Das öffentliche Leben in Berlin vor der Märzrevolution [1 ed.]


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Das öffentliche Leben in Berlin im Jahr vor der Märzrevolution
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contents
Einleitung
I. Das Stadtbild
II. Der soziale Aufbau der Bevölkerung
III. Stadtverfassung und Verwaltung Berlins
IV. Formen des öffentlichen Lebens
a) Berliner Vereine
b) Berliner Lokale
c) Die Salons
d) Publizistik
e) Sonstige Einflüsse auf das Berliner Leben
V. Ereignisse des öffentlichen Lebens in Berlin 1847
Der Erlaß des Patents vom 3. Februar
Zusammentritt des Vereinigten Landtags
Die Vertreter Berlins
Der Schluß der Landtagssession
Die Teuerung in Berlin
Die Kartoffelrevolution
Fortdauer der Teuerung
Das Schützenfest und die Feste der Innungen
Der "Polenprozeß"
Anhang
Quellen
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Das öffentliche Leben in Berlin vor der Märzrevolution [1 ed.]

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Schriften des

Yereins für die Geschichte Berlins, Heft XVI.

Das öffentliche Leben in Berlin im Jahr vor der Märzrevolution. Non

Dr. phil. Dora Meyer,

Berlin 1912, Verlag des Vereins für die Geschichte Berlins. In Vertrieb bei Krnst Siegfried Mittler und Sohn Königliche Jofbuchhandlung Kocstraße 68--71.

Alle Rechte aus dem Gesetze vom 19. Juni 1901

sowie das Übersezungsrecht sind vorbehalten

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Inhaltsverzeichnis. =n

Seite

Einleitung

1

1.

3

Das Stadtbild .

2. Der soziale Aufbau der Bevölkerung. a. Zahl und Dichte der Einwohner

11

b. Verteilung der Konfessionen

12

6. Berufsstatistik

18

3. Stadtverfassung und Verwaltung. a. Der Magistrat

.

.

26

b. Die Stadtverordnetenversammlung

28

6. Stadthaushalt

32

4. Die Formen des öffentlichen Lebens. a. Berliner Vereine

40

b. Berliner Lokale

51

Salus

54

uur

d. Publizistik». e. Sonstige Einflüsse auf das Berliner Leben 5. Die Ereignisse des öffentlichen Lebens in Berlin 1847.

60 63

a. Der Erlaß des Patents vom 3. Februar. b. Der Zusammentritt des Vereinigten Landtags .

.

0. Die Vertreter Berlins im Landtag.

.

-

d. Schluß der Landtagssession

.

67 75 78

-

2. Die Teuerung in Berlin f. Die Kartoffelrevolution .

81 .

g. Fortdauer der Teuerung h. Das Schüßenfest und die Feste der Innungen .

8 86

98 7

401

+

404

Ausbli> auf das Jahr 1848 .

>

-405

Anhang

>

407

i. Der Bolenprozeß

Register

.

112

Einleitung. Diese Arbeit, die ein Beitrag zum Verständnis der Berliner Märzrevolution sein will, wurde durch die Überzeugung angeregt, daß dies Creignis, das einen so bedeutenden Anteil am Entstehen des mo-

dernen preußischen Staates hatte, in seinen lokalen Vorbedingungen

noch nicht genügend erforscht sei. Dem flüchtigen Betrachter mag es scheinen, als sei ein Stein in

ein unbewegt daliegende3 Wasser geworfen worden, und die Wellenkreise, die er erzeugt, hätten sich immer weiter fortgesezt, um auch heute noch nicht zur Ruhe zu kommen.

Wir aber fragen uns, ob denn die

Bewegung, die durch den Anstoß von außen ausgelöst wurde, nicht auf Strömungentraf, die unter der Oberfläche ihr Spiel trieben? Ob die Hauptstadt des zweitmächtigsten deutschen Staate8, eine Stadt von 400 000 Cinwohnern, nicht durch die Gegensäße einer Übergangsepoche im Innersten durcen in Heidelberg, dem ich auch an dieser Stelle für Anregung und dauerndes Interesse

herzlichst danken möchte, haben mich Herr Stadtarchivar Dr. Clauswiß und Herr Magistratsbibliothekar Dr. Jähnke durch Rat und Tat am meisten gefördert. Von all denen, die mich durch persönliche Mitteilungen unterstüßt haben, möchte ich vor allem zweier nun Verstorbener

gedenken, Ludwig Pietsch3 und Marie Naunyn3. Zuleßt möchte ich dem Verein für die Geschichte Berlins für die Aufnahme meiner Untersuchung in seine „Schriften“ meinen verbind-

lichsten Dank aussprechen.

