der Katalog indirekter Zuständigkeitsgründe in Art. 5 Abs. 1 HAVÜ folgt keiner klar erkennbaren Systematik. Die Zuständigkeitsgründe in Art. 5 und 6 HAVÜ lassen sich jedoch in verschiedenen Hinsichten kategorisieren.76 Für die folgende Darstellung wird nach der Art des Anknüpfungspunkts differenziert, der die zuständigkeitsbegründende Verbindung zum Ursprungsstaat herstellt. Auf dieser Grundlage wird – vereinfacht – unterschieden zwischen Zuständigkeitsgründen, die sich auf den gewöhnlichen Aufenthalt oder den Ort einer Niederlassung des Antragsgegners oder Beklagten stützen (im Folgenden 1.), auf „Zustimmung“ im weiteren Sinne beruhenden Zuständigkeitsgründen (im Folgenden 2.) und besonderen Zuständigkeitsgründen, die auf einer Verbindung zwischen Streitgegenstand und Ursprungsstaat basieren (im Folgenden 3.).77 1. Gewöhnlicher Aufenthalt / Ort einer Niederlassung a) Art. 5 Abs. 1 lit. a HAVÜ – Gewöhnlicher Aufenthalt aa) Anknüpfung an den gewöhnlichen Aufenthalt Nach Art. 5 Abs. 1 lit. a HAVÜ besteht ein indirekter Zuständigkeitsgrund, wenn die Person, gegen die die Entscheidung anerkannt oder vollstreckt werden soll, ihren gewöhnlichen Aufenthalt zu dem Zeitpunkt im Ursprungsstaat hatte, zu dem die Person Partei des Ursprungsverfahrens wurde. Art. 5 Abs. 1 lit. a HAVÜ begründet damit eine Anerkennungszuständigkeit im „Heimatstaat“. Auf die Art der dem Urteil zugrundeliegenden Streitigkeit kommt es nicht an. Art. 5 Abs. 1 lit. a HAVÜ steht in allen Angelegenheiten zur Verfügung, sofern nicht im Einzelfall eine ausschließliche Anerkennungszuständigkeit nach Art. 5 Abs. 3 oder Art. 6 HAVÜ greift. Bei Art. 5 Abs. 1 lit. a HAVÜ handelt es sich folglich um einen allgemeinen Gerichtsstand.78 Die Vorschrift ist Ausprägung des Grundsatzes actor sequitur forum rei.79 Die Person, gegen die die Entscheidung anerkannt oder vollstreckt werden soll, 76
Siehe für die Frage nach ihrer Ausschließlichkeit Kapitel 5 B.VII. (S. 249). Mit ähnlicher Differenzierung Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 138 (ohne die einzelnen Zuständigkeitsgründe selbst zuzuordnen). 78 Vgl. Bonomi/Mariottini, YbPIL 20 (2018/19), 537 (550); Symeonides, Cross-Border Infringement of Personality Rights, S. 137. 79 Bonomi/Mariottini, YbPIL 20 (2018/19), 537 (550); Nielsen, JPIL 2020, 205 (215); Zhao, SRIEL 2020, 345 (356). 77
B. Indirekte Zuständigkeit des Ursprungsgerichts
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muss allerdings nicht notwendigerweise die Beklagte sein. Die Vorschrift ist bewusst weiter gefasst, um auch andere Verfahrensbeteiligte (und deren Rechtsnachfolger80) zu erfassen.81 Art. 5 Abs. 1 lit. a HAVÜ kann damit auch die indirekte Zuständigkeit für eine Anerkennung der Entscheidungen gegen den Kläger begründen.82 Insoweit greift jedoch stets auch Art. 5 Abs. 1 lit. c HAVÜ.83 Der Begriff des gewöhnlichen Aufenthalts ist autonom auszulegen.84 Für rechtliche Einheiten oder Personen, die keine natürliche Person sind (z.B. juristische Personen und Personengesellschaften), wird der gewöhnliche Aufenthalt in Art. 3 Abs. 2 HAVÜ definiert.85 Der gewöhnliche Aufenthalt besteht danach alternativ in dem Staat, in dem die Person ihren satzungsmäßigen Sitz hat (lit. a), nach dessen Recht sie gegründet wurde (lit. b), in dem sie ihre Hauptverwaltung (lit. c) oder ihre Hauptniederlassung hat (lit. d). Dabei meint Hauptverwaltung den Ort, an dem die wichtigsten Entscheidungen getroffen werden und Hauptniederlassung das Zentrum der wirtschaftlichen Tätigkeit.86 Es ist ohne weiteres möglich, dass eine juristische Person nach Art. 3 Abs. 2 HAVÜ ihren gewöhnlichen Aufenthalt in verschiedenen Vertragsstaaten hat (z.B. weil sie nach dem Recht des Staates A gegründet wurde und ihre Hauptverwaltung in Staat B hat) und dementsprechend Entscheidungen aus jedem dieser Vertragsstaaten nach Art. 5 Abs. 1 lit. a HAVÜ gegen die juristische Person anerkannt oder vollstreckt werden können.87 Für die autonome Bestimmung des gewöhnlichen Aufenthalts natürlicher Personen hält das HAVÜ, wie auch andere Übereinkommen der Haager Konferenz, keine Definition bereit. Der Explanatory Report gibt einige wenige Hinweise über den Inhalt des Konzepts des gewöhnlichen Aufenthalts für natürliche Personen. Er hebt hervor, dass der Begriff des gewöhnlichen Aufenthalts, im Vergleich zu domicile oder der Staatsangehörigkeit, eine eher faktische Frage darstellt.88 Dies kann ein einheitliches Verständnis begünstigen.89 Der gewöhnliche Aufenthalt soll eine enge Verbindung zwischen einer Person 80
Siehe Kapitel 5 B.VIII. (S. 260). Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 139; Bonomi/Mariottini, YbPIL 20 (2018/19), 537 (551); Stamboulakis/Crook, Erasmus Law Review 2019, 98 (105); Zhao, SRIEL 2020, 345 (356). 82 Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 139, 141; Nielsen, JPIL 2020, 205 (215); Solomon, FS Thümmel, S. 873 (875). 83 Zur Überschneidung von Art. 5 Abs. 1 lit. a und c HAVÜ auch Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 141, 154; Solomon, FS Thümmel, S. 873 (875). 84 Vgl. Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 142. 85 Art. 3 Abs. 2 HAVÜ ähnelt Art. 63 Brüssel Ia-VO, vgl. auch Bonomi/Mariottini, YbPIL 20 (2018/19), 537 (551); Walsh, Osgoode Hall L.J. 55-1 (2018), 163 (165). 86 Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 107. 87 Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 109; North, IPRax 2020, 202 (206). 88 Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 142. 89 Schack, ZEuP 2014, 824 (837); Schack, IPRax 2020, 1 (4). 81
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Kapitel 5: Voraussetzungen der Anerkennung und Vollstreckung
und ihrem sozio-ökonomischen Umfeld widerspiegeln.90 Der Begriff des gewöhnlichen Aufenthalts („habitual residence“) ist, was natürliche Personen betrifft, enger als der Begriff des Aufenthalts („residence“), wie er beispielsweise in Art. 1 Abs. 2 HGÜ und auch an anderer Stelle im HAVÜ verwendet wird.91 Der gewöhnliche Aufenthalt zielt auf den Ort, an dem eine natürliche Person ihren tatsächlichen Daseinsmittelpunkt hat92 und es dürften seltene Ausnahmefälle sein, dass eine natürliche Person mehr als einen gewöhnlichen Aufenthalt oder keinen gewöhnlichen Aufenthalt hat.93 bb) Bestimmung des maßgeblichen Zeitpunkts Art. 5 Abs. 1 lit. a HAVÜ stellt für das Bestehen des gewöhnlichen Aufenthalts auf den Zeitpunkt ab, in dem die Person, gegen die die Entscheidung anerkannt oder vollstreckt werden soll, Partei des Verfahrens vor dem Gericht im Ursprungsstaat wurde. Dies bewirkt, dass eine Partei die indirekte Zuständigkeit nicht durch einen späteren Fortzug in Frage stellen kann.94 Man kann insoweit von einer perpetuatio fori sprechen.95 Der in Art. 5 Abs. 1 lit. a HAVÜ genannte Zeitpunkt ist nach autonomen Maßstäben zu bestimmen.96 Andernfalls könnten die zuständigkeitsrechtlichen Wertungen der Vorschrift unterlaufen werden, etwa wenn das Verfahrensrecht des Urteilsstaates für eine im Laufe des Verfahrens durch Parteierweiterung hinzugekommene Partei eine Rückwirkungsfiktion vorsähe, die neue Partei also kraft Fiktion so behandeln würde als wäre sie von Beginn an Prozesspartei gewesen. Denn die sachliche Rechtfertigung für Art. 5 Abs. 1 lit. a HAVÜ als Gerichtsstand am Lebensmittelpunkt97 greift nicht oder nicht in gleicher Weise, wenn die Partei im Zeitpunkt, in dem sie tatsächlich dem Verfahren hinzugezogen wurde, ihren gewöhnlichen Aufenthalt schon nicht mehr im Urteilsstaat hatte. Notwendig ist es daher, den Zeitpunkt – im Einklang mit dem Grundsatz des Art. 20 HAVÜ – autonom zu bestimmen. In der Formulierung „at the time that person became a party to the proceedings in the court of origin“ sollte also hinsichtlich des Zeitpunkts keine still-
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Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 142. Vgl. Art. 14 Abs. 1 und Art. 17 HAVÜ. 92 Vgl. BGH 29.10.1980 – IVb ZB 586/80, BGHZ 78, 293 (295) = NJW 1981, 520 (520) (zum MSA); BGH 5.2.1975 – IV ZR 103/73, NJW 1975, 1068 (1068) (zum HKUnthÜ). 93 Für die Möglichkeit, dass eine natürliche Person mehr als einen gewöhnlichen Aufenthalt oder auch gar keinen gewöhnlichen Aufenthalt haben kann: Ständiges Büro der Haager Konferenz, Explanatory Note, PrelDoc No 2 of April 2016, Rn. 77. 94 Nielsen, JPIL 2020, 205 (216). 95 Vgl. Solomon, FS Thümmel, S. 873 (877); Weller, YbPIL 21 (2019/20), 279 (286). 96 Abweichend Weller, YbPIL 21 (2019/20), 279 (286) (Maßgeblichkeit der lex fori processualis). 97 Vgl. Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 139. 91
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schweigende und umfassende Verweisung auf das Recht des Urteilsstaates gesehen werden. Vielmehr liegt es nahe, in Anlehnung an die Ausführungen des Explanatory Reports zum Zeitpunkt der Verfahrenseinleitung98 an die erste prozessuale Handlung anzuknüpfen, durch die die Parteistellung begründet werden soll (z.B. die Einreichung der Klage oder eines parteierweiternden Schriftstücks bei Gericht). Damit ist das Verfahrensrecht des Urteilsstaates jedoch nicht irrelevant für die Bestimmung des Zeitpunkts. Es bestimmt, welche prozessuale Handlung die erste erforderliche ist. Das nationale Verfahrensrecht ist folglich bei der Subsumtion unter den autonom zu bestimmenden Begriff zu prüfen. Demgegenüber richtet sich die Frage, ob jemand Partei des ursprünglichen Verfahrens geworden ist, sofern sich diese Frage einmal stellen sollte, nach dem Verfahrensrecht des Urteilsstaates. Der Explanatory Report spricht dementsprechend von Personen, die „nach den verfahrensrechtlichen Vorschriften des Ursprungsstaats“ Partei geworden sind.99 cc) Aufenthaltsbegründung im Laufe des Ursprungsverfahrens? Vom Wortlaut nicht erfasst wird die Konstellation, dass die Person gegen die die Entscheidung anerkannt oder vollstreckt werden soll, erst während des Ursprungsverfahrens ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Ursprungsstaat begründet hat, als sie bereits Partei des Ursprungsverfahrens war.100 Ob eine erweiternde Auslegung von Art. 5 Abs. 1 lit. a HAVÜ zur Einbeziehung solcher Fälle möglich ist, erscheint angesichts des eindeutigen Wortlauts zweifelhaft.101 Auch der Sache nach drängt sich eine indirekte Zuständigkeit bei Begründung des gewöhnlichen Aufenthalts nach Verfahrenseinleitung weniger stark auf. Hinter Art. 5 Abs. 1 lit. a HAVÜ steht unter anderem der Gedanke, dass sich eine Partei in ihrem Heimatforum typischerweise besonders gut verteidigen kann,102 etwa weil sie die Gerichtssprache spricht, mit dem Rechts- und 98
Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 41. Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 143 Fn. 128 („in accordance with the procedural rules of the State of origin“). 100 Im europäischen Zuständigkeitsrecht wird angenommen, dass es zur Begründung der Zuständigkeit genügt, wenn der Wohnsitz bzw. der gewöhnliche Aufenthalt während des Verfahrens in den Prozessstaat verlegt wird, vgl. BGH 17.2.2010 – XII ZB 68/09, BGHZ 184, 269 (272 f.) = NJW 2010, 1351 (1351 f.); BGH 1.3.2011 – XI ZR 48/10, BGHZ 188, 373 (376 ff.) = NJW 2011, 2515 (2515 ff.). Der BGH argumentiert insoweit insbesondere mit der Prozessökonomie. Diesem Aspekt kommt jedoch in der vorliegenden Konstellation einer nachträglichen Prüfung der Entscheidungskompetenz des Ursprungsgerichts anhand indirekter Zuständigkeitsgründe allenfalls ein geringes Gewicht zu. 101 Siehe zur im Rahmen des HAVÜ gebotenen Vorsicht bei der Rechtsfortbildung Kapitel 2 B.VI. (S. 82). 102 Ähnlich offenbar Araujo/De Nardi, Neth. Int'l L. Rev. 2020, 67 (74). 99
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Kapitel 5: Voraussetzungen der Anerkennung und Vollstreckung
Justizsystem vertraut ist und kurze Wege hat.103 Diese Annahme ist aber nicht in gleichem Maße gerechtfertigt, wenn eine Partei erst im Laufe des Verfahrens ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Ursprungsstaat begründet. Denn dann wäre es gerade naheliegend, dass die Partei mit dem Rechts- und Justizsystem noch nicht gut vertraut ist und womöglich auch die Sprache nicht spricht. Es ist zudem denkbar, dass sich der Prozess im Ursprungsstaat über Jahre hinzieht und eine Partei ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Ursprungsstaat erst zu einem Zeitpunkt begründet, zu dem das Verfahren zwar noch läuft, aber faktisch schon entschieden ist (z.B., weil relevante Einwendungen inzwischen präkludiert sind oder weil es in der Rechtsmittelinstanz nur noch um unbedeutende Nebenansprüche geht). In solchen Situationen kann sich ein neu erworbener „Heimvorteil“ nicht mehr auswirken. Die genannten Beispiele zeigen, dass es Gründe geben mag, wieso bei einer Begründung des gewöhnlichen Aufenthalts erst während des Verfahrens nicht von der gleichen Interessenlage auszugehen ist. Ein dringendes Bedürfnis für eine erweiternde Auslegung dürfte angesichts des in Art. 15 HAVÜ verankerten Günstigkeitsprinzips nicht bestehen. Im Übrigen dürfte es jedenfalls dann, wenn die Partei weiterhin ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Ursprungsstaat hat, oftmals an der praktischen Notwendigkeit einer Anerkennung oder Vollstreckung der Entscheidung in einem anderen Staat fehlen. Insgesamt ist daher davon auszugehen, dass keine indirekte Zuständigkeit nach Art. 5 Abs. 1 lit. a HAVÜ gegeben ist, wenn die Partei ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Ursprungsstaat erst begründet hat, als sie bereits Partei des Ursprungsverfahrens war.104 b) Art. 5 Abs. 1 lit. b HAVÜ – Hauptniederlassung natürlicher Personen Gemäß Art. 5 Abs. 1 lit. b HAVÜ besteht eine indirekte Zuständigkeit im Staat der Hauptniederlassung („principal place of business“ bzw. „établissement professionnel principal“) einer natürlichen Person, vorausgesetzt die Klageforderung hat ihren Ursprung in der Geschäftstätigkeit des Betriebs.105 Entscheidend ist, dass sich die Hauptniederlassung zu dem Zeitpunkt im Ursprungsstaat befand, in dem die Person, gegen die die Entscheidung anerkannt oder vollstreckt werden soll, Partei des Ursprungsverfahrens wurde.106 Es genügt also nicht, dass zum Zeitpunkt der relevanten Geschäftstätigkeit die Hauptniederlassung im Ursprungsstaat betrieben wurde. 103
Vgl. für Art. 4 Brüssel Ia-VO Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, Art. 4 EuGVVO Rn. 1. Ebenso Solomon, FS Thümmel, S. 873 (877 f.), der die Sinnhaftigkeit dieser Beschränkung allerdings in Frage stellt. 105 Die englische Fassung verwendet mit dem Begriff „their“ ein geschlechtsneutrales singularisches Pronomen. 106 Für die Bestimmung des Zeitpunkts gilt das zu Art. 5 Abs. 1 lit. a HAVÜ Gesagte entsprechend, siehe Kapitel 5 B.V.1.a)bb) (S. 208). 104
B. Indirekte Zuständigkeit des Ursprungsgerichts
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Praktisch relevant wird Art. 5 Abs. 1 lit. b HAVÜ nur dann, wenn die natürliche Person nicht auch ihren gewöhnlichen Aufenthalt in demselben Staat hat. Denn sonst ist bereits nach Art. 5 Abs. 1 lit. a HAVÜ ein indirekter Zuständigkeitsgrund gegeben. Art. 5 Abs. 1 lit. b HAVÜ erfasst also beispielsweise die Konstellation eines Grenzgängers, der in Staat A lebt, aber im Nachbarstaat B ein Handelsgewerbe betreibt. Nach Art. 5 Abs. 1 lit. b HAVÜ wäre ein die Tätigkeit dieses Handelsgewerbe betreffendes Urteil aus Staat B in anderen Vertragsstaaten gegen den Grenzgänger vollstreckbar. Art. 5 Abs. 1 lit. b HAVÜ setzt voraus, dass die Streitigkeit ihren Ursprung in der Geschäftstätigkeit des Betriebs hat. Hingegen muss sie ihren Ursprung nicht notwendigerweise in der Geschäftstätigkeit im Staat der Hauptniederlassung haben.107 Dies ergibt sich daraus, dass Art. 5 Abs. 1 lit. b HAVÜ bei der Formulierung dieser Voraussetzung nur generell auf die Geschäftstätigkeit des Betriebs nicht aber auf den principal place of business in Bezug nimmt. In diesem Sinne wurde die Vorschrift auch in den Verhandlungen verstanden.108 Urteile aus dem Staat der Hauptniederlassung können gegen den Inhaber daher auch dann nach Art. 5 Abs. 1 lit. b HAVÜ vollstreckt werden, wenn die streitgegenständlichen Ansprüche aus der Tätigkeit einer in einem anderen Staat belegenen Zweigniederlassung herrühren. Hinter Art. 5 Abs. 1 lit. b HAVÜ steht der Gedanke, dass es nicht darauf ankommen soll, ob ein Unternehmen von einer natürlichen oder einer juristischen Person betrieben wird.109 Für juristische Personen ergibt sich die indirekte Zuständigkeit am Ort ihrer Hauptniederlassung aus Art. 5 Abs. 1 lit. a i.V.m. Art. 3 Abs. 2 lit. d HAVÜ. Art. 5 Abs. 1 lit. b HAVÜ stellt sicher, dass natürliche Personen in Ansehung ihrer geschäftlichen Tätigkeit entsprechend behandelt werden, indem ebenfalls eine indirekte Zuständigkeit am Ort der Hauptniederlassung begründet wird. Da Art. 5 Abs. 1 lit. b HAVÜ auf Urteile beschränkt ist, die ihren Ursprung in der Geschäftstätigkeit des Betriebs haben, handelt es sich um einen besonderen Gerichtsstand.110
107 Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 149 f.; Weller, YbPIL 21 (2019/20), 279 (287); anders offenbar Fuchs, GWR 2019, 395 (396) („dort ausgeübten Geschäftstätigkeit“). 108 Vgl. Minutes of the Special Commission on the Recognition and Enforcement of Foreign Judgments (16–24 February 2017), Minutes No 10, Meeting of 22 February 2017 (afternoon), Rn. 11–22 (bisher unveröffentlicht); Minutes of the 22nd Session, Commission I, Minutes No 19, Meeting of 1 July 2019 (morning), Rn. 57, 59 (bisher unveröffentlicht). 109 Vgl. Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 148. 110 Mit abweichender Einordnung: Symeonides, Cross-Border Infringement of Personality Rights, S. 137 („hybrid between general and specific jurisdiction“).
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Kapitel 5: Voraussetzungen der Anerkennung und Vollstreckung
c) Art. 5 Abs. 1 lit. d HAVÜ – Zweigniederlassung, Agentur oder sonstige Niederlassung Bei Art. 5 Abs. 1 lit. d HAVÜ handelt es sich um einen Gerichtsstand der Niederlassung (branch jurisdiction). Nach der Vorschrift ist eine indirekte Zuständigkeit begründet, wenn die Beklagte111 zum Zeitpunkt, als sie Partei des Verfahrens vor dem Ursprungsgericht wurde, eine Zweigniederlassung, Agentur oder sonstige Niederlassung ohne eigene Rechtspersönlichkeit im Ursprungsstaat unterhielt, und der Anspruch, auf den sich das Urteil stützt, aus der Tätigkeit dieser Zweigniederlassung, Agentur oder sonstigen Niederlassung herrührt. Das Merkmal „ohne eigene Rechtspersönlichkeit“112 bezieht sich nicht bloß auf die sonstige Niederlassung, sondern auf alle aufgezählten Varianten.113 Tochtergesellschaften werden also von Art. 5 Abs. 1 lit. d HAVÜ nicht umfasst.114 Dies bedeutet, dass der Sitz der Tochtergesellschaft keinen indirekten Zuständigkeitsgrund für eine Anerkennung oder Vollstreckung gegen die Muttergesellschaft begründet.115 Art. 5 Abs. 1 lit. d HAVÜ ermöglicht einen solchen „zuständigkeitsrechtlichen Durchgriff“116 nicht.117 Vielmehr hat die rechtliche Selbstständigkeit der Tochtergesellschaft im Rahmen des HAVÜ auch eine selbstständige zuständigkeitsrechtliche Behandlung zur Folge. Eine Anerkennung oder Vollstreckung gegen die Tochtergesellschaft kann nach Art. 5 Abs. 1 lit. a HAVÜ oder anderen indirekten Zuständigkeitsgründen des HAVÜ erfolgen, wenn die jeweiligen Voraussetzungen in der Person der Tochtergesellschaft erfüllt sind. Art. 5 Abs. 1 lit. d HAVÜ knüpft für die Begründung der Anerkennungszuständigkeit gegen die Beklagte zum einen an die Präsenz der Niederlassung im Urteilsstaat und zum anderen an die Tätigkeit der Niederlassung an. Anders als
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Vgl. Art. 3 Abs. 1 lit. a HAVÜ. In der englischen Fassung „without separate legal personality“; in der französischen Fassung „sans personnalité juridique propre“. 113 Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 157. 114 Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 157; Nielsen, JPIL 2020, 205 (217). 115 Demgegenüber können im Rahmen von Art. 7 Nr. 5 Brüssel Ia-VO unter bestimmten Voraussetzungen auch Tochtergesellschaften zur Begründung der Entscheidungszuständigkeit für Verfahren gegen die Muttergesellschaft herangezogen werden, wenn sich diese der Tochtergesellschaft wie einer Außenstelle bedient (vgl. EuGH 9.12.1987 – C-218/86, Slg. 1987 04905 – Schotte/Parfums Rothschild; Gottwald, in: MüKo-ZPO, Art. 7 Brüssel Ia-VO Rn. 82). 116 Vgl. Gottwald, in: MüKo-ZPO, Art. 7 Brüssel Ia-VO Rn. 82 (zu Art. 7 Nr. 5 Brüssel Ia-VO). 117 Teilweise wird erwogen, ob die vom EuGH entwickelten Grundsätze (vgl. EuGH 9.12.1987 – C-218/86, Slg. 1987 04905 – Schotte/Parfums Rothschild) auch für Art. 5 Abs. 1 lit. d HAVÜ herangezogen werden können (Weller, YbPIL 21 (2019/20), 279 (289 f.)). Dies erscheint in Anbetracht des Wortlauts von Art. 5 Abs. 1 lit. d HAVÜ fraglich. 112
B. Indirekte Zuständigkeit des Ursprungsgerichts
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im Rahmen des Art. 5 Abs. 1 lit. b HAVÜ118 genügt es nicht, dass der streitgegenständliche Anspruch allgemein aus der Geschäftstätigkeit der Beklagten herrührt. Vielmehr muss der Anspruch im Rahmen von Art. 5 Abs. 1 lit. d HAVÜ seinen Ursprung in der Tätigkeit der konkreten, im Urteilsstaat betriebenen Zweigniederlassung, Agentur oder sonstigen Niederlassung haben („arose out of the activities of that branch, agency, or establishment“119).120 Betreibt also beispielsweise eine natürliche Person, die im Staat A wohnhaft ist, ein Gewerbe mit einer Hauptniederlassung in Staat B und einer rechtlich unselbstständigen Zweigniederlassung in Staat C, dann besteht, wenn der eingeklagte Anspruch sich auf die Tätigkeit aus der Zweigniederlassung in Staat C bezieht, eine indirekte Zuständigkeit gegen den Inhaber in allen drei Staaten: in Staat A gemäß Art. 5 Abs. 1 lit. a HAVÜ, in Staat B gemäß Art. 5 Abs. 1 lit. b HAVÜ und in Staat C nach Art. 5 Abs. 1 lit. d HAVÜ. Dem Ansatz von Art. 5 Abs. 1 lit. a und b HAVÜ folgend, stellt Art. 5 Abs. 1 lit. d HAVÜ für die örtliche Präsenz im Ursprungsstaat auf den Zeitpunkt ab, zu dem die Beklagte Partei des Ursprungsverfahrens wurde.121 Es genügt also nicht, dass zum Zeitpunkt der relevanten Geschäftstätigkeit eine Zweigniederlassung, Agentur oder sonstige Niederlassung im Ursprungsstaat betrieben wurde. 2. Auf „Zustimmung“ basierende Zuständigkeitsgründe Mehrere indirekte Zuständigkeitsgründe in Art. 5 Abs. 1 HAVÜ beruhen auf einer „Zustimmung“ der relevanten Partei zur Zuständigkeit des Ursprungsgerichts. Art. 5 Abs. 1 lit. e HAVÜ erfasst die ausdrückliche Zustimmung, Art. 5 Abs. 1 lit. m HAVÜ nichtausschließliche Gerichtsstandsvereinbarungen. In den Fällen der lit. f, c und l hat sich die entsprechende Partei jedenfalls in einer Weise verhalten, die es als widersprüchlich erscheinen ließe, wenn sie im ersuchten Staat einwenden würde, dass die Gerichte des Urteilsstaats für die Entscheidung des Rechtsstreits unzuständig waren. In Betracht kommt insoweit eine Einordnung dieser Zuständigkeitsgründe als besondere Präklusionsvorschriften.122 Das entsprechende Verhalten könnte unter Umständen auch als stillschweigende Zuständigkeitsvereinbarung oder als einseitige Unterwerfung 118
Siehe Kapitel 5 B.V.1.b) (S. 210). In der französischen Fassung: „résultait des activités de cette succursale, de cette agence ou de cet établissement“. 120 Vgl. Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 155, 158; Nielsen, JPIL 2020, 205 (217); Weller, YbPIL 21 (2019/20), 279 (289). 121 Für die Bestimmung des Zeitpunkts gilt das zu Art. 5 Abs. 1 lit. a HAVÜ Gesagte entsprechend, siehe Kapitel 5 B.V.1.a)bb) (S. 208). 122 In diesem Sinne werden teilweise Regelungen über die rügelose Einlassung eingeordnet: vgl. z.B. Gottwald, in: MüKo-ZPO, Art. 26 Brüssel Ia-VO Rn. 1; Lindenmayr, Vereinbarung über die internationale Zuständigkeit, S. 51 f. 119
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unter die Entscheidungsgewalt des Ursprungsgerichts verstanden werden.123 Gemein ist den im Folgenden behandelten Zuständigkeitsgründen, dass das in Bezug genommene Parteiverhalten jedenfalls in einem weiteren Sinne als Zustimmung zur Zuständigkeit der Gerichte des Ursprungsstaats gewertet werden kann. a) Art. 5 Abs. 1 lit. e HAVÜ – Ausdrückliche Zustimmung Art. 5 Abs. 1 lit. e HAVÜ stützt einen indirekten Zuständigkeitsgrund auf die ausdrückliche Zustimmung der Beklagten124 zur Zuständigkeit im Laufe des Ursprungsverfahrens. Ob die Beklagte der Zuständigkeit des Gerichts ausdrücklich zugestimmt hat, richtet sich nach autonomen Maßstäben und steht als Tatsachenfrage zur Beurteilung des um Anerkennung oder Vollstreckung ersuchten Gerichts.125 Die Voraussetzungen für die Annahme einer ausdrücklichen Zustimmung sind hoch.126 Es wird ein aktives Tun der Beklagten vorausgesetzt.127 Die Zustimmung ist jedoch an keine bestimmte Form gebunden und kann mündlich oder schriftlich erfolgen.128 Sie muss, sofern es nicht um Verbraucher oder Arbeitnehmer geht, nicht notwendigerweise gegenüber dem Gericht erklärt werden (vgl. Art. 5 Abs. 2 lit. a HAVÜ).129 Sie kann beispielsweise auch im Schriftwechsel mit der anderen Partei oder in außergerichtlichen Vergleichsverhandlungen erklärt werden.130 Entscheidend für die Annahme einer ausdrücklichen Zustimmung ist allein das Verhalten der Beklagten. Art. 5 Abs. 1 lit. e HAVÜ erfordert nicht den Abschluss einer Vereinbarung. Es steht der Anwendung des Art. 5 Abs. 1 lit. e HAVÜ nach dem Wortlaut andererseits aber auch nicht entgegen, wenn es sich zugleich um eine Gerichtsstandsvereinbarung handelt.131 Eine ausdrückliche Zustimmung im Sinne des Art. 5 Abs. 1 lit. e HAVÜ läge also beispielsweise
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Vgl. zur entsprechenden Auseinandersetzung über die Einordnung der rügelosen Einlassung: Lindenmayr, Vereinbarung über die internationale Zuständigkeit, S. 51 f. m.w.N. 124 Zum Beklagtenbegriff vgl. Art. 3 Abs. 1 lit. a HAVÜ. 125 Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 162 („The existence of express consent, and whether it was given ‘in the course of proceedings’, is a question of fact to be determined by the court of the requested State.“). 126 Vgl. Stamboulakis/Crook, Erasmus Law Review 2019, 98 (104). 127 Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 162. 128 Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 162; Weller, YbPIL 21 (2019/20), 279 (290). 129 Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 162; Bonomi/Mariottini, YbPIL 20 (2018/19), 537 (552); Zhao, SRIEL 2020, 345 (357); siehe bereits Kapitel 2 B.II.1. (S. 54). Zur Einschränkung gegenüber Verbrauchern und Arbeitnehmern siehe Kapitel 5 B.VI.3. (S. 246). 130 Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 164. 131 Vgl. Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 164 (Beispiel (ii) und Fn. 134).
B. Indirekte Zuständigkeit des Ursprungsgerichts
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auch vor, wenn die Parteien in der mündlichen Verhandlung eine Gerichtsstandsvereinbarung schließen. Aufgrund der Voraussetzung, dass die Beklagte die ausdrückliche Zustimmung im Laufe des Prozesses („in the course of the proceedings“ bzw. „au cours de la procédure“) erklärt haben muss, taugt Art. 5 Abs. 1 lit. e HAVÜ jedoch nicht als indirekter Zuständigkeitsgrund für im Vorfeld abgeschlossene Gerichtsstandsvereinbarungen.132 b) Art. 5 Abs. 1 lit. f HAVÜ – Rügelose Einlassung Während Art. 5 Abs. 1 lit. e HAVÜ die ausdrückliche Zustimmung regelt, betrifft Art. 5 Abs. 1 lit. f HAVÜ die stillschweigende Zustimmung durch rügelose Einlassung.133 Die indirekte Zuständigkeit wird dadurch begründet, dass die Beklagte134 sich zur Sache einlässt, ohne im Rahmen der vom Verfahrensrecht des Ursprungsstaats dazu vorgesehenen Frist die internationale Unzuständigkeit geltend zu machen. Insoweit verlangt Art. 5 Abs. 1 lit. f HAVÜ von Beklagten gegebenenfalls auch, dass sie sich gegen die Ausübung einer bestehenden internationalen Zuständigkeit wehren. Dies betrifft insbesondere Entscheidungen aus Staaten, die der forum non conveniens-Doktrin folgen und zwischen dem Bestehen der internationalen Zuständigkeit und deren Ausübung differenzieren.135 Um eine rügelose Einlassung zu verhindern, muss also gegebenenfalls auch eine forum non conveniens-Rüge erhoben werden. Dahingehend ist der von Art. 5 Abs. 1 lit. f HAVÜ verwendete Rügebegriff („contesting jurisdiction“ bzw. „contester la compétence“) weit zu verstehen.136 Ob die Beklagte sich zur Sache eingelassen hat, bestimmt sich nicht nach nationalem Recht, sondern nach den autonomen Maßstäben des HAVÜ.137 Eine Argumentation zu rein prozessualen Fragen (z.B. das Bestreiten von Zulässigkeitsvoraussetzungen) stellt keine Einlassung im Sinne des Art. 5 Abs. 1 lit. f HAVÜ dar. Eine Einlassung zur Sache ist erst anzunehmen, wenn der Begründetheit des in der Klage geltend gemachten Anspruchs entgegengetreten
132
Weller, YbPIL 21 (2019/20), 279 (290 f.). Vgl. Bonomi/Mariottini, YbPIL 20 (2018/19), 537 (553); Saumier, Neth. Int'l L. Rev. 2020, 49 (62). Eine ähnliche Vorschrift findet sich in Art. 14 lit. g ii) des UNCITRAL Model Law on Recognition and Enforcement of Insolvency-Related Judgments. 134 Vgl. Art. 3 Abs. 1 lit. a HAVÜ. 135 Vgl. Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 175 ff.; Saumier, Neth. Int'l L. Rev. 2020, 49 (64). 136 Vgl. Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 177; Zhao, SRIEL 2020, 345 (357). 137 Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 168 („Of course, the assessment of ‘arguing on the merits’ under sub-paragraph (f) is not dependant on the way it would be determined under the law of the State of origin.“) und Rn. 179 („[…] it does not matter whether the failure to contest jurisdiction or to request that the court decline to exercise jurisdiction amounts to implied consent under the law of the court of origin.“). 133
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Kapitel 5: Voraussetzungen der Anerkennung und Vollstreckung
wird.138 Eine Einlassung zur Sache ist auch nicht darin zu sehen, dass die Beklagte Anträge stellt, um im Verfahren beschlagnahmtes oder von der Beschlagnahme bedrohtes Eigentum zu schützen oder dessen Freigabe zu erwirken.139 Denn dadurch kommt noch nicht zum Ausdruck, dass die Beklagte implizit die Zuständigkeit des Gerichts anerkennt, über die klageweise geltend gemachte Forderung zu entscheiden. Dies findet auch eine Stütze in den travaux préparatoires.140 Die rügelose Einlassung begründet nur dann nicht die indirekte Zuständigkeit, wenn offensichtlich („evident“ bzw. „évident“) ist, dass eine Zuständigkeitsrüge bzw. ein Antrag auf Nichtausübung der Zuständigkeit (z.B. unter der forum non conveniens-Doktrin) nach dem Recht des Ursprungsstaats erfolglos geblieben wäre. Diese Einschränkung, die an die Rechtsprechung des BGH zu § 328 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 39 ZPO erinnert,141 wird damit gerechtfertigt, dass die Einlassung bei offensichtlich fehlenden Erfolgsaussichten einer Rüge nicht als stillschweigende Zustimmung zur Zuständigkeit gewertet werden kann.142 Denn in einer solchen Situation liegt es nahe, dass die Beklagte die Zuständigkeit nur deswegen nicht rügt, weil es aussichtslos ist und die Zuständigkeitsrüge womöglich zusätzliche Kosten verursachen würde.143 Für die Anwendung von Art. 5 Abs. 1 lit. f HAVÜ ergibt sich aus der Einschränkung jedoch eine doppelte Schwierigkeit. Zum einen kann es Fälle geben, in denen die Beurteilung der Erfolgsaussichten vertiefte Kenntnisse des Verfahrens- und Zuständigkeitsrechts des Urteilsstaats voraussetzt. So wäre im Rahmen von Art. 5 Abs. 1 lit. f HAVÜ beispielsweise denkbar, dass ein deutsches Gericht die Erfolgsaussichten eines Antrags auf Verfahrensaussetzung unter der forum non conveniens-Doktrin nachvollziehen müsste. Und zum anderen ist es naturgemäß keine leichte Aufgabe zu bestimmen, wann die Schwelle der Offensichtlichkeit erreicht ist. Vor dem Hintergrund der Formulierung der Vorschrift und den Ausführungen im Explanatory Report144 dürfte von einem objektiven Maßstab auszugehen sein. Ob es auch für den konkreten Beklagten offensichtlich war, ist nicht entscheidend. 138
Vgl. Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 168. Eine entsprechende Klarstellung findet sich in Art. 10 Abs. 6 HVÜ und in Clause 5(2)(c) des Commonwealth Model Law. Für das englische Recht siehe Sec. 33(1)(c) CJJA 1982. 140 Vgl. Minutes of the Special Commission on the Recognition and Enforcement of Foreign Judgments (16–24 February 2017), Minutes No 3, Meeting of 17 February 2017 (morning), Rn. 97–99 (bisher unveröffentlicht). 141 BGH 3.12.1992 – IX ZR 229/91, BGHZ 120, 334 = NJW 1993, 1073; siehe Kapitel 9 C.I.2. (S. 361). 142 Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 171 f.; näher zur Funktion dieser Ausnahme Kapitel 8 A.I.3. (S. 335). 143 Vgl. zur entsprechenden Frage im deutschen Recht: Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, § 328 Rn. 11. 144 Vgl. Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 172 f. 139
B. Indirekte Zuständigkeit des Ursprungsgerichts
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Unter Art. 5 Abs. 1 lit. f HAVÜ kann die Beklagte im Ursprungsverfahren zur Sache verhandeln, ohne dass dies die indirekte Zuständigkeit begründet, solange sie auch die internationale Zuständigkeit rügt bzw. gerügt hat.145 Und selbst wenn sie diese Rüge nicht erhoben hat, kann sie im ersuchten Staat vortragen, dass eine Zuständigkeitsrüge offensichtlich erfolglos gewesen wäre. Im Vergleich zu oftmals strengeren nationalen Regelungen zur rügelosen Einlassung begünstigt die Ausgestaltung von Art. 5 Abs. 1 lit. f HAVÜ damit die Position von Beklagten.146 Allerdings ist die Vorschrift im Kontext von Art. 15 HAVÜ zu sehen.147 Auch wenn die Voraussetzungen des Art. 5 Abs. 1 lit. f HAVÜ nicht vorliegen, kann das Urteil nach dem nationalen Recht des ersuchten Staates anerkannt werden, z.B. weil nach diesem Recht eine Einlassung zur Hauptsache die Anerkennungszuständigkeit auch dann begründet, wenn zugleich die Zuständigkeit gerügt wurde. Beklagte können sich daher nicht darauf beschränken, ihr prozessuales Verhalten im Ursprungsverfahren mit Blick auf eine spätere Vollstreckung allein an den Maßstäben des Art. 5 Abs. 1 lit. f HAVÜ auszurichten.148 c) Art. 5 Abs. 1 lit. c HAVÜ – Kläger des Ursprungsverfahrens Art. 5 Abs. 1 lit. c HAVÜ knüpft an die Parteirolle im Ursprungsverfahren an. Eine indirekte Zuständigkeit besteht, soweit die Anerkennung oder Vollstreckung gegen den Kläger des Ursprungsverfahrens erfolgen soll. Die Vorschrift erfasst insbesondere Fälle, in denen der Beklagte des Ursprungsverfahrens die Anerkennung der (teilweise) klageabweisenden Entscheidung oder die Vollstreckung einer zulasten des Klägers gehenden Kostenentscheidung begehrt. Dem Zuständigkeitsgrund liegt der Gedanke zugrunde, dass demjenigen, der die Klage im Ursprungsstaat erhoben hat, nicht der Einwand der Unzuständigkeit ebendieses Staates zustehen kann. Es wäre selbstwidersprüchlich, die Zuständigkeit erst in Anspruch zu nehmen, um sie nach erfolglosem Ausgang zu bestreiten.149 Art. 5 Abs. 1 lit. c HAVÜ beruht also im Kern auf dem Gedanken, dass der Kläger durch die Klageerhebung seine Zustimmung zur Zuständigkeit des Urteilsstaats zum Ausdruck gebracht hat.150 Irrelevant ist insofern allerdings, ob dem Kläger auch eine Klagemöglichkeit in einem anderen Forum 145
Saumier, Neth. Int'l L. Rev. 2020, 49 (64). Saumier, Neth. Int'l L. Rev. 2020, 49 (64). Allgemein können Vorschriften des HAVÜ, die dem Beklagtenschutz dienen, aufgrund des Günstigkeitsprinzips stets nur einen relativen Schutz bieten, siehe Kapitel 3 D. (S. 99). 147 Saumier, Neth. Int'l L. Rev. 2020, 49 (65). 148 Vgl. Saumier, Neth. Int'l L. Rev. 2020, 49 (65). 149 Bonomi/Mariottini, YbPIL 20 (2018/19), 537 (553). 150 Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 152; Bonomi/Mariottini, YbPIL 20 (2018/19), 537 (553); Nielsen, JPIL 2020, 205 (216); Weller, YbPIL 21 (2019/20), 279 (288); vgl. auch Stamboulakis/Crook, Erasmus Law Review 2019, 98 (104); Beaumont, NIPR 2014, 532 (536). 146
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Kapitel 5: Voraussetzungen der Anerkennung und Vollstreckung
zur Verfügung gestanden hätte.151 Für die Widerklage enthält Art. 5 Abs. 1 lit. l HAVÜ eine Sonderregel. Art. 5 Abs. 1 lit. c HAVÜ erfasst diese Konstellation daher ausdrücklich nicht. d) Art. 5 Abs. 1 lit. l HAVÜ – Widerklage Art. 5 Abs. 1 lit. l HAVÜ betrifft Entscheidungen über eine Widerklage. Dabei differenziert die Vorschrift danach, ob zugunsten oder zulasten der Widerklägerin entschieden wurde. Soweit die Entscheidung zugunsten der Widerklägerin erfolgte, kann sie nach Art. 5 Abs. 1 lit. l i) HAVÜ anerkannt werden, wenn die Widerklage sich auf das gleiche Geschäft oder Ereignis wie die Klageforderung bezieht. Dahinter steht der Gedanke, dass der Kläger bzw. Widerbeklagte, gegen den die Entscheidung dann anerkannt oder vollstreckt wird, die Angelegenheit selbst vor die Gerichte des Urteilsstaats gebracht und damit ihre Zuständigkeit akzeptiert hat.152 Diese Erwägung greift aber nur, soweit es noch um dieselbe Sache geht und die Widerklage nicht einen völlig anderen Lebenssachverhalt betrifft.153 Dementsprechend setzt Art. 5 Abs. 1 lit. l i) HAVÜ einen Zusammenhang zwischen Klage und Widerklage voraus, der dem Konnexitätserfordernis des § 33 ZPO ähnlich ist.154 Erforderlich ist, dass es um Ansprüche aus derselben Transaktion oder demselben Ereignis geht. Allerdings ist ein weites Verständnis angezeigt, so dass es ausreicht, wenn die Ansprüche aus unterschiedlichen Verträgen herrühren, die mit einer einheitlichen Transaktion zwischen den Parteien zusammenhängen.155 Fehlt es an einem entsprechenden Zusammenhang, kann die Entscheidung gegen den Widerbeklagten aber unter Umständen auf der Basis eines anderen indirekten Zuständigkeitsgrunds anerkannt oder vollstreckt werden (z.B. nach Art. 5 Abs. 1 lit. f HAVÜ, wenn sich der Widerbeklagte auf die nicht-konnexe Widerklage rügelos eingelassen hat156).157 Soweit die Entscheidung zulasten der Widerklägerin erfolgte, also der Kläger bzw. Widerbeklagte die Entscheidung gegen die Widerklägerin anerkennen
151
Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 152; siehe auch Kapitel 8 A.I.3. (S. 335). 152 Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 210; Weller, YbPIL 21 (2019/20), 279 (304); Yeo, Singapore Academy of Law Journal 32 (2020), 1153 (1167). 153 Vgl. Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 210; Bonomi/Mariottini, YbPIL 20 (2018/19), 537 (553 f.). 154 Ebenso: BRAK, Stellungnahme Nr. 34/2016 (unter II.4.2 f) zum vorläufigen Konventionsentwurf 2016. 155 Vgl. Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 211. 156 Der Begriff des Beklagten in Art. 5 Abs. 1 lit. f HAVÜ erfasst auch den Widerbeklagten, vgl. Art. 3 Abs. 1 lit. a HAVÜ. 157 Siehe allgemein zum Verhältnis der indirekten Zuständigkeitsgrunde zueinander Kapitel 5 B.VII.1. (S. 249).
B. Indirekte Zuständigkeit des Ursprungsgerichts
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oder vollstrecken lassen möchte, genügt im Ausgangspunkt bereits die prozessuale Rolle der Widerklägerin, also der Umstand, dass die Widerklägerin die Widerklage erhoben hat. Ein Konnexitätserfordernis besteht nicht.158 Art. 5 Abs. 1 lit. l ii) HAVÜ liegt die Erwägung zugrunde, dass die Widerklägerin mit der Erhebung der Widerklage die Befugnis des Gerichts anerkennt, über die Widerklage zu entscheiden.159 Eine Ausnahme besteht nach Art. 5 Abs. 1 lit. l ii) HAVÜ jedoch für den Fall, dass die Widerklägerin die Widerklage erheben „musste“, um eine nach dem Recht des Ursprungsstaats andernfalls drohende Präklusion ihrer Ansprüche abzuwenden. Die Ausnahme zielt auf nationale Verfahrensregeln, die der beklagten Partei im Sinne der Verfahrenskonzentration eine Widerklagelast aufbürden. Eine solche Regel findet sich etwa im US-amerikanischen Recht für compulsory counterclaims im Sinne von § 13(a) der Federal Rules of Civil Procedure.160 Ein Beklagter, der es versäumt, eigene Ansprüche aus derselben Transaktion oder demselben Ereignis in das Verfahren einzuführen, ist an der späteren Geltendmachung in einem neuen Verfahren gehindert. Das HAVÜ würde zwar andere Staaten nicht dazu verpflichten, eine Präklusionswirkung hinsichtlich Ansprüchen, über die gar nicht entschieden wurde, anzuerkennen,161 sie aber umgekehrt auch nicht daran hindern.162 Das Absehen von der Widerklage könnte daher im Einzelfall dazu führen, dass der Beklagte seine Ansprüche auch in anderen Staaten, in denen eine internationale Entscheidungszuständigkeit besteht, nicht mehr geltend machen kann. Die Erhebung der Widerklage kann daher in Fällen präklusionsbewehrter Widerklagelast nicht (stets) als Zustimmung zur Zuständigkeit der Gerichte des Ursprungsstaats gewertet werden. Die beklagte Partei hat mitunter keine andere Wahl. Abzulehnen ist die Auffassung, nach der die Ausnahme in Art. 5 Abs. 1 lit. l ii) HAVÜ auch dann greift, wenn der Widerkläger die Widerklage erhebt, um eine drohende Verjährung des materiell-rechtlichen Anspruchs abzuwenden.163 Die Vorschrift verwendet den Begriff preclusion bzw. forclusion, nicht etwa statute of limitations oder prescription. Die Ausnahme zielt, wie die
158 Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 212; Liakopoulos, AUDJ 15 (2019), 5 (14); Solomon, FS Thümmel, S. 873 (875 f.). 159 Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 212; Yeo, Singapore Academy of Law Journal 32 (2020), 1153 (1168); siehe auch Kapitel 8 A.I.3. (S. 335). 160 Dazu ausführlich Niehoff, Verfahrenskonzentration, S. 108 ff. 161 Vgl. Kapitel 7 E. (S. 329). Zur Frage der Anerkennung der Präklusionswirkung aufgrund der compulsory counterclaim rule aus deutscher Sicht: Nelle, Anspruch, Titel und Vollstreckung, S. 265 f. 162 Vgl. Kapitel 3 D. (S. 99) und Kapitel 7 E. (S. 329). 163 So aber Fuchs, GWR 2019, 395 (397); Weller, YbPIL 21 (2019/20), 279 (304).
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Kapitel 5: Voraussetzungen der Anerkennung und Vollstreckung
Entstehungsgeschichte belegt, auf andere Fälle.164 Auch der Explanatory Report erwähnt die Verjährung in diesem Zusammenhang nicht. Würde schon die drohende Verjährung des Anspruchs die Freiwilligkeit einer Klageerhebung in Frage stellen, wäre im Übrigen nicht recht einzusehen, wieso Art. 5 Abs. 1 lit. c HAVÜ keine entsprechende Ausnahme vorsieht. Insgesamt liegen Art. 5 Abs. 1 lit. l HAVÜ ähnliche Erwägungen zugrunde wie Art. 5 Abs. 1 lit. c HAVÜ. Es geht jeweils um die Frage, ob und inwieweit die Erhebung der Klage (lit. c und lit. l i)) oder der Widerklage (lit. l ii)) als Zustimmung zur Zuständigkeit der angerufenen Gerichte zu werten ist.165 Während dies für die Klage (lit. c) ohne Weiteres bejaht werden kann, sind die zusätzlichen Voraussetzungen in Art. 5 Abs. 1 lit. l i) und ii) HAVÜ durch die besondere Verfahrenskonstellation der Widerklage bedingt. e) Art. 5 Abs. 1 lit. m HAVÜ – Nichtausschließliche Gerichtsstandsvereinbarung Art. 5 Abs. 1 lit. m HAVÜ begründet eine Anerkennungszuständigkeit für die Gerichte, denen die Parteien im Rahmen einer im Vorfeld166 abgeschlossenen nichtausschließlichen Gerichtsstandsvereinbarung die Zuständigkeit übertragen haben.167 aa) Formelle und materielle Wirksamkeit Die Gerichtsstandsvereinbarung muss entweder schriftlich oder durch ein anderes Kommunikationsmittel, das es ermöglicht, auf die Information später wieder zuzugreifen, geschlossen oder dokumentiert sein. Die Formvorschrift entspricht Art. 3 lit. c HGÜ. Es genügt ein Vertragsschluss oder eine Dokumentation auf elektronischem Wege.168 Zu Art. 3 lit. c HGÜ wird zwar vereinzelt die Auffassung vertreten, eine einfache E-Mail genüge nicht.169 Diese Auffassung findet jedoch weder im Wortlaut noch im Hartley/Dogauchi-Report eine Stütze. Dementsprechend geht die ganz herrschende Meinung davon aus,
164 Vgl. Minutes of the Special Commission on the Recognition and Enforcement of Foreign Judgments (1–9 June 2016), Minutes No 5, Meeting of 3 June 2016 (morning), Rn. 31– 44 (bisher unveröffentlicht). 165 Siehe auch Kapitel 8 A.I.3. (S. 335). 166 Vgl. Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 214, 225; Bonomi/Mariottini, YbPIL 20 (2018/19), 537 (554). 167 Zur Anwendbarkeit des HAVÜ auf Fälle ausschließlicher Gerichtsstandsvereinbarungen siehe Kapitel 4 A.VI. (S. 136). 168 Vgl. zum HGÜ: Hartley/Dogauchi, Explanatory Report, Rn. 112; Antomo, NJW 2015, 2919 (2920 f.); Huber, IPRax 2016, 197 (199); Luginbühl/Wollgast, GRUR Int 2006, 208 (210); Wagner, RabelsZ 73 (2009), 100 (118). 169 Fricke, VersR 2006, 476 (478).
B. Indirekte Zuständigkeit des Ursprungsgerichts
221
dass eine einfache E-Mail ausreicht und keine zusätzlichen formellen Voraussetzungen (z.B. digitale Signatur) bestehen.170 Die materielle Wirksamkeit der nichtausschließlichen Gerichtsstandsvereinbarung beurteilt das um Anerkennung oder Vollstreckung ersuchte Gericht nach seinem eigenen Recht einschließlich seines internationalen Privatrechts.171 Dies stellt der Explanatory Report ausdrücklich zwar nur für Art. 7 Abs. 1 lit. d HAVÜ klar.172 Im Rahmen des Art. 5 Abs. 1 lit. m HAVÜ wird man aber wohl von dem gleichen Ansatz ausgehen können. Für die Maßgeblichkeit der lex fori einschließlich des internationalen Privatrechts spricht insbesondere, dass es an einer anderweitigen Regelung fehlt. Der Übereinkommenstext schweigt zur Frage des anwendbaren Rechts. Da es zugleich fernliegend erscheint, übereinkommensautonome Maßstäbe zur Beurteilung der materiellen Wirksamkeit einer Gerichtsstandsvereinbarung zu entwickeln,173 kann angenommen werden, dass es dem ersuchten Gericht gestattet ist, das eigene Kollisionsrecht heranzuziehen. Die Anwendung des Rechts des ersuchten Staates einschließlich seines Kollisionsrechts hat zwar zur Konsequenz, dass das anwendbare Recht nicht einheitlich bestimmt wird und es dementsprechend zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen kann, je nach dem, wo die Anerkennung oder Vollstreckung begehrt wird. Dieses Ergebnis wird man in Ermangelung einer anderweitigen Regelung jedoch hinzunehmen haben. Auch hinsichtlich anderer Fragen, für die das Übereinkommen selbst keine Maßstäbe bereithält und auch keine abweichende Verweisungsnorm vorsieht, wird das Recht des ersuchten Staates einschließlich seines Kollisionsrechts herangezogen. Dies gilt, wie der Explanatory Report klarstellt, beispielsweise für die Wirksamkeit einer Erfüllungsortsvereinbarung, die Bestimmung des Erfüllungsorts in Ermangelung einer Vereinbarung und für Fragen der Rechtsnachfolge.174 Demgegenüber verweist das HGÜ für die Wirksamkeit von Gerichtsstandsvereinbarungen explizit auf das Recht des Staates des vereinbarten Gerichts unter Einschluss seines Kollisionsrechts.175 Der Vorteil einer solchen Regelung 170 Antomo, NJW 2015, 2919 (2920 f.); Bläsi, HGÜ, S. 69; Huber, IPRax 2016, 197 (199) Fn. 20; Luginbühl/Wollgast, GRUR Int 2006, 208 (210); Moebus, Das Haager Übereinkommen von 2005, S. 88 f.; Rühl, IPRax 2005, 410 (411). 171 A.A. Solomon, FS Thümmel, S. 873 (887 f.), der die materielle Wirksamkeit in Anlehnung an das HGÜ nach dem Recht des prorogierten Gerichts sowie für die Geschäftsfähigkeit zusätzlich nach dem Recht des Anerkennungsstaats (jeweils einschließlich des Kollisionsrechts) bestimmen möchte. 172 Vgl. Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 269. 173 Auch im Rahmen des HGÜ und der Brüssel Ia-VO richtet sich die materielle Wirksamkeit einer Gerichtsstandsvereinbarung nicht nach autonomen Maßstäben, sondern nach nationalem Recht, vgl. Art. 5 Abs. 1, Art. 6 lit. a, Art. 9 lit. a HGÜ und Art. 25 Abs. 1 S. 1 Brüssel Ia-VO. 174 Vgl. Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 144, 182, 184. 175 Art. 9 lit. a HGÜ; vgl. dazu Huber, IPRax 2016, 197 (200).
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Kapitel 5: Voraussetzungen der Anerkennung und Vollstreckung
besteht darin, dass das anwendbare Recht stets nach denselben Maßstäben bestimmt wird, unabhängig davon, welches Gericht angerufen wird.176 Eine solche Gesamtverweisung auf die lex fori prorogati hätte im Rahmen von Art. 5 Abs. 1 lit. m HAVÜ allerdings weitere Fragen aufgeworfen, da es bei nichtausschließlichen Gerichtsstandsvereinbarungen nicht notwendigerweise nur das „eine“ Recht des Staates des vereinbarten Gerichts gibt. Die Anwendung der lex fori prorogati-Regel wäre insbesondere mit Schwierigkeiten verbunden, wenn in einer nichtausschließlichen Gerichtsstandsvereinbarung Gerichte mehrerer Staaten bezeichnet sind.177 Insofern hätte die Übernahme der Kollisionsregel des Art. 9 lit. a HGÜ nicht notwendigerweise mehr Rechtssicherheit und Klarheit für die Parteien zur Folge gehabt. bb) Beschränkung auf nichtausschließliche Gerichtsstandsvereinbarungen Um eine Konkurrenzsituation im Verhältnis zum HGÜ zu vermeiden,178 werden ausschließliche Gerichtsstandsvereinbarungen von dem indirekten Zuständigkeitsgrund nicht erfasst. Art. 5 Abs. 1 lit. m HAVÜ definiert zu diesem Zweck ausschließliche Gerichtsstandsvereinbarungen entsprechend Art. 3 lit. a HGÜ als Vereinbarung zwischen zwei oder mehr Parteien, in der die Gerichte eines Vertragsstaats oder ein oder mehrere bestimmte Gerichte eines Vertragsstaats unter Ausschluss der Zuständigkeit aller anderen Gerichte zu dem Zweck benannt werden, über eine bereits entstandene Rechtsstreitigkeit oder über eine künftige aus einem bestimmten Rechtsverhältnis entspringende Rechtsstreitigkeit zu entscheiden. Von dieser Definition ausgeschlossen sind einseitig ausschließliche, sogenannte asymmetrische oder „hinkende“ Gerichtsstandsvereinbarungen.179 Diese werden daher als nichtausschließliche Gerichtsstandsvereinbarungen von Art. 5 Abs. 1 lit. m HAVÜ erfasst.180 Eine Vermutung zugunsten der Ausschließlichkeit von Gerichtsstandsvereinbarungen, wie sie in Art. 3 lit. b HGÜ vorgesehen ist, greift im Rahmen von Art. 5 Abs. 1 lit. m HAVÜ allerdings nicht.181 Dieser Teil der Definition des Art. 3 HGÜ ist gerade nicht übernommen worden. Auch die Zwecke von Art. 5
176
Vgl. Antomo, ZZPInt 17 (2012), 183 (202); Mills, Party Autonomy, S. 108. Vgl. Mills, Party Autonomy, S. 109 f. 178 Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 215; Nielsen, FS Kronke, S. 415 (424). Unter dem HGÜ ist zwar durch den Erklärungsmechanismus in Art. 22 HGÜ auch die Möglichkeit der Einbeziehung nichtausschließlicher Gerichtsstandsvereinbarungen eröffnet. Davon ist aber bisher kein Gebrauch gemacht worden. 179 Vgl. Hartley/Dogauchi, Explanatory Report, Rn. 105 f.; Bläsi, HGÜ, S. 45; Huber, IPRax 2016, 197 (199). 180 Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 217; Nielsen, FS Kronke, S. 415 (424); Yeo, Singapore Academy of Law Journal 32 (2020), 1153 (1172). 181 A.A. Solomon, FS Thümmel, S. 873 (886); Yeo, Singapore Academy of Law Journal 32 (2020), 1153 (1168) (unter Verweis auf die Parallelität zum HGÜ). 177
B. Indirekte Zuständigkeit des Ursprungsgerichts
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Abs. 1 lit. m HAVÜ gebieten keine Vermutung zugunsten der Ausschließlichkeit. Zwar würde eine solche die Wahrscheinlichkeit von Überscheidungen zwischen den beiden Übereinkommen reduzieren. Nach der hier vertretenen Auffassung ist es theoretisch denkbar, dass ein und dieselbe Gerichtsstandsvereinbarung aufgrund der Vermutung des Art. 3 lit. b HGÜ für die Zwecke des HGÜ als ausschließlich und mangels entsprechender Vermutung für die Zwecke des HAVÜ als nichtausschließlich eingeordnet werden könnte. Dies ist jedoch wenig problematisch, da nach Art. 23 Abs. 2 HAVÜ ohnehin das HGÜ vorgeht, sofern Ursprungsstaat und ersuchter Staat Vertragsstaaten des HGÜ sind. Überschneidungen von HAVÜ und HGÜ wären nur insoweit problematisch als durch sie die Attraktivität des HGÜ geschmälert werden könnte. Das ist jedoch für Überschneidungen im beschriebenen Sinne nicht zu befürchten. Wenn ein Staat mehr Rechtssicherheit für die Anerkennung und Vollstreckung von auf Grundlage ausschließlicher Gerichtsstandsvereinbarungen ergangener Urteile schaffen möchte, ist das HAVÜ so oder so unzulänglich. Umgekehrt würde eine Vermutung zugunsten der Ausschließlichkeit den Anwendungsbereich des Art. 5 Abs. 1 lit. m HAVÜ ohne Not auch in solchen Fällen einschränken, in denen das HGÜ nicht zur Anwendung kommt (z.B., weil der sachliche Anwendungsbereich des HGÜ nicht eröffnet ist oder weil Ursprungsstaat und/oder ersuchter Staat keine Vertragsstaaten des HGÜ sind). Das Ergebnis wäre, dass weder das HAVÜ noch das HGÜ eine Grundlage für die Anerkennung der Entscheidung bieten würde.182 Solche „Lücken“ zwischen den Instrumenten sollten aber gerade vermieden werden.183 Letztlich scheint auch der Explanatory Report davon auszugehen, dass im Rahmen von Art. 5 Abs. 1 lit. m HAVÜ keine Vermutung zugunsten der Ausschließlichkeit greift.184 Der Umstand, dass das HAVÜ für ausschließliche Gerichtsstandsvereinbarungen keinen indirekten Zuständigkeitsgrund vorsieht, kann freilich zu Problemen führen, soweit Staaten lediglich das HAVÜ, nicht aber das HGÜ ratifizieren.185 In einer solchen Konstellation wäre die Anerkennung und Vollstreckung einer Entscheidung, der eine ausschließliche Gerichtsstandsvereinbarung für Gerichte des Urteilsstaats zugrunde liegt, nicht durch eine völkervertragliche Verpflichtung sichergestellt. In den Verhandlungen zum HAVÜ
182
Vorausgesetzt ist, dass kein anderer indirekter Zuständigkeitsgrund des HAVÜ ein-
greift. 183
Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 216. Vgl. Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 219 (die Vermutung wird im Rahmen des Beispiels gerade nicht für das HAVÜ, sondern erst im Zusammenhang mit dem HGÜ erwähnt). 185 Vgl. Bonomi, YbPIL 17 (2015/16), 1 (16); Solomon, FS Thümmel, S. 873 (885). 184
224
Kapitel 5: Voraussetzungen der Anerkennung und Vollstreckung
wurde daher von einigen Staaten die Einbeziehung ausschließlicher Gerichtsstandsvereinbarungen in Art. 5 Abs. 1 lit. m HAVÜ gefordert.186 Andere Delegationen befürchteten jedoch, dass ein solches Vorgehen die Attraktivität des HGÜ mindern und dessen Erfolg gefährden könnte.187 Da für die Erweiterung der indirekten Zuständigkeitsgründe ein Konsens der Verhandlungsstaaten notwendig gewesen wäre,188 konnten sich die Befürworter der Einbeziehung ausschließlicher Gerichtsstandsvereinbarungen nicht durchsetzen. Der entsprechende Vorschlag wurde schließlich zurückgezogen.189 Im Sinne der Rechtssicherheit ist daher zu hoffen, dass das HAVÜ und das HGÜ von interessierten Staaten als Gesamtpaket verstanden werden.190 Die Erwähnung des HGÜ in der Präambel des HAVÜ, durch welche der komplementäre Charakter der beiden Übereinkommen hervorgehoben wird, soll dazu einen Beitrag leisten.191 Werden beide Übereinkommen ratifiziert, besteht kein Bedürfnis, den Anwendungsbereich des HGÜ über eine Erklärung nach Art. 22 HGÜ auf nichtausschließliche Gerichtsstandsvereinbarungen zu erweitern.192 3. (Sonstige) Besondere Zuständigkeitsgründe Art. 5 und 6 HAVÜ listen eine Reihe von (sonstigen193) besonderen Zuständigkeitsgründen auf, die sich auf eine Verbindung zwischen Streitgegenstand und Ursprungsstaat stützen. Grundlage der Anerkennungszuständigkeit ist insoweit ein Bezug des Rechtsstreits zum Ursprungsstaat. Anknüpfungspunkte sind z.B. der Erfüllungsort, der Ort von Handlungen oder Unterlassungen bei außervertraglichen Schuldverhältnissen oder der Belegenheitsort unbeweglicher Sachen.
186 Vgl. Minutes of the 22nd Session, Commission I, Minutes No 3, Meeting of 19 June 2019 (morning), Rn. 113–116, 119–122, 124, 127 (bisher unveröffentlicht). 187 Vgl. Minutes of the 22nd Session, Commission I, Minutes No 3, Meeting of 19 June 2019 (morning), Rn. 117 f., 123, 125 (bisher unveröffentlicht). 188 Vgl. Minutes of the 22nd Session, Commission I, Minutes No 3, Meeting of 19 June 2019 (morning), Rn. 130 (bisher unveröffentlicht). 189 Minutes of the 22nd Session, Commission I, Minutes No 5, Meeting of 20 June 2019 (morning), Rn. 73 (bisher unveröffentlicht). 190 Insoweit kann es als positives Zeichen gewertet werden, dass Israel am 3.3.2021 beide Übereinkommen unterzeichnet hat. 191 Vgl. Minutes of the 22nd Session, Commission I, Minutes No 5, Meeting of 20 June 2019 (morning), Rn. 74, 76 (bisher unveröffentlicht). 192 Zu Art. 22 HGÜ siehe Wagner, RabelsZ 73 (2009), 100 (140 f.). 193 Bei den indirekten Zuständigkeitsgründen in Art. 5 Abs. 1 lit. b und d HAVÜ handelt es sich ebenfalls um besondere Zuständigkeitsgründe, da sie auf Ansprüche beschränkt sind, die ihren Ursprung in der Geschäftstätigkeit des Betriebs bzw. der Zweigniederlassung, der Agentur oder sonstigen Niederlassung haben. Vgl. Bonomi/Mariottini, YbPIL 20 (2018/19), 537 (551); siehe auch: Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 140.
B. Indirekte Zuständigkeit des Ursprungsgerichts
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a) Art. 5 Abs. 1 lit. g HAVÜ – Vertragliche Schuldverhältnisse aa) Anknüpfung an Erfüllungsort Art. 5 Abs. 1 lit. g HAVÜ stellt einen indirekten Zuständigkeitsgrund für vertragliche Schuldverhältnisse dar. Ob es um eine vertragliche Verpflichtung geht, bestimmt sich nach autonomen Maßstäben.194 Zentraler Anknüpfungspunkt ist der materiell-rechtliche Erfüllungsort der konkret in Frage stehenden (nicht: der charakteristischen) vertraglichen Verpflichtung („performance of ‚that‘ obligation“195).196 Maßgeblich dürfte auf die zugrundeliegende Hauptpflicht abzustellen sein, nicht (zwingend) auf die streitgegenständliche.197 Wenn also beispielsweise über einen Schadensersatzanspruch wegen mangelhafter Erfüllung der vertraglichen Primärpflicht entschieden wurde, dann kommt es nicht auf den Erfüllungsort des Schadensersatzanspruchs, sondern auf den der vertraglichen Primärpflicht an.198 Dies steht auch mit dem Wortlaut im Einklang, denn die Verurteilung zu Schadensersatz ist eine Entscheidung über die Hauptleistungspflicht. Der Erfüllungsort kann sich entweder aus der vertraglichen Vereinbarung selbst ergeben (i) oder, sofern es an einer (wirksamen) Erfüllungsortvereinbarung fehlt, aus dem anwendbaren Recht (ii). Im ersten Fall bestimmt sich die Wirksamkeit der vertraglichen Abrede nach dem Vertragsstatut.199 Dasselbe wird für etwaige Auslegungsfragen gelten müssen. Im zweiten Fall muss der Erfüllungsort nach dem Vertragsstatut ermittelt werden, was Art. 5 Abs. 1 lit. g ii) HAVÜ ausdrücklich normiert. Beiden Fällen ist gemein, dass das Gericht
194
Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 195; Weller, YbPIL 21 (2019/20), 279
(295). 195
Hervorhebung durch Verfasser. Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 181; Garcimartín, Neth. Int'l L. Rev. 2020, 19 (29); Bonomi/Mariottini, YbPIL 20 (2018/19), 537 (555). Ein Vorschlag, an den Erfüllungsort der für den Vertrag charakteristischen Leistungspflicht anzuknüpfen (WorkDoc No 19 of June 2016 (bisher unveröffentlicht)), fand in den Verhandlungen keine Zustimmung, vgl. Minutes of the Special Commission on the Recognition and Enforcement of Foreign Judgments (1–9 June 2016), Minutes No 4, Meeting of 2 June 2016 (afternoon), Rn. 63–89 (bisher unveröffentlicht). 197 Vgl. Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 181 („But if the purchaser files a claim for delayed delivery, sub-paragraph (g) will refer instead to the courts in the place of delivery“); entsprechend für das europäische Recht: EuGH 6.10.1976 − C-14/76, Slg. 1976 0-1497 – De Bloos/Bouyer; BGH 11.12.1996 – VIII ZR 154/95, BGHZ 134, 201 (205) = NJW 1997, 870 (871). 198 So i.Erg. auch Nielsen, JPIL 2020, 205 (218); vgl. auch Ständiges Büro der Haager Konferenz, Explanatory Note, PrelDoc No 2 of April 2016, Rn. 93 (zu Art. 5 Abs. 1 lit. e des vorläufigen Entwurfstexts). 199 Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 182; Weller, YbPIL 21 (2019/20), 279 (296). 196
226
Kapitel 5: Voraussetzungen der Anerkennung und Vollstreckung
im ersuchten Staat das Vertragsstatut nach seinem eigenen Kollisionsrecht bestimmt.200 Die Vereinbarung der Parteien bzw. das anwendbare Recht sind auch dann maßgeblich, wenn bereits geleistet worden ist.201 Art. 5 Abs. 1 lit. g HAVÜ ist nicht so zu lesen, dass bei bereits erfolgter Leistung allein ein autonom zu bestimmender Ort der tatsächlichen Leistungserbringung maßgeblich wäre und nur dann, wenn noch nicht geleistet wurde, auf die Erfüllungsortvereinbarung bzw. das anwendbare Recht abzustellen ist.202 Dies verdeutlich bereits die grammatikalische Auslegung der Vorschrift.203 Dass sich die Bezugnahme auf Erfüllungsortvereinbarung und anwendbares Recht („in accordance with […]“) auf beide Varianten („took place“ und „should have taken place“) bezieht, ergibt sich aus der Interpunktion. Die Variante „should have taken place“ ist in Kommata gesetzt und stellt einen klarstellenden Einschub dar. Der Hauptsatz würde isoliert „took place in accordance with“ lauten. In der französischen Sprachfassung signalisiert das Komma vor „conformément“, dass die nachfolgenden Anknüpfungen sich auf beide zuvor genannten Varianten („a été“ und „aurait dû être exécutée“) beziehen. Frühere Entwurfsfassungen der Vorschrift konnten noch so gelesen werden, dass es primär auf den Ort der tatsächlichen Leistung ankommen soll und Erfüllungsortvereinbarung bzw. das anwendbare Recht nur relevant sind, wenn noch nicht geleistet wurde.204 Im Rahmen der zweiten Sitzung der Spezialkommission wurde die Formulierung und Struktur der Vorschrift bewusst geändert, um ein derartiges Verständnis auszuschließen.205 Auch der Explanatory Report stellt klar, dass die Erfüllungsortvereinbarung unabhängig davon entscheidend ist, ob tatsächlich an diesem Ort geleistet wurde.206
200 Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 182, 184; Weller, YbPIL 21 (2019/20), 279 (295, 297). 201 Vgl. Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 182; Nielsen, JPIL 2020, 205 (219); Weller, YbPIL 21 (2019/20), 279 (297). 202 In diesem Sinne aber offenbar Fuchs, GWR 2019, 395 (397) („Das Urteil betrifft eine vertragliche Verpflichtung und wurde von den Gerichten des Staates erlassen, in dem diese Verpflichtung erfüllt wurde oder nach der Vereinbarung der Parteien oder mangels Vereinbarung nach dem anwendbaren materiellen Recht erfüllt werden musste (Art. 5 I Buchst. g).“). 203 Im englischen Wortlaut: „[…] the judgment ruled on a contractual obligation and it was given by a court of the State in which performance of that obligation took place, or should have taken place, in accordance with (i) the agreement of the parties, or (ii) the law applicable to the contract, in the absence of an agreed place of performance, […].“ 204 Vgl. Art. 5 Abs. 1 lit. g vorläufiger Konventionsentwurf 2016. 205 Vgl. Minutes of the Special Commission on the Recognition and Enforcement of Foreign Judgments (16–24 February 2017), Minutes No 4, Meeting of 17 February 2017 (afternoon), Rn. 6–16 (bisher unveröffentlicht). 206 Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 182.
B. Indirekte Zuständigkeit des Ursprungsgerichts
227
Wenn also beispielsweise im ursprünglich zwischen den Parteien geschlossenen Vertrag eine Leistung in Staat A vereinbart worden war und der Schuldner nun in Staat B leistet, ist nicht automatisch eine indirekte Zuständigkeit hinsichtlich dieser vertraglichen Verpflichtung in Staat B begründet. Andernfalls hätte der Schuldner es in der Hand, durch eine vertragswidrige Leistung eine indirekte Zuständigkeit in einem ihm günstig erscheinenden Forum zu begründen. Vielmehr wäre zunächst unter (i) prüfen, ob nach dem aus Sicht des ersuchten Staats anwendbaren Recht durch Erbringung und Annahme der Leistung konkludent eine neue Erfüllungsortvereinbarung für Staat B zustande gekommen ist.207 Wenn dies nicht der Fall ist (z.B., weil es an einer Annahme der Leistung durch den Gläubiger fehlt), ist eine indirekte Zuständigkeit aufgrund der ursprünglichen Erfüllungsortvereinbarung in Staat A begründet, also dort wo hätte geleistet werden sollen. bb) Zweckgerichtete und wesentliche Verbindung Der Erfüllungsort der vertraglichen Verpflichtung genügt als Anknüpfungspunkt ausnahmsweise dann nicht, wenn die Tätigkeiten des Beklagten im Zusammenhang mit der Transaktion eindeutig keine zweckgerichtete und wesentliche Verbindung („purposeful and substantial connection“ bzw. „lien intentionnel et substantiel“) zu diesem Staat darstellen (Art. 5 Abs. 1 lit. g a.E. HAVÜ).208 Über diese Voraussetzung wird gewährleistet, dass nicht nur eine hinreichende Verbindung des Ursprungsstaats zur vertraglichen Verpflichtung als Gegenstand der Klage besteht, sondern auch zum Beklagten. Das Kriterium der zweckgerichteten und wesentlichen Verbindung schafft eine gewisse Flexibilität. Daher wird die Sorge formuliert, dass die Vorhersehbarkeit und Rechtssicherheit beeinträchtigt sein könnten.209 Die Schwelle ist allerdings hoch. An der zweckgerichteten und wesentlichen Verbindung muss es eindeutig („clearly“ bzw. „manifestement“) fehlen. Es liegt zudem nahe, die Beweislast für das Fehlen einer zweckgerichteten und wesentlichen Verbindung dem Beklagten aufzuerlegen.210 207
Vgl. Weller, YbPIL 21 (2019/20), 279 (297); Jacobs, ZfRV 2017, 24 (28) (zum vorläufigen Konventionsentwurf 2016). 208 Ausführlich: Brand/Mariottini, Note on the concept of “Purposeful and Substantial Connection”, PrelDoc No 6 of September 2017. 209 van Loon, NIPR 2020, 4 (13); Schack, IPRax 2020, 1 (5); Bonomi/Mariottini, YbPIL 20 (2018/19), 537 (557). 210 Ob dies unmittelbar aus der Vorschrift folgt, also vom HAVÜ selbst implizit angeordnet wird (so offenbar noch Garcimartín/Saumier, Judgments Convention: Revised Draft Explanatory Report, PrelDoc No 1 of December 2018, Rn. 195 – allerdings nicht mehr in der finalen Version des Berichts), oder indirekt daraus folgt, dass nach dem Recht der künftigen Vertragsstaaten regelmäßig Zweck, Systematik und Wortlaut der entsprechenden Vorschrift für die Verteilung der Beweislast maßgeblich sein werden, dürfte an dieser Stelle nicht entscheidend sein.
228
Kapitel 5: Voraussetzungen der Anerkennung und Vollstreckung
Art. 5 Abs. 1 lit. g HAVÜ kombiniert eine Erfüllungsortanknüpfung europäischen Vorbilds211 mit einer „Ausweichklausel“, die insbesondere der Rechtsprechung zur Due Process Clause im 14. Zusatzartikel der US-amerikanischen Verfassung Rechnung trägt.212 Insbesondere das US-amerikanische Recht kann aufgrund der Entstehungsgeschichte des Art. 5 Abs. 1 lit. g HAVÜ Impulse für die Auslegung des Begriffs der zweckgerichteten und wesentlichen Verbindung geben.213 Im Kern geht es bei der Ausnahme darum, den indirekten Zuständigkeitsgrund auszuschließen, wenn der Erfüllungsort beliebig oder unzureichend mit dem Vertrag verbunden ist.214 Dies kann beispielsweise bei Verträgen der Fall sein, die online abgeschlossen und erfüllt werden (z.B. Kauf einer Software zum Download, Online-Glücksspiel oder Streaming-Portale).215 Entscheidend wird nach dem Wortlaut auf die Aktivitäten des Beklagten im Zusammenhang mit dem Geschäft (nicht nur mit der streitigen Verpflichtung) abgestellt. Die Ausnahme kann, um auf die Begrifflichkeit des US-amerikanischen Supreme Court zurückzugreifen, zum Zug kommen, wenn es an minimum contacts zwischen dem Beklagten und dem Urteilsstaat im Zusammenhang mit dem Vertrag fehlt.216 Entsprechende „Kontakte“ des Beklagten zum Urteilsstaat können etwa bestehen, wenn im Urteilsstaat Vertragsverhandlungen stattgefunden haben, der Vertrag dort geschlossen wurde oder der Beklagte dort Handlungen vorgenommen hat.217 Die Kontakte des Beklagten zum Urteilsstaat müssen sich nach dem Wortlaut der Vorschrift auf das konkrete Geschäft beziehen („in relation to the transaction“ bzw. „en relation avec la transaction“). Im Rahmen der US-amerikanischen Rechtsprechung zur Auslegung der Due Process Clause wird eine hinreichende Verbindung dann angenommen, wenn der Beklagte aufgrund seines Verhaltens und seiner Verbindungen zum Forum vernünftigerweise davon ausgehen musste, dass er dort vor Gericht gestellt wird.218 Wenn der Beklagte im Zusammenhang mit dem Vertrag weder im Urteilsstaat gehandelt hat noch den Vertrag in irgendeiner Form auf den Ursprungsstaat ausgerichtet hat, fehlt es an einer zweckgerichteten und wesentlichen Verbindung. Auch wenn der „Ausweichklausel“ eine größere Bedeutung für die Fälle des Art. 5 Abs. 1 lit. g ii) HAVÜ zukommt, bezieht sie 211
Vgl. Art. 7 Nr. 1 lit. a Brüssel Ia-VO. Wagner, IPRax 2016, 97 (100 f.). 213 Siehe bereits Kapitel 2 B.V. (S. 78). 214 Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 188; Solomon, FS Thümmel, S. 873 (879 f.). 215 Vgl. Garcimartín/Saumier, Judgments Convention: Revised Draft Explanatory Report, PrelDoc No 1 of December 2018, Rn. 195. 216 Vgl. International Shoe Co. v Washington, 326 U.S. 310, 316–317 (1945). 217 Vgl. Bonomi, YbPIL 17 (2015/16), 1 (21). 218 World-Wide Volkwagen Corp. v Woodson, 444 U.S. 286, 297 (1980); vgl. auch Brand/Mariottini, Note on the concept of “Purposeful and Substantial Connection”, PrelDoc No 6 of September 2017, Rn. 14. 212
B. Indirekte Zuständigkeit des Ursprungsgerichts
229
sich nach der Systematik der Vorschrift und ihrer Entstehungsgeschichte219 auf beide Varianten der Erfüllungsortbestimmung.220 cc) Erfüllungsort bei geografisch unbegrenzten Unterlassungspflichten Schwierigkeiten kann die Bestimmung des Erfüllungsortes vor allem dann bereiten, wenn es um vertragliche Verpflichtungen zur Unterlassung eines bestimmten Verhaltens geht. Dieser Problematik war man sich in den Verhandlungen bewusst, wollte die Lösung jedoch Rechtsprechung und Rechtswissenschaft überlassen.221 Es spricht vieles dafür, der Systematik des Art. 5 Abs. 1 lit. g HAVÜ folgend, zunächst die vertragliche Vereinbarung zu untersuchen (i). Womöglich ergibt eine Auslegung des Vertrages eine territoriale Beschränkung der Unterlassungsverpflichtung auf einen bestimmten Staat. Sofern eine Erfüllungsortvereinbarung nicht besteht, ist das Vertragsstatut zu befragen (ii). Nach deutschem Recht beispielsweise wäre grundsätzlich der Wohnsitz des Schuldners maßgeblich.222 Wie aber wäre damit umzugehen, wenn die Parteien vereinbart hätten, dass der Unterlassungsanspruch weltweit zu erfüllen ist oder wenn das anwendbare Recht eine entsprechende Antwort bereit hielte? Ist die indirekte Zuständigkeit dann weltweit begründet? Dagegen spricht die Funktion der indirekten Zuständigkeitsgründe, die gerade als Filter dienen und eine hinreichende Verbindung zum Urteilsstaat begründen sollen. Denkbar wäre, dem Ansatz des EuGH zu Art. 5 Nr. 1 EuGVÜ folgend,223 den Erfüllungsortgerichtsstand in Fällen geografisch unbegrenzt geltender Unterlassungspflicht nicht anzuwenden.224 Für eine solche Lösung könnte prima facie der Zweck der Regelung angeführt werden. Die indirekten Zuständigkeitsgründe sollen Fälle identifizieren, in denen eine hinreichende Verbindung zum Ursprungsstaat besteht.225 Eine weltweite Unterlassungspflicht weist aber im Grundsatz zu keinem Staat eine besondere
219 Vgl. z.B. Minutes of the Special Commission on the Recognition and Enforcement of Foreign Judgments (16–24 February 2017), Minutes No 4, Meeting of 17 February 2017 (afternoon), Rn. 36 f. (bisher unveröffentlicht). 220 Abweichend offenbar Weller, YbPIL 21 (2019/20), 279 (297). 221 Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 186; vgl. Minutes of the 22nd Session, Commission I, Minutes No 5, Meeting of 20 June 2019 (morning), Rn. 25–32 (bisher unveröffentlicht). 222 BGH 6.11.1973 – VI ZR 199/71, NJW 1974, 410 (411). 223 EuGH 19.2.2002 – C-256/00, Slg. 2002, I-1699 – Besix SA/Wasserreinigungsbau Alfred Kretzschmar GmbH & Co. KG. 224 Diese Auslegung wurde als denkbare Lösung für die Problematik auch in den Verhandlungen angesprochen: vgl. Minutes of the 22nd Session, Commission I, Minutes No 5, Meeting of 20 June 2019 (morning), Rn. 26, 28 (bisher unveröffentlicht). 225 Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 134.
230
Kapitel 5: Voraussetzungen der Anerkennung und Vollstreckung
Verknüpfung auf.226 Im Wortlaut könnte man an die Nennung des Staats des Erfüllungsorts anknüpfen und argumentieren, dass dieser sich nicht an einem bestimmten Ort lokalisieren lässt. Es spricht jedoch vieles dafür, dass sich die Fälle weltweiter Unterlassungspflichten durch eine Anwendung der in Art. 5 Abs. 1 lit. g HAVÜ vorgesehene Ausnahme („unless […]“) lösen lassen. Denn die Ausnahme soll gerade Fälle erfassen, in denen der Erfüllungsort beliebig oder unzureichend mit dem Vertrag verbunden ist.227 Aus der Existenz der Ausnahme folgt zwingend, dass allein der Umstand, dass eine vertragliche Verpflichtung an einem Ort zu erfüllen ist, nicht stets ausreicht, um eine zweckgerichtete und wesentliche Verbindung im Sinne der Vorschrift zu begründen. Sofern hingegen ein Gericht des Staates entschieden hat, in dem gegen die Unterlassungspflicht verstoßen worden ist, spricht der Zweck der Norm für eine indirekte Zuständigkeit. Denn dann besteht gerade eine besondere Verbindung zum Urteilsstaat.228 b) Art. 5 Abs. 1 lit. h HAVÜ – Miete oder Pacht von unbeweglichen Sachen Eine Regel für die Miete oder Pacht von unbeweglichen Sachen stellt Art. 5 Abs. 1 lit. h HAVÜ dar. Eine Entscheidung ist danach grundsätzlich anerkennungsfähig, wenn sie von einem Gericht des Staates erlassen wurde, in dem die unbewegliche Sache229 belegen ist. Erfasst werden im Grundsatz alle Arten entgeltlicher Gebrauchsüberlassungsverträge230 einschließlich Gewerberaummieten sowie Mietverträge über Ferienwohnungen.231 Bei Beherbergungsverträgen ist die Gebrauchsüberlassung allerdings nicht mehr prägend und Art. 5 Abs. 1 lit. h HAVÜ nicht anwendbar.232 Art. 5 Abs. 3 HAVÜ enthält eine Sonderregel für die Wohnraummiete und schließt die Anwendung von Art. 5 Abs. 1 HAVÜ aus. Der Anknüpfungspunkt ist allerdings derselbe.233 Indirekt zuständig für Streitigkeiten über Wohnraummiete ist gemäß Art. 5 Abs. 3 S. 2 HAVÜ der Staat, in dem das unbewegliche Eigentum belegen ist. Die Funktion des Art. 5 Abs. 3 HAVÜ besteht insoweit
226
Vgl. EuGH 19.2.2002 – C-256/00, Slg. 2002, I-1699 Rn. 49 – Besix SA/Wasserreinigungsbau Alfred Kretzschmar GmbH & Co. KG. 227 Siehe Kapitel 5 B.V.3.a)bb) (S. 227). 228 Insoweit ähnlich Garcimartín, Neth. Int'l L. Rev. 2020, 19 (30 f.). 229 Zum Begriff der unbeweglichen Sache („immovable property“) siehe Kapitel 5 B.V.3.g)cc) (S. 239). 230 Der deutsche Notarverein hat für eine deutsche Übersetzung den Begriff „Nutzungsüberlassung“ vorgeschlagen, Deutscher Notarverein, Stellungnahme vom 22.03.2016, S. 6 f. 231 Vgl. Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 190. 232 Ebenso für (den heutigen) Art. 24 Nr. 1 Brüssel Ia-VO: OLG Düsseldorf 21.2.2008 – 10 U 142/07, NJW-RR 2008, 1526; Geimer, in Geimer/Schütze, EuZVR, EuGVVO Art. 24 Rn. 111. 233 Bonomi/Mariottini, YbPIL 20 (2018/19), 537 (560).
