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German Pages [1128] Year 2013
Florian Wenninger | Lucile Dreidemy (Hg.)
Das Dollfuss/ Schuschnigg-Regime 1933–1938 Vermessung eines Forschungsfeldes
2013 BÖHLAU VERLAG WIEN KÖLN WEIMAR
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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek : Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie ; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https ://dnb.d-nb.de abrufbar.
Umschlagabbildung : Sujet der Vaterländischen Front , vermutlich 1937. Originalbeschriftung : „Das Zeichen künde auf 's Neue , Aufstieg zur Höhe durch Treue“. Für die freundliche Zurverfügungstellung danken wir Robert Kriechbaumer.
© 2013 by Böhlau Verlag Ges. m. b. H & Co. KG , Wien Köln Weimar Wiesingerstraße 1 , A-1010 Wien , www.boehlau-verlag.com Alle Rechte vorbehalten. Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig. Umschlaggestaltung : Michael Haderer Herstellung und Satz : Carolin Noack Druck und Bindung : Arrabona Print Gedruckt auf chlor- und säurefreiem Papier Printed in Hungary ISBN 978-3-205-78770-9
Inhaltsverzeichnis Florian Wenninger / Lucile Dreidemy: Einleitung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 I. PARTEIENGESCHICHTE Paul Dvořak : Die Geschichte der österreichischen Sozialdemokratie 1930–1938. Ein Forschungsüberblick. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Manfred Mugrauer : Die KPÖ im Kampf gegen die austrofaschistische Diktatur. . . . . . . . . . .
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Johannes Thaler : Legitimismus. Ein unterschätzter Baustein des autoritären Österreich. . . . . .
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Christian Klösch : Zerrieben zwischen Nationalsozialismus und Austrofaschismus. Landbund und Großdeutsche Volkspartei und das Ende der deutschnationalen Mittelparteien am Beispiel von Franz Winkler und Viktor Mittermann. . . . . . . . . . . . .
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Hans Schafranek : Österreichische Nationalsozialisten in der Illegalität 1933–1938. Ein Forschungsbericht. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 II. DAS KATHOLISCHE MILIEU Georg-Hans Schmit : „Im Namen Gottes , des Allmächtigen“ : christlich – deutsch – berufsständisch. Ausgewählte Aspekte über den Stand und die Perspektiven der Forschung über das christlichsoziale Lager in den Jahren 1929 bis 1938. . . . . . . . . . . . . 141 Katharina Ebner : Politische Katholizismen in Österreich 1933–1938. Aspekte und Desiderate der Forschungslage. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 Gerhard Hartmann : Eliten im „Ständestaat“. Versuche einer Einordnung. . . . . . . . . . . . . . 223 III. WIRTSCHAFTS- UND INTERESSENPOLITIK Gerhard Senft : Neues vom „Ständestaat“ ? Anmerkungen zur Wirtschaftspolitik im Austrofaschismus. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243 Brigitte Pellar : Kampf um „die Arbeiterschaft“. Forschungsstand und offene Forschungsfelder zu Politik und Ideologie von Regierungslager und illegaler Opposition 1933–1938. . . . . . . 257 Stefan Eminger : Politik und Wirtschaft. Die österreichischen Handelskammern 1930–1938. . . . 295 Wolfgang Meixner : Wirtschaftstreibende , Bankiers und wirtschaftliche Interessenverbände 1930–1938. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 309
Ernst Langthaler : Ein brachliegendes Feld. Forschungen zur Agrargeschichte Österreichs in den 1930er-Jahren. . . . . . . . . . . . . . . 331 IV. POLITIK UND GESELLSCHAFT Gabriella Hauch : Vom Androzentrismus in der Geschichtsschreibung. Geschlecht und Politik im autoritären christlichen Ständestaat / „Austrofaschismus“ ( 1933 / 34–1938 ). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 351 Julie Thorpe : Education and the Austrofascist State. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 381 Thomas Pammer : Austrofaschismus und Jugend : gescheiterte Beziehung und lohnendes Forschungsfeld ?. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 395 V. RECHTS- UND VERWALTUNGSGESCHICHTE Gertrude Enderle-Burcel / Alexandra Neubauer-Czettl : Staat im Umbruch. Forschungslücken zur Geschichte Österreichs der Jahre 1933 bis 1938. . . . . . . . . . . . . . 413 Ilse Reiter-Zatloukal : Verwaltungs- und justizgeschichtliche. Forschungsdesiderate 1933–1938. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 429 Hannes Leidinger / Verena Moritz : Das Kriegswirtschaftliche Ermächtigungsgesetz ( KWEG ) vor dem Hintergrund der österreichischen Verfassungsentwicklung. . . . . . . . . 449 Maren Seliger : Forschungsdefizite auf Wiener Regionalebene 1933–1938. . . . . . . . . . . . . . 471 VI. MILITÄRGESCHICHTE Florian Wenninger : Dimensionen organisierter Gewalt. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 493 VII. AUSSENPOLITIK Dieter A. Binder : „Austrofaschismus“ und Außenpolitik. Die zu kurz geratene Diskussion. . . . . 579 Helmut Wohnout : Bundeskanzler Dollfuß und die österreichisch-italienischen Beziehungen 1932–1934. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 601 Autorinnen und Autoren. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 633
Einleitung Der Austrofaschismus1 ist zurück. Nachdem seit den 1980er-Jahren die Ära des Nationalsozialismus das dominante Thema der zeitgeschichtlichen Forschung war , rückte in den letzten Jahren abermals die österreichische Diktatur der Jahre 1933 bis 1938 stärker in den Blickpunkt. Die Ursache für diesen Trend ist vermutlich auf mehreren Ebenen zu suchen. So ist die politische Brisanz der Thematik zwar nach wie vor spürbar , hat aber deutlich nachgelassen. Die Wahl eines bestimmten Themas kommt keinem parteipolitischen Outing mehr gleich , die Bearbeitung der Ersten Republik und des Austrofaschismus ist unbefangener als noch vor zwanzig Jahren. Das neu erwachte Interesse ist darüber hinaus sicherlich auch im Zusammenhang mit dem Umstand zu sehen , dass bis in die Gegenwart erst nach und nach wichtige Archivbestände öffentlich zugänglich werden. Hinzu kommen die Veränderungen in der Science Community. Neue Generationen von ForscherInnen haben begonnen , andere Fragen an die Vergangenheit zu stellen als ihre Doktorväter und -mütter. Zugleich hat das in Anschlag gebrachte Methodenset eine grundlegende Erweiterung erfahren. Der vielleicht bedeutsamste Grund für das Revival des Austrofaschismus als Forschungsgegenstand ist aber , dass die Entwicklungen der 1920er- und 1930er-Jahre in Österreich ein Lehrstück für autoritäre Transformationsprozesse von Gesellschaften darstellen. Österreichische Geschichte ist in dieser Hinsicht ( man ist versucht zu sagen : leider ) nicht einfach die Erfahrungswelt eines kleinen , wenig bedeutsamen europäischen Landes. Die Entstehungsgeschichte der Diktatur unter Engelbert Dollfuß und Kurt Schuschnigg bietet sich als überschaubarer Mikrokosmos zum Studium von Prozessen an , die sich so oder ähnlich in der Zwischenkriegszeit auch in vielen anderen Staaten abspielten. Mehr als das : Von Österreich gingen diverse Impulse für Entwick1 Die Regimebezeichnung der Diktatur Dollfuß / S chuschnigg variiert in den einzelnen Beiträgen dieses Bandes. Die HerausgeberInnen sehen im österreichischen Regime den Versuch , in Anlehnung an Italien ein faschistisches System „von oben“ zu etablieren. Das Produkt dieser Bemühungen zeichnete sich neben seiner chronischen Instabilität durch eine Reihe von Spezifika aus , die es uns gerechtfertigt erscheinen lassen , von einer eigenen Unterkategorie auszugehen : dem Austrofaschismus.
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Einleitung
lungen in anderen europäischen Ländern aus , es ist somit keineswegs übertrieben , das Land in den frühen 1930er-Jahren auf ideellem , organisatorischem und letztlich militärischem Gebiet als ein Zentrum des europäischen Konfliktes zwischen Demokratie und Faschismus zu begreifen – und zu untersuchen. Es muss freilich nicht nur weiter in Archiven geforscht , die entstehenden Arbeiten wollen auch gelesen und miteinander in Beziehung gesetzt werden. An dieser Stelle setzt der vorliegende Band an. Wiewohl mehrere seiner Beiträge auch neue Forschungsergebnisse vorstellen , ist das eigentliche Kernanliegen ein anderes. Die große Zahl an Studien und Analysen , die zum gegenständlichen Themenkreis mittlerweile existiert , ist überaus erfreulich. Statt aber ungerührt im wissenschaftlichen Hamsterrad weiterzulaufen , erscheint uns ein kurzes Innehalten angezeigt , um unterwegs Bilanz zu ziehen. Dies aus mehreren Gründen. Schon aufgrund des schieren Umfangs der vorhandenen Literatur ist es nicht leicht , sich den jeweils aktuellen Forschungsstand zu eigen zu machen. Für Interessierte außerhalb des Wissenschaftsbetriebes kommt das Problem hinzu , dass die gewonnenen Erkenntnisse zu einem wesentlichen Teil auf unpublizierten Hochschulschriften basieren. Solange Diplomarbeiten , Dissertationen und Habilitationen nur in ihrer Minderzahl als Digitalisate zur Verfügung stehen , ist es kaum möglich , viele entscheidende Arbeiten außerhalb von Universitätsbibliotheken zu lesen. Ein ausführlicher Forschungsbericht kommt daher , so die Überlegung , sowohl der Öffentlichkeit als auch ausländischen KollegInnen entgegen , deren Interesse wir viele der wichtigsten bisherigen Untersuchungen verdanken. Augenfällig ist weiterhin , dass zum gegenständlichen Thema in zahlreichen unterschiedlichen Zusammenhängen geforscht wird. Der Blick über die jeweilige Disziplin bzw. Institution hinaus lässt aber leider durchaus zu wünschen übrig. Dem hoffen wir auf diesem Wege entgegenwirken zu können in der Überzeugung , dass von einer stärkeren Verschränkung der Fragestellungen und Methoden alle profitieren würden und sich auch ein klareres Gesamtbild des Herrschaftssystems ergäbe. Wie in den Aufsätzen mehrfach zu bemerken , ist schon der Beitrag , den VerfasserInnen von Diplomarbeiten geleistet haben , überaus beachtlich. Das Rückgrat des bisherigen Kenntnisstandes bilden vor allem Dissertationen. Die gegenständliche Aufsatzsammlung richtet sich daher auch explizit an Studierende , die wir zu motivieren hoffen , sich stärker diesem Abschnitt der österreichischen Geschichte zuzuwenden. Sie finden auf den folgenden Seiten nicht nur die zu den jeweiligen Themen vorhandene Literatur bündig einreferiert und deren Ergebnisse kritisch diskutiert , sondern vor allem auch zahlreiche Hinweise auf offene Fragen und unbearbeitete Quellen , die als Ausgangspunkt eigener Forschungstätigkeit dienen könnten. Den Anlass für diese Veröffentlichung bildete Anfang 2011 eine Konferenz an der Universität Wien.2 Um der Kontroversität des Themas gerecht zu werden , war in deren Rahmen ausführlich Zeit zur Diskussion eingeplant worden. Ursprünglich war beabsichtigt , auch die Protokolle dieser Debatten in die vorliegende Veröffentlichung einzubeziehen. Da es aber infolge zurückgezogener Einverständniserklärungen nicht möglich gewesen wäre , das in vollem Umfang zu tun , wurde das Vorhaben schließlich ganz fal2 „Österreich 1933–1938“ – Tagung , veranstaltet vom Institut für Zeitgeschichte und der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Wien von 20. bis 21. und 24. bis 26. Jänner 2011.
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Einleitung
len gelassen. Dadurch wurde die Möglichkeit geschaffen , den Kreis der AutorInnen über den der TagungsreferentInnen hinaus zu erweitern und so ein größeres Spektrum an Themen abzudecken. Es freut uns außerordentlich , dass so viele KollegInnen entsprechenden Einladungen gerne gefolgt sind. Obwohl für eine Publikation dieser Art eher unüblich , wurden alle Beiträge einem Double-Blind-Review unterzogen. Damit sollte zum einen ein Beitrag zur wissenschaftlichen Qualitätssicherung geleistet werden. Zum anderen sollten damit auch die AutorInnen selbst von der Expertise ihrer gutachtenden KollegInnen profitieren , zumal eine Forschungsbilanz eine arbeitsintensive , herausfordernde Textsorte darstellt. Thematisch gliedert sich der Band in sieben Themenfelder. Einleitend erörtert wird die etwas aus der Mode gekommene Parteiengeschichte. Anders als landläufig angenommen , hält sich der wissenschaftliche Kenntnisstand in diesem für die Genese des Austrofaschismus so bedeutsamen Bereich nämlich durchaus in Grenzen. Die am verhältnismäßig besten dokumentierte Parteigeschichte ist sicherlich jene der Sozialdemokratie. Wie der Beitrag Paul Dvořaks zeigt , sind aber selbst in diesem Fall noch zentrale Fragen offen , so etwa zahlreiche Aspekte der Organisationsstruktur oder die Geschichte von Wahlauseinandersetzungen. Kaum untersucht wurde bisher auch etwa die Rolle der jüdischen Parteiintelligenz , die im Untergrund ab 1934 zunehmend ins Hintertreffen geriet. Auch über die Tätigkeit der Parteirechten zwischen 1934 und 1945 ist im Grunde recht wenig bekannt. Die Spaltung der europäischen Arbeiterbewegung während und nach dem Ersten Weltkrieg erfasste die österreichische Sozialdemokratie nicht. Weil deren linker Flügel sich nicht der KPÖ zuwandte , blieb jene bis zum Ende der Republik eine Marginalie am Rand der politischen Arena. Ihr Aufstieg setzte mit der Erosion der Sozialdemokratie ab 1932 ein und erreichte zwei Jahre später seinen Zenit. Vor diesem Hintergrund liefert , wie Manfred Mugrauer darlegt , sowohl die zeitgenössische kommunistische Parteiarbeit als auch die KP-nahe Historiografie wertvolle Ansatzpunkte für die Geschichte des Austrofaschismus. Johannes Thaler behandelt in seinem Text ein bisher weitgehend unbeachtetes politikgeschichtliches Forschungsthema der österreichischen Zwischenkriegszeit : den Legitimismus. Der Erste Weltkrieg hatte die Reputation des Erzhauses in der Bevölkerung irreparabel beschädigt , legitimistische Parteien blieben seit 1918 immer unter der Wahrnehmungsgrenze und die legitimistische Bewegung war verhältnismäßig klein. Wie Thalers auf Akten der Vaterländischen Front gestützte Darstellung nahelegt , überstieg die ideologische Bedeutung die organisatorische jedoch bei Weitem und wuchs nach der diktatorischen Wende 1933 noch beträchtlich. Ausgehend von zwei Führungsfiguren entwirft Christian Klösch das Panorama des deutschnationalen Milieus in der Ersten Republik. Von den zahlreichen Parteiorganisationen , die sich unmittelbar nach dem Ersten Weltkrieg gebildet hatten , blieben am Ende neben der NSDAP zwei übrig : Die Großdeutsche Volkspartei ( GDVP ) und der Landbund. Den Landbund repräsentiert in Klöschs Darstellung Vizekanzler Franz Winkler , die Großdeutsche Volkspartei deren niederösterreichischer Landesrat Viktor Mittermann. Deutlich wird dabei , dass insbesondere die verschiedenen organisatorischen Ebenen und ihre Wirkungsweise von- , mit- , neben- und gegeneinander einer näheren Untersuchung bedürfen.
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Ab Anfang der 1930er-Jahre setzte ein spürbarer Aufstieg der NSDAP ein , der die beherrschende Stellung der Christlichsozialen innerhalb des rechten Parteienspektrums ernstlich infrage zu stellen begann. Nachdem mehrere Versuche , sich gütlich zu einigen , fehlgeschlagen waren , wurde die NSDAP im Juni 1933 verboten. Hans Schafranek analysiert in seinem Beitrag die historiografische Beschäftigung mit der nachfolgenden Periode der Illegalität , die geprägt war von internen Machtkämpfen und wechselseitigen Interventionen verschiedener reichsdeutscher Interessengruppen. Der zweite Abschnitt widmet sich in drei Aufsätzen dem katholischen Milieu als Wegbereiter und Träger des Austrofaschismus. Den Anfang macht dabei Georg Hans Schmit , der die Christlichsoziale Partei ( C SP ) in den Blick nimmt. Im Unterschied zu den straff organisierten Linksparteien blieben die bürgerlichen Parteien abseits der NSDAP ein stark fragmentiertes und darob fragiles Agglomerat von Vereinen , Bünden und Landesparteien. In besonderem Maße traf das auf die CSP zu , was ihre Erforschung stark erschwert. Wie Schmit zeigt , sind selbst zentrale AkteurInnen bis heute nicht näher untersucht , interne Allianzen und Gegnerschaften liegen weitgehend im Dunkeln , selbst ein entsprechendes Organigramm fehlt bis dato. Ähnlich der Befund von Katharina Ebner , die sich ausführlich mit dem Politischen Katholizismus der CSP befasst. Die Autorin versteht ihr Thema als breit gefächertes , multipolares Spektrum von Organisationen , Ideologemen und Interessen. Besonderes Augenmerk widmet Ebner den Desideraten im Bereich des katholischen Pressewesens , der Ideologie und dem Verhältnis zum Staat. Für künftige Arbeiten empfiehlt sie besonders die weitere Vertiefung jüngerer , transnationaler Forschungsansätze. Gerhard Hartmann analysiert die bisherige Forschung zu den Funktionseliten der Diktatur Dollfuß / Schuschnigg , die in ihrer überwiegenden Mehrheit dem katholischen Milieu entstammten. Sein Augenmerk gilt mithin den Mitgliedern von Bundes- bzw. Landesregierungen , der Ministerialbürokratie sowie der Führungsebene der Vaterländischen Front. Augenfällig ist dabei besonders die ungebrochene Dominanz des Cartellverbandes von der Ersten Republik über die Diktatur der Jahre 1933–1938 bis zur Zweiten Republik. Forschungslücken sieht Hartmann unter anderem im Bereich der nichtakademischen Eliten. Den dritten Themenblock bilden Wirtschafts- und Interessenpolitik. Zunächst resümiert Gerhard Senft die Finanz- und Wirtschaftspolitik des Regimes Dollfuß / Schuschnigg , die durchaus nicht frei von Widersprüchen war , im Großen und Ganzen aber die Politik der 1920er-Jahre fortsetzte. Die Analyse in der Geschichtsschreibung folgt nach Senft , interessanterweise ungeachtet der mittlerweile etablierten neoliberalen Hegemonie , keynesianischen Paradigmen. Neue Forschungsperspektiven macht der Autor vor allem in der Komparatistik aus. Als eines der wenigen westlichen Länder kennt Österreich heute keine Richtungsgewerkschaften – im Unterschied zur Ersten Republik , wo sozialdemokratische Gewerkschaften und rechte Arbeitnehmerorganisationen in erbitterter Konkurrenz zueinander standen. Brigitte Pellar stellt diesen Konflikt und seine Fortsetzung unter dem austrofaschistischen Regime dar und widmet sich dabei sowohl den Arbeiterkammern als auch der staatsoffiziellen „Einheitsgewerkschaft“. Das institutionelle Gegenüber und seine Beforschung schildert Stefan Eminger in seinem Text über die Handelskammern. Als hervorstechendes Desiderat weist der Autor auf
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das Fehlen einer einschlägigen Gesamtdarstellung für die Zwischenkriegszeit hin. Eine lohnende Erweiterung des bisherigen Wissensstandes sieht er unter anderem in ideologiekritischen Arbeiten zur Ausrichtung der Handelskammern , die auch hinreichend deren innere Bandbreite nach Sektoren und Bundesländern berücksichtigen müssten. Eine stärker personenzentrierte Perspektive nimmt der Beitrag von Wolfang Meixner ein , der sich der sozial weitgehend undurchlässigen Unternehmerschaft widmet. Die bisherige Forschung zeigt deutlich , wie sehr speziell die Industrie ab Anfang der 1930er aktiv an der Beseitigung der Demokratie mitarbeitete. Neben der Analyse konkreter Persönlichkeiten und ihrer wirtschaftlichen Tätigkeit sieht Meixner weiteren Forschungsbedarf unter anderem in der Analyse von Unternehmernetzwerken gegeben , desgleichen hinsichtlich ihrer institutionellen Integration in den Austrofaschismus. Als weitgehend unbekanntes Terrain identifiziert der Autor speziell Bankiers. Als Dollfuß im Mai 1932 zum Kanzler aufstieg , galt er Freund und Feind als Mann der Bauernschaft. In dieses Bild schien sich gut zu fügen , dass die ansonsten weitgehend gescheiterten Bemühungen um die berufsständische Ordnung gerade im primären Sektor tatsächlich umgesetzt wurden. Im Lichte der Forschung hält Ernst Langthaler das Bild vom rücksichtslosen Bauernlobbyisten Dollfuß aber tendenziell für falsch und den „Berufsstand Land- und Forstwirtschaft“ für eine organisatorische Schimäre. Für eine präzisere Beurteilung wären noch zahlreiche offene Fragen zu klären , die Langthaler abschließend ausführt. Im vierten Abschnitt „Politik und Gesellschaft“ widmen sich drei AutorInnen soziokulturellen und bildungspolitischen Aspekten. Gabriella Hauch analysiert das Selbstverständnis des Austrofaschismus unter geschlechterspezifischen Vorzeichen. Sie kommt dabei zum Schluss , dass die Selbstinszenierung des Regimes als über den Geschlechtern stehende Instanz von der Forschung weitgehend kritiklos übernommen wurde , obwohl die Diktatur faktisch männlichen Interessen diente. Abhilfe könnten hier sowohl geschlechterspezifische Modifikationen der bisherigen Fragestellungen als auch die Bearbeitung noch weitgehend unerschlossener Bestände bringen. Die zwei nachfolgenden Aufsätze behandeln jugendrelevante Aspekte des Austrofaschismus. Julie Thorpe widmet sich im einzigen englischsprachigen Beitrag des Bandes der Erziehungspolitik des Regimes und weist auf sein Bemühen zur Festigung des „deutschen Charakters“ als Kernbestandteil der Österreich-Ideologie hin. Sie wirft mehrere offene Forschungsfragen auf und plädiert für eine stärker transnationale , vergleichende Perspektive , um das österreichische Regime im Zusammenhang mit den Nachbarfaschismen zu analysieren. Thomas Pammer beschäftigt sich mit dem Verhältnis zwischen Austrofaschismus und Jugend abseits des Schulbetriebes. Die bisherige Forschung kam zwar zum Schluss , dass es dem Regime nicht gelungen sei , die Jugend für sich einzunehmen , lieferte aber kaum schlüssige Begründungen für diesen Umstand. Der Autor skizziert in diesem Zusammenhang mehrere unterbelichtete Themenfelder und hält ebenso wie Thorpe vergleichende Analysen für einen besonders vielversprechenden Ansatz. Den fünften Schwerpunkt bilden Rechts- und Verwaltungsgeschichte. Gertrude Enderle-Burcel und Alexandra Neubauer-Czettel haben als Mitarbeiterinnen des Staatsarchivs den Text mit den detailliertesten Quellenhinweisen beigesteuert. Sie spannen
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dabei einen weiten Themenbogen , begonnen bei der systematischen Verlagerung von Entscheidungsprozessen aus dem Ministerrat ab 1936 über Außenhandelsbeziehungen und damit verbundene Strategien deutscher und italienischer Kapitalgruppen bis hin zur strukturellen Diskriminierung von Juden in der österreichischen Hochbürokratie bereits ab den 1920er-Jahren. Ilse Reiter-Zatloukal fasst den Stand der Forschung zur polizeilichen und justiziellen Gegnerbekämpfung zwischen 1933 und 1934 zusammen. Sie konzentriert sich dabei auf den Bereich des Staatsbürgerschaftsentzuges , polizeiliche Gängelungsmaßnahmen gegen im Land befindliche Oppositionelle sowie die Rechtsprechung im Dienste der Diktatur. Dabei wird ersichtlich , wie wenig speziell zu den massenhaften Internierungen bislang bekannt ist. Hannes Leidinger und Verena Moritz untersuchen in ihrem Beitrag die G eschichte jenes Kriegswirtschaftlichen Ermächtigungsgesetzes aus dem Jahr 1917 , das siebzehn Jahre und eine Staatsform später die juristische Staffage für Dollfuß’ Staatsstreich bildete. Davon ausgehend machen sie nicht nur unterschiedliche historische Einschätzungen , sondern auch weiteren rechtshistorischen Forschungsbedarf sichtbar. Die Beschäftigung mit der regionalen Ebene im Austrofaschismus ist bislang noch nicht sehr weit gediehen. Maren Seligers jüngst erschienene , umfassende Studie zur Wiener Gemeindevertretung in Austrofaschismus und Nationalsozialismus stellt hier eine der raren und deshalb umso verdienstvolleren Pionierleistungen dar. Ausgehend von ihrer Untersuchung benennt Seliger zahlreiche Forschungslücken , die den Bereich der Christlichsozialen Partei ebenso berühren wie die Zusammenführung und Ergänzung bisheriger Forschungsergebnisse in einer Gesamtdarstellung Wiens unter Dollfuß und Schuschnigg. Der sechste Themenblock ist der Militärgeschichte gewidmet. Florian Wenninger fasst hier drei Bereiche , die ursprünglich getrennt voneinander behandelt werden sollten , in einem Text zusammen. Ausgehend von den politischen Frontstellungen analysiert er den Forschungsstand sowohl zu den Wehrformationen als auch zum Bundesheer. Da rüber hinaus thematisiert er komplementär zu den Ausführungen Reiter-Zatloukals die Bedeutung der Exekutive im militärischen Kontext der Ersten Republik und des Austrofaschismus. Ergänzt wird die Darstellung durch mehrere jüngere Archivfunde. Der siebte Abschnitt zur Außenpolitik beschließt die vorliegende Bestandsaufnahme. Dieter A. Binder setzt die einschlägigen Arbeiten in Beziehung zueinander und macht drei thematische Zentren der bisherigen Forschung aus : das Konkordat , die Beziehungen Österreichs mit Ungarn und Italien und das deutsch-österreichische Verhältnis. Während mehrere AutorInnen eine stärker transnationale Bearbeitung der Vorgänge in Österreich einmahnen , schließt Binders Beitrag den dialektischen Kreis mit der Anregung , die Außenpolitik stärker innenpolitisch zu lesen. Helmut Wohnout nimmt nochmals das österreichisch-italienische Verhältnis speziell in den Blick. Dabei wird deutlich , wie wenig bisher die infrage kommenden Bestände in Österreich mit den verfügbaren Quellen in Italien , Frankreich oder Großbritannien kombiniert wurden , um zu einem umfassenderen Verständnis zu kommen. Bislang exis tiert noch nicht einmal eine quellenbasierte Monografie zum Verhältnis zwischen dem österreichischen und dem italienischen Regime. Wohnouts Beitrag bildet einen fundierten Ausgangspunkt für ein solches Unterfangen.
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Ein Band , der sich zum Ziel gesetzt hat , Forschungsdesiderate zu benennen , kann zu guter Letzt nicht umhin , auch seine eigenen Unzulänglichkeiten zur Sprache zu bringen. Ungeachtet der Notwendigkeit , aufgrund des begrenzten Umfanges eine Themenauswahl zu treffen , hätten wir uns insbesondere gewünscht , sozial- und kulturgeschichtliche Fragestellungen stärker zu berücksichtigen. Auch ideengeschichtliche Analysen , etwa im Hinblick auf rassistische Feindbilder , hätten eine wertvolle Ergänzung dargestellt. Andererseits könnte diese Lücke ja vielleicht einen besonderen Ansporn bilden , sich dieser Themenfelder anzunehmen. Dem Ziel dieses Bandes wären wir damit bereits einen guten Schritt näher gekommen. Dieser Band wäre nicht zustande gekommen ohne die tatkräftige Unterstützung zahlreicher KollegInnen. Großen Dank schulden wir neben allen GutachterInnen besonders Florian Bayer , Veronika Helfert , Oliver Rathkolb , Gerhard Schmid und Matthias Vigl. Wien , im Frühjahr 2013 Florian Wenninger Lucile Dreidemy
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Paul Dvořak
Die Geschichte der österreichischen Sozialdemokratie 1930–1938 Ein Forschungsüberblick I. Einleitung Im Jahr 1929 befand sich die „Sozialdemokratische Arbeiterpartei Deutschösterreichs“ auf dem Höhepunkt ihres Erfolges. In diesem Jahr erreichte sie mit 718.056 den Höchststand an Mitgliedern in der Ersten Republik1. Bei den Nationalratswahlen vom 24. April 1927 hatte sie mit 42 % der abgegebenen Stimmen ihren bis dahin größten Stimmenanteil bei bundesweiten Wahlen erreicht.2 Die Partei regierte seit den ersten demokratischen Wahlen von 1919 in Wien , wo fast ein Drittel der österreichischen Bevölkerung lebte , mit absoluter Mehrheit und konnte dort ihren Stimmenanteil bei den Wahlen 1923 und 1927 sukzessive vergrößern. Das „Rote Wien“ war zum Musterbeispiel eines Kommunalsozialismus geworden , in dem ein Stück sozialistischer Zukunftsvision verwirklicht werden sollte.3 Die Parteipresse war auf einem Höhepunkt ihrer Ausbreitung , vor allem nach der 1927 erfolgten Gründung des „Kleinen Blattes“, das innerhalb weniger Jahre eine Auflage von 168.000 und eine Leserschaft von bis zu 400.000 erreichte.4 Kaum weniger erfolgreich als das „Kleine Blatt“ war „Die Unzufriedene“, das Organ der sozialdemokratischen Frauenorganisation , die ihre Auflage in den Jahren von 1924 bis 1930 von 106.400 auf 161.400 steigern konnte.5 Die sogenannten „Vorfeldorganisationen“ der Partei , von der Mietervereinigung ( 1929 : 229.118 Mitglieder ) über die Freidenker ( 1929 : 38.213 Mitglieder ), den Arbeiter-Feuerbestattungsverein „Die Flamme“ ( 1929 : 131.264 Mitglieder ), den Sozialdemokratischen Erziehungs- und Schulverein „Freie Schule-Kin1 Holtmann , Everhard ( 1996 ) : Die Organisation der Sozialdemokratie in der Ersten Republik 1918– 1934. In : Maderthaner , Wolfgang / Müller , Wolfgang C. ( Hg. ) : Die Organisation der österreichischen Sozialdemokratie 1889–1995 [ S ozialistische Bibliothek ] Wien , 93–167 : 149. 2 Ebenda , 114. 3 Gruber , Helmut ( 1991 ) : Red Vienna. Experiment in Working-Class Culture 1919–1934 , New York / Oxford , 5 f. ; Pelinka , Peter ( 1988 ) : Das Herz der Partei. In : Stimmer , Kurt ( Hg. ) : Die Arbeiter von Wien. Ein sozialdemokratischer Stadtführer , Wien , 11–36 : 24. 4 Potyka , Alexander ( 1989 ) : Das Kleine Blatt. Die Tageszeitung des Roten Wien , Wien , 19. 5 Beide Zeitungen überflügelten damit auch das Zentralorgan der Partei , die „Arbeiterzeitung“. Siehe Holtmann ( 1996 ), 122.
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I. Parteiengeschichte
derfreunde“ ( 1929 : 100.540 Mitglieder ), die Arbeitersänger bis hin zu den Naturfreunden ( 1929 : 87.000 Mitglieder ) organisierten Zehntausende und wiesen bis ins Jahr 1929 steigende Mitgliederzahlen aus.6 Doch schon fünf Jahre darauf war nach den Worten Otto Bauers „[ a ]lles , was sich hunderttausende österreichischer Arbeiter seit 45 Jahren aufgebaut haben … vernichtet“7 – das imposante Gebäude der österreichischen Sozialdemokratie war zerstört und bis heute gibt der Untergang dieser in jeder Hinsicht erfolgreichen Partei den HistorikerInnen Rätsel auf. Wie konnte diese so machtvolle Organisation in nur so kurzer Zeit von der Bildfläche verschwinden ? Wieso war es gerade die stärkste und bestorganisierte Arbeiterpartei der freien Welt , die in einem blutigen Bürgerkrieg vernichtet wurde , während die Sozialdemokratie in anderen Ländern , wo sie , weder was Wahlergebnisse noch was Organisationsfähigkeit betraf , an jene der SDAP heranreichte , wenn nicht Regierungen bildete , so doch wenigstens fortexistierte ? Zwei Interpretationsstränge haben sich dabei herauskristallisiert. Der eine sieht den Untergang der österreichischen Sozialdemokratie in den widrigen Umständen der 1920er- und 1930er-Jahre begründet. Das Fehlen bzw. das allmähliche Verschwinden einer bürgerlich-liberalen Tradition in Österreich , der Aufstieg der Faschismen , die Abkehr der „bürgerlichen“ Parteien vom liberalen Parlamentarismus und die Tatsache , dass Österreich von Diktaturen umgeben war , hätten die Zerstörung der parlamentarischen Demokratie begünstigt und den Weg zur autoritär-faschistischen Gegenrevolution von 1933 / 34 geebnet , die ihren Abschluss in der Vernichtung der sozialdemokratischen Arbeiterbewegung im Bürgerkrieg von Februar 1934 fand. In dieser Sicht der Dinge war die SDAP das Opfer von Entwicklungen , die in ganz Europa zu beobachten waren und in die sie gestaltend eigentlich nicht mehr eingreifen hätte können. Der zweite Interpretationsstrang macht eine von ihm postulierte sozialdemokratische Intransigenz für die Entwicklung der 1930er-Jahre verantwortlich. Die SDAP , noch dazu schlecht geführt von zaudernden Intellektuellen vom Schlage eines Otto Bauer8 , wäre in hoffnungslos veralteten marxistischen Doktrinen gefangen gewesen. Anstatt flexibel auf die 1929 einsetzende Wirtschaftskrise zu reagieren , hätte die Partei starr an ihrer Ablehnung von Bündnissen mit der „Bourgeoisie“ festgehalten , statt den Weg der Zusammenarbeit mit den Christlichsozialen anzutreten. Die Ablehnung des Koalitionsangebots von Ignaz Seipel von 1931 wird in diesem Zusammenhang meist zitiert.9 Dar über hinaus hätte sie selber das Ihre zur Radikalisierung beigetragen. Eine „hemmungslose antiklerikale Propaganda“ und die Selbstdeklaration , eine „marxistische“, ja eine „revolutionäre“ Partei zu sein , versetzte das bürgerliche Lager so in Angst und Schrecken , dass es die Demokratie schließlich glaubte , verwerfen zu müssen , um nicht selber Opfer einer „revolutionären Sozialdemokratie“ zu werden.
6 Siehe Parteivertretung der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei Deutschösterreichs ( Hg. ) ( 1930 ) : Jahrbuch der österreichischen Arbeiterbewegung 1929 , Wien , 369–434. 7 Bauer , Otto ( 1934 ) : Der Aufstand der österreichischen Arbeiter , Prag , 3. 8 Leser , Norbert ( 1985 ) : Zwischen Reformismus und Bolschewismus. Der Austromarxismus als Theorie und Praxis , 2. Aufl. , Wien / Köln / Graz , 318. 9 Leser ( 1985 ), 296.
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Weder die eine noch die andere Sichtweise ist in ihrer Zuspitzung so haltbar , sodass die meisten HistorikerInnen eine Kombination von beiden bevorzugen. Der sich in der Nachkriegszeit durchsetzende common sense war , dass die österreichische Demokratie und die sie tragenden großen politischen Lager durch die Weltwirtschaftskrise und den Aufstieg des Nationalsozialismus in Deutschland in eine ihr Überleben bedrohende Krise gerieten. Die im Laufe der 1920er-Jahre aufgebauten Animositäten zwischen Sozialdemokratie und politischem Katholizismus ließen sich aber in dem Moment , wo das nötig gewesen wäre , nicht mehr überbrücken. Insbesondere die SDAP hätte durch ihren Antiklerikalismus und ihren Verbalradikalismus , der dazu beitrug , dass sie in entscheidenden Momenten nicht den Weg der Zusammenarbeit mit den Christlichsozialen ging , jegliche Versöhnung der gleichermaßen durch den Nationalsozialismus bedrohten politischen Lager verunmöglicht. Als sie doch dazu bereit war , zwischen März 1933 und Februar 1934 , waren die Weichen innerhalb der christlichsozialen Führung um Engelbert Dollfuß jedoch bereits Richtung Diktatur gestellt. Als Anfang vom Ende der österreichischen Demokratie werden dabei oft die Ereignisse rund um den Justizpalastbrand vom 15. Juli 1927 gesehen.10 Sie hätten eine verhängnisvolle „Schwäche“ der austromarxistischen Theorie offengelegt und den Aufstieg der faschistischen Heimwehren begünstigt. Die von Christlichsozialen und Heimwehren forcierte Reform der Verfassung mündete 1929 in einem Kompromiss ,11 der die Stellung des Bundespräsidenten zwar aufwertete , aber den parlamentarischen Charakter der republikanischen Ordnung bestehen ließ. Bei den im darauffolgenden Jahr , am 9. November 1930 stattfindenden Nationalratswahlen , die die letzten der Ersten Republik werden sollten , konnten die Sozialdemokraten einen neuerlichen Erfolg feiern. Zum ersten Mal seit 1919 wurde die SDAP mit 41, 10 Prozent zur stimmenstärksten Partei und konnte die Christlichsozialen zum ersten Mal seit 1919 deutlich überflügeln. Von einer „Krise“ der Sozialdemokratie konnte 1930 trotz leicht sinkender Stimmenanteile bei der Nationalratswahl und sinkender Mitgliederzahlen noch nicht die Rede sein. Die Partei konnte ihre Vormachtstellung auch bei den Wiener Landtags- und Gemeinderatswahlen 1932 behaupten , was man allerdings nicht von der christlichsozialen Regierungspartei behaupten konnte. Die CSP verlor 1932 in Wien massiv Stimmen an die NSDAP , die zur zweitstärksten Partei aufsteigen konnte. In den Bundesländern war jedoch auch ein Abbröckeln der sozialdemokratischen WählerInnen zu konstatieren , jedoch nicht in dem Ausmaß , wie es den Christlichsozialen in Wien widerfuhr.12 10 Neck , Rudolf / Wandruszka , Adam ( 1979 ) : Die Ereignisse des 15. Juli 1927. Protokoll des Symposiums in Wien am 15. Juni 1977 [ Veröffentlichungen der wissenschaftlichen Kommission des TheodorKörner-Stiftungsfonds und des Leopold-Kunschak-Preises zur Erforschung der österreichischen Geschichte der Jahre 1927 bis 1938 5 ] , Wien , 157. 11 Die Tatsache , dass die Sozialdemokratie offenbar doch zu Kompromissen bereit war , hat jedoch dem gängigen Narrativ von der radikal-marxistischen Sozialdemokratie der Zwischenkriegszeit nur die Facette hinzugefügt , wonach die SDAP aus dem relativen Erfolg der Verhandlungen rund um die Verfassungsrevision den falschen Schluss zog , dass man mit Flexibilität und Verhandlungsgeschick auch ein anderes Mal Schlimmeres verhüten könnte. Siehe Leser ( 1985 ), 293. 12 Hänisch , Dirk ( 1998 ) : Die österreichischen NSDAP-Wähler. Eine empirische Analyse ihrer politischen Herkunft und ihres Sozialprofils [ Böhlaus zeitgeschichtliche Bibliothek 35 ] , Wien / Köln / Weimar , 96–97.
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I. Parteiengeschichte
Die sozialdemokratische Führung war sich der Gefahr , die von der NSDAP ausging , sehr wohl bewusst. Gewalttätige Auseinandersetzungen mit Nazis und SA oder SS-Formationen gehörten fast schon zum politischen Alltag.13 Den Eintritt in die Regierung wollte die SDAP jedoch nur zu ihren eigenen Bedingungen vollziehen. Warnend war den österreichischen Sozialdemokraten dabei das Bild der SPD vor Augen , die die Austeritätspolitik der Regierung Brüning im Reichstag toleriert hatte und dafür einen hohen Preis , nämlich massive Stimmenverluste zugunsten der NSDAP und der KPD , zu zahlen hatte. Ein bedingungsloser Eintritt in eine christlichsozial geführte Bundesregierung schien der beste Weg zu sein , um der NSDAP noch mehr Wähler , diesmal aus dem sozialdemokratischen Lager , zuzutreiben. Der parlamentarischen Logik folgend , setzte die SDAP Ende 1932 auf Neuwahlen. Sie sollten die Kräfteverhältnisse endgültig zu ihren Gunsten klären und eine Regierung unter sozialdemokratischer Führung ermöglichen. Das Problem war nur , dass der politische Katholizismus zu dieser Zeit nicht bereit war , einen Machtverzicht in irgendeiner Form auch nur in Erwägung zu ziehen. Die Ergebnisse der Landtagswahlen in Wien , Niederösterreich und Salzburg 1932 hatten allen christlichsozialen Verantwortungsträgern klargemacht , dass Neuwahlen nicht nur zur Stärkung der NSDAP , sondern zu der gleichzeitigen massiven Schwächung der CSP führen würden.14 Den Ausweg aus dieser scheinbar hoffnungslosen Lage schien die Geschäftsordnungskrise vom 4. März 1933 zu liefern. Bundeskanzler Dollfuß nützte die Gelegenheit für einen kalten Staatsstreich.15 Am 15. März 1933 hinderte er das Parlament daran , wieder zusammenzutreten , auch wenn der Standpunkt der Sozialdemokratie war , dass die Sitzung an diesem Tag stattgefunden hatte. Der Sozialdemokratie war durch die Ausschaltung des Parlaments der Boden unter den Füßen weggezogen worden. Der „Weg zum Sozialismus“ hatte für Otto Bauer in Österreich immer nur über die Erlangung einer parlamentarischen Mehrheit geführt. Die Massenorganisation war einerseits auf Wahlkämpfe , andererseits auf politisches Wirken innerhalb einer liberal-demokratischen Ordnung ausgelegt. Sukzessive nahm Dollfuß der SDAP aber die Luft zum Atmen. Nachdem er das Parlament ausgeschaltet hatte , ging er dazu über , die Press- , Versammlungs- und Vereinsfreiheit so weit einzuschränken , dass die Organisationen und die Presseorgane der Sozialdemokratie immer weniger wirken konnten. Das Verbot des republikanischen Schutzbundes , das Verbot des Maiaufmarsches in Wien und die Einführung der Vorzensur , was vor allem die sozialdemokratischen Blätter treffen sollte , machten deutlich , dass die Regierung ihre neue Allmacht auch auszunützen gedachte.16 Die Parteiführung konnte sich jedoch nicht dazu entschließen , Dollfuß gewaltsam Widerstand zu leisten. Zwar schienen die Bedingungen für die im „Linzer Programm“17 13 Botz , Gerhard ( 1983 ) : Gewalt in der Politik. Attentate , Zusammenstöße , Putschversuche , Unruhen in Österreich 1918–1938 , 2. Aufl. , München , 186–206 ; Rothländer , Christiane ( 2012 ) : Die Anfänge der Wiener SS , Wien / Köln / Weimar , 118–120, 205–206, 218–221 , 250. 14 Goldinger , Walter ( Hg. ) ( 1980 ) : Protokolle des Klubvorstandes der Christlichsozialen Partei 1932–1934 [ Studien und Quellen zur österreichischen Zeitgeschichte 2 ] , Wien , 133. 15 Holtmann , Everhard ( 1978 ) : Zwischen Unterdrückung und Befriedung. Sozialistische Arbeiterbewegung und autoritäres Regime 1933–1938 [ Studien und Quellen zur österreichischen Zeitgeschichte 1 ] , Wien , 45. 16 Ebenda. 17 Ardelt , Rudolf ( 1989 ) : Das Linzer Programm der österreichischen Sozialdemokratie 1926. In : Weidenholzer , Josef ( Hg. ) ( 1989 ) : Die Bewegung lebt. 100 Jahre Linzer Sozialdemokratie , Linz , 311–319.
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avisierte Möglichkeit einer defensiven Gewalt , die für den Fall angewendet werden sollte , wenn das Bürgertum den Boden der liberal-demokratischen Ordnung verlassen würde , nach dem März 1933 erfüllt , doch schreckte die Parteiführung vor einem Bürgerkrieg zurück. Hatte Dollfuß nicht zu verstehen gegeben , dass es sich bei der parlamentslosen Zeit um eine Episode handeln würde , dass er eine Rückkehr zum verfassungsmäßigen Zustand nicht ausschließe ?18 Sollte man all das Erreichte , nicht zuletzt die großartige Organisation aufs Spiel setzen und riskieren , am Ende ganz zu verschwinden ? Die Parteispitze war sich jedoch der Tatsache bewusst , dass die schrittweise Eliminierung demokratischer Freiheiten die Organisation erst schwächen und dann zerstören muss te , und sie unternahm daher im Laufe des Jahres 1934 einen Annäherungsversuch nach dem anderen , in der Hoffnung , die Regierung zum Einlenken bewegen zu können.19 Im Rückblick erscheint klar , dass Dollfuß diese Verständigungsversuche als Ermutigung und Bestätigung der Richtigkeit seines antidemokratischen Kurses auffasste und an irgendeiner Form der Verständigung mit der Sozialdemokratie kein Interesse hatte.20 Die Folgen des Zurückweichens vor den autoritären Maßnahmen der Regierung waren Mitgliederverlust und Apathie der noch verbliebenen Anhänger der Partei. Im Laufe des Jahres 1933 verlor die SDAP ungefähr ein Drittel ihrer Mitglieder.21 Der Verfall der Organisation beschleunigte sich umso mehr , als klar wurde , dass die Partei ihren Mitgliedern keinerlei Perspektive mehr bieten konnte. Die Partei versuchte im Laufe des Jahres 1933 alle rechtlichen und demokratischen Mittel auszuschöpfen , um einen parlamentarischen Zustand wiederherzustellen. Eine Anfechtung der Notverordnungen beim Verfassungsgerichtshof durch das Land Wien beantwortete die Regierung mit der Lahmlegung der Verfassungsgerichtsbarkeit. Ein sogenannter „Volksentscheid“, eine Petition an den Bundespräsidenten , in dem er zur Einberufung des Nationalrates aufgefordert wurde , sollte die Partei über den Sommer beschäftigen , blieb jedoch , obwohl von 1, 2 Millionen Menschen unterschrieben , wirkungslos.22 Der letzte sozialdemokratische Parteitag im Oktober 1933 hatte , nebst Streichung des Anschlussparagrafen aus dem Parteiprogramm , vier Punkte als „rote Linien“ beschlossen , bei deren Überschreiten durch die Regierung die Sozialdemokratie gewaltsam Widerstand leisten würde.23 Die Absetzung der Wiener Stadtregierung , die Auflösung der Partei , der freien Gewerkschaften oder die Oktroyierung einer faschistischen Verfassung sollte mit Gewalt beantwortet werden. Im Laufe des Herbst und Winters 1933 / 1934 wurden die Versuche der Parteiführung , in irgendeiner Form zu einem modus vivendi mit dem Dollfuß-Regime zu kommen , immer verzweifelter. Der rechte Flügel rund um die niederösterreichischen Politiker Oskar Helmer , Heinrich Schneidmadl , Pius Schneeberger , unterstützt von Karl Renner , drängte auf eine Verständigung mit Dollfuß um fast jeden Preis , in Verkennung der Tatsache , 18 Rabinbach , Anson ( 1989 ) : Vom Roten Wien zum Bürgerkrieg [ Sozialistische Bibliothek ] , Wien , 85. 19 Holtmann ( 1978 ), 69–70. 20 Ebenda , 83. 21 Holtmann ( 1996 ), 163. 22 Leichter , Otto ( 1964 ) : Glanz und Ende der Ersten Republik. Wie es zum österreichischen Bürgerkrieg kam [ Österreichprofile ] , Wien , 211. 23 Leichter ( 1964 ), 211–212 ; Leser ( 1985 ), 324.
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dass Letzterer von den Sozialdemokraten keine Verhandlungsangebote mehr wünschte , sondern auf ihre Kapitulation wartete. Auch Otto Bauer , der offenbar nicht an die Möglichkeit der erfolgreichen Führung eines bewaffneten Kampfes glaubte , tat alles , um der Regierung entgegenzukommen. Im Winter 1933 bzw. im Jänner 1934 publizierte Bauer in der „Arbeiterzeitung“ bzw. im Theorieorgan „Der Kampf “24 mehrere Artikel , in denen er sich wohlwollend mit Vorstellungen einer ständischen Ordnung auseinandersetzte und vor allem den Nachweis zu führen versuchte , dass eine solche „wahre“ berufsständische Ordnung der Erhaltung gewisser Freiheitsrechte für die Arbeiterschaft bedurfte.25 Angesichts der bisher mit der Sozialdemokratie gemachten Erfahrungen war der Ausbruch des Bürgerkriegs am 12. Februar 1934 in Linz für die Regierung und die sie tragenden Kräfte durchaus eine Überraschung.26 Er konnte nur ausbrechen , weil der Verfall der sozialdemokratischen Parteiorganisation und mit ihr einhergehend der Autoritätsverlust der Parteiführung ein solches Ausmaß angenommen hatte , dass untergeordnete Funktionäre wie der oberösterreichische Landesparteisekretär Richard Bernaschek schließlich auf eigene Faust handelten. Die Erfüllung der Forderungen der Heimwehr nach Ernennung eines Regierungskommissärs in Wien nach der Absetzung aller sozialdemokratischen Landesregierungsmitglieder schien kurz vor der Umsetzung zu stehen.27 Dem bereits illegalen Schutzbund war im Jänner 1934 durch die Verhaftung fast aller wichtigen Führungsmitglieder ein schwerer Schlag versetzt worden. Fortwährendes Waffensuchen schien das Vorspiel zum Verbot der Partei zu einem sang- und klanglosen Untergang , den Bernaschek um jeden Preis vermeiden wollte.28 In der zweiten Februarwoche des Jahres 1934 hielt er angesichts des Zustandes der Partei in seinem Bundesland den Moment für gekommen , wo ein weiteres Zurückweichen nicht mehr möglich erschien. Er kündigte den gewaltsamen Widerstand gegen weiteres Waffensuchen , das für die kommenden Tage drohte , dem Parteivorstand schriftlich an und forderte die Wiener Genossen auf , in diesem Fall den Generalstreik und den Aufstand in Wien und im Rest Österreichs auszulösen.29 Im Laufe des 12. Februar versuchte das aus je vier Gewerkschaftern und Mitgliedern des Parteivorstands bestehende „Gemeinsame Aktionskomitee“30 genau das zu tun. Der Generalstreik scheiterte ebenso wie der Aufstandsversuch. Der 12. Februar beendete zunächst die legale Geschichte der österreichischen Sozialdemokratie und aller mit ihr verbundenen Organisationen. So gut wie alle wichtigen Funktionäre der Partei wurden verhaftet und monatelang inhaftiert.31 Von Dutzenden durch die Standgerichte verhängten Todesurteilen wurden neun vollstreckt. Otto Bauer und Julius Deutsch war es gelungen , in die Tschechoslowakei zu flüchten , und von Brünn aus machten sie sich daran , ein Aus24 Siehe Bauer , Otto ( 1979 ) : Werkausgabe Bd. 7 , Wien , 496–516 ; Bauer , Otto ( 1980 ) : Werkausgabe Bd. 9 , Wien , 341–360. Siehe auch Rabinbach ( 1989 ), 137 , 159–162. 25 Holtmann ( 1978 ), 85. 26 Ebenda , 83. 27 Rabinbach ( 1989 ), 177. 28 Bernasek , Richard ( 1934 ) : Die Tragödie der österreichischen Sozialdemokratie. In : Österreich Brandherd Europas , Zürich , 275–279 ; Rabinbach ( 1989 ), 178. 29 Rabinbach ( 1989 ), 173. 30 Zu den Mitgliedern des Aktionskomitees siehe Sitzung des Parteivorstandes vom 13. 9. 1933 , VGA , Mappe 6. 31 Holtmann ( 1978 ), 96.
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landsbüro der österreichischen Sozialdemokratie ( ALÖS ) als Exilzentrale einzurichten und die „Arbeiterzeitung“ weiter zu publizieren. Deren Verteilung war in den nächsten Monaten eine der Hauptaufgaben der nunmehr illegalen sozialdemokratischen Bewegung in Österreich , die alsbald den Namen „Revolutionäre Sozialisten“ ( RS ) annahm.32 II. Stand der Forschung Die Geschichte der österreichischen Sozialdemokratie der Zwischenkriegszeit gehört im Moment zu den weniger beliebten Themen der österreichischen Geschichtswissenschaft. Es existiert bis heute keine Geschichte der Partei , wenn man von Ludwig Brügels fünfbändiger Geschichte der Sozialdemokratie aus den Jahren 1922–1925 absieht ,33 die allerdings 1918 mit der Gründung der Republik endet. Für die Zeit danach gibt es , sieht man von der Darstellung der Geschichte der Arbeiterbewegung von Hautmann / K ropf34 ab , kein Überblickswerk , das eine Synthese bietet und wissenschaftlichen Ansprüchen gerecht wird. In der unmittelbaren Nachkriegszeit waren es weniger an österreichischen Universitäten lehrende Historiker , die sich mit der SDAP beschäftigten , als vielmehr ehemals in der Partei aktive Emigranten wie Adolf Sturmthal35 , Otto Leichter , Julius Braunthal36 oder Joseph Buttinger37 , anglo-amerikanische Historiker und Journalis ten wie Charles A. Gulick38 oder G. E. R. Gedye39 oder kommunistische Intellektuelle wie Albert Fuchs40 , die ihre Interpretation der Geschichte der Partei in der Zwischenkriegszeit schriftlich niederlegten bzw. sich mit wichtigen Teilaspekten wie dem Austromarxismus befassten. Im Jahr 1954 legte mit Adam Wandruszka erstmals ein an einer Universität lehrender österreichischer Historiker , der der Linken alles andere als nahestand , eine Gesamtschau vor , in der er die Existenz von drei „Lagern“ postulierte , die die politische Landschaft Österreichs seit 1918 beherrscht hatten.41 Im Großen und Ganzen waren es oft die in der Sozialdemokratie selber Aktiven , die die Geschichte der Partei schrieben und sie interpretierten. Hier muss an erster Stelle Otto Bauer genannt werden , der angefangen von seinem Buch „Die Österreichische
32 Marschalek , Manfred ( 1990 ) : Untergrund und Exil. Österreichs Sozialisten zwischen 1934 und 1945 [ Sozialistische Bibliothek ] , Wien , 40. 33 Brügel , Ludwig ( 1922–1925 ) : Geschichte der österreichischen Sozialdemokratie , 5 Bände , Wien. 34 Hautmann , Hans / K ropf , Rudolf ( 1974 ) : Die österreichische Arbeiterbewegung vom Vormärz bis 1945 [ Schriftenreihe des Ludwig Boltzmann-Instituts für Geschichte der Arbeiterbewegung 4 ] , Wien , 125–175. 35 Sturmthal , Adolf ( 1943 / 1951 ) : The Tragedy of European Labour 1918–1939 , New York. 36 Braunthal , Julius ( 1948 / 49 ) : Auf der Suche nach dem Millennium , 2 Bde. , Nürnberg ; Braunthal , Julius ( 1948 ) : The Tragedy of Austria , London. 37 Buttinger , Joseph ( 1953 / 1972 ) : Das Ende der Massenpartei ; Am Beispiel Österreichs. Ein geschichtlicher Beitrag zur Krise der sozialistischen Bewegung , Frankfurt / Main. 38 Gulick , Charles ( 1948 / 1980 ) : Austria from Habsburg to Hitler , 2 Bde. , Berkely u. a. 39 Gedye , George E. R. ( 1939 / 1946 ) : Fallen Bastions. The Central European Tragedy , London. 40 Fuchs , Albert ( 1978 ) : Geistige Strömungen in Österreich 1867–1918 , Wien. 41 Wandruszka , Adam ( 1954 ) : Österreichs politische Struktur. Die Entwicklung der Parteien und politischen Bewegungen , Wien , 291.
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Revolution“42 bis hin zu „Der Aufstand der österreichischen Arbeiter“43 der Hauptinterpret jener Partei und Bewegung wurde , deren Politik er 1918–1934 maßgeblich bestimmte. Bauer stand aber in dieser Hinsicht keineswegs alleine da. Julius Deutsch legte ebenfalls eine Darstellung der Revolution von 191844 vor , ebenso wie eine zweibändige Geschichte der österreichischen Gewerkschaftsbewegung45 sowie eine Geschichte der österreichischen Arbeiterbewegung46. In den ersten Jahrzehnten nach 1945 waren es vornehmlich sozialdemokratische Emigranten wie Otto Leichter , Julius Braunthal , Joseph Buttinger , Adolf Sturmthal oder ehemalige Redakteure der „Arbeiterzeitung“ wie Jacques Hannak47 , die sich der Geschichte der Partei in der Zwischenkriegszeit und im Untergrund annahmen. Hinzu kam auch eine umfangreiche Memoirenliteratur , stellvertretend genannt seien hier Adolf Schärf48 , Oskar Helmer49 , Julius Deutsch50 , Heinrich Schneidmadl51 , Ernst Fischer52 , Friedrich Scheu53 , Richard Berczeller54 , Joseph T. Simon55 , Ernst Koref56 , Stella Klein-Löw57 , Bruno Kreisky58 , Adolf Sturmthal59 , Marie Jahoda60 und Franz Olah61. 42 Bauer , Otto ( 1923 ) : Die österreichische Revolution , Wien. 43 Bauer , Otto ( 1934 ) : Der Aufstand der österreichischen Arbeiter. Seine Ursachen und seine Wirkungen , Prag. 44 Deutsch , Julius ( 1923 ) : Aus Österreichs Revolution. Militärpolitische Erinnerungen , Wien. 45 Deutsch , Julius ( 1929 / 1932 ) : Geschichte der österreichischen Gewerkschaftsbewegung , 2 Bde. , Wien. 46 Deutsch , Julius ( 1922 ) : Geschichte der deutschösterreichischen Arbeiterbewegung. Eine Skizze , 2. Aufl. , Wien. Dieses Werk erschien 1947 in dritter Auflage mit leicht verändertem Titel und erweitert um Kapitel , die die Periode von 1922–1947 behandelten. Siehe Deutsch , Julius ( 1947 ) : Geschichte der österreichischen Arbeiterbewegung. Eine Skizze , 3. Aufl. , Wien. 47 Hannak , Jacques ( 1952 ) : Im Sturm eines Jahrhunderts. Eine volkstümliche Geschichte der Sozialistischen Partei Österreichs , Wien. 48 Schärf , Adolf ( 1955 ) : Österreichs Erneuerung 1945–1955. Das erste Jahrzehnt der zweiten Republik , Wien ; Schärf , Adolf ( 1963 ) : Erinnerungen aus meinem Leben , Wien. 49 Helmer , Oskar ( 1957 ) : Fünfzig Jahre erlebte Geschichte , Wien. 50 Deutsch , Julius ( 1960 ) : Ein weiter Weg. Lebenserinnerungen , Zürich / L eipzig / Wien. 51 Schneidmadl , Heinrich ( 1964 ) : Über Dollfuß zu Hitler. Ein Beitrag zur Geschichte des 12. Februar 1934 , Wien. 52 Fischer , Ernst ( 1987 ) : Erinnerungen und Reflexionen , 2. Aufl. , Frankfurt / Main. 53 Scheu , Friedrich ( 1972 ) : Der Weg ins Ungewisse. Österreichs Schicksalskurve 1929–1938 , Wien / München / Zürich. 54 Leser , Norbert / Berczeller , Richard ( 1977 ) : Als Zaungäste der Politik. Österreichische Zeitgeschichte in Konfrontationen , Wien / München. 55 Simon , Joseph T. ( 1979 ) : Augenzeuge. Erinnerungen eines österreichischen Sozialisten. Eine sehr persönliche Zeitgeschichte , Wien. 56 Koref , Ernst ( 1980 ) : Die Gezeiten meines Lebens , Wien / München. 57 Klein-Löw , Stella ( 1980 ) : Erinnerungen. Erlebtes und Gedachtes , Wien. 58 Kreisky , Bruno ( 1986 ) : Zwischen den Zeiten. Erinnerungen aus fünf Jahrzehnten , Berlin. 59 Sturmthal , Adolf ( 1989 ) : Zwei Leben. Erinnerungen eines sozialistischen Internationalisten zwischen Österreich und den USA , Wien / Köln. 60 Jahoda , Marie ( 1997 ) : Ich habe die Welt nicht verändert. Lebenserinnerungen einer Pionierin der Sozialforschung , Frankfurt / Main. 61 Olah , Franz ( 2008 ) : Erlebtes Jahrhundert , 2. Aufl. , Wien.
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In den 1960er-Jahren begann das Interesse an der Geschichte der Sozialdemokratie und der Geschichte der Arbeiterbewegung aus vielerlei Gründen zu wachsen. Zum einen bediente sich die Studentenbewegung freizügig aus dem Theoriearsenal der alten ArbeiterInnenbewegung und eine von ihr beeinflusste neue , junge Historikergeneration begann , wissenschaftlich zu wirken. Zum anderen sollte die ArbeiterInnengeschichtsschreibung auch über das Einfallstor der Sozialgeschichte Bedeutung erlangen.62 Auch institutionell wurden in den späten 1950ern und frühen 1960ern mehrere Weichenstellungen getroffen. Mit der Gründung des Vereins für die Geschichte der Arbeiterbewegung ( VGA ) 195963 und des Dokumentationsarchivs des österreichischen Widerstandes ( DÖW ) 196364 wurden zwei Instanzen geschaffen , die sich wesentlich der Sammlung und Erforschung der Sozialdemokratie und des Widerstands gegen den Faschismus widmeten. Ein weiterer wichtiger Schritt für die Etablierung der ArbeiterInnengeschichte war die Gründung der Internationalen Tagung der Historiker der ArbeiterInnenbewegung ( ITH ) in Linz durch Rudolf Neck und Herbert Steiner 1964.65 Eine wichtige Weichenstellung erfolgte 1968 zudem mit der Ernennung Karl R. Stadlers zum Leiter eines neu gegründeten Ludwig Boltzmann-Instituts für Geschichte der Arbeiterbewegung.66 Stadler wurde gleichzeitig auch an eine neu geschaffene Professur an der Universität Linz berufen sowie 1973 als Direktor des ebenfalls neu gegründeten Dr.-Karl-Renner-Instituts67 und entfaltete sehr rasch eine rege Publikationstätigkeit. Er verschaffte der ArbeiterInnengeschichtsschreibung bis zu seinem Tod eine bis dahin unerreichte institutionelle Verankerung , deren Ausdruck eine Vielzahl an Monografien , Sammelbänden68 , Tagungen und Artikeln zum 62 van der Linden , Marcel ( 2010 ) : ArbeiterInnengeschichte unter veränderten Rahmenbedingungen. In : Konrad , Helmut / Benedik , Stefan ( Hg. ) : Mapping Contemporary History II , Wien / Köln / Weimar , 25–36 : 26–29. 63 Maderthaner , Wolfgang / Troch , Harald ( 1999 ) : Archive der Arbeiterbewegung ( Veröffentlichungen des Wiener Stadt- und Landesarchivs 58 ), Wien , 3. Wie Maderthaner und Troch schreiben , sollte da „die Arbeitergeschichte dem Wahrnehmungshorizont der offiziellen Universitätshistoriografie noch immer zur Gänze entging … eine Institution zur Festschreibung der historischen Identität der österreichischen Arbeiterbewegung ins Leben gerufen werden. Zum zweiten ging es darum , ein institutionelles ‚Auffangbecken‘ für jene Archivbestände einzurichten , die vor und während des Zweiten Weltkrieges über ganz Europa verstreut waren und nunmehr nach Österreich zurückgebracht werden sollten.“ 64 Neugebauer , Wolfgang ( 1983 ) : Zwanzig Jahre Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstands 1963–1983. In : Konrad , Helmut / Neugebauer , Wolfgang ( Hg. ) : Arbeiterbewegung – Faschis mus – Nationalbewußtsein. Festschrift zum 20jährigen Bestand des Dokumentationsarchivs des öster reichischen Widerstands und zum 60. Geburtstag von Herbert Steiner [ Veröffentlichungen des Ludwig Boltzmann-Instituts für Geschichte der Arbeiterbewegung ] , Wien / München / Zürich , 405–415. 65 1964 tagte die ITH in Wien , 1965 und in den darauffolgenden Jahren in Linz. Siehe : Miller , Susanne ( 1995 ) : Dreißig Jahre ITH. In : Schindler , Christine ( Hg. ) : Die Internationale der „Labour His torians“. Stand und Perspektiven der Arbeiter / innen / geschichtsschreibung im 30. Jahr der ITH [ I TH-Tagungsberichte 30a ] , Wien , 8–24 : 8. 66 Konrad , Helmut ( 1990 ) : Nachruf auf Karl R. Stadler. In : Ardelt , Rudolf G. / Hautmann , Hans ( Hg. ) : Arbeiterschaft und Nationalsozialismus in Österreich. In memoriam Karl R. Stadler , Wien / Zürich , 17. 67 Botz , Gerhard / Hautmann , Hans / Konrad , Helmut ( Hg. ) ( 1974 ) : Geschichte und Gesellschaft. Festschrift für Karl R. Stadler zum 60. Geburtstag , Wien , 567. 68 Botz , Gerhard / Hautmann , Hans / Konrad , Helmut / Weidenholzer , Josef ( Hg. ) ( 1978 ) : Bewegung & Klasse. Studien zur österreichischen Arbeitergeschichte. 10 Jahre Ludwig Boltzmann-Institut für Geschichte der Arbeiterbewegung , Wien / München / Zürich.
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I. Parteiengeschichte
Thema war.69 Ein weiterer Faktor war die 1970 durch den Wahlsieg der SPÖ unter Bruno Kreisky beginnende Ära sozialdemokratischer Dominanz in der österreichischen Politik. Sie ermöglichte und erleichterte es einer jungen HistorikerInnengeneration , sich mit zeitgeschichtlichen Themen im Allgemeinen und mit der Geschichte der Arbeiterbewegung , der Linken und der Sozialdemokratie im Besonderen zu beschäftigen und unterstützte diese Beschäftigung auch nachhaltig.70 Die neuen Publikations- und Forschungsmöglichkeiten waren es , die der ArbeiterInnengeschichtsschreibung zu einer bis dahin noch nie erreichten Blüte verhalfen. Ab den späten 1970er-Jahren konnte dies auch nicht mehr von der universitären Geschichtswissenschaft ignoriert werden. In der Sektion Wirtschaftsund Sozialgeschichte des Österreichischen Historikertages fanden immer öfter Themen aus dem Kreis der ArbeiterInnengeschichtsschreibung Eingang. 1983 wurde auf dem His torikertag erstmals eine eigene Sektion „Geschichte der Arbeiterbewegung“ eingeführt.71 Die bis dahin in der Geschichtswissenschaft nicht aufgearbeiteten Themen wie die Ausschaltung des Parlaments 1933 und der Bürgerkrieg vom Februar 1934 erfuhren nun auch eine eingehendere wissenschaftliche Behandlung. Die Vielzahl an Publikationen rund um Jahrestage wie 197372 , 197473 , 197874 , 198375 , 198476 waren ein Beleg für das neue Interesse an der Zwischenkriegszeit im Allgemeinen und an der Sozialdemokratie im Besonderen. 69 Siehe etwa das Publikationsverzeichnis in Stadler , Karl R. ( 1978 ) : Rückblick und Ausschau. Zehn Jahre Ludwig Boltzmann-Institut für Geschichte der Arbeiterbewegung [ Materialien zur Arbeiterbewegung 12 ] , Wien , 79–116 ; Konrad ( 1990 ), 17. 70 Konrad , Helmut ( 2010 ) : Die „Grazer Zeitgeschichte“. Eine sehr persönliche Annäherung. In : Konrad , Helmut / Benedik , Stefan ( Hg. ) : Mapping Contemporary History II , Wien / Köln / Weimar , 11. Zu Kreiskys Interesse , nach 1970 „zumindest auf akademischer Ebene die Debatte um den ‚Austrofaschismus‘ nachzuholen“, siehe Rathkolb , Oliver ( 2005 ) : Die Paradoxe Republik. Österreich 1945 bis 2005 , Wien , 403. 71 Ehmer , Josef ( 1995 ) : Klasse und Bewegung ? Stand und Perspektiven der Arbeiterinnnen- und Arbeitergeschichtsschreibung im 30. Jahr der ITH. In : Schindler , Christine ( Hg. ) ( 1995 ) : Die Internationale der „Labour Historians“. Stand und Perspektiven der Arbeiter / innen / geschichtsschreibung im 30. Jahr der ITH [ I TH-Tagungsberichte 30a ] , Wien , 25–35 : 30. 72 Benya , Anton / Botz , Gerhard / Koref , Ernst / K reisky , Bruno / Probst , Otto ( 1973 ) : Vierzig Jahre danach. Der 4. März 1933 im Urteil von Zeitgenossen und Historikern , Wien. 73 Jedlicka , Ludwig / Neck , Rudolf ( Hg. ) ( 1975 ) : Das Jahr 1934 : 12. Februar. Protokoll des Symposiums in Wien am 5. Februar 1974 , München [ Veröffentlichungen der wissenschaftlichen Kommission des Theodor-Körner-Stiftungsfonds und des Leopold-Kunschak-Preises zur Erforschung der österreichischen Geschichte der Jahre 1927 bis 1938 2 ]. 74 Konrad , Helmut ( Hg. ) ( 1978 ) : Sozialdemokratie und „Anschluss“ [ S chriftenreihe des Ludwig Boltzmann-Instituts für Geschichte der Arbeiterbewegung ] , Wien / München / Zürich. 75 Fröschl , Erich / Z oitl , Helge ( Hg. ) ( 1984 ) : Der 4. März 1933. Vom Verfassungsbruch zur Diktatur. Beiträge zum wissenschaftlichen Symposion des Dr.-Karl-Renner-Instituts , abgehalten am 28. Februar und 1. März 1983 , Wien. 76 Fröschl , Erich / Z oitl , Helge ( Hg. ) ( 1984 ) : Der 12. Februar 1934. Ursachen. Fakten. Folgen. Beiträge zum wissenschaftlichen Symposion des Dr.-Karl-Renner-Instituts , abgehalten vom 13. bis 15. Februar 1984 , Wien ; Maimann , Helene / Mattl , Siegfried ( Hg. ) ( 1984 ) : Die Kälte des Februar. Österreich 1933–1938 , Wien ; Weidenholzer , Josef / Perfahl , Brigitte / Hummer , Hubert ( 1984 ) : „Es wird nicht mehr verhandelt …“ Der 12. Februar 1934 in Oberösterreich [ P ublikation des Ludwig Boltzmann-Ins tituts für Geschichte der Arbeiterbewegung ] , Linz.
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Zuletzt bot der hundertste Jahrestag der Gründung der Sozialdemokratie in Hainfeld 1988 Anlass für eine Ausstellung im Gasometer und 1990 ein vom Renner-Institut ausgerichtetes Symposion , die in der Publikation eines Ausstellungskatalogs77 und eines Tagungsbandes78 zum Thema mündeten. Ein letztes großes Veröffentlichungsprojekt , dessen Anfänge allerdings in die 1980er-Jahre zurückreichten , war die Reihe „Sozialistische Bibliothek“. In ihr erschienen auch die Periode der Ersten Republik und des „Ständestaates“ behandelnde Bände von Anson Rabinbach zur Geschichte der SDAP von 1918–193479 , von Manfred Marschalek über die illegale Partei 1934–193880 sowie ein Band über die Organisation der Sozialdemokratie mit Beiträgen von Everhard Holtmann und Wolfgang Maderthaner zur Organisation der Partei in der Ersten Republik bzw. in der Illegalität 1934–1945.81 In diesem Zeitraum , also in den 1980er-Jahren , in der die Arbeitergeschichtsschreibung sich im akademischen Milieu zu etablieren begann , war ihr goldenes Zeitalter aber auch schon wieder vorbei. Ab Mitte der 1980er-Jahre ist ein abflauendes Interesse an Themenstellungen , die die Sozialdemokratie betreffen , zu konstatieren. Deutlich bemerkbar machte sich das an der geringer werdenden Zahl von Diplomarbeiten und Dissertationen zu diesem Themenkomplex. Der Zusammenbruch der osteuropäischen Diktaturen bot dann anscheinend den letzten Anstoß , um den Abschied von der Erforschung des Proletariats auch institutionell zu vollziehen.82 So benannte sich das Boltzmann-Institut für die Geschichte der Arbeiterbewegung in Institut für Gesellschafts- und Kulturgeschichte um.83 Unter dem Gesichtspunkt der Themenerweiterung wurden nun gänzlich andere , nicht weniger wichtige oder bearbeitungswürdige , aber eben andere Themen , als von den Gründern des Instituts intendiert , verfolgt. Auch die ITH geriet in eine Sinnkrise , aus der sie sich durch eine verstärkte Hinwendung zur außereuropäischen ArbeiterInnenbewegung befreite.84 Das nachlassende Interesse an der Geschichte der Sozialdemokratie und die damit einhergehende geringer werdende Zahl wissenschaftlicher Arbeiten und Publikationen zu dem Thema hinterließen auch Spuren bei den wenigen 77 Maimann , Helene ( Hg. ) ( 1988 ) : Die Ersten Hundert Jahre. Österreichische Sozialdemokratie 1888–1988 , Wien. 78 Fröschl , Erich / Mesner , Maria / Z oitl , Helge ( Hg. ) ( 1990 ) : Die Bewegung. Hundert Jahre Sozialdemokratie in Österreich , Wien. 79 Rabinbach , Anson ( 1989 ) : Vom Roten Wien zum Bürgerkrieg [ S ozialistische Bibliothek ] , Wien. 80 Marschalek , Manfred ( 1990 ) : Untergrund und Exil. Österreichs Sozialisten zwischen 1934 und 1945 [ Sozialistische Bibliothek ] , Wien. 81 Maderthaner , Wolfgang / Müller , Wolfgang C. ( Hg. ) ( 1996 ) : Die Organisation der österreichischen Sozialdemokratie 1889–1995 [ S ozialistische Bibliothek ] , Wien. 82 Ehmer ( 1995 ), 30. 83 „ ‚ Arbeiterbewegung‘ war als Begriff nun aus der Mode“, stellt Helmut Konrad trocken fest. Siehe Konrad , Helmut ( 2011 ) : Österreichische Geschichtspolitik in den 1970er und 1980er Jahren : Historiografische Anmerkungen und persönliche Beobachtungen. In : Mittag , Jürgen / Unfried , Berthold ( Hg. ) : Arbeiter- und soziale Bewegungen in der öffentlichen Erinnerung. Eine globale Perspektive [ I TH-Tagungsberichte 45 ] Wien , 111–119 : 117. 84 Miller , Susanne ( 1995 ) : Dreißig Jahre ITH. In : Schindler , Christine ( Hg. ) : Die Internationale der „Labour Historians“. Stand und Perspektiven der Arbeiter / i nnen / geschichtsschreibung im 30. Jahr der ITH [ I TH-Tagungsberichte 30a ] Wien , 8–24.
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I. Parteiengeschichte
regelmäßig erscheinenden Zeitschriften , die sich der Arbeitergeschichte widmeten. Der VGA , der seit 1961 ein viermal jährlich erscheinendes Mitteilungsblatt publizierte ,85 wandelte selbiges 1985 in ein Jahrbuch um ,86 stellte diese alljährlich erscheinende , in der Regel mehr als hundert Seiten umfassende Publikation aber 1996 ein. An ihre Stelle trat 1995 die Veröffentlichung einer viermal im Jahr erscheinenden Broschüre ( „Dokumente“ ), die Archivmaterial und Bilder aus den VGA-Beständen dokumentieren sollte.87 Symptomatisch für den sinkenden Stellenwert der ArbeiterInnengeschichtsschreibung ist vielleicht auch die Tatsache , dass der langjährige Leiter des Vereins für die Geschichte der Arbeiterbewegung seine Schwerpunkte in einem 2010 erschienen Sammelband wie folgt beschreibt : „Massen- und Popularkultur , Moderne , Stadt ( insbesondere Wien ), europäische Kultur und Mentalitätsgeschichte , urbane Anthropologie , historische Kulturwissenschaften etc.“88 Die Geschichte der Arbeiterbewegung kommt hier nur noch unter diversen anderen Feldern der Geschichtsschreibung subsumiert vor , als eigenständiges Forschungsgebiet scheint sie ausgedient zu haben. Alle diese Tendenzen haben in den vergangenen Jahren zu einem nahezu vollkommenen Erliegen der wissenschaftlichen Forschung zum Themenkomplex Arbeiterbewegung / Sozialdemokratie in der Zwischenkriegszeit geführt. Von einigen Ausnahmen wie dem Bereich Film89 abgesehen , haben HistorikerInnen sich der Sozialdemokratie in dieser Periode vor allem über die Biografien angenähert. Biografien von führenden Protagonisten der Partei wie Hugo Breitner90 , Friedrich Adler91 , Karl Seitz92 und jüngst von Otto Bauer93 , aber auch von AktivistInnen der „zweiten Reihe“ der Partei , von Gewerkschaftern oder im Umfeld der Sozialdemokratie Wirkenden wie Johann Böhm94 , Otto Leichter95 , Heinrich Steinitz96 , Margarete Hilferding97 , Martha Tausk98 , Bruno 85 Archiv. Mitteilungsblatt des Vereins für Geschichte der Arbeiterbewegung. 86 Archiv. Jahrbuch des Vereins für Geschichte der Arbeiterbewegung. 87 Die „Dokumente“ sind zwar nützlich und reich bebildert , allerdings sind sie inhaltlich nicht mit der Zeitschrift bzw. dem Jahrbuch des Instituts zu vergleichen , was aber wohl auch am starken Rückgang der Veröffentlichungen und der Forschung zum Thema liegt. 88 Konrad , Helmut / Benedik , Stefan ( Hg. ) ( 2010 ) : Mapping Contemporary History II , Wien / Köln / Weimar , 387. 89 Dewald , Christian ( 2007 ) : Arbeiterkino. Linke Filmkultur in der Ersten Republik , Wien. 90 Fritz , Wolfgang ( 2000 ) : Der Kopf des Asiaten Breitner. Politik und Ökonomie im Roten Wien. Hugo Breitner – Leben und Werk , Wien. 91 Ardelt , Rudolf G. ( 1984 ) : Friedrich Adler. Probleme einer Persönlichkeitsentwicklung um die Jahrhundertwende , Wien ; Bauer , Manfred ( 2004 ) : Friedrich Adler. Rebell der Einheit , Wien. 92 Gröller , Harald D. ( 2005 ) : Karl Seitz 1869–1950. Ein Leben an Bruchlinien , Wien. 93 Hanisch , Ernst ( 2011 ) : Der große Illusionist. Otto Bauer 1881–1938 , Wien / Köln / Weimar. 94 Holzer , Karin ( 1998 ) : Johann Böhm. Eine Biographie , 2. Aufl. , Wien. 95 Fleck , Christian / Berger , Heinrich ( 2000 ) : Gefesselt vom Sozialismus. Der Austromarxist Otto Leichter 1897–1973 , Frankfurt / Main. 96 Pal , Christina ( 2006 ) : Heinrich Steinitz. Anwalt und Poet , Wien. 97 List , Eveline ( 2006 ) : Mutterliebe und Geburtenkontrolle – zwischen Psychoanalyse und Sozialismus. Die Geschichte der Margarete Hilferding-Hönigsberg , Wien. 98 Dorfer , Brigitte ( 2008 ) : Die Lebensreise der Martha Tausk. Sozialdemokratie und Frauenrechte im Brennpunkt , Innsbruck / Wien / Bozen.
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Kreisky99 konnten Lücken schließen , die die mehr strukturgeschichtlich orientierte ArbeiterInnengeschichtsschreibung der 1970er- und 1980er-Jahre offen gelassen hatte. Es mag auch eine Rolle spielen , dass die Krise des sozialistischen Erwartungshorizonts seit den späten 1980ern auch das Interesse an der Erforschung einer Partei und Bewegung schwinden ließ , die sich vor allem als Ausdruck dieser sozialistischen Idee sah. An ihre Stelle trat nun vermehrt ein biografischer Zugang , der einzelne Protagonisten herausgriff , für die Motivation und Ideale aber so merkwürdig und der unmittelbaren Gegenwart entrückt erschienen , dass sie ernst zu nehmen schwerer fiel als früher.100 Insgesamt steht die Forschung zur Sozialdemokratie in der Zwischenkriegszeit heute dort , wo sie seit dem Quantensprung von den späten 1970er-Jahren bis in die 1980er-Jahre auch schon war. Neuere Untersuchungen über die SDAP der Ersten Republik abseits von Biografien sind spärlich gesät und beschränken sich auf einige wenige Diplomarbeiten und Dissertationen.101 Eine Ausnahme bildet der Bereich der Gewerkschaftsgeschichte. Hier ist vor allem das in der Arbeiterkammer angesiedelte „Institut zur Erforschung der Geschichte der Gewerkschaften und Arbeiterkammern“ zu erwähnen , das mehrere Bände zur Geschichte der Gewerkschaften in der Zwischenkriegszeit publiziert hat.102 Die Gewerkschaften im Austrofaschismus wurden auch vom französischen His toriker Paul Pasteur untersucht , dessen Arbeit eine der wenigen Monografien zum Thema Geschichte der Arbeiterbewegung aus den letzten Jahren darstellt.103 Ein immer wieder aufgehender und ebenso schnell wieder sinkender Stern am Firmament der österreichischen ArbeiterInnengeschichtsschreibung ist die Person und das politische Denken von Otto Bauer. Seit den 1960er-Jahren gibt es immer wieder Phasen der „Wiederentdeckung“ eines „vergessenen Klassikers“ und des „Austromarxismus“ im Allgemeinen , angefangen mit dem „Lebensbild Otto Bauers“ von Julius Braunthal aus dem Jahr 1961104 , über Otto Leichters Biografie 1970105 bis hin zu Norbert Lesers zwei Jahre 99 Rathkolb , Oliver / Etzersdorfer , Irene ( Hg. ) ( 1986 ) : Der junge Kreisky. Schriften , Reden , Dokumente 1931–1945 , Wien / München ; Felber , Ulrike ( Hg. ) ( 2009 ) : Auch schon eine Vergangenheit. Gefängnistagebuch und Korrespondenzen von Bruno Kreisky , Wien ; Petritsch , Wolfgang ( 2010 ) : Bruno Kreisky. Die Biografie , St. Pölten / Salzburg. 100 Siehe Hanisch , der Bauer nicht nur , aber auch aufgrund seiner sozialistischen Überzeugung als „großen Illusionisten“ bezeichnet. 101 Siehe etwa Bruckner , Christian ( 2005 ) : Entscheidung an der Peripherie ? Die österreichische Sozialdemokratie und die Gewinnung der Landbevölkerung in der Ersten Republik , Dipl.-Arb. , Wien ; Krammer , Marion ( 2008 ) : Bissige Bilder. Die Fotomontage als visuelles Propagandainstrument der Sozialdemokratie in den Jahren 1929–1934 , Dipl.-Arb. , Wien ; Wenninger , Florian ( 2008 ) : Ein Gedächtnisort entsteht. Die Konstituierungsphase der sozialdemokratischen Erinnerung an den Austrofaschismus in den Jahren 1934–1938 , Dipl.-Arb. , Wien ; Sonnleitner , Ute ( 2009 ) : Widerstand gegen den „Austro-Faschismus“ in der Steiermark 1933–1938 , phil. Diss. , Graz. 102 Göhring , Walter ( 1998 ) : Die gelben Gewerkschaften in der Zwischenkriegszeit , Wien ; Göhring , Walter / Pellar , Brigitte ( 2001 ) : Zwischen Anpassung und Widerstand. Arbeiterkammern und Gewerkschaften im österreichischen Ständestaat , Wien. 103 Pasteur , Paul ( 2008 ) : Unter dem Kruckenkreuz. Gewerkschafter und Gewerkschafterinnen in Österreich 1934–1938 [ h rsg. von der Stiftung Bruno Kreisky-Archiv ] , Innsbruck. 104 Braunthal , Julius : Otto Bauer. Ein Lebensbild. In : Bauer , Otto ( 1961 ) : Eine Auswahl aus seinem Lebenswerk , Wien , 9–101. 105 Leichter , Otto ( 1970 ) : Otto Bauer. Tragödie oder Triumph , Wien / Frankfurt / Zürich.
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I. Parteiengeschichte
zuvor erschienenem einflussreichem Werk über den Austromarxismus.106 Während in den 1970ern und frühen 1980ern diese neuerliche Bauer-Rezeption vor allem linken Sozialdemokraten vorbehalten blieb ,107 während sich links von der Sozialdemokratie verortende Historiker bestenfalls geneigt waren , eine Autopsie dieser „den Kapitalismus schützenden Kraft“ anzufertigen ,108 war das Interesse spätestens ab 1989 wieder völlig verflogen – um in den Jahren nach 2000 angesichts neuerlicher „Krisen des Kapitalismus“ wieder entfacht zu werden. Ein unter anderem vom ehemaligen KPÖ-Vorsitzenden Walter Baier organisiertes Symposium über Otto Bauer und den Austromarxismus fand 2006 statt.109 Eine weitere Konferenz , die sich sogar schon über die Teilnahmezusage des damaligen Bundeskanzlers freuen zu können glaubte ,110 wurde am 9. Juli 2008 in Wien abgehalten und ihre Ergebnisse in einem Konferenzband publiziert.111 Eine weitere historische Disziplin , bei der die SDAP zumindest noch ins Blickfeld kommt , ist die Frauen- und Genderforschung. Durch ihre zunehmende Bedeutung im universitären Bereich ist auch dieser Aspekt von der Forschung stärker in Bezug mit der Sozialdemokratie der Zwischenkriegszeit gesetzt worden.112 Die Person Käthe Leichter ist dabei wahrscheinlich in den letzten Jahren diejenige Sozialdemokratin der Zwi106 Leser , Norbert ( 1968 ) : Zwischen Reformismus und Bolschewismus. Der Austromarxismus als Theorie und Praxis , Wien / Frankfurt / Zürich. 107 Albers , Detlev / H indels , Josef / L ombardo Radice , Lucio ( Hg. ) ( 1979 ) : Otto Bauer und der „dritte“ Weg. Die Wiederentdeckung des Austromarxismus durch Linkssozialisten und Eurokommunis ten , Frankfurt / Main ; Fröschl , Erich / Z oitl , Helge ( Hg. ) ( 1985 ) : Otto Bauer 1881–1938. Theorie und Praxis. Beiträge zum wissenschaftlichen Symposion des Dr.-Karl-Renner-Instituts , abgehalten vom 20.–22. Oktober 1981 , Wien ; Butterwegge , Christoph ( 1991 ) : Austromarxismus und Staat. Politiktheorie und Praxis der österreichischen Sozialdemokratie zwischen den beiden Weltkriegen , Marburg. 108 Löw , Raimund / Mattl , Siegfried / P fabigan , Alfred ( 1986 ) : Der Austromarxismus. Eine Autopsie. Drei Studien , Frankfurt / Main. Löw macht der SDAP ihren „Glauben an die Verständigung mit der Bourgeoisie“ zum Vorwurf , und konstatiert , sie wäre „ebenso zu einer den Kapitalismus schützenden Kraft geworden wie weniger verbalradikale sozialdemokratische Parteien anderer Länder“. Siehe Löw u. a. ( 1986 ), 47. 109 Baier , Walter / Trallori , Lisbeth N. / Weber , Derek ( Hg. ) ( 2008 ) : Otto Bauer und der Austromarxismus. „Integraler Sozialismus“ und die heutige Linke [ Schriften der Rosa-Luxemburg-Stiftung 16 ] , Berlin. 110 Letztendlich musste Alfred Gusenbauer , laut Information der Herausgeber , aufgrund der „Osterkrise der österreichischen Regierung 2008“ seine Zusage , an der Eröffnung teilzunehmen , wieder zurückziehen. Siehe Amon , Pavlina / Teichgräber , Stephan-Immanuel ( Hg. ) ( 2010 ) : Otto Bauer. Zur Aktualität des Austromarxismus ( Studien der Dokumentationsstelle für ost- und mitteleuropäische Literatur ), Frankfurt / Main , 5. 111 Amon / Teichgräber ( 2010 ). 112 Siehe etwa Prost , Edith ( Hg. ) ( 1989 ) : „Die Partei hat mich nie enttäuscht.“ Österreichische Sozialdemokratinnen [ Österreichische Texte zur Gesellschaftskritik 41 ] , Wien ; Hauch , Gabriela ( 1995 ) : Vom Frauenstandpunkt aus. Frauen im Parlament 1919–1933 [ Veröffentlichungen des Ludwig Boltzmann-Instituts für Geschichte der Arbeiterbewegung – Studien für Gesellschafts- und Kulturgeschichte 7 ] , Wien ; Schneider , Karin ( 2008 ) : Historische Bezüge von frauen- und genderpolitischen Positionen im Austromarxismus. In : Baier u. a. ( Hg. ) ( 2008 ), 65–75 ; Hauch , Gabriella ( 2011 ) : „Eins fühlen mit den Genossinnen der Welt“. Kampf- und Feiertage der Differenz : Internationale Frauentage in der Ersten Republik Österreich. In : Niederkofler , Heidi / Mesner , Maria / Zechner , Johanna ( Hg. ) ( 2011 ) : Frauentag ! Erfindung und Karriere einer Tradition , Wien , 60–105.
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schenkriegszeit , die am stärksten Beachtung fand.113 Im Zuge des in den letzten Jahren verstärkt aufgearbeiteten Themenfeldes Restitution von durch die NS-Machthaber enteigneten Vermögenswerten ist auch das sozialdemokratische Parteivermögen im engeren Sinn und auch das von Vorfeldorganisationen wie dem Republikanischen Schutzbund und seine Beschlagnahme nach 1934 näher untersucht worden.114 III. Forschungsdesiderata Im Großen und Ganzen scheint jedoch zur Sozialdemokratie der Zwischenkriegszeit alles gesagt , weitere Nachfragen scheinen überflüssig zu sein. Doch könnte gerade ein kritisches Hinterfragen bisher als gegeben hingenommener Darstellungen neues Interesse für diesen so wichtigen Themenkomplex entfachen und für unser Verständnis der Zwischenkriegszeit und der sie ein- und umschließenden Epochenbrüche der österreichischen Zeitgeschichte 1918 , 1934 und 1938 gute Dienste leisten. Zu den größten Mängeln zählen einerseits das Fehlen von neueren empirischen Studien zur Partei und ihrer Vorfeldorganisationen , ihrer Organisation und ihrer Programmatik , aber auch und vor allem das Fehlen einer vergleichenden Perspektive in der Erforschung der Geschichte der österreichischen Sozialdemokratie.115 Die Geschichte der SDAP wird und wurde bislang kaum mit der Entwicklung anderer sozialdemokratischer oder sozialistischer Parteien in Beziehung gesetzt. Zum besseren Verständnis der Sozialdemokratie der Ersten Republik , die je nach politischem Standpunkt mal als „( austro-)marxistisch“116 , mal als „reformistisch“117 , fast immer aber als „verbalradikal“ dargestellt wird , wäre eine vergleichende Perspektive , wie sie etwa Stefan Berger in seinem Buch über die Labour Party und die SPD gewählt hat ,118 aber sicher von großem Nutzen. 113 Göhring , Walter ( Hg. ) ( 1996 ) : Käthe Leichter : Gewerkschaftliche Frauenpolitik. Historische Dimension und politische Aktivität [ S chriftenreihe des Instituts zur Erforschung der Geschichte der Gewerkschaften und Arbeiterkammern 3 ] , Wien ; Käthe Leichter zum 100. Geburtstag. Texte zur Frauenpolitik [ h rsg. von der Kammer für Arbeiter und Angestellte für Wien ; Wien 1995 ] ; „Man ist ja schon zufrieden , wenn man arbeiten kann.“ Käthe Leichter und ihre politische Aktualität [ h rsg. vom Institut für Gewerkschafts- und AK-Geschichte ] , Wien 2003. 114 Mesner , Maria / Reiter , Margit / Venus , Theodor ( Hg. ) ( 2007 ) : Enteignung und Rückgabe. Das sozialdemokratische Parteivermögen in Österreich 1934 und nach 1945 , Innsbruck ; Rothländer , Christiane ( 2010 ) : Vermögensbeschlagnahme und Liquidation des Republikanischen Schutzbundes 1933–1937. In : Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes ( Hg. ) ( 2010 ) : Jahrbuch 2010 , Wien , 212–233. 115 Ein Problem , auf das auch Mario Keßler verweist. Siehe Keßler , Mario : Die Historiografie der europäischen Arbeiterbewegung : Von der Erinnerungskultur zur Erinnerung an eine Zukunft ? In : ITH-Tagungsberichte 45 , 68. 116 Gottfried Karl Kindermann apostrophiert in seiner Dollfuß-Apologie die Sozialdemokraten meist als „Austromarxisten“ , wohl auch , um einen Gegensatz zu einer womöglich „gemäßigteren“ Nachkriegs-Sozialdemokratie herzustellen und um die besondere Radikalität der österreichischen Arbeiterbewegung zu unterstreichen , der sich Dollfuß seiner Auffassung nach gegenübersah. Siehe Kindermann , Gottfried-Karl ( 2003 ) : Österreich gegen Hitler. Europas erste Abwehrfront 1933–1938 , München. 117 Garscha , Winfried / Hautmann , Hans ( 1984 ) : Februar 1934 in Österreich [ S chriftenreihe Geschichte ] , Berlin-Ost , 169. 118 Berger , Stefan ( 1994 ) : The British Labour Party and the German Social Democrats 1900–1931 , Oxford.
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I. Parteiengeschichte
Die in der Regel vorgenommene Etikettierung der österreichischen Partei als besonders radikal führte umgekehrt auch zu der – angesichts ihrer Stärke und ihres Ansehens , das sie in der zeitgenössischen Arbeiterbewegung genoss – merkwürdigen Situation , dass die österreichische Sozialdemokratie in international vergleichenden Studien zur Linken oder zum europäischen Sozialismus entweder nur über ihre intellektuell herausragenden TheoretikerInnen , und da wiederum fast nur über ihre vor dem Ersten Weltkrieg publizierten Werke ,119 in Erscheinung tritt oder überhaupt nur als Randnotiz vorkommt.120 Sie gilt gemeinhin nicht als „klassische“ reformistische Partei und wird daher im Niemandsland „zwischen Reformismus und Bolschewismus“ in Studien zum europäischen Sozialismus weitgehend ignoriert. Dabei wäre ein Hinterfragen des angeblich so charakteristischen „( Verbal-)radikalismus“ der SDAP , der der Entwicklung einer gemäßigten , erfolgreicheren reformerischen „Volkspartei“ analog zur Labour Party entgegengestanden hätte , dringend notwendig. Denn gerade die oftmals als besonders „radikal“ verschriene und gemeinhin als „gescheitert“ abgetane SDAP war etwa bei Wahlen erfolgreicher als alle anderen sozialistischen Parteien Europas – sonst als Vorbilder gepriesene Schwesterparteien inklusive – , erfolgreicher auch als die angeblich „gemäßigteren“ Parteien in Großbritannien oder Skandinavien.121 Bei Betrachtung der Position des Paradebeispiels einer „gemäßigt-reformistischen“ sozialdemokratischen Partei , der britischen Labour Party , fällt ebenso auf , dass auch dieser „unmarxistischen“ Partei der Radikalismus- und Bolschewismusvorwurf durch ihre Gegner nicht erspart blieb.122 Auch die , meist nur rhetorisch gestellte Frage , da die Antwort klar erscheint , ob die SDAP durch eine gemäßigtere Politik , durch eine größere Kompromissbereitschaft die Abkehr der politischen Rechten von der Demokratie möglicherweise hätte verhindern können , würde durch einen vergleichenden Zugang besser zu beantworten sein. Inwieweit die SDAP also tatsächlich anders war als ihre Schwesterparteien in West- und Nordeuropa , wäre ein lohnenswerter Untersuchungsgegenstand. Es sollte HistorikerInnen auch stutzig machen , dass der Vorwurf des kompromisslosen Radikalismus an die Adresse der SDAP den an der Entstehung der Zweiten Republik Beteiligten und sie in den kommenden Jahrzehnten auch dominierenden Kräften nur allzu sehr entgegenkam. Der SPÖ-Führung der Nachkriegszeit diente er als warnendes Beispiel dafür , wohin ewiges opponieren führen konnte , und als Rechtfertigung der eigenen Politik. Den Protagonisten der ÖVP , die so gut wie alle Funktionsträger des austrofaschistischen Regimes gewesen waren , half diese Charakterisierung der SDAP , die eigene Abwendung von Parlamentarismus und Demokratie als Antwort auf einen Radikalismus von links zu rationalisieren und zu legitimieren. Letztendlich war der „Ra119 Sassoon , Donald ( 1996 ) : One Hundred Years of Socialism. The West-European Left in the Twentieth Century , London , 70–73. 120 Der britische Historiker Geoff Eley findet in seiner fast 700 Seiten langen Monografie , die sich angeblich mit der Geschichte der Linken in Europa beschäftigt , die österreichische Sozialdemokratie , immerhin eine der Mitgliederstärksten Parteien der Zweiten Internationale , nur erwähnenswert , da ihre „Praxis“ ihn entfernt an Gramsci erinnert. Siehe Eley , Geoff ( 2002 ) : Forging Democracy. The His tory of the Left in Europe 1850–2000 , Oxford , 213 f. 121 Sassoon ( 1996 ), 43. 122 Pugh , Martin ( 2011 ) : Speak for Britain ! A New History of the Labour Party , London , 215 f.
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dikalismusvorwurf “ Teil des Mythos der Lagerstraße , an deren Ende die erfolgreiche Gegenwart und die sie tragenden Proponenten der beiden Großparteien standen , und ist vielleicht auch darum so langlebig.123 Es wären auch gerade die elektoralen Erfolge der SDAP , die der besseren Erklärung bedürften , doch ausführliche Analysen der Wählerschaft der SDAP , etwa nach dem Muster der Analyse der Wählerschaft der deutschen NSDAP durch Jürgen Falter124 oder der österreichischen NSDAP durch Dirk Hänisch125 , fehlen. Noch heute greifen Historiker , in Ermangelung neuerer historischer Forschung , meist auf die von Robert Danneberg verfassten Artikel oder Broschüren aus den frühen 1930er-Jahren zurück.126 Wie und warum es der Sozialdemokratie gelang , auch über das „proletarische Ghetto“ hinaus WählerInnen anzusprechen , ob dabei etwa die Pflege des „liberalen Erbes“ von 1848 oder der aggressive Antisemitismus der politischen Konkurrenzparteien eine Rolle spielte , sind Fragen , die einer näheren Beschäftigung wert wären. Ein weiterer Themenkomplex , der immer mehr Interesse erweckt , ohne das dazu noch allzu viel geforscht worden wäre , betrifft die Frage der Stellung von Jüdinnen und Juden in der Sozialdemokratie bzw. die Frage der Bedeutung antisemitischer Vorstellungen innerhalb der sozialdemokratischen Organisationen. Von einzelnen Monografien , Aufsätzen und Artikeln abgesehen , ist das ein Feld , das weitgehend unbearbeitet ist.127 Die Ansicht , dass Antisemitismus in der österreichischen Gesellschaft vor dem Zivilisationsbruch der massenhaften Ermordung der europäischen Juden durch die Nazis mehr oder weniger Konsens in der österreichischen Gesellschaft war , ist implizit oder explizit verbreitet und wäre es wert , auf seine Stichhaltigkeit gerade in Bezug auf eine Organisation wie die der SDAP abgeklopft zu werden , in der Juden engagiert waren wie in keiner anderen Partei der Ersten Republik. Die Frage nach der Bedeutung der Generationen in der Arbeiterbewegung ist jüngst am deutschen Beispiel gestellt worden.128 Die Weimarer SPD blieb bis 1933 von der „Ge-
123 Adolf Schärf rühmte sich noch 1961 : „Unmerklich habe ich die Partei aus der Politik einer verbohrten Opposition herausgeführt , und ich habe die Partei übergeben , als sie auf einem Gipfel der Erfolge stand.“ Zitiert nach Stadler , Karl R. ( 1982 ) : Adolf Schärf. Mensch , Politiker , Staatsmann. Veröffentlichungen des Ludwig Boltzmann-Instituts für Geschichte der Arbeiterbewegung , Wien / München / Zürich , 493. 124 Falter , Jürgen ( 1991 ), Hitlers Wähler , München. 125 Hänisch ( 1998 ). 126 Danneberg , Robert ( 1932 ) : Die Wiener Wahlen 1930 und 1932. Statistische Betrachtungen , Wien ; Seliger , Maren ( 1984 ) : Wahlrecht und Wählerverhalten in Wien 1848–1932. Privilegien , Partizipationsdruck und Sozialstruktur [ Kommentare zum Historischen Atlas von Wien ] , Wien / München. 127 Bunzl , John ( 1978 ) : Arbeiterbewegung , „Judenfrage“ und Antisemitismus. Am Beispiel des Wiener Bezirks Leopoldstadt. In : Botz u. a. ( Hg. ) ( 1978 ) : Bewegung und Klasse , 743–763 ; Bunzl , John ( 1990 ) : Juden und Arbeiterbewegung. In : Fröschl / Mesner / Z oitl ( Hg. ) ( 1990 ) : Die Bewegung , 287– 299 ; Peham , Andreas ( 2008 ) : Parteimarxismus und Antisemitismus. Anmerkungen zu einem historischen Versagen. In : Baier u. a. ( Hg. ) ( 2008 ), 95–111 ; Maderthaner , Wolfgang ( 2010 ) : Otto Bauer und die Problematik der jüdischen Identität. In : Amon / Teichgräber ( Hg. ) ( 2010 ), 51–58. 128 Schönhoven , Klaus / Braun , Bernd ( Hg. ) ( 2005 ) : Generationen in der Arbeiterbewegung [ S chriftenreihe der Stiftung Reichspräsident Friedrich-Ebert-Gedenkstätte 12 ] , München.
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I. Parteiengeschichte
neration Ebert“, also den Geburtsjahrgängen zwischen 1861–1884 , dominiert.129 Ähnliches ließe sich wohl auch von der österreichischen Sozialdemokratie der Zwischenkriegszeit sagen , nur war es hier die Generation Seitz ( geb. 1869 ), Renner ( geb. 1870 ), Bauer ( geb. 1881 ), Deutsch ( geb. 1884 ) und Danneberg ( geb. 1885 ), die die Zügel fest in der Hand hielt und ab 1918 an die Stelle der „Gründergeneration“ Adler trat. Anders als in der SPD war jedoch kein personeller Bruch mit der Gründergeneration vollzogen worden , was die fortgesetzten Karrieren von Politikern wie Friedrich Austerlitz ( geb. 1862 ), Ferdinand Skaret ( geb. 1862 ), Wilhelm Ellenbogen ( geb. 1863 ), Adelheid Popp ( geb. 1869 ) oder Karl Leuthner ( geb.1869 ) beweisen. Mit ein Grund dafür war nicht nur die im Vergleich zur SPD spätere Gründung der SDAP , was dazu führte , dass viele , die zu den Pionieren der Bewegung zählten , in der Ersten Republik erst Anfang bis Mitte 50 waren ( Seitz , Leuthner ) und daher in den 1920er-Jahren wichtige Positionen einnahmen. Auch die Tatsache , dass der Elitenwechsel konsensualer , gradueller verlief als in Deutschland , ist für diese starke Kontinuität der höchsten Funktionsträger verantwortlich und war mit ein Grund für die Stärke der SDAP im Vergleich zur SPD. Diese Kontinuität führte jedoch dazu , dass die von Bauer einmal als „Generation der Erfüllung“ bezeichneten , in den Jahren nach 1918 zur Arbeiterbewegung Gestoßenen durch die Vorherrschaft der „Alten“ während der Ersten Republik marginalisiert waren. Dies wurde vor allem gegen Ende der 1920er-Jahre , als die Sozialdemokratie mit dem Aufstieg der betont jugendlichen Faschismen130 konfrontiert war , von den „Jungen“ in der Partei immer mehr als Problem angesehen.131 Ob es einen latenten „sozialdemokratischen Generationenkonflikt“ gab und ob die relative „Überalterung“ der Führungsgremien relevant für das Agieren der Partei während der Krise 1933–34 war und ob mangelnde „Jugendlichkeit“ der Anziehungskraft der SDAP geschadet haben ,132 sind weitgehend offene Fragen. Insgesamt scheint die historische Forschung eine Vorliebe für die jeweiligen „Sieger der Geschichte“ – sei es die SDAP des „Roten Wien“, der triumphierende Austrofaschismus oder der Nationalsozialismus – zu haben. Die ArbeiterInnengeschichtsschreibung in Österreich hat ca. zwei Jahrzehnte lang von der einzigartigen Konstellation profitiert , dass die an ihrer Erforschung interessierten WissenschaftlerInnen auf ein politisches Umfeld trafen , das ihnen mehr Möglichkeiten einräumte , als das jemals zuvor denkbar gewesen wäre. Ob die nähere Zukunft ein für die Forschung so förderliches Klima bringen wird , darf mit Fug und Recht bezweifelt werden. Dies ändert jedoch nichts daran , dass es natürlich wünschenswert wäre , wenn Forschungsinteresse auch jenseits politischer Konjunkturen , jenseits der gerade aktuellen „Verwertbarkeit“ für einen Themenkomplex geweckt werden könnte , der unser Verständnis der Geschichte Österreichs im 20. Jahrhundert verbessern hülfe.
129 Braun , Bert ( 2005 ) : Die „Generation Ebert“. In : Schönhoven u. a. ( 2005 ), 69–86 : 71. 130 Der oberösterreichische Heimwehrführer Ernst Rüdiger Starhemberg war Jahrgang 1899 , der Gauleiter der Wiener NSDAP , Alfred Eduard Frauenfeld , Jahrgang 1898. 131 Siehe Scheu ( 1972 ), 53. 132 Holtmann verweist darauf , dass zumindest die Altersstruktur der Parteimitgliederschaft in Wien , wo 1932 etwas weniger als ein Drittel der Mitglieder unter 30 Jahre alt war , im Vergleich zur Weimarer SPD sehr jugendlich war. Siehe Holtmann ( 1996 ), 158.
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��������������������������������������������������������������������������� ���������������������������������������������������������������� : Die Geschichte der österreichischen Sozialdemokratie 1930–1938
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Manfred Mugrauer
Die KPÖ im Kampf gegen die austrofaschistische Diktatur Der Februar 1934 war nicht nur ein Wendepunkt in der Geschichte Österreichs , sondern auch eine Zäsur für die Kommunistische Partei Österreichs. Nach den Februarkämpfen entwickelte sich die bereits im Mai 1933 illegalisierte KPÖ von einer kleinen und wenig einflussreichen Partei zu einer maßgebenden Kraft innerhalb der österreichischen A rbeiterInnenbewegung. Fünf Kernfragen bestimmten in den Jahren 1933 / 3 4 bis 1938 die Politik der KPÖ : 1. die illegale Arbeit der Partei ( organisatorische Fragen , ihre Agitation und Propaganda , einzelne Politikfelder wie z. B. die Gewerkschaftspolitik ), 2. das Verhältnis zwischen KommunistInnen und sozialistischen ArbeiterInnen ( A ktionseinheit und Einheitsfront mit den „Revolutionären Sozialisten“ ), 3. bündnispolitische Optionen ( Strategie der antifaschistischen Volksfront ), 4. das Aufrollen der nationalen Frage sowie 5. Probleme der Kommunistischen Internationale ( Komintern ) und der Sowjetu nion. Inhaltlich standen in den Jahren 1933 / 34 bis 1938 die Herstellung einer proletarischen Einheits- und antifaschistischen Volksfront sowie die Erhaltung der Unabhängigkeit Österreichs und die Beschäftigung mit der „nationalen Frage“ im Mittelpunkt der KPÖ-Politik. Dreh- und Angelpunkt der strategisch-programmatischen Entwicklung und politischen Praxis der KPÖ ist jener Wandlungsprozess , der vor allem mit dem VII. Weltkongress der Komintern im Juli / August 1935 verbunden ist. Maßgeblich inspiriert durch die strategische Wendung in der Politik der Komintern , traten die anfängliche Hoffnung auf einen baldigen Sturz des Faschismus durch eine proletarische Revolution und die damit verbundenen Losungen der „Diktatur des Proletariats“ und eines „Sowjetösterreichs“ in den Hintergrund. Ab Mai 1936 entwickelte die KPÖ die Zielvorstellung einer „demokratischen Republik“ als Alternative zum Faschismus. In einem größeren Zusammenhang ist der neue Kurs der KPÖ in die Abkehr der Komintern vom ultralinken Kurs der Vorjahre einzuordnen : Der VII. Weltkongress fixierte die bereits in den Vorjahren eingeleitete Korrektur der „Sozialfaschismustheorie“ und führte zu einer Neubewertung des Verhältnisses von Demokratie und Sozialismus und zu einer flexibleren Bündnispolitik.
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I. Parteiengeschichte
I. Februarkämpfe und Umgruppierung der österreichischen ArbeiterInnenbewegung Aufgrund der relativen Kleinheit der Partei war es den Kommunisten nicht möglich , maßgeblich in den Verlauf der Februarkämpfe einzugreifen.1 In den Vorjahren waren sie aus dem Schutzbund ausgeschieden bzw. hinausgedrängt worden und bildeten eine eigenständige Wehrformation , zunächst den „Roten Frontkämpferbund“ bzw. nach dessen Verbot die „Arbeiterwehr“, die in den Februarkämpfen jedoch als Organisation keine Rolle spielte. Kommunisten beteiligten sich aber an den Kämpfen , verlangten Waffen von den kampfbereiten Schutzbundeinheiten und reihten sich in den Kampf ein. Während in der Fachliteratur die aktive Rolle der KPÖ in den Februartagen eher vernachlässigt wird , ist in zeitgenössischen , von der Forschung noch unausgewerteten internen Berichten2 und einer darauf aufbauenden Bilanz im Komintern-Organ „Rundschau“ davon die Rede , dass Kommunisten „überall mit an der Spitze gestanden“ seien.3 Diese Darstellung ist zwar übertrieben , fest steht aber , dass Kommunisten dort , wo sie in den Kampfverlauf eingreifen konnten , zur Offensive drängten und an einzelnen Kampfstellen führend beteiligt waren , etwa am Laaerberg und in der Ankerbrotfabrik in WienFavoriten , im Floridsdorfer Schlingerhof , im Gaswerk Leopoldau oder im Goethehof in Kaisermühlen. Gemeinsame Aktionen mit den Schutzbündlern gab es auch in einigen Orten Niederösterreichs , Oberösterreichs und der Steiermark. Auch politisch war es der KPÖ aufgrund ihrer schwachen Verankerung in der ArbeiterInnenklasse nicht möglich , führenden Einfluss zu nehmen. Seit Anfang März , verstärkt ab Herbst 1933 , stellte die Partei die Agitation für den Generalstreik zum Sturz der „Notverordnungsdiktatur“ in den Mittelpunkt ihrer Politik. Auch am 9. Februar 1934 gab die KPÖ unmittelbar vor den Kämpfen die Parole „Generalstreik“ aus.4 Bemühungen um einen gemeinsamen Aufruf mit den „Freien Gewerkschaften“ ( FG ) waren zuvor gescheitert.5 Während der Kampftage trat die Partei mit den Losungen „Bildung von roten Garden“ und von Arbeiterräten auf , die jedoch keine konkrete Wirkung entfalten konnten.6 Der Ausgang der Kämpfe löste eine Umgruppierung in der österreichischen ArbeiterInnenbewegung aus , in deren Folge die KPÖ ihre Basis erheblich verbreitern konnte. Eine Voraussetzung für diese Entwicklung war der Abschied der KPÖ vom ultralinken Kurs , den sie infolge des VI. Weltkongresses der Komintern im Jahr 1928 eingeschlagen hatte und der für die Partei mit großen Rückschlägen verbunden war. 1931 vollzog die KPÖ eine „Wendung zu den Massen“, in deren Mittelpunkt die Konzentration auf sozi1 Zum Verlauf der Kämpfe vgl. u. a. Garscha , Winfried R. / Hautmann , Hans ( 1984 ) : Februar 1934 in Österreich [ S chriftenreihe Geschichte ] , Berlin , 110–164. 2 Vgl. die Kopien aus dem Archiv der Komintern im Russischen Staatsarchiv für Sozial- und Politikgeschichte ( RGASPI ) im Zentralen Parteiarchiv der KPÖ ( Z PA ). 3 Gustav [ A rnold Reisberg ] : Der Anteil der Kommunisten an dem Februaraufstand. In : Rundschau über Politik , Wirtschaft und Arbeiterbewegung ( i. d. F. Rundschau ), Jg. 3 , Nr. 21 , 15. 3. 1934 , 761– 762 : 761. 4 Heraus zum Generalstreik ! , Die Rote Fahne , Nr. 3 ( S ondernummer ), 10. 2. 1934. ZPA. 5 Vgl. Hornik , Leopold : Der Aufruf zum Generalstreik. Das Flugblatt der Kommunistischen Partei vom 10. Februar 1934. In : Weg und Ziel , Jg. 32 ( 1974 ), Nr. 2 , 57–58 : 57. 6 Die Ursachen des Februaraufstandes , o.D. [ März 1934 ]. RGASPI 495 / 80 / 393 /27–42 : 35 ( Kopie in ZPA ).
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alökonomische Kämpfe im Betrieb und unter den Arbeitslosen stand.7 Im Tageskampf gegen die Auswirkungen der Wirtschaftskrise gelang es ihr in den Jahren 1931 bis 1933 , schrittweise aus der Isolation auszubrechen und eine Phase der Aufwärtsentwicklung einzuleiten. Erfolge bei Lohnbewegungen und Streikkämpfen und die Politik der „roten Einheitsfront“ und „antifaschistischen Aktion“ ermöglichten es der Partei , ihr politisches Gewicht zu steigern. Im wachsenden Einfluss der kommunistischen Einheitsfrontpolitik spiegelten sich die Radikalisierung und wachsende Kampfstimmung der sozialdemokratischen ArbeiterInnen. Enttäuschte Parteimitglieder der SDAP näherten sich bereits 1932 / 33 politisch-ideologisch der KPÖ an und nahmen sie als mögliche Alternative wahr. Bereits zu dieser Zeit gab es einzelne Übertritte , auch gruppenweise. Ein zweiter Aspekt dieses Gärungs- und Radikalisierungsprozesses war die Herausbildung einer Linksopposition innerhalb der SDAP – eine Entwicklung , die in der Forschungs literatur mehrfach beschrieben worden ist.8 Die organisatorische Basis der KPÖ blieb aber auch nach dem Parteiverbot im Mai 1933 schmal. Nach dem Februar 1934 setzte dann jener Prozess ein , der in zeitgenössischen Quellen und in der Forschungsliteratur als „Entwicklung der KPÖ zur Massenpartei“ umschrieben wird. Infolge ihres Unmuts über die Rückzugs- und Kapitulationspolitik der sozialdemokratischen Partei- und Gewerkschaftsführung traten nun Tausende ehemalige SozialdemokratInnen , unter ihnen die aktivsten Schutzbündler und klassenbewusstesten FunktionärInnen der mittleren und unteren Ebene , zur KPÖ über , was eine radikale Veränderung des Kräfteverhältnisses in der österreichischen ArbeiterInnenbewegung zur Folge hatte. Die von Gerhard Jagschitz angemeldeten Bedenken hinsichtlich dieser Entwicklung der KPÖ zur „Massenpartei“9 sind aus heutiger Sicht als unberechtigt einzuschätzen , können doch die zeitgenössischen Angaben über Wachstum und Stärke der KPÖ als gesichert angesehen werden. So berichtete Franz Freihaut als Organisationsleiter der Partei am VII. Weltkongress der Komintern von 16.000 Parteimitgliedern.10 Diese Zahl findet sich auch durchgängig in der einschlägigen Literatur und wird durch heute zugängliche KPÖ-Dokumente gestützt : So ist in einem Rundschreiben der Partei vom Mai 1934 von 10.000 Neubeitritten sozialdemokratischer ArbeiterInnen seit dem Februar die Rede.11 7 Vgl. dazu Mugrauer , Manfred ( 2010 ) : „Rothschild saniert – das Volk krepiert“. Die sozialökonomische Politik der KPÖ zur Zeit der Weltwirtschaftskrise. In : ders. ( Hg. ) : Wirtschafts- und Finanzkrisen im Kapitalismus. Historische und aktuelle Aspekte [ Quellen & Studien 13 ] , Wien , 45–100. 8 Rabinbach , Anson G. ( 1973 ) : Ernst Fischer and the left opposition in Austrian Social Democracy. The crisis of Austrian socialism 1927–1934 , phil. Diss. , Wisconsin ; Frischauer , Margit ( 1976 ) : Ausei nandersetzungen und Kontakte zwischen Sozialdemokraten und Kommunisten vom 15. Juli 1927 bis zum 12. Februar 1934 , phil. Diss. , Wien. 9 Jagschitz , Gerhard ( 1981 ) : Illegale Bewegungen während der Ständischen Ära 1933–1938. In : Zöllner , Erich ( Hg. ) : Revolutionäre Bewegungen in Österreich [ S chriften des Instituts für Österreichkunde 38 ] , Wien , 141–162 : 145. 10 Doppler ( 1936 ) : Im Kampf um die Massen. In : Die Kommunistische Partei Österreichs im Kampf um die Massen ( V II. Weltkongress der Kommunistischen Internationale ), Moskau , 51–59 : 58. 11 An alle Zellen und Ortsgruppen , o.D. [ Mai 1934 ] , 1. Beilage zu : Bundespolizeidirektion Wien , Pr. Zl. IV–846 / 403 / 1934 v. 30. 6. 1934 , Rundschreiben der Kommunistischen Partei an ihre Untergruppen , Runderlass. ZPA.
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Bereits im Oktober 1934 wurden in einer internen Aufstellung 16.046 Mitglieder ermittelt ,12 was der KPÖ tatsächlich den Charakter einer „Massenpartei“ verlieh , ist doch der Terminus „Massenpartei“ allein durch die Bedingungen der Illegalität selbst zu relativieren. Die KPÖ trug dieser Umgruppierung auch dadurch Rechnung , dass knapp die Hälfte der Mitglieder des am 12. Parteitag im September 1934 gewählten neuen Zentralkomitees ( ZK ) der Partei erst nach dem Februar beigetreten war. Etwa zwei Drittel der Delegierten dieser Tagung waren „neue“ Mitglieder.13 Insgesamt wird aus diesen Zahlen und der Tatsache , dass die RS an Mitgliedern etwa gleich stark waren , aber auch deutlich , dass sich die überwiegende Mehrzahl der ehemaligen AnhängerInnenschaft der SP und FG enttäuscht von der Politik zurückzog und abseits stand bzw. sich der nationalsozialistischen Bewegung zuwandte. Im antifaschis tischen Kampf engagierte sich nur eine Minderheit der ArbeiterInnenklasse. 1935 / 36 stagnierte auch die Mitgliederzahl der KPÖ bei 15.000 , was intern als „ein gewisser Rückschlag“ eingeschätzt wurde ,14 blieb doch das organisatorische Wachstum hinter dem wachsenden politisch-ideologischen Einfluss der Partei zurück. Unmittelbar vor dem „Anschluss“ zählte die Partei etwa 10.000 bis 12.000 Mitglieder.15 Aufgrund dieses Übertritts von mehr als 10.000 SozialdemokratInnen zur KPÖ , die auch in der Zweiten Republik das Rückgrat der Partei bildeten , wurden die Februarkämpfe „zum Bestandteil der KPÖ-Geschichte“.16 Zwar konzentrierte sich nach 1945 das kommunistische Gedenken auf den opferreichen Widerstand gegen den Hitlerfaschismus , während das Februargedenken vor allem von der SPÖ geprägt wurde – nicht zuletzt deshalb , weil der sozialdemokratische Anteil am antifaschistischen Widerstand in den Jahren 1938 bis 1945 gegenüber jenem der KPÖ weitaus geringer ausfällt. Seitens der KPÖ wurde jedoch das Erbe des Februar 1934 gegen die SPÖ-Führung in Schutz genommen. So wurde es etwa bei der Februarfeier der KPÖ in der Wiener Stadthalle im Jahr 1974 als „Anmaßung“ bezeichnet , „wenn die heutigen Führer der SPÖ sich als die Erben der Februarkämpfer hinzustellen suchen“.17 II. Widerstandskampf – Parteiaufbau – illegale Literatur Insgesamt änderten sich die Kampfbedingungen der Partei in der Illegalität grundlegend , reagierte doch das Dollfuß / Schuschnigg-Regime auf den kommunistischen Widerstand mit umfangreichen Verfolgungsmaßnahmen. Bereits in den Jahren vor dem Parteiverbot war die KPÖ unter starkem behördlichen Druck gestanden : Hausdurchsuchungen , Verhaftungen und Gerichtsverfahren gehörten zum Alltag ihrer FunktionärInnen , die „Rote Fahne“, das Zentralorgan der Partei , wurde laufend zensuriert und beschlagnahmt , Kundgebungen von der Polizei verboten bzw. aufgelöst. Am 26. Mai 1933 erfolgte das Ver12 [ Aufstellung über Mitgliederzahl ] , 1. 10. 1934. RGASPI 495 / 80 / 432 / 1846 ( Kopie in DÖW 22865 / 18 ). 13 Der XII. Parteitag der KPOe. Mitteilung des ZK der KPOe. In : Rundschau , Jg. 3 , Nr. 53 , 4. 10. 1934 , 2301. 14 Fürnberg : [ Material über Österreich ] , 4. 2. 1939. RGASPI 495 / 80 / 550 / 1–10 : 1 ( Kopie in ZPA ). 15 Fürnberg : [ Material über Österreich ] , 4. 2. 1939. RGASPI 495 / 80 / 550 / 1–10 : 2–3 ( Kopie in ZPA ). 16 Garscha , Winfried R. : Die KPÖ und der 12. Februar 1934. In : Mitteilungen der Alfred Klahr- Gesellschaft , Jg. 11 ( 2 004 ), Nr. 1 , 5–7 : 5. 17 Die Tradition des 12. Februar 1934 lebt , Volksstimme , 10. 2. 1974 , 1.
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bot der Partei per Notverordnung. Waren bereits nach dem 1. Mai 1933 mehr als 800 FunktionärInnen bis hinunter zu den Zellenleitern kurzzeitig festgenommen worden ,18 wurden vor dem 1. Mai 1934 ca. 1.000 KommunistInnen festgesetzt.19 Die KPÖ stand nun vor der Herausforderung , sich trotz der notwendigerweise konspirativen Arbeit nicht vor der ArbeiterInnenschaft zu verstecken , wie es in einem Rundschreiben über die illegale Arbeit zum Jahreswechsel 1934 / 35 hieß : „[ … ] die Arbeiter sollen und müssen von der Tätigkeit der K. P. sehen und hören.“20 Vor diesem Hintergrund ging es in einer ersten Phase des illegalen Kampfes vor allem darum , auf propagandistischem Wege Präsenz zu zeigen. Im Mittelpunkt stand eine – verkürzt gesprochen – „optische“ Politik : Die Partei verbreitete Flugblätter und Streuzettel , es wurden rote Fahnen und Transparente mit Losungen gegen die Diktatur gehisst , Parolen an Mauern geschrieben. Neben die schriftlichen Formen der illegalen Agitation traten Blitzkundgebungen auf Straßen und öffentlichen Plätzen , Sprechchöre vor Betrieben und andere Aktionsformen. Wenngleich die Illegalisierung die KPÖ nicht unvorbereitet getroffen hatte , führte das Verbot zunächst zu einer Zerrüttung der Organisation. Der Wiederaufbau der Partei war ein langwieriger Prozess , die KPÖ war jedoch in der Lage , unter den Bedingungen der Illegalität ein ganzes Netz von Organisationen und Leitungen aufzubauen. Die kleinsten Parteieinheiten waren die Zellen , die in den Städten , Industrie- und Land gemeinden und Betrieben gebildet wurden. Sie hatten zunächst bis zu 16 Mitglieder , 1935 wurde festgelegt , dass sie nicht mehr als sieben bis zehn Mitglieder umfassen sollten.21 Das Schwergewicht der Partei wurde von Beginn an auf den Aufbau von Betriebszellen gelegt. Wien wurde in mehrere Kreise eingeteilt , deren Leitungen zu etwa 60 Unterbezirksleitungen Verbindungen hatten , die wiederum mit ca. 320 Betriebs- und Straßenzellen Kontakt hielten. In einem Bericht aus dem Jahr 1935 wurden 120 dieser Zellen in Wien als „wirklich lebendige Grundeinheiten“ eingeschätzt.22 Die Bundesländer ( „Provinz“ ) wurden zunächst in neun Kreise unterteilt. In den Provinzorten wurden die Zellen zu Ortsgruppen zusammengefasst , die Verbindung zu den Gebiets- und Untergebietsleitungen und diese wiederum zu den Kreisleitungen hielten. Insgesamt ist dieser Organisationsaufbau nicht als starres Schema aufzufassen , sondern er musste den örtlichen Gegebenheiten , dem jeweiligen Zustand der Organisation angepasst werden. In der zweiten Jahreshälfte 1935 wurde aufgrund der zahlreichen Verhaftungen im Frühjahr und Sommer dieses Jahres der Organisationsaufbau unter dem Gesichtspunkt einer verstärkten Konspiration reorganisiert. Neben der „konkreten Anleitung der unteren 18 BKA , Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit , Kommunistenverhaftungen aus Anlass der illegalen Propaganda für den 1. Mai 1933 , 26. 5. 1933. ÖStA , AdR , BKA Inneres , 22 / gen. , Kt. 4875 , Zl. 161.694 / 33 ( GZl. 150.386 / 33 ). 19 Vgl. McLoughlin , Barry / L eidinger , Hannes / Moritz , Verena ( 2009 ) : Kommunismus in Österreich 1918–1938. Innsbruck / Wien / Bozen , 323. 20 Einige Weisungen zur illegalen Arbeit , o.D. [ 1934 / 35 ] , 1. Beilage zu : Bundespolizeidirektion Wien , Pr. Zl. IV–846 / 410 / 35 v. 25. 4. 1935 , Anweisungen der Kommunistischen Partei für die „illegale Arbeit“. ZPA. 21 Über die Kaderfrage am ZK-Plenum Dezember 1935 , o.D. [ Jänner 1936 ]. RGASPI 495 / 80 / 4 49 /28– 47 : 35 ( Kopie in ZPA ). 22 Bericht über die Wiener Orgkonferenz v. 27. /28. 8. 1935. RGASPI 495 / 80 / 450 / 59–62 : 59 ( Kopie in ZPA ).
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Parteiorganisationen durch die oberen Leitungen“ wurde gleichzeitig die „noch stärkere Entfaltung der selbständigen Initiative aller Einheiten der Partei“ betont.23 Im Herbst 1935 setzte sich die Parteiorganisation österreichweit aus 17 Kreisen ( sieben in Wien , zehn in der Provinz ) zusammen ,24 1937 waren es 28 Kreise.25 Ab Herbst 1934 ging die Partei dazu über , sich neben den oben angeführten illegalen Kampfmethoden auf Teilkämpfe als Schwerpunkt ihrer politischen Tätigkeit zu orientieren. In den Mittelpunkt rückten nun tagesaktuelle politische und sozialökonomische Forderungen sowie die halblegalen und legalen Kampfformen. Begünstigt wurde diese Strategie auch dadurch , dass der Aktionsradius der ArbeiterInnenbewegung in diesen Jahren trotz weitreichender Unterdrückungsmaßnahmen des austrofaschistischen Regimes größer war als in den Jahren der nationalsozialistischen Diktatur , des Gestapo-Terrors und der Nazi-Blutjustiz. Nach dem Jänner-Plenum des ZK der KPÖ im Jahr 1936 , das sich mit Fragen der „Massenarbeit“ und hier wiederum vor allem mit den faschistischen Massenorganisation beschäftigte , sollten alle Einheiten der Partei auch organisatorisch auf eine „systematische revolutionäre Massenarbeit unter Ausnützung sämtlicher legaler Möglichkeiten“ umgestellt werden.26 Eine Überlegung war dabei sicher auch , dass das Wachstum der illegalen Partei 1935 / 36 an seine Grenzen gestoßen war und nun im Rahmen der legalen Formen neue Entwicklungsmöglichkeiten gesucht wurden. Die Aktivitäten der KPÖ lassen sich insofern ab 1936 auf drei Ebenen festmachen : 1. an der illegalen Bewegung , also der illegalen Partei mit ihren Einheiten , dem Kommunistischen Jugendverband ( K JV )27 und den der KPÖ nahestehenden illegalen Massenorganisationen wie z. B. der „Roten Hilfe“ und dem „Autonomen Schutzbund“, 2. an halblegalen Formen , z. B. in der Sportbewegung , in verschiedenen Vereinen und Kulturorganisationen der ArbeiterInnenschaft , wo die Partei Positionen besaß , sowie 3. an legalen Vereinigungen wie der EG oder der „Sozialen Arbeitsgemeinschaft“ ( SAG ) der „Vaterländischen Front“ ( V F ), in denen die KPÖ einen gewissen Einfluss auszuüben in der Lage war. Schwieriger als die Rekonstruktion des Parteiaufbaus gestaltet sich jene der leitenden Strukturen der Partei , sowohl hinsichtlich der Exilführung als auch der Inlandsleitungen. Nach dem Februar 1934 verlegte das ZK seinen Sitz nach Prag.28 Bis dahin hielten sich auch die Mitglieder der engeren Parteiführung illegal im Land auf. Von Prag aus leitete die als Polbüro ( oder seltener als „Sekretariat“ ) bezeichnete Exilführung der KPÖ die illegale Arbeit in Österreich an. Einige ZK-Mitglieder hielten sich in Moskau auf , z. B. Ernst Fischer , der 1935 Oskar Grossmann als österreichischen Vertreter beim Exekutivkomitee der Komintern ( EKKI ) ablöste. Ihm folgte in dieser Funktion Friedl Fürnberg. 23 Aus dem Referat des Genossen Koplenig auf dem Januar-Plenum des ZK der KPOe. In : Schacht , W. ( o. J. [ 1936 ] ) : Die Pflanzen auf Feld und Wiese ( Wege zum Wissen ), o. O. = Durch Entfaltung der Massenarbeit zur Volksfront. Aus den Beratungen des Januar-Plenum des Z.K. der K. P.Ö. , 2–17 : 16. ZPA. 24 Kürschner [ Hans Kerschbaumer ] : [ Bericht über die Provinzarbeit ] , 23. 10. [ 1935 ]. RGASPI 495 / 80 / 450 / 107–109 : 107 ( Kopie in ZPA ). 25 Felix [ A nton Reisinger ] : Bericht der Proko , 28. 4. 1937. DÖW 21152. 26 Resolution des Januarplenums des Zentralkomitees der KPOe. In : Schacht ( 1936 ), 42–47 : 47. ZPA. 27 Vgl. dazu Göhring , Walter ( 1971 ) : Der illegale Kommunistische Jugendverband Österreich , phil. Diss. , Wien , 145–254. 28 Vgl. Koplenig , Johann : Meine Tätigkeit in der Zeit von 1932 bis 1945 , 7. 4. 1945 , 1. ZPA.
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Am 12. Parteitag im September 1934 wurde ein ZK aus 21 Mitgliedern und neun KandidatInnen gewählt.29 Fürnberg , Generalsekretär der Partei , gab am 13. Parteitag im Jahr 1946 keine realistische Beschreibung der Parteiführung , als er die Vorstellung entwickelte , dass dieses 1934 gewählte ZK fortan bis Kriegsende als einheitliches Spitzengremium der KPÖ agierte.30 Aus einem Bericht über die Kaderfrage von 1935 geht hervor , dass bereits zu diesem Zeitpunkt vom am Parteitag gewählten ZK personell wenig übrig geblieben war und dreimal „fast ein ganzes ZK nachkooptiert“ werden muss te , darunter aufgrund der Zufälligkeit der Auswahl „viele schlechte Elemente“. Neun ZK-Mitglieder waren zu diesem Zeitpunkt in Haft ( darunter auch Franz Honner und Friedl Fürnberg , die beim sogenannten „Sozialistenprozess“ von 1936 angeklagt wurden ), neun weitere waren enthoben worden.31 Auf der Reichskonferenz der Partei in einem Dorfgasthaus bei Prag wurde Ende August 1937 ein neues ZK aus 20 Mitgliedern gewählt.32 Auch dieses ZK war aufgrund seiner Zusammensetzung , einiger Verhaftungen und infolge der kommenden politischen Ereignisse nie ein tatsächliches Führungsgremium. Entscheidend für die Linie der KPÖ blieben die Beschlüsse des ( erweiterten ) Politischen Büros der Partei. Im Land selbst wurde eine kleine operative Leitung gebildet , die als „Sekretariat“ bezeichnet wurde und für die Anleitung der Parteiorganisationen verantwortlich war. Dieser Inlandsleitung waren die dreigliedrige „Wiener Kommission“ ( Wiko ) als Nachfolgestruktur der Wiener Stadtleitung und die „Provinzkommission“ ( Proko ) unterstellt. Die Proko stellte kein Gremium dar , sondern setzte sich aus InstruktorInnen der Partei zusammen , die die Tätigkeit in den Bundesländern anleiteten und Strukturen vor Ort reorganisierten. Im Unterschied zu den Jahren 1938 bis 1945 , als sich die Auslandsleitung in Paris bzw. Moskau aufhielt , war es dem Polbüro zwischen 1934 und 1938 möglich , mit den illegal wirkenden FunktionärInnen der Partei von Prag aus engen Kontakt zu halten. So blieb die Parteiführung über einzelne Kader , die illegal ins Land gingen , an der operativen Leitung der Partei durch das Sekretariat mitbeteiligt. Erwin ZuckerSchilling berichtet , dass auch umgekehrt fast jedes Wochenende Zusammenkünfte mit GenossInnen aus dem Land in Prag oder auch in Bratislava oder Brünn stattfanden.33 Die Mitglieder der Inlandsleitung waren gezwungen , sich zu „illegalisieren“, wobei das Sekretariat infolge von Verhaftungen wiederholt neu gebildet werden musste. Verhaftungswellen betrafen jedoch nicht nur die leitenden FunktionärInnen , sondern auch die unteren Organisationen , so gingen z. B. 1935 – um ein anschauliches Beispiel zu nennen – in Wien zwei Unterbezirksleitungen hoch und mit ihnen 104 Mitglieder 29 XII. Parteitag der K. P.Oe. RGASPI 495 / 80 / 405 / 5–7 : 7 ( Kopie in ZPA ). 30 Zentral-Komitee der KPÖ ( Hg. ) ( 1946 ) : Von 1934 bis 1946. 12 Jahre Kampf für Freiheit und Demokratie. Referat des Genossen Friedl Fürnberg ( S ekretär der KPÖ ) auf dem 13. Parteitag der KPÖ als Bericht über die Arbeit seit dem 12. Parteitag ( 1934 ), Wien , 4. 31 Über die Kaderfrage am ZK-Plenum Dezember 1935 , o.D. [ Jänner 1936 ]. RGASPI 495 / 80 / 4 49 /28– 47 : 30 ( Kopie in ZPA ). 32 Verzeichnis der Mitglieder des ZK der KPÖ , gewählt auf der Parteikonferenz im August 1937 , 19. 5. 1938. RGASPI 495 / 74 / 9 / 3 ( Kopie in DÖW 22865 / 4 2 ). 33 Zucker-Schilling , Erwin : Mit Johann Koplenig in Prag und Paris. In : Weg und Ziel , Jg. 33 ( 1975 ), Nr. 2 , 81–82 : 81.
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und FunktionärInnen , die allesamt verhaftet wurden.34 Von 23. Oktober 1936 bis 27. Jänner 1937 wurden etwa vom Bezirkspolizeikommissariat Ottakring 156 KommunistInnen festgenommen und 124 von ihnen mit Arrest bestraft bzw. dem Landesgericht eingeliefert.35 Auch in der Provinz wurden immer wieder ganze Parteizellen ausgehoben und Strukturen der Partei zerschlagen , eine völlige Lahmlegung der Tätigkeit der KPÖ gelang den Behörden dennoch nicht. Um durch die politische Propagandaarbeit nicht die Parteiorganisationen zu gefährden , war der sogenannte „Litapparat“, der die Verbreitung der illegalen Presseerzeugnisse übernahm , völlig getrennt vom Parteiapparat. Auf zentraler Ebene erschien etwa 15-mal im Jahr „Die Rote Fahne“ in einer Auflage von jeweils ca. 15.000 bis 30.000 Exemplaren.36 Sie wurde bis Mai 1935 illegal im Lande , danach in der Tschechoslowakei hergestellt. Ab Februar 1935 wurde ein Theorieorgan mit dem Titel „Weg und Ziel“ he rausgegeben. Darüber hinaus existierten das KJV-Organ „Proletarierjugend“, ein Funktionärsorgan , „Das Tribunal“ der „Roten Hilfe“ sowie einzelne Zielgruppenzeitungen wie z. B. „Der Rote Soldat“, „Der freie Bauer“ oder die Frauenzeitung „Die Unzufriedene“. Zur Unterstützung der illegalen Regional- und Betriebszeitungen wurde regelmäßig ein hektografierter „Pressedienst der Roten Fahne“ herausgegeben. Insgesamt sind im Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes ( DÖW ) mehr als 200 solche lokalen Zeitungen nachgewiesen , die hektografiert und in unterschiedlicher Auflagenzahl verbreitet wurden , einige von ihnen oft nur in wenigen Ausgaben. 1935 wurde von einer monatlichen Auflage der damals 132 Zeitungen von 160.000 Exemplaren berichtet.37 III. Einheitsfront und Aktionseinheit Als die KPÖ nach Ausschaltung des Parlaments im März 1933 an die SDAP ein Einheitsfrontangebot richtete ,38 blieb dieses unter Hinweis auf die bekannten Größenverhältnisse zwischen SP und KP unbeantwortet. Angesichts der Umgruppierung in der österreichischen ArbeiterInnenbewegung musste die KP nach dem Februar 1934 von den RS zumindest als gleichberechtigter Partner , zunächst sogar als führende Kraft akzeptiert werden. Unmittelbar nach dem Februar sah es so aus , als würde die KPÖ als die einzige organisierte Kraft der illegalen ArbeiterInnenbewegung aus den Kämpfen hervorgehen. Vor dem Hintergrund massenweiser Übertritte revolutionärer ArbeiterInnen zur KPÖ orientierte sich die Partei zunächst darauf , die Einheit der ArbeiterInnenbewegung in der KPÖ herzustellen. Vor dem Hintergrund des attestierten „Bankrotts der SP“ kam es zu einer Überschätzung des „ungeheuren Dranges der Massen zum Kommunismus und 34 Über die Kaderfrage am ZK-Plenum Dezember 1935 , o.D. [ Jänner 1936 ]. RGASPI 495 / 80 / 4 49 /28– 47 : 40 ( Kopie in ZPA ). 35 Bezirks-Polizeikommissariat Ottakring , Meldung v. 20. 2. 1937 , 2–3. ZPA. 36 Die Kommunistische Partei Österreichs im Kampf um die Massen ( 1936 ), Moskau , 58 ; Fürnberg : Kommunistische Partei Österreichs , 1. 2. 1939. RGASPI 495 / 80 / 550 /23 ( Kopie in ZPA ). 37 Die Plenartagung des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei Oesterreichs. In : Rundschau , Jg. 4 , Nr. 34 , 1. 8. 1935 , 1675–1678 : 1678. 38 Die Kommunistische Partei schlägt die proletarische Einheitsfront vor , Die Rote Fahne , 15. 3. 1933 , 1.
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zur Kommunistischen Internationale“, der in einer EKKI-Resolution erwartet wurde.39 Auf Grundlage dieser optimistischen Einschätzung trat die KPÖ etwa bis August 1934 mit dem Anspruch auf , „zur einzigen Massenpartei des Proletariats“40 und zur Erbin der untergegangenen SDAP zu werden. Zwar wurde von Beginn an festgehalten , dass für den Fall , dass sich Gruppen der ArbeiterInnenschaft neben der KPÖ bilden sollten , die Partei sich an diese zur Herstellung der proletarischen Einheitsfront wenden werde.41 Allerdings war dies mit der Perspektive verbunden , dass alle linkssozialistischen Gruppierungen zur KPÖ übergehen sollten. Im Juni 1934 erfolgte auch tatsächlich der kollektive Übertritt der aus der Linksopposition hervorgegangenen „Roten Front“ mit 600 bis 700 Mitgliedern , was mit der Erwartung weiterer Vereinigungen verknüpft wurde.42 Nach dieser ersten Phase , in der die KPÖ auf die Hegemonie innerhalb der ArbeiterInnenklasse abzielte , nahm sie nach Herausbildung der RS Kurs auf die Bildung einer Einheitspartei auf dem Wege von Vereinbarungen. So richtete sie am 1. Juli 1934 einen Aufruf an die RS „zur brüderlichen Vereinigung“.43 Dass eine solche revolutionäre Plattform auf dem Boden der Dritten Internationale entwickelt werden müsse , wie die KPÖ festhielt , war aus damaliger Sicht keine völlig unrealistische Perspektive : Auch die RS sahen 1934 in der „Diktatur des Proletariats“ die einzige Alternative zur Diktatur des Faschismus , lehnten den reformistischen Weg der zerbrochenen Sozialdemokratie ab und bekannten sich zur Sowjetunion. Aufgrund ihrer Einschätzung , dass die Umgruppierung innerhalb der österreichischen ArbeiterInnenklasse nach wie vor im Fluss sei – so trat beispielsweise nach Angaben der KPÖ im Juli 1934 die Floridsdorfer Gruppe der RS zur KPÖ über44 – , betrachtete die KPÖ die Bildung einer Einheitspartei als unmittel bare Aktionsaufgabe und nicht als längerfristigen Prozess. Damit erlag sie einer Fehleinschätzung der Chancen und möglichen Fristen einer solchen Vereinigung : Man rechnete mit einer Verschmelzung „in der nächsten Zeit“,45 worauf bereits der 12. Parteitag im September 1934 als „Vereinigungsparteitag“ konzipiert wurde. Nach dem Parteitag musste schließlich eingeschätzt werden , dass es sich bei den RS um keine Organisation zur Vorbereitung eines bevorstehenden kollektiven Übertritts handle und dass die Einigung vorerst gescheitert sei. Unmittelbare Hauptaufgabe war nun die Herstellung einer möglichst breiten Einheitsfront. Die KPÖ war fortan bestrebt , Abkommen mit den RS abzuschließen , nach wie vor mit der längerfristigen Perspektive einer 39 Resolution zum Bericht des Genossen Koplenig im Präsidium des EKKI über den 12. Parteitag der KP Österreichs , o.D. [ Oktober 1934 ]. RGASPI 495 / 80 / 396 /27–35 : 28 ( Kopie in ZPA ). 40 Vorwärts zur bolschewistischen Massenpartei. In : Der Funktionär , Organ der Reichsorgabteilung der K. P.Ö. , Jg. 1 , Nr. 1 , Juni 1934 , 1–13 : 1. ZPA. 41 Die Ursachen des Februaraufstandes , o.D. [ März 1934 ]. RGASPI 495 / 80 / 393 /27–42 : 36 , 39 ( Kopie in ZPA ). 42 Die Konferenz der Einheit. In : Der Rote Kämpfer. Organ der Kommunistischen Partei , Wien , Nr. 6 , Mitte Juli 1934 , 2–3. 43 Flugblatt „Revolutionäre Sammlung und Einigung zum Kampf gegen den Faschismus / f ür die Diktatur des Proletariats“, Flugschriftenreihe der „Roten Fahne“, o.D. [ 1. 7. 1934 ]. ZPA. 44 Der Parteitag der Kommunistischen Partei Oesterreichs. In : Rundschau , Jg. 3 Nr. 53 , 4. 10. 1934 , 2301–2305 : 2302. 45 Herbert : Um die Einheit der österreichischen Arbeiterklasse. In : Rundschau , Jg. 3 , Nr. 50 , 13. 9. 1934 , 2129–2130 : 2129.
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Vereinigung der Parteien und ihrer Strukturen , wofür beide Parteien auch in Erklärungen eintraten und Verhandlungen aufnahmen. So wurde das Mitte Juli 1934 gebildete zentrale Aktionskomitee als Zwischenschritt auf dem Weg zur Schaffung einer einheitlichen Partei auf revolutionärer Grundlage angesehen. Die Studie von Franz West schildert ausführlich die Verhandlungen über die Aktionseinheit und die einzelnen Etappen der Einheitsfront von KPÖ und RS.46 In den Folgejahren kam es zu zahlreichen Abkommen , gemeinsamen Erklärungen , Aufrufen und Propagandaaktionen. Anknüpfend an die dabei gewonnenen Erfahrungen forderte die KPÖ im Februar 1935 eine „Einheitsfront in Permanenz“.47 Während die KPÖ an ihren Einigungsinitiativen festhielt und auf eine Vertiefung der Aktionseinheit im antifaschistischen Kampf hoffte , setzten die RS zunächst auf eine Hinhalte- und schließlich auf eine „Abgrenzungstaktik“.48 Gegenüber dem Wunsch der KPÖ , praktische Kampfaktionen gegen den Faschismus auf lokaler Ebene durchzuführen , legten die RS den Schwerpunkt auf Vereinbarungen der Spitzen und versuchten , die lokale Zusammenarbeit und Kampfkomitees an der Basis hintanzuhalten. Unter der neuen Führung Joseph Buttingers wurde das Einheitsfrontabkommen aufgekündigt. Diskussionsgrundlage war in weiterer Folge ein Anfang Oktober 1935 dem ZK der KPÖ übergebener Bündnisantrag der RS , der im März 1936 nach komplizierten Diskussionen zu einem Abkommen führte. Dieses führte aber zu keiner neuen Qualität der Zusammenarbeit. Allgemeiner Hintergrund dieser Entwicklung ist die Konsolidierung der RS. Waren diese zunächst gegenüber der KPÖ im organisatorischen Rückstand , setzten sie noch im Jahresverlauf 1934 auf den Ausbau eigener Strukturen. Im Bereich des Sports wurde ein „ZK für Arbeitersport“ etabliert , in Abgrenzung zur KP-nahen „Zentralkommission für den Wiederaufbau des Arbeitersports“. Neben der „Roten Hilfe“ wurde von den RS die „Sozialistische Arbeiterhilfe“ als Solidaritätsorganisation ins Leben gerufen. Im Rahmen der illegalen FG konstituierte sich ein „Siebenerausschuss“ neben der kommunistisch beeinflussten Wiederaufbaukommission. In der Wahrnehmung der KPÖ handelte es sich dabei um im Nachhinein geschaffene „Parallelorganisationen“ zur Spaltung der zunächst einheitlichen Organisationen der ArbeiterInnenbewegung ,49 die formal überparteilich , in der Praxis jedoch KP-nahe waren. 1935 kam es schließlich auch zur Spaltung des „Autonomen Schutzbundes“, der sich nach dem Februar 1934 zu einer selbstständigen illegalen Bewegung entwickelt hatte , aber der KPÖ näher stand als den RS. Das ZK der RS lehnte fortan den Schutzbund , der als gleichberechtigter Partner an den Einheitsverhandlungen teilgenommen hatte , als Einheitsorganisation ab , bezeichnete ihn als kommunistische Vorfeldorganisation und forderte die RS-Mitglieder zum Austritt auf.50 Der Schutzbund verlor darauf auch für die KPÖ an Bedeutung und wurde 1936 aufgelöst. 46 West , Franz ( 1978 ) : Die Linke im Ständestaat. Revolutionäre Sozialisten und Kommunisten 1934–1938 [ Schriftenreihe des Ludwig Boltzmann-Instituts für Geschichte der Arbeiterbewegung 8 ] , Wien / München / Zürich. 47 An das Zentralkomitee und alle Organisationen der revolutionären Sozialisten. In : Express Pressedienst , Nr. 9 , o.D. [ Februar 1935 ]. DÖW-Flugschriftensammlung 4009b / 35. 48 Holtmann , Everhard ( 1978 ) : Zwischen Unterdrückung und Befriedung. Sozialistische Arbeiterbewegung und autoritäres Regime in Österreich 1933–1938 [ Studien und Quellen zur österreichischen Zeitgeschichte 1 ] , Wien , 213. 49 ZK der KPÖ an das ZK der RS , o.D. [ Ende 1934 ]. DÖW-Flugschriftensammlung 4029 / 321. 50 Vgl. ZK der KPÖ an das ZK der RS , 23. 3. 1935. RGASPI 495 / 80 / 452 / 53 ( Kopie in ZPA ).
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IV. Gewerkschaftsfrage – Massenorganisationen – legale Möglichkeiten Wesentliches Element der kommunistischen Neuorientierung ab 1935 / 36 war eine flexiblere Position in der Frage der faschistischen Massenorganisationen und der Ausnutzung der damit zusammenhängenden legalen Möglichkeiten , vor allem in der Gewerkschaftsfrage. Unmittelbar nach dem Februar 1934 gab die KPÖ die Losung aus , „Rote Klassengewerkschaften“ zu bilden.51 Diese Zielsetzung war jedoch allenfalls dafür geeignet , KommunistInnen und frühere AnhängerInnen der „Roten Gewerkschaftskommission“ ( RGO ), nicht jedoch freigewerkschaftliche ArbeiterInnen anzusprechen. Sie wurde rasch als sektiererisch erkannt und demgemäß nicht auf den Neuaufbau „roter Gewerkschaften“, sondern auf die Wiederaufrichtung der verbotenen FG auf revolutionärer Grundlage orientiert. Insgesamt wurde die Entwicklung der Partei zu einer Massenpartei des österreichischen Proletariats davon abhängig gemacht , ob es ihr gelinge , die vor 1934 in den reformistischen Gewerkschaften , in den Sport- , Kultur- und sons tigen Massenorganisationen organisierten ArbeiterInnen anzusprechen , weshalb sich die KPÖ auf die illegale Weiterführung bzw. den Ausbau dieser Strukturen zu einheitlichen , revolutionären Massenorganisationen der ArbeiterInnenschaft konzentrierte.52 Ein besonderer Schwerpunkt stellte neben den Gewerkschaften der „Autonome Schutzbund“ dar sowie die proletarische Solidaritätsorganisation „Rote Hilfe“, die sich um die materielle Unterstützung für antifaschistische Gefangene und deren Familien bemühte. Entsprechend ihrer generellen Schwerpunktsetzung in der Einheitsfrontpolitik zielte die KPÖ vor allem auf die unteren Einheiten ab : Im Mittelpunkt stand nicht der Aufbau eines zentralen Gewerkschaftsapparats , sondern die gewerkschaftliche Arbeit in den Betrieben. Zu diesem Zweck wurde die überparteiliche „Zentralkommission für den Wiederaufbau der Freien Gewerkschaften“, kurz „Wiederaufbaukommission“ ( WAK ), geschaffen. Analog zu den Einheitsfrontverhandlungen auf Parteienebene wurde dem sozialdemokratischen „Siebenerausschuss“ ein Verständigungsangebot unterbreitet , worauf im Juli 1935 eine gemeinsame Bundesleitung der FG gebildet und damit die Gewerkschaftseinheit hergestellt werden konnte. In diesen Monaten setzte in der KPÖ auch ein Umdenken über die Arbeit in den Organisationen des „Ständestaats“ ein. Zunächst ging es der Partei neben dem Wiederaufbau der FG darum , sich an die Spitze der Boykottbewegung gegen die vom Regime errichtete Einheitsgewerkschaft ( EG ) zu stellen. Ungeachtet der Boykottparole wurde jedoch frühzeitig die Notwendigkeit festgehalten , innerhalb der faschistischen Verbände Oppositionsgruppen zu organisieren.53 Auch die gleichgeschalteten Sport- und Kulturorganisationen wurden bereits Anfang Mai 1934 als möglicher Kampfboden erkannt.54 51 Henkerregierung Dollfuß-Fey hat die freien Gewerkschaften aufgelöst ! In : Der Freie Arbeiter. Organ der revolutionären Gewerkschaftsbewegung Österreichs , Jg. 1 , Nr. 1 , März 1934 , 1–6 : 3. 52 Der Kampf gegen den Faschismus und für die Einheit der Arbeiterklasse ! Resolution des XII. Parteitages der KPOe. In : Rundschau , Jg. 3 , Nr. 53 , 4. 10. 1934 , 2305–2312 : 2309–2310. 53 Beilage zur Gewerkschaftsarbeit , o.D. [ Mai / Juni 1934 ] , 3. Bundespolizeidirektion Wien , Zl. Pr. IV–846 / 403 / 1934 v. 30. 6. 1934 , Rundschreiben der Kommunistischen Partei an ihre Untergruppen , Runderlass. ZPA. 54 Koplenig , Johann : Die Kommunistische Partei Oesterreichs nach den Februarkämpfen. In : Rundschau , Jg. 3 , Nr. 28 , 3. 5. 1934 , 1069–1071 : 1070.
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1935 setzte die KPÖ vor allem auf die Infiltration und Aufweichung der faschistischen Scheingewerkschaft , auf die Verwirklichung der vom VII. Weltkongress proklamierten Taktik des „Trojanischen Pferdes“. In Vertiefung dieser flexibleren Taktik wurde die Ausnutzung der legalen Möglichkeiten für den Interessenkampf schließlich zur Hauptaufgabe der Partei erklärt. Angesichts der Tatsache , dass große Teile der ArbeiterInnenschaft in die EG gepresst worden waren und auch in den Konsumvereinen , Genossenschaften , Sportvereinen usw. Zehntausende ArbeiterInnen organisiert waren , war die Boykottlosung zu eng geworden , weshalb die KPÖ nun ihre Mitglieder zur „organisierte( n ) und planmäßige( n ) Arbeit in diesen Organisationen“ aufforderte.55 Hier sollten legalen Plattformen für die illegale gewerkschaftliche und politische Arbeit geschaffen werden. Nach anfänglichen Versuchen , in die sogenannten Werksgemeinschaften , die EG und die SAG , einzudringen , wurde im September 1936 als Aufgabe formuliert , die illegale FG „vollständig in die E.G. einzugliedern“.56 Erste Erfolge dieser Taktik stellten die beiden Memoranden an Bundeskanzler Kurt Schuschnigg dar , in denen der Regierung im Mai 1936 und im April 1937 die Forderungen der ArbeiterInnenschaft übermittelt wurden. In den Augen der KPÖ handelte es sich bei dieser Denkschriftaktion um die „erste breite legale Bewegung der österreichischen Arbeiterschaft“.57 Als sich Ende 1936 die Regierung gezwungen sah , Vertrauensmännerwahlen zuzulassen , ging die Mehrheit der Mandate an KandidatInnen , die den illegalen FG nahestanden , was der KPÖ als Zeichen der Richtigkeit ihrer Politik galt. Ein Hintergrund dieser Akzentverschiebung war die Einschätzung , dass das austrofaschistische Regime über eine sehr schmale Massenbasis verfüge58 und die ehemaligen SP-ArbeiterInnen vor allem aufgrund des faschistischen Monopols der Legalität in diesen Organisationen erfasst worden seien. Umgekehrt war die illegale FG zahlenmäßig relativ schwach geblieben , weshalb das Hauptgewicht fortan bei den Zehntausenden FunktionärInnen und ca. 400.000 ArbeiterInnen in der EG liegen sollte. In Konsequenz ihrer Volksfrontstrategie zielte die KPÖ darauf ab , mit breiteren Massen der Werktätigen in Verbindung zu kommen , bisher abseits stehende sozialdemokratische ArbeiterInnen und auch nichtproletarische Schichten anzusprechen. Neben der EG sah sie dafür in den Sportvereinen , im Mieterbund , in den Konsumgenossenschaften , in den Siedlerverbänden oder etwa im Frontwerk „Neues Leben“ legale Möglichkeiten. Infolge dieser veränderten politischen Schwerpunktsetzung wurde auch der oben angesprochene Umbau der Parteiorganisation vorgenommen : Die meisten Straßenzellen der Partei sollten fortan direkt in die Massenorganisationen eingebaut werden. Manche Zellen benützten für diesen Zweck bestehende kleine Vereine , andere wiederum gründeten Vereine , um sich 55 Informationsmaterial aus Österreich. Dezember 1935. RGASPI 495 / 80 / 450 / 176–201 : 193 ( Kopie in ZPA ). 56 Das Neue in der Lage in Österreich , o.D. [ September 1936 ]. RGASPI 495 / 80 / 497 / 47–52 : 49 ( Kopie in ZPA ). 57 Friedl Fürnberg : [ Bericht ] , o.D. [ Dezember 1936 ]. RGASPI 495 / 80 / 497 / 56–66 : 58 ( Kopie in ZPA ). 58 Zur Analyse des „Austrofaschismus“ durch die KPÖ vgl. auch Neugebauer , Wolfgang ( 1988 ) : Der „Austrofaschismus“ in der Sicht von Sozialisten und Kommunisten. In : Tálos , Emmerich / Neugebauer , Wolfgang ( Hg. ) : „Austrofaschismus“. Beiträge über Politik , Ökonomie und Kultur 1934–1938 , Wien , 199–221 : 210–218.
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auf diese Art zu tarnen und Möglichkeiten legaler Zusammenkünfte zu nutzen. Kommunistische Zellen wurden in diesem Zuge – um weitere Beispiele zu nennen – etwa auch im Volksheim Ludo-Hartmann-Platz in Ottakring oder im Sängerbund Hernals gebildet.59 Sogar im Sturmkorps der VF gab es KP-Zellen.60 V. Komintern – Volksfront – „demokratische Republik“ – nationale Frage Die politisch-programmatische Entwicklung der KPÖ in den Jahren des Austrofaschismus ist – wie einleitend angeführt – zunächst als Überwindung der „kurzen Perspektive“ zu begreifen. Wie auch die RS rechnete die KPÖ unmittelbar nach dem Februar 1934 mit dem baldigen Sturz der Dollfuß-Diktatur und sah in der „Diktatur des Proletariats“ die naheliegende , in kurzer Frist zu erreichende Alternative. Ausschlaggebend dafür war die von der Komintern vorgenommene Einschätzung der Februarkämpfe als Bestätigung der Thesen des 13. EKKI-Plenums vom Dezember 1933 und als „erste proletarische Revolutionsbewegung in der neuen Tour der Revolutionen und Kriege“.61 Ihren Niederschlag fand diese Perspektive in der Losung „Vorwärts vom Februaraufstand zum roten bolschewistischen Oktober“ und in der Propagierung eines Sowjetösterreichs.62 Die Parole „Vorwärts zum roten Oktober“ war jedoch von Beginn an nicht kalendermäßig aufzufassen , sondern als Propagandalosung , deren Hauptzweck vor allem darin bestand , das Aufkommen einer Niederlagen- und Depressionsstimmung im Proletariat zu verhindern. Die „kurze Perspektive“ widerspiegelte auch aktionistische Stimmungen , vor allem bei den Schutzbund-Kadern , die zum Teil durch Terroraktionen Rache an der Februarniederlage nehmen wollten. Die KPÖ lehnte einen solchen abenteuerlichen Putschismus von Beginn an ab63 und betrachtete die politische Organisierung der ArbeiterInnen und die Entfaltung des politischen Kampfes als Hauptaufgabe. Bereits in den Folgemonaten erfolgte der Umschwung hin zur Erarbeitung von realistischeren Perspektiven. Eine wichtige Rolle spielte dabei der Brief des Generalsekretärs der Komintern und „Helden von Leipzig“, Georgi Dimitroff , an die österreichischen A rbeiter , dem Gespräche mit Stalin und Molotow vorangegangen waren.64 Eine weitere Relativierung der „kurzen Perspektive“ brachte der 12. Parteitag der KPÖ im September 1934 mit seiner Konzentration auf den sozialpolitischen Interessenkampf und tages politische Forderungen. Er konnte jedoch noch keine realistische Perspektive des weiteren Kampfes eröffnen , indem an der Hauptaufgabe eines Massenaufstandes zum Sturz der faschistischen Diktatur mit dem unmittelbaren Ziel der Errichtung Sowjetöster59 Bezirks-Polizeikommissariat Ottakring , Meldung v. 20. 2. 1937 , 2. ZPA. 60 Vgl. Josef Weidenauer : Lebenslauf , 9. 11. 1953. ZPA. 61 Die Ursachen des Februaraufstandes , o.D. [ März 1934 ]. RGASPI 495 / 80 / 393 /27–42 : 34 ( Kopie in ZPA ). 62 Vorwärts vom Februaraufstand zum Roten Oktober ! In : Rundschau , Jg. 3 , Nr. 17 , 22. 2. 1934 , 597– 598 : 598. 63 Rundschreiben des ZK der KPÖ an alle Organisationen , 29. 5. 1934 , 1. Beilage zu : Bundespolizeidirektion Wien , Pr. Zl. IV–846 / 403 / 1934 v. 30. 6. 1934 , Rundschreiben der Kommunistischen Partei an ihre Untergruppen , Runderlass. ZPA. 64 Vgl. McLoughlin et al. ( 2009 ), 321.
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reichs festgehalten wurde.65 Obwohl in weiterer Folge die bündnispolitischen Dispositionen schrittweise ausgeweitet und damit im Zusammenhang die politischen Zielvorstellungen korrigiert wurden , sind diese Losungen bis zum Februar 1936 in der Propaganda der KPÖ nachweisbar , was zeigt , dass es sich bei der Überwindung der „kurzen Perspektive“ um einen langwierigen Prozess handelte. Einen wichtigen Wendepunkt in der politischen Ausrichtung der KPÖ markiert der VII. Weltkongress der Komintern mit der von ihm entwickelten Strategie der antifaschis tischen Volksfront. Neben den österreichischen Kampfbedingungen waren die internationale Situation und damit im Zusammenhang stehende außenpolitische Überlegungen der Sowjetunion ausschlaggebend für diesen Kurswechsel : Der Kampf gegen den Faschismus und die Politik Hitlerdeutschlands ließen die Volksfrontorientierung und Verteidigung der Demokratie mit der Friedenspolitik und den Sicherheitsinteressen der Sowjetunion zusammenfallen. So setzte im Juni 1935 auch das ZK der KPÖ den Kampf um den Frieden und die Abwehr der vom Faschismus drohenden Kriegsgefahr auf die Tagesordnung. In der Resolution dieser Tagung wurde die Erhaltung „der staatlichen Unabhängigkeit“ und „der nationalen Selbständigkeit“ gefordert.66 Im Aufruf der KPÖ zum Antikriegstag am 1. August 1935 wurde der „deutsche Faschismus“ als „die größte Gefahr für den Weltfrieden“ bezeichnet.67 Fortan wurde in sämtlichen Erklärungen der Partei die Notwendigkeit des Kampfes gegen den Nazifaschismus betont , was jedoch keine Abschwächung des Kampfes gegen den Austrofaschismus bedeutete. „Die beste Verteidigung gegen Hitler ist der Angriff auf Dollfuß“, war bereits 1933 in der „Rundschau“ zu lesen.68 Im Mittelpunkt der neuen Orientierung standen ein verändertes Verhältnis zur Demokratie und eine daraus abgeleitete neue Bündnispolitik im Kampf gegen den Faschismus. In einem Beitrag in „Weg und Ziel“ bezeichnete Fischer den Kampf um die demokratischen Freiheitsrechte als „Fortsetzung der Februarkämpfe mit andern Mitteln und unter anderen Kampfbedingungen“.69 Die revolutionäre Arbeiterschaft müsse sich mit allen verbünden , die bereit seien , „um etwas mehr Freiheit , um etwas mehr Demokratie zu kämpfen“, umriss er die bündnispolitische Strategie der Partei.70 Die Partei setzte fortan auf Bündnisse der ArbeiterInnenklasse „mit breiten , nichtproletarischen Volksschichten , mit der werktätigen Bauernschaft und den kleinbürgerlichen Mittelschichten zum gemeinsamen Kampf gegen Faschismus und Kriegsgefahr“.71 Es ging ihr darum , 65 Der Kampf gegen den Faschismus und für die Einheit der Arbeiterklasse ! Resolution des XII. Parteitages der KPOe. In : Rundschau , Jg. 3 , Nr. 53 , 4. 10. 1934 , 2305–2312 : 2307. 66 Die Plenartagung des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei Oesterreichs. In : Rundschau , Jg. 4 , Nr. 34 , 1. 8. 1935 , 1675–1678 : 1676. 67 Zum 1. August : Für Freiheit und Frieden ! Das ZK der KPOe an das arbeitende Volk Oesterreichs. In : Rundschau , Jg. 4 , Nr. 30 , 11. 7. 1935 , 1497–1498 : 1497. 68 Graumann , Peter : Einige taktische Fragen der Kommunistischen Partei Oesterreichs. In : Rundschau , Jg. 2 , Nr. 38 , 13. 10. 1933 , 1492–1493 : 1492. 69 Widen , Peter [ Ernst Fischer ] : Der Kampf um die demokratische Republik. In : Weg und Ziel , Jg. 1 , Nr. 1 , August 1936 , 4–13 : 8. 70 Wieden , Peter [ Ernst Fischer ] : Der demokratische Freiheitskampf und die Revolutionären Sozialisten. In : Weg und Ziel , Jg. 1 , Nr. 4 [ November 1936 ] , 174–182 : 181 ( Hervorhebungen im Original ). 71 Aus dem Referat des Genossen Koplenig auf dem Januar-Plenum des ZK der KPOe. In : Schacht , W. ( 1936 ), 2–17 : 14.
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auch solche Kreise in den Widerstand einzubeziehen , die dem Antifaschismus bis dahin ferngestanden waren , u. a. auch die katholischen Schichten , die zur Massenbasis der austrofaschistischen Diktatur zählten. Die entscheidende Wendung hin zur Losung der „demokratischen Republik“ ist mit der Sitzung des EKKI-Sekretariats am 11. Mai 1936 verbunden und lässt den Einfluss Dimitroffs erkennen.72 Ende Juni lässt sich in der „Roten Fahne“ erstmals die Losung „demokratische Republik“ nachweisen.73 Im Juli 1936 verabschiedete das erweiterte Politische Büro des ZK der KPÖ eine Deklaration ,74 die den Kampf um eine „demokratische Volksregierung“ und die „demokratische Republik“ als Hauptaufgaben formulierte und als Massenflugblatt verbreitet wurde. Es handelte sich dabei um eine offene Konzeption ohne klar definierte Formen , was u. a. auch in der Diskreditierung des Parlamentarismus in den Augen der klassenbewusstesten ArbeiterInnen begründet lag. Fest stand jedoch , dass die von der KPÖ geforderte „neue , kämpferische Demokratie“ nichts mit der Seipel- und Vorfebruar-Demokratie zu tun haben sollte. Anfang 1938 erklärte das ZK der KPÖ in Konkretisierung bisheriger Überlegungen , dass die demokratische Republik „im Ergebnis des Kampfes und des Sieges des Volkes über den Faschismus“ erstehen werde , „mit parlamentarisch-demokratischen Formen , mit freien , allgemeinen , gleichen , geheimen und direkten Wahlen , erfüllt vom kämpferischen , fortschrittlichen und antifaschistischen Geist , gestützt auf die Volksfront“.75 Dabei handelte es sich um eine Vorwegnahme der in späteren Jahren des Exils entwickelten Vorstellungen der KPÖ über die künftige Verfasstheit eines befreiten Österreichs , der auch in den unmittelbaren Nachkriegsjahren vertretenen „antifaschistisch-demokratischen“ und „volksdemokratischen“ Orientierung.76 Für die weitere politische Entwicklung der KPÖ von besonderer Bedeutung war die Verbindung dieser Zielvorstellung einer „demokratischen Republik“ mit dem Kampf um die Unabhängigkeit Österreichs. Nach dem Juliabkommen 1936 , das den „deutschen Kurs“ Schuschniggs festlegte und die Auslieferung Österreichs an Hitlerdeutschland einleitete , wurde die Erhaltung der Unabhängigkeit und ihre Verteidigung gegen den deutschen Faschismus zur zentralen Frage. Angestoßen von Dimitroff begann die KPÖ , diesen Unabhängigkeitskampf von der nationalen Seite her zu untermauern. Das Politische Büro der KPÖ beauftragte daraufhin Alfred Klahr mit einer marxistischen 72 Vgl. Širinja , Kirill K. : Georgi Dimitroff und der Kampf um die neue Orientierung der Komintern in den Jahren 1935 bis 1939. In : Beiträge zur Geschichte der Arbeiterbewegung , Jg. 14 ( 1972 ), Nr. 5 , 707–724 : 715. 73 Gegen die Kreuze und Kronen – die demokratische Republik. Gegen die Zerklüftung des Volkes – die einheitliche Volksfront , Die Rote Fahne , Jg. 18 [ 1936 ] , Nr. 9 [ Ende Juni ] , 1–3 : 2. 74 Deklaration der Partei. Für die Demokratische Republik , Die Rote Fahne , Jg. 18 [ 1936 ] , Nr. 10 [ M itte Juli ] , 1–3. 75 Die Partei zum vierten Jahrestag des blutigen Februars. Für die Verwirklichung der demokratischen Ziele der Februarkämpfe ! , Die Rote Fahne , Jg. 20 [ 1938 ] , Nr. 1 , 1–2 : 2. 76 Vgl. dazu Mugrauer , Manfred ( 2006 ) : Antifaschistische Volksfront und „demokratische Republik“. Die Exilkonzeptionen der Kommunistischen Partei Österreichs vor dem Hintergrund der sowjetischen Österreichpolitik. In : Hilger , Andreas / Schmeitzner , Mike / Vollnhals , Clemens ( Hg. ) : Sowjetisierung oder Neutralität ? Optionen sowjetischer Besatzungspolitik in Deutschland und Österreich 1945–1955 [ Schriften des Hannah-Arendt-Instituts für Totalitarismusforschung 32 ] , Göttingen , 41–76.
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Überprüfung des Verhältnisses der ÖsterreicherInnen zur deutschen Nation. Im März bzw. April 1937 publizierte er einen zweiteiligen Aufsatz in „Weg und Ziel“, der die Frage sowohl theoretisch und historisch untersuchte als auch entsprechende Schlussfolgerungen für die aktuelle Politik der KPÖ herausarbeitete.77 Klahr betonte in seiner Artikelserie die eigenständige nationale Entwicklung der ÖsterreicherInnen und entwickelte gleichzeitig ein Konzept des antifaschistischen Kampfes , das die Einbeziehung breiter Schichten der Bevölkerung zur Schaffung einer nationalen Unabhängigkeitsfront ermöglichen sollte. Die Thesen Klahrs über die nationale Frage führten zu einer monatelangen kontroversiellen Diskussion , die ihren vorläufigen Abschluss fand auf der illegalen Reichsparteikonferenz Ende August 1937 , wo die von ihm vorgeschlagene Strategie zur Parteilinie erklärt wurde. In der Hauptresolution dieser Konferenz wurde die enge Verbindung des Kampfes um ein unabhängiges Österreich und die nationale Selbstständigkeit mit dem Kampf der Volksfront aller antifaschistischen , demokratischen und fortschrittlichen Kräfte für die demokratische Republik in den Mittelpunkt gerückt.78 Der patriotische Aufruf der KPÖ , der in der Nacht vom 11. auf den 12. März 1938 angesichts des deutschen Einmarsches verfasst wurde und die Parole „Rot-Weiß-Rot bis in den Tod“ ausgab ,79 stellt den „vorläufige( n ) Schlußpunkt“ dieses „komplizierten und oft widersprüchlichen Entwicklungsprozesses“80 der KPÖ in der nationalen Frage dar. Der Aufruf forderte zum Kampf gegen die deutsche Fremdherrschaft auf und verlieh der Zuversicht Ausdruck , dass ein freies , demokratisches Österreich wiedererstehen werde. Die zwei Monate vor dem „Anschluss“ markieren den Höhepunkt der kommunistischen Volksfrontstrategie : Nach dem Berchtesgadener Abkommen formierte sich eine breite Volksbewegung für soziale und demokratische Rechte und gegen den drohenden „Anschluss“, eine „patriotische Front von links bis zu konservativen Kreisen“,81 was nicht zuletzt auch als Verdienst der dahin gehenden Bemühungen der KPÖ zu werten ist. Es kam zu zahlreichen Aussprachen eines Komitees von Vertrauensmännern wichtiger Großbetriebe mit Regierungsvertretern und Funktionären der VF , EG und SAG. Neben einer erweiterten politischen Bewegungsfreiheit für die illegale ArbeiterInnenbewegung und der Wiederherstellung der demokratischen Freiheitsrechte war die Frage , wie die Gefahr einer Annexion Österreichs abgewehrt werden könnte , Inhalt dieser Gespräche.82 Bei der gesamtösterreichischen Vertrauensmännerkonferenz im Floridsdor77 Die Arbeiten Klahrs sind seit 1994 in einem von der KPÖ herausgegebenen Sammelband zugänglich ( K lahr , Alfred [ 1994 ] : Zur österreichischen Nation , Wien ). 78 Die Kommunisten im Freiheitskampf des österreichischen Volkes. Resolution der Reichskonferenz der Kommunistischen Partei Oesterreichs zur politischen Lage und den Aufgaben der Partei , Die Rote Fahne , Jg. 19 [ 1937 ] , Nr. 8 [ August ] , 1–3. 79 Volk von Österreich ! An alle Völker Europas und der Welt ! In : Rundschau , Jg. 7 , Nr. 16 , 17. 3. 1938 , 482–483. 80 Steiner , Herbert ( 1988 ) : Die Kommunistische Partei Österreichs und die nationale Frage. In : DÖW ( Hg. ) : „Anschluß“ 1938. Eine Dokumentation , Wien , 77–84 : 77. 81 Mödlagl , Otto ( 1971 ) : Burgenland im Ständestaat. In : 50 Jahre Burgenland. Vorträge im Rahmen der Landeskundlichen Forschungsstelle am Landesarchiv [ Burgenländische Forschungen Sonderheft III ] , Eisenstadt , 125–133 : 133. 82 Heinisch , Theodor ( 1968 ) : Österreichs Arbeiter für die Unabhängigkeit 1934–1945 [ Monographien zur Zeitgeschichte ] , Wien / Frankfurt a. M. / Zürich ; Schmidt-Kolmer , Eva : 11. März 1938 , 20 Uhr :
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fer Arbeiterheim am 7. März 1938 vertrat die KPÖ den Standpunkt , in dieser schwierigen Situation – trotz aller Differenzen mit dem Regime – für ein „Ja“ bei der geplanten Volksabstimmung Schuschniggs aufzurufen. Über die nationale Zugehörigkeit der ÖsterreicherInnen und die damit verbundenen politischen Schlussfolgerungen entbrannten ab 1936 heftige Auseinandersetzungen zwischen KPÖ und RS.83 Während die KPÖ wie gezeigt auf das Etappenziel einer „demokratischen Republik“ abzielte , das durch eine Volksfront errungen werden sollte , sahen die RS keine Bündnispartner außerhalb der ArbeiterInnenklasse und betrachteten den Sturz des Regimes weiter als unmittelbare Tagesaufgabe. Daran knüpften sich Differenzen über den Umgang mit den Institutionen des Austrofaschismus und die Ausnutzung legaler Möglichkeiten in der „Massenarbeit“. Der kommunistischen Theorie von der österreichischen Nation und der von der KPÖ angestrebten Volksfront aller patriotischen Kräfte stellten die RS ab 1938 ihr Konzept einer gesamtdeutschen sozialen Revolution entgegen. Otto Bauer sprach auch noch nach dem „Anschluss“ von der österreichischen Nation als „absonderliche( r ) Konstruktion“ der KPÖ.84 Auch in der Forschungsliteratur wird die Einheits- und Volksfrontpolitik der KPÖ kontroversiell bewertet , nicht unbeeinflusst vom jeweiligen politischen Standpunkt in der Debatte. So werden in kommunistischen Publikationen die Erfolge der Einheitsfrontpolitik deutlich hervorgehoben , während beispielsweise Neugebauer die Qualität der Aktionsgemeinschaft zwischen KPÖ und RS skeptischer einschätzt. Er geht davon aus , dass die Einheitsfrontabkommen mehr verbalen denn realen Charakter hatten.85 Hauptstreitpunkt hinsichtlich der Volksfrontpolitik ist die Frage , ob es sich bei dieser Konzeption um ein taktisches Manöver oder um eine grundlegende , langfristige strategische Umorientierung handelte. Interpretationen wie jene Everhard Holtmanns , wonach die KPÖ mit ihrer Taktik „den Rand politischer Selbstentäußerung“ streifte ,86 oder jene Neugebauers , wonach die KommunistInnen eine „bis zur politischen Selbstverleugnung reichende Flexibilität“ zeigten ,87 heben auf diese Frage nach dem grundsätzlichen Charakter der Volksfrontpolitik ab. Auf der anderen Seite wird auch die praktische Umsetzung der kommunistischen Volksfrontpolitik kontrovers eingeschätzt. So geht Neugebauer davon aus , dass die KPÖ keine Vorstellung von der konkreten Form des angestrebten Bündnisses hatte und resümiert , dass ihm aufgrund seiner Forschungen kein konkreter Hinweis auf KPÖ-Volksfrontpartner bekannt sei.88 Dieser Befund trifft nur insofern zu , Auf der Suche nach einer provisorischen Regierung. In : Weg und Ziel , Jg. 46 ( 1988 ), Nr. 3 , 96–97. 83 Vgl. dazu neben West ( 1978 ) auch Pelinka , Peter ( 1981 ) : Erbe und Neubeginn. Die Revolutionären Sozialisten in Österreich 1934–1938 [ Materialien zur Arbeiterbewegung 20 ] , Wien , 204–230 ; Marschalek , Manfred ( 1990 ) : Untergrund und Exil. Österreichs Sozialisten zwischen 1934 und 1945 [ S ozialistische Bibliothek , Abteilung 1 : Die Geschichte der österreichischen Sozialdemokratie 3 ] , Wien , 159–169 ; Butterwegge , Christoph ( 1991 ) : Austromarxismus und Staat. Politiktheorie und Praxis der österreichischen Sozialdemokratie zwischen den beiden Weltkriegen [ S chriftenreihe der Studiengesellschaft für Sozialgeschichte und Arbeiterbewegung 82 ] , Marburg , 509–526. 84 Bauer , Otto : Nach der Annexion. In : Der sozialistische Kampf , Nr. 1 , 2. 6. 1938 , 2–5 : 3. 85 Neugebauer ( 1984 ), 374. 86 Holtmann ( 1978 ), 287. 87 Neugebauer ( 1984 ), 372. 88 Ebenda , 380 , Anm. 35.
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als hier offenbar von einem Bündnis von Organisationen ausgegangen wird und es tatsächlich schwierig war , konkrete Formen und Methoden einer solchen Bündnispolitik aus der Illegalität heraus zu entwickeln. Demgemäß gab es keine formalen Bündnisse der Partei mit bürgerlichen und katholischen Gruppen und keine Herausbildung einer festen Volksfront wie in Frankreich oder Spanien. Die KPÖ betrachtete jedoch die Volksfront als keine rein organisatorische Angelegenheit , nicht nur als eine Frage des Zusammengehens mit anderen politischen Gruppen. Der Partei ging es um klassenübergreifende Aktionsbündnisse , um das Knüpfen von Kontakten und Verbindungen mit antifaschistischen Kreisen über die ArbeiterInnenbewegung hinaus. Eine solche politische Praxis wird sichtbar in ihrer Arbeit in den Massenorganisationen als mögliche Vehikel einer Volksfront , vor allem in ihrer Politik gegenüber der EG und der SAG , die sich im Frühjahr 1938 tatsächlich zu Kristallisationskernen einer möglichen breiten Front gegen Hitler entwickelten. In diesen Wochen konnten auch die Kontakte zu katholischen Kreisen intensiviert und bis ins Regierungslager hinein Ansprechpersonen für ein gemeinsames Vorgehen gefunden werden. Der SAG , die 1935 im Rahmen der VF als Auffangbecken für die ArbeiterInnenschaft gegründet worden war , wurde in diesen Tagen in Aussicht gestellt , zu einer organisierten Form einer selbstständigen politischen ArbeiterInnenbewegung , zu einer Sammlungsorganisation für die politische Linke ausgebaut zu werden. Das Mitglied des KP-Zentralkomitees Ferdinand Strasser war als SAG-Sekretär vorgesehen.89 Die August-Resolution des ZK der KPÖ ging 1938 sogar so weit , einzuschätzen , dass die Möglichkeit eines Zusammengehens der ArbeiterInnenbewegung mit Teilen des Schuschnigg-Lagers und der VF im Kampf gegen Hitler unterschätzt worden sei.90 Größtes Hindernis für die Aktionseinheit von KPÖ und RS und für die Entwicklung einer breiten antifaschistischen Volksfront war neben den genannten inhaltlichen Differenzen die Haltung der KPÖ zu den Säuberungsprozessen in der Sowjetunion. Die RS warfen der KPÖ vor , von der Komintern ferngesteuert und völlig von Moskau abhängig zu sein. Die KPÖ wiederum verteidigte die „Moskauer Prozesse“ und die Stalin’schen Repressionen , was das Ansehen der KommunistInnen und ihre Vertrauenswürdigkeit bei potenziellen BündnispartnerInnen schmälerte. Jede Kritik an der Sowjetunion wurde als antisowjetisch , „trotzkistisch“ und profaschistisch denunziert.91 In Zuge dieser Polemiken wurde auch die RS als Organisation eingeschätzt , in der der „Trotzkismus“ an Einfluss gewann. Auch widersprüchliche Einschätzungen der „nationalen Frage“ verlaufen oft analog zur jeweiligen politischen Verortung der Autoren : Während etwa DÖW-Gründer Herbert Steiner das Aufrollen der nationalen Frage und das Bemühen um die Erhaltung der österreichischen Unabhängigkeit als „historisches Verdienst“ der KPÖ würdigt ,92 spra89 Leichter , Otto ( 1963 ) : Österreichs Freie Gewerkschaften im Untergrund ( Ö sterreichprofile ), Wien / Köln / Stuttgart / Zürich , 133–134 ; Hillegeist , Friedrich ( 1974 ) : Mein Leben im Wandel der Zeiten. Eine Selbstbiographie mit kritischen Betrachtungen , Wien , 79. 90 Alt , Fritz ( o. J. [ 1938 ] ) : Schmücke dein Heim ! o. O. = Resolution von Anfang August 1938 „Der Kampf um die Befreiung Oesterreichs von der Fremdherrschaft“, 5. ZPA. 91 Z. B. Schluß mit den trotzkistischen Agenten in der Arbeiterbewegung , Die Rote Fahne , Jg. 19 [ 1937 ] , Nr. 4 [ Ende März ] , 15 92 Steiner , Herbert ( 1983 ) : Die Kommunistische Partei. In : Weinzierl , Erika / Skalnik , Kurt ( Hg. ) : Österreich 1918–1938. Geschichte der Ersten Republik , Bd. 1 , Graz / Wien / Köln , 317–329 : 324.
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chen Gegenpositionen noch in den 1970er-Jahren von einer „quasi-chauvinistische( n ) Phase“93 der KPÖ und ihrer „streng nationalistische( n ) Linie“.94 Heute gelten der wissenschaftliche Charakter , die Originalität und die historisch-politische Bedeutung der Thesen von Klahr als unbestritten. VI. Forschungsstand – Desiderata – Quellen Die Grundlinien der Politik der KPÖ in den Jahren des Austrofaschismus ( Einheitsfront , antifaschistische Volksfront , nationale Frage ) sind in der Forschungsliteratur mehrmals dargestellt worden. Als Standardliteratur ist der entsprechende – von Winfried R. Garscha , Hans Hautmann und Willi Weinert verfasste – Abschnitt in der KPÖ-offiziellen „Parteigeschichte“ anzusehen ,95 der zwar ohne Moskauer Quellen auskommen musste und dem Geschichtsbild vor 1990 verhaftet ist , aber dennoch nicht als hagiografisch einzuschätzen ist. Einen kompakten Abriss stellen die jeweiligen Einleitungen in den Bundesländereditionen „Widerstand und Verfolgung“ dar , wobei hier jene von Hautmann ( Wien und Oberösterreich ), Garscha ( Niederösterreich ) und Hanns Haas ( Salzburg ) hervorzuheben sind. Eine Zusammenfassung der KPÖ-Politik der Jahre 1934 bis 1938 bringt der oben erwähnte Beitrag von Neugebauer.96 Eine neuerdings vorgelegte Teilstudie von Barry McLoughlin löst den im Titel „Kommunismus in Österreich“ formulierten monografischen Anspruch nicht ein , sondern konzentriert sich im hier interessierenden Zeitraum weitgehend auf kaderpolitische Weichenstellungen an der operativen Spitze der Partei , während ihre strategisch-programmatische , politische und organisatorische Entwicklung nur gestreift wird.97 Angesichts des gestiegenen realpolitischen Gewichts der KPÖ in den Jahren 1933 / 34 bis 1938 überrascht es , dass bislang keine monografische Studie über den Widerstandskampf der KPÖ gegen die austrofaschistische Diktatur vorliegt. Eine ähnliche Lücke besteht in der Historiografie über die Jahre 1938 bis 1945 : Obwohl die österreichischen KommunistInnen im Kampf gegen den Hitlerfaschismus die stärkste Kraft darstellten , ist auch diese für die Parteigeschichte so bedeutungsvolle und identitätsstiftende Periode insgesamt wenig bearbeitet. Es liegt noch keine Monografie vor , die den antifaschis tischen Widerstand der KPÖ in der NS-Zeit systematisch erforscht. Diese Defizite haben zum einen mit der jahrzehntelang vorherrschenden Koalitionsgeschichtsschreibung zu tun , die nicht nur dem maßgeblichen Anteil der KommunistInnen am demokratischen Wiederaufbau der Zweiten Republik , sondern auch ihrem Wirken in den Jahren der Il93 Dusek , Peter ( 1977 ) : Nachkriegskonzeptionen für Österreich. Der Exilwiderstand und die nationale Frage. In : Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes und Dokumentationsstelle für neuere österreichische Literatur ( Hg. ) : Österreicher im Exil 1934 bis 1945. Protokoll des internationalen Symposiums zur Erforschung des österreichischen Exils von 1934 bis 1945 , Wien , 230–243 : 238. 94 Aichinger , Wilfried ( 1977 ) : Sowjetische Österreichpolitik 1943–1945 [ Materialien zur Zeitgeschichte 1 ] , Wien , 45. 95 Historische Kommission beim Zentralkomitee der KPÖ ( Hg. ) ( 1987 ) : KPÖ. Die Kommunistische Partei Österreichs. Beiträge zu ihrer Geschichte und Politik , Wien , 201–266 ( „ Im Kampf gegen den Austrofaschismus“ ). 96 Neugebauer ( 1984 ), 371–377. 97 McLoughlin et al. ( 2009 ), 318–369.
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legalität wenig wissenschaftliche Aufmerksamkeit schenkte. Andererseits fällt auf , dass auch in der Historiografie der KPÖ der Widerstandskampf gegen die austrofaschistische Diktatur unterbelichtet ist. Die vor 1955 erschienenen Lehrhefte der Partei „Zur Geschichte der österreichischen Arbeiterbewegung“ enden mit dem Jahr 1934 , ein geplanter vierter Band über die Periode bis 1945 erschien nicht mehr. Einen ersten de facto „parteioffiziellen“ Überblick über die Jahre 1934 bis 1938 veröffentlichte – von „außen“ – der in der DDR wirkende österreichische Historiker Arnold Reisberg im Jahr 1974.98 Einen Erklärungsfaktor für den vergleichsweise geringen Stellenwert , den die Jahre 1934 bis 1938 in der KPÖ-Historiografie einnahmen , verdeutlicht die Entstehungsgeschichte von Franz Wests Studie „Die Linke im Ständestaat“: Nachdem West im Zuge der krisenhaften Entwicklung der Partei in den Jahren 1968 / 69 als Chefredakteur des Zentralorgans der Partei abgelöst worden war , wurde mit ihm vereinbart , dass er im Zeitraum der Fortzahlung seines Gehalts ( bis Ende Oktober 1970 ) eine Studie über den illegalen Kampf der Partei in den Jahren 1934 bis 1938 für den Parteiverlag schreiben solle. Im April 1971 wurde West jedoch in einer Aussprache mit Mitgliedern des Politischen Büros mitgeteilt , dass die Partei an seiner Arbeit nicht mehr interessiert sei , weil er auch das Schicksal der in die Sowjetunion emigrierten österreichischen Schutzbündler und die Kampagne der KPÖ gegen den „Trotzkismus“ aufrollen wollte. Dies wurde seitens der KPÖ „als öffentliche Stellungnahme zu innerparteilichen Fragen bzw. zur Haltung der KPdSU und anderer Bruderparteien“ angesehen.99 Diese Vorgänge legen nahe , dass die österreichischen Opfer der Stalin’schen Repressionen bzw. insgesamt mit der Sowjetunion zusammenhängende Fragen dafür verantwortlich waren , dass der Geschichte der Partei in den Jahren 1934 bis 1938 nicht der ihr gebührende Stellenwert eingeräumt wurde. Obwohl bereits 1956 / 57 infolge des XX. Parteitags der KPdSU zumindest in den Führungsgremien der KPÖ das Schicksal jener ÖsterreicherInnen offen thematisiert wurde , die in den Jahren des Stalin-Terrors ihr Leben lassen mussten ,100 war es in den folgenden Jahren nicht möglich , öffentlich über diese auch an österreichischen KommunistInnen , größtenteils aktiven Februarkämpfern , verübten Verbrechen zu sprechen. Erst als in der Sowjetunion unter Gorbatschow eine neuerliche Auseinandersetzung mit der Vergangenheit eingeleitet wurde , wurde in der KPÖ die Tabuisierung dieser „Problemzone“ der kommunistischen Erinnerung an die Jahre 1934 bis 1938 durchbrochen.101 Die Schutzbundemigration und das kommunistische Exil in der Sowjetunion sind durch Studien von Hans Schafranek und Barry McLoughlin grundlegend erforscht.102 98 Reisberg , Arnold ( 1974 ) : Februar 1934. Hintergründe und Folgen , Wien , 201–254. 99 Erwin Scharf an Franz West , 25. 5. 1971 , 1. ZPA. 100 Vgl. Mugrauer , Manfred ( 2007 ) : Zwischen Erschütterung , neuer Offenheit und „Normalisie rung“: Die KPÖ , der 20. Parteitag der KPdSU und die Ungarn-Krise 1956. In : Mueller , Wolfgang / Portmann , Michael ( Hg. ) : Osteuropa vom Weltkrieg zur Wende [ Z entraleuropa-Studien 10 ] , Wien , 257–297 : 286–287. 101 Die Bemühungen der KPÖ um eine Rehabilitierung der österreichischen Opfer des Stalin-Terrors werden in einer Publikation von Franz Muhri und Walter Baier dokumentiert ( Baier , Walter / Muhri , Franz [ 2001 ] : Stalin und wir. Stalinismus und die Rehabilitierung österreichischer Opfer , Wien ). 102 McLoughlin , Barry / S chafranek , Hans / Szevera , Walter ( 1997 ) : Aufbruch – Hoffnung – Endstation. Österreicherinnen und Österreicher in der Sowjetunion 1925–1945 [ Österreichische Texte zur Ge-
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Über einen weiteren wichtigen Aspekt des kommunistischen Exils in den Jahren bis 1938 – den Kampf österreichischer KommunistInnen , die in der Verteidigung der Spanischen Republik ihren Widerstand gegen den Faschismus fortsetzten – liegen mehrere Dokumentationen vor.103 Am besten erforscht ist die die strategisch-programmatische Entwicklung der Partei in jenen Jahren – die Erarbeitung einer neuen Strategie hin zur antifaschistischen Volksfront und „demokratischen Republik“ – , die in ihrem grundsätzlichen Charakter in der „Parteigeschichte“ der KPÖ treffend skizziert ist. Hinsichtlich der Politik der KPÖ in der nationalen Frage ist ferner auf Beiträge von Garscha und Häusler hinzuweisen.104 Es steht aber noch aus , die einzelnen Stufen , die politischen und ideologischen Momente , die inneren und äußeren Faktoren dieses Prozesses , im Detail herauszuarbeiten und zu gewichten. So sind z. B. der allgemein bekannte Einfluss der Komintern und die entscheidende Rolle Dimitroffs noch nicht systematisch erforscht worden. Auch die Studie von McLoughlin , die das Verhältnis von Komintern und KPÖ als ein zentrales Forschungsthema formuliert , lässt diese Frage weitgehend unberührt. Erst auf Grundlage einer vollständigen Auswertung entsprechender Dokumente aus dem KominternArchiv wird sich die Frage klären lassen , inwieweit die Positionsentwicklung in der nationalen Frage ein „Akt autonomer Politik“105 bzw. auch Resultat der „Außensteuerung“ durch die Komintern106 war. So geht beispielsweise aus diesen Unterlagen hervor , dass ungeachtet der Orientierung des VII. Weltkongresses auf Übergangsetappen noch im November und Dezember 1935 die von Fischer in einem Memorandum vorgeschlagenen demokratischen Übergangslosungen von der Komintern zunächst zurückgewiesen wurden : Gegenüber einer Regierung der Einheitsfront oder Volksfront müssten weiterhin die Sowjetmacht und „Diktatur des Proletariats“ die Hauptlosungen bleiben , wurde der sellschaftskritik 64 ] , Wien ; DÖW ( Hg. ) ( 1999 ) : Österreicher im Exil – Sowjetunion 1934–1945. Eine Dokumentation , Wien. 103 DÖW ( Hg. ) ( 1986 ) : Für Spaniens Freiheit. Österreicher an der Seite der Spanischen Republik 1936–1939. Eine Dokumentation , Wien / München ; Vereinigung österreichischer Freiwilliger in der spanischen Republik 1936 bis 1939 und der Freunde des demokratischen Spanien ( Hg. ) ( 1986 ) : Österreicher im Spanischen Bürgerkrieg. Interbrigadisten berichten über ihre Erlebnisse 1936 bis 1945 , Wien ; Landauer , Hans ( i n Zusammenarbeit mit Erich Hackl ) ( 2008 ) : Lexikon der österreichischen Spanienkämpfer 1936–1939 , Wien ; Rizy , Lisl / Weinert , Willi ( 2008 ) : „Bin ich ein guter Soldat und guter Genosse gewesen ? “ Österreichische Kommunisten im Spanischen Bürgerkrieg und danach. Ein Lesebuch , Wien. 104 Garscha , Winfried R. : KPÖ und nationale Frage. Zur historischen Bedeutung der theoretischen Arbeiten von Alfred Klahr. In : Fortschrittliche Wissenschaft , Nr. 1–2 / 1979 , 44–54 ; Häusler , Wolfgang ( 1988 ) : Wege zur österreichischen Nation. Der Beitrag der KPÖ und der Legitimisten zum Selbstverständnis Österreichs vor 1938. In : Römische Historische Mitteilungen 30 , Wien , 381–411 : 383–391. Neuerdings : Tatzber-Schebach , Michael ( 2012 ) : Marxismus und nationale Frage in Österreich. Eine ideengeschichtliche Untersuchung zur theoretischen Begründung der österreichischen Nation in der KPÖ , Dipl.-Arb. , Wien. 105 Marek , Franz : Die österreichische Nation in der wissenschaftlichen Erkenntnis. In : Weg und Ziel , Jg. 23 ( 1965 ), Nr. 3 , 189–200 : 192. 106 Botz , Gerhard ( 1986 ) : Eine deutsche Geschichte 1938 bis 1945 ? Österreichische Geschichte zwischen Exil , Widerstand und Verstrickung. In : Zeitgeschichte , Jg. 14 ( 1986 ), Heft 1 , 19–38 : 22.
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KPÖ entgegengehalten.107 Dahin gehend argumentierte dann auch Johann Koplenig , der Generalsekretär der Partei , am Jänner-Plenum des Zentralkomitees 1936 , obwohl er schon am Weltkongress von einer „Regierung der Volksfront“ als wünschenswerte politische Option gesprochen hatte108 und das Plenum in seiner konkreten politischen Ausrichtung , vor allem in der Frage der Ausnutzung der legalen Möglichkeiten und der bündnispolitischen Optionen , bereits andere Akzente setzte und insofern einen ersten Wendepunkt markierte. Die angesprochene Initiative Dimitroffs in der Sitzung des EKKI-Sekretariats am 11. Mai 1936 markiert die letztlich entscheidende Wendung in der Frage der „demokratischen Republik“ und des nationalen Unabhängigkeitskampfes. Am wenigsten erforscht sind die Versuche zur Umsetzung dieser politischen Konzeption , der Widerstandskampf der KPÖ selbst. Obwohl in den Jahren 1975 bis 1991 vom DÖW für die Bundesländer Wien , Burgenland , Oberösterreich , Tirol , Niederösterreich und Salzburg die Editionen „Widerstand und Verfolgung“ vorgelegt wurden , gingen von diesen kaum Impulse aus , die illegale kommunistische Bewegung in den Jahren 1934 bis 1938 systematisch zu erforschen.109 So können die illegalen Aktionen und die Arbeit der KPÖ in den einzelnen Politikfeldern , vor allem in den Gewerkschaften und den Massenorganisationen , sowie die Verfolgungsmaßnahmen des Regimes als größte Forschungslücke angesehen werden. Dies mag auch daran liegen , dass zur Rekonstruktion des kommunistischen Wider standskampfes eine Fülle an Quellenmaterial zu bewältigen ist. Das austrofaschistische Regime stützte sich bei der Verfolgung der politischen GegnerInnen vor allem auf den Polizei- und Justizapparat.110 Vor diesem Hintergrund stellen – neben den illegalen Druckwerken der Partei ( ZPA der KPÖ , DÖW-Flugschriftensammlung ) – die polizeilichen Ermittlungsakten und Gerichtsakten die wichtigste Quelle zur Erhellung der Untergrundaktionen der KPÖ dar. Anzuführen sind hier vor allem die Unterlagen des Justizminis teriums und der Staatsanwaltschaften ( ÖStA , AVA , Justiz ) und die Prozessakten in den einzelnen Landesarchiven sowie die Akten der Opferfürsorge-Stellen. Eine systematische Auswertung dieser Materialien steht ebenso aus wie jene der Berichte der Sicherheits- und Polizeidirektionen bzw. der von der Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit auf dieser Grundlage angefertigten monatlichen Lageberichte ( ÖStA , AdR , BKA Inneres ). Noch nicht erforscht ist die Rolle von Konfidenten bei einzelnen Verhaftungen und der Aufdeckung ganzer KPÖ-Strukturen. So findet sich in zahlreichen Behördenberich107 Bemerkungen zur österreichischen Frage , 23. 12. 1935. RGASPI 495 / 74 / 4 /21–26 : 22–23 ( Kopie in ZPA ). 108 Koplenig ( Oesterreich ). In : Rundschau , Jg. 4 , Nr. 38 , 15. 8. 1935 , 1798–1799 : 1799. 109 Untersuchungen liegen für Vorarlberg und die Steiermark vor : Egger , Gernot ( 1985 ) : Die KPÖ in Vorarlberg 1933–1938. In : Von Herren und Menschen. Verfolgung und Widerstand in Vorarlberg 1933– 1945 [ Beiträge zu Geschichte und Gesellschaft Vorarlbergs 5 ] , Bregenz , 44–68 ; Weber , Jürgen / Weber , Wolfgang ( 1994 ) : „Jeder Betrieb eine rote Festung ! “ Die KPÖ in Vorarlberg 1920–1956 [ S chriftenreihe der Rheticus-Gesellschaft 32 ] , Feldkirch , 107–138 ; Sonnleitner , Ute ( 2012 ) : Widerstand gegen den „Austro-Faschismus“ in der Steiermark 1933–1938 [ Grazer Universitätsverlag , Reihe Habilitationen , Dissertationen und Diplomarbeiten 36 ] , Graz 2012. 110 Vgl. Neugebauer , Wolfgang ( 2005 ) : Repressionsapparat und -maßnahmen 1933–1938. In : Tálos , Emmerich / Neugebauer , Wolfgang ( Hg. ) : Austrofaschismus. Politik – Ökonomie – Kultur. 1933–1938 [ Politik und Zeitgeschichte 1 ] , Wien , 298–319 : 298.
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ten der Hinweis auf „vertrauliche Mitteilungen“, die den Erhebungen zugrunde lagen , u. a. solche einer „Vertrauensperson , die die Verhältnisse beim Zentralkomitee in Wien genau kennt“.111 Im Gegensatz zu den Jahren der NS-Diktatur ist es bei heutigem Kenntnisstand auch nicht möglich , exakte Zahlen über die Verhaftungen und Verurteilungen kommunist ischer ParteigängerInnen durch die Gerichte des „Ständestaats“ zu nennen. Es gibt keine verlässlichen Statistiken darüber , wie viele KommunistInnen Polizeistrafen verbüßten und in austrofaschistischen Anhaltelagern wie Wöllersdorf festgehalten wurden.112 Ebenso wenig gibt es – mit Ausnahme des Exils in der Sowjetunion – gesicherte Zahlen darüber , wie viele KommunistInnen , die aufgrund ihrer illegalen Tätigkeit von der Verhaftung bedroht waren , zwischen 1934 und 1938 aus politischen Gründen Österreich verließen. Das angesprochene Forschungsdefizit widerspiegelt sich in beinahe sämtlichen Bereichen des kommunistischen Widerstands. Als kaum erforscht ist die „Massenarbeit“ der KPÖ in proletarischen Organisationen wie der „Roten Hilfe“ oder dem „Autonomen Schutzbund“ einzuschätzen , ebenso der gewerkschaftliche Kampf in den Betrieben , die Politik der Partei im Bereich des Sports , die illegale Agitation unter den Soldaten , die Arbeit unter den Frauen , ihre Versuche zur Mobilisierung der werktätigen Bauern. Einen Hinweis auf die „Soldatenarbeit“ gibt z. B. ein Bericht vom Frühjahr 1935 , wonach in fast allen Wiener Kasernen und fast allen Garnisonsorten der Provinz KP-Zellen bestünden.113 Auch die Solidaritätsaktionen der „Roten Hilfe“ für die Opfer des faschistischen Regimes verdienen eine nähere Darstellung. Dies gilt auch für die kommunistische „Landarbeit“, wenngleich die KPÖ hier nicht an erste in den Jahren 1929 bis 1933 erzielte Erfolge anknüpfen konnte. Die einschlägigen Studien über die Einheitsfront von KPÖ und RS zeichnen vor allem die Verhandlungen der Parteispitzen und gemeinsame Erklärungen der beiden Parteien nach. De facto kaum erforscht sind hingegen die konkrete Ausgestaltung der Aktionseinheit , die Kontakte und gemeinsamen Aktionen illegaler Gruppen an der Basis , wobei Dokumente aus dem Komintern-Archiv deutlicher als bisherige Studien den Einheitswillen der unteren Ebenen belegen , ungeachtet der Differenzen der Parteispitzen. Auch im Bereich der Gewerkschaftspolitik konzentrieren sich die vorhandenen Studien vor allem auf die programmatische Ebene und die illegale Propaganda. Zwar wird im Rahmen der einschlägigen Literatur über die illegalen FG114 auch auf die WAK eingegangen , weitgehend im Dunkeln bleiben jedoch deren konkrete Entstehungsbedingungen , 111 Bundespolizeidirektion Graz , Staatspolizeiliches Büro an die Staatsanwaltschaft Graz , Zl. Stp. B. 3215 / 1-Pers. v. 12. 6. 1936 , Weiss Adolf u. Gen. , Verdacht des Hochverrates , 18. DÖW 12746. 112 Diesbezügliche Zahlenangaben finden sich in Jagschitz , Gerhard ( 1975 ) : Die Anhaltelager in Österreich. In : Jedlicka , Ludwig / Neck , Rudolf ( Hg. ) : Vom Justizpalast zum Heldenplatz. Studien und Dokumentationen 1927 bis 1938 , Wien , 128–151 : 149. 113 Erfahrungen , Ergebnisse und Aufgaben der antimilitaristischen Arbeit in Österreich , o.D. [ März 1935 ]. RGASPI 495 / 80 / 450 / 13–29 : 18 ( Kopie in ZPA ). 114 Leichter ( 1963 ) ; Hindels , Josef ( 1976 ) : Österreichs Gewerkschaften im Widerstand 1934–1945 , Wien ; Schurawitzki , Reinhard ( 1976 ) : Die illegalen Freien Gewerkschaften in Österreich 1934–1938 , phil. Diss. , Wien ; Wondra , Manfred ( 1982 ) : Zur Politik der illegalen Gewerkschaften im Ständestaat 1934–1938 , phil. Diss. , Wien ; Pasteur , Paul ( 2008 ) : Unter dem Kruckenkreuz. Gewerkschafter und Gewerkschafterinnen in Österreich 1934–1938 , Innsbruck.
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ihre Strukturiertheit sowie ihre Politik in den Betrieben , ihre tatsächliche Stärke und ihr Einfluss. So wird in der Literatur – ohne Hinweis auf entsprechende Quellen – von einer Zusammenkunft in Strebersdorf am 25. Februar 1934 berichtet , in deren Rahmen die WAK gegründet worden sein soll , während ein Bericht der „Roten Gewerkschaftsinternationale“ über ihre Bildung Ende April Auskunft gibt.115 In einem Komintern-Dokument aus Mitte Juni 1934 wird die WAK als „Initiativgruppe zur Sammlung der Kader der Klassengewerkschaftsbewegung“ und noch nicht als „neues Gewerkschaftszentrum“ charakterisiert.116 Am VII. Weltkongress schließlich bezeichnete Oscar Deubler , der verantwortliche Leiter der WAK , diese als das „führende Kraftzentrum der illegalen Gewerkschaftsbewegung“.117 Auch in der Literatur wird einhellig von einem Übergewicht der WAK bis zur Herstellung der Gewerkschaftseinheit mit dem „Siebenerausschuss“ ausgegangen. Die von Paul Pasteur genannten 10.000 ArbeiterInnen , die bereits im Juni 1934 von der WAK erfasst worden seien ,118 erscheinen jedoch zu hoch angesetzt , ging doch die KPÖ Ende 1936 davon aus , dass den illegalen FG insgesamt nur 10.000 ArbeiterInnen angehörten.119 Ebenso unzureichend erforscht wie die Politik der KPÖ in diesen traditionellen kommunistischen Politikfeldern der „Massenarbeit“ ist ihre ab 1935 / 36 forcierte Ausnutzung der halblegalen und legalen Möglichkeiten. Diese neue Strategie wird neben der Gewerkschaftspolitik vor allem im Bereich des Sports sichtbar , einem Politikfeld , dem bisher in der Forschungsliteratur hinsichtlich der Volksfrontstrategie zu wenig Aufmerksamkeit beigemessen wurde. Zunächst standen der Wiederaufbau der Arbeitersportverbände und der Widerstand gegen die Gleichschaltungsversuche des Regimes im Mittelpunkt.120 Ab 1935 rückte für die KPÖ-nahe „Zentralkommission für den Wiederaufbau des Arbeitersports“ die Durchdringung bestehender bürgerlicher Vereine und ehemaliger Vereine der Arbeitersportbewegung in den Vordergrund. Anfang Jänner 1936 wurde berichtet , dass die KPÖ „viele dutzende , hunderte kleiner Sportverbände in der Hand“ habe ,121 beispielsweise im GÖC-Klub , dem Sportzweig der „Genossenschaft Österreichischer Consumverein“, oder in den Touristenvereinen. Ende 1937 konnte der „Allgemeine Turnverein“ als Rechtsnachfolger des 1934 aufgelös ten „Wiener Arbeiter-Turn-Vereins“ ( WAT ) mit dem Kommunisten Johann Renczes in der Leitung reaktiviert werden. Auch die Obmänner der WAT-Bezirksgruppen Leo-
115 Mitteleuropäische Sektion der R.G.I. : Gewerkschaftsmaterial über Österreich für die Zeit vom IV. RGI-Kongress bis Juli 1934 , 7. ZPA. 116 Resolutionsentwurf zum Bericht des Genossen Koplenig über die Arbeit der KP Österreichs nach den bewaffneten Februarkämpfen des österreichischen Proletariats , 14. 6. 1934. RGASPI 495 / 80 / 393 / 76–81 : 77 ( Kopie in ZPA ). 117 Genosse Wiedmann ( Oesterreich ). In : Rundschau , Jg. 4 , Nr. 62 , 6. 11. 1935 , 2517. 118 Pasteur ( 2008 ), 117. 119 Friedl Fürnberg : [ Bericht ] , o.D. [ Dezember 1936 ]. RGASPI 495 / 80 / 497 / 56–66 : 64 ( Kopie in ZPA ). 120 Die KPÖ. und die österr. Arbeitersportler. In : Arbeiter-Sport , hg. von der Zentralen Kommission für den Wiederaufbau des Arbeitersportes in Oesterreich , Nr. 3 , Dezember 1934 , 4. ZPA. 121 Information Wieden [ Ernst Fischer ] über KPÖ , 20. 1. 1936. RGASPI 495 / 1 2 / 5 / 1–67 : 21 ( Kopie in ZPA ).
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poldstadt und Favoriten waren Kommunisten.122 1939 schätzte Fürnberg ein , dass die legalen Arbeitersportorganisationen zum größten Teil unter kommunistischer Führung gestanden seien.123 Weitere Forschungen sind auch im Zusammenhang mit der Infiltrationstaktik bei den EG und der SAG vonnöten. So gibt es keine verlässlichen Quellenangaben darüber , wie viele KommunistInnen hier Funktionärsposten bekleideten und wie viele der KPÖ nahestehende Vertrauensmänner es gab. Weder das genaue Ausmaß der Unterwanderung noch der tatsächliche Einfluss der Partei in diesen beiden Institutionen lassen sich exakt feststellen. Fischer sprach Ende 1935 von „viele( n ) unsrer gewählten Genossen in Leitungen“ der EG ,124 bei den Vertrauensmännerwahlen Ende 1936 gelang es der Partei , z. B. in der Steyrer Waffenfabrik , sowie der Simmeringer und der Grazer Waggonfabrik die Mehrheit der Vertrauensräte zu erobern.125 Fürnberg resümierte 1939 , dass die KPÖ viele Bezirksleitungen der SAG „in der Hand“ und in einigen Landesleitungen „entscheidenden Einfluss“ gehabt habe ,126 was den Erfolg der kommunistischen Taktik des „Trojanischen Pferdes“ belegt. Ein exemplarisches Beispiel dieser elastischen Politik im Bereich der „Katholikenarbeit“ ist Johann Šafr , der 1936 nach seiner Haftentlassung auf Weisung des KJV in die Katholische Jugend eintrat und hier bis zur Auflösung 1938 als Bezirksleiter tätig war.127 Ein Hintergrund dieser fehlenden Forschungen über die Politik und die illegalen Aktionen der KPÖ an der Basis ist darin zu finden , dass der Kommunismus in Österreich insgesamt kaum als radikale soziale Bewegung erforscht ist , zumal unter den Bedingungen der Illegalität. Dieser Befund lässt sich auf die oppositionelle ArbeiterInnenbewegung bzw. auf die Lage der ArbeiterInnenklasse insgesamt ausdehnen : Über die Lebensweise der mehrheitlich oppositionell eingestellten ArbeiterInnen und die Bewahrung linker Milieus zur Zeit des Austrofaschismus ist wenig bekannt. Es liegt keine Alltags geschichte der ständestaatlichen Diktatur vor , die die Gängelung und Unterdrückung der arbeitenden Menschen durch das Regime und die vorhandenen politischen Artikulationsspielräume näher beschreibt. Insgesamt bestünde die Herausforderung einer erst zu schreibenden Geschichte der illegalen KPÖ in den Jahren 1933 / 34 bis 1938 darin , diese auf Basis der heute zugänglichen Quellen als Verbindung von Politik- , Organisationsund Sozialgeschichte darzustellen.
122 Der Oberreichsanwalt beim Volksgerichtshof , 7 J 70 / 40 v. 28. 11. 1940 , Anklageschrift gegen Josef Csarmann und Friederike Christoph , 3. Bundesarchiv ( Berlin ), R 3001 / 164755 ; Hans Teichert : Lebenslauf , 6. 8. 1951. ZPA. 123 Fürnberg : [ Material über Österreich ] , 4. 2. 1939. RGASPI 495 / 80 / 550 / 1–10 : 3 ( Kopie in ZPA ). 124 [ Ernst Fischer ] : [ Memorandum ] , o.D. [ November 1935 ]. RGASPI 495 / 74 / 4 / 1 4–16 : 15 ( Kopie in ZPA ). 125 Friedl Fürnberg : [ Bericht ] , o.D. [ Dezember 1936 ]. RGASPI 495 / 80 / 497 / 56–66 : 58 ( Kopie in ZPA ). 126 Fürnberg : [ Material über Österreich ] , 4. 2. 1939. RGASPI 495 / 80 / 550 / 1–10 : 3 ( Kopie in ZPA ). 127 Johann Šafr : Lebenslauf , 3. 1. 1952. ZPA.
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Johannes Thaler
Legitimismus – Ein unterschätzter Baustein des autoritären Österreich I. Überblick : Österreichischer Legitimismus in der Zwischenkriegszeit 1918–1938 Legitimismus beruft sich auf die Unabsetzbarkeit eines Herrscherhauses. Während der Monarchismus auch die Legitimität anderer Staatsformen und anderer Herrscherhäuser akzeptieren kann , sieht der Legitimismus ausschließlich die Herrschaft des traditionellen Staatsoberhauptes als legitim an.1 In Frankreich etwa gewann der Legitimismus politische Bedeutung nach dem endgültigen Sturz der Bourbonen im Juli 1830 und später nach der Ausrufung der zweiten Republik 1848. In Österreich trat er nach dem Sturz des Hauses Habsburg 1918 in Erscheinung und erlangte in den Jahren der Diktatur 1933–1938 ein ansehnliches politisches Gewicht. Juristisch stützte sich der Legitimismus im österreichischen Fall zusätzlich auf das Argument , Kaiser Karl habe nie eine formelle Abdankung unterschrieben , sondern lediglich auf „jeden Anteil an den Staatsgeschäften“2 verzichtet. Aus legitimistischer Sicht war eine Abdankung des legitimen Herrschers außerdem überhaupt nicht möglich.3 Otto Habsburg , gewesener Thronfolger der Habsburgermonarchie und Galionsfigur des österreichischen Legitimismus in der Zwischenkriegszeit , ist erst kürzlich verstorben. Der groß angelegte und traditionell gehaltene Begräbniszug durch die Wiener 1 Mosser , Ingrid ( 1979 ) : Der Legitimismus und die Frage der Habsburger-Restauration in der innenpolitischen Zielsetzung des autoritären Regimes in Österreich ( 1933–1938 ), phil. Diss. , Wien , 11– 16 ; Neuhäuser , Stephan ( 1991 ) : Der österreichische Legitimismus in der Ersten Republik ( 1918–1938 ) unter besonderer Berücksichtigung seiner Organisationen , Dipl.-Arb. , Wien , 4–15 ; „Legitimismus“: URL : http ://www.enzyklo.de / Begriff / L egitimismus ( abgerufen am 12. 12. 2011 ). 2 Goldinger , Walter / Binder , Dieter A. ( 1992 ) : Geschichte der Republik Österreich. 1918–1938 , Wien , 23–24. 3 Siehe Fußnote 1. Hans Kelsen wiederum betonte die rechtliche Bedeutungslosigkeit eines Thronverzichts , da die alte österreichische Verfassung einen solchen nicht vorsah bzw. in der neuen deutschösterreichischen Verfassung „ein Monarch als Organ des Staates überhaupt nicht existiert[ e ].“ Kelsen , Hans ( 1923 ) : Österreichisches Staatsrecht. Ein Grundriss entwicklungsgeschichtlich dargestellt , Tübingen , 78–79. Auch erwähnt bei : Mosser ( 1979 ), 19 , Fußnote 5.
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I. Parteiengeschichte
Innere Stadt am 16. Juli 2011 , an dem auch hochrangige Politiker der Republik teilnahmen , baute auf gewisse Sehnsüchte nach einer als groß und ruhmreich verstandenen Vergangenheit. Derartige Nostalgien waren auch in der legitimistischen Bewegung der Zwischenkriegszeit zu finden , jedoch war dieser , besonders in der Zeit des Austrofaschismus4 , ein viel umfassenderes Phänomen mit konkretem politischem Anspruch und Einfluss. Dass die legitimistische Bewegung in der Zwischenkriegszeit ein ernst zu nehmender politischer Akteur war , illustriert unter anderem die Tatsache , dass ihr die österreichischen Nationalsozialisten „die Ehre von Feindschaft und Stinkbomben“5 erwiesen. In Österreich sammelten sich nach der Verzichtserklärung Kaiser Karls und der Ausrufung der Republik legitimistisch Gesinnte6 in zahlreichen privaten Kreisen und Familienzirkeln , die sich erst später zu größeren Organisationen zusammenschlossen.7 Besonders in den letzten Jahren der Regierung Schuschnigg gewannen der „Reichsbund der Österreicher“ und die „Kaisertreue Volkspartei“ ( nach ihrem Vorsitzenden Oberst Gustav Wolff auch als „Wolff-Verband“ bezeichnet ) an politischer Bedeutung. 1932 kam es zur Gründung des „Eisernen Rings“ als Dachverband aller legitimistischen Organisationen in Österreich. Nach den gescheiterten Versuchen des gewesenen Kaisers Karl , als König von Ungarn wieder an die Macht zu kommen , bzw. nach dessen Tod im Exil auf Madeira im Jahr 1922 wurde sein Sohn Otto zur Galionsfigur des österreichischen Legitimismus. Soziale Basis der legitimistischen Bewegung waren die ehemalige Aristokratie , ehemalige Offiziere und Staatsbedienstete sowie Teile des konservativen Bürgertums.8 Es gibt allerdings Hinweise darauf , dass es der legitimistischen Bewegung speziell in den letzten Jahren der Republik und kurz vor dem „Anschluss“ an das Deutsche Reich 1938 gelang , auch Teile der Arbeiterschaft zu erreichen.9 Politisch versuchten die legitimistischen Verbände , ihren Einfluss im Umkreis der Christlichsozialen Partei geltend zu machen , auch wenn sie deren Politik immer wieder auf das Schärfste kritisierten. Ein Wahlbündnis mit den Christlichsozialen brachte dem Legitimisten ( Freiherr ) Ernst ( von der ) Wense im Jahr 1923 ein Nationalratsmandat , während Gustav Wolffs „Kaisertreue Volkspartei“ bei derselben Wahl eigenständig kandidierte und eine schwere Niederlage einfuhr. Spätere Bemühungen um ein Wahlbündnis bzw. der Versuch , mit einer eigenen Liste in den Nationalrat einzuziehen , scheiterten. Legitimistische Verbän4 Die umstrittene Bezeichnung „Austrofaschismus“ wird in diesem Aufsatz verwendet , da sie wichtige Elemente der Diktatur von 1933–1938 einfängt. Zugleich will ich betonen , dass ich dem Begriff nicht die alleinige Deutungshoheit über jene Jahre zuspreche. Je nach Blickwinkel bzw. je nach Betonung unterschiedlicher Facetten des Regimes tritt es uns entweder als „Faschismus“ oder eher als konservative Diktatur vor Augen. 5 Gedye , G. E. R. ( 1939 ) : Fallen Bastions. The Central European Tragedy , London , 209. 6 Der vorliegende Text ist geschlechtergerecht , nicht geschlechtsneutral abgefasst. Sein Ziel ist es , den historischen Anteil von Frauen sichtbar zu machen und sie nicht einfach unter der männlichen Form zu subsumieren. Wo jedoch tatsächlich nur von Männern die Rede ist wird auch nur die männliche Form gebraucht. 7 Überblick über die Entwicklung der legitimistischen Organisationen in Österreich in : Mosser ( 1979 ), 28–33. Wagner , Friedrich ( 1956 ) : Der österreichische Legitimismus 1918–1938 : seine Politik und Publizistik , phil. Diss. , Wien , 23–49. 8 Goldinger ( 1992 ), 246–247. Mosser ( 1979 ), 354. 9 Siehe Kapitel 4.3.
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de gaben jedoch wiederholt Wahlempfehlungen ab – für die Christlichsoziale Partei , aber auch für den Heimatblock , die Liste der Heimwehren.10 Auf das Verhältnis von Legitimismus und Heimwehr wird weiter unten bei der Skizzierung von Forschungsfragen noch einzugehen sein.11 In dem ab 1933 sich entwickelnden Herrschaftssystem des Austrofaschismus wurden einige Reformen umgesetzt , die von den legitimistischen Verbänden lautstark begrüßt wurden. Bereits im Frühjahr 1933 hatte der Eiserne Ring Forderungen formuliert , die wesentliche Teile der Verfassung vom Mai 1934 überraschend vorwegnahmen : die Einführung eines autoritären , ständisch gegliederten Systems , die Umbenennung der Republik in „Bundesstaat Österreich“, die Wiedereinführung des Doppeladlers als Staatswappen sowie die Eliminierung der Habsburgergesetze aus der Verfassung.12 Es ist anzunehmen , dass die Umsetzung dieser Punkte weniger auf die Stärke der legitimistischen Lobby als auf ideologische Überlappungen mit dem Regierungslager zurückzuführen war. Auch die Wiedereinführung der alten kaiserlichen Militäruniformen13 und die in den Jahren 1936–1938 durchgeführte Rückgabe von Teilen des habsburgischen Familienvermögens14 deckten sich mit den Erwartungen der legitimistischen Bewegung. Ideologisch stand der Legitimismus dem neuen autoritären Regime in Österreich somit sehr nahe. Schuschnigg , selbst einfaches Mitglied des „Reichsbundes der Österreicher“, entstammte einer altösterreichischen Offiziersfamilie und galt als Legitimist.15 Das 1937 ins Leben gerufene „Referat für Traditionspflege“ innerhalb der Vaterländischen Front ( V F ) sollte dem autoritären Regime die legitimistischen Kräfte im Land nutzbar machen.16 Das Verhältnis der legitimistischen Bewegung zum autoritären Staat war aber keineswegs friktionsfrei. Im Gegenteil , gerade wegen der ideologischen Nähe zum austrofaschistischen System konnte der Legitimismus eine rege oppositionelle oder pseudooppositionelle Tätigkeit entfalten. Diese legitimistische Nische für politische Aktivität wurde von oppositionellen bzw. illegalen politischen Gruppen ausgenutzt. Aktivität und Einfluss der legitimistischen Bewegung , allen voran des Reichsbundes der Österreicher , erreichten ihren Höhepunkt in den Monaten vor dem „Anschluss“ im März 1938.17 Außenpolitisch kam es aufgrund der legitimistischen Bewegung immer wieder zu heftigen diplomatischen Auseinandersetzungen.18 Während England eine eher indifferente Haltung einnahm , opponierte Frankreich gegen eine Restauration der Habsburger. Das 10 Mosser ( 1979 ), 48–49 , 53. 11 Siehe Kap. 4.2 12 Mosser ( 1979 ), 111. 13 Mosser ( 1979 ), 112–115. 14 Mosser ( 1979 ), 139–184. 15 Goldinger ( 1992 ), 244. Mosser ( 1979 ), 149 , 199–200. Wohnout , Helmut ( 1992 ) : Das Traditionsreferat der Vaterländischen Front. Ein Beitrag über das Verhältnis der legitimistischen Bewegung zum autoritären Österreich 1933–1938. In : Österreich in Geschichte und Literatur ( m it Geographie ), Jg. 36 ( 1992 ), Heft 2 , 65–82 : 67. 16 Ausführlich zur Geschichte des Traditionsreferates : Wohnout ( 1992 ). 17 Carsten , Francis L. ( 1977 ) : Fascist movements in Austria. From Schönerer to Hitler [ Sage studies in 20th century history 7 ] , London , 283. Mosser ( 1979 ), 347–349. 18 Zu den außenpolitischen Implikationen des österreichischen Legitimismus : Goldinger ( 1992 ), 243–249. Mosser ( 1979 ), 73–105.
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nationalsozialistische Deutsche Reich sah in der Restauration und im österreichischen Legitimismus eine klare Konkurrenz zu den eigenen Expansionsbestrebungen. Das faschistische Italien war österreichischen Restaurationsplänen ursprünglich durchaus gewogen , schwenkte aber nach der Annäherung an Deutschland ab 1936 auf die deutsche Linie ein und nahm gegen eine Rückkehr der Habsburger Stellung. Neben Deutschland waren die Staaten der Kleinen Entente der entschiedenste Feind der Wiedereinführung der Monarchie in Österreich ( u nd Ungarn ) : Jugoslawien , Rumänien und ( weniger kategorisch ) die Tschechoslowakei. Jugoslawien betonte wiederholt , dass eine Rückkehr der Habsburger nach Österreich den Casus Belli bedeuten würde.19 Gerald Stourzh spricht von einem Dilemma für Schuschnigg : „Ein Element der inneren Regimestärkung bedeutete gleichzeitig ein Element außenpolitischer Isolierung !“ Er bezweifelt , dass dem Kanzler „die optimale Mobilisierung dieses Sympathiepotenzials gelang“.20 II. Forschungsstand 2.1 Publikationen Eine wissenschaftliche Aufarbeitung des österreichischen Legitimismus in Form einer publizierten Monografie ist bisher nicht erfolgt. Es beschäftigt sich lediglich eine überschaubare Zahl von wissenschaftlichen Aufsätzen mit dem Thema. Wesentliche Forschungsarbeit wurde im Rahmen von Hochschulschriften geleistet , die weiter unten noch zu besprechen sind. In den meisten wissenschaftlichen Publikationen zur österreichischen Zwischenkriegszeit wird der Legitimismus nur peripher berücksichtigt. In seiner 1962 erschienen Monografie zur Geschichte der Republik Österreich gibt Walter Goldinger21 einen Überblick über die diplomatischen Implikationen des Legitimismus und der Frage der Habsburgerrestauration. Er geht hierbei insbesondere auf die Lage im Donauraum ein und schildert die dezidierte Frontstellung Jugoslawiens dagegen.22 Im Hinblick auf den Legitimismus betont Goldinger , dass der Friedensvertrag von Saint-Germain „keine Verpflichtungen zu einer bestimmten Staatsform“ beinhaltete , „doch hatte die Botschafterkonferenz der Ententemächte im Zusammenhang mit den Versuchen Kaiser Karls , nach Ungarn zurückzukehren , am 1. April 1921 einseitig eine solche Bestimmung erlassen“.23 Hervorzuheben ist ein Aufsatz von Helmut Wohnout24 über das in der VF errichtete „Referat für Traditionspflege“. Als einer der wenigen Historiker greift Wohnout bei der Beschreibung des legitimistischen Problemkreises auf Akten zurück , die eine Außenwahrnehmung der legitimistischen Bewegung dokumentieren. Der Aufsatz stützt sich 19 Goldinger ( 1992 ), 246. Mosser ( 1979 ), 86. 20 Stourzh , Gerald ( 2011 ) : Die Außenpolitik der österreichischen Bundesregierung gegenüber der nationalsozialistischen Bedrohung. In : ders. ( Hg. ) : Der Umfang der österreichischen Geschichte. Ausgewählte Studien 1990–2010 [ Studien zu Politik und Verwaltung 99 ] , Wien / Köln / Graz , 181– 210 :204. 21 Goldinger , Walter ( 1962 ) : Geschichte der Republik Österreich , Wien. Im vorliegenden Aufsatz wird aus der überarbeiteten Fassung von 1992 zitiert ( siehe Fußnote 2 ). 22 Goldinger ( 1992 ), 243–249. 23 Goldinger ( 1992 ), 243–244. 24 Wohnout ( 1992 ).
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zu einem großen Teil auf Quellen aus dem Bestand des Bundeskanzleramts im Österreichischen Staatsarchiv. Wohnout betont , dass das Traditionsreferat nicht nur als Gegengewicht zum „Volkspolitischen Referat“ ( das dem Regime die Unterstützung der sogenannten „betont Nationalen“ bzw. österreichischen Nationalsozialisten bringen sollte ) interpretiert werden kann , und verfolgt seine Entstehungsgeschichte in das Jahr 1935 zurück. Er schildert das Traditionsreferat als eine Einrichtung , an der das Regime kurz nach ihrer Gründung aufgrund der internationalen Entwicklung bereits das Interesse verloren hatte und das in der kurzen Zeit seines Bestehens bis zum „Anschluss“ 1938 im autoritären Regime eine stiefkindliche Rolle innehatte. Überzeugend dokumentiert Wohnout auch das Desinteresse von VF-Generalsekretär Guido Zernatto , der dem Traditionsreferat wiederholt Hindernisse in den Weg legte. Eine ähnliche Abneigung hatte Zernatto gegenüber dem Volkspolitischen Referat , das allerdings über eine größere Machtbasis verfügte. Auf die Hintergründe von Zernattos ablehnender Haltung geht Wohnout nicht ein. Möglicherweise wollte er als Generalsekretär eine ideologische Fragmentierung der VF verhindern. Wohnouts Beitrag ist unter anderem deshalb von Bedeutung , weil das Traditionsreferat in der VF in der einzigen vorliegenden Monografie zur Vaterländischen Front von Irmgard Bärnthaler25 kaum Erwähnung findet. In einer Monografie über österreichischen Adel und Bürgertum geht Hannes Stekl26 auf politische Aktivitäten des ehemaligen österreichischen Adels in der Zwischenkriegszeit ein und beschreibt dabei insbesondere seine Bedeutung für die legitimistische Bewegung sowie seine Stellung zur Heimwehr. Es handelt sich dabei in erster Linie um ein Resümee aus bereits bestehenden Darstellungen. Stekl rekurriert insbesondere auf weiter unten noch zu erwähnende Hochschulschriften zum österreichischen Legitimismus. In einer Darstellung der austrofaschistischen Österreich-Ideologie berührt Anton Staudinger27 nur peripher die Bedeutung legitimistischer Ideen für den Versuch des Dollfuß / Schuschnigg-Regimes , ein Österreich-Bewusstsein gegenüber den Expansions bestrebungen des Deutschen Reiches zu schaffen. Er beruft sich dabei auf Schriften einzelner Legitimisten und Regimeanhänger. Staudinger resümiert , dass sich selbst der österreichische Legitimismus nicht ganz von der Vorstellung einer gesamtdeutschen Sendung Österreichs zu lösen vermochte. Róbert Fiziker28 bringt in einem Beitrag über Donaukonföderationspläne des österreichischen Legitimismus verfolgenswerte Forschungsansätze zur grenzüberschreitenden Vernetzung der Bewegung. 25 Bärnthaler , Irmgard ( 1971 ) : Die Vaterländische Front. Geschichte und Organisation Wien / Frank furt / Zürich. Eine eher oberflächliche Abhandlung des Traditionsreferates ist auf den Seiten 137–139 zu finden. 26 Stekl , Hannes ( 2004 ) : Adel und Bürgertum in der Habsburgermonarchie , 18. bis 20. Jahrhundert. Hannes Stekl zum 60. Geburtstag [ S ozial- und wirtschaftshistorische Studien 31 ] , Wien , 101–139. 27 Staudinger , Anton ( 2005 ) : Austrofaschistische ‚Österreich‘-Ideologie. In : Tálos , Emmerich / Neu gebauer , Wolfgang ( Hg. ) : Austrofaschismus : Politik – Ökonomie – Kultur 1934–1938 , 5. völlig überarb. u. erg. Aufl. , Wien , 28–53 :41–43. 28 Fiziker , Róbert ( 2005 ) : Die Donaukonföderationspläne der österreichischen Legitimisten in den 1920er und 1930er Jahren. In : Duchhardt , Heinz ( Hg. ) : Der Europa-Gedanke in Ungarn und Deutschland in der Zwischenkriegszeit [ Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz Beiheft Abteilung für Universalgeschichte 66 ] , Mainz , 99–125. Siehe Kapitel 4.5 des vorliegenden Beitrags.
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Die frühe englischsprachige Literatur über die Jahre des Austrofaschismus , etwa von G. E. R. Gedye29 , Charles A. Gulick30 und Julius Braunthal31 , begnügt sich mit einigen eher allgemein gehaltenen zeitgenössischen Beobachtungen zur legitimistischen Bewegung und ihrer Bedeutung für das autoritäre Regime. Ausgehend von Polizei- und Verwaltungsakten des Bundeskanzleramtes gibt Francis L. Carsten eine knappe zahlenmäßige Übersicht über die Ausbreitung der legitimistischen Bewegung in den Bundesländern.32 Er erwähnt dabei , dass die Bewegung teilweise auch auf Arbeiterschichten eine Anziehung ausübte und schildert Zusammenstöße zwischen legitimistischen und nationalsozialistischen Gruppen. Letztere erkannten im Legitimismus einen Feind ihrer eigenen Sache , zumindest was den „Anschluss“ Österreichs an das Deutsche Reich betraf. Carsten stellt fest , dass der „Reichsbund der Österreicher“ Anfang 1938 zwar eine ansehnliche Organisation mit etwa 20.000 Mitgliedern darstellte , aber noch keineswegs eine Massenbewegung war. Der Autor weist darauf hin , dass die Auseinandersetzungen zwischen beiden Gruppen auch den Charakter eines Generationenkonfliktes hatten : Während der Nationalsozialismus und auch der „sozialistische“ Untergrund auf die Jugend anziehend wirkte , waren im Legitimismus eher Menschen mittleren und höheren Alters vertreten , was die Gründung einer Massenbewegung – so Carsten – im Zeichen des Legitimismus fast unmöglich machte.33 In einer späteren Arbeit über die Erste Republik in Österreich , die sich zum größten Teil auf britische Dokumente der Zwischenkriegszeit stützt , geht Carsten ebenfalls auf den österreichischen Legitimismus ein und schildert die Wahrnehmung der Frage einer Habsburgerrestauration vonseiten der britischen Behörden. Die Korrespondenz zwischen dem britischen Gesandten in Wien Sir Walford Selby und dem britischen Foreign Office in London zeigt eine freundliche Haltung Englands zur Frage der Habsburgerrestauration als Mittel zur Erhaltung der österreichischen Unabhängigkeit. Die kompromisslos ablehnende Haltung der Kleinen Entente wurde von britischen Diplomaten dabei äußerst kritisch betrachtet. Die strikte Ablehnung einer Rückkehr der Habsburger nach Österreich von Jugoslawien und Rumänien interpretiert ein Vertreter des Londoner Foreign Office als ein trauriges Schuldeingeständnis dieser Länder , wie wenig es ihnen seit 1918 gelungen sei , einen neuen Patriotismus zu schaffen , der das Schreckgespenst der Habsburger nicht mehr zu fürchten bräuchte. Ebenfalls aus dem Foreign Office kam die Meinung , dass die Länder der Kleinen Entente ihre Beharrlichkeit einmal bereuen würden , da ihre strikte Politik Österreich und Ungarn in Richtung des Deutschen Reiches treibe.34 Blair R. Holmes35 streicht in einem 1989 erschienen Artikel die Gegnerschaft von österreichischem Legitimismus und Nationalsozialismus heraus. Er verfolgt diesen Konflikt 29 Gedye ( 1939 ), 155–156 , 207–211. 30 Gulick , Charles A. ( 1949 ) : Österreich von Habsburg zu Hitler , Bd. 5 , Wien , 489–493. 31 Braunthal , Julius ( 1948 ) : The Tragedy of Austria. London , 84–86. 32 Carsten ( 1977 ), 280–284. 33 Carsten ( 1977 ), 283. 34 Carsten , Francis L. ( 1986 ) : The First Austrian Republic 1918–1938. A study based on British and Austrian documents , Aldershot , 235–237. 35 Holmes , Blair R. , The Austrian Monarchists , 1918–1938. Legitimism versus Nazism. In : Parkinson , Fred ( Hg. ) ( 1989 ) : Conquering the past. Austrian Nazism Yesterday & Today , Detroit , 91–109.
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auch innerhalb der Heimwehr , die er in der Tradition von Julius Braunthal36 sehr stark vom Legitimismus geprägt sieht. Aufgrund der einseitigen Heranziehung von legitimistischen Quellen überbetont Holmes die erwähnte Polarisierung. Dennoch ist es ein verfolgenswerter Ansatz , diese Dynamik der Gegnerschaft zum Nationalsozialismus , die dem Legitimismus Zulauf brachte , weiterzuverfolgen. Ein Artikel verfasst vom Autor des vorliegenden Beitrags wird in Kürze erscheinen. Es ist eine empirische Studie , fußend auf Akten des Generalsekretariats der VF. Darin wird die oppositionelle oder pseudo-oppositionelle Tätigkeit von Legitimisten gegenüber dem Dollfuß / Schuschnigg-Regime dokumentiert bzw. wie diese Nische ( manchmal als „legale Opposition“ bezeichnet ) von anderen politischen Gruppen ausgenutzt wurde. Der Legitimismus wird in jener Arbeit im Sinne von Juan Linz als Teil eines „begrenzten Pluralismus“ im Austrofaschismus interpretiert.37 In seinem Buch über den österreichischen Widerstand 1938–1945 behandelt Radomír Luža38 unter anderem die gegen das NS-Regime gerichtete illegale Aktivität legitimistischer Gruppierungen. Während VF und rechte Wehrverbände in Österreich 1938 implodierten und sich in großen Teilen dem Nationalsozialismus anschlossen , formierte sich laut Luža unter den Legitimisten und Legitimistinnen bereits sehr früh ein Widerstand. Allerdings führte ihre mangelnde Erfahrung mit illegaler Aktivität und ihr daraus resultierendes amateurhaftes Verhalten dazu , dass die Gestapo ihre Gruppen spätestens 1942 / 43 aufgelöst hatte. Die wenigen verbleibenden kleinen Widerstandszellen schlossen sich den übrigen noch aktiven Reihen des österreichischen Widerstandes an. 2.2 Hochschulschriften Es sind in erster Linie ungedruckte Hochschulschriften , die das Thema des österreichischen Legitimismus ins Zentrum der Betrachtung rücken. Ein früher Versuch ist die Dissertation von Friedrich Wagner.39 Die Arbeit ist eine umfassende Darstellung der legitimistischen Publizistik in der Zwischenkriegszeit. Wagner stützt sich fast ausschließlich auf legitimistische Publikationen sowie auf persönliche Mitteilungen und Schriften ehemaliger Legitimisten und Legitimistinnen. Seine Dissertation liefert wertvolle und detaillierte Einblicke in die sonst schwer überschaubaren , zahlreichen legitimistischen Organisationen und ihre Publizistik. Aufgrund der einseitigen Quellenauswahl , die ausschließlich aus Selbstdarstellungen der legitimistischen Bewegung besteht , muss den Ergebnissen der Arbeit allerdings mit entsprechender Kritik begegnet werden. Phasenweise gleitet der Autor außerdem stark in einseitige politische Exkurse ab.40 Die 1979 in Wien eingereichte Dissertation „Der Legitimismus und die Frage der Habsburgerrestauration in der innenpolitischen Zielsetzung des autoritären Regimes in Österreich ( 1933–1938 )“ von Ingrid Mosser41 ist die bisher umfassendste wissenschaft36 Braunthal ( 1948 ), 84–86. 37 Thaler , Johannes ( 2014 ) : Ally and Opposition – The Legitimist Movement under the DollfußSchuschnigg Dictatorship. In : Austrian History Yearbook 45 [ i m Erscheinen ]. 38 Luža , Radomír V. ( 1984 ) : The resistance in Austria. 1938–1945 , Minneapolis , 29–42. 39 Wagner ( 1956 ). 40 Wagner ( 1956 ), 336–356. 41 Mosser ( 1979 ).
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liche Aufarbeitung des österreichischen Legitimismus und seiner Verbindungen zur Dollfuß-Schuschnigg-Diktatur. Ein wesentlicher Teil der Arbeit ist der Darstellung des regelmäßigen Kontaktes zwischen Schuschnigg und dem ehemaligen Thronfolger Otto gewidmet.42 Mosser stützt diese Darstellung insbesondere auf Notizen und Korrespondenzen aus Otto Habsburgs Privatarchiv sowie auf mehrere Interviews mit Otto und Schuschnigg. Sie beschreibt den Inhalt von vier persönlichen Zusammentreffen der beiden Männer und eine Reihe weiterer Kontakte durch Mittelsmänner bzw. per schriftlicher Korrespondenz von Mai 1934 bis März 1938. Wiederkehrender Hauptinhalt war Ottos Drängen auf eine Restauration und Schuschniggs Hinweise , dass ein solches Unterfangen angesichts der internationalen Widerstände zum jeweiligen Zeitpunkt nicht denkbar war. Mosser betont , dass Otto durch die geografische Distanz ein sehr unrealistisches Bild von den innenpolitischen Vorgängen in Österreich hatte. Otto fand im Exil „zu einer beträchtlichen Überschätzung der eigenen politischen Effektivität“.43 Diese Tatsache wurde laut Mosser durch verschiedene Faktoren verstärkt : Ottos „angeborener“44 Optimismus , die Tatsache , dass Otto im Exil fast ausschließlich mit seinen Anhängern konferierte oder von Anhängern der legitimistischen Bewegung besucht wurde , sowie sein damals jugendliches Alter. Otto Habsburg betonte stets sein Pflichtgefühl gegenüber den ehemals habsburgischen Völkern als Motor seines politischen Engagements. Mosser hingegen vermutet durchaus auch Ottos persönlichen politischen Ehrgeiz als Beweggrund : „Inwieferne in diesem ‚Pflichtgefühl‘ – möglicherweise durchaus unbewußt – auch Ehrgeiz , das Bedürfnis nach Machtausübung eine Rolle spielte , entzieht sich einem genaueren Beurteilungsvermögen , dürfte aber – zieht man Rückschlüsse aus Otto Habsburgs weiterem Lebensweg – in seinem Falle vorhanden gewesen sein.“45 Schuschnigg wird in der Dissertation im Spannungsfeld zwischen Loyalität zur Familie Habsburg und Realpolitik geschildert. Mosser : „Im Gegensatz zu Dollfuß war jedoch Schuschnigg engagierter Monarchist und Legitimist , der als Mitglied des ‚Reichsbundes der Österreicher‘ die Wiedererrichtung der Habsburger-Monarchie als Endziel seiner Politik betrachtete.“46 Aufgrund der Kenntnis der realen Verhältnisse in Österreich und Europa konnte Schuschniggs Loyalität nicht unmittelbar auf eine Restauration abzielen. Laut den Recherchen der Autorin aber versprach Schuschnigg Otto die Durchführung der Restauration , sobald die Zeit dafür günstig wäre.47 Für weitere Forschungen zur Person Schuschnigg in ihrem bekannten Zwiespalt zwischen Loyalität zum „Deutschtum“ einerseits und zur Familie Habsburg andererseits liefern diese Forschungsergebnisse wichtige Anhaltspunkte. Mosser geht auch auf das stärkste Argument der legitimistischen Kräfte in und außerhalb der Regierung ein : auf den Anspruch , durch eine Restauration könne ein deutscher Einmarsch verhindert werden. Mosser weist diesen Anspruch zurück : „[ E ]ine Re42 Ebenda , 198–225. 43 Ebenda , 194. 44 Ebenda. 45 Ebenda , 193–194. 46 Ebenda , 262. 47 Ebenda , 198–225.
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stauration , durchgeführt lediglich im Nachkriegsösterreich , [ hätte ] keinen Widerpart gegen die Bedrohung durch das Dritte Reich dargestellt. Im Gegenteil hätte diese die Restaurationsgegner zum Teil in die Arme des Deutschen Reiches getrieben und aller menschlichen Mutmaßung nach den Anschluß konsequent zur Folge gehabt.“48 Eine rezente Diplomarbeit von Mario Strigl über die Frontkämpfervereinigung in Österreich zeigt die Entwicklung dieser Organisation ehemaliger Soldaten und Offiziere auf , die ursprünglich dem legitimistischen Gedankengut verpflichtet war und sich nach dem März 1938 zum großen Teil dem Nationalsozialismus zuwandte.49 Der Vollständigkeit halber seien hier außerdem die Dissertation von Friedrich Fabri50 sowie die Diplomarbeit von Stephan Neuhäuser51 erwähnt. Es ist festzuhalten , dass abgesehen von einzelnen wissenschaftlichen Aufsätzen bisher keine Monografie oder sonstige systematische Darstellung des österreichischen Legitimismus in der Zwischenkriegszeit publiziert wurde. Die bisher systematischste Aufarbeitung des Themas im Kontext des Austrofaschismus ist die Dissertation von Mosser. III. Quellenbestände Bisherige Werke stützen sich zu einem großen Teil auf Quellenbestände , die die legitimistische Bewegung selbst hervorgebracht hat : ideologische Schriften , Publizistik , Manuskripte , Interviews mit Akteuren des Legitimismus. Das sind durchwegs Dokumente , die die Selbstwahrnehmung und Selbstdarstellung wiedergeben. Hervorzuheben sind in diesem Zusammenhang das sogenannte „Härtlein-Manuskript“ zur Geschichte des Reichsbundes der Österreicher52 , die publizierten biografischen und autobiografischen Schriften Kurt Schuschniggs und Otto Habsburgs , der Nachlass Friedrich Funder53 , die Memoiren von Hans Karl Zessner-Spitzenberg54 sowie Interviews mit Akteuren.55 Dies bedingt eine gewisse Einseitigkeit in der Darstellung. Die Wahrnehmung des österreichischen Legitimismus von außen , also vonseiten nicht-legitimistischer Akteurinnen und Akteure der Zwischenkriegszeit , wird meist nur im internationalen Kontext thematisiert. Hierbei geht es großteils um die diplomatischen Implikationen einer 48 Ebenda , 357–358. 49 Strigl , Mario ( 2000 ) : Vom Legitimismus zum Nationalsozialismus. Die Frontkämpfervereinigung in Österreich , Dipl.-Arb. , Wien. 50 Fabri , Friedrich ( 1954 ) : Zur Psychologie des österreichischen Nationalgedankens unter besonderer Berücksichtigung des legitimistischen konservativen Denkens ( 1918–1938 ), phil. Diss. , Mainz. Die Arbeit wird regelmäßig zitiert , scheint aber noch in gewissen Denktraditionen der Zwischenkriegszeit verwurzelt zu sein , wenn der Autor darin z. B. über das Verhältnis von „Volk“ und „Stamm“ theoretisiert. 51 Neuhäuser ( 1991 ). Die Arbeit stützt sich großteils auf die früheren Hochschulschriften von Wagner ( 1956 ) und Mosser ( 1979 ) und auf die darin verwendeten Quellen. 52 ÖStA , KA , Manuskripte , allgemeine Reihe , 53. 53 ÖStA , HHStA , Nachlass Funder , darin : Mappe Otto Habsburg , Mappe Zessner-Spitzenberg. 54 In Privatbesitz , siehe Wohnout ( 1992 ). 55 Interviews und Briefe von Otto Habsburg bzw. Kurt Schuschnigg bei Mosser ( 1979 ) sowie persönliche Mitteilungen von Sebastian Blumauer , Alfred Härtlein , Ernst Kirsch , Julius Lichtner , Gus tav Wolff bei Wagner ( 1956 ).
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Habsburgerrestauration , besonders um den Widerstand des Deutschen Reiches und der Kleinen Entente. Ansatzweise beschreiben die erwähnten Arbeiten von Carsten56 und Wohnout57 die legitimistische Bewegung in der Wahrnehmung von außen. Es wäre ein vielversprechender Forschungsansatz , die Fremdwahrnehmung der legitimistischen Bewegung auf österreichischer Ebene durch andere politische Akteure und Gruppierungen zu untersuchen. Als neu zugänglicher Quellenbestand ist das Moskauer Sonderarchiv im Österreichischen Staatsarchiv zu nennen. Es besteht aus 400 Kartons , die archivalisch zum Zeitpunkt der Abfassung des vorliegenden Artikels noch nicht vollständig erschlossen sind. Es handelt sich dabei um Akten des Generalsekretariats der Vaterländischen Front , der Ostmärkischen Sturmscharen und der VF-Landesleitung Niederösterreich ( Letztere wurden dem Niederösterreichischen Landesarchiv übergeben ). Gestreut und nicht immer systematisch finden sich darin Akten , die aus verschiedensten Perspektiven auf die legitimistische Bewegung Bezug nehmen : Korrespondenzen und ideologische Schriften des Traditionsreferates innerhalb der VF58 , Berichte der VF-Landesleitungen59 , Akten zu Aktivitäten Ernst Karl Winters60 , Tätigkeit von legitimistischen Vereinen und deren Ansuchen um Zulassung61 , Perlustrierungen einzelner Legitimisten62 , Berichte über Versammlungen63 , illegale anti-legitimistische Propaganda64 , Richtlinien der VF für den „richtigen“ Umgang mit Legitimisten65 , Berichte über die Ernennung Otto Habsburgs zum Ehrenbürger österreichischer Gemeinden66 und vereinzelt auch Dokumente zur internationalen Situation im Zusammenhang mit dem Legitimismus.67 IV. Ausblick : Offene Forschungsfragen 4.1 Legitimismus und VF-Ideologie Es ist aufschlussreich , den Stellenwert und die Bedeutung des Legitimismus im ideologischen System des Dollfuß / Schuschnigg-Regimes genauer zu beleuchten. Elemente des legitimistischen Gedankengutes fanden Eingang in die Ideologie des autoritären Regimes. So wurde etwa der alte „Reichsgedanke“ übernommen. Mit der Auflösung des Heiligen Römischen Reiches 1815 sei dieser auf Österreich übertragen worden und müsse nun auch nach Untergang der Habsburgermonarchie im kleinen Österreich weiter gepflegt werden , so die Interpretation des Regimes. Wahlweise wurde der „Reichsgedanke“ in der Form einer Zusammenfassung der europäischen Völker verstanden oder 56 57 58 59 60 61 62 63 64 65 66 67
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Carsten ( 1977 ), 280–284. Wohnout ( 1992 ). ÖStA , AdR , Moskauer Bestand ( V F ), Fond 514 Konvolute 240 , 738 , 2611 , 2776 , 2961. ÖStA , AdR , Moskauer Bestand ( V F ), Fond 514 Konvolute 589 , 590 , 681. ÖStA , AdR , Moskauer Bestand ( V F ), Fond 514 Konvolute 590 , 624. ÖStA , AdR , Moskauer Bestand ( V F ), Fond 514 Konvolute 627 , 756 , 886 , 1412 , 2261. ÖStA , AdR , Moskauer Bestand ( V F ), Fond 514 Konvolute 776. ÖStA , AdR , Moskauer Bestand ( V F ), Fond 514 Konvolute 684 , 710 , 739 , 2573. ÖStA , AdR , Moskauer Bestand ( V F ), Fond 514 Konvolute 739 , 895. ÖStA , AdR , Moskauer Bestand ( V F ), Fond 514 Konvolute 1501 , 1514 , 1997 , 2179 , 2246. ÖStA , AdR , Moskauer Bestand ( V F ), Fond 514 Konvolute 1593 , 1704 , 2573 , 2784 , 2789 , 2798 , 2974. ÖStA , AdR , Moskauer Bestand ( V F ), Fond 514 Konvolute 738 , 747 , 1997.
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in einer Art von Föderation der Donaustaaten. Eine so verstandene „Sendung Österreichs im Donauraum“ wurde sogar bis in die Zeit der Babenberger zurückdatiert.68 Es ist umstritten , ob die Diktatur in Österreich 1933–1938 als Faschismus bezeichnet werden soll oder ob sie mangels faschistischer Dynamik , mangels Bewegungscharakter und effektiver Mobilisierung der Massen eher den Charakter einer konservativen Diktatur bzw. eines konservativ-autoritären Systems trägt. Gehen wir zuerst von der Interpretation des Systems 1933–1938 als Faschismus aus : Gegensätze und Widersprüche innerhalb der eigenen Ideologie waren ein typisches Merkmal des Faschismus , wie etwa Fortschrittsdenken und Modernismus auf der einen Seite , Rückwärtsgewandtheit und Reaktion auf der anderen.69 In einer Analyse des Austrofaschismus und seiner Ideologie könnte man untersuchen , inwieweit der Legitimismus als reaktionäre Bewegung innerhalb des Systems in so einem Schema von Widersprüchen verortet werden kann. Begreifen wir das System 1933–1938 nicht als Faschismus , sondern als konservative Diktatur oder konservativ-autoritäres System70 , ist die Verortung des Legitimismus innerhalb der Regime-Ideologie ebenfalls aufschlussreich. Denkbar wäre in diesem Zusammenhang etwa die Hypothese , dass die legitimistische Bewegung innerhalb einer Diktatur des Konservatismus die ausgeprägteste Form der Rückwärtsgewandtheit bzw. Reaktion repräsentierte. In diesem Sinne könnte der Legitimismus als die Speerspitze einer Ideologie des autoritären Konservatismus gedeutet werden. Eine theoretische Verortung des legitimis tischen Gedankengutes innerhalb der Ideologie des Regimes 1933–1938 könnte somit auch einen wichtigen Beitrag zur Debatte rund um den Begriff „Austrofaschismus“ leisten. Für die Untersuchung der ideologischen Ebene eignen sich Propagandabroschüren und programmatische sowie ideologische Schriften der VF , in denen zu verschiedenen gesellschaftlichen und politischen Problemen Stellung genommen wird.71 Üblicherweise finden sich in solchen Schriften auch offizielle Stellungnahmen und Abhandlungen zur Frage der Habsburgerrestauration und zum Legitimismus. Darüber hinaus wäre es in diesem Zusammenhang wertvoll , das Verhältnis des christlichsozial-konservativen politischen Lagers zur legitimistischen Bewegung in der gesamten Zwischenkriegszeit eingehend zu untersuchen , wie etwa die Verbreitung legitimistischer Ideen im Cartellverband. Welche Rolle spielten außerdem führende Persönlichkeiten wie Ignaz Seipel , der 1934 als Wiener Bürgermeister eingesetzte Richard Schmitz und der He rausgeber der christlichsozialen „Reichspost“ Friedrich Funder ?72 Lassen sich Rückschlüs68 Siehe Fußnote 58. Staudinger ( 2005 ). Mehr zur „Reichsidee“ bei : Seefried , Elke ( 2006 ) : Reich und Stände. Ideen und Wirken des deutschen politischen Exils in Österreich 1933–1938 , Düsseldorf , 159–290. 69 Reichardt , Sven ( 2009 ) : Faschistische Kampfbünde. Gewalt und Gemeinschaft im italienischen Squadrismus und in der deutschen SA [ I ndustrielle Welt 63 ] , 2. Aufl. , Köln , 23–24. Griffin , Roger ( Hg. ) ( 1998 ) : International fascism. Theories , Causes and the New Consensus , London. Speziell für den österreichischen Fall : Edmondson , Clifton Earl ( 1978 ) : The Heimwehr and Austrian politics , 1918–1936 , Athens / G eorgia , 4. 70 Linz , Juan José / K rämer , Raimund ( 2009 ) : Totalitäre und autoritäre Regime [ Potsdamer Textbücher 4 ] , 3. , überarb. und erg. Aufl. , Potsdam. Kailitz , Steffen ( 2009 ) : Stand und Perspektiven der Autokratieforschung. In : Zeitschrift für Politikwissenschaft , Jg. 19 ( 2009 ), Heft 3 , 437–488. 71 ÖStA , AdR , Moskauer Bestand ( V F ), Fond 514 Konvolute 58 , 598 , 1039 , 1514 , 2770 , 2789 , 2987. ÖStA , AdR , BKA-Inneres , Partei- u. Vereinsarchive , Pressestelle der VF , Konvolute 51 , 54. 72 Nachlass Friedrich Funder , siehe Fußnote 53.
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se ziehen auf die Einstellung der wichtigen christlichsozialen Klientel der Bauernschaft ? Regionale Unterschiede werden hier von Bedeutung sein.73 Ein wichtiges Forschungsfeld eröffnet sich auch in der Frage nach dem Verhältnis der Kirche zum Legitimismus. 4.2 Legitimismus und Heimwehr Legitimismus und Heimwehr sind zwei bedeutende Facetten des Herrschaftssystems des Austrofaschismus. So heterogen die österreichische Heimwehrbewegung insgesamt war , so vielfältig war auch ihr Verhältnis zum Legitimismus. Teile der Heimwehren waren dem legitimistischen Gedankengut durchaus gewogen , insbesondere die zu einem großen Teil aus dem ehemaligen Adel stammende Führung.74 Julius Braunthal deutet die Heimwehren in seiner knappen Darstellung Österreichs in der Zwischenkriegszeit überhaupt als eine vom Monarchismus vereinnahmte Bewegung.75 Der legitimistische Reichsbund der Österreicher gab zeitweise die Losung aus : „Legitimisten hinein in die Heimwehr !“76 Österreichische Nationalsozialisten polemisierten gegen ihren innenpolitischen Rivalen Heimwehr als eine Organisation der Christlichsozialen und des Legitimismus77 , in anderen Fällen wiederum verbündeten sich lokale Heimwehrgruppen und Nationalsozialisten und beschlossen , eine Restauration der Habsburger zu verhindern.78 Während im Sinne der Ehrfurcht vor der österreichischen Tradition die habsburgische Vergangenheit durchaus geehrt wurde , stand der zeitgenössische Legitimismus in Konkurrenz zu den faschistischen Totalitätsbestrebungen der Heimwehr. Laut Mosser gab es innerhalb der Heimwehren Rivalitäten um die Unterstützung der Legitimisten. Starhemberg und Fey buhlten um Einfluss bei der legitimistischen Bewegung , um ihre jeweils eigene Hausmacht gegenüber dem Rivalen zu vergrößern.79 Es gab Tendenzen in der Heimwehr , die nicht Otto Habsburg , sondern ihren Bundesführer Starhemberg als Regenten einsetzen wollten. Starhemberg selbst dementierte stets , derartige Ambitionen zu haben.80 Ganz im Sinne der offiziellen Linie der Vaterländischen Front unterschied auch Starhemberg zwischen Staatsform und Staatsinhalt , um auf diese Weise den sogenannten Ständestaat mit der Möglichkeit einer Habsburgerrestauration zu versöhnen : Staatsform könne eine Monarchie werden , solange Staatsinhalt ein korporatistisch gegliederter autoritärer „Ständestaat“ bleibe.81 Eine wissenschaftliche Untersuchung des Verhältnisses zwischen Heimwehr und Legitimismus steht aus.82 73 Siehe Kap. 4.4 74 Wiltschegg , Walter ( 1985 ) : Die Heimwehr. Eine unwiderstehliche Volksbewegung ? [ Studien und Quellen österreichischer Geschichte 7 ] , Wien , 266. 75 Braunthal ( 1948 ), 85. 76 Mosser ( 1979 ), 48–49. 77 Carsten ( 1977 ), 194–195. 78 Ebenda , 183–184. 79 Mosser ( 1979 ), 229 , 273–274. 80 Starhemberg , Ernst Rüdiger ( 1942 ) : Between Mussolini and Hitler. Memoirs of Ernst Rudiger Prince Starhemberg , New York , London , 195–196. 81 Mosser ( 1979 ), 271–273. 82 Bruce F. Pauley und C. Earl Edmondson gehen in ihren Monografien zur Heimwehrbewegung kaum auf Kontakte und Einflüsse des Legitimismus ein : Edmondson ( 1978 ). Pauley , Bruce F. ( 1972 ) : Hahnenschwanz und Hakenkreuz. Der steirische Heimatschutz und der österreichische Nationalso-
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4.3 Legitimismus und Arbeiterbewegung Es gibt Hinweise darauf , dass sich der Legitimismus auch in Teilen der Arbeiterschichten verbreitete. Mancher legitimistische Aktivist war ehemaliger Sozialdemokrat. Verstärkt war dies in den Monaten vor dem „Anschluss“ 1938 der Fall , bedingt durch die zunehmende Bedrohung durch den Nationalsozialismus , wie zeitgenössischen Berichten zu entnehmen ist.83 Unklar bleibt zumeist , inwieweit es sich in den einzelnen Fällen um „echte“ oder nur „getarnte“ Legitimisten in der Arbeiterschaft handelte und aus welchen Teilen der Arbeiterschaft diese Akteure kamen. Dieses Phänomen wurde in der His toriografie zur Arbeiterbewegung bisher nicht eingehender behandelt.84 Anton Pelinka attestiert der regierungsnahen Christlichen Arbeiterbewegung eine distanzierte Haltung zum Legitimismus und zur Frage der Habsburgerrestauration.85 Ludwig Reichhold betont die Befürwortung der Monarchie seitens der Führungsschicht der Christlichen Arbeiterbewegung in der Umbruchphase von 1918.86 Otto Bauer beschwor als Vorsitzender der verbotenen österreichischen Sozialdemokratie im tschechischen Exil immer wieder das Schreckgespenst der Habsburger , die er phasenweise sogar als die momentan größere Gefahr als den Nationalsozialismus bezeichnete.87 Bei der Verbindung der Begriffe Monarchie und Arbeiterschaft darf Ernst Karl Winter88 nicht unerwähnt bleiben , der jedoch durch seine Außenseiterposition sowohl im eigenen konservativen politischen Lager als auch bei der Arbeiterschaft eine eher marginale Rolle innehatte. Eine eingehende Untersuchung des Verhältnisses von Arbeiterschaft und Legitimismus wäre ein wertvoller Beitrag zur Geschichte der Arbeiterbewegung und könnte interessante politische Verflechtungen in der Zwischenkriegszeit in Österreich aufzeigen.
zialismus 1918–1934 , Wien. Carsten ( 1977 ) geht gelegentlich auf den Problemkreis ein. Auch bei Walter Wiltschegg beschränkt sich die Stellungnahme zum Legitimismus auf wenige Sätze : Wiltschegg ( 1985 ), 266. 83 ÖStA , AdR , Moskauer Bestand ( V F ), Fond 514 , Konvolute 590 , 618 , 681 , 684 , 710 , 739 , 2573. Auch Carsten liefert Hinweise , dass der Legitimismus in Arbeiterschichten Verbreitung fand und bezieht sich dabei auf Akten des Verwaltungsarchivs Wien : Carsten ( 1977 ), 282–283. Siehe auch Mosser ( 1979 ), 328–329. 84 In den einschlägigen Werken von Paul Pasteur und Ludwig Reichhold zur Geschichte der Gewerkschaften in Österreich finden sich kaum Hinweise auf eine Rezeption des Legitimismus in Arbeiterkreisen : Pasteur , Paul ( 2008 ) : Unter dem Kruckenkreuz. Gewerkschafter und Gewerkschafterinnen in Österreich 1934–1938 , Innsbruck. Reichhold , Ludwig ( 1987 ) : Geschichte der christlichen Gewerkschaften Österreichs , Wien. 85 Pelinka , Anton ( 1972 ) : Stand oder Klasse ? Die christliche Arbeiterbewegung Österreichs 1933 bis 1938 [ Veröffentlichungen des Ludwig Boltzmann-Instituts für Geschichte der Arbeiterbewegung ] , Wien , 194–195. 86 Reichhold , Ludwig ( 1968 ) : Scheidewege einer Republik. Österreich 1918–1968 , Wien , 54. 87 Hanisch , Ernst ( 2011 ) : Der große Illusionist. Otto Bauer ( 1881–1938 ), Wien , 339–340. 88 Winters einschlägigste Schrift zu diesem Thema sei hier erwähnt : Winter , Ernst Karl ( 1936 ) : Monarchie und Arbeiterschaft [ Wiener Politische Blätter , Beih. 1 ] , Wien ; Holzbauer , Robert ( 1988 ) : E. K. Winter und Legitimisten. In : Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes ( Hg. ) : „Anschluss“ 1938. Eine Dokumentation , Wien , 27–36.
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4.4 Regionaler Legitimismus –Legitimismus in Grenzregionen Regional kam dem österreichischen Legitimismus ein sehr unterschiedlicher Stellenwert zu. Ein Schreiben der VF-Landesleitung Burgenland89 warnt vor einer übertriebenen legitimistischen Propaganda in dieser Grenzregion zu Ungarn. Die Landbevölkerung würde dadurch verunsichert. Man glaube , die Rückkehr Otto Habsburgs stehe unmittelbar bevor , und befürchte in diesem Fall die Rückgabe des Burgenlands an Ungarn. Aus diesem Grund , um zukünftigen Maßnahmen von ungarischer Seite zu entgehen , machten sich in der Bevölkerung magyarophile Tendenzen bemerkbar. Aus staatspolitischer Notwendigkeit heraus bat die VF-Landesleitung daher , öffentliche legitimistische Aktivitäten im Burgenland einzuschränken. Während die VF grundsätzlich die Ernennung Otto Habsburgs zum Ehrenbürger einzelner Gemeinden durchaus begrüßte , vereitelten einzelne Bundesländer wie Oberösterreich und Vorarlberg derartige Bemühungen.90 In Kärnten wiederum war der Legitimismus eng mit den territorialen Rivalitäten mit Jugoslawien verflochten.91 Für die österreichische Seite war er ein willkommenes Instrument gegen den slowenischen Irredentismus und galt zugleich in Jugoslawien allgemein als revisionistisch. Obwohl in Kärnten betont wurde , dass der österreichische Legitimismus nur eine Restauration im Rahmen der neuen Grenzen Österreichs anstrebe , gaben legitimistische Redner immer wieder Äußerungen von sich , die klar revisionistisch interpretiert werden konnten. Eine Geschichte des österreichischen Legitimismus in der Zwischenkriegszeit könnte demnach die regionalen Besonderheiten im Umgang mit legitimistischem Gedankengut herausarbeiten und deren Hintergründe beleuchten. 4.5 Grenzüberschreitender Legitimismus ? Der vorliegende Artikel befasst sich ausschließlich mit dem Legitimismus in Österreich. Robert A. Kann92 betont , dass die Tradition der Habsburgermonarchie und die Idee ihrer Restauration von einem grenzüberschreitenden Charakter nicht zu lösen war. Sie verkörperte „einen Zusammenschluss historisch gewachsener Gebilde , der nur lose an ethnische Gegebenheiten geknüpft war“.93 In eine ähnliche Richtung geht ein Aufsatz von Róbert Fiziker94 über die Donaukonföderationspläne der österreichischen Legitimisten. Da die legitimistische Galionsfigur in Ungarn dieselbe war wie in Österreich , Karl bzw. nach seinem Tod Otto Habsburg , wäre ein eingehender Vergleich der legitimistischen Bewegung in Österreich und Ungarn zusammen mit einer Untersuchung ihrer Verbindungen besonders interessant. In Ungarn war der Ausgangspunkt für legitimistische Aktivitäten ein anderer als in Österreich. Zum einen hatten in Ungarn zwei 89 Schreiben der VF-Landesleitung Burgenland an das Generalsekretariat vom 21. 8. 1936 : ÖStA , AdR , Moskauer Bestand ( V F ), Fond 514 Konv. 589 , 30. 90 Goldinger ( 1992 ), 246–247. ÖStA , AdR , Moskauer Bestand ( V F ), Fond 514 Konv. 1704 , 5–10. 91 Notizen und Briefabschriften „pro domo“ des Referats für Traditionspflege , Jänner 1938 : ÖStA , AdR , Moskauer Bestand ( V F ), Fond 514 Konv. 738 , 7–10. 92 Kann , Robert Adolf ( 1974 ) : Die Restauration als Phänomen in der Geschichte , Graz , 385–388. 93 Ebenda , 386. 94 Fiziker ( 2005 ), 99–125. Der Aufsatz gibt zugleich einen Einblick in die ungarische Historiografie zur Frage des Legitimismus und der Habsburgerrestauration in Ungarn.
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gescheiterte Restaurationsversuche Karl Habsburgs stattgefunden. Zum anderen war die staatliche Struktur und Nomenklatur mit Miklós Horthy als „Reichsverweser“ und Stellvertreter des ungarischen Königs eine scheinbar günstige. Im Gegensatz zu Österreich gab es in Ungarn eine Spaltung in eine monarchistische Gruppierung , die sich für ein Wahlkönigtum einsetzte , und eine legitimistische , die wie ihr österreichisches Gegenüber nur die Legitimität der Habsburger anerkannte. Laut Fiziker wurde die Zusammenarbeit der legitimistischen Gruppierungen Österreichs und Ungarns zumindest in den frühen Jahren dadurch erschwert , „daß sich die ungarischen Karlisten einen nationalen König in einem unabhängigen und souveränen Land wünschten und nicht wollten , daß Ungarn für Karl nur ein ‚Sprungbrett wird , um das österreichische Kaiserreich zurückzuerobern‘ “.95 In diesem Zusammenhang wäre auch die Äußerung Starhembergs gegenüber Mussolini zu untersuchen , dass in Österreich gewisse Sympathien für eine österreichische Restauration herrschten und in Ungarn für eine ungarische , dass die Idee einer Union aber in beiden Ländern unbeliebt sei.96 V. Schluss Wieso ist eine tiefer gehende Erforschung des österreichischen Legitimismus der Zwischenkriegszeit wünschenswert ? Der legitimistischen Bewegung wurde von der His toriografie nie eine große Relevanz zugesprochen. Die Nähe zum Dollfuß / Schuschnigg-Regime bedingte jedoch einen ideologischen Einfluss des Legitimismus auf das autoritäre Österreich. Wenn man das Dollfuß / Schuschnigg-Regime als eine Diktatur des Konservatismus begreift , dann stellt die Idee einer Restauration ( d ie vom Großteil der herrschenden Elite ausschließlich aus pragmatischen politischen Gründen und nicht grundsätzlich abgelehnt wurde ) die ideologische Speerspitze dar. Es war der Anspruch der Dollfuß-Schuschnigg-Diktatur , in altösterreichischer Tradition verwurzelt zu sein , diese weiterzuführen und gegen „fremde“ Strömungen wie Marxismus und Nationalsozialismus zu verteidigen ( i n polemischer Form wurden beide oft als ein und derselbe Feind Österreichs bezeichnet ). In diesem Sinne kam der Verteidigung der habsburgischen Tradition eine nicht zu unterschätzende Bedeutung zu.
95 Ebenda , 103. 96 Ebenda , 124–125.
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Verwendete Quellenbestände im Österreichischen Staatsarchiv Archiv der Republik , Bundeskanzleramt , Inneres , Partei- und Vereinsarchive , Pressestelle der Vaterländischen Front Archiv der Republik , Moskauer Bestand ( Vaterländische Front ) Haus- , Hof- und Staatsarchiv , Nachlass Funder , Mappe Otto Habsburg / Mappe Zessner-Spitzenberg Kriegsarchiv , Manuskripte , allgemeine Reihe , Nr. 53 Alfred Härtlein , Reichsbund der Österreicher
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Christian Klösch
Zerrieben zwischen Nationalsozialismus und Austrofaschismus Landbund und Großdeutsche Volkspartei und das Ende der deutschnationalen Mittelparteien am Beispiel von Franz Winkler und Viktor Mittermann Einleitung Im vorliegenden Aufsatz wird der Versuch unternommen , die Entwicklung der „Großdeutschen Volkspartei“ ( GDVP ) und des „Landbundes“ in der Ersten Republik zu skizzieren. Im zweiten Teil steht der politische Weg von zwei Repräsentanten dieser beiden Parteien im Zentrum : Der „Landbündler“ Franz Winkler und der „Großdeutsche“ Viktor Mittermann gerieten beide Anfang der 1930er-Jahre in Opposition zur NSDAP und versuchten , das Abdriften des deutschnationalen Lagers zur NSDAP zu verhindern. Letztendlich scheiterten beide : Winkler gab schließlich seine ideologischen Vorbehalte gegen die NS-Ideologie auf und versuchte , sich mit den Nationalsozialisten zu arrangieren , und Mittermann wurde als „neuer Österreicher“ von den Nazis diffamiert , nach dem Anschluss verhaftet und im KZ ermordet. Es ist auffällig , dass in Österreich vorwiegend ExponentInnen des jeweiligen politischen Lagers über die Geschichte ihrer eigenen Partei publizieren. Die Ursache dafür liegt neben dem persönlichen Interesse für die eigene Parteigeschichte auch in der Zugänglichkeit der Quellen : Parteiakten , aber auch Nachlässe von PolitikerInnen verbleiben meist bei deren Nachkommen und kommen üblicherweise nicht in öffentliche Archive. Zugang erhält oft lediglich ein Personenkreis , der sich im Umfeld der jeweiligen Partei bewegt und Empfehlungen von RepräsentantInnen dieser Partei vorweisen kann. Das trifft auch im Besonderen für das „Dritte Lager“ zu. Das Fehlen einer zentralen Institution , wie es zum Beispiel ein Republikmuseum sein könnte , das sich auch dem Sammeln von PolitikerInnennachlässen und der Dokumentation der Parteienlandschaft Österreichs widmen könnte , macht sich hier besonders bemerkbar. Die grundlegende Literatur über Landbund und Großdeutsche Volkspartei ist bereits in den 1960er-Jahren , meist als Dissertationsarbeiten , entstanden und konnte sich
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neben Familiennachlässen auch noch auf ZeitzeugInnen stützen.1 In den letzten Jahren sind aber einige wichtige im Rahmen der Regionalgeschichtsschreibung verfasste Darstellungen zum Landbund und zur Großdeutschen Volkspartei entstanden. So exis tieren Regionalstudien zur Großdeutschen Volkspartei in Vorarlberg , Salzburg , Tirol und dem Burgenland sowie ( vom Autor dieses Aufsatzes ) zu Niederösterreich.2 Dagegen fehlen für die GDVP noch Arbeiten über wichtige Bastionen wie Oberösterreich , Steiermark , Kärnten und insbesondere über die symbiotische Verzahnung von Parteien und deutschnationalem Vereinsspektrum , wie den Schul- und Sportvereinen , Alpenvereinen , Turn- und Gesangsvereinen.3 Zum Landbund gibt es eine ausführliche Darstellung für die Steiermark , die auch die Zeit nach 1945 berücksichtigt4 und einige Regionaldarstellungen.5 Ein Gesamtüberblick , der auch die unterschiedlichen regionalen Strömungen sowie den Parteiaufbau ( Pressewesen , Bauernwehr , Finanzierung , Binnenstruktur und Einfluss der Akteure ) berücksichtigen würde , fehlt noch.6 An wichtigen Quellenbeständen für die Aufarbeitung der Geschichte des Landbundes und der Großdeutschen Volkspartei wären zu nennen : der Bestand der Großdeutschen Volkspartei im Österreichischen Staatsarchiv , der aus einer umfangreichen Zeitungsauschnittsammlung besteht , aber auch Korrespondenzen , Statuten und Sitzungsprotokolle umfasst , die vom ehemaligen GDVP-Obmann Hans Schürff im Jahr 1938 dem Staatsarchiv übergeben worden sind. Daneben gibt es noch Vereinsakten zur 1 Vgl. Strobl , Hans Helge ( 1966 ) : Der Landbundpolitiker Franz Bachinger ( 1892–1938 ), phil. Diss. , Wien. 2 Vogel , Bernd ( 2004 ) : Zwischen Konkurrenz und Kooperation. Die Großdeutsche Volkspartei und die Nationalsozialisten in Vorarlberg , In : Regionalgeschichte – Nationalgeschichten. Festschrift für Gerhard Wanner zum 65. Geburtstag , Feldkirch , 263–287 ; Voithofer , Richard ( 2000 ) : „Drum schließt Euch frisch an Deutschland an …“ Die Großdeutsche Volkspartei in Salzburg 1920–1936 , Wien u. a. ; Wagner , Herbert ( 1987 ) : Die Großdeutsche Volkspartei in Tirol und ihre Verschmelzung mit der NSDAP 1918–1932 , Dipl.-Arb. , Innsbruck ; Heidrich , Charlotte ( 1982 ) : Burgenländische Politik in der Ersten Republik : deutschnationale Parteien und Verbände im Burgenland vom Zerfall der Habsburgermonarchie bis zum Beginn des autoritären Regimes ( 1918–1933 ), Wien. 3 Ausnahme bildet der frauenpolitische Aspekt : Gehmacher , Johanna ( 1998 ) : „Völkische Frauenbewegung“: deutschnationale und nationalsozialistische Geschlechterpolitik in Österreich , Wien. Zum deutschnationalen Vereinsspektrum sind zwar in den letzten Jahren einige Publikationen erschienen , doch haben diese meist den Charakter von Festschriften. Eine Ausnahme bildet hier sicherlich : Deutscher Alpenverein , Österreichischer Alpenverein , Alpenverein Südtirol ( Hg. ) ( 2011 ) : Berg Heil ! Alpenverein und Bergsteigen 1919–1945 , Wien u. a. 4 Haas , Alexander ( 2000 ) : Die vergessene Bauernpartei. Der Steirische Landbund und sein Einfluss auf die österreichische Politik 1918–1934 , Graz. 5 Feldmann , Angela ( 1967 ) : Landbund für Österreich : Ideologie , Organisation , Politik , phil. Diss. , Wien ; Fellinger , Karin ( 1989 ) : Der Landbund in Oberösterreich , phil. Diss. , Wien ; Sedlacek , Nadja ( 1996 ) : Eine Geschichte des Landbundes für Österreich mit besonderer Berücksichtigung der Landesorganisation Niederösterreich , Dipl.-Arb. , Wien ; Reif , Johann ( 1989 ) : Zwischen Standespartei und Volkspartei : Die Geschichte des Kärntner Landbundes und Bauernbundes von 1886 bis 1934 , phil. Diss. , Klagenfurt. 6 Zu den nationalen Gewerkschaften und Wehrverbänden siehe die Arbeiten von Brigitte Pellar und Florian Wenninger im vorliegenden Band.
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Großdeutschen Volkspartei im Bestand des Bundeskanzleramtes und einen Bestand an politischen Plakaten ( L andbund und Großdeutsche Volkspartei ) in der Plakatsammlung. Im Bestand Parteiarchive „NSDAP“ gibt es auch eine Sammlung an Zeitungsausschnitten zum Landbund. Zur Großdeutschen Volkspartei gibt es auch einen kleinen Bestand an Zeitungsausschnitten am Institut für Zeitgeschichte der Universität Wien. Von Relevanz ist auch das thematisch und biografisch geordnete Tagblatt-Archiv in der Wiener Stadt- und Landesbibliothek mit Einträgen zu Politikern des Landbundes und der Großdeutschen Volkspartei. An Nachlässen sind zu nennen : Hans Schober ( Bundespolizeidirektion Wien ), Franz Bachinger ( L andesarchiv Oberösterreich ) und Vinzenz Schumy ( Institut für Zeitgeschichte Uni Wien ). Für die biografische Forschung sind auch die sogenannten „Gauakten“ im Österreichischen Staatsarchiv und dem Wiener Stadt- und Landesarchiv sowie die Personenakten im Bundesarchiv Berlin aus dem ehemaligen „Berlin Document Center“ von Bedeutung. Zum Verein Südmark gibt es im burgenländischen Landesarchiv einen Teilbestand. Ansonsten wären noch Bestände unterschiedlicher Vorfeldorganisationen des deutsch-nationalen Lagers , insbesondere der Burschenschaften zu nennen , die aber in der Regel nicht für die Öffentlichkeit zugänglich sind. Der Fokus der österreichischen Zeitgeschichtsforschung lag seit Ende der 1980er-Jahre auf der NS-Zeit und verschiebt sich seit einigen Jahren in Richtung der Frühgeschichte des Nationalsozialismus in Österreich in den 1920er- und 1930er-Jahren.7 Dadurch sollten aber auch die beiden deutschnationalen Parteien wieder verstärkt in den Fokus der Forschung rücken , da eine Entwicklung der nationalsozialistischen Bewegung ohne deren Wechselwirkung mit den anderen Organisationen des deutschnationalen Lagers nicht erklärbar ist. Auch aus anderen Gründe wäre eine vertiefende Auseinandersetzung mit diesen beiden Parteien fruchtbar : Beide erfüllten wichtige Funktionen in den Regierungen der Ersten Republik und stellten mit Johannes Schober einen Bundeskanzler. Zu wichtigen RepräsentantInnen dieser beiden Parteien , wie zum Beispiel zum ehemaligen Vizekanzler Winkler , gibt es aber noch keine Biografie. So findet er im Standardwerk über den Austrofaschismus nur an zwei Stellen Erwähnung.8 Aber unter anderem auch zu Hermann Foppa , Franz Dinghofer , Hans Schürff , Leopold Stocker , Ferdinand Kernmaier , Alfred Walheim und Karl Hartleb fehlen noch umfassendere biografische Studien , die auch das soziologische Umfeld der FunktionärInnenschicht des deutschnationalen Lagers eingehender beleuchten. I. Das deutschnationale Lager der Zwischenkriegszeit Bei den ersten Nationalratswahlen 1919 erreichte rund ein Dutzend deutschnationale Parteien , die oft nur regional kandidierten , zusammen einen Wähleranteil von 18 Prozent und 24 Mandate in der Nationalversammlung. Verglichen mit dem Abschneiden bei Reichsratswahlen in der Monarchie bedeutete dies eine empfindliche Niederlage , da 7 Siehe zum Beispiel : Wladika , Michael ( 2005 ) : Hitlers Vätergeneration. Die Ursprünge des Nationalsozialismus in der k. u. k. Monarchie , Wien u. a. 8 Tálos , Emmerich / Neugebauer , Wolfgang ( Hg. ) ( 2005 ) : Austrofaschismus. Politik – Ökonomie – Kultur 1933–1938 , Wien u. a. , 14 , 313.
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die Deutschnationalen bisher immer als stimmenstärkste Fraktion aus den Wahlen hervorgegangen waren. Durch den Verlust der deutschnationalen Hochburgen Böhmens und Mährens und durch die Umstellung von einem Mehrheits- auf ein Verhältniswahlrecht fielen die Deutschnationalen in der Republik hinter Christlichsoziale und Sozialdemokratie zurück und wurden zum „Dritten Lager“. Im Jahr 1920 kam es zu einem Konzentrationsprozess im traditionell zersplitterten deutschnationalen Parteienspektrum , aus dem letztendlich drei unterschiedlich große politische Richtungen hervorgingen. Im September 1920 gelang es , aus 17 deutschnationalen Parteien und Ländergruppen beim „Ersten Reichsparteitag“ in Salzburg die „Großdeutsche Volkspartei“ ( GDVP ) zu formen.9 Nur die „Nationalsozialistische Partei“ und die „Deutsche Bauernpartei“ weigerten sich , ihre Selbstständigkeit aufzugeben. Bis 1934 bekämpften sich diese drei Parteien zum Teil heftig , fanden aber – insbesondere die Bauernpartei ( L andbund ) und die GDVP – auch immer wieder in politischen Koalitionen zueinander. Anders jedoch die Nationalsozialisten , die seit der Vorherrschaft des Hitler-Flügels jegliche Zusammenarbeit mit anderen politischen Parteien ablehnten und – letztlich erfolgreich – darauf setzten , das gesamte deutschnationale Lager in sich zu vereinigen : Ab 1930 ging das deutschnationale Parteien- und Organisationsspektrum schrittweise in der erstarkenden NSDAP auf. 10 1.1 Die Großdeutsche Volkspartei ( GDVP ) Die GDVP war die Partei der BeamtInnen , der Gewerbetreibenden , Kaufleute und FreiberuflerInnen. Ihre Hochburgen waren die Ballungszentren und die Bezirkshauptstädte , in denen sie vielfach , meist an der Spitze von bürgerlichen Einheitslisten , den Bürgermeister stellte. Ein Großteil der regionalen Tages- und Wochenzeitungen stand der GDVP nahe und unterstützten im lokalen Rahmen deren Politik. Auf Landesebene hingegen konnte die GDVP wenig Einfluss gewinnen. Einen Landeshauptmann konnte sie nur einmal kurzeitig 1918 / 19 in der Steiermark in der Person von Wilhelm Kaan stellen. Das Rückgrat der GDVP bildete die alte Beamtenschicht der Monarchie , die es gewohnt war , ihren großdeutschen Nationalismus zugunsten eines hegemonialen Deutschnationalismus und dem Erhalt des Habsburgerreiches unterzuordnen. Diese Beamten mochten Verwaltungsfachleute sein , volksnahe Politiker waren sie mehrheitlich nicht. Die 9 Zur Geschichte der Großdeutschen Volkspartei siehe : Jung , Karl ( 1933 ) : Die Großdeutsche Volkspartei. In : Wache , Karl ( Hg. ) : Deutscher Geist in Österreich. Ein Handbuch des völkischen Lebens in der Ostmark , München 173–226 ; Ackerl , Isabella 1967 ) : Die Großdeutsche Volkspartei 1920– 1934. Versuch einer Parteigeschichte , phil. Diss. , Wien ; Sauer , Manfred ( 1974 ) : Die „Großdeutsche Volkspartei“ und der „Landbund für Österreich“ in der ersten Republik. In : Freie Argumente , Folge 2 , 19–38 ; Weis , Paul ( 1994 ) : Die Organisation der Großdeutschen Volkspartei 1920–1934 , Dipl.-Arb. , Wien ; Höbelt , Lothar ( 1989 ) : Die Parteien des nationalen Lagers in der ersten Republik. In : Carinthia I , Klagenfurt , 359–384 ; Dostal , Thomas ( 1994 ) : Aspekte deutschnationaler Politik in Österreich. Zu einer Geschichte der Großdeutschen Volkspartei 1920–1934 , Dipl.-Arb. , Wien ; Dostal , Thomas ( 1995 ) : Die Großdeutsche Volkspartei. In : Dachs , Herbert / Tálos , Emmerich ( Hg ) : Handbuch des politischen Systems Österreichs. Erste Republik 1918–1933 , Wien , 196–206. 10 Siehe : Hänisch , Dirk ( 1998 ) : Die österreichischen NSDAP-Wähler : eine empirische Analyse ihrer politischen Herkunft und ihres Sozialprofils , Wien u. a. Hänisch , Dirk / E lste , Alfred ( 1997 ) : Auf dem Weg zur Macht. Beiträge zur Geschichte der NSDAP in Kärnten von 1918 bis 1938 , Wien.
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Identifikation der WählerInnen des deutschnationalen Lagers mit der GDVP war gering : Statt für Parteiarbeit interessierten sich viele FunktionärInnen mehr für die Tätigkeit der Vorfeldorganisationen wie Turnervereine , Burschenschaften , den DeutschÖsterreichischen Alpenverein oder nationale „Schutzvereine“ wie „Südmark“ oder den „Deutschen Schulverein“ als für die Parteiarbeit selbst. Als Vorfeldorganisationen der GDVP bestanden der „Deutsche Hauer- und Bauernbund“, der „Deutsche Arbeiterbund“, der „Deutsche Jugendbund ‚Volksgemeinschaft‘“ und die „Landesfrauenausschüsse“. Als einzige im Nationalrat vertretene Partei hatte die GDVP einen Arierparagrafen in ihren Satzungen.11 Durch die Beteiligung der GDVP an Koalitionsregierungen mit den Christlichsozialen von 1920 bis 1932 musste sie auch viele unpopuläre Maßnahmen mittragen , besonders den Abbau des überdimensionierten , noch aus der Zeit der Monarchie stammenden Beamtenapparats. Andererseits konnte sie bei deutschnationalen Kernthemen , wie dem Antiklerikalismus oder Antisemitismus , ebenso wie in der Anschluss-Frage und in der Minderheitenpolitik nicht so radikal auftreten wie viele ihrer Vorfeldorganisationen. Im Wettkampf der Parteien positionierte sich die GDVP als einzige Partei , die nicht durch das Ausland gesteuert sei : Sie wandte sich gegen den „Moskauer Internationalismus“ der Sozialdemokratie und gegen den „Römischen Internationalismus“ der Christlichsozialen. Doch diese Positionierung half nicht dabei , insbesondere gegenüber der bürgerlichen Konkurrenz ein schärferes Profil zu entwickeln , da die GDVP auf Gemeinde- , Landes- und Bundesebene oft in antimarxistischen Einheitslisten als Juniorpartnerin der Christlichsozialen fungierte. Es gelang der GDVP infolge zunehmend weniger , die Anliegen von BeamtInnen , FreiberuflerInnen , Bauernschaft , HausbesitzerInnen und der deutschnationalen Arbeiterschaft glaubhaft miteinander zu vereinen. Ab Anfang der 1930er-Jahre verlor sie ihren Charakter als deutschnationale „Volkspartei“ an die NSDAP , der es gelang , die heterogenen Interessengruppen des deutschnationalen Lagers mit einer radikalen Rhetorik , die auf die Wiedererweckung des „nationalen Ehrgefühls“ zielte , zu vereinen. Im Jänner 1932 schied die GDVP aus der Regierungskoalition zwischen Christlichsozialen und Landbund aus und musste bei den Gemeinde- und Landtagswahlen desselben Jahres schwere Verluste hinnehmen. Nachdem der Großteil der Wählerschaft in den Jahren 1930–1932 zum Heimatblock und besonders zur NSDAP übergewechselt war , schloss die Führung der GDVP im Mai 1933 ein „Kampfbündnis“ mit der NSDAP. Nach Schätzungen der Bundespolizeidirektion Wien wechselten schon zuvor ca. 70 Prozent der Mitglieder der GDVP zur NSDAP über.12 Als Resultat dessen wandelten sich die verbleibenden Reste der Partei in einen unpolitischen „Großdeutschen Volksbund“ um , der bis 1938 keinerlei Aktivität mehr entfaltete.13 Ein letztes Mal traten die Großdeutschen bei der Sitzung des Rumpfparlaments am 30. April 1934 noch einmal in die Öffentlichkeit. Die Sitzung , zu der kein Abgeordneter der Sozialdemokratie zugelassen war , wurde einzig dazu einberufen , die Ständeverfassung vom „Rumpfparlament“ absegnen zu lassen und ihr zumindest einen gewissen Anschein von Legalität zu geben. Die wenigen anwesenden großdeutschen Abgeordneten 11 12 13
Weis ( 1994 ), 196. Weis ( 1994 ), 191. Ackerl ( 1967 ), 127.
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versagten aber der neuen Verfassung die Zustimmung. Die Erklärung , die der ehemalige Parteivorsitzende der GDVP , Hermann Foppa , im Parlament dazu verlas , ist ein Zeitdokument für die Verfasstheit deutschnationaler Politik des Jahres 1934 : Wenn wir in aller Klarheit und mit aller Nachdrücklichkeit all diese Einsprüche erheben , so geschieht dies keineswegs aus einem Gegensatz parlamentarisch-demokratischer Anschauungen zum autoritären Staatsprinzip. Die nationalgesinnte Bevölkerung will die autoritäre Staatsführung. [ … ] Nie wird ein autoritäres System zum Segen eines Volkes und eines Staates gedeihen können , wenn eine Minderheit des Volkes der Mehrheit mit Brachialgewalt ihren Willen aufzwingen will.14
1.2 Der „Landbund für Österreich“ Bereits 1896 wurde in der Steiermark eine erste Bauernpartei gegründet.15 Die 1906 gegründete „Deutsche Agrarpartei in Österreich“ zog bei den Wahlen 1907 mit 20 und 1911 sogar mit 32 Abgeordneten in den Reichsrat ein. Mit dem Verlust der deutschsprachigen Gebiete Böhmens und Mährens verlor die Partei 1918 ihre Kerngebiete. Neue Hochburgen waren nun die Landbezirke der Steiermark , Kärntens und Oberösterreichs sowie das Waldviertel. Die Initiative in der neuen Republik , auch eine Bauernpartei als „unpolitische“ Standesvertretung der Landbevölkerung zu gründen , entstand in der Steiermark. Am 22. Dezember 1918 wurde in Bruck an der Mur der „Deutsche Bauernbund für Steiermark“ gegründet , der bei der Wahl zur konstruierenden Nationalversammlung drei Abgeordnete entsenden konnte. Einer von ihnen war der 1886 in Brand bei Zwettl geborene Leopold Stocker , der kurz vor dem Ersten Weltkrieg als Leiter einer „Düngemittel Beratungs- und Versuchsstelle“ nach Graz gekommen war.16 Die in der Nationalversammlung vertretenen elf nationalen Abgeordneten aus dem Bauernstand fanden sich innerhalb der Fraktion der „Großdeutschen Vereinigung“ zur „Deutschen Bauernpartei“ zusammen. Doch die nachmalige „Großdeutsche Volkspartei“ versuchte , Anfang der 1920er-Jahre mit allen Mitteln die Konstituierung einer eigenständigen nationalen Bauernpartei zu verhindern. Die einzelnen nationalen Bauernverbände der Bundesländer tendierten einmal zur Selbstständigkeit , dann wiederum dazu , im Verband der „Großdeutschen Volkspartei“ eine Dachorganisation zu bilden. Am 26. Juni 1920 gründeten schließlich nationale BauernvertreterInnen aus der Steiermark , Kärnten und Niederösterreich die „Deutschösterreichische Bauernpartei“, die im September 1921 ihren Beitritt zum 1919 gegründeten „Deutschen Reichslandbund“, einer „unpolitischen , überkonfessionellen Standesvertretung der Bauern“ in Deutschland , erklärte. Als äußeres Zeichen und Symbol für den vollzogenen „Anschluß“ benannte man sich in „Landbund für Österreich“17 um , dessen erster Vorsitzender Stocker wurde. Der Landbund verstand sich als Interessenpartei der Bauern , Land- und Forstarbeiterschaft wie auch der Gewerbe- und Handelstreibenden , kurz : des „gesamten Land14 15 16 17
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Zitiert nach Winkler , Franz ( 1935 ) : Die Diktatur in Österreich , Zürich , 122 ff. Vgl. dazu Burkert , Günther R. ( 1995 ) : Der Landbund für Österreich. In : Dachs / Tálos , 207–217. Haas ( 2000 ), 345–351. Siehe dazu auch einen Artikel von Leopold Stocker in „Deutsche Zeit“, 9. 3. 1923.
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volkes“. Ziel war es , der ländlichen Bevölkerung mehr Einfluss im Staat zu verschaffen und am Aufbau eines „Ständestaates“ mitzuwirken.18 Zwar verstand sich der Landbund als „unpolitische“ und „überparteiliche“ Interessenvertretung ; im Gegensatz zum deutschen Reichslandbund trat er aber bei Wahlen an und verfolgte ein Programm , das weit über unmittelbare Interessenvertretung hinausging. Außenpolitisch forderte der Landbund den „Zusammenschluss aller deutschen Stämme im geschlossenen Sprachgebiet zu einem einzigen deutschen Reich“. Wie alle deutschnationalen Organisationen war der Landbund antisemitisch : Er trat dafür ein , dass der „schädliche Einfluss des Judentums auf unser öffentliches , kulturelles und wirtschaftliches Leben“ durch „gesetzliche und wirtschaftliche Abwehrmaßnahmen“ gebrochen werden sollte. Der Landbund als „freisinnige“ Partei stand zwar „auf christlicher Grundlage“, wollte aber den Einfluss der katholischen Kirche auf Schulwesen , Ehe und Familiengesetzgebung zurückdrängen.19 Das brachte ihn in Opposition zu den Christlichsozialen. Leopold Figl , in den 1930er-Jahren Sekretär des christlichsozialen Bauernbundes , bezeichnete die Funktionäre des Landbunds einmal als „religionslose Gesellen“.20 Die Hochburgen des Landbundes waren die agrarischen Gebiete der Steiermark , Kärntens , Oberösterreichs , das Burgenland und das Waldviertel. In Kärnten stellte der Landbund von 1923–1927 mit Vinzenz Schumy und von 1931–1934 mit Ferdinand Kernmaier den Landeshauptmann. Im Burgenland war der Landbündler Alfred Walheim ( 1923 /24 und 1931–34 ) Landeshauptmann. In der Steiermark war Karl Hartleb bis 1934 Präsident der steirischen Landwirtschaftskammer. Von 1927 bis September 1933 war der Landbund Teil der Koalitionsregierung mit den Christlichsozialen. II. Erfolgloses Ringen um eine eigenständige deutschnationale Politik jenseits des Nationalsozialismus 2.1 Das Beispiel des Landbundes unter Franz Winkler Die schleichende Etablierung eines autoritären Staates in Österreich unter der Regierung Engelbert Dollfuß ab 1932 stellte den Landbund als kleinen Koalitionspartner vor schwierige Interessenkonflikte. Der Landbund war antiklerikal und deutschnational : Ein Staat , der nach der Enzyklika „Quadragesimo anno“ von Papst Pius XI. modelliert sein sollte , widersprach der Ideologie des Landbundes ebenso wie die Aufgabe des Plans einer Zollunion mit dem Deutschen Reich und der Schwenk hin zu einer engeren Anbindung an das faschistische Italien. Aber auch innerhalb des deutschnationalen Lagers kam es immer mehr zu Spannungen : Der Aufstieg der Nationalsozialisten in Deutschland und ihre daraus resultierende steigende Attraktivität in Österreich , besonders für die Jugend , schwächten die deutschnationalen Mittelparteien entscheidend. Nachdem sich wichtige deutschnationale Vorfeldorganisationen , wie beispielsweise der Turnerbund , schon 1930 mit den Nationalsozialisten arrangiert hatten und die Großdeutsche Volkspartei 1933 ein Zweck18 Zur Programmatik des Landbundes siehe Gasselich , Anton ( 1933 ) : Der Landbund für Österreich. In : Wache 227–240 : 230 f. 19 Gasselich ( 1933 ), 230. 20 Der Bauernbündler , 12. 4. 1930 , 1.
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bündnis mit der NSDAP eingegangen war , blieb der Landbund ab diesem Zeitpunkt als letzte eigenständige Organisation neben den Nationalsozialisten im deutschnationalen Lager übrig. Doch auch der Landbund verlor mehr und mehr AnhängerInnen und FunktionärInnen an die NSDAP. Für die Führungsschicht des Landbunds ergab sich daraus eine schwierige Situation. Innerhalb der Organisation spitzten sich die Gegensätze zwischen der „ständischen“ Fraktion um den ehemaligen Parteichef Schumy sowie dem „nationalen“ Lager um Vizekanzler Winkler und dem oberösterreichischen Minister Franz Bachinger immer mehr zu. Die „ständische“ Fraktion , die den Landbund als „unpolitische“ Standesvertretung des Landvolkes verstand , konnte sich mit den Plänen zur Errichtung eines nach katholischen Grundsätzen organisierten Ständestaates besser anfreunden als die betont deutschnationale Strömung der Partei. Zu den unterschiedlichen politischen Haltungen kam , dass sich der Zentralist Winkler und der Förderalist Vinzenz Schumy als Exponenten der beiden Fraktionen auch persönlich unversöhnlich gegenüberstanden. In der ersten Phase der Auseinandersetzungen konnten sich Winkler und das „nationale“ Lager zunächst durchsetzen. Im Sommer 1933 versuchte Winkler , durch Gründung der „Nationalständischen Front“ ein eigenständiges , „deutsch-österreichisch-patriotisches“ Gegengewicht zu den römisch inspirierten austrofaschistischen Heimwehren und der Münchner Spielart des Nationalsozialismus zu bilden.21 Winkler , der das Ende der politischen Parteien – so auch seines Landbundes – kommen sah , wollte auf diese Weise den Landbund rechtzeitig „durch Angliederung der parteipolitisch unterstandslos gewordenen , ihm irgendwie gesinnungsverwandten Kreise“ in eine politische Bewegung transformieren.22 Schon bei der Gründungsversammlung am 17. September 1933 in Graz versuchten einige Hundert Nationalsozialisten , die Versammlung durch Absingen des Deutschlandliedes und das Werfen von Böllern zu stören.23 Ebenda erklärte Winkler : Bei der Erneuerung unseres Staates wollen wir nicht fremdländische Einrichtungen übernehmen , sondern unserer Erneuerung jene Form geben , die aus der Kraft des eigenen Volkstums wächst.
Winkler wollte zum damaligen Zeitpunkt eigenem Bekunden zufolge ein eigenständiges , lebensfähiges Österreich als „zweiten deutschen Staat“ erhalten. Gleichzeitig erklärte er , als „nationaler Republikaner“ jeder Form der Diktatur ablehnend gegenüberzustehen , dies betreffe sowohl den Austrofaschismus wie auch den Nationalsozialismus , der seit der Machtübernahme in Deutschland den Weg der „Gesetzlichkeit“ verlassen hätte.24 Mit der „nationalständischen Front“ traf Winkler fortan überall auf Widerstand : bei den Heimwehren ebenso wie bei den VerfechterInnen der „Vaterländischen Front“ aus dem christlichsozialen Lager , die eine totalitäre Organisation aufbauen wollten , ohne innere Fraktionierung in unterschiedliche „Fronten“. 21 Bärnthaler , Irmgard ( 1971 ) : Die Vaterländische Front. Geschichte und Organisation , Wien. 22 Reichspost , 18. 9. 1933 , 1. 23 Ebenda. 24 Ebenda.
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Noch im September 1933 schieden Winkler und die Landbundminister , ohne dass der Bruch öffentlich kundgetan worden wäre , aus der Regierung Dollfuß aus. Winkler schien von Dollfuß – zumindest nach eigenen Angaben – übervorteilt worden zu sein :25 Der Kanzler habe argumentiert , einen starken Einfluss der Austrofaschisten nur durch den Rückzug aller Parteiführer aus der Regierung verhindern zu können. Als daraufhin die Landbundminister wunschgemäß aus dem Kabinett austraten und im politischen Abseits landeten , hätten die austrofaschistischen Heimwehren ihre Position in der Regierung schrittweise ausbauen können. Nur zwei Beamte der „nationalständischen Front“ verblieben vorläufig in der Regierung : Franz Glaß als Staatssekretär im Justizministerium und der ehemals christlichsoziale Robert Kerber als Innenminister – beide verloren allerdings bei einer weiteren Regierungsumbildung Anfang Juli 1934 ihre Ämter. Winkler , der seine Ausbootung durch Dollfuß nach eigenen Angaben erst später durchschaute , versuchte , den politischen Einfluss des Landbundes bzw. der „nationalständischen Front“ durch eine lavierende Politik gegenüber der Regierung zu erhalten , indem er zwischen Opposition und Kooperation pendelte. Laut seiner eigenen Darstellung über die „Diktatur in Österreich“ verfolgte Winkler dabei folgende Ziele : • Verhinderung einer engeren außenpolitischen Orientierung Österreichs an Italien • Einbindung des nationalsozialistischen Deutschlands in die Lösung der österreichischen Frage , aber ohne Fremdlenkung / Beeinflussung aus dem Braunen Haus in München oder der Reichskanzlei in Berlin • Zurückdrängung des Einflusses der Heimwehr auf die österreichische Innenpolitik • Widerstand gegen die Errichtung eines autoritären Ständestaates und die Maiverfassung von 1934 • Widerstand gegen die Aushöhlung des Rechtsstaates durch das Dollfuß-Regime und Festhalten an der Verfassung von 1929 Anderseits signalisierte der Landbund und auch Winkler Bereitschaft , die Verfassung doch zu ändern und die demokratische Staatsform abzuschaffen , aber unter der Bedingung , dass man das Volk darüber befragen sollte. Der Versuch , durch Taktieren aus einer Position der Schwäche mehr Einfluss zu gewinnen , erreichte nur das Gegenteil : ein beschleunigtes Abgleiten des Landbundes in die politische Bedeutungslosigkeit , verbunden mit einer immer stärkeren Orientierungslosigkeit der eigenen Anhängerschaft. Im Rückblick meinte Winkler , zwei Etappen zur Etablierung des Diktatur in Österreich erkennen zu können : vom 5. März 1933 bis zum 21. September 1933 eine „planmäßige , verschleierte Vorbereitung des Absolutismus“ und ab dem 21. September 1933 die „planmäßige Errichtung“ der Diktatur mithilfe einer Zermürbungstaktik gegenüber der Sozialdemokratie und den „nationalen Mittelgruppen“.26 Die Front gegen den Nationalsozialismus innerhalb des Landbundes bröckelte Ende 1933 und Anfang 1934 auch unter den Mitgliedern der Parteielite immer mehr. Der ehemalige Landbundminister Bachinger wechselte seine Einstellung gegenüber den Nationalsozialisten Anfang 1934 und billigte ausdrücklich das Bündnis zwischen „Jungland25 Winkler ( 1935 ), 77. 26 Winkler ( 1935 ), 77.
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bund“ und SA im März 1934. Auch der Kärntner Landeshauptmann des Landbundes , Ferdinand Kernmaier , sympathisierte seit Anfang der 1930er offen mit dem Nationalsozialismus und wurde daraufhin am 7. März 1934 seiner Funktion enthoben. Er fungierte dann als Führer der illegalen NS-Bauernschaft in Kärnten. Schließlich gab Winkler den Versuch einer eigenständigen deutschnational-„öster reichischen“ Politik selbst auf. Über Mittelsmänner hatte er offenbar im Frühjahr 1934 Kontakt zum Landesleiter der NSDAP Theo Habicht aufgenommen. Bei einem Treffen im Mai 1934 in Zürich vereinbarten Habicht und Winkler in einem mündlichen Übereinkommen die Überführung der Organisationen des Landbundes in die NSDAP.27 Am 18. Mai 1934 beschloss der Landbund seine Selbstauflösung , Bachinger organisierte die Eingliederung der Organisation und ihrer Bauernwehr-Miliz in die illegale NSDAP ,28 wo die Neuzugänge sogleich prominente Posten einnahmen : Fritz Kronegger , Führer der Bauernwehr , wurde mit seinem Eintritt in die SA auch gleich deren stellvertretender Landesführer in Kärnten.29 Der Landbund mit seiner Wehrformation wurde nun auch in die schon länger andauernden Putschpläne der Nationalsozialisten eingebunden. Kronegger ließ Ende Juni 1934 einen Aufruf an seine Bauernwehr in den „Unterkärntner Nachrichten“, einer Wochenzeitung , die fest in der Hand der illegalen NSDAP war , veröffentlichen : An die wehrhafte Bauernschaft Kärntens ! In einer schicksalhaften Zeit , in der bereits die Entscheidungen zu reifen beginnen , richte ich heute meine Worte an Euch ! [ … ] B.W. Kameraden , Jungbauern schließt die Reihen ; was immer auch kommen möge , haltet zusammen , harret aus. Jeder stehe mit Opfermut und Opferfreude ein für unsere heilige Pflicht mit wehrhaften Geist und wehrhafter Tat , unserem schwergeprüftem Volke , unserer Heimat und der Scholle der Väter zu dienen. Es gibt kein Glück , so sehr und rein , als treu dem eignen Volk zu sein !30
Inwieweit auch Winkler in die Putschvorbereitungen eingebunden war , ist nach wie vor unklar. Die Parole der Putschisten , wie sie auch im Kollerschlager Dokument festgehalten ist , „Ein freies selbständiges Österreich , ebenso unabhängig vom Reich wie von Italien , aber Wiederherstellung wahrhaft verfassungsmäßiger gesetzlicher Zustände“ konnte zumindest ihrem Inhalt nach von Winkler selbst stammen.31 Winklers Vertrauensmann Hubert Dewaty , ehemals Klubobmann des Landbundes im Parlament , besprach mit dem designierten Bundeskanzler der Putschisten , Anton Rintelen , vor dem Putsch in Rom ausführlich die künftige Ministerliste , auf der sich 27 Schafranek , Hans ( 2006 ) : Sommerfest mit Preisschießen. Die unbekannte Geschichte des NSPutsches im Juli 1934 , Wien , 61 ff. 28 Strobl ( 1966 ), 132 , 138. Viele Landbund-Funktionäre beriefen sich nach dem „Anschluss“ 1938 auf diese Übereinkunft und wollten als „alte Kämpfer“ der NSDAP anerkannt werden. 29 Klösch , Christian ( 2007 ) : Des Führers heimliche Vasallen. Die Putschisten vom Juli 1934 im Kärntner Lavanttal , Wien , 88. 30 Unterkärntner Nachrichten , 29. 6. 1934 , 1. 31 Vgl. Reichspost , 1. 8. 1934 , 2. Im einzigen schriftlichen Aufruf der Putschisten heißt es : „An die Bevölkerung ! Das Volk ist aufgestanden ! Wir wollen frei sein ! Wir verlangen die freie Volksabstimmung ! Wir wollen ein freies unabhängiges Österreich [ … ] Sieg Heil einem freien , deutschen Österreich !“, vgl. Klösch ( 2007 ), 85.
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auch Winkler wiederfand.32 Es ist kaum anzunehmen , dass sein Name aufgenommen wurde , ohne zuvor sein prinzipielles Einverständnis eingeholt zu haben. Während Rintelen wenige Tage vor dem Putsch nach Wien fuhr , dort auch noch persönlich mit Winkler zusammentraf und nach dem Scheitern des Coups in der Hauptstadt inhaftiert wurde , brach Winkler noch rechtzeitig vor Beginn der Kampfhandlungen zu einer Reise in die Tschechoslowakei auf , um dort den Ausgang des Unternehmens abzuwarten.33 Nach dessen Scheitern kehrte er nicht mehr zurück. Im August 1934 hielt er sich bei Verwandten und Freunden in Böhmisch-Leipa und in Schlattenhof bei Eger auf.34 Ende August 1934 reiste er nach Prag und gab der deutschsprachigen lokalen Presse ausführliche Interviews , in denen er Mussolini und dessen wachsenden Einfluss auf die Wiener Politik heftig kritisierte. Sogar die „New York Times“ berichtete über diese Interviews ebenso wie auch über die Gegenangriffe der „Reichspost“, die Winkler vorwarf , von Dollfuß Geld für den Kampf gegen die Heimwehr gefordert zu haben.35 Im September und Oktober 1934 hielt sich Winkler wiederholt in Berlin und Prag auf , wo er auch mit dem tschechoslowakischen Außenminister Edvard Beneš zusammentraf.36 All diese Aktivitäten wurden flankiert durch die Abfassung des Buchs „Die Diktatur in Österreich“, in dem Winkler als „Zeitzeuge“ seine Sicht der politischen Ereignisse der Jahre 1933 und 1934 darlegte und hoffte , auf diesem Wege die Sammlung der österreichischen Exilierten befördern zu können. Auch die Idee der „nationalständischen Front“ verfolgte Winkler gemeinsam mit einem kleinen Kreis seiner Getreuen im Exil weiter. Sein Treffen mit Habicht im Mai 1934 und die Überführung der Organisation des Landbundes in die NSDAP erwähnte Winkler in seinem Buch freilich mit keinem Wort. Auch leugnet er darin die Beteiligung der Bauernwehr am Juliputsch sowie auch seine persönliche Verwicklung in diese Ereignisse.37 Stattdessen versuchte er sich in einem inhaltlichen Spagat : Er lehnte zwar die Gewalt der Putschisten ab , warb aber gleichzeitig um Verständnis für die Aufständischen , deren Motivation er mit dem Idealismus eines Andreas Hofer verglich : Einseitigkeit ist nun einmal des Recht jeder Leidenschaft. Und wie Andreas Hofer , der Sandwirt vom Passeier , die kindliche Einfalt und Treue seines Standes verkörpert , treten 125 Jahre später treuherzige Naturmenschen an zum ehrlichen Kampf für eine Idee , der sie ergeben sind. Auch ihre Taten lagen fern von Selbst- und Gewinnsucht , denn sie entsprachen ideellen Motiven.38 32 Strobl ( 1966 ), 138. Auf der Ministerliste standen die Namen : Theo Habicht ( NSDAP ), Alfred Frauenfeld ( NSDAP ), Hermann Neubacher ( NSDAP ), Karl Gottfried Hugelmann ( Christlichsozial ), Franz Winkler ( L andbund ), Sacher , Franz Schattenfroh ( NSDAP ), Konstantin Kammerhofer ( steierischer Heimatschutz ). 33 Haas ( 2000 ), 363. 34 Reichspost , 25. 9. 1934 , 2. 35 New York Times , 29. 8. 1934 , 3. 36 ÖStA , AdR , Sonderarchiv Moskau , Fond 515 , Nummer 315 , VF Salzburg an Oberst Adam , 13. 10. 1934. 37 Winkler ( 1935 ) : 191 u. 194. 38 Ebenda , 197.