1. Das Stadfbild. Snom irren die meisten, welche über Berlin schreiben?“ fragt Glaßbrenner,*) der hierauf wohl am besten antworten konnte. „Weil Berlin die Stadt der heterogensten Clemente ist, die sich noch nicht assimilieren konnten, weil es ein modernes Babylon ist, das sich nicht

eher entfalten, nicht eher seinen prägnanten Ausdruck finden. wird, als bis der Körper, dessen Haupt es ist, freie Bewegung hat.“ „Das eigentümliche, wa3 wir das moderne Berlinertum nennen, trat erst mit dem

Jahre 48 ins Leben“, sagt einer der feinsten Kenner, Theodor Fontane.?) Das Eigenartige des vormärzlichen Berlin aber, das unvermittelte Nebeneinander von altväterischer Schlichtheit und Enge und

anmaßendem marktschreierischen Aufwande, die rasche Aufwärtsentwicklung der Stadt, von der man nicht wußte, wohin sie führen würde, all das spiegelt das Berliner Stadtbild wieder, e8 fiel jedem aufmerk-

samen Beobachter auf. Wir haben hierüber viele Berichte, bald grau in grau gemalt von Zeitgenossen, die schönere und im Gesamteindruck harmonischere Städte kannten, bald durch die Erinnerung verklärt in den Rückblicken alter Berliner, die im Jekt das Einst suchen und nicht

mehr finden können. Besucher, die, wie Ludwig Pietsch?) 3. B., schöne alte Städte kannten, mochten bedauern, daß Alt-Berlin nicht über den Zopfstil zurückreichte. Viele öffentliche Gebäude stammten aus dieser Zeit, die ganze Gegend um das Schloß und die Linden, entstanden durch das

Machtwort der preußischen Könige, sah damals nicht sehr viel anders aus 1) Berliner Volksleben von Adolf Brennglas, Leipzig 1847.

Adolf Glaß-

brenner (Brennglas) 1810--76 „Der echte Berliner . . . gab in zahllosen Mono-

logen und Dialogen ausgezeichnete Ausschnitte aus dem Straßen- und Gesellschaftsleben der Hauptstadt“ (R. M. Meyer), in die er seine demokratischen und

jungdeutschen Jdeen verflocht. 2) Th. Fontane. Aus dem Nachlaß. Ed. von J. Ettlinger, Berlin 1908. 3) Ludwig Pietsch. Aus dem vormärzlichen Berlin. Jn „Das Berliner Pflaster“. Berlin 1891. 1“

als heute.

Fontane*) berichtet, wie sein Vater am 21. März 1848 an

der C>e vom Zeughaus und Kastanienwäldchen gemeint habe: „Sonderbar, es sieht hier noch gerade so aus, wie vor 50 Jahren . . .“ und

daß er, nun auch nach einem halben Jahrhundert, an derselben Stelle das Wort wiederholen könne. Ganz wie heute zeigte man dem Fremden

mit Stolz das Brandenburger Tor, den Pariser Plaß, den Opernplatz mit dem Palais des Prinzen von Preußen, der Bibliothek, der Hedwigskirck dem Minister von Bodelschwingh mitgeteilt wurde. So wäre diese Angelegenheit verlaufen, wenn wir nur dem Bericht der Akten folgen. Unter diesen findet sich aber die Ein-

gabe einer gewissen Elise Bronn.“**) Diese bittet in Anbetracht der beigelegten „Cingesandt“ von F. v. Bülow**) und Hoffmann,"") „das Festessen aufzugeben, da es an allen öffentlichen Orten, Tabagien, Restaurationen und in allen Verkauf3- und Speisekellern nur eine Stimme

dagegen gibt", oder es erst nach Beendigung der Session zu veranstalten. Denn schon bald war eine Nachricht vom „Ständefest“ in die Presse gelangt, obwohl die Verhandlungen natürlich geheim waren und das