B. Indirekte Zuständigkeit des Ursprungsgerichts
231
darin, die Anwendung der übrigen Anknüpfungspunkte des Art. 5 Abs. 1 HAVÜ (z.B. rügelose Einlassung) für die Wohnraummiete auszuschließen. Art. 5 Abs. 1 lit. h HAVÜ verdrängt nicht die Anwendung des allgemeinen Zuständigkeitsgrundes für vertragliche Schuldverhältnisse in Art. 5 Abs. 1 lit. g HAVÜ.234 Dass beide Zuständigkeitsgründe für Miet- oder Pachtverträge zur Verfügung stehen, kann vor allem im Hinblick auf Entscheidungen über die Zahlung der Miete oder Pacht relevant werden.235 Liegt der Erfüllungsort für die Zahlungsverpflichtung außerhalb des Belegenheitsstaats im Sinne des Art. 5 Abs. 1 lit. h HAVÜ, begründet Art. 5 Abs. 1 lit. g HAVÜ insoweit auch dort eine indirekte Zuständigkeit. c) Art. 5 Abs. 1 lit. i HAVÜ – Dinglich gesicherte vertragliche Ansprüche Art. 5 Abs. 1 lit. i HAVÜ sieht einen indirekten Zuständigkeitsgrund für dinglich gesicherte vertragliche Ansprüche vor. Die Vorschrift betrifft die Konstellation, dass ein vertraglicher Anspruch durch ein dingliches Recht236 an einer unbeweglichen Sache237 (z.B. Hypothek oder Grundschuld) abgesichert ist. Das Urteil ist in diesem Fall anerkennungs- und vollstreckungsfähig, wenn die Entscheidung in dem Vertragsstaat ergangen ist, in dem das Grundstück belegen ist, sofern der vertragliche Anspruch zusammen mit dem dinglichen Sicherungsrecht geltend gemacht worden ist. Die Verbindung des vertraglichen Anspruchs zum Ursprungsstaat besteht also mittelbar durch das Sicherungsrecht. Art. 5 Abs. 1 lit. i HAVÜ ist im Zusammenhang mit Art. 6 HAVÜ zu lesen.238 Nach Art. 6 HAVÜ können Urteile über dingliche Rechte an unbeweglichen Sachen nur anerkannt oder vollstreckt werden, sofern sie von Gerichten des Belegenheitsstaats gefällt wurden. Es ist jedoch denkbar, dass ein solches dingliches Recht einen vertraglichen Anspruch sichert, für den an sich kein indirekter Zuständigkeitsgrund im Belegenheitsstaat besteht. Dies hätte zur Folge, dass ein Gläubiger, um eine Anerkennung und Vollstreckbarkeit der späteren Entscheidung unter dem HAVÜ zu erreichen, den vertraglichen Anspruch und das dingliche Recht in zwei verschiedenen Staaten geltend machen müsste. Um dies zu vermeiden, eröffnet Art. 5 Abs. 1 lit. i HAVÜ eine indirekte Zuständigkeit am Belegenheitsort des Grundstücks auch für den vertraglichen Anspruch.
234
Vgl. Bonomi/Mariottini, YbPIL 20 (2018/19), 537 (559). Vgl. Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 191. 236 Zum Begriff des dinglichen Rechts („right in rem“) siehe Kapitel 5 B.V.3.g)bb) (S. 238). 237 Zum Begriff der unbeweglichen Sache („immovable property“) siehe Kapitel 5 B.V.3.g)cc) (S. 239). 238 Vgl. Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 192; Bonomi/Mariottini, YbPIL 20 (2018/19), 537 (560). 235
232
Kapitel 5: Voraussetzungen der Anerkennung und Vollstreckung
d) Art. 5 Abs. 1 lit. j HAVÜ – Außervertragliche Schuldverhältnisse Nach Art. 5 Abs. 1 lit. j HAVÜ besteht für außervertragliche Ansprüche wegen der Verletzung von Leben, Körper oder Eigentum eine Anerkennungszuständigkeit für Gerichte des Vertragsstaates, in dem die unmittelbar zur Verletzung führende Handlung oder Unterlassung begangen wurde. Ob eine vertragsstaatliche Entscheidung ein außervertragliches Schuldverhältnis betrifft, ist autonom zu bestimmen.239 Der Gerichtsstand ist sowohl im Hinblick auf die einbezogenen Ansprüche als auch hinsichtlich des Anknüpfungspunkts eng gefasst.240 Denn Art. 5 Abs. 1 lit. j HAVÜ erfasst nur ausgewählte außervertragliche Ansprüche, nämlich nur solche, die auf Personenschäden (einschließlich Tod) oder Sachschäden (Schäden oder Verluste) zurückgehen.241 Für außervertragliche Ansprüche wegen der Verletzung anderer Rechtsgüter oder reiner Vermögensschäden (z.B. im Kartellrecht242) begründet Art. 5 Abs. 1 lit. j HAVÜ keine indirekte Zuständigkeit.243 Unklar ist, ob nicht-körperliche Schäden Dritter, die mittelbar auf Personenschäden zurückgehen, erfasst werden (z.B. Unterhaltsschäden oder Beerdigungskosten).244 Angesichts der Vorbehalte, die zu solchen Konstellationen von verschiedenen Delegationen in den Verhandlungen geäußert wurden,245 dürften solche indirekten Schäden von Art. 5 Abs. 1 lit. j HAVÜ nicht umfasst sein.246 Weniger problematisch ist hingegen die Einbeziehung von Schockschäden naher Angehöriger, beispielsweise in Folge eines Verkehrsunfalls.247 Da die Sekundärgeschädigten in solchen Konstellationen einen eigenen, psychisch vermittelten Gesundheitsschaden erleiden,248 liegt bei diesen selbst eine Rechtsgutsverletzung im Sinne des Art. 5 Abs. 1 lit. j HAVÜ vor.249
239
Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 195; siehe auch Kapitel 2 C. (S. 84). Vgl. Kessedjian, NIPR 2020, 19 (30); van Loon, NIPR 2020, 4 (13); Nielsen, FS Kronke, S. 415 (423); Schack, IPRax 2020, 1 (5); Symeonides, Cross-Border Infringement of Personality Rights, S. 138 f.; Wagner, IPRax 2016, 97 (101). 241 Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 196. 242 Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 72; North, The possible exclusion of anti-trust matters, PrelDoc No 2 of December 2018, Rn. 44. Zum teilweisen Ausschluss des Kartellrechts vom Anwendungsbereich siehe Kapitel 4 A.II.1. (S. 123). 243 Schack, IPRax 2020, 1 (5); Weller, YbPIL 21 (2019/20), 279 (301). 244 Vgl. Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 197; Solomon, FS Thümmel, S. 873 (883 f.); Weller, YbPIL 21 (2019/20), 279 (301 f.). 245 Vgl. Minutes of the Special Commission on the Recognition and Enforcement of Foreign Judgments (24–29 May 2018), Minutes No 6, Meeting of 28 May 2018 (morning), Rn. 58, 60 (bisher unveröffentlicht). 246 A.A. Stein, IPRax 2020, 197 (201) Fn. 31. 247 Vgl. etwa die Konstellation in EuGH 10.12.2015 – C-350/14, ECLI:EU:C:2015:802 – Lazar/Allianz SpA. 248 Vgl. Wagner, in: MüKO-BGB, § 823 Rn. 214. 249 Vorsichtiger Solomon, FS Thümmel, S. 873 (883). 240
B. Indirekte Zuständigkeit des Ursprungsgerichts
233
Art. 5 Abs. 1 lit. j HAVÜ knüpft allein an den Handlungs- bzw. Unterlassungsort an. Der Erfolgsort bzw. Ort des Schadenseintritts begründet ausdrücklich keine Zuständigkeit („irrespective of where that harm occurred“ bzw. „quel que soit le lieu où le dommage est survenu“).250 Den wiederholten Vorschlägen, eine indirekte Zuständigkeit auch am Erfolgsort vorzusehen,251 wurde in den Verhandlungen nicht gefolgt.252 Gerade in Produkthaftungsfällen, aber auch in anderen Konstellationen ist der Erfolgsort schwer vorhersehbar253 und es war nicht möglich, sich auf entsprechende Sicherungsmechanismen zu verständigen.254 Zuständigkeitsbegründend ist nach Art. 5 Abs. 1 lit. j HAVÜ daher allein die Handlung oder Unterlassung, die unmittelbar zur Rechtsgutsverletzung geführt hat („directly causing such harm“ bzw. „directement à l’origine du dommage“). Dadurch wird klargestellt, dass nicht jedes kausale Verhalten eine indirekte Zuständigkeit begründet. Insbesondere sind bloße Vorbereitungshandlungen nicht ausreichend. Der Kauf einer Waffe für eine später in einem anderen Staat begangene Körperverletzung begründet also keine indirekte Zuständigkeit, weil der Kauf nicht unmittelbar zur Rechtsgutsverletzung geführt hat.255 Demgegenüber dürfte die erforderliche Unmittelbarkeit bei Schockschäden naher Angehöriger zu bejahen sein. Die Handlung oder Unterlassung, die unmittelbar die Verletzung des primär Geschädigten (z.B. des Unfallsopfers) verursacht hat, ist für die Zwecke des Art. 5 Abs. 1 lit. j HAVÜ auch als das Verhalten anzusehen, dass unmittelbar zur Gesundheitsschädigung des Sekundärgeschädigten geführt hat. Einer einschränkenden Auslegung bedarf es insofern nicht, da der Handlungsort (z.B. der Ort des Unfallgeschehens) für den Schädiger vorhersehbar ist. Anders wäre dies gegebenenfalls bei einer Anknüpfung an den Ort, in dem der Schockschaden eingetreten ist. Dieser ist jedoch im Rahmen von Art. 5 Abs. 1 lit. j HAVÜ irrelevant, da Erfolgsort und Schadensort die Anerkennungszuständigkeit nicht begründen.
250 Dies wird auf die Position der USA zurückgeführt: De Miguel Asensio/Cuniberti/ Franzina/Heinze/Requejo Isidro, Judgments Convention Study, S. 34. 251 WorkDoc. No 20 of June 2016 (bisher unveröffentlicht); WorkDoc No 37 of June 2019 (bisher unveröffentlicht); für Umweltdelikte: WorkDoc No 35 of June 2019 (bisher unveröffentlicht). 252 Siehe insbesondere Minutes of the 22nd Session, Commission I, Minutes No 3, Meeting of 19 June 2019 (morning), Rn. 65 ff. (bisher unveröffentlicht); Minutes of the 22nd Session, Commission I, Minutes No 5, Meeting of 20 June 2019 (morning), Rn. 79 (bisher unveröffentlicht). 253 Vgl. Schack, ZEuP 2014, 824 (838); Solomon, FS Thümmel, S. 873 (882 f.). 254 Art. 10 Abs. 1 lit. b Konventionsentwurf 1999 machte die Erfolgsortzuständigkeit beispielsweise von der Vorhersehbarkeit des Erfolgsorts für den Beklagten abhängig. 255 Vgl. Ständiges Büro der Haager Konferenz, Explanatory Note, PrelDoc No 2 of April 2016, Rn. 106 (zu Art. 5 Abs. 1 lit. f des vorläufigen Entwurfstexts).
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Kapitel 5: Voraussetzungen der Anerkennung und Vollstreckung
Die schwierige Problematik der Bestimmung des Erfolgsorts bei reinen Vermögensschäden256 oder Persönlichkeitsverletzungen257 stellt sich unter dem HAVÜ folglich ebenfalls nicht.258 Schwierigkeiten kann im Rahmen des Art. 5 Abs. 1 lit. j HAVÜ allerdings die Lokalisierung einer Unterlassung bereiten. Der Explanatory Report überlässt die Klärung der Frage dem Gericht im ersuchten Staat. Soweit die Lokalisierung des Unterlassungsorts im ersuchten Staat eine Rechtsfrage darstellt, kann der Ort der Unterlassung nach der lex fori unter Einschluss des internationalen Privatrechts bestimmt werden.259 Nach deutschem Recht liegt der Ort einer Unterlassung dort, wo die unterlassene Handlung vorzunehmen gewesen wäre.260 Der Explanatory Report ist bei seinen Ausführungen jedoch darum bemüht, der künftigen Entwicklung eines autonomen Ansatzes zur Bestimmung des Orts der Unterlassung keine Steine in den Weg zu legen. So lässt sich erklären, dass der Blick ins nationale Recht zur Bestimmung des Orts der Unterlassung lediglich als Möglichkeit formuliert ist („the court addressed may look“)261 und in einem Atemzug auch auf den Grundsatz der autonomen und einheitlichen Auslegung hingewiesen wird.262 Prinzipiell spricht Art. 20 HAVÜ für die Entwicklung autonomer Maßstäbe zur Lokalisierung von Unterlassungen. Angesichts der Vielgestaltigkeit möglicher Unterlassungsdelikte dürfte es schwierig sein, eine generelle und umfassende autonome Definition zu formulieren. Demgegenüber erscheint es denkbar, jedenfalls für bestimmte Fallgruppen autonome Kriterien zur Lokalisierung von Unterlassungen zu entwickeln. Die Lösungen sollten insbesondere am Grundsatz der Vorhersehbarkeit orientiert sein263 und zugleich gewährleisten, dass eine bedeutsame Verbindung zwischen dem außervertraglichen Schuldverhältnis und dem Urteilsstaat besteht.264 Nach diesem Maßstab liegt es etwa nahe, dass beim Vorwurf der unterlassenen Sicherung einer ortsfesten Gefahrenquelle (z.B. einer Baustelle oder eines Freizeitparks) die Unterlassung dort begangen ist, wo sich die Gefahrenquelle befindet. Der Rückgriff auf das nationale Recht kann für solche Fälle unterbleiben.
256
Für die Brüssel Ia-VO: Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, Art. 7 EuGVVO Rn. 19c. Für die Brüssel Ia-VO: Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, Art. 7 EuGVVO Rn. 20. 258 Vgl. insofern auch den Ausschluss der Verleumdung und der Privatsphäre vom Anwendungsbereich, Art. 2 Abs. 1 lit. k, l HAVÜ. 259 Vgl. Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 198 Fn. 142. 260 OLG Frankfurt a.M. 19.7.2007 – 1 W 41/07, NJOZ 2007, 4637 (4638) (für § 32 ZPO). 261 Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 198 Fn. 142. 262 Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 198 a.E. 263 Vgl. Abs. 4 der Präambel des HAVÜ; Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 17. 264 Vgl. allgemein: Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 134, 138. 257
B. Indirekte Zuständigkeit des Ursprungsgerichts
235
Sofern mehrere Schädiger zusammen wegen einer deliktischen Handlung verurteilt werden, muss der indirekte Zuständigkeitsgrund für jeden einzeln erfüllt sein, also eine entsprechende Handlung oder Unterlassung dieses Beklagten im Urteilsstaat vorliegen.265 Die Ausführungen im Explanatory Report266 sowie die Diskussion im Rahmen der Verhandlungen267 sprechen dafür, dass das HAVÜ nicht von einer zuständigkeitsbegründenden Handlungszurechnung ausgeht.268 e) Art. 5 Abs. 1 lit. k HAVÜ – Trusts Einen besonderen Gerichtsstand für das (insbesondere) in Common LawRechtsordnungen verbreitete Rechtsinstitut des trust sieht Art. 5 Abs. 1 lit. k HAVÜ vor. Zur Auslegung des Begriffs trust kann auf die Definition in Art. 2 des Haager Trust-Übereinkommens269 zurückgegriffen werden.270 Der Anwendungsbereich des Art. 5 Abs. 1 lit. k HAVÜ beschränkt sich auf Entscheidungen, die die Wirksamkeit, Auslegung, Wirkungen, Verwaltung oder Änderung eines freiwillig errichteten und in Schriftform271 nachgewiesenen trust betreffen. Er bezieht sich ausdrücklich nur auf das Innenverhältnis der am trust-Verhältnis beteiligten Personen (settlor, trustee, beneficiaries). Für das Außenverhältnis gilt Art. 5 Abs. 1 lit. k HAVÜ nicht.272 Zuständigkeitsbegründend ist eine nicht notwendigerweise ausschließliche273 Gerichtsstandsbestimmung im trust-Instrument (i)274 oder eine ausdrückliche oder stillschweigende Bestim-
265
Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 194 Fn. 140. Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 194 Fn. 140. 267 Minutes of the 22nd Session, Commission I, Minutes No 3, Meeting of 19 June 2019 (morning), Rn. 49–59 (bisher unveröffentlicht), wobei teilweise die Möglichkeit einer künftigen Weiterentwicklung bei der Interpretation der Vorschrift betont wurde (z.B. Rn. 50). 268 So auch die Rechtsprechung des EuGH zur Brüssel I-VO: EuGH 16.5.2013 – C228/11, ECLI:EU:C:2013:305 – Melzer/MF Global UK Ltd. 269 Haager Übereinkommen vom 1. Juli 1985 über das auf Trusts anzuwendende Recht und über ihre Anerkennung (Text abrufbar unter ). 270 Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 200; Kessedjian, NIPR 2020, 19 (29) Fn. 29; generell zur konventionsübergreifenden Auslegung: Kapitel 2 B.II.3. (S. 67). 271 Der Vergleich des Formerfordernisses von Art. 5 Abs. 1 lit. k HAVÜ („evidenced in writing“) mit demjenigen in lit. m („concluded or documented in writing or by any other means of communication which renders information accessible so as to be usable for subsequent reference“) spricht dafür, dass ein lediglich elektronisch nachgewiesener trust nicht von Art. 5 Abs. 1 lit. k HAVÜ erfasst wäre. 272 Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 207. 273 Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 202. 274 Das HGÜ wird auf Gerichtsstandsbestimmungen in trusts typischerweise keine Anwendung finden. Denn vom Anwendungsbereich des HGÜ werden nur Gerichtsstandsvereinbarungen zwischen zwei oder mehr Parteien erfasst (Art. 3 lit. a HGÜ). Ein trust wird 266
236
Kapitel 5: Voraussetzungen der Anerkennung und Vollstreckung
mung des Orts der Hauptverwaltung des trust (ii) zum Zeitpunkt der Verfahrenseinleitung im Ursprungsstaat. Ein Vorrangverhältnis zwischen diesen beiden Varianten besteht nicht.275 Also auch dann, wenn der trust eine ausschließliche Gerichtsstandsbestimmung vorsieht, kann der abweichende Ort der Hauptverwaltung eine Anerkennungszuständigkeit begründen. Sofern die indirekte Zuständigkeit auf den Ort der Hauptverwaltung gestützt wird, kommt jedoch eine Versagung nach Art. 7 Abs. 1 lit. d HAVÜ in Betracht, wenn das Ursprungsverfahren mit einer Gerichtsstandsbestimmung im trust unvereinbar war.276 Die Wirksamkeit der Gerichtsstandsbestimmung richtet sich nach dem Recht des ersuchten Staates unter Einschluss seines internationalen Privatrechts. Dies stellt der Explanatory Report für Art. 7 Abs. 1 lit. d HAVÜ ausdrücklich klar.277 Im Rahmen von Art. 5 Abs. 1 lit. k i) HAVÜ ist von demselben Ansatz auszugehen. Entsprechendes gilt auch für die Frage der Wirksamkeit der Bestimmung der Hauptverwaltung (lit. k ii)). Auch hier ist – analog zur Frage der wirksamen Erfüllungsortsbestimmung im Rahmen von Art. 5 Abs. 1 lit. g HAVÜ278 – das Recht des Anerkennungsstaats unter Einschluss seines internationalen Privatrechts maßgeblich. Nach Art. 5 Abs. 1 lit. k ii) HAVÜ kann die Bestimmung des Orts der Hauptverwaltung des trust auch konkludent erfolgen. Unklar bleibt, ob sich auch die insoweit erforderliche Auslegung des trust-Instruments nach dem auf den trust anwendbaren Recht richtet oder nach autonomen Maßstäben erfolgen soll. Der Explanatory Report scheint von einem autonomen Ansatz auszugehen. Denn dort wird ausgeführt, dass das ersuchte Gericht den Willen des Begründers (settlor) anhand der Bestimmungen des trust-Instruments ergründen soll, ohne bestimmte Vermutungen zugrunde zu legen.279 Dies dürfte die Anwendung von etwaigen Vermutungen der lex causae ausschließen. Darüber hinaus gibt der Explanatory Report auch Beispiele vor, in denen die Annahme einer konkludenten Bestimmung gerechtfertigt sein könnte.280 Diese Handreichung für die Auslegung scheint, auch wenn sie vorsichtig formuliert ist,281 von aber regelmäßig einseitig durch den settlor errichtet (vgl. Art. 2 des Haager Trust-Übereinkommens; siehe auch Penner, The Law of Trusts, Rn. 2.73). Siehe zur Diskussion über die Anwendbarkeit des HGÜ auf trusts: Yeo, Singapore Academy of Law Journal 32 (2020), 1153 (1178–1180). 275 Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 206. 276 Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 206. 277 Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 269. 278 Siehe Kapitel 5 B.V.3.a)aa) (S. 225). 279 Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 204. 280 Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 205. 281 Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 205 („To assist with this determination, the following are non-exhaustive examples of terms that might provide evidence as to the implied intentions of the settlor […]“).
B. Indirekte Zuständigkeit des Ursprungsgerichts
237
der Nichtanwendbarkeit des materiellen Sachrechts auszugehen. Wäre nämlich das aus Sicht des ersuchten Gerichts anwendbare Sachrecht für die Auslegung maßgeblich, dann wären die im Explanatory Report genannten Beispiele nicht nur irrelevant, sondern könnten unter Umständen im Konflikt zu den Grundsätzen des anwendbaren Sachrechts stehen. f) Art. 5 Abs. 3 S. 2 HAVÜ – Wohnraummiete und Registrierung unbeweglichen Eigentums Art. 5 Abs. 3 HAVÜ betrifft die Wohnraummiete und die Registrierung unbeweglichen Eigentums.282 Die Vorschrift hat eine negative und eine positive Komponente. Durch Art. 5 Abs. 3 S. 1 HAVÜ wird negativ die Anwendung der in Art. 5 Abs. 1 HAVÜ normierten indirekten Zuständigkeitsgründe für Entscheidungen über die Wohnraummiete oder die Registrierung unbeweglichen Eigentums ausgeschlossen. Positiv wird für diese beiden Materien die Zuständigkeit der Gerichte im Staat der Belegenheit begründet. So besteht gemäß Art. 5 Abs. 3 S. 2 HAVÜ eine indirekte Zuständigkeit hinsichtlich Streitigkeiten über Wohnraummiete für Gerichte des Staates, in dem die Räumlichkeiten belegen sind. Die kurzzeitige Miete einer Ferienwohnung wird von Art. 5 Abs. 3 S. 2 nicht erfasst.283 Sie fällt unter Art. 5 Abs. 1 lit. h HAVÜ. Eine indirekte Zuständigkeit am Belegenheitsort der unbeweglichen Sache besteht nach Art. 5 Abs. 3 S. 2 HAVÜ ferner für Entscheidungen, die die „Registrierung“ unbeweglichen Eigentums betreffen. Die Vorschrift wurde erst in einem späten Stadium der Verhandlungen eingeführt, um den Bedenken einzelner Delegationen Rechnung zu tragen. Die zunächst angenommene Formulierung („ruled on a contractual right relating to the registration of immovable property“) wurde anschließend enger gefasst („ruled on the registration of immovable property“), um klarzustellen, dass nur Entscheidungen über die Registrierung unbeweglichen Eigentums erfasst werden und nicht etwa Zahlungsurteile.284 Art. 5 Abs. 3 S. 2 HAVÜ erfasst Registrierungsentscheidungen, die aus schuldrechtlichen Ansprüchen auf Verschaffung von Grundstückseigentum folgen.285 Unklar ist vor diesem Hintergrund, ob Entscheidungen deutscher Gerichte über Auflassungsklagen (gerichtet auf Auflassung eines Grundstücks und Bewilligung der Grundbucheintragung) unter die Vorschrift fallen.
282
Zum Begriff „immovable property“ siehe Kapitel 5 B.V.3.g)cc) (S. 239). Vorsichtig: Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 228 Fn. 158. 284 Minutes of the 22nd Session, Commission I, Minutes No 18, Meeting of 28 June 2019 (morning), Rn. 102 ff. (bisher unveröffentlicht). 285 Vgl. Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 229. 283
238
Kapitel 5: Voraussetzungen der Anerkennung und Vollstreckung
g) Art. 6 HAVÜ – Dingliche Rechte an unbeweglichen Sachen aa) Grundsatz Gemäß Art. 6 HAVÜ besteht eine ausschließliche Anerkennungszuständigkeit für Entscheidungen über dingliche Rechte an unbeweglichen Sachen für die Gerichte des Belegenheitsstaates. Art. 6 HAVÜ begründet positiv die indirekte Zuständigkeit der Gerichte im Vertragsstaat, in dem die unbewegliche Sache belegen ist. Darüber hinaus kommt Art. 6 HAVÜ eine negative Funktion zu („if and only if“). Die Vorschrift schließt, ähnlich wie Art. 45 Abs. 1 lit. e ii) i.V.m. Art. 24 Nr. 1 Brüssel Ia-VO,286 die Anerkennung oder Vollstreckung von Entscheidungen über dingliche Rechte an unbeweglichen Sachen aus anderen Staaten aus.287 Soweit dingliche Rechte an unbeweglichen Sachen nicht den Gegenstand der Entscheidung bilden, sondern lediglich als Vorfrage relevant waren, greift Art. 6 HAVÜ nicht.288 Unter den Voraussetzungen des Art. 8 Abs. 2 HAVÜ kommt in einem solchen Fall eine Versagung der Anerkennung oder Vollstreckung in Betracht, wenn die Entscheidung von einem Gericht außerhalb des Belegenheitsstaates stammt.289 bb) Dingliche Rechte Art. 6 HAVÜ erfasst nur Entscheidungen über dingliche Rechte an unbeweglichen Sachen. Entscheidungen über auf Grundstücke bezogene schuldrechtliche Ansprüche (z.B. aus einem Grundstückskaufvertrag) fallen nicht unter Art. 6 HAVÜ. Dingliche Rechte („rights in rem“ bzw. „droits réels“) sind absolute Rechte, die gegenüber jedermann (erga omnes290) wirken.291 Ob eine Entscheidung dingliche Rechte zum Gegenstand hat, bedarf eines Blicks in das Recht des Belegenheitsstaats.292 Denn für die Subsumtion unter den autonomen Begriff des dinglichen Rechts,293 also für die Prüfung, ob die Rechte erga omnes wirken, ist das nationale Recht des Belegenheitsorts heranzuziehen. Der Rahmen wird also durch einen autonomen Begriff gesetzt, während für die Subsumtion die Prüfung nationalen Rechts erforderlich ist.294
286
Wilderspin/Vysoka, NIPR 2020, 34 (38). Zur Reichweite der negativen Funktion siehe Kapitel 5 B.VII.3. (S. 252). 288 Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 232. 289 Siehe Kapitel 6 D.VIII. (S. 304). 290 Der Nygh/Pocar, Report, Rn. 164 spricht von einem Recht „as against the world“. 291 Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 234; Nielsen, JPIL 2020, 205 (224). 292 Entsprechendes gilt auch im Rahmen des Art. 5 Abs. 1 lit. i HAVÜ. 293 Vgl. Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 234. 294 Vgl. Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 234; ebenso im Rahmen von Art. 24 Nr. 1 Brüssel Ia-VO: EuGH 16.11.2016 – C-417/15, ECLI:EU:C:2016:881 Rn. 31 – W. Schmidt/C. Schmidt. 287
B. Indirekte Zuständigkeit des Ursprungsgerichts
239
Soweit Literaturstimmen zum HGÜ ausführen, dass nach nationalem Recht zu beurteilen sei, ob es sich um ein dingliches Recht handelt,295 bleibt unklar, ob damit – entsprechend der hier vertretenen Meinung – nur die Subsumtion unter einen implizit vorausgesetzten autonomen Begriff gemeint ist oder aber eine Qualifikationsverweisung auf nationales Recht zur freien Festlegung, was unter rights in rem zu verstehen sein soll. Einer völligen Freiheit des Rechts des Belegenheitsstaats, festzulegen, ob ein Recht ein dingliches Recht im Sinne von Art. 6 HAVÜ ist, stehen erhebliche Erwägungen entgegen. Erstens dürfte eine Wirkung erga omnes Bestandteil eines gewöhnlichen Wortlautverständnisses des Begriffs rights in rem bzw. droits réels sein.296 Zweitens stünde ein Ansatz, der es dem nationalen Recht freistellt, auch rein schuldrechtliche Rechte durch eine nationale Definition in den Anwendungsbereich der Vorschrift zu bringen, im Konflikt zu den Ausführungen im Explanatory Report.297 Drittens könnte das Recht des Belegenheitsstaats einseitig seine indirekte exklusive Zuständigkeit erweitern und so die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen anderer Vertragsstaaten verhindern. Eine Einordnung des Begriffs als Qualifikationsverweisung im oben beschriebenen Sinne ist daher abzulehnen. Auf der Grundlage des hier vertretenen autonomen Begriffsverständnisses können dingliche Rechte neben dem Eigentum, Grundpfandrechten oder Dienstbarkeiten zum Beispiel auch Landrechte indigener Völker sein. Art. 6 HAVÜ geht den Regelungen des Art. 5 HAVÜ vor („Notwithstanding“ bzw. „Nonobstant“).298 Soweit also beispielsweise long-term leases oder sonstige Gebrauchsüberlassungen absoluten Charakter nach dem Recht des Belegenheitsorts haben, fällt eine entsprechende Entscheidung unter Art. 6 HAVÜ und nicht unter Art. 5 Abs. 1 lit. h oder Abs. 3 HAVÜ.299 cc) Unbewegliche Sachen Der Begriff der unbeweglichen Sache („immovable property“)300 in Art. 6 HAVÜ (ebenso im Rahmen von Art. 5 Abs. 1 lit. h, lit. i und Abs. 3 HAVÜ) wirft die Frage auf, ob die Einordnung als unbeweglich und damit auch die Abgrenzung zwischen unbeweglichen und beweglichen Sachen autonom zu erfolgen hat. Dagegen ließe sich anführen, dass durch die Anknüpfung an den 295 Vgl. z.B. Brand/Herrup, The 2005 Hague Choice of Court Convention, S. 66 (zu Art. 2 Abs. 2 lit. l HGÜ). 296 Vgl. auch Hartley/Dogauchi, Explanatory Report, Rn. 34 Fn. 57 („In rem effect is sometimes also called ‘erga omnes’ effect.“). 297 Vgl. Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 234. 298 Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 231. 299 Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 234; Wilderspin/Vysoka, NIPR 2020, 34 (39). 300 Im Rahmen dieser Arbeit wird aus sprachlichen Gründen zum Teil auch von unbeweglichem Eigentum oder von Grundstücken gesprochen.
240
Kapitel 5: Voraussetzungen der Anerkennung und Vollstreckung
Belegenheitsort in Art. 6 HAVÜ auch Rücksicht auf die nationalen Register des Belegenheitsorts genommen werden soll,301 was für eine Verweisung auf die lex rei sitae sprechen könnte. Man mag hier einen besonders engen Zusammenhang mit Erwägungen territorialer Souveränität sehen, der es gebietet, für die Einordnung als unbewegliche Sache das Recht des Belegenheitsorts anzuwenden.302 In diesem Sinne wurde im Rahmen von Art. 3 und 6 des Haager Übereinkommens über das auf das Ehegüterrecht anwendbare Recht303 für die Abgrenzung zwischen unbeweglichen und beweglichen Sachen die lex rei sitae für anwendbar gehalten.304 Für eine autonome Bestimmung sprechen jedoch die Ausführungen des Explanatory Reports zu dem Tatbestandsmerkmal. Dort wird gerade nicht auf nationales Recht verwiesen. Vielmehr stellt der Bericht selbst in nicht abschließender Form Leitlinien für die Begriffsbestimmung auf.305 Dies spricht dafür, dass der Bericht von einem autonomen Begriffsverständnis ausgeht. Denn bei einem stillschweigenden Verweis auf nationales Recht könnten die Ausführungen unter Umständen im Konflikt zu den Maßstäben des anwendbaren nationalen Rechts stehen. Darüber hinaus gibt es auch keine konkreten Anhaltspunkte dafür, dass an den zu Art. 3 und 6 des Haager Übereinkommens über das auf das Ehegüterrecht anwendbare Recht vertretenen Ansatz angeknüpft werden sollte.306 Relevant kann die Frage der Abgrenzung zwischen beweglichen und unbeweglichen Sachen insbesondere bei Gegenständen werden, die als Zubehör oder Bestandteile eine besondere Verbindung zu einem Grundstück aufweisen.307 Würde man die Qualifizierung der lex rei sitae überlassen, bedürfte es unter Umständen auch der Klärung, ob für die Abgrenzung auf die Belegenheit des Grundstücks oder der des Zubehörs oder Bestandteils abzustellen wäre.308 Sodann, wenn festgestellt wäre, dass nach dem anwendbaren nationalen Recht ein Gegenstand aufgrund einer (früheren) Verbindung zu einem in einem anderen Staat belegenen Grundstück als unbeweglich einzuordnen ist, müsste 301
Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 233. Vgl. zu Art. 2 Abs. 2 lit. l HGÜ: Brand/Herrup, The 2005 Hague Choice of Court Convention, S. 66. 303 Convention of 14 March 1978 on the Law Applicable to Matrimonial Property Regimes, abrufbar unter: . 304 von Overbeck, Explanatory Report, Rn. 137. 305 Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 236. 306 Zur gebotenen Vorsicht bei der sogenannten konventionsübergreifenden Auslegung siehe Kapitel 2 B.II.3.c) (S. 72). 307 Vgl. Mankowski, in: Rauscher, EuZPR/EuIPR I, Art. 24 Brüssel Ia-VO Rn. 23; Geimer, in Geimer/Schütze, EuZVR, EuGVVO Art. 24 Rn. 43; Thürk, Belegenheitsgerichtsstände, S. 111. 308 Vgl. zur Problematik im Rahmen der Brüssel Ia-VO: Kropholler/von Hein, EuZPR, EuGVO Art. 22 Rn. 11; Geimer, in Geimer/Schütze, EuZVR, EuGVVO Art. 24 Rn. 43 Fn. 61; Thürk, Belegenheitsgerichtsstände, S. 112. 302
B. Indirekte Zuständigkeit des Ursprungsgerichts
241
wiederum geklärt werden, ob dies im Sinne des Art. 6 HAVÜ die ausschließliche Zuständigkeit im Belegenheitsort des Gegenstandes oder dem des Grundstücks begründet. Ob der Umstand, dass sich im Übereinkommenstext und auch im Explanatory Report keine Antworten auf diese Fragen finden, als Anzeichen dafür gedeutet werden kann, dass die Verfasser von einem autonomen Begriffsverständnis ausgingen, nach dem sich diese Fragen gar nicht stellen, ist zwar zweifelhaft. Jedenfalls aber zeigen die aufgeworfenen Fragen, dass eine Anknüpfung an die lex rei sitae nicht unbedingt einfacher und klarer ist als eine autonome Begriffsbildung in Anwendung und Weiterentwicklung der im Explanatory Report bereits angelegten Abgrenzungskriterien. Eine Anwendung der lex rei sitae zur Klärung der Frage, ob eine Sache als unbeweglich zu qualifizieren ist, wirft vielmehr im Einzelfall komplexe Folgefragen auf, was die Gefahr einer Rechtszersplitterung nach sich zieht. Eine Qualifikation nach dem Recht des Belegenheitsorts birgt außerdem die Gefahr, dass Staaten durch eine Anpassung ihres autonomen Sachenrechts ihre ausschließliche Zuständigkeit erweitern.309 Stellt man darüber hinaus in Rechnung, dass vor dem Hintergrund von Art. 20 HAVÜ eine Abweichung vom Grundsatz der autonomen Begriffsbestimmung die Ausnahme bleiben muss, sprechen insgesamt die besseren Argumente gegen den Rückgriff auf die lex rei sitae und für eine autonome Begriffsbestimmung.310 Wer dies anders sehen will, müsste konsequenterweise auch Aktien oder (registrierte) Schiffe als unbewegliche Sachen einordnen, wenn dies dem Recht des Belegenheitsorts entspricht.311 Insoweit aber greifen die hinter dem Belegenheitsort als Zuständigkeitsgrund liegenden Erwägungen wie Sach- und Beweisnähe sowie der besonders enge rechtliche Bezug zum Belegenheitsort312
309
Entsprechend zu Art. 24 Nr. 1 Brüssel Ia-VO: Schack, IZVR, Rn. 388. A.A. Thürk, Belegenheitsgerichtsstände, S. 113: die Bestimmung der unbeweglichen Sache nach der lex rei sitae sei in einem weltweiten Übereinkommen aufgrund der weltweit bestehenden Unterschiede zwischen den Rechtsordnungen und dem Fehlen einer Auslegungs- und Kontrollinstanz unausweichlich (mit Blick auf ein Zuständigkeitsübereinkommen); zum Meinungsstand im Rahmen der Brüssel Ia-VO: Vossler, in: BeckOK-ZPO, Brüssel Ia-VO Art. 24 Rn. 8; Kropholler/von Hein, EuZPR, EuGVO Art. 22 Rn. 11 m.w.N. 311 Tatsächlich wurde in den Verhandlungen von einer Delegation die Auffassung geäußert, dass Schiffe nach manchen Rechtsordnungen unbewegliches Eigentum darstellen und daher unter Art. 6 HAVÜ fallen würden (Minutes of the Special Commission on the Recognition and Enforcement of Foreign Judgments (16–24 February 2017), Minutes No 2, Meeting of 16 February 2017 (afternoon), Rn. 27 (bisher unveröffentlicht)). Dem lag offensichtlich das Verständnis zugrunde, dass nationales Recht für die Qualifikation als unbewegliche Sache maßgeblich sei. Die Frage wurde jedoch nicht näher diskutiert und es handelte sich um eine vereinzelte Aussage, die zudem in anderem Kontext gemacht wurde. Generell zur gebotenen Vorsicht bei der Heranziehung einzelner Wortbeiträge aus den Verhandlungen für die Zwecke der Auslegung siehe Kapitel 2 B.IV. (S. 76). 312 Vgl. Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 233. 310
242
Kapitel 5: Voraussetzungen der Anerkennung und Vollstreckung
nicht oder nicht in gleicher Weise.313 Die Einordnung von Schiffen, die charakteristischer Weise zur Fortbewegung bestimmt und in diesem Sinne „beweglich“ sind,314 als unbewegliche Sachen, wäre auch schwerlich mit der gewöhnlichen Bedeutung des Begriffs in Einklang zu bringen. Nach dem Explanatory Report fallen unter den Begriff der unbeweglichen Sache der Grund und Boden, sowie – in Abgrenzung zu beweglichen Sachen („chattels“) – Bestandteile oder Einbauten („fixtures“), einschließlich derjenigen Gegenstände, die im Boden verankert oder an diesem angebracht oder befestigt sind oder dauerhaft mit Gegenständen verbunden sind, die im Boden verankert oder an diesem angebracht oder befestigt sind.315 Es dürfte also maßgeblich auf eine direkte oder indirekte feste körperliche Verbindung zu Grund und Boden abzustellen sein, da es sich andernfalls um bewegliche Sachen („chattels“) handelt. Zur Klärung der Frage, ob die körperliche Verbindung zwischen einem Gegenstand und dem Grundstück hinreichend ist, können verschiedene Kriterien herangezogen werden (z.B. die Dauerhaftigkeit und der Grad der Verbindung, die Zweckbestimmung des Gegenstands sowie die Verkehrsanschauung am Belegenheitsort). Unbewegliche Sachen im Sinne des HAVÜ sind daher in erster Linie Grundstücke einschließlich darauf stehender Gebäude sowie körperliche Gegenstände, die mit dem Grund oder mit dem Gebäude dauerhaft körperlich fest verbunden sind (z.B. Bäume, Windkraftanlagen oder ein Balkon).316 Darüber hinaus zählt der erläuternde Bericht auch „benefits or improvements to land“317 zu den unbeweglichen Sachen.318 Mit improvements to land dürften zunächst bauliche „Verbesserungen“ des Grundstücks (z.B. Bauten oder eine Einfahrt) gemeint sein. Als „Grundstücksvorteile“ (benefits) können subjektivdingliche Rechte und grundstücksgleiche Rechte erfasst werden (z.B.
313
Vgl. zu Art. 22 Nr. 1 Brüssel I-VO: Egler, Seeprivatrechtliche Streitigkeiten, S. 237 f.; a.A. Geimer, in Geimer/Schütze, EuZVR, EuGVVO Art. 24 Rn. 47 (Registrierung biete einen gleich starken Zuständigkeitsbezug wie die Grundstücksbelegenheit). 314 Egler, Seeprivatrechtliche Streitigkeiten, S. 236. 315 Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 236 („The term ‘immovable property’ is not defined under the Convention, but it should be taken to include land, benefits or improvements to land, and fixtures (as opposed to chattels), including things embedded, attached, or affixed to the earth, or permanently fastened to anything embedded, attached, or affixed to the earth.“). 316 Ähnlich zu Art. 16 Nr. 1 lit. a LugÜ 1988: OLG Schleswig 11.7.2003 – 14 U 122/02, NJOZ 2004, 775 (776) („Unbewegliche Sachen sind daher vor allem Grundstücke sowie die darauf errichteten Gebäude. […] Nach alledem kann es nach Auffassung des Senat [sic] im Ergebnis nur um die tatsächliche Beweglichkeit einer Sache gehen.“). 317 In der französischen Fassung des Berichts: „les services fonciers ou les améliorations du fonds de terre“. 318 Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 236.
B. Indirekte Zuständigkeit des Ursprungsgerichts
243
Grunddienstbarkeiten oder Schürfrechte).319 Dies hat zur Folge, dass auch absolute Rechte an diesen Rechten unter Art. 6 HAVÜ fallen können.320 In Anbetracht des Umstands, dass Art. 6 HAVÜ als Ausnahme vom Günstigkeitsprinzip auch eine Pflicht zur Nichtanerkennung normiert,321 sollte der Begriff der unbeweglichen Sache nicht zu weit gefasst werden. Die Einbeziehung von körperlichen Gegenständen, die mit Grund und Boden keine feste körperliche Verbindung aufweisen, sondern lediglich in einem (wirtschaftlichen) Sinnzusammenhang mit dem Grundstück stehen (z.B. Fahrzeuge oder Gerätschaften), würde die Urteilsfreizügigkeit entgegen den grundlegenden Zielen des HAVÜ über Gebühr einschränken. VI. Schutz von Verbrauchern und Arbeitnehmern 1. Keine besonderen Zuständigkeitsgründe Einen besonderen Gerichtsstand zugunsten von Verbrauchern und Arbeitnehmern sieht das HAVÜ nicht vor.322 Die Anerkennung oder Vollstreckung von Entscheidungen zugunsten von Verbrauchern oder Arbeitnehmern richtet sich nach den allgemeinen Regeln. Die indirekten Zuständigkeitsgründe in Art. 5 Abs. 1 HAVÜ finden Anwendung. Es besteht keine indirekte Zuständigkeit der Gerichte am Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt des Verbrauchers oder am Arbeitsort des Arbeitnehmers.323 Entscheidungen über Verbraucherklagen am Wohnsitz des Verbrauchers, die auf eine entsprechende Entscheidungszuständigkeit (z.B. Art. 18 Abs. 1 Brüssel Ia-VO, Art. 16 Abs. 1 LugÜ 2007 oder § 29c ZPO) gestützt sind, werden daher regelmäßig nicht unter dem Übereinkommen zirkulieren.324 Sofern nicht (zufällig) ein indirekter Zuständigkeitsgrund der Art. 5–6 HAVÜ greift, kann eine Anerkennung oder Vollstreckung allein nach Maßgabe des nationalen Rechts erfolgen (Art. 15 HAVÜ).
319
Vgl. Geimer, in Geimer/Schütze, EuZVR, EuGVVO Art. 24 Rn. 45 f. (zur Einbeziehung subjektiv-dinglicher und grundstücksgleicher Rechte in den Begriff der unbeweglichen Sache im Rahmen von Art. 24 Nr. 1 Brüssel Ia-VO). 320 Vgl. Geimer, in Geimer/Schütze, EuZVR, EuGVVO Art. 24 Rn. 45 f. 321 Siehe Kapitel 5 B.VII.3. (S. 252). 322 Vgl. Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 221; Bonomi/Mariottini, YbPIL 20 (2018/19), 537 (558); Solomon, FS Thümmel, S. 873 (889). 323 Bonomi/Mariottini, YbPIL 20 (2018/19), 537 (558); van Loon, NIPR 2020, 4 (15); Stein, IPRax 2020, 197 (201) Fn. 29. 324 Kritisch daher Bonomi, YbPIL 17 (2015/16), 1 (24); Weller, YbPIL 21 (2019/20), 279 (305).
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Kapitel 5: Voraussetzungen der Anerkennung und Vollstreckung
2. Anwendungsbereich des Art. 5 Abs. 2 HAVÜ a) Überblick Art. 5 Abs. 2 HAVÜ gewährt Verbrauchern und Arbeitnehmern jedoch einen gewissen Schutz, indem er die Anwendung verschiedener indirekter Zuständigkeitsgründe des Art. 5 Abs. 1 HAVÜ gegen Verbraucher und Arbeitnehmer einschränkt (lit. a) oder ausschließt (lit. b). Art. 5 Abs. 2 HAVÜ erfasst allein eine Anerkennung oder Vollstreckung gegen den Verbraucher oder Arbeitnehmer im Zusammenhang mit dem vom Verbraucher geschlossenen Vertrag bzw. dem Individualarbeitsvertrag.325 Entscheidungen, die in Streitigkeiten zwischen Tarifvertragsparteien (z.B. zwischen Arbeitgeberverband und Gewerkschaft) ergehen, sind nicht erfasst.326 Anders als etwa im Rahmen der Brüssel Ia-VO fehlt es an einer Sonderregel für Versicherungssachen. Art. 5 Abs. 2 HAVÜ nennt den Versicherungsnehmer, Versicherten oder Begünstigten nicht.327 Dieser Personenkreis wird folglich nur insoweit geschützt, als es sich um Verbraucher im Sinne des Art. 5 Abs. 2 HAVÜ handelt.328 b) Verträge zwischen Verbrauchern? Entsprechend der Definition in Art. 2 Abs. 1 lit. a HGÜ wird ein Verbraucher definiert als natürliche Person, die in erster Linie zu persönlichen, familiären oder den Haushalt betreffenden Zwecken handelt. Art. 5 Abs. 2 HAVÜ setzt seinem Wortlaut nach nicht explizit voraus, dass auf der anderen Seite des Vertrages ein Unternehmer (bzw. „Nicht-Verbraucher“) steht.329 Das Ständige Büro hatte zwar in seiner Explanatory Note angeregt, dass sich die Spezialkommission mit der Frage beschäftigen könne, ob zwischen business-to-consumer und consumer-to-consumer Verträgen unterschieden werden sollte,330 die Frage wurde aber im Rahmen der Sitzungen der Spezialkommission und der Diplomatischen Sitzung nicht diskutiert.331 Der Explanatory Report führt aus, dass es den vertragsstaatlichen Gerichten obliegen wird zu entscheiden, ob der von Art. 5 Abs. 2 HAVÜ gewährte Schutz auch bei Verträgen zwischen Verbrauchern greift.332 Dafür könnte man auf den Schutzzweck von Art. 5 Abs. 2 HAVÜ verweisen. Soweit Art. 5 Abs. 2 lit. b 325
Araujo/De Nardi, Neth. Int'l L. Rev. 2020, 67 (72 f.). Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 224. 327 Bonomi/Mariottini, YbPIL 20 (2018/19), 537 (558); kritisch daher: BRAK, Stellungnahme Nr. 04/2016 (unter II. 4.). 328 Vgl. De Miguel Asensio/Cuniberti/Franzina/Heinze/Requejo Isidro, Judgments Convention Study, S. 26 (zum Konventionsentwurf November 2017). 329 Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 222. 330 Ständiges Büro der Haager Konferenz, Explanatory Note, PrelDoc No 2 of April 2016, Rn. 147. 331 Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 222. 332 Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 222. 326
B. Indirekte Zuständigkeit des Ursprungsgerichts
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HAVÜ beispielsweise die Anwendbarkeit des indirekten Zuständigkeitsgrunds der rügelosen Einlassung ausschließt, könnten die dahinterstehenden Erwägungen auch bei Verträgen zwischen Verbrauchern greifen. Denn auch hier bestünde die Gefahr, dass ein Verbraucher die Folgen seiner Einlassung zur Hauptsache und die Möglichkeit einer Zuständigkeitsrüge nicht erkennt. Das HGÜ schließt von seinem Anwendungsbereich – allerdings mit insoweit eindeutiger Formulierung333 – jegliche Gerichtsstandsvereinbarungen aus, an denen ein Verbraucher beteiligt ist, also auch Vereinbarungen zwischen zwei Verbrauchern.334 Ein Verständnis von Art. 5 Abs. 2 HAVÜ, wonach der Ausschluss von Art. 5 Abs. 1 lit. m HAVÜ (nichtausschließliche Gerichtsstandsvereinbarungen) auch hinsichtlich eines Vertrages zwischen zwei Verbrauchern greifen würde, entspräche diesem Ansatz. Andererseits spricht vieles dafür, das Erfordernis, dass es sich um einen Vertrag zwischen einem Verbraucher und einem Unternehmer handeln muss, im Begriff des Verbrauchervertrages („consumer contract“ bzw. „contrat de consommation“) zu sehen. Dieser Begriff, der sich im HGÜ nicht findet, wird typischerweise im Sinne eines Vertrags zwischen einem Verbraucher und Unternehmer verstanden.335 Man kann die Rechtfertigung für die Sonderregel des Art. 5 Abs. 2 HAVÜ im strukturellen Verhandlungsungleichgewicht zwischen den Parteien erblicken,336 das sich im grenzüberschreitenden Rechtsverkehr besonders stark auswirkt. Für ein solches Verständnis spricht, dass sich nur so überzeugend erklären lässt, wieso der Schutz „schwacher Parteien“ auf vertragliche Angelegenheiten beschränkt ist. Eine Privatperson, die sich unwissend in einer außervertraglichen Angelegenheit rügelos einlässt, begründet schließlich auch die indirekte Zuständigkeit nach Art. 5 Abs. 1 lit. f HAVÜ. Wenn beispielsweise eine Privatperson durch ein Unternehmen deliktisch geschädigt wird und das Unternehmen daraufhin eine negative Feststellungsklage
333
Art. 2 Abs. 1 lit. a HGÜ: „This Convention shall not apply to exclusive choice of court agreements - a) to which a natural person acting primarily for personal, family or household purposes (a consumer) is a party“. 334 Hartley/Dogauchi, Explanatory Report, Rn. 50. 335 In diesem Sinne wohl auch Araujo/De Nardi, Neth. Int'l L. Rev. 2020, 67 (72); vgl. für den Begriff im europäischen Recht z.B. Kapitel 2 Abschnitt 4 der Brüssel Ia-VO und Art. 6 Rom I-VO; zum europäischen und chinesischen Recht: Ge, Policing Consumer Contracts in China and the EU, S. 75 ff. Auch in den USA wird unter einem „consumer contract“ ein Vertrag zwischen einem Verbraucher und einem Unternehmen verstanden, was sich beispielsweise am Zuschnitt des Projekts des American Law Institutes für ein „Restatement of the Law, Consumer Contracts“ zeigt, vgl. Klass, Yale Journal on Regulation 36 (2019), 45 (55). 336 Vgl. Zhao, SRIEL 2020, 345 (351) („[…] while others presuppose an unequal bargaining power among parties, such as the limitation on the application of jurisdictional filters for consumer and employment contracts in Article 5(2)“); siehe auch Yeo, Singapore Academy of Law Journal 32 (2020), 1153 (1175).
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Kapitel 5: Voraussetzungen der Anerkennung und Vollstreckung
gegen den Geschädigten erhebt, begründet die rügelose Einlassung des Geschädigten die indirekte Zuständigkeit nach Art. 5 Abs. 1 lit. f HAVÜ. Art. 5 Abs. 2 lit. b HAVÜ greift nach dem klaren Wortlaut nicht, da die Streitigkeit keinerlei Bezug zu einem Vertrag hat. Es spricht daher vieles dafür, dass der Schutzgedanke des Art. 5 Abs. 2 HAVÜ, wie es bei den Individualarbeitsverträgen ohnehin der Fall ist, gerade durch das strukturelle Ungleichgewicht zwischen den Parteien begründet ist. Vor diesem Hintergrund ist davon auszugehen, dass Art. 5 Abs. 2 HAVÜ auf Verträge zwischen Verbrauchern keine Anwendung findet.337 3. Schutzmechanismus Art. 5 Abs. 2 lit. a HAVÜ schränkt Art. 5 Abs. 1 lit. e HAVÜ für eine Anerkennung oder Vollstreckung gegen den Verbraucher oder Arbeitnehmer ein. In den von Art. 5 Abs. 2 HAVÜ erfassten Konstellationen ist die Zustimmung des Beklagten nur dann zuständigkeitsbegründend, wenn sie gegenüber dem Gericht erklärt wurde. Eine außergerichtlich erklärte Zustimmung (z.B. im Rahmen eines außergerichtlichen Vergleichs) genügt nicht.338 Art. 5 Abs. 2 lit. b HAVÜ erklärt die in Art. 5 Abs. 1 lit. f, g und m HAVÜ normierten Zuständigkeitsgründe für unanwendbar. Eine Anerkennung oder Vollstreckung gegen einen Verbraucher oder Arbeitnehmer kann folglich nicht darauf gestützt werden, dass sich der Verbraucher oder Arbeitnehmer rügelos eingelassen hat (lit. f)339 oder eine nichtausschließliche Gerichtsstandsvereinbarung getroffen hatte (lit. m). Auch der Erfüllungsortgerichtsstand (lit. g) begründet gegenüber einem Verbraucher oder Arbeitnehmer keine indirekte Zuständigkeit. Umgekehrt kann sich der Verbraucher oder Arbeitnehmer gegenüber einem Unternehmer oder Arbeitgeber auf diese Zuständigkeitsgründe berufen.340 Der Schutz von Verbrauchern und Arbeitnehmern ist lediglich ein „relativer“.341 Er beschränkt sich auf das System des Übereinkommens. Art. 5 Abs. 2 HAVÜ schränkt die Möglichkeit der Vertragsstaaten, Urteile gegen Verbraucher oder Arbeitnehmer nach nationalem Recht anzuerkennen oder zu vollstrecken, nicht ein.342 Auf der Grundlage nationalen Anerkennungsrechts können 337
A.A. Weller, YbPIL 21 (2019/20), 279 (304 f.). Vgl. Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 225, 162. 339 Der vorläufige Konventionsentwurf 2016 sah den (damals noch in eckige Klammern gesetzten) indirekten Zuständigkeitsgrund der rügelosen Einlassung noch ohne einen Schutzmechanismus für Verbraucher oder Arbeitnehmer vor. Kritisch daher: BRAK, Stellungnahme Nr. 34/2016 (unter II.4.2 b); Jacobs, ZfRV 2017, 24 (28). 340 Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 221; Fuchs, GWR 2019, 395 (397). 341 Siehe allgemein Kapitel 3 D. (S. 99). 342 Brand, University of Pittsburgh Legal Studies Research Paper No. 2020-36, S. 36. Der Vorschlag, die Anerkennung oder Vollstreckung von Entscheidungen gegen Verbraucher oder Arbeitnehmer auch nach nationalem Recht einzuschränken (WorkDoc. No 26 of June 338
B. Indirekte Zuständigkeit des Ursprungsgerichts
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Vertragsstaaten die Anerkennung oder Vollstreckung von Urteilen gegen Arbeitnehmer und Verbraucher also beispielsweise auch auf eine rügelose Einlassung oder den Gerichtsstand des Erfüllungsorts stützen. Durch Art. 5 Abs. 2 HAVÜ wird lediglich gewährleistet, dass das HAVÜ Vertragsstaaten nicht zur Anerkennung und Vollstreckung entsprechender Entscheidungen verpflichtet. 4. Verbleibende Zuständigkeitsgründe für eine Anerkennung und Vollstreckung gegen Verbraucher oder Arbeitnehmer Der Explanatory Report führt aus, dass Urteile gegen einen Verbraucher oder Arbeitnehmer aufgrund von Art. 5 Abs. 2 HAVÜ in der Praxis regelmäßig nur dann unter dem HAVÜ zirkulieren werden, wenn sie im Staat des gewöhnlichen Aufenthalts dieser Person ergangen sind oder der Verbraucher bzw. Arbeitnehmer ausdrücklich und gegenüber dem Gericht der Zuständigkeit zugestimmt hat.343 Aber auch andere Zuständigkeitsgründe stehen für eine Anerkennung oder Vollstreckung gegen Verbraucher oder Arbeitnehmer zur Verfügung. Zunächst ist zu beachten, dass der Verbraucher oder Arbeitnehmer im Ursprungsverfahren auch Kläger (Abs. 1 lit. c, lit. l i))344 oder Widerkläger (Abs. 1 lit. l ii)) gewesen sein kann.345 In diesen Konstellationen kommt die Anerkennung eines klageabweisenden Urteils gegen den Verbraucher oder Arbeitnehmer sowie die Vollstreckung einer gegen den Verbraucher oder Arbeitnehmer gerichteten Kostenentscheidung in Betracht. Da Art. 5 Abs. 2 HAVÜ die Anwendung von Art. 5 Abs. 1 lit. c und lit. l HAVÜ nicht einschränkt oder ausschließt, zirkulieren entsprechende Entscheidungen unter dem HAVÜ. Im Übrigen kann die indirekte Zuständigkeit hinsichtlich einer Anerkennung oder Vollstreckung gegen Verbraucher unter den entsprechenden Voraussetzungen auch auf Art. 5 Abs. 1 lit. i HAVÜ gestützt werden.346 Eine Anwendung von
2016 (bisher unveröffentlicht)), fand in den Verhandlungen keine hinreichende Zustimmung, vgl. Minutes of the Special Commission on the Recognition and Enforcement of Foreign Judgments (1–9 June 2016), Minutes No 6, Meeting of 3 June 2016 (afternoon), Rn. 29–38 (bisher unveröffentlicht). 343 Vgl. Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 221; ebenso Bonomi/Mariottini, YbPIL 20 (2018/19), 537 (558). 344 Dass ein Verbraucher oder Arbeitnehmer außerhalb des Staates seines gewöhnlichen Aufenthalts klagt, ist nicht ausgeschlossen. Zum einen mag ein vorteilhafteres materielles Recht zu forum shopping verleiten, insbesondere wenn es (ausnahmsweise) um größere Summen geht. Zum anderen ist jedenfalls auf globaler Ebene nicht gewährleistet, dass dem Verbraucher oder Arbeitnehmer im Staat seines gewöhnlichen Aufenthalts überhaupt eine Zuständigkeit zur Verfügung steht. 345 Vgl. De Miguel Asensio/Cuniberti/Franzina/Heinze/Requejo Isidro, Judgments Convention Study, S. 26 f. (zum Konventionsentwurf November 2017); Araujo/De Nardi, Neth. Int'l L. Rev. 2020, 67 (74). 346 Araujo/De Nardi, Neth. Int'l L. Rev. 2020, 67 (75).
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Kapitel 5: Voraussetzungen der Anerkennung und Vollstreckung
Art. 5 Abs. 1 lit. h HAVÜ gegen Verbraucher ist ebenfalls denkbar, z.B. hinsichtlich einer Stellplatzmiete.347 Sofern es sich um eine Wohnraummiete handelt, greift Art. 5 Abs. 3 S. 2 HAVÜ. 5. Abschließende Bewertung des Schutzniveaus Das HAVÜ bietet Verbrauchern und Arbeitnehmern nur einen geringen Schutz. Zwar begrenzt Art. 5 Abs. 3 HAVÜ die Liste möglicher Anerkennungszuständigkeiten gegenüber diesen Parteien, die Anerkennung und Vollstreckung auf Grundlage nationalen Rechts wird dadurch jedoch in keiner Weise eingeschränkt (Art. 15 HAVÜ).348 In allen Situationen, in denen bislang eine Anerkennung und Vollstreckung gegen Verbraucher und Arbeitnehmer möglich ist, bleibt sie daher auch unter Geltung des HAVÜ möglich. Darüber hinaus ist es denkbar, dass die anwendbar bleibenden indirekten Zuständigkeitsgründe des Art. 5 Abs. 1 HAVÜ349 eine Grundlage für die Anerkennung und Vollstreckung von Urteilen gegen Verbraucher und Arbeitnehmer in Konstellationen bieten, in denen nach dem jeweiligen nationalen Recht des ersuchten Staates bislang keine Anerkennung und Vollstreckung möglich ist. In diesem Fall würde sich die Gerichtspflichtigkeit von Verbrauchern oder Arbeitnehmern durch das HAVÜ sogar erhöhen (z.B. auf Grundlage von Art. 5 Abs. 1 lit. i oder lit. h HAVÜ). Umgekehrt kann das HAVÜ Arbeitnehmern und Verbrauchern zwar unter Umständen bei der effektiven Durchsetzung ihrer Ansprüche helfen. Denn für die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen zugunsten von Verbrauchern oder Arbeitnehmern finden die indirekten Zuständigkeitsgründe in Art. 5 Abs. 1 HAVÜ uneingeschränkt Anwendung. Allerdings besteht keine indirekte Zuständigkeit der Gerichte am Wohnsitz bzw. am gewöhnlichen Aufenthalt des Verbrauchers oder Arbeitnehmers. Klagt ein Verbrauer oder Arbeitnehmer unter Inanspruchnahme spezieller Schutzgerichtsstände in seinem Heimatstaat, wird daher regelmäßig keine Anerkennungszuständigkeit nach Art. 5 Abs. 1 HAVÜ gegeben sein.350 Gerade dieser Fall ist aber praktisch besonders relevant, da Verbraucher oder Arbeitnehmer typischerweise davor zurückschrecken werden, einen Prozess im Ausland zu führen, zumal wenn der Streitwert relativ gering ist. Es steht daher zu befürchten, dass die Hoffnung von Verbrauchern oder Arbeitnehmern, ein im Heimatstaat erstrittenes Urteil auch grenzüberschreitend durchsetzen zu können, enttäuscht wird. Das HAVÜ wird Verbrauchern oder Arbeitnehmern in solchen Situationen regelmäßig nicht helfen.
347
Araujo/De Nardi, Neth. Int'l L. Rev. 2020, 67 (75). Siehe Kapitel 5 B.VI.3. (S. 246). 349 Siehe Kapitel 5 B.VI.4. (S. 247). 350 Siehe Kapitel 5 B.VI.1. (S. 243). 348
B. Indirekte Zuständigkeit des Ursprungsgerichts
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VII. Verhältnis der indirekten Zuständigkeitsgründe zueinander Im Hinblick auf ihr Verhältnis zu anderen indirekten Zuständigkeitsgründen lassen sich im HAVÜ drei Kategorien von Zuständigkeitsgründen unterscheiden, nämlich nichtausschließliche, relativ ausschließliche, und absolut ausschließliche Zuständigkeitsgründe. 1. Nichtausschließliche Zuständigkeitsgründe Die in Art. 5 Abs. 1 HAVÜ normierten Zuständigkeitsgründe sind ihrer Natur nach nichtausschließlich. Die Einschlägigkeit eines Zuständigkeitsgrundes des Art. 5 Abs. 1 HAVÜ, das heißt die Erfüllung einer oder mehrerer Voraussetzungen, schließt andere indirekte Zuständigkeitsgründe des HAVÜ oder des nationalen Rechts (Art. 15 HAVÜ) nicht aus. So kann beispielsweise ohne Weiteres auf Art. 5 Abs. 1 lit. a HAVÜ zurückgegriffen werden, auch wenn die Entscheidung eine vertragliche Verpflichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 1 lit. g HAVÜ betrifft. Zudem bleibt stets eine Anerkennung und Vollstreckung gemäß Art. 15 HAVÜ nach nationalem Recht und damit ein Rückgriff auf nach nationalem Recht verfügbare indirekte Zuständigkeitsgründe möglich.351 Innerhalb der Liste des Art. 5 Abs. 1 HAVÜ gilt der Spezialitätsgrundsatz nicht. Das bedeutet, dass etwa für Entscheidungen über Grundstücksmietverträge neben Art. 5 Abs. 1 lit. h HAVÜ (Miete oder Pacht) auch der allgemeine vertragliche Erfüllungsortgerichtsstand in Art. 5 Abs. 1 lit. g HAVÜ anwendbar bleibt.352 Die indirekten Zuständigkeitsgründe in Art. 5 Abs. 1 HAVÜ sind also gleichwertig. Es gibt keine Hierarchie.353 Aus der Gleichwertigkeit der Zuständigkeitsgründe folgt auch, dass eine enge Auslegung besonderer Zuständigkeitsgründe (z.B. Art. 5 Abs. 1 lit. g–k HAVÜ) unter Hinweis auf ein vermeintliches Regel-Ausnahme-Verhältnis zwischen den besonderen Zuständigkeitsgründen und der allgemeinen indirekten Zuständigkeit am gewöhnlichen Aufenthalt (Art. 5 Abs. 1 lit. a HAVÜ) nicht gerechtfertigt ist.354
351
Siehe Kapitel 3 D. (S. 99). Siehe Kapitel 5 B.V.3.b) (S. 230). 353 Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 138; Nielsen, JPIL 2020, 205 (214). 354 Ebenso: Weller, YbPIL 21 (2019/20), 279 (282); ähnlich zum Konventionsentwurf 1999: Nygh/Pocar, Report, Rn. 18. Von einem Regel-Ausnahme-Verhältnis zwischen allgemeinen und besonderen Gerichtsständen geht hingegen der EuGH im Rahmen der Brüssel Ia-VO aus, vgl. EuGH 8.5.2019 – C-25/18, ECLI:EU:C:2019:376 Rn. 21 f.– Kerr/Postnov u. Postnova; Gebauer, in: Wieczorek/Schütze, ZPO, Art. 4 Brüssel Ia-VO Rn. 12. 352
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Kapitel 5: Voraussetzungen der Anerkennung und Vollstreckung
2. Die „relativ“ ausschließlichen Zuständigkeitsgründe des Art. 5 Abs. 3 S. 2 HAVÜ Die in Art. 5 Abs. 3 S. 2 HAVÜ normierten indirekten Zuständigkeitsgründe für Entscheidungen über die Wohnraummiete oder die Registrierung unbeweglichen Eigentums können als „relativ“ ausschließlich bezeichnet werden.355 Sie schließen die Anwendung der in Art. 5 Abs. 1 HAVÜ normierten indirekten Zuständigkeitsgründe aus (Art. 5 Abs. 3 S. 1 HAVÜ). Ihnen kommt daher innerhalb der indirekten Zuständigkeitsgründe des HAVÜ eine Ausschließlichkeit zu.356 Ein die Wohnraummiete betreffendes Urteil eines anderen Vertragsstaats als desjenigen, in dem das Grundstück belegen ist, wird unter dem HAVÜ nicht anerkannt. Ob sich der Beklagte beispielsweise rügelos eingelassen oder der Zuständigkeit womöglich sogar ausdrücklich zugestimmt hat, ist insoweit irrelevant. Art. 5 Abs. 1 lit. f und e HAVÜ sind nicht anwendbar (Art. 5 Abs. 3 S. 1 HAVÜ). Allerdings beansprucht Art. 5 Abs. 3 HAVÜ keine „absolute“ Ausschließlichkeit. Die Anerkennung oder Vollstreckung der Entscheidung nach nationalem Recht oder anderen Übereinkommen bleibt gemäß Art. 15 HAVÜ möglich.357 Fraglich ist, ob es im Rahmen von Art. 5 Abs. 3 S. 1 HAVÜ und für den dort angeordneten Ausschluss der Anwendung von Art. 5 Abs. 1 HAVÜ darauf ankommt, ob das Grundstück in einem Vertragsstaat belegen ist.358 Wie wäre also etwa mit einem vertragsstaatlichen Urteil umzugehen, dass über Ansprüche aus einem Mietverhältnis über in einem Nichtvertragsstaat belegenen Wohnraum entschieden hat? Greift insoweit Art. 5 Abs. 1 HAVÜ, so dass eine Verpflichtung zur Anerkennung der Entscheidung etwa dann besteht, wenn sich der Beklagte rügelos eingelassen hat oder schließt Art. 5 Abs. 3 S. 1 HAVÜ den Rückgriff auf Art. 5 Abs. 1 HAVÜ aus? Der Wortlaut von Art. 5 Abs. 3 S. 1 HAVÜ differenziert nicht nach der Belegenheit des Grundstücks,359 so dass ein starkes Argument dafür spricht, dass die Vorschrift auch für Entscheidungen gilt, die in Nichtvertragsstaaten belegene Grundstücke betreffen. Der Explanatory Report bezieht zu dieser Frage keine klare Position.360 Aus der Entstehungsgeschichte lassen sich ebenfalls keine eindeutigen Schlüsse ziehen, da die Frage im Rahmen der Diplomatischen Konferenz, in der Art. 5 Abs. 3 HAVÜ entstanden ist, nicht diskutiert
355
Ähnlich Bonomi/Mariottini, YbPIL 20 (2018/19), 537 (560). Stein, IPRax 2020, 197 (201). 357 Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 230; Bonomi/Mariottini, YbPIL 20 (2018/19), 537 (560); Kessedjian, NIPR 2020, 19 (28). 358 Vgl. Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 230 Fn. 159. 359 Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 230 Fn. 159. 360 Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 230 Fn. 159. 356
B. Indirekte Zuständigkeit des Ursprungsgerichts
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wurde.361 Auch eine Gegenüberstellung mit dem Wortlaut von Art. 6 lit. c Konventionsentwurf 2018 bringt keinen Erkenntnisgewinn. Zum einen ist Art. 5 Abs. 3 HAVÜ völlig neu konzipiert worden. Und zum anderen hat die Annahme, dass man die in Art. 6 lit. c Konventionsentwurf 2018 vorgesehene Beschränkung auf Grundstücke in Vertragsstaaten für Art. 5 Abs. 3 HAVÜ beibehalten wollte, spekulativen Charakter. Genauso gut könnte man unter Verweis auf den Wegfall der entsprechenden Beschränkung im Wortlaut das Gegenteil vertreten. Allerdings ließe sich für eine restriktive Auslegung des Art. 5 Abs. 3 S. 1 HAVÜ anführen, dass der Ausschluss der Anwendbarkeit von Art. 5 Abs. 1 HAVÜ für Entscheidungen, die Grundstücke in Nichtvertragsstaaten betreffen, letztlich (auch) Interessen von Nichtvertragsstaaten schützen würde (z.B. an der Durchsetzung ihres Wohnraummietrechts).362 Dieses Argument erscheint aber aus mehreren Gründen nicht besonders gewichtig. Zum einen geht es an dieser Stelle nicht primär oder jedenfalls nicht nur um staatliche Interessen. Mindestens genauso relevant sind die berechtigten Erwartungen der Parteien. Deren Schutz kann unabhängig von der Belegenheit des Grundstücks im Interesse der Vertragsstaaten liegen. Dies gilt nicht zuletzt, weil es sich bei diesen auch um eigene Staatsangehörige handeln kann. Zum anderen ist zu berücksichtigen, dass eine Anerkennung nach nationalem Recht gemäß Art. 15 HAVÜ für die von Art. 5 Abs. 3 HAVÜ erfassten Angelegenheiten ohnehin möglich bleibt. Versteht man Art. 5 Abs. 3 S. 1 HAVÜ dem Wortlaut entsprechend in dem Sinne, dass Art. 5 Abs. 1 HAVÜ ohne Rücksicht auf die Belegenheit des Grundstücks keine Anwendung findet, bedeutet dies nicht, dass die Vertragsstaaten des HAVÜ ohne Gegenleistung ihre Souveränität zugunsten von Nichtvertragsstaaten beschränken. Sie behalten vielmehr die Freiheit, die Entscheidung nach nationalem Recht anzuerkennen oder nicht. Vor diesem Hintergrund sprechen insgesamt die besseren Gründe dafür, dass Art. 5 Abs. 3 S. 1 HAVÜ auch für Entscheidungen gilt, die in Nichtvertragsstaaten belegene Grundstücke betreffen. Auch dann ist die Anwendung von Art. 5 Abs. 1 HAVÜ ausgeschlossen. Da Art. 5 Abs. 3 S. 2 HAVÜ in dieser Konstellation selbst keine Anerkennungszuständigkeit begründet, kommt nur eine Anerkennung oder Vollstreckung nach nationalem Recht in Betracht (Art. 15 HAVÜ).
361
Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 230 Fn. 159. Zur parallelen Argumentation im Rahmen von Art. 6 HAVÜ siehe Kapitel 5 B.VII.3.b) (S. 252). 362
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Kapitel 5: Voraussetzungen der Anerkennung und Vollstreckung
3. Der „absolut“ ausschließliche Zuständigkeitsgrund des Art. 6 HAVÜ a) Grundsatz Art. 6 HAVÜ kann demgegenüber als „absolut“ ausschließlicher indirekter Zuständigkeitsgrund bezeichnet werden.363 Entscheidungen über dingliche Rechte an unbeweglichen Sachen sind nur dann anerkennungsfähig, wenn sie von Gerichten des Belegenheitsstaates stammen. Art. 6 HAVÜ schließt die Anerkennung oder Vollstreckung von entsprechenden Entscheidungen anderer Staaten aus („only if“). Die sonstigen indirekten Zuständigkeitsgründe des HAVÜ sind unanwendbar.364 Art. 6 HAVÜ geht aber darüber hinaus, indem auch eine Anerkennung oder Vollstreckung nach nationalem Recht ausgeschlossen wird (Art. 15 HAVÜ). Auch gegenüber später abgeschlossenen sonstigen völkerrechtlichen Verträgen oder später erlassenem EU-Recht beansprucht Art. 6 HAVÜ im Grundsatz Geltung (vgl. Art. 23 Abs. 3 und 4 HAVÜ).365 Damit geht die Ausschließlichkeit des Art. 6 HAVÜ weiter als diejenige des Art. 5 Abs. 3 HAVÜ,366 da sie die Anerkennung oder Vollstreckung auch auf Grundlage anderer Rechtsgrundlagen ausschließt. Art. 6 HAVÜ bildet damit eine Ausnahme vom Günstigkeitsprinzip.367 Die Vorschrift verpflichtet Vertragsstaaten grundsätzlich zur Nichtanerkennung von Urteilen über dingliche Rechte an unbeweglichen Sachen, soweit sie von Gerichten außerhalb des Belegenheitsstaats getroffen wurden. b) Grundstücksbelegenheit in einem Nichtvertragsstaat Allerdings stellt sich, ähnlich wie schon bei Art. 5 Abs. 3 HAVÜ, die Frage, ob es darauf ankommt, dass das Grundstück in einem Vertragsstaat belegen ist. Die negative Funktion des Art. 6 HAVÜ kommt ohne Zweifel zum Tragen, wenn das Grundstück in einem anderen Vertragsstaat als dem Urteilsstaat belegen ist.368 Entscheidet ein Gericht des Vertragsstaats A über dingliche Rechte an einem in Vertragsstaat B belegenen Grundstück, verbietet Art. 6 HAVÜ allen anderen Vertragsstaaten des HAVÜ die Anerkennung oder Vollstreckung der Entscheidung.369 Problematisch ist aber die Situation, dass Vertragsstaat A über ein in Nichtvertragsstaat X belegenes Grundstück entschieden hat. Verbietet Art. 6 HAVÜ 363
Vgl. Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 231. Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 231. 365 Näher dazu Kapitel 4 F.II. (S. 176). 366 Vgl. Bonomi/Mariottini, YbPIL 20 (2018/19), 537 (560). 367 Schack, IPRax 2020, 1 (5); De Miguel Asensio/Cuniberti/Franzina/Heinze/Requejo Isidro, Judgments Convention Study, S. 28 (zum Konventionsentwurf November 2017). 368 Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 238. 369 Vertragsstaat A ist an der innerstaatlichen Durchsetzung der Entscheidung freilich nicht gehindert, denn über den Umgang mit Entscheidungen der eigenen Gerichte trifft das HAVÜ keine Aussage. 364
B. Indirekte Zuständigkeit des Ursprungsgerichts
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auch insoweit die Anerkennung oder Vollstreckung der Entscheidung? Die Frage wurde in den Verhandlungen nicht diskutiert. Klarheit besteht lediglich insoweit, dass das HAVÜ die Anerkennung oder Vollstreckung solcher Entscheidungen nicht gebietet, auch wenn ein indirekter Zuständigkeitsgrund im Sinne des Art. 5 Abs. 1 HAVÜ erfüllt wäre.370 Dies kann auf das systematische Argument gestützt werden, dass Art. 6 HAVÜ spezieller ist und die Anwendbarkeit von Art. 5 Abs. 1 HAVÜ für Entscheidungen, die dingliche Rechte an unbeweglichen Sachen zum Gegenstand haben, generell, also unabhängig von der Grundstücksbelegenheit, verdrängt.371 Denn der Wortlaut von Art. 6 HAVÜ differenziert – ebenso wie der von Art. 5 Abs. 3 HAVÜ372 – nicht danach, ob das Grundstück in einem anderen Vertragsstaat oder in einem Nichtvertragsstaat belegen ist.373 Es bleibt aber zu klären, ob das HAVÜ die Möglichkeit einer Anerkennung nach nationalem Recht (Art. 15 HAVÜ) und später abgeschlossenen völkerrechtlichen Verträgen oder später erlassenem EU-Recht (vgl. Art. 23 Abs. 3 und 4 HAVÜ) auch ausschließt, sofern ein vertragsstaatliches Gericht über dingliche Rechte an einem Grundstück entschieden hat, das in einem Nichtvertragsstaat belegen ist. Bei näherer Betrachtung geht es dabei nicht so sehr um eine Auslegung des Art. 6 HAVÜ, der, wie gesehen, nicht nach der Grundstücksbelegenheit differenziert, sondern um eine Auslegung von Art. 15 sowie von Art. 23 Abs. 3 und 4 HAVÜ. Nach Art. 23 Abs. 3 S. 2 und Abs. 4 lit. b HAVÜ beansprucht das HAVÜ im Verhältnis zu später abgeschlossenen Übereinkommen insoweit Geltung, als es um die Verpflichtungen unter Art. 6 HAVÜ gegenüber Vertragsstaaten des HAVÜ geht, die nicht zugleich Vertragsstaaten des später abgeschlossenen Übereinkommens bzw. Mitgliedsstaaten der Organisationen der regionalen Wirtschaftsintegration sind.374 Die Vorschriften sprechen von Verpflichtungen unter Art. 6 HAVÜ gegenüber anderen Vertragsstaaten („obligations under Article 6 towards Contracting States“). Diese Formulierung und die entsprechenden Ausführungen im Explanatory Report375 sprechen dafür, dass die Verpflichtung zur Nichtanerkennung als eine Verpflichtung des ersuchten Staates im Verhältnis zum Belegenheitsstaat verstanden wird.376 Eine Verpflichtung zur Nichtanerkennung eines Urteils über dingliche Rechte an einem in einem Nichtvertragsstaat belegenen Staat wäre nach diesem
370
Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 240, 242. Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 240. 372 Siehe Kapitel 5 B.VII.2. (S. 250). 373 So auch Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 240. 374 Siehe Kapitel 4 F.II. (S. 176). 375 Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 380, 383. 376 In diesem Sinne wohl auch Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 241, siehe bereits Kapitel 3 F. (S. 113). 371
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Kapitel 5: Voraussetzungen der Anerkennung und Vollstreckung
Verständnis eine völkerrechtliche Verpflichtung gegenüber dem Nichtvertragsstaat. Es liegt aber äußerst fern, dass es sich beim HAVÜ um einen völkerrechtlichen Vertrag zugunsten Dritter i.S.d. Art. 36 WVK handelt. Die völkerrechtlichen Voraussetzungen für die Annahme einer Absicht, Nichtvertragsstaaten Rechte einzuräumen, sind hoch.377 Es fehlen dafür jegliche Anhaltspunkte im Übereinkommenstext und den travaux préparatoires. Der Explanatory Report sagt explizit, dass Art. 6 HAVÜ Nichtvertragsstaaten keine Rechte einräumt.378 Daher bestehen Rechte und Pflichten von vornherein nur im Verhältnis der Vertragsstaaten des HAVÜ zu- bzw. untereinander. Unter der Prämisse, dass man die in Art. 6 HAVÜ vorgesehene Pflicht zur Nichtanerkennung („only if“) als Verpflichtung des ersuchten Staats gegenüber dem Belegenheitsstaat versteht, folgt, dass eine Verpflichtung zur Nichtanerkennung bei einer Grundstücksbelegenheit im Nichtvertragsstaat nicht bestehen kann. Selbst wenn man die Pflicht zur Nichtanerkennung entgegen der hier vertretenen Auffassung als multilaterale Pflicht verstehen wollte (was mit Art. 23 Abs. 3 S. 2 und Abs. 4 lit. b HAVÜ kaum in Einklang zu bringen wäre), spricht vieles gegen eine Pflicht zur Nichtanerkennung im Hinblick auf Entscheidungen, die dingliche Rechte an einem in einem Nichtvertragsstaat belegenen Grundstück betreffen. Die Verpflichtung zur Nichtanerkennung wäre dann eine Pflicht, die dem ersuchten Staat im Verhältnis zu allen anderen Vertragsstaaten des HAVÜ zukommen würde, die aber mittelbar Interessen eines Nichtvertragsstaats schützt. Vor dem Hintergrund, dass der Gedanke der Gegenseitigkeit im Rahmen des HAVÜ omnipräsent ist,379 erscheint unklar, wieso man Nichtvertragsstaaten dieses „Zugeständnis“ hätte machen sollen.380 Denn Nichtvertragsstaaten sind umgekehrt durch nichts daran gehindert, Urteile über dingliche Rechte an in Vertragsstaaten des HAVÜ belegenen Grundstücken anzuerkennen.381 In ähnlicher Weise argumentiert auch der Explanatory Report, dass es nicht vernünftig wäre, anzunehmen, dass Vertragsstaaten ihre Souveränität freiwillig in diesem Sinne hätten begrenzen wollen.382 Im Ergebnis ist daher davon auszugehen, dass das HAVÜ für Entscheidungen über dingliche Rechte an einem in einem Nichtvertragsstaat belegenen Grundstück schlicht keine Vorgaben macht. Die Anerkennung ist nicht vorgeschrieben, da Art. 6 HAVÜ die Anwendung von Art. 5 HAVÜ ausschließt, aber mangels Grundstücksbelegenheit im Urteilsstaats selbst nicht als indirekter Zuständigkeitsgrund zu Verfügung steht. Wie gesehen, sprechen zudem die besseren Argumente dafür, dass eine Anerkennung oder Vollstreckung nach 377
Vgl. Proelss, in: Dörr/Schmalenbach, VCLT, Art. 36 Rn. 16. Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 241. 379 Siehe Kapitel 2 A.II.2. (S. 48). 380 Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 241. 381 Das HAVÜ jedenfalls verpflichtet Nichtvertragsstaaten nicht, vgl. Art. 34 f. WVK. 382 Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 241. 378
B. Indirekte Zuständigkeit des Ursprungsgerichts
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nationalem Recht oder anderen internationalen Instrumenten nicht ausgeschlossen wird. c) Grundstücksbelegenheit im ersuchten Staat Folgt man der hier vertretenen Auffassung, dass die in Art. 6 HAVÜ vorgesehene Pflicht zur Nichtanerkennung („only if“) eine Verpflichtung des ersuchten Staats gegenüber dem Belegenheitsstaat ist, wirft die Konstellation Probleme auf, dass der ersuchte Staat zugleich der Belegenheitsstaat ist. Ist der ersuchte Staat dann sich selbst gegenüber zur Nichtanerkennung verpflichtet oder darf er auf nationales Recht zurückgreifen, um die Entscheidung anzuerkennen?383 Dies dürfte von großer praktischer Relevanz sein, da im Belegenheitsstaat am ehesten mit einem Bedürfnis für die Anerkennung oder Vollstreckung zu rechnen sein wird. Gegen eine Pflicht des ersuchten Staats zur Nichtanerkennung spricht wiederum Art. 23 Abs. 3 S. 2 und Abs. 4 lit. b HAVÜ. Es ist zudem unklar, welcher Staat ein Interesse daran haben sollte, dass die Entscheidung zwingend nicht anerkannt werden darf. Die Pflicht zur Nichtanerkennung schützt grundsätzlich das Interesse des Belegenheitsstaats.384 Es ist die typischerweise bestehende ausschließliche Zuständigkeit des Belegenheitsstaats, der Art. 6 HAVÜ zur Durchsetzung auch auf Ebene der Anerkennung und Vollstreckung verhelfen will.385 Wenn der Belegenheitsstaat aber der ersuchte Staat ist und das Urteil nach nationalem Recht anerkennen möchte, bedarf er keines Schutzes. Der Urteilsstaat ist für die Entscheidung gerade verantwortlich und hat daher grundsätzlich ein Interesse an der Anerkennung seiner Entscheidung im Ausland.386 Die übrigen Vertragsstaaten dürften typischerweise kein gesteigertes Interesse an einer verpflichtenden Nichtanerkennung haben. Vor diesem Hintergrund erscheint unklar, wieso der ersuchte Staat daran gehindert sein sollte, die Entscheidung anzuerkennen, die das in seinem Territorium belegene Grundstück betrifft.387 Auch eine Betrachtung der Parteiinteressen spricht tendenziell für den hier vertretenen Ansatz. Insoweit ist zunächst zu beachten, dass das Ergebnis (Anerkennung oder Nichtanerkennung) nach der hier vertretenen Auffassung vom HAVÜ nicht vorgegeben wird. Darüber entscheidet vielmehr das nationale 383 Das HAVÜ begründet, wie gesehen, keine Anerkennungszuständigkeit für Entscheidungen über dingliche Rechte an unbeweglichen Sachen, die außerhalb des Urteilsstaats belegen sind. Eine Verpflichtung zur Anerkennung unter dem HAVÜ scheidet folglich aus. 384 Vgl. für § 328 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 24 ZPO: Martiny, in: Hdb. IZVR III/1, Rn. 696 (Nichtanerkennung ausländischer Entscheidung „wegen des großen staatlichen Eigeninteresses an der Regelung der Bodenordnung und der Gefahren fremder Einflußnahme“). 385 Vgl. Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 380. 386 Allgemein Martiny, in: Hdb. IZVR III/1, Rn. 88 f. 387 Ähnlich: Solomon, FS Thümmel, S. 873 (890) („Für eine derart restriktive Haltung lässt sich nicht wirklich eine sachliche Rechtfertigung finden.“).