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Abschließend appellierte Winkler an die österreichische Regierung , „soldatische Tugend“ gegenüber dem Gegner zu zeigen und die NS-Putschisten zu begnadigen.39 Als Versöhner tritt der Autor Winkler gleichzeitig auch gegenüber den Sozialdemokraten auf : Der rote Aufstand war eine in der Geschichte einzig dastehende revolutionäre Handlung. Denn : Rebellen , Revolutionäre gehen auf die Barrikaden mit dem Einsatz ihres Lebens , um bestehende Verfassungen zu stürzen und bestehende Verhältnisse zu ändern. Die Schutzbund Rebellen vom 12. Februar 1934 standen aber auf den Barrikaden zur Verteidigung der in Geltung stehenden Verfassung.40
Zwischen Landbund und Sozialdemokratie hatte es auch vorher schon durchaus ideologische Schnittmengen gegeben. Besonders der Niederösterreichische Landbund galt innerhalb der Partei als links gerichtet : Im Gegensatz zu der großbäuerlich strukturierten Funktionärsschicht des Landbundes in der Steiermark und in Kärnten , parteiintern als „Sterzgrafen“ tituliert , war der Landbund in Niederösterreich die Partei der Kleinbauern und Käuschler : Die Niederösterreicher verlangten – ebenso wie die Sozialdemokratie – eine Bodenreform und die Aufteilung geistlichen Großgrundbesitzes. Darüber hinaus traf der Landbund sich mit der Sozialdemokratie im gemeinsamen Antiklerikalismus und in der Forderung nach Zurückdrängung des kirchlichen Einflusses. Auch die von Winkler immer wieder eingeforderte Treue zur Verfassung von 1929 war ein gemeinsamer Berührungspunkt. Ob es Kontakte zwischen Winkler und den Exilsozialisten in Brünn nach dem Juli 1934 in der Tschechoslowakei gab , ist unbekannt.41 Zweifellos wurde sein Buch „Die Diktatur in Österreich“ positiv von der sozialdemokratischen Exilpresse aufgenommen.42 Winklers Buch ist wohl als ein letzter Versuch zu werten , als Akteur auf die politische Bühne zurückzukehren. Vonseiten der österreichischen Regierung wurde er aber nicht mehr als Gesprächspartner akzeptiert , als „Putschminister“ wurde er 1936 als Hochverräter ausgebürgert. Bundeskanzler Schuschnigg hielt sich bei seinen Fühlungsnahmen mit den Deutschnationalen mehr an den ehemaligen Führer der NSDAP , Walter Riehl , an den ehemaligen Großdeutschen und späteren NS-Bürgermeister von Linz , Franz Langoth , und an den ehemaligen Landbündler und späteren Nationalsozialisten Anton Reinthaller , der im Herbst 1934 die „Völkischen“ mit der „Nationalen Aktion“ in die „Vaterländische Front“ integrieren wollte.43 Winkler unterstützte die Aktion von Reinthal-
39 Ebenda. 40 Ebenda , 99. 41 Vgl. Egger , Hans Christian ( 2004 ) : Die Politik der Auslandsorganisationen der österreichischen Sozialdemokratie in den Jahren 1938 bis 1946. Denkstrukturen , Strategien , Auswirkungen. Phil. Diss. , Wien. 42 Haas ( 2000 ), 363 ; Vgl. desgl. das theoretische Organ des Sozialdemokratischen Untergrundes „Der Kampf “ Nr. 2 / 1935. 43 Vgl. Brandstötter , Rudolf ( 1969 ) : Dr. Walter Riehl und die Geschichte der Nationalsozialistischen Bewegung in Österreich , phil. Diss. , Wien , 313–336.
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ler und sah sie als Zeichen der „Friedensbereitschaft der Nationalen“.44 Das Scheitern der Aktion kreidete er Starhemberg an. Ob Reinthaller mit Winkler in dieser Zeit in Verbindung stand und ob die „Aktion Reinthaller“ mit Winkler abgesprochen war , ist unbekannt.45 Im Frühjahr 1935 übersiedelte Winkler ins Deutsche Reich nach Staad bei Konstanz am Bodensee , wo er in der „Villa Fonkh“ lebte und weiter publizistisch tätig war. Er reis te auch öfter in die Schweiz und pflegte mit den lokalen NSDAP-Kadern am Bodensee regen Kontakt. Angeblich besaß er auch Spezialausweise und stand „unter besonderem Schutze des Führers“, wie ein Spitzel den österreichischen Behörden berichtete.46 Sein Antrag auf Aufnahme in die NSDAP wurde jedoch auf Betreiben des steirischen Gauleiters Walter Oberhaidacher abgelehnt.47 1935 veröffentlichte Winkler in den „Schweizerischen Monatsheften“ eine heftige Attacke gegen die Außenpolitik des faschistischen Italien , die jedoch kaum rezipiert wurde.48 1936 / 37 übersiedelte Winkler nach Berlin , wo er Geschäftsführer des „Verbandes ausländischer Pressevertreter“ wurde und mit seiner Frau in Berlin-Schönberg wohnte.49 Seine berufliche Tätigkeit und politischen Aktivitäten in dieser Zeit sind kaum erforscht.50 Auch das Wissen um seine Aktivitäten nach dem „Anschluss“ 1938 ist bruchstückhaft. So kehrte Winkler Ende April 1938 nach Wien zurück und versuchte , beruflich wieder Fuß zu fassen. Zunächst erreichte er im Mai 1938 die Aufnahme in die NSDAP. In seinem Aufnahmegesuch gab er an , dass „er szt. wegen nationalsozialistischer Betätigung aus Wien flüchten musste“.51 Öffentliche Auftritte – abgesehen von jenen privater Natur , etwa als Grabredner für den ehemaligen Landbundminister Bachinger im Juli 1938 – sind keine bekannt.52 Nach seiner Rückkehr nach Wien wurde Winkler enger Mitarbeiter des Direktors der Wiener Ankerbrotwerke , der jedoch im Dezember 1938 seinen Posten wegen einer Bestechungsaffäre räumen musste. Seine beiden engsten Mitarbeiter – darunter auch Winkler – wurden auf Anordnung von Reichskommissar Joseph Bürckel ebenfalls entlassen und aus der NSDAP ausgeschlossen , wie die „Wiener Neuesten Nachrichten“ berichteten.53 Diese Affäre dürfte Winklers Karriere aber nicht nachhaltig geschadet ha44 Winkler ( 1935 ), 203 f. 45 Vgl. Schuster , Walter ( 1999 ) : Deutschnational. Nationalsozialistisch. Entnazifiziert. Franz Langoth. Eine NS-Laufbahn , Linz , 71–104. 46 ÖStA , AdR , Sonderarchiv Moskau , Fond 515 , Nummer 371 , Generalsekretariat der Vaterländischen Front , Zl. 7008-I-Pers , 36 , Vizekanzler a.D. Winkler , 27. 6. 1936. 47 Haas ( 2000 ) : 363. 48 Winkler , Franz ( 1935 ) : Der neurömische Imperialismus und die Völkerbundaktion. In : Schweizerische Monatshefte , Jg. 15 ( 1935 ), Heft 7 , Zürich , 326–335. 49 BA Berlin , R3001 / 136499 , Winkler , Franz. 50 Dies mag auch damit zu tun haben , dass zu Winkler für die Jahre 1934 bis 1945 bisher kaum Quellenmaterial , weder in den NS-Quellenbeständen im Bundesarchiv Berlin noch in den ( Moskauer ) Akten zur Vaterländischen Front aufgefunden werden konnte. 51 Haas ( 2000 ), 363. 52 Strobl ( 1966 ), 138. 53 New York Times , 8. 12. 1938 ; Neueste Wiener Nachrichten , 6. 12. 1938 , 3 ; 8. 12. 1938 , 1.
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ben , denn bereits 1941 scheint er als „Fabriksinhaber“ wohnhaft in der Gusshausstr. 3–4 in Wien 4 auf.54 Aus anderen Quellen wiederum geht hervor , dass er bis Kriegsende als „Betriebsleiter einer Fabrik für wärmetechnische Apparaturen in Wien-Inzersdorf “ tätig gewesen war.55 Gegen Kriegsende flüchtete er in die Steiermark , wo er sich , mittlerweile schwer an Krebs erkrankt , bis Sommer 1945 im Hause des steirischen sozialdemokratischen Landeshauptmannes Reinhard Machold aufhielt. Es war wohl die Hoffnung der Sozialdemokraten , dass sich um Winkler der Landbund als politische Partei 1945 rekonstituieren würde. Karl Renner hielt zwei Ministerposten in der provisorischen Regierung 1945 für Landbündler frei. Mit dem Tod Winklers am 16. Oktober 1945 war die Hoffnung der Sozialdemokratie , durch Reaktivierung des Landbundes das bürgerlichkonservative Lager spalten zu können , vorerst gescheitert. 2.2 Der Widerstand des Großdeutschen Viktor Mittermann gegen die „kleindeutschen“ Nationalsozialisten Wie die meisten ihrer Wähler und Wählerinnen wechselte auch die überwiegende Mehrzahl der FunktionärInnen nach dem offiziellen Arbeitsübereinkommen zwischen GDVP und NSDAP vom Mai 1933 zu den Nationalsozialisten über. Nur wenige Großdeutsche nahmen zu den Nationalsozialisten eine offen oppositionelle Haltung ein , wie das der Kremser Gymnasiallehrer Mittermann tat , der von 1921–1932 Landtagsabgeordneter , von 1923–1927 Dritter Präsident des Landtages und von 1927–1932 Landesrat von Niederösterreich war.56 Im März 1932 trat er zu den Christlichsozialen über und erklärte seinen Schritt in einem Artikel in der „Kremser Zeitung“.57 Darin sprach er sich gegen die „kleindeutschen Nationalisten“ der Hakenkreuzler aus und trat für einen starken „österreichischen Sonderstandpunkt“ innerhalb der Deutschen Nation ein. Mittermann war kein Gegner des „Anschlusses“ Österreichs an Deutschland , forderte aber eine starke und eigenständige Sonderrolle Österreichs innerhalb des Reichs. Er engagierte sich in der „Arbeitsgemeinschaft des Politischen Büros“, in dem „christlich-konservative und Deutsch-nationale Anhänger des Gesamtdeutschen Gedankens“ zusammenarbeiteten.58 1935 gründete er die Zeitschrift „Volk und Staat. Eine Kampfschrift für Österreich“, die allerdings in nur einigen wenigen Exemplaren erschien. Darin wandte er sich gegen eine „nationalistische-sozialistische Revolution“, die „dem ältesten deutschen Staat“ maximal „eine provinzielle Rolle einräumt“.59 Als Gegenentwurf zum „preußisch-kleindeutschalldeutsch“ geprägten Deutschtum stellt er diesem das „gesamtdeutsche“ Österreichertum entgegen , das „weltoffen“ und „deutsch“ zugleich sei und das im Ständestaat , als or54 BA Berlin , R3001 / 136499 , Oberstaatsanwalt beim Landgericht Berlin an Generalstaatsanwalt in Leitmeritz , 15. 4. 1941. 55 Haas ( 2000 ), 364. Im Wiener Adressbuch Lehmann war er 1942 an der Adresse Wien 25 , Tries terstr. 39 gemeldet. Als Tätigkeitsfeld ist vermerkt : „Baumaschinen“. Siehe auch WStLA , Meldeauskunft Ing. Franz Winkler , geb. 20. 3. 1890 , Zwickau. 56 Bezemek , Ernst / Dippelreiter , Michael ( 2011 ) : Politische Eliten in Niederösterreich. Ein biografisches Handbuch 1921 bis zur Gegenwart , Wien , 222. 57 Kremser Zeitung , 9. 3. 1932. 58 Volk und Staat , Mai 1935. 59 Ebenda.
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ganische Fortsetzung der Staatsidee des Habsburgers Franz II. , am besten verwirklicht wäre. Mittermann beschwor die Fortführung der Traditionslinien der „Wiener Romantik“ und des „Biedermeier“ und pochte auf die Eigenstaatlichkeit : Österreich ist nicht Ostmark im Sinne einer untergeordneten Funktion gegenüber dem Reiche , es ist auch nicht Bestanteil oder Bruchstück , sondern ein in sich geschlossenes Wesen mit eigener Geschichte und Wirtschaft , eine historisch-politische Individualität mit Persönlichkeitswerten und Persönlichkeitsrechten.60
Für die Nationalsozialisten war „der neue Österreicher“ Mittermann „Wortführer deutscher Geschichtsverfälschung“.61 Vollends zum Feindbild wurde er , als er nach dem Tod seiner Frau im Mai 1936 eine Wiener jüdische Geschäftsfrau heiratete und im Frühjahr 1937 die private Lehranstalt „Institut für Österreichkunde“ mit der Zielsetzung gründete , durch „Einführung in die nationale Kultur und Wesenheit Österreich“ unter Berücksichtigung der „romanisch-slawischen-magyarischen Umwelt“ eine „christlichabendländischen Gesinnungsbildung“ zu fördern.62 Nach dem „Anschluß“ wurde Mittermann am 13. Mai 1938 verhaftet. Seine Überführung ins KZ Dachau am 16. Juli 1938 konnte auch sein Sohn , der seit 1934 illegaler Nazi gewesen war , nicht verhindern. In Dachau wurde der schwer kranke Mittermann in eine Strafkompanie eingewiesen. Am 27. Juli 1938 um 18.03 Uhr wurde er auf dem SS-Schießplatz Prittelbach bei Dachau hingerichtet. Seine jüdische Frau Stefanie überlebte die NSZeit als „U-Boot“ in Wien.63 Ausblick Die politischen Positionen des Landbündlers Franz Winkler und des Großdeutschen Mittermann werfen ein Schlaglicht auf die Bandbreite politischer Auseinandersetzungen im deutschnationalen Lager in den 1930er-Jahren. Die Versuche einzelner Akteure des deutschnationalen Lagers , gegenüber den Nationalsozialisten eine eigenständige politische Linie zu verfolgen , sind generell noch zu wenig erforscht. Darüber hinaus fehlen auch biografische Forschungen zu AkteurInnen der GDVP und des Landbundes , die auch die Zeit ab 1934 und nach 1945 einbeziehen würden. Folgende offene Fragestellungen lassen eine intensivere Auseinandersetzung mit den deutschnationalen Mittelparteien lohnend erscheinen : • Welche Wechselwirkungen gab es zwischen den deutschnationalen Vorfeldorganisationen , dem deutschnationalen Pressewesen und den nationalen Gewerkschaften mit Landbund und GDVP ? • Welche Rolle spielten Landbund und GDVP in der Phase der Etablierung der Diktatur in Österreich zwischen März 1933 und Mai 1934 ? • Wie wurden die deutschnationalen Vorfeldorganistionen in die NSDAP integriert ? 60 Ebenda. 61 Volkskampf , 1. 4. 1933. 62 ÖStA / AdR , Gauakt Mittermann. 63 DÖW Akt 2000 / m 453.
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• Wie kamen die Kooperationsvereinbarungen zwischen Landbund bzw. GDVP u. NSDAP zustande ? • Wie finanzierten sich die GDVP und der Landbund – kam es zu Unterstützungszahlungen aus dem Deutschen Reich bzw. finanzierten Organisationen im Umfeld dieser Parteien den Aufstieg der NSDAP in Österreich ? • Welche Rolle spielte die Bauernwehr des Landbundes bei den Juliputschvorbereitungen ? • Wie funktionierte der militärische und finanzielle Aufbau der Bauernwehren in Österreich bis 1934 ? • Welchen Einfluss hatten die ehemaligen Funktionäre der GDVP und des Landbundes auf die Vaterländische Front u. a. bei der Etablierung der volkspolitischen Referate oder dem Abschluss der „Juliabkommen“ 1936 ? Welche Berührungspunkte gab es zwischen GDVP und Landbund einer- und der Sozialdemokratie andererseits ? • Welche Berührungspunkte gab es zwischen der katholischen und der evangelischen Kirche einerseits und der Großdeutschen Volkspartei und dem Landbund andererseits ? Die evangelische Kirche in Österreich war schon früh ins nationalsozialistische Fahrwasser gekommen. Möglicherweise spielte diese als Vermittlerin zwischen den einzelnen deutschnationalen Lagern eine bedeutendere Rolle als bisher angenommen. Auch die Politik von Bischof Alois Hudal wäre in diesem Zusammenhang – auch angesichts der neu zugänglich gemachten vatikanischen Archivbestände – unter diesem Gesichtspunkt zu untersuchen. • Welche politischen Konzepte eines Sonderwegs Österreichs – entweder als eigenständiger zweiter „deutscher Staat“ oder als „Freistaat“ innerhalb des Deutschen Reiches – gab es im deutschnationalen Lager im Zeitraum 1918–1955 ?
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Archive Bundesarchiv Berlin Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstands Österreichisches Staatsarchiv Wiener Stadt- und Landesarchiv
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Hans Schafranek
Österreichische Nationalsozialisten in der Illegalität 1933–1938 Ein Forschungsbericht* Vor etlichen Jahren vertrat Evan Burr Bukey die Auffassung , eines der größten Versäumnisse zeitgeschichtlicher Forschung während der 1970er- und 1980er-Jahre habe in Österreich darin bestanden , die damals noch lebenden „Nazi-Eliten“ zu interviewen , „wodurch man die Gelegenheit verpasste , herauszufinden , warum sie Hitler unterstützt und wie sie das Regime erlebt haben“.1 Dem bekannten amerikanischen Historiker hätte man wohl ein kompetenteres Urteil über Möglichkeiten und Grenzen der „Oral History“ zutrauen dürfen. Motive und mentale Dispositionen von NS-Mitgliedern erschließen sich – eine Binsenwahrheit – allenfalls aus deren Taten und zeitgenössischen Ego-Dokumenten , aber doch in aller Regel nicht aus den nach 1945 kollektiv konstruierten Deckgeschichten und Rechtfertigungsmustern. Dies gilt für „einfache“ Parteimitglieder und Mitläufer2 , erst recht aber für führende Funktionäre und Nutznießer des NS-Regimes. Die wirklichen , aber nicht irreversiblen Defizite und Versäumnisse der österreichischen Zeitgeschichtsforschung zum Nationalsozialismus vor 1938 wurzeln in ganz anderen Faktoren , nämlich – primär – in einer sehr einseitigen und oft exklusiven Orien* Für den vorliegenden Forschungsbericht wurden bis Ende 2011 erschienene wissenschaftliche Arbeiten ausgewertet. 1 Bukey , Evan B. ( 2003 ) : Versäumnisse der österreichischen NS-Forschung. In : Zeitgeschichte Jg. 30 ( 2003 ) Heft 6 , 400. Explizit nennt Bukey folgende Personen , von deren Interviews er sich wertvolle Erkenntnisse erhofft hätte : Albert Speer , Henriette von Schirach , Franz Hofer ( G auleiter von TirolVorarlberg ), Hanns Blaschke ( f ührender Juliputschist und nach 1938 Wiener Vizebürgermeister ) und Franz Novak , den „Fahrdienstleiter des Todes“. 2 Zu den Deutungsmustern der Motive einiger österreichischer NS-Mitglieder vgl. Bauer , Kurt ( 2011 ) : Not , Hunger , Kränkung. Das Motiv der Deklassierung und die „soziale“ Argumentation in den lebensgeschichtlichen Erzählungen österreichischer Nationalsozialisten. In : Berger , Heinrich / Dejnega , Melanie / Fritz , Regina / Prenninger , Alexander ( Hg. ) : Politische Gewalt und Machtausübung im 20. Jahrhundert. Zeitgeschichte , Zeitgeschehen und Kontroversen. Festschrift für Gerhard Botz , Wien , 317–335 ; Erhard , Benedikt / Natter , Benedikt ( 2002 ) : „Wir waren ja alle arbeitslos“. NS-Sympathisanten deuten ihre Motive. In : Albrich , Thomas / Eisterer , Klaus / Steininger , Rolf ( Hg. ) : Tirol und der Anschluss. Voraussetzungen , Entwicklungen , Rahmenbedingungen 1918–1938 , Innsbruck , 539–569.
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I. Parteiengeschichte
tierung vieler Forscher und Forscherinnen auf „Gegnerquellen“, d. h. die archivalische Überlieferung durch den Behördenapparat des Dollfuß- und Schuschnigg-Regimes. Es wäre beispielsweise undenkbar , dass ein Historiker , der über die KPD forscht und in der scientific community ernst genommen werden will , die Moskauer Archive oder die Bestände des ehemaligen IML ( Institut für Marxismus-Leninismus beim ZK der SED ) nicht kennt oder bestenfalls in homöopathischen Dosen für die eigene Quellenforschung nutzt und sich stattdessen auf Erkenntnisse des Polizeiapparats der Weimarer Republik oder der Gestapo beschränkt.3 Die meisten österreichischen NS-Historiker und Historikerinnen dürften jedoch kaum zur Kenntnis genommen haben , dass Millionen von Dokumenten aus dem ehemaligen Berlin Document Center , die auch früher schon unter gewissen Auflagen genutzt werden konnten , seit 1. Juli 1994 der Verwaltung durch das Bundesarchiv unterstehen und nicht nur ohne jegliche Restriktionen eingesehen werden können , sondern auch äußerst benutzerfreundlich aufbereitet sind. Es bedarf keiner allzu ausführlichen Beweisführung , dass diese weit verbreitete „Selbstbeschränkung“4 ( um es höflich zu formulieren ) auf „Gegnerquellen“ für die Erforschung einer im Untergrund operierenden Bewegung noch weit größere Verzerrungen und Fehlerquellen birgt , als es bei der Untersuchung einer legalen Opposition der Fall wäre. Die auffälligsten Folgen einer solch einseitigen Orientierung seien hier kurz genannt : 1. Ein weitestgehendes Ausblenden der Geschichte von NS-Organisationen , die in der Überlieferung des österreichischen Behördenapparats – über einen längeren Zeitraum hinweg – relativ wenige Spuren hinterlassen haben. So existiert etwa bis heute keine einzige eigenständige Untersuchung zur SS.** 2. Eine mangelhafte Erforschung innerparteilicher Strukturen , Kommunikationsnetze und politischer Konflikte innerhalb der österreichischen NSDAP.5 ** Wie eingangs angemerkt , umfasst der gegenständliche Forschungsbericht den Zeitraum bis 2011. Während der Drucklegung des vorliegenden Bandes erschien jedoch die umfassende Studie von Rothländer , Christiane ( 2012 ) : Die Anfänge der Wiener SS , Wien / Köln / Weimar , auf die in diesem Zusammenhang hingewiesen sein soll. 3 Ein solcher Vergleich ist jedoch sogar noch recht „milde“, weil die Gestapo durch ihre V-Leute über die Vorgänge in der illegalen kommunistischen Bewegung weitaus besser informiert war als die Polizei des „Ständestaates“ über die illegalen Nationalsozialisten. Das Konfidentennetz der österreichischen Staatspolizei war durch eine weitgehende NS-Infiltration in manchen Regionen ( z . B. Steiermark ) nach 1934 zeitweilig erheblich beeinträchtigt. 4 Zu den mutmaßlichen Gründen vgl. das Interview Hans Schafraneks unter dem Titel : Eklatante Forschungslücken. In : Recherche. Zeitung für die Wissenschaft ( 2011 ) Heft 2 , URL : http ://www. recherche-online.net / hans-schafranek-oesterreichische-legion.html ( abgerufen am 9. 10. 2012 ). 5 Dankbar wird in einer Diplomarbeit der amerikanische Historiker Gerhard Weinberg mit seiner Einschätzung zitiert , dass „die Geschichte der österreichischen Partei von 1933 bis 1938 in hohem Ausmaß eine langweilige Aneinanderreihung von eigensüchtigen Streitereien , gegenseitigem Verrat und endlosen gegenseitigen Anschuldigungen ist“. Morokutti , Corinna ( 2003 ) : „Die Pflicht zur Notwehr ! “ Wesen und Funktion von Gewalt in der Politik der österreichischen Nationalsozialisten ( 1918–1938 ), Dipl.-Arb. , Klagenfurt , 29. Das ist meines Erachtens nichts weiter als eine Pseudo-Legitimation , um sich mühevolle Grabungsarbeiten in den Archiven zu ersparen. Wer diese Mühen nicht scheut , wird früher oder später darauf stoßen , dass manche dieser Interna Stoff für einen überaus spannenden Kriminalroman bieten würden.
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3. Eine erhebliche Unsicherheit im Hinblick auf die regionale Stärke / Schwäche der NSDAP , SA und SS oder eine weitgehend unkritische Übernahme der Schätzungen durch die österreichischen Behörden , die über die wirklichen Stärkeverhältnisse im Regelfall6 schlecht informiert waren. Dies führt mitunter zu erheblichen , ja sogar extremen Über- und Untertreibungen.7 4. Die mangelhafte Erforschung der NSDAP-Mitgliederbewegung anhand zuverlässiger Daten und die ebenso häufig fehlende Differenzierung zwischen PO ( = Politische Organisation = NSDAP ), SA und SS wirken sich nicht nur auf Arbeiten negativ aus , die sehr starke individuell personenbezogene Aspekte aufweisen. Auch und gerade Forschungen zur Sozialstruktur sind davon betroffen. Dies zeigt sich etwa in der Tendenz , aus den Wahlergebnissen 1930–1932 gewonnene sozialstrukturelle bzw. politisch-organisatorisch relevante Daten für die Periode der Illegalität bis zu einem gewissen Grad fortzuschreiben oder anstelle konkreter Informationen zu NS- , SS- und SA-Beitritten die unterschiedlichsten Hinweise auf „Ersatzkriterien“ für mutmaßliche NSDAP-Mitglieder ( z . B. polizeiliche Anzeigen , Konstruktion verschiedenster Militanz-Grade , Einweisung in Anhaltelager usw. ) als exklusives oder primäres personenbezogenes Fundament für die Erforschung der Sozialstruktur zu verwenden. Werden stichprobenartig doch auf NS-Quellen basierende Organisationsdaten erhoben , ist entweder das Sample so winzig oder der Untersuchungszeitraum ( Beitrittsjahre ) so langfristig ( oder beides zusammen ), dass die solcherart gewonnenen Erkenntnisse als sehr geringfügig anzusehen sind bzw. keine Verallgemeinerungen erlauben.8
6 Gelegentlich lagen diese Schätzungen allerdings auch relativ nahe an den tatsächlichen Stärkeverhältnissen , jedoch betraf dies fast ausschließlich die Phase vor dem NSDAP-Verbot. So nahm die Polizei im September 1931 eine Zahl von etwa 5.000 SA-Angehörigen in ganz Österreich an , nach SA-internen Angaben betrug sie 6.042 im Oktober 1931. Vgl. Der Oberste SA-Führer , Abt. I , an die Reichsführerschule München , 16. 12. 1931. Bundesarchiv Berlin , NS 23 / 337. 7 Siehe auch – zu verschiedenen Aspekten der eingangs angedeuteten Probleme – die kritischen Bemerkungen in den Anm. 8 , 62 , 78 , 80 und 94. 8 Als krasses Beispiel , dem jedoch Dutzende ähnliche zur Seite gestellt werden könnten , sei hier eine Passage aus einer Überblicksdarstellung von Gerhard Jagschitz zitiert : „Eine andere soziale Struktur als die Partei insgesamt wiesen SA und SS auf. Zwischen den Jahren 1923 und 1933 dominierten bei der SA Angestellte ( 29 % gegenüber 14 % Parteidurchschnitt ) und bei der SS öffentlich Bedienstete ( 18 % gegenüber 9 % Parteidurchschnitt ), Angestellte ( 39 % gegenüber 14 % Parteidurchschnitt ) und Arbeiter ( 39 % gegenüber 34 % Parteidurchschnitt ).“ Jagschitz , Gerhard ( 1990 ) : Die österreichischen Nationalsozialisten. In : Stourzh , Gerald / Z aar , Brigitta ( Hg. ) : Österreich , Deutschland und die Mächte. Internationale und österreichische Aspekte des „Anschlusses“ vom März 1938 , Wien , 229– 269 : 249. Angesichts solch dezidierter Aussagen und des Fehlens von Untersuchungen zur SA wie zur SS wird eine besondere Neugier auf die Quelle geweckt. Die Antwort liefert Botz , Gerhard ( 1980 ) : The Changing Patterns of Social Support for Austrian National Socialism ( 1918–1945 ). In : Larsen , Stein Ugelvik / Hagtvet , Bernt / Mykledbust , Jan Petter ( Hg. ) : Who were the Fascists ? Social Roots of European Fascism , Bergen / Oslo , 202–225 : 207. Der betreffenden Tabelle ist zu entnehmen , dass als Grundlage die Berufsangaben von 37 ( ! ) österreichischen SA-Angehörigen ( Beitrittszeitraum : 1923–1933 ) und 23 SS-Mitgliedern ( Beitrittszeitraum : 1932–1933 ) dienten !
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5. Eine permanente Verwechslung zwischen dem Dienstrang und der Dienststellung / Funktion bei Angehörigen der SA und SS , was bei den hierarchischen Strukturen dieser militärisch organisierten Formationen einigermaßen ins Gewicht fällt.9 Mit diesen kritischen Feststellungen ist bereits ein Teil der Forschungsdefizite angesprochen , die am Schluss des Berichts nochmals näher thematisiert werden. Wenn der folgende Überblick zur Literatur ( inklusive Diplomarbeiten und Dissertationen ) die Quellendefizite nicht ganz so drastisch erscheinen lässt wie zuvor angedeutet , so liegt dies in drei Umständen begründet : Erstens werden in einem stärkeren Ausmaß Arbeiten berücksichtigt , die in angemessenem Umfang und entsprechenden Erkenntnisfortschritten NS-interne Quellen verwenden oder bei denen gravierende und offensichtliche inhaltliche Defizite ( i nfolge des Fehlens einer solchen Quellenbasis ) eher exemplarisch aufgezeigt werden können ; zweitens gibt es auch Themenstellungen , bei denen die Einbeziehung von NS-Quellen zwar wünschenswert ( gewesen ) wäre , aber keine conditio sine qua non darstellt ;10 und drittens wollte der Verf. die oberlehrerhafte Attitüde vermeiden , in jedem einzelnen Fall den mahnenden Zeigefinger zu erigieren. I. Regional übergreifende Studien zur ( Gewalt-)Geschichte des Nationalsozialismus 1933–1938 Die Darstellung und Analyse großer historischer Längsschnitte gehört nicht unbedingt zu den Stärken der österreichischen Zeitgeschichteforschung , wenn man von einigen 9 Als Beispiel sei etwa Fridolin Glass genannt , der seit ihrer Gründung ( April 1934 ) die SS-Standarte 89 leitete und den Rang eines Untersturmführers innehatte. Am 3. 9. 1934 folgte – bei Überspringen zweier Dienstgrade ( Obersturmführer , Hauptsturmführer ) – die Beförderung zum Sturmbannführer , was immer noch zwei Dienstgrade unter dem Standartenführer lag. Vgl. Bundesarchiv Berlin , SSO , SSFührerpersonalakt Fridolin Glass. In diesem Kontext gilt es eine Reihe von Faktoren zu beachten. Die in Österreich existierenden illegalen SS-Formationen hatten trotz einer ansteigenden Mitgliederentwicklung vor dem Juliputsch erst einen Teil ihrer quantitativen Sollstärke erreicht , während die organisatorische Struktur sich bereits bei der Aufstellung zumeist an größeren Formationen ( Sturmbanne , Standarten ) orientierte. Dies hatte zur Folge , dass ab 1931 kaum selbstständige Stürme existierten. Die Dienstgrade wurden nach dem Parteiverbot in der Regel auch nicht an die tatsächliche Stärke der jeweiligen Formationen angepasst , sondern entsprachen zumeist den bis Juni 1933 vorgenommenen Beförderungen. Daraus resultierte vor und nach 1933 eine erhebliche Diskrepanz zwischen dem Dienstgrad und der Dienststellung bzw. Funktion des jeweiligen SS-Führers. Der Führer eines „neuen“ Sturmbannes , der anstelle der üblichen Sollstärke ( 400–500 Mann ) unter Umständen erst 50 Mitglieder zählte , nahm deshalb zumeist einen Dienstgrad ein , der zwei , drei oder sogar vier Stufen unterhalb des Sturmbannführers liegen konnte. Der extremste Fall eines solchen Auseinanderklaffens war – kurzfristig – in der SS-Standarte 76 ( Salzburg ) festzustellen , die aufgrund von Verhaftungen und einem generellen „Führermangel“ im Mai 1934 kommissarisch von einem Oberscharführer geleitet wurde ( vgl. Bundesarchiv Berlin , NS 33 /21 ). Die zuvor skizzierte Diskrepanz zeigte sich auch in der österreichischen SA , jedoch in weitaus schwächerem Maße als bei der SS , weil die entsprechenden SA-Formationen eine wesentlich größere Mitgliederzahl aufwiesen und die Sollstärke der Brigaden ( 3.000–8.000 ) vor dem Juliputsch zumindest in drei Bundesländern ( Steiermark , Kärnten , Tirol ) erreicht war. 10 Dies ist etwa bei folgenden Themen der Fall : Sozialstruktur der Juli-Putschisten 1934 ; Justizielle Verfolgung von NS-Aktivisten durch die österreichischen Behörden.
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bemerkenswerten Ausnahmen absieht.11 Es ist deshalb wohl kein Zufall , dass die einzige , bereits vor 30 Jahren erstmals publizierte Gesamtdarstellung zur Geschichte des österreichischen Nationalsozialismus – von den Anfängen bis 1938 – von einem amerikanischen Historiker stammt.12 Bruce Pauleys Studie , die 1988 auch in Österreich veröffentlicht wurde ,13 basiert auf einer jahrzehntelangen Forschung in amerikanischen , deutschen und österreichischen Archiven und gilt zu Recht immer noch als Standardwerk. Ein solch umfassendes Thema auf 280 Druckseiten abzuhandeln , erfordert eine Konzentration auf die wesentlichen Entwicklungslinien , und es wäre deshalb unfair , besonders auf Lücken in Detailfragen hinzuweisen.14 Das vom Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes und dem Karl von Vogelsang-Institut zwischen 2000 und 2002 durchgeführte Projekt „Opfer des Terrors der NS-Bewegung in Österreich 1933–1938“15 wies für den untersuchten Zeitraum ( 1. 6. 1933–12. 3. 1938 ) 806 Opfer ( Tote und Verletzte ) des NS-Terrors aus , darunter acht Frauen. 375 der 806 Opfer waren im Bereich der öffentlichen Sicherheit tätige Personen. Unter ihnen bildeten die größte Gruppe Angehörige einer Assistenztruppe ( 95 ), gefolgt von Gendarmen / Polizisten ( 84 ), Mitgliedern von Wehrverbänden ( 81 ) und Bundesheersoldaten ( 64 ). 199 Personen waren Opfer eines gezielten Anschlages ( g roßteils Funktionäre der Vaterländischen Front und Repräsentanten des „Ständestaats“ ). 133 Personen waren „Zufallsopfer“, weiters wurden 15 Juden Ziel eines Anschlags.16 11 Botz , Gerhard ( 1983 ) : Gewalt in der Politik. Attentate. Zusammenstöße. Putschversuche. Unruhen in Österreich 1918–1938 , München ; Hanisch , Ernst ( 1994 ) : Der lange Schatten des Staates. Österreichische Gesellschaftsgeschichte im 20. Jahrhundert , Wien. 12 Pauley , Bruce F. ( 1981 ) : Hitler and the forgotten nazis , Chapel Hill. 13 Pauley , Bruce F. ( 1988 ) : Der Weg in den Nationalsozialismus. Ursprünge und Entwicklung in Österreich , Wien. 14 Hingegen lassen einige äußerst saloppe Formulierungen eine gelegentlich durchbrechende Oberflächlichkeit erkennen , etwa : „Eine andere Gruppe , die vor Hitlers Machtübernahme relativ wenig für den Nationalsozialismus übrig hatte , waren die Frauen , vor allem die Frauenrechtlerinnen“ ( Pauley 1988 , 103 ). Ein anderes Beispiel : „Anfang 1932 nahmen die Nationalsozialisten an , dass der Großteil ihrer neuen Mitglieder und einige ihrer neuen Ortsgruppenleiter von der Jugend gestellt würden. Ihre Behauptung im Jahr 1933 , zwei Drittel der österreichischen Jugend stünden in ihren Reihen , dürfte nicht allzu falsch gewesen sein“ ( Pauley 1988 , 94 ). Bezeichnenderweise stammen einige der Fehler , die „hard facts“ betreffen , aus österreichischen Quellen , etwa die Behauptung , 1935 seien 4.600 geflüchtete österreichische SS-Angehörige in Dachau stationiert gewesen ( Pauley 1988 , 143 ). Tatsächlich waren es knapp 1. 200. Auch die Angabe , die österreichischen SS-Leute seien „zusammen mit der Österreichischen Legion in einem Lager in Dachau untergebracht“ ( ebd. ) gewesen , ist falsch. Unverständlicherweise rechnet Pauley ausgerechnet den Wiener NS-Gauleiter Frauenfeld ( i n einem Atemzug mit Walter Riehl ) den „gemäßigten“( ! ) österreichischen NS-Politikern zu ( Pauley 1988 , 128 ), obwohl er an anderer Stelle dessen Mitverantwortung für den Putsch am 25. Juli 1934 erwähnt. 15 Projektleiter : Wolfgang Neugebauer , Helmut Wohnout ; Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen : Georg Kastner , Judith-Kreiner , Susanne Uslu-Pauer , Heinz Arnberger , Winfried Garscha , Gerhard Ungar , Julio Venis. 16 Die Datenbank zu diesem Projekt enthält Biografien der Todesopfer. Die Hauptquelle der Recherche bildeten neben der Berichterstattung in den Tageszeitungen die Berichte der Sicherheitsexekutive im Österreichischen Staatsarchiv / A rchiv der Republik. Biografische Angaben zu den Opfern wurden in den Beständen des Dokumentationsarchivs des Österreichischen Widerstands , des Ar-
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Eine Klagenfurter Diplomarbeit enttäuscht die Neugier , die der ambitioniert klingende Titel ( „Wesen und Funktion von Gewalt in der Politik der österreichischen Nationalsozialisten 1918–1938“ )17 zu wecken vermag , da sie lediglich die vorhandene Sekundärliteratur und einige gedruckte Quellen referiert. Eine andere , ebenfalls überregional angelegte Diplomarbeit über NS-Gewalttaten bezieht zwar auch einige Archivbestände aus dem Österreichischen Staatsarchiv / A rchiv der Republik mit ein , liefert aber ebenfalls keine relevanten neuen Erkenntnisse.18 Obwohl sich beide Arbeiten häufig auf Botz’ Studie über politische Gewalt in der Ersten Republik bzw. unter dem Dollfuß / Schuschnigg-Regime berufen , kam es den Autorinnen nicht in den Sinn , etwa dessen Kategorisierung des NS-Terrors 1934 – im Sinne einer siebenstufigen Radikalisierungs- und Eskalationswelle19 – anhand eigener Forschungen zu überprüfen und zu bestätigen oder gegebenenfalls zu modifizieren. II. Der NS-Putschversuch im Juli 1934 Die wichtigsten Fortschritte hat die zeitgeschichtliche Forschung über die illegale Periode des österreichischen Nationalsozialismus im Kontext des NS-Putsches vom 25. Juli 1934 erzielt. Kurt Bauer veröffentlichte 2003 eine umfangreiche Studie , die den gescheiterten Versuch einer gewaltsamen Machtergreifung der österreichischen Nationalsozialisten erstmals detailliert auf Bundesländerebene untersucht.20 Der Autor rekonstruierte akribisch die Vorgänge in über 150 Orten , wobei – entsprechend der Schwere bewaffneter Auseinandersetzungen – der Hauptteil auf die Steiermark und Kärnten entfällt. Die von Bauer erstellte Liste der Toten ( Aufständische , Regierungsseite , Unbeteiligte ) umfasst 223 Personen21 und bleibt damit etwas unter den früher publizierten Zahlen ( 269 Tote )22. Anhand der Gendarmerie-Anzeigen an die Staatsanwaltschaften hat Bauer darüber hinaus ein umfassendes Sozialprofil von 2.500 Putschteilnehmern erstellt , dessen wichtigste Ergebnisse hier kurz vorgestellt seien : Das Durchschnittsalter der Juliputschisten lag mit 28, 41 Jahren beträchtlich unter jenem der männlichen österreichischen Bevölkerung ( 32, 10 Jahre ), und 75 Prozent der „einfachen“ Aktivisten waren ledig , während die politischen Führer zu fast 80 Prozent verheiratet waren. Die Berufsgruppenzuteilung von 2.347 entsprechend erfassten Personen gliederte sich wie folgt : Bauern 7, 4 Prozent , Bauernsöhne 11, 9 Prozent , Knechte ( Dienstboten / Gesinde ) 12, 2 Prozent , unterbäuerliche Gruppen ( Keuschler ) 1, 4 Prozent , kleinbetriebliche Arbeiter ( keine Lehrberufe ) 4, 8 Prozent , Handwerksgesellen 20, 3 Prozent , Hilfsarbeiter / u ngelernte Arbeiter chivs des Karl von Vogelsang-Instituts und des Vereins für die Geschichte der Arbeiterbewegung recherchiert. Alle Informationen wurden mir freundlicherweise von Winfried Garscha übermittelt. 17 Vgl. Anm. 5. 18 Drumel , Martina ( 1997 ) : Gewalt und Gewalttaten der österreichischen Nationalsozialisten in der ersten Republik , Dipl.-Arb. , Innsbruck. 19 Vgl. Botz ( 1983 ), 264–265. 20 Bauer , Kurt ( 2003 ) : Elementar-Ereignis. Die österreichischen Nationalsozialisten und der Juliputsch 1934 , Wien. Diese Studie ging aus einer Dissertation hervor : Sozialgeschichtliche Aspekte des nationalsozialistischen Juliputsches 1934 ( 2001 ), Wien. 21 Bauer ( 2003 ), 315–326. 22 Botz ( 1983 ), 373.
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11, 7 Prozent , Industrie- , Fabrik- / Werksarbeiter 8, 6 Prozent , Facharbeiter 1, 5 Prozent , im öffentlichen Dienst stehende Arbeiter 0, 4 Prozent ; Beamte ( öffentlicher Dienst ) 2, 6 Prozent , Selbstständige ( f reie Berufe ) 0, 5 Prozent , Studenten 1, 2 Prozent , Privatangestellte ( i nkl. leitende Angestellte ) 6, 4 Prozent , Selbstständige in Handel , Gewerbe und Industrie 9, 0 Prozent , Großbürger / Adel 0, 3 Prozent. Der Anteil der Vorbestraften ( aus einem Sample von 2.076 Personen ) betrug 27 Prozent , wobei die jeweiligen Milieus bzw. Berufsgruppen enorme Unterschiede aufwiesen. Den größten Anteil an vorbestraften Putschteilnehmern wiesen Hilfsarbeiter und Keuschler / Tagelöhner ( 40 bzw. 40, 6 Prozent ) auf , den geringsten Beamte ( 7, 3 Prozent ). Die Konfessionszugehörigkeit erwies sich als ein besonders starker Indikator für eine Affinität zum Nationalsozialismus.23 So betrug der Anteil an Evangelischen ( A.B. ) im gesamtösterreichischen Durchschnitt lediglich vier Prozent , bei den Juliputsch-Beteiligten jedoch neun Prozent , und bei den politischen und militärischen Führern sogar 15, 9 bzw. 17, 7 Prozent.24 2006 legte Hans Schafranek eine Monografie vor und konzentrierte sich – vor allem gestützt auf SA- und SS-( Führer )-Personalakten sowie diverse Protokolle von SA-Untersuchungskommissionen – auf die NS-internen Vorbereitungen des Juliputsches. Aus der starken Fokussierung auf die Konflikte zwischen der SA-Führung einerseits , NSDAPLandesleitung , SS und Steirischem Heimatschutz andererseits ergibt sich über weite Strecken eine ganz neue Sicht auf die Protagonisten , die organisationsinternen Hintergründe und die regional sehr unterschiedlichen Abläufe des Juliputsches.25 Eine Reihe 23 Zu dieser Thematik erschien bereits vor 30 Jahren ein interessanter Aufsatz. Vgl. Haydter , Margarethe / Mayr , Johann ( 1982 ) : Regionale Zusammenhänge zwischen Hauptwiderstandsgebieten zur Zeit der Gegenreformation und den Julikämpfen 1934 in Oberösterreich. In : Zeitgeschichte Jg. 9 ( 1982 ) Heft 11 / 1 2 , 392–407. 24 Bauer ( 2003 ), 142–169. 25 Schafranek , Hans ( 2006 ) : Sommerfest mit Preisschießen. Die unbekannte Geschichte des NSPutsches im Juli 1934 , Wien. Die wichtigsten Erkenntnisse und Thesen dieser Studie lassen sich folgendermaßen zusammenfassen : 1. Der Juliputsch 1934 der österreichischen Nationalsozialisten war der erste staatliche Umsturzversuch einer illegalen Bewegung , der mithilfe moderner Kommunikationsmittel – d. h. durch das Radio ( S S ) und durch Funkverkehr ( SA ) – ausgelöst bzw. gesteuert werden sollte. 2. Zwischen der NSDAPLandesleitung Österreich ( Habicht ), der SS und den zu SA-Führern mutierten Leitern des Steirischen Heimatschutzes ( R auter , Meyszner , Kammerhofer ) kristallisierte sich im Frühjahr 1934 ein geheimes Bündnis heraus , während die Beziehungen der ehemaligen Heimatschützer zur österreichischen SAFührung in München ( Reschny ) eher gespannt waren. Die Putschvorbereitungen dieser „Koalition“, zu der auch der Steirische Landbund und die Gauleitung Tirol der NSDAP zu rechnen sind , blieben der SA-Führung weitestgehend oder vollständig verborgen. 3. Der Aufstand der steirischen SA am 25. Juli 1934 – fast zeitgleich wie die Besetzung des Bundeskanzleramtes und der Rundfunkzentrale ( R AVAG ) – bedeutete eine direkte Unterstützung der Wiener SS-Putschisten und war mit diesen eng koordiniert. 4. Dieselbe Funktion hatte die – ehedem in der Forschung isoliert gesehene – Ermordung des Polizeistabshauptmanns Hickl in Innsbruck durch einen SS-Terroristen. 5. Die Obergruppe XI der SA – geführt von Reschny und Kirchbach – plante , nach einer gewaltigen Eskalation des bis dahin praktizierten Sprengstoffterrors , im Herbst 1934 einen bewaffneten Aufstand auszulösen. Sie beabsichtigte jedoch keineswegs , einen SS-geführten Putsch zu unterstützen. 6. Die österreichische SA-Führung wurde durch das unerwartete und scheinbar „spontane“, in Wirklichkeit durch die Landesleitung gelenkte Losschlagen der steirischen SA vollkommen überrascht , da sie kurz zuvor ein
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von weiteren Buch- und Aufsatzpublikationen zum 25. Juli 1934 mit regionalgeschicht lichen Schwerpunkten werden bei der Darstellung des Forschungsstandes den jeweiligen Bundesländern zugeordnet. Die vor 20 Jahren etwas eingeschlafene Debatte um die Frage , was Hitler von dem Putsch wusste bzw. wie er sich gegenüber den Putschvorbereitungen verhielt ,26 wurde jüngst wieder von Kurt Bauer aufgenommen , der die Auffassung vertritt , Hitler habe den Putsch nicht bloß passiv geduldet , sondern mit großer Wahrscheinlichkeit sogar den Befehl dazu erteilt.27 Im Kern gründet sich diese Aussage vor allem auf einige Einträge aus den 2005 veröffentlichten Tagebüchern von Josef Goebbels , der eine am 22. Juli 1934 solches Losschlagen an ein funktechnisches Placet der SA-Obergruppe XI gebunden hatte. 7. Als sich die Niederlage der Kanzleramtsputschisten abzeichnete und gleichzeitig der in seinem organisatorischen Ursprung und politischen Kontext „missverstandene“ Aufstand der steirischen SA verbreiterte , alarmierte Reschny die in Bayern stationierte Österreichische Legion. 8. Aufgrund des Fehlens einer SA-Funkverbindung zwischen München und Wien wurden zwei Kuriere mit dem Aufstandskonzept ( „Kollerschlager Dokument“ ) nach Wien entsandt. Einer der beiden , Hans Hiebl , erreichte sein Ziel , den Wiener SA-Obersturmbannführer Hamburger. Aus besagtem Grund sollte dieses Aufstandskonzept in Zukunft unter seiner korrekten Bezeichnung – Befehl Nr. 10 der SA-Obergruppe XI – zitiert werden. Die bekannt gewordene Bezeichnung „Kollerschlager Dokument“ erhielt es ja nur , weil Franz Hiebl ( Hans Hiebls Bruder ) beim Überschreiten der Grenze im Mühlviertel verhaftet und ein Exemplar des Befehls von der österreichischen Polizei sichergestellt wurde. 9. Die Entsendung der beiden Kuriere am Abend des 25. Juli 1934 bedeutete den Beginn einer SA-Offensivstrategie , die sich auch in entsprechenden Funkbefehlen zum bewaffneten Aufstand ( „ Sommerfest mit Preisschießen“ ) an die illegalen SA-Brigaden in Kärnten , Oberösterreich , Tirol und Salzburg niederschlug. 10. Infolge der von Regierungsseite ergriffenen Gegenmaßnahmen verzögerte sich das Eintreffen der zuvor erwähnten , entschlüsselten Funkbefehle an die Brigadestäbe beträchtlich , was – neben der mangelnden Bereitschaft , in einer aussichtslosen Situation einen bewaffneten Kampf gegen einen stark gerüsteten Gegner zu beginnen ( Salzburg ) – auch die Ungleichzeitigkeit der SA-geführten Erhebungen erklärt. 11. Die von der SA-Obergruppe XI eingeschlagene Offensive hatte zunächst eine militärtaktische Entlastungsfunktion , entwickelte sich jedoch zum Kampf um die Staatsmacht in Österreich , wobei man auch die SS im Deutschen Reich entscheidend zu schwächen suchte. Der Erfolg einer solchen Ad-hocKampagne hätte auch bedeutet , den 30. Juni 1934 ( d . h. die politische Entmachtung der SA ) „rückgängig“ zu machen , mit weitreichenden Konsequenzen für die politische Entwicklung in der Frühphase des NS-Regimes. 26 Vgl. dazu die teils sehr divergierenden Auffassungen von Ross , Dieter ( 1966 ) : Hitler und Dollfuß. Die deutsche Österreich-Politik 1933–1934 , Hamburg , 218–243 ; Weinberg , Gerhard L. ( 1970 ) : The Foreign Policy of Hitler’s Germany. Diplomatic Revolution in Europe , 1933–1936 , Chicago , 120–121 ; Jagschitz , Gerhard ( 1976 ) : Der Putsch : Die Nationalsozialisten in Österreich , Graz / Wien / Köln , 78– 79 ; Schausberger , Norbert ( 1978 ) : Der Griff nach Österreich. Der Anschluß , Wien , 285–298 ; Kindermann , Gottfried-Karl ( 1984 ) : Hitlers Niederlage in Österreich. Bewaffneter NS-Putsch , Kanzlermord und Österreichs Abwehrsieg 1934 , Hamburg , 151–152 ; Pauley , Bruce F. ( 1988 ) : Der Weg in den Nationalsozialismus. Ursprünge und Entwicklung in Österreich , Wien , 133–137 ; Höhne , Heinz ( 1991 ) : Die Zeit der Illusionen. Hitler und die Anfänge des Dritten Reiches 1933–1936 , Düsseldorf , 222–224. Ferner wird diese Frage in einigen Artikeln und Diskussionsbeiträgen in einem Sammelband angeschnitten : Stourzh / Z aar ( Hg. ) ( 1990 ), 62–63 ; Diskussionsbeitrag Gerhard Jagschitz zu den Beiträgen Weinberg , Kindermann , 97. 27 Bauer , Kurt ( 2011 ) : Hitler und der Juliputsch 1934 in Österreich. Eine Fallstudie zur nationalsozialistischen Außenpolitik. In : Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte Jg. 59 ( 2011 ) Heft 2 , 193–227 : 226.
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stattgefundene Sitzung wie folgt kommentierte : „Sonntag : beim Führer General v. Hammersteins Nachfolger , Gen. v. Reichenau , dann Pfeffer , Habicht , Reschny. Österreichische Frage. Ob es gelingt ? Ich bin sehr skeptisch.“28 Eigenartigerweise erwähnt Bauer die Rolle von Heinrich Himmler , der spätestens am 10. Juli durch Gauleiter Franz Hofer von den Putschvorbereitungen erfuhr und am 27. Juli in Begleitung von SS-Brigadeführer Rodenbücher ( L eiter der österreichischen SS ) in Bayreuth mit Hitler zusammentraf ,29 mit keinem Wort. Bauers Argumentation , die auch eine genaue Untersuchung der deutschitalienischen Beziehungen seit der Begegnung Hitler-Mussolini in Venedig ( 1 4. 6. 1934 ) inkludiert , wirkt im Hinblick auf Hitlers Placet durchaus plausibel und nachvollziehbar , und insofern dürfte die Debatte um jenen Fragenkomplex ( vorläufig ) beendet sein. Hingegen ist es geradezu abstrus , im selben Kontext die seit Jahrzehnten bekannten und vor wenigen Jahren durch zahlreiche Details konkretisierten , überaus gravierenden Konflikte zwischen der NSDAP-Landesleitung ( Habicht ) und der österreichischen SA-Führung ( Reschny ) kleinzureden bzw. implizit überhaupt in Zweifel zu ziehen.30 Wie hartnäckig sich Legenden mitunter halten , wenn deren Kolporteure den Kontakt mit den maßgeblichen NS-Originalquellen scheuen , zeigt schließlich die immer wiederkehrende Behauptung , die am 25. Juli 1934 von den RAVAG-Putschisten gesendete Mitteilung über den angeblichen Rücktritt des Bundeskanzlers Dollfuß sei „das“ Signal für eine nationalsozialistische Massenerhebung in ganz Österreich gewesen.31 Diese Darstellung ist in doppelter Hinsicht falsch : Erstens wurde das vereinbarte Stichwort ( „Elementarereignis eingetreten“ ) von den RAVAG-Besetzern gar nicht verlautbart und die Meldung von Dollfuß’ Rücktritt bildete lediglich das Aviso für dieses Stichwort. Und zweitens war es lediglich für die – insgeheim als „trojanische Pferde“ der SS bzw. NSDAP-Landesleitung wirkenden – SA-Brigadestäbe in der Steiermark sowie die ( kommissarische ) NS-Gauleitung Tirol bestimmt ,32 die auch umgehend in Aktion traten , während es überall sonst in Österreich am Nachmittag des 25. Juli ruhig blieb. 28 Zit. n. Bauer ( 2011 ), 208. 29 Schafranek ( 2006 ), 214–216. 30 So wird aus dem roten Faden , der in der ersten Jahreshälfte 1934 in Österreich alle NS-internen Intrigen und Konkurrenzkämpfe zwischen der emigrierten österreichischen SA-Führung und der NSDAP-Landesleitung bzw. SS durchzog , nunmehr ein „angeblich massiver Konflikt“ ( 211 ) zwischen Reschny und Habicht. Aus der bloßen Anwesenheit Reschnys und Habichts bei der Sitzung am 22. Juli 1934 schließt Bauer , beide hätten während des Putsches am selben Strang gezogen. Fast ein ganzes Buch ist dem auf interne NS-Quellen gestützten Nachweis des Gegenteils gewidmet. Vgl. Schafranek ( 2006 ). Vor einigen Jahren wusste es Bauer übrigens noch besser , wie etwa sein Referat „Jetzt sind wir die Herren !“ Der Juliputsch in der Steiermark“ ( Universität Graz , Tagung „NS-Herrschaft in der Steiermark“, 28.–30. 1. 2009 ) und die grafische Darstellung der „Konstellationen in der österreichischen NSDAP“ zeigen. Auch der Titel einer von Bauer verfassten Rezension zum Juliputsch 1934 bedarf keines weiteren Kommentars : „SA gegen SS“. Vgl. Falter , 8. 9.–14. 9. 2006 , 18. 31 Vgl. etwa Carsten , Francis L. ( 1977 ) : Faschismus in Österreich. Von Schönerer bis Hitler , München , 244 ; Pauley , Bruce F. ( 1972 ) : Hahnenschwanz und Hakenkreuz. Der Steirische Heimatschutz und der österreichische Nationalsozialismus 1918–1934 , Wien / München / Zürich , 188 ; ders. ( 1988 ), 130 ; Jagschitz ( 1976 ), 144 ; Botz ( 1983 ), 269 , 271 ; Bauer ( 2003 ), 67 ; Kindermann , Gottfried-Karl ( 2003 ) : Österreich gegen Hitler. Europas erste Abwehrfront 1933–1938 , München , 220. 32 Vgl. Schafranek ( 2006 ), 118–124.
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Auch die Behauptung , Reschny habe den österreichischen Behörden „die genauen Details des Putschplans“33 der NSDAP-Landesleitung Österreich bzw. SS verraten , wird durch mehrfache Wiederholungen im Lauf der Jahrzehnte34 nicht richtiger. Im Mai 1934 existierten noch keine genauen Details dieses Plans. Richtig ist vielmehr , dass Rittmeister Schaller im Auftrag von SA-Obersturmbannführer Fritz Hamburger die noch sondierenden Putsch-Drahtzieher Wächter , Weydenhammer und Glass auf Veranlassung Reschnys bzw. Kirchbachs ( Stabschef der SA-Obergruppe XI ) bei den österreichischen Behörden denunzierte und diesen auch Fotos der drei genannten Rädelsführer übergab.35 III. Regional- und lokalgeschichtliche Darstellungen Im Hinblick auf die regionalgeschichtliche Erforschung des Nationalsozialismus in der illegalen Periode liegt – quantitativ wie qualitativ – Kärnten an der Spitze. Besonders hervorzuheben ist zunächst eine überaus materialreiche Gesamtdarstellung ( 1918–1938 ) von Alfred Elste und Dirk Hänisch ,36 die vor allem dank der profunden Quellenforschungen im Bundesarchiv Berlin37 auch die internen Fraktionierungen und Richtungskämpfe innerhalb der Kärntner NSDAP und den innerparteilichen Aufstieg der „Kärntner Gruppe“ ( K lausner , Rainer , Globocnik ) nachzuzeichnen vermag. Besonders interessant erscheinen dem Verf. die kurzen , aber informativen Hinweise auf die Anfänge des illegalen SD ( Globocnik , Gayl ).38 Wenig bekannt ist wohl auch der Umstand , dass sich unter den Aufständischen im Juli 1934 – wohl eher vereinzelt – auch Kommunisten und Angehörige des Republikanischen Schutzbundes befanden.39 Auch die biografischen Skizzen führender Kärntner Nationalsozialisten stellen eine hilfreiche 33 Walser , Harald ( 1983 ) : Die illegale NSDAP in Tirol und Vorarlberg 1933–1938 , Wien , 124. 34 Pauley ( 1988 ), 129 , 132 ; Walser , Harald ( 2002 ) : Der Juli-Putsch 1934 in Tirol. In : Albrich et al. ( Hg. ) : 331–356 : 336 ; Falch , Sabine ( 2002 ) : Ein Volk , kein Reich , kein Führer : die Tiroler NSDAP vor 1938. In : Steininger , Rolf / Pitscheider , Sabine ( Hg. ) : Tirol und Vorarlberg in der NS-Zeit [ I nnsbrucker Forschungen zur Zeitgeschichte , Bd. 19 ] , Innsbruck u. a. , 11–30 : 24. 35 Vgl. Anlage zum Bericht Weydenhammer , 1. 4. 1935 ( m s. Abschrift ). Bundesarchiv Berlin , NS 26 / 634. 36 Elste , Alfred / Hänisch , Dirk ( 1997 ) : Auf dem Weg zur Macht. Beiträge zur Geschichte der NSDAP in Kärnten von 1918 bis 1938 [ Vergleichende Gesellschaftsgeschichte und politische Ideengeschichte der Neuzeit , Bd. 8 ] , Wien. 37 Diese Quellenbestände befanden sich zum Zeitpunkt der Recherchen zu jener Studie noch in Koblenz bzw. im Berlin Document Center. 38 Elste / Hänisch ( 1997 ), 268. 39 Elste / Hänisch ( 1997 ), 282. Zu informellen taktischen „Bündnissen“ ( auf lokaler Ebene ) zwischen Nationalsozialisten und Revolutionären Sozialisten während des „austrofaschistischen“ Regimes vgl. Schafranek , Hans ( 1990 ) : NSDAP und Sozialisten nach dem Februar 1934. In : Ardelt , Rudolf / Hautmann , Hans ( Hg. ) : Arbeiterschaft und Nationalsozialismus in Österreich , Wien / Zürich , 91–128 ; Konrad , Helmut ( 1990 ) : Das Werben der NSDAP um die Sozialdemokraten 1933–1938. In : ebd. , 73–89 ; Schafranek , Hans ( 1988 ) : Hakenkreuz und rote Fahne. Die verdrängte Kooperation von Nationalsozialisten und Linken im illegalen Kampf gegen die Diktatur des ‚Austrofaschismus‘. In : Bochumer Archiv für die Geschichte des Widerstandes und der Arbeit Jg. 9 ( 1988 ), 7–45.
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Orientierung dar.40 Einige sachliche Fehler sollen nicht unerwähnt bleiben ,41 mindern jedoch nicht den Wert dieser wichtigen Publikation. Einige Jahre zuvor war bereits eine von August Walzl verfasste Monografie erschienen , die sich – auf einer breiten Quellengrundlage aus 15 Archiven in Österreich , Deutschland und Großbritannien – mit Entwicklungen und Strukturen des Nationalsozialismus in Kärnten nach dem „Anschluss“ befasst ,42 jedoch im ersten Kapitel ausführlich auf das Anwachsen der NS-Bewegung , Motivationen und Rahmenbedingungen , politisch-organisatorische Weichenstellungen und den endgültigen Aufstieg der Klausner-Gruppe ( 1937 ) eingeht. Walzl betont den „Aderlass“ nach dem Juliputsch , der „vor allem die SA bis ins Mark traf und in diesem Vakuum der bisher geringfügigen SS besondere Entwicklungsmöglichkeiten gab“.43 Diese Konstellation prägte auch in einem starken Ausmaß die innerparteilichen Machtverhältnisse beim „Anschluss“. Verdienstvoll ist auch eine von Christian Klösch verfasste Studie , in deren Zentrum eine detaillierte Darstellung des von der SA geführten Aufstandes im Bezirk Wolfsberg steht.44 Der Autor widmet sich ausführlich den Wegbereitern des Deutschnationalismus bzw. Nationalsozialismus ( Turnvereine ) und zeigt an vielen Beispielen vor allem die Hinwendung der Lehrerschaft zum Nationalsozialismus und deren propagandistische Rolle in den frühen 1930er-Jahren auf. Von den 109 Kärntner Lehrkräften an Volksund Hauptschulen , die zwischen dem NSDAP-Verbot ( 19. Juni 1933 ) und September 1934 dauernd oder vorübergehend entlassen wurden , stammten 30 aus dem Lavanttal.45 Da über die strafrechtliche Verfolgung der Juliputschisten bisher wenig geforscht bzw. publiziert wurde ,46 sind Klöschs diesbezügliche Erkenntnisse von speziellem Interesse , auch wenn sich die betreffenden Recherchen – entsprechend dem Untersuchungsgegen40 Elste / Hänisch ( 1997 ), 345–375. 41 Elste / Hänisch ( 1997 ) bezeichnen Hanns Rauter als Kärntner SA-Brigadeführer und Fritz Kronegger als dessen Nachfolger ( 256 ), der auch zur Zeit des Aufstandes die Brigade „nachweislich“ ( 274 ) geleitet habe. Die Aussagen des Kuriers Zechner bei der Polizei seien eine „Irreführung der Behörde ( gewesen ), denn Reschmann und Skudnigg konnten höchstens Führer der SA-Standarte ‚Mittelkärnten-J 7‘ ( K lagenfurt ) gewesen sein“ ( 273–274 ). Diese Angaben sind unrichtig : Hanns Rauter hatte in der Kärntner SA niemals irgendeine Funktion. Reschmanns und Skudniggs Position als Brigade- bzw. Stabsführer geht aus zahlreichen SA-Dokumenten hervor. Und Kronegger übernahm die Brigade erst am 1. 9. 1934. Vgl. Personalakt Fritz Kronegger. Bundesarchiv Berlin , SA , Mikrofilm 131 A. Auch die Zahl der einsatzbereiten , also potenziellen ( ! ) Putschteilnehmer in Kärnten ist mit 4.000 ( 273 ) sicher um einiges zu niedrig angesetzt. Mindestens 3.184 Personen wurden verhaftet , und 1.200 nach dem Zusammenbruch des Putschversuchs geflüchtete Kärntner traten im Deutschen Reich der Österreichischen Legion bei. Lt. Legionärs-Datenbank des Verf. 42 Walzl , August ( 1992 ) : „Als erster Gau …“ Entwicklungen und Strukturen des Nationalsozialismus in Kärnten , Klagenfurt. 43 Walzl ( 1992 ), 28. 44 Klösch , Christian ( 2007 ) : Des Führers heimliche Vasallen. Die Putschisten des Juli 1934 im Kärntner Lavanttal , Wien. 45 Klösch ( 2007 ), 25–41. 46 Holtmann , Everhard ( 2008 ) : Zwischen „Blutschuld und Befreiung“: Autoritäre Julijustiz. In : Jedlicka , Ludwig / Neck , Rudolf ( Hg. ) ( 1975 ) : Das Jahr 1934 : 25. Juli. Protokoll des Symposiums in Wien am 8. Oktober 1974 , Wien , 36–45 ; Wolf , Gerhard M. ( 2008 ) : „Jetzt sind wir die Herren ….“ Die NSDAP im Bezirk Deutschlandsberg und der Juli-Putsch 1934 , Innsbruck , 187–190.
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stand – auf einen recht kleinen Raum bezogen. Näher dargestellt wird der Prozess gegen Karl Kostelnik , den mutmaßlichen Mörder des Bundesheer-Majors Rudolf Smolle. 198 Lavanttaler Putschteilnehmer kamen ins Internierungslager Wöllersdorf , wurden in der Regel jedoch bereits nach wenigen Monaten entlassen.47 In einem abschließenden Kapitel thematisiert der Autor die Mythologisierung des Juliputsches in Kärnten zwischen 1938 und 1945 sowie die Tabuisierung nach 1945.48 Einige wenige Kritikpunkte betreffen teils die Terminologie , teils sachliche Irrtümer.49 Eine ältere Diplomarbeit beschäftigt sich gleichfalls mit der Wolfsberger NSDAP in der „Bewegungsphase“, d. h. bis zum „Anschluss“ 1938.50 Die eingangs gestellte Frage , „warum die Anhängerschaft der NSDAP im Lavanttal bereit war , an einem solchen Aufstand teilzunehmen“,51 wird allerdings nur unzureichend beantwortet , weil die Autorin sich gerade bei dem kurzen Teil über den Putschverlauf52 ausschließlich der damals ( 1994 ) vorhandenen und kaum auf das Lavanttal bezogenen Sekundärliteratur bedient , während sie für die übrigen Teile auch Archivalien aus dem Kärntner Landesarchiv und die lokale Presse heranzieht. Eine andere Diplomarbeit , die im Titel eine Darstellung des NS-Terrors in Kärnten 1933 / 34 verheißt ,53 wirkt trotz der für 47 Klösch ( 2007 ), 148–153. 48 Klösch ( 2007 ), 225–235. 49 Es wirkt etwas irritierend , dass Klösch , dessen antifaschistische Position über jeden Zweifel erhaben ist , die Begriffe „Abwehrkampf “, „Abwehrkämpfer“ bzw. „Kärntner Abwehrkampf “ durchgängig ohne jegliche Problematisierung bzw. Distanzierung ( d . h. auch ohne Anführungszeichen ) verwendet. Dieselbe sprachliche Distanzlosigkeit gegenüber den NS-Quellen manifestiert sich in einer Passage , in der davon die Rede ist , ein Berliner SA-Sturm , dem ein Lavanttaler Nazi angehörte , habe den Befehl erhalten , „in der Nacht vom 1. auf den 2. März [ 1933 – H. S. ] Versammlungsorte und Dru ckereien der Kommunisten aufzuspüren und auszuheben“ ( K lösch 2007 , 61 ). Dies war , was Klösch nicht erwähnt , die Nacht nach dem Reichstagsbrand , in der die SA einen ungezügelten Terror gegen Tausende Berliner Kommunisten ausübte. Zu diesem Zeitpunkt war es nicht erforderlich , kommunistische Druckereien „aufzuspüren“, da die KPD trotz massiven Terrors aus taktischen Gründen – wenige Tage vor den Reichstagswahlen ( 5. März 1933 ) – formell noch nicht verboten war. Und zu dem Begriff „ausheben“ assoziiert man am ehesten wohl eine „Verbrecherbande“. Zu den sachlichen Fehlern : Der Sturm 13 im Legionslager Lechfeld war kein SA-Sturm ( K lösch 2007 , 73 ), sondern bestand ausschließlich aus österreichischen SS-Angehörigen , die – zusammen mit zwei weiteren Stürmen – in einem SS-Sturmbann zusammengefasst waren und im November 1933 nach Dachau transferiert wurden. Der mehrmals erwähnte SA-Führer Ferdinand Köffler ( K lösch 2007 , 136 , 137 , 178 , 200 ) hieß Köfler und war nicht Brigadeführer , sondern Standartenführer. Die Annahme des Autors ( basierend auf einem Bericht des Landesgendarmeriekommandos Kärnten ), mittels einer am 15. 6. 1934 von der Polizei entdeckten Funkanlage sei es Josef Welz ( Führer des SA-Sturmbanns VIII ) möglich gewesen , „direkt mit der Zentrale der österreichischen SA-Führung in München zu kommunizieren“ ( K lösch 2007 , 87 ), verkennt die Kommandostrukturen und Befehlsketten. Eine solche Kommunikationslinie stand nur dem SA-Brigadestab zu Gebote. 50 Thaler , Ingrid Elisabeth ( 1994 ) : Der Nationalsozialismus in Wolfsberg. Politik und Propaganda der Wolfsberger NSDAP in der Bewegungsphase ( 1930–1938 ), Dipl.-Arb. , Klagenfurt. 51 Thaler ( 1994 ), 1. 52 Thaler ( 1994 ), 96–101. 53 Micheu , Helena ( 1999 ) : Der nationalsozialistische Terror 1933 / 34 in Kärnten mit seiner historisch-politischen Vorgeschichte , Dipl.-Arb. , Klagenfurt.
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zeitgeschichtliche Diplomarbeiten anscheinend exakt berechneten Durchschnittslänge ( 1 20 Seiten ) streckenweise etwas ermüdend , weil die Arbeit zu einem erheblichen Teil darin besteht , hintereinander vier Kärntner Zeitungen zu referieren. Darüber hinausgehend und wesentlich interessanter ist ein Kapitel über Maria Theresia von Metnitz , eine Kärntner Blutordensträgerin , die im September 1946 zu einer dreijährigen Kerkerstrafe verurteilt wurde.54 Während die Anfänge des Nationalsozialismus in Salzburg bereits in den 1970erJahren von Ernst Hanisch untersucht wurden55 und derselbe Autor zwanzig Jahre später eine Gesamtdarstellung zum „Gau“ Salzburg während der NS-Herrschaft vorlegte ,56 blieb die „Kampfzeit“ der NSDAP unter der Dollfuß-Schuschnigg-Diktatur in Salzburg bis vor etwa zehn Jahren eher ein Stiefkind der zeitgeschichtlichen Forschung.57 Seitdem sind eine ganze Reihe von Aufsätzen und auch mehrere Bücher erschienen , die im Folgenden kurz präsentiert werden sollen. Die aufwendigste Untersuchung ist eine aus einer Dissertation58 hervorgegangene Lokalstudie über die Entwicklung des Nationalsozialismus in Bad Gastein bis 1938.59 Laurenz Krisch wählte einen mikro-historischen Ansatz , in der Erwartung , dass die mikroskopische Betrachtung vorher nicht sichtbare Faktoren enthüllen könne. Es ging ihm weniger um den „historischen Blick auf das Kleine“, sondern vielmehr um einen „Blick im Kleinen ( … ), um den Nationalsozialismus vor Ort in seiner konkreten Form erfassen zu können und für seine Anhänger innerhalb des jeweiligen sozialen Umfelds die komplexen Beziehungen aufzuzeigen , ‚welche60 die Lebensgeschichten der Individuen und Familien mit den umfassenden sozialen , ökonomischen und kulturellen Verhältnissen ihrer Gesellschaften verband‘“.61 Die Lektüre dieser Studie hinterlässt einen überaus zwiespältigen Eindruck. Die Verbindung zwischen lokal- und regional- bzw. auch überregionalgeschichtlicher Perspektive ist überaus gelungen , ebenso etwa das Kapitel „Antisemitismus und Deutschtum“ und die Darstellung der spezifischen sozialökonomischen Rahmenbedingungen in einem typischen Fremdenverkehrsort. Ganz im Gegensatz zu den übrigen Teilen der Arbeit wirkt der umfangreiche Teil über die Sozialstruktur der Bad Gasteiner „Illegalen“ jedoch – sehr pointiert ausgedrückt – zumeist starr , konstruiert , schematisch und leblos. Krisch hat 54 Micheu ( 1999 ), 62–81. 55 Hanisch , Ernst ( 1977 ) : Zur Frühgeschichte des Nationalsozialismus in Salzburg ( 1913–1925 ). In : Mitteilungen der Gesellschaft für Salzburger Landeskunde Jg. 117 ( 1977 ), 371–410. 56 Ernst Hanisch ( 1997 ) : Gau der guten Nerven. Die nationalsozialistische Herrschaft in Salzburg 1938–1945 , Salzburg / München. 57 Als Ausnahme ist eine kleine , jedoch sehr anregende Lokalstudie anzuführen : Hanisch , Ernst ( 1996 ) : „Das wilde Land“ – Bürgerkrieg und Nationalsozialismus in Seekirchen. In : Dopsch , Elisabeth / Dopsch , Hein ( Hg. ) : 1300 Jahre Seekirchen. Geschichte und Kultur einer Salzburger Marktgemeinde , Seekirchen , 323–346. 58 Krisch , Laurenz ( 2002 ) : Kollektivbiografische Studie zum Nationalsozialismus in den Dreißigerjahren in Bad Gastein. Eine Lokalgeschichte als Allgemeingeschichte , phil. Diss. , Salzburg. 59 Krisch , Laurenz ( 2003 ) : Zersprengt die Dollfußketten. Die Entwicklung des Nationalsozialismus in Bad Gastein bis 1938 , Wien / Köln / Weimar. 60 Das hier folgende Zitat im Zitat stammt aus Medick , Hans ( 1997 ) : Weben und Überleben in Laichingen 1650–1900. Lokalgeschichte als allgemeine Geschichte , Göttingen , 19. 61 Krisch ( 2003 ), 11.
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sich der enormen Mühe unterzogen , aus 1.289 Akten ( Salzburger Landesarchiv , Österreichisches Staatsarchiv , Gemeindearchiv Bad Gastein ) eine Datenbank zu den Gasteiner „Illegalen“ zu erstellen und diese zu typologisieren. Der „Blick im Kleinen“ ist aber ausschließlich jener der lokalen Behörden , Selbstzeugnisse der Akteure bzw. organisatorische Angaben der NSDAP fehlen oder sind jedenfalls nicht erkennbar. Aus den erfass ten 553 Personen hat der Autor drei Gruppen herausgefiltert : a) Gemäßigte Illegale. Diese werden wiederum unterteilt in „Sympathisanten“ und „Gesinnungsgenossen“. b) Engagierte Illegale – Aktivisten. c) Fanatische , gewaltbereite Illegale. Aus dieser „Gruppe“ werden gleich vier „Untergruppen“ gebildet , nämlich „Fanatiker“, „fanatische Aktivisten“, „radikale Aktivis ten“, „Terroristen“.62 Diese 553 standardisierten Figuren ( oder je nach vorhandenem Sample für die einzelnen sozialstrukturellen Fragestellungen eine entsprechend geringere Anzahl ) werden nun erbarmungslos durch 75 ( ! ) Tabellen und Diagramme hindurchgejagt63 , deren Erkenntniswert in manchen Fällen sicher beachtlich wäre , wüsste man aus zuverlässigen NSQuellen , ob die betreffenden Personen der NSDAP , SA oder SS angehörten und wann sie diesen Parteigliederungen beitraten. Das Fehlen dieser unerlässlichen Daten zur Organisationsentwicklung und Organisationsdichte ist , wie man gar nicht eindringlich genug betonen kann , die Crux fast aller Arbeiten zur Sozialstruktur des österreichischen Nationalsozialismus. Im vorliegenden Fall hätten zehn bis 15 biografische Skizzen ein wesentlich anschaulicheres Bild präsentieren können und vor allem eine individuelle und / oder gruppenspezifische Dynamik der jeweiligen Radikalisierungsprozesse erkennen lassen. Zumindest bei jenen Diagrammen , die auf die politischen Aktivitäten des untersuchten Personenkreises hin orientiert sind , ist die statische Fixierung auf die zuvor genannten „Gruppen“ eher kontraproduktiv ; denn es handelt sich ja intentional 62 Um eine Vorstellung über die Definitionskriterien dieser „Gruppen“ zu gewinnen , sei hier die „Fanatiker“-Schublade aufgezogen : „Zu der Gruppe der ‚Fanatiker‘, die sich noch mehr als die ‚Aktivisten‘ für die verbotene NS-Bewegung engagierten , zählen jene Nationalsozialisten , die im NSVerzeichnis der Gendarmerie vom 21. Jänner 1934 dezidiert als solche bezeichnet wurden , sowie alle HJ-Führer , SA-Scharführer , SA-Truppführer und die geistigen Leiter der Bewegung. Zu derselben Kategorie gehören auch diejenigen , die für das Anhaltelager vorgesehen waren bzw. tatsächlich dort inhaftiert waren , sowie jene , die während des Juliputsches vorsorglich im Schulgebäude angehalten wurden , da sie von der Polizei als besonders gefährlich eingestuft worden waren. Personen , die sich bei Demonstrationen besonders hervortaten – wie durch das Singen des ‚HorstWessel-Liedes‘ und gemeinsames ‚Heil-Hitler-Rufen‘ sowie durch provokantes Auftreten anläss lich der Beerdigungen von Nationalsozialisten oder die Träger von NS-Parteiuniformen – , werden hier ebenfalls zu den Fanatikern gezählt. Weitere Kriterien für diese Kategorie sind hier : die aktive Mitwisserschaft an geplanten Sprengstoffanschlägen auf Eisenbahnbrücken ; das Verfassen von Spottgedichten über Dollfuß ; die Organisierung von illegalen Treffen anlässlich der Hitler-Rundfunkübertragungen. Straffällig gewordene NS-Flüchtlinge ins Deutsche Reich waren meist schon gefährlichere ‚Fanatiker‘ und wurden deshalb in die Kategorie ‚fanatische Aktivisten‘ eingereiht.“ Krisch ( 2 003 ), 183–184. 63 Krisch ( 2003 ), 175–248.
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nicht um eine zeitliche Momentaufnahme , sondern um eine Periode von immerhin fünf Jahren. Die Frage etwa , wann und warum ein „Aktivist“ zum „Fanatiker“ mutierte ( sofern man diese Differenzierung überhaupt für sinnvoll hält ), kann durch ein statisches Modell jener Art nicht beantwortet werden. Einen sehr wichtigen Beitrag zur Erforschung des Nationalsozialismus leistet – unter Federführung von Ernst Hanisch und Peter F. Kramml – das auf fünf Bände angelegte Forschungsprojekt „Die Stadt Salzburg im Nationalsozialismus“. Der erste , im Herbst 2010 erschienene Band enthält drei Beiträge , die sich zur Gänze oder zum Teil mit der „Vorgeschichte“ der NS-Herrschaft in Salzburg befassen. Oskar Dohle , der Leiter des Salzburger Landesarchivs , liefert einen 50-seitigen , sehr quellenreichen Beitrag über den Aufstieg der NSDAP in Salzburg ( 1918–1938 ), der folgende Schwerpunkte umfasst : 1. Die politische Situation in der Zwischenkriegszeit in Salzburg im Überblick. 2. Die Anfänge der Nationalsozialisten in Salzburg. 3. Der „Hitlerputsch“ in München 1923 und seine Folgen für Salzburg. 4. Das Ende der Spaltung – die „Hitlerbewegung“ setzt sich durch ( 1926–1931 ). 5. Die Massenpartei – die NSDAP von den Landtagswahlen 1932 bis zum Verbot 1933. 6. Salzburg und die „1000-Mark-Sperre“. 7. Propaganda und Gewalt – vom Parteiverbot 1933 zum Juliputsch 1934. 8. Die blutigen Ereignisse im Juli 1934. 9. Vom „Juli-Putsch“ zum „Anschluß“ ( 1934–1938 ).64 Hans Schafraneks Aufsatz untersucht die regionale Herkunft ( nach Bezirken und Gemeinden ), Altersstruktur , Berufsstruktur , NS-Organisationsdichte ( Beitrittsjahre zur NSDAP und SA ) sowie die zeitlichen Schwerpunkte der Fluchtbewegungen von 1.140 Salzburger Angehörigen der Österreichischen Legion , ferner Grenzverletzungen , Schmuggel und politische Gewalttaten , in die Legionäre verstrickt waren.65 Der umfangreichste und außerordentlich gut dokumentierte Teil dieses Sammelbandes stammt von Peter F. Kramml. Dieser Text konzentriert sich auf die zwei Monate zwischen dem „Berchtesgadener Abkommen“ und der „Anschluss“-Abstimmung am 10. April 1938 und thematisiert folgende Bereiche : 1. Wirtschaftliche Depression und Radikalisierung der Innenpolitik. 2. Das Juliabkommen 1936 : Unterwanderung statt Terror. 3. Das Berchtesgadener Abkommen : „Die Dämme brechen“. 4. „Doppelherrschaft“: Legale Betätigung österreichischer Nationalsozialisten in der Vaterländischen Front. 5. Machtproben : Der nationale und der vaterländische Fackelzug. 6. Volksbefragung : „Ja“ zum „freien Österreich“ und zum „Ständestaat“. 7. Wintersteiger und Giger : Die Machtergreifung von innen. 8. Der „Anschluß“: Besetzung von außen. 9. „Legalisierung“ der Macht : Eide auf den „Führer“. 10. Die Kehrseite : Entlassungen , brutale Verfolgung und Terror. 11. Propagandafeldzug für den „Anschluß“: Aufbruch in eine „moderne Ära“. 12. Himmler , Göring , Hitler in Salzburg : Die Stadt als Bühne. 13. 44. 752 Ja- und nur 201 Nein-Stimmen am 10. April 1938.66 Besonders beein64 Dohle , Oskar ( 2010 ) : Bomben , Böller , Propaganda. Der Aufstieg der NSDAP in Salzburg ( 1918– 1938 ). In : Kramml , Peter F. / Hanisch , Ernst ( Hg. ) : Hoffnungen und Verzweiflung in der Stadt Salzburg 1938 / 39. Vorgeschichte. Fakten. Folgen [ Die Stadt Salzburg im Nationalsozialismus , Bd. 1 ] , Salzburg , 74–123. 65 Schafranek , Hans ( 2010 ) : Militante NS-Aktivisten mit Rückzugsbasis : Salzburger bei der Österreichischen Legion. In : Kramml / Hanisch ( Hg. ), 124–161. 66 Kramml , Peter F. ( 2010 ) : „Doppelherrschaft“, NS-Machtergreifung und „Anschluß“. Vom Berchtesgadener Abkommen zur Anschluss-Volksabstimmung. In : Kramml / Hanisch ( Hg. ), 162–237.
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druckend an dem ganzen Band wirken die fast 200 unbekannten Fotos ( i nklusive etliche faksimilierte Dokumente ), die mit wenigen Ausnahmen aus dem Archiv der Stadt Salzburg und dem Salzburger Landesarchiv stammen. Mit dem Verhältnis von Kirche und Nationalsozialismus im Lungau ( bis 1945 ) beschäftigt sich eine überaus fundierte Salzburger Dissertation , die auch publiziert wurde. Auch wenn das Schwergewicht auf der Periode nach dem „Anschluss“ liegt , enthalten die den Jahren 1933 bis 1938 gewidmeten Kapitel recht nützliche Informationen , die weit über den definierten Untersuchungsgegenstand hinausgehen und den allgemeineren politischen Rahmen in vielen Facetten darstellen.67 Schließlich sei noch auf einen im Jahrbuch des DÖW publizierten Aufsatz hingewiesen , der die chaotische Situation bei den Salzburger Juliputschisten 1934 untersucht. Im Bundesland Salzburg trat die SA bekanntlich erst am 27. Juli 1934 in Aktion , und die – bis in das Jahr 1933 zurückreichenden – Hintergründe der NS-internen Konflikte in Salzburg werden vor allem anhand von SA-Personalakten ausgeleuchtet.68 Das Bundesland Tirol bildete ursprünglich innerhalb der NSDAP zusammen mit Vorarlberg und Salzburg den sogenannten „Westgau“, bis sich Salzburg im Jahre 1932 organisatorisch verselbstständigen konnte und eine eigene Gauleitung erhielt. Tirol / Vorarlberg standen fortan unter der Führung des Gauleiters Franz Hofer und werden aufgrund dieser organisatorischen Konstellation auch in der Historiografie gelegentlich gemeinsam behandelt , etwa in einer bereits vor beinahe 30 Jahre erschienenen Darstellung von Harald Walser.69 Mangels weiterer „flächendeckender“ Studien zur NSDAP in Tirol und Vorarlberg ( 1933–1938 ) gilt Walsers Arbeit auch heute noch als Standardwerk , das allerdings fast keine Einblicke in die organisatorischen Binnenstrukturen der Tiroler und Vorarlberger Nationalsozialisten erlaubt. Angesichts der frühen Entstehungszeit des Werkes ist man geneigt , dieses Defizit und eine Reihe anderer Schwächen70 in einem milderen Licht zu betrachten als bei Publikationen jüngeren Datums. Anlässlich des Gedenkjahres 1988 erschien ein Sammelband ( „Tirol und der Anschluß“ ), der 2002 im Studien-Verlag neu aufgelegt wurde.71 Von den darin veröffent 67 Steinwender , Ignaz ( 2002 ) : Die Geschichte einer Verführung. Kirche und Nationalsozialismus im Salzburger Bezirk Lungau 1930–1945 [ Veröffentlichungen des Internationalen Forschungszentrums für Grundfragen der Wissenschaften , Bd. 2 ] , Wien. 68 Schafranek , Hans ( 2007 ) : Der NS-Putsch im Juli 1934 : Vorgeschichte in Salzburg. In : Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes ( Hg. ) : Jahrbuch 2007 , Wien , 177–195. Zum äußeren Ablauf der Ereignisse in Salzburg vgl. Bauer ( 2003 ), 308–314. 69 Walser , Harald ( 1983 ) : Die illegale NSDAP in Tirol und Vorarlberg , Wien. 70 Ein SS-Totenkopfregiment „Planetta“ ( Walser , 1983 , 69 ) hat niemals existiert. Die 37. SS-Standarte umfasste 1934 die oberösterreichischen SS-Angehörigen , nicht die Tiroler und Vorarlberger ( 68 ). Ein NS-Fememord in Tirol wird nicht erwähnt , wohl deshalb , weil die Behörden eine Nachrichtensperre verhängten und in der Presse nur eine winzige Notiz ohne Namensnennung des Opfers erschien. Zur Vorbereitung und Durchführung dieses Fememordes , den unmittelbar Beteiligten , ihren Auftraggebern und Hintermännern , der justiziellen Verfolgung im „Austrofaschismus“ und nach 1945 vgl. Schafranek , Hans ( 2009 ) : NS-Feme in Innsbruck. Der Mordfall Leikermoser im Jahr 1935. In : Tiroler Heimat. Jahrbuch für Geschichte und Volkskunde Nord- , Ost- und Südtirols Jg. 73 ( 2009 ), 165–184. 71 Albrich et al. ( Hg. ) ( 2002 ).
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lichten Aufsätzen sind für den hier referierten Untersuchungskomplex vor allem zwei Beiträge erwähnenswert. Michael Gehler beschäftigte sich mit den studentischen „An schluss“-Bestrebungen an der Universität Innsbruck.72 Harald Walser untersuchte den Juli-Putsch 1934 in Tirol , wobei vor allem die Auswertung des BDC-Aktes zu Christ ian Neyer73 einen sehr wichtigen Erkenntnisfortschritt erbrachte.74 Ein interessanter Beitrag von Michael Gehler , der in einer Festschrift erschien , widmete sich 1988 derselben Thematik.75 Schließlich sei noch auf einen Aufsatz von Richard Schober über Tiroler Nationalsozialisten vor 1938 verwiesen.76 Thomas Albrich und Wolfgang Meixner beschäftigten sich in den früher 1990er-Jahren mit der Mitgliederentwicklung und Sozialstruktur der Tiroler bzw. Vorarlberger Nationalsozialisten.77 Eine am Institut für Zeitgeschichte der Universität Innsbruck verfasste Diplomarbeit befasst sich ausführlich mit der Entwicklung des Nationalsozialismus in Vorarlberg bis 1938. Neben der Sekundärliteratur wurden die Sitzungsprotokolle des Vorarlberger Landtages , das „Vorarlberger Volksblatt“ und „Der rote Adler“ als Quellen herangezogen.78 72 Gehler , Michael ( 2002 ) : Die Studenten der Universität Innsbruck und die Anschlussbewegung 1918–1938. In : Albrich et al. ( Hg. ), 75–112. Vgl. darüber hinaus Gehler , Michael ( 1990 ) : Studenten und Politik. Der Kampf um die Vorherrschaft an der Universität Innsbruck [ I nnsbrucker Forschungen zur Zeitgeschichte 6 ] , Innsbruck. Vom selben Autor wurde zudem ein thematisch ähnlicher Aufsatz in einem Sammelband veröffentlicht : Korporationsstudenten und Nationalsozialismus in Österreich. Eine quantifizierende Untersuchung am Beispiel der Universität Wien 1918–1938. In : ders. / Heither , Dietrich ( Hg. ) ( 1997 ) : Blut und Boden , Frankfurt / Main , 187–222. 73 Der SS-Angehörige Christian Neyer war ein Komplize von Friedrich Wurnig , der am frühen Nachmittag des 25. Juli 1934 den Kommandanten der städtischen Sicherheitswache in Innsbruck , Polizeistabshauptmann Franz Hickl , ermordete. 74 Walser ( 2002 ). Allerdings hält Walser die Ermordung Hickls implizit für eine Tiroler Angelegenheit ( vgl. vor allem 331–332 ) und übersieht die enge Verbindung mit den Ereignissen in Wien. Vgl. dazu Schafranek ( 2006 ), 187–194. 75 Gehler , Michael ( 1988 ) : Tirol zur Zeit des Juli-Putsches der Nationalsozialisten im Jahre 1934. In : Historische Blickpunkte. Festschrift für Johann Rainer [ I nnsbrucker Beiträge zur Kulturwissenschaft 25 ] , Innsbruck , 159–172. 76 Schober , Richard ( 1995 ) : Auf dem Weg zum Anschluß. Tirols Nationalsozialisten 1927–1938. In : Tiroler Heimat. Jahrbuch für Geschichte und Volkskunde Nord- , Ost- und Südtirols Jg. 59 ( 1995 ), 132–161. 77 Meixner , Wolfgang ( 1993 ) : „Illegale NS-Aktivisten“ in Tirol 1933–1938 : Erste Einblicke in ein Forschungsvorhaben. In : Albrich , Thomas / Matt , Werner ( Hg. ) : Geschichte und Region. Die NSDAP in den 30er Jahren im Regionalvergleich , Dornbirn , 81–99 ; Albrich , Thomas / Meixner , Wolfang ( 1995 ) : Zwischen Legalität und Illegalität. Zur Mitgliederentwicklung , Alters- und Sozialstruktur der NSDAP in Tirol und Vorarlberg vor 1938. In : Zeitgeschichte Jg. 22 ( 1995 ) Heft 5 / 6 , 149–187. 78 Handlechner , Siegfried ( 2002 ) : Die Entwicklung des Nationalsozialismus in Vorarlberg bis zum März 1938 , Dipl.-Arb. , Innsbruck. Auffällig ist , dass in Vorarlberg die Behörden die Stärke der NS-Bewegung maßlos überschätzten , wie auch Handlechner ( 176–177 ) betont. Die Gendarmerie von Dornbirn schätzte demnach im Juni 1933 die Mitgliederzahl der Dornbirner NSDAP auf 6.000 bis 8.000 ! Es liegen zwar keine Vergleichszahlen zur politischen Organisation vor , aber bei einer Besprechung in Konstanz ( 1 4. Juli 1934 ), die sich mit der organisatorischen Situation der Vorarlberger SA befasste ( Teilnehmer : Gauleiter Franz Hofer , Graf Kirchbach , SA-Standartenführer Hans Glück sowie politische Leiter und Vorarlberger SA-Führer ), wurde festgestellt , dass der „Papierstand“ der Vorarlberger
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Als „Stadt der Volkserhebung“ ( 1938 ) hatte Graz in der propagandistischen Selbstins zenierung des NS-Regimes einen besonderen Stellenwert , und die Steiermark bildete in der sogenannten „Kampfzeit“ – d. h. der Periode von 1933 bis 1938 – eine Hochburg des illegalen Nationalsozialismus in Österreich. Umso deutlicher fällt auf , dass bis heute keine einzige wissenschaftliche Untersuchung existiert , die sich mit der politischen , organisatorischen und sozialgeschichtlichen Entwicklung des steirischen Nationalsozialismus zwischen dem Verbot der NSDAP sowie ihrer Gliederungen SA / SS / HJ ( Juni 1933 ) und dem „Anschluss“ im März 1938 befasst. Die starke wissenschaftliche Fokussierung auf den Juliputsch 1934 gilt für die Steiermark in einem besonderen Ausmaß. Die NS-interne Vorbereitung des SS-Putsches in Wien und dessen vielfältige Verflechtungen mit den Aufstandsbewegungen in der Steiermark wurden vor einigen Jahren in einer schon skizzierten Monografie analysiert.79 Der Sozialhistoriker Kurt Bauer bezieht sich in seiner Darstellung des Juliputsches ebenfalls in einem starken Ausmaß auf die Steiermark , wobei er sich – wie im überregionalen Kontext bereits erwähnt – auf den äußeren Ablauf der Ereignisse und die Sozialstruktur der Aufständischen konzentriert.80 Eine sehr gründliche Monografie von Gerald Wolf untersucht die NSDAP im Bezirk Deutschlandsberg und den Juli-Putsch 1934 in diesem Bezirk. Die „Vorgeschichte“ ist sehr gut eingebettet in eine Darstellung der wirtschaftlichen und sozialen Situation , wobei etwa ein Kapitel über Arbeitslosendemonstrationen , „Bauernbewegung“ und Gewerbeprotes te in den frühen 1930er-Jahren neue und interessante Einblicke eröffnet.81 Laut Wolf nahm die NSDAP-Mitgliedschaft im Gau Steiermark zwischen September 1932 und April SA 1.600 Mann betrage , von denen jedoch nur 400 aktiv seien. Bundesarchiv Berlin , SA-P , Protokoll Ernst Tiemann , 21. 1. 1935. Die Zahl der 1933 / 34 aus Vorarlberg geflüchteten Aktivisten , die der Österreichischen Legion beitraten , betrug 404. Legionärs-Datenbank des Verf. 79 Vgl. Anm. 25. 80 Vgl. Bauer ( 2003 ), 205–263. Siehe auch ders. , „Steiermark ist einmal gründlich verseucht …“ Regionale Unterschiede bei der Affinität zum Nationalsozialismus in der Phase des Durchbruchs zur Massenbewegung. Mögliche Ursachen und Erklärungsansätze. In : Österreich in Geschichte und Literatur Jg. 43 ( 1999 ) Heft 5 / 6 , 295–316. Kurt Bauers sozialgeschichtliche Untersuchungen sind zweifellos verdienstvoll , weisen aber insofern auch erhebliche Mängel auf , als er sich ausschließlich auf Quellenangaben der österreichischen Behörden stützt. Dadurch ist ihm etwa eine Differenzierung zwischen politischer Organisation ( = NSDAP ), SA und SS a priori verwehrt. Erscheint es zudem schon problematisch , die bezirksweise Entwicklung ( i n der organisatorischen Aufstiegsphase bis zum Parteiverbot ) anhand der Besucherfrequenz bei Versammlungen ( nach Schätzungen der Polizei ) eruieren zu wollen , so mündet die Untersuchung der Mitgliederentwicklung bzw. unterschiedlichen Stärke in einzelnen steirischen Regionen während der Illegalität mitunter in willkürlich anmutende Zahlenspielereien. Als „Indikatoren“ fungieren dabei etwa das bezirksweise ermittelte Verhältnis von polizeilichen Anzeigen , Festnahmen und „uneruierten Fällen“. Zieht man die starke Infiltration von Polizei und Gendarmerie durch NS-Sympathisanten und Mitglieder in Betracht , könnten derartige Kriterien ebenso gut als Kontra-Indikatoren gewertet werden. Gravierende Verzerrungen birgt auch Bauers Aufsatz : Arbeiterpartei ? Zur Sozialstruktur der illegalen NSDAP in Österreich. In : Zeitgeschichte Jg. 29 ( 2002 ) Heft 5 , 259–272. Der Titel dieses Aufsatzes ist eine glatte Irreführung , denn neben methodischen Fragen widmet sich der Autor ausschließlich der Sozialstruktur von Teilnehmern des Juliputsches 1934 , über deren NSDAP-Mitgliedschaft er in keinem einzigen Fall Informationen zu präsentieren vermag ! 81 Wolf ( 2008 ), 57–64.
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1933 um 100, 6 Prozent zu , der Gerichtsbezirk Deutschlandsberg lag knapp darunter ( 95, 9 Prozent ). Die den „Steirischen Gau-Nachrichten“ entnommenen Angaben vermitteln somit Aufschlüsse über die Mitgliederentwicklung ( ohne Informationen über die Zahl der neu eingetretenen Personen ), doch handelt es sich dabei um „ziemlich vage Verhältniszahlen , für die keine wie immer geartete Bezugsgröße angegeben wurde“.82 Der Autor beschreibt anschaulich zahlreiche symbolische , propagandistische und gewalttätige Aktionsformen der illegalen NS-Aktivitäten. Endlose Wiederholungen von Beispielen werden dabei ebenso vermieden wie der ( selbst auferlegte ) Zwang , diese unterschiedlichen Aktionsformen bzw. ihre Träger in das Korsett einer starren Typologisierung zu pressen. Wohltuend fällt auch auf , dass sich Wolf in dem kurzen Kapitel über die „Stärke“ der Bezirks-NSDAP während der Illegalität83 weder in quantitativen Spekulationen ergeht noch „Ersatzkriterien“ ( a nstelle konkreter Zahlen ) mit anderen „Ersatzkriterien“ verknüpft. Der Einbettung des Putsches ( auf Bezirksebene ) in die steirischen bzw. gesamtösterreichischen Planungen und Vorbereitungen folgt eine detaillierte Darstellung der Ereignisse in den einzelnen Gendarmeriepostenrayonen ( Stainz , St. Stefan ob Stainz , Gams , Freidorf , Lannach , Preding , Deutschlandsberg , Schwanberg , St.Martin im Sulmtal , Wies , Pölfing-Brunn , Eibiswald , St. Oswald ob Eibiswald , Soboth ).84 Verglichen mit diesem Forschungsschwerpunkt „Juliputsch“, der auch noch einige lokalgeschichtlich orientierte Aufsätze inkludiert ,85 fällt das Fazit über den steirischen Nationalsozialismus recht bescheiden aus , da ansonsten lediglich eine vor fast 25 Jahren erschienene und in manchen Aspekten korrekturbedürftige Darstellung über den Nationalsozialismus in Graz von den Anfängen bis 193886 existiert , ferner Kurt Bauers unveröffentlichte Diplomarbeit , die sich mit dem illegalen Nationalsozialismus in der obersteirischen Industrieregion 1933 / 34 befasst.87 Für Oberösterreich liegt gleichfalls keine „flächendeckende“ Studie vor , die entsprechenden Untersuchungen konzentrieren sich überwiegend auf die Entwicklung der illegalen NS-Organisationen in Linz. An erster Stelle ist hier ein umfangreicher Beitrag in dem zweibändigen Werk „Nationalsozialismus in Linz“ anzuführen , der von Thomas Dostal verfasst wurde.88 Der Autor geht ausführlich auf die sogenannte „Aktion 82 Wolf ( 2008 ), 102–103. 83 Wolf ( 2008 ), 142–143. 84 Wolf ( 2008 ), 144–178. 85 Grasmug , Rudolf / S chober , Franz Josef ( 1991 ) : Der Juli-Putsch im Bezirk Radkersburg. In : Feldbacher Beiträge zur Heimatkunde der Südoststeiermark , Heft 5 , 144–163 ; Blatnik , Herbert ( 1999 ) : Der „Generalpardon“ von Eibiswald. In : Hausmann , Robert F. ( Hg. ) ( 1999 ) : Mitteilungsblatt der Korrespondenten der Historischen Landeskommission für Steiermark , Heft 6 , Graz , 7–21 ; Bauer , Kurt ( 2004 ) : Der Tod des Revierinspektors. Juliputsch 1934 in der Steiermark. In : Das jüdische Echo. Europäisches Forum für Kultur und Politik Jg. 53 ( 2004 ), 65–71. 86 Staudinger , Eduard ( 1988 ) : Zur Entwicklung des Nationalsozialismus in Graz von seinen Anfängen bis 1938. In : Historisches Jahrbuch der Stadt Graz Jg.18 / 19 ( 1988 ), 31–74. 87 Bauer , Kurt ( 1998 ) : Struktur und Dynamik des illegalen Nationalsozialismus in der obersteirischen Industrieregion 1933 / 34 , Dipl.-Arb. , Wien. 88 Dostal , Thomas ( 2001 ) : Das „braune Netzwerk“ in Linz. Die illegalen nationalsozialistischen Aktivitäten zwischen 1933 und 1934. In : Mayrhofer , Fritz / S chuster , Walter ( Hg. ) ( 2001 ) : Nationalsozialismus in Linz , Bd.1 , 21–136.
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Reinthaller“ und die „Befriedungsaktion“ des in radikalen NS-Kreisen als „Verräter“ geltenden Gaubevollmächtigten89 Benedikt Klaushofer ein , ferner auf das „Hilfswerk Langoth“.90 Als einer der wenigen NS-Forscher präsentiert Dostal auch in gesonderten Kapiteln die organisatorischen und personellen Verhältnisse in der Parteiorganisation , der SA und SS ,91 wobei ihm allerdings einige Fehler unterlaufen.92 Evan Burr Bukey widmet in seiner politik- und sozialgeschichtlich angelegten Studie über Linz ( 1908–1945 ) auch einige Kapitel dem Nationalsozialismus , wobei er mit apodiktischen Einschätzungen nicht geizt , etwa der Behauptung : „Das verhängnisvolle Ergebnis des Juli-Putsches mit seinen nachfolgenden Verhaftungen und erneut einsetzenden Fluchtmanövern nach Deutschland beendete praktisch die NS-Bewegung in Oberösterreich“.93 Der Autor bringt das Kunststück zuwege , die „Berufsstruktur der NSDAP“ in Linz ( i llegale Aktivisten 1933–1938 ) nach elf Berufsgruppen zu gliedern und mit dem Durchschnitt im Deutschen Reich ( ! ) 1933 zu vergleichen , wobei das Linzer Sample gerade einmal 74 ( ! ) Personen umfasste.94 89 Bukey , Evan Burr ( 1993 ) : „Patenstadt des Führers“. Eine Politik- und Sozialgeschichte von Linz 1908–1945 , Frankfurt a. M. / New York , 225 , und Gustenau , Michaela ( 1992 ) : Mit brauner Tinte. Nationalsozialistische Presse und ihre Journalisten in Oberösterreich ( 1933–1945 ), Linz , 27 , verwechseln die Funktion des Gauleiters mit der des Gaubevollmächtigten bzw. differenzieren nicht zwischen diesen Funktionsträgern. Benedikt Klaushofer war von September 1933 bis August 1934 entgegen der in diesen Publikationen getroffenen Feststellung nicht oberösterreichischer Gauleiter ; diese Funktion übte Andreas Bolek auch nach seiner Flucht ins Deutsche Reich ( Passau ) aus , und zwar bis Mai 1934 , als er vom Landesleiter Habicht abgesetzt und wegen „Hochverrats“ parteiintern angezeigt wurde. Zwischen Mai 1934 und dem Juliputsch fungierte der Salzburger Gauleiter Scharizer auch als kommissarischer Gauleiter von Oberösterreich. Vgl. Lebenslauf Karl Scharizer , 11. 3. 1937 , Bundesarchiv Berlin , SS-Führerpersonalakt Karl Scharizer , SSO , Mikrofilm 070 B ; Parteiverfahren Andreas Bolek , OPG , Mikrofilm B 99. 90 Dostal ( 2001 ), 73–90. 91 Dostal ( 2001 ), 90–113. 92 Die von Carsten ( 1977 ), 184 , 202 übernommenen Zahlen zur SA in Linz bzw. Oberösterreich sind zu niedrig angesetzt ( 98 ). Außerdem wird die 76. SS-Standarte ( Salzburg ) mit der gar nicht erwähnten SS-Standarte 37 ( L inz ) verwechselt. 93 Bukey ( 1993 ), 227. 94 Bukey ( 1993 ), 232. Dementsprechend „aussagekräftig“ fällt dieser Vergleich zwischen einem verfaulten Apfel und tausend Tonnen frischer Birnen aus ; etwa bei den Bauern ( 1, 4 Prozent = eine Person in Linz , 10, 7 Prozent im Reichsdurchschnitt ). Ohne Quellenangabe behauptet Bukey , in ganz Ober österreich habe es im April 1932 lediglich 700 eingeschriebene NSDAP-Mitglieder gegeben ( 1 49 ), im Dezember 1932 sollen es 690 gewesen sein ( 153 ) ; weiters ohne Kommentar : „Laut einem Polizeibericht vom 22. 12. 1932 zählte die SA in Linz 236 Männer , die SS nur 26“ ( 151 ). Als Quelle ist angeführt : AVA , BKA , I , 22 OÖ , Sch. 5.102 , Dok. 251.167 / 32. Schließlich verblüfft Bukey den Leser mit der Feststellung , die Zahl der NSDAP-Mitglieder sei in Linz zwischen 1931 und 1933 nur um 84 ( ! ) gestiegen ( 155 ). Diese Angaben sind um ein Vielfaches zu niedrig beziffert. Allein die Anzahl der ( nachmaligen ) Linzer Legionsangehörigen ( über die jeweils etwa zehn biografische Eckdaten vorliegen ), die zwischen 1931 und 1933 der NSDAP beitraten , betrug 138 ( Quelle : Legionärs-Datenbank des Verf. ), also beinahe das Doppelte der angeblichen NSDAP-Beitritte insgesamt in dem besagten Zeitraum. Von den 240 Linzer Mitgliedern ( Wohnort Linz vor der Flucht nach Deutschland ) der Österreichischen Legion , die der SA angehörten , waren ihr 182 bis Ende 1932 beigetreten ( L egionärs-Datenbank ). Vom Verf. wurden bisher NS-Personalunterlagen von 3.246 illegalen österreichischen SS-Angehörigen ermittelt ; darunter be-
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Burgenland bildete erst seit Mai 1935 einen selbstständigen Gau , zuvor waren die südlichen Bezirke ( Jennersdorf , Oberwart , Güssing ) dem Gau Steiermark unterstellt , während Eisenstadt , Neusiedl , Mattersburg und Oberpullendorf 1931 parteiintern Niederösterreich zugeschlagen worden waren. Burgenland galt traditionell seit jeher als die schwächste Bastion des Nationalsozialismus , und das änderte sich auch zwischen 1933 und 1938 nicht. Dieser Umstand lässt das Dissertationsthema von Otto Fritsch95 aber keineswegs als uninteressant erscheinen , im Gegenteil. Der Verfasser der besagten Studie konnte sich bei seinen Recherchen auf das erhalten gebliebene NSDAP-Kreisarchiv Eisenstadt ( im Burgenländischen Landesarchiv ) stützen , und dies erlaubte ihm eine Fülle von Informationen über die organisatorische Binnenstruktur , die man in vielen anderen Arbeiten ansonsten vergeblich sucht. So dürfte auch der vom „Gauschatzmeis ter“ bezirksweise gemeldete Stand an „Parteigenossen“ einigermaßen zuverlässig sein. Er betrug demnach ( September 1937 ) in ganz Burgenland 2.622 , der stärkste Bezirk war Oberwart mit 828 Mitgliedern. Der SA gehörten ( August 1937 ) 1.109 Personen an , wobei ebenfalls Oberwart mit 326 Mitgliedern den ersten Platz einnahm. Die SS meldete zum gleichen Zeitpunkt einen Stand von 230 Personen ( Oberwart : 66 ). Auch Details wie etwa das Einheben gestaffelter Mitgliedsbeiträge erfährt man sonst kaum. Besonders interessant erscheinen dem Verf. dieses Forschungsberichts die Informationen über den Gau-Nachrichtendienst96 und die Darstellung des Fememordes an Johann Weichselberger im November 1937.97 Für Niederösterreich insgesamt liegt lediglich eine Ende der 1980er-Jahre publizierte knappe Überblicksdarstellung von Klaus-Dieter Mulley vor.98 Mit einer 1981 abgefinden sich 42 Linzer , die der SS bis Ende 1932 beitraten ( SS-Datenbank ). Lt. Black , Peter ( 1991 ) : Ernst Kaltenbrunner. Vasall Himmlers : Eine SS-Karriere , Paderborn , 84 , zählte der Linzer SS-Sturm ( 1930 ) etwa 50 Mann , wofür er allerdings keine Quelle angibt. Bukeys Arbeit wimmelt nur so von Widersprüchen. So schreibt er von einer „konzertierten sozialdemokratischen Anstrengung , die NS-Flut in Linz und Umgebung einzudämmen“ ( 1932 ), was sich mit der kurz zuvor behaupteten enormen Schwäche ebenso wenig vereinbaren lässt wie die Erfindung einer Linzer SS-Brigade ( ! ) ( 151 ). SS-Brigaden existierten überhaupt nicht in der Allgemeinen SS , sondern wurden erst während des Krieges in der Waffen-SS geschaffen. Da die SA bis zur Standarte die gleiche Gliederung aufwies wie die Allgemeine SS , sei hier darauf hingewiesen , dass im Regelfall drei bis vier SA-Stürme einen Sturmbann bildeten , drei bis vier Sturmbanne eine Standarte und zwei bis drei Standarten eine Brigade. Um Missverständnisse im Kontext der Dienstgrade ( vgl. Textpassage betreffend Rodenbücher ) zu vermeiden : Ein SS-Brigadeführer ( A llgemeine SS ) leitete 1933 / 34 im Regelfall einen SS-Abschnitt oder Oberabschnitt. Österreich bildete 1934 den SS-Oberabschnitt Donau und umfasste acht Standarten : 11 ( Wien ), 37 ( Oberösterreich ), 38 ( Steiermark ), 52 ( Niederösterreich ), 76 ( Salzburg ), 87 ( Tirol-Vorarlberg ), 89 ( Wien ), 90 ( Kärnten ) sowie einen selbstständigen Sturmbann ( Burgenland ). Die Gesamtzahl der österreichischen SS-Angehörigen betrug 8.298 ( Ende Juli 1934 ). Vgl. Bundesarchiv Berlin , NS 33 / 182. Etschmann , Wolfgang ( 1984 ) : Die Kämpfe in Österreich im Juli 1934 [ M ilitärhistorische Schriftenreihe , Bd. 50 ] , Wien , 15 , schätzte ihre Zahl für denselben Zeitpunkt auf 2.000. 95 Fritsch ( 1993 ) : Die NSDAP im Burgenland 1933–1938 , phil. Diss. , Wien. 96 Fritsch ( 1993 ), 136–140. 97 Fritsch ( 1993 ), 262–268. 98 Mulley , Klaus-Dieter ( 1989 ) : Die NSDAP in Niederösterreich 1918 bis 1938. Ein Beitrag zur Vorgeschichte des „Anschlusses“. In : Österreich in Geschichte und Literatur Jg. 33 ( 1989 ) Heft 3 / 4 , 169– 191.
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schlossenen Dissertation über den Nationalsozialismus im Bezirk Scheibbs legte derselbe Autor eine regionalgeschichtliche Pionierarbeit vor.99 Eine neuere Dissertation befasst sich mit dem Nationalsozialismus im unteren Traisental.100 Zu Wien existieren keine Untersuchungen für die Periode 1933–1938 , jedoch ist auf eine ausgezeichnete Studie hinzuweisen , die nicht nur vom Umfang ( 500 Seiten ) und Quellenreichtum sonstige Diplomarbeiten bei Weitem übertrifft. Bernd Beutl beleuchtet in seiner Arbeit über Politik , Strukturen und Propaganda der NSDAP Wien ( 1930–1933 ) alle Aspekte dieser Thematik in akribischer Weise.101 Aus Platzgründen ist es leider nicht möglich , näher auf diese Diplomarbeit einzugehen , die mit Abstand die qualifizierteste aller dem Verf. bekannten unveröffentlichten Hochschulschriften zum Thema ‚Nationalsozialismus in Österreich‘ darstellt. IV. Biografische Studien Während die gruppenspezifische NS-Täterforschung in Österreich ein Vierteljahrhundert nach der Waldheim-Debatte immer noch in den Anfängen steckt , hat die biografische Forschung über einzelne – mehr oder weniger „prominente“ – österreichische Nationalsozialisten recht beachtliche Fortschritte erzielt. Der sehr geraffte Überblick bezieht sich naturgemäß ausschließlich auf NS-Täter , die auch vor dem „Anschluss“ schon eine gewisse Rolle spielten , und umfasst exemplarisch auch Arbeiten , die von ausländischen Forschern verfasst wurden. Hier ist an erster Stelle die vor 20 Jahren in Deutschland publizierte Biografie von Peter Black über Ernst Kaltenbrunner anzuführen. Ein Kapitel dieser ausgezeichneten Studie behandelt im Hinblick auf die österreichische SS vor 1938 einige organisationsgeschichtlich interessante Aspekte.102 Zu Odilo Globocnik , dem Hauptverantwortlichen für die Ermordung von 1, 5 bis 1, 8 Millionen Juden ( „ Aktion Reinhard“ ), sind zwei größere Publikationen erschienen , von denen sich eine jedoch bloß auf Sekundärliteratur stützt.103 Die jüngere Studie von Berndt Rieger basiert zwar auf zahlreichen Archivquel99 Mulley , Klaus-Dieter ( 1981 ) : Nationalsozialismus im politischen Bezirk Scheibbs 1930 bis 1945. Versuch einer Regionalgeschichte , phil. Diss. , Wien. 100 Riha , Rudolf ( 2002 ) : Nationalsozialismus im unteren Traisental. Wegbereiten – mitmachen – vergessen , phil. Diss. , Wien. Diese interessante Studie wurde 2007 unter demselben Titel in der Reihe „Studien und Forschungen aus dem niederösterreichischen Institut für Landeskunde“ ( Bd. 44 ), St. Pölten , publiziert. Der Autor untersucht in seiner materialreichen Arbeit die Gemeinden Herzogenburg , Traismauer , Nussdorf / Traisen , Inzersdorf , Sitzenberg , Reidling , Stollhofen , Wagram / Traisen , Hollenburg , Getzersdorf , Gemeinleb , Frauendorf-Hilpersdorf , die zusammen 11.219 Einwohner zählten. Dass selbst auf einer solchen Mikro-Ebene Spuren innerparteilicher Konflikte nach 1934 sichtbar wurden , lässt die stark vernachlässigte Behandlung dieser Thematik in einem größeren Rahmen umso sinnvoller erscheinen. 101 Beutl , Bernd ( 2006 ) : „Propaganda hat mit Wahrheit gar nichts zu tun“. Politik , Strukturen und Propaganda des Gaues Wien der NSDAP ( H itlerbewegung ) 1930–1933 unter besonderer Berücksichtigung der Presse , Dipl.-Arb. , Wien. 102 Black , Peter ( 1991 ) : Ernst Kaltenbrunner. Vasall Himmlers : Eine SS-Karriere , Paderborn , 83–118. 103 Pucher , Siegfried ( 1997 ) : In der Bewegung führend tätig. Odilo Globocnik , Kämpfer für den Anschluss – Vollstrecker des Holocaust , Klagenfurt.
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len , enthält in den Details jedoch eine Reihe von fehlerhaften Angaben.104 In letzter Zeit sind zwei materialreiche Biografien zu Amon Göth105 und dem KZ-Arzt Sigbert Ramsauer106 erschienen , die auch die Periode vor 1938 – naturgemäß in einer individualbiografischen Perspektive – relativ ausführlich thematisieren. Ursula Mindler hat eine Monografie und einen gleichfalls sehr aufschlussreichen Aufsatz über Tobias Portschy vorgelegt , den NS-Gauleiter des Burgenlandes.107 Alfred Elste , Michael Koschat und Hanzi Filipic untersuchten den Prozess gegen den früheren Kärntner Gauleiter Rainer im kommunistischen Jugoslawien.108 Eine hervorragend recherchierte kleine Studie erschien 1993 über Hans Bilgeri , der bereits als stellvertretender steirischer Gauleiter ( 1934 ) in der Steiermark , vor allem aber nach 1938 eine wichtige Rolle in Tirol spielte.109 Der politische Werdegang des Vorarlberger NS-Politikers Anton Plankensteiner ( 1938 / 39 Landeshauptmann ) wird in einem Aufsatz von Manfred Stoppel dargestellt.110 Über den schon erwähnten SA-Terroristen Franz Hiebl , einen späteren SS-Angehörigen und skrupellosen „Ariseur“, erfährt man durch einen Beitrag von Martin Achrainer viele neue Details.111 Eine Klagenfurter Dissertation befasst sich mit der wissenschaftlichen Karriere und politischen Entwicklung des Historikers Harold Steinacker.112 „Kärntens braune Elite“ wird in einem von zwei Historikern erstellten Band präsentiert. Die 20 biografischen 104 Rieger , Berndt ( 2007 ) : Creator of Nazi Death Camps. The Life of Odilo Globocnik , Portland. So behauptet Rieger etwa , um nur ein Beispiel herauszugreifen , Hanns Albin Rauter ( a ls SS-Obergruppenführer und Generalkommissar für das Sicherheitswesen nach Seyß-Inquart der wichtigste NS-Funktionsträger in den besetzten Niederlanden ) sei 1947 in Den Haag erschossen worden ( 225 ). Tatsächlich wurde das Todesurteil am 25. 3. 1949 vollstreckt , in den Dünen der Walsdorfer Flakte bei Scheveningen. 105 Sachslehner , Johann ( 2008 ) : Der Tod ist ein Meister aus Wien. Leben und Taten des Amon Leopold Göth , Wien / Graz / K lagenfurt. 106 Rettl , Lisa / Pirker , Peter ( 2010 ) : „Ich war mit Freuden dabei“. Der KZ-Arzt Sigbert Ramsauer. Eine österreichische Geschichte , Wien. 107 Vgl. Mindler , Ursula ( 2006 ) : Tobias Portschy. Biographie eines Nationalsozialisten. Die Jahre bis 1945 , Eisenstadt ; Mindler , Ursula ( 2009 ) : „ …weil Portschy trotz seines hohen Ranges neben Uiberreither keine wesentliche Rolle in der NSDAP gespielt hat …“. Handlungsspielräume regionaler nationalsozialistischer Eliten am Beispiel der Biographie von Tobias Portschy. In : Zeitgeschichte Jg. 36 ( 2009 ) Heft 3 , 165–182. 108 Elste , Alfred / Koschat , Michael / Filipic , Hanzi ( 2000 ) : NS-Österreich auf der Anklagebank. Anatomie eines kommunistischen Schauprozesses , Klagenfurt / Ljubljana / Wien. 109 Alexander , Helmut / G ehler , Michael ( 1993 ) : „Ich war ein überzeugter Nationalsozialist“. Aspekte einer vergessenen Biographie : Dr. Hans Bilgeri. In : Österreich in Geschichte und Literatur Jg. 37 ( 1993 ) Heft 3 , 133–169. 110 Stoppel , Manfred ( 1998 ) : Toni Plankensteiner ( 1890–1969 ). Eine biographische Bestandsaufnahme. In : Montfort. Vierteljahresschrift für Geschichte und Gegenwart Tirols Jg. 50 ( 1998 ) Heft 4 , 294–325. 111 Achrainer , Martin ( 2004 ) : Der Chef fährt Porsche. Aus dem Leben eines Hasardeurs. In : Gensluckner , Lisa / Schreiber , Horst / Tschugg , Ingrid / Weiss , Alexandra ( Hg. ) : Gaismair-Jahrbuch , Wien / I nnsbruck ,159–178. 112 Schader , Anna ( 1997 ) : Harold Steinacker ( 1875–1965 ). Sein Weg in den Nationalsozialismus , phil. Diss. , Klagenfurt.
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Skizzen liefern einen sehr guten Überblick über die Führungsgarnitur der Kärntner Nationalsozialisten , von denen alle bereits vor 1938 der Partei angehörten. Für die Erstellung der Biografien nutzten die Autoren auch die Personalakten aus dem früheren BDC.113 Das Führungskorps der „Österreichischen Legion“ – und damit auch zum Großteil der österreichischen SA insgesamt114 – wurde von Andrea Hurton erfasst , und zwar durch 138 Kurzbiografien , bei denen ein SA-Dienstrang vom Sturmbannführer aufwärts als Definitionskriterium diente.115 V. Österreichische NS-Flüchtlinge Vor 15 Jahren publizierte Dušan Nečak eine kleine , aber in organisationsgeschichtlicher Hinsicht interessante Monografie116 über die nach dem Putschversuch 1934 ins grenznahe Jugoslawien geflüchteten steirischen und Kärntner Teilnehmer des gescheiterten NS-Aufstandes. Der Autor betont die wohlwollende Behandlung durch die jugoslawischen Behörden und skizziert die Lebensverhältnisse in den Lagern Varaždin , Bjelovar , Slavonska Pozega und Lipiske toplice sowie die heimliche deutsche Unterstützung. Auch die Konflikte zwischen Kammerhofer ( ehemals Steirischer Heimatschutz ) und den „alten“ Kärntner SA-Führern werden beleuchtet. Der Untersuchungszeitraum beschränkt sich auf den viermonatigen Aufenthalt in Jugoslawien , d. h. bis zur Transferierung der NS-Flüchtlinge ( auf dem Seeweg ) nach Deutschland. Verena Moritz untersuchte in einem Aufsatz die Rolle der Österreichischen Legion , vor allem im Kontext der gespannten deutsch-österreichischen Beziehungen nach 1933.117 Hans Schafranek veröffentlichte zuletzt eine Gesamtdarstellung zur Österreichischen Legion , die das Thema politik- , organisations- und biografiegeschichtlich erschließt. Ferner enthält die auf langjährigen Forschungen basierende Studie ein kollektivbiografisches Kapitel , das sozialstrukturelle Aspekte inkludiert. Als Grundlage dafür dienten etwa 140.000 Daten ( Geburtsort , Geburtsdatum , Wohnort vor der Flucht ins Deutsche Reich , Beruf , Beitrittsdatum zur SA , Beitrittsdatum zur NSDAP , zur Legion oder sons tigen Organisationen , Legionslager , höchster Dienstgrad in der Legion usw. ) zu 14.945 Legions-Angehörigen , wobei in 12.010 Fällen auch der letzte Wohnort in Österreich erhoben werden konnte. Daraus ließ sich die genaue regionale Herkunft der Legionäre aus allen 112 politischen Bezirken Österreichs eruieren , die zur Einwohnerzahl dieser Bezirke ( lt. Volkszählung vom 22. März 1934 ) in Bezug gesetzt wurde. Daraus resultierte fol113 Elste , Alfred / P ucher , Siegfried ( 1997 ) : Kärntens braune Elite , Klagenfurt. 114 Die Legionsführung schätzte 1934 , dass die österreichischen SA-Führer mehrheitlich ins Deutsche Reich geflüchtet waren. 115 Hurton , Andrea ( 2011 ) : Das Führungskorps der Österreichischen Legion. Diese Kurzbiografien bilden den letzten Abschnitt ( 393–464 ) des Buches von Schafranek , Hans ( 2011 ) : Söldner für den Anschluss. Die Österreichische Legion 1933–1938 , Wien. 116 Nečak , Dušan ( 1996 ) : Die österreichische Legion II. Nationalsozialistische Flüchtlinge in Jugoslawien nach dem misslungenen Putsch vom 25. Juli 1945 , Wien. Die slowenische Originalausgabe erschien 1995 in Maribor. 117 Moritz , Verena ( 2009 ) : Information und Desinformation. Anmerkungen zur Rolle der „Österreichischen Legion“ im Verhältnis zwischen Wien und Berlin 1933–1935. In : Zeitgeschichte Jg. 36 ( 2009 ), Heft 4 , 217–239.
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gendes „Ranking“: Aus den Bezirken Wolfsberg , Leibnitz , Spittal an der Drau , Zell am See , Kitzbühel kamen die meisten Legionäre ( relativ ), während die Bezirke Wien V , Wien XIV , Gänserndorf , Wien XI und Oberpullendorf am schwächsten vertreten waren ( relativ ). Das Durchschnittsalter der zu 98 Prozent aus SA-Mitgliedern bestehenden Legionäre ( n = 14.654 ) lag beim Eintritt in die Legion mit 26, 28 Jahren noch mehr als zwei Jahre unter dem von Kurt Bauer erhobenen Alter der Juliputschisten. Erstaunlich hoch war der Organisierungsgrad in der NSDAP. Von den 14.012 nachgewiesenen SA-Mitgliedern gehörten 11.391 Personen ( d. h. 81, 3 Prozent ) auch der PO an , wobei – ein starkes Indiz für die Verselbstständigungstendenzen in der Illegalität – ab Juni 1933 die Zahl der NSDAP-Beitritte absolut und relativ ( d. h. im Verhältnis zu den neuen SA-Beitritten ) drastisch absank , auch bei den in der zweiten Jahreshälfte 1933 noch in Österreich lebenden ( nachmaligen ) Legionären. Die am stärksten vertretenen Berufsgruppen ( n = 5.263 ) stellten Handwerksgesellen dar ( 17, 86 Prozent ), gefolgt von Hilfsarbeitern ( k napp 17 Prozent ), am schwächsten waren Vertreter akademischer Berufe vertreten , unter denen die Ärzte überwogen.118 VI. Forschungsdefizite und offene Fragen a) Eine organisationsgeschichtliche Darstellung der Wiener NSDAP , die zeitlich an die exzellente Diplomarbeit von Bernd Beutl anschließt. b) Eine sozialgeschichtlich angelegte Studie , die in einer ähnlichen Größenordnung und auf einer vergleichbaren Quellenbasis wie die Untersuchung über die „Legionäre“ flächendeckend für alle Bundesländer die regionale Herkunft ( nach Bezirken ), Berufsgliederung und NS , SA- oder SS-Beitrittsdaten einer spezifischen Gruppe von „Illegalen“ untersucht. Hier würden sich als Vergleichsgruppe etwa die Wöllersdorfer NS-Häftlinge anbieten. Beide Gruppen zusammen ergäben – mit zuverlässigen Informationen über die politische Vita und den sozialen wie auch organisationsgeschichtlichen Hintergrund – eine komplexe kollektivbiografische Sicht auf mehr als 20.000 „illegale“ NS-Aktivisten. c) SA , SS und PO drifteten nach der Illegalisierung in einem noch weit stärkeren Ausmaß auseinander als bisher angenommen – in politischer und organisatorischer Hinsicht wurden die Verselbstständigungstendenzen bislang eher unterschätzt. Der Verf. vertritt mittlerweile die Auffassung , dass es überhaupt fragwürdig ist , für die Periode 1933–1938 noch von „der“ illegalen NS-Bewegung zu sprechen , zumal sich auch in sozialstruktureller Hinsicht die Schere zwischen der „proletarischen“ bzw. „subproletarischen“ SA und der SS119 immer weiter öffnete. Dies lässt es noch dringlicher erscheinen , mit methodischen Fragen und statistischen ( Schein-)Problemen überfrachtete Kombinationen und Verknüpfungen der schon mehrfach erwähnten „Ersatzkriterien“ ( a nstelle konkreter Grundlagenforschungen zur NS- , SA- und SS-Mitgliederentwicklung ) hinter sich zu lassen. Dabei soll freilich nicht verkannt werden , dass selbstverständlich auch personenbezogene NS-Akten erhebliche Tücken ( etwa im Sinne 118 Schafranek , Hans ( 2011 ) : Söldner für den Anschluss. Die Österreichische Legion 1933–1938 , Wien. 119 Aufgrund der laufenden Forschungen des Verf. zur SS ist vorläufig festzustellen , dass annähernd 40 Prozent der illegalen steirischen und Kärntner SS-Angehörigen ( n = 2.145 ) aus der Gendarmerie , Polizei oder dem Bundesheer kamen.
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I. Parteiengeschichte
einer geschönten Selbstdarstellung bei Personal-Fragebögen ) aufweisen , wie eine vor wenigen Jahren verfasste Diplomarbeit eindrucksvoll unter Beweis gestellt hat.120 d) Eine kollektivbiografische Untersuchung über die österreichischen Gauleiter ( u nter Einschluss der kommissarischen Gauleiter und evtl. der Gaubevollmächtigten ). Dies erfordert allerdings eine fundierte Kenntnis der regionalen innerparteilichen Situation , weil angesichts der erzwungenen Abkoppelung von der „reichsdeutschen“ N SDAP ( nach 1934 ) in einigen Bundesländern ( Steiermark , Niederösterreich ) zum Teil gleichzeitig verschiedene NS-Funktionäre diesen Status für sich reklamierten. e) Eine nach Bundesländern differenzierte Untersuchung über die justizielle Verfolgung von Nationalsozialisten nach 1933. Aufgrund der Recherchen zur Österreichischen Legion ergab sich etwa , dass zurückgekehrte Legionäre in Vorarlberg ( teilweise auch in Tirol ) mit Glacéhandschuhen angefasst und häufig freigesprochen oder gar nicht unter Anklage gestellt wurden , während sie in Wien ( sofern nicht andere Delikte hinzukamen ) zumeist mit einer Kerkerstrafe von 12 bis 18 Monaten verurteilt wurden.121 Es wäre interessant zu erforschen , in welchem Ausmaß sich dieser Befund auf andere NS-Täter erweitern lässt. f) In sehr vielen Untersuchungen finden sich – mehr oder weniger verstreute – Hinweise auf die NS-Infiltration „legaler“ Institutionen , Vereine usw. , teils schon vor dem Juliputsch 1934 , in noch wesentlich stärkerem Ausmaß in der späteren Periode. Wenig bekannt ist aber z. B. , dass die illegale Motor-Standarte der Wiener SA bis zum Juliputsch 1934 fast ungehindert agieren konnte , weil ihre Mitglieder sukzessive in die aus dem Landbund hervorgegangene „Grüne Front“ strömten und dadurch eine legale Deckung erhielten. Es wäre wünschenswert , die Geschichte all dieser Infiltrationstechniken – auch und besonders innerhalb des Polizei- und Justizapparats – zu systematisieren und als breit angelegte Taktik der Machteroberung von „innen“ zu untersuchen. g) Viel zu wenig erforscht sind z. B. auch Basis / Führungs-Konflikte innerhalb der illegalen NSDAP wie auch Machtkämpfe innerhalb der Führungsgarnitur.122 Wie reagierten die Parteimitglieder auf jähe politische Zäsuren , etwa die ( tendenzielle ) Liquidierung der Terror-Strategie Habichts nach dem Juli 1934 oder die gravierende Umorientierung nach dem Juli-Abkommen 1936 ? Hier wäre etwa auf die Meutereien in der steirischen SA 1936 hinzuweisen. Welche Disziplinierungsmaßnahmen gegen „unbotmäßige“ Parteimitglieder kamen zur Anwendung , wie wurde „Parteiverrat“ geahndet ? Zu diesem Komplex ist lediglich die Spitze eines mutmaßlichen Eisbergs erforscht , nämlich die Darstellung einiger Fememorde.
120 Vgl. Eccher , Roman ( 2008 ) : Die SA-Brigade Jäger , Dipl.-Arb. , Wien. 121 Eine umfassende Untersuchung dieses Komplexes konnte , abgesehen von biografischen Einzelfällen , in die Studie des Verf. über die Österreichische Legion nicht mehr eingearbeitet werden. Umfangreiches Aktenmaterial zu den Ermittlungen gegen „Legions-Rückkehrer“ befindet sich im Österreichischen Staatsarchiv , Kartons 4.908 und 4.909 , BKA Inneres , 22 / gen. 122 Relativ gut erforscht ist dieser Aspekt erst für die Spätphase ab Sommer 1937 , d. h. mit der beginnenden Entmachtung des Landesleiters Leopold.
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VII. Wenig genutzte oder weitgehend unbekannte , für die Erforschung des österreichischen Nationalsozialismus ( 1933–1938 ) relevante Aktenbestände. 7.1 Österreichisches Staatsarchiv / Archiv der Republik. a) Die Akten des Gaupersonalaktes Wien ( k urz : „Gauakten“ ) befinden sich seit 1990 im Staatsarchiv Wien. Für personenbezogene Recherchen zum Nationalsozialismus ist dieser riesige Bestand ( ca. 350.000 Akten ) eine unverzichtbare Quelle. Erfasst sind nicht ausschließlich Nationalsozialisten , andererseits enthält der Bestand zu einem großen , allerdings nicht genau abschätzbaren Anteil auch personenbezogene Akten zu österreichischen Nationalsozialisten aus allen Bundesländern. Sofern der Todeszeitpunkt nicht nachgewiesen werden kann , existiert eine „100-Jahr-Sperre“, d. h. derzeit sind alle Akten zu Personen zugänglich , deren Geburtsjahr vor 1912 liegt. b) Die Akten des am 26. Juli 1934 eingerichteten Militärgerichtshofs ( MGH ) sind eine hervorragende Quelle für die weitere Erforschung des Komplexes „Juliputsches“. Die Bearbeitung der handschriftlich verfassten „Findbücher“ ist zwar etwas mühsam , da die Recherche nur über die – jahrgangsweise geordneten – Aktenzahlen zu den jeweiligen Verfahren erfolgen kann , doch existiert auch ein internes Findmittelverzeichnis , in dem 6.999 Personen alphabetisch erfasst sind. 7.2 Bundesarchiv Berlin. Alle im Folgenden angeführten Bestände sind für Benutzer in Form von Mikrofilmen bzw. Mikrofiches verfügbar und können über Personaldatenbanken bzw. Findbücher selbst erschlossen werden. Die durchschnittliche Wartezeit beträgt zwei bis drei Stunden und die Benutzer können aus den Filmen , die bis zu 3.000 Aufnahmen umfassen , in unbegrenzter Anzahl am Readerprinter Kopien anfertigen. Eine Kopie kostet 15 Cent. a) Parteikorrespondenz ( PK ). In diesem Bestand werden ad personam alle Fragen angesprochen , die das NS-Mitgliedschaftswesen betreffen. Im Hinblick auf die Österreicher ist die Aktendichte wahrscheinlich besonders hoch , weil hier die Frage der „Anerkennung“ oder „Nichtanerkennung“ der NS-Mitgliedschaft ( nach 1938 ) eine erhebliche Rolle spielte. b) SA-Personalakten. Hier ist die „Trefferquote“ für die nach Deutschland geflüchteten österreichischen SA-Angehörigen naturgemäß größer als bei den im Land verbliebenen „Illegalen“, doch zumindest für die höheren Ränge ( nach 1938 ) ist die Wahrscheinlichkeit nicht gering , auch hier fündig zu werden. c) SA-P. SA-Personalakten in Verbindung mit Disziplinarverfahren vor SA-Gerichten. d) Oberstes Parteigericht ( OPG ). e) Der Bestand SSO ( = SS-Officers , nach der früheren Bezeichnung im Berlin Document Center ) enthält Tausende SS-Führer-Personalakten , wobei in der Regel die Ränge vom Untersturmführer aufwärts erfasst sind. Der Umfang variiert beträchtlich , er kann von einem Stammrollenauszug bis zu 1.000 Seiten und mehr umfassen. f) Die 240.000 personenbezogenen RS ( = Rasse- und Siedlungshauptamt )-Akten bilden eine unverzichtbare Voraussetzung für die personelle Erforschung der SS. Es
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handelt sich dabei um die sogenannten „Heiratsakten“ von SS-Angehörigen aller Dienstgrade und zugleich um einen der inhaltlich homogensten NS-Bestände im Bundesarchiv ( Erbgesundheitsbögen , Ahnentafeln , Bürgschaften , diverse Fragebögen , drei Fotos – jeweils für den SS-Angehörigen und die zukünftige Ehefrau. Jeder Akt enthält , was in biografischer Hinsicht den wichtigsten Teil darstellt , einen handschriftlichen Lebenslauf ). g) R 187 ( vormals „Sammlung Schumacher“ ) enthält überaus aufschlussreiches Material zur Parteigeschichte.
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II. Das katholische Milieu
Georg-Hans Schmit
„Im Namen Gottes , des Allmächtigen“: christlich – deutsch – berufsständisch Ausgewählte Aspekte über den Stand und die Perspektiven der Forschung über das christlichsoziale Lager in den Jahren 1929 bis 1938 I. Einleitung Das Jahr 1929 war für das christlichsoziale Lager in Österreich mit einem wesentlichen Umbruch verbunden : Die bisher dominierende Führungspersönlichkeit , Prälat Ignaz Seipel , trat am 4. 5. 1929 als Bundeskanzler zurück. Seipel , seit 1921 Obmann der Christlichsozialen Partei , prägte über viele Jahre die Regierung und mit dem Konzept des politischen Katholizismus die ideologische Ausrichtung der Partei. Die Jahre nach Seipels Rücktritt waren von politischer Instabilität gekennzeichnet , es gelang nicht mehr , dauerhafte Regierungen zu bilden und der Einfluss der faschistisch orientierten Heimwehren nahm stetig zu. Da die Christlichsoziale Partei bei den Nationalratswahlen am 9. 11. 1930 nicht den gewünschten Erfolg erzielen konnte , wurden konkrete Überlegungen zum Ersatz des Parlamentarismus durch eine autoritäre , auf berufsständischer Basis aufgebaute Gesellschafts- und Herrschaftsordnung getroffen. Im Jahr 1932 setzte die Regierung unter Bundeskanzler Engelbert Dollfuß erstmals das Kriegswirtschaftliche Ermächtigungsgesetz ein und am 4. 3. 1933 wurde der Nationalrat nach einer Geschäftsordnungskrise ausgeschaltet. Es folgten fünf Jahre einer Regierungsdiktatur , die sich vor allem auf ein Bündnis mit den Säulen des christlichsozialen Lagers , der katholischen Kirche , dem Besitzbürgertum und den Bauern stützte. Breite Bevölkerungsschichten , vor allem die im Wesentlichen sozialdemokratisch eingestellte Arbeiterschaft , standen dem Regime ablehnend gegenüber. Mehrere Versuche der Regierung , diese Menschen mit dem neuen System zu „versöhnen“ schlugen fehl. Innerlich geschwächt und äußerlich bedroht endete das Experiment der österreichischen Regierungsdiktatur am 12. 3. 1938 mit dem Einmarsch deutscher Truppen und der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten. In den folgenden Kapiteln sollen nun einige Aspekte des Standes der Forschung über das christlichsoziale Lager in diesem Zeitraum beschrieben und mögliche zukünftige Perspektiven aufgezeigt werden. Da eine gesamthafte Aufnahme und Darstellung sowie eine
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II. Das kathol ische Milieu
detaillierte Beurteilung die redaktionellen Vorgaben dieses Artikels übersteigen würde , muss sich dieser auf einige ausgewählte Themen beschränken. Im Literaturbericht wird daher vor allem auf wesentliche Werke der wissenschaftlichen Forschung Bezug genommen , die zentrale Aspekte in der Entwicklung des christlichsozialen Lagers in den Jahren 1929 bis 1938 behandeln. Dies betrifft vor allem die Verschränkung mit der katholischen Kirche , die Konflikte mit den anderen politischen Lagern sowie die spätere Ablehnung der parlamentarisch-demokratischen Regierungsform. Ergänzt wird diese thematische Auswahl durch Anführung wichtiger Überblickswerke. Daran schließt eine Aufstellung von Archiven und sonstigen Quellenbeständen an , die bisher kaum oder überhaupt nicht bearbeitet wurden. Eine Darstellung aller relevanten Archive würde den Umfang dieses Artikels ebenfalls sprengen , die Einschränkung erfolgt daher unter dem Gesichtspunkt , jedenfalls jene Bestände anzuführen , die bisher kaum bekannt waren oder noch nicht aufgearbeitet wurden. Im Weiteren folgen zwei Beispiele aus der aktuellen Forschungspraxis , wobei sich das erste mit der Untersuchung der Position der katholischen Kirche im Zuge der Errichtung des austrofaschistischen Herrschaftssystems und das zweite mit einer möglichen interdisziplinären Analyse bisher unbearbeiteter Quellenbestände beschäftigt. Die Auswahl dieser beiden Themenbereiche erfolgte aus dem Grund , da hier ebenfalls aktueller Forschungsbedarf gegeben ist. Zentrale wissenschaftliche Werke , in denen die Rolle und der Einfluss der katholischen Kirche analysiert und dargestellt wurden , sind schon vor mehr als 30 Jahren entstanden und sollten daher unter dem Blickwinkel der Diskurse der letzten Jahre sowie bisher unberücksichtigter Quellenbestände neu beurteilt werden. II. Literatur- und Quellenbestände 2.1 Literatur 2.1.1 zentrale wissenschaftliche Publikationen Ein erstes wesentliches Werk zur Erforschung des christlichsozialen Lagers bis zur Errichtung des autoritären Regimes ist die Dissertation Heinrich Bußhoffs , in der er das „Dollfuß-Regime“ als „geisteswissenschaftliches Problem“ erkennt und daher vor allem jene geistigen Voraussetzungen untersucht , die zum Ende der demokratischen Republik führten.1 Er setzt sich in diesem Zusammenhang kritisch mit jenen Erklärungsund Rechtfertigungsversuchen auseinander , die seitens des christlichsozialen Lagers als Argumente für die Errichtung des „Dollfuß-Regimes“ dienten und zeigt Widersprüche zwischen eigenen moralischen und religiösen Ansprüchen und dem konkreten politischen Handeln auf. Da sich Bußhoffs Arbeit im Wesentlichen auf den Zeitraum von 1929 bis zur Gründung der Vaterländischen Front beschränkt , musste die Frage , ob sich diese Widersprüche in den Jahren 1934–1938 fortsetzten , unbeantwortet bleiben. Eine umfangreiche Studie über den im österreichischen Katholizismus bestehenden Antisemitismus lieferte 1967 Friedrich Heer , der eine tief gehende Infektion des christlichsozialen Lagers durch einen konfessionell bestimmten Antisemitismus konstatierte.2 1 Bußhoff , Heinrich ( 1964 ) : Das Dollfuß-Regime in Österreich als geistesgeschichtliches Problem unter besonderer Berücksichtigung der „Schöneren Zukunft“ und der „Reichspost“ ( seit der Mitte des Jahres 1929 bis zu Gründung der „Vaterländischen Front“ ), phil. Diss. , Würzburg. 2 Heer , Friedrich ( 1981 ) : Gottes erste Liebe , Die Juden im Spannungsfeld der Geschichte , Berlin
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������������������������������������������������������� �������������������������������������� : „Im Namen Gottes , des Allmächtigen“
Die erste umfassende Arbeit über die Christliche Arbeiterbewegung im Untersuchungszeitraum von 1933–1938 stellt das Buch „Stand oder Klasse“ von Anton Pelinka dar.3 In diesem 1972 erschienen Werk führt Pelinka als zentralen Begriff jenen der „lo yalen Opposition“ für die Rolle der Christlichen Arbeiterbewegung innerhalb des austrofaschistischen Ständestaates ein. Die Christliche Arbeiterbewegung setzte sich zwar in einigen Politikfeldern durchaus gegen politische und soziale Verschlechterungen zur Wehr , das politische System selbst , in dem sie institutionell eingebunden war , stellte sie aber niemals wirklich infrage. Pelinka charakterisiert damit das Verhalten eines wesentlichen Teils des christlichsozialen Lagers in der Form , dass sich dieser wohl der Widersprüche zwischen den eigenen Grundsätzen ( w ie sie z. B. 1923 im Linzer Programm der christlichen Arbeiterschaft formuliert worden waren4 ) und der konkreten politischen Realität im austrofaschistischen Ständestaat bewusst war , diese aber aus Loyalität zum eigenen Lager nicht überwinden wollte. Die im Vorstehenden angeführten Werke entstanden in einem Zeitraum , der in Österreich durch Tabuisierungen im politischen und wirtschaftlichen Diskurs geprägt war. Emmerich Tálos und Wolfgang Neugebauer verwenden für diese Epoche den Begriff „Koalitionsgeschichtsschreibung“ und weisen ferner auf die Problematik hin , dass einschlägige Quellen bis in die 1980er-Jahre nicht zugänglich waren bzw. aus der bis damals selektiven wissenschaftlichen Beschäftigung mit diesem Thema „blinde Flecken“ resultierten.5 Die Frage , auf welchen unterschiedlichen Ebenen der Antisemitismus in der Ers ten Republik wirkte und wie die einzelnen politischen Lager im Allgemeinen und das christlichsoziale im Besonderen dazu standen , war nach dieser Zeit Objekt intensiverer Betrachtung. Pelinka identifizierte z. B. in einem Aufsatz aus dem Jahr 1999 die fehlende Auseinandersetzung mit dem Antisemitismus als Teil des Demokratiedefizits der damaligen Zeit : „Zwar war die antisemitische Einstellung innerhalb der Sozialdemokratie nicht programmatischer Natur , und die antisemitische Programmatik der Christlichsozialen war weniger scharf und weniger eindeutig in der rassistischen Begründung des Feindbildes ‚Jude‘. Aber allen Lagern war gemeinsam , daß der Antisemitismus entweder bewußt gefördert ( vor allem von den Deutschnationalen ), oder aber bewußt genutzt ( vor allem von den Christlichsozialen ), oder aber bewußt ignoriert wurde ( vor allem von den Sozialdemokraten ). Eine offensive Auseinandersetzung mit einem Vorurteil , dessen Widerspruch zu den Grundlagen der Demokratie auch vor Auschwitz offenkundig war , fehlte in der Ersten Republik.“6 ( A nmerkung : von Dr. Friedrich Heer durchgesehene , ungekürzte und um ein Schlußkapitel „Rückblick und Ausblick“ erweiterte Lizenz-Ausgabe des früher [ A nmerkung : 1967 ] im Bechtle-Verlag in mehreren Auflagen erschienen Werkes von Friedrich Heer , GOTTES ERSTE LIEBE , 2000 Jahre Judentum und Christentum , Genesis des österreichischen Katholiken Adolf Hitler ). 3 Pelinka , Anton ( 1972 ) : Stand oder Klasse ? Die Christliche Arbeiterbewegung Österreichs 1933– 1938 , Wien. 4 Lugmayer , Karl ( 1924 ) : Das Linzer Programm der christlichen Arbeiter Österreichs , Wien. 5 Tálos , Emmerich / Neugebauer , Wolfgang ( Hg. ) ( 2005 ) : Austrofaschismus , Politik – Ökonomie – Kultur 1933–1938 , Wien , Vorwort. 6 Pelinka , Anton ( 1999 ) : Österreich – Die erste Republik. In : Reinalter , Helmut ( Hg. ) : Republikbegriff und Republiken seit dem 18. Jahrhundert im europäischen Vergleich , Frankfurt / Main , 268.
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II. Das kathol ische Milieu
Trotz der ab der Mitte der 1980er-Jahre verstärkten Forschung ist insgesamt festzustellen , dass die vorhandene Literatur in Bezug auf die spezielle Behandlung des christlichsozialen Lagers quantitativ durchaus überschaubar geblieben ist. Eine der wenigen aktuellen Publikationen ist die 2010 fertiggestellte Dissertation von Markus Benesch , in der ein umfassender Überblick zur Geschichte der Christlichsozialen Partei in Wien gegeben wird.7 Diese stark deskriptiv ausgerichtete Arbeit ist inhaltlich in drei Phasen aufgebaut ( Phase des Niedergangs nach dem Tod Karl Luegers – Konsolidierung ab den 1920er-Jahren – Phase des neuerlichen Niedergangs ab 1929 nach dem Auftreten neuer politischer Konkurrenten im rechten Spektrum ) und enthält eine Reihe von Kurzbiografien , Daten zur Aufbauorganisation sowie Berichte über Parteitage und Sitzungen des Parteivorstandes. Insgesamt beschreibt sie die Geschichte der Wiener Christlichsozialen als eine der Widersprüche und Schwierigkeiten , zerrissen zwischen bundespolitischen Verpflichtungen und aggressiv agierenden politischen Gegnern. 2.1.2 Überblicksliteratur und Grundlagenwerke Im Bereich der Überblicksliteratur wären zuerst die Veröffentlichungen von Anton Staudinger zu nennen.8 In seinen relevanten Beiträgen , die im Wesentlichen in den 1970erund 1980er-Jahren entstanden sind , finden sich neben der Beschreibung des historischen Verlaufs kritische Würdigungen der Ideologie und politischen Positionierungen des christlichsozialen Lagers.9 Mit einer eingehenden Beurteilung der speziellen Ideologie des politischen Katholizismus beschäftigte sich in etwa zur selben Zeit Ernst Hanisch , der darüber hinaus auch die Geschichte der Christlichsozialen Partei Salzburgs analysierte.10 An Grundlagenwerken zu Quellen über die Entwicklung der Christlichsozialen Partei sind die 1980 von Walter Goldinger herausgegebenen Protokolle des Klubvorstandes der Christlichsozialen Partei der Jahre 1932 bis 1934 zu nennen.11 In diesen werden unter anderem das Verhältnis zu den Heimwehren und der katholischen Kirche sowie die Entwicklung in Richtung des Aufbaus eines autoritären Regimes beschrieben. Weiters werden jene unterschiedlichen Konfliktlinien erkennbar , die einen maßgeblichen Einfluss auf die Entwicklung der Partei hatten. Dazu gehört insbesondere die Darstellung der reservierten Haltung von führenden Persönlichkeiten der Christlichen Arbeiterbewegung wie Franz Spalowsky oder Leopold Kunschak gegen die Auflösung der Christ-
7 Benesch , Markus ( 2010 ) : Die Geschichte der Wiener christlichsozialen Partei zwischen dem Ende der Monarchie und dem Beginn des Ständestaates , phil. Diss. , Wien. 8 Publikationsverzeichnis ( Auswahl ), siehe URL : http ://www.univie.ac.at / z eitgeschichte / c ms / uploads / staudinger_publikationen.pdf ( abgefragt am 17. 5. 2011 ). 9 Staudinger , Anton ( 1975 ) : Christlichsoziale Partei und Errichtung des „Autoritären Ständestaates“ in Österreich. In : Jedlicka , Ludwig ( Hg. ) : Vom Justizpalast zum Heldenplatz , Studien und Dokumentationen 1927 bis 1938 , Wien , 65–81 , sowie Staudinger , Anton ( 1983 ) : Christlichsoziale Partei. In : Weinzierl , Erika / Skalnik , Kurt ( 1983 ) : Österreich 1918–1938 , Geschichte der Ersten Republik 1 , Graz , 249–276. 10 Hanisch , Ernst ( 1977 ) : Die Ideologie des politischen Katholizismus in Österreich 1918–1938 , W ien ; Hanisch , Ernst ( 1984 ) : Die Christlichsoziale Partei für das Land Salzburg 1918–1934 [ M itteilungen der Gesellschaft für Salzburger Landeskunde 124 ] , 477–496. 11 Goldinger , Walter ( 1980 ) : Protokolle des Klubvorstandes der Christlichsozialen Partei , Wien.
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lichsozialen Partei und deren Aufgehen in der Vaterländischen Front.12 Ergänzend zu dieser Publikation stehen die Protokolle der Parteitage der Christlichsozialen Partei der Ersten Republik , die im Jahr 2006 von Robert Kriechbaumer herausgegeben wurden.13 Eine Darstellung über das christlichsoziale Lager Oberösterreichs enthält ein 1984 erschienenes Buch von Harry Slapnicka.14 Dieses gewährt Einblicke in das Verhältnis zwischen katholischer Kirche und Christlichsozialer Partei sowie in jene Konflikte , durch die dieses politische Lager geprägt war. Beispielhaft dafür war die Art und Weise , wie die katholischen Vereine durch den damaligen Linzer Bischof Johannes Gföllner aus dem direkten Einflussbereich der Partei herausgelöst und in die Katholische Aktion überführt wurden. In Bezug auf die Behandlung der Anschlussthematik ist die im Jahr 1984 von Ludwig Reichhold erstellte und vom Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes herausgegebene Publikation über die Vaterländische Front anzuführen.15 Im Wesentlichen handelt es sich um eine Zusammenfassung unterschiedlicher Quellen und – in geringerem Umfang – eine Bewertung der Vorgänge dieser Zeit. Reichhold deutet dabei das Phänomen des Austrofaschismus vor allem als eine Reaktion auf die seit 1933 bestandene Anschlussdrohung. Mit dieser Aussage steht er in Widerspruch zu anderen Thesen , die die Entstehung des austrofaschistischen Ständestaates als eine Reaktion auf die ökonomische und politische Krise Österreichs in Verbindung mit der Durchsetzung der wirtschaftlichen Interessen einflussreicher Gruppen in der Industrie bzw. Finanzwirtschaft erklären.16 Ausgehend von den durchgeführten Literaturrecherchen ließen sich mehrere Themenfelder beschreiben , die es noch wissenschaftlich aufzuarbeiten gäbe , einige davon wären : • Studien zu Kontinuitäten und Diskontinuitäten vor und nach der Umbruchszeit 1933 / 1934 , und zwar sowohl auf personeller als auch ideologischer Ebene. • Beschreibung und Analyse der Konfliktlinien zwischen den einzelnen Interessengruppen innerhalb des christlichsozialen Lagers sowie deren Einfluss auf die Regierungspolitik. 12 In der vorletzten Sitzung des Parteivorstandes der Christlichsozialen Partei am 15. 2. 1934 waren als Vertreter der Christlichen Arbeiterbewegung Leopold Kunschak und Franz Spalowsky anwesend. Im Lauf der hitzigen Diskussion um die Ereignisse des 12. 2. 1934 wollte Kunschak alle seine Ämter zurücklegen und im neuen politischen System überhaupt nicht mehr mitmachen. Er war verbittert über die Art und Weise , wie Bundeskanzler Dollfuß in den letzten Tagen vorgegangen war. „Haben wir denn überhaupt noch etwas zu reden ? Wozu fragt man uns ? [ … ] Das ganze hat keinen Sinn. Ich bin im reinen mit mir. [ … ] Für mich ist es klar. Mein Entschluß ist , aus diesem politischen Leben zu verschwinden.“ Kunschak zitiert in Goldinger , ( 1980 ), 356. 13 Kriechbaumer , Robert ( 2006 ) : „Dieses Österreich retten …“, die Protokolle der Parteitage der Christlichsozialen Partei in der Ersten Republik , Wien. 14 Slapnicka , Harry ( 1984 ) : Christlichsoziale in Oberösterreich , vom Katholikenverein 1848 bis zum Ende der Christlichsozialen 1934 , Linz. 15 Reichhold , Ludwig ( 1984 ) : Kampf um Österreich , Die Vaterländische Front und ihr Widerstand gegen den Anschluß 1933–1938 , Wien. 16 Z. B. Tálos , Emmerich / Manoschek , Walter : Zum Konstituierungsprozeß des Austrofaschismus. In : Tálos , Emmerich / Neugebauer , Wolfgang ( Hg. ) ( 2005 ) : Austrofaschismus , Politik – Ökonomie – Kultur 1933–1938 , Wien , 23.
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• Erhebung von sozialen und wirtschaftlichen Auswirkungen in den konkreten Lebenswelten : Konnten Christlichsoziale vom politischen Umbruch profitieren ? • Behandlung der Frage , welche Arten von Widerstand es innerhalb des christlich sozialen Lagers gegen die Errichtung des autoritären Herrschaftssystems gab ? Ein weiteres , bisher kaum im Detail behandeltes Thema auf der Ebene der Christlichen Arbeiterbewegung ist die Frage der Konkurrenz und nach den daraus resultierenden Konflikten zwischen den in den westlichen Bundesländern angesiedelten Christlichen Arbeitervereinen , die an die katholische Kirche angebunden und föderalistisch organisiert waren , und den vor allem in Wien , Niederösterreich und der Steiermark agierenden , zentralistisch geführten Christlichen Gewerkschaften. In Bezug auf die Entwicklung des katholischen Pressewesens sowie dessen Einfluss auf das Verhältnis von katholischer Kirche und Christlichsozialer Partei gibt es für den Zeitraum von 1918 bis 1932 eine umfangreiche Studie von Robert Prantner.17 Die Weiterführung der Untersuchung bis 1938 sowie eine kritische inhaltliche Reflexion der gewonnenen Erkenntnisse wäre ein weiteres zu bearbeitendes Forschungsthema. 2.2 Archive Angeführt werden im Folgenden Archivbestände , die bisher kaum oder überhaupt nicht bearbeitet wurden , aber für die wissenschaftliche Behandlung des Forschungszeitraumes 1929–1938 von Relevanz und Bedeutung sind. Da eine gesamthafte Aufnahme und Darstellung aller relevanten Archive ( z . B. die jeweiligen Landesarchive in den Bundesländern oder die kirchlichen Diözesanarchive ) die redaktionellen Vorgaben dieses Artikels übersteigen würde , musste diese Einschränkung vorgenommen werden. Österreichisches Staatsarchiv18 Im Jahr 2009 wurde der früher im Sonderarchiv Moskau verwahrte Bestand „Vaterländische Front und Bundeskanzleramt“ durch Russland an das österreichische Staatsarchiv , Abteilung Archiv der Republik ohne Inventur und in einem eher undurchsichtigen Ordnungszustand übergeben. Die grundsätzliche Freigabe zur Benützung erfolgte Anfang 2010.19 Zum Zeitpunkt der letzten Recherche im Dezember 2010 lag nur eine rudimentäre Erfassung des Archivgutes vor , eine erste Katalogisierung und Ordnung in Themenkreise erfolgte durch die TeilnehmerInnen des Forschungsseminars „Das Generalsekretariat der Vaterländischen Front 1934–1938“ am Institut für Zeitgeschichte der Universität Wien im Wintersemester 2010 /2011.20 Beispielhaft können hiezu Materialen angeführt werden , 17 Prantner , Robert ( 1984 ) : Kreuz und weiße Nelke , Katholische Kirche und Christlichsoziale Partei im Spiegel der Presse , Wien / Köln / Graz. 18 Österreichisches Staatsarchiv , 1030 Wien , Nottendorfer Gasse 2 , URL : http ://www.oesta.gv.at ( ab gefragt am 17. 5. 2011 ) 19 Vgl. Brief des Österreichischen Staatsarchivs an den Autor vom 2. 3. 2010 , GZ ÖSTA–1034178 / 0001ADR /2009. 20 Das Gesamtprotokoll über die gesichteten Kartons ( 541 Seiten ) mit dem Titel „Moskauer Bestand Generalsekretariat der Vaterländischen Front , ÖStA , AdR , 514“ befindet sich gemeinsam mit Kopien des bearbeiteten Materials ( Umfang 57 A4-Kartons ) in der Fachbereichsbibliothek Zeitgeschichte und
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die dem Thema „Christlichsoziales Lager & Kirche“ zugeordnet worden sind. Es handelt sich dabei um Aktenmaterial samt Schriftwechsel über diverse Interventionen , die Überleitung der Christlichsozialen Partei in die Vaterländische Front sowie den Aufbau der Vaterländischen Front auf lokaler Ebene und deren Zusammenwirken mit der katholischen Kirche. Insgesamt könnte das Archivgut durchaus dazu geeignet sein , die konkreten Auswirkungen der politischen Umgestaltung auf das christlichsoziale Lager zu untersuchen , und zwar vor allem auf lokaler Ebene mit Bezug auf die tägliche Lebenswelt. Karl von Vogelsang-Institut21 Das im Jahr 1980 gegründete Karl von Vogelsang-Institut ( K VVI ) beherbergt das Archiv der ehemaligen Christlichsozialen Partei sowie jenes der ÖVP nach 1945. Neben Protokollen , Broschüren und politischen Schriften werden im KVVI ca. 3.500 Plakate und 20.000 Fotos aufbewahrt. Daneben bestehen ein Pressearchiv und eine Fachbibliothek mit derzeit 80.000 Titeln. Ein weiterer Schwerpunkt liegt in der Archivierung von Nachlässen , und hier gilt der besondere Hinweis den beiden bis dato nicht bearbeiteten von Leopold Kunschak ( Gründer des christlichsozialen Arbeitervereins , Obmann der Christlichsozialen Partei und Nationalratspräsident der 2. Republik ) und Lois Weinberger ( f ührender Gewerkschaftsfunktionär 1934 bis 1938 , Widerstandskämpfer , Mitbegründer der Österreichischen Volkspartei und Vizebürgermeister der Stadt Wien ). Dieses Archivgut besteht aus persönlichen Unterlagen wie Briefen , privaten Dokumenten und Aufzeichnungen , Fotografien ( sowohl in privatem wie auch öffentlichem Zusammenhang ), Zeitungen und Zeitschriften sowie diversen Tonträgern. Eine Aufarbeitung des Materials könnte insbesondere neue Erkenntnisse über das Verhältnis der Christlichen Arbeiterbewegung zur Christlichsozialen Partei sowie zur Beurteilung von Konfliktlinien innerhalb des christlichsozialen Lagers erbringen. Konkrete Beispiele für Untersuchungsgegenstände wären etwa der Schriftwechsel zwischen Kunschak und Bundeskanzler Ignaz Seipel oder jener zwischen Kunschak und diversen Heimwehrfunktionären. Archiv der Fraktion Christlicher GewerkschafterInnen im ÖGB22 In diesem Archiv befinden sich unterschiedliche primäre Quellen zur Geschichte der gesamten Christlichen Arbeiterbewegung sowie der Christlichen Gewerkschaften. Es handelt sich hierbei um Protokollbücher , Mitgliedslisten , Briefe , Festschriften und interne Berichte. Weiters ist eine Reihe von Monografien , Sammelbänden und Zeitschriften vorhanden. Einige der bisher bearbeiteten Unterlagen geben nicht nur Aufschlüsse über die interne Organisation der Christlichen Arbeiterbewegung , sondern zeigen auch wirtschaftliche Konfliktlinien mit den Interessengruppen der Unternehmer innerhalb der Christlichsozialen Partei auf. Einem Protokoll über den „1. Sprechabend der christlichen Angestelltengewerkschaft in Währing“ vom 26. 11. 1931 ist beispielsweise zu entnehmen , Osteuropäische Geschichte , Universitätscampus Altes AKH , Spitalgasse 2–4 , 1090 Wien , URL : http :// bibliothek.univie.ac.at / fb -zeitgeschichte / ( abgefragt am 17. 5. 2011 ) 21 Karl von Vogelsang-Institut , Institut zu Erforschung der Geschichte der christlichen Demokratie in Österreich , 1120 Wien , Tivoligasse 73A , URL : http ://www.kvvi.at ( abgefragt am 17. 5. 2011 ) 22 Fraktion Christlicher GewerkschafterInnen im ÖGB , 1020 Wien , Johann-Böhm-Platz 1 , URL : http ://www.fcg.at / ( abgefragt am 17. 5. 2011 )
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dass es in der Christlichen Arbeiterbewegung durchaus sozial- und wirtschaftspolitische Ideen gab , die massiv gegen die wohlhabenden Schichten in den Banken und der Industrie gerichtet waren. Es wurde etwa vorgeschlagen , dass in Österreich erworbenes Vermögen zu 50 Prozent in österreichischen Staatsanleihen angelegt werden muss , Pensionisten der Creditanstalt ihr Geld nicht ins Ausland transferieren dürfen und „Abfertigungen welche in den Großbanken u. in der Industrie ausbezahlt wurden und noch ausbezahlt werden , den Leuten wegnehmen [ … ] was sie zu unrecht erhalten haben u. damit die Winterhilfe finanzieren“.23 Das Archiv befand sich zum Zeitpunkt der zuletzt durchgeführten Recherchen im Jahr 2007 im damaligen Bundessekretariat der Fraktion Christlicher GewerkschafterInnen in 1010 Wien , Laurenzerberg 2. Im Zug der Übersiedlung in die neuen Räumlichkeiten des ÖGB Anfang 2010 in 1020 Wien , Johann-Böhm-Platz 1 , wurde das Material in ca. 60 Kisten verpackt , es ist ungeordnet und nicht katalogisiert. Die vollständige wissenschaftliche Aufarbeitung und Inventarisierung könnte vielfache Hinweise auf die unterschiedlichen sozialen und wirtschaftlichen Positionierungen innerhalb des christlichsozialen Lagers bringen und hier insbesondere die Konflikte zwischen Unternehmern und den auf abhängige Arbeit Angewiesenen aufzeigen. 2.3 ZeitzeugInnen Eine Befragung von direkten ZeitzeugInnen , die während der Jahre 1929 bis 1938 selbst innerhalb des christlichsozialen Lagers in gestalterischen Funktionen politisch aktiv waren , ist – wie diverse Recherchen und Nachforschungen gezeigt haben – nicht mehr möglich , da diese bis auf ganz wenige Ausnahmen bereits verstorben sind.24 Eine aber noch vorhandene und wie sich herausgestellt hat durchaus wichtige Informationsquelle für die Forschung stellen Kinder und Nachfahren dieser Personen dar. Insbesondere können damit bislang fehlende biografische Daten , Informationen über persönliche und politische Beziehungen erhoben sowie Einblicke in die individuelle Sozialisierung gewonnen werden. Weiters werden oftmals noch private Bestände an Unterlagen aufbewahrt ( Dokumente , Briefe , Zeitungsartikel ), die bisher nicht von der Forschung erfasst werden konnten. Ein Beispiel aus der persönlichen Forschungspraxis des Autors waren die Gespräche und Interviews mit Frau Waltraud Langfelder , der Tochter Lois Weinbergers , die im Herbst 2010 bzw. Frühjahr 2011 geführt werden konnten. In diesen konnte ein guter Einblick in das christlichsoziale Milieu der 1930er-Jahre gewonnen werden bzw. gab es wertvolle Hinweise zur Beurteilung des christgewerkschaftlichen Widerstands in den Jahren 1938–1945 sowie der anschließenden Gründung der ÖVP. In ihren privaten Unterlagen verwahrt Frau Langfelder auch noch historisch wertvolle Unterlagen , so zum Beispiel das Original des Schutzhaftbefehls von Weinberger aus dem Jahr 1944 oder den Briefwechsel mit bedeutenden Persönlichkeiten der Widerstands- und Nachkriegszeit. 23 Bericht über den 1. Sprechabend der Bezirksgruppe Währing vom 26. 11. 1931 , anwesend waren dabei u. a. Gemeinderat Karl Untermüller und Sekretär Lois Weinberger. Archiv der Fraktion Christlicher GewerkschafterInnen , 1010 Wien , Laurenzerberg 2. 24 Im Rahmen der aktuellen Forschung durch den Autor konnte dieser zwar noch mit einem lebenden direkten Zeitzeugen Kontakt aufnehmen , aufgrund des fortgeschrittenen Alters und gesundheitlicher Einschränkungen war aber das Ergebnis des geführten Interviews nicht mehr verwertbar.
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Nachdem sich auch diese Kinder und Nachfahren schon in einem fortgeschrittenen Alter befinden , ergibt sich hier ein dringender Forschungsbedarf und ein „last chance to get“, denn in absehbarer Zeit wird es nicht mehr möglich sein , diese Personen zu befragen. Weiters erscheint es von großer Bedeutung , die im privaten Besitz stehenden Quellen für eine weitere Forschung zu sichern. Diese könnte durch eine genaue Aufnahme der Unterlagen ( A nfertigung von digitalen Kopien und Katalogisierung ) oder eine Überführung in ein wissenschaftliches Archiv erfolgen. 2.4 Sonstige Quellen Eine Möglichkeit , Einblicke in das oftmals von katholischen Vereinen geprägte christlichsoziale Milieu zu gewinnen , ist die Untersuchung von Aufzeichnungen in Pfarrgemeinden. Ein Beispiel hierfür ist die Chronik der Pfarre Starchant in Wien 16.25 Die Kirche dieser 1922 gegründeten christlichen Arbeitersiedlung war nicht nur Mittelpunkt des religiösen Lebens , sondern übte auch soziale Funktionen aus. Insgesamt war das Pfarrleben durch sehr selbstbewusste und eigeninitiative katholische Vereine geprägt. So wurden Kindergarten und Hort vom Verein „Frohe Kindheit“ geführt und gemeinschaftliche Themen in der Männer- und Frauenrunde , dem Gesellenverein ( eine Gemeinschaft unterschiedlicher junger Menschen , wobei in dieser nicht nur angehende Handwerker , sondern auch Mittelschüler und Studenten vertreten waren ) bzw. dem Pfarrkomitee besprochen. Es gab eine Reihe kritischer Geister innerhalb dieser Vereine , die durchaus Meinungen vertraten , die sich nicht mit jenen der katholischen Autoritäten deckten.26 Um die „aufmüpfige“ Kirchengemeinde wieder der allgemeinen kirchlichen Norm unterzuordnen ( „Neuaufbau der Kirchengemeinde“ ) bzw. die Einrichtung der Katholischen Aktion zu unterstützen , nahm Erzbischof Innitzer bereits kurz nach seiner Amtseinführung im Jahr 1932 eine personelle Auswechslung des Pfarrers vor : Pfarrer Wagner kam nach Heiligenstadt , Starchant übernahm der Pfarrer der MariaLourdes-Kirche ( Wien 12 ) Rektor Hermann Franke. Der Ersatz der bisherigen ( demokratischen ) Vereinsstrukturen durch Übernahme der hierarchischen Form der Katholischen Aktion erfolgte aber nicht ohne Widerstand , speziell der Gesellenverein wehrte sich dagegen. Erst im Jahr 1937 konnte der Pfarrer den Abschluss der Umgestaltung in die Struktur der Katholischen Aktion melden. III. Aktuelle Beispiele aus der eigenen Forschungspraxis 3.1 Die Position der katholischen Kirche zur Errichtung des austrofaschistischen Herrschaftssystems in den Jahren 1933 / 34 Wie bereits in den vorstehenden Abschnitten beschrieben , sind zentrale Werke , die sich mit der Beurteilung des Einflusses der katholischen Kirche auf das christlichsoziale La25 Pfarrchronik der Pfarre und Wallfahrtskirche Starchant zur Hl. Theresia vom Kinde Jesu , 1160 Wien , Mörikeweg 22 , URL : http ://www.pfarre-starchant.at / ( abgefragt am 17. 5. 2011 ) 26 In einem Protokoll der „Frohen Kindheit“ vom 11. 7. 1929 ist z. B. angeführt , dass sich der pädagogische Leiter gegen die Übernahme durch die Schulschwestern wehrte , „weil die geistliche Erziehung nicht imstande sei , Charaktere zu erziehen“. Dieser Antrag wurde zwar abgelehnt , die Schulschwes tern kamen , blieben aber nur bis 1930 ( P farrchronik Starchant , 16 ).
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ger beschäftigen , vor mehr als 30 Jahren entstanden. Im Folgenden soll nun ein Ansatz vorgestellt werden , diese Fragestellung anhand offizieller Diözesanpublikationen und der Aufnahme bisher nicht bearbeiteter Quellenbestände ( z . B. den bereits angeführten Aufzeichnungen aus Pfarrgemeinden ) sowie zusätzlicher Literatur neu zu analysieren. Der Episkopat der katholischen Kirche Österreichs war seit der Gründung der Ersten Republik noch stärker als vorher an die Christlichsoziale Partei herangerückt , da er mit dem Ende der Monarchie seine bisherige Schutzmacht , den habsburgischen Kaiser , verloren hatte. Ideologisch war das Konzept des politischen Katholizismus vorherrschend , das eine Verschränkung des politischen und religiösen Lebens vorsah und vor allem gegen die Sozialdemokratie gerichtet war. Aufgrund des streng hierarchischen Aufbaus der katholischen Kirche gingen die ideologischen Vorgaben im Wesentlichen von der Bischofskonferenz bzw. den einzelnen Diözesanbischöfen aus. Auf lokaler Ebene bzw. in den zahlreichen katholischen Vereinen gab es durchaus Ansichten , die von den Vorgaben des Episkopats abwichen , durchsetzen konnten sich diese aber nicht.27 Am Beginn der 1930er-Jahre waren die katholischen Vereine und Laienorganisationen bereits in zwei straff organisierten Dachorganisationen , die „Katholische Aktion in Österreich“ und den „Volksbund der Katholiken Österreichs“, zusammengefasst worden. Die Katholische Aktion wurde im Jahr 1922 durch Papst Pius XI. als Gegenbewegung zum Monopolanspruch des Faschismus gegründet und sollte ein dynamischmissionarisches , direkt den Bischöfen unterstelltes Instrument des Laienapostolats werden.28 Darüber hinaus wurde der „Anspruch einer breiten Rechristianisierung der Bevölkerung [ … ] auch zur Speerspitze der Konfrontation mit dem laizistischen und antiklerikalen Sozialismus“.29 Diese Zusammenführung der Laienorganisationen und kirchlichen Vereine war durchaus mit dem von der Vaterländischen Front beanspruchten Monopolanspruch vergleichbar :30 „Wenn dies zum Teil auch ein Schutz vor dem 27 Im Gegensatz zum Episkopat stand die Meinung einiger , vor allem junger Priester , wonach sich die Kirche konsequent und ohne Vorbehalte auf Dauer aus der Politik herauszuhalten hätte. Ein Beispiel dafür war der damalige Kaplan von St. Valentin / NÖ und spätere Erzbischof von Wien , Dr. Franz König : „Mit vollem Recht ist auch in Österreich der Klerus aus der Politik ausgeschieden ; und mit vollem Recht wird auch von Laien immer wieder verlangt , daß dieses Verbot nicht durch die Praxis wieder stillschweigend aufgehoben werde. [ … ] [ E ]s scheint , daß durch die Vermengung beide Teile mehr Schaden als Nutzen haben. Für den Priester und die Kirche ist der Schaden offenkundig. Der Seelsorger muß für alle da sein und darf nicht durch offensichtliche Parteinahme für die eine Gruppe in seiner Pfarrei die andere vor den Kopf stoßen – selbst wenn sich dort weniger wertvolle oder gute Katholiken finden. Diese werden dann im Priester nicht mehr den Seelsorger sehen , der für alle da ist und über dem Streit der Meinungen steht , sondern lediglich den politischen Gegner.“ Franz König , zit. n. : Kapfhammer , Franz M. ( Hg. ) ( 1973 ) : Seiner Zeit voraus , Michael Pfliegler , aktuelle Texte , Graz , 307. 28 Vgl. Weinzierl , Erika / / Skalnik , Kurt ( 1983 ) : Österreich 1918–1938 , Geschichte der Ersten Republik 1 , Graz , 446–447. 29 Kriechbaumer , Robert ( 2001 ) : Die großen Erzählungen der Politik , politische Kultur und Parteien in Österreich von der Jahrhundertwende bis 1945 , Wien , 52. 30 Der bereits im Mai 1933 von Bundeskanzler Dollfuß gegründete Verband Vaterländische Front ( V F ) wurde durch die Verfassung vom 1. 5. 1934 und dem damit verbundenen Verbot von politischen Parteien zur politischen Monopolorganisation und bekam den Auftrag , „der Träger des österreichischen Staatsgedankens zu sein. Sein Ziel ist die politische Zusammenfassung aller Staatsangehörigen , die auf dem Boden eines selbständigen , christlichen , deutschen , berufsständisch gegliederten Bun-
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autoritären Ständestaat war , so ist eine deutliche Parallelentwicklung von Katholischer Aktion und Vaterländischer Front ( V F ) bis 1938 doch nicht zu übersehen. So wie in letztere die Christlichsoziale Partei überführt wurde , [ … ] so gingen große katholische Vereine mit einer eigenen alten Tradition in der katholischen Aktion auf.“31 Obwohl die katholische Kirche bereits ihre Kleriker im Jahr 1933 aus allen politischen Ämtern zurückgezogen hatte , bedeutete dies keineswegs die Aufgabe eines politischen Gestaltungsanspruches.32 In den Hirtenbriefen und Diözesanpublikationen des Jahres 1934 wurden diese Vorstellungen klar ausgesprochen und auf die umfassende Autorität der Kirche hingewiesen. „Christi Lehre fordert Glauben und Gehorsam“, stellte der St. Pöltner Bischof Memelauer in seinem Fastenhirtenbrief 1934 fest , um damit unbedingten Gehorsam gegenüber Bischof und Kirche einzufordern : „Mit rückhaltloser Sicherheit können wir der kirchlichen Lehrautorität uns anvertrauen und ihren Mitteilungen folgen. [ … ] Der gleiche Gehorsam gegen Gottes Wort , das gleiche katholische Bewußtsein muß uns beseelen gegenüber der Lehrgewalt der Kirche. [ … ] Den Gehorsam gegen das Wort der Kirche dürfen wir auch dann nicht versagen , wenn deren Wort hart klingt und anscheinend so ganz gegen den Zeitgeist ist.“33 Gehorsam wurde aber auch gegenüber der neuen autoritären Regierung gefordert , in der außerordentlichen Bischofskonferenz vom 23. 2. 1934 wurde dazu Folgendes beschlossen : „… die Konferenz empfiehlt den in der Katholischen Aktion zusammengeschlossenen katholischen Organisationen , daß sich ihre Mitglieder persönlich der Vaterländischen Front anschließen. [ … ] Der Beschluß findet seine Erklärung darin , daß die Mitglieder katholischer Organisationen die Treue zur staatlichen Autorität als religiöse Pflicht ansehen.“34 Gleichzeitig machten die Bischöfe der katholischen Kirche gegen alle mobil , die sich nicht diesem Gehorsam unterwerfen wollten : „Es ist ein ungemein ernstes Wort , das der Heiland über die Gehorsamsverweigerer gesprochen hat : ‚Wer auf die Kirche nicht hört , der gelte dir wie ein Heide und öffentlicher Sünder‘.“35 Wer sich gegen den „Kreudesstaates Österreich stehen und sich dem derzeitigen Führer der Vaterländischen Front oder dem von diesem bestimmten Nachfolger unterstellen“ ( Bundesgesetzblatt für den Bundesstaat Österreich 4 / 1934 ). 31 Weinzierl / Skalnik ( 1983 ), 448. 32 Mit Beschluss der Bischofskonferenz vom 30. 11. 1933 wurden per 15. 12. 1933 alle Priester aus parteipolitischen Ämtern und Funktionen zurückgezogen : „Nach reiflicher Erwägung , ob es günstig oder ungünstig sei , daß sich katholische Geistliche unter den gegenwärtig besonders heiklen politischen Verhältnissen als politische Mandatare weiter betätigen , hat die Bischofskonferenz den Beschluß gefaßt , die für die Ausübung des Mandates erforderliche bischöfliche Zustimmung in sinngemäßer Durchführung des can. 139 , § 4 , vorübergehend und allgemein zurückzunehmen. Jene hochwürdigen Herren , welche Mandate als Nationalräte , Bundesräte , Landtagsabgeordnete oder Gemeinderats- und Gemeindeausschußmitglieder inne haben , werden hiemit aufgefordert , ihre Mandate bis zum 15. Dezember d. J. niederzulegen ; das gleiche gilt von jeder führenden politischen Stellung. Geistliche , die sich sonst politisch betätigen wollen , bedürfen der besonderen Erlaubnis ihres zuständigen Ordinarius.“ Linzer Diözesanblatt , 1933 , Nr. 10 , 140. 33 Michael Memelauer , zit. n. : Hirtenbriefe der deutschen , österreichischen und deutsch-schweizerischen Bischöfe 1934 , 227–228. 34 Linzer Diözesanblatt , LXXX , 1934 ( a ) Nr. 2 , 27. 35 Michael Memelauer , zit. n. : Hirtenbriefe der deutschen , österreichischen und deutsch-schweizerischen Bischöfe 1934 , 228.
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zesgedanken“ stellte und Christus als „Führer“ nicht anerkannte , galt als Sünder und selbstsüchtig : „Es gibt Gegenwartsströmungen , die sich gegen den Kreuzesgedanken mit unverständigem Trotze wehren. Sie möchten am liebsten alle Zusammenhänge mit der Religion des Gekreuzigten sprengen. Wenngleich sie oft das Gegenteil behaupten und sogar das Höchstideal betonen , wollen sie von Christus nichts wissen und zumeist nur den selbstsüchtigen Menschenwillen durchsetzen. [ … ] Sie möchten am liebsten unabhängige , sieghafte Helden sein. Mit Tränen beklagt es schon der Apostel Paulus , ‚daß viele wandeln als Feinde des Kreuzes Christi‘.“36 Dass mit den „Feinden des Kreuzes Christi“ speziell die Sozialdemokraten gemeint waren , lag klar auf der Hand. Die sozialdemokratische Parole „Man kann nicht Sozialist und zugleich Kirchgänger sein ! Darum : Heraus aus der Kirche ! Werdet konfessionslos !“37 und die damit speziell in den 1920er-Jahren begründeten Kirchenaustritte schufen ein entsprechendes Feindbild , insbesondere auch dadurch , da die Sozialdemokraten an ihrem Linzer Parteitag 1926 die Forderung der Trennung von Staat und Kirche zum Programm erhoben hatten.38 Dazu kam eine innerhalb des christlichsozialen Lagers entstehende Angst vor einer Kirchenverfolgung wie in Russland und Mexiko : „Die Sozialdemokratie dagegen machte wenig Anstrengungen , den Katholiken ihre Angst zu nehmen. Eine maßlose Pfaffenhetze , gelegentliche Störungen von religiösen Veranstaltungen ließen diese nie zur Ruhe kommen.“39 Weiters gab es fundamentale Unterschiede in Bezug auf die Erziehung der Jugend und die Gestaltung des Schulwesens : Während die Sozialdemokraten sich für ein aufgeklärtes , nach demokratischen Grundsätzen aufgebautes Schulwesen einsetzten und eine „Arbeitsschule“ mit modernen Lehrplänen anstelle der alten „Lern- und Drillschule“ forderten , hielt die katholische Kirche an ihren konservativen Vorstellungen fest und sah nun die Gelegenheit , diese von der neuen autoritären Regierung einzufordern. „Und eines muß immer wieder betont werden , was auch das Konkordat besonders hervorhebt : die einzig verläßliche Grundlage jeder vaterländischen Erziehung ist und bleibt ‚die Erziehung in religiös-sittlichem Sinne nach den Grundsätzen der Kirche‘ [ … ] Und in der Schulfrage verlangen wir allmähliche Durchsetzung der vollen Bekenntnisschule und Säuberung aller niederen und besonders der Mittel- und Hochschulen von allen antikatholischen und antiösterreichischen Lehrbüchern und Lehrpersonen.“40 Diese Aussagen lassen klar erkennen , dass die Führung der katholischen Kirche Österreichs zu dieser Zeit noch sehr stark von den Vorgaben des 1. Vatikanischen Konzils und dessen Autoritätsverständnisses geprägt war. Dieses Konzil war am 8. 12. 1869 36 Ferdinand Stanislaus Pawlikowski , Fürstbischof von Seckau , zit. n. : Hirtenbriefe der deutschen , österreichischen und deutsch-schweizerischen Bischöfe 1934 , 230. 37 Zit. n. : Feller , Barbara ( 2010 ) : Kampf um die Seele : Sozialdemokratie und Kirche in der Zwischenkriegszeit. In : Kos , Wolfgang ( Hg. ) : Kampf um die Stadt , 361. Sonderausstellung des Wien-Museums , Wien , 73. 38 Seit 1919 gab es jährlich ca. 6.000–8.000 Austritte , 1923 infolge einer vom sozialdemokratischen Abgeordneten Karl Leuthner initiierten Kampagne sogar 22.000. Höhepunkt der Austrittswelle war 1927 mit insgesamt 28.837 Austritten. Vgl. Weinzierl / Skalnik , 1983 , 459. 39 Hanisch , Ernst ( 1994 ) : Der lange Schatten des Staates : Österreichische Gesellschaftsgeschichte im 20. Jahrhundert. In : Wolfram , Herwig ( Hg. ) : Österreichische Geschichte 1890–1990 , Wien , 293–294. 40 Linzer Diözesanblatt , LXXX , 1934 ( b ), Nr. 10 , 191.
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als Abschluss einer reaktionären Entwicklung eröffnet worden und stellte eine einzigartige dogmatische Reaktion auf atheistische / religionskritische Bewegungen und zeitgeschichtliche Entwicklungen dar. Papst Pius IX. verurteilte liberale , demokratische und nationale inner- und außerkirchliche Bewegungen und begann Verdächtiges sofort auszumerzen. In der Konstitution Pastor aeternus wurde die Einheit der Kirche über die Fokussierung auf das päpstliche Primat und dessen „Unfehlbarkeit“ dargestellt. Kernpunkte des Konzils waren ferner die Zurückweisung der modernen Wissenschaftsgläubigkeit und eine scharfe Ablehnung des Sozialismus bzw. der sozialistischen Arbeiterbewegung. Zwar forderte der Episkopat der katholischen Kirche die Gläubigen 1918 zur Anerkennung der demokratischen Republik auf ,41 er wandte sich aber später gegen die „Auswüchse des Parteienstaates“ und trat dementsprechend zwar anfangs mit leichter Unsicherheit , aber im Endeffekt doch überzeugt und nachhaltig für den neuen autoritären Kurs ein. „Und nun stehen wir in einer neuen Zeit , harrend und wartend , was sie uns bringen wird. Der Parteienstaat fand sein Ende , nicht weil er in sich untauglich war , sondern weil Demagogie und Parteienhader den Parlamentarismus unterwühlt , zermürbt hatten. Nach dem Motto : ‚Druck erzeugt Gegendruck‘ löste eine neue autoritäre Staatsführung die autoritätslose Demokratie ab , an die Stelle der egoistischen Vielheiten von Parteien und Parteichen trat die geschlossene Einheit des österreichischen Staatsgedankens und die liberalistisch-individuelle Wirtschaftsordnung wurde ersetzt durch einen wahrhaft sozialen ständischen Aufbau nach den Richtlinien des päpstlichen Rundschreibens ‚Quadragesimo anno‘.“42 Wie stark die katholische Kirche insgesamt hinter der Errichtung des austrofaschistischen Herrschaftssystems stand , zeigt zusammenfassend eine Rede bei der Generalversammlung des Katholischen Volksvereins am 11. 11. 1934 , bei der sich der Linzer Bischof Gföllner nochmals zur neuen Verfassung bekannte und zu einer aktiven Mitarbeit aller Katholiken in der Vaterländischen Front aufrief : „Wir Katholiken bringen der neuen Verfassung und daher auch der Vaterländischen Front aufrichtiges Vertrauen entgegen , wir wollen uns nicht abseits stellen oder auch nur eine zuwartende Haltung einnehmen , wir wollen auch nicht als eine etwa getarnte Aktion oder Partei auf einem Nebengleis neben ihr stehen , sondern mit ihr und ihren Reihen einmütig zusammenarbeiten.“43
41 In einer Erklärung vom 18. 11. 1918 an den Klerus der Erzdiözese Wien formulierte dies Kardinal Piffl folgendermaßen : „So hat mit diesem Tage bei uns der deutschösterreichische Staatsrat alle Rechte , welche nach der Verfassung der im Reichsrate vertretenen Königreiche und Länder bisher dem Kaiser zustanden , einstweilen übernommen , bis die im Jänner 1919 auf Grund allgemeiner Wahlen zu konstituierende Nationalversammlung die endgültige Verfassung festgesetzt haben wird. Inzwischen hat die provisorische Nationalversammlung Deutschösterreich als Republik erklärt. Über diese vollzogenen Tatsachen sind die Gläubigen entsprechend aufzuklären und zur unbedingten Treue gegenüber dem nun rechtmäßig bestehenden Staate Deutschösterreich zu ermahnen.“ Wiener Diözesanblatt , Nr. 21 /22 vom 18. 11. 1918 , 123. 42 Linzer Diözesanblatt , 1934 ( b ), 188. 43 Linzer Diözesanblatt , 1934 ( b ), 190.
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3.2 Die Inszenierung prominenter Persönlichkeiten des christlichsozialen Lagers am Beispiel unbearbeiteter Quellenbestände von Leopold Kunschak 3.2.1 Der christlichsoziale Politiker Leopold Kunschak Leopold Kunschak , der „Führer der christlichen Arbeiterschaft“44 wurde am 11. 11. 1871 in Wien als Sohn eines Fuhrwerkers geboren und wuchs in ärmlichen Verhältnissen auf. Nach seinem Lehrabschluss war er als Industriesattler bei der Simmeringer Waggonfabrik beschäftigt und lernte dort die sozialen Probleme der Arbeiterschaft kennen. Unter dem Einfluss der 1891 von Papst Leo XIII. erlassenen ersten katholischen Sozialenzyklika Rerum Novarum gründete er am 4. 12. 1892 den „Christlichsozialen Arbeiterverein“, dessen Obmann er 1895 wurde. Seine weitere politische Karriere führte Kunschak danach in das Abgeordnetenhaus des Reichsrates und in der Ersten Republik als Abgeordneten in den Nationalrat. Während der Zeit des austrofaschistischen Ständestaates übte er verschiedene Funktionen aus , unter anderem die eines Staatsrates. Im Gegensatz zu anderen führenden Repräsentanten des christlichsozialen Lagers stand er aber der Politik der Heimwehren sehr reserviert gegenüber und lehnte deren militantes Vorgehen ab. Nach Verfolgung in den Jahren der nationalsozialistischen Herrschaft kehrte Kunschak 1945 als einer der Mitbegründer der ÖVP , Vizebürgermeister von Wien und bis zu seinem Tod am 13. 3. 1953 als Nationalratspräsident wieder in das politische Geschehen zurück. Kunschak sprach sich zeit seines politischen Wirkens immer für die Integration der Christlichen Arbeiterbewegung in eine christlichsoziale Sammelpartei aus und übernahm daher auch Spitzenfunktionen in der Christlichsozialen Partei ( Obmann der Christlichsozialen Partei von 1920 bis 1921 und Obmann der Wiener Christlichsozialen Partei von 1921 bis 1932 sowie Klubobmann der christlichsozialen Parlamentsfraktion 1922 bis 1934 ).45 Unbestritten sind Kunschaks antisemitische Aussagen , bereits am ersten Parteitag der christlich-sozialen Arbeiterschaft Österreichs am 5. 1. 1896 stellte er sich mit einer Resolution „gegen den übermächtigen Einfluß des Judenthums und dessen Helfershelfer“.46 Für ihn war der Antisemitismus , wie ihn Karl Lueger propagierte , ein integrierender Bestandteil seiner politischen Argumentation , wobei er allerdings die Säkularisierung bzw. Zurückdrängung des Christentums als die größte Gefahr für eine gesellschaftliche Fehlentwicklung sah : „Bezüglich der Judenfrage erwähnt Redner [ Anm. : Kunschak ] , daß es selbstverständlich sei , daß jeder Christlich-socialer auch Antisemit ist , es ist aber zu bedenken und wohl zu überlegen ob es gut ist die ganze Kraft , das ganze Augenmerk 44 Diese Bezeichnung findet sich in unterschiedlichen Quellen , z. B. im Bericht des Freiheitsbundes , abgedruckt in der Christlichsozialen Arbeiter-Zeitung vom 3. 2. 1934 , 2 ; oder auf einer Festschrift , die anläßlich des 60. Geburtstags von Leopold Kunschak im November 1931 aufgelegt wurde ( A rchiv der Fraktion Christlicher GewerkschafterInnen im ÖGB , unkatalogisiertes Material ). 45 Biografische Daten zusammengestellt aus : i ) Blenk , Gustav ( 1966 ) : Leopold Kunschak und seine Zeit , Portrait eines christlichen Arbeiterführers , Wien ; ii ) Freiheit , Wochenzeitung der christlichen Arbeiter und Angestellten vom 11. 10. 1952 ( Festnummer anlässlich des 60. Jahrestages der Gründung des „Christlichsozialen Arbeitervereines“ ) ; iii ) Reichhold , Ludwig ( 1988 ) : Leopold Kunschak , von den Standesbewegungen zur Volksbewegung , Wien. 46 Freiheit , Organ für die christliche Arbeiterschaft Oesterreichs , Ausgabe Nummer 2 vom 15. 1. 1896 , 3.
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nur auf die Bekämpfung des Judenthums zu richten und dabei zu vergessen , daß , wie uns die Erfahrung besonders der letzten Zeit recht deutlich zeigt , durch die Entchristlichung der Gesellschaft die größten Schurken und Verräther aus unserem eigenen Volk hervorgehen.“47 Einige der vorhandenen Biografien blenden allerdings diese kritischen Aspekte in Bezug auf den Antisemitismus aus.48 In seiner öffentlichen Inszenierung repräsentierte Kunschak den einfachen Arbeiter , der sich zur Gänze seiner Aufgabe widmet , dafür unverheiratet bleibt und in einer kleinen „Arbeiterwohnung“ in Wien-Hernals bescheiden lebt. Sein persönliches Erscheinungsbild , das über Jahrzehnte unverändert blieb , war katholisch-konservativ , er trug alte Anzüge und besuchte regelmäßig die Heilige Messe. In seiner Person wurde eine Verbindung von unterschiedlichen Lebenswelten konstruiert , und zwar jene von Christlicher Arbeiterbewegung , Christlichsozialer Partei und katholischer Kirche. Er war aber auch ein persönliches Beispiel für die unterschiedlichen Strömungen innerhalb des christlichensozialen Lagers in Bezug auf die Stellung der Heimwehren sowie die Errichtung eines autoritären Herrschaftssystems. Noch in seiner Rede vor dem Wiener Gemeinderat am 9. 2. 1934 warnte Kunschak sehr deutlich vor einem drohenden Bürgerkrieg und rief zu einer Zusammenarbeit der beiden gegnerischen politischen Lager auf. Als Zeichen des guten Willens stimmten die christlichsozialen Abgeordneten damals einem Antrag der Sozialdemokraten für eine Sanierung der Gemeindefinanzen ( Konvertierung der Wiener Dollaranleihe ) zu. Kunschaks Rede zur Versöhnung richtete sich aber nicht nur an die Sozialdemokraten , sondern auch an die Heimwehren bzw. deren Wiener Führer Emil Fey. Speziell Fey hatte seit seiner Ernennung zum Vizekanzler und Sicherheitsminister am 21. 9. 1933 immer wieder zu einem gewaltsamen Schlag gegen die Sozialdemokratie aufgerufen. Bezeichnend für die politische Einstellung Kunschaks waren seine Aussagen in Bezug auf die Auflösung der Christlichsozialen Partei. Auf der letzten Großkundgebung der Christlichsozialen Partei am 23. 10. 1933 in Wien unterstützte Kunschak , der selbst im Mai 1932 seine Funktion als Obmann der Wiener Christlichsozialen aus Protest gegen die Bildung einer Koalitionsregierung mit Landbund und Heimatblock zurückgelegt hatte , vehement die Aussagen von Bundesparteiobmann Carl Vaugoin , der sich gegen ein Aufgehen in der Vaterländischen Front und für einen Weiterbestand der Partei aussprach : „Die Christlichsoziale Partei ist eine Notwendigkeit. Notwendigkeiten kann man nicht abschaffen , die muß man erhalten. Die Christlichsoziale Partei besteht und wird bestehen.“49 Bereits kurze Zeit darauf , am 1. 11. 1933 , wurde Vaugoin als Parteiobmann beurlaubt und Emmerich Czermak als geschäftsführender Obmann mit der Liquidierung der Partei beauftragt. Das Vorgehen Kunschaks bewies , dass er zwar grundsätzliche Bedenken gegen die Abschaffung der parlamentarischen Demokratie hatte , schlussendlich konnte er sich aber bei aller Unzufriedenheit zu keinem offenen Wider47 Freiheit , Organ für die christliche Arbeiterschaft Oesterreichs , Ausgabe Nummer 2 vom 15. 1. 1896 , 3. 48 Vgl. u. a. Franz Stamprech ( 1953 ) : Leopold Kunschak , Portrait eines christlichen Arbeiterführers , Wien. 49 Kunschak , zit. n. : Wagner , Georg ( 1984 ). Leopold Kunschak und die Schicksalsjahre 1933 und 1934 , erschienen in : Christliche Demokratie , ( 1984 ) Heft 1 , 91.
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stand durchringen : Seine persönliche Loyalität und Verbundenheit mit dem christlichsozialen Lager wogen stärker als die Bedenken gegen das neue , autoritäre Herrschaftssystem. 3.2.2 Der Nachlass Kunschaks im Karl von Vogelsang-Institut Ein wesentlicher Teil des Nachlasses von Kun schak befindet sich seit Herbst 2000 im Archiv des Karl von Vogelsang-Instituts. Abgese hen von jenen Archivalien , die im Rahmen einer Ausstellung anlässlich des 50. Todestages Abb. 1 : Seite aus einem privaten Fotoalbum Kunschaks im März 2003 Verwendung fanden , Leopold Kunschaks ist das Material bisher nur grob aufgearbeitet ( Quelle : Archiv des Karl von Vogelsangund katalogisiert worden. In mehreren Kartons Instituts ) sind neben persönlichen Unterlagen und Zeitungen auch persönliche Briefe an und von Bundeskanzler Seipel sowie der Schriftwechsel mit mehreren lokalen Heimwehrführern zu finden. Die Aufarbeitung dieses Materials könnte neue Hinweise auf die Stellung der Heimwehren auf regionaler Ebene sowie die Verfestigung autoritärer Tendenzen geben. Weiters befinden sich im Nachlass einige Fotoalben , die Kunschak sowohl in seinem privaten Umfeld als auch bei politischen Veranstaltungen in der Öffentlichkeit während des untersuchungsrelevanten Zeitraums von 1929 bis 1938 zeigen. Diese Fotos könnten als Quelle verwendet werden , eine Reihe von Fragestellung zu bearbeiten , z. B. das Aufzeigen möglicher Konfliktlinien und Gruppenbildungen , die Analyse von Politik- und Inszenierungsstilen oder ein Abb. 2 : Kunschak bei einer öffentlichen Rede Vergleich der Images aus der privaten und politischen Umgebung. ( Quelle : Archiv des Karl von VogelsangDie Untersuchung dieser Quellen bietet ferInstituts ) ner die Möglichkeit einer interdisziplinären Herangehensweise an diese Fragestellungen , in der nicht nur methodische und theoretische Ansätze der Visuellen Zeit- und Kulturgeschichte oder Politikwissenschaft , sondern auch aus den Medienwissenschaften , der Soziologie oder der Philosophie Anwendung finden könnten. Ein weiterer wichtiger Aspekt wäre die vollständige wissenschaftliche Aufnahme ( Katalogisierung und Digitalisierung ) der Archivalien , um ForscherInnen einen besseren Zugang zu den Untersuchungsobjekten und zitierfähigem Material zu ermöglichen.
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Sonstige Quellen Pfarrchronik der Pfarre und Wallfahrtskirche Starchant zur Hl. Theresia vom Kinde Jesu , 1160 Wien , Mörikeweg 22 , URL : http ://www.pfarre-starchant.at / ( abgefragt am 17. 5. 2011 ) Hirtenbriefe der deutschen , österreichischen und deutsch-schweizerischen Bischöfe 1934 , Paderborn , Druck und Verlag der Junfermannschen Buchhandlung ( Verleger des Heiligen Apostolischen Stuhles ).
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Katharina Ebner
Politische Katholizismen in Österreich 1933–1938 Aspekte und Desiderate der Forschungslage I. Einführung Eine im Vergleich zu anderen Konfessionen hohe Identifikation der KatholikInnen1 mit ihrer Kirche führte in Fremd- wie Selbstwahrnehmung ( nicht nur in Österreich ) zu einer fehlenden Differenzierung zwischen den katholischen Gläubigen und der Institution katholische Kirche. Mithilfe des Begriffes Katholizismus sollte jedoch eine Abgrenzung von ( u nd eine Nicht-Gleichsetzung der KatholikInnen mit ) der katholischen Kirche hervorgehoben werden.2 Vor diesem Hintergrund lässt sich auch für Österreich nachvollziehen , warum die wissenschaftliche Beschäftigung mit einem politischen Katholizismus der Zwischenkriegszeit eine gewisse Engführung an einer parteipolitischen Komponente verdeutlicht. In der Folge wurde der Gesichtspunkt eines politischen Katholizismus unter dem Dollfuß / Schuschnigg-Regime3 von der Forschung bisweilen vernachlässigt. Nur eine die komplexen Kräftefelder eines ( österreichischen ) Katholizismus verkennende Sichtweise erlaubt es , die katholische Kirche mit Katholizismus zu identifizieren und gemeinsam mit der Christlichsozialen Partei als eine sich gegenseitig stützende Einheit wahrzunehmen. Aus diesem vereinfachten Verständnis von Kirche und Partei als poli1 Ein zeitweiliger Verzicht auf eine geschlechtergerechte Schreibweise im Folgenden ( i n Form einer Beschränkung auf die männliche Form ) ergibt sich notgedrungen aus dem Umstand , dass die sichtbaren Akteure in einem katholischen Umfeld vorwiegend männlich waren. 2 Katholizismus kann somit als „die Form , in der das katholische Christentum in der Gesellschaft in Erscheinung tritt“, bestimmt werden , vgl. Saberschinsky , Alexander ( 2009 ) : Die Organisation des politischen Katholizismus in Europa des 20. Jahrhunderts. In : Timmermann , Heiner ( Hg. ) : Die Rolle des politischen Katholizismus in Europa im 20. Jahrhundert , Berlin , 47–61 : 47. Vgl. auch Hanisch , Ernst ( 1977 ) : Die Ideologie des politischen Katholizismus in Österreich ( 1918–1938 ), Wien / Salzburg , 1. 3 Der anhaltenden Kontroverse über die Einordnung des Herrschaftscharakters des österreichischen Regimes von 1933 bis 1938 soll hier insofern Rechnung getragen werden , als dass überwiegend die vermeintlich neutraleren Begriffe „Dollfuß / S chuschnigg-Regime“ bzw. „autoritäres Regime“ verwendet werden. Die Benutzung der umstrittenen Termini „Austrofaschismus“ bzw. „( Christlicher ) Ständestaat“ im Text orientiert sich an der entsprechenden Begriffsverwendung der besprochenen Autoren respektive ist sie der Hervorhebung bestimmter Regimeaspekte geschuldet.
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tischer Katholizismus und einer fehlenden Abgrenzung von einem Partei politischen Katholizismus lässt sich folgern , warum oftmals jene Forschungsarbeiten , die einen politischen Katholizismus behandeln , mit Regimebeginn 1933 / 34 enden. Dies kann sowohl mit der Entwicklung des autoritären Systems , der „Entpolitisierung“ des Klerus Ende 1933 als auch der Auflösung der Christlichsozialen Partei 1934 erläutert werden , die andere Vorzeichen für die österreichischen KatholikInnen setzten. Dabei bleibt jedoch zu bemängeln , dass somit vielfach die notwendigen Folgestudien für die Zeit bis 1938 ausblieben.4 Der Beschluss der österreichischen Bischofskonferenz vom 30. November 1933 , den katholischen Klerus aus der ( Partei-)Politik abzuziehen ,5 wird in der Historiografie auch als Todesstoß für die Christlichsoziale Partei gewertet ,6 da sich diese Maßnahme vor allem auf parteipolitisches Engagement innerhalb der parlamentarischen Demokratie bezog , nicht aber auf etwa nach dem Berufungsprinzip konstituierte Organe des neuen Regimes. Der nachfolgende Weihnachtshirtenbrief vom 21. Dezember 19337 beseitigte jeden Zweifel , ob diese Entpolitisierungsorder als Ausdruck des Misstrauens gegenüber der Regierung zu verstehen sei : Darin positionierte sich der Gesamtepiskopat offen im Sinne eines „überzeugten Ja zur Regierungsarbeit von Dollfuß“.8 Vorgebliches Entpolitisierungsgebot und Hirtenbrief können als Beispiel dafür dienen , eine theoretische Unterscheidung zwischen politischem und parteipolitischem Katholizismus auch in der Praxis zu stützen. Dieser ersten Entscheidung mag der Wunsch nach einem Ende parteipolitischer Verflechtung der Geistlichen zugrunde gelegen sein ,9 die kirchliche Hierarchie verzichtete jedoch infolge ebenso wenig wie zuvor auf politisch relevante Aussagen , wie der Hirtenbrief demonstriert. Die grundsätzliche Annahme des Bestehens eines politischen Katholizismus auch nach 1933 in Österreich scheint daher durchaus berechtigt. Eine Beschränkung dieses seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert sich auch in Österreich konstituierenden Phänomens auf rein parteipolitische Aktivitäten greift so gesehen zu kurz. Der vorliegende Beitrag orientiert sich an einer Abgrenzung eines poli4 Der Kirchenhistoriker Maximilian Liebmann setzt sich dafür ein , den Begriff „politischer Katholizismus“ angesichts der vorgenommenen „Entpolitisierung“ mit demjenigen des „Pastoralkatholizismus“ zu ersetzen , vgl. Liebmann , Maximilian ( 2009 ) : „Heil Hitler“ – pastoral bedingt. Vom politischen Katholizismus zum Pastoralkatholizismus , Wien u. a. 5 „Beschluß der österreichischen Bischofskonferenz bezüglich der politischen Betätigung des Klerus“, WDBl. , 21. 12. 1933 , 71. Jg. , 99. 6 Liebmann , Maximilian ( 2003 ) : Von der Dominanz der katholischen Kirche zu freien Kirchen im freien Staat – vom Wiener Kongress 1815 bis zur Gegenwart. In : Leeb , Rudolf / Wolfram , Herwig ( Hg. ) : Geschichte des Christentums in Österreich. Von der Spätantike bis zur Gegenwart [ Österreichische Geschichte ] , Wien , 380–456 : 415. 7 WDBl. , 21. 12. 1933 , 71. Jg. , 99–105. 8 Volk SJ , Ludwig ( 1983 ) : Der österreichische Weihnachtshirtenbrief 1933. Zur Vorgeschichte und Resonanz. In : Albrecht , Dieter / Repgen , Konrad ( Hg. ) : Politik und Konfession : Festschrift für Konrad Repgen zum 60. Geburtstag. Berlin , 393–414 : 400. 9 Kardinal Innitzer begründete in einem Gespräch mit dem italienischen Gesandten dieses „ein wenig zu radikal( e )“ Vorgehen damit , dies wäre ein zentraler Schritt in Richtung der Ausmerzung aller Parteien in dem von Dollfuß anvisierten Staat gewesen , Preziosi an Mussolini , vor 11. Januar 1934 : Ministero degli Affari Esteri , Rom , zit. n. Volk ( 1983 ), 402.
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tischen Katholizismus von anderen Wirkungsfeldern des Katholizismus und versteht diesen als plurales Gefüge. Denn die auf einen Katholizismus einwirkenden Prägungen , die sich in ihrer geschichtlichen Wirksamkeit nach Zeit und Raum bestimmen , ermöglichen vielfältige Erscheinungsformen desselben. Somit muss dessen Pluralität – und in der Folge auch jene eines politischen Katholizismus – bei der Anwendung des Begriffs mitgedacht werden.10 Abgrenzungsschwierigkeiten zu benachbarten Wirkungsbereichen , wie Kultur- oder Sozialkatholizismus , treten entlang der jeweiligen gesellschaftspolitischen Zielsetzung und der sich in verschiedenen historischen Perioden ändernden Interdependenzen auf und müssen ebenfalls als inhärente Merkmale der Begriffsbestimmung betrachtet werden.11 Nach der Begriffsinterpretation von Ernst Hanisch , die für viele ForscherInnen grundlegend wurde , lässt sich der politische Katholizismus für die Jahre 1918 bis 1938 in drei Gruppierungen umreißen :12 zum einen die kirchliche Hierarchie und der Klerus , sofern sie Aussagen von politischer Relevanz tätigten , zum anderen die Christlichsoziale Partei in ihrer Kerngruppe ( auf deren Bearbeitung hier verzichtet und auf den entsprechenden Beitrag in diesem Band verwiesen wird ) sowie , drittens , die vielen katholischen Vereine , Gruppen und diese repräsentierende Einzelpersonen , die als KatholikInnen einzuordnen sind und politisch Position bezogen. Ideologiegeschichtlich fächert Hanisch den Begriff in einen schmalen linken Rand ( religiöse Sozialisten , christliche Arbeiterbewegung und Einzelpersonen wie Ernst Karl Winter ) und einen wesentlich breiteren rechten , deutschnationalen Flügel auf. Letzterer schloss ein Spektrum ein , das von Exponenten wie Arthur Seyss-Inquart bis Karl Gottfried Hugelmann reichte und zudem aber auch Joseph Eberles Zeitschrift „Schönere Zukunft“, den Bund „Neuland“ sowie Teile der Hierarchie wie Bischof Alois Hudal einschloss.13 Gernot Stimmer bemängelt an Hanischs Begriff , dass sich dieser auf eine strukturelle Abgrenzung nach Trägergruppen beschränkt bzw. diese nach deren ideologischer Bandbreite bestimmt. Eine bei Hanisch vermisste historische Kontextualisierung sieht Stimmer hingegen bei Alfred Diamant gegeben , der den europäischen politischen Katholizismus als Reaktion von Klerus und Laien auf die Herausforderungen der Französischen Revolution , im Sinne eines liberalen Staates , begreift.14 Stimmer geht über Antimodernismus als Hauptmerkmal hinaus und erweitert den Terminus dezidiert im Verständnis 10 Schneider , Helmut ( 1980 ) : Katholizismus. In : Klose , Alfred / Mantl , Wolfgang / Z sifkovits , Valentin ( Hg. ) : Katholisches Soziallexikon , 2. , überarb. u. erg. Aufl. , Innsbruck / Wien / München , Sp. 1318– 1326 , sowie Klostermann , Ferdinand ( 1977 ) : Für eine Pluralität von politischen Katholizismen. In : Katholizismus und Politische Parteien. Gesellschaft und Politik Jg. 13 ( 1977 ) Heft 4 , 5–24. 11 Burghardt , Anton ( 1975 ) : Katholizismus-Merkmale. In : Gesellschaft und Politik Jg. 11 ( 1975 ) Heft 7 ; Köhler , Oskar ( 1975 ) : Der Politische Katholizismus. In : ebd. , 18 ff. , zit. n. Hanisch ( 1977 ), 2 , vgl. dazu auch Schneider ( 1980 ). 12 Hanisch ( 1977 ), 2. 13 Hanisch , Ernst ( 2005 ) : Der politische Katholizismus als ideologischer Träger des „Austrofaschismus“. In : Tálos , Emmerich / Neugebauer , Wolfgang ( Hg. ) : Austrofaschismus. Beiträge über Politik , Ökonomie und Kultur 1934–1938 , 5. überarb. u. erg. Aufl. , Wien , 68–86 : 70. 14 Diamant , Alfred ( 1960b ) : Die österreichischen Katholiken und die erste Republik. Demokratie , Kapitalismus und soziale Ordnung 1918–1934 , Wien , 12–14 , zit. n. Stimmer , Gernot ( 1997 ) : Eliten in Österreich : 1848–1970 [ Studien zu Politik und Verwaltung : 57 , Bd. 1 und 2 ] , Wien / Graz u. a. , 746.
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des Katholischen Soziallexikons , wonach „grundsätzlich jedes aus katholischer Weltanschauung motiviertes politisches Engagement innerhalb und außerhalb von Parteien“ darunter subsumiert wird.15 Diese breite Anwendung des Begriffs spiegelt nach Ansicht der Verfasserin die Pluralität jener katholisch geprägten Interventionen von Klerus und Laien in der Zwischenkriegszeit wider , denen eine ( gesellschafts-)politische Agenda zugrunde lag. Deshalb stützt sich der Beitrag im Folgenden auf diese Begriffsdeutung. Nach einem ereignisgeschichtlichen Überblick zum Forschungsstand soll die Ausrichtung eines politischen Katholizismus entlang seiner Trägergruppen , wie sie auch Hanisch anwendet , als pragmatischer Ausgangspunkt übernommen werden. Im Weiteren werden das katholische Vereinswesen sowie das katholische Pressewesen behandelt , wobei diese in Abgrenzung zu Hanisch nicht als Trägergruppen , sondern als zentrale Aktionsfelder eines politischen Katholizismus verstanden werden.16 II. Forschungsstand 1933–1938 Der Fokus auf die Erste Österreichische Republik ( 1918–1933 / 34 ), der frühe Arbeiten zum Verhältnis von Staat und Kirche in der Zwischenkriegszeit auszeichnet , war zum Teil dem sich erst entwickelnden Erkenntnisinteresse am Dollfuß / Schuschnigg-Regime geschuldet. Dies mag der Wahrnehmung mancher HistorikerInnen entsprochen haben , der politische Katholizismus habe in Österreich mit der Auflösung der Parteien und der katholischen Vereine 1933 / 34 ein vorläufiges Ende gefunden.17 2.1 Kirche und Staat vor 1933 Das oft als „Ehe von Thron und Altar“ charakterisierte Verhältnis von Staat und Kirche in der Monarchie verdeutlichte die dominierende Stellung der katholischen Kirche im Staat nicht zuletzt gegenüber anderen Konfessionen. Als beispielhaften Höhepunkt kann das Konkordat von 1855 gelten , das als Reaktion auf das Revolutionsjahr 1848 der Kirche vielfältige Zugeständnisse machte , um ihr einen besseren Dienst am Staat zu ermöglichen.18 Trotz der Höhen und Tiefen dieses Bündnisses prägte die Erfahrung mit der monarchischen Autorität als kirchlicher Schutzmacht die österreichischen Kirchen15 Schneider ( 1980 ) insb. Sp. 1323–1324 , zit. n. Stimmer ( 1997 ), 747. 16 Schneider ( 1980 ). 17 Brüggl , Alexandra ( 2012 ) : Politischer Katholizismus und „Klerikalfaschismus“: Politik und Kirche in der österreichischen Zwischenkriegszeit , Dipl.-Arb. , Wien , 9 und 16. Brüggl zitiert z. B. Diamant , Alfred ( 1960a ) : Austrian Catholics and the First Republic. Democracy , Capitalism and Social Order , 1918–1934 , Princeton oder Prantner , Robert ( 1955 ) : Katholische Kirche und christliche Parteipolitik in Österreich im Spiegel der katholischen Presse der Erzdiözese Wien unter der Regierung Kardinal Piffls von der Gründung der Republik Österreich bis zum Tode des Kirchenfürsten ( 1918– 1932 ), Diss. , Wien. 18 Zulehner , Paul M. ( 1967 ) : Kirche und Austromarxismus : eine Studie zur Problematik Kirche – Staat – Gesellschaft [ Veröffentlichungen des Instituts für Kirchliche Zeitgeschichte am Internationalen Forschungszentrum für Grundfragen der Wissenschaften Salzburg , 2. Serie : Studien : 1 ] , Wien u. a. , 20–23. Zum Konkordat 1855 vgl. Weinzierl-Fischer , Erika ( 1960 ) : Die österreichischen Konkordate von 1855 und 1933 , Wien.
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fürsten nachhaltig und ließ sie den Zusammenbruch der Monarchie wehmütig erleben : „Über Nacht sind wir alle kaiserlos geworden.“19 Dennoch beharrte der Episkopat nicht auf einer Entscheidung zwischen „Monarchie oder Republik“,20 sondern stellte seine Anpassungsfähigkeit unter Beweis , wodurch der Wiener Kardinal Gustav Piffl „Treue gegenüber der Republik“21 erklären konnte. In einem folgenden gemeinsamen Hirtenbrief wurde der gläubigen Bevölkerung sogar die demokratische Staatsform unter Verweis auf Thomas von Aquin in Gestalt der „Teilnahme möglichst aller an der Regierung“ empfohlen.22 Zur Anerkennung der Republik Österreich durch den Hl. Stuhl sollte es jedoch erst ein volles Jahr später kommen.23 Die politische Atmosphäre im Österreich der 1920er-Jahre zeigte sich jedoch von den opponierenden Kräften eines Kulturkampfes gespalten. Die Auseinandersetzungen wurden zwischen den beiden politischen Massenparteien der Ersten Republik , der Christlichsozialen Partei und der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei , ausgetragen und betrafen in vielen Fällen ideologisch-weltanschauliche Fragen.24 Den Auftakt zu diesem Kulturkampf in Form eines „schulpolitischen Paukenschlag( s )“25 bildete der sogenannte Glöckel-Erlass. Am 10. April 1919 hob Otto Glöckel , sozialdemokratischer Unterstaatssekretär für Unterricht , die Verpflichtung zu religiösen Übungen für SchülerInnen auf , wobei er sich auf das Staatsgrundgesetz von 1867 berief. Seitens der Kirche wurde dieser Schritt als empfindlicher Eingriff in kirchliche Privilegien empfunden , den die Christlichsozialen wie auch kirchliche Würdenträger nicht müde wurden anzuprangern. Die entsprechende Agitation ging aber über die eigentliche Sachfrage deutlich hinaus und war von einem allgemeinen , scharfen Antimarxismus geprägt. Die antiklerikale Austrittspropaganda der Sozialdemokraten , die vor allem in der „roten Hochburg“ Wien erfolgreich war ,26 hielt gemeinsam mit gesellschaftlichen Säkularisierungstendenzen die Furcht vor einer Trennung von Staat und Kirche auf katholischer Seite beständig hoch. 19 Bischof Schuster von Seckau am 12. November 1918 , ferner Bischof Gföllner von Linz , am 1. Dezember 1918 , zit. n. Weinzierl , Erika ( 1985b ) : Österreichs Katholiken und der Nationalsozialismus 1918– 1933. In : dies. ( Hg. ) : Ecclesia semper reformanda. Beiträge zur österreichischen Kirchengeschichte im 19. und 20. Jahrhundert , Wien / Salzburg , 129–151 : 130. 20 Weinzierl , Erika ( 1983 ) : Kirche und Politik. In : dies. / Skalnik , Kurt ( Hg. ) : Österreich 1918–1938. Geschichte der Ersten Republik , 2 Bände ( Bd. 1 ), Graz / Wien u. a. , 437–496 : 456. 21 Piffl , Friedrich Gustav ( 1932 ) : Treue gegenüber der Republik. Kundgebung vom 12. November 1918. In : Knoll , August M. ( Hg. ) : Kardinal Fr. G. Piffl und der österreichische Episkopat zu sozialen und kulturellen Fragen 1913–1932. Quellensammlung , Wien / L eipzig , 44–47 : 45 f. , zit. n. Brüggl ( 2012 ), 30. 22 Gemeinsamer Hirtenbrief vom 23. Januar 1919 , zit. n. Weinzierl ( 1985b ), 130. 23 Vgl. Engel-Janosi , Friedrich ( 1971 ) : Vom Chaos zur Katastrophe. Vatikanische Gespräche ( 1918 bis 1938 ), vornehmlich auf Grund der Berichte der österreichischen Gesandten beim Heiligen Stuhl , Wien u. a. , 30–31. 24 Weinzierl , Erika ( 1988 ) : Prüfstand. Österreichs Katholiken und der Nationalsozialismus , Mödling , 16–17 , zit. n. Wohnout , Helmut ( 2001 ) : Bürgerliche Regierungspartei und weltlicher Arm der katholischen Kirche. Die Christlichsozialen in Österreich 1918–1934. In : Gehler , Michael / Kaiser , Wolfram / Wohnout , Helmut ( Hg. ) : Christdemokratie in Europa im 20. Jahrhundert. Wien u. a. , 181–207 : 183. 25 Liebmann ( 2003 ), 397. 26 In den Jahren 1923 und 1927 erreichten die Austrittswellen einen besonderen Höhepunkt , Hanisch ( 1977 ), 3–4 , wobei die Austrittsbewegung 1923 auf den Schulstreit zurückzuführen und der zweite Höhepunkt als Folge der Ausschreitungen rund um den Justizpalastbrand 1927 zu sehen ist.
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Abgesehen von zeitweilig hohen Kirchenaustrittszahlen blieb diese Angst jedoch vorwiegend ohne konkrete Bedrohungen : Eine Momentaufnahme des österreichischen Katholizismus von 1931 hielt fest , dass sich die verfassungsrechtliche Stellung der katholischen Kirche seit der Monarchie nicht verändert hätte.27 Auch verfügte der bürgerliche Block , den die Christlichsoziale Partei als weltlicher Arm der katholischen Kirche28 dominierte , von 1920 bis 1930 konstant über eine Mandatsmehrheit. Damit war es den christlichsozialen Politikern an der Oberfläche gelungen , „alle Bastionen ( zu ) halten“29 , wie eine Parole der Galionsfigur des ( partei-)politischen Katholizismus , Ignaz Seipel , lautete. Der Priesterpolitiker prägte als mehrfacher Bundeskanzler und Obmann der Christlichsozialen die politische Arena der Ersten Republik wie kein Zweiter. Nach dem harten Durchgreifen bei den Vorfällen rund um den Justizpalastbrand als „Prälat ohne Milde“ verschrien , war er wesentlich daran beteiligt , dass eine Trennung von Kirche und Staat – im sozialdemokratischen Verständnis , das Religion als Privatsache betrachtete – verhindert wurde.30 Weder im Unterrichtswesen noch in der Frage der Klerikerbesoldung ( „Kongrua“ ) bzw. beim Religionsfonds oder bei der schwer umfochtenen Ehegesetzgebung ( Stichwort : Dispens- bzw. „Sever“-Ehen31 ) kam es zu tiefer greifenden legistischen Veränderungen.32 2.2 Politische Katholizismen zwischen 1933 und 1938 Was Hanisch plakativ als „katholische[ n ] Flankenschutz beim Marsch in die Diktatur“33 bezeichnet , stellt sich als gegenseitige Unterstützung zwischen dem sich konstituierenden Dollfuß / ( Schuschnigg )-Regime und katholischen Exponenten dar. Hier mag auch die von Hanisch aufgegriffene Akkommodationsthese34 zum Tragen kommen , wonach sich der politische Katholizismus 1918 , 1934 wie 1938 dem jeweiligen politischen Status quo anpasste.35 Dabei beschränkte sich die katholische Kirche nach Hanisch aber nicht nur auf die notwendige Sicherstellung der Seelsorge , sondern zielte auf den Erhalt ih27 Vgl. den Beitrag des ehem. kaiserlichen Ministerpräsidenten Max Freiherr Hussarek von Heinlein : Die kirchenpolitische Gesetzgebung der Republik Österreich. In : Hudal , Alois ( Hg. ) ( 1931 ) : Der Katholizismus in Österreich : sein Wirken , Kämpfen und Hoffen , Innsbruck / Wien u. a. , 27–40 : 28. 28 Wohnout ( 2001 ), diese Bindung wurde später dann unter „Ehe von ( Christlichsozialer ) Partei und Altar“ subsumiert , siehe Pelinka , Anton / Rosenberger , Sieglinde ( 2007 ) : Österreichische Politik , Grundlage –Strukturen – Trends , Wien , 209 , zit. n. Brüggl ( 2012 ), 28. 29 Liebmann ( 2003 ), 400. Vgl. ( auch ) Weinzierl-Fischer ( 1960 ), 140 zit. n. Hanisch ( 1977 ), 7. 30 Liebmann ( 2003 ), 397. 31 Benannt nach Albert Sever , der als sozialdemokratischer Landeshauptmann von Niederösterreich bis 1920 die Wiederheirat geschiedener Katholiken ermöglichte und somit Dispensen für bestehende kirchliche Ehehindernisse von staatlicher Seite erteilte ; zum Eherecht vgl. Harmat , Ulrike ( 1999 ) : Ehe auf Widerruf ? Der Konflikt um das Eherecht in Österreich 1918–1938 [ Studien zur europäischen Rechtsgeschichte 121 ] , Frankfurt / Main. 32 Liebmann ( 2003 ), 397. 33 Hanisch ( 2005 ), 73. 34 Hanisch weist darauf hin , dass Ernst Karl Winter diese Akkommodationsthese bereits 1933 formuliert hat. Vgl. Winter , Ernst Karl ( 1933 ) : Die Staatskrise in Österreich. In : Wiener politische Blätter , 1. Jg. , 16. April 1933 , zit. n. Hanisch ( 1977 ), 2–3. 35 Hanisch ( 1977 ), 35.
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rer „privilegierte( n ) Stellung im Staat und in der Gesellschaft“ ab.36 Theoretisch legitimiert wurde diese Haltung von Staatsenzykliken Leos XIII. , in denen – unter Wahrung der Sittengesetze – eine grundsätzliche Neutralität der Kirche gegenüber verschiedenen Staatsformen formuliert wurde.37 Ihre Grenzen fand diese Anpassung einerseits dort , wo kirchliche Einrichtungen und deren Einfluss gefährdet waren ( Schule / Jugend , Ehe , Vereine ), andererseits aber auch in den Bereichen , in denen es um „dogmatische“ Postulate ging.38 Weiters schränkt Hanisch seine These ein , indem er eine pluralistische Struktur des politischen Katholizismus der Zwischenkriegszeit annimmt – eine Akkommodation an den Status quo konnte durch eine entsprechende ideologische Bandbreite eines politischen Katholizismus vereinfacht vonstattengehen.39 Josef Prinz unterscheidet jedoch zu Recht die Akkommodation 1918 qualitativ von jener 1934. Während der Kirche das Ja zur Republik nur mühsam und ausschließlich aus pragmatischen Überlegungen über die Lippen kam , trug sie den politischen Veränderungsprozess 1934 nicht nur mit , sondern unterstützte ihn auch aktiv. Ihre Rolle ist daher als „wesentlicher , mitbestimmender Faktor und Trägerin des neuen Herrschaftssystems“ zu charakterisieren.40 Der Weg zu einer autoritären Regierungsform war keinesfalls unumstritten – Hanisch nennt Bedenken und Hemmungen bei Miklas , Kunschak , weiteren christlichsozialen Politikern sowie bei der christlichen Arbeiterbewegung –41 , jedoch blieb beispielsweise ein öffentlicher Protest der Hierarchie aus.42 Papst Pius XI. gab der christlichen Diktatur nicht nur seinen Sanktus43 , sondern wusste auch auf Miklas’ Bedenken gegenüber autoritären Bestrebungen der Regierung nachhaltig einzuwirken.44 Als Akt mit symbolischer Tragweite , der die nach außen demonstrierte Einigkeit und Einheit zwi36 Hanisch ( 1977 ), 35. 37 Hanisch ( 1977 ), 2 , ähnlich dazu auch August Maria Knoll , der die Akkommodation der Kirche mithilfe des Naturrechts begründete , vgl. ders. ( 1962 ) : Katholische Kirche und scholastisches Naturrecht. Zur Frage der Freiheit , Wien u. a. , 17. 38 Hanisch ( 1977 ), 2. 39 Hanisch ( 1977 ), 2. 40 Prinz , Josef ( 1986 ) : Politischer Katholizismus in Österreich. Zur politischen Rolle und sozialen Funktion der Katholischen Kirche in der Ersten Republik bis zur Konstituierung des „Autoritären Ständestaates“ unter besonderer Berücksichtigung der katholischen Soziallehre , Dipl.-Arb. , Wien , 279. Vgl. v. a. Hanisch , der die Kirche als ‚ideologischen Träger‘ des Austrofaschismus apostrophiert : Hanisch ( 2005 ). 41 Hanisch ( 1977 ), 14. 42 Während Kardinal Innitzer einen Appell erließ , in dem er forderte , sich geschlossen hinter Dollfuß zu stellen , zelebrierte Bischof Gföllner von Linz einen Festgottesdienst anlässlich des Jahrestages zur „Selbstausschaltung“ des Parlaments , vgl. Hanisch ( 1977 ), 14. 43 Engel-Janosi ( 1971 ), 119–120. 44 Vgl. den politisch brisanten Brief Pacellis an Innitzer vom Dezember 1933 , in welchem die vertraulichen Weisungen des Papstes für eine Einstimmung des Bundespräsidenten auf den autoritären Weg festgehalten sind , vgl. Klieber , Rupert ( 2010 ) : Quadragesimo Anno e lo „Ständestaat“ d’Austria Nuova ( 1934–1938 ). In : Cosimo Semeraro ( Hg. ) : La Sollecitudine Ecclesiale di Pio XI. Alla luce delle nuove fonte archivistiche [ Atti del Convegno Internazionale di Studio , Città del Vaticano , 26–28 febbraio 2009 ] , Città del Vaticano , 347–362 : 357–358 , URL : http ://piusxi.univie.ac.at / content / site / de / publikationen / i ndex.html ( abgerufen am 8. 5. 2012 ).
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schen Regime und Kirche bekräftigen sollte , wurde der heiß bekämpfte Glöckel-Erlass nur wenige Wochen nach der Ausschaltung des Parlaments mit 10. April 1933 – exakt vierzehn Jahre nach seiner Einführung – aufgehoben. 2.2.1 Meilensteine im Staat-Kirche-Verhältnis unter dem Dollfuß / Schuschnigg-Regime Konkordat 1933 / 34 Die überraschende Romreise von Engelbert Dollfuß im April 1933 hatte neben anderen Beweggründen45 auch das Ziel , den seit 1931 laufenden Konkordatsverhandlungen den entscheidenden Abschlussimpuls zu geben. Waren andere Konkordate zuvor unter Pius XI. ohne eherechtliche Bestimmungen ausverhandelt worden ( Bayern , Rumänien , Preußen , Baden ), so auch das fast zeitgleich abgeschlossene Reichskonkordat ,46 so drohten die Verhandlungen mit Österreich an der Eherechtsfrage beinahe zu scheitern. Nach Auflösung des Parlaments hatte sich das Regime jedoch seines „besten Arguments für die Zivilehe für Katholiken und die Trennbarkeit von Katholikenehen beraubt“47 , da auf eine parlamentarische Mehrheit keine Rücksicht mehr zu nehmen war. So wurde das Konkordat , das – abgesehen vom Eherecht – eine „Festschreibung des Status quo“48 war , bereits am 5. Juni 1933 unterzeichnet. Ratifiziert wurde der kirchenrechtliche Vertrag jedoch erst zum 1. Mai 1934 ; mit der teilweisen Aufnahme in die „Mai-Verfassung“ erhielt er zudem Verfassungsrang. Vor der Ratifizierung kam es jedoch auf Betreiben der österreichischen Bischöfe und des vatikanischen Chefunterhändlers , Kardinalstaatssekretär Eugenio Pacelli ,49 zu Nachverhandlungen , weil die Kirche nach der militärischen Unterdrückung der Sozialdemokratie im Februar 1934 die Gunst der Stunde nützen wollte.50 45 Bei diesem österlichen Besuch in Rom sicherte sich Dollfuß zudem beim italienischen Duce Schützenhilfe für die folgenden autoritären Weichenstellungen ; zur überraschenden Romreise vgl. Kremsmair , Josef ( 1980 ) : Der Weg zum österreichischen Konkordat von 1933–34 [ Dissertationen der Universität Salzburg , 12 ] , Wien , 291 , zit. n. Liebmann , Maximilian ( 1986 ) : Die geistige Konzeption der österreichischen Katholikentage in der Ersten Republik. In : Ackerl , Isabella ( Hg. ) : Geistiges Leben im Österreich der Ersten Republik. Auswahl der bei den Symposien in Wien vom 11. bis 13. November 1980 und am 27. und 28. Oktober 1982 gehaltenen Referate , München , 125–175 : 159. Die Bitte um einen päpstlichen Legaten für den Katholikentag lief bei diesem Papstbesuch der Konkordatsmaterie beinah den Rang ab , vgl. Liebmann ( 1986 ), 160. 46 Liebmann ( 2003 ), 407. Rezent zum Reichskonkordat vgl. Brechenmacher , Thomas ( Hg. ) ( 2007 ) : Das Reichskonkordat 1933 : Forschungsstand , Kontroversen , Dokumente [ Veröffentlichungen der Kommission für Zeitgeschichte , Reihe B , Forschungen ; 109 ] , Paderborn / Wien u. a. 47 Liebmann ( 2003 ), 409. 48 Liebmann ( 2003 ), 412. Zum Vergleich dieses Konkordats mit jenem von 1855 vgl. Weinzierl-Fischer ( 1960 ). Aus juristischer Sicht vgl. Hauer , Sonja ( 1996 ) : Das Konkordat 1933 / 34. Eine juristische Bestandsaufnahme , Diss. , Linz. 49 Liebmann ( 2003 ), 410. 50 Die Wiederaufnahme von Verhandlungen , u. a. bezüglich der Aufnahme einer Konfessionsschule ins Konkordat , wurde vom päpstlichen Kardinalstaatssekretär Eugenio Pacelli bereits sechs Tage nach Beendigung der ‚Februarkämpfe‘ am 21. Februar 1934 beantragt. Jedoch waren dahin gehende Nachverhandlungswünsche vonseiten der österreichischen Bischöfe dem Gesandten beim Hl. Stuhl bereits im November 1933 übermittelt worden. Wie rasch sich die auch nach der Unterdrückung der Sozialdemokratie noch anhaltende , anfängliche Ablehnung dieses Ansinnens durch Dollfuß und
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Die zugrunde liegende Hoffnung auf verstärkte Garantien für die Kirche51 erfüllte sich : Nicht nur der Schulartikel erfuhr eine „gänzliche Umformulierung“52 , auch der Schutz der in die Katholische Aktion überführten Vereine53 wurde verstärkt. Katholikentag 1933 Der Abhaltung des Allgemeinen Deutschen Katholikentages vom 7. bis 12. September 193354 in Wien waren weitere Loyalitätsbeweise55 des entstehenden Regimes der Kirche gegenüber vorausgegangen ; wie etwa die Auflösung des Freidenkerbundes , aber auch der Erlass , nach dem beim Wunsch , aus der Kirche oder einer Religionsgemeinschaft auszutreten , der Geisteszustand der Antragstellenden zu überprüfen war.56 Die Stadt Wien hatte für den Katholikentag , der auf die Verteidigung des christlichen Abendlandes und auf einen Kreuzzug im Sinne der Gegenreformation ausgerichtet war ,57 eine besondere Bedeutung. Im ‚Heiligen Jahr‘ 1933 jährte sich zum 500. Mal , dass der Stephansdom zum Wahrzeichen der Stadt wurde , zum 250. Mal die Türkenabwehr und zum 80. Mal der letzte in Wien abgehaltene gesamtdeutsche Katholikentag.58 Personelle Änderungen auf kirchenpolitischer Ebene ( w ie Innitzers Einsetzung als neuer Kardinal ) machten den Katholikentag in den Vorbereitungen nicht nur zu einer „episkopalen Angelegenheit“59 : Die geistige Ausrichtung der Veranstaltung wurde durch die politischen Ereignisse kontinuierlich mitbestimmt. Liebmann sieht die Feiern herausgelöst aus der Tagespolitik , einem pastoral-religiösen Konzept folgend.60 Die deSchuschnigg änderte , bezeichnete Weinzierl als „überraschend“, denn Rücksicht auf eine Opposition war bereits im Juni 1933 nicht mehr zu nehmen , vgl. Weinzierl , Erika ( 1994 ) : Das österreichische Konkordat von 1933 von der Unterzeichnung bis zur Ratifikation. In : Paarhammer , Hans / Pototschnig , Franz / R innerthaler , Alfred ( Hg. ) : 60 Jahre Österreichisches Konkordat [ Veröffentlichungen des Internationalen Forschungszentrums für Grundfragen der Wissenschaften Salzburg , 56 ] , München , 119–134 : 123–124. 51 Gellott sieht als Mitgrund für die Nachverhandlungen die ersten negativen Erfahrungen mit dem Reichskonkordat , aus denen man stärkere Garantien nicht zuletzt in Hinblick auf die katholischen Jugendorganisationen ziehen wollte , Gellott , Laura ( 1987 ) : The Catholic Church and the authoritarian regime in Austria , 1933–1938 , New York u. a. , 143–144. 52 Kremsmair ( 1980 ), 312–313 , zit. n. Liebmann ( 2003 ), 410. 53 Liebmann , Maximilian ( 1990 ) : Katholische Aktion und Ständestaat. In : Kaluza , Hans Wal ther / Kostelecky , Alfred ( Hg. ) : Pax et iustitia. Festschrift für Alfred Kostelecky zum 70. Geburtstag. Berlin , 601–622 : 607. 54 Vgl. dazu Hofrichter , Peter ( 1966 ) : Die österreichischen Katholikentage des 20. Jahrhunderts ( bis 1933 ), Diss. , Wien , sowie Lesowsky , Winfried ( 1966 ) : Die Katholikentage. In : Klostermann , Ferdinand / K riegl , Hans / Mauer , Otto / Weinzierl , Erika ( Hg. ) : Kirche in Österreich 1918–1965. 2 Bände ( Bd. 1 ), Wien u. a. , 373–380. 55 Vgl. Weinzierl-Fischer ( 1960 ), 226 , zit. n. Liebmann ( 2003 ), 413. 56 BGBl. 25. 8. 1933 , Nr. 379 , zit. n. Liebmann ( 2003 ), 413. Dass es hierbei sogar zu Verhaftungen kam ( Salzburg ), sieht Hanisch als anti-nationalsozialistische Maßnahme , da Übertritte in die evangelische Kirche zumeist von Nationalsozialisten beantragt wurden , Hanisch ( 2005 ), 78. 57 Hanisch ( 1977 ), 24 , und Hanisch ( 2005 ), 76. 58 Liebmann ( 1986 ), 162. 59 Liebmann ( 1986 ), 141. 60 Liebmann ( 1986 ), 139–141.
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zidierte Vermeidung von aktiven Politikern als Redner mag dieses Argument auf den ersten Blick stützen. Dem stehen jedoch – ganz abgesehen von der Aus- und Außenwirkung dieses katholischen Großereignisses – nicht zuletzt die versuchte inhaltliche Einflussnahme auf die Redemanuskripte entgegen , die dem Programm-Ausschuss unter Leitung von Karl Rudolf61 vorgelegt werden mussten62 und die sehr wohl den Versuch nahelegen , eine ideologische Leitlinie in der konkreten Programmgestaltung auch tatsächlich durchzusetzen. Anton Staudinger wies auf die führende Rolle des „Volksdeutschen Arbeitskreises österreichischer Katholiken“ bei den Vorbereitungen für den Katholikentag hin.63 Nicht nur rekrutierte diese Arbeitsgruppe ihre Mitglieder aus den wichtigsten katholischen Jugendverbänden , dem österreichischen Cartellverband , dem Bund „Neuland“ und anderen Organisationen , er bediente sich auch der Versatzstücke einer konservativ-faschistischen Ideologie , die von Antiparlamentarismus bis Antimarximus reichten64 und leistete somit einen Beitrag dazu , dem autoritären Regime zu einer religiös-konfessionellen Legitimierung durch den Katholikentag zu verhelfen.65 Prägend von außen wurde die im Frühjahr 1933 von Deutschland eingeführte „1.000-Mark-Sperre“, die die Teilnahme vieler KatholikInnen ( aber auch geplanter RednerInnen ) aus dem Nachbarland gezielt vereitelte. Nicht zuletzt der auf den einzelnen Veranstaltungen omnipräsente Dollfuß gab der Großveranstaltung einen explizit politischen Anstrich. Er nutzte seine Begrüßungsrede dazu , um vor den katholischen TeilnehmerInnen das Versprechen abzugeben , das erste Land sein zu wollen , das „dieser herrlichen Enzyklika im Staatsleben Folge leistet“.66 Auch wenn Papst Pius XI. 1931 bei der Proklamierung der Enzyklika „Quadragesimo anno“, auf die Dollfuß Bezug nahm , eine Gesellschafts- und keine Staatsreform vor Augen gehabt hatte , so wurde weder von kirchlichen noch von vatikanischen Stellen Protest gegen die Interpretation des Regimes eingelegt.67 Formal getrennt – jedoch im Dunstkreis dieser katholischen Großveranstaltung aufgehend – fand am 11. September der Generalappell der Vaterländischen Front statt , bei dem Dollfuß seine bekannte „Trabrennplatzrede“ hielt , die seine autoritären Vorhaben zur Umwälzung des politischen Systems deutlich skizzierte. Von höchster 61 Prälat Karl Rudolf war Gründer des Wiener Seelsorgeinstituts , Mitglied katholischer österreichischer Studentenverbindungen und Mitbegründer der katholischen Jugendbewegung und der Neuland-Schulen. Gemeinsam mit dem späteren Generalsekretär der Katholischen Aktion ( K A ) Leopold Engelhart und Kooperator Karl Door wurde er zur Triebfeder der Neugestaltung der KA in Wien und darüber hinaus , vgl. Schultes , Gerhard ( 1967 ) : Der Reichsbund der katholischen deutschen Jugend Österreichs. Seine Entstehung und Geschichte , Wien , 292. Ein Vertrauensverhältnis zu Dollfuß rührte aus seiner Zeit als Studienpräfekt in Hollabrunn und seinem Engagement als Studentenseelsorger. Rudolf wurde auch von Dollfuß gebeten , ihn zu trauen , und sollte von diesem auch mit Verhandlungen mit den Nationalsozialisten betraut werden. 62 Liebmann ( 1986 ), 165–168. 63 Staudinger , Anton ( 2005 ) : Austrofaschistische „Österreich“-Ideologie. In : Tálos / Neugebauer ( Hg. ), 28–52 : 31. Dazu zählten Wissenschafter , Geistliche oder Publizisten wie u. a. Taras Borodajkewycz , Karl Rudolf , Anton Böhm , Theodor Veiter. 64 Staudinger ( 2005 ), 32. 65 Staudinger ( 2005 ), 33. 66 Allgemeiner deutscher Katholikentag Wien 1933 , 7.–12. 9. 1934 , zit. n. Hanisch ( 2005 ), 77. 67 Hanisch ( 1977 ), 24.
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vatikanischer Ebene erhielt der Bollwerk-Topos – Wien gegen einen heidnischen bzw. atheistischen Osten – zudem eine bezeichnende Stärkung : Der päpstliche Legat , Kardinal La Fontaine , wurde explizit zur parallel stattfindenden staatlichen Türkenbefreiungsfeier und nicht zum Katholikentag selbst entsandt.68 Der Katholikentag fungierte also nicht nur als Verlautbarungsrahmen für das autoritäre Regime , sondern diente auch der Demonstration eines Schulterschlusses von Regime und Kirche , der dem diktatorischen Vorhaben Legitimität verleihen sollte. Die Anziehungskraft der katholischen Kirche sollte dem Regime die ( Massen-)Basis für den künftigen Staatsaufbau sichern.69 Innerhalb der politischen Festkultur im Austrofaschismus verortet , kann der Katholikentag 1933 als Beispiel eines „BekräftigungsMassenfestspiels“ gelten. In ihm stellte sich eine der ersten Manifestationen austrofaschistischer Massenästhetik dar ; entsprechend seines Konzepts sollte er sowohl der Rekatholisierung als auch der Präsentation des neuen Regimes dienen.70 In der Nachbereitung dieser katholischen Großveranstaltung traten nachhaltige Impulse für die Entwicklung des Katholizismus hervor , insbesondere hinsichtlich der straff durchorganisierten Katholischen Aktion.71 Über Anspruch und Wirklichkeit der politischen Implikation dieses Katholikentages fehlt jedoch noch ein Konsens , wie eine Debatte in den Printmedien jüngst zeigte.72 ‚Entpolitisierung‘ des Klerus 1933 Die Bischofskonferenz vom November 1933 endete mit dem überraschenden Entschluss , den katholischen Klerus aus der ( Partei-)Politik abzuziehen.73 Verglichen mit den Nach68 Liebmann ( 1986 ), 168–169. 69 Vgl. dazu auch Pfoser , Alfred / Renner , Gerhard ( 2005 ) : „Ein Toter führt uns an ! “ – Anmerkungen zur kulturellen Situation im Austrofaschismus. In : Tálos / Neugebauer ( Hg. ), 338–356 : 349. 70 Vgl. Janke , Pia ( 2006 ) : Manifeste kollektiver Identität. Politische Massenfestspiele in Österreich zwischen 1918 und 1938 , Habilitationsschrift Wien , 277–285. Zu den Weihefestspielen für die katholische Jugend im Rahmen des Katholikentages und den folgenden Maierfeiern ( K inder- und Ständehuldigung ), sowie zu Rudolf Henz , dem „Zeremonienmeister austrofaschistischer Massenästhetik“, vgl. Amann , Sirikit M. ( 1987 ) : Kulturpolitische Aspekte im Austrofaschismus ( 1934–1938 ) ( u nter besonderer Berücksichtigung des Bundesministeriums für Unterricht ). Diss. , Wien. Zum Festspiel in der Wochenschau , vgl. Ballhausen , Thomas ( 2002 ) : Verordnete Distanzlosigkeit. Zu Festspielgedanken und Wochenschauästhetik. In : Achenbach , Michael / Moser , Karin ( Hg. ) : Österreich in Bild und Ton. Die Filmwochenschau des austrofaschistischen Ständestaates , Wien , 313–320. 71 Liebmann ( 1986 ), 174–175. 72 Vgl. Posch , Wilfried ( 2011 ) : Der tapfere Feind von damals , Die Presse , 16. 4. 2011 , 4 , sowie die Replik darauf : Wenninger , Florian ( 2011 ) : Ein Satan für Sankt Michael , Die Presse , 7. 5. 2011 , URL : http ://diepresse.com / home / spectrum / z eichenderzeit / 658154 / Ein-Satan-fuer-Sankt-Michael ( abgerufen am 21. 4. 2012 ). 73 WDBl. 21. 12. 1933 , 1. „Beschluß der österreichischen Bischofskonferenz bezüglich der politischen Betätigung des Klerus“, der u. a. besagt : „Nach reiflicher Ueberlegung , ob es günstig oder ungünstig sei , daß katholische Geistliche unter den gegenwärtig besonders heiklen politischen Verhältnissen als politische Mandatare weiter sich betätigten , hat die Bischofskonferenz den Beschluß gefasst , die für die Ausübung des Mandates erforderliche bischöfliche Zustimmung in sinngemäßer Durchführung des can. 139 , § 4 , vorübergehend und allgemein zurückzunehmen.“ Vgl. hierzu Slapnicka , Harry ( 1983 ) : Vor 50 Jahren : Abzug des Klerus aus der Politik. In : Theologisch-praktische Quartalschrift Jg.
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barstaaten war dies jedoch keine „Einzelaktion des österreichischen Episkopats , sondern [ es ] handelt[ e ] sich um eine eher späte , gleichzeitig aber eher unösterreichisch-radikale Auslegung päpstlicher Weisungen , die die Nachbarländer Österreichs wesentlich früher und zurückhaltender realisiert hatten“.74 Zeitgenossen missinterpretierten den Beschluss noch als mögliche Distanzierung von der Regierung ;75 der „Weihnachts hirtenbrief “76 des Gesamtepiskopats zerstreute jedoch jeglichen Zweifel an der Unterstützung des Dollfuß-Kurses. Als treibende Kraft hinter dieser öffentlichen Positionierung wurde innerhalb der Bischofskonferenz vor allem der Linzer Bischof Johannes Maria Gföllner gesehen.77 Diese Weisung wird in der Forschung auch als Maßnahme gegen die Christlichsoziale Partei interpretiert , die deren Ende beschleunigte.78 Während Weinzierl hinter der Entscheidung sowohl praktisch-politische wie pasto rale Anliegen vermutete ,79 erachtete Liebmann das Konkordat , das die heftig umkämpften kirchenpolitischen Belange aus der Tagespolitik ausklammerte , als maßgeblich für diese bischöfliche Anordnung.80 Die Möglichkeit , die strikte Trennung von Klerus und Politik im österreichischen Konkordat vertraglich festzuschreiben , war jedoch da rin nicht genutzt worden , im Unterschied zum italienischen Konkordat 1929 oder dem Reichskonkordat 1933.81 Dies und die knappe zweiwöchige Frist zur Umsetzung der Forderung dürfte zur überraschenden Wirkung beigetragen haben. Hanisch benennt die Ambiguität , die diesem Entschluss sicherlich innewohnte und die zu dessen anfäng licher Missinterpretation als Misstrauen gegenüber Dollfuß führte , wie folgt : Einerseits 131 ( 1983 ), 242–250 , und auch z. B. Ebner , Johannes ( 1982 / 83 ) : Bischofskonferenz beschließt Rückzug des Klerus aus der Politik ( 30. 11. 1933 ). Eine kleine Dokumentation , zusammengestellt u. eingeleitet v. Johannes Ebner. In : Neues Archiv für die Geschichte der Diözese Linz ( NAGDL ) Jg. 2 ( 1982 / 83 ), Heft 1 , 69–77. 74 Slapnicka , Harry ( 1975 ) : Oberösterreich : zwischen Bürgerkrieg und Anschluß ( 1927–1938 ) [ Beiträge zur Zeitgeschichte Oberösterreichs , 2 ] , Linz , 113. 75 Weinzierl ( 1983 ), 443 , sowie vgl. Weinzierl , Erika ( 1966 ) : Der Episkopat. In : Klostermann et al. ( Hg. ) : Kirche in Österreich 1918–1965 , 2 Bände ( Bd. 1 ), Wien u. a. , 21–77 : 43. 76 WDBl. , 21. 12. 1933 , 71. Jg. , 99–105. 77 Slapnicka ( 1983 ). 78 Liebmann ( 2003 ), 415. Vgl. auch Hanisch ( 1977 ), 14–15 ; Nach Wohnout hatte die Partei mit der Loslösung der Kirche ihre wichtigste Stütze verloren , vgl. Wohnout ( 2001 ), 189. Für Iber belegt dieser Beschluss , dass die Partei für die Kirche nie mehr als die Funktion eines Instruments darstellte , vgl. Iber , Walter M. ( 2007 ) : Zu den ideologischen Grundlagen des Antimarxismus / A ntisozialismus der Christlichsozialen Partei , 1918–1934. In : Römische historische Mitteilungen Jg. 49 ( 2007 ), 511–540 : 540. 79 Weinzierl , Erika ( 1964 ) : Der Beitrag der Kirche zum inneren Frieden. Katholische Kirche und politisches Leben in Österreich seit 1933. In : Der Seelsorger Jg. 34 ( 1964 ), 245–246 , zit. n. Boyer , John W. ( 2005 ) : Political Catholicism in Austria , 1880–1960. In : Bischof , Günther / Pelinka , Anton / Denz , Hermann ( Hg. ) : Religion in Austria [ C ontemporary Austrian studies , Vol. 13 ] , New Brunswick , NJ u. a. , 6–36 : 14 , der Weinzierl beipflichtet. 80 Liebmann , Maximilian ( 1997 ) : Das Österreichische Konkordat 1933 / 34 im politischen Kontext. In : Theologisch-praktische Quartalschrift Jg. 145 ( 1997 ), 349–362 : 360. 81 Kronthaler , Michaela ( 1999 ) : Die Entwicklungen der Österreichischen Bischofskonferenz. Von den ersten gesamtbischöflichen Beratungen 1849 bis zum Ende des Zweiten Vatikanischen Konzils. In : Lukaseder , Walter ( Hg. ) : 150 Jahre Österreichische Bischofskonferenz 1849–1999 , Wien , 33–75 : 60 , vgl. auch Brüggl ( 2012 ), 70.
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wollte man den Priester von der „parteipolitischen ( Um )klammerung“ lösen und ihn für die Seelsorge einsetzen , andererseits schwächte dies zugleich die Christlichsoziale Partei , also das demokratische Parteiwesen , womit man Dollfuß den autoritären Weg ebnete.82 Ein vorgeblicher Rückzug auf den Bereich der Seelsorge hatte also auch politische Konsequenzen , die sich durchaus positiv für den weiteren Dollfuß-Kurs auswirkten. Unumstritten stellte der Beschluss über die Abberufung des Klerus aus der Politik einen Meilenstein für das Selbstverständnis eines politischen Katholizismus dar.83 Weinzierl sah darin „eine neue Ära der österreichischen Kirchengeschichte“ gekommen ,84 während Liebmann diesen „Jahrhundertbeschluss“ als Ende des politischen Katholizismus an sich sah und damit das Einsetzen eines pastoralen Katholizismus begründete , der seither Wirken und Handeln der KatholikInnen vorrangig geprägt habe.85 Februar 1934 „Im Februar 1934 stand die Katholische Kirche“, laut dem Urteil Hanischs , „fast geschlossen auf der Seite der Regierung.“86 Sie war jedoch bemüht , einen differenzierten Eindruck in der Außensicht zu hinterlassen. In diesem Zusammenhang wird zuweilen Kardinal Innitzers Radioansprache vom 23. Februar herangezogen , in der nicht mehr der Sozialismus , sondern der Klassenhass verurteilt , die ständische Ordnung empfohlen und zu einem versöhnenden Frieden aufgerufen wurde.87 Auch wenn dabei Topoi beschworen wurden , die dem Kurs des Regimes sehr dienlich waren , so förderte dies die oberflächliche Wahrnehmung einer Kirche , die sich angesichts der Todesopfer nicht offiziell auf eine Seite , die der Regierung , schlagen , sondern ihrer Seelsorge-Aufgabe für alle Menschen gerecht werden wollte.88 So sprach Innitzer nicht nur beim Begräbnis für die Opfer der Exekutive ,89 sondern intervenierte auch schriftlich bei Justizminister Schuschnigg für Begnadigungen90 und besuchte inhaftierte Schutzbündler.91 Den Versuch um eine differenzierte Außenwahrnehmung stützt auch die auf Initiative des französischen Vatikan-Botschafters unternommene Intervention von höchster vatikanischer 82 Hanisch ( 1977 ), 14–15 , und ders. ( 1995 ) : Das System und die Lebenswelt des Katholizismus. In : Tálos , Emmerich ( Hg. ) : Handbuch des politischen Systems Österreichs : Erste Republik 1918–1933 , Wien , 444–453 : 448. 83 Slapnicka ( 1983 ) argumentiert , dass von oberösterreichischer Seite ( n icht zuletzt durch Bischof Gföllner ) die entscheidende Initiative für diesen Beschluss kam. 84 Weinzierl ( 1966 ), 22. 85 Liebmann ( 2009 ), 170. 86 Hanisch ( 1977 ), 24. Mehr Literaturhinweise zum Schicksalsjahr 1934 in kirchlicher Perspektive vgl. Klieber , Rupert / S chwarz , Karl W. / Holzweber , Markus ( 2007 ) : Österreichs Kirchen im 20. Jahrhundert [ Österreichische historische Bibliographie : Sonderband , 1 ] , Graz , 124–125. 87 Loidl , Franz ( 1976b ) : Von karitativ-pastoralen Hilfen des österreichischen Klerus bei den Februar-Ereignissen 1934 ( einige Hinweise ). In : Neck , Rudolf / Wandruszka , Adam ( Hg. ) : Beiträge zur Zeitgeschichte. Festschrift Ludwig Jedlicka zum 60. Geburtstag , St. Pölten , 189–215 : 200–203. 88 Vgl. dazu Loidl ( 1976b ). 89 Wiener Zeitung , 21. Februar 1934 , zit. n. Hanisch ( 1977 ), 24. 90 Liebmann ( 2003 ), 416. 91 Liebmann , Maximilian ( 1989 ) : Der 12. Februar 1934 – Das Ziel der Revolte und die Katholische Kirche. In : Christliche Demokratie Jg. 3 ( 1989 ), 305–340 : 328.
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Stelle , nach der Kardinalstaatssekretär Pacelli den Nuntius Sibilia um Auskunft bat , ob Dollfuß gegenüber den Inhaftierten Gnade walten lassen würde. Eine gemeinsam mit dem Wiener Außenamt formulierte Antwort Sibilias , der sich Pacelli letztlich anschloss , erachtete ob der christlichen Eigenschaften des Bundeskanzlers diese Intervention für nicht notwendig , und riet davon ab , um dessen öffentliche Reputation durch einen kritischen vatikanischen Appell nicht zu gefährden.92 Wie bereits erwähnt , sah Pacelli jedoch nun eine günstige Gelegenheit zur Nachverhandlung des Konkordats gekommen , um die er bereits am 21. Februar ansuchte.93 Von Ambivalenz getragen war auch die Haltung der Bischöfe : In jener Bischofskonferenz , in der der zur Versöhnung mahnende ( R adio-)Hirtenbrief beschlossen wurde , versuchten aber auch einige Bischöfe , die Bedenken von Wilhelm Miklas gegen den autoritären Dollfuß-Kurs , die ihnen der Präsident im Zuge einer fünfstündigen Sitzung darlegte ,94 zu zerstreuen. Wie Weinzierl aufzeigen konnte , waren die Hirtenbriefe der österreichischen Bischöfe bis 1930 fast ausschließlich gegen Sozialismus und Bolschewismus gerichtet. Dabei ist bemerkenswert , dass hinter der Verwendung dieser beiden Schlagworte keine klare begriffliche Trennung stand.95 Die Kontinuitätslinie dieses umfassenden Feindbildes verdeutlicht , dass die Unterdrückung des Schutzbundes und die nachfolgenden Verbote von sozialdemokratischer Partei und Vereinen nicht zuletzt auf Feindbilder und bolschewistische Bedrohungsszenarien der Kirche reagierten bzw. diese von deren Zurückdrängung direkt wie indirekt profitierte. Die antiklerikale Propaganda der Sozialdemokratie und die damit verbundene „Abfallbewegung“ wurden damit nicht nur abgeschwächt , vorderhand löste der Februar 1934 sogar eine richtiggehende Wiedereintrittswelle in die Kirche aus.96 „Quadragesimo anno“ und Mai-Verfassung 1934 Abseits vom parlamentarischen Tauziehen , was kulturpolitische Fragen betraf , versuchten die Bischöfe in den 1920ern auch , ihre Botschaften in gemeinsamen Stellungnahmen zu popularisieren. Die verspätet einsetzende Industrialisierung und die damit einhergehenden Säkularisierungstendenzen machten die Beschäftigung mit der sozialen Frage für den Episkopat akut. Mit dem Sozialhirtenbrief von 1925 gab man den KatholikInnen christliche Verhaltensanweisungen zur Hand und versuchte , eine katholische Antwort auf die soziale Frage zu entwickeln.97 In den 1920er-Jahren kam es zu einer Wiederbe92 Liebmann ( 1989 ), 324 , vgl. auch Weinzierl , Erika ( 1984 ) : Kirche und Politik in der Ersten Republik. In : Fröschl , Erich / Z oitl , Helge ( Hg. ) : Februar 1934 : Ursachen , Fakten , Folgen ; Beiträge zum wissenschaftlichen Symposion des Dr.-Karl-Renner-Instituts , abgehalten vom 13. bis 15. Februar 1984 in Wien , Wien , 209–219. 93 Vgl. Anm. 50. 94 Liebmann ( 1989 ), 327. 95 Weinzierl ( 1984 ), 212. 96 Liebmann ( 1989 ), 329. Die hohen Zahlen relativieren sich nach Liebmann dahin gehend , da zu dieser Zeit auch die Bedingung der Konfessionslosigkeit für Arbeitsplätze in der Gemeinde Wien aufgehoben wurde , Liebmann ( 1989 ), 329. 97 Vgl. den Hirtenbrief „Lehren und Weisungen der österreichischen Bischöfe über soziale Fragen der Gegenwart“, abgedruckt bei Knoll ( 1932 ), 77–126. Zum Hirtenbrief mit einem Fokus auf dem Ka-
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lebung der Ideen von Karl von Vogelsang , dem Begründer des österreichischen Sozial katholizismus , wobei die vorherrschende Inhomogenität der Auffassungen der Entwicklung verschiedener Strömungen eines Sozialkatholizismus Vorschub leisteten. Der in den 1920er-Jahren diesbezüglich bestehende Richtungsstreit der sogenannten ‚Wiener Richtungen‘ über die Lösung der sozialen Frage verebbte nach Veröffentlichung der Enzyklika „Quadragesimo anno“ im Mai 1931 , die das Gesellschaftsideal einer ständischen Ordnung proklamierte und allzu radikale katholische Lösungsansätze ablehnte.98 Dollfuß’ Anrufung der Enzyklika , deren Gesellschaftsvorstellungen ihm zufolge im autoritären Staat umgesetzt werden sollten , bereitete den Boden für eine Rezeption der ständischen Ordnung im Regierungsumfeld , legitimierte aber auch Unvereinbarkeit von Sozialismus und Katholizismus. Diese Gesellschaftsideale des Papstwortes bildeten gemeinsam mit der Christkönigsideologie , welche die Abgrenzung der wahren Königsherrschaft Christi von anderen weltlichen Führern betonte , ideologische Versatzstücke für das Regime , die dazu dienten , „die Führerimago vorzubereiten und den Episkopat und den Klerus in ihren Stellvertreterfunktionen als unmittelbare , auch politische Leitfiguren zu akzeptieren“.99 Zur Veranschaulichung des Einflusses , den das Ideengut von „Quadragesimo anno“ auf die Mai-Verfassung 1934 genommen hätte , wird oftmals deren Präambel100 herangezogen. Unter Anrufung des „Allmächtigen“ wird dort der christlichen Herrschaftsideologie Rechnung getragen , während neben der Betonung der „ständische( n ) Grundlage“ die christliche , nationale und föderalistische Idee Berücksichtigung fanden.101 Die Weisungen des Sozialhirtenbriefs 1925 und nachfolgender Enunziationen der Bischöfe zur sozialen Frage wurden in gewisser Weise als richtungsweisend für die päpstliche Enzyklika wahrgenommen , die die Unvereinbarkeit des katholischen Glaubens mit jeglicher Variante des Sozialismus proklamierte.102 Zeitgenössischen Vermutu ngen , der Abschnitt der Enzyklika zur berufsständischen Ordnung gehe auf den Einfluss der Vogelsang-Schule oder gar auf Bundeskanzler Seipel zurück , erteilte Oswald von Nellpitalismus-Begriff vgl. Schlagnitweit , Markus L. ( 1995 ) : Der Kapitalismus zwischen Freispruch und Verdammung : der österreichische Sozialhirtenbrief von 1925 im Spannungsfeld von Realität und Utopie [ P ublikationen des Instituts für Kirchliche Zeitgeschichte : Serie 2 , Studien , Dokumentationen , 29 ] , Wien / Salzburg , vgl. auch Gscheidlinger , Fridolin ( 1998 ) : Die katholische Soziallehre und die Rezeption von ausgewählten Inhalten der ersten beiden päpstlichen Sozialenzykliken „Rerum novarum“ und „Quadragesimo anno“ sowie des österreichischen Sozialhirtenbriefes 1925 in Österreich , Diss. , Linz. 98 Weinzierl ( 1983 ), 471. 99 Hanisch ( 2005 ), 73. 100 „Im Namen Gottes , des Allmächtigen , von dem alles Reich ausgeht , erhält das Volk für seinen christlichen , deutschen Bundesstaat auf ständischer Grundlage diese Verfassung.“ Vgl. Verfassung 1934 , BGBl. vom 1. Mai 1934 , Jg. 1934 , Nr.1 , URL : http ://alex.onb.ac.at ( abgerufen am 30. 4. 2012 ). 101 Zu den autoritären Einflüssen auf die Verfassung vgl. auch Wohnout , Helmut ( 1990 ) : Verfassungstheorie und Herrschaftspraxis im autoritären Österreich : zu Entstehung und Rolle der legislativen Organe 1933 / 34–1938. Diss. , Wien. 102 Knoll ( 1932 ), 215–216. Auf Grundlage dieser bei Knoll zitierten , allgemein gehaltenen , päpstlichen Würdigung war die Vermutung eines Einflusses aus Österreich auf die Enzyklika naheliegend , konnte jedoch im Detail einer wissenschaftlichen Überprüfung nicht standhalten.
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Breuning , der als „Nestor der katholischen Soziallehre“ galt und maßgeblich an der Ausgestaltung der Enzyklika beteiligt war , bereits 1972 eine Absage.103 Rezente Forschungsfunde aus dem vatikanischen Archiv schließen eine Orientierung an der österreichischen politischen Situation angesichts der engen Verflechtung mit dem Hl. Stuhl zwar nicht aus , ein direkter österreichischer Einfluss , etwa in Person des von vatika nischer Seite sehr geschätzten Ignaz Seipel , auf Entstehung und Inhalt der Enzyklika ist jedoch nicht zu ersehen. In seiner Bewertung der Frage , ob Österreich als ein „Quadragesimo anno“-Staat gelten konnte , sieht Klieber neben einer unvollständigen Umsetzung des Subsidiaritätsprinzips und der berufsständischen Ordnung nur die „Elimination“ sozialistischer Bestrebungen als gegeben an.104 Visuelle Repräsentation Untersuchungen zu visuellen Repräsentationen , anhand derer die gegenseitige Nutzbarmachung von Regime und Kirche sichtbar würde , sind bisher für die Zeit von 1933 bis 1938 noch Mangelware. Während Kriechbaumer die Ästhetik der Vaterländischen Front anhand von Fotografien ins Zentrum stellte ,105 ließ das Filmarchiv Austria 2002 die austrofaschistischen Wochenschauen „Österreich in Bild und Ton“ ( ÖBUT ), die von Juni 1933 bis März 1938 produziert wurden , wissenschaftlich aufarbeiten , und tat somit auch eine visuelle Quelle zur Darstellung eines österreichischen Katholizismus auf. Indem ihre Riten und Symbolik Eingang in die staatliche Repräsentation fanden , wurde die katholische Kirche auch visuell zur Stütze des Staates.106 Nicht nur Fahnenweihen , Feldmessen und Gedenkfeiern wurden unter katholischer Präsenz abgehalten ; vor allem die Darstellung des hart arbeitenden Bauernstandes in den Wochenschauen spiegelte nach Karin Moser die „am besten geeignete Projektionsfläche“ eines ständischen Ideals wider , das dem katholischen Sozial- und Gesellschaftssystem entsprach und breite Übereinstimmung mit der ständisch-faschistischen Ideologie fand.107 Mit der Repräsentation der Kirche( n ) im Rahmen der ÖBUT befasste sich Klieber , indem er auf das „durch äußere Einflüsse wenig belastete“ Jahr 1935 fokussierte.108 Die Wochenschau-Berichterstattung manifestierte sich ihm zufolge in drei Betrachtungs aspekten , die sich über die Darstellung von volkskirchlichen Brauchtümern , dem „organisierten Katholizismus“ sowie der Leitung der Weltkirche bzw. kirchlichen Institutionen erstreckten. Als vierten Grenzbereich werden kirchlich geprägte Festzeremonien des Staates bzw. staatsnaher Organisationen genannt. Der quantitative Schwerpunkt auf kirch 103 Nell-Breuning , Oswald von ( 1972 ) : Wie sozial ist die Kirche ? Leistung und Versagen der katholischen Soziallehre [ S chriften der Katholischen Akademie in Bayern ] , Düsseldorf , 121–122 , zit. n. Figl , Thomas ( 1995 ) : Die Enzyklika Quadragesimo anno und ihr Einfluß auf die österreichische Verfassung vom 1. Mai 1934 , Dipl.-Arb. , Wien , 55. 104 Klieber ( 2010 ), 349 und 359. 105 Kriechbaumer , Robert ( 2002 ) : Ein Vaterländisches Bilderbuch. Propaganda , Selbstinszenierung und Ästhetik der Vaterländischen Front 1933–1938 , Wien. 106 Moser , Karin ( 2002 ) : Die Bilderwelt der ÖSTERREICH IN BILD UND TON – Die konstruierte Realität eines ständestaatlichen Propagandainstruments. In : Achenbach / Moser ( Hg. ), 99–148. 107 Moser ( 2002 ), 113–114. 108 Klieber , Rupert ( 2002 ) : Eine Gegenreformation in Neu-Österreich ? Die Kirche( n ) im autoritären Ständestaat und ihr Bild in der österreichischen Wochenschau. In : Achenbach / Moser ( Hg. ), 321–337.
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liche Bräuche sollte implizieren , dass Religiosität ein tief verankertes Erbe dieses Landes wäre. Die Tatsache , dass in keinem der Wochenschau-Beiträge die Katholische Aktion sichtbar gemacht wurde , sondern lediglich jene Vereine erwähnt wurden , die eine „unverfänglich traditionell-religiöse Note“ aufwiesen bzw. bereits in die Vaterländische Front inkorporiert waren , begründet Klieber mit der Ablehnung der autoritären Staatsleitung sowohl gegenüber einem demokratisch strukturierten katholischen Vereinswesen als auch gegenüber einem „organisierten Katholizismus“ in autoritärer Form wie der Katholischen Aktion ( K A ).109 Die Wochenschau-Darstellungen des Katholikentags sollten somit auch die Überwindung dieses zersplitterten Vereinswesens im „programmatische( n ) und ästhetische( n ) Gegenkonzept“ einer neu strukturierten KA dokumentieren.110 Für die konsequente Aussparung der Darstellung der protestantischen Kirche in den ÖBUT schließt Klieber dogmatische Streitfragen mit der katholischen Kirche als Begründung aus. Auch dem Befund einer Gegenreformation erteilt er letztlich eine klare Absage und schlägt vor , dieses Schlagwort aus dem historiografischen Diskurs zu entfernen. Vielmehr dürfte es die vorwiegend politisch gefärbte Wahrnehmung der evangelischen Kirche gewesen sein , die zu einer damnatio memoriae in den Wochenschauen geführt hätte.111 Evangelische Kirche unter dem Dollfuß / Schuschnigg-Regime Die evangelische Kirche112 war vom Zerfall der Donaumonarchie ungleich stärker betroffen ;113 neben der Abtrennung von Superintendenzen und der Einbuße von unzähligen Gläubigen ( m it Ausgleichsbewegungen durch den Zuwachs an burgenländischen Gläubigen ) war sie durch den Verlust von Fonds nun viel deutlicher von staatlichen Förderungen abhängig. Die emotionale Bindung zu Deutschland als ‚Mutterland der Reformation‘ , aber auch die wirtschaftliche und personelle Abhängigkeit114 verstärk109 Klieber ( 2002 ), 331. 110 Klieber ( 2002 ), 330. 111 Das Leitbild der „Türkenwehr“ besäße gegenüber dem einer Gegenreformation mehr Plausibilität , Klieber ( 2002 ), 337. Im Gegensatz dazu vgl. Huber , Wolfgang ( 2004 ) : Die Gegenreformation 1933 / 34. In : Neuhäuser , Stephan ( Hg. ) : „Wir werden ganze Arbeit leisten …“ Der austrofaschistische Staatsstreich 1934 , Norderstedt , 47–64 , der jedoch letztlich etwas undifferenziert argumentiert. 112 Zu einer älteren Abhandlung über die autoritäre Regierung aus der Sicht der evangelischen Kirche vgl. Krammer , Uta ( 1966 ) : Religion und Politik in der Zeit der autoritären Regierung Österreichs , Diss. , Wien ; vgl. Schwarz , Karl ( 1985 ) : Kirche zwischen Kruckenkreuz und Hakenkreuz. Über die Lage der Evangelischen Kirche in der Ära des katholischen Ständestaates. In : Amt und Gemeinde Jg. 36 ( 1985 ), Heft 9 , 95–98 sowie Heft 10 / 1 1 , 109–121 ; Gamsjäger , Helmut ( 1967 ) : Die evangelische Kirche in Österreich in den Jahren 1933 bis 1938 unter besonderer Berücksichtigung der Auswirkungen der deutschen Kirchenwirren , Diss. , Wien ; Achs , Christine ( 1997 ) : Die evangelische Kirche in Österreich von 1918 bis 1938 unter Berücksichtigung der politischen Verhältnisse , Dipl.-Arb. , Wien ; Reingrabner , Gustav / Schwarz , Karl ( Hg. ) ( 1988 / 1989 ) : Quellentexte zur österreichischen evangelischen Kirchengeschichte zwischen 1918–1945. In : Jahrbuch für die Geschichte des Protestantismus in Österreich ( JGPrÖ ) 104 / 105 ( 1988 / 1989 ), Wien. 113 Schwarz , Karl ( 2002 ) : Der Untergang der Donaumonarchie und seine Auswirkungen auf den Protestantismus. Ein Überblick. In : Švorc , Peter / Danilák , Michal / Heppner , Harald ( Hg. ) : Veľká politika a malé regióny : malé regióny vo veľkej politike , veľká politika v malých regiónoch ; Karpatský priestor v medzivojnovom období ( 1918–1939 ), Prešov / Graz , 2002 , zit. n. Liebmann ( 2003 ), 417. 114 Liebmann ( 2003 ), 418.
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ten sich in der Folge. Diese starke Ausrichtung nach Deutschland sollte später eine „emotionale Barriere“115 zum katholisch ausgerichteten österreichischen ‚Ständestaat‘ bilden , der sich überdies als das bessere Deutschland stilisierte. Die wiederholte Platzierung des „Neuen Österreichs“ in einen gegenreformatorischen Kontext116 stärkte das Misstrauen der Minderheitenkirche. Dabei richtete sich das Bild der ‚Gegenreformation‘ weniger gegen die evangelische Kirche als vielmehr gegen Säkularisierung und ‚Austromarxismus‘.117 Trotz der Tatsache , dass auch evangelische Geistliche in staatlichen Ämtern saßen , waren politische wie konfessionelle Gründe ausschlaggebend für eine Selbstwahrnehmung als „Staatsbürger zweiter Klasse“.118 Diese Empfindung erhielt durch den raschen , für die katholische Kirche überaus günstigen Abschluss des Konkordats119 zusätzlichen Nährboden , weil die Novelle des Protestantenpatents gleichzeitig lange hinausgezögert wurde sowie die staatliche Anerkennung der Kirchenverfassung 1931 ausblieb. Dass dem evangelischen Vertrauensmann ( „Notbischof “ ) Johannes Heinzelmann120 hierbei so lange ein Erfolg verwehrt blieb , hing auch mit der Junktimierung dieser Sachbereiche mit der Frage nach einem freiwilligen Beitritt evangelischer Würdenträger zur Vaterländischen Front zusammen. Die Beitrittsproblematik wird als eine der Kernfragen schlechthin gesehen , denn damit war gewissermaßen die „Bekenntnisfrage zum Neuen Österreich“ verbunden.121 Die von Heinzelmann diesbezüglich kontinuierlich vorgebrachten Bedenken standen im Gegensatz zu den deutlichen Empfehlungen des Oberkirchenrats. Seine Taktik , die Beitrittsfrage mit den wenig ermutigenden Verzögerungen bei der Protestantenpatentnovelle in Verbindung zu bringen , wirkte sich jedoch für die evangelische Kirche nicht positiv aus.122 Aufsehen erregte sein Protestschreiben vom Juli 1936 gegen die Instrumentalisierung des evangelischen Klerus für Dollfuß-Gedenkfeiern.123
115 Liebmann ( 2003 ), 419. 116 Dietrich von Hildebrand in der ersten Ausgabe vom „Christlichen Ständestaat“, Dezember 1933 , 3 , zit. n. Liebmann ( 2003 ), 419. Vgl. auch das unter einem Pseudonym herausgegebene ‚Beschwerdebuch‘ , Aebi , Kurt ( Hg. ) ( 1936 ) : Die Gegenreformation in Neu-Österreich : ein Beitrag zur Lehre vom katholischen Ständestaat ; anhand amtlicher Erklärungen und Dokumente , Zürich. 117 Mitterauer , Michael ( 1982 ) : Politischer Katholizismus , Österreichbewußtsein und Türkenfeindbild. Zur Aktualisierung von Geschichte bei Jubiläen. In : Beiträge zur historischen Sozialkunde Jg. 12 ( 1982 ) Heft 4 , 111–120 , und Klieber ( 2002 ), zit. n. Hanisch ( 2005 ), 76. 118 Liebmann ( 2003 ), 421. 119 Reingrabner , Gustav ( 1994 ) : Konkordat und Protestanten – Das österreichische Konkordat von 1933 und die Evangelischen in Österreich. In : Paarhammer et al. ( Hg. ), 273–292. 120 Zu Heinzelmann und seinem Auftrag , vgl. Schwarz , Karl ( 1986 / 1987 ) : Der Notbischof – Anmerkungen zu Johannes Heinzelmanns gesamtkirchlichem Vertrauensamt in den Jahren 1934 bis 1938. In : JGPrÖ Jg. 102 / 103 ( 1986 / 1987 ), Wien , 151–178. 121 Schwarz ( 1986 / 1987 ), 171–172. 122 Schwarz ( 1986 / 1987 ), 172. Zum Verhältnis evangelische Kirche und VF vgl. Gamsjäger , Helmut ( 1978 / 1979 ) : Evangelische Kirchen und „Vaterländische Front“. In : Zeitgeschichte , Jg. 6 ( 1978 / 1979 ) Heft 5 , 165–176. 123 Liebmann ( 2003 ), 420.
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Eine anonym verfasste Denkschrift ,124 die die Situation der evangelischen Kirche im „Ständestaat“ skizzierte und im Zeitraum von Herbst 1936 und Dezember 1937 verfasst worden sein musste , ist in der Lage , exemplarisch den repressiven Charakter des „Katholischen Österreichs“ in den Bereichen von Ehe- und Übertrittsangelegenheiten , Schule , aber auch außerschulischer Jugenderziehung sowie im öffentlichen Dienst aufzuzeigen. Indem auf die subtil eingesetzten antiprotestantischen Maßnahmen Bezug genommen wird und eine umfassende konfessionelle Gleichberechtigung gefordert wird , zeigt sich die Intention der Denkschrift. Diese war gegen die Prinzipien des Politischen Katholizismus gerichtet , obgleich Positionierungen gegenüber der ideologischen Ausrichtung des Staates ausblieben.125 Diese Denkschrift stützt die Feststellung Karl Schwarz’ , dass die „Konfessionalisierung des öffentlichen Lebens aus weltanschaulichen Gründen“ im ‚Neuen Österreich‘ in der evangelischen Kirche zwei Reaktionen zur Folge hatte : Sensibilität hinsichtlich ihrer konfessionellen Gleichberechtigung sowie die Entwicklung eines antikatholischen Elitebewusstseins.126 Die traditionelle Ausrichtung auf das protestantische Deutschland , die auch auf der Los-von-Rom-Bewegung um die Jahrhundertwende basierte , ließ viele evangelische Geistliche in die Einflusssphäre der illegalen NSDAP geraten , woraufhin die evangelische Kirche mit der Verunglimpfung als „Nazi-Kirche“ zu kämpfen hatte.127 In der beeindruckenden Beitrittsbewegung zur evangelischen Kirche ( a llein 1934 ca. 24.000128 ), die sich auch aus NationalsozialistInnen speiste , hoffte man auf evangelischer Seite Wahrheitssuchende und nicht politische Flüchtlinge zu sehen.129 124 Schwarz , Karl ( 1980 ) : Eine Denkschrift zur Lage der Evangelischen Kirche im Ständestaat ( 1934– 1938 ). In : JGPrÖ Jg. 96( 1980 ) Heft 1–3 , 263–278. Die 16-seitige Denkschrift trägt den Titel „Zusammenstellung der Voraussetzungen für ein vertrauensvolles Verhältnis zwischen Evangelischer Kirche und Staat in Österreich“, bleibt jedoch ohne Verfasser- , Zeit- und Ortsangaben ; aufgefunden wurde sie beim Villacher Organisten , der Heinzelmann nahestand. 125 Schwarz ( 1980 ), 278. 126 Schwarz , Karl ( 1994 / 1995 ) : Von der Ersten zur Zweiten Republik : Die Evangelischen in Österreich und der Staat. In : JGPrÖ Jg. 110 / 1 11( 1994 / 1995 ), 213–239 : 230. 127 Zur Evangelischen Kirche und Nationalsozialismus vgl. rezente Arbeiten wie z. B. Schwarz , Karl ( 2009 ) : Bejahung – Ernüchterung – Verweigerung. Die evangelische Kirche in Österreich und der Nationalsozialismus , Tagungsband des 25. Österreichischen Historikertages , St. Pölten ; Oberlerchner , Lukas Andreas ( 2009 ) : Evangelische Kirche in Österreich während der NS-Zeit , Dipl.-Arb. , Wien ; Mayr , Margit ( 2005 ) : Evangelisch in Ständestaat und Nationalsozialismus : zur Geschichte der evangelischen Kirche in Österreich unter besonderer Berücksichtigung oberösterreichischer Gemeinden im Ständestaat und während der nationalsozialistischen Herrschaft , Linz ; Schwarz , Gerhard P. ( 1987 ) : Ständestaat und evangelische Kirche von 1933 bis 1938. Evangelische Geistlichkeit und der Nationalsozialismus aus der Sicht der Behörden von 1933 bis 1938 , Diss. , Graz. 128 Hanisch ( 2005 ), 78. 129 Die Eintritte können auch mit der im Regime beanstandeten Konfessionslosigkeit erklärt werden , während die Übertritte insofern erstaunlich waren , da sie oft mit beträchtlichen Hürden verbunden waren , vgl. Liebmann ( 2003 ), 422. Zur Übertrittsproblematik , vgl. auch Schwarz , Karl ( 1982 ) : Der Konfessionelle Übertritt – ein staatsrechtliches und grundrechtliches Problem der Ständestaat-Ära. In : JGPrÖ 98 ( 1982 ), 264–285 , sowie Schima , Stefan ( 2007 ) : Glaubenswechsel in Österreich in der staatlichen Gesetzgebung von Joseph II. bis heute. In : Kurz , Marlene / Winkelbauer , Thomas ( Hg. ) : Glaubenswechsel [ S erie : Wiener Zeitschrift zur Geschichte der Neuzeit ] , Innsbruck , 79–99. Zur Pro-
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Dass Adolf Hitler nicht den überkonfessionellen Retter aus dem reformatorischen Mutterland personifizierte , wurde zu spät verinnerlicht. In seinem berühmt gewordenen Neujahrshirtenbrief 1937 / 38 , der auch als „Anti-Rosenberg-Hirtenbrief “130 apostrophiert wurde , betonte Heinzelmann nicht nur das „bemerkenswerte [ … ] Verständnis [ des austrofaschistischen Regimes , Anm. d. Verf. ] für die Belange unserer Kirche“, sondern übte auch fundamentale Kritik an der NS-Ideologie.131 2.2.2 Funktionsträger politischer Katholizismen Personelle Kontinuitäten bei den österreichischen Bischöfen von Monarchie über die Ers te Republik zum Dollfuß / Schuschnigg-Regime zeigten sich im Linzer Bischof Johannes Maria Gföllner ,132 im Gurker Bischof Adam Hefter133 und in Sigismund Waitz ,134 Apostolischer Administrator für Tirol und Vorarlberg , und ab 1934 Erzbischof von Salzburg. 1927 kam es durch den Tod der Vorgänger zu Bischofswechseln in St. Pölten ( Bischof
blematik der Konfessionslosigkeit vgl. Rettenbacher , Josef ( 1992 ) : Bekenntnisfreiheit oder Glaubenszwang im österreichischen Ständestaat. Der Einfluß der katholischen Kirche auf die Verfassung 1934 und die Auswirkungen auf die Glaubens- und Bekenntnisfreiheit mit besonderer Bedachtnahme auf die Situation der Protestanten in Österreich , Diss. , Salzburg. 130 Schwarz , Karl ( 1994 ) : Der Anti-Rosenberg-Hirtenbrief 1937 / 38 des evangelischen Superintendenten D. Johannes Heinzelmann. In : Zinnhobler , Rudolf ( Hg. ) : Kirche in bewegter Zeit : Beiträge zur Geschichte der Kirche in der Zeit der Reformation und des 20. Jahrhunderts. Festschrift für Maximilian Liebmann zum 60. Geburtstag , Graz , 355–368. 131 Liebmann ( 2003 ), 421. 132 Kutschera , Richard ( 1972 ) : Johannes Maria Gföllner. Bischof dreier Zeitenwenden , Linz , sowie Zinnhobler , Rudolf ( 1979b ) : Die Haltung Bischof Gföllners gegenüber dem Nationalsozialismus. In : ders. ( Hg. ) : Das Bistum Linz im Dritten Reich , Linz , 61–73 , und Zinnhobler , Rudolf ( 1985b ) : Johannes Ev. Maria Gföllner. In : ders. ( Hg. ) : Die Bischöfe in Linz , Linz , 261–288. Weitere Literaturübersicht zu Gföllner bei Zinnhobler , Rudolf ( 2003 ) : Bischof Johannes Maria Gföllner. Seine Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus. In : Mikrut , Jan ( Hg. ) ( 2003 ) : Faszinierende Gestalten der Kirche Österreichs , Bd. 7 , Wien , 53–74. 133 Fräss-Ehrfeld-Kromer , Claudia ( 1974 ) : Adam Hefter – Kirche und Staat in der Ersten Republik. In : Günther Antesberger ( Hg. ) : Festschrift für Franz Koschier : Beiträge zur Volkskunde , Naturkunde und Kulturgeschichte [ K ärntner Museumsschriften , 57 ] , Klagenfurt , 139–176 , sowie Kreuzer , Anton ( 1997 ) : Adam Hefter ( 1871–1970 ). In : Kärntner : biographische Skizzen , 17.–20. Jahrhundert , Klagenfurt , Bd. 4 , 125–127. 134 Alexander , Helmut ( Hg. ) ( 2010 ) : Sigismund Waitz : Seelsorger , Theologe und Kirchenfürst , Innsbruck / Wien ; Jablonka , Hans ( 1971 ) : Waitz , Bischof unter Kaiser und Hitler , Wien ; zudem Literaturhinweise bei Gelmi , Josef ( 2002 ) : Ein Tiroler in der Brandung. Sigismund Waitz. In : Mikrut , Jan ( Hg. ) : Faszinierende Gestalten der Kirche Österreichs , Bd. 5 , Wien , 359–394. Zu den Umständen zu Waitz’ Wahl zum Bischof und den begleitenden staatlichen Interventionen , auch auf Basis der mittlerweile zugänglichen vatikanischen Gegenüberlieferung , vgl. Klieber , Rupert ( 2011a ) : Die Annullierung der Salzburger Privilegien und die Salzburger Bischofswahl 1934 im Lichte der Vatikanischen Quellenbestände zum Pontifikat Pius’ XI. In : Sonderdruck aus : Mitteilungen der Gesellschaft für Salzburger Landeskunde , Salzburg , URL : http ://piusxi.univie.ac.at / content / site / de / publikationen / i ndex.html ( abgerufen am 8. 5. 2012 ).
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Michael Memelauer135 ) und Seckau ( Bischof Ferdinand Pawlikowski136 ). Einschneidend für Wien war die Ernennung Theodor Innitzers137 zum Wiener Kardinal , nachdem der Amtsinhaber Friedrich Gustav Piffl 1932 verstorben war. Die Zwischenkriegszeit zählte zwei Erzbistümer ( Wien und Salzburg ) und vier Bis tümer ( St. Pölten , Linz , Gurk und Seckau ). Bis 1932 gehörte die Apostolische Administratur Eisenstadt noch zu Wien , während Tirol und Vorarlberg ab 1925 direkt Rom unterstellt waren ; das Generalvikariat Feldkirch entstand 1936.138 Ein letzter grundlegender Überblick zum österreichischen Episkopat in der Zwischenkriegszeit von Erika Weinzierl ,139 der auf das Jahr 1966 zurückgeht , dient noch heute als Referenzbeitrag , obwohl er sich noch nicht auf wissenschaftlich fundierte Einzelbiografien oder einschlägige Aktenpublikationen stützen konnte. Das seither in Einzelstudien und Beiträgen aufgearbeitete Wirken der Bischöfe ist zumeist älteren Datums und war oftmals noch von kirchlichen Archivsperren betroffen.140 Aktuellere Beiträge zur Aufarbeitung von einzelnen herausragenden Persönlichkeiten werden zwar geleistet , wie die von Jan Mikrut herausgegebene Reihe „Faszinierende Gestalten der Kirche Österreichs“,141 jedoch können diese nur Ausgangspunkt für weitere Forschung sein.
135 Seybold , Dieter , ( 1998 ) : Michael Memelauer – ein unpolitischer Seelsorgebischof ? Eine vergleichende Untersuchung der Enunziationen eines österreichischen Diözesanbischofs ( 1933–1934 ), Dipl.Arb. , Wien , sowie Winner , Gerhard ( 1981 ) : Bischof Michael Memelauer 1874–1927–1961. In : Hippolytus. St. Pöltner Hefte zur Diözesankunde Jg. 1 ( 1981 ), 5–23 , und Fasching , Heinrich ( 1987 ) : Die zweite St. Pöltner Diözesansynode 1937 : in memoriam Michael Memelauer [ H ippolytus. St. Pöltner Hefte zur Diözesankunde , 2. Beiheft ] , St. Pölten. 136 Literaturverweise auf biografische Angaben zu Pawlikowski bei Liebmann , Maximilian ( 2002 ) : Ferdinand Stanislaus Pawlikowski ( 1877–1927–1953–1956 ). Fürstbischof dreier konträrer Zeitabschnitte. In : Mikrut , Jan ( Hg. ) ( 2002 ) : Faszinierende Gestalten der Kirche Österreichs , Bd. 4 , Wien , 175– 188. Gruber , Franz ( 1977 ) : Zum 100. Geburtstag von Militärbischof Dr. Ferdinand Pawlikowski. In : Mitteilungen der Militärseelsorge Österreichs , Wien , sowie Sattinger , Manfred Paul ( 1983 ) : Die steirischen Katholikentage unter den Bischöfen Leopold Schuster und Ferdinand Stanislaus Pawlikowski , Dipl.-Arb. , Graz. Zum bischöflichen Auswahlverfahren Pawlikowskis 1927 , vgl. Klieber ( 2011a ). 137 Reimann , Viktor ( 1967 ) : Innitzer : Kardinal zwischen Hitler und Rom , Wien u. a. ; Krexner , Martin ( 1978 ) : Theodor Kardinal Innitzer ( 1875–1955 ) : vorläufige Biographie in Daten [ Wiener Katholische Akademie Miscellanea , 41 ] , Wien ; Liebmann , Maximilian ( 1988a ) : Theodor Innitzer und der Anschluß. Österreichs Kirche 1938. Graz / Wien u. a. ; weitere Literaturhinweise bei Liebmann , Maximilian ( 2002 ) : Kardinal Theodor Innitzer. Von der Politik geprägt und prägend für die Kirche. In : Mikrut ( 2002 ), Bd.6 , 231–246. 138 Weinzierl ( 1983 ), 439. 139 Weinzierl ( 1966 ). Vgl. aber auch Schultes , Gerhard ( 1978 ) : Der Episkopat und die katholischen Organisationen in der Ersten Republik [ Wiener Katholische Akademie Miscellanea , 57 ] , Wien. 140 Eine rezente Ausnahme bietet der Sammelband zum Salzburger Erzbischof Sigismund Waitz , vgl. Alexander ( Hg. ) ( 2010 ). Darin wird versucht , neben der seelsorglichen und theologischen Arbeit Waitz’ auch dessen kirchenpolitische Aktivitäten im Rahmen der Bischofskonferenz auszuloten , vgl. Sohn-Kronthaler , Michaela ( 2010 ) : Pastorale , soziale und kirchenpolitische Aktivitäten von Sigismund Waitz innerhalb der Österreichischen Bischofskonferenz. In : Alexander ( Hg. ), 331–362. 141 Mikrut , Jan ( Hg. ) ( 2000–2004 ) : Faszinierende Gestalten der Kirche Österreichs , Bd. 1–11 , Wien.
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Mögliche Quellen für die Aufarbeitung von Position und Engagement der Bischofspersönlichkeiten hinsichtlich kirchenpolitischer Themen böten die Akten zu den gemeinsamen Bischofskonferenzen. Diese zentrale Einrichtung fand jährlich statt – im politisch ereignisreichen Jahr 1934 kam es jedoch zu vier außerordentlichen Sondersitzungen.142 Hauptberatungsgegenstände dieser Zusammentreffen waren in der Zwischenkriegszeit nach Michaela Kronthaler kulturpolitische Anliegen , Konkordat und kirchliches Leben ; aber auch die nationalsozialistische Bewegung , die Heimat-Bewegung , Katholische Aktion und pastorale Anliegen fanden Beachtung.143 Ständiger Diskussionspunkt auf den Konferenzen war zudem die aktuelle politische Lage , wobei auch Politiker als externe Referenten herangezogen werden konnten.144 Die zumeist aus den Beratungen hervorgehenden gemeinsamen Hirtenbriefe spiegelten jedoch nicht alle Diskussionsgegenstände der Konferenz wider , sondern nur die als sehr wichtig erscheinenden Fragen.145 Während Weinzierl aus den Protokollen schloss , die Formulierungen der gemeinsamen Hirtenbriefe wären aufgrund ihrer Wirkung auf die Gläubigen drama tischer ausgefallen als die Beratungen ,146 so wäre dem entgegenzusetzen , dass aufgrund der erforderlichen Stimmenmehrheit147 die Beschlüsse auch aus einer Minimalforderung , dem kleinsten gemeinsamen Nenner und somit einer gewissen Entschärfung , resultieren hätten können. So differierten jene einzeln in den Diözesen veröffentlichten Hirtenbriefe insgesamt stark voneinander , denn für sie waren die Persönlichkeit des Diözesanbischofs , dessen Berater und die lokalen Gegebenheiten ausschlaggebend.148 Die Bandbreite in Weltanschauungsfragen , die sich daraus auch exemplarisch hinsichtlich eines traditionellen kirchlichen Antisemitismus ergab ,149 könnte paradigmatisch an den Haltungen der Bischöfe Gföllner und Hudal dargestellt werden. Der Hirtenbrief „über wahren und falschen Nationalismus“, den Gföllner verkünden konnte , auch ohne eine Gesamtentscheidung des Episkopats abzuwarten , wurde über nationale Grenzen hinaus bekannt. Brisanz verlieh diesem nicht nur die dezidierte Ablehnung eines Rassenantisemitismus der Nationalsozialisten ( bei gleichzeitiger Legitimierung der „traditionellen kirchlichen antijüdischen Vorurteile“150 ), sondern auch dessen Veröffentlichung kurz vor der „Machtergreifung“ Hitlers. Nur Pawlikowski und der damalige 142 Kronthaler ( 1999 ). 143 Kronthaler ( 1999 ), 55. 144 Kronthaler ( 1999 ), 59. 145 Weinzierl ( 1983 ), 442. 146 Weinzierl ( 1984 ), 213. 147 Kronthaler ( 1999 ), 53–54. 148 Weinzierl ( 1984 ), 213. 149 Vgl. dazu auch Klösch , Christian ( 2000 ) : „Ein mehr als schlampiges Verhältnis. Ständestaat und katholische Kirche und ihr Verhältnis zum Antisemitismus“. In : Gedenkdienst Jg. 3 ( 2000 ), URL : http ://gedenkdienst.or.at / index.php ?id=230 ( abgerufen am 25. 4. 2012 ). Klösch verweist auch auf Wibihail , Gisela ( 1995 ) : Der politisch-ideologische Antisemitismus im Ständestaat und das „Wiener Montagblatt“: Antisemitismus zwischen 1934 und 1938 als Wegbereiter der Judenverfolgung im 3. Reich anhand einer diskurs-historischen Textanalyse , Dipl.-Arb. , Wien. 150 Königseder , Angelika ( 2005 ) : Antisemitismus 1933–1938. In : Tálos / Neugebauer ( Hg. ) : 54–65 : 58. Vgl. auch den Literaturüberblick zu ‚Judentum und Antisemitismus vor 1938‘ bei Klieber et al. 2007 , 216–219.
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Salzburger Bischof Ignatius Rieder druckten Gföllners kontroverses Hirtenwort , das die Unvereinbarkeit eines Katholiken mit einem Nationalsozialisten niederschrieb , in ihren Diözesanblättern ab.151 Dieser Ansicht stand der spätere Versuch von Bischof Alois Hudal152 , ideologische Gemeinsamkeiten zwischen Nationalsozialismus und Katholizismus offenzulegen , diametral gegenüber.153 Der Rektor der Anima , der deutschen Nationalkirche in Rom , war zwar kein österreichischer Diözesanbischof , wird jedoch nicht zuletzt ob seiner steirischen Sozialisation als Teil des österreichischen Katholizismus verortet154 und machte sich so als sogenannter „Brückenbauer“ einen zweifelhaften Namen. Die Haltung der österreichischen Bischöfe zum „Anschluss“ wurde oftmals auf ihre „Feierliche Erklärung“155 vom 18. März 1938 zugespitzt dargestellt. Darin wurden die Leistungen des Nationalsozialismus anerkannt und den „gläubigen Christen“ eine deutliche Wahlempfehlung zur Volksabstimmung vom 10. April 1938 gegeben , mit der Erwartung , „dass sie wissen , was sie ihrem Volke schuldig sind“.156 Dieser Akt , mit dem vor allem Kardinal Innitzer verbunden wird und der von der nationalsozialistischen Propaganda gekonnt ausgenutzt wurde , sollte ein nachhaltiges Trauma in der katholischen Kirche hinterlassen.157 Den katholischen Klerus , der im Jahr 1938 um die 8.000 Ordens- und Weltpries ter ausmachte , stellt Weinzierl als eine relativ homogene Gruppe dar , die aufgrund von langjähriger , intensiver Ausbildung selten von den Anordnungen der kirchlichen Vorgesetzten abwich.158 Die bedeutsame Funktion , die der katholische Klerus zu dieser Zeit in politischen , sozialen und auch wirtschaftlichen Fragen hatte , konnte Staudinger mithilfe von Pfarrchroniken für die frühe Republikzeit aufzeigen.159 Dessen 151 Weinzierl ( 1985b ), 150. 152 Langer , Martin ( 1995 ) : Alois Hudal. Bischof zwischen Kreuz und Hakenkreuz. Versuch einer Biog raphie , Diss. , Wien. Vgl. dessen umstrittene , posthum veröffentlichte Autobiografie : Hudal , Alois ( 1976 ) : Römische Tagebücher. Lebensbeichte eines alten Bischofs , Graz / Stuttgart. 153 Hudal , Alois ( 1937 ) : Die Grundlagen des Nationalsozialismus : eine ideengeschichtliche Untersuchung , Leipzig / Wien. 154 Vgl. Klieber , Rupert ( o. J. ) : Der Grazer Diözesane und Anima-Rektor Alois Hudal ( 1885–1963 ) und seine Verortung im österreichischen Katholizismus der Jahre 1900 bis 1950. In : Tagungsband für das Internationale Symposium in Rom „Bischof Alois Hudal ( 1885–1963 ). Wissenschaftliches Kolloquium aus Anlass der Öffnung des Hudal-Archivs im Archiv des Kollegiums Santa Maria dell’ Anima“ am 6. und 7. Oktober 2006 , im Druck , hier 29 , URL : http ://piusxi.univie.ac.at / content / site / de / publikationen / i ndex.html ( abgerufen am 8. 5. 2012 ). 155 Abgedruckt in Liebmann ( 1988a ), 92. 156 Vgl. hierzu Weinzierl ( 1988 ) wie Liebmann ( 1988a ) und Liebmann , Maximilian ( 1988b ) : Vom März zum Oktober 1938 die katholischen Diözesanbischöfe und der Nationalsozialismus in Österreich , St. Pölten ; vgl. z. B. auch Zinnhobler , Rudolf ( 1982 / 83 ) : Bischof Johannes M. Gföllner und die „feierliche Erklärung“ des österreichischen Episkopats vom 18. März 1938. In : NAGDL Jg. 2 ( 1982 / 83 ) Heft 2 , 146–155. 157 Prettenthaler-Ziegerhofer , Anita ( 2010 ) : Brückenbauer Europas : Die österreichischen Bischöfe und der Integrationsprozess Europas. In : Duchhardt , Heinz / Morawiec , Malgorzata ( Hg. ) : Die europäische Integration und die Kirchen : Akteure und Rezipienten , Göttingen , 35–52 : 39. 158 Weinzierl ( 1983 ), 442. 159 Staudinger , Anton ( 1976 ) : Pfarrchroniken als Quelle der Zeitgeschichte. In : Loidl , Franz ( Hg. ) : Aspekte und Kontakte eines Kirchenhistorikers. Kirche und Welt in ihrer Begegnung , Wien , 197–219.
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meinungsbildende Kraft hatte auch der christlichsoziale Abgeordnete Josef Aigner erkannt , jener Präsident des katholischen Volksvereins für Oberösterreich , der später vom eigenen Bischof zum Rücktritt aufgefordert werden sollte. Für Aigner war 1933 die Verbindung zum Klerus unumgänglich , stellte er doch „unser[ en ] Hauptvertrauensmann“ dar.160 2.2.3 Aktionsfelder politischer Katholizismen 2.2.3.1 Vom katholischen Vereinswesen zur Katholischen Aktion Das weit verzweigte katholische Vereinswesen der Zwischenkriegszeit scheint in der forschenden Retrospektive beinahe unüberblickbar. Schon 1967 betonte Ferdinand Klostermann in seiner mit Erika Weinzierl herausgegebenen Bestandsaufnahme der Kirche in Österreich , dass nach bereits 30 Jahren aufgrund der verloren gegangenen bzw. 1938 vernichteten Akten die Organisationslage schwer zu rekonstruieren sei.161 Dieser von Laien getragene , vorwiegend demokratisch strukturierte Verbandskatholizismus162 hatte eine lange gewachsene Tradition. Dabei hatte der „Volksbund der Katholiken Österreichs“ als Dachorganisation die zentrale Aufgabe , die KatholikInnen außerhalb parteipolitischer Vereinigungen zu vertreten. In Österreich verstand man daher den Aufruf von Pius XI. in seiner Antrittsenzylika „Ubi arcano dei“ 1922 zur „Teilnahme der Laien am hierarchischen Apostolat der Kirche“163 in der „Katholischen Aktion“ als bereits in den katholischen Vereinen entsprochen. Erste konkrete Realisierungsversuche 1926 /27 fußten daher auf der Fortsetzung älterer Koordinierungsansätze und wurden nicht mehr als eine „Arbeitsgemeinschaft der Vereine“.164 Starke Impulse für eine zweite Phase der KA setzte der Katholikentag , in dessen Nachbereitung Innitzer eine Neustrukturierung der KA für seine Diözese beauftragte.165 Vorbilder und Einflüsse zu diesem Neuaufbau stammten weitgehend aus Italien , wohin spätere Protagonisten der KA im Sommer zuvor eine Studienreise unternommen hatten.166 Das nach dem Territorial- und Führer160 Weinzierl ( 1983 ), 443. 161 Klostermann , Ferdinand ( 1967 ) : Das organisierte Apostolat der Laien und die Katholische Aktion. In : ders. / K riegl et al. ( Hg. ), 68–137 : 92. Einen Status quo des „Katholizismus in Österreich“ zu Beginn der 1930er-Jahre erfasst der von Alois Hudal herausgegebene Sammelband , vgl. Hudal ( 1931 ). 162 Entgegen dem heute geläufigen Verständnis von Verband als einer Dachorganisation , bestehend aus Vereinen , versteht sich hier die Verwendung von Verband als in der Gesellschaft organisierte Gruppen zur Wahrnehmung bestimmter Interessen. Während das katholische Soziallexikon Verband als politikwissenschaftlichen Begriff ( n icht zuletzt in Abgrenzung von politischen Parteien ) versteht , sieht es einen Verein als eine Rechtsform des Verbandes an , vgl. Brünner , Christian ( 1980 ) : Verbände. In : Klose et al. ( Hg. ), Sp. 3137–3166 : 3137. 163 Vgl. Acta Apostolicae Sedis , 20. Jg. ( 1928 ), 385 , zit. n. Liebmann , Maximilian ( 1990 ) : Katholische Aktion und Ständestaat. In : Kaluza / Kostelecky ( Hg. ), 601–622 : 602. 164 Weinzierl ( 1983 ), 447. 165 Liebmann ( 1990 ). 166 Vgl. Schultes ( 1967 ), 292 ; Hartmann , Gerhard ( 1988 ) : Im Gestern bewährt – Im Heute bereit. 100 Jahre Carolina. Zur Geschichte des Verbandskatholizismus. Unter Mitarbeit von D. A. Binder. Hg. von Maximilian Liebmann im Auftrag des Altherrenverbandes der K.Ö.H.V. Carolina , Graz , 303 , sowie Liebmann ( 2009 ), 49. Die italienischen Anleihen verwirft hingegen Lehner als „abenteuerliche
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prinzip aufgebaute autoritäre Wiener Modell war als Vorbild für die anderen Diözesen gedacht , die aber uneinheitlich und nicht in allen Bereichen folgten.167 Ihre nament liche Verankerung im Konkordat , zu der es erst durch die Nachverhandlungen kam ,168 stärkte die KA zusätzlich. So nutzten nach Liebmann die Bischöfe das Konkordat als willkommenes Instrument , um die „zentralistisch-klerikalistische ‚Katholische Aktion‘ mit hierarchischem Aufbau“ zu organisieren.169 In der entsprechenden Vertragspassage wurden den katholischen Organisationen Weiterbestand und Entfaltungsmöglichkeit garantiert. Konkordatäre Bedingung für diesen Garantiefall war , dass die betreffenden Gruppierungen einen Teil der Katholischen Aktion bildeten , was auch innerkirchlich als Druckmittel eingesetzt wurde , um bestehende katholische Vereine in die neuen Strukturen der KA überzuführen.170 Beispielhaft für eine erzwungene Eingliederung in die KA war die Entmachtung des einflussreichen Katholischen Volksvereins in Oberösterreich. Seine Besonderheit , eine weitgehende Identität mit dem politischen Apparat der ober österreichischen Christlichsozialen , ließ seine Entmachtung mit der Entpolitisierung des Klerus Hand in Hand gehen.171 Aus dem vehement von Gföllner geforderten Rücktritt des Volksvereinspräsidenten172 resultierte nicht etwa die Spaltung des Vereins in die KA und die Christlichsoziale Partei , sondern ein Zerfall von Verein und Partei , womit „der christlich-sozialen Bewegung in Oberösterreich das Rückgrat gebrochen“ war.173 Die Widerstände , die bei der Überführung in die KA zum Vorschein kamen , differierten jedoch regional. Reibungen gab es zum Beispiel auch beim Cartellverband ( CV ), einem wichtigen „intellektuelle( n ) Reservoir für die katholische Politik“,174 und bei der Katholischen Frauenorganisation ( K FO ), einem ca. 250.000 Mitglieder zählenden Dachverband.175 These“ Hartmanns , die auch für die daraus entstandenen „Ressentiments der traditionellen Vereine gegen die Katholische Aktion“ verantwortlich sei , und führt die Umformung der KA allein auf einen päpstlich-kirchlichen Wunsch zurück , vgl. Lehner , Markus ( 1992 ) : Vom Bollwerk zur Brücke : Katholische Aktion in Österreich. Thaur-Wien u. a. , 56. 167 Klostermann ( 1967 ), 112. Er sieht als einen der größten Mängel an , dass es nie zu einer KA Österreichs kam , sondern nur zur KA der einzelnen Diözesen , vgl. Klostermann ( 1967 ), 121. 168 Vgl. Artikel XIV des Zusatzprotokolls zum Konkordat zwischen Österreich und dem Hl. Stuhl. 169 Liebmann ( 1997 ), 361. 170 Liebmann ( 1990 ), 607 , vgl. Klostermann ( 1967 ), 107 , der aus der Sicht der Vereine so argumentiert , dass diese zum Teil angesichts eines autoritär geführten Staates lieber noch „die Gewalt des Diözesanordinarius“ auf sich nahmen und unter den Deckmantel der Katholischen Aktion flüchteten. 171 Slapnicka ( 1975 ), 118–121. 172 Die Aussprache zwischen Bischof Gföllner und dem Präsidenten des Volksvereins , Dr. Aigner , vom 8. Jänner 1934 führte unmittelbar zu Aigners Rücktritt , der sich empörte , dass doch „( j )ede Kuhdirn ( … ) ihre Kündigungsfrist“ hätte ; das Gedächtnisprotokoll zu dieser Aussprache ist abgedruckt bei Honeder , Josef ( 1981 / 82 ) : Die Entpolitisierung des Katholischen Volksvereins durch Bischof Johannes Maria Gföllner. In : Sonderdruck aus dem 78. Jahresbericht des Bischöflichen Gymnasiums und Diözesanseminars am Kollegium Petrinum , Schuljahr 1981 / 82 , 21–35. 173 Slapnicka ( 1975 ), 118. Wohnout sieht das Ende der Vereine als schweren Schlag für die Christlichsoziale Partei , die in den Vereinen unverzichtbare „Vorfeldorganisationen“ und „Sozialisationszentren“ hatte , an , vgl. Wohnout ( 2001 ), 189. 174 Hanisch ( 1995 ), 447. 175 Weinzierl ( 1983 ), 449.
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Liebmanns Beitrag zur KA in der Zeit des „Ständestaats“ zeichnet deren autoritäre Neustrukturierung in Österreich nach , die für ihn parallel zum Dollfuß-Regime einsetzte , und zeigt Impulse dafür und deren geistige Urheber auf. Zudem eröffnet er einen regionalen Einblick in Widerstände von steirischen CV-Verbindungen gegen die geplante Subsumierung unter die KA.176 Ausgehend von der Trägerfunktion des CVs innerhalb des „Ständestaats“,177 dessen Kontinuität in der Elitenrekrutierung Hanisch über das 20. Jahrhundert nachverfolgt ,178 besteht auch darüber hinaus weitgehend Einigkeit in der Forschung , dass die enge Verbindung des österreichischen CVs mit der kirchlichen Hierarchie , die ihn auch als die „Inkarnation des politischen Katholizismus der Zwischenkriegszeit“ klassifizierte ,179 beim Versuch zu bröckeln begann , die CVKorporationen in die KA überzuführen. Die traditionellen Positionen , die der OeCV laut Peter Krause im Ständestaat auf politischer Ebene zuweilen auch verlor , konnte dieser in den neu geschaffenen Ausschüssen und Organisationen sowie in der Landespolitik und im Beamtentum wieder wettmachen. Dadurch war eine „weitgehende Zustimmung der Mitglieder zum neuen Staat [ … ] gegeben“ – diese führte aber nicht zu einer „verstärkten Integration“. Zu einer Identifikation ohne Vorbehalte kam es nicht , was auch die Konflikte zwischen Verbandsmitgliedern widerspiegelten.180 Auch bei den in Vereinen organisierten katholischen Frauen stieß die Einführung der KA nicht nur auf Gegenliebe , die Eingliederung der KFO in die Wiener KA sogar auf vehementen Widerstand. Dieser führte schließlich dazu , dass deren populäre Präsidentin Alma Motzko zum Rücktritt gezwungen war.181 Die Tatsache , dass die meisten der ursprünglich in der KFO engagierten Frauen als Funktionärinnen zur VF wechselten und beim dortigen Strukturaufbau halfen , sieht Irene Bandhauer-Schöffmann als Folge der Neuorganisierung der katholischen Frauenvereine durch die kirchlichen Autoritäten und interpretiert diese Zerschlagung des demokratisch organisierten katholischen Vereinswesens zugunsten der KA als exemple par excellence für die 176 Liebmann ( 1990 ). 177 Neuhäuser , Stephan ( 2004b ) : „Wer , wenn nicht wir ? “ 1934 begann der Aufstieg des CV. In : Neuhäuser , Stephan ( Hg. ) : „Wir werden ganze Arbeit leisten …“ Der austrofaschistische Staatsstreich 1934. Norderstedt , 65–140. 178 Hanisch , Ernst ( 2009 ) : Der politische Katholizismus im 20. Jahrhundert in Österreich. Elitenrekrutierung durch den Cartellverband. In : Timmermann ( Hg. ), 196–205. Wesentlich ausführlicher dazu vgl. Hartmann , Gerhard ( 2006 ) : Für Gott und Vaterland : Geschichte und Wirken des CV in Österreich , Kevelaer , und Stimmer ( 1997 ). 179 Binder , Dieter A. ( 1994 ) : Freimaurerei – Burschenschaften – CV. Zum diskreten Charme der Bruderketten im Spannungsfeld soziokultureller Anpassungsstrategien. In : Zinnhobler ( Hg. ), 63–78 : 77–78. 180 Krause , Peter ( 1986 ) : CV und Politik in Österreich 1918–1938. In : Ackerl ( Hg. ), 104–116 : 116. Vgl. dazu v. a. auch Popp , Gerhard ( 1984 ) : CV in Österreich , 1864–1938. Organisation , Binnenstruktur und politische Funktion [ S chriften des Karl von Vogelsang-Institutes : 2 ] , Wien / Graz u. a. 181 Bandhauer-Schöffmann , Irene ( 2005 ) : Der „Christliche Ständestaat“ als Männerstaat ? In : Tálos / Neugebauer ( Hg. ), 254–280 ; zu Entwicklung und Widerstand der KFO im Vergleich zum deutschen Pendant vgl. Gellott , Laura / Phayer , Michael ( 1987 ) : Dissenting Voices : Catholic Women in Opposition to Fascism. In : Journal of Contemporary History Jg. 22 ( 1987 ) Heft. 1 , 91–114 sowie vgl. Gellott , Laura ( 1991 ) : Mobilizing Conservative Women. The Viennese Katholische Frauenorganisation in the 1920s. In : Austrian History Yearbook Jg. 22 ( 1991 ), 110–130.