Interesse für die städtischen Angelegenheiten sonst nicht besonders groß war. Durch die Stadtverordneten scheint das Gerücht auch nicht verbreitet worden zu sein, denn das sonst in Kommunalsachen meist gut orientierte „Berliner Wochenblatt“ schöpft am 27. März seine Kenntnis aus den öffentlichen Blättern, da die Stadtverordneten selbst davon geschwiegen hätten, entweder weil sie es gelobt hätten oder weil sie „nicht gern davon redeten, daß in einer Zeit, wo überall Teuerung und Not herrscht, 10 000 Taler zu einem Zweckessen verwendet werden sollen“. Jedenfalls spricht die Spenersche Zeitung am 15. März von dem Fest,**) „von dem schon in dieser Zeitung und auch in den auswärtigen

Blättern vielfach gemeldet worden sei", aber ohne jeden Kommentar; die Stimmung sprach sich ja meist nicht in den Berliner Zeitungen, wenn überhaupt in den „Eingesandt“ aus. Die8mal hatten vor allem zwei

Schriftsteller auf diesem Weg dem Entschluß der städtischen Behörden entgegenzutreten versucht. Am 26. März schreibt C. O. Hoffmann in der Spenerschen Zeitung: er habe in den verschiedensten, besonder3 bür-

gerlichen Kreisen große Bedenken gegen das kostspielige Fest im Hin13) Elise Bronn oder Brown, die sonst unbekannt ist und sich auch nicht im Berliner Wohnungz3anzeiger für 1847 findet. 14) Bekannt durch seine Inserate in der Sache der Lichtfreunde. 15) 1848 Redakteur des „Berliner Krakehler3“, eines dem „Kladderadatsch“

ähnlichen Blattes, das aber Ende des Jahres wieder einging. 16) Gine Notiz

3. März datiert.

in

der „Mannh. Abztg.“ am 15. ist

aus Berlin

vom

74

=

blick auf die Veröffentlichungen aus dem Stadthaushalt vernommen, doch hieß es zum Schluß stet3: „Was hilft's, wenn wir auch darüber sprechen, die Herren tun doch, was sie wollen, der größte Teil der Stadt-

verordneten, die mit ihrem Ja! in dieser Frage so schnell herausgewesen sind, hat in der Mitte des Wohlstandes, in welchem er lebt, gar feinen Begriff von dem, wa3 der Armut not tut.“ Darum habe er, der zwar nicht Bürger, aber als ein in Berlin lebender Schriftsteller natürlicher Anwalt des Volkes sei, versucht, diese Bedenken öffentlich bekannt zu machen. Theodor Mundt, von dem das „Eingesandt“ in der „Vos].

Ztg." vom 26. März stammt, hat neben politischen auch soziale und ökonomische Bedenken. Das Fest dürfe erst am Schluß des Landtags stattfinden, wenn es nicht einer Vorausbezahlung oder Bestechung

gleichen wolle. Zu einem politischen Bankett seien die Festteilnehmer noch nicht sicher und geschult genug; nach einem Hinweis auf die große Not in der Stadt kommt dann das eigentümliche Schlußargument: da

die Berliner wegen ihrer Theaterpassion bekannt seien, jollten sie nicht durch die Benuzung des Opernhauses Anlaß zu neuem Spott geben! Weniger ausführlich sind mehrere andere Einsender, die 3. B. da3 Fest erst am Ende, die Prägung einer Denkmünze oder eine Stiftung zum

dauernden Gedächtnis des ersten Vereinigten Landtags vorschlagen; und von den Berliner Zeitungen meint nur das kleine „Wochenblatt“, daß viele Arme von der ausgesehten Summe wochenlang leben könnten, während doch die Deputierten 5 bzw. 3 Taler Diäten genießen. Die

Aufgabe des Beschlusses wurde rasch bekannt. Eine Korrespondenz der „Augsburger Allg. Ztg."") vom 28. März meldet, daß das Ständefest nunmehr wohl unterbleiben werde, infolge der Antwort des Königs auf die „Einladung“ dazu, =- und am 7. April wird die endgültige

Entscheidung berichtet und daß man den Ausweg wählen würde, es gäbe überhaupt kein geeignetes Lokal zu einem jo großen Fest in Berlin, wa3 andere Blätter als den tatsächlichen Grund bringen, ohne den König zu erwähnen. Am 3. April hat das „Berl. Wochenbl.“ eine andere Auffassung als am 27. März und nennt das Fest „eine wirksame Unterstüzung der Armen, die hoffentlich nicht durch das Geschrei von drei bis vier Zeitungsschreibern rückgängig gemacht werde". Und wirklich meint die „Spenersche Ztg.“ vom 6. April, daß neben der Schwierigkeit, ein passendes Lokal zu finden, die unmittelbar überbrachte Ansicht des Königs, vor allem aber „der Sturm der öffentlichen Meinung“

diesen Beschluß veranlaßt hätte. „Diese Behauptung der Spenerschen 17) 3. April 1847.