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Kapitel 5: Voraussetzungen der Anerkennung und Vollstreckung
Recht des ersuchten Staats unter Einschluss völkerrechtlicher Verträge. Auf diese Weise kann den berechtigten Erwartungen der Parteien unter Umständen besser Rechnung getragen werden, als dies bei einer pauschalen Nichtanerkennung der Fall wäre. So läge der Fall beispielsweise, wenn die Parteien eine ausschließliche Zuständigkeit der Gerichte des Vertragsstaats A vereinbart haben, um über dingliche Rechte an einem in Vertragsstaat C belegenen Grundstück zu entscheiden. Sofern das Urteil aus A nach dem Recht von C anzuerkennen ist,388 gibt es keinen Grund, die Parteiautonomie zu beschränken. Eine Anerkennung der Entscheidung würde der Zuständigkeitsvereinbarung Rechnung tragen und entspräche damit den berechtigten Erwartungen der Parteien. Wieso sollte man die Parteiautonomie mit Blick auf die ausschließliche Zuständigkeit eines Staates enttäuschen, der im konkreten Fall überhaupt keine ausschließliche Zuständigkeit beansprucht und dessen Recht die Anerkennung und Vollstreckung der Entscheidung vorsieht? Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass das HAVÜ primär das Ziel verfolgt, die grenzüberschreitende Urteilsanerkennung zu erleichtern. Eine Pflicht zur Nichtanerkennung muss folglich die Ausnahme darstellen. Insgesamt sprechen daher überzeugende teleologische und systematische Argumente dafür, dass es an einer Pflicht zur Nichtanerkennung fehlt, wenn das Grundstück im ersuchten Staat belegen ist. Anders als bei einer Grundstücksbelegenheit in einem Nichtvertragsstaat finden sich hierzu allerdings keine Ausführungen im Explanatory Report, so dass offen bleibt, ob sich diese Auslegung in der Praxis durchsetzen wird. d) Das Verhältnis von Art. 6 und Art. 29 HAVÜ Das Verhältnis zwischen der in Art. 6 HAVÜ vorgesehenen Pflicht zur Nichtanerkennung und dem treaty relationship mechanism in Art. 29 HAVÜ wurde, soweit ersichtlich, in den Verhandlungen nicht diskutiert. Auch der Explanatory Report spricht die Thematik nicht an. Es kann zwischen drei Konstellationen differenziert werden. aa) Notifikation im Verhältnis zwischen Urteilsstaat und ersuchtem Staat Unter Art. 6 HAVÜ besteht Klarheit darüber, dass ein Urteil aus Vertragsstaat A über das Eigentum an einem in Vertragsstaat B belegenem Grundstück von Vertragsstaat C nicht anerkannt werden darf. Welche Auswirkungen hat es nun, wenn Vertragsstaat C gegen A eine Notifikation im Sinne des Art. 29 Abs. 1 HAVÜ abgegeben und damit das Wirksamwerden des Übereinkom-
388
Beispielsweise weil Vertragsstaat C generell keine ausschließliche Zuständigkeit für Grundstücksangelegenheiten in Anspruch nimmt oder das in Frage stehende Recht nach seinem autonomen Recht nicht als dingliches Recht qualifiziert.
B. Indirekte Zuständigkeit des Ursprungsgerichts
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mens im Verhältnis zwischen A und C, also zwischen Urteilsstaat und ersuchtem Staat, verhindert hat. Klar ist, dass C dann nicht verpflichtet sein kann, ein Urteil aus A anzuerkennen. Aber hat die Notifikation auch Auswirkungen auf die negative Pflicht zur Nichtanerkennung nach Art. 6 HAVÜ? Mit anderen Worten: Führt der Umstand, dass das Übereinkommen zwischen A und C nicht wirksam geworden ist, dazu, dass das HAVÜ für C nun keinerlei Vorgaben für die Anerkennung oder Vollstreckung von Urteilen aus A macht? Dagegen spräche, dass die Pflicht zur Nichtanerkennung aus Art. 6 HAVÜ nach der hier vertretenen Auffassung völkerrechtlich eine gegenüber dem Belegenheitsstaat B bestehende Pflicht darstellt. Mit der Nichtanerkennung der Entscheidung aus A würde C also eine Pflicht gegenüber Vertragsstaat B erfüllen. Im Verhältnis von B und C ist keine Notifikation nach Art. 29 HAVÜ erfolgt, so dass das Übereinkommen im bilateralen Verhältnis zwischen den beiden Staaten wirksam ist. Wieso sollte der „Einspruch“ im Verhältnis zwischen A und C dazu führen, dass die ausschließliche Zuständigkeit des Belegenheitsstaats B weniger Schutz erfährt? Man könnte daher argumentieren, dass aufgrund der Notifikation nach Art. 29 HAVÜ zwar keine Pflichten im Verhältnis zwischen A und C begründet werden, dass es sich für C bei dem Urteil aus A aber gleichwohl um ein vertragsstaatliches Urteil handelt, hinsichtlich dessen im Verhältnis zu B eine Pflicht zur Nichtanerkennung bestehen kann. Dies erschiene auch mit Blick auf die Zwecke des Art. 29 HAVÜ konsequent. C hat den „Einspruch“ eingelegt, weil C nicht verpflichtet sein wollte, Urteilen aus A Wirkung zu verleihen. Wieso sollte der „Einspruch“ dann dazu führen, dass C nun Urteile aus A anerkennen darf, die C ohne den „Einspruch“ nicht hätte anerkennen dürfen? Es sprechen daher gute Argumente dafür, dass C der Entscheidung aus A gemäß Art. 6 HAVÜ die Anerkennung verweigern muss. Problematisch an dieser Lösung ist jedoch, dass das HAVÜ seinen zeitlichen Anwendungsbereich an die Wirksamkeit des Übereinkommens im Verhältnis zwischen Urteilsstaat und ersuchtem Staat knüpft. Nach Art. 16 HAVÜ findet das Übereinkommen auf die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen nur Anwendung, wenn es im Zeitpunkt der Einleitung des Ausgangsverfahrens im Verhältnis zwischen Ursprungsstaat und ersuchtem Staat wirksam war.389 Ob die Verhandlungsstaaten dabei auch die vorliegende Konstellation vor Augen hatten, erscheint zwar fraglich. Man wird an dem klaren Wortlaut von Art. 16 HAVÜ aber kaum vorbeikommen. Abzulehnen wäre insbesondere eine Auslegung des Art. 16 HAVÜ in dem Sinne, dass die Vorschrift nur die positive Pflicht zur Anerkennung und Vollstreckung von Urteilen („shall apply to the recognition and enforcement of judgments“) erfasst, aber keine Aussage zur Nichtanerkennung und Nichtvollstreckung, also der negativen Verpflichtung aus Art. 6 HAVÜ enthält. Dies gilt insbesondere vor dem 389
Siehe Kapitel 4 E. (S. 171).
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Kapitel 5: Voraussetzungen der Anerkennung und Vollstreckung
Hintergrund, dass das HAVÜ an anderer Stelle bei der Bestimmung des Anwendungsbereichs mit der allgemeinen Bezugnahme auf die Anerkennung und Vollstreckung stets den Fall der Nichtanerkennung und Nichtvollstreckung einschließt (z.B. in Art. 1 Abs. 1 S. 1 HAVÜ390 oder Art. 23 Abs. 3 S. 2 HAVÜ391). Eine Auslegung in dem Sinne, dass Art. 16 HAVÜ keine Aussage zur negativen Verpflichtung aus Art. 6 HAVÜ enthält, hätte außerdem zur Konsequenz, dass es an einer Regelung zum zeitlichen Anwendungsbereich im Hinblick auf die Pflicht zur Nichtanerkennung fehlen würde. Es spricht daher vieles dafür, dass in der beschriebenen Konstellation der Anwendungsbereich des HAVÜ nicht eröffnet ist. Auch wenn dieser Umstand im Verhältnis zwischen A und C begründet ist, muss eine gegenüber B bestehende Verpflichtung von C zur Nichtanerkennung der Entscheidung ausscheiden, wenn die Entscheidung schon gar nicht in den Anwendungsbereich des HAVÜ fällt. C ist dementsprechend nicht daran gehindert, dem Urteil aus A nach nationalem Recht Wirkung zu verleihen. bb) Notifikation im Verhältnis zwischen Belegenheitsstaat und ersuchtem Staat Eine andere Konstellation liegt vor, wenn ein Urteil aus A über ein in B belegenes Grundstück in C anerkannt werden soll, aber das HAVÜ im Verhältnis zwischen B und C, also zwischen Belegenheitsstaat und ersuchtem Staat aufgrund einer Notifikation nach Art. 29 Abs. 1 HAVÜ nicht wirksam ist. In dieser Konstellation würde C nach dem hier vertretenen Ansatz durch die Nichtanerkennung des Urteils aus A eine Pflicht gegenüber dem Belegenheitsstaat B erfüllen. Da aber aufgrund der Notifikation keine Pflichten im bilateralen Verhältnis zwischen B und C bestehen, ist C nicht an einer Anerkennung der Entscheidung gehindert. cc) Notifikation im Verhältnis zwischen Urteilsstaat und Belegenheitsstaat Schließlich ist die Konstellation denkbar, dass ein Urteil aus A über ein in B belegenes Grundstück in C anerkannt werden soll, aber das HAVÜ im Verhältnis zwischen A und B, also zwischen Urteilsstaat und Belegenheitsstaat aufgrund einer Notifikation nach Art. 29 Abs. 1 HAVÜ nicht wirksam geworden 390 Danach findet das HAVÜ auf die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- oder Handelssachen Anwendung. Damit ist selbstverständlich auch der Fall mitgedacht, dass das HAVÜ nach Art. 6 HAVÜ die Nichtanerkennung und Nichtvollstreckung vorschreibt. 391 Vgl. Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 379 („Furthermore, Article 23(3) uses the expression ‘as concerns the recognition or enforcement of a judgment’ to allow Contracting States to apply a later instrument for the purpose of granting or refusing recognition or enforcement of judgments given by a court of a Contracting State that is also a party to that instrument.“ – Kursive durch Verfasser).
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ist. Letztlich ist dieser Fall unproblematisch. Der zeitliche Anwendungsbereich ist hier eröffnet, weil das HAVÜ zwischen A und C, also zwischen Urteilsstaat und ersuchtem Staat wirksam geworden ist. Es ist daher klar, dass C die Entscheidung nicht anerkennen darf. Mit der Nichtanerkennung erfüllt er nach dem hier vertretenen Ansatz eine Verpflichtung gegenüber B. Da das HAVÜ im Verhältnis zwischen C und B wirksam ist, gibt es keine Gründe, am Bestehen dieser Verpflichtung zu zweifeln. Dass das HAVÜ zwischen Urteilsstaat A und Belegenheitsstaat B nicht wirksam geworden ist, spielt keine Rolle. e) Zusammenfassung Die sich aus Art. 6 HAVÜ ergebenden Grundätze zum Umgang mit Entscheidungen über dingliche Rechte an unbeweglichen Sachen lassen sich wie folgt zusammenfassen: 1. Entscheidet ein Vertragsstaat über dingliche Rechte an einem in seinem eigenen Territorium belegenen Grundstück, ist die Entscheidung gemäß Art. 6 HAVÜ in allen anderen Vertragsstaaten anzuerkennen und zu vollstrecken (positive Funktion des Art. 6 HAVÜ).392 2. Entscheidet ein vertragsstaatliches Gericht über dingliche Rechte an einem in einem anderen Vertragsstaat belegenen Grundstück, darf die Entscheidung gemäß Art. 6 HAVÜ in sonstigen Vertragsstaaten nicht anerkannt und nicht vollstreckt werden (negative Funktion des Art. 6 HAVÜ).393 Anders ist es nur, wenn ein früher abgeschlossener völkerrechtlicher Vertrag (Art. 23 Abs. 2 HAVÜ) oder ein später abgeschlossener völkerrechtlicher Vertrag, an den Ursprungsstaat, ersuchter Staat und Belegenheitsstaat gebunden sind (Art. 23 Abs. 3 HAVÜ), den ersuchten Staat zur Anerkennung oder Vollstreckung verpflichtet.394 3. Den Belegenheitsstaat trifft keine Pflicht zur Nichtanerkennung. Art. 6 HAVÜ hindert den Belegenheitsstaat folglich nicht daran, die Entscheidung eines anderen Vertragsstaats nach nationalem Recht oder anderen völkerrechtlichen Verträgen anzuerkennen oder zu vollstrecken.395 4. Entscheidet ein vertragsstaatliches Gericht über dingliche Rechte an einem in einem Nichtvertragsstaat belegenen Grundstück, verpflichtet das HAVÜ andere Vertragsstaaten nicht zur Anerkennung oder Vollstreckung der Entscheidung, untersagt aber auch nicht die Anerkennung oder Vollstreckung nach nationalem Recht oder anderen völkerrechtlichen Verträgen.396
392
Siehe Kapitel 5 B.V.3.g) (S. 238). Siehe Kapitel 5 B.VII.3.a) (S. 252). 394 Siehe Kapitel 4 F.II. (S. 176). 395 Siehe Kapitel 5 B.VII.3.c) (S. 255). 396 Siehe Kapitel 5 B.VII.3.b) (S. 252). 393
260 5.
6.
7.
Kapitel 5: Voraussetzungen der Anerkennung und Vollstreckung
Entscheidet ein vertragsstaatliches Gericht in A über dingliche Rechte an einem in Vertragsstaat B belegenen Grundstück, ist Vertragsstaat C an einer Anerkennung oder Vollstreckung nach nationalem Recht oder anderen völkerrechtlichen Verträgen nicht gehindert, wenn das HAVÜ im Verhältnis zwischen A und C aufgrund einer Notifikation gemäß Art. 29 HAVÜ nicht wirksam geworden ist (Notifikation im Verhältnis zwischen Urteilsstaat und ersuchtem Staat).397 Entscheidet ein vertragsstaatliches Gericht in A über dingliche Rechte an einem in Vertragsstaat B belegenen Grundstück, ist Vertragsstaat C an einer Anerkennung oder Vollstreckung nach nationalem Recht oder anderen völkerrechtlichen Verträgen auch dann nicht gehindert, wenn das HAVÜ im Verhältnis zwischen B und C aufgrund einer Notifikation gemäß Art. 29 HAVÜ nicht wirksam geworden ist (Notifikation im Verhältnis zwischen Belegenheitsstaat und ersuchtem Staat).398 Ist das HAVÜ im Verhältnis zwischen Ursprungsstaat und Belegenheitsstaat aufgrund einer Notifikation gemäß Art. 29 HAVÜ nicht wirksam geworden, ändert dies nichts an der Verpflichtung anderer Vertragsstaaten, der Entscheidung die Anerkennung und Vollstreckung zu versagen (Notifikation im Verhältnis zwischen Urteilsstaat und Belegenheitsstaat).399
VIII. Bedeutung einer Rechtsnachfolge im Rahmen der indirekten Zuständigkeitsgründe Einige indirekte Zuständigkeitsgründe des Übereinkommens basieren in ihrer Formulierung darauf, dass derjenige, gegen den die Anerkennung oder Vollstreckung ersucht wird, bereits Partei des ursprünglichen Verfahrens war.400 Dies gilt beispielsweise für Art. 5 Abs. 1 lit. a HAVÜ, nach dem ein indirekter Zuständigkeitsgrund besteht, wenn die Partei, gegen die die Entscheidung anerkannt oder vollstreckt werden soll, im Zeitpunkt der Verfahrenseinleitung ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Ursprungsstaat hatte. Wie entsprechende Zuständigkeitsgründe im Fall der Rechtsnachfolge zu handhaben sind, wird im Übereinkommenstext nicht explizit geregelt.401 Der Explanatory Report stellt jedoch klar, dass eine Anerkennung und Vollstreckung der Entscheidung auf Grundlage des Art. 5 Abs. 1 lit. a HAVÜ auch 397
Siehe Kapitel 5 B.VII.3.d)aa) (S. 256). Siehe Kapitel 5 B.VII.3.d)bb) (S. 258). 399 Siehe Kapitel 5 B.VII.3.d)cc) (S. 258). 400 Ausdrücklich für Art. 5 Abs. 1 lit. a HAVÜ: Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 144. 401 Ausdrücklich zu regeln versuchte diese Fragen noch Art. 5 des vorläufigen Entwurfstexts der Arbeitsgruppe. Dies führte im Entwurfstext zu einer erhöhten Komplexität der Regelungen (vgl. Art. 5 Abs. 1 lit. a vorläufiger Entwurfstext) und zu einer Abweichung vom Ansatz des HGÜ, das Fragen der Rechtsnachfolge im Übereinkommenstext nicht explizit behandelt. 398
B. Indirekte Zuständigkeit des Ursprungsgerichts
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gegen den Rechtsnachfolger der ursprünglichen Partei möglich ist, wenn die ursprüngliche Partei bei Verfahrenseinleitung ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Ursprungsstaat hatte.402 Art. 5 Abs. 1 lit. a HAVÜ ist also in dem Sinne zu lesen, dass die Anerkennungszuständigkeit besteht, wenn die Partei gegen die die Entscheidung anerkannt oder vollstreckt werden soll bzw. ihr Rechtsvorgänger, im Zeitpunkt der Verfahrenseinleitung ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Ursprungsstaat hatte. Für die Frage, ob eine wirksame Rechtsnachfolge vorliegt, gilt das Recht des um Anerkennung und Vollstreckung ersuchten Staates unter Einschluss seines internationalen Privatrechts. Der Explanatory Report stellt dies nur für Art. 5 Abs. 1 lit. a HAVÜ ausdrücklich klar.403 Dasselbe wird aber auch für die anderen Zuständigkeitsgründe des Art. 5 HAVÜ gelten, die parteibezogene Anforderungen aufstellen und von einer Identität der Partei mit derjenigen des Ursprungsverfahrens ausgehen. So dürfte beispielsweise im Rahmen von Art. 5 Abs. 1 lit. b HAVÜ auch eine Vollstreckung gegen den Rechtsnachfolger des Betriebsinhabers, im Rahmen von Art. 5 Abs. 1 lit. c HAVÜ gegen den Rechtsnachfolger des Klägers, möglich sein. Denn andernfalls könnte der Vollstreckungsschuldner unter Umständen durch die Herbeiführung einer Rechtsnachfolge (z.B. durch Abtretung oder Verschmelzung) den indirekten Zuständigkeitsgrund zu Fall bringen und damit eine Vollstreckung unter dem Übereinkommen verhindern. Auch im Rahmen von Art. 5 Abs. 1 lit. g HAVÜ kann die Frage nach der Rechtsnachfolge relevant werden. Denn im Rahmen der Ausnahme („unless […]“) wird auf die Aktivitäten des Beklagten (vgl. Art. 3 Abs. 1 lit. a HAVÜ) abgestellt. Es kann aber bereits vor der Einleitung des Ursprungsverfahrens zu einer Rechtsnachfolge gekommen sein. In dem Fall wäre maßgeblich auf die Aktivitäten des Rechtsvorgängers des Beklagten abzustellen. Demgegenüber bereitet eine Rechtsnachfolge bei der Anwendung derjenigen indirekten Zuständigkeitsgründe, die ausschließlich sachbezogen formuliert sind und nicht auf die Identität der Parteien Bezug nehmen, keine Schwierigkeiten. Dies gilt beispielsweise für Art. 5 Abs. 1 lit. h und j HAVÜ. IX. Gerichtliche Vergleiche 1. Ausgangspunkt Art. 11 HAVÜ bestimmt unter welchen Voraussetzungen gerichtliche Vergleiche unter dem HAVÜ vollstreckbar sind.404 Sie müssen vom Gericht eines Vertragsstaats gebilligt oder vor diesem Gericht im Laufe eines Verfahrens ge-
402
Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 144. Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 144. 404 Zum Begriff des gerichtlichen Vergleichs im Sinne des Art. 11 HAVÜ siehe Kapitel 4 B.IX. (S. 154). 403
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Kapitel 5: Voraussetzungen der Anerkennung und Vollstreckung
schlossen worden und im Ursprungsstaat in derselben Weise wie eine Entscheidung vollstreckbar sein. Sind diese Voraussetzungen erfüllt, werden sie „nach diesem Übereinkommen in derselben Weise wie eine Entscheidung vollstreckt.“405 Daraus folgt, dass gerichtliche Vergleiche den gerichtlichen Entscheidungen unter dem HAVÜ im Hinblick auf ihre Vollstreckbarkeit gleichgestellt werden.406 Im Ausgangspunkt dürften die Vorschriften des HAVÜ, die grundsätzlich nur von Entscheidungen („judgments“ bzw. „jugements“) sprechen, daher insoweit sinngemäß anzuwenden sein. So ist beispielsweise eine Nachprüfung in der Sache in entsprechender Anwendung des Art. 4 Abs. 2 HAVÜ auch für gerichtliche Vergleiche ausgeschlossen. Der Explanatory Report stellt klar, dass die Versagungsgründe grundsätzlich auch auf gerichtliche Vergleiche Anwendung finden.407 Ob dasselbe für die indirekten Zuständigkeitsgründe gilt, bleibt jedoch unbeantwortet. Der Explanatory Report spricht zwar zuständigkeitsrechtliche Fragen an, allerdings nur im Kontext von Versagungsgründen, so dass wohl lediglich Art. 7 Abs. 1 lit. d HAVÜ gemeint sein dürfte.408 Die Frage, ob die Vollstreckbarkeit gerichtlicher Vergleiche unter dem HAVÜ einen indirekten Zuständigkeitsgrund voraussetzt, wäre irrelevant, wenn ein solcher beim Abschluss eines gerichtlichen Vergleichs stets gegeben wäre. Davon kann jedoch nicht generell ausgegangen werden. Eine ausdrückliche Zustimmung zur Zuständigkeit des Ursprungsgerichts im Sinne des Art. 5 Abs. 1 lit. e HAVÜ dürfte im Rahmen gerichtlicher Vergleiche die Ausnahme sein. Die Voraussetzungen für eine ausdrückliche Zustimmung sind hoch.409 Sie kann, wie sich aus dem Wortlaut und der Abgrenzung zur rügelosen Einlassung gemäß Art. 5 Abs. 1 lit. f HAVÜ ergibt, nicht in das Verhalten des Beklagten hineingelesen werden. Grundsätzlich wäre allerdings denkbar, in der Mitwirkung beim Abschluss eines Prozessvergleichs eine rügelose Einlassung (Art. 5 Abs. 1 lit. f HAVÜ)410 oder eine Gerichtsstandsvereinbarung (Art. 5 Abs. 1 lit. m HAVÜ) zu sehen. Allerdings scheidet eine rügelose Einlassung im Sinne des Art. 5 Abs. 1 lit. f HAVÜ jedenfalls dann aus, wenn das Gericht
405 Im englischen Wortlaut: „[…] shall be enforced under this Convention in the same manner as a judgment.“ 406 Siehe Kapitel 4 B.IX.1. (S. 154). 407 Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 299. 408 Vgl. Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 299: „The grounds for refusing enforcement of judicial settlements are the same as those applicable to judgments. But issues of jurisdiction will not arise because settlements are essentially consensual; the same holds for other grounds for refusal set out in Article 7, e.g., defective notification.“ (Kursive durch Verfasser). 409 Siehe Kapitel 5 B.V.2.a) (S. 214). 410 Ähnlich im Kontext des HUnthÜ: Atteslander-Dürrenmatt, Prozessvergleich, S. 175 f.
B. Indirekte Zuständigkeit des Ursprungsgerichts
263
eine Zuständigkeitsrüge bereits zurückgewiesen hat411 oder wenn eine Zuständigkeitsrüge ohnehin keine Erfolgsaussichten gehabt hätte.412 Im Abschluss des gerichtlichen Vergleichs wird grundsätzlich auch keine Gerichtsstandsvereinbarung im Sinne des Art. 5 Abs. 1 lit. m HAVÜ zu sehen sein. Soweit man annimmt, dass Art. 5 Abs. 1 lit. m HAVÜ nur im Vorfeld getroffene Vereinbarungen erfasst,413 scheidet eine Anwendung der Vorschrift für erst im Laufe des Verfahrens geschlossene Gerichtsstandsvereinbarungen von vornherein aus. Im Übrigen setzt Art. 5 Abs. 1 lit. m HAVÜ voraus, dass die Gerichtsstandsvereinbarung entweder schriftlich oder durch ein anderes Kommunikationsmittel, das es ermöglicht, auf die Information später wieder zuzugreifen, geschlossen oder dokumentiert wird. Dieses Formerfordernis wird die Annahme einer Gerichtsstandsvereinbarungen durch Abschluss eines Prozessvergleichs regelmäßig ausschließen. Auch wenn der gerichtliche Vergleich schriftlich oder elektronisch dokumentiert wird, wäre dem Formerfordernis der Gerichtsstandsvereinbarung nur dann genüge getan, wenn diese im Text auch Erwähnung fände.414 Insgesamt ist daher keineswegs gewährleistet, dass bei Abschluss eines gerichtlichen Vergleichs stets die Voraussetzungen eines indirekten Zuständigkeitsgrundes erfüllt sind. Insoweit ist auch zu bedenken, dass die indirekten Zuständigkeitsgründe der rügelosen Einlassung (Art. 5 Abs. 1 lit. f HAVÜ) und der Gerichtsstandsvereinbarung (Art. 5 Abs. 1 lit. m HAVÜ) gemäß Art. 5 Abs. 2 lit. b HAVÜ für eine Anerkennung oder Vollstreckung gegen Verbraucher oder Arbeitnehmer nicht zur Verfügung stehen.415 Vor diesem Hintergrund bedarf es der Klärung, ob die Vollstreckbarkeit gerichtlicher Vergleiche das Vorliegen eines indirekten Zuständigkeitsgrundes im Sinne der Art. 5–6 HAVÜ voraussetzt. 2. Wortlaut der authentischen Sprachfassungen Der Wortlaut der englischen Sprachfassung scheint tendenziell dafür zu sprechen, dass Art. 11 HAVÜ selbst die Voraussetzungen definiert, unter denen gerichtliche Vergleiche vollstreckbar sind. Die Vorschrift besagt gerade nicht, dass gerichtliche Vergleiche wie Entscheidungen behandelt werden416 oder unter denselben Voraussetzungen wie Entscheidungen vollstreckbar 411
Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 169. Siehe Kapitel 5 B.V.2.b) (S. 215). 413 Vgl. Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 214, 225; Bonomi/Mariottini, YbPIL 20 (2018/19), 537 (554). 414 Ähnlich zur Frage, ob im Rahmen des HGÜ eine Gerichtsstandsvereinbarung durch rügelose Einlassung getroffen werden kann: Bläsi, HGÜ, S. 81 f. 415 Siehe Kapitel 5 B.VI.3. (S. 246). 416 So z.B. Art. 10 HGÜWG: „Settlements made in the chosen court in the course of proceedings there pending which are enforceable in the State of that court shall be treated in the same manner as decisions made by that court.“ (Kursive durch Verfasser). 412
264
Kapitel 5: Voraussetzungen der Anerkennung und Vollstreckung
sind,417 sondern, dass sie in derselben Weise („in the same manner“) vollstreckt werden. Allerdings deutet die französische Sprachfassung in die entgegengesetzte Richtung und spricht von denselben Voraussetzungen oder Bedingungen („aux mêmes conditions“). Da keine der beiden authentischen Sprachfassungen Vorrang beanspruchen kann,418 ist der Wortlaut hinsichtlich der hier zu entscheidenden Frage wenig aufschlussreich. Der Bedeutungsunterschied zwischen den Sprachfassungen ist gemäß Art. 33 Abs. 4 WVK nach Möglichkeit unter Anwendung der in Art. 31 f. WVK festgelegten Auslegungsmethoden aufzulösen. 3. Sinn und Zweck Gegen eine Prüfung der indirekten Zuständigkeit im Rahmen von Art. 11 HAVÜ ließe sich anführen, dass die Wirkungen gerichtlicher Vergleiche nicht primär auf gerichtlicher Autorität, sondern auf der Einigung der Parteien basieren. Wieso sollte vor diesem Hintergrund im ersuchten Staat eine Überprüfung der Zuständigkeit des Ursprungsgerichts erfolgen, vor welchem dieser Vergleich geschlossen wurde? Ein Grund könnte sein, dass die Parteien den Vergleich nicht losgelöst vom Kontext des erststaatlichen Verfahrens schließen. Äußerungen des Gerichts über die Erfolgsaussichten der Klage oder Verteidigung mögen zum Vertragsschluss beigetragen haben. Eine Partei begibt sich auch nicht zwingend in einen (unauflösbaren) Selbstwiderspruch, wenn sie zunächst am Abschluss des gerichtlichen Vergleichs im Ursprungsverfahren mitwirkt und sich später vor dem ersuchten Gericht auf die fehlende Zuständigkeit des Ursprungsgerichts beruft. Ein solcher Selbstwiderspruch läge nur vor, wenn der Abschluss des Vergleichs als Anerkennung der internationalen Zuständigkeit des Ursprungsstaats zu werten wäre. Das ist aber nicht notwendigerweise stets der Fall. Denkbar ist zum Beispiel, dass gegen einen Beklagten auf Grundlage eines nationalen Gerichtsstands der Vermögensbelegenheit eine Klage erhoben wird, obgleich die Streitigkeit keinerlei Bezug zum Forum hat. Da Vermögen des Beklagten im Forumstaat belegen ist und dieser daher eine spätere Vollstreckung im Forumstaat fürchten muss, stimmt er einem Vergleichsvorschlag mit einem niedrigeren Betrag als dem der Klageforderung zu, um die drohenden Folgen abzumildern. Es wäre nicht überzeugend, darin eine Anerkennung der internationalen Zuständigkeit des Gerichts zu sehen. Der Beklagte wirkt bei dem Vergleich nur mit, weil er sich der Hoheitsgewalt des Forumstaats angesichts der drohenden Vollstreckung in sein Vermögen „ausgeliefert“ sieht. Es 417
Vgl. z.B. Art. 19 HVÜ: „Settlements made in court in the course of a pending proceeding which may be enforced in the State of origin shall be enforceable in the State addressed under the same conditions as decisions falling within this Convention, so far as those conditions apply to settlements.“ (Kursive durch Verfasser). 418 Siehe Kapitel 2 B.I. (S. 53).
B. Indirekte Zuständigkeit des Ursprungsgerichts
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spricht daher vieles dafür, dass der Beklagte, wenn der gerichtliche Vergleich später in einem anderen Vertragsstaat vollstreckt werden soll (z.B., weil das Vermögen im Urteilsstaat nicht ausreicht), dort die fehlende internationale Zuständigkeit einwenden können sollte. Dies gilt freilich umso mehr, wenn ein Beklagter sich nur unter ausdrücklicher Aufrechterhaltung der Zuständigkeitsrüge auf den Vergleich einlässt.419 Schließlich ist es nicht fernliegend, Verbrauchern oder Arbeitnehmern, welchen die Möglichkeit einer Zuständigkeitsrüge womöglich unbekannt war, einen entsprechenden Einwand noch im ersuchten Staat zu ermöglichen. Vor diesem Hintergrund hat eine Überprüfung der Zuständigkeit des Ursprungsgerichts als Voraussetzung der Vollstreckbarkeit gerichtlicher Vergleiche durchaus ihre Berechtigung. Dass eine solche Überprüfung nicht abwegig ist, sei auch dadurch verdeutlicht, dass diverse nationale Rechtsordnungen, die die Anerkennung oder Vollstreckung ausländischer gerichtlicher Vergleiche ermöglichen, ebenfalls eine Prüfung der indirekten Zuständigkeit vorsehen.420 Auch im Rahmen von Art. 21 HUnthÜ, der eine Anerkennung und Vollstreckung von Vergleichen über Unterhaltsforderungen vorsieht, wird die indirekte Zuständigkeit durch das ersuchte Gericht überprüft.421 4. Parallelvorschrift: Art. 12 HGÜ Ein Vergleich mit der Parallelvorschrift in Art. 12 HGÜ bringt nur wenige Erkenntnisse. Nach der Vorschrift sind nur gerichtliche Vergleiche erfasst, die von einem in einer ausschließlichen Gerichtsstandsvereinbarung benannten Gericht eines Vertragsstaats gebilligt oder die vor diesem Gericht im Laufe eines Verfahrens geschlossen worden sind. Damit wird zwar eine Prüfung der indirekten Zuständigkeit verbunden, da nur die vor dem prorogierten Gericht geschlossenen Vergleiche erfasst werden. Für die Auslegung des Art. 11 HAVÜ ergeben sich daraus jedoch kaum Anhaltspunkte. Denn zum einen weicht der Wortlaut von Art. 12 HGÜ gerade in diesem Punkt ab und zum anderen ist das HGÜ seinem Anwendungsbereich nach auf ausschließliche Gerichtsstandsvereinbarung beschränkt, so dass sich der Zuschnitt von Art. 12 HGÜ gerade auch vor diesem Hintergrund erklären ließe. 5. Entstehungsgeschichte Da sich aus Wortlaut, systematischem Zusammenhang und Zweck keine eindeutige Antwort auf die Frage ergibt, ob die Vollstreckbarkeit gerichtlicher Vergleiche das Vorliegen eines indirekten Zuständigkeitsgrundes im Sinne der 419
Vgl. Atteslander-Dürrenmatt, Prozessvergleich, S. 182. Vgl. Atteslander-Dürrenmatt, Prozessvergleich, S. 180–182. 421 LG Heidelberg 26.10.2009 – 5 O 152/08, Rn. 25, juris; Atteslander-Dürrenmatt, Prozessvergleich, S. 175 f. 420
266
Kapitel 5: Voraussetzungen der Anerkennung und Vollstreckung
Art. 5–6 HAVÜ voraussetzt, können nach Art. 32 lit. a WVK ergänzende Auslegungsmittel und insbesondere die travaux préparatoires zur Auslegung herangezogen werden. Art. 11 HAVÜ ist – angelehnt an Art. 12 HGÜ – bereits von der Arbeitsgruppe in den vorläufigen Entwurfstext aufgenommen und seitdem im Wesentlichen unverändert geblieben. Im Rahmen der Arbeitsgruppe ist, soweit ersichtlich, nicht näher diskutiert worden, welche Vorschriften auf die Vollstreckbarkeit von gerichtlichen Vergleichen Anwendung finden. Die vom Ständigen Büro verfasste Explanatory Note zum vorläufigen Entwurfstext, spricht die Thematik ebenfalls nicht explizit an.422 Bereits während der ersten Sitzung der Spezialkommission im Juni 2016 wurde die Auffassung geäußert, dass die Art. 5–7 auch auf gerichtliche Vergleiche anzuwenden seien.423 Im Rahmen der zweiten Sitzung der Spezialkommission im Februar 2017 wurde seitens einer Delegation noch einmal konkret nachgefragt, ob die indirekten Zuständigkeitsgründe auch auf gerichtliche Vergleiche Anwendung finden würden.424 Der Vorsitzende der Spezialkommission David Goddard bejahte dies. Gerichtliche Vergleiche seien unter denselben Voraussetzungen vollstreckbar wie Entscheidungen und müssten daher auch die Voraussetzungen eines indirekten Zuständigkeitsgrundes erfüllen.425 Diese Aussage blieb unwidersprochen und der Punkt wurde im weiteren Verlauf der Verhandlungen nicht mehr aufgeworfen oder in Frage gestellt. Dies kann als aussagekräftiger Anhaltspunkt dafür gewertet werden, dass die Verhandlungsparteien vom Erfordernis eines indirekten Zuständigkeitsgrundes auch für gerichtliche Vergleiche ausgingen. 6. Fazit Art. 11 HAVÜ ist vor diesem Hintergrund so zu verstehen, dass gerichtliche Vergleiche nach dem HAVÜ unter denselben Voraussetzungen wie Entscheidungen vollstreckbar sind und die Vollstreckbarkeit daher auch das Vorliegen eines indirekten Zuständigkeitsgrundes nach Art. 5–6 HAVÜ voraussetzt. Dies kommt in der französischen Sprachfassung des Art. 11 HAVÜ deutlicher zum Ausdruck als in der englischen. Aber auch mit der Formulierung in der englischen Sprachfassung („Judicial settlements […] shall be enforced under this 422
Vgl. Ständiges Büro der Haager Konferenz, Explanatory Note, PrelDoc No 2 of April 2016, Rn. 67. 423 Minutes of the Special Commission on the Recognition and Enforcement of Foreign Judgments (1–9 June 2016), Minutes No 11, Meeting of 8 June 2016 (morning), Rn. 68 (bisher unveröffentlicht). 424 Minutes of the Special Commission on the Recognition and Enforcement of Foreign Judgments (16–24 February 2017), Minutes No 8, Meeting of 21 February 2017 (afternoon), Rn. 61 (bisher unveröffentlicht). 425 Minutes of the Special Commission on the Recognition and Enforcement of Foreign Judgments (16–24 February 2017), Minutes No 8, Meeting of 21 February 2017 (afternoon), Rn. 62 (bisher unveröffentlicht).
B. Indirekte Zuständigkeit des Ursprungsgerichts
267
Convention in the same manner as a judgment.“) kann dieses Verständnis in Einklang gebracht werden. Denn die Formulierung schließt es zumindest nicht aus, dass ein gerichtlicher Vergleich auch dieselben Voraussetzungen für die Vollstreckbarkeit erfüllen muss wie Entscheidungen. Da die Vollstreckbarkeit gerichtlicher Vergleiche also vom Vorliegen eines indirekten Zuständigkeitsgrundes abhängt, sollte eine Klägerin, die sicher gehen möchte, dass ein gerichtlicher Vergleich unter dem HAVÜ zirkuliert, gegebenenfalls darauf bestehen, dass der Beklagte die Zuständigkeit des Gerichts ausdrücklich anerkennt (Art. 5 Abs. 1 lit. e HAVÜ).
Kapitel 6
Versagungsgründe Eine Entscheidung, die in den Anwendungsbereich des Übereinkommens fällt,1 wirksam bzw. vollstreckbar ist (Art. 4 Abs. 3 HAVÜ)2 und von einem zuständigen Gericht (Art. 5–6 HAVÜ) getroffen wurde,3 ist gemäß Art. 4 Abs. 1 S. 1 HAVÜ von allen Vertragsstaaten des HAVÜ anzuerkennen und zu vollstrecken. Die Anerkennung oder Vollstreckung darf nur aus einem der im HAVÜ geregelten Gründe versagt werden (Art. 4 Abs. 1 S. 2 HAVÜ). Die Versagungsgründe werden also im Übereinkommen grundsätzlich abschließend geregelt.4 Art. 7 HAVÜ ist die zentrale Vorschrift für die Versagungsgründe. Weitere Versagungsgründe finden sich in Art. 4 Abs. 4, Art. 8 Abs. 2, Art. 10, Art. 17 und Art. 19 Abs. 2 HAVÜ. Die in Art. 4 Abs. 4 HAVÜ und Art. 7 Abs. 2 HAVÜ normierten Ausnahmen von der Pflicht zur Anerkennung oder Vollstreckung haben die Besonderheit, dass sie lediglich eine Aufschiebung der Anerkennung bzw. Vollstreckung oder eine Versagung unbeschadet der Möglichkeit eines erneuten Antrags erlauben.5 Sofern Versagungsgründe des HAVÜ einen abtrennbaren Teil der Entscheidung betreffen, ist die Entscheidung gemäß Art. 9 HAVÜ im Übrigen anzuerkennen und zu vollstrecken. Die Versagungsgründe sind auch auf gerichtliche Vergleiche6 und Kostenentscheidungen7 anzuwenden. Die Versagungsgründe des HAVÜ decken sich weitgehend mit denjenigen des HGÜ. Soweit sich Abweichungen in den Formulierungen zeigen, sind damit vielfach nur Klarstellungen bezweckt.8 Teilweise weicht das HAVÜ aber auch inhaltlich ab. Einzelne Versagungsgründe des HAVÜ sind im Vergleich zum HGÜ weiter gefasst worden.9 Dies lässt sich vor allem damit rechtfertigen,
1
Siehe Kapitel 4 (S. 118). Siehe Kapitel 5 A.I. (S. 195). 3 Siehe Kapitel 5 B. (S. 200). 4 Schack, IPRax 2020, 1 (5). 5 Vgl. Art. 4 Abs. 4 S. 2 und Art. 7 Abs. 2 S. 2 HAVÜ. 6 Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 299. 7 Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 98, 322. 8 Siehe Kapitel 6 D.III.1. (S. 280) (Beeinträchtigung der staatlichen Sicherheit oder Souveränität) und Kapitel 6 D.V.4. (S. 295) (zu common courts). 9 Siehe insbesondere Kapitel 6 D.II. (S. 279) (Betrug) und Kapitel 6 D.VI.2 (S. 297) (Identität des Gegenstands). 2
A. Fakultativer Charakter
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dass im Rahmen des HGÜ nur Entscheidungen von Gerichten anerkannt werden, deren ausschließliche Zuständigkeit die Parteien vereinbart haben.
A. Fakultativer Charakter I. Grundsatz Liegen die Voraussetzungen eines Versagungsgrundes vor, darf („may“ bzw. „peut“) der ersuchte Staat die Anerkennung und Vollstreckung versagen, muss dies aber nicht tun.10 Die Versagungsgründe sind also nicht zwingend, sondern fakultativ.11 Missverständlich ist es daher von „obstacles to recognition/enforcement“12 oder von „Anerkennungshindernisse[n]“13 zu sprechen. Denn die Versagungsgründe hindern Vertragsstaaten nicht an der Anerkennung und Vollstreckung. Es handelt sich um Ausnahmen von der Pflicht zur Anerkennung und Vollstreckung.14 Adressat der Versagungsgründe ist der ersuchte Vertragsstaat.15 Der Ermessensspielraum wird im Rahmen der Versagungsgründe somit nicht unmittelbar dem Gericht, sondern vielmehr dem Vertragsstaat eingeräumt.16 Dieser Ansatz
10 Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 244; Garnett, in: John/Gulati/Köhler, Elgar Companion, S. 309 (320); Jovanovic, YbPIL 21 (2019/20), 309 (317 f.); Kessedjian, NIPR 2020, 19 (31); Meier, Neth. Int'l L. Rev. 2020, 81 (92); Nielsen, FS Kronke, S. 415 (425); Sachs/Weiler, FS Thümmel, S. 763 (770); Schack, IPRax 2020, 1 (5); Spitz, YbPIL 21 (2019/20), 333 (342 f.); Stein, IPRax 2020, 197 (201) Fn. 36; Stewart, Amer. J. Int'l. L. 113 (2019), 772 (778). 11 Auch die Versagungsgründe des HGÜ haben fakultativen Charakter (Hartley/Dogauchi, Explanatory Report, Rn. 182; Wagner, RabelsZ 73 (2009), 100 (125)). Unter dem HVÜ sind die Versagungsgründe ebenfalls grundsätzlich als „Kann-Vorschriften“ ausgestaltet (vgl. Art. 5 HVÜ). Mit Art. 6 HVÜ sieht das Übereinkommen aber auch einen zwingenden Versagungsgrund vor. 12 Kessedjian, NIPR 2020, 19 (31). 13 Schack, IPRax 2020, 1 (5); ähnlich auch Wagner, RabelsZ 73 (2009), 100 (125) (zum HGÜ). 14 So treffend Bläsi, HGÜ, S. 198 (zum HGÜ). 15 Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 246; Jang, Neth. Int'l L. Rev. 2020, 97 (102); North, IPRax 2020, 202 (207). 16 Dies wird oftmals verkannt, vgl. z.B. Deutscher Notarverein, Stellungnahme vom 22.03.2016 („Art. 7 des Entwurfs weicht insofern von Art. 45 der VO (EU) 1215/2012 ab, als die Versagung der Anerkennung (und damit auch der Vollstreckung) in das Ermessen des Gerichts gestellt ist (‚Recognition or enforcement may be refused if‘). Unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten erscheint dies bedenklich.“); Spitz, YbPIL 21 (2019/20), 333 (345) („Under both instruments, national courts have no obligation to deny recognition of foreign awards or judgments. Rather, they have a discretionary power to refuse them, according to the expression ‘may refuse’.“); Süral Efeçınar, PPIL 40-2 (2020), 785 (792) („In other
270
Kapitel 6: Versagungsgründe
lag bereits den Versagungsgründen im vorläufigen Entwurfstext der Arbeitsgruppe zugrunde.17 Er wurde auch in den Verhandlungen immer wieder betont18 und (nahezu) allgemein geteilt.19 In Art. 7 HAVÜ kommt der Grundsatz in der Passivformulierung („may be refused“ bzw. „peut être refusée“) zum Ausdruck, durch die eine Erwähnung der vertragsstaatlichen Gerichte vermieden wird. Entsprechendes gilt auch für die Versagungsgründe in Art. 4 Abs. 4,20 Art. 8 Abs. 2, Art. 10,21 Art. 17 und Art. 19 Abs. 2 HAVÜ. Der nationale Gesetzgeber eines Vertragsstaats ist daher frei, innerhalb des Spielraums, den das Übereinkommen beim Vorliegen eines Versagungsgrundes einräumt, die Rechtsfolgen zu regeln.22 Denkbar wäre zum Beispiel die Anordnung im nationalen Verfahrensrecht, die Entscheidung beim Vorliegen eines bestimmten Versagungsgrundes stets anzuerkennen und zu vollstrecken oder aber die Anerkennung und Vollstreckung beim Vorliegen der Voraussetzungen eines Versagungsgrundes stets zu verweigern. Dabei könnte der Vertragsstaat beispielsweise auch nach Rechtsgebieten differenzieren.23 Soweit das HAVÜ dazu nichts sagt,24 kann der nationale Gesetzgeber auch die Frage regeln, ob eine Partei mit bestimmten Einwänden präkludiert ist, wenn sie versäumt hat, diese im Ursprungsverfahren geltend zu machen.25 Der Gesetzgeber words, a judge has discretion to deny recognition or enforcement despite the existence of grounds provided by the Convention, Article 7.“). 17 Ständiges Büro der Haager Konferenz, Explanatory Note, PrelDoc No 2 of April 2016, Rn. 161. 18 Vgl. z.B. Minutes of the 22nd Session, Commission I, Minutes No 1, Meeting of 18 June 2019 (morning), Rn. 17 (bisher unveröffentlicht); Minutes of the 22nd Session, Commission I, Minutes No 10, Meeting of 24 June 2019 (afternoon), Rn. 58, 66–69 (bisher unveröffentlicht); Minutes of the 22nd Session, Commission I, Minutes No 13, Meeting of 26 June 2019 (afternoon), Rn. 49 (bisher unveröffentlicht). 19 In einzelnen Redebeiträgen kam ein abweichendes Verständnis zum Ausdruck, wonach das Ermessen den Gerichten eingeräumt werden müsse, vgl. Minutes of the 22nd Session, Commission I, Minutes No 10, Meeting of 24 June 2019 (afternoon), Rn. 63 (bisher unveröffentlicht); Minutes of the 22nd Session, Commission I, Minutes No 13, Meeting of 26 June 2019 (afternoon), Rn. 50 (bisher unveröffentlicht). Diese Auffassung wurde jedoch vom Vorsitzenden und anderen Delegationen zurückgewiesen, vgl. insbesondere Minutes of the 22nd Session, Commission I, Minutes No 10, Meeting of 24 June 2019 (afternoon), Rn. 66 f. (bisher unveröffentlicht). 20 Siehe schon Kapitel 5 A.II. (S. 197). 21 Vgl. Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 133 Fn. 126. 22 Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 133 Fn. 126, Rn. 246; Jovanovic, YbPIL 21 (2019/20), 309 (317 f.); Nielsen, JPIL 2020, 205 (228); Stein, IPRax 2020, 197 (201) Fn. 36. So bereits zu Art. 7 des vorläufigen Entwurfstexts: Ständiges Büro der Haager Konferenz, Explanatory Note, PrelDoc No 2 of April 2016, Rn. 161. 23 Vgl. Goddard, Duke J. Comp. & Int'l L. 29 (2019), 473 (482). 24 Dies ist aber beispielsweise in Art. 7 Abs. 1 lit. a i) HAVÜ der Fall, siehe Kapitel 6 D.I.1. (S. 275). 25 Dazu näher Kapitel 6 D.III.3. (S. 284).
A. Fakultativer Charakter
271
kann den Gerichten auch die Ausübung des Ermessens übertragen und ihnen dazu bestimmte Kriterien an die Hand geben.26 Trifft der Gesetzgeber keine Regelung, ist in manchen Rechtsordnungen denkbar, dass sich die Gerichte autorisiert sehen, das Ermessen selbst auszuüben.27 Bei alledem müssen die Vertragsstaaten freilich die Grenzen beachten, die ihnen etwa durch das eigene Verfassungsrecht28 oder die Bindung an Menschenrechtskonventionen29 und das Völkerrecht gesetzt sind. Dem deutschen Recht wäre ein gerichtliches Ermessen hinsichtlich der Versagungsgründe fremd.30 Im Hinblick auf Art. V UNÜ, der eine den Versagungsgründen des HAVÜ vergleichbare Formulierung enthält („Recognition and enforcement of the award may be refused“), wird allgemein angenommen, dass der deutsche Richter zur Versagung verpflichtet ist, wenn die Voraussetzungen des Versagungsgrundes vorliegen.31 Dies dürfte sich vorbehaltlich einer anderweitigen Regelung im Ausgangspunkt auf das HAVÜ übertragen lassen. Einschränkungen dieses Grundsatzes können für Konstellationen erwogen werden, in denen der Versagungsgrund nach den im deutschen Recht geltenden Maßstäben präkludiert wäre oder aus nationaler Sichtweise allein die Interessen der Partei berührt sind, die die Anerkennung oder Vollstreckung begehrt.32 Freilich sollte die Anerkennung oder Vollstreckung im Ergebnis nicht versagt werden, wenn das nach Art. 15 HAVÜ anwendbare deutsche autonome Recht die Anerkennung oder Vollstreckung vorsieht. Im Rahmen einer künftigen deutschen Durchführungsgesetzgebung wäre eine Klarstellung zum Charakter der Versagungsgründe wünschenswert, um unnötige Rechtsunsicherheit, wie 26
Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 246. Vgl. Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 133. 28 Vgl. aus deutscher Perspektive Geimer, Anerkennung, S. 18 ff.; Martiny, in: Hdb. IZVR III/1, Rn. 164 ff. 29 Vgl. Meier, Neth. Int'l L. Rev. 2020, 81 (93); zu den Anforderungen, die die EMRK an das Anerkennungs- und Vollstreckungsrecht stellt: EGMR (Große Kammer) 23.5.2016 – Nr. 17502/07, NJOZ 2018, 1515 – Avotins/Lettland; EGMR 20.7.2001 – Nr. 30882/96, Slg. 2001-VIII – Pellegrini/Italien; Fawcett/Ní Shúilleabháin/Shah, Human Rights and Private International Law, Rn. 5.01 ff.; Adolphsen, in: Renzikowski, EMRK, S. 39 (70 ff.). 30 Vgl. Schack, IZVR, Rn. 1039; Linke/Hau, IZVR, Rn. 13.2; Voit, in: Musielak/Voit, ZPO, § 1061 Rn. 28. 31 Vgl. z.B. Voit, in: Musielak/Voit, ZPO, § 1061 Rn. 28; Münch, in: MüKo-ZPO, § 1061 Rn. 18. Entsprechendes gilt vor den Gerichten Südkoreas, vgl. Jang, Neth. Int'l L. Rev. 2020, 97 (102). 32 Dass der Rückgriff auf das nationale Anerkennungsrecht nach Art. 15 HAVÜ möglich bleibt, macht derartige Einschränkungen jedenfalls insoweit nicht obsolet als der Anwendungsbereich oder die indirekten Zuständigkeitsgründe des HAVÜ – wenn auch nur in einzelnen Punkten – weiter gehen als diejenigen des nationalen Rechts. Soweit es beispielsweise um die Vollstreckung eines gerichtlichen Vergleichs ginge, würde auch der Verweis auf das nach Art. 15 HAVÜ anwendbar bleibende nationale Recht nicht nützen, wenn die Vollstreckbarerklärung fremder gerichtlicher Vergleiche im autonomen Recht nicht vorgesehen ist. 27
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Kapitel 6: Versagungsgründe
sie etwa im Rahmen von Art. 9 HGÜ33 und Art. 22 HUnthGÜ34 besteht, zu vermeiden. II. Unterschiedliche Maßstäbe für verschiedene Vertragsstaaten? Nach Goddard kann der nationale Gesetzgeber im Rahmen des von den Versagungsgründen eröffneten Spielraums auch für unterschiedliche Staaten unterschiedliche Maßstäbe anlegen.35 Wäre es dem nationalen Gesetzgeber also möglich, bestimmte Staaten zu bevorzugen (Urteile werden anerkannt, obwohl Versagungsgrund vorliegt) und andere zu benachteiligen (Urteile werden nie anerkannt, wenn Versagungsgrund vorliegt)? Gegen eine nach Vertragsstaaten differenzierende Anwendung der Versagungsgründe könnten zwar die Art. 26 und 31 Abs. 1 WVK sprechen, die dazu verpflichten, völkerrechtliche Verträge nach Treu und Glauben zu erfüllen und auszulegen. Jedenfalls im Ergebnis ist es aber möglich, in dem beschriebenen Sinn zu diskriminieren. Denn der nationale Gesetzgeber kann dieselbe Ungleichbehandlung ohne Weiteres über das nach Art. 15 HAVÜ anwendbare nationale Recht erreichen. Ein Vertragsstaat könnte seine Gerichte im Rahmen der Durchführungsgesetzgebung anweisen, stets unabhängig von der Herkunft der Entscheidung die Anerkennung zu verweigern, wenn ein Versagungsgrund nach dem HAVÜ vorliegt. Gleichzeitig könnte er im nationalen Anerkennungsrecht, das nach Art. 15 HAVÜ neben dem Übereinkommen anwendbar und vom HAVÜ unberührt bleibt, im Verhältnis zu bestimmten Staaten günstigere Regelungen vorsehen. Das Ergebnis wäre dasselbe wie eine nach Ursprungsstaaten differenzierende Ausübung des im Rahmen der Versagungsgründe des HAVÜ eingeräumten Ermessens. Das Übereinkommen will einen Mindeststandard schaffen. Eine umfassende anerkennungsrechtliche Gleichbehandlung der Vertragsstaaten kann das HAVÜ nicht garantieren.36
33 Im deutschen Schrifttum wird verbreitet angenommen, dass die Versagungsgründe im Ermessen des Gerichts stehen: Antomo, NJW 2015, 2919 (2921); Moebus, Das Haager Übereinkommen von 2005, S. 33; Huber, IPRax 2016, 197 (206 f.); Reuter/Wegen, ZVglRWiss 116 (2017), 382 (404); Wagner, RabelsZ 73 (2009), 100 (125). Aber auch die Versagungsgründe des HGÜ richten sich zunächst einmal an den Vertragsstaat. Ob und inwieweit daraus ein Ermessensspielraum für das Gericht folgt, ist – wie im Rahmen des HAVÜ – eine Frage des nationalen Rechts (vgl. Hartley/Dogauchi, Explanatory Report, Rn. 182 Fn. 218) und wäre für das deutsche Recht begründungsbedürftig. 34 Vgl. Lipp, in MüKo-FamFG, Vorbem. zu Art. 1 HUntVÜbk 2007, Rn. 39 m.w.N. 35 Goddard, Duke J. Comp. & Int'l L. 29 (2019), 473 (482). 36 Die Ungleichbehandlung verschiedener Staaten ist im Recht der Urteilsanerkennung allgegenwärtig, vgl. Ho, I.C.L.Q. 46 (1997) 443 (451 f.).
B. Rügeerfordernis?
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B. Rügeerfordernis? Anders als beispielsweise Art. V UNÜ trifft das HAVÜ keine Aussage darüber, ob Versagungsgründe vom Antragsgegner geltend zu machen oder aber von Amts wegen zu berücksichtigen sind. Es ist denkbar, dass Staaten durch ihr eigenes Verfassungsrecht oder aufgrund von Menschenrechtskonventionen verpflichtet sind, die Anerkennung und Vollstreckung in bestimmten Situationen von Amts wegen zu versagen.37 Die Versagungsgründe dienen zum Teil ausschließlich (Art. 7 Abs. 1 lit. a ii) HAVÜ) oder zumindest auch (Art. 7 Abs. 1 lit. c HAVÜ) dem Schutz überindividueller Interessen und Souveränitätsinteressen des ersuchten Staates.38 Generell anzunehmen, dass die Anerkennung oder Vollstreckung nur auf eine Rüge hin versagt werden darf, erscheint daher problematisch.39 Andernfalls wäre denkbar, dass Deutschland – mangels Rüge einer Partei – eine Entscheidung anerkennen müsste, die Verträge zum Kauf von Betäubungsmitteln oder Hakenkreuzflaggen durchsetzt, obwohl der Handel damit in Deutschland unter Strafe steht.40 Es ist jedoch zweifelhaft, ob das HAVÜ überhaupt eine Aussage darüber trifft, ob Versagungsgründe geltend zu machen oder von Amts wegen zu berücksichtigen sind.41 Wenn die Versagungsgründe insgesamt in das Ermessen der Vertragsstaaten gestellt sind,42 dann naheliegenderweise auch die Modalitäten ihrer Geltendmachung. Die Frage, ob die Versagungsgründe von der Partei geltend zu machen oder von Amts wegen zu berücksichtigen sind, richtet sich daher als verfahrensrechtliche Frage nach Art. 13 Abs. 1 S. 1 HAVÜ und damit nach dem Recht des ersuchten Staates.43 37
Ähnlich im Kontext der Brüssel Ia-VO: Geimer, FS Schütze, S. 109 (114). Vgl. z.B. Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 252 (zu Art. 7 Abs. 1 lit. a ii) HAVÜ). 39 Vgl. zur Brüssel Ia-VO: Geimer, in Geimer/Schütze, EuZVR, EuGVVO Art. 45 Rn. 84; Leible, in: Rauscher, EuZPR/EuIPR I, Art. 45 Brüssel Ia-VO Rn. 3; Pfeiffer, ZZP 127 (2014), 409 (425 f.); Netzer/Jacobs, in: ZVR aktuell, S. 245 (263). 40 Vgl. zur Brüssel Ia-VO: Pfeiffer, ZZP 127 (2014), 409 (426) (zum Handel mit Gegenständen, die nationalsozialistische Symbole enthalten); vgl. auch Geimer, in Geimer/Schütze, EuZVR, EuGVVO Art. 45 Rn. 84 (Lieferung von Kriegswaffen ohne erforderliche Genehmigungen). 41 Ebenso Jang, Neth. Int'l L. Rev. 2020, 97 (102). Missverständlich daher die Ausführungen im Explanatory Report: Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 244 („As confirmed in Article 4(1), this is an exhaustive list, which limits the grounds a judgment debtor can invoke to avoid recognition or enforcement in the requested State.“). 42 Siehe Kapitel 6 A. (S. 269). 43 So auch Jang, Neth. Int'l L. Rev. 2020, 97 (102); Jovanovic, YbPIL 21 (2019/20), 309 (316); Sachs/Weiler, FS Thümmel, S. 763 (770); De Miguel Asensio/Cuniberti/Franzina/ Heinze/Requejo Isidro, Judgments Convention Study, S. 14 (zum Konventionsentwurf November 2017). Ebenso für die Versagungsgründe des HGÜ: Schulz, JPIL 2006, 243 (258). Abweichend zum Konventionsentwurf 1999: Nygh/Pocar, Report, Rn. 326. 38
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Kapitel 6: Versagungsgründe
Demgegenüber nimmt Kessedjian an, dass es Vertragsstaaten nicht gestattet sein soll, den eigenen Gerichten eine Prüfung von Amts wegen vorzuschreiben.44 Eine solche Vorgehensweise sei mit dem liberalen Geist des HAVÜ nicht vereinbar und widerspreche dem Günstigkeitsprinzip.45 Denn das nationale Recht dürfe, wie Art. 15 HAVÜ impliziere, nur günstiger sein als das HAVÜ.46 Diese Argumentation findet jedoch, wie gesehen, keine Stütze im Übereinkommen. Es ist zudem unklar, wieso eine Prüfung von Amts wegen per se geeignet sein soll, die Ziele des HAVÜ zu unterlaufen. Der Verweis auf das Günstigkeitsprinzip ist ebenfalls unergiebig, da Art. 15 HAVÜ auf das nationale Anerkennungsrecht zielt und nicht auf die prozessualen Regeln zur Umsetzung einer Anerkennung oder Vollstreckung unter dem HAVÜ. Das Argument läuft zudem auf einen Zirkelschluss hinaus. Denn ihm liegt die Annahme zugrunde, dass man eine nach nationalem Recht angeordnete Prüfung von Amts wegen nach dem Kriterium der Günstigkeit mit dem System des HAVÜ vergleichen könnte. Dazu müsste – was gerade die Frage ist – dem HAVÜ aber überhaupt eine Aussage zu diesem Punkt zu entnehmen sein. Die besseren Argumente sprechen daher insgesamt dafür, dass die Vertragsstaaten ihren Gerichten auch eine Prüfung der Versagungsgründe von Amts wegen vorschreiben dürfen.
C. Restriktive Auslegung Die Versagungsgründe sind unter dem HAVÜ als Ausnahmen ausgestaltet. Die Anerkennung oder Vollstreckung ausländischer Entscheidungen ist die Regel, die Versagung die Ausnahme. Insgesamt zielt das HAVÜ – ausweislich seiner Präambel – darauf, die effektive Anerkennung und Vollstreckung von Urteilen in Zivil- oder Handelssachen zu erleichtern. Eine weite Auslegung der Versagungsgründe wäre geeignet, dieses Ziel zu gefährden. Allerdings dienen auch die Versagungsgründe ihrerseits bedeutsamen Zwecken, insbesondere dem Schutz eines fairen Verfahrens und staatlichen Souveränitätsinteressen. Die Versagungsgründe sollten gleichwohl möglichst restriktiv ausgelegt werden.47 Dies bestätigt auch der Explanatory Report.48
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Kessedjian, NIPR 2020, 19 (31). Kessedjian, NIPR 2020, 19 (31). 46 Kessedjian, NIPR 2020, 19 (31). 47 Garnett, Melb. J. Int'l L. 19 (2018), 750 (761). Ebenso für das HGÜ: Beaumont, Recueil des Cours, Bd. 340, S. 9 (26). 48 Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 293 unter (b). 45
D. Die Versagungsgründe im Einzelnen
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D. Die Versagungsgründe im Einzelnen I. Art. 7 Abs. 1 lit. a HAVÜ – Übermittlung des verfahrenseinleitenden Schriftstücks Art. 7 Abs. 1 lit. a HAVÜ enthält zwei Versagungsgründe, die sich auf die Übermittlung des verfahrenseinleitenden Schriftstücks beziehen. Die Vorschrift entspricht Art. 9 lit. c HGÜ.49 Ob es sich um ein verfahrenseinleitendes Schriftstück handelt, richtet sich nach dem Recht des Ursprungsstaats.50 1. Schutz des Beklagten vor unangemessener Verfahrenseinleitung Unter Art. 7 Abs. 1 lit. a i) HAVÜ werden Fälle erfasst, in denen der Beklagten das Schriftstück nicht so rechtzeitig und in einer Weise übermittelt wurde, dass sie sich gegen die Klage verteidigen konnte.51 Dabei kommt es nicht darauf an, ob die Zustellung nach dem Recht des Ursprungsstaats fehlerfrei und rechtzeitig erfolgte.52 Entscheidend ist, ob nach übereinkommensautonomen Maßstäben die Übermittlung so rechtzeitig und in einer Weise erfolgt ist, dass sich die Beklagte in angemessener Weise gegen die Klage verteidigen konnte.53 Insoweit kommt es auf die Umstände des Einzelfalls an, die stets auch im verfahrensrechtlichen Kontext des Ursprungsverfahrens zu betrachten sind.54 Insbesondere kann es einen Unterschied machen, welche Anforderungen und Modalitäten im Ursprungsverfahren für eine Verteidigungsanzeige oder Klageerwiderung gelten.55 Für die Rechtzeitigkeit wird man regelmäßig auch die Kom-
49 Einen nahezu gleichlautenden Versagungsgrund sieht Art. 14 lit. a des UNCITRAL Model Law on Recognition and Enforcement of Insolvency-Related Judgments vor. 50 Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 248: „Thus, the concept of the document instituting the proceedings includes any document that, under the law of the State of origin, initiates proceedings in a manner that enables the plaintiff to obtain a judgment that may circulate under the Convention.“ (Kursive durch Verfasser). 51 Die Verwendung der Begriffe „their“ und „them“ in der englischen Fassung von Art. 7 Abs. 1 lit. a i) HAVÜ deutet nicht auf eine Mehrzahl von Beklagten hin. Es handelt sich um das geschlechtsneutrale singularische „they“. 52 Vgl. Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 250 f. sowie Rn. 252 Fn. 170; Jovanovic, YbPIL 21 (2019/20), 309 (320); Schack, IPRax 2020, 1 (5); vgl. auch Brand/Herrup, The 2005 Hague Choice of Court Convention, S. 114 (zu Art. 9 lit. c HGÜ). 53 Meier, Neth. Int'l L. Rev. 2020, 81 (86 f.). 54 Insoweit kann es zu Missverständnissen führen, wenn es heißt, dass es sich um ein „tatsächliches“ Kriterium handelt (vgl. Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 250: „factual rather than technical“). Gemeint ist, dass für die Modalitäten und die Rechtzeitigkeit nicht auf nationales Zustellungsrecht zurückzugreifen ist. 55 Meier, Neth. Int'l L. Rev. 2020, 81 (89).
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Kapitel 6: Versagungsgründe
plexität der Angelegenheit, die Länge der rechtlichen und tatsächlichen Ausführungen sowie die Sprache der Klageschrift berücksichtigen müssen.56 Ferner dürfte relevant sein, ob die Beklagte mit dem Verfahren rechnen musste und wie leicht oder schwer sich eine rechtliche Vertretung vor den Gerichten des Urteilsstaats organisieren lässt.57 Art. 7 Abs. 1 lit. a i) HAVÜ sieht eine Ausnahme vor, die als besondere Präklusionsvorschrift verstanden werden kann. Der Versagungsgrund greift danach nicht, sofern die Beklagte sich auf das Verfahren eingelassen und zur Klage Stellung genommen hat, ohne die fehlende oder unzureichende Übermittlung vor dem Ursprungsgericht zu rügen, vorausgesetzt nach dem Recht des Ursprungsstaats wäre eine solche Rüge zulässig gewesen. Rügt die Beklagte erfolglos die unzureichende Übermittlung im Ursprungsverfahren, bleibt ihr der Versagungsgrund erhalten. Die Vorschrift kann daher auch Fälle betreffen, in denen die Entscheidung nicht durch Versäumnisurteil ergangen ist.58 Denn allein der Umstand, dass die Beklagte im Prozess erscheint, bedeutet noch nicht zwingend, dass ihr das verfahrenseinleitende Schriftstück so rechtzeitig und in einer Weise zugestellt wurde, dass sie sich verteidigen konnte. Das Konzept der Einlassung in Art. 7 Abs. 1 lit. a i) HAVÜ („entered an appearance and presented their case“) ist deutlich weiter als die im Rahmen von Art. 5 Abs. 1 lit. f HAVÜ geforderte Einlassung in der Sache („argued on the merits“).59 Dies ergibt sich nicht nur aus den abweichenden Formulierungen,60 sondern ist vor allem den unterschiedlichen Regelungszwecken geschuldet. Im Rahmen von Art. 7 Abs. 1 lit. a i) HAVÜ geht es nicht darum, ob das Parteiverhalten als Einverständnis zur Zuständigkeit des Ursprungsstaats gewertet werden kann, über den geltend gemachten Anspruch zu entscheiden. Art. 7 Abs. 1 lit. a i) HAVÜ bezweckt mit der Voraussetzung vielmehr, dass die Beklagte Mängel der Zustellung bei der ersten Möglichkeit vor dem Ursprungsgericht geltend machen muss.61 Erscheint sie und trägt sie in der Angelegenheit vor, kommt dadurch zum Ausdruck, dass sie Kenntnis vom Verfahren hat. Ihr Anspruch auf rechtliches Gehör ist nicht gefährdet und eine spätere
56
Vgl. Meier, Neth. Int'l L. Rev. 2020, 81 (88 f.); Jovanovic, YbPIL 21 (2019/20), 309 (319). 57 Meier, Neth. Int'l L. Rev. 2020, 81 (89); Jovanovic, YbPIL 21 (2019/20), 309 (319); vgl. auch UNCITRAL Secretariat, Guide to Enactment of the UNCITRAL Model Law on Recognition and Enforcement of Insolvency-Related Judgments, Rn. 100 (zu Art. 14 lit. a des Model Laws). 58 Abweichend Meier, Neth. Int'l L. Rev. 2020, 81 (82); Nielsen, JPIL 2020, 205 (229). 59 Ähnlich für das deutsche Recht mit Blick auf § 328 Abs. 1 Nr. 2 ZPO a.F. einerseits und § 328 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 39 ZPO andererseits: Martiny, in: Hdb. IZVR III/1, Rn. 720. 60 Vgl. Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 250 Fn. 168. 61 Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 250.
D. Die Versagungsgründe im Einzelnen
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Anerkennungsversagung nicht geboten.62 Im Rahmen von Art. 7 Abs. 1 lit. a HAVÜ erfüllt daher auch eine Einlassung zu rein prozessualen Fragen die Tatbestandsvoraussetzung. Eine Einlassung im Sinne des Art. 7 Abs. 1 lit. a HAVÜ liegt beispielsweise schon dann vor, wenn die Beklagte erscheint und lediglich die Zuständigkeit rügt,63 nicht hingegen, wenn sie lediglich Mängel der Zustellung geltend macht oder versucht, eine Terminsverlegung zu erreichen. Der Versagungsgrund des Art. 7 Abs. 1 lit. a i) HAVÜ dient dem Schutz der Beklagten und ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör.64 Art. 7 Abs. 1 lit. a i) HAVÜ findet daher nach Sinn und Zweck keine Anwendung, wenn es die Beklagte ist, die die Anerkennung oder Vollstreckung der Entscheidung begehrt. Denkbar ist beispielsweise, dass die Beklagte trotz unzureichender Übermittlung des verfahrenseinleitenden Schriftstücks im Ursprungsverfahren obsiegt und nun die Anerkennung begehrt oder die Kostenentscheidung gegen den Kläger des Ursprungsverfahrens vollstrecken will. 2. Souveränitätsinteressen des ersuchten Staats Art. 7 Abs. 1 lit. a ii) HAVÜ schützt als „zustellungsrechtliche[r] ordre publicVorbehalt“65 hingegen die Souveränitätsinteressen des ersuchten Staats.66 Der ersuchte Staat kann die Anerkennung oder Vollstreckung versagen, sofern dem Beklagten das verfahrenseinleitende Schriftstück im ersuchten Staat in einer Weise übermittelt worden ist, die mit wesentlichen Grundsätzen des ersuchten Staates für die Zustellung von Schriftstücken unvereinbar ist. Auch insoweit genügt die Fehlerhaftigkeit der Zustellung allein noch nicht.67 Es müssen vielmehr wesentliche Grundsätze des ersuchten Staates für die Zustellung verletzt sein. Art. 7 Abs. 1 lit. a ii) HAVÜ ermöglicht damit die Versagung der Anerkennung, soweit Staaten eine Zustellung auf ihrem Territorium ohne Beteiligung eigener Behörden (z.B. durch einen ausländischen Rechtsanwalt68) als
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Ähnlich zum deutschen Recht Martiny, in: Hdb. IZVR III/1, Rn. 851 f. (zu § 328 Abs. 1 Nr. 2 ZPO a.F.). 63 Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 250 Fn. 168. 64 Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 249 f.; Jovanovic, YbPIL 21 (2019/20), 309 (319); Meier, Neth. Int'l L. Rev. 2020, 81 (86); Nielsen, JPIL 2020, 205 (229). 65 Schack, IPRax 2020, 1 (5). 66 Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 249, 252 f.; Jovanovic, YbPIL 21 (2019/20), 309 (319); Meier, Neth. Int'l L. Rev. 2020, 81 (86); Nielsen, JPIL 2020, 205 (230); Wagner, RabelsZ 73 (2009), 100 (126) (zu Art. 9 lit. c HGÜ). 67 Vgl. Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 252; Jovanovic, YbPIL 21 (2019/20), 309 (320); Brand/Herrup, The 2005 Hague Choice of Court Convention, S. 115 (zu Art. 9 lit. c HGÜ). 68 Vgl. Hartley/Dogauchi, Explanatory Report, Rn. 187.
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Kapitel 6: Versagungsgründe
Souveränitätsverletzung ansehen.69 Der Versagungsgrund kann nur dann zum Tragen kommen, wenn die Zustellung im ersuchten Staat, nicht hingegen wenn sie andernorts erfolgt ist.70 Dies ergibt sich bereits aus dem eindeutigen Wortlaut („was notified to the defendant in the requested State“71). Der Zweck des Versagungsgrundes fordert dieses Verständnis ebenfalls. Denn durch die Zustellung können Souveränitätsinteressen des ersuchten Staats nur berührt sein, wenn die Zustellung im ersuchten Staat erfolgt ist. In diesem Sinne wird auch die Parallelvorschrift in Art. 9 lit. c ii) HGÜ verstanden.72 Der Explanatory Report und die EU-Studie zum Judgments Project weisen darauf hin, dass Art. 13 HZÜ, wonach ein Zustellungsantrag abgelehnt werden kann, wenn der ersuchte Staat diesen für geeignet hält, seine Hoheitsrechte oder seine Sicherheit zu gefährden, ein dem Art. 7 Abs. 1 lit. a ii) HAVÜ ähnliches Kriterium enthalte.73 Es mag insofern naheliegen, Literatur und Rechtsprechung zu Art. 13 HZÜ für die Auslegung des Art. 7 Abs. 1 lit. a ii) HAVÜ heranzuziehen. Dass beide Vorschriften ein ähnliches Kriterium im Zusammenhang mit der Zustellung von Schriftstücken aufstellen, sollte jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass Art. 13 HZÜ eine völlig andere Verfahrenssituation betrifft.74 Art. 13 HZÜ regelt die Voraussetzung für die Ablehnung eines Zustellungsantrags (und nicht die Versagung der Urteilsanerkennung). Art. 7 Abs. 1 lit. a ii) HAVÜ hat demgegenüber, wie gesehen, die Konstellation vor Augen, dass die Zustellung auf staatlichem Territorium ohne Beteiligung eigener Behörden erfolgt ist. Damit adressiert Art. 7 Abs. 1 lit. a ii) HAVÜ eine Situation, zu der es im Anwendungsbereich von Art. 13 HZÜ nicht kommen kann. Auch umgekehrt stellen sich eine Vielzahl von Problemen, die Rechtsprechung und Schrifttum im Rahmen von Art. 13 HZÜ beschäftigt haben, im 69
Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 253; Meier, Neth. Int'l L. Rev. 2020, 81 (90); vgl. auch Nielsen, Nordic J. Int'l L. 80 (2011), 95 (112) (zu Art. 9 lit. c HGÜ); Pfeiffer, IWRZ 2016, 69 (72) (zu Art. 9 lit. c HGÜ). 70 Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 252; Jovanovic, YbPIL 21 (2019/20), 309 (320); Meier, Neth. Int'l L. Rev. 2020, 81 (90). Dies übersieht Pertegás, in: Van Calster, European Private International Law at 50, S. 67 (77). Dort wird der Fall geschildert, dass einem slowenischen Arzt die Klage während eines Aufenthalts in Israel zugestellt worden ist. In diesem Fall könnte Slowenien einem israelischen Urteil auch dann nicht die Anerkennung unter Berufung auf Art. 7 Abs. 1 lit. a ii) HAVÜ versagen, wenn die Zustellung in Israel aus slowenischer Sicht mit wesentlichen Grundsätzen für die Zustellung von Schriftstücken unvereinbar wäre. Denn die Zustellung erfolgte im Ursprungsstaat (Israel) und nicht im ersuchten Staat (Slowenien). 71 In der französischen Fassung: „a été notifié au défendeur dans l’État requis“. 72 Hartley/Dogauchi, Explanatory Report, Rn. 187; Beaumont/Walker, JPIL 2015, 31 (45). 73 Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 254; De Miguel Asensio/Cuniberti/ Franzina/Heinze/Requejo Isidro, Judgments Convention Study, S. 14. 74 Darauf weist auch der Explanatory Report hin: Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 254 („apply in different contexts“).
D. Die Versagungsgründe im Einzelnen
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Anwendungsbereich von Art. 7 Abs. 1 lit. a ii) HAVÜ entweder nicht oder nicht in gleicher Weise. So dürfte es im Rahmen von Art. 7 Abs. 1 lit. a HAVÜ irrelevant sein, ob die Zustellung einer auf Strafschadensersatz gerichteten Klage die Souveränität oder die staatliche Sicherheit gefährdet.75 Denn sofern nichtkompensatorischer Schadensersatz zugesprochen wurde, greift Art. 10 HAVÜ. Sofern kein nichtkompensatorischer Schadensersatz zugesprochen wurde, scheidet die Versagung – aus diesem Grund – ohnehin aus. Auch im Übrigen dürften sich viele im Rahmen von Art. 13 HZÜ diskutierte Problemfälle im Anwendungsbereich von Art. 7 Abs. 1 lit. a ii) HAVÜ schon deshalb nicht stellen, weil mit Art. 7 Abs. 1 lit. c HAVÜ auch ein allgemeiner ordre public-Vorbehalt zur Versagung der Anerkennung zur Verfügung steht. Letztlich dürfte der durch einen Vergleich mit Art. 13 HZÜ zu erzielende Erkenntnisgewinn daher gering sein. II. Art. 7 Abs. 1 lit. b HAVÜ – Betrug Nach Art. 7 Abs. 1 lit. b HAVÜ kann die Anerkennung oder Vollstreckung einer Entscheidung versagt werden, wenn diese durch Betrug („fraud“) erlangt worden ist.76 Das HAVÜ berücksichtigt damit die in Common Law-Rechtsordnungen typische Differenzierung zwischen fraud und public policy.77 Die Vorschrift des Art. 7 Abs. 1 lit. b HAVÜ hat in erster Linie den Zweck, denjenigen Staaten die Versagung der Anerkennung zu ermöglichen, die Betrugskonstellationen üblicherweise nicht als ordre public-Verstoß einordnen.78 Demgegenüber spricht wenig dafür, dass die Vorschrift in Betrugsfällen den Rückgriff auf den ordre public-Vorbehalt verhindern will,79 zumal Art. 7 Abs. 1 lit. b HAVÜ keine einschränkenden Voraussetzungen aufstellt, deren Umgehung bei einer Anwendung von Art. 7 Abs. 1 lit. c HAVÜ drohen würde.80 Im Unterschied zum HGÜ81 ist der Versagungsgrund weiter gefasst, da er nicht auf Betrug im Zusammenhang mit einer Verfahrensangelegenheit beschränkt ist.82
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Ablehnend für Art. 13 HZÜ: BVerfG 9.1.2013 – 2 BvR 2805/12, NJW 2013, 990. Einen gleichlautenden Versagungsgrund sieht Art. 14 lit. b des UNCITRAL Model Law on Recognition and Enforcement of Insolvency-Related Judgments vor. 77 Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 255 Fn. 175; Douglas/Keyes/McKibbin/Mortensen, Federal Law Review 47-3 (2019), 420 (430). 78 Vgl. De Miguel Asensio/Cuniberti/Franzina/Heinze/Requejo Isidro, Judgments Convention Study, S. 15 (zum Konventionsentwurf November 2017). 79 In diesem Sinne offenbar auch Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 261; Bonomi/Mariottini, YbPIL 20 (2018/19), 537 (562); allgemein auch: Völker, Zur Dogmatik des ordre public, S. 101 f. 80 Für eine klare Abgrenzung hingegen: Jovanovic, YbPIL 21 (2019/20), 309 (322). 81 Vgl. Art. 9 lit. d HGÜ. 82 Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 256 f.; Chong, JPIL 2020, 31 (65); Nielsen, JPIL 2020, 205 (231); Zhang/Tu, JIDS 2020, 614 (624). 76
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Kapitel 6: Versagungsgründe
Unter Art. 7 Abs. 1 lit. b HAVÜ kann daher auch ein Betrug im Hinblick auf die materiell-rechtlichen Aspekte des geltend gemachten Anspruchs fallen.83 III. Art. 7 Abs. 1 lit. c HAVÜ – Ordre public-Vorbehalt 1. Grundsatz Art. 7 Abs. 1 lit. c HAVÜ normiert den ordre public-Vorbehalt. Die Vertragsstaaten dürfen einer Entscheidung die Anerkennung oder Vollstreckung versagen, wenn die Anerkennung oder Vollstreckung der öffentlichen Ordnung des ersuchten Staates offensichtlich widerspräche. Davon können, wie Art. 7 Abs. 1 lit. c HAVÜ ausdrücklich klarstellt, auch Fälle erfasst werden, in denen das ausländische Verfahren mit wesentlichen Grundsätzen des ersuchten Staates unvereinbar war. Art. 7 Abs. 1 lit. c HAVÜ umfasst folglich sowohl den materiell-rechtlichen als auch den verfahrensrechtlichen ordre public.84 Maßgeblich ist dabei die öffentliche Ordnung des ersuchten Vertragsstaats.85 Dies ergibt sich bereits aus dem Wortlaut („manifestly incompatible with the public policy of the requested State“)86 und kommt auch im Explanatory Report deutlich zum Ausdruck.87 Es gilt also im Rahmen von Art. 7 Abs. 1 lit. c HAVÜ kein weltweit einheitlicher Maßstab (etwa im Sinne eines ordre public universel88), sondern der jeweilige Maßstab des nationalen Rechts.89 Das bedeutet jedoch nicht, dass Art. 7 Abs. 1 lit. c HAVÜ es in das Belieben der Vertragsstaaten stellt, jeden Verstoß gegen einfaches Gesetzesrecht als 83 Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 257; Jovanovic, YbPIL 21 (2019/20), 309 (322). Demgegenüber besteht im Rahmen des HGÜ die Gefahr eines Umkehrschlussoder lex specialis-Arguments. Wenn Art. 9 lit. d HGÜ auf Betrug im Zusammenhang mit einer Verfahrensangelegenheit beschränkt ist, könnte dies so verstanden werden, dass dieser Versagungsgrund Betrugskonstellationen abschließend regelt und sonstige Betrugsfälle nicht vom ordre public-Vorbehalt in Art. 9 lit. e HGÜ erfasst sein können. Richtigerweise wird man aber auch im Rahmen des HGÜ davon ausgehen können, dass Betrug in materieller Hinsicht von der ordre public-Klausel umfasst sein kann (vgl. Hartley/Dogauchi, Explanatory Report, Rn. 188, Fn. 228; Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 257; siehe zu dieser Frage auch Jacobs, ZfRV 2017, 24 (29)). 84 Jang, Neth. Int'l L. Rev. 2020, 97 (100); Jovanovic, YbPIL 21 (2019/20), 309 (323 f.); Spitz, YbPIL 21 (2019/20), 333 (350 f.). 85 Jang, Neth. Int'l L. Rev. 2020, 97 (100); Nielsen, FS Kronke, S. 415 (426); Spitz, YbPIL 21 (2019/20), 333 (349, 352). 86 In der französischen Fassung: „manifestement incompatible avec l'ordre public de l'État requis“. 87 Vgl. z.B. Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 264. 88 Vgl. Völker, Zur Dogmatik des ordre public, S. 282 f. 89 Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 264; Spitz, YbPIL 21 (2019/20), 333 (349). Dies schließt es selbstverständlich nicht aus, dass universell gültige Standards (z.B. Menschenrechte) im Rahmen von Art. 7 Abs. 1 lit. c HAVÜ als Teil des ordre public des ersuchten Staates zum Tragen kommen.