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Unterstützung des Regimes durch die Amtskirche.182 Regionale Unterschiede zeigen sich etwa zur Steiermark , wo die ‚Entpolitisierung‘ der KFO ( zu welcher die Präsenz der KA neben der Auflösung der Christlichsozialen Partei wesentlich beitrug ) deutlich weniger Unmut erregte.183 Einen wichtigen Beitrag zur Geschichte der Katholischen Aktion im Austrofaschismus unter einem geschlechtergeschichtlichen Aspekt lieferte kürzlich Nina Kogler.184 Ihr diskursiver Ansatz besticht vor allem aus interdisziplinärer Hinsicht , weil er staatliche und kirchliche Quellen kombiniert , um Frauen in Interaktion mit Staat und Kirche – mit einem Fokus auf die Diözese Seckau – näher zu beleuchten. Verdienstvoll ist auch ihre Rekonstruktion der verstreuten Quellenbestände zur KA und zum katholischen ( Frauen-)Vereinswesen. Das Verhältnis von Kirche und Staat im Austrofaschismus ordnet sie dahingehend ein , dass die jeweiligen Machtinteressen von Kirche und Staat der grundlegende Antrieb für die Zusammenarbeit waren , aus denen jedoch eine Konkurrenzsituation im Zugriff auf Anhängerschaft erwuchs. Kompatibilität attestiert Kogler beiden Systemen in zwei Aspekten : einerseits im autoritären Herrschaftskonzept , mit dem Ablehnung von Nationalsozialismus , Bolschewismus und Demokratie einherging , andererseits „in den restaurativen Ansätzen für einen Gesellschaftsentwurf “, in denen Männlichkeits- und Weiblichkeitskonstruktionen das Fundament für gemeinsame Ziele darstellen konnten.185 Abseits der ‚innerkirchlichen‘ Kontroversen um die KA gerieten auch staatliche und katholische Jugendorganisationen immer wieder aneinander. Das Bemühen um die Jugend und der damit verbundene Anspruch auf das Erziehungsmonopol stehen paradigmatisch für jene Bereiche , in denen das Verhalten der katholischen Würdenträger von einer Strategie der Akkommodation abwich und Distanzierungsversuche vom Regime deutlich hervortraten. Eine Denkschrift zur „vaterländischen Jugenderziehung“, die zeitgleich mit der Entpolitisierungsorder beschlossen wurde und noch 1933 Dollfuß übergeben wurde , enthält auch die denkwürdige Passage , in der gegen die 182 Bandhauer-Schöffmann ( 2005 ), 267–268. Vgl. dazu auch umfassender ihre Dissertation : Schöffmann , Irene ( 1986 ) : Die bürgerliche Frauenbewegung im Austrofaschismus. Eine Studie zur Krise des Geschlechterverhältnisses am Beispiel des Bundes österreichischer Frauenvereine und der Katholischen Frauenorganisation für die Erzdiözese Wien , Diss. , Wien. 183 Dies zeigt Kronthaler , ohne jedoch Gellott in ihrer Darstellung zu rezipieren , vgl. Kronthaler , Michaela ( 1994 ) : Ambivalente politische Zielsetzungen der Katholischen Frauenbewegung Österreichs in der Zwischenkriegszeit. In : Zinnhobler ( Hg. ), 263–285. Zur Rolle von Frida Mikola , ebenfalls mit steirischem Schwerpunkt , vgl. Kogler , Nina ( 2009b ) : Für Kirche , Partei und „Vaterland“: zur politischen und kirchlichen Organisation katholischer Frauen Österreichs in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts am Beispiel von Frieda Mikola ( 1881–1958 ) [ Grazer gender studies , 12 ] , Graz , sowie Kogler , Nina ( 2009a ) : Die Neuordnung der Katholischen Aktion in den 1930er Jahren und ihre Auswirkungen auf das Vereinswesen am Beispiel der Katholischen Frauenorganisation Steiermark. In : Sohn-Kronthaler , Michaela / Höfer , Rudolf K. ( Hg. ) : Laien gestalten Kirche. Diskurse – Entwicklungen – Profile. Festgabe für Maximilian Liebmann zum 75. Geburtstag. Unter Mitarbeit von Nina Kogler und Christian Binzer , Innsbruck , 339–362. 184 Kogler , Nina ( 2011 ) : Geschlechtergeschichte der Katholischen Aktion im Austrofaschismus. Diskurse – Strukturen – Relationen , Diss. , Graz. 185 Kogler ( 2011 ), 469–470.
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„Einbürgerung faschistischer Imitationen nach italienischem Muster“ protestiert und festgehalten wird : „[ F ]ür unsere Verhältnisse kommt der Faschismus als ‚Importware‘ nicht in Betracht.“186 Dieses Memorandum bildete die Grundlage für Hanischs These , die Kirche hätte trotz ihrer Stellung als Verbündete für das Regime einen Sperrriegel gegen den Vollfaschismus in Österreich dargestellt.187 In dieser Argumentationslinie kritisierte Hanisch auch vehement die zuweilen für das Regime gebrauchte Bezeichnung „Klerikalfaschismus“188 als politischen Kampfbegriff , der theoretisch unreflektiert wäre.189 Einen wichtigen Beitrag zur Erschließung des katholischen Vereinswesens im Jugendbereich stellt Gerhard Schultes’ Studie zum „Reichsbund der katholisch deutschen Jugend“ dar.190 Sie behandelt das Verhältnis des Reichsbunds zu anderen katholischen Verbänden , das Konkurrenzverhältnis zur KA und den kontinuierlichen Bedeutungsverlust des Reichsbunds bis zur Auflösung 1938. Ebenso werden dabei auch die Ausei nandersetzungen zwischen Österreichischem und Katholischem Jungvolk thematisiert. Ein dem Reichsbund ähnliches Schicksal der „Selbstauflösung“ 1938 ereilte auch den Bund Neuland.191 Indem er den staatlichen Führungsanspruch nicht als gegeben akzeptierte , stellte sich der Bund allein unter die Führung Gottes. Seine Orientierung an völkischen Werten rückte ihn gemeinsam mit antisemitischen Tendenzen in der Außensicht in die Nähe des Nationalsozialismus , wobei jedoch der Bund in diesem eine deutsche Bedrohung Österreichs gesehen hatte. Als sein „geistiger Führer“192 wird Michael Pfliegler gesehen , der um der praktischen Seelsorge willen politische Bündnisse der Kirche ablehnte. Diese Ablehnung , die auch die christlichsoziale Parteipolitik betraf , gemeinsam mit seinen Kontakten zum „Bund religiöser Sozialisten“193 , der sich 186 Liebmann , Maximilian ( 1984 ) : Jugend – Kirche – Ständestaat. In : Liebmann , Maximilian / Sassmann , Hanns ( Hg. ) : Hanns Sassmann zum 60. Geburtstag. Festgabe des Hauses Styria. Graz / Wien u. a. , 187–204 : 193. 187 Hanisch ( 2005 ), 70. 188 Frühe Prägung erhielt der Begriff „Klerikalfaschismus“ bei : Gulick , Charles Adams ( 1948 ) : Aus tria. From Habsburg to Hitler ( Austria 1 Labor’s workshop of democracy and Austria 2 Fascism’s subversion of democracy ), Berkeley , Calif. u. a. , während die wissenschaftliche Verwendung bei Siegfried , vgl. Siegfried , Klaus-Jörg ( 1979 ) : Klerikalfaschismus : zur Entstehung und sozialen Funktion des Dollfussregimes in Österreich ; ein Beitrag zur Faschismusdiskussion [ S ozialwissenschaftliche Studien , 2 ] , Frankfurt / Main u. a. von Hanisch ( 2005 ), 68 , verworfen wird. Zur Verwendung des Terminus vergleiche die rezente Arbeit von Brüggl ( 2012 ). 189 Hanisch ( 2005 ), 68. 190 Schultes ( 1967 ) stützt sich jedoch überwiegend auf persönliche Mitteilungen der involvierten Zeitgenossen und auf Verbandspublikationen. 191 Seewann , Gerhard ( 1971 ) : Österreichische Jugendbewegung 1900 bis 1938 : die Entstehung der deutschen Jugendbewegung in Österreich-Ungarn 1900 bis 1914 und die Fortsetzung in ihrem katholischen Zweig „Bund Neuland“ von 1918 bis 1938 [ Quellen und Beiträge zur Geschichte der Jugendbewegung , 15 ] , Frankfurt / Main. 192 Weinzierl ( 1983 ), 445. 193 Laut Außermair wurde der Bund als eine der ersten sozialdemokratischen Vereinigungen 1934 aufgelöst , vgl. Außermair , Josef ( 1979 ) : Kirche und Sozialdemokratie. Der Bund der religiösen Sozialisten , 1926–1934 , Wien / München , 100.
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für eine Vereinbarkeit von Sozialismus und Katholizismus einsetzte ,194 ließen Pfliegler bei Seipel und manchen Bischöfen in Ungnade fallen.195 Umfassend behandelte Laura Gellott die Rolle der katholischen Organisationen und ihrer Jugendformationen in der autoritären Ära. Sie plädierte dafür , die KA als effizienten Barometer für die sich verschiebende Haltung der Kirche gegenüber dem Dollfuß / Schuschnigg-Regime zu verstehen. In Abgrenzung vom Fokus bisheriger historischer Arbeiten auf die enge Staat-Kirche-Verbindung und die Ähnlichkeiten der jeweiligen hierarchisch-autoritären Strukturen argumentierte Gellott , dass es Bereiche wie die Jugenderziehung gab , in denen die Kirche versuchte , durch ihre eigenen Organisationen einen autonomen Handlungsspielraum gegenüber dem Regime aufrechtzuerhalten , was zu einem Oppositionsverhältnis zwischen Staat und Kirche führte.196 Die daraus resultierenden Auseinandersetzungen hinsichtlich der Jugendorganisationen wurden von der Forschung auch in Beziehung zur Frage nach dem Fortleben katholischer Organisationsformen nach 1933 / 34 und kirchlichen Distanzierungsversuchen gesetzt , wobei auch hier mangels einschlägiger Quellen der Forschungsstand lange Zeit nicht erweitert werden konnte.197 Thomas Pammer konnte nun für eine Neubewertung dieses Konflikts nicht nur die Nachlässe von Kardinal Innitzer sowie der Bischöfe Pawlikowski und Memelauer in den jeweiligen Diözesanarchiven einsehen , sondern stützte sich zusätzlich auch auf die erst seit Kurzem in Österreich zugänglichen Bestände des Generalsekretariats der Vaterländischen Front.198 Wie der Konflikt zwischen Staat und Kirche in der Jugendfrage und die späte Eingliederung der katholischen Verbände ins „Österreichische Jungvolk“ ( ÖJV ) letztendlich zu bewerten sind und ob Staat oder Kirche in diesen Streitpunkten die Oberhand behielten , ist nach wie vor umstritten.199 Während Gellott und Hanisch darin einen Erfolg der Kirche und ihres Vehikels , der KA , sehen ,200 kommt Pammer diesbezüglich zu einem ähnlichen Schluss wie Gerhard Schultes. In seiner Wahrnehmung kam die Verschmelzung beider Organisationen ei194 Einschneidend dafür war das Erscheinen der Enzyklika „Quadragesimo anno” 1931 , die gerade diese Vereinbarkeit in Abrede stellte. Die Ansätze des Bundes wurden dadurch „nicht gestoppt , aber desorientiert“, Hanisch ( 1977 ), 22. 195 Weinzierl ( 1983 ), 445. 196 Gellott ( 1987 ), 404 , sowie : dies. ( 1988 ) : Defending Catholic Interests in the Christian State : The Role of Catholic Action in Austria , 1933–1938. In : Catholic Historical Review Jg. 74 ( 1988 ) Heft 4 , 571–589. 197 Schultes ( 1967 ) ; Bärnthaler , Irmgard ( 1971 ) : Die Vaterländische Front. Geschichte und Organisation , Wien u. a. ; Liebmann ( 1984 ) ; Gellott ( 1987 ) sowie Slapnicka , Harry ( 1993 / 94 ) : Kirche und Vaterländische Front : Spannungen vor allem bei der Jugendorganisation. In : NAGDL Jg 8. ( 1993 / 94 ) Heft 2 , 124–127. 198 ÖStA , AdR , Moskauer Bestand ( V F ), Fond 514 ; Vgl. dazu Jagschitz , Gerhard / Karner , Stefan ( Hg. ) ( 1996 ) : „Beuteakten aus Österreich“: der Österreichbestand im russischen „Sonderarchiv“ Moskau , Wien. 199 Pammer , Thomas ( 2011 ) : V. F.-Werk „Österreichisches Jungvolk“. Geschichte und Aspekte der staatlichen Organisierung der Jugend im Dollfuß / Schuschnigg-Regime 1933–1938 , Dipl.-Arb. , Wien , 138. 200 Gellott , Laura ( 1982 ) : The Catholic Church and the Authoritarian Regime in Austria 1933–1938 , Madison , 234 ; Hanisch , Ernst ( 1994 ) : Der lange Schatten des Staates. Österreichische Gesellschaftsgeschichte im 20. Jahrhundert [ Österreichische Geschichte ] , Wien , 314 ; Schultes ( 1967 ), 324 ; alle zit. n. Pammer ( 2011 ), 138.
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ner Niederlage der Bischöfe gleich und somit einer „weitgehenden Gleichschaltung der konfessionellen mit der Staatsjugend“201. Für Pammer steht diese Entwicklung , die er als „eklatanten Eingriff in die Souveränität der katholischen Jugendverbände und einen Rückschritt hinter jene Rechte , die der Kirche im Konkordat zugesichert worden waren“,202 beschreibt , in einem Widerspruch zur viel zitierten gleichberechtigten “Partnerschaft“ von kirchlichen und staatlichen Jugendorganisationen. Die wiederholte Betonung einer Distanzierung der KA zur Tagespolitik und die Hervorhebung ihres religiös-apostolischen Anspruchs können nicht über die politischen Implikationen hinwegtäuschen , die die Überführung der Vereine in die KA mitbedingte. Die Frage nach der sich daraus ergebenen Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit einer politischen Dimension der KA , die gerne unter Verweis auf ihren vorgeblich unpolitischen Charakter in Abrede gestellt wird , hat bislang keine zufriedenstellende Klärung erfahren. Erika Weinzierls These einer „deutliche[ n ] Parallelentwicklung von Katholischer Aktion und Vaterländischer Front [ … ] bis 1938“ wurde zwar beeinsprucht , bislang aber noch keiner näheren Überprüfung unterzogen.203 Für eine differenziertere Auseinandersetzung mit der KA und vor allem einen quellenkritische ren Zugang plädiert Matthias Opis , der damit u. a. Liebmanns These einer zugleich mit KA einsetzenden Pastoraldoktrin beanstandet.204 2.2.3.2 Katholisches Pressewesen und Publizistik Die katholische Presselandschaft205 zeichnete sich in der Zwischenkriegszeit durch eine Fülle von Tages- und Wochenzeitungen aus ,206 welche v. a. durch die in den Diö201 Schultes ( 1967 ), 324 zit. n. Pammer ( 2011 ), 138. 202 Pammer ( 2011 ), 138. 203 Klostermann führt diesbezüglich die lange Geschichte der katholischen Verbände gegen die These , dass die politischen Monopolansprüche des Faschismus zu den Hauptgründen für die Schöpfung einer großen einheitlich geführten kirchlichen Organisation der Laien , wie die der KA , als Gegenargument an , zit. n. Weinzierl ( 1983 ), 447–448. 204 Kritisch zu Liebmanns Quellenpositivismus und geschichtspolitischen Intentionen vgl. Opis , Matthias ( 2008 ) : Wessen Erinnerung ? Wessen Zukunft ? Eine Replik auf Maximilian Liebmann und Rainer Bucher. In : Quart Jg. 4 ( 2008 ), 13–17. 205 Angesichts der Definitionsschwierigkeiten von „katholischer Presse“ schließt sich der vorliegende Beitrag dem Vorschlag an , dass diese dann gegeben ist , wenn eines der folgenden Merkmale zutrifft : Nennung , Bindung ( a n kirchliche Amtsträger / Einrichtungen bzw. katholische Vereine ), aktive konfessionelle Bindung der Herausgeberschaft / Chefredaktion , eindeutige inhaltliche Schwerpunktsetzung , vgl. Schmolke , Michael ( 1999 ) : Information und Massenmedien. In : Adriányi , Gabriel / Jedin , Hubert ( Hg. ) : Die Weltkirche im 20. Jahrhundert [ Handbuch der Kirchengeschichte , Bd. 7 ] , unveränd. Nachdr. d. Sonderausg. von 1985 , Freiburg im Breisgau , 411–436 : 416–417. Vgl. auch Barta , Richard ( 1969 ) : Katholische Pressearbeit in Österreich. In : Richter , Klemens ( Hg. ) : Katholische Presse in Europa , Osnabrück , 43–62. 206 Eine Aufzählung der damals erscheinenden Zeitungen findet sich bei Funder , Friedrich ( 1931 ) : Die katholische Presse. In : Hudal ( Hg. ), 189–204 : 203. Vgl. auch Schmolke , Michael ( Hg. ) ( 1992 ) : Wegbereiter der Publizistik in Österreich : Autoren mit ihren Arbeiten von Joseph Alexander von Helfert bis Wilhelm Bauer ; 1848 bis 1938 [ Neue Aspekte in Kultur- und Kommunikationswissenschaft , 6 ] , Wien / St. Johann , Pongau. Vgl. auch Riedl , Ingeborg ( 1949 ) : Statistische Untersuchungen über die politischen Zeitungen Österreichs 1914–1949 , Diss. , Wien ; Wisshaupt , Walter ( 1950 ) : Das Wiener Pressewesen von Dollfuß bis zum Zusammenbruch : 1933–1945 , Diss. , Wien.
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zesen vorhandenen Press-Vereine ermöglicht wurde. Mehrheitlich verstand man in den 1930er-Jahren die Presse noch als das einzige Massenkommunikationsmittel , was durch eine hohe Lesebereitschaft von KatholikInnen gestützt wurde.207 Zu den einflussreichsten Zeitungen zählte ohne Zweifel die von Friedrich Funder208 bereits seit der Jahrhundertwende als Chefredakteur geleitete und dann auch von ihm herausgegebene „Reichspost“.209 Diese wird als „offiziöses Organ der Christlichsozialen Partei und schließlich auch des Ständestaates“210 gesehen und räumte auch der Verbreitung antisemitischer und antimarxistischer Vorurteile viel Platz ein. Den dokumentarischen Wert der katholischen Tageszeitung zeigen viele im Wortlaut wiedergegebene Reden christlichsozialer Politiker , aber auch hoher kirchlicher Würdenträger. Funders Einflussbereich ging weit über die in der Tageszeitung erscheinenden ( L eit-)Artikel hinaus und seine Verbindungen zu hohen Exponenten des politischen Katholizismus sind nicht zu unterschätzen. Er war maßgeblich beratend an den Vorbereitungen für den Katholikentag 1933 beteiligt und wurde auch zweimal als Gesandter Österreichs für den Heiligen Stuhl gehandelt.211 Funders Biografin Hedwig Pfarrhofer nennt als Konstanten seines Lebens CV-Mitgliedschaft , Antisemitismus und Monarchismus.212 Nach 1945 setzte er seine publizistische Arbeit in der von ihm gegründeten katholischen Wochenschrift „Die Furche“ fort. Pfarrhofers Ansicht , dass darin und in seinen Memoiren von seiner „Judenfeindschaft“ nichts mehr zu bemerken sein sollte , kann jedoch eine rezente Diplomarbeit zu Funder und Eberle , die die Frage nach der Eigenschaft beider als Wegbereiter der Publizistik im Sinne eines Vermächtnisses für die heutige Kommunikationswissenschaft stellt , zum Teil widerlegen.213
207 Weinzierl ( 1983 ), 451. 208 Vgl. die Biografie von Pfarrhofer , Hedwig ( 1978 ) : Friedrich Funder : ein Mann zwischen Gestern und Morgen , Graz / Wien u. a. , sowie mit einem Fokus auf die Zeit bis 1918 : Reiss , Lilly Helene ( 1950 ) : Dr. Friedrich Funders Persönlichkeit und sein Wirken bis zum Ende der Monarchie , Diss. , Wien , sowie Edlinger , Gunter ( 1964 ) : Friedrich Funder und die „Reichspost“ in ihrer Stellungnahme zur Politik des Nationalsozialismus gegenüber Österreich von 1930 bis zum „Anschluß“ 1938 , Diss. , Wien ; rezent zu Funder : Cermak , Christian Alexander ( 2008 ) : Vornehmste Publizistik : Versuch über die Frage , warum Friedrich Funder und Joseph Eberle Wegbereiter der Publizistik in Österreich sein sollen , Dipl.-Arb. , Wien. 209 Bußhoff , Heinrich ( 1968 ) : Das Dollfuß-Regime in Österreich in geistesgeschichtlicher Perspektive unter besonderer Berücksichtigung der „Schöneren Zukunft“ und „Reichspost“, Berlin ; Weinzierl , Ulrich ( 1981 ) : Die Kultur der „Reichspost“. In : Kadrnoska , Franz ( Hg. ) : Aufbruch und Untergang. Österreichische Kultur zwischen 1918 und 1938 , Wien / München / Zürich , 325–344 ; Pfaffenberger , Gottfried ( 1948 ) : Die Reichspost und die christlichsoziale Bewegung , Diss. , Wien. 210 Weinzierl ( 1983 ), 451. Zum Verhältnis Kirche und Partei in der Presse vgl. Prantner ( 1955 ) sowie Prantner , Robert ( 1984 ) : Kreuz und weiße Nelke : katholische Kirche und Christlichsoziale Partei im Spiegel der Presse ( 1918–1932 ), Wien / Graz u. a. 211 Pfarrhofer ( 1978 ), 157. 212 Pfarrhofer ( 1978 ), 284–311. 213 Pfarrhofer ( 1978 ), 301 sowie Cermak ( 2008 ), 29.
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Neben der Reichspost zählte auch die von Josef Eberle214 herausgegebene Wochenschrift „Schönere Zukunft“ ( SZ )215 zu den führenden katholischen Zeitungen. Bevor Eberle sich mit der SZ 1925 selbstständig machte , hatte er sich mit der Wochenschrift „Das Neue Reich“216 einen Namen gemacht , mit der die SZ 1932 fusionierte. Während Hanisch der intellektuell einflussreichen SZ das allgemeine Bestreben attestierte , „anhaltend und auf breiter Ebene“ eine Verständigung mit dem Nationalsozialismus herzustellen ,217 versuchte Eppel , die Frage einer geistigen Wegbereitung des Nationalsozialismus nach Absicht und Wirkung differenziert zu beantworten.218 Anhand des Blattes könnte nach Eppel die Ideologie und das politische Schicksal katholischer Brückenbauer , im Kern gebildet aus den Katholisch-Nationalen , nachverfolgt werden.219 Das Verhältnis zum österreichischen Episkopat war dementsprechend zwiespältig ; während Hudal und Waitz gelegentlich darin Artikel veröffentlichten , und Innitzer die Schrift „gönnerhaft“ unterstützte ,220 wurde auf der für die weitere Entwicklung zentralen Bischofskonferenz vom November 1933 beschlossen , Eberle mitzuteilen , „( e )r möge sich in seiner Zeitschrift nicht immer auf die bischöfliche Autorität berufen“.221 Für Staudinger stellte die SZ gemeinsam mit dem „Neuen Reich“ die publizistische Plattform für die Ansätze und Vorformen einer „Österreich“-Ideologie am „rechten Rand der Christlichsozialen Partei und deren Umkreis“ dar.222 Unter Rückgriff auf antirepublikanische , antidemokratische , antimarxistische und antiliberale Elemente wurde aus der Sichtweise einer christlich-katholischen , österreichischen Mission für die Errichtung eines neuen „Heiligen Reiches“ plädiert.223 Zur ideologischen Fundierung eines autoritär strukturierten Österreichs sollte jedoch die Zeitschrift „Der Christliche Ständestaat“ ( C S )224 beitragen , die vom aus 214 Vgl. Hofer , Barbara Maria ( 1995 ) : Joseph Eberle. Katholischer Publizist zwischen „Monarchie“ und „Schönerer Zukunft“. Ein Beitrag zur katholischen Publizistik der Ersten Republik , Diss. , Salzburg , und auch Cermak ( 2008 ). 215 Bußhoff ( 1968 ) ; Eppel , Peter ( 1980 ) : Zwischen Kreuz und Hakenkreuz. Die Haltung der Zeitschrift „Schönere Zukunft“ zum Nationalsozialismus in Deutschland 1934–1938 [ Veröffentlichungen der Kommission für Neuere Geschichte Österreichs , 69 ] , Wien / Graz u. a. ; Ziegerhofer-Prettenthaler , Anita ( 2006 ) : Schönere Zukunft. Die führende Wochenschrift der ( österreichischen ) Ersten Republik ( 1925–1938 ). In : Grunewald , Michel / P uschner , Uwe / Bock , Hans Manfred ( Hg. ) : Le milieu intellectuel catholique en Allemagne , sa presse et ses réseaux ( 1871–1963 ) [ C onvergences , 40 ] , Bern , 395–414. 216 Hanzer , Stefan ( 1973 ) : Die Zeitschrift Das Neue Reich ( 1918–1925 ). Zum restaurativen Katholizismus in Österreich nach dem Ersten Weltkrieg , Diss. , Wien. 217 Hanisch ( 1977 ), 30–31. 218 Eppel ( 1980 ), 13 und 343–348. 219 Eppel ( 1980 ), 347. 220 Eppel ( 1980 ), 294. 221 Eppel ( 1980 ), 293. 222 Staudinger ( 2005 ), 29. 223 Staudinger ( 2005 ), 29. 224 Ebneth , Rudolf ( 1976 ) : Die österreichische Wochenschrift „Der christliche Ständestaat“: deutsche Emigration in Österreich 1933–1938 [ Veröffentlichungen der Kommission für Zeitgeschichte : Reihe B , Forschungen , 19 ] , Mainz ; Seefried , Elke ( 2006 ) : „Reich“ und „Ständestaat“ als Antithesen zum Nationalsozialismus. Die katholische Zeitschrift „Der Christliche Ständestaat“. In : Grunewald et al. ( Hg. ), 415–438.
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Deutschland emigrierten Philosophieprofessor Dietrich von Hildebrand225 ab 1933 he rausgegeben , und auf Wunsch von Dollfuß mitfinanziert wurde.226 Die Einbeziehung eines souveränen Österreichs in eine deutsche Nation war zwar nach Staudinger nicht mit der Errichtung eines „Heiligen Reiches“ gleichzusetzen , bestimmte jedoch den deutschnationalen Aspekt in Dollfuß’ Österreich-Verständnis.227 Entsprechend der Gründungsintention sollten die Beiträge des CS zudem für eine von Österreich ausgehende ( Re-)Katholisierung Mitteleuropas Position beziehen sowie der Abwehr gegen den Nationalsozialismus dienen. So setzte sich Hildebrand auch kritisch mit der Anbiederung an den Nationalsozialismus in SZ und „Reichspost“ auseinander und wandte sich explizit gegen Beiträge des „Brückenbauers“ Hudals.228 Im CS wurde „am offensivsten“229 gegen Brückenbauversuche angeschrieben , die Zeitschrift gilt in der Literatur daher als Beispiel für katholischen Widerstand gegen den Nationalsozialismus.230 Dies blieb nicht ohne Echo bei Hitlers Sonderbevollmächtigtem in Wien , Franz von Papen , der sich regelmäßig über die Zeitschrift Hildebrands bei der Regierung beschwerte.231 Aus weiteren katholischen Initiativen , die auch publizistisch gegen den Antisemitismus kämpften , wäre überdies die Bewegung um Irene Harand232 mit ihrer Zeitschrift „Gerechtigkeit“ zu nennen.233 Interessant ist , dass diese beiden sich in ihrem Selbstverständnis doch so sehr unterscheidenden Zeitschriften , SZ und CS , zeitgenössisch von der Schweizer Presseagentur ‚Ipa‘ als „publizistische Wegbereiter des politischen Katholizismus“ verstanden wur-
225 Wenisch , Ernst ( Hg. ) ( 1994 ) : Dietrich von Hildebrand. Memoiren und Aufsätze gegen den Nationalsozialismus , 1933–1938. Unter Mitarbeit von Alice von Hildebrand und Rudolf Ebneth [ Veröffentlichungen der Kommission für Zeitgeschichte , Reihe A : Quellen , 43 ] , Mainz ; Seifert , Josef ( Hg. ) ( 1998 ) : Dietrich von Hildebrands Kampf gegen den Nationalsozialismus [ Reihe : Akademie-Reden / Internationale Akademie für Philosophie im Fürstentum Liechtenstein ), Heidelberg ; zu Hildebrand vgl. auch Stöcklein , Paul ( 1987 ) : Zeitige Aufklärung über Hitler. Das mutige Wirken Dietrich von Hildebrands in Österreich 1933–1938. In : Internationale katholische Zeitschrift „Communio“ Jg. 16 ( 1987 ), 553–574. 226 Ebneth ( 1976 ), 60. 227 Staudinger ( 2005 ), 36. 228 Vgl. Anm. 225. 229 Hanisch ( 1977 ), 33. Vgl. dazu auch Cermak ( 2008 ). 230 Ebneth ( 1976 ), 95–128. 231 Hanisch ( 1977 ), 33. Zu von Papens Auftrag in Wien , vgl. Müller , Franz ( 1990 ) : Ein „Rechtskatholik“ zwischen Kreuz und Hakenkreuz : Franz von Papen als Sonderbevollmächtigter Hitlers in Wien 1934–1938 [ Europäische Hochschulschriften , Reihe III , Bd. 446 ] , Frankfurt / Main u. a. 232 Hausner , Joseph ( 1974 ) : Irene Harand and the Movement against Racism , Human Misery and War. 1933–1938. Diss. , Columbia University , New York , sowie Klösch , Christian / S charr , Kurt / Weinzierl , Erika ( Hg. ) ( 2004 ) : Gegen Rassenhass und Menschennot. Irene Harand , Leben und Werk einer ungewöhnlichen Widerstandskämpferin , Innsbruck ; Lausegger , Kerstin ( 2006 ) : Irene Harand : ihre Pflicht war der Widerstand , Dipl.-Arb. , Wien ; Stromberger , Carmen ( 1996 ) : Irene Harand – eine „Gerechte“ ( 1900–1975 ) : die Harand-Bewegung , untersucht anhand der Zeitschrift „Gerechtigkeit. Gegen Rassenhaß und Menschennot“ ( 1933–1938 ), Dipl.-Arb. , Graz. 233 Zur Judenfrage in deutschen und österreichischen katholischen Zeitungen , vgl. Hannot , Walter ( 1990 ) : Die Judenfrage in der katholischen Tagespresse Deutschlands und Österreichs 1923–1933 [ Veröffentlichungen der Kommission für Zeitgeschichte : Reihe B , Forschungen , 51 ] , Mainz.
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den.234 Daraus geht aber auch ihre Bedeutung für die zeitgenössische ( Außen-)Wahrnehmung hervor. Den Blick über nationale Grenzen wagen Anita Ziegerhofer-Prettenthaler und Elke Seefried in ihren Studien zu beiden Zeitungen. Während Ziegerhofer-Prettenthaler sich der Haltung der SZ zu einem „Vereinigten Europa“ widmet , verortete Seefried im CS die Identifikation mit der österreichischen Nation in einer ( g roß-)österreichischen Reichsidee und thematisierte zugleich dessen „Zweipoligkeit“ als Emigrantenblatt und Organ des „Ständestaates“.235 Die Bedeutung von „Reichspost“ , „Schönere Zukunft“ und „Der Christliche Ständestaat“ schlug sich aber nicht unbedingt in ihren jeweiligen Auflagenstärken nieder. Die Breitenwirkung des CS beispielsweise muss hinterfragt werden. Er wandte sich erklärtermaßen an katholische Intellektuelle , was sich in der niedrigen Auflage deutlich widerspiegelte.236 Im Vergleich zur „Reichspost“ erreichte auch etwa das „Kleine Volksblatt“ als Organ des Volksbundes der Katholiken Österreichs mit 92.000 eine doppelt so hohe Auflage.237 Charakteristisch für den bereits angedeuteten Streit sozialpolitischer Richtungen in Österreich ist , dass er in Zeitungen ausgetragen wurde. Zu diesen gehörten die Schrift „Neue Ordnung“ des Gesellschaftsreformers Karl Lugmayer238 oder auch die Blätter des umstrittenen katholischen Sozialreformers Anton Orel ,239 zu deren wichtigsten „Der Volkssturm“ oder „Das neue Volk“ zählten. Der Versöhnung der linken und rechten Extreme240 verschrieb sich Ernst Karl Winter ,241 um gemeinsam gestärkt einen Abwehrkampf gegen den Nationalsozialismus zu führen. Dafür setzte er sich in den von ihm selbst herausgegebenen „Wiener politischen Blättern“ ( 1933–1936 ) ein. Als Jugendfreund und zugleich scharfer Kritiker von Dollfuß wurde er Ende 1934 als dritter Vizebürgermeister Wiens damit beauftragt , die Arbeiterschaft für das Regime zu gewinnen. Seine „Aktion Winter“ musste jedoch scheitern , nicht zuletzt an seiner legitimistischen Einstellung , die eine Hürde zur illegalisierten 234 Vgl. Eppel ( 1980 ), 301 , der auch darauf hinwies , dass Eberle eine solche „Verquickung“ von sich wies. Vgl. auch die Gegenüberstellung beider Zeitungen bei Kromar , Richard ( 2000 ) : Der „Österreich-Mythos“: die Funktion der Presse im „Ständestaat“, Dipl.-Arb. , Wien. 235 Ziegerhofer-Prettenthaler ( 2006 ) sowie Seefried ( 2006 ), hier insbesondere 437. 236 Staudinger ( 2005 ), 36. 237 Funder ( 1931 ), 203–204. 238 Weinzierl ( 1983 ), 452. 239 Vgl. z. B. Görlich , Ernst Joseph ( 1973 ) : Ein Katholik gegen Dollfuss-Österreich. Das Tagebuch des Sozialreformers Anton Orel. In : Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs Jg. 26 ( 1973 ), 375–415. 240 Zum Verhältnis von Sozialdemokratie und Kirche am Beispiel der Presse vgl. Silberbauer , Gerhard ( 1959 ) : Das Problem : „Katholische Kirche – österreichische Sozialdemokratie in der 1. österreichischen Republik“ im Spiegel katholischer und sozialistischer Zeitschriften dieser Epoche , Diss. , Wien. 241 Heinz , Karl Hans ( 1984 ) : Ernst Karl Winter. Ein Katholik zwischen Österreichs Fronten 1933– 1938 [ Dokumente zu Alltag , Politik und Zeitgeschichte , 4 ] , Wien u. a. ; Holzbauer , Robert ( 1992 ) : Ernst Karl Winter ( 1895–1959 ). Materialien zu seiner Biographie und zum konservativ-katholischen politischen Denken in Österreich 1918–1938 , Diss. , Wien ; Marko , Joseph ( 1986 ) : Ernst Karl Winter. Wissenschaft und Politik als Beruf( u ng ) 1918–1938. In : Ackerl ( Hg. ), 199–219. Zu seiner Kritik an der Akkommodationspolitik vgl. Hanisch ( 1977 ), 2–3.
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Sozialdemokratie darstellte. Er schrieb nicht nur offene Briefe an Präsident Miklas , in bemerkenswerter Weitsicht legte er auch Benito Mussolini brieflich bereits am 4. Mai 1933 dar , welche innenpolitischen Konsequenzen eine italienische Schutzmachtpolitik gegenüber Österreich nach sich ziehen würde. Mussolini müsse sich zwischen „NichtAnschluss“ und „Faschismus“ entscheiden : „Das Hakenkreuz am Brenner oder aber die Demokratie in Österreich“.242 Zur Aufarbeitung der Geschichte des antifaschistischen Widerstandes , den Menschen aus den Reihen eines „Linkskatholizismus“ leisteten , möchte der rezente Sammelband von Richard Faber und Sigurd Paul Scheichl beitragen.243 Zu diesem Zweck nimmt er Friedrich Heer244 in den Blickpunkt und erklärt gleichsam programmatisch im Vorwort : „Der Mythos des antifaschistischen Widerstandskämpfers Heer ist tot.“245 Weltanschaulich geprägt durch die Jahre des autoritären Regimes stand Heer Winters „sozial-monarchistischem politischen Katholizismus“ nahe.246 Er war ein Dollfuß-Bewunderer und Österreich-Patriot , zugleich aber auch Vertreter einer mystischen Religiosität.247 In der Zweiten Republik trat er als Autor mehrerer umfangreicher Sachbücher und als Mitarbeiter der „Furche“ publizistisch an die Öffentlichkeit. III. Forschungsdesiderate 3.1 Politische Katholizismen in Österreich im Spiegel vatikanischer Quellen Im Herbst 2006 wurden die vatikanischen Aktenbestände aus der Amtszeit Papst Pius’ XI. ( 1922–1939 ) vor Ende der üblichen 70-jährigen Archivsperre für die wissenschaftliche Forschung geöffnet. Bis dahin mussten Arbeiten zu den vatikanischen Beziehungen Österreichs mit Aussagen von ZeitgenossInnen und Dokumenten der österreichischen Seite ihr Auslangen finden.248 Zu den während der Jahre 1933 bis 1938 in Wien eingesetz242 Text des Briefes abgedruckt bei : Petersen , Jens : Konflikt oder Koalition zwischen Christlich-Sozialen und Sozialdemokraten 1933 / 34 ? Ein Brief Ernst Karl Winters. In : Österreich in Geschichte und Literatur Jg. 16 ( 1972 ), 431–435 , zit. n. Petersen , Jens ( 1974 ) : Gesellschaftssystem , Ideologie und Inte resse in der Aussenpolitik des faschistischen Italien. In : Quellen und Forschungen aus italienischen Archiven und Bibliotheken Jg. 54 ( 1974 ), 429–470 : 451. 243 Faber , Richard / S cheichl , Sigurd Paul ( Hg. ) ( 2008 ) : Die geistige Welt des Friedrich Heer ( ein Projekt der Österreichischen Forschungsgemeinschaft ), Wien u. a. 244 Zur Person Friedrich Heer siehe u. a. die publizierten Dissertationen von Adunka , Evelyn ( 1995 ) : Friedrich Heer ( 1916–1983 ) ; eine intellektuelle Biographie , Innsbruck / Wien , und von Müller , Wolfgang Ferdinand ( 2002 ) : Die Vision des Christlichen bei Friedrich Heer , Innsbruck / Wien. 245 Faber / Scheichl ( 2008 ), 9. 246 Botz , Gerhard ( 2010 ) : „Rechts stehen und links denken“. Zur nonkonformistischen Geschichtsauffassung Friedrich Heers. In : Krammer , Reinhard / Kühberger , Christoph / Schausberger , Franz ( Hg. ) : Der forschende Blick. Beiträge zur Geschichte Österreichs im 20. Jahrhundert. Festschrift für Ernst Hanisch zum 70. Geburtstag , Wien / Köln / Weimar , 277–296 : 283. 247 Müller , Wolfgang Ferdinand ( 2002 ) : Die Vision des Christlichen bei Friedrich Heer [ Salzburger theologische Studien , 19 ] , Innsbruck / Wien. 248 Engel-Janosi ( 1971 ). Zur fehlenden Nachfolge im Forschungsgebiet Engel-Janosis vgl. Rinnerthaler , Alfred ( 2001 ) : Österreich und der Heilige Stuhl im 19. und 20. Jahrhundert. Vom Werden eines Forschungsprojektes. In : Paarhammer , Hanns / R innerthaler , Alfred ( Hg. ) : Österreich und der Heilige Stuhl im 19. und 20. Jahrhundert. Frankfurt / Main , 11–21 : 12–13.
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ten päpstlichen Diplomaten , Enrico Sibilia ( 1922–1936 ) und Gaetano Cicognani ( 1936– 1938 ), gibt es wenig Literatur , zudem ist diese in Österreich kaum zugänglich und mit sprachlichen Barrieren behaftet.249 In einem rezenten Beitrag wirft nun Klieber die Frage nach Idealtypen und „Wirkmächtigkeit“ der Nuntien in Wien und jener päpstlichen Gesandter im Allgemeinen unter Pius XI. auf. Dabei kann er sich bereits weitgehend auf erste Forschungen im Vatikanischen Geheimarchiv stützen.250 Um die nun im Vatikan zugänglichen Dokumente koordiniert zu bearbeiten , wurde 2008 unter der Leitung von Rupert Klieber das Forschungsprojekt „Pius XI. und Österreich“ am Wiener Institut für Kirchengeschichte ins Leben gerufen.251 Die für Österreich relevanten Bestände im Vatikanischen Geheimarchiv sind das Wiener Nuntiaturarchiv , das mittlerweile wieder ausgelagerte und direkt dem Staatssekretariat unterstellte Archiv der Kongregation für außerordentliche kirchliche Angelegenheiten ( A ffari Ecclesiastici Straordinari , AA. EE. SS. ) sowie das Archiv des Staatsekretariats. Im Archiv der AA. EE. SS. liegt der für dieses Pontifikat zentrale Archivbestand zur Frage der Beziehungen zwischen Kirche und Staat. In konzentrierter Form befindet sich dort der Großteil der politischen Berichte , die Weisungen des Staatssekretärs an die Nuntien sowie die politische Korrespondenz mit Vatikanbotschaft , Regierungsstellen und Diözesanbischöfen. Trotz des Bedeutungsverlustes , den Österreich im Übergang von Monarchie zu Republik erfuhr , wurde der Wiener Nuntiatur im Vatikan der Stellenwert einer „mitteleuropäischen Drehscheibe“ zugemessen.252 Von diesen Archivbeständen aus der vatikanischen Schaltzentrale verspricht man sich in Österreich , so Ernst Hanisch , „keine historische Sensation“, rechnet jedoch mit wichtigen Einsichten in die „atmosphärische Beschaffenheit der Ersten Republik“.253 Folglich zielt Kliebers österreichzentriertes Forschungsprojekt darauf ab , nicht nur kirchenhistorische , sondern auch Desiderate aus der Gesellschafts- und Mentalitätsgeschichte der Ersten Republik ( 1918–1938 ) zu erfüllen.254 Die als vorrangig eingestuften Forschungslücken gehen somit auch vor den Regimebeginn von 1933 / 34 zurück und beziehen sich u. a. auf die Kontakte des Priesterpolitikers Ignaz Seipel mit Rom , auf neue Erkenntnisse zu den Bischofsernennungen , aber auch 249 Squicciarini , Donato ( 2000 ) : Die apostolischen Nuntien in Wien , 2. Aufl. , Città del Vaticano , der jedoch kaum auf den politischen Auftrag der Nuntien eingeht. Biografische Werke zu ihrem Wirken sind ebenfalls spärlich und älteren Datums , vgl. Sibilia , Salvatore ( 1960 ) : Il cardinale Enrico Sibilia – un diplomatico della Santa Sede ( 1861–1948 ), Roma ; sowie Gualdrini , Franco / Silvestrini , Achille ( 1983 ) : Il cardinale Gaetano Cicognani 1881–1962 ; note per una biografia , Roma. 250 Klieber , Rupert ( Erscheinungsjahr 2011 ) : Repräsentanten , Impulsgeber , Störenfriede ? Die Nuntien der Ära Papst Pius XI. in Wien. In : Tagungsband für das Internationale Symposium / Münster 24.–26. März 2010 : „Eugenio Pacelli als Nuntius in Deutschland“, URL : http ://piusxi.univie. ac.at / content / site / de / publikationen / i ndex.html ( abgerufen am 8. 5. 2012 ). 251 Siehe auch die Projekt-Website , URL : http ://piusxi.univie.ac.at / ( abgerufen am 8. 5. 2012 ). 252 Gottsmann , Andreas ( 2008 ) : Archivbericht : ‚Finis Austriae‘ im Archiv der Kongregation für außerordentliche kirchliche Angelegenheiten ( A ffari Ecclesiastici Straordinari ). In : Römische historische Mitteilungen Jg. 50 ( 2008 ), 545–556 : 545–546. 253 Vgl. Ernst Hanisch im Rahmen der Tagung „Pius XI. und Österreich“ im Jänner 2009 , URL : http ://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de / t agungsberichte / id=2531 ( abgerufen am 29. 11. 2011 ). 254 Vgl. kathpress aktuell , Nr. 251 , 28. Oktober 2009 , 5.
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auf Einsichten in die Intensität der religiösen Praxis , die die sogenannten Quinquennalberichte der Bischöfe an den Vatikan erlauben könnten.255 Offene Fragen für die Zeit des Dollfuß / Schuschnigg-Regimes , auf welche die vatikanischen Archivalien Antworten geben könnten ,256 reichen von der für das Pontifikat Pius’ XI. zentralen Katholischen Aktion über noch unerschlossene Akten zu den Vorverhandlungen für das Konkordat 1933 / 34 bis hin zu vatikanischen Reaktionen auf den „Anschluss“.257 Nicht ausreichend untersucht wurden bisher unter dem Aspekt autoritärer Gegenmaßnahmen auf vatikanischer Seite nicht nur die Katholische Aktion , sondern etwa auch die Entwicklung des Christkönigs-Kults. Die Frage nach der vatikanischen Wahrnehmung von politischen Ideologien wie Faschismus , Kommunismus und Nationalsozialismus manifestiert sich nicht zuletzt in den päpstlichen Enzykliken der 1930er-Jahre.258 Diese sollten auch in ihren Projektionen auf den österreichischen Staat untersucht werden , wie die Instrumentalisierung von „Quadragesimo anno“ für den österreichischen „Ständestaat“ nahelegt.259 3.2 Politische Katholizismen und ihre Träger Unter Heranziehung österreichischer Quellen sind aus dem österreichischen Episkopat vor allem das Wirken der Persönlichkeiten Gföllner , Waitz und Innitzer Gegenstand eingehender Forschungen geworden. Dabei fällt auf , dass zum Gurker Bischof Adam Hefter bisher noch keine vertiefte Studie vorliegt ; dabei wäre eine biografische Aufarbeitung des aus Bayern Stammenden , der sich in seiner Priesterseminaristenzeit in Klosterneuburg zu einer „christlichen Politik unter Führung Luegers“ bekannte260 , höchst interessant. Dass er nicht in der Einheit des Episkopats aufging , zeigte auch die Tatsache , dass er als Einziger der Bischöfe der bekannten „Feierlichen Erklärung“ vom März 1938 ein eigenes Begleitschreiben beifügte.261 255 Eine „Edition“ dieser fünfjährlichen Bischofsberichte der in der Zwischenkriegszeit in Österreich bestehenden Diözesen ist im Rahmen der Arbeitsgemeinschaft der Diözesanarchive Österreichs geplant. Charakteristika zu einem frühen Bericht von Bischof Gföllner finden sich bei Ebner , Johannes ( 2011 ) : Der Quinquennalbericht des Linzer Diözesanbischofs Dr. Johannes Maria Gföllner ( 1915– 1941 ) aus dem Jahre 1923. Ein Summarium. In : NAGDL ( 2011 ) Beiheft 14 , 52–57. 256 Vgl. dazu den Punkt Forschungsdesiderate unter : http ://piusxi.univie.ac.at ( a bgerufen am 8. 5. 2012 ). 257 Vgl. kathpress aktuell , N. 251 , 28. Oktober 2009 , 5. Vgl. nunmehr : Valvo , Paolo ( 2010 ) : Dio salvi l’Austria ! 1938 : Il Vaticano e l’Anschluss , Milano. 258 Vgl. dazu die Enzykliken „Quadragesimo anno“ ( 1931 ), „Divini redemptoris“ ( 1937 ) sowie „Mit brennender Sorge“ ( 1937 ). Zum Nationalsozialismus auf neuen vatikanischen Quellen basierend , vgl. u. a. Wolf , Hubert ( 2008 ) : Papst & Teufel. Die Archive des Vatikan und das Dritte Reich , München ; Fattorini , Emma ( 2007 ) : Pio XI , Hitler e Mussolini. La solitudine di un papa , Torino ; Besier , Gerhard ; Piombo / Francesca ( 2004 ) : Der Heilige Stuhl und Hitler-Deutschland. Die Faszination des Totalitären , München. 259 Vgl. Schasching SJ , Johannes ( 1994 ) : Zeitgerecht – zeitbedingt : Nell-Breuning und die Sozialenzyklika Quadragesimo anno nach dem Vatikanischen Geheimarchiv , Bornheim , der seine Forschungen zur Entstehungsgeschichte der Enzyklika bereits auf vatikanische Quellen stützen konnte , jedoch österreichische Einflüsse ausschloss , vgl. auch wie erwähnt Klieber ( 2010 ). 260 Fräss-Ehrfeld-Kromer ( 1974 ), 141. 261 Weinzierl ( 1983 ), 466.
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Auch zum Bischof der Nachbardiözese Graz-Seckau , Ferdinand Stanislaus Pawlikowski , und zu dessen Wirken fehlt bisher eine vertiefte Studie. Die Einflussnahme politischer Repräsentanten ( w ie Carl Vaugoin )262 auf seine Bestellung wirft dahin gehend Fragen auf , ob damit bestimmte Erwartungen verbunden waren und wie diesen durch Pawlikowski entsprochen wurde. Die jährlichen Besprechungen , die im Rahmen der Bischofskonferenz vom Gesamt episkopat abgehalten wurden , zeigen bald ein essenzielles Manko für Forschende : Vertiefte Auseinandersetzungen mit den ( k irchen-)politischen Agenden der Bischöfe scheitern auch an einer bis dato fehlenden Edition der Protokolle der Bischofskonferenzen. Eine kommentierte Quellenedition könnte Analyse und Kontextualisierung von Verhandlungsgegenständen , Verantwortlichkeiten und Initiativen innerhalb der Bischofskonferenz sowie Sonderberatungen mit externen ( tagespolitischen ) Referenten263 entscheidend vorantreiben.264 Für den katholischen Klerus zeigt sich das Fehlen grundlegender Studien deutlich. Forschungsarbeiten hinsichtlich des Verhältnisses des ‚niederen‘ Klerus zu den bischöflichen Vorgesetzen wie auch zur katholischen Bevölkerung in gesamtösterreichischer , vergleichender Perspektive wären wünschenswert. Pfarrchroniken oder etwa Pfarrblätter aus der autoritären Regimezeit wurden bisher ebenfalls kaum in Betracht gezogen , könnten aber die Lebenswelt des österreichischen Klerus sichtbar machen , aber auch dessen wichtige meinungsbildende Kraft vor allem für die Landbevölkerung und nicht zuletzt für politische Aspekte zeigen.265 Bei der Erforschung eines vorherrschenden „Alltagskatholizismus“ hat die Arbeit von Urs Altermatt266 das Potenzial eines kulturhi262 Klieber ( 2011a ). 263 Diese Praxis beeinspruchte Gföllner , da dies die „so notwendige Unabhängigkeit und Freiheit des Episkopats“ gefährde , vgl. Weinzierl ( 1983 ), 460. 264 Kronthaler ( 1999 ), 33–75 , die erstmals den in den Diözesanarchiven verstreut liegenden Beratungsprotokollen – auch für die 1920er- und 1930er-Jahre – nachgeht. Über ausführliche Quelleneditionen diesbezüglich verfügt zunächst Deutschland , vgl. Stasiewski , Bernhard ( 1968 ) : Akten deutscher Bischöfe über die Lage der Kirche 1933–1945 , Bd. 1 1933–1934 [ Veröffentlichungen der Kommission für Zeitgeschichte , Reihe A : Quellen ] , Mainz sowie die entsprechenden Folgebände unter URL : http ://www.kfzg.de / P ublikationen / G esamtubersicht / gesamtubersicht.html ( abgerufen am 13. 12. 2011 ). Auch Ungarn verfügt seit knapp 20 Jahren über solche Quelleneditionen , vgl. Beke , Margit ( Hg. ) ( 1992 ) : A magyar katolikus püspökkari tanácskozások története és jegyzökönyvei 1919–1944 között [ Die Geschichte und Protokolle der ungarischen Bischofskonferenzen zwischen 1919 und 1944 ] 2 Bd. [ Dissertationes Hungaricae ex historia Ecclesiae , Bd. 12 ] , München / Budapest. 265 Seit dem frühen Versuch Staudingers , der ( oberösterreichische ) Pfarrchroniken für die ersten Jahre der Republik auswertete und dabei auf die fast undurchführbare Typisierung dieser Quellengattung hinwies , mangelt es an Arbeiten an diesen Quellen , vgl. Staudinger ( 1976 ). Rezente Ausnahmen z. B. bei Ginzinger , Gerhard ( 1996 ) : Oberösterreichisches Pfarrleben in den Jahren 1934–1938 dargestellt am Beispiel der Pfarrchronik von Weißkirchen an der Traun. Eine Ed. mit Einleitung und Kommentar. Dipl.-Arb. , Salzburg , sowie für den Wiener Pfarrklerus auf Basis von Pfarrblättern vgl. Scholz , Nina / Heinisch , Heiko ( 2001 ) : „ … alles werden sich die Christen nicht gefallen lassen“: Wiener Pfarrer und die Juden in der Zwischenkriegszeit , Wien. 266 Vgl. Altermatt , Urs ( 1989 ) : Katholizismus und Moderne : zur Sozial- und Mentalitätsgeschichte der Schweizer Katholiken im 19. und 20. Jahrhundert , Zürich. Altermatt lässt dabei methodenpluralistisch volkskundliche Elemente wie Fest- und Brauchtumsforschung , klassische Zeitschriften-
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storischen Ansatzes deutlich gemacht. In diesem Sinne könnte auch die von Kronthaler vorgeschlagene Erforschung des Laienberufs der Pfarrhaushälterinnen Informationen über Wandel der sozialen Stellung oder etwa das in der Priesterausbildung vermittelte Frauenbild liefern und somit das Umfeld der katholischen Priesterschaft näher bestimmen.267 3.3 Politische Katholizismen in Aktion : Vereine und Presse Auch das Aktionsfeld der Vereine des politischen Katholizismus zeigt sichtliche Forschungslücken. Der sukzessive Bedeutungsverlust des etablierten Vereinswesens mag darin Niederschlag gefunden haben , dass für die Jahre des autoritären Regimes wenige Studien dazu vorliegen.268 Es ist nicht nur wenig über den Verbleib jener Vereine bekannt , die sich gegen eine Eingliederung in die KA wehrten , sondern auch über die Art der Überführung der Vereine in die KA selbst. So sind die Hintergründe und zentralen Akteure der Entmachtung des oberösterreichischen katholischen Volksvereins beispielsweise noch nicht ausreichend beleuchtet worden. Im Weiteren zählt die regional-diözesane Ausgestaltung der KA ebenfalls zu den bislang vernachlässigten Forschungsfeldern ,269 wobei insbesondere Vergleichsstudien zu ihren lokal bedingten Divergenzen von Interesse wären. Im Zuge dessen sollte auch die politische Wirksamkeit der KA miterforscht und -hinterfragt werden. Zu Anspruch und Wirklichkeit ihrer Distanz zur ( Tages-)Politik fehlt seit Weinzierls Bewertung der KA „zum Teil als ‚Vorfeldorganisation‘ des christlichen Ständestaates“270 noch immer eine konsensuale Bewertung für die KA im Dollfuß / Schuschnigg-Regime. Zur aus den 1960er-Jahren datierenden Forderung Erika Weinzierls , alle katholischen Zeitschriften Österreichs systematisch aufzuarbeiten , stellt Ziegerhofer-Prettenthaler auch 40 Jahre danach fest , dass dergleichen noch nicht in ausreichender Weise geschehen sei.271 Eine fundierte Analyse zur „Schöneren Zukunft“ wurde jedoch bereits von Peter Eppel dargelegt. Jedoch war Eppels Quellenzugang teilweise noch von Archivsperren beschränkt , wie jener des Wiener Diözesanarchives ab 1933.272 Diese eingeschränkte Quellenlage steht exemplarisch für ältere Studien , deren Forschungsgegenstände vielfach aufgrund einer verbesserten Archivlage heute erneut Forschungspotenzial aufweisen würden. forschung , aber auch prosopographische Elemente einfließen , vgl. Tischner , Wolfgang ( 2004 ) : Neue Wege in der Katholizismusforschung : Von der Sozialgeschichte einer Konfession zur Kulturgeschichte des Katholizismus in Deutschland ? In : Hummel , Karl-Joseph ( Hg. ) : Zeitgeschichtliche Katholizismusforschung. Tatsachen – Deutungen – Fragen. Eine Zwischenbilanz. Paderborn / München / Wien u. a. , 197–213. Zu bisherigen Ansätzen dazu in Österreich vgl. Klieber , Rupert / Hold , Hermann ( Hg. ) ( 2005 ) : Impulse für eine religiöse Alltagsgeschichte des Donau-Alpen-Adria-Raumes , Wien u. a. 267 Sohn-Kronthaler , Michaela ( 2009 ) : Pfarrhaushälterinnen – ein kaum erforschter weiblicher Laienberuf in der katholischen Kirche. In : dies. / Höfer ( Hg. ), 241–255. 268 Vgl. z. B. Seewann ( 1971 ). 269 Zur fehlenden Einheitlichkeit in der Entwicklung der Katholischen Aktion in den einzelnen Diözesen vgl. Klostermann ( 1967 ), 121 , bei dem sich Ansätze einer Analyse der Modellrolle der Erzdiözese Wien für die einzelnen Diözesen finden ; vgl. dazu auch Liebmann ( 1990 ). 270 Weinzierl ( 1983 ), 448. 271 Ziegerhofer-Prettenthaler ( 2006 ), 395. 272 Eppel ( 1980 ), 14. Ähnlich war die Archivlage z. B. auch bei Gellott ( 1987 ).
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Ziegerhofer-Prettenthaler und Seefried zeigen in ihren Untersuchungen zur SZ und zum CS auf , dass bisher auch ( z entral-)europäische Perspektiven , die über nationale Grenzen hinausreichen , bei der Bearbeitung des katholischen Pressewesens in Österreich noch weitgehend unberücksichtigt geblieben sind. Aus dieser Perspektive tritt als Desiderat die systematische Aufarbeitung der spezifischen Europa-Konzeptionen von Graf Nikolaus Richard Coudenhove-Kalergis „Paneuropa-Union“ sowie des „Kulturbunds“ unter der Leitung des Philofaschisten Karl Anton Prinz Rohans hervor. In beiden Fällen stellen die Vereinsorgane „Paneuropa“ und „Europäische Revue“ einen lohnenden Quellenbestand dar.273 Doch auch die der kirchlichen Hierarchie näherstehenden Zeitungen , wie der „Osservatore Romano“ und die Halbmonatsschrift „L’Illustrazione Vaticana“ als offizielle Vatikanmedien , harren noch einer näheren wissenschaftlichen Auseinandersetzung zu österreichspezifischen Fragestellungen. Dies trifft auch auf die einzelnen Diözesanblätter zu , deren Digitalisate nun durch die Österreichische Nationalbibliothek der Forschungsgemeinde sukzessive zugänglich gemacht werden.274 Die Notwendigkeit , viel zitierte ältere ‚Standardwerke‘ vor allem hinsichtlich ihrer Quellennutzung zu hinterfragen , zeigt sich am Beispiel von Heinrich Bußhoffs Studie von 1968 zur „Schöneren Zukunft“ und zur „Reichspost“275 : Helmut Rumpler kann in seinem Versuch der Neubewertung der Rolle Johannes Messners276 für die berufsständische Verfassung von 1934 aufzeigen , dass Bußhoffs ursprüngliche Einschätzung Messners als führender „Programmator“ auf dünner Quellenbasis steht. Rumpler bettet seine Kritik an dieser Charakterisierung Messners in eine Analyse von dessen programmatischer Schrift „Berufsständische Neuordnung“ ( 1936 ) ein und kommt zum Schluss , dass diese Dollfuß’ Ideen eines „christlichen Ständestaates“ nicht bestätige , sondern sie „verhältnis273 Eine Gegenüberstellung findet sich bei Paul , Ina Ulrike ( 2005 ) : Einigung für einen Kontinent von Feinden ? R. N. Coudenhove-Kalergis „Paneuropa“ und K. A. Rohans „Reich über Nationen“ als konkurrierende Europaprojekte der Zwischenkriegszeit. In : Duchhardt , Heinz ( Hg. ) : Der EuropaGedanke in Ungarn und Deutschland in der Zwischenkriegszeit [ Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz , Beiheft ; 66 : Abteilung für Universalgeschichte ] , Mainz , 21–45. Während zu Prinz Rohan bis dato eine fundierte Biografie fehlt , hat Ziegerhofer-Prettenthaler zu Coudenhove-Kalergi kürzlich ihre Habilitationsschrift auf Basis des Paneuropa-Archivs im Moskauer Staatsarchiv vorgelegt , vgl. die publizierte Fassung : Ziegerhofer-Prettenthaler , Anita ( 2004 ) : Botschafter Europas , Richard Coudenhove-Kalergi und die Paneuropa-Bewegung in den zwanziger und dreißiger Jahren , Wien / Köln / Weimar. Die Bedeutung des Forums , das Rohans Kulturbund auch für katholische Exponenten bot , zeigt sich darin , dass ein Vortrag Hudals im Kulturbund den Rahmen für ein Zusammentreffen mit Franz von Papen bot , womit die Entscheidung der österreichischen Bischöfe , Distanz zum deutschen Sondergesandten zu wahren , unterwandert wurde , vgl. Hummel , Karl-Joseph ( 2007 ) : Alois Hudal , Eugenio Pacelli , Franz von Papen , Neue Quellen aus dem Anima-Archiv. In : Brechenmacher , Thomas ( Hg. ) : Das Reichskonkordat 1933 : Forschungsstand , Kontroversen , Dokumente [ Veröffentlichungen der Kommission für Zeitgeschichte , Reihe B , Forschungen , 109 ] , Paderborn / Wien u. a. , 85–113 : 96. 274 Vgl. http ://anno.onb.ac.at. 275 Bußhoff ( 1968 ). 276 Rauscher , Anton ( 1984 ) : Johannes Messner ( 1891–1984 ). In : Aretz , Jürgen / Morsey , Rudolf / R auscher , Anton ( Hg. ) : Zeitgeschichte in Lebensbildern : aus dem deutschen Katholizismus des 20. Jahrhunderts ( Bd. 6 ), Münster , 250–265.
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mäßig radikal“ kritisiere.277 Aus dieser Beurteilung erschließt sich , dass eine abschließende Bewertung des Einflusses des „bedeutendsten Sozialethikers des österreichischen Katholizismus“278 in der Ersten Republik und auf das Dollfuß / Schuschnigg-Regime bisher noch nicht erfolgt ist. Messners Einfluss auf den Inhalt des Sozialhirtenbriefs des Episkopats 1925 ,279 seine Zugehörigkeit zum redaktionellen Stab der SZ ,280 der folgende Distanzierungsversuch 1936 in der Gründung einer eigenen Zeitschrift „Monatschrift für Politik und Kultur“ sowie sein Beitrag zur Sakralisierung der Person Dollfuß’ nicht zuletzt durch das Verfassen der „offiziösen Dollfuß-Biographie“281 verdeutlichen seine Präsenz und führende Vordenkerrolle in der Zwischenkriegszeit und legen eine umfassende Aufarbeitung seiner Positionierung innerhalb des politischen Katholizismus nahe. 3.4 Politische Katholizismen unter dem Schuschnigg-Regime Ein zusätzliches Desiderat , das die Bußhoff-Studie veranschaulicht , erschließt sich aus dem herangezogenen Betrachtungszeitraum : Die Jahre vor dem Dollfuß-Regime ab 1929 werden für die Entwicklung einer geistesgeschichtlichen Perspektive einbezogen , aber die Zeit der Herrschaft unter Schuschnigg bleibt dahingegen gänzlich unberücksichtigt. Diese Schwerpunktsetzung auf die Regime-Zeit unter Dollfuß weist auch auf einen generellen Forschungsüberhang zum politischen Katholizismus im Vergleich zu dessen Nachfolger hin. Für das kirchliche Verhältnis zu Schuschnigg wies man vielfach nur auf die ab 1936 einsetzenden Distanzierungsversuche der Kirche hin und konzentrierte sich in weiterer Folge tendenziell auf das Verhalten von Episkopat und Klerus gegenüber Nationalsozialismus und „Anschluss“. Jedoch wissen wir bisher wenig über die Kontinuitäten und Brüche in der Kirchenpolitik im Übergang von Dollfuß zu Schuschnigg. Damit einher geht auch der Mangel an Forschungen zum Dollfuß-Kult unter Schuschnigg , der Stilisierung zu einem für Österreich gestorbenen Märtyrer , wenn nicht sogar zu einem Heiligen.282 Die Kirche tat das Ihre , diesem Dollfuß-Mythos auf religiöser Ebene Bedeutung zu verleihen. Kirchen , Altäre , Kapellen , die Dollfuß gewidmet waren , sowie Dollfuß-Gedenktage sollten zur Sakralisierung des „toten Führers“ beitragen.283 Dazu 277 Rumpler , Helmut ( 2010 ) : Der Ständestaat ohne Stände. Johannes Messner als „Programmator“ der berufsständischen Idee in der Verfassung des Jahres 1934. In : Krammer et al. ( Hg. ), 229–245. 278 Rumpler ( 2010 ), 229. 279 Schlagnitweit ( 1995 ). 280 Diese fungierte nach Eppel für die Zeitschrift einerseits als „prominente( s ) Aushängeschild“ und andererseits als „antinationalsozialistische( s ) Alibi“, Eppel ( 1980 ), 33 , zit. n. Ziegerhofer-Prettenthaler ( 2006 ), 404. 281 Rumpler ( 2010 ), 231 , siehe Messner , Johannes ( 1935 ) : Dollfuß , Innsbruck / Wien u. a. 282 Hanisch ( 2005 ), 78. Zur Dreistufigkeit des Dollfuß-Mythos , Bauer , Held und Märtyrer , sowie Heiliger vgl. Jagschitz , Gerhard ( 1976 ) : Der Putsch. Die Nationalsozialisten 1934 in Österreich , Graz / Wien / Köln , 190 , zit. n. Juffinger , Sabine ( 1993 ) : Politischer Katholizismus im Austrofaschismus 1933 / 34– 1938 : zur Analyse der politischen Rhetorik des Austrofaschismus am Beispiel der „österreichischen Mission“ sowie anhand der Konstruktion des Geschlechterverhältnisses , Dipl.-Arb. , Innsbruck , 44. 283 Vgl. dazu Dreidemy , Lucile ( 2011 ) : Totenkult für einen Diktator , Die Zeit , 21. Juli 2011 , 10 f. Zur mythisierenden Darstellung Dollfuß’ in den Wochenschauen , vgl. Liebhart , Karin ( 2 002 ) : Österreichischer Patriot und „wahrer deutscher Mann“ – Zur Mythisierung des Politikers Engelbert Dollfuß. In : Achenbach / Moser ( Hg. ), 237–258.
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fehlt auch noch vielfach die vertiefte Aufarbeitung jener Persönlichkeiten , die an dieser Mythisierung maßgeblich beteiligt waren. Dies zeigt sich exemplarisch an einer fehlenden biografischen Studie zu Rudolf Henz. Als „Zeremonienmeister austrofaschistischer Massenästhetik“284 apostrophiert , schrieb er nicht nur die Weihefestspiele am Katholikentag , sondern war auch der Verfasser des sogenannten Dollfuß-Liedes. In die unterrepräsentierte Schuschnigg-Zeit fällt auch ein Desiderat zur Ausübung und Umsetzung von Konkordatsmaterien. Während zu den Vorverhandlungen für das Konkordat aufschlussreiche Unterlagen in Rom zu erwarten sind , muss der Umgang mit dem kirchenrechtlichen Vertrag in Österreich nach dessen Ratifizierung noch vertieft untersucht werden. Bereits im Ministerrat vom 4. Mai 1934 wurde die Auslegung der Konkordatsbestimmungen „betreffend des Eherechts“ behandelt und gefolgert , dass „eine wörtliche Interpretation des Konkordats [ … ] untragbar“ sei.285 Die Feststellung , dass die Problematik der Dispensehen vom Konkordat nicht berührt werde , wollte auf eine für Interpretationen offene Grauzone hinweisen ; dieser breiten Auslegungsmöglichkeit wurde jedoch von Dollfuß Einhalt geboten , der befürchtete , dass man sich damit den Vorwurf des Konkordatsbruchs einhandeln könnte.286 Insgesamt werfen diese Vorstöße jedoch Fragen zur beabsichtigten Nutzung von Grauzonen des Vertragstextes auf – über jene des Eherechts hinaus , im Besonderen die Schulfrage , die für die Zeit bis 1938 noch im Detail zu überprüfen sind. Wie auch diese konkordatäre Verbindung Vatikan und österreichischen Staat nach außen einte , stellt auch die gewaltsame Unterdrückung der Sozialdemokratie im Februar 1934 ein Ereignis dar , das nach Hanisch zu einem Schulterschluss zwischen Kirche und Regime führte.287 Dennoch fehlen hier bislang , auch angesichts der oberflächlich ambivalenten Haltung der Kirchenmitglieder , weiter gehende Studien , die die Teilhabe des Episkopats und des Klerus am Repressionsapparat des Staates vor und nach den Februarkämpfen behandeln. So ist die Frage nach der aktiven Begünstigung der Kirche im Zuge der Enteignung der geschlagenen Sozialdemokratie noch nicht hinreichend bearbeitet worden , wie etwa durch die Einrichtung von Kapellen in den Gemeindebauten oder durch die aktive Beteiligung des Klerus an der Durchsetzung der Zensur.288 3.5 Politische Katholizismen in ideologischer Perspektive Ebenso wie an der Person eines Schuschnigg können auch an der Gestalt von Alois Hudal , dem Rektor des deutschen Priesterkollegs Santa Maria dell’Anima in Rom , mehrere ( auch transnationale ) Forschungslücken zugleich exemplarisch demonstriert werden. Durch die 284 Amann ( 1987 ), 126. Henz war u. a. tätig bei der Reichspost , RAVAG , im Bundeskulturrat und führend in der Katholischen Aktion , vgl. Amann ( 1987 ), 126–138. 285 Weinzierl 1994 , 130 , sowie Liebmann ( 2003 ), 410–411. 286 Liebmann ( 2003 ), 411. 287 Hanisch ( 1977 ), 24. Zu einer tendenziell anderen Beurteilung , v. a. hinsichtlich der Betonung hehrer Absichten der Kirche um Frieden und Versöhnung , gelangt Liebmann ( 1989 ). 288 Vgl. u. a. Kepplinger , Brigitte ( 2009 ) : „Wir werden ganze Arbeit leisten“ ( Emil Fey ), in : dies. / Weidenholzer , Josef ( Hg. ) : Februar 1934 in Oberösterreich. „Es wird nicht mehr verhandelt …“, Weitra , 239–246 : 244 f. ; desgl. Mesner , Maria / Reiter , Margit / Venus , Theodor ( 2007 ) : Enteignung und Rückgabe. Das sozialdemokratische Parteivermögen in Österreich 1934 und nach 1945 , Innsbruck.
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Freigabe der Akten aus seinem Nachlass in der Anima könnten nun österreichspezifische Behauptungen aus seinem Tagebuch einer Gegenprüfung unterzogen werden. Trotz seiner langjährigen Funktion in Rom ist Hudal für Klieber lange ein geradezu typischer Exponent des katholischen Milieus Österreichs , der sich aber spätestens ab 1938 schrittweise zu einem „Phänomen sui generis“ gewandelt habe , was ab Herbst 1938 durch ein starres Festhalten an ideologischen Überzeugungen zu seiner Isolation beigetragen habe.289 Die mittlerweile konsultierbaren Dokumente im Nachlass des umstrittenen Rektors machen dessen tatsächliche Bedeutung für die offizielle Politik des Hl. Stuhls nun hinterfragbar.290 Laut Karl-Joseph Hummel hielte der Bestand jedoch Überraschungen in zweifacher Hinsicht bereit : Zum einen sei es nun möglich , „die erheblichen Zweifel , die an der Seriosität der 1976 posthum veröffentlichten ‚Römischen Tagebücher‘ geäußert worden sind ,291 in den meisten Punkten zu zerstreuen und ein Bild einer vielseitigen Persönlichkeit zu zeichnen , das weitaus interessanter ausfällt , als es die stereotypen Klischees vom ‚braunen‘ Bischof und ‚Fluchthelfer‘ erwarten ließen“.292 Jedoch : Es ließen sich „in zentralen Fragen [ … ] keine neuen Erkenntnisse gewinnen“.293 Laut Hummel gäbe es in Hudals Nachlass auch für das österreichische Konkordat weniger Quellen als zu erwarten.294 Dass die Initiative zum Konkordat von den österreichischen Bischöfen ausging , ist heute unumstritten.295 Für Hudals Behauptungen über seinen Beitrag am Zustandekommen des Konkordats fehlten noch die entsprechenden Gegenbelege.296 Unter He 289 Klieber ( o. J. ), 29. 290 Einen frühen Versuch , Hudals bislang als wenig zuverlässig gewertete Lebenserinnerungen auf der Basis von vatikanischen Akten gegenzuprüfen , unternimmt Hubert Wolf. Darin geht der renommierte deutsche Kirchenhistoriker , der zu diesem Zeitpunkt jedoch noch keinen Zugang zum Anima-Archiv hatte , der Initiative Hudals hinsichtlich einer Auseinandersetzung des Hl. Offizium mit der Rassenlehre nach und kommt zu einer relativierenderen Einschätzung des Einflusses Hudals , vgl. Wolf , Hubert ( 2005 ) : Pius XI. und die „Zeitirrtümer“. Die Initiativen der römischen Inquisition gegen Rassismus und Nationalismus. In : Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte Jg. 53 ( 2005 ) Heft 1 , 1–42. 291 Einen kurzen Überblick über die mediale Rezeption dieses Werkes in Deutschland und Österreich , die sich in kritischen Rezensionen ( was die Glaubwürdigkeit von Hudals Behauptungen zu seiner eigenen Bedeutung für und Wertschätzung in vatikanischen Kreisen betraf ) von namhaften KirchenhistorikerInnen , von Rudolf Morsey bis Erika Weinzierl , niederschlugen , gibt Hummel ( 2007 ), 85. 292 Hummel ( 2007 ), 85. 293 Hummel ( 2007 ), 85. 294 Hummel ( 2007 ), 85. Hummel konzentriert sich in seinem Beitrag auf Fragestellungen , die das deutsche und österreichische Konkordat 1933 / 34 und deren Wirkungsgeschichte betreffen. Er plädiert für eine genaue Auswertung des Hudal-Archivs , obgleich er feststellt , dass „Forscher , die in früheren Jahren privilegierten Zugang zu dem noch ungeordneten Archiv bekommen hatten , [ … ] sich offenbar in einzelnen Fällen auf Dokumente stützen [ konnten ] , die zwischenzeitlich nicht mehr auffindbar sind“. Hummel ( 2007 ), 85. Weitere wichtige Bestände des Hudal-Nachlasses konnten von Dominik Burkard ausgewertet werden , vgl. Burkard , Dominik ( 2005 ) : Häresie und Mythus des 20. Jahrhunderts : Rosenbergs nationalsozialistische Weltanschauung vor dem Tribunal der Römischen Inquisition [ Römische Inquisition und Indexkongregation , 5 ] , Paderborn / Wien u. a. 295 Kremsmair , Josef ( 2001 ) : Der Beitrag Bischof Hudals am Zustandekommen des österreichischen Konkordates von 1933 / 34. In : Paarhammer / R innerthaler ( Hg. ), 293–310. 296 Vgl. seine aus der Retrospektive geschriebene und posthum veröffentlichte Autobiografie : Hudal ( 1976 ).
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ranziehung der Tagebuchaufzeichnungen von Egon Loebenstein297 , aber auch bereits von selektierten Aktenbeständen aus der Anima maß Kremsmair Hudal einen „wesentlichen Anteil“ am Zustandekommen des Konkordats zu , der sich auf die beauftragte Erarbeitung staatskirchenrechtlicher Materien erstreckte. Hudals Mitwirkung am römischen Konkordatsentwurf wurde als gesichert angesehen , wobei das Ausmaß an Hudals Mitarbeit für Kremsmair als schwer festzustellen galt.298 Während Kremsmair von einem direkten Zusammenhang zwischen Hudals Verdiensten am Konkordat und dessen Ernennung zum Titularbischof von Ela ausgeht , weist Klieber jedoch auf den fehlenden Quellenbeleg zu diesem in der Forschung bestehenden Konsens hin.299 Neben den Anima-Akten könnten nun auch Dokumente aus dem Vatikanischen Geheimarchiv der Klärung dieser Detailfragen dienlich sein. Durch seine österreichische Verortung und seine vielseitigen personellen Verbindungen könnte nicht nur die Biografie des „Brückenbauers“ Hudal anhand neu zugänglicher Akten weiter erforscht werden , sondern auch die österreichischen RepräsentantInnen jener Gruppe umfassend in den Blick genommen werden , die in der Literatur zumeist als „Katholisch-Nationale“, „Betont-Nationale“ bzw. „Völkische Katholiken“ firmiert.300 297 Dr. Egon Loebenstein war Sektionschef im Unterrichtsministerium und gehörte auch der österreichischen Verhandlungsdelegation für das Konkordat an. 298 Kremsmair ( 2001 ), 299. Hummel kann die Befunde Kremsmairs durch Details stützen , die jedoch zu keinen neuen Erkenntnissen beitragen ; eine detaillierte Analyse der österreichischen Konkordatsunterlagen im Anima-Archiv stehe jedoch noch aus : Hummel ( 2007 ), 105–106. 299 Klieber , o. J. , 14. Diesen Konsens unter den Zeitgenossen bestätigen indirekt die Akten der deutschen Vatikangesandtschaft : „[ Die Ernennung ] wird als Belohnung für die guten Dienste angesehen , die Msgr. Hudal [ … ] bei dem schnellen Zustandekommen des österreichischen Konkordats [ … ] geleistet hat.“ Bergen an das Auswärtige Amt , 2. 6. 1933 ; in : Kupper , Alfons ( Bearb. ) ( 1969 ) : Staatliche Akten über die Reichskonkordatsverhandlungen 1933 [ Veröffentlichungen der Kommission für Zeitgeschichte , A2 ] , Mainz , 79 , zit. n. Hummel ( 2007 ), 89–90. 300 Zu den fließenden Übergängen zwischen Betont-Nationalen und Katholisch-Nationalen vgl. Weinzierl , Erika ( 1963 ) : Österreichs Katholiken und der Nationalsozialismus 1918–1945. In : Wort und Wahrheit Jg. 18 ( 1963 ), 493–526 : 505 , zit. n. Eppel ( 1980 ), 325. Vgl. dazu auch Broucek , Peter ( 1979 ) : Katholisch-nationale Persönlichkeiten [ Wiener Katholische Akademie Miscellanea , 62 ] , Wien. Zu einigen dieser Vertreter liegen bereits ( u mfassende ) Studien vor , wie z. B. Broucek , Peter ( 1980 , 1983 , 1988 ) : Ein General im Zwielicht. Die Erinnerungen Edmund Glaises von Horstenau , 3 Bd. , Wien / Köln / Graz ; Rosar , Wolfgang ( 1971 ) : Deutsche Gemeinschaft. Seyss-Inquart und der Anschluß , Wien / Frankfurt / Zürich ; Derndarsky , Michael ( 1989 ) : Österreich und die „Deutsche Einheit“. Studien zu Heinrich Ritter von Srbik und seiner gesamtdeutschen Geschichtsauffassung , Klagenfurt. Eine Untersuchung für die Zeit unter dem Nationalsozialismus findet sich bei Moritz , Stefan ( 2002 ) : Grüß Gott und Heil Hitler. Katholische Kirche und Nationalsozialismus in Österreich , Wien. Kritisch zu Moritz vgl. Liebmann ( 2009 ), 73. Vgl. aber z. B. auch Amann , Klaus ( 1985 ) : Die Brückenbauer. Zur ‚Österreich‘Ideologie der völkisch nationalen Autoren in den dreißiger Jahren. In : Amann , Klaus / Berger , Albert ( Hg. ) : Österreichische Literatur der dreißiger Jahre , Wien / Köln / Graz 1985 , 60–78 , sowie Staudinger , Anton ( 1989 ) : Völkische Konkurrenz zum Nationalsozialismus – am Beispiel des „Österreichischen Verbandes für Volksdeutsche Auslandsarbeit“. In : Kreissler , Felix ( Hg. ) : Fünfzig Jahre danach – der „Anschluss“ von innen und außen gesehen , Wien / Zürich , 52–64. Jüngst dazu , vgl. Weiß , Otto ( 2007 ) : Rechtskatholizismus in der Ersten Republik. Zur Ideenwelt der österreichischen Kulturkatholiken 1918–1934 [ Beiträge zur Kirchen- und Kulturgeschichte , Bd. 17 ] , Frankfurt / Main.
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Brigitte Behal hat jüngst mit ihrer Dissertation über Anton Böhm und Theodor Veiter sowie deren Netzwerke einen wichtigen Impuls gesetzt , den aufzugreifen sich in vielfacher Hinsicht lohnen würde.301 Hinsichtlich der Bearbeitung politischer Ideologien und deren Wahrnehmung durch KatholikInnen ist festzustellen , dass v. a. der Nationalsozialismus302 beständig Anlass zu neuen Forschungen bot. Dahingegen bilden die Rezeption des italienischen Faschismus und seine Popularitätssteigerung etwa durch die Lateranverträge 1929 für Österreich weiterhin ein Forschungsdesiderat.303 IV. Ausblick Ein Überblick zur Forschungslage des politischen Katholizismus bzw. von dessen vielgestaltigen Ausprägungen unter dem Dollfuß / Schuschnigg-Regime lässt eine Gesamtstudie vermissen , die auf dem aktuellen Forschungsstand aufbaute und in der die übergreifenden Zusammenhänge zwischen 1933 und 1938 erfasst würden. Der letzte ambitionierte Versuch , eine Geschichte der katholischen Kirche in Österreich in der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts zu schreiben , ist seinerseits bald ein halbes Jahrhundert her.304 Einer aktuellen Umsetzung eines ähnlichen Vorhabens ist – neben dem vielfachen Ausbleiben von Detailstudien – auch abträglich , dass der österreichischen Forschung( sgemeinde ) noch weitgehend eine internationale , komparatistische Perspektive fehlt.305 Sprachbarrieren und der erschwerte Quellenzugang tragen zu einem ausbleibenden Blick über nationale Grenzen hinweg bei. Auf der Strecke bleibt in der Folge häufig das Bewusstsein für Unterschiede zwischen diversen nationalen Katholizismen. Selbst im deutschsprachigen Ausland wird die österreichische Katholizismusforschung eher als eine „terra incognita“306 wahrgenommen , was einem fruchtbaren Austausch 301 Behal , Brigitte ( 2009 ) : Kontinuitäten und Diskontinuitäten deutsch-nationaler katholischer Eliten im Zeitraum 1930–1965 : ihr Weg und Wandel in diesen Jahren am Beispiel Dr. Anton Böhms , Dr. Theodor Veiters und ihrer katholischen und politischen Netzwerke , Diss. , Wien , 9. 302 Liebmann , Maximilian ( 1982 ) : Kardinal Innitzer und der Anschluß. Kirche und Nationalsozialismus in Österreich 1938. Graz / Wien u. a. , Liebmann ( 1988a ), Liebmann ( 1988b ), Liebmann ( 2009 ), Weinzierl ( 1988 ). Ein früher Literaturbericht diesbzgl. findet sich bei Weinzierl , Erika ( 1967 ) : Kirche und Nationalsozialismus. In : Wort und Wahrheit 22. Jg. ( 1967 ), 378–382. Vgl. aber auch exemplarisch die thematischen Schwerpunkte bei Eppel ( 1980 ) und Edlinger ( 1964 ). 303 Eine ältere Forschungsarbeit in dieser Hinsicht , die jedoch die Dollfuß / S chuschnigg-Zeit nicht behandelt , wäre Mairer , Werner ( 1972 ) : Ignaz Seipel und Benito Mussolini : der Denker und der Realist. Ein Beitrag zur Geschichte Österreichs und Italiens vom Marsch auf Rom bis zum Tode Seipels , Diss. , Graz. Arbeiten wie jene älteren Datums von Hoepke , vgl. Hoepke , Klaus-Peter ( 1968 ) : Die deutsche Rechte und der italienische Faschismus – ein Beitrag zum Selbstverständnis und zur Politik von Gruppen und Verbänden der deutschen Rechten [ Beiträge zur Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien , 38 ] , Düsseldorf , oder jüngst für die Schweiz : Aerschmann , Stephan ( 2002 ) : Katholische Schweizer Intellektuelle und der italienische Faschismus ( 1922–1943 ) [ Religion – Politik – Gesellschaft in der Schweiz ] , Freiburg , Schweiz , fehlen für Österreich noch gänzlich. 304 Klostermann et al. ( 1966 ) und ( 1967 ). 305 Opis , Matthias ( 2005 ) : Viel Klischee , wenig Wissen. Der Katholizismus in der zeithistorischen Forschung. Eine kritische Bestandsaufnahme , Die Furche , 13. 1. 2005 , 10. 306 Liedhegener , Antonius ( 2004 ) : Katholizismusforschung in der Erweiterung : Internationaler Ver-
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bislang ebenfalls nicht gerade förderlich war. Die Öffnung der vatikanischen Archive bietet sicherlich einen neuen Anreiz für Forschungsansätze über die Grenzen hinweg. Es steht zu erwarten , dass die Erforschung eines Phänomens wie des Katholizismus , der von einer ausgeprägt transnationalen Organisation gekennzeichnet und nur begrenzt in seiner nationalstaatlichen Einheit zu erfassen ist ,307 davon nur profitieren kann. Für Österreich regt Matthias Opis eine Überwindung der bisher überwiegenden Trennung von kirchen- und zeithistorischen Forschungsleistungen an. Der zeitgeschichtlichen Katholizismusforschung sei mit seinen Worten zudem zu wünschen , es möge ihr gelingen , den „österreichischen Katholizismus als attraktives Forschungsgebiet zu vermitteln , von dem sich auch jüngere Historikerinnen und Historiker angesprochen fühlen können“.308
gleich , konfessioneller Vergleich , neue methodische Zugänge. Kommentar. In : Hummel ( Hg. ), 215–230 : 221. 307 Pyta , Wolfram ( 2009 ) : Einleitung. In : ders. / K retschmann , Carsten / Ignesti , Giuseppe / Di Maio , Tiziana ( Hg. ) : Die Herausforderung der Diktaturen : Katholizismus in Deutschland und Italien 1918– 1943 / 45 [ Reihe der Villa Vigoni 21 ] , Tübingen , 1–12. 308 Opis ( 2005 ).
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����������������������������������������������������������������� �������������������������������������������������� : Politische Katholizismen in Österreich 1933–1938
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Gerhard Hartmann
Eliten im „Ständestaat“ Versuche einer Einordnung In diesem Beitrag wird versucht , den Eliten , die den autoritären „Ständestaat“ der Jahre 1933 / 34 bis 1938 getragen bzw. geprägt haben , nachzuspüren. Der Schwerpunkt liegt dabei auf fest umschriebenen bzw. organisierten ( „vernetzten“ ) Elite-Gruppen. Ausgangspunkt der Transformation des politischen Systems Österreichs ab März 1933 war die sich auf eine schmale parlamentarische Mehrheit stützende Regierungskoalition – bestehend aus den Christlichsozialen , dem Landbund und den Heimwehren. Der Landbund verlor ab 1934 , die Heimwehren 1936 an politischer Bedeutung. Somit verblieb als tragende Bewegung des „Ständestaates“ der ehemals parteipolitische Katholizismus , der von nicht in das national( sozialistisch )e Lager übergeschwenkten Angehörigen der beiden anderen genannten Koalitionspartner ergänzt wurde. Diese spielten aber quantitativ nur eine untergeordnete Rolle. Auch sind dort kaum nennenswerte Eliten als spezifisch homogene Gruppe erkennbar , sodass im Großen und Ganzen im „Ständestaat“ das katholische Kernmilieu diesbezüglich maßgeblich war. Infolge des Juliabkommens von 1936 strömten zwar „betont nationale“ Elemente in die Vaterländische Front bzw. in den Regierungsapparat. Auch wenn bei diesen gewisse Eliten ( z . B. akademisch-nationales Milieu ) erkennbar sind , können sie nicht zu einer des „Ständestaates“ zählen , weil sie diesen letztlich zu transzendieren versuchten. Das gilt auch für die sogenannten Katholisch-Nationalen. Sie entstammten zwar auch der Elite des katholischen Milieus und waren nicht selten in den Transformationsprozess der Jahre 1933 / 34 eingebunden , jedoch letztlich als Vertreter der großdeutschen Idee für die Überwindung des „Ständestaates“. So erklärte der kurzzeitige Außenminister im Anschlusskabinett Seyß-Inqart , Wilhelm Wolf , „dem Ständestaat mit geballter Faust gedient zu haben“1. 1 Zitiert bei Gehler , Michael ( 1990 ) : Studenten und Politik. Der Kampf um die Vorherrschaft an der Universität Innsbruck 1918–1938 [ I nnsbrucker Forschungen zur Zeitgeschichte ] , Innsbruck , 174 ; Wilhelm Wolf war sowohl Angehöriger des CV als auch Sympathisant des Bundes Neuland. Zu den Katholisch-Nationalen siehe Broucek , Peter ( 1979 ) : Katholisch-nationale Persönlichkeiten [ Wiener Katholische Akademie. Miscellanea ] , Wien ; desgl. Behal , Brigitte ( 2009 ) : Kontinuitäten und Diskontinuitäten deutschnationaler katholischer Eliten im Zeitraum 1930–1965. Ihr Weg und Wandel in die-
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II. Das kathol ische Milieu
Als Elite des „Ständestaates“ kann daher nur eine solche bezeichnet werden , die sich mit diesem identifizierte , in ihm einen Gegenentwurf zum Nationalsozialismus sah und für die Selbstständigkeit Österreichs eintrat – ohne deshalb die Zugehörigkeit zum deutschen Volkstum in Abrede stellen zu müssen. Einleitende Bemerkungen zum Begriff Elite Die vom Wiener Politologen Gernot Stimmer 1997 veröffentlichte Studie über Eliten in Österreich 1848–1970 – die erste und auch umfangreichste dieser Art – geht natürlich auch auf die Periode der Jahre 1933 / 34 bis 1938 ein.2 Wichtige Impulse zu dieser Thematik lieferten auch die nach 2000 entstandenen Arbeiten des deutschen Eliteforschers Michael Hartmann.3 Nach diesen lassen sich folgende Elitegruppen feststellen , die vor allem auch für unser Thema wichtig sind : Die Herkunftselite. Darunter ist nicht nur der Adel zu verstehen , sondern auch die großbürgerliche Besitzelite. Letztere hat – im Gegensatz zu Deutschland – in Österreich keine bedeutende Rolle gespielt , sodass Stimmer auf diese nur am Rande eingeht. Hingegen führt er den Begriff Anstaltselite ein und meint damit die Absolventen verschiedener Anstalten , darunter in der Hauptsache bestimmte Gymnasien bzw. Internate , aber auch z. B. die der Militärakademie oder der Diplomatischen Akademie. Michael Hartmann weist aber darauf hin , dass es im deutschen Sprachraum im Gegensatz zum angelsächsischen Raum4 oder zu Frankreich nicht derartige Eliteanstalten gibt , die man „besucht haben muss“, bzw. diese nicht jene Bedeutung haben , und dass dessen politischen Eliten , beginnend mit Anfang des 20. Jahrhunderts , fast durchgängig kleinbürgerlich geprägt waren bzw. noch immer sind.5 Trotzdem ist anzumerken , dass es in Österreich durchaus Ansätze solcher Eliteanstalten gegeben hat , man denke etwa an die beiden nicht mehr existierenden Jesuitenkollegien „Stella matutina“ in Feldkirch oder in Kalksburg. Auch öffentliche Gymnasien , wie die Akademischen in Wien und Graz oder das Wiener Theresianum , kommen in die Nähe von solchen Eliteanstalten. Gerade Kalksburg , aber vor allem auch das Wiener Schottengymnasium versuch( t )en durch sogenannte „Alt“-Verbände , sich auch in Richtung einer Bundelite zu bewegen.
sen Jahren am Beispiel Dr. Anton Böhms , Dr. Theodor Veiters und ihrer katholischen und politischen Netzwerke , phil. Diss. , Wien. 2 Stimmer , Gernot ( 1997 ) : Eliten in Österreich. 1848–1970 , 2 Bände [ Studien zur Politik und Verwaltung ] , Wien , 766 und 823. Da diese Studie kaum Sekundärliteratur nach 1990 erwähnt , dürfte sie höchstwahrscheinlich bereits zu diesem Zeitpunkt weitgehend abgeschlossen worden sein. 3 Hartmann , Michael ( 2004 ) : Eliten in Deutschland. Rekrutierungswege und Karrierepfade. In : Aus Politik und Zeitgeschichte , Heft 10 ( 1. 3. 2004 ), 17–24 ; ders. ( 2002 ) : Der Mythos von Leis tungseliten. Spitzenkarrieren und soziale Herkunft in Wirtschaft , Politik , Justiz und Wissenschaft , Frankfurt / Main ; ders. ( 2007 ) : Eliten und Macht in Europa. Ein internationaler Vergleich , Frankfurt / Main. 4 So haben z. B. alle britischen Premierminister von 1945 bis 1963 – auch Clemens Attlee von der Labour-Party – eine Eliteschule besucht , siehe Hartmann M. ( 2007 ), 33. 5 Hartmann M. ( 2007 ), 127.
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Diese Kategorie geht auf Max Weber zurück , der wiederum dabei auf Ferdinand Tönnies aufbaut.6 Von Herman Schmalenbach wurde dieser Begriff dann weiterentwickelt.7 Er wird sowohl von Stimmer8 als auch von der neueren deutschen Eliteforschung für Rekrutierungen aus „Bünden“ verwendet , d. h. fest organisierten und vernetzten sozialen Verbänden mit einer hohen Selbst-Identifikation. Diese sind in der gesellschaftlichen Transformation vor und nach der Napoleonischen Zeit entstanden und generierten vor allem nach 1815 das für den deutschen Sprachraum nicht untypische Vereinswesen , in dessen Rahmen sich auch das für die Eliterekrutierung der neuen politischen Bewegungen des 19. Jahrhunderts wichtige studentische Korporationswesen herausgebildet hat.9 Als neue politische Bewegungen in diesem Zusammenhang sind der Liberalismus im Gefolge von 1848 ( in Österreich dann der deutschnationalen Prägung ) sowie der politische Katholizismus zu verstehen , nicht jedoch die Arbeiterbewegung , wenn man einmal davon absieht , dass sowohl Victor Adler und Engelbert Pernerstorfer wie auch Ferdinand Lasalle und Wilhelm Liebknecht Angehörige einer Burschenschaft bzw. eines Corps waren. Die Besonderheit dieses Korporationswesens , egal welcher Richtung , ist die relativ hohe Binnenintegration und Homogenität , die vor allem durch das Lebensbundprinzip charakterisiert wird.10 Diesem hat das normale Vereinswesen nichts Vergleichbares entgegenzusetzen. Die für den deutschen Sprachraum charakteristischen Bundeliten ersetzen teilweise die Herkunftselite und sind auch eine der Gründe , warum die Anstaltselite nicht eine derartige Bedeutung erlangt hat. Herkunfts- , Anstalts- und Bundelite erklären zwar die Rekrutierung. Aber nicht alle , die aus „gutem Hause“ stammen , die „Stella matutina“ absolviert oder den Burscheneid einer Verbindung abgelegt haben , gehören dann tatsächlich zu einer Elite. Auch gab es – in Österreich wie auch in Deutschland – andere Eliterekrutierungsmechanismen im katholischen Milieu , vor allem vom Ende des 19. Jahrhunderts bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts. Der Dorfpfarrer und / oder der Volksschullehrer erkannten einen begabten Schüler und überredeten die bäuerlichen Eltern , ihren Sohn auf ein bischöfliches Knabenseminar ( Gymnasium ) zu schicken. Signifikante Beispiele dafür waren etwa Franz Kardinal König oder Engelbert Dollfuß ( wobei Letzterer dann vor allem durch eine Bundelite geprägt wurde ), welche auch im Zusammenhang mit dem o. g. Aufstieg von Eliten aus kleinbürgerlicher ( in Österreich vielfach auch kleinagrarischer ) Herkunft stehen. In diesem Zusammenhang ist es anmerkenswert , dass von den insgesamt 22 Bundes-( Staats-)Kanzlern Österreichs von 1918 bis zur Abfassung dieses Beitrags zwölf ( a lso mehr als die Hälfte ) aus sogenannten „kleinen Verhältnissen“ entstammten , drei aus 6 Tönnies , Ferdinand ( 1887 bzw. 1991 Neudruck ) : Gemeinschaft und Gesellschaft , Darmstadt. 7 Schmalenbach , Herman ( 1922 ) : Die soziologische Kategorie des Bundes. In : Die Dioskuren. Jahrbuch für Geisteswissenschaften , München , 35–105. 8 Stimmer ( 1997 ), 42. 9 Grundlegend dazu ist auch die Studie des Tübinger Soziologen Tenbruck , Friedrich H. : Freundschaft. Ein Beitrag zu einer Soziologie der persönlichen Beziehung. In : Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie Jg. 16 ( 1964 ), 431–456. 10 Eine neuere soziologische Untersuchung zu den Studentenverbindungen ist Kurth , Alexandra ( 2004 ) : Männer – Bünde – Rituale. Studentenverbindungen seit 1800 , Frankfurt. Sie geht von einem feministischen bzw. männerbundkritischen Ansatz aus und behandelt kaum die katholischen Verbindungen sowie die österreichischen Besonderheiten.
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kleingewerblich-selbstständigem Milieu , vier aus dem Mittelstand , einer aus dem gehobenen Mittelstand und zwei aus dem Großbürgertum. Damit erweist sich Österreich im europäischen Vergleich hinsichtlich der sozialen Herkunft seiner Eliten als „egalitärer“, obwohl nur sieben dieser 22 Sozialdemokraten waren bzw. sind.11 Beim Begriff Funktionselite wird hingegen nicht so sehr gefragt , woher man kommt bzw. wie man in diesen Status gekommen ist , sondern was man ist. Dieser Begriff stammt vom Berliner Soziologen Otto Stammer ( 1900–1978 ).12 Nach Wilhelm Weege werden als Funktionselite „solche Sozialaggregate bestimmt , die in der [ … ] Gesellschaft besonderen Einfluß haben , bestimmte Verantwortungen tragen und spezifische Leis tungs- , Planungs- und Koordinationsfunktionen übernehmen [ … ]. In der konkreten Realität politischer Systeme sind es [ … ] vor allem die Regierungsgremien , die führenden Fraktionsgruppen des Parlaments , die höhere Ministerialbürokratie , die Spitzenpositionen in der Provinzialverwaltung [ … ] und die Sprecher politisch relevanter Verbände , die spezifische Aufgaben von Funktionseliten erfüllen.“13 Demnach sind für unseren Betrachtungsgegenstand , den „Ständestaat“, als Funktionselite primär die Angehörigen von Bundes- und Landesregierungen sowie der Hochbürokratie anzusehen als auch die führenden Funktionäre der Vaterländischen Front und der mit dieser verbunden gewesenen Interessenvertretungen sowie die Mitglieder der quasi-parlamentarischen Körperschaften ( R äte auf Bundesebene , Landtage ). Allerdings berücksichtigt diese Definition nur unzureichend die wirtschaftliche , wissenschaftliche oder kulturelle Elite. Die Entwicklung der Eliterekrutierung im politischen Katholizismus Der politische Katholizismus ist ab 1848 in Österreich und Deutschland in jeweils unterschiedlicher Geschwindigkeit und Ausformung entstanden , jedoch in vielfacher Hinsicht parallel. Eng verbunden ist er mit dem Verbandskatholizismus , der für die jeweiligen Parteien ( Katholische Konservative bzw. Christlichsoziale sowie das Zentrum ) quasi die Mitgliederorganisation und das Scharnier zu den Wählern darstellte. Aus diesen Verbänden rekrutierten sich dann auch die Mandatare und andere politische Funktionsträger. Ein wichtiges Element der Funktionselite allgemein , aber besonders auch im „Ständestaat“ ist aufgrund ihrer Ausbildung fraglos die akademische Elite. Diese besaß genuin der politische Katholizismus anfänglich kaum. Daher waren zuerst sowohl der katholische Adel als Herkunftselite sowie der akademisch gebildete Klerus führende Repräsentanten dieser Bewegung , die dann im Lauf der Zeit in den Hintergrund traten.
11 Dazu Hartmann M. ( 2007 ), 85. Ergänzt durch nähere Klassifizierungen des Verfassers. 12 Stammer , Otto ( 1951 ) : Das Eliteproblem in der Demokratie. In : Schmollers Jahrbuch für Gesetzgebung , Verwaltung und Volkswirtschaft Jg. 71 ( 1951 ), 1. 13 Weege , Wilhelm ( 1992 ) : Politische Klasse , Elite , Establishment , Führungsgruppen. Ein Überblick über die politik- und sozialwissenschaftliche Diskussion. In : Leif , Thomas / Legrand , HansJosef / K lein , Ansgar ( Hg. ) : Die politische Klasse in Deutschland. Eliten auf dem Prüfstand , Bonn , 35–64 : 42.
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Zusammenfassend kann man festhalten , dass es in der ersten Phase des politischen Katholizismus im deutschsprachigen Raum drei signifikante Elitegruppen gab , die eine gewisse strukturelle Homogenität aufwiesen – auch wenn sie jeweils von unterschied licher Art war : 1. der Klerus ,14 2. der katholische Adel ( Herkunftselite ),15 3. in der Folge die akademische Elite , herausgebildet in der Hauptsache in und durch katholische Studentenkorporationen ( Bundelite ) und in der Regel keiner der beiden erstgenannten Elitegruppen zugehörig.16 Die Rolle des katholischen Adels Der Adel als Herkunftselite verlor bereits 1907 bei der Einführung des allgemeinen Wahl rechts wesentlich an politischer Bedeutung. So waren nach der Reichsratswahl 1911 lediglich 13 der 516 Mitglieder des Abgeordnetenhauses Adlige. Das waren 2,5 Prozent.17 Mit dem Ende der Monarchie war die politische Bedeutung des Adels praktisch zu Ende. Es überrascht daher nicht , dass von den insgesamt 520 Personen , die dem National- und Bundesrat der Ersten Republik bis 1934 angehörten , nur vier Adlige waren , das sind 0,7 Prozent.18 Der Adel verhielt sich nach 1918 – was nicht wundert – gegenüber Republik und Demokratie kritisch bzw. distanziert und war weitgehend legitimistisch eingestellt. Die größte organisatorische Gruppe innerhalb des Adels war damals die „Vereinigung katholischer Edelleute Österreichs“, deren Präsident in der Transformationsphase 1933 / 34 der ehemalige k. u. k. Generaloberst und frühere Vizepräsident des Herrenhauses , Alois 14 Auch wenn der katholische Klerus nach soziologischen Kriterien streng genommen keine Bund elite darstellt – wenn man einmal von den Besonderheiten der Orden absieht – , so trägt er , zumindest in der Epoche vor dem II. Vatikanum , viele Züge einer solchen. Dazu zählen u. a. seine gelobte Lebensform ( Z ölibat ), die auf den Papst ausgerichtete und mit einem Gehorsamseid abgesicherte hie rarchische Struktur sowie der religionssoziologische Status eines „heiligen Standes“. Er verschwand als politische Elite durch den Beschluss der Österreichischen Bischofskonferenz vom 30. November 1933 über den Rückzug der Priester aus der Politik. Dazu siehe Hartmann , Gerhard ( 1984 ) : Priester und Politik als Thema der kirchlichen Zeitgeschichte. In : Liebmann , Maximilian / Binder , Dieter A. ( Hg. ) : Festgabe des Hauses Styria. Hanns Sassmann zum 60. Geburtstag , Graz , 99–106. 15 Als Adlige werden in diesem Beitrag alle ab dem Freiherrn ( Baron ) aufwärts verstanden. Weitere Differenzierungen , etwa in Dienst- oder Briefadel , haben vor allem in der politischen Einstellung des Adels nach 1918 keine wesentliche Bedeutung mehr. 16 Der CV als Elite findet sich als Forschungsthema u. a. bei Scheiber , Claudia ( 1992 ) : Der ÖCV als Beispiel einer politischen Elite. Unter besonderer Berücksichtigung der Ministerialbürokratie , Dipl.Arb. , Innsbruck. 17 Kollationiert nach Freund , Fritz ( 1911 ) : Das österreichische Abgeordnetenhaus. Ein biographisch-statistisches Handbuch. XII. Legislaturperiode 1911–1917 , Wien. Auffallend dabei ist eine Überproportionalität des polnischen Adels ( G alizien ), so dass für das Gebiet des heutigen Österreich der vergleichbare Prozentsatz noch niedriger war. 18 Kollationiert nach Parlamentsdirektion ( Hg. ) ( 1993 ) : Biographisches Handbuch der Österreichischen Parlamentarier 1918–1993 , Wien.
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Fürst Schönburg-Hartenstein , war. Vom 21. September 1933 bis 10. Juli 1934 war er zuerst Staatssekretär , dann Bundesminister für Landesverteidigung.19 Ideell standen die Legitimisten bzw. der Adel dem politischen Konzept des „Ständestaates“ sehr nahe. Nach dem Programm des „Eisernen Rings“, der überparteilichen Zusammenfassung der legitimistischen Organisationen Österreichs – darunter auch die „Vereinigung katholischer Edelleute“ – , wurde bereits spätestens 1932 gefordert : „Erlassung einer Verfassung , die auf dem Ständeprinzip beruht und die einen autoritären , sozial gerechten Rechtsstaat auf christlich-deutscher Grundlage sichert.“20 Es überrascht daher nicht , dass es im „Ständestaat“ eine gewisse Renaissance der Herkunftselite bzw. des Adels gab.21 Deutlich wird das quantitativ , da von den 213 Mitgliedern der ständestaatlichen Räte auf Bundesebene zehn Adlige waren , das sind 4,6 Prozent , also deutlich mehr als im letzten Abgeordnetenhaus der Monarchie von 1911.22 Es wundert daher nicht , dass Rudolf Graf Hoyos-Sprinzenstein zum Präsidenten des ständestaatlichen Staatsrates bestimmt wurde , womit er gleichzeitig auch die protokollarische Spitzenposition eines Präsidenten des Bundestages bzw. der Bundesversammlung bekleidete. Der Bedeutungszuwachs des Adels im „Ständestaat“ weist zwar eine gewisse Signifikanz auf , darf aber auch nicht überbewertet werden. Für Engelbert Dollfuß und Kurt Schuschnigg war die Unterstützung dieser Gruppe zwar hilfreich , jedoch letztlich nicht entscheidend.23 Die katholisch-akademische Elite Ab 1900 machte sich zunehmend eine eigenständige akademische Elite bemerkbar , die langsam in Führungspositionen der Christlichsozialen Partei hineinkam. Sie rekrutierte sich anfänglich in der Hauptsache aus den Verbindungen des CV24 , später dann in
19 Im Dezember 1933 wurde Schönburg-Hartenstein Ehrenmitglied der CV-Verbindung Danubia , sodass dadurch eine Vernetzung zwischen den beiden wichtigen Elitegruppen des „Ständestaates“ entstand. 20 Zitiert in Arbeitsgemeinschaft österreichischer Vereine ( Hg. ) ( 1932 ) : Gedächtnis-Jahrbuch 1933 , dem Andenken an Karl von Österreich , Kaiser und König , gewidmet. Herbstdoppelnummer 1932 , Wien , 115. Diese Herbstdoppelnummer ist im September 1932 erschienen ( Redaktionsschluss 15. 8. 1932 ). Das zitierte Programm des „Eisernen Rings“ wurde im Jahrbuch 1932 ( noch ) nicht abgedruckt. Möglicherweise stammt es daher aus der Zeitperiode 1931 / 32. 21 Der Adel war relativ stark in der Heinwehrbewegung präsent. 22 Kollationiert nach Enderle-Burcel , Gertrude ( 1991 ) : Christlich – Ständisch – Autoritär. Mandatare im Ständestaat 1934–1938. Biographisches Handbuch der Mitglieder des Staatsrates , Bundeskulturrates , Bundeswirtschaftsrates und Länderrates sowie des Bundestages , Wien. Dieses biografische Lexikon ist eine wichtige Grundlage für die Erforschung der Eliten im „Ständestaat“. 23 Anmerkenswert erscheint in diesem Zusammenhang aber , dass Emanuel Frhr. von Stillfried Kommandant des Anhaltelagers Wöllersdorf war und sich deswegen auch im ersten Österreichertransport nach Dachau befand. Siehe dazu Neugebauer , Wolfgang / S chwarz , Peter ( 2008 ) : Stacheldraht , mit Tod geladen … Der erste Österreichertransport in das KZ Dachau 1938 , Wien , 30. 24 Hartmann , Gerhard ( 2006 ) : Für Gott und Vaterland. Geschichte und Wirken des CV in Österreich , Kevelaer ; ders. ( 2011 a ) : Der CV in Österreich. Seine Entstehung-seine Geschichte-seine Bedeutung [ Schriftenreihe der Bildungsakademie des ÖCV ] , Kevelaer , 4. erg. und überarb. Aufl.
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geringerer Zahl auch aus denen des katholischen Mittelschülerkartellverbands MKV25 und des KV26 sowie auch aus anderen spezifischen Gruppierungen des katholischen Milieus , wie etwa aus den von den Jesuiten geleiteten Marianischen Kongregationen ( Akademia maior ), aber auch aus der bäuerlichen Funktionärselite. Nach dem Ersten Weltkrieg entstanden die monarchistisch orientierten Katholischen Landsmannschaften als Studentenverbindungen , die somit zur o. g. Herkunftselite in Beziehung standen.27 Die katholischen Verbindungen haben zwar mit den anderen Korporationstypen sehr viele äußerliche Gemeinsamkeiten ( etwa die spezifischen Rituale des sogenannten Komments ), sind jedoch diesen inhaltlich-ideologisch völlig entgegengesetzt. Sie haben auch eine gewisse innere Distanz zu diesen Ritualen insofern , weil diese für sie lediglich Mittel zum Zweck waren. Um als katholische Verbindungen im Universitätsbetrieb des 19. Jahrhunderts überhaupt wahrgenommen und damit ihrem „Sendungsauftrag“ gerecht zu werden , mussten sie sich als Korporationen organisieren.28 Da sie auch stark mit der chistlichsozialen Strömung des politischen Katholizismus verbunden waren und sind , gehören sie auch nicht zu jenem Typus des Verbindungsstudenten , wie ihn Heinrich Mann in seinem Roman „Der Untertan“ treffend charakterisierte.29 Ein besonderer Förderer dieses Rekrutierungsprozesses war der als „Generalstabschef “ der Christlichsozialen Partei titulierte Albert Geßmann , der dann 1908 für einige Zeit auch k. k. Minister war.30 Insbesondere wirkte sich dieser Prozess auf vielfältige Weise in der autonomen Landesverwaltung Niederösterreichs und in der Gemeindeverwaltung Wiens aus , wo die Christlichsozialen vor 1918 stark dominierten. Diese Entwicklung setzte sich nach 1918 bzw. 1920 fort , als sie im Bund und in sieben der neun Bundesländer die führende Rolle einnahmen. Nun muss man noch Folgendes berücksichtigen : Der CV verstand sich nicht nur als einer der zahlreichen katholischen Standesvereine im Vorfeld oder als Organisationsbasis der Christlichsozialen , also neben den Bauern , christlichen Arbeitern , Gesellen , Beamten , Lehrern etc. , sondern in dieser seiner Elitefunktion als intermediäre Struktur bzw. Bindeglied. Ein signifikantes , relativ frühes Beispiel dafür war u. a. die freundschaftliche Versöhnung zwischen den Exponenten der damals rivalisierenden 25 Obermüller , Heinrich ( 2000 und 2003 ) : Aufbruch und Untergang. Katholische Verbindungen an mittleren und höheren Schulen in Österreich und den Nachfolgestaaten der Monarchie. Von 1918 bis 1945 , zwei Teile [ Tradition und Zukunft. Beiträge zur Geschichte und Gegenwart des höheren Bildungswesens , unter besonderer Berücksichtigung der studentischen Vereinigungen ] , Wien. 26 Binder , Dieter A. ( 1989 ) : Politischer Katholizismus und Katholisches Verbandswesen. Am Beispiel des Kartellverbandes der Katholischen nichtfarbentragenden Studentenverbindungen Österreichs ( ÖKV ) [ Revocatio historiae ] , Schernfeld. 27 Dazu siehe Plaschko , Karl / Wirth , Gottfried ( 1978 ) : Beiträge zur Geschichte des Bundes der katholisch-österreichischen Landsmannschaften und seiner Korporationen bis 1938. In : Österreichischer Verein für Studentengeschichte ( Hg. ) : Die Vorträge der Dritten Österreichischen Studentenhis torikertagung Wien 1978 [ Beiträge zur Österreichischen Studentengeschichte ] , Wien , 47–70. 28 Siehe dazu Hartmann G. ( 2006 ), 26 und 51. Auf diesen Umstand geht z. B. Kurth ( 2004 ) gar nicht ein. 29 Und wie er mit recht von Kurth ( 2004 ) auch kritisch beurteilt wird. 30 Dazu siehe Boyer , John W. ( 2010 ) : Karl Lueger ( 1844–1910 ). Christlichsoziale Politik als Beruf. Eine Biographie [ Studien zu Politik und Verwaltung ] , Wien , 298 und 323.
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und noch nicht vereinigten Christlichsozialen und Katholisch-Konservativen , Karl Lueger und Alfred Ebenhoch , auf einem CV-Kommers anlässlich eines Katholikentags im November 1894.31 Dieser Prozess , nämlich das langsame Hineinrücken oder „Hineinsickern“ der katholisch-akademischen Elite in jene Funktionselite , die von den Christlichsozialen gestellt wurde , setzte sich in der Ersten Republik fort. Dabei ist Folgendes zu beachten : In Österreich herrschte bis weit nach 1945 ein josefinisch geprägtes Beamtenethos , das – bedingt durch die Tatsache eines katholischen Landes – auch auf den Römerbrief 13,1 f. ( „Jedermann sei der obrigkeitlichen Gewalt untertan“ ) rekurrierte. Das heißt , der Beamte war in Österreich gegenüber der jeweiligen Regierung grundsätzlich loyal. Insofern kam man 1918 nicht im Mindesten auf die Idee , im Beamtenapparat Auswechslungen vorzunehmen. Ebenso hielt sich das 1933 / 34 vergleichsweise in Grenzen. Im Gegensatz dazu standen dann die diesbezüglichen Brüche 1938 und wiederum 1945. Aus diesem Grund konnte auch eine gezielte Ämterpatronage nur bei einem natürlichen Personalabgang vorgenommen werden. Durch die restriktive Budgetpolitik in den Jahren bis 1938 , bedingt durch die Wirtschaftskrisen , war auch die Schaffung neuer akademischer Positionen nur in sehr bescheidenem Umfang möglich. Auch muss man noch bedenken , dass die Studentenzahlen in Österreich bis in das Studienjahr 1958 / 59 hinein nicht bzw. kaum über 20.000 reichten. Sie lagen z. B. 1936 / 37 bei 18.28832 und 1958 / 59 noch bei 20.242 ; erst in den Sechzigerjahren begannen diese sich steil nach oben zu entwickeln. Dementsprechend sah daher in der Epoche des „Ständestaates“ die Akademikerquote , gemessen an der Bevölkerungszahl , aus. Studenten und Akademiker waren damals bzw. bis zu Beginn des letzten Drittels des 20. Jahrhunderts hinein eo ipso , d. h. quantitativ , eine Elite. Bei Studentenzahlen zu Beginn des zweiten Jahrzehnts des 21. Jahrhunderts , die in Österreich bereits 300.000 überschritten haben , und daraus resultierend auch bei einer wesentlich höheren Akademikerquote stellt sich der Elitestatus für diese Gruppen anders dar. Die Tatsache , dass bis 1933 / 34 in den Führungspositionen der Christlichsozialen Partei sowie in der Hochbürokratie ein eigenständiges ( k atholisches ) akademisches Elitepotenzial herangewachsen ist , war also das Ergebnis eines fast 40-jährigen Prozesses. Für die Umbruchsjahre 1933 / 34 kann man nun durchaus feststellen , dass trotz verschiedener Abstriche und Ausnahmen , die wieder anderwärts ausgeglichen wurden , die bisherigen Eliten des politischen Katholizismus im Großen und Ganzen auch das neue Sys tem getragen haben.33 Ein klassischer Vertreter der personellen Kontinuität zwischen politischem Katholizismus und „Ständestaat“ war z. B. Richard Schmitz. Er saß als Direktor des Katho31 Funder , Friedrich ( 1933 ) : Das weiß-blau-goldene Band. „Norica“: Fünfzig Jahre Wiener katholischen Studententums , Innsbruck , 65 ; Hartmann G. ( 2006 ), 100. 32 In den Jahren davor lagen sie über 20.000 , aber durch die sogenannte „1000-Mark-Sperre“ fielen die reichsdeutschen Studenten weg. 33 Siehe dazu Hartmann G. ( 2006 ), 385 , sowie auch Hanisch , Ernst ( 1988 ) : Der Politische Katholizismus als ideologischer Träger des „Austrofaschismus“. In : Tálos , Emmerich / Neugebauer , Wolfgang ( Hg. ) : „Austrofaschismus“. Beiträge über Politik , Ökonomie und Kultur 1934–1938 , 4. erw. Aufl. , Wien , 53–73.
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lischen Volksbundes seit 1911 an einer organisatorischen Schaltstelle der katholischen Bewegung , war nach 1920 mit Unterbrechungen mehrmals Minister sowie kurz Vizekanzler und wurde 1934 auf den wichtigen Posten eines Wiener Bürgermeisters gesetzt.34 Oder Friedrich Funder : Er war schon ab 1902 Chefredakteur der „Reichspost“, des inoffiziellen Organs der Christlichsozialen , und in dieser Funktion zweifelsohne sehr einflussreich. Er blieb das auch nach 1933 / 34 und wurde Mitglied des Staatsrates.35 Beide waren übrigens Angehörige der CV-Verbindung Norica. Signifikante Beispiele zur akademischen Elite im „Ständestaat“ Schlaglichtartig werden einige signifikante Beispiele der akademischen Elite im Ständestaat angeführt. Eine elitäre Funktion , die nicht einer formellen Funktionselite zuzuordnen ist , besaß zweifelsohne Johannes Hollnsteiner , ein Angehöriger des Chorherrenstiftes von St. Florian. Er habilitierte sich zuerst für Kirchengeschichte , wurde aber mangels Alternativen , nicht zuletzt auf Fürsprache Kurt Schuschniggs , in Wien Professor für Kirchenrecht. Aufgrund seines Lebenslaufs mit Brüchen geriet er nach 1945 völlig in Vergessenheit , wurde aber von Friedrich Heer nach 1945 als „Chefideologe des Ständestaates“ und auch als Beichtvater Schuschniggs bezeichnet. Hollnsteiner war eine schillernde Figur , stand in einem besonderen Vertrauensverhältnis zu Schuschnigg und verkehrte im Salon der femme fatale Alma Mahler-Werfel , wo sich die Crème de la Crème des „Ständestaates“ traf. Der Einfluss Hollnsteiners ist nicht zu unterschätzen. Zum einen war er einer der Erfinder und Propagandisten der spezifisch österreichischen Idee bzw. Sendung als Antithese zum Nationalsozialismus , die quasi zu einer Staatsideologie des „Ständestaates“ wurde. Zum anderen wurde er von Schuschnigg für Hintergrundaufgaben eingesetzt. So war er z. B. 1936 maßgeblich an der Entfernung Felix Weingartners als Staatsoperndirektor beteiligt ( dessen Nachfolger war Bruno Walter ). Im Auftrag Schuschniggs traf er sich 1936 auch mit Thomas Mann , um ihm die österreichische Staatsbürgerschaft bzw. das Exil in Österreich anzubieten. Hollnsteiner war Mitglied der CV-Verbindung Norica , als Student ein halbes Jahr lang stv. Vorsitzender der Deutschen Studentenschaft ( DSt ) der Universität Wien ( etwa vergleichbar mit der heutigen Universitätsvertretung ). 1937 / 38 war er Dekan der Wiener Theologischen Fakultät , wurde im Zuge des Anschlusses verhaftet und war dann ein Jahr in Dachau. Der dortige KZ-Aufenthalt war für ihn eine schwere psychische Belas tung , sodass er 1941 aus dem Orden und dem Priesterstand austrat und danach eine Opernsängerin aus der deutschen Verlegerfamilie Schöningh heiratete. Nach dem Krieg umgab ihn nicht zuletzt auch deswegen eine damnatio memoriae.36 34 Hartmann , Gerhard ( 2011 b ) : Richard Schmitz : Der Beginn einer Karriere im Politischen Katholizismus Österreichs. In : Wohnout , Helmut ( Hg. ) : Demokratie und Geschichte. Jahrbuch des Karlvon-Vogelsang-Instituts zur Erforschung der Geschichte der christlichen Demokratie in Österreich , Jahrgang 13 / 1 4 ( 2009 /2010 ), Wien , 71–90. 35 Zu Funder siehe Pfarrhofer , Hedwig ( 1978 ) : Friedrich Funder. Ein Mann zwischen Gestern und Morgen , Graz. 36 Zu Hollnsteiner ausführlich Buchmayr , Friedrich ( 2003 ) : Der Priester in Almas Salon. Johannes Hollnsteiners Weg von der Elite des Ständestaates zum NS-Bibliothekar , Weitra.
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Bei der Suche nach weiteren Konnexen zwischen Ständestaat und der katholisch-akademischen Elite , besonders dem CV , die in dieser Form noch kaum beachtet wurden , ist vornehmlich das Schul- und Universitätswesen zu berücksichtigen. In autoritär-diktatorischen Systemen ist die Kontrolle darüber von eminenter Bedeutung. In der Zeit von 1934 bis 1938 war Hans Pernter , ebenfalls Angehöriger der Norica , zuerst Staatssekretär ( Schuschnigg war nominell Minister ) und dann ab 1936 als Minister Leiter des Unterrichtsressorts. Sieht man sich die zweite Ebene an , so stellt man fest , dass zwei Spitzenfunktionäre des CV Vizepräsidenten eines Landesschulrates waren , nämlich der vormalige Unterrichtsminister und letzte Obmann ( „Liquidator“ ) der Christlichsozialen Emmerich Czermak37 in Niederösterreich sowie der letzte Obmann der Wiener Christlichsozialen ( 1932 in Nachfolge von Leopold Kunschak ) Robert Krasser38 in Wien. Es gab damals noch keine geschäftsführenden Präsidenten des Landesschulrates in diesen Ländern , sondern nur den Landeshauptmann als Präsidenten und einen Vizepräsidenten , der aber ab 1934 quasi geschäftsführend war. Emmerich Czermak und Robert Krasser unterstanden in personeller wie aufsichtsmäßiger Hinsicht rd. 60 Prozent aller damaligen Gymnasien bzw. Allgemeinbildenden Höheren Schulen Österreichs nach heutigem Verständnis. Auch die Studenten als künftige Elite sind für ein autoritäres Regime von Wichtigkeit. Sachwalter der Österreichischen Hochschülerschaft von 1935 bis 1937 war der spätere Unterrichtsminister Heinrich Drimmel. Er war aber auch gleichzeitig der zuständige Referent für die Hochschulpolitik im CV sowie für ein halbes Jahr auch der Vorsitzende des studentischen Teils des CV ( Vorortspräsident ).39 Bei der Vaterländischen Front ( V F ) war es bemerkenswert , dass im sogenannten Präsidium , dem sieben Personen angehörten , fünf davon CVer waren , darunter auch der Sekretär des CV. Von den neun Landesleitern der VF waren fünf CVer.40 Bei den führenden Mitarbeitern ( Abteilungsleiter , Referenten ) der VF-Zentrale waren mit Stand Anfang 1938 17 von 37 Personen CVer ( 46 Prozent ), darunter der spätere Vizekanzler Fritz Bock als Leiter der Abteilung für allgemeine Werbeangelegenheiten. Offenbar in Anlehnung an den „Großen faschistischen Rat“ in Italien wurde ein Bundesführerrat der VF eingerichtet. Mit Stand Februar 1938 war ein Viertel dieses Gremiums CVer.41 37 Emmerich Czermak war Angehöriger der Wiener CV-Verbindung Nordgau und 1933 Obmann des Österreichischen Altherrenbundes des CV. Zu ihm siehe Hartmann G. ( 2011 a ), 241. 38 Robert Krasser war Angehöriger der Norica sowie vor und nach dem Zweiten Weltkrieg Vorsitzender der Verbandsführung sowie Obmann des Altherrenbundes des CV. Zu ihm siehe Hartmann G. ( 2011 a ), 277. 39 Hartmann , Gerhard ( 2005 ) : Der gar nicht unpolitische Heinrich Drimmel , bevor er Politiker wurde. In : Wohnout , Helmut ( Hg. ) : Demokratie und Geschichte. Jb. des Karl-von-Vogelsang-Instituts zur Erforschung der Geschichte der christlichen Demokratie in Österreich , Jg. 9 / 10 ( 2005 / 06 ), Wien , 79–96. 40 Nach Österreichischer Amts-Kalender für das Jahr 1935 , 14 Jg. ( 1935 ) ; 70. Jg. des Niederösterreichischen Amts-Kalenders ; 58. Jg. des Hof- und Staatshandbuches. Zusammengestellt mit Benützung amtlicher Quellen , Wien , 110. Der Sekretär des CV war Theodor Lissy. Die fünf Landesleiter , die dem CV angehörten , waren : Hans Sylvester ( Burgenland ), Engelbert Dworak ( Niederösterreich ), Heinrich Gleißner ( Oberösterreich ), Alfons Gorbach ( Steiermark ) und Ernst Fischer ( Tirol ). 41 Nach Kriechbaumer , Robert ( 2005 ) : Österreich ! und Front Heil ! Aus den Akten des Generalsekretariats der Vaterländischen Front. Innenansichten eines Regimes [ S chriftenreihe des Forschungsinstituts für Historische Studien der Dr.-Wilfried-Haslauer-Bibliothek ] , Wien , 107 und 110.
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Deutlich wird die Dominanz der im CV organisierten katholisch-akademischen Elite bei der personellen Analyse der Bundesregierung. Ihr gehörten zwischen dem 1. Mai 1934 und dem 11. März 1938 ( Regierungen Dollfuß II bis Schuschnigg IV ) 33 Personen an ( Bundeskanzler , Vizekanzler , Bundesminister ). Von diesen waren 14 CVer , das sind 42,4 Prozent. Wenn man allerdings jene neun Minister richtigerweise unberücksichtigt lässt , die von der Heimwehr bzw. dem Landbund nominiert wurden oder dem national( sozialistisch )en Lager nahestanden , dann sind 24 Regierungsmitglieder Ausgangspunkt der Berechnungsbasis , sodass der CV-Anteil dann bei 58,3 Prozent lag. Das mag im ersten Augenblick hoch erscheinen , aber von 1920 bis 1933 betrug der CV-Anteil an den von den Christlichsozialen gestellten Regierungsmitgliedern 55,6 Prozent , von 1945 bis 1970 war der betreffende Anteil an den ÖVP-Ministern 52,5 Prozent. Trotz der Transformationen der Jahre 1933 / 34 , 1938 und 1945 herrschte also diesbezüglich eine ziemliche Kontinuität.42 Ähnlich sah es in den Ländern aus. Nimmt man die Mitglieder des Länderrates ( L andeshauptleute und Finanzlandesräte ), die wohl die Spitzen der Landesverwaltung bildeten , zum Maßstab , so waren Anfang 1938 von diesen 18 Mitgliedern 14 Angehörige des CV ( 7 7,8 Prozent ). Wichtige Schaltstellen in einem diktatorischen System sind auch die Leitung des bzw. die Aufsicht über das Personalwesen sowie vor allem die Staatspolizei. Im „Ständestaat“ gab es im Bundeskanzleramt den Bundeskommissär für Personalangelegenheiten im Rang eines Sektionschefs. Das staatspolizeiliche Büro der Generaldirektion für Öffentliche Sicherheit unterstand damals ebenfalls dem Bundeskanzleramt. Nach dem Stand des Amtskalenders 1935 umfassten die Personalsektion sowie das staatspolizeiliche Büro zusammen 22 Beamte der Verwendungsgruppe A ( A kademiker ).43 Davon gehörten mindestens neun der katholisch-akademischen Elite ( CV , KV ) an , darunter auch der Bundeskommissar ( Sektionschef ) Josef Arbogast Fleisch. Das sind 40 Prozent. Auffallend dabei ist auch , dass diese neun – abgesehen vom Sektionschef – meist zu den rangmäßig jüngeren Beamten gehörten , was das vorhin genannte langsame Hineinrücken bestätigt. Von diesen neun wurden nach 1945 mindestens drei Sektionschefs. Einer von der Staatspolizei ( Maximilian Pammer ) gehörte 1938 dem ersten Transport nach Dachau an , auf einen anderen ( Johann Thanhofer ) wurde 1935 ein Sprengstoffattentat verübt , so dass ihm ein Bein amputiert werden musste.44 Ein weiterer war Funktionär im CV. Einer war auch Adliger , gehörte also auch der Herkunftselite an. Die nicht-akademische katholische Elite Als Systemerhalter des „Ständestaates“ war zwar die katholisch-akademische Elite wohl das wichtigste Element , jedoch aufgrund der erwähnten begrenzten Quantität nicht ausreichend. Als nichtakademische Elite waren sicherlich die bäuerlichen Standesfunktionäre wichtig , sofern sie nicht dem nationalen Lager ( z . B. Landbund ) angehörten. Für den politischen Katholizismus vor 1933 / 34 war das bäuerliche Element von wesentlicher 42 Hartmann G. ( 2006 ), 687. 43 Österreichischer Amts-Kalender für das Jahr 1935 , 38 und 40. 44 Botz , Gerhard ( 1983 ) : Gewalt in der Politik. Attentate , Zusammenstöße , Putschversuche , Unruhen in Österreich 1918 bis 1934 , München , 2. Aufl. , 375.
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II. Das kathol ische Milieu
Bedeutung. Beispielhaft sei die wohl signifikanteste Persönlichkeit dieses Bereiches genannt : der aus dem Tullnerfeld stammende Josef Reither. Er hatte sowohl vor 1933 / 34 , dann im „Ständestaat“, als dann auch nach 1945 hohe politische Ämter inne ( L andeshauptmann von Niederösterreich , Bundesminister ). Ebenfalls aus dem Tullnerfeld stammte Leopold Figl , der bereits im „Ständestaat“ die wichtige Funktion eines Reichsbauernbunddirektors bekleidete und als Angehöriger der CV-Verbindung Norica ein Bindeglied zwischen der katholisch-akademischen und bäuerlichen Elite darstellte. Die katholisch orientierte Bauernschaft war sicher eine der wichtigsten Stützen des „Ständestaates“, auch wenn dann im weiteren Verlauf bis 1938 Erosionen in Richtung Nationalsozialismus nicht in Abrede gestellt werden können. Ihre Bedeutung wird auch dadurch manifest , dass damals fast an die 40 Prozent der berufstätigen Bevölkerung Österreichs in der Landwirtschaft tätig war.45 Dieser aus heutiger Sicht hohe Anteil – gegenwärtig sind es nur mehr fünf Prozent – kann mit Vorbehalt ein Ansatzpunkt für den Rückhalt des „Ständestaates“ in der Bevölkerung sein.46 Nicht unwesentlich als Stütze des „Ständestaates“ waren die sich auch mittelständisch-urban rekrutierenden zahlreichen katholischen Verbände und deren Spitzenfunktionäre. Nach einer Untersuchung hat es in den Jahren 1932 / 34 in Österreich 219 katholische Vereinigungen der verschiedensten Art gegeben.47 Darunter befanden sich viele Dachorganisationen oder große Verbände mit entsprechenden regionalen Unterverbänden , die durchaus oft autonom agierten. Der größte Verband war der „Volksbund der Katholiken Österreichs“, der mehr als 100.000 MitgliederN aufwies ( a ls Einzel- und Familienmitglieder ). Der bereits erwähnte Richard Schmitz war dort eine Schlüsselfigur. Zweifelsohne war der Volksbund ein wichtiges Element des Politischen Katholizismus.48 Im Bereich Jugend ist beispielhaft der „Reichsbund der katholischen deutschen Jugend Österreich“49 mit über 50.000 Mitglieder zu nennen und bei den Frauen die „Katholische Reichs-Frauenorganisation“, die als Dachverband etwa 250.000 Mitglieder repräsentierte. Nicht unwichtig war die 1930 gegründete „Katholische Akademikerschaft Österreichs“, die nichtkorporierte Akademiker anzusprechen versuchte , obwohl deren Führung vom CV dominiert wurde. Erster Vorsitzender bis 1934 war der KatholischNationale , später Bundesminister und dann deutscher Wehrmachts-General , Edmund 45 Die Welt in Maß und Zahl. Geographie ( 1932 ). Wirtschaft , Staats- und Kirchenkunde aller Erdteile und Länder. Statistische Beilage zu Herders Welt- und Wirtschaftsatlas , Freiburg / Br. , 33. Im Deutschen Reich lag zum Vergleich dieser Anteil damals knapp über 30 Prozent. 46 Von diesen 40 Prozent war mehr als die Hälfte selbstständig ( vor allem Bauern ). Obwohl es keine weiteren objektiven Erkenntnisse gibt , könnte man durchaus zu der Einschätzung gelangen , dass wiederum von diesen etwa die Hälfte bis zum Schluss hinter dem „Ständestaat“ stand. 47 Klostermann , Ferdinand ( 1967 ) : Das organisierte Apostolat der Laien und die Katholische Aktion. In : Klostermann , Ferdinand / K riegl , Hans / Mauer , Otto / Weinzierl , Erika ( Hg. ) : Kirche in Österreich. 1918–1965 , 2. Bd. , Wien , 68–137 :102. Klostermann übernimmt dabei teilweise die Daten von Hudal , Alois ( 1931 ) : Der Katholizismus in Österreich. Sein Wirken , Kämpfen und Hoffen. In : ders. ( Hg. ) : Der Katholizismus in Österreich. Sein Wirken , Kämpfen und Hoffen , Innsbruck , 11–26. 48 Einen Überblick über den Volksbund findet man in Hartmann , Gerhard ( 2011 b ), 81. 49 Über den Reichsbund die nach wie vor wichtigste Studie Schultes , Gerhard ( 1967 ) : Der Reichsbund der katholischen deutschen Jugend Österreichs. Entstehung und Geschichte [ Veröffentlichungen des Kirchenhistorischen Instituts der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien ] , Wien.
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Glaise-Horstenau , ab 1934 war es Ferdinand Graf Degenfeld-Schönburg , Professor für Nationalökonomie an der Wiener Universität , ab 1936 der bereits erwähnte Johannes Hollnsteiner.50 In diesem Zusammenhang ist auch die bündisch-katholische Jugendbewegung Neuland zu erwähnen. Sie war zwar zahlenmäßig nicht sehr groß , hatte jedoch wirkungsgeschichtliche Bedeutung. Zum einen beeinflusste sie ideenmäßig stark die Katholische Aktion nach 1945 , zum anderen wurde sie aufgrund des bei ihr herrschenden charismatischen Führergedankens u. Ä. stark für den Nationalsozialismus anfällig. Als Beispiel sei nur die führende Persönlichkeit Neulands vor 1938 , Anton Böhm , genannt , der illegaler Nationalsozialist war.51 Aufgrund der eingangs erwähnten Kriterien können die führenden Persönlichkeiten von Neuland , sofern sie Nationalsozialisten waren , nur sehr bedingt zur Elite des „Ständestaates“ zählen , weil sie ihn letztlich zu transzendieren versuchten. Einen Sonderfall stellt die Katholische Aktion ( K A ) dar. Diese wurde 1927 vorerst noch als „Arbeitsprinzip“ ( L aienapostolat in Unterordnung unter die Bischöfe ) aufbauend auf den bestehenden Vereinen eingeführt , doch wurden ab 1933 eigene Strukturen neben den Verbänden , die man teilweise zu unterdrücken versuchte , errichtet. Da – so die Meinung – mit den Ereignissen der Jahre 1933 / 34 der Parteienstaat zu Ende war , benötigte man für die Auseinandersetzungen mit dem weltanschaulichen Gegner auch nicht mehr den organisierten politischen Katholizismus mit seiner Verbändestruktur , denn dieser habe sich quasi in den neuen „Ständestaat“ transformiert. Die Funktionäre der neuen KA waren daher auch nicht unerheblich dieselben wie im Verbandskatholizismus.52 Für den „Ständestaat“, der sich als christlicher verstand , war es nur recht , wenn seitens der Kirche eine systemkonforme Struktur mit einer identischen Grundrichtung aufgebaut wurde. Insofern war die KA vor 1938 natürlich auch politisch. Nicht zuletzt entsprach das Strukturmodell der KA mit ihrem „Führerprinzip“ eher dem „Ständestaat“ als die nach wie vor demokratisch organisierten Vereine.53 Abschließende Bewertung Für den „Ständestaat“ als solchen war die systemtragende Elite wichtig. Diese deckte sich natürlich weitgehend mit der Funktionselite , hat jedoch eine andere Qualität. Man wird aufgrund der bisherigen Analyse nicht allzu sehr fehlgehen , wenn man den überwiegenden Teil dieser systemtragenden Elite in der obersten Schicht des katholischen Milieus ansiedelt. Für diese war die Transformation der demokratischen Republik bzw. der Christlichsozialen Partei zum ( christlichen ) „Ständestaat“ bzw. zur Vaterländischen 50 In der Abfolge der Vorsitzenden kann man auch erkennen , wie anfänglich das katholisch-nationale Element eine gewisse Bedeutung hatte , danach waren es solche aus dem Bereich der Herkunftsund Bund-Elite , die den „Ständestaat“ unterstützten. 51 Dazu siehe Behal ( 2009 ). 52 So wurde z. B. bei der Installierung der neuen KA-Funktionäre für die Diözese Wien am 27. 2. 1934 Friedrich Funder Leiter der Hauptstelle Männer. Siehe Pfarrhofer ( 1978 ), 155. 53 Dazu ausführlich Liebmann , Maximilian ( 1990 ) : Katholische Aktion und Ständestaat. In : Kaluza , Walter / Köck , Heribert Franz / K lecatsky , Hans R. / Paarhammer , Johannes ( Hg. ) : Pax et Iustitia. Festschrift für Alfred Kostelecky zum 70. Geburtstag , Berlin , 601–622 ; ders. ( 2009 ) : „Heil Hitler“ – Pastoral bedingt. Vom Politischen Katholizismus zum Pastoralkatholizismus , Wien.
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Front kein nennenswerter Bruch. Sie lag vielleicht sogar im Trend der Zeit mit einer weitverbreiteten Distanz zum Parlamentarismus und auch mit besonderen innerkirchlichen Entwicklungen , etwa dem Auftreten der vorhin erwähnten Katholischen Aktion ( K A ). Mit der Selbstverständlichkeit , mit der sich diese oberste Schicht des katholischen Milieus mit der Christlichsozialen Partei identifizierte , tat sie das daher weitgehend auch mit dem „Ständestaat“. Die Ereignisse des Februars sowie vor allem dann des Juli 1934 verstärkten dies. Natürlich gab es keine Uniformität oder sklavischen Gleichklang. Das sieht man auch in manchen Brüchen des Jahres 1934 im politischen Personal. Als Beispiel seien nur die oberösterreichischen Politiker Josef Schlegel und Josef Aigner genannt , die 1934 ins politische Abseits gedrängt wurden.54 Die besondere Affinität der Angehörigen des CV , MKV , KV u. Ä. zum „Ständestaat“ und dessen Führungspersonal , insbesondere zu Engelbert Dollfuß , lag auch und vor allem in der Konfrontation mit dem Nationalsozialismus bzw. mit dem nationalsozialistischen Deutschland begründet. Die Attentatsserie der Nazis im späten Frühjahr 1933 in Österreich und die Aktionen des bereits gleichgeschalteten deutschen CV vor allem gegen Dollfuß55 erzeugten im engeren katholischen Milieu einen enormen Solidaritätsschub für ihn und in der Folge für das neue „System“. Verbunden war das mit einer Selbstreinigung , d. h. einer Ausschlussaktion gegen illegale Nazis im CV und in anderen katholischen Verbänden. Der Dollfuß-Biograf Gordon ( Brook-)Sheperd schreibt : „Für ihn [ gemeint Dollfuß , Anm. d. Verf. ] war der CV nicht nur eine Quelle der persönlichen Beruhigung und der geistigen Stärkung , er war für ihn auch eine Art Prätorianergarde.“56 Die Gegnerschaft zum Nationalsozialismus führte dann dazu , dass im Zuge des Anschlusses im März 1938 eine nicht unerhebliche Zahl von Angehörigen dieser systemtragenden Elite verhaftet , von ihrem Posten vertrieben , ins KZ gesteckt u. Ä. wurde.57 Das hatte aber wiederum zur Folge , dass von dieser Seite her nach 1945 eine NS-unbelastete Funktionselite für den Wiederaufbau Österreichs zur Verfügung stand. Die zahlenmäßig nicht unbedeutende akademische Elite , die sich aus den schlagenden Verbindungen rekrutierte , war hingegen in der Regel NS-belastet. Die in der Sozialdemokratie dominante jüdisch-akademische Elite war kaum mehr vorhanden. Auch wenn die Elite der Jahre 1933 / 34 bis 1938 in ein autoritäres Regime involviert war , wurde dieser Umstand durch die strikte NS-Gegnerschaft bzw. die daraus resultierenden Verfolgungen „de facto [ … ] getilgt“58. Desiderate für den Bereich Eliten im „Ständestaat“ sind einmal die Weiterführung und Intensivierung der Zuordnung der Angehörigen seiner Funktionselite , insbesondere der akademischen Elite , zu den genannten homogen strukturierten Gruppen , vor 54 Schlegel war Mitglied der CV-Verbindung Norica , Aigner Mitglied der Carolina , Graz. 55 Dazu siehe Hartmann G. ( 2006 ), 362. Dollfuß wurde seitens der gleichgeschalteten CV-Führung in München aus dem CV ausgeschlossen. 56 Sheperd , Gordon ( 1961 ) : Engelbert Dollfuß , Graz , 116. 57 Dazu siehe Fritz , Herbert / Handl , Reinhart / K rause , Peter / Taus , Gerhard ( 1988 ) : Farbe tragen , Farbe bekennen. 1938–1945. Katholisch Korporierte in Widerstand und Verfolgung , Wien. Nach ergänzenden Untersuchungen dürfte der Anteil im CV , der eine „negative Erfahrung“ mit dem NaziRegime gemacht hat – von der beruflichen Schikane angefangen bis zur Hinrichtung – bei bis zu 50 Prozent gelegen haben. Siehe dazu Hartmann G. ( 2011 a ), 102. 58 Rathkolb , Oliver ( 2005 ) : Die paradoxe Republik. Österreich 1945 bis 2005 , Wien , 402.
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allem den Korporationsverbänden ( CV ), aber auch dem Adel ( Bund- und Herkunftseliten ). In diesem Zusammenhang ist es vor allem wichtig , dem bei der nichtakademischen katholischen Elite nachzugehen. Denn hier bestehen die größten Lücken. Weiter sind dann diese hinsichtlich der Transformationsepochen ( 1933 / 34 , 1938 und 1945 ) bezüglich Kontinuitäten zu beobachten. Ebenso wichtig ist , der Frage nachzugehen , inwieweit diese Elitegruppen als Organisation sowohl inhaltlich wie personell auf die Politik bzw. die politische Führung des „Ständestaates“ Einfluss genommen haben.59
59 Diesen Fragen wurde bereits in Hartmann G. ( 2006 ) vor allem auf den Seiten 385 bis 419 nachgegangen , sie konnten allerdings nur ansatzweise behandelt werden.
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II. Das kathol ische Milieu
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II. Das kathol ische Milieu Stimmer , Gernot ( 1997 ) : Eliten in Österreich. 1848–1970 , 2 Bände [ Studien zur Politik und Verwaltung ] , Wien. Tönnies , Ferdinand ( 1887 bzw. 1991 Neudruck ) : Gemeinschaft und Gesellschaft , Darmstadt. Tenbruck , Friedrich H. : Freundschaft. Ein Beitrag zu einer Soziologie der persönlichen Beziehung. In : Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie Jg. 16 ( 1964 ), 431–456. Weege , Wilhelm ( 1992 ) : Politische Klasse , Elite , Establishment , Führungsgruppen. Ein Überblick über die politik- und sozialwissenschaftliche Diskussion. In : Leif , Thomas / Legrand , Hans-Josef / K lein , Ansgar ( Hg. ) : Die politische Klasse in Deutschland. Eliten auf dem Prüfstand , Bonn , 35–64.
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III. Wirtschaftsund Interessen politik
Gerhard Senft
Neues vom „Ständestaat“ ? Anmerkungen zur Wirtschaftspolitik im Austrofaschismus Als Gegenstand der wissenschaftlichen Erforschung erweist sich die Wirtschaftspolitik des „Ständestaates“ – so die Selbstbezeichnung des in Österreich von 1934 bis 1938 herrschenden autoritären Regimes – in vielen Bereichen als gut erschlossen. Die mittlerweile vorliegenden Studien liefern ein relativ umfassendes Bild der durch Kapitalmangel und wirtschaftliche Stagnation gekennzeichneten ökonomischen Situation Österreichs in der Zwischenkriegszeit. Mit den bereits in den in den 1920er-Jahren grundangelegten Sanierungserfordernissen des Bankensektors , mit dem Hereinbrechen der Weltwirtschaftskrise Mitte des Jahres 1930 wurde der Restriktionskurs in den Bereichen der Haushaltsführung und der Geld- und Währungspolitik verschärft. Als Reaktion auf die damit verbundenen sozialen Krisenerscheinungen setzte Bundeskanzler Engelbert Dollfuß 1933 / 34 auf die Installierung eines diktatorischen Systems. Nach der Ausschaltung des Parlaments und einem dramatisch verlaufenden Bürgerkrieg kam es in Österreich zu einer verfassungspolitischen Neuordnung im Sinne eines Ständesystems. Doch der Kurs einer falsch verstandenen „Befriedung“ scheiterte bereits an inneren Widersprüchen. Besonders die einseitige Ausrichtung des austrofaschistischen Regimes an finanzpolitischen Erfordernissen und die gewählte Anleihepraxis verschlossen alle Möglichkeiten einer erfolgreichen Krisenbewältigung. Im Rahmen der vorliegenden Darstellung erscheint es sinnvoll , mit einem Überblick über die Literaturzur Wirtschaftspolitik des Ständestaates zu beginnen. Anschließend soll das Wesen der ständestaatlichen Wirtschaftspolitik in seinen Eckpunkten skizziert werden , um zuletzt noch offene Forschungsfelder in diesem Bereich zu umreißen. I. Anmerkungen zum Forschungsstand Mit der autoritären Machtübernahme 1933 , mit der Verkündung einer ständischen Verfassung im Mai 1934 , ging die Ausgestaltung ganz bestimmter wirtschaftspolitischer Muster einher. Als wesentliche Kennzeichen der Wirtschaftspolitik des Austrofaschismus lassen sich anführen :
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III. Wirtschafts- und Interessenpolitik
• restriktive Maßnahmen zur Sanierung des Staatshaushaltes , • restriktive Maßnahmen zur Sicherung des Währungssystems , • Übergang zu einem verstärkten protektionistischen Kurs im Außenhandel. • Insgesamt prozyklische Anpassung an die Krisenerscheinungen , gekoppelt mit massiven Einschränkungen im Bereich der Sozialpolitik und kontraktiven Folgewirkungen in der Realwirtschaft. Im Jahr 1938 unterlag der Ständestaat seinem faschistischen Konkurrenten. Die Machtübernahme des NS-Regimes in Österreich beendete die Ära Dollfuß-Schuschnigg. Nur kurze Zeit später , 1939 , erschien eine von dem Österreicher Erich Hans Wolf im Auslandsexil verfasste Einschätzung der Ereignisse mit dem Titel „Katastrophenwirtschaft – Geburt und Ende Österreichs 1918–1938“.1 Ausgehend von einer an präkeynesianischen Mustern orientierten Position lieferte der Autor eine verheerende Bilanz : Das Vertrauen in die ökonomische Entwicklungsfähigkeit Österreichs sei durch wirtschaftspolitische Fehlentscheidungen drastisch herabgesetzt worden , sodass damit ein wesentlicher Beitrag zum Untergang Österreichs geleistet worden wäre. Im Forschungsbereich wurde an der grundsätzlich kritischen Haltung gegenüber der Wirtschaftspolitik des Austrofaschismus nach dem Zweiten Weltkrieg konsequent festgehalten.2 Anzumerken ist aber , dass die Zahl themenbezogener wissenschaftlicher Arbeiten lange Zeit in einem sehr überschaubaren Bereich blieb. Den Reigen eröffneten in den 1960er-Jahren verschiedene Studien , die sich vor allem mit den Vorbedingungen der Katastrophenjahre der Zwischenkriegszeit in Österreich befassten. Besonders erwähnenswert sind in diesem Zusammenhang die Arbeiten von Grete Klingenstein3 über die „Lausanner Anleihe“ oder von Karl Ausch4 über die Krise des österreichischen Bankensystems. In den ersten Nachkriegsjahren eher als ein Randthema positioniert , rückte in den 1970er-Jahren die Wirtschaftspolitik des Ständestaates zunehmend in den Mittelpunkt des Forschungsinteresses.5 Neben allgemein gehaltenen Darstellungen , in denen die Ära des Austrofaschismus kritisch unter die Lupe genommen wurde ,6 schienen nun verschiedene Einzelstudien auf , die von gezielten Fragestellungen ausgingen. Hervorhebenswert sind hier etwa Isabella Ackerls 7 Abhandlung über den „Phönix-Skandal“ oder 1 Wolf , Erich Hans ( 1939 ) : Katastrophenwirtschaft – Geburt und Ende Österreichs 1918–1938 , Zürich / New York. 2 Vgl. etwa Brusatti , Alois ( 1965 ) : Österreichische Wirtschaftspolitik von Josephinismus zum Ständestaat , Wien , 125–127. Otruba , Gustav ( 1968 ) : Österreichs Wirtschaft im 20. Jahrhundert , Wien / München , 22. 3 Klingenstein , Grete ( 1965 ) : Die Anleihe von Lausanne. Ein Beitrag zur Geschichte der Ersten Republik in den Jahren 1931 bis 1934 , Wien / Graz. 4 Ausch , Karl ( 1968 ) : Als die Banken fielen. Zur Soziologie der politischen Korruption , Wien. 5 Fellner , Fritz ( 1971 ) : The Background of Austrian Fascism. In : Sugar , Peter F. ( Hg. ) : Native Fascism in the Successor States 1918–1945 , Santa Barbara , 15–23. Rath , John R. ( 1971 ) : Authoritarian Au tria. In : Sugar , Peter F. ( Hg. ) : Native Fascism in the Successor States 1918–1945 , Santa Barbara , 24–45. 6 Z. B. Bachinger , Karl / Matis , Herbert ( 1974 ) : Der österreichische Schilling. Geschichte einer Währung , Graz / Wien / Köln , 147. 7 Ackerl , Isabella ( 1977 ) : Der Phönix-Skandal. In : Jedlicka , Ludwig / Neck , Rudolf ( Hg. ) : Das Ju-
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die von Karl Haas verfasste Arbeit über „Wirtschaftsverbände im Ständestaat“8. Beide Beiträge erschienen in dem von Ludwig Jedlicka und Rudolf Neck herausgegebenen Sammelband „Das Juliabkommen von 1936“.9 1978 legte Christian Unterrainer an der Wirtschaftsuniversität Wien seine Diplomarbeit mit dem Titel „Die Wirtschaftspolitik des Ständestaates“ vor.10 Den Schwerpunkt bildeten in den 1970er-Jahren aber vor allem Studien zum Thema Außenhandel in der Zwischenkriegszeit.11 Der Höhepunkt der Ständestaatforschung lässt sich im das anschließende Dezennium verorten. 1984 erschien die erste Auflage des Sammelbandes „Austrofaschismus“, he rausgegeben von Emmerich Tálos und Wolfgang Neugebauer.12 Der Sammelband enthielt eine Reihe wichtiger Studien. Relevant für die hier angesprochene Thematik waren die Beiträge Siegfried Mattls , Emmerich Tálos’ , Hans Kernbauers und Fritz Webers.13 Die beiden letztgenannten Autoren widmeten sich auch in dem von Erika Weinzierl und Kurt Skalnik herausgegebenen Sammelband „Österreich 1918–1938“ dem Thema Wirtschaftspolitik.14 Hinzuweisen ist an dieser Stelle weiters auf Ulrich Kluges im Jahr 1984 erschienenes Buch „Der österreichische Ständestaat“.15 Der von Thomas Albrich 1988 herausgegebene Band „Tirol und der Anschluss“ enthielt ebenfalls mehrere interessante Artikel. Dieter Stiefel behandelte darin die Wirtschaftspolitik des Ständestaates unter dem Titel „Utopie und Realität“.16 Jürgen Nautz widmete sich besonders der Anschlussfrage im Zusammenhang mit den wirtschaftlichen Gegebenheiten in Österreich.17 liabkommen von 1936. Vorgeschichte , Hintergründe und Folgen ( Protokoll des Symposiums in Wien am 10. und 11. Juni 1976 ), Wien , 241–279. 8 Haas , Karl ( 1977 ) : Zum Problemkomplex „Wirtschaftsverbände im Ständestaat“. In : Jedlicka / Neck ( Hg. ), 328–342. 9 Jedlicka / Neck ( Hg. ) ( 1977 ). 10 Unterrainer , Michael ( 1978 ) : Die Wirtschaftspolitik des Ständestaates , Dipl.-Arb. , Wien. 11 Holzgreve , Alfred ( 1980 ) : Die Außenhandelspolitik Österreichs in der Ersten Republik von 1918 bis 1938 unter besonderer Berücksichtigung der Landwirtschaft , Diss. , Wien. Enderle , Peter ( 1979 ) : Die ökonomischen und politischen Grundlagen der Römischen Protokolle aus dem Jahr 1934 , Diss. , Wien. Raab , Margit ( 1979 ) : Die Entwicklung des Außenhandels Österreichs mit den Nachfolgestaaten in den Jahren von 1919 bis 1938 , Dipl.-Arb. , Wien. 12 Vorläufig letzte Auflage : Tálos , Emmerich / Neugebauer , Wolfgang ( Hg. ) ( 2005 ) : Austrofaschismus. Politik – Ökonomie – Kultur 1933–1938 , Wien. 13 Mattl , Siegfried ( 1984 ) : Die Finanzdiktatur. Wirtschaftspolitik in Österreich 1933–1938. In : Tálos , Emmerich / Neugebauer , Wolfgang ( Hg. ) : „Austrofaschismus“. Beiträge über Politik , Ökonomie und Kultur 1934–1938 , Wien , 133–160. Tálos , Emmerich ( 1984 ) : Sozialpolitik im Austrofaschismus. In : ebd. , 161–178. Kernbauer , Hans / Weber , Fritz ( 1984 ) : Von der Inflation zur Depression. Österreichs Wirtschaft 1918–1934. In : ebd. , Wien , 1–30. 14 Kernbauer , Hans / M ärz , Eduard / Weber , Fritz ( 1983 ) : Die wirtschaftliche Entwicklung. In : Weinzierl , Erika / Skalnik , Kurt ( Hg. ) : Österreich 1918–1938. Geschichte der Ersten Republik , Bd. 1 , Wien / Graz-Köln , 343–380. 15 Kluge , Ulrich ( 1984 ) : Der österreichische Ständestaat 1934–1938. Entstehung und Scheitern , Wien. 16 Stiefel , Dieter ( 1988b ) : Utopie und Realität : Die Wirtschaftspolitik des Ständestaates. In : Albrich , Thomas / Eisterer , Klaus / Steininger , Rolf ( Hg. ) : Tirol und der Anschluß. Voraussetzungen , Entwicklungen , Rahmenbedingungen 1918–1938 , Innsbruck , 403–435. 17 Nautz , Jürgen ( 1988 ) : Die österreichische Wirtschaft und die Anschlußfrage. In : Albrich et al. ( Hg. ), 385–402.
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III. Wirtschafts- und Interessenpolitik
Ab den 1990er-Jahren schien das wissenschaftliche Interesse an der Wirtschaftspolitik während der Phase des Austrofaschismus wieder etwas zu erlahmen. Erwähnenswert sind dennoch verschiedene kleinere Studien , die Erhellendes zutage fördern. Dazu zählen Regina Grantls18 Arbeit über die „Arbeitsschlacht“ in Österreich von 1935 ebenso wie Stefan Emingers19 Abhandlung über die alpenländische Gewerbeorganisation zur Zeit der Weltwirtschaftskrise. Wertvolle Einblicke in wirtschaftspolitischer Hinsicht lieferte Peter Berger in seinem im Jahr 2000 erschienenen Buch über die Tätigkeit des Völkerbundvertreters Rost van Tonningen im Österreich der Zwischenkriegszeit.20 Eine umfassende Gesamtdarstellung versuchte Gerhard Senft in dem 2002 herausgegebenen Band über die „Wirtschaftspolitik des Ständestaates“.21 II. Wirtschaftspolitik in Österreich 1934–1938 Der Großteil der hier aufgezählten Einschätzungen spiegelt eine optimistisch-keynesi anische Position wider , wie sie sich in Österreich im Bereich der Wirtschaftswissenschaften nach 1945 weitgehend durchgesetzt hat. Unter Heranziehung der bisherigen Forschungsergebnisse lässt sich folgendes Panorama der Wirtschaftspolitik des Ständestaates entwickeln , wobei vorweg zu sagen ist : Ein widerspruchsfreies Bild für die in Österreich zwischen 1934 und 1938 gewählte Wirtschaftspolitik wird man vergeblich suchen. Es zeigt sich vielmehr ein Gemenge unterschiedlichster Ansätze , wobei die Bandbreite von wirtschaftsliberal bis ultraprotektionistisch und planwirtschaftlich reicht. Mitzudenken ist im gegebenen Zusammenhang , dass sich in Österreich zu Beginn der 1930er-Jahre eine eigene Interpretation der Weltwirtschaftskrise und daran anknüpfend entsprechende Lösungsansätze durchgesetzt hatten : Es herrschte die Überzeugung vor , dass die große Krise auf einen Zusammenbruch des Vertrauens in das internationale Kreditsystem zurückzuführen sei. Es gelte daher primär , dieses Vertrauen auf dem Wege einer restriktiven Finanzpolitik wieder herzustellen. Zentrales Anliegen war im gegebenen Zusammenhang die „Aufrechterhaltung der Währung“, wie es die graue Eminenz der österreichischen Wirtschaftspolitik der 1930er-Jahre , Nationalbankpräsident Viktor Kienböck , auszudrücken beliebte.22 Unermüdlich betonte Kienböck die Rolle des Währungssektors als Fundament für eine „geordnete Wirtschaft“.23 Als größte Gefahr für die Währung betrachtete er eine fehlende Ausgabendisziplin des Staates.24 Mit 18 Grantl , Regina ( 1992 ) : Die Arbeitsschlacht von 1935 – Eine beschäftigungspolitische Initiative des Ständestaates , Dipl.-Arb. , Wien. 19 Eminger , Stefan ( 1995 ) : Gewerbepolitik und gewerbliche Organisation in Österreich zur Zeit der Weltwirtschaftskrise , Dipl.-Arb. , Wien. 20 Berger , Peter ( 2000 ) : Im Schatten der Diktatur. Die Finanzdiplomatie des Vertreters des Völkerbundes in Österreich , Meinoud Marinus Rost van Tonningen 1931–1936 , Wien / Köln / Weimar. 21 Senft , Gerhard ( 2002 ) : Im Vorfeld der Katastrophe. Die Wirtschaftspolitik des Ständestaates. Österreich 1934–1938 [ Vergleichende Gesellschaftsgeschichte und politische Ideengeschichte der Neuzeit , Bd. 15 ] , Wien. 22 Viktor Kienböck in seinem Vortrag „Die Währungsfrage der Gegenwart und der österreichische Schilling“, zit. n. : „Die Politik der Nationalbank.“ In : Reichspost , 10. Juni 1934 , 13. 23 Kienböck , Viktor ( 1936 ) : Stabile Währung. In : Gemeindedienst , Juli / August 1936 , 2. 24 Ders. ( 1935 ) : Die Kunst der Notenbankleitung. In : Reichspost , 29. Oktober 1935 , 12.
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dem Anliegen eines ausgeglichenen Haushaltes waren konkrete Zielsetzungen wie eine Reduktion der Staatsschuld sowie die Beschränkung öffentlicher Ausgaben verbunden. Überlegungen , dass eine derart einseitige Ausrichtung in der Wirtschaftspolitik auch schädlich im Sinne deflationärer Effekte sein könne , wurden nicht angestellt bzw. wurden ignoriert. Anhand der Indizes einzelner Bundesausgaben für den Zeitraum 1933 bis 1937 zeigt sich besonders auch die gesellschaftspolitische Orientierung des Regimes des Ständestaates. Im Finanzbereich ( Stichwort : Schuldenrückzahlung ) ist in der angegebenen Zeitspanne eine Erhöhung des Ausgabenindex von 100 auf 118,2 feststellbar. Im Vergleich dazu reduzierte sich der Index für den Sektor der sozialen Verwaltung von 100 auf 79,4. Ebenso sank der Index für den Bildungsbereich von 100 im Jahr 1933 auf 95,6 im Jahr 1937.25 Die massive Ausrichtung an finanzpolitischen Erfordernissen brachte es mit sich , dass für andere Bereiche die Mittel fehlten. Besonders betroffen waren auch der Industriesektor und der Infrastrukturausbau. Beschäftigungspolitische Initiativen waren zwar vorhanden , verpufften aber aufgrund ihres zaghaften Einsatzes wirkungslos , sodass die Arbeitslosenrate im Österreich der 1930er-Jahre mit über 20 Prozent konstant hoch blieb.26 Im Wesentlichen erfolgte in der Ära des Ständestaates ein Anknüpfen an die wirtschaftspolitischen Rezepte der 1920er-Jahre , indem den bestehenden betrieblichen Unterauslastungen mit Schrumpfungsmaßnahmen begegnet wurde. Ansätze , die finanziellen Spielräume des Staates zu erweitern und damit die Kontraktionspolitik zu durchbrechen , waren vorhanden , doch die auf dem Anleiheweg aufgebrachten Mittel wurden überwiegend wieder nur für finanzpolitische Zwecke verwendet. Mittels verschiedener Anleihen ( Trefferanleihe 1933 , Arbeitsanleihe 1935 , Investitionsanleihe 1937 ) kam eine beträchtliche Summe von weit über 800 Millionen Schilling zustande , doch nur ein Drittel davon wurde tatsächlich arbeitsmarktwirksam in Einsatz gebracht.27 Die Impulse in den Bereichen der Industrie und der Infrastruktur blieben also gering. Anhand der Elektrifizierung der Eisenbahn in Österreich lassen sich die gegebenen Umstände sehr gut illustrieren. Während zwischen 1925 und 1929 eine Zugstrecke von 330 km modernisiert wurde , konnte zwischen 1933 und 1937 lediglich ein Drittel dieser Elektrifizierungsleistung erbracht werden.28 Dringend notwendige Hafenanlagen im Bereich der Donauschifffahrt konnten nicht einmal angedacht werden. Zwischen 1934 und 1938 ruhte der Kraftwerksbau fast völlig , im Straßenbau überwogen die Ausbesserungsarbeiten.29 Den Unterlassungen standen auf der anderen Seite Protektionismus und Dirigismus gegenüber. Hier mag als Beispiel die Gewerbepolitik dienen. Sowohl die Gewerbesperre von 1933 als auch das ein Jahr später verabschiedete Untersagungsgesetz stellten einen dramatischen Bruch mit der liberalen Gewerbeverfassung des 19. Jahrhunderts dar. 1935 finden wir sogar den Versuch , erneut das Zunftsystem im österreichischen Gewer25 Alle Angaben aus : Bundesrechnungsabschlüsse des Rechnungshofes für Österreich für die Verwaltungsjahre 1933 bis 1937 , Wien , 4–6. 26 Stiefel , Dieter ( 1979 ) : Arbeitslosigkeit. Soziale , politische und wirtschaftliche Auswirkungen – am Beispiel Österreichs 1918–1938 , Berlin , 29. 27 Stiefel , Dieter ( 1988 ) : Die große Krise in einem kleinen Land , Wien / Köln / Graz , 199. 28 Koci , Alexander ( 1955 ) : 75 Jahre elektrische Eisenbahnen in Österreich , Wien , 7. 29 Senft ( 2002 ), 380–382 , 481–483.
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III. Wirtschafts- und Interessenpolitik
be einzuführen. In einer vergleichenden Betrachtung der wichtigsten Wirtschaftssektoren wird erkennbar , dass das Gewerbe vor der Industrie zu schützen versucht wurde. Der berüchtigte Semmel-Erlass von Mitte der 1930er-Jahre beispielsweise untersagte den Brotfabriken die Herstellung von Kleingebäck , ein Geschäftsfeld , das dem gewerblichen Bäcker überlassen bleiben sollte.30 Andererseits wird der Schutz des landwirtschaftlichen Sektors gegenüber dem Gewerbe deutlich , etwa im Zusammenhang mit dem Verbot der gewerblichen Schweinehaltung. Das Regime des Ständestaates fand seine soziale Basis zu einem erheblichen Teil im Bauerntum. Nicht zufällig kam es ausschließlich im Bereich der Landwirtschaft zur Herstellung originär ständischer Organisationsformen.31 Im Bereich des Außenhandels tritt der staatliche Protektionismus zugunsten der Bauernschaft besonders klar hervor. Auch die Durchsetzung planwirtschaftlicher Muster gelang im landwirt schaftlichen Bereich weitreichend , wie das Milchverkehrsgesetz von 1934 zum Ausdruck brachte.32 Während also etwa die Außenwirtschaft massiven protektionistischen Vorgaben unterworfen war , folgten andere Bereiche wie die Steuerpolitik den Empfehlungen der wirtschaftsliberal ausgerichteten Österreichischen Schule der Nationalökonomie. Ludwig Mises beispielsweise hatte angeregt , den Unternehmenssektor abgabenmäßig weitgehend zu entlasten , dafür aber die Massensteuern zu erhöhen. 1934 ging als ein Jahr erheblicher Steuer- und Gebührenerhöhungen in die Geschichte Österreichs ein. Zur Illustration : Während sich der Bierabsatz in Österreich zwischen 1929 und 1936 halbierte , erhöhte sich das Biersteueraufkommen im selben Zeitraum um rund ein Viertel.33 Nicht unerwähnt bleiben sollten auch die schwerwiegenden Eingriffe im Bereich der Sozialpolitik , die Kürzungen bei der Arbeitslosenunterstützung oder beim Krankengeld. Was bislang oft zu wenig beachtet wurde , ist der Umstand , dass das Dollfuß / SchuschniggRegime unter dem Titel der „Selbsthilfe“ so etwas wie eine Reagrarisierung Österreichs anzuregen versuchte. Arbeitslose Personen sollten mitsamt ihren Familien in stillgelegte landwirtschaftliche Betriebe verfrachtet werden , wo sie sich in Eigenregie aus der wirt30 Zur Neuorganisation des Gewerbes : Zünfte und Verfassung. In : Der österreichische Volkswirt , 4. Mai 1935 , 597 ; Änderungen des Gewerberechts. In : Der österreichische Volkswirt , 5. Februar 1938 , 252 ; Zünftlertum oder Gewerbepolitik. In : Der österreichische Volkswirt , 5. Februar 1938 , 353. 31 Der vom austrofaschistischen Regime präsentierte „Beamtenstand“ kann nicht als Stand im Sinne der Ständelehre gelten , da es sich hier um eine reine Arbeitnehmerorganisation handelte , sodass das angestrebte verbindende Element zwischen „Arbeitgeber“ und „Arbeitnehmer“ fehlte. Allgemein lassen sich drei ständische Typen unterscheiden : 1. das faschistische Ständemodell mit dem totalitären Vorbild Italien , 2. das unter anderem von Othmar Spann vertretene autoritäre Modell , das weniger auf einen starken Staat als auf eine streng hierarchische Gesellschaftsstruktur fokussierte und 3. jenes Konzept , das Pius XI. in seiner Enzyklika „Quadragesimo anno“ entwickelte , in der eine freiwillige Korporation von Arbeiterschaft und Unternehmern propagiert wurde , gewissermaßen also ein Klassenkompromiss „von unten“. Obwohl der real existierende Ständestaat sich auf diese dritte Variante berief , stellte er tatsächlich eine Kombination der ersten beiden Typen dar. 32 Senft ( 2002 ), 430. 33 Zu den öffentlichen Abgaben in den Jahren 1924 bis 1936 , vgl. Bundesamt für Statistik ( Hg. ) : Statistische Nachrichten , 25. Oktober 1937 , zit. n. Das Gewerbe. Hauptblatt des Gewerbebundes , 15. November 1937 , 12.
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schaftlichen Misere – die alles andere als selbst verschuldet war – wieder heraushelfen sollten.34 Auch mit dieser Maßnahme war die Hoffnung auf eine Minderung der öffentlichen Ausgaben verbunden. „Der Staat muss sparen“ war in den 1930er-Jahren ein häufig kolportiertes Motto.35 Damit zwangsläufig verbundene deflationäre Effekte wurden in anderen Ländern jedoch gezielt zu vermeiden versucht. Zu erinnern ist in diesem Zusammenhang an das von der britischen Regierung Anfang der 1930er-Jahre verabschiedete Maßnahmenpaket.36 Anders als in Österreich wurde in Großbritannien , dem Ursprungsland des Keynesianismus37 , der monetären Konjunkturtheorie ein höherer Stellenwert zuerkannt. Ins Zentrum der britischen Krisenbekämpfung rückte ab 1931 folgerichtig eine mit Investitionskontrollen kombinierte „cheap-money-policy“. Den Kern der Regierungsmaßnahmen bildete eine Offenmarktpolitik. Durch den von der Zentralbank forcierten Ankauf von Wertpapieren und Edelmetallen wurde das im Umlauf befindliche Geldvolumen erhöht , die Situation auf den Kapitalmärkten entspannte sich , die verbesserte Liquidität übertrug sich nach und nach auf die gesamte Wirtschaft. Durch die Verbilligung des Kredits wurden die Pläne der Regierung zur Belebung der ökonomischen Aktivitäten sowie zur Gesundung der öffentlichen Finanzen wesentlich begünstigt. Besondere Beachtung wurde der Industriepolitik und der Bauwirtschaft geschenkt : • Im Bereich der Industrie wurde ein groß angelegter Strukturwandel durch den Abbau veralteter Anlagen und durch eine Rationalisierung von Produktion und Absatz eingeleitet. • Krisenbewältigungsmaßnahmen betrafen auch die Bauwirtschaft und den Bereich der Energieproduktion.38 Besonders die Förderung der Wohnbautätigkeit brachte zusätzliche Impulse für eine Erweiterung der Infrastruktur.39 • Im Außenhandel wurde etwa durch Ausdehnung der Exportkreditgarantien das Ziel der Exportsteigerung angepeilt.40 • Ab 1934 widmete man sich besonders den wirtschaftlichen Notstandsgebieten ( Stichwort : „Special Aeras Development and Improvement Act“ ). Mit gezielter Indus 34 Senft ( 2002 ), 449–451. 35 Headline der „Neuen Freien Presse“ vom 20. Dezember 1934 , 2. 36 Senft ( 2002 ), 364–365. 37 Keynes , John Maynard ( 1936 ) : The General Theory of Employment , Interest and Money , London. 38 Baukonjunkturen. In : Der österreichische Volkswirt , 1. Februar 1936 , 343. 39 „Die allgemeine Wirtschaftsbesserung Großbritanniens , die in jüngster Zeit feststellbar ist , scheint nicht zuletzt durch die Impulse ausgelöst , die von der Bauindustrie auf die übrigen Zweige der großbritannischen Wirtschaft einwirken“, wurde in der „Industrie“ im März 1936 anerkennend festgestellt. Ein wesentlicher Faktor war die Förderung des Baues von Eigenheimen. Während im Jahr 1929 lediglich 65.000 Eigenheime gebaut worden waren , wurde im Jahr 1934 ein Zuwachs von 208.000 erzielt. Die Leistungen in der Gebäudeaufschließung und beim Infrastrukturausbau bewirkten , dass die englische Braubranche 1936 so gut wie keine Arbeitslosen mehr zu verzeichnen hatte. Stamp , Josiah ( 1936 ) : Der „Building-Boom“ in Großbritannien. In : Die Industrie. Offizielles Organ des Bundes der österreichischen Industriellen , 13. März 1936 , 3. 40 Zur Entwicklung der staatlichen Exportförderung in Großbritannien : Auspitz , Hedwig ( 1934 ) : Staatliche Exportförderung in England. In : Die Industrie , 25. Mai 1934 , 11.
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trieansiedlung und mit Steuererleichterungen wurde versucht , in den von der Krise außerordentlich betroffenen Gebieten die Arbeitslosenrate zu senken. • Die Nachfrage-Komponente wurde berücksichtigt , indem es zur Lockerung der Steuerschraube und zu einer Erhöhung der Arbeitslosenunterstützung kam. Bereits 1932 zeigten sich in Großbritannien partielle Aufschwungtendenzen. Im Laufe der 1930er-Jahre gelang es der britischen Regierung , die Arbeitslosenrate spürbar zu reduzieren. Ähnliche Erfolge sind auch in anderen Ländern nachweisbar. In Schweden fand unter Per Albin Hansson 1932 / 33 auf der Basis einer Ausweitung der Staatsschuld der Übergang zu einer gezielten Beschäftigungspolitik statt.41 Das berühmteste Beispiel für eine wirtschaftliche Wende lieferten die USA unter Präsident Franklin D. Roosevelt 1933 mit der Einleitung des sogenannten New Deal. Auch hier stand am Beginn eine Geldbeschaffungsaktion der Regierung. Für die Belebung des Arbeitsmarktes wurden eine Abwertung des Dollar und eine leichte Inflation bewusst in Kauf genommen.42 III. Neue Forschungsziele ? Der auf globaler Ebene seit den 1970er-Jahren im Bereich der Wirtschaftswissenschaften einsetzende Paradigmenwechsel ,43 der auch in wirtschaftspolitischer Hinsicht eine Abkehr vom Keynesianismus brachte – als zentrale Zielsetzungen wurden damit wie41 Magnusson , Lars ( 2000 ) : An Economic History of Sweden [ Routledge explorations in economic history 16 ] , London / New York , 232–234. Tuchtenhagen , Ralph ( 2008 ) : Kleine Geschichte Schwedens , München , 120–122. 42 Galbraith , James K. ( 2009 ) : Lehren des New Deal : Was wir von Roosevelt lernen können. In : Blätter für deutsche und internationale Politik Jg. 54 ( 2009 ) Heft 7 , 48–56. Zur zeitgenössischen New Deal-Rezeption in Österreich : Eine noch eher indifferente abwartende Stellungnahme von 1933 : Hoffmann , Paul ( 1933 ) : Das große Wiederherstellungsprogramm in den USA. In : Der österreichische Volkswirt , 1. April 1933 , 635–637. Sehr scharfe Angriffe gegen das Abgehen von der Golddeckung kamen von Walther Federn , vgl. ders. ( 1933 ) : Dollarabwertung. In : Der österreichische Volkswirt , 29. April 1933 , 725–727. Ebenfalls sehr kritisch : Wie Roosevelt die Inflation verteidigt. In : Der österreichische Volkswirt , 13. Mai 1933 , 775. Kröll , Michael ( 1933 ) : Kann die NIRA ihr Ziel erreichen ? In : Der österreichische Volkswirt , 14. Oktober 1933 , 69–71. Von einer Deflationshysterie in den USA spricht Fritz Machlup , vgl. ders. ( 1933 ) : Diagnose des Falles Amerika. In : Der österreichische Volkswirt , 23. Dezember 1933 , 314–318. Ein überwiegend negatives Urteil kam 1934 von Paul Hoffmann , vgl. ( 1934 ) : Roosevelts zweites Jahr. In : Der österreichische Volkswirt , 17. März 1934 , 544–546. Eine eher sachlich orientierte Vorort-Berichterstattung direkt aus San Francisco lieferte Carl Landauer , vgl. ders. ( 1934 ) : Roosevelts Sozialpolitik. In : Der österreichische Volkswirt , 28. April 1934 , 672–674. Als Versuch , die Depression durch mehr Geldausgaben zu kurieren , bis der „Tag der Abrechnung“ kommt , bezeichnete Melchior Palyi den New Deal , vgl. ders. ( 1935 ) : Der New Deal wird konservativ. In : Der österreichische Volkswirt , 3. August 1935 , 868–870. Die Berichterstattung im „Österreichischen Volkswirt“ war überwiegend skeptisch bis negativ gehalten. Vgl. auch : Ledl , Irmgard ( 1983 ) : Roosevelts New Deal in Amerika und seine Darstellung in der österreichischen Presse ( 1932 bis 1938 ), Dipl.-Arb. , Wien , 162–164. 43 Siehe dazu etwa : Schmidt , Kurt / Tillmann , Georg ( 1996 ) : Solide öffentliche Finanzen – auch zugunsten der Geldpolitik. In : Bofinger , Peter / Ketterer , Karl-Heinz ( Hg. ) : Neuere Entwicklungen in der Geldtheorie und Geldpolitik , Tübingen , 91–115.
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der eine stabile Währung und ein Haushaltsgleichgewicht definiert – , löste interessanterweise keinerlei Neubewertung der Wirtschaftspolitik des Dollfuß / Schuschnigg-Regimes aus. Die Diskussion , die der deutsche Historiker Knut Borchardt in den späten 1970er- und frühen 1980er-Jahren mit seinen Thesen zur Wirtschaftspolitik in der Endphase der Weimarer Republik lostrat ,44 hatte keinerlei Auswirkung auf die verschiedenen Einschätzungen der österreichischen Situation in der Zwischenkriegszeit. Borchardt hatte die Behauptung aufgestellt , die Wirtschaftspolitik des Kabinetts Heinrich Brüning ( 1930–1932 ) sei angesichts der Überschuldung der öffentlichen Haushalte alternativlos gewesen. Damit stellte er sich gegen die verbreitete Auffassung , die Ursache für die Dramatik der Wirtschaftskrise in Deutschland sei in einer Deflationspolitik zu suchen.45 Es wäre durchaus naheliegend gewesen , auch im Hinblick auf die Lage in Österreich ähnliche Betrachtungen anzustellen. Dass einer solchen Diskussion weiträumig ausgewichen wurde , hat wahrscheinlich mehrere Ursachen. Als ein Hauptpunkt muss angeführt werden , dass vor allem die Träger des angesprochenen Paradigmenwechsels kein Interesse an einer Neubewertung der Ära Dollfuß-Schuschnigg haben konnten. Die im Zusammenhang mit dem Faschismus der Zwischenkriegszeit peinliche Rolle der neoliberalen Österreichischen Schule der Nationalökonomie wäre damit zu sehr ans Licht gebracht worden. Nicht nur dass Ludwig von Mises und sein Kreis , dem bekannte Ökonomen wie Friedrich August von Hayek , Oskar Morgenstern oder Gottfried von Haberler angehörten , die berüchtigten wirtschaftspolitischen Ziele ( harte Währung , Haushaltsgleichgewicht , steuerliche Entlastung für Unternehmen , Sozialabbaupolitik ) an die Spitze ihrer Empfehlungen setzten , auch Sympathien für den autoritären Staat wurden aus diesen Reihen erkennbar. Wesentlich ging es bei alldem darum , die sozialen Folgewirkungen wirtschaftspolitischer Härten in Grenzen zu halten , m. a. W. , potenzielle „Unruheherde“ innerhalb der Gesellschaft zeitgerecht zu eliminieren. Bereits 1927 hatte Mises unverhohlen Bewunderung gegenüber dem eliteverherrlichenden und „wirtschaftsfreundlichen“ Faschismus in Italien gezeigt. Vor allem die Umgangsformen Benito Mussolinis mit Gewerkschaften und Arbeiterorganisationen scheinen Mises imponiert zu haben : „Der Faschismus und alle ähnlichen Diktaturbestrebungen ( haben ) … für den Augenblick die europäische Gesittung gerettet …. Das Verdienst , das sich der Faschismus damit erworben hat , wird in der Geschichte ewig fortleben.“46 Das „Interventionsverbot“ des Liberalismus hatte , zumindest in eine Richtung , offenbar seine Gültigkeit verloren. Bereits in der ersten Hälfte der 1920er-Jahre hatte einer der gewichtigen Exponenten der Österreichischen Schule , Friedrich von Wieser , verlauten lassen : „Die moderne Nationalökonomie hat sich von der Lehre des Nichtinterventionismus entschieden abgewendet.“47 Ein Jahrzehnt später zeigte sich der 44 Borchardt , Knut ( 1982 ) : Wachstum , Krisen , Handlungsspielräume der Wirtschaftspolitik , Göttingen , 165–167. 45 Vgl. Klausinger , Hansjörg ( 1998 ) : Alternativen zur Deflationspolitik Brünings. In : Wirtschaftund Gesellschaft Jg. 24 ( 1998 ) Heft 2 , 183–216. 46 Mises , Ludwig ( 1927 ) : Liberalismus , Jena , 45 , zit. n. Marcuse , Herbert ( 1965 ) : Kultur und Gesellschaft , Bd. 1 , Frankfurt / Main , 23. Zu einer weiteren späteren liberalen Bezugnahme auf das paretianische Führerideal , siehe : Eucken , Walter ( 1963 ) : Grundsätze der Wirtschaftspolitik , Tübingen , 23–25. 47 Wieser , Friedrich ( 1924 ) : Theorie der gesellschaftlichen Wirtschaft , Tübingen , 287. Hinzuweisen ist an dieser Stelle auf die rassistischen und antisemitischen Entgleisungen Wiesers in den 1920er-
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Liberale Morgenstern überzeugt , dass ein autoritärer Staat weitaus mehr Möglichkeiten besitze , eine „vernünftige Wirtschaftspolitik“ auf lange Sicht durchzusetzen. Nur der autoritäre Staat könne „verfehlte Anspruchshaltungen“ innerhalb der Gesellschaft bremsen und damit erreichen , dass „die Verteilung des Sozialprodukts nach den tatsächlichen Anteilen , die sich durch die Marktlage ermitteln lassen , bestimmt wird“.48 Dazu ist anzumerken , dass die Österreichische Schule in der Alpenrepublik alles andere als eine Randströmung dargestellte. Die Hegemonie neoliberalen Denkens wurde in vielen Bereichen erkennbar : bei den Spitzen in Politik und Wirtschaft ebenso wie bei hochrangigen Staatsdienern. Überaus einflussreich wirkte Mises in der 1930 gegründeten Wirtschaftskommission , die über das Wesen der großen Krise sowie angemessene wirtschaftspolitische Weichenstellungen zu befinden hatte. In der Diskussion mit verschiedenen Interessenvertretern , Experten aus Ministerien und dem Konjunkturforschungsinstitut gelang es Mises , die entscheidenden Schwerpunkte der Debatte vorzugeben und die eigene Argumentationslinie durchzusetzen , indem alles an reformerischen beschäftigungspolitischen Ideen gnadenlos von ihm beiseite gewischt wurde.49 Wie die Vertreter der zünftischen Nationalökonomie in Österreich mit ( prä-)keynesianschen Positionen umgingen , lässt sich in den damals führenden Fachzeitschriften wie dem „Österreichischen Volkswirt“ oder der „Zeitschrift für Nationalökonomie“ nachlesen.50 Lohnende Forschungsfelder sehe ich , ausgehend vom Gesagten , vor allem in vergleichenden Studien. Interessant erscheint hier besonders die Frage nach dem Einfluss des in Portugal herrschenden Salazar-Regimes auf den Austrofaschismus. Zwar unterscheiden sich die portugiesischen ökonomischen Voraussetzungen von den österreichischen speziell im Bereich der Industrie , weil Portugal durch sein Kolonialreich partiell über sichere Absatzmärkte verfügte , doch existieren unübersehbar mehrere Parallelen und Querverbindungen. Das gilt vor allem für die Frage der Budgetpolitik , aber auch etwa hinsichtlich Jahren , die den Neoliberalismus damit mehrfach als problematisch erscheinen lassen , vgl. Wieser , Friedrich ( 1926 ) : Das Gesetz der Macht , Wien , 59 , 367–369. 48 Morgenstern , Oskar ( 1934 ) : Die Grenzen der Wirtschaftspolitik , Wien , 130. 49 Ausführliche Darstellung in : Grandner , Margarete / Traxler , Franz ( 1984 ) : Sozialpartnerschaft als Option der Zwischenkriegszeit. Liberal-korporatistisches Krisenmanagement am Beispiel der Wirtschaftskonferenz von 1930. In : Fröschl , Erich / Z oitl , Helge ( Hg. ) : Februar 1934. Ursachen – Fakten – Folgen , Wien , 75–118 : 93–95. 50 In Österreich wurde Keynes überw iegend als ein „Prophet des billigen Geldes“ abgehandelt , vgl. dazu : Keynes für weitere Zinsverbilligung. In : Die Bilanzen. Beilage zum „Österreichischen Volkswirt“, 29. Februar 1936 , 165. Der Artikel bezog sich auf eine Forderung von Keynes , nach der vor allem langfristige Kapitalanlagen verbilligt werden sollten. Sehr kritisch fiel die Besprechung des Keynes’schen Hauptwerkes im „Österreichischen Volkswirt“ 1936 aus : Mit seinen Vorschlägen habe sich Keynes auf einen „unzulässigen“ Weg der Auseinandersetzungen begeben , vgl. Hermens , F. A. ( 1936 ) : Der neue Keynes. In : Der österreichische Volkswirt , 5. September 1936 , 939. Keine bessere Behandlung als im „Österreichischen Volkswirt“ erfuhr Keynes in der „Zeitschrift für Nationalökonomie“, in der eine ernsthafte Auseinandersetzung mit seinen Thesen weitgehend vermieden wurde. Die „Zeitschrift für Nationalökonomie“ wurde von Hans Mayer , einem universitär verankerten Abkömmling der Österreichischen Schule , mit herausgegeben , ein gewichtiges Wort in der Redaktion mitzureden hatte aber auch Oskar Morgenstern. Vgl. etwa Bode , Karl ( 1935 ) : Bemerkungen zur Kapital- und Zinstheorie. In : Zeitschrift für Nationalökonomie Jg. 6 ( 1935 ) Heft 1 , 170–172.
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���������������������������������������� ��������������������������� : Neues vom „Ständestaat“ ?
der in beiden Ländern beobachtbaren Orientierung an der Carta del Lavoro , dem Gesetz also , durch das der italienische Faschismus die „Versöhnung“ von Arbeitnehmerund Arbeitgeberinteressen dekretiert hatte und das sich sowohl Salazar als auch Dollfuß zum Vorbild für den „ständischen“ Aufbau ihrer Länder nahmen. Der an der Universität Coimbra tätige neoliberale Ökonom António Oliveira de Salazar hatte den Staatshaushalt bereits Ende der 1920er-Jahre mit durchgreifenden Mitteln zu sanieren begonnen. Salazar gelang es in der Folge , die portugiesische Währung als eine der stabilsten in Europa zu sichern. Der „Neue Staat“ Salazars setzte , gestützt auf eine allseits gefürchtete Geheimpolizei , vor allem auf die Zerschlagung der Arbeiterbewegung. Grundlegende bürgerliche Freiheitsrechte wie Presse- , Versammlungs- oder Koalitionsfreiheit wurden beseitigt. Weitgehend unbeachtet von der Weltöffentlichkeit bestand das von Salazar geschaffene Ständemodell bis zur „Nelken-Revolution“ im Jahr 1974. Die Folgen waren verheerend. Portugal galt in den 1970er-Jahren als das „Armenhaus“ Europas. Vor allem der Bildungssektor war massiv von Ausgabenrestriktionen betroffen. Vieles weist da rauf hin , dass Salazar im österreichischen Ständestaat der 1930er-Jahre nahezu die Rolle eines Kulturhelden spielte , dessen Entwürfe eine starke Anziehungskraft auf die österreichischen Eliten ausübten.51 Eine umfassende Untersuchung , die sowohl die Frage der Budgetpolitik als auch jene der autoritären Durchsetzung von Restriktionsmaßnahmen ins Zentrum rückte , könnte hier einiges zur Klärung beitragen. Erhellendes könnten darüber hinaus auch Vergleiche Österreichs mit den verschiedenen Reformländern zutage fördern. Die Beispiele Großbritanniens , Schwedens und der USA sind hier schon erwähnt worden. Besonders aufschlussreich erscheint eine Gegenüberstellung Österreichs mit dem unmittelbaren Nachbarland Schweiz. Die Schweiz war von den Ausläufern der Weltwirtschaftskrise nicht weniger betroffen gewesen als Österreich. Der helvetischen Regierung gelang es aber , sich mit der Währungsabwertung vom September 1936 schlagartig vom Deflationsdruck zu befreien. Während in Österreich in den 1930er-Jahren das Geldvolumen ( Notenumlauf plus Giroverbindlichkeiten ) nur unwesentlich gesteigert wurde ,52 erhöhte sich beim westlichen Nachbarn die Geldmenge um mehr als 100 Prozent.53 Der kontinuierliche Rückgang der Arbeitslosigkeit und der Umstand , dass binnenwirtschaftliche Preisauftriebstendenzen unter Kontrolle gehalten werden konnten , bestätigten die Richtigkeit des Schweizer Weges.
51 Vgl. etwa : Berger , Peter ( 1936 ) : Die Staatserneuerung in Portugal. In : Volkswohl. Christlich-soziale Monatsschrift , ( 1936 ) Heft 4 , 100. 52 Die Geldumlaufgeschwindigkeit in Österreich blieb in diesem Zeitraum sogar deutlich unter den Vergleichswerten der 1920er-Jahre. Die Geldumlaufgeschwindigkeit lässt sich anhand der Veränderungen der Giroumsätze eruieren. Für die Ermittlung der Geldumlaufgeschwindigkeit im Österreich der Zwischenkriegszeit werden die Giroumsätze der Oesterreichischen Nationalbank , der Postsparkasse , des Wiener Giro- und Kassenvereins und des Saldierungsvereins herangezogen. 53 Internationale Wirtschaftszahlen. In : Monatsberichte des Österreichischen Instituts für Konjunkturforschung , 11. April 1938 , 94.
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III. Wirtschafts- und Interessenpolitik
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Brigitte Pellar
Kampf um „die Arbeiterschaft“ Forschungsstand und offene Forschungsfelder zu Politik und Ideologie von Regierungslager und illegaler Opposition 1933–1938 I. Vertretungsorganisationen der Lohnabhängigen in der demokratischen Republik Unter den Lohnabhängigen der meisten Wirtschaftszweige dominierte dort , wo sich die ArbeiterInnen und Angestellten überhaupt organisierten , in der Interessenvertretung eindeutig das sozialdemokratische Lager , im Gewerkschaftsbereich ebenso wie in den gesetzlich errichteten beziehungsweise gesetzlich vorgesehenen oder laut Dienstrecht bestehenden Vertretungsinstanzen. Hier sahen die rechten Regierungskoalitionen nicht erst seit dem Ausschalten des Parlaments im März 1933 den geeigneten Ansatzpunkt , um mit dem systematischen Zurückdrängen der „Roten“ zu beginnen , etwa durch das Beschneiden des Aktionsradius der Freien Gewerkschaften mit dem „Antiterrorgesetz“ von 19301 oder durch das Verschleppen der für 1931 vorgesehenen Arbeiterkammer-Wahlen.2 Daher erscheint es sinnvoll , vorerst die einzelnen Ebenen und Institutionen sowie Quellenlage , Publikations- und Forschungsstand zum Netz der Interessenvertretungen , wie es sich bis 1932 / 1933 entwickelt hatte , darzustellen. Die Parteien bleiben , außer wo für das Verständnis wesentliche Zusammenhänge anzusprechen sind , ausgeklammert , da sich außer der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei ( SDAP ) und der KPÖ nur die NSDAP ausdrücklich als Vertretung „der Arbeiterschaft“ positionierte , wie die KommunistInnen aber bis zur Wirtschaftskrise nur eine verschwindende Minderheit darstellte. 1.1 Die Richtungsgewerkschaften Die Rechtsgrundlage aller Richtungsgewerkschaften als staatsunabhängige demokratische Vertretungskörperschaften war das Vereinsgesetz. Die Gewerkschaften repräsentierten die gesamte politisch-weltanschauliche Bandbreite der Ersten Republik. 1 Siehe Kapitel 3.1. 2 Vgl. u. a. Weidenholzer , Josef / Kepplinger , Brigitte ( 1995 ) : Zur Geschichte der österreichischen Arbeiterkammern ( 1920–1992 ). In : Bundesarbeitskammer ( Hg. ) : 75 Jahre Kammern für Arbeiter und Angestellte , 9–70 : 26–27.
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III. Wirtschafts- und Interessenpolitik
1.1.1 Die ( sozialdemokratischen ) Freien Gewerkschaften3 Die mit der SDAP eng verbundenen , vorher von einer „Gewerkschaftskommission“ koordinierten , ab 1928 in einem „Bund“ zusammengeschlossenen Freien Gewerkschaften4 standen nach Mitgliederzahl und Durchsetzungskraft sehr deutlich an erster Stelle. 1921 und 1922 wiesen sie über eine Million Mitglieder aus. Selbst 1933 , nach extrem hohen Mitgliederrückgängen und unter starkem Druck des „autoritären Kurses“, war das Verhältnis zur zweitstärksten Gruppe , den Christlichen Gewerkschaften , die damals ihren höchsten Mitgliederstand erreicht hatten , etwa 480.000 zu knapp 116.000. 5 Die Freien Gewerkschaften dominierten bei der Arbeiterschaft der privaten Produktionsunternehmen und der öffentlichen Verkehrsunternehmen , vor allem der Bahn , hatten aber auch bei den Privatangestellten den stärksten Zulauf von allen Richtungsgewerkschaften.6 Ihre zentrale internationale Organisation war der „Internationale Gewerkschaftsbund“ ( IGB ) mit Sitz in Amsterdam.7 Die Position innerhalb des sozialdemokratischen Lagers ist nicht eindimensional zuzuordnen. In den Ende 1928 noch immer 45 Vereinen und Verbänden war , wie in der SDAP auch , das gesamte Spektrum von rechts bis links vertreten. Zumindest unter den führenden RepräsentantInnen der Zentrale und der großen Gewerkschaften ging man aber vom grundlegenden Interessengegensatz zwischen Arbeit und Kapital aus. „Die Gewerkschaften unterstreichen die Notwendigkeit des Klassenkampfes“, schrieb der Journalist und Sekretär des „Bundes“ Eduard Straas 1929 , „aber eine bedingungslose Bindung an die Partei wird abgelehnt“.8 Das Verhältnis von Partei und Gewerkschaft wird von Straas als ein „kameradschaftliches Nebeneinander“ beschrieben. Die Begründung : In keiner einzigen Gewerkschaft ist die Mitgliedschaft an die Zugehörigkeit zur sozialdemokratischen Arbeiterpartei gebunden. Die erdrückende Mehrheit der Gewerkschaftsmitglieder 3 Im Gegensatz zu den zeitgenössischen Dokumenten behandelt die Verfasserin den Begriff „Freie Gewerkschaften“ als Eigennamen und verwendet daher die Großschreibung für „Freie“. Die Bezeichnung hatte in Österreich eine dreifache Bedeutung. Erstens zeigte sie an , dass es sich um aufgrund der in der Verfassung von 1867 zugestandenen Vereinsfreiheit konstituierte Organisationen handelte , zweitens dass es sich nicht – wie bei den Gehilfenversammlungen der Genossenschaften ( siehe dazu Kapitel 1.2.1 ) – um gesetzlich verpflichtende Zusammenschlüsse handelte , und drittens dass diese Gewerkschaften frei vom Einfluss der UnternehmerInnen beziehungsweise des Managements waren. Nach 1945 wandelte sich im Zuge des Kalten Kriegs die Bedeutung des Begriffs. Jetzt bezeichnete er die westlichen , antikommunistischen Gewerkschaften , wurde allerdings nur mehr auf internationaler Ebene verwendet ( „ Internationaler Bund freier Gewerkschaften“ ). 4 Vgl. Klenner , Fritz ( 1953 ) : Die österreichischen Gewerkschaften. Vergangenheit und Gegenwarts probleme , Bd. 2 , Wien , 761–1335 : 775–812. 5 Vgl. Schmit , Georg-Hans ( 2009 ) : Die Rolle der Christlichen Arbeiterbewegung im politischen und sozialen System des austrofaschistischen Ständestaates , Dipl.-Arb. , Wien , 13–14. Schmit erstellte die Vergleichsstatistik der Mitgliederzahlen zwischen Freien und Christlichen Gewerkschaften nach Überprüfung aller zugänglichen Daten. Es dürfte sich um die derzeit verlässlichsten Angaben handeln. 6 Vgl. Klenner ( 1953 ), 1098. 7 Vgl. Klenner , Fritz ( 1951 ) : Die österreichischen Gewerkschaften. Vergangenheit und Gegenwarts probleme , Bd. 1 , Wien , 467–743 : 575–610. 8 Straas , Eduard ( 1929 ) : Die Gewerkschaftsbewegung in Österreich [ I nternationale Gewerkschafts-Bibliothek 9 ] , Amsterdam , 57.
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���������������������������������������������� ������������������������������� : Kampf um „die Arbeiterschaft“ freilich sind Sozialdemokraten. [ … ] In nicht wenigen Fällen sind führende Gewerkschaftsvertrauensmänner gleichzeitig auch Inhaber politischer Mandate. [ … ] Organisatorisch und materiell aber sind beide Teile , die Gewerkschaften und die Partei , auf eigene Füße gestellt.9
Der Gewerkschaftsflügel wertete seinen wirtschaftlichen Kampf schon vor 1918 selbstbewusst als den entscheidenden Beitrag zum politischen Kampf der Partei für eine gerechte sozialistische Gesellschaft.10 Der dem neopositivistischen „Wiener Kreis“ 11 zuzuordnende links stehende Richard Wagner , Organisator der Wiener Gewerkschaftsschule , sah , um die Erfahrung der 1920er-Jahre mit den Angriffen auf die Reformen der Republikgründungsphase reicher , die systemimmanente Gewerkschaftsarbeit als Teil des Klassenkampfs : Die Herrscherklasse versucht , die Arbeiter wieder in die Galeerentiefen hinabzustoßen , und so vollzieht sich der Aufstieg in erbittertem , zähem Klassenkampf , im Alltagskampf der freien Gewerkschaften um schrittweise Vergrößerung des Lohnanteiles an den Arbeitsprodukten , Verkürzung der Arbeitszeiten , Verbesserung der Betriebsverhältnisse und der sozialpolitischen Rechte , kurz um Durchsetzung der Wirtschaftsdemokratie gegenüber den absolutistisch gesinnten , feudal-herrschaftlich auftretenden Unternehmern.12
Die Eigenständigkeit gegenüber der SDAP wurde unter dem Druck der Großen Depression , als die Abstimmung der Positionen innerhalb des „Lagers“ nicht mehr so gut funktionierte , besonders deutlich. Als Gegenposition zur harten Austerity-Politik der Regierung und dem Mainstream der eigenen Partei , einschließlich der Arbeiterkammer-ExpertInnen wie Benedikt Kautsky und Käthe Leichter , forderten GewerkschafterInnen , an ihrer Spitze „Bund“-Generalsekretär Johann Schorsch , prä-keynesianische Programme zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit.13 Eduard März und Maria Szecsi kommentierten dazu 1981 trocken : „Wie in Deutschland und in England war also auch in Österreich der gewerkschaftliche Instinkt besser beraten als die hohe Parteiintelligenz“.14 9 Straas ( 1929 ), 56. 10 Vgl. u. a. Botz , Gerhard ( 1973 ) : Ferdinand Hanusch. Jugend und literarisches Werk. In : Staininger Otto ( Hg. ) : Ferdinand Hanusch. Ein Leben für den sozialen Aufstieg [ S chriftenreihe des Ludwig Boltzmann-Instituts für Geschichte der Arbeiterbewegung 3 ] , Wien , 15–41 , 105–107 : 38. 11 Eines der bedeutendsten Mitglieder der Gruppe von Philosophen und Wissenschaftstheoretikern von internationalem Rang um Moritz von Schlick war Otto Neurath , dessen im Gesellschafts- und Wirtschaftsmuseum entwickelte Bildstatistik immer wieder für die freigewerkschaftlichen Bildungsarbeit und Publikationen der Wiener Arbeiterkammer genutzt wurde. Das Standardwerk zum Thema : Stadler , Friedrich ( 1997 ) : Studien zum Wiener Kreis. Ursprung , Entwicklung und Wirkung des logischen Empirismus im Kontext , Frankfurt / Main. 12 Wagner , Richard ( 1928 ) : Der Funktionswandel der Gewerkschaften und die freigewerkschaftliche Bildungsarbeit. In : Arbeit und Wirtschaft Jg. 6 ( 1928 ), Heft 13 , Sp. 609–614 : 610. 13 Vgl. u. a. Weber-Felber , Ulrike ( 1984 ) : Gewerkschaftspolitik in der Weltwirtschaftskrise. Die Freien Gewerkschaften und das Problem der Arbeitsbeschaffung. In : Fröschl , Erich / Zoitl , Helge ( Hg. ) : Februar 1934 , Ursachen , Fakten , Folgen. Beiträge zum wissenschaftlichen Symposion des Dr.Karl-Renner-Instituts , abgehalten vom 13. bis 15. Februar 1984 in Wien , Wien , 119–141 ; 130–133. 14 März , Eduard / Szecsi , Maria ( 1985 ) : Otto Bauer als Wirtschaftspolitiker. In : Fröschl , Erich / Z oitl ,
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III. Wirtschafts- und Interessenpolitik
1.1.2 Die ( kommunistische ) Rote Gewerkschaftsopposition und die kommunistischen Betriebszellen Im Gegensatz zu den SozialdemokratInnen steuerte bei den KommunistInnen ausschließlich die Partei die Gewerkschaftsarbeit. Die organisatorische Basis der Partei , die sich 1919 der „Kommunistischen Internationale“ ( Komintern ) anschloss , bestand neben lokalen Zellen ( „ Straßenzellen“ ) aus Betriebszellen.15 In der Phase nach dem Ersten Weltkrieg wurde auch überlegt , eine eigene kommunis tische Gewerkschaft zu gründen , aber dann fiel die Entscheidung für die „aktive Arbeit“ innerhalb der sozialdemokratisch dominierten Freien Gewerkschaften und „zur besseren Organisation“ für die parallele Gründung von „Fraktionen der Oppositionellen“16 , die weisungsgebunden waren und „deren Mitglieder geschlossen aufzutreten und abzustimmen“ hatten. Im Parteiapparat bestand für die „Koordination der kommunistischen Fraktionen in den Gewerkschaften“ und die „Beobachtung gewerkschaftlicher Bewegungen“ eine „Gewerkschaftsabteilung“.17 Ab 1921 gab es außerdem eine zentrale Fraktionsexekutive und Branchenexekutiven in acht Gewerkschaften.18 Die kommunistischen Fraktionen , die sich „Rote Gewerkschaftsopposition“ ( RGO ) nannten , waren Mitglied der in die Struktur der Komintern eingebundenen „Roten Gewerkschaftsinternationale“ ( RGI ).19 Aber mit wenigen Ausnahmen konnte sich die RGO bis zur Weltwirtschaftskrise und der Enttäuschung vieler ArbeiterInnen über die SDAP-Politik nicht durchsetzen. Nach KP-Angaben gab es 1925 nur 16 „revolutionäre Blocks“ mit 1.294 Mitgliedern.20 Die Betriebszellen waren zwar etwas zahlreicher und mitgliederstärker , aber insgesamt blieb der Anteil an SympathisantInnen der kommunistischen Bewegung unter den Lohnabhängigen , geht man von den Ergebnissen der beiden Arbeiterkammer-Wahlen 1921 und 1926 aus , unter drei Prozent.21 Am meisten Einfluss erreichte sie in den Wiener Bezirken Ottakring und Favoriten , in einigen Industriegemeinden Niederösterreichs und der Obersteiermark und in einzelnen Betrieben wie dem Bergwerk Grünbach , den Steyrerwerken oder einigen Werken der Alpine-Montan-Gesellschaft.22 Das Motto der kommunistischen GewerkschafterInnen : „Wir bekämpfen nicht die Gewerkschaften , sondern das gewerkschaftliche Bonzentum.“23 Entsprechend der von Helge ( Hg. ) : Otto Bauer ( 1881–1938 ), Theorie und Praxis. Beiträge zum wissenschaftlichen Symposion des Dr.-Karl-Renner-Instituts , abgehalten vom 20. bis 22. Oktober 1981 in Wien , 145–159 : 71. 15 Vgl. Ehmer , Josef ( 1995 ) : Die Kommunistische Partei Österreichs. In : Tálos , Emmerich / Dachs , Herbert / Hanisch , Ernst / Staudinger Anton ( Hg. ) : Handbuch des politischen Systems Österreichs. Ers te Republik 1918–1933 , Wien , 218–230 : 225. 16 Vgl. Steiner , Herbert ( 1968 ) : Die Kommunistische Partei Österreichs von 1918–1933. Bibliographische Bemerkungen , Wien / Meisenheim am Glan , 23 ; vgl. Ehmer ( 1995 ), 218–230 : 225. 17 Vgl. Ehmer ( 1995 ), 218–230 : 226. 18 Vgl. Steiner ( 1968 ), 38. 19 Vgl. Klenner ( 1953 ), 1081–1088 ; vgl. Tabakow , Robert / Pellar , Brigitte ( 2006 ) : Globalisierung einmal anders. Der internationale Zusammenschluss der Gewerkschaftsbewegung und seine Geschichte , Wien , 67–68. 20 Vgl. Steiner ( 1968 ), 56. 21 Vgl. Klenner ( 1951 ), 567. 22 Vgl. Ehmer ( 1995 ), 222. 23 Steiner ( 1968 ), 37.
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���������������������������������������������� ������������������������������� : Kampf um „die Arbeiterschaft“
der RGI ausgegebenen Direktive hatten sie die Aufgabe , „alle innerhalb der Gewerkschaft organisierten revolutionären Arbeiter zu oppositionellen Gewerkschaftsgruppen zusammenzufassen“.24 1930 änderte dann aber die RGI den strategischen Ansatz. Jetzt lag die Aufgabe der kommunistischen GewerkschafterInnen in der Durchführung der kommunistischen Politik in der Gewerkschaftsbewegung , in der Gewinnung der Massen für die kommunistische Partei und die Komintern , in der Erweiterung des Einflusses der kommunistischen Ideen auf neue und immer neue Schichten der Arbeiterschaft.25
1.1.3 Die ( k atholischen ) Christlichen Gewerkschaften Die Christlichen Gewerkschaften , die in Österreich ausschließlich KatholikInnen als Mitglieder akzeptierten , mussten seit ihrer Gründung damit kämpfen , dass sie einerseits im eigenen christlich-sozialen Lager kaum Einfluss hatten und andererseits zumeist der Konkurrenz der starken Freien Gewerkschaften in den Betrieben nicht gewachsen waren. Allerdings hatten sie doch eine deutlich größere Basis und einen breiteren Sympathisantenkreis als die kommunistische „Rote Gewerkschaftsopposition“. Sie konnten 1925 über 77.000 Mitglieder ausweisen26 und bei den Arbeiterkammer-Wahlen erreichten sie durchwegs einen Anteil von über zehn Prozent.27 Ihren stärksten Zulauf hatten sie im öffentlichen Dienst , unter den Verkehrsangestellten , dem Hauspersonal und unter den Land- und ForstarbeiterInnen ,28 wobei allerdings die deutlich größere Gruppe , der „Reichslandarbeiterbund“, nicht der „Zentralkommission der Christlichen Gewerkschaften“ angeschlossen war.29 Bei der industriell-gewerblichen Arbeiterschaft fanden sie außer bei den TabakarbeiterInnen und Pflasterern kaum Anhängerschaft.30 Auf internationaler Ebene gehörten sie dem „Internationalen Bund der Christlichen Gewerkschaften“ ( IBCG ) an.31 In dem 1923 beschlossenen „Linzer Programm der Christlichen Arbeiterbewegung“, das auch für den Gewerkschaftsflügel maßgeblich war , befürwortete man eine berufsständische Organisation der Gesellschaft , allerdings unter demokratischen Bedingungen. Die Christlichen Gewerkschaften gingen damit unter Berufung auf die von Papst Leo XIII. erlassene Enzyklika „Rerum novarum“ in eindeutige Frontstellung zu den Freien Gewerkschaften und deklarierten einen weltanschaulich begründeten Antisemitismus : [ … ] Wir stehen auf dem Boden der Demokratie und fordern volle Gleichberechtigung der Arbeiterschaft in Ausmaß und Ausübung der politischen Rechte [ … ] Für gesunden Fortschritt und kulturellen , politischen und wirtschaftlichem Gebiete , ist von wesentlicher Bedeutung , dass die Führer der Arbeiterschaft in Abstammung und Denkart dem bodenständigen christli24 Steiner ( 1968 ), 38. 25 Vgl. Klenner ( 1953 ), 1087. 26 Vgl. Schmit ( 2009 ), 13. 27 Vgl. Klenner ( 1951 ), 567. 28 Vgl. Schmit ( 2009 ), 15. Schmit verwendet für seine Darstellung Daten aus der Christlichsozialen Arbeiterzeitung vom 29. 7. 1933. 29 Vgl. Klenner ( 1953 ), 1098 ; vgl. Demler , Karl ( 2006 ) : Von Knechten , Mägden und Facharbeitern. 100 Jahre Gewerkschaftsarbeit in der Land- und Forstwirtschaft , Wien , 35. 30 Vgl. Schmit ( 2009 ), 15. 31 Vgl. Reichhold , Ludwig ( 1987 ) : Geschichte der christlichen Gewerkschaften Österreichs , Wien , 139–146 , 272–283.
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III. Wirtschafts- und Interessenpolitik chen Volke angehören und dass der zersetzende Einfluss des Judentums aus dem Geistes- und Wirtschaftsleben des deutschen Volkes verdrängt werde.32
Es sei hier darauf verwiesen , dass sich der letzte Satz keineswegs nur gegen die SDAPIntellektuellen richtete , sondern auch gegen die Gewerkschaftsleitungen , wo entgegen den häufig anzutreffenden Vorstellungen eine Reihe jüdischer FunktionärInnen tätig war.33 Ab dem Massaker vor dem Justizpalast im Juli 1927 verhärteten sich die Fronten noch mehr. Der von den Freien Gewerkschaften zum Protest ausgerufene Generalstreik „wurde von den Christlichen Gewerkschaften als gewissenloser Missbrauch der österreichischen Arbeiter und Angestellten [ … ] scharf abgelehnt“.34 Grundsätzlich akzeptierten die Christlichen Gewerkschaften keine „politischen“ Streiks , sondern nur Streiks als „letztes Mittel“ bei Arbeitskämpfen.35 Nicht so unkonventionell wie die Freien Gewerkschaften , aber klar gegen die Regierungslinie der Rücknahme von Staatsintervention war das Programm der Christlichen Gewerkschaften zur Abmilderung der Wirtschaftskrise. Franz Spalowsky , der Vorsitzende der „Zentralkommission“, verlangte „schärfste Kontrolle des Geldverkehrs“, Zinssenkung und Begrenzung der Marktfreiheit zur Existenzsicherung für die „arbeitenden Menschen“.36 1.1.4 Die „Unabhängige Gewerkschaft“ der Heimwehren Konkurrenz im eigenen „Lager“ erhielten die Christlichen Gewerkschaften durch die 1928 in Leoben gegründete „Unabhängige Gewerkschaft“ ( UG ) der faschistischen Heimwehren ,37 einer „gelben“ oder „wirtschaftsfriedlichen“ Gewerkschaft. Die „Unabhängigen“ wandten sich vor allem gegen die Freien Gewerkschaften38 in den Betrieben und 32 Klenner ( 1953 ) : 1058–1060. 33 Nach über zehn Jahren Recherche stehen der Verfasserin zwar nur punktuelle , aber doch ausreichende Belege zur Verfügung , die zu der getroffenen Aussage berechtigen. Eine erste Publizierung der Recherche-Ergebnisse erfolgte in Bildbänden zur Gewerkschaftsgeschichte , die für die Mitgliederehrungen von ÖGB-Gewerkschaften zusammengestellt wurden : Pellar , Brigitte ( 2008–2011 ) : Eine andere Geschichte Österreichs. Gewerkschaft , soziale Verantwortung und menschliche Politik , Wien , Mutationen : Gewerkschaft der Privatangestellten – Druck , Journalismus , Papier ( 2008 ), Gewerkschaft vida ( 2009 ), Gewerkschaft der Post- und Fernmeldebediensteten ( 2009 ), Produktionsgewerkschaft PROGE ( 2011 ), Gewerkschaft Bau-Holz ( 2011 ). 34 Schmit ( 2009 ), 12–13. Schmit bezieht sich mit dieser Aussage auf : Wodrazka , Paul Bernhard ( 2003 ) : Und es gab sie doch ! Die Geschichte der christlichen Arbeiterbewegung in Österreich in der Ersten Republik , Frankfurt / Main , 144. 35 Vgl. Klein , Karl ( 2006 ) : Vom Klassenkampf zum europäischen Sozialmodell. Menschenwürde – Menschenrechte – Sozialreform. In : Klein , Karl / Pellar , Brigitte / R aming , Walter ( Hg. ) : Menschenwürde – Menschenrecht – Sozialreform. 100 Jahre christliche Gewerkschafter in Österreich , Wien , 23. 36 Vgl. Reichhold ( 1987 ), 423. 37 Vgl. Klenner ( 1953 ), 986–987 , 1061–1062 , 1079 , 1089. Zur Geschichte der UG in der Steiermark vgl. Staudinger , Eduard G. ( 1985 ) : „Unabhängige Gewerkschaft“ und Arbeiterschaft in der Obersteiermark 1927 bis 1933“. In : Geschichte und Gegenwart , Jg. 4 ( 1985 ) Heft 1 , 54–81. 38 Vgl. die Rede Steidles bei einer Hauptversammlung der Christlichen Eisenbahnergewerkschaft im November 1928. Zitiert in : Koranda , Adalbert ( Red. ) ( 1992 ) : 100 Jahre Gewerkschaft der Eisenbahner , Wien , 135.
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lehnten Streik in jeder Hinsicht ab. Stattdessen gingen sie von vollständiger Interessen identität zwischen Unternehmensführung und Belegschaft aus. Ihr Ziel war die Bildung von „Werkgemeinschaften“ in einem berufsständischen System.39 Unter dem Druck der Weltwirtschaftskrise wanderten vor allem in der Steiermark und in Kärnten nicht wenige Mitglieder der Freien Gewerkschaften zu den von den großen Unternehmen wie der Alpine-Montan-Gesellschaft großzügig unterstützten „Unabhängigen“ ab.40 Beinhart verlief allerdings auch die Konfrontation zwischen UG und Christlichen Gewerkschaften , die die „Unabhängigen“ zunächst als Verbündete gegen den „roten Terror“ in den Betrieben gesehen hatten. Franz Hemala , niederösterreichischer Landesbeamter und Vorstandsmitglied der Zentralkommission der Christlichen Gewerkschaften , dazu 1930 : Die Betriebsleitung der Alpine-Betriebe entfaltete für diese neue Organisation eine Werbetätigkeit , die in ihren Methoden vielfach dem sozialdemokratischen Terror von einst kopierte. Die Erfahrungen , die die christliche Gewerkschaftsbewegung mit dem Heimatschutz machte , waren einer der Gründe , eine eigene Selbstschutzorganisation , den Freiheitsbund , ins Leben zu rufen.41
Dort wo die Unabhängige Gewerkschaft wieder zerbröckelte , stießen , ebenfalls vom Alpine-Management gefördert , „Nationalbetonte“ in das Vakuum. Offiziell ohne jede Verbindung zur mittlerweile verbotenen NSDAP , gründeten1933 nationalsozialistische Betriebsratsmitglieder im steirischen Industriegebiet die „Deutsche Arbeitergewerkschaft“ ( DAG ).42 1.1.5 Die ( deutschnationalen ) „völkischen“ Gewerkschaften und die NSBO Die deutschnationalen Gewerkschaften schlossen sich in der Ersten Republik zum „Deutschen Gewerkschaftsbund für Österreich“ zusammen. Sie waren wie die Christlichen Gewerkschaften am stärksten bei den öffentlichen Angestellten verankert , hatten aber auch unter den Privatangestellten eine nicht unbedeutende Anhängerschaft und standen politisch weit rechts : 1929 gehörte ihrem „Bund“ unter anderem bereits die „Vereinigung der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterjugend“ an.43 Etwa ab dieser Zeit begannen die NationalsozialistInnen , nach kommunistischem Vorbild Betriebszellen ( Nationalsozialistische Betriebszellenorganisation / NSBO ) in der Privatwirtschaft , aber auch an strategisch wichtigen Positionen wie in den Arbeiterkammern aufzubauen. 44
39 Vgl. Gelbe Gewerkschaften. In : Online Enzyklopädie , URL : www.enzyklo.de / Begriff / G elbe%20 Gewerkschaften ( abgerufen am 14. 7. 2012 ). 40 Vgl. Klenner ( 1953 ), 834. 41 Hemala Franz ( 1930 ) : Geschichte der Gewerkschaften , Wien , 261. 42 Vgl. Klenner ( 1953 ), 978–979. 43 Vgl. Klenner ( 1953 ), 1079–1080. 44 Vgl. Stubenvoll , Karl ( 1997 ) : 75 Jahre Sozialwissenschaftliche Studienbibliothek der Kammer für Arbeiter und Angestellte für Wien 1921–1996 [ S chriftenreihe der sozialwissenschaftlichen Studienbibliothek ] , Wien , 54–55.
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III. Wirtschafts- und Interessenpolitik
Dank der Betriebszellenstruktur konnten die NationalsozialistInnen – wie auch die KommunistInnen – nach dem Verbot ihrer Partei 1933 sehr rasch im Untergrund mit illegaler Oppositionstätigkeit beginnen. 1.2 Überbetriebliche gesetzliche Interessenvertretungen mit demokratischem Wahlrecht 1.2.1 Gehilfenversammlungen und Gehilfenausschüsse der gewerblichen Genossenschaften Die älteren der beiden überbetrieblichen gesetzlichen Interessenvertretungssysteme waren die Gehilfenversammlungen der gewerblichen Genossenschaften45 mit ihren Gehilfenausschüssen. Ihre Rechtsgrundlage war die Gewerbeordnung und ihnen gehörten alle FacharbeiterInnen des zumeist regional definierten Wirkungsbereichs der Genossenschaft verpflichtend an. Die Gehilfenversammlung wählte den Gehilfenausschuss , der das Verhandlungsmandat gegenüber der Unternehmerseite hatte. In der Ersten Republik existierte mit dem „Verein genossenschaftlicher Gehilfenvertreter Österreichs“ ein Koordinationsgremium , das durch die Arbeiterkammer in Wien betreut wurde.46 In den 1880er-Jahren als Repressions- und Alternativinstrument gegen die junge sozialdemokratische Arbeiterbewegung nach ständischer Ideologie aufgebaut , entwickelten sich die Gehilfenorganisationen der Genossenschaften zur ersten legalen Plattform der Freien Gewerkschaften. Später dienten sie als Rechtsbasis für Kollektivverträge und in der Ersten Republik mit ausgeweiteten Rechten auch wieder als politische Plattform. Den Wahlen in die Gehilfenausschüsse wurde ein hoher Stellenwert beigemessen , entsprechend erbittert verliefen die Wahlkämpfe , vor allem zwischen Freien und Christlichen Gewerkschaften. Es ging dabei auch um die Kontrolle der finanziellen Ressourcen der genossenschaftlichen Sozialversicherung.47 1.2.2 Die Kammern für Arbeiter und Angestellte ( Arbeiterkammern ) Arbeiterkammern wurden als Teil des Sozialgesetzgebungspakets der Koalitionsregierungen zu Beginn der Ersten Republik durch Beschluss der konstituierenden Nationalversammlung vom 20. Februar 1920 errichtet. Bei der Einteilung der Kammerbezirke orientierte man sich an jenen der Handelskammern , wobei Wien und Niederösterreich einen gemeinsamen Kammerbezirk bildeten48 und das Burgenland trotz eigenständiger Struktur noch an die Kammer in Wien angebunden war. Für die Arbeiterkammern galt 45 Unter der NS-Herrschaft wurde die in Österreich seit Auflösung der Zünfte im 19. Jahrhundert verschwundene Bezeichnung „Innungen“ wieder eingeführt , die man nach 1945 beibehielt. Nach 1945 wurden die Innungen in die Wirtschaftskammern ( d ie früheren Handelskammern ) integriert , die Gehilfenversammlungen mit den Gehilfenausschüssen wurden nicht mehr aktiviert , sondern als „Fachausschüsse“ in die Struktur der Arbeiterkammern eingebaut. 46 Beleg dafür ist die gemeinsame Herausgabe des Informationsmaterials für die Gehilfenfunktionäre durch die Arbeiterkammer in Wien und den Verein der Gehilfenvertreter. Vgl. Kimml , Anton ( 1926 ) : Gehilfenversammlung und Gehilfenausschuss. Richtlinien für die Tätigkeit der genossenschaftlichen Gehilfenfunktionäre , Wien. 47 Vgl. Pellar , Brigitte ( 2013 ) : … mit sozialpolitischen Erwägungen. Staatliche Arbeitsstatistik und Gewerkschaftsmitsprache im Handelsministerium der Habsburgermonarchie , Wien ( i m Druck ). 48 Vgl. Gesetz vom 26. Februar 1920 über die Errichtung von Kammern für Arbeiter und Angestellte ( A rbeiterkammern ), StGBl. der Republik Österreich Nr. 100 / 1920 , 171.
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ebenfalls die gesetzliche Zugehörigkeit , hier aber nicht auf Gewerbezweige beschränkt. Sie hatten das Vertretungsmandat für alle ArbeiterInnen und Angestellten der Privatwirtschaft sowie der öffentlichen und privaten Verkehrsunternehmen. Die vier Gruppen wählten ihre VertreterInnen in entsprechende „Sektionen“, die zwischen und neben den „Vollversammlungen“ weitgehend selbstständig agieren konnten. Das gesamtösterreichische Koordinationsgremium war der „Österreichische Arbeiterkammertag“.49 Die ersten Wahlen fanden 1921 / 1922 statt. Ihr Ergebnis erleichterte es , dass „durch die Kammern für die freien Organisationen Stützpunkte geschaffen wurden“50. Die Wahlen 1926 bestätigten die „rote“ Dominanz unter den Lohnabhängigen ,51 und zwar aufgrund der gesetzlichen Zugehörigkeit über die Gewerkschaftsmitgliedschaft hinaus. Die Beschlussfassung zum ersten AK-Gesetz erfolgte einstimmig , doch die Vorstellungen über Zweck und Aufgaben dieser schon seit fast einem halben Jahrhundert zur Diskussion gestandenen52 Vertretungsform war höchst unterschiedlich. Die Sozialdemokratie forderte als Rahmenbedingungen Autonomie gegenüber Staat und Unternehmertum , Gleichberechtigung und politisches Primat der Gewerkschaften. Die bis nach dem Ersten Weltkrieg immer wieder ins Spiel gebrachte Variante einer Kammer , die von Lohnabhängigen und Unternehmerschaft gleichermaßen beschickt werden sollte ,53 fand dementsprechende Ablehnung. Bei der Formulierung des Gesetzes von 1920 setzte sich die sozialdemokratische Konzeption eindeutig durch. Die Freien Gewerkschaften waren trotzdem eher skeptisch , sahen sie doch Gefahr für ihr Vertretungsprimat. Andererseits machte der Anspruch der vollen Gleichberechtigung der Arbeiterschaft durch die demokratische Republik die Errichtung von Kammern für Arbeiter und Angestellte als Gegenüber zu den Handels- und Gewerbekammern notwendig. Die sozialdemokratischen GewerkschafterInnen reklamierten dementsprechend auch in den neuen Institutionen das Vertretungs- und Einflussprimat für sich. Man müsse die Kammern akzeptieren , doch „müssen wir anstreben , dass sie … unsere Organisationen ergänzen und immer fest in unseren Händen bleiben“.54 49 Vgl. Borkowetz , Franz ( 1965 ) : Wesen und Wirken der Arbeiterkammern. Eine Einführung. In : Rimpel , Robert ( Red. ) : Die Kammern für Arbeiter und Angestellte 1945–1965. Zwei Jahrzehnte ihres Wirkens festlich gewürdigt , Wien , 9–50 : 25–26. 50 Verlag A. Hueber ( Hg. ) ( 1923 ) : Protokoll des zweiten ordentlichen deutschösterreich. ( neunten österreichischen ) Gewerkschaftskongresses. Abgehalten vom 25. bis 28. Juni 1923 in Wien , Wien , 268. 51 Vgl. Klenner ( 1951 ), 567. 52 Vgl. Bericht des Ausschusses über die Petition des Vereins „Volksstimme“ vom 13. 3. 1874. In : Haus der Abgeordneten des österreichischen Reichsrathes ( Hg. ) ( 1875 ) : Verhandlungen des Hauses der Abgeordneten des österreichischen Reichsrathes , 8. Session , Bd. 3 , 155 der Beilagen zu den stenogr. Protokollen des Abgeordnetenhauses , 8. Session , 1428–1434 : 1428. 53 Vgl. Gerlich , Rudolf ( 1982 ) : Die gescheiterte Alternative. Sozialisierung in Österreich nach dem Ersten Weltkrieg , Wien. Zitiert in : Kepplinger et. al. ( 1995 ), 19–20. Vgl. März Eduard / Weissel Erwin ( 1966 ) : Die Kammern für Arbeiter und Angestellte ( A rbeiterkammern ). In : Pütz , Theodor ( Hg. ) : Verbände und Wirtschaftspolitik in Österreich [ S chriften des Vereins für Sozialpolitik NF 39 ] , Berlin , 393–436 : 393. 54 Verlag A. Hueber ( Hg. ) ( 1920 ) : Protokoll des ersten deutschösterreichischen ( achten österr. ) Kongresses der Gewerkschaftskommission Deutschösterreichs. Abgehalten vom 30. November bis zum 4. Dezember 1919 in Wien , Wien , 356.
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III. Wirtschafts- und Interessenpolitik
Bei der Besetzung der Kammer-Büros waren nicht nur die administrativen Aufgaben zu berücksichtigen , sondern vor allem auch deren angestrebte Funktion als Think-Tank der Freien Gewerkschaften und ( nach dem Ausscheiden aus der Regierung 1920 ) als politisches Instrument der Sozialdemokratie insgesamt gegenüber Bundesregierung und Parlament.55 Für die Minderheitsfraktionen in der Selbstverwaltung – Repräsentanz der Christlichen und deutschnationalen Gewerkschaften und der KommunistInnen – waren Zusammensetzung und Politik des Arbeiterkammer-Büros von Anfang an Angriffsziel. Im Jahresbericht 1923 des „Deutschnationalen Handlungsgehilfenverbands“ ( DHV ) hieß es zum Beispiel : Sie sind rein marxistische Parteiunternehmungen geworden. Sie stellen sozialdemokratische Akademiker ein , richten jüdisch-marxistische Tendenzbibliotheken und Archive ein … bekräftigen das , was die sozialdemokratische Partei und die marxistischen Gewerkschaften schon zweimal geredet , geschrieben oder gefordert haben , zum dritten Male und spielen so eigentlich ein völlig überflüssiges Instrument im politischen Konzert.56
Als – aufgrund der Wahlergebnisse – sozialdemokratisch orientierte Interessenvertretung wurden die Arbeiterkammern von den rechten Koalitionsregierungen nach 1920 nicht in dem Ausmaß eingebunden , wie es dem Zuständigkeitsbereich , der in Analogie zu den Handelskammern auch wirtschaftspolitische Fragen einschloss , entsprochen hätte. Außerdem absorbierte die zur Beschlussfindung notwendige Koordination zwischen den in heftiger Konfrontation stehenden Richtungsgewerkschaften einen großen Teil der Kapazitäten.57 Das Offenhalten der einzigen gemeinsamen Diskussionsplattform bewährte sich aber in etlichen schwierigen Situationen , etwa bei der Entschärfung des ursprünglichen Regierungsentwurfs für das „Antiterrorgesetz“ 58 oder bei der Konzeption und Durchführung des Hilfsprogramms „Jugend in Not“ – „Jugend am Werk“ durch den alle Richtungsgewerkschaften repräsentierenden Jugendbeirat der Arbeiterkammer in Wien.59 1.2.3 Die Dienstnehmersektionen in den Bauernkammern Oberösterreich , Tirol , Vorarlberg Vonseiten der Freien Gewerkschaften wurde angestrebt , auch für die LandarbeiterInnen , damals noch mindestens ein Fünftel der lohnabhängigen Bevölkerung , eine autonome gesetzliche Interessenvertretung vorzusehen. Die starke Landwirtschaftslobby60 55 Vgl. März et al. ( 1966 ), 399–400 ; vgl. Weidenholzer et al. ( 1995 ), 22. 56 Feger , Paul ( o. J. ) : Schaffen und Wollen des DHV in Österreich. Dargestellt am wirtschafts- und sozialpolitischen Arbeitsbericht zum 15. Ordentlichen Verbandstag am 8. September 1923 in Graz , Wien , 41–42. Zitiert in : Stubenvoll ( 1997 ), 49. 57 Vgl. Weber-Felber , Ulrike ( 1995 ) : Gewerkschaften in der Ersten Republik. In : Tálos et al. , 319– 338 : 321–322. 58 Vgl. u. a. Reichhold ( 1987 ), 407 ; siehe auch Seite 1 und Kapitel 3. 1. 59 Vgl. Kimml , Anton ( 1965 ) : Jugendparlament der Ersten Republik. Der Jugendbeirat der Arbeiterkammer Wien 1924–1938 , Wien. 60 Vgl. Bruckmüller , Ernst ( 1995 ) : Das sozial- und wirtschaftspolitische System Österreichs. His
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verhinderte dies aber nicht nur in der Bundesgesetzgebung ,61 sondern auch in der für die Land- und Forstwirtschaft kompetenten Landesgesetzgebung , obwohl die SozialdemokratInnen bei der Vorbereitung der Umwandlung der aus der Monarchie stammenden Landeskulturräte in Bauernkammern62 in den Landtagen immer wieder entsprechende Vorstöße unternahmen. In der Steiermark forderten sie etwa die Zuordnung der Land- und ForstarbeiterInnen zur Arbeiterkammer ,63 in Tirol setzten sie sich für autonome Landarbeiterkammern ein.64 Die gesetzlichen Interessenvertretungen , die schließlich vor 1933 im Rahmen der Bauernkammern in drei Bundesländern eingerichtet wurden , sind dagegen nicht als ernst zu nehmende Interessenvertretungen zu werten. Diese „Dienstnehmersektionen“ mit der Aufgabe , „die [ … ] sittlichen , kulturellen und materiellen Verhältnisse der Mitglieder zu verbessern“,65 standen unter Kontrolle der bäuerlichen Funktionäre.66 Sie finden hier aber Erwähnung , weil sie einen Vorgriff auf die „berufsständische Ordnung“ des austrofaschistischen Ständestaats , wie sie besonders der Heimwehrflügel konzipierte , darstellten. Im Sommer 1934 , also schon im „autoritären“ Staat der Maiverfassung , folgten Dienstnehmersektionen bei den Bauernkammern der Steiermark und Niederösterreichs.67 Die Bestellung der Vertreter der Lohnabhängigen ohne Rücksprache mit der noch bestehenden christlichen Land- und Forstarbeitergewerkschaft war wahrscheinlich der Regelfall , aber für Niederösterreich ist die „heftige Kritik“ Leopold Kunschaks , des wichtigsten Exponenten der christlichen Arbeiterbewegung , dokumentiert. Er forderte aus diesem Anlass grundsätzlich , „dass Vertrauensmänner der Arbeiterschaft nur nach Fühlungnahme mit der zuständigen Artorische Entwicklung und Bewertung in der Gegenwart. In : Bundesarbeitskammer ( Hg. ) : 75 Jahre Kammern für Arbeiter und Angestellte , Wien , 179–221 : 194. 61 Vgl. Wagner , Richard ( 1932 ) : Die ersten Jahre der Republik. In : Deutsch , Julius / L eichter , Käthe / Straas , Eduard / Wagner , Richard : Geschichte der österreichischen Gewerkschaftsbewegung , Bd. 2 , Im Weltkrieg und in der Nachkriegszeit , Wien , 74–114 : 110. 62 Vgl. Bamberger , Richard / Meier-Bruck , Franz ( Hg. ) ( 1966 ) : Österreich-Lexikon , Bd. 2 , Stichwort : Landwirtschaftskammern ( „Bauernkammern“ ), Wien , 669. In einigen Bundesländern entschied man sich , den alten Namen „Landeskulturrat“ beizubehalten. Die „Bauernkammern“ entsprechen den Landwirtschaftskammern der Zweiten Republik. 63 Vgl. Landarbeiterkammer Steiermark , Website , URL : http ://www.landarbeiterkammer.at / steiermark / _ lccms_ / _00097 / Chronik.htm ?VER=120626095022&LANG=lak&MID=97 ( abgerufen am 15. 7. 2012 ). 64 Vgl. Hofinger , Winfried ( 2006 ) : Rückblick auf eine agrarische Sozialpartnerschaft. Referat vor der Vollversammlung der Landes-Landwirtschaftskammer Tirol im Dezember 2006 , URL : http ://www. hofinger.eu / w ikih / R%C3%BCckblick_auf_eine_agrarische_Sozialpartnerschaft ( abgerufen am 15. 7. 2012 ). In der Zweiten Republik wurden in fünf Bundesländern Landarbeiterkammern als Kompromiss lösung eingerichtet , weil die Agrarlobby eine bundesgesetzlich geregelte AK-Zugehörigkeit nach wie vor blockierte , in Wien und dem Burgenland betreut die AK aber die Lohnabhängigen der Land- und Forstwirtschaft mit. Nur Tirol und Vorarlberg weigerten sich , auf die „Dienstnehmersektionen“ in den Landwirtschaftskammern zu verzichten , und Vorarlberg behielt sogar die Bezeichnung bei , während Tirol die Sektion in „Landarbeiterkammer“ umbenannte. Beide mussten allerdings Umwandlungen zum demokratischen Prinzip der „Gegnerfreiheit“ vornehmen. Dazu siehe auch Kapitel 3. 3. 65 Hofinger ( 2006 ). 66 Vgl. Demler ( 2006 ), 34. 67 Vgl. Landarbeiterkammer Steiermark ( 15. 7. 2012 ) ; vgl. Reichhold ( 1987 ), 491.
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beiterorganisation ernannt werden dürfen“.68 Die Auseinandersetzung um die Vertretungshoheit für „die Arbeiterschaft“ innerhalb des austrofaschistischen Systems zeichnete sich hier deutlich ab. 1.3 Die Betriebs- und Dienststellenebene 1.3.1 Die Betriebsräte des privaten Sektors Das Betriebsrätegesetz vom Mai 1919 war wie das Arbeiterkammergesetz ein Dreivierteljahr später ein Teil der großen Sozialoffensive der Republikgründungsjahre. Die Freien Gewerkschaften reagierten , wie dann bei den Kammern , gegenüber dem Plan einer gesetzlich fundierten Interessenvertretung im Betrieb zunächst sehr zurückhaltend. Sie befürchteten , „dass das Betriebsrätewesen zu syndikalistischem Betriebsegoismus führen könnte“, während die Unternehmerseite genau deshalb auf eine Chance zur Schwächung der „gewerkschaftlich geschulten Arbeiterschaft“ und der Gewerkschaften selbst hoffte.69 Der schließlich gefundene und beschlossene Kompromiss verzichtete zwar auf die ursprünglich vorgesehene Mitbestimmung im Unternehmensmanagement ,70 engte die Gültigkeit des Gesetzes auf Betriebe ab 20 Beschäftigten ein und schloss unter dem Druck der Agrarlobby die Land- und ForstarbeiterInnen aus ,71 es kam aber doch zu „schwereren Eingriffen in die Herrenrechte , als es bei den späteren Betriebsrätegesetzen anderer Staaten der Fall war , zum Beispiel 1920 in Deutschland und 1921 in der Tschechoslowakei“.72 Denn die Bestimmungen , die den Betriebsräten die Einsicht in die Gebarung ihres Unternehmens zuerkannte und sie zur Zusammenarbeit mit den Gewerkschaften verpflichteten , blieben aufrecht.73 Der Betriebsrat erhielt unter anderem das Recht , Lohnlisten und Lohnauszahlungen zu kontrollieren , Einsicht und Kontrolle über Produktion und Geschäftsgebarung sowie Einsicht in Bilanz , Gewinn- und Verlustrechnung standen ihm ebenfalls zu. Die Änderung der Arbeitsordnung bedurfte jetzt der Zustimmung der Belegschaftsvertretung , die auch Kündigungen aus politischen und gewerkschaft lichen Gründen anfechten konnte. Eine weitere Aufgabe der Betriebsratskörperschaften war die Überwachung der Durchführung und Einhaltung der Kollektivverträge.74 Da die Wahl von Betriebsräten nicht verpflichtend war , kam es auf die Organisationsstärke einer Gewerkschaft an , ob sie ihre Errichtung durchsetzen konnte. Das bevor zugte die starken Freien Gewerkschaften , denen es rasch gelang , ihr Vertrauensleutesystem auf die Einbindung der Betriebsräte und auf eine starke Loyalitätsbindung zur gewerkschaftlichen Organisation aufzubauen.75 In den wirtschaftlich und politisch extrem schwierigen Jahren der Weltwirtschaftskrise um 1930 wurde die Position der Betriebsräte geschwächt und manche Unterneh68 Vgl. Reichhold ( 1987 ), 491. 69 Vgl. Wagner ( 1932 ), 98. 70 Vgl. ebenda , 97–98. 71 Vgl. Weber-Felber ( 1995 ), 337 , EN 4. 72 Wagner ( 1932 ), 98. 73 Vgl. Lederer , Max ( 1932 ) : Grundriss des österreichischen Sozialrechtes , Wien , 35. 74 Vgl. Gesetz vom 15. Mai 1919 , betreffend die Errichtung von Betriebsräten , StGBl. für den Staat Deutschösterreicheich Nr. 283 / 1919 , 651–55. 75 Vgl. Wagner ( 1932 ), 102 ; vgl. Weber-Felber ( 1984 ), 321.
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mensleitungen wandten gegen sie Terrormethoden an. Es gab größere Industriebetriebe , in denen sich die Direktoren – entgegen den gesetzlichen Bestimmungen – in die Betriebsratswahlen einmischten. Gleichzeitig resignierten viele Lohnabhängige angesichts der hohen Arbeitslosigkeit und waren nicht mehr bereit , für Einrichtung oder Beibehalten eines Betriebsrats zu kämpfen.76 Trotzdem war das freigewerkschaftliche Betriebsratsnetzwerk selbst nach einem Dreivierteljahr Notverordnungsregime Anfang 1934 noch immer funktionsfähig genug , um eine Protestwelle in allen Bundesländern gegen die Entdemokratisierung und Gleichschaltung der Arbeiterkammern auszulösen. Beteiligt waren 171.178 Beschäftigte aus 1.112 Betrieben.77 Unter den ( laut Polizeibericht ) rund 15.000 „Aufrührern“ des 12. Februar 1945 stellten Betriebsratsmitglieder – neben Arbeitersportlern und Schützbündlern – eine der drei größten Gruppen.78 Es wäre eine lohnende Forschungsaufgabe , die im Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstands ( DöW ) zugängliche Anklageschrift der Staatsanwaltschaft79 ( u nd die übrigen Berichte zum 12. Februar 1934 ) im Hinblick auf die Betriebsebene auszuwerten. 1.3.2 Personalvertretungen und Vertrauensmänner im öffentlichen Dienst Für den gesamten öffentlichen Dienst einschließlich der Infrastrukturunternehmen galt bis 1918 striktes Koalitionsverbot , den Beschäftigten der Infrastrukturunternehmen , vor allem den EisenbahnerInnen , gelang es aber trotzdem schon in der Monarchie , Gewerkschaften zu organisieren und Personalkommissionen oder Arbeiterausschüsse durchzusetzen. In dienstrechtlichen Angelegenheiten ging die Freie Gewerkschaft Verhandlungs- und Aktionskoalitionen mit den anderen Richtungsgewerkschaften ein , wie etwa bei der Beschlussfassung zum EisenbahnerInnenstreik von 1933 , dessen Behandlung im Nationalrat das Geschäftsordnungsproblem auslöste , das Bundeskanzler Dollfuß als Vorwand zur Ausschaltung des Parlaments nutzte.80 Im Bereich der Hoheitsverwaltung und der Sicherheitsorgane , also für den Landesund Bundesdienst , für Polizei , Gendarmerie und Militär konnten erst in der Republik Gewerkschaften organisiert und Personalvertretungen oder ein Vertrauensleutesystem eingerichtet werden. Beim Bundesheer und bei der Personalvertretung der inneren Sicherheit , war bis 1926 die jeweils zuständige Freie Gewerkschaft die stärkste Fraktion.81 76 Vgl. Pellar , Brigitte ( 2007 ) : Demokratischer Maßstab Mitbestimmung. Die Geschichte zu einem fast vergessenen Doppeljubiläum : 60 Jahre Betriebsrätegesetz und 60 Jahre Kollektivvertragsgesetz in der Zweiten Republik. In : Arbeit & Wirtschaft Jg. 61 ( 2007 ), Heft 9–10 , 52–55. 77 Vgl. Göhring , Walter / Pellar , Brigitte ( 2001 ) : Anpassung und Widerstand. Arbeiterkammern und Gewerkschaften im österreichischen Ständestaat [ S chriftenreihe des Instituts zur Erforschung der Geschichte der Gewerkschaften und Arbeiterkammern 13 ] , Wien , 39–47. 78 Vgl. Holtmann , Everhard ( 1978 ) : Zwischen Unterdrückung und Befriedung. Sozialistische Arbeiterbewegung und autoritäres Regime in Österreich 1933–1938 , Wien , 177. 79 Vgl. Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstands , Akt 5593b , Anklageschrift der StA Wien II gegen Eifler und Genosssen , Zl. 12 St 5624 / 34 , 3 Vr. 3553 / 34 , 30. Januar 1935 , 32. Zitiert in : Holtmann ( 1978 ), 177. 80 Vgl. u. a. Koranda ( 1992 ), 244–271. Vgl. Günter , Harald , Bildungsreferat der Gewerkschaft der Eisenbahner ( Hg. ) ( 2003 ) : 110 Jahre Gewerkschaft der Eisenbahner , CD-Rom. Wien. 81 Vgl. Klenner ( 1951 ), 620 , 714. Der freigewerkschaftliche Militärverband erhielt 1926 zum Beispiel 203 Mandate , der christliche Wehrbund 49 Mandate.
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Keine dieser Vertretungskörperschaften hatte eine gesetzliche Grundlage82 und sie wurden ab 1934 ersatzlos beseitigt. 1.4 Ausgewählte Literatur und Hinweise zur Quellenlage Das Fehlen einer umfassenden wissenschaftlichen Gesamtdarstellung des Netzwerks an Vertretungen der Lohnabhängigen in der Ersten Republik wird in der Literatur immer wieder bedauert. Eine der wichtigsten Ursachen dafür ist das Fehlen von Archivalien aus den betreffenden Organisationen selbst , für 1918 bis 1933 in noch größerem Ausmaß als für die austrofaschistische Phase. Hier macht sich der doppelte historische Bruch 1934 und 1938 sehr deutlich bemerkbar. Als sich im Dezember 1933 die kurz bevorstehende Abschaffung der demokratisch fundierten Selbstverwaltung in den Arbeiterkammern abzeichnete , dürften am jeweiligen gemeinsamen Sitz des Bundes der Freien Gewerkschaften und der Arbeiterkammer in den Landeshauptstädten die ersten wichtigen Unterlagen zum Schutz sozialdemokratischer Strukturen entnommen worden sein. Auch in der Phase vom 1. Jänner bis zum 12. Februar 1934 , als die Kontrolle bereits bei den vom Regime eingesetzten Verwaltungskommissionen lag , aber die sozialdemokratischen Angestellten und MitarbeiterInnen noch verblieben , konnte man belastendes Material verschwinden lassen. Zudem gelangten nach dem Verbot der sozialdemokratischen Organisationen etliche wichtige Dokumente ohne Zweifel mit Flüchtlingen ins ausländische Exil. Vermutlich sind nicht aufgearbeitete Bestände zu den Freien Gewerkschaften als Teil der vor allem auch mithilfe Friedrich Adlers geretteten Archivalien der „alten“ österreichischen Sozialdemokratie in Amsterdam und Wien noch erhalten und harren der Durchsicht.83 Große freigewerkschaftliche Bestände werden aber ebenso wie ein Großteil des Schriftg uts der Arbeiterkammern mit ziemlicher Sicherheit in Österreich verblieben sein. Sie fielen zusammen mit den Dokumenten der „Einheitsgewerkschaft“, also des austrofaschistischen Staatsgewerkschaftsbunds , 1938 in die Hände des NS-Regimes. Am Sitz der Arbeiterkammer und der Zentrale der Einheitsgewerkschaft in der Wiener Ebendorfer Straße beschlagnahmte die Gestapo schon am 13. März das Schriftgut beider Institutionen , wie Karl Stubenvoll jüngst dargelegt hat.84 Nach der Beschlagnahme erfolgte die Plünderung. Die Bestände wurden an das „Arbeitswissenschaftliche Institut“ der „Deutschen Arbeitsfront“ ( DAF ) in Berlin verbracht und sind seitdem zusammen mit dem überwiegenden Teil der alten Bibliothek 82 Für die Bundes- und Landesbediensteten wurde erst 1967 ein Personalvertretungsgesetz beschlossen. Die Postbediensteten erhielten 1996 mit dem Post-Betriebsverfassungsgesetz und die EisenbahnerInnen 1997 mit dem Bahn-Betriebsverfassungsgesetz eine entsprechende Rechtsgrundlage , wobei auch der Übergang von der Personalvertretung zum Betriebsrat bei Privatisierungen geregelt wurde. 83 Zur Genese der Archivbestände im VGA. Friedrich Adler und die Archive der österreichischen Arbeiterbewegung , Verein für Geschichte der Arbeiterbewegung ( VGA ), URL : http ://www.vga. at / d / i ndex.php ?nav=13 ( abgerufen am 13. 11. 2011 ). 84 Vgl. Stubenvoll , Karl ( 2011 ) : Die SS und der Raub der „Marxistenbibliotheken“ in der Wiener Arbeiterkammer. In : Kammer für Arbeiter und Angestellte für Wien ( Hg. ) : Jahrbuch 2011 AK-Bibliothek für Sozialwissenschaften , Wien , 59–92 : 73.
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verschollen.85 Diese Tatsache ist seit 1989 wissenschaftlich publiziert.86 Der Verlust der Dokumente der Zentralen in den anderen Bundesländern ist dagegen überhaupt nicht erforscht und das gilt noch in weit größerem Ausmaß für die Dokumente der Richtungsgewerkschaften. An zeitgenössischen Quellen stehen hier – mit Ausnahme der Jubiläumsbücher , die nach 1918 erschienen – nur gedruckte Protokolle87 und die ( a llerdings insbesondere auch für die Spätzeit der Ersten Republik höchst aufschlussreichen ) Fachblätter zur Verfügung. Etliche von ihnen wurden noch mit der Postschleife von der Nationalbibliothek ungeöffnet registriert , andere verbrachte man aus ungeklärten Gründen ( wahrscheinlich im Zuge der Plünderungen 1938 ) in die Universitätsbibliothek , einige Nummern fehlen ganz. Auch im Archiv des Österreichischen Gewerkschaftsbunds ( ÖGB ) befindet sich keine vollständige Sammlung. Ein anderer wichtiger Bestand ist dagegen in das ÖGB-Archiv integriert : Die von Anna Boschek gerettete Handbibliothek der Reichskommission beziehungsweise des Bundes der Freien Gewerkschaften. Anna Boschek , angestelltes Mitglied der Gewerkschaftskommission ab 1894 und damit erste österreichische „Berufspolitikerin“ seit Maria Theresia , leitete bis zur Zerstörung der Demokratie die Frauenabteilung des „Bundes“.88 Es gelang ihr , die Bibliothek an sich zu nehmen , obwohl sie wie fast alle prominenten SozialdemokratInnen nach dem 12. Februar 1934 verhaftet wurde und dann unter Polizeiaufsicht stand. 1949 übergab sie die Bände dem ÖGB , wo sie in den Handapparat des Pressereferats integriert wurden.89 Die Überblicksgeschichten zur Gewerkschaftsbewegung der Ersten Republik sind in zwei Gruppen zu untergliedern : einerseits zeitgenössische „Propagandaschriften“ der Richtungsgewerkschaften , die demgemäß nicht den gesamten Zeitraum bis 1933 abdecken����� ������������� können , andererseits nach 1945 geschriebene Darstellungen aus dem Gewerkschaftsbereich , die die gesamte Ära abdecken , aber mit dem Zweck einer historischen Begründung des überparteilichen ÖGB publiziert und daher in manchen Fragen „koalitionär geglättet“ sind. 85 Vgl. Mulley , Klaus-Dieter ( 2011 ) : „Auf eine gewisse repräsentative äußere Ausstattung ist größter Wert zu legen“. Die kafkaeske Suche nach einem AK-Gebäude 1920 /21. In : Jahrbuch 2011 AK-Bibliothek für Sozialwissenschaften , 155–179 : 156. 86 Vgl. Roth , Karl Heinz ( 1989 ) : Searching für Lost Archives. The Role oft the Deutsche Arbeitsfront in the Pillage of West European Trade-Union-Archives. In : International Review of Social History XXXIV , Cambridge , 272–286. 87 Im Fall der Arbeiterkammer in Wien sind die Protokolle als „Berichte“ publiziert , da es sich nicht um stenografische Aufzeichnungen , sondern um – wenn auch ausführliche – Zusammenfassungen handelt. Vgl. Kammer für Arbeiter und Angestellte in Wien ( 1921–1933 ) : Bericht ( über die Vollversammlung am … ). Die Berichte 1924–1933 sind auch als digitale Ressource im WEB zugänglich , URL : http ://content.onb.ac.at / cgi-content / A nno-plus ?aid=bak ( abgerufen am 14. 7. 2012 ). 88 Zur Person siehe u. a. : Anna Boschek 1874 bis 1857. Erste Gewerkschafterin im Parlament. In : Zach , Andrea ( Red. ) : Frauen machen Geschichte , URL : http ://www.renner-institut / f rauenmach … geschichte / sozialdemokratinnen / boschek.htm ( abgerufen am 16. 11. 2011 ). 89 Vgl. Österreichischer Gewerkschaftsbund ( Hg. ) ( 1950 ) : Tätigkeitsbericht für das Jahr 1949 , Wien , 264. Hier heißt es : „Durch die Übernahme eines großen Buchbestandes aus der ehemaligen Bibliothek von Kollegin Anna Boschek … erfuhr die Handbibliothek eine wesentliche Bereicherung durch teilweise unersetzliche Werke aus der Geschichte der einstigen Freien Gewerkschaften Österreichs sowie der Gewerkschaftsbewegung Deutschlands vor 1933 und der einstigen Amsterdamer Gewerkschaftsinternationale.“
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Die AutorInnen der ersten Gruppe konnten sich auf viele der verlorenen Materialen stützen und jene der zweiten Gruppe verwendeten diese Informationen weiter. Damit handelt es sich um unverzichtbare Quellen , auch wenn Herkunftsnachweise zumeist fehlen. Die wichtigsten dieser Publikationen seien hier genannt. Das umfangreichste zeitgenössische Standardwerk ist der 1932 erschienene zweite Band von Julius Deutschs „Geschichte der österreichischen Gewerkschaftsbewegung“, der die Zeit ab Beginn des Ersten Weltkriegs abdeckt. Es handelt sich um eine Geschichte der Freien Gewerkschaften mit starkem volkswirtschaftlichem Schwerpunkt , Hinweise auf die anderen Richtungsgewerkschaften sind rudimentär und nicht selten polemisch. Neben Deutsch selbst , damals Kommandant des Republikanischen Schutzbunds der SDAP , beteiligte sich ein hochkarätiges AutorInnen-Team : der schon erwähnte Journalist und Bildungsfunktionär Richard Wagner , Käthe Leichter , Leiterin des Referats für Frauenarbeit und Genossenschaftswesen der Arbeiterkammer in Wien , und Eduard Straas , aus der Buchdruckerorganisation kommender Journalist und Redakteur von „Arbeit und Wirtschaft“, dem gemeinsamen Organ der Arbeiterkammern , der Freien Gewerkschaften und der Betriebsräte.90 Die Ausgaben dieser Zeitschrift aus der Ersten Republik bieten übrigens eine Fülle an Informationen zur Entwicklung der Vertretungen der Lohnabhängigen , von denen ein großer Teil seitens der Forschung noch nicht beachtet wurde.91 1925 veröffentlichte die sozialdemokratische Gewerkschaftskommission Hans Fehlingers Arbeit über „Die österreichische Gewerkschaftsbewegung“, in der noch der Optimismus der Republikgründungsjahre nachklingt. Erklärtes Ziel war es hier , „eine sachliche und wohlwollend erklärende Beschreibung zu geben“92 , was unter anderem durch einen vergleichsweise nüchternen , wenn auch sehr kurzen Überblick über die Entwicklung der anderen Richtungsgewerkschaften realisiert ist. Die positive Bewertung von Koalitionen der Richtungsgewerkschaften bei Streiks und Verhandlungen fällt auf , der Autor bedauert , dass dies nicht wie in Deutschland „längst die Regel geworden ist“.93 Der Deutsche Fehlinger hatte bereits mehrere Publikationen für den Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbund ( A DGB ) verfasst und war als Referent beim Internationalen Arbeitsamt ( I AA , ILO ) in Genf tätig. Die einzige zeitgenössische Gesamtgeschichte der christlichen Gewerkschaften verfasste Franz Hemala. Sie erschien erstmals 1922 und in zweiter Auflage 1930 unter dem Titel „Geschichte der Gewerkschaften“94 und macht sehr deutlich , wie stark sich die GewerkschafterInnen des christlich-sozialen Lagers von den übermächtigen Freien Gewerkschaften bedrängt sahen.95 Für die deutschnationale Seite ist mit Ausnahme einer Werbebroschüre des Deutschen Handels- und Industriean90 Siehe FN 40. 91 Hueber , Anton ( Hg. ) ( 1923–1934 ) : Arbeit und Wirtschaft. Zeitschrift für volkswirtschaftliche , sozialpolitische und wirtschaftliche Fragen. Organ der Gewerkschaftskommission , der Arbeiterkammern und der Betriebsräte Österreichs , Wien ( 1928–1934 Organ des Bundes der Freien Gewerkschaften , der Arbeiterkammern und der Betriebsräte Österreichs ). „Arbeit und Wirtschaft“ wurde mit der Gleichschaltung der Arbeiterkammern im Jänner 1934 eingestellt , aber nach 1945 wieder publiziert und ist heute ein gemeinsames Organ des ÖGB und der Bundeskammer für Arbeiter und Angestellte. 92 Fehlinger , Hans ( 1925 ) : Die österreichische Gewerkschaftsbewegung. Wien , 5. 93 Fehlinger ( 1925 ), 78. 94 Siehe FN 23. 95 Vgl. z. B. Hemala ( 1930 ), 217.
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gestelltenverbands ( D. H. V. )96 kein vergleichbares Material aufzufinden , auch nicht in Form von Jubiläumsschriften. Von den nach 1945 erschienenen Publikationen sind vor allem die beiden ersten Bände der dreibändigen großen Gewerkschaftsgeschichte Fritz Klenners zu nennen. Sie sollten zum großen Gewerkschaftsfest 1953 , zu dem auch der zweite Band vorlag , die identitätsstiftende Programmatik des noch jungen ÖGB beisteuern , was ihnen in hohem Maß gelang. Durch den Seitenumfang , der für die Geschichte der einzelnen ÖGB-Fraktionen und damit der Richtungsgewerkschaften zur Verfügung steht , wird dabei klar herausgestrichen , wer trotz aller Überparteilichkeit die bestimmende Kraft ist , nämlich die sozialdemokratische ( damals sozialistische ) Fraktion. Die ziemlich kurze und zudem kritisch-kursorische Darstellung der kommunistischen Richtung in Klenners Band 2 verweist auf den Kalten Krieg und insbesondere auf den faktischen Bruch mit der dritten Gründungsfraktion nach dem Oktoberstreik 1950.97 Hier soll allerdings gleich angemerkt werden , dass von kommunistischer Seite bisher keine Publikation vorliegt , die auf die kommunistische Gewerkschaftspolitik der Ersten Republik fokussieren würde. Selbst die von Hans Hautmann und Rudolf Kropf verfasste und nach wie vor einzige Kurzgeschichte der österreichischen Arbeiterbewegung bis zum Beginn der Zweiten Republik ,98 die vielfach von kommunistischer Kritik an der Sozialdemokratie ausgeht , ist in dieser Hinsicht nicht hilfreich. Im Rahmen der KPÖ-Geschichtsschreibung finden sich dagegen durchaus interessante Informationen , die aber noch aus der Parteigeschichte herauszufiltern wären. Zu nennen sind hier vor allem Herbert Steiners „Bibliographische Bemerkungen“ zur KPÖ-Entwicklung bis 1933 und Winfried R. Garschas Beitrag über die Erste Republik in dem 2009 herausgekommenen Sammelband zu „90 Jahre KPÖ“.99 Der Vorgeschichte der „Fraktion Christlicher Gewerkschafter“ ( FCG ) wird im „Klenner“ deutlich mehr Platz eingeräumt als der Vorgeschichte der KP-Fraktion.100 Die Unterlagen dafür scheinen , soweit nicht Hemalas Buch zitiert wird , von der FCG zur Verfügung gestellt worden zu sein. Eine eigene , wenn auch noch nicht besonders ambitionierte fraktionelle Gewerkschaftsgeschichte erschien in der Zweiten Republik 1975 ,101 Ludwig Reichholds umfassende „Geschichte der christlichen Gewerkschaften Österreichs“ folgte 1987. Wie beim Vergleich Klenner – Deutsch 2 lässt sich beim Vergleich des ReichholdBuchs mit Hemalas Publikation ein verbindlicherer Ton feststellen , obwohl natürlich versucht wird , die Berechtigung der „christlichen“ Positionen herauszustreichen. Hauptaussage ist aber auch hier die Akzeptanz der Einbindung in den überparteilichen ÖGB. 96 Deutscher Handels- und Industrieangestelltenverband ( Hg. ) ( 1928 ) : Die Gewerkschaft der deutschen Angestellten , Wien. 97 Vgl. Klenner ( 1953 ), 1081–1088. 98 Hautmann , Hans / Kropf , Rudolf ( 1974 ) : Die österreichische Arbeiterbewegung vom Vormärz bis 1945. Sozialökonomische Ursprünge ihrer Ideologie und Politik [ S chriftenreihe des Ludwig Boltzmann-Instituts für Geschichte der Arbeiterbewegung 4 ] , Wien. 99 Garscha , Winfried R. ( 2009 ) : Grundlinien der Politik der KPÖ 1920 bis 1945. In : Mugrauer , Manfred ( Hg. ) : 90 Jahre KPÖ. Studien zur Geschichte der Kommunistischen Partei Österreichs [ Quellen & Studien , Sonderband 12 ] , Wien , 17–35. 100 Vgl. Klenner ( 1953 ), 1019–1073. 101 Größl , Franz ( Red. ) ( 1975 ) : Die christlichen Gewerkschaften Österreichs , Wien.
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Ulrike Weber-Felber stellte 1995 mit ihrem Beitrag zum Band über die Erste Republik des „Handbuchs des politischen Systems Österreichs“ den aktuellsten Gesamtüberblick nicht nur zur Gewerkschaftsentwicklung , sondern zum Vertretungsnetzwerk „der Arbeiterschaft“ insgesamt bereit. Selbstverständlich sind zumindest Arbeiterkammern und Betriebsräte in allen Gewerkschaftsgeschichten angesprochen , aber mit Ausnahme der Arbeiterkammern102 existiert zu ihnen weder eine zeitgenössische noch eine spätere Entwicklungsanalyse für die Zeit bis 1933. Das gilt gleichermaßen für die Gehilfenausschüsse und für die Betriebsräte , wobei hier allerdings zwei interessante politische Texte aus der Zeit der ersten Wahlen erhalten sind , einer des führenden Gewerkschafters Julius Grünwald103 und einer des Philosophen und Erfinders der Bildstatistik Otto Neurath104. Was die Organisation und die Personalpolitik der Arbeiterkammern betrifft , so ist noch immer Manfred Sterlings Dissertation von 1983 das einzige zur Verfügung stehende Standardwerk , und zwar sowohl für die Erste Republik als auch für den austrofaschistischen Ständestaat.105 Nicht systematisch ausgewertet sind die schon immer öffent lichen , jetzt aber auch digital zugänglichen Protokolle der Selbstverwaltungsorgane der Kammer in Wien. Zur Phase der systematischen Zerstörung der Demokratie und der austrofaschistischen Wende scheinen der Verfasserin zwei Sammelwerke besonders erwähnenswert : Die Sammlung der Beiträge zum wissenschaftlichen Symposium „Februar 1934“ aus dem Jahr 1984106 und Referate aus einer gemeinsamen Veranstaltung der Wiener Arbeiterkammer und des Dr.-Karl- Renner-Instituts unter dem Titel „Reformismus und Gewerkschaften“107. Das Februar-Buch ist neben den beiden informativen Überblicken über die soziale und politische Struktur und Entwicklung von Ernst Bruckmüller108 und Emmerich Tálos109 vor allem wegen der drei Beiträge von Eduard März und Fritz We-
102 Gewerkschaftskommission Österreichs ( Hg. ) : Die Arbeiterkammern in Österreich : 1921 / 1926 , Wien. 103 Grünwald , Julius ( 1919 ) : Betriebsräte und Gewerkschaften [ S ozialistische Bücherei 9 ] , Wien. 104 Neurath , Otto ( 1920 ) : Betriebsräteorganisation als Wirtschaftsorganisation [ Aus der sozialistischen Praxis 15 ] , Wien. 105 Sterling , Manfred ( 1983 ) : Aufbau und Wandel der Organisationsstrukturen der Arbeiterkammern von 1920 bis 1938 , phil. Diss. , Wien. Mehr dazu in Kapitel 2.2. 106 Fröschl , Erich / Z oitl , Helge ( Hg. ) ( 1984 ) : Februar 1934. Ursachen , Fakten , Folgen. Beiträge zum wissenschaftlichen Symposium des Dr.-Karl-Renner-Instituts , abgehalten vom 13. bis 15. Februar 1984 , Wien. 107 Chaloupek , Günther / Rosner , Peter / Stiefel , Dieter : Reformismus und Gewerkschaftspolitik. Grundlagen für die Wirtschaftspolitik der Gewerkschaften [ Die Ökonomik der Arbeiterbewegung zwischen den Weltkriegen 1 ] , Graz. 108 Bruckmüller , Ernst ( 1984 ) : Zur Sozialstruktur Österreichs in den dreißiger Jahren. In : Fröschl et al. , 35–49. 109 Tálos , Emmerich ( 1984 ) : Politische Struktur und politische Entwicklung 1927 bis 1934. In : Fröschl et al. , 65–73.
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ber110 , Margarete Grandner und Franz Traxler111 sowie Ulrike Weber-Felber112 über die ( nicht immer deckungsgleichen ) wirtschaftspolitischen Positionen von SDAP und Freien Gewerkschaften zur Krisenbewältigung von Bedeutung. Günther Chaloupeks Beitrag über die ökonomischen Theorien des in der Arbeiterkammer tätigen Wirtschaftsexperten Benedikt Kautsky in der zweiten Publikation113 kann als wichtige Ergänzung dazu gesehen werden. II. „Die Arbeiterschaft“ als Kampfobjekt und Oppositionsbasis unter den Bedingungen des austrofaschistischen Ständestaats 2.1 Regimekonforme Vertretung und oppositioneller Untergrund Nach der Niederlage der Sozialdemokratie am 12. Februar 1934 folgte nicht nur das Verbot jeder freien gewerkschaftlichen Betätigung , verboten , ersetzt oder regimekonform umgewandelt wurden nach und nach alle Organisationen und Institutionen des Vertretungsnetzwerks der Lohnabhängigen aus der demokratischen Ära. Das gilt zunächst für die sozialdemokratischen Freien Gewerkschaften und die Arbeiterkammern , die nicht nur gleichgeschaltet , sondern der Staatsgewerkschaft untergeordnet wurden. Das gilt aber auch für alle anderen Richtungsgewerkschaften , soweit sie sich nicht freiwillig auflösten oder umwandelten , für die Gehilfenversammlungen und Gehilfenausschüsse der gewerblichen Genossenschaften und besonders für die Betriebsratskörperschaften und Personalvertretungen. An die Stelle der Richtungsgewerkschaften trat der per Verordnung des Sozialministers eingerichtete „Gewerkschaftsbund der österreichischen Arbeiter und Angestellten“ mit durch die Regierung bestellten Funktionären. Wenig überraschend dominierten hauptsächlich ehemalige Christliche Gewerkschafter , aber auch Repräsentanten der Heimwehrgewerkschaft waren an führender Stelle tätig.114 Die bereits Anfang 1934 entdemokratisierten , gleichgeschalteten und um die Verkehrsbediensteten ( Bahn , Post ) reduzierten Arbeiterkammern wurden als Geschäftsstellen in den Staatsgewerkschaftsbund integriert.115 An die Stelle der gewählten Selbstverwaltung trat ein bestellter „Verwaltungsrat“, seinen Vorsitz übernahm der jeweilige Vorsitzende des Landeskartells des Gewerkschaftsbunds , für Wien und Niederösterreich dessen Präsident Johann Staud.116 Die exponierten 110 März , Eduard / Weber Fritz ( 1984 ) : Österreichische Wirtschaftspolitik in der Zeit der großen Krise. Bürgerliche Strategie und sozialdemokratische Alternative. In. Fröschl et al. , 15–33. 111 Grandner , Margarete / Traxler , Franz ( 1984 ) : Sozialpartnerschaft als Option der Zwischenkriegszeit ? Liberalkorporatistisches Krisenmanagement am Beispiel der Wirtschaftskonferenz von 1930. In : Fröschl et al. , 75–117. 112 Siehe FN 13. 113 Chaloupek , Günther ( 2006 ) : Marxismus und österreichische Wirtschaftspolitik. Benedikt K autsky als ökonomischer Theoretiker der Arbeiterkammer. In : Chaloupek et al. , 35–64. 114 Vgl. u. a. Klenner ( 1953 ), 1147–1154 ; Holtmann ( 1978 ), 161–166 ; Reichhold ( 1987 ), 457–468 , 483– 488 ; Göhring et al. ( 2001 ), 64–75 ; Pasteur , Paul ( 2008 ) : Unter dem Kruckenkreuz. Gewerkschafter und Gewerkschafterinnen in Österreich 1934–1938 , Innsbruck , 71–91. 115 Vgl. u. a. Göhring et al. ( 2001 ), 23–37. 116 Vgl. Göhring et al. ( 2001 ), 33 , 40 , 195–198 , 205 , 224 , 231–232 , 247–248 , 261–262 , 275–276 , 291–292. In Wien und Niederösterreich waren allerdings Kammer und Landeskartell getrennt.
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linken AustromarxistInnen unter den Kammer-ExpertInnen wurden sofort fristlos entlassen , flohen oder tauchten unter.117 Im Gegensatz zu dem Bild , das die Zeitzeugenliteratur vermittelt , wurde aber die Mehrheit der nicht so exponierten sozialdemokratischen Experten in Ermangelung ausreichender eigener Personalkompetenz weiter auf ihrem Posten belassen , zum Teil auch in ihren alten Leitungsfunktionen.118 So konnte offenbar trotz der problematischen politischen Rahmenbedingungen weiter „in den verschiedenen Referaten in den Dreißigerjahren recht gute sachliche Arbeit geleistet“ werden.119 Der Organisationsapparat der Arbeiterkammern bildete also die Infrastruktur der „Einheitsgewerkschaft“ ( EG ), wie der Staatsgewerkschaftsbund wegen des Anspruchs , ein „neutrales“ Sammelbecken für alle Lohnabhängigen aus Industrie und Gewerbe zu sein , auch bezeichnet wurde. Hans Schmitz , damals noch EG-Generalsekretär , sah 1936 im Rückblick die Neukonzeption der Arbeiterkammern geradezu als Initialzündung für den Aufbau der „berufsständischen Ordnung“.120 Für ständische und / oder faschistische Konzepte war das Konstrukt „Arbeiterkammern“ aber auch in der „neuen“ Form wie der Staatsgewerkschaftsbund , als Relikt des „Klassenkampfs“ per se untragbar. Beide blieben trotzdem bis 1938 als Institutionen zur „Entproletarisierung“ der sozialdemokratisch geprägten „Arbeiterschaft“ bestehen , wenngleich die Vorstellung des Sozialministeriums im Zusammenhang mit der Verw irk lichung des berufsständischen Staatsaufbaus ihre Auflösung vorgesehen hatte , da nach Ansicht des Sozialministers [ Neustädter-Stürmer 1934 , Anm. d. Vin ] deren Weiterbestehen mit dem berufsständischen Aufbau unvereinbar ist.121
Die reale Machtkonstellation verhinderte die kurzfristige Umsetzung der Pläne des Heim wehrflügels , sie wurden aus Opportunitätsgründen zurückgestellt , da man sich nicht an die – ebenfalls strukturell unpassenden – Handelskammern heranwagte.122 Bis zur Errichtung der „Einheitsgewerkschaft“ hatten die „neuen Arbeiterkammern“ zwei zusätzliche Funktionen : Sie mussten an die Stelle der verbotenen Richtungsgewerkschaften als Kollektivvertrags-Partnerinnen „einspringen“123 und nach der Entfernung der freigewerkschaftlichen Vertrauensleute regimekonforme Betriebsratsmitglieder ein117 Vgl. Göhring et al. ( 2001 ), 51–53. 118 Vgl. Sterling ( 1983 ). 119 Vgl. März Eduard / Weissel Erwin ( 1966 ) : Die Kammern für Arbeiter und Angestellte ( A rbeiterkammern ). In : Pütz , Theodor ( Hg. ) : Verbände und Wirtschaftspolitik in Österreich [ S chriften des Vereins für Sozialpolitik NF 39 ] , Berlin , 393–436 : 404. 120 Hofmann , Gustav / S chmitz , Hans ( Hg. ) ( 1936 ) : Der Gewerkschaftsbund der österreichischen Arbeiter und Angestellten und die Kammer für Arbeiter und Angestellte. Eine Zusammenfassung aller einschlägigen Vorschriften über das Dienstrecht der Angestellten des Gewerkschaftsbundes und der Arbeiterkammern nach dem Stande vom 15. Juni 1936 [ G esetzesausgabe des Gewerkschaftsbundes der österreichischen Arbeiter und Angestellten I ] , Wien / L eipzig , 7–8 , 13. 121 Vgl. ÖStA , AdR , BMfsV 542.SA 24 / g , Akt Nr. 87439. Zitiert in : Uhl , Heidemarie / L einer , Ursula ( 1991 ) : Geschichte der steirischen Kammer für Arbeiter und Angestellte in der Ersten Republik , Wien / Zürich , 228. 122 Vgl. ÖStA , AdR , BMfsV 542.SA 24 / g , Akt Nr. 87439. Zitiert in : Uhl et al. ( 1991 ), 228. 123 Vgl. Verordnung der Bundesregierung vom 16. Februar 1934 , betreffend die Aufrechterhaltung von Kollektivverträgen , BGBl. für die Republik Österreich Nr. 94 / 1934.
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setzen.124 Im Gegensatz zu den Arbeiterkammern , wo die gesetzliche Zugehörigkeit aufrecht blieb , war die Mitgliedschaft bei der EG formal freiwillig. Sie durfte allerdings nur ArbeiterInnen und Angestellte der Privatwirtschaft organisieren ,125 öffentlich Bediens tete einschließlich EisenbahnerInnen und Postbedienstete , aber auch Lohnabhängige der Land- und Forstwirtschaft hatten keine legale Gewerkschaft mehr.126 Auch die getrennte Organisation von Lohnabhängigen in Industrie und Gewerbe127 war eine Maßnahme , um die Klassenidentität aufzubrechen. Da der „berufsständische Aufbau“ wegen der divergierenden Interessen keineswegs glatt vor sich ging , blieben jene Christlichen Gewerkschaften , die Gruppen außerhalb der EG organisierten – vor allem im öffentlichen Dienst und in der Landwirtschaft , aber etwa auch die Hausgehilfinnen – nach dem 1. Mai 1934 bestehen und erfüllten zum Teil indirekt weiter gewerkschaftliche Funktionen.128 Ermöglicht wurde dies durch Statutenänderungen , die die Gewerkschaften in „kulturelle Vereinigungen“ umwandelten.129 Diese „freien Vereine“ konnten durch Einflussnahme auf die „Körperschaften“ des „Berufsstands der öffentlich Bediensteten“ und durch Personalunion ihre Position relativ gut halten , wobei aber klargestellt wurde , dass es sich bei der „amtlichen Vertretung“ um keine Gewerkschaft handelte.130 Wie auch bei der Land- und Forstwirtschaft umfasste der „Berufsstand“ Aktive , PensionistInnen , Familienangehörige und Hinterbliebene.131 Dem Berufsstand war man automatisch zugehörig.132 Für die Land- und Forstwirtschaft wurde nach der Umwandlung des Bauernbunds in den „Berufsstand“ bei ungeschmälerter Machtbasis 1935 das Ständekonzept durch die Einbeziehung von Selbstständigen und Lohnabhängigen in einer Organisation nach bereits erprobtem Muster133 am vollständigsten verwirklicht. Obwohl der „Landarbeiterschaft“ und den beibehaltenen Dienstnehmersektionen eigene Rechtspersönlichkeit zukam , „konnte man [ … ] die Stellung der Landarbeiter im Berufsstand“ [ … ] „nur als unterprivilegiert bezeichnen“. Die ehemaligen Christlichen Gewerkschaften verloren hier den ohnehin schon geringen Einfluss völlig.134 Neben Einheitsgewerkschaft plus Arbeiterkammern sollten auch die Betriebsorganisationen und die „Soziale Arbeitsgemeinschaft“ ( SAG ) der „Vaterländischen Front“ ( V F ) und die „Betriebskameradschaft“ der Heimwehr „die Arbeiterschaft“ in das Sys tem integrieren.135 In der SAG dominierte die Christliche Arbeiterbewegung und da124 Vgl. Verordnung der Bundesregierung vom 23. Februar 1934 über außerordentliche Maßnahmen auf dem Gebiete des Betriebsratswesens und über die Bestellung der Beisitzer der Gewerbegerichte und Einigungsämter , BGBl. für die Republik Österreich Nr. 122 / 1934. 125 Vgl. Hofmann et al. ( 1936 ). 126 Vgl. Göhring et al. ( 2001 ), 70. 127 Vgl. Göhring et al. ( 2001 ), 70. 128 Vgl. Reichhold ( 1987 ), 470–473. 129 Vgl. Schmit ( 2009 ), 20. 130 Vgl. Reichhold ( 1987 ), 488–491. 131 Vgl. Klenner ( 1953 ), 1156. 132 Vgl. u. a. Reichhold ( 1987 ), 490. 133 Siehe Kapitel 1.2.3. 134 Vgl. Reichhold ( 1987 ), 492 f. 135 Vgl. Bärnthaler , Irmgard ( 1971 ) : Die Vaterländische Front , Geschichte und Organisation , Wien / München / Zürich , 80.
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mit Exponenten der Einheitsgewerkschaft auf allen Führungsebenen. Zugleich war die SAG an der Basis aber teilweise von ehemaligen sozialdemokratischen Vertrauensleuten „durchsetzt“.136 Insofern hatte der Vorwurf von Heimwehrseite , die SAG fördere „eine Durchlöcherung der faschistischen Staats- und Gesellschaftsordnung“137 durchaus seine Berechtigung. Zur „Befriedung“ der sozialdemokratisch geprägten „Arbeiterschaft“ trug sie zwar nichts bei , aber bei den letzten Gesprächen zwischen Regierung und Vertretern der illegalen Linksopposition im März 1938 war ihr Ausbau zur Organisation der Linken innerhalb der VF – neben der Zusage von Wahlen in der Einheitsgewerkschaft – das wichtigste Zugeständnis der Regierung Schuschnigg. Das Öffnungskonzept war bis 1938 von der Christlichen Arbeiterbewegung abgeblockt worden , weil sie dadurch ihren Monopolanspruch auf die Vertretung „der Arbeiterschaft“ in einem „christlichen Österreich“ infrage gestellt und darüber hinaus die Interessen des Systems gefährdet sah.138 Im Untergrund formierten sich die verbotenen Freien Gewerkschaften neu , 1935 schlossen sich die kommunistische „Wiederaufbaukommission“ und das sozialdemokratische „Siebener-Komitee“ über Vermittlung des ( mehrheitlich sozialdemokratisch orientierten ) Internationalen Gewerkschaftsbunds ( IGB ) zum „Illegalen Bund der Freien Gewerkschaften“ zusammen.139 In der Realität der Untergrundarbeit änderte das aber nichts an der Rivalität zwischen SozialdemokratInnen und KommunistInnen. Die KommunistInnen setzten auf Unterwanderung der „Einheitsgewerkschaft“, während die sozialdemokratischen FreigewerkschafterInnen sich , wo es aus ihrer Sicht sinnvoll schien , an der von der Untergrundpartei „Revolutionäre Sozialisten“ ( RS ) ausgegebenen Parole der Abgrenzung gegenüber dem Regime orientierten. Zum Teil konnte man sich aber auch „eine begrenzte sozialpolitische Interessenvertretung im Rahmen der EG“ durchaus vorstellen.140 Kontakte zwischen illegalen FreigewerkschafterInnen und Funktionären der EG – und damit einen Informationsfluss in Richtung Illegale – gab es auf jeden Fall von Anfang an. Manche aus dieser „als Überläufer gebrandmarkten“ Gruppe brachen trotzdem „ihre persönlichen Beziehungen zu ihren früheren Kollegen noch nicht ganz ab“ und wurden „trotz ihrer Dienstleistungen für das neue Regime nicht zu Verrätern an ihren früheren Kollegen und Gesinnungsgenossen“.141 Das gilt auch für einen Teil der verbliebenen Arbeiterkammer-ExpertInnen , etwa in Wien für Josef Mire , den Leiter der Lehrlingsabteilung , den Sozialversicherungsexperten Eduard Stark und den schon erwähnten Wirtschaftswissenschaftler Benedikt Kautsky.142 136 Vgl. Pelinka , Anton ( 1972 ) : Stand oder Klasse ? Die christliche Arbeiterbewegung Österreichs 1933–38 [ Veröffentlichungen des Ludwig Boltzmann-Instituts für Geschichte der Arbeiterbewegung ] , Wien / München / Zürich , 123–126. 137 Vgl. Maleta , Alfred ( 1981 ) : Bewältigte Vergangenheit. Österreich 1932–1945 , Graz / Wien / Köln , 159. 138 Vgl. Pelinka ( 1972 ), 124–127. 139 Vgl. u. a. Klenner ( 1953 ),1189–1191 ; Leichter , Otto ( 1963 ) : Österreichs Freie Gewerkschaften im Untergrund , Wien / Köln / Stuttgart / Zürich , 38–39 ; Holtmann ( 1978 ), 220 ; Göhring et al. ( 2001 ), 120– 121 ; Pasteur ( 2008 ),134–136. 140 Vgl. Holtmann ( 1978 ), 206–207 , 218–221. 141 Leichter ( 1963 ), 104. 142 Vgl. Leichter ( 1963 ), 88 , desgl. Hindels , Josef ( 1976 ) : Österreichs Gewerkschaften im Widerstand 1934–1945 , Wien , 109.
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Als Arme des illegalen Gewerkschaftsbunds in den Betrieben fungierten vielfach die dort tätigen Vertrauensleute , ehemalige Betriebsratsmitglieder , die nach Abschaffung der Betriebsratskörperschaften und Einrichtung der „Werksgemeinschaften“143 unter dem Vorsitz von Unternehmensvertretern weiter die Vertretungsfunktion für die Belegschaft ausübten. Nach dem 12. Februar 1934 waren zwar alle deklariert freigewerkschaftlichen Betriebsratsmitglieder entfernt und durch ( zumindest nach außen ) konforme ersetzt worden , doch viele weniger politisch „Auffällige“ passten sich an , ohne die Verbundenheit mit ihrer alten Freien Gewerkschaft aufzugeben. 1936 durften die bisher durch die EG bestellten Vertrauensleute gewählt werden ( wobei die Rahmenbedingungen keineswegs demokratischen Anforderungen entsprachen ), was zu einer weiteren Stärkung der freigewerkschaftlichen SympathisantInnen führte und wichtigen RepräsentantInnen der illegalen Organisation eine legale Funktion verschaffte.144 Mithilfe dieses Netzwerks wurden 1938 – wegen des nie ausgeräumten Grundmisstrauens des Regimes gegen die „Marxisten“ mit geringem Erfolg – die letzten Verhandlungen über den Aufbau einer gemeinsamen Front gegen die nationalsozialistische Bedrohung geführt.145 In vielen Betrieben hatten die NationalsozialistInnen über ihre Betriebszellen längst Fuß gefasst , das System war von unten bis zur österreichischen NSBO-Leitung straff durchorganisiert. Es hatte die Aufgabe , in alle Gewerkschaften einzudringen und sie zu unterminieren , es musste gelingen , in jedem Gewerkschaftsvorstand einen Mann sitzen zu haben , von dem niemand wusste , dass er ein Nazi war.146
Das Unterminieren gelang so gut , dass die Liquidierung des gesamten Komplexes EG – Arbeiterkammern und die Überführung des Vermögens an die „Deutsche Arbeitsfront“ ( DAF ) weitgehend reibungslos vor sich gehen konnte.147 2.2 Quellenlage , Forschungsstand und weiterführende Fragestellungen 2.2.1 Quellen und Literatur Für die austrofaschistische Phase sind Quellenlage und Forschungsertrag zum Thema „Arbeiterschaft“ wesentlich umfangreicher als für die Erste Republik , obwohl die Beschlagnahme durch die Gestapo 1938148 auch für diesen Zeitraum ganz sicher zu großen Verlusten führte. Das lässt sich einerseits mit der Funktion der EG als „Staatsgewerkschaftsbund“ erklären , wodurch viele Dokumente ( w ie auch solche zu den in die EG in143 Vgl. Bundesgesetz vom 28. Juli 1934 über die Errichtung von Werksgemeinschaften , BGBl. für den Bundesstaat Österreich 153 / 1934 ; vgl. Wenzel , Karl ( 1935 ) : Die Werksgemeinschaft , Wien. 144 Vgl. u. a. Klenner ( 1953 ), 274–278 ; Leichter ( 1963 ), 70–75 ; Holtmann ( 1978 ), 232–235. 145 Vgl. dazu u. a. Leichter , Otto ( 1963 ) : Österreichs Freie Gewerkschaften im Untergrund , Wien / Köln / Stuttgart / Zürich , 121–129 ; Klenner ( 1953 ), 1323–1327 ; Göhring et al. ( 2001 ), 166–174 ; Holtmann ( 1978 ), 301. 146 Schopper , Hans ( o. J. ) : Presse im Kampf. Geschichte der Presse während der Kampfjahre der NSDAP ( 1933–1938 ), Wien , 305. Zitiert in : Göhring et al. ( 2001 ), 156. 147 Vgl. Göhring et al. ( 2001 ), 177–189 , 245 , 259–260 , 271–273 , 284–287 , 304–305. 148 Siehe Kapitel 1.4 , FN 86 , FN 87.
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tegrierten Arbeiterkammern149 ) erhalten blieben und im Österreichischen Staatsarchiv zugänglich sind.150 Andererseits ist es der konsequenten Arbeit des Dokumentationsarchivs des österreichischen Widerstands ( DÖW )151 zu verdanken , dass Prozessdokumente und Dokumente der Illegalität gesichert wurden. Schließlich sind die im „International Institute of Social History“ ( IISG ) in Amsterdam betreuten Teilnachlässe von Otto Bauer152 , darunter auch Korrespondenz mit Schorsch153 , und von Otto Leichter154 , dem „Kommunikationschef “ des illegalen Bundes der Freien Gewerkschaften , zu nennen. Die Dokumente aus diesen Archiven , insbesondere auch aus dem IISG intensiv einbezogen zu haben , ist das besondere Verdienst von Paul Pasteurs 2002 in französischer Sprache und 2008 in deutscher Übersetzung erschienenen Studie.155 Pasteurs Arbeit ist eine der beiden Monografien , die zum Thema „Interessenvertretung der Lohnabhängigen unter den Bedingungen des Austrofaschismus“ außerhalb der ZeitzeugInnen-Literatur vorliegen. Die andere , unter dem Titel „Anpassung und Widerstand“ fast zeitgleich erschienene , stammt von Walter Göhring und der Verfasserin und legt den Schwerpunkt auf die Arbeiterkammern als EG-Geschäftsstellen. Grundlegend für die Beschäftigung mit „der Arbeiterschaft“ ist zudem Everhard Holtmanns Studie aus dem Jahr 1978 , die allerdings – wie bis auf die genannten Ausnahmen die gesamte wissenschaftliche Überblicksliteratur – die Vertretungsstrukturen zwar berücksichtigt , aber hauptsächlich aus dem Blickwinkel der Auseinandersetzung mit den RS. Das mag nicht zuletzt dem prägenden Einfluss von Josef Buttingers 1948 erstmals erschienener Autobiografie156 zuzuschreiben sein , unter anderem wohl auch in der Einschätzung von Strategien und führenden Persönlichkeiten des Untergrunds. Die Darstellung der freigewerkschaftlichen Untergrundarbeit fällt auf jeden Fall bei Otto Leichter , der als „Kommunikationschef “ mit den verschiedenen „Fraktionen“ Kontakt halten musste , weniger pointiert und deutlich differenzierter aus. So hatte er offenbar auch Kontakt mit dem aus der Arbeiterkammer entlassenen jungen Stefan Wirlandner , nach 1945 Lei149 Österreichisches Staatsarchiv – Archiv der Republik – Bundesministerium für soziale Verwaltung : AT-OeStA / AdR BMfsV SP Sozialpolitik 1918–1940 – Inhalt : Kammer für Arbeiter und Angestellte. 150 U. a. Archiv der Vaterländischen Front im Österreichischen Staatsarchiv : AT-OeStA / AdR BKA BKA-I Parteiarchive VF ZSt 6 Titel : Gewerkschaft – Kollektivverträge , Korrespondenzen Entstehungszeitraum : 1934–1937. 151 DÖW Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes , Archivsite , URL : http ://www. doew.at / service / A rchiv / content.html ( abgerufen am 18. 7. 2012 ). 152 Archive des International Institute of Social History ( I ISG ), Amsterdam , Teilnachlässe : Otto Bauer Papers , URL : http ://search.iisg.nl / search / search ?action=transform&col=archives&xsl=archiv es-detail.xsl&lang=en&docid=10729049_EAD ( abgerufen am 11. 03. 2012 ). 153 Siehe Kapitel 1.1.1. 154 Archive des International Institute of Social History ( I ISG ), Amsterdam , Teilnachlässe : Otto Leichter Papers , URL : http ://search.socialhistory.org / Record / A RCH00810 / Holdings#tabnav ( abgerufen am 10. 07. 2012 ). 155 Pasteur , Paul ( 2002 ) : Être syndiqué( e ) á l’ombre de la croix potencée. Corporatisme , sydicalisme , résistance en Autriche 1934–1938 ( Êtudes Autrichiennes 11 ), Rouen. 156 Buttinger , Josef ( 1948 ) : Am Beispiel Österreichs , New York ; Buttinger , Josef ( 1953 ) : Das Ende der Massenpartei – Am Beispiel Österreichs , Frankfurt / Main ( Zweite Frankfurter Auflage 1972 ).
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ter der wirtschaftspolitischen Abteilung des Kammerbüros in Wien und damals Redakteur der halblegalen Zeitschrift „Der Strom“, also einem der von den RS wenig geliebten „Reformisten“.157 Insgesamt finden sich in allen Publikationen zum Thema „Gewerkschaften 1934 bis 1938“ nur sehr spärliche Hinweise auf die Rolle der nicht entlassenen sozialdemokratischen Arbeiterkammer-ExpertInnen 1934 bis 1938. Deshalb handelt es sich bei der nie publizierten Dissertation von Manfred Sterling über die Organisationsstrukturen der Kammern bis 1938 trotz einiger Ungereimtheiten noch immer um den wichtigsten Beitrag vor allem über die Entwicklung der Wiener Arbeiterkammer und damit auch zur Innensicht der EG bis zur Machtübernahme durch das NS-Regime. LeserInnen der Leichter-Publikation sollten sich allerdings dessen bewusst sein , dass es hier das Anliegen war , die lupenreine Oppositionshaltung der illegalen Gewerkschaften trotz unterschiedlicher Strategieauffassungen zu den RS zu dokumentieren , was in noch höherem Maß für den dritten der freigewerkschaftlichen „Zeitzeugenberichte“, den mehr als 350 Seiten umfassenden Abschnitt über die austrofaschistische Epoche im zweiten Band von Klenners Gewerkschaftsgeschichte158, gilt. Wie Buttinger und Leichter war Klenner als Obmann der Banken-Gruppe der illegalen „Freien Angestelltengewerkschaft“ ( FRAGÖ )159 und gleichzeitig legaler Betriebsvertrauensmann noch bis 1940160 unmittelbar in die Geschehnisse involviert. Reste der von ihm zusammengetragenen Sammlung von Publikationen der Untergrundbewegung tauchten bei der Räumung der alten ÖGB-Zentrale auf und wurden nach der Wiedereinrichtung des ÖGB-Archivs in dessen Bestände eingegliedert. Erhalten blieben die ursprüngliche Bestandsliste und die Auflistung jener Archivalien , die 1956 entnommen wurden. Nach Abgleichung mit der Sammlung des DÖW zur austrofaschistischen Periode wird sich herausstellen , ob sich in den Klenner-Unterlagen bisher nicht bekannte Dokumente befinden. Auf jeden Fall interessant ist ein Original des ersten Tätigkeitsberichts des illegalen „Bundes der Freien Gewerkschaften“ vom 1. November 1936 , den Klenner in der Gewerkschaftsgeschichte 1953 ausführlich zitiert.161 Die dritte freigewerkschaftliche Zeitzeugendokumentation ist „Österreichs Gewerkschaften im Widerstand“ von Josef Hindels.162 Hindels kam aus der bis 1934 von Manfred Ackermann , dem ersten RS-Obmann organisierten Jugendgruppe des „Zentralvereins der kaufmännischen Angestellten“, war ab 1934 im sozialdemokratischen Untergrund aktiv und lebte ab 1937 im Exil , in der Zweiten Republik war er viele Jahre Zentralsekretär der Gewerkschaft der Privatangestellten.163 Ihm ging es darum , das Heldenepos 157 Vgl. Leichter ( 1963 ), 26. 158 Klenner ( 1953 ), 1071–1335. 159 Vgl. Göhring / Pellar ( 2001 ), 120. 160 Vgl. Interview mit Fritz Klenner vom April 1985. Auszugsweise publiziert in : Gewerkschaft der Privatangestellten ( 1987 ) ( Hg. ) : GPA-Dokumentation 1945–1947. Von der Gründung bis zum 1. Gewerkschaftstag , Wien , Blatt Mai 1945 ( Bänder im Institut zur Erforschung der Geschichte der Gewerkschaften und Arbeiterkammern in der Arbeiterkammer Wien ). 161 Vgl. Klenner ( 1953 ), 1205–1243. 162 Siehe FN 149. 163 Vgl. u. a. Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes / Bund sozialdemokratischer Freiheitskämpfer und Opfer des Faschismus ( Hg. ) ( 1996 ) : Josef Hindels. Erinnerungen eines linken Sozialisten , Wien.
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des gewerkschaftlichen Widerstands gegen beide Faschismen zu schreiben , sein Buch ist aber trotzdem auch für die Forschung von Interesse , da sich hier , gegliedert nach Gewerkschaftsgruppen , etliche sonst nirgends festgehaltene Informationen finden. Informationen zu den Untergrund-Gewerkschaften sind also , wie die angeführten Beispiele zeigen , viele vorhanden , aber weit verstreut und manchmal in einem unerwarteten Kontext. Das zugängliche Material würde sicher ausreichen , um die fehlende wissenschaftliche Aufarbeitung der Geschichte der freigewerkschaftlichen Illegalität unter dem Austrofaschismus vorzunehmen. Hinsichtlich der Christlichen Arbeiterbewegung und ihrer Verantwortung im Staatsgewerkschaftsbund wurde die wissenschaftliche Aufarbeitung bereits 1972 durch Anton Pelinka mit seiner Studie „Stand oder Klasse ? “ geleistet. Paul Wodrazkas Publikation von 2003164 übernimmt demgegenüber vergleichsweise unkritisch die Positionen der Polemik-Literatur der frühen 1930er-Jahre , während die 2012 abgeschlossene Dissertation von Georg-Hans Schmit über „Die christliche Arbeiterbewegung zwischen 1. und 2. Republik“ neue und ergänzende Aspekte erschließt.165 Reichholds schon mehrfach erwähntes Geschichtswerk zur Christlichen Gewerkschaftsbewegung ist für die austrofaschistische Ära als Zeitzeugen-Literatur einzustufen und zu bewerten : Der Autor war Redakteur der „Österreichischen Arbeiter-Zeitung“, des EG-Zentralorgans und damit das regimetreue Gegenüber zu Leichters Tätigkeit für die Untergrundorganisationen. In den in der Zweiten Republik meistens aus Anlass eines Gründungsjubiläums he rausgegebenen Geschichtsbüchern für einzelne ÖGB-Gewerkschaften wird der Zeitraum 1933 bis 1938 überall angesprochen , aber mit unterschiedlicher Schwerpunktsetzung und sehr unterschiedlicher Informationsqualität. Der Widerstand von GewerkschafterInnen beider „Lager“ gegen das NS-Regime steht dabei eindeutig im Zentrum , wo die Zeit des Austrofaschismus ausführlicher behandelt wird , geschieht dies fast immer aus freigewerkschaftlicher Perspektive. Diese Geschichtsbücher enthalten allerdings manchmal , wenn auch häufig leider ohne Beleg , höchst interessante Hinweise und Fakten , etwa zum Vermögenstransfer von den liquidierten Freien Gewerkschaften zur Einheitsgewerkschaft. Solche Informationen finden sich zum Beispiel in der Geschichte der Land- und Forstarbeiterorganisation von 2006 und in der 1967 verfassten Geschichte der Gewerkschaft Druck und Papier.166 Die Aneignung des freigewerkschaftlichen Vermögens durch die EG ist ein noch wenig erschlossenes Forschungsfeld , in das neben den Liegenschaften auch das Unterstützungswesen , die genossenschaftlichen Einrichtungen und das in Banken , vorwiegend aber nicht ausschließlich in der Arbeiterbank deponierte Vermögen einzubeziehen wären. Das Kapitel über Gewerkschaften in der ausgezeichnet recherchierten Diplomarbeit Eduard Mezes über das Ende der Arbeiterbank167 bringt dazu 164 Wodrazka , Paul Bernhard ( 2003 ) : Und es gab sie doch ! Die Geschichte der christlichen Arbeiterbewegung in Österreich in der Ersten Republik , Frankfurt / Main. 165 Vgl. Schmit , Georg-Hans ( 2012 ) : Vom Untergang der Demokratie bis zum Beginn der 2. Republik – die christliche Arbeiterbewegung in den Jahren 1933 bis 1946 , phil. Diss. , Wien. 166 Narozny , Eduard : Die Geschichte der Gewerkschaft Druck und Papier von der Gründung im Jahre 1892 bis zum Jubiläum des einhundertfünfundzwanzigjährigen Bestandes im Jahre 1967 , Wien. 167 Vgl. Meze , Eduard ( 2007 ) : Das Ende der Arbeiterbank nach dem Februar 1934 , Dipl.-Arb. , Innsbruck , 27–33.
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erstmals genauere Ansätze. Die beste Chance , mehr als bisher bekannt ist , über die Aneignung des freigewerkschaftlichen Vermögens zu erfahren , bietet aber sicher die aktuelle Restitutionsforschung. Vor allem die Ergebnisse des von Sabine Schweitzer im Rahmen des Kreisky-Archivs 2012 durchgeführten Projekts „Restitution im Bereich des ÖGB nach 1945“168 könnte eine erweiterte Basis für zukünftige Forschungsarbeit schaffen. Die wichtigste gedruckte Quelle zur Legistik des austrofaschistischen Ständestaats im Hinblick auf Interessenvertretung der Lohnabhängigen , einschließlich der Regelung des Vermögenstransfers , ist die bereits erwähnte , von Gustav Hofmann und Hans Schmitz herausgegebene und in der Literatur kaum beachtete Gesetzesedition aus dem Jahr 1936. Der dort angesprochene „berufsständische Aufbau“, dessen Ziel die totale Aufhebung der „Gegnerfreiheit“169 war , forderte gerade auch die davon negativ Betroffenen zu genauer „Konkurrenzbeobachtung“ heraus. Otto Leichter publizierte seinen Befund nach dem Ende des austrofaschistischen Regimes und vor seiner Emigration in die USA.170 III. Forschungsstand und Forschungsfragen zu zwei ausgewählten Themen 3.1 Zum Vertretungsmandat für „die Arbeiterschaft“ Mit dem Einigungsamtsgesetz vom Dezember 1919 ( E AG ) erfolgte die rechtliche Anerkennung der durch die Kollektivvertragsparteien abgeschlossenen Verträge ,171 wobei das Gesetz „den Gewerkschaften eine Art von Monopolstellung beim Abschluss [ … ] zuerkannte“172 und das schon im Betriebsrätegesetz vom Mai 1919 festgelegte Recht der betrieblichen Interessenvertretung auf Abschluss von ergänzenden Betriebsvereinbarungen bestätigte.173 Außerdem erfolgte durch die rechtliche Anerkennung eine Aufwertung der Funktion der Betriebsräte als Organe zur Überwachung des Durchführens und Einhaltens der Kollektivverträge ( K V ).174 Da das EAG nur für Mitglieder der Gewerkschaft , die den Vertrag abschloss , galt , barg diese Rechtslage angesichts der Exis tenz von konkurrierenden Richtungsgewerkschaften ein großes Konfliktpotential. In der überwiegenden Mehrheit waren die Freien Gewerkschaften als die weitaus stärksten Organisationen die KV-Partnerinnen und auch der Großteil der Betriebsratskörperschaften zählte zum sozialdemokratischen Lager. Damit die Verträge durch Unorganisierte oder anders Organisierte nicht unterlaufen werden konnten , setzten sie auf das im anglo-amerikanischen Raum übliche „Closed Shop-Prinzip“, sie schlossen also KV-Vereinbarungen mit Organisations- und Aussperrungsklauseln , in denen sich die Unternehmerseite zur ausschließlichen Beschäftigung von FreigewerkschafterInnen 168 Vgl. Homepage Kreisky-Archiv / M itarbeiterinnen , URL : http ://www.kreisky.org / i ndex_mitarbeiterinnen.htm. 169 Siehe Kapitel 3. 2. 170 Leichter , Otto ( 1939 ) : Der Versuch einer berufsständischen Gewerkschaft. Der Gewerkschaftsbund der österreichischen Arbeiter und Angestellten , 1934–38 , Leiden. 171 Vgl. Gesetz vom 18. Dezember 1919 über die Errichtung von Einigungsämtern und über kollektive Arbeitsverträge , StGBl. für die Republik Österreich Nr. 16 / 1920 , 19–24 : 22–23. 172 Lederer , Max ( 1932a ) : Tarifvertrag und Tarifvertragsrecht in Österreich. In : Heyde , Ludwig ( Hg. ) : Internationales Handwörterbuch des Gewerkschaftswesens , Berlin , 1670–1678 : 1670. 173 Vgl. Lederer ( 1932a ), 1672. 174 Siehe Kapitel 1.3.1.
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verpflichtete.175 Das erschwerte die Mitgliederwerbung der anderen Richtungsgewerkschaften natürlich massiv. Sie bekämpften deshalb – zunächst mit wenig Erfolg – den „Terror in den Betrieben“ auf zwei Ebenen , einerseits durch Klagen wegen Verletzung der Koalitions- und Vereinsfreiheit ,176 andererseits mit Gesetzesinitiativen.177 Die Klagen wurden nicht selten abgewiesen , und zwar durchwegs mit der Begründung , „dass als das wirksamste Mittel zu einer möglichst weiten Erfassung der Arbeiterschaft dieses erscheint , dass der Organisation Nichtangehörige von der Erlangung einer Arbeitsstelle ausgeschlossen werden“178 , wie es der Oberste Gerichtshof formulierte , der allerdings in seiner Spruchpraxis schwankte.179 Auch liberale Arbeits- und Sozialrechtsexperten wie Max Lederer oder Artur Lenhoff unterstützten diese Rechtsmeinung ,180 während zum Beispiel das Wiener Oberlandesgericht „Closed Shop“ und Organisationszwang als „unsittlich und der Koalitionsfreiheit widersprechend“ bewertete.181 Die Staatsintervention in dieser Frage erfolgte – unter dem Druck von Heimwehrflügel und Unternehmerverbänden – erstmals 1929 mit dem „Antiterrorgesetz“ durch die Regierung Streeruwitz. Der Erstentwurf sah nicht nur ein Verbot des „Closed Shop“-Prinzips und des Organisationszwangs vor , sondern stellte de facto jede gewerkschaftliche Organisationsarbeit einschließlich Streiks als „Nötigung“ unter Strafe182 und begünstigte zudem die „gelben“ Heimwehrorganisationen183 , sodass ihn auch die Christlichen Gewerkschaften ablehnten. Bei dem nach heftigen politischen Auseinandersetzungen gefundenen Kompromiss184 setzte sich die sozialdemokratische Seite teilweise durch , wenn sie im Parlament auch nicht zustimmte , weil das „Closed Shop“-Verbot ebenso wie das Verbot des Abzugs von Mitgliedsbeiträgen durch die Unternehmen aufrecht blieb.185 Aber immerhin konnte das Verbot von Arbeitskämpfen abgewendet werden und die durch Novellierung des EAG eingeführte „Außenseiterwirkung“ brachte einen Fortschritt , dessen Bedeutung sich erst in der Zweiten Republik wirklich zeigte : Der KV galt ab jetzt auch für Unorganisierte und anders Organisierte und der Betriebsrat erhielt Einspruchsrecht , womit er die Möglichkeit hatte , Scheinabkommen mit einer gelben Gewerkschaft zu blockieren.186 175 Vgl. Leichter , Käthe ( 1932a ) : Wirtschaftskatastrophe und gewerkschaftliche Abwehrkämpfe. In : Deutsch et al. , 225–257 : 241. 176 Vgl. Leichter , Käthe ( 1932 ) : Rationalisierungs- und Stabilisierungsbestrebungen. In : Deutsch et al. , 191–224 : 220 ; vgl. Reichhold ( 1987 ), 401. 177 Vgl. Reichhold ( 1987 ), 403. 178 Vgl. Klenner ( 1953 ), 849. Formulierung in einem Spruch des Obersten Gerichtshofs ; vgl. auch einen Spruch des Wiener Landesgerichts , zitiert in Leichter ( 1932 ), 220–221. 179 Vgl. Reichhold ( 1987 ), 401. Hier wird eine gegenteilige Rechtsmeinung des Höchstgerichts vermerkt. 180 Vgl. Klenner ( 1953 ), 849–850. 181 Vgl. Reichhold ( 1987 ), 401. 182 Vgl. Reichhold ( 1987 ), 404. ; vgl. Klenner ( 1953 ), 1064. 183 Vgl. Leichter ( 1932 ), 240. 184 Vgl. Bundesgesetz vom 5. April 1930 zum Schutz der Arbeits- und der Versammlungsfreiheit. BGBl. Nr. 113 / 1930 , 546–548. 185 Vgl. u. a. Leichter ( 1932a ), 241. 186 Vgl. Leichter ( 1932a ), 241 ; vgl. Lederer ( 1932a ), 1674.
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Das vor 1934 besonders von den Christlichen Gewerkschaften erwünschte Verbot des Beitragsabzugs durch die Unternehmen behinderte sie , als sie die bestimmende Kraft im Staatsgewerkschaftsbund geworden waren. Sie erreichten die Aufhebung des Verbots und die Beibehaltung der „Außenseiterwirkung“.187 Das formal weiterbestehende „Closed Shop“-Verbot war unter den Bedingungen der Diktatur allerdings irrelevant : Nur EG-Mitglieder , Heimwehrleute und VF-Mitglieder hatten in der Zeit extrem hoher Arbeitslosigkeit realistische Chancen auf Neueinstellung.188 Das „Antiterrorgesetz“ in der Fassung von 1930 ist , zweimal novelliert , geltendes österreichisches Recht und sein positiver Kern , die „Außenseiterwirkung“ von Kollektivverträgen189 ist Grundlage für die im Vergleich hohe Effizienz von arbeitsmarktund wirtschaftspolitischen Steuerungsmaßnahmen durch Kollektivvertrag gegenüber anderen europäischen Staaten , wie sie sich zuletzt bei den Kurzarbeitsverträgen in der Wirtschaftskrise 2009 zeigte. Trotzdem findet sich abgesehen von etlichen juristischen Kommentaren , einer Dissertation , die die Terror-These der Christlichen Gewerkschaften unterstützt ,190 und einem zwar relevanten , aber 1984 verfassten Beitrag in einem Sammelband191 keine Forschungsarbeit , die sich mit dem „Antiterrorgesetz“, seiner Vorgeschichte192 und seiner Langfristwirkung in Österreich beschäftigen würde. Offen ist zum Beispiel die Frage , welche Motive beziehungsweise welche Interessen dem Abgehen von der Möglichkeit der „Außenseiterwirkung“, wie sie vor der Verrechtlichung des KV-Wesens Realität gewesen war , bei der Textierung des EAG 1919 zugrunde lagen. Zu untersuchen wäre auch , ob und in welchen Bestimmungen Teile des „Antiterrorgesetzes“ 1934 bis 1938 direkt oder indirekt aufgehoben wurden – ob etwa durch die alleinige KV-Fähigkeit der EG und das Werkvertretungsgesetz das den Betriebsräten zuerkannte Einspruchsrecht gegen nicht akzeptable KV-Abschlüsse ungültig wurde. Was die Zweite Republik betrifft , so geht zwar aus der Literatur hervor , dass das neuerliche Inkrafttreten des Gesetzes von 1930 zumindest vonseiten der sozialistischen Fraktion als diskriminierend empfunden wurde , der ÖGB aber nur die Beseitigung des ohnehin schon für die EG aufgehobenen Verbots des Abzugs der Mitgliedsbeiträge durch die Lohnbüros193 durchsetzte , während der Schutz der „negativen Koalitionsfreiheit“, also das Recht , sich nicht organisieren zu müssen , als harter Kern des „Antiterrorgesetzes“ bestehen blieb. Hier könnte die Erforschung der Ursachen einen Beitrag leisten , um unter Umständen die von der relativ hohen Politikgestaltungsmöglichkeit des ÖGB während der ersten 187 Vgl. Schmit ( 2009 ), 91 ; vgl. Reichhold ( 1987 ), 468. Reichholds Darstellung enthält allerdings die Fehlinformation , dass die „Außenseiterwirkung“ erst im austrofaschistischen Ständestaat eingeführt worden sei. 188 Vgl. Bärnthaler ( 1971 ), 26. 189 Seit 1974 Teil des Arbeitsverfassungsgesetzes. 190 Waal , Wilfried de ( 1979 ) : Betriebsterror und christliche Gewerkschaften , phil. Diss. , Wien. 191 Stubenvoll , Karl ( 1984 ) : Zur Genesis und Funktion des „Antiterrorgesetzes“ vom 5. April 1930. In : Helmut Konrad ( Hg. ) : Neuere Studien zur Arbeiterbewegung. Zum fünfundzwanzigjährigen Bestehen des Vereins für Geschichte der Arbeitergeschichte , Bd. 1 , Beiträge zur Wirtschafts- und Sozialgeschichte [ Materialien zur Arbeiterbewegung 35 ] , Wien , 213–245. 192 Für etliche Verträge der Freien Gewerkschaften vor 1914 galt durchaus eine „Außenseiterwirkung“. 193 Vgl. Klenner ( 1953 ), 856 , 1509 ; vgl. Klenner , Fritz ( 1979 ) : Die österreichischen Gewerkschaften. Vergangenheit und Gegenwartsprobleme , Bd. 3 , Wien , 2212.