75

Zeitung ist falsch, da von einem Sturm -=- außer Theodor Mundts3 Auf-

saß in der „Voss. Ztg.“, der die Gesichtspunkte nach Kräften zu verrücken suchte =- nichts zu merken war.“

So heißt es in der fonservativen

„Berl. Bürgerzeitung“ am 11. April. Aus anderen Gründen bedauerten die liberal-oppositionellen Kreise Berlins diesen Aus8gang. Biedermann, der zur Eröffnung des Landtages aus Leipzig nach Berlin gekommen war und mit diesen Gruppen

in Berührung trat, berichtet davon: Die Regierung habe befürchtet, daß der Geist des Widerstandes und das politische Selbstbewußtsein der oppositionell gesinnten Abgeordneten durch die Berührung mit gleichartigen Elementen in der Hauptstadt allzu sehr gestärkt werde. Darum habe sie, „unter dem Vorgeben, daß die Bürgerschaft es übel aufnehmen werde, wenn man in dieser Zeit der Not so bedeutende Summen veraus-

gabe“, der städtischen Behörde ihre Absicht ausgeredet, selber aber am Hof und in den Minister-Hotels den Abgeordneten Diners und Souper3 gegeben. =- Daß diese Auffassung unrichtig ist, beweist schon die nicht

widerlegte Behauptung Theodor Mundts, die Majorität im Magistrat habe nur eine Stimme ausgemacht -- sicher hatte also ein Teil der

städtischen Behörden Bedenken gegen die große Aus8gabe, die man der Stadt zumutete, schließlich kannte ja auch niemand besser die finanziellen Schwierigkeiten der Stadt; und al3 dann der Bescheid des König3

eintraf, gab dieser den Ausschlag. Die Zeitungen und die „Gingesandts“ haben an diesem Ausgang keinen Anteil: „Es stände traurig um eine städtische Verwaltung, wenn drei bis vier Zeitungsschreiber die Kraft

besitzen sollten, einen so entscheidenden Einfluß auf die Beschlüsse zweier Vehörden auszuüben!) Bietet das geplante Ständefest nicht einen „Sieg der öffentlichen Meinung“, so doch ein Stimmungö3bild aus dem vormärzlichen Berlin: selbst einer sehr einsicht3vollen Entscheidung des Königs wird ein ganz falscher Sinn untergelegt.

Zusammentritt des Vereinigten Landtags. So trafen die Abgeordneten denn Ende März und Anfang April ohne offizielle Begrüßung in Berlin ein; Kaufleute und Zimmervermieter versprachensich große Vorteile von ihrem Kommen, und über die hohen Preise wurde geklagt, ja, man fürchtete sogar, daß die LebenZ3mittel während der Session noch mehr im Preise steigen würden! Die meisten Abgeordneten wohnten im Hotel oder nahmen für das Quartal 18) Berl. Wochenbl., 3. April.

76 :

I

Kein:

eine größere Wohnung, besonders diejenigen, die sich bemühten, Fühlung mit den Vertretern der anderen Provinzen zu gewinnen und Be-

sprechungen einzuleiten. Auch andere politisch-interessierte Persönlichkeiten waren in diesem Sinne tätig: Bülow-Kummerow, Johann Jacoby, der besonder3 von den Ostpreußen um seine Ansicht befragt wurde,

die Schlesier Schlöffel und Graf Reichenbach, für kurze Zeit Heinrich Simon, auch Ausländer = die Schle3wig-Holsteiner Beseler und Tiedemann. In der lezten Woche vor der Eröffnung sah man in den

verschiedenen öffentlichen Lokalen „eine sehr bemerkliche Mischung des gewöhnlichen einheimischen mit dem fremden Publikum“. „Täglich sieht man kostbare Equipagen der Deputierten, Wohnungen werden ge-

mietet, der Einfluß ist doch jezt sehr sichtbar.“*?)