D. Die Versagungsgründe im Einzelnen
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ordre public-Verstoß zu werten.90 Denn Art. 7 Abs. 1 lit. c HAVÜ ist restriktiv ausgestaltet und die Voraussetzungen für eine Versagung auf Grundlage des ordre public-Vorbehalts sind hoch.91 Von dem Versagungsgrund soll nur in außergewöhnlichen Umständen Gebrauch gemacht werden.92 Dies wird, wie seit Art. 4 HKUnthÜ in den Übereinkommen der Haager Konferenz üblich,93 dadurch zum Ausdruck gebracht, dass eine offensichtliche („manifestly“ bzw. „manifestement“) Unvereinbarkeit mit der öffentlichen Ordnung des ersuchten Staates gefordert wird. Die Unvereinbarkeit mit einer einfachen Regel des zwingenden Rechts des ersuchten Staates (ordre public interne) genügt noch nicht.94 Art. 7 Abs. 1 lit. c HAVÜ setzt vielmehr eine Unvereinbarkeit mit denjenigen Vorschriften des nationalen Rechts voraus, die nicht bloß innerstaatlich zwingenden Charakter haben, sondern auch gegenüber ausländischen Entscheidungen Geltung beanspruchen (ordre public international).95 Es muss sich um einen Verstoß gegen fundamentale Prinzipien des Anerkennungsstaats handeln. Dies kommt im Wortlaut von Art. 7 Abs. 1 lit. c HAVÜ im Kontext von Verstößen gegen Verfahrensgrundsätze explizit zum Ausdruck,96 gilt aber ebenso für den materiell-rechtlichen ordre public.97 Das Erfordernis der offensichtlichen Unvereinbarkeit bezieht sich auf das Resultat einer möglichen Anerkennung oder Vollstreckung.98 Art. 7 Abs. 1 lit. c HAVÜ umfasst ausdrücklich die Konstellation, dass die Anerkennung oder Vollstreckung eine Beeinträchtigung der staatlichen
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Vgl. Spitz, YbPIL 21 (2019/20), 333 (351 ff.). Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 259 f.; Clover Alcolea, McGill Journal of Dispute Resolution 6 (2019–2020), 185 (205); Douglas/Keyes/McKibbin/Mortensen, Federal Law Review 47-3 (2019), 420 (431); Jang, Neth. Int'l L. Rev. 2020, 97 (100); Jovanovic, YbPIL 21 (2019/20), 309 (323); Nielsen, FS Kronke, S. 415 (426); North, Neth. Int'l L. Rev. 2020, 33 (40); Spitz, YbPIL 21 (2019/20), 333 (348 ff.); Symeonides, Cross-Border Infringement of Personality Rights, S. 140. 92 Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 259; Nielsen, JPIL 2020, 205 (231). 93 van Loon, Recueil des Cours, Bd. 380, S. 34; Völker, Zur Dogmatik des ordre public, S. 105. 94 Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 263; Jang, Neth. Int'l L. Rev. 2020, 97 (100). 95 Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 263. Zur Begrifflichkeit Frey/Pfeifer, EuR 2015, 721 (723); Martiny, in: Hdb. IZVR III/1, Rn. 992; Völker, Zur Dogmatik des ordre public, S. 254 ff. 96 Im englischen Wortlaut: „incompatible with fundamental principles of procedural fairness“; im französischen Wortlaut: „incompatible avec les principes fondamentaux d’équité procédurale“. 97 Vgl. Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 263; Jovanovic, YbPIL 21 (2019/20), 309 (323); Spitz, YbPIL 21 (2019/20), 333 (348). 98 Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 260; Jang, Neth. Int'l L. Rev. 2020, 97 (100). 91
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Kapitel 6: Versagungsgründe
Sicherheit oder Souveränität des ersuchten Staates bedeuten würde.99 Ob das Konzept des ordre public durch die Nennung der staatlichen Sicherheit und Souveränität erweitert wird,100 kann bezweifelt werden. Es dürfte sich um eine bloße Klarstellung handeln, da solche Fälle auch ohne diesen Zusatz offensichtliche Verstöße gegen die öffentliche Ordnung des betroffenen Staates darstellen können.101 Auch der Explanatory Report geht explizit davon aus, dass sich der Anwendungsbereich des Art. 7 Abs. 1 lit. c HAVÜ nicht von dem des Art. 9 lit. e HGÜ unterscheidet, obgleich letzterer den Verweis auf die staatliche Sicherheit und Souveränität gerade nicht enthält.102 Im Übrigen ist die Beeinträchtigung der staatlichen Sicherheit oder Souveränität nach dem eindeutigen Wortlaut nur ein Beispiel für eine Situation, in der ein ordre public-Verstoß vorliegen kann.103 Die generelle Voraussetzung eines offensichtlichen Verstoßes gegen die öffentliche Ordnung muss auch dahingehend zunächst erfüllt sein.104 Der verfahrensrechtliche ordre public erlaubt in engen Grenzen eine Überprüfung der Fairness des ursprungsstaatlichen Verfahrens, hingegen keine allgemeine Evaluierung des Rechts- und Justizsystems des Ursprungsstaats. Systemische Mängel eines fremden Justizsystems begründen, anders als dies in vielen Staaten der USA nach Maßgabe von Sec. 4 Uniform Foreign-Country Money Judgments Recognition Act 2005105 der Fall ist, als solche keinen Versagungsgrund,106 sondern nur dann, wenn sich diese Mängel im konkreten Verfahren manifestiert haben und hinreichend erheblich sind.107
99 Zu den Hintergründen: Sun/Wu, Chinese JIL 2020, 481 (498 ff.). Bezugnahmen auf die staatliche Sicherheit und Souveränität finden sich bereits in früheren Übereinkommen der Haager Konferenz, z.B. Art. 4 HZPÜ, Art. 13 HZÜ und Art. 12 lit. b HBewÜ. 100 So Noodt Taquela/Ruiz Abou-Nigm, YbPIL 19 (2017/18), 449 (473). 101 Siehe bereits Jacobs, ZfRV 2017, 24 (29). 102 Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 264. 103 Jang, Neth. Int'l L. Rev. 2020, 97 (104). 104 Jang, Neth. Int'l L. Rev. 2020, 97 (104). 105 Im Wortlaut: „A court of this state shall not recognize a foreign-country judgment if: (1) the foreign-country judgment was rendered under a judicial system that does not provide impartial tribunals or procedures compatible with the requirements of due process of law“; vgl. dazu Strong, in: Hess, Anerkennung im IZPR, S. 57 (68). 106 In Betracht kommt jedoch eine Notifikation nach Art. 29 Abs. 1 HAVÜ im Vorfeld, vgl. Kapitel 3 E.III. (S. 108). In den Verhandlungen fand der Vorschlag für einen auf systemische Mängel des Justizsystems gestützten Versagungsgrund nach US-amerikanischem Vorbild keine hinreichende Zustimmung, vgl. Minutes of the Special Commission on the Recognition and Enforcement of Foreign Judgments (24–29 May 2018), Minutes No 5, Meeting of 26 May 2018 (morning), Rn. 67–86 (bisher unveröffentlicht). 107 Vgl. Stein, IPRax 2020, 197 (199); Moss, Geo. L.J. 106 (2017), 209 (244) Fn. 209 (auf der Grundlage des Konventionsentwurfs Februar 2017).
D. Die Versagungsgründe im Einzelnen
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2. Kein Erfordernis einer Inlandsbeziehung Art. 7 Abs. 1 lit. c HAVÜ setzt keine (materielle) Inlandsbeziehung des Sachverhalts voraus.108 Weder dem Wortlaut der Vorschrift noch dem Explanatory Report lässt sich ein solches Erfordernis entnehmen. Als Beispiel für eine Konstellation, in der eine Anerkennungsversagung unter Berufung auf den ordre public-Vorbehalt möglich erscheint, nennt der Explanatory Report den Fall, dass mit dem Urteil ein Vertrag über illegale Handlungen durchgesetzt wurde.109 Dass es darauf ankommen soll, dass die Umstände des Vertragsschlusses, die Ausführungen der illegalen Handlungen oder die Parteien einen Bezug zum ersuchten Staat haben, ergibt sich aus den Ausführungen nicht. Die Möglichkeit der Versagung in einer solchen Konstellation von einer Inlandsbeziehung abhängig zu machen, könnte unter (extremen) Umständen bedeuten, dass der ersuchte Staat durch das HAVÜ verpflichtet wäre, Schmugglerbanden, Auftragsmördern oder Menschenhändlern „Beihilfe“ zu leisten. Derartiges nicht tun zu müssen, ist gerade Sinn des ordre public-Vorbehalts. Dass Art. 7 Abs. 1 lit. c HAVÜ selbst keine Inlandsbeziehung fordert, bedeutet jedoch nicht, dass der Grad der Inlandsbeziehung bei der Anwendung der Norm irrelevant wäre. Denn im Ergebnis wird eine offensichtliche Unvereinbarkeit mit der öffentlichen Ordnung nach den maßgeblichen Anschauungen des ersuchten Staates umso näher liegen, je stärker der Grad der Inlandsbeziehung ist.110 Denkbar ist auch, dass nach nationalem Maßstab ein ordre public-Verstoß nur bei Vorliegen einer Inlandsbeziehung zu bejahen ist. Mangels einer entsprechenden übereinkommensautonomen Voraussetzung ist es nach der hier vertretenen Auffassung jedoch nicht ausgeschlossen, dass die Anerkennung einer Entscheidung unter Berufung auf Art. 7 Abs. 1 lit. c HAVÜ auch dann versagt werden kann, wenn es an einer Inlandsbeziehung des Sachverhalts fehlt, vorausgesetzt die Anerkennung ist auch unabhängig von einer Inlandsbeziehung mit der öffentlichen Ordnung des ersuchten Staats offensichtlich unvereinbar.111
108 So aber (primär für den materiell-rechtlichen ordre public) Jang, Neth. Int'l L. Rev. 2020, 97 (100). 109 Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 266. 110 Vgl. z.B. aus deutscher Perspektive BGH 4.6.1992 – IX ZR 149/91, BGHZ 118, 312 (348) = NJW 1992, 3096 (3105); OLG Frankfurt a.M. 11.10.2018 – 1 UF 361/15, BeckRS 2018, 30040 Rn. 28; OLG Bremen 26.9.2014 – 5 UF 52/14, NJW-RR 2014, 1411 (1413); Völker, Zur Dogmatik des ordre public, S. 231 ff. 111 Dass auch bei gänzlichem Fehlen einer Inlandsbeziehung eine Verweigerung der Anerkennung wegen eines ordre public-Verstoßes denkbar ist, wird auch für das deutsche autonome Recht vertreten, vgl. z.B. Geimer, Anerkennung, S. 139 („bei Anwendung absolut unmoralischen Rechts“); Gerasimchuk, Urteilsanerkennung, S. 129; Nagel/Gottwald, IZPR, Rn. 12.190.
284
Kapitel 6: Versagungsgründe
3. Präklusion als Frage des nationalen Rechts Fraglich ist, ob eine Berufung auf den verfahrensrechtlichen ordre public auch dann in Betracht kommt, wenn eine Partei die Verfahrensmängel im Ursprungsverfahren hätte geltend machen können oder ob die Partei dann mit dem Einwand präkludiert ist. Art. 7 Abs. 1 lit. c HAVÜ sagt selbst nichts zur Frage der Präklusion oder einer Obliegenheit, Verfahrensverstöße im Ursprungsverfahren geltend zu machen. Demgegenüber enthält Art. 7 Abs. 1 lit. a i) HAVÜ eine Regelung, die verhindern will, dass der Beklagte im Stadium der Anerkennung oder Vollstreckung noch Einwände geltend macht, die er schon im Ursprungsverfahren zumutbarer Weise hätte erheben können.112 Mangels entsprechender Einschränkung in Art. 7 Abs. 1 lit. c HAVÜ liegt ein Umkehrschluss nahe. Der Versagungsgrund des Art. 7 Abs. 1 lit. c HAVÜ113 steht damit im Grundsatz auch zur Verfügung, wenn eine Partei die Verfahrensmängel im Ursprungsverfahren nicht beanstandet hat.114 Art. 7 HAVÜ richtet sich jedoch an den ersuchten Staat und gibt diesem lediglich die Möglichkeit („may“ bzw. „peut“), die Anerkennung oder Vollstreckung zu versagen.115 Das nationale Recht des ersuchten Staates kann daher durchaus bestimmen, ob und unter welchen Bedingungen eine Partei präkludiert ist. Vor diesem Hintergrund wäre nach deutschem Recht damit zu rechnen, dass Verfahrensverstöße grundsätzlich im Ursprungsverfahren geltend zu machen sind und der Einwand andernfalls präkludiert wäre.116 IV. Art. 7 Abs. 1 lit. d HAVÜ – Verfahren im Widerspruch zu Gerichtsstandsvereinbarung oder -bestimmung 1. Grundsatz Art. 7 Abs. 1 lit. d HAVÜ erlaubt die Versagung der Anerkennung oder Vollstreckung, wenn das Ursprungsverfahren im Widerspruch zu einer Gerichtsstandsvereinbarung oder einer Gerichtsstandsbestimmung in einem trust117
112
Vgl. Nielsen, Nordic J. Int'l L. 80 (2011), 95 (112) (zu Art. 9 lit. c HGÜ). Entsprechendes gilt für Art. 7 Abs. 1 lit. b HAVÜ. 114 Vorausgesetzt ist, dass es sich aus Perspektive des ersuchten Staats auch dann um einen offensichtlichen Verstoß gegen die öffentliche Ordnung handelt, wenn die Partei die Geltendmachung im Ursprungsverfahren versäumt hat. 115 Siehe Kapitel 6 A. (S. 269). 116 Vgl. BGH 22.01.1997 – XII ZR 207/95, NJW 1997, 2051 (2052); OLG Koblenz 16.10.2003 – 7 U 87/00, BeckRS 2004, 00160; Gottwald, in: MüKo-ZPO, § 328 Rn. 130; Bach, in: BeckOK-ZPO, § 328 Rn. 45; a.A. Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, § 328 Rn. 30; Schack, IZVR, Rn. 1018. 117 Im Folgenden wird primär der Fall der Gerichtsstandsvereinbarung in den Blick genommen. Inwieweit die Erwägungen zum Verhältnis von Art. 7 Abs. 1 lit. d HAVÜ zu den auf Zustimmung beruhenden indirekten Zuständigkeitsgründen (siehe Kapitel 6 D.IV.2. 113
D. Die Versagungsgründe im Einzelnen
285
stand. Auch bei Art. 7 Abs. 1 lit. d HAVÜ handelt es sich um einen fakultativen Versagungsgrund.118 Der ersuchte Staat ist zur Versagung nicht verpflichtet.119 Der Versagungsgrund setzt voraus, dass Gerichte des Ursprungsstaats durch eine wirksame Gerichtsstandsvereinbarung derogiert waren. Die Regelung bezieht sich damit auf die internationale Zuständigkeit, nicht auf die örtliche. Soweit die Parteien also eine ausschließliche Gerichtsstandsvereinbarung für ein bestimmtes Gericht in Staat A getroffen haben, aber entgegen der Vereinbarung ein anderes Gericht des Staates A entschieden hat, greift Art. 7 Abs. 1 lit. d HAVÜ nicht. Dies ergibt sich eindeutig aus dem Wortlaut der Vorschrift („[…] under which the dispute in question was to be determined in a court of a State other than the State of origin“).120 Irrelevant ist, ob die Gerichtsstandsvereinbarung ausschließlich oder nichtausschließlich ist.121 Denn Art. 7 Abs. 1 lit. d HAVÜ differenziert, anders als Art. 5 Abs. 1 lit. m HAVÜ, insoweit gerade nicht. Für die Anwendbarkeit von Art. 7 Abs. 1 lit. d HAVÜ ist lediglich erforderlich, dass der Gerichtsstandsvereinbarung eine Derogationswirkung zukommt. Eine Derogationswirkung kann – in der Terminologie von HAVÜ und HGÜ – auch nichtausschließlichen Gerichtsstandsvereinbarungen zukommen.122 Art. 7 Abs. 1 lit. d HAVÜ kann also beispielsweise zur Anwendung kommen, wenn eine Gerichtsstandsvereinbarung bestimmt, dass die Parteien die Gerichte der Staaten A, B oder C unter Ausschluss der Zuständigkeit aller anderen Gerichte, also auch unter Ausschluss der Zuständigkeit des Urteilsstaats, anrufen können.
(S. 288)) auf Gerichtsstandsbestimmungen in einem trust übertragen werden können, ist unklar. 118 Siehe allgemein Kapitel 6 A.I. (S. 269). 119 Abweichend Khanderia, Journal of African Law 63 (2019), 413 (432), die im Zusammenhang mit Art. 7 Abs. 1 lit. d Konventionsentwurf Februar 2017 ausführt: „In such circumstances, the Draft Judgments Convention would subject South Africa to clear and predictable rules by obligating its courts to disregard the ‘international competency’ of a foreign forum that has violated a (nonexclusive) choice of court agreement.“ (Kursive durch Verfasser). 120 In der französischen Fassung „[…] en vertu duquel le litige en question devait être tranché par un tribunal d’un État autre que l’État d’origine“. Frühere Versionen der Vorschrift waren insoweit noch unklar formuliert (vgl. z.B. Art. 7 Abs. 1 lit. d Konventionsentwurf 2018: „[…] under which the dispute in question was to be determined in a court other than the court of origin“). Die Klarstellung im Wortlaut ist erst kurz vor Ende der Diplomatischen Konferenz erfolgt, vgl. Minutes of the 22nd Session, Commission I, Minutes No 16, Meeting of 28 June 2019 (morning), Rn. 86 f. (bisher unveröffentlicht). 121 Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 269; Brüggemann, Die Anerkennung prorogationswidriger Urteile, S. 210 f.; Zhang/Tu, JIDS 2020, 614 (624); abweichend Douglas/Keyes/McKibbin/Mortensen, Federal Law Review 47-3 (2019), 420 (431). 122 Vgl. Art. 22 Abs. 1 HGÜ; siehe auch Hartley/Dogauchi, Explanatory Report, Rn. 109 und 246 ff.; Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 269.
286
Kapitel 6: Versagungsgründe
Auch asymmetrische und reziproke Gerichtsstandsvereinbarungen können eine Versagung nach Art. 7 Abs. 1 lit. d HAVÜ rechtfertigen. Eine asymmetrische Gerichtsstandsvereinbarung liegt vor, wenn eine der Parteien (z.B. der Kreditnehmer) ein Verfahren ausschließlich vor dem benannten Gericht einleiten darf, während die andere Partei (z.B. der Kreditgeber) ohne Einschränkung auch vor anderen Gerichten klagen kann.123 Klagt der Kreditnehmer in einem anderen als dem in der Vereinbarung benannten Staat, kann dem daraus hervorgehenden Urteil gemäß Art. 7 Abs. 1 lit. d HAVÜ die Anerkennung versagt werden. Erhebt hingegen der Kreditgeber eine Klage in einem anderen als dem benannten Forum, greift Art. 7 Abs. 1 lit. d HAVÜ nicht, da der Gerichtsstandsvereinbarung für den Kreditgeber keine Derogationswirkung zukommt. Denkbar sind jedoch auch asymmetrische Gerichtsstandsvereinbarungen, die für beide Parteien einen Derogationseffekt haben.124 Das wäre etwa der Fall, wenn der Kreditnehmer Verfahren ausschließlich vor den Gerichten von X einleiten darf, der Kreditgeber jedoch die Freiheit hat, in X, Y oder Z, nicht hingegen in anderen Staaten zu klagen. Art. 7 Abs. 1 lit. d HAVÜ kann in dieser Konstellation zum Tragen kommen, wenn der Kreditnehmer außerhalb von X oder der Kreditgeber außerhalb von X, Y oder Z Klage erhoben hat. Unter reziproken Gerichtsstandsvereinbarungen versteht man Gerichtsstandsvereinbarungen, die nicht ein einheitliches Forum benennen, sondern an die prozessuale Rolle anknüpfen, indem beispielsweise eine Zuständigkeit der Gerichte am Sitz des jeweils Beklagten (oder Klägers) vereinbart wird.125 Es ist eine Frage der jeweiligen Formulierung und ihrer Auslegung, ob damit lediglich ein zusätzlicher Gerichtsstand zur Verfügung gestellt wird oder ob Klagen ausschließlich an dem jeweiligen Sitz möglich sein sollen.126 Im letzteren Fall stehen andernorts eingeleitete Verfahren im Widerspruch zu der Gerichtsstandsvereinbarung, so dass eine Anerkennungsversagung nach Art. 7 Abs. 1 lit. d HAVÜ möglich ist. Demgegenüber kann ein Verfahren nicht im Sinne des Art. 7 Abs. 1 lit. d HAVÜ im Widerspruch zu einer Gerichtsstandsvereinbarung stehen, wenn die Gerichtsstandsvereinbarung sich auf eine Prorogation beschränkt, die Parteien also in keiner Weise einschränkt, Gerichte anderer Staaten anzurufen.127 Solche „uneingeschränkt nichtausschließlichen“ Gerichtsstandsvereinbarungen werden von Art. 7 Abs. 1 lit. d HAVÜ nicht erfasst.
123
Vgl. Hartley/Dogauchi, Explanatory Report, Rn. 105; Mills, Party Autonomy, S. 158. Brüggemann, Die Anerkennung prorogationswidriger Urteile, S. 58. 125 Brüggemann, Die Anerkennung prorogationswidriger Urteile, S. 60; Magnus, FS Martiny, S. 785 (790). 126 Brüggemann, Die Anerkennung prorogationswidriger Urteile, S. 61. 127 Vgl. Nielsen, JPIL 2020, 205 (232). 124
D. Die Versagungsgründe im Einzelnen
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Geschützt wird von Art. 7 Abs. 1 lit. d HAVÜ mithin die Derogationswirkung einer Gerichtsstandsvereinbarung als solche.128 Art. 7 Abs. 1 lit. d HAVÜ dient damit auch der Feinabstimmung zum HGÜ.129 Die von Art. 6 HGÜ anerkannte Derogationswirkung kann über Art. 7 Abs. 1 lit. d HAVÜ auch auf der Ebene der Urteilsanerkennung gewährleistet werden.130 Unstimmigkeiten sind dabei allerdings nicht ausgeschlossen.131 Denn anders als im Rahmen des HGÜ,132 das für die materielle Wirksamkeit der Gerichtsstandsvereinbarung an das Recht des vereinbarten Gerichts einschließlich seines internationalen Privatrechts anknüpft,133 bestimmt das ersuchte Gericht die Wirksamkeit der Gerichtsstandsvereinbarung im Rahmen von Art. 7 Abs. 1 lit. d HAVÜ nach seinem eigenen Recht einschließlich seines internationalen Privatrechts.134 Der Ansatz des HAVÜ ist für das Gericht im ersuchten Staat zwar praktikabel, weil es das eigene Kollisionsrecht anwenden kann, es besteht jedoch das Risiko, dass das Ursprungsgericht die Wirksamkeit unter Anwendung des HGÜ nach einer anderen Rechtsordnung geprüft hat. Denkbar ist daher, dass ein Staat unter Anwendung von Art. 6 lit. a HGÜ eine ausschließliche Gerichtsstandsvereinbarung zugunsten eines anderen Staates unbeachtet lässt, weil diese nach dem gemäß Art. 6 lit. a HGÜ anwendbaren Recht unwirksam ist, eine Anerkennung des resultierenden Urteils aber gleichwohl an Art. 7 Abs. 1 lit. d HAVÜ scheitert. Denn das ersuchte Gericht wendet aufgrund der abweichenden Kollisionsregel womöglich ein anderes Recht an, nach dem sich die Gerichtsstandsvereinbarung als wirksam erweist. Vermieden werden können diese Unstimmigkeiten, wenn das nationale Kollisionsrecht im ersuchten Staat im Rahmen der Prüfung von Art. 7 Abs. 1 lit. d HAVÜ die Kollisionsregel des HGÜ übernimmt, also die Wirksamkeit der Gerichtsstandsvereinbarung nach
128 Vgl. Brüggemann, Die Anerkennung prorogationswidriger Urteile, S. 212; Kindler, FS Kronke, S. 241 (246 f.). 129 Vgl. Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 377 f.; Kindler, FS Kronke, S. 241 (246); Zhang/Tu, JIDS 2020, 614 (624). 130 Brüggemann, Die Anerkennung prorogationswidriger Urteile, S. 211; vgl. auch De Miguel Asensio/Cuniberti/Franzina/Heinze/Requejo Isidro, Judgments Convention Study, S. 18. 131 Vgl. auch Kasem, ASLR 10 (2020), 69 (96 f.). 132 Eine entsprechende Kollisionsregel findet sich auch in Art. 25 Abs. 1 S. 1 Brüssel IaVO. 133 Vgl. Art. 5 Abs. 1, Art. 6 lit. a, Art. 9 lit. a HGÜ; dazu: Hartley/Dogauchi, Explanatory Report, Rn. 125, 149, 183; Antomo, NJW 2015, 2919 (2921); Bläsi, HGÜ, S. 163 f.; Huber, IPRax 2016, 197 (200); Wagner, RabelsZ 73 (2009), 100 (119, 122, 125). 134 Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 269; Jovanovic, YbPIL 21 (2019/20), 309 (324). Einen solchen Ansatz begrüßend Schack, ZEuP 2014, 824 (836). A.A. Solomon, FS Thümmel, S. 873 (887 f.) (materielle Wirksamkeit richte sich in Anlehnung an das HGÜ nach dem Recht des prorogierten Gerichts sowie für die Geschäftsfähigkeit zusätzlich nach dem Recht des Anerkennungsstaats (jeweils einschließlich des Kollisionsrechts)).
288
Kapitel 6: Versagungsgründe
dem Recht des vereinbarten Gerichts unter Einschluss dessen internationalen Privatrechts bestimmt.135 Sofern das Verfahren im Ursprungsstaat einer Schiedsvereinbarung widersprach, kann die Anerkennung oder Vollstreckung aufgrund von Art. 2 Abs. 3 HAVÜ versagt werden.136 Art. 7 Abs. 1 lit. d HAVÜ erfasst diesen Fall nicht. 2. Verhältnis zu den auf Zustimmung beruhenden indirekten Zuständigkeitsgründen Klärung bedarf das Verhältnis von Art. 7 Abs. 1 lit. d HAVÜ zu den auf Zustimmung beruhenden indirekten Zuständigkeitsgründen des HAVÜ.137 Kann die Anerkennung oder Vollstreckung einer Entscheidung gegen denjenigen, der sich im Ursprungsverfahren rügelos eingelassen oder der Zuständigkeit des Ursprungsgerichts sogar ausdrücklich zugestimmt hat (Art. 5 Abs. 1 lit. e bzw. f HAVÜ), deswegen versagt werden, weil das Ursprungsverfahren im Widerspruch zu einer Gerichtsstandsvereinbarung eingeleitet wurde? Die maßgebende Erwägung dürfte sein, dass Art. 7 Abs. 1 lit. d HAVÜ der Einigung der Parteien Wirksamkeit verleihen möchte. Wenn die Parteien sich aber gegenläufig verhalten, indem sie in einem an sich derogierten Forum ein Verfahren führen bzw. sich gegen ein solches verteidigen, besteht keine Veranlassung die Derogationswirkung ihrer Gerichtsstandsvereinbarung insoweit zu schützen. Der Zweck der Vorschrift spricht somit dafür, Art. 7 Abs. 1 lit. d HAVÜ nicht anzuwenden. Im Wortlaut lässt sich dazu an die Voraussetzung anknüpfen, dass das Ursprungsverfahren im Widerspruch („contrary“ bzw. „contraire“) zur Gerichtsstandsvereinbarung stand. Dies ist nicht der Fall. Denn durch das jeweilige Parteiverhalten im Ursprungsstaat (z.B. die rügelose Einlassung oder ausdrückliche Zustimmung) wird die Gerichtsstandsvereinbarung im Hinblick auf dieses Verfahren konkludent oder ausdrücklich außer Kraft gesetzt oder abbedungen.138 Demgegenüber ist nicht entscheidend, ob die Gerichtsstandsvereinbarung durch das Parteiverhalten oder durch ausdrückliche Erklärungen nach Maßgabe des auf sie anwendbaren Rechts generell, also auch mit Wirkung für künftige Rechtsstreitigkeiten, aufgehoben oder abgeändert wurde. Denn Art. 7 Abs. 1 lit. d HAVÜ hat nur die Vereinbarkeit des Ursprungsverfahrens mit der Gerichtsstandsvereinbarung im Blick.
135 Zur Bestimmung des auf materiell-rechtliche Aspekte internationaler Gerichtsstandsvereinbarungen anwendbaren Rechts nach deutschem Kollisionsrecht siehe Kapitel 9 C.I.2. (S. 361). 136 Siehe Kapitel 6 D.XI.3. (S. 316). 137 Siehe Kapitel 5 B.V.2. (S. 213). 138 Vgl. Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 268 Fn. 195; ähnlich: Jovanovic, YbPIL 21 (2019/20), 309 (324 f.).
D. Die Versagungsgründe im Einzelnen
289
3. Kein genereller Schutz ausschließlicher Zuständigkeiten des ersuchten Staates Anders als das HVÜ139 bietet das HAVÜ keinen generellen Schutz von ausschließlichen Zuständigkeiten, die der ersuchte Staat nach seinem nationalen Recht für sich beansprucht.140 Abgesehen von den Fällen, die Art. 7 Abs. 1 lit. d HAVÜ erfasst, muss eine Entscheidung unter dem HAVÜ also auch dann anerkannt werden, wenn der ersuchte Staat für die zugrundeliegende Streitigkeit eine ausschließliche internationale Zuständigkeit beansprucht (oder einen anderen Staat für ausschließlich zuständig hält). Art. 7 Abs. 1 lit. c HAVÜ kann insoweit nicht herangezogen werden, da das HAVÜ zuständigkeitsrechtliche Aspekte in den Art. 5–6 HAVÜ speziell regelt. Für die meisten typischerweise in nationalen Rechtsordnungen anzutreffenden ausschließlichen Gerichtsstände ergeben sich daraus jedoch keine Probleme. Denn auf viele Streitigkeiten, für die oftmals nach nationalem Recht ausschließliche internationale Zuständigkeiten bestehen, findet das HAVÜ entweder schon keine Anwendung (z.B. für gesellschaftsrechtliche Binnenstreitigkeiten141 oder Verfahren, welche die Gültigkeit von Eintragungen in öffentliche Register zum Gegenstand haben142) oder es sieht selbst ausschließliche indirekte Zuständigkeitsgründe vor (z.B. für die Wohnraummiete143 oder dingliche Rechte an unbeweglichen Sachen144). Soweit ein Staat nach seinem autonomen Zuständigkeitsrecht in sonstigen Fällen eine ausschließliche internationale Zuständigkeit in Anspruch nimmt (z.B. für Gewerberaummiete) und daher ein starkes Interesse hat, Entscheidungen anderer Gerichte in diesem Bereich nicht anzuerkennen, bleibt ihm nur die Möglichkeit, die Anwendung des HAVÜ auf die entsprechenden Streitigkeiten durch Abgabe einer Erklärung nach Art. 18 Abs. 1 HAVÜ auszuschließen.145 139
Siehe Kapitel 1 B. (S. 15). Im Rahmen der Verhandlungen wurde ein Schutz ausschließlicher Zuständigkeiten des ersuchten Staates in unterschiedlichen Formen diskutiert (insbesondere mittels eines Versagungsgrundes, durch einen Ausschluss vom Anwendungsbereich oder spezielle Erklärungsmechanismen). Vgl. z.B. Minutes of the Special Commission on the Recognition and Enforcement of Foreign Judgments (13–17 November 2017), Minutes No 8, Meeting of 16 November 2017 (afternoon), Rn. 2–13 (bisher unveröffentlicht); Minutes of the Special Commission on the Recognition and Enforcement of Foreign Judgments (24–29 May 2018), Minutes No 5, Meeting of 26 May 2018 (morning), Rn. 15–22 (bisher unveröffentlicht). 141 Art. 2 Abs. 1 lit. i HAVÜ; vgl. auch Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 57. 142 Art. 2 Abs. 1 lit. j HAVÜ. 143 Art. 5 Abs. 3 HAVÜ. Siehe hierzu Kapitel 5 B.V.3.f) (S. 237) und Kapitel 5 B.VII.2. (S. 250). 144 Art. 6 HAVÜ. Siehe hierzu Kapitel 5 B.V.3.g) (S. 238) und Kapitel 5 B.VII.3. (S. 252). 145 Siehe zum Erklärungsmechanismus des Art. 18 HAVÜ Kapitel 4 A.II.2. (S. 129). 140
290
Kapitel 6: Versagungsgründe
V. Art. 7 Abs. 1 lit. e HAVÜ – Unvereinbarkeit mit Entscheidung aus ersuchtem Staat 1. Grundsatz Da das HAVÜ keine Regelungen über die Entscheidungszuständigkeit oder lis pendens-Vorschriften enthält, kann das Übereinkommen nicht verhindern, dass zwischen denselben Parteien einander widersprechende Entscheidungen in verschiedenen Staaten ergehen.146 Vor diesem Hintergrund eröffnen Art. 7 Abs. 1 lit. e und f HAVÜ unter bestimmten Voraussetzungen die Möglichkeit, die Anerkennung oder Vollstreckung mit Rücksicht auf eine andere gerichtliche Entscheidung zu versagen.147 Die Unvereinbarkeit mit einem gerichtlichen Vergleich wird von den Vorschriften nicht erfasst. Nur umgekehrt ist es möglich, dass die Vollstreckung eines gerichtlichen Vergleichs unter Rücksicht auf eine gerichtliche Entscheidung versagt wird.148 Bei Unvereinbarkeit der anzuerkennenden Entscheidung mit einem Schiedsspruch ergibt sich die Möglichkeit der Versagung aus Art. 2 Abs. 3 HAVÜ.149 Art. 7 Abs. 1 lit. e HAVÜ erlaubt die Versagung der Anerkennung oder Vollstreckung einer vertragsstaatlichen Entscheidung, die unvereinbar mit einer im ersuchten Staat in einem Rechtsstreit zwischen denselben Parteien150 ergangenen Entscheidung ist. Die beiden Entscheidungen müssen – anders als im Rahmen des Art. 7 Abs. 1 lit. f HAVÜ – nicht denselben Gegenstand betreffen.151 Auf den Zeitpunkt der jeweiligen Entscheidung kommt es nicht an, so dass inländischen Entscheidungen ein unbedingter Vorrang eingeräumt werden kann.152 2. Unvereinbarkeit Art. 7 Abs. 1 lit. e HAVÜ setzt – ebenso wie Art. 7 Abs. 1 lit. f HAVÜ – die Unvereinbarkeit der Entscheidungen voraus („inconsistent“ bzw. „incompatible“). Entgegen der von Brand und Herrup zur Parallelvorschrift in Art. 9
146
Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 270; Beaumont/Walker, JPIL 2015, 31 (56 f.); Douglas/Keyes/McKibbin/Mortensen, Federal Law Review 47-3 (2019), 420 (432); Nielsen, JPIL 2020, 205 (232 f.). 147 Nahezu gleichlautende Versagungsgründe finden sich in Art. 14 lit. c und d des UNCITRAL Model Law on Recognition and Enforcement of Insolvency-Related Judgments. 148 Siehe Kapitel 4 B.IX.1. (S. 154). 149 Siehe Kapitel 6 D.XI.3. (S. 316). 150 Für Fälle der Rechtsnachfolge gilt das zu den indirekten Zuständigkeitsgründen Gesagte entsprechend, siehe Kapitel 5 B.VIII. (S. 260); vgl. auch Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 271 Fn. 196. 151 Schack, IPRax 2020, 1 (5). 152 Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 271; Clover Alcolea, McGill Journal of Dispute Resolution 6 (2019–2020), 185 (205); Schack, IPRax 2020, 1 (5).
D. Die Versagungsgründe im Einzelnen
291
lit. f HGÜ vertretenen Auffassung153 bestimmt sich die Unvereinbarkeit nach autonomen Maßstäben und nicht nach dem Recht des ersuchten Staates. Dafür spricht nicht nur Art. 20 HAVÜ, sondern auch der Charakter der Versagungsgründe als Ausnahmeregelungen.154 Mit diesem Charakter wäre ein weites nationales Verständnis der Unvereinbarkeit, das beispielsweise jegliche Widersprüche in den Erwägungsgründen genügen lassen würde, schwerlich vereinbar. Auch der Explanatory Report scheint von einem autonomen Verständnis auszugehen, wenn er ausführt, dass die Entscheidungen dann unvereinbar sind, wenn es nicht möglich ist, sich im Einklang mit der einen Entscheidung zu verhalten, ohne zumindest teilweise entgegen der anderen zu handeln.155 Allerdings dürfte die Definition des Explanatory Reports nicht ausreichend sein, um die Fälle der Unvereinbarkeit abschließend zu beschreiben. Denn nicht jedes Urteil verpflichtet zu einem bestimmten Verhalten. Es liegt nahe, dass eine Unvereinbarkeit etwa auch zwischen einem Leistungsurteil und einem negativen Feststellungsurteil bestehen kann, wenn letzteres feststellt, dass zu der Leistung, deren Erbringung das Leistungsurteil anordnet, keine Verpflichtung besteht.156 Die Aussage des Explanatory Reports kann allerdings dahingehend verallgemeinert werden, dass es entscheidend auf die Rechtsfolgen, also eine Vereinbarkeit der Urteilswirkungen, ankommt.157 Dies hat nicht nur den Vorteil einer klaren Lösung, sondern bedeutet auch ein enges Verständnis der Unvereinbarkeit, das dem Ausnahmecharakter der Versagungsgründe Rechnung trägt158 und Anreize zur Einleitung von Parallelverfahren möglichst vermeidet.159 Ein Widerspruch in der Begründung (z.B. widersprüchliche Tatsachenfeststellungen) genügt daher grundsätzlich nicht. Mit dem Abstellen auf die Urteilswirkungen entspricht der Ansatz demjenigen des Art. 45 Abs. 1 lit. c und d Brüssel Ia-VO.160 Auch zu den Parallelregelungen in
153
Brand/Herrup, The 2005 Hague Choice of Court Convention, S. 120. Siehe Kapitel 6 C. (S. 274). 155 Vgl. Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 271. 156 Entsprechend für Art. 45 Abs. 1 lit. c und d Brüssel Ia-VO: Dörner, in: Saenger, ZPO, Art. 45 EuGVVO, Rn. 25; Leible, in: Rauscher, EuZPR/EuIPR I, Art. 45 Brüssel Ia-VO Rn. 64. 157 So auch zu Art. 9 lit. f und g HGÜ: Bläsi, HGÜ, S. 204; Thiele, in: Gottschalk/Michaels/Rühl/von Hein, S. 63 (83). 158 Ähnlich zu Art. 9 lit. f und g HGÜ: Thiele, in: Gottschalk/Michaels/Rühl/von Hein, S. 63 (83). 159 Vgl. Schack, IZVR, Rn. 1008 (im Kontext von Art. 45 Abs. 1 lit. c Brüssel Ia-VO). 160 Vgl. EuGH 6.6.2002 – C-80/00, Slg. 2002 I-04995 – Italian Leather SpA/WECO Polstermöbel GmbH & Co; Geimer, in Geimer/Schütze, EuZVR, EuGVVO Art. 45 Rn. 211; Hess, EuZPR, Rn. 6.250; Leible, in: Rauscher, EuZPR/EuIPR I, Art. 45 Brüssel Ia-VO Rn. 63; Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, Art. 45 EuGVVO Rn. 14. 154
292
Kapitel 6: Versagungsgründe
Art. 9 lit. f und g HGÜ wurde eine Anlehnung an den Begriff des europäischen Rechts vorgeschlagen.161 Eine besondere Problematik werfen präjudizielle Rechtsverhältnisse auf. Es stellt sich die Frage, ob ein deutsches Gericht einem ausländischen Feststellungsurteil, welches die Unwirksamkeit eines Mietvertrags feststellt, gemäß Art. 7 Abs. 1 lit. e HAVÜ unter Verweis auf ein deutsches Urteil, das zur Mietzinszahlung verpflichtet, die Anerkennung versagen könnte. Dagegen spricht prima facie, dass durch das deutsche Urteil die Wirksamkeit des Mietvertrages nicht rechtskräftig festgestellt wird, da das präjudizielle Rechtsverhältnis nicht an der Rechtskraft teilnimmt.162 Allerdings wird man sagen können, dass die Urteilswirkungen gleichwohl unvereinbar sind, da die Verpflichtung zur Mietzinszahlung zwingend die Wirksamkeit des Mietvertrags voraussetzt. Die Ergebnisse beider Entscheidungen stehen daher im Konflikt und dürften daher im Sinne des Art. 7 Abs. 1 lit. e HAVÜ unvereinbar sein.163 Dieses Verständnis entspricht der herrschenden Auffassung zu Art. 45 Abs. 1 lit. c und d Brüssel Ia-VO.164 Typischerweise werden die im Sinne des Art. 7 Abs. 1 lit. e HAVÜ „unvereinbaren“ Entscheidungen denselben Gegenstand betreffen. Anders als im Rahmen von Art. 7 Abs. 1 lit. f HAVÜ kommt es jedoch auf die Identität des Streitgegenstands nicht entscheidend an.165 3. Ausnahme vom unbedingten Vorrang der inländischen Entscheidung? Nach Art. 7 Abs. 1 lit. e HAVÜ kommt es auf den Zeitpunkt der jeweiligen Entscheidung nicht an.166 Die Vorschrift ermöglicht es daher, inländischen Entscheidung stets den Vorrang einzuräumen. Allerdings stellt sich die Frage, ob Art. 7 Abs. 1 lit. e HAVÜ auch dann noch die Versagung erlaubt, wenn die 161
Vgl. Bläsi, HGÜ, S. 204; in diesem Sinne wohl auch Wagner, RabelsZ 73 (2009), 100
(127). 162 BGH 13.11.1998 – V ZR 29/98, NJW-RR 1999, 376 (377); Musielak, in: Musielak/Voit, ZPO, § 322 Rn. 17. 163 Kritisch hingegen zu der entsprechenden Argumentation im Rahmen des europäischen Rechts: Althammer, Streitgegenstand, S. 681 f. 164 Vgl. EuGH 4.2.1988 – C-145/86, Slg. 1988, I-645 – Hoffmann/Krieg (Trennungsunterhalt und Scheidungsurteil); Dörner, in: Saenger, ZPO, Art. 45 EuGVVO, Rn. 25 (Schadensersatz wegen Nichterfüllung und Nichtigerklärung des Vertrags). 165 Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 271; Wagner, RabelsZ 73 (2009), 100 (127). 166 Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 271; Schack, IPRax 2020, 1 (5). Im Rahmen der Diplomatischen Konferenz wurde der Vorschlag gemacht, Art. 7 Abs. 1 lit. e HAVÜ auf Fälle zu beschränken, in denen die inländische Entscheidung früher ergangen ist (WorkDoc No 44 of June 2019 (bisher unveröffentlicht)). Für den Vorschlag fand sich jedoch keine hinreichende Zustimmung (Minutes of the 22nd Session, Commission I, Minutes No 4, Meeting of 19 June 2019 (afternoon), Rn. 42–58 (bisher unveröffentlicht)).
D. Die Versagungsgründe im Einzelnen
293
Klage, die zur Entscheidung im ersuchten Staat geführt hat, erst erhoben worden ist, als bereits ein Verfahren zur Anerkennung oder Vollstreckbarerklärung der anderen Entscheidung im ersuchten Staat anhängig war.167 In den travaux préparatoires finden sich einzelne Anhaltspunkte dafür, dass der Versagungsgrund in einer solchen Situation nicht zur Verfügung stehen sollte.168 Der Wortlaut scheint jedoch eindeutig zu sein. Art. 7 Abs. 1 lit. e HAVÜ enthält keine Einschränkung. Im Unterschied zu Art. 7 Abs. 1 lit. f HAVÜ kommt es auf den Zeitpunkt nicht an, zu dem die inländische Entscheidung ergangen ist. Der ersuchte Staat darf der ausländischen Entscheidung stets zugunsten einer inländischen die Anerkennung versagen.169 Eine Verpflichtung des ersuchten Staates, einen Konflikt zwischen unvereinbaren Urteilen zulasten des inländischen zu entscheiden, lässt sich mit Wortlaut und Zweck der Vorschrift nicht in Einklang bringen. Auch der Explanatory Report geht offenbar davon aus, dass der Versagungsgrund des Art. 7 Abs. 1 lit. e HAVÜ auch zur Verfügung steht, wenn die Klage im ersuchten Staat erst erhoben wurde, als bereits ein Vollstreckbarerklärungsverfahren im ersuchten Staat anhängig war.170 Insoweit schlägt der Explanatory Report vor, dass es eine sinnvolle Lösung wäre, das Klageverfahren auszusetzen, bis im Vollstreckbarerklärungsverfahren eine Entscheidung ergangen ist. Gleichzeitig wird klargestellt, dass das HAVÜ eine solche Aussetzung nicht vorschreibt.171 Vor diesem Hintergrund spricht vieles dafür, dass der ersuchte Staat verschiedene Optionen hat. Er kann der ausländischen Entscheidung nach Art. 7 Abs. 1 lit. e HAVÜ die Anerkennung versagen oder sie trotz Unvereinbarkeit anerkennen. Außerdem kann er, wie vom Explanatory Report vorgeschlagen, schon im Vorfeld verhindern, dass überhaupt eine inländische Entscheidung ergeht. Der nationale Gesetzgeber hat insoweit einen Regelungsspielraum. Möglich ist auch, dass das nationale Recht die Gerichte ermächtigt, im jeweiligen Einzelfall nach billigem Ermessen zu entscheiden. Aus der Perspektive des deutschen Rechts stünde zu erwarten, dass bei Vorliegen einer ausländischen, nach den Regelungen des HAVÜ anerkennungsfähigen Entscheidung gar nicht erst eine abweichende inländische Sachentschei-
167
Vgl. Jang, Neth. Int'l L. Rev. 2020, 97 (105 f.). Minutes of the 22nd Session, Commission I, Minutes No 4, Meeting of 19 June 2019 (afternoon), Rn. 44, 53 (bisher unveröffentlicht); vgl. auch Brand/Herrup, The 2005 Hague Choice of Court Convention, S. 120 (zu Art. 9 lit. g HGÜ). 169 A.A. Jang, Neth. Int'l L. Rev. 2020, 97 (106), der vorschlägt, Art. 7 Abs. 1 lit. e HAVÜ in der beschriebenen Konstellation einschränkend auszulegen oder die Berufung auf Art. 7 Abs. 1 lit. e HAVÜ als rechtsmissbräuchlich einzuordnen. 170 Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 271 Fn. 197. 171 Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 271 Fn. 197. 168
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Kapitel 6: Versagungsgründe
dung erginge. Das deutsche Anerkennungsrecht folgt dem Grundsatz der automatischen Anerkennung,172 der vorbehaltlich einer anderweitigen Regelung im Rahmen der Durchführungsgesetzgebung gemäß Art. 13 Abs. 1 S. 1 HAVÜ auch für Urteile im Anwendungsbereich des HAVÜ gelten würde.173 Die Anerkennung der ausländischen Entscheidung würde daher ipso iure in dem Zeitpunkt eintreten, zu dem die Anerkennungsvoraussetzungen nach dem HAVÜ erfüllt wären.174 Dies wäre spätestens der Fall, wenn die Entscheidung im Ursprungsstaat Wirksamkeit erlangt hat (Art. 4 Abs. 3 HAVÜ), nicht (mehr) Gegenstand einer gerichtlichen Nachprüfung ist und die Frist für die Einlegung eines ordentlichen Rechtsbehelfs verstrichen ist (Art. 4 Abs. 4 HAVÜ). Ab diesem Zeitpunkt entfaltet die ausländische Entscheidung in Deutschland Rechtskraft. Die Rechtskraft ist von Amts wegen zu beachten.175 Nach der herrschenden Auffassung zum deutschen autonomen Recht bedeutet die Anerkennung der ausländischen Entscheidung zwar nicht, dass eine erneute Klage mit demselben Gegenstand unter allen Umständen unzulässig wäre,176 allerdings entfaltet die ausländische Entscheidung Bindungswirkung, so dass jedenfalls kein abweichendes Urteil ergehen darf.177 Im Anwendungsbereich des HAVÜ wird man in Anlehnung an die Ausführungen des Explanatory Reports bereits die erneute Klageerhebung für unzulässig halten dürfen.178 Wenn zum Zeitpunkt der Klageerhebung bereits ein Vollstreckbarerklärungsverfahren in Deutschland anhängig wäre, dürfte gemäß § 148 ZPO im Klageverfahren eine Verfahrensaussetzung in Betracht zu ziehen sein, da die Anerkennungsfähigkeit im Vollstreckbarerklärungsverfahren geklärt wird und im Fall der Vollstreckbarerklärung auch in Rechtskraft erwächst.179 Sofern das Verfahren im Ausland in einer höheren Instanz noch läuft, wäre es unter Umständen180 nicht die Rechtskraft der ausländischen Entscheidung,
172 Gottwald, in: MüKo-ZPO, § 328 Rn. 7; Martiny, in: Hdb. IZVR III/1, Rn. 1593; Roth, in: Stein/Jonas, § 328 Rn. 5; Schack, IZVR, Rn. 1033. 173 Das HAVÜ schreibt eine automatische Anerkennung nicht vor, siehe Kapitel 4 G.III.1. (S. 179). 174 Vgl. Nagel/Gottwald, IZPR, Rn. 12.124; Schack, IZVR, Rn. 1034. 175 Vgl. Roth, in: Stein/Jonas, § 328 Rn. 14; Schack, IZVR, Rn. 1043. 176 Roth, in: Stein/Jonas, § 328 Rn. 15; Schack, IZVR, Rn. 1042. 177 OLG Karlsruhe 23.4.1998 – 2 WF 14/98, NJW-RR 1999, 82 (83); Roth, in: Stein/Jonas, § 328 Rn. 15; Martiny, in: Hdb. IZVR III/1, Rn. 1614; Nagel/Gottwald, IZPR, Rn. 12.136; Schütze, in: Wieczorek/Schütze, ZPO, § 328 Rn. 4. 178 Vgl. Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 113. 179 Vgl. Geimer, IZPR, Rn. 3014; Roth, in: Stein/Jonas, § 328 Rn. 36; Schack, IZVR, Rn. 1100; vgl. auch BGH 26.11.1986 – IV b ZR 90/85, NJW 1987, 1146 (1146). 180 Das HAVÜ verpflichtet nicht zur Versagung, solange die Entscheidung noch Gegenstand gerichtlicher Nachprüfung im Ursprungsstaat ist (Art. 4 Abs. 4 HAVÜ). Ob deutsche Gerichte die fremde Entscheidung „freiwillig“ schon vor diesem Zeitpunkt anerkennen würden, ist unklar (siehe Kapitel 9 B.III. (S. 352)).
D. Die Versagungsgründe im Einzelnen
295
die einem inländischen Verfahren (oder jedenfalls einer abweichenden Entscheidung) entgegenstünde, sondern die ausländische Rechtshängigkeit. Diese führt bei positiver Anerkennungsprognose analog § 261 Abs. 3 Nr. 1 ZPO zu einer Rechtshängigkeitssperre und zur Abweisung der Klage als unzulässig.181 In der Praxis wäre es allerdings nicht völlig ausgeschlossen, dass gleichwohl, unter Missachtung der ausländischen Rechtshängigkeit oder Rechtskraft, eine unvereinbare Entscheidung durch ein deutsches Gericht erginge. In einem solchen Fall wäre denkbar, dass der deutschen Entscheidung der Vorrang eingeräumt wird, indem man der ausländischen nach Art. 7 Abs. 1 lit. e HAVÜ die Anerkennung versagt. Denn der absolute Vorrang der inländischen Entscheidung ist – trotz der rechtspolitischen Kritik182 – auch der Ansatz des deutschen Rechts.183 4. Gegenüber Art. 9 lit. f HGÜ angepasster Wortlaut Im Vergleich zu Art. 9 lit. f HGÜ weist Art. 7 Abs. 1 lit. e HAVÜ eine geringfügige Abweichung in der Formulierung auf.184 Art. 7 Abs. 1 lit. e HAVÜ spricht nun nicht mehr von einer im ersuchten Staat ergangenen Entscheidung („judgment given in the requested State“), sondern von einer von einem Gericht des ersuchten Staates erlassenen Entscheidung („judgment given by a court of the requested State“). Insoweit handelt es sich um eine Klarstellung,185 die verdeutlicht, dass es nicht darauf ankommt, wo die Entscheidung in geografischer Hinsicht erlassen worden ist. Entscheidend ist allein, ob das Rechtsprechungsorgan, das die Entscheidung erlassen hat, dies als staatliches Gericht des ersuchten Staates getan hat.186 Diese Differenzierung könnte beispielsweise für Entscheidungen des Judicial Committee of the Privy Council oder anderer gemeinsamer Gerichte mehrerer Staaten (common courts) relevant werden. Nach dem Explanatory Report können Entscheidungen gemeinsamer Gerichte für die Zwecke des HAVÜ unter Umständen als vertragsstaatliche Entscheidungen zu qualifizieren sein.187 Auch wenn der Explanatory Report insoweit nur die Frage einer möglichen Anerkennung oder Vollstreckung
181 Zur analogen Anwendung der Vorschrift auf die ausländische Rechtshängigkeit: Becker-Eberhard, in: MüKo-ZPO, § 261 Rn. 73 f. 182 Vgl. z.B. Laugwitz, Anerkennung, S. 229 f.; Linke/Hau, IZVR, Rn. 13.27; Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, § 328 Rn. 22. 183 § 328 Abs. 1 Nr. 3 ZPO; siehe auch Kapitel 9 E.III. (S. 383). 184 Eine entsprechende Änderung in der Formulierung findet sich auch in Art. 7 Abs. 1 lit. f HAVÜ gegenüber Art. 9 lit. g HGÜ. 185 In der Sache wird man es auch im Rahmen von Art. 9 lit. f HGÜ nicht anders bewerten. 186 Vgl. Minutes of the 22nd Session, Commission I, Minutes No 18, Meeting of 29 June 2019 (morning), Rn. 17 f. (bisher unveröffentlicht). 187 Siehe Kapitel 4 C.II. (S. 162).
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Kapitel 6: Versagungsgründe
solcher Entscheidungen thematisiert, ist es nur konsequent, dass die Entscheidung eines gemeinsamen Gerichts, wenn sie als vertragsstaatliche Entscheidung des ersuchten Gerichts angesehen werden kann, auch die Versagung der Anerkennung einer sonstigen vertragsstaatlichen Entscheidung im Rahmen von Art. 7 Abs. 1 lit. e HAVÜ rechtfertigen kann. Wie nun in der Formulierung deutlich wird, ist es dann nicht entscheidend, ob das gemeinsame Gericht seinen Sitz im ersuchten Staat hat. Allein ausschlaggebend ist, ob es (im Hinblick auf die in Rede stehende Entscheidung) als Gericht des ersuchten Staats angesehen werden kann. VI. Art. 7 Abs. 1 lit. f HAVÜ – Unvereinbarkeit mit früherer, anerkennungsfähiger Entscheidung 1. Grundsatz Art. 7 Abs. 1 lit. f HAVÜ normiert einen Versagungsgrund für den Fall, dass die Entscheidung mit einer früheren Entscheidung eines anderen Staats über denselben Gegenstand und zwischen denselben Parteien188 unvereinbar ist.189 Im Hinblick auf unvereinbare Entscheidungen anderer Staaten (Vertrags- oder Nichtvertragsstaaten) folgt das Übereinkommen also dem Prioritätsprinzip.190 Im Unterschied zu eigenen Entscheidungen des ersuchten Staats können sonstige Entscheidungen zudem nur dann die Versagung rechtfertigen, wenn sie nicht nur zwischen denselben Parteien ergangen sind, sondern auch denselben Gegenstand betreffen. Schließlich muss die frühere Entscheidung die Anerkennungsvoraussetzungen im ersuchten Vertragsstaat erfüllen. Es ist also nach dem Recht des ersuchten Vertragsstaats die Anerkennungsfähigkeit der früheren Entscheidung zu prüfen.191 Dies kann je nach Konstellation zum Beispiel die Prüfung des HAVÜ, die Prüfung der Brüssel Ia-VO oder aber die Prüfung des autonomen Rechts der internationalen Urteilsanerkennung des ersuchten Staats bedeuten. Soweit die Entscheidung, deren Anerkennung oder Vollstreckung ersucht wird, mit einer später ergangenen Entscheidung aus einem anderen Vertragsstaat unvereinbar ist, erlaubt Art. 7 Abs. 1 lit. f HAVÜ die Versagung nicht. Wenn allerdings die später ergangene Entscheidung von einem in einer ausschließlichen Gerichtsstandsvereinbarung benannten Gericht getroffen wurde, kann die Anerkennung der früheren Entscheidung gemäß Art. 7 Abs. 1 lit. d HAVÜ versagt werden.192 Art. 7 Abs. 1 lit. d HAVÜ setzt zwar keine Kollision 188 Für Fälle der Rechtsnachfolge gilt das zu den indirekten Zuständigkeitsgründen Gesagte entsprechend, siehe Kapitel 5 B.VIII. (S. 260); vgl. auch Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 271 Fn. 196. 189 Zum Begriff der Unvereinbarkeit siehe Kapitel 6 D.V.2. (S. 290). 190 Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 272. 191 Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 272 Fn. 199. 192 Siehe Kapitel 6 D.IV.1. (S. 284).
D. Die Versagungsgründe im Einzelnen
297
unvereinbarer Entscheidungen voraus, kann eine solche Kollision aber auflösen, sofern eine der Entscheidungen von einem derogierten Gericht getroffen worden ist. 2. Identität des Gegenstands Art. 7 Abs. 1 lit. f HAVÜ erlaubt die Versagung nur unter der Voraussetzung, dass die unvereinbaren Entscheidungen „denselben Gegenstand“ betreffen. Der Versagungsgrund des Art. 7 Abs. 1 lit. f HAVÜ ist dahingehend weiter gefasst als die Parallelvorschrift in Art. 9 lit. g HGÜ.193 Im Rahmen von Art. 9 lit. g HGÜ ist eine Identität des Anspruchs („same cause of action“) erforderlich,194 während Art. 7 Abs. 1 lit. f HAVÜ schon eine Identität des Gegenstands („same subject matter“) genügen lässt.195 Besonders deutlich wird der Unterschied zwischen den beiden Vorschriften in der französischen Sprachfassung. Art. 9 lit. g HGÜ verlangt „le même objet et la même cause“, während Art. 7 Abs. 1 lit. f HAVÜ lediglich voraussetzt, dass beide Entscheidungen „le même objet“ betreffen. Ob zwei Entscheidungen im Sinne des Art. 7 Abs. 1 lit. f HAVÜ denselben Gegenstand betreffen, ist im Einklang mit Art. 20 HAVÜ autonom zu bestimmen. Der Explanatory Report stellt in (unausgesprochener) Anlehnung an den EuGH darauf ab, dass die zentrale oder wesentliche Frage („central or essential issue“) in beiden Entscheidungen dieselbe sein muss.196 Frühere Entwurfsfassungen des Explanatory Reports verwendeten sogar den deutschen Begriff „Kernpunkt“197 in einem Klammerzusatz.198 Auch wenn der Begriff in der finalen Version nicht mehr auftaucht, hat sich an dem Kriterium in der Sache nichts geändert. Es erscheint daher denkbar, die EuGH-Rechtsprechung als Inspirationsquelle heranzuziehen.199 193 Vgl. Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 272; Nielsen, JPIL 2020, 205 (233) Fn. 61. 194 So auch noch Art. 7 Abs. 1 lit. f des vorläufigen Entwurfstexts. 195 Dies wird zuweilen übersehen, vgl. Jovanovic, YbPIL 21 (2019/20), 309 (325–328), der von identischen Vorschriften spricht (S. 325) und ausführt, dass die Entscheidungen gemäß Art. 7 Abs. 1 lit. f HAVÜ denselben Anspruch („same cause of action“) betreffen müssten (S. 327 f.). 196 Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 272; zustimmend: Jovanovic, YbPIL 21 (2019/20), 309 (328). 197 Siehe zur sogenannten Kernpunkttheorie des EuGH: Althammer, Streitgegenstand, S. 126 ff.; McGuire, Verfahrenskoordination, S. 85 f. 198 Vgl. Garcimartín/Saumier, Judgments Convention: Revised Draft Explanatory Report, PrelDoc No 1 of December 2018, Rn. 302 (so auch in der französischen Fassung des Entwurfs). 199 Ebenso: Jovanovic, YbPIL 21 (2019/20), 309 (327 f.). Die Brüssel Ia-VO verwendet in Art. 29 Abs. 1 und Art. 45 Abs. 1 lit. d zwar die engere Formulierung, wie sie sich auch in Art. 9 lit. g HGÜ findet („same cause of action“ bzw. „le même objet et la même cause“).
298
Kapitel 6: Versagungsgründe
In Anbetracht der Änderung gegenüber Art. 9 lit. g HGÜ sowie der Ausführungen des Explanatory Reports ist der Begriff des Gegenstands in Art. 7 Abs. 1 lit. f HAVÜ weit zu verstehen. Für eine Streitgegenstandsidentität genügt es, wenn beide Entscheidungen denselben Lebenssachverhalt betreffen (z.B. denselben Vertrag) und die zentrale rechtliche Frage (z.B. Wirksamkeit) beiden Entscheidungen gemein ist. Hingegen muss das Ziel der Klage (z.B. Zahlung von Schadensersatz) nicht zwingend identisch sein. Denselben Gegenstand betreffen nach diesem Maßstab beispielsweise die Verurteilung zur Vertragserfüllung und die Feststellung, dass der Vertrag unwirksam ist.200 3. Prioritätsprinzip bei formeller Rechtskraft als Anerkennungsvoraussetzung Aus dem Erfordernis des Art. 7 Abs. 1 lit. f HAVÜ, dass die frühere Entscheidung die Anerkennungsvoraussetzungen im ersuchten Vertragsstaat erfüllen muss, können sich im Zusammenspiel mit dem Prioritätsprinzip problematische Auslegungsfragen ergeben. Denn das Prioritätsprinzip knüpft an die Zeitpunkte an, zu dem die unvereinbaren Entscheidungen ergangen sind,201 während die Voraussetzungen der Anerkennung unter Umständen erst sehr viel später vorliegen (z.B., weil der ersuchte Staat nur rechtskräftige Entscheidungen anerkennt).202 Angenommen die Vertragsstaaten A und B haben unvereinbare Entscheidungen in Streitigkeiten zwischen denselben Parteien und über denselben Gegenstand getroffen.203 Die Entscheidung in Vertragsstaat A ist zwar früher getroffen worden und auch wirksam und vollstreckbar, aber (z.B. wegen eines eingelegten Rechtsmittels) noch nicht rechtskräftig, während die spätere Entscheidung aus Vertragsstaat B bereits rechtskräftig geworden ist. Ersucht eine Partei nun die Anerkennung der Entscheidung aus Vertragsstaat B in Vertragsstaat C, steht Art. 7 Abs. 1 lit. f HAVÜ zur Versagung der Anerkennung nicht zur Verfügung, sofern Vertragsstaat C die formelle Rechtskraft zur Anerkennungsvoraussetzung gemacht hat. Zwar ist mit der Entscheidung aus Vertragsstaat A bereits ein früheres, unvereinbares Urteil in der Welt. Soweit aber Vertragsstaat C stets nur formell rechtskräftige Urteile anerkennt, fehlt es augenscheinlich an dem von Art. 7 Abs. 1 lit. f HAVÜ aufgestellten Erfordernis, dass Der EuGH legt jedoch, jedenfalls für Art. 29 Brüssel Ia-VO, ein weites Verständnis zugrunde, vgl. Schack, IZVR, Rn. 906. 200 Entsprechend zu den europäischen Rechtshängigkeitsvorschriften: EuGH 8.12.1987 – C-144/86, Slg. 1987, 4861 – Gubisch Maschinenfabrik; BGH 8.2.1995 – VIII ZR 14/94, NJW 1995, 1758 (1759); McGuire, Verfahrenskoordination, S. 86. 201 Vgl. Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 272; Jovanovic, YbPIL 21 (2019/20), 309 (327); vgl. auch Brand/Herrup, The 2005 Hague Choice of Court Convention, S. 122 (zu Art. 9 lit. g HGÜ). 202 Vgl. Jang, Neth. Int'l L. Rev. 2020, 97 (106 f.). 203 Die Problematik wird anhand eines entsprechenden Beispielsfalls aufgeworfen von Jang, Neth. Int'l L. Rev. 2020, 97 (106 f.).
D. Die Versagungsgründe im Einzelnen
299
die frühere Entscheidung die Anerkennungsvoraussetzungen im ersuchten Vertragsstaat erfüllen muss.204 Vertragsstaat C wäre folglich zur Anerkennung der Entscheidung aus Vertragsstaat B verpflichtet.205 Im Ergebnis setzt sich also die spätere der beiden unvereinbaren Entscheidungen durch. Jang argumentiert, dass die Anerkennung der späteren Entscheidung den Erwartungen der Vertragsstaaten widerspricht. Daher wird vorgeschlagen, einen Rückgriff auf den allgemeinen ordre public-Vorbehalt in Art. 7 Abs. 1 lit. c HAVÜ zuzulassen, bzw. Art. 7 Abs. 1 lit. f HAVÜ einschränkend auszulegen, um der Entscheidung aus Vertragsstaat B die Anerkennung zu versagen.206 Dies ist nicht überzeugend. Zweifelhaft erscheint zunächst der Rückgriff auf den ordre public-Vorbehalt. Art. 7 Abs. 1 lit. e und f HAVÜ enthalten spezielle Sonderregeln zur Versagung der Anerkennung aufgrund unvereinbarer Entscheidungen. Insoweit stellen diese Vorschriften besondere Voraussetzungen auf. Ein Rückgriff auf den allgemeinen ordre public-Vorbehalt erscheint vor diesem Hintergrund ausgeschlossen, da die speziellen Regelungen nicht unterlaufen werden dürfen.207 Auch eine Auslegung des Art. 7 Abs. 1 lit. f HAVÜ dahingehend, dass der später ergangenen, rechtskräftigen Entscheidung die Anerkennung mit Rücksicht auf eine frühere Entscheidung versagt wird, für die die Anerkennungsvoraussetzungen mangels formeller Rechtskraft nicht vorliegen, begegnet Zweifeln. Wie aufgezeigt, spricht der Wortlaut für ein anderes Verständnis.208 Die Versagung setzt nach dem Wortlaut voraus, dass für die frühere Entscheidung die Anerkennungsvoraussetzungen vorliegen müssen. Auch im Explanatory Report findet sich kein Hinweis darauf, dass eine Ausnahme gemacht werden soll, wenn es an der vom ersuchten Staat vorausgesetzten formellen Rechtskraft fehlt. Ob der Zweck des Art. 7 Abs. 1 lit. f HAVÜ eine einschränkende Auslegung im beschriebenen Sinne rechtfertigt, erscheint mindestens fraglich. Die Vorschrift will der früher ergangenen Entscheidung zwar grundsätzlich
204 Jang, Neth. Int'l L. Rev. 2020, 97 (107); so auch Douglas/Keyes/McKibbin/Mortensen, Federal Law Review 47-3 (2019), 420 (431). 205 Wird nun die früher ergangene Entscheidung aus Vertragsstaat A rechtskräftig (z.B. weil das Rechtsmittel fallen gelassen wird), kann Vertragsstaat C die Versagung der Anerkennung dieser Entscheidung (aus Vertragsstaat A) zwar nicht auf Art. 7 Abs. 1 lit. f HAVÜ stützen, weil die Entscheidung aus Vertragssaat B ja die spätere ist. Allerdings dürfte oftmals Art. 7 Abs. 1 lit. e HAVÜ zur Versagung dieser Entscheidung eingreifen, da inzwischen eine unvereinbare inländische Entscheidung in Vertragsstaat C vorliegen wird. 206 Jang, Neth. Int'l L. Rev. 2020, 97 (107). 207 Allgemein Völker, Zur Dogmatik des ordre public, S. 101 f.; Martiny, in: Hdb. IZVR III/1, Rn. 990. 208 So auch Jang, Neth. Int'l L. Rev. 2020, 97 (107).
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Kapitel 6: Versagungsgründe
den Vorrang einräumen, aber nur unter der Voraussetzung, dass diese die Voraussetzungen der Anerkennung erfüllt.209 Im Rahmen des Art. 7 Abs. 1 lit. f HAVÜ kommt es für die Prüfung der Anerkennungsvoraussetzungen auf die im ersuchten Staat anwendbaren Regelungen an. Legt ein Vertragsstaat fest, dass er Entscheidungen stets nur ab dem Zeitpunkt der formellen Rechtskraft anerkennt – was gemäß Art. 4 Abs. 4 HAVÜ auch für Entscheidungen im Anwendungsbereich des HAVÜ möglich ist210 –, dann ist die formelle Rechtskraft eine Anerkennungsvoraussetzung. Es bleibt offen, wieso man Vertragsstaat C, der sich für die formelle Rechtskraft als Anerkennungsvoraussetzung entschieden hat, einen Versagungsgrund einräumen sollte, um einer rechtskräftigen Entscheidung (aus Vertragsstaat B) zugunsten einer nicht rechtskräftigen Entscheidung (aus Vertragsstaat A) die Anerkennung zu versagen. Letztlich ergibt sich das von Jang aufgeworfene Problem also schlicht aus der – hinzunehmenden – Tatsache, dass es den Vertragsstaaten freisteht, die formelle Rechtskraft zur Anerkennungsvoraussetzung zu machen, und zwar sowohl im Rahmen ihres nationalen Rechts als auch im Anwendungsbereich des HAVÜ. Dabei steht ohnehin außer Frage, dass Vertragsstaat C die Entscheidung aus B anerkennen darf. Denn die Versagungsgründe sind fakultativer Natur211 und das HAVÜ folgt dem Günstigkeitsprinzip.212 Art. 7 Abs. 1 lit. f HAVÜ stellt, wenn denn die Voraussetzungen erfüllt sind, lediglich die Option zur Verfügung, die Anerkennung oder Vollstreckung zu versagen. Die Vorschrift kann daher nicht gewährleisten, dass der früher ergangenen Entscheidung im Ergebnis der Vorrang eingeräumt wird. Selbst wenn man – entgegen der hier vertretenen Auffassung – davon ausginge, dass Vertragsstaat C der Entscheidung aus Vertragsstaat B mit Rücksicht auf die noch nicht rechtskräftige Entscheidung aus Vertragsstaat A die Anerkennung versagen darf, müsste Vertragsstaat C von dieser Möglichkeit keinen Gebrauch machen. Vertragsstaat C wäre durch das HAVÜ nicht daran gehindert, die Entscheidung aus Vertragsstaat B trotzdem anzuerkennen und zu vollstrecken. Im Übrigen dürfte zweifelhaft sein, ob die Anerkennung der späteren Entscheidung aus Vertragsstaat B in einer Konstellation, in der die Anerkennungsvoraussetzungen der früher ergangenen Entscheidung aus Vertragsstaat A (noch) nicht vorliegen, tatsächlich den Erwartungen der Vertragsstaaten widerspricht,213 oder ob nicht umgekehrt eher eine Auslegung, die sich im Wortlaut und im Explanatory Report so nicht wiederfindet, die Erwartungen der Beteiligten enttäuschen könnte. Im Ergebnis sprechen die besseren Gründe dafür, dass zur Versagung der späteren Entscheidung mit Rücksicht auf eine frühere, 209
Vgl. Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 272. Siehe Kapitel 5 A.II. (S. 197). 211 Siehe Kapitel 6 A. (S. 269). 212 Siehe Kapitel 3 D. (S. 99). 213 So aber Jang, Neth. Int'l L. Rev. 2020, 97 (107) („This result would not match the normal expectations of the Contracting States.“). 210
D. Die Versagungsgründe im Einzelnen
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noch nicht rechtskräftige Entscheidung kein Versagungsgrund zur Verfügung steht, sofern der ersuchte Staat die formelle Rechtskraft der Entscheidung zur zwingenden Anerkennungsvoraussetzung gemacht hat.214 VII. Art. 7 Abs. 2 HAVÜ – Frühere Anhängigkeit im ersuchten Staat Art. 7 Abs. 2 HAVÜ erlaubt eine Aufschiebung oder Versagung der Anerkennung oder Vollstreckung (unbeschadet der Möglichkeit eines erneuten Antrags215) mit Blick auf ein im ersuchten Staat anhängiges, früheres Verfahren zwischen denselben Parteien und über denselben Gegenstand.216 Dazu müssen neben der Identität von Parteien und Gegenstand217 zwei weitere Voraussetzungen, eine zeitliche und eine zuständigkeitsrechtliche, erfüllt sein. Erstens muss das Gericht im ersuchten Staat früher angerufen worden sein als das Ursprungsgericht (lit. a) und zweitens muss eine enge Verbindung des Rechtsstreits mit dem ersuchten Staat bestehen (lit. b). Unter diesen Voraussetzungen gestattet es Art. 7 Abs. 2 HAVÜ dem ersuchten Staat, der eigenen früheren Anhängigkeit Vorrang gegenüber dem ausländischen Urteil zu geben. Ein laufendes Verfahren zwischen denselben Parteien in einem anderen als dem ersuchten Staat berechtigt hingegen nicht zur Versagung der Anerkennung oder Vollstreckung.218 1. Früheres inländisches Verfahren Zur Versagung genügt es nicht, dass im Zeitpunkt des Antrags auf Anerkennung oder Vollstreckung der fremden Entscheidung ein inländisches Verfahren anhängig ist.219 Vielmehr fordert Art. 7 Abs. 2 S. 1 lit. a HAVÜ, dass das Gericht im ersuchten Staat früher angerufen worden ist als das Ursprungsgericht. Das ausländische Urteil muss also trotz der früheren inländischen Anhängig-
214
Würde man dies anders sehen, dürfte eine Versagung jedenfalls einem erneuten Antrag auf Anerkennung zu einem späteren Zeitpunkt nicht entgegenstehen. Denn es bestünde stets die Möglichkeit, dass sich letztlich doch die spätere Entscheidung durchsetzt, beispielsweise weil die frühere Entscheidung im Rechtsmittelverfahren aufgehoben wird oder weil der früheren Entscheidung die Anerkennung aus zunächst noch nicht absehbaren Gründen versagt wird. Zudem müsste eine Versagung bzw. Aussetzung eine positive Anerkennungsprognose hinsichtlich der früher ergangenen, noch nicht rechtskräftigen Entscheidung voraussetzen. 215 Vgl. Art. 7 Abs. 2 S. 2 HAVÜ. 216 Für einen rechtsvergleichenden Überblick siehe: Ständiges Büro der Haager Konferenz, Comparative Note on lis pendens. 217 Das Erfordernis der Identität von Parteien und Gegenstand sieht das HAVÜ auch in Art. 7 Abs. 1 lit. f HAVÜ vor, siehe Kapitel 6 D.VI. (S. 296). 218 Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 273. 219 So aber offenbar im autonomen Recht von Costa Rica und Québec (Kanada), vgl. Ständiges Büro der Haager Konferenz, Comparative Note on lis pendens, S. 5 (unter II.A.2.).
302
Kapitel 6: Versagungsgründe
keit ergangen sein. Würde unabhängig vom Zeitpunkt der Einleitung jedes laufende inländische Verfahren genügen, wäre dies ein starker Anreiz für die im Ausgangsprozess unterlegene Partei, zahlreiche Verfahren in möglichen Vollstreckungsstaaten einzuleiten, um unter Berufung auf diese Verfahren, eine Vollstreckung des Urteils zu verhindern.220 Für die Bestimmung des relevanten Zeitpunkts im Rahmen von lit. a gilt das zu Art. 16 HAVÜ Gesagte entsprechend.221 Maßgeblich ist die Einreichung des verfahrenseinleitenden Schriftstücks bei Gericht oder, sofern nach dem jeweiligen Verfahrensrecht zunächst eine Zustellung erforderlich war, der Zugang des verfahrenseinleitenden Schriftstücks bei der für die Zustellung zuständigen Stelle.222 2. Enge Verbindung Mit dem Erfordernis einer engen Verbindung („close connection“ bzw. „lien étroit“) des Rechtsstreits zum ersuchten Staat (lit. b),223 führt Art. 7 Abs. 2 HAVÜ eine zuständigkeitsrechtliche Prüfung in den Versagungsgrund ein. Da das HAVÜ die Entscheidungszuständigkeit der Vertragsstaaten unberührt lässt,224 könnten ohne ein solches Erfordernis auch inländische Verfahren die Anerkennungsversagung begründen, die auf Grundlage exorbitanter Gerichtsstände geführt werden. In solchen Konstellationen soll der Versagungsgrund jedoch nicht zur Verfügung stehen. Der Sache nach bedeutet Art. 7 Abs. 2 S. 1 lit. b HAVÜ, dass die Zuständigkeit der Gerichte des ersuchten Staats anhand eines autonomen Maßstabs der engen Verbindung überprüft wird, und zwar durch Gerichte im ersuchten Staat. Eine enge Verbindung im Sinne von lit. b ist jedenfalls dann anzunehmen, wenn für den ersuchten Staat die Voraussetzungen eines Zuständigkeitsgrundes nach Art. 5–6 HAVÜ gegeben wären.225 Aber auch wenn kein indirekter Zuständigkeitsgrund des HAVÜ einschlägig wäre, kann sich die enge Verbindung aus anderen Umständen ergeben. Beispielsweise kann im Rahmen einer deliktischen Streitigkeit eine enge Verbindung auch durch den Ort der Rechtsgutsverletzung bzw. den Eintritt des Primärschadens begründet werden.226 Den 220
Vgl. Ständiges Büro der Haager Konferenz, Comparative Note on lis pendens, S. 11 (unter III.). 221 Siehe Kapitel 4 E.I. (S. 171). 222 Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 274, 41. 223 Vgl. für nicht einheitliche Rechtssysteme Art. 22 Abs. 1 lit. c HAVÜ. Die Vorschrift trägt dem Umstand Rechnung, dass Art. 7 Abs. 2 lit. b HAVÜ generell nach einer Verbindung („connection“) fragt und nicht selbst ein territoriales Anknüpfungsmoment („connecting factor“, vgl. Art. 22 Abs. 1 lit. d HAVÜ) enthält (vgl. Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 364). 224 Siehe Kapitel 3 B.I. (S. 91). 225 Vgl. Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 275; Jovanovic, YbPIL 21 (2019/20), 309 (329); North, IPRax 2020, 202 (207) (jeweils für Art. 5 HAVÜ). 226 Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 275.
D. Die Versagungsgründe im Einzelnen
303
in Art. 5 HAVÜ normierten indirekten Zuständigkeitsgründen ist also nicht der Umkehrschluss zu entnehmen, dass andere als die dort aufgeführten Anknüpfungsmomente keine enge Verbindung begründen können. Allerdings wird man die hinter Art. 6 HAVÜ stehenden Wertungen insoweit heranziehen können, dass hinsichtlich Verfahren, die dingliche Rechte an unbeweglichen Sachen zum Gegenstand haben, eine enge Verbindung regelmäßig nur zum Belegenheitsstaat bestehen kann. Soll also ein Urteil aus dem Belegenheitsstaat anerkannt werden, wird der ersuchte Staat die Anerkennung nicht unter Berufung auf ein laufendes inländisches Verfahren verweigern können. Im Übrigen können auch die in Art. 4 HVÜ-Zusatzprotokoll aufgezählten exorbitanten Gerichtsstände (z.B. die Nationalität des Klägers oder die vorübergehende schlichte Anwesenheit)227 Anhaltspunkte dafür geben, welche Verbindungen zum ersuchten Staat für sich genommen regelmäßig nicht zur Begründung einer engen Verbindung genügen werden. Auch die Liste unzulässiger Gerichtsstände in Art. 18 Abs. 2 Konventionsentwurf 1999 bzw. Art. 18 Abs. 2 Interim Text 2001 kann als Orientierungshilfe dienen, wobei berücksichtigt werden sollte, dass die Vorschrift in den Verhandlungen äußerst umstritten war.228 Die Voraussetzung in lit. b soll ebenfalls dazu beitragen, strategisches Verhalten und Torpedoklagen zu verhindern.229 Ohne lit. b könnte es (zusätzliche230) Anreize geben, Verfahren in all jenen Staaten einzuleiten, in denen eine spätere Vollstreckung befürchtet wird. Art. 7 Abs. 2 HAVÜ mindert die Erfolgsaussichten eines solchen Vorgehens insoweit als zwischen dem Rechtsstreit und dem potenziellen Vollstreckungsstaat keine enge Verbindung besteht. Droht etwa ein Gläubiger aus Vertragsstaat X einem Schuldner aus Vertragsstaat Y wegen eines in X begangenen Delikts mit einer Klage vor den Gerichten von X, könnte der Schuldner auf die Drohung mit der Erhebung einer negativen Feststellungsklage vor den Gerichten von Y reagieren. Auch wenn er mit einer solchen Klage das Verfahren und den Erlass eines Urteils in X womöglich nicht verhindert, könnte er sich gegen eine Anerkennung und Vollstreckung dieses Urteils in Y unter Verweis auf die dort noch laufende negative Feststellungsklage auf Art. 7 Abs. 2 HAVÜ berufen. Das um Anerkennung oder Vollstreckung des Urteils aus X ersuchte Gericht in Y, darf die Anerkennung oder Vollstreckung jedoch nach Art. 7 Abs. 2 lit. b HAVÜ nur verweigern, wenn zwischen der Streitigkeit und Y (ebenfalls) eine 227
Siehe zum HVÜ-Zusatzprotokoll Kapitel 1 B. (S. 15). Siehe Kapitel 1 E. (S. 27). 229 Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 275; Clover Alcolea, McGill Journal of Dispute Resolution 6 (2019–2020), 185 (206). 230 Da das HAVÜ keine Regelungen über die direkte Zuständigkeit und die Abweisung oder Aussetzung von Parallelverfahren enthält (siehe Kapitel 3 B. (S. 91)), kann das HAVÜ mögliche Anreize zu einem solchen strategischen Vorgehen nur in begrenztem Umfang, nämlich nur aus der Perspektive des Anerkennungs- und Vollstreckungsrechts adressieren. 228
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Kapitel 6: Versagungsgründe
enge Verbindung besteht. Eine solche wird jedenfalls (aber nicht nur) dann anzunehmen sein, wenn für Y die Voraussetzungen eines Zuständigkeitsgrundes nach Art. 5 HAVÜ gegeben wären.231 Dies wäre im geschilderten Fall zu verneinen, da es außer dem Wohnsitz des Schuldners (Klägers des Verfahrens in Y) keine Verbindung der Streitigkeit zu Y gibt.232 Anders verhielte es sich, wenn der Gläubiger (Beklagter des Verfahrens in Y) sich in Y auf die negative Feststellungsklage rügelos eingelassen hätte. Denn dann ließe sich Art. 5 Abs. 1 lit. f HAVÜ zur Begründung der engen Verbindung heranziehen. VIII. Art. 8 Abs. 2 HAVÜ – Vorfragen 1. Erfasste Fälle Art. 8 Abs. 2 HAVÜ erlaubt den Vertragsstaaten die Versagung der Anerkennung und Vollstreckung einer Entscheidung, wenn und soweit der Entscheidung im Ursprungsstaat die vorfrageweise Beurteilung einer Frage zugrunde liegt, die entweder nicht in den Anwendungsbereich des Übereinkommens fällt (Var. 1)233 oder einen Gegenstand betrifft, für den nach Art. 6 HAVÜ eine ausschließliche indirekte Zuständigkeit eines anderen Staates besteht (Var. 2). Wenn das Ursprungsgericht beispielsweise dem Kläger einen vertraglichen Schadensersatzanspruch zugesprochen hat und dazu vorfrageweise über die Geschäftsfähigkeit des Beklagten, also eine nach Art. 2 Abs. 1 lit. a HAVÜ vom Anwendungsbereich ausgeschlossene Frage entschieden hat, so kann das ersuchte Gericht nach Art. 8 Abs. 2 HAVÜ die Anerkennung und Vollstreckung der Verurteilung zur Schadensersatzzahlung verweigern.234 Dasselbe gilt, wenn ein Gericht außerhalb des Belegenheitsstaats als Vorfrage über ein dingliches Recht an unbeweglichem Eigentum entschieden hat (z.B. über die Frage des Eigentums im Rahmen einer deliktischen Klage wegen Sachbeschädigung). Dabei kommt es nicht darauf an, ob die unbewegliche Sache in einem Vertragsstaat oder in einem Nichtvertragsstaat belegen ist. Denn Art. 8 Abs. 2 HAVÜ und Art. 6 HAVÜ, an den Art. 8 Abs. 2 HAVÜ anknüpft, differenzieren insoweit nicht.235 Auch systematische und teleologische Argumente gebieten im Rahmen von Art. 8 Abs. 2 HAVÜ keine Beschränkung des Versagungsgrundes auf eine Grundstücksbelegenheit in Vertragsstaaten. Denn
231
Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 275. Vgl. Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 275, wonach Nationalität oder Wohnsitz des Klägers allein nicht genügen. 233 Zur Einbeziehung entsprechender Entscheidungen in den Anwendungsbereich des HAVÜ siehe Kapitel 4 A.III. (S. 130). 234 Vgl. Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 283. 235 Siehe Kapitel 5 B.VII.3.b) (S. 252). 232
D. Die Versagungsgründe im Einzelnen
305
es geht bei Art. 8 Abs. 2 HAVÜ nicht um eine Pflicht zur Versagung der Anerkennung im Verhältnis zu Nichtvertragsstaaten.236 Art. 8 Abs. 2 HAVÜ stellt lediglich eine Ausnahme von der Verpflichtung zur Anerkennung dar. Vertragsstaaten werden aber nicht daran gehindert, die Entscheidungen auch dann anzuerkennen, wenn die Voraussetzungen des Art. 8 Abs. 2 HAVÜ vorliegen.237 Vor diesem Hintergrund ist davon auszugehen, dass der ersuchte Staat die Anerkennung beispielsweise dann versagen darf (aber nicht muss), wenn als Vorfrage über das Eigentum an einem in einem Nichtvertragsstaat belegenen Grundstück befunden wurde. Im Rahmen von Art. 8 Abs. 2 Var. 1 HAVÜ ist unerheblich, aus welchem Grund das HAVÜ auf die vorfrageweise entschiedene Frage keine Anwendung findet. Es kann sich daher um vorfrageweise Beurteilungen zu Fragen handeln, die schon keine Zivil- oder Handelssachen nach Art. 1 Abs. 1 HAVÜ darstellen, oder solche, die nach Art. 2 Abs. 1 oder Art. 18 HAVÜ vom Anwendungsbereich ausgeschlossen sind. Van Loon weist zwar darauf hin, dass in Art. 8 HAVÜ (im Unterschied zu Art. 10 Abs. 4 HGÜ) ein Verweis auf (den jetzigen) Art. 18 HAVÜ fehle.238 Dies hängt aber damit zusammen, dass Art. 8 Abs. 2 HAVÜ einen weiteren Anwendungsbereich hat als die Parallelvorschrift in Art. 10 Abs. 2 HGÜ. Art. 8 Abs. 2 HAVÜ erfasst alle Fälle, in denen die Entscheidung auf einer vorfrageweisen Beurteilung einer Frage beruht, die nicht dem Übereinkommen unterfällt. Erfasst werden damit auch die Fälle des Art. 18 HAVÜ. Die Parallelvorschrift des Art. 10 Abs. 2 HGÜ regelt demgegenüber ausdrücklich nur Fälle, in denen die Entscheidung auf einer vorfrageweisen Beurteilung einer nach Art. 2 Abs. 2 HGÜ vom Anwendungsbereich ausgeschlossenen Materie beruht. Im Rahmen des HGÜ war daher Art. 10 Abs. 4 HGÜ erforderlich, um die Fälle des Art. 21 HGÜ einzubeziehen, während Art. 8 Abs. 2 HAVÜ aufgrund der weiteren Formulierung bereits die Fälle des Art. 18 HAVÜ einschließt. Eine Art. 10 Abs. 3 HGÜ entsprechende Einschränkung des Versagungsgrundes für Fälle, in denen die vorfrageweise Beurteilung die Gültigkeit bestimmter Immaterialgüterrechte betraf, sieht Art. 8 HAVÜ nicht vor.239
236
Die Erwägungen zur Frage, ob das HAVÜ den Rückgriff auf nationales Recht zur Anerkennung einer Entscheidung über dingliche Rechte an in Nichtvertragsstaaten belegenen Grundstücken verbietet (siehe Kapitel 5 B.VII.3.b) (S. 252)), sind daher nicht übertragbar. 237 Siehe zum fakultativen Charakter der Versagungsgründe Kapitel 6 A. (S. 269). 238 van Loon, NIPR 2020, 4 (16). 239 Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 287 f.; Bonomi/Mariottini, YbPIL 20 (2018/19), 537 (564).