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Jahrzehnte der Zweiten Republik überdeckten auch in der Sozialstaatsära realen Machtverhältnisse sichtbar zu machen. Nicht zuletzt auch im Hinblick auf die immer wieder aufkommenden Debatten zur Verfassungsänderung wäre die Analyse der Spruchpraxis und der juristischen Fachliteratur im Zusammenhang mit der „Closed Shop“-Praxis , vor allem in Bezug auf die Akzeptanz oder Ablehnung der Intentionen der Kelsen-Verfassung von 1920 ebenfalls ein Projekt mit starkem Aktualitätsbezug. 3.2 Zur Begriffsklärung „Austrofaschismus“ und „Neokorporatismus“ Es fällt auf , dass die in diesem Beitrag genannten und die meisten anderen Publikationen zu den Jahren 1933 bis 1938 – mit Ausnahme der von Emmerich Tálos verfassten oder betreuten194 – die Benennung „Austrofaschismus“ im Titel vermeiden , Holtmann und Pasteur lehnen sie außerdem ausdrücklich ab. Einen Beitrag , um die unterschiedlichen Standpunkte bezüglich der Zuordnung des Dollfuß / Schuschnigg-Regimes auch unter kritischen HistorikerInnen und PolitikwissenschaftlerInnen etwas anzunähern , könnte vielleicht die tiefer gehende Analyse der Haltung zur Emanzipation „der Arbeiterschaft“ über die Ablehnung des „Klassenstandpunkts“ hinaus und im Hinblick auf „völkische“ Konzepte leisten. Nach Einschätzung der Verfasserin wäre dabei die Bestätigung der These Irmgard Bärnthalers in ihrem Standardwerk über die VF von 1971 zu erwarten , man habe , „die getarnte faschistische Diktatur aufgerichtet. Zwanzig Prozent Quadragesimo anno ; achtzig Prozent Faschismus.“195 In unmittelbarem Zusammenhang mit dem fehlenden Grundkonsens für die SystemZuordnung des Dollfuß / Schuschnigg-Regimes steht die weitverbreitete Bezeichnung der Sozialpartnerschaft der Zweiten Republik als „Neo-Korporatismus“. Diese aus der angloamerikanischen Wissenschaftstheorie und deren historischem Erfahrungshorizont stammende Definition196 assoziiert , auch wenn ihre AnhängerInnen neo-korporatistische Interessenabstimmung durchaus als demokratiekompatibel bewerten ,197 auf jeden Fall für Österreich die Herkunft von faschistischen Korporativismus-Konzeptionen , die neben den Arbeitsmarktparteien den Staat als dritten ( kontrollierenden ) "Partner" etablierten. Der Versuch von Margarete Grandner und Franz Traxler , die Differenzierung unter Verweis auf triparitätische Ansätze in der Ersten Republik mit der Formulierung 194 Tálos , Emmerich ( 2004 ) : Arbeiterschaft und Austrofaschismus. In : Brigitte Bailer-Galanda ( Red. ) : Themen der Zeitgeschichte und der Gegenwart : Arbeiterbewegung – NS-Herrschaft – Rechtsextremismus ; ein Resümee aus Anlass des 60. Geburtstags von Wolfgang Neugebauer , Wien , 27–42 ; Tálos , Emmerich / Neugebauer , Wolfgang ( Hg. ) ( 2012 ) : Austrofaschismus. Politik – Ökonomie – Kultur 1933–1938 , Wien / Berlin. 195 Bärnthaler ( 1971 ), 162. Die der Publikation zugrunde liegende Dissertation wurde mit dem Leopold-Kunschak-Preis ausgezeichnet. 196 Vgl. Schmitter , Philippe C. ( 1974 ) : Still the Century of Corporatism ? In : The Review of Politics Jg. 36 ( 1974 ) Heft 1 , 85–131. 197 Vgl. u. a. Czada , Roland ( 1995 ) : Konjunkturen des Korporatismus. Zur Geschichte eines Pradigmenwechsels in der Verbändeforschung. In : Streeck , Wolfgang ( Hg. ) : Staat und Verbände ( Politische Vierteljahresschrift , Sonderheft 25 ), Opladen , 37–64 ; Karlhofer , Ferdinand ( 2007 ) : Filling the Gap ? Korporatismus und neue Akteure in der Politikgestaltung. In : Österreichische Zeitschrift für Politikwissenschaft Jg. 36 ( 2007 ) Heft 4 , 389–404.
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���������������������������������������������� ������������������������������� : Kampf um „die Arbeiterschaft“
„liberaler Korporatismus“ vorzunehmen ,198 bringt zwar schon etwas mehr Klarheit , löst aber die Grundproblematik nicht. Es kommt hinzu , dass die paritätisch angelegte überbetriebliche gesetzliche Interessenvertretung vor allem wegen der „Zwangsmitgliedschaft“ immer wieder direkt auf das austrofaschistische System zurückgeführt wird. Das ist historisch in doppelter Hinsicht falsch. Denn erstens ging es dem Austrofaschismus um das Zerschlagen von Gewerkschaften als Klasseninstitutionen , es ging ihm darum „integrale Körper“ zu schaffen , wobei die Kammern , ( auf Unternehmerseite nur formal ) ihrer „Klassenfunktion“ entkleidet , praktische Ansatzpunkte boten. Zweitens war das „österreichische Kammersystem [ … ] von Anfang an ‚gegnerfrei‘ organisiert“ und [ ab 1920 /21 , Anm. d. Verf.in ] „binnendemokratisch“, wie es Peter Pernthaler 1995 prägnant umriss.199 Überlegenswert wäre es daher ( nicht nur in Bezug auf die österreichische Situation ), die von Tálos 2008 publizierte neutrale Definition der Sozialpartnerschaft als „triparitätisches Muster der Interessenvermittlung“200 in den aktuellen Debatten stärker zu berücksichtigen.
198 Vgl. Grandner et al. ( 1984 ), 77–78. 199 Vgl. Pernthaler , Peter ( 1995 ) : Berufliche Selbstverwaltung in Österreich – Relikt des Ständestaates oder Modell für die Zukunft. In : Bundesarbeitskammer , 71–97 : 83–84. 200 Tálos , Emmerich ( 2008 ) : Sozialpartnerschaft. Ein zentraler politischer Gestaltungsfaktor in der Zweiten Republik , Innsbruck , 10.
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Stefan Eminger
Politik und Wirtschaft Die österreichischen Handelskammern 1930–1938 Am Beispiel der österreichischen Handelskammern lässt sich das komplexe Geflecht von Politik und Wirtschaft eingehend studieren. Spitzenfunktionäre der Kammern übten vielfach wichtige politische Funktionen aus und bereits Mitte 1932 traten die Handelskammern für ein Regime mit außerordentlichen Vollmachten ein. Der Errichtung eines „Ständestaates“ standen die Handelskammern als reine Unternehmerorganisationen aber skeptisch gegenüber und während der bürgerlichen Diktatur 1934 bis 1938 gerieten sie stark unter Druck. Die folgenden Ausführungen geben einen Überblick über Funktion und Organisation der Handelskammerorganisation von der Weltwirtschaftskrise bis zum „Anschluss“ Österreichs an Deutschland. In der Art eines Literaturberichtes fassen sie den Forschungsstand zusammen und benennen Desiderate. I. Die Handelskammern – Funktion und Organisation Die Handelskammern waren und sind Organisationen von Unternehmerinnen und Unternehmern1. Sie sind öffentlich-rechtlich verankert , mit Pflichtmitgliedschaft ausgestattet und vertreten die selbstständig Erwerbstätigen mit Ausnahme jener der Landwirtschaft und der freien Berufe. Zu ihren wichtigsten Aufgaben zählen die gesetzlich festgeschriebene Befugnis , Gesetzesentwürfe und bestimmte Verordnungen zu begutachten , und das schwierige Geschäft , einen Ausgleich zwischen den verschiedenen Interessen ihrer Mitglieder herbeizuführen. Die Handelskammern waren in der Zwischenkriegszeit primär territorial , nach Bundesländern , organisiert. Die fachlich-vertikale Gliederung beschränkte sich auf die Unterteilung in zumeist drei Sektionen – Handel , Gewerbe , Industrie. Eine Sonderstellung hatte die Wiener Handelskammer inne. Sie war bis 1937 auch für Niederösterreich und 1 Die Bezeichnung „Handelskammer“ ist der traditionell übliche und lange Zeit auch offiziell verwendete Kurztitel für jene Institution , die laut einschlägiger Gesetzesmaterie bis 1920 Handels- und Gewerbekammer , danach bis 1938 Kammer für Handel , Gewerbe und Industrie , ab 1946 Kammer der gewerblichen Wirtschaft und seit 1994 Wirtschaftskammer heißt.
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bis 1923 für das Burgenland zuständig und nahm – gefolgt von der Grazer Kammer – eine dominierende Position ein. Eine Spitzenorganisation in Form einer Bundeshandelskammer existierte bis 1937 nicht.2 Strukturell kam den Handelskammern eine Doppelstellung zu. Sie waren Behörde und Interessenvertretung zugleich. Die daraus resultierenden Vorteile ergaben sich aus der gesetzlichen Verankerung und dem privilegierten Zugang zu politischen Entscheidungsgremien ; die Schwierigkeiten bestanden im Zwang zum Ausgleich der oft stark divergierenden Interessen innerhalb der Organisation und im notgedrungen moderateren Auftreten bei der Interessenvermittlung nach oben. Den freien , privatwirtschaftlich verankerten Interessenverbänden von Handel , Gewerbe und Industrie war die Politik der Handelskammern daher meist zu vorsichtig und diplomatisch und der Druck der Basis auf die Spitzengremien der Handelskammern nahm insbesondere am Tiefpunkt der Krise stark zu.3 Parteipolitisch betrachtet waren in den Handelskammern vor allem christlichsozial und großdeutsch orientierte Mandatare vertreten. Sie kandidierten zumeist auf gemeinsamen Listen , da eine akzentuierte Parteipolitik die stets fragile Einheit der Kammern tendenziell infrage stellte. In den Handelskammern in Wien und Graz gab es auch einige wenige sozialdemokratische Funktionäre. Das Verhältnis zwischen Regierung und Handelskammern verschlechterte sich Anfang der 1930er-Jahre. Im Zuge der Etablierung des austrofaschistischen Regimes 1933 / 34 stand der Weiterbestand der Handelskammern überhaupt infrage. Wirtschaftspolitische Differenzen und der Umstand , dass die Handelskammern – als Klassenorganisation der UnternehmerInnen – in den zu schaffenden Ständestaat nicht hineinpassten , markierten die Hauptkonfliktpunkte ; darüber hinaus wurden Teile der Handelskammern in die Nähe nationalsozialistischer Gesinnung gerückt. Die Kammern blieben jedoch bestehen – wenn auch um den Preis erheblicher Kompetenzeinbußen zugunsten der neuen Bünde , die als Vorformen der zu schaffenden „Stände“ konzipiert waren. Erst das Handelskammerumformungsgesetz von 1937 stellte den Fortbestand der Kammern außer Streit. Nach dem Gewerkschaftsbund 1934 war nun auch die Existenz einer weiteren Klassenorganisation im vermeintlichen Ständestaat festgeschrieben worden.4 II. Literatur Die Literatur über die Politik der österreichischen Handelskammern in den 1930er-Jahren ist überschaubar. Sie lässt sich grob in drei Gruppen gliedern. 2 Geißler , Franz ( 1974 ) : 125 Jahre Wiener Handelskammer. In : Wirtschaftspolitische Blätter Jg. 21 ( 1974 ) Heft 1 , 1–22 : 2 , 4. 3 Eminger , Stefan ( 2005 ) : Das Gewerbe in Österreich 1930–1938. Organisationsformen , Interessenpolitik und politische Mobilität , Innsbruck , 93. 4 Haas , Karl ( 1977 ) : Zum Problemkomplex „Wirtschaftsverbände und Ständestaat“. In : Jedlicka , Ludwig / Neck , Rudolf ( Hg. ) ( 1977 ) : Das Juliabkommen von 1936. Vorgeschichte , Hintergründe und Folgen. Protokoll des Symposiums in Wien am 10. und 11. Juni 1976 [ Veröffentlichungen der Wissenschaftlichen Kommission des Theodor-Körner-Stiftungsfonds und des Leopold-Kunschak-Preises zur Erforschung der Österreichischen Geschichte der Jahre 1918 bis 1938 4 ] , Wien , 328–342.
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2.1 Kammereigene Publikationen Bei der ersten Gruppe handelt es sich um zumeist kammereigene Publikationen. Unter ihnen befinden sich die frühesten Arbeiten zum Thema. Sie sind in der Regel deskriptiv-institutionengeschichtlich ausgerichtet und stehen vielfach im Kontext von Kammerjubiläen.5 Der ersten Gruppe zuzurechnen sind auch die Arbeiten „des“ Kammerhistorikers schlechthin , Franz Geißler. Geißler , seit 1927 Beamter der Wiener Handelskammer und später der Bundeskammer für gewerbliche Wirtschaft , verfasste auch die einzige Monografie über die Handelskammern in der Ersten Republik6. Diese oft zitierte , zweibändige Arbeit ist eine Fundgrube in Sachen Kammergeschichte. Sie wurde überwiegend aus den Quellen der Registratur der Wiener Handelskammer gearbeitet und der Fokus der Darstellung liegt daher auch auf Organisation und Politik der Wiener Kammer. Die intime , auch aus der Zeitzeugenschaft rührende Kenntnis der Kammergeschichte des Autors hat ein thematisch breit gefächertes Werk entstehen lassen , das in Fragen der Bewertung mitunter aber etwas einseitig ist. Immer wieder wechselt Geißler von der Rolle des Historikers in die des Kammer-Anwalts. Der erste Band steckt den institutionellen und politischen Rahmen der Kammertätigkeit ab. Im zweiten Band werden die 1929 an Intensität zunehmenden kammerinternen verfassungspolitischen Debatten 5 Kammer der gewerblichen Wirtschaft für Steiermark ( Hg. ) ( 1950 ) : 100 Jahre Handelskammer Steiermark , Graz ; Pisecky , Franz ( 1951 ) : 100 Jahre Oberösterreichische Handelskammer , Linz ; Mader , Friedrich ( 1951 ) : Handelskammer und gewerbliche Wirtschaft Tirols 1900–1938. In : Gerhardinger , Hermann / Egert , Franz / Huter , Franz ( Hg. ) : Tiroler Wirtschaft in Vergangenheit und Gegenwart. Festgabe zur 100-Jahrfeier der Tiroler Handelskammer , Bd. 2 [ S chlern-Schriften 78 ] , Innsbruck , 165– 196 ; Kammer der gewerblichen Wirtschaft für Vorarlberg ( Hg. ) ( 1952 ) : 100 Jahre Handelskammer und gewerbliche Wirtschaft in Vorarlberg , Feldkirch ; Kammer der Gewerblichen Wirtschaft für Kärnten ( Hg. ) ( 1953 ) : Kärntens gewerbliche Wirtschaft von der Vorzeit bis zur Gegenwart , Klagenfurt ; Klose , Alfred ( 1960 ) : Wie es aus der geschichtlichen Entwicklung heraus zur heutigen Organisationsform kam. In : Wirtschaftspolitische Blätter Jg. 7 ( 1960 ) Heft 1 , 3–7 ; Mitic , Max / K lose , Alfred ( 1966 ) : Die Handelskammerorganisation in Österreich. In : Pütz , Theodor ( Hg. ) : Verbände und Wirtschaftspolitik in Österreich [ S chriften des Vereins für Socialpolitik , N.F. 39 ] , Berlin , 502–572 ; Zirkovits , Ernst ( 1973 ) : Burgenlands Handel einst und jetzt. Die Entwicklung der Interessenvertretung der burgenländischen Handelskammer unter besonderer Berücksichtigung des Handels von 1850 bis 1973 , Wien ; Pagitz , Franz ( 1975 ) : 125 Jahre Handelskammer Salzburg 1850–1975 , Salzburg ; Kühne , Ernst H. ( 1976 ) : 125 Jahre Handelskammer O.Ö. , Linz ; Koren , Johannes / Ebner , Manfred ( 1977 ) : Handelskammer und Sozialpartnerschaft. Österreich auf seinem Weg. Mit Beiträgen von Franz Geißler , Werner Melis und Herbert Reiger , 2. Aufl. , Graz ; Reiger , Herbert ( 1998 ) : 150 Jahre österreichische Wirtschaftskammerorganisation. In : Wirtschaftspolitische Blätter Jg. 45 ( 1998 ) Heft 6 , 539–547. 6 Geißler , Franz ( 1977 ) : Österreichs Handelskammer-Organisation in der Zwischenkriegszeit. Eine Idee auf dem Prüfstand. Bd. 1 : Nach dem Reformgesetz 1920 , Wien ; Geißler , Franz ( 1980 ) : Österreichs Handelskammer-Organisation in der Zwischenkriegszeit. Eine Idee auf dem Prüfstand. Bd. 2 : Die große Wende , Wien ; weitere einschlägige Arbeiten Geißlers sind : Geißler , Franz ( 1949 ) : Die Entstehung und der Entwicklungsgang der Handelskammern in Österreich. In : Mayer , Hans ( Hg. ) : Hundert Jahre österreichischer Wirtschaftsentwicklung 1848–1948. Hg. auf Veranlassung der Bundeskammer der gewerblichen Wirtschaft zum hundertjährigen Bestande der Kammerorganisation , Wien , 21–126 ; Geißler ( 1974 ), 2–22.
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rund um einen „Ständerat“ detailliert referiert ,7 der Hauptteil ist der Darstellung des Ringens der Kammern um ihren Weiterbestand im austrofaschistischen „Ständestaat“ gewidmet. Argumente wie Strategien der meisten Gegner und Befürworter werden breit dargestellt. Die extrem kammerkritische Politik des Präsidenten des neu geschaffenen Gewerbebundes und späteren Präsidenten der Bundeshandelskammer und niederösterreichischen Handelskammer , Julius Raab , bleibt dabei allerdings etwas blass.8 Relativierend fällt auch die Auseinandersetzung mit den NS-Vorwürfen aus9 und vereinzelt verfällt Geißler auch in die demokratiekritische Diktion seiner ( Kammer-)Quellen ; etwa wenn er in Bezug auf die frühen 1930er-Jahre wiederholt und pauschal von einer „Krise des Parlamentarismus“ in Österreich spricht.10 2.2 Historisch-politologische Publikationen Die Arbeiten der zweiten Gruppe wurden von HistorikerInnen und Politologen verfasst. Sie setzten Mitte der 1970er-Jahre ein und bestehen überwiegend aus Aufsatzliteratur. Die Analysen sind primär politikgeschichtlich ausgerichtet. Karl Haas beschäftigte sich 1977 erstmals detaillierter mit dem Verhältnis von Wirtschaftsverbänden und „Ständestaat“11. Er konstatiert eine zunehmende Politisierung der wirtschaftlichen Interessenvertretungen im Rahmen der politisch-ökonomischen Doppelkrise ab 1932 und arbeitet die prekäre Stellung der Handelskammern im Rahmen des berufsständischen Neuaufbaues heraus. Insbesondere skizziert er die Auseinandersetzung der Handelskammern mit dem neu geschaffenen Gewerbebund Julius Raabs und weist nachdrücklich auf die machtpolitische Dimension dieses Konfliktes hin. Ferner thematisiert Haas die Frage der NS-Affinität in Teilen der Handelskammern und analysiert die systempolitischen Diskussionen der Handelskammern. Demnach waren die Spitzenvertreter der Handelskammern weder Anhänger eines reinen Ständesystems noch überzeugte Befürworter der parlamentarischen Demokratie. Zumindest im Herbst 1933 favorisierten sie vielmehr ein Zweikammernsystem , in dem ein Ständerat für wirtschaftliche Angelegenheiten und das Parlament für kulturelle und politische Agenden zuständig sein sollte.12 Mit der wechselnden Haltung der österreichischen Handelskammern in der Frage des Anschlusses an Deutschland beschäftigte sich Peter Géza Fischer in einem 1977 erschienenen Aufsatz.13 Der Beitrag beleuchtet erstmals auch die internationalen Kontakte der Handelskammern in der Zwischenkriegszeit und bietet interessante Einblicke in die Vielfalt der Anschluss- und internationalen Wirtschaftsorganisationen. Hatten sich die Kammern bis Mitte der 1920er-Jahre mit dem Thema Anschluss kaum auseinandergesetzt , so bedeutete der Amtsantritt Friedrich Tilgners ( 1925 ) als Präsident der Wiener Kammer einen Kurswechsel. Fischer untersucht die nun einsetzenden Bemühungen der 7 Geißler ( 1980 ), 46–111. 8 Ebenda , 330–332 , 353–354. 9 Ebenda , 295–313. 10 Geißler ( 1977 ), 29 , 44 , 90. 11 Haas ( 1977 ), 328–342. 12 Ebenda , 331. 13 Fischer , Peter G. ( 1977 ) : Die österreichischen Handelskammern und der Anschluß an Deutschland. Zur Strategie der „Politik der kleinen Mittel“ 1925 bis 1934. In : Jedlicka / Neck ( 1977 ), 299–314.
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Kammern im Hinblick auf einen zunächst wirtschaftlichen Anschluss an Deutschland. Er analysiert vor allem die Tätigkeit des ehemaligen Gesandten in Berlin , Richard Riedl , der zum gemeinsamen Delegierten der Kammern in Fragen der „Erweiterung des österreichischen Wirtschaftsgebietes“ bestellt worden war.14 Nach dem Scheitern der Zollunion mit Deutschland 1931 zeichnete sich allmählich ein Kurswechsel ab , der sich im Rahmen der Debatten um die Lausanner Anleihe 1932 noch verstärkte. In dieser Frage trat die Heterogenität der in den Kammern vertretenen Interessen deutlich zutage.15 Eher kursorisch widmet sich Fischer in seinem Beitrag über die wirtschaftliche Interessenvertretung zwischen „Ständestaat“ und „Führerstaat“ dem Thema Handelskammern und Nationalsozialismus.16 Basierend auf Dokumenten der Wiener Handelskammer und des damaligen Verwaltungsarchivs zeichnet er primär die personellen Rochaden v. a. der Wiener Kammer im Zuge des „Anschlusses“ an Hitler-Deutschland nach. 1984 erschien eine der seltenen Studien , die auch das wirtschaftspolitische Konzept der Handelskammern in der Weltwirtschaftskrise untersuchte. Der quellengesättigte Aufsatz von Margarete Grandner und Franz Traxler handelt zwar nur über die Wirtschaftskonferenz von 1930 , beschränkt sich also auf den Beginn der Großen Depression in Österreich.17 Unter Heranziehung korporatismustheoretischer Ansätze weist der Beitrag nach , in welch hohem Ausmaß der Leitende Sekretär der Wiener Kammer , Ludwig von Mises , die Konferenz mit seinem radikal liberalen Kurs dominiert hat. Sowohl die Gewerkschaften wie auch die Vertretung der Landwirtschaft wurden dadurch vor den Kopf gestoßen. Die ersten Ansätze einer politikwissenschaftlichen Analyse der Handelskammerpolitik der Zwischenkriegszeit lieferte Emmerich Tálos18. Der Autor widmet sich hier u. a. der Frage der institutionellen und personalen Verbindungen der Handelskammern zu bürgerlichen Politikern , politischen Gremien und freien Verbänden. Auch seiner Untersuchung liegt das gründliche Studium von Materialien der Registratur der Wiener Handelskammer zugrunde. Neben dem wichtigen Begutachtungsrecht der Kammern verweist Tálos auf die Beziehung der Kammern zu Enqueten , Konferenzen und Kommissionen , auf die vielfältigen Personalunionen im Hinblick auf Kammer- und politische Funktionen sowie auf den privilegierten Zugang , den Kammerfunktionäre zu Ministern oder auch Regierungschefs genossen. Als ein Beispiel nennt der Autor etwa die Person Ernst Streeruwitz. Streeruwitz war zwischen 1927 und 1930 Vizepräsident , dann 14 Fischer ( 1977 ), 303. 15 Ebenda , 312–313. 16 Fischer , Peter G. ( 1978 ) : Wirtschaftliche Interessenvertretung vom „Ständestaat“ zum „Führerstaat“. In : Czeike , Felix ( Hg. ) : Wien 1938. [ Forschungen und Beiträge zur Wiener Stadtgeschichte 2 , Sonderreihe der Wiener Geschichtsblätter ] , Wien , 207–215. 17 Grandner , Margarete / Traxler , Franz ( 1984 ) : Sozialpartnerschaft als Option der Zwischenkriegszeit ? Liberalkorporatistisches Krisenmanagement am Beispiel der Wirtschaftskonferenz von 1930. In : Fröschl , Erich / Z oitl , Helge ( Hg. ) : Februar 1934. Ursachen , Fakten , Folgen. Beiträge zum wissenschaftlichen Symposion des Dr.-Karl-Renner-Instituts abgehalten vom 13. bis 15. Februar 1984 in Wien [ Thema Zeitgeschichte 2 ] , Wien , 75–117. 18 Tálos , Emmerich ( 1995 ) : Interessenvermittlung und partikularistische Interessenpolitik in der Ersten Republik. In : Tálos , Emmerich / Dachs , Helmut / Hanisch , Ernst / Staudinger , Anton ( Hg. ) : Handbuch des politischen Systems Österreichs. Erste Republik 1918–1933 , Wien , 371–394.
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bis 1935 Präsident der Wiener Handelskammer , gleichzeitig war er Vorstandsmitglied des Hauptverbandes der Industrie , Obmann des Arbeitgeberverbandes der Niederösterreichischen Textilindustrie , Nationalratsabgeordneter der Christlichsozialen Partei und 1929 auch Bundeskanzler. Hervorzuheben ist ferner Tálos’ detailliertere Diskussion der verfassungsrechtlichen Konzeptionen der Kammern zur Schaffung eines „Ständerates“ oder „Wirtschaftsparlamentes“ und er verweist auch darauf , dass die Handelskammern bereits 1932 für außerordentliche Vollmachten für die Regierung zur Krisenlösung eintraten.19 Einblicke in Streeruwitz’ systempolitische Vorstellungen gibt Stefan Eminger in seiner Diplomarbeit über Gewerbepolitik und gewerbliche Organisationen zur Zeit der Weltwirtschaftskrise.20 Am Tiefpunkt der Krise und noch vor der Etablierung der Regierungsdiktatur Dollfuß war Handelskammerpräsident Streeruwitz mit demokratie kritischen Äußerungen an die Öffentlichkeit getreten. Er plädierte damals für eine Neuaufrichtung der „Autorität“ im Staat. Der Apparat der modernen Demokratie sei „funktionsunfähig“, das Mehrheitsprinzip habe versagt , der Klassenkampf und ein „falsche[ r ] Freiheitsbegriff“ lösten die staatliche und soziale Ordnung auf. Das „politische Tor zur wirtschaftlichen Vernunft“ sei die Mobilisierung des Ständegedankens gegen den Klassenkampf , denn der „Kurs unserer Zeit“ gehe „auf Ordnung und Autorität , die Kurve missbrauchter Freiheit“ sei „im Niedergang“.21 Kursorisch mit den Handelskammern befasst sich auch Gerhard Senft in seiner 2002 erschienenen Monografie zur Wirtschaftspolitik des „Ständestaates“.22 Basierend v. a. auf der Arbeit Geißlers und zeitgenössischen Presseberichten skizziert er die Auseinandersetzungen um den Weiterbestand der Handelskammern im „Ständestaat“. Mit der Handelskammerpolitik aus der Sicht „des Gewerbes“ beschäftigt sich die Dissertation von Stefan Eminger23. Erstmals wird darin detaillierter auf die divergierenden Haltungen der Länderkammern in der Frage der Lausanner Anleihe und des damit verbundenen Anschlussverbotes hingewiesen sowie das mitunter recht gespannte Verhältnis zwischen den verschiedenen Interessenvertretungen des Gewerbes und den Kammern analysiert.24 Die Arbeit bringt auch neues Material in Bezug auf die Frage des Weiterbestandes der Handelskammern im „Ständestaat“. So richtete sich der Protest des Kleingewerbes v. a. gegen die Wiener Kammer , während das Verhältnis zwischen den Länderkammern und ihrer dortigen Klientel weitgehend ungetrübt war.25 Dar über hinaus wurde der Nachweis geführt , dass die Vergabe der Kammermandate Ende 1935 eine Maßnahme „politischer Säuberung“ darstellte und neues Material zur Frage der NS-Af19 Tálos ( 1995 ), 373. 20 Eminger , Stefan ( 1995 ) : Gewerbepolitik und gewerbliche Organisationen in Österreich zur Zeit der Weltwirtschaftskrise , Dipl.-Arb. , Wien , 66–68. 21 Das politische Tor zur wirtschaftlichen Vernunft , Österreichs Wirtschaft , 2. 3. 1933 , 104 , 168 ; zit. n. Eminger ( 1995 ), 67. 22 Senft , Gerhard ( 2002 ) : Im Vorfeld der Katastrophe. Die Wirtschaftspolitik des Ständestaates. Österreich 1934–1938 [ Vergleichende Gesellschaftsgeschichte und politische Ideengeschichte der Neuzeit 15 ] , Wien , 230–236. 23 Eminger ( 2005 ). 24 Ebenda , 89–90. 25 Ebenda , 81 , 133.
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finität in den Handelskammern präsentiert.26 Demnach lassen sich in der Kammerbürokratie und generell in den alpenländischen Länderkammern spätestens ab 1933 stärkere NS-Tendenzen nachweisen. Der Präsident der Grazer Kammer etwa , Viktor Franz , deklarierte sich im Frühjahr 1933 als NS-Sympathisant , als er den deutschen Reichsjustizkommissär Hans Frank im Verband der Kraftfahrstaffel der NSDAP mit seinem Privatauto an der Landesgrenze erwartete , und der Direktor der Kärntner Kammer , Walter Lakomy , galt den österreichischen Sicherheitsbehörden als Initiator der Hinwendung von Teilen der Kärntner Heimwehr zur NSDAP.27 2.3 Wirtschaftswissenschaftliche Publikationen Die dritte Gruppe von Literatur über die Politik der österreichischen Handelskammern bilden wirtschaftswissenschaftlich orientierte Arbeiten. Insbesondere Publikationen über den sogenannten „Austroliberalismus“ und den herausragenden Vertreter dieser Strömung , Ludwig Mises , sind hier zu nennen. Als langjähriger Leitender Sekretär der Wiener Handelskammer ( 1920–1934 ) übte Mises zeitweilig erheblichen Einfluss nicht nur auf die Kammerpolitik , sondern teils auch auf die österreichische Wirtschaftspolitik insgesamt aus. Der Großteil der Arbeiten dieser Gruppe stützt sich neben den wirtschaftswissenschaftlichen Publikationen dieser Ökonomen auf ( auto-)biografische Literatur und Ego-Dokumente. Der Fokus der Arbeiten liegt auch hier auf der Wiener Kammer. Der Frage des Einflusses von Mises auf die österreichische Wirtschaftspolitik der Zwischenkriegszeit widmet sich Franz Baltzarek in einem 1981 erschienenen Aufsatz.28 Vor allem für die erste Phase der Krisenlösungsdiskussion ( 1929–1932 ) konstatiert er in Unternehmerkreisen großen Einfluss der Mises’schen Krisenanalyse.29 Baltzarek lenkt den Blick auch auf die vielfältigen gesellschaftlichen und beruflichen Kontakte von Mises , der sich selbst wohl nicht zu Unrecht als „den“ österreichischen Nationalökonomen der Zwischenkriegszeit betrachtete. Das von ihm initiierte und seinen Schülern Friedrich A. Hayek ( 1927–1931 ) und Oskar Morgenstern ( 1932–März 1938 ) geleitete Österreichische Institut für Konjunkturforschung stärkte nicht nur Mises’ , sondern auch die wirtschaftspolitische Position der Wiener Kammer.30 Auf die wachsende Bedeutung der Kammerbürokratie in der Zwischenkriegszeit in Bezug auf die Formulierung wirtschaftspolitischer Leitsätze verweist der aus einer Innensicht der Institution verfasste Aufsatz von Alexander Hörtlehner.31 Der Autor , vormals Sekretär der Kammer der gewerblichen Wirtschaft Wien , bezeichnet Mises und nicht das gewählte Präsidium als den eigentlichen „Kammerherrn“. Durch dessen gute Kontakte 26 Ebenda , 134–137 , 139. 27 Ebenda , 135. 28 Baltzarek , Franz ( 1981 ) : Ludwig von Mises und die österreichische Wirtschaftspolitik der Zwischenkriegszeit. In : Wirtschaftspolitische Blätter Jg. 28 ( 1981 ) Heft 4 , 127–139. Dieses Heft ist zur Gänze Ludwig von Mises gewidmet. 29 Ebenda , 135. 30 Ebenda , 134. 31 Hörtlehner , Alexander ( 1981 ) : Ludwig von Mises und die österreichische Handelskammerorganisation. In : Wirtschaftspolitische Blätter Jg. 28 ( 1981 ) Heft 4 , 140–150 : 142.
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zu bürgerlichen Politikern , hohen Verwaltungsbeamten , Bankern , Wissenschaftlern und Wirtschaftstreibenden sowie als Universitätslehrer und Leiter eines „Privatseminars“ in der Wiener Kammer reichte Mises’ Einfluss weit über die engeren Kammerkreise hinaus.32 Mises’ Bedeutung für die wirtschaftspolitische Diskussion der frühen 1930er-Jahre wird auch in der Diplomarbeit von Alfred Hochholdinger betont.33 Der Autor konzentriert sich zwar auf das wirtschaftswissenschaftliche Werk von Mises ; anhand von Quellenmaterial aus der Registratur der Wirtschaftskammer Wien beleuchtet er aber dennoch auch dessen dominierende Rolle auf der Wirtschaftskonferenz 1930 und den Handelskammertagen 1931 und 1932.34 Breiterer Raum ist ferner der Gründung und Tätigkeit des Österreichischen Institutes für Konjunkturforschung gewidmet. Hochholdinger verweist hier etwa auf die anfängliche Skepsis der Kammer für Arbeiter und Angestellte gegen die Situierung einer unabhängigen Einrichtung in der Wiener Handelskammer. Die Arbeitnehmervertretung hätte so ein Institut lieber im Rahmen des Bundesamtes für Statistik gesehen.35 Der recht enge Zusammenhang dieses von der Rockefeller Foundation finanzierten Institutes mit der Wiener Handelskammer wird in der Arbeit implizit immer wieder deutlich , bildet aber kein weiterführendes Thema. Rezente Beiträge zum Austroliberalismus im Allgemeinen und zu Mises im Besonderen hat Hansjörg Klausinger geliefert. Ein Verdienst seiner Arbeit liegt in der Erschließung einschlägigen , schwer zugänglichen Materials in US-amerikanischen Sammlungen ( v. a. Korrespondenz , Tagebuch von Oskar Morgenstern ) sowie in der Einbeziehung der angelsächsischen Wirtschaftsliberalismus-Forschung in die österreichische Zeitgeschichtsschreibung. Klausinger schlägt damit erstmals eine Brücke zwischen der His toriografie des ökonomischen Denkens in Österreich und der österreichischen Zeitgeschichtsforschung. In seinem 2005 erschienenen Aufsatz über das Verhältnis des Austroliberalismus zum „Ständestaat“ in der Zeitschrift „Zeitgeschichte“ thematisiert Klausinger u. a. die Haltung Mises’ zu Demokratie und Diktatur.36 Diese war bereits 1927 nicht frei von Ambivalenzen. Mises’ grundsätzliches Bekenntnis zur Demokratie erscheint auf eine vom Geist des Liberalismus aufgeklärte Demokratie eingeschränkt und von einer „von Sonderinteressen dominierten Parteiendemokratie“ geschieden. Die Demokratie in Österreich habe Mises durch die Macht der Sozialdemokratie und v. a. der Gewerkschaften gelähmt gesehen und als „gescheitertes Experiment“ betrachtet. Den italienischen Faschismus habe Mises zwar aus prinzipiellen Gründen abgelehnt , diesem jedoch zugebilligt , „dass er voll von den besten Absichten [ ist ] und dass [ sein ] Eingreifen für den Augenblick die europäische Gesittung gerettet hat“.37 Zumindest rückblickend 32 Hörtlehner ( 1981 ), 142 , 146. 33 Hochholdinger , Alfred ( 1983 ) : Ludwig von Mises. Sein Einfluss in Österreich in der Zwischenkriegszeit , Dipl.-Arb. , Wien. 34 Ebenda , 139–156. 35 Ebenda , 111–112. 36 Klausinger , Hansjörg ( 2005 ) : Von Mises zu Morgenstern. Der Austroliberalismus und der „Ständestaat“. In : Zeitgeschichte Jg. 32 ( 2005 ) Heft 5 , 323–335. Der Beitrag erschien in leicht veränderter Form auch bei Klausinger , Hansjörg ( 2006 ) : Austrian Economics during the Ständestaat. In : The Quarterly Journal of Austrian Economics Jg. 9 ( 2006 ) Heft 3 , 25–43. 37 Mises , Ludwig ( 1927 ) : Liberalismus , Jena , 45 ; zit. n. Klausinger ( 2005 ), 324 f.
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habe Mises die Errichtung der bürgerlichen Diktatur 1933 / 34 aber ebenso kritisiert. Für ihn hätte es sich um nicht mehr als um einen bloßen Austausch der Machthaber gehandelt : „Das Schlagwort ‚Ständestaat‘ [ so Mises ] deckte nichts als das Streben der christlich-sozialen Partei und der mit ihr verbündeten Heimwehren nach ungehemmter Parteiwirtschaft.“38 In der Frage der Rekonstruktion informeller Beziehungsnetze von Funktionären und Beamten der Handelskammern ist Klausingers Beitrag über die Politikberatung von Austroliberalen in den 1930er-Jahren von Interesse.39 Unter anderem auf Basis von privater Korrespondenz und Tagebucheinträgen präsentiert er darin Informationen über lose Zirkel , in denen Mises und andere Vertreter der Handelskammern verkehrten und über welche diese auch wirtschaftspolitisch Einfluss auszuüben trachteten. Ein Beispiel dafür war die sogenannte Meinl-Gruppe ; ein liberales Netzwerk von Industriellen und Ökonomen rund um Meinl , Mises und einige Mitglieder des Instituts für Österreichische Konjunkturforschung. Auch andere Vertreter der Handelskammer gehörten ihr an. Diese Gruppe stand nicht nur hinter einer wirtschaftsliberalen Pressekampagne , die zwischen 1931 und 1934 im „Neuen Wiener Tagblatt“ gelaufen war ,40 sie initiierte auch die Schaffung eines „Komitees“ innerhalb des Hauptverbandes der Industrie , das zwischen 1932 und 1933 mehrmals zusammentraf. Diese Zusammenkünfte wurden allesamt vom christlichsozialen Industrievertreter Alexander Hryntschak veranstaltet , und unter den Teilnehmern befanden sich neben anderen Anton Apold , Generaldirektor der Alpine Montan Gesellschaft , Alfred Götzl , Direktor der Garvenswerke , Viktor Kienböck , der neue Präsident der Oesterreichischen Nationalbank , und Rost van Tonningen , der Vertreter des Völkerbundes in Österreich. Auf diesen Treffen wurden zwar primär wirtschaftspolitische Fragen erörtert ,41 es sei aber auch deutlich geworden , dass die meisten Teilnehmer die Mittel der parlamentarischen Demokratie für die Lösung der Krise wenig geeignet hielten und die Errichtung eines autoritären Regimes präferierten.42 Offen bleibt , ob Vertreter der Handelskammer in diesem Komitee vertreten waren und , wenn ja , welche Rolle sie dabei spielten. III. Desiderate Zusammenfassend ist festzuhalten , dass v. a. die institutionengeschichtliche Seite der österreichischen Handelskammern gut erforscht ist. Detailliert aufgearbeitet sind auch die Konflikte der Handelskammern um ihren Fortbestand 1933–1937. 38 Mises , Ludwig ( 1978 ) : Erinnerungen , Stuttgart / New York , 86 ; zit. n. Klausinger ( 2005 ), 325. 39 Klausinger , Hansjörg ( 2008 ) : Policy Advice by Austrian Economists : The Case of Austria in the 1930s. In : Koppl , Roger ( E d. ) : Explorations in Austrian Economics ( Advances in Austrian Economics 11 ), 25–53. 40 Das „Neue Wiener Tagblatt“ wurde vom Steyrermühl-Konzern des Papierindustriellen Victor Grätz , eines engen Freundes von Mises und Angehörigen der Meinl-Gruppe , herausgebracht. Klausinger ( 2008 ), 32. 41 Ebenda , 36–37. 42 Klausinger stützt sich hier auf den Befund von Haas , Karl ( 1979 ) : Industrielle Interessenpolitik in Österreich zur Zeit der Weltwirtschaftskrise. In : Jahrbuch für Zeitgeschichte 1978 , Wien , 97–126 : 110–123.
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Dagegen existiert keine umfassende und kritische Analyse der Politik der österreichischen Handelskammern in der Zwischenkriegszeit. Was insbesondere fehlt , sind Studien , die die Heterogenität der Handelskammern systematisch berücksichtigen ; v. a. am Tiefpunkt der Weltwirtschaftskrise wird diese Zersplitterung deutlicher fassbar. Es fehlen mithin Studien , die die Fraktionierung nach regionalen ( L änderkammern ), sektoralen , betriebsgrößenspezifischen und parteipolitischen Geschichtspunkten stärker in den Blick nehmen. Gänzlich ausgespart wurden ferner Fragestellungen , die einer international vergleichenden Perspektive verpflichtet sind. Welche Rolle spielten mit den Handelskammern vergleichbare Institutionen bei der Etablierung und Stabilisierung diktatorischer Regime – in Deutschland und Italien , aber auch in Nachfolgestaaten der Habsburgermonarchie ? Welche politischen Optionen wurden dort favorisiert , welche ökonomischen Krisenlösungsansätze forciert und wie wurden diese Initiativen von den österreichischen Kammern rezipiert ? Darüber hinaus mangelt es an Arbeiten , die sich eingehend mit folgenden Themenbereichen befassen : • Handelskammern und Demokratiekritik : Hier geht es vor allem um eine adäquate Einschätzung des Beitrages der Handelskammern an der Abschaffung der parlamentarischen Demokratie in Österreich. Anknüpfend v. a. an Geißler ( 2. Bd. , 1980 ) und Tálos sollte die kammerinterne Diskussion um Alternativentwürfe zur parlamentarischen Demokratie näher beleuchtet werden. Ferner wäre im Anschluss an Eminger ( 1995 ) auch die Haltung von Spitzenfunktionären der Handelskammern zu Demokratie und Diktatur genauer zu analysieren. • Handelskammern und Nationalsozialismus : Ausgehend von Haas , Fischer ( 1978 ), Eminger ( 2005 ) wäre der Frage der Nazifizierung der Handelskammern detaillierter nachzugehen , und zwar sowohl auf der Ebene der Mandatare wie auch auf jener der Bürokratie. Erhärten sich die Hinweise auf eine regional unterschiedliche NS-Affinität in den Kammern ? Gab es auch branchen- und betriebsgrößenspezifische Signifikanzen in dieser Frage und , wenn ja , welche Motivbündel lassen sich auf Basis dieser Erkenntnisse formulieren ? • Handelskammern und Außenpolitik : Die Handelskammern waren international gut vernetzt. Inwiefern waren diese Kontakte auch politisch relevant ? Wie groß waren die Überschneidungen von Wirtschafts- und Außenpolitik ? Wichtige Fragen der „außenpolitischen Kammerdiplomatie“ wurden zwar schon von Fischer ( 1977 ) angerissen. Die internen Diskussionen um konkurrierende Konzepte für größere Absatzgebiete sowie die Tätigkeit von Repräsentanten der Kammern in internationalen und bilateralen Organisationen wären aber präziser darzustellen. Auch die Frage des Anschlusses wäre nochmals zu erörtern. Vor dem Hintergrund verschärfter Konkurrenzbedingungen auch im Falle eines Anschlusses an Deutschland sollte überdies genauer differenziert werden , ob und zu welchem Preis die verschiedenen Kammerfraktionen solche Zusammenschlüsse wollten.43 43 Die doch recht differenzierte Haltung vieler Wirtschaftstreibender gegenüber einem Zusammenschluss mit Deutschland betonen etwa Nautz , Jürgen ( 1988 ) : Die österreichische Wirtschaft und die Anschlussfrage. In : Albrich , Thomas / Eisterer , Klaus / Steininger , Rolf ( Hg. ) : Tirol und der An-
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�������������������������������������� ������������������������ : Politik und Wirtschaft
• Handelskammern und Krisenanalyse : Überraschenderweise gibt es keine zusammenfassende Darstellung von Krisenanalyse und -lösungsansätzen der österreichischen Handelskammern. Existierte eine solche und , wenn ja , wessen Interessen fanden darin ihren Niederschlag , welche nicht ? Im Anschluss an Grandner / Traxler und die wirtschaftswissenschaftlichen Arbeiten über Mises wären hier die einschlägigen Positionen innerhalb der Kammern zu untersuchen und den veröffentlichten Stellungnahmen gegenüberzustellen. Kaum noch thematisiert wurden darüber hinaus die von dem deutschen Anthropogeografen Friedrich Ratzel beeinflussten Thesen von Handelskammerpräsident Streeruwitz , der die Große Depression u. a. mit der angeblichen „Abschwächung der Vorherrschaft der weißen Rasse in aller Welt“ in Zusammenhang brachte.44 • Handelskammern und Interessenvermittlung : Die verschiedenen Formen der Einflussnahme von „pressure groups“ auf politische Entscheidungsträger stehen im Mittelpunkt der politikwissenschaftlichen Verbandsforschung. Welche Strategien waren wann und warum effizient , welche nicht ? Ausgehend von Tálos , Eminger ( 2005 ) und Klausinger ( 2008 ) ist hier an eine vertiefende Analyse der Verflechtungen wirtschaftlicher Interessenvertretungen untereinander und an jene zwischen Politik und Wirtschaft zu denken. Insbesondere sollten hier auch die beruflichen und privaten Netzwerke der Spitzenvertreter der Kammerbürokratie schärfer in den Blick genommen werden. • Handelskammern und Österreichisches Institut für Konjunkturforschung : Anknüpfend an Hochholdinger und Klausingers ( 2005 ) Bemerkungen über die Rolle Morgensterns als Politikberater des Schuschnigg-Regimes wäre eine kritische Analyse des Verhältnisses des Österreichischen Instituts für Konjunkturforschung zu den Handelskammern einerseits und zur bürgerlichen Regierungsdiktatur andererseits lohnend. • Quellen : Bisher noch zu wenig wahrgenommen wurden Materialien in den Regis traturen der Länderkammern außer Wien , das Kammerschrifttum in den Beständen des Bundeskanzleramtes und in den Bundesministerien für Handel , Inneres , Finanzen , Soziales und Äußeres im Österreichischen Staatsarchiv / A rchiv der Republik , ( Auto-)Biografien und Memoiren von Kammerfunktionären und -mandataren sowie generell die – freilich schwer zu recherchierenden – Ego-Dokumente.
schluss. Voraussetzungen , Entwicklungen , Rahmenbedingungen 1918–1938 [ I nnsbrucker Forschungen zur Zeitgeschichte 3 ] , Innsbruck , 385–402 ; Mathis , Franz ( 1996 ) : Wirtschaft oder Politik ? Zu den „wirtschaftlichen“ Motiven einer politischen Vereinigung zwischen 1918 und 1938. In : Gehler , Michael / Schmidt , Rainer F. / Brandt , Harm-Hinrich / Steininger , Rolf ( Hg. ) : Ungleiche Partner ? Österreich und Deutschland in ihrer gegenseitigen Wahrnehmung. Historische Analysen und Vergleiche aus dem 19. und 20. Jahrhundert [ H istorische Mitteilungen. Im Auftrage der Ranke-Gesellschaft , Beiheft 15 ] , Stuttgart , 427–439 : In Bezug auf das Gewerbe vgl. Eminger ( 2005 ), 89. 44 Das Jahr der Entscheidungen , Wirtschaftliche Nachrichten , 25. 6. 1931 , 426–428 : 426. Auch in der ansonsten sehr gründlich gearbeiteten Dissertation von Baril , Waltraud ( 1965 ) : Ernst von Streeruwitz , ein österreichischer Politiker der Ersten Republik , phil. Diss. , Wien , finden diese Äußerungen keine Erwähnung.
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III. Wirtschafts- und Interessenpolitik
Quellen- und Literaturverzeichnis Baltzarek , Franz ( 1981 ) : Ludwig von Mises und die österreichische Wirtschaftspolitik der Zwischenkriegszeit. In : Wirtschaftspolitische Blätter Jg. 28 ( 1981 ) Heft 4 , 127–139. Baril , Waltraud ( 1965 ) : Ernst von Streeruwitz , ein österreichischer Politiker der Ersten Republik , phil. Diss. , Wien. Eminger , Stefan ( 1995 ) : Gewerbepolitik und gewerbliche Organisationen in Österreich zur Zeit der Weltwirtschaftskrise , Dipl.-Arb. , Wien. Eminger , Stefan ( 2005 ) : Das Gewerbe in Österreich 1930–1938. Organisationsformen , Interessenpolitik und politische Mobilität , Innsbruck. Fischer , Peter G. ( 1977 ) : Die österreichische Handelskammern und der Anschluß an Deutschland. Zur Strategie der „Politik der kleinen Mittel“ 1925 bis 1934. In : Jedlicka , Ludwig / Neck , Rudolf ( Hg. ) ( 1977 ) : Das Juliabkommen von 1936. Vorgeschichte , Hintergründe und Folgen. Protokoll des Symposiums in Wien am 10. und 11. Juni 1976 [ Veröffentlichungen der Wissenschaftlichen Kommission des Theodor-Körner-Stiftungsfonds und des Leopold-Kunschak-Preises zur Erforschung der Österreichischen Geschichte der Jahre 1918 bis 1938 4 ] , Wien , 299–314. Fischer , Peter G. ( 1978 ) : Wirtschaftliche Interessenvertretung vom „Ständestaat“ zum „Führerstaat“. In : Czeike , Felix ( Hg. ) : Wien 1938 [ Forschungen und Beiträge zur Wiener Stadtgeschichte 2 , Sonderreihe der Wiener Geschichtsblätter ] , Wien , 207–215. Geißler , Franz ( 1949 ) : Die Entstehung und der Entwicklungsgang der Handelskammern in Österreich. In : Mayer , Hans ( Hg. ) : Hundert Jahre österreichischer Wirtschaftsentwicklung 1848–1948. [ Hg. auf Veranlassung der Bundeskammer der gewerblichen Wirtschaft zum hundertjährigen Bestande der Kammerorganisation ] , Wien , 21–126. Geißler , Franz ( 1974 ) : 125 Jahre Wiener Handelskammer. In : Wirtschaftspolitische Blätter Jg. 21 ( 1974 ) Heft 1 , 1–22. Geißler , Franz ( 1977 ) : Österreichs Handelskammer-Organisation in der Zwischenkriegszeit. Eine Idee auf dem Prüfstand. Bd. 1 : Nach dem Reformgesetz 1920 , Wien. Geißler , Franz ( 1980 ) : Österreichs Handelskammer-Organisation in der Zwischenkriegszeit. Eine Idee auf dem Prüfstand. Bd. 2 : Die große Wende , Wien. Grandner , Margarete / Traxler , Franz ( 1984 ) : Sozialpartnerschaft als Option der Zwischenkriegszeit ? Liberalkorporatistisches Krisenmanagement am Beispiel der Wirtschaftskonferenz von 1930. In : Fröschl , Erich / Z oitl , Helge ( Hg. ) : Februar 1934. Ursachen , Fakten , Folgen. Beiträge zum wissenschaftlichen Symposion des Dr.-Karl-Renner-Instituts abgehalten vom 13. bis 15. Februar 1984 in Wien [ Thema Zeitgeschichte 2 ] , Wien , 75–117. Haas , Karl ( 1977 ) : Zum Problemkomplex „Wirtschaftsverbände und Ständestaat“. In : Jedlicka , Ludwig / Neck , Rudolf ( Hg. ) ( 1977 ) : Das Juliabkommen von 1936. Vorgeschichte , Hintergründe und Folgen. Protokoll des Symposiums in Wien am 10. und 11. Juni 1976 [ Veröffentlichungen der Wissenschaftlichen Kommission des Theodor-Körner-Stiftungsfonds und des Leopold-KunschakPreises zur Erforschung der Österreichischen Geschichte der Jahre 1918 bis 1938 4 ] , Wien , 328–342. Haas , Karl ( 1979 ) : Industrielle Interessenpolitik in Österreich zur Zeit der Weltwirtschaftskrise. In : Jahrbuch für Zeitgeschichte 1978 , Wien , 97–126. Hochholdinger , Alfred ( 1983 ) : Ludwig von Mises. Sein Einfluss in Österreich in der Zwischenkriegszeit , Dipl.-Arb. , Wien. Hörtlehner , Alexander ( 1981 ) : Ludwig von Mises und die österreichische Handelskammerorganisation. In : Wirtschaftspolitische Blätter Jg. 28 ( 1981 ) Heft 4 , 140–150.
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�������������������������������������� ������������������������ : Politik und Wirtschaft Kammer der Gewerblichen Wirtschaft für Kärnten ( Hg. ) ( 1953 ) : Kärntens gewerbliche Wirtschaft von der Vorzeit bis zur Gegenwart , Klagenfurt. Kammer der gewerblichen Wirtschaft für Steiermark ( Hg. ) ( 1950 ) : 100 Jahre Handelskammer Steiermark , Graz. Kammer der gewerblichen Wirtschaft für Vorarlberg ( Hg. ) ( 1952 ) : 100 Jahre Handelskammer und gewerbliche Wirtschaft in Vorarlberg , Feldkirch. Klausinger , Hansjörg ( 2005 ) : Von Mises zu Morgenstern. Der Austroliberalismus und der „Ständestaat“. In : Zeitgeschichte Jg. 32 ( 2005 ) Heft 5 , 323–335. Klausinger , Hansjörg ( 2006 ) : Austrian Economics during the Ständestaat. In : The Quarterly Journal of Austrian Economics Jg. 9 ( 2006 ) Heft 3 , 25–43. Klausinger , Hansjörg ( 2008 ) : Policy Advice by Austrian Economists : The Case of Austria in the 1930s. In : Koppl , Roger ( Ed. ) : Explorations in Austrian Economics [ Advances in Austrian Economics 11 ] , 25–53. Klose , Alfred ( 1960 ) : Wie es aus der geschichtlichen Entwicklung heraus zur heutigen Organisationsform kam. In : Wirtschaftspolitische Blätter Jg. 7 ( 1960 ) Heft 1 , 3–7. Koren , Johannes / Ebner , Manfred ( 1977 ) : Handelskammer und Sozialpartnerschaft. Österreich auf seinem Weg. Mit Beiträgen von Franz Geißler , Werner Melis und Herbert Reiger , 2. Aufl. , Graz. Kühne , Ernst H. ( 1976 ) : 125 Jahre Handelskammer O.Ö. , Linz. Mader , Friedrich ( 1951 ) : Handelskammer und gewerbliche Wirtschaft Tirols 1900–1938. In : Gerhardinger , Hermann / Egert , Franz / Huter , Franz ( Hg. ) : Tiroler Wirtschaft in Vergangenheit und Gegenwart. Festgabe zur 100-Jahrfeier der Tiroler Handelskammer , Bd. 2 [ S chlern-Schriften 78 ] , Innsbruck , 165–196. Mathis , Franz ( 1996 ) : Wirtschaft oder Politik ? Zu den „wirtschaftlichen“ Motiven einer politischen Vereinigung zwischen 1918 und 1938. In : Gehler , Michael / S chmidt , Rainer F. / Brandt , Harm-Hinrich / Steininger , Rolf ( Hg. ) : Ungleiche Partner ? Österreich und Deutschland in ihrer gegenseitigen Wahrnehmung. Historische Analysen und Vergleiche aus dem 19. und 20. Jahrhundert [ H istorische Mitteilungen. Im Auftrage der Ranke-Gesellschaft , Beiheft 15 ] , Stuttgart , 427–439. Mitic , Max / K lose , Alfred ( 1966 ) : Die Handelskammerorganisation in Österreich. In : Pütz , Theodor ( Hg. ) : Verbände und Wirtschaftspolitik in Österreich [ S chriften des Vereins für Socialpolitik , N.F. 39 ] , Berlin , 502–572. Nautz , Jürgen ( 1988 ) : Die österreichische Wirtschaft und die Anschlussfrage. In : Albrich , Thomas / Eisterer , Klaus / Steininger , Rolf ( Hg. ) : Tirol und der Anschluss. Voraussetzungen , Entwicklungen , Rahmenbedingungen 1918–1938 [ Innsbrucker Forschungen zur Zeitgeschichte 3 ] , Innsbruck , 385–402. Pagitz , Franz ( 1975 ) : 125 Jahre Handelskammer Salzburg 1850–1975 , Salzburg. Pisecky , Franz ( 1951 ) : 100 Jahre Oberösterreichische Handelskammer , Linz. Reiger , Herbert ( 1998 ) : 150 Jahre österreichische Wirtschaftskammerorganisation. In : Wirtschaftspolitische Blätter Jg. 45 ( 1998 ) Heft 6 , 539–547. Senft , Gerhard ( 2002 ) : Im Vorfeld der Katastrophe. Die Wirtschaftspolitik des Ständestaates. Österreich 1934–1938 [ Vergleichende Gesellschaftsgeschichte und politische Ideengeschichte der Neuzeit 15 ] , Wien. Tálos , Emmerich ( 1995 ) : Interessenvermittlung und partikularistische Interessenpolitik in der Ersten Republik. In : Tálos , Emmerich / Dachs , Helmut / Hanisch , Ernst / Staudinger , Anton ( Hg. ) : Handbuch des politischen Systems Österreichs. Erste Republik 1918–1933 , Wien , 371–394. Zirkovits , Ernst ( 1973 ) : Burgenlands Handel einst und jetzt. Die Entwicklung der Interessenvertretung der burgenländischen Handelskammer unter besonderer Berücksichtigung des Handels von 1850 bis 1973 , Wien.
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III. Wirtschafts- und Interessenpolitik
Gedruckte Quellen Wirtschaftliche Nachrichten mit den amtlichen Nachrichten der Kammern für Handel , Gewerbe und Industrie in Wien , Feldkirch , Graz , Innsbruck , Klagenfurt , Linz , Salzburg und der Burgenländischen Handelskammer und den Mitteilungen des Außenhandelsdienstes dieser Kammern Österreichs Wirtschaft. Wochenschrift des Niederösterreichischen Gewerbevereins
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Wolfgang Meixner
Wirtschaftstreibende , Bankiers und wirtschaftliche Interessenverbände 1930–1938 I. Forschungsstand Aufgabenstellung für diesen Beitrag ist , Stand und Desiderate der Erforschung des Dollfuß / Schuschnigg-Regimes zu benennen. Der Befund fällt in dem mir vorgegebenen Bereichen ernüchternd aus. Zwar existieren Überblicksdarstellungen zur Wirtschaftsgeschichte dieses Zeitabschnittes , diese gehen , wenn überhaupt , nur punktuell auf Wirtschaftstreibende ein.1 Die von Franz Mathis Ende der 1980er-Jahre vorgelegte Studie zu den österreichischen Großunternehmen befasst sich vornehmlich mit den Betrieben und beleuchtet Unternehmer- bzw. Managementpersönlichkeiten nur am Rande.2 Einzeldarstellungen österreichischer Wirtschaftstreibender im 20. Jahrhundert bleiben kursorisch.3 Eine zu 1 Vgl. Butschek , Felix ( 1985 ) : Die österreichische Wirtschaft im 20. Jahrhundert , Stuttgart , 28–64 ; Hanisch , Ernst ( 1994 ) : Der lange Schatten des Staates. Österreichische Gesellschaftsgeschichte im 20. Jahrhundert [ Österreichische Geschichte 1890–1990 ] , Wien , 263–336 ; Sandg ruber , Roman ( 1995 ) : Öko nomie und Politik. Österreichische Wirtschaftsgeschichte vom Mittelalter bis zur Gegenwart [ Österreichische Geschichte ] , Wien , 335–402 ; Weber , Fritz ( 1995 ) : Die wirtschaftliche Entwicklung. In : Tálos , Emmerich / Dachs , Herbert / Hanisch , Ernst / Staudinger , Anton ( Hg. ) : Handbuch des politischen Systems Österreichs. Erste Republik 1918–1933 , Wien , 23–42 ; Mattl , Siegfried ( 2005 ) : Die Finanzdiktatur. In : Tálos , Emmerich / Neugebauer , Wolfgang ( Hg. ) : Austrofaschismus. Politik – Ökonomie – Kultur 1933–1938 [ Politik und Zeitgeschichte 1 ] , Wien , 202–220 , sowie jüngst Butschek , Felix ( 2010 ) : Österreichische Wirtschaftsgeschichte. Von der Antike bis zur Gegenwart , Wien / Köln / Weimar , 182–250. Eine Auswahl bis 1991 erschienener ökonomischer und wirtschaftshistorischer Aufsätze zur Zwischenkriegszeit in Österreich findet sich bei Matis , Herbert ( Hg. ) ( 1994 ) : The Economic Development of Austria since 1870 [ The Economic Development of Modern Europe since 1870 4 ] , Aldershot-Brookfield , 257–526. 2 Vgl. Mathis , Franz ( 1987 ) : Big Business in Österreich. Österreichische Großunternehmen in Kurzdarstellungen , Wien / München , sowie Mathis , Franz ( 1990 ) : Big Business in Österreich II. Wachstum und Eigentumsstruktur der österreichischen Großunternehmen im 19. und 20. Jahrhundert. Analysen und Interpretation , Wien / München. 3 Als Beispiele für Tirol vgl. Swarovski , Daniel / Klughardt Bernd A. ( 1989 ) : Die Persönlichkeit des Firmengründers als Erfolgsfaktor für ein Unternehmen : Ein Fallbeispiel. In : Österreichische Gesellschaft für Unternehmensgeschichte ( Hg. ) : Unternehmer und Unternehmen. Festschrift für Alois
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den eher hagiografisch gehaltenen Unternehmerporträts des Habsburgerreiches vergleichbare Arbeit zu Persönlichkeiten des 20. Jahrhunderts existiert nicht.4 Das von der Österreichischen Akademie der Wissenschaften herausgegebene Österreichische Biographische Lexikon porträtiert seit einiger Zeit verstärkt Wirtschaftstreibende.5 Neue Wege beschreiten die Unternehmens- bzw. Unternehmeruntersuchungen von Oliver Kühschelm , die der Erforschung von Unternehmen und UnternehmerInnen als lieux de mémoire verpflichtet sind.6 Die 1995 fertiggestellte Dissertation von Thomas Krautzer beschäftigt sich systematisch mit Wirtschaftstreibenden.7 Krautzer untersuchte anhand eines Sample soziologische , demografische und elitäre Aspekte der österreichischen Unternehmerschaft und wirtschaftlicher Führungskräfte im 20. Jahrhundert.8 Die personellen Verflechtungen der Wiener Großbanken mit den Industrieaktiengesellschaften beleuchtet die Dissertation von Peter Eigner.9 Eine der Untersuchung von Stefan Eminger zum Gewerbe in Österreich zwischen 1930 und 1938 vergleichbare Arbeit zu den österreichischen Wirtschaftstreibenden im Industriebereich liegt nicht vor.10 Noch schlechter sieht es im Bereich der Bankiers aus. Dem Befund von Peter Eigner , dass „die Kenntnisse über die Biografien der Bankiers [ … ] äußerst lückenhaft [ seien ] , wie überhaupt das österreichische Wirtschaftsbürgertum eine wenig erforschte Personengruppe darstellt“ ist zuzustimmen.11 Zwar ist das österreichische Bankenwesen der Zwischenkriegszeit seit den Arbeiten von Karl Ausch und Eduard März im Mittelpunkt der Forschung , Arbeiten zu Bankiers sind jedoch ein
Brusatti [ Veröffentlichungen der Österreichischen Gesellschaft für Unternehmensgeschichte 13 / 1 4 ] , Wien , 77–93 ; Klughardt , Bernd ( 1992 ) : Geschichte des Unternehmens Swarovski in Hinblick auf das 100jährige Firmenjubiläum. In : Brusatti , Alois ( Hg. ) : Familienunternehmen [ Veröffentlichungen der österreichischen Gesellschaft für Unternehmensforschung 15 ] , Wien , 17–32 , sowie Alexander , Helmut ( Hg. ) ( 2007 ) : Innovatives Tirol. Techniker – Erfinder – Unternehmer , Innsbruck. 4 Langendorf , Jean-Jacques ( 1997 ) : Genie und Fleiss. Unternehmergestalten der Monarchie 1600– 1918 , Wien. 5 Vgl. Forschungsaufgaben. Österreichisches Biographisches Lexikon 1815–1950 , URL : http ://www. oeaw.ac.at / oebl / i nstitut.htm ( abgerufen am 31. 10. 2011 ). 6 Kühschelm hat u. a. die Firmen und Unternehmerfamilien Meinl , Manner und Swarovski untersucht. Vgl. Kühschelm , Oliver ( 2005 ) : Julius Meinl. Patriarchalisch , ( g roß )bürgerlich , österreichbewusst ; Manner. „Die Schnitte der Patrioten“; sowie Swarovski. Österreichischer „Multi“ und Tiroler „Weltmarke“. In : Brix , Emil / Bruckmüller , Ernst / Stekl , Hannes ( Hg. ) : Memoria Austria III. Unternehmer , Firmen , Produkte , Wien , 43–96 ; 97–130 ; 131–168. 7 Vgl. Krautzer , Thomas ( 1995 ) : Österreichische Spitzen-Unternehmer des 20. Jahrhunderts : eine statistische Untersuchung des sozialen Erscheinungsbildes , der Karrieremuster und der historischen Verflechtungen der Elite der österreichischen Unternehmerschaft zwischen 1936 und 1976 , phil. Diss. , Graz. 8 Zum Projektziel vgl. Karner , Stefan ( 1992 ) : Führungskräfte in der österreichischen Wirtschaft des 20. Jahrhunderts. In : Brusatti ( Hg. ), 53–60. 9 Vgl. Eigner , Peter ( 1997 ) : Die Konzentration der Entscheidungsmacht. Die personellen Verflechtungen zwischen den Wiener Großbanken und Industrieaktiengesellschaften 1895–1940 , phil. Diss. , Wien. 10 Vgl. Eminger , Stefan ( 2005 ) : Das Gewerbe in Österreich 1930–1938. Organisationsformen , Inte ressenpolitik und politische Mobilität , Innsbruck / Wien / Bozen. 11 Eigner , Peter ( 2005 ) : Diener der österreichischen Wirtschaft. Von NS-Karrieristen , Profiteuren und Mitläufern in Österreichs Banken 1938–1945. In : Pawlowsky , Verena / Wendelin , Harald ( Hg. ) : Arisierte Wirtschaft [ R aub und Rückgabe Österreich von 1938 bis heute 2 ] , Wien , 102–124 : 104.
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�������������������������������������������������������������������������������������������������� ���������������������������������������������������������������������������������� : Wirtschaftstreibende , Bankiers und wirtschaftliche Interessenverbände 1930–1938
Desiderat.12 Auf den österreichischen Privatbankensektor in der Zwischenkriegszeit geht Peter Melichar ein.13 Unveröffentlicht geblieben ist die Arbeit von Fritz Weber zur Krise des österreichischen Bankenwesens in den 1920er-Jahren.14 Im Zuge der wirtschaftshistorischen Aufarbeitung der österreichischen NS-Geschichte rücken Banken und Bankiers der Zwischenkriegszeit unter einem neuen Fokus ( Arisierung , Mitläufer , Profiteure ) ins Blickfeld.15 Melichar liefert im Rahmen seiner Untersuchung zur Neuordnung des österreichischen Bankenwesen nach dem „Anschluss“ vom März 1938 108 Falldarstellungen liquidierter und arisierter Bankhäuser , geht aber , aus verständlichen Gründen , auf die Einzelpersönlichkeiten nicht näher ein.16 Die genaue Anzahl der Banken in Österreich vor dem „Anschluss“ ist unbekannt. Melichar bezieht 135 Bankfirmen in seine Untersuchung ein , davon 29 , die zwischen 1918 und 1938 gegründet worden waren.17 Auch die Erforschung wirtschaftlicher Interessenverbände und Vertretungsorganisationen weist Lücken auf. Bereits 1978 hatte Karl Haas die industrielle Interessenpolitik der Ersten Republik zur Zeit der Weltwirtschaftskrise in groben Zügen dargelegt.18 Die Arbeiten von Gerald Sturmair behandeln nur die Spitzenverbände und gehen weder auf Branchen- noch auf Regionalverbände ein.19 Eine konzise Untersuchung der Handels- und Gewerbekammern in der Zwischenkriegszeit fehlt , obwohl Material dafür genügend vorhanden wäre.20 Für eine Sekundäranalyse der handelnden Personen 12 Vgl. Ausch , Karl ( 1968 ) : Als die Banken fielen. Zur Soziologie der politischen Korruption , WienFrankfurt / Main-Zürich ; März , Eduard ( 1981 ) : Österreichische Bankenpolitik in der Zeit der großen Wende 1913–1923. Am Beispiel der Creditanstalt für Handel und Gewerbe , Wien. Ein rezenter Überblick findet sich in Rathkolb , Oliver / Venus , Theodor / Zimmerl , Ulrike ( Hg. ) ( 2005 ) : Bank Austria Creditanstalt. 150 Jahre österreichische Bankengeschichte im Zentrum Europas , Wien. 13 Vgl. Melichar , Peter ( 2005 ) : Bankiers in der Krise : Der österreichische Privatbankensektor 1928– 1938. In : Eigner , Peter / Köhler , Ingo ( Hg. ) : Privatbankiers in Mitteleuropa zwischen den Weltkriegen [ G eld und Kapital. Jahrbuch der Gesellschaft für mitteleuropäische Banken- und Sparkassengeschichte 7 ] , Stuttgart , 135–191. 14 Vgl. Weber , Fritz ( 1991 ) : Vor dem großen Krach. Die Krise des österreichischen Bankwesens in den zwanziger Jahren , unveröffentlichte Habilitationsschrift Wien. 15 Vgl. etwa Eigner , Peter / Melichar , Peter ( 2002 ) : Enteignungen und Säuberungen – Die österreichischen Banken im Nationalsozialismus. In : Ziegler , Dieter ( Hg. ) : Banken und „Arisierungen“ in Mitteleuropa während des Nationalsozialismus [ G eld und Kapital. Jahrbuch der Gesellschaft für mitteleuropäische Banken- und Sparkassengeschichte 5 ] , Stuttgart , 43–116 ; Eigner , Peter ( 2005 ), 102– 124 , sowie Venus , Theodor ( 2005 ) : Abgebrochene Rückkehr – der Fall des Bankhauses Gebrüder Gutmann. In : Pawlowsky / Wendelin ( Hg. ), 152–170. 16 Vgl. Melichar , Peter ( 2004 ) : Neuordnung im Bankenwesen. Die NS-Maßnahmen und die Problematik der Restitution [ Veröffentlichungen der Österreichischen Historikerkommission. Vermögensentzug während der NS-Zeit sowie Rückstellungen und Entschädigungen seit 1945 in Österreich 11 ] , Wien / München , 200–442. 17 Vgl. Melichar ( 2004 ), Tab. 144 sowie Tab. 145 , 443–446. 18 Vgl. Haas , Karl ( 1978 ) : Industrielle Interessenpolitik in Österreich zur Zeit der Weltwirtschaftskrise. In : Jahrbuch für Zeitgeschichte ( 1978 ), 97–126. 19 Vgl. Sturmayr , Gerald ( 1996 ) : Industrielle Interessenpolitik in der Donaumonarchie [ S ozialund wirtschaftshistorische Studien 22 ] , Wien / München sowie Sturmayr , Gerald ( 1995 ) : Industrielle Interessenverbände : Ringen um Einheit. In : Tálos et al. ( Hg. ), 339–352. 20 Vgl. die von Eminger ( 2005 ), 12 , als „materialreich[ … ] , aber leider etwas unstrukturiert[ … ]“ charakterisierten Arbeiten von Geißler , Franz ( 1977 ) : Österreichs Handelskammer-Organisation in
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III. Wirtschafts- und Interessenpolitik
im Wirtschaftsbereich des Dollfuß / Schuschnigg-Regimes heranziehenswert ist das von Gertrud Enderle-Burcel erstellte biografische Handbuch der Mitglieder des Staatsrates , Bundeskulturrates , Bundeswirtschaftsrates und Länderrates sowie des Bundestages.21 Zur Wirtschaftspolitik dieser Zeit liegt mit der Monografie von Gerhard Senft eine zusammenfassende Darstellung vor.22 II. Ergebnisse 1.1 Finis Austriae : Der Zerfall des Habsburgerreiches infolge der Niederlage im Ersten Weltkrieg Die „Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts“ führte zum Zerfall des Habsburgerreiches.23 Wie Herbert Matis betonte , war das Reich letztendlich aber an einem doppelten Anachronismus gescheitert : Als vorwiegend dynastisch geprägtes Staatswesen war sie ein historisches Relikt , als multinationaler Vielvölkerstaat aber ihrer Epoche voraus. Allerdings war ihre pluralistische Gesellschaft unter den Bed ing ungen des ansteigenden Nationalismus nicht in der Lage , „ihre weitere Existenz einem einzigen , allgemein verbindlichen und nationsübergreifenden Staatsgedanken ( oder auch bloß Wirtschaftsinteresse ) unterzuordnen“.24 Die Einheit des Reiches belasteten aber auch soziale und wirtschaftliche Entwicklungen und deren Folgen. Der auch im Habsburgerreich im Verlauf des 19. Jahrhunderts einsetzende Industrialisierungsprozess , der sich im 20. Jahrhundert fortsetzte , hatte schlussendlich zu einer völligen Umgestaltung aller Lebens- und Produktionsprozesse geführt , die Franz Mathis wie folgt resümiert : An die Stelle einer vorwiegend agrarischen , wenig marktorientierten und wenig arbeitsteiligen Wirtschaftsstruktur mit niedriger Produktivität trat eine ungleich produktivere Wirtschaft , die von nicht-agrarischen , zunächst industriell-gewerblichen und in der Folge immer mehr Dienstleistungen anbietenden Tätigkeiten geprägt und in einem hohen Grad an Arbeitsteilung und Marktintegration gekennzeichnet war.25 der Zwischenkriegszeit. Eine Idee auf dem Prüfstand. 1. Bd. : Nach dem Reformgesetz 1920 , Wien , sowie Geißler , Franz ( 1980 ) : Österreichs Handelskammer-Organisation in der Zwischenkriegszeit. Eine Idee auf dem Prüfstand. 2. Bd. : Die große Wende , Wien. 21 Vgl. Enderle-Burcel , Gertrude unter Mitarbeit von Johannes Kraus ( 1991 ) : Christlich – ständisch – autoritär. Mandatare im Ständestaat 1934–1938. Biographisches Handbuch der Mitglieder des Staatsrates , Bundeskulturrates , Bundeswirtschaftsrates und Länderrates sowie des Bundestages , Wien. 22 Senft , Gerhard ( 2002 ) : Im Vorfeld der Katastrophe. Die Wirtschaftspolitik des Ständestaates. Österreich 1934–1938 ( Vergleichende Gesellschaftsgeschichte und politische Ideengeschichte der Neuzeit 15 ), Wien. 23 Reimann , Aribert ( 2004 ) : Der Erste Weltkrieg – Urkatastrophe oder Katalysator ? In : Aus Politik und Zeitgeschichte. Beilage zur Wochenzeitung Das Parlament B 29– 30 ( 2004 ), 30–38 : 30. 24 Matis , Herbert ( 1991 ) : Grundzüge der österreichischen Wirtschaftsentwicklung 1848–1914. In : Rumpler , Herbert ( Hg. ) : Innere Staatsbildung und gesellschaftliche Modernisier ung in Österreich und Deutschland 1867 / 7 1–1914. Historikergespräch Österreich – Bundesrepublik Deutschland 1989 , Wien / München , 107–124 : 124. 25 Mathis , Franz ( 1997 ) : Die österreichische Wirtschaft. Grundlagen und Entwicklungen. In : Steininger , Rolf / G ehler , Michael ( Hg. ) : Österreich im 20. Jahrhundert 2 , Innsbruck , 415–453 : 415.
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Gravierender als die politischen Folgen des Ersten Weltkrieges erwies sich für das neu entstandene Deutsch-Österreich der Zerfall des Reiches als geschlossenes Staats- und Wirtschaftsgebiet. Dieses Gebiet war durch eine enge wirtschaftliche Verflochtenheit gekennzeichnet. Dabei hatten die „Alpenländer“ ( die nun im Wesentlichen das neue Staatsgebiet der Ersten Republik bildeten ) im Habsburgerreich als Industriegebiete mit den übrigen Regionen agrarische wie grundstoffliche Rohstoffe ausgetauscht. Ein Minimum an Außenhandel hatte eine zumindest ausgeglichene Leistungsbilanz ermöglicht.26 Der infolge des Zerfalls des Reiches nun fehlende Außenhandel bewirkte für den neuen Staat unangenehme Effekte ( strukturelles Leistungsbilanzdefizit ). Daran knüpfte sich sogleich eine Debatte um die ( Ü ber-)Lebensfähigkeit dieser neuen Republik.27 Auch wenn Ansätze zu einer Verlagerung des Schwerpunktes des österreichischen Außenhandels nach Westen bereits in der Ersten Republik in Gang gesetzt worden waren ( beschleunigt und finalisiert wurde sie letztendlich durch den sogenannten „Anschluss“ 1938 und in der Zeit nach 1945 ), blieb die wirtschaftliche Verflechtung dieses neuen Österreichs mit den Nachfolgestaaten ( Tschechoslowakei , Ungarn , Polen , Jugoslawien sowie Rumänien ) nach wie vor groß : 1924 gingen 46,3 Prozent der österreichischen Exporte in diese Staaten und „nur“ 13,1 Prozent in das Deutsche Reich. 1937 betrug der Exportanteil in die Nachfolgestaaten immer noch 31,5 Prozent , während jener in das Deutsche Reich bei 14,8 Prozent lag.28 1.2 Ökonomische Herausforderungen für die neue Republik Die gravierendste ökonomische Herausforderung des neuen Staates war jedoch die galoppierende Inflation , die durch staatliche Maßnahmen zunächst nur unzureichend bekämpft werden konnte. Einhalt brachte eine 1922 aufgrund der drei „Genfer Protokolle“ gewährte internationale Anleihe von 650 Millionen Goldkronen , allerdings um den Preis der weitgehenden Aufgabe der staatlichen Souveränität.29 Österreich stand in der Folge zwar unter Aufsicht eines Generalkommissärs mit großen finanziellen Befugnissen , aber diese Maßnahmen zeigten bald Wirkung.30 Das Ende der Inflationszeit wird schließlich durch die Gründung der „Oesterreichischen Nationalbank“ sowie die Einführung des Schillings ( 1925 ) markiert.31 1929 erfolgte auch in Österreich , bedingt durch die Weltwirtschaftskrise , ein schwerer wirtschaftlicher Rückschlag.32 Als sich die österreichische Wirtschaft zu Beginn 26 Vgl. Kernbauer , Hans / März , Eduard / Weber , Fritz ( 1983 ) : Die wirtschaftliche Entwicklung. In : Weinzierl , Erika / Skalnik , Kurt ( Hg. ) : Österreich 1918–1938. Geschichte der Ersten Republik 1 , Graz / Wien / Köln , 343–379 : 344–345. 27 Vgl. Butschek ( 1985 ), 28–30 : 30. 28 Vgl. Butschek ( 2011 ), Übersicht 38 : Regionalstruktur des österreichischen Außenhandels 1920 bis 1937 , 187. 29 März , Eduard ( 1981 ) : Österreichische Bankenpolitik in der Zeit der großen Wende 1913–1923. Am Beispiel der Creditanstalt für Handel und Gewerbe , Wien , 470–503 , sowie Kernbauer , Hans ( 1995 ) : Österreichische Währungs- , Bank- und Budgetpolitik in der Zwischenkriegszeit. In : Tálos et al. ( Hg. ), 552–569 : 557. 30 Vgl. Butschek ( 2011 ), 202–203. 31 Bachinger , Karl / Matis , Herbert ( 1974 ) : Der österreichische Schilling. Geschichte einer Währung , Graz / Wien / Köln. 32 Vgl. Butschek ( 2011 ), 219–231.
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der 1930er-Jahre zu erholen schien , wurde sie neuerlich durch die Zahlungsunfähigkeit der Creditanstalt erschüttert.33 Ein Grund dafür war unter anderem das Bestreben der österreichischen Bankenwelt , die Position des wichtigsten Kreditgebers für die Nachfolgestaaten zu halten , was mitunter zur Finanzierung riskanter Projekte geführt hatte.34 Ein weiterer Grund der Bankenkrise lag in deren schmaler Kapitalbasis , die nach Beendigung der Inflation nicht ausreichend aufgebaut worden war. Eine große Herausforderung für die österreichische Wirtschaft stellte weiter die dras tische Verkleinerung des Binnenmarktes von 53 auf ca. 6,5 Millionen Menschen dar. Dies betraf vor allem die im neuen Staatsgebiet verbliebene Großindustrie , die vorwiegend ganz im Westen ( Vorarlberg ) sowie im Osten ( Raum um Wien ) und in der Steiermark konzentriert war. Aufgrund geänderter Marktvoraussetzungen sowie struktureller und konjunktureller Probleme sank die Zahl der Großunternehmen ( mehr als 1.000 Beschäftigte ) drastisch , nämlich von 74 im Jahr 1913 auf 49 im Jahr 1937. Als Großkonzern , aufgrund der Beschäftigtenlage , anzusehen war mit der Alpine Montangesellschaft nur ein Unternehmen.35 Der österreichische Eigentümercharakter blieb allerdings gewahrt , denn nur 13 Großunternehmen waren 1937 in ausländischer , fünf davon in deutscher Hand.36 Beachtenswerter aber erscheint ein anderes Phänomen , das durch den Zerfall des Habsburgerreiches eingetreten war : Ein nicht unbeträchtlicher Teil der Unternehmen desselben hatte nun ihren Sitz nicht mehr in Österreich , sondern in einem der Nachfolgestaaten. Die Untersuchung von 2.592 Betrieben mit mehr als 20 Beschäftigten zeigt , dass mehr als ein Viertel ihren Firmensitz in Böhmen und rund sieben Prozent in Mähren hatte. Von den auf dem Gebiet der neuen Republik ansässigen Firmen wiederum hatte gut ein Viertel der Betriebe ihren Sitz in Wien , gefolgt von Vorarlberg , Nieder österreich und der Steiermark.37 1.2 Wirtschaftstreibende ( Unternehmer ) in der Zwischenkriegszeit Drei Viertel der in den 1930er-Jahren in Österreich tätigen UnternehmerInnen wurden zwischen 1870 und 1890 geboren.38 Sie hatten ihre Jugend sowie einen guten Teil ihrer Lebenszeit ( 30 Jahre und mehr ) in der Zeit der Monarchie verbracht und waren durch 33 Vgl. Rathkolb et al. ( Hg. ) ( 2005 ) sowie Eigner , Peter / Melichar , Peter ( 2008 ) : Das Ende der Boden-Credit-Anstalt 1929 und die Rolle Rudolf Siegharts. In : Österreichische Zeitschrift für Geschichtswissenschaften Jg. 19 ( 2008 ) Heft 3 , 56–114 , und Stiefel , Dieter ( 2008 ) : Die Krise der CreditAnstalt in den 1930er-Jahren und ihre Folgen für das österreichische Bankensystem. In : Österreichische Zeitschrift für Geschichtswissenschaften Jg. 19 ( 2008 ) Heft 3 , 117–141. 34 Vgl. Kernbauer , Hans / Weber , Fritz ( 1993 ) : Multinationales Banking im Donauraum ? Die Geschäftspolitik der Wiener Großbanken 1918–1929. In : Österreichische Zeitschrift für Geschichtswissenschaften Jg. 4 ( 1993 ) Heft 4 , 585–616. 35 Vgl. Mathis ( 1997 ), 432 , sowie besonders zur „Alpine“ Fischer , Peter G. ( 1983 ) : The Österreichisch-Alpine Montangesellschaft , 1918–1938. In : Teichova , Alice / C ottrell , Philip L. ( Hg. ) : International Business and Central Europe , 1918–1939 , Leicester / New York , 253–267. 36 Vgl. Mathis ( 1997 ), 432–433. 37 Vgl. Meixner , Wolfgang ( 2001 ) : Aspekte des Sozialprofils österreichischer Unternehmer im 19. Jahrhundert : regionale und soziale Mobilität , phil. Diss. , Innsbruck , 59. 38 Dieser Abschnitt referiert Ergebnisse einer empirischen Untersuchung ( Sample von 425 österreichischen Spitzen-Unternehmern , davon 83 mit dem Stichjahr 1936 ). Vgl. Krautzer ( 1995 ).
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diese geprägt worden. Dies drückt sich sowohl im Lebensstil , in dem das „Imperiale“ fortlebte , wie es Karner / Krautzer ausdrücken , als auch in ihrer Einstellung zu Staat ( Ablehnung des „Kleinstaates“ und Infragestellung seiner Überlebensfähigkeit ) und Regierungsform ( Republik ) aus.39 Die regionale Herkunft der vor 1900 geborenen UnternehmerInnen lag fast zur Hälfte außerhalb des neuen Staatsgebietes , vor allem in „Altösterreich“. Zwei Drittel dieser Personen stammten aus Familien , die bereits wirtschaftlich tätig waren. Dabei rekrutierten sich Eigentümerunternehmer zu 80 Prozent aus bereits wirtschaftlich tätigen Familien ( vor allem Erben ). UnternehmerInnen mit wirtschaftsfernerer Herkunft rekrutierten sich aus dem Bürgertum ( Beamten- und Offiziersfamilien ) sowie vereinzelt aus dem Bauernstand. Einige waren aus dem Gewerbe in das Unternehmertum gelangt. Eine einschneidende Gemeinsamkeit dieser Kohorten sind die Erfahrungen des Ers ten Weltkrieges , den viele von ihnen im Schützengraben oder häufiger noch als Offiziere erlebt hatten. Über 85 Prozent der im Ersten Weltkrieg eingerückten Unternehmer standen in einem Offiziersrang.40 Damit einhergingen – im Gegensatz zur Zeit nach 1945 – nicht ein kollektives Gefühl einer „Wiederaufbaugeneration“, sondern vielmehr Frustration , „kontraproduktive Hoffnungslosigkeit“ sowie „politische Aufgeregtheit“, wie es Krautzer charakterisierte.41 Otto Bauer hat in seinem Werk „Die österreichische Revolution“ darauf hingewiesen , dass das „Alt-Wiener Patriziat“ „mit ihrem Reich [ … ] auch ihren Reichtum verloren“ hatte und „aus seiner gewohnten bürgerlichen Lebenshaltung tief hinabgestürzt“ worden war. Zunehmend war bei diesen auch die Hoffnung geschwunden , das „alte“ Österreich werde , wenn auch in veränderter Gestalt , wieder auferstehen.42 Das wirtschaftliche Treiben des unternehmerischen Teiles dieser Gesellschaft stand daher in den ersten Jahren nach 1918 vielfach unter dem Motto „Adler mit geknickten Schwingen“. So hatte Heimito von Doderer seinen Vater , den Eisenbahnmagnaten und viertgrößten Aktionär der Creditanstalt , Wilhelm Ritter von Doderer , nach dem Ersten Weltkrieg charakterisiert.43 Ab Mitte der 1920er-Jahre gelang es Vertretern der Großbanken und der Großindustrie zunehmend , innerhalb des bürgerlichen Lagers an Einfluss zu gewinnen.44 Diese ( w ieder-)gewonnene Machtstellung verleitete etwa den Journalisten und Schriftsteller Hugo Bettauer in seinem Roman „Das entfesselte Wien“ dazu , von den Verwaltungsräten , Generaldirektoren und Bankiers , die „sich einbilden , daß die Republik eine Aktiengesellschaft ist , in der sie die Majorität haben“ zu sprechen.45 39 Vgl. Karner , Stefan / Krautzer , Thomas ( 2008 ) : Der österreichische Unternehmer im 20. Jahrhundert. In : Karner , Stefan / M ikoletzky , Lorenz ( Hg. ) : Österreich. 90 Jahre Republik. Beitragsband der Ausstellung im Parlament , Innsbruck / Wien / Bozen , 253–266 : 257. 40 Vgl. Krautzer ( 1995 ), 154. 41 Vgl. Krautzer ( 1995 ), 151–152. 42 Vgl. Bauer , Otto ( 1923 ) : Die österreichische Revolution , Wien , 207–210 , 207. 43 Ich verdanke dieses Zitat dem lesenswerten Aufsatz von Ernst Bruckmüller zum österreichischen Bürgertum zwischen Monarchie und Republik. Vgl. Bruckmüller , Ernst ( 1993 ) : Das österreichische Bürgertum zwischen Monarchie und Republik. In : Zeitgeschichte Jg. 20 ( 1993 ) Heft 3 / 4 , 60–84 : 69. 44 Vgl. Bachinger , Karl ( 1983 ) : Anmerkungen zur Wirtschaftspolitik der Ersten Republik. In : Christliche Demokratie Jg. 1 ( 1983 ) Heft 1 , 42–53 : 45. 45 Zit. nach Hall , Murray G. ( 1978 ) : Der Fall Bettauer , Wien , 38.
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Frauen spielten in der Zwischenkriegszeit als aktive Unternehmerinnen so gut wie keine Rolle. Der Platz der Frau war vorbestimmt als Gattin und Mutter. Nur unter den kleineren Gewerbetreibenden sind etwas zahlreicher auch Frauen vertreten.46 Insgesamt stellte das österreichische Unternehmertum der Zwischenkriegszeit eine nahezu geschlossene Gesellschaft dar , in die kaum jemand ohne entsprechenden familialen Hintergrund sowie entsprechendes Startkapital vorzudringen vermochte , sodass sich dessen vertikale Durchlässigkeit als dementsprechend gering erwies. 1.3 ( Nicht-)Einfluss des Dollfuß / Schuschnigg-Regimes auf die Wirtschaftstreibenden 1.3.1 ( Partei-)Politische Präferenzen Karl Bachinger hatte konzediert , dass die „Unternehmerschaft [ … ] nach dem Sturz der alten Ordnung politisch heimatlos geworden war“. Ab dem Sommer 1919 bemühten sich jedoch die Christlichsozialen um eine Herausführung der Unternehmerschaft aus ihrer „politischen Isolierung“.47 Zunehmend fanden Industriekreise nun Rückhalt bei kleinbürgerlichen Massenparteien. Laut Krautzer nahm das Dollfuß / Schuschnigg-Regime keinen allzu großen Einfluss auf die Unternehmerschaft. Wer sich nur irgendwie im bürgerlichen Fahrwasser bewegte , hatte nichts zu befürchten und selbst nationalsozialistische Agitation wurde mehr oder weniger übergangen , wenn sie von honorigen Unternehmern „mit Kruckenkreuz auf und Hakenkreuz hinter dem Revers ausgeübt wurde“.48 Als Beispiel dafür können die Tiroler Unternehmer und Wirtschaftsführer Friedrich Reitlinger und Ezio Foradori gelten ; von denen Letzterer auch nach 1945 eine schillernde Rolle in der Tiroler Wirtschaft( spolitik ) spielte.49 Keine Chance auf Weiterbeschäftigung während des Dollfuß / Schuschnigg-Regimes hatten hingegen Sozialdemokraten ( z . B. Mitarbeiter der Wiener Städtischen ), die zu dieser Zeit freilich höchst selten in so hohen Wirtschaftspositionen zu finden waren. Offensichtlich griff das Regime bei staatsnahen Wirtschaftskörpern ( DDSG , ÖBB , PSK etc. ) sowie sozialistischen Hochburgen der Gemeinde Wien und besonders wichtigen Großunternehmen ( Banken , Alpine-Montan ) über Nachbesetzungen mit ( scheinbar ) treuen Gefolgsleuten durch.50 Laut Krautzers Untersuchung fühlten sich 58 Prozent der österreichischen SpitzenUnternehmer im 20. Jahrhundert parteilich gebunden , wobei diese Parteibindung bei UnternehmerInnen des Typus ManagerIn wesentlich höher war als bei Eigentümerunternehmern. Im zeitlichen Verlauf nahm diese Parteibindung deutlich ab.51 46 Vgl. Krautzer ( 1995 ), 41–42. 47 Vgl. Bachinger , Karl ( 1985 ) : Die österreichische Industrie in der Umbruchsphase nach dem Ers ten Weltkrieg. In : Christliche Demokratie Jg. 3 ( 1985 ) Heft 4 , 281–306. Bachinger zitiert hierbei eine Formulierung von Richard Schmitz aus der Reichspost von 1924 : Nicht Sozialismus , sondern Sozialreform , Reichspost , 19. 4. 1924 , 2. 48 Vgl. Krautzer ( 1995 ), 194. 49 Vgl. Meixner , Wolfgang ( 2002 ) : Ing. Friedrich Reitlinger ( 1877–1938 ). Industrieller und Wirtschaftsfunktionär in Tirol zwischen Heimwehr und Nationalsozialismus. In : Zeitgeschichte Jg. 29 ( 2002 ) Heft 4 , 191–201 ; zu Foradori vgl. Enderle-Burcel ( 1991 ), 75–76. 50 Vgl. Krautzer ( 1995 ), 194–195. 51 Vgl. Kapitel 10 bei Krautzer ( 1995 ), 203–211.
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Generell haben demokratische Parteien der Ersten Republik auf UnternehmerInnen keine hohe Anziehungskraft besessen. Sowohl die Vaterländische Front wie auch die NSDAP übten großen Druck auf potenzielle Parteigänger aus , was Wirtschaftstreibende offenbar weniger tangierte. Die Vaterländische Front fungierte als Einheitspartei und drängte jeden zum Beitritt. Ihre Mitgliederzahlen sind daher zum größten Teil auf diesen Druck und / oder reinen Opportunismus zurückzuführen. Laut Krautzer fühlten sich 36 Prozent der sich parteigebunden deklarierten Spitzen-Unternehmer der VF zugehörig. Beim Bekenntnis zur NSDAP ist die Sachlage differenzierter. Auch hier vermag der Druck mitunter eine Rolle gespielt haben , allerdings kann es auch Begeisterung und Opportunismus ( vor allem nach dem sogenannten „Anschluss“ ) gewesen sein , der zum Beitritt führte. Die NSDAP verstand sich als Elitepartei , die Aufnahmen eher beschränkte als förderte. Bei aller Vorsicht der Interpretation lässt Krautzers Untersuchung doch den Schluss zu , dass den UnternehmerInnen eine deutlichere Sympathie für den Nationalsozialismus unterstellt werden kann. Immerhin wandten sich 43 Prozent aller UnternehmerInnen , die sich vor 1945 parteilich banden , dem Nationalsozialismus zu.52 Eigner sieht hingegen in den Vorständen , Direktionen , Verwaltungs- bzw. Aufsichtsräten bis zum „Anschluss“ nur „eine relativ kleine Zahl bekennender Nationalsozialisten vertreten“, konzediert allerdings einen seit 1936 spürbar stärker gewordenen „politische[ n ] Druck seitens Nazi-Deutschlands“. Als Beispiele nennt er die „Alpine Montangesellschaft“ sowie die „Mercurbank“.53 Zu vermuten ist , dass einzelne österreichische UnternehmerInnen auch aus wirtschaftlichen Motiven ( erhoffte Gewinne ) die Nähe zum Nationalsozialismus suchten. Von den zwölf durch die Vaterländische Front in eine wirtschaftliche Position gehievten Personen verloren zehn in der NS-Zeit diese wieder ; eine erlebte einen beruflichen Abstieg und eine wurde verhaftet. Nur zwei davon wurden nach 1945 wieder in ihre alte Position gesetzt.54 Die Analyse der politischen Bindung nach Betriebsgröße und Unternehmertypologie zeigt nach Krautzers Untersuchung , dass die Vaterländische Front bei den sogenannten „kleinen Unternehmern“ ( Eigentumsunternehmer mit Betrieben unter 100 Beschäftigte ) kaum Anklang fand. Wer irgendwie konnte , antwortete der Vaterländischen Front offenbar mit Boykott. Diese Gruppe , in der die liberalen Werte des Großbürgertums noch keine allzu festen Wurzeln geschlagen hatten , in der aber ein traditionelles Bedürfnis nach bürgerlicher Rückendeckung vorhanden war , tendierte eher zur NSDAP. Diese Gruppe wurde nach 1945 von der ÖVP „aufgesogen“.55 Krautzer untersuchte auch den Parteiwechsel : Selbstauflösungen , Verbote und Totalitarismen haben diesbezüglich deutliche Spuren im Zugehörigkeitsmuster zu Parteien hinterlassen. Die AnhängerInnen demokratischer Parteien traten totalitären Gesinnungen bei ( Christlichsoziale zur Vaterländischen Front ) oder gingen in die innere Emigration , bis sie sich in der Zweiten Republik wieder den parteipolitischen Pendants 52 Vgl. Krautzer ( 1995 ), 206 , Tabelle 47 , sowie Stiefel , Dieter ( 1981 ) : Entnazifizierung in Österreich , Wien / München / Zürich , 191–220. 53 Vgl. Eigner ( 2005 ), 110. 54 Vgl. Krautzer ( 1995 ), 198–199 : Tabelle 45. 55 Vgl. Krautzer ( 1995 ), 208.
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anschlossen. Angehörige der Vaterländischen Front wechselten aber auch zur NSDAP. Die AnhängerInnen vor allem der NSDAP reagierten auf die Entnazifizierung mit einer Nicht-Einbindung in andere politische Lager.56 1.3.2 Verbandsmäßiges Wirken Neben der Herkunft und den individuellen Präferenzen der Wirtschaftstreibenden soll hier auch deren institutionelles und verbandsmäßiges Wirken beleuchtet werden.57 Ich stütze mich hier vor allem auf die Forschungen und Veröffentlichungen von Sturmayr.58 Industrielle Interessenverbände organisierten sich in der cisleithanischen Reichshälfte seit der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts in Zweck- , Fach- , Territorial- und Zentralverbänden ; Letztere als Ergebnis der Konzentration industrieller Interessen. Dieser Konzentrationsprozess war keinesfalls konfliktfrei vonstattengegangen , sodass drei Spitzenverbände bestanden : der „Industrielle Klub“, der „Zentralverband der Industriellen Österreichs“ sowie der „Bund Österreichischer Industrieller“. Die Verbandspolitik vor dem Ersten Weltkrieg war durch Rivalität und partielle Kooperation dieser drei Zentralverbände geprägt. Dabei fungierten diese Interessenverbände am Ende der Donaumonarchie zunehmend auch als Herrschaft stabilisierende Vermittler staatlicher Wirtschaftslenkung sowie als Mittel zur Lenkung des Staates. Kriegsbedingt kam es bis zum Ende des Ersten Weltkrieges zum Zusammenschluss der drei zentralen industriellen Verbände zum „Reichsverband der österreichischen Industrie“. Das Kriegsende brachte schließlich eine weitere Neuorganisation mit sich , lagen doch einige Territorien von Fach- und Regionalverbänden im Ausland bzw. hatten mächtige Interessenverbände ihr Vermögen durch die Zeichnung von Kriegsanleihen verloren ( z. B. der „Verein der Montan- , Eisen- und Maschinenindustriellen Österreichs“ sowie der „Zentralverein der Bergwerksbesitzer Österreichs“ ). Deshalb beschloss der Reichsverband im November 1918 , die nunmehr innerhalb der Grenzen der neuen Republik gelegenen Industriebetriebe in der „Vereinigung der deutsch-österreichischen Industrie“ zu organisieren.59 Ab 1921 fungierte diese Vereinigung als „Hauptverband der Industrie Österreichs“, allerdings unter einem neuen Präsidenten , Fritz Hamburger , nachdem sich keiner der drei Spitzenfunktionäre des Reichsverbandes ( Heinrich Vetter , Sigmund Brosche , Georg Günther ) zur Wiederwahl bereit erklärte.60 Zugleich wurde der bisherige zentrale Arbeitgeberverband der Monarchie , die „Hauptstelle österreichischer Arbeitgeber-Organisationen“ aufgelöst und deren Agenden dem Hauptverband übertragen. Damit war erstmals ein einheitlicher Spitzenverband entstanden und zugleich der Zentralisierungsprozess der 56 Vgl. Krautzer ( 1995 ), 209 : Tabelle 49. 57 Vgl. Haas , Karl ( 1977 ) : Zum Problemkomplex „Wirtschaftsverbände und Ständestaat“. In : Jedlic������� ka����������������������������������������������������������������������������������������������������� , Ludwig / Neck , Rudolf ( Hg. ) : Das Juliabkommen von 1936. Vorgeschichte , Hintergründe und Folgen. Protokoll des Symposiums in Wien am 10. und 11. Juni 1976. Wissenschaftliche Kommission des Theodor-Körner-Stiftungsfonds und des Leopold Kunschak-Preises zur Erforschung der österreichischen Geschichte der Jahre 1927 bis 1938 [ Veröffentlichungen 4 ] , Wien , 328–342 , sowie Klose , Alfred ( 1983 ) : Die Interessenverbände. In : Weinzierl / Skalnik ( Hg. ), 331–341. 58 Vgl. Sturmayr ( 1995 ) sowie Sturmayr ( 1996 ). 59 Vgl. Sturmayr ( 1995 ), 341–342. 60 Vgl. zu Günther : Österreichische Akademie der Wissenschaften ( Hg. ) ( 1958 ) : Biographisches Lexikon 1815–1950. Bd. 2 , Lfg. 7 , Wien , 101.
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industriellen Dachverbände abgeschlossen. Nach dem Rücktritt Hamburgers wegen seines Engagements in der Kriegswirtschaft folgte ihm der Wiener Metallindustrielle Ludwig Urban jun. auf dem Präsidentensessel.61 Zum geschäftsführenden Vizepräsidenten wurde , eine alte Tradition , Fachleute aus der Hoheitsverwaltung nach deren Ruhestandsversetzung für den Verband zu gewinnen , wieder aufnehmend , SC i. R. Robert Erhart bestellt. Der Verband musste allerdings der neuen Staatssituation Rechnung tragen : Einerseits hatten sich durch den Wegfall einstiger Industrieregionen die regionalen Gewichte im Verband verschoben ( neben dem Wiener Becken fungierten die Steiermark und Vorarlberg als nennenswerte Rekrutierungsbereiche ), anderseits verlor auch die großbetriebliche Grundstoffindustrie zunehmend an Einfluss im Verband , sodass fortan die Vertreter der mittelständigen metallverarbeitenden Industrie , des Maschinenbaus sowie der Elektroindustrie dominierten. Die Politik des Hauptverbandes war durch Interventionen auf verschiedensten Ebenen gekennzeichnet. Einfluss wurde auf Regierungsebene , vor allem über das Finanzund Handelsministerium , genommen. Vor allem die den Industriellen zu weit gehende Sozialpolitik der Anfangsjahre der Ersten Republik wurde bekämpft. Im Kabinett Streeruwitz erreichte die Einflussnahme einen Höhepunkt , kam doch Streeruwitz aus dem Unternehmerlager. Doch auch die nachfolgenden Kabinette ( Schober ) fungierten eher unternehmerfreundlich.62 Im Parlamentarismus war die Industrie zunächst nur bescheiden verankert. 1923 konnten gerade einmal vier Vertreter des Hauptverbandes bei Parlamentswahlen durchgesetzt werden ( drei von der CS-Partei , einer auf der Liste der Großdeutschen ). Erst das Ausei nanderbrechen des Bürgerblocks zur Jahreswende 1931 / 32 führte zu einem prinzipiellen Wandel der Position des Verbandes gegenüber den politischen Parteien. In einem informellen Gespräch mit Bundeskanzler Buresch wurden im Jänner 1932 „Alternativen zur parlamentarischen Demokratie“ besprochen , wobei der Verband die Reorganisation des Bürgerblocks unter Wiedereinbeziehung der Großdeutschen Partei sowie die Aushebelung des Parlamentarismus mittels „Notverordnungen“ gegenüber einer Koalition zwischen Christlichsozialen und Sozialdemokraten bevorzugte.63 Nicht zuletzt aufgrund von Spannungen innerhalb des Verbandes , die in dem Vorwurf mündeten , dieser agiere „ohne ‚Plan‘ “ und „ ‚politisch erfolglos‘ “, wurden die Kontakte zwischen dem Verband und der Regierung in der Ära Dollfuß enger.64 Dies , obwohl der Hauptverband dem ehemaligen Landwirtschaftsminister zunächst eher skeptisch gegenübergestanden war.65 Vor allem nach der Ausschaltung des Parlaments sowie nach dem Verbot der Sozialdemokratie , beides vonseiten der Industrie begrüßt , verbesserte sich das Verhältnis zunehmend. 1934 wurde der Hauptverband für den im Aufbau befindlichen autoritären Staat gewonnen , wofür dieser sogar sein Verbandssystem unter dem Motto „Treue um Treue“ opferte.66 61 Vgl. Enderle-Burcel ( 1991 ), 251–252. 62 Vgl. Sturmayr ( 1995 ), 346–347. 63 Vgl. Sturmayr ( 1995 ), 348 , sowie Haas ( 1978 ), 114–116. 64 Haas ( 1978 ), 118. 65 Vgl. Haas ( 1978 ), 118 , sowie Kluge , Ulrich ( 1985 ) : Engelbert Dollfuß. Agrarpolitiker in der Krisenzeit 1922–1934. Versuch einer biographischen Annäherung. In : Christliche Demokratie Jg. 3 ( 1985 ) Heft 2 , 127–143 : 132–133. 66 Sturmayr ( 1995 ), 347 ; vgl. auch Senft , Gerhard ( 2002 ) : Im Vorfeld der Katastrophe. Die Wirt-
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Auch der Heimwehrbewegung stand der Hauptverband von Anfang an positiv gegenüber. Nur eine Minderheit im Hauptverband trat bereits 1923 für eine Unterstützung der Nationalsozialisten ein. Bis in die 1930er-Jahre unterstützte der Hauptverband offiziell jedoch nur die Heimwehren.67 Im März 1934 trat der Hauptverband mit allen Sektionen und industriellen Fachverbänden geschlossen der „Vaterländischen Front“ bei. Legalisiert wurde dieser Prozess durch das Gesetz über den „Bund der österreichischen Industriellen“ vom 17. Oktober 1934.68 Dieser „Industriellenbund“ fungierte ab 1. Januar 1935 als öffentlich-rechtliche Interessenvertretung und beendete damit die freie Verbandstätigkeit der Industrie. Im April 1934 kam es auch zur Formierung des „Ausschusses österreichischer Industrieller“. Der Ausschuss verstand sich als Zusammenschluss von Industriellen , die sich zu einem freien , selbstständigen und deutschen Österreich bekannten ; ebenso zur berufsständischen Ordnung von Wirtschaft und Gesellschaft sowie zur Regierung Dollfuß. Der Ausschuss wollte auch eine Brücke zu nationalsozialistisch eingestellten Industriekreisen schlagen , stieß aber sofort auf Kritik aus dem Wiener Industriellen-Verband und scheiterte , noch bevor er damit richtig begonnen hatte.69 1.4 Aufstiegs- oder Abstiegsgeschichte ? Ernst Bruckmüller hat bereits 1993 darauf hingewiesen , dass es falsch wäre , die „Geschichte der bürgerlichen Klassen Österreichs ausschließlich als eine Geschichte von Katastrophen und Brüchen zu beschreiben“.70 Dies gilt auch für das Segment der Wirtschaftstreibenden. Immerhin hatten sämtliche Großunternehmen des Jahres 1913 die Kriegswirren überstanden ; über 80 Prozent wurden in der Ersten Republik weitergeführt. Allerdings wurden manche Opfer eines Konzentrationsprozesses , den die Verkleinerung des Binnenmarktes ausgelöst hatte ( Baumwollspinnereien , Automobilindus trie , Lokomotiv- sowie Glühlampenproduktion ).71 Ab Mitte der 1920er-Jahre kam es wieder zu beträchtlichen industriellen Investitionen und es gelang verschiedenen österreichischen Industriellen sehr wohl , allen voran Julius Meinl , ihre Firmen nicht nur durch die Wirren der Nachkriegszeit zu steuern , sondern auch zu expandieren. Auch Vorarlberger Industrielle wie etwa F. M. Hämmerle bewiesen Anpassungsfähigkeiten an die neuen Zeiten und vermochten ihre Unternehmungen sogar auszubauen.72 In Reutte beispielsweise machte sich 1921 mit Paul Schwarzkopf ein aus Prag stammender und aus schaftspolitik des Ständestaates. Österreich 1934–1938 [ Vergleichende Gesellschaftsgeschichte und politische Ideengeschichte der Neuzeit 15 ] , Wien , 192–214. 67 Sturmayr ( 1995 ), 349. 68 Sturmayr ( 1995 ), 350. Vgl. auch Schmitz , Richard ( 1934 ) : Der Weg zur berufsständischen Ordnung in Österreich [ S chriftenreihe zur berufsständischen Ordnung 1 ] , Wien , sowie Schmitz , Richard ( 1935 ) : Die berufsständische Neuordnung in Österreich. Eine Zwischenbilanz [ S chriftenreihe der kath. Akademikergemeinschaft in Österreich 3 ] , Wien / I nnsbruck. 69 Vgl. Haas ( 1977 ), 335–336. 70 Bruckmüller ( 1993 ), 75. 71 Vgl. Mathis , Franz ( 1992 ) : Erfolg und Misserfolg der österreichischen Großunternehmen im 20. Jahrhundert. In : Zeitschrift für Unternehmensgeschichte Jg. 37 ( 1992 ) Heft 1 , 1–18 : 6–7. 72 Vgl. Hämmerle , Otto ( 1948 ) : Die Entwicklung der Vorarlberger Baumwollindustrie. Dargestellt am Werdegang der Firma F. M. Hämmerle in Dornbirn , Diss. , Innsbruck.
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Berlin kommender Unternehmer sesshaft , dem es in der Folge gelang , mithilfe der deutschen Konkurrenten und mittels gefinkelter Patent- und Verwertungsverträge bis zur Machtübernahme Hitlers 1933 ein halb Europa beherrschendes Kartell auf Molybdänerzeugung aufzubauen.73 Die Firma und Familie Swarovski reagierte auf Absatzschwierigkeiten mit der Herstellung neuer Verfahren ( k ristallbesetzte Stoffbänder , Glasreflektoren ) und Produkte ( Schleifscheiben , Feldstecher ).74 Auch im Bereich der Radio- bzw. Rundfunkröhrenproduktion gelang es österreichischen Firmen , zu europäischer Bedeutung aufzusteigen.75 Es gab in der Zwischenkriegszeit durchaus Produktionsbereiche ( R adiogeräte , Gummiwaren , Schmucksteine , Reinigungsmittel ), in denen internes Unternehmenswachstum stattfinden konnte. Andere Branchen verzeichneten externes Wachstum oder vermochten durch vertikale Integration zu reüssieren.76 Insgesamt übertrafen allerdings nur fünf ( Bergbau , Erdöl und Magnesit ; Säge- und Holzindustrie ; Papierindustrie ; chemische Industrie ; Leder , Textil und Bekleidung ) der zehn Indus triezweige bis 1937 ihren Produktionsstand von 1913.77 Daher darf die oben skizzierte Entwicklung , wie Mathis zu Recht betont , auch nicht überschätzt werden. Es gab genügend Beispiele in der Zwischenkriegszeit , wo es Unternehmen und UnternehmerInnen nicht gelang , erfolgreich zu reüssieren. Den Unternehmensleitungen , so das Resümee von Mathis , stand kein „Patentrezept“ zur Verfügung , und diese sahen sich aufgerufen , „den für ihr Unternehmen jeweils zielführendsten und gleichzeitig auch gangbaren Weg zu wählen“. Offenbar hing es von der Unternehmerpersönlichkeit und deren Geschick , sich bietende Chancen zu nützen , ab , wie ihre Unternehmungen mit den ungünstigen Rahmenbedingungen in dieser Zeit zurechtkamen.78 III. Resümee Die Wirtschaftsgeschichte der Zwischenkriegszeit wird zumeist im Zusammenhang mit den Folgen der Niederlage im Ersten Weltkrieg sowie der Weltwirtschaftskrise betrachtet. Dabei gilt das Augenmerk vordergründig der Überlebensfähigkeit des neuen Staates , der Hartwährungspolitik , der hohen Arbeitslosigkeit und dem geringen Erfolg , diese zu senken. Auf der Personenebene ist über die Wirtschaftstreibenden und ihre Interessen kaum etwas bekannt. Das österreichische Unternehmertum der Zwischenkriegszeit fungierte als nahezu geschlossene Gesellschaft , in die kaum jemand ohne entsprechenden 73 Vgl. Walleczek , Julia ( 2007 ) : Paul Schwarzkopf. Ein guter Draht zu Wolfram und Molybän. In : Alexander ( Hg. ), 168–179. 74 Vgl. Winkler , Michael ( 2007 ) : Daniel Swarovski sen. – Mit dem richtigen Schliff zum Weltruhm. In : Alexander , 186–195 : 192–193. 75 Vgl. Luxbacher , Günther ( 2003 ) : Massenproduktion im globalen Kartell. Glühlampen , Radioröhren und die Rationalisierung der Elektroindustrie bis 1945 [ Aachener Beiträge zur Wissenschaftsund Technikgeschichte des 20. Jahrhunderts 4 ] , Berlin / Diepholz , sowie Lebeth , Thomas ( 2011 ) : Der österreichische Beitrag zur technischen Entwicklung und industriellen Produktion der Rundfunkröhre [ Schriftenreihe Geschichte der Naturwissenschaften und Technik 19 ] , Linz. 76 Vgl. Mathis ( 1992 ), 8–9. 77 Vgl. Mosser , Alois ( 1985 ) : Industrielle Entwicklung und konjunkturelle Dynamik in Österreich 1920–1937. In : Christliche Demokratie Jg. 3 ( 1985 ) Heft 4 , 307–322 : Tab. 6 , 320. 78 Vgl. Mathis ( 1992 ), 9.
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III. Wirtschafts- und Interessenpolitik
familialen Hintergrund sowie entsprechendes Startkapital vorzudringen vermochte. Ihre politischen , soweit vorhandenen , und gesellschaftlichen Interessen waren geprägt durch die gemeinsame Sozialisation in der Kriegszeit und der Tradierung von Werten aus der Zeit der Monarchie. Dem neuen Staat standen sie skeptisch bis feindlich gegenüber. Parteipolitisch gab es eine Affinität zu totalitären Strömungen ; auch dem Nationalsozialismus gegenüber zeigte man sich nicht verschlossen. Das wirtschaftliche Wirken war gekennzeichnet von Pragmatismus bis Opportunismus. Institutionell formierte man sich in Verbänden sowie in den gesetzlichen Interessenvertretungen , die Einfluss auf die Wirtschaftspolitik des Staates zu nehmen versuchten. Über die Bankiers dieser Zeit ist kaum etwas bekannt. Aufgrund ihrer ähnlich gelagerten Herkunft ( Bürgertum ) und Interessen , dürften ihre politischen und gesellschaftlichen Vorstellungen ähnlich denen der Wirtschaftstreibenden gewesen sein. IV. Desiderate der Forschung Während die Makroebene der wirtschaftlichen Entwicklung hinreichend erforscht ist , liegen auf der Mikroebene nur einzelne Ergebnisse vor. Die handelnden Personen , ihre Absichten , Pläne , aber auch ihre Netzwerke sind bislang nur unzureichend in das Blickfeld der Forschung gelangt. Weiters fehlen Studien regionalen Charakters sowie zu VertreterInnen einzelner Branchen. Die wesentlichen Desiderate in der Erforschung der Wirtschaftstreibenden , Bankiers und wirtschaftlicher Interessenverbände in der Zeit des Dollfuß / Schuschnigg-Regimes sind : • Historische Betriebsanalysen , die die Reaktion von Betrieben und Branchen auf die neue Situation in der Ersten Republik beleuchten. • Analyse der Erfolgsfaktoren , die einzelne Unternehmungen trotz ungünstiger äußerer Rahmenbedingungen zur Europa- bzw. Weltgeltung verhalfen. • Biografische Untersuchungen einzelner Unternehmerpersönlichkeiten , ihrer Netzwerke und Verflechtungen sowie politischer Einstellungen zu Staat , Demokratie und Parlamentarismus. • Einzelbiografische Untersuchungen zu Bankiers und ihrer sozialen und familialen Herkunft. • Kollektivbiografische Untersuchung zu den Bankiers im Sinne der Arbeit von Krautzer. • Biografische Untersuchungen zu Funktionären der industriellen Verbände und deren Beziehungen zur Regierung. • Weitere Erforschung der Interessenverbände auf regionaler und branchenspezifischer Ebene. • Erforschung der öffentlich-rechtlichen Interessenvertretungen der Industrie ab 1935 sowie des Wirkens der Regierungskommissäre für die Privatindustrie.
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Ernst Langthaler
Ein brachliegendes Feld Forschungen zur Agrargeschichte Österreichs in den 1930er-Jahren I. Überblick Vor mehr als drei Jahrzehnten ging Ulrich Kluge mit der zeit- sowie der wirtschafts- und sozialhistorischen Forschung zur österreichischen Zwischenkriegszeit hart ins Gericht : Die Geschichte von Agrarpolitik , Agrarwirtschaft und Agrargesellschaft habe bestenfalls „punktuelle und flüchtige Aufmerksamkeit“ gefunden ; die Ursache dafür sah er im Fehlen eines klaren Leitmotivs.1 Obwohl der damalige Kritiker mittlerweile zur Behebung dieser Misere beigetragen hat , ist Euphorie über den aktuellen Forschungsstand zur österreichischen Agrargeschichte in den 1930er-Jahren nicht angesagt : Wie die agrarhis torische Forschung zur Zeit des Nationalsozialismus in Österreich2 gleicht jene zur Spätphase der Ersten Republik und zum austrofaschistischen „Ständestaat“ einem brachliegenden Feld. Wir verfügen über keine umfassende Gesamtdarstellung der Verflechtungen von Agrarpolitik , Agrarwirtschaft und Agrargesellschaft zwischen Weltwirtschaftskrise und „Anschluss“, die dem geschichtswissenschaftlichen state of the art entspräche. Dieser Befund wirkt angesichts des Gewichts des Agrarsektors im Österreich der 1930er-Jahre ernüchternd : Die land- und forstwirtschaftlichen Betriebsflächen bedeckten 1930 neun Zehntel des Bundesgebietes ; die laut Volkszählung 1934 der Land- und Forstwirtschaft Zugehörigen umfassten 37,1 Prozent der Erwerbstätigen und 27,3 Prozent der Wohnbevölkerung ; der Agraranteil am Bruttonationalprodukt pendelte zwischen 12,8 ( 1929 ) und 14,3 1 Vgl. Kluge , Ulrich ( 1978 ) : Agrarpolitik und Agrarkrise 1918 bis 1933. Möglichkeiten und Grenzen agrarhistorischer Forschung in Österreich und Deutschland. In : Botz , Gerhard / Hautmann , Hans / Konrad , Helmut / Weidenholzer , Josef ( Hg. ) : Bewegung und Klasse. Studien zur österreichischen Arbeiterbewegung , Wien / München / Zürich , 629–645 , hier 638. 2 Als Überblick vgl. Langthaler , Ernst ( 2000 ) : Eigensinnige Kolonien. NS-Agrarsystem und bäuerliche Lebenswelten 1938–1945. In : Tálos , Emmerich / Hanisch , Ernst / Neugebauer , Wolfgang / Sieder , Reinhard ( Hg. ) : NS-Herrschaft in Österreich. Ein Handbuch , Wien , 348–375. Als umfassende Monografie zur österreichischen Agrargeschichte 1938 bis 1945 vgl. Langthaler , Ernst ( 2009 ) : Schlachtfelder. Ländliches Wirtschaften im Reichsgau Niederdonau 1938–1945 , Habilitationsschrift , Wien ( P ublikation in Vorbereitung ).
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III. Wirtschafts- und Interessenpolitik
Prozent ( 1937 ).3 Den Stellenwert des Agrarbereichs belegen nicht nur wirtschafts- und sozialstatistische Kennzahlen , sondern auch Schlüsselbegriffe politisch-ideologischer Debatten – etwa der viel zitierten „Trabrennplatz-Rede“ von Bundeskanzler Engelbert Dollfuß 1933 , in der die patriarchalische Bauernfamilie als Leitmetapher der „berufsständischen Zusammengehörigkeit“ im Kampf gegen die Klassenspaltung auftrat.4 Freilich lässt sich nicht behaupten , die historische Forschung habe dieses Segment der österreichischen Gesellschaft der 1930er-Jahre völlig missachtet ; seit den 1980er-Jahren gab es einige Aktivitäten in dieser Richtung. Leider beschränken sich die Ergebnisse des Forschungsprojekts Agrarischer Strukturwandel und Agrarpolitik in der Ersten Republik auf die 1920er-Jahre.5 Ebenso bedauerlich ist , dass die Beiträge zum Symposion Agrarpolitische Probleme der Zwischenkriegszeit nur bruchstückhaft veröffentlicht worden sind.6 Kluges Agrargeschichte Österreichs zwischen Republikgründung und „Anschluß“, 1981 als Habilitation vorgelegt , 1988 in erweiterter Form publiziert , bildet als politik- und wirtschaftshistorischer Überblick noch immer einen wichtigen Bezugspunkt.7 Diese umfassende Monografie findet 1989 in James W. Millers Studie zur Agrarpolitik Dollfuß’ eine Ergänzung.8 Ebenso bedeutsam für diesen Forschungsstrang ist Gerhard Senfts 2002 publizierte Habilitationsschrift zur Wirtschaftspolitik des „Ständestaates“ mit ausführlichen Abschnitten zur Agrarpolitik.9 Neben diesen Monografien behandeln mehrere Aufsätze zentral oder am Rande agrarhistorische Aspekte Österreichs in den 1930er-Jahren.10 Auch die Beiträge des zweibändigen Handbuchs Ge3 Zu den Zahlenangaben vgl. Sandgruber , Roman ( 2002 ) : Die Landwirtschaft in der Wirtschaft – Menschen , Maschinen , Märkte. In : Bruckmüller , Ernst / Hanisch , Ernst / Sandgruber , Roman ( Hg. ) : Geschichte der österreichischen Land- und Forstwirtschaft im 20. Jahrhundert , Bd. 1 : Politik , Gesellschaft , Wirtschaft , Wien , 191–408 , hier 264 , 301 , 344. 4 Zit. nach Berchtold , Klaus ( 1967 ) : Österreichische Parteiprogramme , Wien , 430. 5 Das vom Jubiläumsfonds der Oesterreichischen Nationalbank finanzierte Projekt wurde am Inst itut für Zeigeschichte der Universität Wien unter der Leitung von Karl Haas und Mitarbeit von Manfred Hahn , Siegfried Mattl und Ernst Metz durchgeführt. Zum Projektansatz vgl. Hahn , Manfred / Mattl , Siegfried / Metz , Ernst ( 1979 ) : Agrarischer Strukturwandel und Agrarpolitik in der Ers ten Republik Österreich. In : Agrar-Journal 2 ( 1979 ), 9–12. Als Projektergebnisse vgl. Mattl , Siegfried ( 1981 ) : Agrarstruktur , Bauernbewegung und Agrarpolitik in Österreich 1919–1929 , Salzburg ; Metz , Ernst ( 1984 ) : Großgrundbesitz und Bodenreform in Österreich 1919 bis 1924 , phil. Diss. , Wien. 6 Das Symposion wurde 1983 von der Wissenschaftlichen Kommission des Theodor-Körner-Stiftungsfonds und des Leopold Kunschak-Preises zur Erforschung der österreichischen Geschichte der Jahre 1918 bis 1938 veranstaltet. Die unveröffentlichten Tagungsbeiträge sind in der Sozialwissenschaftlichen Dokumentation ( S owidok ) der Arbeiterkammer Wien verfügbar. 7 Vgl. Kluge , Ulrich ( 1988 ) : Bauern , Agrarkrise und Volksernährung in der europäischen Zwischenkriegszeit. Studien zur Agrargesellschaft und -wirtschaft der Republik Österreich 1918 bis 1938 , Stuttgart. Die Zeit des „Ständestaates“ wird jedoch nur mehr in einem knappen Ausblick abgehandelt. 8 Vgl. Miller , James W. ( 1989 ) : Engelbert Dollfuß als Agrarfachmann. Eine Analyse bäuerlicher Führungsbegriffe und österreichischer Agrarpolitik 1918–1934 [ Böhlaus zeitgeschichtliche Bibliothek 10 ] , Wien / Köln. 9 Vgl. Senft , Gerhard ( 2002 ) : Im Vorfeld der Katastrophe. Die Wirtschaftspolitik des Ständestaates. Österreich 1934–1938 [ Vergleichende Gesellschaftsgeschichte und Ideengeschichte der Neuzeit 15 ] , Wien. 10 Die betreffenden Aufsätze werden in den folgenden Anmerkungen genannt.
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schichte der österreichischen Land- und Forstwirtschaft im 20. Jahrhundert11 und eines Tagungsbandes zur deutschen , österreichischen und schweizerischen Agrarpolitik 1930 bis 196012 beleuchten , wenn auch mit unterschiedlicher Tiefenschärfe , die österreichische Agrargeschichte der 1930er-Jahre. Trotz der scheinbaren Fülle an Arbeiten fällt die Bilanz mager aus : Die Agrargeschichte Österreichs in den 1930er-Jahren stand in der bisherigen Forschung nicht im Zentrum , sondern bildete bestenfalls ein Randthema ; entsprechend unausgewogen und zersplittert stellt sich der Forschungsstand dar. Angesichts dieses ernüchternden Überblicks konzentriert sich der vorliegende Aufsatz darauf , Einblicke in zentrale Spannungsmomente der politik- , wirtschafts- und sozialhistorischen Forschung zu eröffnen und in einem knappen Ausblick künftige Forschungsperspektiven zu umreißen. II. Einblicke 2.1 „Agrarischer Kurs“: Kampfrhetorik oder Interessenpolitik ? Die Rede vom „agrarischen Kurs“ seit Dollfuß’ Ernennung zum Landwirtschaftsminis ter 1931 bildete einen Brennpunkt der agrarpolitischen Debatten in Österreich. In rascher Folge unterwarf die Bundesregierung die vom Preisverfall erfassten Produktmärkte , vor allem auf dem Milch- , Vieh- und Getreidesektor , staatlichen Regulativen , die über den Außenschutz hinaus auch auf die Preisstabilisierung auf dem Binnenmarkt mittels Stützungszahlungen und Mengenbeschränkungen abzielten. Gewerbe- und Industrievertreter sowie die sozialdemokratische Arbeiterbewegung warfen der Bundesregierung unter christlichsozialer Führung die Bevorzugung agrarischer ProduzentInnen auf Kosten gewerblich-industrieller ProduzentInnen und KonsumentInnen vor.13 Kluge wertet den „agrarischen Kurs“ als ideologie- und interessengeleitete Kampfrhetorik , indem er Dollfuß’ Binnenmarktordnung auf die ungünstige Außenhandelssituation zurückführt und die Kluft zwischen bäuerlichen Forderungen sowie agrarpolitischen und ‑ökonomischen Resultaten faktenreich zu belegen sucht. Das Unvermögen des Staates , das ( berg-)bäuerliche Verschuldungsproblem in den Griff zu bekommen , die unter der Kanzlerschaft Kurt Schuschniggs zurückhaltende Subventionspolitik und die budget schonende Selbstfinanzierung der Agrarförderung ( „Futtermittellizenzgebühr“ ) belas 11 Vgl. Bruckmüller , Ernst / Hanisch , Ernst / Sandgruber , Roman / Weigl , Norbert ( 2002 ) : Geschichte der österreichischen Land- und Forstwirtschaft im 20. Jahrhundert , Bd. 1 : Politik , Gesellschaft , Wirtschaft , Wien ; Bruckmüller , Ernst / Hanisch , Ernst / Sandgruber , Roman ( Hg. ) ( 2003 ) : Geschichte der österreichischen Land- und Forstwirtschaft im 20. Jahrhundert , Bd. 2 : Regionen , Betriebe , Menschen , Wien. 12 Vgl. Langthaler , Ernst / Redl , Josef ( Hg. ) ( 2005 ) : Reguliertes Land. Agrarpolitik in Deutschland , Österreich und der Schweiz 1930–1960 [ Jahrbuch für Geschichte des ländlichen Raumes 2 ] , Innsbruck / Wien / Bozen. Die dem Band zugrunde liegende Tagung wurde 2004 vom Ludwig BoltzmannInstitut für Geschichte des ländlichen Raumes organisiert. 13 Als Überblick vgl. Senft , Gerhard ( 2005 ) : Vom Markt zum Plan. Die Agrarpolitik des österreichischen „Ständestaates“ 1934–1938. In : Langthaler / Redl ( 2005 ), 114–123. Zur Getreidemarktordnung vgl. Werner , Wolfgang ( 1993 ) : Die Roggenpreisstabilisierung des Verbands ländlicher Genossenschaften in Niederösterreich im August 1933. In : Unsere Heimat. Zeitschrift für Landeskunde von Niederösterreich Jg. 64 ( 1993 ), 182–199.
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III. Wirtschafts- und Interessenpolitik
teten die bäuerliche Existenz insgesamt und verschärften die Ungleichheiten zwischen verschiedenen Betriebsgrößen , Produktionszweigen und Agrarregionen.14 Letztendlich verlor der „Ständestaat“, trotz der anfänglichen Allianz mit der Landbevölkerung , das Vertrauen seiner Kernklientel : „Das Gros der österreichischen Bauern und die Mehrzahl der berufsständisch organisierten Interessenpolitiker fühlten sich von der Agrarpolitik Schuschniggs düpiert.“15 Sinngemäß behauptet Sigurd Pacher mit Verweis auf das trotz der „Bergbauernhilfsaktion“ ungelöste bäuerliche Verschuldungsproblem , die „Nichtexistenz einer auf agrarische Interessen ausgerichtete Politik“, der „agrarische Kurs“ gleiche einer „Seifenblase“.16 Zahlreiche ForscherInnen sehen im „agrarischen Kurs“ jedoch mehr als eine rhetorische Floskel , wenn auch mit unterschiedlichen Argumenten. Gustav Otruba stellt einen Zusammenhang zwischen der bauernfreundlichen Hochpreispolitik und der Minderung des Lebensstandards der Industriearbeiterschaft her.17 Entgegen Kluges Ansicht , das agrarpolitische Establishment habe die Balance zwischen Agrar- und Indus triestaat angestrebt , betont Miller Dollfuß’ Prägung durch das bäuerlich-katholische Milieu und dessen autoritäre Tendenz als Minister , „alle ihm zu Verfügung stehenden Mittel für agrarische Interessen einzusetzen“.18 Senft räumt zwar einen Zielkonflikt zwischen Agrarprotektion und Budgetkonsolidierung ein ; alles in allem habe das Dollfuß / Schuschnigg-Regime aber versucht , „dem Bauerntum eine hegemoniale Rolle im Staate zukommen zu lassen“19 , und gewährleistet , „dass landwirtschaftliche Erzeugnisse klaren Vorrang gegenüber gewerblichen oder besonders industriellen Produkten hatten“20. Siegfried Mattl verweist auf die differenzierenden Effekte des „agrarischen Kurses“, der Mittel- und Großbetriebe und Ackerbaugebiete begünstigt sowie Kleinbetriebe und Gebirgsregionen benachteiligt habe.21 In dieses Bild fügen sich auch die von Vorstellungen einer „moralischen Ökonomie“ getriebenen Bauernproteste gegen Finanzund andere staatliche Behörden.22 Den „agrarischen Kurs“ als Interessenpolitik relativierend , skizziert Ernst Hanisch das Dilemma , in dem sich die österreichische Agrarpolitik in der Weltwirtschaftskrise befand : Protektionismus zugunsten der Landwirtschaft auf 14 Vgl. Kluge ( 1988 ), 441–469. 15 Kluge ( 1988 ), 468. 16 Vgl. Pacher , Sigurd ( 1994 ) : Die Agrarpolitik des österreichischen Ständestaates. In : Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte 81 ( 1994 ), 339–368 , hier 363–364. 17 Vgl. Otruba , Gustav ( 1974 ) : „Bauer“ und „Arbeiter“ in der Ersten Republik. In : Botz , Gerhard / Hautmann , Hans / Konrad , Helmut ( Hg. ) : Geschichte und Gesellschaft. Festschrift für Karl R. Stadler , Wien , 57–98 , hier 92–93. 18 Miller ( 1989 ), 116. 19 Senft , Gerhard ( 2005 ) : Anpassung durch Kontraktion. Österreichs Wirtschaft in den dreißiger Jahren. In : Tálos , Emmerich / Neugebauer , Wolfgang ( Hg. ) : Austrofaschismus. Politik – Ökonomie – Kultur 1933–1945 , Wien , 182–199 , hier 121. 20 Senft ( 2005 ), 186. 21 Vgl. Mattl , Siegfried ( 2005 ) : Die Finanzdiktatur. Wirtschaftspolitik in Österreich 1933–1938. In : Tálos / Neugebauer ( 2005 ), 202–220 , hier 215. 22 Vgl. Mattl , Siegfried ( 1993 ) : Krise und sozialer Protest. Die Widerstandshandlungen österreichischer Bauern gegen das behördliche Exekutionssystem in den Jahren 1931 bis 1933. In : Zeitgeschichte Jg. 20 ( 1993 ), Heft 1 /2 , 1–22.
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Kosten breiter Konsumentenkreise oder Marktliberalisierung zugunsten der Exportindustrie auf Kosten der – am Weltmarkt nicht wettbewerbsfähigen – bäuerlichen Agrarproduzenten.23 Weitgehende Einigkeit besteht darüber , dass das Kernproblem weniger in einer agrarischen Überproduktion als vielmehr in der – durch die Agrarprotektion verschärften – Unterkonsumtion von Nahrungsmitteln durch die von Einkommensverlusten betroffenen Lohnabhängigen in Gewerbe und Industrie bestand.24 Im Unterschied zur Agrarmarktordnung des Dollfuß / Schuschnigg-Regimes herrschen in der Forschung zur „berufsständischen Ordnung“, die in der Land- und Forstwirtschaft 1935 ansatzweise errichtet wurde , ähnliche Auffassungen. Die „Berufsstände“ waren einerseits öffentlich-rechtliche Selbstverwaltungskörperschaften , die vormals staatliche Verwaltungsaufgaben übernahmen ; andererseits wurden sie über die Besetzung der Spitzenfunktionäre vom Staat kontrolliert. Karl Haas hat das pointiert ausgedrückt : „Die autoritäre Staatsführung ersparte sich beamtete Staatsdiener , indem sie mittels ernannter Verbandsfunktionäre sich den entsprechenden Einfluss auf die Verwaltung der Verbände sicherte.“25 Der „Berufsstand Land- und Forstwirtschaft“ war genau genommen ein fragiler Überbau auf Basis der Massenorganisationen Bauernbund und Landwirtschaftskammer , die das Gros der Agrarbevölkerung allein über christlichsoziale Lagerbindung26 und zwangsweise Kammermitgliedschaft zu mobilisieren vermochten ; dementsprechend ungebrochen war die Kontinuität der Agrareliten vor und nach 1934 / 35.27 Kluge zufolge bildete der „Berufsstand Land- und Forstwirtschaft“, der dem Bauernbund als Entscheidungsinstanz und der Landwirtschaftskammer als Expertengremium übergestülpt wurde , einen zahnlosen Apparat , der den Durchgriff der Staatsmacht zu verschleiern trachtete.28 Ähnlich argumentiert Hanisch , der die effektive Macht im Agrarbereich aufseiten der „Regierungsdiktatur“ verortet.29 In längerfristiger Perspektive erscheint die gesetzliche Auf- , aber faktische Abwertung der agrarischen Interessenvertretung im „Ständestaat“ als Entwicklungsphase des österreichischen 23 Vgl. Hanisch , Ernst ( 2005 ) : Das Dilemma der Politik. Die Agrarpolitik von Engelbert Dollfuß. In : Langthaler / Redl ( 2005 ), 107–113 , hier 111–112. 24 Vgl. Senft ( 2002 ), 440. 25 Haas , Karl ( 1977 ) : Zum Problemkomplex „Wirtschaftsverbände und Ständestaat“. In : Haas , Karl ( 1977 ) : Zum Problemkomplex „Wirtschaftsverbände und Ständestaat“. In : Jedlicka , Ludwig / Neck , Rudolf ( Hg. ) ( 1977 ) : Das Juliabkommen von 1936. Vorgeschichte , Hintergründe und Folgen. Protokoll des Symposiums in Wien am 10. und 11. Juni 1976 in Wien [ Veröffentlichungen der Wissenschaftlichen Kommission des Theodor-Körner-Stifungsfonds und des Leopold-Kunschak-Preises zur Erforschung der Österreichischen Geschichte der Jahre 1927–1938 , Bd. 4 ] , Wien / München , 328–342 , hier 333. 26 Vgl. Hänisch , Dirk ( 1998 ) : Die österreichischen NSDAP-Wähler. Eine empirische Analyse ihrer politischen Herkunft und ihres Sozialprofils [ Böhlaus zeitgeschichtliche Bibliothek 35 ] , Wien / Köln / Weimar , 324 , der die Resistenz der christlichsozial mobilisierten Agrarbevölkerung gegenüber der NSDAP betont. 27 Vgl. Lebensaft , Elisabeth / Mentschl , Christoph ( 2003 ) : Feudalherren – Bauern – Funktionäre. Österreichs Agrarelite im 20. Jahrhundert. Ein biographisches Handbuch [ Studien und Forschungen aus dem Niederösterreichischen Institut für Landeskunde 30 ] , St. Pölten. 28 Vgl. Kluge ( 1988 ), 465–469. 29 Vgl. Hanisch , Ernst ( 2002 ) : Die Politik und die Landwirtschaft. In : Bruckmüller et al. ( 2002 ), 15–189 , hier 55.
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III. Wirtschafts- und Interessenpolitik
„Agrarkorporativismus“30 im 20. Jahrhundert : Standen nach Ernst Bruckmüller die bäuerlichen Genossenschaften , Bauernbünde und Landwirtschaftskammern zunächst im Dienst der Abwehr von durchgreifender Demokratisierung und Kommerzialisierung ( „konservative Modernisierung“ ),31 beförderten sie schließlich die Ein- und Unterordnung des Agrarsektors in der sozialstaatlich verfassten Industrie- und Dienstleistungsgesellschaft.32 Die faktische Aushebelung des „Berufsstandes Land- und Forstwirtschaft“ durch die austrofaschistische „Regierungsdiktatur“ kann als ein – aber gewiss nicht als einziger – Schritt im Übergang von der bäuerlich-resistenten ( „konservativen“ ) zur staatsgeleitet-forcierten Agrarmodernisierung zwischen den 1930er- und 1950er-Jahren gesehen werden.33 2.2 Agrarsektor : Leistungsträger oder Problemfall ? Lange bevor sich die Geschichtsforschung der Entwicklung des österreichischen Agrarsektors in den 1930er-Jahren annahm , hatte das Thema von agrarwissenschaftlicher Seite her Aufmerksamkeit gefunden. Nach zeitgenössischen Überblicken kurz vor34 und nach dem „Anschluss“ 193835 zeichnen Ernst Lagler und Anton Steden bald nach 1945 – vor dem Erfahrungshintergrund der kriegsbedingten Produktionseinbrüche – ein vergleichsweise positives Bild der österreichischen Agrarentwicklung zwischen den Weltkriegen. Beide verweisen auf die Diversität der regionalen Agrarsysteme Österreichs aufgrund natur- und verkehrsbedingter Standortunterschiede. Zugleich betonen sie die Produktivitätsfortschritte bei der Pflanzen- und Tierproduktion sowie die Steigerung der Selbstversorgung mit den wichtigsten Nahrungsmitteln unter dem Schutzmantel der Agrarpolitik. So etwa stiegen die durchschnittlichen Hektarerträge 1926 bis 1935 gegenüber 1910 bei den Hauptgetreidearten um 18 bis 51 Prozent , bei Kartoffeln um 74 Prozent und bei Zuckerrüben um 47 Prozent ; die durchschnittliche Jahresmilchleistung der Kühe wurde 1919 bis 1934 von 1.300 auf 2.100 Liter angehoben. Diese Leistungssteigerungen beruhten weniger auf agrartechnischen Innovationen als auf der Verbreitung einer institutionellen Innovation des späten 19. Jahrhunderts : des organisatorischen Zusammen30 Zum Begriff vgl. Langthaler , Ernst ( 2008 ) : Nahe und entfernte Verwandtschaft. Agrar-Korporativismus in Niederösterreich. In : Eminger , Stefan / Langthaler , Ernst ( Hg. ) : Niederösterreich im 20. Jahrhundert , Bd. 1 : Politik , Wien / Köln / Weimar , 687–710. 31 Vgl. Bruckmüller , Ernst ( 1979 ) : Die verzögerte Modernisierung. Mögliche Ursachen und Folgen des „österreichischen Weges“ im Wandel des Agrarbereiches. In : Knittler , Herbert ( Hg. ) : Wirtschafts- und sozialhistorische Beiträge. Festschrift für Alfred Hoffmann zum 75. Geburtstag , Wien , 289–307 ; Bruckmüller , Ernst ( 1995 ) : Interessenvertretung der Bauern. In : Tálos , Emmerich / Dachs , Herbert / Hanisch , Ernst / Staudinger , Anton ( Hg. ) : Handbuch des politischen Systems Österreichs. Erste Republik 1918–1933. Wien , 353–370. 32 Vgl. Krammer , Josef / Hovorka , Gerhard ( 2006 ) : Interessenorganisation der Landwirtschaft : Landwirtschaftskammer , Präsidentenkonferenz und Raiffeisenverband. In : Dachs , Herbert / G erlich , Peter / G ottweis , Herbert / K ramer , Helmut / L auber , Volkmar / Müller , Wolfgang C. / Tálos , Emmerich ( Hg. ) : Politik in Österreich. Das Handbuch. Wien , 480–492 , hier 490. 33 Vgl. Langthaler ( 2008 ), 709–710. 34 Vgl. Dorfwirth , Leopold A. ( 1938 ) : Die österreichische Agrarpolitik seit dem Ende des Weltkrieges , Wien. 35 Vgl. Schöhl , Harald ( 1938 ) : Österreichs Landwirtschaft. Gestalt und Wandlung 1918–1938 , Berlin.
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schlusses der bäuerlichen Betriebe zu – teils durch Völkerbundkredite finanzierten – Erzeugungs- , Verarbeitungs- und Vermarktungsgenossenschaften.36 Der Gesamtwert der Agrarproduktion schrumpfte zwar 1929 bis 1931 von 1.332 Mio. auf 1.164 Mio. Schilling , wuchs aber bis 1937 auf 1.407 Mio. Schilling an ; damit lag das agrarische Produktionsvolumen um 16,5 Prozent über dem von 1913.37 Diese Erfolgsbilanz verliert jedoch an Glanz , wenn sie in Beziehung zum Leistungspotenzial tritt. So etwa verweist Senft auf die mangelnde Ausschöpfung von Modernisierungspotenzialen im Agrarbereich aufgrund traditionalistischer Betriebsführung , zunehmenden Kapitalmangels und vor allem zögerlicher Rationalisierungsinitiativen vonseiten des Agrarapparats ; dafür gaben weniger ökologische oder ökonomische Schranken als vielmehr der Anfang der 1930erJahre eingeschlagene protektionistische Kurs der Agrarpolitik den Ausschlag.38 Nicht die Produktionsleistungen , sondern die daraus geschöpften Einkünfte verschiedener Produzentengruppen dienen Kluge als Maßstab ; angesichts der nach Agrarregionen , Produktionszweigen und Betriebsgrößen auseinanderstrebenden Einkommensentwicklung mutet die Gesamtbilanz für die Jahre 1934 bis 1938 weitaus negativer an : „Auf keinem Produktionszweig der österreichischen Agrarwirtschaft zeigten sich in der Ära Schuschnigg auch nur die geringsten Anzeichen eine grundlegenden Verbesserung in absehbarer Zeit.“39 Die vergleichsweise hohen Getreide- , vor allem die über das Niveau von 1929 gekletterten Weizenpreise bescherten den Ackerwirtschaften im burgenländischen , nieder- und oberösterreichischen Flachland Einkommensvorteile auf Kosten der Grünland- und Waldwirtschaften im Mittel- und Hochgebirge , die von Getreidezukäufen abhingen und unter dem Verfall der Milch- und Holzpreise litten.40 Das landwirtschaftliche Einkommen pro Hektar Kulturfläche verfiel 1928 bis 1931 im Durchschnitt von 174 auf 89 Schilling , der Reinertrag von 65 auf minus 9 Schilling ; auch in den Folgejahren wurde das Ausgangsniveau nicht mehr erreicht.41 Noch deutlicher ins Negative kippt die Bilanz , wenn man die prekäre Nahrungsmittelversorgung der Lohnabhängigen außerhalb des Agrarsektors einkalkuliert.42 Trotz aller Produktivitäts- und Produktionssteigerungen vermochte das staatlich regulierte Agrarsystem in den 1930erJahren weder der Gesamtheit der ProduzentInnen angemessene Einkommen noch den KonsumentInnen eine angemessene Nahrungsmittelversorgung zu erschwinglichen Preisen zu sichern.
36 Vgl. Lagler , Ernst ( 1952 ) : Entwicklungsphasen der österreichischen Agrarpolitik in dem Zeitraum zwischen den beiden Weltkriegen. In : Lagler , Ernst / Meßner , Johannes ( Hg. ) : Wirtschaftliche Entwicklung und soziale Ordnung , Wien , 395–418 ; Steden , Anton ( 1952 ) : Wandlungen der landwirtschaftlichen Betriebsstruktur Österreichs seit der Jahrhundertwende unter dem Einfluß von Absatz und Preisen. In : Lagler / Meßner ( 1952 ), 419–437. Zu ähnlichen Befunden vgl. Meihsl , Peter ( 1961 ) : Die Landwirtschaft im Wandel der politischen und ökonomischen Faktoren. In : Weber , Wilhelm ( Hg. ) : Österreichs Wirtschaftsstruktur gestern – heute – morgen , Bd. 2 , Berlin , 551–839 , hier 562–565. 37 Vgl. Senft ( 2005 ), 120. Es handelt sich um reale Preise auf der Basis von 1937. 38 Vgl. Senft ( 2002 ), 442–443. 39 Kluge ( 1988 ), 458–459. 40 Vgl. Kluge ( 1988 ), 453–459. 41 Vgl. Schöhl ( 1938 ), 51. 42 Vgl. Kluge ( 1988 ), 459–462 ; Senft ( 2002 ), 440.
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Technischer Wandel im österreichischen Agrarsystem im 20. Jahrhundert
Anmerkung : Der graue Bereich markiert die „Sattelzeit“ der NS-Ära. Quelle : Langthaler ( 2009 ), 823.
Vor dem Hintergrund eigener Forschungen markieren die späten 1930er-Jahre in längerfristiger Perspektive eine Wendezeit der österreichischen Agrarentwicklung. Zunächst war Arbeitskraft auf dem Land noch eine vergleichsweise reichlich verfügbare und daher – vor allem gegenüber agrartechnischen Investitionen – vergleichsweise billige Ressource. Doch das Faktorpreisverhältnis schlug 1938 mit der massiven „Landflucht“ und Technisierungsoffensive im Nationalsozialismus um : Steigende Landarbeiterlöhne sowie staatlich subventionierte Landmaschinen und Betriebsmittel führten zu einer vergleichsweisen Verbilligung arbeits- und landsparender Technologien und hoben – im Verbund mit institutionellen Neuerungen – deren Einsatz auf ein bislang unerreichtes Niveau ( „ Sattelzeit“ ) ; den vollen Durchbruch erfuhr diese Faktorsubstitution jedoch erst in den Jahrzehnten nach der Ent-Technisierung in den späten Kriegsund ersten Nachkriegsjahren ( siehe Abbildung ). So gesehen bildete die österreichische Agrarentwicklung zwischen Weltwirtschaftskrise und „Anschluss“ die Spät- und Auflösungsphase eines arbeitsintensiven und kapitalextensiven Regimes , bevor sich die Entwicklungskorridore in Richtung Arbeitsextensivierung und Kapitalintensivierung verschoben.43
43 Vgl. Langthaler , Ernst ( 2013 ) : Varieties of Modernity : Fascism and Agricultural Development in Austria , 1934–1945. In : Cabo Villaverde , Miguel / Fernández Prieto , Lourenzo / Pan-Montojo , Juan ( Hg. ) : Agriculture in the Age of Fascism. Authoritarian Technocracy and Rural Modernization , 1922–1945 , Turnhout 2012 ( i n Vorbereitung ).
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2.3 Bäuerlicher Paternalismus : Stabilisierung oder Erosion ? Die sozialhistorische Forschung ist sich weitgehend einig darin , dass sich im Schatten der politischen und ökonomischen Doppelkrise der 1930er-Jahre der säkulare Wandel der ländlichen Gesellschaft , trotz punktueller Neuerungen , insgesamt verlangsamte. In einem umfassenden Handbuchartikel skizziert Bruckmüller die Eckpunkte dieser „verzögerten Modernisierung“ für die Zwischenkriegszeit : erstens das Weiterbestehen des „bäuerlichen Hauses“ mit dessen „Einheit von Betrieb und Familie“ als zentraler Bezugspunkt der Gruppenbildungen auf dem Land ; zweitens die Verdichtung des seit dem späten 19. Jahrhundert entstandenen Netzes landwirtschaftlicher Organisationen und dessen Erweiterung durch Landarbeitergewerkschaften.44 Die Krise der 1930er-Jahre habe die „konservative“ – d. h. gegen eine durchgreifende Kommerzialisierung und Demokratisierung gerichtete – Agrarmodernisierung seit den 1880er-Jahren fortgeschrieben : Einerseits setzten der kaufkraftbedingte Einbruch der Nachfrage nach Nahrungsmitteln , vor allem gegenüber Getreide und Kartoffeln pro Nährwerteinheit teureren Milchund Fleischprodukten , sowie die angebotsdämpfende Marktordnung der Kommerzialisierung gewisse Grenzen. Andererseits wurde die autoritär-konservative Mentalität der bäuerlichen „Hausväter“ durch die „versteckte Arbeitslosigkeit“ – die ( Weiter‑ )Beschäftigung von Familienangehörigen und auch Personen mit Gesindestatus , die in der krisengeschüttelten Industrie keine Arbeit ( mehr ) fanden – abermals gestärkt.45 Eine wichtige Facette des bäuerlichen Paternalismus in der Zwischenkriegszeit , die Patron-Klient-Beziehungen zwischen Bauernfamilie und ledigem Gesinde , erhellt Norbert Ortmayr. Aus historisch-anthropologischer Perspektive charakterisiert er den Gesindedienst als Geflecht wechselseitiger , wenn auch ungleich verteilter Verpflichtungen , das ökonomische , soziale und kulturelle Aktivitäten umfasste : etwa die permanente Verfügbarkeit als Arbeitskraft aufseiten der unterbäuerlichen Klienten , der Einbezug des Gesindes in Familienfeiern und Geschenkrituale aufseiten der bäuerlichen Patrone. Ende der 1920er- , Anfang der 1930er-Jahre mehrten sich jedoch die Anzeichen der Erosion des paternalistischen Regelwerks : die Ablösung von Kost und Quartier im Haus der DienstgeberInnen als Lohnbestandteil durch eigene Verpflegung und Unterkunft ; der Wandel vom Jahres- zum Monatslohn und die Abnahme des Naturallohnanteils ; zunehmende Winterarbeitslosigkeit durch Entlassung des Gesindes im Herbst aus Rentabilitätsgründen ; die vermehrte Beschäftigung ausländischer SaisonarbeiterInnen ; die Entstehung eines überregionalen Arbeitsmarktes mit einem Überangebot an Arbeitssuchenden und – bedingt durch die Zunahme mithelfender Familienangehöriger – beschränkter Nachfrage ; die Verbreitung von Landarbeitergewerkschaften und damit zusammenhängenden Streikbewegungen ; die Ablösung der altständischen Dienstbotenordnung durch die am Vertragsprinzip orientierte Haus- und Landarbeiterordnung. Kurz , das ländliche Patron-Klient-Verhältnis entwickelte sich in Richtung des Lohnarbeitsverhältnisses , jedoch noch ohne umfassende Einbettung in das entsprechende Institutionengefüge wie 44 Vgl. Bruckmüller , Ernst ( 1983 ) : Sozialstruktur und Sozialpolitik. In : Weinzierl , Erika / Skalnik , Kurt ( Hg. ) : Österreich 1918–1938. Geschichte der Ersten Republik , Bd. 1 , Graz / Wien / Köln , 381–436 , hier 391. 45 Vgl. Bruckmüller ( 1979 ), 299–307.
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III. Wirtschafts- und Interessenpolitik
etwa der Arbeitslosenversicherung.46 In der Kluft zwischen erodiertem Paternalismus und noch lückenhaftem Arbeitsvertragsarrangement sahen sich ländliche DienstbotInnen , vor allem ledige , weibliche und aus unterbäuerlichen Verhältnissen stammende , zunehmender Willkür durch bäuerliche DienstgeberInnen und Ignoranz vonseiten „ständestaatlicher“ Amtsträger ausgesetzt – und projizierten mitunter ihre Erlösungshoffnungen auf den heraufdämmernden Nationalsozialismus.47 Zwar belegt diese im oberösterreichischen Zentralraum – d. h. in einem mittel- bis großbetrieblichen , gemischt acker- und viehwirtschaftlichen sowie gesindereichen Agrarsystem – angesiedelte Lokal- und Regionalstudie überzeugend die Erosion des bäuerlichen Paternalismus in den 1930er-Jahren ; überregionale Aussagen , etwa zur ( bei den Wahlen der frühen 1930erJahre noch geringen )48 Affinität von Landbevölkerung und Nationalsozialismus , bedürften jedoch des Vergleichs mit anderen regionalen „Ökotypen“49 der Agrargesellschaft. III. Ausblick Die Einblicke in politik- , wirtschafts- und sozialhistorische Forschungsstränge werfen eine Reihe inhaltlicher , noch nicht zufriedenstellend beantworteter Fragen auf : Welche Effekte des „agrarischen Kurses“ waren von den Entscheidungsträgern beabsichtigt , welche folgten unbeabsichtigt aus ihren agrarpolitischen Eingriffen ? An welchen Maßstäben lässt sich der makro- und mikroökonomische Entwicklungsstand des Agrarsektors messen ? Wie ist das demokratische bzw. autoritäre Potenzial in den ländlichen Milieus einzuschätzen ? Sie verweisen aber auch auf quer dazu liegende theoretisch-methodische Probleme , deren Lösungsversuche weiterführende Wege der Forschung erschließen ; drei davon sollen hier skizziert werden : der tendenzielle Struktur- , Nationalstaats- und Epochenzentrismus der bisherigen Forschung. Der Strukturzentrismus kennzeichnet ein Gutteil der politik- und wirtschaftshistorischen , aber auch Teile der sozialhistorischen Forschung zur Agrargeschichte Österreichs in den 1930er-Jahren. Sie äußert sich in mehreren Tendenzen : politische , ökonomische und ansatzweise auch soziale Momente in den Mittelpunkt und kulturelle Momente an den Rand der Entwicklung zu rücken ; grobe Kategorisierungen nach Großgruppen ( „die Landwirtschaft“, „die Bergbauern“, „das Gesinde“ usw. ) gegenüber feingliedrigeren Unterscheidungen zu bevorzugen ; die Macht der Verhältnisse gegenüber den Deutungs- und Handlungskompetenzen der Akteure zu überbewerten. Forschungen jenseits des Strukturzentrismus’ begreifen Agrarpolitik , Agrarsektor und Agrargesellschaft als Kräftefelder von Beziehungen zwischen ( beschränkt ) deutungs- und handlungsmächti46 Vgl. Ortmayr , Norbert ( 1986 ) : Ländliches Gesinde in Oberösterreich 1918–1938. In : Ehmer , Josef / M itterauer , Michael ( Hg. ) : Familienstruktur und Arbeitsorganisation in ländlichen Gesellschaften , Wien / Köln / Graz , 325–416. 47 Zu Fallbeispielen in einer niederösterreichischen Voralpenregion vgl. Langthaler , Ernst ( 2003 ) : Agrarwende in den Bergen : eine Region in den niederösterreichischen Voralpen ( 1880–2000 ). In : Bruckmüller et al. , 563–650 , hier 627–629. 48 Vgl. Hänisch ( 1998 ), 291–325. 49 Vgl. Ortmayr , Norbert ( 1992 ) : Sozialhistorische Skizzen zur Geschichte des ländlichen Gesindes in Österreich. In : Ortmayr , Norbert ( Hg. ) : Knechte. Autobiographische Dokumente und sozialhistorische Skizzen [ Damit es nicht verlorengeht 19 ] , Wien / Köln / Weimar , 297–376.
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gen Akteuren , die verschiedene Arten und Mengen von Ressourcen zum Einsatz bringen. In einem derartigen Akteur-Netzwerk-Rahmen wären auch die nach wie vor ausstehenden Elitenbiografien über Dollfuß , Schuschnigg und andere Entscheidungsträger anzusiedeln. Eine solche Versuchsanordnung schärft den Blick für feinere Unterschiede zwischen Personen und Gruppen , was vergröbernde Kategorisierungen hintanhält. Ansätze in diese Richtung zeigen die Arbeiten Mattls50 und Ortmayrs51 zur „moralischen Ökonomie“ ( u nter‑ )bäuerlicher Gruppen als resistenz- und widerstandsfördernder Ressource ; daran anknüpfend wäre die im cultural turn der ( Geschichts-)Wissenschaften angelegte Aufwertung historisch-anthropologischer Ansätze weiterzuentwickeln.52 Der Nationalstaatszentrismus kanalisiert die Blicke der politik- , wirtschafts- und teilweise auch der sozialhistorischen Forschung auf den durch die Staatsgrenzen markierten Behälterraum. Forschungspragmatische Gründe , etwa die Verfügbarkeit von Daten allein auf nationalstaatlicher Aggregationsebene , mögen dabei eine Rolle spielen ; doch dürfte dieses Problem viel grundsätzlicher im „methodologischen Nationalismus“ – der im Historismus des 19. Jahrhunderts geprägten ( u nd durch den weltanschaulichen Nationalismus verschärften ) Fixierung auf den Nationalstaat als scheinbar selbstverständlicher Beobachtungsrahmen53 – begründet sein. Zur Überwindung des Nationalstaatszentrismus‘ stehen im Zuge des spatial turn der ( Geschichts-)Wissenschaften mehrere Wege offen :54 Einerseits setzen inter- und transnationale Zugänge , wie sie etwa Kluge55 und Senft56 ansatzweise beschreiten , Österreich in Bezug zu anderen demokratischen , autoritären und totalitären Nationalstaaten ; dabei schärfen vergleichs- und verflechtungshistorische Untersuchungen den Blick für Ähnlichkeiten und Gemeinsamkeiten sowie wechselseitige Transfers , etwa bei der Orientierung des Agrarprotektionismus am italienischen Vorbild , dem Zusammenspiel von Agraraußenhandel und Binnenmärkten oder der grenzüberschreitenden Landarbeitsmigration. Andererseits vermögen klug platzierte lokal- und regionalhistorische Untersuchungen nach dem Muster von Ortmayrs Regionalstudie57 die Vielgestaltigkeit des nationalstaatlichen Behälterraumes – etwa die agrarischen Disparitäten hinsichtlich Betriebsstandorten , Besitzgrößen und Produktionsschwerpunkten – sowie die Formierung translokaler und ‑regionaler Verflechtungsräume – etwa entlang der Produktkette von Viehaufzuchtbetrieben im Gebirge über Abmelkwirtschaften in der Ebene bis zu städtischen Konsumzentren – aufzuzeigen. Der Epochenzentrismus fördert die Tendenz , den Untersuchungszeitraum auf he rausragende Eckdaten – 1931 / 34 und 1938 – zu beschränken , ohne darüber hinausreichende Entwicklungen einzubeziehen. Im Sinn eines temporal turn der ( Geschichts‑ ) Wissenschaften wären kurz- , mittel- und langfristige Zeitebenen , etwa Fernand Brau50 Vgl. Mattl ( 1993 ). 51 Vgl. Ortmayr ( 1986 ). 52 Vgl. Sieder , Reinhard ( 1994 ) : Sozialgeschichte auf dem Weg zu einer historischen Kulturwissenschaft ? In : Geschichte und Gesellschaft 20 , 445–468. 53 Vgl. Pernau , Margrit ( 2011 ) : Transnationale Geschichte , Göttingen , 7–19. 54 Zu den im Zuge des spatial turn diskutierten Raumkonzepten vgl. Günzel , Stephan ( Hg. ) ( 2010 ) : Raum. Ein interdisziplinäres Handbuch , Stuttgart / Weimar. 55 Vgl. Kluge ( 1988 ). 56 Vgl. Senft ( 2002 ). 57 Vgl. Ortmayr ( 1986 ).
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dels „episodische“, „zyklische“ und „strukturelle Zeit“, in ihrer Wechselwirkung zu begreifen.58 Ein nach wie vor anregendes Modell langfristiger Agrarentwicklung in Österreich bietet Bruckmüllers „österreichischer Weg“ der „konservativen Modernisierung“, der sich von der bauernfreundlichen Grundentlastung 1848 über die Formierung antiliberalistischer und ‑sozialistischer Bauernorganisationen seit den 1880er-Jahren bis zur „Affinität zwischen Austrofaschismus und Landwirtschaft“ in den 1930er-Jahren spannt.59 Unter Einbezug von nationalsozialistischer Ära und Zweiter Republik könnten Spätphase der Ersten Republik und „Ständestaat“ aus einer reflexiven Modernisierungsperspektive60 in die 150-jährige longue durée der österreichischen Agrarentwicklung zwischen „Bauernbefreiung“ und EU-Beitritt eingebettet werden. Fragen nach „Modernisierung und Anti-Modernismus“61 in Agrarpolitik , Agrarwirtschaft und Agrargesellschaft oder , umfassender , nach Kontinuität und Wandel des Nahrungsproduktion , -distribution und ‑konsum umspannenden „Nahrungsregimes“62 im Österreich der 1930er-Jahre ließen sich in diesem Rahmen neu stellen und beantworten. So etwa wäre zu diskutieren , inwieweit die für die Jahre 1938 bis 1945 formulierte „Sattelzeit“-These63 auch für die Jahre 1931 / 34 bis 1938 Geltung besitzt.64 Freilich sind diese drei Forschungsperspektiven keineswegs deckungsgleich ; manchen mögen sie sogar , etwa im Rahmen einer nationalhistorischen Großerzählung , als unvereinbar erscheinen. Diesem möglichen Einwand steht die Auffassung von Geschichtsforschung als diversifiziertes , aber diskursiv vernetztes Feld gegenüber.65 Sinngemäß kann die Überwindung von Struktur- , Nationalstaats- und Epochenzentrismus mit Bezug auf den cultural , spatial und temporal turn unterschiedliche , aber synergetisch aufeinander bezogene Perspektiven der Forschung eröffnen. An den dafür nötigen Quellengrundlagen mangelt es keineswegs : Von den bislang nur selektiv ausgewerteten 58 Vgl. Landsteiner , Erich ( 2001 ) : Epochen , Stufen , Zeiten. Vom historischen Epochenschema zu Fernand Braudels Dialektik historischer Zeitabläufe. In : Wiener Zeitschrift für Geschichte der Neuzeit 1 /2 , 17–37. 59 Vgl. Bruckmüller ( 1979 ) ; Langthaler , Ernst ( 2005 ) : Der „österreichische Weg“ – und dar über hi naus. Ernst Bruckmüllers Modell der Agrarmodernisierung im 19. und 20. Jahrhundert. In : Langthaler / Redl ( Hg. ) ( 2005 ), 244–260. 60 Vgl. Van der Loo , Hans / Van Reijen , Willem ( 1992 ) : Modernisierung. Projekt und Paradox , München. 61 Vgl. Mattl , Siegfried ( 1996 ) : Modernisierung und Anti-Modernismus im österreichischen „Ständestaat“. In : Österreichische Gesellschaft für Kritische Geographie ( Hg. ) : Auf in die Moderne ! Österreich vom Faschismus zum EU-Beitritt , Wien , 77–86 , hier 81–82. 62 Zum Konzept der Nahrungsregimes ( food regimes ) vgl. Langthaler , Ernst ( 2010 ) : Landwirtschaft vor und in der Globalisierung. In : Sieder , Reinhard / L angthaler , Ernst ( Hg. ) : Globalgeschichte 1800– 2010 , Wien / Köln / Weimar , 135–169. 63 Vgl. Langthaler ( 2009 ), 817–842. Demzufolge war die österreichische Agrarentwicklung in der NS-Zeit durch eine zwar auf der technischen Ebene stecken gebliebene , aber auf der institutionellen Ebene umfassende Weichenstellung – mit nachhaltigen Auswirkungen auf die Entwicklung nach 1945 – geprägt. 64 Vgl. Langthaler ( 2012 ). So etwa spekuliert auch Mattl ( 1996 ), 81 , über die langfristigen Effekte von Modernisierungsschritten während des „Ständestaates“ auf die Agrarentwicklung in der Zweiten Republik. 65 Als ein Plädoyer unter vielen vgl. Fulbrook , Mary ( 2002 ) : Historical Theory , London.
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Aktenbeständen des Bundesministeriums für Land- und Forstwirtschaft im Österreichischen Staatsarchiv66 bis zu der Fülle an teils publizierten , teils unpublizierten Selbstzeugnissen von Angehörigen ( u nter‑ )bäuerlichen Gruppen in der Dokumentation lebensgeschichtlicher Aufzeichnungen67 erstreckt sich ein vielschichtiger Quellenkorpus , der die Beantwortung alter und neuer Fragen zur österreichischen Agrargeschichte in den 1930er-Jahren ermöglicht. Dieses brachliegende Feld in der einen oder anderen Weise fruchtbar zu machen , wäre gewiss eine lohnende Aufgabe.
66 Vgl. Österreichisches Staatsarchiv / A rchiv der Republik / Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft ( 1918–1941 ). Der umfangreiche Bestand ist durch Findbehelfe grob erschlossen. Zu Bestandsbeschreibung vgl. Lautner , Dieter ( 1996 ) : Handel / Wirtschaft / Bauten. In : Fink , Manfred ( Hg. ) : Das Archiv und seine Bestände. Teil I : Das Archivgut der 1. Republik und aus der Zeit 1938 bis 1945 , Wien , 319–392 , hier 367–373. 67 Die Dokumentation lebensgeschichtlicher Aufzeichnungen ist am Institut für Wirtschafts- und Sozialgeschichte der Universität Wien eingerichtet. Die Selbstzeugnisse sind durch ein detailliertes Register erschlossen. Eine Auswahl ist in der Buchreihe Damit es nicht verlorengeht ediert worden , darunter : Weber , Therese ( Hg. ) ( 1984 ) : Häuslerkindheit. Autobiographische Erzählungen [ Damit es nicht verlorengeht 3 ] , Wien / Köln / Graz ; Weber , Therese ( Hg. ) ( 1985 ) : Mägde. Lebenserinnerungen an die Dienstbotenzeit bei Bauern [ Damit es nicht verlorengeht 5 ] , Wien / Köln / Graz ; Ortmayr , Norbert ( Hg. ) ( 1992 ) : Knechte. Autobiographische Dokumente und sozialhistorische Skizzen [ Damit es nicht verlorengeht 19 ] , Wien / Köln / Weimar.
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IV. Politik und Gesellschaft
Gabriella Hauch
Vom Androzentrismus in der Geschichtsschreibung Geschlecht und Politik im autoritären christlichen Ständestaat / „ Austrofaschismus“ ( 1933 / 34–1938 ) Die Frage nach der Wirkungsmacht der Kategorie Geschlecht im Feld des Politischen ist konstitutiver Teil der Frauen- und Geschlechtergeschichte seit den 1970er-Jahren – auch in Österreich.1 Für die verschiedenen politischen Systeme , die das jeweilige politische Profil „Österreich“ im 19. und 20. Jahrhundert ausmachten , sind spezielle ForschungsKonjunkturen festzustellen. Der autoritäre christliche Ständestaat beziehungsweise der „Austrofaschismus“ zählt dabei nicht zu den sehr dicht beforschten Perioden , aber es liegen Bestandsaufnahmen und Analysen für den Stellenwert von Geschlecht in der Politik der Machthaber ebenso wie der illegalen Opposition vor. Aus den kompetitiven Debatten um die Definitionsmacht , mit welcher Begrifflichkeit das repressive politische Regime in Österreich zwischen März 1933 beziehungsweise Februar 1934 bis zur Machtergreifung des Nationalsozialismus im März 1938 zu fassen ist , die nach wie vor öffentlich bewegt ,2 blieb die Kategorie Geschlecht jedoch weitgehend ausgespart.3 Das irri1 Ich danke Maria Mesner für ihre Anregungen und Diskussionen zu diesem Text , Karl Fallend , Ernst Hanisch und Anton Staudinger für wichtige Hinweise und Michaela Neuwirth für die Erstellung des Fußnotenformates. 2 Vgl. War Dollfuß ein Faschist ? Aus zwei „Standard“-Diskussionen zum Thema Engelbert Dollfuß und Austrofaschismus. In : Kos , Wolfgang ( Hg. ) ( 2010 ) : Kampf um die Stadt. Politik , Kunst und Alltag um 1930 , 361. Sonderausstellung des Wien-Museums , 19. November 2009 bis 28. März 2010 , 64–72. 3 Vgl. Tálos , Emmerich ( 2005 ) : Das austrofaschistische Herrschaftssystem. In : Tálos , Emmerich / Neugebauer , Wolfgang ( Hg. ) : Austrofaschismus. Beiträge über Politik – Ökonomie – Kultur , 1933– 1938 , Wien , 394–420 ; Tálos , Emmerich u. Manoschek , Walter ( 2005 ) : Zum Konstituierungsprozess des Austrofaschismus. In : Tálos / Neugebauer ( Hg. ), 6–25 ; Schefbeck , Günther ( Hg. ) ( 2004 ) : Österreich 1934. Vorgeschichte – Ereignisse – Wirkungen , Wien ; Kepplinger , Brigitte / Weidenholzer , Josef / Hummer , Hubert ( 2009 ) : Februar 1934 : Vergangenheit , die endlich vergehen soll ? In : Kepplinger , Brigitte / Weidenholzer , Josef ( Hg. ) : Februar 1934 in Oberösterreich. „Es wird nicht mehr verhandelt …“, Weitra , 9–49. jüngst : Dostal , Thomas ( 2010 ) : Intermezzo – Austrofaschismus in Linz. In : Mayrhofer , Fritz / Schuster , Walter ( Hg. ) : Linz im 20. Jahrhundert. Beiträge , Bd. 2 , Historisches Jahrbuch der Stadt Linz 2007 /2008 /2009 , Linz , 620–781 : 765 ff.
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IV. Politik und Gesellschaft
tiert , denn allein angesichts der vergeschlechtlichten Eigendefinition des „Christlichen Ständestaates“, in Form von Rekatholisierung , Remaskulinisierung und Frauendiskriminierung im politischen Sektor , scheint es naheliegend , die Kategorie Geschlecht als zentrales Analyseinstrument einzusetzen. Im Folgenden wird dem Forschungsstand zu Geschlecht und Politik während des autoritären christlichen Ständestaates nachgegangen , es werden die zentralen Ergebnisse präsentiert sowie bestehende Forschungslücken thematisiert. I. Androzentrismus in der ständestaatlichen Politik und ihrer Geschichtsschreibung Der autoritäre christliche Ständestaat positionierte sich in der Reihe repressiver Regime der Moderne , die ihre Machtstrukturen geschlechtsspezifisch männlich definierten und in entsprechenden Gesetzen festschrieben.4 Die meisten dieser Staaten konnten aus der „Kontrolle über die Frauen“ ( Joan W. Scott ) keinen ad hoc festzustellenden materiellen Nutzen generieren , weshalb die Konstruktion und Konsolidierung von Macht in den Fokus der Analyse rückt , um die Motivation dafür zu verstehen.5 Im autoritären Ständestaat wurde die im Bundesverfassungsgesetz 1920 ( Artikel 7 Absatz 1 ) verankerte staatsbürgerliche Gleichberechtigung durch die „Doppelverdiener-Verordnung“ von 1933 für den öffentlichen Sektor und in der sogenannten Mai-Verfassung von 1934 ( Artikel 16 , Abschnitt 1 und 2 ) die gleichen Rechte der Frauen aufgehoben.6 Die Geschlechterdifferenz als Paradigma für politische und soziale Hierarchien ist beim autoritären Ständestaat außerdem in seiner Eigendefinition als „christlicher“ Staat enthalten , betrachtet man die Position der katholischen Kirche zur Modernisierung der Geschlechterverhältnisse in Richtung Gleichheit , die von ihren zentralen Protagonisten als „widernatürlich“ abgelehnt wurde.7 4 Vgl. Hauch , Gabriella ( 2007 ) : Gender in Wissenschaft und Gesellschaft : Von der Nützlichkeit einer Kategorie und ihrer nachhaltigen Wirkung. In : Pammer , Michael / Neiß , Herta / John , Michael ( Hg. ) : Erfahrung der Moderne. Festschrift für Roman Sandgruber zum 60. Geburtstag , Stuttgart , 491–508. 5 Vgl. Scott , Joan W. ( 1986 ) : Gender. Eine nützliche Kategorie der historischen Analyse. In : American Historical Review Jg. 91 ( 1986 ), Heft 5 , 1053–1075 ( Originaltitel : Gender. A Useful Category of Historical Analysis ) [ neu erschienen in : Kaiser , Nancy ( Hg. ) ( 1994 ) : Selbstbewusst. Frauen in den USA , Leipzig , 27–75 ]. 6 Zit. nach : Bei , Neda ( 2008 ) : Krampus , Gott , Führer. In : Lehmann , Brigitte ( Hg. ) : „Dass die Frau zur Frau erzogen wird.“ Frauenpolitik und Ständestaat , Wien , 119. Vgl. dort die Diskussion um Widersprüche und Ambivalenzen zwischen normsetzender Tätigkeit , Regierungspropaganda und historischer Faktizität – nach Adamovic und Funk – angesichts der Verfassungsbrüche , 103–122. Damit soll allerdings nicht nahegelegt werden , dass das formale Gleichheitsgebot , das auch Geschlecht einschloss , in der Ersten Republik zum Beispiel das gleichheitswidrige patriarchale Eherecht aufgehoben hätte. Dieser Widerspruch zwischen Verfassung und – in diesem Fall – ABGB prägte die republikanische Geschichte Österreichs von Beginn an. 7 Teile der Katholischen Frauenbewegung interpretierten demgegenüber die Begrifflichkeit von „christlich“ als weder männlich noch weiblich und damit als Basis für Frauenrechte. Ihre Position war jedoch nie mehrheitsfähig , vgl. Hauch , Gabriella ( 1995 ) : Frauenbewegung – Frauen in der Politik in der Ersten Republik. In : Tálos , Emmerich / Dachs , Herbert / Hanisch , Ernst / Staudinger , Anton ( Hg. ) : Handbuch des politischen Systems. Erste Republik 1918–1933 , Wien , 277–291 [ neu erschienen in : Hauch , Gabriella ( Hg. ) ( 2009 ) : Frauen bewegen Politik. Österreich 1848–1938 , Innsbruck / Wien / Bozen , 129–150 : 133–137 ].
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���������������������������������������������������������������� ������������������������������������������������� : Vom Androzentrismus in der Geschichtsschreibung
Die politischen Eliten des autoritären Ständestaates vereinten verschiedene Männerschichten aus dem christlichsozial-katholischen Vereinsspektrum , den Heimwehren , dem Landbund , dem Hochadel , also Milieus , die nach dem Ersten Weltkrieg durchwegs nicht zu den Profiteuren der parlamentarischen Demokratie gezählt hatten. Neben der Abschaffung der Adelsprivilegien hatte die Frauenemanzipation als – auch angstgerierendes – Synonym für diese „neue Welt“ fungiert.8 Dementsprechend wurde danach getrachtet , die exklusiven politischen Männerzirkel der Vorkriegszeit wieder herzustellen. System-affirmative politische Akteurinnen sollten auf wenige , als unpolitisch definierte Frauen-Abteilungen unter männlicher Führung in der Katholischen Aktion und der Vaterländischen Front , was den ausschließlich männlichen Charakter des politischen Feldes und seiner Eliten unterstrich , beschränkt werden. Mit dieser Geschlechterpolitik förderte und pflegte der autoritäre christliche Ständestaat eine spezielle – in Nachfolge des Ersten Weltkriegs entstandene – Facette von maskuliner politischer Kultur , die unabhängig von der politischen Orientierung im virilen Kämpfer zum Ausdruck kam. In allen Gesellschaften Europas zwischen den beiden Weltkriegen schien diese martialische Männlichkeit mit der Diversifikation der Geschlechterverhältnisse der Moderne zu korrespondieren.9 Die Geschlechterverhältnisse , die die Strukturen ebenso wie die Tagespolitik des autoritären christlichen Ständestaates prägten , wurden in den sich als „allgemein“ positionierenden wissenschaftlichen Arbeiten über „Austrofaschismus“ oder „Ständestaat“ weitgehend nicht reflektiert , was auf die nachhaltige Wirkung dieses Systems verweist.10 Alleine Männer fungierten im autoritären Ständestaat als explizit politische Akteure , während versucht wurde , Frauen zu politischen Nicht-Wesen zu machen und ihren selbstbestimmten Akteurinnen-Status , gleich welcher ideologischer Ausrichtung , zum 8 Vgl. Hauch , Gabriella ( 2008 ) : Welche Welt , welche Politik ? Zum Geschlecht in Revolte , Rätebewegung , Parteien und Parlament. In : Konrad , Helmut / Maderthaner , Wolfgang ( Hg. ) : „ … der Rest ist Österreich“. Das Werden der Ersten Republik Österreich , Bd. 1 , Wien , 281–316. Vgl. auch paradigmatisch : Starhemberg , Ernst Rüdiger ( 1971 ) : Memoiren , Wien / München , 37 f. : Am Ende des Ersten Weltkrieges wurde der Autor von einfachen Soldaten auf der Linzer Landstraße attackiert , seine Tapferkeitsmedaillen heruntergerissen und zusammengeschlagen. 9 Vgl. Passmore , Kevin ( 2003 ) : Europe. In : ders. ( Hg. ) : Women , Gender and Fascism in Europe , 1919–1945 , New Brunswick , 235–268. 10 Im ersten 1984 herausgegebenen Sammelband ( Tálos , Emmerich / Neugebauer , Wolfgang [ Hg. ] [ 1984 ] : Austrofaschismus , Beiträge über Politik – Ökonomie – Kultur , Wien ) ist kein frauen- oder geschlechtergeschichtlicher Beitrag enthalten , in der Neuauflage 1988 füllt Irene Bandhauer-Schöffmann – die seit 1984 mehrere Publikationen zu katholischen und bürgerlichen Frauen beziehungsweise zur Frauenpolitik des Ständestaates vorgelegt hatte – diese Lücke , ebenso wie in der gründlich überarbeiteten Neuauflage aus 2005 : Schöffmann , Irene ( 1988 ) : Frauenpolitik im Austrofaschismus. In : Tálos , Emmerich / Neugebauer , Wolfgang ( Hg. ) : Austrofaschismus. Politik – Ökonomie – Kultur , 4. Aufl. , Wien , 317–343 ; und Bandhauer-Schöffmann , Irene ( 2005 ) : Der „Christliche Ständestaat“ als Männerstaat ? Frauen- und Geschlechterpolitik im Austrofaschismus. In : Tálos / Neugebauer ( Hg. ) ( 2005 ), 254–280. Die in der Zwischenzeit teilweise erfolgte Sensibilisierung von kultur- und sozialgeschichtlichen Ansätzen in der Historiographie gegenüber geschlechtergeschichtlichen Ansätzen ist etwa im Kapitel „Frauensport“ zu finden bei Marschik , Matthias ( 2005 ) : Turnen und Sport im Austrofaschismus ( 1934–1938 ). In : Tálos / Neugebauer ( Hg. ) ( 2005 ), 372–389.
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IV. Politik und Gesellschaft
Verschwinden zu bringen.11 Diese Anmaßung , die ständestaatliche Politik als androzentrisch zu definieren , das heißt als scheinbar geschlechtsneutrale Sphäre , die realiter jedoch Männer als politische Subjekte meint , scheint sich in der Geschichtsschreibung darüber zu einem Gutteil fortzusetzen.12 II. Die Kategorie Geschlecht ins Zentrum gesetzt Neben dem dominierenden Androzentrismus in der Geschichtsschreibung zum autoritären christlichen Ständestaat – zieht man die von Emmerich Tálos und Wolfgang Neugebauer herausgegebenen „Austrofaschismus“-Bände , die Publikation über das im Jahre 2004 im Parlament stattgefundene Symposium zu „Österreich 1934“ oder die jüngst publizierte Studie von Thomas Dostal zu Linz heran – liegen Ergebnisse aus der Frauen- und Geschlechtergeschichte vor : Vor allem die Re-Aktionen von grundsätzlich ständestaatlich affirmativ positionierten Frauenorganisationen sowie die Vermännlichung des Staates durch Irene Bandhauer-Schöffmann13 und die Geschlechterpolitik sowie die Geschichte von AkteurInnen der illegalen NationalsozialistInnen , dem zentralen Konkurrenzprojekt des Ständestaates , durch Johanna Gehmacher.14 Diese Thematisierungen sind wissenschaftsgeschichtlich in dem Interesse der Geschlechterforschung angelegt , Frauen als Akteurinnen in der Vergangenheit zu erforschen sowie das brisante geschichtspolitische Feld Nationalsozialismus und seine Vorgeschichte geschlechtersensibel aufzuarbeiten.15 Vergleichbare Arbeiten zur Geschlechterpolitik sowie zu Akteurinnen der ebenfalls verbotenen sozialdemokratischen und kommunistischen Opposition fehlen – mit Ausnahme einer ersten geschlechtsspezifischen Untersuchung der Ausbürgerungspraxis der Bundespolizeidirektion Wien16 – beziehungsweise sind rudimentär in Einzelstudien zu finden.17 11 Dass dies nicht ohne Widerstand vonseiten der System-affinen politischen Aktivistinnen vor sich ging , vgl. Schöffmann , Irene ( 1984 ) : Organisation und Politik katholischer Frauen im „Ständestaat“. In : Zeitgeschichte Jg. 11 ( 1984 ), Heft 11 / 1 2 , 349–375. 12 Vgl. als möglichen Aufbruch in der Politik- und Gesellschaftsgeschichte Hanisch , Ernst ( 2012 ) : Traditionelle Männlichkeitsrollen im „Austrofaschismus“. In : Reiter-Zatloukal , Ilse / Rothländer , Christiane / Schönberger , Pia ( Hg. ) : Österreich 1933–1938. Interdisziplinäre Annäherungen an das Dollfuß- / Schuschnigg-Regime , Wien / Köln / Weimar , Wien , 220–224. 13 Vgl. Schöffmann , Irene ( 1984a ) : Ein ( a nderer ) Blick auf die katholische Frauenbewegung der Zwischenkriegszeit. In : Österreich in Geschichte und Literatur , 28. Jg. ( 1984 ), Heft 3 , 155–168 ; dies. ( 1984b ) : Mütter in der Vaterländischen Front. In : Aufrisse , 5. Jg. ( 1984 ), Heft 3 , 20–24 ; BandhauerSchöffmann ( 2005 ). 14 Vgl. Gehmacher , Johanna ( 1994 ) : Jugend ohne Zukunft. Hitler-Jugend und Bund Deutscher Mädel in Österreich vor 1938 , Wien ; dies. ( 1998 ) : „Völkische Frauenbewegung“. Deutschnationale und nationalsozialistische Geschlechterpolitik in Österreich , Wien. 15 Vgl. Saurer , Edith ( 1999 ) : Skizze einer Geschichte der historischen Frauenforschung in Österreich. In : Hey , Barbara ( Hg. ) : Innovationen. Standpunkte feministischer Forschung und Lehre , Wien , 319–377 ; dies. ( 1993 ) : Frauengeschichte in Österreich. Eine fast kritische Bestandsaufnahme. In : L’Homme. Zeitschrift für Feministische Geschichtswissenschaft Jg. 4 ( 1993 ), Heft 2 , 37–63. 16 Vgl. Reiter-Zatloukal , Ilse / Rothländer , Christiane ( 2010 ) : Staatsbürgerschaftsentzug und Geschlechterdifferenz. Rechtsgrundlagen und Ausbürgerungspraxis 1933 bis 1938 am Beispiel Wien. In : L’Homme. Z.F.G. Jg. 21 ( 2010 ), Heft 2 , 135–153 : 152. 17 Vgl. Prost , Edith ( Hg. ) ( 1989 ) : „Die Partei hat mich nie enttäuscht …“ Österreichische Sozialdemokratinnen , Wien ; Hauch , Gabriella ( 1995a ) : Vom Frauenstandpunkt aus. Frauen im Parlament
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Eine der ältesten Arbeiten , die sich explizit mit der frauenspezifischen Schulpolitik , einem zentralen Aspekt der Geschlechterpolitik des Ständestaates , befasst , stammt von Herbert Dachs und ist in einer der Doyenne der österreichischen Zeitgeschichtsforschung Erika Weinzierl gewidmeten Festschrift zu ihrem 60. Geburtstag erschienen.18 Das Feld der Frauenbewegungen gilt als relativ gut erforschtes Gebiet der Frauen- und Geschlechtergeschichte in Österreich. Allerdings fokussiert das Forschungsinteresse mehr auf diejenigen Akteurinnen und Politiken , die dafür einstanden , die geschlechtsspezifischen Handlungsspielräume zu erweitern beziehungsweise zu revolutionieren. Die Historiografie zur katholischen Frauenbewegung oder anderen als „konservativ“ definierten Frauenorganisationen und -politiken führen im Vergleich dazu ein Schattendasein.19 Einen wichtigen Beitrag für die geschlechterfokussierte Forschung zum „Austrofaschismus“ stellte bislang das Ende des Jahres 2004 in Wien stattgefundene Symposion „Frauenpolitik im Ständestaat : Neokonservatives Rollenbild und Ständestaat-Ideologie“ dar.20 Die daraus hervorgegangene Publikation versammelt Studien zur Geschlechtsspezifik des Staates sowie seiner Gesetzgebung – auch unter dem Fokus von Männlichkeit21 – zur Biografie von oppositionellen Wissenschafterinnen sowie zur Agency von jüdischen Frauen.22 Die 2008 auf Deutsch erschienene Studie von Paul Pasteur zum traditionell – weil an organisierter Erwerbsarbeit orientiert23 – männerdominierenden Bereich der Gewerkschaften ist durchgehend geschlechtersensibel formuliert , versucht , trotz prekärer Quellenlage den Blick auch auf die wenigen Akteurinnen zu richten , und analysiert „Frauen , die unbekannte Größe in der Sozialpolitik“, in einem Unterkapitel zu „Opfer der Sozialpolitik des christlich-autoritären ständischen Regimes“.24 1919–1933 , Wien oder die vom Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstandes unter dem Sachbereich „Widerstand und Verfolgung 1934–1945“ herausgegebenen Publikationen. 18 Vgl. Dachs , Herbert ( 1985 ) : Das Frauenbild in der Schule des „Austrofaschismus“. In : Ardelt , Rudolf G. / Huber , Wolfgang / Staudinger , Anton ( Hg. ) : Unterdrückung und Emanzipation. Festschrift für Erika Weinzierl , Wien / Salzburg , 83–99. 19 Ausnahme : Kronthaler , Michaela ( 1995 ) : Die Frauenfrage als treibende Kraft. Hildegard Burjans innovative Rolle im Sozialkatholizismus und Politischen Katholizismus vom Ende der Monarchie bis zur „Selbstausschaltung“ des Parlamentes , Graz / Wien / Köln. Zu den deutschnationalen Frauen der Habsburgermonarchie : vgl. Zettelbauer , Gudrun ( 2005 ) : „Die Liebe sei Euer Heldentum.“ Geschlecht und Nation in völkischen Vereinen der Habsburgermonarchie , Frankfurt / Main. 20 Vgl. Bandhauer-Schöffmann , Irene ( 2008 ) : Gottgewollte Geschlechterdifferenzen. Entwürfe zur Restrukturierung der Geschlechterdichotomie in der Konstituierungsphase des „Christlichen Ständestaates“. In : Lehmann ( 2008 ), 15–61. 21 Vgl. Mattl , Siegfried ( 2008 ) : Austrofaschismus , Kulturkampf und Frauenfrage. In : Lehmann ( 2008 ), 63–78 ; Bei ( 2008 ), 99–151. 22 Vgl. Karlsson , Irmtraut ( 2008 ) : Der tiefe Sturz. In : Lehmann ( 2008 ), 79–98 thematisiert Käthe Leichter , Marie Jahoda , Elsa Köhler ; Hecht , Dieter J. ( 2008 ) : Jüdische Frauen im Austrofaschismus. In : Lehmann ( 2008 ), 153–178. 23 Vgl. Hauch , Gabriella ( 1991 ) : „Arbeite Frau ! Die Gleichberechtigung kommt von selbst“ ? In : Konrad , Helmut ( Hg. ) : „Daß unsre Greise nicht mehr betteln gehen !“ Sozialdemokratie und Sozialpolitik im Deutschen Reich und in Österreich-Ungarn , Wien / Zürich , 62–86 [ neu erschienen in Hauch ( Hg. ) ( 2009 ), 105–127 ]. 24 Vgl. Pasteur , Paul ( 2008 ) : Unter dem Kruckenkreuz. Gewerkschafter und Gewerkschafterinnen in Österreich 1934–1938 , Innsbruck / Wien / Bozen , 163–169.
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IV. Politik und Gesellschaft
Übereinstimmend wird in den vorliegenden geschlechtsspezifischen und geschlechtersensiblen Studien die Errichtung des autoritären Ständestaates christlicher Provenienz als Projekt der österreichischen Antimoderne definiert.25 Im spannungsgeladenen gesellschaftspolitischen Kosmos Österreichische Revolution und Erste Republik gestaltete sich der Diskurs um die Zukunft auch in Form von imaginierten Geschlechterbildern. Im System der parlamentarischen Parteien-Demokratie und vor allem in der Metropole Wien fungierten Sozialdemokratie , moderne Kunst und Frauenemanzipation für die katholischen und deutschnational-völkischen Milieus als Projektionsfläche für deren antisemitisch und rassistisch gefärbte Revolutionsfurcht sowie ihre Angst vor Sittenlosigkeit und dem Zerfall der Familie. Der autoritäre christliche Ständestaat verstand sich als Bollwerk gegen diese „Gefahren“. An diese Intention des Regimes knüpften die frauen- und geschlechtsspezifischen Studien an und konzentrieren sich – explizit oder implizit – auf den urbanen Raum , vor allem Wien. In geringerem Ausmaß wurde bislang das Augenmerk der Forschung auf die Auswirkungen von Remaskulinisierung und Rekatholisierung auf die Frauenorganisationen , die Lebenswelten und Politiken in der mittel- und kleinstädtischen wie ländlichen Provinz gelegt.26 Neben einigen universitären Abschlussarbeiten , die sich mit frauen- beziehungsweise geschlechtergeschichtlichen Aspekten des Regimes befassen ,27 ist als weiterer wichtiger geschlechterspezifischer Zugang jüngeren Datums das Projekt „Frauen in Bewegung ( 1918–1938 )“ der Österreichischen Nationalbibliothek zu nennen.28 25 Vgl. Bandhauer-Schöffmann ( 2005 ), 255 f. ; Mattl ( 2008 ), 66 f. 26 Vgl. Dostal ( 2010 ), erwähnt ab und an frauenspezifische Aspekte , wie 645 , dass es ein Mutterschutzwerk der VF gegeben hätte , oder 713 , einen Arbeitsdienst für die weibliche Jugend. Vgl. weiters Hauch , Gabriella ( erscheint 2013 ) : Frauen.Leben.Linz. Eine Frauen- und Geschlechtergeschichte im 19. und 20. Jahrhundert , Linz. In der „Salzburger Frauengeschichte“ wurde zwar zwischen Erster Republik und Ständestaat in der Einleitung unterschieden , die darauf folgenden Zeitungs- und Interviewausschnitte , die zeitgenössisches Frauenleben illustrieren sollen , sind jedoch nicht entsprechend der unterschiedlichen politischen Systeme kontextualisiert. Vgl. Ellmauer , Daniela u. Kirchmayr , Birgit ( 1996 ) : Zwischen den Kriegen : Frauenleben in Salzburg 1918 bis 1938. In : Thurner , Erika / Stranzinger , Dagmar ( Hg. ) : Die andere Geschichte 2. Eine Salzburger Frauengeschichte des 20. Jahrhunderts , Salzburg / München , 15–70 , z. B. „Zur Salzburger Trachtenfrage“. 27 Vgl. Ennsmann , Brigitte ( 1993 ) : Frauenpolitik und Frauenarbeit im Austrofaschismus , Dipl.Arb. , Wien ; Franke , Angela ( 1989 ) : Doppelverdienergesetz und Doppelverdienerkampagne , Dipl.Arb. , Wien ; Juffinger , Sabine ( 1993 ) : Politischer Katholizismus im Austrofaschismus 1933 / 34–1938. Zur Analyse der politischen Rhetorik des Austrofaschismus am Beispiel der „österreichische[ n ] Mission“ sowie anhand der Konstruktion des Geschlechterverhältnisses , Dipl.-Arb. , Innsbruck ; dies. ( 1996 ) : Zwischen Ausgrenzung und Einmischung. Eine ideologiekritische Analyse der Konstruktion / Steuerung / Wirkung des hierarchischen Geschlechterverhältnisses im Austrofaschismus , phil. Diss. , Innsbruck ; Kirchmayr , Birgit ( 1996 ) : „ … und das Ideale ist die Frau und Mutter“: Austrofaschistische Frauenpolitik und weibliche Erinnerung , Dipl.-Arb. , Salzburg ; Klampferer , Anita ( 1997 ) : Frauensport im Austrofaschismus im Spiegel repräsentativer Sportfachzeitschriften , Dipl.-Arb. , Wien. 28 Ein FWF-gefördertes Projekt von Ariadne , der frauenspezifischen Informations- und Dokumentationsstelle der ÖNB gemeinsam mit dem Institut für Zeitgeschichte in Wien , URL : www.fraueninbewegung.onb.ac.at ( abgerufen am 01. 01. 2012 ). Die Homepage spiegelt die vielen offenen Fragen der frauen- und geschlechterspezifischen Bearbeitung des autoritären christlichen Ständestaates , vgl.
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III. Aspekte struktureller Frauen- und Geschlechterpolitik im autoritären Ständestaat Eine kulturpolitische Front in der Ersten Republik verlief zwischen jenen Milieus , die mit der Österreichischen Revolution angestammte Privilegien und damit die Rahmungen ihrer Lebenswelten verloren hatten , und jenen , für die sich – zumindest abstrakt – erweiterte Handlungsspielräume eröffneten. Wie sehr die Geschlechterverhältnisse und Geschlechterbeziehungen in den 1920er-Jahren zu Verhandlungsthemen wurden , wird zum Beispiel in der zeitgenössischen Belletristik deutlich. Szenen , wie sie der Schriftsteller David Vogel in seinem Ende der 1920er-Jahre in Wien spielenden Roman „Eine Ehe in Wien“ als „dichterisch zu bewältigendes Jetzt“ ( Ernst Bloch ) verarbeitet hatte , sollten im „Christlichen Ständestaat“ weder faktische Realität noch fiktionales Sujet sein : Ein arbeitsloser Mann verrichtet die Hausarbeit , während seine Frau Karriere macht. Auf diesen Rollentausch angesprochen , „witzelt[ e ] [ er ] gezwungen , heutzutage sind die Bereiche nicht mehr so klar abgesteckt“.29 Mit der Niederschlagung des Aufstandes des Republikanischen Schutzbundes im Februar 1934 und der Verabschiedung der sogenannten Maiverfassung 1934 manifestierten die VertreterInnen der Antimoderne ihren Sieg und begannen eine in ihren Augen „gottgewollte“ ( Geschlechter- ) Ordnung wiederherzustellen. Die „Verordnung der Bundesregierung vom 15. Dezember 1933 über den Abbau verheirateter weiblicher Personen und andere dienstrechtliche Maßnahmen“ ( BGBl. 1933 , Nr. 545 ), die sogenannte „Doppelverdiener-Verordnung“ wurde für den öffentlichen Dienst erlassen , die als ein erster struktureller Markstein für die Verschlechterung der staatsbürgerlichen Rechtsstellung von Frauen bewertet wird.30 Gestützt auf das Notverordnungsrecht nach dem Kriegswirtschaftlichen Ermächtigungsgesetz 1917 , handelte es sich , so bereits die zeitgenössische Einschätzung der Staatswissenschaftlerin Käthe Leichter , dabei mehr um ein Ideologem als eine wirkungsvolle Maßnahme gegen die Massenarbeitslosigkeit und stellte vor allem einen strukturellen Angriff gegen die Frauenerwerbstätigkeit dar.31 Die Zahlen der erwerbstätigen Frauen in Österreich stützten Leichters Analyse : Machte 1934 der Frauenanteil an den Beschäftigten rund 30,6 % aus , sank er bis 1937 auf 27 %.32 Die ersten drei Abschnitte der Verordnung fixierten die verschiedenen Kontexte und Ausnahmebestimmungen für den Dienstaustritt bei Eheschließung beziehungsweise den Aufnahmestopp von verheirateten Frauen im öffentlichen Dienst. Der Abschnitt IV galt hingegen auch für Männer : Lebensgemeinschaften ohne Eheschließung wurden für alle öffentlich Bediensteten ohne Ausnahme zum „Dienstvergehen“ erklärt , das zur EntJammernegg , Lydia ( 2009 ) : Frauen in Bewegung ( 1918–1938 ). Reflexionen über dokumentarische und historische Zugänge. In : Gehmacher , Johanna / Vittorelli , Natascha ( Hg. ) : Wie Frauenbewegung geschrieben wird. Historiographie , Dokumentation , Stellungnahmen , Bibliographien , Wien , 197–218. 29 Vgl. Vogel , David ( 1994 ) : Eine Ehe in Wien , Frankfurt / Main , 314. 30 Vgl. Bandhauer-Schöffmann ( 2005 ), 275 f. ; Bei ( 2008 ), 103–118. 31 Vgl. Leichter , Käthe ( 1933 ) : Zurück ins Haus ? – Hinein in die Zwangsarbeit ! Frauenarbeit im faschistischen System. In : Frauentag 1933 [ neu erschienen in : AK Wien ( Hg. ) ( 1995 ) : Käthe Leichter zum 100. Geburtstag , Texte zur Frauenpolitik , Wien , 186 f. ] ; dies. ( 1934 ) : Wem nützt es ? In : Die Frau , Februar 1934 , [ neu erschienen in : AK Wien ( Hg. ) ( 1995 ), 211 ]. 32 Vgl. Stiefel , Dieter ( 1988 ) : Die große Krise in einem kleinen Land. Österreichische Finanz- und Wirtschaftspolitik 1929 bis 1938 , Wien / Köln / Graz , 189 f.
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lassung – ohne Abfertigungsanspruch – führte. Auch die in den ersten drei Abschnitten vom Heiratsverbot ausgenommenen öffentlichen Bedienstetengruppen – Schauspielerinnen , Postexpedientinnen33 und Tabakarbeiterinnen – waren von der Entlassung im Fall des unehelichen Zusammenlebens betroffen. Dies war ein deutlich disziplinierender Eingriff in die private Lebenswelt von ökonomisch unabhängigen Frauenmilieus und öffnete „unerträglicher Moralschnüffelei“34 Tür und Tor. Ein damals in Wien kursierender Witz unterstreicht Leichters Empörung : „In Österreich ist alles neu. Das Wappen , der Titel , die Verfassung. Folgerichtig hat Österreich auch eine neue Landespatronin : Santa Denunziata“.35 Der Sektor des öffentlichen Dienstes wurde zum Exerzierfeld des „autoritären Regierungskurses“ auf dem Weg zur Vollendung eines „christlichen , sozialen , deutschen Staat( es ).“36 Zu weiteren strukturell greifenden und geschlechterdifferenzierenden Maßnahmen im öffentlichen Bereich hatte bereits der Runderlass vom 31. März 1933 gezählt , der Beamte mit Heeresangehörigen gleichstellte , was das Verbot einer Parteizugehörigkeit , das Tragen von Abzeichen und die Kritik am Staat betraf – die Denunziation von Verstößen dagegen wurde zur Dienstpflicht erklärt. Hand in Hand mit der lauter werdenden Infragestellung der Existenz von Beamtinnen erfolgte eine Aufwertung der Bundesbeamten durch das Zugeständnis einer eigenen Uniform. Diese Verordnung modifizierte das Uniformverbot und zielte auf die Repräsentation des autoritären Ständestaates durch uniformierte Männermassen in der Öffentlichkeit.37 Außerdem ist diese Maßnahme als Konkurrenzprojekt zur wachsenden martialischen Attraktivität der illegalen NSDAP und als Antwort auf die Militarisierung des Deutschen Reiches zu interpretieren. Ein weiterer Bereich , in den der autoritäre christliche Ständestaat disziplinierend eingriff , war die Schulpolitik , vor allem in Wien.38 Die Schließung einer der beiden existierenden staatlichen Mädchenmittelschulen sowie die drastische Kürzung der staatlichen Subventionen für private Mädchenmittelschulen , die die kompensatorische Erhöhung des Schulgeldes zur Folge hatte , führte weniger zum Wechsel von Mädchen in koedukative Mittelschulen , sondern vor allem zum Rückgang der Mittelschülerinnen.39 Die oft fragile Entscheidungsbasis für Eltern , auch Töchtern eine höhere Bildung zu ermöglichen , wurde in den Jahren der Massenarbeitslosigkeit durch Barrieren dieser Art nachhaltig erschüttert. Hatten im Schuljahr 1933 / 34 21.453 Mädchen Mittelschulen besucht , waren es 1936 / 37 nur mehr 19.525 , was ein Sinken des Anteils von 33,32 % auf 30,83 % aller MittelschülerInnen bedeutete.40 Die Rekatholisierung der Erziehung der Jugend brachte nicht nur die verpflichtende Einführung des Religionsunterrichtes , sondern modifizier33 So wurden die Leiterinnen kleiner Postämter bezeichnet. 34 Vgl. Leichter ( 1934 ), 211 f. 35 Vgl. DÖW 4028b / 55 Kruckenkreuzler , Pankratius ( 1935 ) : So lacht man in Österreich , Karlsbad , 8 , zit. nach : Pasteur ( 2008 ), 82. 36 Vgl. Leichter , Käthe ( 1933 ) : Plädoyer des Widerspruchs. In : Reichspost , 21. 12. 1933 , zitiert nach : Bei ( 2008 ), 114 f. 37 Vgl. Regierungsverordnung 4. Mai 1933 , BGBl. 164 , 10. Mai 1933 , BGBl. 173 und 7. Dezember 1933 , BGBl. 536 , zit. nach Bei ( 2008 ), 115–118. 38 Vgl. Dachs , Herbert ( 2005 ) : „Austrofaschismus“ und Schule. In : Tálos / Neugebauer , 282–297. 39 Vgl. Bandhauer-Schöffmann ( 2008 ), 22. 40 Vgl. Ennsmann ( 1993 ), 62 , zit. nach : Bandhauer-Schöffmann ( 2008 ), 58.
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te das ( L ern-)Klima in den Schulen. „Selbstzensur“ von LehrerInnen wie von SchülerInnen begann den Unterricht , „bis dahin ein Ort von relativ viel geistiger Freiheit“, zu zerstören , erinnerte die spätere Doyenne der Frauen- und Geschlechtergeschichte Gerda Lerner ihre Wiener Schulzeit in einer privaten Mädchenschule.41 Vom verpflichtenden Besuch von Rosenkranz- und Maiandachten sowie der Notwendigkeit , gefirmt zu sein , um zur Matura antreten zu können , erzählte Trude Konecny , konfessionslose Sozialdemokratin und damalige Mittelschülerin.42 Der Zwang , der hinter der „zweiten Gegenreformation“43 oder „neuen Gegenrefor mat ion“44 der Rekatholisierung stand – als Zeichen dafür wurden in den öffentlichen Schulen in Wien Kruzifixe in den Schulzimmern aufgehängt – verstärkte das außerhalb der angestrebten kulturellen und religiösen katholischen Hegemonie stehende Anderssein. Der verpflichtende Religionsunterricht betraf auch protestantische und jüdische SchülerInnen , im angestammten Klassenzimmer verblieb jedoch die katholische Mehrheit. „Wenn wir zurückkamen in die Klasse“, erinnerte Lerner , „versuchten wir uns wieder einzufügen , doch es funktionierte nicht : wir waren die Juden , wir waren diejenigen , die den Klassenraum verlassen mussten , während der Katechismus gelehrt wurde.“45 Antijudaismus basierte in Österreich auf einer vielfältig funktionalen und langen Tradition des politischen Katholizismus , die von der Amtskirche , dem katholischen Vereinswesen und staatlich durch die Christlichsoziale Partei und ab 1933 / 34 vom christlichen Ständestaat repräsentiert wurde. Im kompetitiven Spannungsverhältnis zum Nationalsozialismus kam es vonseiten der politischen Eliten des Ständestaates zwar immer wieder zu verbalen Abgrenzungen vom völkischen Rassismus , ohne jedoch „die Juden“ anders als durch angeblich angeborene „jüdische“ Eigenschaften – was den Diskurs in den 1920erJahren geprägt hatte – zu stigmatisieren und diesen die guten Eigenschaften des „gottgewollten deutsch( en ) Volkstums“ entgegenzusetzen. Forderungen nach Dissimilation und staatlicher Diskriminierung , wie von katholischer Seite propagiert , wurden durch die ständestaatliche Gesetzgebung jedoch nicht sanktionierend in Gesetze gegossen.46 Die Periode des Regierens mittels Verordnungen endete mit der Verfassung vom 1. Mai 1934 , die das parlamentarische Prinzip außer Kraft setzte. Nachträglich erfolgte die Legalisierung der „Doppelverdiener-Verordnung“.47 Der Gesetzesvorbehalt zu Artikel 16 Absatz 2 hatte Geschlecht , im Gegensatz zu Geburt , Stand oder Klasse , nicht mehr bei den als unzulässig „Vorrechte“ begründenden Kategorien aufgelistet. Das bedeutete , „Vorrechte“ aufgrund des Geschlechts sowie des – ebenso im Gegensatz zum Artikel 7 Absatz 1 des Bundes-Verfassungsgesetz des Jahres 1920 nicht mehr erwähnten – religi41 Vgl. Lerner , Gerda ( 2009 ) : Feuerkraut. Eine politische Autobiografie , Wien , 83. 42 Vgl. Konecny , Trude ( 1984 ) : „Innerlich hab ich mich nie untergeordnet.“ In : Maimann , Helene / Mattl , Siegfried ( Hg. ) : Die Kälte des Februar. Österreich 1933–1938 , Wien , 169. Auch zit. nach : Mattl ( 2008 ), 63 f. 43 Vgl. Maimann / Mattl ( Hg. ) ( 1984 ), 127. 44 Vgl. Mattl ( 2008 ), 74. 45 Vgl. Lerner ( 2009 ), 55. 46 Vgl. Staudinger , Anton ( 2002 ) : Katholischer Antisemitismus in der Ersten Republik. In : Botz , Gerhard / O xaal , Ivar / Pollak , Michael / S cholz , Nina ( Hg. ) : Eine zerstörte Kultur – Jüdisches Leben und Antisemitismus in Wien seit dem 19. Jahrhundert , Wien , 2. Aufl. , 261–280 : 274 und 278. 47 Vgl. Bandhauer-Schöffmann ( 2005 ), 258.
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ösen Bekenntnisses waren nicht mehr verfassungsrechtlich verboten. Mit der „Mai-Verfassung“ wurden die Grundrechte der Ersten Republik Österreich „pseudolegal“48 modifiziert und reformuliert. Der Absatz 2 widmete sich ausschließlich Frauen , garantierte „die gleichen Rechte und Pflichten wie Männer“ und hob dies im nächsten Halbsatz , „soweit nicht durch Gesetz anders bestimmt ist“, wieder auf. Die Regierungsverordnungen der jüngsten Vergangenheit wurden damit legitimiert und der Raum für neue eröffnet.49 IV. Frauen- und Geschlechterpolitik der Vaterländischen Front Am 20. Mai 1933 wurde von Bundeskanzler Engelbert Dollfuß die Vaterländische Front als Einheitsorganisation nach faschistischem Vorbild und mit dem Anspruch , offen für alle „deutschen“ Österreicher und Österreicherinnen zu sein , gegründet. Entsprechend der Ideologie von den getrennten Geschlechtersphären eröffnete auch die Vaterländische Front ein spezielles Frauenreferat. Als Vorsitzende fungierte seit 1933 Fanny Starhemberg , die gleichzeitig seit 1925 als bundesweite Präsidentin der Katholischen Reichsfrauenorganisation fungierte und als ehemalige Bundesrätin zur weiblichen Elite der Christlichsozialen Partei zu zählen ist. Eine spezielle Nähe zur Staatsmacht im christlichen Ständestaat wurde ihr als Mutter des Heimwehrführers Ernst Rüdiger Starhemberg zugeschrieben.50 Auch wenn sie selbst bekannte , bis 1935 keine Ahnung über die Aufgaben des Frauenreferates gehabt zu haben , gibt es Hinweise , dass die Landesleiterinnen sorgfältig nach ihrer Loyalität zum ständestaatlichen Regime ausgewählt worden waren. Folglich wurde in Wien die Präsidentin der Katholischen Frauenorganisation Alma Motzko-Seitz , die weder als „frontfreundlich“ noch als heimwehrkompatibel galt , übergangen.51 Erst nach einem Wechsel in der Wiener Landesleitung der Heimwehren wurde Motzko-Seitz im April 1937 zur Landesleiterin bestellt und mit der Exekution der beiden Aufgaben , die Vertretung der Fraueninteressen innerhalb der Vaterländischen Front und der Gewinnung von Frauen für dieselbe , betraut.52 In der Vaterländischen Front existierte unabhängig vom Frauenreferat seit 1934 mit dem „Mutterschutzwerk“ ( MSW ) eine weitere mit frauen- und geschlechtsspezifischen Agenden befasste Abteilung. Es fungierte , direkt dem Bundesleiter der Vaterländischen Front unterstellt , als „Frontwerk“, das seine Ursprünge in der Sektion „Jungmütterrunde“ der Katholischen Frauenorganisation ( K FO ) Wien hatte. Deren Leiterin Minna Wolfring war es gelungen , entsprechend dem italienisch-faschistischen Vorbild , eine zentrale , staatlich finanzierte Dachorganisation für alle staatlichen und privaten Institutionen , die mit Müttern und Kindern befasst waren , zu gründen. Jedoch war auch diese loyale Institution mit knappen Finanzmitteln und Misstrauen konfrontiert53 und die Eheberatung wurde nicht von einer Frau des Mutterschutzwerkes , sondern vom Vor48 Die Juristin Neda Bei bezeichnet sie als „Non-Verfassung“, vgl. Bei ( 2008 ), 120. 49 Vgl. Bandhauer-Schöffmann ( 2005 ) ; Bei ( 2008 ), 119 f. 50 Vgl. Hauch ( 1995a ), 330–336. 51 Vgl. Schöffmann ( 1984 ), 358. 52 Vgl. Schöffmann ( 1988 ), 317–343. 53 Vgl. Mesner , Maria ( 2010 ) : Geburten / Kontrolle. Reproduktionspolitik im 20. Jahrhundert , Wien / Köln / Weimar , 71–74.
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standsmitglied der „St. Lukas Gilde“ Albert Niedermeyer geleitet.54 Selbst in Wien , wo eine von der sozialdemokratischen Sozialpolitik gut ausgebaute Infrastruktur vom Mutterschutzwerk akquiriert werden konnte , zeigte sich in deutlicher Weise , wie weit die Vaterländische Front davon entfernt war , die Hegemonie unter der weiblichen Bevölkerung zu erringen – es gab Ortsgruppen , in denen keine Mutterschutzreferentin nominiert werden konnte. In Niederösterreich , Salzburg und der Steiermark wurden 1935 Zusammenarbeitsabkommen mit der Katholischen Aktion geschlossen , um der Personalknappheit abzuhelfen. Eine wichtige Gruppe im Mutterschutzwerk der Steiermark bildeten 163 junge , unverheiratete Frauen des Freiwilligen Arbeitsdienstes , die in den Industrieorten Mutterschutzheime betreuten.55 In Linz wurde versucht , mit der Verteilung von Hilfsmitteln an bedürftige Familien deren Sympathien und Loyalität für das System zu wecken. Außerdem wurde in verschiedenen Kursen die Verpflichtung unterrichtet , für eine gesunde und vaterlandstreue Nachkommenschaft zu sorgen , was auf die bevölkerungspolitische Intention des Mutterschutzwerkes verweist.56 Zentriert rund um die Bekämpfung des Geburtenrückgangs und der Aufwertung von Mütterlichkeit , gestaltete sich die Bevölkerungspolitik des Mutterschutzwerkes keineswegs ausschließlich pronatalistisch.57 Im Zentrum ihrer Kritik an der Sozialpolitik im Wien der Ersten Republik stand der Vorwurf , dass diese auch einer Klientel zugutegekommen wäre , die „hemmungslos und verantwortungslos ins Leben gesetzt“ hätte.58 Und bei der Auszeichnung von kinderreichen Müttern beim Muttertag 1935 in Wien wurde darauf geachtet , nur diejenigen zu prämieren , die sich „ohne Inanspruchnahme der Fürsorge durchgebracht“ hätten. Die „qualitative Bevölkerungspolitik“ des Mutter schutzwerkes ging davon aus , dass „mit dem aus der Gosse karitativ aufgezogenen Nachw uchs“ das neue Österreich nicht aufgebaut werden könnte.59 Dementsprechend hieß es auch bei der Vorbereitung der Muttertagsfeierlichkeiten 1937 , dass „weniger die bedürftigen , als gute und tüchtige Mütter“ zu diplomieren wären.60 Rund um die Muttertage versuchte das autoritäre Regime , über die Klassen- und politischen Grenzen hinweg eine geschlechtsspezifische Brücke zu den „Arbeitermüttern“ zu schlagen. Die Tradition des Muttertages , von den USA kommend , wurde in der Ersten Republik Österreich vor allem von der bürgerlich-liberalen Frauenbewegung bemüht , um die unbezahlten Reproduktionsarbeiten von Frauen zumindest an einem Tag im Jahr 54 Vgl. Löscher , Monika ( 2007 ) : Katholizismus und Eugenik in Österreich. „ … Dass die katholische Auffassung alle vernünftigen Versuche der positiven Eugenik voll Freude begrüßt und unterstützt …“. In : Bader , Gerhard / Hofer , Veronika / Mayer , Thomas ( Hg. ) : Eugenik in Österreich. Biopolitische Strukturen von 1900–1945 , Wien , 140–161 : 152 ; Mesner ( 2010 ), 71. 55 In Wien waren 11 Mädchen des FAD im MSW aktiv , ansonsten in keinem Bundesland , vgl. Bandhauer-Schöffmann ( 2005 ), 264. 56 Vgl. Dostal ( 2010 ), 645. 57 Vgl. Löscher ( 2007 ), 141. 58 Sinn und Zweck des Mutterschutzwerkes , zit. nach : Bandhauer-Schöffmann ( 2005 ), 270. 59 Vgl. Bandhauer-Schöffmann ( 2005 ), 270. 60 Weisungen , die Vorarbeiten für den Muttertag betreffend , zit. nach : Bandhauer-Schöffmann , Irene ( 2001 ) : Das große Mutteropfer. Muttertagsfeiern im ‚Christlichen Ständestaat‘. In : Boesch , Alexander / Bolognese-Leuchtenmüller , Birgit / K nack , Hartwig ( Hg. ) : Produkt Muttertag. Zur rituellen Inszenierung eines Festtages , Wien , 61–69 : 69.
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öffentlich zu würdigen.61 Im autoritären christlichen Ständestaat wurde er ab 1935 zu einem staatlich inszenierten Feiertag der christlichen Opferrolle von Frauen und Müttern. Offizielle Festakte in Rathäusern , besondere Müttergottesdienste oder Friedhofsgänge für die toten Mütter bildeten den Kontext , warum in der „Mütterzeitung“, dem offiziellen Organ des Mutterschutzwerkes , befriedigt resümiert wurde , dass es mit dem Muttertag 1936 „das erste Mal gelungen [ war ] , die gesamte Öffentlichkeit in den Dienst des Mutterschutzwerkes“ zu stellen.62 Dass an dessen Inszenierung in Wien sich auch die österreichische Abteilung der Weltorganisation Zionistischer Frauen beteiligte , ging im katholischen Diskurs unter.63 Das Mitwirken der jüdischen Frauenorganisation war in der regimeaffirmativen Öffentlichkeit durchaus erwünscht. Ein Verhalten , das Teil der ambivalenten Haltung der Vaterländischen Front und ihrer Frauenorganisationen zum eigenen Antisemitismus war , vor allem angesichts des propagierten rassischen Antisemitismus der nationalsozialistischen – religions- und kirchenfeindlichen – Konkurrenz.64 Im Jahr zuvor , am 16. März 1935 , waren die Aufgaben des Frauenreferates der Vaterländischen Front formuliert worden , um die Konkurrenzsituation mit der Katholischen Frauenorganisation zu beseitigen.65 Die KFO war zwar bereits 1933 geschlossen der Vaterländischen Front beigetreten , hatte ihre Vereinstätigkeit jedoch in den gewohnten Strukturen fortgesetzt. Zwei Jahre nach Beginn der autoritären Umgestaltung der parlamentarischen Demokratie sollte die KFO aufgelöst werden und ihre Mitglieder sich in die Vaterländische Front beziehungsweise in die Katholische Aktion integrieren. Laut der Zeitgenossin und Nachfolgerin von Motzko-Seitz als Präsidentin der KFO Wien , Gräfin Gabriele Thun , ging lediglich in Wien der Eintritt nicht reibungslos vor sich.66 Gleichzeitig erfolgte auch die Eingliederung des Bundes Österreichischer Frauenvereine ( BÖFV ) in das Frauenreferat der Vaterländischen Front. Marie Hoheisl , die Vorsitzende , Gisela Urban , ihre Stellvertreterin , und andere Vorstandsmitglieder wurden zur Mitarbeit „berufen“. Basierend auf dieser Formulierung diskutiert Bandhauer-Schöffmann ihre These , dass nicht nur Überzeugung , sondern auch taktisches Kalkül als Motiv für den Eintritt in das Frauenreferat der Vaterländischen Front gewirkt hätte , um als Vertreterinnen der bürgerlichen Frauen nicht gänzlich aus der legalen Öffentlichkeit eliminiert zu werden.67 Der BÖFV engagierte sich bei den beiden großen frauenspezifischen Tagungen der Vaterländischen Front „Der Wirkungsraum der österreichischen Frau“ im Frühjahr 1935 und ein Jahr später bei „Die Frau im Neuaufbau Österreichs“,68 während gleichzeitig Hoheisl bereits in Kontakt mit illegalen NS-Netzwerken gestanden sein dürf61 Boesch , Alexander ( 2001 ) : Das Muttertagsreden. Einführung und das Muttertagsreden des politischen Katholizismus in Österreich. In : Boesch et al. ( 2001 ), 27–51. 62 Vgl. Mütterzeitung 1 ( 1936 ) 2 , 8 , zit. nach : Bandhauer-Schöffmann ( 2008 ), 63. 63 Vgl. Hecht ( 2008 ), 157. 64 Vgl. Staudinger ( 2002 ), 278. 65 Vgl. Schöffmann ( 1984 ), 359 ff. ; Schöffmann , Irene ( 1986 ) : Die Bürgerliche Frauenbewegung im Austrofaschismus. Eine Studie zur Krise des Geschlechterverhältnisses am Beispiel des Bundes österreichischer Frauenvereine und der Katholischen Frauenorganisation für die Erzdiözese Wien , phil. Diss. , Wien. 66 Vgl. Interview Thun , zit. nach : Schöffmann ( 1984 ), 349. 67 Vgl. Schöffmann ( 1984 ), 359. 68 Vgl. Bandhauer-Schöffmann ( 2005 ) 267.
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te. Einen Tag nach der Machtübernahme des Nationalsozialismus trug sie – zum Entsetzen ihrer katholischen Kolleginnen – das Parteiabzeichen der NSDAP auf dem Revers.69 V. System-affirmative Akteurinnen Bald nach dem Februar 1934 hatten sich Vertreterinnen der nicht verbotenen Teile der bürgerlichen Frauenbewegung im „Frauen-Not-Dienst“ zusammengefunden , um angesichts des herrschenden Elends und der Massenverarmung unbezahlte Sozialarbeit zu leisten : neben der Katholischen Frauenorganisation auch der Bund Österreichischer Frauenvereine , die Österreichische Frauenpartei , Protestantische und Altkatholische Frauen und die österreichische Abteilung der Weltorganisation Zionistischer Frauen.70 Neben Ausspeisungen , Bekleidungsverteilungen , Versorgung von Kindern und Kranken zählte es zu den Aufgaben der daran beteiligten Frauen , je eine Familie aus eigenen Mitteln zu unterstützen. Im Jahre 1937 waren 1.250 Frauen daran beteiligt.71 Ein spezieller sich der Verbreitung vaterländischer und jüdischer Gesinnung widmender im Jahre 1935 gegründeter Verein war der „Legitimistische Jüdische Frauenbund“, der die Wiedererrichtung der Habsburgermonarchie im Verein mit dem „Legitimistischen Bund jüdischer Frontkämpfer“ als Ziel definierte.72 Spätestens die „Mai-Verfassung“ 1934 zeigte den katholischen wie bürgerlich liberalen Frauenorganisationen , dass sich ihre mit dem „christlichen Ständestaat“ verbundenen Hoffnungen auf eine neue glänzende Ära für Frauen als äußerst prekär herausstellten. „Endlich vom Parlament erlöst“, hatten die „Frauen-Briefe“ , das Publikationsorgan der Katholischen Frauenorganisation ( K FO ) der Erzdiözese Wien , nach der Ausschaltung des Parlamentes 1933 getitelt.73 Die Basis der Politik der KFO bildete die Ideologie der sich ergänzenden gottgewollten Wesensverschiedenheiten der Geschlechter ohne explizite Hierarchie. Damit begründeten sie ihre Forderungen nach höherer Mädchenbildung ebenso wie nach sozialrechtlicher Absicherung in frauenspezifischen Erwerbsberufen , nach vermehrten Karrieremöglichkeiten oder grundsätzlich nach dem politischen Mitspracherecht von Frauen.74 Den Kern ihrer Erwartungshaltung gegenüber dem autoritären Ständestaat bildete das Attribut „christlich“, das sie als Garant für die Etablierung einer „wahren“ Volksgemeinschaft auf Basis der Anerkennung der Geschlechterdifferenz interpretierten. Entsprechend ihrer Lesart der Enzyklika Quadragesimo anno , wo die „Häuslichkeit“ nur als „hauptsächliches“ und nicht als ausschließliches „Arbeitsgebiet“ der Familienmütter bezeichnet wurde , hatte der Papst der außerhäuslichen Frau69 Vgl. Interview Brunner , zit. nach : Schöffmann ( 1984 ), 359 f. 70 Vgl. Hecht ( 2008 ), 162 ; Malleier , Elisabeth ( 2002 ) : Jüdische Frauen in Wien 1816–1938. Wohlfahrt – Mädchenbildung – Frauenarbeit , Wien. Zum Engagement jüdischer Frauen in Linz vgl. Wagner , Verena ( 2008 ) : Jüdisches Leben in Linz 1849–1943 , Bd. I ( Institutionen ) und Bd. II ( Familien ), Linz. 71 Rundschreiben des Frauen-Not-Dienstes , April 1937 , zit. nach : Hecht ( 2008 ), 162. 72 Vgl. Hecht ( 2008 ), 163. 73 Vgl. Endlich vom Parlament erlöst. In : Frauen-Briefe ( Mai 1933 ) Folge 89 , 1. 74 Vgl. Hauch , Gabriella ( 1998 ) : Machen Frauen Staat ? Geschlechterverhältnisse im politischen Sys tem. In : Studer , Brigitte / Wecker , Regina / Ziegler , Béatrice ( Hg. ) : Frauen und Staat. Berichte des Schweizer Historikertages in Bern , Oktober 1996 , Basel , 90–108 [ neu erschienen in : Hauch ( Hg. ) ( 2009 ), 151–169 ].
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enerwerbsarbeit seinen Segen gegeben. Ihre erfolglosen Bestrebungen , die „Doppelverdiener-Verordnung“ sowie die im Artikel 16 in der „Mai-Verfassung“ festgeschriebene Ausnahmegesetzgebung gegen Frauen als der Enzyklika widersprechend zu denunzieren , sind dank der Arbeiten von Bandhauer-Schöffmann gut dokumentiert.75 Die ständestaatliche Konzeption , auf der Basis der Enzyklika eine Reorganisation der Politik im katholischen Sinn anzustreben , sollte in den Augen der KFO die Möglichkeit eröffnen , die Geschlechterdifferenzen politisch aufzuwerten und im neuen „christlichen“ Staat sichtbar , mit Einfluss und Macht ausgestattet , zu verankern. Im August 1933 publizierte die KFO der Erzdiözese Wien ihre erste „Stellungnahme zur Errichtung und Zusammensetzung des Ständerates“, worin sie die Errichtung einer „Selbstverwaltungskörperschaft des hauswirtschaftlichen Berufsstandes“ forderte. Die Sichtweise , dass Hausfrauen als Berufstätige zu kategorisieren wären , einte wie die Forderung nach Schaffung einer „Hausfrauenkammer“ die katholische mit der bürgerlich-liberalen sowie der deutschnational-völkischen Frauenbewegung.76 Im „Christlichen Ständestaat“ war es – in den Augen der KFO Wien unter Federführung von Motzko-Seitz77 – essenziell notwendig , der großen Masse der Hausfrauen den Status einer Berufsbürgerin zu verschaffen , da nach Zerschlagung der parlamentarischen Demokratie das Staatsbürgertum obsolet und von den Berufsständen ersetzt worden war. Das Bemühen der KFO war vergeblich. Die Protagonisten des Ständestaates definierten Rekatholisierung als Remaskulinisierung und hatten keineswegs vor , ihre Definitionsmacht zur Diskussion zu stellen. Als „Gebot des staatlichen Wiederaufbaus“ galt es ihnen , „die hausväterliche Gewalt zu bekräftigen , anstatt den Haushalt als solchen zu einer unabhängigen Wirtschaftszelle zu machen“.78 Dementsprechend wurden lediglich zwei Frauen als Vertreterinnen des Schulwesens in den Bundeskulturrat berufen : Dr. Henriette Siess , die Direktorin des ( ersten ) privaten Mädchengymnasiums in der Rahlgasse in Wien VI , und die Wiener Hauptschuldirektorin Dr. Margarethe Rada.79 Alle anderen ständestaatlichen Körperschaften auf Bundesebene waren ausschließlich von Männern besetzt , was die „Wiener Zeitung“ vom 1. November 1934 mit dem Aufmacher „Neue Ordnung – Neue Männer“ würdigte.80 Auf Gemeindeebene besetzten ver75 Vgl. Schöffmann , Irene ( 1984c ) : „ … da es in Christus weder Mann noch Weib gibt.“ Eine historische Analyse des Geschlechterverhältnisses im Katholizismus am Beispiel der Katholischen Frauenorganisation im Austrofaschismus. In : Wiener Historikerinnen ( Hg. ) : Die ungeschriebene Geschichte. Dokumentation des 5. Historikerinnentreffens in Wien , 16. bis 19. April 1984 , Himberg bei Wien , 70–82 ; Schöffmann ( 1984 ) ; Schöffmann ( 1984a ), 160 f. ; Bandhauer-Schöffmann ( 2008 ), 37–52 ; Schöffmann ( 1986 ). 76 Vgl. den Antrag im Nationalrat auf Errichtung einer „Hausfrauenkammer“ durch die großdeutsche Abgeordnete Marie Schneider vom Mai 1931 , der jedoch nie zur Beratung kam sowie ihre Rede im August 1932 , wo sie sich für einen „Ständestaat“ aussprach , vgl. Hauch ( 1995a ), 236 f. Zur Hauswirtschaftskammer , vgl. Schöffmann ( 1984 ), 366–370 ; Bandhauer-Schöffmann ( 2005 ), 259 ff. 77 Vgl. Schöffmann ( 1984 ), 350 f. 78 Vgl. Krasser , Joseph M. : Die Frau im neuen Staat. In : Wiener-Wirtschafts-Woche 3 / 7 , 14. 02. 1934 , 2 , zit. nach : Bandhauer-Schöffmann ( 2008 ), 43 f. 79 Vgl. Enderle-Burcel , Gertrude ( 1991 ) : Christlich – ständisch – autoritär. Mandatare im Ständestaat 1934–1938 , Wien. 80 Vgl. Wiener Zeitung , 01. 11. 1934 , 4 , zit. nach Schöffmann ( 1984a ), 160 f.
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einzelt Frauen Sitze in den „Gemeindetagen“, wie etwa die Lehrerin und Landesführerin der weiblichen Jugend von „Jung-Vaterland“ Eleonore Jandaurek für den Stand der Elternschaft , neben 35 männlichen „Räten der Stadt Linz“.81 Die Kritik der zwar immer affirmativ das neue System unterstützenden „loyalen Opposition“ ( Bandhauer-Schöffmann ) der KFO Wien unter ihrer Präsidentin Motzko-Seitz provozierte disziplinierende Maßnahmen. Im April 1935 erfolgte nach heftigen Kontroversen die Eingliederung der KFO Wien in die Katholische Aktion und damit in die kirchliche Hierarchie unter klerikaler Führung.82 Eine weitere zentrale Frauenfigur , die als Teil der loyalen Opposition kategorisiert werden kann , war Grete Daurer , später verheiratete Rehor , von 1966 bis 1970 die erste Ministerin Österreichs. Die junge Hilfssekretärin der christlichen Textilarbeitergewerkschaft avancierte zur einzigen Repräsentantin der Einheitsgewerkschaft des Ständestaates , die sich öffentlich für die Berechtigung von Frauenerwerbsarbeit und damit gegen die dominante Gewerkschaftslinie positionierte.83 Auf der ersten Reichskonferenz der Textilarbeitergewerkschaft 1936 formulierte die damals 26-Jährige ihre Frauenforderungen , die denen der Sozialdemokratie Ende des 19. Jahrhunderts ähnelten : keine Überstunden , Einhaltung der Arbeitszeit , Errichtung von Gewerbeinspektoraten mit Inspektorinnen , gleicher Lohn für gleiche Arbeit sowie die Schaffung von Frauensektionen. Letzteres war ihr in ihrer eigenen Textilarbeiter( i nnen )-Gewerkschaft im ersten Halbjahr 1935 auch gelungen. Daurer hatte die Leitung inne , bis sie offiziell aufgrund der „Doppelverdiener-Verordnung“ aus dem Erwerbsleben ausschied.84 Im Vorstand der Einheitsgewerkschaft wurde keine Frau nominiert , jedoch scheinen im Jahre 1936 zwei Frauen in der Leitung der Bekleidungsarbeitergewerkschaft auf.85 Als weitere frauenspezifische Aktion der Einheitsgewerkschaft gilt die Veranstaltung der Frauenkonferenz der Handelsangestellten am 28. November 1937 in Graz. Das zentrale Referat hielt Elly Peissler über den „Beitrag der Frauen zum Aufbau der neuen ständischen Ordnung“.86 Bandhauer-Schöffmann thematisierte in ihren Publikationen auch Konkurrenzen und verschiedene Standpunkte unter den katholischen Protagonistinnen , vor allem zwischen Motzko-Seitz und ihrer Gegenspielerin Emma Kapral.87 Besonders die Interviews , die sie Anfang der 1980er-Jahre mit damals noch lebenden zentralen Akteurinnen geführt hatte , fungieren als aussagekräftige Zeugnisse dafür.88 Motzko-Seitz , im 81 Vgl. Dostal ( 2010 ), 656 ff. 82 Vgl. Schöffmann ( 1984 ) ; Bandhauer-Schöffmann ( 2005 ), 268. 83 Vgl. Pasteur ( 2008 ), 165 f. ; Frankenstein , Gerda ( 1994 ) : Grete Rehor : Gewerkschafterin – Parlamentarierin – Erste „Frau Minister“ Österreichs. Versuch einer Standortbestimmung zwischen dem katholischen Frauenleitbild der „Mütterlichkeit“ und der „Neuen Frauenbewegung“, Dipl.-Arb. , Wien ; Scheffl , Barbara ( 2009 ) : Die ÖVP-Politikerin Grete Rehor und ihr Einsatz für Frauen am Beispiel des Hausgehilfengesetzes , Dipl.-Arb. , Wien. 84 Sie soll in eine „Hinterziehungsaffaire“ involviert gewesen sein , vgl. Pasteur ( 2008 ), 165. Interessant erscheint in diesem Kontext , dass auch gegen Alma Motzko-Seitz eine Kampagne wegen angeblicher Finanzverfehlungen geführt wurde , vgl. Schöffmann ( 1984 ), 355. 85 Dabei handelte es sich um Elise Koszik und Antonie Jung , vgl. Pasteur ( 2008 ), 166. 86 Vgl. Pasteur ( 2008 ), 166 f. 87 Vgl. Schöffmann ( 1984a ), 249–358 ; zu Emma Kapral vgl. Hauch ( 1995a ), 275–279. 88 Die Transkripte befinden sich am Institut für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte der Universität Wien.
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November 1935 zum Rücktritt gezwungen und mit einer öffentlichen von der Amtskirche geführten Kampagne konfrontiert ,89 entschied sich gegen die Katholische Aktion und für den Eintritt in das Frauenreferat der Vaterländischen Front. Der autoritäre christliche Ständestaat versuchte vergeblich , einen totalitären Kommunikationsraum wie die „vollfaschistischen Staaten“ Italien und Deutschland zu schaffen. Dort evozierten systemkonforme Massenbewegungen , totalitäre Medien und gegenseitige , lebensbedrohliche zivile Überwachung im Alltag eine Verunsicherung und Desorientierung der Einzelnen bezüglich ihrer Selbst- und Weltwahrnehmung.90 Die Zwangsmaßnahmen der Rekatholisierung und Remaskulinisierung im autoritären Ständestaat unter maßgeblicher Federführung von Repräsentanten der alten Mächte Adel und Klerus begleiteten die steigend enthusiasmierte Stimmung für den Nationalsozialismus – auch von Frauen. VI. Akteurinnen in Opposition zum autoritären Ständestaat : Nationalsozialistinnen und völkische Frauen Der Einbruch der „Männerpartei“ NSDAP in das als relativ stabil eingeschätzte christlichsoziale und deutschnationale Wählerinnenklientel wurde bei den Landtagswahlen 1932 offensichtlich. Die Anteile von männlichen und weiblichen WählerInnenstimmen der NSDAP glichen sich an , jedoch machten die Frauenstimmen für die anderen Parteien nach wie vor die große Mehrheit aus.91 Die steigende Attraktivität der NSDAP für immer breiter werdende Frauenschichten und für große Teile der an Perspektiven armen Jugend , vor allem nach dem Februar 1934 , thematisieren zahlreiche Studien von Johanna Gehmacher. Dabei verbindet sie ihre Analyse der Bedeutung der Geschlechtszuschreibung für das Engagement in illegalen NS-Gruppen mit der Politik des autoritären christlichen Ständestaates , mit regionalen Strukturdifferenzen und Besonderheiten und thematisiert die Situation in verschiedenen Bundesländern.92 Die Notwendigkeit , den Kampf um die Jugend zu führen , war den federführenden Politikern des autoritären christlichen Ständestaates zwar bewusst , allerdings scheiterten die Projekte „Österreichischer Jugendbund“ und „Österreichisches Jungvolk“, auch unter dem Fokus des Generationenkonfliktes , der die „Hitler-Jugend“ so attraktiv machte.93 Der Begriff „Hitler-Jugend“ ( HJ ) umfasste beide nach Geschlechtern getrennten Jugendorganisationen. Für die männlichen Jugendlichen galt jedoch dieselbe geschlechtsneutrale Bezeichnung , während die weiblichen im „Bund deutscher Mädel“ ( BDM ) organisiert waren. Das heißt , sie waren semantisch immer nur ein Teil des Ganzen , was 89 Vgl. Bandhauer-Schöffmann ( 2005 ), 268 ; Schöffmann ( 1984 ), 355. 90 Vgl. Mattl ( 2008 ), 64. 91 Vgl. Gehmacher , Johanna ( 1998 ) : Das Wahlrecht als Waffe ? Deutungsmuster geschlechtsspezifischen WählerInnenverhaltens am Ende der Ersten Republik. In : Diendorfer , Gertraud / Jagschitz , Gerhard / R athkolb , Oliver ( Hg. ) : Zeitgeschichte im Wandel. Tagungsband zu den 3. Österreichischen Zeitgeschichtetagen 1997 , Wien , 256–262. 92 Vgl. Gehmacher , Johanna ( 1995 ) : Illegale nationalsozialistische Jugendorganisierung in Österreich 1933–1938 : Mobilisierungsmuster im Regionalvergleich. In : Albrich , Thomas / Matt , Werner ( Hg. ) : Geschichte und Region. Die NSDAP in den 30er Jahren im Regionalvergleich. Forschungsberichte – Fachgespräche , Dornbirn , 101–113. 93 Vgl. Gehmacher ( 1994 ), 400–423 ; Dostal ( 2010 ), 645.
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die weibliche Zweitrangigkeit unterstrich. Dieses Strukturmerkmal für das hierarchische Geschlechterverhältnis innerhalb der HJ zieht Gehmacher als roten Faden durch ihre Arbeiten , wobei sie dem Faktum der „Illegalität“ eine besondere Bedeutung zuschreibt.94 In der ersten Phase der Illegalität , die vor allem von aktionistischer Militanz geprägt war , wie Bomben zünden , dominierten die Burschen. Viele von ihnen flohen nach illegalen Aktionen , verfolgt und ohne berufliche Perspektive , über die grüne Grenze in die „Österreichische Legion“ nach Deutschland.95 Allerdings konnten in dieser Zeit , als es noch keine geschlechtsspezifisch getrennten Gruppen gab , in der propagierten „Kameradschaft“ der Ausnahmesituation die Geschlechterhierarchien verwischen : Einzelne terroristische Aktivitäten von Frauen sind feststellbar.96 Die durchwegs dominante Definition von den jungen Nationalsozialistinnen als unpolitisch korrespondierte mit Überlegungen der ständestaatlichen Behörden , die Mädchen und Frauen als weniger gefährlich einschätzten. Dies wussten die illegalen Gruppen strategisch zu nutzen und setzten die Dank ihres Geschlechts geschützteren Frauen bei illegalen Aktionen , wie dem Transport von Flugblättern oder Munition , ein.97 Das Juliabkommen 1936 brachte viele Erleichterungen für die österreichischen NationalsozialistInnen und der illegalen NS-Mädchenarbeit eine massive Förderung vonseiten der Reichsjugendführung in Berlin. Ab diesem Zeitpunkt wurde explizit nicht mehr der Aktivismus von konspirativen Gruppen , sondern die Verbreitung nationalsozialistischer Ideologie in getarnten legalen Gruppen unterstützt. So führte die Schwäche der ständestaatlichen Jugendorganisationen zur Unterwanderung ganzer Ortsgruppen. Die monogeschlechtliche Organisierung setzte zudem bei den Mädchen und jungen Frauen eine Identitätsentwicklung in Gang. Die legale Herausgabe einer Mädchenzeitschrift , Heimabende , Ausflüge und mehrtägige Lager – die als nicht politisch erinnert wurden – eröffneten neue Erlebnisräume abseits von Elternhaus und Schule , ohne die Mädchen mit dem – möglicherweise abschreckenden – militaristischen Impetus der HJ in Berührung zu bringen.98 Auch Johanna Gehmacher gelang es in den 1990er-Jahren ( noch ), Interviews mit ehemaligen Akteurinnen zu führen , die differenzierte subjektive Einblicke 94 Vgl. Gehmacher , Johanna ( 1990 ) : „Ostmarkmädel“. Anmerkungen zum Illegalen Bund deutscher Mädel in Österreich ( 1933–1938 ). In : Gravenhorst , Lerke / Tatschmurat , Carmen ( Hg. ) : TöchterFragen. NS-Frauen-Geschichte , Freiburg i. Br. , 253–296 ; Gehmacher ( 1995 ). 95 Vgl. Gehmacher , Johanna ( 1996 ) : Fluchten , Aufbrüche. Junge Österreicher und Österreicherinnen im nationalsozialistischen Deutschland 1933–1938. In : Horvath , Traude / Neyer , Gerda ( Hg. ) : Auswanderungen aus Österreich : von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis zur Gegenwart , Wien , 211– 232 ; Reiter-Zatloukal / Rothländer ( 2010 ), 143 ff. 96 Vgl. Gehmacher ( 1994 ), 321 ff. 97 Vgl. Gehmacher , Johanna ( 2002 ) : Der nationalsozialistische „Bund Deutscher Mädel“ in Österreich. In : Tálos , Emmerich / Hanisch , Ernst / Neugebauer , Wolfgang / Sieder , Reinhard ( Hg. ) : NSHerrschaft in Österreich. Ein Handbuch , Wien , 467–493 : 475. 98 Vgl. Gehmacher , Johanna ( 2007 ) : Biografie , Geschlecht und Organisation : Der „Bund Deutscher Mädel“ in Österreich. In : Reese , Dagmar ( Hg. ) : Die BDM-Generation. Weibliche Jugendliche in Deutschland und Österreich im Nationalsozialismus , Berlin , 159–213 : 173 ff. Im Jänner 1938 sollen 10.080 Mädchen und junge Frauen dem BDM angehört haben. Vgl. dazu Weber-Stumfohl , Herta ( 1939 ) : Ostmarkmädel. Ein Erlebnisbuch aus den Anfangsjahren und der illegalen Kampfzeit des BDM in der Ostmark , Berlin , zit. nach : Gehmacher ( 1995 ), 103.
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in damalige Lebenswelten erlauben.99 Ein besonderes Spannungsverhältnis ergab sich durch die geschlechtsspezifisch unterschiedlichen Wahrnehmungsweisen des Verhältnisses von legaler und illegaler NS-Jugendarbeit.100 Eine interdisziplinäre Untersuchung der Ausbürgerungspraxis – auf Basis des Kriegswirtschaftlichen Ermächtigungsgesetzes 1917 – von Ilse Reiter-Zatloukal und Christiane Rothländer zeigt anhand der Bundespolizeidirektion Wien , dass der Frauenanteil an den Ausbürgerungen äußerst gering war. Daraus kann allerdings , wie die Autorinnen konstatieren , kein direkter Schluss über eine geringere illegale nationalsozialistische Tätigkeit von Frauen gezogen werden.101 Dieser Befund aus neu erschlossenen Quellen basiert bereits in diskursiver ebenso wie handlungsorientierter Hinsicht auf dem zweiten Schwerpunkt der Forschungsarbeiten von Gehmacher zum autoritären christlichen Ständestaat , der Konstruktion der „Völkischen Frauenbewegung“. In dieser als „neu“ apostrophierten Frauenbewegung sammelten sich das weibliche Klientel der Großdeutschen Volkspartei ebenso wie deutschnational gesinnte Frauen des BÖVF102 und die seit 1933 in der Illegalität agierenden Nationalsozialistinnen.103 Basierend auf dem integrierenden Begriff der „deutschen Volksgemeinschaft“, der geschlechtsspezifisch die deutsche beziehungsweise „arische“ Mutter mit Volk verknüpfte , bildete das „Kampfbündnis“ zwischen GDVP und NSDAP vom 15. Mai 1933 die Brücke zwischen den verschiedenen Milieus.104 Das einigende Konstrukt der „Volksgemeinschaft“, das heißt des „deutschen Volkes“ als „Rasse“, basierte auf einem Geschlechterverhältnis , das die Zugehörigkeit zum „Volk“ mit der Abstammung verknüpfte und die sexuellen Beziehungen zu entscheidenden Ein- und Ausschlusskriterien stilisierte.105 Das Ziel der NS-Frauenpolitik war , eine rassistisch unterlegte , klassen- und milieuübergreifende Interessens identität von ( deutschen ) Frauen herzustellen und die Staatsbürgerin der demokratischen Republik durch die arisch / deutsche Hausfrau zu ersetzen. Da ihrer Meinung nach jede Frau auch Hausfrau wäre , konnten sie gleichzeitig die Forderung nach Gleichstellung von berufstätigen und ledigen mit verheirateten Frauen in ihr Programm integrieren und rassistisch fokussiert eine Facette der modernen Geschlechterkonzeptionen vertreten. 99 Vgl. Gehmacher , Johanna ( 1999 ) : Zukunft , die nicht vergehen will. Jugenderfahrungen in NSOrganisationen und Lebensentwürfe österreichischer Frauen. In : Benninghaus , Christina / Kohtz , Kerstin ( Hg. ) : „Sag mir , wo die Mädchen sind …“ Beiträge zur Geschlechtergeschichte der Jugend , Köln / Weimar / Wien , 261–274 ; Gehmacher ( 1990 ). 100 Vgl. Gehmacher ( 2007 ), 182. 101 Vgl. Reiter-Zatloukal / Rothländer ( 2010 ), 146 ff. 102 Zum Beispiel etliche Protagonistinnen des dem BÖFV angehörenden „Vereins für Fraueninteressen“ in Linz , vgl. Hauch ( erscheint 2013 ). 103 Vgl. Gehmacher , Johanna ( 2001 ) : Nachfolgeansprüche. Deutschnationale und nationalsozialistische Politik und die bürgerliche Frauenbewegung. Österreich 1918–1938. In : Gerhard , Ute ( Hg. ) : Feminismus und Demokratie. Europäische Frauenbewegungen der 1920er Jahre , Königsstein / Taunus , 159–175. 104 Vgl. Gehmacher , Johanna ( 1996 ) : „Volksgemeinschaft der Frauen“ ? Diskurse und Strategien deutschnationaler Geschlechterpolitik in Österreich 1918–1938. In : L’Homme. Z.F.G. Jg. 7 ( 1996 ), Heft 1 , 159–169. 105 Gehmacher , Johanna ( 1998a ) : Die Eine und der Andere. Moderner Antisemitismus als Geschlechtergeschichte. In : Bereswill , Mechthild / Wagner , Leonie ( Hg. ) : Bürgerliche Frauenbewegung und Antisemitismus , Tübingen , 101–120 : 104.
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Vom Verbot der NS-Organisationen im Frühjahr 1933 blieb aufgrund einer Umbe nennung der „Bund nationaler deutscher Frauen Wiens“ ausgenommen. Die vorwiegend von Frauen getragenen deutschnationalen Netzwerke fungierten als wirkungsvolle , die Attraktivität des Nationalsozialismus steigernde soziale Hilfseinrichtungen und als Tarnung der illegalen politischen NS-Organisationen.106 Die bereits 1931 als „Kampfbündnis“ der NS- und GDVP-Frauen definierte „Völkische Nothilfe“, die „Deutsche Nothilfe“ seit 1933 und die „Volkshilfe“ seit 1935 verdankten ihre Existenz auch dem Engagement der ehemaligen Nationalratsabgeordneten der GDVP Marie Schneider , die als „Aktivis tin am Rande der Legalität“ jonglierte und auch Verbindungen zum BÖFV unterhielt. Ab 1935 zahlte sie ihren Mitgliedsbeitrag zur illegalen NSDAP aus Tarnungsgründen an Franz Langoth in Linz.107 Aus den Gemeinsamkeiten und Kontinuitäten in deutschnational frauenbewegten Milieus folgert Gehmacher , dass diese wesentlich zur sozialen Stabilisierung und Verbreiterung der Ideologie der NSDAP in Österreich beitrugen.108 Unterstützt wurde dieses Frauen-Unterfangen durch die Einschätzung der Behörden des autoritären christlichen Ständestaates , dass Frauen nicht zur Gruppe gefährlicher politischer AktivistInnen zählen und ihnen , als unpolitischem Geschlecht , keine wesentliche Wirkungs- und Deutungsmacht zukommen würde. Das heißt , der ständestaatliche politische Androzentrismus trug nicht nur wesentlich zur Stärkung des Nationalsozialismus bei , sondern auch zur Unterminierung des Ständestaates selbst. VII. Einzelne Spuren : die linke Opposition gegen den autoritären christlichen Ständestaat Als nach dem Zusammenbruch der Creditanstalt 1930 die Weltwirtschaftskrise in ihrer vollen Macht Österreich traf , entwickelten sich die beiden Sündenbock-Ideologeme „die Juden sind schuld“ und „die Frauen nehmen Familienvätern die Arbeit weg“ zu Selbstläufern. Fast verzweifelt anmutend , versuchte die Sozialdemokratin Adelheid Popp in der Frauentagsbroschüre 1933 , psychologisch zu erklären , warum der Diskurs um das „Doppel-Verdienertum“ immer mehr unkritische Verbreitung fand.109 Dies zu erleben , die Aufbauarbeit der jungen Ersten Republik Österreich in der autoritären christlichen Politik revidiert zu sehen , prägten den Lebensabend etlicher Pionierinnen der Modernisierung der Geschlechterverhältnisse in diesen Jahren – in Melancholie und Radikalisierung. 106 Vgl. Gehmacher , Johanna ( 1999a ) : Agitatorinnen. Zur Politisierung von Frauen in nationalsozialistischen Kontexten. In : Lechner , Manfred / S eiler , Dietmar ( Hg. ) : zeitgeschichte.at. 4. Österreichischer Zeitgeschichtetag 99 , Innsbruck / Wien / München-Bozen , 119–125. 107 Vgl. Gehmacher , Johanna / Hauch , Gabriella ( 1995 ) : Eine „deutsch fühlende Frau“. Die großdeutsche Politikerin Marie Schneider und der Nationalsozialismus in Österreich. In : Frauenleben 1945. Kriegsende in Wien. Katalog zur 205. Sonderausstellung des Historischen Museums der Stadt Wien , 21. September–19. November 1995 , Wien , 115–132. Vgl. auch Gehmacher ( 1998 ), 213–221. 108 Vgl. Gehmacher , Johanna ( 2000 ) : Selbst / Darstellungen und Allianzen. „Völkische“ Frauen in Österreich. In : Korotin , Ilse / S erloth , Barbara ( Hg. ) : Gebrochene Kontinuitäten ? Zur Rolle und Bedeutung des Geschlechterverhältnisses in der Entwicklung des Nationalsozialismus , Innsbruck / Wien / Bozen , 216–233. 109 Vgl. Popp , Adelheid ( 1933 ) : Frauentag 1933. In : Frauentag 1933 , Wien , 3.
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Das Verbot der SDAP und der Kommunistischen Partei bedeutete auch das Verbot der – zumindest in ihren Grundsätzen – für Frauenemanzipation und Frauenbefreiung stehenden Parteien. Deren Akteurinnen sind während des autoritären christlichen Ständestaates in klandestinen Widerstandsgruppen , in innerer Emigration und in Gefängnissen110 sowie – möglicherweise – als Überläuferinnen aufseiten der Machthaber111 oder der NSDAP zu finden. Die geschlechtsspezifischen Facetten des Aufstandes des Republikanischen Schutzbundes im Februar 1934 wurden bislang weder auf Schutzbund- noch auf Heimwehr-Polizei-Bundesheer-Seite thematisiert , allerdings liegen Einzelinformationen sowie erste Arbeiten vor.112 Dasselbe gilt für die Akteurinnen und die Geschlechterverhältnisse innerhalb der Revolutionären Sozialisten , der klandestinen Nachfolgeorganisation der SDAP und der Kommunistischen Partei , wiewohl in auto-/ biografischen Studien sowie in den vom Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstands herausgegebenen Bundesländer-Bänden zu „Verfolgung und Widerstand“ Spuren auszumachen sind.113 Geschlechtersensibler zeigt sich in dieser Hinsicht die Belletristik.114 110 Zum Beispiel Maria Emhart , Lisa Fischer oder Gabriele Proft. Zu Maria Emhart vgl. Marschalek , Manfred ( 1986 ) : Der Wiener Sozialistenprozess 1936. In : Stadler , Karl R. ( Hg. ) : Sozialistenprozesse. Politische Justiz in Österreich 1870–1936 , Wien / München / Zürich , 429–490 ; zu Lisa Fischer vgl. Prost ( 1989 ), 255–287 : 264–273 ; zu Gabriele Proft vgl. Hauch ( 1995a ), 296 f. , und Angerer , Marie Louise ( 1989 ) : Gabriele Proft „Faust soll zwischen 1480 und 1540 gelebt haben“. In : Prost ( 1989 ), 187–221. 111 Die illegal erscheinende sozialdemokratische Arbeiter-Zeitung denunzierte Elly Peissler , die bei der Frauenkonferenz der Handelsangestellten der Einheitsgewerkschaft am 28. November 1937 in Graz referiert hatte , mit einer krude sexistischen Figur : „Es gibt verschiedene Formen der Prostitution , die sexuelle ist nicht immer die allerhässlichste“, vgl. Pasteur ( 2008 ), 166 f. Neben der Option Peisslers , nun für die Einheitsgewerkschaft tätig zu sein , könnte sie jedoch auch Mitglied der Kommunistischen Partei oder der NSDAP geworden sein , die die ‚Unterwanderung‘ der Einheitsgewerkschaften ernsthaft betrieben. 112 Zum Beispiel die oben erwähnte Elly Peissler , die am 11. Februar 1934 in einer Rede zum Kampf mit der Waffe aufgerufen hatte , vgl. Pasteur ( 2008 ), 136 f. ; Mauder , Maria ( 1989 ) : Frauen im Februar 1934 , Dipl.-Arb. , Wien ; Helfert , Veronika ( 2010 ) : Geschlecht.Schreiben.Politik. Frauentagebücher im Februar 1934 , Dipl.-Arb. , Wien ; Helfert , Veronika ( erscheint 2013 ) : „Lieber Gott ( … ) lasse mich sterben – u. schenke dafür Wien Frieden u. Segen.“ Politik schreiben. Das Tagebuch Berhardine Almas , 1934. In : Hämmerle , Christa / G erhalter , Li ( Hg. ) : Tagebücher von Frauen im 20. Jahrhundert , Wien ; in Oberösterreich wurden Frauen wegen „Teekochens“ für am Aufstand Beteiligte inhaftiert , vgl. Hauch ( erscheint 2013 ) ; Bauer , Ingrid ( 1988 ) : „Tschickweiber haum’s uns g’nennt …“ Frauenleben und Frauenarbeit an der „Peripherie“, Wien. 113 Vgl. Steiner , Herbert ( 1973 ) : Biographische Anmerkungen. In : ders. ( Hg. ) : Käthe Leichter. Leben und Werk , Wien , 11–229 ; Gardiner , Muriel ( 1989 ) : Deckname Mary. Erinnerungen einer Amerikanerin im österreichischen Untergrund. Mit einem Vorwort von Anna Freud , Wien ; auch in den biografischen Studien zu den sozialdemokratischen National- und Bundesratsabgeordneten , vgl. Hauch ( 1995a ) und Prost ( 1989 ). Hanna Lichtenberger arbeitet derzeit an der Universität Wien an einer Diplomarbeit über Psychoanalytikerinnen im klandestinen Widerstand gegen den autoritären christlichen Ständestaat. 114 Vgl. die Frauengestalten und Inszenierungen von Männlichkeit / en und Geschlechterbeziehungen. In : Franzobel ( 2007 ) : hunt oder Der totale Februar , Weitra ; uraufgeführt im Kohlerevier des Hausruckviertels , OÖ , Sommer 2005 , vgl. Müller , Chris ( 2009 ) : Von den Schmauchspuren des Bürgerkriegs zum Theaternebel. In : Kepplinger / Weidenholzer ( Hg. ) ( 2009 ), 85–112 ; sowie : Reichart , Elisabeth ( 1984 ) : Februarschatten , Wien.
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Als zentrale Imaginationsfigur prägte der virile Kämpfer die politische Kultur der Ersten Republik ebenso wie das gewaltvolle Ende der parlamentarischen Demokratie.115 Idealisierungen dieses Typus von Männlichkeit waren in den Organisationen der Arbeiterbewegung ebenso zu finden wie in Frontkämpferverbänden , der Roten Garde , der Volkswehr oder in der Heimatschutzbewegung. Kämpferinnen in Waffen sind für Österreich nicht bekannt. Brachte dieses Ideal der wehrhaften Männlichkeit , unterstützt von Abenteuerlust , vor allem junge Nationalsozialisten in die „Österreichische Legion“ in NS-Deutschland , machten sich ab 1936 vermehrt junge Männer der Linken auf , um in Spanien nach dem falangistischen Putsch der Armee im Sommer 1936 mit der Waffe die Republik zu verteidigen oder der Revolution zum Durchbruch verhelfen. Auch junge Österreicherinnen engagierten sich im Spanischen Bürgerkrieg auf der republikanischen Seite , als Ärztinnen , Krankenschwestern , Röntgenassistentinnen oder Dolmetscherinnen , wie es der geschlechtsspezifischen Segregation entsprach.116 Abseits von einzelnen Hinweisen fehlt jedoch eine systematische Aufarbeitung von Geschlechterverhältnissen oder Geschlechterzuschreibungen , von AkteurInnen , geschlechtsspezifischen Diskursen und Erfahrungen der jungen linken Opposition zum autoritären christlichen Ständestaat ebenso wie für die alten Eliten von Sozialdemokratie und Kommunistischer Partei , im Zentrum Wien ebenso wie in der österreichischen Provinz. 1934 betonte die Sozialwissenschaftlerin Käthe Leichter die strukturelle Bedeutung von Frauendiskriminierung für jedes repressive politische System , auch für den „Christlichen Ständestaat“, und meinte , dass es den Sozialdemokratinnen gut anstehen würde , wieder in die Position von „Frauenrechtlerinnen“ zu schlüpfen.117 Diese hatten nach dem Ersten Weltkrieg die ( Reaktivierung der ) Sozialistische( n ) Fraueninternationale dominiert118 und über gemeinsame internationale Projekte ein Netzwerk aufgebaut , das auch nach dem Verbot der SDAP und der Gründung der Revolutionären Sozialisten bestehen blieb. Fünf österreichische Sozialdemokratinnen nahmen unter falschem Namen an der Internationalen Studienwoche in Brüssel im August 1936 teil , die vom Frauensekretariat der Sozialistischen Arbeiter-Internationale veranstaltet wurde und wo die junge Helga Potetz über den Widerstand gegen den Ständestaat referierte. Zu einer weiteren Zusammenkunft kam es im Jahr darauf , als zum Begräbnis von Leopoldine Glöckel etliche
115 Hanisch , Ernst ( 2005 ) : Männlichkeiten. Eine andere Geschichte des 20. Jahrhunderts , Wien / Köln / Weimar , 17–126. 116 Vgl. Landauer , Hans ( 2003 ) : Lexikon der österreichischen Spanienkämpfer 1936–1939 , Wien , 30–37 ( Die Frauen und der Sanitätsdienst ) ; Nicht alle erreichten Spanien , wie die beiden Linzerinnen Gisela Taurer verh. Tschofenig und Margarethe Gröblinger , die nur bis Lyon kamen : vgl. Gugglberger , Martina ( 2006 ) : „Versuche , anständig zu bleiben.“ – Widerstand und Verfolgung von Frauen im Reichsgau Oberdonau. In : Hauch , Gabriella ( Hg. ) : Frauen in Oberdonau. Geschlechtsspezifische Bruchlinien im Nationalsozialismus , Linz , 281–343 : 314 ff. 117 Vgl. Der Kampf der Frauen um ihre Rechte. Käthe Leichters letzte Rede. In : Internationaler Frauentag 1947 , Wien , o. S. 118 Vgl. Hauch , Gabriella ( 2011 ) : „Eins fühlen mit den Genossinnen der Welt“. Kampf- und Feiertage der Differenz : Internationale Frauentage in der Ersten Republik Österreich. In : Niederkofler , Heidi / Mesner , Maria / Z echner , Johanna ( Hg. ) : Frauentag. Erfindung und Karriere einer Tradition , Wien , 60–105.
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IV. Politik und Gesellschaft
internationale Sozialistinnen anreisten.119 Frauen , nicht nur der organisierten Linken , verließen jedoch auch das ständestaatliche Österreich in die Emigration beziehungsweise folgten etliche ihren nach dem Februar 1934 von Hinrichtung und Gefängnisaufenthalten bedrohten Männern in die Sowjetunion oder westliche Staaten.120 Auch hier fehlt eine systematische Aufarbeitung , wenngleich mit den ersten publizierten Forschungsergebnissen , wie erwähnt , von Reiter-Zatloukal und Rothländer zur geschlechtsspezifischen Ausbürgerungspolitik von 1933 bis 1938 eine Quellensorte erschlossen wurde , die einen Schritt in diese Richtung weist.121 VIII. Ausblick Ein weiterer zentraler vor allem auch unter geschlechtsspezifischem Fokus zu erschließender Quellenbestand ist der nun im Österreichischen Staatsarchiv einzusehende sogenannte Moskauer Bestand „Generalsekretariat der Vaterländischen Front“.122 Auf Basis dieser Dokumentensammlung scheint eine vertiefende Rekonstruktion der frauen- und männerspezifischen Politiken ebenso möglich wie die Analyse der Geschlechterkonstruktionen in den Inszenierungen und Repräsentanzen sowie den staatlichen Institutionen und Maßnahmen des autoritären christlichen Ständestaates. Als weitere Quellenbestände zur Erforschung des systemimmanenten beziehungsweise affirmativen Politikfeldes könnten zeitgenössische Zeitungen , Zeitschriften und andere Publikationen herangezogen sowie eine systematische Durchforstung von Nachlässen in in- und ausländischen Archiven ( A msterdam , Washington , New York , London etc. ) durchgeführt werden. Ein zentrales Forschungsdesiderat umfasst die explizit geschlechterpolitische Perspektivierung der Frage nach Kontinuitäten und Brüchen von autoritärem christlichem Ständestaat / „Austrofaschismus“ und Nationalsozialismus. Differenzierte Fragstellungen nach der Geschlechtsspezifik des Antisemitismus als kultureller Code bieten sich als integrierende Klammer an. Ein weiterer Ansatz für künftige Forschungen liegt in der Bezogenheit der jeweiligen Identitätspolitiken von Regime und Opposition und inwiefern diese über die Konstruktion von Geschlechterverhältnissen und 119 Vgl. Bandhauer-Schöffmann , Irene ( 2011 ) : Absenz , Resistenz und Erinnerung. Frauentage zwischen 1933 und 1945 und die Thematisierung von Faschismus und Krieg. In : Niederkofler et al. ( 2011 ), 106–139 : 121. Leopoldine Glöckel ( 1871–1937 ) hatte sich im Allgemeinen Österreichischen Frauenverein engagiert , bevor sie der SDAP beitrat , wo die Wiener Gemeinderätin und Landtagsabgeordnete der Ersten Republik dem Frauen-Zentralkomitee angehörte. Sie war Lehrerin und mit dem Schulreformer und Unterstaatssekretär für Unterrichtswesen 1919–1920 Otto Glöckel verheiratet. 120 An dieser Stelle seien exemplarisch genannt : Mayenburg , Ruth von ( 1978 ) : Hotel Lux , München ; die Kommunistin Anne Salomon , vgl. Fallend , Karl ( 1992 ) : Anne Salomon. In : Fallend , Karl / Reichmayr , Johannes ( Hg. ) : Siegfried Bernfeld oder die Grenzen der Psychoanalyse , Frankfurt / Main , 70 ff. ; Lepoldine Münichreiter und ihre drei Kinder , die Witwe eines der hingerichteten Schutzbundkämpfer , vgl. McLoughlin , Barry / S chafranek , Hans / Szevera , Walter ( 1997 ) : Aufbruch – Hoffnung – Untergang. Österreicherinnen und Österreicher in der Sowjetunion 1925–1945 , Wien , 578–585 ; unter den Emigranten waren auch SozialdemokratInnen wie Emmy Freundlich , vgl. Hauch ( 1995a ), 259– 264 ; desgl. Bechtel , Beatrix ( 1989 ) : Emmy Freundlich. In : Prost ( 1989 ), 89–133. 121 Vgl. Reiter-Zatloukal / Rothländer ( 2010 ), 135 ff. Zwei Monografien sind in Vorbereitung. 122 ÖSTA , AdR , 514.
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-beziehungen gestaltet wurden. Die Einbeziehung von handlungsorientierten Perspektiven legt nahe , mittels biografischer Studien mit sozialgeschichtlichem Fokus die Geschlechtsspezifik von Handlungs / spiel / räumen in den Blick zu nehmen. Spuren dafür könnten in Nachlässen von EmigrantInnen verschiedener politischer Couleur wie in Österreich verbliebener politischer ProtagonistInnen gefunden werden. An dieser Stelle sei darauf hinzuweisen , dass die Frauen- und Geschlechtergeschichte ebenso wie die Politikgeschichte speziell der katholischen Frauenbewegung über die politischen Systembrüche hinweg bislang relativ wenig Aufmerksamkeit gewidmet hat. Forschungsdesiderata , die Klandestinität wie die Emigration linker Frauen betreffend , wurden bereits formuliert. Deutlich wurde in diesem Abschnitt , dass die Etablierung des autoritären christlichen Ständestaates für Frauen bedeutet hatte , ihre nicht lange zu erprobende politische Subjekthaftigkeit wieder zu verlieren. Diese geschlechtsspezifische politische Zäsur ist durch eine wissenschaftsgeschichtliche Perspektive zu erweitern , denn sie bedeutete auch den intellektuellen Aderlass einer noch jungen Wissenschaftstradition in Österreich – vor der Machtergreifung des Nationalsozialismus in Österreich. Käthe Leichter , Marie Jahoda , Lucy Varga , Marie Langer , Goldy ParinMatthey oder Margarethe Schütte-Lihotzky , um nur einige zu nennen , waren nicht nur intellektuell feinsinnige Analytikerinnen , sondern sich auch der Wirkungsmacht der Kategorie Geschlecht für Gesellschaft und Wissenschaft bewusst , was in ihren wissenschaftlichen Arbeiten zum Ausdruck kam. Das heißt , mit der Gründung des autoritären christlichen Ständestaates verschwanden erste Ansätze einer Wissenschaftstradition , die in Österreich erst wieder in den 1970er-Jahren aufgegriffen wurde und die seitdem gegen den vorherrschenden Androzentrismus – auch – in der Politikgeschichte Österreichs anschreibt. Der Systembruch von Monarchie zu Republik , als Österreichische Revolution im his toriografischen Kanon bezeichnet , wurde – neben anderen Paradigmen – zentral an der Abschaffung der politischen Ausschlusskategorie Geschlecht und der neuen Existenz der Staatsbürgerin festgemacht.123 Dass angesichts dieses wissenschaftlichen Vorlaufs der Systembruch von parlamentarischer Republik zur Diktatur keine frauen- und geschlechtergeschichtlichen Perspektivierungen in der Geschichtsschreibung nach sich gezogen hat , ist angesichts der Programmatik von Rekatholisierung , Remaskulinisierung und Frauendiskriminierung des autoritären christlichen Ständestaates schwerlich nachzuvollziehen. Die Aufhebung der bürgerlichen Freiheiten und die Schaffung einer auf Berufsständen basierenden Gesellschaftsstruktur bedeuteten den Beginn eines nachhaltigen Rückschlags für die Institutionalisierung von Geschlechtergerechtigkeit ebenso wie einer geschlechtersensiblen ( Geschichts-)Wissenschaft in der Zweiten Republik Österreich.
123 Hanisch , Ernst ( 1994 ) : Der lange Schatten des Staates. Österreichische Gesellschaftsgeschichte im 20. Jahrhundert , Wien , 268.
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IV. Politik und Gesellschaft
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Archiv Österreichisches Staatsarchiv , AdR
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Julie Thorpe
Education and the Austrofascist State ‘The Austrofascist child’s state’ might be the title for a forthcoming publication on the Austrian Ständestaat. While historians already know a great deal about children in Nazi Germany and Fascist Italy , we know very little about their Austrian counterparts other than a handful of memoirs by émigré authors who wrote down their childhood experiences after fleeing the Nazi takeover of their country of birth in 1938.1Political-social analyses of the elementary and high school curriculum under Austrofascism reveal the ideological agenda behind the Ministry of Education’s new textbooks in 1935 , but offer only a partial glimpse of the process of fascistization from above and below. Photographs of uniformed boys and girls , marching with flags , and attending rallies orga nized by the Austrofascist youth brigade , populate the picture of a state propagating the cult of youth in ‘New Austria’. But there remains a great deal more to be said about this fascinating topic of education under the Austrofascist state. Social and cultural histories of children’s lived experience of fascist dictatorships in Italy and Germany , including school and extra-curricular activities , provide a historiographical and methodological framework in which to explore the Austrian child’s view of the state.2 This is a necessary conceptual shift from the narrowly national perspective that dominates histories of education from the Habsburg empire to the collapse of the Nazi state in Austria. Moreover , it is in the context of the state’s training of new Austrian citizens that the Ministry of Education’s curriculum plans and textbooks stand alongside other aspects of youth policy , such as the fraught relationship between state and church youth groups , or the issue of educating non-German-speakers , whose youth groups and bilingual schools were targeted by the state’s assimilationist policies. In other words , the picture of education under Austrofascism , as in the case of all histories of education under dictatorships , is necessarily more complex than curriculum plans and uniforms. 1 See , for example , Clare , George ( 1982 ) : Last Waltz in Vienna : The Destruction of a Family 1842– 1942 , London. 2 The literature on youth and fascism is too vast to cite here , but one of the notable studies for Italy is Koon , Tracy H. ( 1985 ) : Believe , Obey Fight : Political Socialization of Youth in Fascist Italy , 1922– 1943 , Chapel Hill. A recent comprehensive English-language study of Nazi educational and youth policy is Pine , Lisa ( 2010 ) : Education in Nazi Germany , Oxford and New York.
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IV. Politik und Gesellschaft
The purpose of this paper is to survey the existing literature on the topic of education and the Austrofascist state and to introduce some potential areas of inquiry for further research in the field. In the first section on historiography I argue that notwithstanding a recent revival of interest in Austrofascist school and youth policy positioning the Aus trian case alongside Fascist Italy and Nazi Germany , there continues to be a general absence of transnational methodologies in studies of Austrofascism reflecting a larger symptomatic of fascism studies more generally. In the second part of the paper , I introduce what I consider to be three useful themes for future research into the relationship between education ( both curricular and non-curricular ) and the Austrofascist state. These three themes are : commemoration of the First World War in the state’s curricular and extra-curricular activities ; the role of confessional education within the broader political and religious landscape of church-state relations ; and the nature of youth conformism and dissent in the Austrofascist state. While these themes have been touched upon in the existing literature to varying degrees of analysis , I argue that a rigorous transnational approach to these themes would place the Austrian example more visibly in the mainstream international scholarship on fascism elsewhere. I. The historiographical context A starting point for the current German-language literature on education in the Austrofascist state is Herbert Dachs’ chapter on schools in Emmerich Tálos’ and Wolfgang Neugebauer’s edited volume on Austrofascism.3 According to Dachs , the Austrofascist period signaled continuity with , rather than a departure from , the political instrumentalization of the Austrian school system under the First Republic. The collapse of the Habsburg monarchy ushered in an era of federal administrative regulation of Austrian schools with the souls of Austrian children becoming the prime battleground in the new republic. The first act on 19 April 1919 by the Social Democratic Undersecretary for Education , Otto Glöckel , to abolish compulsory religious education in schools has become a lieu de mémoire of that battleground in Austrian political historiography. That one of the first acts of the Dollfuss dictatorship in April 1933 was to overturn the Glöckel Decree , exactly fourteen years after it had been enacted on the grave of the Catholic monarchy , provides an alternative site of memory in the history of the Austrofascist state. Classroom crucifixes have thus become a site of contested memories of Austrian schools from the empire to the Nazi dictatorship. The reintroduction of religion into classrooms has been interpreted by Dachs and others as a top-down effort by Austrofascist bureaucrats to remake schools into state institutions of religious patriotism that failed in the face of a largely Social Democratic and German-nationalist teaching profession. The removal of teachers belonging to the socialist teachers’ unions in February 1934 cleared the way for the government to tighten control over the remaining teachers on condition that they join the Fatherland Front , while the introduction of new textbooks in 1935 signaled another step closer towards a coordi3 Dachs , Herbert ( 2005 ) : „Austrofaschismus“ und Schule : Ein Instrumentalisierungsversuch. In : Tálos , Emmerich / Neugebauer , Wolfgang ( Hg. ) : Austrofaschismus : Politik , Ökonomie , Kultur 1933– 1938 , Wien , 282–296.
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��������������������������������������������������� ��������������������������������������� : Education and the Austrofascist State
nated school system that served the interests of a one-party state. Since the Ministry of Education’s curriculum plan for 1935 to train Austrian youth ‘to feel , think and conduct themselves in a religious-moral , national , social and patriotic manner’ was sufficiently ambiguous to allow German-nationalist teachers to exploit the rhetoric of Austrian particularity towards their own end of promoting greater-German sympathies , the experiment in Austrofascist pedagogy could be regarded as a failure. But the evidence of teachers ( a long with many other Fatherland Front functionaries ) switching loyalties in 1938 does not explain how the process of coordinating a one-party school system in Austria was implemented in an era of radical right-wing governments , nor does it offer any perspective on the larger political , social , cultural and national aims of the Austrofascist state.4 The dearth of new research questions and methods in the field of Austrofascism and education is evident in the bibliography of Dachs’ chapter published in 2005. He cites two recent dissertations ( w ithin the past twelve years ) and one 1978 publication that deals specifically with the school system under the ‘authoritarian’ Austrian state.5 The rest of his sources , including his own 1982 publication , treat the Austrofascist period within a longer chronology of education policy and reform from the monarchy to the Second Republic.6 The five years of the Dollfuss-Schuschnigg dictatorship , as far as Aus trian historiography is concerned , are regarded as no more than an authoritarian experiment that undid the achievements of the reform-minded Glöckel era and held the Austrian education system captive to a religious and patriotic agenda out of step with the will of the population.7 Anglophone contributions tend to follow the trend of Austrian historians. John Rath’s work during the Second World War on Austrian ‘citizenship training’ in the authoritarian era is emblematic of the first wave of scholarly work on authoritarian and fascist countries in the United States and Britain.8 Rath was one of the forerunners in Anglo4 Thorpe , Julie ( 2010 ) : Austrofascism : Revisiting the ‘Authoritarian State’ Forty Years On. In : Journal of Contemporary History Jg. 45 ( 2010 ) Heft 2 , 315–343. 5 Erben , Friedrich ( 1999 ) : Schule und „Ständestaat“ – Die österreichische Schule und ihre Bedeutung für das autoritäre Regime 1934–1938 , Dipl.-Arb. , Wien ; Tancsits , Claudia ( 2002 ) : Manifestationen des Österreichbewusstseins im Schulwesen der Zwischenkriegszeit unter besonderer Berücksichtigung der Zeit von 1933 bis 1938 , phil. Diss. , Wien ; Sorgo , Wolfgang ( 1978 ) : Autoritärer „Ständestaat“ und Schulpolitik 1933–1938 , phil. Diss. , Wien. 6 See , for example , Dachs , Herbert ( 1982 ) : Schule und Politik. Die politische Erziehung an den österreichischen Schulen 1918–1938 , Wien / München ; Engelbrecht , Helmut ( 1988 ) : Geschichte des österreichischen Bildungswesens , Bd. 5 , Wien ; Fischl , Hans ( 1950 ) : Schulreform , Demokratie und Österreich 1918–1950 , Wien ; Battista , Ludwig ( 1948 ) : Die pädagogische Entwicklung des Pflichtschulwesens und der Lehrerbildung von 1848–1948. In : Loebenstein , Edgar ( Hg. ) : 100 Jahre Unterrichtsministerium , Wien , 139–167. A more recent ( 2009 ) doctoral dissertation on Austrian schoolbooks follows the approach of locating the Austrofascist period in a larger history of interwar Austrian political culture. See Pfefferle , Roman ( 2009 ) : Schule macht Politik. Schulbücher als Gegenstand politischer Kulturforschung am Beispiel politischer Erziehung im Österreich der Zwischenkriegszeit , phil. Diss. , Wien. 7 Typical of this glossed-over treatment of education under the Dollfuss-Schuschnigg regime within longer histories of the interwar First Republic is Olechowski , Richard ( 1983 ) : Schulpolitik. In Weinzierl , Erika / Skalnik , Kurt ( Hg. ) Österreich 1918–1938 : Geschichte der Ersten Republik , Bd. 2 , Graz. 8 Rath , R. John ( 1943 ) : Training for Citizenship , ‘Authoritarian’ Austrian Style. In : Journal of Cen-
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IV. Politik und Gesellschaft
phone historiography of the ‘authoritarian Austria’ thesis , which held that that Austria bore some outward similarities to the genuine fascist countries of Italy and Germany , but remained authoritarian in its core ideology and structures.9 This premise has continued to inform Anglo-American contributions to the field with Carla Esden-Tempska’s 1990 article on Austrian ‘civic education’ reproducing much of Rath’s earlier work.10 Michael Zeps’ Education and the Crisis of the First Republic , the only full-length , English-language study devoted to the topic of Austrian education in the interwar years , conforms to the pattern of treating the ‘authoritarian’ state within a longer chronology of the First Republic.11 Limiting his analysis to the years prior to 1934 , Zeps argues that the earlier crisis over religion in schools was never resolved under the Austrofascist state even after the Glöckel Decree had been overturned and a concordat between the Vatican and Vienna in 1934 made religion classes compulsory for all baptized Catholics and ensured that curricula taught in other subjects did not contradict Church teaching. Negotiations for a new concordat had in fact been underway well before 1933 , but the agreement signed in 1934 stopped short of insisting on the public confessional school system that Austrian bishops had hoped for.12 Zeps makes fleeting reference to Schuschnigg’s attempt to reform teacher education as a tertiary qualification , which remained ������� unrealized by the time of Anschluss.13 Not withstanding the reasons for its failed implementation , Schuschnigg’s design for greater state control over education would be the subject of an important future study on Austrofascism with respect to its borrowing from other models of fascist pedagogy and teacher education. Just as Austrofascist politicians looked to Italy and Germany for developing their press and propaganda ministry , in��� cluding��������������������������������������������������������������������������������� plans for a state-accredited journalism qualification that floundered for financial reasons , Schuschnigg’s vision for a modern teaching profession is entirely in keeping with his fascist modernizing projects elsewhere in education , the press and population politics , for example.14 Other more general studies of the period include case studies of the regime’s school and youth policy , such as Laura Gellott’s work on state and church youth groups.15 Schuschnigg’s creation of the state youth organization , the Österreichisches Jungvolk tral European Affairs Jg. 3 ( 1943 ) Heft 2 , 121–146 ; Rath ( 1949 ) : History and Citizenship Training : An Austrian Example. In : Journal of Modern History Jg. 21 ( 1949 ) Heft 3 , 227–238. 9 Thorpe ( 2010 ), 316. 10 Esden-Tempska , Carla ( 1990 ) : Civic Education in Authoritarian Austria , 1934–38. In : History of Education Quarterly Jg. 30 ( 1990 ) Heft 2 , 187–211. 11 Zeps , Michael J. ( 1987 ) : Education and the Crisis of the First Republic , Boulder. 12 Zeps ( 1987 ), 180–183. 13 Zeps ( 1987 ), 185. 14 On the Austrofascist press and propaganda ministry , see Thorpe , Julie ( 2011 ) : Pan-Germanism and the Austrofascist State 1933–38 , Manchester. For Fascist Italy’s journalism training institute that was modeled on the Columbia School of Journalism , see Galassi , Stefania ( 2008 ) : Pressepolitik im Faschismus : Das Verhältnis von Herrschaft und Presseordnung in Italien zwischen 1922 und 1940 , Stuttgart. On Italy’s population politics , see Ipsen , Carl ( 1996 ) : Dictating Demography , Cambridge. 15 Gellott , Laura ( 1987 ) : The Catholic Church and the Authoritarian Regime in Austria , 1933–1938 , New York ; Gellott , Laura ( 1988 ) : Defending Catholic Interests in the Christian State : The Role of Catholic Action in Austria , 1933–1938. In : The Catholic Historical Review Jg. 74 ( 1988 ) Heft 4 , 571–589.
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��������������������������������������������������� ��������������������������������������� : Education and the Austrofascist State
( ÖJV ), in August 1936 followed on the heels of the July Agreement between the Austrian and German governments that relaxed restrictions on underground Nazi activities in Austria and legalized the circulation of Nazi newspapers in Austria. Therefore , the ensuing battle for the bodies and minds—if not the souls—of young Austria , has to be seen against this backdrop of international relations between Austria and Germany. Catholic youth groups were exempt from the ÖJV according to Article 14 of the 1934 concordat , but church leaders quickly moved to bring all Catholic youth groups into a single organization , Katholisches Jungvolk ( K JV ), under the mantle of Catholic Action. During negotiations for the 1934 concordat the Austrian bishops had wished to ensure that no loophole existed for state organizations to exploit the freedom of Catholic youth groups and welfare auxiliaries , as had already happened in Nazi Germany , and they were successful in so far as Catholic Action was granted full autonomy under the final terms of the concordat.16 Thus it is not only in the wrangling over confessional education in the new Austrian state , but also in the struggle to maintain an autonomous Catholic youth programme outside the sphere of the state’s direct control , that historians still have much ground to cover in understanding the nature of conformism and dissent in the Austrofascist dictatorship. Again , the international context looms large in the arena of state-church politics , as I have already alluded to regarding Austro-German relations after 1936. But the Austrian context also needs to be situated within the broader picture of Vatican diplomacy , Catholic internationalism and the Fatherland Front’s efforts to promote Italo-Austrian friendship through official visits and exchanges of youth , among its other state auxiliary groups.17 Similarly , the relationship between the ÖJV and the Fatherland Front’s ‘Germandom’ organization , the Österreichischer Verband für volksdeutsche Auslandsarbeit ( ÖVVA ), warrants a more exhaustive investigation. Established in 1934 by the former Christian Social education minister , Emmerich Czermak , co-editor of the Reichspost , Heinrich Mataja , and the Benedictine historian and professor at the University of Graz , Hugo Hantsch , the two-fold purpose of the ÖVVA was to formalize links with Germanspeaking minorities abroad and facilitate and advise the government’s work of Germanizing Austria’s own minorities. By bringing this organization under the direct authority of the Fatherland Front , the leaders of the ÖVVA also hoped to foil the attempt of National Socialists to gain a stronghold in German-nationalist groups and redirect the activism of these groups towards the Austrian state rather than Nazi ������ Germany. Recruiting Austria’s youth was the focus of the ÖVVA especially after the formation of the ÖJV. ÖVVA leaders worked closely with the ÖJV , supplying their leaders with teaching manuals so they could instruct their members to collect money and books to 16 Gellot ( 1988 ), 574 , 580. 17 While the term ‘Catholic internationalism’ has been mostly applied to the nineteenth century , the transnational dimensions of the Church’s associational and devotional life is equally , if not m ore , apt for the period between the world wars. See Viaene , Vincent ( 2008 ) : International History , Religious History , Catholic History : Perspectives for Cross-Fertilization ( 1830–1914 ). In : European History Quarterly Jg. 38 ( 2008 ) Heft 4 , 578–607. On the Fatherland Front’s visits to Fascist Italy , see Bärnthaler , Irmgard ( 1964 ) : Geschichte und Organisation der Vaterländische Front : Ein Beitrag zum Verständnis totalitärer Organisation , phil. Diss. , Wien. See also Thorpe ( 2011 ).
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IV. Politik und Gesellschaft
donate to German-speakers abroad. The first major fundraising initiative of the ÖJV in June 1937 raised 20,000 Schillings to build German schools along the Upper Austrian border with Czechoslovakia , evidence that ‘Germandom work’ was as much directed at Austria’s own bilingual areas as those across the border.18 Other aspects of the state’s mobilization of youth for ‘Germandom’ work , through study exchanges , sporting and choral tours , for example , also fall under the topic of Austrofascism and education at home and abroad. A recent ( 2011 ) study on pan-Germanism and the Austrofascist state addresses the regime’s education politics with a focus on the systematic efforts to dismantle bilingualism and enforce adherence to the state curricular and extra-curricular efforts amongst non-German-speaking minorities in Austria.19 Drawing on existing Austrian scholarship on the Carinthian Slovenes , Burgenland Croats and Viennese Czechs , as well as correspondence between the Fatherland Front and the representatives of these minority communities in Austria , the author shows that some minority schools fared better under Austrofascism than others.20 Croatian-speakers in the Burgenland fared better than their Slovene counterparts in Carinthia under the Austrofascist state : a new provincial school law introduced in 1937 in the Burgenland was a victory for representatives of the Croatian-speaking community who had thrown their weight behind the new Austrian state while continuing to maintain links with Croatian press and religious associations in Yugoslavia. But their support for Austrofascism was conditional upon keeping their own language , lyrics and youth leaders in the official curriculum plans , textbooks and extra-curricular activities of the ÖJV. Carinthia’s Slovene population had no such choice : both the public and private schools that had taught Slovenian language since the 1848 revolutions had been either shut down or forced to close after a relentless campaign by local German-nationalist groups and the Carinthian provincial government succeeded in firing or transferring teachers and priests and hiring German-speaking replacements. Czech-speakers in Vienna and Lower Austria had the option of private tuition under the Komenský school association whose status was safeguarded under the minorities clause of the 1919 Saint Germain Treaty and the 1920 Brno Treaty. So long as Czech patrons , and not Austrian state coffers , were transporting the children of Czechspeaking migrant workers from Lower Austrian villages to the schools in Vienna , the Komenský schools were not a threat to the state’s interests , though Fatherland Front leaders might have queried the citizenship status of the parents and barred their entry into the Front , thereby precluding them from occupying civil posts in the state. For Vienna’s Jewish community , education in public schools was one of the most visible spheres of discrimination under the Austrofascist state yet to date there has been no study of this specific area of anti-Semitism prior to 1938. Histories of anti-Semitism , on 18 Bärnthaler ( 1964 ), 268–269. 19 Thorpe , Julie ( 2011 ). 20 On Carinthian Slovenes , see Haas , Hanns / Stuhlpfarrer , Karl ( 1977 ) : Österreich und seine Slowenen , Wien ; on Burgenland Croats , see the contributions by Gerald Schlag and Franz Szucsich in Stefan Geosits ( Hg. ) ( 1986 ) : Die burgenländischen Kroaten im Wandel der Zeiten , Wien ; on Vienna’s Czech-speaking community , see Brousek , Karl M. ( 1980 ) : Wien und seine Tschechen : Integration und Assimilation einer Minderheit im 20. Jahrhundert , München.
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the one hand , and Jewish politics , on the other , subsume the topic of the Austrofascist state within broader histories of the interwar period.21 The majority of Jewish schoolteachers dismissed in February 1934 had not been members of the Social Democratic party. Then in September 1934 , the Ministry of Education decreed that all non-Catholic students were to be streamlined into parallel classes , ostensibly on the grounds that some middle and elementary schools were overcrowded and that it would release Jews and Protestants from the compulsory Catholic religion classes that Dollfuss had introduced the previous year. Jewish leaders unanimously condemned the segregation of Jewish and non-Jewish students , but could not agree over what provisions the state should make for education for Jews. Liberals advocated integration in public schools , while Zionists wanted secular Jewish schools , but reiterated that these should not be made compulsory and that Jewish children should have the same educational opportunities as non-Jews. Orthodox Jews opposed the Zionists’ proposal for secular Jewish schools in favour of religious-based education.22 Anecdotal evidence of discrimination against Jewish pupils in Austrian state schools exists in childhood memoirs of the period , but a systematic analysis of Jewish school students in the Austrofascist state still awaits its historian.23 The assimilation and exclusion of ethnic and religious minority youth groups in the Austrofascist state has also been analyzed in a 2011 dissertation by Thomas Pammer , who had access to files released by the Russian government to the Austrian State Archives. These ‘Moscow files’ relate largely to the ÖJV’s activities outside Austria’s borders but also the efforts within Austria to assimilate its non-German-speaking minorities. Pammer concludes that in comparison with the ‘tolerant’ policies of allowing limited bilingualism within the state and private school system , the ÖJV was more systematic in its efforts to eradicate non-German-speakers from the ranks of its youth organiza tion. For example , ÖJV leaders maintained the lines of segregation between ‘irredentist’ Carinthian Slovene youth groups and other ‘assimilated’ Slovenes , although accusations of irredentism towards Slovene groups in Austria were more often simply a smokescreen for discrimination against the civic rights of all Slovene-speakers in the state.24 Similarly , Czech youth groups were initially prevented from joining the ÖJV until the General Secretary of the Fatherland Front intervened ostensibly on constitutional grounds but also as a strategy of forcibly assimilating Czech-speakers in the new Austrian state , although the question of how many Czech youth wanted to join the ÖJV in the first place remains unclear.25 On the grounds of this active discrimination against minorities , amongst other evidence , Pammer makes the case that the ÖJV could be regarded as a fascist organization even if the state itself disqualified as a fully-fledged fascist counterpart to Germany and Italy.26 21 See , for example , Pauley , Bruce ( 1992 ) : From Prejudice to Persecution : A History of Austrian Anti-Semitism , Chapel Hill. 22 Freidenreich , Harriet Pass ( 1991 ) : Jewish Politics in Vienna 1918–1938 , Bloomington , 198–200 , 272. 23 Clare ( 1982 ) is the only English-language memoir I know of that offers this anecdotal evidence. 24 Pammer , Thomas ( 2011 ) : V. F.-Werk „Österreichisches Jungvolk“. Geschichte und Aspekte der staatlichen Organisierung der Jugend im Dollfuß / S chuschnigg-Regime 1933–1938 , Dipl.-Arb. , Wien , 109. On the issue of Slovene ‘irredentism’ , see Thorpe ( 2011 ). 25 Pammer ( 2011 ), 112. 26 Pammer ( 2011 ), 159–161.
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IV. Politik und Gesellschaft
Quite apart from the theoretical debate over whether the state was ‘authoritarian’ or ‘fascist’ , discussion in both the German and Anglophone sources about the relationship between Austrian schools and the regime’s larger political , national , cultural and social objectives is sketchy , at best. As with many interpretations of the limited success of Austrofascist politics in the face of mounting opposition by underground Nazis in Austria and their supporters in the Third Reich , Dachs’ conclusion that the regime ultimately failed to turn pro-German ( t hough not necessarily pro-Nazi ) Austrian school students ( and their teachers ) into Austrian patriots , misses the mark of studies of ‘everyday’ fascism elsewhere in Europe. Austrofascism needs to be seen within this broader European process of ���� making citizens and states in the interwar era. Schools , along with other public spaces such as the press and radio or local monuments , were sites of citizenship training in the new Aus tria as much as they also served as state experiments in a one-party education system.27 One Austrian scholar has indicated the plausibility of a comparative European model for Austria’s education system throughout its evolution from the monastic era of the early Middle Ages to ‘neo-corporativism’ in the second half of the twentieth century.28 While the problem of periodization needs to allow for regional varieties within Austria—the diverse examples of the Burgenland and Carinthia would illustrate this for the Austrofascist period—there are also possibilities for cross-regional and transnational comparisons with other European countries. The example of the private Czech schools in Vienna and their supporters in Czechoslovakia would fit such a comparative model , in the same way that the activities of the ÖVVA in the Sudetenland and elsewhere illustrates the international context in which Austrofascist politicians and auxiliary groups mobilized supporters beyond the boundaries of the Austrian state. It is this larger transnational and comparative approach to education and Austrofascism that is missing in the existing literature and is symptomatic of a larger historiographical problem with studies of fascism in general. II. A new research agenda ? It lies beyond the scope of this chapter to suggest future research topics other than the gaps I have already mentioned in the previous section. But in this section I want to briefly outline a few possible avenues for original enquiries that build on existing scholarship in the field of education and Austrofascism. Three themes stand out : firstly , attitudes to27 A recent Masters thesis provides an interesting case analysis of the school radio programme under the mantle of the state’s radio chief , Rudolf Henz. Established in 1932 , the school radio ���� programme������������������������������������������������������������������������������������������ offered two half-hour segments daily from 1933 and was intended to augment classroom teaching of the state curriculum. See Tinhof , Julia ( 2009 ) : „Ihr Jungen schließt die Reihen gut , ein Toter führt uns an“. Propaganda im Austrofaschismus. Mag.-Arb. Wien , 114–115. 28 Engelbrecht , Helmut ( 1992 ) : Bemerkungen zur Periodisierung der österreichischen Bildungsgeschichte. In : Lechner , Elmar / Rumpler , Helmut / Z darzil , Herbert ( Hg. ) : Zur Geschichte des österreichischen Bildungswesens. Probleme und Perspektiven der Forschung , Wien , 11–34. Engelbrecht outlines a progression through several evolutionary stages of Austrian schools from the ‘monastic phase’ during the eighth to 13th centuries ; the ‘urban phase’ from the 14–15th centuries ; the ‘confessional phase’ in the Counter-Reformation period of the 16 and 17th centuries ; the ‘state phase’ following the Napoleonic Wars in the early 18th century ; the era of party domination from the late-nineteenth century until the 1960s , which signaled the start of the ‘neo-corporative’ plurality of public and private schools.
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wards pacifism and war in Austrofascist curriculum ; secondly , the role and reputation of public and private schools in Austria and their relationship with other institutions in Austria and abroad , including the Church ; and , thirdly , the extra-curricular activities of Fatherland Front youth groups as a site of conformism or dissent within the regime. English journalist and playwright Cicely Hamilton ( 1872–1952 ) published an outsider’s guide to Austrian politics , culture and society , Modern Austria as Seen by an English Woman , which gives some insight into the elementary history curriculum prior to the introduction of new textbooks in 1935. Particularly revealing is her observation that in Austria , unlike England , school children were encouraged to reflect on the world war and its devastating impact on both civilians and soldiers alike. Austrian children were taught not only the ‘facts’ of war , but were also encouraged to respond to vivid scenes of combat , fear , loss of life and mourning. In this way , ‘the idea which found favour with many of our post-war educationists , that children should know little or nothing of the war , was not accepted by teachers of Austrian schools.’ On the contrary , Hamilton observed , Austrian children were made to ‘realize the meaning of warfare , not only by presentment of fact and incident , but also by questions designed to stir imagination.’29 Similarly , questions about commemoration and victims of war were clearly aimed at stimulating family dinnertime discussions , extending the long arm of the state beyond the boundaries of ‘public’ indoctrination in classrooms into the ‘private’ realm of family and home life. Students were asked to investigate war memorials in their neighbourhood and to reflect on how they had been made aware in their own homes of ‘the most terrible of all wars …that lasted from 1914 to 1918 [ in which ] thirty million men were engaged.’ Questions on wounded soldiers , their care during and after the war , and the fate of prisoners of war in Russia were also aimed at the students’ own family histories. Schoolbooks encouraged them to ask their fathers about prisoners of war , their mothers about the impact of the war on the home front , and tradesmen about the lack of raw materials and labour during the war.30 A comparison between these textbooks and those that were introduced after 1935 would reveal whether there was a shift in emphasis during the Austrofascist regime on the history of the world war and the Austrian efforts to care for war victims during the first decade of the First Republic. Open-ended questions such as these also gave plenty of margin for teachers to add their own emphasis on militarism and pacifism at the same time that they also reveal how the state viewed the home , family , education , social welfare , gender , labour , and public memory within an integrated world view.31 During her visit to Austria , Hamilton also toured an agricultural high school in Salzburg where boys and girls over the age of 16 , the sons and daughters of farmers , received instruction in traditional and modern agricultural methods , including cheese making as a regional specialty. Girls were offered additional classes in cooking , nutrition , basic 29 Hamilton , Cicely ( 1935 ) : Modern Austria as Seen by and Englishwoman , London , 118. 30 Hamilton ( 1935 ), 119. 31 Contemporary Austrian publications on patriotic education include Neidl , Margarete ( 1934 ) : Der vaterländische Gedanke in Erziehung und Unterricht , Wien ; Vereinigung christlich-deutscher Mittelschullehrer Österreichs ( Hg. ) ( 1936 ) : Österreich. Grundlegung der vaterländischen Erziehung , Wien / Leipzig ; Gorbach , Alfons ( Hg. ) ( 1935 ) : Vorträge über vaterländische Erziehung , Graz , as well as the pedagogical journals „Elternhaus und Schule“ and „Schriften des Pädagogischen Institutes der Stadt Wien“.
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nursing and childcare. Religious instruction and lessons in German language and folk song made up the rest of the curriculum in what Hamilton declared ‘an industrious , many-sided institution’ that left her pondering ‘why it is that a townsman who earns his living by the simple job of minding a machine in a factory—a machine that probably does all the real work—should so often consider himself the intellectual superior of the worker on the land with his many and varied attainments ? ’32 Hamilton was no conservative ; she had campaigned for women’s rights before the war and toured Europe in the 1930s as a freelance journalist documenting the Stalinist and Fascist regimes in Russia and Italy. Her open admiration for the ‘industrious’ Austrian peasant belied a long English fascination with the arts and crafts movement at home and abroad and was a variation on nineteenth-century British travel writing by women who combined political activism with social issues and a commitment to supporting and exporting local art. Austrofascist propaganda bureaucrats were well aware of the appeal of Austrian art and culture in Britain and enlisted the help of Austrian émigré writers , journalists , artists , and photographers in the service of the Austrofascist state’s image abroad.33 Hamilton’s visit to an agricultural trade school highlights the institutional advantage that such an educational programme might have over other more traditional academic schools in facilitating exchanges and contacts across Austria’s borders. Convent schools offer an alternative site of transnational exchanges and relations bet ween Austria and other European systems of education , especially in Italy. We have already seen that the 1934 concordat fell short of Austrian ecclesiastical hopes for a state-funded confessional education system in Austria , but private Catholic schools continued to operate under the Austrofascist Ministry of Education. These schools were likely more integrated with the extra-curricular activities of the KJV , although the schools themselves did not operate within the jurisdiction of Catholic Action. Handicrafts also featured in these private schools , especially those run by women religious orders , and the archives of these Austrian orders remain untapped in studies of the Austrofascist period. Finally , the nature of youth conformism and dissent within and outside the ranks of the Fatherland Front—before and after the creation of the ÖJV—needs to be held up under the light of comparative fascism studies. One of the innovations of recent scholarship on Italy and Germany has been to explore the processes of exchange , contact and transfer across state borders , destabilizing the distinction between what was authentically homegrown fascism and what was mere imitation.34 In Austria , the ÖJV looked first to Italy and increasingly Germany for models of training young leaders and sent its delegates to an international fascist camp outside Rome , known as Campo d’Austria.35 In October 1936 a delegation of Fatherland Front functionaries visited Fascist Italy , including male and female members of the ÖJV who mingled with young Fascist groups at a film evening , attended a candlelight vigil in Rome’s Colosseum for the dead chancel32 Hamilton ( 1935 ) : Modern Austria , 203–205. 33 Thorpe ( 2011 ). 34 Nolzen , Armin / Reichardt , Sven ( Hg. ) ( 2005 ) : Faschismus in Italien und Deutschland : Studien zu Transfer und Vergleich , Göttingen. 35 Pammer ( 2011 ), 84–87.
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lor , Dollfuss , on the anniversary of his birthday and had audiences with both Mussolini and Pope Pius XI during their ten-day visit.36 These kinds of exchanges between Austrian and Italian youth belong to the history of cultural diplomacy in an era of European fascism , but they also reflect the place and call of youth in the Austrofascist state. Could one be a devout Catholic heeding the pope’s call to build the Church while also serving the interests of the Austrofascist state ? At what point did those two projects overlap or diverge in the sphere of youth and education specifically ? How exactly were ÖJV members encouraged to emulate their older Italian cousins skilled already for more than a decade in combining loyalty to both the Duce and the Pope ? And how did relations with youth further afield , in Denmark , for example , figure in the larger goal of promoting and building the new Austrian state ?37 These and many other questions can only be answered fully in the context of transnational approaches to fascism in general , and to the Austrofascist state in particular. Encouraging signs that new research is emerging in German and Italian scholarship in this direction will encourage future Austrian students and scholars to follow in the footsteps of the ÖJV delegates themselves in visiting the sites of contact and exchange between the Austrofascist state and its counterparts in Europe.
36 Thorpe ( 2011 ). 37 The so-called ‘Danish Action’ under Austrofascism followed the earlier humanitarian interven tion of Denmark and other countries to evacuate starving Austrian children during the food crisis after the First World War. See Pammer ( 2011 ), 84–87.
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Thomas Pammer
Austrofaschismus und Jugend : gescheiterte Beziehung und lohnendes Forschungsfeld ? Vorbemerkung Die Frage der außerschulischen Jugenderziehung und der Jugendorganisationen in der Zeit des Dollfuß / Schuschnigg-Regimes1 hat bislang innerhalb der österreichischen Geschichtswissenschaft keine größere Aufmerksamkeit gefunden. Der Vergleich mit der Situation in Deutschland verdeutlicht dies : Die 2003 von der Bibliothek für Bildungsgeschichtliche Forschung in Berlin zusammengestellte Bibliografie zur Hitlerjugend ( HJ ) weist nicht weniger als 294 selbstständige ( Sekundärliteratur-)Publikationen zu diesem Themenkreis aus.2 Nachdem bis Anfang der 1980er-Jahre nur vereinzelte Untersuchungen erschienen waren , explodierte die Forschung zu Beginn der 1990er-Jahre regelrecht : Zwischen 1990 und 2002 wurden pro Jahr durchschnittlich 20 für die Jugendpolitik des NS-Regimes relevante Monografien veröffentlicht.3 Demgegenüber erschienen in Österreich im selben Zeitraum nur zwei Publikationen , die explizit Jugendpolitik und Staatsjugend im Austrofaschismus thematisierten.4 Seitdem blieb der Forschungsstand im Wesentlichen unverändert ; eine umfassende Untersuchung zu diesem Themenkomplex steht nach wie vor aus. In den Fokus des disziplinären Interesses geriet die Jugendpolitik des Regimes abseits der Schule nur dort , wo sie sich mit anderen Forschungsfeldern kreuzte : etwa dem Konflikt zwischen Regierung und katholischer Kirche , der illegalen Betätigung nationalsozialistischer Jugendlicher , dem Verhalten des Regimes gegenüber 1 In diesem Aufsatz verwende ich die Begriffe „Dollfuß / S chuschnigg-Regime“, „Regime“, „Austrofaschismus“ sowie „Ständestaat“ als synonyme Bezeichnung für das zwischen 1933 / 34 und 1938 in Österreich regierende Herrschaftssystem. 2 Ritzi , Christian ( Hg. ) ( 2003 ) : Hitler-Jugend. Primär- und Sekundärliteratur der Bibliothek für Bildungsgeschichtliche Forschung , Berlin. 3 Ritzi ( 2003 ), 7–9. 4 Gehmacher , Johanna ( 1994 ) : Jugend ohne Zukunft. Hitler-Jugend und Bund Deutscher Mädel in Österreich vor 1938 , Wien , 400–422 , sowie Kemmerling-Unterthurner , Ulrike ( 1991 ) : Die katholische Jugendbewegung in Vorarlberg 1918–1938 [ Vorarlberg in Geschichte und Gegenwart 5 ] , Dornbirn , 41–56.
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Sport- und Kulturvereinen oder den Wechselbeziehungen zwischen Staatsjugend und Schule. Nur das Interesse von StudentInnen an der Thematik scheint im Steigen begriffen zu sein – allein zwischen 2007 und 2011 erschienen hierzu vier Diplomarbeiten.5 Allerdings erschwert besonders Studierenden das Fehlen einer geeigneten Grundlagenliteratur diesbezügliche Forschungen erheblich. Der Schwerpunkt zur hiesigen Forschung über Jugendpolitik in totalitären oder autoritären Herrschaftssystemen lag eindeutig auf den sieben Jahren nationalsozialistischer Herrschaft in Österreich6 – die fünf Jahre Ständestaat fanden sehr viel weniger Beachtung. Dieser Sachverhalt findet seine Entsprechung in der Autobiografik : Gegenüber einer Vielzahl7 an Veröffentlichungen über eine Jugend in der ( legalen oder illegalen ) HJ / BDM existiert so gut wie keine Autobiografie8 , welche eine Mitgliedschaft in einer austrofaschistischen Jugendorganisation thematisiert. Eine Ursache dafür war sicherlich , dass sich manche ZeitzeugInnen , die eine Autobiografie verfassten , wohl verpflichtet fühlten , der Nachwelt eine Warnung vor dem Nationalsozialismus zukommen zu lassen ; gerade weil sie selbst jener Ideologie so blind verfallen waren , welche sie – nach den Worten des Münchner Historikers und einstigen begeisterten HJ-Mitgliedes Hermann Graml9 – stets hemmungslos hofiert und umschmeichelt hatte. Die Erfahrungen in den 5 Mayer , Bernd ( 2007 ) : Gesellschaftspolitischer Faktor „Jugend“. Jugendbewegungen in Österreich : von der Jahrhundertwende bis zum Ständestaat , Dipl.-Arb. , Graz ; Gober , Eva Maria ( 2008 ) : Die Instrumentalisierungs- bzw. Sozialisierungsversuche und Erziehungsprinzipien im autoritären Ständestaat Österreichs 1933 / 34–1938. Ein Beitrag zur Schul- und Erziehungsgeschichte im ‚austrofaschistischen‘ Österreich am Beispiel des burgenländischen Schul- und außerschulischen Pädagogikfeldes anhand von Chroniken , Dokumenten , Jahresberichten , Erlässen und von Gesprächen mit Zeitzeugen , Dipl.-Arb. , Wien ; Tinhof , Julia ( 2009 ) : Ihr Jungen schließt die Reihen gut , ein Toter führt uns an. Propaganda im Austrofaschismus. Schwerpunktthema : Kinder und Jugendliche , Dipl.-Arb. , Wien ; Pammer , Thomas ( 2011 ) : V. F.-Werk „Österreichisches Jungvolk“. Geschichte und Aspekte der staatlichen Organisierung der Jugend im Dollfuß / S chuschnigg-Regime 1933–1938 , Dipl.-Arb. , Wien. 6 Neben Gehmacher ( 1994 ) wären dies beispielsweise : Kannonier-Finster , Waltraud ( 2004 ) : Hitler-Jugend auf dem Dorf. Biographie und Geschichte in einer soziologischen Fallstudie , Innsbruck ; Perchinig , Elisabeth ( 1996 ) : Zur Einübung von Weiblichkeit im Terrorzusammenhang. Mädchen adoleszenz in der NS-Gesellschaft , Wien ; Achs , Oskar ( 1988 ) : Jugend unterm Hakenkreuz. Erziehung und Schule im Faschismus , Wien. 7 Eine Auswahl solcher Autobiografien , über welche – nebenbei bemerkt – eine kulturwissenschaftliche Analyse noch ausständig ist : Ringler , Ralf Roland ( 1977 ) : Illusion einer Jugend. Lieder , Fahnen und das bittere Ende. Hitler-Jugend in Österreich. Ein Erlebnisbericht , St. Pölten ; Aull-Fürs tenberg , Margret ( 2001 ) : Lebenslüge Hitler-Jugend. Aus dem Tagebuch eines BDM-Mädchens , Wien ; Massiczek , Albert ( 1988 ) : Ich war Nazi. Faszination – Ernüchterung – Bruch. Ein Lebensbericht , Wien ; Kislinger , Helmut ( 2009 ) : Verführt und missbraucht. Ein ehemaliger Hitlerjunge erzählt aus den Jahren 1938–1945 , Steyr ; Aschböck , Edith ( 2002 ) : Jugend im Dritten Reich , Wien. 8 Ein vom ehemaligen Wiener Universitätsarchivar Franz Gall verfasster Artikel vermittelt mitunter den Eindruck eigenen Erlebens. Vgl. Gall , Franz ( 1976 ) : Zur Geschichte des Österreichischen Jungvolks 1935–1938. In : Neck , Rudolf / Wandruszka , Adam ( Hg. ) : Beiträge zur Zeitgeschichte. Festschrift Ludwig Jedlicka zum 60. Geburtstag , St. Pölten , 217–235. 9 Graml , Hermann ( 1992 ) : Integration und Entfremdung. Inanspruchnahme durch Staatsjugend und Dienstpflicht. In : Benz , Ute ( Hg. ) : Sozialisation und Traumatisierung. Kinder in der Zeit des Nationalsozialismus , Frankfurt / Main , 70–79 : 75.
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Verbänden des Ständestaates erschienen demgegenüber pädagogisch wohl weniger wertvoll. Und auch für HistorikerInnen wirkte die unentschlossene Jugendpolitik des Ständestaates im Vergleich zum hocheffizienten und totalen Zugriff des Nationalsozialismus auf die Jugend als wenig lohnendes Forschungsfeld. I. Der Topos : die Erfolglosigkeit der austrofaschistischen Jugendpolitik Man begnügte sich im Wesentlichen mit der Feststellung , dass es dem Dollfuß / Schuschnigg-Regime nicht gelungen wäre , die Jugend zu gewinnen , wie es Johanna Gehmacher bündig formulierte : „Die Bemühungen um eine Integration der österreichischen Jugendlichen in den austrofaschistischen Staat müssen als gescheitert bezeichnet werden.“10 Eine Einschätzung , die in der Folge in der Wissenschaft kritiklos übernommen wurde.11 Die austrofaschistische Jugendpolitik wurde also summarisch mit dem Prädikat „erfolglos“ etikettiert – damit schien das Thema im Wesentlichen erledigt. Was war aber der tiefere Grund dafür , dass sich die österreichischen Jugendlichen von ihrem Regime allem Anschein nach nicht ebenso widerstandslos in Anspruch nehmen ließen , wie es Graml der deutschen Jugend attestierte ?12 Für Robert Kriechbaumer waren es die Dominanz der alten Eliten und der Rückgriff auf den verstaubten Habsburger-Mythos , die ein jugendliches Erscheinungsbild des Regimes verhindert hätten ; ein solches wäre jedoch notwendig gewesen , um im Kampf um die Jugend mit dem in dieser Hinsicht außerordentlich erfolgreichen Nationalsozialismus bestehen zu können.13 Gehmacher hingegen machte die heterogene gesellschaftliche Basis des Staates sowie die grundsätzliche Konzeptlosigkeit in der Jugendpolitik für dieses Scheitern verantwortlich.14 Herbert Dachs sah – auf die Schulpolitik bezogen – eine Ursache dafür im bewussten Nachahmen nationalsozialistischer Inhalte und Stile in der Jugendpolitik , welche nicht nur eine Immunisierung der Jugend gegen den Nationalsozialismus verfehlt , sondern sie sogar auf diesen vorbereitet hätte.15 All diese Erklärungsversuche sind richtig , betreffen jedoch nur Teilbereiche. Eine umfassende Beantwortung dieser Frage steht noch aus. Ein Aspekt , der zur Bildung des Topos beitrug , war freilich auch das offensichtliche Misstrauen oder Unbehagen , mit dem die Führer des Ständestaates – besonders der christlich-soziale Flügel unter Dollfuß und Schuschnigg – die Jugend betrachteten.16 Sie waren in der Jugendpolitik weit mehr reagierend als agierend und unterschieden sich 10 Gehmacher ( 1994 ), 423. 11 Beispielsweise : Pawlowski , Verena / L eisch-Prost , Edith / K lösch , Christian ( 2004 ) : Vereine im Nationalsozialismus. Vermögensentzug durch den Stillhaltekommissar für Vereine , Organisationen und Verbände und Aspekte der Restitution in Österreich nach 1945 [ Veröffentlichungen der Österreichischen Historikerkommission Bd. 21 / 1 ] , Wien , 192. 12 Graml ( 1992 ), 70. 13 Kriechbaumer , Robert ( 2002 ) : Ein Vaterländisches Bilderbuch. Propaganda , Selbstinszenierung und Ästhetik der Vaterländischen Front 1933–1938 , Wien , 70. 14 Gehmacher ( 1994 ), 423. 15 Dachs , Herbert ( 2005 ) : „Austrofaschismus“ und Schule. In : Tálos , Emmerich / Neugebauer , Wolfgang ( Hg. ) : Austrofaschismus. Politik – Ökonomie – Kultur , Wien , 282–296 : 296. 16 Ein Ausdruck dafür ist etwa das in der Maiverfassung festgelegte Mindestalter von 24 Jahren für die Teilnahme an Volksabstimmungen.