Im „Russischen

Hof“"20) trafen sich die rheinischen Abgeordneten, die Konservativen im „Englischen Haus“, Ostpreußen und Rheinländer in der Wohnung de3 Oberburggrafen Brünneck, auch in dem von der Stadt den Landtag3-

abgeordneten zu abendlichen Besprechungen zur Verfügung gestellten Mielenkschen Lokal fanden einige Zusammenkünfte von Mitgliedern der verschiedenen Provinzialstände statt, aber gerade diesen fehlte zur gegenseitigen Orientierung noch die Stellungnahme der Regierung. Die Thronrede bewirkte dann sehr schnell eine allgemeine Parteigruppierung der Vertreter der Provinzen. Am 11. April, dem Eröffnungstage, war kaltes Schnee- und Regenwetter, und selbst von den immer schaulustigen Berlinern hatten sich nur wenige am Dom und vor dem Schloß eingefunden, um die

prächtige Auffahrt zu bewundern. Der König selbst kam zu Fuß und wurde mit Hurra begrüßt; den ganzen Vorgang, die Thronrede selbst, schildert eine kleine, aus dem Kreis der Radikalen hervorgegangene Broschüre mit dem bezeichnenden Titel: „König und Volk oder der 11. April. Von einem Untertanen des preußischen Tyrannen. Berlin. Hilfdirselbst und Schlagdrauf,“ 1847,2) auf die wir ausführlicher an anderer Stelle (S. 94) zurückkommen. Gin3 kann man aus der maßlosen

Gehässigkeit dieses Pamphlet3, das aber erst Ende April geschrieben wordenist, erkennen: die kommunistischen Radikalen suchten die leiden-

schaftlich überspannten Hoffnungen gewisser Kreise auf den Landtag zu ihren Zwecken auszubeuten. Aber auch sonst beobachtete man das größte Interesse für die unmittelbar nach der Thronrede beginnende 19) Berl. Wochenbl., 10. April. 20) An der Bauakademie.

21) Berliner Stadtbibliothek, Friedländer-Sammlung.

Parteigruppierung, den parlamentarischen Kampf, die Vorbesprechungen für die Adreßdebatten, =- politisches Leben, wie es Preußen noch

nicht gesehen hatte. „Wer Berlin früher gekannt hat, der kennt es faum wieder. Die berüchtigte Berliner Blasiertheit ist zurückgetreten =- wer weiß freilich, auf wie lange? -- und der Geist einer politischen

Frische macht sich wohltuend geltend. Man muß abend3, zur Zeit, wo die Staatszeitung ausgegeben wird, öffentliche Lokale, die Konditoreien, die „Zeitung3halle“ besuchen, um zu sehen, mit welcher Spannung man

den Landtag3verhandlungen entgegensieht, wie sich gleich große Gruppen um einen Vorleser bilden, und die Vorlesung von den verschiedensten Ausrufungen und Bemerkungenbegleitet wird.“2?) = „Man liest kein

Drama, kein Gedicht, keinen Roman, die „Allg. Preuß. Ztg.“ spielt die erste Rolle.

Und wer beachtet Kammern und Häuser?

Wen kümmert

Pius, Jsabella oder gar die Lichtfreunde und Dissenter32? Man greift

nach den Verhandlungen des Vereinigten Preußischen Landtags, hört, was König, Minister, Kurien, Abgeordnete reden, freut sich der Anerkennung, welche die ungebundene Presse des Auslandes unserem Herrsc, Saucken, Knoblauch, Grabow u. a., beinahe alle Koryphäen des Landtags, die nun in Berlin, wie man erst nach ihrer Abreise spürte, doch eine gewisse Leere und Stille zurückließen. Man hört kaum von einem starken Gin-

druck Berlins auf die Abgeordneten, etwa in den Briefen Hansemanns, Beckerath8 oder Mevissens. Der Abgeordnete Mohr von Trier äußerte zwar am Ende der Session, die Abgeordneten hätten Berlin, das ihnen zum Teil unsympatisch und unbekannt gewesen sei, lieb gewonnen; am liebsten würden sie alljährlich wiederkommen.**) Aber der Nachsaß schwächt die Wirkung des Vordersaßes doch sehr ab. -War die Wechselwirkung zwischen dem Landtag und Berlin ziemlich gering gewesen, geringer, als man nach der großen anfänglichen Teilnahme der Berliner erwarten konnte, so lag das nicht nur

daran, daß diese no< nicht fähig waren, sich längere Zeit mit politischen Fragen zu beschäftigen, sondern hauptsächlich an der großen Teuerung, die damals herrschte und alle Gedanken in Anspruch nahm, der aber der Landtag abzuhelfen nicht imstande war. Die Teuerung in Berlin.