306
Kapitel 6: Versagungsgründe
2. Beruhen Art. 8 Abs. 2 HAVÜ setzt voraus, dass die Entscheidung im Ursprungsstaat auf der vorfrageweisen Beurteilung „beruht“. Die entscheidende Frage ist, ob eine andere Beurteilung der Vorfrage durch das Ursprungsgericht zu einer anderen Entscheidung über die Klage geführt hätte.240 Dies wird sich nicht in jedem Fall eindeutig aus der Entscheidung bzw. den Urteilsgründen selbst ergeben. Ohne Weiteres denkbar sind etwa Fälle, in denen ein klageabweisendes Urteil ausdrücklich nur auf die Geschäftsunfähigkeit einer natürlichen Person gestützt wird, der geltend gemachte vertragliche Anspruch aber – aus Perspektive des Ursprungsgerichts – auch aus anderen Gründen nicht bestanden hätte (z.B. wegen Sittenwidrigkeit des Vertrags). Wie soll das angerufene Gericht, das die vom Anwendungsbereich des HAVÜ ausgeklammerte Vorfrage der Geschäftsfähigkeit (Art. 2 Abs. 1 lit. a HAVÜ) selbst anders beantwortet hätte, prüfen, ob die Entscheidung auf der vorfrageweisen Beurteilung der Geschäftsfähigkeit im oben beschriebenen Sinn „beruhte“? Insoweit sind verschiedene Ansätze denkbar. Brand und Herrup vertreten zur Parallelvorschrift in Art. 10 Abs. 2 HGÜ die Auffassung, dass es dem nationalen Recht überlassen sei, die Kriterien festzulegen, nach denen ein „Beruhen“ zu prüfen ist.241 Gegen einen solchen Ansatz spricht jedoch, dass das Übereinkommen nach Art. 20 HAVÜ grundsätzlich autonom auszulegen ist. Das Kriterium, nach dem sich bestimmt, ob eine Entscheidung auf einer vorfrageweisen Beurteilung „beruht“, sollte (auch wenn zu dessen Anwendung gegebenenfalls ein Blick ins nationale Recht erforderlich wird) übereinkommensautonom bestimmt werden. Zudem enthält der Explanatory Report Ausführungen zur Frage des „Beruhens“ und verweist dabei gerade nicht auf nationales Recht.242 Der Explanatory Report scheint davon auszugehen, dass sich die Frage des „Beruhens“ durch eine Untersuchung des Inhalts der ausländischen Entscheidung klären lässt.243 Man könnte dies als einen formalen Ansatz verstehen, der sich darauf beschränken will, die Urteilsgründe zu untersuchen. Gerichtsurteile aus unterschiedlichen Jurisdiktionen variieren im Hinblick auf Aufbau, Umfang und Stilmerkmale jedoch oftmals stark.244 Auch vor diesem Hintergrund erscheint es zweifelhaft, ob die Verfügbarkeit des 240 Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 286 („The question is whether a different ruling on the preliminary question would have led to a different judgment on the main object of the proceedings.“). 241 Brand/Herrup, The 2005 Hague Choice of Court Convention, S. 124. 242 Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 286. 243 Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 286 („The practical application of this provision requires the court of the requested State to examine the content of the foreign judgment and verify if, and to what extent, the decision on the main object of the proceedings is based on the ruling on the preliminary question“). 244 Linhart, Internationales Einheitsrecht, S. 270 f.
D. Die Versagungsgründe im Einzelnen
307
Versagungsgrundes von der Zufälligkeit abhängen soll, ob das Gericht seine Entscheidung argumentativ doppelt abgesichert hat (z.B. Geschäftsunfähigkeit und Sittenwidrigkeit). Eine klare Antwort, wie in dem Fall vorzugehen ist, dass weder die Gesetze der Logik noch die Entscheidung Aufschluss darüber geben, ob eine andere Beurteilung der Vorfrage durch das Ursprungsgericht zu einer anderen Entscheidung über die Klage geführt hätte, gibt der Explanatory Report nicht. Meines Erachtens dürfte die Frage, ob eine andere Beurteilung der Vorfrage durch das Ursprungsgericht zu einer anderen Entscheidung über die Klage geführt hätte, in Zweifelsfällen ohne eine Prüfung des vom Ursprungsgericht in der Sache angewandten Rechts durch das ersuchte Gericht nicht zu klären sein.245 In solchen Fällen wäre eine auf das „Beruhen“ beschränkte Nachprüfung des Urteils geboten. Eine solche würde auch keine unzulässige révision au fond darstellen, da Art. 4 Abs. 2 S. 2 HAVÜ eine Prüfung gestattet, soweit sie für die Anwendung des HAVÜ erforderlich ist.246 Sofern sich die Voraussetzung des „Beruhens“ nicht anderweitig klären lassen, dürfte von der Erforderlichkeit auszugehen sein. 3. Abweichende Beurteilung des ersuchten Gerichts Art. 8 Abs. 2 HAVÜ soll grundsätzlich nur eingreifen, sofern das ersuchte Gericht die Vorfrage anders beurteilt hätte als das Ursprungsgericht und daher auch die Entscheidung in der Hauptsache anders ausgefallen wäre.247 Zwar fand sich für den Vorschlag, dies als Voraussetzung explizit in den Text von Art. 8 Abs. 2 HAVÜ aufzunehmen,248 im Rahmen der Diplomatischen Konferenz kein Konsens.249 Es bestand jedoch Einigkeit, dass das ersuchte Gericht die Anerkennung unter Verweis auf die vorfrageweise Beurteilung nicht versagen können soll, wenn es selbst die Vorfrage ebenso beurteilt hätte. Man verständigte sich darauf, dies – im Einklang mit der Vorgehensweise bei
245
In der Entstehungsgeschichte des HAVÜ wurden auch Regelungen über eine direkte Kommunikation zwischen den Gerichten diskutiert (vgl. Ständiges Büro der Haager Konferenz, Annotated Checklist (2013), Rn. 169–172). Art. 8 Abs. 2 HAVÜ und die Frage des „Beruhens“ hätten womöglich ein Anwendungsfeld darstellen können. Entsprechende Regeln sind jedoch nicht ins HAVÜ aufgenommen worden. Soweit dies nach nationalem Recht möglich ist, werden eine direkte Kommunikation oder andere Formen der Zusammenarbeit durch das HAVÜ jedoch auch nicht ausgeschlossen. 246 Siehe Kapitel 6 E.II. (S. 320). 247 Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 286; Bonomi/Mariottini, YbPIL 20 (2018/19), 537 (563 f.); Stein, IPRax 2020, 197 (201); Zhang/Tu, JIDS 2020, 614 (626). 248 WorkDoc No 72 of June 2019 (bisher unveröffentlicht). 249 Vgl. Minutes of the 22nd Session, Commission I, Minutes No 13, Meeting of 26 June 2019 (afternoon), Rn. 11–86 (bisher unveröffentlicht).
308
Kapitel 6: Versagungsgründe
Art. 10 Abs. 2 HGÜ250 – im Explanatory Report klarzustellen.251 Diese Einschränkung lässt sich als ungeschriebene Tatbestandsvoraussetzung oder als übereinkommensautonome Beschränkung des eingeräumten Ermessens verstehen. Der Explanatory Report ist insoweit mehrdeutig. Einerseits spricht der Explanatory Report von einer Voraussetzung („condition“).252 Andererseits zitiert er den Hartley/Dogauchi-Report mit der Aussage, dass von der Vorschrift nur Gebrauch gemacht werden sollte („should be used only“), wenn das ersuchte Gericht die Vorfrage anders entscheiden würde.253 Letzteres spräche für eine Begrenzung des Ermessens.254 Unabhängig von der dogmatischen Einordnung ergibt sich, dass das ersuchte Gericht im Rahmen des Versagungsgrundes zu prüfen hat, wie es selbst die Vorfrage beurteilt und ob dies die Entscheidung in der Hauptsache beeinflusst hätte. Dabei ermittelt das ersuchte Gericht das insoweit anwendbare Recht nach seinem eigenen internationalen Privatrecht.255 Theoretisch erscheint es denkbar, dass im Rahmen der Prüfungen eine erneute Beweisaufnahme notwendig wird, insbesondere weil aufgrund abweichenden Inhalts der materiell-rechtlichen Regelungen auch Tatsachen relevant werden können, die das Ursprungsgericht gar nicht geprüft hat. Die Prüfung der Frage, ob der ersuchte Staat die Vorfrage anders beurteilt hätte, kann daher ebenso wie die Voraussetzung, dass das Urteil auf der Vorfrage beruht, unter Umständen schwierige und langwierige Prüfungen auslösen. Auch die Ermittlung und die Anwendung fremden Rechts können erforderlich werden. Dies begründet die Befürchtung, dass es sich für Beklagte lohnen könnte, im Ursprungsverfahren Einwendungen gegen den materiell-rechtlichen Anspruch geltend zu machen, die ausgeschlossene Materien oder dingliche Rechte an unbeweglichen Sachen betreffen. Denn selbst, wenn dies letztlich im ersuchten Staat nicht zur Versagung der Anerkennung genügt (etwa, weil der ersuchte Staat die Vorfrage ebenso beurteilt hätte), könnten aufwendige Prüfungen im Rahmen von Art. 8 Abs. 2 HAVÜ notwendig werden, die einen Zugriff auf das schuldnerische Vermögen erheblich verzögern. Die Antworten auf ein solches Verhalten wird vor allem das nationale Recht des ersuchten Staates liefern müssen. So kann etwa das nach Art. 13 Abs. 1 S. 1 HAVÜ anwendbare nationale Prozessrecht Reaktionsmöglichkeiten auf missbräuchliche Prozesstaktiken bereithalten. Es ist beispielsweise denkbar, 250
Hartley/Dogauchi, Explanatory Report, Rn. 197. Vgl. Minutes of the 22nd Session, Commission I, Minutes No 13, Meeting of 26 June 2019 (afternoon), Rn. 61–86 (bisher unveröffentlicht). 252 Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 286. 253 Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 286. 254 Eine Einordnung als Begrenzung des Ermessens spiegelt das im Rahmen der Verhandlungen vorherrschende Verständnis wohl besser wider. Vgl. Minutes of the 22nd Session, Commission I, Minutes No 13, Meeting of 26 June 2019 (afternoon), Rn. 93 (bisher unveröffentlicht). 255 Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 286 Fn. 207. 251
D. Die Versagungsgründe im Einzelnen
309
dass die Berufung auf den Versagungsgrund als Rechtsmissbrauch gewertet wird, wenn der Einwand im Ursprungsstaat frei erfunden war und nur erhoben wurde, um im Anerkennungsstaat das Verfahren zu verzögern. Dies wäre auch im deutschen Recht denkbar. Nach der Rechtsprechung des BGH kann der Grundsatz von Treu und Glauben, der auch im Prozessrecht gilt,256 dazu führen, dass Einwendungen des Antragsgegners im Vollstreckbarerklärungsverfahren nicht zu berücksichtigen sind.257 Denkbar erscheint außerdem eine restriktive Handhabung des Versagungsgrundes durch die Vertragsstaaten. Da Art. 8 Abs. 2 HAVÜ, wie alle Versagungsgründe, fakultativer Natur ist,258 kann ein Vertragsstaat den Versagungsgrund einschränken und ihn an weitere Voraussetzungen knüpfen (z.B. daran, dass die ausgeschlossene Materie einen Gegenstand betrifft, für den der ersuchte Staat eine ausschließliche Zuständigkeit beansprucht). Für manche Staaten mag es grundsätzlich kein Problem darstellen, wenn vorfrageweise über Fragen befunden wurde, die öffentlich-rechtlicher Natur sind oder die nach Art. 2 Abs. 1 HAVÜ ausgeschlossene Materien betreffen. Auch eine lediglich inzidente Prüfung von dinglichen Rechten an im Inland oder in anderen Staaten belegenen Grundstücken dürfte aus nationaler Perspektive oftmals kein zwingendes Anerkennungshindernis darstellen. So scheidet aus deutscher Sicht eine Anerkennung nicht schon deshalb aus, weil das Ursprungsgericht in einer zivilrechtlichen Streitigkeit über eine öffentlich-rechtliche Vorfrage zu befinden hatte.259 Außerdem wäre es im deutschen autonomen Recht für die Annahme der Anerkennungszuständigkeit gemäß § 328 Abs. 1 Nr. 1 ZPO unschädlich, wenn lediglich vorfrageweise über das Eigentum an einem deutschen Grundstück entschieden worden wäre.260 Denn dann würde es sich schon nicht um eine Eigentumsklage261 im Sinne des spiegelbildlich angewandten § 24 ZPO handeln. Aus der Perspektive des deutschen Rechts (und des Rechts anderer Staaten) könnte es daher Sinn ergeben, eine Versagung auf Grundlage von Art. 8 Abs. 2 HAVÜ generell auszuschließen und dies im Rahmen der Durchführungsgesetzgebung klarzustellen. Für Extremfälle bliebe eine Anerkennungsversagung unter Berufung auf Art. 7 Abs. 1 lit. c HAVÜ möglich.
256 Vgl. BGH 5.6.1997 – X ZR 73/95, NJW 1997, 3377 (3379); BGH 17.3.1993 – XII ZR 256/91, NJW 1993, 1717 (1719); Rauscher, in: MüKo-ZPO, Einl. Rn. 36 m.w.N. 257 BGH 17.4.2008 – III ZB 97/06, NJW-RR 2008, 1083 (betreffend ein Verfahren auf Vollstreckbarerklärung eines ausländischen Schiedsspruchs unter dem Gesichtspunkt widersprüchlichen Verhaltens). 258 Siehe Kapitel 6 A.I. (S. 269). 259 Martiny, in: Hdb. IZVR III/1, Rn. 505. 260 Geimer, IZPR, Rn. 1433 Fn. 833 a.E. 261 Vgl. zum Begriff BGH 16.5.2019 – V ZB 101/18, NJW 2019, 3575 (3577).
310
Kapitel 6: Versagungsgründe
IX. Art. 10 HAVÜ – Nichtkompensatorischer Schadensersatz Art. 10 Abs. 1 HAVÜ erlaubt es den Vertragsstaaten, die Anerkennung oder Vollstreckung einer Entscheidung insoweit zu versagen als diese einen Schadensersatz zuspricht, welcher über die Kompensation eines tatsächlich erlittenen oder zukünftigen262 Schadens hinausgeht (im Folgenden: nichtkompensatorischer Schadensersatz).263 Nach Art. 10 Abs. 2 HAVÜ ist dabei in Betracht zu ziehen, ob der zugesprochene Schadensersatz funktional zur Deckung der durch das Verfahren entstandenen Kosten dient. So werden beispielsweise im US-amerikanischen Recht die dem Geschädigten entstandenen Verfahrenskosten, die dieser nach der sogenannten American Rule auch im Fall des Obsiegens grundsätzlich selbst trägt,264 bei der Bestimmung der Höhe von punitive damages berücksichtigt.265 Soweit der zugesprochene Schadensersatz zur Deckung der durch das Verfahren entstandenen Kosten dient, kann von einem kompensatorischen Schadensersatz ausgegangen werden. Die Anerkennung und Vollstreckung darf insoweit nicht versagt werden. Art. 10 Abs. 2 HAVÜ dient damit der Klarstellung, dass auch die von einer Partei zu tragenden Verfahrenskosten einen tatsächlich erlittenen Schaden im Sinne des Art. 10 Abs. 1 HAVÜ darstellen können. Entsprechende Angaben im Musterformblatt sollen dem ersuchten Gericht Hilfestellungen bei der Anwendung des Art. 10 HAVÜ geben.266 Der Versagungsgrund steht insbesondere in Konstellationen des sogenannten Strafschadensersatzes (punitive damages)267 und des Mehrfachschadensersatzes (multiple damages) zur Verfügung. Allerdings ist die Vorschrift restriktiv anzuwenden.268 Nicht entscheidend ist, ob das Gericht des Anerkennungsstaats im selben Umfang Schadensersatz zugesprochen hätte.269 Die Grenze zwischen kompensatorischem und nichtkompensatorischem Schadensersatz ist vielmehr nach autonomen Maßstäben zu ziehen.270 Es muss sich um Schadensersatz handeln, der nach der Entscheidung offensichtlich nicht zum Ausgleich eines tatsächlichen Schadens bestimmt ist.271 Dazu wird die Begründung der einzelnen Elemente des Schadenersatzanspruchs insbesondere daraufhin zu
262
Vgl. Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 293 unter (c). Zur Eröffnung des Anwendungsbereichs des HAVÜ für Entscheidungen, die nichtkompensatorischen Schadensersatz zusprechen, siehe Kapitel 4 A.I. (S. 121). 264 Bläsi, HGÜ, S. 300 f.; Schack, IZVR, Rn. 703. 265 Bläsi, HGÜ, S. 307. 266 Siehe Ziffer 7.1 und 7.3 des Musterformblatts. 267 Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 292. 268 Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 293 unter (b). 269 Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 293 unter (d) und (f); Luginbühl/Wollgast, GRUR Int 2006, 208 (217) (zu Art. 11 HGÜ). 270 Jang, Neth. Int'l L. Rev. 2020, 97 (109 f.). 271 Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 293 unter (d). 263
D. Die Versagungsgründe im Einzelnen
311
untersuchen sein, ob und inwieweit dem Schadensersatz Strafcharakter zukommt.272 Schwierigkeiten kann die Einordnung von Urteilen bereiten, die „Schmerzensgeld“ zusprechen. Zu Art. 11 HGÜ wird unter Berufung auf die Entstehungsgeschichte vertreten, dass Schmerzensgeld stets als kompensatorischer Schadensersatz einzuordnen sei.273 Dem wird man grundsätzlich auch für Art. 10 HAVÜ zustimmen können. Denn Schmerzensgeld dient der Kompensation eines tatsächlichen, wenn auch immateriellen, Schadens. Entscheidend ist aber nicht das Label „Schmerzensgeld“, sondern der kompensatorische Charakter.274 Eine andere Frage ist, ob extrem hohen Schmerzensgeldsummen unter Art. 7 Abs. 1 lit. c HAVÜ die Anerkennung versagt werden kann. Auch wenn die Überschrift von Art. 10 HAVÜ „Damages“ bzw. „Dommages et intérêts“ lautet, trifft die Vorschrift lediglich für nichtkompensatorischen Schadensersatz eine vorrangige Sonderregelung.275 Da ein kompensatorisches Schmerzensgeld nicht darunter fällt, dürfte ein Rückgriff auf Art. 7 Abs. 1 lit. c HAVÜ möglich sein, so dass in Extremfällen eine (teilweise) Versagung denkbar erscheint.276 Art. 10 Abs. 1 HAVÜ erlaubt die Versagung nur, wenn und soweit („if, and to the extent that“ bzw. „si, et dans la mesure où“) es sich um nichtkompensatorischen Schadensersatz handelt. Das angerufene Gericht kann die Anerkennung oder Vollstreckung der Entscheidung hinsichtlich des kompensatorischen Teils also nicht auf Grundlage von Art. 10 HAVÜ versagen.277 Ob die Voraussetzungen von Art. 9 HAVÜ vorliegen, ist nicht entscheidend,278 da Art. 10 272
Luginbühl/Wollgast, GRUR Int 2006, 208 (217) (zu Art. 11 HGÜ). Rühl, IPRax 2005, 410 (414); Thiele, in: Gottschalk/Michaels/Rühl/von Hein, S. 63 (83 f.); a.A. Fricke, VersR 2006, 476 (bei Fn. 45). 274 So im Ergebnis auch Pfeiffer, IWRZ 2016, 69 (73), der ausführt, dass „Urteile, die ein kompensatorisches Schmerzensgeld zusprechen,“ von Art. 11 HGÜ nicht erfasst werden. 275 Vgl. Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 265: „ However, because Article 10 addresses punitive or exemplary damages, the public policy defence in sub-paragraph (c) should not be used to address challenges to the recognition or enforcement of judgments on that basis.“ (Kursive durch Verfasser). 276 So auch Jang, Neth. Int'l L. Rev. 2020, 97 (110) Fn. 50; Pfeiffer, IWRZ 2016, 69 (73) (zum HGÜ); a.A. Bläsi, HGÜ, S. 222 f. (wobei die Argumentation nur eingeschränkt auf das HAVÜ übertragbar ist, da die Parteien im Rahmen des HGÜ eine ausschließliche Gerichtsstandsvereinbarung getroffen haben und ihnen Besonderheiten der jeweiligen Rechtsordnung daher eher zuzumuten sind). 277 Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 293 unter (g). 278 Dies findet auch eine Stütze in den travaux préparatoires, vgl. Minutes of the 22nd Session, Commission I, Minutes No 4, Meeting of 19 June 2019 (afternoon), Rn. 72–76 (bisher unveröffentlicht). Ähnlich i.Erg. Bläsi, HGÜ, S. 221 f. (zum Verhältnis zwischen Art. 11 und 15 HGÜ); a.A. aber offenbar Stewart, Amer. J. Int'l. L. 113 (2019), 772 (779) Fn. 39 („However, the part of the judgment that awards compensatory damages may still circulate under the Convention in accordance with Article 9.“); unklar: Garcimartín/ Saumier, Explanatory Report, Rn. 265 Fn. 190. 273
312
Kapitel 6: Versagungsgründe
HAVÜ speziell bestimmt, wie weit die Anerkennung oder Vollstreckung versagt werden darf (und damit, wenn man so will, die Teilbarkeit anordnet).279 Gerade darin besteht eine wichtige Funktion der Vorschrift. Denn während etwa nach deutschem Recht eine Teilanerkennung im Hinblick auf den kompensatorischen Teil möglich ist,280 folgen manche Staaten einem „Alles-oderNichts-Ansatz“, wonach im Fall von nichtkompensatorischem Schadensersatz der gesamten Entscheidung, also auch dem kompensatorischen Teil, die Anerkennung versagt wird.281 So verhält es sich nach verbreiteter Auffassung im englischen Recht für den Mehrfachschadensersatz im Sinne von Sec. 5 Protection of Trading Interests Act 1980.282 Art. 10 HAVÜ dient insoweit auch dem Anliegen des Titelgläubigers, zumindest den kompensatorischen Teil des Urteils grenzüberschreitend vollstrecken zu können.283 X. Art. 4 Abs. 4 HAVÜ – Rechtsbehelf im Ursprungsstaat Die grundsätzliche Pflicht zur Anerkennung und Vollstreckung tritt nach Art. 4 Abs. 3 HAVÜ bereits mit der Wirksamkeit bzw. Vollstreckbarkeit der Entscheidung im Ursprungsstaat ein, also zu einem Zeitpunkt, zu dem die Gerichte des Ursprungsstaats möglicherweise noch nicht endgültig über die Klage entschieden haben.284 Wird die Entscheidung im Ursprungsstaat aufgehoben, nachdem sie im ersuchten Staat bereits vollstreckt wurde, kann dies zu erheblichen Schwierigkeiten führen.285 Vor diesem Hintergrund eröffnet Art. 4 Abs. 4 HAVÜ den Vertragsstaaten die Möglichkeit, die Anerkennung oder
279
Ob aus Art. 9 HAVÜ dasselbe folgen würde, ist unklar. Es würde davon abhängen, ob der nichtkompensatorische Teil einen abtrennbaren Teil der Entscheidung im Sinne der Vorschrift darstellt. Dies erscheint vor dem Hintergrund der Ausführungen des Explanatory Reports (Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 290) offen, weil eine Vollstreckung nur des kompensatorischen Teils womöglich als eine wesentliche Veränderung der Verpflichtungen der Parteien angesehen werden könnte. Denn diese Beschränkung würde nicht nur die Höhe des Betrages, sondern auch die Natur des Anspruchs verändern. Anders zu Art. 14 des vorläufigen Entwurfstexts: Ständiges Büro der Haager Konferenz, Explanatory Note, PrelDoc No 2 of April 2016, Rn. 211. 280 Siehe Kapitel 9 E.II. (S. 381). 281 Vgl. Ständiges Büro der Haager Konferenz, Annotated Checklist (2013), Rn. 78; Schulz, JPIL 2006, 243 (258) (zu Art. 11 HGÜ). 282 Siehe Kapitel 9 E.II. (S. 381). 283 Schulz, JPIL 2006, 243 (257) (zu Art. 11 HGÜ). 284 Siehe Kapitel 5 A.II. (S. 197). 285 Das HAVÜ hält für solche Konstellationen selbst keine Antworten bereit, vgl. Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 129 Fn. 122. Vgl. aber den zwischenzeitlich erwogenen indirekten Zuständigkeitsgrund in Art. 5 Abs. 1 lit. o vorläufiger Konventionsentwurf 2016.
D. Die Versagungsgründe im Einzelnen
313
Vollstreckung aufzuschieben oder (unbeschadet der Möglichkeit eines erneuten Antrags286) zu versagen, wenn die Entscheidung Gegenstand einer gerichtlichen Nachprüfung im Ursprungsstaat ist oder wenn die Frist für die Einlegung eines ordentlichen Rechtsbehelfs noch nicht verstrichen ist. Ein Rangverhältnis zwischen der Verfahrensaussetzung und der Verfahrensbeendigung durch vorläufige Versagung gibt es nicht. Beides sind (zusätzliche) Optionen, die dem Vertragsstaat unter den Voraussetzungen des Art. 4 Abs. 4 HAVÜ zur Verfügung gestellt werden. Nationales Verfahrensrecht kann bestimmen, ob bzw. unter welchen Bedingungen von diesen Möglichkeiten Gebrauch gemacht werden soll. Ist die Entscheidung Gegenstand einer gerichtlichen Nachprüfung im Ursprungsstaat, kann ihre Anerkennung oder Vollstreckung unabhängig davon versagt werden, ob es sich um einen ordentlichen Rechtsbehelf oder einen außerordentlichen Rechtsbehelf handelt. Anders verhält es sich bei der zweiten Variante von Art. 4 Abs. 4 S. 1 HAVÜ. Der Nichtablauf der Rechtsbehelfsfrist rechtfertigt die Versagung ausdrücklich nur, wenn es sich um die Frist für einen ordentlichen Rechtsbehelf handelt.287 Beginn und Ablauf der Rechtsbehelfsfrist richten sich nach dem Verfahrensrecht des Ursprungsstaats. Demgegenüber ist nach übereinkommensautonomen Maßstäben zu bestimmen, ob es sich um einen ordentlichen Rechtsbehelf handelt.288 Nach dem Explanatory Report umfasst der Begriff des ordentlichen Rechtsbehelfs „jede Überprüfung, die (i) eine Änderung der Entscheidung zur Folge haben kann; (ii) Teil des normalen Verfahrensablaufs und daher ein Schritt ist, mit dem jede Partei vernünftigerweise rechnen muss; und (iii) nach dem Recht des Ursprungsstaats nur vor Ablauf einer Frist erfolgen kann, die typischerweise ab Erlass der Entscheidung oder Zustellung der Entscheidung an den Urteilsschuldner zu laufen beginnt.“289 Nach diesen Grundsätzen sind die Berufung (§§ 511 ff. ZPO) und die Revision (§§ 542 ff. ZPO) des deutschen Zivilprozessrechts als ordentliche, Nichtigkeits- und Restitutionsklage (§ 579 f. ZPO) sowie die Gehörsrüge (§ 321a ZPO)290 hingegen als außerordentliche Rechtsbehelfe einzuordnen. Soweit das ersuchte Gericht die Entscheidung über die Vollstreckbarkeit nach Maßgabe von Art. 4 Abs. 4 HAVÜ aufschiebt und das Verfahren aussetzt, kann eine künftige Vollstreckung unter Umständen dadurch vereitelt oder er-
286
Vgl. Art. 4 Abs. 4 S. 2 HAVÜ. Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 130. 288 Anders zu Art. 8 Abs. 4 HGÜ: Brand/Herrup, The 2005 Hague Choice of Court Convention, S. 108 (Recht des Ursprungsstaats soll maßgebend sein). 289 Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 130 (Übersetzung des Verfassers). 290 Der Lauf der zweiwöchigen Frist für die Einlegung der Gehörsrüge knüpft nicht an den Erlass der Entscheidung, sondern an die Kenntnis von der Verletzung des rechtlichen Gehörs an (§ 321 Abs. 2 S. 1 ZPO). Die Gehörsrüge gehört auch nicht zum normalen Instanzenzug der Zivilgerichtsbarkeit. 287
314
Kapitel 6: Versagungsgründe
schwert werden, dass der Urteilsschuldner das vollstreckbare Vermögen beiseiteschafft oder sich die greifbare Haftungsmasse aus anderen Gründen mindert. Um die künftige Zwangsvollstreckung zu sichern, kommen unter Umständen vorläufige Maßnahmen nach nationalem Prozessrecht in Betracht (z.B. ein dinglicher Arrest). Das HAVÜ verpflichtet nicht zum Erlass solcher Maßnahmen, steht dem aber auch nicht entgegen.291 Frühere Entwurfsfassungen von Art. 4 Abs. 4 HAVÜ normierten noch ausdrücklich, dass das ersuchte Gericht auch die Möglichkeit hat, das Urteil (gegebenenfalls gegen Leistung einer Sicherheit) anzuerkennen oder zu vollstrecken, wenn ein Rechtsbehelf im Ursprungsstaat läuft oder die Frist noch nicht verstrichen ist.292 Zweifelsohne besteht diese Möglichkeit nach der Fassung des Art. 4 Abs. 4 HAVÜ auch ohne explizite Nennung.293 Dass der ersuchte Staat die Entscheidung auch anerkennen und vollstrecken kann, ergibt sich bereits daraus, dass es sich bei Art. 4 Abs. 4 HAVÜ um einen fakultativen Versagungsgrund handelt, der es Staaten in Einschränkung von Art. 4 Abs. 1 S. 1 HAVÜ lediglich erlaubt („may“ bzw. „peut“), die Anerkennung oder Vollstreckung aufzuschieben oder zu versagen.294 Der Explanatory Report stellt zudem klar, dass der Staat die Anerkennung oder Vollstreckung auch von einer Sicherheitsleistung abhängig machen kann, wenn nach dem nationalen Recht eine entsprechende Möglichkeit besteht.295 Dies steht im Einklang mit dem allgemeinen Grundsatz, dass das HAVÜ lediglich einen Mindeststandard schaffen will.296 Wenn Art. 4 Abs. 4 HAVÜ es den Vertragsstaaten sogar erlaubt, der Entscheidung (zunächst) gar keine Wirkung beizumessen, muss erst Recht eine Anerkennung oder Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung möglich sein. Man hat jedoch entgegen zwischenzeitlichen Überlegungen297 auf eine ausdrückliche Regelung zur Möglichkeit einer Anerkennung oder Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung verzichtet. Art. 4 Abs. 4 HAVÜ sieht, wie die Parallelvorschrift in Art. 8 Abs. 4 HGÜ,298 davon
291
Vgl. Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 132. Vgl. z.B. Art. 4 Abs. 4 lit. a Konventionsentwurf 2018. 293 Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 133. 294 Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 133; siehe auch bereits Jacobs, ZfRV 2017, 24 (27). 295 Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 133. 296 Siehe Kapitel 3 D. (S. 99). 297 Vgl. z.B. Art. 4 Abs. 4 S. 3 des vorläufigen Entwurfstext. Eine ähnliche Regelung findet sich auch in Art. 10 Abs. 1 des UNCITRAL Model Law on Recognition and Enforcement of Insolvency-Related Judgments. 298 Der Wortlaut des Art. 4 Abs. 4 HAVÜ entspricht nahezu vollständig dem des Art. 8 Abs. 4 HGÜ. Art. 4 Abs. 4 HAVÜ wurde lediglich um die Klarstellung ergänzt, dass es nur um Entscheidungen geht, die nach dem Recht des Ursprungsstaats wirksam bzw. vollstreckbar sind („judgment referred to under paragraph 3“), vgl. Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 127. 292
D. Die Versagungsgründe im Einzelnen
315
ab, die Befugnisse des Gerichts insoweit positiv zu regeln, sondern überlässt die Frage dem nationalen Recht.299 XI. Versagung in sonstigen Fällen 1. Art. 19 Abs. 2 HAVÜ – Staaten als Beteiligte Darüber hinaus finden sich im Rahmen des HAVÜ Versagungsgründe, die im Zusammenhang mit zuvor von einem Vertragsstaat abgegebenen Erklärungen stehen. In diesem Sinne erlaubt Art. 19 Abs. 2 HAVÜ einem ersuchten Staat die Versagung der Anerkennung oder Vollstreckung, sofern der Ursprungsstaat eine Erklärung nach Art. 19 Abs. 1 HAVÜ abgegeben hat und entweder der Ursprungsstaat oder der ersuchte Staat (bzw. jeweils eine Regierungsstelle oder eine für den jeweiligen Staat oder die jeweilige Regierungsstelle handelnde natürliche Person) Verfahrensbeteiligter des Ursprungsverfahrens war.300 Da Art. 19 Abs. 2 HAVÜ dem Prinzip der Gegenseitigkeit folgend, den ersuchten Staat von Pflichten befreien will, die der Ursprungsstaat zu übernehmen durch seine Erklärung nach Art. 19 Abs. 1 HAVÜ abgelehnt hat, ist der Umfang des Versagungsgrundes an den Inhalt der vom Ursprungsstaat abgegebenen Erklärung geknüpft (vgl. Art. 19 Abs. 2 HAVÜ a.E.).301 2. Art. 17 HAVÜ – Inlandssachverhalte Art. 17 HAVÜ stellt ebenfalls einen Versagungsgrund dar, dessen Verfügbarkeit auf einer zuvor abgegebenen Erklärung beruht.302 Gemäß Art. 17 HAVÜ kann ein Staat erklären, dass seine Gerichte die Anerkennung oder Vollstreckung einer vertragsstaatlichen Entscheidung versagen können, wenn – im maßgeblichen Zeitpunkt der Einleitung des Ursprungsverfahrens303 – die Parteien ihren Aufenthalt im ersuchten Staat hatten und die Beziehung der Parteien und alle anderen für den Rechtsstreit maßgeblichen Elemente mit Ausnahme des Ortes des Ursprungsgerichts nur zum ersuchten Staat eine Verbindung aufwiesen. Die Erklärung erlaubt es dem ersuchten Staat also, die Anerkennung und Vollstreckung zu verweigern, wenn der Fall sich abgesehen von der Entscheidung im Ausland aus seiner Perspektive als bloßer Inlandssachverhalt darstellt. Auf den ersten Blick ist unklar, ob Art. 17 HAVÜ überhaupt einen Anwendungsbereich haben kann. Denn, wenn alle Sachverhaltselemente nur zum ersuchten Staat einen Bezug aufweisen, wie soll dann einer der indirekten Zuständigkeitsgründe in Art. 5 oder 6 HAVÜ erfüllt sein? Schließlich setzen die 299
Siehe bereits Kapitel 5 A.II. (S. 197). Siehe zu diesem Versagungsgrund bereits Kapitel 4 D.II. (S. 168). 301 Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 348. 302 Siehe bereits Kapitel 4 C.V. (S. 165). 303 Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 333. 300
316
Kapitel 6: Versagungsgründe
indirekten Zuständigkeitsgründe gerade eine Verbindung zum Ursprungsstaat voraus.304 Art. 17 HAVÜ zielt aber, wie auch das Regelungsvorbild in Art. 20 HGÜ, auf die Konstellation, dass alle objektiven Elemente nur zum ersuchten Staat eine Verbindung aufweisen.305 Art. 17 HAVÜ kann daher relevant werden, sofern die indirekte Zuständigkeit des Ursprungsstaats sich auf eine ausdrückliche oder implizite Zustimmung306 stützt (z.B. eine nichtausschließliche Gerichtsstandsvereinbarung).307 In der Literatur wird zum Teil befürchtet, dass sich Art. 17 HAVÜ als „ein trojanisches Pferd für die Lehre vom forum non conveniens erweisen“ könnte.308 Ob diese Sorge begründet ist, erscheint fraglich.309 Denn die möglichen Erwägungen und das Ermessen des ersuchten Staates sind im Rahmen des Art. 17 HAVÜ stark begrenzt. Für den Versagungsgrund genügt es nicht, dass aus Sicht des ersuchten Staates die Gerichte des Urteilsstaates eindeutig ungeeignet („clearly inappropriate“)310 oder dass Gerichte des ersuchten Staates eindeutig besser geeignet („clearly more appropriate“)311 waren, den Rechtsstreit zu entscheiden. Vielmehr darf kein relevantes objektives Element des Rechtsstreits eine Verbindung zu irgendeinem anderen Staat als dem ersuchten Staat aufweisen. Im Übrigen ist abzuwarten, ob künftige Vertragsstaaten, die Möglichkeit eine Erklärung unter Art. 17 HAVÜ abzugeben, überhaupt wahrnehmen werden.312 Von der Parallelvorschrift in Art. 20 HGÜ ist bisher kein Gebrauch gemacht worden.313 3. Art. 2 Abs. 3 HAVÜ – Schiedsgerichtsbarkeit Art. 2 Abs. 3 HAVÜ stellt nicht selbst einen Versagungsgrund dar, erlaubt den Vertragsstaaten aber – in Abweichung von Art. 4 Abs. 1 S. 2 HAVÜ – die Versagung der Anerkennung von in den Anwendungsbereich des HAVÜ 304 Vgl. Araujo/De Nardi, Neth. Int'l L. Rev. 2020, 67 (70, 74); Liakopoulos, AUDJ 15 (2019), 5 (9); Nielsen, FS Kronke, S. 415 (421); Wilderspin/Vysoka, NIPR 2020, 34 (35); Zhao, SRIEL 2020, 345 (349, 355). 305 Vgl. Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 332. 306 Siehe zu diesen Konstellationen Kapitel 5 B.V.2. (S. 213). 307 Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 332. 308 Schack, IPRax 2020, 1 (6). 309 Siehe bereits Kapitel 5 B.II. (S. 202). 310 Vgl. die australische forum non conveniens-Doktrin (Voth v Manildra (1991) 171 CLR 538; Dicey, Morris & Collins, The Conflict of Laws, Rn. 12-011). 311 Nach englischer forum non conveniens-Doktrin wird die Entscheidungszuständigkeit grundsätzlich nicht ausgeübt, wenn es ein anderes Forum gibt, das „clearly more appropriate“ ist (vgl. Spiliada Maritime Corp v Cansulex Ltd [1987] AC 460 (476)). 312 So auch Schack, IPRax 2020, 1 (6); vgl. auch Nielsen, JPIL 2020, 205 (239) („[T]he risk of such declarations under the 2019 Convention may be small.“). 313 Vgl. die Statustabelle des Übereinkommens auf der Seite der Haager Konferenz: (Stand: 25.4.2021).
D. Die Versagungsgründe im Einzelnen
317
fallenden Urteilen aus außerhalb des HAVÜ liegenden Gründen.314 Die Vorschrift eröffnet dem ersuchten Staat die Möglichkeit, einer Entscheidung aufgrund nationaler Rechtsvorschriften oder völkerrechtlicher Verträge die Anerkennung zu verweigern.315 So kann einer Entscheidung insbesondere die Anerkennung versagt werden, wenn das Verfahren im Ursprungsstaat gegen eine Schiedsvereinbarung verstieß (sofern sich die Beklagte im Verfahren nicht rügelos eingelassen oder die Zuständigkeit des Ursprungsgerichts anerkannt hat).316 Außerdem kann die Versagung der Anerkennung einer Entscheidung in Betracht kommen, die mit einem im ersuchten Staat anzuerkennenden Schiedsspruch unvereinbar ist.317 Für die Versagung aufgrund eines Verstoßes gegen eine Schiedsvereinbarung oder aufgrund der Unvereinbarkeit mit einem Schiedsspruch ist es irrelevant, ob das Ursprungsgericht schon über die schiedsrechtlichen Fragen entschieden hat oder nicht. In den Verhandlungen der Spezialkommission ist man noch davon ausgegangen, dass Art. 8 Abs. 2 HAVÜ herangezogen werden könnte, um einer Entscheidung die Anerkennung zu versagen, wenn das Verfahren im Ursprungsstaat gegen eine Schiedsvereinbarung verstieß.318 Art. 8 Abs. 2 HAVÜ stünde aber als Versagungsgrund in denjenigen Konstellationen nicht zur Verfügung, in denen das Ursprungsgericht sich nicht mit der Schiedsvereinbarung auseinandergesetzt hat, beispielsweise weil die Beklagte dem Verfahren ferngeblieben ist. Auch in einer solchen Konstellation verpflichtet das HAVÜ aber, wie der Explanatory Report explizit klarstellt, nicht zur Anerkennung des Urteils.319 Wie an anderer Stelle bereits aufgezeigt, sprechen zudem Wortlaut und Systematik dagegen, schiedsrechtliche Fragen den Regelungen in Art. 2 Abs. 2 314
Siehe Kapitel 4 A.V. (S. 132). Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 79. Die von Art. 2 Abs. 3 HAVÜ eröffnete Möglichkeit, einem unter Verstoß gegen eine Schiedsvereinbarung zustande gekommenen Urteil die Anerkennung zu versagen, ließe sich auch in dem Sinne konzeptualisieren, dass das Urteil unter den entsprechenden Voraussetzungen nicht in den Anwendungsbereich des HAVÜ fällt (so Sachs/Weiler, FS Thümmel, S. 763 (778 f.)). Im Ergebnis macht dies keinen Unterschied. Der ersuchte Staat ist zur Anerkennung nicht verpflichtet. 316 Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 79 und 164 (Beispiel (iii)); Kessedjian, NIPR 2020, 19 (21); Schack, IPRax 2020, 1 (5) Fn. 72; siehe schon Kapitel 4 A.V. (S. 132). 317 Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 80. Dieses Ergebnis kann im Anwendungsbereich des UNÜ gegebenenfalls auch auf Art. 23 Abs. 2 HAVÜ gestützt werden. Abweichend: Jovanovic, YbPIL 21 (2019/20), 309 (326) (Anwendung des ordre publicVorbehalts). 318 Minutes of the Special Commission on the Recognition and Enforcement of Foreign Judgments (16–24 February 2017), Minutes No 3, Meeting of 17 February 2017 (morning), Rn. 9–11 (bisher unveröffentlicht); Minutes of the Special Commission on the Recognition and Enforcement of Foreign Judgments (13–17 November 2017), Minutes No 9, Meeting of 17 November 2017 (morning), Rn. 52 f. (bisher unveröffentlicht). 319 Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 79. 315
318
Kapitel 6: Versagungsgründe
und Art. 8 HAVÜ zu unterstellen.320 Art. 8 Abs. 2 HAVÜ ist daher unzureichend und unpassend, um die aufgeworfene Frage zu adressieren. 4. Art. 2 Abs. 5 HAVÜ – Immunität Eine ähnliche Funktion hat Art. 2 Abs. 5 HAVÜ. Die Vorschrift enthält keinen Versagungsgrund, stellt aber klar, dass die Grundsätze der Vorrechte und Immunitäten von Staaten oder internationalen Organisationen vom HAVÜ unberührt bleiben. Daher kann einer fremden Entscheidung die Anerkennung oder Vollstreckung versagt werden, wenn sie unter Verletzung von völkerrechtlichen Immunitätsgrundsätzen zustande gekommen ist, und zwar ohne dass dabei auf den ordre public-Vorbehalt in Art. 7 Abs. 1 lit. c HAVÜ zurückgegriffen werden müsste.321 Art. 2 Abs 5 HAVÜ ermöglicht daher eine Anerkennungsversagung aus Gründen, die außerhalb des HAVÜ liegen. Vertragsstaatliche Gerichte können, wie im deutschen Recht,322 die Gerichtsbarkeit des Urteilsstaats im Anwendungsbereich des HAVÜ als eigenständige Anerkennungsvoraussetzung prüfen. Ob die Anerkennung oder Vollstreckung aufgrund von Immunitätsgrundsätzen zu versagen ist, beurteilt das ersuchte Gericht nach den Regeln des Völkerrechts.323 Im sachlichen Anwendungsbereich des HAVÜ, also bei Vorliegen einer Zivil- oder Handelssache im Sinne des Art. 1 Abs. 1 HAVÜ, dürfte die Staatenimmunität eher selten zum Tragen kommen.324 Relevanz haben Immunitätsfragen aber insbesondere für den Zugriff auf hoheitlichen Zwecken dienende Gegenstände im Rahmen von Vollstreckungsverfahren („Vollstreckungsimmunität“).325
320
Siehe Kapitel 4 A.V.2. (S. 134). Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 86 Fn. 84. 322 Vgl. BGH 26.6.2003 – III ZR 245/98, BGHZ 155, 279 (282 ff.) = NJW 2003, 3488 (3488 f.); Geimer, IZPR, Rn. 2894; Nagel/Gottwald, IZPR, Rn. 12.169. 323 Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 89. 324 Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 87 f.; Liakopoulos, AUDJ 15 (2019), 5 (11); Ständiges Büro der Haager Konferenz, PrelDoc No 4 of December 2016, Rn. 42 (zum vorläufigen Konventionsentwurf 2016). 325 Dass Art. 2 Abs. 5 HAVÜ nicht nur die Immunität in Erkenntnisverfahren, sondern auch die Vollstreckungsimmunität meint, kommt schon im Wortlaut zum Ausdruck, wenn dort von Immunitäten „in Bezug auf sie selbst und ihr Vermögen“ („in respect of themselves and of their property“) gesprochen wird. 321
E. Verbot der révision au fond
319
E. Verbot der révision au fond I. Grundsatz: Art. 4 Abs. 2 S. 1 HAVÜ Art. 4 Abs. 2 S. 1 HAVÜ stellt klar, dass eine Nachprüfung der Entscheidung in der Sache („review of the merits“ bzw. „révision au fond“) ausgeschlossen ist. Die sachliche Richtigkeit der Entscheidung darf nicht überprüft werden.326 Dieser Grundsatz ist elementar für die Zwecke des Übereinkommens, da eine Neuverhandlung der Streitsache im Zweitstaat gerade vermieden werden soll.327 Die Vorschrift ist im Wesentlichen klarstellender Natur, denn Art. 4 Abs. 1 S. 2 HAVÜ ordnet bereits an, dass eine Versagung der Anerkennung oder Vollstreckung nur auf Grundlage eines im HAVÜ vorgesehen Grundes möglich ist. Daraus folgt bereits, dass ein Gericht die Anerkennung nicht schon deshalb verweigern darf, weil es die Entscheidung auf rechtlicher328 oder tatsächlicher Ebene für falsch hält oder ein anderes Recht angewandt hätte.329 Da eine dem Art. 4 Abs. 2 S. 1 HAVÜ entsprechende Regelung jedoch in diversen Instrumenten zur internationalen Anerkennung und Vollstreckung zu finden ist,330 kann man es aus Gründen der Rechtsklarheit für begrüßenswert halten, dass sie auch im Rahmen des HAVÜ nicht fehlt. Ein entscheidender Unterschied zur Parallelvorschrift im HGÜ besteht darin, dass das HAVÜ – abweichend von Art. 8 Abs. 2 S. 2 HGÜ – das Gericht im ersuchten Staat nicht an Tatsachenfeststellungen des Ursprungsgerichts bindet.331 Auch darüber hinaus hat der Wortlaut von Art. 4 Abs. 2 HAVÜ im Vergleich zur Parallelvorschrift des Art. 8 Abs. 2 HGÜ einige Änderungen erfahren, allerdings ohne dass damit in der Sache etwas anderes gemeint wäre.332
326
Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 119. Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 119. 328 Nach einem im Rahmen der Verhandlungen eingebrachten Vorschlag sollte ein ersuchter Vertragsstaat die Anerkennung oder Vollstreckung versagen können, sofern das Ursprungsgericht das Recht des ersuchten Vertragsstaats falsch angewandt hat. Der Vorschlag fand jedoch keine Zustimmung, vgl. Minutes of the Special Commission on the Recognition and Enforcement of Foreign Judgments (13–17 November 2017), Minutes No 9, Meeting of 17 November 2017 (morning), Rn. 85–91 (bisher unveröffentlicht). 329 Vgl. Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 119. 330 Vgl. z.B. in europäischen Verordnungen (z.B. Art. 52 Brüssel Ia-VO, Art. 41 EuErbVO, Art. 42 EuUnthVO, Art. 40 EuGüVO; Art. 40 EuPartVO), in Haager Übereinkommen (z.B. Art. 8 HVÜ, Art. 27 KSÜ, Art. 26 ErwSÜ, Art. 8 Abs. 2 S. 1 HGÜ, Art. 28 HUnthGÜ) und sonstigen multi- und bilateralen Verträgen (z.B. Art. 36, 45 Abs. 2 LugÜ 2007). 331 Siehe dazu Kapitel 6 E.II.3. (S. 322). 332 Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 120. 327
320
Kapitel 6: Versagungsgründe
Zunächst hat man es als sinnvoll erachtet, die allgemeine Regel (keine Nachprüfung in der Sache) voranzustellen und deren „Einschränkung“ in Art. 4 Abs. 2 S. 2 HAVÜ erst im Anschluss zu erwähnen.333 Ferner wurde nun eine terminologische Unterscheidung vorgenommen. Verboten ist eine Nachprüfung („review“) in der Sache (S. 1). Möglich bleiben aber, so die „Einschränkung“, solche Untersuchungen oder Erwägungen („consideration“), die für die Anwendung des Übereinkommens erforderlich sind (S. 2). Im Rahmen des HGÜ wurde in der englischen Fassung noch jeweils der Begriff „Nachprüfung“ („review“) verwendet.334 Die Verwendung verschiedener Begriffe in Art. 4 Abs. 2 S. 1 HAVÜ („review“) und Art. 4 Abs. 2 S. 2 HAVÜ („consideration“) legt nun nahe, dass es sich in den beiden Sätzen konzeptionell um unterschiedliche Dinge handelt, dass also die von S. 2 erlaubte Untersuchung der Entscheidung gerade keine Nachprüfung ist. Nach Art. 4 Abs. 2 S. 2 HAVÜ sind nur solche Erwägungen möglich, die für die Anwendung des Übereinkommens erforderlich sind. Art. 8 Abs. 2 S. 1 HGÜ nimmt hingegen nur auf die Vorschriften des betreffenden Kapitels des HGÜ Bezug, was zu der (Fehl-)Interpretation verleiten könnte, dass das ersuchte Gericht nicht mehr selbstständig prüfen dürfe, ob der in einem anderen Kapitel geregelte Anwendungsbereich des HGÜ eröffnet ist. Art. 4 Abs. 2 S. 2 HAVÜ vermeidet diese Problematik, indem der Artikel auf das Übereinkommen und nicht bloß auf das Kapitel Bezug nimmt.335 II. „Einschränkung“ in Art. 4 Abs. 2 S. 2 HAVÜ Gemäß Art. 4 Abs. 2 S. 2 HAVÜ sind im ersuchten Staat solche Untersuchungen oder Erwägungen („consideration“) möglich, die für die Anwendung des Übereinkommens notwendig sind. Dazu führt der Explanatory Report aus, dass die Anwendung des Übereinkommens es erfordern mag, rechtliche oder tatsächliche Umstände in Verbindung mit dem Ursprungsverfahren oder der Entscheidung zu berücksichtigen.336 Das Gericht im ersuchten Staat darf, erstens, die anzuerkennende Entscheidung untersuchen, um unter die autonomen Begriffe des HAVÜ subsumieren zu können (im Folgenden 1.). Zweitens ist das ersuchte Gericht nicht daran gehindert, Rechtsfragen, die sich bei der Anwendung des Übereinkommens stellen, unabhängig von der Entscheidung des Ursprungsgerichts zu prüfen und abweichend zu beurteilen (im Folgenden 2.). 333
Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 120. Art. 8 Abs. 2 S. 1 HGÜ lautet: „Without prejudice to such review as is necessary for the application of the provisions of this Chapter, there shall be no review of the merits of the judgment given by the court of origin.“ 335 Vgl. Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 120. 336 Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 122 („[A]pplying the Convention may require consideration of legal or factual issues connected to the foreign proceedings or the foreign judgment.“). 334
E. Verbot der révision au fond
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Drittens besteht bei der Anwendung des Übereinkommens für das ersuchte Gericht keine Bindung an Tatsachenfeststellungen des Ursprungsgerichts (im Folgenden 3.). Viertens kann das ersuchte Gericht zu dem Ergebnis gelangen, dass die Entscheidung gegen den ordre public des ersuchten Staates verstößt (im Folgenden 4.). 1. „Untersuchung“ der Entscheidung Das Gericht im ersuchten Staat darf das Urteil im Rahmen der Anwendung des HAVÜ „untersuchen“. Es steht außer Frage, dass man regelmäßig das anzuerkennende Urteil und seinen Inhalt heranziehen muss, um unter die autonomen Begriffe des HAVÜ subsumieren zu können, insbesondere um festzustellen, ob der Anwendungsbereich eröffnet ist, die weiteren Voraussetzungen der Anerkennung und Vollstreckung vorliegen oder ein Versagungsgrund eingreift. Das ersuchte Gericht kann das Urteil beispielsweise untersuchen, um zu ermitteln, ob das Ursprungsgericht über eine Zivil- oder Handelssache (Art. 1 Abs. 1 S. 1 HAVÜ) oder über einen vertraglichen Anspruch (Art. 5 Abs. 1 lit. g HAVÜ) entschieden hat. Auch zur Feststellung, ob ein Urteil im Sinne des Art. 7 Abs. 1 lit. c HAVÜ gegen die öffentliche Ordnung verstößt, ist eine Betrachtung oder Analyse der Entscheidung erforderlich. 2. Abweichende Beurteilung von Rechtsfragen Aus Art. 4 Abs. 2 S. 2 HAVÜ lässt sich zudem ableiten, dass das ersuchte Gericht bereits vom Ursprungsgericht entschiedene Rechtsfragen bei der Anwendung des HAVÜ abweichend beurteilen kann. Ein Beispiel dieses Grundsatzes stellt Art. 8 Abs. 2 HAVÜ dar, dessen Anwendung gerade voraussetzen soll, dass das ersuchte Gericht die Vorfrage anders beurteilt als das Ursprungsgericht.337 Aus Art. 4 Abs. 2 S. 2 HAVÜ folgt generell, dass das ersuchte Gericht, soweit sich für dieses bei der Anwendung des HAVÜ Rechtsfragen stellen, die schon im Ursprungsverfahren relevant waren, diese Fragen sowohl in tatsächlicher Hinsicht als auch in rechtlicher Hinsicht neu und unabhängig bewerten kann.338 Dies stellt nur bei einem weiten Verständnis eine „Nachprüfung in der Sache“ dar,339 da das Übereinkommen grundsätzlich autonome Begriffe und Konzepte verwendet.340 Der Begriff der Nachprüfung in Satz 1 („review“) legt nahe, dass etwas einer erneuten Prüfung unterzogen wird. Typischerweise kommt es bei Anwendung des Übereinkommens durch das ersuchte Gericht jedoch nicht zu einer Prüfung von Fragen, die das Gericht im Ursprungsstaat 337
Siehe Kapitel 6 D.VIII.3. (S. 307). Vgl. Schack, IPRax 2020, 1 (4). 339 Vgl. Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 123 Fn. 117. 340 Siehe Kapitel 2 C. (S. 84). 338
322
Kapitel 6: Versagungsgründe
bereits entschieden hat. Das wäre bei einer reinen convention double möglicherweise anders, weil das Ursprungsgericht dann im Rahmen der Prüfung der eigenen Zulässigkeitsprüfung schon das Übereinkommen anzuwenden hätte und sich dieselbe Frage unter Umständen auch für das ersuchte Gericht stellen könnte. Im Rahmen des HAVÜ stellt sich die Situation jedoch anders dar. Das Ursprungsgericht hat zwar möglicherweise im Rahmen seiner Entscheidungsfindung über den gewöhnlichen Aufenthalt des Beklagten zu entscheiden gehabt oder darüber, ob der Beklagte Verbraucher ist oder ob ihm die Klageschrift ordnungsgemäß zugestellt worden ist. Das Ursprungsgericht hat dabei aber nicht die entsprechenden Vorschriften des HAVÜ (z.B. Art. 5 Abs. 1 lit. a, Art. 5 Abs. 2 und Art. 7 Abs. 1 lit. a HAVÜ) angewandt, sondern das eigene Prozessrecht oder das nach seinen kollisionsrechtlichen Vorschriften anwendbare materielle Recht.341 Dass das ersuchte Gericht in der Anwendung des Übereinkommens zu anderen Ergebnissen kommen kann und an etwaige Entscheidungen des Ursprungsgericht insoweit nicht gebunden ist, folgt also in den meisten Fällen bereits aus seiner grundlegenden Konzeption als convention simple und dem Grundsatz der autonomen Auslegung. Ganz ausgeschlossen ist es allerdings nicht, dass das ersuchte Gericht bei der Anwendung des HAVÜ eine Rechtsfrage zu prüfen hat, die bereits das Ursprungsgericht nach denselben Maßstäben entschieden hat. Dazu kann es kommen, wenn im Rahmen der Anwendung des HAVÜ eine Prüfung nationalen Rechts erforderlich ist.342 So ist etwa denkbar, dass das ersuchte Gericht den Erfüllungsort für die Zwecke des Art. 5 Abs. 1 lit. g ii) HAVÜ unter Anwendung desselben Rechts zu prüfen hat, welches bereits das Ursprungsgericht bei Prüfung derselben Frage (z.B. im Rahmen des eigenen Zuständigkeitsrechts oder materiell-rechtlicher Fragen) zugrunde gelegt hat. Zu einem ähnlichen Gleichlauf in der Prüfung kann es auch im Rahmen von Art. 8 Abs. 2 HAVÜ kommen.343 Für derartige Fälle dient Art. 4 Abs. 2 S. 2 HAVÜ als wichtige Klarstellung, dass das ersuchte Gericht die Frage neu und unabhängig prüfen darf. Denn insoweit kann – in Abweichung von Art. 4 Abs. 2 S. 1 HAVÜ – die Richtigkeit der Entscheidung des Ursprungsgerichts in Frage gestellt werden. 3. Keine Bindung an Tatsachenfeststellungen Anders als im Rahmen des HVÜ344 und des HGÜ345 fehlt es im Rahmen des HAVÜ an einer Vorschrift, die das ersuchte Gericht an die tatsächlichen Feststellungen bindet, auf die das Ursprungsgericht seine Zuständigkeit gestützt
341
Vgl. Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 123. Siehe dazu Kapitel 8. (S. 332). 343 Siehe Kapitel 6 D.VIII. (S. 304). 344 Art. 9 HVÜ. 345 Art. 8 Abs. 2 S. 2 HGÜ. 342
E. Verbot der révision au fond
323
hat. Der vorläufige Entwurfstext der Arbeitsgruppe hatte noch die entsprechende Regelung des HGÜ übernommen.346 Für eine Bindung an die Tatsachenfeststellungen des Ursprungsstaats hätten vor allem praktische Erwägungen gesprochen.347 Es geht um Tatsachen, die die Verbindung zwischen dem Ursprungsstaat und dem Rechtsstreit bzw. den Parteien begründen. Die entsprechenden Beweismittel sind typischerweise im Ursprungsstaat zu finden (z.B. relevante Tatsachen, die den gewöhnlichen Aufenthalt einer Partei im Ursprungsstaat begründen). Eine Bindung an die zuständigkeitsbegründenden Tatsachen ist im Rahmen einer convention simple allerdings insofern fragwürdig als es von Zufälligkeiten abhängt, ob das Ursprungsgericht überhaupt diejenigen Tatsachen ermittelt hat, die für das ersuchte Gericht bei Anwendung des HAVÜ und insbesondere bei der Prüfung der indirekten Zuständigkeit relevant sind.348 Denn das Ursprungsgericht mag seine Entscheidungszuständigkeit auf eine völlig andere Grundlage gestellt haben. Außerdem erfordert eine Bindung an die Tatsachenfeststellungen des Ursprungsstaats ein Maß gegenseitigen Vertrauens, für das auf globaler Ebene im Rahmen eines breit angelegten Anerkennungs- und Vollstreckungsübereinkommens nicht unbedingt eine Gewähr besteht.349 Vor dem Hintergrund dieser Zweifel wurde die Vorschrift über die Bindung an die zuständigkeitsbegründenden Feststellungen im Rahmen des ersten Treffens der Spezialkommission gestrichen.350 Das ersuchte Gericht darf daher, soweit für die Anwendung des Übereinkommens relevant, Tatsachen neu prüfen (z.B. für die Zwecke des Art. 5 HAVÜ).351 Ob dies auf Art. 4 Abs. 2 S. 2 HAVÜ zu stützen ist oder eher auf die Abwesenheit einer Art. 8 Abs. 2 S. 2 HGÜ entsprechenden Vorschrift, ist nicht entscheidend. Der Wortlaut von Art. 4 Abs. 2 S. 2 HAVÜ lässt jedoch ohne Weiteres eine Interpretation dahingehend zu, dass die Vorschrift eine unabhängige Prüfung und damit auch abweichende Bewertung tatsächlicher Fragen ermöglicht. 346 Vgl. Art. 4 Abs. 2 S. 2 vorläufiger Entwurfstext: „The court addressed shall be bound by the findings of fact on which the court of origin based its jurisdiction, unless the judgment was given by default.“ 347 Allgemein: Vedie, von Mehren, S. 289. 348 Vgl. Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 121; kritisch zu diesem Argument hingegen: Weller, FS Kronke, S. 621 (628). 349 Vgl. Schack, ZEuP 2014, 824 (836 f.). 350 Vgl. Minutes of the Special Commission on the Recognition and Enforcement of Foreign Judgments (1–9 June 2016), Minutes No 3, Meeting of 2 June 2016 (morning), Rn. 5– 16 (bisher unveröffentlicht); Minutes of the Special Commission on the Recognition and Enforcement of Foreign Judgments (1–9 June 2016), Minutes No 13, Meeting of 9 June 2016 (morning), Rn. 3–7 (bisher unveröffentlicht). 351 Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 123; Kindler, FS Kronke, S. 241 (245 f.); Schack, IPRax 2020, 1 (4).
324
Kapitel 6: Versagungsgründe
4. Ordre public-Kontrolle Das ersuchte Gericht kann in seiner Prüfung zu dem Ergebnis gelangen, dass die vertragsstaatliche Entscheidung gegen den ordre public-Vorbehalt in Art. 7 Abs. 1 lit. c HAVÜ verstößt. Verbreitet wird in der Überprüfung ausländischer Entscheidungen am Maßstab des ordre public eine Ausnahme oder Beschränkung des Verbots der révision au fond gesehen.352 Auch wenn der ordre publicVorbehalt nur eine sehr beschränkte Überprüfung des Urteils erlaubt, kann die Versagung der Anerkennung unter Verweis auf den ordre public als Aussage über die sachliche „Richtigkeit“ der Entscheidung verstanden werden.353 Art. 4 Abs. 2 S. 2 HAVÜ kann insoweit entnommen werden, dass in der ordre publicKontrolle kein Verstoß gegen das Verbot der révision au fond zu sehen ist.354 Dasselbe gilt für eine Überprüfung der Entscheidung am Maßstab der sonstigen Versagungsgründe des HAVÜ (z.B. Art. 7 Abs. 1 lit. b und Art. 10 HAVÜ).
352 Vgl. z.B. Geimer, Anerkennung, S. 58; Jang, Neth. Int'l L. Rev. 2020, 97 (101); Netzer, in: Kindl/Meller-Hannich, ZPO, § 723 Rn. 41. 353 Vgl. Völker, Zur Dogmatik des ordre public, S. 223 f. 354 Spitz, YbPIL 21 (2019/20), 333 (357 f.).
Kapitel 7
Anerkennungsbegriff Das HAVÜ enthält keine Regelung zur Frage, welche Rechtsfolgen mit der Anerkennung einer fremden Entscheidung verbunden sind. Nach welchen Maßstäben bestimmen sich die Wirkungen, die einer anerkannten Entscheidung im Anerkennungsstaat zukommen müssen? Die Beantwortung der Frage ist von großer Relevanz, da sich die Rechtsordnungen sehr stark darin unterscheiden, wie weit die objektiven und subjektiven Grenzen der Rechtskraft gezogen werden.1 Aufgrund der Konzeption des Übereinkommens stellt sich diese Frage im Rahmen des HAVÜ in einer etwas anderen Form als im Rahmen des nationalen und auch des europäischen Rechts. Es geht nicht um eine abschließende Antwort auf die Frage, welche Wirkungen einer anerkannten Entscheidung im Anerkennungsstaat zukommen, sondern darum festzulegen, was das Übereinkommen von den Vertragsstaaten fordert. Denn das HAVÜ will einen Mindeststandard setzen und hindert Vertragsstaaten nicht daran, einer ausländischen Entscheidung über das Geforderte hinaus weitere Wirkungen beizumessen.2
A. Denkbare Lösungsansätze Im Text des Übereinkommens findet sich keine Vorschrift zur Frage, was die „Anerkennung“ einer Entscheidung bedeutet. Insoweit sind grundsätzlich unterschiedliche Ansätze denkbar. Erstens könnte Anerkennung bedeuten, der Entscheidung dieselben prozessualen Wirkungen einzuräumen, die der Entscheidung im Urteilsstaat zukommen (Wirkungserstreckung, extension of effects). Zweitens könnte eine Gleichstellung mit einem inhaltsgleichen inländischen Urteil bezweckt sein (Wirkungsgleichstellung, principle of equalisation). Drittens wäre es denkbar, dass die Wirkungen, die dem Urteil im Urteilsstaat zukommen nur in dem Umfang ins Inland erstreckt werden, soweit auch der Anerkennungsstaat diese Wirkungen kennt (Kombinationslehre oder Kumulationstheorie). Viertens könnte das HAVÜ einen eigenen Anerkennungsbegriff definieren, also selbst ohne Bezugnahme auf das Recht des Urteils- oder 1 2
Schack, ZEuP 2014, 824 (829). Vgl. Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 282.
326
Kapitel 7: Anerkennungsbegriff
Anerkennungsstaats die Wirkungen bestimmen. Und fünftens käme die Anwendung von Art. 13 Abs. 1 S. 1 HAVÜ in Betracht. Letzteres würde bedeuten, dass das HAVÜ diese Frage gänzlich dem Recht des Anerkennungsstaats überlässt.
B. Keine Anwendung von Art. 13 Abs. 1 S. 1 HAVÜ Welchem dieser Ansätze zu folgen ist, ist eine Frage der Auslegung des Übereinkommens. Der Übereinkommenstext verwendet den Begriff der Anerkennung unter anderem in Art. 4 Abs. 1 S. 1 HAVÜ („shall be recognised“), definiert aber nicht, was dies genau bedeuten soll. Vorranging ist zunächst die Frage zu beantworten, ob das Übereinkommen überhaupt selbst eine Regelung treffen will oder ob die Frage gemäß Art. 13 Abs. 1 S. 1 HAVÜ gänzlich dem Recht des ersuchten Staates unterstehen soll. Dann wäre es Sache des nationalen Rechts, festzulegen, ob der Wirkungserstreckungstheorie, der Gleichstellungstheorie oder einem anderen Ansatz zu folgen ist. Es sprechen jedoch gute Argumente dafür, dass das HAVÜ es den Vertragsstaaten nicht in Gänze überlässt, festzulegen, was „Anerkennung“ bedeutet. Es ist schon zweifelhaft, ob der von Art. 13 Abs. 1 S. 1 HAVÜ ausgesprochene Verweis auf nationales Recht für das Verfahren („procedure“ bzw. „procédure“) diese Frage umfassen kann. Es liegt nahe, den Verweis des Art. 13 Abs. 1 S. 1 HAVÜ lediglich als Verweis auf das „Wie“ der Anerkennung oder Vollstreckung zu lesen. Lediglich die verfahrensrechtliche Umsetzung soll den Vertragsstaaten überlassen sein. Die Frage nach dem Anerkennungsbegriff des HAVÜ betrifft aber das „Was“, also die Wirkungen, die einer fremden Entscheidung im Fall ihrer Anerkennung verliehen werden müssen. In jedem Fall aber findet das Verfahrensrecht des ersuchten Staates nach Art. 13 Abs. 1 S. 1 HAVÜ nur Anwendung, soweit nicht das Übereinkommen etwas anderes regelt. Aus der Regelung des Art. 8 Abs. 1 HAVÜ und den Ausführungen im Explanatory Report3 ergibt sich jedoch, dass das HAVÜ die Frage des Anerkennungsbegriffs dem Verfahrensrecht des ersuchten Staates jedenfalls nicht vollends überlassen wollte. Dafür spricht auch der Zweck des Übereinkommens. Denn andernfalls könnte das HAVÜ, das ja gerade einen gewissen Mindeststandard der gegenseitigen Anerkennung sicherstellen will,4 genau das nicht gewährleisten.
3 4
Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 113–115. Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 326.
C. Keine Gleichstellung
327
C. Keine Gleichstellung Das HAVÜ fordert auch nicht, dass dem ausländischen Urteil dieselben Wirkungen beigemessen werden müssen wie einem entsprechenden inländischen Urteil. Es folgt damit nicht der Gleichstellungstheorie.5 Dies stellt der Explanatory Report klar, wenn er im Zusammenhang mit dem Begriff der Anerkennung ausführt, dass das HAVÜ keine Anwendung des Rechts des ersuchten Staates erfordert, um die Wirkungen des ausländischen Urteils zu bestimmen.6 Gegen eine Gleichstellung spricht im Übrigen, dass der Entscheidung danach im Anerkennungsstaat weitgehendere Wirkungen zukommen könnten als im Urteilsstaat.7 Dies ist mit dem Grundsatz des rechtlichen Gehörs schwerlich vereinbar, da die Parteien nachträglich mit Urteilswirkungen konfrontiert würden, auf die sie sich im Rahmen der Prozessführungen nicht einrichten konnten.8 So wäre es beispielsweise, wenn ein deutsches Urteil in einem Common Law-Staat als Grundlage für einen issue estoppel herangezogen würde. Denn im deutschen Zivilprozessrecht erwächst nur „die im Urteil ausgesprochene Rechtsfolge, d.h. nur der vom Gericht aus dem vorgetragenen Sachverhalt gezogene Schluß auf das Bestehen oder Nichtbestehen der beanspruchten Rechtsfolge, nicht aber die Feststellung der zugrundeliegenden präjudiziellen Rechtsverhältnisse oder sonstigen Vorfragen, aus denen der Richter seinen Schluß gezogen hat“ in Rechtskraft.9 Würde man die englische issue estoppel-Doktrin auf das deutsche Urteil anwenden als wäre es ein englisches, bestünde aber eine Bindungswirkung grundsätzlich auch für vorgelagerte, entscheidungserhebliche Tatsachen und Rechtfragen.10 Eine Gleichstellung würde außerdem zu dem Resultat führen, dass einem vertragsstaatlichen Urteil in verschiedenen Vertragsstaaten unter Umständen jeweils unterschiedliche Wirkungen beigemessen werden müssten.11 Dass das HAVÜ den Vertragsstaaten eine Verpflichtung zur Gleichstellung auferlegt, 5 Dieser folgte ausdrücklich Art. 6 Abs. 2 des Haager Übereinkommens vom 15. April 1958 über die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen auf dem Gebiet der Unterhaltspflicht gegenüber Kindern (BGBl. 1961 II S. 1006). 6 Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 115. 7 Schack, FS Schilken, S. 445 (451 f.). 8 Linke/Hau, IZVR, Rn. 12.8; Martiny, in: Hdb. IZVR III/1, Rn. 367; Schack, FS Schilken, S. 445 (451 f.); vgl. auch Kropholler, IPR, S. 679; Roth, in: Stein/Jonas, § 328 Rn. 7. 9 BGH 13.11.1998 – V ZR 29/98, NJW-RR 1999, 376 (377); siehe auch: Gottwald, in: MüKo-ZPO, § 322 Rn. 92 ff.; Musielak, in: Musielak/Voit, ZPO, § 322 Rn. 17 f. 10 Vgl. Carl Zeiss Stiftung v Rayner & Keeler [1967] 1 AC 853; aus rechtsvergleichender Perspektive: Nelle, Anspruch, Titel und Vollstreckung, S. 93 ff.; 216; Fischer, FS Henckel, S. 199 (201). 11 Vgl. Kropholler, IPR, S. 679; Martiny, in: Hdb. IZVR III/1, Rn. 367; Roth, in: Stein/Jonas, § 328 Rn. 7 (Störung der internationalen Gleichheit als Nachteil der Gleichstellungstheorie).
328
Kapitel 7: Anerkennungsbegriff
liegt schon aus diesen Gründen fern. Im Übrigen kann Art. 4 Abs. 3 HAVÜ als Ausdruck des Grundsatzes verstanden werden, dass das HAVÜ den ersuchten Staat nicht dazu verpflichtet, dem Übereinkommen Wirkungen beizumessen, die der Entscheidung im Ursprungsstaat nicht zukommen.12
D. Keine umfassende Wirkungserstreckung Frühere Textfassungen sahen ein ausdrückliches Bekenntnis zur Wirkungserstreckungstheorie vor.13 Art. 9 S. 1 Konventionsentwurf Februar 2017 ordnete an, dass der fremden Entscheidung grundsätzlich dieselben Wirkungen zu verleihen sind, die dieser im Ursprungsstaat zukommen. Dem Ansatz des Art. 54 Brüssel Ia-VO entsprechend,14 sollte für den Fall, dass dem Anerkennungsstaat eine Anordnung unbekannt ist, eine möglichst weitgehende Anpassung an eine wirkungsäquivalente und im ersuchten Staat bekannte Rechtsfolge oder Anordnung erfolgen (Art. 9 S. 2 Konventionsentwurf Februar 2017). Diese Regelung wurde im Laufe der weiteren Verhandlungen bewusst gestrichen.15 Maßgeblich dafür war zum einen, dass der Text des HGÜ eine entsprechende Regelung nicht vorsieht.16 Zum anderem gab es Bedenken hinsichtlich der in manchen Staaten sehr weitreichenden Urteilswirkungen, wie zum Beispiel unter der issue preclusion doctrine.17 Vor diesem Hintergrund spricht vieles dafür, dass einem Urteil unter dem HAVÜ jedenfalls nicht alle Wirkungen eingeräumt werden müssen, die diesem im Ursprungsstaat zukommen. Dies ergibt sich auch aus Art. 8 Abs. 1 HAVÜ. Danach ist die Beurteilung einer Vorfrage durch das Ursprungsgericht, die eine aus dem Anwendungsbereich des HAVÜ fallende Angelegenheit oder dingliche Rechte an einer andernorts belegenen unbeweglichen Sachen betrifft, unter dem HAVÜ auch dann nicht anzuerkennen oder zu vollstrecken, wenn ihr nach dem Recht des Ursprungsstaats Bindungswirkung über das konkrete Verfahren hinaus zukommt. Diese Wirkungen, die dem Urteil im Urteilsstaat zukommen, werden also gerade nicht auf den Anerkennungsstaat erstreckt. Dazu führt der Explanatory Report zutreffend aus, dass es der Regelung in Art. 8 Abs. 1 HAVÜ streng genommen nicht bedurft hätte und der Vorschrift allein klarstel-
12
Schack, IPRax 2020, 1 (4). Vgl. Schack, IPRax 2020, 1 (4). 14 Vgl. Wagner, IPRax 2016, 97 (103) (zum gleichlautenden Art. 13 des vorläufigen Entwurfstexts). 15 Vgl. z.B. Minutes of the Special Commission on the Recognition and Enforcement of Foreign Judgments (13–17 November 2017), Minutes No 9, Meeting of 17 November 2017 (morning), Rn. 18–31 (bisher unveröffentlicht). 16 Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 115. 17 Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 115. 13
E. Der Ansatz des HAVÜ
329
lender Charakter zukommt, weil vorfrageweise Beurteilungen von den Vertragsstaaten generell nicht anerkannt werden müssen.18 Ebenso wird die Parallelregelung in Art. 10 Abs. 1 HGÜ verstanden.19 Die Beurteilung der Vorfrage muss also auch dann nicht anerkannt werden, wenn sie eine Materie betrifft, die in den Anwendungsbereich des HAVÜ fällt und kein Verstoß gegen Art. 6 HAVÜ vorliegt. Entscheidet das Gericht im Ursprungsstaat beispielsweise als Vorfrage eines deliktischen Schadensersatzanspruchs über das Eigentum an einer beweglichen Sache, muss die sachenrechtliche Beurteilung nicht anerkannt werden, selbst wenn dieser Beurteilung nach dem Recht des Ursprungsstaats über das Verfahren hinaus eine prozessuale Bindungswirkung zukommt. Art. 8 Abs. 1 HAVÜ und die entsprechenden Ausführungen im Explanatory Report sprechen auch gegen die Kumulationstheorie. Denn wenn vorfrageweise Beurteilungen in den Fällen des Art. 8 Abs. 1 HAVÜ und auch sonst generell nicht anzuerkennen sind, dann werden Wirkungen, die der Entscheidung im Urteilsstaat zukommen, gerade ohne Rücksicht darauf, ob der ersuchte Staat diese Wirkungen kennt, nicht auf den ersuchten Staat erstreckt.
E. Der Ansatz des HAVÜ Der Ansatz des HAVÜ liegt dementsprechend weder in einer umfassenden Wirkungserstreckung noch in der Gleichstellung mit inländischen Urteilen. Wie kann man sich vor diesem Hintergrund dem Anerkennungsbegriff des HAVÜ annähern? Es spricht vieles dafür, den Begriff der Anerkennung entsprechend dem Ansatz des HGÜ zu verstehen.20 Zu den Argumenten, die generell für einen Gleichklang der Auslegung sprechen,21 kommt vorliegend hinzu, dass sich Art. 9 Konventionsentwurf Februar 2017 gerade deswegen nicht im Text des HAVÜ wiederfindet, weil insoweit eine Abweichung vom HGÜ vermieden werden sollte.22 Der Hartley/Dogauchi-Report zum HGÜ thematisiert die Unterschiede in den Rechtskraftwirkungen zwischen Civil LawStaaten, in denen regelmäßig nur der Tenor in Rechtkraft erwächst und Common Law-Staaten, in denen die Bindungswirkung vor dem Hintergrund von issue estoppel, collateral estoppel oder issue preclusion oftmals sehr viel weiter geht.23 Der Report stellt klar, dass diese weitergehenden Wirkungen unter dem HGÜ nicht anerkannt werden müssen.24 Entsprechend wird man auch für 18
Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 281 Fn. 203; zustimmend: Zhang/Tu, JIDS 2020, 614 (625). 19 Hartley/Dogauchi, Explanatory Report, Rn. 196. 20 Ebenso Garcimartín, Neth. Int'l L. Rev. 2020, 19 (27). 21 Siehe Kapitel 2 B.II.3.b) (S. 69). 22 Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 115. 23 Hartley/Dogauchi, Explanatory Report, Rn. 195. 24 Hartley/Dogauchi, Explanatory Report, Rn. 195.
330
Kapitel 7: Anerkennungsbegriff
das HAVÜ festhalten können, dass nur der operative Teil der Entscheidung (Tenor oder dispositif) anzuerkennen ist.25 Nach der Anerkennung eines Urteils nach Art. 4 Abs. 1 S. 1 HAVÜ darf über den entsprechenden Anspruch nicht erneut (und erst recht nicht abweichend) im Anerkennungsstaat entschieden werden.26 Eine nach dem Recht des Urteilsstaats vorgesehene Rechtskraft oder Bindungswirkung gegenüber Dritten, die am Verfahren nicht beteiligt waren und nicht Rechtsnachfolger eines Verfahrensbeteiligten sind, muss vom ersuchten Staat hingegen nicht anerkannt werden.27 Insgesamt lässt sich der Ansatz des HAVÜ als eine eingeschränkte Wirkungserstreckung fassen.28 Allerdings hindert das HAVÜ die Vertragsstaaten nicht daran, einer ausländischen Entscheidung darüber hinaus weitere Wirkungen zu verleihen.29 Das HAVÜ schreibt auch hinsichtlich des Anerkennungsbegriffs lediglich ein Mindestniveau vor, hinter das die Vertragsstaaten nicht zurückfallen dürfen. Gehen Vertragsstaaten über das vom HAVÜ Geforderte hinaus, verlassen sie den Bereich, für den das HAVÜ Vorgaben macht. Eine entsprechende Anerkennung (z.B. hinsichtlich einer Bindung an festgestellte Tatsachen oder der Feststellung präjudizieller Rechtsverhältnisse) wäre daher als Anerkennung nach nationalem Recht einzuordnen.30 Die Konstellation ist mit einer überschießenden Umsetzung einer mindestharmonisierenden europäischen Richtlinie vergleichbar. Möglich wäre es also, dass Vertragsstaaten die ausländische Entscheidung in ihren Wirkungen einer inländischen gleichstellen (sofern dies kein Zurückfallen hinter das vom HAVÜ geforderte Mindestniveau bedeutet) oder aber der Entscheidung über den operativen Teil hinaus weitere oder sogar alle Wirkungen einräumen, die der Entscheidung im Urteilsstaat zukommen. Im Rahmen von Durchführungs- oder Umsetzungsrechtsakten können nationale Gesetzgeber insoweit für Klarheit sorgen. Da es sich bei einer solchen überschießenden Anerkennung um eine Anerkennung nach nationalem Recht handelt, wären entsprechende Regelungen in Durchführungs- oder Umsetzungsrechtsakten nach nationalen Regeln und Grundsätzen auszulegen und anzuwenden. Nach der jeweiligen nationalen Rechtsordnung richtet sich zudem die Frage, ob Gerichte auch ohne gesetzliche Grundlage befugt wären, das HAVÜ überschießend im Sinne des im autonomen Recht vorherrschenden Anerkennungsbe-
25
Garcimartín, Neth. Int'l L. Rev. 2020, 19 (27). Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 115. 27 Garcimartín, Neth. Int'l L. Rev. 2020, 19 (28). 28 In diese Richtung auch Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 124 („The obligation to recognise and enforce entails conferring on the foreign judgment the authority and effectiveness accorded to it in the State of origin within the judicial and execution system of the requested State.“). 29 Vgl. Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 282. 30 Vgl. Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 282. 26
E. Der Ansatz des HAVÜ
331
griffs anzuwenden. Dies wäre freilich nur möglich, soweit fremden Entscheidungen nach autonomem Recht weitergehende Wirkungen verliehen werden als dies das HAVÜ verlangt (z.B. im Sinne einer uneingeschränkten Wirkungserstreckung). Im deutschen Recht ist umstritten, welche Wirkungen einer anerkannten ausländischen Entscheidung im Inland zukommen. In der Rechtsprechung wird überwiegend angenommen, dass das ausländische Urteil einem inländischen gleichzustellen ist.31 In der Literatur spricht sich die herrschende Meinung hingegen für die Kumulationstheorie32 oder andere Einschränkungen der Wirkungserstreckungstheorie aus, wobei Einzelheiten umstritten sind.33 So wird etwa angenommen, dem ausländischen Urteil seien diejenigen Wirkungen beizulegen, die diesem nach dem Recht des Urteilsstaats zukommen, solange die Wirkungen dem deutschen Recht „als solche“ bekannt34 oder nicht „wesensfremd“35 seien. Unabhängig vom gewählten Ansatz erscheint es zweifelhaft, ob der Anerkennungsbegriff des § 328 ZPO ohne entsprechende gesetzliche Anordnung im Anwendungsbereich des HAVÜ herangezogen werden könnte. Zwar sprächen Praktikabilitätserwägungen grundsätzlich für einen einheitlichen Ansatz, der sowohl im Anwendungsbereich von § 328 ZPO als auch im Rahmen des HAVÜ Anwendung fände. Allerdings wird aus deutscher Perspektive hinsichtlich der Anerkennungsregeln verschiedener Rechtsquellen grundsätzlich von einem Vermischungs- bzw. Kombinationsverbot ausgegangen, da es sich jeweils um selbstständige Normenkomplexe handelt.36
31
Vgl. z.B. BGH 6.10.1982 – IVb ZR 729/80, NJW 1983, 514 (515); BGH 1.6.1983 – IVb ZR 386/81, NJW 1983, 1976 (1977); OLG Frankfurt a.M. 12.11.1985 – 5 W 25/85, NJW 1986, 1443 (1443). 32 So z.B. Schack, IZVR, Rn. 944; Netzer, in: Kindl/Meller-Hannich, ZPO, § 723 Rn. 58. 33 Vgl. zum Meinungsstand Bach, in: BeckOK-ZPO, § 328 Rn. 52 ff.; Gottwald, in: MüKo-ZPO, § 328 Rn. 1 ff.; Roth, in: Stein/Jonas, § 328 Rn. 7 f.; Schack, IZVR, Rn. 939 ff. 34 Geimer, IZPR, Rn. 2780. 35 Schütze, in: Wieczorek/Schütze, ZPO, § 328 Rn. 2. 36 Vgl. Martiny, FS Geimer, S. 451 (453); Martiny, in: Hdb. IZVR III/1, Rn. 225; Linke/Hau, IZVR, Rn. 12.26; Nagel/Gottwald, IZPR, Rn. 12.122; a.A. Geimer, Anerkennung, S. 82 f.