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damit einerseits von der Sozialdemokratie , die in den 1920er-Jahren mit viel Elan und anfangs durchaus erfolgreich ihre Jugendorganisationen aufgebaut hatte , besonders aber von den NationalsozialistInnen , die sich selbst als „Bewegung der Jugend“ sahen und 1933 proklamierten , zwei Drittel der österreichischen Jugend in ihren Reihen zu haben.17 Diese Behauptung wurde nicht nur vom Regime für bare Münze genommen18 , sondern auch von einer Anzahl österreichischer Nachkriegshistoriker.19 Gehmacher blieb es vorbehalten , diese Behauptung etwas zurechtzurücken : Tatsächlich gehörten der HJ 1933 weniger als 25.000 Personen an , nicht einmal ein Zehntel aller organisierten Jugendlichen in Österreich.20 Selbst wenn man die tendenziell pro-nationalsozialistischen Jugendorganisationen des übrigen deutschnationalen Lagers – mit etwa 68.000 Mitgliedern21 – hinzurechnet , kommt man höchstens auf ein Drittel der Jugend ; die nationalsozialistischen Jugendlichen blieben gegenüber den Jugendverbänden der Sozialdemokratie ( m it rund 60.000 Mitgliedern ) und der katholischen Kirche ( etwa 100.000 ) weit in der Unterzahl. Die von Botz konstatierte „sozialpsychologische Faschismus-Disponiertheit der Jugend“22 in der Zwischenkriegszeit lässt sich somit zumindest durch diese Zahlen nicht bestätigen. Dass die Behauptung der NationalsozialistInnen dennoch Glauben fand , lag vorrangig an der Stärke der HJ an den höheren Schulen sowie ihrem ausgesprochenen Aktivismus , der sich im Frühsommer 1933 in einer spektakulären Anschlagsserie äußerte , an der auch viele minderjährige HJ-Mitglieder beteiligt waren. II. Der Kampf der Machtgruppen um die Jugend Das autoritäre Regime bemühte sich nun jedoch nicht darum , die Jugend durch seine Politik zu gewinnen oder in eigene Organisationen einzugliedern , sondern versuchte , regimefeindliche Jugendarbeit zunächst ausschließlich durch Zwangsmaßnahmen zu unterbinden. Im Mai 1933 wurde die Koalitionsfreiheit der MittelschülerInnen aufgehoben , im Juni die HJ verboten und im Februar 1934 die sozialistischen Jugendverbände aufgelöst. Wirk17 Gehmacher , Johanna ( 1995 ) : Eine Bewegung der Jugend ? Nationalsozialistische Mobilisierungsund Organisationsstrategien in Österreich vor 1938. In : Ardelt , Rudolf G. / G erbel , Christian ( Hg. ) : Österreichischer Zeitgeschichtetag 1995. Österreich – 50 Jahre Zweite Republik. 22. bis 24. Mai 1995 in Linz , Innsbruck , 428–431 : 428. 18 So etwa Unterrichtsminister Kurt Schuschnigg im November 1933 : „Unendlich viel Jugend beherrscht in diesen Tagen politischer Hochspannung das Straßenbild. [ … ] Dreiviertel dieser Jugend weiß nicht , für welches Programm sie sich erhitzt , ein großer Teil hat in früheren Zeitläuften ein anderes , immer aber ein Antiabzeichen getragen , und trägt jetzt eben das Hakenkreuz.“ Tzöbl , Josef A. ( 1933 ) : Vaterländische Erziehung. Mit Geleitwort von Dr. Kurt von Schuschnigg , Wien , 6. 19 Etwa Gerhard Jagschitz , Bruce Pauley oder Gerhard Botz. Vgl. Gehmacher ( 1995 ), 428. 20 Gehmacher ( 1995 ), 431. 21 In welchem Ausmaß Doppelmitgliedschaften zwischen den deutschnationalen Jugendbünden und der legalen HJ bestanden – und die Gesamtzahl der Jugendlichen dieses Lagers somit niedriger veranschlagt werden muss – ist unklar. 22 Botz , Gerhard ( 1981 ) : Strukturwandlungen des österreichischen Nationalsozialismus ( 1904– 1945 ). In : Ackerl , Isabella / Neck , Rudolf ( Hg. ) : Politik und Gesellschaft im alten und neuen Österreich , Bd. 2 , Wien , 163–193 : 193.
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lich effektiv waren diese Verbote freilich nur im letzteren Fall. Da beinahe das gesamte sozialdemokratische Vereinswesen zerschlagen worden war , hatten linksgerichtete Jugend liche kaum Tarnungsmöglichkeiten in legalen Organisationen , ganz im Unterschied zu den HJ-Mitgliedern , welche in den fast zur Gänze intakt geblieben nationalen Vereinen untertauchten und ihre Jugendarbeit dort beinahe ungestört weiterführen konnten.23 Parallel zu den Repressionsmaßnahmen begannen nun innerhalb des Herrschaftssystems intensive Verhandlungen über die Frage , in welcher Form die österreichische Jugend außerhalb der Schule organisiert und beeinflusst werden sollte. Dieses im Jargon der damaligen Zeit kurz „Jugendfrage“ genannte Problem entwickelte sich zu einer der brennenden innenpolitischen Fragen des Dollfuß / Schuschnigg-Regimes , denn sie berührte beinahe sämtliche politischen und gesellschaftlichen Gruppen an einer empfindlichen Stelle : ihrem Nachwuchs. Die Verhandlungen über die Jugendfrage können nun als beispielhafter Fall für den von Botz konstatierten „gemäßigten Verbände-Pluralismus“24 im Austrofaschismus gelten. Die wichtigsten Akteure waren ein kleiner Zirkel um Bundeskanzler Schuschnigg25 , die Heimwehr , die katholische Kirche und die christliche Arbeiterbewegung , daneben die religiösen und ethnischen Minderheiten. Auch Institutionen wie Militär , Bundesländer oder Bauernbünde verfolgten auf diesem Gebiet ihre eigenen Interessen. Von allen regimekonformen Gruppierungen stets mitgedacht wurde in dieser Frage natürlich auch die Bedrohung durch die illegalen politischen Kräfte des nationalsozialistischen und linken Lagers. Wie heftig die Konflikte zwischen den einzelnen Machtgruppen in dieser Frage waren , lässt sich schon allein an der langen Zeitspanne ablesen : Von der Ausschaltung des Parlaments im März 1933 bis zur Bildung der Staatsjugendorganisation „Österreichisches Jungvolk“ ( ÖJV ) Ende August 1936 und der gleichzeitigen Verabschiedung eines Jugendgesetzes , womit sämtliche Jugendarbeit in Vereinen einer Genehmigungspflicht durch das Unterrichtsministerium unterworfen wurde , vergingen beinahe dreieinhalb Jahre.26 III. „Die Kirche“ gegen „den Staat“ ? Die meiste Aufmerksamkeit wurde in der bisherigen Forschung den Auseinandersetzungen zwischen Regime und katholischer Kirche gewidmet sowie dem interessanten Umstand , dass gerade in dieser spezifischen Frage die Kirche nicht zum – wie es Ernst Hanisch ausdrückte27 – größten Profiteur des Regimes wurde. Dabei kollidierte der 23 Vgl. Gehmacher ( 1994 ), 374–400. 24 Botz , Gerhard ( 1983 ) : Gewalt in der Politik. Attentate , Zusammenstöße , Putschversuche , Unruhen in Österreich 1918 bis 1938 , München , 235. Allerdings geht Botz davon aus , dass die Phase dieses begrenzten Pluralismus zusammen mit einer partiellen Defaschistisierung des Regimes erst etwa im Oktober 1935 einsetzte. 25 Für die maßgeblich von Schuschnigg bestimmte Jugendpolitik der Ostmärkischen Sturmscharen vgl. Reich , Walter ( 2002 ) : Die Ostmärkischen Sturmscharen. Für Gott und Ständestaat , Frankfurt / Main , 327–339. 26 Eine erste chronologische Zusammenfassung dieser Konflikte findet sich bei Pammer ( 2011 ), 17–57. 27 Hanisch , Ernst ( 2005 ) : Der politische Katholizismus als ideologischer Träger. In : Tálos / Neugebauer ( Hg. ), 68–87 : 68.
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kirchliche Anspruch auf ein Vorrecht in der Jugenderziehung mit dem Bestreben bestimmter Regierungskreise , eine Staatsjugend nach faschistischem Muster aufzubauen. Schon 1971 stellte Irmgard Bärnthaler diesen Konflikt in den Mittelpunkt ihres kurzen Abrisses über das ÖJV.28 Eine wichtige , in Österreich jedoch verhältnismäßig wenig rezipierte Untersuchung stammt von der amerikanischen Historikerin Laura Gellott29 , die beinahe die Hälfte ihrer Abhandlung diesen Auseinandersetzungen widmete. Sie konnte nachweisen , dass schon bei den Schlussverhandlungen zum Konkordat im Frühjahr 1934 die „Jugendfrage“ ein vorrangiger Streitpunkt gewesen war.30 Dabei weigerte sich die Regierung hartnäckig und letztlich erfolgreich , bestimmte Forderungen des Vatikans zu erfüllen , die der Bildung einer Staatsjugendorganisation direkt zuwidergelaufen wären. Dennoch war Gellott der Ansicht , dass sich die Kirche in der „Jugendfrage“ gegen das Regime im Großen und Ganzen behauptet habe.31 Sie hätte ihre Verbände erhalten und zusätzlich noch einen erheblichen Einfluss in der Staatsjugend ausüben können ; eine Einschätzung , der sich Hanisch anschloss : Gleichzeitig ging die katholische Kirche auf eine stärkere Distanz zum Regime. Der Konflikt zwischen Vaterländischer Front und Katholischer Aktion wird in der Forschung eher unterschätzt , genauso wie der Konflikt zwischen der Staatsjugend und der Katholischen Aktion , woraus eher letztere als Sieger hervorging. Sie übertraf in der Mitgliederzahl die Staatsjugend um das Dreifache.32
Zu einem völlig konträren Ergebnis kam hingegen Gerhard Schultes , der in seiner Arbeit33 über den mitgliederstarken , interdiözesanen „Reichsbund der katholischen deutschen Jugend Österreichs“ ebenfalls diesem Konflikt nachging. Er legte dar , wie die tiefe Uneinigkeit innerhalb des Episkopats den Zusammenbruch dieses Dachverbandes beschleunigte und die faktische Eingliederung der nun aufgesplitterten Diözesanjugendverbände in das ÖJV im Laufe des Jahres 1937 überhaupt erst ermöglichte.34 Für Schul28 Bärnthaler , Irmgard ( 1971 ) : Die Vaterländische Front. Geschichte und Organisation , Wien , 172–177. 29 Gellott , Laura ( 1982 ) : The Catholic Church and the Authoritarian Regime in Austria 1933–1938 , Madison , 112–250. 30 Gellott ( 1982 ), 148–152. 31 Gellott ( 1982 ), 234. 32 Hanisch , Ernst ( 1994 ) : 1890–1990. Der lange Schatten des Staates. Österreichische Gesellschaftsgeschichte im 20. Jahrhundert , Wien , 314. Diese Zahlenverhältnisse , auf denen Hanischs Einschätzung beruht , sind allerdings mit hoher Wahrscheinlichkeit falsch. Sie gehen auf Angaben Guido Zernattos zurück , der den Mitgliederstand des ÖJV im März 1938 mit 130.000 und jenen der Konkordatsjugend mit 300.000 bezifferte. Vermutlich gehörten dem ÖJV Anfang 1938 dagegen rund 350.000 Jugendliche an ( d amit etwa 29 % aller in Österreich wohnenden 6- bis 18-Jährigen ), einschließlich jener 150.000 Mitglieder katholischer Jugendvereine , welche durch Verträge zwischen der ÖJV-Führung und den Bischöfen zum formalen Eintritt in die Staatsjugend verpflichtet wurden , jedoch weiterhin in ihren eigenen Gruppen verblieben. Zum Problem der Mitgliederzahlen der einzelnen Verbände vgl. Pammer ( 2011 ), 70–73. 33 Schultes , Gerhard ( 1967 ) : Der Reichsbund der katholischen deutschen Jugend Österreichs [ Veröffentlichungen des kirchenhistorischen Instituts der katholisch-theologischen Fakultät der Universität Wien 4 ] , Wien , 319–326. 34 Schultes ( 1967 ), 324.
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tes waren die katholischen Jugendorganisationen , die damit einen erheblichen Teil ihrer Souveränität eingebüßt hatten , die großen Verlierer der Jugendpolitik des Regimes – besonders wenn man die hohen Erwartungen miteinbezieht , welche diese anfangs an das autoritäre System gehabt hatten. Auch ich gelangte in meiner Untersuchung zu ähnlichen Schlüssen.35 Auch wenn es zur Frage des Verhältnisses zwischen Regime und Kirche in der Jugendpolitik auch einige regionale Studien36 gibt , ist sie bisher nur unvollständig behandelt worden. Vor allem die unterschiedlichen Positionen zur „Jugendfrage“ innerhalb des Episkopats wurden noch zu wenig beachtet ; daher herrscht in der österreichischen Geschichtswissenschaft zuweilen noch immer die Auffassung , „die Kirche“ bzw. „der Episkopat“ hätten zwischen 1933 und 1938 in dieser Frage einen einheitlichen Block gebildet.37 In diesem Zusammenhang wären noch Recherchen in den einzelnen Diözesanarchiven lohnenswert , besonders in den diesbezüglich bislang kaum bearbeiteten Nachlässen der ( Erz-)Bischöfe Theodor Innitzer ( Wien ), Johannes Maria Gföllner ( Linz ), Sigismund Waitz ( Salzburg ) und Adam Hefter ( Gurk ).38 Ebenso wie in der Kirche gab es auch innerhalb der Regierung stark divergierende Vorstellungen über die künftige Jugendorganisierung. Während vor allem Dollfuß , aber zunächst auch Schuschnigg auf eine große , einheitliche Organisation unter gleichberechtigtem Einschluss der katholischen Jugendverbände hinarbeiteten , verfolgte Vizekanzler und Heimwehrführer Ernst Rüdiger ( von ) Starhemberg von Beginn an das Ziel , die Heimwehrjugend „Jung-Vaterland“ zur Staatsjugend auszubauen und mittelfristig nach Vorbild des italienischen Faschismus die gesamte außerschulische Jugend erziehung dem Staat zu unterstellen. Die Bischöfe bemerkten schon früh diese Faschisierungstendenzen und legten in drei Eingaben an die Bundesregierung ihre Bedenken dar – besonders die Erziehungsinhalte von „Jung-Vaterland“ wurden dabei heftig angegriffen.39 Dieser grundlegende Konflikt zwischen Heimwehr und Kirche wurde bisher 35 Pammer ( 2011 ), 135–139. 36 So etwa mit besonderem Fokus auf Vorarlberg : Kemmerling-Unterthurner ( 1991 ) und Kemmerling-Unterthurner , Ulrike ( 1988 ) : Die staatliche Jugendorganisation in Österreich 1933–1938 mit besonderer Berücksichtigung von Vorarlberg. In : Historische Blickpunkte. Festschrift für Johann Rainer , Innsbruck , 311–330 ; sowie für Oberösterreich : Rohrhofer , Franz Xaver ( 2007 ) : Fronten und Brüche. Ständestaat und katholische Kirche 1933–1938 , Linz , 163–192. Allerdings stützen sich beide Untersuchungen in ihren Bewertungen hauptsächlich auf Schultes ( 1967 ). 37 So verwies etwa Hanisch ( 2005 ), 83 , auf eine Stellungnahme Bischof Gföllners zur „Jugendfrage“, ohne zu beachten , dass dessen Position – die Ablehnung eines Zusammenschlusses von Staatsund Konkordatsjugend – keineswegs die Haltung aller österreichischen Bischöfe widerspiegelte. Tatsächlich entwickelte sich aus dieser Stellungnahme eine bittere Kontroverse zwischen dem Linzer Bischof und Kardinal Innitzer , die schließlich sogar im Vatikan Aufmerksamkeit erregte. Vgl. Pammer ( 2011 ), 38–39. 38 Die Nachlässe der Bischöfe Ferdinand Pawlikowski ( S eckau ) und Michael Memelauer ( St. Pölten ) habe ich bereits im Rahmen meiner Diplomarbeit bearbeitet ( Pammer , 2011 ). 39 Zwei dieser Memoranda ( vom November 1933 und Oktober 1934 ) sind editiert bei Liebmann , Maximilian ( 1984 ) : Jugend – Kirche – Ständestaat. In : Liebmann , Maximilian / Binder , Dieter A. ( Hg. ) : Hanns Sassmann zum 60. Geburtstag. Festgabe des Hauses Styria , Graz , 187–204 ; die dritte bei : Denkschrift des österreichischen Episkopates über die Jugend-Organisationen , Wiener Diözesanblatt , 29. 1. 1936 , 6–11.
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kaum beachtet ; ebenso wenig liegt eine Untersuchung über die Heimwehrjugend vor , der Anfang 1936 mehr als 100.000 Jugendliche angehörten. Für eine solche Analyse wären nun in erster Linie die bisher unbearbeiteten Publikationen des „Jung-Vaterland“40 sowie Stellungnahmen zur „Jugendfrage“ in der übrigen Heimwehrpresse von Interesse. Eine derartige Untersuchung wäre auch deshalb wünschenswert , da diese Organisation entscheidenden Einfluss auf das ÖJV gewinnen sollte. Während die Heimwehr ihre politische Bedeutung nach dem Sturz Starhembergs großteils eingebüßt hatte , konnten die ehemaligen „Jung-Vaterland“-Kader die weitaus meisten leitenden Positionen41 in der neuen Staatsjugend besetzen und ihre unverhohlen faschistischen Erziehungsideale dort mit wenigen Abstrichen weiterhin umsetzen. Dies führte zu einem interessanten Phänomen : Entgegen Botz’ Befund , dass sich das teilfaschistische Regime nach 1935 / 36 wieder stärker zum „autoritär-bürokratischen“ Typus zurückbildete ,42 zeigten sich in Jugendpolitik und Staatsjugend Tendenzen einer immer deutlicheren „äußeren“ und „inneren“ Faschisierung.43 Erstere durch die ( geplante ) Inkorporation so gut wie aller noch legalen Jugendverbände – einschließlich der katholischen – in das ÖJV sowie einen langsam , aber stetig wachsenden Druck auf die österreichischen Jugendlichen , der Staatsjugend beizutreten ; Letztere etwa durch die radikale Betonung des Führerprinzips oder – zumindest in den ÖJV-Burschengruppen – die völlige Zurückdrängung der vorgesehenen „sittlich-religiösen“ Erziehung zugunsten einer einseitigen Ausrichtung auf Sport und vormilitärische Erziehung. Welche Überlegungen die Staatsführung letztlich dazu bewogen , den ehemaligen Heimatschützern in der neuen Staatsjugend so große Macht einzuräumen , bleibt vorerst ungeklärt. IV. „Faschistische Totalität“ oder „autoritärer Pluralismus“ ? Durchaus von Bedeutung ist die Jugendpolitik des Ständestaats bei Diskussionen zur begrifflichen Einordnung des Regimes. So bezweifelte Ende der 1970er-Jahre Everhard Holtmann in seiner Kontroverse mit Manfred Hahn den faschistischen Charakter des Regimes unter anderem mit Hinweis auf die vermeintlich unbehinderte Existenz der katholischen Jugendverbände.44 Stanley Payne wiederum sah in der Staatsjugend nur einen äußerlichen faschistischen Aufputz des Regimes ,45 während Julie Thorpe in ihr einen Teil des breiten austrofaschistischen Projekts erblickte , mit dem Österreich nach Vorbild Italiens und Deutschlands umgestaltet werden sollte.46 40 Jung-Vaterland. Offizielles Organ des Jugendverbandes „Jung-Vaterland“, Wien. 41 Zum Leiter des ÖJV , dem sog. „Bundesjugendführer“, wurde etwa Georg Thurn-Valsassina ernannt , der Schwager Starhembergs. Das „Direktorium“ ( bestehend aus Bundeskanzler Schuschnigg , Unterrichtsminister Hans Pernter , VF-Generalsekretär Guido Zernatto und – in seiner Eigenschaft als Führer der Sport- und Turnfront – Heimwehrführer Starhemberg ), dem statutengemäß die obers te Leitung der Staatsjugend zukam , griff kaum in die Leitung ein. Vgl. Pammer ( 2011 ), 101–102. 42 Botz ( 1983 ), 235. 43 Pammer ( 2011 ), 158–171. 44 Holtmann , Everhard ( 1978 / 79 ) : Austrofaschismus als fixierte Idee. Eine Erwiderung auf Man fred Hahn. In : Zeitgeschichte Jg. 6 ( 1978 / 79 ) Heft 11 / 1 2 , 427–431 : 429. 45 Payne , Stanley ( 1995 ) : A History of Fascism , 1914–1945 , London , 250–251. 46 Thorpe , Julie ( 2010 ) : Austrofascism. Revisiting the „Authoritarian state“ 40 years on. In : Journal
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Dazu ist anzumerken , dass die bloße Existenz einer Staatsjugend oder parallel dazu bestehender religiöser Jugendverbände noch nichts über die ideologische Ausrichtung eines Herrschaftssystems aussagt.47 Von größter Bedeutung für die Beantwortung dieser Frage wäre es daher , Jugendpolitik und Staatsjugend des Dollfuß / Schuschnigg-Regimes in einen europäischen Zusammenhang zu stellen und hinsichtlich Erziehungsinhalten , Einfluss der Kirchen , Organisationsstruktur und Gründungscharakter zu untersuchen. In einen solchen Vergleich sollten jedoch nicht nur die beiden vollfaschistischen Nachbarländer48 einbezogen werden , sondern auch autoritär geführte Staaten wie Bulgarien , Ungarn und Portugal. Die Staatsjugendorganisationen der beiden Letzteren , die Levente49 sowie die Moçidade Portuguesa50 scheinen sich dafür besonders zu eignen , da sie gewisse strukturelle Ähnlichkeiten zum ÖJV aufweisen. Im Zuge dessen könnte auch festgestellt werden , ob und in welchem Ausmaß es in der Jugendpolitik zu Transfers zwischen einem anderen System und dem österreichischen Regime gekommen ist und ob in diesem Zusammenhang etwa von einem „Imitationsfaschismus“51 gesprochen werden kann. Auch müsste untersucht werden , welchen Stellenwert der Jugendmythos – laut Payne war die Verherrlichung der Jugend ein genuines Merkmal faschistischer Bewegungen52 – in den verschiedenen Herrschaftssystemen einnahm und auf welche Weise an die Jugend appelliert wurde. V. Eine Jugendpolitik der ethnisch-gesellschaftlichen Homogenisierung ? Der britische Soziologe Michael Mann definierte Faschismus folgendermaßen : „Fascism is the pursuit of a transcendent and cleansing nation-statism through paramilitarism.“53 Diese Ideologie erhebe also den Anspruch , durch eine Militarisierung der Gesellschaft und die reinigende Macht eines Staatsnationalismus soziale Spannungen überwinden und sämtliche Bevölkerungsgruppen in ein organisches und harmonisches „Ganzes“ überführen zu können. Von dieser These ging auch Thorpe in ihrer Untersuchung zum Nation-Building-Prozess des Ständestaats aus. In einer Analyse von Presse- , Bevölkerungs- und Erziehungspolitik wies sie nach , in welch hohem Maße das Regime die supranationale Vergangenof Contemporary History Jg. 45 ( 2010 ) Heft 2 , 315–343 : 324. 47 So existierten im faschistischen Italien ebenfalls katholische Jugendverbände , ohne dass der faschistische Gehalt von Mussolinis Regime deshalb in Zweifel gezogen würde. 48 Zur italienischen Staatsjugend , der Opera Nazionale Balilla , vgl. Schleimer , Ute ( 2004 ) : Die Opera Nazionale Balilla bzw. Gioventù Italiana del Littorio und die Hitlerjugend. Eine vergleichende Darstellung , Münster. 49 Eine der wenigen Untersuchungen der Levente in einer westlichen Sprache findet sich bei Vitári , Zsolt ( 2007 ) : Jugendbewegungen im Zeichen nationalpolitischer und paramilitärischer Ausrichtung im Vorkriegsungarn. Deutsche Jugend und Levente. In : Suevia Pannonica. Archiv der Deutschen aus Ungarn Jg. 35 ( 2007 ), Heidelberg , 48–71. 50 Arriaga , Lopes ( 1976 ) : Mocidade Portuguesa. Breve História de uma Organização Salazarista , Lissabon. 51 Zu diesem Begriff vgl. Hanisch ( 1994 ), 313–314. 52 Payne ( 1995 ), 25. 53 Mann , Michael ( 2004 ) : Fascists , Cambridge , 14.
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heit Österreichs sowie seine ethnischen und religiösen Minderheiten zugunsten einer einseitigen Betonung seines „katholischen Deutschtums“ beiseiteschob.54 Dabei zitierte sie auch einen Artikel aus einer burgenlandkroatischen Zeitung , in welcher ein Jugendführer die kulturelle Gleichschaltung der kroatischsprachigen Jugend im ÖJV beklagte.55 Inwieweit nun die Staatsjugend zum Träger einer solchen nationalistischen Agenda wurde , muss noch eingehender untersucht werden.56 Dabei kämen in erster Linie die Zeitungen und Publikationen der Minoritäten , also jene der Burgenlandkroaten , der Kärntner Slowenen und der Wiener Tschechen als Quellen infrage , zusätzlich dazu Orts- , Schul-57 und Kirchenchroniken in den einzelnen Siedlungsgebieten. Auch hier darf die außerschulische Jugendpolitik nicht isoliert behandelt , sondern muss in einem engen Zusammenhang mit der Schulpolitik gegenüber den ethnischen Minderheiten gesehen werden. In einem unmittelbaren Zusammenhang dazu steht die Frage nach den In- und Exklusionstendenzen der austrofaschistischen Jugendpolitik gegenüber der jüdischen Glaubensgemeinschaft. Gehmacher sah im faktischen Ausschluss jüdischer Jugendlicher aus dem ÖJV einen klaren Beleg für die nationalsozialistische Unterwanderung der Staatsjugend bis in die höchsten Führungspositionen.58 Abgesehen von der problematischen Gleichung „antisemitisch = nationalsozialistisch“ ist dem entgegenzuhalten , dass diese Exklusion auch eine Propagandastrategie des Regimes darstellen könnte , um in Anbetracht des latenten Antijudaismus großer Bevölkerungsteile der illegalen HJ einen Wettbewerbsvorteil unter nichtjüdischen Jugendlichen zu nehmen. Eine Segrega tion der jüdischen Jugend wurde zudem von einem Großteil der zahlenmäßig dominierenden orthodox und zionistisch gesinnten Jüdinnen und Juden – einschließlich der Leitung der Israelitischen Kultusgemeinde ( IKG ) – angestrebt und ausdrücklich gutgeheißen.59 Auch wurde im ÖJV , trotz einzelner dahin gehender Vorstöße , kein Arierparagraf eingeführt. Als Quellenbestände für eine eingehendere Untersuchung dieses Verhältnisses bieten sich die Akten über jüdische ( Jugend-)Vereine im Archiv der IKG Wien sowie die vielfältige jüdische Presse60 an. In Verbindung mit Manns These wäre weiters die Frage zu klären , inwieweit das Regime die Staatsjugend für den Versuch einsetzte , seine Legitimationsgrundlage auch auf überwiegend regierungsfeindliche gesinnte Gesellschaftsgruppen , etwa die Arbei54 Thorpe ( 2010 ), 328–343. 55 Thorpe ( 2010 ), 330. 56 Eine erste Analyse der Jugendpolitik des Regimes gegenüber den ethnischen Minderheiten – mit Schwerpunkt auf den Entscheiden des Unterrichtsministeriums über deren Vereine nach dem Jugendgesetz – findet sich bei Pammer ( 2011 ), 106–112. 57 Ein Beispiel für die Verwendung von Schulchroniken zur Analyse von Jugend- und Schulpolitik findet sich bei Kriechbaumer , Robert ( 1993 ) : Zwischen Kruckenkreuz und Hakenkreuz. Schule im autoritären und totalitären Staat , dargestellt am Beispiel Pongauer Schulchroniken 1934–1945 , Salzburg. 58 Gehmacher ( 1994 ), 422–423. 59 Vgl. dazu Pammer ( 2011 ), 116–123. 60 Neben den größten politischen Gruppen innerhalb des Judentums ( A ssimilantInnen , Orthodoxe , Links- und RechtszionistInnen ) verfügte auch eine Reihe jüdischer Jugendvereine über eigene Zeitschriften , etwa : Die Nation. Monatsschrift des Berit Trumpeldor , Wien. Einige dieser Publikationen sind auch in der Bibliothek des Jüdischen Museums Wien zugänglich.
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terschaft , auszudehnen. So betonte die Bundesjugendführung wiederholt die Wichtigkeit der „sozialen Frage“ sowie ihr Bestreben , die Kategorie gesellschaftlicher Herkunft im ÖJV irrelevant zu machen – und somit eine Art austrofaschistischer „Volksgemeinschaft“ entstehen zu lassen.61 VI. Eine gescheiterte Integration der oppositionellen Jugend ? Ebenso wenig wie unter den Erwachsenen gelang dem Regime letztlich innerhalb der Jugend eine Mobilisierung über die unmittelbare Kerngruppe des katholisch-vaterländischen Lagers hinaus.62 Großen Anteil daran hatten die illegalen Jugendgruppen , die zu Kristallisationspunkten regimefeindlicher Aktivitäten wurden und trotz harter Repressionen ein fast unüberwindbares Hindernis für die austrofaschistischen Vereinheitlichungsbestrebungen darstellten. Sie stützten und schürten nicht nur mentale Resistenz vieler Jugendlicher gegen die Regierung , sondern versuchten auch , regimekonforme Jugendverbände zu infiltrieren , um dort die politisch indifferenten Jugendlichen in ihrem Sinne zu beeinflussen. Zur erfolgreichen illegalen Tätigkeit der HJ existiert bereits eine eingehende Untersuchung ,63 auch wenn Gehmacher das Ausmaß der nationalsozialistischen Unterwanderung des ÖJV vermutlich überschätzte.64 Im Gegensatz dazu gibt es in der Frage des Verhältnisses der illegalen kommunistischen und sozialistischen Jugendgruppen zum Regime noch Forschungsdefizite. Zur Revolutionären Sozialistischen Jugend ( R SJ ) stellt nach wie vor Wolfgang Neugebauers Untersuchung aus 1975 die rezenteste Literatur dar.65 Die RSJ war im Unterschied zur illegalen HJ keine wirkliche Jugendbewegung , sondern eine Kaderorganisation mit nur etwa 1.000 Mitgliedern , deren Altersschnitt bei über zwanzig Jahren lag.66 Ähnlich aufgebaut war auch der Kommunistische Jugendverband ( K JV ).67 Die Methoden des Widerstandes unterschieden sich erheblich voneinander. Während die HJ neben der Infiltration von legalen Organisationen auch ihre Kommunikationsstrategie öffentlichkeitswirksamer Sabotageaktionen und Demonstrationen aufrechterhielt , rückte die RSJ nach der Hinrichtung ihres Mitglieds Josef Gerl im Juli 1934 von waghalsigen öffentlichen Aktionen ab. Der KJV hingegen verfolgte ebenso wie die HJ 61 Vgl. dazu Pammer ( 2011 ), 123–132. 62 Diesen Eindruck bestätigt auch eine Analyse der regionalen Stärke des ÖJV : Seine Hochburgen lagen ungefähr deckungsgleich mit den einstigen der Christlichsozialen in Westösterreich sowie den niederösterreichischen Agrargebieten. Weit unterdurchschnittlich blieben die Mitgliederzahlen in Kärnten und Wien. Vgl. Pammer ( 2011 ), 74–77. 63 Gehmacher ( 1994 ), 295–448. 64 Vgl. dazu Pammer ( 2011 ), 147–157. 65 Neugebauer , Wolfgang ( 1975 ) : Bauvolk der kommenden Welt. Geschichte der sozialistischen Jugendbewegung in Österreich , Wien , 301–315. 66 Neugebauer ( 1975 ), 301. 67 Auch über den KJV liegt momentan lediglich eine eingehendere Untersuchung vor : Weinert , Willi ( 1986 ) : Der kommunistische Jugendverband in der Illegalität vor 1938. In : Historische Kommission beim ZK der KPÖ ( Hg. ) : Beiträge zur Geschichte der kommunistischen Jugendbewegung in Österreich , Wien , 36–46.
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eine Strategie der Unterwanderung , insbesondere der Jugendgruppen von Einheitsgewerkschaft und Sozialer Arbeitsgemeinschaft ( SAG ), welche von der christlichen Arbeiterbewegung geführt wurden. Ziel war die Bildung einer Volksfront der Jugend gegen die nationalsozialistische Bedrohung ;68 und zumindest unmittelbar vor dem Umsturz , zwischen 9. und 11. März 1938 , gab es tatsächlich Anzeichen zum Entstehen einer solchen.69 Da es sich bei dieser Jugendarbeit um verbotene politische Betätigung handelte , kommen für Forschungen in erster Linie die Akten der Strafverfolgungsbehörden in Betracht , also jene der Sicherheitsdirektionen70 und der Landesgerichte bzw. im Falle Wiens der Bundespolizeidirektion und des Jugendgerichtshofes71. Außerdem befinden sich im Bestand „Sonderarchiv Moskau“ des Österreichischen Staatsarchivs umfangreiche und unbearbeitete Aktenbestände zur SAG , die möglicherweise auch Material zu ihren Jugendsektionen enthalten. VII. Jugendorganisationen als Orte der Einübung von Geschlecht Nicht zuletzt stellen Jugendorganisationen auch hervorragende Gegenstände für Untersuchungen von Geschlechterkonstruktionen dar. Großteils unbelastet vom humanistischen Bildungsideal , das in den Schulen noch vermittelt wurde , althergebrachten Wertvorstellungen , die nach wie vor in den Familien vertreten wurden , und unter weitgehendem Ausschluss der Religionsgemeinschaften konnten diktatorische Herrschaftssysteme hier den „Neuen Menschen“ nach ihren Vorstellungen formen. Auch zu diesem Thema existieren , abgesehen von Gehmachers Analyse der illegalen HJ , für Österreich noch keinerlei Untersuchungen. Eine mögliche Frage wäre , ob und wie sich die Rollenzuweisungen der Geschlechter in den Jugendorganisationen des betont antimodernen Ständestaates von jenen der sich als modern und revolutionär verstehenden vollfaschis tischen Nachbarländer unterschied. Bezüglich des weiblichen Organisationsgrads in der Staatsjugend war Österreich mit seinen Nachbarn durchaus vergleichbar. Immerhin machten die Mädchen fast 45 % der ÖJV-Mitglieder aus – etwas überraschend angesichts der Tatsache , dass die katholische Kirche , wenn sie sich schon mit der außerschulischen vormilitärischen Erziehung der Burschen abfinden musste , mit allen Mitteln wenigstens das Primat über die Mädchenerziehung erhalten wollte.72 Für eine diesbezügliche Fragestellung scheint ein diskursanalytischer Zugang besonders vielversprechend zu sein. Bilder und Vorstellungen von Männlich- bzw. Weib68 Weinert ( 1986 ), 44–46. 69 Über dieses interessante Phänomen gibt es mehrere Zeitzeugenberichte , etwa bei Schmidl , Ernst Anton ( 1988 ) : März 1938. Der deutsche Einmarsch in Österreich , Wien , 131 ; oder bei : Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstands ( Hg. ) ( 1992 ) : Erzählte Geschichte. Berichte von Männern und Frauen in Widerstand wie Verfolgung. Bd. 2 : Katholiken , Konservative , Legitimisten , Wien , 97. 70 Es ist allerdings unsicher , wie viel derartiges Aktenmaterial noch verfügbar ist. Zumindest im Falle der Sicherheitsdirektion Niederösterreich wurden alle Akten der Jahre 1936–1938 skartiert. ( Freundliche Mitteilung von ADir. Tragschitz vom 9. Jänner 2011. ) 71 Die Akten der Landesgerichte und des Jugendgerichtshofes lagern in den jeweiligen Landesarchiven. 72 Vgl. dazu Liebmann ( 1984 ), 197–204.
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lichkeit in ÖJV-Publikationen73 könnten hierbei mit entsprechenden Äußerungen in ( Jugend-)Zeitschriften der katholischen Kirche , des linken sowie des nationalsozialis tisch-deutschnationalen Lagers verglichen werden , in weiterer Folge mit Darstellungen von Geschlecht in Publikationen der italienischen und deutschen Staatsjugend. An dieser Stelle sei auch auf die bisher unbearbeiteten Akten des VF-Frauenreferats im „Sonderarchiv Moskau“ hingewiesen , welche enge Kontakte zur ÖJV-Führung unterhielt. Sehr viele Aspekte der austrofaschistischen Jugendpolitik , wie subjektive Erfahrung von Gemeinschaft , von Druck und Zwang , das vermittelte Weltbild , die tatsächlich durchgeführten Aktivitäten und die Einschätzung der Staatsführer , lassen sich freilich aus Aktenbeständen und Publikationen nicht beantworten. Erkenntnisse darüber können – mangels der eingangs erwähnten diesbezüglichen Autobiografik – nur aus Befragungen von ZeitzeugInnen gewonnen werden. Da anzunehmen ist , dass viele Mitglieder des ÖJV bzw. anderer regimekonformer Jugendverbände später auch Mitglieder von HJ bzw. BDM waren , böten solche Interviews ideale Voraussetzungen für einen Vergleich zwischen diesen Organisationen. Ein Problem stellt dabei jedoch der verhältnismäßig geringe Organisationsgrad des ÖJV dar , der in den meisten Bundesländern nur zwischen drei und 20 % schwankte.74 Einzig in Vorarlberg waren über 40 % der Jugendlichen in diesem Verband organisiert. In der gebotenen Kürze dieses Artikels war es nur möglich , einen kurzen Überblick über einige Themenfelder zu bieten , die noch wissenschaftlicher Beachtung bedürfen. Mein Ziel war es , auf die große Bedeutung der Frage der Jugendorganisierung in der austrofaschistischen Innenpolitik hinzuweisen sowie darauf , dass sie für eine Vielzahl an Fragen ein lohnendes Forschungsfeld darstellen kann – besonders im Hinblick auf die vergleichende Faschismusforschung.
73 Für Mädchen unter 14 Jahren : Mädelblatt , Wien. Für Mädchen ab 14 Jahren : Die Junghelferin , Wien. Für Burschen unter 14 Jahren : Bubenblatt , Wien. Für Burschen ab 14 Jahren : Der Jungschütze , Wien. Für erwachsene JugendführerInnen : Der Jugendführer , Wien. Außerdem sind die von der ÖJV-Führung herausgegebenen „Behelfsdienste“, welche die Leitlinien für die Erziehungsinhalte vermittelten , von höchstem Interesse. 74 Vgl. Pammer ( 2011 ), 74–77.
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IV. Politik und Gesellschaft
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V. Rechts- und Verwaltungs geschichte
Gertrude Enderle-Burcel / Alexandra Neubauer-Czettl
Staat im Umbruch – Forschungslücken zur Geschichte Österreichs der Jahre 1933 bis 1938 Bei den Recherchen im Rahmen der Edition der Ministerratsprotokolle der Ersten Republik zeigt es sich , dass bei überraschend vielen Themen Forschungslücken festzustellen sind. Dieser Beitrag wird diese Problematik in drei Teilen behandeln. Im ersten Teil wird auf die Veränderungen im Ablauf des Ministerrates und auf die Bedeutung des Juli-Abkommens 1936 als Zäsur eingegangen. Im zweiten Teil wird auf Quellenbestände hingewiesen , die bis dato noch weitgehend unbenützt in verschiedenen Archiven lagern und deren Aufarbeitung wesentlich zum Schließen der Forschungslücken beitragen könnte. Im dritten Abschnitt werden einige mögliche Ansätze zur Elitenforschung in Verwaltung und Politik aufgezeigt. I. Zum Wandel der Entscheidungsfindung auf Regierungsebene Im März 1935 unternahm Bundeskanzler Kurt Schuschnigg den ersten Versuch , den Ablauf der Ministerratssitzungen zu ändern.1 Die Intervalle wurden sehr unregelmäßig : ein bis sechs Wochen. Auch die Wochentage – ursprünglich Freitag – wechselten. Ende 1937 kündigte sich das Ende des Gremiums Ministerrat an. Bundeskanzler Schuschnigg erklärte in MRP 1066 vom 22. Dezember 1937 , „bis auf weiteres einmal im Monat eine Ministerbesprechung anberaumen zu wollen , bei der keine laufenden Geschäftsstücke , sondern nur zu Informationszwecken und zur Erstattung von Anregungen außen- , wirtschafts- und sozialpolitische und ähnliche Fragen behandelt werden sollten“. Zusätzlich gibt es in MRP 1069 vom 21. Februar 1938 den Hinweis auf außerordent liche Verhandlungen des Ministerrates im Sitzungssaal des Amtsgebäudes Ballhausplatz 2 und auf Sitzungen von Ministerkomitees.2 1 Protokolle des Ministerrates der Ersten Republik ( 1993 ) : Kabinett Dr. Kurt Schuschnigg , Bd. 2 , Wien , MRP 987 / 4 vom 15. März 1935. 2 Vgl. Enderle-Burcel , Gertrude : Staat im Umbruch – Forschungslücken zur Geschichte Österreichs der Jahre 1933 bis 1938 , URL : http ://www.univie.ac.at / z eitgeschichte / cms / uploads / Paper-Enderle-Burcel.pdf ( abgerufen am 17. 10. 2011 ). In Beilage 1 werden Beispiele für Ministerkomitees der letzten beiden Bände des Kabinetts Schuschnigg angeführt.
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V. Rechts- und Verwaltungsgeschichte
Die Veränderungen in den formalen Abläufen werden schließlich so augenfällig , dass sich die Frage aufwirft , wann , wo und welcher Kreis die politisch relevanten Entscheidungen – die neben der Gesetzesvorbereitung stets Eingang in die Ministerratsbesprechungen gefunden hatten – besprach. Es wird genau zu analysieren sein , welche Gesetzesentwürfe und Themen überhaupt noch und in welchem Umfang im Ministerrat diskutiert wurden , wie lange noch die demokratischen Traditionen nachwirkten und ab wann auch diese Scheinfunktion aufgegeben wurde. Erst nach Vorliegen des letzten Bandes des Kabinetts Schuschnigg wird eine umfassende Analyse der Jahre 1933 bis 1938 möglich sein. Ein Vergleich mit den Ministerratsprotokollen früherer Kabinette wird die Möglichkeit schaffen , hier Kontinuitäten und Diskontinuitäten aufzuzeigen. Die Bedeutung der Ministerratsprotokolle als Informationsquelle zu wesentlichen Vorgängen im Staat nimmt spätestens mit dem Juli-Abkommen 1936 ab.3 Auffallend ist , dass anstelle des Ministerrates in den 1930er-Jahren zunehmend Minis terkomitees traten , in denen nur ein Teil der Regierungsmitglieder zu Beratungen zusammenkam. In den meisten Fällen konnten bisher keine Unterlagen zu Ministerkomiteesitzungen eruiert werden. In einigen Fällen konnten Aufzeichnungen mehr zufällig in Akten zum betreffenden Thema gefunden werden.4 In den Tagebuchaufzeichnungen des Diplomaten Heinrich Wildner gibt es aber auch Hinweise auf Ministerbesprechungen. Am 15. Juni 1937 findet sich der Eintrag : „Minis terbesprechung mit Kienböck wegen der deutschen Angelegenheit , Schachtbesuch , Alpine. Alle wenig im Bilde.“ Am 25. November 1937 heißt es : „Ministerbesprechung im Parlament , wo Schmidt recht oberflächlich mit alten Argumenten die deutsche Sache behandelte und sich weiter zurückzog …“5 Für Ende November 1937 gibt es auch in den Memoiren von Guido Zernatto Hinweise auf eine Ministerbesprechung im Parlament , an der der Bundeskanzler , Zernatto , Guido Schmidt und Michael Skubl teilnahmen.6 Am 18. Jänner 1938 gab es einen außerordentlichen Ministerrat , zu dem laut Edmund Glaise-Horstenau kein Schriftführer zugezogen war und der ausschließlich politische Fragen behandelte.7 Hinweise darauf finden sich im Archiv der Republik in einem Karton des Bundesministeriums für Landesverteidigung „Ministerratssitzung 1067–1070“, in dem Datum und Tagesordnung der angesprochenen Sitzung aufscheinen.
3 Broucek , Peter ( 1977 ) : Edmund Glaise-Horstenau und das Juliabkommen 1936. In : Das Juliabkommen von 1936. Vorgeschichte , Hintergründe und Folgen , Protokoll des Symposiums in Wien am 10. und 11. Juni 1976 ( Veröffentlichung der Wissenschaftlichen Kommission des Theodor-Körner-Stiftungsfonds und des Leopold-Kunschak-Preises zur Erforschung der österreichischen Geschichte der Jahre 1927 bis 1938 4 ), Wien , 119–135 : 129. 4 Einen Sonderfall stellt ein Sitzungsprotokoll des Ministerkomitees zur II. Novelle des GSVG vom 22. November 1937 dar , das MRP 1064 vom 16. November 1937 beiliegt. 5 Vgl. ÖStA , AVA , Nachlass Heinrich Wildner , E / 1791 :11. 6 Zernatto , Guido ( 1938 ) : Die Wahrheit über Österreich , Paris , 182–183. 7 Broucek , Peter ( 1983 ) : Ein General im Zwielicht. Die Erinnerungen Edmund Glaises von Horstenau , Bd. 2 ( Veröffentlichungen der Kommission für neuere Geschichte Österreichs 70 ), Wien / Köln / Graz , 217 ; Akten zur Deutschen Auswärtigen Politik 1918–1945 ( 1950 ) : Serie D ( 1937–1945 ), Bd. I , Baden-Baden , Nr. 280 , 405–406.
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Glaise-Horstenau gibt in seinen Memoiren auch über die Abhaltung eines am 26. Jänner 1938 einberufenen sogenannten Rumpfministerrates Auskunft , bei dem neben ihm Bundeskanzler Schuschnigg , Arthur Seyss-Inquart , Schmidt , Zernatto und Skubl anwesend waren.8 Insgesamt scheint das Jahr 1936 als wesentliche Zäsur zu wenig erforscht zu sein. Das Juli-Abkommen des Jahres 1936 hat in den verschiedensten Bereichen des österreichischen Staates eine Dynamik gebracht , die bis jetzt zu wenig Beachtung gefunden hat. Von deutscher Seite wurde ab dem Juli-Abkommen 1936 die Vorbereitung des Anschlusses aggressiv betrieben. Dies ist besonders auf dem Sektor der Wirtschaft nachweisbar – etwa beim zunehmenden Konkurrenzkampf zwischen italienischem und deutschem Kapital am Energiesektor ( bei der Steweag ) oder am Versicherungssektor ( bei den Verhandlungen um den Phönix-Aktienbesitz zwischen der Generali-Gruppe sowie der Münchner Rück und Allianz Deutschland ). Auch bei der Alpine Montan Gesellschaft lässt sich ab August 1936 eine Verstärkung der Geschäftsbeziehungen zu Deutschland feststellen , die 1937 zu großen Vertragsabschlüssen mit den Vereinigten Stahlwerken führte. Bei der Alpine Montan Gesellschaft ist in diesem Zusammenhang eine Verringerung des italienischen Geschäftes bemerkbar.9 Am deutlichsten ist die Reduzierung der italienischen Aktivitäten bei der DDSG nachweisbar.10 Die wenigen Beispiele zeigen , dass auf die deutschen Kapitalinteressen mehr Aufmerksamkeit in der Forschung gelegt werden muss. Ausgangspunkt könnten jene Unternehmungen sein , die vor 1938 überhaupt nicht oder noch nicht mehrheitlich in deutschem Besitz waren , die aber unmittelbar nach dem „Anschluss“ übernommen wurden , bei denen also offenkundiges Interesse bestand. Bei diesen Unternehmen müsste nach strukturellen und personellen Veränderungen in der Zeit zwischen Juli 1936 und März 1938 geforscht werden. Im Tagebuch von Wildner findet sich etwa auch der Hinweis : „Die großen Forstwirtschaftsbesitzer aus der Schauflergasse haben sich in Berlin eine Verkaufsstelle errichtet und in der Präsidentenkonferenz verankert …“11 Zu den engen Verbindungen österreichischer Holzindustrieller vor 1938 nach Deutschland gab es laufend Artikel in der Zeitschrift „Die Industrie“.12
8 Broucek ( 1983 ), 215–216. 9 Enderle-Burcel , Gertrude : Italienische Kapitalbeteiligungen 1934–1938. In : Guiotto , Maddalena / Wohnout , Helmut ( Hg. ) : Italien und Österreich im Mitteleuropa der Zwischenkriegszeit / Italia e Austria nell’Europa centrale tra le due guerre mondiali , Wien ( P ublikation in Vorbereitung ). 10 Enderle-Burcel , Gertrude ( 2010 ) : Konkurrenz auf der Donau – Anfang und Ende der Betriebsgemeinschaft der Ersten Donau-Dampfschiffahrtsgesellschaft mit der Königlich-ungarischen Flußund Seeschiffahrts A.G. in der Zwischenkriegszeit. In : Matis , Herbert / Resch , Andreas / Stiefel , Dieter ( Hg. ) : Unternehmertum im Spannungsfeld von Politik und Gesellschaft. Unternehmerische Aktivitäten in historischer Perspektive , Beiträge gesammelt zu Ehren von Alice Teichova ( Veröffentlichungen der ÖGU 28 ), Wien / Berlin , 171–184. 11 Vgl. ÖStA , AVA , Nachlass Heinrich Wildner , E / 1791 :11 , Eintragung vom 20. Februar 1937. 12 Vgl. etwa Studienreise österreichischer Holzindustrieller nach Deutschland , Die Industrie , Nr. 44 , 29. 10. 1937 , 8–9. Die umfassenden Verwendungsarten des Holzes. Österreichische Holzindustrielle besuchen reichsdeutsche Werke , Die Industrie , Nr. 45 , 5. 11. 1937 , 6.
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V. Rechts- und Verwaltungsgeschichte
II. Quellenbestände zu den Forschungslücken 1933 bis 1938 2.1 Bestände im Österreichischen Staatsarchiv In den historischen Einleitungen zu den edierten Ministerratsprotokollen wurde immer wieder darauf hingewiesen , dass außenpolitische und handelspolitische Fragen wenig Raum einnehmen. In entscheidenden Momenten wird auf Ministerkomitees verwiesen. In den 1930er-Jahren finden sich besonders häufig die Hinweise auf ein wirtschaftliches Ministerkomitee ( w irtschaftspolitisches Ministerkomitee , handelspolitisches Ministerkomitee ), in dem alle mit den Handelsvertragsverhandlungen zusammenhängenden Fragen behandelt wurden. Für den Zeitraum vom November 1931 bis September 1937 gibt es 120 Sitzungen , die Protokolle haben einen geschätzten Umfang von 1.500 Seiten. Die Sitzungsprotokolle befinden sich verteilt auf fünf Kartons im Archiv der Republik , im Bestand BKA / A A , 14 HP ( Handelspolitik ), Signatur Wirtschaft Österreich 1932–1938. Diese Quelle ist für eine weitere Erforschung des deutsch-österreichischen Handelsverkehres – wie für zahlreiche andere bilaterale Handelsverhältnisse – von besonderer Bedeutung. Das Material zeigt , dass die gesamte österreichische Handelspolitik dieser Jahre von keinen langfristigen Konzepten , sondern von an Einzelinteressen orientierten Ad-HocEntscheidungen geleitet war. Derzeit sind in der Forschung die vielen Einzelclearingverträge , die sich häufig ändernden Clearingspitzen zugunsten oder auf Kosten der jeweiligen Handelspartner in ihrer Bedeutung für die gesamte österreichische Handelspolitik oft nur schwer einschätzbar ( etwa mit Bulgarien , mit der Türkei , aber auch mit Italien ). Insgesamt können die zahlreichen Eingriffe in die verschiedensten Wirtschaftszweige anhand dieser Quelle gut verfolgt werden. Den Lippenbekenntnissen des autoritären Staates zur Privatwirtschaft standen unzählige „marktregulierende“ Eingriffe gegenüber. Neben diesem großen Bestand wurden im Zuge der Bearbeitung der Ministerrats protokolle der Bände 7 und 8 des Kabinetts Schuschnigg Sitzungsprotokolle der sogenannten Preisbeobachtungskommission aufgefunden. Dieses Gremium hatte beratende Funktion und sollte besonders Vorschläge zu Preissenkungen von Nahrungsmitteln , Transportkosten , Grund- und Rohstoffen erarbeiten.13 Angesichts der Vielfalt an Ministerkomitees – stichwortartig seien hier die Themen des Zeitraumes November 1936 bis Ende 1937 wie etwa Arbeitsbeschaffungsprogramm , Gewerbesperre , Preisverbilligungsaktion , Milizbegünstigungsgesetz , Ordnungsschutzgesetz , Freiwilliger Arbeitsdienst , Berufsständischer Aufbau , Vereinsgesetznovelle , Ärzteordnung usw. angeführt – stellen die bisher gefundenen Bestände nur einen kleinen Teil dar. Erst nach Abschluss der Edition der Ministerratsprotokolle der Regierungen Dollfuß und Schuschnigg wird eine genaue Analyse über die Häufigkeit der Einsetzung von Ministerkomitees sowie eine Übersicht zu den Themenbereichen möglich sein. 13 Die Verhandlungsschriften über die 25 Sitzungen der Preisbeobachtungskommission finden sich im ÖStA , AdR , BKA / Büro Feest , Karton 7614 b , Konvolut „Preisbeobachtungscom. Sitzungsprotokolle“.
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Kursorisch werden hier noch einige Archivbestände des Österreichischen Staatsarchivs angeführt , die für viele Forschungsdesiderata der Jahre 1933–1938 weiterführende Materialien enthalten. Im Archiv der Republik in der Bestandsgruppe Bundeskanzleramt : Politisches Büro 1936–1938 ( 15 Kartons ) ; Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit / Situationsberichte der Staatspolizei 1936–1938 ( 3 Kartons ) ; Büro Feest ( Felix Feest : seit April 1935 Konsulent für wirtschaftliche Angelegenheiten , seit April 1937 Bundeskommissär zur Überwachung der Preise ) 1936–1937 ( 22 Kartons ) ; Präsidium Korrespondenz – ein Teil davon das Büro Glaise-Horstenau ( 16 Kartons ) ; Präsidium Ministerkorrespondenz ( 20 Kartons ) ; Berufsständischer Aufbau 1937–1938 ( 9 Kartons ) ; Heimatdienst ( April 1933 Gründung eines Kuratoriums für den österreichischen Heimatdienst – Propaganda und Aufklärungsarbeit ) 1933–1938 ( 1 4 Kartons ) ; der Bestand Vaterländische Front , im Besonderen die Teile aus Moskau.14 Zu den angeführten Beständen gibt es detaillierte Bestandsbeschreibungen auf der Homepage des Österreichischen Staatsarchivs. Als noch relativ unbekannte Quelle ist der Nachlass Heinrich Wildner anzuführen , der erst seit Dezember 2009 im ÖStA frei zugänglich ist. Für Forschungen zum Thema Lobbyismus von Interessengruppen der österreichischen Industrie in den 1930er-Jahren empfiehlt sich im Archiv der Republik , Bundesministerium für Handel und Verkehr , Präsidium die Sonderlegung „Auskünfte“. Der Bestand umfasst 224 Kartons und besteht aus Informationen und Interventionen – fallweise gibt es auch Dankschreiben für geleistete Interventionen – , die Verbände , Einzelunternehmen , Einzelunternehmer und „Interventionisten“ unterschiedlichster Art – so etwa auch Politiker , Rechtsanwälte , Vertreter von Wehrverbänden usw. – an den jeweiligen Handelsminister richteten. Ab 1931 schwillt der Umfang der Interventionen deutlich an. Die Indexbände gehören zu den bestgeführten Nachschlagebüchern. Abschließend sei noch auf einen Bestand hingewiesen , der für die Geschichte des Österreichischen Bundesheeres zwar überaus wichtig , doch bisher nicht erschlossen ist. Rund 5000 Faszikel Frontmiliz müssten für die Forschung aufgearbeitet werden. 2.2 Bestände im Parlamentsarchiv Die Frage nach dem Rückhalt der Regierungen Dollfuß und Schuschnigg in der österreichischen Bevölkerung gehört in der Forschung zu den immer wieder gestellten Fragen. Die Hinweise auf regierungskritisches Verhalten in MRP 1044 vom 20. November 1936 waren sehr deutlich. Der Bundesminister für Finanzen Dr. Rudolf Neumayer „stellt fest , daß er genötigt sei , [ … ] zur Art und Weise der Verhandlungsführung im Budgetausschuß Stellung zu nehmen , und hiebei in die für einen Finanzminister unangenehme Situation komme , das Budget gegenüber den durch den Generalberichterstatter Ilg gemachten Ersparungsvorschlägen zu verteidigen“. Bundeskanzler Schuschnigg meinte dazu , „er werde St.Sekr. Dr. Schmidt ersuchen , mit dem Genannten Fühlung zu nehmen , um ihn zu einer 14 Vgl. ÖStA , AdR , Moskauer Beuteakten – Vaterländische Front.
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Revision seines Standpunktes zu bewegen. Falls dies nichts nützen sollte , würde ihn Redner zu sich kommen lassen und ihn ersuchen , das Referat zurückzulegen [ … ].“ Ilg sei „zu verpflichten , daß er mit seinen Anträgen nicht in die Öffentlichkeit trete“.15 Weiterführende Recherchen führten zu einem bisher in der Fachwelt noch völlig unbekannten Aktenbestand im Parlamentsarchiv in Wien. Hier finden sich für die Jahre 1935 bis 1937 Wortprotokolle des sogenannten Finanz- und Budgetausschusses des Bundestages – also für jene Jahre , in denen es in Österreich kein Parlament gab. Insgesamt liegen Materialien von 37 Sitzungen des Finanz- und Budgetausschusses für die Zeit vom 24. Jänner 1935 bis 18. November 1937 vor. Die Sitzungsprotokolle sind in der Form von Typoskripten mit zahlreichen handschriftlichen Zusätzen erhalten und umfassen im Original circa 3.600 Seiten. Stenografische Aufzeichnungen und Reinschriften fehlen. Die in den Ministerratsprotokollen der letzten Jahre der Ersten Republik oft nur angedeuteten Interessenkonflikte werden in diesem Forum mit Deutlichkeit und Vehemenz ausgetragen. In einem Staat mit Einheitsgewerkschaften , ständestaatlich organisierten Interessenvertretungen und ohne zugelassene politische Parteien prallten im Budgetausschuss parteipolitische Strömungen , föderalistische Interessen , Gewerkschaftsforderungen und Unternehmerintentionen beim Streit um die Verteilung von finanziellen Mitteln aufeinander. Die Sitzungsprotokolle zeigen , dass das Grundkonzept der berufsständischen Ordnung im Wesentlichen an der Realität vorbeigegangen ist. Dass es nach den Verboten ein „ideelles Weiterbestehen der politischen Parteien“ gab , wurde bereits von Walter Goldinger in den 1960er-Jahren festgestellt.16 Die Wortprotokolle des Finanz- und Budgetausschusses der Jahre 1935 bis 1937 sind einzigartig , da es weder in den Jahren des demokratischen Parlamentarismus davor noch nach 1945 Wortprotokolle der Sitzungen der diversen Ausschüsse gibt.17 Eine rasche Edition – etwa in Form einer Online-Edition – wäre wünschenswert , da ein vermehrtes und langfristiges Forschen im Parlamentsarchiv erfahrungsgemäß auf organisatorische Schwierigkeiten stößt. III. Eliten in Umbruchzeiten Im letzten Teil werden einige Überlegungen zum Thema Eliten in Umbruchzeiten vorgestellt. Es fehlt eine umfassende Verwaltungsgeschichte zur Ersten und Zweiten Republik sowie ausreichende Forschungen über die Beamten sowohl auf Bundes- wie auch auf Landesebene. Teile der Verwaltungseliten sind ansatzweise erforscht. Exemplarisch sei hier auf Gernot Stimmers Publikation18 oder auf das Handbuch zu den Sektions15 Protokolle des Ministerrates der Ersten Republik ( 2011 ) : Kabinett Dr. Kurt Schuschnigg , Bd. 7 , Wien , MRP 1044 / 18 vom 20. November 1936 , 34–40. Ulrich Ilg stammte wie Staatssekretär Guido Schmidt aus Vorarlberg. 16 Goldinger , Walter ( 1963 ), Die Erste Republik. In : Institut für Österreichkunde ( Hg. ) : Entwicklung der Verfassung Österreichs vom Mittelalter bis zur Gegenwart , Graz , 112–119 : 118. 17 Angaben laut Auskunft des Direktors des Parlamentsarchivs Dr. Günther Schefbeck. 18 Stimmer , Gernot ( 1997 ) : Eliten in Österreich 1848–1970 , 2 Bände ( Studien zu Politik und Verwaltung 57 ), Wien.
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chefs19 oder auf das Diplomatenbuch verwiesen.20 In diesen Veröffentlichungen finden sich auch die wichtigsten einschlägigen Publikationen zum Thema. In diesem Zusammenhang sei noch auf eine Tagung in Linz im Frühjahr 2008 verwiesen , deren Ergebnisse mittlerweile publiziert wurden.21 In politischen Umbruchzeiten – und als solche können die Jahre 1933 bis 1938 bezeichnet werden – kommt dem Verhalten der Beamtenschaft besondere Bedeutung zu. Die Feststellung der politischen Einstellung von Spitzenbeamten – egal zu welcher Zeit – gehört aber zu einer der schwierigsten Forschungsaufgaben. Für die Durchführung der Regierungsmaßnahmen wurde es ab 1933 immer wichtiger , regierungstreue Beamte in der Verwaltung zur Verfügung zu haben. Es wurde ein Bundeskommissär für Personalangelegenheiten , Arbogast Fleisch22 , für die Personalpolitik bestellt. Beamte , die nicht voll für den Regierungskurs eintraten , versuchte man , und das zum Teil noch vor den Februarkämpfen 1934 und dem Juliputsch 1934 , durch immer schärfere Handhabung des Disziplinarrechtes zu eliminieren. Der Anteil jener öffentlichen Bediensteten , die aus politischen Gründen eine Disziplinarstrafe erhielten , wird in der Literatur mit zwei Prozent beziffert.23 Die Frage ist allerdings , ob neben den Disziplinarverfahren auch andere Maßnahmen wirksam wurden. Inwieweit etwa waren das Budgetsanierungsgesetz des Jahres 1931 , die Abbauverordnung von 1931 und das Wartegeldgesetz von 1932 dazu benützt worden , um „politisch unzuverlässige Beamte“ schon in niedrigeren Dienstklassen zu eliminieren. Dafür könnten z. B. gezielt die Versetzungen in den Wartestand oder die Ruhestandsversetzungen vor Erreichung des Pensionsalters einer genaueren Untersuchung unterzogen werden , etwa ob diese Beamtengruppen mehr NSDAP-Mitglieder aufweisen als eine Gruppe , die mit Erreichung des Pensionsalters in den Ruhestand versetzt wurde. Eine Detailuntersuchung über die Beurlaubungen gegen Wartegeld im Bundesheer der Ersten Republik kommt zu dem Schluss , dass unter den betroffenen Offizieren etwa ein Drittel der christlichsozialen Offiziersgewerkschaft angehört hatte. Die Mehrheit der Beurlaubten gehörte den deutschnationalen Soldatenverbänden oder der NSDAP an.24 Dies zeigt , dass das Wartegeldgesetz benützt wurde , um politisch unzuverlässige Offiziere vom Dienst zu entfernen. Beim momentanen Stand der Forschung können zwar aufgrund von kollektivbiografisch orientierten Publikationen zu einzelnen Gruppen – etwa zu Sektionschefs oder Spitzendiplomaten – genauere Aussagen über soziale Herkunft , Ausbildung , Karrie19 Vgl. zum Forschungsstand Enderle-Burcel , Gertrude / Follner , Michaela ( 1997 ) : Diener vieler Herren. Biographisches Handbuch der Sektionschefs der Ersten Republik und des Jahres 1945 , Wien , 5 , 501. 20 Agstner , Rudolf / Enderle-Burcel , Gertrude / Follner , Michaela ( 2009 ) : Österreichs Spitzendiplomaten zwischen Kaiser und Kreisky. Biographisches Handbuch der Diplomaten des Höheren Auswärtigen Dienstes 1918 bis 1959 , Wien. 21 Weber , Wolfgang / S chuster , Walter ( Hg. ) ( 2011 ) : Biographien und Zäsuren. Österreich und seine Länder 1918–1933–1938 ( H istorisches Handbuch der Stadt Linz 2010 /2011 ), Linz. 22 Enderle-Burcel et al. ( 1997 ), 98–99. 23 Sedlak , Eva-Maria ( 2004 ) : Politische Sanktionen gegen öffentliche Bedienstete im österreichischen „Ständestaat“, phil. Diss. , Wien , 164. 24 Mairamhof , Erwin ( 1994 ) : Beurlaubungen gegen Wartegeld im Bundesheer der 1. Republik nach dem Bundesgesetz von 1932 , Mitterberg , 5.
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re , politisches Verhalten ( abhängig von der Quellenlage ), zusätzliche Qualifikationen , Wirtschaftskompetenz und Veröffentlichungen gemacht werden , doch müsste die Basis dringend erweitert werden. Aber alleine die Ausdehnung der Untersuchung vom Sektionschefrang auf Ministerialratsebene würde eine Vergrößerung der zu untersuchenden Personengruppe auf das Zehnfache bedeuten. Noch tiefer gehende Forschungen kämen in eine Größenordnung von einigen Tausend Beamten. Umfassende Biografien , die alle wesentlichen Eckdaten enthielten , sind wahrscheinlich nicht zu leisten. Eine Möglichkeit wäre etwa , sich nur mit einzelnen Kriterien , etwa der Frage nach der Religionszugehörigkeit , zu befassen. Bei vorsichtiger Interpretation der Karrieredaten der Sektionschefs und Spitzendiplomaten entsteht der Eindruck , dass Sektionschefs mit jüdischem Glaubensbekenntnis oder Ursprungs in den 1920er-Jahren pensioniert wurden und bei den weiteren Ernennungen keine mehr in den Sektionschefrang nachrückten. Bei dieser Fragestellung sind noch gezielte Forschungen notwendig. 3.1 Die Liquidierung der österreichischen Verwaltung 1938 Es fehlt eine umfassende behördengeschichtliche Darstellung der Eingliederung und Neugestaltung der Verwaltung nach dem März 1938. Eine zeitgenössische Gesetzes sammlung von Helfried Pfeifer gibt zwar einen Überblick über den „einmaligen Eingliederungsprozess“25 , den der Autor 1941 als abgeschlossen betrachtete. Bis heute ist jedoch noch nicht der Versuch gemacht worden , aus dieser Gesetzessammlung das Ausmaß der Veränderungen in der Verwaltung herauszufiltern. In welchem Ausmaß Verwaltungsstellen liquidiert wurden , welche Stellen in der Zeit von 1938 bis 1941 noch wichtige Übergangsfunktionen innehatten , welche Kompetenzen zentral / dezentral wahrgenommen wurden und viele andere Fragen sind noch der Forschung vorbehalten. Karl Stadler stellte 1972 in seinem Vorwort zur Publikation von Gerhard Botz über die Eingliederung Österreichs ins Deutsche Reich fest : „Den Auflösungsprozeß des österreichischen Staates und die Oktroyierung fremder Verwaltungsstrukturen , den chaotischen Zustand auf dem Gebiet des Staatsrechtes , die Interferenz widerstreitender Sonderinteressen ,reichsdeutscher‘ und einheimischer Nationalsozialisten zu erforschen , wurde von österreichischen Juristen und Historikern ( von wenigen Ausnahmen abgesehen ) bisher als nicht zu ihrem Aufgabenbereich gehörend gerechnet …“26 Eine Ausnahme ist die Publikation zu den „Reichsforsten“.27 Verallgemeinerungen über das Verhalten der österreichischen Beamten 1938 fallen in der Literatur ganz unterschiedlich aus.28 Die Beurteilungen von Zeitgenossen und in 25 Pfeifer , Helfried ( 1941 ) : Die Ostmark. Eingliederung und Neugestaltung , Historisch-systematische Gesetzessammlung nach dem Stande vom 16. April 1941 , Wien , V. 26 Botz , Gerhard ( 1972 ) : Die Eingliederung Österreichs in das Deutsche Reich. Planung und Verwirklichung des politisch-administrativen Anschlusses ( 1938–1940 ) ( Schriftenreihe des Ludwig Boltz mann-Instituts für Geschichte der Arbeiterbewegung 1 ), Wien , 9. 27 Rathkolb , Oliver / Wirth , Maria / W ladika , Michael ( 2010 ) : Die „Reichsforste“ in Österreich 1938–1945 : Arisierung , Restitution , Zwangsarbeit und Entnazifizierung. Studie im Auftrag der Österreichischen Bundesforste AG , Wien. 28 Vgl. Botz , Gerhard ( 1980 ) : Wien vom „Anschluß“ zum Krieg. Nationalsozialistische Machtüber-
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der Literatur sind so allgemein – „einzelne“, „gelegentlich“, „eine Menge Beamte , in ihrem Selbstbewusstsein schwer getroffen“ u. Ä. – und so unpräzise , dass sie in der gegenwärtigen Opfer-Täter-Diskussion nicht weiterführen. Seriöse Aussagen über die OpferTäter-Mitläuferrolle der österreichischen Beamtenschaft sind beim momentanen Stand der Forschung nicht möglich. Bei den Fragen nach Opfer / M itläufer / Täter gilt jedenfalls , dass derzeit konkrete Angaben nur zu relativ kleinen Personengruppen gemacht werden können. Der Aufstieg österreichischer Beamter im Dienste des Deutschen Reiches – etwa von der mittleren Ebene in Leitungspositionen – ist nur in Einzelfällen erforscht. Die personellen Konsequenzen des „Eingliederungsprozesses“ sind bei Weitem noch nicht in allen Facetten durchleuchtet. Sieht man Österreich als Opfer , so wird das Bild von massenhaften Entlassungen und Neubesetzungen transportiert. Die Säuberung des öffentlichen Dienstes in den Spitzenpositionen ist offenkundig. Wie weit frei gewordene leitende Positionen von „reichsdeutschen Funktionären“ besetzt wurden , lässt sich aber nur punktuell nachweisen.29 Veränderte Verwaltungsstrukturen bei den Zentralstellen machen einen direkten Vergleich oft nur schwer möglich. Nimmt man Verwaltungseinheiten , die auch im Deutschen Reich weiterbestanden haben , und sieht sich die leitenden Positionen an , so ergibt sich ein anderer Eindruck. Mit dem Ostmark-Jahrbuch des Jahres 1942 lassen sich die leitenden Beamten von elf vergleichbaren Verwaltungsstellen eruieren ( Statistisches Amt für die Reichsgaue , Oberfinanzpräsident von Wien , Oberlandesgericht Wien , Reichspatentamt / Zweigstelle Österreich , Reichsbahndirektion Wien , Reichsforstverwaltung , Reichsbankhauptstelle Wien , Wiener Börse , Außensenate Wien des Reichsverwaltungsgerichtshofes , Reichspostdirektion Wien , Außenabteilung des Rechnungshofes des Deutschen Reiches ). Von diesen elf Verwaltungsstellen , die als Rechtsnachfolger von ehemaligen österreichischen Bundeseinrichtungen gewertet werden können , waren nur zwei Spitzenpositionen mit Reichsdeutschen besetzt ( Reichspostdirektion und Außenabteilung des Rechnungshofes ). Die übrigen wurden mit ehemaligen österreichischen Beamten besetzt. Ohne in die Tiefe gehende personenbezogene Forschungen bleiben aber alle Angaben zur erfolgten oder auch nicht erfolgten Durchdringung österreichischer Verwaltungseinheiten zufällig. Eine der wenigen Detailuntersuchungen gibt es zu den schon angeführten „Reichsforsten“. 3.2 Kontinuität – Diskontinuität Auf Sektionschefebene sind acht Beamte festzustellen , die durchgehend – Erste Republik / 1938–1945 / Zweite Republik – Verwendung fanden. Von diesen Beamten hatten alle – mit einer Ausnahme – ihren Dienst bereits in der Monarchie angetreten. Sie waren damit im wahrsten Sinne des Wortes „Diener vieler Herren“. Dass ihnen der Wechsel von höheren Positionen im Ständestaat zu mittleren oder leitenden Stellungen im Nanahme und politisch-soziale Umgestaltung am Beispiel der Stadt Wien 1938 / 39 , Wien / München , 60– 61 ; Broucek ( 1983 ), 280 , 292. 29 Rot-weiß-rot-Buch ( 1946 ) : Gerechtigkeit für Österreich ! Darstellungen , Dokumente und Nachweise zur Vorgeschichte und Geschichte der Okkupation Österreichs ( nach amtlichen Quellen ), erster Teil , Wien , 77.
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tionalsozialismus ohne offenkundiger Nähe zur NSDAP gelang , zeigt , dass selbst Diktaturen zumindest auf Verwaltungsebene gewisse Kontinuitäten zuließen bzw. nützten.30 Auch hier gilt , dass Aussagen nur zu den Spitzenbeamten – und dies nur auf Bundesebene – möglich sind. Ein Überblick über den Stand der Forschung auf Landesebene ist nach Erscheinen der im Zuge der Linzer Tagung des Jahres 2008 entstandenen Publikation möglich.31 Infolge dieser Tagung wurde eine Forschungsinitiative gestartet , die im Rahmen einer Vortragsreihe im Österreichischen Staatsarchiv läuft. Vierzehn Wissenschafterinnen und Wissenschafter beschäftigen sich mit strukturellen und personellen Veränderungen in der Verwaltung zwischen 1933 / 1934 / 1938 / 1945.32 Parallel wurde im Februar 2011 ein Workshop abgehalten , der sich mit strukturellen und personellen Veränderungen in den österreichischen Bibliotheken beschäftigt hat.33 Angedacht sind auch weitere Forschungen zu Österreichs Diplomaten. Das Außenressort würde sich durch die umfangreichen Vorarbeiten vom Gesandten Rudolf Agstner zu einer in die Tiefe gehenden Fallstudie anbieten. Ausgehend vom Jahr 1938 könnten die Jahre davor und danach einer umfassenden Untersuchung unterzogen werden. 1938 umfasste der österreichische Auswärtige Dienst in allen Verwendungsgruppen 379 Personen. Bei Öffnung des Archivs des Außenministeriums wäre dies wohl eine durchaus zu bewältigende Personengruppe. Einige Vorarbeiten gibt es weiters zur biografischen Erfassung der Generäle des Österreichischen Bundesheeres der Ersten Republik. Ansprechpartner dafür ist Gerhard Artl im Österreichischen Staatsarchiv. Auffallend sind personelle Veränderungen im Bundesheer – ersichtlich aus den Chroniken der „Militärhistorischen Zeitschrift“ der Jahre 1936 und 1937 – deren Bedeutung nur nach gezielten Forschungen beurteilt werden kann. Noch weitgehend unerforscht sind die Obersten Gerichtshöfe und Richter ( Oberster Gerichtshof , Oberstes Gefällsgericht , Generalprokuratur , Oberlandesgerichte , Oberstaatsanwaltschaften ), für die auch im Rahmen der Forschungsinitiative „Verwaltung im Umbruch“ keine BearbeiterInnen gefunden werden konnten. Stichwortartig sei noch auf die Sozialversicherungsträger , auf die Schulorgane , auf die Kammern und die Spitzen der katholischen und evangelischen Kirchen verwiesen. Zur Wirtschaftskammer Wien ist anzumerken , dass es umfangreiche Personalakten gibt. Eine Anfrage an das Diözesanarchiv Wien , ob es Aktenbestände für die Jahre 1934 bis 1938 ( Katholische Aktion – Verhältnis nach dem Konkordat , Beratungen der Bischofs30 Vgl. Enderle-Burcel et al. ( 1997 ), 506. 31 Weber et al. ( 2011 ). 32 Vgl. Enderle-Burcel , Gertrude : Staat im Umbruch – Forschungslücken zur Geschichte Österreichs der Jahre 1933 bis 1938 , URL : http ://www.univie.ac.at / z eitgeschichte / cms / uploads / Paper-Enderle-Burcel.pdf ( abgerufen am 17. 10. 2011 ), Beilage 3. 33 Die Ergebnisse der Forschungsinitiativen „Verwaltung im Umbruch“ und „Bibliotheken im Umbruch“ werden 2013 in einem Sonderband der Mitteilungen des Österreichichen Staatsarchivs publiziert. Vgl. auch Enderle-Burcel , Gertrude : Staat im Umbruch – Forschungslücken zur Geschichte Österreichs der Jahre 1933 bis 1938 , URL : http ://www.univie.ac.at / z eitgeschichte / cms / uploads / Paper-Enderle-Burcel.pdf ( abgerufen am 17. 10. 2011 ), Beilage 4.
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konferenz , Schwangerschaftsabbruch , Jugenderziehung , Abweichungen / Ü bereinstimmungen der katholischen Kirche mit den „Ständestaat“-Vertretern ) gäbe , führte zu einer Weiterleitung an das Diözesanarchiv St. Pölten , das keine Hinweise zu den Forschungsfragen gab. In diesen Archiven werden daher auch inhaltliche und personenbezogene Forschungen nicht einfach sein. Versuchsweise wurden mithilfe des Amtskalenders des Jahres 1937 43 Vertreter der Erzdiözese Wien erfasst. Davon konnten nur für sieben Persönlichkeiten biografische Forschungen eruiert werden. Der größte Teil dieser Publikationen ist 30 Jahre alt oder älter. Zu Überlegungen , in welches politische Lager evangelische Akademiker und Theologen einzureihen sind , heißt es in einer Publikation von 1987 , dass dies „aufgrund weithin noch strikt gehandhabter Archivsperren“ noch nicht gesagt werden kann.34 Insgesamt sollte das Verhältnis der evangelischen Kirche zum katholischen „Ständestaat“ – etwa die Kirchenverfassung 1931 , der Entwurf eines Protestantengesetzes 1937 , das Verhältnis zur Vaterländischen Front , zum Nationalsozialismus usw. – noch intensiven Forschungen unterzogen werden. Die Archivbestände sind umfangreich , geordnet und bisher wenig verwendet. Zur Israelitischen Kultusgemeinde gibt es durchgehend Sitzungsprotokolle des Vorstandes , die für die Jahre 1933 bis 1938 in die Forschung einbezogen werden könnten. Die Beispiele aus Kammer und Kirchen zeigen die Schwierigkeiten von personenbezogener Forschung abseits der öffentlichen Verwaltung bzw. außerhalb der staatlichen Archive. Insgesamt sind daher die Verwaltungseliten – trotz aller Lücken – noch am besten erforscht. Viele Verallgemeinerungen halten einer exakten Überprüfung nicht stand. Genaue Analysen scheitern aber an der Masse der Beamten. Der ambitionierte Versuch von Gernot Stimmer zu den „administrative Eliten“35 , die deutlich weiter gefasst sind als die Beamten im Sektionschefrang , zeigt aber die Grenzen. Unterschiedliche Samples und Methoden machen Vergleiche mit vorliegenden Detailuntersuchungen unmöglich. Eine größer angelegte Forschung auf diesem Gebiet wäre nur mit strikten Vorgaben sinnvoll , um Einzelergebnisse von Detailforschungen vergleichen zu können. Insgesamt wäre eine systematische Erfassung – etwa in einem Forschungsregister – und Koordinierung der wichtigsten Forschungsprojekte und -vorhaben auf dem Gebiet der Forschung zu Verwaltungseliten wünschenswert. Schwerpunkte könnten dabei etwa auf der Zusammensetzung des Sicherheitsapparates ( Heer , Polizei ) und wichtiger Verwaltungsstellen der Justiz ( Oberste Gerichtshöfe , Justizministerium , Bundeskanzleramt / Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit ) liegen.
34 Barton , Peter F. ( 1987 ) : Evangelisch in Österreich. Ein Überblick über die Geschichte der Evangelischen in Österreich ( Studien und Texte zur Kirchengeschichte und Geschichte , Reihe 2 , 11 ), Wien / Köln / Graz , 168. 35 Stimmer ( 1997 ), 851–881.
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3.3 Einige Überlegungen zu Forschungslücken zu den politischen Eliten 1933 bis 1938 Nach der sukzessiven Auflösung der politischen Parteien ( Kommunistische Partei im Mai 1933 / Nationalsozialistische Partei im Juni 1933 / Sozialdemokratische Partei im Februar 1934 ) und der Selbstauflösung der Christlichsozialen Partei im September 1934 wäre die Frage nach dem weiteren Schicksal der Parteieliten zu stellen. Für die Sozialdemokratie wären die Lebensumstände ihrer Elite zu erforschen , die wohl erst zu definieren wäre ( M itglieder der Parteigremien , Spitzenpolitiker , Funktionäre in Gewerkschaften und Kammern , Vertreter der sozialdemokratischen Wirtschaftsunternehmen ). Forschungsansätze wären die Lebensumstände 1934 bis 1938 , 1938 bis 1945 und danach ( Verfolgung / i nnere Emigration / NSDAP-Mitgliedschaft ), die Zugehörigkeit zum linken oder rechten Parteiflügel , die jüdische Herkunft , der Antisemitismus in der Sozialdemokratie vor 1938. Die bisher erfolgte Exil- und Emigrationsforschung deckt nur Teile dieser Fragestellungen ab. Bei den christlichsozialen Eliten – auch hier wäre die Personengruppe erst zu definieren – ist ebenfalls nach dem Verhalten in den Jahren 1934 bis 1938 zu forschen : Wer blieb demokratischen Traditionen ( z . B. Josef Schlegel ; System Kunschak36 ) verbunden , wer driftete zu den Heimwehren ab ( z . B. Julius Raab ), wer ist zur Elite des katholisch autoritären „Ständestaates“ zu rechnen ( z . B. Richard Schmitz ) ; wer geht ins Exil37 , wer ist Anschlussgegner , wer zeigt eine Nähe zum Nationalsozialismus usw. ? Auch beim christlichsozialen Lager ist die Frage nach Antisemitismus und nach den Formen und Auswirkungen vor 1938 zu stellen – etwa in der Schulpolitik , in der Verwaltung , in der Wirtschaft. Hier wäre ein Forschungsansatz z. B. die Frage , ob und wie jüdische Unternehmen bei öffentlichen Lieferungen , bei Gewerbeansuchen , bei Finanzstrafverfahren u. Ä. in den 1930er-Jahren benachteiligt wurden. Zu fragen wäre weiters nach Kontakten zwischen den Vertretern der verschiedenen politischen Lager in den Jahren 1933 bis 1938. Es stellt sich auch die Frage nach der Bezeichnung für das politische System der Jahre 1934 bis 1938 in Österreich – eine Fragestellung , die bei der ÖVP noch immer Irritationen hervorruft. Es fehlen Biografien zu den Regierungsmitgliedern der Jahre 1933 bis 1938. Von 53 Regierungsmitgliedern gibt es zu 33 Ministern keine Biografie. Bei zehn weiteren sind die Biografien 25 bis 40 Jahre alt. Auch zu Viktor Kienböck wären neuere Forschungen sinnvoll. Es fehlen zudem Publikationen zu den Landeshauptleuten. Von 22 Landeshauptleuten der Jahre 1933 bis 1938 gibt es zehn Biografien. Die Beschäftigung mit Landespolitikern ist aber offenkundig intensiver. So erschien 2011 eine weitere Publikation zu den politischen Eliten in Niederösterreich.38 36 Das „System Kunschak“ wird im Ministerrat als „eine starke Belastung für den gegenwärtigen Regierungskurs“ bezeichnet. Vizekanzler Rüdiger Starhemberg meinte sogar : „Ob man nicht einmal Schluß machen könnte mit Kunschak …“ Vgl. Protokolle des Ministerrates der Ersten Republik ( 1995 ) : Kabinett Kurt Schuschnigg , Bd. 3 , Wien , MRP 1013 / 7 vom 29. Oktober 1935 , 350 ( Stenogramm ). 37 Vgl. Einzelbeispiele bei Feichtinger , Johannes ( 1992 ) : Das christlichsoziale Exil. Die Exilpolitik der Christlichsozialen in Großbritannien 1938–1945 , Dipl.-Arb. , Graz. 38 Bezemek , Ernst / Dippelreiter , Michael ( 2011 ) : Politische Eliten in Niederösterreich. Ein biogra-
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Es fehlen größtenteils Forschungen zur Umsetzung der ständestaatlichen Verfassung auf Landesebene. Die politischen und personellen Strukturen der Landtage , Landesregierungen , der Berufsstände , der Kammern , der Gemeinden sind mit den Ausnahmen von Wien39 und Salzburg40 weitgehend unerforscht. 3.4 Wirtschaftseliten und Lobbyismus in Österreich Ein weites Forschungsfeld stellen nach wie vor Österreichs Wirtschaftseliten dar. Industrielle , Bankiers , Unternehmer , Beamte an den Schaltstellen der Ministerien , Politiker , Wirtschaftsanwälte und Verbandsfunktionäre , Vertreter der Vaterländischen Front und von Wehrverbänden bildeten ein Netzwerk – von Emmerich Tálos als eines der bedeutendsten auf gesamtstaatlicher Ebene bezeichnet 41 – , das einer gründlichen Erforschung harrt. Forschungen zum Lobbyismus in Österreich würden auch wesent liche Erkenntnisse zu den staatlichen Versuchen , in die Privatwirtschaft einzugreifen , zu dem Verbändewesen in Österreich , zu den Wirtschaftsstrukturen – nach Branchen und Regionen – sowie zu den Interventionisten und Adressaten bringen. Dazu gehörten zudem die Sichtbarmachung von verwandtschaftlichen Beziehungen , Schul- und Lebensfreundschaften , die Rolle des CVs u. Ä. Nicht zuletzt fehlen auch umfassende Forschungen zur Anfälligkeit von Industrieeliten für den Nationalsozialismus. Die Spitzen – wie Anton Apold und Philipp Schoeller – sind zwar bekannt , doch fehlen Untersuchungen etwa zu den in Österreich stark vertretenen Mittelbetrieben. IV. Resümee Aus dem bisher Gesagten ist der Schluss naheliegend , dass die derzeitige Forschungspolitik nur unzureichend gerüstet ist , diese Forschungsziele , mit denen ein Team von HistorikerInnen für Jahrzehnte ausgelastet werden könnte , erfüllen zu können.
phisches Handbuch 1921 bis zur Gegenwart ( S chriftenreihe des Forschungsinstitutes für PolitischHistorische Studien der Dr.-Wilfried-Haslauer-Bibliothek Salzburg 38 ), Wien. 39 Seliger , Maren ( 2010 ) : Scheinparlamentarismus im Führerstaat. „Gemeindevertretung“ im Austrofaschismus und Nationalsozialismus , Funktionen und politische Profile Wiener Räte und Ratsherren 1934–1945 im Vergleich ( Politische Politik und Zeitgeschichte 6 ), Wien. 40 Stock , Hubert ( 2010 ) : „ …nach Vorschlägen der Vaterländischen Front“. Die Umsetzung des christlichen Ständestaates auf Landesebene , am Beispiel Salzburg ( S chriftenreihe des Forschungsins titutes für Politisch-Historische Studien der Dr.-Wilfried-Haslauer-Bibliothek Salzburg 39 ), Wien. 41 Tálos , Emmerich ( 1995 ) : Interessenvermittlung und partikularistische Interessenpolitik in der Ersten Republik. In : Tálos , Emmerich / Dachs , Herbert / Hanisch , Ernst / Staudinger , Anton ( Hg. ) : Handbuch des politischen Systems Österreichs. Erste Republik 1918–1933 , Wien , 371–394 : 380.
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Ilse Reiter-Zatloukal
Verwaltungs- und justizgeschichtliche Forschungsdesiderate 1933–1938 Während die Verfassungsgeschichte der Jahre 1933 bis 1938 einen vergleichsweise hohen Aufarbeitungsgrad aufweist , ist die Justiz- und Verwaltungs- , insbesondere Polizeigeschichte dieser Zeit nach wie vor von zahlreichen Forschungsdesideraten gekennzeichnet. Diese sollen im Folgenden skizziert werden , ausgehend von denjenigen Themenfeldern , zu denen entweder in den letzten Jahren , insbesondere im Zuge von interdisziplinären Projekten unter der Leitung der Verfasserin ,1 mittlerweile ( Teil-)Erkenntnisse erzielt oder aber bereits Vorarbeiten für künftige Projekte geleistet werden konnten. I. Staatsangehörigkeit im Migrationskontext Eines dieser Forschungsfelder ist das Staatsangehörigkeitsrecht im Austrofaschismus , dessen Entwicklung sowohl durch die Verschärfung der Einbürgerungsvoraussetzungen als auch die Einführung von neuen Tatbeständen zum Zweck der Ausbürgerung aus politischen Gründen geprägt war. Diese Novellierungen des aus 1925 stammenden Staatsbürgerschaftsgesetzes , vorgenommen durch Regierungsverordnungen auf der Grundlage des Kriegswirtschaftlichen Ermächtigungsgesetzes von 1917 , standen unter dem Zeichen einer ideologischen Aufladung der Staatsangehörigkeit im Sinne einer unbedingten Regimeloyalität. Darüber hinaus sollten nach dem Inkrafttreten der austrofaschistischen Maiverfassung 1934 die neuen verfassungsrechtlichen Vorgaben auf dem Gebiet des Staatsbürgerschaftsrechts durch ein neues Staatsbürgerschaftsgesetz implementiert werden. 1 Es handelt sich dabei um das insbesondere vom Jubiläumsfonds der Stadt Wien für die Akademie der Wissenschaften und vom Jubiläumsfonds der Stadt Wien für die Universität Wien geförderte Projekt zur politisch motivierten Ausbürgerung in Wien in den Jahren 1933 bis 1938 ( durchgeführt mit Christiane Rothländer ), andererseits um das hauptsächlich vom Forschungsförderungsfonds ( F WF ) sowie dem Jubiläumsfonds der Stadt Wien geförderte Projekt zum politisch motivierten Vermögensentzug in Wien in den Jahren 1933 bis 1938 ( durchgeführt mit Christiane Rothländer und Pia Schölnberger ). Zu erwähnen ist in diesem Kontext aber auch das vom Zukunftsfonds der Republik Österreich geförderte Projekt zum „Adolf-Hitler-Haus“ in Wien-Mariahilf ( durchgeführt mit Christiane Rothländer und Marie-Noëlle Yazdanpanah ).
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V. Rechts- und Verwaltungsgeschichte
Die keineswegs unbedeutenden realisierten wie geplanten Modifikationen des Staatsangehörigkeitsrechts stießen allerdings lange Zeit kaum auf wissenschaftliches Interesse. Erwähnung fand das verschärfte Einbürgerungsrecht zwar etwa in Willibald Liehrs Arbeit über das österreichische und ausländische Staatsbürgerschaftsrecht aus dem Jahr 19502 und in Rudolf Thienels Darstellung des österreichischen Staatsbürgerschaftsrechts aus 1989 ,3 eingehender beschäftigte sich mit dieser Thematik jedoch erst 2011 ein Beitrag der Verfasserin.4 Hierbei konnte u. a. die Tendenz aufgewiesen werden , durch Normierung einer De-Facto-Einbürgerungssperre im November 1933 den Erwerb der Staatsbürgerschaft für „volksfremde Personen“ ( insbesondere aus Osteuropa ) massiv zu erschweren , wenn diese eine zusätzliche Belastung des österreichischen Arbeitsmarkts , der staatlichen Fürsorgeeinrichtungen und der kommunalen Armenfürsorge befürchten ließen. Die Neuregelung 1933 richtete sich aber auch mittels Verstärkung der Bundeskompetenzen zulasten der Länder gegen das ( noch ) „Rote Wien“, das von der Regierung u. a. verdächtigt wurde , mittels Einbürgerung die Ausweisung ausländischer Kommunisten aus Österreich zu verhindern. Als Ergebnis dieser Modifikationen des Einbürgerungsrechts trat ein Rückgang um mehr als 93 Prozent der Einbürgerungen bzw. entsprechender Zusicherungen in Wien ein. Festzustellen waren auch Versuche seitens der „Vaterländischen Front“, auf die Einbürgerungen hinkünftig direkten Einfluss zu nehmen. Ungeachtet dieser ersten neuen Erkenntnisse bleibt aber die Einbürgerungspraxis in der Zeit des Austrofaschismus ein Forschungsdesiderat , fehlen doch Untersuchungen der individuellen Verleihungs- bzw. Zusicherungsakte der Länder auf der Grundlage der Bestände der Landesarchive. Wie die Einbürgerungen , so wurden bis vor wenigen Jahren auch die politisch motivierten Ausbürgerungen in den Jahren 1933 bis 1938 weitgehend von der Forschung ignoriert , wiewohl zwischen 1933 und 1938 in Österreich 10.250 bis 10.500 derartiger Ausbürgerungen vorgenommen wurden. Seit August 1933 konnte nämlich die österreichische Staatsangehörigkeit durch die Verwaltungs- bzw. Polizeibehörde dann entzogen werden , wenn jemand ein offenkundig „Österreich-feindliches“ Verhalten im Ausland an den Tag legte – sich also insbesondere für eine verbotene Partei ( K PÖ , SDAP , NSDAP ) betätigte – oder sich ohne Ausreisebewilligung in das Deutsche Reich begeben hatte , wobei dieser zweite Ausbürgerungsgrund naturgemäß v. a. gegen NationalsozialistInnen angewendet wurde. Für die Exilländer der linken Opposition ( v. a. ČSR und UdSSR ) galten nämlich keine derartigen Ausreisebeschränkungen , weshalb Angehörige der linken Opposition in der Regel wegen „Österreich-feindlichen Verhaltens“ ausgebürgert wurden. Die Forschungslücke hinsichtlich der politisch motivierten Ausbürgerungen wurde schon Ende der 1990er-Jahre von der Verfasserin thematisiert.5 Zu dieser Zeit war 2 Liehr , Willibald ( 1950 ) : Das österreichische und ausländische Staatsbürgerschaftsrecht , 1. Teil : Das österreichische Staatsbürgerschaftsrecht. Unter besonderer Berücksichtigung der Staatsbürgerschaft der Frau und Kinder sowie der einschlägigen Bestimmungen des ausländischen Staatsbürgerschaftsrechtes [ Fachbücherei des Standesbeamten 1 ] , Wien , 31. 3 Thienel , Rudolf ( 1989 ) : Österreichische Staatsbürgerschaft , Bd. 1 : Historische Grundlagen und völkerrechtliche Entwicklung , Wien , 63. 4 Reiter-Zatloukal , Ilse ( 2011b ) : Staatsbürgerschaftsrecht in Österreich 1933–1938. In : BRGÖ , 291– 316 : 292. 5 Vgl. Reiter , Ilse ( 1996 ) : Ausgewiesen , abgeschoben. Eine Geschichte des Ausweisungsrechts in
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das Phänomen der Ausbürgerung aus politischen Gründen nur in einem Beitrag von Johanna Gehmacher im Zuge ihrer Arbeiten über die NS-Jugendorganisationen6 sowie in Publikationen von Barry McLoughlin , Hans Schafranek und Walter Manoschek im Zusammenhang mit den österreichischen EmigrantInnen in der Sowjetunion angesprochen worden.7 Zu den Ausbürgerungen in Wien wurden dann seit 2006 mehrere Publikationen8 im Rahmen eines Forschungsprojekts unter der Leitung der Verfasserin9 vorgelegt. In diesem Jahr erschien des Weiteren ein Artikel Wolfgang Meixners ,10 in dem Österreich vom ausgehenden 18. bis ins 20. Jahrhundert , Habil. , Wien , in überarbeiteter Fassung erschienen als Reiter , Ilse ( 2000 ) : Ausgewiesen , abgeschoben. Eine Geschichte des Ausweisungsrechts in Österreich vom ausgehenden 18. bis ins 20. Jahrhundert [ Studien aus Recht , Geschichte und Gesellschaft 3 ] , Frankfurt / Main , 487 , auch FN 2583. 6 Gehmacher , Johanna ( 1996 ) : Fluchten , Aufbrüche. Junge Österreicher und Österreicherinnen im nationalsozialistischen Deutschland 1933–1938. In : Horvath , Traude / Neyer , Gerda ( Hg. ) : Auswanderungen aus Österreich. Von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis zur Gegenwart , Wien / Köln / Weimar , 211–232 : 214 und passim. 7 McLoughlin , Barry / Schafranek , Hans ( 1999 ) : Österreicher im Exil. Sowjetunion 1934–1945. Eine Dokumentation , hrsg. vom Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes , Wien , 138 ; McLoughlin , Barry / S chafranek , Hans / Szevera , Walter ( 1997 ) : Aufbruch – Hoffnung – Untergang. Österreicherinnen und Österreicher in der Sowjetunion 1925–1945 [ Österreichische Texte zur Gesellschaftskritik 64 ] , Wien , 286 ff und passim ; McLoughlin , Barry / S chafranek , Hans ( 1996 ) : Die österreichische Emigration in die UdSSR bis 1938. In : Horvath , Traude / Neyer , Gerda ( Hg. ) : Auswanderungen aus Österreich. Von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis zur Gegenwart , Wien / Köln / Weimar , 163–185 : 164 ; Manoschek , Walter ( 1991 ) : Hans und Maria Boček. „Denn hier werden wir nie eine Heimat finden können“. In : Schafranek , Hans : Die Betrogenen. Österreicher als Opfer stalinis tischen Terrors in der Sowjetunion , Wien , 155–159 ; Schafranek , Hans ( 1991 ) : 405 Kurzbiographien österreichischer Stalin-Opfer ( 1933–1939 ). In : Schafranek , Hans ( Hg ) : Die Betrogenen. Österreicher als Opfer stalinistischen Terrors in der Sowjetunion , Wien , 161–244 , passim. 8 Chronologisch : Reiter , Ilse ( 2006a ) : Nationalstaat und Staatsangehörigkeit in der Zwischenkriegszeit – AusländerInnenausweisung und politische Ausbürgerung in Österreich vor dem Hintergrund des Völkerrechts und der europäischen Staatenpraxis. In : Hahn , Sylvia / Komlosy , Andrea / Reiter , Ilse ( Hg. ) ( 2006 ) : Ausweisung , Abschiebung und Vertreibung in Europa 16.–20. Jahrhundert , Innsbruck / Wien / Bozen , 193–218 ; dies. ( 2006b ) : Ausbürgerung. Politisch motivierter Staatsbürgerschaftsverlust im Austrofaschismus , Teil 1. In : juridikum. zeitschrift im rechtsstaat , Jg. 18 ( 2006 ), Heft 4 , 173–176 ; Rothländer , Christiane ( 2007 ) : Ausgebürgert. Politisch motivierter Staatsbürgerschaftsverlust im Austrofaschismus , Teil II. In : juridikum. zeitschrift im rechtsstaat , Jg. 19 ( 2007 ), Heft 1 , 21–25 ; Reiter , Ilse ( 2010a ) : Die Ausbürgerungsverordnung vom 6. August 1933. In : Böhler , Ingrid / Pfanzelter , Eva / Spielbüchler , Thomas / Steininger , Rolf ( Hg. ) : 7. Österreichischer Zeitgeschichtetag 2008 : 1968 – Vorgeschichten – Folgen. Bestandsaufnahme der österreichischen Zeitgeschichte , Innsbruck / Wien / Bozen , 845–854 ; Rothländer , Christiane ( 2010 ) : Die Ausbürgerungspraxis der Bundes-Polizeidirektion Wien 1933–1938. In : Böhler / Pfanzelter / Spielbüchler / Steininger , 855–865 ; Reiter , Ilse / Rothländer , Christiane ( 2010 ) : Staatsbürgerschaftsentzug und Geschlechterdifferenz. Rechtsgrundlagen und Ausbürgerungspraxis 1933 bis 1938 am Beispiel Wien in : L’homme. Europäische Zeitschrift für Feministische Geschichtswissenschaft 21 /2 , 135–153. Eine Monografie befindet sich im Stadium der Überarbeitung für den Druck. 9 Das 2004 bewilligte Projekt lief 2005 an , vgl. Ausbürgerungen im Austrofaschismus – Forschungsprojekte ( 2 8. 11. 2005 ), auf URL : http ://www.dieuniversitaet-online.at / beitraege / news / Ausburgerungen-im-austrofaschismus / 10 / neste /259.html ( 1. 6. 2012 ). 10 Meixner , Wolfgang ( 2006 ) : 11.000 ausgebürgerte illegale Nazis aus Österreich zwischen 1933 und
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er den Fokus v. a. auf Fragen der Sozialstruktur11 der ausgebürgerten „illegalen Nazis“12 legte. Im Unterschied zu diesem eher quantifizierenden Zugang befasste sich das Projekt Reiter / Rothländer zum einen mit der Einbettung des Phänomens der Ausbürgerung nicht nur in den Kontext der sonstigen Maßnahmen des Regimes zur Unterdrückung der politischen Opposition ,13 sondern auch in den historischen völkerrechtlichen Diskurs und die internationale Staatenpraxis.14 Zum anderen standen die Gesetzgebungsgeschichte sowie die Durchführungspraxis anhand der Erlässe des Bundeskanzleramtes und des Behördenschriftverkehrs im Vordergrund des Forschungsvorhabens. Bereits auf dieser Untersuchungsebene zeigte sich für Österreich ein zunächst völlig uneinheitliches Behördenvorgehen aufgrund unterschiedlicher juristischer Interpretationen der Ausbürgerungsverordnung , darüber hinaus aber auch ein Bemühen des Bundeskanzleramts um zumindest vordergründige Rechtskonformität der Verfahren. Ein weiterer Fokus des Projekts lag auf den konkreten Ausbürgerungsfällen in Wien , anhand der dem Wiener Stadt- und Landesarchiv kurz zuvor vom Wiener Magistrat übergebenen Ausbürgerungsakten , die sowohl in quantitativer als auch in qualitativer Hinsicht ausgewertet wurden. Dieser bis dahin unbearbeitete Bestand erwies sich erheblich größer , als nach dem Ausbürgerungsverzeichnis zu vermuten war , da er eine Vielzahl von nicht abgeschlossenen Fällen enthielt und nur 63 Prozent der eingeleiteten 849 Verfahren tatsächlich mit einer Ausbürgerung geendet hatten.15 Gerade die nicht beendeten Verfahren waren aber diejenigen , die spannende juristische Fragen aufwarfen oder politische 1938. In : Bericht über den 24. Österreichischen Historikertag in Innsbruck von 20.–23. 9. 2005 , Innsbruck 2006 , 601–607 , auch URL : www.lbihs.at / MeixnerIllegaleNazis.pdf ( aufgerufen am 26. 5. 2012 ). 11 Diesen Fragestellungen dient auch das 2006 beim Jubiläumsfonds der Oesterreichischen Nationalbank eingereichte Projekt „Die Sozialstruktur der illegalen NS-Bewegung in Österreich ( 1933– 1938 )“, Projektleitung. Gerhard Botz , Projektmitarbeiter Kurt Bauer und Wolfgang Meixner , siehe zum Stand der Arbeiten URL : http ://www.kurt-bauer-geschichte.at / forschung.htm ( 25. 5. 2012 ). 12 Siehe dazu kritisch Rothländer ( 2007 ) : 24. 13 Reiter-Zatloukal , Ilse ( 2012b ) : Politische Radikalisierung , NS-Terrorismus und „innere Sicherheit“ in Österreich 1933–1938. Strafrecht , Polizei und Justiz als Instrumente des Dollfuß / S chuschniggRegimes. In : Härter , Karl / Graf , Beatrice de ( Hg. ) : Vom Majestätsverbrechen zum Terrorismus : Politische Kriminalität , Recht , Justiz und Polizei zwischen Früher Neuzeit und 20. Jahrhundert [ Studien zur europäischen Rechtsgeschichte. Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für europäische Rechtsgeschichte Frankfurt / Main 68 ] , Frankfurt / Main , 271–320. 14 Reiter ( 2006a ) ; dies. ( 2006b ) ; dies. ( 2010b ) : Zwangsausbürgerung aus politischen Gründen : ein Element europäischer Rechtsu nkultur im 20. Jahrhundert ? In : Olechowski , Thomas / Neschwara , Christian / Lengauer , Alina ( Hg. ) : Grundlagen der österreichischen Rechtskultur. Festschrift für Werner Ogris zum 75. Geburtstag , Wien / Köln / Weimar , 433–458 ; Reiter-Zatloukal , Ilse ( 2011a ) : Denationalisation , Migration und Politik. Zur Praxis des Staatsangehörigkeitsentzugs im 20. Jahrhundert. In : migraLex. Zeitschrift für Fremden- und Minderheitenrecht 9 , 2–10 ; dies. ( 2012a ) : Migration und politisch motivierter Staatsbürgerschaftsentzug im 20. Jahrhundert. In : Dahlvik , Julia / Fassmann , Heinz / Sievers , Wiebke ( Hg. ) : Migration und Integration – wissenschaftliche Perspektiven aus Österreich , Jahrbuch 1 /2011 [ M igrations- und Integrationsforschung. Multidisziplinäre Perspektiven 2 ] , Tagungsband der 1. Jahrestagung der Migrations- und Integrationsforschung in Österreich , veranstaltet von der Kommission für Migrationsforschung an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften und der Universität Wien ( Forschungsplattform Migration and Integration Research ), Wien , 75–90. 15 Vgl. Reiter / Rothländer ( 2010 ) : 144.
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Einflussnahmen zeigten bzw. auf die massive politische Unterwanderung der Wiener Polizei hinwiesen.16 Daher musste die Untersuchung der Frage nach den Wiedereinbürgerungen nach 1945 im Rahmen dieses Projekts zugunsten einer vollständigen Erfassung und Auswertung des gesamten Wiener Aktenbestands ausgeklammert werden. Es verbleiben somit erhebliche Forschungsdesiderate im Bereich der politisch motivierten Ausbürgerungen. Zum einen fehlen nämlich vergleichende Länderstudien , um regionale Unterschiede der Durchführungspraxis herausarbeiten zu können. Außerdem können nur auf diese Weise die österreichweiten Relationen zwischen Ausbürgerungen von Angehörigen der linken Opposition und den NationalsozialistInnen geklärt werden , da das amtliche Ausbürgerungsverzeichnis die politische Zugehörigkeit der Ausgebürgerten nicht ausweist. Weiters würden sich daraus auch Erklärungen für die unerwarteten quantitativen Wien-Befunde ergeben. Wie Rothländer nämlich herausgearbeitet hat ,17 liegt Wien , gerechnet anhand der österreichweiten Zahl der Ausbürgerungen mit nicht einmal sechs Prozent an drittletzter Stelle , gefolgt bloß von den bevölkerungsschwachen Bundesländern Vorarlberg und Burgenland , während die meisten Ausbürgerungen auf die Steiermark und Kärnten entfielen. Im Verhältnis zur Wohnbevölkerung gerechnet ist Wien sogar auf dem absolut letzten Platz , denn sogar im Burgenland gab es doppelt so viele Ausbürgungen als in Wien. Wien ist also extrem unterrepräsentiert bei den Ausbürgerungen , was aber deshalb umso befremdlicher erscheint , als Wien bei den Rückkehreransuchen infolge des Juliabkommens 1936 nach einer von Rothländer vorgenommenen Stichprobe von über 3.800 Ansuchen an der dritten Stelle liegt , während bei den anderen Ländern die Ausbürgerungszahlen weitgehend mit den Rückkehreransuchen korrelieren.18 Diese hohen Wiener Zahlen weisen jedenfalls darauf hin , dass viele Flüchtlinge aus Wien ihre Ausbürgerung für möglich oder wahrscheinlich hielten , obwohl sie tatsächlich gar nicht stattgefunden hatte. Ein weiteres , damit ebenfalls im Zusammenhang stehendes Forschungsdesiderat stellt die Frage dar , wie hoch die Flüchtlingszahlen überhaupt waren. Mindestens muss nach den deutschen Zahlen von 35.000 bis 40.000 Deutschland-Flüchtlingen ausgegangen werden , und – bezieht man Familienangehörige und ArbeitsmigrantInnen mit ein – laut österreichischer Staatspolizei sogar von mindestens 63.000. Andere Quellen gehen sogar von 84.000 Flüchtlingen inklusive der Familienangehörigen in Bayern aus.19 Angesichts dieser Zahlen stellt auch die Erforschung der reichsdeutschen Einbürgerungspraxis betreffend die österreichischen Flüchtlinge sowohl in quantitativer als auch qualitativer Hinsicht ein Forschungsdesiderat dar. Nach reichsdeutschen Angaben wurden 16 Wie sie kürzlich in Rothländer , Christiane ( 2012a ) : Die Anfänge der Wiener SS , Wien , 265–299 , 363–398 , 405–413 , aufgezeigt wurde. 17 Z. B. Rothländer ( 2010 ) : 856. 18 Rothländer ( 2010 ) : 862. 19 Von 40.000 Flüchtlingen spricht Langoth , Franz ( 1951 ) : Kampf um Österreich. Erinnerungen eines Politikers , Wels , 235 ; so auch Hitler in einem Brief an Mussolini vom 11. 3. 1938. In : Akten zur deutschen auswärtigen Politik ( 1950 ), Ser. D ( 1937–1945 ), Bd. 1 : Von Neurath zu Ribbentrop ( S eptember 1937–September 1938 ), Baden-Baden , Nr. 352 , 469 ; nach der Niederschrift der Besprechungen über den Haushalt 1936 des Hilfswerks Österreich am 13. und 14. 10. im Reichs- und Preußischen Ministerium des Innern waren es 35.000. In : ebd. , Nr. 170 , 257 ; vgl. allgemein zur deutschen Flüchtlingspolitik Rothländer ( 2012a ) : 529.
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nämlich insgesamt 10.200 österreichische EmigrantInnen eingebürgert.20 Wenngleich die Übereinstimmung dieser Einbürgerungszahl mit der Zahl der österreichischen Ausbürgerungen den Eindruck zu erwecken vermag , als seien fast alle ausgebürgerten österreichischen Nationalsozialisten reichsdeutsche Staatsbürger geworden ,21 so wäre dieser Schluss jedoch verfehlt. Das Interesse der ausgebürgerten ÖsterreicherInnen , nunmehr also Staatenlosen , an einer reichsdeutschen Staatsangehörigkeit scheint nämlich keineswegs auf ungeteilte Zustimmung im Deutschen Reich gestoßen zu sein. Es dürften zwar , wie Rothländer in ihrer Arbeit über die „Anfänge der Wiener SS“ zeigt ,22 die emigrierten SA- und SS-Angehörigen samt Frauen und Kindern rasch eingebürgert worden sein , inwieweit dies aber auch auf andere politische Flüchtlinge aus Österreich zutraf , ist nicht bekannt. Die Behandlung der Rechtsprobleme derjenigen Ausgebürgerten , die nach ihrer Flucht auch privat in Deutschland ein neues Leben beginnen und ihre österreichische Ehe scheiden lassen wollten , wirft allerdings berechtigte Zweifel an einer quasi-automatischen Einbürgerung in Deutschland auf , wie die Verfasserin jüngst aufgezeigt hat.23 Die Ausgebürgerten konnten sich nämlich als Staatenlose in Deutschland nicht scheiden lassen , einer die Scheidung ermöglichenden Verleihung der deutschen Staatsangehörigkeit stand jedoch das Regime ablehnend gegenüber. Wie Martin Bormann dazu 1935 ausführte , würde dadurch nicht nur eine Tätigkeit der einstigen Österreicher für die NSDAP in ihrem Herkunftsland verunmöglicht werden , sondern auch die beabsichtigte Repatriierung der Flüchtlinge nach Österreich. Mit der Frage nach der Höhe der Flüchtlingszahlen verbunden ist wiederum das Forschungsdesiderat betreffend die Rückkehr der österreichischen Flüchtlinge bzw. EmigrantInnen , und zwar sowohl unter dem Gesichtspunkt der Amnestierungen als auch unter jenem der Wiedereinbürgerung in Österreich. Bald nach den Februarereignissen 1934 ging das Dollfuß / Schuschnigg-Regime nämlich aufgrund der mehr oder weniger heftigen Kritik ausländischer Regierungen in der darauffolgenden Justizpraxis zu einer Befriedungspolitik über. Diese wurde aber , was die „Amnestierungen“ der Jahre 1934 bis 1938 betrifft , von der Wissenschaft vernachlässigt , sieht man von den Ausführungen Holtmanns und Volsanksys ab.24 Letztlich ( noch ) nicht endgültig geklärt ist etwa nicht 20 Volsansky , Gabriele ( 2001 ) : Pakt auf Zeit. Das deutsch-österreichische Juli-Abkommen 1936 , Wien / Köln / Graz , 187. 21 Diesen Eindruck kann allerdings aufgrund Gehmachers Gegenüberstellung der 10.200 Eingebürgerten im Verhältnis zu den laut ihrer Angabe bis 1936 ausgebürgerten 10.640 ÖsterreicherInnen entstehen , Gehmacher ( 1996 ) : 223 , FN 51. 22 Rothländer ( 2012a ) : 539. 23 Reiter / Rothländer ( 2011 ) ; Reiter-Zatloukal , Ilse ( 2012c ) : Ehe , Staatsangehörigkeit und Migration. Österreich 1918–1938. In : Kohl , Gerald / Olechowski , Thomas / Staudigl-Chiechowicz , Kamila / TäubelWeinreich , Dori ( Hg. ) : Eherecht 1811 bis 2011. Historische Entwicklungen und aktuelle Herausforderungen = BRGÖ 1 /2012 , 118. 24 Holtmann , Everhard ( 1978 ) : Zwischen Unterdrückung und Befriedung. Sozialistische Arbeiter bewegung und autor itäres Regime in Österreich 1933–1938 [ Studien und Quellen zur österreichischen Zeitgeschichte 1 ] , Wien , 170 f , 246 ; Volsansky ( 2001 ) : 185 ; zur Amnestierung der linken Opposition 1935 vgl. Marschalek , Manfred ( 1990 ) : Untergrund und Exil. Österreichs Sozialisten zwischen 1934 und 1945 [ S ozialistische Bibliothek , Abteilung 1 : Die Geschichte der Österreichischen Sozial demokratie 3 ] , Wien , 179 ; zur Frage , ob die Amnestie 1936 auch für die emigrierten Schutzbündler
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nur ,25 auf welche Personenkategorien sich die „Amnestien“ jeweils konkret in den beiden oppositionellen Lagern bezogen , sondern es mangelt bislang auch an einer umfassenden Analyse der konkreten Durchführung der Amnestien sowohl in qualitativer als auch quantitativer Hinsicht. Damit verbunden ist auch die unbefriedigende Forschungslage hinsichtlich der Heimkehr der Flüchtlinge und der Rückbürgerungen bis zum „Anschluss“ 1938. Zwar wird die Rückkehr sowohl der NS-„Emigranten“ als auch der linken Flüchtlinge aus der ČSR und der UdSSR im einschlägigen Schrifttum regelmäßig thematisiert ,26 es gibt aber nach wie vor keine umfassenden Erkenntnisse hinsichtlich der behördlichen Abwicklung der Rückkehrbewegungen sowie der tatsächlichen RückkehrerInnenzahlen.27 Die Zahl der insgesamt bewilligten Rückkehransuchen ist ebensowenig bekannt wie die der tatsächlichen RückkehrerInnen und erst recht der darunter befindlichen Ausgebürgerten. Hinsichtlich der rechtlichen Voraussetzungen für eine Wiedereinbürgung bis zum „Anschluss“ sowie eines 1936 nach dem Juliabkommen fertiggestellten Entwurfes für ein Wiedereinbürgerungsgesetz liegen allerdings bereits Ergebnisse vor.28 Ungeklärt ist dementsprechend zum gegenwärtigen Zeitpunkt auch die genaue Zahl der Rückkehrer nach dem „Anschluss“ 1938 , die Franz Langoth auf rund 8.500 schätzte.29 Eine systematische Untersuchung der Rückkehr und Wiedereinbürgerung der Flüchtlinge nach dem März 1938 stellt daher ebenfalls ein Desiderat dar. Im Juli 1938 wurde nämlich festgelegt , dass alle Bescheide , mit denen österreichische Bundesbürger „deutschen oder artverwandten Blutes“ im Austrofaschismus ausgebürgert worden waren , als nicht erlassen zu gelten hätten. Hannelore Burger und Harald Wendelin zufolge begann die Wiedereinbürgerung von Nationalsozial istInnen im Herbst 1938 , wobei sich die Zahl der positiv abgeschlossenen Fälle bis Kriegsbeginn auf insgesamt 530 belaufen habe.30 Es wurde aber bislang weder eine umfassende qualitative Analyse dieser Wiedereinbürgerungen vorgenommen noch auch untersucht , wie es sich mit der Wiedereinbürgerung von Mitgliedern der linken Opposition verhielt. Zu Beginn der Zweiten Republik lebten dann die Ausbürgerungen des Austrofaschismus wieder auf. Eine Aufhebung der Ausbürgerung konnte jedoch nach dem Staatsbürgerschafts-Überleitungsgesetz 1945 erfolgen , wenn der Betroffene keine fremde Staatsbürgerschaft erworben hatte und die Ausbürgerung nicht als Folge einer allgemeinen Haltung des Ausgebürgerten verfügt worden war , die mit den Grundsätzen der unabhängalt , die Dokumente bei McLoughlin / S chafranek ( 1999 ), ab Nr. 122. 25 Siehe dazu Reiter-Zatloukal , Ilse ( 2012e ) : Die Begnadigungspolitik der Regierung Schuschnigg. Von der Weihnachtsamnestie 1934 bis zur Februaramnestie 1938. In : BRGÖ , 336–364. 26 Volsansky ( 2001 ) : 185 ; Stadler , Karl R. ( 1974 ) : Opfer verlorener Zeiten. Geschichte der Schutzbund-Emigration 1934 , Wien , 207 ; Holtmann ( 1978 ) : 105 , 157 ; Marschalek ( 1990 ) : 17. 27 Siehe die Statistik der Rückkehransuchen nach Ländern gegliedert bei Rothländer ( 2010 ) : 863. 28 Siehe dazu erste Ergebnisse bei Reiter-Zatloukal ( 2011b ) : 304 ff. 29 Langoth ( 1951 ) : 337. 30 Vgl. Burger , Hannelore / Wendelin , Harald ( 2004 ) : Vertreibung , Rückkehr und Staatsbürgerschaft. Die Praxis der Vollziehung des Staatsbürgerschaftsrechts an den österreichischen Juden. In : Kolonovits , Dieter / Burger , Hannelore / Wendelin , Harald ( Hg. ) : Staatsbürgerschaft und Vertreibung ( Veröffentlichungen der Österreichischen Historikerkommission. Vermögensentzug während der NS-Zeit sowie Rückstellungen und Entschädigungen seit 1945 in Österreich 7 ), Wien / München.
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gigen demokratischen Republik Österreich in Widerspruch stand. Aufgrund der Staatsbürgerschaftsrechtsnovelle 1949 konnten Ausbürgerungen weiters widerrufen werden , wenn das politische Verhalten der betroffenen Person wenigstens seit Kriegsende eine positive Einstellung zur Republik widerspiegelte. Auch diese Wiedereinbürgerungsvorgänge harren noch der Erforschung. Dass die Wiedereinbürgerung nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs auch über die Ausbürgerungen hinausgehend spannende juristische und zeitgeschichtliche Fragen aufwirft , zeigt etwa das in der Dissertation von Barbara Toth 2010 thematisierte Gültigkeitsproblem der Einbürgerung Walter Reders in Deutschland.31 Einen weitgehend weißen Fleck in der wissenschaftlichen Aufarbeitung stellt darüber hinaus der Umgang der Behörden der Zweiten Republik mit Wiedereinbürgerungsanträgen von Spanienkämpfern dar , wobei zu diesem Problemkreis auch eine umfassende Aufarbeitung der Vorgeschichte fehlt : Dass österreichische Interbrigadisten aufgrund des Staatsbürgerschaftsgesetzes von 1925 infolge Eintritts in ein „fremdes Heer“ ihrer Staatsangehörigkeit verlustig gingen , wurde zwar im einschlägigen Schrifttum immer wieder am Rande erwähnt32 und kürzlich auch von der Verfasserin ausführlicher thematisiert ,33 bislang konnte aber weder die Zahl der auf diese Weise Ausgebürgerten ausgemacht werden , noch existiert eine Untersuchung der Behördenpraxis hinsichtlich dieser Aus- und Wiedereinbürgerungen. In seiner 2010 publizierten Diplomarbeit über die Tiroler Spanienkämpfer wies Friedrich Stepanek allerdings nach ,34 dass die Tiroler Landesregierung zunächst Ausbürgerungsbescheide von Interbrigadisten entweder in analoger Anwendung des Staatsbürgerschafts-Überleitungsgesetzes von 1945 widerrief , ihre Praxis aber in den 1960er-Jahren35 grundlegend änderte und durch Feststellungen des seinerzeitigen Staatsbürgerschaftsverlusts gleichsam neue Ausbürgerungen vornahm , ohne dass bislang eine Ursache für diesen Paradigmenwechsel festgemacht werden konnte. II. ( Sonstige ) Maßnahmen der polizeilichen Oppositionsbekämpfung Ebenfalls ein Forschungsdesiderat bildete lange Zeit der politisch motivierte Vermögensentzug , dem sich bis zur Aufnahme eines FWF-Projekts unter der Leitung der Verfasserin36 im Wesentlichen nur die Studie von Mesner , Reiter und Venus mit Schwer31 Walter Reder hätte weder aus Österreich aus- noch im Deutschen Reich eingebürgert werden dürfen , Tóth , Barbara ( 2010 ) : Der Handschlag. Die Affäre Frischenschlager-Reder , phil. Diss. , Wien , 50. 32 Z. B. Vereinigung Österreichischer Freiwilliger in der Spanischen Republik 1936 bis 1939 und der Freunde des Demokratischen Spanien ( Hg. ) ( 1986 ) : Österreicher im spanischen Bürgerkrieg. Interbrigadisten berichten über ihre Erlebnisse 1936 bis 1945 , Wien , 45 ; Landauer , Hans / Hackl , Erich ( 2003 ) : Lexikon der österreichischen Spanienkämpfer 1936–1939 , Wien , 14 , 17 ; Flanner , Karl ( 1983 ) : Wiener Neustadt im Ständestaat. Arbeiteropposition 1933–1938 [ Materialien zur Arbeiterbewegung 31 ] , Wien , passim ; Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes ( Hg. ) ( 1986 ) : Für Spaniens Freiheit. Österreicher an der Seite der Spanischen Republik 1936–1939. Eine Dokumentation , Wien , passim. 33 Reiter ( 2011b ) : 309. 34 Stepanek , Friedrich ( 2010 ) : „Ich bekämpfte jeden Faschismus“. Lebenswege Tiroler Spanienkäm pfer , Innsbruck / Wien / Bozen , 136. 35 Stepanek ( 2010 ) : 141. 36 Vgl. dazu Reiter , Ilse / Rothländer , Christiane / Schölnberger , Pia ( 2009 ) : Politisch motivierter Vermögensentzug in Wien 1933–1938. In : juridikum. zeitschrift im rechtsstaat Jg. 21 ( 2009 ), Heft 1 , 48–54 ;
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punkt auf dem Vorwärtsverlag widmete ,37 wobei die Quellenlage in diesem Bereich freilich als problematisch bezeichnet werden muss. Dies trifft auch für andere bislang weitgehend unbearbeitete Themenfelder im Bereich der polizeilichen Maßnahmen gegen die politische Opposition zu. Über die Erweiterungen der Polizeikompetenzen hinaus fand nämlich seit 1933 eine ungeheuere Ausweitung des Verwaltungsstrafrechtes statt , die in ihren praktischen Auswirkungen nahezu völlig unerforscht ist.38 Grund für die Etablierung des Polizeistaates war ,39 dass die Regierung dadurch die ( noch unabhängige ) Justiz explizit umgehen wollte , weshalb v. a. die Tatbestände des Polizeistrafrechts nun vervielfacht wurden. Inhaltlich zielten die Maßnahmen primär auf Delikte im Zusammenhang mit politischer Propaganda ( bis hin zum NS-Terrorismus ) ab. Gemeinsam waren all diesen neuen Strafbestimmungen die dramatische Erhöhung der bisher üblichen Strafobergrenzen bei Geld- und Arreststrafen , und zwar mindestens um das Zehnfache , zum Teil sogar um das Fünfzigoder Hundertfache , weiters die Möglichkeit , Geld- und Arreststrafen kumulativ zu verhängen , und zwar auch zusätzlich zur strafgerichtlichen Verurteilung. Gleichzeitig wurden die Rechtsschutzmöglichkeiten massiv eingeschränkt und die gerichtliche Kontrolle des Polizeihandelns hinsichtlich derartiger polizeistrafrechtlicher Tatbestände ausgeschlossen , um die Effizienz der Oppositionsbekämpfung zu erhöhen. Da solche verwaltungsstrafrechtlichen Verurteilungen , insbesondere der Polizeiarrest , neben der „Anhaltung“ zum Alltag politischer Verfolgung in dieser Zeit gehörten40 und ganz offensichtlich Reiter-Zatloukal , Ilse ( 2012d ) : Repressivpolitik und Vermögensentzug 1933–1938. In : Reiter-Zatloukal , Ilse / Rothländer , Christiane / Schölnberger , Pia ( Hg. ) : Österreich 1933–1938. Interdisziplinäre Annäherungen an das Dollfuß / Schuschnigg-Regime , Wien / Köln / Weimar , 61–76 ; Rothländer , Christiane ( 2012b ) : Die Durchführungspraxis des politisch motivierten Vermögensentzugs 1933–1938. In : ebd. , 77–93. 37 Mesner , Maria / Reiter , Margit / Venus , Theodor ( 2007 ) : Enteignung und Rückgabe. Das sozialdemokratische Parteivermögen in Österreich 1934 und nach 1945 , Innsbruck / Wien / Bozen , siehe auch rezent dies. ( 2012 ), Rückgabe. Nicht Restitution. Am Beispiel der SPÖ , In : Reiter-Zatloukal , Ilse / Rothländer , Christiane / S chölnberger , Pia ( Hg. ) : Österreich 1933–1938. Interdisziplinäre Annäherungen an das Dollfuß / S chuschnigg-Regime , Wien / Köln / Weimar , 305–314. 38 Dazu Neugebauer , Wolfgang ( 2005 ) : Repressionsapparat und -maßnahmen 1933–1938. In : Tálos , Emmerich / Neugebauer , Wolfgang ( Hg. ) : Austrofaschismus. Politik – Ökonomie – Kultur 1933–1938 , 5. , völlig überarb. und erg. Aufl. [ Politik und Zeitgeschichte 1 ] , Wien , 298–313 ; Reiter-Zatloukal ( 2012b ). 39 Siehe zur Rolle der Polizei bei der Etablierung der Regierungsdiktatur Mähner , Peter ( 1990 ) : Die Rolle der Polizei in der Konstituierungsphase des Austrofaschismus , Dipl.-Arb. , Wien ; Winkler , Elisabeth ( 1983 ) : Die Polizei als Instrument in der Etablierungsphase der austrofaschistischen Diktatur ( 1932–1934 ) mit besonderer Berücksichtigung der Wiener Polizei , phil. Diss. , Wien. 40 Neugebauer ( 2005 ) ; Reiter-Zatloukal ( 2012e ) ; Riedler , Anton ( 1935 ) : Die Ausnahmebestimmungen gegen die Nationalsozialisten im österreichischen Bundesrecht. In : Verwaltungsarchiv. Zeitschrift für Verwaltungsrecht und Verwaltungsgerichtsbarkeit 40 , 225–278 ; Riedler , Anton ( 1936 ) : Die Ausnahmegesetzgebung in Österreich 1933–1936 , Berlin ; Weiser , Max ( 1935 ) : Das Polizeirecht der Jahre 1933 und 1934 , Sonderbeilage zur Öffentlichen Sicherheit Nr. 1 ; Gürke , Norbert ( 1933 ) : Der politische Sinn der Notverordnungspraxis. In : Verwaltungsarchiv. Zeitschrift für Verwaltungsrecht und Verwaltungsgerichtsbarkeit 38 , 279–304 ; siehe auch die „Denkschriften von Rechtsanwalt Dr. Erich Führer , 1936 / 37“, im Anhang von Putschek , Wolfgang ( 1993 ) : Ständische Verfassung und autoritäre Verfassungspraxis in Österreich 1933–1938 mit Dokumentenanhang. Verfassung und Verfassungswirklichkeit. [ Rechtshistorische Reihe 109 ] , Frankfurt / New York , 231 ff.
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regelmäßig auch vor oder nach Strafurteilen ausgesprochen wurden , könnte die Erforschung der einschlägigen Polizeipraxis , insbesondere mittels der noch teilweise in den Landesarchiven vorhandenen Aktenbestände der Bezirkshauptmannschaften , wertvolle neue Ansatzpunkte für die Einschätzung des Dollfuß / Schuschnigg-Regimes aus rechtlicher Sicht liefern. Der mit den Verwaltungsstrafen im engsten Zusammenhang stehende Freiheitsentzug durch die Anhaltung war seit der Studie von Jagschitz aus 197541 ebenfalls von der Forschung vernachlässigt worden. Mit der Dissertation von Pia Schölnberger zum Anhaltelager Wöllersdorf42 und den ( noch zu erwartenden ) Ergebnissen Kurt Bauers zur Sozialstruktur der in den österreichischen Anhaltelagern Internierten wird allerdings diese erhebliche Forschungslücke geschlossen.43 Für eine darüber hinausgehende Beurteilung des nun etablierten Polizeistaates wäre aber auch eine weiter gehende Erforschung der personellen Säuberungen der Polizei im Austrofaschismus , der Nazifizierung des Polizeiapparats und personellen Kontinuitäten in demselben , auch über den „Anschluss“ hinaus , von hohem Interesse. III. Justiz Verschiedene Forschungsdesiderate ergeben sich auch für die Justiz , wenngleich diese durch eine Reihe von Arbeiten , insbesondere von Holtmann , Neugebauer u. a. , einen 41 Jagschitz , Gerhard ( 1975 ) : Die Anhaltelager in Österreich. In : Vom Justizpalast zum Heldenplatz : Studien und Dokumentationen 1927 bis 1938 [ Festgabe der Wissenschaftlichen Kommission des Theodor-Körner-Stiftungsfonds und des Leopold-Kunschak-Preises zur Erforschung der Österreichischen Geschichte der Jahre 1927 bis 1938 anlässlich des 30jährigen Bestandes der Zweiten Republik Österreich und der 20. Wiederkehr des Jahrestages des Österreichischen Staatsvertrages ] , Wien , 128–151. 42 Siehe Schölnberger , Pia ( 2012b ) : „Eine Klausur umdrahteten Bereichs“. Das „Anhaltelager“ Wöllersdorf 1933–1938 , phil. Diss. , Wien ; zuvor dies. ( 2010a ) : Wöllersdorf – Die Anfänge. In : Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes ( Hg. ) : Jahrbuch , 190–211 ; dies. ( 2010b ) : „Durchaus erträglich“ ? Alltag im Anhaltelager Wöllersdorf. In : Mitteilungen des Dokumentationsarchivs des österreichischen Widerstandes , F. 195 , 1–4 ; dies. ( 2012 a) : „Ein Leben ohne Freiheit ist kein Leben“. Das „Anhaltelager“ Wöllersdorf 1933–1938. In : Reiter-Zatloukal , Ilse / Rothländer , Christiane / S chölnberger , Pia ( Hg. ) : Österreich 1933–1938. Interdisziplinäre Annäherungen an das Dollfuß / Schuschnigg-Regime , Wien / Köln / Weimar. 43 Für die ersten Projektergebnisse vgl. Bauer , Kurt ( 2012a ) : Kurzbiografien bekannter linker Anhaltehäftlinge 1933–1938 , http ://www.kurt-bauer-geschichte.at / PDF-Materialien / Kurzbiografien-linker-An haltehaeftlinge.pdf ( aufgerufen am 1. 12. 2012 ) ; ders. ( 2012b ) : Die Anhaltehäftlinge des Ständestaates ( 1933–1938 ), http ://www.kurt-bauer-geschichte.at / PDF_Forschung_Material / A nhalteprojekt_erste-Ergebnisse_2012–01–22.pdf ( aufgerufen am 1. 12. 2012 ) ; zuvor auch Bauer , Kurt : Zum Entstehen der Anhaltelager in Österreich 1933 / 34. In : Böhler , Ingrid / Pfanzelter , Eva / Spielbüchler , Thomas / Steininger , Rolf ( Hg. ) : 7. Österreichischer Zeitgeschichtetag 2008 : 1968 – Vorgeschichten – Folgen. Bestandsaufnahme der österreichischen Zeitgeschichte , Innsbruck / Wien / Bozen 2010 , 825–836 ; siehe zur Erforschung der oberösterreichischen Anhaltehäftlinge durch Kurt Bauer URL : http ://www.land-oberoesterreich. gv.at / cps / rde / xbcr / SID–14F46115–289F5466 / ooe / PK_LH_12. 10. 2011_Internet.pdf ( aufgerufen am 25. 6. 2012 ) ; siehe weiters das Projekt des Zukunftsfonds P10–0714 zur „Sozialstruktur der sozialdemokratischen und kommunistischen Häftlinge der österreichischen Anhaltelager ( 1933–1938 )“, URL : http :// www.zukunftsfonds-austria.at / i ndex.php ?i=6&k=P10–0714 pdf ( aufgerufen am 25. 6. 2012 ).
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erheblich höheren Aufarbeitungsgrad aufweist als die Polizeipraxis , insbesondere freilich was die Standgerichtsbarkeit ( v. a. die justizielle Aufarbeitung der Februarereignisse ) und die Sozialistenprozesse 1935 / 36 betrifft.44 Abgesehen von einer Studie Holt44 Bauer , Ingrid ( 1986 ) : „Milder“ Terror ? Politische Justiz gegen die illegale sozialistische Bewegung in Salzburg 1934–1938. In : Stadler , Karl R. ( Hg. ) : Sozialistenprozesse. Politische Justiz in Österreich 1870–1936. Wien / München / Zürich , 491–508 ; Hauch , Gabriella ( 1986 ) : „ , …Je härter die Urteile , desto gerechter …“ Todesurteile in den Standgerichtsprozessen in Oberösterreich. Sozialistenprozesse. Politische Justiz in Österreich 1870–1936. In : Stadler , Karl R. ( Hg. ) : Sozialistenprozesse. Politische Justiz in Österreich 1870–1936 , Wien / München / Zürich , 317–328 ; Holtmann , Everhard ( 1975a ) : Politische Tendenzjustiz während des Februaraufstands 1934. In : Das Jahr 1934 : 12. Februar. Protokoll des Sympo siums in Wien am 5. Februar 1974 [ Veröffentlichungen / Wissenschaftliche Kommission des TheodorKörner-Stiftungsfonds und des Leopold-Kunschak-Preises zur Erforschung der Österreichischen Geschichte der Jahre 1927 bis 1938 2 ] , 45–57 ; ders. ( 1975b ) : Zwischen „Blutschuld“ und „Befriedigung“: Autoritäre Julijustiz. In : Das Jahr 1934 : 25. Juli. Protokoll des Symposions in Wien am 8. Oktober 1974 [ Veröffentlichungen der Wissenschaftlichen Kommission des Theodor-Körner-Stiftungsfonds und des Leopold-Kunschak-Preises zur Erforschung der Österreichischen Geschichte der Jahre 1918 bis 1938 3 ] , Wien , 36–45 ; ders. ( 1980 ) : Autoritätsprinzip und Maßnahmengesetz. Zur verfassungsrechtlichen Stellung der Justiz im österreichischen Ständestaat. In : Die österreichische Verfassung von 1918 bis 1938. Protokoll des Symposiums in Wien am 19. Oktober 1977 [ Veröffentlichungen der Wissenschaftlichen Kommission des Theodor-Körner-Stiftungsfonds und des Leopold-Kunschak-Preises zur Erforschung der Österreichischen Geschichte der Jahre 1918 bis 1938 6 ] , Wien , 210–222 ; ders. ( 1978 ) ; Gagern , Edith ( 2004 ) : Peter Strauß. Das erste Opfer der Standgerichte. In : Neuhäuser , Stephan ( Hg. ) : „Wir werden ganze Arbeit leisten …“ Der austrofaschistische Staatsstreich 1934 , Norderstedt , 21–46 ; Marschalek , Manfred ( 1986a ) : Der Wiener Schutzbundprozeß 1935. In : Stadler , Karl R. ( Hg. ) : Sozialistenprozesse. Politische Justiz in Österreich 1870–1936 , Wien / München / Zürich , 381–428 : ders. ( 1986a ) : Der Wiener Sozialistenprozess 1936. In : Stadler , Karl R. ( Hg. ) : Sozialistenprozesse. Politische Justiz in Österreich 1870–1936 , Wien / München / Zürich , 429–490 ; Neck , Rudolf ( 1981 ) : Koloman Wallisch vor dem Standgericht. In : Siedlung , Macht und Wirtschaft. Festschrift Fritz Posch zum 70. Geburtstag , Graz [ Veröffentlichungen des Steiermärkischen Landesarchivs 12 ] , 455–464 ; Neck , Rudolf ( 1986 ) : Koloman Wallisch 1934 , In : Stadler , Karl R. ( Hg. ) : Sozialistenprozesse. Politische Justiz in Österreich 1870–1936 , Wien / München / Zürich , 303–315 ; Neugebauer , Wolfgang ( 1981 ) : Standgerichtsbarkeit und Todesstrafe in Österreich 1933 bis 1938. In : BMJ / BMWF ( Hg. ) : 25 Jahre Staatsvertrag. Protokolle des wissenschaftlichen Symposions „Justiz und Zeitgeschichte“ 24. und 25. Oktober 1980. „Die österreichische Justiz – die Justiz in Österreich 1933 bis 1955“ Wien , 46–55 ; ders. ( 1986 ) : Das Standgerichtsverfahren gegen Josef Gerl. In : Stadler , Karl R. ( Hg ) : Sozialistenprozesse. Politische Justiz in Österreich 1870–1936 , W ien / München / Zürich , 369–375 ; ders. ( 1995a ) : Politische Justiz in Österreich 1934–1945. In : Weinzierl , Erika / R athkolb , Oliver / A rdelt , Rudolf G. / Mattl , Siegfried ( Hg. ) : Justiz und Zeitgeschichte. Symposionsbeiträge 1976–1993 , Bd. 1 , Wien , 114–138 ; ders. ( 1995b ) : Standgerichtsbarkeit und Todesstrafe in Österreich 1933 bis 1938. In : Weinzierl , Erika / R athkolb , Oliver / A rdelt , Rudolf G. / Mattl , Siegfried ( Hg. ) : Justiz und Zeitgeschichte. Symposionsbeiträge 1976–1993 , Bd. 1 , Wien , 317–327 ; ders. ( 1995c ) : Richterliche Unabhängigkeit 1934–1945 , unter Berücksichtigung der Standgerichte und der Militärgerichte. In : Weinzierl , Erika / R athkolb , Oliver / A rdelt , Rudolf G. / Mattl , Siegfried ( Hg. ) : Justiz und Zeitgeschichte. Symposionsbeiträge 1976–1993 , Bd. 2 , Wien , 51–74 ; ders. ( 2005 ) ; Polaschek , Martin ( 2008 ) : In den Mühlen der Justiz. Der Standrechtsprozess gegen Peter Strauss und die Wiedereinführung der Todesstrafe 1933. In : Luminati , Michele / Falk , Ulrich / Schmeockel , Mathias ( Hrsg. ) : Mit den Augen der Rechtsgeschichte : Rechtsfälle – selbstkritisch kommentiert , Wien / Zürich ; Safrian , Hans ( 1986 ) : Standgerichte als Mittel der Politik im Februar 1934 in Wien. In : Stadler , Karl R. ( Hg. ) : Sozialistenprozesse. Politische Justiz in Österreich 1870–1936 , Wien / München / Zürich , 269–302.
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manns45 besteht allerdings bislang ein Forschungsdefizit hinsichtlich der Tätigkeit des zur Aufarbeitung des Juliputsches 1934 eingerichteten Militärgerichtshofes , zu dessen Schließung aber in naher Zukunft eine rechtshistorische Dissertation beitragen wird.46 Ungeklärt sind bisher sogar die konkreten Opferzahlen sowohl der „Februarkämpfe“ als auch des Juliputsches.47 Lange Zeit völlig unberücksichtigt blieb auch die politische Alltagsjustiz , welchem Forschungsfeld sich erstmals Rothländer in ihrer Monografie über die „Anfänge der Wiener SS“ zuwendete.48 Unerforscht erscheinen des Weiteren die Praxisauswirkungen des im Austrofaschismus modifizierten Gerichtsverfassungsrechts hinsichtlich der Einschränkung bzw. Beseitigung der richterlichen Unabhängigkeit.49 Es konnten nämlich seit Februar 1934 politisch unbequeme Richter durch Verfügung des Justizministers gegen ihren Willen bis zu einem Jahr „außerhalb ihres Amtssitzes verwendet werden“.50 Das Verfassungsübergangs-Gesetz 1934 normierte schließlich zwecks „Reinigung“ des Richterstands für eine Übergangszeit , die sich dann aber bis zum „Anschluss“ 1938 erstreckte , dass Richter ohne gerichtliches Erkenntnis vom Justizminister versetzt oder abgesetzt werden konnten , „wenn ihr Verbleiben auf ihrem Dienstposten oder im richterlichen Dienste überhaupt dem Ansehen der Rechtspflege offenbar zum Abbruch gereichen , insbesondere die Unparteilichkeit der Rechtsprechung nicht mehr gewährleisten würde“.51 Nicht bekannt ist bislang , ob und in welchem Ausmaß die Regierung tatsächlich von dieser Möglichkeit Gebrauch machte. Damit im Zusammenhang stehen auch Forschungsdesiderate hinsichtlich der Richter und Staatsanwälte ,52 und zwar sowohl im Hinblick auf individuelle Karrieren als auch in kollektivbiografischer Sicht , wobei hier Synergien mit dem DÖW-Projekt zur Nazi45 Holtmann ( 1975b ). 46 Dissertation Christine Goedels am Institut für Rechts- und Verfassungsgeschichte , Wien. 47 Garscha , Winfried R. ( 2012 ) : Opferzahlen als Tabu. Totengedenken und Propaganda nach Februar aufstand und Juliputsch 1934 , In : Reiter-Zatloukal , Ilse / Rothländer , Christiane / S chölnberger , Pia ( Hg. ) : Österreich 1933–1938. Interdisziplinäre Annäherungen an das Dollfuß / S chuschnigg-Regime , Wien / Köln / Weimar. 48 Rothländer ( 2012a ). Eine umfassendere Studie dazu ist in Vorbereitung. 49 Vgl. dazu Reiter , Ilse ( 2007 ) : Richterliche Unabhängigkeit im autoritären Ständestaat. In : Hel ige , Barbara / Olechowski , Thomas ( Hg. ) : 100 Jahre Richtervereinigung. Beiträge zur Jur istischen Zeitgeschichte , Wien , 89–111. 50 BGBl. 83 / 1934. 51 BGBl. II 75 / 1934. 52 Zu diesen Themenfeldern siehe bislang nur Mattl , Siegfried ( 1995 ) : Beiträge zu einer Sozialgeschichte der österreichischen Richterschaft ( 1900–1924 ). In : Weinzierl , Erika / R athkolb , Oliver / A rdelt , Rudolf G. / Mattl , Siegfried ( Hg. ) : Justiz und Zeitgeschichte. Symposionsbeiträge 1976–1993 , Bd. 2 , Wien , 169–187 ; Rathkolb , Oliver ( 1995 ) : Anmerkungen zur Entnazifizierungsdebatte über Richter und Staatsanwälte in Wien 1945 / 46 vor dem Hintergrund politischer Obsessionen und Pressionen während des Nationalsozialismus. In : Weinzierl , Erika / R athkolb , Oliver / A rdelt , Rudolf G. / Mattl , Siegfried ( Hg. ) : Justiz und Zeitgeschichte. Symposionsbeiträge 1976–1993 , Bd. 2 , Wien , 75–99. Ders. ( 2007 ) : Zu Sozialgeschichte und Habitus österreichischer RichterInnen seit 1924. In : Helige , Barbara / Olechowski , Thomas ( Hg. ) : 100 Jahre Richtervereinigung. Beiträge zur Juristischen Zeitgeschichte , Wien , 67–87.
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fizierung der österreichischen Justiz nach dem „Anschluss“53 genützt werden könnten. Wissenschaftlich vollkommen vernachlässigt wurden bislang aber auch die NS-Anwaltschaft in Österreich vor 1938 und die Rolle einzelner dieser Anwälte nach dem Anschluss , wobei hier im Zusammenhang mit einem derzeit durchgeführten Forschungsprojekt zum NS-Rechtswahrerbund vor 1938 in der damaligen „Ostmark“54 bereits einschlägige Vorarbeiten geleistet werden. Hinsichtlich der Erforschung des 1934 anstelle des Verfassungs- und Verwaltungsgerichtshofes eingerichteten Bundesgerichtshofes bestehen ebenfalls vielfache Defizite , insbesondere hinsichtlich von dessen Judikatur , zu der neben rezenten Hochschulschriften55 bislang nur vereinzelt Erkenntnisse zum Staatsangehörigkeitsrecht56 sowie zum Religions- und Presserecht57 vorliegen.58 Eine umfassende Erforschung von dessen Tätigkeit stellt allerdings angesichts des enormen Umfangs der ungeordneten Aktenbestände im Staatsarchiv eine herkulinische Aufgabe für RechtshistorikerInnen dar. Evident ist nach den bisherigen Ausführungen wohl , dass ausreichende Arbeitsfelder für die rechtsgeschichtliche Forschung über das Dollfuß / Schuschnigg-Regime für die nächsten Jahre existieren. Diese sollten aber angesichts der in der Regel überaus komplexen Quellenlage am effizientesten durch interdisziplinäre Projekte bearbeitet werden. Es ist zu hoffen , dass deren Realisierung nicht am chronischen Ressourcenmangel scheitert. Dies wäre umso befremdlicher , als im Jänner 2012 nun endlich die Entscheidung für eine weitgehende Rehabilitierung derjenigen verwaltungsbehördlich oder justiziell verfolgten Oppositionellen gefallen ist , die sich zwischen 6. März 1933 und 12. März 1938 „in Wort und Tat für ein unabhängiges , demokratisches und seiner geschichtlichen Aufgabe bewusstes Österreich eingesetzt“ hatten.59
53 URL : http ://www.doew.at / projekte / w uv / ns-justiz2.html ( 29. 5. 2012 ). 54 Projekt der Hochschuljubiläumsstiftung der Stadt Wien ( 2012 ). 55 Axmann , Klaus ( 2012 ) : Der österreichische Bundesgerichtshof , Dipl.-Arb. , Wien ; Kroker , Ines ( 2002 ) : Der Bundesgerichtshof und seine Grundrechtsjudikatur , rechtswiss. Diss. , Innsbruck. Siehe auch Olechowski , Thomas ( 1999 ) : Die Einführung der Verwaltungsgerichtsbarkeit in Österreich , Wien , 247–249. 56 Siehe zur BGH-Judikatur zum Ausbürgerungsrecht Reiter ( 2010a ) : 849 ; dies. ( 2011b ) : 295 , 302 f , 312. 57 Olechowski , Thomas ( 2005 ) : Der österreichische Bundesgerichtshof und seine Judikatur zum Religionsrecht 1934–1938. In : öarr. österreichisches Archiv für recht & religion 52 / 1 , 88–105 ; ders. ( 2011 ) : Die behördliche Einstellung der „Pädagogischen Blätter“ 1936. Schulpolitik , Presserecht und Verwaltungsgerichtsbarkeit in der Zeit des Autoritäten Ständestaats. In : BRGÖ , 153–174 ; siehe zur BGH-Judikatur zum Ausbürgerungsrecht Reiter ( 2010a ) : 849. 58 Reiter-Zatloukal , Ilse : Der Bundesgerichtshof 1934–1938. Wendeexperte oder Verteidiger des Rechtsstaats ? In : Jabloner , Clemens ( Hg. ) : Gedächtnisschrift für Robert Walter ( i m Druck ). 59 BGBl. I 8 /2012.
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V. Rechts- und Verwaltungsgeschichte
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Hannes Leidinger / Verena Moritz
Das Kriegswirtschaftliche Ermächtigungsgesetz ( K WEG ) vor dem Hintergrund der österreichischen Verfassungsentwicklung1 Einleitung Im März 1933 , nach der Ausschaltung des Parlaments in Wien , wurden auf Grundlage des Kriegswirtschaftlichen Ermächtigungsgesetzes ( K WEG ) sukzessive demokratische Strukturen abgebaut. Die Regierung unter Bundeskanzler Engelbert Dollfuß erließ Notverordnungen , die auf zweifelhaften verfassungsrechtlichen Rahmenbedingungen basierten. Auch die neue Verfassung des sogenannten „Ständestaates“, die am 1. Mai 19342 als „Kundmachung der Bundesregierung“ verlautbart wurde , beruhte de facto auf dem KWEG.3 Die Interpretation der Ereignisse des März 1933 im Sinne eines „Verfassungsbruches“ setzte sich , so Gerhard Botz , in der österreichischen Geschichtsdarstellung erst ab Ende der Sechzigerjahre durch.4 Nichtsdestoweniger verdeutlichte auch in weiterer Folge gerade die Beschäftigung mit rechtsgeschichtlichen Fragen das Vorhandensein unterschiedlicher Einschätzungen der Entwicklungen zwischen 1918 und 1933 / 34 und insbesondere der folgenden Jahre bis zum „Anschluss“.5 Das KWEG mag hierfür als besonders „prominentes“ Beispiel herhalten. Der vorliegende Text will – in gleichsam referierender Weise – einerseits die Möglichkeiten reflektieren , die sich anhand einer kontextbezogenen Beschäftigung mit der 1 In den Artikel fließen Ergebnisse eines vom Bundesministerium für Wissenschaft und Forschung ( BMWF ) geförderten Projektes zur Geschichte des KWEG ein. 2 BGBl. Nr. 1 , 1934 , 1. Stück. 3 Berger , Peter ( 2007 ) : Kurze Geschichte Österreichs im 20. Jahrhundert. Wien , 168. 4 Botz , Gerhard ( 1983 ) : Der „4. März 1933“ als Konsequenz ständischer Strukturen , ökonomischer Krisen und autoritärer Tendenzen. In : Fröschl , Erich / Z oitl , Helge ( Hg. ) : Der 4. März 1933. Vom Verfassungsbruch zur Diktatur , Wien , 13–36 :14. Vgl. dazu auch die Darstellungen zum März 1933 und zum Februar 1934 in Leidinger , Hannes / Moritz , Verena ( 2008 ) : Die Republik Österreich 1918 /2008. Überblick – Zwischenbilanz – Neubewertung , Wien , 129–131. 5 Erwähnung verdienen hier zweifelsohne die unter dem Motto „Justiz und Zeitgeschichte“ ab den 1970er-Jahren entstandenen Aufsätze , vgl. Weinzierl , Erika / Rathkolb , Oliver / A rdelt , Rudolf G. / Mattl , Siegfried ( Hg. ) ( 1977 f. ) : Justiz und Zeitgeschichte. Symposionsbeiträge 1976–1993 , 2 Bde. , Wien.
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Verfassungsentwicklung in der Ersten Republik ergeben , und andererseits auf Fragen hinweisen , die sich – am Beispiel des KWEG – in Zusammenhang mit einer Hinwendung zu rechtsgeschichtlichen Themenfeldern ergeben können. Gleichzeitig soll der Forschungsstand hinsichtlich des KWEG mit seinen Verästelungen in diverse zeitgenössische und historiografische Debatten zumindest in groben Zügen dargelegt werden. Dabei gilt es zunächst festzuhalten , dass die österreichische Verfassungsgeschichte prima vista hinreichend erforscht erscheint. So liegen neben verschiedenen Gesamtdarstellungen – mit unterschiedlichen Schwerpunktsetzungen hinsichtlich rechtsgeschichtlicher oder rein historischer Fragestellungen6 – auch zahlreiche Publikationen vor , die sich mit den einzelnen Wegmarken der österreichischen Verfassungsentwicklung in der Zeit der Ersten Republik auseinandersetzen. Allerdings hat anscheinend das Interesse an einer „rechtlichen Zeitgeschichte“, bezogen auf Österreich in der Zwischenkriegszeit , in den letzten beiden Jahrzehnten abgenommen. Ähnliches gilt für die Bereitschaft , rechtsgeschichtliche Probleme in historische Darstellungen entsprechend zu integrieren. Eine Neubewertung vorliegender Ergebnisse und eine nähere Betrachtung bestimmter Aspekte wären daher unbedingt anzustrengen.7 Dies gilt beispielsweise für Arbeit und Bedeutung der parlamentarischen Ausschüsse in Zusammenhang mit verfassungsrechtlichen Fragen. Auch eine tiefer gehende Auseinandersetzung mit den aufgebotenen Kontrollmechanismen im Rahmen der Verfassungsgerichtsbarkeit bis zu ihrer Außerkraftsetzung sowie deren Rezeption in der Öffentlichkeit erscheint angezeigt.8 Ebenfalls zu beachten wäre die Reaktion des Auslands auf die in Österreich vollzogenen Verfas6 Zum Beispiel : Berchtold , Klaus ( 1998 ) : Verfassungsgeschichte der Republik Österreich , Bd. 1 : 1918–1933. Fünfzehn Jahre Verfassungskampf , Wien / New York ; Brauneder , Wilhelm ( 2009 ) : Österreichische Verfassungsgeschichte. Wien ; Lehner , Oskar ( 1995 ) : Österreichische Verfassungsentwicklung. In : Tálos , Emmerich / Dachs , Herbert / Hanisch , Ernst / Staudinger , Anton ( Hg. ) : Handbuch des politischen Systems Österreichs. Erste Republik 1918–1933 , Wien , 49–58 ; Neck , Rudolf ( 1975 ) : Die Entstehung der österreichischen Verfassung bis zum Sommer 1934. In : Jedlicka , Ludwig / Neck , Rudolf ( Hg. ) : Das Jahr 1934 : 25. Juli. Protokoll des Symposiums in Wien am 8. Oktober 1974 , Wien , 69–75 ; Pelinka , Anton / Welan , Manfried ( 1971 ) : Demokratie und Verfassung in Österreich , Wien / Frankfurt / Zürich ; Reiter , Ilse ( 1997 ) : Texte zur österreichischen Verfassungsentwicklung 1848–1955 , Wien ; Schambeck , Herbert ( Hg. ) ( 1980 ) : Das österreichische Bundes-Verfassungsgesetz und seine Entwicklung , Berlin ; Walter , Friedrich ( 1972 ) : Österreichische Verfassungs- und Verwaltungsgeschichte von 1550–1955. Aus dem Nachlass herausgegeben von Adam Wandruszka , Wien / Köln / Graz. 7 Vgl. allerdings einige Hochschulschriften : Bogensberger , Gerald ( 2000 ) : Vom Konstitutionalismus zur demokratischen Republik. Der Einfluss von Dr. Karl Renner auf das B-VG 1920 , jur. Diss. , Linz ; Frohnecke , Stefanie ( 2006 ) : Die Arbeiten der Konstituierenden Nationalversammlungen in Österreich und Deutschland 1919 / 1920 im Vergleich : Ausgewählte Verfassungsprobleme , jur. Diss. , Wien ; Sima , Christian ( 1993 ) : Österreichs Bundesverfassung und die Weimarer Reichsverfassung : der Einfluß der Weimarer Reichsverfassung auf die österreichische Verfassung 1920 bis 1929 , Frankfurt u. a. , sowie Wohnout , Helmut ( 1990 ) : Verfassungstheorie und Herrschaftspraxis im autoritären Österreich. Zur Entstehung und Rolle der legislativen Organe 1933 / 34–1938. phil. Diss. , Wien. Zu nennen wäre hier auch : Hackl , Peter ( 1993 ) : Das Kriegswirtschaftliche Ermächtigungsgesetz und die Entstehung autoritärer Strukturen unter der Regierung Dollfuß , Dipl.-Arb. , Wien. 8 Vgl. dazu allerdings : Widder , Helmut ( 1995 ) : Verfassungsrechtliche Kontrollen in der ersten Republik. In : Tálos , Emmerich / Dachs , Herbert / Hanisch , Ernst / Staudinger , Anton ( Hg. ) : Handbuch des politischen Systems Österreichs. Erste Republik 1918–1933 , Wien , 105–122.
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sungsänderungen. Vor allem die diesbezüglichen Debatten und Entwicklungen im Jahr 1929 beschäftigten verschiedene Beobachter. Aufschluss darüber geben beispielsweise die diesbezüglichen Berichte des sowjetischen Repräsentanten in Wien.9 In den Fokus der RechtshistorikerInnen gerieten indes vor allem das Bundes-Verfassungsgesetz ( B-VG. ) aus dem Jahr 192010 und die Novelle des Jahres 192911 , während die ins Jahr 1925 datierende Reform12 nicht zuletzt aufgrund ihrer vergleichsweise geringeren Bedeutung für den öffentlichen Diskurs eher in den Hintergrund trat. Dem Großteil der diesbezüglich vorhandenen Arbeiten ist jedenfalls das Bemühen um einen multiperspektivischen Ansatz gemein. Im Zentrum des Interesses standen aber zweifelsohne die Entstehung der jeweiligen Verfassungen13 beziehungsweise Novellen , die diesbezüglichen Beratungen im „Hohen Haus“ oder aber konkrete Fragen wie etwa jene der Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern. Die Verwendung von parlamentarischen Materialien , Dokumenten parteienspezifischer Provenienz oder publizistischen Quellen weist dabei durchaus unterschiedliche Gewichtungen auf. Als Desiderat kann schließlich eine eingehende und umfassende Untersuchung des Stellenwerts der Verfassung in der öffentlichen Debatte14 und für das Demokratieverständnis der Ersten Republik insgesamt gelten.15 Darauf hat schon Helmut Rumpler in einem Aufsatz aus dem Jahr 1990 hingewiesen.16 9 Entsprechende Hinweise finden sich in den Dokumenten des Archivs des russischen Außenministeriums in Moskau. Die betreffenden Materialien konnten im Rahmen des von V. Moritz geleiteten FWF-Projektes P20477-G15 eingesehen werden. 10 Ermacora , Felix ( 1976–1993 ) : Die Entstehung der Bundesverfassung 1920 , 5 Bde. , Wien ; Schefbeck , Günther ( Hg. ) ( 1995 ) : 75 Jahre Bundesverfassung. Festschrift aus Anlaß des 75. Jahrestages der Beschlussfassung über das Bundesverfassungsgesetz , Wien. 11 Berchtold , Klaus ( 1979 ) : Die Verfassungsreform von 1929. Dokumente und Materialien , Wien ; Hasiba , Gernot D. ( 1978 ) : Die Ereignisse von St. Lorenzen im Mürztal als auslösendes Element der Verfassungsreform von 1929 , Graz ; Hasiba , Gernot D. ( 1976 ) : Die Zweite Bundes-Verfassungsnovelle von 1929. Ihr Werdegang und wesentliche verfassungspolitische Ereignisse seit 1918. Wien / Köln / Graz. 12 Berchtold , Klaus ( Hg. ) ( 1992 ) : Die Verfassungsreform von 1925. Dokumente und Materialien zur Bundesverfassungsnovelle , Wien. 13 Im Text wird nicht auf die Länderverfassungen eingegangen. Demzufolge ist mit „Verfassung“ bzw. mit „Verfassungen“ ausschließlich das B-VG. und seine Novellen gemeint. 14 Vgl. dazu zwei ältere Hochschulschriften : Duval , Gottfried ( 1952 ) : Die Wiener Tagespresse und das Ringen um die zweite Novelle der österreichischen Bundesverfassung. 1929 , 2 Bde. , phil. Diss. , Wien , und Moritz , Heribert ( 1949 ) : Die Wiener Tagespresse , die Nationalversammlung und das Werden der Verfassung 1918–1920 , phil. Diss. , Wien. 15 Einen parteienspezifischen Zugang bei : Hanisch , Ernst ( 1990 ) : Demokratieverständnis , parlamentarische Haltung und nationale Frage bei den österreichischen Christlichsozialen. In : Drabek , Anna / Plaschka , Richard / Rumpler , Helmut ( Hg. ) : Das Parteienwesen Österreichs und Ungarns in der Zwischenkriegszeit , Wien , 73–86 ; Konrad , Helmut ( 1990 ) : Demokratieverständnis , parlamentarische Haltung und nationale Frage bei den österreichischen Sozialdemokraten. In : Drabek , Anna / Plaschka , Richard / Rumpler , Helmut ( Hg. ) : Das Parteienwesen Österreichs und Ungarns in der Zwischenkriegszeit. Wien 107–126 . Nicht zuletzt die „Figur“ Otto Bauer bietet immer wieder Anlass zu Diskussionen über das sozialdemokratische Demokratieverständnis. Vgl. dazu jüngst : Hanisch , Ernst ( 2011 ) ; Der große Illusionist. Otto Bauer ( 1881–1938 ), Wien / Köln / Weimar. 16 Rumpler , Helmut : Parlamentarismus und Demokratieverständnis in Österreich. In : Drabek , Anna / Plaschka , Richard / Rumpler , Helmut ( Hg. ) ( 1990 ) : Das Parteienwesen Österreichs und Ungarns
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Die Verfassung war gewissermaßen als Rahmen des politischen Handelns präsent und von zentraler Bedeutung für die politischen Kämpfe in der Ersten Republik.17 Diesen Zugang legte auch der Blick auf die innere Entwicklung des Nachbarlands nahe : Der Einfluss der deutschen Debatte rund um die „Weimarer Verfassung“ auf die österreichische Situation ist hier nicht zu unterschätzen. Insbesondere die Novelle 1929 spiegelt diesen Befund wider.18 Dabei gilt es zu beachten , dass die Verfassungsnovelle des Jahres 1929 insgesamt höchst unterschiedliche Bewertungen etwa für die politische Entwicklung der Folgejahre in der Historiografie erfährt.19 Davon abgesehen darf eine quasi gewachsene Sensibilität gegenüber spezifischen verfassungsrechtlichen Streitfragen in Österreich vorausgesetzt werden. „Verfassungsfragen“ wurden als „Machtfragen“ mit unmittelbaren Auswirkungen begriffen.20 „Die Verfassungskonstruktion der Ersten Republik hat beide Großparteien in je anderer Weise geradezu provoziert , das Parlament bloß als Machtinstrument zu benützen , solange es sich dazu eignete.“21 Die Verfassung wird aus diesem Blickwinkel gewissermaßen als Ursache für das Scheitern der Demokratie beurteilt.22 Darüber hinaus muss auch berücksichtigt werden , dass schon vor dem Ende des Ersten Weltkriegs Diskussionen über verfassungsrechtliche Fragen breiteres Interesse hervorrufen konnten. Ein Blick auf die Geschichte des KWEG , das Ulrich Kluge als „verspäteten Fluch der Habsburgermonarchie über das republikanische Österreich“ bezeichnete ,23 mag diese Annahme untermauern.24 II. „Geburt“ eines Gesetzes Das in den Juli 1917 datierende KWEG , auf das sich später die Regierung unter Engelbert Dollfuß bei ihrem Weg in den autoritären Staat berief , hatte bereits einen Vorläufer. Hierbei handelt es sich um eine kaiserliche Verordnung vom 10. Oktober 1914 , „mit in der Zwischenkriegszeit , Wien , 1–18 , 2. 17 Bezeichnenderweise trägt der erste Band von Klaus Berchtolds Verfassungsgeschichte der Republik Österreich den Untertitel „Fünfzehn Jahre Verfassungskampf “ und verweist damit ganz offensichtlich auf Ignaz Seipel. Vgl. : Berchtold ( 1998 ) und Seipel , Ignaz ( 1939 ) : Der Kampf um die österreichische Verfassung , Wien u. a. 18 Berchtold , Klaus ( 1998 ) : Verfassungsgeschichte der Republik Österreich , Bd. 1 : 1918–1933. Fünfzehn Jahre Verfassungskampf , Wien / New York , 571. 19 Siehe dazu beispielsweise die Artikel von Hanisch ( 1990 ), Konrad ( 1990 ) und Rumpler ( 1990 ). 20 Vgl. Welan , Manfried ( 1984 ) : Die Verfassungsentwicklung in der Ersten Republik , In : Desput , Joseph F. : Österreich 1934 / 1984. Erfahrungen , Erkenntnisse , Besinnung , Graz / Wien / Köln 1984 , 73– 90 , 75. 21 Rumpler ( 1990 ), 9. 22 Über durchaus umstrittene „Erklärungen“ und Deutungen der Gründe , die zum Ende der Demokratie führten , siehe beispielsweise : Tálos , Emmerich ( 2007 ) : Deutungen des Österreichischen Herrschaftssystems 1934–1938. In : Wenninger , Florian / D vořak , Paul / Kuffner , Katharina ( Hg. ) : Geschichte macht Herrschaft. Zur Politik mit dem Vergangenen , Wien , 199–214. 23 Kluge , Ulrich ( 1984 ) : Der österreichische Ständestaat 1934–1938. Entstehung und Scheitern. Wien , 59. 24 Siehe dazu auch die Einschätzung bei Rumpler ( 1990 ), 3.
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welcher die Regierung ermächtigt“ wurde , „aus Anlaß der durch den Kriegszustand verursachten außerordentlichen Verhältnisse die notwendigen Verfügungen auf wirtschaftlichem Gebiete zu treffen“.25 Diese jedoch sollten „nach Wiedereintritt normaler Zustände sofort außer Kraft“ gesetzt werden.26 Als die bereits wenige Wochen nach Beginn des Ersten Weltkriegs verfügte Bestimmung erlassen wurde , agierte die k. k. Regierung freilich ohne Parlament. Dieses war bereits im März 1914 sistiert worden. Die Verordnung vom 10. Oktober 1914 stützte sich wiederum auf das umstrittene Notverordnungsrecht , den „berühmt , berüchtigten“ § 14 des Staatsgrundgesetzes vom 21. Dezember 1867.27 Auf Basis des „Paragraphen 14“ konnten Verordnungen auch dann erlassen werden , wenn der Reichsrat nicht versammelt war. Nach Zusammentritt des Parlaments musste die Regierung binnen vier Wochen die auf diese Weise zustande gekommenen Verordnungen zur Genehmigung vorlegen. Sie erloschen , sofern eines der beiden „Häuser“, Abgeordneten- oder Herrenhaus , die Zustimmung verweigerte. In diesem Zusammenhang hervorzuheben ist , dass auf Grundlage des § 14 erlassene Verordnungen keine Abänderung des Staatsgrundgesetztes vornehmen durften.28 Der „Vorläufer“ des KWEG kam 510 Mal zur Anwendung. Im Unterschied zu diversen auf dem § 14 beruhenden Verfügungen berührten die Bestimmungen auf Grundlage der Verordnung vom 10. Oktober 1914 tatsächlich „nur“ solche Belange , die den „kriegswirtschaftlichen Erfordernissen“ galten.29 Als im Mai 1917 der Reichsrat wieder einberufen wurde , geriet die Notverordnungspraxis der Regierung massiv unter Beschuss. Der Sozialdemokrat Karl Seitz bezeichnete die „§ 14-Verordnungen“ als „Schande“ und forderte deren Eliminierung.30 Am 14. Juni 1917 wurde Karl Seitz zum Vorsitzenden des kriegswirtschaftlichen Ausschusses bestellt. Dort musste man sich unter anderem mit den aufgrund der Verordnung vom 10. Oktober 1914 erlassenen Verfügungen auseinandersetzen. Bald wurde klar , dass dessen Abschaffung chaotische Zustände herbeiführen würde. Man votierte demgemäß für einen entsprechenden „Ersatz“ für die Verordnung vom 10. Oktober 1914.31 Endgültig in Kraft trat das neue Gesetz am 24. Juli 1917. Mit dem sogenannten „Kriegswirtschaftlichen Ermächtigungsgesetz“ wurde „die Regierung ermächtigt [ … ] , aus Anlaß der durch den Kriegszustand verursachten außerordentlichen Verhältnisse die notwendigen Verfügungen auf wirtschaftlichem Gebiete zu treffen“.32
25 RGBl. 274 / 1914. 26 RGBl. 274 / 1914. 27 RGBl. 141 / 1867. Zum Notverordnungsrecht in Cisleithanien siehe : Hasiba , Gernot D. ( 1985 ) : Das Notverordnungsrecht in Österreich ( 1848–1917 ). Notwendigkeit und Missbrauch eines „staatserhaltenden Instrumentes“, Wien. 28 Hasiba , Gernot D. ( 1981 ). : Das Kriegswirtschaftliche Ermächtigungsgesetz ( K WEG ) von 1917. Seine Entstehung und Anwendung vor 1933. In : Festschrift für Ernst C. Hellbling , Berlin , 543–565 , 546. 29 Hasiba ( 1981 ), 547. 30 Stenografische Protokolle des Reichsrates , Haus der Abgeordneten , 5. Sitzung der XXII. Session am 13. Juni 1917 , 183. 31 Zit. nach Hasiba ( 1981 ), 553. 32 RGBl. 307 / 1917.
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III. Das KWEG von der Gründung der Republik bis zum Bundes-Verfassungsgesetz vom 1. Oktober 1920 Mit dem Beschluss der Provisorischen Nationalversammlung vom 30. Oktober 1918 „über die grundlegenden Einrichtungen der Staatsgewalt“ erhielt der neue Staat Deutschösterreich seine erste vorläufige Verfassung.33 Paragraph 16 dieses Beschlusses rezipierte sämtliche in Kraft stehenden Normen aus der Monarchie , soweit sie nicht durch den Beschluss selbst aufgehoben und abgeändert wurden. Auf diese Weise blieb auch die Gültigkeit des KWEG aufrecht. Tatsächlich machte der Staatsrat ausgiebig von Verfügungen auf Grundlage des KWEG Gebrauch. Bis Anfang März 1919 waren mit Berufung auf das KWEG 48 sogenannte „Vollzugsanweisungen“34 ergangen. Der Großteil davon , so der Rechtshistoriker Gernot D. Hasiba , hätte bei entsprechendem Willen wohl auch den üblichen Weg der Gesetzgebung durchlaufen können.35 In diesem Zusammenhang sei auch die Charakterisierung des Wesens der Nationalversammlung als Ausdruck eines „neuen Absolutismus“ beachtet.36 Schließlich regte sich angesichts der oftmaligen Anwendung des KWEG auch seitens der von Karl Renner angeführten Koalitionsregierung ein gewisses Unbehagen. Ersten diesbezüglichen Initiativen , um das KWEG entsprechenden Kontrollmechanismen zu unterwerfen , folgten überdies konkrete Einwände der Großdeutschen. Im Rahmen der Parlamentssitzung am 6. Mai 1919 forderte der großdeutsche Abgeordnete Emil Kraft die Regierung auf , sie möge alle KWEG-Verordnungen , die bislang noch nicht der Nationalversammlung vorgelegt worden waren , dieser unverzüglich zur Beschlussfassung unterbreiten.37 Kurz darauf , am 21. Mai , beantragte er schließlich sogar die Aufhebung des KWEG.38 Der Abgeordnete warnte : „Die Anwendung des Ermächtigungsgesetzes auf Fälle , die nur bei einer zwangsweisen Auslegung unter seine Bestimmungen fallen , lassen die berechtigte Sorge aufkommen , dass irgendeine kommende Regierung damit ohne Parlament unter dem Scheine der Verfassung die ganze Herrschaft bestreiten könnte : ein verschleierter § 14 einer scheinbar demokratischen Regierung.“39 33 Hasiba ( 1981 ), 557. 34 Die Bezeichnung „Verordnung“, die vor dem Herbst 1918 üblich gewesen war , „wurde infolge der negativen Erfahrungen aus der Monarchie“ bewusst vermieden , vgl. Hasiba , Gernot D. ( 1984 ) : Die „rechtliche“ Zeitgeschichte – Ein anderer Weg zur Bewältigung der Vergangenheit. In : Desput , Joseph F. ( Hg. ) : Österreich 1934 / 1984. Erfahrungen , Bekenntnisse , Besinnung , Graz / Wien / Köln , 91–103 :101. 35 Hasiba ( 1981 ), 557. 36 Felix Hurdes dazu : „Es gab nur eine Nationalversammlung , die unmittelbar oder durch Ausschüsse die gesamte Staatsgewalt ausübte. Die Reaktion gegen einen angeblichen monarchischen Absolutismus hatte einen neuen Absolutismus geschaffen , den Absolutismus der Nationalversammlung“, zit. n. Rumpler ( 1990 ), 6. 37 Stenografische Protokolle , 12. Sitzung der Konstituierenden Nationalversammlung für Deutsch österreich am 6. Mai 1919 , 307. 38 Stenografische Protokolle , 17. Sitzung der Konstituierenden Nationalversammlung für Deutsch österreich am 21. Mai 1919 , 306. 39 242 der Beilagen. Konstituierende Nationalversammlung , Antrag des Abgeordneten Kraft und Genossen betreffend die Außerkraftsetzung des Gesetzes vom 24. Juli 1917 , mit welchem die Regierung ermächtigt wird , aus Anlaß der durch den Krieg verursachten außerordentlichen Verhältnisse
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Krafts Antrag wurde dem zuständigen Ausschuss für Handel , Gewerbe , Industrie und Bauten übergeben , wo er jedoch liegen blieb.40 Ein Rückgang der auf Grundlage des KWEG verfügten Vollzugsanweisungen ergab sich in weiterer Folge nicht. Im Gegenteil. Zwischen 1. Jänner 1919 bis zum 1. Oktober 1920 wurden 344 Verordnungen auf Basis des KWEG erlassen.41 Allein 1919 war beinahe ein Drittel aller per Staatsgesetzblatt verlautbarten Gesetze , Verordnungen , Vollzugsanweisungen etc. auf Grundlage des KWEG ergangen. Bereits 1918 , innerhalb der wenigen Wochen seit der Entstehung der jungen Republik bis Jahresende , war etwa ein Viertel aller in den Staatsgesetzblättern verzeichneten Bestimmungen auf das KWEG zurückzuführen.42 IV. Die Verfassungen von 1920 und 1929 und die Anwendung des KWEG 1918–1931 Mit 1. Oktober 1920 wurde in Österreich das Bundes-Verfassungsgesetz beschlossen. Außerdem erging ein Verfassungs-Übergangsgesetz43 , in dem auch das KWEG eine Rolle spielte. Unter § 7 , Abschnitt 2 hieß es : „Die nach dem Gesetz vom 24. Juli 1917 , R. G. Bl. Nr. 307 , mit welchem die Regierung ermächtigt wird , aus Anlaß der durch den Kriegszustand verursachten außerordentlichen Verhältnisse die notwendigen Verfügungen auf wirtschaftlichem Gebiete zu treffen , der Regierung zustehenden Befugnisse gehen sowohl auf die Bundesregierung als auch auf die einzelnen Bundesminister über.“44 Somit war das aus der Monarchie stammende KWEG auch Bestandteil der Verfassung der Republik und also Teil der anerkannten Rechtspraxis geworden. Unter § 7 , Abschnitt 1 des Verfassungs-Übergangsgesetzes wiederum wurde die Übertragung der Kompetenzen der bisherig zuständigen Organe an die nunmehrigen festgelegt. „Demnach“, hieß es , „treten namentlich an die Stelle der Nationalversammlung der Nationalrat , an die Stelle des Präsidenten der Nationalversammlung , soweit er mit Bundesgeschäften betraut war , der Bundespräsident , an die Stelle der Staatsregierung die Bundesregierung , an die Stelle der Staatssekretäre die Bundesminister , an die Stelle des Staatsrechnungshofes der Rechnungshof.“45 Die Frage der Rechtsnachfolge ist deshalb von Bedeutung , weil sie im Zuge des Protestes der Sozialdemokratischen Arbeiter-Partei ( SDAP ) gegen die Anwendung des KWEG durch die Regierung 1933 zum Thema gemacht wurde. § 3 des KWEG , so wurde beanstandet , bestimme , dass „die auf Grund dieses Gesetzes erlassenen Verordnungen [ … ] vierteljährlich dem Reichsrat vorzulegen“ seien , „das heißt in unserem Fall dem die notwendigen Verfügungen auf wirtschaftlichem Gebiete zu treffen. 40 Huemer , Peter ( 1975 ) : Sektionschef Dr. Robert Hecht und die Zerstörung der Demokratie in Österreich , Wien , 140. 41 Hasiba ( 1981 ), 559. 42 1918 waren es 36 , 1919 192 KWEG-Verordnungen. Zählung aufgrund des Staatsgesetzblattes für den Staat Deutschösterreich , Jahrgang 1918 ; Staatsgesetzblatt für die Republik Österreich , Jahrgang 1919. 43 Die genaue Benennung des sogenannten Verfassungs-Übergangsgesetzes lautet : Verfassungsgesetz vom 1. Oktober 1920 , betreffend den Übergang zur bundesstaatlichen Verfassung. – StGBl. 451 / 1920. 44 StGBl. 451 / 1920. 45 StGBl. 451 / 1920.
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Nationalrat“.46 Hier argumentierte man aber auf unsicherem Terrain. Tatsächlich regelte der betreffende Text des Verfassungs-Übergangsgesetzes entgegen vorhandener Ansichten keineswegs den Übergang der Kompetenz von Organen aus dem k. k. Österreich auf das Österreich des Jahres 1920 , sondern die Ablösung der seit Republikgründung existenten Organe durch die nunmehrigen.47 „Nach allgemeiner Ansicht der Wissenschaft kann der Nationalrat nicht als Rechtsnachfolger des Reichsrates betrachtet werden. Die namhaften Juristen unter den Regierungsgegnern nahmen sich daher des Arguments nicht an.“48 Festzuhalten ist : Eine Rechtsnachfolge vom Reichsrat auf den Nationalrat wird im betreffenden Text des Verfassungs-Übergangsgesetzes weder explizit erwähnt , noch finden sich dort allgemeine Formulierungen , die diesen Sachverhalt nahelegen würden. Das KWEG wurde nun „ständig“ und „unbeanstandet“ von den Sozialdemokraten , die sich freilich ab 1920 in der Opposition befanden , angewandt.49 Da sich die SDAP als Regierungspartei zuvor ebenfalls viele Male des Gesetzes bedient hatte , um nicht zuletzt soziale Maßnahmen zu treffen , ergab sich aus deren Sicht offenbar keine Notwendigkeit , gegen eine mehr oder weniger gängige Praxis zu opponieren. Die auf Grundlage des KWEG erlassenen Verordnungen wurden vierteljährlich dem Nationalrat vorgelegt – eine Vorgehensweise , die offenbar nicht durchgängig bis 1932 / 33 aufrechterhalten wurde. So verweist Hasiba darauf , dass ab 1. Jänner 1928 die Vorlage der KWEG-Verordnungen „stillschweigend“ entfallen sei.50 Eine Begründung für diese veränderte Vorgehensweise fehlt. In jedem Fall ging die Zahl der KWEG-Vollzugsanweisungen seit 1921 kontinuierlich zurück. In der ersten Gesetzgebungsperiode , die bis Oktober 1923 dauerte , wurden 187 KWEG-Verordnungen erlassen. Hasiba führt den Rückgang nicht zuletzt auf die Begleiterscheinungen der sogenannten „Genfer Sanierung“51 zurück. Erforderliche Maßnahmen konnten nun mithilfe des „Außerordentlichen Kabinettsrates“ und des Wiederaufbaugesetzes vom November 1922 verfügt werden.52 Der Rückgang der KWEG-Verordnungen zwischen 1924 und 1932 lässt sich anhand folgender Tabelle veranschaulichen :
46 Huemer ( 1975 ), 155. 47 Peter Kostelka irrt also , wenn er meint : „§ 7 Absatz 1 dieses Verfassungsüberleitungsgesetzes regelt nämlich , welche Organe als die Nachfolger der entsprechenden Einrichtungen gemäß der monarchischen Verfassung von 1867 zu betrachten sind.“ – Kostelka , Peter ( 1983 ) : Der Verfassungsbruch aus rechtsdogmatischer Sicht. In : Fröschl , Erich / Z oitl , Helge ( Hg. ) : Der 4. März 1933. Vom Verfassungsbruch zur Diktatur , Wien , 123–135 :129. 48 Huemer ( 1975 ), 155. 49 Hasiba ( 1981 ), 559. 50 Hasiba ( 1981 ), 561. 51 Zum Sanierungsprogramm auf Grundlage der „Genfer Protokolle“ siehe : Berger ( 2007 ), 79–82. 52 Hasiba ( 1981 ), 560. Vgl. dazu BGBl. 1922 / 844 : Bundesverfassungsgesetz vom 26. November 1922 über die Ausübung der außerordentlichen Vollmachten , die der Bundesregierung gemäß dem Genfer Protokoll Nr. III vom 4. Oktober 1922 eingeräumt werden.
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Anwendung des KWEG in den Jahren 1924–193253 Jahr 1924 1925 1926 1927 1928 1929 1930 1931 1932
Anzahl der KWEG-Verordnungen 18 13 9 4 3 5 1 3 2 GESAMT für 1924–1932 : 58
Auf Grundlage des KWEG wurden nunmehr im Regelfall keine neuen Materien mehr abgehandelt , sondern existente Regelungen verlängert. Die Verfassungsnovelle 1925 , die zu einer Erweiterung der Bundeskompetenzen führte , brachte keine Änderungen hinsichtlich des KWEG , wenngleich es offenbar zur Vorlage von KWEG-Verordnungen im Ministerrat kam. Mehr als eine Aufstellung der diesbezüglichen Regelungen ergab sich daraus aber nicht.54 Im Jänner 1927 unternahm schließlich das Bundeskanzleramt einen Vorstoß zur „Demontage“ des KWEG. Es fragte bei den Ministerien an , wie sie sich zur Aufhebung der im KWEG zitierten „außerordentlichen“, durch den Krieg hervorgerufenen „Verhältnisse“ stellen würden.55 Näheres zu den Motiven für diesen Vorstoß ist nicht bekannt. Tatsächlich war im Verfassungs-Übergangsgesetz unter dem Paragrafen 17 vorgesehen , zur gegebenen Zeit die Beendigung der durch die „kriegerischen Ereignisse der Jahre 1914 bis 1918 hervorgerufenen außerordentlichen Verhältnisse“ per Bundesgesetz für behoben zu erklären.56 Damit wäre auch dem KWEG die Grundlage entzogen worden. Doch das in den Raum gestellt Gesetz kam nicht zustande. „Die Zunahme der innenpolitischen Spannungen seit den Juli-Ereignissen von 1927 und die damit verbundene Hinwendung in Richtung eines autoritären Kurses ließ es“ dann der „sozialdemokratischen Opposition für ratsam erscheinen , die endgültige Aufhebung des KWEG zu fordern“.57 In jedem Fall stellte der SDAP-Abgeordnete Albert Sever im Juni 1928 im Nationalrat den Antrag auf Verabschiedung eines Bundesgesetzes , „betreffend die Feststellung des Zeitpunktes der durch den Krieg hervorgerufenen Verhältnisse“, wobei er sich auf die diesbezüglichen Formulierungen im Verfassungs-Übergangsgesetz berufen konnte. Im zuständigen Verfassungsausschuss blieb der Antrag aber liegen.58 53 Berechnungen auf Grundlage von : Bundesgesetzblatt für die Republik Österreich , Jahrgänge 1924 bis 1932. 54 Protokolle des Ministerrates der Ersten Republik. Abteilung IV. 20. November 1924 bis 20. Oktober 1926 , Bd. 3. Kabinett Dr. Rudolf Ramek. 2. November 1925 bis 7. Mai 1926 , Wien 2002 , 28 , 46. 55 Hasiba ( 1981 ), 559. 56 StGBl. 140 / 1920. 57 Hasiba ( 1981 ), 561. 58 Stenografische Protokolle , 45. Sitzung des Nationalrates , 26. 6. 1928 , 1333.
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Die Unzufriedenheit mit dem herrschenden politischen System kam unter anderem in dem Willen zu einer weiteren Umgestaltung der Verfassung zum Ausdruck. Zwischen 1926 und 1928 gingen diesbezügliche Initiativen von den Großdeutschen , dem Landbund und schließlich von der CSP aus. Die bürgerlichen Parteien strebten in jedem Fall eine Stärkung der Stellung des Bundespräsidenten , eine Einschränkung der Rechte der parlamentarischen Minderheit und einen größeren Einfluss des „ständischen“ Gedankengutes auf die österreichische Gesetzgebung an. Nun lag es an Bundeskanzler Ernst von Streeruwitz , eine Reform auf den Weg zu bringen. Der neue Mann an der Spitze aber geriet zunehmend unter Druck seitens der Heimwehren. Konnte im Oktober 1928 , als Heimwehr und sozialdemokratischer Schutzbund in Wiener Neustadt gleichzeitig paradierten , die befürchtete blutige Auseinandersetzung verhindert werden , forderte eine Konfrontation der Wehrverbände im steirischen St. Lorenzen im August 1929 drei Todesopfer. Streeruwitz , dem die Verantwortung für die Ereignisse in der Steiermark angelastet wurde , ließ in der Folge einen Entwurf für eine neue Verfassung ausarbeiten. Enthalten waren Änderungen betreffend Wahl und Stellung des Bundespräsidenten , das Notverordnungsrecht des Staatsoberhauptes sowie hinsichtlich der Neuregelung der Polizeikompetenzen.59 Den Heimwehren ging das Konzept des Bundeskanzlers zur Umgestaltung der Verfassung nicht weit genug. Als der Druck weiter wuchs und mehr oder weniger unverhohlen mit einem gewaltsamen Umsturz gedroht wurde , trat Streeruwitz zurück.60 Ihm folgte Johann Schober nach. Obgleich das Gesprächsklima zwischen Schober und der SDAP61 überraschend gut war und der neue Kanzler offenbar keineswegs den radikalen Forderungen der Heimwehr entsprechen wollte , wurde allseits von einem „Verfassungskampf “ gesprochen. In dessen Verlaufe spielte auch das KWEG keine unerhebliche Rolle. So wurde im Rahmen der Reichskonferenz der SDAP am 24. November 1929 die Aufhebung des KWEG gefordert. Gleichzeitig sollte dem Notverordnungsrecht des Bundespräsidenten nur dann zugestimmt werden , „wenn der Hauptausschuss des Nationalrates zustimme und es sachlich beschränkt werde“.62 Im „Kleinen Blatt“ wurden unter dem kämpferischen Motto „Das letzte Wort !“ die „sozialdemokratischen Bedingungen“ für die Verfassungsreform angeführt. Dort bezeichnete man das intendierte Notverordnungsrecht als „diktatorisch“ und forderte außerdem explizit die Aufhebung des KWEG.63 Parteiinterne Vorstöße zur Abschaffung des KWEG wurden aber zunächst beiseitegeschoben.64 In weiterer Folge wurden die Verhandlungen über die neue Verfassung auf parlamentarischer Ebene fortgesetzt , wobei für die Sozialdemokraten Robert Danneberg die Gespräche leitete. Obwohl Otto Bauer dann in der vorletzten Sitzung des Verfassungsunterausschusses am 4. / 5. Dezember 1929 nachdrücklich die Forderung nach Aufhebung
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Hasiba ( 1984 ), 94–95. Berchtold ( 1998 ), 520–522. Vgl. dazu : Jahrbuch der österreichischen Arbeiterbewegung 1929 , Wien 1930 , 68–69. Berchtold ( 1998 ), 563. Das Kleine Blatt , 26. 11. 1929 , 1–2. Berchtold ( 1998 ), 563.
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des KWEG erhob , spielte dieser Punkt weiterhin keine Rolle mehr.65 Es ist davon auszugehen , dass sich die Aufmerksamkeit der SDAP wohl vermehrt auf das Notverordnungsrecht des Bundespräsidenten verschob. Die zweite Bundes-Verfassungsnovelle , die am 7. Dezember verabschiedet wurde , trat am 11. Dezember 1929 in Kraft.66 Mit ihr wurde unter Artikel 18 , Absatz 3–5 , ein Notverordnungsrecht des Bundespräsidenten festgelegt.67 Entgegen der später von der SDAP vertretenen Meinung , wonach das KWEG aufgrund des neuen Notverordnungsrechtes „derogiert“ worden sei , lässt sich diese Einschätzung nicht aufrechterhalten. Das KWEG wurde im gleichzeitig mit der Verfassungsnovelle verabschiedeten Verfassungsübergangsgesetz unverändert übernommen.68 Interessanterweise wurden noch im Dezember 1929 , nach Inkrafttreten der Verfassungsnovelle , zwei KWEG-Verordnungen erlassen. In einem Fall ging es um „die Einteilung der unfallversicherungspflichtigen Betriebe in Gefahrenklassen“, im anderen Fall um die sogenannten „Pächterschutzbestimmungen“.69 Da es sich hier um soziale Maßnahmen handelte , welche vor allem die sozialdemokratische Klientel betrafen , sei der mangelnde Protest daran , dass die Verordnungen per KWEG zustande kamen , – so die Meinung von Gernot D. Hasiba – „verständlicher“.70 Tatsächlich erscheint es doch eher befremdlich , dass die Sozialdemokraten , die kurz vorher die Abschaffung des KWEG gefordert hatten , es nun nicht beeinspruchten. Beachtung verdient in diesem Zusammenhang vor allem die „Pächterschutzverordnung“. Sie wurde per KWEG am 18. Dezember 1929 bis einschließlich 30. Juni 1930 auf Grundlage einer bestehenden Regelung vom 2. Juni 1925 verlängert.71 Allerdings hatten die Sozialdemokraten erfolglos versucht , den Pächterschutz gesetzlich zu verankern.72 Festzuhalten ist des Weiteren , dass im Dezember 1930 der sozialdemokratische Abgeordnete Anton Hölzl den bereits 1928 von Sever eingebrachten Antrag zur Abschaffung des KWEG erneut vorlegte. Da der Antrag im Verfassungsausschuss keine Aussicht auf entsprechende Behandlung hatte , ergab sich auch 1930 ein weiteres Mal die Verlängerung der Pächterschutzverordnung auf Grundlage des KWEG.73
65 Hasiba ( 1981 ), 562. 66 Berchtold ( 1998 ), 562. 67 BGBl. 1929 , Stück 98 , Nr. 392. Das Bundesverfassungsgesetz vom 7. Dezember 1929 , betreffend einige Abänderungen des Bundes-Verfassungsgesetzes vom 1. Oktober 1920 in der Fassung des BGBl. Nr. 367 von 1925 ( Zweite Bundesverfassungsnovelle ) regelt dieses Notverordnungsrecht unter § 6. 68 Hasiba ( 1981 ), 562. 69 Dazu vgl. Durig , Ernst ( o. J. ) : Die Pächterschutzverordnung. 70 Hasiba ( 1981 ), 562. 71 Vgl. : BGBl. 1929 , Stück 100 , Nr. 418 : Verordnung der Bundesminister für Justiz und für Landund Forstwirtschaft vom 18. Dezember 1929 , betreffend die Verlängerung der Geltungsdauer der Pächterschutzverordnung und BGBl. 1929 , Stück 100 , Nr. 421 : Verordnung des Bundesministers für soziale Verwaltung vom 19. Dezember 1929 , betreffend die Einteilung der unfallversicherungspflichtigen Betriebe in Gefahrenklassen und die Feststellung der Prozentsätze der Gefahrenklassen für die Zeit vom 1. Jänner 1930 bis zum 31. Dezember 1934. 72 Hackl ( 1993 ), 40. 73 Hasiba ( 1981 ), 563.
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Während sowohl SDAP als auch CSP ihre Zielsetzungen in der Novelle von 1929 zum Teil hatten erreichen können ,74 stellte das Ergebnis der Verfassungsnovelle die Heimwehren in keiner Weise zufrieden. Die diesbezügliche Entwicklung verstärkte vielmehr den Willen nach einer gewaltsam herbeizuführenden Änderung der Verhältnisse. Die Regierung aber erwies sich als mehr oder minder handelsunfähig. Da sie mit einem Misstrauensvotum des Nationalrates zu rechnen hatte , wurde dieser durch den Bundespräsidenten gemäß Artikel 29 , Absatz 1 des Bundesverfassungsgesetzes aufgelöst. Schon damals stand der Vorwurf von „Verfassungsbruch“ im Raum.75 Das Ergebnis der für November 1930 angesetzten Neuwahlen stellte sich dann für die CSP als höchst unerfreulich dar : Eine sichere Mehrheit im Parlament musste trotz Mandatsüberlegenheit der bürgerlichen Parteien gegenüber der SDAP als fraglich gelten. V. Das KWEG 1932 Die weiteren Monate waren nicht zuletzt vom Zusammenbruch der Credit-Anstalt geprägt. Ein von mehr als 600.000 Stimmen unterstütztes Volksbegehren der Heimwehr , die eine Bestrafung der Schuldigen am Zusammenbruch der CA forderte , blieb indessen unbeachtet.76 Die Regierung beschritt derweilen den Weg zur sogenannten „Lausanner Anleihe“, deren Gewährung an den Verzicht des „Anschlusses“ an Deutschland sowie an eine Sanierung der Staatsfinanzen gebunden war. Anfang 1932 kam es dann infolge des Austritts der Großdeutschen Volkspartei aus der Regierung zu einer Umbildung derselben. Die neue Regierung stand auf schwachen Beinen. Gleichzeitig ließ die SDAP anscheinend durchblicken , nun für eine Regierungsbeteiligung bereit zu sein.77 Diesbezügliche Angebote seitens Ignaz Seipels hatte man ja zu einem früheren Zeitpunkt zurückgewiesen. Jetzt aber gingen die Signale der SDAP ins Leere. Im Februar 1932 wurden im Parlament wichtige Materien behandelt. Es ging um zwei Bundesverfassungsgesetze , die in Sachen Wirtschaft und Handelspolitik die Ermächtigung gesetzesändernder Verordnungen ohne vorherige parlamentarische Genehmigung zuließen. Die SDAP gab sich skeptisch. Von besonderem Interesse erscheinen folgende Aussagen Otto Bauers : „Seit einiger Zeit beobachten wir , dass eine kleine , aber mächtige Gruppe innerhalb der christlichsozialen Partei immer lauter nach der Ausschaltung des Parlaments ruft , nach einem Regierungssystem , das ohne und gegen die Volksvertretung herrschen soll.“78 Aus diesem Grunde sei man nicht geneigt , mit Ermächtigungsgesetzen die Voraussetzung für eine solche Entwicklung zu unterstützen. Die Sozialdemokraten schlugen vielmehr vor , die Ausübung des Ermächtigungsgesetzes an die Zustimmung des Hauptausschusses des Nationalrates zu knüpfen. Diesem Antrag wurde stattgegeben.79 74 Über die „Bilanz“ des sogenannten „Verfassungskampfes“ siehe u. a. die Analyse bei Berchtold ( 1998 ), 569–571. 75 Zu dieser Problematik siehe Berchtold ( 1998 ), 576 , 589–592. 76 Berchtold ( 1998 ), 622. 77 Berchtold ( 1998 ), 631. 78 Stenografische Protokolle der 74. Sitzung des Nationalrates am 16. Februar 1932 , 1961 und Berchtold ( 1998 ), 633. 79 Berchtold ( 1998 ), 633.
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Kurze Zeit später ergaben sich alarmierende Veränderungen im Wählerverhalten : Zweifelsohne war neben vielen anderen Gründen ( Wirtschaftskrise , Arbeitslosigkeit etc. ) auch das Scheitern der Zollunion mit Deutschland mitverantwortlich für die Stärkung der österreichischen Nationalsozialisten gewesen. Der neue Bundeskanzler Engelbert Dollfuß erreichte indessen mit einiger Mühe eine Dreierkoalition zwischen CSP , Landbund und Heimatblock. Eine tragfähige Basis für die anstehenden politischen Entscheidungen war damit aber nicht erreicht worden. Die Behandlung der Lausanner Anleihe auf parlamentarischer Ebene drohte zu einer Zitterpartie zu werden. Infolge der Kräfteverteilung bei der Nationalratswahl 1930 verfügte die Regierung über 83 Mandate , die Oppositionspartei über 82. Die diesbezüglichen Beratungen im Parlament begannen am 28. Juli 1932.80 Die Anleihe wurde schließlich mit 82 zu 80 Stimmen gebilligt.81 Am 1. Oktober 1932 wurde die Verordnung über „die Geltendmachung der im 7. Credit-Anstalts-Gesetz ( BGBl. Nr. 415 aus 1931 ) angeführten Haftungen“ kundgemacht. Diese stützte sich auf das KWEG.82 Der Umstand , dass die Verordnung dem Nationalrat nicht vorgelegt , sondern lediglich zur Kenntnis gebracht wurde , sicherte die Entscheidung der Regierung ab.83 Der sozialdemokratische Parteivorstand kritisierte daraufhin die Regierung aufs Heftigste und warf ihr ein verfassungswidriges Vorgehen vor. Man erinnerte des Weiteren an das mit Artikel 18 der Verfassung vorhandene Notverordnungsrecht , das allerdings nicht ohne Mitwirkung eines parlamentarischen Ausschusses ausgeübt werden durfte. In den Augen der Sozialdemokraten hatte Artikel 18 , der mit der Verfassungsnovelle 1929 in Kraft getreten war , das KWEG abgelöst. Nun aber muss te aus Sicht der SDAP befürchtet werden , dass Dollfuß das KWEG benutzen werde , um eine „Regierungsdiktatur“ zu errichten. Anlass zu einer diesbezüglichen Sorge gaben nicht nur Äußerungen des Bundeskanzlers , sondern auch die Erklärungen des Sektionschefs im Heeresministerium , Robert Hecht , der das KWEG regelrecht als Alternative zum parlamentarischen Prozedere anpries.84 Die „Reichspost“, welche die Vorgangsweise der Regierung vorbehaltlos unterstützte , stellte den sozialdemokratischen Vorwurf , wonach sich Dollfuß nach deutschem Vorbild nunmehr einen „österreichischen Artikel 48“ schaffen wolle , freilich in Abrede. Es sei „ganz lächerlich und absurd , jedes Notrecht des Staates als ‚Diktatur‘ abtun zu wollen“.85 Indessen kündigte die SDAP an , alle ihr zur Verfügung stehenden Mittel zu nützen , um eine Rücknahme der auf Grundlage des KWEG erlassenen Verordnung und eine verfassungsmäßige Bestimmung in Sachen Haftbarmachung zu erwirken. Am 20. Oktober 1932 trat der Nationalrat zusammen. Die an diesem und am darauffolgenden Tag geführten Debatten , die über weite Teile um das KWEG kreisten , verliefen 80 Ursprünglich sollte sie bereits am 20. Juli beginnen. Da aber im Finanz- und Budgetausschuss Otto Bauer vom Abgeordneten Hainzl ( Heimatblock ) attackiert und am Kopf verletzt wurde , fanden die Beratungen dann erst am 28. statt. – Vgl. Stenografische Protokolle der 93. Sitzung des Nationalrates am 20. Juli 1932 , 2413. 81 Dazu ausführlich Berchtold ( 1998 ), 674–679. 82 BGBl. 303 / 1932. 83 Vgl. Berchtold ( 1998 ), 686. 84 Neues Wiener Journal , 2. Oktober 1932 , 2. 85 Reichspost , 3. Oktober 1932 , 1.
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äußerst turbulent. Seitz erinnerte daran , dass die Regierung in diesem Zusammenhang das Notverordnungsrecht gemäß Artikel 18 der Verfassung heranziehen hätte müssen. Nun sei mit der Anwendung des KWEG ein „Präjudiz“ geschaffen worden , um den Weg in die Diktatur zu ebnen. Das KWEG aber sei entgegen aller juristischen Spitzfindigkeiten nicht mehr anzuwenden , da es die durch den Krieg hervorgerufenen außerordentlichen Verhältnisse nicht mehr gebe. Als Replik auf den Vorwurf , die Sozialdemokraten hätten kein Problem gehabt , das KWEG in Zusammenhang mit dem Pächterschutz zu akzeptieren , entgegnete Seitz sinngemäß , dass es sich hier in seiner Bedeutung um eine marginale Verfügung gehandelt hätte. Gleichzeitig brachte er seine Verwunderung zum Ausdruck , dass das KWEG nicht bereits im Rahmen der Abstimmung über die Lausanner Anleihe zur Anwendung gekommen sei. Außerdem kündigte er den Widerstand der Sozialdemokratie gegen einen „Verfassungsbruch“ an.86 Die Sozialdemokraten forderten schließlich Neuwahlen am 27. November. Außerdem wurde ausdrücklich die Aufhebung des KWEG verlangt und vor einem „Hinabschlittern in die Verfassungs- und Kulturlosigkeit“ gewarnt.87 Im Dezember 1932 tat sich im Rahmen des Finanzausschusses für die SDAP noch einmal die Möglichkeit auf , gegen das KWEG aufzutreten. Allerdings konnte sie hier keine Abgeordneten anderer Parteien auf ihre Seite ziehen. Keine Unterstützung fand überdies der sozialdemokratische Antrag , die „Wirksamkeit des Bankhaftungsgesetzes auf die Mitglieder des Verwaltungsrates von Bankaktiengesellschaften“ zu erstrecken. Die Vorlage des Ausschusses , die schließlich am 13. Dezember 1932 im Nationalrat beraten wurde , sah lediglich vor , die CA-Verordnung zur Kenntnis zu nehmen. Es folgte eine kurze Debatte , bei welcher der sozialdemokratische Abgeordnete Ernst Koref noch einmal mit Nachdruck auf die Gefährlichkeit des KWEG hinwies. Er witterte „verfassungsbrecherische Absichten“.88 In der Historiografie wird die Einschätzung Peter Huemers , wonach die Anwendung des KWEG in Zusammenhang mit der Haftbarmachung der CA-Funktionäre ein „Versuchsballon“ für ein Regieren ohne Parlament gewesen sei , vielfach geteilt. Gerade im Sommer 1932 sei überdies „starker außenpolitischer Druck [ … ] in Richtung auf eine autoritäre Lösung ausgeübt“ worden.89 Dennoch gibt es auch Stellungnahmen , die zum einen die diesbezügliche Gespaltenheit innerhalb der CSP hervorheben und zum anderen dem damaligen Argument von der Dringlichkeit der Verordnung , die den Griff zum KWEG notwendig gemacht hätte , folgen können.90 Die scharfe Reaktion , mit der die SDAP sich im Herbst 1932 gegen das KWEG stellte , wird in diversen Darstellungen überdies mit den Ereignissen in Deutschland in Zusam86 Stenografische Protokolle , 102. Sitzung des Nationalrats der Republik Österreich , IV.G.P – 20. Oktober 1932 , 2656–2662 87 Stenografische Protokolle , 102. Sitzung des Nationalrats der Republik Österreich , IV.G.P – 20. Oktober 1932 , 2670. In derselben Sitzung legte im Übrigen Stefan Tauschitz sein Amt als Dritter Nationalratspräsident zurück. An seine Stelle trat Josef Straffner. Tauschitz war 1933 österreichischer Gesandter in Berlin. 88 Stenografische Protokolle , 109. Sitzung des Nationalrates der Republik Österreich , IV. G. P. , 13. Dezember 1932 , 2846. 89 Botz ( 1983 ), 22 f. 90 Berchtold ( 1998 ), 687.
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menhang gebracht. Zweifelsohne wirkten sich diese auch auf die in der Folge allerdings defensive Haltung der Sozialdemokraten gegenüber der Regierung aus. Das Schicksal der deutschen „Bruderpartei“ diente außerdem zur Bestätigung des eigenen Kurses. So begegnete man parteiinterner Kritik , wonach eine Bereitschaft zur Regierungsbeteiligung eine Zuspitzung der Lage , wie sie sich 1933 darstellte , verhindert hätte , mit dem Beispiel der Sozialdemokraten in Deutschland.91 VI. 4. März 1933 In den ersten Märztagen des Jahres 1933 sollte sich das Schicksal der Demokratie im Österreich der Zwischenkriegszeit endgültig entscheiden. Die Ereignisse des 4. März , die sich vor dem Hintergrund eines Warnstreiks der Eisenbahner abspielten , sind in ihrem Ablauf hinreichend bekannt. Dennoch hinterließen sie einen interpretatorischen Spielraum , der einmal mehr auch in der Nachbetrachtung zu Polarisierungen führte. Die Regierung unter Bundeskanzler Dollfuß hatte angekündigt , im Falle des Streiks eine Verordnung aus dem Jahre 1914 zur Geltung zu bringen , mit der „die Bestrafung“ der an der Arbeitsniederlegung Beteiligten gerechtfertigt werden sollte.92 Bei den Debatten am 4. März 1933 im Parlament wehrte sich Bundeskanzler Dollfuß dann gegen den sozialdemokratischen Vorwurf , ein Gesetz heranzuziehen ,93 dessen Gültigkeit als strittig angesehen wurde.94 Dollfuß insistierte auf der diesbezüglichen Rechtmäßigkeit und meinte – zweifelsohne auch auf die Haltung der SDAP gegenüber dem KWEG anspielend – , die Opposition habe „Jahre hindurch Gelegenheit gehabt , diese und vielleicht andere Verordnungen in der Zeit , als sie die Führung in der Regierung gehabt haben , wirklich zu beseitigen“. Er könne die „naive Begründung , dass man es nicht mehr für aktuell gehalten oder vergessen hätte , nicht ernstlich glauben“ und vermute vielmehr , „dass man sich auch damals gedacht hat , wer weiß , wozu diese Verordnung einmal gut ist“.95 Dass es im Verlauf der Sitzung zum Rücktritt aller drei Präsidenten des Nationalrats kam , muss nicht näher dargelegt werden. Die Motive für den Rücktritt Karl Renners , zu dem u. a. auch Otto Bauer geraten hatte , boten jedenfalls Anlass für diverse zeitgenössische und nachmalige Erörterungen.96 Auch innerhalb der SDAP war Renners Amts91 Vgl. dazu zum Beispiel die Protokolle der Reichskonferenz vom April 1933 : VGA , Partei-Archiv vor 1934 : Parteitage , Parteikonferenzen etc. 1916 bis 1933 , Mappe 65 A : Reichskonferenz 15. / 16. 4. 1933. 92 Die Verordnung stammte vom 27. Juli 1914 , RGBl. Nr. 155. 93 Nach Ansicht der SDAP war auch dieses Gesetz – genauso wie das KWEG – „von irgendeinem Hecht ausgegraben“ worden , vgl. Arbeiter-Zeitung , 6. März 1933 , 3. 94 Vgl. dazu die Aussage von Anton Rintelen , der im Ministerrat vom 28. Februar 1933 u. a. auf die Anwendung von Gesetzen aus der Monarchie im Nachbarland Tschechoslowakei verwies , vgl. Kriechbaumer , Robert ( 2001 ) : Die großen Erzählungen der Politik. Politische Kultur und Parteien in Österreich von der Jahrhundertwende bis 1945 , Wien / Köln / Weimar , 235. 95 Stenografische Protokolle , 125. Sitzung des Nationalrates der Republik Österreich , IV. G. P. , 4. März 1933 , 3387. 96 Offenbar hatte Renner die Entscheidung , das Amt als Nationalratspräsident niederzulegen , nicht allein gefällt. Adolf Schärf , Klubsekretär der Sozialdemokraten , hielt dazu in seinen Erinnerungen fest : „Nun , in der Ecke des Foyers besprachen sich – ohne daran zu denken , den Abgeordnetenklub
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niederlegung durchaus umstritten.97 Als haltlos erscheint indessen die Behauptung von Heinrich Drimmel , wonach der Rücktritt Renners ein „sozialdemokratischer Coup“ war , „um nachher die Regierung zu stürzen und dem Bundespräsidenten einen sozialdemokratischen Kanzlerkandidaten vorzuschlagen“.98 Den Sozialdemokraten wurde sogleich bewusst , dass mit der Sitzung vom 4. März eine womöglich äußerst prekäre Entwicklung eingeleitet worden war und die Gefahr bestand , dass mithilfe des KWEG regiert werden könnte.99 Noch vor den Ereignissen am 4. März 1933 war im Parlament der Hauptausschuss zu einer Sitzung einberufen worden. Diese sollte am 7. März 1933 stattfinden. Vor Beginn der Sitzung traf sich der christlichsoziale Klubvorstand bei Bundeskanzler Dollfuß. Letzterer verwies auf eine „gewisse Stimmung gegen das Parlament“ in der Bevölkerung und auf die Notwendigkeit , die zu befürchtende nationalsozialistische Propagandawelle aufzufangen. Nun wurde über eine Pressenotverordnung und ein allgemeines Versammlungs- und Aufmarschverbot gesprochen. Außerdem sei eine grundlegende Verfassungsänderung anzustreben.100 Wie bei der Unterredung vereinbart , stellte Karl Buresch ( C SP ) vor dem Hauptausschuss einen Vertagungsantrag , den er mit den „ungeklärten parlamentarischen Verhältnissen“ begründete. Der Vertagungsantrag der Regierungsparteien wurde mehrheitlich angenommen.101 Seitz hingegen forderte die Neuwahl der drei Nationalratspräsidenten und erblickte im Verhalten der Regierung Anzeichen , wonach man „eine rein formelle Frage der Geschäftsordnung dazu benützen wolle , um die Grundrechte der Republik , die Verfassung und damit alle Gesetze und Verordnungen , also die gesamte staatliche mit der Sache zu befassen – Otto Bauer und Karl Seitz über das , was geschehen sollte. Sie riefen mich und trugen mir auf , Renner , der , vom Krawall der Christlichsozialen umtost , auf dem Präsidentenstuhl saß , auszurichten , er habe als Präsident des Nationalrates zu demissionieren. Mich überkam eine böse Ahnung , ich bekam ein bitteres Gefühl. Ich antwortete den beiden , ich sei nicht bereit , Renner diesen Auftrag zu überbringen , wenn nicht ein zweiter mit mir zu ihm ginge ; dazu wurde nun Dr. Danneberg bestimmt. Beide gingen wir zu Dr. Renner und überbrachten ihm den Auftrag. Er legte sofort das Amt zurück.“ Schärf , Adolf ( 1963 ) : Erinnerungen aus meinem Leben , Wien , 116 und vgl. Fischer , Heinz ( 1983 ) : Der Geschäftsordnungs- und Verfassungsbruch von 1933 / 34 im Lichte der weiteren Entwicklung des österreichischen Parlamentarismus. In : Fröschl , Erich / Z oitl , Helge ( Hg. ) : Der 4. März 1933. Vom Verfassungsbruch zur Diktatur , Wien , 95. 97 Vgl. dazu die Protokolle der Reichskonferenz vom April 1933 : VGA , Partei-Archiv vor 1934 : Parteitage , Parteikonferenzen etc. 1916 bis 1933 , Mappe 65 A : Reichskonferenz 15. / 16. 4. 1933 und Berchtold , ( 1998 ), 704 , sowie : Arbeiter-Zeitung , 5. März 1933 , 2 , und Kostelka ( 1983 ), 124 f. 98 Zit. nach Welan ( 1984 ), 83–84. 99 Vgl. dazu das „Protokoll der Sitzung des Verbandes der sozialdemokratischen Abgeordneten und Bundesräte“ am 4. März 1933 , kurz nach Ende der Parlamentssitzung. – VGA , Partei-Archiv vor 1934. Protokolle der Klub- , Verbands- , Vorstands- und Bundesratssitzungen , Mappe Nr. 20 : Div. Protokolle August–Dezember 1932 / Jänner–März 1933. Vgl. des Weiteren auch das Protokoll der Sitzung des Parteivorstandes vom 5. März 1933 : VGA , Partei-Archiv vor 1934 , Mappe Nr. 6 : Sitzungsprotokolle , sowie die Arbeiter-Zeitung , 5. März 1933 , 2. 100 Goldinger , Walter ( Hg. ) ( 1980 ) : Protokolle des Klubvorstandes der Christlichsozialen Partei 1932–1934 , Wien , 131–138 ; Berchtold ( 1998 ), 713. 101 Berchtold ( 1998 ), 714.
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Ordnung und Gebarung in Gefahr zu bringen“.102 Buresch indessen meinte , die Sitzung am 4. März sei nicht formell geschlossen worden und dauere daher noch an. Die „Wahl des Ständigen Unterausschusses des Hauptausschusses103 ( der berufen ist , bei Notverordnungen des Bundespräsidenten zuzustimmen ), die als erster Punkt auf der Tagesordnung stehe“, sei „kein Grund , eine Sitzung abzuhalten“.104 Damit war auch dieser Weg , eine verfassungs- beziehungsweise geschäftsordnungskonforme Lösung herbeizuführen , obsolet.105 Interessanterweise hatte Justizminister Schuschnigg im Rahmen der Ministerratssitzung vom 7. März 1933 einen Entwurf zur Änderung des Straf- sowie Pressegesetzes vorgelegt , der auf Grundlage des Artikels 18 der Verfassung beruhte. Doch verwies er darauf , dass „der ständige Unterausschuss des Hauptausschusses nicht bestehe“, weshalb die Heranziehung des KWEG zu erwägen sei.106 Hinsichtlich der Anwendung von KWEG oder des Artikels 18 ergaben sich hierauf unterschiedliche Meinungen. Schließlich aber kristallisierte sich heraus , dass nunmehr das KWEG anzuwenden sei. Allerdings wollte Vizekanzler Franz Winkler ( L andbund ) offenbar die Zustimmung des Bundespräsidenten bezüglich dieser Vorgangsweise gesichert wissen. Dollfuß begab sich in der Folge zu Wilhelm Miklas und bot die Demission der Regierung an. Letzterer aber sprach Dollfuß bzw. der Regierung sein vollstes Vertrauen aus.107 Manfried Welan sieht im diesbezüglichen Verhalten von Wilhelm Miklas eine „Selbstausschaltung“ des Bundespräsidenten , da er sich damit der Möglichkeit einer späteren Entlassung der Regierung beraubte.108 Am Abend des 8. März berichtete Danneberg109 seinen Parteikollegen von einer Unterredung mit Dollfuß. Hinsichtlich der Parlamentskrise verlangte der Bundeskanzler „Verhandlungen über die Verfassungsreform“ sowie über die Geschäftsordnung des Parlaments. Erst nach einer diesbezüglichen Einigung sollte das Plenum der Volksvertretung wieder zusammentreten.110 Außerdem hatte Dollfuß offenbar auch nichts dagegen , dass der Hauptausschuss seinen ständigen Unterausschuss wähle , womit der Weg 102 Arbeiter-Zeitung , 8. März 1933 , 2. 103 Zur Funktion von Hauptausschuss und ständigem Unterausschuss siehe Widder , Helmut ( 1980 ) : Der Nationalrat. In : Schambeck , Herbert ( Hg. ) : Das österreichische Bundes-Verfassungsgesetz und seine Entwicklung , Berlin , 261–336 , 288–290. 104 Arbeiter-Zeitung , 8. März 1933 , 2. 105 „Der Gedanke , die parlamentarische Lage durch eine Notverordnung des Bundespräsidenten zu entwirren , setzte [ … ] die Wahl des ständigen Unterausschusses voraus , da nach Artikel 18 Absatz 3 des Bundesverfassungsgesetzes nur im Einvernehmen mit ihm eine Notverordnung erlassen werden konnte“, Berchtold ( 1998 ), 713. 106 Zit. nach Berchtold ( 1998 ), 714. 107 Arbeiter-Zeitung , 8. März 1933 , 1. 108 Welan ( 1984 ), 84. 109 Hinsichtlich des Zusammentreffens von Danneberg und Dollfuß gibt es unterschiedliche Hinweise. Während Rabinbachs Darstellung suggeriert , dass die Unterredung vor dem Abend des 8. März stattfand ( R abinbach , Anson [ 1989 ] : Vom Roten Wien zum Bürgerkrieg , Wien , 75 ), verweist Berchtold auf den 12. März 1933 ( Berchtold [ 1989 ] , 718 ). Dass zwei Daten genannt werden , lässt eventuell auch auf mehrere Treffen schließen. 110 Rabinbach ( 1989 ), 75.
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zu einer Notverordnung gemäß Artikel 18 der Verfassung durch den Bundespräsidenten beschritten hätte werden können.111 Realiter aber wurde eine derartige Lösung bewusst verhindert. Als Renner einige Tage nach dem verhinderten Zusammentritt der Nationalratssitzung noch einmal den Versuch zur Einberufung des Hauptausschusses des Nationalrates unternahm , reagierten die Klubobleute der Regierungsparteien ablehnend.112 Der Bundeskanzler hatte mit seinen Stellungnahmen gegenüber Danneberg den Widerstandswillen des maßgeblichen Teils der Partei entscheidend geschwächt. In der Folge blieb es bei verbalen Kampfansagen und diversen Entschließungsanträgen der SDAP. Dies zeigte sich auch im Rahmen der Bundesratssitzung am 17. März. Der oppositionellen Forderung nach Wiederherstellung „des verfassungsmäßigen Zustandes“ folgten keine konkreten Konsequenzen.113 Indessen verfolgte die Regierung weiterhin eine Verfassungsreform , die offenbar jene Zielsetzungen beinhaltete , die 1929 am Widerstand der Sozialdemokraten gescheitert waren.114 Obwohl Dollfuß mit seiner Italienreise bereits im April 1933115 einen Weg abseits demokratischer Spielregeln vorzuzeichnen schien und weitere Verordnungen auf Grundlage des KWEG erlassen wurden , blieben die Sozialdemokraten hinsichtlich der Verfassungsreform offenbar verhandlungsbereit.116 Allerdings lehnte die SDAP eine Ausweitung des Notverordnungsrechts des Bundespräsidenten ab , „da sie darin die Grundlage sah , um den Faschismus einzuführen“.117 Außerdem hielt Danneberg fest , dass im Zuge etwaiger Verhandlungen die Abschaffung des KWEG zu fordern sei.118 Der Glaube der Sozialdemokraten an eine Zusammenarbeit mit der Regierung erwies sich indes als völlig illusorisch. Wirkungslos blieben auch die im Bundesrat vorgetragenen SDAP-Proteste.119 Mittlerweile waren die Absichten des Bundeskanzlers hinsichtlich der zukünftigen Rolle des Parlaments immer konkreter geworden. Das Konzept einer „ständischen Verfassung“ begann allmählich Gestalt anzunehmen und die Vorgehensweise gegen die oppositionellen Parteien verschärfte sich.120 Die Lahmlegung des Verfassungsgerichtshofes im Mai 1933 machte deutlich , dass jeglicher Widerspruch , der diesen Kurs beeinträchtigt hätte , unerwünscht war.121 Dass durch einige auf Grundlage des 111 Berchtold ( 1998 ), 718. 112 Wohnout , Helmut ( 1993 ) : Regierungsdiktatur oder Ständeparlament ? Gesetzgebung im autoritären Österreich , Wien / Köln / Graz , 69. 113 Stenografische Protokolle der 186. Sitzung des Bundesrates am 17. März 1933 , 2027–2029. 114 Berchtold ( 1998 ), 735. Ausführlich dazu außerdem : Wohnout , Helmut ( 1993 ), 82–91. 115 Vgl. dazu die Berichterstattung in der Neuen Freien Presse , 11. April 1933 , 1–2. 116 Vgl. die Resolution der SDAP-Reichskonferenz vom 15. April 1933 , Neue Freie Presse , 16. April 1933 , 1 f. ; Berchtold ( 1998 ), 735. 117 Berchtold ( 1998 ), 735. 118 Berchtold ( 1998 ), 736. 119 Ausführlich dazu : Die Wahrheit über das Kriegswirtschaftliche Ermächtigungsgesetz. Protokoll der Verhandlungen des Verfassungsausschusses des Bundesrates vom 20. Dezember 1933 u. des Plenums des Bundesrates vom 18. Jänner 1934 , Wien 1934. 120 Berchtold ( 1998 ), 738. 121 Dazu vgl. u. a. Kostelka ( 1983 ), 132–133.
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KWEG erlassene Verordnungen ein Verfassungsbruch vollzogen worden war , lag auf der Hand.122 Bis Ende 1933 wurden über 300 Verordnungen unter Berufung auf das KWEG erlassen.123 VII. Kurzes Resümee Die Rolle des KWEG in der Geschichte der Ersten Republik124 verdeutlicht die Wichtigkeit einer Beschäftigung mit verfassungsrechtlichen Aspekten. Gleichzeitig ergibt sich daraus eine Reihe von weiterführenden Fragen , die u. a. die Haltung von Parteien und Öffentlichkeit zur Verfassung an sich berühren. Daran anknüpfend ergibt sich außerdem die Perspektive einer eingehenden und umfassenden Untersuchung des Demokratieverständnisses in der Ersten Republik. Neben diesen innenpolitischen Aspekten erscheint es auch lohnend , sich der Resonanz im Ausland auf die Verfassungsänderungen in Österreich zuzuwenden. Immerhin mussten diesbezügliche Entwicklungen in Hinblick auf außenpolitische Konzeptionen und Strategien Berücksichtigung finden. Gerade in Zusammenhang mit den damals auf breiter Ebene diskutierten Mitteleuropakonzeptionen , die parallel zu den innenpolitischen Auseinandersetzungen über Verfassungsfragen in Österreich präsentiert wurden , erscheint eine Beschäftigung mit der Wahrnehmung der betreffenden Verfassungsdebatten als wichtiger Beitrag für das Verständnis innen- wie außenpolitischer Wechselwirkungen.
122 Vgl. dazu die Ausführungen bei Merkl , Adolf : Die Frage der Geltung des kriegswirtschaftlichen Ermächtigungsgesetzes und seines Verhältnisses zur Verordnungsvollmacht des Bundespräsidenten. In : Juristische Blätter , 62. Jg , Nr. 7 , 8. April 1933 , 138–141. Insgesamt über die juristischen Debatten zum KWEG hinsichtlich seiner Verfassungsmäßigkeit siehe Hackl ( 1993 ), 42–53. 123 Vgl. Wahrheit über das Kriegswirtschaftliche Ermächtigungsgesetz. Protokoll der Verhandlungen des Verfassungsausschusses des Bundesrates vom 20. Dezember 1933 u. des Plenums des Bundesrates vom 18. Jänner 1934 , Wien 1934 , 6–7. 124 Das KWEG wurde erst 1946 aufgehoben.
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V. Rechts- und Verwaltungsgeschichte
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Maren Seliger
Forschungsdefizite auf Wiener Regionalebene 1933–1938 I. Vorbemerkung Im Folgenden soll auf einige Forschungsdefizite verwiesen werden , die sich aufgrund meiner bisherigen Beschäftigung mit Themen zur Wiener Stadtgeschichte , vor allem jedoch im Zuge der kürzlich vorgelegten vergleichenden Untersuchung über die Wiener „Gemeindevertretung“ im Austrofaschismus und Nationalsozialismus , hier mit Betonung auf den Austrofaschismus1 , ergeben.2 Die Arbeit umfasst ideologische Begründung , Funktionsweise und personelle Zusammensetzung der Scheinparlamente. Die Themenauswahl war zum Teil pragmatisch begründet : Es eröffnete sich die Möglichkeit einer Unterstützung der Forschungsarbeit durch die Österreichische Gesellschaft für historische Quellenstudien ( ÖGQ ), die neben ihrer wissenschaftlichen Editionstätigkeit über viel Erfahrung auf dem Gebiet der biografischen Forschung verfügt. Zum anderen behandelt die Studie weitgehendes Neuland und stellt eine Fortsetzung kollektivbiografischer Arbeiten auf Bundesebene dar.3 Der komparative Ansatz versprach darüber hinaus Erkenntniswert , da er Gemeinsamkeiten 1 Zur Problematisierung des Begriffs Faschismus vgl. u. a. Hanisch , Ernst ( 2005 ) : Der Politische Katholizismus als ideologischer Träger des „Austrofaschismus“. In : Tálos , Emmerich / Neugebauer , Wolfgang ( Hg. ) : Austrofaschismus. Politik – Ökonomie – Kultur 1933–1938 ( Politik und Zeitgeschichte 1 ), Wien , 68–86 : 68–70 , sowie Tálos , Emmerich ( 2005 ) : Das austrofaschistische Herrschaftssystem. In : Tálos / Neugebauer ( Hg. ) : 394–420 : 413–417. 2 Seliger , Maren ( 2010 ) : Scheinparlamentarismus im Führerstaat. „Gemeindevertretung“ im Austrofaschismus und Nationalsozialismus. Funktionen und politische Profile Wiener Räte und Ratsherren 1934–1945 im Vergleich ( Politik und Zeitgeschichte 6 ), Wien. Seliger , Maren / Ucakar , Karl ( 1985 ) : Wien. Politische Geschichte 1740–1934. Entwicklung und Bestimmungskräfte großstädtischer Politik , 2 Bde. , Wien. Seliger , Maren / Ucakar , Karl ( 1984 ) : Wahlrecht und Wählerverhalten in Wien 1848– 1932. Privilegien , Partizipationsdruck und Sozialstruktur ( Kommentare zum Historischen Atlas von Wien 3 ), Wien. Seliger , Maren ( 1980 ) : Sozialdemokratie und Kommunalpolitik in Wien. Zu einigen Aspekten sozialdemokratischer Politik in der Vor- und Zwischenkriegszeit ( Wiener Schriften 49 ), Wien. 3 Vgl. Enderle-Burcel , Gertrude ( 1991 ) : Christlich – Ständisch – Autoritär. Mandatare im Ständestaat 1934–1938 , Wien.
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V. Rechts- und Verwaltungsgeschichte
und Differenzen sichtbar machen kann. Außerdem war davon auszugehen , dass Funktionsweise und personelle Zusammensetzung der „Gemeindevertretungen“ Rückschlüsse auf das jeweilige Herrschaftssystem und seine Interessengebundenheit ergeben.4 Die Untersuchung eröffnet ein breites Feld weiterführender Forschungen , von denen einige angesprochen werden sollen , und zwar in unterschiedlicher Konkretheit : Die Vorschläge bewegen sich zwischen allgemein gehaltenen Überlegungen und Thesen bis zu Hinweisen auf noch nicht benutzte Quellenbestände einschließlich möglicher zu erwartender Ergebnisse. II. Zum Forschungsstand Zuvor sei auf eine Besonderheit hingewiesen , die den Stand der Wien-Forschung betrifft , und zwar eine noch länger dauernde Aussparung des Zeitabschnitts 1933 bis 1938 als für die gesamtstaatliche Ebene. 1948 erschien in den USA das Werk des amerikanischen Ökonomen und Sozialhistorikers Charles A. Gulick ( 1896–1984 ), Österreich von Habsburg zu Hitler. Diese materialreiche wissenschaftliche Untersuchung enthielt u. a. auch eine ausführliche Analyse zur Wiener Kommunalpolitik im „Roten Wien“ und unter „klerikal-faschistischer“ Herrschaft. 1950 erschien das fünfbändige Werk erstmals in deutscher Sprache. Die 1976 vorgelegte gekürzte Fassung und die 1980 erschienene zweite Auflage der fünfbändigen Ausgabe sind Ausdruck einer breiteren Rezeption Jahrzehnte später. Das Thema Austrofaschismus in Wien wurde anlässlich des 40. Jahrestages der Machtübernahme im Wiener Rathaus , im Jahr 1974 , aufgegriffen und war Gegenstand eines ausführlichen Überblicksbeitrags des Wirtschaftshistorikers Franz Baltzarek. Die Ursache für die lange vernachlässigte Thematik führte der Autor auf eine „gewisse Tabuisierung“ in der Nachkriegszeit zurück , deren Ende , wie er ausführt , nach 40 Jahren Abstand nun gekommen sei.5 Im großkoalitionären Klima – Wien wurde bis 1973 von einer Großen Koalition regiert – zielte der antifaschistische Grundkonsens der Zweiten Republik auf den Nationalsozialismus , zu dessen Opfern auch viele Verantwortliche für die Beseitigung der Demokratie 1933 / 1934 zählten. In der Einschätzung der Vorgängerdiktatur und ihrer Vorgeschichte herrschte hingegen weitgehend Dissens , der zunächst mit Schweigen übergangen wurde.6 Der Beitrag Baltzareks aus dem Jahr 1974 sollte Einzelerscheinung bleiben trotz der ab Ende der 1960er-Jahre einsetzenden Zeitgeschichtsforschung. 1978 erschien die Arbeit von Gerhard Botz über „Nationalsozialismus in Wien. Machtübernahme und Herrschaftssicherung 1938 / 1939“7 , deren Fortsetzung bis 1945 allerdings ein Forschungsdesiderat darstellt. Mitte der 1980er-Jahre wurde auf Initiative des Wiener Geschichtsvereins 4 Die Untersuchung stützte sich v. a. auf Quellen im Wiener Stadt- und Landesarchiv ( WStLA ), im Österreichischen Staatsarchiv ( ÖStA ) sowie in zahlreichen weiteren Institutionen , Spezialarchiven und Dokumentationsstellen. Soweit im vorliegenden Text auf sie direkt Bezug genommen wird , werden diese im Anhang ( Quellen ) angeführt. Generell ist auf Seliger ( 2010 ) zu verweisen. 5 Baltzarek , Franz ( 1974 ) : Wien 1934–1938. Die Geschichte der Bundeshauptstadt im autoritären Österreich. In : Wiener Geschichtsblätter Jg. 29 ( 1974 ), Sonderheft 2 , 49–97 : 49–50 , 92. 6 Die von Baltzarek konstatierte „Tabuisierung“ wird durch den Zeitzeugen Adolf Schärf bestätigt. Vgl. Geheimer Briefwechsel Mussolini-Dollfuss ( 1949 ). Mit einem Vorwort von Vizekanzler Dr. Adolf Schärf , Wien , 8. 7 Inzwischen mehrfach aufgelegt , zuletzt 2008 in überarbeiteter und erweiterter Fassung.
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�������������������������������������������������������������������� ������������������������������������������������������� : Forschungsdefizite auf Wiener Regionalebene 1933–1938
eine politische Geschichte Wiens erarbeitet , die den Zeitraum von 1740 bis 1934 umfasst.8 Das 1984 erstmals vorgelegte Standardwerk über den Austrofaschismus , herausgegeben von Emmerich Tálos und Wolfgang Neugebauer , inzwischen in fünfter erweiterter Auflage 2005 erschienen , präsentiert den Forschungsstand vor allem für die gesamtstaatliche Ebene.9 In Teilbereichen wurde auch auf Wien Bezug genommen , wie dem der Ideologie des politischen Katholizismus , der Sozial- , Bildungs- und Kulturpolitik. Eine Durchsicht des Indexbandes 1977–2002 über die verschiedenen Publikationsreihen des Vereins für Geschichte der Stadt Wien10 sowie der Österreichischen Städtebibliographie11 erbrachte nur vereinzelte Nachweise forschungsgestützter Detailstudien , die in den 1990er-Jahren erschienen sind und eine wichtige Grundlage für eine noch zu erarbeitende Gesamtdarstellung über Wien im Austrofaschismus darstellen.12 Vor allem die von Melinz / Ungar vorgelegte vergleichende , politische Zäsuren überspringende Studie „Wohlfahrt und Krise. Wiener Kommunalpolitik 1929–1938“ kommt zu interessanten , die jeweiligen Handlungsspielräume berücksichtigenden Ergebnissen : Trotz leerer Kassen , Sparzwang und Schwerpunktverlagerungen im Wohlfahrtsbereich bleiben grundlegende Differenzen der beiden Fürsorgemodelle erhalten. Dass die Beschäftigung mit den „dunklen Flecken“ der Geschichte mit einem schmerzhaften Erkenntnisprozess verbunden ist und daher erst mit zeitlicher Verzögerung einsetzt , ist nichts Ungewöhnliches. Die Auseinandersetzung mit dem österreichischen Anteil am Nationalsozialismus ist inzwischen Teil des kulturellen Gedächtnisses geworden. Nach rund 70 Jahren ist ein größerer Nachholbedarf in der kritischen Aufarbeitung des „heimischen“ Faschismus zu konstatieren. Vor allem für die regionale Ebene erscheint diese überfällig.13 Das im Januar 2012 im Nationalrat beschlossene Rehabilitierungsgesetz für die Opfer des Unrechtsregimes14 kann als Signal für eine breitere gesellschaftliche Akzeptanz derartiger Forschungsbemühungen gewertet werden. 8 Seliger / Ucakar ( 1985 ). 9 Tálos , Emmerich / Neugebauer , Wolfgang ( Hg. ) ( 2005 ) : Austrofaschismus. Politik – Ökonomie – Kultur 1933–1938 ( Politik und Zeitgeschichte 1 ), Wien. 10 Ganster , Ingrid ( 2003 ) : Generalindex zu den Veröffentlichungen des Vereins für Geschichte der Stadt Wien 1977–2002 , Wien. Berücksichtigt wurden dabei folgende Zeitschriften : Wiener Geschichtsblätter , Jahrbuch des Vereins für Geschichte der Stadt Wien sowie Forschungen und Beiträge zur Wiener Stadtgeschichte. 11 Pro Civitate Austriae ( 1996–2009 ). Information zur Stadtgeschichtsforschung in Österreich , Neue Folge Heft 1–13. 12 Zum Beispiel : Melinz , Gerhard ( 1994 ) : Die Christlichsoziale Partei Wiens. Von der Majorität zur Minorität und „Kerntruppe“ der Vaterländischen Front. In : Wiener Geschichtsblätter Jg. 49 ( 1994 ) Heft 1 , 1–14. Melinz , Gerhard / Ungar , Gerhard ( 1996 ) : Wohlfahrt und Krise. Wiener Kommunalpolitik 1929–1938 ( Forschungen und Beiträge zur Wiener Stadtgeschichte 29 ), Wien. Feller , Barbara ( 1991 ) : Baupolitik in Wien im Austrofaschismus , phil. Diss. , Wien. 13 Als ein Beispiel der Aufarbeitung vgl. Stock , Hubert ( 2010 ) : „ … nach Vorschlägen der Vaterländischen Front“. Die Umsetzung des christlichen Ständestaates auf Landesebene , am Beispiel Salzburg , Wien / Köln / Weimar. 14 Am 18. 1. 2012 beschloss das Plenum des Nationalrates einstimmig das Aufhebungs- und Rehabilitierungsgesetz 2011. Es betrifft zwischen 1933 und 1938 verurteilte , angehaltene oder ausgebürgerte Personen , die sich für den Erhalt eines unabhängigen und demokratischen Österreichs eingesetzt haben. Vgl. Parlamentskorrespondenz Nr. 31 vom 18. 1. 2012.
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III. Forschungsergebnisse – Forschungslücken Austrofaschismus wie NS-Herrschaft hielten zur Legitimation ihrer Machtausübung am Surrogat einer „Gemeindevertretung“ fest , die durch „Berufung“ des jeweiligen Gemeindeführers zustande kam. Zum „Führer“ des „christlichen und deutschen“ Wien wurde 1934 mit Richard Schmitz ( 1885–1954 ) ein prominenter christlichsozialer Politiker berufen. Er war dem rechten Flügel ( „Reichspost-Fraktion“ ) der insgesamt eher restaurativen Wiener Christlichsozialen Partei ( C SP ) zuzurechnen und galt als militanter Repräsentant des politischen Katholizismus ( Direktor des Katholischen Volksbundes ). Als Mandatar im Wiener Gemeinderat ( 1918–1923 ) und Nationalrat ( 1920–1934 ) gehörte er verschiedenen Bundesregierungen an und war Leitungsmitglied der Gesamtpartei. Zur Zeit seiner Berufung zum Regierungskommissär war er Minister im Kabinett Dollfuß und Vertreter eines prononcierten Rechtskurses. Er fühlte sich berufen , die religiös-sittlichen „Verheerungen“ von Aufklärung , Liberalismus und Sozialismus durch Rekatholisierung zu beseitigen und eine an der katholischen Soziallehre orientierte „berufsständische“ Neuordnung von Staat und Gesellschaft zu etablieren. Sein Bekenntnis zum „Deutschtum“ als Teil der „Österreich-Ideologie“ und ein religiös bis rassistisch gefärbter Antisemitismus sind zu seiner weiteren politischen Charakterisierung zu ergänzen.15 3.1 Vorreiterrolle Wiens im „berufsständischen Aufbau“ Auf den unter „Kanonendonner“16 am 13. Februar 1934 in das Wiener Rathaus einziehenden Regierungskommissär Schmitz wartete wohl eine der schwierigsten Aufgaben bei der endgültigen Etablierung des Austrofaschismus. Die durch die monatelang andauernde Zermürbungstaktik der Regierung Dollfuß geschwächte Sozialdemokratie war verboten und die von ihr gestellte Wiener Stadtregierung hinter Gitter gesetzt worden. Damit war das endgültige Aus einer der Modernisierung verpflichteten sozia-kompensatorischen Reformpolitik besiegelt , die sich auf eine überwältigende Zustimmung der Stadtbewohner stützen konnte und als Gegenmodell zur Politik der Bürgerblockregierungen fungiert hatte. Darüber hinaus verband sich mit dem „Roten Wien“ für ihre Anhänger hoher Symbolwert als „Kleinod der internationalen Arbeiterbewegung“17. Wien als Hochburg der Sozialdemokratie beruhte auf der ökonomischen Struktur der Stadt als wichtigstem Industriestandort Österreichs , wobei die modernsten großindus triellen Betriebe in ausländischem , besonders deutschem Kapitalbesitz waren.18 Wien 15 Zu Schmitz vgl. Seliger ( 2010 ), 32–36. Richard Schmitz ist ein Themenschwerpunkt einer 2011 erschienenen Publikation mit neun verschiedenen Beiträgen gewidmet , und zwar Wohnout , Helmut ( Hg. ) ( 2011 ) : Demokratie und Geschichte ( Jahrbuch des Karl von Vogelsang-Instituts zur Erforschung der Geschichte der christlichen Demokratie in Österreich Jg. 13 / 1 4 2009 /2010 ), Wien / Köln / Weimar , 75–314. 16 So Schmitz in der Wiener Bürgerschaft , 15. Sitzung , 20. Dezember 1934 , zit. n. Seliger ( 2010 ), 51. 17 So Otto Bauer nach den Wahlen 1927 , Arbeiter Zeitung , 28. April 1927. 18 Banik-Schweitzer , Renate ( 1983 ) : Zur Bestimmung der Rolle Wiens als Industriestadt für die wirtschaftliche Entwicklung der Habsburgermonarchie. In : Banik-Schweitzer , Renate / Meißl , Gerhard ( Hg. ) : Industriestadt Wien. Die Durchsetzung der industriellen Marktproduktion in der Habsburgerresidenz ( Forschungen und Beiträge zur Wiener Stadtgeschichte 11 ), Wien , 5–97 : 12 , 21–22.
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�������������������������������������������������������������������� ������������������������������������������������������� : Forschungsdefizite auf Wiener Regionalebene 1933–1938
unterschied sich damit von den überwiegend agrarisch geprägten christlichsozial dominierten übrigen Bundesländern. Die seit der Demokratisierung des Wahlrechts auf eine zu Unrecht empfundene dauernde Oppositionsrolle verwiesene CSP Wiens – zuletzt auf einen Stimmenanteil von 20 Prozent reduziert – hatte mit dem Gewaltstreich im Februar 1934 in Gestalt des Regierungskommissärs Schmitz die Macht im Rathaus usurpiert. Vor diesem Hintergrund wird deutlich , wie groß das Interesse an einer möglichst rasch zu erfolgenden institutionellen Absicherung war : Die neue Stadtordnung – und damit das erste austrofaschistische Verfassungsdokument – wurde bereits Ende März 1934 oktroyiert , die als Parlamentsersatz dienende „berufsständische“ Bürgerschaft hielt ihre erste Sitzung am 17. Mai 1934 ab , gut ein halbes Jahr bevor sich die entsprechenden Beratungsorgane auf Bundesebene konstituieren sollten.19 Der seit 1920 bestehende Doppelcharakter Wiens als Gemeinde und Bundesland blieb auch nach 1934 erhalten. Wien firmierte als bundesunmittelbare Stadt mit Länderstatus im Rahmen eines Bundesstaates mit stark eingeschränkten föderalen Rechten. Der Übergang zum „berufsständischen“ Aufbau wurde vermutlich auch durch den bereits im Mai 1932 ( nach den Wahlverlusten im April 1932 ) erfolgten Führungswechsel an der Spitze der CSP Wien vom unumstrittenen Führer der christlichsozialen Arbeiterbewegung , Leopold Kunschak ( 1871–1953 ), Multifunktionär , auch Vorstandsmitglied im Katholischen Volksbund , zu Robert Krasser ( 1882–1958 ) erleichtert. Letzterer war ein enger Vertrauter von Schmitz , sein Nachfolger als Direktor des Katholischen Volksbundes , außerdem leitend im Österreichischen Cartellverband tätig.20 Krasser , von Beruf Mittelschulprofessor , wurde von Schmitz zu seinem Stellvertreter im Wiener Stadtschulrat bestellt. Kunschak übernahm nach dem Februar 1934 keine Funktion im Wiener Rathaus.21 Die von ihm herausgegebene „Österreichische Arbeiter-Zeitung“ kommentierte – im Unterschied zur Euphorik der „Reichspost“ – die Machtübernahme eher verhalten , verbunden mit einer Distanzierung von der in der „bürgerlichen Presse“ oft übertrieben gepflogenen Hetze gegen die Wiener Steuern.22 Trotz der hier angedeuteten Differenzierungen hatte sich die christliche Arbeiterbewegung loyal dem DollfußKurs angeschlossen.23 19 Die Stadtordnung der Bundeshauptstadt Wien. VO des Bundeskommissärs für Wien vom 31. März 1934 , LGBl. für Wien Nr. 20. Wiener Bürgerschaft , 1. Sitzung , 17. Mai 1934. Wohnout , Helmut ( 1993 ) : Regierungsdiktatur oder Ständeparlament ? Gesetzgebung im autoritären Österreich ( Studien zu Politik und Verwaltung 43 ), Wien / Köln / Graz , 240–244. 20 Krasser wird als „tatkräftiger“ Vertreter des christlichen Konservativismus und „Schlüsselfigur in den Ereignissen 1930 bis 1950 im Hochschulbereich bezeichnet. Drimmel , Heinrich ( 1966 ) : Die katholischen Intellektuellen. In : Klostermann , Ferdinand / K riegl , Hans / Maurer , Otto / Weinzierl , Erika ( Hg. ) : Kirche in Österreich 1918–1965 , Wien ; 335–347 : 343. 21 Er beklagte vielmehr , dass er von allen Informationen im Zusammenhang mit der Einsetzung des Regierungskommissärs ausgeschlossen geblieben war. Vgl. Melinz ( 1994 ), 11. Kunschak wurde stattdessen in den Staatsrat berufen und war Mitglied des Innenpolitischen Ausschusses. Dazu Enderle-Burcel ( 1991 ), 138–140. 22 Österreichische Arbeiter-Zeitung , 26. Mai 1934 , 3 , zit. n. Seliger ( 2010 ), 282–283. 23 Vgl. dazu Pelinka , Anton ( 1972 ) : Stand oder Klasse ? Die Christliche Arbeiterbewegung Österreichs 1933 bis 1938 ( Veröffentlichungen des Ludwig Boltzmann-Instituts für Geschichte der Arbeiterbewegung ), Wien , 30–34. Er konstatiert den eindeutigen Vorrang der Lagerbindung.
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Hier stellen sich mehrere Fragen : die nach den möglicherweise unterschiedlich stark ausgeprägten Vorbehalten gegenüber dem Verfassungskompromiss von 1920 , die nach der Machtverteilung innerhalb der Wiener CSP im Zeitablauf und nach ihrem Stellenwert in der Gesamtpartei , besonders im Zusammenhang mit dem innenpolitischen Dauerkonflikt um Wien. Die Absage an die parlamentarische Demokratie wirft auch die Frage nach den historischen Vorbelastungen , d. h. der Gründungs- und Entwicklungsgeschichte der Partei auf. Nach der Präsentation der Ergebnisse über die soziale und politische Zusammensetzung der Bürgerschaft wird darauf noch einzugehen sein. 3.2 Soziale und politische Struktur der Bürgerschaft Neben einer vergleichenden institutionellen Analyse der Scheinparlamente wurden die insgesamt 83 austrofaschistischen Räte und 77 NS-Ratsherren24 anhand ihrer sozialen und politischen Profile untersucht. Während der institutionelle Vergleich zu den erwartbaren Ergebnissen führte ( d ie Realisierung des Führerprinzips fand seine extrems te Ausprägung im Nationalsozialismus ), boten die beiden Mandatargruppen ein heterogenes Bild mit zum Teil unerwarteten Ergebnissen. Da Bürgerschaftsmitglieder und Ratsherren vor allem den „katholischen“ und den „nationalen“ Teil des Bürgertums repräsentierten , stimmten sie hinsichtlich ihrer sozialen Zusammensetzung weitgehend überein. Dennoch lassen Abweichungen im Detail ein gruppenspezifisches Profil erkennen , auf das hier nicht näher eingegangen werden soll. Nur so viel sei festgehalten : Soziale Herkunft , Bildungsstand und berufliche Stellung zeigten ein verwandtes Verteilungsmuster und sorgten für eine weitgehende Abschottung von der unteren Sozialschicht. Die größte Differenz bestand hinsichtlich der Bekenntnisfrage : Bei den Räten dominierte die römisch-katholische Religionszugehörigkeit ( 90 Prozent ), Ratsherren waren überwiegend „gottgläubig“ ( 70 Prozent ), mit überproportionalen Anteilen für zuvor protestantische Bekenntnisse. Die „berufsständisch“ begründete Berufungspraxis hatte zu einer ähnlichen sozialen Zusammensetzung der „Gemeindevertretung“ geführt , wie sie die CSP-Fraktion von 1932 bis 1934 aufwies , allerdings mit zwei Abweichungen : die in der Fraktion bestehende Dominanz des mittelständischen Gewerbes wurde in der Bürgerschaft durch die stärkere Berücksichtigung von Industrievertretern relativiert und bei den unselbstständig Erwerbstätigen waren vermehrt höhere Sozialschichten berufen worden.25 Die stärkere Vertretung der Industrie in der Bürgerschaft entsprach auch der Akzeptanz der indus triekapitalistischen Wirtschaft durch den „Sozialrealisten“ Schmitz , der allerdings mittelgroße Betriebe in Familienbesitz den „unpersönlichen“ Aktiengesellschaften vorzog.26 Generell entsprach die Zusammensetzung der Bürgerschaft und der NS-Ratsherren den Regimen , aus deren politisch präformierten Rekrutierungsfeldern sie berufen wurden. Die Bürgerschaftsmitglieder entstammten zu rund 80 Prozent aus den „Berufsständen“ ( i n Wirklichkeit aus ihren Vorformen , Unternehmerverbänden und Ein24 Das Mandatssoll der Bürgerschaft betrug 64 , für die NS-Ratsherren 45 Mandate. 25 Im Unterschied zur Bürgerschaft dominierten unter den NS-Ratsherren Industrievertreter , das Gewerbe war schwach , der Einzelhandel überhaupt nicht vertreten. Vgl. Seliger ( 2010 ), 706. 26 Seliger ( 2010 ), 33 , 354. Diese Präferenz sollte sich allerdings bei der Berufung der Industrievertreter nicht voll durchsetzen.
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heitsgewerkschaft , beide staatlich gelenkt ) und zu rund 20 Prozent aus den „Kulturellen Gemeinschaften“ ( Vertreter von Religionsgemeinschaften , aus dem Schul- und Erziehungswesen sowie aus Kunst und Wissenschaft ).27 In beiden zusammen sollte sich das „ständische“ Prinzip realisieren. Ein Berufungskriterium „Heimwehrmitgliedschaft“ oder „Funktion in der Vaterländischen Front“ war zwar nicht in der Stadtordnung vorgegeben , jedoch bei der Kandidatenauswahl mit ausschlaggebend. Die Siegerkoalition vom Februar 1934 schlug sich in der Zusammensetzung der Bürgerschaft höchst einseitig nieder : Ehemals der CSP nahestehende Räte dominierten mit rund 70 Prozent , Angehörige oder Unterstützer des Heimatschutzes ( Fey-Richtung ) fanden nur zu etwas über zehn Prozent Berücksichtigung. Die Wiener Bürgerschaft nahm diesbezüglich eine Sonderstellung im Vergleich mit den beratenden Organen auf Bundesebene und in den übrigen Ländern ein. Dort lag der Prozentanteil mit ca. 30 bis 40 Prozent „Heimatschützern“ entschieden höher.28 Die nicht überraschende starke Repräsentanz von Räten mit CSP-Nähe definierte sich durch die Merkmale Mitgliedschaft in der CSP ( darunter auch rund 13 Prozent öffentliche Mandatsträger aus der Zeit vor 1933 / 34 ), in der christlichen Arbeiterbewegung , im Cartellverband ( CV ) sowie durch Funktionen in katholischen , zur Amtskirche gehörenden Institutionen oder ihr nahestehender Vereine ( verschiedene Organisationseinheiten der Katholische Aktion , Gesellenverein der Erzdiözese Wien , Katholischer Schulverein für Östrerreich , Reichsverband der Elternvereine an den Mittelschulen Österreichs , Reichsbund der katholischen deutschen Jugend Österreichs ). Der CV-Anteil bewegte sich um ca. 20 Prozent. Er war damit in etwa so hoch wie der Anteil , der auf Mandatare der christlichen Arbeiterbewegung entfiel. Deren geringer Stellenwert korrespondierte mit dem Umstand , dass einer der Ihren erst 1937 zu einem der drei Vizebürgermeister bestellt wurde.29 Rund ein Drittel der Bürgerschaftsmitglieder übte leitende Funktionen in der Vaterländischen Front , überwiegend auf Landesebene , aus ( der Landesleiter selbst , Beiratsmitglieder der Landesleitung , Landesführer-Stv. des Österreichischen Jungvolks und Leitungsmitglieder der Sozialen Arbeitsgemeinschaft ). Unter ihnen war der CSP-Anteil noch höher als in der Bürgerschaft insgesamt , was die Aussage , die Vaterländische Front sei in ihrem Kern eine Fortsetzung der CSP unter anderem Namen , zu bestätigen scheint. Bei der Berufung in die Bürgerschaft kam es zu keiner Ausgrenzung von Kandidaten mit NSDAP-Mitgliedschaft. Rund zehn Prozent der Räte war vor oder nach dem Verbot der NSDAP beigetreten ( vor allem Selbstständige in Industrie , Handel und Dienstleis tungen , aber u. a. auch ein leitender Gewerkschaftsfunktionär ). Neben erfolglos gestellten Anträgen um Aufnahme in die NSDAP kamen nach 1938 drei weitere hinzu. Die meisten dieser Räte hatten führende Funktionen im Verbandswesen des Austrofaschismus , ihre Affinität zur NSDAP war der Rathausführung zumeist bekannt. Inwieweit diese Bindungen aus Gesinnungsgründen oder Opportunitätserwägungen eingegangen 27 Auf Bundesebene entsprach diese Einteilung den beiden selbstständigen Organen „Bundeskulturrat“ ( 40 Mandate ) und „Bundeswirtschaftsrat“ ( 80 Mandate ). 28 Seliger ( 2010 ), 305. 29 Dies war Christgewerkschafter Hans Waldsam. Er trat an die Stelle von Ernst Karl Winter. Vgl. Seliger ( 2010 ), 269 , 401.
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wurden , muss als offen gelten.30 Für den berufenden Bürgermeister überwog offenbar das Bestreben , auch diese Kandidaten in die Gemeindevertretung zu integrieren. Aber auch sonst ergab die Recherche Anhaltspunkte für mit dem Nationalsozialismus verwandte ideologische Positionen , wie rassistischen Antisemitismus , Antiliberalismus , Antimarxismus , deutsch-völkisches Denken und Verwerfung moderner Kunst als „Kulturbolschewismus“. Dieser Befund ist kaum überraschend , finden sich hierfür doch ausreichende Anknüpfungspunkte in Programmen der CSP , ihr nahestehender Vereine sowie dem Heimatschutz. Selbst in der propagierten „Österreichideologie“ des Austrofaschismus , die der Abgrenzung gegenüber dem Nationalsozialismus dienen sollte , fanden sich entsprechende Versatzstücke.31 Zum heterogenen Erscheinungsbild der Bürgerschaft trugen darüber hinaus ein Überläufer aus der Sozialdemokratie und weiter zurückliegende parteipolitische Naheverhältnisse von Mandataren bei , wie zum Landbund , zur bürgerlich-demokratischen Arbeitspartei oder zum Ständebund für Gewerbe und Handel. Der Vertreter der Israelitischen Kultusgemeinde ( IKG ) war Mandatar der Jüdischnationalen Partei im Gemeinderat ( 1919–1923 ) gewesen. Dominiert von ehemaligen Mitgliedern der CSP und ihr Nahestehenden war in der Bürgerschaft ein breites Spektrum antidemokratisch eingestellter Mandatare vertreten , das auch Mitglieder der NS-Bewegung einschloss. Bereits mit der Bestellung des ersten Vizebürgermeisters , des Majors a. D. Fritz Lahr ( 1892–1953 ), stellvertretender Landesleiter des Wiener Heimatschutzes , hatte sich die Offenheit nach rechts gezeigt. Er gehörte dem deutschnational-nazistischen Flügel des Wehrverbandes an und diente sich als Kurzzeit-Bürgermeister 1938 beim Übergang zur NS-Machtetablierung an. Die nicht erfolgte Ausgrenzung von Kandidaten mit NS-Bindungen bei der Berufung führte nach 1945 dazu , dass sich auch einige ehemalige Bürgerschaftsmitglieder der Entnazifizierung zu unterziehen hatten.32 3.2.1 Forschungsdesiderat Einzelbiografien Die präsentierten Befunde über die Bürgerschaftsmitglieder wurden auf der Basis von Kollektivbiografien erarbeitet. Ergänzende Einzelbiografien zur empirischen Absicherung der Aussagen und zu deren Differenzierung konnten wegen der begrenzten Ressourcen nicht geleistet werden. Nur für einen Mandatar wurde dies ansatzweise versucht , bei dem auch auf Sekundärliteratur zurückgegriffen werden konnte.33 Weiterführende Untersuchungen in diese Richtung wären daher wünschenswert. Außerdem musste aufgrund der erstmaligen Bearbeitung der Thematik bei verschiedenen Ergebnissen auf deren Vorläufigkeit verwiesen werden , sodass sich auch hier zusätzlicher Forschungsbedarf einstellt. Dies betrifft zum Beispiel bestimmte Merkmale des Sozial30 Seliger ( 2010 ), 285–301. 31 Vgl. Staudinger , Anton ( 2005 ) : Austrofaschistische „Österreich“-Ideologie. In : Tálos / Neugebauer ( Hg. ) : 28–52. 32 Seliger ( 2010 ), 630–654. 33 Dies betrifft den als „Grenzgänger“ zwischen den Systemen bezeichneten Ludwig Herberth , Großhandelskaufmann , Vorstandsmitglied im neu geschaffenen Handelsbund , Präsident der Buchkaufmannschaft Wien. Vgl. Seliger ( 2010 ), 295–298 , 642–653.
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profils , Angaben über die Zugehörigkeit zur Heimwehr oder die Auswirkungen der NSMachtergreifung 1938 auf die Bürgerschaftsmitglieder. Darüber hinaus könnten die bisher vorliegenden Recherchen Ausgangspunkt für zusätzliche Fragestellungen sein , wie die nach bürgerlichen Karrieremustern ( u nter Berücksichtigung der Ehepartnerinnen ) und nach speziellen , auch lagerübergreifenden Netzwerken , was in der präsentierten Arbeit nur vereinzelt möglich war. Schließlich ließen sich anhand der beiden jüdischen Mandatare unterschiedliche Lebensentwürfe ( Assimilation / Zionismus ) rekonstruieren , für die sich in der Studie erste Ansätze finden. 3.2.2 Strukturdefizite der CSP Faschistische Systeme haben sich in der Zwischenkriegszeit in Ländern mit gesellschaftlicher und mentaler Rückständigkeit durchgesetzt. Die entwickelten Industriegesellschaften des Westens erwiesen sich hingegen als faschismus-resistent , wie im Übrigen auch die benachbarte Tschechoslowakei.34 Die Entstehung und Entwicklung von Parteien wird durch sozioökonomische Faktoren , rechtliche und kulturelle Rahmenbedingungen determiniert , auf die die Parteien ihrerseits wiederum einwirken. Ein Blick auf die Entstehungsgeschichte der Wiener CSP macht deutlich , welche Hypotheken einer Rolle als demokratietaugliche „Modernisierungsagentur“ entgegenstanden. Sie gründete sich als Partei des zahlenmäßig starken altständischen Wiener Bürgertums , das durch Fabriks- und Verlagswesen unter Druck geraten war. Antiliberalismus und Antisemitismus – verstärkt durch die Einbindung restaurativer katholischer Sozialreformer – gehörten zur ideologischen Grundausstattung der Partei und waren das Erfolgsrezept für den Sieg über die Wiener großbürgerlichen Liberalen. Ihre enge Verflochtenheit mit dem katholisch-kirchlichen Bereich ließ sie zum Teil des politischen Katholizismus werden.35 Die Entwicklung zur katholisch-dynastischen Reichspartei und die im Gesamtstaat dominierenden Interessen der feudalen Großagrarier machten einen Richtungswandel umso unwahrscheinlicher. Die Umwälzungen nach dem Ende der Monarchie trafen die Wiener CSP besonders schwer. Sie führten neben allen anderen „Verlusten“ zum schmerzhaften Wechsel auf die Oppositionsbänke. Daher ist es nachvollziehbar , dass die Wiener CSP als konservativste Teilorganisation in der Gesamtpartei galt , deren Schwergewicht nun außerhalb Wiens lag. Dieser Ruf ging vor allem auf einen Kreis katholischer Intellektueller zurück , der bereits in der Vorkriegszeit eine stärkere Ausrichtung der Politik an religiösen Werten verlangt hatte.36 Unterstützt wurde diese Strömung durch den Übergang der weltlichen Schutzfunktion für die Kirche vom Thron auf die CSP. 34 Vgl. dazu ausführlich Winkler , Heinrich August ( 2011 ) : Geschichte des Westens. Die Zeit der Weltkriege 1914–1945 , München , 1203–1204. 35 Vgl. Staudinger , Anton ( 1983 ) : Christlichsoziale Partei. In : Weinzierl , Erika / Skalnik , Kurt ( Hg. ) : Österreich 1918–1938. Geschichte der Ersten Republik , Bd. 1 , Graz / Wien / Köln , 249–276 :251. 36 Staudinger ( 1983 ), 253–254. Genannt werden Ignaz Seipel , Victor Kienböck , Richard Schmitz und Friedrich Funder. Dazu auch Boyer , John W. ( 2010 ) : Karl Lueger ( 1844–1910 ). Christlichsoziale Politik als Beruf. Eine Biografie ( Studien zu Politik und Verwaltung 93 ), Wien / Köln / Weimar , 350–360. Mit gewissen Einschränkungen akzeptierten diese Parteireformer die industrielle Produktionsform , wollten diese jedoch mit einer die Individualisierung negierenden berufsständischen Ordnung verbinden.
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Die zentralen politischen Weichenstellungen erfolgten auf gesamtstaatlicher Ebene , spezielle Wiener Interessen hatten sich dort zu artikulieren : Wie sie jeweils definiert wurden , ist klärungsbedürftig , ihre Chance auf Durchsetzung war wegen der Bevorzugung des Agrarsektors eher gering einzuschätzen. Für die Sozialdemokratie galt ihre Position in Wien als Sache der Gesamtpartei , die Wiener CSP hatte umgekehrt die Erfüllungsgehilfin der Politik der Bundesregierung und der anderen Bundesländer gegenüber Wien zu spielen. Aus ihrer Doppelrolle als Oppositions- und Großstadtpartei begründet sich das Interesse , den Fokus bei der historischen Ursachenforschung für das Scheitern der Demokratie auch auf die Wiener Regionalebene zu legen. These : Die CSP Wien vertrat vor allem vom ökonomischen Wandel und der Sparpolitik des Bundes betroffene Mittelschichten , sodass der Ruf nach dem Einsatz von Brachialgewalt in der Wiener Partei besonders früh laut wurde und der Antisemitismus besonders ausgeprägt ausfiel. In diesem Zusammenhang stellt sich auch die Frage nach Nähe oder Distanz der verschiedenen „Flügel“ der Partei zum Heimatschutz. Der Befund , dass auf den Heimatschutz in der Wiener Bürgerschaft ein unterdurchschnittlich geringer Anteil an Mandaten entfiel , könnte diesen atypischen Umstand durch eine weitergehende Recherche plausibler werden lassen. Differenzierte Ergebnisse würde neben dem Ansetzen auf der obersten Ebene der Partei ( Gemeinderatsklub , Parteileitung )37 vor allem eine zumindest punktuelle Berücksichtigung der mittleren und unteren Ebenen der Wiener CSP sowie ihrer breit gefächerten verbandlichen38 und katholischen Vorfeldorganisationen erbringen. Die kaum überschaubare Zahl von Vereinen stellte bisher eine Hürde dar , in das „Innenleben“ der Partei vorzudringen.39 Der Ertrag verspricht ein vielfacher zu sein : Er könnte die Verbreitung antidemokratischer Mentalitäten belegen , zur Klärung des Gewichts einzelner Interessengruppen beitragen und möglicherweise auch zu einer weiteren Differenzierung des bisher erforschten Wählerverhaltens führen. Die Hilfestellung der katholischen Kirche bei der Etablierung des Austrofaschismus und ihre Gegnerschaft gegen Säkularisierung und Individualisierung als Ausdruck der Moderne lassen einer Untersuchung katholischer Vereine ( zum Beispiel des Katholischen Volksbundes oder des Reichsbundes der katholischen deutschen Jugend Österreichs – in Letzterem wurden mehrere Bürgerschaftsmitglieder sozialisiert ) besonderes Gewicht zukommen. 37 Hierzu ist auf die Arbeit von Melinz ( 1994 ) zu verweisen , der vor allem die Jahre 1929–1934 untersucht hat. 38 Vgl. dazu Lehnert , Detlef ( 1991 ) : Kommunale Politik , Parteiensystem und Interessenkonflikte in Berlin und Wien 1919–1932. Wohnungs- , Verkehrs- und Finanzpolitik im Spannungsfeld von städtischer Selbstverwaltung und Verbandseinflüssen , Berlin. Lehnert , Detlef ( 1994 ) : Organisierter Hausbesitz und kommunale Politik in Wien und Berlin 1890–1933. In : Geschichte und Gesellschaft Jg. 20 ( 1994 ) Heft 1 , 29–56. Mattl , Siegfried ( 1984 ) : Krise und Radikalisierung des „Alten Mittelstandes“. In : Fröschl , Erich / Z oitl , Helge ( Hg. ) : Das Jahr 1934 : 12. Februar. Ursachen , Fakten , Folgen , Wien , 51–63. 39 Informationen dazu bei Hawlik , Johannes ( 1971 ) : Die politischen Parteien Deutschösterreichs bei der Wahl zur konstituierenden Nationalversammlung 1919 , phil. Diss. , Wien , 110–155. Die auf breiter Quellenbasis und Sekundärliteratur basierende Arbeit stellt eine unverzichtbare Hilfe bei der Untersuchung des Parteiensystems , auch Wiens , dar. Die Dissertation hätte es verdient , gedruckt zu werden.
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Schließlich erscheinen internationale Vergleiche zielführend , die den Zusammenhang von gesellschaftlichem Entwicklungsstand , Parteienstruktur und Formen der politischen Konfliktlösung untersuchen. Warum nicht das Nachbarland Tschechoslowakei zum Vergleich heranziehen oder die der CSP verwandte deutsche Zentrumspartei ? Oder Großstädte , die bis zum Ersten Weltkrieg von bürgerlich-liberalen Parteien geführt wurden ? 3.3 Bürgerschaft in der Praxis In der auf die Beratungsfunktion reduzierten „berufsständischen“ Bürgerschaft – sie besaß noch Organcharakter und eine stark eingeschränkte Beschlusskompetenz – artikulierte sich eine ausgesprochene Interessenheterogenität , die in der Regel nicht „ständekonform“ ausfiel. Die Stellungnahmen waren daher von der postulierten Klassenharmonie innerhalb eines Berufsstandes weit entfernt und drückten darüber hinaus Verbandsinteressen in ungefilterter Form aus , wie dies „Ständeparlamenten“ entspricht. Die von Schmitz angeordnete Sitzordnung nach „Ständen“, wobei ein Unternehmer- neben einem Arbeitnehmervertreter Platz zu nehmen hatte , diente daher mehr dem schönen Schein als dem Sein.40 Das diffus bleibende Abstimmungsverhalten – Fraktionsbildung war ausdrücklich verboten – sicherte den Handlungsspielraum der Stadtführung. Beschlüsse der Bürgerschaft standen unter dem Vorbehalt der Zustimmung des Bürgermeisters , bei Gesetzen auch der des Bundeskanzlers. Meinungsäußerungen aus der Bürgerschaft als Korrektiv zu Vorlagen der Rathausbürokratie waren in dosierter Form erwünscht. Die untersuchte pseudo-parlamentarische Praxis bestätigte das in der Stadtordnung festgelegte Führerprinzip , das die demokratische Verfassung auf den Kopf stellte. Betrachtet man die gesichteten Redebeiträge unter dem Aspekt der politischen Bewertung des Machtwechsels im Rathaus , so wird eine eher pessimistische Grundstimmung vermittelt. Mittelständische Vertreter von Handel und Gewerbe fordern weiter gehende ökonomische Schutzmaßnahmen und Ausschaltung des Wettbewerbs , die Industrie fühlt sich nicht ausreichend unterstützt und ein Vertreter der Beamten scheint vollends mit der neuen Lastenverteilung unzufrieden. Spezielle Fraueninteressen , im Zusammenhang mit der Doppelverdienerverordnung diskutiert , wurden vom Bürgermeister und der Bürgerschaftsmehrheit vom Tisch gewischt. Mandatarinnen waren in der Bürgerschaft marginal , zwischen drei und fünf Prozent schwankend vertreten. Die stenografischen Berichte bieten auch einen Einblick in den von der Rathausführung praktizierten , zumeist „schleichenden“ Antisemitismus.41 Dieser artikulierte sich vornehmlich in Zusammenhang mit Redebeiträgen des Vertreters der IKG , Rechtsanwalt Jakob Ehrlich ( 1877–1938 ), und zwar wenn dieser eine Juden diskriminierende Personalpolitik und ihren Ausschluss bei städtischen Auftragsvergaben beklagte.42 40 Für die vergleichbaren vorberatenden Bundesorgane galt hingegen eine nach dem Namen gereihte Sitzordnung. Vgl. Wohnout ( 1993 ), 247. 41 Vgl. dazu auch Wohnout , Helmut ( 1994 ) : Die Janusköpfigkeit des autoritären Österreich. Katholischer Antisemitismus in den Jahren vor 1938. In : Geschichte und Gegenwart Jg. 13 ( 1994 ), Heft 1 , 3–16 : 9–15. Ebenso Maderegger , Sylvia ( 1973 ) : Die Juden im österreichischen Ständestaat 1934–1938 ( Veröffentlichungen des Historischen Instituts der Universität Salzburg ), phil. Diss. , Wien / Salzburg , 136 , 166–168 , 224–235 , 242. 42 Seliger ( 2010 ), 132–141 , 358.
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Diese Befunde beruhen auf der Auswertung einiger ausgesuchter Protokolle über die in nichtöffentlichen Sitzungen vertraulich geführten Verhandlungen der Bürgerschaft und die Budgetdebatten , die , abweichend vom sonstigen Usus , öffentlich abgehalten wurden. Eine breiter angelegte Auswertung dieser leicht zugänglichen Quelle könnte die Befunde der Untersuchung bestätigen oder modifizieren. Besonders die Frage nach der politischen Integrationskraft der Stadtpolitik anhand ihrer Resonanz in der Bürgerschaft ließe sich noch differenzierter im Zeitablauf beantworten. Aus den überlieferten Redebeiträgen lassen sich auch Anhaltspunkte für herrschende politische Mentalitäten und Vorurteilsmuster ablesen. Darüber hinaus geben die Protokolle Einblick in die praktizierte Stadtpolitik und ihre Begründung aus Sicht der Rathausführung und der Kommentierung durch die Mandatare. Die insgesamt abgehaltenen 74 Sitzungen , davon 39 nichtöffentliche und 15 Sitzungen , in denen das städtische Budget öffentlich verhandelt wurde , liegen in Maschinenschrift vor , ab der Sitzung vom 9. Dezember 1937 allerdings nur noch in unkorrigierter Fassung.43 Ergänzend zu den Verhandlungen der Bürgerschaft sind die Protokolle des Haushaltsausschusses der Bürgerschaft zu nennen , eine bisher kaum herangezogene Quelle. Der unter dem Vorsitz des Bürgermeisters tagende Ausschuss umfasste neben leitenden Beamten 15 Räte ( vornehmlich Unternehmervertreter ). Er war an die Stelle der 1920 eingeführten ständigen Gemeinderatsausschüsse auf Ebene der von Amtsführenden Stadträten geleiteten Geschäftsgruppen getreten mit folgenden Kompetenzen : Vorberatung des Budgets ( Voranschlag und Rechnungsabschluss ) sowie der städtischen Wirtschaftspläne. Außerdem kam ihm ein Beschlussrecht für im Voranschlag nicht vorgesehene Ausgaben bis zu einer bestimmten Höhe sowie für an bestimmte finanzielle Unter- bzw. Obergrenzen gebundene Transaktionen des unbeweglichen Gemeindevermögens , von Darlehensgewährungen etc. zu. Der vertraulich tagende Haushaltsausschuss hielt insgesamt 50 Sitzungen ( 17. Mai 1934 bis 12. Februar 1938 ) ab. Seine Tätigkeit wird in Sitzungsprotokollen und Verhandlungsmitschriften dokumentiert. Erstere sind für den gesamten Zeitraum vorhanden. Sie halten lediglich die Ergebnisse der Verhandlungen fest. Die Mitschriften beginnen zwar erst mit der 23. Sitzung am 10. Dezember 1935 , liegen aber durchgehend bis zur letzten Sitzung vor. Sie haben einen Umfang von maschinschriftlich insgesamt rund 1.300 Seiten. Wie in der Quelle angemerkt , handelt es sich nicht um ein stenografisches Protokoll des Debattenverlaufs , sondern um eine „auszugsweise Wiedergabe der Ausführungen des Herrn Bürgermeisters und der Debatte-Redner“. Auch mit dieser Einschränkung stellen die Mitschriften eine informative Ergänzung zu den Bürgerschaftsprotokollen dar , vor allem hinsichtlich der im Plenum öffentlich abgehaltenen Budgetdebatten. Stichproben lassen vermuten , dass im „vertrauten Kreis“ des Ausschusses problemoffener argumentiert wurde. Es konnten auch Vorberatung und Beschlussfassung zwischen Ausschuss und Plenum voneinander differieren. Die Dominanz des vorsitzenden Bürgermeisters erscheint im Ausschuss noch ausgeprägter als im Plenum.44 43 Wiener Stadt- und Landesarchiv ( WStLA ), Bürgerschaft 1934–1938 , Stenografische Berichte 1934–1937. Die letzte nichtöffentliche Sitzung , über die ein stenografischer Bericht vorliegt , fand am 21. Dezember 1937 statt. 44 WStLA , Wiener Bürgerschaft 1934–938 , B 11 Haushaltsausschuss : Sitzungsprotokoll 1934–1938 , Zur Verhandlungsschrift über die Sitzung des Haushaltsausschusses 1935–1938.
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3.4 Personelle „Säuberungen“ und Personalpatronage Der Regierungskommissär hatte umfassende Kompetenzen im Bereich der Personalpolitik mit dem Recht der sofortigen Dienstenthebung. Der größte Teil der städtischen Beamten habe sich – so das neue Stadtoberhaupt – „in williger Unterordnung unter die neugesetzte Autorität und in guter Disziplin meinen Anordnungen gefügt“. Obstruktion werde allerdings mit harter Hand begegnet.45 Die Frage der Verlässlichkeit des bürokratischen Apparates stellte sich umso dringender , als das neue Credo der Stadtpolitik lautete : „Ein über dem Parteistandpunkt stehender Mann hat die Verwaltung der Stadt zu führen.“46 Damit war das Ressortprinzip der demokratischen Verfassung obsolet geworden , die Verwaltungsgruppen des Magistrats wurden von unverantwortlichen Beamten geführt. Wie in einer neueren Untersuchung belegt ,47 sollte sich die leitende Bürokratie nach geringfügigen Eingriffen als zuverlässiges Instrument der neuen Führung erweisen. Ein großer Teil der akademisch gebildeten Beamten war noch in der Monarchie nach entsprechender politischer Auslese in den Dienst der Stadt getreten. Darüber hinausgehende Aussagen über Veränderungen in der Zusammensetzung der städtischen Dienstnehmer scheitern offenbar an der Quellenlage. Die Personalakten sind nur lückenhaft überliefert und nicht nach dem Zeitpunkt des Ein- bzw. Austritts , sondern alphabetisch geordnet. Sie enthalten auch keine Angaben über die parteipolitische Orientierung.48 So liegen über politisch motivierte „Säuberungen“ oder den Umfang der praktizierten Patronage für die eigene Klientel nur Schätzwerte vor.49 Profiteure personeller Umbesetzungen ließen sich auch unter den Bürgerschaftsmitgliedern nachweisen , wie die Beförderung von zwei Gymnasialprofessoren zu Schuldirektoren oder die Neubesetzung des Postens des Chefarztes der Krankenfürsorgeanstalt der Angestellten und Bediens teten der Stadt Wien belegen.50 Spielraum für Neueinstellungen eröffnete außerdem 45 Richard Schmitz , Wiener Bürgerschaft , 2. Sitzung , 17. Mai 1934 , 13 zit. n. Seliger ( 2010 ), 78–79. 46 Wien im Aufbau. Drei Jahre Neues Wien ( 1937 ), 15. 47 Rigele , Brigitte ( 2011 ) : Beamtenelite im Wiener Magistrat zwischen 1918 und 1938. In : Weber , Wolfgang / Schuster , Walter ( Hg. ) : Biographien und Zäsuren. Österreich und seine Länder 1918–1933– 1938 ( H istorisches Jahrbuch der Stadt Linz 2010 /2011 ), Linz , 271–294 : 279–280 , 284–285. 48 WStLA , M.Abt. 202 – Magistratsabteilung 2 ( Personalamt ), M.Abt. 521 – Magistratsabteilung 3 ( Besoldungsamt ). Eine Angabe über die Parteizugehörigkeit findet sich erst in der NS-Zeit. Nach 1945 wird die Mitgliedschaft zur NSDAP und ihren Organisationen erfasst. Vgl. dazu Rigele ( 2011 ), 272–273. 49 Geschätzte Angaben über erfolgte Dienstenthebungen finden sich bei Feiler , Margaret ( 1964 ) : The Viennese Municipal Service 1933 to 1950 , Diss. , New York , 113–114. 300 bis 400 Sozialdemokraten ( vor allem Angehörige der Rathauswache ) und 400 bis 500 Nationalsozialisten sollen davon betroffen gewesen sein. Ebenso Rigele ( 2011 ), 279–280. Gulick , Charles A. ( 1950 ) : Österreich von Habsburg zu Hitler , Wien Bd. I-V : IV , 359 , erwähnt hingegen 1.200 Entlassungen nach 1934 allein aus Gas- und EWerk. Über personelle Säuberungen unter den Hausbesorgern der städtischen Wohnhäuser wird in der Bürgerschaft diskutiert. Vgl. Wiener Bürgerschaft , 15. Sitzung , 20. Dezember 1934 , 538 , 550 zit. n. Seliger ( 2010 ), 126. Wien im Aufbau. Drei Jahre Neues Wien ( 1937 ), Wien , 49–55 , hält bis Ende 1936 die Einstellung von ca. 3.600 „jungen Leuten“ fest. Der aktive Personalstand – Hoheitsverwaltung , Unternehmungen , Schule – wird mit rund 42.000 Dienstnehmern angegeben. 50 Seliger ( 2010 ), 361–362 : Paul Ceska ; 371–372 : Viktor Trautzl ; 380–381 : Hans Weiland.
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die sogenannte Doppelverdienerverordnung , nach der verheiratete Frauen den öffentlichen Dienst zu quittieren hatten. Deren zahlenmäßige Auswirkung ist allerdings bislang nicht bekannt. Stark betroffen scheinen davon vor allem städtische Lehrerinnen gewesen zu sein.51 Das Wiener Amnestiegesetz von 1937 ( GBL. Wien 22 / 1937 ), das die Wiedereinstellung politisch gemaßregelter Bediensteter ermöglichen sollte , hat in Wien vermutlich keine Umsetzung gefunden , da die Rathausführung nach eigenen Angaben die Neuaufnahme der „staatstreuen“, christlichen ( ! ) Jugend präferierte.52 Eine Wiedereinstellung 1934 „freigesetzter“ Sozialdemokraten blieb den Nationalsozialisten mit der „Aktion Neubacher“ vorbehalten.53 Etwas günstiger stellt sich die Quellenlage im Schulbereich dar. Schmitz , ehemals Unterrichtsminister ( 1926–1929 ) und Vorkämpfer einer reaktionären Schulpolitik , nutzte seine Machtfülle , um mit der als „Schulmarxismus“ qualifizierten demokratischen Schulreform gründlich aufzuräumen. Nach einer blitzartigen ersten politischen Säuberungswelle unter leitenden Beamten des Stadtschulrates und der Absetzung von Schuldirektoren folgten weitere Eingriffe beim Lehrpersonal , begleitet vom Gesinnungsdruck einer am „Religiös-Sittlichen“ ausgerichteten Schulpolitik.54 Offizielle Quellen sprechen von einer Verjüngung durch Neuaufnahme von rund 600 Junglehrern , d. h. rund 12 Prozent des gesamten Lehrpersonals.55 Die im Aktenbestand Stadtschulrat für Wien im Wiener Stadt- und Landesarchiv vollständig erhaltenen „Standesausweise“ für Lehrer an öffentlichen Pflichtschulen könnten zur genaueren Entschlüsselung der Auswirkungen des schulpolitischen Rückwärtsgangs einen wichtigen Beitrag leisten. Sie enthalten umfassende Angaben , wie Zu- und Vorname , Geburtsname , Geburtsjahr , Familienstand , Religion , Ort und Jahr der Reifeprüfung , Jahr und Art der Lehrbefähigung , zivile oder militärische Auszeichnungen , Wohnadresse.56 In dieser Ausführlichkeit , Persönlichkeitsschutz missachtend , findet sich das städtische Lehrpersonal , mit Stand 1. April 1935 bzw. 1. Oktober 1937 , auch im Handbuch der bundesunmittelbaren Stadt Wien veröffentlicht.57 Diese ungewöhnliche Transparenz könnte vermuten lassen , dass damit ein Nachweis erfolgreicher Wende51 Schmitz , Richard ( 1935 ) : Die Schule im Neuen Wien. In : Das Neue Wien und seine Bürgerschaft. Eine Darstellung des ständischen Aufbaues in der Stadt Wien , Wien , 141–142 : 141. 52 Seliger ( 2010 ), 133 , 402–404. 53 Botz , Gerhard ( 2008 ) : Wien im Nationalsozialismus. Machtübernahme , Herrschaftssicherung , Radikalisierung 1938 / 39 , Wien , 135. 54 Dachs , Herbert ( 1982 ) : Schule und Politik. Die politische Erziehung an den österreichischen Schulen 1918 bis 1938 , Wien / München , 259–260. Fischl , Hans ( 1951 ) : Schulreform , Demokratie und Österreich 1918–1950 , Wien , 75–102. Schmitz ( 1935 ), 141. Das Schulwesen der Stadt Wien in den Jahren 1934–1936. Die Umgestaltung des niederen und mittleren Schulwesens der Stadt Wien unter der Führung des Bürgermeisters Richard Schmitz ( 1937 ), Wien , 6. 55 Wien im Aufbau. Drei Jahre Neues Wien ( 1937 ), Wien , 49. 56 WStLA , Landesarchiv , Schulverwaltung , Stadtschulrat – A 9 Standesausweise 1916–1945 : öffentliche Schulen , Sonderschulen , Privatschulen. Heranzuziehen ist auch das Verordnungsblatt des Stadtschulrates für Wien , in dem Umbesetzungen einschließlich der DirektorInnen an Mittelschulen festgehalten sind. 57 Handbuch der bundesunmittelbaren Stadt Wien Jg. 61 ( 1935 ), 694–832 , Jg. 62 ( 1937 ), 341–456.
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politik ( m it antisemitischem Einschlag ? ) vorgelegt werden sollte. Der allgemeine Aktenbestand des Wiener Stadtschulrates , obwohl nur lückenhaft überliefert und in seiner Aussagefähigkeit derzeit noch nicht abschätzbar , harrt ebenso einer wissenschaftlichen Erschließung und Auswertung.58 IV. Desiderat Gesamtdarstellung der Kommunalpolitik 1934–1938 Untersuchungen zur Politik auf Wiener Ebene liegen für Teilbereiche bereits vor , für andere wären sie erst zu erarbeiten bzw. zu vertiefen. Eine die bisherigen Ergebnisse zusammenführende und diese ergänzende Darstellung sowie eine Gesamtbewertung stehen noch aus. So viel kann bereits derzeit konstatiert bzw. als Hypothese formuliert werden : Austrofaschistische Politik beanspruchte vormoderne , von der ökonomischen und sozialen Entwicklung überholte politische Legitimationsformen , die in Wirklichkeit nicht eingelöst wurden und der Rechtfertigung der Zerstörung der Demokratie dienten. Stattdessen herrschte das Führerprinzip. Mit der Beschwörung der berufsständischen Neuordnung grenzte sich das Regime vom NS-Staat ab ( so ausdrücklich Schmitz59 ) und kam der im gewerblichen Mittelstand verbreiteten Sehnsucht nach statischen gesellschaftlichen Verhältnissen bei möglichster Ausschaltung von Arbeitnehmerinteressen entgegen. Mit einer vor allem in Wien überwiegend säkularisierten Gesellschaft konfrontiert fühlte sich der Gemeindeführer Schmitz als Vertrauensmann der katholischen Kirche besonders verpflichtet , eine „Gegenreformation“ einzuleiten. Die austrofaschistische Kommunalpolitik verstand sich daher in umfassendem Sinn als Gegenentwurf zur Modernisierungspolitik des „Roten Wien“. In der Schulpolitik setzte sie auf die Demolierung einer „liberalistischen“ Pädagogik. Sie zeichnete sich durch eine veränderte Lasten- und Leistungsverteilung zugunsten der städtischen Ober- und Mittelschicht aus. Lag der Schwerpunkt der Kommunalpolitik im „Roten Wien“ im Bereich der sozialen Infrastruktur , setzte Nachfolger Schmitz diesen auf die technische Infrastruktur. Allerdings erhielten die aufgrund der anhaltenden Verarmung der Bevölkerung unumgänglichen Fürsorgemaßnahmen , verbunden mit katholischer Missionierungstätigkeit , einen höheren budgetären Stellenwert als vermutlich intendiert. Die Wirtschaftskrise , die Deflationspolitik des Bundes , die Beteiligung am bundesstaatlichen Finanzausgleich und die eigene Steuerpolitik bestimmten den finanziellen Handlungsspielraum. Die als „Arbeitsschlacht“ inszenierte Investitionspolitik der Kommune war in ihren Auswirkungen bescheiden und verlieh der für die Wiener Wirtschaft wichtigen Exportindustrie keine Wachstumsimpulse. Diese Feststellung gilt allerdings in noch höherem Umfang für die Bundesebene , die , wenn überhaupt , den Agrarsektor förderte. Neben einer quellenkritischen Aufarbeitung der praktizierten Politik würde sich die quantifizierende Methode der Einnahmen- und Ausgabenanalyse als sinnvoll erweisen. Sie könnte an die bis 1934 vorliegenden Zeitreihen anschließen ,60 um damit 58 WStLA , Landesarchiv , Schulverwaltung , Stadtschulrat ; zugänglich über A 1 Geschäftsprotokoll : Index 1871–1955. 59 Vgl. Seliger ( 2010 ), 41–42. 60 Vgl. Seliger / Ucakar ( 1985 ). Für Teilbereiche vgl. ebenso Melinz / Ungar ( 1996 ).
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V. Rechts- und Verwaltungsgeschichte
geänderte politische Prioritätensetzungen nachvollziehbar zu machen. Antisemitismus , von jeher fixer Programmpunkt mit Integrationsfunktion für die christlichsoziale Bewegung , fand unter Schmitz neuerlich Eingang in die Politik auf Wiener Ebene. Wieweit dieser gegen desintegrierende Tendenzen im eigenen Lager erfolgreich war , ist schwer abzuschätzen. Als eine Abwehr oder eine Immunisierung gegen den Nationalsozialismus kann er jedoch ebenso wenig bezeichnet werden wie das Verbot der linken Arbeiterbewegung. Abschließend soll noch das Thema Repression des „heimischen“ Faschismus erwähnt werden. Diese lag vornehmlich im Verantwortungsbereich des Gesamtstaates ( Justiz , Polizei ) und umfasste über den Aspekt der „Freiheitsberaubung“ hinaus weitere , die Existenz bedrohende und einengende Maßnahmen , sodass u. a. bereits vor 1938 ein geistiger Aderlass aus Österreich einsetzte. Vorliegende Forschungsergebnisse über die Folgen der Errichtung des Unrechtsregimes61 wären durch weiterführende Arbeiten zu ergänzen. In diesem Zusammenhang ist auf die im Zuge der Diskussion über die Rehabilitierung der Opfer des Austrofaschismus angestoßenen Forschungsprojekte zu verweisen.62 Die Akten über politische Verfahren vor dem Wiener Landesgericht stellen dafür einen wichtigen Quellenbestand dar.63
61 Für einen ersten Überblick vgl. Neugebauer , Wolfgang ( 2005 ) : Repressionsapparat und -maßnahmen 1933–1938. In : Tálos / Neugebauer ( Hg. ) : 298–319 sowie Pfoser , Alfred / Renner , Gerhard ( 2005 ) : „Ein Toter führt uns an ! “. In : Tálos / Neugebauer ( Hg. ) : 338–356. Ebenso Gulick ( 1950 ), Bd. IV , 340– 401 , Bd. V , 126–210 , 231–255 , 279–293. 62 Gerechtigkeit für die Opfer des Austrofaschismus , Der Sozialdemokratische Kämpfer , 1–2– 3 /2011. 63 WStLA , Landesarchiv , Landesgericht für Strafsachen 1850–1959 , Vr – Strafakten des Landesgerichts I , für 1920–1937 auch des Landesgerichts II. Ein Findbehelf für die politischen Verfahren 1934– 1938 ist vorhanden. Belege für Verhaftungen finden sich , allerdings nur unvollständig überliefert , als sog. „Haftzettel“ in den Historischen Meldeunterlagen des WStLA.
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�������������������������������������������������������������������� ������������������������������������������������������� : Forschungsdefizite auf Wiener Regionalebene 1933–1938 B 11 Haushaltsausschuss. Zur Verhandlungsschrift über die Sitzung des Haushaltsausschusses 1935– 1938. Wiener Stadt- und Landesarchiv , Landesarchiv , Schulverwaltung , Stadtschulrat – A 9 Standesausweise 1916–1945 : öffentliche Schulen , Sonderschulen , Privatschulen. Wiener Stadt- und Landesarchiv , M.Abt. 202 – Magistratsabteilung 2 ( Personalamt ), M.Abt. 521 – Magistratsabteilung 3 ( Besoldungsamt ). Wiener Stadt- und Landesarchiv , Landesarchiv , Landesgericht für Strafsachen Wien 1850–1959 , Vr – Strafakten des Landesgerichts I und II. Wiener Stadt- und Landesarchiv , Historische Meldeunterlagen.
Gedruckte Quellen Das Schulwesen der Stadt Wien in den Jahren 1934–1936. Die Umgestaltung des niederen und mittleren Schulwesens der Stadt Wien unter der Führung des Bürgermeisters Richard Schmitz ( 1937 ), Wien. Handbuch der bundesunmittelbaren Stadt Wien , Jg. 61 , 62 ( 1935 , 1937 ), Wien. Schmitz , Richard ( 1935 ) : Die Schule im Neuen Wien. In : Das Neue Wien und seine Bürgerschaft. Eine Darstellung des ständischen Aufbaues in der Stadt Wien , Wien , 141–142. Verordnungsblatt des Stadtschulrates für Wien , Jg. 1934–1938. Wien im Aufbau. Drei Jahre Neues Wien ( 1937 ), Wien.
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VI. Militär geschichte
Florian Wenninger
Dimensionen organisierter Gewalt. Zum militärhistorischen Forschungsstand über die österreichische Zwischenkriegszeit Einleitung Die traditionelle Militärhistorie kultiviert , um in der Metapher des Buchtitels zu bleiben , ein klar abgestecktes Forschungsfeld. Sie setzt sich mit der Struktur , Ausstattung und Verwaltung von Militärapparaten auseinander , analysiert die Konzepte für deren Einsatz und beleuchtet den Hergang bewaffneter Konfrontationen.1 Als Faustregel gilt dabei : Je spezialisierter das Verständnis von Militärgeschichte , desto mehr kommt sie den Ansprüchen des Militärs entgegen. Als traditionsbewusste Institutionen sind Armeen dem Gedanken der Geschichtspflege gegenüber besonders offen , eine Beschäftigung mit militärischen Themen ist in ihrem Verständnis nie ausschließlich L’art pour l’art , sondern ein Beitrag zur Festigung des Korpsgeistes. Auch darüber hinaus sind historische Arbeiten , die im Umfeld des Militärs entstehen , um die Destillation von Lehren bemüht , die nach Möglichkeit zu einer militärischen Effizienzsteigerung in der Gegenwart beitragen sollen. Weil die gewalttätige Lösung von Interessendivergenzen das Kerngeschäft des Militärs ist , steht dieser Gewalteinsatz , seine Planung und Durchführung auch im Zentrum seiner Aufmerksamkeit. Viele Arbeiten zur Militärgeschichte der österreichischen Zwischenkriegszeit bilden da keine Ausnahme. Der vorliegende Artikel ist demgegenüber bemüht , die Geschichte der organisierten Gewalt in den Jahren 1918 bis 1938 ausgehend von der zugrunde liegenden gesellschaftlichen Frontstellung her zu entwickeln. Am ehesten scheint dafür ein organisationsgeschichtlicher Ansatz geeignet zu sein , der sich den nichtnationalsozialistischen Wehrverbänden und dem staatlichen Gewaltapparat widmet. Dagegen werden ereignis- , operations- und technikgeschichtliche Aspekte nur am Rande behandelt und dahin gehend Interessierte auf die
1 Zu Zielen der Militärgeschichtsschreibung vgl. die Beiträge in Kühne , Thomas / Z iemann , Benjamin [ i n Verbindung mit dem Arbeitskreis Militärgeschichte e. V. und dem Institut für soziale Bewegungen der Ruhr-Universität Bochum ] ( 2000 ) : Was ist Militärgeschichte ? , Paderborn u. a.
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VI. Militärgeschichte
einschlägige Literatur verwiesen.2 Wo neuere Archivfunde den Wissensstand sinnvoll ergänzen , wurden sie eingefügt. Ein abschließendes Resümee widmet sich Fragen und Ansätzen künftiger Forschungen.3 I. Die Heimwehren Bei der Vielzahl paramilitärischer Einheiten in Österreich fiel es auch ZeitgenossInnen schwer , den Überblick zu behalten.4 In der Literatur findet sich bislang kein vollständiges Verzeichnis , aber noch in den 1930ern listet ein Polizeibericht 26 bürgerliche Wehrverbände auf.5 In den Anfängen der Republik waren es mindestens doppelt so viele. Über die Mehrzahl dieser Einheiten , die oftmals nur kurzzeitig existierten , miteinander fusionierten oder sich wieder auflösten , ist nichts Näheres bekannt. Ein Forschungsresümee konzentriert sich daher naturgemäß auf die Größeren und Langlebigeren unter ihnen.6 2 Deren Zitation ist im Hinblick auf die Fülle der Literatur natürlich selektiv. Zumindest bis zur Jahrtausendwende sind Publikationen und Hochschulschriften aber gut systematisch erfasst worden , vgl. Heeresgeschichtliches Museum ( Hg. ) ( 1968 ) : 1918–1968. Die Streitkräfte der Republik Österreich , Wien [ K atalog zur Sonderausstellung im Heeresgeschichtlichen Museum Wien 1968 ] , 453–462 ; desgl. den umfassenden Appendix bei Broucek , Peter / Peball , Kurt ( 2000 ) : Geschichte der österreichischen Militärhistoriographie , Köln / Weimar / Wien. 3 Wertvolle Hinweise und Anregungen für den folgenden Text bezog ich aus den Vorträgen von Otto Naderer und Erwin Schmidl im Rahmen der Tagung „Österreich 1933–1938“, abgehalten an der Universität Wien vom 20. bis 26. Jänner 2011. Desgleichen sehr profitiert habe ich von der Lektüre des Manuskriptes : Die austrofaschistische Diktatur. Österreich 1933–38 , von Emmerich Tálos , das 2013 in Buchform erscheint und auch ausführlich militärgeschichtliche Aspekte behandelt. Allen drei Personen sei an dieser Stelle herzlich gedankt. 4 Vgl. Reich , Walter ( 2000 ) : Die Ostmärkischen Sturmscharen. Für Gott und Ständestaat , Frankfurt / Main , 216. 5 Wiener Heimwehrverband , Heimwehrverband , Heimatschutzverband ( NÖ ), Österr. Heimatschützer Vereinigung , Freiheitsbund der christlichen Arbeiter und Angestellten Österreichs , Vaterländischer Schutzbund , Wiener Heimatschutzverband , Österreichische Legion , Österreichische Post- und Telegraphenwehr , Heimatschutz Österreich , Reichsverband „Erwachendes Österreich“, Eisenbahnerwehr , Verbandslegion der heimattreuen Juden Österreichs , Österreichische Bauernwehr , Vaterländischer Verband : Starhemberg , Ostmärkische Sturmscharen , Reichsverband der österreichischen Schwarzhemden , Heimatschutzverband Österreich , Verband Neu Österreich , Heimatsturmschar , Heimwehr Deutsch-Österreich , Deutsche Heimatschutzverbindung Österreich , Grüne Front , Österreichischer Volkssturm , Schutzverband Österreich „Viribus Unitis“, Staatsarchiv , AVA , BKA Inneres , Berichte der Sicherheitsdirektionen , 1935–1938 , Karton 43 , Folio 669 , zit. n. Scheuch , Hanno ( 1983 ) : Wehrformation : Bauernwehr , Dipl.-Arb. , Wien , 56. Etliche Gruppierungen , wie die Anfang der 1920er in Wien sehr aktive monarchistische „Ostara“ um Karl Burian , deren Mord an einem sozialdemokratischen Funktionär maßgeblich für die Aufstellung des Republikanischen Schutzbundes war , fehlen in dieser Aufzählung allerdings. 6 Eine einheitliche , zentral organisierte Heimwehr existierte bis 1936 zu keinem Zeitpunkt. Wie noch zu zeigen sein wird , handelte es sich um ein fragiles Geflecht unterschiedlicher Verbände , die sich durch ihre große Nähe zu den bürgerlichen Parteien auszeichneten. Ungeachtet der Vielzahl von Namen , die sich durch Fusionen oder Abspaltungen auch mehrfach ändern konnten , werden Teile dieses Organisationsagglomerats im Weiteren pauschal als „Heimwehr“ bezeichnet und der Begriff dort , wo keine bestimmte Struktur gemeint wird , im Plural verwendet.
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Unmittelbar nach dem Zusammenbruch der Monarchie entstanden entgegen einer ausdrücklichen Weisung der Provisorischen Nationalversammlung7 in mehreren Bundesländern ortsgebundene bewaffnete Gruppen , deren Gründung verschiedene Ursachen haben konnte. a. Schutz des bäuerlichen Eigentums In der Übergangsphase von der alten zur neuen Ordnung hatten staatliche Autoritäten vielerorts vorübergehend ihre Macht verloren. Schon im Sommer 1918 , nach dem Zusammenbruch der letzten , aberwitzigen Offensive an der Piave , hatten sich in der Armee erste Auflösungserscheinungen bemerkbar gemacht. In der ungarischen Reichshälfte waren 100.000 Deserteure zu verzeichnen , die eigene Verbände , sogenannte „grüne Kader“, bildeten und in der Bevölkerung auf starken Rückhalt rechnen konnten. Auch wenn die deutschsprachigen Landesteile als vergleichsweise loyal gelten durften , betrug die Zahl der Fahnenflüchtigen alleine in der Reichshauptstadt Wien zur selben Zeit immerhin 19.000. 8 Die Soldaten , die nun immer zahlreicher ins Hinterland gelangten , waren in einem jämmerlichen Zustand.9 Mit der Armee des Reichs löste sich auch deren Logistik auf. Vielerorts gab es keine Instanz , die an ihrer Stelle für Abrüstung , Unterkunft , Verpflegung und geordneten Heimtransport der Männer Sorge getragen hätte. Besonders in den südlichen und westlichen Bundesländern war daher die Angst vor Plünderungen Anlass zur Gründung lokaler Milizen.10 Obwohl sie vielfach als „Fenster- und Auslagenschutztruppe“11 gegründet worden waren , trat der politische Charakter der Einheiten schon in den Anfängen offen zutage.12 Sie waren Gewaltorganisationen im Dienste der ökonomischen Eliten und der bürgerlichen Parteien , ihre Hauptaufgabe lag in der Bekämpfung der erstarkten Arbeiterbewegung.13 Die soziale Zusammensetzung der neu aufgestellten Verbände war über das ganze Bundesgebiet gesehen deutlich ländlich geprägt , wobei die Untersuchung Schneebergers überzeugend nachweist , dass dies keineswegs auf alle Heimwehrformationen zu7 Vgl. Rauter , Gerhard ( 1989 ) : Die österreichische Wehrgesetzgebung. Motive – Entwicklungslinien – Zielsetzungen – Wehrrechtsindex 1868–1989 , Wien , 45 f. 8 Etschmann , Wolfgang ( 1979 ) : Theorie , Praxis und Probleme der Demobilisierung 1915–1921 , phil. Diss. , Wien , 30 f. 9 Vgl. ebenda , 31. 10 Vgl. Gulick , Charles A. ( 1948 ) : Österreich von Habsburg zu Hitler , Bd. 1 , Wien , 173–185. 11 So die selbstironische Rückschau in einem Bericht der Tiroler Heimwehrleitung zit. n. Carsten , Francis L. ( 1978 ) : Faschismus in Österreich. Von Schönerer zu Hitler , München , 63. 12 Die gegenläufige Behauptung speist sich sowohl aus der Selbstbeschreibung der Heimwehren wie auch aus offiziellen Stellungnahmen , insbesondere von Landesregierungen wie in Tirol , der Steiermark oder Vorarlberg , die ihre Unterstützung für die Heimwehren als Akt im allgemeinen Interesse darzustellen versuchten. Beispielhaft etwa bei Chraska , Wilhelm ( 1981 ) : Die Heimwehr und die Erste Republik Österreich. Überlegungen zur österreichischen Staatswerdung nach dem Zusammenbruch der Monarchie 1918 , Kiel , 43. Die Annahme , die Wahrnehmung sozialer Interessen sei kein politischer Akt und daher wären auch die Heimwehren zumindest in ihren Anfängen „unpolitisch“ gewesen , stützt sich auf ein stark verkürztes Verständnis des Politischen an sich. 13 Ihrem historischen Gebrauch folgend werden die Zuschreibungen „bürgerlich“, „rechts“ und „konservativ“ im Weiteren synonym verwendet.
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treffen sollte und „ländlich“ auch nicht ohne Weiteres mit „bäuerlich“ gleichzusetzen war.14 Abgesehen von vereinzelten Scharmützeln und Plünderungen verlief die Rückführung der Soldaten relativ friedlich.15 Zur Gefahr für das bäuerliche Eigentum wurde stattdessen eher die Staatsmacht , die zur Versorgung der Städte auf Lebensmittelrequirierungen angewiesen war. Angesichts dessen schlug die ursprünglich durchaus prorepublikanische Stimmung in der Bauernschaft zusehends um , wobei sich materielle Interessen unter dem Einfluss der bürgerlichen und klerikalen Agitation16 immer mehr mit tradierten antiurbanen , antisozialistischen und antisemitischen Ressentiments vermengten und jene Melange des Hasses auf Wien bildeten , dessen Ausläufer mancherorts bis heute spürbar sind. b. Soziale Deklassierung von Gewerbetreibenden , Beamtenschaft und Intellektuellen Doch nicht nur Soldaten , auch die Zivilbevölkerung war in erbärmlicher Verfassung – und das nicht erst seit Kriegsende.17 Welche dramatischen Folgen ein solcher Zustand für das gesellschaftliche Machtgefüge haben konnte , zeigten bereits seit 1916 diverse Hungerunruhen und spontane Plünderungen , bei denen die Obrigkeit Mühe hatte , die Ordnung wieder herzustellen ,18 und schließlich mehrere Rebellionen innerhalb der Armee.19 Tiefen Eindruck sowohl auf die österreichischen Eliten wie auch auf die unterprivilegierten Schichten der Bevölkerung machten zudem die Revolution , die 1917 in Russland gesiegt hatte , und die Räterepubliken in München und Budapest.20 Die gras14 Die Autorin unterscheidet allerdings zwischen „traditionalen“ und „partiell modernisierten“ Heimwehren , vgl. Schneeberger , Franziska ( 1988 ) : Sozialstruktur der Heimwehr in Österreich. Eine Vergleichend-Politische Sozialgeschichte der Heimwehrbewegung , phil. Diss. , Salzburg , 60–97. In komprimierter Form findet sich die Argumentation in Schneeberger , Franziska 1988 / 89 : Heimwehr und Bauern – ein Mythos , In : Zeitgeschichte Jg. 16 ( 1988 / 89 ), Heft 4 , 135–145. 15 Vgl. Haas , Karl ( 1985a ) : Demobilisierung und militärischer Gebietsschutz : Zum militärpolitischen Aspekt der deutschböhmischen Frage. In : ders. : Austromarxismus und Wehrfrage. Zur militärpolitischen Pragmatik der österreichischen Sozialdemokratie in der Ersten Republik , phil. Habil. , Wien , 55–70 :57. 16 Vgl. Macartney , Charlile A. ( 1925 ) : The social revolution in Austria , Cambridge , 54 f. 17 Zur Versorgungssituation in der Endphase des Krieges vgl. Plaschka , Richard Georg / Haselsteiner , Horst / Suppan , Arnold ( 1974 ) : Innere Front. Militärassistenz , Widerstand und Umsturz in der Donaumonarchie 1918. Zwischen Streik und Meuterei , Bd. 1 , Wien , 46–58. 18 So berichtet etwa Stefan Karner , dass in der Steiermark Streikbewegungen , tlw. auch verbunden mit Hungerrevolten , seit 1916 stark zunahmen. Dabei habe die Exekutive die Ruhe hie und da nur durch „Androhung des Einsatzes schwerer Waffen“ wieder herstellen können , zudem rüstete die Staatsmacht massiv auf , vgl. Karner , Stefan ( 2005 ) : Die Steiermark im 20. Jahrhundert , 2. , durchges. und ergänzte Ausgabe , Graz , 118. 19 Vgl. Plaschka et al. ( 1974 ), 324–400 , desgl. Etschmann 1979 , 52 ff. Plaschka , Richard Georg ( 1984 ) : Matrosen , Offiziere , Rebellen : Krisenkonfrontationen zur See 1900–1918. Taku-Tsushima – Coronel / Falkland – „Potemkin“ – Wilhelmshaven – Cattaro , Wien , 155–278. Relativ detailgetreu , aber ohne Einzelnachweise dagegen die Darstellung des Soldatenrats und Journalisten Bruno Frei , vgl. ders. ( 1927 ) : Die roten Matrosen von Cattaro. Eine Episode aus dem Revolutionsjahre 1918 , Wien [ w iederaufgelegt 1963 ebenda ]. 20 Zu den Auswirkungen der russischen Revolution auf die Aufstandsbewegungen in Österreich siehe u. a. Leidinger , Hannes / Moritz , Verena ( 2003 ) : Gefangenschaft , Revolution , Heimkehr. Die Bedeutung der Kriegsgefangenenproblematik für die Geschichte des Kommunismus in Mittel- und Ost-
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sierende Revolutionsangst , gepaart mit einem tatsächlichen oder befürchteten sozialen Abstieg , führte zu einer politischen Radikalisierung , die am Land vornehmlich die besitzende Bauernschaft erfasste und im urbanen Bereich neben Unternehmern vor allem das Kleinbürgertum. Freiberufler , Offiziere und Gewerbetreibende sowie Studenten bildeten in der städtischen Bevölkerung die Spitze der konterrevolutionären Bewegungen. Gemessen am Mannschaftsstand der Heimwehren fiel der Anteil der urbanen , mehrheitlich deutschnational-völkisch orientierten Gruppen in den nächsten gut fünfzehn Jahren nicht ins Gewicht. Allerdings bildeten sie das Reservoir für die Führungsebenen der Heimwehren , deren ländliches Fußvolk ( abseits der besitzenden , ebenfalls häufig deutschnationalen Bauern im Westen und Süden ) mehrheitlich christlichsozial ausgerichtet blieb. Arbeiter waren in der Phase der Grenzkonflikte bis 1920 /21 vertreten , spielten später aber keine Rolle mehr.21 Das organisatorische Fundament der Verbände war nicht neu , sondern bestand aus dem bürgerlichen Vereinswesen , das begann , unter diversen Bezeichnungen bewaffnete Einheiten aufzustellen. Die Finanzierung übernahmen Geschäftsleute , Adlige , Bankiers und Industrielle , die sich dadurch eine erfolgreichere Wahrnehmung ihrer Klasseninteressen versprachen.22 Der Umstand , dass die Heimwehren sich kaum aus Mitgliedsbeiträgen finanzierten , machte sie in den folgenden Jahren stark abhängig von finanziellen Zuwendungen. Daraus erklären sich bis zu einem gewissen Grad zweifellos die späteren Volten ihrer Führer. c. Bewaffnete Konflikte mit Nachbarstaaten Sich abzeichnende Territorialkonflikte waren der dritte Grund für die rasche Aufstellung der Heimwehren und der gleichfalls bundesweit tätigen Frontkämpfervereinigung. europa 1917–1920 , Wien / Köln / Weimar ; Turok , Vladimir ( 1970 ) : Die russische Oktoberrevolution und ihre Rückwirkungen auf den Zusammenbruch der österreichisch-ungarischen Monarchie , In : Plaschka , Richard G. / Mack , Karlheinz ( Hg. ) : Die Auflösung des Habsburgerreiches : Zusammenbruch und Neuerrichtung im Donauraum , München , 226–230 ; Löw , Raimund ( 1980 ) : Otto Bauer und die russische Revolution , Wien ; Hautmann , Hans ( 1987 ) : Geschichte der Rätebewegung in Österreich 1918– 1924 , Wien / Zürich , 146 ff. und 177–201. 21 Vgl. Lauridsen , John T. ( 2007 ) : Nazism and the Radical Right in Austria 1918–1934 , Copenhagen , 95–104. Lauridsen bestätigt Schneeberger damit weitgehend. Gerade die Geschichte der Heimwehren verdeutlicht aber , wie relativ diese Abgrenzungen zu werten sind. Die auf Adam Wandruszka zurückgehende Vorstellung zweier unabhängiger bürgerlicher „Lager“ hatte mit den tatsächlichen Verhältnissen nur bedingt etwas gemein. Sie ist Produkt der „Koalitionsgeschichtsschreibung“ und folgt nachvollziehbaren persönlichen und kollektiven Interessenlagen , vgl. Fritzl , Hermann / Uitz , Martin ( 1975 ) : Kritische Anmerkungen zur sogenannten Lager-Theorie. In : Österreichische Zeitschrift für Politikwissenschaft , Jg. 5 ( 1975 ), Heft 4 , 325–332. 22 Der spätere Bundeskanzler und Industrielle , Ernst Streeruwitz , spricht diesen Punkt in seinen Memoiren recht offenherzig an , vgl. ders. ( 1937 ) : Springflut über Österreich. Erinnerungen , Erlebnisse , Gedanken aus bewegter Zeit 1914–1929 , Wien / L eipzig , 212–242. Siehe zu diesem Thema auch den Aufsatz von Wolfgang Meixner zum Präsidenten der Tiroler Industriellenvereinigung , vgl. ders. ( 2002 ) : Ing. Friedrich Reitlinger ( 1877–1938 ). Industrieller und Wirtschaftsfunktionär in Tirol zwischen Heimwehr und Nationalsozialismus. In : Zeitgeschichte Jg. 29 ( 2002 ), Heft 4 , 191–201 , sowie , vor allem für Anfang der 1930er , Haas , Karl ( 1978 ) : Industrielle Interessenpolitik zur Zeit der Weltwirtschaftskrise , In : Jahrbuch für Zeitgeschichte 1978 , 97–126.
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Der Anschluss Böhmens an Deutschösterreich war durch die rasche Reaktion der tschechoslowakischen Regierung , der die Volkswehr militärisch nicht viel entgegenzusetzen hatte , rasch erledigt.23 Völlig aussichtslos war auch gewaltsamer Widerstand gegen die italienische Annexion Südtirols. In Kärnten und der Steiermark sah die Sache – auch aufgrund der italienisch-jugoslawischen Differenzen – anders aus. Um den SHS-Truppen , die den königlichen Anspruch auf das mehrheitlich slowenischsprachige Südkärnten unterstreichen sollten , entgegentreten zu können , wurden die im Aufbau befindlichen Volkswehrtruppen durch Freiwilligenverbände verstärkt.24 Allerdings wurde das Motiv der Territorialverteidigung post festum durch die Heimwehren selbst viel stärker hervorgestrichen , als es de facto war. Das zeigte sich angesichts 1925 /26 , als ein italienischer Einmarsch befürchtet und deshalb die Mobilisierung der Tiroler Heimwehr erwogen wurde. Besorgte Heimwehrangehörige wiesen das mit der Begründung von sich , ihre Organisation sei lediglich zur „Niederhaltung des inneren Feindes“ geschaffen worden.25 d. Sozialdemokratische Dominanz in Staat und Heer Das vierte und wichtigste Gründungsmotiv der Heimwehren bildeten die innenpolitischen Frontstellungen. Obwohl in der provisorischen Nationalversammlung in der Minderheit , gelang es der Sozialdemokratie noch bis Anfang 1920 , eine beherrschende Rolle innerhalb des Staates einzunehmen. Zu guten Teilen war diese Vormachtstellung dem Umstand geschuldet , dass der Gegenseite ihr traditioneller Repressionsapparat nicht zur Verfügung stand , während man selbst die provisorische Armee kontrollierte. Durch den Waffenstillstand von Villa Giusti am 3. November 1918 hatte die k. u. k. Armee faktisch aufgehört zu existieren. An ihre Stelle trat zunächst ein Freiwilligenheer : die Volkswehr. Ihre Aufstellung war nicht nur den Grenzstreitigkeiten zuzuschreiben. Die Volkswehr sollte aus Sicht der Sozialdemokratie Gewähr für demokratisch-republikanische Zustände und gegen Restaurationsbestrebungen bieten. Zugleich bildete sie ein Versorgungsinstrument für Kriegsheimkehrer , die ökonomisch vor den Trümmern ihrer Existenz standen. Der sozialdemokratische Einfluss auf die Volkswehr basierte auf einem Netz an Vertrauenspersonen , das Julius Deutsch seit Ende des Jahres 1917 aus dem Kriegsministerium heraus gesponnen hatte und das sich mit den späteren Soldatenräten weitgehend überschnitt. Von Bedeutung waren also vor allem die niederen Chargen und Mannschaften , sozialdemokratische Offiziere blieben dagegen durchwegs 23 Vgl. Rauter ( 1989 ), 46 , bes. FN 82. 24 Vgl. Pauley , Bruce F. ( 1972 ) : Hahnenschwanz und Hakenkreuz. Steirischer Heimatschutz und österreichischer Nationalsozialismus 1918–1934 , Wien , 34 f. Zum südlichen Grenzkonflikt von 1918 /20 gibt es eine umfangreiche , national-agitatorische und hinsichtlich ihres geschichtswissenschaftlichen Wertes zweifelhafte Literatur , von deren Zitation an dieser Stelle abgesehen wird. Eine kritische Auseinandersetzung mit ihren Hauptthesen findet sich bei Moritsch , Andreas ( 1996 ) : Abwehrkampf und Volksabstimmung – Mythos und Realität , In : ders. ( Hg. ) : Austria Slovenica : Die Kärntner Slovenen und die Nation Österreich ; Koroški Slovenci in avstijska nacija , Klagenfurt / Celovec , 58–70. Siehe außerdem Fräss-Ehrfeld , Claudia ( 2000 ) : Geschichte Kärntens 1918–1920. Abwehrkampf – Volksabstimmung – Identitätssuche , Klagenfurt. Im Kontext der Wehrverbände relevant ist zudem Steinböck , Erwin ( 1963 ) : Die Volkswehr in Kärnten unter Berücksichtigung des Einsatzes der Freiwilligenverbände , Graz [ P ublikationen des österreichischen Instituts für Zeitgeschichte , Bd. 2 ]. 25 Zit. n. Rebitsch , Wolfgang ( 2009 ) : Tirol Land in Waffen. Soldaten und bewaffnete Verbände 1918 bis 1938 , Innsbruck , 125.