„E53 war ein anhaltender Winter, viel Schnee und Kälte, allgemeine Teuerung und Not, eigentlich ein leidenvoller Winter“, so schrieb Fanny Hensel, eine der edelsten Frauen Berlins, kurz vor ihrem Tode 36) Kölnische Ztg., 26. Juni 1847. 37) Berlin und Wiensiehe S. 45 Anm. 41. 38) Berliner Wochenbl., 11. Juni 1847. Schriften d. Verein3 f. d. Geschichte Berlins. Heft XLVI.

R

39

(gest. 14. Mai 1847) in ihr Tagebuch.?*) Nicht nur für Berlin war der Winter 1846/47 eine wirklich schwere, leidenvolle Zeit gewesen. Bei der völligen Mißernte im heißen und trockenen Sommer 1846*) litt auch der Landmann unter den enormen Kornpreisen; es blieb ihm

wenig zum Verkauf, er mußte sich aufs äußerste einschränken und schädigte dadurch den Kaufmann und den Handwerker.“ ) Schon am 8. Oktober 1846 hatten sich die Berliner Stadtverordneten mit der Bitte um ein Ausfuhrverbot für Getreide, Kartoffeln und Spiritus an den König gewandt, erhielten aber eine scharf ab-

weisende Antwort, da sie zu solchen Eingaben nicht berechtigt seien. Die Regierung versuchte nun allein Vorsorge zu treffen, ließ in Polen

und Rußland große Getreideankäufe machen und zugleich durch die Zeitungen das Publikum überzeugen, daß ein Notstand nicht zu befürchten sei.??) Da aber die Ostbahn noch nicht existierte, mußte man auf die Schiffbarwerdung der großen Ströme warten; in Berlin verband sich vie Teuerung mit den tieferliegenden sozialen Nöten, der Arbeitslosigkeit, die zum Teil eine Folge der Gefangenen- und Akfkordarbeit und besonders des Zuzug3 mittelloser Arbeiter*) war. Die Handwerker litten sehr unter dem Notstand, die Gefängnisse und das Arbeit3haus waren überfüllt, die Bettelei nahm troß aller kommunalen und privaten Fürsorge überhand: „Liest man die Berichte der Armen-

kommission und Wohltätigkeit3vereine, so begreift man nicht, daß so viele Arme leer ausgehen können," schreibt die Voss. Ztg.*) Die Stadt tat alles, was bei ihrer finanziell bedrängten Lage möglich war, ja, nach Clauswiß griff man schließlich sogar, um angebliche Notleidende abzuwehren, zu dem bedenklichen Mittel, die Namen der Almosenempfänger zu veröffentlichen. Die vielen Berliner Wohltätigkeit3vereine, 3. B. die Armenspeisung3gesellschaft, die Gesellschaft zur Ver39) S. Hensel, Die Familie Mendelssohn.

Berlin 1879.

40) Die Kornernte war 41%, die Kartoffelernte 47% unter dem Durchschnitt

ausgefallen (Publizist). 41) A. Andrae-Roman, Aus längst vergangenen Tagen. Leipzig. 1898. 42) Besonders durch einen Erlaß des Oberpräsidenten von Meding. 43) Bezeichnend ist die Zunahme der Diebstähle: 1845: 984 Untersuchungen, 1847: 1518, 718 kleinere Diebstähle gegen 364, wovon freilich ein Teil noch im

Vorjahre verübt wurde und erst 1847 zur Aburteilung kam, der Ginführung des neuen Kriminal-Prozeßverfahrens wegen. Jmmerhin „ist im allgemeinen eine Zunahme der Verbrechen durchaus nicht in Abrede zu stellen.“ Der „Publizist“, 19. Januar 1848. Vgl. auch S. 104 Anm. 101. 44) 18. Februar 1847.