Kapitel 8
Verweise und Bezugnahmen auf nationales Recht Das HAVÜ ist grundsätzlich autonom und ohne Rückgriff auf nationale Begriffsverständnisse und Prinzipien auszulegen. Die autonome Auslegung kann aber ausnahmsweise ergeben, dass für bestimmte Fragen oder Voraussetzungen auf nationale Begriffsverständnisse oder nationales Recht zurückzugreifen ist. Dieser Grundsatz wurde bereits in Kapitel 2 thematisiert.1 Die in den vorangegangenen Kapiteln angestellte Analyse der Regelungen des Übereinkommens hat aufgezeigt, dass nationales Recht bei der Anwendung des HAVÜ in nicht unerheblichem Umfang eine Rolle spielt. Nicht selten verweist das HAVÜ ausdrücklich oder konkludent auf nationales Recht.2 Die Verweise können sich auf nationales materielles Recht oder Verfahrensrecht beziehen. Insbesondere die Rechtsordnung des Ursprungsstaats und die des um Anerkennung oder Vollstreckung ersuchten Staates spielen eine wichtige Rolle. Aber auch das Recht sonstiger Staaten kann im Rahmen der Anwendung des HAVÜ zu prüfen sein. Oftmals ist nationales Recht auch bei der Subsumtion unter normative Tatbestandsmerkmale relevant. Verweist das HAVÜ auf nationales Recht, steht dies regelmäßig in einem Spannungsverhältnis mit dem Grundsatz der Einheitlichkeit.3 Wird beispielsweise der Erfüllungsort im Rahmen von Art. 5 Abs. 1 lit. g ii) HAVÜ nach dem aus Sicht des ersuchten Staats anwendbaren Recht bestimmt, dann liegt es nahe, dass in unterschiedlichen Vertragsstaaten der Erfüllungsort nach unterschiedlichen Kriterien und Maßstäben bestimmt wird. In diesem Kapitel sollen die Konstellationen untersucht werden, in denen nationales Recht bei der Anwendung des HAVÜ eine Rolle spielt. Wie häufig und in welchem Umfang 1
Siehe Kapitel 2 C. (S. 84). Zur Beschreibung von Verweisungen auf nationales Recht innerhalb international-zivilverfahrensrechtlicher Vorschriften wird regelmäßig auf die Terminologie des internationalen Privatrechts zurückgegriffen. Beispielsweise wird von Teilfragen oder Vorfragen einer prozessualen Hauptfrage (Basedow, in: Schlosser, Materielles Recht und Prozeßrecht, S. 131 (146)) oder von einer Bestimmung von Tatbestandsmerkmalen durch Sachnormverweisung oder Kollisionsnormverweisung (Bader, Koordinationsmethoden, S. 74 ff.) gesprochen. Verbreitet wird auch der Begriff der Qualifikation verwendet (vgl. z.B. Schack, IZVR, Rn. 54). 3 Vgl. den Wortlaut der Präambel („Believing that such co-operation can be enhanced through the creation of a uniform set of core rules on recognition and enforcement of foreign judgments in civil or commercial matters […])“ und Art. 20 HAVÜ. 2
A. Verweise auf nationales Recht
333
(fremdes) nationales Recht zu ermitteln und zu prüfen ist, kann Hinweise darauf geben, welchen Grad der Vereinheitlichung das HAVÜ schafft. Es kann ein Indikator dafür sein, wie leicht oder schwierig es für (künftige) Parteien ist, abzuschätzen, ob eine Entscheidung unter dem HAVÜ zirkulieren wird. Zudem kann die Frage nach der Relevanz fremden nationalen Rechts Anhaltspunkte zur Abschätzung der Dauer und Komplexität der Verfahren unter dem HAVÜ geben.
A. Verweise auf nationales Recht I. Recht des Ursprungsstaats Das HAVÜ verweist vielfach ausdrücklich auf das Verfahrensrecht des Ursprungsstaats. Dies hängt vor allem damit zusammen, dass sich die Frage der Anerkennung eines fremden Urteils nicht völlig von dem verfahrensrechtlichen Kontext entkoppeln lässt, in dem das Urteil entstanden ist. Zudem ist die Relevanz des Rechts des Ursprungsstaats bereits im Anerkennungsbegriff angelegt. 1. Status und Wirkungen der Entscheidung Verweise auf das Recht des Ursprungsstaats betreffen insbesondere den Status der Entscheidung oder des gerichtlichen Vergleichs im Ursprungsstaat. Die Wirksamkeit bzw. Vollstreckbarkeit einer Entscheidung nach dem Recht des Ursprungsstaats ist gemäß Art. 4 Abs. 3 HAVÜ Voraussetzung für eine Anerkennung oder Vollstreckung unter dem HAVÜ.4 Entsprechend bestimmt im Rahmen von Art. 11 HAVÜ das Verfahrensrecht des Ursprungsstaats, ob der gerichtliche Vergleich in derselben Weise wie eine Entscheidung vollstreckbar ist.5 Das Recht des Ursprungsstaats ist auch dafür maßgeblich, ob die Frist für einen ordentlichen Rechtsbehelf verstrichen ist (Art. 4 Abs. 4 HAVÜ).6 Unter einer Anerkennung versteht das HAVÜ nach hier vertretener Auffassung eine eingeschränkte Wirkungserstreckung,7 so dass auch für die Wirkungen ausländischer Entscheidungen das Recht des Ursprungsstaats jedenfalls als Ausgangspunkt maßgeblich ist.
4
Kapitel 5 A.I. (S. 195). Kapitel 5 A.III. (S. 199). 6 Kapitel 6 D.X. (S. 312). 7 Kapitel 7 E. (S. 329). 5
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Kapitel 8: Verweise und Bezugnahmen auf nationales Recht
2. Prozessuale Ereignisse im Ursprungsverfahren Das HAVÜ nimmt an verschiedenen Stellen, meist ohne ausdrücklich auf nationales Recht zu verweisen, auf Ereignisse Bezug, die im Rahmen des Ursprungsverfahrens stattgefunden haben. Da hier prozessuale Aspekte des Ausgangsverfahrens in Bezug genommen werden, die dort nach allgemeinen Grundsätzen regelmäßig der lex fori unterlagen,8 mag es auf den ersten Blick als naheliegend erscheinen, das Verfahrensrecht des Urteilsstaats heranzuziehen. Allerdings gebietet das in Art. 20 HAVÜ angelegte Prinzip der einheitlichen und autonomen Auslegung auch insoweit grundsätzlich ein vom nationalen Recht losgelöstes Begriffsverständnis. So ist etwa nach autonomen Maßstäben zu bestimmen, ob eine Partei der Zuständigkeit des Gerichts ausdrücklich zugestimmt (Art. 5 Abs. 1 lit. e und Abs. 2 lit. a HAVÜ) oder sich rügelos zur Hauptsache eingelassen hat (Art. 5 Abs. 1 lit. f HAVÜ) hat.9 Es ist insoweit unerheblich, ob das entsprechende Verhalten der Partei nach dem nationalen Recht des Ursprungsstaats als Zustimmung oder rügelose Einlassung zu werten war. Ausnahmsweise ergibt jedoch die autonome Auslegung, dass die Bezugnahme auf ein prozessuales Ereignis als Bezugnahme auf nationales Verfahrensrecht zu verstehen ist, insbesondere weil der Zweck der Vorschrift dies gebietet und sinnhafte Ergebnisse ohne die Prüfung nationalen Rechts nicht erzielt werden können. So ist im Rahmen von Art. 5 Abs. 1 lit. a, b und d HAVÜ, sofern sich diese Frage einmal stellen sollte, das Verfahrensrecht des Ursprungsstaats zur Beantwortung der Frage heranzuziehen, ob jemand Partei des ursprünglichen Verfahrens geworden ist.10 Das Recht des Ursprungsstaats legt ferner fest, ob ein Schriftstück im Sinne des Art. 7 Abs. 1 lit. a HAVÜ „verfahrenseinleitend“ ist.11 Auch zur Bestimmung des jeweils in Art. 5 Abs. 1 lit. a, b und d HAVÜ genannten Zeitpunkts („at the time that person became a 8
Vgl. z.B. für deutsches Recht: BGH 14.10.1992 – XII ARZ 23/92, NJW-RR 1993, 130; von Bar/Mankowski, IPR I § 5 Rn. 75 ff.; Rauscher, in: MüKo-ZPO, Einl. Rn. 485; Musielak, in: Musielak/Voit, ZPO, Einl. Rn. 14; für das englische Recht: Cheshire, North & Fawcett, Private International Law, S. 73; Dicey, Morris & Collins, The Conflict of Laws, Rn. 7-002; allgemein: Hau, in: Basedow/Rühl/Ferrari/de Miguel Asensio, EPrIL, Bd. 2, Eintrag „Proceedings, law governing“, S. 1407 (1407 f.). 9 Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 162 („The existence of express consent, and whether it was given ‘in the course of proceedings’, is a question of fact to be determined by the court of the requested State.“), Rn. 168 („Of course, the assessment of ‘arguing on the merits’ under sub-paragraph (f) is not dependant on the way it would be determined under the law of the State of origin.“) und Rn. 179 („[…] it does not matter whether the failure to contest jurisdiction or to request that the court decline to exercise jurisdiction amounts to implied consent under the law of the court of origin.“). 10 Siehe Kapitel 5 B.V.1.a)bb) (S. 208). 11 Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 248. Siehe auch Kapitel 6 D.I. (S. 275).
A. Verweise auf nationales Recht
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party to the proceedings“) spielt das Verfahrensrecht des Ursprungsstaats eine Rolle.12 3. Bewertung von Parteiverhalten Einige Vorschriften knüpfen an das Verfahrensrecht des Ursprungsstaats an, um das prozessuale Verhalten einer Partei im Ausgangsverfahren „richtig“ zu bewerten. Solche Verweise finden sich insbesondere in Art. 5 Abs. 1 lit. f HAVÜ (Rechtzeitigkeit und Erfolgsaussichten einer Zuständigkeitsrüge), Art. 5 Abs. 1 lit. l ii) HAVÜ (Erforderlichkeit einer Widerklage zur Abwendung einer Präklusionswirkung) und Art. 7 Abs. 1 lit. a i) HAVÜ (Möglichkeit der Rüge fehlerhafter Übermittlung des verfahrenseinleitenden Schriftstücks). Ob eine Einlassung des Beklagten zur Hauptsache die Annahme einer konkludenten Zustimmung zur Zuständigkeit der Gerichte des Ursprungsstaats rechtfertigt, ist ganz maßgeblich davon abhängig, ob eine solche Rüge nach dem Verfahrensrecht des Ursprungsstaats Aussicht auf Erfolg gehabt hätte (vgl. Art. 5 Abs. 1 lit. f HAVÜ).13 Ist beispielsweise eine solche Rüge nach dem Verfahrensrecht des Ursprungsstaats gar nicht möglich oder offensichtlich unbegründet, kann man das Unterlassen der Rüge schwerlich als Einverständnis werten.14 Ganz ähnliche Erwägungen greifen im Rahmen von Art. 7 Abs. 1 lit. a HAVÜ im Hinblick auf die Möglichkeit, die fehlerhafte Übermittlung des verfahrenseinleitenden Schriftstücks im Ursprungsprozess zu rügen.15 Art. 5 Abs. 1 lit. l ii) HAVÜ liegt die Erwägung zugrunde, dass der Widerkläger mit der Erhebung der Widerklage die Befugnis des Gerichts anerkennt, über die Widerklage auch zu entscheiden.16 Diese Überlegung ist aber aus Sicht der Verfasser des HAVÜ dann nicht durchgreifend, wenn der Widerkläger zur Erhebung der Widerklage „gezwungen“ war. Aus diesem Grund sieht die Vorschrift eine Ausnahme für den Fall vor, dass der Widerkläger die Widerklage erheben musste, um eine nach dem Prozessrecht des Ursprungsstaats andernfalls drohende Präklusion seiner Ansprüche abzuwenden.17 Vergleichbare Erwägungen könnte man auch im Rahmen von Art. 5 Abs. 1 lit. c HAVÜ anstellen. Nach der Vorschrift besteht ein indirekter Zuständigkeitsgrund, wenn gegen den Kläger des Ursprungsverfahrens vollstreckt werden soll. Auch hier beruht der indirekte Zuständigkeitsgrund auf einem angenommenen Einverständnis.18 Denn es war schließlich der Kläger, der für seine 12
Siehe Kapitel 5 B.V.1.a)bb) (S. 208). Siehe Kapitel 5 B.V.2.b) (S. 215). 14 Vgl. Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 171 f. 15 Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 250; siehe auch Kapitel 6 D.I. (S. 275). 16 Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 212. 17 Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 212; siehe auch Kapitel 5 B.V.2.d) (S. 218). 18 Vgl. Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 152. 13
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Kapitel 8: Verweise und Bezugnahmen auf nationales Recht
Klage das entsprechende Forum gewählt hat. Theoretisch sind jedoch auch in dieser Konstellation Fälle denkbar, in denen die Klageerhebung wertungsmäßig schwerlich als Einverständnis angesehen werden kann. Art. 5 Abs. 1 lit. c HAVÜ sieht jedoch keine Art. 5 Abs. 1 lit. l ii) HAVÜ vergleichbare Einschränkung vor und auch der Explanatory Report geht davon aus, dass die Vorschrift Fälle erfasst, in denen der Kläger praktisch keine Wahl hatte, weil kein anderes Forum zur Verfügung stand.19 In Extremfällen (z.B. gesetzliche Verpflichtung zur Klageerhebung unter Androhung von Haft oder anderen Nachteilen), die auch bei der gebotenen globalen Betrachtungsweise eher theoretischer Natur sein dürften, könnte eine einschränkende, am Zweck orientierte Auslegung des Art. 5 Abs. 1 lit. c HAVÜ weiterhelfen.20 Die Verweise auf das Prozessrecht des Ursprungsstaats in Art. 5 Abs. 1 lit. f, lit. l ii) sowie Art. 7 Abs. 1 lit. a i) HAVÜ berücksichtigen, dass die Parteien im Rahmen des Ursprungsverfahrens nicht in einem rechtlichen Vakuum handelten, sondern im Kontext prozessualer Regelungen. Die Berücksichtigung dieser Regelungen im Rahmen des HAVÜ weist gewisse funktionale Ähnlichkeiten mit Art. 17 Rom II-VO21 auf, wonach „[b]ei der Beurteilung des Verhaltens der Person, deren Haftung geltend gemacht wird, […] die Sicherheitsund Verhaltensregeln zu berücksichtigen [sind], die an dem Ort und zu dem Zeitpunkt des haftungsbegründenden Ereignisses in Kraft sind.“ Ebenso wie die lokalen Verkehrsregeln bei einem PKW-Unfall mit Auslandsbezug auch dann nicht außer Acht gelassen werden können, wenn (z.B. wegen Art. 4 Abs. 2 Rom II-VO) auf das außervertragliche Schuldverhältnis nicht das Recht des Unfallortes Anwendung findet, muss im Rahmen des HAVÜ das Verhalten der Beteiligten im Ursprungsverfahren an dem entsprechenden rechtlichen Kontext gemessen werden. In beiden Fällen geht es um die Berücksichtigung derjenigen Vorschriften und Regelungen, denen eine Person tatsächlich unterworfen war.22 Untechnisch könnte man von „local data“ des Ursprungsverfahrens sprechen. 19
Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 152. Ein entsprechendes Vorgehen wird im Fall der rechtsmissbräuchlichen Erschleichung der Anerkennungszuständigkeit vorgeschlagen: Kapitel 5 B.III. (S. 203). 21 Verordnung (EG) Nr. 864/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Juli 2007 über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht („Rom II“) (ABl. L 199/40, ber. 2012 L 310/52). 22 Zu beachten ist jedoch, dass die Berücksichtigung von Sicherheits- und Verhaltensregeln im Rahmen des Art. 17 Rom II-VO in einem anderen Regelungskontext erfolgt und sich auch die Rechtsfolgen unterscheiden. Das HAVÜ beruft kein materielles Recht, in dessen Rahmen das Prozessrecht des Ursprungsstaats „faktisch“ berücksichtigt werden könnte. Die genannten Regelungen des HAVÜ unterscheiden sich auch insoweit von Art. 17 Rom II-VO als das Bestehen oder Nichtbestehen einer bestimmten Verfahrensregelungen zwingende Tatbestandsvoraussetzung (oder „Vorfrage“) für eine klar normierte Rechtsfolge ist, während Art. 17 Rom II-VO bewusst offen („berücksichtigen“, „soweit angemessen“) formuliert ist (vgl. Pfeiffer, FS Schurig, S. 229 (234); Harms, Neuauflage der Datumtheorie, S. 118). 20
A. Verweise auf nationales Recht
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Betrachtet man die entsprechenden Bezugnahmen auf das Prozessrecht des Ursprungsstaats vor dem Hintergrund des Zwecks, das Verhalten der Verfahrensbeteiligten richtig zu bewerten, ergeben sich daraus Folgen für die Eigenschaften der Verweisung. Es muss sich, auch wenn dies selten praktisch relevant werden dürfte, um eine Gesamtverweisung handeln. Andernfalls würde man das Verhalten der Parteien unter Umständen im Kontext eines Verfahrensrechts bewerten, das überhaupt nicht anwendbar war. Darüber hinaus folgt aus dem Zweck – wie auch im Rahmen des Art. 17 Rom II-VO23 – der maßgebliche Zeitpunkt. Es muss im Rahmen von Art. 5 Abs. 1 lit. f und lit. l ii) sowie Art. 7 Abs. 1 lit. a i) HAVÜ auf das anwendbare Recht zum Zeitpunkt des Ursprungsprozesses ankommen, was auch im Wortlaut der Vorschriften anklingt (z.B. das Präteritum „permitted“ in Art. 7 Abs. 1 lit. a i) HAVÜ). 4. Sonstige Verweise Art. 14 Abs. 2 HAVÜ ermöglicht die Vollstreckung von Kostentiteln, soweit der Titelschuldner aufgrund von Art. 14 Abs. 1 HAVÜ oder aufgrund nationalen Verfahrensrechts von einer Sicherheitsleistung befreit war. II. Recht des ersuchten Staates Das Recht des ersuchten Staates, also die lex fori, spielt im Rahmen des HAVÜ eine wichtige Rolle. Die ursprungsstaatliche Entscheidung soll im ersuchten Staat anerkannt oder vollstreckt werden. Der Rechtsordnung des ersuchten Staates obliegt es unter anderem, die verfahrensrechtlichen Fragen der Anerkennung oder Vollstreckung festzulegen und die Grenzen gegenüber schlechthin inakzeptablen Entscheidungen zu ziehen. Auch darüber hinaus unterliegen der lex fori unter Einschluss ihres internationalen Privatrechts eine Reihe von Fragen, für die das HAVÜ selbst keine Antworten bereithält. 1. Vorbehaltsklauseln und Kontrollmechanismen Verweise auf das Recht des ersuchten Staates finden sich zunächst vor allem im Rahmen der Versagungsgründe. Diese stellen Abwehrmechanismen gegen ausländische Urteile dar, die es dem ersuchten Staat erlauben, die Anerkennung oder Vollstreckung zu versagen, soweit das fremde Urteil mit fundamentalen Rechtsgrundsätzen des ersuchten Staates unvereinbar ist. In diesem Sinne kann vor allem der ordre public-Vorbehalt in Art. 7 Abs. 1 lit. c HAVÜ als Verweis auf nationales Recht gelesen werden.24 Der ordre public-Vorbehalt kann zur Anwendung kommen, wenn die Entscheidung gegen eine Rechtsnorm des ersuchten Staates verstößt, der innerhalb dessen 23
Vgl. Junker, in: MüKO-BGB, Art. 17 Rom II-VO Rn. 21. Spitz, YbPIL 21 (2019/20), 333 (352); entsprechend zum EuGVÜ: Martiny, RabelsZ 45 (1981), 427 (435). 24
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Kapitel 8: Verweise und Bezugnahmen auf nationales Recht
Rechtsordnung eine essentielle Bedeutung zukommt (z.B. Grundrechte).25 Maßgeblich ist abweichend vom Grundsatz der einheitlichen Auslegung und Anwendung das jeweilige nationale Recht bzw. die nationalen Interessen und Wertvorstellungen.26 In ähnlicher Weise knüpft auch Art. 7 Abs. 1 lit. a ii) HAVÜ unter Aufgabe einheitlicher Maßstäbe an die „wesentlichen Grundsätze“ des ersuchten Staates für die Zustellung von Schriftstücken an. Auch Art. 7 Abs. 1 lit. f HAVÜ verweist auf das Recht des ersuchten Staates. Nach der Vorschrift muss die frühere Entscheidung die Voraussetzungen der Anerkennung nach dem Recht des ersuchten Vertragsstaats erfüllen.27 Im Ansatz erfüllt auch die im Rahmen von Art. 8 Abs. 2 HAVÜ erforderliche Prüfung nationalen Rechts eine Funktion, die einem Kontrollmechanismus zumindest nahekommt. Der Versagungsgrund soll nur greifen, wenn das ersuchte Gericht die Vorfrage anders entschieden hätte und daher auch das Urteil anders ausgefallen wäre.28 Die Abweichung der vorfrageweisen Beurteilung des Ursprungsgerichts von dem aus Sicht des ersuchten Staates anwendbaren Recht ist also Voraussetzung für das Eingreifen des Versagungsgrundes. Während Art. 7 Abs. 1 lit. c HAVÜ die fundamentalen Rechtssätze des ersuchten Staates schützt, dient Art. 8 Abs. 2 HAVÜ der Abwehr von Entscheidungen, die auf der vorfrageweisen Beurteilung einer vom Anwendungsbereich ausgeschlossenen Angelegenheit oder der ausschließlichen Zuständigkeit des Art. 6 HAVÜ beruhen. Vergegenwärtigt man sich zudem, dass einige der Bereichsausnahmen in Art. 2 Abs. 1 HAVÜ gerade vor dem Hintergrund existieren, dass die Vertragsstaaten im jeweiligen Bereich bestimmte Wertvorstellungen unbedingt durchsetzen wollen,29 werden funktionale Parallelen deutlich. 2. Wirksamkeit von Gerichtsstandsvereinbarungen oder -bestimmungen Das Recht des ersuchten Staates unter Einschluss seines internationalen Privatrechts ist ferner maßgeblich für die Wirksamkeit einer Gerichtsstandsvereinbarung oder -bestimmung im Rahmen von Art. 7 Abs. 1 lit. d HAVÜ,30 von nichtausschließlichen Gerichtsstandsvereinbarungen nach Art. 5 Abs. 1 lit. m HAVÜ31 und von Gerichtsstandsbestimmungen im Sinne des Art. 5 Abs. 1 lit. k i) HAVÜ.32 Damit weicht das HAVÜ partiell vom Ansatz des HGÜ ab. Das HGÜ verweist für die Wirksamkeit der Gerichtsstandsvereinbarungen auf 25
Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 259. Siehe Kapitel 6 D.III.1. (S. 280). 27 Kapitel 6 D.VI.1. (S. 296). 28 Kapitel 6 D.VIII.3. (S. 307). 29 Beispielsweise grund- und menschenrechtliche Wertungen im Bereich der Meinungsfreiheit und der Persönlichkeitsrechte (Art. 2 Abs. 1 lit. k und l HAVÜ). 30 Kapitel 6 D.IV.1. (S. 284). 31 Kapitel 5 B.V.2.e)aa) (S. 220). 32 Kapitel 5 B.V.3.e) (S. 235). 26
A. Verweise auf nationales Recht
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das Recht des Staates des vereinbarten Gerichts unter Einschluss seines Kollisionsrechts.33 Allerdings beurteilt sich unter dem HGÜ die Fähigkeit, die Gerichtsstandsvereinbarungen zu schließen, zusätzlich34 nach dem Recht des ersuchten Staates unter Einschluss seiner kollisionsrechtlichen Vorschriften.35 Das HAVÜ unterscheidet zwischen beiden Aspekten nicht und unterstellt die Überprüfung der Gerichtsstandsvereinbarung insgesamt dem Recht des ersuchten Staates.36 Der ersuchte Staat behält damit im sprichwörtlichen Sinne „das Heft in der Hand“.37 3. Materiell-rechtliche Fragen Das HAVÜ wirft vielfach Fragen auf oder verwendet Begriffe, denen im nationalen materiellen Recht typischerweise eine bestimmte Bedeutung zukommt. Auch im Fall materiell-rechtlicher Begriffe oder Tatbestandsmerkmale gilt grundsätzlich, dass diese nach autonomen Maßstäben zu bestimmen sind. Das HAVÜ bestimmt beispielweise selbst, was vertragliche und nichtvertragliche Ansprüche sind38 und wer Verbraucher oder Arbeitnehmer ist.39 Nur ausnahmsweise verweist das HAVÜ zur Bestimmung materiell-rechtlich belegter Begriffe auf nationales Recht. Dies geschieht entweder explizit oder ergibt sich aus der Auslegung des Übereinkommens. Hintergrund dieser Bezugnahmen auf nationales Recht ist der enge Zusammenhang des Rechts der Urteilsanerkennung mit dem materiellen Recht, dessen Durchsetzung die Anerkennung oder Vollstreckung dient. Nach nationalem Recht zu beantwortende materiell-rechtliche Fragen können sich im Rahmen des HAVÜ etwa bei der Bestimmung des Erfüllungsorts vertraglicher Ansprüche im Rahmen von Art. 5 Abs. 1 lit. g HAVÜ stellen. Das nach dem internationalen Privatrecht des ersuchten Staates zu ermittelnde Vertragsstatut ist maßgeblich für die Wirksamkeit einer Erfüllungsortvereinbarung (Art. 5 Abs. 1 lit. g i) HAVÜ) und für die Bestimmung des Erfüllungsorts (Art. 5 Abs. 1 lit. g ii) HAVÜ) in Ermangelung einer Vereinbarung.40 Auch die Wirksamkeit der Bestimmung der Hauptverwaltung eines trust im Rahmen von Art. 5 Abs. 1 lit. k ii) HAVÜ richtet sich nach dem Recht des ersuchten Staates
33
Art. 9 lit. a HGÜ; vgl. dazu Huber, IPRax 2016, 197 (200). Hartley/Dogauchi, Explanatory Report, Rn. 184. 35 Art. 9 lit. b HGÜ. 36 Zu den damit verbundenen Unstimmigkeiten, etwa im Verhältnis zum HGÜ; siehe Kapitel 6 D.IV.1. (S. 284). 37 Vgl. Schack, ZEuP 2014, 824 (836) („Hier sollte sich der Anerkennungsstaat (anders als in einer Convention double) das Heft nicht aus der Hand nehmen lassen, sondern die Wirksamkeit einer Derogation seiner Gerichte stets nach seinem eigenen Recht beurteilen.“). 38 Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 195. 39 Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 222 f. 40 Kapitel 5 B.V.3.a)aa) (S. 225). 34
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Kapitel 8: Verweise und Bezugnahmen auf nationales Recht
unter Einschluss seines Kollisionsrechts.41 Im Rahmen von Art. 5 Abs. 1 lit. j HAVÜ kann das Recht des ersuchten Staates zur Lokalisierung des Orts einer Unterlassung relevant werden, nämlich bei der Bestimmung des Orts an dem die unterlassene Handlung vorzunehmen gewesen wäre.42 Art. 5 Abs. 1 lit. a–c HAVÜ setzen eine Identität der Partei des Ursprungsverfahrens mit derjenigen voraus, gegen die die Entscheidung anerkannt oder vollstreckt werden soll. Ob an die Stelle einer Partei des Ursprungsverfahrens im Wege der Rechtsnachfolge jemand anderes getreten ist, bestimmt sich nach dem Recht des um Anerkennung oder Vollstreckung ersuchten Staates unter Einschluss seines internationalen Privatrechts.43 Entsprechendes ist bei einer Rechtsnachfolge mit Blick auf die von Art. 7 Abs. 1 lit. e, f und Art. 7 Abs. 2 HAVÜ geforderte Parteiidentität anzunehmen. 4. Abgrenzung von Regelungsbereichen Das Recht des ersuchten Staates ist nach der umfassenden Verweisung in Art. 13 Abs. 1 S. 1 HAVÜ vor allem auch für das Anerkennungs-, Exequaturund Vollstreckungsverfahren maßgeblich, soweit das HAVÜ keine Regelung trifft.44 Anders als die in den vorigen Abschnitten genannten Beispiele verweist Art. 13 Abs. 1 S. 1 HAVÜ jedoch nicht hinsichtlich einzelner Tatbestandsmerkmale oder Voraussetzungen auf nationales Recht. Vielmehr werden durch Art. 13 HAVÜ Regelungskomplexe voneinander abgegrenzt. Einzelheiten des Anerkennungs-, Exequatur- oder Vollstreckungsverfahrens sollen grundsätzlich nationalem Recht unterstehen. Insoweit lässt sich Art. 13 Abs. 1 S. 1 HAVÜ auch als eine Klarstellung zum Anwendungsbereich lesen. III. Recht sonstiger Staaten Das Recht sonstiger Staaten ist im Rahmen des HAVÜ nur ausnahmsweise relevant.45 Es kann zu prüfen sein, soweit es im Rahmen einer Gesamtverweisung auf das Recht des Ursprungsstaats oder des ersuchten Staats zu einer Weiterverweisung auf das Recht anderer Vertrags- oder Nichtvertragsstaaten kommt
41
Kapitel 5 B.V.3.e) (S. 235). Kapitel 5 B.V.3.d) (S. 232). 43 Kapitel 5 B.VIII. (S. 260). 44 Kapitel 4 G.III.1. (S. 179). 45 Art. 6 lit. c Konventionsentwurf 2018 sah noch eine explizite Bezugnahme auf nationales Verfahrensrecht vor, die auch das Verfahrensrecht sonstiger Vertragsstaaten betreffen konnte. Die Vorschrift besagte, dass Entscheidungen über Grundstücksmietsachen (bei Mietdauer von mindestens 6 Monaten) aus anderen Vertragsstaaten nicht anerkannt und vollstreckt werden, wenn im Vertragsstaat, in dem das Grundstück belegen ist, eine ausschließliche internationale Zuständigkeit für Grundstücksmietsachen besteht (vgl. hierzu Jacobs, ZfRV 2017, 24 (28)). 42
A. Verweise auf nationales Recht
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(z.B. für den Erfüllungsort, die Urteilsverjährung46 oder die Wirksamkeit einer Gerichtsstandsvereinbarung). Das Verfahrensrecht sonstiger Staaten kann zudem im Rahmen von Art. 7 Abs. 1 lit. f HAVÜ bei der Prüfung der Anerkennungsfähigkeit der unvereinbaren früheren Entscheidung indirekt relevant werden. Denn in aller Regel wird es in diesem Zusammenhang darauf ankommen, ob diese Entscheidung nach dem Recht des Staates, aus dem sie stammt,47 wirksam oder rechtskräftig ist. Wollte ein deutsches Gericht etwa die Anerkennung einer vertragsstaatlichen Entscheidung unter Hinweis auf eine früher ergangene Entscheidung aus einem Drittstaat verweigern, so müsste die frühere drittstaatliche Entscheidung, um die von Art. 7 Abs. 1 lit. f HAVÜ aufgestellte Voraussetzung der Anerkennungsfähigkeit zu erfüllen, nach herrschender Auffassung nach dem Recht dieses Drittstaats rechtskräftig sein (im Anwendungsbereich des § 328 ZPO).48 IV. Grundsatz der Gesamtverweisung Verweisungen innerhalb des Übereinkommens auf nationales Recht schließen grundsätzlich das nationale Kollisionsrecht ein. Dies wird im Explanatory Report hinsichtlich diverser Verweisungen ausdrücklich klargestellt.49 Wäre ein Verweis auf nationale Sachvorschriften unter Ausschluss des internationalen Privatrechts gemeint gewesen, wäre dies in der jeweiligen Formulierung klargestellt worden („internal law of the State“ bzw. „loi interne de l’Etat“).50 Art. 7 Abs. 1 lit. g Konventionsentwurf 2018 enthielt noch diese Formulierung. Aufgrund der Ausklammerung des geistigen Eigentums vom Anwendungsbereich (Art. 2 Abs. 1 lit. m HAVÜ),51 wurde die Vorschrift jedoch gestrichen. Eine ausdrückliche Bezugnahme auf nationale Sachnormen („internal law of“) fehlt im HAVÜ. Grundsätzlich ist daher die Annahme gerechtfertigt, dass Verweisungen und Bezugnahmen auf nationales Recht das jeweilige Kollisionsrecht des Staates mit einbeziehen. Soweit durch das HAVÜ auf Verfahrensnormen eines Staates verwiesen wird, wirkt sich die Frage nach der Art der Verweisung typischerweise nicht
46
Vgl. Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 312. Dies kann ein Vertragsstaat oder Nichtvertragsstaat sein (Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 272). 48 Vgl. Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, § 328 Rn. 5. Siehe auch Kapitel 9 B.III. (S. 352). 49 Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 144, 182, 184, 269, 312. 50 Vgl. für das HGÜ: Hartley/Dogauchi, Explanatory Report, Rn. 125 (mit Fn. 158). Beispiele für ausdrückliche Bezugnahmen auf das interne Recht finden sich in zahlreichen Haager Übereinkommen, vgl. z.B. Art. 5, 6 und 11 des Haager Übereinkommens vom 14.3.1978 über das auf die Stellvertretung anzuwendende Recht oder Art. 4, 7, 12, 13 des Haager Übereinkommens vom 14.3.1978 über das auf das Ehegüterrecht anwendbare Recht. 51 Siehe Kapitel 4 A.II.1. (S. 123). 47
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Kapitel 8: Verweise und Bezugnahmen auf nationales Recht
aus, weil dieser Staat nach dem Grundsatz forum regit processum ohnehin eigenes Verfahrensrecht anwendet bzw. angewendet hat. So dürfte auch zu erklären sein, dass der Explanatory Report bei den meisten Verweisungen auf nationales Verfahrensrecht keine Klarstellung zur Art der Verweisung enthält.52 Ausgeschlossen sind Weiterverweisungen aber auch bei Verweisungen des HAVÜ auf nationales Verfahrensrecht nicht. Davon geht der Explanatory Report etwa mit Blick auf die Thematik der Urteilsverjährung aus.53 Zumindest theoretisch ist denkbar, dass ein Vertragsstaat in Abkehr vom lex-fori-Grundsatz ganz oder teilweise fremdes Verfahrensrecht anwendet bzw. angewandt hat.54 Insbesondere hinsichtlich der Verweise auf das Verfahrensrecht des Ursprungsstaats, deren Hintergrund die zutreffende Bewertung von Parteiverhalten ist, gebietet es der Zweck der Vorschriften, diese Verweisungen als Gesamtverweisungen zu sehen.55 Einen Sonderfall stellt der ordre public-Vorbehalt in Art. 7 Abs. 1 lit. c HAVÜ dar. Soweit man diesen als Verweis auf das nationale Recht des ersuchten Staates lesen will, ist eine „Weiterverweisung“ ausgeschlossen. Dem ersuchten Staat ist es verwehrt, etwa mit der Begründung, dass das zugrundeliegende Rechtsverhältnis nach eigenem Kollisionsrecht einer fremden Rechtsordnung unterliegt, unter Verweis auf die öffentliche Ordnung eines fremden Staates, die Anerkennung zu verweigern. Entscheidend ist im Rahmen von Art. 7 Abs. 1 lit. c HAVÜ ausschließlich die öffentliche Ordnung des ersuchten Vertragsstaats.56 Dasselbe gilt ferner für Art. 7 Abs. 1 lit. a ii) HAVÜ.
B. Subsumtion unter normative Tatbestandsmerkmale Schließlich kann nationales Recht bei der Subsumtion unter autonome Begriffe des Übereinkommens zu prüfen sein.57 Als Beispiel sei der Begriff der dinglichen Rechte („rights in rem“ bzw. „droits réels“) genannt (vgl. Art. 5 Abs. 1 lit. i und Art. 6 HAVÜ). Nach autonomem Verständnis handelt es sich um ein 52
Vgl. z.B. Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 170, 212. Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 312. 54 Zur Diskussion um ein Kollisionsrecht für das Prozessrecht: Brinkmann, ZZP 129 (2016), 461; Jaeckel, Die Reichweite der lex fori im internationalen Zivilprozessrecht, S. 146 ff.; Schütze, Deutsches Internationales Zivilprozessrecht, Kap. I Rn. 51–56; Schack, IZVR, Rn. 44–50. 55 Siehe Kapitel 8 A.I.3. (S. 335). 56 Siehe Kapitel 6 D.III.1. (S. 280). 57 Die Abgrenzung zwischen Verweisungen auf nationales Recht und autonom bestimmten normativen Tatbestandsmerkmalen, bei denen nationales Recht für die Subsumtion relevant wird, kann im Einzelfall schwierig sein. Nach dem hier angelegten Verständnis handelt es sich nicht um eine Verweisung, sofern die Kriterien selbst abschließend auf der Ebene des HAVÜ festgelegt werden. 53
C. Ermittlung ausländischen Rechts
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dingliches Recht, wenn es erga omnes wirkt. Die Subsumtion unter diese autonome Definition ist aber ohne Blick in das nationale Recht des Belegenheitsorts nicht möglich.58 Nur nationales Recht kann dem Rechtsanwender sagen, ob das jeweilige Recht erga omnes oder nur inter partes wirkt. Ähnlich verhält es sich auch bei der Subsumtion unter den Begriff der Ziviloder Handelssache. Um festzustellen, ob einer Entscheidung eine Rechtsbeziehung zugrunde liegt, in der keine der beteiligten Parteien staatliche Hoheitsgewalt ausübt,59 wird man das nationale Recht heranziehen müssen.60 Denn nur so lässt sich in Zweifelsfällen ermitteln, ob Befugnisse in Anspruch genommen wurden, die von den allgemein zwischen Privatpersonen geltenden Regeln abweichen. Eine Einschränkung des Grundsatzes der autonomen Auslegung ist damit nicht verbunden, denn die eigentliche Bestimmung dieser „normativen Tatbestandsmerkmale“ erfolgt autonom.61
C. Ermittlung ausländischen Rechts Am wenigsten Probleme wirft die Verweisung auf nationales Recht insofern auf als auf das Recht des ersuchten Staates, also auf die lex fori, verwiesen wird. Die mit der Ermittlung ausländischen Rechts einhergehenden Schwierigkeiten stellen sich dann – vorbehaltlich einer anderweitigen Verweisung durch das Kollisionsrecht des Forums – für das angerufene Gericht nicht. Soweit das um Anerkennung oder Vollstreckung ersuchte Gericht fremdes Recht, also das des Ursprungsstaats oder eines anderen Staats, zu prüfen hat, bestimmen sich die damit verbundenen verfahrensrechtlichen Fragen gemäß Art. 13 Abs. 1 S. 1 HAVÜ nach der lex fori. Die verfahrensrechtlichen Regelungen zur Ermittlung und Anwendung fremden Rechts unterscheiden sich oftmals ganz erheblich.62 Würde die Anerkennung oder Vollstreckung einer Entscheidung unter dem Übereinkommen in Deutschland begehrt, gilt § 293 ZPO und der Richter ermittelt das ausländische Recht von Amts wegen.63 In anderen Rechtsordnungen
58
Kapitel 5 B.V.3.g)bb) (S. 238). Kapitel 4 A.I. (S. 121). 60 Vgl. Lund, IPRax 2014, 140 (144) (zu Art. 1 Abs. 1 Brüssel I-VO). 61 Entsprechend für die Brüssel I-VO: Lund, IPRax 2014, 140 (144). 62 Für einen rechtsvergleichenden Überblick siehe: Esplugues/Palao, in: Basedow/Rühl/ Ferrari/de Miguel Asensio, EPrIL, Bd. 1, Eintrag „Foreign law, application and ascertainment“, S. 769 ff.; Jänterä-Jareborg, Recueil des Cours, Bd. 304, S. 181 (272 ff.); Nagel/ Gottwald, IZPR, Rn. 11.69 ff.; Nishitani, Treatment of Foreign Law – General Report, S. 3 (21 ff.) sowie die einzelnen Länderberichte. 63 Vgl. BGH 18.3.2020 – IV ZR 62/19, NJW-RR 2020, 802 (804 f.); BGH 9.2.2017 – V ZB 166/15, NZG 2017, 546 (547); Bach/Gruber, in: Esplugues/Iglesias/Palao, S. 101 ff.; Huber, in: Musielak/Voit, ZPO, § 293 Rn. 6, 8; Prütting, in: MüKo-ZPO, § 293 Rn. 47. 59
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Kapitel 8: Verweise und Bezugnahmen auf nationales Recht
wird fremdes Recht zum Teil als Tatsachenfrage behandelt und ist von der Partei zu beweisen, die sich darauf beruft. Dies ist beispielsweise der Ansatz des englischen Rechts.64
D. Fazit Anerkennungs- und Vollstreckungsübereinkommen (wie wir sie bisher kennen) sind keine autonomen Systeme in dem Sinne, dass sie ohne Bezugnahmen auf nationales Recht auskommen würden. Das gilt vor allem für verfahrensrechtliche Fragen, die regelmäßig dem nationalen Recht überlassen werden (z.B. Vollstreckbarerklärungsverfahren, Verfahren zur Versagung der Anerkennung und das Zwangsvollstreckungsverfahren).65 Aber auch bei den Anerkennungsvoraussetzungen und -versagungsgründen wird teilweise auf nationales Recht verwiesen. Das gilt für das UNÜ,66 das HGÜ,67 die Brüssel Ia-VO68 ebenso wie für das HAVÜ. Wie häufig und in welchem Umfang nationales Recht im Rahmen der Anwendung des HAVÜ zu ermitteln und prüfen ist, ist relevant zur Beurteilung des Grades der erreichten Vereinheitlichung und zur Abschätzung der Dauer und Komplexität der Verfahren. Umso häufiger das ersuchte Gericht eine kollisionsrechtliche Prüfung vornehmen und ausländisches Recht anwenden muss, umso schwieriger gestaltet sich die praktische Handhabung des Übereinkommens. Die Ermittlung fremden Rechts kann zu zusätzlichen Kosten und einer längeren Verfahrensdauer führen.69 Zudem wird die Vorhersehbarkeit und Rechtssicherheit gefährdet, da die Ermittlung und Anwendung ausländischen Rechts häufig schwierig und fehleranfällig sind.70 Die Parteien sollten im Idealfall ex ante in der Lage sein ohne großen Aufwand und mit einem hohen Grad an Sicherheit zu ermitteln, ob eine vertragsstaatliche 64 Bumper Development Corporation v Commissioner of Police of the Metropolis and others [1991] 1 WLR 1362 (1368); Dicey, Morris & Collins, The Conflict of Laws, Rn. 9002 ff.; Crawford/Carruthers, in: Esplugues/Iglesias/Palao, S. 391 ff.; Trautmann, ZEuP 2006, 283 (286, 290 ff.). 65 Vgl. z.B. Art. III S. 1 UNÜ, Art. 14 S. 1 HGÜ, Art. 41 Abs. 1, 47 Abs. 2 Brüssel IaVO. 66 Ausdrücklich z.B. in Art. V Abs. 1 lit. a und d, Abs. 2 lit. a und b UNÜ. 67 Vgl. z.B. Art. 8 Abs. 3, Art. 9 lit. a, b, c, e, g HGÜ. 68 Vgl. z.B. Art. 39 (dazu Gottwald, in: MüKo-ZPO, Art. 39 Brüssel Ia-VO Rn. 4: „Eine einheitliche ‚europäische‘ Vollstreckbarkeit ist nicht eingeführt worden“); Art. 45 Abs. 1 lit. a, d sowie Art. 45 Abs. 1 lit. e i) i.V.m. Art. 62 (z.B. für den Wohnsitz im Rahmen von Art. 18 Abs. 2); ferner Art. 45 Abs. 1 lit. e ii) i.V.m. Art. 24 Nr. 2 (Sitzbestimmung nach Kollisionsrecht). 69 Hübner, Ausländisches Recht vor deutschen Gerichten, S. 30 f. 70 Vgl. Briggs, The Conflict of Laws, S. 9 f.; Gruber, Methoden des internationalen Einheitsrechts, S. 32 ff.; Hübner, Ausländisches Recht vor deutschen Gerichten, S. 22 ff.; Jänterä-Jareborg, Recueil des Cours, Bd. 304, S. 181 (312 f.).
D. Fazit
345
Entscheidung unter dem HAVÜ zirkulieren wird. Diese Prognose fällt naturgemäß schwerer, wenn man dabei eine Vielzahl nationaler Rechtsordnungen potenzieller künftiger Vollstreckungsstaaten im Auge haben muss. Andererseits gibt es, wie gesehen, oftmals auch gute Gründe für eine Bezugnahme auf nationales Recht. Trotz der dargestellten Fälle und Konstellationen, in denen nationales Recht zu prüfen ist, dürfte die Frage des „Ob“ der Anerkennung oder Vollstreckung in der Praxis künftig regelmäßig ohne umfangreiche Prüfung nationalen Rechts zu beantworten sein. Für viele der indirekten Zuständigkeitsgründe des HAVÜ ist nationales Recht für die Prüfung entweder schon grundsätzlich nicht oder nur in Ausnahmefällen (z.B. Rechtsnachfolge) relevant. Die den Status der Entscheidung im Ursprungsstaat betreffenden Voraussetzungen dürften sich regelmäßig durch die Vorlage der entsprechenden Dokumente klären lassen (Art. 12 Abs. 1 lit. c HAVÜ). Insoweit kommt auch dem Musterformblatt eine besondere Bedeutung zu. Andere Vorschriften, im Rahmen derer das nationale Recht relevant wird, setzen hohe Voraussetzungen, so dass sie – jedenfalls der Theorie nach – seltener relevant werden dürften (z.B. der ordre public-Vorbehalt in Art. 7 Abs. 1 lit. c HAVÜ oder die „offensichtliche“ Aussichtslosigkeit der Zuständigkeitsrüge in Art. 5 Abs. 1 lit. f HAVÜ). Gleichwohl ist festzuhalten, dass das HAVÜ aus verschiedenen Gründen eine Reihe von Verweisungen und Bezugnahmen auf nationales Recht enthält, die im Einzelfall relevant werden und im Verfahren vor dem ersuchten Gericht Schwierigkeiten bereiten können, insbesondere wenn sie zur Anwendbarkeit eines fremden Rechts führen. Allen voran könnte Art. 8 Abs. 2 HAVÜ in der Praxis zu Problemen führen und fragwürdige Prozesstaktiken begünstigen. Wer als Beklagter eine Vollstreckung verhindern oder verzögern will, wird womöglich versuchen, im Ursprungsverfahren ein Verteidigungsmittel zu „konstruieren“, das eine der nach Art. 2 Abs. 1 HAVÜ ausgeschlossenen Materien betrifft, um sich später vor dem ersuchten Gericht auf Art. 8 Abs. 2 HAVÜ zu berufen und so zumindest umfangreiche Prüfungen auszulösen.71 Soweit das ersuchte Gericht fremdes Recht zu prüfen hat, wird die praktische Wirksamkeit und Effektivität des HAVÜ auch davon abhängen, wie sich das Verfahren der Ermittlung fremden Rechts nach dem Recht des ersuchten Staates gestaltet. Insofern ist die Diskussion über eine mögliche Stärkung und Modernisierung der internationalen Zusammenarbeit über den Zugang zu ausländischem Recht72 auch für das HAVÜ von Relevanz.
71
Siehe Kapitel 6 D.VIII.3. (S. 307). Siehe dazu Lortie/Groff, FS van Loon, S. 325; vgl. auch Stürner, ZVglRWiss 117 (2018), 1 (10 ff.). 72
Kapitel 9
Rechtsvergleichende Perspektive A. Einleitung In diesem Kapitel wird das HAVÜ rechtsvergleichend aus der Perspektive des deutschen und des englischen Rechts betrachtet. Wie die vorangegangenen Kapitel angedeutet haben, stellt sich im Rahmen der internationalen Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Entscheidungen eine Vielzahl von Einzelfragen. Diese Arbeit wagt nicht den Versuch einer umfassenden Gegenüberstellung des HAVÜ mit dem deutschen und englischen Recht der Urteilsanerkennung. Vielmehr werden lediglich einzelne Aspekte herausgegriffen und dazu untersucht, welche Lösungsansätze die jeweiligen Regelungssysteme bereithalten. In diesem Rahmen werden einige der zentralen Unterschiede zwischen dem HAVÜ und der Urteilanerkennung nach deutschem und englischem Recht aufgezeigt. Für den Vergleich des HAVÜ mit den Regelungen des deutschen und englischen autonomen Rechts sind einige grundlegende Eigenschaften des HAVÜ in Erinnerung zu rufen. Zunächst tritt das HAVÜ nicht an die Stelle des nationalen Rechts, sondern will lediglich einen Mindeststandard schaffen, lässt aber im Übrigen auch eine Anerkennung oder Vollstreckung nach nationalem Recht zu (vgl. Art. 15 HAVÜ).1 Ferner ist zu berücksichtigen, dass das HAVÜ für eine ganze Reihe von Fragen keine abschließenden Antworten bereithält, sondern den künftigen Vertragsstaaten Spielräume eröffnet. Dies gilt insbesondere im Hinblick auf die Versagungsgründe und ihre Geltendmachung2 sowie für die verfahrensrechtliche Gestaltung der Anerkennung und Vollstreckung.3 Zudem können Reichweite und Funktionsweise des HAVÜ in bestimmten Grenzen durch von Staaten abzugebende Erklärungen beeinflusst werden.4 Und schließlich sollte bedacht werden, dass die rechtswissenschaftliche Betrachtung des HAVÜ an ihrem Anfang steht. Das Übereinkommen ist noch nicht in Kraft getreten und viele Fragen werden sich erst über einen längeren Zeitraum
1
Siehe Kapitel 3 D. (S. 99). Siehe Kapitel 6 A. (S. 269) und B. (S. 273). 3 Siehe Kapitel 4 G.III.1. (S. 179). 4 Siehe Kapitel 3 G. (S. 115). 2
A. Einleitung
347
im Dialog der vertragsstaatlichen Gerichte klären lassen.5 Das HAVÜ befindet sich folglich auf einem völlig anderen Entwicklungsstand als das autonome Anerkennungs- und Vollstreckungsrecht in England und Deutschland. Für die Zwecke dieses Kapitels dienen das autonome deutsche und englische Recht der internationalen Anerkennung und Vollstreckung als Vergleichsgegenstand. Dabei bleiben aus den in der Einleitung genannten Gründen6 das europäische Recht sowie bestehende völkerrechtliche Verträge und deren Umsetzungsakte grundsätzlich unberücksichtigt. Im deutschen Recht liegt der Fokus daher auf den §§ 328, 722, 723 ZPO, im englischen Recht auf den richterrechtlichen Regeln des Common Law, die teilweise durch einzelne gesetzliche Bestimmungen modifiziert werden (insbesondere durch Sec. 32–34 des Civil Jurisdiction and Judgments Act 1982 (CJJA 1982)). Die hier behandelten Regeln des Common Law gelten im englischen Recht grundsätzlich im Verhältnis zu all jenen Staaten bzw. in all jenen Fällen, in denen kein sonstiges Instrument oder gesetzliches Regime Anwendung findet. Die Regeln des Common Law finden damit insbesondere im Verhältnis zu den USA und zahlreichen afrikanischen, asiatischen, europäischen sowie mittel- und südamerikanischen Staaten Anwendung.7 Im Verhältnis zu vielen Commonwealth-Staaten haben die richterrechtlichen Regeln des Common Law hingegen nur eine eingeschränkte Relevanz. Denn insoweit greifen mit Part II des Administration of Justice Act 1920 (AJA 1920) und mit dem Foreign Judgments (Reciprocal Enforcement) Act 1933 (FJA 1933) weitgehend gesetzliche Regelungen ein.8 Der AJA 1920 gilt heute für die Registrierung von Zahlungsurteilen höherer Gerichte (superior courts) zahlreicher Commonwealth-Staaten, darunter zum Beispiel Ghana, Jamaika, Kenia, Malaysia, Neuseeland, Nigeria, Simbabwe und Singapur.9 Die Frage der Anerkennung wird durch den AJA 1920 nicht geregelt, so dass es insoweit bei der Anwendbarkeit des Common Law bleibt.10 Zudem ist der Rückgriff auf den AJA 1920 optional. Dem Titelgläubiger steht es grundsätzlich frei, ob er eine Registrierung der ausländischen Entscheidung 5 Zur gebotenen Berücksichtigung ausländischer Rechtsprechung bei der Auslegung des HAVÜ siehe Kapitel 2 B.V. (S. 78). 6 Siehe Einleitung B. (S. 6). 7 Laugwitz, Anerkennung, S. 75; Monestier, Dalhousie L.J. 28 (2005), 163 (165 f.); Peiffer, Schutz gegen Klagen im forum derogatum, S. 376. 8 Die Common Law-Regeln unterscheiden sich im Hinblick auf Voraussetzungen und Versagungsgründe jedoch nur geringfügig von den Vorschriften des AJA 1920 und des FJA 1933, vgl. Briggs, Civil Jurisdiction and Judgments, Rn. 7.85; Hill/Ní Shúilleabháin, Clarkson & Hill's Conflict of Laws, Rn. 3.81; Laugwitz, Anerkennung, S. 384, 394. 9 Vgl. The Reciprocal Enforcement of Judgments (Administration of Justice Act 1920, Part II) (Consolidation) Order 1984 (SI 1984/129), geändert durch SI 1985/1994, SI 1994/1901 und SI 1997/2601. 10 Briggs, Civil Jurisdiction and Judgments, Rn. 7.86; Dicey, Morris & Collins, The Conflict of Laws, Rn. 14-180; Hill/Chong, International Commercial Disputes, Rn. 12.6.3; Hill/Ní Shúilleabháin, Clarkson & Hill's Conflict of Laws, Rn. 3.83.
348
Kapitel 9: Rechtsvergleichende Perspektive
unter dem AJA 1920 beantragt oder nach dem Common Law, gestützt auf die fremde Entscheidung klagt (action on the foreign judgment).11 Diese Möglichkeit wird von der Kostenvorschrift des Sec. 9(5) AJA 1920 vorausgesetzt.12 Der FJA 1933 gilt für die Anerkennung und Vollstreckung von Urteilen aus verschiedenen Commonwealth-Staaten: Australien,13 Guernesy,14 Indien,15 der Isle of Man,16 Jersey,17 Kanada (außer Quebec),18 Pakistan,19 und Tonga20. Darüber hinaus wurde der Geltungsbereich des FJA 1933 auf eine Reihe von Staaten außerhalb des Commonwealth erweitert: Belgien,21 Deutschland,22 Frankreich,23 Israel,24 Italien,25 die Niederlande,26 Norwegen,27 Österreich28 und Suriname29.30 Im Verhältnis zu Belgien, Deutschland, Frankreich, Italien, den Niederlanden und Österreich verdrängte bisher die Brüssel Ia-VO nahezu umfassend den FJA 1933.31 Dasselbe galt im Verhältnis zu Norwegen aufgrund des LugÜ 2007.32 Der FJA 1933 enthält Vorschriften zur Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidung aus den besagten Staaten, allerdings nur soweit diese von recognised courts getroffen wurden. Wie im Rahmen des AJA 11 Yukon Consolidated Gold Corporation Ltd v Clark [1938] 2 KB 241; Briggs, Civil Jurisdiction and Judgments, Rn. 7.89; Dicey, Morris & Collins, The Conflict of Laws, Rn. 14-179; Hill/Chong, International Commercial Disputes, Rn. 12.6.3; Hill/Ní Shúilleabháin, Clarkson & Hill's Conflict of Laws, Rn. 3.83; Cheshire, North & Fawcett, Private International Law, S. 592. 12 Vgl. Laugwitz, Anerkennung, S. 392. 13 SI 1994/1901. 14 SI 1973/610. 15 SI 1958/425. 16 SI 1973/611. 17 SI 1973/612. 18 SI 1987/468, SI 1987/2211, SI 1988/1304, SI 1988/1853, SI 1989/987, SI 1991/1724, SI 1992/1731, SI 1995/2708. 19 SI 1958/141. 20 SI 1980/1523. 21 SI 1936/1169. 22 SI 1961/1199. 23 SI 1936/609. 24 SI 1971/1039, geändert durch SI 2003/2618. 25 SI 1973/1894. 26 SI 1969/1063, geändert durch SI 1977/2149. 27 SI 1962/636. 28 SI 1962/1339. 29 SI 1981/735. 30 Dicey, Morris & Collins, The Conflict of Laws, Rn. 14-184; Cheshire, North & Fawcett, Private International Law, S. 593. 31 Briggs, Private International Law, Rn. 6.129; Dicey, Morris & Collins, The Conflict of Laws, Rn. 14-184. 32 Briggs, Private International Law, Rn. 6.129; Dicey, Morris & Collins, The Conflict of Laws, Rn. 14-184.
B. Gegenstand der Anerkennung oder Vollstreckung
349
1920 ist also die Anwendbarkeit auf bestimmte Gerichte begrenzt. Die Entscheidungen sonstiger Gerichte dieser Staaten unterfallen den richterrechtlichen Regeln des Common Law.33 Nach Ablauf der im Austrittsabkommen mit der Europäischen Union vorgesehenen Übergangsfrist gelten seit dem 1. Januar 202134 die hier im Fokus stehenden Regeln des Common Law in England und Wales auch im Verhältnis zu einer Vielzahl europäischer Staaten, in deren Verhältnis bisher die Brüssel Ia-VO anwendbar war (soweit der FJA 1933 nicht vorgeht35).36 Dasselbe gilt für Urteile aus der Schweiz, Norwegen und Island, auf die bislang das LugÜ 2007 Anwendung fand.
B. Gegenstand der Anerkennung oder Vollstreckung I. Zivil- oder Handelssachen Im Hinblick auf den Gegenstand der Anerkennung oder Vollstreckung ergeben sich einige bedeutsame Unterschiede zwischen dem HAVÜ einerseits und dem englischen bzw. deutschen Recht andererseits. Wie Art. 1 Abs. 1 S. 1 HAVÜ gehen allerdings auch das deutsche und das englische autonome Recht grundsätzlich von einer Begrenzung auf zivil- oder handelsrechtliche Gerichtsentscheidungen aus.37 Abgestellt wird dabei jeweils auf die Natur der 33
Vgl. Dicey, Morris & Collins, The Conflict of Laws, Rn. 14-186 Fn 708. Vgl. aber die Übergangsregelung in Art. 67 Abs. 2 des Austrittsabkommens, dazu: Wagner, IPRax 2021, 2 (5 ff.). 35 Sec. 6 FJA 1933 ordnet den Vorrang gegenüber einer action on the foreign judgment unter dem Common Law an (vgl. auch Eurofinance v Rubin [2013] 1 A.C. 236 (285)). In der Literatur ist allerdings umstritten, ob die bilateralen Staatsverträge mit EU-Mitgliedsstaaten, die der Anwendbarkeit des FJA 1933 zugrunde liegen, nach dem Austritt des Vereinigten Königreichs wieder anwendbar sein werden (dagegen: Rühl, JZ 2017, 72 (80 f.); dafür: Hess, IPRax 2016, 409 (413 f.) Mankowski, EuZW-Sonderausgabe 1/2020, 3 (10 f.)). Denkbar ist jedoch, dass englische Gerichte den FJA 1933 unabhängig davon im Verhältnis zu Belgien, Deutschland, Frankreich, Italien, den Niederlanden und Österreich schlichtweg aufgrund der gesetzlichen Vorschriften anwenden werden (vgl. Sonnentag, Brexit, S. 93 Fn. 95). 36 Vgl. Mankowski, EuZW-Sonderausgabe 1/2020, 3 (11); Mayer/Manz, BB 2021, 451 (453); Rühl, JZ 2017, 72 (80 f.); Sonnentag, Brexit, S. 99 f. Ob das EuGVÜ oder das LUgÜ 1988 „aufleben“ würden, ist zwar umstritten, wird aber (wohl) überwiegend abgelehnt, vgl. Hess, IPRax 2016, 409 (413 ff.); Sonnentag, Brexit, S. 80 ff.; Wagner, IPRax 2021, 2 (7 f.); a.A. für das EuGVÜ Ungerer, in: Kramme/Baldus/Schmidt-Kessel, Brexit, S. 605 (609 f.) m.w.N. Es ist jedenfalls unwahrscheinlich, dass englische Gerichte das EuGVÜ oder das LUgÜ 1988 anwenden werden, vgl. Mankowski, EuZW-Sonderausgabe 1/2020, 3 (10). 37 Für das deutsche Recht: Bach, in: BeckOK-ZPO, § 328 Rn. 6; Geimer, IZPR, Rn. 2867; Geimer, in: Zöller, ZPO, § 328 Rn. 80; Gottwald, in: MüKo-ZPO, § 328 Rn. 60; Laugwitz, Anerkennung, S. 38; Martiny, in: Hdb. IZVR III/1, Rn. 500; Nagel/Gottwald, IZPR, Rn. 12.162; Roth, in: Stein/Jonas, § 328 Rn. 60; Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, 34
350
Kapitel 9: Rechtsvergleichende Perspektive
Entscheidung bzw. den Streitgegenstand, nicht hingegen auf die Natur des Gerichts.38 Im englischen und deutschen Anerkennungsrecht erfolgt die Abgrenzung zum öffentlichen Recht nach der lex fori des Anerkennungsstaats,39 so dass sich zum autonomen Ansatz des HAVÜ in Randbereichen Unterschiede ergeben könnten. Grundsätzlich ist der sachliche Anwendungsbereich des deutschen und englischen Anerkennungsrechts sehr viel weiter als der des HAVÜ, da es in den nationalen Anerkennungsregimen keine direkte Entsprechung zum Katalog des Art. 2 Abs. 1 HAVÜ gibt. Den hinter den Bereichsausnahmen in Art. 2 Abs. 1 HAVÜ stehenden Erwägungen wird im Rahmen des deutschen und englischen Rechts gegebenenfalls mit anderen Mitteln Rechnung getragen (z.B. einer Anwendung des ordre publicVorbehalts). II. Entscheidungen in der Sache Eine grundsätzliche Gemeinsamkeit besteht darin, dass Gegenstand der Anerkennung oder Vollstreckung sowohl nach dem HAVÜ als auch nach deutschem und englischem Recht grundsätzlich nur Sachentscheidungen sein können. Das HAVÜ stellt dies in der Legaldefinition in Art. 3 Abs. 1 lit. b HAVÜ ausdrücklich klar.40 Im deutschen Recht ist eine entsprechende Beschränkung zwar nicht ausdrücklich normiert, nach allgemeiner Auffassung sind jedoch nur Sachentscheidungen bzw. Entscheidung „materieller Art“41 anerkennungsfähig.42 Demgegenüber können Prozessurteile oder sonstige prozessuale
§ 328 Rn. 6; für das englische Recht: Collier, in: Walter/Baumgartner, S. 137; Dicey, Morris & Collins, The Conflict of Laws, Rn. 14-022; Fentiman, International Commercial Litigation, Rn. 18.16; Laugwitz, Anerkennung, S. 81–83. 38 Für das HAVÜ siehe Kapitel 4 B.I. (S. 137); für das deutsche Recht: Bach, in: BeckOK-ZPO, § 328 Rn. 6; Geimer, IZPR, Rn. 2871; Gottwald, in: MüKo-ZPO, § 328 Rn. 60; Laugwitz, Anerkennung, S. 39 f.; Martiny, in: Hdb. IZVR III/1, Rn. 501, 523; Roth, in: Stein/Jonas, § 328 Rn. 60; für das englische Recht: vgl. Raulin v Fisher [1911] 2 KB 93; Laugwitz, Anerkennung, S. 82 f. 39 Für das deutsche Recht: Bach, in: BeckOK-ZPO, § 328 Rn. 8; Dörner, in: Saenger, ZPO, § 328 Rn. 17; Geimer, IZPR, Rn. 2867; Gottwald, in: MüKo-ZPO, § 328 Rn. 60; Laugwitz, Anerkennung, S. 39; Martiny, in: Hdb. IZVR III/1, Rn. 500; Netzer, in: Kindl/Meller-Hannich, ZPO, § 723 Rn. 20; a.A. Schütze, in: Wieczorek/Schütze, ZPO, § 328 Rn. 14 (Doppelqualifikation); für das englische Recht: United States of America v Inkley [1989] QB 255 (265); Laugwitz, Anerkennung, S. 83. 40 Siehe Kapitel 4 B.II. (S. 139). 41 Bach, in: BeckOK-ZPO, § 328 Rn. 1, 4. 42 Geimer, IZPR, Rn. 2788; Geimer, in: Zöller, ZPO, § 328 Rn. 39; Gottwald, in: MüKoZPO, § 328 Rn. 60; Kropholler, IPR, S. 662; Netzer, in: Kindl/Meller-Hannich, ZPO, § 723 Rn. 20 f.; Roth, in: Stein/Jonas, § 328 Rn. 55; Schütze, in: Wieczorek/Schütze, ZPO, § 328 Rn. 14; Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, § 328 Rn. 5.
B. Gegenstand der Anerkennung oder Vollstreckung
351
Entscheidungen nach deutschem Recht nicht anerkannt werden.43 Damit sind auch in Prozessurteilen getroffene Feststellungen zur Wirksamkeit einer Gerichtsstandsvereinbarung nicht anzuerkennen. Der Ansatz des EuGH in der Rechtssache Gothaer Allgemeine Versicherung AG u. a./Samskip GmbH,44 wonach eine die Klage als unzulässig abweisende mitgliedsstaatliche Entscheidung im Hinblick auf die Begründung (wirksame Gerichtsstandsvereinbarung zugunsten eines Drittstaates) Bindungswirkung entfaltet, dürfte nicht ohne Weiteres auf § 328 ZPO zu übertragen sein.45 Das englische Anerkennungsrecht ist ebenfalls auf Entscheidungen in der Sache (judgments on the merits) beschränkt.46 Der Begriff geht allerdings etwas weiter als der Begriff der Sachentscheidung in Art. 3 Abs. 1 lit. b HAVÜ und das entsprechende Konzept des deutschen Anerkennungsrechts. Eine Sachentscheidung wird nach englischem Recht zu rein verfahrensrechtlichen Entscheidungen abgegrenzt.47 Eine Entscheidung on the merits setzt voraus, dass bestimmte Tatschen festgestellt, die relevanten Rechtsregeln dargelegt und Schlussfolgerungen der Anwendung des Rechts auf den Sachverhalt gezogen werden.48 So sah das House of Lords eine niederländische Entscheidung, durch die sich das Gericht aufgrund einer Gerichtsstandsvereinbarung für unzuständig erklärt hatte, als Entscheidung on the merits an.49 In Desert Sun Loan Corporation v Hill wurde zudem – unter bestimmten Voraussetzungen – auch die
43 Dörner, in: Saenger, ZPO, § 328 Rn. 15; Geimer, IZPR, Rn. 2788; Geimer, in: Zöller, ZPO, § 328 Rn. 39; Gottwald, in: MüKo-ZPO, § 328 Rn. 61; Schütze, in: Wieczorek/Schütze, ZPO, § 328 Rn. 14; Siebel, Anerkennung und Vollstreckung, S. 132; Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, § 328 Rn. 5. 44 EuGH 15.11.2012 – C-456/11, ECLI:EU:C:2012:719 – Gothaer Allgemeine Versicherung AG u. a./Samskip GmbH; zur Kritik: Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, Art. 36 EuGVVO Rn. 2a m.w.N. 45 In diesem Sinne aber offenbar Bach, in: BeckOK-ZPO, § 328 Rn. 4; gegen eine Übertragung auf das deutsche Recht (wie hier): Gottwald, in: MüKo-ZPO, § 328 Rn. 61. 46 DSV Silo- und Verwaltungsgesellschaft Mbh v Owners of The Sennar and 13 other ships [1985] 1 WLR 490; Barnett, Res Judicata, Estoppel and Foreign Judgments, Rn. 2.42; Briggs, Civil Jurisdiction and Judgments, Rn. 7.66; Laugwitz, Anerkennung, S. 89. 47 DSV Silo- und Verwaltungsgesellschaft Mbh v Owners of The Sennar and 13 other ships [1985] 1 WLR 490 (499); vgl. auch Barnett, Res Judicata, Estoppel and Foreign Judgments, Rn. 2.45. 48 DSV Silo- und Verwaltungsgesellschaft Mbh v Owners of The Sennar and 13 other ships [1985] 1 WLR 490 (499): „Looking at the matter negatively a decision on procedure alone is not a decision on the merits. Looking at the matter positively a decision on the merits is a decision which establishes certain facts as proved or not in dispute; states what are the relevant principles of law applicable to such facts; and expresses a conclusion with regard to the effect of applying those principles to the factual situation concerned.“ 49 DSV Silo- und Verwaltungsgesellschaft Mbh v Owners of The Sennar and 13 other ships [1985] 1 WLR 490.
352
Kapitel 9: Rechtsvergleichende Perspektive
Anerkennung einer einstweiligen, eine prozessuale Frage betreffenden Entscheidung für möglich gehalten.50 Der Begriff der Sachentscheidung ist nach englischem Recht daher nicht streng auf Fälle beschränkt, in denen über das Bestehen oder Nichtbestehen des materiellen Klageanspruchs entschieden worden ist.51 Im Unterschied zum englischen Recht werden Prozessurteile vom Begriff der Sachentscheidung in Art. 3 Abs. 1 lit. b HAVÜ generell nicht erfasst. Vielmehr ist der gegenständliche Anwendungsbereich des HAVÜ, entsprechend dem Ansatz des deutschen Anerkennungsrechts, auf Entscheidungen über das Bestehen oder Nichtbestehen der materiellen Rechtsposition beschränkt.52 III. Finalität der Entscheidung Das HAVÜ setzt ebenso wie das deutsche und das englische Recht einen gewissen Grad der Finalität der ausländischen Entscheidung voraus. Einstweilige Maßnahmen sind grundsätzlich nach keinem der drei Systeme anerkennungsfähig oder vollstreckbar.53 Im deutschen Recht ist gemäß § 723 Abs. 2 S. 1 ZPO ein Vollstreckungsurteil erst zu erlassen, wenn das fremde Urteil nach dem Recht des Ursprungsstaats formell rechtskräftig ist, also nicht mehr mit ordentlichen Rechtsmitteln angefochten werden kann.54 Die bloße Vollstreckbarkeit genügt nicht.55 Nach verbreiteter Auffassung setzt auch die Anerkennung gemäß § 328 ZPO die formelle Rechtskraft der Entscheidung voraus.56
50
Desert Sun Loan Corp v Hill [1996] 2 All ER. Ebenso Hill/Chong, International Commercial Disputes, Rn. 12.3.13; Laugwitz, Anerkennung, S. 90. 52 Siehe Kapitel 4 B.II. (S. 139). 53 Für das HAVÜ siehe Kapitel 4 B.VII. (S. 149); für das deutsche Recht: Bach, in: BeckOK-ZPO, § 328 Rn. 3; Geimer, IZPR, Rn. 2857; Gottwald, ZZP 103 (1990), 257 (266); Nagel/Gottwald, IZPR, Rn. 12.158 und Rn. 15.235; Schack, IZVR, Rn. 974; Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, § 328 Rn. 5; a.A. Völzmann-Stickelbrock, in: Prütting/Gehrlein, ZPO, § 328 Rn. 3; für das englische Recht: Briggs, Private International Law, Rn. 6.176; Hill/Chong, International Commercial Disputes, Rn. 12.2.25 f.; North, IPRax 2020, 202 (203). 54 Vgl. BGH 29.4.1999 – IX ZR 263/97, BGHZ 141, 286 (294) = NJW 1999, 3198 (3200); Bach, Vollstreckung, S. 15 f. 55 Bach, in: BeckOK-ZPO, § 723 Rn. 5; Geimer, IZPR, Rn. 3116. 56 BayObLG NJW-RR 1990, 842 (843); von Bar/Mankowski, IPR I § 5 Rn. 112; Decker, Anerkennung, S. 252; Laugwitz, Anerkennung, S. 43 f.; Martiny, in: Hdb. IZVR III/1, Rn. 487 f.; Roth, in: Stein/Jonas, § 328 Rn. 65; Schack, IZVR, Rn. 970; Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, § 328 Rn. 5; a.A. Dörner, in: Saenger, ZPO, § 328 Rn. 18; Geimer, IZPR, Rn. 2856; Hüßtege, in: Thomas/Putzo, ZPO, § 328 Rn. 1; Junker, IZPR, § 32 Rn. 8; Schütze, in: Wieczorek/Schütze, ZPO, § 328 Rn. 28; offengelassen von BGH 16.5.2019 – V ZB 101/18, NJW 2019, 3575 (3578). 51
B. Gegenstand der Anerkennung oder Vollstreckung
353
Das englische Recht ist deutlich großzügiger.57 Nach dem Common Law setzt die Anerkennung oder Vollstreckung einer fremden Entscheidung voraus, dass die Entscheidung final and conclusive ist.58 Erforderlich ist, dass ihr nach dem Recht des Ursprungsstaats res judicata-Wirkung zukommt.59 Solange das Ursprungsgericht in derselben Instanz die Entscheidung noch selbst abändern könnte, ist die Entscheidung grundsätzlich60 nicht final and conclusive und wird daher nicht anerkannt.61 Auf die formelle Rechtskraft kommt es hingegen nicht an.62 Dass gegen die Entscheidung im Ursprungsstaat noch Rechtsmittel eingelegt werden können oder sogar anhängig sind,63 steht einer Anerkennung oder Vollstreckung nach dem Common Law daher prinzipiell nicht entgegen.64 Allerdings sind in einem solchen Fall die Interessen des Schuldners zu schützen65 (z.B. durch Verfahrensaussetzung).66 Art. 4 Abs. 3 und Abs. 4 HAVÜ lassen den Vertragsstaaten einen Spielraum, welche Maßstäbe hinsichtlich der Finalität der ausländischen Entscheidung anzulegen sind.67 Letztlich besteht eine völkerrechtliche Verpflichtung zur Anerkennung oder Vollstreckung nur, wenn ein ordentlicher Rechtsbehelf 57
Vgl. Thole, in: Hess, Anerkennung im IZPR, S. 25 (32). Dicey, Morris & Collins, The Conflict of Laws, Rn. 14-023. 59 Vgl. Carl Zeiss Stiftung v Rayner & Keeler [1967] 1 AC 853 (918 f.); Barnett, Res Judicata, Estoppel and Foreign Judgments, Rn. 2.40 f.; Dicey, Morris & Collins, The Conflict of Laws, Rn. 14-023. 60 Für Besonderheiten bei Versäumnisurteilen vgl. Briggs, Civil Jurisdiction and Judgments, Rn. 7.66; Dicey, Morris & Collins, The Conflict of Laws, Rn. 14-023. 61 Nouvion v Freeman (1889) 15 App. Cas. 1; Briggs, Civil Jurisdiction and Judgments, Rn. 7.66; Cheshire, North & Fawcett, Private International Law, S. 548; Dicey, Morris & Collins, The Conflict of Laws, Rn. 14-023; Hill/Chong, International Commercial Disputes, Rn. 12.2.25. 62 Bach, Vollstreckung, S. 66; Gottwald, ZZP 103 (1990), 257 (265); Laugwitz, Anerkennung, S. 87. 63 Selbst die Aufhebung des Urteils im Ursprungsstaat steht einer Anerkennung oder Vollstreckung nicht entgegen, wenn die das Urteil aufhebende Entscheidung ihrerseits wegen eines ordre public-Verstoßes nicht anerkannt wird, vgl. Merchant International Co Ltd v Natsionalna Aktsionerna Kompaniia Naftogaz Ukrainy [2012] EWCACiv 196, [2012] 1 WLR 3036; Dicey, Morris & Collins, The Conflict of Laws, Rn. 14-027. 64 Colt Industries Inc. v Sarlie (No. 2) [1966] 1 WLR. 1287 (1291); Nouvion v Freeman (1889) 15 App. Cas. 1; Barnett, Res Judicata, Estoppel and Foreign Judgments, Rn. 2.37; Cheshire, North & Fawcett, Private International Law, S. 550; Dicey, Morris & Collins, The Conflict of Laws, Rn. 14-026; Hill/Chong, International Commercial Disputes, Rn. 12.2.27; McClean/Ruiz Abou-Nigm, Morris: The Conflict of Laws, Rn. 10-030; Laugwitz, Anerkennung, S. 87. 65 Nouvion v Freeman (1889) 15 App. Cas. 1 (13). 66 Cheshire, North & Fawcett, Private International Law, S. 550; Dicey, Morris & Collins, The Conflict of Laws, Rn. 14-026; Hill/Chong, International Commercial Disputes, Rn. 12.2.27; Laugwitz, Anerkennung, S. 87. 67 Siehe Kapitel 5 A.I. (S. 195) und II. (S. 197) sowie Kapitel 6 D.X. (S. 312). 58
354
Kapitel 9: Rechtsvergleichende Perspektive
im Ursprungsstaat nicht mehr möglich ist und die Entscheidung auch nicht (mehr) Gegenstand einer gerichtlichen Nachprüfung im Ursprungsstaat ist (vgl. Art. 4 Abs. 4 HAVÜ). Sowohl die Lösung des englischen als auch die Lösung des deutschen Rechts ist mit den Anforderungen des HAVÜ kompatibel und könnte bei dessen Anwendung unter Inanspruchnahme des von Art. 4 Abs. 4 HAVÜ eingeräumten Spielraums zugrunde gelegt werden. Grundsätzlich erscheint eine klare Regelung der Frage im Rahmen der Durchführungsgesetzgebung wünschenswert. Denn das Schweigen des Gesetzgebers kann mehrdeutig sein. So würde sich aus Sicht des deutschen Rechts die Frage stellen, ob auch im Rahmen des HAVÜ entsprechend dem Ansatz des autonomen Rechts die formelle Rechtskraft vorausgesetzt sein soll oder ob das den Vertragsstaaten gemäß Art. 4 Abs. 4 HAVÜ eingeräumte Ermessen den Gerichten übertragen wird. In der Sache erscheint es erwägenswert, eine Vollstreckbarerklärung auch vor dem Eintritt der formellen Rechtskraft zuzulassen, sofern der Schutz des Vollstreckungsschuldners (z.B. durch eine Sicherheitsleistung oder eine Beschränkung auf Sicherungsmaßnahmen) sichergestellt wird. Diese Lösung ist aus anderen Staatsverträgen68 und europäischem Recht69 bekannt und ließe sich aus deutscher Perspektive auch für Entscheidungen im Anwendungsbereich des HAVÜ umsetzen.70 IV. Nicht-Geldleistungsurteile Während die Vollstreckbarkeit von Nicht-Geldleistungsurteilen unter dem HAVÜ71 aus der Perspektive des deutschen Rechts keine Besonderheit darstellt, zeigt sich insoweit ein entscheidender Unterschied zum Ansatz des englischen Rechts. Im deutschen Recht wird hinsichtlich der Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Urteile nicht danach differenziert, ob das Urteil auf Leistung einer Summe in Geld gerichtet ist oder nicht. Soweit ein anerkennungsfähiges ausländisches Urteil einen vollstreckungsfähigen Inhalt hat, kann ihm durch Erlass eines Vollstreckungsurteils die Vollstreckbarkeit verliehen werden.72 Dies schließt Leistungs- und Unterlassungsurteile jeder Art ein (z.B. gerichtet
68 Vgl. Art. 46 LugÜ 2007. Siehe auch Schack, IZVR, Rn. 971; Gottwald, in: MüKoZPO, § 328 Rn. 75 f. 69 Vgl. Art. 44 Brüssel Ia-VO. 70 So existieren im AVAG bereits Regelungen für den Fall, dass die ausländische Entscheidung im Ursprungsstaat nachträglich aufgehoben wird (§§ 27–29 AVAG). 71 Siehe Kapitel 4 B.IV. (S. 142). 72 Bach, in: BeckOK-ZPO, § 722 Rn. 3.
B. Gegenstand der Anerkennung oder Vollstreckung
355
auf Herausgabe von Dokumenten, Vornahme oder Unterlassung bestimmter Handlungen oder die Abgabe einer Willenserklärung73).74 Im englischen Recht werden grundsätzlich nur ausländische Entscheidungen vollstreckt, die auf Zahlung einer bestimmten Geldsumme lauten (monetary judgments).75 Das ausländische Zahlungsurteil begründet nach der doctrine of obligation eine neue und eigenständige Verpflichtung des Titelschuldners zur Begleichung seiner Schuld.76 Auf die Erfüllung dieser Urteilsschuld kann der Titelgläubiger in England klagen (action on the foreign judgment),77 typischerweise in einem summarischen Verfahren.78 Die im Verfahren zu prüfenden Anerkennungsvoraussetzungen dienen zur Klärung der Frage, ob das fremde Gericht das Recht hatte, dem Beklagten die Zahlungsverpflichtung aufzuerlegen.79 Bei ausländischen Nicht-Geldleistungsurteilen kommt eine Klage „aus dem ausländischen Urteil“ hingegen nicht in Betracht.80 Dem Urteilsgläubiger bleibt nur die Möglichkeit, eine neue Klage gestützt auf den ursprünglichen Anspruch zu erheben.81 In diesem Rahmen kommt zwar eine inzidente Anerkennung des fremden Nicht-Geldleistungsurteils in Betracht.82 Damit ist aber nicht gesagt, dass das englische Gericht ebenfalls bereit ist, die entsprechende Anordnung (z.B. auf Vornahme einer bestimmten Handlung
73
Schack, IZVR, Rn. 1092; differenzierend: Geimer, IZPR, Rn. 3121 f. Vgl. Bach, in: BeckOK-ZPO, § 722 Rn. 6.1. 75 Dicey, Morris & Collins, The Conflict of Laws, Rn. 14-022; Briggs, Civil Jurisdiction and Judgments, Rn. 7.76; Fentiman, International Commercial Litigation, Rn. 18.12; Laugwitz, Anerkennung, S. 90–92; Pitel, JPIL 2007, 241 (255 f.). Auch der AJA 1920 und der FJA 1933 sind auf Zahlungsurteile beschränkt (vgl. Sec. 12(1) AJA 1920 und Sec. 11(1) FJA 1933). 76 Vgl. Blackburn J. in Schibsby v Westenholz (1870) LR 6 QB 155 (159): „We think that […] the true principle on which the judgments of foreign tribunals are enforced in England is […] that the judgment of a court of competent jurisdiction over the defendant imposes a duty or obligation on the defendant to pay the sum for which judgment is given, which the courts in this country are bound to enforce“; siehe auch Eurofinance v Rubin [2013] 1 A.C. 236; Briggs, Recueil des Cours, Bd. 354, S. 148; Bach, Vollstreckung, S. 65; Wiedemann, Vollstreckbarkeit, S. 39. 77 Letztlich unterliegt also nur das englische Urteil der Zwangsvollstreckung. Dadurch wird jedoch indirekt das ausländische Urteil vollstreckt, vgl. Briggs, The Conflict of Laws, S. 128. 78 Briggs, Civil Jurisdiction and Judgments, Rn. 7.76. 79 Beaumont/McEleavy, Anton's Private International Law, Rn. 9.07. 80 Dicey, Morris & Collins, The Conflict of Laws, Rn. 14-022; Briggs, The Conflict of Laws, S. 149; North, IPRax 2020, 202 (204). 81 Briggs, The Conflict of Laws, S. 149; North, IPRax 2020, 202 (204). 82 Dicey, Morris & Collins, The Conflict of Laws, Rn. 14-022; Briggs, Civil Jurisdiction and Judgments, Rn. 7.76; Briggs, The Conflict of Laws, S. 149 f. 74
356
Kapitel 9: Rechtsvergleichende Perspektive
oder Unterlassung) auszusprechen.83 Auch wenn man die Aussage, dass NichtGeldleistungsurteile nach englischem Common Law nicht vollstreckbar seien, vor diesem Hintergrund als unzutreffend ansehen mag,84 dürfte jedenfalls klar sein, dass das HAVÜ die Vollstreckung von Nicht-Geldleistungsurteilen ganz erheblich erleichtern würde.85 V. Gerichtliche Vergleiche Die in Art. 11 HAVÜ vorgesehene Vollstreckbarkeit gerichtlicher Vergleiche86 ist sowohl aus der Perspektive des deutschen als auch des englischen autonomen Rechts bemerkenswert. Das englische Prozessrecht kennt den Prozessvergleich nach kontinentaleuropäischem Vorbild nicht87 und auch die Vollstreckbarkeit ausländischer gerichtlicher Vergleiche ist (außerhalb von europäischem Recht und Staatsverträgen) nicht vorgesehen.88 Nach englischem autonomen Recht kommt eine Vollstreckbarkeit nur in Betracht, wenn die Einigung der Parteien ihren Niederschlag in einer gerichtlichen Entscheidung gefunden hat (z.B. in Form eines Anerkenntnisurteils oder eines consent judgment89).90 Prozessvergleiche, wie sie beispielsweise vor deutschen Zivilgerichten möglich sind, wären nach englischem Recht nicht vollstreckbar, wohl aber unter Art. 11 HAVÜ. Im deutschen autonomen Recht ist umstritten, ob ausländische Prozessvergleiche für vollstreckbar erklärt werden können. Die herrschende Auffassung lehnt dies ab,91 während andere Stimmen eine Vollstreckbarerklärung (meist in
83
Briggs, Civil Jurisdiction and Judgments, Rn. 7.76; vgl. auch Chong, JPIL 2020, 31
(59). 84
Vgl. Briggs, Civil Jurisdiction and Judgments, Rn. 7.76. Vgl. North, IPRax 2020, 202 (208). 86 Siehe insbesondere Kapitel 4 B.IX. (S. 154) und Kapitel 5 A.III. (S. 199) und B.IX. (S. 261). 87 Atteslander-Dürrenmatt, Prozessvergleich, S. 82, 196; Frische, Verfahrenswirkungen und Rechtskraft gerichtlicher Vergleiche, S. 38 ff.; Koch, FS Schumann, S. 267 (275). 88 Atteslander-Dürrenmatt, Prozessvergleich, S. 159 f. 89 Vgl. Dicey, Morris & Collins, The Conflict of Laws, Rn. 14-037. 90 Atteslander-Dürrenmatt, Prozessvergleich, S. 159 f.; Collier, in: Walter/Baumgartner, S. 137. 91 Frische, Verfahrenswirkungen und Rechtskraft gerichtlicher Vergleiche, S. 228–232; Gottwald, ZZP 103 (1990), 257 (268); Gottwald, in: MüKo-ZPO, § 722 Rn. 26; Kroppenberg, in: Prütting/Gehrlein, ZPO, § 722 Rn. 4; Lackmann, in: Musielak/Voit, ZPO, § 722 Rn. 3; Linke/Hau, IZVR, Rn. 14.3; Nelle, Anspruch, Titel und Vollstreckung, S. 357 f.; Netzer, in: Kindl/Meller-Hannich, ZPO, § 722 Rn. 16; Roth, in: Stein/Jonas, § 328 Rn. 58; Schack, IZVR, Rn. 972; Seiler, in: Thomas/Putzo, ZPO, § 723 Rn. 5; Elden/Frauenknecht, in: Kern/Diehm, ZPO, § 722 Rn. 2; siehe auch OLG Hamburg 10.1.2013 – 6 U 68/09, NJWRR 2013, 629 (632). 85
C. Indirekte Zuständigkeit
357
analoger Anwendung der §§ 722, 723 ZPO) für möglich halten.92 Soweit ersichtlich werden ausländische Prozessvergleiche in der deutschen Rechtsprechung (außerhalb von europäischem Recht und Staatsverträgen) nicht für vollstreckbar erklärt.