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in der Minderheit. Eine vertiefende Auseinandersetzung mit den Soldatenräten , die ja auf Basis des § 31 des Wehrgesetzes 192026 auch im Bundesheer der Ersten Republik als „Vertrauensmänner“ fortbestanden27 und bei deren Wahlen bis Ende der 1920er immer noch die Sozialdemokratie reüssierte , wäre wünschenswert. Bislang existiert dazu lediglich eine stark auf Sekundärquellen gestützte Diplomarbeit.28 Die vorhandene Literatur zur Volkswehr umfasst neben einigen Überblicksartikeln29 und Regionalstudien30 bislang nur zwei knappe und sowohl hinsichtlich ihrer Quellen als auch der thematischen Breite dürftige Gesamtdarstellungen ,31 deren Wert von den entsprechenden Passagen in mehreren Dissertation eindeutig in den Schatten gestellt wird.32 Im Zentrum der Betrachtung stehen mehrheitlich Aufbau und Gliederung sowie militärische Einsätze. Die durchaus widersprüchliche politische Dimension der Volkswehr blieb dagegen unterbelichtet. So bestand die Volkswehrführung durchwegs aus Offizieren des ehemaligen 26 StGBl. 122 / 1920. Zu den für das Bundesheer relevanten Legislativakten 1918–1938 vgl. Rauter ( 1989 ), 44–98. 27 Vgl. Rauter ( 1989 ), 50 f. 28 Vgl. Hasenhündl , Gerhard ( 1977 ) : Das Rätewesen im österreichischen Bundesheer der 1. Republik , Hausarb. , Wien. 29 Vgl. Steinböck , Erwin ( 1989 ) : Entstehung und Verwendung der Volkswehr. In : Ackerl , Isabella / Neck , Rudolf ( Hg. ) : Saint-Germain 1919. Protokoll des Symposiums am 29. Und 30. Mai 1979 in Wien [ Veröffentlichungen der Wissenschaftlichen Kommission des Theodor-Körner-Stiftungsfonds und des Leopold-Kunschak-Preises zur Erforschung der österreichischen Geschichte der Jahre 1918 bis 1938 , Bd. 11 ] , Wien , 180–200 ; Ortner , Christian M. ( 2008 ) : Volkswehr und Bundesheer bis 1933. In : Karner , Stefan / M ikoletzky , Lorenz ( Hg. ) : Österreich. 90 Jahre Republik. Beitragsband zur Ausstellung im Parlament , Innsbruck / Wien / Bozen , 469–468 ; Schmidl , Erwin A. ( 2008 ) : Österreichs Sicherheitspolitik und das Bundesheer 1918 bis 2008 : Ein Überblick. In : Karner / M ikoletzky 2008 481–495 ; Broucek , Peter ( 1983 ) : Heerwesen. In : Weinzierl , Erika / Skalnik , Kurt ( Hg. ) : Österreich 1918–1938 , Graz / Wien / Köln , Bd. 1 , 209–224 :210 ff. ; Etschmann , Wolfgang ( 2007 ) : Improvisierte Streitkräfte am Beginn der Ersten Republik – die deutsch-österreichische Volkswehr , In : Ehlert , Hans / Heinemann , Winfried ( Hg. ) : Nationalstaat , Nationalismus und Militär / [ X XXII. Internationaler Kongress für Militärgeschichte , 20.–25. 8. 2006 Potsdam ]. Commission Internationale d’Histoire Militaire , Deutsche Kommission für Militärgeschichte , Potsdam , 279–284. 30 Schaffer , Roland ( 2004 ) : Die Volkswehr in der Steiermark , phil. Diss. , Graz ; Rebitsch ( 2009 ) ; Gerdenitsch , Josef ( 1967 ) : Das Wiener Arsenal in der Ersten Republik. Die politische , wirtschaftliche und militärische Bedeutung in den Jahren 1918–1927 , phil. Diss. , Wien ; Volaucnik , Christoph ( 1985 ) : Volkswehr und Bundesheer in Vorarlberg 1918–1938. In : Montfort. Vierteljahresschrift für Geschichte und Gegenwart Vorarlbergs , Jg. 37 ( 1985 ), Heft 2 / 3 , 147–187. 31 Glaubauf , Karl ( 1993 ) : Die Volkswehr 1918–1920 und die Gründung der Republik , Wien [ Österreichische Militärgeschichte , Sonderband ] ; desgl. das im Auftrag der KPÖ erstellte , nur in Fragmenten überlieferte Manuskript von Zamiš , Guido ( 1984 ) : Militärpolitik der KPÖ. Kap. 1 , 2 und 8 , Archiv des Instituts für Zeitgeschichte Wien , DO 883 , Mm–152. Zamis war selbst Mitglied der Roten Garde und später Angehöriger des Bundesheeres. Im Zuge der Vaugoin’schen Säuberungen wurde er 1924 wegen Disziplinärer Vergehen vor Gericht gestellt , was die KPÖ medial zu nutzen versuchte. 32 Vgl. v. a. Etschmann ( 1979 ) ; Haas , Karl ( 1967 ) : Studien zur Wehrpolitik der österreichischen Sozialdemokratie 1918–1926 , phil. Diss. , Wien ; McLoughlin , Finbarr ( 1990 ) : Der Republikanische Schutzbund und gewalttätige politische Auseinandersetzungen in Österreich 1923–1934 , phil. Diss. , Wien ; Vlcek , Christine ( 1971 ) : Der Republikanische Schutzbund in Österreich. Geschichte , Aufbau und Organisation , phil. Diss. , Wien.
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k. u. k Generalstabskorps ,33 ähnlich die Besetzung der Landeskommanden.34 Andererseits wurden Soldatenräte institutionalisiert und Nichtmaturanten eine Offizierslaufbahn eröffnet. Die Sozialdemokratie beschritt damit in Österreich einen grundsätzlich anderen Weg als in Deutschland , wo sie im Kampf gegen die Kommunistische Partei ein Bündnis mit der republikfeindlichen Reichswehr und diversen rechtsradikalen Freischärlerverbänden einging , ohne in deren innere Verfasstheit einzugreifen. Obwohl die Bemühungen in Österreich eines eingehenderen Studiums bedürften , lässt sich doch sagen , dass zumindest ernsthafte Versuche unternommen wurden , langfristig eine republikanische Militärmacht heranzuziehen.35 Zusätzlich interessant ist die Volkswehr , weil hier das einzige Mal in der österreichischen Geschichte Überlegungen eine Rolle spielten , wie ein möglichst an demokratischen Wertvorstellungen orientiertes und zugleich auch demokratisch verfasstes Militär aussehen könnte.36 e. Rechtsradikalismus in den Anrainerstaaten Dass die Heimwehren auch nach Bewältigung der Nachkriegswirren und Abflauen der revolutionären Regungen Anfang der 1920er nicht aufgelöst , sondern zunächst im Gegenteil reorganisiert , ausgebaut und aufgerüstet wurden , verdankten sie maßgeblich ausländischen , insbesondere bayrischen und ungarischen Interessen. München war in den Nachkriegsjahren zum Dreh- und Angelpunkt des deutschsprachigen Rechtsradikalismus geworden. Die Stadt war ein politischer Druckkochtopf , in dessen trüben Tiefen Reaktionäre aller Schattierungen Pläne schmiedeten , Demokratie und Republik schnellstmöglich abzuhelfen. Eine Schlüsselstellung in diesem Konglomerat nahm die bayrische Reichswehrführung ein. Sie bildete in den Worten des späteren SAChefs und damaligen Hauptmanns im Münchner Wehrkreiskommando , Ernst Röhm ,
33 Vgl. Zeinar , Hubert ( 2006 ) : Geschichte des österreichischen Generalstabes , Wien / Köln / Weimar , 630 , bes. FN 10. Zum weiteren Dienst ehemaliger k. u. k. Soldaten in der Volkswehr und im Bundesheer siehe außerdem Kristan , Heribert ( 1988 ) : Geschichte des Generalstabes des österreichischen Bundesheeres von 1918 bis 1938 , phil. Diss. , Wien , sowie auch die publizierte Dissertation von AlbuLisson , Diana Carmen ( 2011 ) : Von der k. u. k. Armee zur Deutschen Wehrmacht. Offiziere und ihr Leben im Wandel politischer Systeme und Armeen , Frankfurt / Main u. a. Die Autorin stützt sich in ihrer empirischen Untersuchung vor allem auf Anmeldeblätter zur Aufnahme in das österreichische Heer , die von mehr als 1.600 Offizieren ausgefüllt wurden , aber im Grunde nur fundierte Aussagen bis 1920 erlauben. Zwei auf Amtsschemata gestützte Tiefenbohrungen für die Jahre 1928 und 1938 sind zwar aufschlussreich was Kontinuitäten angeht , allerdings nur bedingt aussagefähig , da politisch motivierte Außerdienststellungen beispielsweise nur unzureichend berücksichtigt wurden. 34 Vgl. Haas ( 1967 ), 37 f. Siehe dazu auch die zeitgenössischen Ausführungen von Otto Bauer , vgl. ders. ( 1921 ) : Die Offiziere und die Republik. Ein Vortrag über die Wehrpolitik der Sozialdemokratie , Wien. 35 Dem Zivilkommissariat oblag die Führung der Personalevidenzen der Offiziere , die es auf ihre Verlässlichkeit zu prüfen hatte. Politisch fragwürdige Elemente wurden ausgeschieden , vgl. Haas ( 1967 ), 38. Desgl. Glaubauf ( 1993 ), 31–34. 36 Siehe dazu die Ausführungen von Julius Deutsch als neu bestellter Staatssekretär für Heerwesen vor dem Reichsvollzugsausschuss der Soldatenräte. In : ders. ( 1923 a ) : Aus Österreichs Revolution. Militärpolitische Erinnerungen , Wien , 82 f.
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den „Kristallisationskörper für alle Organisationen“.37 In Umgehung der Bestimmungen des Versailler Vertrages baute die deutsche Generalität mit Rückendeckung der Reichsregierung ein flächendeckendes Netzwerk paramilitärischer Einheiten auf , das als Schwarze Reichswehr in die Geschichte einging.38 Auf diese Weise sollte das mit 100.000 Mann begrenzte staatliche Militär im Einsatzfall ergänzt werden. Die Schwarze Reichswehr war auch ein wichtiges innenpolitisches Instrument der politischen Rechten. Sie kam nicht nur im Zuge von Grenzstreitigkeiten zum Einsatz , besonders in Oberschlesien , sondern ihre Einheiten beteiligten sich mehrfach an der militärischen Bekämpfung linker Bestrebungen im Inland , so 1919 an der Niederschlagung des Spartakusaufstandes in Berlin und der Räterepublik in München , 1920 während des Kapp-Putsches und im Zuge des Ruhrkampfes 1921. Den mit Abstand stärksten , weitgehend autonom agierenden Teilverband der Schwarzen Reichswehr stellten die bayrischen Einwohnerwehren dar , deren Mannschaftsstand im Jänner 1920 bereits über eine Viertelmillion betrug und bis Mitte des Folgejahres auf über 361.000 Männer anstieg.39 Nachdem der gescheiterte Offiziersputsch um Kapp , Lüttzwitz , Erhardt und Ludendorff die Position der Norddeutschen innerhalb der radikalen Rechten stark geschwächt hatte , wurde die vom Führer der bayrischen Einwohnerwehren , Georg Escherich , gegründete „Organisation Escherich“ ( Orgesch ) zur Dachorganisation der rechten Paramilitärs in ganz Deutschland. Bereits die Einwohnerwehren hatten ihre Fühler nach Österreich ausgestreckt , nun wurde zu diesem Zweck im Mai eine eigene Struktur eingerichtet , die abermals nach ihrem Leiter benannte Organisation Kanzler , kurz Orka. Wenig später wurde in Tirol offiziell aus mehreren Gruppen die „Tiroler Heimatwehr“ gebildet. Von der bayrischen Regierung mit Sondervollmachten und einem Budget von einer halben Million Mark ausgestattet , um „im Südosten die Ordnung wieder herzustellen“40 machte sich Kanzler daran , die untereinander zum Teil völlig zerstrittenen Formation in Abstimmung mit den bürgerlichen Parteien zu einen und nach Bundesländern zusammenzufassen.41 Das brachte eine Interessenüberschneidung mit dem mittlerweile etablierten HorthyRegime mit sich , das der österreichischen Rechten erstmals 1920 beträchtliche Mittel zu37 Carsten ( 1978 ), 59. 38 Zur Geschichte der Schwarzen Reichswehr siehe zuletzt Sauer , Bernhard ( 2004 ) : Schwarze Reichswehr und Fememorde. Eine Milieustudie zum Rechtsradikalismus in der Weimarer Republik , Berlin , desgl. die aufschlussreiche Arbeit von Rabisch , Birgit ( 2005 ) : Die schwarze Rosa. Eine Frau in der Weimarer Republik , Springe. 39 Large , David Clay ( 1980 ) : The Politics of Law and Order : A History of the Bavarian Einwohnerwehr , 1918–1921. In : Transactions of the American Philosophical Society , New Series , Vol. 70 , No. 2 , 1–87 :39. 40 Edmondson , Clifton Earl 1966 : The Heimwehr and Austrian Politics , 1918–1934 , Diss. , Duke , 8. Nachdem zum Zeitpunkt der Abfassung dieses Artikels kein Exemplar der publizierten Version von Edmondsons Studie verfügbar war , beziehen sich alle folgenden Zitate auf das Originalmanuskript der Dissertation , das in Kopie am Institut für Zeitgeschichte Wien liegt. 41 Edmondson ( 1966 ), 8 f. ; Kanzlers Aktivitäten sind durch ihn selbst gut dokumentiert , eine Übersicht seiner Besprechungen in Österreich bis November 1920 findet sich bei Nusser , Horst G.W. ( 1973 ) : Konservative Wehrverbände in Bayern , Preußen und Österreich 1918–1933 [ m it einer Biografie von Forstrat Georg Escherich 1870–1941 ] , München , 155 f.
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kommen ließ.42 Bald tüftelten ungarische Verbindungsleute gemeinsam mit Orgesch und Christlichsozialer Partei an militärischen Umsturzplänen.43 Wie konkret diese Vorhaben waren , unterstreicht der Umstand , dass in Szalaegerszeg bereits Invasionstruppen aus ehemaligen Offizieren aufgestellt wurden.44 Die Pläne wurden erst hinfällig , nachdem die Sozialdemokratie im Herbst 1920 endgültig aus der Wiener Regierung ausschied. 1.1 Die Frühphase der Heimwehren bis 1923 Im Juli 1920 traten mehrere österreichische Milizen , unter ihnen die Tiroler Heimatwehr , offiziell der Orgesch bei.45 Hinsichtlich ihrer Ziele setzten die Bayern den Österreichern Anfang 1920 zunächst auseinander , es bedürfe der Bildung einer transnationalen antisozialistischen und antihabsburgischen Koalition. Ungeachtet der in christlichsozialen Kreisen verbreiteten legitimistischen Nostalgien wurden dagegen keine grundsätzlichen Einwände vorgebracht. Auch als Münchner Emissäre den Tiroler Heimwehrführern wenige Monate später eröffneten , man strebe einen neuerlichen Putsch in Berlin an , schienen die mit einer solchen Aussicht kein Problem zu haben.46 Das Einverständnis machte sich bezahlt , von nun an rollte der Nachschub.47 Die Aufrüstung erfolgte zwar illegal und ergo im Geheimen , umsonst war sie aber nicht : Die Österreicher hatten jeden Gummiknüttel , jede Patrone penibel zu bezahlen.48 Die bis dahin vorherrschende Art der Waffenbeschaffung , der Diebstahl aus Heeres- bzw. Volkswehrbeständen war zwar offenbar nicht so ergiebig , aber wohl kostengünstiger gewesen.49 Nachdem aus dem beabsichtigten neuerlichen Umsturz bis 1923 dann nichts wurde , entwickelte die Münchner Fraktion um Ludendorff zwei neue Szenarien : Im Idealfall gelänge der Anschluss zumindest von Teilen Österreichs an Deutschland und die Installation Ludendorffs als großdeutschem Diktator. Alternativ erschien die Abtrennung Bayerns und die Bildung einer bayrisch-österreichisch-ungarischen Union unter dem Hause Wittelsbach ein gangbarer Weg.50 42 Vgl. die Berichte in der Arbeiterzeitung zwischen 22. und 26. September 1920. Siehe auch Kerekes , Lajos ( 1979 ) : Von St. Germain bis Genf. Österreich und seine Nachbarn 1918–1922 , Wien / Köln / Graz. 43 Vgl. Kerekes , Lajos ( 1965 ) : Die weiße Allianz. Bayrisch-österreichisch-ungarische Projekte gegen die Regierung Renner im Jahre 1920 , Österreichische Osthefte Jg. 7 , ( 1965 ), Heft 5 , 353–366. 44 Entsprechende Hinweise hatten die Verhaftung mehrerer Offiziere in Wien und einen diplomatischen Eklat zur Folge , vgl. Arbeiterzeitung vom 1. Juni 1920 , desgl. Broucek , Peter ( 2008 ) : Militärischer Widerstand. Studien zur österreichischen Staatsgesinnung und NS-Abwehr , Wien / Köln / Weimar , 50 f. ; desgl. Jedlicka , Ludwig ( 1955 ) : Ein Heer im Schatten der Parteien. Die militärpolitische Lage Österreichs 1918–1938 , Graz / Köln , 11 , 39. 45 Vgl. Rape , Ludger ( 1977 ) : Die österreichischen Heimwehren und die bayerische Rechte 1920– 1923 , Wien , 69. 46 Im Übrigen auch nicht der ebenfalls anwesende Tiroler Landeshauptmann , vgl. Rape ( 1977 ), 45 f. 47 Vgl. Carsten ( 1978 ), 51. Siehe dazu auch die Ausführungen des ehemaligen Heimwehrmannes Wiltschegg , dessen detailreiche Darstellung besonders in ihren analytischen Passagen durchaus kritisch zu lesen ist , vgl. Wiltschegg , Walter ( 1985 ) : Die Heimwehr. Eine unwiderstehliche Volksbewegung ? Wien , 153. Desgl. auch Nusser ( 1973 ), 158. 48 Vgl. Nusser ( 1973 ), 170. 49 Vgl. Chraska ( 1981 ), 9 f. 50 Carsten ( 1978 ), 57. Siehe außerdem Steger , Bernd ( 1980 ) : Berufssoldaten oder Prätorianer. Die
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Die persönliche wie ideologische Elastizität zentraler Führungsfiguren war nicht einfach Ausdruck eines pragmatischen Politikverständnisses. Viel eher kennzeichnete sie gewaltbereite Polithasardeure , deren Weltbild sich hauptsächlich aus antisozialistischen , rassistischen Versatzstücken speiste , die aber gleichzeitig keinerlei Skrupel hatten , sämtliche Werthaltungen hintanzustellen , sobald sie sich davon persönliche Vorteile versprachen.51 Entsprechend vernachlässigbar sind auch die in der Literatur dennoch häufig betonten ideologischen Unterschiede.52 Die Führer der rechten Wehrformationen in Österreich , die nach dem Scheitern des Kapp-Putsches in Deutschland personell mit geflüchteten Putschisten verstärkt wurden ,53 wären wohl nicht beleidigt gewesen , als das bezeichnet zu werden , was sie waren : rabiat-antisozialistische , völkische Militaristen. Resultate dessen waren nicht nur vage Zukunftsvisionen , sondern auch stetig wechselnde , häufig auf den ersten Blick überraschende Koalitionen , in denen der materielle Vorteil im Zweifel stets schwerer wog als ideologische Gegensätze. In Österreich erfuhren die Heimwehren großzügige Unterstützung nicht nur privater Geldgeber , sondern auch öffentlicher Stellen. Infolge der dezentralen Struktur der Volkswehr waren die bürgerlichen Landesregierungen in der Lage , die Heimwehren großzügig aus staatlichen Beständen auszurüsten , und machten von dieser Möglichkeit ausgiebig Gebrauch. In der Steiermark erhielten die Heimwehren neben Infanteriewaffen und Artillerie auch Flugzeuge.54 Einflussnahme des bayrischen Offizierskorps auf die Innenpolitik in Bayern und im Reich 1918–1924 , Frankfurt / Main. 51 Ein selbst unter dieser Maßgabe außergewöhnlicher Fall war Ludendorffs Mitarbeiter Max Bauer. Er sondierte mehrfach in höherem Auftrag mit Heimwehrleuten die Möglichkeiten für einen Umsturz in Österreich und war zentrale Figur des Kapp-Putsches. Ungeachtet dessen brachte es der steckbrieflich gesuchte rechte Putschist und Verschwörer nur wenig später , 1923 , zum persönlichen Gast Leo Trotzkis , hielt sich in dieser Funktion länger in Moskau auf und initiierte deutsch-sowjetische Rüstungskooperationen , an denen er als Agent mehrerer Industrieunternehmen kräftig mitverdiente. Schließlich avancierte Bauer zum Militärberater Chiang Kai-sheks und starb als solcher Ende der 1920er in Shanghai , vgl. Vogt , Adolf 1974 : Oberst Max Bauer. Generalstabsoffizier im Zwielicht. 1869–1929 , Osnabrück. 52 Wiltschegg versuchte am systematischsten , die unterschiedliche Beantwortung weltanschaulicher Fragen zu illustrieren , vgl. ders. ( 1985 ), 261–267 , ansonsten begnügen sich entsprechende Passagen meist mit dem Hinweis auf das deutschnationale vs. das christlichsoziale Lager. 53 Zu den prominenteren Flüchtlingen zählten neben Bauer Korvettenkapitän Hermann Erhardt , Kommandeur der nach ihm benannten Brigade , und , für die weitere Entwicklung am bedeutsamsten , Waldemar Pabst. Der hatte als Offizier die Ermordung von Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg befohlen und danach , ebenfalls als Mitarbeiter Ludendorffs , den Kapp-Putsch mitgeplant. In Österreich avancierte er als Stabschef bald zu einer Schlüsselfigur zunächst der Tiroler , später der gesamtösterreichischen Heimwehr. Vierzig Jahre später , 1962 , gab Pabst dem Spiegel ein berühmt-berüchtigtes Interview , vgl. : Ich lies Rosa Luxemburg richten. Ein Gespräch mit Putsch-Hauptmann Waldemar Pabst , URL : http ://www.spiegel.de / spiegel / print / d–45139766.html ( abgerufen am 22. Mai 2011 ). Zu Pabst siehe vor allem Gietinger , Klaus ( 2009 ) : Der Konterrevolutionär. Waldemar Pabst – eine deutsche Karriere , Hamburg. Vernachlässigbar ist dagegen die tendenziöse Auswertung des Pabst-Nachlasses bei Konrad , Rüdiger ( 2012 ) : Waldemar Pabst. 1880–1970. Noskes Bluthund oder Patriot ? Beltheim-Schnellbach. 54 Vgl. Gieler , Herbert ( 1969 ) : Die Wehrverbände in der Ersten Republik Österreich , phil. Diss , Wien , 94. Siehe dazu auch die Wahrnehmungen der Gegenseite : Deutsch , Julius ( 1923 b ) : Wer rüstet zum Bürgerkrieg ? Neue Beweise für die Rüstungen der Reaktion , Wien ; desgl. Carsten ( 1978 ), 42.
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Mannschaftsstände , teilweise auch die Bewaffnung der Heimwehren brauchten den Vergleich mit dem staatlichen Militär bald nicht mehr zu scheuen und ließen wenig Zweifel darüber aufkommen , dass man es hier mit Truppen einer Bürgerkriegsarmee zu tun hatte.55 Bei Demonstrationen wie 1919 in Graz taten sich bürgerliche Freiwilligenverbände durch besondere Brutalität hervor , allen voran jene Einheiten , die aus Studenten gebildet waren.56 Nachdem der rote Umsturz , in dessen Erwartung die Heimwehren gegründet worden waren , vorerst ausblieb und auch die Freikorpskämpfe im Baltikum und Schlesien zu Ende gingen , an denen zahlreiche Österreicher teilgenommen hatten ,57 gingen die Aktivitäten der militanten Rechten ab 1923 merklich zurück.58 Die stark fragmentierten bürgerlichen Parteien waren sich zwar mit wenigen Ausnahmen darin einig , dass sie weiterhin militärische Formationen zu ihrer Verfügung haben wollten , verfolgten dieses Ziel aber auf höchst unterschiedliche Weise. Infolgedessen entstand keine einheitliche Parteiarmee , sondern sich voneinander nach regionalen , organisatorischen und militärischen Gesichtspunkten stark unterscheidende Verbände. Ideologisch waren die Heimwehren so vage und zerrissen wie die mit ihnen 55 Vgl. Wiltschegg ( 1985 ), 291 ff. 56 Vgl. Botz , Gerhard ( 1976 ) : Gewalt in der Politik. Attentate , Zusammenstöße , Putschversuche , Unruhen in Österreich 1918 bis 1934 , München , 42 f. In Tirol sollen Studenten auch eigene Terrorkompanien gebildet haben , vgl. Carsten ( 1978 ), 50. Die Witwe eines ehemaligen Freikorps-Mitglieds hat sich für ihre 2010 approbierte Dissertation zum studentischen Element in den Wehrverbänden auf die Sammlung von Kameraden ihres Mannes gestützt. Leider überzeugt die Studie weder methodisch noch inhaltlich. Eine neuerliche Auswertung der zugrunde liegenden Bestände wäre jedoch eventuell spannend. Vgl. Renkin , Lieselotte ( 2010 ) : Sprung Auf , Vorwärts , Hurrah. Das Studentenfreikorps. Eine Studie unter Berücksichtigung der schwierigen innenpolitischen , wirtschaftlichen und sozialen Situation der Ersten Republik , phil. Diss. , Wien. 57 Als Standardwerke zu den Freikorps anzusehen ist nach wie vor Waite , Robert G. L. 1952 : Vanguard of Nazism. The Free Corps Movement in postwar Germany 1918–1923 , Harvard. Die Perzeption der Freikorps und speziell den Einfluss des Nationalsozialismus darauf untersucht die gelungene Studie von Mathias Sprenger , vgl. ders. ( 2008 ) : Landsknechte auf dem Weg ins Dritte Reich ? Zu Genese und Wandel des Freikorpsmythos , Paderborn. Ansonsten hält sich die Erforschung der Freikorps allgemein in Grenzen und ist häufig durch Empathie und eine gewisse thematische Engführung gekennzeichnet. Als repräsentativ dürfen in diesem Zusammenhang die Arbeiten von Schulze und Koch gelten , vgl. Schulze , Hagen ( 1969 ) : Freikorps und Republik 1918–1920 , Boppard am Rhein ; desgl. Koch , Hannsjoachim W. ( 2002 ) : Der deutsche Bürgerkrieg. Eine Geschichte der deutschen und österreichischen Freikorps 1918–1923 , Dresden. Neue Informationen über Freikorps in Österreich , die Teilnahme von Österreichern an Freikorpsaktivitäten im Ausland und die Langzeitwirkungen der Freikorpserfahrung auf die österreichische Innenpolitik und hier speziell auf das bürgerliche Milieu findet man in der Literatur allenfalls in Fragmenten. Umso wichtiger wäre die Fortführung der raren Ansätze wie jenes Michael Gehlers , vgl. ders. ( 1988 ) : Studenten im Freikorps Oberland. Der „Sturmzug Tirol“ in Oberschlesien 1921. In : Tiroler Heimat Jg. 51 / 52 ( 1987 / 88 ), 129–152. 58 Inwieweit die Heimwehren in dieser Phase tatsächlich dazu übergingen , sich systematischer in soziale Auseinandersetzungen , speziell in Lohnkämpfe , einzuschalten und Streiks niederzuschlagen , wie Carsten schreibt ( ders. [ 1978 ] , 51 ) bedürfte noch einer eingehenderen Untersuchung. Fest steht , dass es mehrere solcher Interventionen in der Steiermark gab , vgl. Hinteregger , Robert ( 1978 ) : Die steirische Arbeiterschaft zwischen Monarchie und Faschismus. In : Botz , Gerhard / Hautmann , Hans / Konrad , Helmut / Weidenholzer , Josef ( Hg. ) : Bewegung und Klasse. Studien zur österreichischen Arbeitergeschichte , Linz , 269–296. Siehe auch FN 76 in diesem Beitrag.
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eng verflochtenen bürgerlichen Parteien. Sie bildeten gewissermaßen ein Sammelbecken für den radikalisierten Teil des Parteifußvolkes. Die Zerwürfnisse innerhalb der deutschen Rechten nach den gescheiterten Putschversuchen 1920 und 1923 hatten naturgemäß starke Auswirkungen auf die österreichische Entwicklung , deren Erforschung nach Bundesländern unterschiedlich weit gediehen ist.59 Im Sommer 1922 ließen die Österreicher die Bayern wissen , man sei „angesichts der Verhältnisse in Deutsch-Österreich [ … ] gezwungen , [ … das eigene ] Geschick selbst in die Hand zu nehmen. Es handelt sich zunächst um die Schaffung einer Brachialgewalt.“60 Hintergrund dessen war wohl vor allem die vor dem Abschluss stehende Genfer Sanierung. Im Abtausch gegen einen Kredit über 650 Millionen Goldkronen akzeptierte die österreichische Bundesregierung die vorübergehende Ausschaltung der Budgethoheit des Parlamentes und quasi diktatorische Vollmachten für einen durch den Völkerbund ernannten Kommissar. Es war offenkundig , dass mit dieser Anleihe seitens der Regierung auch das Ziel verfolgt wurde , unter Verweis auf externe Zwänge die sozialen Errungenschaften der Republik zurückzustutzen.61 Der mittlerweile zum Bundeskanzler aufgestiegene Ignaz Seipel62 hielt Widerstand seitens der Sozialdemokratie , etwa in Form von Streiks , für durchaus wahrscheinlich. Weil die Verlässlichkeit des Bundesheeres in Zweifel stand , sah der Bundeskanzler in den Heimwehren ein alternatives Machtmittel für diesen Konflikt.63 Allerdings waren sowohl 59 Während die Kärntner Heimwehr und die rechten Verbände in Wien bislang nur unzureichend untersucht wurden , ist etwa der niederösterreichische Landesverband durch mehrere Arbeiten gut erforscht , vgl. die zweibändige , detailreiche , aber leider recht unübersichtlich gegliederte und analytisch sowie methodisch begrenzte Dissertation von Schweiger , Franz ( 1964 ) : Die niederösterreichische Heimwehr von 1928 bis 1930. Mit besonderer Berücksichtigung des sogenannten Korneuburger Eids ( 18. Mai 1930 ), phil. Diss. , Wien ; desgl. Paumann , Bernhard ( 1971 ) : Die Tätigkeit der nieder österreichischen Heimwehr in ihren lokalen Organisationen ( 1918–1930 ), Hausarb. , Wien ; Hübner , Lieselotte ( 1976 ) : Julius Raab. Seine Tätigkeit in der niederösterreichischen Heimwehr , Hausarb. , Wien ; Klaus-Dieter Mulley hat die Vorgänge rund um den Korneuburger Eid in einem Aufsatz unterhaltsam dargestellt , vgl. ders. ( 2008 ) : „Volksbewegung“ oder „Prätorianergarde“ ? Die Heimwehr in Niederösterreich. In : Eminger , Stefan / L angthaler , Ernst / Melichar , Peter ( Hg. ) : Niederösterreich im 20. Jahrhundert. Bd. 1 : Politik , Wien / Köln / Weimar , 425–442. Lohnende Überblicke über die Anfänge in den genannten Ländern , die als Ausgangs- und Orientierungspunkt dienen könnten , finden sich bei Rape ( 1977 ), 185–210 und 223–227 , sowie bei Wiltschegg ( 1985 ), 166–171 und 113–126. 60 Zit. n. Nusser ( 1973 ), 229. 61 Vgl. Kernbauer , Hans / Weber , Fritz ( 1985 ) : Von der Inflation zur Depression. Österreichs Wirtschaft 1918–1934. In : Tálos , Emmerich / Neugebauer , Wolfgang ( Hg. ) : „Austrofaschismus“. Beiträge über Politik , Ökonomie und Kultur 1934–1938 , 3. , erw. Aufl. , Wien , 1–30 :8 f. 62 Ignaz Seipel verfügte über glänzende Kontakte zu den Milizen und hatte im Unterschied zu anderen Christlichsozialen keinerlei Skrupel , sie unbeschadet allfälliger ideologischer Differenzen für seine Ziele einzusetzen. So war Seipel bereits 1920 gemeinsam mit Leopold Kunschak in Wien um die dortigen – überwiegend deutschnationalen – Milizen bemüht gewesen , vgl. Rape ( 1977 ), 294. 63 Vgl. Staudinger , Anton ( 1979 ) : Christlichsoziale Partei und Heimwehren bis 1927. In : Neck , Rudolf / Wandruszka , Adam ( Hg. ) : Die Ereignisse des 15. Juli 1927. Protokoll des Symposiums in Wien am 15. Juni 1977 [ Veröffentlichungen der Wissenschaftlichen Kommission des Theodor-Körner-Stiftungsfonds und des Leopold-Kunschak-Preises zur Erforschung der österreichischen Geschichte der Jahre 1918 bis 1938 , Bd. 5 ] , Wien , 110–136 :124 ff.
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Seipel als auch die industriellen Finanziers der Heimwehren angesichts der fortgesetzten Streitigkeiten zwischen den unterschiedlichen Formationen und Formatiönchen in Sorge um die Schlagkraft der Truppe.64 Für weitere Geldflüsse wurde den Verbänden daher zur Auflage gemacht , sich zumindest auf Landesebene zu vereinheitlichen und sich enger an Parteien und Regierung anzulehnen.65 Der Plan , die verschiedenen Flügel durch finanziellen Druck unter ein Kommando zu zwingen , misslang letztlich. Allerdings wurde der Einfluss der Münchner Gruppierungen erfolgreich zurückgedrängt , wenn auch nicht beseitigt.66 Im Jahr 1923 hatten sich die Heimwehren im Großen und Ganzen in drei Strömungen zusammengefunden : Die an Bayern grenzenden Landesorganisationen Tirol , Salzburg , und Vorarlberg standen in Österreich ( i m Fall Salzburgs : vorerst67 ) in einem besonderen Naheverhältnis zur Christlichsozialen Partei und korrespondierten gemeinsam mit den oberösterreichischen und Kärntner Verbänden in München mit der Orgesch bzw. mit dem Bund Bayern und Reich. Informell hatten sich diese Gruppen im „Alpenklub“ zusammengeschlossen. Die Wehrverbände in Wien , Niederösterreich und der Steiermark waren stärker deutschnational geprägt und , das war der bedeutsamere Unterschied , ressortierten in München im Lager Ludendorffs. Den dritten Strang bildeten kleinere und radikalere Gruppierungen , etwa Korporierte und Offiziersverbände in der Bundeshauptstadt.68 Im April 1923 wählte immerhin der Alpenklub den Tiroler Christlichsozialen und Heimwehrführer Richard Steidle zum Bundesführer. Seipel beeindruckte das nicht sonderlich , er zog es vor , selektiv an einzelne Bundesländer auszuzahlen , besonders an die vom rabiaten Antisemiten Hermann [ von ] Hiltl geführte Wiener Frontkämpfervereinigung. Weil auch die Münchner Quellen versiegten , saßen die Heimwehren auf dem Trockenen.69 Die sich langsam stabilisierende Wirtschaftslage , die Verbesserung der sozialen Situation und der damit nachlassende Unmut der ärmeren Bevölkerungsteile ließ auch die bürgerliche Furcht vor „den Roten“ nachlassen. Entsprechend geringer war der Bedarf an einer militärischen Rückversicherung. 64 Zum doppelten Zahlungshindernis wurde zusätzlich ironischerweise der Antisemitismus. Wie Max Bauer an Waldemar Pabst schrieb , wollten die nationalen Industriellen nur noch an nationale Formationen zahlen und jüdische nichts mehr für hakenkreuzlerische Formationen geben. Nachsatz Bauer : „das [ hakenkreuzlerisch , Anm. ] sind nun eigentlich alle , und es ist ein ziemlich übles Delema [ sic ! ]“, zitiert nach Carsten ( 1978 ), 61 f. 65 Carsten ( 1978 ), 59. 66 Vgl. Rape ( 1977 ), 376–386 67 Von Beginn an stark waren in Salzburg deutschnationale Kräfte , bald dominierten sie die Organisation. Bislang gibt es zur Salzburger Landesorganisation nur eine Hausarb. , vgl. Uebelhoer , Ilse ( 1980 ) : Die Heimwehr in Salzburg 1918–1934 unter besonderer Berücksichtigung der Aufbaujahre , Neumarkt / Salzburg. 68 Carsten ( 1978 ), 62. Insbesondere der Wissensstand zu den stark fragmentierten , einander in dauernd wechselnden Koalitionen befehdenden rechten Verbänden in Wien ist gering. 69 Vgl. Carsten ( 1978 ), 59 f. Die von Seipel zurückgehaltenen Industriellenmittel waren freilich nicht die einzigen Zuwendungen an die Heimwehr. In mehreren Bundesländern genossen sie nach wie vor die Unterstützung durch lokale Eliten , keineswegs nur in Tirol und Vorarlberg , sondern etwa auch in Kärnten , vgl. Edmondson ( 1966 ), 16 f.
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Die durchaus nicht günstigen äußeren Umstände hinderten die Führung der Heimwehren aber nicht , zusehends ambitionierte Pläne zu schmieden : Bereits 1924 war die Übernahme der Macht im Staat das erklärte Ziel Steidles und seines Stabschefs , „Waldemar des Großen“, Pabst.70 Mochte solches Schwelgen immerhin die Herren bei Laune halten , war es für die Gesamtorganisation sicherlich zu wenig. Entsprechend traurig sah die Verbandsrealität aus. Das Einzige , was die Heimwehren bis 1927 einigermaßen zusammenzuhalten vermocht habe , seien die regelmäßigen Zusammenstöße mit der Linken gewesen , bemerkte Vinzenz Schumy später.71 Die vitalsten Landesverbände blieben bundesweit die Steiermark und Tirol , von wo ab 1926 auch wieder die ersten Reanimationsversuche für die Bundesorganisation ausgingen.72 1.2 Die „Zäsur“ 1926 /27 Als einer von zwei entscheidenden Impulsen , die zum Wiederaufleben der Heimwehren beitrugen , wird in der Geschichtsschreibung häufig die Verabschiedung des Linzer Programms der Sozialdemokratie 1926 beschrieben. Tatsächlich war die Außendarstellung der Heimwehren nahezu hysterisch und nach Kräften bemüht , eine Passage , die tatsächlich der Festschreibung einer strikt defensiven Strategie dienen sollte , in die Ankündigung einer Rätediktatur umzudeuten. Wie eine Aufstellung Paumanns über die Gründung von Orts- und Bezirksgruppen der niederösterreichischen Heimwehr zeigt , mag die Propaganda wichtig gewesen sein , um ein bestimmtes Klima zu schaffen , das wiederum die spätere Entwicklung begünstigte. Zunächst waren ihre unmittelbaren praktischen Auswirkungen aber überschaubar : Von Jänner 1926 bis Juli 1927 entstanden ganze zehn neue Ortsgruppen.73 Dennoch datiert die Wende zum latenten Bürgerkrieg , die meist im Zusammenhang mit dem Justizpalastbrand gesehen wird , in Wirklichkeit ins Jahr 1926. Ihren Kern bildet die neuerliche Übernahme der Kanzlerschaft durch den Hardliner Ignaz Seipel. Der Justizpalastbrand im Juli 1927 war aber sicher in mehrfacher Weise ein bedeutsames Ereignis. Die Wiener Ereignisse des 15. und 16. Juli lösten starke Beunruhigung im bürgerlichen Milieu aus , die durch die Propaganda der Rechtsparteien weiter geschürt wurde , indem vor allem die Loyalität des Bundesheeres in Zweifel gezogen wurde.74 Der Appell zur bürgerlichen „Selbsthilfe“ zeigte Wirkung. Alleine in Niederösterreich entstanden bis Jahresende 1927 fast zweihundert neue Heimwehrgruppen.75 Zugleich riefen sich die ehemaligen Großsponsoren plötzlich wieder ihre Liebe fürs Vaterland ins Gedächtnis und öffneten dessen selbst ernannten Rettern Herzen und Kassen gleichermaßen. 70 Vgl. Emdondson ( 1966 ), 30 f. 71 Vgl. ebenda , 34. 72 Zur Geschichte der relativ gut erforschten Tiroler Heimwehr siehe Lösch , Verena ( 1986 ) : Die Geschichte der Tiroler Heimatwehr von ihren Anfängen bis um Korneuburger Eid ( 1920–1930 ), phil. Diss. , Innsbruck ; desgl. Wolf , Michael ( 2002 ) : Die Entstehung der Tiroler Heimatwehr unter besonderer Berücksichtigung der gesamtösterreichischen politischen Lage , Dipl.-Arb. , Wien und Rebitsch ( 2009 ). 73 Paumann , Bernhard ( 1971 ) : Die Tätigkeit der niederösterreichischen Heimwehr in ihren lokalen Organisationen ( 1918–1930 ), Hausarb. , Wien , Anhang , 7. 74 Vgl. Pauley ( 1972 ), 51. 75 Vgl. Paumann ( 1971 ), Anhang , 7–11.
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Die Folgen des Justizpalastbrands waren für die rechten Wehrverbände also über die Maßen erfreulich. Durch den starken Zustrom neuer Mitglieder konnten die bestehenden Strukturen rasant ausgebaut werden.76 Waren die Heimwehren bis dahin nur in den Alpenländern gut organisiert gewesen , gelang es nun auch , weiter in den Osten und vor allem auch in Industriereviere zu expandieren. Zugleich schien die organisatorische Straffung endlich Form anzunehmen. Auf Steidles Betreiben wurde im Oktober 1927 ein Dachverband gegründet , der „Bund der österreichischen Selbstschutzverbände“.77 Eine wesentliche Konsequenz des Juli 1927 war außerdem , dass man im Ausland wieder auf die Wehrverbände aufmerksam wurde. Namentlich in Ungarn , das sich 1927 mit Italien verbündet hatte , um ein Gegengewicht zur Kleinen Entente zu bilden. Österreich war für beide Bündnispartner geostrategisch als Brücke zueinander interessant. Gleichzeitig waren weder Italien noch Ungarn an einem Anschluss Österreichs an Deutschland und damit einer klaren deutschen Hegemonie im Donauraum interessiert.78 Im April 1928 thematisierte der ungarische Ministerpräsident Bethlen bei einem Besuch in Mailand gegenüber den Italienern erstmals die Möglichkeit , in Österreich mithilfe der straff reorganisierten , zentral gelenkten Heimwehren eine Diktatur zu errichten. Nach seinem , Bethlens , Dafürhalten seien dafür nichts weiter als 300.000 Schilling und ausreichend Waffen notwendig.79 Mussolini zeigte sich unter zwei Bedingungen aufgeschlossen : dass die Heimwehren sich erstens selbst ausdrücklich verpflichteten , in absehbarer Zeit im Sinne der Vereinbarung aktiv zu werden , und zweitens nach erfolgter Machtübernahme das Thema Südtirol nicht mehr angreifen würden.80 Steidle gab die gewünschten Erklärungen umgehend ab. Ab 1927 begannen die Heimwehren wieder damit , ihre deutschen Netzwerke etwas sorgfältiger zu pflegen. Ihre Interessen jenseits der Grenzen galten nun zunehmend Berlin statt München , oder : der Deutschnationalen Volkspartei des Magnaten Alfred Hugenberg statt dem vergleichsweise klammen Escherich. Zugleich ging es hier nicht nur um Geld. Innerhalb der Heimwehren befürchtete man offenbar , im Falle eines Bürgerkrieges in Österreich würde das Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold womöglich zugunsten der Sozialdemokratie eingrei76 Dieser Strukturaufbau umfasste auch Arbeiterinteressenorganisationen. Anders als die deutsche ( aber ähnlich wie die österreichische ) NSDAP gründeten die Heimwehren eigene Gewerkschaften. Massiv unterstützt wurden sie dabei von gewogenen Unternehmern , allen voran vom größten Indus triebetrieb der Republik , der Alpine Montan , wie Barbara Schleicher in ihrer ausgezeichneten Arbeit gezeigt hat , vgl. dies. ( 1999 ) : Heisses Eisen. Zur Unternehmenspolitik der Österreichisch-Alpine Montangesellschaft in den Jahren 1918–1933 , Frankfurt / Main u. a. , bes. 315–365. In begrenztem Maß erfolgreich waren Gründungen von Heimwehrgewerkschaften auch in mehreren kommunalen Betrieben , besonders in den Bereichen Verkehr , Post und Bundesbahn , Arbeiten dazu fehlen aber bis dato. 77 Vgl. Wiltschegg ( 1985 ), 42. Als Heimwehren werden ab diesem Zeitpunkt nur noch jene Formationen bezeichnet , die dem österreichischen Dachverband angehörten. 78 Die Bedeutung des internationalen Kontextes für die österreichischen Entwicklungen wird durchaus kontroversiell beurteilt , vgl. dazu die Beiträge von Dieter A. Binder und Helmut Wohnout in diesem Band , siehe zudem die Kritik Lauridsens ( 2007 ), 431 f. 79 Vgl. Kerekes , Lajos ( 1966 ) : Abenddämmerung einer Demokratie. Mussolini , Gömbös und die Heimwehr , Wien , 9 ff. 80 Das Thema Südtirol war zwar in deutschnationalen Kreisen emotional hoch aufgeladen , gleichzeitig gingen sowohl Nationalsozialisten wie auch Deutschnationale und Katholisch-Bürgerliche mit der Frage völlig pragmatisch um : Rom hatte schlicht mehr zu bieten als Bozen und Meran.
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fen.81 Für diesen Fall wollte man durch ein Abkommen mit dem Stahlhelm entsprechende Vorkehrungen treffen. Die Deutschen nützten dabei ihrerseits die Gelegenheit und baten , Steidle möge ihnen behilflich sein , mit den Italienern ins Gespräch zu kommen.82 In Ansätzen wurde hier also die weiße Koalition aus dem Jahr 1920 wiederbelebt. Die Industrie hatte ihre Zahlungen an die Heimwehren 1922 davon abhängig gemacht , ob es diesen gelänge , sich organisatorisch zu konsolidieren , sich nicht ständig in den Haaren zu liegen und sich ansonsten einigermaßen gesittet zu benehmen. Bereits an diesen keineswegs ambitionierten Vorgaben waren die Heimwehren damals kläglich gescheitert. Ihre neuen Freunde in Budapest und Rom verlangten 1928 , nicht nur dass es gelänge , binnen kürzester Zeit eine einheitliche , schlagkräftige Organisation aufzubauen , sondern auch dass diese umgehend in Aktion träte. Wir wissen nicht , ob Steidle tatsächlich glaubte , seinem bundesweiten Machtanspruch mithilfe der ungarisch-italienischen Zuwendungen zum Durchbruch verhelfen zu können , oder ob er einfach va banque spielte , alles oder nichts. Wenig überraschend war jedenfalls das Ergebnis : Er verlor. Obwohl im Herbst 1927 offiziell zum „Bundesführer“ aufgestiegen , hielten sich seine Kompetenzen als solcher in ebenso engen Grenzen wie die Loyalität der Landesführungen. Immerhin gelang es , sich vorläufig auf eine gemeinsame Strategie zu verständigen , die darin bestehen sollte , die Sozialdemokratie nach Möglichkeit so zu provozieren , dass sie schließlich entweder von sich aus handeln würde oder sich Teile ihrer Basis verselbstständigten und den ersehnten Vorwand zum Losschlagen liefern würden. In einer solchen Auseinandersetzung , so das Kalkül , würde keine bürgerliche Regierung neutral bleiben können und jedenfalls Bundesheer und Polizei gegen die Sozialdemokratie in die Schlacht werfen. Im Zuge einer solchen militärischen Konfrontation sollte dann die Macht im Staat auf ein Kuratorium übergehen , dem neben Heimwehrführern auch Johann Schober angehören sollte. Der Wiener Polizeipräsident war in die Pläne offenkundig eingeweiht und einverstanden.83 Die Heimwehren begannen also mit einer Aufmarschtätigkeit in Permanenz , vorzugsweise in roten Hochburgen in Industrieregionen. Wie ungarische Beobachter nach Budapest meldeten , geschah dies mit Rückendeckung , zum Teil auch aktiver Unterstützung der Staatsmacht.84 Einen ersten Höhepunkt erreichten diese Aktivitäten am 7. Oktober 1928 , als die Heimwehren in Wiener Neustadt aufmarschierten. Im Vorfeld hatten zahlreiche Beobachter den Ausbruch eines Bürgerkrieges für unausweichlich gehalten , das Ereignis schlug wochenlang ungeheure Wellen. In der Folge wurde auch Hitler auf die Heimwehren aufmerksam. Er setzte sich ausführlicher mit ihrer Strategie und Tak81 Die Furcht vor den internationalen Kontakten der Sozialdemokratie war auch in Ungarn verbreitet , so existierte laut dem ungarischen Generalstab 1928 eine Abmachung zwischen der SDAPÖ und ihrer tschechoslowakischen Schwesternpartei , sich im Konfliktfall gegenseitig zu unterstützen , vgl. Kerekes ( 1966 ), 25 , FN 27. Dass es tatsächlich zumindest Verhandlungen in diese Richtung gegeben hat , bestätigt etwa Haas ( 1967 ), 189. Gesichert ist eine Kooperation beim Aufbau der Selbstschutzformation der deutschsprachigen Sozialdemokratie , an der österreichische Funktionäre mitwirkten , vgl. Vlcek ( 1971 ), 122 f. 82 Vgl. Kerekes ( 1966 ), 32 f. 83 Vgl. Kerekes ( 1966 ), 17 f. 84 Vgl. Kerekes ( 1966 ), 24 ff.
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tik auseinander und versuchte , Schlüsse für die Aktivitäten der NSDAP in Deutschland abzuleiten.85 Entgegen den Erwartungen verlief der Tag aber ruhig und der Plan der Heimwehren ging auch später nicht auf. Die Sozialdemokratie blieb selbst dann noch defensiv , als man im August 1929 eine ihrer Kundgebungen unter MG-Feuer nahm.86 Nach der ersten Enttäuschung verlangten die Italiener schriftliche Garantien. Zu diesem Zeitpunkt waren die Heimwehrführer optimistisch , den allzu laxen Bundeskanzler Ernst Streeruwitz in Kürze stürzen und durch Johann Schober ersetzen zu können.87 Schober wurde im bürgerlichen Lager allgemein als Repräsentant eines autoritären Kurses betrachtet , in den neben den Heimwehren auch Teile des Episkopats ihre Hoffnungen setzten.88 Er sollte endlich jene autoritäre Verfassungsreform auf den Weg bringen , an die sich zuvor weder Seipel noch Streeruwitz herangewagt hatten. Entweder also die Sozialdemokratie fügte sich einem ( zunächst ) rein juristischen Staatsstreich oder sie leistete Widerstand , dann aber müsste man ihr nicht alleine gegenübertreten , sondern mit der gesamten staatlichen Macht. In beiden Fällen konnten die Heimwehren den Italienern getrost geben , was sie verlangten. Steidle erklärte also im August 1929 , man würde spätestens im ersten Halbjahr 1930 „die entscheidende Aktion zur Änderung der österreichischen Staatsverfassung“ starten.89 Zunächst schien tatsächlich alles nach Plan zu verlaufen. Bereits Ende September 1929 hatte Streeruwitz entnervt demissioniert. An seine Stelle trat auch wirklich Schober. Allein , der hatte damit , was er wollte : das Amt des Bundeskanzlers und die Sozialdemokratie in einer Position , in der sie eine autoritäre Novelle der Verfassung zu akzeptieren bereit war. Solange die Interessen des Beamtenapparates als über den Parteien stehender „eigentlicher Staat“ gewahrt blieben , war ein darüber hinausgehender Putsch überflüssig.90 Die schließlich vereinbarte Verfassungsnovelle trug zwar deutlich autoritärere Züge als das in Geltung befindliche Grundgesetz und bot ( was die Sozialdemokratie gefliessentlich verschwieg91 ) durchaus Handhabe für einen künftigen Staatsstreich. Aber auch nach der Reform war die Verfassung weit von dem Ständestaat ent85 Vgl. Lankheit , Klaus A. ( 1999 ) : „Für uns Nationalsozialisten muß das eine warnende Lehre sein.“ Hitler , Legalität und österreichische Heimwehr 1928–31 , In : Zeitgeschichte , Jg. 26 , 5 / 1999 , 317–338. 86 Beim Zusammenstoß im steirischen St. Lorenzen wurden am 18. August 1929 durch das Feuer der Heimwehr drei Sozialdemokraten getötet und insgesamt zwischen achtzig und zweihundert Personen verletzt. Vgl. Pauley ( 1972 ) 57 f. , Gulick ( 1948 ), Bd. III , 87–93 ff. 87 Streeruwitz selbst interpretierte St. Lorenzen wohl zu Recht als Versuch , seine Regierungsarbeit zu sabotieren und ihn zu stürzen , vgl. ders. ( 1937 ), 414 f. 88 So etwa Ferdinand Pawlikowsky , Bischof von Seckau , der Schober später anbot , ihn für einen Staatsstreich von seinem Eid zu entbinden , vgl. Langoth , Franz 1951 : Kampf um Österreich. Erinnerungen eines Politikers , Wels , S. 82 ; Pawlikowskis Initiative erwähnt allerdings nicht nur der Nationalsozialist Langoth , per se eine begrenzt verlässliche Quelle , sondern auch G. E. R. Gedye , vgl. ders. ( 1947 ) : Die Bastionen fielen. Wie der Faschismus Wien und Prag überrannte , 40. 89 Kerekes ( 1966 ), 41. 90 Vgl. Winkler , Elisabeth ( 1983 ) : Die Polizei als Instrument in der Etablierungsphase der austrofaschistischen Diktatur ( 1932–1934 ) mit besonderer Berücksichtigung der Wiener Polizei , phil. Diss. , Wien , 208. 91 Otto Bauer sprach von der „Marneschlacht für den österreichischen Faschismus“, vgl. Arbeiterzeitung vom 12. Dezember 1929 , 1 f.
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fernt , den die Heimwehren gefordert und wie ihn Steidle den Ungarn und Italienern versprochen hatte.92 Die Heimwehren waren jedoch nicht imstande , auf diese Niederlage rasch und entschieden zu reagieren. Grund dafür waren neuerliche heftige interne Auseinandersetzungen , vornehmlich zwischen Steidle und Pfrimer , die sich seit 1928 die Bundesführung teilten. Ein deutscher Bericht sah innerhalb der Heimwehren Ende 1929 drei unterschiedliche Fraktionen am Werk : Gemäßigte wie den niederösterreichischen Landesführer Raab , die mit der Verfassungsreform zufrieden waren ; eine zentristische Fraktion unter Steidle , die weiter Druck auf die bürgerlichen Parteien machen wollte ; und Radikale wie Pfrimer , die einen militärischen Umsturz präferierten.93 Ungeachtet aller Querelen waren Personalstand und Bewaffnung der Heimwehren zu diesem Zeitpunkt durchaus beachtlich. Wiltschegg schätzt die Angehörigen der militärischen Heimwehr-Abteilungen94 in den Blütejahren 1928 bis 1930 auf etwa 120.000 Mann.95 Beurteilungen des Bundesheeres Anfang des Jahres 1934 veranschlagten ihre Stärke trotz des organisatorischen Niedergangs immerhin noch auf 25.000 bis 30.000 Mann.96 Die Angaben zur Bewaffnung sind in der Literatur höchst unterschiedlich , fest steht aber , dass die Heimwehren nicht nur über leichte und schwere Infanteriewaffen verfügten , sondern auch über Artillerie und Luftaufklärung.97 Ihr militärisches Potenzial , resümiert Lauridsen , habe jedenfalls gereicht , die Sozialdemokratie gemeinsam mit den staatlichen Gewaltapparaten niederzuwerfen. Ein Putsch aus eigener Kraft sei demgegenüber nie ein realistisches Szenario gewesen.98 Sozialdemokratische Fachleute teilten diese Einschätzung im Wesentlichen.99 Auch die militärischen Überlegungen , die von Bundesheer und Exekutive seit 1927 /28 angestellt wurden , zeigen deutlich , dass man 92 Zur Geschichte der Verfassungsreform von 1929 vgl. Berchtold , Klaus ( 1998 ) : Verfassungsgeschichte der Republik Österreich. 1918–1933. Fünfzehn Jahre Verfassungskampf , Wien / New York , bes. 489– 572. 93 Vgl. Carsten ( 1978 ), 122. 94 Neben den militärischen bestanden auch noch zivile Formationen , in denen organisiert zu sein der eher passiven Mitgliedschaft in einer bürgerlichen Partei entsprochen haben dürfte , detailliertere Forschungen hiezu stehen aus. 95 Vgl. Wiltschegg ( 1985 ), 292. 96 Vgl. ebenda , 292 f. Lauridsen weist allerdings einerseits darauf hin , dass Schätzungen des militärischen Potenzials ja nicht pauschal alle bewaffneten oder mobilisierbaren Männer summieren dürften , sondern auch deren vordefinierte Verwendung im Rahmen des Orts- , Bezirks- und Landesschutzes berücksichtigen müssten. Tatsächlich mobil und umfassend einsetzbar sei nur der Landesschutz gewesen , der wiederum über 25.000 bis 30.000 Mann nicht hinausgekommen sei , gl. Lauridsen ( 2007 ), 142 f. 97 Steinböck beziffert das Waffenarsenal mit Anfang 1933 auf 58.000 Gewehre , 560 MG , 18 schwere Minenwerfer und 21 Gebirgshaubitzen , vgl. Steinböck , Erwin 1988 : Österreichs militärisches Potenzial im März 1938 , München , 41 f. 98 Vgl. Lauridsen ( 2007 ), 144. 99 So hielt Körner noch Ende 1931 , also nach der erfolgten massiven Aufrüstung der Heimwehren , intern fest , „militärtechnisch ist das ganze Gerede von dem Marsch nach Wien einfach ein Unsinn und eine Kinderei , die nicht ernst genommen werden sollte. Man lasse die Heimwehr von Steiermark den Marsch nach Wien antreten. [ … ] Solche innerlich nicht gefestigten Heimwehrhaufen lösen sich doch von selbst auf , wenn Geld , Verpflegung , Transport , Unterkunft und dergleichen nicht stimmen. [ … ] beim Marsch auf Wien [ … werden ] so viele Hindernisse ganz von selbst entstehen , dass das ganze Unternehmen in sich selbst zusammenfallen muss.“ Zitiert nach Vlcek ( 1971 ), 282.
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den Heimwehren nicht zutraute , es mit der Arbeiterbewegung alleine aufzunehmen. Ihnen , so das Kalkül Schobers und Vaugoins , würde gegebenenfalls die Rolle von Agents provocateurs zukommen , in den bewaffneten Auseinandersetzungen hätten sie aber wohl nur flankierende Funktion , während die Hauptlast der Kämpfe durch die staatlichen Truppen zu tragen wäre.100 Durch die unübersichtlichen Organisationsstrukturen der Heimwehren war eine realistische Einschätzung ihrer militärischen Bedeutung schon für Zeitgenossen wie Carl Vaugoin „auch nicht annähernd feststellbar“101 , die militärische Ausbildung der Heimwehren hielt der Heeresminister jedenfalls für „äußerst fragwürdig“ und äußerte im September 1933 gegenüber einer Schutzbunddelegation : „Ich kommandiere Soldaten und der Herr Fey Banden.“102 Allgemein waren Waffen aber sicher nicht das Hauptproblem der Heimwehren , sondern ihre innere Zerrissenheit. Steidle versuchte , die internen Differenzen durch ein gemeinsames Programm beizulegen , das schließlich am 18. Mai 1930 in Korneuburg verabschiedet wurde und auf das alle Führer vereidigt werden sollten. Sowohl die Veranstaltung selbst als auch ihre politischen Folgen waren von allerhand Kuriositäten begleitet.103 Von einem ideologiekritischen Standpunkt betrachtet war der Eid so vage und widersprüchlich wie die gesamte „Theorie“-Produktion der Heimwehren. Aufgrund der starken organisatorischen und ideellen Fragmentierung ist eine Auseinandersetzung mit der Ideologie der Heimwehren schwierig. Wie bereits angemerkt wurde , darf die praktische Bedeutung ideologischer Dispositionen für die Heimwehren allgemein als vernachlässigbar gelten. Am erfolgversprechendsten scheint es , ihre Inhalte grundsätzlich als Verdichtung und Radikalisierung von Ideologemen zu begreifen , die im bürgerlichen Milieu bereits fest verankert waren. In der Literatur bereits beschrieben sind romantisch-antimodernistische , korporatistische und katholische Einflüsse.104 Oft erwähnt , aber nicht systematischer untersucht sind dagegen völkische Einflüsse. Sicherlich spielte auch die Zuspitzungen liberaler Vorstellungen eine bedeutsame Rolle.105 Organisatorisch verfehlte das Korneuburger Treffen seinen Zweck , die unterschied lichen Landesverbände zu einen , vollständig. Aufschlussreich war allenfalls die Reaktion der bürgerlichen Parteien. Während Großdeutsche und Landbund die Ableistung des Korneuburger Eids scharf ablehnten , stellten die Christlichsozialen ihren Abgeordneten Nämliches auf Druck des rechten Wiener Flügels frei. 100 Vgl. Hetfleisch , Gerhard ( 1990 ) : Schoberpolizei und Balkanbolschewiken. Beiträge zur Geschichte der Polizei der Ersten Republik und zur politischen Emigration aus Südosteuropa nach Österreich 1919–1934 , phil. Diss. , Innsbruck , 80 f. 101 Staudinger , Anton 1971 : Bemühungen Carl Vaugoins um Suprematie der Christlichsozialen Partei in Österreich ( 1930–33 ) [ M itteilungen des Österreichischen Staatsarchivs , Bd. 23 ] , Wien , 366. 102 Pertinax [ O tto Leichter ] : Österreich 1934. Die Geschichte einer Konterrevolution , Zürich , 119. 103 Vgl. Mulley ( 2008 ). 104 Vgl. Siegfried , Klaus-Jörg ( 1974 ) : Universalismus und Faschismus. Das Gesellschaftsbild Othmar Spanns , Wien. 105 Das zumindest legen diverse Beiträge in der von den Heimwehren herausgegebenen Halbmonatszeitschrift „Die Wirtschaftspolitik“ nahe. Siehe außerdem Pircher , Gerhard ( 1985 ) : Wirtschaftspolitische Vorstellungen der österreichischen Heimwehrbewegung , Dipl.-Arb. , Wien ; desgl. Klausinger , Hansjörg ( 2005 ) : Von Mises zu Morgenstern. Der Austroliberalismus und der „Ständestaat“. In : Zeitgeschichte Jg. 32 ( 2005 ), Heft 5 , 323–335
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Als die Heimwehren sich nach diesem Fehlschlag wieder ihrer neuen politischen Leidenschaft zuwandten , der Demontage des amtierenden Bundeskanzlers , hatten sie die Rechnung ohne den Wirt gemacht. Schober ging nun nämlich seinerseits in die Offensive und betrieb aktiv die Ablöse der HW-Bundesspitze um Steidle und Pabst. Letzten ließ er als Ausländer kurzerhand ausweisen , zudem erreichte er eine Drosselung der finanziellen Zuwendungen.106 Als Vehikel zur politischen Eliminierung Steidles bediente er sich dessen ehrgeizigen Protegés , Ernst Rüdiger Starhemberg. Der junge Aristokrat war einer der reichsten Großgrundbesitzer des Landes , unterhielt aus eigenen Mitteln eine ansehnliche Privatarmee , die Jäger-Bataillone107 , und hatte sich erst 1929 mithilfe Steidles und mehrerer Bezirksführer gegen den Willen der Christlichsozialen Landespartei zum oberösterreichischen Heimwehrführer aufgeschwungen.108 Als solcher wandte er sich nun mithilfe Schobers , der Christlichsozialen Partei und der Industriellenvereinigung gegen seinen einstigen Verbündeten und stieg zum Bundesführer auf. In dieser Funktion entfaltete Starhemberg eine rege Aktivität , die ihn nach Schobers Demissionierung im Herbst 1930 ins Kurzzeit-Kabinett Vaugoins trug. Die Ministerwürden förderten zweifellos Starhembergs ohnehin reichlich vorhandenes Selbstvertrauen weiter , machten ihn aber keineswegs zu einem loyaleren Verbündeten. Im Gegenteil war Starhemberg bemüht , die Heimwehren stärker von den Christlichsozialen zu emanzipieren und ihren eigenständigen Charakter zu stärken. Das Ergebnis war eine eigenständige Kandidatur von Teilen der Heimwehren bei den Nationalratswahlen im November 1930. Bereits die Vorbereitungen der Wahl offenbarten die ganze Fragilität der Wehrverbände : Die niederösterreichischen Formationen lehnten eine eigenständige Kandidatur mehrheitlich ab , ihr Führer Julius Raab kan106 Vgl. Kondert , Reinhart ( 1975 ) : Schober und die Heimwehr. Der Niedergang des Austrofaschismus 1929–1930 , In : Zeitgeschichte Jg. 3 ( 1975 / 76 ), Heft 6 , 163–175. 107 Starhemberg erarbeitete im Exil ab 1938 mehrere Versionen seiner Memoiren , die 1942 erstmals in New York erschienen und später von seinem Sohn Heinrich gemeinsam mit einem ehemaligen Kameraden aus den Studentenfreikorps und Führer der Heimwehr-Studentenschaft , dem nachmaligen Unterrichtsminister Heinrich Drimmel , 1971 neu aufgelegt wurden. Die unterschiedlichen Versionen samt Konzepten und Schriftverkehr befinden sich im Oberösterreichischen Landesarchiv , teilweise auch im Institut für Zeitgeschichte Wien. Eine kritische Edition wäre ein durchaus spannendes Projekt , zumal die bisherige Biografik im Fall Starhemberg vielfach unkritisch seine Perspektive übernimmt oder überhaupt ins Hagiografische abgleitet , vgl. Britz , Werner ( 1993 ) : Die Rolle des Fürsten Ernst Rüdiger Starhemberg bei der Verteidigung der österreichischen Unabhängigkeit gegen das Dritte Reich 1933–1936 , Frankfurt / Main u. a. , desgl. Walterskirchen , Gudula ( 2002 ) : Starhemberg oder die Spuren der „30er Jahre“, Wien. Die stark auf Sekundärquellen gestützte und um zeitgenössische Presseartikel ergänzte Arbeit von Ursula Mayer widmet sich kaum der Person , sondern vor allem organisationsgeschichtlichen Aspekten , vgl. dies. ( 1977 ) : Starhemberg und die oberösterreichische Heimwehr , Hausarb. , Salzburg. 108 Der prominenteste unter den lokalen Unterstützern Starhembergs war Friedrich Mayer , seit 1921 oberösterreichischer Landes- , später Bundesstabsleiter. Durch einen archivarischen Glücksfall wurde sein Nachlass , der Unterlagen der oberösterreichischen Landesstabsleitung aus den Jahren 1919 bis 1933 enthält , in jüngerer Zeit entdeckt und durch den Archivar des Traditionsregiments „k. k. Landwehrinfanterieregiment Linz Nr. 2 ( L IR 2 )“, Andreas Danner , angekauft. Danner stellte den gesamten Bestand als Digitalisat dem Oberösterreichischen Landesarchiv zur Verfügung , wo er öffentlich zugänglich ist und einer Bearbeitung harrt.
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didierte auf der Liste der Christlichsozialen. Starhemberg verhandelte mit der N SDAP über eine gemeinsame Kandidatur , weil die aber Parität auf der Kandidatenliste verlangte , scheiterte die Einigung schließlich. Am Ende fuhr der „Heimatblock“ eine veritable Niederlage ein.109 Organisatorisch krachte es nun aber an allen Ecken und Enden. Infolge der Streitereien um eine eigenständige Kandidatur spalteten sich die nieder österreichischen Heimwehren , der Flügel um Raab trat aus dem gesamtösterreichischen Verband aus. Ihm folgten die Formationen Feys in Wien und Vas’ im Burgenland.110 Während sich die völkischen Formationen im Süden sukzessive der NSDAP zuwandten , versuchten die Christlichsozialen , zumindest ihnen traditionell nahestehende Landesorganisationen wieder enger an sich zu binden , allen voran Tirol und Niederösterreich. Auch dort trieben sie damit aber Teile der völkischen Basis in die Arme der NSDAP. Angesichts des desolaten Zustands der Heimwehren stellten in- und ausländische Förderer ihre Zahlungen neuerlich ein. Die Christlichsoziale Partei hoffte offenkundig , dies könne dazu beitragen , Starhemberg loszuwerden.111 Tatsächlich blieb der zwar formal Bundesführer , zog sich aber im Mai 1931 nach Oberösterreich zurück und überließ vorübergehend seinem Stellvertreter Pfrimer das Feld. 1.3 Putschversuche und Staatsstreich Der neue geschäftsführende Bundesführer war ein eingeschworener Faschist und fürchtete das tatsächliche Zustandekommen einer großen Koalition. Zudem sah sich speziell Pfrimers völkische Richtung innerhalb der Heimwehren mit zunehmender Konkurrenz durch die NSDAP konfrontiert und hatte daher starkes Interesse , die eigene Handlungsfähigkeit unter Beweis zu stellen. Pfrimer machte sich daher umgehend an die Planung eines Umsturzes , der im September 1931 tatsächlich in die Tat umgesetzt wurde , über die Steiermark aber nie hinauskam.112 Keine der anderen HW-Landesorganisationen beteiligte sich , ebenso wenig die NSDAP , was das ansonsten herzliche Verhältnis kurzfristig etwas trübte. Allerdings machte auch Pfrimer selbst als völkischer Umstürzler keine sonderlich gute Figur.113 Trotz der dilettantischen Durchführung musste der Pfrimerputsch für die Linke ein Alarmzeichen sein. Während bis an die Zähne bewaffnete Milizionäre in der Steiermark Ortschaften und Ämter besetzten , politische Gegner arretierten und Schutzbündler bei Kapfenberg in ein Feuergefecht mit zwei Toten verwickelten , tat die Bundesregierung zunächst – nichts. Erst auf massives Drängen der Sozialdemo109 Zu seiner Rolle dort vgl. Nimmvervoll Eduard ( 1993 ) : Der Heimatblock im Nationalrat der Ers ten Österreichischen Republik. Der Heimatblock als ein Ausdruck der Heimwehren bezüglich ihrer Intentionen nach faschistischer Umgestaltung des parlamentarisch-demokratischen Systems der Ers ten Republik , Dipl.-Arb. , Wien. 110 Vgl. Pauley ( 1972 ), 84 f. 111 Vgl. Carsten ( 1978 ), 170 f. 112 Vgl. Hofmann , Josef ( 1965 ) : Der Pfrimer-Putsch. Der steirische Heimwehrprozeß des Jahres 1931 , Wien / Graz. Siehe auch : Höbelt , Lothar : „Herbstmanöver“. Der Pfrimerputsch 1931 und seine Auswirkungen auf Oberösterreich [ erscheint in der Reihe des Oberösterreichischen Landesarchivs zur Geschichte Oberösterreichs 1918–1938 ab 2014 , ich danke dem Autor für die Zurverfügungstellung des Manuskriptes ]. 113 Edmondson ( 1966 ), 240.
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kratie , Vizekanzler Schobers und des Landbund-Innenministers Franz Winkler wurde schließlich das Bundesheer mobilisiert. Aber auch dann ging das Einrücken der Bundesheerabteilungen in die aufständischen Gebiete mit äußerster Langsamkeit vor sich. Offenkundig war man darauf bedacht , den Heimwehreinheiten ausreichend Gelegenheit zum Rückzug zu geben und ihnen ihre Waffen mehrheitlich belassen zu können.114 Die Anführer der Putschisten flüchteten kurzzeitig ins Ausland , kehrten aber bald zurück , angeblich auf Anraten Seipels.115 Sie wurden dann zwar vor Gericht gestellt , dieses sprach sie aber unter dem Jubel ihrer Anhänger frei. Für den Fall einer Verurteilung hatte die Regierung Buresch allerdings bereits eine Amnestie erwogen.116 Trotz des für die Heimwehren glimpflichen Ausganges war die Niederlage nicht zu übersehen , was die internen Konflikte naturgemäß weiter verschärfte und eine verstärkte Hinwendung mehrerer Formationen zur erstarkenden N SDAP beförderte. Im Sommer 1932 forderten die Steirer Starhembergs Rücktritt , angeblich schlossen sich diesem Wunsch 172 Führer im ganzen Land an.117 Mit italienischer Unterstützung konnte sich Starhemberg jedoch halten , woraufhin Pfrimer den Titel des „Ehrenführers der Heimwehr“, den man ihm nach seinem Prozess im Dezember 1931 verliehen hatte , am 8. Mai 1932 zurücklegte und aus der Organisation austrat. Er übernahm stattdessen die Führung des „Deutschen Heimatschutzes“, die steirischen Heimwehren waren damit ins NS-Lager übergewechselt.118 Im Mai 1932 hatte Engelbert Dollfuß das Bundeskanzleramt übernommen. Nach den vorangegangenen christlichsozialen Wahlniederlagen bestand sein Ziel nun darin , einen Urnengang auf Bundesebene zu verhindern , weil damit mutmaßlich der Verlust der christlichsozialen Vormachtstellung einhergehen würde. Der Weg in die Diktatur war damit vorgezeichnet. Solange das von Dollfuß angestrebte Bündnis mit den Nationalsozialisten nicht fix iert war , war er bei seinem Vorgehen gegen die Sozialdemokratie auf die Unterstützung der Heimwehren angewiesen. Auch die hatten freilich keine Zeit zu verlieren. Nach einem Bericht der deutschen Botschaft aus dem Herbst 1933 standen die Formationen des Burgenlands , Kärntens , der Steiermark und Salzburgs mittlerweile mehrheitlich im Lager der Nazis.119 Angesichts dessen legten sogar Fey und Starhemberg ihre Animositäten im Dienste der gemeinsamen Interessen vorübergehend auf Eis. Seit März 1933 unterstützten sie Dollfuß’ Notverordnungsregime. Das Verhältnis der drei Männer blieb dessen ungeachtet ein Zweckbündnis , geprägt von gegenseitigem Misstrauen , Kompetenzstreitigkeiten und dem wechselseitigen Bemühen , doch noch mit den Nazis ins Geschäft zu kommen.120 114 Vgl. Hofmann ( 1965 ), 71. Nach Pauley wurden 2.217 Gewehre , tausend Stahlhelme und 34 MGs sowie fünfhundert Bajonette beschlagnahmt , vgl. ders. ( 1972 ), 122. Angesichts der aufgebotenen ( u nd bewaffneten ) 14.000 Heimwehrmänner ein verkraftbarer Aderlass. 115 Vgl. Notiz Vinzenz Schumys vom „7. Dezember [ 1931 ] Abends“, Nachlass Schumy , Archiv des Instituts für Zeitgeschichte Wien , DO 212 , Mappe 91. 116 Ebenda. 117 Carsten ( 1978 ), 195 f. 118 Vgl. Pauley ( 1972 ), 140. 119 Vgl. Carsten ( 1978 ), 202 f. 120 Vgl. Edmondson ( 1966 ), 348.
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Unmittelbar nach der faktischen Lahmlegung des Nationalrates121 begann die Regierung , öffentlich Vorkehrungen für den Bürgerkrieg zu treffen. Zu diesem Zweck sollten die regierungstreuen Wehrverbände vereinheitlicht werden , um im Ernstfall Bundesheer und Exekutive zu unterstützen. Die Heimwehren stimmten dem zu , offenbar weil sie annahmen , den neuen Verband schon aufgrund ihrer Größe dominieren zu können. Naheliegenderweise drängten sie darauf , die neue Hilfstruppe im von Fey geleiteten Sicherheitsressort anzusiedeln , außerhalb des Zuständigkeitsbereiches Vaugoins und des Bundesheeres. Anzunehmen ist , dass von dort aus gegenteilige Anstrengungen unternommen wurden. Die Lösung bestand im Mai 1933 jedenfalls in der Schaffung zweier getrennter Formationen. Das kasernierte , dem Militär direkt unterstehende Militärassistenzkorps wurde aus 8.000 sogenannten „A-Männern“ gebildet. Diese Freiwilligen wurden für längstens sechs Monate verpflichtet , wobei zwar bevorzugt Angehörige der Wehrverbände zum Zug kamen , allerdings auch darüber hinaus Männer aufgenommen werden konnten. Wer sich im Zuge seiner Verwendung als „AMann“ als zuverlässig erwiesen hatte , konnte auf eine längerfristige Übernahme als „BMann“ ins Bundesheer hoffen.122 Der zweite Verband , das „Freiwillige Schutzkorps“ war seinem Wesen nach viel eher ein echter Assistenzkörper. Es bestand ausschließlich aus Angehörigen der rechten Wehrverbände , die im Bedarfsfall als Auxiliarkräfte fungieren sollten. Die Ausrüstung übernahm zwar das Bundesheer , die FSK-Formationen unterstanden aber dem Sicherheitsministerium Emil Feys. In Wien wurden vier kasernierte Regimenter des FSK aufgeboten , in den anderen Landeshauptstädten existierten kleinere Einheiten. Zusätzlich wurden Gendarmerie und Grenzschutz durch Schutzkorpsangehörige ergänzt. Im März 1934 erreichte das Schutzkorps mit 42.000 Mann seinen Höchststand , was nicht nur militärisch bedeutsam war. Offenkundig handelte es sich auch um ein Instrument zur vorübergehenden wirtschaftlichen Versorgung der eigenen Klientel.123 Als das Freiwillige Schutzkorps im März 1935 schließlich auf Geheiß der Regimes abgewickelt wurde , war das ein deutliches Zeichen für den Machtverlust der Heimwehren innerhalb des Regierungslagers.124 Kurz nach dem Treffen von Dollfuß und Mussolini in Riccione im August 1933 teilte Starhemberg dem Führerrat der Heimwehren mit , dass der Abschluss des vaterländischen Diktaturprojektes unmittelbar bevorstünde.125 Im Jänner 1934 begann das Ende 121 Zu deren unmittelbarem Vorspiel die Hirtenberger Waffenaffäre gehörte , vgl. Binder , Dieter A. ( 2007 ) : Der Skandal zur „rechten“ Zeit. Die Hirtenberger Waffenaffäre 1933 an der Nahtstelle zwischen Innen- und Außenpolitik. In : Gehler , Michael / Sickinger , Hubert ( Hg. ) : Politische Affären und Skandale in Österreich. Von Mayerling bis Waldheim , Innsbruck / Wien , 278–292. 122 Vgl. Broucek , Peter ( Hg. ) ( 2011 ) : Feldmarschalleutnant Alfred Jansa. Ein österreichischer General gegen Hitler. Erinnerungen , Wien / Köln / Weimar , 593. 123 Bisher existiert keine ausführlichere Schilderung des Freiwilligen Schutzkorps. Der entsprechende Bestand im Staatsarchiv wäre hier ebenso eine geeignete Quelle wie die zeitgenössische Tagespresse zu diesem Thema , im Schnittarchiv des Tagblattes in der Wiener Rathausbibliothek findet sich ein entsprechender Ordner. Am Ausführlichsten behandelt ist das FSK bislang bei Winkler ( 1983 ), 214– 227 , und Wiltschegg ( 1985 ), 296 f. 124 Vgl. Wiltschegg ( 1985 ), 297. 125 Carsten ( 1978 ), 213 f.
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des elfmonatigen Staatsstreiches. Offenkundig in Absprache mit der Bundesregierung126 verlangten die Heimwehrführungen von den bürgerlichen Landeshauptleuten ultimativ ein scharfes Vorgehen gegen politische GegnerInnen im Staatsapparat , die Ernennung von Regierungskommissären für sozialdemokratisch regierte Städte und die Verstärkung der Exekutive durch Kräfte der Heimwehren sowie , en passant , auch die Herabsetzung der Grundsteuer , eine kleine Belohnung für die aristokratische Führungsriege.127 1.4 Heimwehren im Austrofaschismus Nach den militärischen Auseinandersetzungen des Jahres 1934 und der vorläufigen Konsolidierung des Regimes stieg Starhemberg zum Führer der Vaterländischen Front auf , der er bis dahin nur mit Geringschätzung begegnet war.128 Bezeichnenderweise wehrte er sich auch jetzt gegen die Eingliederung der Heimwehren in die von ihm geleitete Organisation. Es sollte sich aber zeigen , dass Starhemberg auch in dieser Frage nicht sonderlich konsequent war. Die erbitterten Rivalitäten zwischen den unterschiedlichen Formationen , vor allem zwischen den Heimwehren einer- und Ostmärkischen Sturmscharen und Freiheitsbund andererseits , führten zu einem regelrechten Wettrennen um den Aufbau neuer Ortsstrukturen. Um dieses Treiben wieder in einigermaßen geordnete Bahnen zu lenken , versuchte die VF erfolglos zu vermitteln. Schuschnigg griff dabei zunächst zum bewährtesten Disziplinierungsinstrument : Geld. Den einzelnen Wehrverbänden wurde untersagt , auf eigene Faust Mittel zu akquirieren , stattdessen wurde eine Zentralkasse geschaffen. Ausnahmen bedurften einer ausdrücklichen Bewilligung des Bundeskanzlers.129 Nach der Jahreswende 1934 / 35 folgte ein Gebietsschutz : Wo schon eine Wehrformation existierte , durften keine neuen gegründet werden.130 Der Erfolg beider Maßnahmen hielt sich jedoch in Grenzen. Der wesentlich effektivere Gegner der Heimwehren waren wieder einmal sie selbst. Nach den Februarkämpfen 1934 brachen neuerlich die internen Gräben auf , vornehmlich zwischen Starhemberg und Fey.131 Die Heimwehrführung wäre gut beraten gewesen , diese Konflikte rasch auf ein zivilisiertes Niveau herunterzufahren und nach außen einigermaßen geeint aufzutreten. Dass sie das nicht tat , zeugt von völliger Verkennung ihrer tatsächlichen Lage. 126 Wofür etwa die Teilnahme der Ostmärkischen Sturmscharen an der Machtdemonstration in Innsbruck spricht , vgl. Goldinger , Walter / Binder , Dieter ( 1992 ) : Geschichte der Republik Österreich 1918–1938 , Wien / München , 218. 127 Vgl. Edmondson ( 1966 ), 361–370 , Carsten ( 1978 ), 216 f. 128 Kurz vor seiner Ernennung zum Stellvertretenden VF-Führer im Oktober 1933 verbot Starhemberg seinen Männern sogar ausdrücklich das Tragen des höhnisch „Gesinnungswurm“ genannten VF-Abzeichens , desgleichen untersagte er die Teilnahme an Frontkundgebungen. Dies deshalb , weil die Gefahr drohe , „dass die VF dazu missbraucht wird , um unter neuem Namen alte politische Parteien [ gemeint ist offenkundig die CSP , Anm. ] wieder aufscheinen zu lassen“, zit. nach Bärnthaler , Irmgard ( 1971 ) : Die Vaterländische Front. Geschichte und Organisation , Wien / Frankfurt / Zürich , 34. 129 Der genaue Zeitpunkt dieses Erlasses ist unklar , am 6. Oktober 1934 ersucht die steirische VFLandesleitung aber um Weisungen , weil als Folge des Erlasses seitens der Wehrverbände nun finanzielle Forderungen an sie herangetragen würden. VF-Archiv 514 / 193 / 1 28. 130 Vgl. Reich ( 2000 ), 401 ff. 131 VF-Archiv 514 / 4 2 / 328.
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Wie die Reichswehrführung in Deutschland hatte zweifellos auch die österreichische Generalität die rechten Wehrverbände im Land lange als notwendiges Übel im Kampf gegen die Linke betrachtet. Nachdem sich aber gezeigt hatte , dass die Errichtung der Diktatur geglückt war und die Wehrverbände den Bestand des Regimes nun eher gefährdeten denn stabilisierten , entfiel ihre Daseinsberechtigung. Als richtiggehende Bedrohung mussten außerdem die Forderungen Starhembergs und Feys empfunden werden , das Bundesheer ihrem Kommando zu unterstellen. Die Interessen des Militärs trafen sich in diesem Punkt mit jenen der politischen Führung. Auch Schuschnigg verspürte wenig Verlangen , sich militärisch dem Gutdünken seiner notorisch illoyalen Mitstreiter auszuliefern , und erklärte im November 1935 dem päpstlichen Nuntius , er wolle die Wehrverbände in einer Organisation zusammenfassen und diese dem Heer unterstellen.132 Mitte Oktober 1935 machte Schuschnigg schließlich Ernst. Zunächst entließ er Fey133 aus dem Kabinett. Um den Affront zu kaschieren , wurde als Feys Nachfolger der niederösterreichische Vertraute Starhembergs , Landeshauptmannstellvertreter Eduard Baar-Baarenfels bestellt.134 Zugleich wurde die Verschmelzung der Wehrverbände in einer gemeinsamen Organisation angekündigt , der „Freiwilligen Miliz – Österreichischer Heimatschutz“.135 Anfang April 1936 , als die Welt unter dem Eindruck des deutschen Einmarsches im Rheinland stand , folgte der nächste Schlag. Unter Bruch des Vertrages von Saint-Germain verkündete die österreichische Regierung die Einführung der allgemeinen Dienstpflicht.136 Ausgegeben wurde diese Maßnahme zwar als ein Instrument zur Stärkung des Bundesheeres , faktisch richtete er sich aber wohl mindestens so sehr gegen die Heimwehren , die aus gutem Grund die Einführung der Wehrpflicht stets bekämpft hatten.137 Starhemberg reagierte auf Schuschniggs Vorgehen einmal mehr unglücklich. Er näherte sich einerseits wieder den Nazis an und versuchte zugleich , durch Demonstrationen seiner Anhänger und martialische Reden Gegendruck auf die Regierung aufzubau132 Vgl. Carsten ( 1978 ), 253. 133 Zu Emil Fey fehlt bislang eine kritische Biografie. Die Dissertation von Franz Oswald kann hierbei teilweise als Ausgangspunkt dienen , vgl. ders. ( 1964 ) : Die Stellung von Major a. D. Emil Fey in der Politik der ersten Republik und des Ständestaates , phil. Diss. , Wien. Vom wissenschaftlichen Standpunkt unbrauchbar ist dagegen die stark auf Oswald rekurrierende Darstellung von Mautner-Markhof , Georg J. E. ( 2004 ) : Major Emil Fey. Heimwehrführer zwischen Bürgerkrieg , Dollfuß-Mord und Anschluß , Graz / Stuttgart. 134 Der Nachlass von Baar-Baarenfels befindet sich im Staatsarchiv. Der spätere Vizekanzler , den sein Weg später als Häftling nach Dachau und Mitarbeiter der IG Farben nach Auschwitz führte , war sicherlich kein sonderlich eigeninitiativer Akteur , weder innerhalb der Heimwehren noch des Regimes. Eine erste , leider recht unkritische und hinsichtlich der verwendeten Quellen naturgemäß eingeschränkte Auswertung hat Anita Korp für ihre Diplomarbeit unternommen , vgl. dies. ( 1998 ) : Der Aufstieg vom Soldaten zum Vizekanzler im Dienste der Heimwehr. Eduard Baar von Baarenfels , Dipl.-Arb. , Wien. 135 Vgl. Arthofer , Hans ( o. J. [ 1937 ] ) : 1918–1936. Vom Selbstschutz zur Frontmiliz , o. O. , 35 f. 136 BGBl. 102 / 1936. 137 Bis zur Durchsetzung der bürgerlichen Dominanz über das Bundesheer ging von der allgemeinen Wehrpflicht aus Sicht der Rechten durchaus eine Gefahr aus , weil die gut organisierte Arbeiterschaft problemlos massenhafte Eintritte ihrer Anhänger initiieren konnte. Umgekehrt war aus den nämlichen Gründen die allgemeine Wehrpflicht noch bei der Abrüstungskonferenz 1932 ein Allparteienkonsens gewesen , vgl. Jedlicka ( 1955 ), 91.
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en. Mit dieser Taktik erreichte er aber nur seine endgültige Demontage. Anlässlich der Maifeiern der christlichen Arbeiterbewegung in Wien kam es am 10. Mai 1936 zu Auseinandersetzungen zwischen Heimwehrangehörigen und Freiheitsbündlern. Schuschnigg , der dabei von den Heimwehrmännern persönlich beschimpft und ausgepfiffen worden war ,138 sah nun endgültig keinen Grund mehr für weitere Zurückhaltung. Eine Woche später wurde Starhemberg aus dem Kabinett entfernt , seinen Posten als Vizekanzler übernahm abermals Baar-Baarenfels. Neuer VF-Führer wurde Schuschnigg. Starhembergs Anhängerschaft protestierte wütend ,139 unternahm aber letztlich nichts. Den Kanzler dürfte das in seinem Kurs bestärkt haben. Am 17. Mai wurde das gesamte Wiener Schutzkorps aufgelöst. Am 20. Mai folgte die Gründung der „Frontmiliz“ der VF anstelle der „Freiwilligen Frontmiliz – Österreichischer Heimatschutz“. Damit wurde das endgültige Ende der „Selbstschutzverbände“ eingeläutet.140 Das entsprechende Gesetz war deutlich von dem Bemühen geprägt , die Suprematie des Bundesheeres festzuschreiben.141 Formal blieben die Wehrverbände neben der Frontmiliz vorerst bestehen , die außen- und innenpolitische Entwicklung schwächte insbesondere die Position der Heimwehren aber weiter , vor allem das Juliabkommen mit dem Deutschen Reich und der Skandal rund um die Phoenix-Versicherung , in den zahlreiche HW-Führer verwickelt waren.142 Im September 1936 kam es zusätzlich wieder zu schweren Konflikten innerhalb der Heimwehren , nachdem Fey wieder zum Wiener Landesführer gewählt worden war und umgehend begonnen hatte , an Starhembergs Stuhl zu sägen.143 Für Schuschnigg bot sich damit ein Anlass , die Wehrverbände Anfang Oktober per Gesetz endgültig zu beseitigen.144 Die Auflösung betraf allerdings manche etwas weniger als andere. Die Ostmärkischen Sturmscharen blieben als Organisation bestehen , weil sie bereits zuvor offiziell in den Status einer reinen Kulturorganisation zurückversetzt wor138 Vgl. Gulick ( 1948 ), Bd. V , 422 f. Die Auseinandersetzung ging aber über verbale Pöbeleien weit hinaus , drei Personen wurden durch Bajonettstiche , mehrere andere durch Steinwürfe schwer verletzt , vgl. ebenda. 139 Vgl. Aufruf „An alle Heimatschützer Wiens“, VF-Archiv 514 / 818 / 6 –9. 140 BGBl. 160 / 1936. Zur Konstituierung der Frontmiliz vgl. Steinböck ( 1988 ), 44–52. 141 So oblag die militärische Ausbildung der Frontmiliz gänzlich dem Heer , vgl. Jedlicka ( 1955 ), 129 f. In der Öffentlichkeit wurde seitens des Regimes auch betont , Aufgabe der neuen Miliz sei primär Zuarbeit für das Bundesheer , vgl. VF-Archiv 514 / 3039 / 92–93. Zugleich wurde versucht , Heimwehrfunktionäre nicht in zentrale Funktionen der Frontmiliz aufrücken zu lassen : Als in Salzburg der dortige Landeskommandant verstarb , wurde seinem Nachfolgekandidaten , General Ontl , die Ernennung offenbar deshalb verweigert , weil er als Heimwehrmann galt , vgl. VF-Archiv 514 / 131 / 152. 142 Über die Phoenix-Versicherung waren nicht nur Beamte bestochen worden und hatten sich Manager unlauter bereichert , sondern hatten auch rechte Organisationen , von Monarchisten über Heimwehren und Sturmscharen bis hin zu den Nationalsozialisten , beträchtliche Summen lukriert , vgl. Gulick ( 1948 ), Bd. V, 423–438 , bes. 431 f. 143 Fritz Lahr behauptete später , Fey sei es um die Beseitigung Starhembergs gegangen , weil der ein Hindernis für eine Einigung mit den Nationalsozialisten gewesen sei. Tatsächlich war Starhemberg aber bereits monatelang durch das Annulierungsverfahren seiner Ehe und eine Liaison mit der Burgschauspielerin Nora Gregor sehr in Anspruch genommen und glänzte deshalb als Heimwehrführer durch Inaktivität , sodass es durchaus noch andere Motive geben mochte , sich seiner zu entledigen , vgl. Wiltschegg ( 1985 ), 205 f. 144 BGBl. 335 / 1936.
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den waren.145 Das hinderte sie aber nicht , auch weiterhin vormilitärisches Training zu betreiben.146 Einem Rundschreiben , das kurze Zeit später an die Kreis- , Bezirks- und Ortsführer der Niederösterreichischen Sturmscharen erging , war außerdem zu entnehmen , der Kanzler habe ungeachtet der Auflösung angeordnet , „dass in jedem Bezirke eine Stosstruppe verlässlicher , handfester und altbewährter Sturmscharkameraden zusammengestellt wird , welche die Aufgabe hat , als Stosstruppe der V. F. nach jeweiligen Frontweisungen eingesetzt zu werden“.147 In dieser Anweisung ist wohl der Ausgangspunkt für die formal erst im Juli 1937 erfolgte Aufstellung des Sturmkorps zu sehen , das bislang noch weitgehend unerforscht ist.148 Die Überführung der Wehrverbände in die Frontmiliz war begleitet von organisatorischem Chaos und einer unglücklichen Informationspolitik.149 Die Heimwehren protest ierten scharf , setzten dem Vorgehen der Regierung aber ansonsten nichts entgegen.150 Ihre Entmachtung war damit perfekt , einzig in Vorarlberg gelang es den Heim145 Vgl. Reich ( 2000 ), 416 ff. 146 Vgl. Reich ( 2000 ), 420 f. 147 VF-Archiv 514 / 3203 / 160–161 :161. 148 Das betrifft sowohl die Motive hinter der Gründung als auch die Größe des Sturmkorps. Wiltschegg spricht ohne Quellenangabe von 120 Mann , vgl. ders. ( 1985 ), 14. Broucek schreibt , gestützt auf eine Seminararbeit aus den 1960ern , angestrebt worden wäre ein Stand von 4.000 Mann , die auch als Säuberungstruppe gegen die NSDAP fungieren sollten , vgl. Broucek ( 2008 ), 308. Wenigstens zeitweise gingen die Planungen aber sicher noch bedeutend weiter. Einem undatierten Konzept in den Akten des Generalsekretariats der VF ist zu entnehmen , dass für den Eintritt ins Sturmkorps strenge Kriterien hinsichtlich der körperlichen und politischen Eignung zu erfüllen waren , so eine Körpergröße von mindestens 1,70 m und die Beibringung zweier Bürgen für die politische Zuverlässigkeit. Die Mitgliedschaft im Sturmkorps sollte eine anderwärtige Organisationsmitgliedschaft ausschließen , sie war zudem an eine sechsmonatige Bewährungsfrist gebunden. In der Truppe sollte schärfster Drill gelten , neben der körperlichen Ausbildung lag ein besonderes Augenmerk auch auf der ideologischen Schulung. Für den geplanten massiven Ausbau spricht nicht nur die ausdrückliche Feststellung , das Sturmkorps dürfe maximal ein Prozent der Wohnbevölkerung ( ! ) umfassen , sondern auch die Absicht , „Spezialsturmblocks“ zu bilden , die über besondere technische und chemische Fertigkeiten verfügen sollten. VF-Archiv 514 / 3227 / 18–29. Der elitäre Anspruch des Sturmkorps , gepaart mit der völlig auf die Person des Führers Schuschnigg ausgerichtete Disziplinierung und die einschlägige öffentliche Inszenierung bestätigen klar die Interpretation Ernst Hanischs und Robert Kriechbaumers , das Sturmkorps sei der SS nachempfunden gewesen , vgl. Hanisch , Ernst ( 1994 ) : Der lange Schatten des Staates. Österreichische Gesellschaftsgeschichte im 20. Jahrhundert , Wien , 314 ; Kriechbaumer , Robert ( 2002 ) : Ein Vaterländisches Bilderbuch. Propaganda , Selbstinszenierung und Ästhetik der Vaterländischen Front 1933–1938 , Wien / Köln / Weimar , 48 f. Entsprechend reges Interesse rief das Sturmkorps auch bei Anhängern des Faschismus im Ausland hervor , so ersuchte die britische Imperial Fascist Guard um Zusendung näherer Informationen „for propaganda purposes“, VF-Archiv 514 / 3229 /21. 149 Einem Stimmungsbericht aus der Obersteiermark vom 31. Juli 1936 war etwa zu entnehmen , dass „eine allseitige Unklarheit und Unsicherheit“ darüber herrsche , „ob die Wehrformationen als solche überhaupt aufgelöst sind oder ob sie als reine zivile Vereinigungen [ … ] weiterbestehen“. Die Leute begegneten der Frontmiliz mit Misstrauen und wollten „sich absolut in kein wie immer geartetes Abenteuer einlassen , sie woll[ t ]en nichts anderes , als wieder in Ruhe und Frieden arbeiten zu können“. Von einem Beitritt in die Frontmiliz schrecke zudem die bestehende Unsicherheit über die arbeitsrechtlichen Konsequenzen und die staatliche Versorgung ab. VF-Archiv 514 / 590 / 10–14. 150 Siehe oben , desgl. VF-Archiv 514 /2231 / 169–170.
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wehren , die Frontmiliz direkt zu übernehmen.151 Das Bild der Frontmiliz in der Öffentlichkeit war augenscheinlich verheerend. Aktivitäten wie ein erstes größeres Manöver in Kärnten im August 1936 mit mehr als zweitausend Milizionären und entsprechender medialer Begleitmusik152 schafften es nicht , die Stimmung zu drehen. Die Frontmiliz , an deren schierer Existenz in der Bevölkerung offenkundig Zweifel bestanden ,153 wurde schließlich im Juli 1937 auch formal dem Bundesheer eingegliedert.154 Ein längeres Leben als der Frontmiliz war paradoxerweise den offiziell aufgelösten Wehrverbänden vergönnt. Ihre Führer verblieben auf regionaler Ebene fast ausnahmslos , auf Bundesebene zu guten Teilen weiter auf ihren Posten. Auch ihre organisatorischen Strukturen wurden nicht vollständig aufgelöst. Stattdessen wurden die Wehrverbände in Veteranenvereine überführt , über deren Strukturen und Aktivitäten bislang nicht viel bekannt ist. Sie sollten wohl einem unkontrollierten Abdriften der Kameraden aller Fraktionen zu den Nationalsozialisten vorbeugen , inwieweit auch militärische Überlegungen eine Rolle spielten , ist dagegen unklar , evident sind die Hoffnungen der „Veteranen“ auf baldige Reaktivierung und Bewaffnung.155 Zu untersuchen wäre in diesem Zusammenhang auch , wie umfassend die Entwaffnung der Wehrformationen tatsächlich durchgeführt wurde. Der größte Veteranenverband , der österreichweit tätig war und von der starhembergtreuen Nomenklatura der ehemaligen Heimwehren geleitet wurde , war der „Kameradschafts- und Unterstützungsverein ehemaliger Heimatschützer“, später kurz „Alt-Heimatschutz“. Dieser unterhielt in Linz ein Büro , das Starhembergs Stellvertreter als Bundesführer , Heinrich Wenninger , führte. Mit offizieller Duldung156 und partieller Unterstützung der VF157 organisierte der Alt-Heimatschutz soziale und karitative Aktivitäten und nahm allgemeine – und speziell personalpolitische – Interessen der Heimwehrangehörigen innerhalb des Regimes wahr. Das hieß freilich nicht , dass die handelnden Personen tatsächlich gedachten , „unpolitisch im vaterländischen Sinne zu wirken“, wie es in ihren neuen Statuten stand.158 Sie gaben überaus politische Medien heraus ( speziell die in Linz erscheinende Zeitung „Die Neue Zeit“ ), intrigierten wie eh und je gegeneinander159 und führten mit Verve die Auseinandersetzungen mit ihrem 151 VF-Archiv 514 / 622 / 7–9. 152 Vgl. Die Berichterstattung über das Manöver vom 23. August 1936 auf der Flattnitz in den Tageszeitungen der folgenden Tage. 153 So sah sich die VF-Bezirksorganisation Baden noch im Sommer 1937 , kurz vor der Auflösung , genötigt , einen Aufmarsch zu organisieren , um der Bevölkerung die Existenz der Frontmiliz zu beweisen. VF-Archiv 514 / 176 / 1 2–13. 154 BGBl. 227 / 1937. 155 VF-Archiv 514 / 879 / 180. 156 Die Toleranz der Staatsführung hatte freilich auch Grenzen. So wurde den Veteranen das Tragen der alten Heimwehrabzeichen und Teilen der Uniform ausdrücklich untersagt , vgl. VF-Archiv 514 / 107 / 83–84 , auch Aufmärsche hatten zu unterbleiben , nachdem Kundgebungen in Wels und Hermagor in Demonstrationen für den Anschluss umgeschlagen waren , vgl. VF-Archiv 514 / 622 / 57. 157 Das Wiener Sekretariat des Alt-Heimatschutzes befand sich in Räumlichkeiten , die durch die VF zur Verfügung gestellt wurden , vgl. VF-Archiv 514 / 622 / 4 4. 158 VF-Archiv 514 / 622 / 4 . 159 Feys Anhänger hatten sich im April 1937 in dem „Reichskameradschaftsverband ehemaliger Hei-
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Lieblingsfeind innerhalb des Regimes fort , mit der christlichen Arbeiterbewegung.160 Im Jahr 1937 versuchte die Gruppe um Odo Neustädter-Stürmer eine Reaktivierung der Heimwehren , um gemeinsam mit der NSDAP eine „Nationalfascistische Front“ der oppositionellen Kräfte zu bilden , offenkundig zeitigte diese Initiative aber keine konkreten Folgen.161 Für die VF waren die Kameradschaften ein Quell steten Ärgernisses. Nachdem Ignorieren das Problem nicht zu lösen vermochte ,162 wurden Stimmen laut , die Kameradschaften ebenfalls zwangsweise unter dem Dach der VF zu vereinheitlichen.163 Dazu kam es aber nicht mehr. II. Die kleinen bürgerlichen Wehrverbände Aus Platzgründen konzentriert sich die Zusammenschau der kleineren Verbände auf die Bauernwehren des Landbundes und die Frontkämpfervereinigung , die beide vergleichsweise früh in nationalsozialistische Gefilde abdrifteten , sowie auf die zwei wichtigsten der christlichsozialen Partei nahestehenden Wehrverbände neben den Heimwehren , die Ostmärkischen Sturmscharen und den Freiheitsbund.164 Zu den Wehrabteilungen der Christlich-Deutschen Turnerschaft liegt bislang noch keine Arbeit vor. Zweifelhaft ist aber , inwieweit die Kurzdarstellung Wiltscheggs zutrifft , in der es heißt , dass „etwa ab 1933“ Wehrabteilungen gebildet worden seien.165 In den christlichen Turnvereinen Ober österreichs wurde aber beispielsweise bereits 1927 das Wehrturnen gutgeheißen , die Bildung eigener Wehrzüge aber vorerst noch abgelehnt.166 Bereits 1928 wurde dann jedoch die „Eingliederung des Wehrturnens“ beraten ,167 bei einem Heimwehraufmarsch am 26. Mai 1929 in Gmunden marschierten bereits zwei Kompanien der Wehrturner unter dem Kommando eines eigenen Wehrturnwartes mit.168 Für 1931 wird schließlich berichtet , die Wehrabteilungen in den oberösterreichischen Vereinen hätten sich „zur Gänze von der Beteiligung am Heimatschutz gelöst“.169 Die Aufarbeitung der Geschichte der matschutz- und Schutzkorpsangehöriger“ zusammengetan , anders als der Alt-Heimatschutz stellten sie sich aber gegen eine aktive Teilhabe am Staat , vgl. VF-Archiv 514 /2455 / 30. Auch Freiheitsbündler und Sturmscharangehörige hatten Kameradschaften gebildet , alle Fraktionen beäugten sich argwöhnisch wie eh und je und versuchten nach Möglichkeit , einander zu schaden , etwa bei Postenbesetzungen im Schutzkorps , vgl. VF-Archiv 514 / 166 / 15–16. 160 Vgl. Wiltschegg ( 1985 ), 99–110. 161 VF-Archiv 514 / 1 41 / 13–16. 162 VF-Archiv 514 / 1 41 /2. 163 VF-Archiv 514 / 879 / 180. 164 Die NS-Verbände bleiben aus systematischen Erwägungen außen vor , da sie an anderer Stelle in diesem Band behandelt werden. 165 Wiltschegg ( 1985 ), S. 331. 166 Vgl. Dickinger , Roman ( 1987 ) : Die christlich-deutsche Turnerschaft in Oberösterreich. Chronik 1905–1938 , unpubl. Manuskript , 4 Bde. , Bd. 1 , 46 ( Bibliothek des Instituts für Zeitgeschichte Wien , L–1571 ). 167 Ebenda , S. 51. 168 Ebenda , S. 58. 169 Ebenda , S. 87.
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christlich-deutschen Wehrturner wäre ein lohnendes Vorhaben , Quellen stünden genügend bereit.170 Ähnliches trifft auf die Burgenländischen Landesschützen , die christlichsoziale Abspaltung der burgenländischen Heimwehr , zu.171 2.1 Bauernwehren Zur Geschichte der Bauernwehren liegt bisher lediglich eine Diplomarbeit vor , die sich vornehmlich auf die Publizistik des Landbundes und Akten des Innenressorts stützt.172 Eine neuerliche Bearbeitung des Themas unter Berücksichtigung weiterer Quellenbestände ( Bezirkshauptmannschaften , diplomatische Berichte , Landessicherheitsdirektionen sowie Nachlass Schumy ) und vorhandener Sekundärliteratur könnte das bestehende Bild aber sicher erheblich verfeinern. In den Auseinandersetzungen zwischen Schober und den Heimwehren nach der Verfassungsreform 1929 schlugen sich beide deutschnationale Parteien , die Großdeutsche Volkspartei und der Landbund , auf die Seite des Kanzlers. Zur Jahreswende 1929 / 30 wurde daher der Landbund-Vizekanzler Schumy , eigentlich ein alter Förderer der Heimwehren , aus seiner Klagenfurter HW-Ortsgruppe ausgeschlossen.173 Der Landbund reagierte auf die Anfeindungen umgehend und begann noch im Dezember 1929 in der Steiermark mit der Bildung einer „steirischen Bauernwehr“.174 Inwieweit man dabei tatsächlich Formationen aus den Umbruchsjahren 1918 / 19 reaktivierte und dies nicht einfach nur aus strategischen Überlegungen behauptete , ist offen.175 Es folgte wenige Wochen später die Gründung einer Reichsorganisation , der Bruch mit den Heimwehren war damit trotz gegenläufiger Beteuerungen nicht mehr zu leugnen.176 Innerhalb der Reichsorganisation übernahmen die Oberösterreicher um Franz Maier und Franz 170 Neben Satzungen und Verordnungsblättern bieten sich als Quellen zahlreiche publizierte Leitfäden , Kalender , das Handbuch „Die Schmiede“, die Verbandsturnerzeitung und allenfalls noch vorhandene Bestände des Pressedienstes der Turnerschaft an. Siehe auch Recla , Josef ( 1982 ) : Die christliche Turnerbewegung. Frisch , Fromm , Fröhlich , Frei. Eine Gedenkschrift [ G emeinschaft ehemaliger Christlich-Deutscher Turner Österreichs ] , Golling ; desgl. Matzinger , Petra ( 1993 ) : Die christliche Turnerbewegung in Österreich und der Antisemitismus , Dipl.-Arb. , Wien. Matzingers Ausführungen stützen sich stark auf Recla und zeichnen sich leider nicht durch Quellenkritik aus. Die Wehrfrage behandelt sie allenfalls am Rande , etwa wenn sie schreibt , „allzuoft musste in diesen Jahren die Turnkleidung mit der Uniform getauscht werden , wodurch die turnerische und fachliche Arbeit stark in Mitleidenschaft gezogen wurde“ ( S . 80 ). 171 Vereinzelte Hinweise finden sich zudem in den Beständen des VF-Generalsekretariats ( etwa Berichte über Einigungsversuche mit dem Starhemberglager aus dem April 1933 , vgl. VF-Archiv 514 / 1602. Als Quelle infrage kommen neben Presseberichten auch Bestände der burgenländischen Landesregierung , da als Kommandant der Schützen der Landesrat und spätere Landeshauptmann Hans Sylvester fungierte. 172 Scheuch ( 1983 ). 173 Schumy selbst sah die Verantwortlichen für seinen Ausschluss in Ludwig Hülgerth und dem Kärntner Heimwehr-Geschäftsführer Emil Barnert , vgl. Benedikt , Ursula ( 1966 ) : Vinzenz Schumy 1878–1962. Eine politische Biographie , phil. Diss. , Wien , 124 ff. 174 Wiltschegg ( 1985 ), 333. 175 Vgl. Scheuch ( 1983 ), 23 f. 176 Ebenda , 27 f.
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Bachinger die Führung.177 Der Aufbau weiterer Formationen in anderen Bundesländern verlief offenbar recht unterschiedlich , von durchschlagendem Erfolg dürfte er nirgends begleitet gewesen sein. Entweder verblieb das Publikum , das man zu rekrutieren gedachte , in den Heimwehren oder es wechselte gleich in die NS-Formationen.178 Ein Grund dafür mag die undurchsichtige Struktur der Bauernwehren gewesen sein , die öffentlich unter verschiedenen Bezeichnungen in Erscheinung traten und zwar dem Landbund nahestanden , von diesem aber erst zwei Jahre später , 1932 , als „eigene“ Wehrorganisation unter dem Titel „Grüne Wehr“ proklamiert wurden.179 Im Juli 1933 wurden die Angehörigen der Grünen Wehr ins Assistenzkorps eingegliedert und standen damit im Einflussbereich des Heeres. Angesichts des von den Heimwehren dominierten Freiwilligen Schutzkorps dürfte das durchaus den Wünschen des Landbundes entsprochen haben.180 Im Assistenzkorps war die Grüne Wehr unter den Wehrverbänden als zweitstärkste vertreten.181 Wie Finanzierung und Bewaffnung bis dahin bewerkstelligt worden waren , liegt weitgehend im Dunkeln , Bundeskanzler Schober wies entsprechende Verdächtigungen der Heimwehr naturgemäß von sich.182 Durchaus nicht unwahrscheinlich sind jedenfalls Zuwendungen aus Deutschland. Im Sommer 1933 wandelte sich der Landbund zur „Nationalständischen Front“ und hoffte , außerhalb der VF als Dachorganisation des zersplitterten deutschnationalen Organisationswesens fungieren zu können.183 Schon bei den ersten Großveranstaltungen zeigte sich aber , dass von einer gemeinsamen Front keine Rede sein konnte und die Organisation stark von der NS-Bewegung unterwandert war.184 Nachdem die Heimwehren im September 1933 Dollfuß erfolgreich gedrängt hatten , den Landbund aus der Regierung zu werfen , spaltete sich dieser faktisch. Einige Funktionäre , unter ihnen Schumy , schlossen sich der VF an. Der Großteil der Anhängerschaft und damit auch der Wehrorganisation wanderte dagegen zur NSDAP ab. Einheiten der Grünen Front beteiligten sich 1934 zwar nur vereinzelt am Juliputsch , nach diesem wurde die Organisation dennoch behördlich aufgelöst.185 2.2 Frontkämpfervereinigung ( FKV ) Angesichts der revolutionären Unruhen des Jahres 1919 waren bürgerliche Gruppierungen auch im roten Wien bestrebt , eine eigene Wehrorganisation aufzubauen. Führend waren dabei mehrere Gruppen völkisch-legitimistischer Offiziere , besonders die um den Freikorps-Gründer Hermann Hiltl , zu der auch der spätere Vizekanzler Emil Fey gehörte. Dieser Kreis gründete zunächst einen Interessen- und Versorgungsverband für ehemalige Heeresangehörige , den Wirtschaftsverband der ehemaligen Berufsmilitärga-
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Ebenda , 27. Ebenda , 30. Ebenda , 32. Vgl. ebenda , 52 ff. Ebenda , 55. Ebenda , 29. Wandruszka , Adam ( 1983 ) : Das „nationale Lager“. In : Weinzierl / Skalnik , 277–315 :306 f. Ebenda , S 307. Vgl. Scheuch ( 1983 ), 82 ff.
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gisten , der als Vorstufe zu der am 30. April 1920 konstituierten186 Frontkämpfervereinigung fungierte.187 Entscheidend war , dass der Gründungsimpuls zwar von rechten Offizieren ausging , die Mitgliedschaft aber im Unterschied zu anderen Offiziersorganisationen bald auch Mannschaftsdienstgraden offenstand. Es gelang der FKV , rasch auch in anderen Bundesländern Fuß zu fassen. Neben radikalem Antisemitismus war das hervorstechendste ideologische Charakteristikum der FKV anfänglich ihr Legitimismus , der wiederum eine geistige Brücke zum rechten Flügel der Christlichsozialen um Seipel und Funder , aber auch zur christlichsozialen Arbeiterschaft schlug. Die Christlichsozialen versuchten früh , einen Wiener Dachverband der bürgerlichen Formationen zu schaffen , finanziert maßgeblich durch Industrielle und das Horthy-Regime ,188 die Allianz war aber von Beginn an brüchig.189 Aus dem Personalpool der FKV stammten sowohl Funktionäre der Heimwehren190 wie der NSDAP191 und der Christlichsozialen Partei. Ende der 1920er wandte sich die FKV stärker der NSDAP zu , bei Wahlen rief man aber noch 1930 zur Stimmabgabe für die CSP auf.192 Den Ausschlag zugunsten der NSDAP dürfte schließlich deren Verbot 1933 gewesen sein , in dessen Folge viele ihrer Mitglieder in die FKV strömten , um sie als legalen Betätigungsrahmen zu nützen. Eine gewisse Rolle mag auch der dezidiert kleinstaatliche Kurs der Regierung Dollfuß gespielt haben , der eingefleischten Großdeutschen in den Reihen der FKV nicht gefallen konnte. Im Juni 1935 löste die Generaldirektion für Öffentliche Sicherheit die FKV schließlich als staatsfeindliche NS-Tarnorganisation auf.193 Die Aktivität der FKV wird in der Literatur vor allem auf propagandistischer Ebene , in der Verbreitung von antisemitischen , antisozialistischen Ressentiments gesehen. Von anderen bürgerlichen Bewegungen ähnlichen Zuschnitts unterschied sich die Agitation der FKV aber entscheidend darin , dass sie durch Umzüge und Demonstrationen bewusst versuchte , den öffentlichen Raum in der Bundeshauptstadt nicht der Linken zu überlassen.194
186 Vgl. Rape ( 1977 ), 189 , desgl. Messerer , Ingeborg ( 1963 ) : Die Frontkämpfervereinigung DeutschÖsterreichs. Ein Beitrag zur Geschichte der Wehrverbände in der Republik Österreich , phil. Diss. , Wien , 5 ff. 187 Vgl. Gieler ( 1969 ), 19 ff. 188 Als Dachorganisation wurde der „Bund für Ordnung und Wirtschaftsschutz“ ins Leben gerufen , vgl. Rape ( 1977 ), 191. 189 Vgl. Strigl , Mario ( 2000 ) : Vom Legitimismus zum Nationalsozialismus. Die Frontkämpfervereinigung in Österreich , Dipl.-Arb. , Wien , 42. 190 HW-Landesführerstellvertreter Fritz Lahr war Gründungsmitglied der FKV. 191 Der Wiener NSDAP-Gauleiter Alfred Frauenfeld stammte aus der FKV , Hiltl hatte keine formale Funktion innerhalb der NSDAP , war aber etwa 1929 Ehrengast auf dem Reichsparteitag in Nürnberg. 192 Vgl. Strigl ( 2000 ), 55 f. 193 Vgl. ebenda. 83. Die im gleichen Monat gegründete „Vaterländische Frontkämpferbewegung der österreichischen Reichskameradschafts- und Soldatenfront“, kurz „Frontkämpferbewegung“, hatte mit der FKV nichts zu tun. Sie stellte einen Zusammenschluss des Reichskameradschaftsbundes mit dem Kriegerbund und der österreichischen Soldatenfront dar und wurde als solcher der VF eingegliedert , VF-Archiv 514 / 1 488 / 173–175 194 Vgl. Strigl ( 2000 ), 48.
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Die Angaben über den militärischen Wert gehen dagegen auseinander.195 Fest steht die Verwicklung in mehrere gewalttätige Auseinandersetzungen , als berühmt-berüchtigtstes Beispiel dafür steht sicherlich die Schießerei in Schattendorf im Jänner 1927. Die Hochburgen der FKV lagen allerdings in Gebieten , die klar von der Linken dominiert wurden , vornehmlich in und um Wien. Angesichts dessen konnte es die FKV kaum auf größere Zusammenstöße ankommen lassen , sondern lediglich als Assistenzkörper eine Rolle spielen , was ab 1933 auch der Fall war. Während Organisation , Ideologie und Stellung zu den anderen Wehrverbänden bereits relativ gut erforscht sind , vornehmlich durch die Diplomarbeit von Mario Strigl , gilt das nicht für die Rolle der FKV als Wehrverband im engeren Sinn. Näher in Augenschein genommen werden müssten dafür sicherlich die Landesorganisationen , die – wie in der Steiermark – zeitweise auch Wehrbündnisse mit den Heimwehren unterhielten.196 2.3 Die ostmärkischen Sturmscharen Als Gegengewicht zur verbandlichen Jugendarbeit linker wie deutschnationaler Gruppierungen hatte man im katholischen Milieu Deutschlands bereits vor dem Ersten Weltkrieg mit dem Aufbau eigener Strukturen begonnen. Diese „Wanderburschen“-Gruppen waren Wandervogel und Roten Falken nachempfunden , ihr Aktivismus und ihre vergleichsweise große Freizügigkeit stieß aber in den eigenen Reihen auf erhebliche Skepsis und blieb daher bis in die 1920er eine regionale Erscheinung. Im Jahr 1929 wurde allen internen Widerständen zum Trotz von den Wanderburschen als ihre deutschlandweite Organisation die „Sturmschar des katholischen Jungmännerverbands“ gegründet , die in Konkurrenz zur HJ ebenfalls bald mit vormilitärischer Erziehung begann.197 Im Sommer 1930 lernte Schuschnigg als Teil einer Tiroler Delegation im Rheinland die Sturmscharen kennen und entschloss sich umgehend , den österreichischen Vereinskatholizismus um eine ähnliche Organisation zu erweitern. Mit der Gründung der Ostmärkischen Sturmscharen ( OSS ) am 7. Dezember 1930 war auch eine interne Mission verbunden : die Erneuerung des Vereinskatholizismus „im Geiste Luegers“, was sowohl konservative Kapitalismuskritik als auch völkisches Gedankengut einschloss.198 Zumindest offiziell handelte es sich in den Anfängen also um keinen Wehrverband. Im Hinblick sowohl auf das Datum der Gründung ( ein Monat nach der Wahlschlappe der Christlichsozialen , die 195 So Messerer ( 1963 ), 55 , unter Berufung auf ein ehemaliges Mitglied : Die FKV habe „nur einige MG und Gewehre“ aus Weltkriegsbeständen besessen. Was sonst an Waffen vorhanden gewesen sei , habe sich im Privatbesitz der Mitglieder befunden. Demgegenüber sprach der steirische Heimwehrführer Pantz in einer Denkschrift für die ungarische Regierung von 10.000 bewaffneten Mitgliedern der FKV , vgl. Kerekes ( 1966 ), 13. Auch die Gegneraufklärung des Schutzbundes nahm die FKV – im Gegensatz etwa zur niederösterreichischen Heimwehr – in einem Bericht im Juli 1927 durchaus ernst , vgl. Naderer , Otto 2004 : Der bewaffnete Aufstand. Der Republikanische Schutzbund der österreichischen Sozialdemokratie und die militärische Vorbereitung auf den Bürgerkrieg ( 1923–1934 ), Graz , 247. Erwin Steinböck spricht – allerdings lückenhaft belegt – von 12.000 bis 15.000 Gewehren und 150 MG , die die FKV „zu ihren Glanzzeiten“ besessen haben soll , vgl. ders. ( 1988 ), 42. 196 Vgl. Pauley ( 1972 ), 51. 197 Vgl. Reich ( 2000 ), 54–66. 198 Vgl. ebenda , 67 f. Ähnlich gelagerte Versuche unternahmen auch Organisationen wie der Bund Neuland.
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nicht zuletzt der Kandidatur des Heimatblocks zu verdanken war ) als auch auf die zunehmend antiklerikalen Töne , die aus den Heimwehren nach außen drangen , ist es allerdings unwahrscheinlich , dass nicht von Beginn an entsprechende Pläne existierten.199 OSS-Reichsführer wurde mit Kurt Schuschnigg ein parteiinterner Rechtsausleger und enger Vertrauter Seipels. Der flächendeckende Organisationsaufbau wurde mit Unterstützung der christlichsozialen Parteileitung und des Bauernbundes vorangetrieben ,200 begleitet von wütenden Ausfällen der Heimwehren gegen diese „Tabernakelwanzen“ und „Piusindianer“.201 Ein wichtiger Meilenstein war für die OSS die Rekrutierung von Dollfuß’ Nachfolger als niederösterreichischer Bauernbundführer , Leopold Figl. Im Mai 1932 trat auch Raabs Heimwehr-Landesverband den OSS bei.202 Die offizielle Militarisierung der OSS erfolgte nach der Parlamentsausschaltung 1933 , einerseits durch Übernahme von Angehörigen in die neu geschaffenen Assistenzkörper , andererseits durch direkte Bewaffnung.203 Der Mannschaftsstand der OSS blieb mit 15.000 Mann dennoch vergleichsweise bescheiden. Walter Reich hat die Geschichte der Sturmscharen ausführlich dargestellt , allerdings stand ihm , wie auch der restlichen Forschergemeinde , die zur Periode 1933–1938 arbeitet , ein zentraler Quellenbestand nicht zur Verfügung , namentlich die durch das Moskauer Kriegsarchiv 2009 restituierten Aktenbestände des Generalsekretariats der Vaterländischen Front und der Sturmscharen in Wien. Auch die Bestände der Landesarchive wurden bisher kaum herangezogen. Dadurch war Reich stark auf die offiziöse Außendarstellung der Sturmschar angewiesen und konstruiert sie stark als systemloyalen Gegenpol zum Nationalsozialismus ,204 wohingegen sich in den VF-Akten durchaus Anzeichen für ein Einsickern nationalsozialistischer Anhänger finden lassen.205 199 Kurt Schuschnigg schrieb am 15. Oktober 1931 an Carl Vaugoin : „Aus meiner persönlichen Meinung habe ich nie einen Hehl gemacht – das System von heute ist für unser Land nicht tauglich – daher wird es früher oder später von selbst in sich zusammenbrechen. Daß dann eine politische Front vorhanden sei , die im Stande ist den politischen Katholizismus aufzunehmen , soll mit eine der Hauptsorgen der Sturmscharbewegung – wie ich sie mir vorstelle – sein.“ Zitiert nach : Staudinger , Anton 1975 : Christlichsoziale Partei und Errichtung des „Autoritären Ständestaates“ in Österreich. In : Jedlicka , Ludwig / Neck , Rudolf ( Hg. ), Vom Justizpalast zum Heldenplatz. Studien und Dokumentationen 1927 bis 1938 [ Festgabe der Wissenschaftlichen Kommission des Theodor-Körner-Stiftungsfonds und des Leopold-Kunschak-Preises zur Erforschung der österreichischen Geschichte der Jahre 1927 bis 1938 anläßlich des dreißigjährigen Bestandes der Zweiten Republik Österreich und der zwanzigsten Wiederkehr des Jahrestages des Österreichischen Staatsvertrages ] , Wien , 65–81 :66. 200 Wiltschegg ( 1985 ), 327. Offenkundig reichten die zur Verfügung gestellten Mittel aber bei Weitem nicht aus , vgl. Reich ( 2000 ), 194. 201 VF-Archiv 514 /2344 / 10. Dem Vorwurf der allzu großen Nähe zu den christlichsozialen Eliten begegneten die Salzburger Sturmscharen am 5. April mit einer Erklärung , in der es hieß , man sei eine politische Erneuerungsbewegung und als solche „vielfach sogar im Kampfe gegen die christlichsoziale Partei gross geworden“. Man sei „keineswegs eine Nachfolgerin der alten christlichsozialen Partei oder eine getarnte neue Partei“ und verwahre sich daher dagegen , „dass man mit Angriffen gegen die ‚Christlichsozalen‘ oder mit Schlagern von ‚Bonzentum‘ und ‚Klerikalismus‘ Hiebe gegen sie führt.“ VF-Archiv 514 / 1666 / 104. 202 Vgl. Reich ( 2000 ), 148 ff. 203 Vgl. ebenda , 202–216. 204 Vgl. ebenda , 274–298. 205 So heißt es in einem Schreiben an das VF-Generalsekretariat vom 17. September 1935 in Bezug auf
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2.4 Freiheitsbund Im Juli 1927 , nur einen Tag nach dem Ende der Straßenkämpfe in Wien , beschlossen die christlichen Gewerkschafter unter Leopold Kunschak , ihre eigene militärische Vereinigung aufzustellen , den Freiheitsbund. Entgegen den offiziellen Verlautbarungen dürfte der Anlass dazu aber weniger der Schutz „christlicher Arbeiter vor dem sozialdemokratischen Betriebsterror“ gewesen sein.206 Der „rote Terror“ im Betrieb bestand vornehmlich aus einer Mischung aus Werbetätigkeit , sozialem Druck und verweigerter Hilfestellung gegenüber politischen GegnerInnen. Zu Fällen physischer Gewalt kam es am Arbeitsplatz dagegen selten , wo dies doch der Fall war , richtete sich die Aggression meist gegen Vorgesetzte207 und Streikbrecher ,208 nicht aber gegen KollegInnen. Die Gefahr linker Angriffe auf Einrichtungen und Kundgebungen der christlichen Gewerkschaften war überschaubar ,209 dafür existierten außerdem bereits entsprechende Ordnerabteilungen.210 Anzunehmen ist daher , dass die Gründung des Freiheitsbundes sich vor allem gegen die Heimwehren richtete. Die hatten mittlerweile begonnen , systematischer um Arbeiter zu werben , und im Mai 1928 auch eine eigene Gewerkschaft gegründet. Das gute Verhältnis zu den Heimwehren , um das sich Kunschak und seine Leute ursprünglich bemüht hatten ,211 schlug daraufhin in eine scharfe Konkurrenz um , wobei die Heimwehren auch vor mehreren gewaltsamen Angriffen auf christliche Gewerkschaftsveranstaltungen nicht zurückschreckten.212 Der Freiheitsbund war daher wohl vor allem dazu gedacht , der zunehmenden Militanz in den eigenen Reihen Raum den Grazer Stadtteil Mariatrost : „Es ist eine Tatsache , dass fast nur Nazi und darunter die allerärgsten und direkt gefährliche sich hier zu den O.S.S gemeldet haben.“ VF-Archiv 514 / 1039 / 18. 206 Wiltschegg ( 1985 ), 328. 207 Vgl. Botz ( 1976 ), 74 f. Das von Botz erstellte Verzeichnis politischer Gewalttaten enthält bis zum Juli 1927 keinen einzigen Vorfall zwischen sozialdemokratischen und christlichsozialen Gewerkschaftern oder Arbeitern ( vgl. ebenda , S. 259–265 ). Die Legende vom Betriebsterror , die im bürgerlichen Milieu eine wichtige Rolle spielte , dürfte eher der traumatischen Erfahrung von Unternehmern und leitenden Angestellten geschuldet sein , die ihre bis 1918 unumschränkte Verfügungsgewalt im Betrieb verloren hatten und in der Republik vermehrt auf Widerstand der Arbeiterschaft stießen. 208 Zu diesem Ergebnis kommt im Übrigen auch die Arbeit des Christgewerkschafters Wilfried de Waal , die häufig bemüht wird , um die Erzählung vom „Betriebsterror“ zu untermauern. Bezeichnenderweise spricht de Waal schon in der Einleitung davon , dass es sich bei dem Begriff keineswegs um eine „gewalttätige Form des politischen Machtkampfes“, sondern vielmehr um ein „Chiffre“ handle , die er , „da er sich [ … ] eingebürgert hat [ … ] der Einfachheit halber“ übernehme ( S . 1 ). Im Weiteren der Arbeit wird stillschweigend jegliche Aktivität gegen Nicht-Sozialdemokraten bzw. nicht bei den Freien Gewerkschaften Organisierte unter „Betriebsterror“ subsumiert und der Legende damit weiter Vorschub geleistet. Vgl. De Waal , Wilfried ( 1979 ) : Betriebsterror und christliche Gewerkschaften. Das Entstehen des Antiterrorgesetzes , phil. Diss. , Wien. 209 Botz listet zwischen 1922 und 1931 ganze sechs Zusammenstöße zwischen sozialdemokratischen und christlichsozialen Arbeitern auf , vgl. ders. ( 1976 ), 232. 210 Vgl. Hemala , Franz ( 1936 ) : Der Freiheitsbund. In : Jahrbuch der christlichen Arbeiterschaft 1 / 1936 , 136–144 :137. 211 Vgl. Pelinka , Anton ( 1972 ) : Stand oder Klasse ? Die christliche Arbeiterbewegung Österreichs 1933 bis 1938 , Wien / München / Zürich , 29. 212 Vgl. Baumgartner , Walter ( 1985 ) : Der österreichische Freiheitsbund. Wehrverband der Christlichen Arbeiterbewegung 1927–1936 , Dipl.-Arb. , Wien , 10 f. , 47.
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zu geben und auf diese Weise den Abwerbeversuchen der Heimwehren vorzubeugen. Mit der Aufstellung eigener Abteilungen , Zehner- und Hundertschaften wurde im Lauf des Jahres 1928 begonnen ,213 eine straffere , zentralistische Organisation und verstärkte Militarisierung ( Uniformierung , Schießübungen etc. ) brachte aber erst die Statutenreform vom Juni 1930. Ab diesem Zeitpunkt stand der Organisation eine Doppelführung vor , bestehend aus der politischen und der militärischen Leitung.214 Als Bundesführer fungierte Johann Staud , Bundeswehrführer wurde der ehemalige Kommandant der 6. Brigade des Bundesheeres , Generalmajor Adolf Sterz ,215 dem 1935 General Hans Groß folgte.216 Der Freiheitsbund entwickelte ein Netzwerk an Unterorganisationen , zu denen neben Betriebsgruppen auch eine eigene Jugendorganisation , ein akademisches Korps und eine „Frauenhilfsgruppe“ gehörten.217 Die Mitgliederzahlen blieben vorerst aber bescheiden218 und nahmen erst ab der Jahreswende 1933 / 34 sprunghaft zu.219 Wie auch die christlichsoziale Arbeiterbewegung selbst war der Freiheitsbund primär eine ostösterreichische Erscheinung.220 In Quellen und Literatur öfter anzutreffen ist die Behauptung , der Freiheitsbund sei im Austrofaschismus von der Opposition stark unterwandert worden. Allerdings gehen die Behauptungen , wer da nun einsickerte , stark auseinander. So wollte der Besucher einer Innsbrucker Sturmschar-Veranstaltung im November 1934 den „alten Schutzbundgeist“221 verspürt haben , auch aus Wien wurde Anfang Juni 1935 vermeldet , der Freiheitsbund werde „wegen der Durchsetzung seiner Führerschaft mit ehemaligen Schutzbündlern von den anderen Wehrverbänden boykottiert“.222 Allerdings war andererseits das Verhältnis der Organisation zu den Nazis überaus herzlich. Staud arbeitete aktiv an der Einbindung „betont Nationaler“ in die Regierung223 und hatte 1935 keinerlei Hemmungen , sich antisemitische Aktivitäten seiner Organisation von der deutschen Botschaft bezahlen zu lassen.224 Das Einsickern von Oppositionellen war außerdem kein Privileg des Freiheitsbundes. Auch die Heimwehren mussten 1936 die Entdeckung machen , dass sich in ihrem Kraftfahrkorps eine Zelle kommunistischer Wehrsportler eingenistet und Munition entwendetet hatte.225 213 Ebenda , 32. 214 Vgl. Stubenvoll , Karl ( 1982 ) : Die Christliche Arbeiterbewegung Österreichs von 1918 bis 1933. Organisation , Politik , Ideologie , phil. Diss. , Wien , 196–214 , hier 199. 215 Baumgartner ( 1985 ), 19. 216 Ebenda , 112. 217 Ebenda. 218 Stubenvoll gibt für den Jahresbeginn 1929 1.500 Mitglieder an , vgl. ders. ( 1985 ), 203. 219 Wiltschegg nennt für das Jahr 1935 einen Mannschaftsstand von 30.350 , vgl. ders. ( 1985 ), 329. Nach anderen Angaben befanden sich darunter jedoch nur 8.000 Wehrfähige , vgl. Baumgartner ( 1985 ), 114. Behauptungen , wonach 1936 allein in Wien mehr als 40.000 Arbeiter und Angestellte den militärischen Abteilungen angehört hätten ( vgl. Pelinka [ 1972 ] , 76 ) gehen auf die propagandistischen Angaben Hemalas zurück und dürften stark übertrieben sein. 220 Vgl. Stubenvoll ( 1982 ) 203. 221 VF-Archiv 514 /2344 / 10. 222 VF-Archiv 514 / 586 / 3. 223 Carsten ( 1978 ), 227. 224 Vgl. Pelinka ( 1972 ), 164 f. 225 VF-Archiv 514 / 622 / 62–63.
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Ein demokratisches Gegengewicht zu faschistischen Regimeströmungen lässt sich im Freiheitsbund schwerlich erkennen , zumal schon seine Existenz als Ausdruck der autoritären Wende innerhalb der christlichen Gewerkschaften gedeutet werden könnte ,226 seine Führer ungeachtet mehrerer Versöhnungsappelle letztlich keinerlei hinhaltenden Widerstand gegen den Kurs von Dollfuß und später Schuschnigg erkennen ließen und der Freiheitsbund die Errichtung der Diktatur aktiv unterstützte ( woraufhin seine Führer anschließend zu deren Hauptprofiteuren zählten ). Die Perspektive der Opposition auf den Freiheitsbund könnte das bisherige Bild aber ergänzen und schärfen , zudem wäre der Freiheitsbund ein geeignetes Fallbeispiel zur Untersuchung des legal möglichen Dissenses im Regime Dollfuß / Schuschnigg wie auch dessen integrativen Potenzials. Auch sind die Langzeitwirkungen dieser einzigen dezidiert gewerkschaftsnahen Wehrorganisation in der Gründungsphase des ÖGB nach 1945 , die man etwa netzwerkanalytisch erforschen könnte , ein spannendes Thema. Als im engeren Sinn militärhistorische Fragestellung bietet sich im Fall des Freiheitsbundes eine weiter gehende Auseinandersetzung mit dessen – sich voneinander stark unterscheidenden – Landesverbänden und deren militärischer Ausrichtung an. Zu erforschen wäre darüber hinaus auch in diesem Fall die Beziehung mit und Wahrnehmung durch staatliche Behörden , speziell Bundesheer und Exekutive. III. Das Bundesheer Die Umwälzungen im Herbst 1918 beraubten das österreichische Bürgertum vorübergehend seiner militärischen Machtmittel , brachten in einer historischen Ausnahmesituation ein bewaffnetes und organisiertes Proletariat in Gestalt der Volkswehr hervor. Angesichts dessen war es wenig verwunderlich , dass der Entwicklung der bewaffneten Macht allgemein große Bedeutung beigemessen wurde. Die bürgerliche Seite verfolgte dabei zwei Ziele : den sozialdemokratischen Einfluss im Militär zurückzudrängen und selbst loyale Gewaltinstrumente in die Hand zu bekommen. Die österreichischen Stellen hatten Anfang 1919 Vorkehrungen für den Aufbau eines Milizheeres auf Basis einer Allgemeinen Wehrpflicht geschaffen. Der Friedensvertrag mit den Alliierten untersagte dergleichen aber und bestand auf einem Berufsheer. Inwieweit dahinter , ebenso wie hinter der Reduktion der Volkswehr , auch die Interessen der österreichischen Rechten standen , wäre noch zu klären.227 Grundsätzlich waren sowohl Struktur und Gliederung wie auch der Bewaffnung durch die Bestimmungen des Friedensvertrages enge Grenzen gesetzt , die jenen für die anderen Verliererstaaten nachempfunden waren.228 Die zwischen März und November 1920 neu aufgestellte Armee , 226 Als Ziele des Freiheitsbundes hielt § 2 des Statutes nicht nur die „Zusammenfassung der schaffenden christlich-deutschen Bevölkerung zu einer kraftvollen Volksgemeinschaft“ fest , sondern auch die „Förderung einer starken Staatsautorität“, Begriffe wie „Demokratie“ oder „Republik“ sucht man demgegenüber vergeblich , vgl. das Statut , wiedergegeben bei Baumgartner ( 1985 ), 14–19. 227 Vgl. Botz ( 1976 ), 57 , bes. FN 57. Dass die Konservativen massiv auf eine Reduktion der Volkswehr drängten , ist hinreichend belegt. Weniger eindeutig war die Haltung zur Wehrpflicht , auch konservative Länder traten für ein Miliz- statt einem Berufsheer ein , wohl weil sie annahmen , auf diese Weise den Anteil eigener Anhänger heben zu können , vgl. Haas ( 1967 ), 53. 228 Jedlicka ( 1955 ), 21 ; desgl. Ortner ( 2008 ), 482 f.
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die sich zunächst „Österreichische Wehrmacht“ nannte und erst ab 1. Jänner 1922 „Bundesheer“, umfasste schließlich sechs gemischte Brigaden und ersetzte die mit 13. April 1920 aufgelöste Volkswehr. Die Bewaffnung des Bundesheeres bestand vornehmlich aus leichten Infanteriewaffen , ergänzt durch jeweils gut zweihundert leichte und schwere Maschinengewehre , 60 Minenwerfer und 90 Geschütze. Der Besitz von Flugzeugen , Fliegerabwehrwaffen und Panzern war hingegen untersagt , ebenso der Unterhalt eines eigenen Generalstabes.229 Über die Einhaltung dieser Bestimmungen wachte bis Anfang 1928 eine interalliierte Militärkommission.230 Die vorgeordnete Dienststelle des Militärs bildete das Bundesministerium für Heerwesen , das bis November 1920 „Staatsamt für Heerwesen“ geheißen hatte und im November 1933 in „Bundesministerium für Landesverteidigung“ umbenannt wurde. Ihm stand bis zum Auseinanderbrechen der Proporzregierung Mayer im November 1920 Julius Deutsch vor. Neben der Verfassungs- markierte die Wehrfrage eine entscheidende Bruchlinie der Ers ten Republik. Einigen konnte man sich zunächst immerhin auf die Rekrutierung : Wie von den Christlichsozialen gewünscht , erfolgte diese in Landeskontingenten , wobei , wenn sich in einem Bundesland nicht ausreichend Freiwillige fanden , Landesfremde herangezogen werden konnten. Die Sozialdemokratie stimmte dem zu , weil sie offenkundig hoffte , angesichts der antimilitaristischen Grundstimmung in der Bauernschaft die entsprechenden Defizite aus der Arbeiterschaft bedecken und dem Bundesheer da-
229 Im Fall der Luftfahrt versuchte das Bundesheer , die Vertragsbestimmungen zu umgehen , indem die Einrichtungen der Fliegertruppe , soweit noch vorhanden , von der 1923 gegründeten „Österreichischen Luftfahrt Aktiengesellschaft“ ( ÖLAG ) übernommen wurden. Die ÖLAG übernahm auch ehemalige Militärpiloten und bildete in Kooperation mit dem Bundesheer in einem geheimen Programm ab 1928 neue aus. Ab 1933 wurde schließlich die Aufrüstung der Luftwaffe mit Unterstützung Italiens forciert und die Geheimhaltung bis Mitte 1935 schrittweise aufgegeben. Sowohl bei den Februar- , vor allem aber bei den Julikämpfen 1934 kam die Luftwaffe zu Aufklärungszwecken zum Einsatz , vgl. Prigl , Hubert ( 1990 ) : Die Militärluftfahrt in Österreich zwischen November 1918 und Juli 1938 , Dipl.Arb. , Wien ; desgl. ders. ( 1993 ) : Die Geschichte des Fliegerhorstes Langenlebarn von 1936 bis heute , phil. Diss. , Wien. 230 Organisation , Ausstattung , Dislozierung und Bewaffnung des Heeres sind vergleichsweise gut erforscht , siehe Blasi , Walter ( 2011 ) : Soldat auf zwei Rädern : die Motorräder des Bundesheeres der Ersten Republik ( 1920–1938 ), Wien ; Bratranek , Alfred ( 1998 ) : Die militärischen Flußstreitkräfte in Österreich 1918–1938 , Univ. Dipl.-Arb. , Wien ; Steinböck , Erwin ( 1991 ) : Die Organisation des Österreichischen Bundesheeres von 1920 bis 1938. In : Das Bundesheer der Ersten Republik 1918–1938. Teil 1 : Organisation und Bewaffnung [ M ilitaria Austriaca 1991 / Folge 7 ] , Wien , 7–72 ; Mötz , Josef ( 1991 ) : Die Bewaffnung des Bundesheeres der Ersten Republik. In : Das Bundesheer der Ersten Republik 1918– 1938. Teil 1 : Organisation und Bewaffnung [ M ilitaria Austriaca 1991 / Folge 7 ] , Wien , 75–85 ; Urrisk , Rolf M. ( 1988 ) : Die Räderfahrzeuge des österreichischen Bundesheeres 1918–1988 , Graz ; ders. ( 1989 ) : Die Panzerfahrzeuge des österreichischen Bundesheeres 1918–1988 , Graz ; ders. ( 1990 ) : Die Bewaffnung des österreichischen Bundesheeres : 1918–1990 , Graz ; ders. ( 1990 ) : Die Wasserfahrzeuge des österreichischen Bundesheeres 1918–1990 , Graz ; ders. ( 1990 ) : Die Spezialfahrzeuge des Österreichischen Bundesheeres 1918–1988 , Graz ; ders. ( 1993 ) : Die Uniformen des Österreichischen Bundesheeres 1918–1938 , Graz ; ders. ( 2006 ) : 100 Jahre Panzerwaffe im österreichischen Heer , Gnas.
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mit einen proletarischen Charakter geben zu können.231 Heftig umstritten waren dagegen die politische Ausrichtung des Militärs , das Recht auf politische Betätigung von Heeresangehörigen und die Kommandogewalt. Während die Sozialdemokratie auf den republikanisch-demokratischen Charakter des Heeres bedacht war ,232 eiferte die bürgerliche Seite im Verband mit einem Großteil des Offizierskorps dem reichsdeutschen Ideal einer vorgeblich „unpolitischen“ Armee nach.233 Kristallisationspunkte dieser Auseinandersetzung waren neben Eidformel und Traditionspflege besonders die politische Bildungsarbeit innerhalb des Heeres und allfällige politische Aktivitäten von Offizieren und Mannschaften außerhalb der Dienstzeit.234 Hinsichtlich der Kommandogewalt kam man überein , dass „Vertrauensmänner der Mannschaft ( Soldatenräte ) [ … ] die wirtschaftlichen Interessen und vertraglichen Rechte [ … ] zu vertreten [ hatten , und ] eine Beeinträchtigung der Kommandogewalt durch diese Vertrauensmänner [ … ] nicht stattfinden“ dürfe.235 Das änderte allerdings nichts daran , dass viele ehemalige k. u. k. Offiziere schon die bloße Existenz der Soldatenräte als Provokation empfanden. Das Berliner Militärwochenblatt vom 4. Juni 1921 hielt denn auch vermutlich weniger Faktizität fest , als es eine unter österreichischen Offizieren verbreitete Gefühlslage beschrieb , wenn es über das Bundesheer urteilte : „Ein Spiegelbild der traurigen Zustände Deutschösterreichs bildet die politisch völlig zersetzte und kommunistisch verseuchte , gewerkschaftlich organisierte Wehrmacht , in der die Soldatenräte den Begriff einer Kommando- und Befehlsgewalt völlig aufgehoben haben. In der von der Entente zugebilligten Stärke von 30.000 Mann hat die Wehrmacht in ihrer jetzigen Verfassung für die Wehrfähigkeit des Landes nicht den geringsten Wert – eher ist sie eine Gefahr.“236 Als in Deutschland am 13. März 1920 der Kapp-Putsch losbrach , zog am Morgen des 14. März vor dem Parlament in Wien Volkswehr auf , es folgten spontane Arbeiterdemonstrationen. Dieser Druck war ausschlaggebend für die Verabschiedung des Wehrgesetzes am 18. März 1920 , das damit in direkter Beziehung zu den Vorgängen in Deutschland zu sehen ist.237 Es wäre aber verfehlt , darin ein reines Ergebnis linker Ob231 Jedlicka ( 1955 ), 23 f. 232 Vgl. Haas , Karl ( 1985b ) : Die Heeresreform und ihre Durchführung 1920 : Republikanische Verlässlichkeit des Heeres und Sicherung der parteilichen Machtstellung als sozialdemokratische Maximen. In : ders. : Austromarxismus und Wehrfrage , 145–175. 233 Anders als der abgedankte Deutsche Kaiser Wilhelm hatte der österreichische Monarch Karl „seine“ Soldaten und Offiziere nicht aus dem Eid entlassen , was viele vor erhebliche Gewissensprobleme stellte , vgl. Jedlicka ( 1955 ), 29 f. , Rauter ( 1989 ), 47. 234 Vgl. ebenda. 235 Koalitionsabkommen 1919 , zitiert nach Deutsch ( 1923 a ), 128. 236 Zitiert nach Jedlicka ( 1955 ), 57. 237 Vgl. Körner , Theodor ( 1977 ) : Militärputsch in Berlin – und seine Lehren. In : ders. : Auf Vorpos ten. Ausgewählte Schriften 1928–1938 , herausgegeben und kommentiert von Ilona Duczynska , Wien , 138–177 :138 f. [ u rsprünglich erschienen in der Beilage „Auf Vorposten“ der Zeitung des Militärverbandes , „Der Freie Soldat“ im Mai und Juni 1930 ] , desgl. Haas ( 1967 ), 112 f. Die Genese des Wehrgesetzes selbst ist dargelegt bei Staudinger , Anton ( 1970 ) : Die Entstehung des Wehrgesetzes vom 18. März 1920. In : Österreichische Militärische Zeitschrift 8 / 1970 , 136–140.
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struktionspolitik zu sehen. Auch die Sozialdemokratie hatte Abstriche machen müssen. Das illustrierte nicht zuletzt die Gründung einer eigenen Soldatengewerkschaft , des Militärverbands , am 1. Mai 1920. So sollte der Einflussverlust infolge des Niederganges der Soldatenräte gebremst werden.238 Der Koalitionsbruch und die Bildung der ersten bürgerlichen Alleinregierung brachten im April 1921 erstmals kurzzeitig einen Mann ins Heeresministerium , der eines der längstdienenden Regierungsmitglieder der Ersten Republik werden sollte und die Geschichte des Bundesheeres maßgeblich prägte : der Wiener Christlichsoziale Carl Vaugoin.239 In seinen ersten Monaten im Amt war Vaugoin mit der Bewältigung der Burgenlandkrise beschäftigt ,240 hinsichtlich der militärischen Qualifikation Vaugoins plagten den nunmehrigen Kanzler Schober aber offenkundig bald Zweifel. Anfang Oktober 1921 entließ er Vaugoin und berief an dessen Stelle Oberst Josef Wächter , dessen Sohn zu den Führern des Juliputsches im Jahr 1934 gehören würde.241 Mit der Kanzlerschaft Seipels kehrte Vaugoin aber bereits Ende Mai 1922 wieder ins Heeresministerium zurück. Dort wandte er sich umgehend seinem Kernanliegen zu : der „Entpolitisierung“ des Heeres.242 Die Bewertung dieses Vorhabens durch die Geschichtsschreibung ist letztlich untrennbar mit deren Verständnis von Politik und Gesellschaft verbunden. Während nämlich noch allgemein ersichtlich ist , dass Vaugoin im Weiteren nicht an einer Ent- , sondern an einer Umpolitisierung gelegen war , wird Personen wie Schober , SchönburgHartenstein oder Jansa häufig attestiert , sie wären tatsächlich an einem „neutralen“ Militär interessiert gewesen , treu im Dienste des Volksganzen. In Wirklichkeit hieß „unpolitisch“ zu sein aber auch in deren Fall , ein verlässliches Instrument der politischen Rechten zu werden. Die Mehrheit der Offiziere sowohl der Polizei wie der Armee ver238 Vgl. Böhner , Gerhard ( 1982 ) : Die Wehrprogrammatik der SPÖ , Wien , 90 f. 239 Zum politischen Wirken Vaugoins vgl. umfassend Staudinger ( 1971 ). 240 Teile der deutschsprachigen Gebiete Westungarns waren in den Friedensverhandlungen 1919 Österreich zugeschlagen worden , allerdings zögerte Ungarn die tatsächliche Abtretung mehrfach hinaus und ließ die fraglichen Gebiete im August 1921 durch Gendarmerie und nationalistische Freischärler besetzen. Auch die österreichische Seite setzte nun Gendarmerie in Marsch , die allerdings gegen die ungarischen Kräfte nicht aufkam und sich nach zwei Wochen und mehreren , zum Teil heftigen Gefechten wieder zurückziehen musste. Unter Ausnützung der innerungarischen Wirren infolge des Restaurationsversuches von Karl Habsburg und mit politischer Rückendeckung durch die Alliierten rückte ab Mitte November 1921 das Bundesheer in zwei Etappen im Burgenland ein , wobei es nur zu einem Zusammenstoß mit ungarischen Freischärlern bei Kittsee kam. Zur Burgenlandkrise siehe Schlag , Gerald ( 1983 ) : Die Kämpfe um das Burgenland 1921 , Wien ; desgl. ders. ( 2001 ) : Aus Trümmern geboren … Das Burgenland 1918–1921 , Eisenstadt ; Walder , Peter ( 1998 ) : Die Organisation der Gendarmerie im Burgenland 1919–1921 , Univ. Dipl.-Arb. , Wien ; Jedlicka , Ludwig ( 1961 ) : Die militärische Landnahme des Burgenlandes und deren innenpolitische Bedeutung. In : Burgenländische Heimatblätter , Nr. 23 / 1961 , 117–123. 241 Vgl. Jedlicka ( 1955 ), 116 f. 242 Seine beiden wichtigsten Mitarbeiter in dieser Funktion waren Robert Hecht und Artur Schiebel. Während zu Hecht eine umfassende Arbeit vorliegt , vgl. Huemer , Peter ( 1975 ) : Sektionschef Robert Hecht und die Zerstörung der Demokratie in Österreich. Eine historisch-politische Studie , Wien , existiert zu Schiebel lediglich eine knappe Diplomarbeit , vgl. Rehak , Christian ( 2002 ) : Schiebel Artur , General der Infanterie und Sektionschef des Bundesministeriums für Heerwesen. Eine Biografie , Dipl.-Arb. , MilAk , Wiener Neustadt.
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standen sich in der k. u. k. Tradition als elitäre , über Zweifel erhabene Kaste von Dienern einer Nation , die ihrerseits letztlich vage blieb. Als Kern dieser Vorstellungswelt blieb lediglich ein konservatives , hierarchisches Gesellschaftsverständnis übrig , das mit demokratischen Rahmenbedingungen zwangsläufig in Konflikt geriet : „Mit Schmerz muß der wahre Volksfreund erkennen , daß die vielgepriesene Freiheit täglich und stündlich in der gröbsten Weise mißbraucht wird und in der Presse wie im Parlament Zustände herrschen , die geradezu – nach der Polizei schreien.“243 Es war daher nicht nur Vaugoin , der die Umfärbung der Armee betrieb , sondern er wurde dabei massiv von der Mehrheit des Offizierskorps unterstützt. Die politischen Säuberungen konzentrierten sich in den nächsten Jahren auf drei Ebenen : 1. Als Gegengewicht zum sozialdemokratischen Militärverband begann er ab 1922 mit Unterstützung der christlichsozialen Gewerkschafter um Kunschak und Staud mit dem Aufbau einer eigenen , christlichsozialen Soldatengewerkschaft , dem Wehrbund. Dieser erlangte rasch beträchtlichen Einfluss , speziell auf die Personalpolitik , und fungierte innerhalb des Ressorts zeitweise als eine Art „Nebenregierung“. 2. Mithilfe einer Traditionspflege , die statt scharfer Abgrenzung vom Kaiserreich dessen militärische Glorie betonte , sollte umstürzlerisches Gedankengut in der Truppe zurückgedrängt werden. Die Verklärung der Monarchie stieß allerdings nicht nur im sozialdemokratischen , sondern auch im deutschnationalen Milieu auf heftigen Widerspruch.244 3. Der wichtigste Verbündete des Ministers bei seinem Vorhaben war die Zeit. Im Vertrag von Saint-Germain waren dem Bundesheer detaillierte Auflagen gemacht worden.245 Dazu gehörte ein Bestand von insgesamt 30.000 Mann , verteilt auf 1.500 Offiziere , 2.000 Unteroffiziere und 26.500 Wehrmänner. Offiziere und Berufsunteroffiziere hatten eine Dienstzeit von 35 Jahren , Mannschaften sechs Jahre aktiv und sechs Jahre in der Reserve. Bereits ab 1924 konnte sich der Minister daher auf alliierten Zwang berufen , wenn er ihm unzuverlässig erscheinende Elemente aus dem aktiven Dienst verbannte. Ersetzt wurde das abgehende Personal speziell durch Männer , die zum Nachweis ihrer politischen Verlässlichkeit entsprechende Atteste ihrer Pfarrer , christlichsozialen Abgeordneten oder christlichsozialen Personalvertreter beibringen konnten.246 Auch der Beamtenabbau im Zuge der Genfer Sanierung 1922 bot 243 Ebenda , 353. Schön illustriert diese Perspektive in der Geschichtsschreibung die Dissertation von Kristan ( 1988 ), die in ihren Bewertungen nahtlos an die zeitgenössische Rechte anschließt , sowohl wenn es um die Volkswehr als auch um das Wehrgesetz geht. 244 Zur Traditionspflege des Bundesheeres in der Ersten Republik wäre noch viel Arbeit zu leisten , einen hilfreichen Ausgangspunkt dabei kann die Darstellung von Rolf M. Urrisk bilden , vgl. ders. ( 1997 ) : Die Traditionspflege des österreichischen Bundesheeres 1918–1998 , Gnas , 11–20 ; Hoy , Matthias ( 2005 ) : Tradition und Traditionspflege im österreichischen Bundesheer. In : Etschmann , Wolfgang / Speckner , Hubert ( Hg. ) : Zum Schutz der Republik Österreich … , Wien , 491–495 :494. Auch die Traditionspflege des Bundesheeres der Zweiten Republik und ihre Auseinandersetzung mit der Zwischenkriegszeit wäre ein lohnendes Feld. 245 Eine detaillierte Aufstellung der Vertragspunkte , vor allem aber eine umfassende Darstellung der Gliederung findet sich bei Steinböck ( 1991 ), 7 f. 246 Vgl. Staudinger ( 1971 ), 298. Siehe auch die Darstellung Johann Fürböcks , der als Betroffener
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eine willkommene Gelegenheit zu gezielter Personalpolitik. Immerhin war es üblich , um sich eine gewisse Gesprächsbasis mit der Opposition zu erhalten , der Sozialdemokratie bei den Neuaufnahmen ein kleines Kontingent zuzugestehen. Diese Praxis wurde durch die Regierung Seipel aber 1926 eingestellt.247 Neben politischen Säuberungsmaßnahmen , beständigen Geldsorgen und einem fatalen Image des Militärs in der Bevölkerung248 waren die folgenden Jahre vom Bemühen des Bundesheeres geprägt , seine Rolle als bewaffnete Macht im Staat zu behaupten. Als Konkurrenten traten hier sowohl Wehrverbände als auch und vor allem die Exekutive auf den Plan. Trotz mannigfaltiger personeller Überschneidungen und partieller Kooperationen , als etwa 1925 /26 die Südtirolfrage zu eskalieren drohte ,249 war die institutionelle Rivalität zwischen staatlicher Macht und Wehrverbänden ein Kontinuum , das erst im Austrofaschismus eine Lösung erfuhr , zunächst mit der Niederwerfung des Schutzbundes und der SA bzw. SS 1934 , später mit der Auflösung der Heimwehren 1936. Sicherheitspolitisch war Österreich in der Zwischenkriegszeit bekanntlich zwischen zwei einander belauernden Interessenkoalitionen eingekeilt. Bereits im August 1920 hatten Jugoslawien und die ČSSR ein Bündnis geschlossen , dem sich später Rumänien anschloss und das durch Polen , vor allem aber durch Frankreich gefördert wurde. Diese Kleine Entente bezweckte im Wesentlichen den Erhalt des Status quo im Donauraum : kein Erstarken Ungarns , keine Restauration der Habsburger , kein Vordringen Deutschlands durch Anschluss Österreichs. Die Teilnehmerstaaten der Kleinen Entente akkordierten sich nicht nur politisch , sondern auch militärisch : Zwischen 1929 und 1937 fanden regelmäßige Besprechungen der Generalstäbe statt , die insgesamt neunzehn Operationspläne ausarbeiteten. Auch ihre Gegner blieben keineswegs untätig. Während die deutsche Reichsregierung aber vorerst anderwärtig beansprucht war und sich bis Anfang der 1930er nicht sonderlich für die Vorgänge an ihrer Südgrenze interessierte , erkannten Ungarn und Italien rasch ihre gemeinsamen Interessenlagen und begannen , schildert , er habe 1924 im Café Leopold Kunschak angesprochen und ihn um Unterstützung seines Aufnahmegesuchs gebeten. Dieser bestellte ihn , ohne sich nach seiner Parteimitgliedschaft zu erkundigen , zu sich ins Parlament und rief dort in Gegenwart des Aspiranten „eine Heeresdienststelle“ an. Daraufhin erfolgte auch tatsächlich die Aufnahme , allerdings wurde nach Ablauf der sechsjährigen Dienstzeit eine Weiterverpflichtung abgelehnt , offenbar , weil der Betreffende zwischenzeitlich nicht dem Wehrbund beigetreten war. Vgl. Fürböck , Johann o. J. [ 1968 ] : 50 Jahre republikanische Gendarmerie. Österreichische Gendarmen erzählen , Wien , 7 f. 247 Haas , Karl ( 1985 c ) : Das Debakel der sozialdemokratischen Militärpolitik oder die Bilanz der Erfahrungen : das militärpolitische Kalkül vom demokratisch-republikanischen , neutralistischen bürgerlichen Heer als Illusion. In : ders. : Austromarxismus und Wehrfrage , 237–252 :241 f. 248 So ist einem vertraulichen Lagebericht der Tiroler Heimwehr noch 1924 zu entnehmen , die Landbevölkerung erkundige sich bei jeder sich bietenden Gelegenheit , „ … weshalb die Wehrmacht noch nicht aufgelöst wurde. Sie glaube , der Ausbau der Reschenbahn , der Fernpassbahn etc. , der Bau von Wohnungen bringe mehr Nutzen als das Bundesheer.“ Zitiert nach Rebitsch ( 2009 ), 124. 249 Vgl. McLoughlin ( 1990 ), 122–128 ; Vlcek ( 1971 ), 108–114. Eine neuerliche Kooperation zwischen Wehrverbänden beider Lager und der Staatsmacht bahnte sich 1933 an , als eine Invasion der Österreichischen Legion befürchtet wurde. Die Entlassung Vaugoins als Heeresminister im September 1933 setzte diesen Bestrebungen jedoch bald ein Ende , vgl. Staudinger ( 1971 ), 362 f.
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nach der Etablierung ihrer jeweiligen Rechtsregime danach zu handeln. Österreich war hier insbesondere als Aufmarschraum gegen die Tschechoslowakische Republik und Jugoslawien interessant , aber auch als Landbrücke für den Nachschub zwischen den beiden Partnern.250 Obwohl sich Österreich seit der ersten Kanzlerschaft Schobers traditionell um ein gutes Einvernehmen mit der ČSR bemühte , kam es zu keinerlei militärischer Kooperation. Wie die anderen Anrainerstaaten auch nahm die ČSR das österreichische Militär schlicht nicht ernst genug.251 Als im März 1931 die deutsch-österreichischen Zollunionspläne bekannt wurden , protestierten die Staaten der kleinen Entente vehement , weil sie darin nicht ganz zu Unrecht einen wirtschaftlichen Anschluss sahen.252 An der dauerhaften Trübung der Beziehungen konnte auch nichts ändern , dass auch Italien strikt gegen die Zollunion gewesen war. Mit der Regierungsübernahme durch Dollfuß im Mai 1932 erfolgte eine zunehmend stärkere Anlehnung an Italien und Ungarn , wie nicht nur der Abschluss der Römischen Protokolle im März 1934 , sondern auch eines Rüstungsabkommens im November 1934 belegen.253 Wohl nicht nur aufgrund der angespannten Haushaltslage , sondern auch weil es den regierenden Parteien als politisch unzuverlässig galt , blieben die Personalstände des Bundesheeres deutlich unter dem von den Alliierten zugestandenen Limit.254 Einen Wendepunkt markierte auch in diesem Fall das Jahr 1927 , und zwar schon Monate vor dem 15. Juli , nämlich als den Schutzbund mit der Räumung seiner Waffenbestände im Wiener Arsenal im März 1927 die bis dahin größte Entwaffnungsaktion der Republik ereilte. Die Entwaffnung der einen stellte einen bedeutsamen Nachschubfaktor für die anderen dar : Sämtliche beschlagnahmten Waffen gingen in den Besitz des Bundesheeres über.255 250 Zu diesem Zweck erhielt Österreich Zuschüsse für den Bau der Packer Bundesstraße und der Großglockner Hochalpenstraße , vgl. Steinböck ( 1988 ), 34. Zur Rolle Österreichs in den sicherheitspolitischen Überlegungen seiner Nachbarn siehe auch Jedlicka , Ludwig ( 1975 ) : Aufteilungs- und Einmarschpläne um Österreich 1918–1934. In : ders. : Vom alten zum neuen Österreich. Fallstudien zur österreichischen Zeitgeschichte 1900–1975 , St. Pölten , 141–165. 251 Vgl. Jedlicka ( 1955 ), 37. 252 Siehe dazu Dejmek , Jinřich ( 1994 ) : Die tschechoslowakisch-österreichischen Beziehungen zur Zeit der Verhandlungen über eine deutsch-österreichische Zollunion 1930–1931 [ in tschechischer Sprache mit deutschspr. Abstract ]. In : Historický ústav ( Hg. ) : Moderní Dĕjiny 2. Sborník k dĕjinám 19. A 20. Století , Prag , 233–260 253 Vgl. Enderle-Burcel , Gertrude ( 1993 ) : Militarisierung der Gesellschaft – Aspekte österreichischer Wehrpolitik 1918–1938 , In : Festschrift für Kurt Peball [ M itteilungen des österreichischen Staatsarchives 43 ] , Wien , 178–193 :189 , desgl. Steinböck ( 1988 ), 34. 254 Die Heeresausgaben stiegen zwischen 1925 und 1931 zwar moderat , aber kontinuierlich an , während die Personalstände des Militärs in etwa gleich blieben. Allerdings kam es zu einer Umschichtung zwischen den Standesgruppen : Während die im Friedensvertrag vorgeschriebene Maximalzahl an Offizieren 1932 fast ausgeschöpft war , war der Anteil der Wehrmänner sogar wieder gesunken , was wohl nicht zuletzt auf die politischen Säuberungen Vaugoins zurückzuführen war. 1932 erlebte das Budget infolge der Wirtschaftskrise eine empfindliche Kürzung , vgl. Jedlicka ( 1955 ), 72 f. Allerdings stiegen die faktischen Militärausgaben ab dem Jahr 1934 , zum Teil verschleiert , wieder stark an , vgl. Enderle-Burcel ( 1993 ), 188. 255 Vgl. Barthou , Michael ( 2002 ) : Rüstung und Rüstungsanstrengungen des Österreichischen Bundesheeres von 1935 bis 1940 , Dipl.-Arb. , MilAk Wiener Neustadt , 12.
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Im Zuge des Justizpalastbrandes im Juli 1927 hatte das Bundesheer Sicherungsaufgaben übernommen. Nachdem es diese Probe seiner Loyalität zufriedenstellend gemeis tert hatte ,256 folgten zahlreiche weitere Einsätze als Assistenzkörper der Exekutive , so während des Aufmarsches in Wiener Neustadt im Oktober 1928 ,257 anlässlich des Pfrimer-Putsches im September 1931258 und zur Durchsetzung des Verbotes des Maiaufmarsches 1933. Anfang Oktober 1928 stellte die interalliierte Kontrollkommission ihre Tätigkeit in Österreich ein. Nun wurden im Heeresressort umgehend Vorbereitungen für den Ausbau des Militärs getroffen. Im Kern ging es dabei um eine Reorganisation der Infanterie , eine stärkere Motorisierung der Truppe , eine Modernisierung der Artillerie und den Aufbau der Luftwaffe259 sowie um die Verbesserung der Kommunikationsmittel.260 Seit Beginn der Kanzlerschaft Seipels 1926 war man verschärft gegen die verbliebenen Sozialdemokraten innerhalb des Heeres vorgegangen. Auch die externen Kontrollmöglichkeiten wurden systematisch beseitigt. Durch die Verfassungsreform 1929 wurde dem Parlament der Oberbefehl über das Heer entzogen und dieser dem Bundespräsidenten übertragen. Die Ständige Parlamentskommission existierte zwar noch bis 1932 , wurde in ihrer Arbeit aber systematisch behindert. Worin nach der Bewährung bei diversen Assistenzeinsätzen die wahrscheinlichsten Einsatzszenarien für das Bundesheer bestanden , wurde im Rahmen der Herbstmanöver 1930 ersichtlich. Nach übereinstimmendem Dafürhalten der sozialdemokratischen Militärfachleute dienten sie dazu , einen „Marsch auf Wien“ zu proben.261 Straßenkampfvorschriften , einschlägige Übungen und Alarmpläne sowie Absprachen mit der Exekutive für den Ernstfall ergänzten diesen Eindruck stimmig.262 Hier wurde eine Armee fit für den Bürgerkrieg gemacht. Anfang Februar 1932 wurde in Genf eine internationale Abrüstungskonferenz eröffnet , deren Auswirkungen im Fall Österreichs und anderer Verliererstaaten paradox waren : Sie durften fortan mit internationalem Segen aufrüsten. Österreichs Verhandlungsziel hatte in der Einführung der allgemeinen Wehrpflicht bestanden , was von allen Parlamentsparteien , wenn auch aus unterschiedlichen Motiven , unterstützt worden war. Damit konnte man sich zwar nicht durchsetzen , erreichte aber immerhin , dass weder Polizei und Gendarmerie noch die Heimwehren auf den Stand des Heeres angerechnet wurden. Wichtiger noch war aber das Placet263 für die Aufstellung des kurzzei256 Vgl. Rebitsch ( 2009 ), 125. 257 Zu den Aufmärschen in Wiener Neustadt hat Peter Zumpf eine ausführliche Quellen- und Fotoedition erstellt , vgl. ders. ( 1998 ) : Konfrontation Schutzbund – Heimwehr. Wiener Neustadt 1928. 258 Schober hatte ursprünglich nur Gendarmerie einsetzen wollen. Nachdem Julius Deutsch aber deponiert hatte , dass diese wohl kaum als verlässlich angesehen werden könne , da ihr steirischer Landeskommandant , Oberstleutnant Franz Zelburg , selbst der steirischen Heimwehr nahestand , sagte der Kanzler schließlich den Einsatz des Bundesheeres zu , vgl. Hofmann ( 1965 ), Wiener Neustadt , 70. 259 Vgl. Barthou ( 2002 ), 13 f. 260 Vgl. McLoughlin ( 1990 ), 280. 261 Vgl. ebenda. 262 Vgl. Heeresgeschichtliches Museum ( Hg. ) ( 1968 ) : 1918–1968. Die Streitkräfte der Republik Österreich , Wien [ K atalog zur Sonderausstellung im Heeresgeschichtlichen Museum Wien 1968 ] , 219 f. 263 Man begnügte sich bereits mit den positiven Signalen während der Verhandlungen , die Einfüh-
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tig dienenden Assistenzkorps , wobei man die internationalen Gesprächspartner über die Bestimmung des Assistenzkorps keineswegs im Unklaren ließ.264 Im Jahr 1931 war die Regierung mit der Novellierung des Wehrgesetzes gescheitert , mit der innerhalb des Heeres noch schärfer gegen politische Gegner vorgegangen werden sollte.265 Nachdem sie den Nationalrat stillgelegt hatte , dekretierte die Bundesregierung 1933 in rascher Folge drei Wehrgesetznovellen , die der weiteren politischen Durchdringung des Heeres in ihrem Sinne dienen sollten.266 Erstmals richtete sich das auch gegen Anhänger der NSDAP , von denen etwa tausend auf Basis der dritten dieser Novellen267 entlassen wurden.268 Damit machte sich Heeresminister Vaugoin innerhalb des Offizierskorps viele Feinde. Man hatte ihn gerne unterstützt , solange es um die Zurückdrängung sozialdemokratischer Strömungen gegangen war. Sein nunmehriges Vorgehen wurde aber als unlautere Einmischung in die innere Verfassung des Heeres zurückgewiesen.269 Die Entlassung Vaugoins aus dem Kabinett und die Übernahme der Heeresagenden durch den Bundeskanzler im September 1933 unterstrich dessen Willen , die Republik in einen Staat faschistischen Zuschnitts überzuleiten.270 Mit der steten Verschlechterung des Verhältnisses zum Deutschen Reich wandte sich das Einsatzszenario des Bundesheeres gleichzeitig stärker der Gefahr einer Invasion zu. Ihr versuchte man ab 1934 , durch eine stärkere Anlehnung an die Achse Rom-Budapest271 und eine intensive Aufrüstung zu begegnen. Letztere wurde vom 1935 neu eingesetzten Generalstabschef Alfred Jansa272 vorangetrieben und sowohl durch eigene Mittel als auch durch italienische Anleihen finanziert. Diese Unterstützung Wiens durch Rom war durchaus im Sinne der Westmächte , offenbar war der erste italienische Rüstungskredit sogar ein direkter Abtausch gegen die Gewährung französischer Rüstungshilfen.273 Doch der Abessinienkrieg und die deutsch-italienische Achse warfen bereits ihre Schatten voraus : Die ursprünglich von Italien zugesagte Übergabe von 1.000 Beutegerung des Assistenzkorps datiert vor den formellen Abschluss der Abrüstungskonferenz. 264 Vgl. Wrba , Marian ( 1989 ) : Genfer Politik. Österreich und das System der Kollektiven Sicherheit 1932–1935 , Dipl.-Arb. , Wien , 87 f. 265 Vgl. Rauter ( 1989 ), 83 ff. 266 Vgl. Enderle-Burcel ( 1993 ), 182 267 BGBl. 296 / 1933 268 Vgl. Schmidl , Erwin A. ( 1987 ) : März ’38. Der deutsche Einmarsch in Österreich , Wien , 48. Zu NS-Aktivitäten im Heer siehe ebenda , 47–57. Vgl. desgl. Marschnig , Gerhard Paul ( 1984 ) : Die Militarisierung der Gesellschaft im Autoritären „Ständestaat“, Dipl.-Arb. , Klagenfurt , 51 f. 269 Vgl. Staudinger ( 1971 ), 349 ff. Mit der Entlassungswelle 1933 war das NS-Problem im Bundesheer keineswegs beseitigt , wie zahlreiche Beschwerden der Vaterländischen Front belegen , vgl. VF-Archiv 514 / 754 / 103 ; 514 / 847 / 4 270 Vgl. Staudinger ( 1971 ), 372 ff. 271 Dem bereits angesprochenen Militärpakt mit Italien und Ungarn vom 11. November 1934 folgte zu Ostern 1936 eine weitere Vereinbarung mit Italien , das für den Fall eines deutschen Angriffs die Unterstützung des Bundesheeres durch fünf italienische Divisionen zusagte , vgl. Steinböck ( 1988 ), 34. 272 Zur Person Jansa siehe Hafner , Johann ( 1991 ) : Feldmarschalleutnant Jansa Alfred Edler von Tannenau , phil. Diss. , Wien. Seit Kurzem liegen die Erinnerungen Jansas in gedruckter Form vor , vgl. Jansa , Alfred ( 2011 ) : Erinnerungen. Ein österreichischer General gegen Hitler. Eingeleitet und he rausgegeben von Broucek , Peter. Wien / Köln / Weimar. 273 Enderle-Burcel ( 1993 ), 189.
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schützen der k. u. k. Armee samt Munition an das Bundesheer kam nur in Ansätzen zustande. Weitere Kredite verweigerte Rom trotz entgegengesetzter Vereinbarungen ebenso wie die gleichfalls vereinbarte Lieferung von schweren Panzern.274 Diverse materielle Hilfestellungen Italiens für die Exekutive in Österreich weisen auf eine Strategie hin , die Diktatur Schuschniggs im Inneren zu stabilisieren , sie aber nicht zu einem militärischen Faktor gegenüber den Anrainerstaaten , vor allem Deutschlands , werden zu lassen. Die letzte Phase des Österreichischen Bundesheeres war geprägt von zunehmenden Meinungsverschiedenheiten zwischen militärischer und politischer Führung rund um den sogenannten Jansa-Plan zur Verteidigung des Landes.275 Inwieweit tatsächlich der häufig zu vernehmende Befund zutrifft , Schuschnigg habe auch in diesem Fall einfach konzeptlos agiert , ist allerdings fraglich. Der Kanzler verweigerte sich den Rüstungswünschen seiner Militärs wohl auch einfach deshalb , weil er nie wirklich vorhatte , einem Vordringen Deutschlands mit Waffengewalt zu begegnen. Was die Stellung des Heeres im Staat betrifft , so gibt es zahlreiche eindeutige Hinweise darauf , dass sowohl die Führung des Militärs als auch der Exekutive in der Transformationsphase von der Republik zur Diktatur nicht einfach die willigen Befehlsempfänger waren , als die sie sich später selbst darstellten oder dargestellt wurden.276 Wie Vaugoin 1933 feststellte , wäre der diktatorische Kurs ohne das Einverständnis von Armee und Exekutive gar nicht möglich gewesen.277 Die Armee war tragende Säule des Staates , nach den Worten des Staatssekretärs Guido Zernatto gehörten „die Armee und die Vaterländische Front [ … ] zusammen und haben die Aufgabe diesen Staat zu halten und zu garantieren“.278 Die Armee ließ sich willig in die neue , faschistische Struktur integrieren und unterstützte eine entsprechende Indoktrinierung ihrer Kader.279 Die 274 Vgl. Jedlicka ( 1955 ), 139 ff. Allerdings wurden bis 1938 mehrere leichte M.33 / 35 Panzer von F iat geliefert , die eigentlich nicht in die österreichischen Verteidigungskonzepte passten , vgl. Barthou ( 2002 ), 42 ff. Zu den k. u. k. Beutegeschützen siehe auch Wiener , Friedrich ( 1977 ) : Österreich-Ungarns schwere Artillerie. Einige Bemerkungen zum Nachkriegsschicksal der schweren Geschütze des kaiserlichen Heeres. In : Bradley , Dermot / Marwedel , Ulrich ( Hg. ) : Militärgeschichte , Militärwissenschaft und Konfliktforschung. Eine Festschrift für Werner Hahlweg [ Studien zur Militärgeschichte , Militärwissenschaft und Konfliktforschung , Bd. 15 ] , Osnabrück , 443–451. 275 Zu den Verteidigungsplanungen vgl. Schmidl ( 1987 ), 61–68 ; Zeinar ( 2006 ), 666–719 , Steinböck ( 1988 ), 79–100 , Broucek , Peter ( 1981 ) : Die militärische Situation Österreichs und die Entstehung der Pläne zur Landesverteidigung. In : Neck , Rudolf / Wandruszka , Adam ( Hg. ) : Anschluß 1938. Protokoll des Symposiums in Wien am 14. und 15. März 1978 [ Wissenschaftliche Kommission des TheodorKörner-Stifungsfonds und des Leopold-Kunschak-Preises zur Erforschung der österreichischen Geschichte der Jahre 1918 bis 1938 , Bd. 7 ] , Wien , 135–163. Desgleichen die vielfältigen Hinweise in der hervorragenden Studie von Lassner zur österreichischen Außenpolitik in den 1930ern , vgl. Lassner , Alexander N. ( 2001 ) : Peace at Hitler’s Price : Austria , the great powers and the ‘Anschluss’ , 1932–1938 , phil. Diss. , Ohio State University. 276 Prototypisch nachzulesen bei Allmayer-Beck , Johann Christoph ( 1968 ) : Das Vorspiel zur Katas trophe , In : Heeresgeschichtliches Museum ( Hg. ) ( 1968 ) : 1918–1968. Die Streitkräfte der Republik Österreich , Wien [ Katalog zur Sonderausstellung im Heeresgeschichtlichen Museum Wien 1968 ] , 219 f. 277 Vgl. Huemer ( 1975 ), 124. 278 Rede Zernattos über „Vaterländische Front und bewaffnete Macht vor Mitgliedern des Generalstabes 1937 , VF-Archiv 514 /2989 / 1–5 :5. 279 Das wird anhand des Curriculums der Wiener Neustädter Militärakademie deutlich , die weltan-
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Heeresführung achtete dabei zwar darauf , ihre neu gewonnene Autonomie nicht neuerlich beschneiden zu lassen ,280 das war aber nicht als prinzipielle Distanz zu interpretieren.281 Auch die Rivalitäten mit den rechten Wehrverbänden waren einer institutionellen Konkurrenz und nicht politischen Meinungsverschiedenheiten zuzuschreiben , wie mehrere Stimmungsberichte aus dem Heer zeigen.282 Die autoritäre Wende entsprach schließlich insbesondere dem Gesellschaftsbild des Offizierskorps , dessen jüngere , stärker deutschnational orientierte Teile283 allenfalls eine stärker völkisch orientierte Staatsausrichtung begrüßt hätten. Die folgende Militarisierung der Gesellschaft , von der Justiz284 über den Sport285 bis zur vormilitärischen Jugenderziehung286 geschah unter aktiver Teilhabe des Bundesheeres. Ebenso war die Beseitigung der Personalvertretung im Heer und wohl auch die Zurückdrängung und endliche Beseitigung der miss liebigen Heimwehrkonkurrenz auf das Betreiben der Heeresführung zurückzuführen. Selbstverständlich im Sinne des Heeres waren außerdem die Einführung der Allgemeinen Wehrpflicht und die forcierte Aufrüstung ab 1935 , auch wenn sie nicht in den angestrebten Dimensionen erfolgte.287 schaulichen Schulungen umfassend Platz einräumte und dafür hochrangige Referenten verpflichtete , vgl. VF-Archiv 514 /2430 / ohne Seitenangabe. 280 So wurden zwar sämtliche Heeresangehörige in der VF erfasst , allerdings wurde 1936 verfügt , dass die VF-Landesleitungen sich nicht direkt an die VF-Dienststellen innerhalb des Heeresressorts wenden durften , sondern dies ausschließlich im Wege des Generalsekretariats zu erfolgen hatte. Offenkundig sollten auf diese Weise Störungen der Befehlskette ausgeschlossen werden , ein eindeutiges Zugeständnis an die Heeresführung , vgl. VF-Archiv 514 / 848 / 5–11. Auch wenn es um die geeignete Verbreitung des Wehrgedankens ging , war die Heeresleitung nicht gewillt , sich von der Vaterländischen Front hineinreden zu lassen , wie ein Briefwechsel anlässlich der Herausgabe des Buches „Die Österreichische Wehrmacht 1937“ zeigte , vgl. VF-Archiv 514 /2988 / 1–12. 281 So übertrug durchaus auch das Bundesheer der VF Kompetenzen , wo ihm das hilfreich erschien , etwa wenn es um die Sammlung von Spenden zum Ausbau der Luftwaffe ging , vgl. VF-Archiv 514 /2220 / 53–54 , oder um die Überprüfung der politischen Zuverlässigkeit von Aufnahmekandidaten ins Heer , vgl. VF-Archiv 514 / 7 74 / 3 , bzw. von Freiwilligen für Feldübungen , vgl. VF-Archiv 514 / 7 79 /26. Auch verschloss sich das Bundesheer keineswegs allfälligen Interventionen der VF , vgl. etwa die von der VF-Baden betriebene Aufnahme eines Bewerbers an der Militärakademie Wiener Neustadt , vgl. VF-Archiv 514 / 1 184 / 31–32. 282 Symptomatisch war etwa der Ärger im Bundesheer über die Versuche der Heimwehren , sich die Meriten für die Februarkämpfe anzuheften , vgl. VF-Archiv 514 / 32 / 39–44. 283 Vgl. Schmidl ( 1987 ), 49 ff. 284 Vgl. Neugebauer , Wolfgang ( 1995 a ) : Politische Justiz in Österreich 1934–1945. In : Weinzierl , Erika / R athkolb , Oliver / A rdelt , Rudolf G. / Mattl , Siegfried : Justiz und Zeitgeschichte. Symposionsbeiträge 1976–1993 , Bd 1 , Wien , 114–138 ; Neugebauer , Wolfgang ( 1995 b ) : Standgerichtsbarkeit und Todesstrafe in Österreich 1933 bis 1938. In : Weinzierl et al. , Bd. 1 , 317–327 ; Neugebauer , Wolfgang ( 1995 c ) : Richterliche Unabhängigkeit 1934–1945 unter Berücksichtigung der Standgerichte und der Militärgerichte. In : Weinzierl , et al. Bd. 2 , 51–74. 285 Vgl. Enderle-Burcel ( 1993 ), 183 f. 286 Vgl. Marschnig ( 1984 ), 73–94. 287 Diese Aufrüstung samt nicht mehr verwirklichten Ausbauplänen bis 1940 hat Michael Barthou in seiner bereits zitierten Diplomarbeit bislang am ausführlichsten dargestellt. Siehe außerdem auch Steinböck ( 1988 ), 31–37 , 54–69. Desgl. Schmidl ( 1987 ), 43–46.
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Wie im Fall der Exekutive ist aber auch beim Heer der erstarkende NS-Einfluss ab 1936 nicht mehr zu übersehen : bereits 1937 wehten anlässlich Hitlers Geburtstag in den Grazer Kasernen ( ebenso wie am Gebäude der steirischen Polizeidirektion und des Landesgendarmeriekommandos ) Hakenkreuzfahnen.288 Als am 11. März 1938 Reservisten des Jahrganges 1915 einberufen wurden , rückten sie „oft bereits mit Hakenkreuzabzeichen , das Horst-Wessel-Lied singend , in die Kasernen ein“.289 Es ist demgemäß keineswegs sicher , ob Steinböcks Befund tatsächlich zutrifft , wonach ausschließlich die politische Ebene einen militärischen Widerstand gegen den deutschen Einmarsch im März 1938 verhindert habe.290 Auf seine Assistenztruppe , die Frontmiliz , hätte sich das Bundesheer jedenfalls nicht verlassen können. Wie deren Generalkommandant , Vizekanzler Hülgerth , zwei Tage vor dem deutschen Einmarsch erklärte , sei sein Verband in jedem Fall einsatzfähig – „aber nicht gegen Deutschland“.291 IV. Die Exekutive Bereits im Ersten Weltkrieg war die Exekutive , vor allem die zum Militär gehörende Gendarmerie , zur Niederhaltung von Aufständen im Inneren hochgerüstet worden.292 Dieser quasimilitärische Charakter hatte nicht nur zur Folge , dass auch die Exekutive im Vertrag von Saint-Germain mit Rüstungsrestriktionen belegt wurde ,293 sondern führte in der Ersten Republik auch zeitweise zu einem Konkurrenzverhältnis zwischen Exekutive und Bundesheer um die Rolle als bewaffnete Staatsmacht.294 Mit dem Übergang zur Republik kam es außerdem zu organisatorischen Änderungen im Polizeiwesen. So wurde die Gendarmerie in einen zivilen Wachkörper umgewandelt295 und das Polizeidienstgesetz verbeamtete die Mitglieder des Sicherheits- und Polizeiagentenkorps.296 Es folgten in mehreren Etappen eine starke Zentralisierung der 288 Vgl. Meldung der Sozialen Arbeitsgemeinschaft Graz an das VF-Generalsekretariat vom 23. April 1937 , VF-Archiv 514 /2823 / 6. 289 Schmidl ( 1987 ), 57. 290 Vgl. Steinböck , Erwin ( 1981 ) : Die bewaffnete Macht Österreichs im Jahre 1938. In : Neck / Wand ruszka , 109–134 :133 f. 291 Zitiert nach Schmidl ( 1987 ), 60. 292 So lag etwa der Mannschaftsstand der steirischen Gendarmerie zu Kriegsende fünfzig Prozent über jenem des Jahres 1913 , vgl. Karner ( 2005 ), 118. Eine ausführliche , naturgemäß wenig kritische Darstellung der Geschichte der österreichischen Exekutive findet sich bei Oberhummer , Hermann ( 1937 ) : Die Wiener Polizei. Neue Beiträge zur Geschichte des Sicherheitswesens in den Ländern der ehemaligen Österreichisch-ungarischen Monarchie , 2 Bände , Wien. 293 Vgl. Kristan ( 1988 ), 36. 294 Vgl. Jedlicka ( 1955 ), 13. 295 StGBl. 75 / 1918 296 StGBl. 517 / 1919. Zur Bedeutung dieses Schrittes siehe Dehmal , Heinrich et al. ( Hg. ) ( 1934 ) : Der österreichische Bundes-Kriminalbeamte. Gedenkwerk anlässlich des 80jährigen Bestandes des Kriminalbeamtenkorps Österreichs , 2. Aufl. , Wien , 62–66. Zur sozialen Situation von Gendarmen siehe Hesztera , Franz ( 1999 ) : Die sozialen Aspekte im Gendarmeriekorps bis 1918. In : Hörmann , Fritz / Hesztera , Gerald ( Hg. ) : Zwischen Gefahr und Berufung. Gendarmerie in Österreich , Werfen , 38–47 , und Arnold Perfler ( 1999 ) : Soziale Entwicklung , Dienstzeit , Unterkünfte von 1919 bis 1971. In : ebenda , 48–111.
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Exekutivkompetenzen297 und ein Ausbau der Bundespolizeibehörden298 , die nach und nach in den wichtigen Städten Dépendancen eröffnete.299 Dadurch ergaben sich drei unterschiedliche Wachkörper-Ebenen : In größeren Gemeinden existierten Lokalpolizeibehörden , die der jeweiligen Stadtverwaltung unterstanden. Darüber existierte die Gendarmerie ,300 als dritte und jüngste Ebene kam schließlich die Bundespolizei hinzu.301 Eine institutionelle Demokratisierung blieb dagegen weitgehend aus ,302 ebenso personelle Änderungen. Die Sozialdemokratie ließ die umfassenden Befugnisse der Exekutive , die noch auf das „Prügelpatent“ von 1854 zurückgingen ,303 unangetastet. Stattdessen ging sie mit den alten Behördeneliten ein freilich fragiles Bündnis auf Zeit ein.304 Die gesellschaftliche Politisierung und Polarisierung im Gefolge des Zusammenbruchs der Monarchie machte auch vor dem Exekutivpersonal nicht halt. Noch deutlicher als beim Militär blieb der sozialdemokratische Einfluss hier aber auf die Mannschaften beschränkt , während das Offizierskorps unangefochten von der Rechten dominiert wurde.305 Auch hier hatte die Ablehnung der neuen Zeiten stark damit zu tun , dass die Offiziere ihre Autorität gefährdet sahen , weil sich ihre Untergebenen nun erstmals in Gewerkschaften organisieren und ihre Interessen kollektiv wahrnehmen konnten.306 297 Zur rechtlichen Stellung der Exekutive und ihren Befugnissen vgl. Levetzow , Stephen ( 1991 ) : Die Polizei. Rechtsgrundlagen , Befugnisse , Organisation und Stellung zum Gesetz im Absolutismus bis zur Gegenwart , Dipl.-Arb. , Salzburg , 55–61 , zur großen Polizeireform 1929 vgl. Jäger Friedrich ( 1990 ) : Das große Buch der Polizei und Gendarmerie in Österreich , Graz , 114–121. Die Zentralisierungsbemühungen erlitten durch die Verwaltungsreform , die im Sanierungsprogramm von 1922 zur Auflage gemacht worden war , einen Rückschlag , was nicht nur für die Beamtenelite um Schober , sondern auch für die Christlichsoziale Partei ein starkes Motiv für eine Verfassungsreform darstellte , vgl. Winkler ( 1983 ), 59 f. 298 Vgl. Jäger ( 1990 ), 140–146. 299 Vgl. Levetzow ( 1991 ), 56. Wo Bundespolizeibehörden ( lokal unterschiedlich „Polizeidirektionen“ oder „Polizeikommissariate“ genannt ) entstanden , nahmen sie nicht nur staats- , sondern auch lokalpolizeiliche Agenden wahr. Zur Bundespolizei gehörten außerdem eigene Exekutivorgane , nämlich Bundessicherheitswache und Kriminalbeamtenkorps. Die polizeilichen Strukturen hat Schober selbst in einem auch darüber hinaus aufschlussreichen Vortrag vor Gewerbetreibenden anschaulich dargelegt , vgl. Schober , Johannes ( 1928 ) : Wirtschaft und Öffentliche Sicherheit. Vortrag , gehalten im Niederösterreichischen Gewerbeverein , Wien , 5–11. 300 Die Gendarmerie unterstand ihrerseits zunächst den Bezirkshauptmannschaften / Bezirkskommanden , in weiterer Folge den Landeshauptleuten / L andeskommanden und schließlich dem Innenministerium / G endarmeriezentraldirektion. 301 Der im Weiteren gebrauchte Begriff „Exekutive“ bezieht sich jeweils auf die zentral gelenkten Wachkörper. 302 Ein Überblick zu den dienst- und organisationsrechtlichen Neuerungen im Bereich der Gendarmerie der Ersten Republik findet sich bei Gebhardt , Helmut ( 1997 ) : Die Gendarmerie in der Steiermark von 1850 bis heute , Graz , 208–220. 303 RGBl. 96 vom 20. April 1854 , vgl. Levetzow ( 1991 ), 47–50. 304 Vgl. McLoughlin ( 1990 ), 167–181. Selbst als die politische Orientierung der Polizeiführung klar zutage trat , bemühte sich die Sozialdemokratie noch um ein gutes Verhältnis zur Exekutive und warb dafür auch in den eigenen Reihen , vgl. ebenda , 458. 305 Mähner , Peter ( 1990 ) : Die Rolle der Polizei in der Konstituierungsphase des Austrofaschismus , Diplomarbeit , Wien , 9. 306 Vgl. Winkler ( 1983 ), 24 f. Siehe desgl. Fürböck ( o. J. [ 1968 ] ), 14. Eine etwas ausführlichere Dar-
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Anders als das Heer blieb die Exekutive dennoch ein bürgerlicher stronghold , der sich in mehreren sozialen Unruhen bereits frühzeitig als loyal erwies307 und in seiner täglichen Arbeit durchaus parteiisch agierte. Rechte Aktivitäten wurden geduldet oder aktiv unterstützt ,308 linke dagegen von Beginn an argwöhnisch überwacht309 und bald aktiv behindert. Auch die demonstrative Nähe zu den rechten Wehrverbänden in den Bundesländern sprach eine deutliche Sprache.310 Ein zentraler Akteur im Exekutivbereich war der deutschnationale Wiener Polizeipräsident , begnadete Intrigant und Selbstvermarkter Johannes Schober , der es gleich mehrfach zum Bundeskanzler bringen sollte.311 Schober wurde in der letzten Phase der Monarchie als Wiener Polizeipräsident berufen , von der Republik übernommen und im Dezember 1918 zum Leiter des gesamtösterreichischen Sicherheitsdienstes ernannt , womit ihm auch die Gendarmerie unterstand.312 Er repräsentierte beispielhaft den autoritären und keineswegs unpolitischen Beamten alten Typs , der sich über gesellschaftlichen Konflikten stehen sah und dennoch in diese im Sinne der herrschenden Klasse intervenierte.313 Seine Machtbasis versuchte Schober , durch den Aufbau einer Instanz zu fes tigen , deren Zweck die Überwachung aller politischer Aktivitäten war : Die politische stellung desselben Autors findet sich im ersten Band von Fürböck , Johann ( 1965 ) : Die österreichische Gendarmerie in den beiden demokratischen Republiken. Von 1918 bis 1938 , Wien. Siehe auch Neubauer , Franz ( 1925 ) : Die Gendarmerie in Österreich 1849–1924 , Wien , 224 f. , und Dehmal et al. ( 1934 ), 65 f. 307 So zum Beispiel beim Grazer „Kirschenrummel“ am 7. Juni 1920 , als im Zuge von Teuerungsprotesten von der Gendarmerie 15 DemonstrantInnen erschossen und 20 durch Schüsse und eine unbekannte Zahl von Personen durch Bajonettstiche verletzt wurde , vgl. Neubauer ( 1925 ), 216 ff. 308 Vgl. Hautmann , Hans ( 1971 ) : Die verlorene Räterepublik , Wien / Frankfurt / Zürich , 159 f. ; Botz ( 1976 ), 92 309 Vgl. Hubert , Rainer ( 1990 ) : Schober. „Arbeitermörder“ und „Hort der Republik“, Wien / Köln , 45 ff. 310 Vgl. Rebitsch ( 2009 ), 25 , desgl. Edmondson ( 1966 ), 233 , 237. 311 Zu Johannes Schober und der zeitgeschichtlichen Befassung mit seiner Person siehe vor allem Hubert ( 1990 ) sowie die Darstellung des Sozialdemokraten Hannak , Jacques ( 1966 ) : Johannes Schober. Mittelweg in die Katastrophe. Porträt eines Repräsentanten der verlorenen Mitte , Wien / Frankfurt / Zürich und die den Jubilar keineswegs kritisch analysierenden Beiträge in Kroupa , Wilhelm ( Hg. ) ( 1982 ) : Festschrift zum 50. Todestag von DDDr. H. c. Johannes Schober , Bundeskanzler und Polizeipräsident [ eine Publikation des Freiheitlichen Bildungswerkes ] , Wien. 312 Vgl. die streckenweise keineswegs unproblematische , in ihrer autoritären Grundhaltung für die Mehrheit der Darstellungen charakteristische Schilderung bei Steinwender , Engelbert ( 1992 ) : Von der Stadtguardia zur Sicherheitswache. Wiener Polizeiwachen und ihre Zeit , Bd. 1 , Von der Frühzeit bis 1932 , Wien , hier 235. 313 So sollte nach § 92 der Dienstinstruktionen der Gendarmerie das Auftreten den Arbeitern gegenüber „ein Achtung und Vertrauen erweckendes sein , welches im Arbeiter die Notwendigkeit und den ernsten Willen der Staatsgewalt zur Aufrechterhaltung von Ordnung und Sicherheit erkennen lässt und ihm selbst einen Anhaltspunkt gegen Versuchungen und etwaige Einschüchterung durch Agitatoren , eine Stützung zur Wahrung des eigenen wohlverstandenen Interesses , zeigt“. Zitiert nach Neubauer ( 1925 ), 305. Weiter heißt es in der nämlichen offiziellen Chronik , man müsse „sich Epochen wie die französische oder russische Revolution , in denen an Stelle von Recht und Gesetz brutale Gewalt getreten waren und die Menschen ungehemmt ihren Trieben folgten , ins Gedächtnis rufen , um die Tätigkeit der Sicherheitsorgane ganz zu würdigen“ ( S . 306 ). Schobers politische Haltung ist treffend charakterisiert bei Hubert ( 1990 ), 69–85.
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Zentralevidenzstelle.314 Er verfügte zudem über hervorragende Kontakte ins rechtsradikale Milieu ,315 die im Herbst 1922 auch zu einer geheimen militärischen Vereinbarung mit den Heimwehren führten.316 Auch noch fünf Jahre später war Schober in die Eskalationsstrategie der Heimwehren 1927 /28 eingebunden ,317 er billigte den angestrebten Staatsstreich nicht nur , sondern unterstützte ihn auch aktiv.318 Die Festigung des rechten Korpsgeistes ging derweil vor allem im Wege der Rekrutierung vor sich. Kandidaten vom flachen , christlich-sozial regierten Land wurden derart konsequent bei der Aufnahme bevorzugt , dass die Exekutive vom Volksmund bald als „Mistelbacher“ tituliert wurde.319 Städtische Arbeiterschaft hatte demgegenüber kaum Aussichten , in den Polizeidienst aufgenommen zu werden. Die Ereignisse rund um den Justizpalastbrand , die Wiener Straßenkämpfe und die bundesweiten Streiks am 15. und 16. Juli 1927 sind mittlerweile gut erforscht.320 Sie waren keineswegs eine Verkettung unglücklicher Zustände , sondern können als das Ergebnis einer bewussten Eskalationsstrategie der Wiener Polizeiführung gewertet werden , der es um die Statuierung eines Exempels zu tun war. Falls Schober aufgrund des hohen gewerkschaftlichen Organisationsgrades Zweifel an der Zuverlässigkeit seines Korps gehabt haben mochte , konnte er nun ganz beruhigt sein : Die Wiener Polizisten , die zu fünf Sechstel den freien Gewerkschaften angehörten ,321 ließen keinerlei Hemmungen erkennen , auf Kommando brachiale Gewalt anzuwenden. Schobers Rechnung war aufgegangen. In den folgenden Jahren empfahl er sich bei jeder sich bietenden Gelegenheit höchst erfolgreich als star314 Vgl. Jagschitz , Gerhard ( 1979 ) : Die politische Zentralevidenzstelle der Bundespolizeidirektion Wien. Ein Beitrag zur Rolle der politischen Polizei in der Ersten Republik. In : Jahrbuch für Zeitgeschichte 1978 , Wien , 49–95. 315 Ein wichtiger Verbindungsmann für ihn war dabei Maximilian Ronge , der den militärischen Geheimdienst der Monarchie geleitet hatte , vgl. Ackerl , Isabella ( 1982 ) : Johannes Schober – ein Mann der Mitte. In : Kroupa , 22–43 :24 f. 316 Dieser Beleg einer derart frühen Konspiration der staatlichen Exekutive mit den rechten Wehrverbänden ist wörtlich zitiert bei Hetfleisch ( 1990 ), 65–67. 317 Vgl. Kerekes ( 1966 ), 17 f. 318 Vgl. Gulick ( 1948 ), Bd. III , 107 , desgl. Schweiger ( 1964 ), Bd. 1 , 57ff 319 Winkler ( 1983 ), 31. 320 Vgl. Botz ( 1976 ), 141–160. Die Beiträge in Neck / Wandruszka ( 1979 ) ; Oeller , Franz ( 1952 ) : Seipel , der 15. Juli 1927 und die Wiener Presse , phil. Diss. , Wien ; Chraska , Wilhelm ( 1964 ) : Der 15. Juli 1927 und seine Folgen , phil. Diss. , Wien ; Oberkofler , Gerhard ( 1982 ) : Der 15. Juli 1927 in Tirol. Regionale Bürokratie und Arbeiterbewegung , Wien ; Lang , Answer ( 2002 ) : Darstellung von Gewalt in ideologischen Medien am Beispiel des 15. Juli 1927 : Vergleich der Berichterstattung in „Arbeiter Zeitung“ und „Reichspost“, Dipl.-Arb. , Wien. Für die Ergebnisse der vom Wiener Gemeinderat eingesetzten Untersuchungskommission vgl. Danneberg , Robert ( Hg. ) ( 1927 ) : Die Wahrheit über die „Polizeiaktion“ am 15. Juli : Der Bericht der vom Wiener Gemeinderat zur Untersuchung der Ereignisse vom 15. Juli eingesetzten Kommission , Wien. Die gegenläufige Darstellung der Wiener Polizeidirektion findet sich in dies. ( Hg. ) ( 1927 ) : Ausschreitungen in Wien am 15. und 16. Juli 1927. Weissbuch , Wien. 321 Duczynska , Ilona ( 1975 ) : Der demokratische Bolschewik. Zur Theorie und Praxis der Gewalt , München , 129. Die Autorin war der SDAP 1927 beigetreten , gehörte deren linken Flügel an und arbeitete in den Medien des Schutzbundes mit , vgl. Frischauer , Margit ( 1976 ) : Auseinandersetzungen und Kontakte zwischen Sozialdemokraten und Kommunisten vom 15. Juli 1927 bis zum 12. Februar 1934 , phil. Diss. , Wien , 27 f.
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ker bürgerlicher Fels in der sozialistischen Brandung.322 Das machte auch intern weitere Zurückhaltung überflüssig. Die antisozialistische Rekrutierungspolitik wurde weiter verschärft ,323 gleichzeitig ließ Schober die erst kurz zuvor gewählte , sozialdemokratisch dominierte Personalvertretung auflösen. Unter dem besonders für Exekutivangehörige verstörenden Eindruck der jüngsten Geschehnisse brachten sie das gewünschte Ergebnis in Gestalt eines massiven Rechtsruckes. Sicherheitshalber wurde anschließend der Einfluss der Personalvertreter dennoch stark beschnitten.324 Obwohl Schobers „Kesseltreiben gegen alle sozialdemokratisch organisierten Beam ten“325 nun endgültig offen zutage trat , reagierte die Sozialdemokratie trotz Drängen Deutschs kaum. Selbst die Aufstellung der Wiener Gemeindeschutzwache nach dem 15. Juli 1927 , einer politisch loyalen Hilfstruppe der Stadt , die ein Gegengewicht zu den Heimwehren bilden sollte , erfolgte in Abstimmung mit Schober , der dafür großzügig 180 Säbel aus Polizeibeständen stiftete.326 Keineswegs auf Hieb- und Stichwaffen beschränkte sich die Anschaffungspolitik der Polizei selbst. Bereits seit 1918 war die Exekutive ungeachtet erheblicher Einsparungen in der staatlichen Verwaltung kontinuierlich ausgebaut worden.327 Ab 1927 wurde sie nun mit Rückendeckung der Alliierten gezielt auf den Bürgerkrieg vorbereitet.328 Die entsprechenden Planungen wurden in Abstimmung mit Bundesheer , Gendarmerie und Heimwehren intensiviert.329 Die Verfassungsreform 1929 führte zu einer Rücknah322 So natürlich auch im bereits zitierten Vortrag vor dem Niederösterreichischen Gewerbeverein , vgl. Schober ( 1928 ), 18 f. 323 Staudinger ( 1971 ), 298. 324 Vgl. Winkler ( 1983 ), 37–48. 325 Garscha , Winfried R. / McLoughlin , Barry ( 1987 ) : Wien 1927. Menetekel für die Republik , Wien , 166. 326 Winkler ( 1983 ), 64 ff. Auch in diesem Fall zeigten sich die engen Beziehungen des rechten Lagers zu den Alliierten. Es gelang erfolgreich , die Interalliierte Kontrollkommission dazu zu bringen , die Gemeindeschutzwache als Verstoß gegen den Friedensvertrag zu brandmarken und ihre Auflösung zu fordern. Die Stadt Wien wandelte die Gemeindeschutzwache daraufhin um in eine deutlich schwächere Gemeindewache ohne Polizeifunktion mit maximal 1.000 Mann. Inoffiziell diente sie dem Schutzbund als legaler Rahmen und wäre im Ernstfall auch aus dessen Beständen bewaffnet worden. Vgl. Vlcek ( 1971 ), 152–159. Zwei Jahre später , 1929 , wurde die Gemeindewache im Zuge der Verfassungsreform unter Bundeskanzler Schober dann wieder aufgelöst , vgl. Levetzow ( 1991 ), 58 f. 327 Vgl. Schober ( 1928 ), 19 ff. Der Ausbau betraf übrigens nicht nur die Exekutivagenden im engeren Sinne : Schober unterhielt auch eine Trinkerfürsorgestelle , ein Frauenasyl und ein eigenes Jugendheim für obdachlose oder sozial auffällige Jugendliche , die dort „neben harmlosen Spielen auch zu leichter , spielend zu verrichtender Arbeit angehalten“ wurden , vgl. ebenda , 22 f. 328 So schaffte die Wiener Polizeidirektion nach dem Juli 1927 Radpanzer an , was nach den Bestimmungen des Vertrages von St.-Germain eigentlich verboten war , von den Alliierten jedoch mit der ausdrücklichen Auflage gestattet wurde , sie nur im urbanen Bereich einzusetzen , vgl. Placz , Heinz ( 2006 ) : Die Bewaffnung der österreichischen Exekutive in der Ersten Republik von 1918 bis 1938 – Ein Überblick. In : Gebhardt , Helmut ( Hg. ) : Polizei , Recht und Geschichte. Europäische Aspekte einer wechselvollen Entwicklung. Beiträge des 14. Kolloquiums zur Polizeigeschichte , Graz , 105–125 :117. Auch die Anschaffung nichttödlicher Waffen wie des Gummiknüppels war im Kontext der verstärkten Repression zu sehen , vgl. Gebhardt ( 1997 ), 258. Zur politischen Säuberung und gleichzeitigen Aufrüstung der Exekutive siehe außerdem McLoughlin ( 1990 ), 274–278. 329 Vgl. Hetfleisch ( 1990 ), 71–80 , desgl. Gulick ( 1948 ), Bd. 3 , 77
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me der Föderalisierungsmaßnahme im Exekutivbereich durch die Verfassungsreform 1925330 und einer stärkeren Zentralisierung. Die Mitsprache der Länder in Sicherheits agenden wurde beseitigt , eine Maßnahme , die sich vor allem gegen das Rote Wien richtete und ansonsten dem Machtkalkül Schobers entsprach.331 Allerdings behielt sich der Bund das Recht vor , bei Bedarf bewaffnete Lokalpolizei aufzustellen , diese Verfassungspassage bildete die Grundlage für die Schaffung des Freiwilligen Schutzkorps und damit der Erhebung der Heimwehren in den Status von Hilfspolizei.332 Ein Jahr später , im September 1930 , folgte die Schaffung der Generaldirektion für öffentliche Sicherheit , die im Bereich des Innenministeriums bzw. des Bundeskanzleramtes angesiedelt war. Auf den ersten Blick war das ein paradoxer Schritt , denn die Generaldirektion fungierte als oberste Polizeibehörde und war der bis dahin obersten Behörde , der Sicherheitspolizeidirektion Wien , vorgeordnet. Kurz vor seinem Abgang als Bundeskanzler schwächte Schober damit also seine eigene Herkunftsdienststelle , die er ein Jahr vorher noch massiv gestärkt hatte. Tatsächlich dürfte sich diese Maßnahme ursprünglich gegen die Heimwehren gerichtet haben , die eine führende Stellung in der Exekutive für einen ihrer Gewährsmänner beanspruchten , was Schober durch eine noch stärkere Zentralisierung in seinem Ressort verhindern wollte. Als er dann unvermutet demissionieren musste , erreichte er das Gegenteil : Sein Nachfolger im Kabinett Vaugoin wurde ausgerechnet Starhemberg , der nun einen alten Gegenspieler Schobers in Wien , den späteren Nationalsozialisten Franz Brandl , zum Polizeivizepräsidenten machte.333 Angesichts des großen Entgegenkommens , mit dem ihnen seitens der Exekutive und des Bundesheeres bis dahin begegnet worden war , hatten die Heimwehren bei ihren Umsturzplänen zumindest auf eine wohlwollende Neutralität , wenn nicht auf ein Eingreifen der Staatsmacht zu ihren Gunsten gesetzt.334 Vorläufig stellte sich das aber anlässlich des Pfrimer-Putsches noch als zu optimistische Annahme heraus. Zwar verhielt sich insbesondere die Gendarmerie vielerorts abwartend und unterstützte vereinzelt auch offen die Putschisten ,335 mehrheitlich befolgten Bundesheer und Exekutive aber die Anweisungen ihrer Vorgesetzten. Das Verhalten folgte freilich einer institutionellen , keiner demokratischen Logik , wie sich anlässlich der Ausschaltung des Parlaments 1933 zeigte , als Polizeibeamte das Parlament besetzten , um das Zusammentreten der Abgeordneten zu verhindern.336 Dennoch war es aus Sicht der Heimwehren naheliegend , umso dringlicher zu versuchen , wenigstens einen Teil des staatlichen Gewaltapparates direkt unter ihre Kontrolle zu bringen. Mit der Entlassung Hermann Achs aus dem Kabinett und der Übernahme des Staatssekretariats für die Innere Sicherheit durch Emil Fey am 17. Oktober 1932 gelang ihr das auch. Aus der Perspektive der christlichsozialen Parteiführung war ein solcher Schritt dagegen nur als konkrete Vorbereitung für den Staats330 Vgl. Levetzow ( 1991 ), 56 f. 331 Winkler ( 1983 ), 68–72. 332 Ebenda , 69 f. 333 Ebenda , 76 f. 334 Vgl. Pauley ( 1972 ), 119. 335 Vgl. Naderer ( 2004 ), 271 f. 336 Vgl. Steinwender , Engelbert ( 1992 ) : Von der Stadtguardia zur Sicherheitswache. Wiener Polizeiwachen und ihre Zeit , Bd. 2 : Ständestaat , Großdeutsches Reich , Besatzungszeit , Graz , 21 f.
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streich sinnvoll , wie im Übrigen auch die Schaffung des Freiwilligen Schutzkorps und die Einrichtung von Landessicherheitsdirektionen im Juli 1933. Die Sicherheitsdirektionen waren der Bundespolizei übergeordnet und sollten deren politische Zuverlässigkeit auf Landesebene sicherstellen.337 Wie stark der Wille war , die Exekutive politisch ins Regime einzubinden , machte die Eingliederung der Bundessicherheitswache in die Vaterländische Front im Juni 1933 deutlich.338 Es folgte drei Monate später eine erhebliche Kompetenzerweiterung durch die Verordnung „betreffend die Verhaltung sicherheitsgefährlicher Personen zum Aufenthalte in einem bestimmten Orte oder Gebiete“.339 Sie ermöglichte es den Sicherheitsdirektionen , Missliebige auch ohne konkreten Tatverdacht in neu zu schaffenden Anhaltelagern festzusetzen.340 Mit der Ausweitung der legalen Befugnisse ging eine Aufweichung elementarer Bürgerrechte einher. Im Amtsverständnis der Behörden existierten sie gegen Ende des Jahres 1933 faktisch ohnehin nicht mehr. So regte sich sofort wütender Protest , als der Polizei nach diversen Übergriffen auch nur die eigenmächtige physische Misshandlung von Häftlingen verboten werden sollte.341 Die 1933 eingeleitete Remilitarisierung der Gendarmerie war anfänglich ebenfalls im Kontext des erwarteten Bürgerkrieges zu sehen. Nach der Stabilisierung des Regimes Ende 1934 verschob sich der Fokus dann in Richtung militärischer Landesverteidigung nach außen.342 Im November 1933 kam es zur Einrichtung eines Staatspolizeilichen Büros , das der weiteren Zentralisierung der Sicherheitsagenden dienen sollte und als politische Polizei wichtige Strukturmerkmale des deutschen Geheimen Staatspolizeiamtes aufwies.343 Wenig verwunderlich führte in beiden Fällen die Kombination aus massiver Aufstockung der Mittel bei gleichzeitiger Entgrenzung des Handlungsrahmens zu einer weiteren Verselbstständigung der Behörde.344 Das machte sich insbesondere in der letzten Phase vor dem „Anschluss“ 1938 bemerkbar , in der es zu einer durch die deutschnationale Prägung stark begünstigten nationalsozialistischen Unterwanderung345 kam und die eine reibungslose Eingliederung in den NS-Repressionsapparat mündete.346 337 Vgl. Steinwender ( 1992 ), Bd. 2 , 36 f. , desgl. Winkler ( 1983 ), 194–199. 338 Vgl. Winkler ( 1983 ), 187–192. 339 BGBl. 431 / 1933 , Vgl. Berchtold , Klaus ( 1995 ) : Die persönliche Freiheit als Problem der Ersten Republik. In : Weinzierl , Erika et al. , Bd. 2 , 666–673 :670 f. ; Jagschitz , Gerhard ( 1975 ) : Die Anhaltelager in Österreich ( 1933–1938 ). In : Jedlicka / Neck ( 1975 ), 128–151. Desgl. Schölnberger , Pia ( 2012 ) : Eine „Klausur umdrahteten Bereichs“. Das „Anhaltelager“ Wöllersdorf ( 1933–1938 ), phil. Diss. , Wien. 340 Holtmann , Everhard ( 1978 ) : Zwischen Unterdrückung und Befriedung. Sozialistische Arbeiterbewegung und autoritäres Regime in Österreich 1933–1938 , Wien , 50 f. ; Steinwender ( 1992 ), Bd. 2 , 42–49. 341 VF-Archiv 514 / 1591 / 96. 342 Vgl. Schmidl , Erwin A. ( 1999 ) : Zwischen Bürgerkrieg und „Anschluß“. Die österreichische Gendarmerie 1934 bis 1938 , In : Hörmann / Hesztera , 148–153 :148 f. , desgl. Steinböck ( 1988 ), 53. 343 Zu den Kompetenzen des Staatspolizeilichen Büros vgl. Winkler ( 1983 ), 205–214 , bes. 211 f. 344 Vgl. Carsten ( 1978 ), 238. Zur Geschichte der Gendarmerie im Austrofaschismus siehe Gebhardt ( 1997 ), 271–293. Die Verselbstständigung war vorerst auch durchaus im Sinne des Systems , etwa wenn die Polizei keinerlei Anstalten machte Ermittlungen aufzunehmen , nachdem Heimwehrmänner in Tirol Ende 1934 einen angeblichen Oppositionellen zu Tode prügelten , vgl. Schreiben des VF-Generalsekretariats an das Staatspolizeiliche Büro vom 12. 12. 1934 , VF-Archiv 514 /24 / 1 13–116. 345 Vgl. Knoll , Harald ( 1991 ) : Die Grazer Polizei zwischen 1938 und 1945 mit besonderer Berücksichtigung der Geschichte der Ordnungspolizei im Dritten Reich , Dipl.-Arb. , Graz , 27 f. 346 Vgl. Winkler ( 1983 ), 246–280 , desgl. Hesztera , Gerald ( 2009 ) : Gendarmerie und Polizei zwischen
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Die Mehrheit der bisherigen Arbeiten zur Geschichte der Exekutive in der Ersten Republik und im Austrofaschismus ist nach 1945 im Umfeld der Polizei und Gendarmerie entstanden. Peter Mähner hat zu Recht kritisiert , dieses Naheverhältnis begünstige eine „pathetische und pamphletische Lobhudelei“,347 wo kritische Auseinandersetzung angezeigt wäre. Auch jüngere Beispiele stützen diesen Befund leider mehrheitlich.348 Freilich ist auch der Umstand , dass eine Darstellung als Hochschularbeit entsteht , keineswegs Garant für eine gelungene Analyse.349 Als Pionierarbeiten im gegenständlichen Bereich sind insbesondere die leider bis heute ungedruckten Arbeiten von Winkler und Mähner zu sehen. Allerdings widmen beide sich speziell der Transformationsphase 1930–1934 , eine konzise Gesamtdarstellung der Exekutive der Zwischenkriegszeit fehlt dagegen bis heute und beschränkt sich auch für den Austrofaschismus auf Skizzen. Sinnvolle Ergänzung könnten deren Arbeiten insbesondere durch eingehendere Untersuchungen der Aktivitäten der Sicherheitsdirektionen erfahren. V. Der Republikanische Schutzbund Die Mehrzahl der relevanten Arbeiten zum Republikanischen Schutzbund stellen bislang leider ungedruckte Hochschulschriften dar , konkret die Dissertationen von Karl Haas , Christine Vlcek und Barry McLoughlin sowie die Habilitation von Karl Haas. Abseits mehrerer Artikel gibt es zu dem Themenkreis nur drei ausführlichere Publikationen , nämlich die veröffentlichten Dissertationen von Erwin Tramer350 und Otto Naderer sowie die Monografie von Duczynska. Austrofaschismus und Nationalsozialismus , Dipl.-Arb. , Wien , 25–91 ; ders. ( 1999 ) : Opfer und Täter : Die Gendarmerie in der Zeit des Nationalsozialismus. In : Hörmann / Hesztera , 154–166. Vgl. außerdem Knoll ( 1991 ) sowie die ausgezeichnete Arbeit von Sanwald , Siegfried 1999 : Instrument des staatlichen Terrors : Die Polizei im Dritten Reich 1933–1939. Mit besonderer Berücksichtigung der Funktion des Wiener Polizeiapparates als Repressionsorgan der politischen Machthaber der Ersten Republik , Wien , 32–53. Auch zahlreiche VF-Berichte wiesen auf die stillschweigende Duldung , manchmal auch auf die aktive Unterstützung hin , die nationalsozialistische Aktivitäten seitens der Exekutive genossen , vgl. etwa den Bericht des Favoritner VF-Bezirksleiters vom 9. Jänner 1934 , VF-Archiv 514 / 572 /2. 347 Mähner ( 1990 ), 75. Der Autor bezog sich mit seiner Kritik auf dieses Buch : Bundespolizeidirektion Wien ( Hg. ) 1949 : 80 Jahre Wiener Sicherheitswache , Wien. 348 Vgl. u. a. Kepler , Leopold et al. ( Hg. ) ( 1974 ) : Die Gendarmerie in Österreich 1849–1974 , Graz ; Bundespolizeidirektion Klagenfurt ( Hg. ) ( 1998 ) : 70 Jahre Bundespolizeidirektion Klagenfurt 1928– 1998. Festschrift anlässlich der Eröffnung des Sicherheitszentrums Klagenfurt , Klagenfurt ; Brettner , Friedrich ( 1997 ) : Für Heimat , Volk und Ehre. Gendarmen der ersten Stunde , nicht Beruf , sondern Berufung. Die Gendarmerie in Niederösterreich von 1945–1955 , Mattighofen ; Magrutsch , Helmut ( 2003 ) : Die Bewaffnung der Wiener Sicherheitswache von 1869 bis 2002 , Wien. 349 So die rechtswissenschaftliche Dissertation von Haberl , Herbert ( 1991 ) : Geschichte des Sicherheitswesens in Österreich. Ein entwicklungsgeschichtlicher Beitrag , Diss. , Salzburg , die den / d ie LeserIn mit Quellenverweisen oder Analysen kaum behelligt , ähnlich die veröffentlichte Dissertation von Neumann , Veronika ( 2006 ) : Die Grazer Polizei – Ihre Aufgabenbereiche im kulturellen und gesellschaftlichen Wandel des 20. Jahrhunderts , Graz. 350 Tramer , Erwin ( 1969 ) : Der Republikanische Schutzbund. Seine Bedeutung in der politischen Entwicklung der Ersten Österreichischen Republik , phil. Diss. , Erlangen. Die Arbeit ist allerdings von den nachfolgenden Untersuchungen als weitgehend überholt zu betrachten.
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Mit Wehrpolitik hatte sich die Arbeiterbewegung seit ihren Anfängen beschäftigt. Um die Jahrhundertwende hatte sich sowohl in der deutschen als auch in der österreichischen Sozialdemokratie die Forderung der Märzrevolution von 1848 durchgesetzt : Volksbewaffnung durch Einführung eines Milizsystems.351 Der Dienst des Bürgers in Uniform sollte die Armee vor allem als Instrument gegen die eigene Bevölkerung nutzlos machen und dem Charakter des Militärs als Staat im Staat vorbauen. Am Ende des Ersten Weltkrieges wirkte diese Forderung anachronistisch. Die Kriegsgräuel hatten nicht nur das Erzhaus und die monarchische Staatsform völlig desavouiert , sondern – wenig verwunderlich – auch speziell das Militär. Gleichwohl folgte die Aufmerksamkeit , die speziell Otto Bauer und Julius Deutsch auf die Zukunft des Heeres richteten , einer durchaus realistischen Lagebeurteilung. Die Kader des neuen republikanischen Militärs waren überwiegend aus der untergegangenen k. u. k. Armee hervorgegangen und standen der Republik feindselig gegenüber. Blieb die bewaffnete Macht in diesen Händen , war kaum anzunehmen , dass sie sich in den anstehenden politischen Auseinandersetzungen nobel zurückhalten würde. Die von der Sozialdemokratie daher neuerlich forcierten Milizheer-Pläne scheiterten aber während der Friedensverhandlungen von Saint-Germain am Einspruch der Alliierten.352 Das 1920 beschlossene Wehrgesetz353 ließ in sozialdemokratischen Kreisen „keine Illusionen darüber [ aufkommen ] , dass alle darinnen getroffenen Vorkehrungen zum Schutze des demokratischen Charakters des Bundesheeres im Grunde genommen ziemlich fragwürdig waren“.354 Nach dem Ausscheiden aus der Regierung verfügte man durch die „Ständige Parlamentskommission für Heeresangelegenheiten“ noch über eine gewisse Kontrollmöglichkeit.355 Zudem 351 Die Forderung nach Volksbewaffnung spielte insbesondere im Auftakt zur Wiener Revolution von 1848 eine zentrale Rolle. Zum sozialdemokratischen Diskurs fünfzig Jahre später sei exemplarisch auf das Erfurter Programm von 1891 verwiesen , dessen dritter Forderungspunkt lautete : „Erziehung zur allgemeinen Wehrhaftigkeit. Volkswehr an Stelle der stehenden Heere. Entscheidung über Krieg und Frieden durch die Volksvertretung. Schlichtung aller internationalen Streitigkeiten auf schiedsgerichtlichem Wege.“ Vgl. die digitalisierte Quelle im Marxists’ Internet Archive , URL : http ://www.marxists. org / deutsch / geschichte / deutsch / spd / 1891 / erfurt.htm ( abgerufen am 09. Oktober 2011 ). Siehe dazu auch Bebel , August ( 1898 ) : Nicht stehendes Heer sondern Volkswehr , Stuttgart ; Grünberg , Karl / Däumig Ernst ( 1919 ) : Die Sozialistische Volkswehr : „Sozialistische Volkswehr“ an Stelle des stehenden Kasernenheeres ! Praktische Anregungen und Vorschläge für e. sofortige Umrüstung Deutschlands im Sinne des „Erfurter Programms“, mit einem Vorwort von Ernst Däumig , Berlin. Unübersehbar sind in dieser Debatte die deutsch-französischen Wechselbeziehungen , vgl. Jaurès , Jean ( 1913 ) : Die neue Armee , Jena. Zur österreichischen Sozialdemokratie vgl. vor allem Haas ( 1967 ), Heiß , Gernot ( 1978 ) : Zur antimilitaristischen Taktik der österreichischen Sozialdemokratie vor dem Ersten Weltkrieg. Die Diskussion auf dem Gesamtparteitag von 1903 , In : Botz , Gerhard et alii ( Hg. ) : Bewegung und Klasse. Studien zur österreichischen Arbeitergeschichte , Wien / München / Zürich , 561–579. Sowohl die deutsche als auch die österreichische Sozialdemokratie rückte aber im Laufe der 1920er ( im Unterschied etwa zur französischen Sozialistischen Partei ) vorübergehend vom Milizsystem wieder ab , vgl. Haas ( 1967 ), 165 f. 352 Vgl. Broucek ( 1989 ), 223 ff. 353 Zu Inhalt und Bedeutung des Wehrgesetzes vgl. Haas ( 1967 ), 111–116. 354 Vlcek ( 1971 ), 4. 355 Die Ständige Parlamentskommission wurde allerdings im Jahr 1932 von der Bundesregierung mithilfe des mit ihren Parteigängern besetzten Verfassungsgerichtshofes erfolgreich ausgehebelt. Vgl. Haas ( 1985 c ), 251.
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war man bestrebt , möglichst viele eigene Anhänger im Bundesheer unterzubringen , die Übernahme politisch verlässlicher Offiziere , insbesondere der Volkswehrleutnants zu erreichen und durch die Gründung einer Soldatengewerkschaft , des Militärverbandes , die eigenen Kräfte innerhalb des Militärs zu bündeln.356 Wenn es aber nicht gelang , in absehbarer Zeit wieder in Regierungsverantwortung zu kommen , durfte man sich über die Erfolgsaussichten dieser Bemühungen keinerlei Hoffnung hingeben. Ein Blick über die Grenzen war durchaus dazu angetan , die Furcht vor diktatorischen Regimen zu nähren – sei es die Niederschlagung der Münchner und Budapester Räterepublik 1919 oder der Kapp-Putsch 1920. Nicht nur die rechten Wehrverbände , auch das Verhalten der Exekutive musste diesbezügliche Sorgen verstärken. Nicht nur dass die Nähe zu den rechten Paramilitärs kaum zu übersehen war , gingen Polizei und Gendarmerie bei Demonstrationen regelmäßig mit großer Härte gegen die Arbeiterschaft vor. So auch , als im Juni 1919 kommunistische Putschpläne ruchbar wurden. Im Grunde hatte die Polizei das Unternehmen bereits im Vorfeld erfolgreich unterbunden , indem sie die Führer der Revolte festnahm. Als es dennoch am 15. Juni zu Demonstrationen von KP-AnhängerInnen kam , reichte ein vergleichsweise harmloser Tumult als Anlass , um in die Menge zu schießen. Zurück blieben zwanzig Tote.357 In Reaktion darauf forderte der Wiener Arbeiterrat , in dem die KP vergleichsweise stark war , ein Instrument zur politischen Überwachung der Polizei und richtete als eigenes Exekutivorgan Ordnerausschüsse ein. Diese Ordnerausschüsse bildeten eine von drei Quellen , aus denen sich später der Republikanische Schutzbund speisen sollte.358 Die zweite waren die traditionellen Ordnergruppen der SDAP , die seit den 1890ern bei öffentlichen Aktivitäten einen reibungslosen Ablauf zu gewährleisten hatten , aber auch Propagandaaufgaben wahrnahmen und Streikposten stellten. Das dritte Reservoir bildeten Arbeiter- und Fabrikswehren. Diese waren während des Umsturzes 1918 aufgestellt worden , um die vorübergehend aufgelöste staatliche Macht zu ersetzen und die Bevölkerung insbesondere vor durchziehenden Truppen zu schützen.359 Bereits im November 1921 schlug Julius Deutsch auf dem sozialdemokratischen Parteitag vergeblich vor , die vorhandenen Kräfte organisatorisch zusammenzufassen.360 Das zunehmend offensivere Vorgehen der rechten Wehrverbände samt gewaltsamen Übergriffen mit Toten und Verletzten , aber auch die faschistische Machtergreifung in Italien beförderten im Lauf des Folgejahres jedoch ein Umdenken.361 Entscheidend dazu beigetragen hatte wohl auch die Erkenntnis , dass die Hoffnung auf eine allgemeine Abrüstung illusorisch war.362 Es mündete schließlich im Februar 1923 in der Gründung des Republikanischen Schutzbundes , einer bundeseinheitlichen Wehrorganisation mit zentraler Leitung. Der Schutzbund war zunächst nicht einfach als Parteigarde gedacht , 356 Zu den einschlägigen sozialdemokratischen Bemühungen vgl. Haas ( 1967 ), 16–45 , 117 ff. 357 Botz ( 1976 ), 67 f. 358 Vgl. McLoughlin ( 1990 ), 15 f. 359 Allein auf Wiener Ebene existierten bis zum Sommer 1920 etwa zwanzig derartige Formationen , die neben Infanteriegewehren auch über Maschinengewehre und einen Panzerautozug verfügten , vgl. Haas ( 1967 ), 168 f. 360 McLoughlin ( 1990 ), 16. 361 Vgl. Vlcek ( 1971 ), 56 ff. 362 Vgl. Tramer ( 1969 ), 32 f.
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sondern sollte den Nukleus einer wehrhaften Arbeiterbewegung bilden und in den bestehenden Partei- und Gewerkschaftsstrukturen363 wirken. Zu diesem Zweck wurde ein breites Bildungsangebot entworfen , von dem später allerdings deutlich weniger als geplant umgesetzt wurde.364 Auf soziokultureller Ebene war der Schutzbund darüber hi naus als parteikonformes Konkurrenzangebot zu den formal politisch unabhängigen , tatsächlich aber durchwegs rechts stehenden Kameradschaften gedacht.365 Die militärische Ausbildung einschließlich des Schießwesens366 wurde in Zusammenarbeit mit den sozialdemokratischen Sportorganisationen durchgeführt , auf diese Weise blieb auch der legale Schein gewahrt. Obwohl Schobers Polizeidirektion früh ihr Möglichstes tat , die Waffenkontrolleure der Alliierten für die reichlichen Bestände verschiedener Arbeiterformationen zu interessieren und es auch zu diversen Beschlagnahmungen kam , waren die verbliebenen Bestände immer noch ansehnlich. Die Infanteriewaffen des Schutzbundes stellten die staatlichen Bestände weit in den Schatten ,367 darüber hinaus verfügte man auch über einige wenige Geschütze.368 Die Frage des organisatorischen Aufbaus ( u nd damit verbunden der Befehlsgewalt ) war parteiintern zunächst umstritten. Während mehrere Funktionäre wie Karl Heinz , der Obmann der Sozialistischen Arbeiterjugend , eine lose Formation präferierten , die im Fall des Falles aus Mitgliedern der unterschiedlichen Parteigliederungen gebildet würde , setzte sich am Ende eine Fraktion rund um Julius Deutsch durch , die auf eine eigene , militärisch ausgerichtete Struktur drängte.369 Nach dem Justizpalastbrand wuchs die Kritik an diesem Wehrkonzept , sowohl von Befürwortern einer generellen Abrüs 363 Das ist insofern von Bedeutung , als das Primat der Partei über die Freien Gewerkschaften in der Anfangsphase der Republik noch nicht so stark ausgebildet war. Dennoch galten Partei- und Gewerkschaftsmitgliedschaft gleichermaßen als Legitimation für den Beitritt zum Schutzbund. Die engen Beziehungen zu den Gewerkschaften waren zum beiderseitigen Vorteil gedacht : Der Schutzbund wurde maßgeblich durch Gewerkschaftsgelder finanziert und war in einer militärischen Konfrontation auf begleitende gewerkschaftliche Kampfmaßnahmen angewiesen , um Transport und Nachschub des Gegners zum Erliegen zu bringen. Umgekehrt fungierte der Schutzbund als Ordnertruppe bei Gewerkschaftsveranstaltungen , sicherte Gewerkschaftseinrichtungen und beschützte Streikende , vgl. Vlcek ( 1971 ), 88 f. 364 Vgl. ebenda , 11 ff. 365 Zur Geschichte der Veteranenverbände der Ersten Republik und des Austrofaschismus wurde leider bislang kaum wissenschaftlich gearbeitet , vgl. Prattes , Florian ( 2009 ) : Der Österreichische Kameradschaftsbund und seine Rolle im kollektiven und individuellen Gedächtnis seiner Mitglieder , Dipl.-Arb. , Graz , 45–48 ; Überegger , Oswald 2011 : „Erinnerungsorte“ oder nichtssagende Artefakte ? Österreichische Kriegerdenkmäler und lokale Kriegserinnerung in der Zwischenkriegszeit. In : Cole , Laurence / Hämmerle , Christa / S cheutz , Martin ( Hg. ) : Glanz – Gewalt – Gehorsam. Militär und Gesellschaft in der Habsburgermonarchie ( 1800 bis 1918 ), Essen , 293–310. 366 Für die Schießausbildung wurden zunächst ab 1928 eigene Schützenvereine gegründet , eine Überführung dieser Aktivitäten in den Schutzbund selbst fand erst ab Jänner 1933 statt , vgl. Naderer ( 2004 ), 235. 367 Diese Überlegenheit im Bereich der leichten Waffen hielt bis zum Bürgerkrieg im Februar 1934 vor. Nach Schätzungen Naderers betrug das Verhältnis Bundesheer zu Schutzbund bei Maschinengewehren 450 zu mindestens 700 , bei Gewehren 34.500 zu mindestens 40.000 , vgl. Naderer ( 2004 ), 243. 368 McLoughlin ( 1990 ), 19. 369 Naderer schreibt Julius Deutsch’ Erfolg vermutlich zu Recht dem Umstand zu , dass sie konkreter und damit praktikabler erschienen als die gegenläufigen Überlegungen , vgl. ders. ( 2004 ), 152.
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tung wie Karl Renner und Karl Kautsky als auch von Militärs wie Theodor Körner , der sich um die militärische Effizienz eines isoliert agierenden Schutzbundes sorgte.370 Julius Deutsch argumentierte seine Linie stark unter Verweis auf die Erfahrungen während der Aufstände in Mitteldeutschland und die Niederlage der italienischen Arbeiterschaft. In beiden Fällen sei die Linke durchaus nicht ohne Waffen dagestanden. In einer Auseinandersetzung mit militärisch organisierten , straff geführten und zu komplexeren Operationen fähigen Gegnern könne aber nur bestehen , wer durch zentrale Leitung sicherstelle , dass es nicht zu einer bloßen Potenzierung des individuellen Aktionismus käme.371 Die gegenläufige militärische Argumentation verwies dagegen auf die Bedeutung der Wehrbereitschaft der Massen , die es aufrechtzuerhalten gelte.372 Die Finanzierung des Schutzbundes , der bis 1924 noch dem Exekutivausschuss der jeweiligen Landesarbeiterräte unterstand , erfolgte zunächst aus Zuwendungen der Gewerkschaften und Beiträgen jener Organisationen , die ihm korporativ beitraten. Nach der Selbstauflösung der Arbeiterräte Ende 1924 fiel zwar deren gesamtes Vermögen dem Schutzbund zu , dessen Finanzprobleme änderten sich aber erst nachhaltig , als der Schutzbund 1926 der ASKÖ eingegliedert wurde und in weiterer Folge auch Direktsubventionen der SDAPÖ erhielt.373 Das blieb nicht ohne Folgen für das Verhältnis zur Partei. Von nun an fungierte ein zwölfköpfiger Vorstand als Leitungsgremium , in dem prominente Vertreter der Partei saßen , so neben Julius Deutsch auch Otto Bauer und Friedrich Adler. Im Unterschied zur gewählten politischen Leitung wurden die militärischen Führer ernannt. Es dürfte allerdings bis zur Schutzbundreform 1927 auch hier üblich gewesen sein , zumindest die Ränge bis zum Kompanieführer zu wählen.374 Im Herbst 1926 setzte eine intensive bürgerliche Medienkampagne gegen den Schutzbund ein , deren Ausgangspunkt ein Zusammenstoß zwischen Schutzbündlern und Angehörigen der Katholischen Jugend in Wien-Hernals darstellte.375 Nach der Übernahme der Kanzlerschaft durch Ignaz Seipel im Oktober und dem Beschluss des „Linzer Programms“ im November 1926 wurden die Rufe nach einer Auflösung des Schutzbundes zunehmend schriller. Sie richteten sich vornehmlich an die Entente , wo die Rechte mit ihrem Lobbying bereits früher erfolgreich gewesen war. So hatte die Pariser Botschafterkonferenz schon zu einem früheren Zeitpunkt eigentlich die Auflösung der „Geheimverbände“, also des Schutzbundes und der wehrturnenden Arbeitersportvereine , verlangt.376 Die Sozialdemokratie hatte zu diesem Zeitpunkt bereits drei Abrüstungsvorschläge gemacht , die jedoch vonseiten der Heimwehren bzw. der mit ihnen verbundenen Parteien allesamt zurückgewiesen worden waren.377 370 Vgl. Vlcek ( 1971 ), 60 ff. 371 Seine Argumentation zur Ausrichtung des Schutzbundes legte Julius Deutsch in einer programmatischen Broschüre dar , vgl. ders. ( 1926 ) : Antifaschismus ! Proletarische Wehrhaftigkeit im Kampfe gegen d. Faschismus , Wien. 372 Vgl. Vlcek ( 1971 ), 60 f. 373 Vgl. McLoughlin ( 1990 ), 25 ff. , Vlcek ( 1971 ), 128 f. 374 Vgl. McLoughlin ( 1990 ), 27. 375 Vgl. Vlcek ( 1971 ), 131 f. 376 Vgl. Vlcek ( 1971 ), 132. 377 Vgl. McLoughlin ( 1990 ), 457. Weitere sozialdemokratische Abrüstungsangebote folgten 1927 , 1928 , 1929 und alleine 1930 sechsmal.
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Nach einem ersten Versuch Anfang der 1920er begann die Sozialdemokratie ab etwa 1926 , neuerlich in den Dörfern zu agitieren. Mit diesem Vorstoß ins christlichsoziale Kernland wagte man sich aber auch aus der sicheren Deckung der roten Städte und beschleunigte abermals ein beidseitiges Wettrüsten. Im Zuge dessen wurde die ursprüngliche Übereinkunft , im Burgenland keine Wehrformationen aufzubauen , um Ungarn keinen Vorwand für eine militärische Intervention zu liefern , bald hinfällig. Die Frontkämpfervereinigung , die an der ursprünglichen Vereinbarung mit der Sozialdemokratie nicht beteiligt gewesen war und außerdem als traditionell pro-ungarisch galt , begann 1926 mit der Gründung von Ortsorganisationen. Die Sozialdemokratie antwortete mit der Gründung von Schutzbundformationen.378 Für die 1927 anstehenden Nationalratswahlen versuchte Ignaz Seipel , eine bürger liche Einheitsliste zu bilden , und konzentrierte sich darauf , die ansonsten vermeintlich drohende sozialdemokratische Machtübernahme in düstersten Farben auszumalen. Für die ersten Monate des Jahres 1927 wurde daher allerseits eine harte Wahlauseinandersetzung erwartet. Ab März 1927 wurde die allgemeine Spannung durch die „Arsenal-Affäre“ weiter erhöht , in deren Verlauf die Staatsmacht zwischen März und Mai 1927 erhebliche Waffenmengen des Schutzbundes beschlagnahmte , die im Wiener Arsenal gelagert gewesen waren.379 Militärisch waren die Folgen für den Schutzbund zwar empfindlich , aber nicht dramatisch. Auf psychologischer Ebene kam die Passivität der Sozialdemokratie angesichts der offensiven Vorgehensweise der Gegenseite aber einer Niederlage gleich. Sie markierte den Beginn einer langen , erfolgreichen Zermürbungstaktik.380 Deren nächste Etappe folgte in Gestalt des Polizeimassakers vom 15. Juli 1927 auf dem Fuß. Abermals beließ es die Sozialdemokratie bei verbalem Protest , und das , obwohl die Ereignisse ungleich alarmierender waren. Das betraf nicht nur das brutale Vorgehen der Exekutive. Die wichtigste Waffe der Arbeiterschaft , der Generalstreik , hatte sich außerhalb der roten Hochburgen durch den Einsatz von Gewalt seitens der rechten Wehrverbände , aber auch der Staatsmacht als wirkungslos entpuppt. Die Tragweite dessen fasste Julius Deutsch in einem Schreiben an Seitz zusammen : „Wir treiben ganz offensichtlich auf den Faschismus zu [ … ] Wer weiß , ob wir noch einmal Gelegenheit haben werden , die Gegenwehr zu organisieren , wenn wir es jetzt nicht tun.“381 Keineswegs nur linke Hitzköpfe , sondern auch altgediente Genossen wie Wilhelm Ellenbogen oder Johann Schorsch traten dafür ein , „den Kampf , der , wenn auch ohne unsere Absicht , nun einmal begonnen hatte , bis zur letzten Konsequenz durchzufechten“.382 Die überwiegende Mehrheit der Parteiführung war sich aber einig , einem Bürgerkrieg aus dem Weg zu gehen. 378 Vgl. Vlcek ( 1971 ), 134 f. 379 Die Szenen während der Räumungen waren teils durchaus dramatisch. Nachdem am Nachmittag des 2. März 1927 Bundesheer und Polizei vor dem Arsenal aufgezogen waren und mit der Waffensuche begannen , wurde der Schutzbund in den angrenzenden Bezirken in Alarmbereitschaft versetzt und zernierte mit mehreren Tausend Mann den Gebäudekomplex , vor dem sich eine aufgebrachte Menschenmenge versammelte , vgl. McLoughlin ( 1990 ), 148–151 , Vlcek ( 1971 ), 142 f. 380 Vgl. McLoughlin ( 1990 ), 160–163. 381 Schreiben vom 20. 07. 1927 , zitiert nach Garscha / McLoughlin ( 1987 ), 258. 382 So Julius Deutsch , die Wortmeldungen Ellenbogens und Schorschs im Parteivorstand bzw. in der Gewerkschaftskommission resümierend , zitiert nach Duczynska ( 1975 ), 111.
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Im Kontext des Schutzbundes wird der Justizpalastbrand häufig in den Kontext eines Konfliktes über Strategie und Taktik gestellt , der tatsächlich aber schon länger zwischen Alexander Eifler auf der einen und Theodor Körner auf der anderen Seite gegärt hatte und sich nun entlud. Es greift allerdings , wie McLoughlin zu Recht kritisiert ,383 zu kurz , die beiden Charaktere auf den brillanten Theoretiker ( Körner ) und den dumpfen Drillsergeanten ( Eifler ) zu reduzieren , eine Deutung , die letztlich auf Julius Deutsch zurückgeht.384 Beide Männer , Körner und Eifler , hatten von Beginn an im Schutzbund mitgewirkt. Nach dem Justizpalastbrand rückte Körner zum militärischen Leiter des Schutzbundes auf , während Eifler , der als deklariert sozialdemokratischer Offizier seinen Abschied aus dem Bundesheer hatte nehmen müssen , dessen Wiener Führung übernahm.385 Die in der Literatur meist alleine Eifler zugeschriebene Schutzbundreform vom Herbst 1927 wurde in Wirklichkeit noch im gegenseitigen Einvernehmen erarbeitet. Die darin festgeschriebene Militarisierung , Disziplinierung und Entpolitisierung ( m it der auch eine politische Säuberung einherging386 ) bzw. Entdemokratisierung des Verbandes als Reaktion auf vermeintliche Disziplinlosigkeiten während der Wiener Ausschreitungen hatte auch Körner in einer internen Besprechung zunächst noch vehement befürwortet : „[ … ] wir müssen es den Ordnern einbläuen , dass sie , wenn sie in den Uniformen stecken , aufhören Vertrauensmänner oder Parteimitglieder zu sein , dass sie dann nichts sind als Soldaten , die ihrem Kommandanten zu gehorchen haben [ … ].“387 Je intensiver sich Körner in den darauffolgenden Monaten aber mit den prinzipiellen Möglichkeiten einer militärischen Austragung des Konfliktes befasste , desto stärker betonte er dessen politische Komponente. Die Resultate seiner Überlegungen stellte er bereits im Frühjahr 1928 als „Grundsätze für Gewaltanwendung und Bürgerkrieg“ intern zur Diskussion. Die Regierung arbeite unverkennbar auf eine Ausschaltung der Arbeiterbewegung hin. Man müsse dem aber so lange auf dem Boden der Gesetzlichkeit begegnen , als die Regierung diesen nicht verlasse , weil die Massen den Kampf nur unterstützen würden , wenn sie ihn für legitime Notwehr hielten.388 An diese politische 383 Vgl. McLoughlin ( 1990 ), 11 f. 384 Dort findet sie sich freilich unter anderen Vorzeichen : Deutsch tendiert stark dazu , Körner als versponnenen Philosophen dar- und ihm Eifler als realitätsnäheren Praktiker gegenüberzustellen , was wohl nicht zuletzt einem Legitimationsinteresse des Autors entsprach , der Eiflers Linie unterstützt hatte , vgl. Deutsch , Julius ( 1947 ) : Alexander Eifler. Ein Soldat der Freiheit , 2. Aufl. , Wien , 28 ff. 385 Vgl. Vlcek ( 1971 ), 275. 386 Vgl. McLoughlin ( 1990 ), 456. Für und wohl auch von ehemaligen Schutzbundmitgliedern wurde im Sommer 1927 der kommunistische „Rote Frontkämpferbund“ gegründet , der aber bald behördlich aufgelöst wurde und sich im darauffolgenden Herbst als „Österreichische Arbeiterwehr“ neu formierte , vgl. Garscha , Winfried R. / Hautmann , Hans ( 1984 ) : Februar 1934 in Österreich , Berlin , 20 , 80. Das militärische Potenzial der Organisation blieb vernachlässigbar , vgl. Steinböck ( 1988 ), 43. Ab 1932 kam es jedoch mehrfach zu gemeinsamen Aktionen von Arbeiterwehr und Schutzbund gegen Nationalsozialisten , vgl. Frischauer ( 1976 ), 162–173. Siehe auch : März , Peter : „Eine Hand , ein Arm oder das Augenlicht ist schnell eingebüsst.“ Revolutionäre Arbeiterwehr und KPÖ in Oberösterreich 1928 bis 1933 [ erscheint in der Reihe des Oberösterreichischen Landesarchivs zur Geschichte Oberösterreichs 1918–1938 ab 2014 ]. 387 Zitiert nach Naderer ( 2004 ), S. 169 f. 388 Vgl. Duczynska ( 1975 ), 123 f.
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Strategie knüpfte Körner eine „Technik des Bürgerkrieges“, die an das klassische Repertoire der Guerilla-Kriegsführung anschloss. Als Hauptgegner betrachtete er nicht die Heimwehren , sondern den staatlichen Gewaltapparat. Den wiederum bekämpfe man vorzugsweise nicht durch Gewalt , sondern durch Infiltration , indem man ihn also durch Agitation unter den Mannschaften als Instrument in der Hand der Regierung unbrauchbar mache. Sollte dies nicht gelingen , müsse der Schutzbund eine offene Konfrontation nach dem Muster regulärer Armeen nach Möglichkeit vermeiden und stattdessen auf eine kleinteilige Zermürbungstaktik setzen. Allgemein sei passive Verteidigung anzuraten , Offensivstöße dagegen nur in Ausnahmefällen. Die Frage der Bewaffnung spiele eine nachgeordnete Rolle : „Auf was es ankommt , ist : Alle in der Masse der Arbeiter schlummernden Kräfte aufzuwecken , zusammenzufassen und zu organisieren , alle möglichen Fälle durchzudenken , um Selbstständigkeit , Selbsttätigkeit , Selbstbewusstsein und damit Sicherheit im Bürgerkrieg und Kampf zu erzielen.“389 Die ursprüngliche Forderung nach einer Entpolitisierung des Schutzbundes wurde hier in ihr Gegenteil verkehrt : Nur als Fisch im Wasser , als politisierter Teil der organisierten Massen konnte der Schutzbund nach nunmehrigem Dafürhalten erfolgreich sein. Eifler hielt ein solches Einsatzszenario für zu abstrakt und stellte dem eine Einschätzung entgegen , die sich zumindest hinsichtlich der Ausgangslage bewahrheiten sollte : Wahrscheinlich sei , dass eine schwache bürgerliche Regierung , die über eine dünne Mehrheit verfüge , gestützt auf Militär und Exekutive gegen eine starke , aber immer noch minoritäre Sozialdemokratie vorgehen werde , um eine Diktatur zu errichten. Auch dann aber sei es doch das Recht der Arbeiterschaft , sich zu wehren , und dafür gelte es , Vorkehrungen zu treffen. In den Aufgabenbereich des Schutzbundes fiele der militärische Teil dieser Vorbereitungen. Die politische Beeinflussung der Massen , aber auch des Gegners sei hingegen Angelegenheit von Partei und Gewerkschaft. Die von Körner geäußerte Kritik an der „geistlosen Militarisierung“ entspreche letztlich der Forderung nach Entmilitarisierung.390 Während der rechte Flügel im Parteivorstand nach dem Justizpalastbrand das Konzept des Schutzbundes für gescheitert hielt und seine Abrüstung verlangte , argumentierte die Linke , die Formation sei zwar geschwächt , aber noch immer stark genug , es mit einem rechten Putsch , an dem sich die Staatsgewalt nicht beteilige , alleine aufzunehmen.391 Die folgenden zwei Jahre waren von einer umfassenden militärischen Theoriebildung geprägt , für die vor allem Körner verantwortlich zeichnete.392 Gleichzeitig wurde unter der Ägide Eiflers eine effiziente Reorganisation vorangetrieben und deren Ergebnis in imposanten Manövern der Öffentlichkeit präsentiert.393 Das eine hatte allerdings mit dem anderen denkbar wenig zu tun. Die praktische Organisationsarbeit Eiflers ignorier389 Ebenda , 125. 390 Vgl. ebenda 128 f. 391 Vgl. Vlcek ( 1971 ), 165 ff. 392 Anders , als die Gegner Körners behaupteten , waren viele seiner Gedanken durchaus praktischer Natur und beschäftigten sich etwa mit der Bekämpfung der von der Exekutive neu angeschafften Radpanzer , vgl. Naderer ( 2004 ), 212. 393 So hielt der Schutzbund zwischen 1929 und 1931 Winterkampfübungen im Gebirge ebenso ab wie riesige Manöver mit bis zu fast 19.000 Mann und Aufmärsche mit bis zu 35.000 Mann , weit mehr , als der Personalstand des gesamten Bundesheeres , vgl. Naderer ( 2004 ), 210–220.
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te großzügig Körners Überlegungen , der wiederum hielt den „geistlosen Militarismus“ Eiflers für schädlich und ließ an dessen Operationsplänen kein gutes Haar.394 Den aus diesem Widerspruch resultierenden fortgesetzten Grabenkampf fasste Körner am Ende so zusammen : „Heinz entscheidet sich für Eifler gegen mich. Deutsch hält zu Heinz , weil dieser sein unentbehrlicher Sekretär für alles ist. Und schließlich entscheiden sich auch die Spitzen der Gesellschaft für Eifler und gegen mich …“395 Im Frühjahr 1930 schied Körner aus der zentralen Leitung des Schutzbundes aus , nahm an dessen Entwicklung aber weiterhin regen Anteil. Konfrontationen mit rechten Wehrverbänden gehörten zwar zum Alltag , beschränkten sich aber – sofern die Heimwehren berührt waren – üblicherweise auf Defensivakte und Drohgebärden.396 Zu physischen Auseinandersetzungen kam es dagegen verhältnismäßig selten , durch die strikte Disziplin des Schutzbundes blieb den Versuchen der Heimwehren , einen Bürgerkrieg zu provozieren , der Erfolg versagt. Der Gewalt , die zunehmend von den Nationalsozialisten ausging , begegnete der Schutzbund insofern offensiver , als die Anweisungen zur unbedingten Zurückhaltung in diesen Fällen ����� gelockert wurden , nicht zuletzt , weil die NS-Formationen die Sozialdemokratie gezielter in ihren eigenen Hochburgen zu stellen versuchte.397 In den folgenden drei Jahren mehrten sich die Anzeichen für zwei Entwicklungen , die für den Schutzbund gravierende Folgen haben mussten – und dennoch nicht hatten. Einerseits verdichteten sich die Hinweise , dass die bürgerlichen Parteien die Demokratie tatsächlich überwinden wollten. Sie gedachten allerdings nicht , sich dabei auf Gedeih und Verderb den Heimwehren auszuliefern , und verweigerten deshalb dem Pfrimer-Putsch im September 1931 die Gefolgschaft. Andererseits , und das war eine neue Erfahrung für sozialdemokratische Funktionäre , zeigte die Moral der eigenen Gefolgschaft Abnützungserscheinungen. Zwar ist die Annahme , SozialdemokratInnen seien nun oder zu einem späteren Zeitpunkt in Massen ins Lager der Nationalsozialisten übergelaufen , mit hoher Wahrscheinlichkeit falsch.398 Aber auch eine Passivierung der einst allzeit mobilisierbaren sozialdemokratischen Gefolgschaft musste verheerende Konsequenzen auf alle etwaigen Verteidigungspläne haben. Die Parteiführung wich von ihrer rigorosen Defensivstrategie dennoch selbst dann nicht ab , als Dollfuß im März 1933 das Parlament ausschaltete und damit nicht nur sämtliche Illusionen über seine Absichten zerstreute , sondern auch an der sozialdemokratischen Basis ein letztes Mal die Stimmung zum Kochen brachte.399 394 Zusammenfassend dargestellt hat Körner diese Kritikpunkte nochmals , nachdem er nach seinem Rücktritt im Dezember 1931 einer Einladung des steirischen Schutzbundes gefolgt war und über die Ergebnisse seiner Inspektion Bericht erstattete , vgl. Vlcek ( 1971 ), 280–283 , außerdem Naderer ( 2004 ), 280–284. 395 Zitiert nach Duczynska ( 1975 ), 155. 396 Defensivakte bedeuteten , dass man Heimwehrüberfällen , wie sie 1929 in der Steiermark mehrfach stattfanden , gewaltsam begegnete , aber seinerseits nicht initiativ wurde. Die Drohgebärden bestanden vor allem in einer regen Aufmarschtätigkeit. 397 Vgl. McLoughlin ( 1990 ), 459. 398 Es existieren bislang keinerlei statistisch gesicherte Erkenntnisse hierüber , die Aussagen in behördlichen Dokumenten sind durchaus widersprüchlich. Fest steht , dass es 1933 / 34 vermehrt zu Organisationswechseln kam , zum überwiegenden Teil dürfte davon aber die KPÖ profitiert haben. 399 Nach dem 15. März liefen aus den Bundesländern Meldungen ein , die Stimmung im Schutzbund sei angesichts der Untätigkeit der Parteiführung „von einer Meuterei nicht weit entfernt“. „Ein großer
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Angesichts dessen sind ernsthafte Zweifel angebracht , ob an der Spitze der Partei tatsächlich je ernsthaft erwogen wurde , den Schutzbund wirklich einzusetzen. Die Bundesregierung ihrerseits handelte , nachdem die Sistierung der Demokratie einmal offen zutage getreten war , schnell und entschlossen : Ausgehend von Tirol wurde der Schutzbund in der zweiten Märzhälfte 1933 behördlich aufgelöst.400 Die Sozialdemokratie beugte sich abermals. Der Schutzbund wurde unter Einbeziehung der SAJ in eine „Propagandaabteilung“ umgewandelt , zu der auch eine „Ordnerorganisation“ gehörte. Weder an der Leitung noch an der Einsatzplanung änderte sich ansonsten etwas , obwohl sich die Rahmenbedingungen fundamental verschoben hatten.401 Die Intensität staatlichen Drucks nahm stetig zu , zugleich konnte die Sozialdemokratie der eigenen Anhängerschaft nicht mehr durch öffentliche Aufmärsche Sicherheit oder den Heimwehren einen Abstand gebietenden Respekt einflößen. Angesichts dessen machten sich intern tiefe Brüche bemerkbar , die gegen Ende des Jahres 1933 in Auflösungserscheinungen mündeten.402 Eine letzte Chance , sich wieder zurück ins Spiel zu bringen , stellte aus Sicht der Schutzbundführung bezeichnenderweise die Hoffnung dar , sich Dollfuß als Bündnisgenosse gegen die immer drohendere Gefahr einer NS-Invasion anzutragen. Einen Partner dafür meinte man ausgerechnet in Richard Steidle ausgemacht zu haben , mit dessen Tiroler Heimwehr es tatsächlich zu einer Übereinkunft kam , die vorsah , den Schutzbund wieder zuzulassen und zu bewaffnen. Allerdings verweigerte dem der Ministerrat am 18. August 1933 seine Zustimmung. Dennoch beschloss Mitte September eine Konferenz der westlichen sozialdemokratischen Länderorganisationen , sich vor allem gegen den Nationalsozialismus zu richten. Um dem Nachdruck zu verleihen , trat man am 17. September neuerlich an das Regierungslager , namentlich Carl Vaugoin , heran. Wie zuvor Steidle war auch Vaugoin mit einer Reaktivierung des Schutzbundes grundsätzlich einverstanden und versprach , sich dafür im Kabinett zu verwenden. Infolge seiner Entlassung aus dem Kabinett blieb diese Zusage aber folgenlos.403 Angesichts des unbeirrten Vordringens der Regierung beschlossen Sozialdemokratie und Gewerkschaften bei einer gemeinsamen Konferenz im September 1933 vier rote Linien , auf deren Überschreitung sofort bewaffneter Widerstand folgen sollte : 1. Einsetzung eines Regierungskommissärs in Wien , 2. Auflösung der Partei , 3. Auflösung der Gewerkschaften , 4. Dekretierung einer neuen Verfassung.404 Es war kaum mehr als eine Geste der Hilflosigkeit , vermutlich dazu gedacht , gegenüber der eigenen Anhängerschaft Führungsstärke zu demonstrieren. Die folgenden Wochen vergingen mit gespanntem Warten. Am 5. Jänner tagte die Schutzbundführung in Wien. Die Berichte über den InTeil unserer Genossen wünscht , dass die Entscheidung nicht auf die lange Bank hinausgeschoben wird [ … ] Aus der Leidenschaftlichkeit besonders des jungen Teiles unserer Genossen [ … ] nehme ich an , dass der Partei eine große Krise bevorsteht , wenn nicht so rasch als möglich irgend etwas geschieht , das den Leuten zeigt , dass der Kampf nicht aufgegeben wurde.“, zitiert nach McLoughlin ( 1990 ), 379. 400 Als formale Begründung dienten zwei Zusammenstöße mit Schutzbündlern in der Steiermark und Niederösterreich , vgl. Vlcek ( 1971 ), 310 f. , Naderer ( 2004 ), 313 f. 401 Vgl. Naderer ( 2004 ), 319 ff. 402 Vgl. Vlcek ( 1971 ), 318 ff. 403 Vgl. Staudinger ( 1971 ), 362. 404 Vgl. Gulick ( 1948 ), Bd. IV , 224.
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halt dieser Besprechung stammen aus den Prozessen der austrofaschistischen Justiz und sind daher mit Vorsicht zu genießen. Wahrscheinlich ist aber , dass offen besprochen wurde , was ohnehin niemand mehr übersehen konnte : Der letzte , entscheidende Stoß der Regierung stand unmittelbar bevor. Die Ableitung war aber nicht offensiv , nun also von sich aus loszuschlagen , um wenigstens das Überraschungsmoment auf seiner Seite zu haben , sondern abermals rein defensiv : Man unterstrich , das Signal zum Aufstand sei der Generalstreik. Erst auf diesen hin solle der Schutzbund planmäßig aktiv werden.405 Ende Jänner 1934 begann die Regierung mit der Arretierung der leitenden Funktionäre des Schutzbundes. Am 10. Februar war die Verhaftungswelle weitgehend erfolgreich abgeschlossen , die sozialdemokratische Wehrformation stand ohne Führung da. Im Namen der Partei ersuchte Friedrich Adler daraufhin Theodor Körner , das Kommando zu übernehmen. Der erbat sich unwirsch Bedenkzeit , um sich selbst ein Bild von der Lage zu machen. Sein Resümee war verheerend : „Ich habe daraufhin einige Bezirke angesehen , die Schutzbundführer dieser Bezirke geprüft , wie sie sich eine gewaltsame Auseinandersetzung vorstellen , und festgestellt , dass keiner eine Vorstellung [ … ] hatte , dass alle wussten , dass sie sich bereitzuhalten hatten [ … ] und dass der Generalstreik das Signal zum Eingreifen der Waffen sei. Dann würde befohlen werden …“406 Körner lehnte die Übernahme des Kommandos ab und erklärte gegenüber Otto Bauer , er hielte alle Versuche der Gewaltanwendung für völlig aussichtslos. Gemeinsam mit Oskar Helmer und Heinrich Schneidmadl führte Körner am 11. Februar nochmals Verhandlungen mit Bundespräsident Miklas. Der zeigte sich konziliant und ließ wissen , es werde zu keinen gewaltsamen Aktionen kommen. Die Bereitschaften des Schutzbundes wurden daraufhin aufgelöst.407 Diesmal kam es zu wütenden Protesten von Landesfunktionären , vor allem aus Oberösterreich. Als in den frühen Morgenstunden des 12. Februar der Schutzbund in Linz das Feuer auf Polizei und Heimwehr eröffnete , die das Parteihaus besetzen wollten , handelte er gegen den ausdrücklichen Befehl der Wiener Leitung. Auch wo es in den folgenden Tagen andernorts zu Kämpfen kam , war das vielfach Selbstaktivierungstendenzen an der Basis zuzuschreiben.408 Resümee und Ausblick Die militärhistorische Befassung mit der österreichischen Zwischenkriegszeit ist relativ am weitesten in der Ereignis- und Organisationsgeschichte gediehen. Die großen gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen 1927 und 1934 sowie der deutsche Ein405 Vgl. Vlcek ( 1971 ), 327 ff. 406 Zitiert nach Duczynska ( 1975 ), 180. Körner hatte bereits früher darauf gedrungen , im Ernstfall müssten die Schutzbundeinheiten in der Lage sein , auf eigene Faust das Richtige zu tun. Dass Kurt Peballs Annahme zutrifft , wonach die Schutzbundformationen tatsächlich auf die eigenständige Kampfführung vorbereitet wurden , darf als unwahrscheinlich gelten , vgl. Peball , Kurt ( 1975 ) : Februar 1934 : Die Kämpfe. In : Jedlicka , Ludwig / Neck , Rudolf ( Hg. ) : Das Jahr 1934 : 12. Februar. Protokoll des Symposiums in Wien am 5. Februar 1974 [ Wissenschaftliche Kommission des Theodor-KörnerStiftungsfonds und des Leopold-Kunschak-Preises zur Erforschung der österreichischen Geschichte 1927 bis 1938 , Bd. 2 ] , Wien , 25–33 :27. 407 Vgl. Duczynska ( 1975 ), 181. 408 McLoughlin ( 1990 ), 407–454.
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marsch 1938 standen in den 1970ern und 1980ern im Zentrum des Interesses409 und haben in den vergangenen Jahren erneut Aufmerksamkeit erfahren.410 Die Flut an ( mehrheitlich nichtwissenschaftlichen ) Publikationen speziell zu den Februarkämpfen täuscht allerdings leicht darüber hinweg , dass es bis jetzt keine umfassende Gesamtdarstellung gibt , die die Darstellungen von Sieger und Besiegten in Beziehung zueinander setzte. Die Perspektive der Geschlagenen wäre abseits der Parteipublizistik , Erinnerungsliteratur und raren Zeitzeugenbefragungen411 besonders Vernehmungs- und Gerichtsprotokollen zu entnehmen , wobei natürlich strategische Aussagen ins Kalkül zu ziehen sind. Hier macht sich bemerkbar , dass sich die österreichische Militärgeschichte bislang überhaupt kaum für eine Perspektive „von unten“412 erwärmen kann.413 Auch organisationsgeschichtlich tun sich noch durchaus erhebliche Lücken auf. Sie umfasst einerseits allgemein die Jahre 1923–1927 , die – da sie einigermaßen ruhig verliefen – bislang kaum untersucht wurden. Auch für die Zeit davor bzw. danach ist die Erforschung der Wehrverbände nach Bundesländern und Wehrverband recht unterschiedlich weit vorangekommen. Regionalstudien würden sich im Fall der rechten Wehrverbände insbesondere für Wien , das Burgenland , Kärnten und Salzburg anbie409 Vgl. vor allem die anlassbezogenen Bände der Körner-Kunschak-Kommission. Zum 12. Februar 1934 siehe außerdem besonders die Beiträge in : Fröschl , Erich / Zoitl , Helge ( Hg. ) ( 1984 ) : Februar 1934. Ursachen – Fakten – Folgen. Beiträge zum wissenschaftlichen Symposion des Dr.-Karl-RennerInstituts , abgehalten vom 13. bis 15. Februar 1984 in Wien. Zum 25. Juli 1934 vgl. bes. Jagschitz , Gerhard ( 1976 ) : Der Putsch. Die Nationalsozialisten 1934 in Österreich , Graz / Wien / Köln. Zur deutschen Invasion 1938 vgl. bes. Schmidl ( 1987 ) und Steinböck ( 1988 ). 410 Vgl. zum 25. Juli 1934 Bauer , Kurt ( 2003 ) : Elementar-Ereignis. Die österreichischen Nationalsozialisten und der Juliputsch 1934 , Wien ; Schafranek , Hans ( 2006 ) : Sommerfest mit Preisschießen. Die unbekannte Geschichte des NS-Putsches im Juli 1934 , Wien. Klösch , Christian ( 2007 ) : Des Führers heimliche Vasallen. Die Putschisten des Juli 1934 im Kärntner Lavanttal , Wien ; Wolf , Gerald M. ( 2008 ) : „Jetzt sind wir die Herren …“. Die NSDAP im Bezirk Deutschlandsberg und der Juli-Putsch 1934 , Innsbruck. Zum 12. Februar siehe Anzenberger , Werner / Polaschek , Martin F. ( 2004 ) : Widerstand für eine Demokratie : 12. Februar 1934 , Graz. Desgl. die Ausführungen Wolfgang Maderthaners zu den Februarkämpfen in Wien in : Csendes , Peter / O pll , Ferdinand ( Hg. ) : Wien. Geschichte einer Stadt , Bd. 3 , Wien-Köln-Weimar , 448–460.Sehr durchwachsen ist die Bilanz der Beiträge in : Schefbeck , Günther ( Hg. ) ( 2004 ) : Österreich 1934. Vorgeschichte – Ereignisse – Wirkungen , Wien. 411 Hans Safrian und Barry McLoughlin haben in den 1980ern zahlreiche Schutzbündler persönlich befragt , die Ergebnisse aber nicht publiziert. Erlebnisberichte finden sich zudem noch in Etzersdorfer , Irene / Schafranek , Hans ( 1984 ) : Der Februar 1934 in Wien , Wien. Eine bislang kaum geöffnete Schatztruhe stellt diesbezüglich die Sammlung Peter Kammerstätters im Archiv der Stadt Linz dar. Ein bislang unter dem Gesichtspunkt der Schutzbundhistorie noch nicht systematisch ausgewerteter Bestand ist jener des Interviewprojektes „Erzählte Geschichte“ des Dokumentationsarchives des Österreichischen Widerstandes. 412 Siehe dazu die theoretischen Überlegungen von Ulrich , Bernd ( 1996 ) : „Militärgeschichte von unten“. Anmerkungen zu ihren Ursprüngen , Quellen und Perspektiven im 20. Jahrhundert. In : Geschichte und Gesellschaft Jg. 22 / 1996 , 473–503 , und als Praxisbeispiele die die Beiträge im Band von Wette , Wolfram ( Hg. ) ( 1992 ) : Der Krieg des kleinen Mannes. Eine Militärgeschichte von unten , München. 413 Siehe dazu auch Cole , Laurence / Hämmerle , Christa / S cheutz , Martin ( 2011 ) : Glanz – Gewalt – Gehorsam. Traditionen und Perspektiven der Militärgeschichtsschreibung zur Habsburgermonarchie. In : Cole et al. , 13–28 :27.
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ten , für den Schutzbund allgemein an der Peripherie. Hinsichtlich der Wehrverbände ist die Forschung kaum über die großen Formationen hinausgelangt , wobei die Jahre 1936–1938 , also die Periode der rechten Veteranenvereinigungen , bislang gar nicht untersucht wurden. Zu den Wehrabteilungen der christlichen Turnvereine ist ebenso wenig bekannt wie etwa zu den Bauernwehren , zu den studentischen Formationen oder zu den Offiziersvereinigungen. Auch zur Frontmiliz und dem Sturmkorps liegen nur fragmentarische , einander zum Teil widersprechende Informationen vor. Wenig Aufmerksamkeit durch die Forschung hat bislang die Perspektive der Wehrverbände unterschiedlicher Provinienz aufeinander erfahren. Hinsichtlich des staatlichen Gewaltapparates sind ebenfalls Forschungsdefizite erkennbar. So fehlt etwa eine befriedigende Gesamtdarstellung der Volkswehr , ebenso eine Untersuchung der Soldatengewerkschaften. Ungeachtet ihrer Bedeutung hat sich für Letztere die österreichische Militärgeschichte praktisch gar nicht interessiert und die verdiente Arbeit eines ausländischen Kollegen hat das Thema vor allem im Hinblick auf die Parteien noch nicht erschöpfend bearbeitet.414 Für die Phase des Austrofaschismus wäre auch eine Studie zum Freiwilligen Schutzkorps wichtig , nicht zuletzt würde das Vergleiche zu faschistischen Formationen und ihrer Rolle als „Notpolizei“ in anderen Staaten erlauben.415 Die Erforschung operativen Denkens beschränkt sich bislang weitgehend auf den Schutzbund und das Bundesheer416 und spielt in der Historiografie der Wehrverbände nur eine untergeordnete Rolle. Die Teilhabe von Militärpersonal an den Wehverbänden aller politischen Richtungen ist zwar in einer Vielzahl von Quellen belegt , bislang aber noch nicht systematischer untersucht. Derlei wäre nicht zuletzt unter einem mentalitätsgeschichtlichen Blickwinkel interessant : Handelte es sich dabei um die Flucht in ein militaristisches Refugium , dessen ideologischer Rahmen letztlich nachrangig war ? Waren die Heimwehren demnach speziell für Veteranen eine Art militarisierter Geselligkeitsverein , dessen soziale Aktivitäten viel stärker für ein Engagement bestimmend waren als die politischen oder militärischen ? Der Mangel an Arbeiten zur Exekutive ist eklatant. Die ausgezeichneten Arbeiten von Winkler und Mähner beleuchten beide den Übergangsprozess von der Demokratie in die Diktatur , eine wichtige Ergänzung wären hier Untersuchungen zu den Sicherheitspolizeidirektionen abseits von Wien und Graz. Wichtige Voraussetzungen für eine konzise Gesamtdarstellung der Geschichte der Exekutive in der Ersten Republik und im Austrofaschismus wären außerdem Untersuchungen zur regionalen Ebene. Das beträfe nicht nur die Landeskommanden der Gendarmerie , sondern vor allem auch die Bezirkshauptmannschaften. Stark unterentwickelt sind bisher generell transnationale Ansätze. Vorliegende Arbeiten , in denen das doch der Fall ist , konzentrieren sich für die Frühphase bis 1923 auf die Beziehungen der österreichischen Rechten nach München und , eingeschränkter , nach Budapest. Die Periode ab 1927 ist für die Kontakte der Heimwehren nach Itali414 Vgl. Bell , Raymond E. ( 1982 ) : The Effectiveness of the Austrian Army and the Organization of Military Unions 1920–1934 , phil. Diss. , New York University , New York. 415 Vgl. Winkler ( 1983 ), 221 f. 416 Vgl. Lassner ( 2001 ), 361 ff. Desgl. Rauchensteiner , Manfried ( 1978 ) : Zum ‚operativen Denken‘ in Österreich 1918–1938 : Pazifismus statt Kriegstheorien. In : Österreichische Militärische Zeitschrift , 2 / 1978 , 107–116.
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en und Ungarn dank der Arbeit von Kerekes gut erforscht , dagegen liegen die Beziehungen zu Bewegungen und Parteien in Deutschland bis 1933 weitgehend im Dunkeln. Zu den internationalen Kontakten des staatlichen Heeres ist für denselben Zeitraum kaum etwas bekannt , hier täten sich sowohl auf Ebene der Institutionen als auch des ideellen Transfers spannende Fragestellungen auf. ÖsterreicherInnen waren zwischen 1918 und 1938 in vier Zusammenhängen intensiver in militärische Zusammenhänge außerhalb ihres Staates involviert : Sie nahmen bis 1921 an Freikorpskämpfen in Osteuropa teil , kämpften für und gegen die Budapester Räterepublik , sammelten sich ab 1933 in der nationalsozialistischen Österreichischen Legion und waren ab 1936 im Verhältnis zur eigenen Bevölkerung außerordentlich stark mit Freiwilligen im Spanischen Bürgerkrieg vertreten. Die Rolle von Österreichern in den deutschen Freikorps ist bislang ebenso unerforscht wie ihre Funktion in den ungarischen Auseinandersetzungen.417 Zur österreichischen Legion hat dagegen erst jüngst Hans Schafranek ein umfangreiches Pionierwerk vorgelegt ,418 auch die Schutzbund emigration419 und das Engagement von ÖsterreicherInnen im Spanischen Bürgerkrieg ist mittlerweile ausführlich bearbeitet worden.420 417 Eszter Brader widmet dem Thema in ihrer sehr informativen Dissertation leider nur wenige Seiten , vgl. dies. ( 1981 ) : Ungarn und Deutschösterreich zur Zeit der ungarischen Räterepublik 1919 , phil. Diss. , Wien , 303–307. 418 Schafranek , Hans ( 2011 ) : Söldner für den Anschluss. Die österreichische Legion 1933–1938 , Wien. 419 Vgl. Stadler , Karl R. ( 1974 ) : Opfer verlorener Zeiten. Geschichte der Schutzbund-Emigration 1934 , Wien ; McLoughlin , Barry / S chafranek , Hans / Szevera , Walter ( 1997 ) : Aufbruch – Hoffnung – Endstation. Österreicherinnen und Österreicher in der Sowjetunion 1925–1945 , Wien. 420 Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstandes ( Hg. ) ( 1986 ) : Für Spaniens Freiheit ! Österreicher an der Seite der Spanischen Republik 1936–1939. Eine Dokumentation , Wien ; Landauer , Hans / Hackl , Erich ( 2008 ) : Lexikon der österreichischen Spanienkämpfer 1936–1939 , Wien ; Hackl , Erich / L andauer , Hans ( Hg. ) ( 2000 ) : Album Gurs. Ein Fundstück aus dem Österreichischen Widerstand , Wien ; Stepanek , Friedrich ( 2010 ) : Die Tiroler Freiwilligen im Spanischen Bürgerkrieg 1936– 1939. Eine Kollektivbiografie , Innsbruck / Wien / Bozen ; Valentin , Hellwig ( 2010 ) : „Uns’re Heimat ist heute vor Madrid …“ Die Kärntner Freiwilligen im Spanischen Bürgerkrieg 1936–1939 , Klagenfurt ; Panzl , Silvia ( 2002 ) : Das Salzkammergut als Ort oppositioneller und reformatorischer Kräfte von 1934–1945 mit Schwerpunkt ‚Spanischer Bürgerkrieg‘ , Dipl.-Arb. , Wien ; Vereinigung Österreichischer Freiwilliger in der Spanischen Republik 1936 bis 1939 und der Freunde des Demokratischen Spanien [ Redaktion : Bruno Furch / A lois Peter ] ( Hg. ) ( 1986 ) : Österreicher im Spanischen Bürgerkrieg. Inter brigadisten berichten über ihre Erlebnisse 1936 bis 1945 , Wien ; Fellinger , Alfred ( 1999 ) : Österreicher im Spanischen Bürgerkrieg. Eine biographische Forschung , phil. Diss. , Wien ; Kromp , Renate ( 1992 ) : Österreich und der Spanische Bürgerkrieg , Dipl.-Arb. , Wien ; Köb , Klaus ( 1990 ) : Der Spanische Bürgerkrieg im Spiegel der österreichischen Presse , Dipl.-Arb. , Innsbruck ; Martinez , Garcia / Belen , Maria ( 2002 ) : Der Spanische Bürgerkrieg : Interkultureller Austausch anhand des Interbrigadisten Josef Schneeweiß , phil. Diss. , Wien ; Leichtfried , Johannes ( 2012 ) : Österreich und Spanien in den 1930ern : Gegenseitige Wahrnehmung , diplomatische Beziehungen , politisch-ideologische Beeinflussungen , phil. Diss. , Innsbruck ; Kruse , Felicitas ( 1998 ) : Schieß gut , aber freu Dich nicht ! Österreicherinnen und Österreicher im Spanischen Bürgerkrieg 1936–1939. Historische Photographien aus dem Bildarchiv der Österreichischen Nationalbibliothek , Innsbruck ; Präauer , Bernhard ( 1999 ) : Österreicher im Spanischen Bürgerkrieg. Mit besonderer Berücksichtigung der Entwicklung des Nationalbewusstseins unter den Spanienkämpfern , Dipl.-Arb. , Salzburg ; Schütz , Edgar ( 1993 ) : La guerra de la tinta.
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Besonders hinsichtlich der nichtstaatlichen Militärformationen wären internationale vergleichende Studien nach dem Vorbild der richtungsweisenden Arbeit von Sven Reichardt421 interessant. Vielversprechend wäre auch die Analyse der Bedeutung des Schutzbundes für die nichtkommunistische proletarische Militanz auf europäischer Ebene. Evident ist hier , dass der Schutzbund nicht nur beispielgebend für den Aufbau entsprechender Wehrorganisationen in mehreren europäischen Ländern war , sondern österreichische Fachleute aktiv in die Aufstellung linker Wehrformationen in anderen Staaten eingebunden waren.422 Ein zentrales Defizit bildet das Fehlen einer politischen Geschichte von Bundesheer und Exekutive , die Jedlicka zwar im Titel seines Buches „Heer im Schatten der Parteien“ andeutet , seiner eigenen Ankündigung dann aber nur in Ansätzen gerecht wird. Im Zentrum einer solchen Betrachtung müsste das Beziehungsgeflecht zwischen den Wehrformationen einer- und staatlichem Gewaltapparat , Parteien und Interessengruppen andererseits stehen. Weil aber auch die rechten Wehrverbände bislang nur unzureichend im Kontext der sie unterstützenden Parteien ( aber auch etwa der katholischen Kirche ) untersucht wurden , entstand der Eindruck , speziell die Heimwehren seien eigenständige Gebilde gewesen , die ex post für die Errichtung der Diktatur verantwortlich gemacht werden könnten. Schneeberger spricht hier zu Recht von „Sündenbockgeschichtsschreibung“423 , Jill Lewis hat richtig angemerkt , dass diese Missinterpretation die Gesamteinschätzung des Austrofaschismus verzerrt hat.424 Letztlich handelt es sich bei der isolierten Betrachtung der Heimwehren um eine Spätfolge der Koalitions- und Lager-Geschichtsschreibung , die zwei konservative Parteientypen sehen wollte , wo de facto nur ein einziges , höchst fragiles bürgerliches Milieu existierte , das eben auch die Heimwehren einschloss. Abseits von Franziska Schneebergers ausgezeichneter Untersuchung liegen bislang keine ergiebigeren Forschungen zur Sozialstruktur der Wehrverbände vor. Hauptgrund dafür ist wohl auch ein Quellenproblem , insbesondere der Mangel an Mitgliederverzeichnissen. Wie sich in den vergangenen Jahren mehrfach gezeigt hat , ist dem weniger wissenschaftlich als pekuniär beizukommen. Im Internet tauchen immer wieder einzelne Karteiblätter und Verzeichnisse sowohl des Schutzbundes als auch der Heimwehren auf.425 Angesichts der verlangten Preise kommen aber wohl nur Institutionen als Käufer infrage , ohne eine entsprechende Ankaufsstrategie ist daher nicht mit der Verbesserung der direkten Quellenlage zu rechnen. Aufschlussreich könnte einstweilen immerhin eine systematische AusSoziopolitischer Prozeß und mediale Praxis im Spanischen Bürgerkrieg , phil. Diss. , Wien ; 421 Reichardt , Sven ( 2002 ) : Faschistische Kampfbünde. Gewalt und Gemeinschaft im italienischen Squadrismus und in der deutschen SA , Wien / Köln / Graz. 422 Vgl. McLoughlin ( 1990 ), 455 ; Vlcek ( 1971 ), 124–128. 423 Schneeberger ( 1988 / 89 ), 135. 424 Vgl. Lewis , Jill ( 1990 ) : Conservatives and fascists in Austria , 1918–1934. In : Blinkhorn , Martin ( Hg. ) : Fascists and Conservatives. The radical right and the establishment in twentieth-century Europe , 98–117 :102 ff. 425 Mehrfach wurden auf eBay Mitgliederkarten des Schutzbundes , einmal auch ein Personenverzeichnis einer Heimwehrgruppe , offenbar aus Salzburg , angeboten. Auf dem Wiener Naschmarkt wurden 2007 zwei Schuber mit Unterlagen und Karteikarten der Schutzbund-Ortsgruppe Völkermarkt offeriert. Bei einer groben Sichtung fanden sich in dem Material auch Dokumente aus anderen Gemeinden , vornehmlich Abrechnungen und Übungskladden bzw. Teilnehmerlisten von Treffen.
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wertung vorhandener Dokumente der Wehrverbände und vor allem von Beobachterinformationen sein. Zumindest zu den jeweiligen Führungskorps könnten gruppenbiografische Arbeiten aufschlussreich sein , desgleichen personelle Querverbindungen zu den staatlichen Gewaltapparaten , soweit sie sich aus deren Aktenbeständen erschließen. Bisherige Untersuchungen haben sich stark auf die militärische Dimension der Wehrverbände konzentriert , weitgehend offen sind dagegen kultur- , sozial- und wirtschaftshistorische Aspekte. Das umschließt einmal die zivile Komponente der Organisationsstrukturen , also Frauen- und Jugendorganisationen , im Fall der Heimwehren auch etwa Interessenorganisationen wie die Unabhängigen Gewerkschaften.426 Zweitens beinhaltet das soziale Aktivitäten und Festkultur , damit aber auch Überlappungen mit anderen Vereinen. Dadurch könnten wichtige Hinweise auf den sozialen Kontext , aber auch auf die breitenwirksamen Teile der Ideologie gewonnen werden. Drittens wäre eine Untersuchung der aktivistischen Elemente auf allen Organisationsebenen interessant , die ein wichtiges Element für Vergleichsstudien bilden würden. Die einzige Schutzbund-Uniform in der gegenwärtigen Ausstellung des Heeresgeschichtlichen Museums ist die Jacke einer Schutzbündlerin. Dieses Artefakt ist insofern bemerkenswert , als es auf einen weitgehend unbekannten Zusammenhang verweist. Frauengeschichtliche Fragestellungen spielen in der Militärgeschichte der Zwischenkriegszeit bislang überhaupt keine Rolle , obwohl sie auch im engeren Sinne militärisch relevant sind. Das betrifft die Mitgliedschaft von Frauen in militärischen Formationen und angeschlossenen Vereinen ebenso wie die Rolle , die Frauen bei gewaltsamen Auseinandersetzungen spielten , besonders bei jenen im Jahr 1934. Im Unterschied zum Juliputsch fanden die Februarkämpfe fast ausschließlich im dicht verbauten Gebiet statt. Frauen waren hier nicht nur anwesend , sondern aufseiten der Aufständischen aktiv beteiligt. Dieser Umstand wurde anschließend aber sowohl von ihren männlichen Kameraden als auch von ihren Gegnern und der einschlägigen Geschichtsschreibung großzügig ignoriert.427 Zu untersuchen wäre in diesem Zusammenhang auch , wie sehr Männer ihre Domäne „Gewalt“ gegen weibliche Einflüsse verteidigten oder ob Frauen erst durch die Geschichtsschreibung in die Unsichtbarkeit abgedrängt wurden. Daran unmittelbar anschließend besteht ein wesentliches Forschungsdesiderat in der Untersuchung von Kontinuitäten der Wehrverbände. Zur Untersuchung von Langzeitwirkungen wäre natürlich auch die Periode ab 1945 wichtig , wurde bislang aber weitgehend ignoriert. Lohnende Ansatzpunkte wären hier sowohl Personenkontinuitäten , etwa in der Exekutive und dem Bundesheer , als auch Historiografie und Traditionspflege sowie die Bedeutung der historischen Erfahrung 1918–1938 im historisch-politischen Bewusstsein der Bevölkerung und der politischen AkteurInnen. 426 Zu den Unabhängigen Gewerkschaften liegt bislang nur eine recht begrenzte Publikation vor , vgl. Göhring , Walter ( 1998 ) : Die gelben Gewerkschaften Österreichs in der Zwischenkriegszeit , Wien. 427 Karin Bergers Film über Anni Haider , die als MG-Schützin den Rückzug der Schutzbündler aus dem Göthehof deckte , ist eine der raren Ausnahmen , vgl. Berger , Karin ( R ) : Tränen statt Gewehre. Anni Haider erzählt. A 1983 , 30 Min. Eine Diplomarbeit behandelt den eigentlichen Gegenstand ihres Titels nur auf knapp fünfzehn Seiten in Form von Zeitzeuginnenberichten , vgl. Mauder , Maria ( 1989 ) : Frauen im Februar 1934 , Dipl.-Arb. , Wien , 75–88. Eine jüngere Arbeit zu Frauen im Februar 1934 behandelt exemplarisch vornehmlich bürgerliche Frauen , die von den Kämpfen vor allem aus der Zeitung Notiz nahmen , vgl. Helfert , Veronika ( 2010 ) : Geschlecht. Schreiben. Politik. Frauentagebücher im Februar 1934 , Dipl.-Arb. , Wien , 114–119.
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VII. Aussenpolitik
Dieter A. Binder
„Austrofaschismus“ und Außenpolitik Die zu kurz geratene Diskussion Eine Vorbemerkung In seiner Studie zur Außenpolitik der Zweiten Republik hat Michael Gehler Grundsätzliches zu einer modernen Darstellung des Genres aufgezeigt : „Drei elementare Dimensionen“ gilt es zu überlegen : Erstens gibt es eine Außenpolitik im engeren Sinn , d. h. hier geht es um die Rolle des Außenamts [ … ] und das Diplomatencorps mit seinem Eigenleben [ … ] eingeschlossen die Auslandskulturarbeit ; zweitens die Außenpolitik im weiteren Sinne , d. h. hier handelt es sich um Prozesse und Strukturen wie den Außenhandel und die Außenwirtschaftspolitik ; drittens die Aktivitäten der einzelnen Außenminister [ … ] und Regierungen , die als politisch Verantwortliche einschließlich ihrer Parteien und des Parlaments begriffen werden.1
Dieses Schema ist auch auf die Zwischenkriegszeit zu übertragen , wenngleich es naturgemäß im steten Dialog mit den innenpolitischen Vorgängen zu einer „Verknappung der Ressourcen“ ab dem März 1933 kommt. Der Staatsstreich und seine Folgen , das Ende der Parteien und der autoritäre Anspruch der Regierung bedeuten noch lange nicht , dass die Akteure der offiziellen Außenpolitik nicht auch in einem Spannungsverhältnis zu Fraktionen innerhalb der fragilen Regierungskoalition , zu Interessengruppen und zu Verbänden standen. Gehler hat überdies klar die „Außenwirkung von innerer Politik , die Außen- und Selbstwahrnehmung Österreichs in der Staatenwelt und die vielschichtigen , von außen stammenden , fremdbestimmten Einflüsse auf die ( Innen-)Gestaltung des Landes“ angesprochen , wobei es „die Entwicklung in den internationalen Kontext einzubinden“ gilt.2 Eine fundierte Gesamtschau der österreichischen Außenpolitik der Zwischenkriegszeit oder auch nur der Jahre 1933 bis 1938 fehlt. Dies galt auch lange Zeit für die Zweite Republik. Anscheinend hat die Zäsur von 1918 und die damit verbundene „Kleinstaaterei“ die außenpolitische Ebene als wenig attraktiven Forschungsgegenstand 1 Gehler , Michael ( 2005 ) : Österreichs Außenpolitik der Zweiten Republik. Von der alliierten Besatzung bis zum Europa des 21. Jahrhunderts , Innsbruck , Bd. 1 , 15. 2 Ebenda , 14.
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VII. Außenpolitik
erscheinen lassen. Andererseits ist eine Tendenz zu beobachten , den „Austrofaschismus“ gleichsam aus dem Kanon „österreichischer Geschichte“ zu nehmen , was umso dramatischer ist , wenn ein Band auf die „Vermittlung von Basiswissen für Studierende , Lehrende und die historische interessierte Öffentlichkeit“ zielt und dabei „einen Überblick über die österreichische Geschichte von 1500 bis in die Gegenwart , basierend auf dem aktuellen Forschungsstand“ anbietet , in dem die Jahre 1933 / 34 bis 1938 ignoriert werden.3 Ein kurzer Überblick Waren die ersten Anschlussversuche 1918 / 19 geprägt von der österreichischen Dynamik unter der Stabführung Otto Bauers ,4 die ihr Pendant im einschlägigen Paragrafen der Weimarer Verfassung fanden , so folgte in den Jahren ab 1920 eine Phase der stillen Annäherung und Vorbereitung , etwa durch die Angleichung der Rechtssysteme , die schließlich im Zollunionsprojekt zu münden schien. Diese stille Diplomatie war gekennzeichnet vom Bemühen , durch partnerschaftliches Auftreten zum gewünschten Erfolg zu kommen. Der genuin österreichische Revisionismus , die Forderung nach einem Zusammenschluss mit Deutschland , scheiterte bereits vor den Friedensverträgen und war somit weitgehend auf eine subkutane Gestaltung im bilateralen Verhältnis beider Staaten angewiesen. Die ab den Genfer Protokollen forcierte Darstellung eines pseudo-neutralen Standpunktes Österreichs und seiner Außenpolitik , die keine Außenpolitik betrieb , wurde international durch das deutsch-österreichische Zollunionsprojekt desavouiert , da darin letztlich der Revisionismus schlagartig wiederum sichtbar wurde. Rolf Steininger5 hat auf den Paradigmenwechsel zu Beginn der 1930er-Jahre hingewiesen : Die Forcierungstendenz ging von der österreichischen auf die deutsche Außenpolitik bereits vor dem Regierungsantritt Hitlers über und wurde mit der deutschen Aggression ab dem Frühjahr 1933 scheinbar endgültig aus dem außenpolitischen Aktionsrahmen der österreichischen Regierung gestrichen. Der revisionistische Ansatz , der in der Planung der Zollunion 1930 von deutscher Seite zum Ausdruck kam6 und der letztlich am Widerstand des Völkerbundes nach einem gezielten Lobbying österreichischer Industriekreise scheiterte , wurde mit der Ernennung Adolf Hitlers zum Reichskanzler Ende Jänner 1933 zur offiziellen Maxime der deutschen Außenpolitik. 3 Scheutz , Martin / Strohmeyer , Arno ( Hg. ) ( 2010 ) : Von Lier nach Brüssel : Schlüsseljahre österreichischer Geschichte ( 1 496–1995 ), Innsbruck , 7. 4 Hanisch , Ernst ( 2011 ) : Der große Illusionist. Otto Bauer ( 1881–1938 ), Wien. 5 Zur Periodisierung der Anschlussbewegung siehe Steininger , Rolf ( 2002 ) : 12 November 1918–12 March 1938 : The Road to the Anschluss. In : Steininger , Rolf / Bischof , Günter / G ehler , Michael ( Hg. ) : Austria in the Twentieth Century , New Brunswick / L ondon , 85–114. 6 Krüger , Peter ( 1987 ) : Die Außenpolitik der Republik von Weimar , Darmstadt , 512–516 ; Knipping , Franz ( 1987 ) : Deutschland , Frankreich und das Ende der Locarno-Ära 1928–1931. Studien zur internationalen Politik in der Anfangsphase der Weltwirtschaftskrise , München , 142–148 ; Hannak , Jacques ( 1966 ) : Johannes Schober. Mittelweg in die Katastrophe. Porträt eines Repräsentanten der verlorenen Mitte , Wien ; Hubert , Rainer ( 1990 ) : Schober. „Arbeitermörder“ und „Hort der Republik“. Biographie eines Gestrigen , Wien / Köln / Weimar ; Gehler , Michael ( 2007 ) : Schober , Johannes. In : Neue Deutsche Biographie , Berlin Bd. 23 , 347 f.
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����������������������������������������������������� ������������������������������������� : „Austrofaschismus“ und Außenpolitik
Die Akzentverschiebung unter Hitlers Stabführung war eindeutig : Aus dem Zusammenschluss zweier Staaten hatte nun der Anschluss „aller Deutschen“ an das „Deutsche Reich“, allen voran Österreichs und der deutschsprachigen Gebiete der Tschechoslowakei , zu werden , gleichgültig welche Mittel angewandt werden mussten. Dollfuß wurde aus deutscher Sicht durch seine Neubestimmung des deutsch-österreichischen Verhältnisses zum „Verräter am Deutschtum“. Für Österreich bedeutete dies , dass nach dem Scheitern des terroristischen schnellen Wegs deutscher Einflussnahme 1933 / 34 mit dem Putschversuch im Juli 1934 als Höhepunkt die Periode der „evolutionären Lösung“ folgte , bis das Land im März 1938 nicht mehr in der Lage war , der Erpressung durch Hitlers Regierung echten Widerstand entgegenzusetzen. Die Wirtschaftskrise destabilisierte und deklassierte in zunehmendem Ausmaß alle Bevölkerungsschichten und damit die klassischen politischen Körperschaften. Die Deindustrialisierungs- und Reagrarisierungsprozesse schwächten die modernen Gesellschaftssegmente wie Industrie , Finanzkapital und Arbeiterschaft7 und führten im sozialdemokratischen Milieu zu einem bemerkenswerten Organisationsverlust bei den freien Gewerkschaften und in der Partei selbst , während angesichts der fragilen Regierungskoalition Dollfuß’ die zentrale Bürokratie und der zunehmende politische Druck der faschistisch orientierten Heimwehrgruppierungen innerhalb des Regierungslagers echten Gestaltungswillen erkennen ließen. Außerhalb des Regierungsbogens stand eine zunehmend defensiv agierende Sozialdemokratie , deren Versuch , die Regierung durch das gezielte Enttarnen großangelegter Waffenschiebereien ( Hirtenberger Affäre ), die man jahrelang stillschweigend geduldet hatte , international so unter Druck zu bringen , dass nur mehr ein Rücktritt vorstellbar war.8 Der Machterhaltungswille von Dollfuß spiegelt sich im Ad-hoc-Lavieren seiner Regierung , die angesichts der internationalen Irritation durch die Hirtenberger Affäre zur Selbstverteidigung auf der Basis von penetranten Lügen schritt und damit scheinbar Erfolg hatte. Geflissentlich ignorierte Dollfuß , dass ihn wohl nur die Entwicklung in Deutschland nach dem 31. Jänner 1933 vor weiteren Peinlichkeiten gerettet hatte. Die NSDAP , die zwischen 1930 und 1932 rasant an Bedeutung gewonnen hatte und die seit 1920 bestehende Bürgerblock-Regierung de facto endgültig destabilisierte , war eine Partei , die wie keine andere von Beginn an nicht nur eine innerösterreichische Gruppierung darstellte , sondern auch deklariertermaßen Teil einer deutschen Partei in Österreich war. Mit der Machtübernahme der NSDAP in Deutschland war Adolf Hitler nicht nur politischer Repräsentant der neuen deutschen Außenpolitik Österreich gegenüber , sondern gleichzeitig auch innerösterreichischer Oppositionsführer. Die sich konkurrenzierenden Gruppierungen innerhalb der österreichischen NSDAP hatten somit zumindest bis zum sogenannten „Röhm-Putsch“ unterschiedliche deutsche Ansprechpartner , während gleichzeitig die deutsche Gesandtschaft in Wien einerseits offizielle Vertretung der deutschen Reichsregierung bei der österreichischen Bundesregierung war und ande7 Stiefel , Dieter ( 1988 ) : Die große Krise in einem kleinen Land. Österreichs Finanz- und Wirtschaftspolitik 1929–1938 , Wien. 8 Binder , Dieter A. ( 2007 ) : Der Skandal zur „rechten“ Zeit. Die Hirtenberger Waffenaffäre 1933 an der Nahtstelle zwischen Innen- und Außenpolitik. In : Gehler , Michael / Sickinger , Hubert ( Hg. ) : Politische Affären und Skandale in Österreich. Von Mayerling bis Waldheim , Innsbruck , 278–292.
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rerseits eine der Schlüsselorganisationen für die österreichische NSDAP war , was während des Juliputsches 1934 und ab dem Sommer 1934 unter dem neuen Gesandten , Franz von Papen , dramatisch zum Ausdruck kam. Diese Doppelfunktion wurde im Zuge des Internationalen Kriegsverbrecherprozesses in Nürnberg ausführlich abgehandelt.9 Auf außenpolitischer Ebene gelang der Regierung Dollfuss durch eine partielle Internationalisierung des deutsch-österreichischen Konflikts ab dem Frühsommer 1933 ein Erfolg , der die antidemokratischen Vorgänge innerhalb des Landes zu relativieren schien. Unter italienischem Druck verzichtete Österreich auf die Anrufung des Völkerbundes , wohl aber unterstrichen italienische , französische und britische Demarchen in Berlin das internationale Interesse an Österreichs Selbstständigkeit. Schuschnigg blieb in seinen politischen Grundlinien zaudernd und wenig konsequent , letztlich spielte er auf Zeitgewinn , wobei ihm die Umstellung der deutschen aggressiven Politik auf den evolutionären Weg vorerst zuarbeitete. Zunächst entsetzt über die weitgehenden Absprachen zwischen Dollfuß und Mussolini , die Österreich in militärische Planungen Italiens gegen Jugoslawiens einbezogen , suchte Schuschnigg das italienische „Protektorat“, wie es seit 1933 de facto bestand , durch eine erneute Internationalisierung des deutsch-österreichischen Konfliktes durch eine Intervention der Großmächte zurückzudrängen , vermied aber gleichzeitig eine deutliche Absage an den „italienischen Kurs“, der Italien in Bezug auf Österreich eine Sonderstellung zumaß. Im Inneren suchte Schuschnigg nach der Regierungsumbildung 1935 eine vorsichtige Aussöhnung mit der Arbeiterschaft , doch stoppte er diese Signale 1936 angesichts des „Juliabkommens“ mit Deutschland. Dieses sollte den bilateralen Konflikt beseitigen und gleichzeitig die innere Befriedung Österreichs gegenüber den österreichischen Nazis vorantreiben. Das offizielle Bild des Nichteinmischungspaktes wurde durch das geheime „Gentlemen’s Agreement“ konterkariert , da es weitgehende Zugeständnisse gegenüber den Nazis enthielt. Das „Juliabkommen“ verstärkte die deutsche Penetration des österreichischen politischen und wirtschaftlichen Lebens , wobei der deutsche „Vierjahresplan“ bereits die österreichischen Ressourcen in die deutsche Aufrüstung einbezog. Das deutsch-österreichische Abkommen machte aus der Sicht der englischen Diplomatie den deutsch-österreichischen Konflikt zu einer Familienangelegenheit , in die man sich nicht mehr einzumischen brauchte. Österreichs Haltung gegenüber den Partnerstaaten im Völkerbund angesichts des italienischen Überfalls auf Abessinien – trotz einer zunehmenden Distanz konnte man sich nicht zu einer Verurteilung durchringen – isolierte das Land weiter. Andererseits intensivierte man den Ausbau des Bundesheeres , indem man gegen die Bestimmungen des Friedensvertrages die allgemeine Wehrpflicht einführte und mit einer durch die Knappheit der Mittel äußerst bescheidenen Aufrüstung begann. Österreichs militärische Planung setzte im Falle eines deutschen Angriffes auf hinhaltenden , partiellen Widerstand , der den deutschen Vorstoß verlangsamen sollte , um den europäischen Mächten Zeit für Hilfsmaßnahmen zu verschaffen.10 9 Adams , Henry Mason / Adams , Robin K. ( 1987 ) : Rebel Patriot. A Biography of Franz von Papen , Santa Barbara. 10 Zu Beginn der 1970er-Jahre erlebte eine derartige militärische Planung , die den hinhaltenden Widerstand mit einer außenpolitischen Frontbildung kombinierte , im Landesverteidigungsplan eine
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Obwohl man die Brüchigkeit der in der „Römer Entrevue“ von 1934 festgeschriebenen wechselseitigen Verpflichtung zwischen Italien , Ungarn und Österreich erkannte und die beiden Partnerstaaten überdies ihren Druck auf Österreich , sich mit Deutschland bedingungslos auszusöhnen , verstärkten , blieben Schritte hin zu einer Neugewichtung der Außenpolitik , etwa gegenüber der Tschechoslowakei , im unverbindlichen Gestus stecken. Die lange Zeit vorherrschende Theoriebildung zur Außenpolitik der Jahre 1933 bis 1938 war geprägt von der grundsätzlichen Einschätzung des Regimes. Als selbst ernannter Nachlassverwalter und Sprecher der ständestaatlichen Konkursmasse exemplifizierte Gottfried-Karl Kindermann die These vom „Ständestaat“ als „Abwehrfront“ gegen den Nationalsozialismus ,11 wobei er damit im Wesentlichen , wenn auch ungeheuer materialreich und durchaus anregend , die Widerstandsthese von Ludwig Reichhold aufgriff.12 Dabei nahmen diese Autoren durchaus Anleihen bei Zeitzeugen , die den antinationalsozialistischen Habitus der Regierungen Dollfuß und Schuschnigg zumindest zeitweise ernst nahmen , wie etwa der amerikanische Gesandte in Wien , George S. Messersmith , zwischen den Jahren 1934 und 1937.13 Das gegenläufige Konzept fußt auf Otto Bauers Analyse aus dem Frühjahr 1934 , in der er das Scheitern des „Austrofaschismus“ voraussagt , da sich das Regime durch den Februar 1934 selbst um eine Stärkung der Abwehrfront gebracht und damit dem Nationalsozialismus den Weg geebnet hätte.14 Diesem Modell folgte Karl Renner15 und es wurde schließlich von Charles A. Gulick in die wissenschaftliche Literatur eingebürgert.16 Gulicks Darstellung wurde a priori von der Österreichischen Volkspartei als politischer Angriff gewertet und provozierte als „bürgerliche“ Gegendarstellung die von Neuauflage unter völlig geänderten Vorzeichen. Vgl. Jansa , Alfred ( 2011 ) : Erinnerungen. Ein österreichischer General gegen Hitler. Eingeleitet und herausgegeben von Broucek , Peter. Wien / Köln / Weimar. Philipp , Hannes ( 2010 ) : Der Operationsfall „A“. Gesamtbedrohung im Zeichen der Raumverteidigung , 1973–1991. In : Rauchensteiner , Manfried ( Hg. ) : Zwischen den Blöcken. Nato , Warschauer Pakt und Österreich [ S chriftenreihe des Forschungsinstitutes für politische Studien der Dr.-WilfriedHaslauer-Bibliothek 36 ] , Salzburg , 325–386. 11 Kindermann , Gottfried-Karl ( 2003 ) : Österreich gegen Hitler. Europas erste Abwehrfront 1933– 1938 , München ; ders. ( 2002 ) : Österreich als Angriffsziel und Gegner des Nationalsozialismus , Wien ; ders. ( 1984 ) : Hitlers Niederlage in Österreich , Hamburg. 12 Reichhold , Ludwig ( 1985 ) : Kampf um Österreich. Die Vaterländische front und ihr Widerstand gegen den Anschluss 1933–1938 , Wien. 13 Stiller , Jesse H. ( 1987 ) : George S. Messersmith. Diplomat of Democracy , Chapel Hill , London , 56–95 ; weiters Goldner , Franz ( 1979 ) : Dollfuss im Spiegel der US-Akten. Aus den Archiven des Secretary of State , Washington – bisher unveröffentlichte Berichte der US-Botschaften Wien , Berlin , Rom , London , Paris , Prag – St. Pölten. 14 Bauer , Otto ( 1934 ) : Der Aufstand der österreichischen Arbeiter. Seine Ursachen und seine Wirkungen , Prag ; weiters in : Bauer , Otto ( 1976 ) : Werkausgabe , Bd. 3 , Wien. 15 Weber , Fritz ( 1983 / 84 ) : Karl Renner über die sozialdemokratischen Bemühungen um einen Kompromiss mit Dollfuß. In : Zeitgeschichte Jg. 11 ( 1983 / 84 ), 253–266 ; Renner , Karl ( 1945 ) : Denkschrift über die Geschichte der Unabhängigkeitserklärung Österreichs und die Einsetzung der provisorischen Regierung der Republik , Wien. 16 Gulick , Charles A. ( 1949 ) : Österreich von Habsburg zu Hitler , Wien. Originalausgabe : ders. ( 1948 ) : Austria from Habsburg to Hitler , Berkeley-Los Angeles.
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Heinrich Benedikt herausgegebene Schau der Zwischenkriegszeit ,17 die überdies auch im Hinblick auf den noch ausstehenden Staatsvertrag der Opferthese und anderen aktuellen Anliegen der Bundesregierung zuarbeitete , wiewohl auch hier exzellente Grundlagenarbeiten zu finden sind. Während die Herausgabe der Übersetzung des fünfbändigen Werkes von Gulick sichtlich von der Sozialistischen Partei Österreichs unterstützt wurde , konnte der Herausgeber der „Geschichte der Republik“ auf Mittel der Bundeswirtschaftskammer zurückgreifen.18 Erika Weinzierl und Kurt Skalnik unternahmen zu Beginn der 1980er-Jahre den Versuch , an die Stelle der landläufigen Koalitionsgeschichtsschreibung einen forschungsbestimmten Standard zu schaffen , der jedoch teilweise amalgamierenden Charakter annahm. Ausdrücklich sei in diesem Kontext auf den Beitrag Stephan Verostas verwiesen , dessen Darstellung letztlich seine Thesen von 1954 stützen sollte.19 Völlig anders gelagert ist die Darstellung von Ernst Hanisch , der weitgehend die innere Verfasstheit des Staates und dessen Gesellschaft sieht.20 Diese kontroverse Sichtweise wurde und wird seit 1945 mit der Verwendung der Begriffe „Austrofaschismus“ und „Christlicher Ständestaat“ verbalisiert , während umgangssprachlich bis in die 1990er-Jahre der nationalsozialistische Sprachduktus im Begriff „Systemzeit“ weiterlebte. In diesem Kontext sei darauf hingewiesen , dass der österreichische Bundespräsident Wilhelm Miklas 1933 / 34 selbst ohne Anführungszeichen von Austrofaschismus sprach.21 Helmut Wohnout hat in seiner exemplarischen Studie die Herrschaftspraxis der Regierungen Dollfuß und Schuschnigg präzise dargestellt und damit einen wesentlichen Beitrag zur Verortung des Regimes innerhalb der antidemokratischen Landschaft der Zwischenkriegszeit geleistet.22 Um diese Verortung voranzutreiben , ist eine vergleichende Analyse der außenpolitischen Dimension des „Ständestaats“ vonnöten. Faschismus und Nationalsozialismus wurzeln in ihrer außenpolitischen Konzeption vorerst in der Ablehnung der Friedensverträge , deren Revision letztlich den imperialistischen Gestus einleitete und im Nationalsozialismus mit dem rassistischen Konzept verschmolzen wurde. Dem „autoritären Ständestaat“ fehlt aber nicht nur eine für den Faschismus / Nationalsozialismus konstitutive Massenbasis in der Bevölkerung , sondern es mangelt ihm scheinbar auch
17 Benedikt , Heinrich ( Hg. ) ( 1954 ) : Geschichte der Republik Österreich , Wien. 18 Dankbar erinnere ich mich an Karl von Cornides , der als Verleger des Werkes von Benedikt mir die Protokolle der Autorensitzungen dieses Werkes zur Einsicht gab. 19 Verosta , Stephan ( 1983 ) : Die österreichische Außenpolitik 1918–1938 im europäischen Staatensystem 1918–1938. In : Weinzierl , Erika / Skalnik , Kurt ( Hg. ) : Österreich 1918–1938. Geschichte der Ers ten Republik , Bd. 1 , Graz / Wien / Köln , 107–146 ; Verosta , Stephan ( 1954 ) : Die geschichtliche Kontinuität des österreichischen Staates und seine europäische Funktion. In : Benedikt , Heinrich ( Hg. ) : Geschichte der Republik Österreich , Wien , 573–610. 20 Hanisch , Ernst ( 1994 ) : Der lange Schatten des Staates. Österreichische Gesellschaftsgeschichte im 20. Jahrhundert ( 1890–1990 ), Wien [ Österreichische Geschichte , Bd. 10 ]. 21 Ich danke Herrn Univ.-Prof. Dr. Maximilian Liebmann , Graz , für diesen Hinweis. 22 Wohnout , Helmut ( 1993 ) : Regierungsdiktatur oder Ständeparlament ? Gesetzgebung im autoritären Österreich , Wien. Vgl. den Überblick von Kirk , Tim ( 2003 ) : Fascism and Austrofascism. In : Bischof , Günter / Pelinka , Anton / L assner , Alexander ( Hg. ) : The Dollfuss / S chuschnigg Era in Austria. A Reassessment [ C ontemporary Austrian Studies 11 ] , New Brunswick / L ondon , 10–31.
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ein revisionistisches außenpolitisches Anliegen ,23 da man sich im Hinblick auf Italien im Südtirol-Diskurs zurücknahm und die zunächst wirtschaftspolitischen Bedenken im Hinblick auf einen „Anschluss“ in ein ideologisches Konzept einbrachte. Dieser Paradigmenwechsel , wesentlicher Bestandteil in der Legitimation des „Ständestaates“ als Abwehr des Nationalsozialismus , korreliert allerdings mit der weitgehenden Einbindung Österreichs in das revisionistische Konzept Mussolinis und dessen Donauraumpläne , die in den „Römischen Protokollen“ mündeten und damit eine klare Frontstellung gegenüber der Kleinen Entente von österreichischer Seite mittrugen.24 Schuschniggs Wahrnehmung der weit darüber hinausgehenden Absprachen zwischen Dollfuß und Mussolini mögen Einfluss auf dessen Haltung , die einseitige Bindung an Italien und Ungarn zu lockern , genommen und dessen Bereitschaft zur „Aussöhnung“ mit dem nationalsozialistischen „Reich“ beflügelt haben. Wenn man den „Ständestaat“ als Verteidigungsmetamorphose gegenüber dem Nationalsozialismus liest , muss man aber auch das „Juliabkommen“ von 1936 als dezidierten „Dammbruch“ in dieser Konzeption zur Kenntnis nehmen , was seitens der deutschen Regierung auch getan wurde , während die österreichischen Nationalsozialisten noch irritiert auf den Vertrag schauten.25 Hitlers anmaßende Präpotenz beim Zusammentreffen mit Schuschnigg im Februar 1938 ist letztlich nur die konsequente Umsetzung des „Dammbruchs“ von 1936. Schuschniggs ambivalente Haltung im Hinblick auf die Sonderbeziehungen zu Italien und Deutschland wird auch in der Fortsetzung der beschränkten Internationalisierung des deutsch-österreichischen Konflikts , besonders aber in seiner katastrophalen Völkerbundpolitik im Umfeld des italienischen Überfalls auf Abessinien sichtbar. Hier liegt die Vermutung nahe , dass an die Stelle einer klaren außenpolitischen Grundlinie ein Adhoc-Lavieren getreten ist. Österreich hat sich damit aus dem internationalen Diskurs genommen , sodass die weitgehende Akzeptanz des „Anschlusses“ im März 1938 auf internationaler Ebene als logische Folge interpretiert werden kann , wiewohl dabei natürlich auch Dispositionen der Kollaboration mit dem nationalsozialistischen Deutschland , wie sie im „Münchner Abkommen“ 1938 sichtbar geworden sind , mitzudenken sind. Die Nabelschau Robert Kriechbaumer hat in seiner Binnendarstellung der Vaterländischen Front einen „inneren Vortrag“ Theodor ( von ) Hornbostels26 aus dem März 1936 an die Spit23 Revisionistisch hingegen war der antimoderne Gestaltungswille im Hinblick auf den gewünschten Umbau der Gesellschaft im ständestaatlichen Duktus. 24 Binder , Dieter A. ( 2002 ) : The Christian Corporatist State : Austria from 1934 to 1938. In Steininger , Rolf / Bischof , Günter / G ehler , Michael ( Hg. ) : Austria in the Twentieth Century , New Brunswick / L ondon , 72–84. 25 In diesem Kontext sei auf die Einbeziehung der österreichischen wirtschaftlichen und personellen Ressourcen in den deutschen Vierjahresplan hingewiesen. 26 Bielka , Erich [ von Karltreu ] ( 1982 ) : Theodor [ von ] Hornbostel. In : Neue Österreichische Biographie , Wien , Bd. 21 , 37–46 ; weiters Agstner , Rudolf / Enderle-Burcel , Gertrude / Follner , Michaela ( 2009 ) : Österreichs Spitzendiplomaten zwischen Kaiser und Kreisky. Biographisches Handbuch der Diplomaten des Höheren Auswärtigen Dienstes 1918 bis 1959 , Wien , 255–258 ; zu Bielka ebenda , 129–132.