33

sorgung der Hausarmen mit freier Feuerung, die Armen-Brotbäckerei, der Armensparverein konnten, da ja alle Klassen unter der Teuerung (itten, nicht ausreichen. Der König überwies dem Oberbürgermeister 7000 Taler für die Armen, der Hof veranstaltete Subskription5bälle im Ipernhause (eine Einrichtung aus der Zeit Friedrich Wilhelms TEEN: manche Berliner Persönlichkeiten waren besonders tätig, so z. B...Der

schon öfter erwähnte Generalstaat3kassenbuchhalter Liedke. Dieser schlug z. B. die Verteilung von Marken vor, damit die Armen bei den Vorkost-

händlern Hülsenfrüchte als Ersaß für ihre fehlende Hauptnahrung, die Kartoffeln, erhalten könnten. Da nun aber, um jede Anschuldigung abzuwehren, von oben her immer wieder behauptet wurde, es bestünde fein

Getreidemangel, so seßte sich in gewissen Kreisen die Überzeugung fest, die ganze Teuerung käme nur durch die Kornwucherer und Spekulanten, die

durch Auffaufen großer Getreidemengen künstlich die hohen Preise hervorriefen. Manche oppositionellen Schriftsteller nährten diesen Glauben, ihre verbotenen Schriften wurden allenthalben in Berlin

gelesen. Die Behörden witterten überall „kommunistische“, wie einst

demagogische „Umtriebe“. So hatte die Polizei erfahren, daß einige radikale Mitglieder des Hedemann'schen Handwerkervereins eine ver-

botene kommunistische Gemeinschaft*) gegründet hätten. Ende 1846 wurden daraufhin zahlreiche Teilnehmer der abendlichen Besprechungen, auch der Buchdruckereibesiger Behrend38 und der Handlungs3diener Ottensoser, ein Berliner Volk3redner von 1848, festgenommen, aber bald wieder entlassen und nur zwei Schneidergesellen, Mentel und

Müller, ein Tischlergeselle Bühring und der Schuhmachergeselle Häßzel in Haft behalten. Mentel, ein Berliner, hatte in Paris und London im Verkehr mit Wilhelm Weitling und dessen Anhängern einige verwirrte kommunistische Jdeen angenommen, für die er nach seiner Rück-

kehr in Berlin Propaganda zu machen suchte. Hier soll er nach seinen Angaben in der Voruntersuchung einen Verein von 72 Handwerkern

gegründet haben, dessen vier Gruppen durch ihn und seine Mitange45) Über den Kommunisten-Prozeß: Am genauesten der „Bublizist“ 1847, Nr. 23, 24, 26.

Ferner St. Born (Erinnerungen), der mit Mentel und Häßel

vor ihrer Verhaftung verkehrt hatte; Wermuth-Stieber, Die Kommunistenverschwörungen; Georg Adler, der den Zusammenhang mit dem internationalen

Kommunistenbund untersucht, und Ed. Bernstein, Geschichte der ersten Berliner Arbeiterbewegung, auch über die weitere Tätigkeit des Häßel 1849 bis zu seiner Ausweisung; Hubers „Janus“, 1847, Bd. I und 11; Tageszeitungen.

Q.1

--

klagten geleitet wurden. Diese Organisation leugnete Mentel in der Verhandlung des Kriminalgerichts am 14. Juni.

Er und einige

Freunde seien zufällig zusammengekommen, man habe verbotene Bücher angeschafft, **) über soziale Fragen diskutiert, aber nicht eine gewaltsame Staat3umwälzung herbeiführen wollen. Machte Mentel einen unklaren, verworrenen Eindruck, so hatte der Tischler Bühring ernstlich über die scds Hand auf dem Brief des Oberpräsidenten an den Oberbürgermeister, 24. April 1847.

72) In einem fast unleserlichen Schreiben, das sich ebenfalls in den

Magistratsakten findet. 73) Präsidialakten, 25. April 1847. 74) Damals bildete sich in Köln eine Bürgerkommission, an deren Spike Franz Raveaux stand; wegen Zurechtweisung eines Leutnants erhielt er Arreststrafe, wodurch er vollends zum populärsten Mann in Köln wurde. Krausnit scheint zu fürchten, bei der Regierung in den Verdacht ähnlichen Chrgeizes zu fommen.