C. Indirekte Zuständigkeit Die indirekte Zuständigkeit ist die zentrale Voraussetzung für eine Verpflichtung zur Anerkennung und Vollstreckung unter dem HAVÜ. Abgesehen von einer erleichterten Zugänglichkeit für die Parteien und der damit verbundenen Einsparung an Transaktionskosten kommt den indirekten Zuständigkeitsgründen des HAVÜ vor allem dann (aber nicht nur) eine besondere Bedeutung zu, wenn nach nationalem Recht in der entsprechenden Situation keine Anerkennungszuständigkeit bestünde und die Entscheidung daher nach dem gemäß Art. 15 HAVÜ anwendbar bleibenden nationalen Recht nicht anerkennungsfähig wäre. Von hervorgehobenem Interesse sind daher indirekte Zuständigkeitsgründe des HAVÜ, die das nationale Recht nicht vorsieht oder die weiter gehen als die entsprechenden Vorschriften im nationalen Recht. I. Deutsches Recht Im deutschen Recht bestimmt sich die Anerkennungszuständigkeit gemäß § 328 Abs. 1 Nr. 1 ZPO nach dem Spiegelbildprinzip.93 Die Zuständigkeit des Ursprungsstaats wird also an den deutschen Vorschriften über die internationale Zuständigkeit gemessen.94 Grundsätzlich ist daher auf die §§ 12 ff. ZPO zurückzugreifen, die „doppelfunktional“ auch die internationale Zuständigkeit regeln.95 Umstritten ist allerdings, ob und inwieweit im Rahmen von § 328 Abs. 1 Nr. 1 ZPO auch unionsrechtliche und staatsvertragliche Zuständigkeitsvorschriften zu berücksichtigen sind.96 Die wohl herrschende Auffassung in
92
Geimer, IZPR, Rn. 3107; Geimer, in: Zöller, ZPO, § 722 Rn. 10; Koch, FS Schumann, S. 267 (278 ff.); Schütze, IZPR in der ZPO, § 723 Rn. 3. 93 Ausführlich Fricke, Anerkennungszuständigkeit, S. 63 ff.; Kern, ZZP 120 (2007), 31 (37 ff.); Laugwitz, Anerkennung, S. 104 ff.; Schärtl, Spiegelbildprinzip, S. 26 ff.; Sonnentag, ZVglRWiss 113 (2014), 83 (85 ff.). 94 BGH 29.4.1999 – IX ZR 263/97, BGHZ 141, 286 (289 f.) = NJW 1999, 3198 (3199); BGH 3.12.1992 – IX ZR 229/91, BGHZ 120, 334 (337) = NJW 1993, 1073 (1073). 95 BGH 3.12.1992 – IX ZR 229/91, BGHZ 120, 334 (337) = NJW 1993, 1073 (1073); Roth, in: Stein/Jonas, § 328 Rn. 74; Schärtl, Spiegelbildprinzip, S. 29. 96 Für eine Berücksichtigung z.B. Kern, ZZP 120 (2007), 31 (43 ff.); Bach, in: BeckOKZPO, § 328 Rn. 15.2 (mit im Einzelnen abweichenden Ansätzen).
358
Kapitel 9: Rechtsvergleichende Perspektive
der Literatur lehnt dies ab.97 In der Rechtsprechung sind unionsrechtliche und staatsvertragliche Zuständigkeitsvorschriften, soweit ersichtlich, bisher nicht maßgeblich herangezogen worden.98 Vereinzelt wurde eine Berücksichtigung explizit abgelehnt.99 Für die Zwecke der vorliegenden Untersuchung wird daher von der alleinigen Maßgeblichkeit des autonomen deutschen Zuständigkeitsrechts ausgegangen. Forum non conveniens-Erwägungen kommen bei der Bestimmung der Anerkennungszuständigkeit nach deutschem Recht, ebenso wie im Rahmen des HAVÜ,100 nicht zum Zuge.101 HAVÜ und deutsches Zuständigkeitsrecht stimmen auch insoweit überein, dass eine Bindung an Feststellungen des ausländischen Gerichts nicht besteht.102 Die Anerkennungszuständigkeit wird durch die deutschen Gerichte vielmehr in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht selbstständig geprüft.103 1. Wohnsitz, Sitz und Niederlassungen Die eingangs angesprochenen Konstellationen, in denen die indirekten Zuständigkeitsgründe des HAVÜ weiter gehen als diejenigen des nationalen Rechts, dürften im deutschen Recht die Ausnahme bleiben. Denn das Spiegelbildprinzip führt dazu, dass die internationale Zuständigkeit ausländischer Staaten großzügig bejaht wird.104 So wird im Fall des Art. 5 Abs. 1 lit. a HAVÜ typischerweise auch eine indirekte Zuständigkeit gemäß § 328 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m.
97 Bläsi, HGÜ, S. 294; Dörner, in: Saenger, ZPO, § 328 Rn. 22; Geimer, IZPR, Rn. 2897b; Hüßtege, in: Thomas/Putzo, ZPO, § 328 Rn. 8a; Netzer, in: Kindl/Meller-Hannich, ZPO, § 723 Rn. 24; Roth, in: Stein/Jonas, § 328 Rn. 74; Schack, IZVR, Rn. 982; Schärtl, IPRax 2006, 438 (442); Thole, in: Hess, Anerkennung im IZPR, S. 25 (42 f.). 98 Vgl. Bach, in: BeckOK-ZPO, § 328 Rn. 15.2; Sonnentag, Brexit, S. 109; Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, § 328 Rn. 10. Siehe jüngst allerdings BGH 16.5.2019 – V ZB 101/18, NJW 2019, 3575 (3576) (Brüssel IIa-VO als Alternativbegründung im Rahmen von § 109 Abs. 1 Nr. 1 FamFG). 99 Vgl. OLG Düsseldorf 28.9.2012 – 346E3- 7.950/11, IPRax 2014, 286 (zu § 109 Abs. 1 Nr. 1 FamFG). 100 Siehe Kapitel 5 B.II. (S. 202). 101 Geimer, IZPR, Rn. 1082. Anders kann man dies allenfalls für die einschränkende Auslegung des § 23 ZPO sehen, vgl. Schütze, in: Wieczorek/Schütze, ZPO, § 328 Rn. 40. 102 BGH 25.11.1993 – IX ZR 32/93, BGHZ 124, 237 (245) = NJW 1994, 1413 (1415); Dörner, in: Saenger, ZPO, § 328 Rn. 28; Geimer, in: Zöller, ZPO, § 328 Rn. 145; Gottwald, in: MüKo-ZPO, § 328 Rn. 95; Hüßtege, in: Thomas/Putzo, ZPO, § 328 Rn. 8a; Roth, in: Stein/Jonas, § 328 Rn. 80; Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, § 328 Rn. 12; für das HAVÜ siehe Kapitel 5 B.I. (S. 200) und Kapitel 6 E.II. (S. 320). 103 BGH 25.11.1993 – IX ZR 32/93, BGHZ 124, 237 (245) = NJW 1994, 1413 (1415); Geimer, in: Zöller, ZPO, § 328 Rn. 145 f. 104 Vgl. Fricke, Anerkennungszuständigkeit, S. 101 f.; Geimer, IZPR, Rn. 2896; Geimer, in: Zöller, ZPO, § 328 Rn. 103; Gerasimchuk, Urteilsanerkennung, S. 93; Gottwald, in:
C. Indirekte Zuständigkeit
359
§§ 12, 13, 15–17 oder 20 ZPO gegeben sein. Natürliche Personen, die einen gewöhnlichen Aufenthalt im Sinne des Art. 5 Abs. 1 lit. a HAVÜ begründet haben, werden häufig auch ihren Wohnsitz im Sinne von § 13 ZPO i.V.m. § 7 BGB105 im Urteilsstaat haben. Sofern ein Wohnsitz nicht begründet ist, werden oftmals § 15, § 16 oder § 20 ZPO eingreifen.106 Insbesondere § 20 ZPO wird in der Praxis weit ausgelegt und eröffnet daher bei längeren Aufenthalten, die keinen Wohnsitz zu begründen vermögen, eine Zuständigkeit.107 Der von § 20 ZPO vorausgesetzte „Aufenthalt von längerer Dauer“ stellt geringere Anforderungen als der „gewöhnliche Aufenthalt“ im Sinne des Art. 5 Abs. 1 lit. a HAVÜ. So können für die Zwecke des § 20 ZPO beispielsweise Saisonarbeitsverhältnisse, mehrwöchige Praktika, ein Auslandssemester oder Kuraufenthalte genügen,108 während in solchen Fällen regelmäßig nicht von einem gewöhnlichen Aufenthalt im Sinne des Art. 5 Abs. 1 lit. a HAVÜ auszugehen sein wird. § 20 ZPO erfasst zudem alle vermögensrechtlichen Ansprüche. Ein Zusammenhang zwischen dem Aufenthaltsort und dem Anspruch wird nicht vorausgesetzt.109 Für juristische Personen (oder Personenvereinigungen etc.110) ist der allgemeine Gerichtsstand nach § 17 ZPO zwar enger gefasst als die Anerkennungszuständigkeit gemäß Art. 5 Abs. 1 lit. a i.V.m. Art. 3 Abs. 2 HAVÜ. Dies dürfte sich aber im Ergebnis selten auswirken. § 17 Abs. 1 S. 1 ZPO begründet eine Anerkennungszuständigkeit im Sitzstaat der juristischen Person.111 Dieser wird typischerweise durch die Satzung bestimmt.112 Sofern kein (inländischer113) satzungsmäßiger Sitz existiert, ist Sitz gemäß § 17 Abs. 1 S. 2 ZPO
MüKo-ZPO, § 328 Rn. 92; Kropholler, IPR, S. 672; Nagel/Gottwald, IZPR, Rn. 12.172; Schack, IZVR, Rn. 987; Schönau, Anerkennung, S. 45 f. 105 Die Wohnsitzbestimmung im Rahmen von § 13 ZPO erfolgt stets nach §§ 7 ff. BGB, vgl. Schack, IZVR, Rn. 296; Geimer, IZPR, Rn. 1301. 106 Zur (spiegelbildlichen) Anwendbarkeit der Vorschriften im Rahmen des § 328 Abs. 1 Nr. 1 ZPO: Geimer, IZPR, Rn. 1306 f.; Martiny, in: Hdb. IZVR III/1, Rn. 668 f., 671. 107 Geimer, IZPR, Rn. 1267; Schultzky, in: Zöller, ZPO, § 20 Rn. 5. 108 Bey, in: Prütting/Gehrlein, ZPO, § 20 Rn. 4; Heinrich, in: Musielak/Voit, ZPO, § 20 Rn. 6. 109 Bey, in: Prütting/Gehrlein, ZPO, § 20 Rn. 5; Heinrich, in: Musielak/Voit, ZPO, § 20 Rn. 10; Patzina, in: MüKo-ZPO, § 20 Rn. 4. 110 Vgl. Toussaint, in: BeckOK-ZPO, § 17 Rn. 3; Hüßtege, in: Thomas/Putzo, ZPO, § 17 Rn. 1. 111 Geimer, IZPR, Rn. 1302; Kern, in: Kern/Diehm, ZPO, § 328 Rn. 12. 112 Vgl. BGH 10.3.2009 – VIII ZB 105/07, NJW 2009, 1610 (1611); OLG Köln 31.1.2006 – 22 U 109/05, BeckRS 2007, 05727; Heinrich, in: Musielak/Voit, ZPO, § 17 Rn. 7 ff.; Schultzky, in: Zöller, ZPO, § 17 Rn. 9. 113 Vgl. OLG Köln 31.1.2006 – 22 U 109/05, BeckRS 2007, 05727; Geimer, IZPR, Rn. 1302; Heinrich, in: Musielak/Voit, ZPO, § 17 Rn. 13; Schultzky, in: Zöller, ZPO, § 17 Rn. 10; a.A. Schack, IZVR, Rn. 303.
360
Kapitel 9: Rechtsvergleichende Perspektive
der Ort des Verwaltungssitzes, also der Ort, „wo die grundlegenden Entscheidungen der Unternehmensleitung effektiv in laufende Geschäftsführungsakte umgesetzt werden.“114 Dies dürfte sich mit Art. 3 Abs. 2 lit. c HAVÜ decken.115 Art. 5 Abs. 1 lit. a i.V.m. Art. 3 Abs. 2 HAVÜ geht jedoch weiter, da alternativ eine indirekte Zuständigkeit am Ort begründet ist, an dem die juristische Person ihren satzungsmäßigen Sitz hat (lit. a), nach dessen Recht sie gegründet wurde (lit. b), in dem sie ihre Hauptverwaltung hat (lit. c) oder in dem sie ihre Hauptniederlassung hat (lit. d).116 Es ist daher durchaus denkbar, dass Art. 5 Abs. 1 lit. a i.V.m. Art. 3 Abs. 2 HAVÜ eine indirekte Zuständigkeit in einem Staat begründet, für den nach § 328 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 17 ZPO keine indirekte Zuständigkeit besteht. So kann beispielsweise der Ort der Hauptniederlassung, also das Zentrum der wirtschaftlichen Tätigkeit einer juristischen Person,117 von ihrem Sitz im Sinne des § 17 ZPO abweichen. Die Gerichtspflichtigkeit juristischer Personen geht also unter dem HAVÜ im Ausgangspunkt weiter als nach deutschem autonomem Recht. Da jedoch gemäß § 328 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 23 ZPO auch die Vermögensbelegenheit im Urteilsstaat die indirekte Zuständigkeit begründet, jedenfalls soweit ein hinreichender Inlandsbezug besteht,118 dürfte im Ergebnis meist auch nach deutschem Recht die Anerkennungszuständigkeit gegeben sein. Art. 5 Abs. 1 lit. d HAVÜ entspricht weitgehend dem besonderen Gerichtsstand der Niederlassung in § 328 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 21 Abs. 1 ZPO. Weiter geht jedoch Art. 5 Abs. 1 lit. b HAVÜ, da der Zuständigkeitsgrund nicht auf Streitigkeiten beschränkt ist, die ihren Ursprung im Geschäftsbetrieb der Hauptniederlassung haben.119 Sofern ein Einzelkaufmann in Staat A lebt und im Staat B ein Handelsgewerbe betreibt, begründet Art. 5 Abs. 1 lit. b HAVÜ eine indirekte Zuständigkeit im Staat B auch für den Fall, dass die Streitigkeit aus dem Geschäftsbetrieb einer Zweigniederlassung in Staat C herrührt. § 21 Abs. 1 ZPO greift in einer solchen Konstellation jedoch nicht, wenn es am Bezug der Klage zum Geschäftsbetrieb der Niederlassung in Staat B
114
BGH 10.3.2009 – VIII ZB 105/07, NJW 2009, 1610 (1611). Vgl. Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 107. 116 Siehe Kapitel 5 B.V.1.a)aa) (S. 206). 117 Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 107. 118 Es ist umstritten, ob das Erfordernis des hinreichenden Inlandsbezug (vgl. BGH 2.7.1991 – XI ZR 206/90, BGHZ 115, 90 = NJW 1991, 3092) auch für die Anerkennungszuständigkeit Anwendung findet. Dafür: Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, § 328 Rn. 10 Fn. 47; Schütze, in: Wieczorek/Schütze, ZPO, § 328 Rn. 32; dagegen: Roth, in: Stein/Jonas, § 328 Rn. 74; offengelassen von BGH 29.4.1999 – IX ZR 263/97, BGHZ 141, 286 (290) = NJW 1999, 3198 (3199). 119 Siehe Kapitel 5 B.V.1.b) (S. 210). 115
C. Indirekte Zuständigkeit
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fehlt.120 Allerdings kommt im deutschen Recht wiederum eine Anerkennungszuständigkeit nach anderen Vorschriften (insbesondere § 23 ZPO) in Betracht. Generell sind die deutschen Anerkennungszuständigkeiten insoweit weiter, als es genügt, wenn die zuständigkeitsbegründenden Tatsachen irgendwann zwischen Klageerhebung und dem Zeitpunkt vorlagen, „der dem tatsächlichen Erkenntnisstand des ausländischen Urteils zugrunde liegt“,121 was typischerweise der Schluss der mündlichen Verhandlung ist.122 Lag also der Wohnsitz bei Verfahrenseinleitung im Urteilsstaat, wird die Anerkennungszuständigkeit in spiegelbildlicher Anwendung des § 261 Abs. 3 Nr. 2 ZPO123 nicht durch eine spätere Wohnsitzverlegung in Frage gestellt. Fehlte es bei der Verfahrenseinleitung im Urteilsstaat an einer Zuständigkeit im Sinne des § 328 Abs. 1 Nr. 1 ZPO, ist dies unschädlich, wenn eine solche im Laufe des Verfahrens noch begründet wurde (z.B. durch Wohnsitzverlegung in den Urteilsstaat).124 Insoweit unterscheidet sich das deutsche Recht von Art. 5 Abs. 1 lit. a, b und d HAVÜ. Im Rahmen von Art. 5 Abs. 1 lit. a, b und d HAVÜ wird einzig und allein auf den Zeitpunkt der Verfahrenseinleitung im Ursprungsstaat abgestellt. Treten die zuständigkeitsbegründenden Tatsachen im Rahmen dieser Vorschriften erst im Laufe des Verfahrens ein (z.B. Begründung des gewöhnlichen Aufenthalts im Ursprungsstaats), genügt dies nach der hier vertretenen Auffassung angesichts des klaren Wortlauts nicht.125 2. Kläger, Widerklage, ausdrückliche Unterwerfung, rügelose Einlassung, Gerichtsstandsvereinbarung Art. 5 Abs. 1 lit. c HAVÜ entsprechend, ist nach deutschem Recht eine Anerkennungszuständigkeit begründet, wenn die Anerkennung oder Vollstreckung gegen den Kläger des Ursprungsverfahrens begehrt wird.126 Dasselbe gilt hinsichtlich einer Entscheidung über die Widerklage auch für die Anerkennung oder Vollstreckung gegen den Widerkläger.127 Im Übrigen kann die Entscheidung über die Widerklage bei gegebener Konnexität des Anspruchs gemäß 120
Vgl. zu diesem Erfordernis Heinrich, in: Musielak/Voit, ZPO, § 21 Rn. 8. Vgl. BGH 29.4.1999 – IX ZR 263/97, BGHZ 141, 286 (290) = NJW 1999, 3198 (3199). 122 Vgl. BGH 29.4.1999 – IX ZR 263/97, BGHZ 141, 286 (290) = NJW 1999, 3198 (3199); Dörner, in: Saenger, ZPO, § 328 Rn. 27; Roth, in: Stein/Jonas, § 328 Rn. 78; Kern, in: Kern/Diehm, ZPO, § 328 Rn. 15. 123 Vgl. BGH 29.4.1999 – IX ZR 263/97, BGHZ 141, 286 (291) = NJW 1999, 3198 (3199); Gottwald, in: MüKo-ZPO, § 328 Rn. 98; Roth, in: Stein/Jonas, § 328 Rn. 78; Linke/Hau, IZVR, Rn. 13.15. 124 Dörner, in: Saenger, ZPO, § 328 Rn. 27; Gottwald, in: MüKo-ZPO, § 328 Rn. 98. 125 Siehe Kapitel 5 B.V.1.a)cc) (S. 209). 126 So i.Erg. auch Geimer, IZPR, Rn. 2903; Roth, in: Stein/Jonas, § 328 Rn. 85 (der die Anerkennungsfähigkeit mit der Unzulässigkeit widersprüchlichen Verhaltens begründet). 127 So sinngemäß Geimer, IZPR, Rn. 2905; Roth, in: Stein/Jonas, § 328 Rn. 85. 121
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Kapitel 9: Rechtsvergleichende Perspektive
§ 328 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 33 Abs. 1 ZPO anerkennungsfähig sein.128 Dementsprechend wird in den Konstellationen des Art. 5 Abs. 1 lit. l HAVÜ grundsätzlich auch eine Anerkennungszuständigkeit nach § 328 Abs. 1 Nr. 1 ZPO vorliegen. Ebenso besteht, vergleichbar mit Art. 5 Abs. 1 lit. e und f HAVÜ, nach deutschem Recht eine indirekte Zuständigkeit im Fall einer ausdrücklichen Unterwerfung unter die Gerichtsbarkeit des Urteilsstaats129 oder einer rügelosen Einlassung nach § 39 ZPO.130 Für die rügelose Einlassung folgt das deutsche Recht einem Art. 5 Abs. 1 lit. f HAVÜ entsprechenden Ansatz. Insbesondere wird die Anerkennungszuständigkeit im Rahmen der spiegelbildlichen Anwendung des § 39 ZPO nicht begründet, wenn der Urteilsstaat unabhängig von der rügelosen Einlassung eine internationale Entscheidungszuständigkeit beansprucht und daher die Zuständigkeitsrüge ohnehin erfolglos gewesen wäre.131 Art. 5 Abs. 1 lit. f HAVÜ ist insoweit noch ein wenig strenger, wenn er voraussetzt, dass die Zuständigkeitsrüge „offensichtlich“ keinen Erfolg gehabt hätte.132 Der Unterschied dürfte jedoch marginal sein, denn auch im Rahmen von § 328 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 39 ZPO muss hinreichend sicher festgestellt sein, dass die internationale Zuständigkeit des Urteilsstaats nach dessen eigenem Recht bestand, wofür der Beklagte die Beweislast trägt.133 In spiegelbildlicher Anwendung der §§ 38, 40 ZPO können ausschließliche und nichtausschließliche internationale Gerichtsstandsvereinbarungen die Anerkennungszuständigkeit nach § 328 Abs. 1 Nr. 1 ZPO begründen.134 Wie auch im Rahmen von Art. 5 Abs. 1 lit. m HAVÜ135 ist die materielle Wirksamkeit einer Gerichtsstandsvereinbarung für die Zwecke der § 328 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. §§ 38, 40 ZPO von einem deutschen Gericht (als ersuchtem Gericht) nach dem Recht zu bestimmen, das nach deutschem internationalen
128
Geimer, IZPR, Rn. 1577; Gottwald, in: MüKo-ZPO, § 328 Rn. 92; Martiny, in: Hdb. IZVR III/1, Rn. 699. 129 Dies wird oftmals als Verzicht auf den Schutz des § 328 Abs. 1 Nr. 1 ZPO eingeordnet: Geimer, Anerkennung, S. 119; Geimer, in: Zöller, ZPO, § 328 Rn. 110; siehe auch Laugwitz, Anerkennung, S. 119. 130 BGH 3.12.1992 – IX ZR 229/91, BGHZ 120, 334 = NJW 1993, 1073; OLG Frankfurt a.M. 13.12.1978 – 17 U 103/78, NJW 1979, 1787. 131 Vgl. BGH 3.12.1992 – IX ZR 229/91, BGHZ 120, 334 (339 ff.) = NJW 1993, 1073 (1073 f.) m.w.N.; BGH 25.4.1996 – IX ZR 146/95, RIW 1996, 966; kritisch Schack, IZVR, Rn. 987. 132 Siehe dazu Kapitel 5 B.V.2.b) (S. 215). 133 BGH 3.12.1992 – IX ZR 229/91, BGHZ 120, 334 (341 f.) = NJW 1993, 1073 (1074). 134 Vgl. BGH 26.1.1979 – V ZR 75/76, NJW 1979, 1104; Gottwald, in: MüKo-ZPO, § 328 Rn. 92; Laugwitz, Anerkennung, S. 118 f.; Martiny, in: Hdb. IZVR III/1, Rn. 706 ff.; Roth, in: Stein/Jonas, § 328 Rn. 83. 135 Siehe Kapitel 5 B.V.2.e)aa) (S. 220).
C. Indirekte Zuständigkeit
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Privatrecht anwendbar ist.136 Die Frage, wie das auf die internationale Gerichtsstandsvereinbarung anwendbare Recht aus deutscher Sicht zu bestimmen ist, stellt sich daher gleichermaßen im Rahmen von § 328 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. §§ 38, 40 ZPO und im Rahmen von Art. 5 Abs. 1 lit. m HAVÜ. Während Teile der Literatur hinsichtlich der materiell-rechtlichen Aspekte internationaler Gerichtsstandsvereinbarungen für die Anwendung des Rechts des vereinbarten Gerichts (lex fori prorogati) plädieren,137 neigt die Rechtsprechung dazu, die Gerichtsstandsvereinbarung dem auf den Hauptvertrag anwendbaren Recht zu unterstellen.138 Die formellen Anforderungen sind hingegen im deutschen Anerkennungsrecht dem § 38 ZPO zu entnehmen. Das Schriftformerfordernis des § 38 Abs. 2 S. 2 ZPO ist zwar strenger als das Formerfordernis des Art. 5 Abs. 1 lit. m HAVÜ.139 Unter Kaufleuten können internationale Gerichtsstandsvereinbarungen jedoch nach heute herrschender Ansicht gemäß § 38 Abs. 1 ZPO stets formlos geschlossen werden.140 Vor dem Hintergrund, dass Art. 5 Abs. 2 lit. b HAVÜ die Anwendbarkeit von Art. 5 Abs. 1 lit. m HAVÜ zulasten von Verbrauchern oder Arbeitnehmern ausschließt und daher primär im Verkehr zwischen Kaufleuten Anwendung findet, sind daher kaum Fälle zu erwarten, in denen eine Anerkennungszuständigkeit nach Art. 5 Abs. 1 lit. m HAVÜ, nicht aber nach § 328 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. §§ 38, 40 ZPO bestünde. Hatten die Parteien durch Gerichtsstandsvereinbarung die Zuständigkeit der Gerichte des Urteilsstaats ausgeschlossen (z.B. durch eine ausschließliche Ge136 Martiny, in: Hdb. IZVR III/1, Rn. 712; Geimer, Anerkennung, S. 116 f.; Schütze, in: Wieczorek/Schütze, ZPO, § 328 Rn. 34. 137 Vgl. Antomo, ZZPInt 17 (2012), 183 (193 ff.); Antomo, Schadensersatz wegen der Verletzung einer internationalen Gerichtsstandsvereinbarung?, S. 386 ff. m.w.N. und ausführlicher Darstellung des Streitstands. Ein Gleichlauf mit Art. 25 Brüssel Ia-VO und dem HGÜ lässt sich freilich nur erreichen, sofern man die Verweisung auf das Recht des vereinbarten Gerichts als Gesamtverweisung versteht. 138 Vgl. BGH 6.12.2018 – IX ZR 22/18, NJW 2019, 1300 (1302); BGH 18.3.1997 – XI ZR 34/96, NJW 1997, 2885 (2886); so auch Lindenmayr, Vereinbarung über die internationale Zuständigkeit, S. 162. 139 Im Rahmen des Art. 5 Abs. 1 lit. m HAVÜ genügt beispielsweise die Form einer EMail, siehe Kapitel 5 B.V.2.e)aa) (S. 220). 140 BGH 9.6.2016 – IX ZR 314/14, BGHZ 210, 321 (331) = NJW 2016, 2328 (2329); OLG München 23.3.2000 – 1 U 5958/99, OLG-Report 2001, 27; OLG Saarbrücken 21.9.1988 – 5 U 8/88, NJW-RR 1989, 828; OLG Saarbrücken 13.10.1999 – 1 U 190/99 - 37, NJW 2000, 670 (671); Schack, IZVR, Rn. 551; Schultzky, in: Zöller, ZPO, § 38 Rn. 30; Patzina, in: MüKo-ZPO, § 38 Rn. 24; Heinrich, in: Musielak/Voit, ZPO, § 38 Rn. 13; Hüßtege, in: Thomas/Putzo, ZPO, § 38 Rn. 15; Bendtsen, in: Saenger, ZPO, § 38 Rn. 15; a.A. OLG Nürnberg 28.11.1984 – 9 U 3061/84, NJW 1985, 1296; AG Berlin-Charlottenburg 23.12.1974 – 7 C 785/74 B, NJW 1975, 502 (§ 38 Abs. 2 ZPO sei eine Sonderregel für internationale Gerichtsstandsvereinbarungen und erfordere auch unter Kaufleuten die in § 38 Abs. 2 S. 2 ZPO vorgeschriebene Form).
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Kapitel 9: Rechtsvergleichende Perspektive
richtsstandsvereinbarung zugunsten eines anderen Staates), wird die Entscheidung gemäß § 328 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 38 ZPO analog nicht anerkannt, es sei denn, die Beklagte hat sich im Urteilsstaat rügelos eingelassen.141 Das HAVÜ sieht in einer solchen Situation mit Art. 7 Abs. 1 lit. d HAVÜ einen fakultativen Versagungsgrund vor.142 Das HAVÜ ermöglicht also die Versagung, schreibt sie jedoch den Vertragsstaaten nicht zwingend vor. 3. Weitere Gerichtsstände Die Anerkennungszuständigkeiten des HAVÜ sind auch im Übrigen typischerweise enger gefasst als ihre Entsprechungen im deutschen Recht. Das gilt insbesondere für den deliktischen Gerichtsstand. § 328 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 32 ZPO ist, anders als Art. 5 Abs. 1 lit. j HAVÜ,143 sachlich nicht auf die Verletzungen bestimmter Rechtsgüter beschränkt, sondern erfasst umfassender „rechtswidrige Eingriffe in eine fremde Rechtssphäre“.144 Ferner ist nach § 32 ZPO eine indirekte Zuständigkeit nicht nur am Ort der Handlung oder Unterlassung,145 sondern auch am Erfolgsort begründet.146 Darüber hinaus kommt im Rahmen des § 32 ZPO eine zuständigkeitsbegründende Handlungszurechnung für Mittäter und Teilnehmer in Betracht, die selbst nicht im Inland gehandelt haben.147 Eine entsprechende Möglichkeit besteht im Rahmen von Art. 5 Abs. 1 lit. j HAVÜ nicht.148 Die Anerkennungszuständigkeit am Erfüllungsort der vertraglichen Verpflichtung gemäß § 328 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 29 ZPO ähnelt in vielerlei Hinsicht dem Art. 5 Abs. 1 lit. g HAVÜ, kommt allerdings ohne die in Art. 5 Abs. 1 lit. g HAVÜ a.E. vorgesehene Einschränkung („unless […]“) aus. In beiden Zuständigkeitsvorschriften kommt es auf den Erfüllungsort der zugrundeliegenden Verpflichtung an, die nicht notwendigerweise identisch sein muss
141 Peiffer, Schutz gegen Klagen im forum derogatum, S. 394 f.; Roth, in: Stein/Jonas, § 328 Rn. 83; Schütze, in: Wieczorek/Schütze, ZPO, § 328 Rn. 38. 142 Siehe Kapitel 6 D.IV.1. (S. 284). 143 Siehe Kapitel 5 B.V.3.d) (S. 232). 144 BGH 5.5.2011 − IX ZR 176/10, BGHZ 189, 320 (322) = NJW 2011, 2518 (2519); Schultzky, in: Zöller, ZPO, § 32 Rn. 4. 145 So aber Art. 5 Abs. 1 lit. j HAVÜ, siehe Kapitel 5 B.V.3.d) (S. 232). 146 BGH 25.11.1993 – IX ZR 32/93, BGHZ 124, 237 (245) = NJW 1994, 1413 (1414 f.); Geimer, IZPR, Rn. 1531. 147 BGH 9.3.2010 – XI ZR 93/09, BGHZ 184, 365 (371) = NZG 2010, 550 (550); BGH 22.11.1994 – XI ZR 45/91, NJW 1995, 1225 (1226); Heinrich, in: Musielak/Voit, ZPO, § 32 Rn. 13; Hüßtege, in: Thomas/Putzo, ZPO, § 32 Rn. 5; Patzina, in: MüKo-ZPO, § 32 Rn. 14; Schultzky, in: Zöller, ZPO, § 32 Rn. 17. 148 Siehe Kapitel 5 B.V.3.d) (S. 232).
C. Indirekte Zuständigkeit
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mit der klageweise geltend gemachten Verpflichtung.149 Umstritten ist allerdings, nach welchem Recht im Rahmen von § 328 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 29 ZPO der Erfüllungsort zu ermitteln ist.150 Ein Gleichklang mit Art. 5 Abs. 1 lit. g HAVÜ bestünde insoweit nur, wenn man die Auffassung vertritt, dass das aus deutscher Sicht anwendbare Vertragsstatut zur Bestimmung des Erfüllungsorts maßgeblich ist.151 Die Belegenheitszuständigkeiten des Art. 5 Abs. 1 lit. h, Art. 5 Abs. 3 und Art. 6 HAVÜ finden sich in ähnlicher Form in § 29a und § 24 ZPO auch im deutschen Recht.152 Die Parallelen betreffen nicht nur die positive Begründung der indirekten Zuständigkeit, sondern auch die negative Funktion der Zuständigkeitsgründe, also ihre Ausschließlichkeit. Denn nach herrschender Auffassung wird ein ausländisches Urteil nicht anerkannt, wenn in spiegelbildlicher Anwendung der §§ 24, 29a ZPO eine ausschließliche Zuständigkeit deutscher (oder ausländischer153) Gerichte besteht.154 Insoweit zeigt sich im deutschen Recht, auch wenn sich im Einzelnen Unterschiede ergeben, eine Entsprechung zu der von Art. 5 Abs. 3 und Art. 6 HAVÜ vorgesehen Ausschließlichkeit der indirekten Zuständigkeitsgründe für die Wohnraummiete und dingliche Rechte an unbeweglichen Sachen. Art. 5 Abs. 1 lit. i HAVÜ hat eine Entsprechung in § 328 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 25 ZPO.155 Beide Zuständigkeitsnormen knüpfen die (jeweils nichtausschließliche156) Zuständigkeit für die persönliche Klage an den Sachzusammenhang mit einer gleichfalls am Belegenheitsort erhobenen dinglichen 149 Für § 29 ZPO: BGH 18.1.2011 − X ZR 71/10, BGHZ 188, 85 (92) = NJW 2011, 2056 (2058); Schultzky, in: Zöller, ZPO, § 29 Rn. 23; für Art. 5 Abs. 1 lit. g HAVÜ siehe Kapitel 5 B.V.3.a)aa) (S. 225). 150 Vgl. Martiny, in: Hdb. IZVR III/1, Rn. 679 (nach deutschem IPR anwendbares Recht); Geimer, IZPR, Rn. 1496 (nach dem IPR des Urteilsstaats anwendbares Recht); Schütze, in: Wieczorek/Schütze, ZPO, § 328 Rn. 33 (deutsches materielles Recht); OLG Koblenz 16.10.2003 – 7 U 87/00, NJOZ 2004, 3369 (3371) (offengelassen). 151 So Gottwald, in: MüKo-ZPO, § 328 Rn. 88; Martiny, in: Hdb. IZVR III/1, Rn. 679; für Art. 5 Abs. 1 lit. g HAVÜ siehe Kapitel 5 B.V.3.a)aa) (S. 225). 152 Zur (spiegelbildlichen) Anwendbarkeit der Vorschriften im Rahmen des § 328 Abs. 1 Nr. 1 ZPO: Geimer, IZPR, Rn. 1438; Martiny, in: Hdb. IZVR III/1, Rn. 681, 696. 153 So jedenfalls eine verbreitete Literaturauffassung, nach der jedoch eine Ausnahme bestehen soll, wenn der nach spiegelbildlicher Anwendung deutscher Vorschriften ausschließlich zuständige Drittstaat selbst keine ausschließliche Zuständigkeit beansprucht, vgl. Gottwald, in: MüKo-ZPO, § 328 Rn. 91; Roth, in: Stein/Jonas, § 328 Rn. 75. Die Rechtsprechung geht bisher hingegen davon aus, dass § 24 ZPO nur hinsichtlich deutscher Grundstücke eine ausschließliche Zuständigkeit begründet, vgl. BGH 25.9.1997 – II ZR 113/96, NJW 1998, 1321; kritisch: Fricke, Anerkennungszuständigkeit, S. 107 f. 154 Vgl. Gottwald, in: MüKo-ZPO, § 328 Rn. 91; Roth, in: Stein/Jonas, § 328 Rn. 75; Kern, in: Kern/Diehm, ZPO, § 328 Rn. 14; a.A. Geimer, Anerkennung, S. 52 f.; Geimer, IZPR, Rn. 1433 (lediglich konkurrierende internationale Zuständigkeit). 155 Vgl. BRAK, Stellungnahme Nr. 34/2016 (unter II.4.2 d). 156 Für § 25 ZPO: Schultzky, in: Zöller, ZPO, § 25 Rn. 2.
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Kapitel 9: Rechtsvergleichende Perspektive
Klage.157 Demgegenüber fehlt es in der ZPO an einer Zuständigkeitsregelung für den trust, so dass Art. 5 Abs. 1 lit. i HAVÜ zumindest den Umgang mit entsprechenden Entscheidungen erleichtern würde. 4. Zwischenfazit Insgesamt sind zwar Konstellationen denkbar, in denen es an einer indirekten Zuständigkeit nach § 328 Abs. 1 Nr. 1 ZPO fehlt, nach den Vorschriften des HAVÜ jedoch eine indirekte Zuständigkeit begründet ist. Solche Fälle stellen jedoch die Ausnahme dar. Denn die Anerkennungszuständigkeit nach dem autonomen deutschen Recht ist grundsätzlich deutlich weiter gefasst. Oftmals wird § 328 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 23 ZPO herangezogen werden können, um eine indirekte Zuständigkeit zu begründen. Darüber hinaus sieht das deutsche Recht noch eine Vielzahl weiterer Zuständigkeitsvorschriften vor, die keine Entsprechung im HAVÜ haben und in der obigen Betrachtung außen vor geblieben sind, obgleich entsprechende Streitigkeiten auch unter das HAVÜ fallen könnten.158 Daraus folgt aber keineswegs, dass sich bei einer Bindung an das HAVÜ aus deutscher Perspektive praktisch nichts ändern würde. Um dies zu bewerten, genügt ein Vergleich der indirekten Zuständigkeitsgründe nicht. Denn die Anerkennung oder Vollstreckung nach deutschem Recht kann auch aus anderen Gründen als der fehlenden internationalen Zuständigkeit des Urteilsstaats scheitern. Hat beispielsweise ein Gericht im Staat der schadensverursachenden Handlung über einen deliktischen Anspruch wegen einer Sachbeschädigung per Versäumnisurteil entschieden, ist eine indirekte Zuständigkeit sowohl nach § 328 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 32 ZPO als auch nach Art. 5 Abs. 1 lit. j HAVÜ gegeben. Soweit aber die Zustellung der Klageschrift nach dem Recht des Urteilsstaats fehlerhaft war, scheitert eine Anerkennung der Entscheidung nach deutschem Recht an § 328 Abs. 1 Nr. 2 ZPO, wenn sich der Beklagte hierauf beruft. Da die bloße Fehlerhaftigkeit der Zustellung aber im Rahmen des Art. 7 Abs. 1 lit. a i) HAVÜ nicht ausreicht, um eine Versagung der Anerkennung zu rechtfertigen,159 ist die Entscheidung in einer solchen Situation nach dem HAVÜ anzuerkennen und zu vollstrecken.
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Für § 25 ZPO: Schultzky, in: Zöller, ZPO, § 25 Rn. 1; zu Art. 5 Abs. 1 lit. i HAVÜ siehe Kapitel 5 B.V.3.c) (S. 231). 158 Vgl. z.B. §§ 26, 29c, 30a, 31 ZPO. Darüber hinaus finden sich zahlreiche spezialgesetzliche Regelungen (z.B. § 215 Abs. 1 VVG, § 82 ArbGG). 159 Siehe Kapitel 6 D.I. (S. 275).
C. Indirekte Zuständigkeit
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II. Englisches Recht Auch nach den Regeln des englischen Common Law ist die Zuständigkeit des Ursprungsgerichts zentrale Voraussetzung für die Anerkennung oder Vollstreckung des Urteils.160 Das Ursprungsgericht muss im „internationalen Sinne“ zuständig gewesen sein (jurisdiction in the international sense).161 Das englische Recht folgt dabei – anders als das deutsche Recht – nicht dem Spiegelbildprinzip.162 Zahlreiche Zuständigkeitsgründe, auf die englische Gerichte ihre internationale Zuständigkeit stützen können,163 finden für die Zuständigkeit ausländischer Staaten, also die Anerkennungszuständigkeit, keine Anwendung. Hinsichtlich ausländischer Urteile über dingliche Rechte an unbeweglichen Sachen ähnelt der Ansatz des englischen Rechts demjenigen des Art. 6 HAVÜ. Entsprechende Urteile dürften nach englischem Recht regelmäßig als judgments in rem zu qualifizieren sein.164 Sie werden ausschließlich bei Grundstücksbelegenheit im Urteilsstaat anerkannt.165 Für Entscheidungen in personam werden ausländische Gerichte als international zuständig angesehen, wenn der Vollstreckungsschuldner sich der Gerichtsbarkeit des fremden Gerichts unterworfen hat (submission) oder der Beklagte im Zeitpunkt der Verfahrenseinleitung im Ursprungssaat anwesend war (presence). Andere Anerkennungszuständigkeiten kennt das englische Common Law nicht.166 Die forum non conveniens-Doktrin findet im Rahmen der Anerkennungszuständigkeit keine Anwendung.167 Sofern der Urteilsschuldner im Zeitpunkt der Verfahrenseinleitung im Ursprungssaat anwesend war, spielt es keine Rolle,
160
Kutner, RabelsZ 83 (2019), 1 (2); McClean/Ruiz Abou-Nigm, Morris: The Conflict of Laws, Rn. 10-016. 161 Briggs, I.C.L.Q. 36 (1987), 240 (240); Kutner, RabelsZ 83 (2019), 1 (2). 162 Vgl. Eurofinance v Rubin [2013] 1 A.C. 236 Rn. 126 („There is no necessary connection between the exercise of jurisdiction by the English court and its recognition of the jurisdiction of foreign courts […]“); Briggs, Private International Law, Rn. 6.152; Hill/Ní Shúilleabháin, Clarkson & Hill's Conflict of Laws, Rn. 3.37; Monestier, Dalhousie L.J. 28 (2005), 163 (174 f.). 163 Vgl. § 3.1 CPR Practice Direction 6B (Service out of the Jurisdiction). 164 Zum Begriff: Cambridge Gas Transportation Corpn v Official Committee of Unsecured Creditors of Navigator Holdings plc and others [2007] 1 A.C. 508 (516); Cheshire, North & Fawcett, Private International Law, S. 544 f.; Laugwitz, Anerkennung, S. 79–81. 165 Vgl. Cheshire, North & Fawcett, Private International Law, S. 546; Dicey, Morris & Collins, The Conflict of Laws, Rn. 14R-108; Hill/Chong, International Commercial Disputes, Rn. 12.5.3; Hill/Ní Shúilleabháin, Clarkson & Hill's Conflict of Laws, Rn. 3.35. 166 Briggs, Civil Jurisdiction and Judgments, Rn. 7.47. 167 Briggs, Private International Law, Rn. 6.152; Hill/Ní Shúilleabháin, Clarkson & Hill's Conflict of Laws, Rn. 3.37; Laugwitz, Anerkennung, S. 172; Monestier, Dalhousie L.J. 28 (2005), 163 (175 f.).
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Kapitel 9: Rechtsvergleichende Perspektive
ob ein anderes Forum für die Klärung des Rechtsstreits angemessener gewesen wäre.168 1. Unterwerfung Nach englischem Recht begründet zunächst die freiwillige Unterwerfung unter die Gerichtsbarkeit des ausländischen Gerichts die Anerkennungszuständigkeit. Die Unterwerfung kann durch Einleitung des Verfahrens erfolgen (im Folgenden a)), aber auch durch freiwilliges Erscheinen im Prozess und Einlassung zur Sache (im Folgenden b)). Schließlich kann die Unterwerfung ausdrücklich erfolgen, insbesondere durch eine Gerichtsstandsvereinbarung (im Folgenden c)). Auch wenn sich im Einzelnen Unterschiede ergeben, finden die Art. 5 Abs. 1 lit. c, e, f, l und m HAVÜ Entsprechungen im englischen Common Law. Es dürfte die Ausnahme darstellen, dass eine indirekte Zuständigkeit gemäß Art. 5 Abs. 1 lit. c, e, f, l oder m HAVÜ gegeben ist, ohne dass zugleich eine indirekte Zuständigkeit nach den Regeln des englischen Common Law gegeben ist. a) Kläger/Widerkläger des Ursprungsverfahrens Entsprechend dem hinter Art. 5 Abs. 1 lit. c und lit. l ii) HAVÜ stehenden Gedanken erkennt auch das englische Recht an, dass derjenige, der eine Klage oder Widerklage erhebt, später grundsätzlich nicht einwenden kann, dem Urteilsstaat habe es insoweit an der Zuständigkeit gefehlt.169 Die klageweise Geltendmachung eines Anspruchs begründet folglich eine Anerkennungszuständigkeit für die Entscheidung über den Anspruch.170 Durch die Klageerhebung unterwirft sich der Kläger auch der Zuständigkeit des fremden Gerichts für Entscheidungen über etwaige Widerklagen, sofern die Widerklage denselben Gegenstand betrifft oder beide Klagen in Zusammenhang stehen.171 Das HAVÜ folgt mit dem Konnexitätserfordernis in Art. 5 Abs. 1 lit. l i) HAVÜ einem ähnlichen Ansatz.172
168
Briggs, Private International Law, Rn. 6.152. In diesem Sinne schon Schibsby v Westenholz (1870) LR 6 QB 155 (161). 170 Briggs, Private International Law, Rn. 6.160; Cheshire, North & Fawcett, Private International Law, S. 531; Dicey, Morris & Collins, The Conflict of Laws, Rn. 14-068; Hill/Ní Shúilleabháin, Clarkson & Hill's Conflict of Laws, Rn. 3.21; Laugwitz, Anerkennung, S. 177 ff. 171 Murthy v Sivajothi [1999] 1 WLR. 467; Briggs, Private International Law, Rn. 6.160; Hill/Chong, International Commercial Disputes, Rn. 12.2.3. 172 Siehe Kapitel 5 B.V.2.d) (S. 218). 169
C. Indirekte Zuständigkeit
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b) Voluntary appearance Als einen weiteren Fall der Unterwerfung erkennt das englische Recht eine indirekte Zuständigkeit aufgrund einer Einlassung durch freiwilliges Erscheinen im Prozess an (voluntary appearance).173 Dies setzt voraus, dass der Beklagte im Prozess erschienen ist und zur Sache verhandelt hat.174 Das Verhalten des Beklagten muss grundsätzlich sowohl nach dem Recht des Ursprungsstaats als auch nach englischem Recht als zuständigkeitsbegründende Einlassung anzusehen sein, um die Anerkennungszuständigkeit zu begründen.175 Durch Sec. 33(1)(a) CJJA 1982 ist klargestellt, dass das bloße Bestreiten der internationalen Zuständigkeit noch keine Einlassung bedeutet.176 Ebenso wenig genügt es, wenn der Beklagte im Prozess erscheint, um geltend zu machen, dass der Rechtsstreit vor Schiedsgerichten oder Gerichten eines anderen Staates geführt werden sollte oder um beschlagnahmtes oder von der Beschlagnahme bedrohtes Eigentum zu schützen oder dessen Freigabe zu erwirken (Sec. 33(1)(b), (c) CJJA 1982). In diesen Punkten stimmt das englische Recht grundsätzlich mit dem Ansatz des Art. 5 Abs. 1 lit. f HAVÜ überein.177 Zumindest im Ausgangspunkt besteht insoweit eine Übereinstimmung mit dem HAVÜ, dass ein Beklagter, der die internationale Zuständigkeit bestreitet und nur hilfsweise zur Sache argumentiert, sich nach englischem Recht noch nicht zwingend zuständigkeitsbegründend eingelassen hat.178 Es wird regelmäßig als unschädlich angesehen, wenn der Beklagte sich auch zur Sache eingelassen hat, soweit er klar und deutlich gemacht hat, dass er seine Verteidigung primär auf die fehlende Zuständigkeit stützt und er die diesbezügliche Rüge
173
Briggs, Private International Law, Rn. 6.163 ff.; Cheshire, North & Fawcett, Private International Law, S. 533.; Dicey, Morris & Collins, The Conflict of Laws, Rn. 14-069; Hill/Ní Shúilleabháin, Clarkson & Hill's Conflict of Laws, Rn. 3.17; Laugwitz, Anerkennung, S. 176 f. 174 Dicey, Morris & Collins, The Conflict of Laws, Rn. 14-069. 175 Vgl. Adams v Cape Industries [1990] Ch 433 (461); Starlight International Inc. v A. J. Bruce and Others [2002] I.L.Pr. 35; Briggs, Civil Jurisdiction and Judgments, Rn. 7.52; Hill/Chong, International Commercial Disputes, Rn. 12.2.6; Hill/Ní Shúilleabháin, Clarkson & Hill's Conflict of Laws, Rn. 3.17. Im Rahmen von Art. 5 Abs. 1 lit. f HAVÜ wird hingegen autonom und ohne Rücksicht auf das Recht des Ursprungsstaates bestimmt, ob der Beklagte sich zur Hauptsache eingelassen hat, siehe Kapitel 5 B.V.2.b) (S. 215). 176 Dies war unter dem Common Law zuvor umstritten. Zu den Hintergründen: Briggs, Civil Jurisdiction and Judgments, Rn. 7.55; Kutner, RabelsZ 83 (2019), 1 (54 ff.); Laugwitz, Anerkennung, S. 178–181. 177 Siehe Kapitel 5 B.V.2.b) (S. 215). 178 Vgl. AES Ust-Kamenogorsk Hydropower Plant LLP v Ust-Kamenogorsk Hydropower Plant JSC [2011] EWCA Civ 647; Marc Rich & Co AG v Impianti (No 2) [1992] 1 Lloyd’s Rep 624; Dicey, Morris & Collins, The Conflict of Laws, Rn. 14-073; Peiffer, Schutz gegen Klagen im forum derogatum, S. 383 f.
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Kapitel 9: Rechtsvergleichende Perspektive
nicht fallen lässt.179 Hat das Gericht allerdings vorab über die Frage der internationalen Zuständigkeit entschieden und unterliegt der Beklagte insoweit, wird eine weitere Einlassung zur Sache regelmäßig als Unterwerfung angesehen.180 Im Vergleich zu Art. 5 Abs. 1 lit. f HAVÜ ist das englische Recht deutlich strenger gegenüber Beklagten. Unter Art. 5 Abs. 1 lit. f HAVÜ kann ein Beklagter auch dann zur Sache argumentieren, wenn das Gericht seine Zuständigkeitsrüge zurückgewiesen hat, ohne damit die Anerkennungszuständigkeit zu begründen.181 Nach englischem Recht würde ein solches Verhalten, wie gesehen, als zuständigkeitsbegründende Einlassung gewertet. Außerdem gibt es unter englischem Recht ein nicht unerhebliches Risiko, dass prozessuales Verhalten des Beklagten, das im Zusammenhang mit der Hauptsache steht, als Verzicht auf die Zuständigkeitsrüge interpretiert wird.182 Schließlich ist eine Einlassung zur Sache unter englischem Recht auch dann zuständigkeitsbegründend, wenn eine Zuständigkeitsrüge aussichtslos gewesen wäre.183 Jedenfalls theoretisch ist jedoch denkbar, dass die relative Weite des englischen Konzepts der Einlassung für die Zwecke des Rechts der internationalen Urteilsanerkennung dadurch etwas abgefedert wird, dass das jeweilige Verhalten grundsätzlich kumulativ nach englischem Recht und dem Recht des Ursprungsstaats als Unterwerfung zu werten sein muss. Aufgrund dieses Erfordernisses ist sogar denkbar, dass ein Verhalten des Beklagten eine rügelose Einlassung im Sinne des Art. 5 Abs. 1 lit. f HAVÜ begründet, jedoch nach englischem Recht nicht von einer zuständigkeitsbegründenden Einlassung auszugehen ist. c) Gerichtsstandsvereinbarung Schließlich kann unter englischem Recht eine ausschließliche oder nichtausschließliche Gerichtsstandsvereinbarung die Anerkennungszuständigkeit begründen.184 Die Gerichtsstandsvereinbarung muss nicht zwingend eine ausdrückliche sein.185 Soweit das Urteil hingegen unter Verletzung einer Gerichtsstandsvereinbarung zustande gekommen ist, steht einer Anerkennung oder
179
Marc Rich & Co AG v Impianti (No 2) [1992] 1 Lloyd’s Rep 624 (633); Cheshire, North & Fawcett, Private International Law, S. 537 f.; Dicey, Morris & Collins, The Conflict of Laws, Rn. 14-073. 180 Marc Rich & Co AG v Impianti (No 2) [1992] 1 Lloyd’s Rep 624; Dicey, Morris & Collins, The Conflict of Laws, Rn. 14-070. 181 Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 169. 182 Vgl. hierzu Briggs, Civil Jurisdiction and Judgments, Rn. 7.56. 183 Zu Art. 5 Abs. 1 lit. f HAVÜ siehe Kapitel 5 B.V.2.b) (S. 215). 184 Briggs, Civil Jurisdiction and Judgments, Rn. 7.57; Hill/Ní Shúilleabháin, Clarkson & Hill's Conflict of Laws, Rn. 3.15; Laugwitz, Anerkennung, S. 181. 185 Vgl. Vizcaya Partners Ltd v Picard [2016] UKPC 5.
C. Indirekte Zuständigkeit
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Vollstreckung Sec. 32(1) CJJA 1982 entgegen.186 Dies gilt jedoch nicht, sofern sich der Beklagte im Verfahren – etwa durch die Erhebung einer Widerklage – der Gerichtsbarkeit des Gerichts unterworfen hat (Sec. 32(1)(c) CJJA 1982). Insoweit ähnelt Sec. 32(1) CJJA 1982 dem Art. 7 Abs. 1 lit. d HAVÜ.187 Letzterer ist allerdings als fakultativer Versagungsgrund ausgestaltet und schreibt den Vertragsstaaten nicht zwingend vor, der Entscheidung die Anerkennung oder Vollstreckung zu versagen.188 2. Anwesenheit a) Natürliche Personen Außer in Fällen der Unterwerfung erachtet das englische Recht den Urteilsstaat nur dann als international zuständig, wenn der Beklagte im Zeitpunkt der Verfahrenseinleitung im Urteilsstaat anwesend war.189 Dabei wird grundsätzlich auf den Zeitpunkt der Zustellung der Klage abgestellt.190 Es ist nicht vorausgesetzt, dass der Beklagte im Ursprungsstaat seinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt hatte.191 Vielmehr genügt die bloße körperliche Anwesenheit und damit auch ein kurzer, flüchtiger Aufenthalt im Territorium des Urteilsstaates.192 Dies gilt jedenfalls soweit der Aufenthalt nicht durch Zwang oder Täuschung herbeigeführt wurde.193 Es ist nicht abschließend geklärt, ob es genügt, dass der Beklagte im Zeitpunkt der Verfahrenseinleitung seine residence194 im 186
Dazu Fentiman, International Commercial Litigation, Rn. 18.20 f.; Peiffer, Schutz gegen Klagen im forum derogatum, S. 382 f. 187 Siehe Kapitel 6 D.IV.2. (S. 288). 188 Siehe Kapitel 6 A.I. (S. 269). 189 Auch die Anwesenheitszuständigkeit wird oftmals im Sinne einer Zustimmung zur Gerichtsbarkeit des Staates verstanden: vgl. Adams v Cape Industries [1990] Ch 433 (455): „To our minds, the only way to find an answer is to consider why a person who goes abroad thereby incurs a duty to abide in England by a foreign judgment. The only reason that we can see is that by going to a foreign place he invests himself by tacit consent with the rights and obligations stemming from the local laws as administered by the local court: those laws including, of course, the local rules on the conflicts of laws.“ 190 Adams v Cape Industries [1990] Ch 433 (518); Kutner, RabelsZ 83 (2019), 1 (16); vorsichtiger Briggs, Private International Law, Rn. 6.151 Fn. 206. 191 Adams v Cape Industries [1990] Ch 433 (519); Briggs, Private International Law, Rn. 6.153. 192 Adams v Cape Industries [1990] Ch 433 (518); Carrick v Hancock (1895) 12 TLR 59; Briggs, L.Q.R. 129 (2013), 87 (90 f.); Cheshire, North & Fawcett, Private International Law, S. 529; Hill/Chong, International Commercial Disputes, Rn. 12.2.11 f.; Kutner, RabelsZ 83 (2019), 1 (10 ff.); Laugwitz, Anerkennung, S. 171 f. 193 Vgl. Adams v Cape Industries [1990] Ch 433 (513). Die Frage ist bisher ungeklärt und in der Literatur umstritten, vgl. Kutner, RabelsZ 83 (2019), 1 (17). 194 Residence fordert einerseits mehr als die bloße Anwesenheit, nämlich eine gewisse Dauerhaftigkeit: Andererseits führt die kurze vorübergehende Abwesenheit nicht zum Wegfall der residence (vgl. McClean/Ruiz Abou-Nigm, Morris: The Conflict of Laws, Rn. 3-002
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Kapitel 9: Rechtsvergleichende Perspektive
Urteilsstaat hatte, wenn der Beklagte nicht zugleich auch tatsächlich körperlich anwesend war.195 Zum Teil wird der Standpunkt vertreten, dass residence im Zeitpunkt der Verfahrenseinleitung auch unabhängig von der tatsächlichen körperlichen Anwesenheit die Anerkennungszuständigkeit begründe.196 Die Ausführungen des Supreme Court in Eurofinance v Rubin deuten, obgleich sie lediglich ein obiter dictum darstellen, jedoch in eine andere Richtung.197 Auch in der Literatur finden sich Stimmen, die unter Verweis auf die Rechtssicherheit nur presence als hinreichende Grundlage für die indirekte Zuständigkeit ansehen.198 Im Unterschied zum englischen Recht, fordert das HAVÜ mit der Anknüpfung an den gewöhnlichen Aufenthalt (Art. 5 Abs. 1 lit. a HAVÜ) bzw. an die Hauptniederlassung (Art. 5 Abs. 1 lit. b HAVÜ) eine sehr viel stärkere Verbindung zum Ursprungsstaat.199 Die bloße Anwesenheit im Zeitpunkt der Verfahrenseinleitung begründet im Rahmen des HAVÜ keine indirekte Zuständigkeit.200 Das englische Common Law geht insofern sehr viel weiter. Denkbar ist allerdings auch die Konstellation, dass im Zeitpunkt der Verfahrenseinleitung ein gewöhnlicher Aufenthalt im Sinne des Art. 5 Abs. 1 lit. a HAVÜ im Ursprungsstaat bestand, die Beklagte sich aber im relevanten Zeitpunkt außerhalb des Staates aufhielt. Es läge dann eine indirekte Zuständigkeit unter dem HAVÜ vor, während nach englischem Recht, wie gesehen, zweifelhaft ist, ob in einem solchen Fall eine Anerkennungszuständigkeit bestünde.201
und 10-017). Die residence entspricht daher eher einem Wohnsitz oder dem gewöhnlichen Aufenthalt (vgl. Laugwitz, Anerkennung, S. 170), auch wenn die Maßstäbe mit den entsprechenden Begriffen im Sinne des deutschen oder europäischen Rechts nicht identisch sind. 195 Offengelassen in Adams v Cape Industries [1990] Ch 433 (518). Im Rahmen von AJA 1920 und FJA 1933 ist die residence zuständigkeitsbegründend. Die bloße Anwesenheit genügt nicht (vgl. Sec. 4(2)(a)(iv) FJA 1933; Dicey, Morris & Collins, The Conflict of Laws, Rn. 14-060; Laugwitz, Anerkennung, S. 387). 196 Vgl. State Bank of India v Murjani Marketing Group Ltd, March 27, 1991 (CA); Cheshire, North & Fawcett, Private International Law, S. 529; Hill/Chong, International Commercial Disputes, Rn. 12.2.14; Hill/Ní Shúilleabháin, Clarkson & Hill's Conflict of Laws, Rn. 3.25. 197 Eurofinance v Rubin [2013] 1 A.C. 236 (251): „Consequently, if the judgments in issue on the appeals are regarded as judgments in personam within the Dicey rule, then they will only be enforced in England at common law if the judgment debtors were present (or, if the 1933 Act applies, resident) in the foreign country when the proceedings were commenced, or if they submitted to its jurisdiction.“ 198 Siehe insbesondere Briggs, Private International Law, Rn. 6.153; Briggs, The Conflict of Laws, S. 134. 199 Vgl. aus der Perspektive des australischen Rechts: Douglas/Keyes/McKibbin/Mortensen, Federal Law Review 47-3 (2019), 420 (428). 200 Douglas/Keyes/McKibbin/Mortensen, Federal Law Review 47-3 (2019), 420 (428). 201 Es hinge vor allem davon ab, ob man residence ohne körperliche Anwesenheit zur Begründung der Anerkennungszuständigkeit als ausreichend erachtet.
C. Indirekte Zuständigkeit
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b) Juristische Personen Das Kriterium der Anwesenheit (presence) ist auch im Hinblick auf juristische Personen oder Gesellschaften maßgeblich.202 Die internationale Zuständigkeit des Urteilsstaats wird bejaht, wenn die juristische Person oder Gesellschaft im Zeitpunkt der Verfahrenseinleitung im Urteilsstaat auf eigene Kosten eine feste Niederlassung (fixed place of business) betrieb, von der aus sie Geschäfte tätigte.203 Die Anwesenheit einer juristischen Person im Urteilsstaat kann auch indirekt durch einen Repräsentanten begründet werden. Danach gilt eine juristische Person auch dann als anwesend, wenn ein Repräsentant (z.B. eine Tochtergesellschaft) im Urteilsstaat über einen gewissen Zeitraum und von einer festen Niederlassung aus Geschäfte der juristischen Person verrichtet hat.204 Ob der Repräsentant Geschäfte der juristischen Person oder aber eigene verrichtet hat, wird jeweils im Einzelfall anhand von einer Reihe von Kriterien ermittelt.205 Ist eine juristische Person im Sinne dieser Regeln „direkt“ (durch eine eigene Niederlassung) oder „indirekt“ (durch einen Repräsentanten) im Urteilsstaat anwesend, ist eine umfassende Anerkennungszuständigkeit begründet. Es bedarf keines Zusammenhangs mit der Tätigkeit der Niederlassung im Ursprungsstaat.206 Schließlich ist eine juristische Person auch am place of incorporation anwesend, also dem Staat, nach dessen Recht die juristische Person gegründet wurde.207 Dies wird zwar im Kontext der Anerkennungszuständigkeit nur selten ausdrücklich klargestellt. Diese Annahme scheint aber auch den Ausfüh-
202 Oftmals wird auch von residence gesprochen. Im Hinblick auf juristische Personen oder Gesellschaften ergeben sich aus der unterschiedlichen Begrifflichkeit jedoch keine Unterschiede in der Sache, vgl. Adams v Cape Industries [1990] Ch 433 (523). 203 Adams v Cape Industries [1990] Ch 433 (530); Briggs, Civil Jurisdiction and Judgments, Rn. 7.49; Cheshire, North & Fawcett, Private International Law, S. 530; Dicey, Morris & Collins, The Conflict of Laws, Rn. 14-065; Hill/Ní Shúilleabháin, Clarkson & Hill's Conflict of Laws, Rn. 3.27; Hill/Chong, International Commercial Disputes, Rn. 12.2.16; Laugwitz, Anerkennung, S. 173 f.; Peiffer, Schutz gegen Klagen im forum derogatum, S. 380 f. 204 Adams v Cape Industries [1990] Ch 433 (530); Briggs, Civil Jurisdiction and Judgments, Rn. 7.49; Cheshire, North & Fawcett, Private International Law, S. 530 f.; Dicey, Morris & Collins, The Conflict of Laws, Rn. 14-065; Hill/Chong, International Commercial Disputes, Rn. 12.2.16; Laugwitz, Anerkennung, S. 174 f. 205 Adams v Cape Industries [1990] Ch 433 (530 f.); Dicey, Morris & Collins, The Conflict of Laws, Rn. 14-065; Hill/Ní Shúilleabháin, Clarkson & Hill's Conflict of Laws, Rn. 3.29; Laugwitz, Anerkennung, S. 175. 206 Briggs, Civil Jurisdiction and Judgments, Rn. 7.49. 207 Briggs, Private International Law, Rn. 6.155; vgl. auch Beaumont/McEleavy, Anton's Private International Law, Rn. 9.25. Im Kontext der direkten Zuständigkeit: Dicey, Morris & Collins, The Conflict of Laws, Rn. 11-113.
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Kapitel 9: Rechtsvergleichende Perspektive
rungen in Adams v Cape Industries zugrunde zu liegen, die sich darauf beschränken auszuführen, wann eine Gesellschaft, die in einem Staat inkorporiert ist, in einem anderen Staat anwesend ist.208 Insgesamt geht die Anerkennungszuständigkeit des englischen Rechts hinsichtlich juristischer Personen und Gesellschaften weiter als die entsprechenden Vorschriften des HAVÜ. Eine allgemeine Anerkennungszuständigkeit ohne Rücksicht auf die Art des geltend gemachten Anspruchs besteht unter dem HAVÜ gemäß Art. 5 Abs. 1 lit. a i.V.m. Art. 3 Abs. 2 HAVÜ alternativ am Ort, an dem die juristische Person ihren satzungsmäßigen Sitz hat (lit. a), nach dessen Recht sie gegründet wurde (lit. b), in dem sie ihre Hauptverwaltung hat (lit. c) oder in dem sie ihre Hauptniederlassung hat (lit. d).209 Eine Niederlassung im Ursprungsstaat, die nicht die Hauptniederlassung ist, genügt – anders als nach englischem Recht – nicht. Unter Art. 5 Abs. 1 lit. d HAVÜ kann die indirekte Zuständigkeit unter dem HAVÜ zwar auch auf eine Niederlassung im Ursprungsstaat gestützt werden. Diese Zuständigkeit ist allerdings auf Ansprüche beschränkt, die ihren Ursprung in der Tätigkeit der Niederlassung haben.210 Ferner gibt es unter dem HAVÜ keine vergleichbare Grundlage, eine Anerkennungszuständigkeit indirekt über einen Repräsentanten zu begründen. Art. 5 Abs. 1 lit. d HAVÜ ist ausdrücklich auf Niederlassungen ohne eigene Rechtspersönlichkeit beschränkt.211 3. Keine weiteren Anerkennungszuständigkeiten Abgesehen von den genannten Fällen der Unterwerfung und presence (bzw. residence) im Ursprungsstaat sind im englischen Common Law keine weiteren indirekten Zuständigkeitsgründe anerkannt.212 Das englische Recht kann insoweit als restriktiv bezeichnet werden.213 Selbst wenn das ausländische Gericht nach den Maßstäben, die das englische Recht für die eigene Entscheidungszuständigkeit anlegt, das „natürliche Forum“ gewesen ist, wird seine Anerkennungszuständigkeit nicht anerkannt.214 Anders als etwa im kanadischen
208 Vgl. Adams v Cape Industries [1990] Ch 433 (530) („The English courts will be likely to treat a trading corporation incorporated under the law of one country (‘an overseas corporation’) as present within the jurisdiction of the courts of another country only if […]“). 209 Siehe Kapitel 5 B.V.1.a)aa) (S. 206). 210 Siehe Kapitel 5 B.V.1.c) (S. 212). 211 Siehe Kapitel 5 B.V.1.c) (S. 212). 212 Briggs, Civil Jurisdiction and Judgments, Rn. 7.60; Hill/Chong, International Commercial Disputes, Rn. 12.2.23. 213 De Miguel Asensio/Cuniberti/Franzina/Heinze/Requejo Isidro, Judgments Convention Study, S. 35. 214 Briggs, Civil Jurisdiction and Judgments, Rn. 7.60 f.; Hill/Chong, International Commercial Disputes, Rn. 12.2.23.
C. Indirekte Zuständigkeit
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Recht215 begründet eine enge Verbindung zwischen dem Streitgegenstand und dem Ursprungsstaat keine Anerkennungszuständigkeit. Es gibt im englischen Recht somit keine Entsprechungen zu den besonderen indirekten Zuständigkeitsgründen des HAVÜ. So können beispielsweise Urteile aus dem Staat des vertraglichen Erfüllungsorts (Art. 5 Abs. 1 lit. g HAVÜ) oder des Orts der Handlung oder Unterlassung im Fall von deliktischen Ansprüchen (Art. 5 Abs. 1 lit. j HAVÜ) nach englischem Common Law nicht anerkannt werden.216 Im Ergebnis würde das HAVÜ die Liste zur Verfügung stehender Anerkennungszuständigkeiten daher nicht unerheblich erweitern, so dass mehr Urteile als bisher in England anzuerkennen wären.217 III. Fazit Sowohl nach deutschem und englischem Recht als auch nach dem HAVÜ wird die Zuständigkeit des Urteilsstaats nach eigenen Maßstäben überprüft. Irrelevant ist also jeweils, ob das fremde Gericht nach seinem eigenen Zuständigkeitsrecht zuständig war.218 Das englische Recht lässt eine enge Verbindung zwischen Streitgegenstand und Urteilsstaat unberücksichtigt und fragt nicht danach, ob der Urteilsstaat ein angemessenes Forum war, den Rechtsstreit zu entscheiden. Vielmehr ist für das englische Recht allein entscheidend, ob der Beklagte (oder Urteilsschuldner) der territorialen Gerichtsbarkeit des Urteilsstaats unterstand.219 Im englischen Recht ist also nur die Verbindung zwischen Beklagtem (bzw. Titelschuldner) und dem Urteilsstaat entscheidend.220 Im Rahmen des HAVÜ begründet demgegenüber eine Verbindung zwischen Streitgegenstand und Ursprungsstaat in konkret definierten Fällen eine indirekte Zuständigkeit (Art. 5 Abs. 1 lit. g–k HAVÜ).221 Insofern steht das HAVÜ dem Ansatz des deutschen Rechts näher.222 Allerdings sind im Rahmen des 215 Vgl. Beals v Saldanha [2003] 3 SCR 416; Dicey, Morris & Collins, The Conflict of Laws, Rn. 14-090 f.; Monestier, Dalhousie L.J. 28 (2005), 163 (169 ff.). 216 De Miguel Asensio/Cuniberti/Franzina/Heinze/Requejo Isidro, Judgments Convention Study, S. 35 f.; Coco, N.Y.U. L. Rev. 94 (2019), 1209 (1237 f.); Wilderspin/Vysoka, NIPR 2020, 34 (41). Vorausgesetzt ist freilich, dass der Urteilsschuldner sich der Gerichtsbarkeit des Urteilsstaates nicht unterworfen hat und bei Verfahrenseinleitung nicht im Urteilsstaat anwesend oder ansässig war. 217 North, IPRax 2020, 202 (208 f.); Coco, N.Y.U. L. Rev. 94 (2019), 1209 (1237 f.). 218 Vgl. für das englische Recht: Briggs, Civil Jurisdiction and Judgments, Rn. 7.46 f.; Laugwitz, Anerkennung, S. 169; für das deutsche Recht: Laugwitz, Anerkennung, S. 107; für das HAVÜ: siehe Kapitel 5 B.I. (S. 200). 219 Vgl. Briggs, Private International Law, Rn. 6.153; Briggs, L.Q.R. 129 (2013), 87 (91). 220 Entsprechend aus australischer Perspektive Douglas/Keyes/McKibbin/Mortensen, Federal Law Review 47-3 (2019), 420 (428). 221 Chong, JPIL 2020, 31 (66). 222 Mit § 328 Abs. 1 Nr. 1 ZPO geht es dem deutschen Recht darum zu ermitteln, „ob das ausländische Gericht dem Sachverhalt hinreichend nah stand“, von Bar/Mankowski, IPR I § 5 Rn. 124.
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Kapitel 9: Rechtsvergleichende Perspektive
HAVÜ teilweise zumindest „minimale Kontakte“ des Beklagten zum Territorium des Urteilsstaats vorausgesetzt (vgl. Art. 5 Abs. 1 lit. g HAVÜ).223 Die hinter ausschließlichen Zuständigkeitsgründen des nationalen Rechts stehenden Erwägungen und Interessen schützt das HAVÜ insbesondere durch den Ausschluss vom Anwendungsbereich, der generell sein kann (Art. 2 Abs. 1 HAVÜ) oder durch eine entsprechende Erklärung (Art. 18 HAVÜ) hergestellt wird.224 So sind beispielsweise aktienrechtliche Beschlussmängelklagen, für die nach deutschem Recht gemäß §§ 246 Abs. 3 S. 1, 249 Abs. 1 S. 1 AktG225 eine ausschließliche Zuständigkeit besteht, vom Anwendungsbereich des HAVÜ gemäß Art. 2 Abs. 1 lit. i HAVÜ ausgenommen. Darüber hinaus sieht das HAVÜ teilweise selbst ausschließliche Anerkennungszuständigkeiten vor, wobei es mit dem „absolut“ ausschließlichen Zuständigkeitsgrund in Art. 6 HAVÜ und den „relativ“ ausschließlichen Zuständigkeitsgründen in Art. 5 Abs. 3 HAVÜ zwei unterschiedliche Abstufungen gibt.226 Die im deutschen und englischen Recht bestehenden ausschließlichen Zuständigkeiten (vgl. §§ 24, 29a ZPO oder in rem jurisdiction) finden hier eine Entsprechung. Eine durch Gerichtsstandsvereinbarung begründete ausschließliche Zuständigkeit wird schließlich mittels eines fakultativen Versagungsgrundes geschützt (Art. 7 Abs. 1 lit. d HAVÜ).227
D. Verbürgung der Gegenseitigkeit Im deutschen Recht ist die Anerkennung oder Vollstreckung einer ausländischen Entscheidung in vermögensrechtlichen Streitigkeiten davon abhängig, dass die Gegenseitigkeit verbürgt ist (§ 328 Abs. 1 Nr. 5 ZPO). Im englischen Recht findet sich das Prinzip der Gegenseitigkeit im AJA 1920 und dem FJA 1933. Eine Registrierung ausländischer Entscheidungen kommt nach diesen Rechtsgrundlagen nur in Betracht, wenn die Gegenseitigkeit durch Order in
223 Siehe Kapitel 5 B.V.3.a)bb) (S. 227). Ähnliches lässt sich für Art. 5 Abs. 1 lit. j HAVÜ aufgrund des Abstellens auf den Handlungsort sagen, siehe Kapitel 5 B.V.3.d) (S. 232). 224 Siehe Kapitel 6 D.IV.3. (S. 289). 225 Vgl. Martiny, in: Hdb. IZVR III/1, Rn. 691. Sofern man im Rahmen des § 328 Abs. 1 Nr. 1 ZPO europäisches Recht heranziehen wollte, ergäbe sich die ausschließliche Zuständigkeit aus Art. 24 Nr. 2 Brüssel Ia-VO. 226 Siehe Kapitel 5 B.VII. (S. 249). 227 Siehe Kapitel 6 D.IV.1. (S. 284).
D. Verbürgung der Gegenseitigkeit
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Council festgestellt worden ist.228 Nach den Regeln des englischen Common Law wird die Verbürgung der Gegenseitigkeit hingegen nicht vorausgesetzt.229 Unter dem HAVÜ ist die Verbürgung der Gegenseitigkeit keine gesondert zu prüfende Voraussetzung der Anerkennung oder Vollstreckung. Dem HAVÜ ist das Gegenseitigkeitsprinzip zwar immanent,230 was sich vor allem an Art. 1 Abs. 2 HAVÜ und Art. 29 HAVÜ sowie der Funktionsweise der Erklärungsmechanismen in Art. 18 Abs. 2 und Art. 19 Abs. 2 HAVÜ zeigt. Es wird allerdings bei der Anerkennung oder Vollstreckung einer vertragsstaatlichen Entscheidung nicht geprüft, ob der Urteilsstaat seine vertraglichen Verpflichtungen erfüllt.231 Der Verzicht auf eine Prüfung der Verbürgung der Gegenseitigkeit bedeutet im Vergleich zu § 328 Abs. 1 Nr. 5 ZPO eine enorme Erleichterung. Denn um zu prüfen, ob die Gegenseitigkeit verbürgt ist, müssen deutsche Gerichte das nationale Recht des jeweiligen Staates bzw. Gliedstaates232 daraufhin untersuchen, „ob das beiderseitige Anerkennungsrecht und die Anerkennungspraxis bei einer Gesamtwürdigung im wesentlichen gleichwertige Bedingungen für die Vollstreckung eines Urteils gleicher Art im Ausland schaffen.“233 Dabei genügt eine partielle Verbürgung der Gegenseitigkeit, also z.B. im Hinblick auf bestimmte Urteilsgattungen, Rechtsgebiete oder Gerichtsstände.234 Die Länderlisten in den Kommentierungen zu § 328 Abs. 1 Nr. 5 ZPO bieten dabei 228 Vgl. Cheshire, North & Fawcett, Private International Law, S. 592 f.; Dicey, Morris & Collins, The Conflict of Laws, Rn. 14-013 f.; Juenger, Amer. J. Comp. L. 36-1 (1988), 1 (8); Laugwitz, Anerkennung, S. 296 f. 229 Collier, in: Walter/Baumgartner, S. 143; Dicey, Morris & Collins, The Conflict of Laws, Rn. 14-087; Bach, Vollstreckung, S. 68; Laugwitz, Anerkennung, S. 76, 294. 230 Vgl. Kessedjian, NIPR 2020, 19 (23 f.); Mariottini, YbPIL 21 (2019/20), 365 (366); Reyes, Recognition and Enforcement, S. 15; Zhao, SRIEL 2020, 345 (352); allgemein zu Anerkennungs- und Vollstreckbarerklärungsabkommen von Bar/Mankowski, IPR I § 5 Rn. 60. 231 Vgl. Roth, in: Stein/Jonas, § 328 Rn. 118. Vertragsverletzungen können allerdings Konsequenzen auf völkerrechtlicher Ebene haben und unter Umständen sogar zu einer Suspendierung des Vertrags berechtigen (vgl. Art. 60 Abs. 2 WVK). 232 BGH 29.4.1999 – IX ZR 263/97, BGHZ 141, 286 (299) = NJW 1999, 3198 (3201); Dörner, in: Saenger, ZPO, § 328 Rn. 61; Laugwitz, Anerkennung, S. 287; Roth, in: Stein/Jonas, § 328 Rn. 120; Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, § 328 Rn. 31. 233 BGH 29.4.1999 – IX ZR 263/97, BGHZ 141, 286 (299) = NJW 1999, 3198 (3201). So auch Bach, in: BeckOK-ZPO, § 328 Rn. 46; Dörner, in: Saenger, ZPO, § 328 Rn. 61; Geimer, IZPR, Rn. 2879; Gottwald, in: MüKo-ZPO, § 328 Rn. 135; Laugwitz, Anerkennung, S. 285 f.; Roth, in: Stein/Jonas, § 328 Rn. 120; Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, § 328 Rn. 31. 234 BGH 30.9.1964 – VIII ZR 195/61, BGHZ 42, 194 (196) = NJW 1964, 2350 (2351); BGH 5.3.2009 – IX ZR 150/05, NJW-RR 2009, 1652; Bach, in: BeckOK-ZPO, § 328 Rn. 46; Geimer, IZPR, Rn. 2881; Laugwitz, Anerkennung, S. 289 f.; Roth, in: Stein/Jonas, § 328 Rn. 121; Schack, IZVR, Rn. 1029; Schütze, in Geimer/Schütze, EuZVR, E 1. Rn. 95; Siebel, Anerkennung und Vollstreckung, S. 185.
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Kapitel 9: Rechtsvergleichende Perspektive
nicht immer eine angemessene Hilfestellung, da es oftmals an einer Begründung bzw. Quellenangaben fehlt oder entsprechende Fundstellen veraltet sind.235 Oftmals gibt es auch widersprüchliche Einschätzungen dazu, ob im Verhältnis zu einem bestimmten Staat die Gegenseitigkeit verbürgt ist.236 Die erheblichen praktischen Schwierigkeiten237 bei der Ermittlung des fremden Anerkennungsrechts und vor allem der – letztlich entscheidenden238 – Anerkennungspraxis führen nicht selten dazu, dass entsprechenden Einschätzungen deutscher Gerichte vorgeworfen wird, entscheidende Aspekte übersehen oder falsch bewertet zu haben.239 Im Anwendungsbereich des HAVÜ würden sich diese praktischen Schwierigkeiten und Rechtsunsicherheiten erübrigen.240 Im Verhältnis zu Staaten, zu denen die Gegenseitigkeit bisher nicht oder nur partiell verbürgt ist, könnte das HAVÜ eine Grundlage für die gegenseitige Anerkennung und Vollstreckung entsprechender Urteile schaffen. Dies betrifft zahlreiche Staaten, und zwar auch solche, mit denen Deutschland einen regen Personen- und Wirtschaftsverkehr unterhält.241 Schwierigkeiten und Unsicherheiten bestehen beispielsweise hinsichtlich der Anerkennung und Vollstreckung von Nicht-Geldleistungsurteilen im Verhältnis zu einigen Common Law-Jurisdiktionen.242 Das HAVÜ könnte die fehlende Gegenseitigkeit überwinden und eine gegenseitige Anerkennung und Vollstreckung entsprechender Entscheidungen ermöglichen.