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ze seines Kapitels über die Außenpolitik des autoritären Ständestaates gestellt.27 Unter dem Stichwort „Unsere Verhältnisse zu den Nachbarstaaten“ setzt er sich vor dem „Juliabkommen“ etwas „unterkühlt“ mit Italien auseinander , wobei er ausdrücklich eine realistische Einschätzung der Südtirolfrage28 nebenbei gibt , da dieser Problemkreis zweifellos zwischen 1919 und 1970 auch ein immer wiederkehrender Bestandteil der Innenpolitik war. „Wie gesagt , unser Staat kann als Kleinstaat nur Realpolitik führen , ein Umstand , der auch unser Verhältnis zu Italien bestimmt.“ Ausgehend von der SüdtirolProblematik und den österreichisch-italienischen Spannungen unter Ignaz Seipel ortet Hornbostel bereits in den 1920er- und zu Beginn der 1930er-Jahre ein Ausbleiben der Unterstützung durch Deutschland , wobei er den Bogen von Seipels Bemühungen im Vorfeld zu den Genfer Protokollen bis hin zur Lausanner Anleihe spannt. Die Hinwendung zu Italien wäre also ein notwendiger Schritt gewesen , da Österreich „nicht in Berlin Hilfe bekommen“ konnte und daher Italien als „einzige[ r ] angrenzende[ r ] Großstaat“ hilfsbereit gewesen wäre.29 Entschieden weist er kontrafaktisch die Annahme zurück , dass Italien für diese Hilfe österreichische „Gegenleistungen“ eingefordert hätte. Als enger Vertrauter von Dollfuß und von Schuschnigg musste er natürlich um die politischen Gegengeschäfte wissen , die im Hinblick auf die Ausschaltung der Sozialdemokratie auf der Hand lagen und deren Ausmaß Schuschnigg nach seiner ersten Begegnung mit Mussolini als Bundeskanzler zutiefst irritiert hatten. Italiens Interesse verkürzt Hornbostel auf Österreichs Funktion als „eine Art Pufferstaat zwischen“ Italien „und den slawischen Staaten“, womit die Eingliederung Österreichs ins revisionistische , gegen die Kleine Entente gerichtete italienische Donauraumkonzept gemeint war , sowie „dem aufstrebenden“ nationalsozialistischen Deutschland.30 Österreich und Ungarn werden , und damit versucht Hornbostel , den gegen die Kleine Entente gerichteten Affekt der Römer Protokolle unausgesprochen zu relativieren , als Schutzschild gegen die zwei Stoßrichtungen des von „Preußendeutschland“ ausgehenden „Imperialismus“ definiert. Der deutsche „Drang nach Osten“ und der deutsche „Drang ans Mittelmeer“ bedrohen Italiens Interessen und werden durch ein selbstständiges Österreich und Ungarn im Vorfeld abgestoppt.31 Nach dieser Einschätzung der österreichisch-italienischen Beziehungen kann Hornbostel in äußerst knapper Form das deutsch-österreichische Verhältnis darlegen. Ohne den wirtschaftlichen Nutzen für Österreich bei normalisierten Beziehungen auszublenden , relativiert er die Folgen der gewünschten Aufhebung der „Kulturschande“ der „1000-Mark-Sperre“, da eine touristische Belebung im gehobenen Segment eher unwahrscheinlich wäre und „auf Leute , die mit einer Stange Wurst , einem Leib ( ! ) Brot und einem Rucksack voll Propagandamaterial nach Österreich kommen“, zu verzichten
27 Kriechbaumer , Robert ( Hg. ) ( 2005 ) : Österreich ! und Front Heil ! Aus den Akten des Generalsekretariats der Vaterländischen Front. Innenansichten eines Regimes [ S chriftenreihe der Forschungsinstitutes für politisch-historische Studien der Dr.-Wilfried-Haslauer-Bibliothek , 23 ] ; 346–352. 28 Ebenda , 348. 29 Ebenda , 347. 30 Ebenda , 347 f. 31 Ebenda , 348.
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wäre.32 Nach dieser knappen Replik auf das nationalsozialistische Deutschland , wobei auffallenderweise nicht die politische Struktur des Nachbarlandes thematisiert wird , sondern dessen Politik auf das traditionelle Spannungsfeld „Preußen – Österreich“ reduziert wird , nimmt Hornbostel ausführlich zum Problemkreis „Legitimismus und Restauration“ Stellung , nachdem im Jahr zuvor das Traditionsreferat innerhalb der Vaterländischen Front ins Leben gerufen ,33 die Habsburgergesetze aufgehoben , der Landesverweis zurückgenommen worden waren und die partielle Ausfolgung des Familienversorgungsfonds eingesetzt hatte.34 Preußen hat eine Riesenangst , dass sich Österreich so weit konsolidieren könnte , dass es dadurch ein Anziehungspunkt für andere Gebiete wird , die sich in irgendeiner Form an Österreich angliedern oder zusammenschließen könnten und damit die Grundlage für ein großes , katholisches Staatswesen geben könnten. Die Idee Habsburg und Katholizismus sind daher für das Dritte Reich Zielscheiben.35
Neben dem bereits angesprochenen Antagonismus „Preußen – Österreich“ wird ein politisches Potenzial , ein „katholisches Mitteleuropa“ unter habsburgischer Patronanz angedeutet , womit aber der antihabsburgische Affekt des „gottlosen“ Nationalsozialismus doppelt provoziert wird. Gleichzeitig bremst Hornbostel überschnelle Rückschlüsse : Die Idee ist zu heilig , als dass wir sie zum Gegenstand eines Lottospiels machen. Es wäre untragbar , wenn wir mit 70 , 80 Prozent Unsicherheit in eine solche Sache hineinschlittern wollten und damit erreichen , dass wir in einer Woche die Idee Habsburg , ja vielleicht die Idee Österreich überhaupt aufgeben müssten.36
Nachdrücklich betont Hornbostel , dass eine Restauration der Habsburger kein revisionis tisches Programm darstelle , denn die „heutigen Grenzen würden auf alle Fälle berücksichtigt“. Die Restauration versucht er , eher als ein Vehikel darzustellen , Österreich als Nukleus für ein „wirtschaftliches Zusammenleben im Donauraum“ schmackhaft zu machen. Ein daraus kommender weiterer Schritt , der die „Wirtschaftsunion“ zu einer neuen Staatlichkeit führen würde , könne er angesichts des Nachwirkens der „schönen Zeit , die unter Franz Joseph war“, nicht ausschließen. Erhebliche legitimistische Potenziale sieht er innerhalb der Tschechoslowakei , besonders in Mähren und der Slowakei , ebenso wie in Jugoslawien. Nach dieser nostalgischen Tour d’Horizon kommt Hornbostel zur zentralen Einschätzung einer Restauration der habsburgischen Herrschaft in Österreich : 32 Kriechbaumer ( 2005 ), 348 f. 33 Wohnout , Helmut ( 1992 ) : Das Traditionsreferat der Vaterländischen Front. Ein Beitrag über das Verhältnis der legitimistischen Bewegung zum autoritären Österreich 1933–1938. In : Österreich in Geschichte und Literatur Jg. 36 ( 1992 ), Heft 2 , 65–82. 34 Vgl. Binder , Dieter A. ( 2003 ) : Die Funktion des Habsburger-Gesetzes von 1919 und seine politisch-historische Instrumentalisierung. In : Beer , Siegfried / Marko-Stöckl , Edith / R affler , Marlies / Schneider , Felix ( Hg. ) : Focus Austria. Vom Vielvölkerreich zum EU-Staat [ S chriftenreihe des Instituts für Geschichte 15 ] , Graz , 298–317. 35 Kriechbaumer ( 2005 ), 349. 36 Ebenda.
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VII. Außenpolitik Innenpolitisch würden keine Schwierigkeiten vorhanden sein , außenpolitisch ist der Gedanke augenblicklich blockiert. Es ist daher jedes übertriebene Antreiben dieses Problems nicht nur derzeit eine überflüssige Mühe , sondern sogar schädlich.37
Dieser Abschnitt kann wohl nicht als außenpolitisches Dispositionspapier gelesen werden , er muss angesichts einer euphorischen Welle von Ehrenbürger-Ernennungen für den Thronprätendenten , ( Erzherzog ) Otto ( von ) Habsburg-Lothringen als innenpolitischer Warnschuss verstanden werden. Abschließend werden Österreich und der Donauraum nochmals unter dem Punkt „Die einseitige Aufhebung des Locarno-Paktes“ Gegenstand einer außenpolitischen Analyse , in der auf ein Memorandum Deutschlands an die Staaten des Locarno-Paktes hingewiesen wird , indem „Hitler [ … ] Versprechungen und Versicherungen zwecks Aufrechterhaltung des Friedens für die West- und Ostgrenzen“ gab.38 Das Fehlen einer Erklärung im Hinblick auf Österreichs Souveränität würde die „wichtigsten Staatsmänner von Europa“ darin bestärken , dass Hitlers „Friedensbeteuerungen nicht ehrlich gemeint sind“. Daraus zieht Hornbostel apodiktisch den Schluss , [ … ] dass sich niemand mit Deutschland in irgendwelche Verhandlungen bezüglich gegenseitiger Friedensbereitschaft einlassen wird , bevor nicht klipp und klar [ … ] Deutschland die Freiheit , Selbständigkeit und Unabhängigkeit Österreichs garantiert haben wird.39
Hornbostel muss als Leiter der Politischen Abteilung des Außenamtes im Bundeskanzleramt seit dem April 1933 als eine der zentralen Persönlichkeiten an der Schnittstelle zwischen dem beamteten Apparat des diplomatischen Dienstes des autoritären Österreichs , dessen politischer Führungselite , insbesondere des Bundeskanzlers Kurt ( von ) Schuschnigg , und den „System-Erhaltern“ der Vaterländischen Front angesehen werden. Der referierte „interne Vortrag“ aus dem März 1936 stellt keine klassische außenpolitische Analyse dar , sondern verknüpft in allen Abschnitten innenpolitische Problemzonen mit außenpolitischen Fragestellungen. Der Zwang Österreichs „als Kleinstaat“ zur „Realpolitik“, den Hornbostel an die Spitze seiner Ausführungen gestellt hat , muss relativiert werden. Der beschränkte Handlungsspielraum der Regierung ergibt sich nicht aus der Größe des Staates , sondern aus seinem innenpolitisch verursachten reduzierten Spielraum. Die einseitige Bindung an Italien , die seit dem Frühsommer 1933 Dollfuß und Schuschnigg daran hinderte , den deutsch-österreichischen Konflikt wirklich zu internationalisieren , ebnete letztlich den Weg in die Katastrophe des Juliabkommens 1936. Dramatisch wird im Vortrag auch sichtbar , dass die Römer Protokolle von 1934 keine Leitlinie außenpolitischen Handelns zwischen Italien , Österreich und Ungarn gebracht hatten , sondern weiterhin primär der bilaterale Dialog zwischen Wien und Rom geführt wurde. Selbst bei einer richtigen Einschätzung des italienischen Bedürfnisses , die beiden Partnerstaaten als Pufferstaaten zwischen den eigenen Aspirationen im Donauraum unter Vermeidung einer direkten Grenze mit dem erstarkenden Deutschland zu halten , kann einer professionellen Analyse die Diskrepanz des italienischen Groß37 Kriechbaumer ( 2005 ), 350. 38 Ebenda , 351. 39 Ebenda.
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machtanspruchs und der tatsächlichen ökonomischen bzw. militärischen Stärke Italiens entgangen sein. Ungarns ambivalente Haltung Deutschland gegenüber basierte ja gerade auf dieser Erkenntnis , dass der Großmachtstatus Italiens weitgehend einer italienischen Selbstimagination entsprang. Die ausufernde Beschäftigung mit der Frage der Restauration wiederum zeigt , dass ein von der Regierung unternommener Versuch zur Basisverbreiterung , der innenpolitisch ohnehin zum Scheitern verurteilt war , außenpolitisch die Regierung eher unter „verschärfte Beobachtung“ stellen würde , da bei allem Respekt vor habsburgischer Nostalgie in einzelnen Bevölkerungsgruppen weder die Regierungen der Tschechoslowakei und Jugoslawiens noch jene der Partnerstaaten Ungarn und Italien an einer habsburgischen Restauration Interesse haben konnten. In der Beurteilung der internationalen Lage und deutscher Friedensangebote macht die Studie von Klaus Hildebrand deutlich , dass die Einschätzung der Regierung Schuschnigg eher einer innerösterreichischen Nabelschau , einem Wunschdenken entsprach und nicht auf einer Analyse der globalen Machtsituation beruhte.40 Der Blick in die Literatur Lässt man die wenigen Übersichtsdarstellungen zum außenpolitischen Spektrum des „autoritären Ständestaates“ beiseite ,41 so verbleiben im Wesentlichen drei Schwerpunkte , die sich direkt mit außenpolitischen Fragestellungen des Regimes beschäftigen , nämlich das Konkordat42 , das Dreieck Italien – Ungarn – Österreich ,43 das deutschösterreichische Verhältnis.44 Daneben bleibt Platz für bilaterale Fragestellungen , die in unterschiedlicher Intensität die nachbarschaftlichen Beziehungen zur Tschechoslowakei und Jugoslawien analysieren.45 Im Hinblick auf die Tschechoslowakei hinterfragt Matt40 Aus diesem Grund referiert Kriechbaumer ( 2005 ), 351 , Anm. 84 , ausführlich die Darstellung Hildebrands. Vgl. Hildebrand , Klaus ( 1996 ) : Das vergangene Reich. Deutsche Außenpolitik von Bismarck bis Hitler , Stuttgart , 619 f. 41 Tálos , Emmerich / Neugebauer , Wolfgang ( Hg. ) ( 2005 ) : Austrofaschismus. Beiträge über Politik , Ökonomie und Kultur 1934–1938 , Wien ( 1. Aufl. 1984 , 5. Aufl. 2005 ) ; Rásky , Béla ( 1995 ) : Die außenpolitischen Beziehungen Österreichs zu den Nachfolgestaaten der Donaumonarchie ( 1918–1938 ). In : Tálos , Emmerich / Dachs , Herbert / Hanisch , Ernst / Staudinger , Anton ( Hg. ), Handbuch des politischen Systems Österreichs. Erste Republik 1918–1933 , Wien , 652–664. 42 Hier stehen allerdings innerkirchliche Vorgänge im Vordergrund , der genuin außenpolitische Aspekt wird in der Regel nur gestreift. Kremsmair , Josef ( 1980 ) : Der Weg zum österreichischen Konkordat , Wien. 43 Kerekes , Lajos ( 1966 ) : Abenddämmerung einer Demokratie. Mussolini , Gömbös und die Heimwehr , Wien ; Petersen , Jens ( 1973 ) : Hitler-Mussolini. Die Entstehung der Achse Berlin-Rom 1933–1936 , Tübingen ; Weinberg , Gerhard L. ( 1970 ) : The Foreign Policy of Hitler’s Germany. Diplomatic Revolution in Europe 1933–1936 , Chicago. 44 Ross , Dieter ( 1966 ) : Hitler und Dollfuß. Die deutsche Österreich-Politik 1933–1934 , Hamburg ; Binder , Dieter A. ( 1979 ) : Dollfuß und Hitler. Über die Außenpolitik des autoritären Ständestaates in den Jahren 1933 / 34 , Graz. 45 Hier sei meritorisch auf die Studien Walter Hummelbergers in den Bänden von Jedlicka , Ludwig / Neck , Rudolf ( Hg. ) ( 1975 ) : Das Jahr 1934 : 12. Februar , Wien / München , und Jedlicka , Ludwig / Neck , Rudolf ( Hg. ) ( 1975 ) : Das Jahr 1934 : 25. Juli , Wien / München , verwiesen. Weiters Teichova , Alice / Matis , Herbert ( Hg. ) ( 1996 ) : Österreich und die Tschechoslowakei. Die wirtschaftliche Neu-
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hias F. Lill die österreichische Außenpolitik gegenüber diesem Staat unter besonderer Berücksichtigung der Sudetendeutschen-Frage , womit er indirekt die Schutzmachtstellung Österreichs gegenüber der deutschsprachigen Minderheit im Nachbarland anspricht.46 Im Hinblick auf Italien zeigen die aus Innsbruck kommenden Studien , dass das innenpolitisch relevante Thema Südtirol als bilaterales Sonderproblem , wiewohl durch die Annäherung an Italien reduziert , im Hintergrund Schatten warf.47 Auch die Außenwahrnehmung nicht involvierter Staaten ist relativ spärlich vertreten.48 Seit den 1860er-Jahren erstarkte das Interesse Frankreichs an einem von Deutschland unabhängigen Österreich , da in dessen Unabhängigkeit als Ganzem man eine „Machtfrage gegenüber Deutschland“ sah.49 Thomas Angerer hat die Ambivalenz der französischen Außen- und Kulturpolitik gegenüber dem autoritären Ständestaat nicht zuletzt gerade im Hinblick auf das Juliabkommen 1936 fokussiert.50 Die Sowjetunion als wesentlicher Bestandteil österreichischer Außenpolitik seit 1945 wurde gleichsam rückwirkend in den Beobachtungsfundus aufgenommen ,51 wobei auch hier zwischen bilateralen Beziehungen und parteipolitischer Interaktion unterschieden werden muss.52 ordnung in Zentraleuropa in der Zwischenkriegszeit , Wien / Köln / Weimar ; Suppan , Arnold ( 2003 ) : Die Außenpolitik der ersten Tschechoslowakischen Republik aus Wiener Sicht. In : Suppan , Arnold / Vyslozil , Elisabeth ( Hg. ) : Edvard Beneš und die tschechoslowakische Außenpolitik 1918–1948 , Frankfurt / M. Im Hinblick auf Jugoslawien erweist sich die Studie von Suppan , Arnold ( 1996 ) : Jugoslawien und Österreich 1918–1938 , Wien / München , als Suchbuch. 46 Lill , Matthias F. ( 2007 ) : Die Tschechoslowakei in der österreichischen Außenpolitik der Zwischenkriegszeit ( 1918–1938 ) ( Quellen und Studien zur Geschichte und Kultur der Sudentendeutschen 2 ), München. 47 Gehler , Michael ( 2007 ) : Eduard Reut-Nicolussi und die Südtirolfrage 1918–1938. Streiter für die Freiheit und die Einheit Tirols. Biographie und Darstellung [ S chlern-Schriften 333 / 1 ] , Innsbruck. Gehler , Michael / Unterthiner , Evi ( Hg. ) 2007 ) : Eduard-Reut-Nicolussi und die Südtirolfrage 1918– 1958. Streiter für die Freiheit und die Einheit Tirols. Dokumentenedition ( S chlern-Schriften 333 /2 ), Innsbruck. 48 Zimmermann , Horst ( 1973 ) : Die Schweiz und Österreich während der Zwischenkriegszeit. Eine Studie und Dokumentation internationaler Beziehungen im Schatten der Großmächte , Wiesbaden. 49 Porpaczy , Barbara ( 2002 ) : Frankreich-Österreich 1945–1960. Kulturpolitik und Identität [ I nnsbrucker Forschungen zur Zeitgeschichte 18 ] , Innsbruck / Wien / Meran , 37. 50 Angerer , Thomas ( 1992 ) : Die französische Österreichpolitik vor dem „Anschluß“ 1938. In : Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte Jg. 40 ( 1992 ), Heft 1 , 29–59 ; ders. ( 1988 ) : Erster Schritt zum Anschluß ? Frankreich und das Juliabkommen. In : Geschichte und Gegenwart. Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte , Gesellschaftsanalyse und politische Bildung , Jg. 7 ( 1988 ), 185–194. Weiters : Koja Friedrich / P fersmann , Otto ( Hg. ) : Frankreich – Österreich. Wechselseitige Wahrnehmung und wechselseitiger Einfluß seit 1918 [ Studien zu Politik und Verwaltung 58 ] , Wien / Köln / Graz. 51 Neutatz , Dietmar ( 1987 ) : Die Beziehungen zwischen der Sowjetunion und Österreich 1918– 1938 , Salzburg ; Haas , Hanns / Stadler , Franz ( Hg. ) ( 1984 ) : Österreich und die Sowjetunion 1918– 1955 , Wien ; Haider , Edgar ( 1975 ) : Die österreichisch-sowjetischen Beziehungen 1918–1938 , phil. Diss. , Wien. 52 McLoughlin , Barry / L eidinger , Hannes / Moritz , Verena ( 2009 ) : Kommunismus in Österreich 1918–1938 , Innsbruck / Wien / Bozen ; Mugrauer , Manfred ( Hg. ) ( 2009 ) : 90 Jahre KPÖ. Studien zur Geschichte der Kommunistischen Partei Österreichs [ A lfred Klahr Gesellschaft Quellen und Studien 12 ] , Wien.
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Während man den Jahren 1933 / 34 großes Interesse entgegenbringt , wird das Juliabkommen 1936 eher meritorisch behandelt ,53 wiewohl Siegfried Beers Studie der bilateralen Beziehungen zur britischen Außenpolitik zeigt , wie sehr die Einbeziehung außenpolitischer Aspekte anderer Machtzentren ein erhellendes Licht auf die außenpolitische Situation des Dollfuß / Schuschnigg-Regimes erhellen.54 Deutlich tritt dabei eine personenbezogene Periodisierung zutage , wobei die „Ära“ Dollfuß stärker analysiert ist als die „Ära“ Schuschnigg.55 Im Gegensatz zu den außenpolitischen Aktenpublikationen anderer Staaten sind die von Arnold Suppan betriebenen „Außenpolitischen Dokumente der Republik Österreich 1918–1938“ erst im Vorfeld „ständestaatlicher“ Konfigurationen angelangt. Fasst man die augenblickliche und wohl schon lang anhaltende Tendenz der mannigfachen punktuellen Analysen zum „Ständestaat“ zusammen , so ist festzuhalten , dass vielfach das deutsch-österreichisch-italienische Beziehungsgeflecht meritorisch dem innenpolitischen Erzählstrang zugeordnet wird. Überspitzt könnte man formulieren , dass der deutsch-österreichische Konflikt auch vor dem Juli 1936 nahezu unbewusst als „innerdeutscher“ Konflikt gelesen wird. Dies korrespondiert mit der in den letzten Jahren zu beobachtenden verstärkten Hinwendung zu Fragen des Juli 1934.56 Außerhalb der fragilen „Koalitionen“, die die Regierungen Dollfuß / Schuschnigg darstellen , werden Fragen nach außenpolitischen Kontakten anderer gesellschaftlich relevanter Gruppen nur im Hinblick auf die NSDAP gestellt. Nahezu unberücksichtigt ist der Aspekt der außenpolitischen Beziehungen dieser Regierungen zu anderen Staaten , wiewohl etwa eine Analyse im Hinblick auf Spanien zeigt , dass das „austrofaschistische“ Regime nach Ausbruch des spanischen Bürgerkriegs weiterhin die spanische Republik als legitime Repräsentantin des Staates ansah und es duldete , dass etwa der österreichische Rüstungsindustrielle Fritz Mandl Waffen an diese lieferte. Ob dies gleichsam von der aktuellen Situation Österreichs , in dem ja aus Sicht der Regierung ebenfalls eine fremde Macht im Inneren gegen das herrschende System kämpfte , abgeleitet wurde oder ob dies einfach dem Legitimitätsdenken entsprang , das eine rechtmäßige Regierung im Abwehrkampf gegen Putschisten sah , muss Gegenstand einer Analyse werden. 53 Jedlicka , Ludwig / Neck , Rudolf ( Hg. ) ( 1977 ) : Das Juliabkommen von 1936. Vorgeschichte , Hintergründe und Folgen. Protokoll des Symposiums in Wien am 10. und 11. Juni 1976 in Wien [ Veröffentlichungen der Wissenschaftlichen Kommission des Theodor-Körner-Stifungsfonds und des Leopold-Kunschak-Preises zur Erforschung der Österreichischen Geschichte der Jahre 1927–1938 , Bd. 4 ] , Wien /München. 54 Beer , Siegfried ( 1998 ) : Der unmoralische Anschluss : Britische Österreichpolitik zwischen Containment und Appeasement 1931–1934 , Wien / Köln / Weimar. Ausdrücklich sei darauf hingewiesen , dass der Band weit über den angegeben Zeitraum hinaus analytisch wirksam ist. 55 Vgl. Lassner , Alexander N. ( 2001 ) : Peace at Hitler’s Price : Austria , the Great Powers , and the Anschluss , phil. Diss. , Ohio State University ; ders. ( 2003 ) : The Foreign Policy of the Schuschnigg Government 1934–1938 : The Quest of Security. In : Bischof , Günter / Pelinka , Anton / L assner , Alexander ( Hg. ) : The Dollfuss / S chuschnigg Era in Austria. A Reassessment [ C ontemporary Austrian Studies 11 ] , New Brunswick / L ondon , 163–186. 56 Bauer , Kurt ( 2003 ) : Elementar-Ereignis. Die österreichischen Nationalsozialisten und der Juliputsch 1934 , Wien ; Schafranek , Hans ( 2006 ) : Sommerfest mit Preisschießen. Die unbekannte Geschichte des NS-Putsches 1934 , Wien ; Klösch , Christian ( 2007 ) : Des Führers heimliche Vasallen. Die Putschisten des Juli 1934 im Kärntner Lavanttal , Wien ; Wolf , Gerald M. ( 2008 ) : „Jetzt sind wir die Herren …“. Die NSDAP im Bezirk Deutschlandsberg und der Juli-Putsch 1934 , Innsbruck.
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In Summe unterscheidet sich damit die Forschungslandschaft zum „Ständestaat“ kaum von jener der Ersten Republik , da auch hier eine umfassende Darstellung zur Außenpolitik Österreichs fehlt. In beiden Fällen – in jenem der Republik und in jenem des „Ständestaates“ – ist darin auch ein Nachklingen der bewussten Reduktion auf sich selbst , die in der pseudoneutralen Haltung der österreichischen Außenpolitik ab den Genfer Protokollen zu beobachten ist , zu sehen. Der Bruch dieser Traditionslinie in der Annäherung an Italien und Ungarn ab Beginn der 1930er-Jahre erfolgte verschämt und die Römischen Protokolle 1934 entwickelten keine identitätsstiftende Funktion.57 Ein weiterer Grund für diese tradierte Sichtweise mag darin liegen , dass man die außenpolitischen Aktivitäten primär an den dominanten Politikern ( Otto Bauer , Ignaz Seipel , Johannes Schober , Engelbert Dollfuß , Kurt von Schuschnigg ) und nicht am professionellen Apparat österreichischer Diplomatie untersucht. Weitgehend konturlos bleiben Personen , die vorübergehend die Außenpolitik führten.58 Diese reflexhafte Orientierung unter dem Aspekt , dass „Männer Geschichte machen“, kommt dem Dilettantismus jener österreichischen Politiker entgegen , die unter bewusster Vernachlässigung und demonst rativer Übergehung des professionellen Apparates , Außenpolitik in einer Art Geniestreichstrategie zu betreiben suchten , was vor allem auf die Außenpolitik von Dollfuß und Schuschnigg zutrifft. Sowohl der Briefwechsel Mussolini – Dollfuß , das geheime Zusatzprotokoll zum „Juliabkommen“ 1936 und das irrwitzige Unternehmen der direkten Begegnung zwischen Schuschnigg und Adolf Hitler in Berchtesgaden , ohne dass davor ausreichende Sondierungen über das Endergebnis durchgeführt worden waren , zeigen diesen Aspekt dramatisch. Unter diesen Auspizien sind auch wesentliche Stimmen aus der beamteten Diplomatie im Hochverratsprozess gegen Guido Schmidt zu lesen.59 Defizite Ausgehend von diesem knappen Überblick wären folgende Desiderate einzumahnen : 1. Eine Darstellung des diplomatischen Dienstes der Zwischenkriegszeit wäre die Basis für die Analyse des Spannungsbogens professionelle diplomatische Vertretung und ( partei-)politisch orientierter Außenpolitik. Insbesondere käme es hier auch auf eine Analyse der personellen Fragmentierungen 1918 / 19 und 1933 / 34 an.60 Es ist zu hoffen , dass die Edition der österreichischen Akten zur Außenpolitik für den Zeitraum 1933 bis 1938 die zentralen Dokumente des außenpolitischen Selbstverständnisses sowohl der fachspezifischen Beamtenschaft als auch der politischen Repräsentanten in ihrer 57 Vgl. Kriechbaumer ( 2005 ). 58 Berger-Waldenegg , Egon / Berger-Waldenegg , Heinrich ( 1998 ) : Biographie im Spiegel. Die Memoiren zweier Generationen , Wien ; Dörner , Christian / Dörner-Fazeny , Barbara ( 2007 ) : Theodor von Hornbostel 1889–1973 , Wien. 59 Der Hochverratsprozess gegen Dr. Guido Schmidt vor dem Wiener Volksgericht. Die gerichtlichen Protokolle mit den Zeugenaussagen , unveröffentlichten Dokumenten , sämtlichen Geheimbriefen und Geheimakten , Wien , 1947. Max ( Freiherr von ) Löwenthal hat in seinen Erinnerungen diese Spannung kurz angedeutet , sie jedoch auf eine Frage von persönlichen Animositäten reduziert , vgl. Löwenthal , Max ( 1985 ) : Doppeladler und Hakenkreuz. Erlebnisse eines österreichischen Diplomaten , Innsbruck , 120. 60 Als erster Ansatzpunkt dient Agstner et al. ( 2009 ).
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Widersprüchlichkeit vollständig dokumentiert. Dies bedeutet meines Erachtens die Hereinnahme der relevanten Akten zumindest aus dem Bereich des Bestandes der Vaterländischen Front. 2. Das Scheitern diverser zentraleuropäischer Konzeptionen , die Österreich zu Beginn der 1930er-Jahre außenpolitischen Spielraum zurückgebracht hätten , wären in eine umfassende Analyse des mitteleuropäischen Raumes , des Spannungsverhältnisses zwischen Kleiner Entente und den revisionistischen Mächten Italien und Ungarn einzubringen.61 Dies gilt besonders für die Option einer Annäherung an die Tschechoslowakei , die Schuschnigg durchaus sah. 3. Das Beziehungsgeflecht Rom – Budapest – Wien ist weniger als außenpolitisches Phänomen , sondern primär unter innenpolitischen Vorgaben zu lesen ; konsequenterweise wird bei einer solchen Lesart das oft gebrauchte Bild vom „Ständestaat“ als antinationalsozialistischer Widerstandsversuch relativiert , was Mussolini selbst nach dem Februar 1934 , dem Verfassungs-Oktroi vom 30. April / 1. Mai 1934 eindrucksvoll unterstrich : Sein Interesse an Österreich war nach dem Ausschalten der Sozialdemokratie weitgehend erloschen. 4. Der Abschluss des Konkordats 1933 / 34 ist in seiner Vorgeschichte auf innerkirchlicher , parteipolitischer und außenpolitischer Ebene umgehend zu analysieren und kann nicht nur als Bestandteil der Kirchengeschichte gelesen werden. Die außenpolitisch abgesegnete Rückkehr zu einem neoabsolutistischen Verhältnis von Kirche und Staat , das sich zweifellos am hypotrophen Konkordat von 1855 orientierte , ist im Weiteren auch auf seine Auswirkungen innerhalb des außenpolitischen Spielraums zu analysieren. Eine rein innerösterreichische Betrachtungsweise , die das Konkordat auch als gelebten Revisionismus erkennt , verstellt aber den Blick auf das Faktum , dass der Heilige Stuhl den „Anschluss“ kommentarlos zur Kenntnis nahm und den bis dahin hochgepriesenen katholischen Vorzeigestaat ein stilles Begräbnis bereitete. 5. Vor allem für die Phase des Staatsstreichs auf Raten bis hin zum 12. Februar 1934 sind Analysen der außenpolitischen Kontakte und Beziehungen aller politisch relevanter Gruppen in Österreich unabdingbar. Nicht unerheblich dabei sind private Netzwerke , die internationale Vernetzungen ermöglichen und auch das Österreichbild im Ausland prägen.62 Eine Reduktion auf den als Wahlkampfmunition erstmals edierten Briefwechsel Mussolini – Dollfuß63 ist ebenso unzulässig wie eine Reduktion auf die Kontroverse mit dem Nationalsozialismus. Die von Siegfried Beer verfasste Studie zur österreichischen Außenpolitik für den Zeitraum 1918 bis 1933 zeigt den Erkenntniswert einer derartigen Perspektive.64 Nicht ohne Bedeutung dürften in diesem 61 Vgl. Plaschka , Richard G. / Haselsteiner , Horst / Suppan , Arnold / Drabek Anna M. / Z aar , Brigitte ( Hg. ) ( 1995 ) : Mitteleuropa-Konzeptionen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts [ Z entraleuropa Studien 1 ] , Wien. 62 Hier ist von der Studie Peter Pirkers , G. E. R. Gedye – Ein kritischer Journalist als transnationaler politischer Akteur in Zentraleuropa zwischen dem Ersten Weltkrieg und dem Kalten Krieg , grundlegendes zu erwarten. 63 Geheimer Briefwechsel Mussolini-Dollfuß. Vorwort von Adolf Schärf. Kommentar von Karl Hans Sailer. Anhang : Aus den Memoiren Starhembergs , Wien , 1949. 64 Beer , Siegfried ( 1990 ) : Das außenpolitische Dilemma Österreichs 1918–1933 und die österreichi-
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Kontext die Bestände der Vaterländischen Front sein. Das von Robert Kriechbaumer vorgelegte Florilegium aus den Akten des Generalsekretariats der Vaterländischen Front macht deutlich , dass es ein Zusammenwirken zwischen Repräsentanten der politisierten Beamtenschaft und dem Funktionärskader der Vaterländischen Front gegeben hatte.65 Es wäre zu prüfen , ob die Vaterländische Front über das Beziehungsgeflecht Österreich – Italien – Ungarn bzw. Österreich und Deutschland hinaus außenpolitische Zielsetzungen diskutierte oder definierte. 6. Das Juliabkommen von 1936 bedarf einer umfassenden Untersuchung im Hinblick auf den Lobbyismus aller politisch relevanter Gruppierungen , die möglicherweise , durchaus unterschiedlichen Interessenlagen anhängend , Einfluss auf die Regierung nahmen , um dieses Vertragswerk voranzutreiben. Gleichzeitig gilt es , die außenpolitische Wirkungsgeschichte dieses Vertrages zu erheben , da davon ausgegangen werden kann , dass nicht nur die britische Österreichpolitik dadurch entscheidend beeinflusst wurde. Dies wurde auch von regierungsnahen Kreisen wahrgenommen und als Kritik an Schuschnigg herangetragen.66 7. Das Versagen der österreichischen Völkerbundpolitik , darin eingebettet die Zurückhaltung bei der Internationalisierung des deutsch-österreichischen Konflikts und die Frage der Kontaktpflege zu der Staatengemeinschaft insgesamt , muss Gegenstand des analytischen Diskurses sein. 8. Ein erhebliches Defizit ist auch im Hinblick auf das Beziehungsgeflecht Außenpolitik und Ökonomie zu verorten , wiewohl auch hier durchaus erste Studien vorliegen.67 Dabei könnte , folgt man dem Ansatz von Alice Teichova , sowohl das politisch-ökonomische Beziehungsgeflecht der mitteleuropäischen Staaten als auch die ökonomische Penetrationspolitik von Großstaaten gegenüber Kleinstaaten analysiert werden.68 Exemplarisch ist dies an der Alpine-Montangesellschaft in Österreich thematisiert worden.69 schen Parteien. In : Drabek , Anna M. / Plascka , Richard G. / Rumpler , Helmut ( Hg. ) : Das Parteienwesen Österreichs und Ungarns in der Zwischenkriegszeit , Wien , 169–186. 65 Kriechbaumer ( 2005 ). 66 Ernst Karl Winter an Kurt von Schuschnigg , 26. Oktober 1936. In : Kriechbaumer ( 2005 ), 378 f ; Richard Schmitz an Kurt von Schuschnigg , 12. Februar 1937 , in ebenda. 379 f. 67 Berger , Peter ( 2000 ) : Im Schatten der Diktatur : Die Finanzdiplomatie des Vertreters des Völkerbundes in Österreich. Rost van Tonningen 1931–1936 , Wien. Eine vergleichbare Studie , wie sie Jürgen Nautz für die frühe Republik vorgelegt hat , fehlt für die Jahre 1933 bis 1938 , vgl. Nautz , Jürgen ( 1994 ) : Die österreichische Handelspolitik der Nachkriegszeit 1918 bis 1923. Die Handelsvertragsbeziehungen zu den Nachfolgestaaten , Wien. Die in die Jahre gekommene Dissertation von Grete Klingenstein zur Anleihe von Lausanne ist primär innenpolitisch orientiert , vgl. Klingenstein , Grete ( 1965 ) : Die Anleihe von Lausanne. Ein Beitrag zur Geschichte der Ersten Republik in den Jahren 1933–1934 [ P ublikationen des Österreichischen Instituts für Zeitgeschichte 5 ] , Graz. 68 Teichova , Alice / C otrell , P. L. ( 1983 ) : International Buisness and Central Europe 1918–1939 , New York ; Teichova , Alice ( 1988 ) : Kleinstaaten im Spannungsfeld der Großmächte. Wirtschaft und Politik in Mittel- und Südosteuropa , Wien ; Teichova / Matis ( 1996 ). 69 Hwaletz , Otto ( 2001 ) : Die österreichische Montanindustrie im 19. und 20. Jahrhundert , Wien / Köln / Weimar.
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9. Gleiches gilt auch für das Beziehungsgeflecht Diplomatie und Militär , wobei besonders im Hinblick auf das 1933 / 34 wiederbelebte Instrument des Militärattachés in Österreich zu verweisen wäre , da diesem naturgemäß auch nachrichtendienstliche Funktionen zukam.70
70 Rust , Dietmar ( 2011 ) : Das militärische Nachrichtenwesen im Bundesministerium für Heerwesen bzw. Bundesministerium für Landesverteidigung von 1933 bis 1938 , Dipl.-Arb. , Wien ; Lassner , Ale xander N. ( 2009 ) : In search of Allies. Intelligence Assessments by Austrian Military Attachés 1933– 1938. In : Journal for Intelligence , Propaganda and Security Studies , Vol. 3 ( 2009 ), No 1 , 53–70.
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Helmut Wohnout
Bundeskanzler Dollfuß und die österreichischitalienischen Beziehungen 1932–1934 I. Die österreichisch-italienischen Beziehungen der 1930er-Jahre als Forschungsdesiderat der Zeitgeschichte Das Verhältnis zwischen Österreich und Italien zählt zu den zentralen Determinanten für die politische Entwicklung Österreichs in den 1930er-Jahren. Es steht in einem direkten Zusammenhang mit dem Entstehen des autoritären Staates und der gewaltsamen Ausschaltung der Sozialdemokratie aus dem politischen Leben. Seine wechselnde Intensität hatte unmittelbare Auswirkungen auf das Verhältnis zu Deutschland vom Beginn der Kanzlerschaft Adolf Hitlers bis zum März 1938. Darüber hinaus wurden die Beziehungen zu Italien auch bestimmend für die österreichische Außenpolitik gegenüber den Westmächten genauso wie der Kleinen Entente und Ungarn. Umso überraschender ist es , dass bis heute keine quellenbasierte Monografie die österreichisch-italienischen Beziehungen der 1930er-Jahre , oder zumindest zentrale Teile davon , beleuchtet. Die vorliegende Literatur beschränkt sich auf Überblicksartikel sowie Studien zu Einzelaspekten und basiert vielfach auf dem Forschungsstand der 1970er-Jahre. Den Anfang machte noch davor die 1966 erschienene , hauptsächlich auf ungarischen Quellen beruhende Studie von Lajos Kerekes.1 Einige Jahre danach folgte im Hinblick auf die Beziehungen zu Deutschland die Arbeit von Jens Petersen.2 Aus italienischer Perspektive ging die Mussolini-Biografie Renzo de Felices näher auf dessen Politik Österreich gegenüber ein.3 Neben ihm ist Enzo Collotti zu nennen , der sich zwar in ers ter Linie mit Aspekten der deutschen Geschichte befasste , aber schon 1966 seinen ersten Aufsatz mit Österreichbezügen vorgelegt hatte.4 1 Kerekes , Lajos ( 1966 ) : Abenddämmerung einer Demokratie. Mussolini , Gömbös und die Heimwehr , Wien / Frankfurt / Zürich. 2 Petersen , Jens ( 1973 ) : Hitler-Mussolini. Die Entstehung der Achse Berlin-Rom 1933–1936 , Tübingen. 3 De Felice , Renzo ( 1974 ) : Mussolini il duce. vol. 1. Gli anni del consenso 1929–1936 , Torino. 4 Colotti , Enzo ( 1965 ) : Il fascismo e la questione austriaca. In : Movimento di liberazione in Italia , ( 1965 ) 81 , 3–25.
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VII. Außenpolitik
Im Zusammenhang mit den bilateralen Historikerkonferenzen in Innsbruck und Venedig 1971 / 72 entstanden einige Überblicksartikel zu den wechselseitigen Beziehungen , österreichischerseits von Ludwig Jedlicka5 oder italienischerseits von Ennio di Nolfo.6 In den 1980er-Jahren erschienen Beiträge zu einzelnen Teilaspekten der bilateralen Kontakte , so wiederum von Enzo Collotti auf italienischer7 und Dieter A. Binder oder Karl Haas auf österreichischer Seite.8 Peter Enderle legte eine Dissertation zu den wirtschaftspolitischen Verflechtungen vor.9 Ein gewisses Augenmerk erfuhren die Vorgeschichte und die Auswirkungen der italienischen Invasion in Äthiopien auf das Verhältnis zu Österreich.10 Im Tagungsband des von der Österreichischen Akademie der Wissenschaften 1988 veranstalteten „Anschlusssymposions“ beschäftigte sich Angelo Ara mit den bilateralen Beziehungen in der letzten Phase vor 1938.11 Etwa um dieselbe Zeit publizierte der langjährige Herausgeber des Austrian History Yearbooks , R. John Rath , eine an die Arbeit von Lajos Kerekes anknüpfende Untersuchung zu den frühen Kontakten von Heimwehr und österreichischen Regierungskreisen zu Italien und 5 Jedlicka , Ludwig ( 1975 ) : Österreich und Italien 1922–1938. In : Wandruzska , Adam / Jedlicka , Ludwig ( Hg. ) : Innsbruck-Venedig. Österreichisch-Italienische Historikertreffen 1971 und 1972 , Wien , 197–219. Zu den Historikerkonferenzen kritisch : Heiss , Hans ( 2012 ) : Rücken an Rücken. Zum Stand der österreichischen zeitgeschichtlichen Italienforschung und der italienischen Österreichforschung. In : Gehler , Michael / Guiotto , Maddalena ( Hg. ) : Italien , Österreich und die Bundesrepublik Deutschland in Europa. Ein Dreiecksverhältnis in seinen wechselseitigen Beziehungen und Wahrnehmungen von 1945 / 49 bis zur Gegenwart , Wien / Köln / Weimar , 101–128 : 118–119. 6 Di Nolfo , Ennio ( 1975 ) : Die österreichisch-italienischen Beziehungen von der faschistischen Machtergreifung bis zum Anschluß ( 1922–1938 ). In : Wandruszka / Jedlicka ( 1975 ), 221–271. 7 Colotti , Enzo ( 1983 ) : Fascismo e Heimwehren : la lotta antisocialista nella crisi della prima repubblica austriaca. In : Rivista di storia contemporanea 12 ( 1983 ), 300–337 ; Colotti , Enzo ( 1984 ) : Die Faschisierung des italienischen Staates und die fortschreitende Beeinflussung österreichischer Rechtsgruppen. In : Fröschl , Erich / Z oitl , Helge ( Hg. ) : Der 4. März 1933. Vom Verfassungsbruch zur Diktatur , Wien , 149–164. Colotti , Enzo ( 1985 ) : Austria 1934 : riflessioni su una sconfitta. In : Belfagor , 40 , fasc. 2 ( 1985 ), 129–146. 8 Binder , Dieter Anton ( 1980 ) : Die Römer Entrevue. In : Österreich in Geschichte und Literatur , Jg. 24 ( 1980 ) Heft 5 , 281–299 ; Haas , Karl ( 1984 ) : Die römische Allianz 1934. In : Fröschl / Z oitl ( 1984 ), 149–164. 9 Enderle , Peter ( 1979 ) : Die ökonomischen und politischen Grundlagen der Römischen Protokolle aus dem Jahre 1934 , phil. Diss. , Wien. 10 Erstmals präsentierte 1978 Lorenz Mikoletzky eine kleinere , unter Nutzung von Primärquellen verfasste Studie zum Themenkreis ; in den 1990er-Jahren entstanden eine Diplomarbeit in Klagenfurt und eine Dissertation in München. Letztere ist auch als Monografie publiziert. Mikoletzky , Lorenz ( 1978 ) : Österreich , Italien und der abessinische Krieg 1935 / 36. Politik , Meldungen und Streiflichter. In : Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs , Heft Nr. 31 ( 1978 ), 487–501 ; Orlando , Silvia ( 1992 ) : Die „aktive“ und „passive“ Rolle des austrofaschistischen Österreich in der internationalen italo-äthiopischen Krise ( Ende 1934–Mitte 1936 ), Dipl.-Arb. , Wien. Friedl , Thomas-Peter ( 1999 ) : Die geheimen Zusatzprotokolle in den „Accords de Rome“ vom 7. Jänner 1935. Französische und italienische Interessen in Afrika und Europa und das Scheitern der Sicherstellung der österreichischen Unabhängigkeit , Frankfurt / Berlin / Bern u. a. 11 Ara , Angelo ( 1990 ) : Die italienische Österreichpolitik 1936–1938. In : Stourzh , Gerald / Z aar , Birgitta ( Hg. ) : Österreich , Deutschland und die Mächte. Internationale und österreichische Aspekte des „Anschlusses“ vom März 1938 , Wien , 111–129.
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������������������������������������������������������������������������������������������������ ���������������������������������������������������������������������������������� : Bundeskanzler Dollfuß und die österreichisch-italienischen Beziehungen 1932–1934
Ungarn in den Jahren 1928 bis 1930.12 Im Jahr 2007 hat Walter Rauscher einen Überblicksartikel zu den österreichisch-italienischen Beziehungen 1918–1955 vorgelegt.13 Die erstmals von Petersen aufgearbeiteten deutsch-italienischen Beziehungen haben zuletzt durch die Arbeit von Gianluca Falanga eine Aktualisierung mit wertvollen Hinweisen auf das Dreiecksverhältnis der beiden Länder zu Österreich erfahren.14 Im Zuge zweier von der Fondazione Bruno Kessler veranstalteter internationaler Tagungen 2007 und 2008 hat sich der Verfasser näher mit den österreichisch-italienischen Beziehungen im Zusammenhang mit dem politischen Systemwechsel 1933 / 34 auseinandergesetzt. Der diesbezügliche Sammelband liegt allerdings bis dato noch nicht vor. Eine umfassende Arbeit zu den österreichisch-italienischen Beziehungen der Zwischenkriegszeit im Allgemeinen oder der 1930er-Jahre im Besonderen steht , wie eingangs erwähnt , nach wie vor aus. Einzelne in Österreich seit den 1990er-Jahren als Diplomarbeiten bzw. Dissertationen entstandene Studien , vor allem jene von Hans W. Schmölzer , hätten als Ausgangspunkt für eine solche umfassende Monografie dienen können , wurden bedauerlicherweise aber nicht weiter verfolgt.15 „Die zeithistorischen Geschichtswissenschaften Österreichs und Italiens leben Rücken an Rücken , in einem Zustand freundlicher Ignoranz des jeweils anderen.“16 Dieser erst jüngst formulierte kritische Befund des Südtiroler Historikers Hans Heiss besitzt für die wissenschaftliche Aufarbeitung der Periode vor dem Zweiten Weltkrieg zweifellos Gültigkeit. Dabei böte die Quellenlage , sowohl was publizierte als auch was unpublizierte Bestände betrifft , gute Anknüpfungspunkte. An publizierten Akteneditionen reichen zwar österreichischerseits die „Außenpolitischen Dokumente der Republik Österreich“17 erst bis zum Beginn des Betrachtungszeitraums , doch liegt seit geraumer Zeit eine um12 Rath , R. John ( 1988 ) : Mussolini , Bethlen , and the Heimwehr in 1928–1930. In : Wank , Solomon / Maschl , Heidrun / Mazohl-Wallnig , Brigitte / Wagnleitner , Reinhold ( Hg. ) : The Mirror of History : Essays in Honor of Fritz Fellner , Santa Barbara / O xford , 431–450. 13 Rauscher , Walter ( 2007 ) : Österreich und Italien 1918–1955. In : Koch , Klaus / Rauscher , Walter / Suppan , Arnold / Vyslonzil , Elisabeth ( Hg. ) : Von Saint Germain zum Belvedere. Österreich und Europa 1919–1955 , Wien / München , 186–209. 14 Falanga , Gianluca ( 2008 ) : Mussolinis Vorposten in Hitlers Reich. Italiens Politik in Berlin 1933– 1945 , Berlin. 15 Schmölzer , Hans W. ( 1996 ) : Die Beziehungen zwischen Österreich und Italien in den Jahren 1930– 1938 , phil. Diss. , Innsbruck. Dagegen bietet die politikwissenschaftliche Arbeit von Andreas Mittelmeier , wenngleich veröffentlicht , kaum Anknüpfungspunkte für weiterführende historische Forschungen. Mittelmeier , Andreas ( 2010 ) : Austrofaschismus contra Ständestaat. Wie faschistisch war das autoritäre Regime im Österreich der 1930er Jahre verglichen mit Mussolinis Italien ? Dipl.-Arb. , Wien. An weiteren , seit den 1990er-Jahren entstandenen Hochschulschriften seien genannt : Franz , Alexander ( 1996 ) : Autoritäres politisches System und Wirtschaftsordnung am Beispiel Faschismus , Nationalsozialismus und Austrofaschismus , Dipl.-Arb. , Wien ; Koman , Georg ( 1999 ) : Die Deutschland- und Italienpolitik der Regierung Dollfuß. Österreich als Spielball der revisionistischen Großmächte ? Dipl.-Arb. , Wien ; Unger , Michael ( 2004 ) : Pressepolitik im austrofaschistischen Österreich. Ein internationaler Vergleich am Beispiel der Pressepolitik im deutschen NS-Staat und im faschistischen Italien , Dipl.-Arb. , Wien. 16 Heiss ( 2012 ), 101. 17 Koch , Klaus / R auscher , Walter / Suppan , Arnold / Vyslonzil Elisabeth ( Hg. ) ( 2009 ) : Außenpolitische Dokumente der Republik Österreich 1918–1938 ( k ünftig ADÖ ), zuletzt erschienen : Bd. 8 : Österreich im Zentrum der Mitteleuropapläne 12. September 1931 bis 23. Februar 1933 , Wien.
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VII. Außenpolitik
fassende Edition der Aktenbestände der italienischen Außenpolitik vor.18 Sie wurde bislang von der österreichischen Forschung weitgehend vernachlässigt.19 Was die Primärquellen anlangt , sind die einschlägigen österreichischen Aktenbestände im Archiv der Republik zumindest zum Teil für die vorhandenen Studien herangezogen worden. Eine punktuelle Auswahl einiger Dokumente wurde erstmals 1949 publiziert20 und 2004 neu aufgelegt.21 Die italienischen Aktenbestände in Rom sind bisher für die österreichische Zeitgeschichtsforschung allerdings noch nicht umfassend ausgewertet worden. Im Folgenden wird für den Zeitraum 1932–1934 der Versuch unternommen , aufzuzeigen , dass allein schon die Gegenüberstellung der zugänglichen österreichischen unpublizierten und publizierten Quellen mit den edierten italienischen , britischen und französischen Akten und sonstigen verfügbaren Materialen , wie etwa den Memoiren des italienischen Unterstaatssekretärs Fulvio Suvich22 oder den am Wiener Institut für Zeitgeschichte befindlichen unpublizierten Aufzeichnungen Eugenio Morreales23 , neue Facetten aufzeigt und in der Lage ist , die Zeitgeschichtsforschung zu den 1930er-Jahren in Österreich substanziell voranzutreiben. Die folgende Skizze , die vorrangig die politische Einwirkung Italiens auf Österreich und weniger die wirtschaftspolitischen Konsultationen in den Fokus rückt , versteht sich daher als Anstoß für weiterführende Forschungen zu den österreichisch-italienischen Beziehungen vor 1938. II. Die Entwicklung der bilateralen Beziehungen zwischen Österreich und Italien in der Ersten Republik Seit den frühen 1920er-Jahren war der Erhalt der österreichischen Unabhängigkeit erklärtes Ziel der italienischen Politik. Nicht nur im Hinblick auf die Wahrung der Territorialgewinne in der Folge des Weltkriegs , sondern auch um eine deutsche Hegemonie in Mitteleuropa zu verhindern.24 Darüber hinaus sollte vermieden werden , dass im Süden Österreichs Jugoslawien durch allfällige Gebietsgewinne in Kärnten als Folge eines Endes der österreichischen Eigenstaatlichkeit eine zusätzliche Aufmarschbasis gegen 18 Ministerio degli Affari Esteri ( Hg. ) ( 1953–1990 ) : I Documenti Diplomatici Italiani ( k ünftig DDI ) : serie VII ( 1922–1935 ), volume 1–16 , serie VIII ( 1935–1939 ), volume 1–13 , Rom. 19 Zu den wenigen diesbezüglichen Ausnahmen zählen die Studie von R. John Rath ( 1988 ) und die Dissertation von Hans W. Schmölzer ( 1996 ). 20 Geheimer Briefwechsel Mussolini-Dollfuß. Mit einem Vorwort von Vizekanzler Adolf Schärf. Erläuternder Text von Karl Hans Sailer ( 1949 ), Wien. 21 Maderthaner , Wolfgang / Maier , Michaela ( Hg. ) ( 2004 ) : „Der Führer bin ich selbst“. Engelbert Dollfuß – Benito Mussolini Briefwechsel. Überarbeitete und ergänzte Neuauflage der Broschüre „Der geheime Briefwechsel Dollfuß-Mussolini“, Wien 2004. 22 Suvich , Fulvio ( 1984 ) : Memorie 1932–1936. A cura di Gianfranco Bianchi , Milano. Zu Suvich vgl. auch : Österreicher , Christian ( 1991 ) : „Fulvio Suvich“. Unterstaatssekretär im italienischen Außenminis terium 1932–1936. Seine Haltung zu Österreich , Deutschland und der Anschlussfrage , Dipl.-Arb. , Wien. 23 Eugenio Morreale : Mussolini gegen Hitler auf dem österreichischen Ring. Eigene Erinnerungen und italienische Geheimdokumente über Mussolinis Versuch , den Anschluss zu verhindern ( u nveröffentlichtes Manuskript ), ( k ünftig Morreale ), Österreichische Gesellschaft für Zeitgeschichte / A rchiv des Instituts für Zeitgeschichte , Wien ( k ünftig AIfZG ), Do 4 / M m –15. 24 Ara ( 1990 ), 112–113.
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Italien erhielt , wie überhaupt das neue jugoslawische Königreich , das die italienischen Ansprüche auf die östliche Adriaküste weitgehend verhindert hatte , zum neuen Hauptgegner Italiens avancierte. Die italienische Außenpolitik sah Österreich als einen [ … ] wichtigen Puffer , Mittler und Brückenkopf nach Zentraleuropa , als Staat , der zwar mit spürbarer Herablassung als Juniorpartner behandelt wurde , aber zugleich von erheblicher Bedeutung war : Österreich stand aus römischer Sicht einer geschlossenen slawischen EinflussSphäre von Prag bis Belgrad als willkommenes Hindernis im Weg und diente zugleich als Bollwerk gegen deutsche Revisionsbestrebungen. Zudem dämmte es den deutschen Einfluss nach Süden hin ein und sicherte die Brennergrenze.25
Ungeachtet dieser Konstante waren die bilateralen Beziehungen zu Österreich in den 1920er-Jahren starken Schwankungen unterworfen. Hatte Mussolini Bundeskanzler Ignaz Seipel 1923 noch als jenen Mann gerühmt , „der Österreich gerettet habe“, so erreichte das österreichisch-italienische Verhältnis im Februar 1928 seinen absoluten Tiefpunkt , was seine Ursachen in der schwelenden Südtirolfrage hatte.26 Erst Bundeskanzler Johannes Schober sollte es wieder gelingen , durch vertrauensbildende Maßnahmen eine verbindlichere Gesprächsbasis zu Mussolini aufzubauen. Dabei kam ihm die zweite Konstante in der Politik des Duce entgegen , nämlich dessen bedingungslose Ablehnung der österreichischen Sozialdemokratie. Mussolinis Aversion hatte sich insbesondere seit dem Brand des Justizpalastes am 15. Juli 1927 auf das sozialdemokratisch dominierte „Rote Wien“ fokussiert.27 Ab 1928 setzte die massive finanzielle Unterstützung der Heimwehr ein ,28 genauso wie Mussolini danach trachtete , in Österreich eine Rechtsregierung mit größtmöglicher ideologischer Nähe zum Faschismus zu etablieren. Dabei unterstützte Mussolini anfangs die ihm von Heimwehrseite wiederholt präsentierten Putschpläne ( „ Marsch auf Wien“ ), wobei er eng mit der ungarischen Regierung Bethlen kooperierte.29 Doch musste man italienischerseits bald erkennen , dass sich die Heimwehr allein als zu schwach für einen gewaltsamen Umsturz erwies. 25 Heiss ( 2012 ), 109. 26 Jedlicka , Ludwig ( 1975 ) : Die Außenpolitik der Ersten Republik. In : Jedlicka , Ludwig / Neck , Rudolf ( Hg. ) : Vom Justizpalast zum Heldenplatz. Studien und Dokumentationen 1927 bis 1938 , Wien , 103–113 : 105. Vgl. auch : Weiss , Klaus ( 1989 ) : Das Südtirol-Problem in der Ersten Republik. Dargestellt an Österreichs Innen- und Außenpolitik im Jahre 1928 , Wien / München. 27 Gründe für die besondere Aversion Mussolinis gegenüber der österreichischen Linken lagen u. a. in der Tatsache , dass die bis 1933 anschlussfreundliche Sozialdemokratie sich jeder Annäherung an das faschistische Italien widersetzte sowie italienische Emigranten unterstützte , deren Aktivitäten in Rom genau verfolgt wurden. Dazu kam , so die Einschätzung Morreales , die Vertrautheit Mussolinis mit führenden sozialdemokratischen Politikern , die er vor 1914 , zumindest teilweise , infolge seiner eigenen sozialistischen Vergangenheit persönlich kennengelernt hatte , was nunmehr seine Ablehnung verstärkte. Morreale , AdIZG , Do 4 / M m–15 , I /2–3. 28 Morreale , AdIZG , Do 4 / M m 15 , II / 16. Folgt man der Darstellung Petersens , so erhielt schon zwischen 1928 und 1930 die österreichische Heimwehrbewegung seitens des faschistischen Italien mehr als sechs Millionen Lire. Petersen , Jens ( 1974 ) : Gesellschaftssystem , Ideologie und Interesse in der Außenpolitik des faschistischen Italien. In : Quellen und Forschungen aus italienischen Archiven und Bibliotheken Jg. 54 ( 1974 ), 428–470 : 442. 29 Rath ( 1988 ), 435–440.
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Johannes Schober ließ von Anfang seiner Bundeskanzlerschaft an keinen Zweifel da rüber , eine italienisch-ungarisch orientierte Politik zu betreiben. Seine ursprünglichen Verfassungspläne im Herbst 1929 sicherten ihm nicht nur die Gefolgschaft der Heimwehr , sondern stießen auch bei Mussolini auf Wohlgefallen. Ungeachtet der Ergebnisse der Verfassungsreform , die weit hinter den hochgeschraubten antidemokratischen Erwartungen der Heimwehren zurückblieb , gelang es Schober bei seinen Begegnungen mit Mussolini im Zuge der Zweiten Haager Konferenz und vor allem bei seinem Besuch in Rom im Februar 1930 , im Zuge dessen die Freundschafts- und Schiedsgerichtsverträge mit Rom unterzeichnet wurden , sich weiterhin dessen Unterstützung zu versichern. Dies , obwohl sich die anfänglichen Erwartungen , die Mussolini in Schober gesetzt hatte , mit dem mit der Sozialdemokratie erzielten Kompromiss bei der Verfassungsreform nicht erfüllt hatten. Durch die sogenannte Abrüstungsfrage zwischenzeitlich der Heimwehr weitgehend entfremdet , scheute sich der österreichische Bundeskanzler nicht , diese bei Mussolini – offenbar mit zeitweiligem Erfolg – zu diskreditieren. So erklärte Mussolini im Mai 1930 gegenüber der Grande Dame der Christlichsozialen Partei , der Fürstin Franziska Starhemberg , dass ihm die Haltung der Heimwehren unverständlich sei und er hoffe , dass sich diese wieder hinter Schober stellen würden.30 Hier wird ein weiteres Element der Österreichpolitik Mussolinis deutlich : Als Mittel zum Zweck der Radikalisierung der österreichischen Politik im antidemokratischen und antimarxistischen Sinn waren ihm die Heimwehren recht. Die Kapazität , den Umschwung in Österreich im Alleingang herbeizuführen , traute er ihnen aber seit 1930 kaum mehr zu. Dabei setzte er lieber auf eine ihm geeignet erscheinende Führungspersönlichkeit an den staatlichen Schaltstellen der Macht , die die Dinge im evolutionären Sinn vorantrieb. So erforderlich , konnten dabei die Heimwehren zur Erhöhung des Tempos jederzeit aktiviert werden. Die Grundlinien der Politik Mussolinis gegenüber Österreich zu Beginn der 1930erJahre lassen sich in etwa wie folgt zusammenfassen : • Erhaltung der österreichischen Selbstständigkeit im Sinne des Schutzes der italienischen nationalen Interessen. • Absoluter Antimarxismus und unversöhnliche Gegnerschaft zur Sozialdemokratie ; insbesondere Auflösung des Schutzbundes und Zerschlagung der sozialdemokratischen Machtpositionen im Roten Wien. Immer mehr setzte sich dabei in der italienischen Politik gegenüber Österreich die Meinung fest , es sei von zentraler Bedeutung , den Sozialisten gerade in der Bundeshauptstadt ihre Basis zu entziehen.31 • Bildung einer dauerhaften Rechtsregierung unter maßgeblicher Berücksichtigung der Heimwehr. • Etablierung eines Regierungssystems mit stark autoritärem Einschlag. 30 Telegramm 449 , Gesandter Egger an Generalsekretär Peter , 30. 5. 1930 , Zl. 27.646–113 / 1930 , Öster reichisches Staatsarchiv ( k ünftig ÖSTA ) / A rchiv der Republik ( k ünftig AdR ), Neues Politisches Archiv , ( Künftig NPA ), Liasse Italien I / I II , 1930–1032. Zur Person Franziska Starhembergs : Deutsch , Heidrun ( 1967 ) : Fürstin Franziska Starhemberg , phil. Diss. , Wien. 31 Collotti ( 1984 ), 155 ; Rath ( 1988 ), 437–439.
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• Auf dieser Basis Vorantreiben der gegen die Kleine Entente gerichteten italienischen Politik im Donauraum in Kombination mit Ungarn und Österreich , entsprechend dem durchgehend angewandten Revisionsprinzip der italienischen Außenpolitik. Der Rücktritt Schobers im Herbst 1930 , die nicht realisierten Putschpläne der Heimwehr während der kurzen Regierung Vaugoin und die deutsch-österreichischen Zollunionspläne unter Bundeskanzler Otto Ender führten zu einer zeitweiligen neuerlichen Trübung der zwischenstaatlichen Beziehungen und damit zu einer Unterbrechung der italienischen Pläne in Bezug auf Österreich. Auch die große persönliche Wertschätzung Mussolinis für Schober wich im Laufe der Zeit einer kritischeren Beurteilung.32 Zugleich richtete Mussolini wieder ein vermehrtes Augenmerk auf die Heimwehr. Auf Vermittlung von dessen Mutter bei ihrem Besuch bei Mussolini 1930 war es im Juli desselben Jahres zu einer ersten Begegnung mit dem jungen und innerhalb der Heimwehr aufstrebenden Ernst Rüdiger Starhemberg gekommen.33 Es gelang ihm , sich Mussolinis Unterstützung zu versichern. Der Duce wurde zum Hauptfinancier der politischen Aktivitäten Starhembergs , die ihm den Weg an die Spitze der Heimwehr ebneten. Als Gegenleistung wurde Starhemberg , der noch in den 1920er-Jahren deutschnational orientiert war und direkte Verbindungen zu den Nationalsozialisten besaß , mehr und mehr zum Verfechter der im Vorangegangenen näher skizzierten politischen Pläne Mussolinis im Hinblick auf Österreich innerhalb der politisch heterogenen Heimwehrführung.34
32 Collotti ( 1984 ), 158. Die Enttäuschung Mussolinis über das Agieren Schobers spiegelt sich auch in den Aufzeichnungen Richard Schüllers wider. Nautz , Jürgen ( Hg. ) ( 1990 ) : Unterhändler des Vertrauens. Aus den nachgelassenen Schriften von Sektionschef Dr. Richard Schüller , Wien / München , 158. 33 Ausführlich berichtet Ernst Rüdiger Starhemberg in den unterschiedlichen Sprachversionen seiner Memoiren über diese Begegnung , genauso wie über seine späteren Gespräche mit Mussolini. Den Erinnerungen Starhembergs ist allerdings aus folgendem Grund nur ein eingeschränkter Quellenwert beizumessen : Erstmals erschienen seine Lebenserinnerungen 1942 in englischer Sprache ( Between Hitler and Mussolini. Memoirs of Ernst Rudiger Starhemberg , New York / L ondon ). Diese Fassung entstand während seines Einsatzes aufseiten der Alliierten bei der „Freien Französischen Luftwaffe“. Die Arbeit wurde durch seine Abkommandierung nach Afrika allerdings jäh unterbrochen und das Buch durch seinen Verleger ohne abschließende Zustimmung Starhembergs zum Text auf den englischsprachigen Markt gebracht. Schon im Winter 1938 / 39 hatte er ein Manuskript seiner Privatsekretärin diktiert gehabt , das sich allerdings durchaus vom Text des 1942 erschienen Buches unterschied ( es befindet sich heute im Archiv des Instituts für Zeitgeschichte der Universität Wien ). Die deutsche Fassung seiner Memoiren erschien 15 Jahre nach seinem Tod , 1971 und stellt eine nachträglich überarbeitete Kombination beider von Starhemberg diktierter Manuskripte dar. Starhemberg , Ernst Rüdiger ( 1971 ) : Memoiren , Wien / München , 76–80. Zur Biografie Starhembergs siehe : Berger , Barbara ( 1967 ) : Ernst Rüdiger Fürst Starhemberg. Versuch einer Biographie , phil. Diss. , Wien. Eine später erschienene biografische Darstellung enthält gerade im Hinblick auf die Beziehungen Starhembergs zu Italien bedauerlicherweise keine neuen Erkenntnisse. Walterskirchen , Gudula ( 2002 ) : Starhemberg oder Die Spuren der „30er Jahre“, Wien. 34 Morreale , AdIZG , Do 4 / M m –15 , II , 20–23.
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III. Die italienische Österreich-Politik während der Kanzlerschaft Dollfuß’ 3.1 Mai 1932 bis Oktober 1932 : Abwartende Distanz zwischen Rom und Wien Noch bei Antritt der Regierung Dollfuß im Frühjahr 1932 war das Wiederaufleben der italienisch-österreichischen Sonderbeziehungen keine ausgemachte Sache. Dollfuß blieb in den ersten Monaten seiner Amtszeit zu Italien auf Distanz. Bis zu den parlamentarischen Beratungen über die Völkerbundanleihe von Lausanne im August 1932 stand die Bildung einer großen Koalition zwischen Christlichsozialen und Sozialdemokratie im Raum. Dollfuß stand innerhalb der Christlichsozialen Partei für den Flügel der niederösterreichischen Agrarier , der weit eher als die Gruppe um den späten Seipel einem Kompromiss mit den Sozialdemokraten zugeneigt schien , was zu Misstrauen sowohl der Heimwehr als auch Italiens Anlass gab. So fuhr noch Anfang Juni 1932 Ernst Rüdiger Starhemberg zu Mussolini nach Rom. Ihm gegenüber setzte er seinen Plan auseinander , für den Fall , dass Dollfuß doch noch eine Koalition mit den Sozialdemokraten bilden sollte , mit einem Heimwehrputsch Unterrichtsminister Anton Rintelen zum Bundeskanzler zu machen.35 Doch verfolgte Dollfuß ungeachtet solcher Spekulationen ab seinem Amtsantritt konsequent einen Kurs , der entsprechend den Vorstellungen des rechten Flügels der Christlichsozialen und der Heimwehrführung vom strikten Willen zur Durchsetzung der Staatsautorität gekennzeichnet war. Das für die Regierung so mühevolle Ringen um die parlamentarische Beschlussfassung der Anleihe von Lausanne führte die endgültige Zäsur herbei : Während die Sozialdemokraten in der Hoffnung , das Kabinett zu stürzen , im Nationalrat gegen den Lausanner Vertrag votierten , brachte Dollfuß den Vertrag , wenn auch nur ganz knapp , mithilfe der Heimwehr über die Bühne. Das Verhältnis Dollfuß’ zur Sozialdemokratie verschlechterte sich daraufhin rapide , daneben setzte er erste Schritte , mit denen er sich vom demokratischen Parlamentarismus abzuwenden begann. 3.2 Oktober 1932 bis April 1933 : Wechselseitige Annäherung mit ungarischer Vermittlung Die zweite Phase in den Beziehungen setzt in etwa mit der erstmaligen Erlassung einer Verordnung aufgrund des kriegswirtschaftlichen Ermächtigungsgesetztes36 durch die Regierung Dollfuß im Oktober 1932 ein. Fast zeitgleich begannen die seit Schober abgekühlten Beziehungen zu Italien wieder aufzuleben. Der von Dollfuß gesetzte Schritt war im Hinblick auf die Schwächung des Parlaments wie auch der sozialdemokratischen Opposition von der italienischen Diplomatie aufmerksam registriert worden. Am 11. Oktober 1932 ließ Mussolini Dollfuß durch den österreichischen Gesandten in Rom , Lothar Eg35 Schmölzer ( 1996 ), 51 ; Schausberger , Franz ( 1993 ) : Letzte Chance für die Demokratie. Die Bildung der Regierung Dollfuß I im Mai 1932. Bruch der österreichischen Proporzdemokratie , Wien / Köln / Weimar , 109–111 , 126–127 ; Kerekes ( 1966 ), 106–107. Zum Verhältnis Dollfuß’ zur Sozialdemokratie siehe auch : Jagschitz , Gerhard ( 1975 ) : Bundeskanzler Engelbert Dollfuß und der Juli 1934. In : Jedlicka / Neck ( 1975 ), 233–239 : 238 ; Jagschitz , Gerhard ( 1983 ) : Engelbert Dollfuß. In : Weissensteiner , Friedrich / Weinzierl , Erika ( Hg. ) : Die österreichischen Bundeskanzler. Leben und Werk , Wien , 190–216 : 211–213. 36 Wohnout , Helmut ( 1993 ) : Regierungsdiktatur oder Ständeparlament ? Gesetzgebung im autoritären Österreich , Wien / Köln / Graz , 55–56. Huemer , Peter ( 1975 ) : Sektionschef Robert Hecht und die Zerstörung der Demokratie in Österreich. Eine historisch-politische Studie , Wien , 138–156.
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ger-Möllwald , seiner besonderen persönlichen Wertschätzung versichern und stellte seine weitere Unterstützung für die Regierung in Aussicht.37 Nur fünf Tage später trat Emil Fey in die Regierung ein. Seine Ernennung zum Staatssekretär für Sicherheitswesen war eine unmittelbare Reaktion auf den immer mehr eskalierenden NS-Terror in Österreich. Sie erfolgte vonseiten Dollfuß’ gegen beträchtlichen Widerstand innerhalb seiner eigenen Partei im Einvernehmen mit Feys späterem heimwehrinternen Gegenspieler Starhemberg.38 Dabei handelte es sich um eine vertrauensbildende Maßnahme des Bundeskanzlers nicht nur gegenüber der Heimwehr , sondern auch gegenüber Mussolini , galt doch Fey als militanter Gegner der Sozialdemokratie. Dollfuß blieb allerdings in dieser Phase gegenüber Italien noch vorsichtig. Sichtlich bemüht , sich außenpolitisch mehrere Optionen offenzuhalten , vermied er zu diesem Zeitpunkt noch den persönlichen Kontakt39 und ließ seine Kommunikationsstränge über den italienischen Gesandten , vor allem aber über den seit Ende September 1932 im Amt befindlichen , politisch weit rechts stehenden , ungarischen Ministerpräsidenten Gyula Gömbös laufen : Am 6. und 7. November kam es zu einem ersten persönlichen Zusammentreffen der beiden Regierungschefs im Rahmen einer informellen Jagdeinladung im westungarischen Ort Királyszállás.40 Über seinen Mittelsmann Gömbös , der unmittelbar im Anschluss an das Treffen nach Rom weiterfuhr , gab Dollfuß Mussolini seine Entschlossenheit zu verstehen , die Position seiner Regierung mithilfe der Heimwehr um jeden Preis zu verteidigen und dem Anschluss unter allen Umständen Widerstand zu leisten.41 Dabei war Dollfuß an sich an einem freundschaftlichen Verhältnis zum Deutschen Reich gelegen. Der ungarische Ministerpräsident konnte Mussolini berichten , dass Dollfuß guten Willens sei , sich aus dem Sumpf des Parlamentarismus zu befreien , wie er es formulierte. Gömbös und Mussolini verständigten sich auf eine Unterstützung der Allianz zwischen Dollfuß und der Heimwehr , worüber der ungarische Ministerpräsident Dollfuß noch im November 1932 persönlich unterrichtete.42 37 Schmölzer ( 1996 ), 54–56 ; Telegramm 82 , Geandter Egger an Generalsekretär Peter , 12. 10. 1932 , OSTA / AdR , NPA , Liasse Italien I / I II Geheim. 38 Schon in der 1942 publizierten Fassung seiner Memoiren bekannte sich Starhemberg dazu , Fey nicht nur vorgeschlagen , sondern auf seine Ernennung gegenüber Dollfuß nachdrücklich gedrängt zu haben ( „[ … ] I actually pressed Dollfuß to appoint Fey to the post“ ), nicht ohne hinzuzufügen , damit den schwersten Fehler in seiner gesamten politischen Karriere begangen zu haben. Starhemberg ( 1942 ) : 88–89. Zum Widerstand innerhalb der Christlichsozialen Partei gegen Fey : Goldinger , Walter ( Hg. ) ( 1980 ) : Protokolle des Klubvorstandes der Christlichsozialen Partei 1932–1934 , Wien , 19–27. 39 Renzo De Felice schreibt in seiner Mussolini-Biografie , dass Dollfuß vor dem 30. Jänner 1933 alle Bemühungen Roms um ein Treffen mit Mussolini aus Rücksichtnahme auf die Beziehungen zu Paris abgewehrt hätte. De Felice ( 1974 ), 468–469. 40 Besprechung Bundeskanzler Dollfuß mit ungarischem Ministerpräsidenten Gömbös am 6. und 7. November 1932 in Királyszállás , Internes Informationspapier , AdR , NPA Ungarn Geheim I / I II , Zl. 24883 , o. D. , ADÖ ( 2009 ) : Bd. 8 , Wien. Nr. 1246 ; Besprechung Bundeskanzler Dollfuß mit ungarischem Ministerpräsidenten Gömbös am 6. und 7. November 1932 in Királyszállás , Amtserinnerung ( streng geheim ), AdR , NPA Ungarn Geheim I / I II , Zl. 26615 / 13 , 7. 11. 1932 , ADÖ ( 2009 ) : Bd. 8 , Wien. Nr. 1247. In der älteren Literatur , u. a. bei Kerekes ( 1966 ) oder bei Jedlicka ( 1975 ), wird als Ort des Treffens vom 7. 11. 1932 unzutreffender Weise Wien angegeben. 41 Morreale , AdIZG , Do 4 / M m –15 , III / 5. 42 „Italien und Ungarn begrüßen mit Freude die auf ein Zusammenarbeiten der christlichsozialen Partei und der Heimwehren gerichtete Entwicklung der Politik des Herrn Bundeskanzlers und
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Der italienische Unterstaatssekretär Fulvio Suvich resümierte die italienisch-ungarischen Überlegungen im November 1932 folgendermaßen : Riassumendo i punti trattati , si è messo l’accento su una intensficazione dei rapporti fra Italia e Ungheria con un effettivo appoggio italiano , sulla commune visione della necessità di un rafforzamento di un regime autoritario in Austria sul binomio Dollfuß-Heimwehren , su una politica di più stretti rapporti nel campo economico fra Italia , Ungheria e Austria.43
Noch im Laufe des Jahres 1932 kam es zu Konsultationen , die die Annäherung der drei Staaten auf der handelspolitischen Ebene vorantrieben. Als dann im Zuge der internationalen Turbulenzen rund um das Auffliegen der Hirtenberger Waffenaffäre Italien Österreich demonstrativ den Rücken stärkte und damit Dollfuß außen- wie innenpolitisch eine Demütigung ersparte , trug das zur weiteren Verbesserung im Klima zwischen Rom und Wien bei. Die inhaltliche und zeitliche Nähe zu den parlamentarischen Ereignissen vom 5. März 1933 , die der Regierung den Anlass boten , „[ … ] ohne parlamentarische Kontrolle zu regieren und im Wege des Staatsstreichs auf Raten den Faschisierungsvorstellungen Mussolinis näherzukommen [ … ] erscheint stringent , sollte aber nicht überbewertet werden“.44 3.3 April 1933 bis Juli 1933 : Beginn der engen österreichisch-italienischen Kooperation als Folge der Kanzlerschaft Adolf Hitlers in Deutschland Mit dem Regierungseintritt der Nationalsozialisten Ende Jänner 1933 begann sich der Handlungsspielraum von Bundeskanzler Dollfuß gegenüber Mussolini schrittweise einzuengen. Hitler lehnte es bekanntlich von Anfang an kategorisch ab , mit Dollfuß Verhandlungen auf gleicher Augenhöhe zu führen , und begann , seine „maßlose Politik“45 Österreich gegenüber zu formulieren : Rücktritt des Bundeskanzlers und Einrichtung eines Übergangskabinetts , Neuwahlen sowie die Beteiligung der Nationalsozialisten an
werden diese Entwicklung gerne fördern , einerseits im Wege des italienischen Gesandten in Wien , anderseits mit Einbeziehung des ungarischen Ministerpräsidenten.“ Besprechung Bundeskanzler Dollfuß mit ungarischem Gesandten Ambrozy am 16. November 1932 in Wien , AdR , NPA , Ungarn Geheim I / I II , o. Z. , 16. 11. 1932 , ADÖ ( 2009 ) : Bd. 8 , Wien. Nr. 1250 ; Kerekes ( 1966 ), 117–120. 43 „Zusammenfassend wurde der Akzent auf eine Intensivierung der Beziehungen zwischen Italien und Ungarn gelegt , gemeinsam kam man überein , unter Zuhilfenahme wirksamer italienischer Einflussnahme , ein autoritäres Regime in Österreich , fußend auf den beiden Säulen Dollfuß-Heimwehren und der Stärkung der wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Italien , Ungarn und Österreich zu forcieren.“ Suvich ( 1984 ), 101. 44 Binder , Dieter Anton ( 2007 ) : Der Skandal zur „rechten“ Zeit. Die Hirtenberger Waffenaffäre an der Nahtstelle zwischen Innen- und Außenpolitik. In : Gehler , Michael / Sickinger , Hubert ( Hg. ) : Politische Affären und Skandale in Österreich. Von Mayerling bis Waldheim , Innsbruck / Wien / Bozen , 3. Aufl. , 278–292 : 291. Anders die Beurteilung von Siegfried Beer , für den bereits die Hirtenberg-Affäre „als sichtbare Konsequenz den pro-italienischen und damit pro-faschistischen Kurs der Regierung Dollfuß nach innen und nach außen“ einleitete. Beer , Siegfried ( 1984 ) : Der „unmoralische“ Anschluß. Britische Österreichpolitik zwischen Containment und Appeasement 1931–1934 , Wien / Köln / Graz , 175. 45 Binder ( 1980 ), 282.
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der Regierung.46 Anfang März 1933 folgte dann das unrühmliche Ende des demokratischen Parlamentarismus in Österreich ; fast zeitgleich zu den Wahlen im Deutschen Reich vom 5. März , die den Abschluss der Phase der NS-Machtergreifung in Deutschland bedeuteten und in Wien von Großkundgebungen der österreichischen Nationalsozialisten sowie der neuerlichen , ultimativen Forderung nach Rücktritt der Regierung und sofortigen Neuwahlen in Österreich begleitet wurden.47 Dass diese letzte Etappe der nationalsozialistischen Machtergreifung in Deutschland einen mitentscheidenden Faktor für das Einschlagen des autoritären Kurses in Österreich bildete , entsprach auch der Einschätzung des italienischen Gesandten in Wien , Gabriel Preziosi. Den Schritt Dollfuß’ , vorderhand ohne Parlament weiterzuregieren , wertete der Diplomat als direkte Konsequenz der deutschen Wahlen und der darauffolgenden Massendemonstrationen in Österreich.48 Mussolini sah nun den Zeitpunkt für die Realisierung seiner spätestens seit 1927 gehegten Pläne in Bezug auf die österreichische Politik als gekommen an. Für seine politischen Absichten im Hinblick auf Österreich schien unter den gegebenen Umständen die Achse Dollfuß –Heimwehr eine substanzielle Basis zu bieten und er wies seinen Gesandten Preziosi an , sowohl bei Dollfuß als auch bei Starhemberg in Richtung einer Festigung ihrer Kooperation zu wirken.49 Um die politisch unberechenbare Heimwehr auf Kurs zu halten , setzte Mussolini auf eine Art Paralleldiplomatie auf Parteiebene. Als sein persönlicher Vertrauensmann in Österreich fungierte Eugenio Morreale. Dieser war seit 1927 in Wien , arbeitete journalistisch als Korrespondent italienischer Blätter , war zugleich Presseattaché an der italienischen Gesandtschaft und amtierte als direkter Verbindungsmann Mussolinis zur Heimwehr , insbesondere zu Starhemberg , aber auch zu Fey. Morreale empfing seine politischen Aufträge direkt aus Rom , wo er auch um finanzielle Mittel zur Erreichung seiner politischen Ziele ansuchen konnte und einzuberichten hatte.50 Innerhalb der italienischen Gesandtschaft in Wien war Morreale der vehementeste Verteidiger der italienischen Unterstützung für die Unabhängigkeit Österreichs. Dementsprechend war er auch für die deutsche Diplomatie ein explizites 46 Binder , Dieter Anton ( 1976 ) : Dollfuß und Hitler. Über die Außenpolitik des autoritären Ständestaates in den Jahren 1933 / 34. Graz , 114–115 ; Binder , Dieter Anton ( 1983 ) : Der grundlegende Wandel in der österreichischen Außenpolitik 1933. In Geschichte und Gegenwart. Vierteljahresschrift für Zeitgeschichte , Gesellschaftsanalyse und politische Bildung Jg. 2 ( 1983 ) Heft 3 , 226–242 : 231. 47 Stourzh , Gerald ( 1990 ) : Die Außenpolitik der österreichischen Bundesregierung gegenüber der nationalsozialistischen Bedrohung. In : Stourzh / Z aar ( 1990 ), 319–346 : 321. 48 Soppressione di fatto da parte di Dollfuss del Parlamento austriaco , R. 1028 / 561 , Preziosi a Mussolini , 9. 3. 1933 , DDI , VII , 13 , Nr. 189. 49 Rapporti fra Dollfuss e le Heimwehren , T. s. 582 / 72 R. , Mussolini a Preziosi , 4. 4. 1933 , DDI , VII , 13 , Nr. 364. 50 Opportunità di una collaborazione sincera e completa fra Dollfuss e le Heimwehren , L. p. , Jacomoni a Morreale , 4. 4. 1933 , DDI , VII , 13 , Nr. 369. Die Rolle Eugenio Morreales wird auch von Starhemberg in den unterschiedlichen Fassungen seiner Erinnerungen bekräftigt. Eine vergleichbare Funktion , wie sie Morreale in Österreich gegenüber der Heimwehr hatte , übte in Berlin bis zum Sommer 1933 Giuseppe Renzetti aus , der abseits der diplomatischen Vertretung Italiens als persönlicher Vertrauter und Informant Mussolinis zu den deutschen NS-Größen fungierte. Falanga ( 2008 ), 29–36.
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Feindbild. Aus deren Perspektive stellte er eine Belastung für die deutsch-italienischen Beziehungen dar. Er wurde daher nach Abschluss des Juli-Abkommens 1936 von Mussolini aus Wien abgezogen und als Konsul nach Baltimore versetzt.51 Anfang April 1933 erhielt Morreale aus Rom den Auftrag , die Heimwehr im italienischen Sinn auf Linie zu bringen , nachdem sich Dollfuß bei Preziosi über ihre mangelnde Loyalität der Regierung gegenüber beklagt hatte.52 Italienischerseits vertrat man den Standpunkt , dass die Kampagne für die Unabhängigkeit des Landes von der Regierung getragen werden müsste. Die Heimwehr wäre zu schwach , um sich offen der nationalsozialistischen Bewegung entgegenzustellen , befänden sich doch zu viele Anschlussbefürworter in ihren Reihen , so der nüchterne Befund aus dem römischen Außenministerium.53 Mussolini verlangte als Gegenleistung für seine Unterstützung von der Heimwehr , sich uneingeschränkt hinter den Kanzler zu stellen und die Stärkung des österreichischen Staatsgedankens zur politischen Richtschnur zu machen. Zugleich forderte er von Dollfuß ein , der Heimwehr ( u nd damit auch ihm ) politisch entgegenzukommen. Mit den von Dollfuß bis Anfang April 1933 getroffenen Maßnahmen , zu ihnen zählte bereits die am 31. März erfolgte Auflösung des Republikanischen Schutzbundes , zeigte sich Mussolini zufrieden. Es wäre richtig , nicht mehr über Wahlen zu sprechen , wie sie von den Nationalsozialisten dies- und jenseits der Grenze so vehement gefordert wurden , nur – und hier ist Mussolini wieder bei seinem ewigen Thema Österreich betreffend – müsste Dollfuß den Zeitpunkt beschleunigen , um Land und Stadt Wien vom Austromarxismus zu befreien. Im Übrigen äußerte er von sich aus seine Bereitschaft , mit Dollfuß persönlich zusammenzutreffen , sobald die gegenwärtige Krise überwunden wäre.54 Doch angesichts der sich innen- wie außenpolitisch immer dramatischer zuspitzenden Lage entschied sich Dollfuß dafür , nun von sich aus das Gespräch mit Mussolini zu suchen. Am 9. April telegrafierte er nach Rom , sich ehes tens mit dem italienischen Regierungschef aussprechen zu wollen. Im Bewusstsein , dass sein Besuch von der österreichischen Öffentlichkeit heikel aufgenommen werden würde , bildete die Teilnahme an den vatikanischen Osterzeremonien im Heiligen Jahr einen willkommenen äußeren Anlass. Den bilateralen Teil mit Italien wollte der Kanzler „mit möglichst wenig Aufsehen“ durchführen.55 Der eigentliche Auslöser für die kurzfristig anberaumte Reise war allerdings ein in Wien aufgetauchtes Gerücht , wonach einzelne Teile der Heimwehr gemeinsam mit den Nationalsozialisten und mit italienischer Unterstützung einen Putsch beabsichtigten. Umso mehr als sich zur selben Zeit Hermann Göring und Franz von Papen in Rom aufhielten , sah der österreichi51 Morreale , AdIZG , Do 4 / M m–15 , III /25–26. Ebneth , Rudolf ( 1976 ) : Die österreichische Wochenschrift „Der christliche Ständestaat“. Deutsche Emigration in Österreich 1933–1938 , Mainz , 15–16 , 247–275. 52 Rapporti fra Dollfuss e le Heimwehren , T. s. 1223 / 1 16. R. , Preziosi a Mussolini , 29. 3. 1933 , DDI , VII , 13 , Nr. 319. 53 Opportunità di una collaborazione sincera e completa fra Dollfuss e le Heimwehren , L. p. , Jacomoni a Morreale , 4. 4. 1933 , DDI , VII , 13 , Nr. 369. 54 Situazione interna austriaca. Eventualità di un incontro Mussolini-Dollfuss. T. 583 / 73 R. , Mussolini a Preziosi , 4. 4. 1933 , DDI , VII , 13 , Nr. 365. 55 Telegramm Dollfuss an Egger , 9. 4. 1933 , Zl. 21.837–13 / 1933 , ÖSTA / AdR , NPA , Liasse Italien I / I II Geheim.
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sche Kanzler Gefahr im Verzug und wollte sich persönlich Klarheit über die Einstellung Mussolinis Österreich gegenüber verschaffen.56 Am 15. April 1933 kam es zu dem von Dollfuß angestrebten Treffen mit Mussolini und Unterstaatssekretär Fulvio Suvich ( das Amt des Außenministers bekleidete zwischen 1932 und 1936 Mussolini selbst ). Der Besuch verlief für den Bundeskanzler erfreulich. Nicht nur dass sich alle Befürchtungen und Gerüchte im Hinblick auf einen möglichen Schwenk Italiens in der Frage des Verhältnisses zu Deutschland als unbegründet herausstellten , wurde er von Mussolini mit ausgesuchter Freundlichkeit empfangen. Darüber hinaus verstand es Engelbert Dollfuß , auch die persönliche Sympathie des italienischen Regierungschefs zu gewinnen. „Il Dollfuß – malgrado la sua minuscola statura – è un uomo d’ingegno dotato anche di volontà e nell’insieme produce una buona impressione“, resümierte Mussolini seinen Eindruck nach dem Zusammentreffen.57 Er glaubte , in Dollfuß jenen Mann zu erkennen , bei dem er dort anknüpfen konnte , wo er in seinen Bestrebungen mit Schober stecken geblieben war. Der Duce versicherte , dass eine autoritäre Regierung in Österreich , solange sie die Unabhängigkeit des Landes zum Ziel habe , auf seine Hilfe zählen könne , und riet zu einem energischen und konsequenten Vorgehen in der Verfassungsfrage. „Bleiben Sie stark , das österreichische Volk kann auf die Freundschaft und Hilfe Italiens immer rechnen“, versicherte er dem österreichischen Regierungschef zum Abschied.58 Dollfuß konnte Rom erleichtert verlassen. Demgegenüber war das Klima bei den Verhandlungen zwischen der deutschen Delegation und der italienischen Führung durch die gleichzeitige Anwesenheit des österreichischen Kanzlers mit einem Schlag belastet. Mussolini sprach sich Göring gegenüber erneut vehement gegen Neuwahlen in Österreich und eine Einbeziehung der Nationalsozialisten in die Regierung aus. Nach seiner ergebnislosen Rückkehr in Berlin resümierte Göring : „Die unerwartete Ankunft dieses verfluchten Dollfuß in Rom hat die Dinge noch verkompliziert.“59 Dem Treffen zu Ostern folgte ein weiterer Besuch des österreichischen Bundeskanzlers zu Pfingsten in Rom. Den äußeren Rahmen bildete diesmal die Unterzeichnung des Konkordats mit dem Heiligen Stuhl. Das neuerliche persönliche Zusammentreffen zwischen Mussolini und Dollfuß brachte eine Bestätigung des bei der
56 Zu seinen Motiven , sich um den Termin bei Mussolini zu bemühen , äußerte sich Dollfuß einen Tag vor seiner Abreise , am 10. 4. 1933 , im Ministerrat und nach seiner Rückkehr , am 20. 4. 1933 , im Klubvorstand der Christlichsozialen Partei sowie einen Tag später gegenüber dem französischen Gesandten in Wien , Gabriel Puaux. Neck , Rudolf / Wandruszka , Adam ( 1983 ) : Protokolle des Ministerrates der Ersten Republik , Abt. VIII , Bd. 3 , Wien. Nr. 866 / 4 ( 10. 4. 1933 ) ; Goldinger ( 1980 ), 227–228. M. Puaux , Ministre de France à M. Paul-Boncour , Ministre des Affaires Étrangères , T. Zl. 383 à 388 , 21. 4. 1933 , Documents Diplomatiques Français 1932–1939 ( k ünftig DDF ), 1ère Série , Tome III , Paris 1967 , Nr. 158 ; Beer ( 1984 ), 194–195. 57 „Dollfuss ist – trotz seiner kleinen Statur – ein Mann von Begabung und Willenskraft und macht insgesamt einen guten Eindruck.“ Situazione interna austriaca. Anschluss , Appunto , Colloquio Mussolini-Dollfuss , 12. 4. 1933 , DDI , VII , 13 , Nr. 411. 58 Gespräche des H. Bundeskanzlers mit Herrn Mussolini und Herrn Suvich in Rom , 12. und 13. April 1933 , Gesandter Egger an Generalsekretär Peter , 21. 4. 1933 , Zl. 21.967–13 / 33 , ÖSTA / AdR , NPA , Liasse Italien I / I II Geheim. 59 De Felice ( 1974 ), 472 ; vgl. auch : Falanga ( 2008 ), 33.
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ersten Begegnung erzielten Einvernehmens.60 Der Duce ermutigte den österreichischen Kanzler , sowohl gegen die Nationalsozialisten als auch gegen die Sozialdemokraten vorzugehen und bot ihm im Gegenzug Garantien gegen einen durch die Nationalsozialisten beabsichtigten Anschluss an.61 Von Rom nach Wien zurückgekehrt , konnte der österreichische Bundeskanzler gegenüber seinen Parteifreunden berichten , nunmehr „restlos auf die Freundschaft Italiens“ rechnen zu können.62 Immerhin hatte Dollfuß mit der bereits erwähnten Auflösung des Republikanischen Schutzbundes , dem Verbot der Kommunistischen Partei und seinen wiederholten Ankündigungen , den demokratischen Parlamentarismus in seiner bisherigen Form nicht mehr wiedererstehen lassen zu wollen , mehreren langjährigen Forderungen Mussolinis an die österreichische Politik entsprochen. Dennoch wurde Mussolini im Laufe des Frühsommers klar , dass der österreichische Bundeskanzler durch seine hinhaltende Politik nach wie vor bestrebt war , sich nicht ausschließlich der italienischen Option auszuliefern : Dies betraf seine wiederholten Versuche , allen Schwierigkeiten zum Trotz mit dem nationalsozialistischen Deutschland ins Gespräch zu kommen , genauso wie sein mit Rücksicht auf die Westmächte und die Kleine Entente abwartendes Verhalten gegenüber der Sozialdemokratie. Italienischerseits hätte man schon zu diesem Zeitpunkt gerne ein gewaltsames Vorgehen gegen die Sozialisten gesehen.63 Gegenüber dem französischen Gesandten in Wien , Gabriel Puaux , brachte Dollfuß Mitte Mai sein Dilemma auf den Punkt : Faites bien comprendre à Paris qu’il m’est difficile de gouverner si , dans cette petite Autriche divisée , chaque parti se place sous la protection d’un état étranger et le fait intervenir sans cesse dans notre vie publique : l’Allemagne pour les nazis , l’Italie pour les Heimwehren , et la Tchécoslovaquie et la France pour les socialistes.
Nicht minder pointiert fiel die trockene Replik des französischen Diplomaten gegenüber dem Bundeskanzler aus : „J’espère [ … ] que vous tenez le même langage à mon collègue italien.“64 Zusätzlich erschwert wurde die Situation für Dollfuß dadurch , dass sich spätestens im Laufe des Frühjahrs 1933 Differenzen zwischen Italien und Ungarn im Hinblick auf Österreich zu zeigen begannen , schwebte doch Gömbös vor , Deutschland in die60 Inhalt der Unterredung des H. Bundeskanzlers mit Herrn Mussolini in Rom am 3. und 5. Juni 1933 , Amtserinnerung , 13. 6. 1933 , Zl. 22.966–13 / 1933 , ÖSTA / AdR , NPA , Liasse Italien I / I II Geheim ; Colloquio con Dollfus circa la sua recente visita a Roma e l’eventuale scioglimento del partito nazista austriaco , T. 2517 /223 R. , Preziosi a Mussolini , 7. 6. 1933 , DDI , VII , 13 , Nr. 774. 61 De Felice ( 1974 ), 474. 62 So Dollfuß in der Sitzung des Klubvorstandes der Christlichsozialen Partei vom 22. Juni 1933. Goldinger ( 1980 ), 252. 63 Beer ( 1984 ), 200 ( F N 200 ). 64 Dollfuß : „Geben Sie Paris zu verstehen , dass mir das Regieren nicht leicht fällt , wenn sich in diesem geteilten Österreich jede Partei unter die Obhut eines ausländischen Staates stellt und diesen in unser öffentliches Leben ständig intervenieren lässt : Deutschland für die Nazis , Italien für die Heimwehren und die Tschechoslowakei und Frankreich für die Sozialisten.“ Puaux : „Ich hoffe [ … ] dass Sie mit meinem italienischen Kollegen genauso reden.“ M. Puaux , Ministre de France à M. Paul-Boncour , Ministre des Affaires Étrangères , T. Zl. 465 à 468 , 19. 5. 1933 , DDF , 1 , III , Nr. 298.
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se Kombination mit einzubeziehen , wenn es sein musste , auf Kosten Österreichs. Diese Entwicklung , die der österreichischen Diplomatie nicht verborgen blieb , sorgte auch in weiterer Folge wiederholt für Irritationen bei Dollfuß , beispielsweise anlässlich des überraschenden Besuchs von Gombös bei Hitler in Berlin im Juni 1933.65 Dollfuß war sich – in durchaus realistischer Einschätzung seines italienischen Gegenübers – alles andere als sicher , ob der Duce im Falle einer Verständigung mit der Sozialdemokratie noch länger bereit sein würde , seine schützende Hand über die österreichische Regierung zu halten.66 In seinem Ende Juni 1933 verfassten Abschlussbericht teilte , ja verstärkte der scheidende britische Gesandte Eric Phipps die Befürchtungen des österreichischen Bundeskanzlers : [ Dollfuß ] must resist the siren-like Socialist appeals for a ‘black-red’ coalition or collabora tion , even though those appeals may reach him through echoes of the honest Federal President and the holy and guileless Cardinal Archbishop. Any serious flirtation with the hated Marxists would cause Dr. Dollfuß’ speedy downfall , for not only would it split his party , but it would cost him the loss of Italian support.67
3.4 Juli 1933 bis März 1934 : Massive Einflussnahme Mussolinis auf die österreichische Politik Anfang Juli begann Mussolini , seinen Druck auf Dollfuß schrittweise zu erhöhen. In einem Brief vom 1. Juli forderte er Dollfuß auf , „[ … ] di svolgere un programma di effettive sostanziali riforme interne in senso decisamente fascista”.68 Die Regierung sollte , so setzte er fort , bei ihrem Verfassungsvorhaben auf die Sozialdemokratie keine Rücksicht nehmen , da diese angesichts der nationalsozialistischen Bedrohung nolens volens ohnedies genötigt sein werde , dem zuzustimmen , was die Regierung vorlege. In seiner Antwort vom 22. Juli strich Dollfuß sein Bemühen hervor , Vorbereitungen zur Errichtung eines „straffen Autoritätsregimes“ zu treffen , blieb dabei aber vage und unbestimmt. Er 65 Österreichischerseits war man über den Besuch in keiner Weise vorinformiert worden. Außerdem empfand man es als aufreizend , dass Gömbös während seines Aufenthalts auch mit Theo Habicht zusammenkam. Dollfuß spekulierte gegenüber dem italienischen Gesandten wie auch gegenüber dem Vertreter des Finanzkomitees des Völkerbundes in Wien , Rost van Tonningen , offen , man hätte in Berlin über eine Aufteilung Österreichs im Falle einer nationalsozialistischen Machtübernahme gesprochen , wobei das Burgenland Ungarn zufallen würde. Als Reaktion lud er umgehend Gömbös zu einem Österreichbesuch ein , der von 9.–10. Juli 1933 in Wien stattfand. Reazioni in Austria al recente viaggio di Gömbös a Berlino , L. p. , XLV , Morreale a Jacomoni , 21. 6. 1933 , DDI , , VII , 13 , Nr. 876 ; Preoccupazioni di Dollfuss per il contegno dell’Ungheria , T. rr. 2861 /250 R. , Preziosi a Mussolini , 27. 6. 1933 , DDI , VII , 13 , Nr. 891 ; Enclosure , Note by Mr. Sargent , o.Z. , 29. 6. 1933 , Documents on British Foreign Policy 1919–1939 ( k ünftig DBFP ), Second Series , Vol. V , London 1956 , Nr. 233. 66 Enclosure , Note by Mr. Sargent , o.Z. , 29. 6. 1933 , DBFP , 2 , V , Nr. 233. 67 Beer ( 1984 ), 209. 68 „[ … ] ein Programm von effektiven und wesentlichen internen Reformen in entschieden faschis tischem Sinne durchzuführen.“ Situazione interna in Austria. Opportunità di più stretti legami tra Austria e Ungheria , L. p. , Mussolini a Dollfuss , 1. 7. 1933 , DDI , VII , 13 , Nr. 923 ; Schreiben Mussolini an Dollfuß , 1. 7. 1933 , o. Z. , fol. 572–583 , ÖSTA / AdR , NPA , Liasse Italien I / I II Geheim , 1933–1934 ; Maderthaner / Maier ( 2004 ), 23–27.
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erwähnte seine Bemühungen bei der Errichtung der Vaterländlichen Front als überparteilichen Zusammenschluss , basierend auf dem Führerprinzip , und die Ernennung des früheren Bundeskanzlers Otto Ender zum Verfassungsminister.69 Dass gerade letztere Personalentscheidung bei Mussolini auf besondere Sympathie gestoßen ist , darf angesichts der nicht gerade italienfreundlichen Linie Enders als Bundeskanzler zwei Jahre zuvor dahingestellt bleiben. Er galt wie der frühere Bundeskanzler und nunmehrige Finanzminister Karl Buresch sowie der Parteiobmann der Christlichsozialen und langjährige Heeresminister Carl Vaugoin den Italienern als Vertreter des alten , verbrauchten Parteiensystems. Alle drei waren nach italienischer Lesart nicht geeignet , den nach außen erforderlichen Erneuerungswillen zu verkörpern.70 Der italienische Gesandte Preziosi beschrieb Ender als „[ … ] un cristiano-sociale invasato da idee ultra democratiche , ma passato ultimamente a concezioni fasciste“.71 Immer wieder versuchte zeitgleich die deutsche Führung , Italien mit Schalmeientönen von seiner proösterreichischen Haltung abzubringen. So betonte Hermann Göring in einem Gespräch mit dem italienischen Botschafter in Berlin am 17. Juli 1933 , weder er noch Hitler würden einen Anschluss ohne die Zustimmung Italiens wollen , doch wünsche man sich italienischerseits Neutralität in der Österreichfrage und keine Unterstützung für Dollfuß. Göring sprach offen aus , dass der österreichische Bundeskanzler spätestens im Frühjahr 1934 einer nationalsozialistischen Revolution würde weichen müssen , und fügte möglicherweise in Anspielung auf die Südtirolfrage kryptisch hinzu , es werde nach dem Sturz von Dollfuß das eintreten , was die Italiener wollten und die Deutschen noch nicht öffentlich aussprechen könnten.72 Doch hielt die italienische Diplomatie an ihrem Kurs fest. Suvich machte gegenüber den Westmächten deutlich , dass Italien eine gewaltsame Aktion Hitler-Deutschlands gegenüber Österreich mit militärischen Mitteln beantworten würde.73 Und Berlin ließ Mussolini durch seinen Botschafter Vittorio Cerutti unmissverständlich wissen , dass die terroristischen Tätigkeiten der österreichischen Nationalsozialisten in krassem Widerspruch zu allen Versicherungen stünden , wonach Deutschland den Anschluss nicht anstrebe.74 Als Mussolini Ende Juli 1933 in Rom mit Gömbös zu Gesprächen zusammentraf , monierte er im Hinblick auf Österreich , dass Dollfuß schon seit Monaten die Einführung der neuen Verfassung verspreche , ohne dass etwas geschehen sei. Außerdem hätte er auch gegenüber der österreichischen Linken nicht den richtigen Ton angeschlagen , weshalb von der Bezwingung der österreichischen Marxisten nunmehr noch weniger die 69 Schreiben Mussolini an Dollfuß , 1. 7. 1933 , o. Z. , fol. 572–583 , ÖSTA / AdR , NPA , Liasse Italien I / I II Geheim , 1933–1934 ; Riforma della costituzione austriaca in senso corporativo e autoritario. Situazione politica interna. Rapporti dell’Austria con l’Italia e l’Ungheria , L. p. , Dollfuß a Mussolini , 20. 7. 1933 , DDI , VII , 14 , Nr. 9 , es ist nicht nachvollziehbar , weshalb das Schreiben in den DDI mit 20. 7. 1933 datiert ist ; Maderthaner / Maier ( 2004 ), 30–36. 70 Schmölzer ( 1996 ), 122–124. 71 „[ … ] ein Christlichsozialer , durchsetzt von ultrademokratischen Ideen , aber schließlich für faschistische Konzepte offen.“ Nascita di vari movimenti politici in Austria , R. r. 2839 / 1 493 , Preziosi a Mussolini , 10. 7. 1933 , DDI , VII ,13 , Nr. 966. 72 Lungo colloquio con Göring circa il disarmo , la situazione interna tedesca e la questione austriaca , Zl. 3174 / 498 R. , Cerutti a Mussolini , 17. 7. 1933 , DDI , VII , 14 , Nr. 2. 73 Beer ( 1984 ), 213–214. 74 Falanga ( 2008 ), 37.
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Rede sein könne als vor einem Jahr. Man verständigte sich darauf , von Dollfuß ein energischeres Auftreten gegenüber der linken Opposition zu verlangen. Dazu kam , dass die diplomatischen Schritte des österreichischen Kanzlers , Ende Juli neben Italien auch an Großbritannien und Frankreich mit dem Ersuchen heranzutreten , die österreichische Souveränität gegenüber dem Deutschen Reich zu gewährleisten , in Italien als Versuch , sich nicht zu sehr an den südlichen Nachbarn zu binden , negativ registriert wurden.75 Gelegenheit , um mit dem österreichischen Kanzler Klartext zu sprechen , sollte sich bald bieten. Denn als sich Mitte August in Wien wieder einmal Gerüchte über einen bevorstehenden Nazi-Putsch verdichteten , wollte sich Dollfuß neuerlich persönliche Rü��� ckendeckung bei Mussolini holen. Schon seit Ende Juli liefen auf diplomatischer Ebene Gespräche über ein neuerliches Zusammentreffen , nun fand sich Mussolini binnen nur weniger Tage zu einem solchen in Riccione an der italienischen Adriaküste bereit , wo er sich über das Wochenende zur Erholung aufhielt.76 Die Gespräche am 19. und 20. August fanden zwar nach außen hin wiederum in einer betont freundschaftlichen Atmosphäre statt , doch bei den politischen Beratungen redeten Mussolini und sein Unterstaatssekretär Fulvio Suvich diesmal mit dem österreichischen Kanzler in einem weitaus ultimativeren Ton als bei den ersten beiden Treffen in Rom. Schon optisch wurde deutlich , wer das Sagen hatte : Am Lido von Riccione posierte der Duce – ganz im Stil der virilen Selbstinszenierung seiner Person durch die faschistische Propaganda – kraftstrotzend in der Badehose und mit nacktem Oberkörper. Daneben stand , etwas verloren , der schmächtige Kanzler in seinem Sommeranzug mit Krawatte und Hut.77 „Nous avons donné une petite injection a Monsieur Dollfuß.“78 So formulierte es Suvich nachträglich gegenüber seinen ungarischen Verbündeten. Zwar versicherten Mussolini und sein Unterstaatssekretär dem österreichischen Bundeskanzler weiterhin ihre Unterstützung in der Erhaltung der österreichischen Unabhängigkeit gegenüber HitlerDeutschland , doch junktimierten sie diese ziemlich unverblümt mit einem detaillierten Forderungskatalog.79 Die Verfassungsreform sollte noch im September fertiggestellt werden. Anstelle der sozialdemokratischen Stadtregierung sollte in Wien ein Regierungskommissär eingesetzt werden. Weiters urgierte Mussolini eine Regierungsumbildung. Die dem italienischen Kurs ablehnend gegenüberstehenden Landbundminister sollten Repräsen75 De Felice ( 1974 ), 480. 76 Zu den Umständen des Zustandekommens des Treffens in Riccione vgl. zusammenfassend : Enderle ( 1979 ), 94–97. 77 Was das gute zwischenmenschliche Einvernehmen zwischen Dollfuß und Mussolini betrifft , so bestätigte Eugenio Morreale , dass der Kanzler – genauso wie Starhemberg – zwar Mussolinis persönliche Sympathie besaß , schränkt aber ein , dass diesem Umstand keine weitergehende Bedeutung beizumessen war. Morreale , AdIZG , Do 4 / M m –15 , II /20. Aufschlussreich in diesem Zusammenhang ist , dass die Einladung Mussolinis an die Familie von Dollfuß , den Sommerurlaub 1934 als seine Gäste in Italien zu verbringen , nicht von diesem ausging , sondern über das Ersuchen von Dollfuß hin erfolgte , um auf diese Art „den Eindruck persönlicher Intimität“ zu suggerieren. Schmölzer ( 1996 ), 101. 78 „Wir haben Herrn Dollfuß eine kleine Injektion verpasst.“ Kerekes ( 1966 ), 158. 79 Entrevue Bundeskanzler Dollfuß-Mussolini in Riccione ( 19. und 20. August d. J. ), Amtserinnerung , Zl. 24.456–13 / 1933 , ÖSTA / AdR , NPA , Liasse Italien I / I II Geheim , 1933–1934 ; vgl. dazu auch : Maderthaner / Maier ( 2004 ) : 39–44.
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tanten der Heimwehr weichen. Die Regierung sollte in ihrem Erscheinungsbild einen betont diktatorischen Charakter annehmen und der Kanzler eine Vereinigung aller patriotischen Kräfte unter dem Dach der Vaterländischen Front ankündigen. Als Startschuss für all diese Maßnahmen sollte eine große programmatische Rede Dollfuß’ dienen , die der Kanzler am 11. September 1933 im Rahmen einer Veranstaltung der Vaterländischen Front am Rande des Katholikentages vor mehreren Zehntausend Zuhörern hielt. Er unterstrich dabei seine Ablehnung des demokratischen Parlamentarismus und erklärte , dass „die Zeit marxistischer Volksführung und Volksverführung“ genauso vorüber sei wie jene „der Parteienherrschaft“. Er strebe , so Dollfuß , „[ … ] den sozialen , christlichen , deutschen Staat Österreich auf ständischer Grundlage , unter starker autoritärer Führung“ an.80 Obwohl Dollfuß bei seinen Ankündigungen wieder relativ allgemein geblieben war , zeigte sich Mussolini zufrieden. In einer Unterredung mit dem Leiter der handelspolitischen Sektion im Außenministerium , Dr. Richard Schüller , den Mussolini seit Jahren als besonderen Verbindungsmann in allen österreichischen Angelegenheiten schätzte ,81 verlieh er seiner Befriedigung über die sogenannte Trabrennplatzrede Ausdruck. Er erklärte , die von Dollfuß verkündeten Grundsätze seien gesund und entsprächen der Zeit. Zugleich konzedierte er , dass die Verfassung in jedem Staat anders sein müsse , je nach seiner Geschichte und seinen Verhältnissen.82 Noch einige Tage vor der Trabrennplatzrede Dollfuß’ hatte sich Mussolini in Rom mit Ernst Rüdiger Starhemberg getroffen. Dabei wurde eine Richtschnur für das Agieren der Heimwehr festgelegt , die in großen Zügen tatsächlich bis in das Frühjahr 1934 Geltung behalten sollte. Starhemberg verpflichtete sich gegenüber Mussolini , mit der Heimwehr nicht nur in die Vaterländische Front einzutreten , sondern dort genauso wie in der Regierung den Führungsanspruch von Dollfuß zu akzeptieren. Voraussetzung dafür war aber die Entfernung der Landbundminister Franz Winkler und Vinzenz Schumy aus dem Kabinett. Zwischenzeitlich sollte die Heimwehr zwar die Regierung unterstützen , aber ihren eigenen Kurs als Gegengewicht zu den noch verbliebenen demokratischen Kräften innerhalb des Regierungslagers aufrechterhalten : „Le Heimwehren esercitano una continua pressione sul Governo Dollfuß perché si indirizzi sempre più verso una politica dittatoriale e di carattere fascista.“83 Was die Person Starhembergs selbst betraf , so wurde ver80 Die sogenannte Trabrennplatzrede des Bundeskanzlers ist publiziert in : Weber , Edmund ( Hg. ) ( 1935 ) : Dollfuß an Österreich. Eines Mannes Wort und Ziel ( Berichte zur Kultur- und Zeitgeschichte , 10. Sonderschrift ), Wien / L eipzig , 19–45 : 31–33. 81 Zur Person Richard Schüllers und zu dessen besonderer Vertrauensstellung zu Mussolini vgl. : Weissensteiner , Friedrich ( 1980 ) : Sektionschef Dr. Richard Schüller und die Wirtschaftspolitik der Ersten Österreichischen Republik. In : Österreich in Geschichte und Literatur Jg. 24 ( 1980 ) Heft 4 , 217–237 : 227–231 ; Nautz ( 1990 ), 146–157 ; Enderle-Burcel , Gertrude / Follner , Michaela ( 1997 ) : Diener vieler Herren. Biographisches Handbuch der Sektionschefs der Ersten Republik und des Jahres 1945 , Wien , 423–424. 82 Gesandter Dr. Schüller , Unterredung mit Herrn Mussolini in Rom , 15. 9. 1933 , Zl. 25.131–13 / 1933 , ÖSTA / AdR , NPA , Liasse Italien I / I II Geheim , 1933–1934. 83 „Die Heimwehren üben einen kontinuierlichen Druck auf die Regierung Dollfuß aus , um sie immer mehr in Richtung einer diktatorischen und faschistischen Politik zu drängen.“ Atteggiamento delle Heimwehren nei confronti del Governo Dollfuß , Colloquio Mussolini-Starhemberg , Appunto , o.Z. , 6. 9. 1933 , DDI , VII , 14 , Nr. 154.
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einbart , dass dieser in die Regierung in der Nachfolge Winklers als Vizekanzler eintreten solle , allerdings erst zum Zeitpunkt der Inkraftsetzung der neuen Verfassung. Bis dahin sollten andere Vertreter der Heimwehr die frei werdenden Regierungsämter einnehmen. Dementsprechend wandte sich Mussolini am 9. September , unmittelbar nach seinen mit Starhemberg getroffenen Festlegungen , nochmals brieflich an Dollfuß. Er wiederholte , dass es gelingen würde , zahlreiche Nationalsozialisten von der Regierung zu überzeugen , würde nur der „Weg der Faschisierung des Staates“ entschieden genug eingeschlagen werden. Dabei bezog er sich auf die in Riccione besprochene Regierungsumbildung und verlangte neuerlich explizit die Abberufung der beiden Landbundminister Winkler und Schumy.84 Diesmal entsprach Dollfuß den personellen Wünschen seines italienischen Mentors. Bei der kurz darauf erfolgenden Regierungsumbildung am 21. September 1933 entfernte Dollfuß allerdings nicht nur Winkler und Schumy , sondern zur allgemeinen Überraschung auch Verteidigungsminister Vaugoin aus der Regierung , was ebenfalls als Signal Italien gegenüber interpretiert werden kann. Das Amt des Vizekanzlers ging vom Landbund auf die Heimwehr in der Person von Emil Fey über. Ins Sozialministerium zog Richard Schmitz als Ressortchef ein. Damit war auch personell ein deutlicher Schwenk in Richtung einer autoritären Regierung vollzogen. Unterstaatssekretär Suvich begründete gegenüber dem britischen Botschafter in Rom die Regierungsumbildung damit , „[ … ] that Herr Dollfuß had been compelled to change the form of government in order to take the wind out of Nazi sails. Nazi movement attracted the youth of Austria against old political parties but Herr Dollfuß would now offer counter attraction of his own movement.“85 Doch in der Mussolini am meisten im Hinblick auf die inneren Verhältnisse Österreichs interessierenden Frage , nämlich jene der endgültigen Ausschaltung der Sozialdemokratie , blieb Dollfuß weiterhin zögerlich.86 84 Situazione interna in Austria e rapporti delle Heimwehren con il Governo di Dollfuß. L. p. Mussolini a Dollfuß , 9. 9. 1933 , DDI , VII , 14 , Nr. 162 ; Maderthaner / Maier ( 2004 ), 46–47. Schon in der zusammenfassenden Gesprächsnotiz über die Verhandlungen in Riccione , verfasst von dem Dollfuß begleitenden Gesandten Theodor Hornbostel , heißt es : „Hinsichtlich der Innen-Politik versuchten die italienischen Herren [ gemeint sind Mussolini und Suvich , Anm. d. A. ] [ … ] eine Pression auf den Herrn Bundeskanzler im Sinne einer stärkeren Beteiligung der Heimwehren auszuüben. Der Herr Bundeskanzler ist diesen Versuchen jedoch mit Erfolg ausgewichen.“ Entrevue Bundeskanzler Dollfuß-Mussolini in Riccione am 19. und 20. August d. J. , Amtserinnerung , Zl. 24.456–13 / 1933 , ÖSTA / AdR , NPA , Liasse Italien I / I II Geheim , 1933–1934. Der Diplomat Theodor Hornbostel , der im Gegensatz zu Dollfuß fließend italienisch sprach , begleitete den Kanzler seit 1932 auf den meisten seiner Auslandsreisen , vor allem auf jenen nach Italien. Im April 1933 wurde er von Dollfuß zum Leiter der Politischen Abteilung im Außenamt ernannt. Dörner , Christian / Dörner-Fazeny , Barbara ( 2006 ) : Theodor von Hornbostel , 1889–1973 , Wien / Köln / Weimar , 53 , 62. 85 Sir R. Graham to Sir J. Simon , No. 274 , Telegraphic , Zl. C 8422 /2092 / 3 , 22. 9. 1933 , DBFP , 2 , V , Nr. 405. 86 Der britische Gesandte Walford Selby schätzte die Haltung des Bundeskanzlers gegenüber den Sozialisten Mitte Oktober 1933 folgendermaßen ein : „[ Dollfuß ] led me to understand that , while he was himself strongly anti-Marxist , he did not intend to push measures against the Socialists to any extremes. Were they , however , to attempt to agitate against him through their foreign connextions , or to make difficulties for him in Austria , he would take all necessary steps to meet the agitation , in the same way as he was doing against the Nazis. He intended to maintain order at all costs and this must be clearly understood in Austria and outside.“ Beer ( 1984 ), 258.
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Genau dies prägte auch immer mehr das Dollfuß-Bild der mit Österreich befassten italienischen Diplomaten. So beschrieb der italienische Gesandte in Budapest , Ascanio Colonna , Anfang Dezember 1933 gegenüber Mussolini das Agieren Dollfuß’ als zaudernd und unentschlossen. Er vermutete , der österreichische Bundeskanzler würde nach anderen Wegen als den zuletzt mit dem Duce vereinbarten suchen , womit er offenbar auf die vorsichtigen Sondierungen vonseiten Dollfuß’ in Richtung der Möglichkeit einer direkten österreichisch-deutschen Verständigung anspielte.87 Innerhalb der italienischen Führung war die Unzufriedenheit Mussolinis über den in seinen Augen schleppenden Fortgang der Dinge in Österreich bekannt. Intern äußerte sich Mussolini Anfang 1934 über Dollfuß , dieser hätte die Mentalität eines k. u. k. Beamten , nötig sei jedoch eine Bluttransfusion der faschistischen Art.88 Spätestens seit Ende November / A nfang Dezember 1933 stand die Erwiderung der Besuche von Dollfuß in Italien durch Unterstaatssekretär Suvich im Raum. Als dieser einen Besuch in Berlin für Mitte Dezember vorbereitete , sorgte dies am Ballhausplatz für Irritationen. Von österreichischer Seite drängte man daraufhin auf einen Besuch auch in Wien , als Termin dafür wurde die Zeit von 18. bis 20. Jänner 1934 in Aussicht genommen. Der Besuch des Unterstaatsekretärs fiel mitten in die neue Terrorwelle der Nazis , die in ihrer Intensität alles bisher da gewesene übertraf.89 Vor dem Hintergrund eines Landes , das sich augenscheinlich im Ausnahmezustand befand , setzte Suvich dem Bundeskanzler neuerlich den Unmut Italiens über den aus Sicht des Nachbarn schleppenden Fortgang der inneren Umgestaltung Österreichs auseinander. Weder sei es bisher zur Auflösung der politischen Parteien noch zur Fertigstellung der Verfassungsreform gekommen , geschweige denn , dass in Wien die sozialdemokratische Stadtregierung durch einen kommissarischen Leiter ersetzt worden sei. Der italienische Unterstaatssekretär machte Dollfuß gegenüber deutlich , dass das italienische Vertrauen ihm gegenüber im Vergleich zur ersten Jahreshälfte 1933 , als man in ihm den Mann sah , der energisch die Neugestaltung der politischen Verhältnisse angehen würde , einer kritischeren Sichtweise gewichen sei.90 Der Kanzler versuchte , noch einmal auf die italienischen Vorhaltungen ausweichend zu reagieren. Bemerkenswert war jedenfalls seine diesbezügliche Argumentation gegenüber Suvich. Man müsse vermeiden , so Dollfuß , dass bei einer gleichzeitigen Auflösung der sozialdemokratischen Gemeindeadministration in Wien und der Sozialdemokratischen Partei deren Parteigänger zu den Nazis überlaufen würden. Damit unterschied sich Dollfuß diametral von der italienischen Einschätzung , wonach ein entschlossener Schlag gegen die sozialdemokratische Führung die Attraktivität der Regierung gerade gegenüber der großen Zahl der Indifferenten steigern würde. Dollfuß sollte Recht behalten. 87 Impressioni riportate da Gömbös nella sua visita a Vienna circa la situazione interna ed estera dell’Austria , Zl. 4770 / 1 1062 / 1876 R. , Colonna a Mussolini , 2. 12. 1933 , DDI , VII , 14 , Nr. 435. 88 Petersen ( 1973 ), 285. 89 Wohnout , Helmut ( 2004 ) : Dreieck der Gewalt. Etappen des nationalsozialistischen Terrors in Österreich 1932–1934. In : Schefbeck , Günther ( 2004 ) : Österreich 1934. Vorgeschichte – Ereignisse – Wirkungen , Wien / München , 78–90 : 87–88. 90 Suvich ( 1984 ), 264–271.
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Der Besuch des italienischen Unterstaatssekretärs verlief vordergründig in einer freundschaftlichen Atmosphäre , umso mehr als Suvich jener Richtung der italienischen Außenpolitik zuzuzählen war , die – insbesondere seit der nationalsozialistischen Machtübernahme in Deutschland – strikt für die Aufrechterhaltung der österreichischen Unabhängigkeit eintrat.91 Doch sparte der italienische Unterstaatssekretär nicht mit mehr oder minder unverhohlenen Drohungen , sollten die von Italien gewünschten innenpolitischen Maßnahmen nicht binnen kurzer Zeit gesetzt werden. Vor allem seine Gespräche mit Fey und Starhemberg sollten Dollfuß warnend signalisieren , dass Italien auch andere innerösterreichische Optionen offenstanden. Zum Abschluss seines Aufenthalts in Wien traf Suvich mit den Gesandten Großbritanniens und Frankreichs zusammen , um mit ihnen im Lichte seiner Beratungen mit der österreichischen Regierungsspitze die politische Lage im Land zu erörtern. In den getrennt stattgefundenen Begegnungen ließ er gegenüber beiden keinen Zweifel mehr darüber aufkommen , dass Italien , das die Hauptlast in der Aufrechterhaltung der österreichischen Unabhängigkeit gegenüber Hitler trage , entschlossen sei , innenpolitisch den Kurs vorzugeben. Dem französischen Gesandten war danach klar , dass Suvich den italienischen Druck auf Dollfuß im Zusammenspiel mit der Heimwehr trotz des hinhaltenden Widerstands des Kanzlers nochmals erhöht hatte.92 Sein britischer Kollege telegrafierte nach der Zusammenkunft an das Foreign Office : „Suvich regarded the present political system as out of date. It must be ‘renovated’ and a new basis found.“93 Zurückgekehrt nach Rom fasste Suvich , nachdem er Mussolini Bericht erstattet und mit dem Duce das weitere Vorgehen akkordiert hatte , nochmals die italienischen Forderungen gegenüber Dollfuß brieflich in einer ultimativen Form zusammen : [ … ] lotta contro il marxismo – riforma della costituzione in senso antiparlamentare e corporativo – abolizione dei partiti e rafforzamento del fronte patriottico ; che il momento per procedere a questa opera più decisa pareva non possa essere ulteriormente dilazionato. [ … ] occorre però che [ … ] Ella , signor Cancelliere , compia qualcuno degli atti che da Lei si aspettano conformemente agli accordi di Riccione.94 91 Suvich ( 1984 ), 269. 92 M. Puaux , Ministre de France à M. Paul-Boncour , Ministre des Affaires Étrangères , T. Zl. 64 à 71 , 20. 1. 1934 , DDF , 1 , V , Nr. 246. 93 Sir W. Selby to Sir J. Simon , No. 9 Telegraphic , R 388 / 37 / 3 , 20. 1. 1934 , DBFP , 2 , VI , Nr. 194. Im Auftrag des Foreign Offfice bemühte sich der britische Botschafter in Rom , Eric Drummond , nach der Rückkehr Suvichs um eine Interpretation dieser Bemerkung. Er fasste seine Eindrücke in vier Punkten zusammen : Unabhängigkeit als deutscher Staat in Mitteleuropa , Formung einer von der Jugend getragenen Bewegung zur Bekämpfung der NS-Propaganda , Einführung der neuen Verfassung und Beseitigung der sozialistischen Herrschaft in Wien , wobei der letzte Punkt nach Einschätzung des britischen Botschafters Suvich am vordringlichsten schien. Beer ( 1984 ), 280–281. 94 „[ … ] den Kampf gegen den Marxismus , die Reform der Verfassung in einem antiparlamentarischen und korporativen Sinn , die Beseitigung der Parteien und die Stärkung der Vaterländischen Front ; schließlich , dass der Augenblick , um dieses entschiedene Werk in Angriff zu nehmen , nicht weiter hinausgeschoben werden könne. [ … ] es erweist sich aber als nötig , dass Sie , Herr Bundeskanzler , [ … ] eine der Handlungen vollführen , die von Ihnen im Einklang mit den Vereinbarungen von Riccione erwartet werden.“ Intenzione di Mussolini di appoggiare fino in fondo l’indipendenza dell’Austria purché Dollfuss prenda decise provvedimenti contro il marxismo oltre che contro il na-
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Geradezu erfreut fiel die italienische Reaktion auf Ausbruch und Verlauf der bewaffneten Kampfhandlungen zwischen der Staatsmacht bzw. der Heimwehr und der Sozialdemokratie am 12. Februar aus. Am 14. Februar sprach Unterstaatssekretär Suvich von einer „glänzenden Kraftprobe“,95 die die Bundesregierung abgegeben habe , und einen Tag später meinte er gegenüber dem amerikanischen Botschafter in Rom , Breckinridge Long , dass eine „heilsame Entwicklung“96 in Österreich stattfände. Er gab sich der Illusion hin , dass sich die Nazis vom Durchgreifen der Regierung gegenüber der Sozialdemokratie beeindrucken lassen würden und auch Mussolini glaubte , Dollfuß’ energisches Auftreten hätte den Nationalsozialisten das Argument , der Kanzler wage nichts gegen die Linke zu unternehmen , aus der Hand geschlagen. Bereits einen Schritt weiter , zumindest im privaten Gespräch , ging Mussolinis Verbindungsmann in Wien , Eugenio Morreale. Bei einem Mittagessen mit dem Vertreter des Völkerbundes in Wien , Rost van Tonningen , sprach er am 16. Februar davon , dass nun , da die Sozialdemokratie aufgelöst sei , auch die anderen Parteien , inklusive der Christlichsozialen , verschwinden müssten.97 Nach dem Ende der Kämpfe richtete Mussolini durch seinen Botschafter in Berlin Außenminister Neurath expressis verbis aus , dass Rom in Österreich keine nationalsozialistische Regierung dulde , würde dies doch einen De-facto-Anschluss bedeuten. Schon die Existenz eines Reichsbeauftragten für Österreich stelle einen Anschlag auf die österreichische Unabhängigkeit dar.98 Einen Tag später , am 17. Februar 1934 , demselben Tag , an dem Italien gemeinsam mit Frankreich und Großbritannien die österreichische Unabhängigkeit Österreichs bekräftigt hatte , ließ der Duce Dollfuß wissen : Er möge sich nicht durch die Proteste sinistrer europäischer Kreise , gemeint waren damit offensichtlich die westlichen Demokratien , beeindrucken lassen. Zugleich drängte er aber nochmals darauf , rasch den neuen Staat auf ständischer Basis zu realisieren , und fügte hinzu , dass diese innere Erneuerung fundamental wichtig sei , auch was die äußere Situation der Unabhängigkeit Österreichs betreffe.99 Letzteres konnte durchaus als Junktim verstanden werden , wonach die weitere Unterstützung der österreichischen Unabhängigkeit an die wunschgemäße Umsetzung der italienischerseits gesetzten Rahmenbedingungen im Hinblick auf die neue Verfassung zu sehen war. zionalsocialismo , Suvich a Dollfuss , L. confidenziale strettamente personale 902 , 26. 1. 1934 , DDI , VII , 14 , Nr. 618 ; Unterstaatssekretär Suvich , Privatschreiben an Herrn Bundeskanzler über seine Eindrü������� cke in Wien , 26. 1. 1934 , Zl. 50.769–13 / 1934 , ÖSTA / AdR , NPA , Liasse Italien I / I II Geheim , 1933–1934 ; Maderthaner / Maier ( 2004 ), 58–61 ; Suvich ( 1984 ), 272–273 ( h ier wird eine gekürzte Wiedergabe des Schreibens abgedruckt ). 95 Telegramm Nr. 17 , Rintelen an Außenamt , 14. 2. 1934 , ÖSTA / AdR , NPA , Ges. Rom Quirinal , Telegramme nach Wien 1927–1938. 96 “According to Suvich Italy considers it a very salutary movement [ … ]” Telgramm 2–28 , Breckinridge Long an Secretary of State Cordell Hull , 15. 2. 1934 , Zl. 863.00 / 864 , National Archives , Washington D. C. , Record Group 59 : General Records of the Department of State , 1930–1939. 97 Berger , Peter ( 2000 ) : Im Schatten der Diktatur. Die Finanzdiplomatie des Vertreters des Völkerbundes in Österreich , Meinoud Marinus Rost van Tonningen 1931–1936 , Wien / Köln / Weimar , 534. 98 Falanga ( 2008 ), 42. 99 Opportunità che Dollfuss proceda subito alla creazione del nuovo Stato austriaco su basi corporativi sensa farsi impressionare dalle proteste dei circoli di sinistra europei , T. 283 /27 R. , Mussolini a Preziosi , 17. 2. 1934 , DDI , VII , 14 , Nr. 711.
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Dollfuß antwortete postwendend und versicherte dem Duce , die Arbeit an der neuen Verfassung so weit wie möglich zu beschleunigen. Er verwies auf das von ihm eingesetzte Ministerkomitee und betonte , offensichtlich in der Hoffnung , damit Mussolini zu beruhigen , dass auch der zum Sozialminister aufgestiegene Heimwehrideologe und bisherige Staatssekretär Odo Neustädter-Stürmer diesem Gremium angehören würde. Der neue Sozialminister wurde von ihm als jener Mann präsentiert , der das Wiedererstehen der Sozialdemokratie verhindern und über den ständischen Aufbau wachen würde.100 Anlässlich einer Unterredung in Rom am 14. März 1934 , drei Tage vor Unterzeichnung der Römischen Protokolle , informierte Dollfuß Mussolini erstmals persönlich über die zu diesem Zeitpunkt schon großteils feststehenden Details der neuen autoritären Verfassung. Es war dies das erste direkte Gespräch nach der Niederschlagung des Februar-Aufstandes. Mussolini verhielt sich entgegenkommend und verbindlich. Er gratulierte dem Bundeskanzler zur Liquidierung der Sozialdemokratie in Österreich , ehe die beiden auf das Verhältnis zu Deutschland zu sprechen kamen.101 3.5 Die kurze Phase der innerstaatlichen Hegemonie der Heimwehr mit italienischer Rückendeckung „The Heimwehr , with its Italian orientation , is triumphant , and Austria seems , to Italian eyes , to have taken a step towards Fascism.“102 So analysierte der britische Gesandte Walford Selby wenige Tage nach dem Ende der Februarkämpfe die innenpolitische Situation in Österreich. Er hatte damit die Machtverhältnisse treffend beschrieben. Mithilfe der politischen Rückendeckung Mussolinis gelang es in den folgenden Wochen der Heimwehr , sich bei der abschließenden Phase der Erarbeitung der neuen , mit 1. Mai 1934 in Kraft tretenden ständisch-autoritären Verfassung in vielen Bereichen durchzusetzen. Auch wenn die Erhaltung der österreichischen Unabhängigkeit am 17. Februar 1934 , basierend auf einem französischen Kompromissvorschlag , von den drei europäischen Mächten Großbritannien , Frankreich und Italien gleichzeitig , jedoch unilateral und unabhängig vom Völkerbund , postuliert worden war ,103 war Dollfuß mit dem 12. Februar 100 Assicurazione di Dollfuss che promulgherà al più presto una nuova costituzione a base corporative , T. 777 / 96 R. , Preziosi a Mussolini , 19. 2. 1934 , DDI , VII , 14 , Nr. 718. 101 Nuova costituzione austriaca. Rapporti fra Austria e Germania , Colloquio Mussolini-Dollfuss , Appunto , 14. 3. 1934 , DDI , VII , 14 , Nr. 804. 102 Sir W. Selby to Sir J. Simon , No. 40 , Zl. R. 1262 / 37 / 3 , 19. 2. 1934 , DBFP , 2 , VI , Nr. 300. 103 Im Hinblick auf die häufig verwendete Bezeichnung als „Garantieerklärungen“ ist relativierend festzuhalten , dass sich Frankreich , Italien und Großbritannien weder am 17. Februar 1934 noch am 27. September 1934 , als sie nach dem NS-Putsch im Juli ihre Erklärung in gemeinsamer Form wiederholten , auf eine solche verständigen konnten. Erst im französisch-italienischen Abkommen vom 7. Jänner 1935 ( „ Mussolini-Laval Abkommen“ ), dem Großbritannien am 3. Februar 1935 beitrat , konnte man sich auf Konsultationsverpflichtungen im Garantiefall einigen. Zu mehr reichte es auch bei der von allen drei Mächten abgegebenen Erklärung von Stresa am 14. 4. 1935 nicht. Angerer , Thomas ( 1992 ) : Die französische Österreichpolitik vor dem „Anschluss“ 1938. In : Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte Jg. 40 ( 1992 ) Heft 1 , 29–59 : 30 ; Angerer , Thomas ( 2007 ) : Kontinuitäten und Kontraste der französischen Österreichpolitik 1919–1955. In : Koch et al. ( 2007 ), 129–157 : 142 ; Angerer , Thomas ( 1999 ) : Die französischen Garntieforderungen und die Ursprünge des Anschluß-Verbots im österreichischen Staatsvertrag 1946–1947. In : Angerer , Thomas / Bader-Zaar , Birgitta / Grandner , Margare-
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endgültig jener Rest an außenpolitischer Handlungsfreiheit abhandengekommen , der ihm bis dahin noch geblieben war. Er war enger denn je an Italien gekettet. Im Mittelpunkt der bilateralen Gespräche stand nunmehr neben dem Schutz der Unabhängigkeit gegenüber Nazi-Deutschland vor allem die Realisierung der gegen die Kleine Entente gerichteten italienischen Donauraumpolitik , die am 17. März zur Unterzeichnung der Römischen Protokolle führte. Innenpolitisch wirkte man italienischerseits auf den funktionalen Fortbestand der Achse Dollfuß –Heimwehr ein , wobei Mussolini dem Konzept Starhembergs , die Heimwehr bei ihrem gleichzeitigen Fortbestand in die Vaterländische Front zu integrieren , jenem von Fey , der die Heimwehr möglichst unabhängig vom Einfluss des Bundeskanzlers halten wollte , den Vorzug gab.104 Dies entsprach der bisherigen Linie des Duce gegenüber der Heimwehr. Direkte italienische Pressionen auf Dollfuß , die in der zweiten Jahreshälfte 1933 zugenommen und unmittelbar vor den Februarereignissen ihren Höhepunkt erreicht hatten , waren nun nur mehr in seltenen Fällen erforderlich. Für die Umsetzung im Hinblick auf die von Mussolini gewünschte Richtung der inneren Verhältnisse Österreichs sorgten ohnedies die sich am Höhepunkt ihres Einflusses befindlichen Heimwehrminister in der Regierung. Fasst man die Entwicklung der Monate nach dem 12. Februar 1934 zusammen , so erhärtet sich die These , dass es Mussolini bei seiner Einflussnahme auf die Konstituierung des autoritären Ständestaates in Österreich in allererster Linie um die Ausschaltung der Sozialdemokratie und damit einhergehend die Beseitigung der Demokratie in Österreich ging. Dies ist auch insofern schlüssig , als jede Beteiligung der Sozialdemokratie an einer Regierung wegen ihrer traditionell guten Beziehungen zu Frankreich und zur Kleinen Entente eine unerwünschte Beeinträchtigung der Donauraumpolitik Mussolinis dargestellt hätte. Unter diesem Gesichtspunkt bildete die italienische Einflussnahme auf die österreichische Innenpolitik die Sicherstellung der eigenen außenpolitischen Interessen. Sobald diese politischen Ziele Mussolinis erreicht waren , und dies war nach der Niederwerfung der Sozialdemokratie im Februar , der Unterzeichnung der Römischen Protokolle im März und der neuen österreichischen Verfassung vom 1. Mai 1934 der Fall , nahm sein Interesse für viele Details betreffend die inneren Vorgänge in Österreich deutlich ab. Auch was personelle Einflussnahmen anlangte , hielt sich Mussolini nun im Gegensatz zum Herbst 1933 zurück. Dies galt auch für Starhemberg , mit dem den Duce der längste Kontakt zu allen führenden österreichischen Politikern , immerhin seit 1930 , verband. Zwar gratulierte er ihm noch in warmherzigen Worten zu seiner Ernennung zum Vizekanzler Anfang Mai 1934.105 Nach der Ermordung Dollfuß’ machte er jedoch keinerlei Anstalten mehr , ihn als Kanzler zu favorisieren. Schenkt man den Ausführungen te ( 1999 ) : Geschichte und Recht. Festschrift für Gerald Stourzh zum 70. Geburtstag , Wien / Köln / Weimar , 413–429 : 418–419. 104 Situazione politica in Austria : contrasto tra Starhemberg e Fey circa la funzione delle Heimwehren , Colloquio Mussolini – Starhemberg , Appunto , 17. 4. 1934 , DDI , VII , 15 , Nr. 110. 105 Compiacimento del Governo italiano per la nomina a vice cancelliere di Starhemberg , T. 565 R , Mussolini a Starhemberg , 3. 5. 1934 , DDI , VII , 15 , Nr. 181.
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von Fulvio Suvich Glauben , so signalisierte Mussolini sogar , die Ernennung Schuschniggs zu befürworten.106 Jedenfalls war Mussolini bereits unmittelbar nach der Ermordung Bundeskanzler Dollfuß’ durch seine Gesandtschaft in Wien informiert , dass sich die Nachfolgefrage auf Schuschnigg hin entwickle , ohne dass der Duce erkennbare Initiativen für seinen Protegé Starhemberg setzte.107 Zu den bereits beschriebenen Ursachen für die einsetzende italienische Zurückhaltung kam noch eine ganz wesentliche generelle Entwicklung hinzu : die im Laufe des Jahres 1934 einsetzende Verschiebung des außenpolitischen Fokus Mussolinis weg vom Donauraum hin zu den italienischen Mittelmeerinteressen und zu jenen kolonialen Bestrebungen der italienischen Politik in Afrika , die im Herbst 1935 zur bewaffneten Aggression Italiens in Abessinien führen sollten. Damit hatte aber auch die Heimwehr den Zenit ihrer nur wenige Monate andauernden Dominanz in der österreichischen Politik in der zweiten Jahreshälfte 1934 schon wieder überschritten , hing ihre Machtposition doch so gut wie ausschließlich von der italienischen Rückendeckung ab. IV. Bilanz der italienischen Österreich-Politik am Ende der Regierung Dollfuß Bundeskanzler Dollfuß war in seiner italienischen Politik anfangs durchaus zurückhaltend. Solange es ging , versuchte er , einer zu engen Bindung zu entgehen. Zwar entschied er sich relativ früh für einen strikten Rechtskurs unter Einbindung der Heimwehr und damit verbunden der außenpolitischen Unterstützung Italiens , doch entwickelte sich der Weg in die Diktatur erst schrittweise im Zuge seiner Kanzlerschaft. Vor allem ab dem Zeitpunkt der nationalsozialistischen Machtergreifung in Deutschland verengte sich sein Spielraum immer mehr , auch wenn er bis zuletzt versuchte , sich mehrere politische Optionen offenzuhalten. Der von Dollfuß anfangs nur zögerlich eingeschlagene Schwenk in Richtung Italien und die damit einhergehende Abwendung von der demokratischen Verfassung wurden maßgeblich mit beeinflusst von dem ab dem Machtantritt Hitlers ausgehenden deutschen Druck auf Österreich und dem damit einhergehenden Terror der österreichischen Nationalsozialisten. Schon wegen der historischen Belastung durch den Verlust Südtirols und die Italianisierungspolitik der Faschisten wäre die an sich höchst unpopuläre Verbindung mit dem „Erbfeind“ Italien nicht zustande gekommen , hätte sie 1933 / 34 aus der Sicht des österreichischen Bundeskanzlers nicht die einzig außenpolitisch wirksame Option dargestellt , um eine nationalsozialistische Machtübernahme in Österreich zu verhindern. Mentale Vorbehalte gegenüber dem südlichen Nachbarn musste auch Dollfuß selbst hintanstellen. Als Kaiserschützenoffizier war er während des Weltkriegs an der italienischen Front gestanden. Nichts veranschau106 „A successore nel Cancellierato è stato chiamato Kurt Schuschnigg. L’influenza di Mussolini non è stata estranea a questa nomina. L’altro candidato era il principe Starhemberg , più vicino per temperamento e carattere a Mussolini , ma che quest’ultimo giudicava meno maturo per un posto di tanta responsabilità.“ Suvich ( 1984 ), 104. 107 Questione della nomina del nuovo cancelliere austriaco , T. s. 2695 /242 R. , Grazzi a Mussolini , 26. 7. 1934 , DDI , VII , 15 , Nr. 567 ; Notizie circa gli avvenimenti di Vienna e l’assassinio di Dollfuss , Telespr. R. 2944 / 1577 , Grazzi a Mussolini , 26. 7. 1934 , DDI , VII , 15 , Nr. 572 ; Colloquio con Miklas circa la situazione interna austriaca e la nomina di von Papen , T. 2768 /247 R. , Preziosi a Mussolini , 28. 7. 1934 , DDI , VII , 15 , Nr. 600.
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licht seine diesbezüglichen emotionalen Reserven besser als eine Bemerkung gegenüber dem französischen Gesandten nach dem Wien-Besuch des aus Triest stammenden Unterstaatssekretärs Fulvio Suvich : „Quelle que soit mon estime pour la personnalité de M. Suvich , croyez-vous qu’il nous a été agréable de recevoir à Vienne un ancien déserteur de l’armée austro-hongroise ? “108 Gerade weil Dollfuß , solange es irgendwie möglich schien , sich politisch nicht völlig an Italien ausliefern wollte , begann er mehrmals im Laufe des Jahres 1933 – wenn auch letztlich vergeblich – , unter der Hand Möglichkeiten einer direkten deutsch-österreichischen Verständigung zu sondieren. Gegen Ende des Jahres 1933 versuchte er , den ihm in Riccione auferlegten Kurs abzuschwächen , indem er sich vermehrt um die Rückendeckung der Westmächte bemühte.109 Zu einer Befassung des Völkerbundes kam es allerdings aus Rücksicht auf Italien nicht. Ungeachtet seiner Bemühungen um eine zumindest partielle Internationalisierung des österreichischdeutschen Konflikts , war Dollfuß nach dem Februar 1934 mehr denn je auf Italien angewiesen. Im kleinen Kreis klagte er , auf wirksame Unterstützung nur noch aus Rom zählen zu können. Daher bliebe ihm im Moment gar nichts anders übrig , als das zu tun , was man ihm aus Italien anschaffe.110 Die Fehleinschätzung Mussolinis , wonach die einzig erfolgversprechende Methode , die Dynamik des Nationalsozialismus in Österreich zu bremsen , der Versuch wäre , dem Konkurrenten die Waffe des Antimarxismus zu entwinden , hatte für Österreich fatale Folgen. Möglicherweise hoffte der italienische Diktator , mit dieser Haltung den Inkonsequenzen seiner eigenen Politik zu entgehen , die zwar den deutschen Revisionismus förderte , aber zugleich die Einbeziehung Österreichs in den deutschen Machtbereich zu verhindern suchte.111 Jedenfalls erzielte die von Mussolini herbeigeführte Politik in keiner Weise ihre beabsichtige Wirkung , im Gegenteil : Mit demagogischer Raffinesse verstand es die nationalsozialistische Propaganda , nach dem 12. Februar sich selbst zu Verteidigern der österreichischen Arbeiterbewegung zu stilisieren und die Regierung abermals in die Defensive zu drängen.112 Es ist nicht bekannt , dass nach der Niederwerfung der sozialdemokratischen Arbeiterschaft Nationalsozialisten in nennenswerter Zahl ins Regierungslager gewechselt wären. Dagegen liefen , wie von Dollfuß in seinem Gespräch mit Suvich vom Jänner 1934 befürchtet , etliche Sozialdemokraten zu den Nationalsozialisten über. In der gegebenen Situation erblickten sie in ihnen den konsequentesten Gegner des ihnen verhassten katholisch-autoritären Dollfuß-Regimes. Dies galt vor allem für Sozialdemokraten aus nicht urbanen Milieus , bei denen ein Hauptmotiv ihrer politischen Orientierung in der Ablehnung des politisch konnotierten klerikalen Katholizismus lag.113 108 „Wenn ich auch die Persönlichkeit von Herrn Suvich schätze : Glauben Sie , dass es angenehem für uns war , einen ehemaligen Deserteur der östereichisch-ungarischen Armee in Wien zu empfangen ? “ M. Puaux , Ministre de France à Vienne , à M. Daladier , Ministre des Affaires Étrangères. T. 125 à 129 , 21. 1. 1934 , DDF , 1 , V , Nr. 297. 109 Beer ( 1984 ), 265. 110 Sir W. Selby to Sir J. Simon , No. 50 , Zl. R. 1527 / 37 / 3 , 5. 3. 1934 , DBFP , 2 , VI , Nr. 332. 111 Petersen ( 1973 ), 189. 112 Suppan , Arnold ( 1996 ) : Jugoslawien und Österreich 1918–1938. Bilaterale Außenpolitik im europäischen Umfeld , Wien / München , 204. 113 Konrad , Helmut ( 2004 ) : Der 12. Februar in Österreich. In : Schefbeck ( 2004 ), 91–98 : 96.
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Der italienische Kurs wurde von Dollfuß innenpolitisch teuer erkauft. Von Repräsentanten der westlichen Demokratien auf die demokratiewidrigen Elemente des Regierungssystems angesprochen , räumte Dollfuß wiederholt ein , zu vielem als Gegenleistung für die italienische Unterstützung genötigt worden zu sein.114 Dem entspricht in etwa R. John Raths Einschätzung , dass die Bestrebungen Mussolinis , einen politischen Systemwechsel in Österreich herbeizuführen , 1933 / 34 im Gegensatz zu den späten 1920er-Jahren deshalb Erfolg hatten , [ … ] possibly because Seipel , Schober and Vaugoin were not quite as decidedly antidemocratic as Dollfuss had become in 1933 and 1934. More important , from 1928 to 1930 Austria still had many foreign friends besides Italy , and no enemy was at hand to resort to violent means to destroy Austria’s independence. In 1933–1934 Austria was engaged in a life-and-death struggle with Nazi-Germany , and fascist Italy was the sole protector to whom the Austrian government could turn for military assistance. All the ammunition was now in Mussolinis hands.115
114 So beispielsweise in einem Gespräch mit dem französischen Außenminister Louis Barthou am 19. 6. 1934. Der französische Außenminister versicherte übrigens bei dieser Gelegenheit Dollfuß ausdrücklich , nichts gegen die italienische Orientierung der österreichischen Außenpolitik einzuwenden zu haben. Angerer ( 1992 ), 32 ; Mr. Hadow to Sir R. Simon , No. 17 Saving : Telegraphic , Zl. R 3603 / 37 / 3 , DBFP , 2 , VI , Nr. 467 ; Kindermann , Gottfried-Karl ( 2003 ) : Österreich gegen Hitler. Europas erste Abwehrfront 1933–1938 , München , 190. 115 Rath ( 1988 ), 444.
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VII. Außenpolitik
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������������������������������������������������������������������������������������������������ ���������������������������������������������������������������������������������� : Bundeskanzler Dollfuß und die österreichisch-italienischen Beziehungen 1932–1934
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Autorinnen und Autoren Dieter A. Binder , Professor Dr. , geb. 1953 , lehrt seit 1983 am Institut für Geschichte der Karl-Franzens-Universität und seit 2003 an der Fakultät für Mitteleuropäische Studien der Andrássy-Universität Budapest. Zuletzt erschienen : Skrivna družba. Zgodovina in simbolika prostozidarjev , Celje 2008 ; Die Freimaurer. Ursprung , Rituale und Ziele einer diskreten Gesellschaft , Freiburg – Basel – Wien 2008 , 4. Aufl. ; gemeinsam mit Heinz Peter Wassermann : Die steirische Volkspartei oder die Wiederkehr der Landstände , Graz 2008 ; Die Freimaurer. Geschichte , Mythos , Symbole , Wiesbaden 2009 , 3. Aufl. 2012 ; gemeinsam mit Eugen Lennhoff , Oskar Posner : Internationales FreimaurerLexikon , München 2011 , 6. Aufl. ; gemeinsam mit Helmut Konrad / Eduard Staudinger ( Hg. ) : Die Erzählung der Landschaft , Wien / Köln ( u. a. ) 2011. Lucile Dreidemy , DDr. , geb. 1985 , Zeithistorikerin und Germanistin. Seit 2009 Assistentin in Ausbildung am Institut für Zeitgeschichte der Universität Wien , Redaktionsmitglied der Zeitschrift „Zeitgeschichte“ und assoziiertes Mitglied des Initiativkollegs „Europäische historische Diktatur- und Transformationsforschung“. Forschungsschwerpunkte : das Dollfuß / Schuschnigg-Regime und dessen geschichtspolitische Rezeption , Mythentheorien , Korporatismus und Ständestaatsideologie , Biografik. Jüngste Publikation : Dollfuß – biografisch. Eine Längsschnittanalyse des biografischen Diskurses über Engelbert Dollfuß , in : Ilse Reiter-Zatloukal / Christiane Rothländer / Pia Schölnberger ( Hg. ) : Österreich 1933–1938. Interdisziplinäre Annäherungen an das Dollfuß-/ Schuschnigg-Regime , Wien : Böhlau , 2012 , S. 230–244. Paul Dvořak , Studium der Geschichte , Studienaufenthalt an der Universität Paris IV ( Sorbonne ), Studienassistent am Institut für Geschichte , Mitarbeit im Literatur- und Kunstverein Wien – Alte Schmiede , Mitherausgabe des Tagungsbandes : Herrschaft. Macht. Geschichte , Wien 2008. Katharina Ebner , Dipl.-Kulturw. Univ. , geb. 1982 , Diplomstudiengang Sprachen , Wirtschafts- und Kulturraumstudien in Passau und Bologna mit einem Schwerpunkt auf der italienischen Politik- und Zeitgeschichte. Ihre Forschungsinteressen liegen im
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Autorinnen und Autoren
Bereich der ( europäischen ) Friedens- und Konfliktforschung , der transnationalen Geschichte , der internationalen Faschismusforschung und des politischen Katholizismus. Derzeit arbeitet sie im Rahmen des Initiativkollegs „Europäische historische Diktatur- und Transformationsforschung“ der Universität Wien an ihrer Dissertation zum Thema „Ideologietransfer des italienischen Faschismus nach Österreich und Ungarn – zur Rolle der römisch-katholischen Kirche“. Stefan Eminger , Mag. Dr. , geb. 1967 , studierte Geschichte und Deutsche Philologie in Wien. 1995 Abschluss der Diplomarbeit „Gewerbepolitik und gewerbliche Organisationen in Österreich zur Zeit der Weltwirtschaftskrise“, 2002 Promotion mit der Arbeit über „Organisationsformen , Interessenpolitik und politische Mobilität des Gewerbes in Österreich 1930 bis 1938“. 2000 bis 2005 wissenschaftlicher Mitarbeiter im Niederösterreichischen Landesarchiv in St. Pölten mit den Hauptarbeitsgebieten Zwangsarbeit und „Arisierungen“ / Rückstellungen im Reichsgau Niederdonau , danach Referent für die zeitgeschichtlichen Bestände des Landesarchivs. 2001 bis 2005 Lehrbeauftragter am Institut für Zeitgeschichte der Universität Wien. Gertrude Enderle-Burcel , HR Dr. , Studium der Germanistik , Geschichte und Wirtschaftsgeschichte an der Universität Wien ; Promotion zum Doktor der Philosophie im Mai 1979 ; seit Mai 1979 im Rahmen der Österreichischen Gesellschaft für historische Quellenstudien mit der Edition der Ministerratsprotokolle der 1. Republik befasst ; seit 1988 als wissenschaftliche Leiterin ; Jänner 1997 Hofrätin im Österreichischen Staatsarchiv ; seit 1995 Erweiterung der Editionstätigkeit auf die Ministerratsprotokolle der 2. Republik , parallel dazu von 2003 bis 2012 stellvertretende Leiterin der Stabsabteilung des Österreichischen Staatsarchivs ; neben der Editionstätigkeit biografische Forschungen zu Eliten in Politik , Verwaltung und Wirtschaft ; wirtschaftshistorische Forschungen zu Themen der 1. und 2. Republik. Gerhard Hartmann , geb. 1945 ; Studium der Katholischen Theologie an der Universität Wien ( Dr. theol. 1974 ), seit 1970 im Verlagswesen ( zuletzt ab 1999 Geschäftsführer der Lahn-Verlag GmbH und der Topos Taschenbücher in Kevelaer ). 1990 Habilitation als Privatdozent für Neuere Kirchengeschichte an der Theologischen Fakultät der Universität Graz. Veröffentlichungen ( u. a. ) : Für Gott und Vaterland. Geschichte und Wirken des CV in Österreich , Kevelaer 2006 ; Daten der Kirchengeschichte , Wiesbaden 2007 ( 2. ergänzte Aufl. ) ; Kirche und Nationalsozialismus , Kevelaer 2007 ; Die Kaiser des Heiligen Römischen Reiches , Wiesbaden 2008 ; Der CV in Österreich. Seine Entstehung , seine Geschichte , seine Bedeutung , Kevelaer 2011 ( 4. ergänzte Aufl. ). Gabriella Hauch , Mag. Dr. , geb. 1959 , Univ.-Prof. für Geschichte der Neuzeit / Frauenund Geschlechtergeschichte an der Universität Wien. 2000–2012 Gründungsprofessorin des gesamtuniversitären Instituts für Frauen- und Geschlechterforschung an der Johannes-Kepler-Universität Linz und Herausgeberin der Studien zur Frauen- und Geschlechterforschung ; seit 1995 Mitherausgeberin der Österreichischen Zeitschrift für Geschichtswissenschaften , seit 2012 von L’Homme. Europäische Zeitschrift für fe-
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Autorinnen und Autoren
ministische Geschichtswissenschaft sowie der L’Homme-Schriften. Forschungsschwerpunkt : Geschlechtergeschichte Europas seit Ende des 18. Jahrhunderts mit Fokus auf die Habsburgermonarchie / Österreich. Publikationen ( u. a. ) : Frauen bewegen Politik. Österreich 1848–1938 , Innsbruck 2009 ; Frauen.Leben.Linz. Eine Frauen- und Geschlechtergeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts , erscheint 2013. Christian Klösch , Mag. Dr. , Historiker , geb. 1969 in Wolfsberg / Kärnten. Studium der Geschichte und Philosophie in Graz und Wien. 1999–2004 Mitarbeiter der Österreichischen Historikerkommission. Seit 2005 Mitarbeiter der Kommission für Provenienzforschung am Technischen Museum Wien. Herbert-Steiner-Preis 2006. Lehraufträge an der Universität Klagenfurt und der Universität Wien. Forschungsschwerpunkte : Austrofaschismus und Nationalsozialismus , österreichische Emigration in den USA , Verkehrsgeschichte Österreichs , Kärntner Zeitgeschichte des 20. Jahrhunderts. Weitere Informationen : www.christiankloesch.at Ernst Langthaler , PD Dr. , geb. 1965 , Ausbildung : Studium der Geschichte und Graduiertenkolleg „Historische Anthropologie“ an der Universität Wien ; Position : Leiter des Instituts für Geschichte des ländlichen Raumes ( IGLR ) in St. Pölten und Privatdozent für Wirtschafts- und Sozialgeschichte an der Universität Wien ; aktuelle Buchpublikationen : gemeinsam mit Reinhard Sieder ( Hg. ) : Globalgeschichte 1800–2010 , Wien / Köln ( u. a. ) 2010 ; gemeinsam mit Erich Landsteiner ( Hg. ) : Agrosystems and Labour Relations in European Rural Societies , Middle Ages – Twentieth Century , Turnhout 2010 ; gemeinsam mit Ewald Hiebl ( Hg. ) : Im Kleinen das Große suchen. Mikrogeschichte in Theorie und Praxis , Innsbruck / Wien ( u. a. ) 2012. Hannes Leidinger , PD Mag. Dr. , geb. 1969 , Studium der Geschichte , der Klassischen Archäologie und der Ur- und Frühgeschichte , Lehraufträge an den Instituten für Geschichte und Zeitgeschichte der Universität Wien , Gastprofessur an der Universität Wien ; zahlreiche Publikationen. Forschungsschwerpunkte : Österreichische Geschichte im 19. und 20. Jahrhundert , Geschichte der Sowjetunion , Filmquellen zur Geschichte Österreichs , Habsburgermonarchie , Erster Weltkrieg , Geschichtstheorien , Historische Suizidologie , Kapitalismus- , Sozialismus- , Kommunismus- und Kriegsgefangenenforschung , Militär- und Spionagegeschichte. Wolfgang Meixner , geb. 1961 , Studium der Europäischen Ethnologie / Volkskunde sowie „gewählte Fächer“ mit Schwerpunkt Sozialgeschichte an der Universität Innsbruck , Mag. phil. 1989 , Dr. phil. 2001 , Assistent am hiesigen Institut seit 1994. Forschungsschwerpunkte : Unternehmer- und Unternehmensgeschichte , wirtschaftsgeschichtliche Aspekte in der NS-Zeit , sozialer Wandel in der Region. Seit 1. Juli 2007 Assistenzprofessor. Mit 12. Oktober 2007 als Vizerektor für Personal an der Universität Innsbruck bestellt ( bis 28. Februar 2016 ). Verena Moritz , Mag. Dr. , geb. 1969 , Geschichte- und Slawistikstudium an der Universität Wien ; Lehraufträge an den Instituten für Geschichte und Zeitgeschichte der Uni-
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Autorinnen und Autoren
versität Wien ; zahlreiche Publikationen zur russischen / sowjetischen sowie zur österreichischen Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts , Filmgeschichte oder zum Ersten Weltkrieg ; Mitarbeiterin mehrerer Forschungsvorhaben , Leiterin des FWF-Projektes „Österreichisch-sowjetische Beziehungen 1918–1938“; Mitglied der österreichisch-russischen Historikerkommission. Manfred Mugrauer , Mag. phil. , geb. 1977 in Vöcklabruck , Studium der Politikwissenschaft an der Universität Wien , wissenschaftlicher Sekretär der Alfred Klahr Gesellschaft. Veröffentlichungen zur Politikgeschichte und Kulturpolitik der Kommunistischen Partei Österreichs , u. a. : Die Politik der KPÖ in der Provisorischen Regierung Renner , Innsbruck / Wien ( u. a. ) 2006 ; ( Hg. ) : 90 Jahre KPÖ. Studien zur Geschichte der Kommunistischen Partei Österreichs , Wien 2009. Alexandra Neubauer-Czettl , Mag. phil. , geb. 1977 Vorau / Steiermark , 1995 bis 2000 Diplomstudium der Geschichte und Germanistik an der Universität Wien , seit 2000 wissenschaftliche Mitarbeiterin der Österreichischen Gesellschaft für historische Quellenstudien , Mitarbeit an diversen Projekten , Veranstaltungen und Publikationen ; 2001 bis 2005 auch Assistentin am Institut für Allgemeine Pädagogik an der Wirtschaftsuniversität Wien ; 2006 bis 2008 DOC-Stipendium der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. Publikationen ( u. a. ) : Staatliche Sportförderung in Österreich in der Ersten Republik ( Wien 2001 , zugleich Univ. Dipl. Wien 2000 ) ; Edition der Ministerratsprotokolle der Ersten Republik , Kabinett Ramek , Band 3 ( Wien 2002 ) und 4 ( Wien 2005 ) ; Kabinett Schuschnigg , Band 7 ( Wien 2011 ). Thomas Pammer , geb. 1982 in Graz. Nach einer touristischen Ausbildung mehrjährige Tätigkeit im Hotelgewerbe , danach Doppelstudium der Geschichte und der Skandinavistik an der Universität Wien. Studienaufenthalte in Umeå und Stockholm , 2011 Diplomarbeit im Fach Geschichte zum „Österreichischen Jungvolk“ in den Jahren 1933–1938 ; 2012 Diplomarbeit im Fach Skandinavistik zu den Kindertransporten der Schwedischen Israelmission 1938–1941. Forschungs- und Interessengebiete : Geschichte der Jugend , Emigrationsgeschichte. Brigitte Pellar , geb. 1947 , freischaffende Historikerin mit Schwerpunkt auf die Entwicklung der Gewerkschaftsbewegung. Bis 1989 Lektorin im Verlag des Österreichischen Gewerkschaftsbunds , dann Tätigkeit im Bereich Bildung und Kultur der Wiener Arbeiterkammer , 2001 bis 2007 Leitung des Instituts zur Erforschung der Geschichte der Gewerkschaften und Arbeiterkammern , ab 2005 Lehraufträge am Institut für Politikwissenschaft der Universität Wien. Publikationen ( u. a. ) : Die österreichische Gewerkschaftsbewegung von den Anfängen bis 1999 , Wien 2000 ( in Weiterführung der Gewerkschaftsgeschichte von Fritz Klenner ) ; … mit sozialpolitischen Erwägungen. Staatliche Arbeitsstatistik und Gewerkschaftsmitsprache im Handelsministerium der Habsburgermonarchie , Wien 2012.
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Autorinnen und Autoren
Ilse Reiter-Zatloukal , a. o. Univ.-Prof. Dr. iur. Universität Wien , Institut für Rechts- und Verfassungs ge schichte ; Studium der Rechtswissenschaften an der Universität Wien ; Forschungsprojekte zur politischen Ausbürgerung und zum politisch motivierten Vermögensentzug im Austrofaschismus ; zur österreichischen Strafrechtsgeschichte im 19. und 20. Jahrhundert sowie zur österreichischen Anwaltsgeschichte ; weitere Forschungsschwerpunkte : Verfassungsgeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts , Geschichte des Migrations- und Staatsangehörigkeitsrechts sowie Geschlechtergeschichte. Hans Schafranek , Historiker , Dr. phil , geb. in Schärding ( Oberösterreich ). Lebt in Wien und Berlin. Freier Mitarbeiter des Dokumentationsarchivs des Österreichischen Widerstandes. Autor bzw. Herausgeber von 14 wissenschaftlichen Buchpublikationen zu den Schwerpunkten vergleichende Diktaturforschung ( Nationalsozialismus und Stalinismus ), Emigration in die UdSSR , österreichische Zeitgeschichte und Nachrichtendienste im 2.Weltkrieg. Letzte Monografie : Söldner für den Anschluss. Die Österreichische Legion 1933–1938 , Wien 2011. Derzeitige Forschungsschwerpunkte : Nationalsozialismus in Österreich ; V-Leute der Gestapo ; High Heels. Kultur- , sozial- und erotikgeschichtliche Dimensionen einer unbequemen Verführung 1650–2012. Georg-Hans Schmit , nach Ablegung der Reifeprüfung am Wiener Goethegymnasium im Jahr 1985 direkter Einstieg ins Berufsleben , Ausbildung zum Bankkaufmann und langjährige Expertentätigkeit im Bankenbereich. Berufsbegleitendes Studium der Politikwissenschaft und Geschichte an der Universität Wien mit den Forschungsschwerpunkten Österreichische Politik , Bürokratie und öffentliche Verwaltung , Austrofaschismus , Politische Bildung , Arbeiterbewegung und Gewerkschaftliche Bildungsarbeit. Dissertation über die Entwicklung der Christlichen Arbeiterbewegung in den Jahren 1933 bis 1946. Seit vielen Jahren Tätigkeit in unterschiedlichen Feldern der Erwachsenenbildung sowie im Schulungsbereich verschiedener ArbeitnehmerInnenorganisationen. Maren Seliger , geb. in Hamburg , seit 1969 in Wien , Studium der Politikwissenschaft und Geschichte an den Universitäten Freiburg i. Br. , West-Berlin ( Dipl. Pol. : Otto-Suhr-Institut ) und Wien ( Dr. phil. ) ; Mitarbeiterin im Institut für Stadtforschung , Leiterin der Politischen Dokumentation im Wiener Stadt- und Landesarchiv ; Veröffentlichungen im Bereich der Wiener Stadtgeschichte , Kommunalpolitik und Parteienforschung. Gerhard Senft , geb. 1956 , Professor an der Wirtschaftsuniversität Wien. Studium der Volkswirtschaft und mehrjährige Berufstätigkeit als Ingenieur im Industrieanlagenbau. Im universitären Rahmen lehrend und forschend tätig seit 1988. Arbeitsschwerpunkte : Problemgeschichte und Theorieentwicklung der Ökonomie ; Geschichte der sozialen Bewegungen ; Geldwesen , Arbeitsorganisation und Zeitfaktor in historischer Dimension ; Wirtschaftspolitik ; Faschismusforschung. Theodor Körner-Preis für den Fachbereich Wirtschaftswissenschaften 2001. Von ihm erschien u. a. : Im Vorfeld der Katastrophe. Die Wirtschaftspolitik des Ständestaates. Österreich 1934–1938. Vergleichende Gesellschaftsgeschichte und politische Ideengeschichte der Neuzeit , Band 15. Braumüller Universitätsverlag , Wien 2002.
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Autorinnen und Autoren
Johannes Thaler , geb. 1979 , Gedenkdienst am Staatlichen Jüdischen Museum in V ilnius / Litauen , Studium der Geschichte , Slawistik und Politikwissenschaft in Wien und Neapel. Tätigkeiten bei : Österreichische Historikerkommission , Österreichisches Parlamentsarchiv , Allgemeiner Entschädigungsfonds für Opfer des Nationalsozialismus , Provenienzforschung der Universitätsbibliothek Wien , Jüdische Filmwoche , Österreichischer Austauschdienst. Verfasst derzeit seine Dissertation im Rahmen des Initiativkollegs ( Doktoratskollegs ) „Europäische historische Diktatur- und Transformationsforschung“ am Institut für Zeitgeschichte der Universität Wien zum Thema „Faschismus und kleinstaatliche Diktatur – Ein Vergleich von Litauen und Österreich in der Zwischenkriegszeit“. Julie Thorpe , received her PhD in History from the University of Adelaide in 2007. She currently holds an Australian Research Council Postdoctoral Fellowship at the Institute for Culture and Society at the University of Western Sydney where she is carrying out a study of World War One refugees in the Austro-Hungarian empire and the role of the international community in responding to the empire’s displaced populations. She also has an interest in Catholic devotional and associational life in Central Europe in the twentieth century. Her first book , Pan-Germanism and the Austrofascist State , 1933–38 , was published by Manchester University Press in 2011. Florian H. Wenninger , geb. 1978 , nach der Matura 1998 / 1999 Gedenkdienst in Yad Vashem / Jerusalem ; langjährige Tätigkeit in der außerschulischen Jugendarbeit und in der historisch-politischen Erwachsenenbildung ; Studium der Politikwissenschaft mit Schwerpunkt auf Politische Geschichte Mitteleuropas im 19. und 20. Jahrhundert , Vergangenheitspolitik im internationalen Vergleich und Friedens- und Konfliktforschung an der Universität Wien. Ab 2005 wissenschaftliche Hilfskraft am Institut für Staatswissenschaft , seit 2008 Doktorand und Assistent in Ausbildung am Institut für Zeitgeschichte der Universität Wien. 2009–2012 assoziiertes Mitglied des Initiativkollegs „Europäische historische Diktatur- und Transformationsforschung“. Zahlreiche Publikationen. Seit 2009 Redaktionsmitglied der Zeitschrift „Zeitgeschichte“. Helmut Wohnout , Priv.-Doz. , Mag. phil. , Dr. phil. , Min.-Rat , geb. 1964. Studium der Geschichte an der Universität Wien , Postgraduate-Studien an der Georgetown-University , Washington D. C. , Habilitation für das Fach Österreichische Geschichte an der Karl-Franzens-Universität Graz ; Abteilungsleiter im Bundeskanzleramt / Bundespressedienst , Geschäftsführer des Karl von Vogelsang-Instituts zur Erforschung der Geschichte der christlichen Demokratie in Österreich. Herausgeber des Jahrbuchs „Demokratie und Geschichte“, Forschungs- und Publikationsschwerpunkte : Studien zur österreichischen und europäischen Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts , Parteienund Institutionengeschichte , Widerstand und Verfolgung , Antisemitismus , Restitution und Umgang mit den Opfern des NS nach 1945 , Oral-history-Projekte.
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ILSE REITER-ZATLOUKAL, CHRISTIANE ROTHLÄNDER, PIA SCHÖLNBERGER (HG.)
ÖSTERREICH 1933–1938 INTERDISZIPLINÄRE ANNÄHERUNGEN AN DAS DOLLFUSS-/SCHUSCHNIGG-REGIME
Die Publikation bietet den aktuellen Forschungsstand sowie neue Perspek tiven der wissenschaftlichen Auseinandersetzung über das politische Sys tem der Jahre 1933 bis 1938 in Österreich. Für eine breite Diskussion dieser bis heute umstrittenen Epoche innerhalb der österreichischen Zeitgeschich te werden unterschiedliche Themenbereiche interdisziplinär – geschichts wissenschaftlich , rechtshistorisch , politologisch – beleuchtet. Die Themen schwerpunkte umfassen die Etablierung des austrofaschistischen Systems , politische Gewalt und Justiz , unterschiedliche Arten der Verfolgung von RegimegegnerInnen , eine eingehende Diskussion der Maiverfassung 1934 , wirtschaftliche / soziale sowie Genderaspekte des DollfußSchuschnigg Regimes sowie die Frage der Rückgabe in dieser Zeit entzogenen Vermö gens nach 1945. 2012. 400 S. GB. 240 X 170 MM | ISBN 978-3-205-78787-7
böhlau verlag, wiesingerstrasse 1, a-1010 wien, t: + 43 1 330 24 27-0 [email protected], www.boehlau-verlag.com | wien köln weimar
ROBERT KRIECHBAUMER
EIN VATERLÄNDISCHES BILDERBUCH PROPAGANDA, SELBSTINSZENIERUNG UND ÄSTHETIK DER VATERLÄN DISCHEN FRONT 1933–1938 (SCHRIFTENREIHE DES FORSCHUNGSINSTITUTES FÜR POLITISCH-HISTORISCHE STUDIEN DER DR.-WILFRIED-HASLAUERBIBLIOTHEK, BAND 17)
Das 20. Jahrhundert wurde das Jahrhundert der Bilder. Die Photographie und der Film wurden „Zeugen der Zeit“. Während um 1900 die Presse mit ihren Nachrichten und Bildern den Ereignissen oft Wochen nachhinkte , verkürzte sich diese Differenz nach dem Ersten Weltkrieg auf Tage und Stunden. Die kollektive Wahrnehmung erfolgte zunehmend durch die Linse des Photo graphen. Das Photo , vor allem das Pressephoto , wurde zum Inbegriff der Wirklichkeit. Die in diesem Band enthaltenen Photographien illustrieren die Selbstinszenierung der Vaterländischen Front. Als Bilder „von oben“ blenden sie die Geschichte „von unten“ aus. Armut , Arbeitslosigkeit und Hunger sind nicht ihr Thema , sie sind keine Sozialreportage. Als Dokumente der defensiv en Selbstinszenierung vor allem gegenüber dem Nationalsozialismus legen sie jedoch die Strukturen und den imitativen Charakter der propagandistischen Bemühungen offen. In diesem Kontext verlieren sie ihren musealen Charakter und offerieren dem Betrachter eine Schrift , die man lesen kann. 2002. 272 S. 263 S/W-ABB. GB. 210 X 270 MM | ISBN 978-3-205-77011-4
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Georg-Hans Schmit
„Im Namen Gottes , des Allmächtigen“: christlich – deutsch – berufsständisch Ausgewählte Aspekte über den Stand und die Perspektiven der Forschung über das christlichsoziale Lager in den Jahren 1929 bis 1938 I. Einleitung Das Jahr 1929 war für das christlichsoziale Lager in Österreich mit einem wesentlichen Umbruch verbunden : Die bisher dominierende Führungspersönlichkeit , Prälat Ignaz Seipel , trat am 4. 5. 1929 als Bundeskanzler zurück. Seipel , seit 1921 Obmann der Christlichsozialen Partei , prägte über viele Jahre die Regierung und mit dem Konzept des politischen Katholizismus die ideologische Ausrichtung der Partei. Die Jahre nach Seipels Rücktritt waren von politischer Instabilität gekennzeichnet , es gelang nicht mehr , dauerhafte Regierungen zu bilden und der Einfluss der faschistisch orientierten Heimwehren nahm stetig zu. Da die Christlichsoziale Partei bei den Nationalratswahlen am 9. 11. 1930 nicht den gewünschten Erfolg erzielen konnte , wurden konkrete Überlegungen zum Ersatz des Parlamentarismus durch eine autoritäre , auf berufsständischer Basis aufgebaute Gesellschafts- und Herrschaftsordnung getroffen. Im Jahr 1932 setzte die Regierung unter Bundeskanzler Engelbert Dollfuß erstmals das Kriegswirtschaftliche Ermächtigungsgesetz ein und am 4. 3. 1933 wurde der Nationalrat nach einer Geschäftsordnungskrise ausgeschaltet. Es folgten fünf Jahre einer Regierungsdiktatur , die sich vor allem auf ein Bündnis mit den Säulen des christlichsozialen Lagers , der katholischen Kirche , dem Besitzbürgertum und den Bauern stützte. Breite Bevölkerungsschichten , vor allem die im Wesentlichen sozialdemokratisch eingestellte Arbeiterschaft , standen dem Regime ablehnend gegenüber. Mehrere Versuche der Regierung , diese Menschen mit dem neuen System zu „versöhnen“ schlugen fehl. Innerlich geschwächt und äußerlich bedroht endete das Experiment der österreichischen Regierungsdiktatur am 12. 3. 1938 mit dem Einmarsch deutscher Truppen und der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten. In den folgenden Kapiteln sollen nun einige Aspekte des Standes der Forschung über das christlichsoziale Lager in diesem Zeitraum beschrieben und mögliche zukünftige Perspektiven aufgezeigt werden. Da eine gesamthafte Aufnahme und Darstellung sowie eine
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detaillierte Beurteilung die redaktionellen Vorgaben dieses Artikels übersteigen würde , muss sich dieser auf einige ausgewählte Themen beschränken. Im Literaturbericht wird daher vor allem auf wesentliche Werke der wissenschaftlichen Forschung Bezug genommen , die zentrale Aspekte in der Entwicklung des christlichsozialen Lagers in den Jahren 1929 bis 1938 behandeln. Dies betrifft vor allem die Verschränkung mit der katholischen Kirche , die Konflikte mit den anderen politischen Lagern sowie die spätere Ablehnung der parlamentarisch-demokratischen Regierungsform. Ergänzt wird diese thematische Auswahl durch Anführung wichtiger Überblickswerke. Daran schließt eine Aufstellung von Archiven und sonstigen Quellenbeständen an , die bisher kaum oder überhaupt nicht bearbeitet wurden. Eine Darstellung aller relevanten Archive würde den Umfang dieses Artikels ebenfalls sprengen , die Einschränkung erfolgt daher unter dem Gesichtspunkt , jedenfalls jene Bestände anzuführen , die bisher kaum bekannt waren oder noch nicht aufgearbeitet wurden. Im Weiteren folgen zwei Beispiele aus der aktuellen Forschungspraxis , wobei sich das erste mit der Untersuchung der Position der katholischen Kirche im Zuge der Errichtung des austrofaschistischen Herrschaftssystems und das zweite mit einer möglichen interdisziplinären Analyse bisher unbearbeiteter Quellenbestände beschäftigt. Die Auswahl dieser beiden Themenbereiche erfolgte aus dem Grund , da hier ebenfalls aktueller Forschungsbedarf gegeben ist. Zentrale wissenschaftliche Werke , in denen die Rolle und der Einfluss der katholischen Kirche analysiert und dargestellt wurden , sind schon vor mehr als 30 Jahren entstanden und sollten daher unter dem Blickwinkel der Diskurse der letzten Jahre sowie bisher unberücksichtigter Quellenbestände neu beurteilt werden. II. Literatur- und Quellenbestände 2.1 Literatur 2.1.1 zentrale wissenschaftliche Publikationen Ein erstes wesentliches Werk zur Erforschung des christlichsozialen Lagers bis zur Errichtung des autoritären Regimes ist die Dissertation Heinrich Bußhoffs , in der er das „Dollfuß-Regime“ als „geisteswissenschaftliches Problem“ erkennt und daher vor allem jene geistigen Voraussetzungen untersucht , die zum Ende der demokratischen Republik führten.1 Er setzt sich in diesem Zusammenhang kritisch mit jenen Erklärungsund Rechtfertigungsversuchen auseinander , die seitens des christlichsozialen Lagers als Argumente für die Errichtung des „Dollfuß-Regimes“ dienten und zeigt Widersprüche zwischen eigenen moralischen und religiösen Ansprüchen und dem konkreten politischen Handeln auf. Da sich Bußhoffs Arbeit im Wesentlichen auf den Zeitraum von 1929 bis zur Gründung der Vaterländischen Front beschränkt , musste die Frage , ob sich diese Widersprüche in den Jahren 1934–1938 fortsetzten , unbeantwortet bleiben. Eine umfangreiche Studie über den im österreichischen Katholizismus bestehenden Antisemitismus lieferte 1967 Friedrich Heer , der eine tief gehende Infektion des christlichsozialen Lagers durch einen konfessionell bestimmten Antisemitismus konstatierte.2 1 Bußhoff , Heinrich ( 1964 ) : Das Dollfuß-Regime in Österreich als geistesgeschichtliches Problem unter besonderer Berücksichtigung der „Schöneren Zukunft“ und der „Reichspost“ ( seit der Mitte des Jahres 1929 bis zu Gründung der „Vaterländischen Front“ ), phil. Diss. , Würzburg. 2 Heer , Friedrich ( 1981 ) : Gottes erste Liebe , Die Juden im Spannungsfeld der Geschichte , Berlin
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������������������������������������������������������� �������������������������������������� : „Im Namen Gottes , des Allmächtigen“
Die erste umfassende Arbeit über die Christliche Arbeiterbewegung im Untersuchungszeitraum von 1933–1938 stellt das Buch „Stand oder Klasse“ von Anton Pelinka dar.3 In diesem 1972 erschienen Werk führt Pelinka als zentralen Begriff jenen der „lo yalen Opposition“ für die Rolle der Christlichen Arbeiterbewegung innerhalb des austrofaschistischen Ständestaates ein. Die Christliche Arbeiterbewegung setzte sich zwar in einigen Politikfeldern durchaus gegen politische und soziale Verschlechterungen zur Wehr , das politische System selbst , in dem sie institutionell eingebunden war , stellte sie aber niemals wirklich infrage. Pelinka charakterisiert damit das Verhalten eines wesentlichen Teils des christlichsozialen Lagers in der Form , dass sich dieser wohl der Widersprüche zwischen den eigenen Grundsätzen ( w ie sie z. B. 1923 im Linzer Programm der christlichen Arbeiterschaft formuliert worden waren4 ) und der konkreten politischen Realität im austrofaschistischen Ständestaat bewusst war , diese aber aus Loyalität zum eigenen Lager nicht überwinden wollte. Die im Vorstehenden angeführten Werke entstanden in einem Zeitraum , der in Österreich durch Tabuisierungen im politischen und wirtschaftlichen Diskurs geprägt war. Emmerich Tálos und Wolfgang Neugebauer verwenden für diese Epoche den Begriff „Koalitionsgeschichtsschreibung“ und weisen ferner auf die Problematik hin , dass einschlägige Quellen bis in die 1980er-Jahre nicht zugänglich waren bzw. aus der bis damals selektiven wissenschaftlichen Beschäftigung mit diesem Thema „blinde Flecken“ resultierten.5 Die Frage , auf welchen unterschiedlichen Ebenen der Antisemitismus in der Ers ten Republik wirkte und wie die einzelnen politischen Lager im Allgemeinen und das christlichsoziale im Besonderen dazu standen , war nach dieser Zeit Objekt intensiverer Betrachtung. Pelinka identifizierte z. B. in einem Aufsatz aus dem Jahr 1999 die fehlende Auseinandersetzung mit dem Antisemitismus als Teil des Demokratiedefizits der damaligen Zeit : „Zwar war die antisemitische Einstellung innerhalb der Sozialdemokratie nicht programmatischer Natur , und die antisemitische Programmatik der Christlichsozialen war weniger scharf und weniger eindeutig in der rassistischen Begründung des Feindbildes ‚Jude‘. Aber allen Lagern war gemeinsam , daß der Antisemitismus entweder bewußt gefördert ( vor allem von den Deutschnationalen ), oder aber bewußt genutzt ( vor allem von den Christlichsozialen ), oder aber bewußt ignoriert wurde ( vor allem von den Sozialdemokraten ). Eine offensive Auseinandersetzung mit einem Vorurteil , dessen Widerspruch zu den Grundlagen der Demokratie auch vor Auschwitz offenkundig war , fehlte in der Ersten Republik.“6 ( A nmerkung : von Dr. Friedrich Heer durchgesehene , ungekürzte und um ein Schlußkapitel „Rückblick und Ausblick“ erweiterte Lizenz-Ausgabe des früher [ A nmerkung : 1967 ] im Bechtle-Verlag in mehreren Auflagen erschienen Werkes von Friedrich Heer , GOTTES ERSTE LIEBE , 2000 Jahre Judentum und Christentum , Genesis des österreichischen Katholiken Adolf Hitler ). 3 Pelinka , Anton ( 1972 ) : Stand oder Klasse ? Die Christliche Arbeiterbewegung Österreichs 1933– 1938 , Wien. 4 Lugmayer , Karl ( 1924 ) : Das Linzer Programm der christlichen Arbeiter Österreichs , Wien. 5 Tálos , Emmerich / Neugebauer , Wolfgang ( Hg. ) ( 2005 ) : Austrofaschismus , Politik – Ökonomie – Kultur 1933–1938 , Wien , Vorwort. 6 Pelinka , Anton ( 1999 ) : Österreich – Die erste Republik. In : Reinalter , Helmut ( Hg. ) : Republikbegriff und Republiken seit dem 18. Jahrhundert im europäischen Vergleich , Frankfurt / Main , 268.
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Trotz der ab der Mitte der 1980er-Jahre verstärkten Forschung ist insgesamt festzustellen , dass die vorhandene Literatur in Bezug auf die spezielle Behandlung des christlichsozialen Lagers quantitativ durchaus überschaubar geblieben ist. Eine der wenigen aktuellen Publikationen ist die 2010 fertiggestellte Dissertation von Markus Benesch , in der ein umfassender Überblick zur Geschichte der Christlichsozialen Partei in Wien gegeben wird.7 Diese stark deskriptiv ausgerichtete Arbeit ist inhaltlich in drei Phasen aufgebaut ( Phase des Niedergangs nach dem Tod Karl Luegers – Konsolidierung ab den 1920er-Jahren – Phase des neuerlichen Niedergangs ab 1929 nach dem Auftreten neuer politischer Konkurrenten im rechten Spektrum ) und enthält eine Reihe von Kurzbiografien , Daten zur Aufbauorganisation sowie Berichte über Parteitage und Sitzungen des Parteivorstandes. Insgesamt beschreibt sie die Geschichte der Wiener Christlichsozialen als eine der Widersprüche und Schwierigkeiten , zerrissen zwischen bundespolitischen Verpflichtungen und aggressiv agierenden politischen Gegnern. 2.1.2 Überblicksliteratur und Grundlagenwerke Im Bereich der Überblicksliteratur wären zuerst die Veröffentlichungen von Anton Staudinger zu nennen.8 In seinen relevanten Beiträgen , die im Wesentlichen in den 1970erund 1980er-Jahren entstanden sind , finden sich neben der Beschreibung des historischen Verlaufs kritische Würdigungen der Ideologie und politischen Positionierungen des christlichsozialen Lagers.9 Mit einer eingehenden Beurteilung der speziellen Ideologie des politischen Katholizismus beschäftigte sich in etwa zur selben Zeit Ernst Hanisch , der darüber hinaus auch die Geschichte der Christlichsozialen Partei Salzburgs analysierte.10 An Grundlagenwerken zu Quellen über die Entwicklung der Christlichsozialen Partei sind die 1980 von Walter Goldinger herausgegebenen Protokolle des Klubvorstandes der Christlichsozialen Partei der Jahre 1932 bis 1934 zu nennen.11 In diesen werden unter anderem das Verhältnis zu den Heimwehren und der katholischen Kirche sowie die Entwicklung in Richtung des Aufbaus eines autoritären Regimes beschrieben. Weiters werden jene unterschiedlichen Konfliktlinien erkennbar , die einen maßgeblichen Einfluss auf die Entwicklung der Partei hatten. Dazu gehört insbesondere die Darstellung der reservierten Haltung von führenden Persönlichkeiten der Christlichen Arbeiterbewegung wie Franz Spalowsky oder Leopold Kunschak gegen die Auflösung der Christ-
7 Benesch , Markus ( 2010 ) : Die Geschichte der Wiener christlichsozialen Partei zwischen dem Ende der Monarchie und dem Beginn des Ständestaates , phil. Diss. , Wien. 8 Publikationsverzeichnis ( Auswahl ), siehe URL : http ://www.univie.ac.at / z eitgeschichte / c ms / uploads / staudinger_publikationen.pdf ( abgefragt am 17. 5. 2011 ). 9 Staudinger , Anton ( 1975 ) : Christlichsoziale Partei und Errichtung des „Autoritären Ständestaates“ in Österreich. In : Jedlicka , Ludwig ( Hg. ) : Vom Justizpalast zum Heldenplatz , Studien und Dokumentationen 1927 bis 1938 , Wien , 65–81 , sowie Staudinger , Anton ( 1983 ) : Christlichsoziale Partei. In : Weinzierl , Erika / Skalnik , Kurt ( 1983 ) : Österreich 1918–1938 , Geschichte der Ersten Republik 1 , Graz , 249–276. 10 Hanisch , Ernst ( 1977 ) : Die Ideologie des politischen Katholizismus in Österreich 1918–1938 , W ien ; Hanisch , Ernst ( 1984 ) : Die Christlichsoziale Partei für das Land Salzburg 1918–1934 [ M itteilungen der Gesellschaft für Salzburger Landeskunde 124 ] , 477–496. 11 Goldinger , Walter ( 1980 ) : Protokolle des Klubvorstandes der Christlichsozialen Partei , Wien.
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lichsozialen Partei und deren Aufgehen in der Vaterländischen Front.12 Ergänzend zu dieser Publikation stehen die Protokolle der Parteitage der Christlichsozialen Partei der Ersten Republik , die im Jahr 2006 von Robert Kriechbaumer herausgegeben wurden.13 Eine Darstellung über das christlichsoziale Lager Oberösterreichs enthält ein 1984 erschienenes Buch von Harry Slapnicka.14 Dieses gewährt Einblicke in das Verhältnis zwischen katholischer Kirche und Christlichsozialer Partei sowie in jene Konflikte , durch die dieses politische Lager geprägt war. Beispielhaft dafür war die Art und Weise , wie die katholischen Vereine durch den damaligen Linzer Bischof Johannes Gföllner aus dem direkten Einflussbereich der Partei herausgelöst und in die Katholische Aktion überführt wurden. In Bezug auf die Behandlung der Anschlussthematik ist die im Jahr 1984 von Ludwig Reichhold erstellte und vom Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes herausgegebene Publikation über die Vaterländische Front anzuführen.15 Im Wesentlichen handelt es sich um eine Zusammenfassung unterschiedlicher Quellen und – in geringerem Umfang – eine Bewertung der Vorgänge dieser Zeit. Reichhold deutet dabei das Phänomen des Austrofaschismus vor allem als eine Reaktion auf die seit 1933 bestandene Anschlussdrohung. Mit dieser Aussage steht er in Widerspruch zu anderen Thesen , die die Entstehung des austrofaschistischen Ständestaates als eine Reaktion auf die ökonomische und politische Krise Österreichs in Verbindung mit der Durchsetzung der wirtschaftlichen Interessen einflussreicher Gruppen in der Industrie bzw. Finanzwirtschaft erklären.16 Ausgehend von den durchgeführten Literaturrecherchen ließen sich mehrere Themenfelder beschreiben , die es noch wissenschaftlich aufzuarbeiten gäbe , einige davon wären : • Studien zu Kontinuitäten und Diskontinuitäten vor und nach der Umbruchszeit 1933 / 1934 , und zwar sowohl auf personeller als auch ideologischer Ebene. • Beschreibung und Analyse der Konfliktlinien zwischen den einzelnen Interessengruppen innerhalb des christlichsozialen Lagers sowie deren Einfluss auf die Regierungspolitik. 12 In der vorletzten Sitzung des Parteivorstandes der Christlichsozialen Partei am 15. 2. 1934 waren als Vertreter der Christlichen Arbeiterbewegung Leopold Kunschak und Franz Spalowsky anwesend. Im Lauf der hitzigen Diskussion um die Ereignisse des 12. 2. 1934 wollte Kunschak alle seine Ämter zurücklegen und im neuen politischen System überhaupt nicht mehr mitmachen. Er war verbittert über die Art und Weise , wie Bundeskanzler Dollfuß in den letzten Tagen vorgegangen war. „Haben wir denn überhaupt noch etwas zu reden ? Wozu fragt man uns ? [ … ] Das ganze hat keinen Sinn. Ich bin im reinen mit mir. [ … ] Für mich ist es klar. Mein Entschluß ist , aus diesem politischen Leben zu verschwinden.“ Kunschak zitiert in Goldinger , ( 1980 ), 356. 13 Kriechbaumer , Robert ( 2006 ) : „Dieses Österreich retten …“, die Protokolle der Parteitage der Christlichsozialen Partei in der Ersten Republik , Wien. 14 Slapnicka , Harry ( 1984 ) : Christlichsoziale in Oberösterreich , vom Katholikenverein 1848 bis zum Ende der Christlichsozialen 1934 , Linz. 15 Reichhold , Ludwig ( 1984 ) : Kampf um Österreich , Die Vaterländische Front und ihr Widerstand gegen den Anschluß 1933–1938 , Wien. 16 Z. B. Tálos , Emmerich / Manoschek , Walter : Zum Konstituierungsprozeß des Austrofaschismus. In : Tálos , Emmerich / Neugebauer , Wolfgang ( Hg. ) ( 2005 ) : Austrofaschismus , Politik – Ökonomie – Kultur 1933–1938 , Wien , 23.
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• Erhebung von sozialen und wirtschaftlichen Auswirkungen in den konkreten Lebenswelten : Konnten Christlichsoziale vom politischen Umbruch profitieren ? • Behandlung der Frage , welche Arten von Widerstand es innerhalb des christlich sozialen Lagers gegen die Errichtung des autoritären Herrschaftssystems gab ? Ein weiteres , bisher kaum im Detail behandeltes Thema auf der Ebene der Christlichen Arbeiterbewegung ist die Frage der Konkurrenz und nach den daraus resultierenden Konflikten zwischen den in den westlichen Bundesländern angesiedelten Christlichen Arbeitervereinen , die an die katholische Kirche angebunden und föderalistisch organisiert waren , und den vor allem in Wien , Niederösterreich und der Steiermark agierenden , zentralistisch geführten Christlichen Gewerkschaften. In Bezug auf die Entwicklung des katholischen Pressewesens sowie dessen Einfluss auf das Verhältnis von katholischer Kirche und Christlichsozialer Partei gibt es für den Zeitraum von 1918 bis 1932 eine umfangreiche Studie von Robert Prantner.17 Die Weiterführung der Untersuchung bis 1938 sowie eine kritische inhaltliche Reflexion der gewonnenen Erkenntnisse wäre ein weiteres zu bearbeitendes Forschungsthema. 2.2 Archive Angeführt werden im Folgenden Archivbestände , die bisher kaum oder überhaupt nicht bearbeitet wurden , aber für die wissenschaftliche Behandlung des Forschungszeitraumes 1929–1938 von Relevanz und Bedeutung sind. Da eine gesamthafte Aufnahme und Darstellung aller relevanten Archive ( z . B. die jeweiligen Landesarchive in den Bundesländern oder die kirchlichen Diözesanarchive ) die redaktionellen Vorgaben dieses Artikels übersteigen würde , musste diese Einschränkung vorgenommen werden. Österreichisches Staatsarchiv18 Im Jahr 2009 wurde der früher im Sonderarchiv Moskau verwahrte Bestand „Vaterländische Front und Bundeskanzleramt“ durch Russland an das österreichische Staatsarchiv , Abteilung Archiv der Republik ohne Inventur und in einem eher undurchsichtigen Ordnungszustand übergeben. Die grundsätzliche Freigabe zur Benützung erfolgte Anfang 2010.19 Zum Zeitpunkt der letzten Recherche im Dezember 2010 lag nur eine rudimentäre Erfassung des Archivgutes vor , eine erste Katalogisierung und Ordnung in Themenkreise erfolgte durch die TeilnehmerInnen des Forschungsseminars „Das Generalsekretariat der Vaterländischen Front 1934–1938“ am Institut für Zeitgeschichte der Universität Wien im Wintersemester 2010 /2011.20 Beispielhaft können hiezu Materialen angeführt werden , 17 Prantner , Robert ( 1984 ) : Kreuz und weiße Nelke , Katholische Kirche und Christlichsoziale Partei im Spiegel der Presse , Wien / Köln / Graz. 18 Österreichisches Staatsarchiv , 1030 Wien , Nottendorfer Gasse 2 , URL : http ://www.oesta.gv.at ( ab gefragt am 17. 5. 2011 ) 19 Vgl. Brief des Österreichischen Staatsarchivs an den Autor vom 2. 3. 2010 , GZ ÖSTA–1034178 / 0001ADR /2009. 20 Das Gesamtprotokoll über die gesichteten Kartons ( 541 Seiten ) mit dem Titel „Moskauer Bestand Generalsekretariat der Vaterländischen Front , ÖStA , AdR , 514“ befindet sich gemeinsam mit Kopien des bearbeiteten Materials ( Umfang 57 A4-Kartons ) in der Fachbereichsbibliothek Zeitgeschichte und
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die dem Thema „Christlichsoziales Lager & Kirche“ zugeordnet worden sind. Es handelt sich dabei um Aktenmaterial samt Schriftwechsel über diverse Interventionen , die Überleitung der Christlichsozialen Partei in die Vaterländische Front sowie den Aufbau der Vaterländischen Front auf lokaler Ebene und deren Zusammenwirken mit der katholischen Kirche. Insgesamt könnte das Archivgut durchaus dazu geeignet sein , die konkreten Auswirkungen der politischen Umgestaltung auf das christlichsoziale Lager zu untersuchen , und zwar vor allem auf lokaler Ebene mit Bezug auf die tägliche Lebenswelt. Karl von Vogelsang-Institut21 Das im Jahr 1980 gegründete Karl von Vogelsang-Institut ( K VVI ) beherbergt das Archiv der ehemaligen Christlichsozialen Partei sowie jenes der ÖVP nach 1945. Neben Protokollen , Broschüren und politischen Schriften werden im KVVI ca. 3.500 Plakate und 20.000 Fotos aufbewahrt. Daneben bestehen ein Pressearchiv und eine Fachbibliothek mit derzeit 80.000 Titeln. Ein weiterer Schwerpunkt liegt in der Archivierung von Nachlässen , und hier gilt der besondere Hinweis den beiden bis dato nicht bearbeiteten von Leopold Kunschak ( Gründer des christlichsozialen Arbeitervereins , Obmann der Christlichsozialen Partei und Nationalratspräsident der 2. Republik ) und Lois Weinberger ( f ührender Gewerkschaftsfunktionär 1934 bis 1938 , Widerstandskämpfer , Mitbegründer der Österreichischen Volkspartei und Vizebürgermeister der Stadt Wien ). Dieses Archivgut besteht aus persönlichen Unterlagen wie Briefen , privaten Dokumenten und Aufzeichnungen , Fotografien ( sowohl in privatem wie auch öffentlichem Zusammenhang ), Zeitungen und Zeitschriften sowie diversen Tonträgern. Eine Aufarbeitung des Materials könnte insbesondere neue Erkenntnisse über das Verhältnis der Christlichen Arbeiterbewegung zur Christlichsozialen Partei sowie zur Beurteilung von Konfliktlinien innerhalb des christlichsozialen Lagers erbringen. Konkrete Beispiele für Untersuchungsgegenstände wären etwa der Schriftwechsel zwischen Kunschak und Bundeskanzler Ignaz Seipel oder jener zwischen Kunschak und diversen Heimwehrfunktionären. Archiv der Fraktion Christlicher GewerkschafterInnen im ÖGB22 In diesem Archiv befinden sich unterschiedliche primäre Quellen zur Geschichte der gesamten Christlichen Arbeiterbewegung sowie der Christlichen Gewerkschaften. Es handelt sich hierbei um Protokollbücher , Mitgliedslisten , Briefe , Festschriften und interne Berichte. Weiters ist eine Reihe von Monografien , Sammelbänden und Zeitschriften vorhanden. Einige der bisher bearbeiteten Unterlagen geben nicht nur Aufschlüsse über die interne Organisation der Christlichen Arbeiterbewegung , sondern zeigen auch wirtschaftliche Konfliktlinien mit den Interessengruppen der Unternehmer innerhalb der Christlichsozialen Partei auf. Einem Protokoll über den „1. Sprechabend der christlichen Angestelltengewerkschaft in Währing“ vom 26. 11. 1931 ist beispielsweise zu entnehmen , Osteuropäische Geschichte , Universitätscampus Altes AKH , Spitalgasse 2–4 , 1090 Wien , URL : http :// bibliothek.univie.ac.at / fb -zeitgeschichte / ( abgefragt am 17. 5. 2011 ) 21 Karl von Vogelsang-Institut , Institut zu Erforschung der Geschichte der christlichen Demokratie in Österreich , 1120 Wien , Tivoligasse 73A , URL : http ://www.kvvi.at ( abgefragt am 17. 5. 2011 ) 22 Fraktion Christlicher GewerkschafterInnen im ÖGB , 1020 Wien , Johann-Böhm-Platz 1 , URL : http ://www.fcg.at / ( abgefragt am 17. 5. 2011 )
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dass es in der Christlichen Arbeiterbewegung durchaus sozial- und wirtschaftspolitische Ideen gab , die massiv gegen die wohlhabenden Schichten in den Banken und der Industrie gerichtet waren. Es wurde etwa vorgeschlagen , dass in Österreich erworbenes Vermögen zu 50 Prozent in österreichischen Staatsanleihen angelegt werden muss , Pensionisten der Creditanstalt ihr Geld nicht ins Ausland transferieren dürfen und „Abfertigungen welche in den Großbanken u. in der Industrie ausbezahlt wurden und noch ausbezahlt werden , den Leuten wegnehmen [ … ] was sie zu unrecht erhalten haben u. damit die Winterhilfe finanzieren“.23 Das Archiv befand sich zum Zeitpunkt der zuletzt durchgeführten Recherchen im Jahr 2007 im damaligen Bundessekretariat der Fraktion Christlicher GewerkschafterInnen in 1010 Wien , Laurenzerberg 2. Im Zug der Übersiedlung in die neuen Räumlichkeiten des ÖGB Anfang 2010 in 1020 Wien , Johann-Böhm-Platz 1 , wurde das Material in ca. 60 Kisten verpackt , es ist ungeordnet und nicht katalogisiert. Die vollständige wissenschaftliche Aufarbeitung und Inventarisierung könnte vielfache Hinweise auf die unterschiedlichen sozialen und wirtschaftlichen Positionierungen innerhalb des christlichsozialen Lagers bringen und hier insbesondere die Konflikte zwischen Unternehmern und den auf abhängige Arbeit Angewiesenen aufzeigen. 2.3 ZeitzeugInnen Eine Befragung von direkten ZeitzeugInnen , die während der Jahre 1929 bis 1938 selbst innerhalb des christlichsozialen Lagers in gestalterischen Funktionen politisch aktiv waren , ist – wie diverse Recherchen und Nachforschungen gezeigt haben – nicht mehr möglich , da diese bis auf ganz wenige Ausnahmen bereits verstorben sind.24 Eine aber noch vorhandene und wie sich herausgestellt hat durchaus wichtige Informationsquelle für die Forschung stellen Kinder und Nachfahren dieser Personen dar. Insbesondere können damit bislang fehlende biografische Daten , Informationen über persönliche und politische Beziehungen erhoben sowie Einblicke in die individuelle Sozialisierung gewonnen werden. Weiters werden oftmals noch private Bestände an Unterlagen aufbewahrt ( Dokumente , Briefe , Zeitungsartikel ), die bisher nicht von der Forschung erfasst werden konnten. Ein Beispiel aus der persönlichen Forschungspraxis des Autors waren die Gespräche und Interviews mit Frau Waltraud Langfelder , der Tochter Lois Weinbergers , die im Herbst 2010 bzw. Frühjahr 2011 geführt werden konnten. In diesen konnte ein guter Einblick in das christlichsoziale Milieu der 1930er-Jahre gewonnen werden bzw. gab es wertvolle Hinweise zur Beurteilung des christgewerkschaftlichen Widerstands in den Jahren 1938–1945 sowie der anschließenden Gründung der ÖVP. In ihren privaten Unterlagen verwahrt Frau Langfelder auch noch historisch wertvolle Unterlagen , so zum Beispiel das Original des Schutzhaftbefehls von Weinberger aus dem Jahr 1944 oder den Briefwechsel mit bedeutenden Persönlichkeiten der Widerstands- und Nachkriegszeit. 23 Bericht über den 1. Sprechabend der Bezirksgruppe Währing vom 26. 11. 1931 , anwesend waren dabei u. a. Gemeinderat Karl Untermüller und Sekretär Lois Weinberger. Archiv der Fraktion Christlicher GewerkschafterInnen , 1010 Wien , Laurenzerberg 2. 24 Im Rahmen der aktuellen Forschung durch den Autor konnte dieser zwar noch mit einem lebenden direkten Zeitzeugen Kontakt aufnehmen , aufgrund des fortgeschrittenen Alters und gesundheitlicher Einschränkungen war aber das Ergebnis des geführten Interviews nicht mehr verwertbar.
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Nachdem sich auch diese Kinder und Nachfahren schon in einem fortgeschrittenen Alter befinden , ergibt sich hier ein dringender Forschungsbedarf und ein „last chance to get“, denn in absehbarer Zeit wird es nicht mehr möglich sein , diese Personen zu befragen. Weiters erscheint es von großer Bedeutung , die im privaten Besitz stehenden Quellen für eine weitere Forschung zu sichern. Diese könnte durch eine genaue Aufnahme der Unterlagen ( A nfertigung von digitalen Kopien und Katalogisierung ) oder eine Überführung in ein wissenschaftliches Archiv erfolgen. 2.4 Sonstige Quellen Eine Möglichkeit , Einblicke in das oftmals von katholischen Vereinen geprägte christlichsoziale Milieu zu gewinnen , ist die Untersuchung von Aufzeichnungen in Pfarrgemeinden. Ein Beispiel hierfür ist die Chronik der Pfarre Starchant in Wien 16.25 Die Kirche dieser 1922 gegründeten christlichen Arbeitersiedlung war nicht nur Mittelpunkt des religiösen Lebens , sondern übte auch soziale Funktionen aus. Insgesamt war das Pfarrleben durch sehr selbstbewusste und eigeninitiative katholische Vereine geprägt. So wurden Kindergarten und Hort vom Verein „Frohe Kindheit“ geführt und gemeinschaftliche Themen in der Männer- und Frauenrunde , dem Gesellenverein ( eine Gemeinschaft unterschiedlicher junger Menschen , wobei in dieser nicht nur angehende Handwerker , sondern auch Mittelschüler und Studenten vertreten waren ) bzw. dem Pfarrkomitee besprochen. Es gab eine Reihe kritischer Geister innerhalb dieser Vereine , die durchaus Meinungen vertraten , die sich nicht mit jenen der katholischen Autoritäten deckten.26 Um die „aufmüpfige“ Kirchengemeinde wieder der allgemeinen kirchlichen Norm unterzuordnen ( „Neuaufbau der Kirchengemeinde“ ) bzw. die Einrichtung der Katholischen Aktion zu unterstützen , nahm Erzbischof Innitzer bereits kurz nach seiner Amtseinführung im Jahr 1932 eine personelle Auswechslung des Pfarrers vor : Pfarrer Wagner kam nach Heiligenstadt , Starchant übernahm der Pfarrer der MariaLourdes-Kirche ( Wien 12 ) Rektor Hermann Franke. Der Ersatz der bisherigen ( demokratischen ) Vereinsstrukturen durch Übernahme der hierarchischen Form der Katholischen Aktion erfolgte aber nicht ohne Widerstand , speziell der Gesellenverein wehrte sich dagegen. Erst im Jahr 1937 konnte der Pfarrer den Abschluss der Umgestaltung in die Struktur der Katholischen Aktion melden. III. Aktuelle Beispiele aus der eigenen Forschungspraxis 3.1 Die Position der katholischen Kirche zur Errichtung des austrofaschistischen Herrschaftssystems in den Jahren 1933 / 34 Wie bereits in den vorstehenden Abschnitten beschrieben , sind zentrale Werke , die sich mit der Beurteilung des Einflusses der katholischen Kirche auf das christlichsoziale La25 Pfarrchronik der Pfarre und Wallfahrtskirche Starchant zur Hl. Theresia vom Kinde Jesu , 1160 Wien , Mörikeweg 22 , URL : http ://www.pfarre-starchant.at / ( abgefragt am 17. 5. 2011 ) 26 In einem Protokoll der „Frohen Kindheit“ vom 11. 7. 1929 ist z. B. angeführt , dass sich der pädagogische Leiter gegen die Übernahme durch die Schulschwestern wehrte , „weil die geistliche Erziehung nicht imstande sei , Charaktere zu erziehen“. Dieser Antrag wurde zwar abgelehnt , die Schulschwes tern kamen , blieben aber nur bis 1930 ( P farrchronik Starchant , 16 ).
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ger beschäftigen , vor mehr als 30 Jahren entstanden. Im Folgenden soll nun ein Ansatz vorgestellt werden , diese Fragestellung anhand offizieller Diözesanpublikationen und der Aufnahme bisher nicht bearbeiteter Quellenbestände ( z . B. den bereits angeführten Aufzeichnungen aus Pfarrgemeinden ) sowie zusätzlicher Literatur neu zu analysieren. Der Episkopat der katholischen Kirche Österreichs war seit der Gründung der Ersten Republik noch stärker als vorher an die Christlichsoziale Partei herangerückt , da er mit dem Ende der Monarchie seine bisherige Schutzmacht , den habsburgischen Kaiser , verloren hatte. Ideologisch war das Konzept des politischen Katholizismus vorherrschend , das eine Verschränkung des politischen und religiösen Lebens vorsah und vor allem gegen die Sozialdemokratie gerichtet war. Aufgrund des streng hierarchischen Aufbaus der katholischen Kirche gingen die ideologischen Vorgaben im Wesentlichen von der Bischofskonferenz bzw. den einzelnen Diözesanbischöfen aus. Auf lokaler Ebene bzw. in den zahlreichen katholischen Vereinen gab es durchaus Ansichten , die von den Vorgaben des Episkopats abwichen , durchsetzen konnten sich diese aber nicht.27 Am Beginn der 1930er-Jahre waren die katholischen Vereine und Laienorganisationen bereits in zwei straff organisierten Dachorganisationen , die „Katholische Aktion in Österreich“ und den „Volksbund der Katholiken Österreichs“, zusammengefasst worden. Die Katholische Aktion wurde im Jahr 1922 durch Papst Pius XI. als Gegenbewegung zum Monopolanspruch des Faschismus gegründet und sollte ein dynamischmissionarisches , direkt den Bischöfen unterstelltes Instrument des Laienapostolats werden.28 Darüber hinaus wurde der „Anspruch einer breiten Rechristianisierung der Bevölkerung [ … ] auch zur Speerspitze der Konfrontation mit dem laizistischen und antiklerikalen Sozialismus“.29 Diese Zusammenführung der Laienorganisationen und kirchlichen Vereine war durchaus mit dem von der Vaterländischen Front beanspruchten Monopolanspruch vergleichbar :30 „Wenn dies zum Teil auch ein Schutz vor dem 27 Im Gegensatz zum Episkopat stand die Meinung einiger , vor allem junger Priester , wonach sich die Kirche konsequent und ohne Vorbehalte auf Dauer aus der Politik herauszuhalten hätte. Ein Beispiel dafür war der damalige Kaplan von St. Valentin / NÖ und spätere Erzbischof von Wien , Dr. Franz König : „Mit vollem Recht ist auch in Österreich der Klerus aus der Politik ausgeschieden ; und mit vollem Recht wird auch von Laien immer wieder verlangt , daß dieses Verbot nicht durch die Praxis wieder stillschweigend aufgehoben werde. [ … ] [ E ]s scheint , daß durch die Vermengung beide Teile mehr Schaden als Nutzen haben. Für den Priester und die Kirche ist der Schaden offenkundig. Der Seelsorger muß für alle da sein und darf nicht durch offensichtliche Parteinahme für die eine Gruppe in seiner Pfarrei die andere vor den Kopf stoßen – selbst wenn sich dort weniger wertvolle oder gute Katholiken finden. Diese werden dann im Priester nicht mehr den Seelsorger sehen , der für alle da ist und über dem Streit der Meinungen steht , sondern lediglich den politischen Gegner.“ Franz König , zit. n. : Kapfhammer , Franz M. ( Hg. ) ( 1973 ) : Seiner Zeit voraus , Michael Pfliegler , aktuelle Texte , Graz , 307. 28 Vgl. Weinzierl , Erika / / Skalnik , Kurt ( 1983 ) : Österreich 1918–1938 , Geschichte der Ersten Republik 1 , Graz , 446–447. 29 Kriechbaumer , Robert ( 2001 ) : Die großen Erzählungen der Politik , politische Kultur und Parteien in Österreich von der Jahrhundertwende bis 1945 , Wien , 52. 30 Der bereits im Mai 1933 von Bundeskanzler Dollfuß gegründete Verband Vaterländische Front ( V F ) wurde durch die Verfassung vom 1. 5. 1934 und dem damit verbundenen Verbot von politischen Parteien zur politischen Monopolorganisation und bekam den Auftrag , „der Träger des österreichischen Staatsgedankens zu sein. Sein Ziel ist die politische Zusammenfassung aller Staatsangehörigen , die auf dem Boden eines selbständigen , christlichen , deutschen , berufsständisch gegliederten Bun-
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autoritären Ständestaat war , so ist eine deutliche Parallelentwicklung von Katholischer Aktion und Vaterländischer Front ( V F ) bis 1938 doch nicht zu übersehen. So wie in letztere die Christlichsoziale Partei überführt wurde , [ … ] so gingen große katholische Vereine mit einer eigenen alten Tradition in der katholischen Aktion auf.“31 Obwohl die katholische Kirche bereits ihre Kleriker im Jahr 1933 aus allen politischen Ämtern zurückgezogen hatte , bedeutete dies keineswegs die Aufgabe eines politischen Gestaltungsanspruches.32 In den Hirtenbriefen und Diözesanpublikationen des Jahres 1934 wurden diese Vorstellungen klar ausgesprochen und auf die umfassende Autorität der Kirche hingewiesen. „Christi Lehre fordert Glauben und Gehorsam“, stellte der St. Pöltner Bischof Memelauer in seinem Fastenhirtenbrief 1934 fest , um damit unbedingten Gehorsam gegenüber Bischof und Kirche einzufordern : „Mit rückhaltloser Sicherheit können wir der kirchlichen Lehrautorität uns anvertrauen und ihren Mitteilungen folgen. [ … ] Der gleiche Gehorsam gegen Gottes Wort , das gleiche katholische Bewußtsein muß uns beseelen gegenüber der Lehrgewalt der Kirche. [ … ] Den Gehorsam gegen das Wort der Kirche dürfen wir auch dann nicht versagen , wenn deren Wort hart klingt und anscheinend so ganz gegen den Zeitgeist ist.“33 Gehorsam wurde aber auch gegenüber der neuen autoritären Regierung gefordert , in der außerordentlichen Bischofskonferenz vom 23. 2. 1934 wurde dazu Folgendes beschlossen : „… die Konferenz empfiehlt den in der Katholischen Aktion zusammengeschlossenen katholischen Organisationen , daß sich ihre Mitglieder persönlich der Vaterländischen Front anschließen. [ … ] Der Beschluß findet seine Erklärung darin , daß die Mitglieder katholischer Organisationen die Treue zur staatlichen Autorität als religiöse Pflicht ansehen.“34 Gleichzeitig machten die Bischöfe der katholischen Kirche gegen alle mobil , die sich nicht diesem Gehorsam unterwerfen wollten : „Es ist ein ungemein ernstes Wort , das der Heiland über die Gehorsamsverweigerer gesprochen hat : ‚Wer auf die Kirche nicht hört , der gelte dir wie ein Heide und öffentlicher Sünder‘.“35 Wer sich gegen den „Kreudesstaates Österreich stehen und sich dem derzeitigen Führer der Vaterländischen Front oder dem von diesem bestimmten Nachfolger unterstellen“ ( Bundesgesetzblatt für den Bundesstaat Österreich 4 / 1934 ). 31 Weinzierl / Skalnik ( 1983 ), 448. 32 Mit Beschluss der Bischofskonferenz vom 30. 11. 1933 wurden per 15. 12. 1933 alle Priester aus parteipolitischen Ämtern und Funktionen zurückgezogen : „Nach reiflicher Erwägung , ob es günstig oder ungünstig sei , daß sich katholische Geistliche unter den gegenwärtig besonders heiklen politischen Verhältnissen als politische Mandatare weiter betätigen , hat die Bischofskonferenz den Beschluß gefaßt , die für die Ausübung des Mandates erforderliche bischöfliche Zustimmung in sinngemäßer Durchführung des can. 139 , § 4 , vorübergehend und allgemein zurückzunehmen. Jene hochwürdigen Herren , welche Mandate als Nationalräte , Bundesräte , Landtagsabgeordnete oder Gemeinderats- und Gemeindeausschußmitglieder inne haben , werden hiemit aufgefordert , ihre Mandate bis zum 15. Dezember d. J. niederzulegen ; das gleiche gilt von jeder führenden politischen Stellung. Geistliche , die sich sonst politisch betätigen wollen , bedürfen der besonderen Erlaubnis ihres zuständigen Ordinarius.“ Linzer Diözesanblatt , 1933 , Nr. 10 , 140. 33 Michael Memelauer , zit. n. : Hirtenbriefe der deutschen , österreichischen und deutsch-schweizerischen Bischöfe 1934 , 227–228. 34 Linzer Diözesanblatt , LXXX , 1934 ( a ) Nr. 2 , 27. 35 Michael Memelauer , zit. n. : Hirtenbriefe der deutschen , österreichischen und deutsch-schweizerischen Bischöfe 1934 , 228.
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zesgedanken“ stellte und Christus als „Führer“ nicht anerkannte , galt als Sünder und selbstsüchtig : „Es gibt Gegenwartsströmungen , die sich gegen den Kreuzesgedanken mit unverständigem Trotze wehren. Sie möchten am liebsten alle Zusammenhänge mit der Religion des Gekreuzigten sprengen. Wenngleich sie oft das Gegenteil behaupten und sogar das Höchstideal betonen , wollen sie von Christus nichts wissen und zumeist nur den selbstsüchtigen Menschenwillen durchsetzen. [ … ] Sie möchten am liebsten unabhängige , sieghafte Helden sein. Mit Tränen beklagt es schon der Apostel Paulus , ‚daß viele wandeln als Feinde des Kreuzes Christi‘.“36 Dass mit den „Feinden des Kreuzes Christi“ speziell die Sozialdemokraten gemeint waren , lag klar auf der Hand. Die sozialdemokratische Parole „Man kann nicht Sozialist und zugleich Kirchgänger sein ! Darum : Heraus aus der Kirche ! Werdet konfessionslos !“37 und die damit speziell in den 1920er-Jahren begründeten Kirchenaustritte schufen ein entsprechendes Feindbild , insbesondere auch dadurch , da die Sozialdemokraten an ihrem Linzer Parteitag 1926 die Forderung der Trennung von Staat und Kirche zum Programm erhoben hatten.38 Dazu kam eine innerhalb des christlichsozialen Lagers entstehende Angst vor einer Kirchenverfolgung wie in Russland und Mexiko : „Die Sozialdemokratie dagegen machte wenig Anstrengungen , den Katholiken ihre Angst zu nehmen. Eine maßlose Pfaffenhetze , gelegentliche Störungen von religiösen Veranstaltungen ließen diese nie zur Ruhe kommen.“39 Weiters gab es fundamentale Unterschiede in Bezug auf die Erziehung der Jugend und die Gestaltung des Schulwesens : Während die Sozialdemokraten sich für ein aufgeklärtes , nach demokratischen Grundsätzen aufgebautes Schulwesen einsetzten und eine „Arbeitsschule“ mit modernen Lehrplänen anstelle der alten „Lern- und Drillschule“ forderten , hielt die katholische Kirche an ihren konservativen Vorstellungen fest und sah nun die Gelegenheit , diese von der neuen autoritären Regierung einzufordern. „Und eines muß immer wieder betont werden , was auch das Konkordat besonders hervorhebt : die einzig verläßliche Grundlage jeder vaterländischen Erziehung ist und bleibt ‚die Erziehung in religiös-sittlichem Sinne nach den Grundsätzen der Kirche‘ [ … ] Und in der Schulfrage verlangen wir allmähliche Durchsetzung der vollen Bekenntnisschule und Säuberung aller niederen und besonders der Mittel- und Hochschulen von allen antikatholischen und antiösterreichischen Lehrbüchern und Lehrpersonen.“40 Diese Aussagen lassen klar erkennen , dass die Führung der katholischen Kirche Österreichs zu dieser Zeit noch sehr stark von den Vorgaben des 1. Vatikanischen Konzils und dessen Autoritätsverständnisses geprägt war. Dieses Konzil war am 8. 12. 1869 36 Ferdinand Stanislaus Pawlikowski , Fürstbischof von Seckau , zit. n. : Hirtenbriefe der deutschen , österreichischen und deutsch-schweizerischen Bischöfe 1934 , 230. 37 Zit. n. : Feller , Barbara ( 2010 ) : Kampf um die Seele : Sozialdemokratie und Kirche in der Zwischenkriegszeit. In : Kos , Wolfgang ( Hg. ) : Kampf um die Stadt , 361. Sonderausstellung des Wien-Museums , Wien , 73. 38 Seit 1919 gab es jährlich ca. 6.000–8.000 Austritte , 1923 infolge einer vom sozialdemokratischen Abgeordneten Karl Leuthner initiierten Kampagne sogar 22.000. Höhepunkt der Austrittswelle war 1927 mit insgesamt 28.837 Austritten. Vgl. Weinzierl / Skalnik , 1983 , 459. 39 Hanisch , Ernst ( 1994 ) : Der lange Schatten des Staates : Österreichische Gesellschaftsgeschichte im 20. Jahrhundert. In : Wolfram , Herwig ( Hg. ) : Österreichische Geschichte 1890–1990 , Wien , 293–294. 40 Linzer Diözesanblatt , LXXX , 1934 ( b ), Nr. 10 , 191.
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als Abschluss einer reaktionären Entwicklung eröffnet worden und stellte eine einzigartige dogmatische Reaktion auf atheistische / religionskritische Bewegungen und zeitgeschichtliche Entwicklungen dar. Papst Pius IX. verurteilte liberale , demokratische und nationale inner- und außerkirchliche Bewegungen und begann Verdächtiges sofort auszumerzen. In der Konstitution Pastor aeternus wurde die Einheit der Kirche über die Fokussierung auf das päpstliche Primat und dessen „Unfehlbarkeit“ dargestellt. Kernpunkte des Konzils waren ferner die Zurückweisung der modernen Wissenschaftsgläubigkeit und eine scharfe Ablehnung des Sozialismus bzw. der sozialistischen Arbeiterbewegung. Zwar forderte der Episkopat der katholischen Kirche die Gläubigen 1918 zur Anerkennung der demokratischen Republik auf ,41 er wandte sich aber später gegen die „Auswüchse des Parteienstaates“ und trat dementsprechend zwar anfangs mit leichter Unsicherheit , aber im Endeffekt doch überzeugt und nachhaltig für den neuen autoritären Kurs ein. „Und nun stehen wir in einer neuen Zeit , harrend und wartend , was sie uns bringen wird. Der Parteienstaat fand sein Ende , nicht weil er in sich untauglich war , sondern weil Demagogie und Parteienhader den Parlamentarismus unterwühlt , zermürbt hatten. Nach dem Motto : ‚Druck erzeugt Gegendruck‘ löste eine neue autoritäre Staatsführung die autoritätslose Demokratie ab , an die Stelle der egoistischen Vielheiten von Parteien und Parteichen trat die geschlossene Einheit des österreichischen Staatsgedankens und die liberalistisch-individuelle Wirtschaftsordnung wurde ersetzt durch einen wahrhaft sozialen ständischen Aufbau nach den Richtlinien des päpstlichen Rundschreibens ‚Quadragesimo anno‘.“42 Wie stark die katholische Kirche insgesamt hinter der Errichtung des austrofaschistischen Herrschaftssystems stand , zeigt zusammenfassend eine Rede bei der Generalversammlung des Katholischen Volksvereins am 11. 11. 1934 , bei der sich der Linzer Bischof Gföllner nochmals zur neuen Verfassung bekannte und zu einer aktiven Mitarbeit aller Katholiken in der Vaterländischen Front aufrief : „Wir Katholiken bringen der neuen Verfassung und daher auch der Vaterländischen Front aufrichtiges Vertrauen entgegen , wir wollen uns nicht abseits stellen oder auch nur eine zuwartende Haltung einnehmen , wir wollen auch nicht als eine etwa getarnte Aktion oder Partei auf einem Nebengleis neben ihr stehen , sondern mit ihr und ihren Reihen einmütig zusammenarbeiten.“43
41 In einer Erklärung vom 18. 11. 1918 an den Klerus der Erzdiözese Wien formulierte dies Kardinal Piffl folgendermaßen : „So hat mit diesem Tage bei uns der deutschösterreichische Staatsrat alle Rechte , welche nach der Verfassung der im Reichsrate vertretenen Königreiche und Länder bisher dem Kaiser zustanden , einstweilen übernommen , bis die im Jänner 1919 auf Grund allgemeiner Wahlen zu konstituierende Nationalversammlung die endgültige Verfassung festgesetzt haben wird. Inzwischen hat die provisorische Nationalversammlung Deutschösterreich als Republik erklärt. Über diese vollzogenen Tatsachen sind die Gläubigen entsprechend aufzuklären und zur unbedingten Treue gegenüber dem nun rechtmäßig bestehenden Staate Deutschösterreich zu ermahnen.“ Wiener Diözesanblatt , Nr. 21 /22 vom 18. 11. 1918 , 123. 42 Linzer Diözesanblatt , 1934 ( b ), 188. 43 Linzer Diözesanblatt , 1934 ( b ), 190.
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3.2 Die Inszenierung prominenter Persönlichkeiten des christlichsozialen Lagers am Beispiel unbearbeiteter Quellenbestände von Leopold Kunschak 3.2.1 Der christlichsoziale Politiker Leopold Kunschak Leopold Kunschak , der „Führer der christlichen Arbeiterschaft“44 wurde am 11. 11. 1871 in Wien als Sohn eines Fuhrwerkers geboren und wuchs in ärmlichen Verhältnissen auf. Nach seinem Lehrabschluss war er als Industriesattler bei der Simmeringer Waggonfabrik beschäftigt und lernte dort die sozialen Probleme der Arbeiterschaft kennen. Unter dem Einfluss der 1891 von Papst Leo XIII. erlassenen ersten katholischen Sozialenzyklika Rerum Novarum gründete er am 4. 12. 1892 den „Christlichsozialen Arbeiterverein“, dessen Obmann er 1895 wurde. Seine weitere politische Karriere führte Kunschak danach in das Abgeordnetenhaus des Reichsrates und in der Ersten Republik als Abgeordneten in den Nationalrat. Während der Zeit des austrofaschistischen Ständestaates übte er verschiedene Funktionen aus , unter anderem die eines Staatsrates. Im Gegensatz zu anderen führenden Repräsentanten des christlichsozialen Lagers stand er aber der Politik der Heimwehren sehr reserviert gegenüber und lehnte deren militantes Vorgehen ab. Nach Verfolgung in den Jahren der nationalsozialistischen Herrschaft kehrte Kunschak 1945 als einer der Mitbegründer der ÖVP , Vizebürgermeister von Wien und bis zu seinem Tod am 13. 3. 1953 als Nationalratspräsident wieder in das politische Geschehen zurück. Kunschak sprach sich zeit seines politischen Wirkens immer für die Integration der Christlichen Arbeiterbewegung in eine christlichsoziale Sammelpartei aus und übernahm daher auch Spitzenfunktionen in der Christlichsozialen Partei ( Obmann der Christlichsozialen Partei von 1920 bis 1921 und Obmann der Wiener Christlichsozialen Partei von 1921 bis 1932 sowie Klubobmann der christlichsozialen Parlamentsfraktion 1922 bis 1934 ).45 Unbestritten sind Kunschaks antisemitische Aussagen , bereits am ersten Parteitag der christlich-sozialen Arbeiterschaft Österreichs am 5. 1. 1896 stellte er sich mit einer Resolution „gegen den übermächtigen Einfluß des Judenthums und dessen Helfershelfer“.46 Für ihn war der Antisemitismus , wie ihn Karl Lueger propagierte , ein integrierender Bestandteil seiner politischen Argumentation , wobei er allerdings die Säkularisierung bzw. Zurückdrängung des Christentums als die größte Gefahr für eine gesellschaftliche Fehlentwicklung sah : „Bezüglich der Judenfrage erwähnt Redner [ Anm. : Kunschak ] , daß es selbstverständlich sei , daß jeder Christlich-socialer auch Antisemit ist , es ist aber zu bedenken und wohl zu überlegen ob es gut ist die ganze Kraft , das ganze Augenmerk 44 Diese Bezeichnung findet sich in unterschiedlichen Quellen , z. B. im Bericht des Freiheitsbundes , abgedruckt in der Christlichsozialen Arbeiter-Zeitung vom 3. 2. 1934 , 2 ; oder auf einer Festschrift , die anläßlich des 60. Geburtstags von Leopold Kunschak im November 1931 aufgelegt wurde ( A rchiv der Fraktion Christlicher GewerkschafterInnen im ÖGB , unkatalogisiertes Material ). 45 Biografische Daten zusammengestellt aus : i ) Blenk , Gustav ( 1966 ) : Leopold Kunschak und seine Zeit , Portrait eines christlichen Arbeiterführers , Wien ; ii ) Freiheit , Wochenzeitung der christlichen Arbeiter und Angestellten vom 11. 10. 1952 ( Festnummer anlässlich des 60. Jahrestages der Gründung des „Christlichsozialen Arbeitervereines“ ) ; iii ) Reichhold , Ludwig ( 1988 ) : Leopold Kunschak , von den Standesbewegungen zur Volksbewegung , Wien. 46 Freiheit , Organ für die christliche Arbeiterschaft Oesterreichs , Ausgabe Nummer 2 vom 15. 1. 1896 , 3.
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nur auf die Bekämpfung des Judenthums zu richten und dabei zu vergessen , daß , wie uns die Erfahrung besonders der letzten Zeit recht deutlich zeigt , durch die Entchristlichung der Gesellschaft die größten Schurken und Verräther aus unserem eigenen Volk hervorgehen.“47 Einige der vorhandenen Biografien blenden allerdings diese kritischen Aspekte in Bezug auf den Antisemitismus aus.48 In seiner öffentlichen Inszenierung repräsentierte Kunschak den einfachen Arbeiter , der sich zur Gänze seiner Aufgabe widmet , dafür unverheiratet bleibt und in einer kleinen „Arbeiterwohnung“ in Wien-Hernals bescheiden lebt. Sein persönliches Erscheinungsbild , das über Jahrzehnte unverändert blieb , war katholisch-konservativ , er trug alte Anzüge und besuchte regelmäßig die Heilige Messe. In seiner Person wurde eine Verbindung von unterschiedlichen Lebenswelten konstruiert , und zwar jene von Christlicher Arbeiterbewegung , Christlichsozialer Partei und katholischer Kirche. Er war aber auch ein persönliches Beispiel für die unterschiedlichen Strömungen innerhalb des christlichensozialen Lagers in Bezug auf die Stellung der Heimwehren sowie die Errichtung eines autoritären Herrschaftssystems. Noch in seiner Rede vor dem Wiener Gemeinderat am 9. 2. 1934 warnte Kunschak sehr deutlich vor einem drohenden Bürgerkrieg und rief zu einer Zusammenarbeit der beiden gegnerischen politischen Lager auf. Als Zeichen des guten Willens stimmten die christlichsozialen Abgeordneten damals einem Antrag der Sozialdemokraten für eine Sanierung der Gemeindefinanzen ( Konvertierung der Wiener Dollaranleihe ) zu. Kunschaks Rede zur Versöhnung richtete sich aber nicht nur an die Sozialdemokraten , sondern auch an die Heimwehren bzw. deren Wiener Führer Emil Fey. Speziell Fey hatte seit seiner Ernennung zum Vizekanzler und Sicherheitsminister am 21. 9. 1933 immer wieder zu einem gewaltsamen Schlag gegen die Sozialdemokratie aufgerufen. Bezeichnend für die politische Einstellung Kunschaks waren seine Aussagen in Bezug auf die Auflösung der Christlichsozialen Partei. Auf der letzten Großkundgebung der Christlichsozialen Partei am 23. 10. 1933 in Wien unterstützte Kunschak , der selbst im Mai 1932 seine Funktion als Obmann der Wiener Christlichsozialen aus Protest gegen die Bildung einer Koalitionsregierung mit Landbund und Heimatblock zurückgelegt hatte , vehement die Aussagen von Bundesparteiobmann Carl Vaugoin , der sich gegen ein Aufgehen in der Vaterländischen Front und für einen Weiterbestand der Partei aussprach : „Die Christlichsoziale Partei ist eine Notwendigkeit. Notwendigkeiten kann man nicht abschaffen , die muß man erhalten. Die Christlichsoziale Partei besteht und wird bestehen.“49 Bereits kurze Zeit darauf , am 1. 11. 1933 , wurde Vaugoin als Parteiobmann beurlaubt und Emmerich Czermak als geschäftsführender Obmann mit der Liquidierung der Partei beauftragt. Das Vorgehen Kunschaks bewies , dass er zwar grundsätzliche Bedenken gegen die Abschaffung der parlamentarischen Demokratie hatte , schlussendlich konnte er sich aber bei aller Unzufriedenheit zu keinem offenen Wider47 Freiheit , Organ für die christliche Arbeiterschaft Oesterreichs , Ausgabe Nummer 2 vom 15. 1. 1896 , 3. 48 Vgl. u. a. Franz Stamprech ( 1953 ) : Leopold Kunschak , Portrait eines christlichen Arbeiterführers , Wien. 49 Kunschak , zit. n. : Wagner , Georg ( 1984 ). Leopold Kunschak und die Schicksalsjahre 1933 und 1934 , erschienen in : Christliche Demokratie , ( 1984 ) Heft 1 , 91.
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stand durchringen : Seine persönliche Loyalität und Verbundenheit mit dem christlichsozialen Lager wogen stärker als die Bedenken gegen das neue , autoritäre Herrschaftssystem. 3.2.2 Der Nachlass Kunschaks im Karl von Vogelsang-Institut Ein wesentlicher Teil des Nachlasses von Kun schak befindet sich seit Herbst 2000 im Archiv des Karl von Vogelsang-Instituts. Abgese hen von jenen Archivalien , die im Rahmen einer Ausstellung anlässlich des 50. Todestages Abb. 1 : Seite aus einem privaten Fotoalbum Kunschaks im März 2003 Verwendung fanden , Leopold Kunschaks ist das Material bisher nur grob aufgearbeitet ( Quelle : Archiv des Karl von Vogelsangund katalogisiert worden. In mehreren Kartons Instituts ) sind neben persönlichen Unterlagen und Zeitungen auch persönliche Briefe an und von Bundeskanzler Seipel sowie der Schriftwechsel mit mehreren lokalen Heimwehrführern zu finden. Die Aufarbeitung dieses Materials könnte neue Hinweise auf die Stellung der Heimwehren auf regionaler Ebene sowie die Verfestigung autoritärer Tendenzen geben. Weiters befinden sich im Nachlass einige Fotoalben , die Kunschak sowohl in seinem privaten Umfeld als auch bei politischen Veranstaltungen in der Öffentlichkeit während des untersuchungsrelevanten Zeitraums von 1929 bis 1938 zeigen. Diese Fotos könnten als Quelle verwendet werden , eine Reihe von Fragestellung zu bearbeiten , z. B. das Aufzeigen möglicher Konfliktlinien und Gruppenbildungen , die Analyse von Politik- und Inszenierungsstilen oder ein Abb. 2 : Kunschak bei einer öffentlichen Rede Vergleich der Images aus der privaten und politischen Umgebung. ( Quelle : Archiv des Karl von VogelsangDie Untersuchung dieser Quellen bietet ferInstituts ) ner die Möglichkeit einer interdisziplinären Herangehensweise an diese Fragestellungen , in der nicht nur methodische und theoretische Ansätze der Visuellen Zeit- und Kulturgeschichte oder Politikwissenschaft , sondern auch aus den Medienwissenschaften , der Soziologie oder der Philosophie Anwendung finden könnten. Ein weiterer wichtiger Aspekt wäre die vollständige wissenschaftliche Aufnahme ( Katalogisierung und Digitalisierung ) der Archivalien , um ForscherInnen einen besseren Zugang zu den Untersuchungsobjekten und zitierfähigem Material zu ermöglichen.
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Zeitungen Christlichsoziale Arbeiterzeitung , Zentralorgan der Christlichsozialen Arbeiterpartei Oesterreichs Freiheit , Wochenzeitung der christlichen Arbeiter und Angestellten Linzer Diözesanblatt Wiener Diözesanblatt
Sonstige Quellen Pfarrchronik der Pfarre und Wallfahrtskirche Starchant zur Hl. Theresia vom Kinde Jesu , 1160 Wien , Mörikeweg 22 , URL : http ://www.pfarre-starchant.at / ( abgefragt am 17. 5. 2011 ) Hirtenbriefe der deutschen , österreichischen und deutsch-schweizerischen Bischöfe 1934 , Paderborn , Druck und Verlag der Junfermannschen Buchhandlung ( Verleger des Heiligen Apostolischen Stuhles ).
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Katharina Ebner
Politische Katholizismen in Österreich 1933–1938 Aspekte und Desiderate der Forschungslage I. Einführung Eine im Vergleich zu anderen Konfessionen hohe Identifikation der KatholikInnen1 mit ihrer Kirche führte in Fremd- wie Selbstwahrnehmung ( nicht nur in Österreich ) zu einer fehlenden Differenzierung zwischen den katholischen Gläubigen und der Institution katholische Kirche. Mithilfe des Begriffes Katholizismus sollte jedoch eine Abgrenzung von ( u nd eine Nicht-Gleichsetzung der KatholikInnen mit ) der katholischen Kirche hervorgehoben werden.2 Vor diesem Hintergrund lässt sich auch für Österreich nachvollziehen , warum die wissenschaftliche Beschäftigung mit einem politischen Katholizismus der Zwischenkriegszeit eine gewisse Engführung an einer parteipolitischen Komponente verdeutlicht. In der Folge wurde der Gesichtspunkt eines politischen Katholizismus unter dem Dollfuß / Schuschnigg-Regime3 von der Forschung bisweilen vernachlässigt. Nur eine die komplexen Kräftefelder eines ( österreichischen ) Katholizismus verkennende Sichtweise erlaubt es , die katholische Kirche mit Katholizismus zu identifizieren und gemeinsam mit der Christlichsozialen Partei als eine sich gegenseitig stützende Einheit wahrzunehmen. Aus diesem vereinfachten Verständnis von Kirche und Partei als poli1 Ein zeitweiliger Verzicht auf eine geschlechtergerechte Schreibweise im Folgenden ( i n Form einer Beschränkung auf die männliche Form ) ergibt sich notgedrungen aus dem Umstand , dass die sichtbaren Akteure in einem katholischen Umfeld vorwiegend männlich waren. 2 Katholizismus kann somit als „die Form , in der das katholische Christentum in der Gesellschaft in Erscheinung tritt“, bestimmt werden , vgl. Saberschinsky , Alexander ( 2009 ) : Die Organisation des politischen Katholizismus in Europa des 20. Jahrhunderts. In : Timmermann , Heiner ( Hg. ) : Die Rolle des politischen Katholizismus in Europa im 20. Jahrhundert , Berlin , 47–61 : 47. Vgl. auch Hanisch , Ernst ( 1977 ) : Die Ideologie des politischen Katholizismus in Österreich ( 1918–1938 ), Wien / Salzburg , 1. 3 Der anhaltenden Kontroverse über die Einordnung des Herrschaftscharakters des österreichischen Regimes von 1933 bis 1938 soll hier insofern Rechnung getragen werden , als dass überwiegend die vermeintlich neutraleren Begriffe „Dollfuß / S chuschnigg-Regime“ bzw. „autoritäres Regime“ verwendet werden. Die Benutzung der umstrittenen Termini „Austrofaschismus“ bzw. „( Christlicher ) Ständestaat“ im Text orientiert sich an der entsprechenden Begriffsverwendung der besprochenen Autoren respektive ist sie der Hervorhebung bestimmter Regimeaspekte geschuldet.
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tischer Katholizismus und einer fehlenden Abgrenzung von einem Partei politischen Katholizismus lässt sich folgern , warum oftmals jene Forschungsarbeiten , die einen politischen Katholizismus behandeln , mit Regimebeginn 1933 / 34 enden. Dies kann sowohl mit der Entwicklung des autoritären Systems , der „Entpolitisierung“ des Klerus Ende 1933 als auch der Auflösung der Christlichsozialen Partei 1934 erläutert werden , die andere Vorzeichen für die österreichischen KatholikInnen setzten. Dabei bleibt jedoch zu bemängeln , dass somit vielfach die notwendigen Folgestudien für die Zeit bis 1938 ausblieben.4 Der Beschluss der österreichischen Bischofskonferenz vom 30. November 1933 , den katholischen Klerus aus der ( Partei-)Politik abzuziehen ,5 wird in der Historiografie auch als Todesstoß für die Christlichsoziale Partei gewertet ,6 da sich diese Maßnahme vor allem auf parteipolitisches Engagement innerhalb der parlamentarischen Demokratie bezog , nicht aber auf etwa nach dem Berufungsprinzip konstituierte Organe des neuen Regimes. Der nachfolgende Weihnachtshirtenbrief vom 21. Dezember 19337 beseitigte jeden Zweifel , ob diese Entpolitisierungsorder als Ausdruck des Misstrauens gegenüber der Regierung zu verstehen sei : Darin positionierte sich der Gesamtepiskopat offen im Sinne eines „überzeugten Ja zur Regierungsarbeit von Dollfuß“.8 Vorgebliches Entpolitisierungsgebot und Hirtenbrief können als Beispiel dafür dienen , eine theoretische Unterscheidung zwischen politischem und parteipolitischem Katholizismus auch in der Praxis zu stützen. Dieser ersten Entscheidung mag der Wunsch nach einem Ende parteipolitischer Verflechtung der Geistlichen zugrunde gelegen sein ,9 die kirchliche Hierarchie verzichtete jedoch infolge ebenso wenig wie zuvor auf politisch relevante Aussagen , wie der Hirtenbrief demonstriert. Die grundsätzliche Annahme des Bestehens eines politischen Katholizismus auch nach 1933 in Österreich scheint daher durchaus berechtigt. Eine Beschränkung dieses seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert sich auch in Österreich konstituierenden Phänomens auf rein parteipolitische Aktivitäten greift so gesehen zu kurz. Der vorliegende Beitrag orientiert sich an einer Abgrenzung eines poli4 Der Kirchenhistoriker Maximilian Liebmann setzt sich dafür ein , den Begriff „politischer Katholizismus“ angesichts der vorgenommenen „Entpolitisierung“ mit demjenigen des „Pastoralkatholizismus“ zu ersetzen , vgl. Liebmann , Maximilian ( 2009 ) : „Heil Hitler“ – pastoral bedingt. Vom politischen Katholizismus zum Pastoralkatholizismus , Wien u. a. 5 „Beschluß der österreichischen Bischofskonferenz bezüglich der politischen Betätigung des Klerus“, WDBl. , 21. 12. 1933 , 71. Jg. , 99. 6 Liebmann , Maximilian ( 2003 ) : Von der Dominanz der katholischen Kirche zu freien Kirchen im freien Staat – vom Wiener Kongress 1815 bis zur Gegenwart. In : Leeb , Rudolf / Wolfram , Herwig ( Hg. ) : Geschichte des Christentums in Österreich. Von der Spätantike bis zur Gegenwart [ Österreichische Geschichte ] , Wien , 380–456 : 415. 7 WDBl. , 21. 12. 1933 , 71. Jg. , 99–105. 8 Volk SJ , Ludwig ( 1983 ) : Der österreichische Weihnachtshirtenbrief 1933. Zur Vorgeschichte und Resonanz. In : Albrecht , Dieter / Repgen , Konrad ( Hg. ) : Politik und Konfession : Festschrift für Konrad Repgen zum 60. Geburtstag. Berlin , 393–414 : 400. 9 Kardinal Innitzer begründete in einem Gespräch mit dem italienischen Gesandten dieses „ein wenig zu radikal( e )“ Vorgehen damit , dies wäre ein zentraler Schritt in Richtung der Ausmerzung aller Parteien in dem von Dollfuß anvisierten Staat gewesen , Preziosi an Mussolini , vor 11. Januar 1934 : Ministero degli Affari Esteri , Rom , zit. n. Volk ( 1983 ), 402.
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tischen Katholizismus von anderen Wirkungsfeldern des Katholizismus und versteht diesen als plurales Gefüge. Denn die auf einen Katholizismus einwirkenden Prägungen , die sich in ihrer geschichtlichen Wirksamkeit nach Zeit und Raum bestimmen , ermöglichen vielfältige Erscheinungsformen desselben. Somit muss dessen Pluralität – und in der Folge auch jene eines politischen Katholizismus – bei der Anwendung des Begriffs mitgedacht werden.10 Abgrenzungsschwierigkeiten zu benachbarten Wirkungsbereichen , wie Kultur- oder Sozialkatholizismus , treten entlang der jeweiligen gesellschaftspolitischen Zielsetzung und der sich in verschiedenen historischen Perioden ändernden Interdependenzen auf und müssen ebenfalls als inhärente Merkmale der Begriffsbestimmung betrachtet werden.11 Nach der Begriffsinterpretation von Ernst Hanisch , die für viele ForscherInnen grundlegend wurde , lässt sich der politische Katholizismus für die Jahre 1918 bis 1938 in drei Gruppierungen umreißen :12 zum einen die kirchliche Hierarchie und der Klerus , sofern sie Aussagen von politischer Relevanz tätigten , zum anderen die Christlichsoziale Partei in ihrer Kerngruppe ( auf deren Bearbeitung hier verzichtet und auf den entsprechenden Beitrag in diesem Band verwiesen wird ) sowie , drittens , die vielen katholischen Vereine , Gruppen und diese repräsentierende Einzelpersonen , die als KatholikInnen einzuordnen sind und politisch Position bezogen. Ideologiegeschichtlich fächert Hanisch den Begriff in einen schmalen linken Rand ( religiöse Sozialisten , christliche Arbeiterbewegung und Einzelpersonen wie Ernst Karl Winter ) und einen wesentlich breiteren rechten , deutschnationalen Flügel auf. Letzterer schloss ein Spektrum ein , das von Exponenten wie Arthur Seyss-Inquart bis Karl Gottfried Hugelmann reichte und zudem aber auch Joseph Eberles Zeitschrift „Schönere Zukunft“, den Bund „Neuland“ sowie Teile der Hierarchie wie Bischof Alois Hudal einschloss.13 Gernot Stimmer bemängelt an Hanischs Begriff , dass sich dieser auf eine strukturelle Abgrenzung nach Trägergruppen beschränkt bzw. diese nach deren ideologischer Bandbreite bestimmt. Eine bei Hanisch vermisste historische Kontextualisierung sieht Stimmer hingegen bei Alfred Diamant gegeben , der den europäischen politischen Katholizismus als Reaktion von Klerus und Laien auf die Herausforderungen der Französischen Revolution , im Sinne eines liberalen Staates , begreift.14 Stimmer geht über Antimodernismus als Hauptmerkmal hinaus und erweitert den Terminus dezidiert im Verständnis 10 Schneider , Helmut ( 1980 ) : Katholizismus. In : Klose , Alfred / Mantl , Wolfgang / Z sifkovits , Valentin ( Hg. ) : Katholisches Soziallexikon , 2. , überarb. u. erg. Aufl. , Innsbruck / Wien / München , Sp. 1318– 1326 , sowie Klostermann , Ferdinand ( 1977 ) : Für eine Pluralität von politischen Katholizismen. In : Katholizismus und Politische Parteien. Gesellschaft und Politik Jg. 13 ( 1977 ) Heft 4 , 5–24. 11 Burghardt , Anton ( 1975 ) : Katholizismus-Merkmale. In : Gesellschaft und Politik Jg. 11 ( 1975 ) Heft 7 ; Köhler , Oskar ( 1975 ) : Der Politische Katholizismus. In : ebd. , 18 ff. , zit. n. Hanisch ( 1977 ), 2 , vgl. dazu auch Schneider ( 1980 ). 12 Hanisch ( 1977 ), 2. 13 Hanisch , Ernst ( 2005 ) : Der politische Katholizismus als ideologischer Träger des „Austrofaschismus“. In : Tálos , Emmerich / Neugebauer , Wolfgang ( Hg. ) : Austrofaschismus. Beiträge über Politik , Ökonomie und Kultur 1934–1938 , 5. überarb. u. erg. Aufl. , Wien , 68–86 : 70. 14 Diamant , Alfred ( 1960b ) : Die österreichischen Katholiken und die erste Republik. Demokratie , Kapitalismus und soziale Ordnung 1918–1934 , Wien , 12–14 , zit. n. Stimmer , Gernot ( 1997 ) : Eliten in Österreich : 1848–1970 [ Studien zu Politik und Verwaltung : 57 , Bd. 1 und 2 ] , Wien / Graz u. a. , 746.
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des Katholischen Soziallexikons , wonach „grundsätzlich jedes aus katholischer Weltanschauung motiviertes politisches Engagement innerhalb und außerhalb von Parteien“ darunter subsumiert wird.15 Diese breite Anwendung des Begriffs spiegelt nach Ansicht der Verfasserin die Pluralität jener katholisch geprägten Interventionen von Klerus und Laien in der Zwischenkriegszeit wider , denen eine ( gesellschafts-)politische Agenda zugrunde lag. Deshalb stützt sich der Beitrag im Folgenden auf diese Begriffsdeutung. Nach einem ereignisgeschichtlichen Überblick zum Forschungsstand soll die Ausrichtung eines politischen Katholizismus entlang seiner Trägergruppen , wie sie auch Hanisch anwendet , als pragmatischer Ausgangspunkt übernommen werden. Im Weiteren werden das katholische Vereinswesen sowie das katholische Pressewesen behandelt , wobei diese in Abgrenzung zu Hanisch nicht als Trägergruppen , sondern als zentrale Aktionsfelder eines politischen Katholizismus verstanden werden.16 II. Forschungsstand 1933–1938 Der Fokus auf die Erste Österreichische Republik ( 1918–1933 / 34 ), der frühe Arbeiten zum Verhältnis von Staat und Kirche in der Zwischenkriegszeit auszeichnet , war zum Teil dem sich erst entwickelnden Erkenntnisinteresse am Dollfuß / Schuschnigg-Regime geschuldet. Dies mag der Wahrnehmung mancher HistorikerInnen entsprochen haben , der politische Katholizismus habe in Österreich mit der Auflösung der Parteien und der katholischen Vereine 1933 / 34 ein vorläufiges Ende gefunden.17 2.1 Kirche und Staat vor 1933 Das oft als „Ehe von Thron und Altar“ charakterisierte Verhältnis von Staat und Kirche in der Monarchie verdeutlichte die dominierende Stellung der katholischen Kirche im Staat nicht zuletzt gegenüber anderen Konfessionen. Als beispielhaften Höhepunkt kann das Konkordat von 1855 gelten , das als Reaktion auf das Revolutionsjahr 1848 der Kirche vielfältige Zugeständnisse machte , um ihr einen besseren Dienst am Staat zu ermöglichen.18 Trotz der Höhen und Tiefen dieses Bündnisses prägte die Erfahrung mit der monarchischen Autorität als kirchlicher Schutzmacht die österreichischen Kirchen15 Schneider ( 1980 ) insb. Sp. 1323–1324 , zit. n. Stimmer ( 1997 ), 747. 16 Schneider ( 1980 ). 17 Brüggl , Alexandra ( 2012 ) : Politischer Katholizismus und „Klerikalfaschismus“: Politik und Kirche in der österreichischen Zwischenkriegszeit , Dipl.-Arb. , Wien , 9 und 16. Brüggl zitiert z. B. Diamant , Alfred ( 1960a ) : Austrian Catholics and the First Republic. Democracy , Capitalism and Social Order , 1918–1934 , Princeton oder Prantner , Robert ( 1955 ) : Katholische Kirche und christliche Parteipolitik in Österreich im Spiegel der katholischen Presse der Erzdiözese Wien unter der Regierung Kardinal Piffls von der Gründung der Republik Österreich bis zum Tode des Kirchenfürsten ( 1918– 1932 ), Diss. , Wien. 18 Zulehner , Paul M. ( 1967 ) : Kirche und Austromarxismus : eine Studie zur Problematik Kirche – Staat – Gesellschaft [ Veröffentlichungen des Instituts für Kirchliche Zeitgeschichte am Internationalen Forschungszentrum für Grundfragen der Wissenschaften Salzburg , 2. Serie : Studien : 1 ] , Wien u. a. , 20–23. Zum Konkordat 1855 vgl. Weinzierl-Fischer , Erika ( 1960 ) : Die österreichischen Konkordate von 1855 und 1933 , Wien.
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fürsten nachhaltig und ließ sie den Zusammenbruch der Monarchie wehmütig erleben : „Über Nacht sind wir alle kaiserlos geworden.“19 Dennoch beharrte der Episkopat nicht auf einer Entscheidung zwischen „Monarchie oder Republik“,20 sondern stellte seine Anpassungsfähigkeit unter Beweis , wodurch der Wiener Kardinal Gustav Piffl „Treue gegenüber der Republik“21 erklären konnte. In einem folgenden gemeinsamen Hirtenbrief wurde der gläubigen Bevölkerung sogar die demokratische Staatsform unter Verweis auf Thomas von Aquin in Gestalt der „Teilnahme möglichst aller an der Regierung“ empfohlen.22 Zur Anerkennung der Republik Österreich durch den Hl. Stuhl sollte es jedoch erst ein volles Jahr später kommen.23 Die politische Atmosphäre im Österreich der 1920er-Jahre zeigte sich jedoch von den opponierenden Kräften eines Kulturkampfes gespalten. Die Auseinandersetzungen wurden zwischen den beiden politischen Massenparteien der Ersten Republik , der Christlichsozialen Partei und der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei , ausgetragen und betrafen in vielen Fällen ideologisch-weltanschauliche Fragen.24 Den Auftakt zu diesem Kulturkampf in Form eines „schulpolitischen Paukenschlag( s )“25 bildete der sogenannte Glöckel-Erlass. Am 10. April 1919 hob Otto Glöckel , sozialdemokratischer Unterstaatssekretär für Unterricht , die Verpflichtung zu religiösen Übungen für SchülerInnen auf , wobei er sich auf das Staatsgrundgesetz von 1867 berief. Seitens der Kirche wurde dieser Schritt als empfindlicher Eingriff in kirchliche Privilegien empfunden , den die Christlichsozialen wie auch kirchliche Würdenträger nicht müde wurden anzuprangern. Die entsprechende Agitation ging aber über die eigentliche Sachfrage deutlich hinaus und war von einem allgemeinen , scharfen Antimarxismus geprägt. Die antiklerikale Austrittspropaganda der Sozialdemokraten , die vor allem in der „roten Hochburg“ Wien erfolgreich war ,26 hielt gemeinsam mit gesellschaftlichen Säkularisierungstendenzen die Furcht vor einer Trennung von Staat und Kirche auf katholischer Seite beständig hoch. 19 Bischof Schuster von Seckau am 12. November 1918 , ferner Bischof Gföllner von Linz , am 1. Dezember 1918 , zit. n. Weinzierl , Erika ( 1985b ) : Österreichs Katholiken und der Nationalsozialismus 1918– 1933. In : dies. ( Hg. ) : Ecclesia semper reformanda. Beiträge zur österreichischen Kirchengeschichte im 19. und 20. Jahrhundert , Wien / Salzburg , 129–151 : 130. 20 Weinzierl , Erika ( 1983 ) : Kirche und Politik. In : dies. / Skalnik , Kurt ( Hg. ) : Österreich 1918–1938. Geschichte der Ersten Republik , 2 Bände ( Bd. 1 ), Graz / Wien u. a. , 437–496 : 456. 21 Piffl , Friedrich Gustav ( 1932 ) : Treue gegenüber der Republik. Kundgebung vom 12. November 1918. In : Knoll , August M. ( Hg. ) : Kardinal Fr. G. Piffl und der österreichische Episkopat zu sozialen und kulturellen Fragen 1913–1932. Quellensammlung , Wien / L eipzig , 44–47 : 45 f. , zit. n. Brüggl ( 2012 ), 30. 22 Gemeinsamer Hirtenbrief vom 23. Januar 1919 , zit. n. Weinzierl ( 1985b ), 130. 23 Vgl. Engel-Janosi , Friedrich ( 1971 ) : Vom Chaos zur Katastrophe. Vatikanische Gespräche ( 1918 bis 1938 ), vornehmlich auf Grund der Berichte der österreichischen Gesandten beim Heiligen Stuhl , Wien u. a. , 30–31. 24 Weinzierl , Erika ( 1988 ) : Prüfstand. Österreichs Katholiken und der Nationalsozialismus , Mödling , 16–17 , zit. n. Wohnout , Helmut ( 2001 ) : Bürgerliche Regierungspartei und weltlicher Arm der katholischen Kirche. Die Christlichsozialen in Österreich 1918–1934. In : Gehler , Michael / Kaiser , Wolfram / Wohnout , Helmut ( Hg. ) : Christdemokratie in Europa im 20. Jahrhundert. Wien u. a. , 181–207 : 183. 25 Liebmann ( 2003 ), 397. 26 In den Jahren 1923 und 1927 erreichten die Austrittswellen einen besonderen Höhepunkt , Hanisch ( 1977 ), 3–4 , wobei die Austrittsbewegung 1923 auf den Schulstreit zurückzuführen und der zweite Höhepunkt als Folge der Ausschreitungen rund um den Justizpalastbrand 1927 zu sehen ist.
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Abgesehen von zeitweilig hohen Kirchenaustrittszahlen blieb diese Angst jedoch vorwiegend ohne konkrete Bedrohungen : Eine Momentaufnahme des österreichischen Katholizismus von 1931 hielt fest , dass sich die verfassungsrechtliche Stellung der katholischen Kirche seit der Monarchie nicht verändert hätte.27 Auch verfügte der bürgerliche Block , den die Christlichsoziale Partei als weltlicher Arm der katholischen Kirche28 dominierte , von 1920 bis 1930 konstant über eine Mandatsmehrheit. Damit war es den christlichsozialen Politikern an der Oberfläche gelungen , „alle Bastionen ( zu ) halten“29 , wie eine Parole der Galionsfigur des ( partei-)politischen Katholizismus , Ignaz Seipel , lautete. Der Priesterpolitiker prägte als mehrfacher Bundeskanzler und Obmann der Christlichsozialen die politische Arena der Ersten Republik wie kein Zweiter. Nach dem harten Durchgreifen bei den Vorfällen rund um den Justizpalastbrand als „Prälat ohne Milde“ verschrien , war er wesentlich daran beteiligt , dass eine Trennung von Kirche und Staat – im sozialdemokratischen Verständnis , das Religion als Privatsache betrachtete – verhindert wurde.30 Weder im Unterrichtswesen noch in der Frage der Klerikerbesoldung ( „Kongrua“ ) bzw. beim Religionsfonds oder bei der schwer umfochtenen Ehegesetzgebung ( Stichwort : Dispens- bzw. „Sever“-Ehen31 ) kam es zu tiefer greifenden legistischen Veränderungen.32 2.2 Politische Katholizismen zwischen 1933 und 1938 Was Hanisch plakativ als „katholische[ n ] Flankenschutz beim Marsch in die Diktatur“33 bezeichnet , stellt sich als gegenseitige Unterstützung zwischen dem sich konstituierenden Dollfuß / ( Schuschnigg )-Regime und katholischen Exponenten dar. Hier mag auch die von Hanisch aufgegriffene Akkommodationsthese34 zum Tragen kommen , wonach sich der politische Katholizismus 1918 , 1934 wie 1938 dem jeweiligen politischen Status quo anpasste.35 Dabei beschränkte sich die katholische Kirche nach Hanisch aber nicht nur auf die notwendige Sicherstellung der Seelsorge , sondern zielte auf den Erhalt ih27 Vgl. den Beitrag des ehem. kaiserlichen Ministerpräsidenten Max Freiherr Hussarek von Heinlein : Die kirchenpolitische Gesetzgebung der Republik Österreich. In : Hudal , Alois ( Hg. ) ( 1931 ) : Der Katholizismus in Österreich : sein Wirken , Kämpfen und Hoffen , Innsbruck / Wien u. a. , 27–40 : 28. 28 Wohnout ( 2001 ), diese Bindung wurde später dann unter „Ehe von ( Christlichsozialer ) Partei und Altar“ subsumiert , siehe Pelinka , Anton / Rosenberger , Sieglinde ( 2007 ) : Österreichische Politik , Grundlage –Strukturen – Trends , Wien , 209 , zit. n. Brüggl ( 2012 ), 28. 29 Liebmann ( 2003 ), 400. Vgl. ( auch ) Weinzierl-Fischer ( 1960 ), 140 zit. n. Hanisch ( 1977 ), 7. 30 Liebmann ( 2003 ), 397. 31 Benannt nach Albert Sever , der als sozialdemokratischer Landeshauptmann von Niederösterreich bis 1920 die Wiederheirat geschiedener Katholiken ermöglichte und somit Dispensen für bestehende kirchliche Ehehindernisse von staatlicher Seite erteilte ; zum Eherecht vgl. Harmat , Ulrike ( 1999 ) : Ehe auf Widerruf ? Der Konflikt um das Eherecht in Österreich 1918–1938 [ Studien zur europäischen Rechtsgeschichte 121 ] , Frankfurt / Main. 32 Liebmann ( 2003 ), 397. 33 Hanisch ( 2005 ), 73. 34 Hanisch weist darauf hin , dass Ernst Karl Winter diese Akkommodationsthese bereits 1933 formuliert hat. Vgl. Winter , Ernst Karl ( 1933 ) : Die Staatskrise in Österreich. In : Wiener politische Blätter , 1. Jg. , 16. April 1933 , zit. n. Hanisch ( 1977 ), 2–3. 35 Hanisch ( 1977 ), 35.
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rer „privilegierte( n ) Stellung im Staat und in der Gesellschaft“ ab.36 Theoretisch legitimiert wurde diese Haltung von Staatsenzykliken Leos XIII. , in denen – unter Wahrung der Sittengesetze – eine grundsätzliche Neutralität der Kirche gegenüber verschiedenen Staatsformen formuliert wurde.37 Ihre Grenzen fand diese Anpassung einerseits dort , wo kirchliche Einrichtungen und deren Einfluss gefährdet waren ( Schule / Jugend , Ehe , Vereine ), andererseits aber auch in den Bereichen , in denen es um „dogmatische“ Postulate ging.38 Weiters schränkt Hanisch seine These ein , indem er eine pluralistische Struktur des politischen Katholizismus der Zwischenkriegszeit annimmt – eine Akkommodation an den Status quo konnte durch eine entsprechende ideologische Bandbreite eines politischen Katholizismus vereinfacht vonstattengehen.39 Josef Prinz unterscheidet jedoch zu Recht die Akkommodation 1918 qualitativ von jener 1934. Während der Kirche das Ja zur Republik nur mühsam und ausschließlich aus pragmatischen Überlegungen über die Lippen kam , trug sie den politischen Veränderungsprozess 1934 nicht nur mit , sondern unterstützte ihn auch aktiv. Ihre Rolle ist daher als „wesentlicher , mitbestimmender Faktor und Trägerin des neuen Herrschaftssystems“ zu charakterisieren.40 Der Weg zu einer autoritären Regierungsform war keinesfalls unumstritten – Hanisch nennt Bedenken und Hemmungen bei Miklas , Kunschak , weiteren christlichsozialen Politikern sowie bei der christlichen Arbeiterbewegung –41 , jedoch blieb beispielsweise ein öffentlicher Protest der Hierarchie aus.42 Papst Pius XI. gab der christlichen Diktatur nicht nur seinen Sanktus43 , sondern wusste auch auf Miklas’ Bedenken gegenüber autoritären Bestrebungen der Regierung nachhaltig einzuwirken.44 Als Akt mit symbolischer Tragweite , der die nach außen demonstrierte Einigkeit und Einheit zwi36 Hanisch ( 1977 ), 35. 37 Hanisch ( 1977 ), 2 , ähnlich dazu auch August Maria Knoll , der die Akkommodation der Kirche mithilfe des Naturrechts begründete , vgl. ders. ( 1962 ) : Katholische Kirche und scholastisches Naturrecht. Zur Frage der Freiheit , Wien u. a. , 17. 38 Hanisch ( 1977 ), 2. 39 Hanisch ( 1977 ), 2. 40 Prinz , Josef ( 1986 ) : Politischer Katholizismus in Österreich. Zur politischen Rolle und sozialen Funktion der Katholischen Kirche in der Ersten Republik bis zur Konstituierung des „Autoritären Ständestaates“ unter besonderer Berücksichtigung der katholischen Soziallehre , Dipl.-Arb. , Wien , 279. Vgl. v. a. Hanisch , der die Kirche als ‚ideologischen Träger‘ des Austrofaschismus apostrophiert : Hanisch ( 2005 ). 41 Hanisch ( 1977 ), 14. 42 Während Kardinal Innitzer einen Appell erließ , in dem er forderte , sich geschlossen hinter Dollfuß zu stellen , zelebrierte Bischof Gföllner von Linz einen Festgottesdienst anlässlich des Jahrestages zur „Selbstausschaltung“ des Parlaments , vgl. Hanisch ( 1977 ), 14. 43 Engel-Janosi ( 1971 ), 119–120. 44 Vgl. den politisch brisanten Brief Pacellis an Innitzer vom Dezember 1933 , in welchem die vertraulichen Weisungen des Papstes für eine Einstimmung des Bundespräsidenten auf den autoritären Weg festgehalten sind , vgl. Klieber , Rupert ( 2010 ) : Quadragesimo Anno e lo „Ständestaat“ d’Austria Nuova ( 1934–1938 ). In : Cosimo Semeraro ( Hg. ) : La Sollecitudine Ecclesiale di Pio XI. Alla luce delle nuove fonte archivistiche [ Atti del Convegno Internazionale di Studio , Città del Vaticano , 26–28 febbraio 2009 ] , Città del Vaticano , 347–362 : 357–358 , URL : http ://piusxi.univie.ac.at / content / site / de / publikationen / i ndex.html ( abgerufen am 8. 5. 2012 ).
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schen Regime und Kirche bekräftigen sollte , wurde der heiß bekämpfte Glöckel-Erlass nur wenige Wochen nach der Ausschaltung des Parlaments mit 10. April 1933 – exakt vierzehn Jahre nach seiner Einführung – aufgehoben. 2.2.1 Meilensteine im Staat-Kirche-Verhältnis unter dem Dollfuß / Schuschnigg-Regime Konkordat 1933 / 34 Die überraschende Romreise von Engelbert Dollfuß im April 1933 hatte neben anderen Beweggründen45 auch das Ziel , den seit 1931 laufenden Konkordatsverhandlungen den entscheidenden Abschlussimpuls zu geben. Waren andere Konkordate zuvor unter Pius XI. ohne eherechtliche Bestimmungen ausverhandelt worden ( Bayern , Rumänien , Preußen , Baden ), so auch das fast zeitgleich abgeschlossene Reichskonkordat ,46 so drohten die Verhandlungen mit Österreich an der Eherechtsfrage beinahe zu scheitern. Nach Auflösung des Parlaments hatte sich das Regime jedoch seines „besten Arguments für die Zivilehe für Katholiken und die Trennbarkeit von Katholikenehen beraubt“47 , da auf eine parlamentarische Mehrheit keine Rücksicht mehr zu nehmen war. So wurde das Konkordat , das – abgesehen vom Eherecht – eine „Festschreibung des Status quo“48 war , bereits am 5. Juni 1933 unterzeichnet. Ratifiziert wurde der kirchenrechtliche Vertrag jedoch erst zum 1. Mai 1934 ; mit der teilweisen Aufnahme in die „Mai-Verfassung“ erhielt er zudem Verfassungsrang. Vor der Ratifizierung kam es jedoch auf Betreiben der österreichischen Bischöfe und des vatikanischen Chefunterhändlers , Kardinalstaatssekretär Eugenio Pacelli ,49 zu Nachverhandlungen , weil die Kirche nach der militärischen Unterdrückung der Sozialdemokratie im Februar 1934 die Gunst der Stunde nützen wollte.50 45 Bei diesem österlichen Besuch in Rom sicherte sich Dollfuß zudem beim italienischen Duce Schützenhilfe für die folgenden autoritären Weichenstellungen ; zur überraschenden Romreise vgl. Kremsmair , Josef ( 1980 ) : Der Weg zum österreichischen Konkordat von 1933–34 [ Dissertationen der Universität Salzburg , 12 ] , Wien , 291 , zit. n. Liebmann , Maximilian ( 1986 ) : Die geistige Konzeption der österreichischen Katholikentage in der Ersten Republik. In : Ackerl , Isabella ( Hg. ) : Geistiges Leben im Österreich der Ersten Republik. Auswahl der bei den Symposien in Wien vom 11. bis 13. November 1980 und am 27. und 28. Oktober 1982 gehaltenen Referate , München , 125–175 : 159. Die Bitte um einen päpstlichen Legaten für den Katholikentag lief bei diesem Papstbesuch der Konkordatsmaterie beinah den Rang ab , vgl. Liebmann ( 1986 ), 160. 46 Liebmann ( 2003 ), 407. Rezent zum Reichskonkordat vgl. Brechenmacher , Thomas ( Hg. ) ( 2007 ) : Das Reichskonkordat 1933 : Forschungsstand , Kontroversen , Dokumente [ Veröffentlichungen der Kommission für Zeitgeschichte , Reihe B , Forschungen ; 109 ] , Paderborn / Wien u. a. 47 Liebmann ( 2003 ), 409. 48 Liebmann ( 2003 ), 412. Zum Vergleich dieses Konkordats mit jenem von 1855 vgl. Weinzierl-Fischer ( 1960 ). Aus juristischer Sicht vgl. Hauer , Sonja ( 1996 ) : Das Konkordat 1933 / 34. Eine juristische Bestandsaufnahme , Diss. , Linz. 49 Liebmann ( 2003 ), 410. 50 Die Wiederaufnahme von Verhandlungen , u. a. bezüglich der Aufnahme einer Konfessionsschule ins Konkordat , wurde vom päpstlichen Kardinalstaatssekretär Eugenio Pacelli bereits sechs Tage nach Beendigung der ‚Februarkämpfe‘ am 21. Februar 1934 beantragt. Jedoch waren dahin gehende Nachverhandlungswünsche vonseiten der österreichischen Bischöfe dem Gesandten beim Hl. Stuhl bereits im November 1933 übermittelt worden. Wie rasch sich die auch nach der Unterdrückung der Sozialdemokratie noch anhaltende , anfängliche Ablehnung dieses Ansinnens durch Dollfuß und
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Die zugrunde liegende Hoffnung auf verstärkte Garantien für die Kirche51 erfüllte sich : Nicht nur der Schulartikel erfuhr eine „gänzliche Umformulierung“52 , auch der Schutz der in die Katholische Aktion überführten Vereine53 wurde verstärkt. Katholikentag 1933 Der Abhaltung des Allgemeinen Deutschen Katholikentages vom 7. bis 12. September 193354 in Wien waren weitere Loyalitätsbeweise55 des entstehenden Regimes der Kirche gegenüber vorausgegangen ; wie etwa die Auflösung des Freidenkerbundes , aber auch der Erlass , nach dem beim Wunsch , aus der Kirche oder einer Religionsgemeinschaft auszutreten , der Geisteszustand der Antragstellenden zu überprüfen war.56 Die Stadt Wien hatte für den Katholikentag , der auf die Verteidigung des christlichen Abendlandes und auf einen Kreuzzug im Sinne der Gegenreformation ausgerichtet war ,57 eine besondere Bedeutung. Im ‚Heiligen Jahr‘ 1933 jährte sich zum 500. Mal , dass der Stephansdom zum Wahrzeichen der Stadt wurde , zum 250. Mal die Türkenabwehr und zum 80. Mal der letzte in Wien abgehaltene gesamtdeutsche Katholikentag.58 Personelle Änderungen auf kirchenpolitischer Ebene ( w ie Innitzers Einsetzung als neuer Kardinal ) machten den Katholikentag in den Vorbereitungen nicht nur zu einer „episkopalen Angelegenheit“59 : Die geistige Ausrichtung der Veranstaltung wurde durch die politischen Ereignisse kontinuierlich mitbestimmt. Liebmann sieht die Feiern herausgelöst aus der Tagespolitik , einem pastoral-religiösen Konzept folgend.60 Die deSchuschnigg änderte , bezeichnete Weinzierl als „überraschend“, denn Rücksicht auf eine Opposition war bereits im Juni 1933 nicht mehr zu nehmen , vgl. Weinzierl , Erika ( 1994 ) : Das österreichische Konkordat von 1933 von der Unterzeichnung bis zur Ratifikation. In : Paarhammer , Hans / Pototschnig , Franz / R innerthaler , Alfred ( Hg. ) : 60 Jahre Österreichisches Konkordat [ Veröffentlichungen des Internationalen Forschungszentrums für Grundfragen der Wissenschaften Salzburg , 56 ] , München , 119–134 : 123–124. 51 Gellott sieht als Mitgrund für die Nachverhandlungen die ersten negativen Erfahrungen mit dem Reichskonkordat , aus denen man stärkere Garantien nicht zuletzt in Hinblick auf die katholischen Jugendorganisationen ziehen wollte , Gellott , Laura ( 1987 ) : The Catholic Church and the authoritarian regime in Austria , 1933–1938 , New York u. a. , 143–144. 52 Kremsmair ( 1980 ), 312–313 , zit. n. Liebmann ( 2003 ), 410. 53 Liebmann , Maximilian ( 1990 ) : Katholische Aktion und Ständestaat. In : Kaluza , Hans Wal ther / Kostelecky , Alfred ( Hg. ) : Pax et iustitia. Festschrift für Alfred Kostelecky zum 70. Geburtstag. Berlin , 601–622 : 607. 54 Vgl. dazu Hofrichter , Peter ( 1966 ) : Die österreichischen Katholikentage des 20. Jahrhunderts ( bis 1933 ), Diss. , Wien , sowie Lesowsky , Winfried ( 1966 ) : Die Katholikentage. In : Klostermann , Ferdinand / K riegl , Hans / Mauer , Otto / Weinzierl , Erika ( Hg. ) : Kirche in Österreich 1918–1965. 2 Bände ( Bd. 1 ), Wien u. a. , 373–380. 55 Vgl. Weinzierl-Fischer ( 1960 ), 226 , zit. n. Liebmann ( 2003 ), 413. 56 BGBl. 25. 8. 1933 , Nr. 379 , zit. n. Liebmann ( 2003 ), 413. Dass es hierbei sogar zu Verhaftungen kam ( Salzburg ), sieht Hanisch als anti-nationalsozialistische Maßnahme , da Übertritte in die evangelische Kirche zumeist von Nationalsozialisten beantragt wurden , Hanisch ( 2005 ), 78. 57 Hanisch ( 1977 ), 24 , und Hanisch ( 2005 ), 76. 58 Liebmann ( 1986 ), 162. 59 Liebmann ( 1986 ), 141. 60 Liebmann ( 1986 ), 139–141.
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zidierte Vermeidung von aktiven Politikern als Redner mag dieses Argument auf den ersten Blick stützen. Dem stehen jedoch – ganz abgesehen von der Aus- und Außenwirkung dieses katholischen Großereignisses – nicht zuletzt die versuchte inhaltliche Einflussnahme auf die Redemanuskripte entgegen , die dem Programm-Ausschuss unter Leitung von Karl Rudolf61 vorgelegt werden mussten62 und die sehr wohl den Versuch nahelegen , eine ideologische Leitlinie in der konkreten Programmgestaltung auch tatsächlich durchzusetzen. Anton Staudinger wies auf die führende Rolle des „Volksdeutschen Arbeitskreises österreichischer Katholiken“ bei den Vorbereitungen für den Katholikentag hin.63 Nicht nur rekrutierte diese Arbeitsgruppe ihre Mitglieder aus den wichtigsten katholischen Jugendverbänden , dem österreichischen Cartellverband , dem Bund „Neuland“ und anderen Organisationen , er bediente sich auch der Versatzstücke einer konservativ-faschistischen Ideologie , die von Antiparlamentarismus bis Antimarximus reichten64 und leistete somit einen Beitrag dazu , dem autoritären Regime zu einer religiös-konfessionellen Legitimierung durch den Katholikentag zu verhelfen.65 Prägend von außen wurde die im Frühjahr 1933 von Deutschland eingeführte „1.000-Mark-Sperre“, die die Teilnahme vieler KatholikInnen ( aber auch geplanter RednerInnen ) aus dem Nachbarland gezielt vereitelte. Nicht zuletzt der auf den einzelnen Veranstaltungen omnipräsente Dollfuß gab der Großveranstaltung einen explizit politischen Anstrich. Er nutzte seine Begrüßungsrede dazu , um vor den katholischen TeilnehmerInnen das Versprechen abzugeben , das erste Land sein zu wollen , das „dieser herrlichen Enzyklika im Staatsleben Folge leistet“.66 Auch wenn Papst Pius XI. 1931 bei der Proklamierung der Enzyklika „Quadragesimo anno“, auf die Dollfuß Bezug nahm , eine Gesellschafts- und keine Staatsreform vor Augen gehabt hatte , so wurde weder von kirchlichen noch von vatikanischen Stellen Protest gegen die Interpretation des Regimes eingelegt.67 Formal getrennt – jedoch im Dunstkreis dieser katholischen Großveranstaltung aufgehend – fand am 11. September der Generalappell der Vaterländischen Front statt , bei dem Dollfuß seine bekannte „Trabrennplatzrede“ hielt , die seine autoritären Vorhaben zur Umwälzung des politischen Systems deutlich skizzierte. Von höchster 61 Prälat Karl Rudolf war Gründer des Wiener Seelsorgeinstituts , Mitglied katholischer österreichischer Studentenverbindungen und Mitbegründer der katholischen Jugendbewegung und der Neuland-Schulen. Gemeinsam mit dem späteren Generalsekretär der Katholischen Aktion ( K A ) Leopold Engelhart und Kooperator Karl Door wurde er zur Triebfeder der Neugestaltung der KA in Wien und darüber hinaus , vgl. Schultes , Gerhard ( 1967 ) : Der Reichsbund der katholischen deutschen Jugend Österreichs. Seine Entstehung und Geschichte , Wien , 292. Ein Vertrauensverhältnis zu Dollfuß rührte aus seiner Zeit als Studienpräfekt in Hollabrunn und seinem Engagement als Studentenseelsorger. Rudolf wurde auch von Dollfuß gebeten , ihn zu trauen , und sollte von diesem auch mit Verhandlungen mit den Nationalsozialisten betraut werden. 62 Liebmann ( 1986 ), 165–168. 63 Staudinger , Anton ( 2005 ) : Austrofaschistische „Österreich“-Ideologie. In : Tálos / Neugebauer ( Hg. ), 28–52 : 31. Dazu zählten Wissenschafter , Geistliche oder Publizisten wie u. a. Taras Borodajkewycz , Karl Rudolf , Anton Böhm , Theodor Veiter. 64 Staudinger ( 2005 ), 32. 65 Staudinger ( 2005 ), 33. 66 Allgemeiner deutscher Katholikentag Wien 1933 , 7.–12. 9. 1934 , zit. n. Hanisch ( 2005 ), 77. 67 Hanisch ( 1977 ), 24.
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vatikanischer Ebene erhielt der Bollwerk-Topos – Wien gegen einen heidnischen bzw. atheistischen Osten – zudem eine bezeichnende Stärkung : Der päpstliche Legat , Kardinal La Fontaine , wurde explizit zur parallel stattfindenden staatlichen Türkenbefreiungsfeier und nicht zum Katholikentag selbst entsandt.68 Der Katholikentag fungierte also nicht nur als Verlautbarungsrahmen für das autoritäre Regime , sondern diente auch der Demonstration eines Schulterschlusses von Regime und Kirche , der dem diktatorischen Vorhaben Legitimität verleihen sollte. Die Anziehungskraft der katholischen Kirche sollte dem Regime die ( Massen-)Basis für den künftigen Staatsaufbau sichern.69 Innerhalb der politischen Festkultur im Austrofaschismus verortet , kann der Katholikentag 1933 als Beispiel eines „BekräftigungsMassenfestspiels“ gelten. In ihm stellte sich eine der ersten Manifestationen austrofaschistischer Massenästhetik dar ; entsprechend seines Konzepts sollte er sowohl der Rekatholisierung als auch der Präsentation des neuen Regimes dienen.70 In der Nachbereitung dieser katholischen Großveranstaltung traten nachhaltige Impulse für die Entwicklung des Katholizismus hervor , insbesondere hinsichtlich der straff durchorganisierten Katholischen Aktion.71 Über Anspruch und Wirklichkeit der politischen Implikation dieses Katholikentages fehlt jedoch noch ein Konsens , wie eine Debatte in den Printmedien jüngst zeigte.72 ‚Entpolitisierung‘ des Klerus 1933 Die Bischofskonferenz vom November 1933 endete mit dem überraschenden Entschluss , den katholischen Klerus aus der ( Partei-)Politik abzuziehen.73 Verglichen mit den Nach68 Liebmann ( 1986 ), 168–169. 69 Vgl. dazu auch Pfoser , Alfred / Renner , Gerhard ( 2005 ) : „Ein Toter führt uns an ! “ – Anmerkungen zur kulturellen Situation im Austrofaschismus. In : Tálos / Neugebauer ( Hg. ), 338–356 : 349. 70 Vgl. Janke , Pia ( 2006 ) : Manifeste kollektiver Identität. Politische Massenfestspiele in Österreich zwischen 1918 und 1938 , Habilitationsschrift Wien , 277–285. Zu den Weihefestspielen für die katholische Jugend im Rahmen des Katholikentages und den folgenden Maierfeiern ( K inder- und Ständehuldigung ), sowie zu Rudolf Henz , dem „Zeremonienmeister austrofaschistischer Massenästhetik“, vgl. Amann , Sirikit M. ( 1987 ) : Kulturpolitische Aspekte im Austrofaschismus ( 1934–1938 ) ( u nter besonderer Berücksichtigung des Bundesministeriums für Unterricht ). Diss. , Wien. Zum Festspiel in der Wochenschau , vgl. Ballhausen , Thomas ( 2002 ) : Verordnete Distanzlosigkeit. Zu Festspielgedanken und Wochenschauästhetik. In : Achenbach , Michael / Moser , Karin ( Hg. ) : Österreich in Bild und Ton. Die Filmwochenschau des austrofaschistischen Ständestaates , Wien , 313–320. 71 Liebmann ( 1986 ), 174–175. 72 Vgl. Posch , Wilfried ( 2011 ) : Der tapfere Feind von damals , Die Presse , 16. 4. 2011 , 4 , sowie die Replik darauf : Wenninger , Florian ( 2011 ) : Ein Satan für Sankt Michael , Die Presse , 7. 5. 2011 , URL : http ://diepresse.com / home / spectrum / z eichenderzeit / 658154 / Ein-Satan-fuer-Sankt-Michael ( abgerufen am 21. 4. 2012 ). 73 WDBl. 21. 12. 1933 , 1. „Beschluß der österreichischen Bischofskonferenz bezüglich der politischen Betätigung des Klerus“, der u. a. besagt : „Nach reiflicher Ueberlegung , ob es günstig oder ungünstig sei , daß katholische Geistliche unter den gegenwärtig besonders heiklen politischen Verhältnissen als politische Mandatare weiter sich betätigten , hat die Bischofskonferenz den Beschluß gefasst , die für die Ausübung des Mandates erforderliche bischöfliche Zustimmung in sinngemäßer Durchführung des can. 139 , § 4 , vorübergehend und allgemein zurückzunehmen.“ Vgl. hierzu Slapnicka , Harry ( 1983 ) : Vor 50 Jahren : Abzug des Klerus aus der Politik. In : Theologisch-praktische Quartalschrift Jg.
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barstaaten war dies jedoch keine „Einzelaktion des österreichischen Episkopats , sondern [ es ] handelt[ e ] sich um eine eher späte , gleichzeitig aber eher unösterreichisch-radikale Auslegung päpstlicher Weisungen , die die Nachbarländer Österreichs wesentlich früher und zurückhaltender realisiert hatten“.74 Zeitgenossen missinterpretierten den Beschluss noch als mögliche Distanzierung von der Regierung ;75 der „Weihnachts hirtenbrief “76 des Gesamtepiskopats zerstreute jedoch jeglichen Zweifel an der Unterstützung des Dollfuß-Kurses. Als treibende Kraft hinter dieser öffentlichen Positionierung wurde innerhalb der Bischofskonferenz vor allem der Linzer Bischof Johannes Maria Gföllner gesehen.77 Diese Weisung wird in der Forschung auch als Maßnahme gegen die Christlichsoziale Partei interpretiert , die deren Ende beschleunigte.78 Während Weinzierl hinter der Entscheidung sowohl praktisch-politische wie pasto rale Anliegen vermutete ,79 erachtete Liebmann das Konkordat , das die heftig umkämpften kirchenpolitischen Belange aus der Tagespolitik ausklammerte , als maßgeblich für diese bischöfliche Anordnung.80 Die Möglichkeit , die strikte Trennung von Klerus und Politik im österreichischen Konkordat vertraglich festzuschreiben , war jedoch da rin nicht genutzt worden , im Unterschied zum italienischen Konkordat 1929 oder dem Reichskonkordat 1933.81 Dies und die knappe zweiwöchige Frist zur Umsetzung der Forderung dürfte zur überraschenden Wirkung beigetragen haben. Hanisch benennt die Ambiguität , die diesem Entschluss sicherlich innewohnte und die zu dessen anfäng licher Missinterpretation als Misstrauen gegenüber Dollfuß führte , wie folgt : Einerseits 131 ( 1983 ), 242–250 , und auch z. B. Ebner , Johannes ( 1982 / 83 ) : Bischofskonferenz beschließt Rückzug des Klerus aus der Politik ( 30. 11. 1933 ). Eine kleine Dokumentation , zusammengestellt u. eingeleitet v. Johannes Ebner. In : Neues Archiv für die Geschichte der Diözese Linz ( NAGDL ) Jg. 2 ( 1982 / 83 ), Heft 1 , 69–77. 74 Slapnicka , Harry ( 1975 ) : Oberösterreich : zwischen Bürgerkrieg und Anschluß ( 1927–1938 ) [ Beiträge zur Zeitgeschichte Oberösterreichs , 2 ] , Linz , 113. 75 Weinzierl ( 1983 ), 443 , sowie vgl. Weinzierl , Erika ( 1966 ) : Der Episkopat. In : Klostermann et al. ( Hg. ) : Kirche in Österreich 1918–1965 , 2 Bände ( Bd. 1 ), Wien u. a. , 21–77 : 43. 76 WDBl. , 21. 12. 1933 , 71. Jg. , 99–105. 77 Slapnicka ( 1983 ). 78 Liebmann ( 2003 ), 415. Vgl. auch Hanisch ( 1977 ), 14–15 ; Nach Wohnout hatte die Partei mit der Loslösung der Kirche ihre wichtigste Stütze verloren , vgl. Wohnout ( 2001 ), 189. Für Iber belegt dieser Beschluss , dass die Partei für die Kirche nie mehr als die Funktion eines Instruments darstellte , vgl. Iber , Walter M. ( 2007 ) : Zu den ideologischen Grundlagen des Antimarxismus / A ntisozialismus der Christlichsozialen Partei , 1918–1934. In : Römische historische Mitteilungen Jg. 49 ( 2007 ), 511–540 : 540. 79 Weinzierl , Erika ( 1964 ) : Der Beitrag der Kirche zum inneren Frieden. Katholische Kirche und politisches Leben in Österreich seit 1933. In : Der Seelsorger Jg. 34 ( 1964 ), 245–246 , zit. n. Boyer , John W. ( 2005 ) : Political Catholicism in Austria , 1880–1960. In : Bischof , Günther / Pelinka , Anton / Denz , Hermann ( Hg. ) : Religion in Austria [ C ontemporary Austrian studies , Vol. 13 ] , New Brunswick , NJ u. a. , 6–36 : 14 , der Weinzierl beipflichtet. 80 Liebmann , Maximilian ( 1997 ) : Das Österreichische Konkordat 1933 / 34 im politischen Kontext. In : Theologisch-praktische Quartalschrift Jg. 145 ( 1997 ), 349–362 : 360. 81 Kronthaler , Michaela ( 1999 ) : Die Entwicklungen der Österreichischen Bischofskonferenz. Von den ersten gesamtbischöflichen Beratungen 1849 bis zum Ende des Zweiten Vatikanischen Konzils. In : Lukaseder , Walter ( Hg. ) : 150 Jahre Österreichische Bischofskonferenz 1849–1999 , Wien , 33–75 : 60 , vgl. auch Brüggl ( 2012 ), 70.
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wollte man den Priester von der „parteipolitischen ( Um )klammerung“ lösen und ihn für die Seelsorge einsetzen , andererseits schwächte dies zugleich die Christlichsoziale Partei , also das demokratische Parteiwesen , womit man Dollfuß den autoritären Weg ebnete.82 Ein vorgeblicher Rückzug auf den Bereich der Seelsorge hatte also auch politische Konsequenzen , die sich durchaus positiv für den weiteren Dollfuß-Kurs auswirkten. Unumstritten stellte der Beschluss über die Abberufung des Klerus aus der Politik einen Meilenstein für das Selbstverständnis eines politischen Katholizismus dar.83 Weinzierl sah darin „eine neue Ära der österreichischen Kirchengeschichte“ gekommen ,84 während Liebmann diesen „Jahrhundertbeschluss“ als Ende des politischen Katholizismus an sich sah und damit das Einsetzen eines pastoralen Katholizismus begründete , der seither Wirken und Handeln der KatholikInnen vorrangig geprägt habe.85 Februar 1934 „Im Februar 1934 stand die Katholische Kirche“, laut dem Urteil Hanischs , „fast geschlossen auf der Seite der Regierung.“86 Sie war jedoch bemüht , einen differenzierten Eindruck in der Außensicht zu hinterlassen. In diesem Zusammenhang wird zuweilen Kardinal Innitzers Radioansprache vom 23. Februar herangezogen , in der nicht mehr der Sozialismus , sondern der Klassenhass verurteilt , die ständische Ordnung empfohlen und zu einem versöhnenden Frieden aufgerufen wurde.87 Auch wenn dabei Topoi beschworen wurden , die dem Kurs des Regimes sehr dienlich waren , so förderte dies die oberflächliche Wahrnehmung einer Kirche , die sich angesichts der Todesopfer nicht offiziell auf eine Seite , die der Regierung , schlagen , sondern ihrer Seelsorge-Aufgabe für alle Menschen gerecht werden wollte.88 So sprach Innitzer nicht nur beim Begräbnis für die Opfer der Exekutive ,89 sondern intervenierte auch schriftlich bei Justizminister Schuschnigg für Begnadigungen90 und besuchte inhaftierte Schutzbündler.91 Den Versuch um eine differenzierte Außenwahrnehmung stützt auch die auf Initiative des französischen Vatikan-Botschafters unternommene Intervention von höchster vatikanischer 82 Hanisch ( 1977 ), 14–15 , und ders. ( 1995 ) : Das System und die Lebenswelt des Katholizismus. In : Tálos , Emmerich ( Hg. ) : Handbuch des politischen Systems Österreichs : Erste Republik 1918–1933 , Wien , 444–453 : 448. 83 Slapnicka ( 1983 ) argumentiert , dass von oberösterreichischer Seite ( n icht zuletzt durch Bischof Gföllner ) die entscheidende Initiative für diesen Beschluss kam. 84 Weinzierl ( 1966 ), 22. 85 Liebmann ( 2009 ), 170. 86 Hanisch ( 1977 ), 24. Mehr Literaturhinweise zum Schicksalsjahr 1934 in kirchlicher Perspektive vgl. Klieber , Rupert / S chwarz , Karl W. / Holzweber , Markus ( 2007 ) : Österreichs Kirchen im 20. Jahrhundert [ Österreichische historische Bibliographie : Sonderband , 1 ] , Graz , 124–125. 87 Loidl , Franz ( 1976b ) : Von karitativ-pastoralen Hilfen des österreichischen Klerus bei den Februar-Ereignissen 1934 ( einige Hinweise ). In : Neck , Rudolf / Wandruszka , Adam ( Hg. ) : Beiträge zur Zeitgeschichte. Festschrift Ludwig Jedlicka zum 60. Geburtstag , St. Pölten , 189–215 : 200–203. 88 Vgl. dazu Loidl ( 1976b ). 89 Wiener Zeitung , 21. Februar 1934 , zit. n. Hanisch ( 1977 ), 24. 90 Liebmann ( 2003 ), 416. 91 Liebmann , Maximilian ( 1989 ) : Der 12. Februar 1934 – Das Ziel der Revolte und die Katholische Kirche. In : Christliche Demokratie Jg. 3 ( 1989 ), 305–340 : 328.
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Stelle , nach der Kardinalstaatssekretär Pacelli den Nuntius Sibilia um Auskunft bat , ob Dollfuß gegenüber den Inhaftierten Gnade walten lassen würde. Eine gemeinsam mit dem Wiener Außenamt formulierte Antwort Sibilias , der sich Pacelli letztlich anschloss , erachtete ob der christlichen Eigenschaften des Bundeskanzlers diese Intervention für nicht notwendig , und riet davon ab , um dessen öffentliche Reputation durch einen kritischen vatikanischen Appell nicht zu gefährden.92 Wie bereits erwähnt , sah Pacelli jedoch nun eine günstige Gelegenheit zur Nachverhandlung des Konkordats gekommen , um die er bereits am 21. Februar ansuchte.93 Von Ambivalenz getragen war auch die Haltung der Bischöfe : In jener Bischofskonferenz , in der der zur Versöhnung mahnende ( R adio-)Hirtenbrief beschlossen wurde , versuchten aber auch einige Bischöfe , die Bedenken von Wilhelm Miklas gegen den autoritären Dollfuß-Kurs , die ihnen der Präsident im Zuge einer fünfstündigen Sitzung darlegte ,94 zu zerstreuen. Wie Weinzierl aufzeigen konnte , waren die Hirtenbriefe der österreichischen Bischöfe bis 1930 fast ausschließlich gegen Sozialismus und Bolschewismus gerichtet. Dabei ist bemerkenswert , dass hinter der Verwendung dieser beiden Schlagworte keine klare begriffliche Trennung stand.95 Die Kontinuitätslinie dieses umfassenden Feindbildes verdeutlicht , dass die Unterdrückung des Schutzbundes und die nachfolgenden Verbote von sozialdemokratischer Partei und Vereinen nicht zuletzt auf Feindbilder und bolschewistische Bedrohungsszenarien der Kirche reagierten bzw. diese von deren Zurückdrängung direkt wie indirekt profitierte. Die antiklerikale Propaganda der Sozialdemokratie und die damit verbundene „Abfallbewegung“ wurden damit nicht nur abgeschwächt , vorderhand löste der Februar 1934 sogar eine richtiggehende Wiedereintrittswelle in die Kirche aus.96 „Quadragesimo anno“ und Mai-Verfassung 1934 Abseits vom parlamentarischen Tauziehen , was kulturpolitische Fragen betraf , versuchten die Bischöfe in den 1920ern auch , ihre Botschaften in gemeinsamen Stellungnahmen zu popularisieren. Die verspätet einsetzende Industrialisierung und die damit einhergehenden Säkularisierungstendenzen machten die Beschäftigung mit der sozialen Frage für den Episkopat akut. Mit dem Sozialhirtenbrief von 1925 gab man den KatholikInnen christliche Verhaltensanweisungen zur Hand und versuchte , eine katholische Antwort auf die soziale Frage zu entwickeln.97 In den 1920er-Jahren kam es zu einer Wiederbe92 Liebmann ( 1989 ), 324 , vgl. auch Weinzierl , Erika ( 1984 ) : Kirche und Politik in der Ersten Republik. In : Fröschl , Erich / Z oitl , Helge ( Hg. ) : Februar 1934 : Ursachen , Fakten , Folgen ; Beiträge zum wissenschaftlichen Symposion des Dr.-Karl-Renner-Instituts , abgehalten vom 13. bis 15. Februar 1984 in Wien , Wien , 209–219. 93 Vgl. Anm. 50. 94 Liebmann ( 1989 ), 327. 95 Weinzierl ( 1984 ), 212. 96 Liebmann ( 1989 ), 329. Die hohen Zahlen relativieren sich nach Liebmann dahin gehend , da zu dieser Zeit auch die Bedingung der Konfessionslosigkeit für Arbeitsplätze in der Gemeinde Wien aufgehoben wurde , Liebmann ( 1989 ), 329. 97 Vgl. den Hirtenbrief „Lehren und Weisungen der österreichischen Bischöfe über soziale Fragen der Gegenwart“, abgedruckt bei Knoll ( 1932 ), 77–126. Zum Hirtenbrief mit einem Fokus auf dem Ka-
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lebung der Ideen von Karl von Vogelsang , dem Begründer des österreichischen Sozial katholizismus , wobei die vorherrschende Inhomogenität der Auffassungen der Entwicklung verschiedener Strömungen eines Sozialkatholizismus Vorschub leisteten. Der in den 1920er-Jahren diesbezüglich bestehende Richtungsstreit der sogenannten ‚Wiener Richtungen‘ über die Lösung der sozialen Frage verebbte nach Veröffentlichung der Enzyklika „Quadragesimo anno“ im Mai 1931 , die das Gesellschaftsideal einer ständischen Ordnung proklamierte und allzu radikale katholische Lösungsansätze ablehnte.98 Dollfuß’ Anrufung der Enzyklika , deren Gesellschaftsvorstellungen ihm zufolge im autoritären Staat umgesetzt werden sollten , bereitete den Boden für eine Rezeption der ständischen Ordnung im Regierungsumfeld , legitimierte aber auch Unvereinbarkeit von Sozialismus und Katholizismus. Diese Gesellschaftsideale des Papstwortes bildeten gemeinsam mit der Christkönigsideologie , welche die Abgrenzung der wahren Königsherrschaft Christi von anderen weltlichen Führern betonte , ideologische Versatzstücke für das Regime , die dazu dienten , „die Führerimago vorzubereiten und den Episkopat und den Klerus in ihren Stellvertreterfunktionen als unmittelbare , auch politische Leitfiguren zu akzeptieren“.99 Zur Veranschaulichung des Einflusses , den das Ideengut von „Quadragesimo anno“ auf die Mai-Verfassung 1934 genommen hätte , wird oftmals deren Präambel100 herangezogen. Unter Anrufung des „Allmächtigen“ wird dort der christlichen Herrschaftsideologie Rechnung getragen , während neben der Betonung der „ständische( n ) Grundlage“ die christliche , nationale und föderalistische Idee Berücksichtigung fanden.101 Die Weisungen des Sozialhirtenbriefs 1925 und nachfolgender Enunziationen der Bischöfe zur sozialen Frage wurden in gewisser Weise als richtungsweisend für die päpstliche Enzyklika wahrgenommen , die die Unvereinbarkeit des katholischen Glaubens mit jeglicher Variante des Sozialismus proklamierte.102 Zeitgenössischen Vermutu ngen , der Abschnitt der Enzyklika zur berufsständischen Ordnung gehe auf den Einfluss der Vogelsang-Schule oder gar auf Bundeskanzler Seipel zurück , erteilte Oswald von Nellpitalismus-Begriff vgl. Schlagnitweit , Markus L. ( 1995 ) : Der Kapitalismus zwischen Freispruch und Verdammung : der österreichische Sozialhirtenbrief von 1925 im Spannungsfeld von Realität und Utopie [ P ublikationen des Instituts für Kirchliche Zeitgeschichte : Serie 2 , Studien , Dokumentationen , 29 ] , Wien / Salzburg , vgl. auch Gscheidlinger , Fridolin ( 1998 ) : Die katholische Soziallehre und die Rezeption von ausgewählten Inhalten der ersten beiden päpstlichen Sozialenzykliken „Rerum novarum“ und „Quadragesimo anno“ sowie des österreichischen Sozialhirtenbriefes 1925 in Österreich , Diss. , Linz. 98 Weinzierl ( 1983 ), 471. 99 Hanisch ( 2005 ), 73. 100 „Im Namen Gottes , des Allmächtigen , von dem alles Reich ausgeht , erhält das Volk für seinen christlichen , deutschen Bundesstaat auf ständischer Grundlage diese Verfassung.“ Vgl. Verfassung 1934 , BGBl. vom 1. Mai 1934 , Jg. 1934 , Nr.1 , URL : http ://alex.onb.ac.at ( abgerufen am 30. 4. 2012 ). 101 Zu den autoritären Einflüssen auf die Verfassung vgl. auch Wohnout , Helmut ( 1990 ) : Verfassungstheorie und Herrschaftspraxis im autoritären Österreich : zu Entstehung und Rolle der legislativen Organe 1933 / 34–1938. Diss. , Wien. 102 Knoll ( 1932 ), 215–216. Auf Grundlage dieser bei Knoll zitierten , allgemein gehaltenen , päpstlichen Würdigung war die Vermutung eines Einflusses aus Österreich auf die Enzyklika naheliegend , konnte jedoch im Detail einer wissenschaftlichen Überprüfung nicht standhalten.
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Breuning , der als „Nestor der katholischen Soziallehre“ galt und maßgeblich an der Ausgestaltung der Enzyklika beteiligt war , bereits 1972 eine Absage.103 Rezente Forschungsfunde aus dem vatikanischen Archiv schließen eine Orientierung an der österreichischen politischen Situation angesichts der engen Verflechtung mit dem Hl. Stuhl zwar nicht aus , ein direkter österreichischer Einfluss , etwa in Person des von vatika nischer Seite sehr geschätzten Ignaz Seipel , auf Entstehung und Inhalt der Enzyklika ist jedoch nicht zu ersehen. In seiner Bewertung der Frage , ob Österreich als ein „Quadragesimo anno“-Staat gelten konnte , sieht Klieber neben einer unvollständigen Umsetzung des Subsidiaritätsprinzips und der berufsständischen Ordnung nur die „Elimination“ sozialistischer Bestrebungen als gegeben an.104 Visuelle Repräsentation Untersuchungen zu visuellen Repräsentationen , anhand derer die gegenseitige Nutzbarmachung von Regime und Kirche sichtbar würde , sind bisher für die Zeit von 1933 bis 1938 noch Mangelware. Während Kriechbaumer die Ästhetik der Vaterländischen Front anhand von Fotografien ins Zentrum stellte ,105 ließ das Filmarchiv Austria 2002 die austrofaschistischen Wochenschauen „Österreich in Bild und Ton“ ( ÖBUT ), die von Juni 1933 bis März 1938 produziert wurden , wissenschaftlich aufarbeiten , und tat somit auch eine visuelle Quelle zur Darstellung eines österreichischen Katholizismus auf. Indem ihre Riten und Symbolik Eingang in die staatliche Repräsentation fanden , wurde die katholische Kirche auch visuell zur Stütze des Staates.106 Nicht nur Fahnenweihen , Feldmessen und Gedenkfeiern wurden unter katholischer Präsenz abgehalten ; vor allem die Darstellung des hart arbeitenden Bauernstandes in den Wochenschauen spiegelte nach Karin Moser die „am besten geeignete Projektionsfläche“ eines ständischen Ideals wider , das dem katholischen Sozial- und Gesellschaftssystem entsprach und breite Übereinstimmung mit der ständisch-faschistischen Ideologie fand.107 Mit der Repräsentation der Kirche( n ) im Rahmen der ÖBUT befasste sich Klieber , indem er auf das „durch äußere Einflüsse wenig belastete“ Jahr 1935 fokussierte.108 Die Wochenschau-Berichterstattung manifestierte sich ihm zufolge in drei Betrachtungs aspekten , die sich über die Darstellung von volkskirchlichen Brauchtümern , dem „organisierten Katholizismus“ sowie der Leitung der Weltkirche bzw. kirchlichen Institutionen erstreckten. Als vierten Grenzbereich werden kirchlich geprägte Festzeremonien des Staates bzw. staatsnaher Organisationen genannt. Der quantitative Schwerpunkt auf kirch 103 Nell-Breuning , Oswald von ( 1972 ) : Wie sozial ist die Kirche ? Leistung und Versagen der katholischen Soziallehre [ S chriften der Katholischen Akademie in Bayern ] , Düsseldorf , 121–122 , zit. n. Figl , Thomas ( 1995 ) : Die Enzyklika Quadragesimo anno und ihr Einfluß auf die österreichische Verfassung vom 1. Mai 1934 , Dipl.-Arb. , Wien , 55. 104 Klieber ( 2010 ), 349 und 359. 105 Kriechbaumer , Robert ( 2002 ) : Ein Vaterländisches Bilderbuch. Propaganda , Selbstinszenierung und Ästhetik der Vaterländischen Front 1933–1938 , Wien. 106 Moser , Karin ( 2002 ) : Die Bilderwelt der ÖSTERREICH IN BILD UND TON – Die konstruierte Realität eines ständestaatlichen Propagandainstruments. In : Achenbach / Moser ( Hg. ), 99–148. 107 Moser ( 2002 ), 113–114. 108 Klieber , Rupert ( 2002 ) : Eine Gegenreformation in Neu-Österreich ? Die Kirche( n ) im autoritären Ständestaat und ihr Bild in der österreichischen Wochenschau. In : Achenbach / Moser ( Hg. ), 321–337.
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liche Bräuche sollte implizieren , dass Religiosität ein tief verankertes Erbe dieses Landes wäre. Die Tatsache , dass in keinem der Wochenschau-Beiträge die Katholische Aktion sichtbar gemacht wurde , sondern lediglich jene Vereine erwähnt wurden , die eine „unverfänglich traditionell-religiöse Note“ aufwiesen bzw. bereits in die Vaterländische Front inkorporiert waren , begründet Klieber mit der Ablehnung der autoritären Staatsleitung sowohl gegenüber einem demokratisch strukturierten katholischen Vereinswesen als auch gegenüber einem „organisierten Katholizismus“ in autoritärer Form wie der Katholischen Aktion ( K A ).109 Die Wochenschau-Darstellungen des Katholikentags sollten somit auch die Überwindung dieses zersplitterten Vereinswesens im „programmatische( n ) und ästhetische( n ) Gegenkonzept“ einer neu strukturierten KA dokumentieren.110 Für die konsequente Aussparung der Darstellung der protestantischen Kirche in den ÖBUT schließt Klieber dogmatische Streitfragen mit der katholischen Kirche als Begründung aus. Auch dem Befund einer Gegenreformation erteilt er letztlich eine klare Absage und schlägt vor , dieses Schlagwort aus dem historiografischen Diskurs zu entfernen. Vielmehr dürfte es die vorwiegend politisch gefärbte Wahrnehmung der evangelischen Kirche gewesen sein , die zu einer damnatio memoriae in den Wochenschauen geführt hätte.111 Evangelische Kirche unter dem Dollfuß / Schuschnigg-Regime Die evangelische Kirche112 war vom Zerfall der Donaumonarchie ungleich stärker betroffen ;113 neben der Abtrennung von Superintendenzen und der Einbuße von unzähligen Gläubigen ( m it Ausgleichsbewegungen durch den Zuwachs an burgenländischen Gläubigen ) war sie durch den Verlust von Fonds nun viel deutlicher von staatlichen Förderungen abhängig. Die emotionale Bindung zu Deutschland als ‚Mutterland der Reformation‘ , aber auch die wirtschaftliche und personelle Abhängigkeit114 verstärk109 Klieber ( 2002 ), 331. 110 Klieber ( 2002 ), 330. 111 Das Leitbild der „Türkenwehr“ besäße gegenüber dem einer Gegenreformation mehr Plausibilität , Klieber ( 2002 ), 337. Im Gegensatz dazu vgl. Huber , Wolfgang ( 2004 ) : Die Gegenreformation 1933 / 34. In : Neuhäuser , Stephan ( Hg. ) : „Wir werden ganze Arbeit leisten …“ Der austrofaschistische Staatsstreich 1934 , Norderstedt , 47–64 , der jedoch letztlich etwas undifferenziert argumentiert. 112 Zu einer älteren Abhandlung über die autoritäre Regierung aus der Sicht der evangelischen Kirche vgl. Krammer , Uta ( 1966 ) : Religion und Politik in der Zeit der autoritären Regierung Österreichs , Diss. , Wien ; vgl. Schwarz , Karl ( 1985 ) : Kirche zwischen Kruckenkreuz und Hakenkreuz. Über die Lage der Evangelischen Kirche in der Ära des katholischen Ständestaates. In : Amt und Gemeinde Jg. 36 ( 1985 ), Heft 9 , 95–98 sowie Heft 10 / 1 1 , 109–121 ; Gamsjäger , Helmut ( 1967 ) : Die evangelische Kirche in Österreich in den Jahren 1933 bis 1938 unter besonderer Berücksichtigung der Auswirkungen der deutschen Kirchenwirren , Diss. , Wien ; Achs , Christine ( 1997 ) : Die evangelische Kirche in Österreich von 1918 bis 1938 unter Berücksichtigung der politischen Verhältnisse , Dipl.-Arb. , Wien ; Reingrabner , Gustav / Schwarz , Karl ( Hg. ) ( 1988 / 1989 ) : Quellentexte zur österreichischen evangelischen Kirchengeschichte zwischen 1918–1945. In : Jahrbuch für die Geschichte des Protestantismus in Österreich ( JGPrÖ ) 104 / 105 ( 1988 / 1989 ), Wien. 113 Schwarz , Karl ( 2002 ) : Der Untergang der Donaumonarchie und seine Auswirkungen auf den Protestantismus. Ein Überblick. In : Švorc , Peter / Danilák , Michal / Heppner , Harald ( Hg. ) : Veľká politika a malé regióny : malé regióny vo veľkej politike , veľká politika v malých regiónoch ; Karpatský priestor v medzivojnovom období ( 1918–1939 ), Prešov / Graz , 2002 , zit. n. Liebmann ( 2003 ), 417. 114 Liebmann ( 2003 ), 418.