75) Kölnische Kirmes (Anm. 74), wo sich auch Schußkommissionen gebildet hatten.

?

76) Die gesperrt gedruckten Stellen sind im Original unterstrichen.

92

spreche allein dem Wunsche des Königs, daß die Kommunalbehörde jederzeit zunächst zur Beseitigung von solchen Störungen, vor dem

militärischen Einschreiten mitzuwirken habe.

„Der gegenwärtige

Moment scheint mir 40 Weil..das -voTTse Cinverständnis mit dem Militär und der Polizei stattfindet und weil es hier auf die

Schußgewährung für die besigende gegen die besikßlose Klasse ankommt, der geeignetste, um dergleichen in Szene zu rufen.“ In 6 bis 8 Wochen -- eine solche Frist scheint Bodelschwingh vorgeschlagen zu haben --

dürfte eine mindere Geneigtheit bei Stadtverordneten und Magistrat für eine Einrichtung sein, die dem Staat Mühe und Kosten sparen würde.

Trotzdem traf am 27. auch schriftlich die ablehnende Antwort des Minister3 ein. Das Belehrende an diesem Vorgang ist weniger der

Plan selber, dessen praktische Wirksamkeit immerhin zweifelhaft war und der sich, als er im Jahre 1848 wieder hervorgesucht und verwirklicht

wurde, durchaus nicht bewährte, sondern die scharfe Trennung zwischen der besikenden Klasse =- den Bürgern =- und der besizlosen =- dem

Proletariat =-, die der Oberbürgermeister in seinem Schreiben macht, und vor allem der völlig unvereinbare Standpunkt von Regierung und Kommune. Bodelschwingh war nur konsequent, denn eine Bürger-

schaft, die sich einmal selbst beschüßt hatte, brauchte dann Polizei und Militär nicht mehr zu rufen. Nur sah er nicht, daß die Bürger, in deren Vertretern =- denn als solche sahen sich die städtischen Behörden ja ausdrücklich an -- ein solcher Plan entstand, doch für die Politik des

absoluten Polizeistaates schon zu weit waren, daß sie im Notfalle sich dem „Proletariat“ nähern würden, da die Regierung jedes Anerbieten zum gemeinsamen Vorgehen als Angriff auf ihre Autorität betrachtete und schroff zurückwies. Ein Berliner Brief des „Hamb. Korr.""") mag al3 Beweis dafür, wie man in Berlin über den Vorwand dachte, hier

seine Stelle finden: „Man unterhält sich hier viel über die scharf-abweisende Antwort, welche der Minister von Bodelsc, Heinrich, Architekt 59.

Varnhagen von Ense, Rahel, geb. Levin 55.56.

Straß, Stadtverordneter 61. 72. 90. Streckfuß, Adolf, Schriftsteller 50.

Veit, Stadtverordneter 32. 72. --, Gebrüder, Bankgeschäft 25.

Stüler, Friedrich August, Architekt 10.

Viardot-Garcia, Pauline, Sängerin 64. Vince, Karl Friedr. Ludw. Freiherr von

4 T. Taubert, Wilhelm, Komponist 46.

80::81..400. Vitzthum von Eclstädt, Graf 81.

Thile, von, Major 95. Tiedemann 76. 77.

W, +s

Trendelenburg, Friedr. Adolf, Philosoph 44.

Wagener, Konsul 65.

Tres>ow, Frau von 56. Truhn, Hieronymus, Komponist 47. 50. 52. Tschech, Bürgermeister von Storkow 96. 97. Turgenieff, Jwan 53. 56.

Weitling, Wilhelm, Kommunist 83. Werner, Zacharias, Dramatiker 58. Widmann, Adolf, Schriftsteller 60. Wilhelm, Prinz von Preußen (Wilhelm 1.) 4. M. 44. 46..56..67. 87488.

z1 DI

Wöhlert, Fabrikbesiker 18.

Ullrich, Titus, Schriftsteller 47. 50.

Wöniger, Journalist 44. 61. 63.

Wolff, Adolf, Schriftsteller 50. H. XZ Varnhagen von Ense, Karl August 55. 63. 68. 69. 70. 85. 89. 93.

Y. Yor>, Graf 56.

=A Gedrudt in der Königl. Hofbuchdruckerei von E. S. Mittler & Sohn, Berlin SW68, Kochstraße 68--71,

M iggenschai!!..