235 Mankowski, IPRax 2015, 410 (411 f.); Linke/Hau, IZVR, Rn. 13.48; Schack, IZVR, Rn. 1030. 236 Dazu Mankowski, IPRax 2015, 410 (411); Laugwitz, Anerkennung, S. 286. 237 Vgl. Basedow, FS Coester-Waltjen, S. 335 (347); Gottwald, in: MüKo-ZPO, § 328 Rn. 137; Laugwitz, Anerkennung, S. 286; Linke/Hau, IZVR, Rn. 13.48; MPI, RabelsZ 47 (1983), 595 (676 f.); Nagel/Gottwald, IZPR, Rn. 12.209; Reuter/Wegen, ZVglRWiss 116 (2017), 382 (414); Schack, IZVR, Rn. 1030; Schönau, Anerkennung, S. 40; Sonnentag, ZVglRWiss 113 (2014), 83 (95); Wagner, RabelsZ 73 (2009), 100 (145); Würtenberger/Freischem, GRUR 2018, 1227 (1228). 238 OLG Hamburg 13.7.2016 – 6 U 152/11, IPRax 2017, 406; Bach, in: BeckOK-ZPO, § 328 Rn. 46; Dörner, in: Saenger, ZPO, § 328 Rn. 61; Gottwald, in: MüKo-ZPO, § 328 Rn. 137; Laugwitz, Anerkennung, S. 287; Schütze, in: Wieczorek/Schütze, ZPO, § 328 Rn. 72; Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, § 328 Rn. 31. 239 Vgl. z.B. Neelmeier, SchiedsVZ 2007, 102 (102 ff.) (China); Schütze, IPRax 2010, 428 (429 f.) (Südafrika); Schreiber, IPRax 2017, 368 (369 f.) (Russland). 240 Würtenberger/Freischem, GRUR 2018, 1227 (1228). Entsprechend wird der Wegfall der Prüfung der Gegenseitigkeit als Vorteil des HGÜ hervorgehoben: Reuter/Wegen, ZVglRWiss 116 (2017), 382 (414); Wagner, RabelsZ 73 (2009), 100 (145). 241 Linke/Hau, IZVR, Rn. 13.46. 242 Vgl. Gottwald, in: MüKo-ZPO, § 328 Rn. 141 ff. Siehe auch BGH 5.3.2009 – IX ZR 150/05, NJW-RR 2009, 1652 (1652 f.) (Ontario); BGH 24.10.2000 – XI ZR 300/99, NJW 2001, 524 (525) (British Columbia); OLG Hamburg 10.1.2013 – 6 U 68/09, NJW-RR 2013, 629 (631) (Südafrika).
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E. Abwehr inakzeptabler Entscheidungen In Übereinstimmung mit der Rechtslage unter dem HAVÜ243 scheidet nach deutschem und englischem Recht eine Nachprüfung der ausländischen Entscheidung in der Sache grundsätzlich aus.244 Dass das Ursprungsgericht ein anderes Recht angewandt oder zu einem anderen Ergebnis gekommen ist als das ersuchte Gericht, rechtfertigt eine Versagung der Anerkennung nicht. Ebenso wird im Grundsatz nicht überprüft, ob dem Ursprungsgericht Verfahrensfehler unterlaufen sind, ob es den Sachverhalt zutreffend ermittelt und das Recht richtig angewandt hat. Das HAVÜ sieht jedoch ebenso wie das deutsche und das englische Recht Schutzmechanismen gegenüber „inakzeptablen Entscheidungen“ vor. Diese Vorbehalte dienen dazu, zentrale Gerechtigkeitsvorstellungen der inländischen Rechtsordnung sowie fundamentale Interessen des ersuchten Staates zu schützen. Durch die Versagungsgründe wird auch der Schutz der Parteien gewährleistet. Insoweit unterliegen die Entscheidung und das zugrundliegende ursprungsstaatliche Verfahren einer gewissen Kontrolle im ersuchten Staat. Die entsprechenden Mechanismen des deutschen und englischen Rechts unterscheiden sich in ihrer systematischen Einteilung,245 ähneln einander aber der Sache nach in vielfacher Hinsicht.246 In der Systematik des deutschen Anerkennungsrechts findet sich eine Unterscheidung hinsichtlich der Kontrolle der Verfahrenseinleitung (§ 328 Abs. 1 Nr. 2 ZPO), der Unvereinbarkeit mit einem anderen Urteil oder einem rechtshängigem Verfahren (§ 328 Abs. 1 Nr. 3 ZPO) und der ordre public-Kontrolle (§ 328 Abs. 1 Nr. 4 ZPO). Im englischen Recht wird typischerweise zwischen Betrug (fraud), der Unvereinbarkeit mit der öffentlichen Ordnung (public policy) und der Überprüfung des ursprungsstaatlichen Verfahrens nach dem Maßstab der „natürlichen Gerechtigkeit“ (natural justice) differenziert.247 Als Anerkennungshindernis werden auch Verstöße gegen Art. 6 EMRK
243
Siehe Kapitel 6 E.I. (S. 319). Für das deutsche Recht: BGH 4.6.1992 – IX ZR 149/91, BGHZ 118, 312 (320) = NJW 1992, 3096 (3098); Bach, Vollstreckung, S. 14 f.; Dörner, in: Saenger, ZPO, § 328 Rn. 20; Geimer, IZPR, Rn. 2910; Gottwald, in: MüKo-ZPO, § 328 Rn. 120; Junker, IZPR, § 32 Rn. 15; Laugwitz, Anerkennung, S. 245; Roth, in: Stein/Jonas, § 328 Rn. 29, 100; Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, § 328 Rn. 23; für das englische Recht: Godard v Gray (1870) LR 6 QB 139; Briggs, Civil Jurisdiction and Judgments, Rn. 7.65; Dicey, Morris & Collins, The Conflict of Laws, Rn. 14R-118; Hill/Ní Shúilleabháin, Clarkson & Hill's Conflict of Laws, Rn. 3.61; Laugwitz, Anerkennung, S. 76. 245 Siehe dazu Laugwitz, Anerkennung, S. 214 f.; 280 f. 246 Laugwitz, Anerkennung, S. 225, 243; 280 f. 247 Vgl. z.B. Dicey, Morris & Collins, The Conflict of Laws, Rn. 14R-128 ff.; North, IPRax 2020, 202 (204). 244
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behandelt.248 Als spezielle gesetzliche Regelung verhindert Sec. 5 Protection of Trading Interests Act 1980 zudem eine Vollstreckung ausländischer Entscheidungen, die Mehrfachschadensersatz (multiple damages) zusprechen. Das HAVÜ trägt den entsprechenden Bedenken insbesondere mit den fakultativen Versagungsgründen in Art. 7 und Art. 10 HAVÜ Rechnung, die weitgehend die entsprechenden Anerkennungshindernisse im deutschen und englischen Recht abbilden. I. Verfahrenseinleitung So ermöglicht Art. 7 Abs. 1 lit. a i) HAVÜ die Versagung der Anerkennung, wenn dem Beklagten das verfahrenseinleitende Schriftstück nicht so rechtzeitig und in einer Weise übermittelt wurde, dass er sich gegen die Klage verteidigen konnte.249 Die Voraussetzungen des Versagungsgrunds ähneln den Anforderungen, die das englische Common Law unter dem Aspekt der natural justice für die Verfahrenseinleitung aufstellt.250 Insbesondere ist jeweils irrelevant, ob die Zustellungsvorschriften des Ursprungsstaates eingehalten worden sind.251 Insoweit unterscheidet sich der Ansatz von demjenigen des deutschen Rechts. Denn gemäß § 328 Abs. 1 Nr. 2 ZPO kommt es für die Ordnungsmäßigkeit der Zustellung auf das Recht des Urteilsstaats einschließlich der dort geltenden völkerrechtlichen Verträge an.252 Aufgrund bestehender Heilungsmöglichkeiten von Zustellungsmängeln werden allerdings auch nach § 328 Abs. 1 Nr. 2 ZPO bloße Formmängel, die die Verteidigungsmöglichkeiten des Beklagten im Ergebnis nicht beeinträchtigen, eher selten zu einer Anerkennungsversagung führen.253 Ausgeschlossen ist dies, insbesondere bei einer 248 Vgl. Merchant International Co Ltd v Natsionalna Aktsionerna Kompaniya Naftogaz Ukrayiny [2012] 1 WLR 3036; Briggs, Civil Jurisdiction and Judgments, Rn. 7.73; Cheshire, North & Fawcett, Private International Law, S. 580; Dicey, Morris & Collins, The Conflict of Laws, Rn. 14-159 f. Im deutschen Recht wird die EMRK im Rahmen der ordre publicPrüfung berücksichtigt, vgl. BGH 10.12.2014 – XII ZB 463/13, BGHZ 203, 350 (362 ff.) = NJW 2015, 479 (481 f.); Gerasimchuk, Urteilsanerkennung, S. 129. 249 Siehe Kapitel 6 D.I.1. (S. 275). 250 Entsprechend aus australischer Perspektive Douglas/Keyes/McKibbin/Mortensen, Federal Law Review 47-3 (2019), 420 (429). 251 Für das englische Recht: Briggs, Civil Jurisdiction and Judgments, Rn. 7.71 Fn. 600; Cheshire, North & Fawcett, Private International Law, S. 577; Laugwitz, Anerkennung, S. 221; für das HAVÜ: siehe Kapitel 6 D.I.1. (S. 275). 252 BGH 2.12.1992 – XII ZB 64/91, BGHZ 120, 305 (311) = NJW 1993, 598 (600); BGH 29.4.1999 – IX ZR 263/97, BGHZ 141, 286 (303) = NJW 1999, 3198 (3202); BGH 3.4.2019 – XII ZB 311/17, NJW 2019, 2940 (2941) (zu § 109 Abs. 1 Nr. 2 FamFG); Gottwald, in: MüKo-ZPO, § 328 Rn. 103; Laugwitz, Anerkennung, S. 196 f.; Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, § 328 Rn. 15. 253 Nach welchem Recht sich die Heilung von Zustellungsmängeln im Rahmen des § 328 Abs. 1 Nr. 2 ZPO richtet, ist allerdings sehr umstritten, vgl. Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, § 328 Rn. 15 m.w.N.
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Verletzung der Vorschriften des HZÜ, aber nicht.254 Insoweit ist der Versagungsgrund des Art. 7 Abs. 1 lit. a i) HAVÜ enger und damit anerkennungsfreundlicher als § 328 Abs. 1 Nr. 2 ZPO. II. Ordre public, Betrug und nichtkompensatorischer Schadensersatz Art. 7 Abs. 1 lit. c HAVÜ normiert einen ordre public-Vorbehalt, der sowohl den materiell-rechtlichen als auch den verfahrensrechtlichen ordre public umfasst.255 Abgesehen von den durch speziellere Versagungsgründe des HAVÜ erfassten Konstellationen ermöglicht die Vorschrift eine Versagung der Anerkennung in Fällen, in denen nach deutschem oder englischem Recht unter Verweis auf § 328 Abs. 1 Nr. 4 ZPO bzw. public policy, natural justice oder Art. 6 EMRK eine Anerkennungsversagung erfolgen würde. In Übereinstimmung mit der restriktiven Ausgestaltung des ordre public-Vorbehalts in Art. 7 Abs. 1 lit. c HAVÜ sind auch im deutschen und englischen Recht die Voraussetzungen für eine Versagung auf Grundlage der genannten Rechtsinstitute hoch.256 Art. 7 Abs. 1 lit. b HAVÜ erlaubt die Versagung, wenn das Urteil durch Betrug erlangt wurde und spiegelt damit die entsprechende Ausdifferenzierung der Versagungsgründe im englischen Common Law wider.257 Der Versagungsgrund des Betrugs (fraud) nach englischem Recht ist weit gefasst und kann grundsätzlich auch auf Beweismittel gestützt werden, die der Titelschuldner schon im Ursprungsverfahren vorgebracht hat258 oder hätte
254
Vgl. BGH 3.4.2019 – XII ZB 311/17, NJW 2019, 2940 (2942); BGH 14.9.2011 − XII ZR 168/09, BGHZ 191, 59 (68) = NJW 2011, 3581 (3582 f.); BGH 2.12.1992 – XII ZB 64/91, BGHZ 120, 305 = NJW 1993, 598; Dörner, in: Saenger, ZPO, § 328 Rn. 38; Junker, IZPR, § 32 Rn. 21. 255 Siehe Kapitel 6 D.III.1. (S. 280). 256 Vgl. für das deutsche Recht: Bach, in: BeckOK-ZPO, § 328 Rn. 38; Dörner, in: Saenger, ZPO, § 328 Rn. 49; Martiny, in: Hdb. IZVR III/1, Rn. 975; Roth, in: Stein/Jonas, § 328 Rn. 100 („nur in krassen Ausnahmefällen“); Siebel, Anerkennung und Vollstreckung, S. 170 („ultima ratio“). Für das englische Recht vgl. Hill/Ní Shúilleabháin, Clarkson & Hill's Conflict of Laws, Rn. 3.63 und 3.70; Monestier, Dalhousie L.J. 28 (2005), 163 (171). Es gibt im zivil- und handelsrechtlichen Bereich kaum Fälle, in denen englische Gerichte einem Urteil unter Verweis auf public policy oder natural justice die Anerkennung versagt haben, vgl. Briggs, Civil Jurisdiction and Judgments, Rn. 7.71; Hill/Ní Shúilleabháin, Clarkson & Hill's Conflict of Laws, Rn. 3.63 und 3.70; Laugwitz, Anerkennung, S. 276. 257 Entsprechend aus australischer Perspektive Douglas/Keyes/McKibbin/Mortensen, Federal Law Review 47-3 (2019), 420 (430). 258 Jet Holdings Inc v Patel [1990] 1 QB 335; Briggs, Civil Jurisdiction and Judgments, Rn. 7.69; Dicey, Morris & Collins, The Conflict of Laws, Rn. 14-139; Hill/Ní Shúilleabháin, Clarkson & Hill's Conflict of Laws, Rn. 3.68; Laugwitz, Anerkennung, S. 272.
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Kapitel 9: Rechtsvergleichende Perspektive
vorbringen können.259 Es gilt der Satz „fraud unravels everything“.260 Insoweit ist das englische Common Law sehr viel großzügiger als das deutsche Recht.261 Im deutschen Recht werden Betrugsfälle unter dem ordre public-Vorbehalt behandelt.262 Dabei kann der Vorwurf, die Gegenpartei habe das Urteil durch vorsätzlich falschen Vortrag erlangt, im Rahmen von § 328 Abs. 1 Nr. 4 ZPO grundsätzlich nicht auf Beweismittel gestützt werden, deren sich die Partei, die sich tatsächlich gegen die Klage verteidigt hat, bereits im Ausgangsverfahren bedient hat oder hätte bedienen können.263 Nach der hier vertretenen Auffassung überlässt das HAVÜ den Umgang mit solchen Präklusionsfragen dem nationalen Recht,264 so dass beide Ansätze unter dem HAVÜ beibehalten werden könnten. Die Versagung von Entscheidungen, die nichtkompensatorischen Schadensersatz zusprechen, wird durch Art. 10 HAVÜ ermöglicht.265 Im deutschen Recht sind auf nichtkompensatorischen Schadensersatz lautende Entscheidungen nach der Grundsatzentscheidung des BGH regelmäßig als ordre publicVerstoß zu werten.266 Grundsätzlich ähnelt der Ansatz des deutschen Rechts dem des Art. 10 HAVÜ.267 So wird etwa entsprechend Art. 10 Abs. 2 HAVÜ berücksichtigt, ob der Schadensersatz funktional zur Deckung durch das Verfahren entstandener Kosten diente.268 Außerdem bleibt die Vollstreckbarkeit des kompensatorischen Teils grundsätzlich unberührt.269 Da Art. 10 HAVÜ als
259
Syal v Heyward [1948] 2 KB 443; Briggs, Civil Jurisdiction and Judgments, Rn. 7.69; Dicey, Morris & Collins, The Conflict of Laws, Rn. 14-139; Fentiman, International Commercial Litigation, Rn. 18.48; Hill/Ní Shúilleabháin, Clarkson & Hill's Conflict of Laws, Rn. 3.68; Laugwitz, Anerkennung, S. 274. 260 Lazarus Estates Ltd v Beasley [1956] 1 QB 702 (712) (Lord Denning); Briggs, The Conflict of Laws, S. 143. 261 Vgl. Walter/Baumgartner, in: Walter/Baumgartner, S. 31. 262 BGH 29.4.1999 – IX ZR 263/97, BGHZ 141, 286 (304) = NJW 1999, 3198 (3202); Gottwald, in: MüKo-ZPO, § 328 Rn. 125; Gerasimchuk, Urteilsanerkennung, S. 130; Martiny, in: Hdb. IZVR III/1, Rn. 1118 f. 263 Vgl. BGH 29.4.1999 – IX ZR 263/97, BGHZ 141, 286 (306) = NJW 1999, 3198 (3203). 264 Siehe Kapitel 6 A.I. (S. 269) und D.III.3. (S. 284). 265 Siehe Kapitel 6 D.IX. (S. 310). 266 BGH 4.6.1992 – IX ZR 149/91, BGHZ 118, 312 = NJW 1992, 3096; so auch Dörner, in: Saenger, ZPO, § 328 Rn. 57; Gottwald, in: MüKo-ZPO, § 328 Rn. 127; Roth, in: Stein/Jonas, § 328 Rn. 108; Schack, IZVR, Rn. 1021. 267 Vgl. Wagner, IPRax 2016, 97 (102). 268 Vgl. BGH 4.6.1992 – IX ZR 149/91, BGHZ 118, 312 (340) = NJW 1992, 3096 (3103); Gottwald, in: MüKo-ZPO, § 328 Rn. 127. 269 Zum HAVÜ siehe Kapitel 6 D.IX. (S. 310); zum deutschen Recht: BGH 4.6.1992 – IX ZR 149/91, BGHZ 118, 312 (342 ff.) = NJW 1992, 3096 (3104 f.); strittig allerdings, soweit es sich um einen einheitlichen materiellen Anspruch handelt: vgl. Lendermann, Strafschadensersatz, S. 255 ff. m.w.N.
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fakultativer Versagungsgrund ausgestaltet ist,270 wäre auch eine großzügigere Anerkennung von punitive damages-Urteilen, wie sie im deutschen Schrifttum teilweise gefordert wird,271 unter dem HAVÜ denkbar. Das englische Recht ist hinsichtlich der Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen, die Strafschadensersatz zusprechen, deutlich großzügiger als das deutsche Recht.272 Dies gilt allerdings nicht für Entscheidungen über Mehrfachschadensersatz (multiple damages).273 Denn nach englischem Recht ist einem durch Multiplikation des tatsächlichen Schadens errechneter Mehrfachschadensersatz (z.B. treble damages nach US-amerikanischem Kartellrecht274) gemäß Sec. 5 Protection of Trading Interests Act 1980 die Vollstreckung zu versagen. Auch Mehrfachschadensersatz ist nichtkompensatorischer Natur und muss im Anwendungsbereich HAVÜ nicht vollstreckt werden. Allerdings wird im Anwendungsbereich von Sec. 5 Protection of Trading Interests Act 1980 teilweise angenommen, dass auch der kompensatorische Teil des durch Multiplikation errechneten Schadensersatzes nicht vollstreckt werden darf.275 Hingegen besteht unter dem HAVÜ Klarheit, dass nur dem nichtkompensatorischen Teil die Anerkennung oder Vollstreckung versagt werden darf.276 Das HAVÜ ist also in diesem Punkt – je nach Auslegung von Sec. 5 Protection of Trading Interests Act 1980 – anerkennungsfreundlicher als das englische Recht. III. Urteilskollisionen und anhängiges Verfahren im ersuchten Staat Darüber hinaus stehen Art. 7 Abs. 1 lit. e und f HAVÜ in Fällen der Urteilskollision zur Verfügung. Der Ansatz des HAVÜ entspricht mit der Differenzierung zwischen inländischen Entscheidungen (absoluter Vorrang) und ausländischen Entscheidungen (Prioritätsprinzip)277 dem deutschen Recht (§ 328 270 Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 293 unter (i); siehe auch Kapitel 6 A.I. (S. 269). 271 Vgl. z.B. Bläsi, HGÜ, S. 316 ff.; Lendermann, Strafschadensersatz, S. 172; Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, § 328 Rn. 25; Zekoll, FS Kronke, S. 645 (656). 272 Laugwitz, Anerkennung, S. 277 f.; Cheshire, North & Fawcett, Private International Law, S. 575; vgl. SA Consortium General Textiles v Sun and Sand Agencies Ltd [1978] QB 279. 273 Vgl. Laugwitz, Anerkennung, S. 278 f. 274 Vgl. Hill/Ní Shúilleabháin, Clarkson & Hill's Conflict of Laws, Rn. 3.78. Zum teilweisen Ausschluss des Kartellrechts vom Anwendungsbereich des HAVÜ siehe Kapitel 4 A.II.1. (S. 123). 275 Briggs, Civil Jurisdiction and Judgments, Rn. 7.78; Briggs, The Conflict of Laws, S. 150; Cheshire, North & Fawcett, Private International Law, S. 554; Dicey, Morris & Collins, The Conflict of Laws, Rn. 14-274; a.A. Fentiman, International Commercial Litigation, Rn. 18.19; Hill/Ní Shúilleabháin, Clarkson & Hill's Conflict of Laws, Rn. 3.79. 276 Siehe Kapitel 6 D.IX. (S. 310). 277 Siehe Kapitel 6 D.V. (S. 290) und VI. (S. 296).
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Abs. 1 Nr. 3 ZPO).278 Im englischen Recht haben jedenfalls frühere inländische und frühere ausländische Entscheidungen Vorrang gegenüber einer späteren ausländischen Entscheidung.279 Ob ein späteres englisches Urteil gegenüber einem früheren ausländischen Urteil Vorrang beanspruchen kann, das englische Recht also – wie das HAVÜ und das deutsche Recht – von einem absoluten Vorrang der inländischen Entscheidung ausgeht, ist offen.280 Da Art. 7 Abs. 1 lit. e und f HAVÜ lediglich fakultativer Natur sind,281 könnten englische Gerichte im Fall der Unvereinbarkeit des vertragsstaatlichen Urteils mit einem späteren englischen Urteil entweder dem englischen oder aber dem fremden Urteil Vorrang einräumen. Art. 7 Abs. 2 HAVÜ erlaubt die Versagung der Anerkennung oder Vollstreckung mit Rücksicht auf ein im Inland anhängiges Verfahren. Im englischen Recht ist ein vergleichbarer Versagungsgrund nicht anerkannt.282 Demgegenüber scheidet nach deutschem Recht – dem Ansatz des HAVÜ entsprechend – eine Anerkennung gemäß § 328 Abs. 1 Nr. 4 ZPO aus, wenn die fremde Entscheidung mit einem früher im Inland rechtshängig gewordenen Verfahren unvereinbar ist. Allerdings sieht Art. 7 Abs. 2 HAVÜ eine weitere Voraussetzung vor. Gemäß Art. 7 Abs. 2 lit. b HAVÜ greift der Versagungsgrund nur, wenn eine enge Verbindung des Rechtsstreits zum ersuchten Staat besteht.283 Diese weitere Voraussetzung stellt das deutsche Recht nicht auf. Es ist vor diesem Hintergrund beispielsweise zweifelhaft, ob bei Geltung des HAVÜ ein in Deutschland rechtshängiges Verfahren die Versagung rechtfertigen kann, wenn sich die internationale Zuständigkeit Deutschlands auf die Vermögensbelegenheit im Inland stützt (§ 23 ZPO). Das von der Rechtsprechung aufgestellte Erfordernis eines „hinreichenden Inlandsbezugs“284 dürfte jedenfalls nicht ausreichen, in allen Fällen eine „enge Verbindung“ des Rechtsstreits zum Inland im Sinne des Art. 7 Abs. 2 lit. b HAVÜ zu gewährleisten. Dies gilt ins-
278 Vgl. zu § 328 Abs. 1 Nr. 3 ZPO: Bach, Vollstreckung, S. 33 f.; Laugwitz, Anerkennung, S. 229 ff. 279 Vervaeke v Smith [1983] 1 AC 145 (früheres inländisches Urteil); Showlag v Mansour [1995] 1 AC 431 (früheres ausländisches Urteil); Briggs, Civil Jurisdiction and Judgments, Rn. 7.74; Fentiman, International Commercial Litigation, Rn. 18.17 f. 280 Vgl. Cheshire, North & Fawcett, Private International Law, S. 583; Laugwitz, Anerkennung, S. 241. In anderen Common Law-Jurisdiktionen wurde in einer solchen Situation zum Teil dem früheren ausländischen Urteil der Vorrang eingeräumt, vgl. Loo Chooi Ting v United Overseas Bank Ltd [2015] 8 CLJ 287 (Malaysia) (zitiert nach Chong, JPIL 2020, 31 (51)). 281 Siehe Kapitel 6 A.I. (S. 269). 282 Walter/Baumgartner, in: Walter/Baumgartner, S. 33. 283 Siehe Kapitel 6 D.VII.2. (S. 302). 284 Grundlegend BGH 2.7.1991 – XI ZR 206/90, BGHZ 115, 90 = NJW 1991, 3092.
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besondere soweit zur Begründung des Inlandsbezugs lediglich auf den Wohnsitz oder die Nationalität des Klägers abgestellt wird.285 Wohnsitz oder Nationalität des Klägers können im Rahmen von Art. 7 Abs. 2 lit. b HAVÜ keine enge Verbindung begründen.286 Dass zusätzlich Vermögen des Beklagten im Inland belegen ist, genügt nicht zur Annahme einer engen Verbindung. In einer solchen Konstellation schreibt das HAVÜ folglich die Anerkennung und Vollstreckung der Entscheidung vor, während gemäß § 328 Abs. 1 Nr. 4 ZPO eine Anerkennung ausscheiden würde. IV. Sonstige Schutzmechanismen des HAVÜ Auch über die Versagungsgründe hinaus gibt es im Rahmen des HAVÜ eine Reihe von Vorschriften und Mechanismen, die zumindest auch dazu dienen, staatliche Interessen und wesentliche Rechtsgrundsätze des Inlands zu schützen. Dies gilt insbesondere für eine Reihe von Bereichsausnahmen, die in Art. 2 Abs. 1 HAVÜ normiert sind. So wurde beispielsweise die Ausklammerung der Privatsphäre in Art. 2 Abs. 1 lit. l HAVÜ unter anderem damit gerechtfertigt, dass andernfalls ein regelmäßiger Rückgriff auf den ordre publicVorbehalt in Art. 7 Abs. 1 lit. c HAVÜ drohe.287 Ähnliche Erwägungen stehen hinter dem Ausschluss der Verleumdung vom Anwendungsbereich.288 Über Art. 8 Abs. 2 HAVÜ wird der Schutz auch auf die Vorfragenkonstellation ausgedehnt.289 Im deutschen und englischen Recht erfolgt kein pauschaler Ausschluss der Anerkennung von Entscheidungen, die die Privatsphäre oder Verleumdung betreffen. Vielmehr wird jeweils im Einzelfall, insbesondere anhand des ordre public-Vorbehalts, die Vereinbarkeit der Entscheidung mit wesentlichen Grundsätzen der inländischen Rechtsordnung geprüft.290 Als Mechanismus zum Schutz der inländischen Rechtsordnung vor inakzeptablen Entscheidungen kann auch der Einspruchsmechanismus in Art. 29 HAVÜ verstanden werden.291 Art. 29 HAVÜ ist zwar zum einen auf eine Kontrolle im zeitlichen Zusammenhang mit Ratifikation, Annahme, Genehmigung
285
Vgl. z.B. BGH 13.12.2012 – III ZR 282/11, NJW 2013, 386 (387); BAG 13.11.2007 – 9 AZR 134/07, NZA 2008, 761 (763). 286 Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 275. Siehe auch Kapitel 6 D.VII.2. (S. 302). 287 Vgl. North, Neth. Int'l L. Rev. 2020, 33 (40 f.); Mariottini, YbPIL 19 (2017/18) 475 (480); andeutungsweise auch: Garcimartín/Saumier, Explanatory Report, Rn. 61. 288 Vgl. Mariottini, YbPIL 19 (2017/18) 475 (480). 289 Siehe generell Kapitel 6 D.VIII. (S. 304). 290 Vgl. BGH 19.7.2018 – IX ZB 10/18, NJW 2018, 3254 (im Rahmen der Brüssel I-VO). 291 Ähnlich: Stewart, Amer. J. Int'l. L. 113 (2019), 772 (780); siehe auch Kapitel 3 E.III. (S. 108).
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Kapitel 9: Rechtsvergleichende Perspektive
oder Beitritt beschränkt, so dass späteren Entwicklungen nicht Rechnung getragen werden kann292 und stellt zum anderen keine materiellen Voraussetzungen auf, so dass die Gründe für eine entsprechende Notifikation theoretisch vielfältiger Natur sein können.293 Vielen Verhandlungsstaaten kam es jedoch gerade darauf an, Entscheidungen aus Staaten mit – aus ihrer Sicht – defizitären Justizsystemen auch dann nicht anerkennen zu müssen, wenn ein Mangel des konkreten Verfahrens nicht nachweisbar ist.294 Dies zeigt sich unter anderem daran, dass in den Verhandlungen als Alternative zu Art. 29 HAVÜ auch ein auf systemische Mängel des Justizsystems gestützter Versagungsgrund nach US-amerikanischem Vorbild (vgl. Sec. 4 Uniform Foreign-Country Money Judgments Recognition Act 2005) diskutiert wurde.295 Anders als dies bei einem solchen Versagungsgrund der Fall gewesen wäre, obliegt die Kontrolle über die Entstehung von Vertragsverhältnissen im Sinne des Art. 29 HAVÜ nicht den Gerichten, sondern den vertragsstaatlichen Regierungen. Einen Art. 29 HAVÜ vergleichbaren Sicherungsmechanismus, der pauschal der Anerkennung oder Vollstreckung von Urteilen aus einem bestimmten Staat den Riegel vorschiebt,296 gibt es weder im deutschen noch im englischen Recht. Steht die Unabhängigkeit und Neutralität des Ursprungsgerichts in Frage, wird dies im deutschen Recht als Frage des verfahrensrechtlichen ordre public297 und im Rahmen des englischen Rechts regelmäßig als fraud oder möglicher Verstoß gegen den englischen public policy-Grundsatz behandelt.298 Es erfolgt dabei jeweils eine Überprüfung des konkreten ursprungsstaatlichen Verfahrens durch das Gericht, keine allgemeine Evaluierung des Rechts- und Justizsystems des Ursprungsstaats.299 292
Siehe Kapitel 3 E.III.2. (S. 110). Siehe Kapitel 3 E.III.4. (S. 113). 294 Minutes of the Special Commission on the Recognition and Enforcement of Foreign Judgments (24–29 May 2018), Minutes No 5, Meeting of 26 May 2018 (morning), Rn. 67 ff.; vgl. auch Goddard, Duke J. Comp. & Int'l L. 29 (2019), 473 (488 f.); Stein, IPRax 2020, 197 (198). 295 Vgl. Minutes of the Special Commission on the Recognition and Enforcement of Foreign Judgments (24–29 May 2018), Minutes No 5, Meeting of 26 May 2018 (morning), Rn. 67–86 (bisher unveröffentlicht); vgl. auch Goddard, Duke J. Comp. & Int'l L. 29 (2019), 473 (489); Stein, IPRax 2020, 197 (198). 296 Wobei die Notifikation nach Art. 29 HAVÜ freilich noch nichts über die Möglichkeit der Anerkennung und Vollstreckung auf Grundlage des nationalen Rechts aussagt. 297 BGH 30.9.1964 – VIII ZR 195/61, BGHZ 42, 194 (202 f.) = NJW 1964, 2350 (2352); OLG Schleswig 18.7.2014 – 12 Va 10/12, FamRZ 2015, 76; Gottwald, in: MüKo-ZPO, § 328 Rn. 131; MPI, RabelsZ 47 (1983), 595 (674 f.); Roth, in: Stein/Jonas, § 328 Rn. 112; Völker, Zur Dogmatik des ordre public, S. 128 ff. 298 Vgl. Korea National Insurance Corp v Allianz Global Corporate & Speciality AG [2009] Lloyd's Rep IR 480; Yukos Capital Sarl v OJSC Rosneft Oil Co (No 2) [2012] EWCA Civ 855; Hill/Ní Shúilleabháin, Clarkson & Hill's Conflict of Laws, Rn. 3.67. 299 Vgl. für das deutsche Recht: Martiny, in: Hdb. IZVR III/1, Rn. 1094. 293
F. Fazit
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Die EU-Studie zum Judgments Project argumentiert, dass das Gegenseitigkeitserfordernis nach § 328 Abs. 1 Nr. 5 ZPO gelegentlich dazu genützt würde, Urteilen aus Staaten, in denen die Rechtsstaatlichkeit und die Unabhängigkeit der Gerichte nicht gewährleistet ist, abzuwehren.300 Beispiele werden dazu nicht angeführt. Es ist zwar denkbar, dass § 328 Abs. 1 Nr. 5 ZPO die Anerkennung von Urteilen aus Staaten mit fragwürdigem Justizsystem verhindert. Dies dürfte aber meist eher eine zufällige Folge von § 328 Abs. 1 Nr. 5 ZPO darstellen, denn der Prüfungsmaßstab ist grundsätzlich ein anderer.301 Allenfalls in Situationen, in denen eine geordnete Rechtspflege im Ursprungsstaat beispielsweise aufgrund eines Bürgerkriegs gar nicht mehr gewährleistet ist,302 bietet § 328 Abs. 1 Nr. 5 ZPO in diesem Kontext eine Grundlage zur Versagung der Anerkennung.303 Dies sind jedoch Extremsituationen. Von diesen abgesehen kann nur der ordre public-Vorbehalt zur Abwehr von Urteilen aus Staaten mit parteiischer Justiz herangezogen werden. Eine Gemeinsamkeit von § 328 Abs. 1 Nr. 5 ZPO und Art. 29 HAVÜ besteht allerdings dahingehend, dass das Gegenseitigkeitserfordernis zur Folge haben kann, dass Urteile aus einem Staat generell und unabhängig von Mängeln des Urteils oder des zugrundeliegenden Verfahrens nicht anerkannt werden.
F. Fazit Auch wenn es in vielerlei Hinsicht Übereinstimmungen zwischen dem HAVÜ und dem deutschen und englischen autonomen Recht gibt, hat die vorangehende Untersuchung bedeutsame Unterschiede aufgezeigt. Diese Unterschiede können zur Folge haben, dass das HAVÜ die Anerkennung oder Vollstreckung in Situationen vorschreibt, in denen nach autonomem englischen oder deutschen Recht dafür keine Grundlage bestünde. Aufgrund von Art. 15 HAVÜ sind gerade diese Konstellationen von praktischer Relevanz. Aus der Perspektive des englischen Rechts ist vor allem die Erweiterung der Liste der Anerkennungszuständigkeiten sowie die Vollstreckbarkeit von Nicht-Geldleistungsurteilen hervorzuheben. Aus der Perspektive des deutschen Rechts würde sich insbesondere der Wegfall der Prüfung der Verbürgung der Gegenseitigkeit auswirken. Außerdem ist das deutsche Recht hinsichtlich der Zustellung des 300 De Miguel Asensio/Cuniberti/Franzina/Heinze/Requejo Isidro, Judgments Convention Study, S. 32. 301 Vgl. bereits MPI, RabelsZ 47 (1983), 595 (675) („Qualität der Justiz und Verbürgung der Gegenseitigkeit liegen also auf ganz verschiedenen Ebenen.“); Basedow, FS CoesterWaltjen, S. 335 (346); Laugwitz, Anerkennung, S. 292. 302 Vgl. OLG Köln 29.6.1994 – 27 UF 23/94, FamRZ 1995, 306; Gottwald, in: MüKoZPO, § 328 Rn. 137. 303 Vgl. Schütze, in: Wieczorek/Schütze, ZPO, § 328 Rn. 70 (bei einem Stillstand der Rechtspflege).
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Kapitel 9: Rechtsvergleichende Perspektive
verfahrenseinleitenden Schriftstücks und im Inland anhängiger Verfahren teilweise strenger als das HAVÜ. Art. 4 Abs. 4 HAVÜ könnte zudem die Vollstreckbarerklärung nicht rechtskräftiger Entscheidungen in Deutschland ermöglichen. Schließlich wäre die Vollstreckbarkeit gerichtlicher Vergleiche gemäß Art. 11 HAVÜ sowohl gegenüber §§ 722, 723 ZPO als auch gegenüber dem englischen Common Law eine Neuerung.
Zusammenfassung und Schluss 1. Das HAVÜ ist das Produkt jahrzehntelanger Bemühungen der Haager Konferenz zur Vereinheitlichung des Rechts der internationalen Urteilsanerkennung.1 Die Konzeption des HAVÜ erklärt sich gerade auch aus den früheren Anläufen. So hat das Scheitern der Verhandlungen um die Jahrtausendwende dazu geführt, dass man mit dem HAVÜ zunächst ein reines Anerkennungsund Vollstreckungsübereinkommen geschaffen und auf Regelungen zur internationalen Entscheidungszuständigkeit verzichtet hat. Die Erfahrungen mit dem HVÜ haben vor allem im Rahmen der Verhandlungen zu Art. 29 HAVÜ eine Rolle gespielt.2 Das praktische Bedürfnis für international vereinheitlichte Regelungen zur Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Entscheidungen in Zivil- oder Handelssachen dürfte vor dem Hintergrund der stetig zunehmenden Globalisierung und Digitalisierung heute größer sein denn je. 2. Für die Auslegung des HAVÜ sind die völkerrechtlichen Auslegungsregeln, wie sie in den Art. 31–33 WVK zum Ausdruck kommen, maßgeblich.3 Von besonderer Bedeutung sind danach der Wortlaut der Bestimmungen, der systematische Zusammenhang sowie Ziel und Zweck des Übereinkommens.4 Bei der Auslegung ist der enge Zusammenhang von HAVÜ und HGÜ zu beachten, der grundsätzlich die Annahme einer einheitlichen Auslegung der beiden Übereinkommen rechtfertigt.5 Der von Francisco Garcimartín und Geneviève Saumier verfasste erläuternde Bericht (Explanatory Report) ist für die Auslegung des HAVÜ von herausragender Bedeutung.6 Das HAVÜ ist grundsätzlich einheitlich und autonom, also ohne Rückgriff auf nationales Recht, auszulegen.7 3. Das HAVÜ ist als bindender, multilateraler völkerrechtlicher Vertrag konzipiert. Das Übereinkommen wird voraussichtlich auch über seine Bindungswirkung zwischen künftigen Vertragsstaaten hinaus internationale
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Kapitel 1 (S. 11). Kapitel 1 B. (S. 15) und Kapitel 3 E.III. (S. 108). 3 Kapitel 2 A. (S. 42). 4 Kapitel 2 B.I.–III. (S. 53). 5 Kapitel 2 B.II.3.b) (S. 69). 6 Kapitel 2 B.II.2. (S. 56). 7 Kapitel 2 C. (S. 84). 2
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Zusammenfassung und Schluss
(Mindest-) Standards für die grenzüberschreitende Urteilsanerkennung setzen.8 Das Übereinkommen stellt eine sogenannte convention simple dar und lässt als solche die internationale Entscheidungszuständigkeit unberührt.9 Um von der verbesserten Zirkulationsfähigkeit von Urteilen unter dem HAVÜ profitieren zu können, werden potenzielle Kläger jedoch schon bei der Wahl des Forums die Art. 5 und 6 HAVÜ im Blick haben müssen.10 Das HAVÜ folgt dem Günstigkeitsprinzip und beschränkt sich im Grundsatz darauf, einen Mindeststandard für die gegenseitige Anerkennung und Vollstreckung von Urteilen zu setzen.11 Es ist – anders als das HGÜ – nicht als „völlig offenes“ Übereinkommen konzipiert. Das HAVÜ sieht vielmehr einen opt-outMechanismus vor, der es einem Vertragsstaat erlaubt, im Verhältnis zu einem anderen Vertragsstaat das Entstehen von bilateralen Beziehungen durch eine entsprechende Notifikation zu verhindern (sogenannte Einspruchslösung).12 Bei den durch das HAVÜ begründeten Pflichten handelt es sich um bilaterale Pflichten.13 Mit der Anerkennung und Vollstreckung einer Entscheidung gemäß Art. 4 Abs. 1 S. 1 HAVÜ erfüllt der ersuchte Staat eine Pflicht gegenüber dem Urteilsstaat. Mit der in bestimmten Fällen von Art. 6 HAVÜ geforderten Nichtanerkennung und Nichtvollstreckung von Entscheidungen erfüllt der ersuchte Staat eine Pflicht im Verhältnis zum Belegenheitsstaat des Grundstücks. Das HAVÜ sucht einen Kompromiss zwischen Rechtssicherheit und Flexibilität.14 Das Übereinkommen stellt im Grundsatz kein Baukastenmodell oder „à-la-carte Übereinkommen“ zur Verfügung, in welchem einzelne Abschnitte oder Artikel herausgepickt und andere aber abgelehnt werden könnten. Die vorgesehenen Erklärungsmechanismen erlauben es den Staaten aber in gewissem Umfang, das Übereinkommen den eigenen Bedürfnissen anzupassen. 4. Für den sachlichen Anwendungsbereich des HAVÜ kommt es allein auf den Gegenstand des Verfahrens, nicht auf etwaige Vorfragen, das Verteidigungsvorbringen oder die Natur des Gerichts oder die Identität der Parteien an.15 Erfasst werden Entscheidungen, denen eine Rechtsbeziehung zugrunde liegt, in der keine der beteiligten Parteien staatliche Hoheitsgewalt ausübt („Zivil- oder Handelssachen“).16 Die Liste der nach Art. 2 Abs. 1 HAVÜ vom Anwendungsbereich ausgeschlossener Sachmaterien kann durch eine Erklärung
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Kapitel 3 A. (S. 87). Kapitel 3 B. (S. 91). 10 Kapitel 3 B.III. (S. 96). 11 Kapitel 3 D. (S. 99). 12 Kapitel 3 E.III. (S. 108). 13 Kapitel 3 F. (S. 113). 14 Kapitel 3 G. (S. 115). 15 Kapitel 4 A.I. (S. 121) und A.III. (S. 130). 16 Kapitel 4 A.I. (S. 121). 9
Zusammenfassung und Schluss
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nach Art. 18 HAVÜ erweitert werden.17 Die Ausklammerung der Schiedsgerichtsbarkeit in Art. 2 Abs. 3 HAVÜ unterscheidet sich ihrer Natur und Wirkung nach von den übrigen Bereichsausnahmen.18 Der Begriff der Gerichtsentscheidung ist weit gefasst und schließt im Grundsatz alle Sachentscheidungen ein, unabhängig davon, ob sie auf Geldleistung gerichtet sind.19 Einstweilige Sicherungsmaßnahmen,20 Prozessführungsverbote (anti-suit injunctions)21 und Exequaturentscheidungen22 fallen nicht in den Anwendungsbereich des HAVÜ. Die besseren Gründe sprechen zudem dafür, dass auch sogenannte penalty orders (z.B. Ordnungs- und Zwangsgeldbeschlüsse) unter dem HAVÜ nicht anerkannt oder vollstreckt werden.23 Gerichtliche Vergleiche werden Entscheidungen im Hinblick auf ihre Vollstreckbarkeit gleichgestellt.24 Für die Abgrenzung zwischen gerichtlichen Vergleichen und Entscheidungen ist maßgeblich, ob dem Gericht lediglich eine beurkundende bzw. protokollierende Rolle zukommt oder ob durch den gerichtlichen Ausspruch eine Verantwortung für die Rechtsfolgen übernommen wird. Eine Regelung zur Vollstreckbarkeit öffentlicher Urkunden sieht das HAVÜ nicht vor.25 Das HAVÜ gilt nur im Verhältnis zu anderen Vertragsstaaten.26 Es kann auch auf sogenannte gemeinsame Gerichte (common courts) Anwendung finden. Die Voraussetzungen dafür sind allerdings weitgehend unklar.27 Die Anwendbarkeit des HAVÜ ist aber jedenfalls dann zu bejahen, wenn es sich um ein reines Rechtsmittelgericht handelt und erstinstanzlich das Gericht eines Vertragsstaats mit der Sache befasst war (z.B. im Fall des Judicial Committee of the Privy Council).28 Für den Umgang mit drittstaatlichen Entscheidungen macht das Übereinkommen keine Vorgaben.29 Das HAVÜ sieht keine Einschränkung des persönlichen Anwendungsbereichs vor.30 Durch Erklärung können Staaten allerdings die Anwendung des
17
Kapitel 4 A.II. (S. 123). Kapitel 4 A.V. (S. 132). 19 Kapitel 4 B.I. (S. 137), II. (S. 139) und IV. (S. 142). 20 Kapitel 4 B.VII. (S. 149). 21 Kapitel 4 B.VIII. (S. 150). 22 Kapitel 4 B.III. (S. 141). 23 Kapitel 4 B.V. (S. 144). 24 Kapitel 4 B.IX. (S. 154). 25 Kapitel 4 B.X. (S. 160). 26 Kapitel 4 C.I. (S. 161). 27 Kapitel 4 C.II. (S. 162). 28 Kapitel 4 C.II. (S. 162). 29 Kapitel 4 C.IV. (S. 164). 30 Kapitel 4 D.I. (S. 167). 18
392
Zusammenfassung und Schluss
HAVÜ auf Verfahren unter Beteiligung des Staates selbst, einer Regierungsstelle oder einer für den Staat oder die Regierungsstelle handelnden natürlichen Person ausschließen. Die Erklärung wirkt im Gegenseitigkeitsverhältnis.31 Das HAVÜ unterscheidet konzeptionell zwischen dem zeitlichen Anwendungsbereich, der Wirksamkeit im Verhältnis zwischen zwei Staaten und dem Inkrafttreten des Übereinkommens. In den zeitlichen Anwendungsbereich fallen Entscheidungen, wenn das Übereinkommen im Zeitpunkt der Einleitung des Ausgangsverfahrens im Verhältnis zwischen Ursprungsstaat und dem um Anerkennung oder Vollstreckung ersuchten Staat wirksam war.32 Im Verhältnis der EU-Staaten zueinander geht grundsätzlich europäisches Recht vor (insbesondere die Brüssel Ia-VO).33 Im Fall einer Inkompatibilität mit einem anderen völkerrechtlichen Vertrag gilt im Grundsatz: Früher geschlossene Verträge bleiben vom HAVÜ unberührt. Später geschlossene Verträge gehen dem HAVÜ nur dann vor, wenn neben dem ersuchten Staat auch der Ursprungsstaat Vertragsstaat des anderen völkerrechtlichen Vertrages ist.34 Das Verfahren der Anerkennung, das Vollstreckbarerklärungs- oder Registrierungsverfahren sowie das Verfahren der Zwangsvollstreckung unterliegen nach Art. 13 Abs. 1 S. 1 HAVÜ grundsätzlich dem nationalen Recht des ersuchten Staates.35 Hierzu gehören auch Fragen der Darlegungs- und Beweislast36 sowie die sogenannte Urteilsverjährung.37 Der völkerrechtliche Gutglaubensgrundsatz kann der Anwendung nationalen Verfahrensrechts Grenzen setzen.38 Für die Anerkennung und Vollstreckung ist ein Vertragsstaat des HAVÜ allein aufgrund des Umstands international zuständig, dass eine Anerkennung oder Vollstreckung der Entscheidung in dem jeweiligen Staat erfolgen soll.39 5. Neben der Eröffnung des Anwendungsbereichs setzt die Anerkennung oder Vollstreckung einer Entscheidung unter dem HAVÜ voraus, dass die Entscheidung im Ursprungsstaat wirksam (für Zwecke der Anerkennung) bzw. vollstreckbar (für Zwecke der Vollstreckung) ist und ein indirekter Zuständigkeitsgrund nach Art. 5 oder 6 HAVÜ gegeben ist.40 Liegen die Voraussetzungen eines indirekten Zuständigkeitsgrundes vor, kann die Anerkennung und Vollstreckung durch das ersuchte Gericht nicht mit der Begründung verweigert werden, das Ursprungsgericht sei ein forum non conveniens gewesen.41 Auch 31
Kapitel 4 D.II. (S. 168). Kapitel 4 E. (S. 171). 33 Kapitel 4 F.II. (S. 176). 34 Kapitel 4 F.II. (S. 176). 35 Kapitel 4 G.III. (S. 179). 36 Kapitel 4 G.III.3. (S. 183). 37 Kapitel 4 G.III.5. (S. 185). 38 Kapitel 4 G.III.4. (S. 184). 39 Kapitel 4 G.III.6. (S. 186). 40 Kapitel 5 A. (S. 195) und B. (S. 200). 41 Kapitel 5 B.II. (S. 202). 32
Zusammenfassung und Schluss
393
die Vollstreckbarkeit eines gerichtlichen Vergleichs unter dem HAVÜ setzt das Vorliegen eines indirekten Zuständigkeitsgrundes nach Art. 5 oder 6 HAVÜ voraus.42 Für Verbraucher und Arbeitnehmer bietet das HAVÜ nur einen begrenzten Schutz.43 6. Die Versagungsgründe des HAVÜ sind fakultativer Natur. Es steht im Ermessen der Vertragsstaaten (nicht notwendigerweise der vertragsstaatlichen Gerichte), ob bzw. unter welchen Voraussetzungen von einem Versagungsgrund Gebrauch gemacht wird.44 Ob die Versagung auf eine Rüge hin oder von Amts wegen erfolgt, ist eine Frage des nationalen Rechts.45 Das HAVÜ schließt eine révision au fond aus. Allerdings dürfen die Gerichte im ersuchten Staat die Voraussetzungen des HAVÜ (einschließlich der indirekten Zuständigkeitsgründe und Versagungsgründe) in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht selbstständig prüfen.46 7. Der Anerkennungsbegriff des HAVÜ kann im Sinne einer eingeschränkten Wirkungserstreckung verstanden werden. Anzuerkennen ist der operative Teil der Entscheidung, nicht hingegen die Beurteilung von Vorfragen und präjudiziellen Rechtsverhältnissen. Das HAVÜ hindert die Vertragsstaaten jedoch nicht daran, einer ausländischen Entscheidung darüber hinaus nach nationalem Recht weitere Wirkungen zu verleihen.47 8. Das HAVÜ ist grundsätzlich autonom, also ohne Rückgriff auf nationales Recht auszulegen. Allerdings finden sich im HAVÜ auch Verweise und Bezugnahmen auf nationales Recht.48 Dahinter stehen jeweils unterschiedliche Erwägungen, beispielsweise der Schutz des ersuchten Staats vor „inakzeptablen“ Entscheidungen49 oder die Bewertung von Parteiverhalten im Kontext des ursprungsstaatlichen Verfahrens.50 Die Verweisungen des HAVÜ auf nationales Recht können im ersuchten Staat die Ermittlung und Prüfung fremden Rechts erforderlich machen. Art. 8 Abs. 2 HAVÜ birgt insoweit eine gewisse Missbrauchsgefahr.51 9. Aus der Perspektive des englischen Common Law würde das HAVÜ zur Ausweitung der Anerkennungszuständigkeiten führen und so die Anerkennung und Vollstreckung vertragsstaatlicher Entscheidungen nicht unerheblich erleichtern.52 Ferner sieht das HAVÜ im Unterschied zum englischen Common 42
Kapitel 5 B.IX. (S. 261). Kapitel 5 B.VI. (S. 243). 44 Kapitel 6 A. (S. 269). 45 Kapitel 6 B. (S. 273). 46 Kapitel 6 E. (S. 319). 47 Kapitel 7 E. (S. 329). 48 Kapitel 8 A. (S. 333). 49 Kapitel 8 A.II.1. (S. 337). 50 Kapitel 8 A.I.3. (S. 335). 51 Kapitel 8 D. (S. 344) und Kapitel 6 D.VIII.3. (S. 307). 52 Kapitel 9 C.II. (S. 367). 43
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Zusammenfassung und Schluss
Law die Vollstreckbarkeit von Nicht-Geldleistungsurteilen vor.53 Aus der Perspektive des deutschen Rechts würde sich bei Geltung des HAVÜ vor allem der Wegfall der Prüfung der Verbürgung der Gegenseitigkeit auswirken.54 Hinsichtlich der Anerkennungsversagung aufgrund von Mängeln bei der Zustellung des verfahrenseinleitenden Schriftstücks und einer inländischen Rechtshängigkeit ist das HAVÜ zum Teil anerkennungsfreundlicher als das deutsche Recht.55 Art. 4 Abs. 3 und Abs. 4 HAVÜ könnten ferner die Vollstreckbarerklärung nicht rechtskräftiger Entscheidungen in Deutschland ermöglichen.56 Schließlich wäre die Vollstreckbarkeit ausländischer gerichtlicher Vergleiche gemäß Art. 11 HAVÜ sowohl gegenüber §§ 722, 723 ZPO als auch gegenüber dem englischen Common Law eine Neuerung.57 10. Das HAVÜ hat das Potenzial, durch die Schaffung einer einheitlichen Rechtsgrundlage in vielen Bereichen eine Vereinfachung der grenzüberschreitenden Anerkennung und Vollstreckung von Gerichtsentscheidungen zu bewirken. Für Kläger, die wissen möchten, ob ein Urteil später in einem bestimmten Staat durchgesetzt werden kann, erübrigt sich idealiter eine Beschäftigung mit fremdem Anerkennungsrecht. Schon der Blick in das HAVÜ und die Statustabelle des Übereinkommens auf der Webseite der Haager Konferenz wird in vielen Fällen eine hinreichende Antwort bereithalten. Dies setzt freilich voraus, dass das HAVÜ im konkreten Fall anwendbar ist und ein indirekter Zuständigkeitsgrund greift. Aufgrund des in Art. 15 HAVÜ verankerten Günstigkeitsprinzips wird das HAVÜ die Möglichkeiten der gegenseitigen Anerkennung und Vollstreckung in den künftigen Vertragsstaaten erweitern. Das Beispiel des deutschen Rechts zeigt auf, dass das HAVÜ – trotz seines teilweise fragmentarischen und kompromisshaften Charakters – einen solchen Effekt in gewissem Umfang auch im Hinblick auf Staaten haben kann, deren Anerkennungsrecht als liberal und offen beschrieben wird.58 11. Das HAVÜ lässt den Vertragsstaaten zum Teil erhebliche Spielräume und Gestaltungsmöglichkeiten in der Umsetzung des HAVÜ. Dies gilt nicht nur für die verschiedenen Erklärungsmechanismen59 und das Verfahren der Anerkennung, das Vollstreckbarerklärungs- oder Registrierungsverfahren sowie das Verfahren der Zwangsvollstreckung.60 Die Rechtsordnung des ersuchten Staates legt beispielsweise auch fest, ob und unter welchen Bedingungen 53
Kapitel 9 B.IV. (S. 354). Kapitel 9 D. (S. 376). 55 Kapitel 9 E.I. (S. 380) und E.II. (S. 381). 56 Kapitel 9 B.III. (S. 352). 57 Kapitel 9 B.V. (S. 356). 58 Zur Einordnung des deutschen Rechts als anerkennungsfreundlich vgl. z.B. Schönau, Anerkennung, S. 45 f.; Wilderspin/Vysoka, NIPR 2020, 34 (41). 59 Siehe insbesondere Kapitel 3 G. (S. 115), Kapitel 4 A.II.2. (S. 129), Kapitel 4 C.VI. (S. 166), Kapitel 4 D.II. (S. 168), Kapitel 6 D.XI.1. (S. 315) und 2. (S. 315). 60 Siehe Kapitel 4 G.III. (S. 179). 54
Zusammenfassung und Schluss
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eine Versagung der Anerkennung erfolgt, wenn die Voraussetzungen eines Versagungsgrundes gegeben sind. Soweit über solche Fragen im Rahmen der jeweiligen nationalen Durchführungsgesetzgebung keine Klarheit geschaffen wird, kann dies unnötige Rechtsunsicherheit zur Folge haben.61 12. Die künftige Bedeutung des HAVÜ bleibt abzuwarten. Die ersten Reaktionen waren überwiegend positiv.62 Mit Uruguay, der Ukraine und Israel haben bereits drei Staaten das Übereinkommen unterzeichnet.63 Die Europäische Union bereitet eine Annahme des HAVÜ vor und hat bereits eine öffentliche Konsultation durchgeführt.64 Mehrere Staaten haben schon während der Verhandlungen positive Signale gesendet und die Bedeutung des Übereinkommens für die jeweiligen Jurisdiktionen betont. Ein baldiges Inkrafttreten erscheint vor diesem Hintergrund möglich.
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Siehe Kapitel 6 A.I. (S. 269). Allgemein: Nielsen, JPIL 2020, 205 (245 f.); North, IPRax 2020, 202 (210); aus EUPerspektive: Stein, IPRax 2020, 197 (202); Weller, YbPIL 21 (2019/20), 279 (308); aus USamerikanischer Sicht: Coco, N.Y.U. L. Rev. 94 (2019), 1209 (1241 ff.); Stewart, Amer. J. Int'l. L. 113 (2019), 772 (781 ff.); aus australischer Sicht: Douglas/Keyes/McKibbin/Mortensen, Federal Law Review 47-3 (2019), 420 (435 f.); aus brasilianischer Sicht: Araujo/De Nardi/Lopes/Polido, Revista de Direito Internacional 16 (2019), 19 (23); aus chinesischer Sicht: Zhang/Tu, JIDS 2020, 614 (634–637). Sehr kritisch hingegen: Schack, IPRax 2020, 1 (6). 63 Siehe (Stand: 25. 4.2021). 64 Siehe . 62
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De Miguel Asensio, Pedro A./Cuniberti, Gilles/Franzina, Pietro/Heinze, Christian/Requejo Isidro, Marta: The Hague Conference on Private International Law “Judgments Convention” – Study, April 2018, abrufbar unter: (zitiert: De Miguel Asensio/Cuniberti/Franzina/Heinze/Requejo Isidro, Judgments Convention Study) Deutscher Notarverein e.V.: Weltweites Anerkennungs- und Vollstreckungsübereinkommen im Rahmen der Haager Konferenz für Internationales Privatrecht – Stellungnahme vom 22.03.2016, abrufbar unter: (zitiert: Deutscher Notarverein, Stellungnahme vom 22.03.2016) Droz, Georges A.L.: Rapport explicatif sur le Protocole additionnel, in: Actes et documents de la Session extraordinaire (1966), Exécution des jugements, Den Haag 1969, S. 497– 504 (zitiert: Droz, Rapport explicatif) Europäische Kommission: Inception impact assessment – Proposal for a Council decision on the accession to the Judgments Convention, Ares(2020)842529, abrufbar unter: (zitiert: Europäische Kommission: Inception impact assessment) Fragistas, Charalambos N.: Rapport explicatif sur la Convention – Jugements de 1971, in: Actes et documents de la Session extraordinaire (1966), Exécution des jugements, Den Haag 1969, S. 359–388 (zitiert: Fragistas, Rapport explicatif) Garcimartín, Francisco/Saumier, Geneviève: Judgments Convention: Revised Draft Explanatory Report, Preliminary Document No 1 of December 2018, abrufbar unter: (zitiert: Garcimartín/Saumier, Judgments Convention: Revised Draft Explanatory Report, PrelDoc No 1 of December 2018) –/–: Explanatory Report on the Convention of 2 July 2019 on the Recognition and Enforcement of Foreign Judgments in Civil or Commercial Matters (HCCH 2019 Judgments Convention), Den Haag 2020, abrufbar unter: (zitiert: Garcimartín/Saumier, Explanatory Report) Goode, Roy/Kanda, Hideki/Kreuzer, Karl (mit der Unterstützung von: Bernasconi, Christophe): Explanatory Report on the Hague Convention on the Law Applicable to Certain Rights in Respect of Securities held with an Intermediary, Den Haag 2017, abrufbar unter: (zitiert: Goode/ Kanda/Kreuzer, Explanatory Report) Haines, Avril D.: The Impact of the Internet on the Judgments Project: Thoughts for the Future, Preliminary Document No 17 of February 2002 for the attention of Commission I (General Affairs and Policy of the Conference) of the XIXth Diplomatic Session – April 2002, abrufbar unter: (zitiert: Haines, The Impact of the Internet on the Judgments Project, PrelDoc No 17 of February 2002) Hartley, Trevor C./Dogauchi, Masato: Explanatory Report on the 2005 Hague Choice of Court Agreements Convention, in: Proceedings of the Twentieth Session 14 to 30 June 2005, Tome III, Choice of Court, Antwerpen/Oxford/Portland 2010, S. 785–863, abrufbar unter: (zitiert: Hartley/Dogauchi, Explanatory Report) International Council for Commercial Arbitration: ICCA's Guide to the Interpretation of the 1958 New York Convention, 2011, abrufbar unter: (zitiert: ICCA's Guide to the Interpretation of the 1958 New York Convention) Jones Day: Comparative Study of Jurisdictional Gaps and Their Effect on the Judgments Project, Juli 2015, abrufbar unter: Kessedjian, Catherine: International Jurisdiction and Foreign Judgments in Civil and Commercial Matters, Preliminary Document No 7 of April 1997, in: Proceedings of the Twentieth Session 14 to 30 June 2005, Tome II, Judgments, Cambridge/Antwerpen/Portland 2013, S. 12–69, abrufbar unter: (zitiert: Kessedjian, Report) Möller, Gustaf: Explanatory Report on the 1980 Hague Access to Justice Convention, in: Acts and Documents of the Fourteenth Session (1980), Tome IV, Judicial co-operation, Den Haag 1983, S. 259–290, abrufbar unter: (zitiert: Möller, Explanatory Report) North, Cara: The possible exclusion of anti-trust matters from the Convention as reflected in Article 2(1)(p) of the 2018 draft Convention, Preliminary Document No 2 of December 2018, abrufbar unter: (zitiert: North, The possible exclusion of anti-trust matters, PrelDoc No 2 of December 2018) Nygh, Peter E./Pocar, Fausto: Report of the Special Commission, Preliminary Document No 11 of August 2000, in: Proceedings of the Twentieth Session 14 to 30 June 2005, Tome II, Judgments, Cambridge/Antwerpen/Portland 2013, S. 206–313, abrufbar unter: (zitiert: Nygh/Pocar, Report) von Overbeck, Alfred E.: Explanatory Report on the 1978 Hague Matrimonial Property Regimes Convention, in: Actes et documents de la Treizième session (1976), Tome II, Régimes matrimoniaux, Den Haag 1978, S. 329–383 (zitiert: von Overbeck, Explanatory Report) Pérez-Vera, Elisa: Explanatory Report on the 1980 Hague Child Abduction Convention, in: Acts and Documents of the Fourteenth Session (1980), Tome III, Child abduction, Den Haag 1982, S. 426–476, abrufbar unter: (zitiert: Pérez-Vera, Elisa: Explanatory Report) Schlosser, Peter: Bericht zu dem Übereinkommen des Königreichs Dänemark, Irlands und des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland über den Beitritt zum Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen sowie zum Protokoll betreffend die Auslegung dieses Übereinkommens durch den Gerichtshof, ABl. 1979 C 59 S. 71–151, abrufbar unter: (zitiert: Schlosser, Bericht) Schulz, Andrea: Report on the First Meeting of the Informal Working Group on the Judgments Project 22 to 25 October 2002, Preliminary Document No 20 of November 2002, in: Proceedings of the Twentieth Session 14 to 30 June 2005, Tome III, Choice of Court, Antwerpen/Oxford/Portland 2010, S. 36–53, abrufbar unter: (zitiert: Schulz, Report on the First Meeting of the Informal Working Group on the Judgments Project, PrelDoc No 20 of November 2002) –: Report on the Work of the Informal Working Group on the Judgments Project, in particular on the Preliminary Text Achieved at its Third Meeting – 25 to 28 March 2003, Preliminary Document No 22 of June 2003, in: Proceedings of the Twentieth Session 14 to
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30 June 2005, Tome III, Choice of Court, Antwerpen/Oxford/Portland 2010, S. 76–105, abrufbar unter: (zitiert: Schulz, Report on the Work of the Informal Working Group on the Judgments Project, PrelDoc No 22 of June 2003) –: The Relationship Between the Judgments Project and other International Instruments, Preliminary Document No 24 of December 2003, in: Proceedings of the Twentieth Session 14 to 30 June 2005, Tome III, Choice of Court, Antwerpen/Oxford/Portland 2010, S. 149–165, abrufbar unter: (zitiert: Schulz, The Relationship Between the Judgments Project and other International Instruments, PrelDoc No 24 of December 2003) Ständiges Büro der Haager Konferenz: Some Reflections of the Permanent Bureau on a general convention on enforcement of judgments, Preliminary Document No 17 of May 1992, in: Proceedings of the Seventeenth Session (1993), Tome I, Miscellaneous matters, Den Haag 1995, S. 231–239, abrufbar unter: (zitiert: Ständiges Büro der Haager Konferenz, PrelDoc No 17 of May 1992) –: Conclusions of the Working Group meeting on enforcement of judgments, Preliminary Document No 19 of November 1992, in: Proceedings of the Seventeenth Session (1993), Tome I, Miscellaneous matters, Den Haag 1995, S. 257–263, abrufbar unter: (zitiert: Ständiges Büro der Haager Konferenz, PrelDoc No 19 of November 1992) –: Conclusions of the Special Commission of June 1994 on the question of the recognition and enforcement of foreign judgments in civil and commercial matters, Preliminary Document No 1 of August 1994, in: Proceedings of the Eighteenth Session (1996), Tome I, Miscellaneous matters, Den Haag 1999, S. 62–69 (zitiert: Ständiges Büro der Haager Konferenz, PrelDoc No 1 of August 1994) –: Conclusions of the second Special Commission meeting on the recognition and enforcement of foreign judgments in civil and commercial matters, Preliminary Document No 6 of August 1996, abrufbar unter: (zitiert: Ständiges Büro der Haager Konferenz, PrelDoc No 6 of August 1996) –: Conclusions of the Special Commission of May 2000 on General Affairs and Policy of the Conference, Preliminary Document No 10 of June 2000 for the attention of the Nineteenth Session, abrufbar unter: (zitiert: Ständiges Büro der Haager Konferenz, PrelDoc No 10 of June 2000) –: Informational note on the work of the informal meetings held since October 1999 to consider and develop drafts on outstanding items, Preliminary Document No 15 of May 2001, abrufbar unter: (zitiert: Ständiges Büro der Haager Konferenz, PrelDoc No 15 of May 2001) –: Some reflections on the present state of negotiations on the judgments project in the context of the future work programme of the Conference, Preliminary Document No 16 of February 2002, abrufbar unter: (zitiert: Ständiges Büro der Haager Konferenz, PrelDoc No 16 of February 2002) –: Conclusions of Commission I on General Affairs and Policy held on 22–24 April 2002, abrufbar unter: (zitiert: Ständiges Büro der Haager Konferenz, Conclusions of Commission I (2002))
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–: Continuation of the Judgments Project, Preliminary Document No 14 of February 2010 for the attention of the Council of April 2010 on General Affairs and Policy of the Conference, abrufbar unter: (zitiert: Ständiges Büro der Haager Konferenz, PrelDoc No 14 of February 2010) –: Conclusions and Recommendations adopted by the Council, Council on General Affairs and Policy of the Conference (7–9 April 2010), Auszug, abrufbar unter: (zitiert: Ständiges Büro der Haager Konferenz, Conclusions and Recommendations adopted by the Council (7–9 April 2010)) –: Review of the Activities of the Conference in regard to the Convention on Choice of Court Agreements, Preliminary Document No 12 of March 2011 for the attention of the Council of April 2011 on General Affairs and Policy of the Conference abrufbar unter:
(zitiert: Ständiges Büro der Haager Konferenz, PrelDoc No 12 of March 2011) –: Conclusions and Recommendations adopted by the Council, Council on General Affairs and Policy of the Conference (5–7 April 2011), abrufbar unter: (zitiert: Ständiges Büro der Haager Konferenz, Conclusions and Recommendations adopted by the Council (5–7 April 2011)) –: Background Note, Document for the attention of the Expert Group (meeting of 12–14 April 2012), March 2012, abrufbar unter: (zitiert: Ständiges Büro der Haager Konferenz, Background Note (2012)) –: Ongoing work on international litigation and possible continuation of the Judgments Project, Preliminary Document No 5 of March 2012, abrufbar unter: (zitiert: Ständiges Büro der Haager Konferenz, PrelDoc No 5 of March 2012) –: Conclusions and Recommendations of the Expert Group on Possible Future Work on Cross-border Litigation in Civil and Commercial Matters, Working Document No 2 E of April 2012, abrufbar unter: (zitiert: Ständiges Büro der Haager Konferenz, WorkDoc No 2 E of April 2012) –: Conclusions and Recommendations adopted by the Council, Council on General Affairs and Policy of the Conference (17–20 April 2012), abrufbar unter: (zitiert: Ständiges Büro der Haager Konferenz, Conclusions and Recommendations adopted by the Council (17–20 April 2012)) –: Issues paper on matters of jurisdiction (including parallel proceedings), Document for the attention of the Experts’ Group (February 2013 meeting), Januar 2013, abrufbar unter:
(zitiert: Ständiges Büro der Haager Konferenz, Issues paper on matters of jurisdiction (2013)) –: Annotated Checklist of Issues to be Discussed by the Working Group on Recognition and Enforcement of Judgments, Document for the attention of the Working Group (meeting of February 2013), Januar 2013, abrufbar unter: (zitiert: Ständiges Büro der Haager Konferenz, Annotated Checklist (2013)) –: Report: First Meeting of the Working Group on the Judgments Project (18–20 February 2013), Preliminary Document No 3 of March 2013, Annex 1, abrufbar unter: (zitiert: Ständiges Büro der Haager Konferenz, PrelDoc No 3 of March 2013, Annex 1) Research Paper on Personal Jurisdiction and Forum Non Conveniens in the Enforcement Context, Document for the attention of the Working Group (tabled during the meeting of February 2014), abrufbar unter: (zitiert: Ständiges Büro der Haager Konferenz, Research Paper on Personal Jurisdiction and Forum Non Conveniens) Report of the fourth meeting of the Working Group on the Judgments Project (3–6 February 2015) and preliminary draft text resulting from the meeting, Preliminary Document No 7B of February 2015 for the attention of the Council of March 2015 on General Affairs and Policy of the Conference, abrufbar unter: (zitiert: Ständiges Büro der Haager Konferenz, Preliminary Document No 7B of February 2015) Conclusions and Recommendations adopted by the Council, Council on General Affairs and Policy of the Conference (24–26 March 2015), abrufbar unter: (zitiert: Ständiges Büro der Haager Konferenz, Conclusions and Recommendations adopted by the Council (24– 26 March 2015)) Comparative Note on lis pendens in the Recognition and Enforcement of Foreign Judgments, For the attention of the Working Group on the Judgments Project, Oktober 2015, abrufbar unter: (zitiert: Ständiges Büro der Haager Konferenz, Comparative Note on lis pendens) Report of the fifth meeting of the Working Group on the Judgments Project and proposed draft text resulting from the meeting, Preliminary Document No 7A of November 2015 for the attention of the Council of March 2016 on General Affairs and Policy of the Conference, abrufbar unter: (zitiert: Ständiges Büro der Haager Konferenz, PrelDoc No 7A of November 2015) Conclusions and Recommendations adopted by the Council, Council on General Affairs and Policy of the Conference (15–17 March 2016), abrufbar unter: (zitiert: Ständiges Büro der Haager Konferenz, Conclusions and Recommendations adopted by the Council (15– 17 March 2016)) Explanatory Note Providing Background on the Proposed Draft Text and Identifying Outstanding Issues, Preliminary Document No 2 of April 2016 for the attention of the Special Commission of June 2016 on the Recognition and Enforcement of Foreign Judgments, abrufbar unter: (zitiert: Ständiges Büro der Haager Konferenz, Explanatory Note, PrelDoc No 2 of April 2016) (in Zusammenarbeit mit dem UNCITRAL Secretariat): Ongoing UNCITRAL work in the area of Judgments, Information Document No 1 of May 2016 for the attention of the Special Commission of June 2016 on the Recognition and Enforcement of Foreign Judgments, abrufbar unter: (zitiert: Ständiges Büro der Haager Konferenz, InfoDoc No 1 of May 2016) Note on Article 1(1) of the 2016 Preliminary Draft Convention and the Term “Civil or Commercial Matters”, Preliminary Document No 4 of December 2016, verfasst von den co-Rapporteurs (Garcimartín, Francisco/Saumier, Geneviève) und dem Ständigen Büro der Haager Konferenz, abrufbar unter: (zitiert: Ständiges Büro der Haager Konferenz, PrelDoc No 4 of December 2016) –: Treatment of penalty orders that are imposed on the non-compliance with non-monetary judgments under the 2018 draft Convention, Preliminary Document No 3 of February 2019, abrufbar unter: (zitiert: Ständiges Büro der Haager Konferenz, PrelDoc No 3 of February 2019) –: Conclusions and Recommendations adopted by the Council, Council on General Affairs and Policy of the Conference (5–8 March 2019), abrufbar unter: (zitiert: Ständiges Büro der Haager Konferenz, Conclusions and Recommendations adopted by the Council (5–8 March 2019)) –: Procedural steps of a Diplomatic Session leading to the adoption of a new HCCH Convention – prepared for the 2019 (22nd) Diplomatic Session leading to the HCCH Judgments Convention, reflecting changes discussed during the 2019 meeting of the Council on General Affairs and Policy, Information Document No 2 of April 2019, abrufbar unter:
(zitiert: Ständiges Büro der Haager Konferenz, InfoDoc No 2 of April 2019) –: Note on “common courts” in Article 4(5), (6) of the 2018 draft Convention, Preliminary Document No 7 of April 2019, abrufbar unter: (zitiert: Ständiges Büro der Haager Konferenz, PrelDoc No 7 of April 2019) –: Note on reconsidering “marine pollution and emergency towage and salvage” within the scope of the draft Convention on the recognition and enforcement of foreign judgments in civil or commercial matters, Preliminary Document No 12 of June 2019, abrufbar unter: (zitiert: Ständiges Büro der Haager Konferenz, PrelDoc No 12 of June 2019) –: Conclusions and Decisions adopted by the Council on General Affairs and Policy of the Conference (3–6 March 2020), abrufbar unter: (zitiert: Ständiges Büro der Haager Konferenz, Conclusions and Decisions adopted by the Council (3–6 March 2020)) –: Guide to Good Practice under the Convention of 25 October 1980 on the Civil Aspects of International Child Abduction, Part VI, Article 13(1)(b), Den Haag 2020, abrufbar unter: (zitiert: Ständiges Büro der Haager Konferenz, Guide to Good Practice, Part VI: Article 13(1)(b)) –: Conclusions and Decisions adopted by the Council on General Affairs and Policy of the Conference (1–5 March 2021), abrufbar unter: (zitiert: Ständiges Büro der Haager Konferenz, Conclusions and Decisions adopted by the Council (1–5 March 2021)) UNCITRAL Secretariat: Guide to Enactment of the UNCITRAL Model Law on Recognition and Enforcement of Insolvency-Related Judgments, Wien 2019, abrufbar unter: , Teil 2 des Dokuments, S. 11–69
Sachverzeichnis actor sequitur forum rei 206 ff. Anerkennung – Begriff 325 ff. – Deutschland 349 ff. – England 349 ff. – Verfahren 179 ff. – Versagung 268 ff. – Voraussetzungen 195 ff. Anerkennungszuständigkeit siehe indirekte Zuständigkeit anti-suit injunction 150 ff. Anwendungsbereich (des HAVÜ) 118 ff. – gegenständlicher 137 ff. – persönlicher 167 ff. – sachlicher 121 ff. – territorialer 161 ff. – Verhältnis zu anderen Instrumenten 173 ff. – Verhältnis zum nationalen Recht 178 ff. – zeitlicher 171 ff. Apostille 181 Arbeitnehmer 55, 167, 243 ff. Auslegung 41 ff. – autonome 84 ff. – ergänzende Auslegungsmittel 64 ff., 76 ff. – Explanatory Report 56 ff. – HGÜ 69 ff. – Interpretationsklausel 50 f., 58, 80, 85 f. – konventionsübergreifende 67 ff. – Rechtsvergleichung 78 ff. – souveränitätsfreundliche 83 f. – systematischer Zusammenhang 54 ff. – Versagungsgründe 274 – Völkerrecht 42 ff. – Wortlaut 53 ff. – Ziel und Zweck 75 f.
außervertragliche Schuldverhältnisse 96, 232 ff., 245 f., 364, 375 Belegenheitsort 114 f., 164 f., 230 f., 237, 238 ff., 250 ff., 303, 304 f., 309, 365, 367 Beschleunigungsgrundsatz 182 f. Betrug 279 f., 379, 381 f. Beweislast 170 f., 183 f., 198, 227, 343 f. bilaterale Beziehungen 102 ff., 113 ff., 256 ff. bilatéralisation 17 ff., 103 f. Brexit 5, 31 f., 349 Brüssel Ia-VO 4, 6 f., 73, 140, 172, 178, 179, 238, 291 f., 328 cautio judicatum solvi 148 f., 181 f. common courts 162 f., 295 f. consent orders 157, 159, 356 convention double 22 f., 27, 322 convention mixte 21 ff. convention simple 13 f., 22, 91 ff., 152 f., 323 Darlegungslast 170 f., 183 f., 198 Delikt siehe außervertragliche Schuldverhältnisse Derogation 150 ff., 284 ff., 296 f. Deutschland – indirekte Zuständigkeit 357 ff. – Urteilsbegriff 350 – Versagung 379 ff. – Voraussetzungen der Anerkennung und Vollstreckung 349 ff. dingliche Rechte 92, 114 f., 120, 164 f., 231, 238 f., 252 ff., 303, 304 ff., 342 f., 365, 367 Diplomatische Konferenz 35 ff. Diskriminierungsverbot 148 f., 181 f.
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doctrine of obligation 355 Doppelexequatur 141 Drittstaat 164 f., 178 f., 250 ff., 296 ff., 304 f. Einspruchslösung 105 f., 108 ff., 256 ff., 385 f. einstweilige Sicherungsmaßnahmen 149 f., 151 ff., 352 EMRK 174 f., 379 f. England – indirekte Zuständigkeit 367 ff. – Überblick 347 ff. – Urteilsbegriff 351 f. – Versagung 379 ff. – Voraussetzungen der Anerkennung und Vollstreckung 349 ff. Erfolgsort 96, 233 f., 364 Erfüllungsort 225 ff., 339, 364 f., 375 Erklärungsmechanismus 115 ff., 129 f., 143 f., 168 f., 315 f. erläuternder Bericht siehe Explanatory Report Ermessen 184, 198 f., 269 ff., 308 Ermittlung ausländischen Rechts 343 f. EuGH 41, 163, 297 EuGVVO siehe Brüssel Ia-VO Europäische Union 5, 39, 109, 163, 178, 180 f., 349 Exequaturverfahren siehe Vollstreckbarerklärung Explanatory Note 34 Explanatory Report 56 ff. favor recognitionis siehe Günstigkeitsprinzip forum non conveniens 25, 92, 95, 97, 186 ff., 202 f., 215 f., 316, 358, 367 f. fraud siehe Betrug Gegenseitigkeit siehe Verbürgung der Gegenseitigkeit geistiges Eigentum 126 f., 305 gerichtliche Vergleiche 154 ff., 199 f., 261 ff., 268, 290, 356 f. Gerichtsstandsvereinbarung 30 ff., 136 f., 154, 214 f., 220 ff., 246, 262 f., 284 ff., 296 f., 316, 338 f., 362 ff., 370 f.
Gesamtverweisung 341 f. gewöhnlicher Aufenthalt 167, 206 ff., 243, 358 ff., 371 f. Gleichstellungstheorie 327 f., 330 f. Grundstücke siehe unbewegliche Sachen Günstigkeitsprinzip 99 ff., 179, 252 Gutglaubensgrundsatz siehe Treu und Glauben Haager Gerichtsstandsübereinkommen siehe HGÜ Haager Konferenz 39 Handlungsort 96, 233, 364, 375 Hauptniederlassung – juristischer Personen siehe Sitz – natürlicher Personen 210 f., 360 f. Hauptverwaltung siehe Sitz HGÜ 30 ff., 69 ff., 123 ff., 222 ff., 265, 268 f., 295 f., 297 f., 319 f. Immaterialgüterrecht siehe geistiges Eigentum Immobilien siehe unbewegliche Sachen Immunität 168, 180, 318 indirekte Zuständigkeit 91 ff., 200 ff., 284 ff., 357 ff. Inlandsbeziehung 283 Inlandssachverhalt 165 f., 203, 315 f. Insolvenzrecht 90, 125 Internationalität 165 f. Interpretation siehe Auslegung Inzidentanerkennung 179, 355 issue estoppel 327, 329 Judgments Project 20 ff. Jurisdiction Project 37 f., 97 f. jurisdictional gap 93 ff. Kartellrecht 127 f., 232, 383 Kernpunkttheorie 297 Konnexitätserfordernis 218 f., 361 f., 368 Konventionskonflikte 173 ff. Kostenentscheidungen 147 ff., 193, 217, 268 Kumulationstheorie 329, 331 Legalisation 181 lis pendens 25, 97, 290, 301 ff., 384 f.
Sachverzeichnis Mehrfachschadensersatz siehe multiple damages Miete 230 f., 237, 247 f., 250 f., 289, 365 Mindeststandard siehe Günstigkeitsprinzip multiple damages 310 ff., 380, 383 Nachprüfung in der Sache siehe révision au fond nationales Recht 178 ff., 332 ff. Nationalität 19 f., 26, 167, 384 f. natural justice 379 ff. New York Convention siehe UNÜ nicht einheitliche Rechtssysteme 109 f., 166 f. Nicht-Geldleistungsurteile 142 ff., 354 ff., 378 nichtkompensatorischer Schadensersatz siehe punitive damages Nichtvertragsstaat siehe Drittstaat Niederlassung 207, 210 f., 212 f., 358 ff., 373 f. öffentliche Ordnung siehe ordre public öffentliche Urkunden 160 f. opt-in-Mechanismus siehe Zustimmungslösung opt-out-Mechanismus siehe Einspruchslösung Ordnungsgeldbeschluss siehe penalty orders ordre public 55, 154, 202 f., 280 ff., 299, 318, 324, 337 f., 342, 350, 379, 381 ff., 385 ff. Parallelverfahren siehe lis pendens penalty orders 144 ff. perpetuatio fori 208, 361 Präklusion 213, 219, 270 f., 276, 284, 381 f. presence 371 ff. Prioritätsprinzip 178 f., 296 ff., 301 ff., 383 f. Privatsphäre 124, 126, 385 Prorogation 220 ff., 362 f., 370 Prozessführungsverbot siehe anti-suit injunction Prozesskostenhilfe 182 Prozesskostensicherheit 148 f., 181 f.
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Prozessurteil 140 f., 350 ff. Prozessvergleich siehe gerichtliche Vergleiche public policy siehe ordre public punitive damages 122 f., 310 ff., 382 f. Rechtsfortbildung 82 f., 204 f. Rechtskraft 157 ff., 197 ff., 292, 298 ff., 312 ff., 325 ff., 352 ff. Rechtsmissbrauch 203 f., 308 f. Rechtsnachfolge 260 f., 340 residence 208, 371 f. révision au fond 2, 307, 319 ff., 379 Rügeerfordernis 273 ff. rügelose Einlassung 215 ff., 246 f., 262 f., 288, 335, 362, 369 f. Schadensort 233 Schiedsgerichtsbarkeit 132 ff., 316 ff., 369 Schmerzensgeld 311 Seerecht 125 Singapur-Konvention 74, 156, 176 Sitz 207, 359 f., 373 f. soft law 87 f. Souveränität 49, 83 f., 273, 277 ff., 281 f. Spiegelbildprinzip 94 f., 357 f., 367 Staatenimmunität siehe Immunität Staatsangehörigkeit siehe Nationalität Staatsunternehmen 168 state-owned enterprises 168 Strafschadensersatz siehe punitive damages submission siehe Unterwerfung Teilbarkeit 131, 311 f. travaux préparatoires 76 f. treaty relationship mechanism 102 ff., 172 f., 256 ff., 385 ff. treble damages siehe multiple damages Treu und Glauben 87, 184 ff., 194, 272 trusts 235 ff., 284 ff., 366 unbewegliche Sachen 92, 114 f., 120, 164 f., 230 f., 237 ff., 250 ff., 304 ff., 365, 367 unerlaubte Handlung siehe außervertragliche Schuldverhältnisse Unterlassung 232 ff., 364, 375
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Sachverzeichnis
Unterlassungspflichten 229 f. Unterlassungsurteil 142 ff., 354 f. Unterwerfung 213 ff., 361 f., 368 ff. UNÜ 4, 30, 73 f., 271 Unvereinbarkeit siehe Urteilskollision Urteilsbegriff – Deutschland 350 f. – England 351 f. – HAVÜ 137 ff. Urteilskollision 290 ff., 383 ff. Urteilsverjährung 185 f., 193 USA 20 f., 27 f., 37, 79 f., 228 f., 282, 347, 383 Verbraucher 55, 167, 243 ff. Verbürgung der Gegenseitigkeit 2, 49, 88 ff., 177, 376 ff., 387 Verfahrenseinleitung 171 f., 208 f., 275 ff., 361, 366, 380 f. Verleumdung 124, 126, 385 Vermischungsverbot 102, 331 Vermögensbelegenheit 26, 96 f., 187 f., 201, 264, 360 f., 366, 384 f. Versagungsgründe 268 ff., 337 f., 379 ff. vertragliche Schuldverhältnisse 225 ff., 364 f., 375 Verweisungen 332 ff. Veto-Lösung 106 f. Vollstreckbarerklärung – Deutschland 349 ff. – England 349 ff. – Verfahren 179 ff. – Versagung 268 ff. – Voraussetzungen 195 ff.
Vollstreckbarkeit (im Ursprungsstaat) 195 ff., 352 ff. Vollstreckung – Verfahren 180, 318 – Vollstreckungsmaßnahme 145 von Mehren 21 ff. Vorfrage 130 f., 134 ff., 304 ff., 317 f., 328 f., 338 Wettbewerbsrecht siehe Kartellrecht Widerklage 218 ff., 335, 361 f., 368, 371 Wiener Vertragsrechtskonvention siehe WVK Wirkungserstreckung 328 ff., 333 Wohnsitz 243, 359, 371 WVK 43 ff., 87, 117, 176, 184 f., 254 Zivil- oder Handelssachen 121 ff., 130 f., 138 f., 144 f., 305, 309, 318, 343, 349 f. Zuständigkeit – ausschließliche 249 ff., 289, 365, 376 – des ersuchten Staats für Anerkennung und Vollstreckung 186 ff. – exorbitante 19 f., 25 f., 94, 96 f., 302 f. – indirekte 91 ff., 200 ff., 284 ff., 357 ff. Zustellung 275 ff., 366, 380 f. Zustimmung 213 ff., 288, 361 ff., 368 ff. Zustimmungslösung 104 f. Zwangsgeldbeschluss siehe penalty orders Zwangsvollstreckung 145, 180, 318