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ten sich in der Folge. Diese starke Ausrichtung nach Deutschland sollte später eine „emotionale Barriere“115 zum katholisch ausgerichteten österreichischen ‚Ständestaat‘ bilden , der sich überdies als das bessere Deutschland stilisierte. Die wiederholte Platzierung des „Neuen Österreichs“ in einen gegenreformatorischen Kontext116 stärkte das Misstrauen der Minderheitenkirche. Dabei richtete sich das Bild der ‚Gegenreformation‘ weniger gegen die evangelische Kirche als vielmehr gegen Säkularisierung und ‚Austromarxismus‘.117 Trotz der Tatsache , dass auch evangelische Geistliche in staatlichen Ämtern saßen , waren politische wie konfessionelle Gründe ausschlaggebend für eine Selbstwahrnehmung als „Staatsbürger zweiter Klasse“.118 Diese Empfindung erhielt durch den raschen , für die katholische Kirche überaus günstigen Abschluss des Konkordats119 zusätzlichen Nährboden , weil die Novelle des Protestantenpatents gleichzeitig lange hinausgezögert wurde sowie die staatliche Anerkennung der Kirchenverfassung 1931 ausblieb. Dass dem evangelischen Vertrauensmann ( „Notbischof “ ) Johannes Heinzelmann120 hierbei so lange ein Erfolg verwehrt blieb , hing auch mit der Junktimierung dieser Sachbereiche mit der Frage nach einem freiwilligen Beitritt evangelischer Würdenträger zur Vaterländischen Front zusammen. Die Beitrittsproblematik wird als eine der Kernfragen schlechthin gesehen , denn damit war gewissermaßen die „Bekenntnisfrage zum Neuen Österreich“ verbunden.121 Die von Heinzelmann diesbezüglich kontinuierlich vorgebrachten Bedenken standen im Gegensatz zu den deutlichen Empfehlungen des Oberkirchenrats. Seine Taktik , die Beitrittsfrage mit den wenig ermutigenden Verzögerungen bei der Protestantenpatentnovelle in Verbindung zu bringen , wirkte sich jedoch für die evangelische Kirche nicht positiv aus.122 Aufsehen erregte sein Protestschreiben vom Juli 1936 gegen die Instrumentalisierung des evangelischen Klerus für Dollfuß-Gedenkfeiern.123
115 Liebmann ( 2003 ), 419. 116 Dietrich von Hildebrand in der ersten Ausgabe vom „Christlichen Ständestaat“, Dezember 1933 , 3 , zit. n. Liebmann ( 2003 ), 419. Vgl. auch das unter einem Pseudonym herausgegebene ‚Beschwerdebuch‘ , Aebi , Kurt ( Hg. ) ( 1936 ) : Die Gegenreformation in Neu-Österreich : ein Beitrag zur Lehre vom katholischen Ständestaat ; anhand amtlicher Erklärungen und Dokumente , Zürich. 117 Mitterauer , Michael ( 1982 ) : Politischer Katholizismus , Österreichbewußtsein und Türkenfeindbild. Zur Aktualisierung von Geschichte bei Jubiläen. In : Beiträge zur historischen Sozialkunde Jg. 12 ( 1982 ) Heft 4 , 111–120 , und Klieber ( 2002 ), zit. n. Hanisch ( 2005 ), 76. 118 Liebmann ( 2003 ), 421. 119 Reingrabner , Gustav ( 1994 ) : Konkordat und Protestanten – Das österreichische Konkordat von 1933 und die Evangelischen in Österreich. In : Paarhammer et al. ( Hg. ), 273–292. 120 Zu Heinzelmann und seinem Auftrag , vgl. Schwarz , Karl ( 1986 / 1987 ) : Der Notbischof – Anmerkungen zu Johannes Heinzelmanns gesamtkirchlichem Vertrauensamt in den Jahren 1934 bis 1938. In : JGPrÖ Jg. 102 / 103 ( 1986 / 1987 ), Wien , 151–178. 121 Schwarz ( 1986 / 1987 ), 171–172. 122 Schwarz ( 1986 / 1987 ), 172. Zum Verhältnis evangelische Kirche und VF vgl. Gamsjäger , Helmut ( 1978 / 1979 ) : Evangelische Kirchen und „Vaterländische Front“. In : Zeitgeschichte , Jg. 6 ( 1978 / 1979 ) Heft 5 , 165–176. 123 Liebmann ( 2003 ), 420.
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Eine anonym verfasste Denkschrift ,124 die die Situation der evangelischen Kirche im „Ständestaat“ skizzierte und im Zeitraum von Herbst 1936 und Dezember 1937 verfasst worden sein musste , ist in der Lage , exemplarisch den repressiven Charakter des „Katholischen Österreichs“ in den Bereichen von Ehe- und Übertrittsangelegenheiten , Schule , aber auch außerschulischer Jugenderziehung sowie im öffentlichen Dienst aufzuzeigen. Indem auf die subtil eingesetzten antiprotestantischen Maßnahmen Bezug genommen wird und eine umfassende konfessionelle Gleichberechtigung gefordert wird , zeigt sich die Intention der Denkschrift. Diese war gegen die Prinzipien des Politischen Katholizismus gerichtet , obgleich Positionierungen gegenüber der ideologischen Ausrichtung des Staates ausblieben.125 Diese Denkschrift stützt die Feststellung Karl Schwarz’ , dass die „Konfessionalisierung des öffentlichen Lebens aus weltanschaulichen Gründen“ im ‚Neuen Österreich‘ in der evangelischen Kirche zwei Reaktionen zur Folge hatte : Sensibilität hinsichtlich ihrer konfessionellen Gleichberechtigung sowie die Entwicklung eines antikatholischen Elitebewusstseins.126 Die traditionelle Ausrichtung auf das protestantische Deutschland , die auch auf der Los-von-Rom-Bewegung um die Jahrhundertwende basierte , ließ viele evangelische Geistliche in die Einflusssphäre der illegalen NSDAP geraten , woraufhin die evangelische Kirche mit der Verunglimpfung als „Nazi-Kirche“ zu kämpfen hatte.127 In der beeindruckenden Beitrittsbewegung zur evangelischen Kirche ( a llein 1934 ca. 24.000128 ), die sich auch aus NationalsozialistInnen speiste , hoffte man auf evangelischer Seite Wahrheitssuchende und nicht politische Flüchtlinge zu sehen.129 124 Schwarz , Karl ( 1980 ) : Eine Denkschrift zur Lage der Evangelischen Kirche im Ständestaat ( 1934– 1938 ). In : JGPrÖ Jg. 96( 1980 ) Heft 1–3 , 263–278. Die 16-seitige Denkschrift trägt den Titel „Zusammenstellung der Voraussetzungen für ein vertrauensvolles Verhältnis zwischen Evangelischer Kirche und Staat in Österreich“, bleibt jedoch ohne Verfasser- , Zeit- und Ortsangaben ; aufgefunden wurde sie beim Villacher Organisten , der Heinzelmann nahestand. 125 Schwarz ( 1980 ), 278. 126 Schwarz , Karl ( 1994 / 1995 ) : Von der Ersten zur Zweiten Republik : Die Evangelischen in Österreich und der Staat. In : JGPrÖ Jg. 110 / 1 11( 1994 / 1995 ), 213–239 : 230. 127 Zur Evangelischen Kirche und Nationalsozialismus vgl. rezente Arbeiten wie z. B. Schwarz , Karl ( 2009 ) : Bejahung – Ernüchterung – Verweigerung. Die evangelische Kirche in Österreich und der Nationalsozialismus , Tagungsband des 25. Österreichischen Historikertages , St. Pölten ; Oberlerchner , Lukas Andreas ( 2009 ) : Evangelische Kirche in Österreich während der NS-Zeit , Dipl.-Arb. , Wien ; Mayr , Margit ( 2005 ) : Evangelisch in Ständestaat und Nationalsozialismus : zur Geschichte der evangelischen Kirche in Österreich unter besonderer Berücksichtigung oberösterreichischer Gemeinden im Ständestaat und während der nationalsozialistischen Herrschaft , Linz ; Schwarz , Gerhard P. ( 1987 ) : Ständestaat und evangelische Kirche von 1933 bis 1938. Evangelische Geistlichkeit und der Nationalsozialismus aus der Sicht der Behörden von 1933 bis 1938 , Diss. , Graz. 128 Hanisch ( 2005 ), 78. 129 Die Eintritte können auch mit der im Regime beanstandeten Konfessionslosigkeit erklärt werden , während die Übertritte insofern erstaunlich waren , da sie oft mit beträchtlichen Hürden verbunden waren , vgl. Liebmann ( 2003 ), 422. Zur Übertrittsproblematik , vgl. auch Schwarz , Karl ( 1982 ) : Der Konfessionelle Übertritt – ein staatsrechtliches und grundrechtliches Problem der Ständestaat-Ära. In : JGPrÖ 98 ( 1982 ), 264–285 , sowie Schima , Stefan ( 2007 ) : Glaubenswechsel in Österreich in der staatlichen Gesetzgebung von Joseph II. bis heute. In : Kurz , Marlene / Winkelbauer , Thomas ( Hg. ) : Glaubenswechsel [ S erie : Wiener Zeitschrift zur Geschichte der Neuzeit ] , Innsbruck , 79–99. Zur Pro-
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Dass Adolf Hitler nicht den überkonfessionellen Retter aus dem reformatorischen Mutterland personifizierte , wurde zu spät verinnerlicht. In seinem berühmt gewordenen Neujahrshirtenbrief 1937 / 38 , der auch als „Anti-Rosenberg-Hirtenbrief “130 apostrophiert wurde , betonte Heinzelmann nicht nur das „bemerkenswerte [ … ] Verständnis [ des austrofaschistischen Regimes , Anm. d. Verf. ] für die Belange unserer Kirche“, sondern übte auch fundamentale Kritik an der NS-Ideologie.131 2.2.2 Funktionsträger politischer Katholizismen Personelle Kontinuitäten bei den österreichischen Bischöfen von Monarchie über die Ers te Republik zum Dollfuß / Schuschnigg-Regime zeigten sich im Linzer Bischof Johannes Maria Gföllner ,132 im Gurker Bischof Adam Hefter133 und in Sigismund Waitz ,134 Apostolischer Administrator für Tirol und Vorarlberg , und ab 1934 Erzbischof von Salzburg. 1927 kam es durch den Tod der Vorgänger zu Bischofswechseln in St. Pölten ( Bischof
blematik der Konfessionslosigkeit vgl. Rettenbacher , Josef ( 1992 ) : Bekenntnisfreiheit oder Glaubenszwang im österreichischen Ständestaat. Der Einfluß der katholischen Kirche auf die Verfassung 1934 und die Auswirkungen auf die Glaubens- und Bekenntnisfreiheit mit besonderer Bedachtnahme auf die Situation der Protestanten in Österreich , Diss. , Salzburg. 130 Schwarz , Karl ( 1994 ) : Der Anti-Rosenberg-Hirtenbrief 1937 / 38 des evangelischen Superintendenten D. Johannes Heinzelmann. In : Zinnhobler , Rudolf ( Hg. ) : Kirche in bewegter Zeit : Beiträge zur Geschichte der Kirche in der Zeit der Reformation und des 20. Jahrhunderts. Festschrift für Maximilian Liebmann zum 60. Geburtstag , Graz , 355–368. 131 Liebmann ( 2003 ), 421. 132 Kutschera , Richard ( 1972 ) : Johannes Maria Gföllner. Bischof dreier Zeitenwenden , Linz , sowie Zinnhobler , Rudolf ( 1979b ) : Die Haltung Bischof Gföllners gegenüber dem Nationalsozialismus. In : ders. ( Hg. ) : Das Bistum Linz im Dritten Reich , Linz , 61–73 , und Zinnhobler , Rudolf ( 1985b ) : Johannes Ev. Maria Gföllner. In : ders. ( Hg. ) : Die Bischöfe in Linz , Linz , 261–288. Weitere Literaturübersicht zu Gföllner bei Zinnhobler , Rudolf ( 2003 ) : Bischof Johannes Maria Gföllner. Seine Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus. In : Mikrut , Jan ( Hg. ) ( 2003 ) : Faszinierende Gestalten der Kirche Österreichs , Bd. 7 , Wien , 53–74. 133 Fräss-Ehrfeld-Kromer , Claudia ( 1974 ) : Adam Hefter – Kirche und Staat in der Ersten Republik. In : Günther Antesberger ( Hg. ) : Festschrift für Franz Koschier : Beiträge zur Volkskunde , Naturkunde und Kulturgeschichte [ K ärntner Museumsschriften , 57 ] , Klagenfurt , 139–176 , sowie Kreuzer , Anton ( 1997 ) : Adam Hefter ( 1871–1970 ). In : Kärntner : biographische Skizzen , 17.–20. Jahrhundert , Klagenfurt , Bd. 4 , 125–127. 134 Alexander , Helmut ( Hg. ) ( 2010 ) : Sigismund Waitz : Seelsorger , Theologe und Kirchenfürst , Innsbruck / Wien ; Jablonka , Hans ( 1971 ) : Waitz , Bischof unter Kaiser und Hitler , Wien ; zudem Literaturhinweise bei Gelmi , Josef ( 2002 ) : Ein Tiroler in der Brandung. Sigismund Waitz. In : Mikrut , Jan ( Hg. ) : Faszinierende Gestalten der Kirche Österreichs , Bd. 5 , Wien , 359–394. Zu den Umständen zu Waitz’ Wahl zum Bischof und den begleitenden staatlichen Interventionen , auch auf Basis der mittlerweile zugänglichen vatikanischen Gegenüberlieferung , vgl. Klieber , Rupert ( 2011a ) : Die Annullierung der Salzburger Privilegien und die Salzburger Bischofswahl 1934 im Lichte der Vatikanischen Quellenbestände zum Pontifikat Pius’ XI. In : Sonderdruck aus : Mitteilungen der Gesellschaft für Salzburger Landeskunde , Salzburg , URL : http ://piusxi.univie.ac.at / content / site / de / publikationen / i ndex.html ( abgerufen am 8. 5. 2012 ).
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Michael Memelauer135 ) und Seckau ( Bischof Ferdinand Pawlikowski136 ). Einschneidend für Wien war die Ernennung Theodor Innitzers137 zum Wiener Kardinal , nachdem der Amtsinhaber Friedrich Gustav Piffl 1932 verstorben war. Die Zwischenkriegszeit zählte zwei Erzbistümer ( Wien und Salzburg ) und vier Bis tümer ( St. Pölten , Linz , Gurk und Seckau ). Bis 1932 gehörte die Apostolische Administratur Eisenstadt noch zu Wien , während Tirol und Vorarlberg ab 1925 direkt Rom unterstellt waren ; das Generalvikariat Feldkirch entstand 1936.138 Ein letzter grundlegender Überblick zum österreichischen Episkopat in der Zwischenkriegszeit von Erika Weinzierl ,139 der auf das Jahr 1966 zurückgeht , dient noch heute als Referenzbeitrag , obwohl er sich noch nicht auf wissenschaftlich fundierte Einzelbiografien oder einschlägige Aktenpublikationen stützen konnte. Das seither in Einzelstudien und Beiträgen aufgearbeitete Wirken der Bischöfe ist zumeist älteren Datums und war oftmals noch von kirchlichen Archivsperren betroffen.140 Aktuellere Beiträge zur Aufarbeitung von einzelnen herausragenden Persönlichkeiten werden zwar geleistet , wie die von Jan Mikrut herausgegebene Reihe „Faszinierende Gestalten der Kirche Österreichs“,141 jedoch können diese nur Ausgangspunkt für weitere Forschung sein.
135 Seybold , Dieter , ( 1998 ) : Michael Memelauer – ein unpolitischer Seelsorgebischof ? Eine vergleichende Untersuchung der Enunziationen eines österreichischen Diözesanbischofs ( 1933–1934 ), Dipl.Arb. , Wien , sowie Winner , Gerhard ( 1981 ) : Bischof Michael Memelauer 1874–1927–1961. In : Hippolytus. St. Pöltner Hefte zur Diözesankunde Jg. 1 ( 1981 ), 5–23 , und Fasching , Heinrich ( 1987 ) : Die zweite St. Pöltner Diözesansynode 1937 : in memoriam Michael Memelauer [ H ippolytus. St. Pöltner Hefte zur Diözesankunde , 2. Beiheft ] , St. Pölten. 136 Literaturverweise auf biografische Angaben zu Pawlikowski bei Liebmann , Maximilian ( 2002 ) : Ferdinand Stanislaus Pawlikowski ( 1877–1927–1953–1956 ). Fürstbischof dreier konträrer Zeitabschnitte. In : Mikrut , Jan ( Hg. ) ( 2002 ) : Faszinierende Gestalten der Kirche Österreichs , Bd. 4 , Wien , 175– 188. Gruber , Franz ( 1977 ) : Zum 100. Geburtstag von Militärbischof Dr. Ferdinand Pawlikowski. In : Mitteilungen der Militärseelsorge Österreichs , Wien , sowie Sattinger , Manfred Paul ( 1983 ) : Die steirischen Katholikentage unter den Bischöfen Leopold Schuster und Ferdinand Stanislaus Pawlikowski , Dipl.-Arb. , Graz. Zum bischöflichen Auswahlverfahren Pawlikowskis 1927 , vgl. Klieber ( 2011a ). 137 Reimann , Viktor ( 1967 ) : Innitzer : Kardinal zwischen Hitler und Rom , Wien u. a. ; Krexner , Martin ( 1978 ) : Theodor Kardinal Innitzer ( 1875–1955 ) : vorläufige Biographie in Daten [ Wiener Katholische Akademie Miscellanea , 41 ] , Wien ; Liebmann , Maximilian ( 1988a ) : Theodor Innitzer und der Anschluß. Österreichs Kirche 1938. Graz / Wien u. a. ; weitere Literaturhinweise bei Liebmann , Maximilian ( 2002 ) : Kardinal Theodor Innitzer. Von der Politik geprägt und prägend für die Kirche. In : Mikrut ( 2002 ), Bd.6 , 231–246. 138 Weinzierl ( 1983 ), 439. 139 Weinzierl ( 1966 ). Vgl. aber auch Schultes , Gerhard ( 1978 ) : Der Episkopat und die katholischen Organisationen in der Ersten Republik [ Wiener Katholische Akademie Miscellanea , 57 ] , Wien. 140 Eine rezente Ausnahme bietet der Sammelband zum Salzburger Erzbischof Sigismund Waitz , vgl. Alexander ( Hg. ) ( 2010 ). Darin wird versucht , neben der seelsorglichen und theologischen Arbeit Waitz’ auch dessen kirchenpolitische Aktivitäten im Rahmen der Bischofskonferenz auszuloten , vgl. Sohn-Kronthaler , Michaela ( 2010 ) : Pastorale , soziale und kirchenpolitische Aktivitäten von Sigismund Waitz innerhalb der Österreichischen Bischofskonferenz. In : Alexander ( Hg. ), 331–362. 141 Mikrut , Jan ( Hg. ) ( 2000–2004 ) : Faszinierende Gestalten der Kirche Österreichs , Bd. 1–11 , Wien.
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Mögliche Quellen für die Aufarbeitung von Position und Engagement der Bischofspersönlichkeiten hinsichtlich kirchenpolitischer Themen böten die Akten zu den gemeinsamen Bischofskonferenzen. Diese zentrale Einrichtung fand jährlich statt – im politisch ereignisreichen Jahr 1934 kam es jedoch zu vier außerordentlichen Sondersitzungen.142 Hauptberatungsgegenstände dieser Zusammentreffen waren in der Zwischenkriegszeit nach Michaela Kronthaler kulturpolitische Anliegen , Konkordat und kirchliches Leben ; aber auch die nationalsozialistische Bewegung , die Heimat-Bewegung , Katholische Aktion und pastorale Anliegen fanden Beachtung.143 Ständiger Diskussionspunkt auf den Konferenzen war zudem die aktuelle politische Lage , wobei auch Politiker als externe Referenten herangezogen werden konnten.144 Die zumeist aus den Beratungen hervorgehenden gemeinsamen Hirtenbriefe spiegelten jedoch nicht alle Diskussionsgegenstände der Konferenz wider , sondern nur die als sehr wichtig erscheinenden Fragen.145 Während Weinzierl aus den Protokollen schloss , die Formulierungen der gemeinsamen Hirtenbriefe wären aufgrund ihrer Wirkung auf die Gläubigen drama tischer ausgefallen als die Beratungen ,146 so wäre dem entgegenzusetzen , dass aufgrund der erforderlichen Stimmenmehrheit147 die Beschlüsse auch aus einer Minimalforderung , dem kleinsten gemeinsamen Nenner und somit einer gewissen Entschärfung , resultieren hätten können. So differierten jene einzeln in den Diözesen veröffentlichten Hirtenbriefe insgesamt stark voneinander , denn für sie waren die Persönlichkeit des Diözesanbischofs , dessen Berater und die lokalen Gegebenheiten ausschlaggebend.148 Die Bandbreite in Weltanschauungsfragen , die sich daraus auch exemplarisch hinsichtlich eines traditionellen kirchlichen Antisemitismus ergab ,149 könnte paradigmatisch an den Haltungen der Bischöfe Gföllner und Hudal dargestellt werden. Der Hirtenbrief „über wahren und falschen Nationalismus“, den Gföllner verkünden konnte , auch ohne eine Gesamtentscheidung des Episkopats abzuwarten , wurde über nationale Grenzen hinaus bekannt. Brisanz verlieh diesem nicht nur die dezidierte Ablehnung eines Rassenantisemitismus der Nationalsozialisten ( bei gleichzeitiger Legitimierung der „traditionellen kirchlichen antijüdischen Vorurteile“150 ), sondern auch dessen Veröffentlichung kurz vor der „Machtergreifung“ Hitlers. Nur Pawlikowski und der damalige 142 Kronthaler ( 1999 ). 143 Kronthaler ( 1999 ), 55. 144 Kronthaler ( 1999 ), 59. 145 Weinzierl ( 1983 ), 442. 146 Weinzierl ( 1984 ), 213. 147 Kronthaler ( 1999 ), 53–54. 148 Weinzierl ( 1984 ), 213. 149 Vgl. dazu auch Klösch , Christian ( 2000 ) : „Ein mehr als schlampiges Verhältnis. Ständestaat und katholische Kirche und ihr Verhältnis zum Antisemitismus“. In : Gedenkdienst Jg. 3 ( 2000 ), URL : http ://gedenkdienst.or.at / index.php ?id=230 ( abgerufen am 25. 4. 2012 ). Klösch verweist auch auf Wibihail , Gisela ( 1995 ) : Der politisch-ideologische Antisemitismus im Ständestaat und das „Wiener Montagblatt“: Antisemitismus zwischen 1934 und 1938 als Wegbereiter der Judenverfolgung im 3. Reich anhand einer diskurs-historischen Textanalyse , Dipl.-Arb. , Wien. 150 Königseder , Angelika ( 2005 ) : Antisemitismus 1933–1938. In : Tálos / Neugebauer ( Hg. ) : 54–65 : 58. Vgl. auch den Literaturüberblick zu ‚Judentum und Antisemitismus vor 1938‘ bei Klieber et al. 2007 , 216–219.
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Salzburger Bischof Ignatius Rieder druckten Gföllners kontroverses Hirtenwort , das die Unvereinbarkeit eines Katholiken mit einem Nationalsozialisten niederschrieb , in ihren Diözesanblättern ab.151 Dieser Ansicht stand der spätere Versuch von Bischof Alois Hudal152 , ideologische Gemeinsamkeiten zwischen Nationalsozialismus und Katholizismus offenzulegen , diametral gegenüber.153 Der Rektor der Anima , der deutschen Nationalkirche in Rom , war zwar kein österreichischer Diözesanbischof , wird jedoch nicht zuletzt ob seiner steirischen Sozialisation als Teil des österreichischen Katholizismus verortet154 und machte sich so als sogenannter „Brückenbauer“ einen zweifelhaften Namen. Die Haltung der österreichischen Bischöfe zum „Anschluss“ wurde oftmals auf ihre „Feierliche Erklärung“155 vom 18. März 1938 zugespitzt dargestellt. Darin wurden die Leistungen des Nationalsozialismus anerkannt und den „gläubigen Christen“ eine deutliche Wahlempfehlung zur Volksabstimmung vom 10. April 1938 gegeben , mit der Erwartung , „dass sie wissen , was sie ihrem Volke schuldig sind“.156 Dieser Akt , mit dem vor allem Kardinal Innitzer verbunden wird und der von der nationalsozialistischen Propaganda gekonnt ausgenutzt wurde , sollte ein nachhaltiges Trauma in der katholischen Kirche hinterlassen.157 Den katholischen Klerus , der im Jahr 1938 um die 8.000 Ordens- und Weltpries ter ausmachte , stellt Weinzierl als eine relativ homogene Gruppe dar , die aufgrund von langjähriger , intensiver Ausbildung selten von den Anordnungen der kirchlichen Vorgesetzten abwich.158 Die bedeutsame Funktion , die der katholische Klerus zu dieser Zeit in politischen , sozialen und auch wirtschaftlichen Fragen hatte , konnte Staudinger mithilfe von Pfarrchroniken für die frühe Republikzeit aufzeigen.159 Dessen 151 Weinzierl ( 1985b ), 150. 152 Langer , Martin ( 1995 ) : Alois Hudal. Bischof zwischen Kreuz und Hakenkreuz. Versuch einer Biog raphie , Diss. , Wien. Vgl. dessen umstrittene , posthum veröffentlichte Autobiografie : Hudal , Alois ( 1976 ) : Römische Tagebücher. Lebensbeichte eines alten Bischofs , Graz / Stuttgart. 153 Hudal , Alois ( 1937 ) : Die Grundlagen des Nationalsozialismus : eine ideengeschichtliche Untersuchung , Leipzig / Wien. 154 Vgl. Klieber , Rupert ( o. J. ) : Der Grazer Diözesane und Anima-Rektor Alois Hudal ( 1885–1963 ) und seine Verortung im österreichischen Katholizismus der Jahre 1900 bis 1950. In : Tagungsband für das Internationale Symposium in Rom „Bischof Alois Hudal ( 1885–1963 ). Wissenschaftliches Kolloquium aus Anlass der Öffnung des Hudal-Archivs im Archiv des Kollegiums Santa Maria dell’ Anima“ am 6. und 7. Oktober 2006 , im Druck , hier 29 , URL : http ://piusxi.univie.ac.at / content / site / de / publikationen / i ndex.html ( abgerufen am 8. 5. 2012 ). 155 Abgedruckt in Liebmann ( 1988a ), 92. 156 Vgl. hierzu Weinzierl ( 1988 ) wie Liebmann ( 1988a ) und Liebmann , Maximilian ( 1988b ) : Vom März zum Oktober 1938 die katholischen Diözesanbischöfe und der Nationalsozialismus in Österreich , St. Pölten ; vgl. z. B. auch Zinnhobler , Rudolf ( 1982 / 83 ) : Bischof Johannes M. Gföllner und die „feierliche Erklärung“ des österreichischen Episkopats vom 18. März 1938. In : NAGDL Jg. 2 ( 1982 / 83 ) Heft 2 , 146–155. 157 Prettenthaler-Ziegerhofer , Anita ( 2010 ) : Brückenbauer Europas : Die österreichischen Bischöfe und der Integrationsprozess Europas. In : Duchhardt , Heinz / Morawiec , Malgorzata ( Hg. ) : Die europäische Integration und die Kirchen : Akteure und Rezipienten , Göttingen , 35–52 : 39. 158 Weinzierl ( 1983 ), 442. 159 Staudinger , Anton ( 1976 ) : Pfarrchroniken als Quelle der Zeitgeschichte. In : Loidl , Franz ( Hg. ) : Aspekte und Kontakte eines Kirchenhistorikers. Kirche und Welt in ihrer Begegnung , Wien , 197–219.
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meinungsbildende Kraft hatte auch der christlichsoziale Abgeordnete Josef Aigner erkannt , jener Präsident des katholischen Volksvereins für Oberösterreich , der später vom eigenen Bischof zum Rücktritt aufgefordert werden sollte. Für Aigner war 1933 die Verbindung zum Klerus unumgänglich , stellte er doch „unser[ en ] Hauptvertrauensmann“ dar.160 2.2.3 Aktionsfelder politischer Katholizismen 2.2.3.1 Vom katholischen Vereinswesen zur Katholischen Aktion Das weit verzweigte katholische Vereinswesen der Zwischenkriegszeit scheint in der forschenden Retrospektive beinahe unüberblickbar. Schon 1967 betonte Ferdinand Klostermann in seiner mit Erika Weinzierl herausgegebenen Bestandsaufnahme der Kirche in Österreich , dass nach bereits 30 Jahren aufgrund der verloren gegangenen bzw. 1938 vernichteten Akten die Organisationslage schwer zu rekonstruieren sei.161 Dieser von Laien getragene , vorwiegend demokratisch strukturierte Verbandskatholizismus162 hatte eine lange gewachsene Tradition. Dabei hatte der „Volksbund der Katholiken Österreichs“ als Dachorganisation die zentrale Aufgabe , die KatholikInnen außerhalb parteipolitischer Vereinigungen zu vertreten. In Österreich verstand man daher den Aufruf von Pius XI. in seiner Antrittsenzylika „Ubi arcano dei“ 1922 zur „Teilnahme der Laien am hierarchischen Apostolat der Kirche“163 in der „Katholischen Aktion“ als bereits in den katholischen Vereinen entsprochen. Erste konkrete Realisierungsversuche 1926 /27 fußten daher auf der Fortsetzung älterer Koordinierungsansätze und wurden nicht mehr als eine „Arbeitsgemeinschaft der Vereine“.164 Starke Impulse für eine zweite Phase der KA setzte der Katholikentag , in dessen Nachbereitung Innitzer eine Neustrukturierung der KA für seine Diözese beauftragte.165 Vorbilder und Einflüsse zu diesem Neuaufbau stammten weitgehend aus Italien , wohin spätere Protagonisten der KA im Sommer zuvor eine Studienreise unternommen hatten.166 Das nach dem Territorial- und Führer160 Weinzierl ( 1983 ), 443. 161 Klostermann , Ferdinand ( 1967 ) : Das organisierte Apostolat der Laien und die Katholische Aktion. In : ders. / K riegl et al. ( Hg. ), 68–137 : 92. Einen Status quo des „Katholizismus in Österreich“ zu Beginn der 1930er-Jahre erfasst der von Alois Hudal herausgegebene Sammelband , vgl. Hudal ( 1931 ). 162 Entgegen dem heute geläufigen Verständnis von Verband als einer Dachorganisation , bestehend aus Vereinen , versteht sich hier die Verwendung von Verband als in der Gesellschaft organisierte Gruppen zur Wahrnehmung bestimmter Interessen. Während das katholische Soziallexikon Verband als politikwissenschaftlichen Begriff ( n icht zuletzt in Abgrenzung von politischen Parteien ) versteht , sieht es einen Verein als eine Rechtsform des Verbandes an , vgl. Brünner , Christian ( 1980 ) : Verbände. In : Klose et al. ( Hg. ), Sp. 3137–3166 : 3137. 163 Vgl. Acta Apostolicae Sedis , 20. Jg. ( 1928 ), 385 , zit. n. Liebmann , Maximilian ( 1990 ) : Katholische Aktion und Ständestaat. In : Kaluza / Kostelecky ( Hg. ), 601–622 : 602. 164 Weinzierl ( 1983 ), 447. 165 Liebmann ( 1990 ). 166 Vgl. Schultes ( 1967 ), 292 ; Hartmann , Gerhard ( 1988 ) : Im Gestern bewährt – Im Heute bereit. 100 Jahre Carolina. Zur Geschichte des Verbandskatholizismus. Unter Mitarbeit von D. A. Binder. Hg. von Maximilian Liebmann im Auftrag des Altherrenverbandes der K.Ö.H.V. Carolina , Graz , 303 , sowie Liebmann ( 2009 ), 49. Die italienischen Anleihen verwirft hingegen Lehner als „abenteuerliche
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prinzip aufgebaute autoritäre Wiener Modell war als Vorbild für die anderen Diözesen gedacht , die aber uneinheitlich und nicht in allen Bereichen folgten.167 Ihre nament liche Verankerung im Konkordat , zu der es erst durch die Nachverhandlungen kam ,168 stärkte die KA zusätzlich. So nutzten nach Liebmann die Bischöfe das Konkordat als willkommenes Instrument , um die „zentralistisch-klerikalistische ‚Katholische Aktion‘ mit hierarchischem Aufbau“ zu organisieren.169 In der entsprechenden Vertragspassage wurden den katholischen Organisationen Weiterbestand und Entfaltungsmöglichkeit garantiert. Konkordatäre Bedingung für diesen Garantiefall war , dass die betreffenden Gruppierungen einen Teil der Katholischen Aktion bildeten , was auch innerkirchlich als Druckmittel eingesetzt wurde , um bestehende katholische Vereine in die neuen Strukturen der KA überzuführen.170 Beispielhaft für eine erzwungene Eingliederung in die KA war die Entmachtung des einflussreichen Katholischen Volksvereins in Oberösterreich. Seine Besonderheit , eine weitgehende Identität mit dem politischen Apparat der ober österreichischen Christlichsozialen , ließ seine Entmachtung mit der Entpolitisierung des Klerus Hand in Hand gehen.171 Aus dem vehement von Gföllner geforderten Rücktritt des Volksvereinspräsidenten172 resultierte nicht etwa die Spaltung des Vereins in die KA und die Christlichsoziale Partei , sondern ein Zerfall von Verein und Partei , womit „der christlich-sozialen Bewegung in Oberösterreich das Rückgrat gebrochen“ war.173 Die Widerstände , die bei der Überführung in die KA zum Vorschein kamen , differierten jedoch regional. Reibungen gab es zum Beispiel auch beim Cartellverband ( CV ), einem wichtigen „intellektuelle( n ) Reservoir für die katholische Politik“,174 und bei der Katholischen Frauenorganisation ( K FO ), einem ca. 250.000 Mitglieder zählenden Dachverband.175 These“ Hartmanns , die auch für die daraus entstandenen „Ressentiments der traditionellen Vereine gegen die Katholische Aktion“ verantwortlich sei , und führt die Umformung der KA allein auf einen päpstlich-kirchlichen Wunsch zurück , vgl. Lehner , Markus ( 1992 ) : Vom Bollwerk zur Brücke : Katholische Aktion in Österreich. Thaur-Wien u. a. , 56. 167 Klostermann ( 1967 ), 112. Er sieht als einen der größten Mängel an , dass es nie zu einer KA Österreichs kam , sondern nur zur KA der einzelnen Diözesen , vgl. Klostermann ( 1967 ), 121. 168 Vgl. Artikel XIV des Zusatzprotokolls zum Konkordat zwischen Österreich und dem Hl. Stuhl. 169 Liebmann ( 1997 ), 361. 170 Liebmann ( 1990 ), 607 , vgl. Klostermann ( 1967 ), 107 , der aus der Sicht der Vereine so argumentiert , dass diese zum Teil angesichts eines autoritär geführten Staates lieber noch „die Gewalt des Diözesanordinarius“ auf sich nahmen und unter den Deckmantel der Katholischen Aktion flüchteten. 171 Slapnicka ( 1975 ), 118–121. 172 Die Aussprache zwischen Bischof Gföllner und dem Präsidenten des Volksvereins , Dr. Aigner , vom 8. Jänner 1934 führte unmittelbar zu Aigners Rücktritt , der sich empörte , dass doch „( j )ede Kuhdirn ( … ) ihre Kündigungsfrist“ hätte ; das Gedächtnisprotokoll zu dieser Aussprache ist abgedruckt bei Honeder , Josef ( 1981 / 82 ) : Die Entpolitisierung des Katholischen Volksvereins durch Bischof Johannes Maria Gföllner. In : Sonderdruck aus dem 78. Jahresbericht des Bischöflichen Gymnasiums und Diözesanseminars am Kollegium Petrinum , Schuljahr 1981 / 82 , 21–35. 173 Slapnicka ( 1975 ), 118. Wohnout sieht das Ende der Vereine als schweren Schlag für die Christlichsoziale Partei , die in den Vereinen unverzichtbare „Vorfeldorganisationen“ und „Sozialisationszentren“ hatte , an , vgl. Wohnout ( 2001 ), 189. 174 Hanisch ( 1995 ), 447. 175 Weinzierl ( 1983 ), 449.
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Liebmanns Beitrag zur KA in der Zeit des „Ständestaats“ zeichnet deren autoritäre Neustrukturierung in Österreich nach , die für ihn parallel zum Dollfuß-Regime einsetzte , und zeigt Impulse dafür und deren geistige Urheber auf. Zudem eröffnet er einen regionalen Einblick in Widerstände von steirischen CV-Verbindungen gegen die geplante Subsumierung unter die KA.176 Ausgehend von der Trägerfunktion des CVs innerhalb des „Ständestaats“,177 dessen Kontinuität in der Elitenrekrutierung Hanisch über das 20. Jahrhundert nachverfolgt ,178 besteht auch darüber hinaus weitgehend Einigkeit in der Forschung , dass die enge Verbindung des österreichischen CVs mit der kirchlichen Hierarchie , die ihn auch als die „Inkarnation des politischen Katholizismus der Zwischenkriegszeit“ klassifizierte ,179 beim Versuch zu bröckeln begann , die CVKorporationen in die KA überzuführen. Die traditionellen Positionen , die der OeCV laut Peter Krause im Ständestaat auf politischer Ebene zuweilen auch verlor , konnte dieser in den neu geschaffenen Ausschüssen und Organisationen sowie in der Landespolitik und im Beamtentum wieder wettmachen. Dadurch war eine „weitgehende Zustimmung der Mitglieder zum neuen Staat [ … ] gegeben“ – diese führte aber nicht zu einer „verstärkten Integration“. Zu einer Identifikation ohne Vorbehalte kam es nicht , was auch die Konflikte zwischen Verbandsmitgliedern widerspiegelten.180 Auch bei den in Vereinen organisierten katholischen Frauen stieß die Einführung der KA nicht nur auf Gegenliebe , die Eingliederung der KFO in die Wiener KA sogar auf vehementen Widerstand. Dieser führte schließlich dazu , dass deren populäre Präsidentin Alma Motzko zum Rücktritt gezwungen war.181 Die Tatsache , dass die meisten der ursprünglich in der KFO engagierten Frauen als Funktionärinnen zur VF wechselten und beim dortigen Strukturaufbau halfen , sieht Irene Bandhauer-Schöffmann als Folge der Neuorganisierung der katholischen Frauenvereine durch die kirchlichen Autoritäten und interpretiert diese Zerschlagung des demokratisch organisierten katholischen Vereinswesens zugunsten der KA als exemple par excellence für die 176 Liebmann ( 1990 ). 177 Neuhäuser , Stephan ( 2004b ) : „Wer , wenn nicht wir ? “ 1934 begann der Aufstieg des CV. In : Neuhäuser , Stephan ( Hg. ) : „Wir werden ganze Arbeit leisten …“ Der austrofaschistische Staatsstreich 1934. Norderstedt , 65–140. 178 Hanisch , Ernst ( 2009 ) : Der politische Katholizismus im 20. Jahrhundert in Österreich. Elitenrekrutierung durch den Cartellverband. In : Timmermann ( Hg. ), 196–205. Wesentlich ausführlicher dazu vgl. Hartmann , Gerhard ( 2006 ) : Für Gott und Vaterland : Geschichte und Wirken des CV in Österreich , Kevelaer , und Stimmer ( 1997 ). 179 Binder , Dieter A. ( 1994 ) : Freimaurerei – Burschenschaften – CV. Zum diskreten Charme der Bruderketten im Spannungsfeld soziokultureller Anpassungsstrategien. In : Zinnhobler ( Hg. ), 63–78 : 77–78. 180 Krause , Peter ( 1986 ) : CV und Politik in Österreich 1918–1938. In : Ackerl ( Hg. ), 104–116 : 116. Vgl. dazu v. a. auch Popp , Gerhard ( 1984 ) : CV in Österreich , 1864–1938. Organisation , Binnenstruktur und politische Funktion [ S chriften des Karl von Vogelsang-Institutes : 2 ] , Wien / Graz u. a. 181 Bandhauer-Schöffmann , Irene ( 2005 ) : Der „Christliche Ständestaat“ als Männerstaat ? In : Tálos / Neugebauer ( Hg. ), 254–280 ; zu Entwicklung und Widerstand der KFO im Vergleich zum deutschen Pendant vgl. Gellott , Laura / Phayer , Michael ( 1987 ) : Dissenting Voices : Catholic Women in Opposition to Fascism. In : Journal of Contemporary History Jg. 22 ( 1987 ) Heft. 1 , 91–114 sowie vgl. Gellott , Laura ( 1991 ) : Mobilizing Conservative Women. The Viennese Katholische Frauenorganisation in the 1920s. In : Austrian History Yearbook Jg. 22 ( 1991 ), 110–130.
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Unterstützung des Regimes durch die Amtskirche.182 Regionale Unterschiede zeigen sich etwa zur Steiermark , wo die ‚Entpolitisierung‘ der KFO ( zu welcher die Präsenz der KA neben der Auflösung der Christlichsozialen Partei wesentlich beitrug ) deutlich weniger Unmut erregte.183 Einen wichtigen Beitrag zur Geschichte der Katholischen Aktion im Austrofaschismus unter einem geschlechtergeschichtlichen Aspekt lieferte kürzlich Nina Kogler.184 Ihr diskursiver Ansatz besticht vor allem aus interdisziplinärer Hinsicht , weil er staatliche und kirchliche Quellen kombiniert , um Frauen in Interaktion mit Staat und Kirche – mit einem Fokus auf die Diözese Seckau – näher zu beleuchten. Verdienstvoll ist auch ihre Rekonstruktion der verstreuten Quellenbestände zur KA und zum katholischen ( Frauen-)Vereinswesen. Das Verhältnis von Kirche und Staat im Austrofaschismus ordnet sie dahingehend ein , dass die jeweiligen Machtinteressen von Kirche und Staat der grundlegende Antrieb für die Zusammenarbeit waren , aus denen jedoch eine Konkurrenzsituation im Zugriff auf Anhängerschaft erwuchs. Kompatibilität attestiert Kogler beiden Systemen in zwei Aspekten : einerseits im autoritären Herrschaftskonzept , mit dem Ablehnung von Nationalsozialismus , Bolschewismus und Demokratie einherging , andererseits „in den restaurativen Ansätzen für einen Gesellschaftsentwurf “, in denen Männlichkeits- und Weiblichkeitskonstruktionen das Fundament für gemeinsame Ziele darstellen konnten.185 Abseits der ‚innerkirchlichen‘ Kontroversen um die KA gerieten auch staatliche und katholische Jugendorganisationen immer wieder aneinander. Das Bemühen um die Jugend und der damit verbundene Anspruch auf das Erziehungsmonopol stehen paradigmatisch für jene Bereiche , in denen das Verhalten der katholischen Würdenträger von einer Strategie der Akkommodation abwich und Distanzierungsversuche vom Regime deutlich hervortraten. Eine Denkschrift zur „vaterländischen Jugenderziehung“, die zeitgleich mit der Entpolitisierungsorder beschlossen wurde und noch 1933 Dollfuß übergeben wurde , enthält auch die denkwürdige Passage , in der gegen die 182 Bandhauer-Schöffmann ( 2005 ), 267–268. Vgl. dazu auch umfassender ihre Dissertation : Schöffmann , Irene ( 1986 ) : Die bürgerliche Frauenbewegung im Austrofaschismus. Eine Studie zur Krise des Geschlechterverhältnisses am Beispiel des Bundes österreichischer Frauenvereine und der Katholischen Frauenorganisation für die Erzdiözese Wien , Diss. , Wien. 183 Dies zeigt Kronthaler , ohne jedoch Gellott in ihrer Darstellung zu rezipieren , vgl. Kronthaler , Michaela ( 1994 ) : Ambivalente politische Zielsetzungen der Katholischen Frauenbewegung Österreichs in der Zwischenkriegszeit. In : Zinnhobler ( Hg. ), 263–285. Zur Rolle von Frida Mikola , ebenfalls mit steirischem Schwerpunkt , vgl. Kogler , Nina ( 2009b ) : Für Kirche , Partei und „Vaterland“: zur politischen und kirchlichen Organisation katholischer Frauen Österreichs in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts am Beispiel von Frieda Mikola ( 1881–1958 ) [ Grazer gender studies , 12 ] , Graz , sowie Kogler , Nina ( 2009a ) : Die Neuordnung der Katholischen Aktion in den 1930er Jahren und ihre Auswirkungen auf das Vereinswesen am Beispiel der Katholischen Frauenorganisation Steiermark. In : Sohn-Kronthaler , Michaela / Höfer , Rudolf K. ( Hg. ) : Laien gestalten Kirche. Diskurse – Entwicklungen – Profile. Festgabe für Maximilian Liebmann zum 75. Geburtstag. Unter Mitarbeit von Nina Kogler und Christian Binzer , Innsbruck , 339–362. 184 Kogler , Nina ( 2011 ) : Geschlechtergeschichte der Katholischen Aktion im Austrofaschismus. Diskurse – Strukturen – Relationen , Diss. , Graz. 185 Kogler ( 2011 ), 469–470.
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„Einbürgerung faschistischer Imitationen nach italienischem Muster“ protestiert und festgehalten wird : „[ F ]ür unsere Verhältnisse kommt der Faschismus als ‚Importware‘ nicht in Betracht.“186 Dieses Memorandum bildete die Grundlage für Hanischs These , die Kirche hätte trotz ihrer Stellung als Verbündete für das Regime einen Sperrriegel gegen den Vollfaschismus in Österreich dargestellt.187 In dieser Argumentationslinie kritisierte Hanisch auch vehement die zuweilen für das Regime gebrauchte Bezeichnung „Klerikalfaschismus“188 als politischen Kampfbegriff , der theoretisch unreflektiert wäre.189 Einen wichtigen Beitrag zur Erschließung des katholischen Vereinswesens im Jugendbereich stellt Gerhard Schultes’ Studie zum „Reichsbund der katholisch deutschen Jugend“ dar.190 Sie behandelt das Verhältnis des Reichsbunds zu anderen katholischen Verbänden , das Konkurrenzverhältnis zur KA und den kontinuierlichen Bedeutungsverlust des Reichsbunds bis zur Auflösung 1938. Ebenso werden dabei auch die Ausei nandersetzungen zwischen Österreichischem und Katholischem Jungvolk thematisiert. Ein dem Reichsbund ähnliches Schicksal der „Selbstauflösung“ 1938 ereilte auch den Bund Neuland.191 Indem er den staatlichen Führungsanspruch nicht als gegeben akzeptierte , stellte sich der Bund allein unter die Führung Gottes. Seine Orientierung an völkischen Werten rückte ihn gemeinsam mit antisemitischen Tendenzen in der Außensicht in die Nähe des Nationalsozialismus , wobei jedoch der Bund in diesem eine deutsche Bedrohung Österreichs gesehen hatte. Als sein „geistiger Führer“192 wird Michael Pfliegler gesehen , der um der praktischen Seelsorge willen politische Bündnisse der Kirche ablehnte. Diese Ablehnung , die auch die christlichsoziale Parteipolitik betraf , gemeinsam mit seinen Kontakten zum „Bund religiöser Sozialisten“193 , der sich 186 Liebmann , Maximilian ( 1984 ) : Jugend – Kirche – Ständestaat. In : Liebmann , Maximilian / Sassmann , Hanns ( Hg. ) : Hanns Sassmann zum 60. Geburtstag. Festgabe des Hauses Styria. Graz / Wien u. a. , 187–204 : 193. 187 Hanisch ( 2005 ), 70. 188 Frühe Prägung erhielt der Begriff „Klerikalfaschismus“ bei : Gulick , Charles Adams ( 1948 ) : Aus tria. From Habsburg to Hitler ( Austria 1 Labor’s workshop of democracy and Austria 2 Fascism’s subversion of democracy ), Berkeley , Calif. u. a. , während die wissenschaftliche Verwendung bei Siegfried , vgl. Siegfried , Klaus-Jörg ( 1979 ) : Klerikalfaschismus : zur Entstehung und sozialen Funktion des Dollfussregimes in Österreich ; ein Beitrag zur Faschismusdiskussion [ S ozialwissenschaftliche Studien , 2 ] , Frankfurt / Main u. a. von Hanisch ( 2005 ), 68 , verworfen wird. Zur Verwendung des Terminus vergleiche die rezente Arbeit von Brüggl ( 2012 ). 189 Hanisch ( 2005 ), 68. 190 Schultes ( 1967 ) stützt sich jedoch überwiegend auf persönliche Mitteilungen der involvierten Zeitgenossen und auf Verbandspublikationen. 191 Seewann , Gerhard ( 1971 ) : Österreichische Jugendbewegung 1900 bis 1938 : die Entstehung der deutschen Jugendbewegung in Österreich-Ungarn 1900 bis 1914 und die Fortsetzung in ihrem katholischen Zweig „Bund Neuland“ von 1918 bis 1938 [ Quellen und Beiträge zur Geschichte der Jugendbewegung , 15 ] , Frankfurt / Main. 192 Weinzierl ( 1983 ), 445. 193 Laut Außermair wurde der Bund als eine der ersten sozialdemokratischen Vereinigungen 1934 aufgelöst , vgl. Außermair , Josef ( 1979 ) : Kirche und Sozialdemokratie. Der Bund der religiösen Sozialisten , 1926–1934 , Wien / München , 100.
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für eine Vereinbarkeit von Sozialismus und Katholizismus einsetzte ,194 ließen Pfliegler bei Seipel und manchen Bischöfen in Ungnade fallen.195 Umfassend behandelte Laura Gellott die Rolle der katholischen Organisationen und ihrer Jugendformationen in der autoritären Ära. Sie plädierte dafür , die KA als effizienten Barometer für die sich verschiebende Haltung der Kirche gegenüber dem Dollfuß / Schuschnigg-Regime zu verstehen. In Abgrenzung vom Fokus bisheriger historischer Arbeiten auf die enge Staat-Kirche-Verbindung und die Ähnlichkeiten der jeweiligen hierarchisch-autoritären Strukturen argumentierte Gellott , dass es Bereiche wie die Jugenderziehung gab , in denen die Kirche versuchte , durch ihre eigenen Organisationen einen autonomen Handlungsspielraum gegenüber dem Regime aufrechtzuerhalten , was zu einem Oppositionsverhältnis zwischen Staat und Kirche führte.196 Die daraus resultierenden Auseinandersetzungen hinsichtlich der Jugendorganisationen wurden von der Forschung auch in Beziehung zur Frage nach dem Fortleben katholischer Organisationsformen nach 1933 / 34 und kirchlichen Distanzierungsversuchen gesetzt , wobei auch hier mangels einschlägiger Quellen der Forschungsstand lange Zeit nicht erweitert werden konnte.197 Thomas Pammer konnte nun für eine Neubewertung dieses Konflikts nicht nur die Nachlässe von Kardinal Innitzer sowie der Bischöfe Pawlikowski und Memelauer in den jeweiligen Diözesanarchiven einsehen , sondern stützte sich zusätzlich auch auf die erst seit Kurzem in Österreich zugänglichen Bestände des Generalsekretariats der Vaterländischen Front.198 Wie der Konflikt zwischen Staat und Kirche in der Jugendfrage und die späte Eingliederung der katholischen Verbände ins „Österreichische Jungvolk“ ( ÖJV ) letztendlich zu bewerten sind und ob Staat oder Kirche in diesen Streitpunkten die Oberhand behielten , ist nach wie vor umstritten.199 Während Gellott und Hanisch darin einen Erfolg der Kirche und ihres Vehikels , der KA , sehen ,200 kommt Pammer diesbezüglich zu einem ähnlichen Schluss wie Gerhard Schultes. In seiner Wahrnehmung kam die Verschmelzung beider Organisationen ei194 Einschneidend dafür war das Erscheinen der Enzyklika „Quadragesimo anno” 1931 , die gerade diese Vereinbarkeit in Abrede stellte. Die Ansätze des Bundes wurden dadurch „nicht gestoppt , aber desorientiert“, Hanisch ( 1977 ), 22. 195 Weinzierl ( 1983 ), 445. 196 Gellott ( 1987 ), 404 , sowie : dies. ( 1988 ) : Defending Catholic Interests in the Christian State : The Role of Catholic Action in Austria , 1933–1938. In : Catholic Historical Review Jg. 74 ( 1988 ) Heft 4 , 571–589. 197 Schultes ( 1967 ) ; Bärnthaler , Irmgard ( 1971 ) : Die Vaterländische Front. Geschichte und Organisation , Wien u. a. ; Liebmann ( 1984 ) ; Gellott ( 1987 ) sowie Slapnicka , Harry ( 1993 / 94 ) : Kirche und Vaterländische Front : Spannungen vor allem bei der Jugendorganisation. In : NAGDL Jg 8. ( 1993 / 94 ) Heft 2 , 124–127. 198 ÖStA , AdR , Moskauer Bestand ( V F ), Fond 514 ; Vgl. dazu Jagschitz , Gerhard / Karner , Stefan ( Hg. ) ( 1996 ) : „Beuteakten aus Österreich“: der Österreichbestand im russischen „Sonderarchiv“ Moskau , Wien. 199 Pammer , Thomas ( 2011 ) : V. F.-Werk „Österreichisches Jungvolk“. Geschichte und Aspekte der staatlichen Organisierung der Jugend im Dollfuß / Schuschnigg-Regime 1933–1938 , Dipl.-Arb. , Wien , 138. 200 Gellott , Laura ( 1982 ) : The Catholic Church and the Authoritarian Regime in Austria 1933–1938 , Madison , 234 ; Hanisch , Ernst ( 1994 ) : Der lange Schatten des Staates. Österreichische Gesellschaftsgeschichte im 20. Jahrhundert [ Österreichische Geschichte ] , Wien , 314 ; Schultes ( 1967 ), 324 ; alle zit. n. Pammer ( 2011 ), 138.
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ner Niederlage der Bischöfe gleich und somit einer „weitgehenden Gleichschaltung der konfessionellen mit der Staatsjugend“201. Für Pammer steht diese Entwicklung , die er als „eklatanten Eingriff in die Souveränität der katholischen Jugendverbände und einen Rückschritt hinter jene Rechte , die der Kirche im Konkordat zugesichert worden waren“,202 beschreibt , in einem Widerspruch zur viel zitierten gleichberechtigten “Partnerschaft“ von kirchlichen und staatlichen Jugendorganisationen. Die wiederholte Betonung einer Distanzierung der KA zur Tagespolitik und die Hervorhebung ihres religiös-apostolischen Anspruchs können nicht über die politischen Implikationen hinwegtäuschen , die die Überführung der Vereine in die KA mitbedingte. Die Frage nach der sich daraus ergebenen Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit einer politischen Dimension der KA , die gerne unter Verweis auf ihren vorgeblich unpolitischen Charakter in Abrede gestellt wird , hat bislang keine zufriedenstellende Klärung erfahren. Erika Weinzierls These einer „deutliche[ n ] Parallelentwicklung von Katholischer Aktion und Vaterländischer Front [ … ] bis 1938“ wurde zwar beeinsprucht , bislang aber noch keiner näheren Überprüfung unterzogen.203 Für eine differenziertere Auseinandersetzung mit der KA und vor allem einen quellenkritische ren Zugang plädiert Matthias Opis , der damit u. a. Liebmanns These einer zugleich mit KA einsetzenden Pastoraldoktrin beanstandet.204 2.2.3.2 Katholisches Pressewesen und Publizistik Die katholische Presselandschaft205 zeichnete sich in der Zwischenkriegszeit durch eine Fülle von Tages- und Wochenzeitungen aus ,206 welche v. a. durch die in den Diö201 Schultes ( 1967 ), 324 zit. n. Pammer ( 2011 ), 138. 202 Pammer ( 2011 ), 138. 203 Klostermann führt diesbezüglich die lange Geschichte der katholischen Verbände gegen die These , dass die politischen Monopolansprüche des Faschismus zu den Hauptgründen für die Schöpfung einer großen einheitlich geführten kirchlichen Organisation der Laien , wie die der KA , als Gegenargument an , zit. n. Weinzierl ( 1983 ), 447–448. 204 Kritisch zu Liebmanns Quellenpositivismus und geschichtspolitischen Intentionen vgl. Opis , Matthias ( 2008 ) : Wessen Erinnerung ? Wessen Zukunft ? Eine Replik auf Maximilian Liebmann und Rainer Bucher. In : Quart Jg. 4 ( 2008 ), 13–17. 205 Angesichts der Definitionsschwierigkeiten von „katholischer Presse“ schließt sich der vorliegende Beitrag dem Vorschlag an , dass diese dann gegeben ist , wenn eines der folgenden Merkmale zutrifft : Nennung , Bindung ( a n kirchliche Amtsträger / Einrichtungen bzw. katholische Vereine ), aktive konfessionelle Bindung der Herausgeberschaft / Chefredaktion , eindeutige inhaltliche Schwerpunktsetzung , vgl. Schmolke , Michael ( 1999 ) : Information und Massenmedien. In : Adriányi , Gabriel / Jedin , Hubert ( Hg. ) : Die Weltkirche im 20. Jahrhundert [ Handbuch der Kirchengeschichte , Bd. 7 ] , unveränd. Nachdr. d. Sonderausg. von 1985 , Freiburg im Breisgau , 411–436 : 416–417. Vgl. auch Barta , Richard ( 1969 ) : Katholische Pressearbeit in Österreich. In : Richter , Klemens ( Hg. ) : Katholische Presse in Europa , Osnabrück , 43–62. 206 Eine Aufzählung der damals erscheinenden Zeitungen findet sich bei Funder , Friedrich ( 1931 ) : Die katholische Presse. In : Hudal ( Hg. ), 189–204 : 203. Vgl. auch Schmolke , Michael ( Hg. ) ( 1992 ) : Wegbereiter der Publizistik in Österreich : Autoren mit ihren Arbeiten von Joseph Alexander von Helfert bis Wilhelm Bauer ; 1848 bis 1938 [ Neue Aspekte in Kultur- und Kommunikationswissenschaft , 6 ] , Wien / St. Johann , Pongau. Vgl. auch Riedl , Ingeborg ( 1949 ) : Statistische Untersuchungen über die politischen Zeitungen Österreichs 1914–1949 , Diss. , Wien ; Wisshaupt , Walter ( 1950 ) : Das Wiener Pressewesen von Dollfuß bis zum Zusammenbruch : 1933–1945 , Diss. , Wien.
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zesen vorhandenen Press-Vereine ermöglicht wurde. Mehrheitlich verstand man in den 1930er-Jahren die Presse noch als das einzige Massenkommunikationsmittel , was durch eine hohe Lesebereitschaft von KatholikInnen gestützt wurde.207 Zu den einflussreichsten Zeitungen zählte ohne Zweifel die von Friedrich Funder208 bereits seit der Jahrhundertwende als Chefredakteur geleitete und dann auch von ihm herausgegebene „Reichspost“.209 Diese wird als „offiziöses Organ der Christlichsozialen Partei und schließlich auch des Ständestaates“210 gesehen und räumte auch der Verbreitung antisemitischer und antimarxistischer Vorurteile viel Platz ein. Den dokumentarischen Wert der katholischen Tageszeitung zeigen viele im Wortlaut wiedergegebene Reden christlichsozialer Politiker , aber auch hoher kirchlicher Würdenträger. Funders Einflussbereich ging weit über die in der Tageszeitung erscheinenden ( L eit-)Artikel hinaus und seine Verbindungen zu hohen Exponenten des politischen Katholizismus sind nicht zu unterschätzen. Er war maßgeblich beratend an den Vorbereitungen für den Katholikentag 1933 beteiligt und wurde auch zweimal als Gesandter Österreichs für den Heiligen Stuhl gehandelt.211 Funders Biografin Hedwig Pfarrhofer nennt als Konstanten seines Lebens CV-Mitgliedschaft , Antisemitismus und Monarchismus.212 Nach 1945 setzte er seine publizistische Arbeit in der von ihm gegründeten katholischen Wochenschrift „Die Furche“ fort. Pfarrhofers Ansicht , dass darin und in seinen Memoiren von seiner „Judenfeindschaft“ nichts mehr zu bemerken sein sollte , kann jedoch eine rezente Diplomarbeit zu Funder und Eberle , die die Frage nach der Eigenschaft beider als Wegbereiter der Publizistik im Sinne eines Vermächtnisses für die heutige Kommunikationswissenschaft stellt , zum Teil widerlegen.213
207 Weinzierl ( 1983 ), 451. 208 Vgl. die Biografie von Pfarrhofer , Hedwig ( 1978 ) : Friedrich Funder : ein Mann zwischen Gestern und Morgen , Graz / Wien u. a. , sowie mit einem Fokus auf die Zeit bis 1918 : Reiss , Lilly Helene ( 1950 ) : Dr. Friedrich Funders Persönlichkeit und sein Wirken bis zum Ende der Monarchie , Diss. , Wien , sowie Edlinger , Gunter ( 1964 ) : Friedrich Funder und die „Reichspost“ in ihrer Stellungnahme zur Politik des Nationalsozialismus gegenüber Österreich von 1930 bis zum „Anschluß“ 1938 , Diss. , Wien ; rezent zu Funder : Cermak , Christian Alexander ( 2008 ) : Vornehmste Publizistik : Versuch über die Frage , warum Friedrich Funder und Joseph Eberle Wegbereiter der Publizistik in Österreich sein sollen , Dipl.-Arb. , Wien. 209 Bußhoff , Heinrich ( 1968 ) : Das Dollfuß-Regime in Österreich in geistesgeschichtlicher Perspektive unter besonderer Berücksichtigung der „Schöneren Zukunft“ und „Reichspost“, Berlin ; Weinzierl , Ulrich ( 1981 ) : Die Kultur der „Reichspost“. In : Kadrnoska , Franz ( Hg. ) : Aufbruch und Untergang. Österreichische Kultur zwischen 1918 und 1938 , Wien / München / Zürich , 325–344 ; Pfaffenberger , Gottfried ( 1948 ) : Die Reichspost und die christlichsoziale Bewegung , Diss. , Wien. 210 Weinzierl ( 1983 ), 451. Zum Verhältnis Kirche und Partei in der Presse vgl. Prantner ( 1955 ) sowie Prantner , Robert ( 1984 ) : Kreuz und weiße Nelke : katholische Kirche und Christlichsoziale Partei im Spiegel der Presse ( 1918–1932 ), Wien / Graz u. a. 211 Pfarrhofer ( 1978 ), 157. 212 Pfarrhofer ( 1978 ), 284–311. 213 Pfarrhofer ( 1978 ), 301 sowie Cermak ( 2008 ), 29.
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Neben der Reichspost zählte auch die von Josef Eberle214 herausgegebene Wochenschrift „Schönere Zukunft“ ( SZ )215 zu den führenden katholischen Zeitungen. Bevor Eberle sich mit der SZ 1925 selbstständig machte , hatte er sich mit der Wochenschrift „Das Neue Reich“216 einen Namen gemacht , mit der die SZ 1932 fusionierte. Während Hanisch der intellektuell einflussreichen SZ das allgemeine Bestreben attestierte , „anhaltend und auf breiter Ebene“ eine Verständigung mit dem Nationalsozialismus herzustellen ,217 versuchte Eppel , die Frage einer geistigen Wegbereitung des Nationalsozialismus nach Absicht und Wirkung differenziert zu beantworten.218 Anhand des Blattes könnte nach Eppel die Ideologie und das politische Schicksal katholischer Brückenbauer , im Kern gebildet aus den Katholisch-Nationalen , nachverfolgt werden.219 Das Verhältnis zum österreichischen Episkopat war dementsprechend zwiespältig ; während Hudal und Waitz gelegentlich darin Artikel veröffentlichten , und Innitzer die Schrift „gönnerhaft“ unterstützte ,220 wurde auf der für die weitere Entwicklung zentralen Bischofskonferenz vom November 1933 beschlossen , Eberle mitzuteilen , „( e )r möge sich in seiner Zeitschrift nicht immer auf die bischöfliche Autorität berufen“.221 Für Staudinger stellte die SZ gemeinsam mit dem „Neuen Reich“ die publizistische Plattform für die Ansätze und Vorformen einer „Österreich“-Ideologie am „rechten Rand der Christlichsozialen Partei und deren Umkreis“ dar.222 Unter Rückgriff auf antirepublikanische , antidemokratische , antimarxistische und antiliberale Elemente wurde aus der Sichtweise einer christlich-katholischen , österreichischen Mission für die Errichtung eines neuen „Heiligen Reiches“ plädiert.223 Zur ideologischen Fundierung eines autoritär strukturierten Österreichs sollte jedoch die Zeitschrift „Der Christliche Ständestaat“ ( C S )224 beitragen , die vom aus 214 Vgl. Hofer , Barbara Maria ( 1995 ) : Joseph Eberle. Katholischer Publizist zwischen „Monarchie“ und „Schönerer Zukunft“. Ein Beitrag zur katholischen Publizistik der Ersten Republik , Diss. , Salzburg , und auch Cermak ( 2008 ). 215 Bußhoff ( 1968 ) ; Eppel , Peter ( 1980 ) : Zwischen Kreuz und Hakenkreuz. Die Haltung der Zeitschrift „Schönere Zukunft“ zum Nationalsozialismus in Deutschland 1934–1938 [ Veröffentlichungen der Kommission für Neuere Geschichte Österreichs , 69 ] , Wien / Graz u. a. ; Ziegerhofer-Prettenthaler , Anita ( 2006 ) : Schönere Zukunft. Die führende Wochenschrift der ( österreichischen ) Ersten Republik ( 1925–1938 ). In : Grunewald , Michel / P uschner , Uwe / Bock , Hans Manfred ( Hg. ) : Le milieu intellectuel catholique en Allemagne , sa presse et ses réseaux ( 1871–1963 ) [ C onvergences , 40 ] , Bern , 395–414. 216 Hanzer , Stefan ( 1973 ) : Die Zeitschrift Das Neue Reich ( 1918–1925 ). Zum restaurativen Katholizismus in Österreich nach dem Ersten Weltkrieg , Diss. , Wien. 217 Hanisch ( 1977 ), 30–31. 218 Eppel ( 1980 ), 13 und 343–348. 219 Eppel ( 1980 ), 347. 220 Eppel ( 1980 ), 294. 221 Eppel ( 1980 ), 293. 222 Staudinger ( 2005 ), 29. 223 Staudinger ( 2005 ), 29. 224 Ebneth , Rudolf ( 1976 ) : Die österreichische Wochenschrift „Der christliche Ständestaat“: deutsche Emigration in Österreich 1933–1938 [ Veröffentlichungen der Kommission für Zeitgeschichte : Reihe B , Forschungen , 19 ] , Mainz ; Seefried , Elke ( 2006 ) : „Reich“ und „Ständestaat“ als Antithesen zum Nationalsozialismus. Die katholische Zeitschrift „Der Christliche Ständestaat“. In : Grunewald et al. ( Hg. ), 415–438.
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Deutschland emigrierten Philosophieprofessor Dietrich von Hildebrand225 ab 1933 he rausgegeben , und auf Wunsch von Dollfuß mitfinanziert wurde.226 Die Einbeziehung eines souveränen Österreichs in eine deutsche Nation war zwar nach Staudinger nicht mit der Errichtung eines „Heiligen Reiches“ gleichzusetzen , bestimmte jedoch den deutschnationalen Aspekt in Dollfuß’ Österreich-Verständnis.227 Entsprechend der Gründungsintention sollten die Beiträge des CS zudem für eine von Österreich ausgehende ( Re-)Katholisierung Mitteleuropas Position beziehen sowie der Abwehr gegen den Nationalsozialismus dienen. So setzte sich Hildebrand auch kritisch mit der Anbiederung an den Nationalsozialismus in SZ und „Reichspost“ auseinander und wandte sich explizit gegen Beiträge des „Brückenbauers“ Hudals.228 Im CS wurde „am offensivsten“229 gegen Brückenbauversuche angeschrieben , die Zeitschrift gilt in der Literatur daher als Beispiel für katholischen Widerstand gegen den Nationalsozialismus.230 Dies blieb nicht ohne Echo bei Hitlers Sonderbevollmächtigtem in Wien , Franz von Papen , der sich regelmäßig über die Zeitschrift Hildebrands bei der Regierung beschwerte.231 Aus weiteren katholischen Initiativen , die auch publizistisch gegen den Antisemitismus kämpften , wäre überdies die Bewegung um Irene Harand232 mit ihrer Zeitschrift „Gerechtigkeit“ zu nennen.233 Interessant ist , dass diese beiden sich in ihrem Selbstverständnis doch so sehr unterscheidenden Zeitschriften , SZ und CS , zeitgenössisch von der Schweizer Presseagentur ‚Ipa‘ als „publizistische Wegbereiter des politischen Katholizismus“ verstanden wur-
225 Wenisch , Ernst ( Hg. ) ( 1994 ) : Dietrich von Hildebrand. Memoiren und Aufsätze gegen den Nationalsozialismus , 1933–1938. Unter Mitarbeit von Alice von Hildebrand und Rudolf Ebneth [ Veröffentlichungen der Kommission für Zeitgeschichte , Reihe A : Quellen , 43 ] , Mainz ; Seifert , Josef ( Hg. ) ( 1998 ) : Dietrich von Hildebrands Kampf gegen den Nationalsozialismus [ Reihe : Akademie-Reden / Internationale Akademie für Philosophie im Fürstentum Liechtenstein ), Heidelberg ; zu Hildebrand vgl. auch Stöcklein , Paul ( 1987 ) : Zeitige Aufklärung über Hitler. Das mutige Wirken Dietrich von Hildebrands in Österreich 1933–1938. In : Internationale katholische Zeitschrift „Communio“ Jg. 16 ( 1987 ), 553–574. 226 Ebneth ( 1976 ), 60. 227 Staudinger ( 2005 ), 36. 228 Vgl. Anm. 225. 229 Hanisch ( 1977 ), 33. Vgl. dazu auch Cermak ( 2008 ). 230 Ebneth ( 1976 ), 95–128. 231 Hanisch ( 1977 ), 33. Zu von Papens Auftrag in Wien , vgl. Müller , Franz ( 1990 ) : Ein „Rechtskatholik“ zwischen Kreuz und Hakenkreuz : Franz von Papen als Sonderbevollmächtigter Hitlers in Wien 1934–1938 [ Europäische Hochschulschriften , Reihe III , Bd. 446 ] , Frankfurt / Main u. a. 232 Hausner , Joseph ( 1974 ) : Irene Harand and the Movement against Racism , Human Misery and War. 1933–1938. Diss. , Columbia University , New York , sowie Klösch , Christian / S charr , Kurt / Weinzierl , Erika ( Hg. ) ( 2004 ) : Gegen Rassenhass und Menschennot. Irene Harand , Leben und Werk einer ungewöhnlichen Widerstandskämpferin , Innsbruck ; Lausegger , Kerstin ( 2006 ) : Irene Harand : ihre Pflicht war der Widerstand , Dipl.-Arb. , Wien ; Stromberger , Carmen ( 1996 ) : Irene Harand – eine „Gerechte“ ( 1900–1975 ) : die Harand-Bewegung , untersucht anhand der Zeitschrift „Gerechtigkeit. Gegen Rassenhaß und Menschennot“ ( 1933–1938 ), Dipl.-Arb. , Graz. 233 Zur Judenfrage in deutschen und österreichischen katholischen Zeitungen , vgl. Hannot , Walter ( 1990 ) : Die Judenfrage in der katholischen Tagespresse Deutschlands und Österreichs 1923–1933 [ Veröffentlichungen der Kommission für Zeitgeschichte : Reihe B , Forschungen , 51 ] , Mainz.
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den.234 Daraus geht aber auch ihre Bedeutung für die zeitgenössische ( Außen-)Wahrnehmung hervor. Den Blick über nationale Grenzen wagen Anita Ziegerhofer-Prettenthaler und Elke Seefried in ihren Studien zu beiden Zeitungen. Während Ziegerhofer-Prettenthaler sich der Haltung der SZ zu einem „Vereinigten Europa“ widmet , verortete Seefried im CS die Identifikation mit der österreichischen Nation in einer ( g roß-)österreichischen Reichsidee und thematisierte zugleich dessen „Zweipoligkeit“ als Emigrantenblatt und Organ des „Ständestaates“.235 Die Bedeutung von „Reichspost“ , „Schönere Zukunft“ und „Der Christliche Ständestaat“ schlug sich aber nicht unbedingt in ihren jeweiligen Auflagenstärken nieder. Die Breitenwirkung des CS beispielsweise muss hinterfragt werden. Er wandte sich erklärtermaßen an katholische Intellektuelle , was sich in der niedrigen Auflage deutlich widerspiegelte.236 Im Vergleich zur „Reichspost“ erreichte auch etwa das „Kleine Volksblatt“ als Organ des Volksbundes der Katholiken Österreichs mit 92.000 eine doppelt so hohe Auflage.237 Charakteristisch für den bereits angedeuteten Streit sozialpolitischer Richtungen in Österreich ist , dass er in Zeitungen ausgetragen wurde. Zu diesen gehörten die Schrift „Neue Ordnung“ des Gesellschaftsreformers Karl Lugmayer238 oder auch die Blätter des umstrittenen katholischen Sozialreformers Anton Orel ,239 zu deren wichtigsten „Der Volkssturm“ oder „Das neue Volk“ zählten. Der Versöhnung der linken und rechten Extreme240 verschrieb sich Ernst Karl Winter ,241 um gemeinsam gestärkt einen Abwehrkampf gegen den Nationalsozialismus zu führen. Dafür setzte er sich in den von ihm selbst herausgegebenen „Wiener politischen Blättern“ ( 1933–1936 ) ein. Als Jugendfreund und zugleich scharfer Kritiker von Dollfuß wurde er Ende 1934 als dritter Vizebürgermeister Wiens damit beauftragt , die Arbeiterschaft für das Regime zu gewinnen. Seine „Aktion Winter“ musste jedoch scheitern , nicht zuletzt an seiner legitimistischen Einstellung , die eine Hürde zur illegalisierten 234 Vgl. Eppel ( 1980 ), 301 , der auch darauf hinwies , dass Eberle eine solche „Verquickung“ von sich wies. Vgl. auch die Gegenüberstellung beider Zeitungen bei Kromar , Richard ( 2000 ) : Der „Österreich-Mythos“: die Funktion der Presse im „Ständestaat“, Dipl.-Arb. , Wien. 235 Ziegerhofer-Prettenthaler ( 2006 ) sowie Seefried ( 2006 ), hier insbesondere 437. 236 Staudinger ( 2005 ), 36. 237 Funder ( 1931 ), 203–204. 238 Weinzierl ( 1983 ), 452. 239 Vgl. z. B. Görlich , Ernst Joseph ( 1973 ) : Ein Katholik gegen Dollfuss-Österreich. Das Tagebuch des Sozialreformers Anton Orel. In : Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs Jg. 26 ( 1973 ), 375–415. 240 Zum Verhältnis von Sozialdemokratie und Kirche am Beispiel der Presse vgl. Silberbauer , Gerhard ( 1959 ) : Das Problem : „Katholische Kirche – österreichische Sozialdemokratie in der 1. österreichischen Republik“ im Spiegel katholischer und sozialistischer Zeitschriften dieser Epoche , Diss. , Wien. 241 Heinz , Karl Hans ( 1984 ) : Ernst Karl Winter. Ein Katholik zwischen Österreichs Fronten 1933– 1938 [ Dokumente zu Alltag , Politik und Zeitgeschichte , 4 ] , Wien u. a. ; Holzbauer , Robert ( 1992 ) : Ernst Karl Winter ( 1895–1959 ). Materialien zu seiner Biographie und zum konservativ-katholischen politischen Denken in Österreich 1918–1938 , Diss. , Wien ; Marko , Joseph ( 1986 ) : Ernst Karl Winter. Wissenschaft und Politik als Beruf( u ng ) 1918–1938. In : Ackerl ( Hg. ), 199–219. Zu seiner Kritik an der Akkommodationspolitik vgl. Hanisch ( 1977 ), 2–3.
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Sozialdemokratie darstellte. Er schrieb nicht nur offene Briefe an Präsident Miklas , in bemerkenswerter Weitsicht legte er auch Benito Mussolini brieflich bereits am 4. Mai 1933 dar , welche innenpolitischen Konsequenzen eine italienische Schutzmachtpolitik gegenüber Österreich nach sich ziehen würde. Mussolini müsse sich zwischen „NichtAnschluss“ und „Faschismus“ entscheiden : „Das Hakenkreuz am Brenner oder aber die Demokratie in Österreich“.242 Zur Aufarbeitung der Geschichte des antifaschistischen Widerstandes , den Menschen aus den Reihen eines „Linkskatholizismus“ leisteten , möchte der rezente Sammelband von Richard Faber und Sigurd Paul Scheichl beitragen.243 Zu diesem Zweck nimmt er Friedrich Heer244 in den Blickpunkt und erklärt gleichsam programmatisch im Vorwort : „Der Mythos des antifaschistischen Widerstandskämpfers Heer ist tot.“245 Weltanschaulich geprägt durch die Jahre des autoritären Regimes stand Heer Winters „sozial-monarchistischem politischen Katholizismus“ nahe.246 Er war ein Dollfuß-Bewunderer und Österreich-Patriot , zugleich aber auch Vertreter einer mystischen Religiosität.247 In der Zweiten Republik trat er als Autor mehrerer umfangreicher Sachbücher und als Mitarbeiter der „Furche“ publizistisch an die Öffentlichkeit. III. Forschungsdesiderate 3.1 Politische Katholizismen in Österreich im Spiegel vatikanischer Quellen Im Herbst 2006 wurden die vatikanischen Aktenbestände aus der Amtszeit Papst Pius’ XI. ( 1922–1939 ) vor Ende der üblichen 70-jährigen Archivsperre für die wissenschaftliche Forschung geöffnet. Bis dahin mussten Arbeiten zu den vatikanischen Beziehungen Österreichs mit Aussagen von ZeitgenossInnen und Dokumenten der österreichischen Seite ihr Auslangen finden.248 Zu den während der Jahre 1933 bis 1938 in Wien eingesetz242 Text des Briefes abgedruckt bei : Petersen , Jens : Konflikt oder Koalition zwischen Christlich-Sozialen und Sozialdemokraten 1933 / 34 ? Ein Brief Ernst Karl Winters. In : Österreich in Geschichte und Literatur Jg. 16 ( 1972 ), 431–435 , zit. n. Petersen , Jens ( 1974 ) : Gesellschaftssystem , Ideologie und Inte resse in der Aussenpolitik des faschistischen Italien. In : Quellen und Forschungen aus italienischen Archiven und Bibliotheken Jg. 54 ( 1974 ), 429–470 : 451. 243 Faber , Richard / S cheichl , Sigurd Paul ( Hg. ) ( 2008 ) : Die geistige Welt des Friedrich Heer ( ein Projekt der Österreichischen Forschungsgemeinschaft ), Wien u. a. 244 Zur Person Friedrich Heer siehe u. a. die publizierten Dissertationen von Adunka , Evelyn ( 1995 ) : Friedrich Heer ( 1916–1983 ) ; eine intellektuelle Biographie , Innsbruck / Wien , und von Müller , Wolfgang Ferdinand ( 2002 ) : Die Vision des Christlichen bei Friedrich Heer , Innsbruck / Wien. 245 Faber / Scheichl ( 2008 ), 9. 246 Botz , Gerhard ( 2010 ) : „Rechts stehen und links denken“. Zur nonkonformistischen Geschichtsauffassung Friedrich Heers. In : Krammer , Reinhard / Kühberger , Christoph / Schausberger , Franz ( Hg. ) : Der forschende Blick. Beiträge zur Geschichte Österreichs im 20. Jahrhundert. Festschrift für Ernst Hanisch zum 70. Geburtstag , Wien / Köln / Weimar , 277–296 : 283. 247 Müller , Wolfgang Ferdinand ( 2002 ) : Die Vision des Christlichen bei Friedrich Heer [ Salzburger theologische Studien , 19 ] , Innsbruck / Wien. 248 Engel-Janosi ( 1971 ). Zur fehlenden Nachfolge im Forschungsgebiet Engel-Janosis vgl. Rinnerthaler , Alfred ( 2001 ) : Österreich und der Heilige Stuhl im 19. und 20. Jahrhundert. Vom Werden eines Forschungsprojektes. In : Paarhammer , Hanns / R innerthaler , Alfred ( Hg. ) : Österreich und der Heilige Stuhl im 19. und 20. Jahrhundert. Frankfurt / Main , 11–21 : 12–13.
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ten päpstlichen Diplomaten , Enrico Sibilia ( 1922–1936 ) und Gaetano Cicognani ( 1936– 1938 ), gibt es wenig Literatur , zudem ist diese in Österreich kaum zugänglich und mit sprachlichen Barrieren behaftet.249 In einem rezenten Beitrag wirft nun Klieber die Frage nach Idealtypen und „Wirkmächtigkeit“ der Nuntien in Wien und jener päpstlichen Gesandter im Allgemeinen unter Pius XI. auf. Dabei kann er sich bereits weitgehend auf erste Forschungen im Vatikanischen Geheimarchiv stützen.250 Um die nun im Vatikan zugänglichen Dokumente koordiniert zu bearbeiten , wurde 2008 unter der Leitung von Rupert Klieber das Forschungsprojekt „Pius XI. und Österreich“ am Wiener Institut für Kirchengeschichte ins Leben gerufen.251 Die für Österreich relevanten Bestände im Vatikanischen Geheimarchiv sind das Wiener Nuntiaturarchiv , das mittlerweile wieder ausgelagerte und direkt dem Staatssekretariat unterstellte Archiv der Kongregation für außerordentliche kirchliche Angelegenheiten ( A ffari Ecclesiastici Straordinari , AA. EE. SS. ) sowie das Archiv des Staatsekretariats. Im Archiv der AA. EE. SS. liegt der für dieses Pontifikat zentrale Archivbestand zur Frage der Beziehungen zwischen Kirche und Staat. In konzentrierter Form befindet sich dort der Großteil der politischen Berichte , die Weisungen des Staatssekretärs an die Nuntien sowie die politische Korrespondenz mit Vatikanbotschaft , Regierungsstellen und Diözesanbischöfen. Trotz des Bedeutungsverlustes , den Österreich im Übergang von Monarchie zu Republik erfuhr , wurde der Wiener Nuntiatur im Vatikan der Stellenwert einer „mitteleuropäischen Drehscheibe“ zugemessen.252 Von diesen Archivbeständen aus der vatikanischen Schaltzentrale verspricht man sich in Österreich , so Ernst Hanisch , „keine historische Sensation“, rechnet jedoch mit wichtigen Einsichten in die „atmosphärische Beschaffenheit der Ersten Republik“.253 Folglich zielt Kliebers österreichzentriertes Forschungsprojekt darauf ab , nicht nur kirchenhistorische , sondern auch Desiderate aus der Gesellschafts- und Mentalitätsgeschichte der Ersten Republik ( 1918–1938 ) zu erfüllen.254 Die als vorrangig eingestuften Forschungslücken gehen somit auch vor den Regimebeginn von 1933 / 34 zurück und beziehen sich u. a. auf die Kontakte des Priesterpolitikers Ignaz Seipel mit Rom , auf neue Erkenntnisse zu den Bischofsernennungen , aber auch 249 Squicciarini , Donato ( 2000 ) : Die apostolischen Nuntien in Wien , 2. Aufl. , Città del Vaticano , der jedoch kaum auf den politischen Auftrag der Nuntien eingeht. Biografische Werke zu ihrem Wirken sind ebenfalls spärlich und älteren Datums , vgl. Sibilia , Salvatore ( 1960 ) : Il cardinale Enrico Sibilia – un diplomatico della Santa Sede ( 1861–1948 ), Roma ; sowie Gualdrini , Franco / Silvestrini , Achille ( 1983 ) : Il cardinale Gaetano Cicognani 1881–1962 ; note per una biografia , Roma. 250 Klieber , Rupert ( Erscheinungsjahr 2011 ) : Repräsentanten , Impulsgeber , Störenfriede ? Die Nuntien der Ära Papst Pius XI. in Wien. In : Tagungsband für das Internationale Symposium / Münster 24.–26. März 2010 : „Eugenio Pacelli als Nuntius in Deutschland“, URL : http ://piusxi.univie. ac.at / content / site / de / publikationen / i ndex.html ( abgerufen am 8. 5. 2012 ). 251 Siehe auch die Projekt-Website , URL : http ://piusxi.univie.ac.at / ( abgerufen am 8. 5. 2012 ). 252 Gottsmann , Andreas ( 2008 ) : Archivbericht : ‚Finis Austriae‘ im Archiv der Kongregation für außerordentliche kirchliche Angelegenheiten ( A ffari Ecclesiastici Straordinari ). In : Römische historische Mitteilungen Jg. 50 ( 2008 ), 545–556 : 545–546. 253 Vgl. Ernst Hanisch im Rahmen der Tagung „Pius XI. und Österreich“ im Jänner 2009 , URL : http ://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de / t agungsberichte / id=2531 ( abgerufen am 29. 11. 2011 ). 254 Vgl. kathpress aktuell , Nr. 251 , 28. Oktober 2009 , 5.
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auf Einsichten in die Intensität der religiösen Praxis , die die sogenannten Quinquennalberichte der Bischöfe an den Vatikan erlauben könnten.255 Offene Fragen für die Zeit des Dollfuß / Schuschnigg-Regimes , auf welche die vatikanischen Archivalien Antworten geben könnten ,256 reichen von der für das Pontifikat Pius’ XI. zentralen Katholischen Aktion über noch unerschlossene Akten zu den Vorverhandlungen für das Konkordat 1933 / 34 bis hin zu vatikanischen Reaktionen auf den „Anschluss“.257 Nicht ausreichend untersucht wurden bisher unter dem Aspekt autoritärer Gegenmaßnahmen auf vatikanischer Seite nicht nur die Katholische Aktion , sondern etwa auch die Entwicklung des Christkönigs-Kults. Die Frage nach der vatikanischen Wahrnehmung von politischen Ideologien wie Faschismus , Kommunismus und Nationalsozialismus manifestiert sich nicht zuletzt in den päpstlichen Enzykliken der 1930er-Jahre.258 Diese sollten auch in ihren Projektionen auf den österreichischen Staat untersucht werden , wie die Instrumentalisierung von „Quadragesimo anno“ für den österreichischen „Ständestaat“ nahelegt.259 3.2 Politische Katholizismen und ihre Träger Unter Heranziehung österreichischer Quellen sind aus dem österreichischen Episkopat vor allem das Wirken der Persönlichkeiten Gföllner , Waitz und Innitzer Gegenstand eingehender Forschungen geworden. Dabei fällt auf , dass zum Gurker Bischof Adam Hefter bisher noch keine vertiefte Studie vorliegt ; dabei wäre eine biografische Aufarbeitung des aus Bayern Stammenden , der sich in seiner Priesterseminaristenzeit in Klosterneuburg zu einer „christlichen Politik unter Führung Luegers“ bekannte260 , höchst interessant. Dass er nicht in der Einheit des Episkopats aufging , zeigte auch die Tatsache , dass er als Einziger der Bischöfe der bekannten „Feierlichen Erklärung“ vom März 1938 ein eigenes Begleitschreiben beifügte.261 255 Eine „Edition“ dieser fünfjährlichen Bischofsberichte der in der Zwischenkriegszeit in Österreich bestehenden Diözesen ist im Rahmen der Arbeitsgemeinschaft der Diözesanarchive Österreichs geplant. Charakteristika zu einem frühen Bericht von Bischof Gföllner finden sich bei Ebner , Johannes ( 2011 ) : Der Quinquennalbericht des Linzer Diözesanbischofs Dr. Johannes Maria Gföllner ( 1915– 1941 ) aus dem Jahre 1923. Ein Summarium. In : NAGDL ( 2011 ) Beiheft 14 , 52–57. 256 Vgl. dazu den Punkt Forschungsdesiderate unter : http ://piusxi.univie.ac.at ( a bgerufen am 8. 5. 2012 ). 257 Vgl. kathpress aktuell , N. 251 , 28. Oktober 2009 , 5. Vgl. nunmehr : Valvo , Paolo ( 2010 ) : Dio salvi l’Austria ! 1938 : Il Vaticano e l’Anschluss , Milano. 258 Vgl. dazu die Enzykliken „Quadragesimo anno“ ( 1931 ), „Divini redemptoris“ ( 1937 ) sowie „Mit brennender Sorge“ ( 1937 ). Zum Nationalsozialismus auf neuen vatikanischen Quellen basierend , vgl. u. a. Wolf , Hubert ( 2008 ) : Papst & Teufel. Die Archive des Vatikan und das Dritte Reich , München ; Fattorini , Emma ( 2007 ) : Pio XI , Hitler e Mussolini. La solitudine di un papa , Torino ; Besier , Gerhard ; Piombo / Francesca ( 2004 ) : Der Heilige Stuhl und Hitler-Deutschland. Die Faszination des Totalitären , München. 259 Vgl. Schasching SJ , Johannes ( 1994 ) : Zeitgerecht – zeitbedingt : Nell-Breuning und die Sozialenzyklika Quadragesimo anno nach dem Vatikanischen Geheimarchiv , Bornheim , der seine Forschungen zur Entstehungsgeschichte der Enzyklika bereits auf vatikanische Quellen stützen konnte , jedoch österreichische Einflüsse ausschloss , vgl. auch wie erwähnt Klieber ( 2010 ). 260 Fräss-Ehrfeld-Kromer ( 1974 ), 141. 261 Weinzierl ( 1983 ), 466.
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Auch zum Bischof der Nachbardiözese Graz-Seckau , Ferdinand Stanislaus Pawlikowski , und zu dessen Wirken fehlt bisher eine vertiefte Studie. Die Einflussnahme politischer Repräsentanten ( w ie Carl Vaugoin )262 auf seine Bestellung wirft dahin gehend Fragen auf , ob damit bestimmte Erwartungen verbunden waren und wie diesen durch Pawlikowski entsprochen wurde. Die jährlichen Besprechungen , die im Rahmen der Bischofskonferenz vom Gesamt episkopat abgehalten wurden , zeigen bald ein essenzielles Manko für Forschende : Vertiefte Auseinandersetzungen mit den ( k irchen-)politischen Agenden der Bischöfe scheitern auch an einer bis dato fehlenden Edition der Protokolle der Bischofskonferenzen. Eine kommentierte Quellenedition könnte Analyse und Kontextualisierung von Verhandlungsgegenständen , Verantwortlichkeiten und Initiativen innerhalb der Bischofskonferenz sowie Sonderberatungen mit externen ( tagespolitischen ) Referenten263 entscheidend vorantreiben.264 Für den katholischen Klerus zeigt sich das Fehlen grundlegender Studien deutlich. Forschungsarbeiten hinsichtlich des Verhältnisses des ‚niederen‘ Klerus zu den bischöflichen Vorgesetzen wie auch zur katholischen Bevölkerung in gesamtösterreichischer , vergleichender Perspektive wären wünschenswert. Pfarrchroniken oder etwa Pfarrblätter aus der autoritären Regimezeit wurden bisher ebenfalls kaum in Betracht gezogen , könnten aber die Lebenswelt des österreichischen Klerus sichtbar machen , aber auch dessen wichtige meinungsbildende Kraft vor allem für die Landbevölkerung und nicht zuletzt für politische Aspekte zeigen.265 Bei der Erforschung eines vorherrschenden „Alltagskatholizismus“ hat die Arbeit von Urs Altermatt266 das Potenzial eines kulturhi262 Klieber ( 2011a ). 263 Diese Praxis beeinspruchte Gföllner , da dies die „so notwendige Unabhängigkeit und Freiheit des Episkopats“ gefährde , vgl. Weinzierl ( 1983 ), 460. 264 Kronthaler ( 1999 ), 33–75 , die erstmals den in den Diözesanarchiven verstreut liegenden Beratungsprotokollen – auch für die 1920er- und 1930er-Jahre – nachgeht. Über ausführliche Quelleneditionen diesbezüglich verfügt zunächst Deutschland , vgl. Stasiewski , Bernhard ( 1968 ) : Akten deutscher Bischöfe über die Lage der Kirche 1933–1945 , Bd. 1 1933–1934 [ Veröffentlichungen der Kommission für Zeitgeschichte , Reihe A : Quellen ] , Mainz sowie die entsprechenden Folgebände unter URL : http ://www.kfzg.de / P ublikationen / G esamtubersicht / gesamtubersicht.html ( abgerufen am 13. 12. 2011 ). Auch Ungarn verfügt seit knapp 20 Jahren über solche Quelleneditionen , vgl. Beke , Margit ( Hg. ) ( 1992 ) : A magyar katolikus püspökkari tanácskozások története és jegyzökönyvei 1919–1944 között [ Die Geschichte und Protokolle der ungarischen Bischofskonferenzen zwischen 1919 und 1944 ] 2 Bd. [ Dissertationes Hungaricae ex historia Ecclesiae , Bd. 12 ] , München / Budapest. 265 Seit dem frühen Versuch Staudingers , der ( oberösterreichische ) Pfarrchroniken für die ersten Jahre der Republik auswertete und dabei auf die fast undurchführbare Typisierung dieser Quellengattung hinwies , mangelt es an Arbeiten an diesen Quellen , vgl. Staudinger ( 1976 ). Rezente Ausnahmen z. B. bei Ginzinger , Gerhard ( 1996 ) : Oberösterreichisches Pfarrleben in den Jahren 1934–1938 dargestellt am Beispiel der Pfarrchronik von Weißkirchen an der Traun. Eine Ed. mit Einleitung und Kommentar. Dipl.-Arb. , Salzburg , sowie für den Wiener Pfarrklerus auf Basis von Pfarrblättern vgl. Scholz , Nina / Heinisch , Heiko ( 2001 ) : „ … alles werden sich die Christen nicht gefallen lassen“: Wiener Pfarrer und die Juden in der Zwischenkriegszeit , Wien. 266 Vgl. Altermatt , Urs ( 1989 ) : Katholizismus und Moderne : zur Sozial- und Mentalitätsgeschichte der Schweizer Katholiken im 19. und 20. Jahrhundert , Zürich. Altermatt lässt dabei methodenpluralistisch volkskundliche Elemente wie Fest- und Brauchtumsforschung , klassische Zeitschriften-
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storischen Ansatzes deutlich gemacht. In diesem Sinne könnte auch die von Kronthaler vorgeschlagene Erforschung des Laienberufs der Pfarrhaushälterinnen Informationen über Wandel der sozialen Stellung oder etwa das in der Priesterausbildung vermittelte Frauenbild liefern und somit das Umfeld der katholischen Priesterschaft näher bestimmen.267 3.3 Politische Katholizismen in Aktion : Vereine und Presse Auch das Aktionsfeld der Vereine des politischen Katholizismus zeigt sichtliche Forschungslücken. Der sukzessive Bedeutungsverlust des etablierten Vereinswesens mag darin Niederschlag gefunden haben , dass für die Jahre des autoritären Regimes wenige Studien dazu vorliegen.268 Es ist nicht nur wenig über den Verbleib jener Vereine bekannt , die sich gegen eine Eingliederung in die KA wehrten , sondern auch über die Art der Überführung der Vereine in die KA selbst. So sind die Hintergründe und zentralen Akteure der Entmachtung des oberösterreichischen katholischen Volksvereins beispielsweise noch nicht ausreichend beleuchtet worden. Im Weiteren zählt die regional-diözesane Ausgestaltung der KA ebenfalls zu den bislang vernachlässigten Forschungsfeldern ,269 wobei insbesondere Vergleichsstudien zu ihren lokal bedingten Divergenzen von Interesse wären. Im Zuge dessen sollte auch die politische Wirksamkeit der KA miterforscht und -hinterfragt werden. Zu Anspruch und Wirklichkeit ihrer Distanz zur ( Tages-)Politik fehlt seit Weinzierls Bewertung der KA „zum Teil als ‚Vorfeldorganisation‘ des christlichen Ständestaates“270 noch immer eine konsensuale Bewertung für die KA im Dollfuß / Schuschnigg-Regime. Zur aus den 1960er-Jahren datierenden Forderung Erika Weinzierls , alle katholischen Zeitschriften Österreichs systematisch aufzuarbeiten , stellt Ziegerhofer-Prettenthaler auch 40 Jahre danach fest , dass dergleichen noch nicht in ausreichender Weise geschehen sei.271 Eine fundierte Analyse zur „Schöneren Zukunft“ wurde jedoch bereits von Peter Eppel dargelegt. Jedoch war Eppels Quellenzugang teilweise noch von Archivsperren beschränkt , wie jener des Wiener Diözesanarchives ab 1933.272 Diese eingeschränkte Quellenlage steht exemplarisch für ältere Studien , deren Forschungsgegenstände vielfach aufgrund einer verbesserten Archivlage heute erneut Forschungspotenzial aufweisen würden. forschung , aber auch prosopographische Elemente einfließen , vgl. Tischner , Wolfgang ( 2004 ) : Neue Wege in der Katholizismusforschung : Von der Sozialgeschichte einer Konfession zur Kulturgeschichte des Katholizismus in Deutschland ? In : Hummel , Karl-Joseph ( Hg. ) : Zeitgeschichtliche Katholizismusforschung. Tatsachen – Deutungen – Fragen. Eine Zwischenbilanz. Paderborn / München / Wien u. a. , 197–213. Zu bisherigen Ansätzen dazu in Österreich vgl. Klieber , Rupert / Hold , Hermann ( Hg. ) ( 2005 ) : Impulse für eine religiöse Alltagsgeschichte des Donau-Alpen-Adria-Raumes , Wien u. a. 267 Sohn-Kronthaler , Michaela ( 2009 ) : Pfarrhaushälterinnen – ein kaum erforschter weiblicher Laienberuf in der katholischen Kirche. In : dies. / Höfer ( Hg. ), 241–255. 268 Vgl. z. B. Seewann ( 1971 ). 269 Zur fehlenden Einheitlichkeit in der Entwicklung der Katholischen Aktion in den einzelnen Diözesen vgl. Klostermann ( 1967 ), 121 , bei dem sich Ansätze einer Analyse der Modellrolle der Erzdiözese Wien für die einzelnen Diözesen finden ; vgl. dazu auch Liebmann ( 1990 ). 270 Weinzierl ( 1983 ), 448. 271 Ziegerhofer-Prettenthaler ( 2006 ), 395. 272 Eppel ( 1980 ), 14. Ähnlich war die Archivlage z. B. auch bei Gellott ( 1987 ).
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Ziegerhofer-Prettenthaler und Seefried zeigen in ihren Untersuchungen zur SZ und zum CS auf , dass bisher auch ( z entral-)europäische Perspektiven , die über nationale Grenzen hinausreichen , bei der Bearbeitung des katholischen Pressewesens in Österreich noch weitgehend unberücksichtigt geblieben sind. Aus dieser Perspektive tritt als Desiderat die systematische Aufarbeitung der spezifischen Europa-Konzeptionen von Graf Nikolaus Richard Coudenhove-Kalergis „Paneuropa-Union“ sowie des „Kulturbunds“ unter der Leitung des Philofaschisten Karl Anton Prinz Rohans hervor. In beiden Fällen stellen die Vereinsorgane „Paneuropa“ und „Europäische Revue“ einen lohnenden Quellenbestand dar.273 Doch auch die der kirchlichen Hierarchie näherstehenden Zeitungen , wie der „Osservatore Romano“ und die Halbmonatsschrift „L’Illustrazione Vaticana“ als offizielle Vatikanmedien , harren noch einer näheren wissenschaftlichen Auseinandersetzung zu österreichspezifischen Fragestellungen. Dies trifft auch auf die einzelnen Diözesanblätter zu , deren Digitalisate nun durch die Österreichische Nationalbibliothek der Forschungsgemeinde sukzessive zugänglich gemacht werden.274 Die Notwendigkeit , viel zitierte ältere ‚Standardwerke‘ vor allem hinsichtlich ihrer Quellennutzung zu hinterfragen , zeigt sich am Beispiel von Heinrich Bußhoffs Studie von 1968 zur „Schöneren Zukunft“ und zur „Reichspost“275 : Helmut Rumpler kann in seinem Versuch der Neubewertung der Rolle Johannes Messners276 für die berufsständische Verfassung von 1934 aufzeigen , dass Bußhoffs ursprüngliche Einschätzung Messners als führender „Programmator“ auf dünner Quellenbasis steht. Rumpler bettet seine Kritik an dieser Charakterisierung Messners in eine Analyse von dessen programmatischer Schrift „Berufsständische Neuordnung“ ( 1936 ) ein und kommt zum Schluss , dass diese Dollfuß’ Ideen eines „christlichen Ständestaates“ nicht bestätige , sondern sie „verhältnis273 Eine Gegenüberstellung findet sich bei Paul , Ina Ulrike ( 2005 ) : Einigung für einen Kontinent von Feinden ? R. N. Coudenhove-Kalergis „Paneuropa“ und K. A. Rohans „Reich über Nationen“ als konkurrierende Europaprojekte der Zwischenkriegszeit. In : Duchhardt , Heinz ( Hg. ) : Der EuropaGedanke in Ungarn und Deutschland in der Zwischenkriegszeit [ Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz , Beiheft ; 66 : Abteilung für Universalgeschichte ] , Mainz , 21–45. Während zu Prinz Rohan bis dato eine fundierte Biografie fehlt , hat Ziegerhofer-Prettenthaler zu Coudenhove-Kalergi kürzlich ihre Habilitationsschrift auf Basis des Paneuropa-Archivs im Moskauer Staatsarchiv vorgelegt , vgl. die publizierte Fassung : Ziegerhofer-Prettenthaler , Anita ( 2004 ) : Botschafter Europas , Richard Coudenhove-Kalergi und die Paneuropa-Bewegung in den zwanziger und dreißiger Jahren , Wien / Köln / Weimar. Die Bedeutung des Forums , das Rohans Kulturbund auch für katholische Exponenten bot , zeigt sich darin , dass ein Vortrag Hudals im Kulturbund den Rahmen für ein Zusammentreffen mit Franz von Papen bot , womit die Entscheidung der österreichischen Bischöfe , Distanz zum deutschen Sondergesandten zu wahren , unterwandert wurde , vgl. Hummel , Karl-Joseph ( 2007 ) : Alois Hudal , Eugenio Pacelli , Franz von Papen , Neue Quellen aus dem Anima-Archiv. In : Brechenmacher , Thomas ( Hg. ) : Das Reichskonkordat 1933 : Forschungsstand , Kontroversen , Dokumente [ Veröffentlichungen der Kommission für Zeitgeschichte , Reihe B , Forschungen , 109 ] , Paderborn / Wien u. a. , 85–113 : 96. 274 Vgl. http ://anno.onb.ac.at. 275 Bußhoff ( 1968 ). 276 Rauscher , Anton ( 1984 ) : Johannes Messner ( 1891–1984 ). In : Aretz , Jürgen / Morsey , Rudolf / R auscher , Anton ( Hg. ) : Zeitgeschichte in Lebensbildern : aus dem deutschen Katholizismus des 20. Jahrhunderts ( Bd. 6 ), Münster , 250–265.
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mäßig radikal“ kritisiere.277 Aus dieser Beurteilung erschließt sich , dass eine abschließende Bewertung des Einflusses des „bedeutendsten Sozialethikers des österreichischen Katholizismus“278 in der Ersten Republik und auf das Dollfuß / Schuschnigg-Regime bisher noch nicht erfolgt ist. Messners Einfluss auf den Inhalt des Sozialhirtenbriefs des Episkopats 1925 ,279 seine Zugehörigkeit zum redaktionellen Stab der SZ ,280 der folgende Distanzierungsversuch 1936 in der Gründung einer eigenen Zeitschrift „Monatschrift für Politik und Kultur“ sowie sein Beitrag zur Sakralisierung der Person Dollfuß’ nicht zuletzt durch das Verfassen der „offiziösen Dollfuß-Biographie“281 verdeutlichen seine Präsenz und führende Vordenkerrolle in der Zwischenkriegszeit und legen eine umfassende Aufarbeitung seiner Positionierung innerhalb des politischen Katholizismus nahe. 3.4 Politische Katholizismen unter dem Schuschnigg-Regime Ein zusätzliches Desiderat , das die Bußhoff-Studie veranschaulicht , erschließt sich aus dem herangezogenen Betrachtungszeitraum : Die Jahre vor dem Dollfuß-Regime ab 1929 werden für die Entwicklung einer geistesgeschichtlichen Perspektive einbezogen , aber die Zeit der Herrschaft unter Schuschnigg bleibt dahingegen gänzlich unberücksichtigt. Diese Schwerpunktsetzung auf die Regime-Zeit unter Dollfuß weist auch auf einen generellen Forschungsüberhang zum politischen Katholizismus im Vergleich zu dessen Nachfolger hin. Für das kirchliche Verhältnis zu Schuschnigg wies man vielfach nur auf die ab 1936 einsetzenden Distanzierungsversuche der Kirche hin und konzentrierte sich in weiterer Folge tendenziell auf das Verhalten von Episkopat und Klerus gegenüber Nationalsozialismus und „Anschluss“. Jedoch wissen wir bisher wenig über die Kontinuitäten und Brüche in der Kirchenpolitik im Übergang von Dollfuß zu Schuschnigg. Damit einher geht auch der Mangel an Forschungen zum Dollfuß-Kult unter Schuschnigg , der Stilisierung zu einem für Österreich gestorbenen Märtyrer , wenn nicht sogar zu einem Heiligen.282 Die Kirche tat das Ihre , diesem Dollfuß-Mythos auf religiöser Ebene Bedeutung zu verleihen. Kirchen , Altäre , Kapellen , die Dollfuß gewidmet waren , sowie Dollfuß-Gedenktage sollten zur Sakralisierung des „toten Führers“ beitragen.283 Dazu 277 Rumpler , Helmut ( 2010 ) : Der Ständestaat ohne Stände. Johannes Messner als „Programmator“ der berufsständischen Idee in der Verfassung des Jahres 1934. In : Krammer et al. ( Hg. ), 229–245. 278 Rumpler ( 2010 ), 229. 279 Schlagnitweit ( 1995 ). 280 Diese fungierte nach Eppel für die Zeitschrift einerseits als „prominente( s ) Aushängeschild“ und andererseits als „antinationalsozialistische( s ) Alibi“, Eppel ( 1980 ), 33 , zit. n. Ziegerhofer-Prettenthaler ( 2006 ), 404. 281 Rumpler ( 2010 ), 231 , siehe Messner , Johannes ( 1935 ) : Dollfuß , Innsbruck / Wien u. a. 282 Hanisch ( 2005 ), 78. Zur Dreistufigkeit des Dollfuß-Mythos , Bauer , Held und Märtyrer , sowie Heiliger vgl. Jagschitz , Gerhard ( 1976 ) : Der Putsch. Die Nationalsozialisten 1934 in Österreich , Graz / Wien / Köln , 190 , zit. n. Juffinger , Sabine ( 1993 ) : Politischer Katholizismus im Austrofaschismus 1933 / 34– 1938 : zur Analyse der politischen Rhetorik des Austrofaschismus am Beispiel der „österreichischen Mission“ sowie anhand der Konstruktion des Geschlechterverhältnisses , Dipl.-Arb. , Innsbruck , 44. 283 Vgl. dazu Dreidemy , Lucile ( 2011 ) : Totenkult für einen Diktator , Die Zeit , 21. Juli 2011 , 10 f. Zur mythisierenden Darstellung Dollfuß’ in den Wochenschauen , vgl. Liebhart , Karin ( 2 002 ) : Österreichischer Patriot und „wahrer deutscher Mann“ – Zur Mythisierung des Politikers Engelbert Dollfuß. In : Achenbach / Moser ( Hg. ), 237–258.
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fehlt auch noch vielfach die vertiefte Aufarbeitung jener Persönlichkeiten , die an dieser Mythisierung maßgeblich beteiligt waren. Dies zeigt sich exemplarisch an einer fehlenden biografischen Studie zu Rudolf Henz. Als „Zeremonienmeister austrofaschistischer Massenästhetik“284 apostrophiert , schrieb er nicht nur die Weihefestspiele am Katholikentag , sondern war auch der Verfasser des sogenannten Dollfuß-Liedes. In die unterrepräsentierte Schuschnigg-Zeit fällt auch ein Desiderat zur Ausübung und Umsetzung von Konkordatsmaterien. Während zu den Vorverhandlungen für das Konkordat aufschlussreiche Unterlagen in Rom zu erwarten sind , muss der Umgang mit dem kirchenrechtlichen Vertrag in Österreich nach dessen Ratifizierung noch vertieft untersucht werden. Bereits im Ministerrat vom 4. Mai 1934 wurde die Auslegung der Konkordatsbestimmungen „betreffend des Eherechts“ behandelt und gefolgert , dass „eine wörtliche Interpretation des Konkordats [ … ] untragbar“ sei.285 Die Feststellung , dass die Problematik der Dispensehen vom Konkordat nicht berührt werde , wollte auf eine für Interpretationen offene Grauzone hinweisen ; dieser breiten Auslegungsmöglichkeit wurde jedoch von Dollfuß Einhalt geboten , der befürchtete , dass man sich damit den Vorwurf des Konkordatsbruchs einhandeln könnte.286 Insgesamt werfen diese Vorstöße jedoch Fragen zur beabsichtigten Nutzung von Grauzonen des Vertragstextes auf – über jene des Eherechts hinaus , im Besonderen die Schulfrage , die für die Zeit bis 1938 noch im Detail zu überprüfen sind. Wie auch diese konkordatäre Verbindung Vatikan und österreichischen Staat nach außen einte , stellt auch die gewaltsame Unterdrückung der Sozialdemokratie im Februar 1934 ein Ereignis dar , das nach Hanisch zu einem Schulterschluss zwischen Kirche und Regime führte.287 Dennoch fehlen hier bislang , auch angesichts der oberflächlich ambivalenten Haltung der Kirchenmitglieder , weiter gehende Studien , die die Teilhabe des Episkopats und des Klerus am Repressionsapparat des Staates vor und nach den Februarkämpfen behandeln. So ist die Frage nach der aktiven Begünstigung der Kirche im Zuge der Enteignung der geschlagenen Sozialdemokratie noch nicht hinreichend bearbeitet worden , wie etwa durch die Einrichtung von Kapellen in den Gemeindebauten oder durch die aktive Beteiligung des Klerus an der Durchsetzung der Zensur.288 3.5 Politische Katholizismen in ideologischer Perspektive Ebenso wie an der Person eines Schuschnigg können auch an der Gestalt von Alois Hudal , dem Rektor des deutschen Priesterkollegs Santa Maria dell’Anima in Rom , mehrere ( auch transnationale ) Forschungslücken zugleich exemplarisch demonstriert werden. Durch die 284 Amann ( 1987 ), 126. Henz war u. a. tätig bei der Reichspost , RAVAG , im Bundeskulturrat und führend in der Katholischen Aktion , vgl. Amann ( 1987 ), 126–138. 285 Weinzierl 1994 , 130 , sowie Liebmann ( 2003 ), 410–411. 286 Liebmann ( 2003 ), 411. 287 Hanisch ( 1977 ), 24. Zu einer tendenziell anderen Beurteilung , v. a. hinsichtlich der Betonung hehrer Absichten der Kirche um Frieden und Versöhnung , gelangt Liebmann ( 1989 ). 288 Vgl. u. a. Kepplinger , Brigitte ( 2009 ) : „Wir werden ganze Arbeit leisten“ ( Emil Fey ), in : dies. / Weidenholzer , Josef ( Hg. ) : Februar 1934 in Oberösterreich. „Es wird nicht mehr verhandelt …“, Weitra , 239–246 : 244 f. ; desgl. Mesner , Maria / Reiter , Margit / Venus , Theodor ( 2007 ) : Enteignung und Rückgabe. Das sozialdemokratische Parteivermögen in Österreich 1934 und nach 1945 , Innsbruck.
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Freigabe der Akten aus seinem Nachlass in der Anima könnten nun österreichspezifische Behauptungen aus seinem Tagebuch einer Gegenprüfung unterzogen werden. Trotz seiner langjährigen Funktion in Rom ist Hudal für Klieber lange ein geradezu typischer Exponent des katholischen Milieus Österreichs , der sich aber spätestens ab 1938 schrittweise zu einem „Phänomen sui generis“ gewandelt habe , was ab Herbst 1938 durch ein starres Festhalten an ideologischen Überzeugungen zu seiner Isolation beigetragen habe.289 Die mittlerweile konsultierbaren Dokumente im Nachlass des umstrittenen Rektors machen dessen tatsächliche Bedeutung für die offizielle Politik des Hl. Stuhls nun hinterfragbar.290 Laut Karl-Joseph Hummel hielte der Bestand jedoch Überraschungen in zweifacher Hinsicht bereit : Zum einen sei es nun möglich , „die erheblichen Zweifel , die an der Seriosität der 1976 posthum veröffentlichten ‚Römischen Tagebücher‘ geäußert worden sind ,291 in den meisten Punkten zu zerstreuen und ein Bild einer vielseitigen Persönlichkeit zu zeichnen , das weitaus interessanter ausfällt , als es die stereotypen Klischees vom ‚braunen‘ Bischof und ‚Fluchthelfer‘ erwarten ließen“.292 Jedoch : Es ließen sich „in zentralen Fragen [ … ] keine neuen Erkenntnisse gewinnen“.293 Laut Hummel gäbe es in Hudals Nachlass auch für das österreichische Konkordat weniger Quellen als zu erwarten.294 Dass die Initiative zum Konkordat von den österreichischen Bischöfen ausging , ist heute unumstritten.295 Für Hudals Behauptungen über seinen Beitrag am Zustandekommen des Konkordats fehlten noch die entsprechenden Gegenbelege.296 Unter He 289 Klieber ( o. J. ), 29. 290 Einen frühen Versuch , Hudals bislang als wenig zuverlässig gewertete Lebenserinnerungen auf der Basis von vatikanischen Akten gegenzuprüfen , unternimmt Hubert Wolf. Darin geht der renommierte deutsche Kirchenhistoriker , der zu diesem Zeitpunkt jedoch noch keinen Zugang zum Anima-Archiv hatte , der Initiative Hudals hinsichtlich einer Auseinandersetzung des Hl. Offizium mit der Rassenlehre nach und kommt zu einer relativierenderen Einschätzung des Einflusses Hudals , vgl. Wolf , Hubert ( 2005 ) : Pius XI. und die „Zeitirrtümer“. Die Initiativen der römischen Inquisition gegen Rassismus und Nationalismus. In : Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte Jg. 53 ( 2005 ) Heft 1 , 1–42. 291 Einen kurzen Überblick über die mediale Rezeption dieses Werkes in Deutschland und Österreich , die sich in kritischen Rezensionen ( was die Glaubwürdigkeit von Hudals Behauptungen zu seiner eigenen Bedeutung für und Wertschätzung in vatikanischen Kreisen betraf ) von namhaften KirchenhistorikerInnen , von Rudolf Morsey bis Erika Weinzierl , niederschlugen , gibt Hummel ( 2007 ), 85. 292 Hummel ( 2007 ), 85. 293 Hummel ( 2007 ), 85. 294 Hummel ( 2007 ), 85. Hummel konzentriert sich in seinem Beitrag auf Fragestellungen , die das deutsche und österreichische Konkordat 1933 / 34 und deren Wirkungsgeschichte betreffen. Er plädiert für eine genaue Auswertung des Hudal-Archivs , obgleich er feststellt , dass „Forscher , die in früheren Jahren privilegierten Zugang zu dem noch ungeordneten Archiv bekommen hatten , [ … ] sich offenbar in einzelnen Fällen auf Dokumente stützen [ konnten ] , die zwischenzeitlich nicht mehr auffindbar sind“. Hummel ( 2007 ), 85. Weitere wichtige Bestände des Hudal-Nachlasses konnten von Dominik Burkard ausgewertet werden , vgl. Burkard , Dominik ( 2005 ) : Häresie und Mythus des 20. Jahrhunderts : Rosenbergs nationalsozialistische Weltanschauung vor dem Tribunal der Römischen Inquisition [ Römische Inquisition und Indexkongregation , 5 ] , Paderborn / Wien u. a. 295 Kremsmair , Josef ( 2001 ) : Der Beitrag Bischof Hudals am Zustandekommen des österreichischen Konkordates von 1933 / 34. In : Paarhammer / R innerthaler ( Hg. ), 293–310. 296 Vgl. seine aus der Retrospektive geschriebene und posthum veröffentlichte Autobiografie : Hudal ( 1976 ).
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ranziehung der Tagebuchaufzeichnungen von Egon Loebenstein297 , aber auch bereits von selektierten Aktenbeständen aus der Anima maß Kremsmair Hudal einen „wesentlichen Anteil“ am Zustandekommen des Konkordats zu , der sich auf die beauftragte Erarbeitung staatskirchenrechtlicher Materien erstreckte. Hudals Mitwirkung am römischen Konkordatsentwurf wurde als gesichert angesehen , wobei das Ausmaß an Hudals Mitarbeit für Kremsmair als schwer festzustellen galt.298 Während Kremsmair von einem direkten Zusammenhang zwischen Hudals Verdiensten am Konkordat und dessen Ernennung zum Titularbischof von Ela ausgeht , weist Klieber jedoch auf den fehlenden Quellenbeleg zu diesem in der Forschung bestehenden Konsens hin.299 Neben den Anima-Akten könnten nun auch Dokumente aus dem Vatikanischen Geheimarchiv der Klärung dieser Detailfragen dienlich sein. Durch seine österreichische Verortung und seine vielseitigen personellen Verbindungen könnte nicht nur die Biografie des „Brückenbauers“ Hudal anhand neu zugänglicher Akten weiter erforscht werden , sondern auch die österreichischen RepräsentantInnen jener Gruppe umfassend in den Blick genommen werden , die in der Literatur zumeist als „Katholisch-Nationale“, „Betont-Nationale“ bzw. „Völkische Katholiken“ firmiert.300 297 Dr. Egon Loebenstein war Sektionschef im Unterrichtsministerium und gehörte auch der österreichischen Verhandlungsdelegation für das Konkordat an. 298 Kremsmair ( 2001 ), 299. Hummel kann die Befunde Kremsmairs durch Details stützen , die jedoch zu keinen neuen Erkenntnissen beitragen ; eine detaillierte Analyse der österreichischen Konkordatsunterlagen im Anima-Archiv stehe jedoch noch aus : Hummel ( 2007 ), 105–106. 299 Klieber , o. J. , 14. Diesen Konsens unter den Zeitgenossen bestätigen indirekt die Akten der deutschen Vatikangesandtschaft : „[ Die Ernennung ] wird als Belohnung für die guten Dienste angesehen , die Msgr. Hudal [ … ] bei dem schnellen Zustandekommen des österreichischen Konkordats [ … ] geleistet hat.“ Bergen an das Auswärtige Amt , 2. 6. 1933 ; in : Kupper , Alfons ( Bearb. ) ( 1969 ) : Staatliche Akten über die Reichskonkordatsverhandlungen 1933 [ Veröffentlichungen der Kommission für Zeitgeschichte , A2 ] , Mainz , 79 , zit. n. Hummel ( 2007 ), 89–90. 300 Zu den fließenden Übergängen zwischen Betont-Nationalen und Katholisch-Nationalen vgl. Weinzierl , Erika ( 1963 ) : Österreichs Katholiken und der Nationalsozialismus 1918–1945. In : Wort und Wahrheit Jg. 18 ( 1963 ), 493–526 : 505 , zit. n. Eppel ( 1980 ), 325. Vgl. dazu auch Broucek , Peter ( 1979 ) : Katholisch-nationale Persönlichkeiten [ Wiener Katholische Akademie Miscellanea , 62 ] , Wien. Zu einigen dieser Vertreter liegen bereits ( u mfassende ) Studien vor , wie z. B. Broucek , Peter ( 1980 , 1983 , 1988 ) : Ein General im Zwielicht. Die Erinnerungen Edmund Glaises von Horstenau , 3 Bd. , Wien / Köln / Graz ; Rosar , Wolfgang ( 1971 ) : Deutsche Gemeinschaft. Seyss-Inquart und der Anschluß , Wien / Frankfurt / Zürich ; Derndarsky , Michael ( 1989 ) : Österreich und die „Deutsche Einheit“. Studien zu Heinrich Ritter von Srbik und seiner gesamtdeutschen Geschichtsauffassung , Klagenfurt. Eine Untersuchung für die Zeit unter dem Nationalsozialismus findet sich bei Moritz , Stefan ( 2002 ) : Grüß Gott und Heil Hitler. Katholische Kirche und Nationalsozialismus in Österreich , Wien. Kritisch zu Moritz vgl. Liebmann ( 2009 ), 73. Vgl. aber z. B. auch Amann , Klaus ( 1985 ) : Die Brückenbauer. Zur ‚Österreich‘Ideologie der völkisch nationalen Autoren in den dreißiger Jahren. In : Amann , Klaus / Berger , Albert ( Hg. ) : Österreichische Literatur der dreißiger Jahre , Wien / Köln / Graz 1985 , 60–78 , sowie Staudinger , Anton ( 1989 ) : Völkische Konkurrenz zum Nationalsozialismus – am Beispiel des „Österreichischen Verbandes für Volksdeutsche Auslandsarbeit“. In : Kreissler , Felix ( Hg. ) : Fünfzig Jahre danach – der „Anschluss“ von innen und außen gesehen , Wien / Zürich , 52–64. Jüngst dazu , vgl. Weiß , Otto ( 2007 ) : Rechtskatholizismus in der Ersten Republik. Zur Ideenwelt der österreichischen Kulturkatholiken 1918–1934 [ Beiträge zur Kirchen- und Kulturgeschichte , Bd. 17 ] , Frankfurt / Main.
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Brigitte Behal hat jüngst mit ihrer Dissertation über Anton Böhm und Theodor Veiter sowie deren Netzwerke einen wichtigen Impuls gesetzt , den aufzugreifen sich in vielfacher Hinsicht lohnen würde.301 Hinsichtlich der Bearbeitung politischer Ideologien und deren Wahrnehmung durch KatholikInnen ist festzustellen , dass v. a. der Nationalsozialismus302 beständig Anlass zu neuen Forschungen bot. Dahingegen bilden die Rezeption des italienischen Faschismus und seine Popularitätssteigerung etwa durch die Lateranverträge 1929 für Österreich weiterhin ein Forschungsdesiderat.303 IV. Ausblick Ein Überblick zur Forschungslage des politischen Katholizismus bzw. von dessen vielgestaltigen Ausprägungen unter dem Dollfuß / Schuschnigg-Regime lässt eine Gesamtstudie vermissen , die auf dem aktuellen Forschungsstand aufbaute und in der die übergreifenden Zusammenhänge zwischen 1933 und 1938 erfasst würden. Der letzte ambitionierte Versuch , eine Geschichte der katholischen Kirche in Österreich in der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts zu schreiben , ist seinerseits bald ein halbes Jahrhundert her.304 Einer aktuellen Umsetzung eines ähnlichen Vorhabens ist – neben dem vielfachen Ausbleiben von Detailstudien – auch abträglich , dass der österreichischen Forschung( sgemeinde ) noch weitgehend eine internationale , komparatistische Perspektive fehlt.305 Sprachbarrieren und der erschwerte Quellenzugang tragen zu einem ausbleibenden Blick über nationale Grenzen hinweg bei. Auf der Strecke bleibt in der Folge häufig das Bewusstsein für Unterschiede zwischen diversen nationalen Katholizismen. Selbst im deutschsprachigen Ausland wird die österreichische Katholizismusforschung eher als eine „terra incognita“306 wahrgenommen , was einem fruchtbaren Austausch 301 Behal , Brigitte ( 2009 ) : Kontinuitäten und Diskontinuitäten deutsch-nationaler katholischer Eliten im Zeitraum 1930–1965 : ihr Weg und Wandel in diesen Jahren am Beispiel Dr. Anton Böhms , Dr. Theodor Veiters und ihrer katholischen und politischen Netzwerke , Diss. , Wien , 9. 302 Liebmann , Maximilian ( 1982 ) : Kardinal Innitzer und der Anschluß. Kirche und Nationalsozialismus in Österreich 1938. Graz / Wien u. a. , Liebmann ( 1988a ), Liebmann ( 1988b ), Liebmann ( 2009 ), Weinzierl ( 1988 ). Ein früher Literaturbericht diesbzgl. findet sich bei Weinzierl , Erika ( 1967 ) : Kirche und Nationalsozialismus. In : Wort und Wahrheit 22. Jg. ( 1967 ), 378–382. Vgl. aber auch exemplarisch die thematischen Schwerpunkte bei Eppel ( 1980 ) und Edlinger ( 1964 ). 303 Eine ältere Forschungsarbeit in dieser Hinsicht , die jedoch die Dollfuß / S chuschnigg-Zeit nicht behandelt , wäre Mairer , Werner ( 1972 ) : Ignaz Seipel und Benito Mussolini : der Denker und der Realist. Ein Beitrag zur Geschichte Österreichs und Italiens vom Marsch auf Rom bis zum Tode Seipels , Diss. , Graz. Arbeiten wie jene älteren Datums von Hoepke , vgl. Hoepke , Klaus-Peter ( 1968 ) : Die deutsche Rechte und der italienische Faschismus – ein Beitrag zum Selbstverständnis und zur Politik von Gruppen und Verbänden der deutschen Rechten [ Beiträge zur Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien , 38 ] , Düsseldorf , oder jüngst für die Schweiz : Aerschmann , Stephan ( 2002 ) : Katholische Schweizer Intellektuelle und der italienische Faschismus ( 1922–1943 ) [ Religion – Politik – Gesellschaft in der Schweiz ] , Freiburg , Schweiz , fehlen für Österreich noch gänzlich. 304 Klostermann et al. ( 1966 ) und ( 1967 ). 305 Opis , Matthias ( 2005 ) : Viel Klischee , wenig Wissen. Der Katholizismus in der zeithistorischen Forschung. Eine kritische Bestandsaufnahme , Die Furche , 13. 1. 2005 , 10. 306 Liedhegener , Antonius ( 2004 ) : Katholizismusforschung in der Erweiterung : Internationaler Ver-
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bislang ebenfalls nicht gerade förderlich war. Die Öffnung der vatikanischen Archive bietet sicherlich einen neuen Anreiz für Forschungsansätze über die Grenzen hinweg. Es steht zu erwarten , dass die Erforschung eines Phänomens wie des Katholizismus , der von einer ausgeprägt transnationalen Organisation gekennzeichnet und nur begrenzt in seiner nationalstaatlichen Einheit zu erfassen ist ,307 davon nur profitieren kann. Für Österreich regt Matthias Opis eine Überwindung der bisher überwiegenden Trennung von kirchen- und zeithistorischen Forschungsleistungen an. Der zeitgeschichtlichen Katholizismusforschung sei mit seinen Worten zudem zu wünschen , es möge ihr gelingen , den „österreichischen Katholizismus als attraktives Forschungsgebiet zu vermitteln , von dem sich auch jüngere Historikerinnen und Historiker angesprochen fühlen können“.308
gleich , konfessioneller Vergleich , neue methodische Zugänge. Kommentar. In : Hummel ( Hg. ), 215–230 : 221. 307 Pyta , Wolfram ( 2009 ) : Einleitung. In : ders. / K retschmann , Carsten / Ignesti , Giuseppe / Di Maio , Tiziana ( Hg. ) : Die Herausforderung der Diktaturen : Katholizismus in Deutschland und Italien 1918– 1943 / 45 [ Reihe der Villa Vigoni 21 ] , Tübingen , 1–12. 308 Opis ( 2005 ).
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Gerhard Hartmann
Eliten im „Ständestaat“ Versuche einer Einordnung In diesem Beitrag wird versucht , den Eliten , die den autoritären „Ständestaat“ der Jahre 1933 / 34 bis 1938 getragen bzw. geprägt haben , nachzuspüren. Der Schwerpunkt liegt dabei auf fest umschriebenen bzw. organisierten ( „vernetzten“ ) Elite-Gruppen. Ausgangspunkt der Transformation des politischen Systems Österreichs ab März 1933 war die sich auf eine schmale parlamentarische Mehrheit stützende Regierungskoalition – bestehend aus den Christlichsozialen , dem Landbund und den Heimwehren. Der Landbund verlor ab 1934 , die Heimwehren 1936 an politischer Bedeutung. Somit verblieb als tragende Bewegung des „Ständestaates“ der ehemals parteipolitische Katholizismus , der von nicht in das national( sozialistisch )e Lager übergeschwenkten Angehörigen der beiden anderen genannten Koalitionspartner ergänzt wurde. Diese spielten aber quantitativ nur eine untergeordnete Rolle. Auch sind dort kaum nennenswerte Eliten als spezifisch homogene Gruppe erkennbar , sodass im Großen und Ganzen im „Ständestaat“ das katholische Kernmilieu diesbezüglich maßgeblich war. Infolge des Juliabkommens von 1936 strömten zwar „betont nationale“ Elemente in die Vaterländische Front bzw. in den Regierungsapparat. Auch wenn bei diesen gewisse Eliten ( z . B. akademisch-nationales Milieu ) erkennbar sind , können sie nicht zu einer des „Ständestaates“ zählen , weil sie diesen letztlich zu transzendieren versuchten. Das gilt auch für die sogenannten Katholisch-Nationalen. Sie entstammten zwar auch der Elite des katholischen Milieus und waren nicht selten in den Transformationsprozess der Jahre 1933 / 34 eingebunden , jedoch letztlich als Vertreter der großdeutschen Idee für die Überwindung des „Ständestaates“. So erklärte der kurzzeitige Außenminister im Anschlusskabinett Seyß-Inqart , Wilhelm Wolf , „dem Ständestaat mit geballter Faust gedient zu haben“1. 1 Zitiert bei Gehler , Michael ( 1990 ) : Studenten und Politik. Der Kampf um die Vorherrschaft an der Universität Innsbruck 1918–1938 [ I nnsbrucker Forschungen zur Zeitgeschichte ] , Innsbruck , 174 ; Wilhelm Wolf war sowohl Angehöriger des CV als auch Sympathisant des Bundes Neuland. Zu den Katholisch-Nationalen siehe Broucek , Peter ( 1979 ) : Katholisch-nationale Persönlichkeiten [ Wiener Katholische Akademie. Miscellanea ] , Wien ; desgl. Behal , Brigitte ( 2009 ) : Kontinuitäten und Diskontinuitäten deutschnationaler katholischer Eliten im Zeitraum 1930–1965. Ihr Weg und Wandel in die-
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II. Das kathol ische Milieu
Als Elite des „Ständestaates“ kann daher nur eine solche bezeichnet werden , die sich mit diesem identifizierte , in ihm einen Gegenentwurf zum Nationalsozialismus sah und für die Selbstständigkeit Österreichs eintrat – ohne deshalb die Zugehörigkeit zum deutschen Volkstum in Abrede stellen zu müssen. Einleitende Bemerkungen zum Begriff Elite Die vom Wiener Politologen Gernot Stimmer 1997 veröffentlichte Studie über Eliten in Österreich 1848–1970 – die erste und auch umfangreichste dieser Art – geht natürlich auch auf die Periode der Jahre 1933 / 34 bis 1938 ein.2 Wichtige Impulse zu dieser Thematik lieferten auch die nach 2000 entstandenen Arbeiten des deutschen Eliteforschers Michael Hartmann.3 Nach diesen lassen sich folgende Elitegruppen feststellen , die vor allem auch für unser Thema wichtig sind : Die Herkunftselite. Darunter ist nicht nur der Adel zu verstehen , sondern auch die großbürgerliche Besitzelite. Letztere hat – im Gegensatz zu Deutschland – in Österreich keine bedeutende Rolle gespielt , sodass Stimmer auf diese nur am Rande eingeht. Hingegen führt er den Begriff Anstaltselite ein und meint damit die Absolventen verschiedener Anstalten , darunter in der Hauptsache bestimmte Gymnasien bzw. Internate , aber auch z. B. die der Militärakademie oder der Diplomatischen Akademie. Michael Hartmann weist aber darauf hin , dass es im deutschen Sprachraum im Gegensatz zum angelsächsischen Raum4 oder zu Frankreich nicht derartige Eliteanstalten gibt , die man „besucht haben muss“, bzw. diese nicht jene Bedeutung haben , und dass dessen politischen Eliten , beginnend mit Anfang des 20. Jahrhunderts , fast durchgängig kleinbürgerlich geprägt waren bzw. noch immer sind.5 Trotzdem ist anzumerken , dass es in Österreich durchaus Ansätze solcher Eliteanstalten gegeben hat , man denke etwa an die beiden nicht mehr existierenden Jesuitenkollegien „Stella matutina“ in Feldkirch oder in Kalksburg. Auch öffentliche Gymnasien , wie die Akademischen in Wien und Graz oder das Wiener Theresianum , kommen in die Nähe von solchen Eliteanstalten. Gerade Kalksburg , aber vor allem auch das Wiener Schottengymnasium versuch( t )en durch sogenannte „Alt“-Verbände , sich auch in Richtung einer Bundelite zu bewegen.
sen Jahren am Beispiel Dr. Anton Böhms , Dr. Theodor Veiters und ihrer katholischen und politischen Netzwerke , phil. Diss. , Wien. 2 Stimmer , Gernot ( 1997 ) : Eliten in Österreich. 1848–1970 , 2 Bände [ Studien zur Politik und Verwaltung ] , Wien , 766 und 823. Da diese Studie kaum Sekundärliteratur nach 1990 erwähnt , dürfte sie höchstwahrscheinlich bereits zu diesem Zeitpunkt weitgehend abgeschlossen worden sein. 3 Hartmann , Michael ( 2004 ) : Eliten in Deutschland. Rekrutierungswege und Karrierepfade. In : Aus Politik und Zeitgeschichte , Heft 10 ( 1. 3. 2004 ), 17–24 ; ders. ( 2002 ) : Der Mythos von Leis tungseliten. Spitzenkarrieren und soziale Herkunft in Wirtschaft , Politik , Justiz und Wissenschaft , Frankfurt / Main ; ders. ( 2007 ) : Eliten und Macht in Europa. Ein internationaler Vergleich , Frankfurt / Main. 4 So haben z. B. alle britischen Premierminister von 1945 bis 1963 – auch Clemens Attlee von der Labour-Party – eine Eliteschule besucht , siehe Hartmann M. ( 2007 ), 33. 5 Hartmann M. ( 2007 ), 127.
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����������������������������������������� ������������������������� : Eliten im „Ständestaat“
Diese Kategorie geht auf Max Weber zurück , der wiederum dabei auf Ferdinand Tönnies aufbaut.6 Von Herman Schmalenbach wurde dieser Begriff dann weiterentwickelt.7 Er wird sowohl von Stimmer8 als auch von der neueren deutschen Eliteforschung für Rekrutierungen aus „Bünden“ verwendet , d. h. fest organisierten und vernetzten sozialen Verbänden mit einer hohen Selbst-Identifikation. Diese sind in der gesellschaftlichen Transformation vor und nach der Napoleonischen Zeit entstanden und generierten vor allem nach 1815 das für den deutschen Sprachraum nicht untypische Vereinswesen , in dessen Rahmen sich auch das für die Eliterekrutierung der neuen politischen Bewegungen des 19. Jahrhunderts wichtige studentische Korporationswesen herausgebildet hat.9 Als neue politische Bewegungen in diesem Zusammenhang sind der Liberalismus im Gefolge von 1848 ( in Österreich dann der deutschnationalen Prägung ) sowie der politische Katholizismus zu verstehen , nicht jedoch die Arbeiterbewegung , wenn man einmal davon absieht , dass sowohl Victor Adler und Engelbert Pernerstorfer wie auch Ferdinand Lasalle und Wilhelm Liebknecht Angehörige einer Burschenschaft bzw. eines Corps waren. Die Besonderheit dieses Korporationswesens , egal welcher Richtung , ist die relativ hohe Binnenintegration und Homogenität , die vor allem durch das Lebensbundprinzip charakterisiert wird.10 Diesem hat das normale Vereinswesen nichts Vergleichbares entgegenzusetzen. Die für den deutschen Sprachraum charakteristischen Bundeliten ersetzen teilweise die Herkunftselite und sind auch eine der Gründe , warum die Anstaltselite nicht eine derartige Bedeutung erlangt hat. Herkunfts- , Anstalts- und Bundelite erklären zwar die Rekrutierung. Aber nicht alle , die aus „gutem Hause“ stammen , die „Stella matutina“ absolviert oder den Burscheneid einer Verbindung abgelegt haben , gehören dann tatsächlich zu einer Elite. Auch gab es – in Österreich wie auch in Deutschland – andere Eliterekrutierungsmechanismen im katholischen Milieu , vor allem vom Ende des 19. Jahrhunderts bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts. Der Dorfpfarrer und / oder der Volksschullehrer erkannten einen begabten Schüler und überredeten die bäuerlichen Eltern , ihren Sohn auf ein bischöfliches Knabenseminar ( Gymnasium ) zu schicken. Signifikante Beispiele dafür waren etwa Franz Kardinal König oder Engelbert Dollfuß ( wobei Letzterer dann vor allem durch eine Bundelite geprägt wurde ), welche auch im Zusammenhang mit dem o. g. Aufstieg von Eliten aus kleinbürgerlicher ( in Österreich vielfach auch kleinagrarischer ) Herkunft stehen. In diesem Zusammenhang ist es anmerkenswert , dass von den insgesamt 22 Bundes-( Staats-)Kanzlern Österreichs von 1918 bis zur Abfassung dieses Beitrags zwölf ( a lso mehr als die Hälfte ) aus sogenannten „kleinen Verhältnissen“ entstammten , drei aus 6 Tönnies , Ferdinand ( 1887 bzw. 1991 Neudruck ) : Gemeinschaft und Gesellschaft , Darmstadt. 7 Schmalenbach , Herman ( 1922 ) : Die soziologische Kategorie des Bundes. In : Die Dioskuren. Jahrbuch für Geisteswissenschaften , München , 35–105. 8 Stimmer ( 1997 ), 42. 9 Grundlegend dazu ist auch die Studie des Tübinger Soziologen Tenbruck , Friedrich H. : Freundschaft. Ein Beitrag zu einer Soziologie der persönlichen Beziehung. In : Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie Jg. 16 ( 1964 ), 431–456. 10 Eine neuere soziologische Untersuchung zu den Studentenverbindungen ist Kurth , Alexandra ( 2004 ) : Männer – Bünde – Rituale. Studentenverbindungen seit 1800 , Frankfurt. Sie geht von einem feministischen bzw. männerbundkritischen Ansatz aus und behandelt kaum die katholischen Verbindungen sowie die österreichischen Besonderheiten.
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II. Das kathol ische Milieu
kleingewerblich-selbstständigem Milieu , vier aus dem Mittelstand , einer aus dem gehobenen Mittelstand und zwei aus dem Großbürgertum. Damit erweist sich Österreich im europäischen Vergleich hinsichtlich der sozialen Herkunft seiner Eliten als „egalitärer“, obwohl nur sieben dieser 22 Sozialdemokraten waren bzw. sind.11 Beim Begriff Funktionselite wird hingegen nicht so sehr gefragt , woher man kommt bzw. wie man in diesen Status gekommen ist , sondern was man ist. Dieser Begriff stammt vom Berliner Soziologen Otto Stammer ( 1900–1978 ).12 Nach Wilhelm Weege werden als Funktionselite „solche Sozialaggregate bestimmt , die in der [ … ] Gesellschaft besonderen Einfluß haben , bestimmte Verantwortungen tragen und spezifische Leis tungs- , Planungs- und Koordinationsfunktionen übernehmen [ … ]. In der konkreten Realität politischer Systeme sind es [ … ] vor allem die Regierungsgremien , die führenden Fraktionsgruppen des Parlaments , die höhere Ministerialbürokratie , die Spitzenpositionen in der Provinzialverwaltung [ … ] und die Sprecher politisch relevanter Verbände , die spezifische Aufgaben von Funktionseliten erfüllen.“13 Demnach sind für unseren Betrachtungsgegenstand , den „Ständestaat“, als Funktionselite primär die Angehörigen von Bundes- und Landesregierungen sowie der Hochbürokratie anzusehen als auch die führenden Funktionäre der Vaterländischen Front und der mit dieser verbunden gewesenen Interessenvertretungen sowie die Mitglieder der quasi-parlamentarischen Körperschaften ( R äte auf Bundesebene , Landtage ). Allerdings berücksichtigt diese Definition nur unzureichend die wirtschaftliche , wissenschaftliche oder kulturelle Elite. Die Entwicklung der Eliterekrutierung im politischen Katholizismus Der politische Katholizismus ist ab 1848 in Österreich und Deutschland in jeweils unterschiedlicher Geschwindigkeit und Ausformung entstanden , jedoch in vielfacher Hinsicht parallel. Eng verbunden ist er mit dem Verbandskatholizismus , der für die jeweiligen Parteien ( Katholische Konservative bzw. Christlichsoziale sowie das Zentrum ) quasi die Mitgliederorganisation und das Scharnier zu den Wählern darstellte. Aus diesen Verbänden rekrutierten sich dann auch die Mandatare und andere politische Funktionsträger. Ein wichtiges Element der Funktionselite allgemein , aber besonders auch im „Ständestaat“ ist aufgrund ihrer Ausbildung fraglos die akademische Elite. Diese besaß genuin der politische Katholizismus anfänglich kaum. Daher waren zuerst sowohl der katholische Adel als Herkunftselite sowie der akademisch gebildete Klerus führende Repräsentanten dieser Bewegung , die dann im Lauf der Zeit in den Hintergrund traten.
11 Dazu Hartmann M. ( 2007 ), 85. Ergänzt durch nähere Klassifizierungen des Verfassers. 12 Stammer , Otto ( 1951 ) : Das Eliteproblem in der Demokratie. In : Schmollers Jahrbuch für Gesetzgebung , Verwaltung und Volkswirtschaft Jg. 71 ( 1951 ), 1. 13 Weege , Wilhelm ( 1992 ) : Politische Klasse , Elite , Establishment , Führungsgruppen. Ein Überblick über die politik- und sozialwissenschaftliche Diskussion. In : Leif , Thomas / Legrand , HansJosef / K lein , Ansgar ( Hg. ) : Die politische Klasse in Deutschland. Eliten auf dem Prüfstand , Bonn , 35–64 : 42.
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����������������������������������������� ������������������������� : Eliten im „Ständestaat“
Zusammenfassend kann man festhalten , dass es in der ersten Phase des politischen Katholizismus im deutschsprachigen Raum drei signifikante Elitegruppen gab , die eine gewisse strukturelle Homogenität aufwiesen – auch wenn sie jeweils von unterschied licher Art war : 1. der Klerus ,14 2. der katholische Adel ( Herkunftselite ),15 3. in der Folge die akademische Elite , herausgebildet in der Hauptsache in und durch katholische Studentenkorporationen ( Bundelite ) und in der Regel keiner der beiden erstgenannten Elitegruppen zugehörig.16 Die Rolle des katholischen Adels Der Adel als Herkunftselite verlor bereits 1907 bei der Einführung des allgemeinen Wahl rechts wesentlich an politischer Bedeutung. So waren nach der Reichsratswahl 1911 lediglich 13 der 516 Mitglieder des Abgeordnetenhauses Adlige. Das waren 2,5 Prozent.17 Mit dem Ende der Monarchie war die politische Bedeutung des Adels praktisch zu Ende. Es überrascht daher nicht , dass von den insgesamt 520 Personen , die dem National- und Bundesrat der Ersten Republik bis 1934 angehörten , nur vier Adlige waren , das sind 0,7 Prozent.18 Der Adel verhielt sich nach 1918 – was nicht wundert – gegenüber Republik und Demokratie kritisch bzw. distanziert und war weitgehend legitimistisch eingestellt. Die größte organisatorische Gruppe innerhalb des Adels war damals die „Vereinigung katholischer Edelleute Österreichs“, deren Präsident in der Transformationsphase 1933 / 34 der ehemalige k. u. k. Generaloberst und frühere Vizepräsident des Herrenhauses , Alois 14 Auch wenn der katholische Klerus nach soziologischen Kriterien streng genommen keine Bund elite darstellt – wenn man einmal von den Besonderheiten der Orden absieht – , so trägt er , zumindest in der Epoche vor dem II. Vatikanum , viele Züge einer solchen. Dazu zählen u. a. seine gelobte Lebensform ( Z ölibat ), die auf den Papst ausgerichtete und mit einem Gehorsamseid abgesicherte hie rarchische Struktur sowie der religionssoziologische Status eines „heiligen Standes“. Er verschwand als politische Elite durch den Beschluss der Österreichischen Bischofskonferenz vom 30. November 1933 über den Rückzug der Priester aus der Politik. Dazu siehe Hartmann , Gerhard ( 1984 ) : Priester und Politik als Thema der kirchlichen Zeitgeschichte. In : Liebmann , Maximilian / Binder , Dieter A. ( Hg. ) : Festgabe des Hauses Styria. Hanns Sassmann zum 60. Geburtstag , Graz , 99–106. 15 Als Adlige werden in diesem Beitrag alle ab dem Freiherrn ( Baron ) aufwärts verstanden. Weitere Differenzierungen , etwa in Dienst- oder Briefadel , haben vor allem in der politischen Einstellung des Adels nach 1918 keine wesentliche Bedeutung mehr. 16 Der CV als Elite findet sich als Forschungsthema u. a. bei Scheiber , Claudia ( 1992 ) : Der ÖCV als Beispiel einer politischen Elite. Unter besonderer Berücksichtigung der Ministerialbürokratie , Dipl.Arb. , Innsbruck. 17 Kollationiert nach Freund , Fritz ( 1911 ) : Das österreichische Abgeordnetenhaus. Ein biographisch-statistisches Handbuch. XII. Legislaturperiode 1911–1917 , Wien. Auffallend dabei ist eine Überproportionalität des polnischen Adels ( G alizien ), so dass für das Gebiet des heutigen Österreich der vergleichbare Prozentsatz noch niedriger war. 18 Kollationiert nach Parlamentsdirektion ( Hg. ) ( 1993 ) : Biographisches Handbuch der Österreichischen Parlamentarier 1918–1993 , Wien.
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Fürst Schönburg-Hartenstein , war. Vom 21. September 1933 bis 10. Juli 1934 war er zuerst Staatssekretär , dann Bundesminister für Landesverteidigung.19 Ideell standen die Legitimisten bzw. der Adel dem politischen Konzept des „Ständestaates“ sehr nahe. Nach dem Programm des „Eisernen Rings“, der überparteilichen Zusammenfassung der legitimistischen Organisationen Österreichs – darunter auch die „Vereinigung katholischer Edelleute“ – , wurde bereits spätestens 1932 gefordert : „Erlassung einer Verfassung , die auf dem Ständeprinzip beruht und die einen autoritären , sozial gerechten Rechtsstaat auf christlich-deutscher Grundlage sichert.“20 Es überrascht daher nicht , dass es im „Ständestaat“ eine gewisse Renaissance der Herkunftselite bzw. des Adels gab.21 Deutlich wird das quantitativ , da von den 213 Mitgliedern der ständestaatlichen Räte auf Bundesebene zehn Adlige waren , das sind 4,6 Prozent , also deutlich mehr als im letzten Abgeordnetenhaus der Monarchie von 1911.22 Es wundert daher nicht , dass Rudolf Graf Hoyos-Sprinzenstein zum Präsidenten des ständestaatlichen Staatsrates bestimmt wurde , womit er gleichzeitig auch die protokollarische Spitzenposition eines Präsidenten des Bundestages bzw. der Bundesversammlung bekleidete. Der Bedeutungszuwachs des Adels im „Ständestaat“ weist zwar eine gewisse Signifikanz auf , darf aber auch nicht überbewertet werden. Für Engelbert Dollfuß und Kurt Schuschnigg war die Unterstützung dieser Gruppe zwar hilfreich , jedoch letztlich nicht entscheidend.23 Die katholisch-akademische Elite Ab 1900 machte sich zunehmend eine eigenständige akademische Elite bemerkbar , die langsam in Führungspositionen der Christlichsozialen Partei hineinkam. Sie rekrutierte sich anfänglich in der Hauptsache aus den Verbindungen des CV24 , später dann in
19 Im Dezember 1933 wurde Schönburg-Hartenstein Ehrenmitglied der CV-Verbindung Danubia , sodass dadurch eine Vernetzung zwischen den beiden wichtigen Elitegruppen des „Ständestaates“ entstand. 20 Zitiert in Arbeitsgemeinschaft österreichischer Vereine ( Hg. ) ( 1932 ) : Gedächtnis-Jahrbuch 1933 , dem Andenken an Karl von Österreich , Kaiser und König , gewidmet. Herbstdoppelnummer 1932 , Wien , 115. Diese Herbstdoppelnummer ist im September 1932 erschienen ( Redaktionsschluss 15. 8. 1932 ). Das zitierte Programm des „Eisernen Rings“ wurde im Jahrbuch 1932 ( noch ) nicht abgedruckt. Möglicherweise stammt es daher aus der Zeitperiode 1931 / 32. 21 Der Adel war relativ stark in der Heinwehrbewegung präsent. 22 Kollationiert nach Enderle-Burcel , Gertrude ( 1991 ) : Christlich – Ständisch – Autoritär. Mandatare im Ständestaat 1934–1938. Biographisches Handbuch der Mitglieder des Staatsrates , Bundeskulturrates , Bundeswirtschaftsrates und Länderrates sowie des Bundestages , Wien. Dieses biografische Lexikon ist eine wichtige Grundlage für die Erforschung der Eliten im „Ständestaat“. 23 Anmerkenswert erscheint in diesem Zusammenhang aber , dass Emanuel Frhr. von Stillfried Kommandant des Anhaltelagers Wöllersdorf war und sich deswegen auch im ersten Österreichertransport nach Dachau befand. Siehe dazu Neugebauer , Wolfgang / S chwarz , Peter ( 2008 ) : Stacheldraht , mit Tod geladen … Der erste Österreichertransport in das KZ Dachau 1938 , Wien , 30. 24 Hartmann , Gerhard ( 2006 ) : Für Gott und Vaterland. Geschichte und Wirken des CV in Österreich , Kevelaer ; ders. ( 2011 a ) : Der CV in Österreich. Seine Entstehung-seine Geschichte-seine Bedeutung [ Schriftenreihe der Bildungsakademie des ÖCV ] , Kevelaer , 4. erg. und überarb. Aufl.
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geringerer Zahl auch aus denen des katholischen Mittelschülerkartellverbands MKV25 und des KV26 sowie auch aus anderen spezifischen Gruppierungen des katholischen Milieus , wie etwa aus den von den Jesuiten geleiteten Marianischen Kongregationen ( Akademia maior ), aber auch aus der bäuerlichen Funktionärselite. Nach dem Ersten Weltkrieg entstanden die monarchistisch orientierten Katholischen Landsmannschaften als Studentenverbindungen , die somit zur o. g. Herkunftselite in Beziehung standen.27 Die katholischen Verbindungen haben zwar mit den anderen Korporationstypen sehr viele äußerliche Gemeinsamkeiten ( etwa die spezifischen Rituale des sogenannten Komments ), sind jedoch diesen inhaltlich-ideologisch völlig entgegengesetzt. Sie haben auch eine gewisse innere Distanz zu diesen Ritualen insofern , weil diese für sie lediglich Mittel zum Zweck waren. Um als katholische Verbindungen im Universitätsbetrieb des 19. Jahrhunderts überhaupt wahrgenommen und damit ihrem „Sendungsauftrag“ gerecht zu werden , mussten sie sich als Korporationen organisieren.28 Da sie auch stark mit der chistlichsozialen Strömung des politischen Katholizismus verbunden waren und sind , gehören sie auch nicht zu jenem Typus des Verbindungsstudenten , wie ihn Heinrich Mann in seinem Roman „Der Untertan“ treffend charakterisierte.29 Ein besonderer Förderer dieses Rekrutierungsprozesses war der als „Generalstabschef “ der Christlichsozialen Partei titulierte Albert Geßmann , der dann 1908 für einige Zeit auch k. k. Minister war.30 Insbesondere wirkte sich dieser Prozess auf vielfältige Weise in der autonomen Landesverwaltung Niederösterreichs und in der Gemeindeverwaltung Wiens aus , wo die Christlichsozialen vor 1918 stark dominierten. Diese Entwicklung setzte sich nach 1918 bzw. 1920 fort , als sie im Bund und in sieben der neun Bundesländer die führende Rolle einnahmen. Nun muss man noch Folgendes berücksichtigen : Der CV verstand sich nicht nur als einer der zahlreichen katholischen Standesvereine im Vorfeld oder als Organisationsbasis der Christlichsozialen , also neben den Bauern , christlichen Arbeitern , Gesellen , Beamten , Lehrern etc. , sondern in dieser seiner Elitefunktion als intermediäre Struktur bzw. Bindeglied. Ein signifikantes , relativ frühes Beispiel dafür war u. a. die freundschaftliche Versöhnung zwischen den Exponenten der damals rivalisierenden 25 Obermüller , Heinrich ( 2000 und 2003 ) : Aufbruch und Untergang. Katholische Verbindungen an mittleren und höheren Schulen in Österreich und den Nachfolgestaaten der Monarchie. Von 1918 bis 1945 , zwei Teile [ Tradition und Zukunft. Beiträge zur Geschichte und Gegenwart des höheren Bildungswesens , unter besonderer Berücksichtigung der studentischen Vereinigungen ] , Wien. 26 Binder , Dieter A. ( 1989 ) : Politischer Katholizismus und Katholisches Verbandswesen. Am Beispiel des Kartellverbandes der Katholischen nichtfarbentragenden Studentenverbindungen Österreichs ( ÖKV ) [ Revocatio historiae ] , Schernfeld. 27 Dazu siehe Plaschko , Karl / Wirth , Gottfried ( 1978 ) : Beiträge zur Geschichte des Bundes der katholisch-österreichischen Landsmannschaften und seiner Korporationen bis 1938. In : Österreichischer Verein für Studentengeschichte ( Hg. ) : Die Vorträge der Dritten Österreichischen Studentenhis torikertagung Wien 1978 [ Beiträge zur Österreichischen Studentengeschichte ] , Wien , 47–70. 28 Siehe dazu Hartmann G. ( 2006 ), 26 und 51. Auf diesen Umstand geht z. B. Kurth ( 2004 ) gar nicht ein. 29 Und wie er mit recht von Kurth ( 2004 ) auch kritisch beurteilt wird. 30 Dazu siehe Boyer , John W. ( 2010 ) : Karl Lueger ( 1844–1910 ). Christlichsoziale Politik als Beruf. Eine Biographie [ Studien zu Politik und Verwaltung ] , Wien , 298 und 323.
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und noch nicht vereinigten Christlichsozialen und Katholisch-Konservativen , Karl Lueger und Alfred Ebenhoch , auf einem CV-Kommers anlässlich eines Katholikentags im November 1894.31 Dieser Prozess , nämlich das langsame Hineinrücken oder „Hineinsickern“ der katholisch-akademischen Elite in jene Funktionselite , die von den Christlichsozialen gestellt wurde , setzte sich in der Ersten Republik fort. Dabei ist Folgendes zu beachten : In Österreich herrschte bis weit nach 1945 ein josefinisch geprägtes Beamtenethos , das – bedingt durch die Tatsache eines katholischen Landes – auch auf den Römerbrief 13,1 f. ( „Jedermann sei der obrigkeitlichen Gewalt untertan“ ) rekurrierte. Das heißt , der Beamte war in Österreich gegenüber der jeweiligen Regierung grundsätzlich loyal. Insofern kam man 1918 nicht im Mindesten auf die Idee , im Beamtenapparat Auswechslungen vorzunehmen. Ebenso hielt sich das 1933 / 34 vergleichsweise in Grenzen. Im Gegensatz dazu standen dann die diesbezüglichen Brüche 1938 und wiederum 1945. Aus diesem Grund konnte auch eine gezielte Ämterpatronage nur bei einem natürlichen Personalabgang vorgenommen werden. Durch die restriktive Budgetpolitik in den Jahren bis 1938 , bedingt durch die Wirtschaftskrisen , war auch die Schaffung neuer akademischer Positionen nur in sehr bescheidenem Umfang möglich. Auch muss man noch bedenken , dass die Studentenzahlen in Österreich bis in das Studienjahr 1958 / 59 hinein nicht bzw. kaum über 20.000 reichten. Sie lagen z. B. 1936 / 37 bei 18.28832 und 1958 / 59 noch bei 20.242 ; erst in den Sechzigerjahren begannen diese sich steil nach oben zu entwickeln. Dementsprechend sah daher in der Epoche des „Ständestaates“ die Akademikerquote , gemessen an der Bevölkerungszahl , aus. Studenten und Akademiker waren damals bzw. bis zu Beginn des letzten Drittels des 20. Jahrhunderts hinein eo ipso , d. h. quantitativ , eine Elite. Bei Studentenzahlen zu Beginn des zweiten Jahrzehnts des 21. Jahrhunderts , die in Österreich bereits 300.000 überschritten haben , und daraus resultierend auch bei einer wesentlich höheren Akademikerquote stellt sich der Elitestatus für diese Gruppen anders dar. Die Tatsache , dass bis 1933 / 34 in den Führungspositionen der Christlichsozialen Partei sowie in der Hochbürokratie ein eigenständiges ( k atholisches ) akademisches Elitepotenzial herangewachsen ist , war also das Ergebnis eines fast 40-jährigen Prozesses. Für die Umbruchsjahre 1933 / 34 kann man nun durchaus feststellen , dass trotz verschiedener Abstriche und Ausnahmen , die wieder anderwärts ausgeglichen wurden , die bisherigen Eliten des politischen Katholizismus im Großen und Ganzen auch das neue Sys tem getragen haben.33 Ein klassischer Vertreter der personellen Kontinuität zwischen politischem Katholizismus und „Ständestaat“ war z. B. Richard Schmitz. Er saß als Direktor des Katho31 Funder , Friedrich ( 1933 ) : Das weiß-blau-goldene Band. „Norica“: Fünfzig Jahre Wiener katholischen Studententums , Innsbruck , 65 ; Hartmann G. ( 2006 ), 100. 32 In den Jahren davor lagen sie über 20.000 , aber durch die sogenannte „1000-Mark-Sperre“ fielen die reichsdeutschen Studenten weg. 33 Siehe dazu Hartmann G. ( 2006 ), 385 , sowie auch Hanisch , Ernst ( 1988 ) : Der Politische Katholizismus als ideologischer Träger des „Austrofaschismus“. In : Tálos , Emmerich / Neugebauer , Wolfgang ( Hg. ) : „Austrofaschismus“. Beiträge über Politik , Ökonomie und Kultur 1934–1938 , 4. erw. Aufl. , Wien , 53–73.
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lischen Volksbundes seit 1911 an einer organisatorischen Schaltstelle der katholischen Bewegung , war nach 1920 mit Unterbrechungen mehrmals Minister sowie kurz Vizekanzler und wurde 1934 auf den wichtigen Posten eines Wiener Bürgermeisters gesetzt.34 Oder Friedrich Funder : Er war schon ab 1902 Chefredakteur der „Reichspost“, des inoffiziellen Organs der Christlichsozialen , und in dieser Funktion zweifelsohne sehr einflussreich. Er blieb das auch nach 1933 / 34 und wurde Mitglied des Staatsrates.35 Beide waren übrigens Angehörige der CV-Verbindung Norica. Signifikante Beispiele zur akademischen Elite im „Ständestaat“ Schlaglichtartig werden einige signifikante Beispiele der akademischen Elite im Ständestaat angeführt. Eine elitäre Funktion , die nicht einer formellen Funktionselite zuzuordnen ist , besaß zweifelsohne Johannes Hollnsteiner , ein Angehöriger des Chorherrenstiftes von St. Florian. Er habilitierte sich zuerst für Kirchengeschichte , wurde aber mangels Alternativen , nicht zuletzt auf Fürsprache Kurt Schuschniggs , in Wien Professor für Kirchenrecht. Aufgrund seines Lebenslaufs mit Brüchen geriet er nach 1945 völlig in Vergessenheit , wurde aber von Friedrich Heer nach 1945 als „Chefideologe des Ständestaates“ und auch als Beichtvater Schuschniggs bezeichnet. Hollnsteiner war eine schillernde Figur , stand in einem besonderen Vertrauensverhältnis zu Schuschnigg und verkehrte im Salon der femme fatale Alma Mahler-Werfel , wo sich die Crème de la Crème des „Ständestaates“ traf. Der Einfluss Hollnsteiners ist nicht zu unterschätzen. Zum einen war er einer der Erfinder und Propagandisten der spezifisch österreichischen Idee bzw. Sendung als Antithese zum Nationalsozialismus , die quasi zu einer Staatsideologie des „Ständestaates“ wurde. Zum anderen wurde er von Schuschnigg für Hintergrundaufgaben eingesetzt. So war er z. B. 1936 maßgeblich an der Entfernung Felix Weingartners als Staatsoperndirektor beteiligt ( dessen Nachfolger war Bruno Walter ). Im Auftrag Schuschniggs traf er sich 1936 auch mit Thomas Mann , um ihm die österreichische Staatsbürgerschaft bzw. das Exil in Österreich anzubieten. Hollnsteiner war Mitglied der CV-Verbindung Norica , als Student ein halbes Jahr lang stv. Vorsitzender der Deutschen Studentenschaft ( DSt ) der Universität Wien ( etwa vergleichbar mit der heutigen Universitätsvertretung ). 1937 / 38 war er Dekan der Wiener Theologischen Fakultät , wurde im Zuge des Anschlusses verhaftet und war dann ein Jahr in Dachau. Der dortige KZ-Aufenthalt war für ihn eine schwere psychische Belas tung , sodass er 1941 aus dem Orden und dem Priesterstand austrat und danach eine Opernsängerin aus der deutschen Verlegerfamilie Schöningh heiratete. Nach dem Krieg umgab ihn nicht zuletzt auch deswegen eine damnatio memoriae.36 34 Hartmann , Gerhard ( 2011 b ) : Richard Schmitz : Der Beginn einer Karriere im Politischen Katholizismus Österreichs. In : Wohnout , Helmut ( Hg. ) : Demokratie und Geschichte. Jahrbuch des Karlvon-Vogelsang-Instituts zur Erforschung der Geschichte der christlichen Demokratie in Österreich , Jahrgang 13 / 1 4 ( 2009 /2010 ), Wien , 71–90. 35 Zu Funder siehe Pfarrhofer , Hedwig ( 1978 ) : Friedrich Funder. Ein Mann zwischen Gestern und Morgen , Graz. 36 Zu Hollnsteiner ausführlich Buchmayr , Friedrich ( 2003 ) : Der Priester in Almas Salon. Johannes Hollnsteiners Weg von der Elite des Ständestaates zum NS-Bibliothekar , Weitra.
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Bei der Suche nach weiteren Konnexen zwischen Ständestaat und der katholisch-akademischen Elite , besonders dem CV , die in dieser Form noch kaum beachtet wurden , ist vornehmlich das Schul- und Universitätswesen zu berücksichtigen. In autoritär-diktatorischen Systemen ist die Kontrolle darüber von eminenter Bedeutung. In der Zeit von 1934 bis 1938 war Hans Pernter , ebenfalls Angehöriger der Norica , zuerst Staatssekretär ( Schuschnigg war nominell Minister ) und dann ab 1936 als Minister Leiter des Unterrichtsressorts. Sieht man sich die zweite Ebene an , so stellt man fest , dass zwei Spitzenfunktionäre des CV Vizepräsidenten eines Landesschulrates waren , nämlich der vormalige Unterrichtsminister und letzte Obmann ( „Liquidator“ ) der Christlichsozialen Emmerich Czermak37 in Niederösterreich sowie der letzte Obmann der Wiener Christlichsozialen ( 1932 in Nachfolge von Leopold Kunschak ) Robert Krasser38 in Wien. Es gab damals noch keine geschäftsführenden Präsidenten des Landesschulrates in diesen Ländern , sondern nur den Landeshauptmann als Präsidenten und einen Vizepräsidenten , der aber ab 1934 quasi geschäftsführend war. Emmerich Czermak und Robert Krasser unterstanden in personeller wie aufsichtsmäßiger Hinsicht rd. 60 Prozent aller damaligen Gymnasien bzw. Allgemeinbildenden Höheren Schulen Österreichs nach heutigem Verständnis. Auch die Studenten als künftige Elite sind für ein autoritäres Regime von Wichtigkeit. Sachwalter der Österreichischen Hochschülerschaft von 1935 bis 1937 war der spätere Unterrichtsminister Heinrich Drimmel. Er war aber auch gleichzeitig der zuständige Referent für die Hochschulpolitik im CV sowie für ein halbes Jahr auch der Vorsitzende des studentischen Teils des CV ( Vorortspräsident ).39 Bei der Vaterländischen Front ( V F ) war es bemerkenswert , dass im sogenannten Präsidium , dem sieben Personen angehörten , fünf davon CVer waren , darunter auch der Sekretär des CV. Von den neun Landesleitern der VF waren fünf CVer.40 Bei den führenden Mitarbeitern ( Abteilungsleiter , Referenten ) der VF-Zentrale waren mit Stand Anfang 1938 17 von 37 Personen CVer ( 46 Prozent ), darunter der spätere Vizekanzler Fritz Bock als Leiter der Abteilung für allgemeine Werbeangelegenheiten. Offenbar in Anlehnung an den „Großen faschistischen Rat“ in Italien wurde ein Bundesführerrat der VF eingerichtet. Mit Stand Februar 1938 war ein Viertel dieses Gremiums CVer.41 37 Emmerich Czermak war Angehöriger der Wiener CV-Verbindung Nordgau und 1933 Obmann des Österreichischen Altherrenbundes des CV. Zu ihm siehe Hartmann G. ( 2011 a ), 241. 38 Robert Krasser war Angehöriger der Norica sowie vor und nach dem Zweiten Weltkrieg Vorsitzender der Verbandsführung sowie Obmann des Altherrenbundes des CV. Zu ihm siehe Hartmann G. ( 2011 a ), 277. 39 Hartmann , Gerhard ( 2005 ) : Der gar nicht unpolitische Heinrich Drimmel , bevor er Politiker wurde. In : Wohnout , Helmut ( Hg. ) : Demokratie und Geschichte. Jb. des Karl-von-Vogelsang-Instituts zur Erforschung der Geschichte der christlichen Demokratie in Österreich , Jg. 9 / 10 ( 2005 / 06 ), Wien , 79–96. 40 Nach Österreichischer Amts-Kalender für das Jahr 1935 , 14 Jg. ( 1935 ) ; 70. Jg. des Niederösterreichischen Amts-Kalenders ; 58. Jg. des Hof- und Staatshandbuches. Zusammengestellt mit Benützung amtlicher Quellen , Wien , 110. Der Sekretär des CV war Theodor Lissy. Die fünf Landesleiter , die dem CV angehörten , waren : Hans Sylvester ( Burgenland ), Engelbert Dworak ( Niederösterreich ), Heinrich Gleißner ( Oberösterreich ), Alfons Gorbach ( Steiermark ) und Ernst Fischer ( Tirol ). 41 Nach Kriechbaumer , Robert ( 2005 ) : Österreich ! und Front Heil ! Aus den Akten des Generalsekretariats der Vaterländischen Front. Innenansichten eines Regimes [ S chriftenreihe des Forschungsinstituts für Historische Studien der Dr.-Wilfried-Haslauer-Bibliothek ] , Wien , 107 und 110.
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Deutlich wird die Dominanz der im CV organisierten katholisch-akademischen Elite bei der personellen Analyse der Bundesregierung. Ihr gehörten zwischen dem 1. Mai 1934 und dem 11. März 1938 ( Regierungen Dollfuß II bis Schuschnigg IV ) 33 Personen an ( Bundeskanzler , Vizekanzler , Bundesminister ). Von diesen waren 14 CVer , das sind 42,4 Prozent. Wenn man allerdings jene neun Minister richtigerweise unberücksichtigt lässt , die von der Heimwehr bzw. dem Landbund nominiert wurden oder dem national( sozialistisch )en Lager nahestanden , dann sind 24 Regierungsmitglieder Ausgangspunkt der Berechnungsbasis , sodass der CV-Anteil dann bei 58,3 Prozent lag. Das mag im ersten Augenblick hoch erscheinen , aber von 1920 bis 1933 betrug der CV-Anteil an den von den Christlichsozialen gestellten Regierungsmitgliedern 55,6 Prozent , von 1945 bis 1970 war der betreffende Anteil an den ÖVP-Ministern 52,5 Prozent. Trotz der Transformationen der Jahre 1933 / 34 , 1938 und 1945 herrschte also diesbezüglich eine ziemliche Kontinuität.42 Ähnlich sah es in den Ländern aus. Nimmt man die Mitglieder des Länderrates ( L andeshauptleute und Finanzlandesräte ), die wohl die Spitzen der Landesverwaltung bildeten , zum Maßstab , so waren Anfang 1938 von diesen 18 Mitgliedern 14 Angehörige des CV ( 7 7,8 Prozent ). Wichtige Schaltstellen in einem diktatorischen System sind auch die Leitung des bzw. die Aufsicht über das Personalwesen sowie vor allem die Staatspolizei. Im „Ständestaat“ gab es im Bundeskanzleramt den Bundeskommissär für Personalangelegenheiten im Rang eines Sektionschefs. Das staatspolizeiliche Büro der Generaldirektion für Öffentliche Sicherheit unterstand damals ebenfalls dem Bundeskanzleramt. Nach dem Stand des Amtskalenders 1935 umfassten die Personalsektion sowie das staatspolizeiliche Büro zusammen 22 Beamte der Verwendungsgruppe A ( A kademiker ).43 Davon gehörten mindestens neun der katholisch-akademischen Elite ( CV , KV ) an , darunter auch der Bundeskommissar ( Sektionschef ) Josef Arbogast Fleisch. Das sind 40 Prozent. Auffallend dabei ist auch , dass diese neun – abgesehen vom Sektionschef – meist zu den rangmäßig jüngeren Beamten gehörten , was das vorhin genannte langsame Hineinrücken bestätigt. Von diesen neun wurden nach 1945 mindestens drei Sektionschefs. Einer von der Staatspolizei ( Maximilian Pammer ) gehörte 1938 dem ersten Transport nach Dachau an , auf einen anderen ( Johann Thanhofer ) wurde 1935 ein Sprengstoffattentat verübt , so dass ihm ein Bein amputiert werden musste.44 Ein weiterer war Funktionär im CV. Einer war auch Adliger , gehörte also auch der Herkunftselite an. Die nicht-akademische katholische Elite Als Systemerhalter des „Ständestaates“ war zwar die katholisch-akademische Elite wohl das wichtigste Element , jedoch aufgrund der erwähnten begrenzten Quantität nicht ausreichend. Als nichtakademische Elite waren sicherlich die bäuerlichen Standesfunktionäre wichtig , sofern sie nicht dem nationalen Lager ( z . B. Landbund ) angehörten. Für den politischen Katholizismus vor 1933 / 34 war das bäuerliche Element von wesentlicher 42 Hartmann G. ( 2006 ), 687. 43 Österreichischer Amts-Kalender für das Jahr 1935 , 38 und 40. 44 Botz , Gerhard ( 1983 ) : Gewalt in der Politik. Attentate , Zusammenstöße , Putschversuche , Unruhen in Österreich 1918 bis 1934 , München , 2. Aufl. , 375.
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Bedeutung. Beispielhaft sei die wohl signifikanteste Persönlichkeit dieses Bereiches genannt : der aus dem Tullnerfeld stammende Josef Reither. Er hatte sowohl vor 1933 / 34 , dann im „Ständestaat“, als dann auch nach 1945 hohe politische Ämter inne ( L andeshauptmann von Niederösterreich , Bundesminister ). Ebenfalls aus dem Tullnerfeld stammte Leopold Figl , der bereits im „Ständestaat“ die wichtige Funktion eines Reichsbauernbunddirektors bekleidete und als Angehöriger der CV-Verbindung Norica ein Bindeglied zwischen der katholisch-akademischen und bäuerlichen Elite darstellte. Die katholisch orientierte Bauernschaft war sicher eine der wichtigsten Stützen des „Ständestaates“, auch wenn dann im weiteren Verlauf bis 1938 Erosionen in Richtung Nationalsozialismus nicht in Abrede gestellt werden können. Ihre Bedeutung wird auch dadurch manifest , dass damals fast an die 40 Prozent der berufstätigen Bevölkerung Österreichs in der Landwirtschaft tätig war.45 Dieser aus heutiger Sicht hohe Anteil – gegenwärtig sind es nur mehr fünf Prozent – kann mit Vorbehalt ein Ansatzpunkt für den Rückhalt des „Ständestaates“ in der Bevölkerung sein.46 Nicht unwesentlich als Stütze des „Ständestaates“ waren die sich auch mittelständisch-urban rekrutierenden zahlreichen katholischen Verbände und deren Spitzenfunktionäre. Nach einer Untersuchung hat es in den Jahren 1932 / 34 in Österreich 219 katholische Vereinigungen der verschiedensten Art gegeben.47 Darunter befanden sich viele Dachorganisationen oder große Verbände mit entsprechenden regionalen Unterverbänden , die durchaus oft autonom agierten. Der größte Verband war der „Volksbund der Katholiken Österreichs“, der mehr als 100.000 MitgliederN aufwies ( a ls Einzel- und Familienmitglieder ). Der bereits erwähnte Richard Schmitz war dort eine Schlüsselfigur. Zweifelsohne war der Volksbund ein wichtiges Element des Politischen Katholizismus.48 Im Bereich Jugend ist beispielhaft der „Reichsbund der katholischen deutschen Jugend Österreich“49 mit über 50.000 Mitglieder zu nennen und bei den Frauen die „Katholische Reichs-Frauenorganisation“, die als Dachverband etwa 250.000 Mitglieder repräsentierte. Nicht unwichtig war die 1930 gegründete „Katholische Akademikerschaft Österreichs“, die nichtkorporierte Akademiker anzusprechen versuchte , obwohl deren Führung vom CV dominiert wurde. Erster Vorsitzender bis 1934 war der KatholischNationale , später Bundesminister und dann deutscher Wehrmachts-General , Edmund 45 Die Welt in Maß und Zahl. Geographie ( 1932 ). Wirtschaft , Staats- und Kirchenkunde aller Erdteile und Länder. Statistische Beilage zu Herders Welt- und Wirtschaftsatlas , Freiburg / Br. , 33. Im Deutschen Reich lag zum Vergleich dieser Anteil damals knapp über 30 Prozent. 46 Von diesen 40 Prozent war mehr als die Hälfte selbstständig ( vor allem Bauern ). Obwohl es keine weiteren objektiven Erkenntnisse gibt , könnte man durchaus zu der Einschätzung gelangen , dass wiederum von diesen etwa die Hälfte bis zum Schluss hinter dem „Ständestaat“ stand. 47 Klostermann , Ferdinand ( 1967 ) : Das organisierte Apostolat der Laien und die Katholische Aktion. In : Klostermann , Ferdinand / K riegl , Hans / Mauer , Otto / Weinzierl , Erika ( Hg. ) : Kirche in Österreich. 1918–1965 , 2. Bd. , Wien , 68–137 :102. Klostermann übernimmt dabei teilweise die Daten von Hudal , Alois ( 1931 ) : Der Katholizismus in Österreich. Sein Wirken , Kämpfen und Hoffen. In : ders. ( Hg. ) : Der Katholizismus in Österreich. Sein Wirken , Kämpfen und Hoffen , Innsbruck , 11–26. 48 Einen Überblick über den Volksbund findet man in Hartmann , Gerhard ( 2011 b ), 81. 49 Über den Reichsbund die nach wie vor wichtigste Studie Schultes , Gerhard ( 1967 ) : Der Reichsbund der katholischen deutschen Jugend Österreichs. Entstehung und Geschichte [ Veröffentlichungen des Kirchenhistorischen Instituts der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien ] , Wien.
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Glaise-Horstenau , ab 1934 war es Ferdinand Graf Degenfeld-Schönburg , Professor für Nationalökonomie an der Wiener Universität , ab 1936 der bereits erwähnte Johannes Hollnsteiner.50 In diesem Zusammenhang ist auch die bündisch-katholische Jugendbewegung Neuland zu erwähnen. Sie war zwar zahlenmäßig nicht sehr groß , hatte jedoch wirkungsgeschichtliche Bedeutung. Zum einen beeinflusste sie ideenmäßig stark die Katholische Aktion nach 1945 , zum anderen wurde sie aufgrund des bei ihr herrschenden charismatischen Führergedankens u. Ä. stark für den Nationalsozialismus anfällig. Als Beispiel sei nur die führende Persönlichkeit Neulands vor 1938 , Anton Böhm , genannt , der illegaler Nationalsozialist war.51 Aufgrund der eingangs erwähnten Kriterien können die führenden Persönlichkeiten von Neuland , sofern sie Nationalsozialisten waren , nur sehr bedingt zur Elite des „Ständestaates“ zählen , weil sie ihn letztlich zu transzendieren versuchten. Einen Sonderfall stellt die Katholische Aktion ( K A ) dar. Diese wurde 1927 vorerst noch als „Arbeitsprinzip“ ( L aienapostolat in Unterordnung unter die Bischöfe ) aufbauend auf den bestehenden Vereinen eingeführt , doch wurden ab 1933 eigene Strukturen neben den Verbänden , die man teilweise zu unterdrücken versuchte , errichtet. Da – so die Meinung – mit den Ereignissen der Jahre 1933 / 34 der Parteienstaat zu Ende war , benötigte man für die Auseinandersetzungen mit dem weltanschaulichen Gegner auch nicht mehr den organisierten politischen Katholizismus mit seiner Verbändestruktur , denn dieser habe sich quasi in den neuen „Ständestaat“ transformiert. Die Funktionäre der neuen KA waren daher auch nicht unerheblich dieselben wie im Verbandskatholizismus.52 Für den „Ständestaat“, der sich als christlicher verstand , war es nur recht , wenn seitens der Kirche eine systemkonforme Struktur mit einer identischen Grundrichtung aufgebaut wurde. Insofern war die KA vor 1938 natürlich auch politisch. Nicht zuletzt entsprach das Strukturmodell der KA mit ihrem „Führerprinzip“ eher dem „Ständestaat“ als die nach wie vor demokratisch organisierten Vereine.53 Abschließende Bewertung Für den „Ständestaat“ als solchen war die systemtragende Elite wichtig. Diese deckte sich natürlich weitgehend mit der Funktionselite , hat jedoch eine andere Qualität. Man wird aufgrund der bisherigen Analyse nicht allzu sehr fehlgehen , wenn man den überwiegenden Teil dieser systemtragenden Elite in der obersten Schicht des katholischen Milieus ansiedelt. Für diese war die Transformation der demokratischen Republik bzw. der Christlichsozialen Partei zum ( christlichen ) „Ständestaat“ bzw. zur Vaterländischen 50 In der Abfolge der Vorsitzenden kann man auch erkennen , wie anfänglich das katholisch-nationale Element eine gewisse Bedeutung hatte , danach waren es solche aus dem Bereich der Herkunftsund Bund-Elite , die den „Ständestaat“ unterstützten. 51 Dazu siehe Behal ( 2009 ). 52 So wurde z. B. bei der Installierung der neuen KA-Funktionäre für die Diözese Wien am 27. 2. 1934 Friedrich Funder Leiter der Hauptstelle Männer. Siehe Pfarrhofer ( 1978 ), 155. 53 Dazu ausführlich Liebmann , Maximilian ( 1990 ) : Katholische Aktion und Ständestaat. In : Kaluza , Walter / Köck , Heribert Franz / K lecatsky , Hans R. / Paarhammer , Johannes ( Hg. ) : Pax et Iustitia. Festschrift für Alfred Kostelecky zum 70. Geburtstag , Berlin , 601–622 ; ders. ( 2009 ) : „Heil Hitler“ – Pastoral bedingt. Vom Politischen Katholizismus zum Pastoralkatholizismus , Wien.
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Front kein nennenswerter Bruch. Sie lag vielleicht sogar im Trend der Zeit mit einer weitverbreiteten Distanz zum Parlamentarismus und auch mit besonderen innerkirchlichen Entwicklungen , etwa dem Auftreten der vorhin erwähnten Katholischen Aktion ( K A ). Mit der Selbstverständlichkeit , mit der sich diese oberste Schicht des katholischen Milieus mit der Christlichsozialen Partei identifizierte , tat sie das daher weitgehend auch mit dem „Ständestaat“. Die Ereignisse des Februars sowie vor allem dann des Juli 1934 verstärkten dies. Natürlich gab es keine Uniformität oder sklavischen Gleichklang. Das sieht man auch in manchen Brüchen des Jahres 1934 im politischen Personal. Als Beispiel seien nur die oberösterreichischen Politiker Josef Schlegel und Josef Aigner genannt , die 1934 ins politische Abseits gedrängt wurden.54 Die besondere Affinität der Angehörigen des CV , MKV , KV u. Ä. zum „Ständestaat“ und dessen Führungspersonal , insbesondere zu Engelbert Dollfuß , lag auch und vor allem in der Konfrontation mit dem Nationalsozialismus bzw. mit dem nationalsozialistischen Deutschland begründet. Die Attentatsserie der Nazis im späten Frühjahr 1933 in Österreich und die Aktionen des bereits gleichgeschalteten deutschen CV vor allem gegen Dollfuß55 erzeugten im engeren katholischen Milieu einen enormen Solidaritätsschub für ihn und in der Folge für das neue „System“. Verbunden war das mit einer Selbstreinigung , d. h. einer Ausschlussaktion gegen illegale Nazis im CV und in anderen katholischen Verbänden. Der Dollfuß-Biograf Gordon ( Brook-)Sheperd schreibt : „Für ihn [ gemeint Dollfuß , Anm. d. Verf. ] war der CV nicht nur eine Quelle der persönlichen Beruhigung und der geistigen Stärkung , er war für ihn auch eine Art Prätorianergarde.“56 Die Gegnerschaft zum Nationalsozialismus führte dann dazu , dass im Zuge des Anschlusses im März 1938 eine nicht unerhebliche Zahl von Angehörigen dieser systemtragenden Elite verhaftet , von ihrem Posten vertrieben , ins KZ gesteckt u. Ä. wurde.57 Das hatte aber wiederum zur Folge , dass von dieser Seite her nach 1945 eine NS-unbelastete Funktionselite für den Wiederaufbau Österreichs zur Verfügung stand. Die zahlenmäßig nicht unbedeutende akademische Elite , die sich aus den schlagenden Verbindungen rekrutierte , war hingegen in der Regel NS-belastet. Die in der Sozialdemokratie dominante jüdisch-akademische Elite war kaum mehr vorhanden. Auch wenn die Elite der Jahre 1933 / 34 bis 1938 in ein autoritäres Regime involviert war , wurde dieser Umstand durch die strikte NS-Gegnerschaft bzw. die daraus resultierenden Verfolgungen „de facto [ … ] getilgt“58. Desiderate für den Bereich Eliten im „Ständestaat“ sind einmal die Weiterführung und Intensivierung der Zuordnung der Angehörigen seiner Funktionselite , insbesondere der akademischen Elite , zu den genannten homogen strukturierten Gruppen , vor 54 Schlegel war Mitglied der CV-Verbindung Norica , Aigner Mitglied der Carolina , Graz. 55 Dazu siehe Hartmann G. ( 2006 ), 362. Dollfuß wurde seitens der gleichgeschalteten CV-Führung in München aus dem CV ausgeschlossen. 56 Sheperd , Gordon ( 1961 ) : Engelbert Dollfuß , Graz , 116. 57 Dazu siehe Fritz , Herbert / Handl , Reinhart / K rause , Peter / Taus , Gerhard ( 1988 ) : Farbe tragen , Farbe bekennen. 1938–1945. Katholisch Korporierte in Widerstand und Verfolgung , Wien. Nach ergänzenden Untersuchungen dürfte der Anteil im CV , der eine „negative Erfahrung“ mit dem NaziRegime gemacht hat – von der beruflichen Schikane angefangen bis zur Hinrichtung – bei bis zu 50 Prozent gelegen haben. Siehe dazu Hartmann G. ( 2011 a ), 102. 58 Rathkolb , Oliver ( 2005 ) : Die paradoxe Republik. Österreich 1945 bis 2005 , Wien , 402.
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allem den Korporationsverbänden ( CV ), aber auch dem Adel ( Bund- und Herkunftseliten ). In diesem Zusammenhang ist es vor allem wichtig , dem bei der nichtakademischen katholischen Elite nachzugehen. Denn hier bestehen die größten Lücken. Weiter sind dann diese hinsichtlich der Transformationsepochen ( 1933 / 34 , 1938 und 1945 ) bezüglich Kontinuitäten zu beobachten. Ebenso wichtig ist , der Frage nachzugehen , inwieweit diese Elitegruppen als Organisation sowohl inhaltlich wie personell auf die Politik bzw. die politische Führung des „Ständestaates“ Einfluss genommen haben.59
59 Diesen Fragen wurde bereits in Hartmann G. ( 2006 ) vor allem auf den Seiten 385 bis 419 nachgegangen , sie konnten allerdings nur ansatzweise behandelt werden.
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II. Das kathol ische Milieu
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Gerhard Senft
Neues vom „Ständestaat“ ? Anmerkungen zur Wirtschaftspolitik im Austrofaschismus Als Gegenstand der wissenschaftlichen Erforschung erweist sich die Wirtschaftspolitik des „Ständestaates“ – so die Selbstbezeichnung des in Österreich von 1934 bis 1938 herrschenden autoritären Regimes – in vielen Bereichen als gut erschlossen. Die mittlerweile vorliegenden Studien liefern ein relativ umfassendes Bild der durch Kapitalmangel und wirtschaftliche Stagnation gekennzeichneten ökonomischen Situation Österreichs in der Zwischenkriegszeit. Mit den bereits in den in den 1920er-Jahren grundangelegten Sanierungserfordernissen des Bankensektors , mit dem Hereinbrechen der Weltwirtschaftskrise Mitte des Jahres 1930 wurde der Restriktionskurs in den Bereichen der Haushaltsführung und der Geld- und Währungspolitik verschärft. Als Reaktion auf die damit verbundenen sozialen Krisenerscheinungen setzte Bundeskanzler Engelbert Dollfuß 1933 / 34 auf die Installierung eines diktatorischen Systems. Nach der Ausschaltung des Parlaments und einem dramatisch verlaufenden Bürgerkrieg kam es in Österreich zu einer verfassungspolitischen Neuordnung im Sinne eines Ständesystems. Doch der Kurs einer falsch verstandenen „Befriedung“ scheiterte bereits an inneren Widersprüchen. Besonders die einseitige Ausrichtung des austrofaschistischen Regimes an finanzpolitischen Erfordernissen und die gewählte Anleihepraxis verschlossen alle Möglichkeiten einer erfolgreichen Krisenbewältigung. Im Rahmen der vorliegenden Darstellung erscheint es sinnvoll , mit einem Überblick über die Literaturzur Wirtschaftspolitik des Ständestaates zu beginnen. Anschließend soll das Wesen der ständestaatlichen Wirtschaftspolitik in seinen Eckpunkten skizziert werden , um zuletzt noch offene Forschungsfelder in diesem Bereich zu umreißen. I. Anmerkungen zum Forschungsstand Mit der autoritären Machtübernahme 1933 , mit der Verkündung einer ständischen Verfassung im Mai 1934 , ging die Ausgestaltung ganz bestimmter wirtschaftspolitischer Muster einher. Als wesentliche Kennzeichen der Wirtschaftspolitik des Austrofaschismus lassen sich anführen :
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III. Wirtschafts- und Interessenpolitik
• restriktive Maßnahmen zur Sanierung des Staatshaushaltes , • restriktive Maßnahmen zur Sicherung des Währungssystems , • Übergang zu einem verstärkten protektionistischen Kurs im Außenhandel. • Insgesamt prozyklische Anpassung an die Krisenerscheinungen , gekoppelt mit massiven Einschränkungen im Bereich der Sozialpolitik und kontraktiven Folgewirkungen in der Realwirtschaft. Im Jahr 1938 unterlag der Ständestaat seinem faschistischen Konkurrenten. Die Machtübernahme des NS-Regimes in Österreich beendete die Ära Dollfuß-Schuschnigg. Nur kurze Zeit später , 1939 , erschien eine von dem Österreicher Erich Hans Wolf im Auslandsexil verfasste Einschätzung der Ereignisse mit dem Titel „Katastrophenwirtschaft – Geburt und Ende Österreichs 1918–1938“.1 Ausgehend von einer an präkeynesianischen Mustern orientierten Position lieferte der Autor eine verheerende Bilanz : Das Vertrauen in die ökonomische Entwicklungsfähigkeit Österreichs sei durch wirtschaftspolitische Fehlentscheidungen drastisch herabgesetzt worden , sodass damit ein wesentlicher Beitrag zum Untergang Österreichs geleistet worden wäre. Im Forschungsbereich wurde an der grundsätzlich kritischen Haltung gegenüber der Wirtschaftspolitik des Austrofaschismus nach dem Zweiten Weltkrieg konsequent festgehalten.2 Anzumerken ist aber , dass die Zahl themenbezogener wissenschaftlicher Arbeiten lange Zeit in einem sehr überschaubaren Bereich blieb. Den Reigen eröffneten in den 1960er-Jahren verschiedene Studien , die sich vor allem mit den Vorbedingungen der Katastrophenjahre der Zwischenkriegszeit in Österreich befassten. Besonders erwähnenswert sind in diesem Zusammenhang die Arbeiten von Grete Klingenstein3 über die „Lausanner Anleihe“ oder von Karl Ausch4 über die Krise des österreichischen Bankensystems. In den ersten Nachkriegsjahren eher als ein Randthema positioniert , rückte in den 1970er-Jahren die Wirtschaftspolitik des Ständestaates zunehmend in den Mittelpunkt des Forschungsinteresses.5 Neben allgemein gehaltenen Darstellungen , in denen die Ära des Austrofaschismus kritisch unter die Lupe genommen wurde ,6 schienen nun verschiedene Einzelstudien auf , die von gezielten Fragestellungen ausgingen. Hervorhebenswert sind hier etwa Isabella Ackerls 7 Abhandlung über den „Phönix-Skandal“ oder 1 Wolf , Erich Hans ( 1939 ) : Katastrophenwirtschaft – Geburt und Ende Österreichs 1918–1938 , Zürich / New York. 2 Vgl. etwa Brusatti , Alois ( 1965 ) : Österreichische Wirtschaftspolitik von Josephinismus zum Ständestaat , Wien , 125–127. Otruba , Gustav ( 1968 ) : Österreichs Wirtschaft im 20. Jahrhundert , Wien / München , 22. 3 Klingenstein , Grete ( 1965 ) : Die Anleihe von Lausanne. Ein Beitrag zur Geschichte der Ersten Republik in den Jahren 1931 bis 1934 , Wien / Graz. 4 Ausch , Karl ( 1968 ) : Als die Banken fielen. Zur Soziologie der politischen Korruption , Wien. 5 Fellner , Fritz ( 1971 ) : The Background of Austrian Fascism. In : Sugar , Peter F. ( Hg. ) : Native Fascism in the Successor States 1918–1945 , Santa Barbara , 15–23. Rath , John R. ( 1971 ) : Authoritarian Au tria. In : Sugar , Peter F. ( Hg. ) : Native Fascism in the Successor States 1918–1945 , Santa Barbara , 24–45. 6 Z. B. Bachinger , Karl / Matis , Herbert ( 1974 ) : Der österreichische Schilling. Geschichte einer Währung , Graz / Wien / Köln , 147. 7 Ackerl , Isabella ( 1977 ) : Der Phönix-Skandal. In : Jedlicka , Ludwig / Neck , Rudolf ( Hg. ) : Das Ju-
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die von Karl Haas verfasste Arbeit über „Wirtschaftsverbände im Ständestaat“8. Beide Beiträge erschienen in dem von Ludwig Jedlicka und Rudolf Neck herausgegebenen Sammelband „Das Juliabkommen von 1936“.9 1978 legte Christian Unterrainer an der Wirtschaftsuniversität Wien seine Diplomarbeit mit dem Titel „Die Wirtschaftspolitik des Ständestaates“ vor.10 Den Schwerpunkt bildeten in den 1970er-Jahren aber vor allem Studien zum Thema Außenhandel in der Zwischenkriegszeit.11 Der Höhepunkt der Ständestaatforschung lässt sich im das anschließende Dezennium verorten. 1984 erschien die erste Auflage des Sammelbandes „Austrofaschismus“, he rausgegeben von Emmerich Tálos und Wolfgang Neugebauer.12 Der Sammelband enthielt eine Reihe wichtiger Studien. Relevant für die hier angesprochene Thematik waren die Beiträge Siegfried Mattls , Emmerich Tálos’ , Hans Kernbauers und Fritz Webers.13 Die beiden letztgenannten Autoren widmeten sich auch in dem von Erika Weinzierl und Kurt Skalnik herausgegebenen Sammelband „Österreich 1918–1938“ dem Thema Wirtschaftspolitik.14 Hinzuweisen ist an dieser Stelle weiters auf Ulrich Kluges im Jahr 1984 erschienenes Buch „Der österreichische Ständestaat“.15 Der von Thomas Albrich 1988 herausgegebene Band „Tirol und der Anschluss“ enthielt ebenfalls mehrere interessante Artikel. Dieter Stiefel behandelte darin die Wirtschaftspolitik des Ständestaates unter dem Titel „Utopie und Realität“.16 Jürgen Nautz widmete sich besonders der Anschlussfrage im Zusammenhang mit den wirtschaftlichen Gegebenheiten in Österreich.17 liabkommen von 1936. Vorgeschichte , Hintergründe und Folgen ( Protokoll des Symposiums in Wien am 10. und 11. Juni 1976 ), Wien , 241–279. 8 Haas , Karl ( 1977 ) : Zum Problemkomplex „Wirtschaftsverbände im Ständestaat“. In : Jedlicka / Neck ( Hg. ), 328–342. 9 Jedlicka / Neck ( Hg. ) ( 1977 ). 10 Unterrainer , Michael ( 1978 ) : Die Wirtschaftspolitik des Ständestaates , Dipl.-Arb. , Wien. 11 Holzgreve , Alfred ( 1980 ) : Die Außenhandelspolitik Österreichs in der Ersten Republik von 1918 bis 1938 unter besonderer Berücksichtigung der Landwirtschaft , Diss. , Wien. Enderle , Peter ( 1979 ) : Die ökonomischen und politischen Grundlagen der Römischen Protokolle aus dem Jahr 1934 , Diss. , Wien. Raab , Margit ( 1979 ) : Die Entwicklung des Außenhandels Österreichs mit den Nachfolgestaaten in den Jahren von 1919 bis 1938 , Dipl.-Arb. , Wien. 12 Vorläufig letzte Auflage : Tálos , Emmerich / Neugebauer , Wolfgang ( Hg. ) ( 2005 ) : Austrofaschismus. Politik – Ökonomie – Kultur 1933–1938 , Wien. 13 Mattl , Siegfried ( 1984 ) : Die Finanzdiktatur. Wirtschaftspolitik in Österreich 1933–1938. In : Tálos , Emmerich / Neugebauer , Wolfgang ( Hg. ) : „Austrofaschismus“. Beiträge über Politik , Ökonomie und Kultur 1934–1938 , Wien , 133–160. Tálos , Emmerich ( 1984 ) : Sozialpolitik im Austrofaschismus. In : ebd. , 161–178. Kernbauer , Hans / Weber , Fritz ( 1984 ) : Von der Inflation zur Depression. Österreichs Wirtschaft 1918–1934. In : ebd. , Wien , 1–30. 14 Kernbauer , Hans / M ärz , Eduard / Weber , Fritz ( 1983 ) : Die wirtschaftliche Entwicklung. In : Weinzierl , Erika / Skalnik , Kurt ( Hg. ) : Österreich 1918–1938. Geschichte der Ersten Republik , Bd. 1 , Wien / Graz-Köln , 343–380. 15 Kluge , Ulrich ( 1984 ) : Der österreichische Ständestaat 1934–1938. Entstehung und Scheitern , Wien. 16 Stiefel , Dieter ( 1988b ) : Utopie und Realität : Die Wirtschaftspolitik des Ständestaates. In : Albrich , Thomas / Eisterer , Klaus / Steininger , Rolf ( Hg. ) : Tirol und der Anschluß. Voraussetzungen , Entwicklungen , Rahmenbedingungen 1918–1938 , Innsbruck , 403–435. 17 Nautz , Jürgen ( 1988 ) : Die österreichische Wirtschaft und die Anschlußfrage. In : Albrich et al. ( Hg. ), 385–402.
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III. Wirtschafts- und Interessenpolitik
Ab den 1990er-Jahren schien das wissenschaftliche Interesse an der Wirtschaftspolitik während der Phase des Austrofaschismus wieder etwas zu erlahmen. Erwähnenswert sind dennoch verschiedene kleinere Studien , die Erhellendes zutage fördern. Dazu zählen Regina Grantls18 Arbeit über die „Arbeitsschlacht“ in Österreich von 1935 ebenso wie Stefan Emingers19 Abhandlung über die alpenländische Gewerbeorganisation zur Zeit der Weltwirtschaftskrise. Wertvolle Einblicke in wirtschaftspolitischer Hinsicht lieferte Peter Berger in seinem im Jahr 2000 erschienenen Buch über die Tätigkeit des Völkerbundvertreters Rost van Tonningen im Österreich der Zwischenkriegszeit.20 Eine umfassende Gesamtdarstellung versuchte Gerhard Senft in dem 2002 herausgegebenen Band über die „Wirtschaftspolitik des Ständestaates“.21 II. Wirtschaftspolitik in Österreich 1934–1938 Der Großteil der hier aufgezählten Einschätzungen spiegelt eine optimistisch-keynesi anische Position wider , wie sie sich in Österreich im Bereich der Wirtschaftswissenschaften nach 1945 weitgehend durchgesetzt hat. Unter Heranziehung der bisherigen Forschungsergebnisse lässt sich folgendes Panorama der Wirtschaftspolitik des Ständestaates entwickeln , wobei vorweg zu sagen ist : Ein widerspruchsfreies Bild für die in Österreich zwischen 1934 und 1938 gewählte Wirtschaftspolitik wird man vergeblich suchen. Es zeigt sich vielmehr ein Gemenge unterschiedlichster Ansätze , wobei die Bandbreite von wirtschaftsliberal bis ultraprotektionistisch und planwirtschaftlich reicht. Mitzudenken ist im gegebenen Zusammenhang , dass sich in Österreich zu Beginn der 1930er-Jahre eine eigene Interpretation der Weltwirtschaftskrise und daran anknüpfend entsprechende Lösungsansätze durchgesetzt hatten : Es herrschte die Überzeugung vor , dass die große Krise auf einen Zusammenbruch des Vertrauens in das internationale Kreditsystem zurückzuführen sei. Es gelte daher primär , dieses Vertrauen auf dem Wege einer restriktiven Finanzpolitik wieder herzustellen. Zentrales Anliegen war im gegebenen Zusammenhang die „Aufrechterhaltung der Währung“, wie es die graue Eminenz der österreichischen Wirtschaftspolitik der 1930er-Jahre , Nationalbankpräsident Viktor Kienböck , auszudrücken beliebte.22 Unermüdlich betonte Kienböck die Rolle des Währungssektors als Fundament für eine „geordnete Wirtschaft“.23 Als größte Gefahr für die Währung betrachtete er eine fehlende Ausgabendisziplin des Staates.24 Mit 18 Grantl , Regina ( 1992 ) : Die Arbeitsschlacht von 1935 – Eine beschäftigungspolitische Initiative des Ständestaates , Dipl.-Arb. , Wien. 19 Eminger , Stefan ( 1995 ) : Gewerbepolitik und gewerbliche Organisation in Österreich zur Zeit der Weltwirtschaftskrise , Dipl.-Arb. , Wien. 20 Berger , Peter ( 2000 ) : Im Schatten der Diktatur. Die Finanzdiplomatie des Vertreters des Völkerbundes in Österreich , Meinoud Marinus Rost van Tonningen 1931–1936 , Wien / Köln / Weimar. 21 Senft , Gerhard ( 2002 ) : Im Vorfeld der Katastrophe. Die Wirtschaftspolitik des Ständestaates. Österreich 1934–1938 [ Vergleichende Gesellschaftsgeschichte und politische Ideengeschichte der Neuzeit , Bd. 15 ] , Wien. 22 Viktor Kienböck in seinem Vortrag „Die Währungsfrage der Gegenwart und der österreichische Schilling“, zit. n. : „Die Politik der Nationalbank.“ In : Reichspost , 10. Juni 1934 , 13. 23 Kienböck , Viktor ( 1936 ) : Stabile Währung. In : Gemeindedienst , Juli / August 1936 , 2. 24 Ders. ( 1935 ) : Die Kunst der Notenbankleitung. In : Reichspost , 29. Oktober 1935 , 12.
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dem Anliegen eines ausgeglichenen Haushaltes waren konkrete Zielsetzungen wie eine Reduktion der Staatsschuld sowie die Beschränkung öffentlicher Ausgaben verbunden. Überlegungen , dass eine derart einseitige Ausrichtung in der Wirtschaftspolitik auch schädlich im Sinne deflationärer Effekte sein könne , wurden nicht angestellt bzw. wurden ignoriert. Anhand der Indizes einzelner Bundesausgaben für den Zeitraum 1933 bis 1937 zeigt sich besonders auch die gesellschaftspolitische Orientierung des Regimes des Ständestaates. Im Finanzbereich ( Stichwort : Schuldenrückzahlung ) ist in der angegebenen Zeitspanne eine Erhöhung des Ausgabenindex von 100 auf 118,2 feststellbar. Im Vergleich dazu reduzierte sich der Index für den Sektor der sozialen Verwaltung von 100 auf 79,4. Ebenso sank der Index für den Bildungsbereich von 100 im Jahr 1933 auf 95,6 im Jahr 1937.25 Die massive Ausrichtung an finanzpolitischen Erfordernissen brachte es mit sich , dass für andere Bereiche die Mittel fehlten. Besonders betroffen waren auch der Industriesektor und der Infrastrukturausbau. Beschäftigungspolitische Initiativen waren zwar vorhanden , verpufften aber aufgrund ihres zaghaften Einsatzes wirkungslos , sodass die Arbeitslosenrate im Österreich der 1930er-Jahre mit über 20 Prozent konstant hoch blieb.26 Im Wesentlichen erfolgte in der Ära des Ständestaates ein Anknüpfen an die wirtschaftspolitischen Rezepte der 1920er-Jahre , indem den bestehenden betrieblichen Unterauslastungen mit Schrumpfungsmaßnahmen begegnet wurde. Ansätze , die finanziellen Spielräume des Staates zu erweitern und damit die Kontraktionspolitik zu durchbrechen , waren vorhanden , doch die auf dem Anleiheweg aufgebrachten Mittel wurden überwiegend wieder nur für finanzpolitische Zwecke verwendet. Mittels verschiedener Anleihen ( Trefferanleihe 1933 , Arbeitsanleihe 1935 , Investitionsanleihe 1937 ) kam eine beträchtliche Summe von weit über 800 Millionen Schilling zustande , doch nur ein Drittel davon wurde tatsächlich arbeitsmarktwirksam in Einsatz gebracht.27 Die Impulse in den Bereichen der Industrie und der Infrastruktur blieben also gering. Anhand der Elektrifizierung der Eisenbahn in Österreich lassen sich die gegebenen Umstände sehr gut illustrieren. Während zwischen 1925 und 1929 eine Zugstrecke von 330 km modernisiert wurde , konnte zwischen 1933 und 1937 lediglich ein Drittel dieser Elektrifizierungsleistung erbracht werden.28 Dringend notwendige Hafenanlagen im Bereich der Donauschifffahrt konnten nicht einmal angedacht werden. Zwischen 1934 und 1938 ruhte der Kraftwerksbau fast völlig , im Straßenbau überwogen die Ausbesserungsarbeiten.29 Den Unterlassungen standen auf der anderen Seite Protektionismus und Dirigismus gegenüber. Hier mag als Beispiel die Gewerbepolitik dienen. Sowohl die Gewerbesperre von 1933 als auch das ein Jahr später verabschiedete Untersagungsgesetz stellten einen dramatischen Bruch mit der liberalen Gewerbeverfassung des 19. Jahrhunderts dar. 1935 finden wir sogar den Versuch , erneut das Zunftsystem im österreichischen Gewer25 Alle Angaben aus : Bundesrechnungsabschlüsse des Rechnungshofes für Österreich für die Verwaltungsjahre 1933 bis 1937 , Wien , 4–6. 26 Stiefel , Dieter ( 1979 ) : Arbeitslosigkeit. Soziale , politische und wirtschaftliche Auswirkungen – am Beispiel Österreichs 1918–1938 , Berlin , 29. 27 Stiefel , Dieter ( 1988 ) : Die große Krise in einem kleinen Land , Wien / Köln / Graz , 199. 28 Koci , Alexander ( 1955 ) : 75 Jahre elektrische Eisenbahnen in Österreich , Wien , 7. 29 Senft ( 2002 ), 380–382 , 481–483.
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III. Wirtschafts- und Interessenpolitik
be einzuführen. In einer vergleichenden Betrachtung der wichtigsten Wirtschaftssektoren wird erkennbar , dass das Gewerbe vor der Industrie zu schützen versucht wurde. Der berüchtigte Semmel-Erlass von Mitte der 1930er-Jahre beispielsweise untersagte den Brotfabriken die Herstellung von Kleingebäck , ein Geschäftsfeld , das dem gewerblichen Bäcker überlassen bleiben sollte.30 Andererseits wird der Schutz des landwirtschaftlichen Sektors gegenüber dem Gewerbe deutlich , etwa im Zusammenhang mit dem Verbot der gewerblichen Schweinehaltung. Das Regime des Ständestaates fand seine soziale Basis zu einem erheblichen Teil im Bauerntum. Nicht zufällig kam es ausschließlich im Bereich der Landwirtschaft zur Herstellung originär ständischer Organisationsformen.31 Im Bereich des Außenhandels tritt der staatliche Protektionismus zugunsten der Bauernschaft besonders klar hervor. Auch die Durchsetzung planwirtschaftlicher Muster gelang im landwirt schaftlichen Bereich weitreichend , wie das Milchverkehrsgesetz von 1934 zum Ausdruck brachte.32 Während also etwa die Außenwirtschaft massiven protektionistischen Vorgaben unterworfen war , folgten andere Bereiche wie die Steuerpolitik den Empfehlungen der wirtschaftsliberal ausgerichteten Österreichischen Schule der Nationalökonomie. Ludwig Mises beispielsweise hatte angeregt , den Unternehmenssektor abgabenmäßig weitgehend zu entlasten , dafür aber die Massensteuern zu erhöhen. 1934 ging als ein Jahr erheblicher Steuer- und Gebührenerhöhungen in die Geschichte Österreichs ein. Zur Illustration : Während sich der Bierabsatz in Österreich zwischen 1929 und 1936 halbierte , erhöhte sich das Biersteueraufkommen im selben Zeitraum um rund ein Viertel.33 Nicht unerwähnt bleiben sollten auch die schwerwiegenden Eingriffe im Bereich der Sozialpolitik , die Kürzungen bei der Arbeitslosenunterstützung oder beim Krankengeld. Was bislang oft zu wenig beachtet wurde , ist der Umstand , dass das Dollfuß / SchuschniggRegime unter dem Titel der „Selbsthilfe“ so etwas wie eine Reagrarisierung Österreichs anzuregen versuchte. Arbeitslose Personen sollten mitsamt ihren Familien in stillgelegte landwirtschaftliche Betriebe verfrachtet werden , wo sie sich in Eigenregie aus der wirt30 Zur Neuorganisation des Gewerbes : Zünfte und Verfassung. In : Der österreichische Volkswirt , 4. Mai 1935 , 597 ; Änderungen des Gewerberechts. In : Der österreichische Volkswirt , 5. Februar 1938 , 252 ; Zünftlertum oder Gewerbepolitik. In : Der österreichische Volkswirt , 5. Februar 1938 , 353. 31 Der vom austrofaschistischen Regime präsentierte „Beamtenstand“ kann nicht als Stand im Sinne der Ständelehre gelten , da es sich hier um eine reine Arbeitnehmerorganisation handelte , sodass das angestrebte verbindende Element zwischen „Arbeitgeber“ und „Arbeitnehmer“ fehlte. Allgemein lassen sich drei ständische Typen unterscheiden : 1. das faschistische Ständemodell mit dem totalitären Vorbild Italien , 2. das unter anderem von Othmar Spann vertretene autoritäre Modell , das weniger auf einen starken Staat als auf eine streng hierarchische Gesellschaftsstruktur fokussierte und 3. jenes Konzept , das Pius XI. in seiner Enzyklika „Quadragesimo anno“ entwickelte , in der eine freiwillige Korporation von Arbeiterschaft und Unternehmern propagiert wurde , gewissermaßen also ein Klassenkompromiss „von unten“. Obwohl der real existierende Ständestaat sich auf diese dritte Variante berief , stellte er tatsächlich eine Kombination der ersten beiden Typen dar. 32 Senft ( 2002 ), 430. 33 Zu den öffentlichen Abgaben in den Jahren 1924 bis 1936 , vgl. Bundesamt für Statistik ( Hg. ) : Statistische Nachrichten , 25. Oktober 1937 , zit. n. Das Gewerbe. Hauptblatt des Gewerbebundes , 15. November 1937 , 12.
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schaftlichen Misere – die alles andere als selbst verschuldet war – wieder heraushelfen sollten.34 Auch mit dieser Maßnahme war die Hoffnung auf eine Minderung der öffentlichen Ausgaben verbunden. „Der Staat muss sparen“ war in den 1930er-Jahren ein häufig kolportiertes Motto.35 Damit zwangsläufig verbundene deflationäre Effekte wurden in anderen Ländern jedoch gezielt zu vermeiden versucht. Zu erinnern ist in diesem Zusammenhang an das von der britischen Regierung Anfang der 1930er-Jahre verabschiedete Maßnahmenpaket.36 Anders als in Österreich wurde in Großbritannien , dem Ursprungsland des Keynesianismus37 , der monetären Konjunkturtheorie ein höherer Stellenwert zuerkannt. Ins Zentrum der britischen Krisenbekämpfung rückte ab 1931 folgerichtig eine mit Investitionskontrollen kombinierte „cheap-money-policy“. Den Kern der Regierungsmaßnahmen bildete eine Offenmarktpolitik. Durch den von der Zentralbank forcierten Ankauf von Wertpapieren und Edelmetallen wurde das im Umlauf befindliche Geldvolumen erhöht , die Situation auf den Kapitalmärkten entspannte sich , die verbesserte Liquidität übertrug sich nach und nach auf die gesamte Wirtschaft. Durch die Verbilligung des Kredits wurden die Pläne der Regierung zur Belebung der ökonomischen Aktivitäten sowie zur Gesundung der öffentlichen Finanzen wesentlich begünstigt. Besondere Beachtung wurde der Industriepolitik und der Bauwirtschaft geschenkt : • Im Bereich der Industrie wurde ein groß angelegter Strukturwandel durch den Abbau veralteter Anlagen und durch eine Rationalisierung von Produktion und Absatz eingeleitet. • Krisenbewältigungsmaßnahmen betrafen auch die Bauwirtschaft und den Bereich der Energieproduktion.38 Besonders die Förderung der Wohnbautätigkeit brachte zusätzliche Impulse für eine Erweiterung der Infrastruktur.39 • Im Außenhandel wurde etwa durch Ausdehnung der Exportkreditgarantien das Ziel der Exportsteigerung angepeilt.40 • Ab 1934 widmete man sich besonders den wirtschaftlichen Notstandsgebieten ( Stichwort : „Special Aeras Development and Improvement Act“ ). Mit gezielter Indus 34 Senft ( 2002 ), 449–451. 35 Headline der „Neuen Freien Presse“ vom 20. Dezember 1934 , 2. 36 Senft ( 2002 ), 364–365. 37 Keynes , John Maynard ( 1936 ) : The General Theory of Employment , Interest and Money , London. 38 Baukonjunkturen. In : Der österreichische Volkswirt , 1. Februar 1936 , 343. 39 „Die allgemeine Wirtschaftsbesserung Großbritanniens , die in jüngster Zeit feststellbar ist , scheint nicht zuletzt durch die Impulse ausgelöst , die von der Bauindustrie auf die übrigen Zweige der großbritannischen Wirtschaft einwirken“, wurde in der „Industrie“ im März 1936 anerkennend festgestellt. Ein wesentlicher Faktor war die Förderung des Baues von Eigenheimen. Während im Jahr 1929 lediglich 65.000 Eigenheime gebaut worden waren , wurde im Jahr 1934 ein Zuwachs von 208.000 erzielt. Die Leistungen in der Gebäudeaufschließung und beim Infrastrukturausbau bewirkten , dass die englische Braubranche 1936 so gut wie keine Arbeitslosen mehr zu verzeichnen hatte. Stamp , Josiah ( 1936 ) : Der „Building-Boom“ in Großbritannien. In : Die Industrie. Offizielles Organ des Bundes der österreichischen Industriellen , 13. März 1936 , 3. 40 Zur Entwicklung der staatlichen Exportförderung in Großbritannien : Auspitz , Hedwig ( 1934 ) : Staatliche Exportförderung in England. In : Die Industrie , 25. Mai 1934 , 11.
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trieansiedlung und mit Steuererleichterungen wurde versucht , in den von der Krise außerordentlich betroffenen Gebieten die Arbeitslosenrate zu senken. • Die Nachfrage-Komponente wurde berücksichtigt , indem es zur Lockerung der Steuerschraube und zu einer Erhöhung der Arbeitslosenunterstützung kam. Bereits 1932 zeigten sich in Großbritannien partielle Aufschwungtendenzen. Im Laufe der 1930er-Jahre gelang es der britischen Regierung , die Arbeitslosenrate spürbar zu reduzieren. Ähnliche Erfolge sind auch in anderen Ländern nachweisbar. In Schweden fand unter Per Albin Hansson 1932 / 33 auf der Basis einer Ausweitung der Staatsschuld der Übergang zu einer gezielten Beschäftigungspolitik statt.41 Das berühmteste Beispiel für eine wirtschaftliche Wende lieferten die USA unter Präsident Franklin D. Roosevelt 1933 mit der Einleitung des sogenannten New Deal. Auch hier stand am Beginn eine Geldbeschaffungsaktion der Regierung. Für die Belebung des Arbeitsmarktes wurden eine Abwertung des Dollar und eine leichte Inflation bewusst in Kauf genommen.42 III. Neue Forschungsziele ? Der auf globaler Ebene seit den 1970er-Jahren im Bereich der Wirtschaftswissenschaften einsetzende Paradigmenwechsel ,43 der auch in wirtschaftspolitischer Hinsicht eine Abkehr vom Keynesianismus brachte – als zentrale Zielsetzungen wurden damit wie41 Magnusson , Lars ( 2000 ) : An Economic History of Sweden [ Routledge explorations in economic history 16 ] , London / New York , 232–234. Tuchtenhagen , Ralph ( 2008 ) : Kleine Geschichte Schwedens , München , 120–122. 42 Galbraith , James K. ( 2009 ) : Lehren des New Deal : Was wir von Roosevelt lernen können. In : Blätter für deutsche und internationale Politik Jg. 54 ( 2009 ) Heft 7 , 48–56. Zur zeitgenössischen New Deal-Rezeption in Österreich : Eine noch eher indifferente abwartende Stellungnahme von 1933 : Hoffmann , Paul ( 1933 ) : Das große Wiederherstellungsprogramm in den USA. In : Der österreichische Volkswirt , 1. April 1933 , 635–637. Sehr scharfe Angriffe gegen das Abgehen von der Golddeckung kamen von Walther Federn , vgl. ders. ( 1933 ) : Dollarabwertung. In : Der österreichische Volkswirt , 29. April 1933 , 725–727. Ebenfalls sehr kritisch : Wie Roosevelt die Inflation verteidigt. In : Der österreichische Volkswirt , 13. Mai 1933 , 775. Kröll , Michael ( 1933 ) : Kann die NIRA ihr Ziel erreichen ? In : Der österreichische Volkswirt , 14. Oktober 1933 , 69–71. Von einer Deflationshysterie in den USA spricht Fritz Machlup , vgl. ders. ( 1933 ) : Diagnose des Falles Amerika. In : Der österreichische Volkswirt , 23. Dezember 1933 , 314–318. Ein überwiegend negatives Urteil kam 1934 von Paul Hoffmann , vgl. ( 1934 ) : Roosevelts zweites Jahr. In : Der österreichische Volkswirt , 17. März 1934 , 544–546. Eine eher sachlich orientierte Vorort-Berichterstattung direkt aus San Francisco lieferte Carl Landauer , vgl. ders. ( 1934 ) : Roosevelts Sozialpolitik. In : Der österreichische Volkswirt , 28. April 1934 , 672–674. Als Versuch , die Depression durch mehr Geldausgaben zu kurieren , bis der „Tag der Abrechnung“ kommt , bezeichnete Melchior Palyi den New Deal , vgl. ders. ( 1935 ) : Der New Deal wird konservativ. In : Der österreichische Volkswirt , 3. August 1935 , 868–870. Die Berichterstattung im „Österreichischen Volkswirt“ war überwiegend skeptisch bis negativ gehalten. Vgl. auch : Ledl , Irmgard ( 1983 ) : Roosevelts New Deal in Amerika und seine Darstellung in der österreichischen Presse ( 1932 bis 1938 ), Dipl.-Arb. , Wien , 162–164. 43 Siehe dazu etwa : Schmidt , Kurt / Tillmann , Georg ( 1996 ) : Solide öffentliche Finanzen – auch zugunsten der Geldpolitik. In : Bofinger , Peter / Ketterer , Karl-Heinz ( Hg. ) : Neuere Entwicklungen in der Geldtheorie und Geldpolitik , Tübingen , 91–115.
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der eine stabile Währung und ein Haushaltsgleichgewicht definiert – , löste interessanterweise keinerlei Neubewertung der Wirtschaftspolitik des Dollfuß / Schuschnigg-Regimes aus. Die Diskussion , die der deutsche Historiker Knut Borchardt in den späten 1970er- und frühen 1980er-Jahren mit seinen Thesen zur Wirtschaftspolitik in der Endphase der Weimarer Republik lostrat ,44 hatte keinerlei Auswirkung auf die verschiedenen Einschätzungen der österreichischen Situation in der Zwischenkriegszeit. Borchardt hatte die Behauptung aufgestellt , die Wirtschaftspolitik des Kabinetts Heinrich Brüning ( 1930–1932 ) sei angesichts der Überschuldung der öffentlichen Haushalte alternativlos gewesen. Damit stellte er sich gegen die verbreitete Auffassung , die Ursache für die Dramatik der Wirtschaftskrise in Deutschland sei in einer Deflationspolitik zu suchen.45 Es wäre durchaus naheliegend gewesen , auch im Hinblick auf die Lage in Österreich ähnliche Betrachtungen anzustellen. Dass einer solchen Diskussion weiträumig ausgewichen wurde , hat wahrscheinlich mehrere Ursachen. Als ein Hauptpunkt muss angeführt werden , dass vor allem die Träger des angesprochenen Paradigmenwechsels kein Interesse an einer Neubewertung der Ära Dollfuß-Schuschnigg haben konnten. Die im Zusammenhang mit dem Faschismus der Zwischenkriegszeit peinliche Rolle der neoliberalen Österreichischen Schule der Nationalökonomie wäre damit zu sehr ans Licht gebracht worden. Nicht nur dass Ludwig von Mises und sein Kreis , dem bekannte Ökonomen wie Friedrich August von Hayek , Oskar Morgenstern oder Gottfried von Haberler angehörten , die berüchtigten wirtschaftspolitischen Ziele ( harte Währung , Haushaltsgleichgewicht , steuerliche Entlastung für Unternehmen , Sozialabbaupolitik ) an die Spitze ihrer Empfehlungen setzten , auch Sympathien für den autoritären Staat wurden aus diesen Reihen erkennbar. Wesentlich ging es bei alldem darum , die sozialen Folgewirkungen wirtschaftspolitischer Härten in Grenzen zu halten , m. a. W. , potenzielle „Unruheherde“ innerhalb der Gesellschaft zeitgerecht zu eliminieren. Bereits 1927 hatte Mises unverhohlen Bewunderung gegenüber dem eliteverherrlichenden und „wirtschaftsfreundlichen“ Faschismus in Italien gezeigt. Vor allem die Umgangsformen Benito Mussolinis mit Gewerkschaften und Arbeiterorganisationen scheinen Mises imponiert zu haben : „Der Faschismus und alle ähnlichen Diktaturbestrebungen ( haben ) … für den Augenblick die europäische Gesittung gerettet …. Das Verdienst , das sich der Faschismus damit erworben hat , wird in der Geschichte ewig fortleben.“46 Das „Interventionsverbot“ des Liberalismus hatte , zumindest in eine Richtung , offenbar seine Gültigkeit verloren. Bereits in der ersten Hälfte der 1920er-Jahre hatte einer der gewichtigen Exponenten der Österreichischen Schule , Friedrich von Wieser , verlauten lassen : „Die moderne Nationalökonomie hat sich von der Lehre des Nichtinterventionismus entschieden abgewendet.“47 Ein Jahrzehnt später zeigte sich der 44 Borchardt , Knut ( 1982 ) : Wachstum , Krisen , Handlungsspielräume der Wirtschaftspolitik , Göttingen , 165–167. 45 Vgl. Klausinger , Hansjörg ( 1998 ) : Alternativen zur Deflationspolitik Brünings. In : Wirtschaftund Gesellschaft Jg. 24 ( 1998 ) Heft 2 , 183–216. 46 Mises , Ludwig ( 1927 ) : Liberalismus , Jena , 45 , zit. n. Marcuse , Herbert ( 1965 ) : Kultur und Gesellschaft , Bd. 1 , Frankfurt / Main , 23. Zu einer weiteren späteren liberalen Bezugnahme auf das paretianische Führerideal , siehe : Eucken , Walter ( 1963 ) : Grundsätze der Wirtschaftspolitik , Tübingen , 23–25. 47 Wieser , Friedrich ( 1924 ) : Theorie der gesellschaftlichen Wirtschaft , Tübingen , 287. Hinzuweisen ist an dieser Stelle auf die rassistischen und antisemitischen Entgleisungen Wiesers in den 1920er-
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Liberale Morgenstern überzeugt , dass ein autoritärer Staat weitaus mehr Möglichkeiten besitze , eine „vernünftige Wirtschaftspolitik“ auf lange Sicht durchzusetzen. Nur der autoritäre Staat könne „verfehlte Anspruchshaltungen“ innerhalb der Gesellschaft bremsen und damit erreichen , dass „die Verteilung des Sozialprodukts nach den tatsächlichen Anteilen , die sich durch die Marktlage ermitteln lassen , bestimmt wird“.48 Dazu ist anzumerken , dass die Österreichische Schule in der Alpenrepublik alles andere als eine Randströmung dargestellte. Die Hegemonie neoliberalen Denkens wurde in vielen Bereichen erkennbar : bei den Spitzen in Politik und Wirtschaft ebenso wie bei hochrangigen Staatsdienern. Überaus einflussreich wirkte Mises in der 1930 gegründeten Wirtschaftskommission , die über das Wesen der großen Krise sowie angemessene wirtschaftspolitische Weichenstellungen zu befinden hatte. In der Diskussion mit verschiedenen Interessenvertretern , Experten aus Ministerien und dem Konjunkturforschungsinstitut gelang es Mises , die entscheidenden Schwerpunkte der Debatte vorzugeben und die eigene Argumentationslinie durchzusetzen , indem alles an reformerischen beschäftigungspolitischen Ideen gnadenlos von ihm beiseite gewischt wurde.49 Wie die Vertreter der zünftischen Nationalökonomie in Österreich mit ( prä-)keynesianschen Positionen umgingen , lässt sich in den damals führenden Fachzeitschriften wie dem „Österreichischen Volkswirt“ oder der „Zeitschrift für Nationalökonomie“ nachlesen.50 Lohnende Forschungsfelder sehe ich , ausgehend vom Gesagten , vor allem in vergleichenden Studien. Interessant erscheint hier besonders die Frage nach dem Einfluss des in Portugal herrschenden Salazar-Regimes auf den Austrofaschismus. Zwar unterscheiden sich die portugiesischen ökonomischen Voraussetzungen von den österreichischen speziell im Bereich der Industrie , weil Portugal durch sein Kolonialreich partiell über sichere Absatzmärkte verfügte , doch existieren unübersehbar mehrere Parallelen und Querverbindungen. Das gilt vor allem für die Frage der Budgetpolitik , aber auch etwa hinsichtlich Jahren , die den Neoliberalismus damit mehrfach als problematisch erscheinen lassen , vgl. Wieser , Friedrich ( 1926 ) : Das Gesetz der Macht , Wien , 59 , 367–369. 48 Morgenstern , Oskar ( 1934 ) : Die Grenzen der Wirtschaftspolitik , Wien , 130. 49 Ausführliche Darstellung in : Grandner , Margarete / Traxler , Franz ( 1984 ) : Sozialpartnerschaft als Option der Zwischenkriegszeit. Liberal-korporatistisches Krisenmanagement am Beispiel der Wirtschaftskonferenz von 1930. In : Fröschl , Erich / Z oitl , Helge ( Hg. ) : Februar 1934. Ursachen – Fakten – Folgen , Wien , 75–118 : 93–95. 50 In Österreich wurde Keynes überw iegend als ein „Prophet des billigen Geldes“ abgehandelt , vgl. dazu : Keynes für weitere Zinsverbilligung. In : Die Bilanzen. Beilage zum „Österreichischen Volkswirt“, 29. Februar 1936 , 165. Der Artikel bezog sich auf eine Forderung von Keynes , nach der vor allem langfristige Kapitalanlagen verbilligt werden sollten. Sehr kritisch fiel die Besprechung des Keynes’schen Hauptwerkes im „Österreichischen Volkswirt“ 1936 aus : Mit seinen Vorschlägen habe sich Keynes auf einen „unzulässigen“ Weg der Auseinandersetzungen begeben , vgl. Hermens , F. A. ( 1936 ) : Der neue Keynes. In : Der österreichische Volkswirt , 5. September 1936 , 939. Keine bessere Behandlung als im „Österreichischen Volkswirt“ erfuhr Keynes in der „Zeitschrift für Nationalökonomie“, in der eine ernsthafte Auseinandersetzung mit seinen Thesen weitgehend vermieden wurde. Die „Zeitschrift für Nationalökonomie“ wurde von Hans Mayer , einem universitär verankerten Abkömmling der Österreichischen Schule , mit herausgegeben , ein gewichtiges Wort in der Redaktion mitzureden hatte aber auch Oskar Morgenstern. Vgl. etwa Bode , Karl ( 1935 ) : Bemerkungen zur Kapital- und Zinstheorie. In : Zeitschrift für Nationalökonomie Jg. 6 ( 1935 ) Heft 1 , 170–172.
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der in beiden Ländern beobachtbaren Orientierung an der Carta del Lavoro , dem Gesetz also , durch das der italienische Faschismus die „Versöhnung“ von Arbeitnehmerund Arbeitgeberinteressen dekretiert hatte und das sich sowohl Salazar als auch Dollfuß zum Vorbild für den „ständischen“ Aufbau ihrer Länder nahmen. Der an der Universität Coimbra tätige neoliberale Ökonom António Oliveira de Salazar hatte den Staatshaushalt bereits Ende der 1920er-Jahre mit durchgreifenden Mitteln zu sanieren begonnen. Salazar gelang es in der Folge , die portugiesische Währung als eine der stabilsten in Europa zu sichern. Der „Neue Staat“ Salazars setzte , gestützt auf eine allseits gefürchtete Geheimpolizei , vor allem auf die Zerschlagung der Arbeiterbewegung. Grundlegende bürgerliche Freiheitsrechte wie Presse- , Versammlungs- oder Koalitionsfreiheit wurden beseitigt. Weitgehend unbeachtet von der Weltöffentlichkeit bestand das von Salazar geschaffene Ständemodell bis zur „Nelken-Revolution“ im Jahr 1974. Die Folgen waren verheerend. Portugal galt in den 1970er-Jahren als das „Armenhaus“ Europas. Vor allem der Bildungssektor war massiv von Ausgabenrestriktionen betroffen. Vieles weist da rauf hin , dass Salazar im österreichischen Ständestaat der 1930er-Jahre nahezu die Rolle eines Kulturhelden spielte , dessen Entwürfe eine starke Anziehungskraft auf die österreichischen Eliten ausübten.51 Eine umfassende Untersuchung , die sowohl die Frage der Budgetpolitik als auch jene der autoritären Durchsetzung von Restriktionsmaßnahmen ins Zentrum rückte , könnte hier einiges zur Klärung beitragen. Erhellendes könnten darüber hinaus auch Vergleiche Österreichs mit den verschiedenen Reformländern zutage fördern. Die Beispiele Großbritanniens , Schwedens und der USA sind hier schon erwähnt worden. Besonders aufschlussreich erscheint eine Gegenüberstellung Österreichs mit dem unmittelbaren Nachbarland Schweiz. Die Schweiz war von den Ausläufern der Weltwirtschaftskrise nicht weniger betroffen gewesen als Österreich. Der helvetischen Regierung gelang es aber , sich mit der Währungsabwertung vom September 1936 schlagartig vom Deflationsdruck zu befreien. Während in Österreich in den 1930er-Jahren das Geldvolumen ( Notenumlauf plus Giroverbindlichkeiten ) nur unwesentlich gesteigert wurde ,52 erhöhte sich beim westlichen Nachbarn die Geldmenge um mehr als 100 Prozent.53 Der kontinuierliche Rückgang der Arbeitslosigkeit und der Umstand , dass binnenwirtschaftliche Preisauftriebstendenzen unter Kontrolle gehalten werden konnten , bestätigten die Richtigkeit des Schweizer Weges.
51 Vgl. etwa : Berger , Peter ( 1936 ) : Die Staatserneuerung in Portugal. In : Volkswohl. Christlich-soziale Monatsschrift , ( 1936 ) Heft 4 , 100. 52 Die Geldumlaufgeschwindigkeit in Österreich blieb in diesem Zeitraum sogar deutlich unter den Vergleichswerten der 1920er-Jahre. Die Geldumlaufgeschwindigkeit lässt sich anhand der Veränderungen der Giroumsätze eruieren. Für die Ermittlung der Geldumlaufgeschwindigkeit im Österreich der Zwischenkriegszeit werden die Giroumsätze der Oesterreichischen Nationalbank , der Postsparkasse , des Wiener Giro- und Kassenvereins und des Saldierungsvereins herangezogen. 53 Internationale Wirtschaftszahlen. In : Monatsberichte des Österreichischen Instituts für Konjunkturforschung , 11. April 1938 , 94.
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III. Wirtschafts- und Interessenpolitik
Zeitungsartikel Auspitz , Hedwig ( 1934 ) : Staatliche Exportförderung in England. In : Die Industrie , 25. Mai 1934 , 11. Berger , Peter ( 1936 ) : Die Staatserneuerung in Portugal. In : Volkswohl. Christlich-soziale Monatsschrift ( 1936 ) Heft 4 , 100. Federn , Walther ( 1933 ) : Dollarabwertung. In : Der österreichische Volkswirt , 29. April 1933 , 725–727. Hermens , F. A. ( 1936 ) : Der neue Keynes. In : Der österreichische Volkswirt , 5. September 1936 , 939. Hoffmann , Paul ( 1933 ) : Das große Wiederherstellungsprogramm in den USA. In : Der österreichische Volkswirt , 1. April 1933 , 635–637. Hoffmann , Paul ( 1934 ) : Roosevelts zweites Jahr. In : Der österreichische Volkswirt , 17. März 1934 , 544– 546. Kienböck , Viktor ( 1936 ) : Stabile Währung. In : Gemeindedienst , Juli / August 1936 , 2. Kienböck , Viktor ( 1935 ) : Die Kunst der Notenbankleitung. In : Reichspost , 29. Oktober 1935 , 12. Kröll , Michael ( 1933 ) : Kann die NIRA ihr Ziel erreichen ? In : Der österreichische Volkswirt , 14. Oktober 1933 , 69–71. Landauer , Carl ( 1934 ) : Roosevelts Sozialpolitik. In : Der österreichische Volkswirt , 28. April 1934 , 672–674. Machlup , Fritz ( 1933 ) : Diagnose des Falles Amerika. In : Der österreichische Volkswirt , 23. Dezember 1933 , 314–318. Palyi , Melchior ( 1935 ) : Der New Deal wird konservativ. In : Der österreichische Volkswirt , 3. August 1935 , 868–870. Stamp , Josiah ( 1936 ) : Der „Building-Boom“ in Großbritannien. In : Die Industrie. Offizielles Organ des Bundes der österreichischen Industriellen , 13. März 1936 , 3. Änderungen des Gewerberechts. In : Der österreichische Volkswirt , 5. Februar 1938 , 252. Baukonjunkturen. In : Der österreichische Volkswirt , 1. Februar 1936 , 343. Bundesrechnungsabschlüsse des Rechnungshofes für Österreich für die Verwaltungsjahre 1933 bis 1937 , Wien , 4–6. Das Gewerbe. Hauptblatt des Gewerbebundes , 15. November 1937 , 12. Der Staat muss sparen. In : Neue Freie Presse , 20. Dezember 1934 , 2. Die Politik der Nationalbank. In : Reichspost , 10. Juni 1934 , 13. Internationale Wirtschaftszahlen. In : Monatsberichte des Österreichischen Instituts für Konjunkturforschung , 11. April 1938 , 94. Keynes für weitere Zinsverbilligung. In : Die Bilanzen. Beilage zum „Österreichischen Volkswirt“, 29. Februar 1936 , 165. Wie Roosevelt die Inflation verteidigt. In : Der österreichische Volkswirt , 13. Mai 1933 , 775. Zünfte und Verfassung. In : Der österreichische Volkswirt , 4. Mai 1935 , 597. Zünftlertum oder Gewerbepolitik. In : Der österreichische Volkswirt , 5. Februar 1938 , 353.
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Brigitte Pellar
Kampf um „die Arbeiterschaft“ Forschungsstand und offene Forschungsfelder zu Politik und Ideologie von Regierungslager und illegaler Opposition 1933–1938 I. Vertretungsorganisationen der Lohnabhängigen in der demokratischen Republik Unter den Lohnabhängigen der meisten Wirtschaftszweige dominierte dort , wo sich die ArbeiterInnen und Angestellten überhaupt organisierten , in der Interessenvertretung eindeutig das sozialdemokratische Lager , im Gewerkschaftsbereich ebenso wie in den gesetzlich errichteten beziehungsweise gesetzlich vorgesehenen oder laut Dienstrecht bestehenden Vertretungsinstanzen. Hier sahen die rechten Regierungskoalitionen nicht erst seit dem Ausschalten des Parlaments im März 1933 den geeigneten Ansatzpunkt , um mit dem systematischen Zurückdrängen der „Roten“ zu beginnen , etwa durch das Beschneiden des Aktionsradius der Freien Gewerkschaften mit dem „Antiterrorgesetz“ von 19301 oder durch das Verschleppen der für 1931 vorgesehenen Arbeiterkammer-Wahlen.2 Daher erscheint es sinnvoll , vorerst die einzelnen Ebenen und Institutionen sowie Quellenlage , Publikations- und Forschungsstand zum Netz der Interessenvertretungen , wie es sich bis 1932 / 1933 entwickelt hatte , darzustellen. Die Parteien bleiben , außer wo für das Verständnis wesentliche Zusammenhänge anzusprechen sind , ausgeklammert , da sich außer der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei ( SDAP ) und der KPÖ nur die NSDAP ausdrücklich als Vertretung „der Arbeiterschaft“ positionierte , wie die KommunistInnen aber bis zur Wirtschaftskrise nur eine verschwindende Minderheit darstellte. 1.1 Die Richtungsgewerkschaften Die Rechtsgrundlage aller Richtungsgewerkschaften als staatsunabhängige demokratische Vertretungskörperschaften war das Vereinsgesetz. Die Gewerkschaften repräsentierten die gesamte politisch-weltanschauliche Bandbreite der Ersten Republik. 1 Siehe Kapitel 3.1. 2 Vgl. u. a. Weidenholzer , Josef / Kepplinger , Brigitte ( 1995 ) : Zur Geschichte der österreichischen Arbeiterkammern ( 1920–1992 ). In : Bundesarbeitskammer ( Hg. ) : 75 Jahre Kammern für Arbeiter und Angestellte , 9–70 : 26–27.
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III. Wirtschafts- und Interessenpolitik
1.1.1 Die ( sozialdemokratischen ) Freien Gewerkschaften3 Die mit der SDAP eng verbundenen , vorher von einer „Gewerkschaftskommission“ koordinierten , ab 1928 in einem „Bund“ zusammengeschlossenen Freien Gewerkschaften4 standen nach Mitgliederzahl und Durchsetzungskraft sehr deutlich an erster Stelle. 1921 und 1922 wiesen sie über eine Million Mitglieder aus. Selbst 1933 , nach extrem hohen Mitgliederrückgängen und unter starkem Druck des „autoritären Kurses“, war das Verhältnis zur zweitstärksten Gruppe , den Christlichen Gewerkschaften , die damals ihren höchsten Mitgliederstand erreicht hatten , etwa 480.000 zu knapp 116.000. 5 Die Freien Gewerkschaften dominierten bei der Arbeiterschaft der privaten Produktionsunternehmen und der öffentlichen Verkehrsunternehmen , vor allem der Bahn , hatten aber auch bei den Privatangestellten den stärksten Zulauf von allen Richtungsgewerkschaften.6 Ihre zentrale internationale Organisation war der „Internationale Gewerkschaftsbund“ ( IGB ) mit Sitz in Amsterdam.7 Die Position innerhalb des sozialdemokratischen Lagers ist nicht eindimensional zuzuordnen. In den Ende 1928 noch immer 45 Vereinen und Verbänden war , wie in der SDAP auch , das gesamte Spektrum von rechts bis links vertreten. Zumindest unter den führenden RepräsentantInnen der Zentrale und der großen Gewerkschaften ging man aber vom grundlegenden Interessengegensatz zwischen Arbeit und Kapital aus. „Die Gewerkschaften unterstreichen die Notwendigkeit des Klassenkampfes“, schrieb der Journalist und Sekretär des „Bundes“ Eduard Straas 1929 , „aber eine bedingungslose Bindung an die Partei wird abgelehnt“.8 Das Verhältnis von Partei und Gewerkschaft wird von Straas als ein „kameradschaftliches Nebeneinander“ beschrieben. Die Begründung : In keiner einzigen Gewerkschaft ist die Mitgliedschaft an die Zugehörigkeit zur sozialdemokratischen Arbeiterpartei gebunden. Die erdrückende Mehrheit der Gewerkschaftsmitglieder 3 Im Gegensatz zu den zeitgenössischen Dokumenten behandelt die Verfasserin den Begriff „Freie Gewerkschaften“ als Eigennamen und verwendet daher die Großschreibung für „Freie“. Die Bezeichnung hatte in Österreich eine dreifache Bedeutung. Erstens zeigte sie an , dass es sich um aufgrund der in der Verfassung von 1867 zugestandenen Vereinsfreiheit konstituierte Organisationen handelte , zweitens dass es sich nicht – wie bei den Gehilfenversammlungen der Genossenschaften ( siehe dazu Kapitel 1.2.1 ) – um gesetzlich verpflichtende Zusammenschlüsse handelte , und drittens dass diese Gewerkschaften frei vom Einfluss der UnternehmerInnen beziehungsweise des Managements waren. Nach 1945 wandelte sich im Zuge des Kalten Kriegs die Bedeutung des Begriffs. Jetzt bezeichnete er die westlichen , antikommunistischen Gewerkschaften , wurde allerdings nur mehr auf internationaler Ebene verwendet ( „ Internationaler Bund freier Gewerkschaften“ ). 4 Vgl. Klenner , Fritz ( 1953 ) : Die österreichischen Gewerkschaften. Vergangenheit und Gegenwarts probleme , Bd. 2 , Wien , 761–1335 : 775–812. 5 Vgl. Schmit , Georg-Hans ( 2009 ) : Die Rolle der Christlichen Arbeiterbewegung im politischen und sozialen System des austrofaschistischen Ständestaates , Dipl.-Arb. , Wien , 13–14. Schmit erstellte die Vergleichsstatistik der Mitgliederzahlen zwischen Freien und Christlichen Gewerkschaften nach Überprüfung aller zugänglichen Daten. Es dürfte sich um die derzeit verlässlichsten Angaben handeln. 6 Vgl. Klenner ( 1953 ), 1098. 7 Vgl. Klenner , Fritz ( 1951 ) : Die österreichischen Gewerkschaften. Vergangenheit und Gegenwarts probleme , Bd. 1 , Wien , 467–743 : 575–610. 8 Straas , Eduard ( 1929 ) : Die Gewerkschaftsbewegung in Österreich [ I nternationale Gewerkschafts-Bibliothek 9 ] , Amsterdam , 57.
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���������������������������������������������� ������������������������������� : Kampf um „die Arbeiterschaft“ freilich sind Sozialdemokraten. [ … ] In nicht wenigen Fällen sind führende Gewerkschaftsvertrauensmänner gleichzeitig auch Inhaber politischer Mandate. [ … ] Organisatorisch und materiell aber sind beide Teile , die Gewerkschaften und die Partei , auf eigene Füße gestellt.9
Der Gewerkschaftsflügel wertete seinen wirtschaftlichen Kampf schon vor 1918 selbstbewusst als den entscheidenden Beitrag zum politischen Kampf der Partei für eine gerechte sozialistische Gesellschaft.10 Der dem neopositivistischen „Wiener Kreis“ 11 zuzuordnende links stehende Richard Wagner , Organisator der Wiener Gewerkschaftsschule , sah , um die Erfahrung der 1920er-Jahre mit den Angriffen auf die Reformen der Republikgründungsphase reicher , die systemimmanente Gewerkschaftsarbeit als Teil des Klassenkampfs : Die Herrscherklasse versucht , die Arbeiter wieder in die Galeerentiefen hinabzustoßen , und so vollzieht sich der Aufstieg in erbittertem , zähem Klassenkampf , im Alltagskampf der freien Gewerkschaften um schrittweise Vergrößerung des Lohnanteiles an den Arbeitsprodukten , Verkürzung der Arbeitszeiten , Verbesserung der Betriebsverhältnisse und der sozialpolitischen Rechte , kurz um Durchsetzung der Wirtschaftsdemokratie gegenüber den absolutistisch gesinnten , feudal-herrschaftlich auftretenden Unternehmern.12
Die Eigenständigkeit gegenüber der SDAP wurde unter dem Druck der Großen Depression , als die Abstimmung der Positionen innerhalb des „Lagers“ nicht mehr so gut funktionierte , besonders deutlich. Als Gegenposition zur harten Austerity-Politik der Regierung und dem Mainstream der eigenen Partei , einschließlich der Arbeiterkammer-ExpertInnen wie Benedikt Kautsky und Käthe Leichter , forderten GewerkschafterInnen , an ihrer Spitze „Bund“-Generalsekretär Johann Schorsch , prä-keynesianische Programme zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit.13 Eduard März und Maria Szecsi kommentierten dazu 1981 trocken : „Wie in Deutschland und in England war also auch in Österreich der gewerkschaftliche Instinkt besser beraten als die hohe Parteiintelligenz“.14 9 Straas ( 1929 ), 56. 10 Vgl. u. a. Botz , Gerhard ( 1973 ) : Ferdinand Hanusch. Jugend und literarisches Werk. In : Staininger Otto ( Hg. ) : Ferdinand Hanusch. Ein Leben für den sozialen Aufstieg [ S chriftenreihe des Ludwig Boltzmann-Instituts für Geschichte der Arbeiterbewegung 3 ] , Wien , 15–41 , 105–107 : 38. 11 Eines der bedeutendsten Mitglieder der Gruppe von Philosophen und Wissenschaftstheoretikern von internationalem Rang um Moritz von Schlick war Otto Neurath , dessen im Gesellschafts- und Wirtschaftsmuseum entwickelte Bildstatistik immer wieder für die freigewerkschaftlichen Bildungsarbeit und Publikationen der Wiener Arbeiterkammer genutzt wurde. Das Standardwerk zum Thema : Stadler , Friedrich ( 1997 ) : Studien zum Wiener Kreis. Ursprung , Entwicklung und Wirkung des logischen Empirismus im Kontext , Frankfurt / Main. 12 Wagner , Richard ( 1928 ) : Der Funktionswandel der Gewerkschaften und die freigewerkschaftliche Bildungsarbeit. In : Arbeit und Wirtschaft Jg. 6 ( 1928 ), Heft 13 , Sp. 609–614 : 610. 13 Vgl. u. a. Weber-Felber , Ulrike ( 1984 ) : Gewerkschaftspolitik in der Weltwirtschaftskrise. Die Freien Gewerkschaften und das Problem der Arbeitsbeschaffung. In : Fröschl , Erich / Zoitl , Helge ( Hg. ) : Februar 1934 , Ursachen , Fakten , Folgen. Beiträge zum wissenschaftlichen Symposion des Dr.Karl-Renner-Instituts , abgehalten vom 13. bis 15. Februar 1984 in Wien , Wien , 119–141 ; 130–133. 14 März , Eduard / Szecsi , Maria ( 1985 ) : Otto Bauer als Wirtschaftspolitiker. In : Fröschl , Erich / Z oitl ,
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III. Wirtschafts- und Interessenpolitik
1.1.2 Die ( kommunistische ) Rote Gewerkschaftsopposition und die kommunistischen Betriebszellen Im Gegensatz zu den SozialdemokratInnen steuerte bei den KommunistInnen ausschließlich die Partei die Gewerkschaftsarbeit. Die organisatorische Basis der Partei , die sich 1919 der „Kommunistischen Internationale“ ( Komintern ) anschloss , bestand neben lokalen Zellen ( „ Straßenzellen“ ) aus Betriebszellen.15 In der Phase nach dem Ersten Weltkrieg wurde auch überlegt , eine eigene kommunis tische Gewerkschaft zu gründen , aber dann fiel die Entscheidung für die „aktive Arbeit“ innerhalb der sozialdemokratisch dominierten Freien Gewerkschaften und „zur besseren Organisation“ für die parallele Gründung von „Fraktionen der Oppositionellen“16 , die weisungsgebunden waren und „deren Mitglieder geschlossen aufzutreten und abzustimmen“ hatten. Im Parteiapparat bestand für die „Koordination der kommunistischen Fraktionen in den Gewerkschaften“ und die „Beobachtung gewerkschaftlicher Bewegungen“ eine „Gewerkschaftsabteilung“.17 Ab 1921 gab es außerdem eine zentrale Fraktionsexekutive und Branchenexekutiven in acht Gewerkschaften.18 Die kommunistischen Fraktionen , die sich „Rote Gewerkschaftsopposition“ ( RGO ) nannten , waren Mitglied der in die Struktur der Komintern eingebundenen „Roten Gewerkschaftsinternationale“ ( RGI ).19 Aber mit wenigen Ausnahmen konnte sich die RGO bis zur Weltwirtschaftskrise und der Enttäuschung vieler ArbeiterInnen über die SDAP-Politik nicht durchsetzen. Nach KP-Angaben gab es 1925 nur 16 „revolutionäre Blocks“ mit 1.294 Mitgliedern.20 Die Betriebszellen waren zwar etwas zahlreicher und mitgliederstärker , aber insgesamt blieb der Anteil an SympathisantInnen der kommunistischen Bewegung unter den Lohnabhängigen , geht man von den Ergebnissen der beiden Arbeiterkammer-Wahlen 1921 und 1926 aus , unter drei Prozent.21 Am meisten Einfluss erreichte sie in den Wiener Bezirken Ottakring und Favoriten , in einigen Industriegemeinden Niederösterreichs und der Obersteiermark und in einzelnen Betrieben wie dem Bergwerk Grünbach , den Steyrerwerken oder einigen Werken der Alpine-Montan-Gesellschaft.22 Das Motto der kommunistischen GewerkschafterInnen : „Wir bekämpfen nicht die Gewerkschaften , sondern das gewerkschaftliche Bonzentum.“23 Entsprechend der von Helge ( Hg. ) : Otto Bauer ( 1881–1938 ), Theorie und Praxis. Beiträge zum wissenschaftlichen Symposion des Dr.-Karl-Renner-Instituts , abgehalten vom 20. bis 22. Oktober 1981 in Wien , 145–159 : 71. 15 Vgl. Ehmer , Josef ( 1995 ) : Die Kommunistische Partei Österreichs. In : Tálos , Emmerich / Dachs , Herbert / Hanisch , Ernst / Staudinger Anton ( Hg. ) : Handbuch des politischen Systems Österreichs. Ers te Republik 1918–1933 , Wien , 218–230 : 225. 16 Vgl. Steiner , Herbert ( 1968 ) : Die Kommunistische Partei Österreichs von 1918–1933. Bibliographische Bemerkungen , Wien / Meisenheim am Glan , 23 ; vgl. Ehmer ( 1995 ), 218–230 : 225. 17 Vgl. Ehmer ( 1995 ), 218–230 : 226. 18 Vgl. Steiner ( 1968 ), 38. 19 Vgl. Klenner ( 1953 ), 1081–1088 ; vgl. Tabakow , Robert / Pellar , Brigitte ( 2006 ) : Globalisierung einmal anders. Der internationale Zusammenschluss der Gewerkschaftsbewegung und seine Geschichte , Wien , 67–68. 20 Vgl. Steiner ( 1968 ), 56. 21 Vgl. Klenner ( 1951 ), 567. 22 Vgl. Ehmer ( 1995 ), 222. 23 Steiner ( 1968 ), 37.
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der RGI ausgegebenen Direktive hatten sie die Aufgabe , „alle innerhalb der Gewerkschaft organisierten revolutionären Arbeiter zu oppositionellen Gewerkschaftsgruppen zusammenzufassen“.24 1930 änderte dann aber die RGI den strategischen Ansatz. Jetzt lag die Aufgabe der kommunistischen GewerkschafterInnen in der Durchführung der kommunistischen Politik in der Gewerkschaftsbewegung , in der Gewinnung der Massen für die kommunistische Partei und die Komintern , in der Erweiterung des Einflusses der kommunistischen Ideen auf neue und immer neue Schichten der Arbeiterschaft.25
1.1.3 Die ( k atholischen ) Christlichen Gewerkschaften Die Christlichen Gewerkschaften , die in Österreich ausschließlich KatholikInnen als Mitglieder akzeptierten , mussten seit ihrer Gründung damit kämpfen , dass sie einerseits im eigenen christlich-sozialen Lager kaum Einfluss hatten und andererseits zumeist der Konkurrenz der starken Freien Gewerkschaften in den Betrieben nicht gewachsen waren. Allerdings hatten sie doch eine deutlich größere Basis und einen breiteren Sympathisantenkreis als die kommunistische „Rote Gewerkschaftsopposition“. Sie konnten 1925 über 77.000 Mitglieder ausweisen26 und bei den Arbeiterkammer-Wahlen erreichten sie durchwegs einen Anteil von über zehn Prozent.27 Ihren stärksten Zulauf hatten sie im öffentlichen Dienst , unter den Verkehrsangestellten , dem Hauspersonal und unter den Land- und ForstarbeiterInnen ,28 wobei allerdings die deutlich größere Gruppe , der „Reichslandarbeiterbund“, nicht der „Zentralkommission der Christlichen Gewerkschaften“ angeschlossen war.29 Bei der industriell-gewerblichen Arbeiterschaft fanden sie außer bei den TabakarbeiterInnen und Pflasterern kaum Anhängerschaft.30 Auf internationaler Ebene gehörten sie dem „Internationalen Bund der Christlichen Gewerkschaften“ ( IBCG ) an.31 In dem 1923 beschlossenen „Linzer Programm der Christlichen Arbeiterbewegung“, das auch für den Gewerkschaftsflügel maßgeblich war , befürwortete man eine berufsständische Organisation der Gesellschaft , allerdings unter demokratischen Bedingungen. Die Christlichen Gewerkschaften gingen damit unter Berufung auf die von Papst Leo XIII. erlassene Enzyklika „Rerum novarum“ in eindeutige Frontstellung zu den Freien Gewerkschaften und deklarierten einen weltanschaulich begründeten Antisemitismus : [ … ] Wir stehen auf dem Boden der Demokratie und fordern volle Gleichberechtigung der Arbeiterschaft in Ausmaß und Ausübung der politischen Rechte [ … ] Für gesunden Fortschritt und kulturellen , politischen und wirtschaftlichem Gebiete , ist von wesentlicher Bedeutung , dass die Führer der Arbeiterschaft in Abstammung und Denkart dem bodenständigen christli24 Steiner ( 1968 ), 38. 25 Vgl. Klenner ( 1953 ), 1087. 26 Vgl. Schmit ( 2009 ), 13. 27 Vgl. Klenner ( 1951 ), 567. 28 Vgl. Schmit ( 2009 ), 15. Schmit verwendet für seine Darstellung Daten aus der Christlichsozialen Arbeiterzeitung vom 29. 7. 1933. 29 Vgl. Klenner ( 1953 ), 1098 ; vgl. Demler , Karl ( 2006 ) : Von Knechten , Mägden und Facharbeitern. 100 Jahre Gewerkschaftsarbeit in der Land- und Forstwirtschaft , Wien , 35. 30 Vgl. Schmit ( 2009 ), 15. 31 Vgl. Reichhold , Ludwig ( 1987 ) : Geschichte der christlichen Gewerkschaften Österreichs , Wien , 139–146 , 272–283.
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III. Wirtschafts- und Interessenpolitik chen Volke angehören und dass der zersetzende Einfluss des Judentums aus dem Geistes- und Wirtschaftsleben des deutschen Volkes verdrängt werde.32
Es sei hier darauf verwiesen , dass sich der letzte Satz keineswegs nur gegen die SDAPIntellektuellen richtete , sondern auch gegen die Gewerkschaftsleitungen , wo entgegen den häufig anzutreffenden Vorstellungen eine Reihe jüdischer FunktionärInnen tätig war.33 Ab dem Massaker vor dem Justizpalast im Juli 1927 verhärteten sich die Fronten noch mehr. Der von den Freien Gewerkschaften zum Protest ausgerufene Generalstreik „wurde von den Christlichen Gewerkschaften als gewissenloser Missbrauch der österreichischen Arbeiter und Angestellten [ … ] scharf abgelehnt“.34 Grundsätzlich akzeptierten die Christlichen Gewerkschaften keine „politischen“ Streiks , sondern nur Streiks als „letztes Mittel“ bei Arbeitskämpfen.35 Nicht so unkonventionell wie die Freien Gewerkschaften , aber klar gegen die Regierungslinie der Rücknahme von Staatsintervention war das Programm der Christlichen Gewerkschaften zur Abmilderung der Wirtschaftskrise. Franz Spalowsky , der Vorsitzende der „Zentralkommission“, verlangte „schärfste Kontrolle des Geldverkehrs“, Zinssenkung und Begrenzung der Marktfreiheit zur Existenzsicherung für die „arbeitenden Menschen“.36 1.1.4 Die „Unabhängige Gewerkschaft“ der Heimwehren Konkurrenz im eigenen „Lager“ erhielten die Christlichen Gewerkschaften durch die 1928 in Leoben gegründete „Unabhängige Gewerkschaft“ ( UG ) der faschistischen Heimwehren ,37 einer „gelben“ oder „wirtschaftsfriedlichen“ Gewerkschaft. Die „Unabhängigen“ wandten sich vor allem gegen die Freien Gewerkschaften38 in den Betrieben und 32 Klenner ( 1953 ) : 1058–1060. 33 Nach über zehn Jahren Recherche stehen der Verfasserin zwar nur punktuelle , aber doch ausreichende Belege zur Verfügung , die zu der getroffenen Aussage berechtigen. Eine erste Publizierung der Recherche-Ergebnisse erfolgte in Bildbänden zur Gewerkschaftsgeschichte , die für die Mitgliederehrungen von ÖGB-Gewerkschaften zusammengestellt wurden : Pellar , Brigitte ( 2008–2011 ) : Eine andere Geschichte Österreichs. Gewerkschaft , soziale Verantwortung und menschliche Politik , Wien , Mutationen : Gewerkschaft der Privatangestellten – Druck , Journalismus , Papier ( 2008 ), Gewerkschaft vida ( 2009 ), Gewerkschaft der Post- und Fernmeldebediensteten ( 2009 ), Produktionsgewerkschaft PROGE ( 2011 ), Gewerkschaft Bau-Holz ( 2011 ). 34 Schmit ( 2009 ), 12–13. Schmit bezieht sich mit dieser Aussage auf : Wodrazka , Paul Bernhard ( 2003 ) : Und es gab sie doch ! Die Geschichte der christlichen Arbeiterbewegung in Österreich in der Ersten Republik , Frankfurt / Main , 144. 35 Vgl. Klein , Karl ( 2006 ) : Vom Klassenkampf zum europäischen Sozialmodell. Menschenwürde – Menschenrechte – Sozialreform. In : Klein , Karl / Pellar , Brigitte / R aming , Walter ( Hg. ) : Menschenwürde – Menschenrecht – Sozialreform. 100 Jahre christliche Gewerkschafter in Österreich , Wien , 23. 36 Vgl. Reichhold ( 1987 ), 423. 37 Vgl. Klenner ( 1953 ), 986–987 , 1061–1062 , 1079 , 1089. Zur Geschichte der UG in der Steiermark vgl. Staudinger , Eduard G. ( 1985 ) : „Unabhängige Gewerkschaft“ und Arbeiterschaft in der Obersteiermark 1927 bis 1933“. In : Geschichte und Gegenwart , Jg. 4 ( 1985 ) Heft 1 , 54–81. 38 Vgl. die Rede Steidles bei einer Hauptversammlung der Christlichen Eisenbahnergewerkschaft im November 1928. Zitiert in : Koranda , Adalbert ( Red. ) ( 1992 ) : 100 Jahre Gewerkschaft der Eisenbahner , Wien , 135.
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���������������������������������������������� ������������������������������� : Kampf um „die Arbeiterschaft“
lehnten Streik in jeder Hinsicht ab. Stattdessen gingen sie von vollständiger Interessen identität zwischen Unternehmensführung und Belegschaft aus. Ihr Ziel war die Bildung von „Werkgemeinschaften“ in einem berufsständischen System.39 Unter dem Druck der Weltwirtschaftskrise wanderten vor allem in der Steiermark und in Kärnten nicht wenige Mitglieder der Freien Gewerkschaften zu den von den großen Unternehmen wie der Alpine-Montan-Gesellschaft großzügig unterstützten „Unabhängigen“ ab.40 Beinhart verlief allerdings auch die Konfrontation zwischen UG und Christlichen Gewerkschaften , die die „Unabhängigen“ zunächst als Verbündete gegen den „roten Terror“ in den Betrieben gesehen hatten. Franz Hemala , niederösterreichischer Landesbeamter und Vorstandsmitglied der Zentralkommission der Christlichen Gewerkschaften , dazu 1930 : Die Betriebsleitung der Alpine-Betriebe entfaltete für diese neue Organisation eine Werbetätigkeit , die in ihren Methoden vielfach dem sozialdemokratischen Terror von einst kopierte. Die Erfahrungen , die die christliche Gewerkschaftsbewegung mit dem Heimatschutz machte , waren einer der Gründe , eine eigene Selbstschutzorganisation , den Freiheitsbund , ins Leben zu rufen.41
Dort wo die Unabhängige Gewerkschaft wieder zerbröckelte , stießen , ebenfalls vom Alpine-Management gefördert , „Nationalbetonte“ in das Vakuum. Offiziell ohne jede Verbindung zur mittlerweile verbotenen NSDAP , gründeten1933 nationalsozialistische Betriebsratsmitglieder im steirischen Industriegebiet die „Deutsche Arbeitergewerkschaft“ ( DAG ).42 1.1.5 Die ( deutschnationalen ) „völkischen“ Gewerkschaften und die NSBO Die deutschnationalen Gewerkschaften schlossen sich in der Ersten Republik zum „Deutschen Gewerkschaftsbund für Österreich“ zusammen. Sie waren wie die Christlichen Gewerkschaften am stärksten bei den öffentlichen Angestellten verankert , hatten aber auch unter den Privatangestellten eine nicht unbedeutende Anhängerschaft und standen politisch weit rechts : 1929 gehörte ihrem „Bund“ unter anderem bereits die „Vereinigung der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterjugend“ an.43 Etwa ab dieser Zeit begannen die NationalsozialistInnen , nach kommunistischem Vorbild Betriebszellen ( Nationalsozialistische Betriebszellenorganisation / NSBO ) in der Privatwirtschaft , aber auch an strategisch wichtigen Positionen wie in den Arbeiterkammern aufzubauen. 44
39 Vgl. Gelbe Gewerkschaften. In : Online Enzyklopädie , URL : www.enzyklo.de / Begriff / G elbe%20 Gewerkschaften ( abgerufen am 14. 7. 2012 ). 40 Vgl. Klenner ( 1953 ), 834. 41 Hemala Franz ( 1930 ) : Geschichte der Gewerkschaften , Wien , 261. 42 Vgl. Klenner ( 1953 ), 978–979. 43 Vgl. Klenner ( 1953 ), 1079–1080. 44 Vgl. Stubenvoll , Karl ( 1997 ) : 75 Jahre Sozialwissenschaftliche Studienbibliothek der Kammer für Arbeiter und Angestellte für Wien 1921–1996 [ S chriftenreihe der sozialwissenschaftlichen Studienbibliothek ] , Wien , 54–55.
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III. Wirtschafts- und Interessenpolitik
Dank der Betriebszellenstruktur konnten die NationalsozialistInnen – wie auch die KommunistInnen – nach dem Verbot ihrer Partei 1933 sehr rasch im Untergrund mit illegaler Oppositionstätigkeit beginnen. 1.2 Überbetriebliche gesetzliche Interessenvertretungen mit demokratischem Wahlrecht 1.2.1 Gehilfenversammlungen und Gehilfenausschüsse der gewerblichen Genossenschaften Die älteren der beiden überbetrieblichen gesetzlichen Interessenvertretungssysteme waren die Gehilfenversammlungen der gewerblichen Genossenschaften45 mit ihren Gehilfenausschüssen. Ihre Rechtsgrundlage war die Gewerbeordnung und ihnen gehörten alle FacharbeiterInnen des zumeist regional definierten Wirkungsbereichs der Genossenschaft verpflichtend an. Die Gehilfenversammlung wählte den Gehilfenausschuss , der das Verhandlungsmandat gegenüber der Unternehmerseite hatte. In der Ersten Republik existierte mit dem „Verein genossenschaftlicher Gehilfenvertreter Österreichs“ ein Koordinationsgremium , das durch die Arbeiterkammer in Wien betreut wurde.46 In den 1880er-Jahren als Repressions- und Alternativinstrument gegen die junge sozialdemokratische Arbeiterbewegung nach ständischer Ideologie aufgebaut , entwickelten sich die Gehilfenorganisationen der Genossenschaften zur ersten legalen Plattform der Freien Gewerkschaften. Später dienten sie als Rechtsbasis für Kollektivverträge und in der Ersten Republik mit ausgeweiteten Rechten auch wieder als politische Plattform. Den Wahlen in die Gehilfenausschüsse wurde ein hoher Stellenwert beigemessen , entsprechend erbittert verliefen die Wahlkämpfe , vor allem zwischen Freien und Christlichen Gewerkschaften. Es ging dabei auch um die Kontrolle der finanziellen Ressourcen der genossenschaftlichen Sozialversicherung.47 1.2.2 Die Kammern für Arbeiter und Angestellte ( Arbeiterkammern ) Arbeiterkammern wurden als Teil des Sozialgesetzgebungspakets der Koalitionsregierungen zu Beginn der Ersten Republik durch Beschluss der konstituierenden Nationalversammlung vom 20. Februar 1920 errichtet. Bei der Einteilung der Kammerbezirke orientierte man sich an jenen der Handelskammern , wobei Wien und Niederösterreich einen gemeinsamen Kammerbezirk bildeten48 und das Burgenland trotz eigenständiger Struktur noch an die Kammer in Wien angebunden war. Für die Arbeiterkammern galt 45 Unter der NS-Herrschaft wurde die in Österreich seit Auflösung der Zünfte im 19. Jahrhundert verschwundene Bezeichnung „Innungen“ wieder eingeführt , die man nach 1945 beibehielt. Nach 1945 wurden die Innungen in die Wirtschaftskammern ( d ie früheren Handelskammern ) integriert , die Gehilfenversammlungen mit den Gehilfenausschüssen wurden nicht mehr aktiviert , sondern als „Fachausschüsse“ in die Struktur der Arbeiterkammern eingebaut. 46 Beleg dafür ist die gemeinsame Herausgabe des Informationsmaterials für die Gehilfenfunktionäre durch die Arbeiterkammer in Wien und den Verein der Gehilfenvertreter. Vgl. Kimml , Anton ( 1926 ) : Gehilfenversammlung und Gehilfenausschuss. Richtlinien für die Tätigkeit der genossenschaftlichen Gehilfenfunktionäre , Wien. 47 Vgl. Pellar , Brigitte ( 2013 ) : … mit sozialpolitischen Erwägungen. Staatliche Arbeitsstatistik und Gewerkschaftsmitsprache im Handelsministerium der Habsburgermonarchie , Wien ( i m Druck ). 48 Vgl. Gesetz vom 26. Februar 1920 über die Errichtung von Kammern für Arbeiter und Angestellte ( A rbeiterkammern ), StGBl. der Republik Österreich Nr. 100 / 1920 , 171.
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ebenfalls die gesetzliche Zugehörigkeit , hier aber nicht auf Gewerbezweige beschränkt. Sie hatten das Vertretungsmandat für alle ArbeiterInnen und Angestellten der Privatwirtschaft sowie der öffentlichen und privaten Verkehrsunternehmen. Die vier Gruppen wählten ihre VertreterInnen in entsprechende „Sektionen“, die zwischen und neben den „Vollversammlungen“ weitgehend selbstständig agieren konnten. Das gesamtösterreichische Koordinationsgremium war der „Österreichische Arbeiterkammertag“.49 Die ersten Wahlen fanden 1921 / 1922 statt. Ihr Ergebnis erleichterte es , dass „durch die Kammern für die freien Organisationen Stützpunkte geschaffen wurden“50. Die Wahlen 1926 bestätigten die „rote“ Dominanz unter den Lohnabhängigen ,51 und zwar aufgrund der gesetzlichen Zugehörigkeit über die Gewerkschaftsmitgliedschaft hinaus. Die Beschlussfassung zum ersten AK-Gesetz erfolgte einstimmig , doch die Vorstellungen über Zweck und Aufgaben dieser schon seit fast einem halben Jahrhundert zur Diskussion gestandenen52 Vertretungsform war höchst unterschiedlich. Die Sozialdemokratie forderte als Rahmenbedingungen Autonomie gegenüber Staat und Unternehmertum , Gleichberechtigung und politisches Primat der Gewerkschaften. Die bis nach dem Ersten Weltkrieg immer wieder ins Spiel gebrachte Variante einer Kammer , die von Lohnabhängigen und Unternehmerschaft gleichermaßen beschickt werden sollte ,53 fand dementsprechende Ablehnung. Bei der Formulierung des Gesetzes von 1920 setzte sich die sozialdemokratische Konzeption eindeutig durch. Die Freien Gewerkschaften waren trotzdem eher skeptisch , sahen sie doch Gefahr für ihr Vertretungsprimat. Andererseits machte der Anspruch der vollen Gleichberechtigung der Arbeiterschaft durch die demokratische Republik die Errichtung von Kammern für Arbeiter und Angestellte als Gegenüber zu den Handels- und Gewerbekammern notwendig. Die sozialdemokratischen GewerkschafterInnen reklamierten dementsprechend auch in den neuen Institutionen das Vertretungs- und Einflussprimat für sich. Man müsse die Kammern akzeptieren , doch „müssen wir anstreben , dass sie … unsere Organisationen ergänzen und immer fest in unseren Händen bleiben“.54 49 Vgl. Borkowetz , Franz ( 1965 ) : Wesen und Wirken der Arbeiterkammern. Eine Einführung. In : Rimpel , Robert ( Red. ) : Die Kammern für Arbeiter und Angestellte 1945–1965. Zwei Jahrzehnte ihres Wirkens festlich gewürdigt , Wien , 9–50 : 25–26. 50 Verlag A. Hueber ( Hg. ) ( 1923 ) : Protokoll des zweiten ordentlichen deutschösterreich. ( neunten österreichischen ) Gewerkschaftskongresses. Abgehalten vom 25. bis 28. Juni 1923 in Wien , Wien , 268. 51 Vgl. Klenner ( 1951 ), 567. 52 Vgl. Bericht des Ausschusses über die Petition des Vereins „Volksstimme“ vom 13. 3. 1874. In : Haus der Abgeordneten des österreichischen Reichsrathes ( Hg. ) ( 1875 ) : Verhandlungen des Hauses der Abgeordneten des österreichischen Reichsrathes , 8. Session , Bd. 3 , 155 der Beilagen zu den stenogr. Protokollen des Abgeordnetenhauses , 8. Session , 1428–1434 : 1428. 53 Vgl. Gerlich , Rudolf ( 1982 ) : Die gescheiterte Alternative. Sozialisierung in Österreich nach dem Ersten Weltkrieg , Wien. Zitiert in : Kepplinger et. al. ( 1995 ), 19–20. Vgl. März Eduard / Weissel Erwin ( 1966 ) : Die Kammern für Arbeiter und Angestellte ( A rbeiterkammern ). In : Pütz , Theodor ( Hg. ) : Verbände und Wirtschaftspolitik in Österreich [ S chriften des Vereins für Sozialpolitik NF 39 ] , Berlin , 393–436 : 393. 54 Verlag A. Hueber ( Hg. ) ( 1920 ) : Protokoll des ersten deutschösterreichischen ( achten österr. ) Kongresses der Gewerkschaftskommission Deutschösterreichs. Abgehalten vom 30. November bis zum 4. Dezember 1919 in Wien , Wien , 356.
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III. Wirtschafts- und Interessenpolitik
Bei der Besetzung der Kammer-Büros waren nicht nur die administrativen Aufgaben zu berücksichtigen , sondern vor allem auch deren angestrebte Funktion als Think-Tank der Freien Gewerkschaften und ( nach dem Ausscheiden aus der Regierung 1920 ) als politisches Instrument der Sozialdemokratie insgesamt gegenüber Bundesregierung und Parlament.55 Für die Minderheitsfraktionen in der Selbstverwaltung – Repräsentanz der Christlichen und deutschnationalen Gewerkschaften und der KommunistInnen – waren Zusammensetzung und Politik des Arbeiterkammer-Büros von Anfang an Angriffsziel. Im Jahresbericht 1923 des „Deutschnationalen Handlungsgehilfenverbands“ ( DHV ) hieß es zum Beispiel : Sie sind rein marxistische Parteiunternehmungen geworden. Sie stellen sozialdemokratische Akademiker ein , richten jüdisch-marxistische Tendenzbibliotheken und Archive ein … bekräftigen das , was die sozialdemokratische Partei und die marxistischen Gewerkschaften schon zweimal geredet , geschrieben oder gefordert haben , zum dritten Male und spielen so eigentlich ein völlig überflüssiges Instrument im politischen Konzert.56
Als – aufgrund der Wahlergebnisse – sozialdemokratisch orientierte Interessenvertretung wurden die Arbeiterkammern von den rechten Koalitionsregierungen nach 1920 nicht in dem Ausmaß eingebunden , wie es dem Zuständigkeitsbereich , der in Analogie zu den Handelskammern auch wirtschaftspolitische Fragen einschloss , entsprochen hätte. Außerdem absorbierte die zur Beschlussfindung notwendige Koordination zwischen den in heftiger Konfrontation stehenden Richtungsgewerkschaften einen großen Teil der Kapazitäten.57 Das Offenhalten der einzigen gemeinsamen Diskussionsplattform bewährte sich aber in etlichen schwierigen Situationen , etwa bei der Entschärfung des ursprünglichen Regierungsentwurfs für das „Antiterrorgesetz“ 58 oder bei der Konzeption und Durchführung des Hilfsprogramms „Jugend in Not“ – „Jugend am Werk“ durch den alle Richtungsgewerkschaften repräsentierenden Jugendbeirat der Arbeiterkammer in Wien.59 1.2.3 Die Dienstnehmersektionen in den Bauernkammern Oberösterreich , Tirol , Vorarlberg Vonseiten der Freien Gewerkschaften wurde angestrebt , auch für die LandarbeiterInnen , damals noch mindestens ein Fünftel der lohnabhängigen Bevölkerung , eine autonome gesetzliche Interessenvertretung vorzusehen. Die starke Landwirtschaftslobby60 55 Vgl. März et al. ( 1966 ), 399–400 ; vgl. Weidenholzer et al. ( 1995 ), 22. 56 Feger , Paul ( o. J. ) : Schaffen und Wollen des DHV in Österreich. Dargestellt am wirtschafts- und sozialpolitischen Arbeitsbericht zum 15. Ordentlichen Verbandstag am 8. September 1923 in Graz , Wien , 41–42. Zitiert in : Stubenvoll ( 1997 ), 49. 57 Vgl. Weber-Felber , Ulrike ( 1995 ) : Gewerkschaften in der Ersten Republik. In : Tálos et al. , 319– 338 : 321–322. 58 Vgl. u. a. Reichhold ( 1987 ), 407 ; siehe auch Seite 1 und Kapitel 3. 1. 59 Vgl. Kimml , Anton ( 1965 ) : Jugendparlament der Ersten Republik. Der Jugendbeirat der Arbeiterkammer Wien 1924–1938 , Wien. 60 Vgl. Bruckmüller , Ernst ( 1995 ) : Das sozial- und wirtschaftspolitische System Österreichs. His
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verhinderte dies aber nicht nur in der Bundesgesetzgebung ,61 sondern auch in der für die Land- und Forstwirtschaft kompetenten Landesgesetzgebung , obwohl die SozialdemokratInnen bei der Vorbereitung der Umwandlung der aus der Monarchie stammenden Landeskulturräte in Bauernkammern62 in den Landtagen immer wieder entsprechende Vorstöße unternahmen. In der Steiermark forderten sie etwa die Zuordnung der Land- und ForstarbeiterInnen zur Arbeiterkammer ,63 in Tirol setzten sie sich für autonome Landarbeiterkammern ein.64 Die gesetzlichen Interessenvertretungen , die schließlich vor 1933 im Rahmen der Bauernkammern in drei Bundesländern eingerichtet wurden , sind dagegen nicht als ernst zu nehmende Interessenvertretungen zu werten. Diese „Dienstnehmersektionen“ mit der Aufgabe , „die [ … ] sittlichen , kulturellen und materiellen Verhältnisse der Mitglieder zu verbessern“,65 standen unter Kontrolle der bäuerlichen Funktionäre.66 Sie finden hier aber Erwähnung , weil sie einen Vorgriff auf die „berufsständische Ordnung“ des austrofaschistischen Ständestaats , wie sie besonders der Heimwehrflügel konzipierte , darstellten. Im Sommer 1934 , also schon im „autoritären“ Staat der Maiverfassung , folgten Dienstnehmersektionen bei den Bauernkammern der Steiermark und Niederösterreichs.67 Die Bestellung der Vertreter der Lohnabhängigen ohne Rücksprache mit der noch bestehenden christlichen Land- und Forstarbeitergewerkschaft war wahrscheinlich der Regelfall , aber für Niederösterreich ist die „heftige Kritik“ Leopold Kunschaks , des wichtigsten Exponenten der christlichen Arbeiterbewegung , dokumentiert. Er forderte aus diesem Anlass grundsätzlich , „dass Vertrauensmänner der Arbeiterschaft nur nach Fühlungnahme mit der zuständigen Artorische Entwicklung und Bewertung in der Gegenwart. In : Bundesarbeitskammer ( Hg. ) : 75 Jahre Kammern für Arbeiter und Angestellte , Wien , 179–221 : 194. 61 Vgl. Wagner , Richard ( 1932 ) : Die ersten Jahre der Republik. In : Deutsch , Julius / L eichter , Käthe / Straas , Eduard / Wagner , Richard : Geschichte der österreichischen Gewerkschaftsbewegung , Bd. 2 , Im Weltkrieg und in der Nachkriegszeit , Wien , 74–114 : 110. 62 Vgl. Bamberger , Richard / Meier-Bruck , Franz ( Hg. ) ( 1966 ) : Österreich-Lexikon , Bd. 2 , Stichwort : Landwirtschaftskammern ( „Bauernkammern“ ), Wien , 669. In einigen Bundesländern entschied man sich , den alten Namen „Landeskulturrat“ beizubehalten. Die „Bauernkammern“ entsprechen den Landwirtschaftskammern der Zweiten Republik. 63 Vgl. Landarbeiterkammer Steiermark , Website , URL : http ://www.landarbeiterkammer.at / steiermark / _ lccms_ / _00097 / Chronik.htm ?VER=120626095022&LANG=lak&MID=97 ( abgerufen am 15. 7. 2012 ). 64 Vgl. Hofinger , Winfried ( 2006 ) : Rückblick auf eine agrarische Sozialpartnerschaft. Referat vor der Vollversammlung der Landes-Landwirtschaftskammer Tirol im Dezember 2006 , URL : http ://www. hofinger.eu / w ikih / R%C3%BCckblick_auf_eine_agrarische_Sozialpartnerschaft ( abgerufen am 15. 7. 2012 ). In der Zweiten Republik wurden in fünf Bundesländern Landarbeiterkammern als Kompromiss lösung eingerichtet , weil die Agrarlobby eine bundesgesetzlich geregelte AK-Zugehörigkeit nach wie vor blockierte , in Wien und dem Burgenland betreut die AK aber die Lohnabhängigen der Land- und Forstwirtschaft mit. Nur Tirol und Vorarlberg weigerten sich , auf die „Dienstnehmersektionen“ in den Landwirtschaftskammern zu verzichten , und Vorarlberg behielt sogar die Bezeichnung bei , während Tirol die Sektion in „Landarbeiterkammer“ umbenannte. Beide mussten allerdings Umwandlungen zum demokratischen Prinzip der „Gegnerfreiheit“ vornehmen. Dazu siehe auch Kapitel 3. 3. 65 Hofinger ( 2006 ). 66 Vgl. Demler ( 2006 ), 34. 67 Vgl. Landarbeiterkammer Steiermark ( 15. 7. 2012 ) ; vgl. Reichhold ( 1987 ), 491.
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beiterorganisation ernannt werden dürfen“.68 Die Auseinandersetzung um die Vertretungshoheit für „die Arbeiterschaft“ innerhalb des austrofaschistischen Systems zeichnete sich hier deutlich ab. 1.3 Die Betriebs- und Dienststellenebene 1.3.1 Die Betriebsräte des privaten Sektors Das Betriebsrätegesetz vom Mai 1919 war wie das Arbeiterkammergesetz ein Dreivierteljahr später ein Teil der großen Sozialoffensive der Republikgründungsjahre. Die Freien Gewerkschaften reagierten , wie dann bei den Kammern , gegenüber dem Plan einer gesetzlich fundierten Interessenvertretung im Betrieb zunächst sehr zurückhaltend. Sie befürchteten , „dass das Betriebsrätewesen zu syndikalistischem Betriebsegoismus führen könnte“, während die Unternehmerseite genau deshalb auf eine Chance zur Schwächung der „gewerkschaftlich geschulten Arbeiterschaft“ und der Gewerkschaften selbst hoffte.69 Der schließlich gefundene und beschlossene Kompromiss verzichtete zwar auf die ursprünglich vorgesehene Mitbestimmung im Unternehmensmanagement ,70 engte die Gültigkeit des Gesetzes auf Betriebe ab 20 Beschäftigten ein und schloss unter dem Druck der Agrarlobby die Land- und ForstarbeiterInnen aus ,71 es kam aber doch zu „schwereren Eingriffen in die Herrenrechte , als es bei den späteren Betriebsrätegesetzen anderer Staaten der Fall war , zum Beispiel 1920 in Deutschland und 1921 in der Tschechoslowakei“.72 Denn die Bestimmungen , die den Betriebsräten die Einsicht in die Gebarung ihres Unternehmens zuerkannte und sie zur Zusammenarbeit mit den Gewerkschaften verpflichteten , blieben aufrecht.73 Der Betriebsrat erhielt unter anderem das Recht , Lohnlisten und Lohnauszahlungen zu kontrollieren , Einsicht und Kontrolle über Produktion und Geschäftsgebarung sowie Einsicht in Bilanz , Gewinn- und Verlustrechnung standen ihm ebenfalls zu. Die Änderung der Arbeitsordnung bedurfte jetzt der Zustimmung der Belegschaftsvertretung , die auch Kündigungen aus politischen und gewerkschaft lichen Gründen anfechten konnte. Eine weitere Aufgabe der Betriebsratskörperschaften war die Überwachung der Durchführung und Einhaltung der Kollektivverträge.74 Da die Wahl von Betriebsräten nicht verpflichtend war , kam es auf die Organisationsstärke einer Gewerkschaft an , ob sie ihre Errichtung durchsetzen konnte. Das bevor zugte die starken Freien Gewerkschaften , denen es rasch gelang , ihr Vertrauensleutesystem auf die Einbindung der Betriebsräte und auf eine starke Loyalitätsbindung zur gewerkschaftlichen Organisation aufzubauen.75 In den wirtschaftlich und politisch extrem schwierigen Jahren der Weltwirtschaftskrise um 1930 wurde die Position der Betriebsräte geschwächt und manche Unterneh68 Vgl. Reichhold ( 1987 ), 491. 69 Vgl. Wagner ( 1932 ), 98. 70 Vgl. ebenda , 97–98. 71 Vgl. Weber-Felber ( 1995 ), 337 , EN 4. 72 Wagner ( 1932 ), 98. 73 Vgl. Lederer , Max ( 1932 ) : Grundriss des österreichischen Sozialrechtes , Wien , 35. 74 Vgl. Gesetz vom 15. Mai 1919 , betreffend die Errichtung von Betriebsräten , StGBl. für den Staat Deutschösterreicheich Nr. 283 / 1919 , 651–55. 75 Vgl. Wagner ( 1932 ), 102 ; vgl. Weber-Felber ( 1984 ), 321.
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mensleitungen wandten gegen sie Terrormethoden an. Es gab größere Industriebetriebe , in denen sich die Direktoren – entgegen den gesetzlichen Bestimmungen – in die Betriebsratswahlen einmischten. Gleichzeitig resignierten viele Lohnabhängige angesichts der hohen Arbeitslosigkeit und waren nicht mehr bereit , für Einrichtung oder Beibehalten eines Betriebsrats zu kämpfen.76 Trotzdem war das freigewerkschaftliche Betriebsratsnetzwerk selbst nach einem Dreivierteljahr Notverordnungsregime Anfang 1934 noch immer funktionsfähig genug , um eine Protestwelle in allen Bundesländern gegen die Entdemokratisierung und Gleichschaltung der Arbeiterkammern auszulösen. Beteiligt waren 171.178 Beschäftigte aus 1.112 Betrieben.77 Unter den ( laut Polizeibericht ) rund 15.000 „Aufrührern“ des 12. Februar 1945 stellten Betriebsratsmitglieder – neben Arbeitersportlern und Schützbündlern – eine der drei größten Gruppen.78 Es wäre eine lohnende Forschungsaufgabe , die im Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstands ( DöW ) zugängliche Anklageschrift der Staatsanwaltschaft79 ( u nd die übrigen Berichte zum 12. Februar 1934 ) im Hinblick auf die Betriebsebene auszuwerten. 1.3.2 Personalvertretungen und Vertrauensmänner im öffentlichen Dienst Für den gesamten öffentlichen Dienst einschließlich der Infrastrukturunternehmen galt bis 1918 striktes Koalitionsverbot , den Beschäftigten der Infrastrukturunternehmen , vor allem den EisenbahnerInnen , gelang es aber trotzdem schon in der Monarchie , Gewerkschaften zu organisieren und Personalkommissionen oder Arbeiterausschüsse durchzusetzen. In dienstrechtlichen Angelegenheiten ging die Freie Gewerkschaft Verhandlungs- und Aktionskoalitionen mit den anderen Richtungsgewerkschaften ein , wie etwa bei der Beschlussfassung zum EisenbahnerInnenstreik von 1933 , dessen Behandlung im Nationalrat das Geschäftsordnungsproblem auslöste , das Bundeskanzler Dollfuß als Vorwand zur Ausschaltung des Parlaments nutzte.80 Im Bereich der Hoheitsverwaltung und der Sicherheitsorgane , also für den Landesund Bundesdienst , für Polizei , Gendarmerie und Militär konnten erst in der Republik Gewerkschaften organisiert und Personalvertretungen oder ein Vertrauensleutesystem eingerichtet werden. Beim Bundesheer und bei der Personalvertretung der inneren Sicherheit , war bis 1926 die jeweils zuständige Freie Gewerkschaft die stärkste Fraktion.81 76 Vgl. Pellar , Brigitte ( 2007 ) : Demokratischer Maßstab Mitbestimmung. Die Geschichte zu einem fast vergessenen Doppeljubiläum : 60 Jahre Betriebsrätegesetz und 60 Jahre Kollektivvertragsgesetz in der Zweiten Republik. In : Arbeit & Wirtschaft Jg. 61 ( 2007 ), Heft 9–10 , 52–55. 77 Vgl. Göhring , Walter / Pellar , Brigitte ( 2001 ) : Anpassung und Widerstand. Arbeiterkammern und Gewerkschaften im österreichischen Ständestaat [ S chriftenreihe des Instituts zur Erforschung der Geschichte der Gewerkschaften und Arbeiterkammern 13 ] , Wien , 39–47. 78 Vgl. Holtmann , Everhard ( 1978 ) : Zwischen Unterdrückung und Befriedung. Sozialistische Arbeiterbewegung und autoritäres Regime in Österreich 1933–1938 , Wien , 177. 79 Vgl. Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstands , Akt 5593b , Anklageschrift der StA Wien II gegen Eifler und Genosssen , Zl. 12 St 5624 / 34 , 3 Vr. 3553 / 34 , 30. Januar 1935 , 32. Zitiert in : Holtmann ( 1978 ), 177. 80 Vgl. u. a. Koranda ( 1992 ), 244–271. Vgl. Günter , Harald , Bildungsreferat der Gewerkschaft der Eisenbahner ( Hg. ) ( 2003 ) : 110 Jahre Gewerkschaft der Eisenbahner , CD-Rom. Wien. 81 Vgl. Klenner ( 1951 ), 620 , 714. Der freigewerkschaftliche Militärverband erhielt 1926 zum Beispiel 203 Mandate , der christliche Wehrbund 49 Mandate.
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Keine dieser Vertretungskörperschaften hatte eine gesetzliche Grundlage82 und sie wurden ab 1934 ersatzlos beseitigt. 1.4 Ausgewählte Literatur und Hinweise zur Quellenlage Das Fehlen einer umfassenden wissenschaftlichen Gesamtdarstellung des Netzwerks an Vertretungen der Lohnabhängigen in der Ersten Republik wird in der Literatur immer wieder bedauert. Eine der wichtigsten Ursachen dafür ist das Fehlen von Archivalien aus den betreffenden Organisationen selbst , für 1918 bis 1933 in noch größerem Ausmaß als für die austrofaschistische Phase. Hier macht sich der doppelte historische Bruch 1934 und 1938 sehr deutlich bemerkbar. Als sich im Dezember 1933 die kurz bevorstehende Abschaffung der demokratisch fundierten Selbstverwaltung in den Arbeiterkammern abzeichnete , dürften am jeweiligen gemeinsamen Sitz des Bundes der Freien Gewerkschaften und der Arbeiterkammer in den Landeshauptstädten die ersten wichtigen Unterlagen zum Schutz sozialdemokratischer Strukturen entnommen worden sein. Auch in der Phase vom 1. Jänner bis zum 12. Februar 1934 , als die Kontrolle bereits bei den vom Regime eingesetzten Verwaltungskommissionen lag , aber die sozialdemokratischen Angestellten und MitarbeiterInnen noch verblieben , konnte man belastendes Material verschwinden lassen. Zudem gelangten nach dem Verbot der sozialdemokratischen Organisationen etliche wichtige Dokumente ohne Zweifel mit Flüchtlingen ins ausländische Exil. Vermutlich sind nicht aufgearbeitete Bestände zu den Freien Gewerkschaften als Teil der vor allem auch mithilfe Friedrich Adlers geretteten Archivalien der „alten“ österreichischen Sozialdemokratie in Amsterdam und Wien noch erhalten und harren der Durchsicht.83 Große freigewerkschaftliche Bestände werden aber ebenso wie ein Großteil des Schriftg uts der Arbeiterkammern mit ziemlicher Sicherheit in Österreich verblieben sein. Sie fielen zusammen mit den Dokumenten der „Einheitsgewerkschaft“, also des austrofaschistischen Staatsgewerkschaftsbunds , 1938 in die Hände des NS-Regimes. Am Sitz der Arbeiterkammer und der Zentrale der Einheitsgewerkschaft in der Wiener Ebendorfer Straße beschlagnahmte die Gestapo schon am 13. März das Schriftgut beider Institutionen , wie Karl Stubenvoll jüngst dargelegt hat.84 Nach der Beschlagnahme erfolgte die Plünderung. Die Bestände wurden an das „Arbeitswissenschaftliche Institut“ der „Deutschen Arbeitsfront“ ( DAF ) in Berlin verbracht und sind seitdem zusammen mit dem überwiegenden Teil der alten Bibliothek 82 Für die Bundes- und Landesbediensteten wurde erst 1967 ein Personalvertretungsgesetz beschlossen. Die Postbediensteten erhielten 1996 mit dem Post-Betriebsverfassungsgesetz und die EisenbahnerInnen 1997 mit dem Bahn-Betriebsverfassungsgesetz eine entsprechende Rechtsgrundlage , wobei auch der Übergang von der Personalvertretung zum Betriebsrat bei Privatisierungen geregelt wurde. 83 Zur Genese der Archivbestände im VGA. Friedrich Adler und die Archive der österreichischen Arbeiterbewegung , Verein für Geschichte der Arbeiterbewegung ( VGA ), URL : http ://www.vga. at / d / i ndex.php ?nav=13 ( abgerufen am 13. 11. 2011 ). 84 Vgl. Stubenvoll , Karl ( 2011 ) : Die SS und der Raub der „Marxistenbibliotheken“ in der Wiener Arbeiterkammer. In : Kammer für Arbeiter und Angestellte für Wien ( Hg. ) : Jahrbuch 2011 AK-Bibliothek für Sozialwissenschaften , Wien , 59–92 : 73.
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verschollen.85 Diese Tatsache ist seit 1989 wissenschaftlich publiziert.86 Der Verlust der Dokumente der Zentralen in den anderen Bundesländern ist dagegen überhaupt nicht erforscht und das gilt noch in weit größerem Ausmaß für die Dokumente der Richtungsgewerkschaften. An zeitgenössischen Quellen stehen hier – mit Ausnahme der Jubiläumsbücher , die nach 1918 erschienen – nur gedruckte Protokolle87 und die ( a llerdings insbesondere auch für die Spätzeit der Ersten Republik höchst aufschlussreichen ) Fachblätter zur Verfügung. Etliche von ihnen wurden noch mit der Postschleife von der Nationalbibliothek ungeöffnet registriert , andere verbrachte man aus ungeklärten Gründen ( wahrscheinlich im Zuge der Plünderungen 1938 ) in die Universitätsbibliothek , einige Nummern fehlen ganz. Auch im Archiv des Österreichischen Gewerkschaftsbunds ( ÖGB ) befindet sich keine vollständige Sammlung. Ein anderer wichtiger Bestand ist dagegen in das ÖGB-Archiv integriert : Die von Anna Boschek gerettete Handbibliothek der Reichskommission beziehungsweise des Bundes der Freien Gewerkschaften. Anna Boschek , angestelltes Mitglied der Gewerkschaftskommission ab 1894 und damit erste österreichische „Berufspolitikerin“ seit Maria Theresia , leitete bis zur Zerstörung der Demokratie die Frauenabteilung des „Bundes“.88 Es gelang ihr , die Bibliothek an sich zu nehmen , obwohl sie wie fast alle prominenten SozialdemokratInnen nach dem 12. Februar 1934 verhaftet wurde und dann unter Polizeiaufsicht stand. 1949 übergab sie die Bände dem ÖGB , wo sie in den Handapparat des Pressereferats integriert wurden.89 Die Überblicksgeschichten zur Gewerkschaftsbewegung der Ersten Republik sind in zwei Gruppen zu untergliedern : einerseits zeitgenössische „Propagandaschriften“ der Richtungsgewerkschaften , die demgemäß nicht den gesamten Zeitraum bis 1933 abdecken����� ������������� können , andererseits nach 1945 geschriebene Darstellungen aus dem Gewerkschaftsbereich , die die gesamte Ära abdecken , aber mit dem Zweck einer historischen Begründung des überparteilichen ÖGB publiziert und daher in manchen Fragen „koalitionär geglättet“ sind. 85 Vgl. Mulley , Klaus-Dieter ( 2011 ) : „Auf eine gewisse repräsentative äußere Ausstattung ist größter Wert zu legen“. Die kafkaeske Suche nach einem AK-Gebäude 1920 /21. In : Jahrbuch 2011 AK-Bibliothek für Sozialwissenschaften , 155–179 : 156. 86 Vgl. Roth , Karl Heinz ( 1989 ) : Searching für Lost Archives. The Role oft the Deutsche Arbeitsfront in the Pillage of West European Trade-Union-Archives. In : International Review of Social History XXXIV , Cambridge , 272–286. 87 Im Fall der Arbeiterkammer in Wien sind die Protokolle als „Berichte“ publiziert , da es sich nicht um stenografische Aufzeichnungen , sondern um – wenn auch ausführliche – Zusammenfassungen handelt. Vgl. Kammer für Arbeiter und Angestellte in Wien ( 1921–1933 ) : Bericht ( über die Vollversammlung am … ). Die Berichte 1924–1933 sind auch als digitale Ressource im WEB zugänglich , URL : http ://content.onb.ac.at / cgi-content / A nno-plus ?aid=bak ( abgerufen am 14. 7. 2012 ). 88 Zur Person siehe u. a. : Anna Boschek 1874 bis 1857. Erste Gewerkschafterin im Parlament. In : Zach , Andrea ( Red. ) : Frauen machen Geschichte , URL : http ://www.renner-institut / f rauenmach … geschichte / sozialdemokratinnen / boschek.htm ( abgerufen am 16. 11. 2011 ). 89 Vgl. Österreichischer Gewerkschaftsbund ( Hg. ) ( 1950 ) : Tätigkeitsbericht für das Jahr 1949 , Wien , 264. Hier heißt es : „Durch die Übernahme eines großen Buchbestandes aus der ehemaligen Bibliothek von Kollegin Anna Boschek … erfuhr die Handbibliothek eine wesentliche Bereicherung durch teilweise unersetzliche Werke aus der Geschichte der einstigen Freien Gewerkschaften Österreichs sowie der Gewerkschaftsbewegung Deutschlands vor 1933 und der einstigen Amsterdamer Gewerkschaftsinternationale.“
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Die AutorInnen der ersten Gruppe konnten sich auf viele der verlorenen Materialen stützen und jene der zweiten Gruppe verwendeten diese Informationen weiter. Damit handelt es sich um unverzichtbare Quellen , auch wenn Herkunftsnachweise zumeist fehlen. Die wichtigsten dieser Publikationen seien hier genannt. Das umfangreichste zeitgenössische Standardwerk ist der 1932 erschienene zweite Band von Julius Deutschs „Geschichte der österreichischen Gewerkschaftsbewegung“, der die Zeit ab Beginn des Ersten Weltkriegs abdeckt. Es handelt sich um eine Geschichte der Freien Gewerkschaften mit starkem volkswirtschaftlichem Schwerpunkt , Hinweise auf die anderen Richtungsgewerkschaften sind rudimentär und nicht selten polemisch. Neben Deutsch selbst , damals Kommandant des Republikanischen Schutzbunds der SDAP , beteiligte sich ein hochkarätiges AutorInnen-Team : der schon erwähnte Journalist und Bildungsfunktionär Richard Wagner , Käthe Leichter , Leiterin des Referats für Frauenarbeit und Genossenschaftswesen der Arbeiterkammer in Wien , und Eduard Straas , aus der Buchdruckerorganisation kommender Journalist und Redakteur von „Arbeit und Wirtschaft“, dem gemeinsamen Organ der Arbeiterkammern , der Freien Gewerkschaften und der Betriebsräte.90 Die Ausgaben dieser Zeitschrift aus der Ersten Republik bieten übrigens eine Fülle an Informationen zur Entwicklung der Vertretungen der Lohnabhängigen , von denen ein großer Teil seitens der Forschung noch nicht beachtet wurde.91 1925 veröffentlichte die sozialdemokratische Gewerkschaftskommission Hans Fehlingers Arbeit über „Die österreichische Gewerkschaftsbewegung“, in der noch der Optimismus der Republikgründungsjahre nachklingt. Erklärtes Ziel war es hier , „eine sachliche und wohlwollend erklärende Beschreibung zu geben“92 , was unter anderem durch einen vergleichsweise nüchternen , wenn auch sehr kurzen Überblick über die Entwicklung der anderen Richtungsgewerkschaften realisiert ist. Die positive Bewertung von Koalitionen der Richtungsgewerkschaften bei Streiks und Verhandlungen fällt auf , der Autor bedauert , dass dies nicht wie in Deutschland „längst die Regel geworden ist“.93 Der Deutsche Fehlinger hatte bereits mehrere Publikationen für den Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbund ( A DGB ) verfasst und war als Referent beim Internationalen Arbeitsamt ( I AA , ILO ) in Genf tätig. Die einzige zeitgenössische Gesamtgeschichte der christlichen Gewerkschaften verfasste Franz Hemala. Sie erschien erstmals 1922 und in zweiter Auflage 1930 unter dem Titel „Geschichte der Gewerkschaften“94 und macht sehr deutlich , wie stark sich die GewerkschafterInnen des christlich-sozialen Lagers von den übermächtigen Freien Gewerkschaften bedrängt sahen.95 Für die deutschnationale Seite ist mit Ausnahme einer Werbebroschüre des Deutschen Handels- und Industriean90 Siehe FN 40. 91 Hueber , Anton ( Hg. ) ( 1923–1934 ) : Arbeit und Wirtschaft. Zeitschrift für volkswirtschaftliche , sozialpolitische und wirtschaftliche Fragen. Organ der Gewerkschaftskommission , der Arbeiterkammern und der Betriebsräte Österreichs , Wien ( 1928–1934 Organ des Bundes der Freien Gewerkschaften , der Arbeiterkammern und der Betriebsräte Österreichs ). „Arbeit und Wirtschaft“ wurde mit der Gleichschaltung der Arbeiterkammern im Jänner 1934 eingestellt , aber nach 1945 wieder publiziert und ist heute ein gemeinsames Organ des ÖGB und der Bundeskammer für Arbeiter und Angestellte. 92 Fehlinger , Hans ( 1925 ) : Die österreichische Gewerkschaftsbewegung. Wien , 5. 93 Fehlinger ( 1925 ), 78. 94 Siehe FN 23. 95 Vgl. z. B. Hemala ( 1930 ), 217.
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gestelltenverbands ( D. H. V. )96 kein vergleichbares Material aufzufinden , auch nicht in Form von Jubiläumsschriften. Von den nach 1945 erschienenen Publikationen sind vor allem die beiden ersten Bände der dreibändigen großen Gewerkschaftsgeschichte Fritz Klenners zu nennen. Sie sollten zum großen Gewerkschaftsfest 1953 , zu dem auch der zweite Band vorlag , die identitätsstiftende Programmatik des noch jungen ÖGB beisteuern , was ihnen in hohem Maß gelang. Durch den Seitenumfang , der für die Geschichte der einzelnen ÖGB-Fraktionen und damit der Richtungsgewerkschaften zur Verfügung steht , wird dabei klar herausgestrichen , wer trotz aller Überparteilichkeit die bestimmende Kraft ist , nämlich die sozialdemokratische ( damals sozialistische ) Fraktion. Die ziemlich kurze und zudem kritisch-kursorische Darstellung der kommunistischen Richtung in Klenners Band 2 verweist auf den Kalten Krieg und insbesondere auf den faktischen Bruch mit der dritten Gründungsfraktion nach dem Oktoberstreik 1950.97 Hier soll allerdings gleich angemerkt werden , dass von kommunistischer Seite bisher keine Publikation vorliegt , die auf die kommunistische Gewerkschaftspolitik der Ersten Republik fokussieren würde. Selbst die von Hans Hautmann und Rudolf Kropf verfasste und nach wie vor einzige Kurzgeschichte der österreichischen Arbeiterbewegung bis zum Beginn der Zweiten Republik ,98 die vielfach von kommunistischer Kritik an der Sozialdemokratie ausgeht , ist in dieser Hinsicht nicht hilfreich. Im Rahmen der KPÖ-Geschichtsschreibung finden sich dagegen durchaus interessante Informationen , die aber noch aus der Parteigeschichte herauszufiltern wären. Zu nennen sind hier vor allem Herbert Steiners „Bibliographische Bemerkungen“ zur KPÖ-Entwicklung bis 1933 und Winfried R. Garschas Beitrag über die Erste Republik in dem 2009 herausgekommenen Sammelband zu „90 Jahre KPÖ“.99 Der Vorgeschichte der „Fraktion Christlicher Gewerkschafter“ ( FCG ) wird im „Klenner“ deutlich mehr Platz eingeräumt als der Vorgeschichte der KP-Fraktion.100 Die Unterlagen dafür scheinen , soweit nicht Hemalas Buch zitiert wird , von der FCG zur Verfügung gestellt worden zu sein. Eine eigene , wenn auch noch nicht besonders ambitionierte fraktionelle Gewerkschaftsgeschichte erschien in der Zweiten Republik 1975 ,101 Ludwig Reichholds umfassende „Geschichte der christlichen Gewerkschaften Österreichs“ folgte 1987. Wie beim Vergleich Klenner – Deutsch 2 lässt sich beim Vergleich des ReichholdBuchs mit Hemalas Publikation ein verbindlicherer Ton feststellen , obwohl natürlich versucht wird , die Berechtigung der „christlichen“ Positionen herauszustreichen. Hauptaussage ist aber auch hier die Akzeptanz der Einbindung in den überparteilichen ÖGB. 96 Deutscher Handels- und Industrieangestelltenverband ( Hg. ) ( 1928 ) : Die Gewerkschaft der deutschen Angestellten , Wien. 97 Vgl. Klenner ( 1953 ), 1081–1088. 98 Hautmann , Hans / Kropf , Rudolf ( 1974 ) : Die österreichische Arbeiterbewegung vom Vormärz bis 1945. Sozialökonomische Ursprünge ihrer Ideologie und Politik [ S chriftenreihe des Ludwig Boltzmann-Instituts für Geschichte der Arbeiterbewegung 4 ] , Wien. 99 Garscha , Winfried R. ( 2009 ) : Grundlinien der Politik der KPÖ 1920 bis 1945. In : Mugrauer , Manfred ( Hg. ) : 90 Jahre KPÖ. Studien zur Geschichte der Kommunistischen Partei Österreichs [ Quellen & Studien , Sonderband 12 ] , Wien , 17–35. 100 Vgl. Klenner ( 1953 ), 1019–1073. 101 Größl , Franz ( Red. ) ( 1975 ) : Die christlichen Gewerkschaften Österreichs , Wien.
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Ulrike Weber-Felber stellte 1995 mit ihrem Beitrag zum Band über die Erste Republik des „Handbuchs des politischen Systems Österreichs“ den aktuellsten Gesamtüberblick nicht nur zur Gewerkschaftsentwicklung , sondern zum Vertretungsnetzwerk „der Arbeiterschaft“ insgesamt bereit. Selbstverständlich sind zumindest Arbeiterkammern und Betriebsräte in allen Gewerkschaftsgeschichten angesprochen , aber mit Ausnahme der Arbeiterkammern102 existiert zu ihnen weder eine zeitgenössische noch eine spätere Entwicklungsanalyse für die Zeit bis 1933. Das gilt gleichermaßen für die Gehilfenausschüsse und für die Betriebsräte , wobei hier allerdings zwei interessante politische Texte aus der Zeit der ersten Wahlen erhalten sind , einer des führenden Gewerkschafters Julius Grünwald103 und einer des Philosophen und Erfinders der Bildstatistik Otto Neurath104. Was die Organisation und die Personalpolitik der Arbeiterkammern betrifft , so ist noch immer Manfred Sterlings Dissertation von 1983 das einzige zur Verfügung stehende Standardwerk , und zwar sowohl für die Erste Republik als auch für den austrofaschistischen Ständestaat.105 Nicht systematisch ausgewertet sind die schon immer öffent lichen , jetzt aber auch digital zugänglichen Protokolle der Selbstverwaltungsorgane der Kammer in Wien. Zur Phase der systematischen Zerstörung der Demokratie und der austrofaschistischen Wende scheinen der Verfasserin zwei Sammelwerke besonders erwähnenswert : Die Sammlung der Beiträge zum wissenschaftlichen Symposium „Februar 1934“ aus dem Jahr 1984106 und Referate aus einer gemeinsamen Veranstaltung der Wiener Arbeiterkammer und des Dr.-Karl- Renner-Instituts unter dem Titel „Reformismus und Gewerkschaften“107. Das Februar-Buch ist neben den beiden informativen Überblicken über die soziale und politische Struktur und Entwicklung von Ernst Bruckmüller108 und Emmerich Tálos109 vor allem wegen der drei Beiträge von Eduard März und Fritz We-
102 Gewerkschaftskommission Österreichs ( Hg. ) : Die Arbeiterkammern in Österreich : 1921 / 1926 , Wien. 103 Grünwald , Julius ( 1919 ) : Betriebsräte und Gewerkschaften [ S ozialistische Bücherei 9 ] , Wien. 104 Neurath , Otto ( 1920 ) : Betriebsräteorganisation als Wirtschaftsorganisation [ Aus der sozialistischen Praxis 15 ] , Wien. 105 Sterling , Manfred ( 1983 ) : Aufbau und Wandel der Organisationsstrukturen der Arbeiterkammern von 1920 bis 1938 , phil. Diss. , Wien. Mehr dazu in Kapitel 2.2. 106 Fröschl , Erich / Z oitl , Helge ( Hg. ) ( 1984 ) : Februar 1934. Ursachen , Fakten , Folgen. Beiträge zum wissenschaftlichen Symposium des Dr.-Karl-Renner-Instituts , abgehalten vom 13. bis 15. Februar 1984 , Wien. 107 Chaloupek , Günther / Rosner , Peter / Stiefel , Dieter : Reformismus und Gewerkschaftspolitik. Grundlagen für die Wirtschaftspolitik der Gewerkschaften [ Die Ökonomik der Arbeiterbewegung zwischen den Weltkriegen 1 ] , Graz. 108 Bruckmüller , Ernst ( 1984 ) : Zur Sozialstruktur Österreichs in den dreißiger Jahren. In : Fröschl et al. , 35–49. 109 Tálos , Emmerich ( 1984 ) : Politische Struktur und politische Entwicklung 1927 bis 1934. In : Fröschl et al. , 65–73.
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ber110 , Margarete Grandner und Franz Traxler111 sowie Ulrike Weber-Felber112 über die ( nicht immer deckungsgleichen ) wirtschaftspolitischen Positionen von SDAP und Freien Gewerkschaften zur Krisenbewältigung von Bedeutung. Günther Chaloupeks Beitrag über die ökonomischen Theorien des in der Arbeiterkammer tätigen Wirtschaftsexperten Benedikt Kautsky in der zweiten Publikation113 kann als wichtige Ergänzung dazu gesehen werden. II. „Die Arbeiterschaft“ als Kampfobjekt und Oppositionsbasis unter den Bedingungen des austrofaschistischen Ständestaats 2.1 Regimekonforme Vertretung und oppositioneller Untergrund Nach der Niederlage der Sozialdemokratie am 12. Februar 1934 folgte nicht nur das Verbot jeder freien gewerkschaftlichen Betätigung , verboten , ersetzt oder regimekonform umgewandelt wurden nach und nach alle Organisationen und Institutionen des Vertretungsnetzwerks der Lohnabhängigen aus der demokratischen Ära. Das gilt zunächst für die sozialdemokratischen Freien Gewerkschaften und die Arbeiterkammern , die nicht nur gleichgeschaltet , sondern der Staatsgewerkschaft untergeordnet wurden. Das gilt aber auch für alle anderen Richtungsgewerkschaften , soweit sie sich nicht freiwillig auflösten oder umwandelten , für die Gehilfenversammlungen und Gehilfenausschüsse der gewerblichen Genossenschaften und besonders für die Betriebsratskörperschaften und Personalvertretungen. An die Stelle der Richtungsgewerkschaften trat der per Verordnung des Sozialministers eingerichtete „Gewerkschaftsbund der österreichischen Arbeiter und Angestellten“ mit durch die Regierung bestellten Funktionären. Wenig überraschend dominierten hauptsächlich ehemalige Christliche Gewerkschafter , aber auch Repräsentanten der Heimwehrgewerkschaft waren an führender Stelle tätig.114 Die bereits Anfang 1934 entdemokratisierten , gleichgeschalteten und um die Verkehrsbediensteten ( Bahn , Post ) reduzierten Arbeiterkammern wurden als Geschäftsstellen in den Staatsgewerkschaftsbund integriert.115 An die Stelle der gewählten Selbstverwaltung trat ein bestellter „Verwaltungsrat“, seinen Vorsitz übernahm der jeweilige Vorsitzende des Landeskartells des Gewerkschaftsbunds , für Wien und Niederösterreich dessen Präsident Johann Staud.116 Die exponierten 110 März , Eduard / Weber Fritz ( 1984 ) : Österreichische Wirtschaftspolitik in der Zeit der großen Krise. Bürgerliche Strategie und sozialdemokratische Alternative. In. Fröschl et al. , 15–33. 111 Grandner , Margarete / Traxler , Franz ( 1984 ) : Sozialpartnerschaft als Option der Zwischenkriegszeit ? Liberalkorporatistisches Krisenmanagement am Beispiel der Wirtschaftskonferenz von 1930. In : Fröschl et al. , 75–117. 112 Siehe FN 13. 113 Chaloupek , Günther ( 2006 ) : Marxismus und österreichische Wirtschaftspolitik. Benedikt K autsky als ökonomischer Theoretiker der Arbeiterkammer. In : Chaloupek et al. , 35–64. 114 Vgl. u. a. Klenner ( 1953 ), 1147–1154 ; Holtmann ( 1978 ), 161–166 ; Reichhold ( 1987 ), 457–468 , 483– 488 ; Göhring et al. ( 2001 ), 64–75 ; Pasteur , Paul ( 2008 ) : Unter dem Kruckenkreuz. Gewerkschafter und Gewerkschafterinnen in Österreich 1934–1938 , Innsbruck , 71–91. 115 Vgl. u. a. Göhring et al. ( 2001 ), 23–37. 116 Vgl. Göhring et al. ( 2001 ), 33 , 40 , 195–198 , 205 , 224 , 231–232 , 247–248 , 261–262 , 275–276 , 291–292. In Wien und Niederösterreich waren allerdings Kammer und Landeskartell getrennt.
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linken AustromarxistInnen unter den Kammer-ExpertInnen wurden sofort fristlos entlassen , flohen oder tauchten unter.117 Im Gegensatz zu dem Bild , das die Zeitzeugenliteratur vermittelt , wurde aber die Mehrheit der nicht so exponierten sozialdemokratischen Experten in Ermangelung ausreichender eigener Personalkompetenz weiter auf ihrem Posten belassen , zum Teil auch in ihren alten Leitungsfunktionen.118 So konnte offenbar trotz der problematischen politischen Rahmenbedingungen weiter „in den verschiedenen Referaten in den Dreißigerjahren recht gute sachliche Arbeit geleistet“ werden.119 Der Organisationsapparat der Arbeiterkammern bildete also die Infrastruktur der „Einheitsgewerkschaft“ ( EG ), wie der Staatsgewerkschaftsbund wegen des Anspruchs , ein „neutrales“ Sammelbecken für alle Lohnabhängigen aus Industrie und Gewerbe zu sein , auch bezeichnet wurde. Hans Schmitz , damals noch EG-Generalsekretär , sah 1936 im Rückblick die Neukonzeption der Arbeiterkammern geradezu als Initialzündung für den Aufbau der „berufsständischen Ordnung“.120 Für ständische und / oder faschistische Konzepte war das Konstrukt „Arbeiterkammern“ aber auch in der „neuen“ Form wie der Staatsgewerkschaftsbund , als Relikt des „Klassenkampfs“ per se untragbar. Beide blieben trotzdem bis 1938 als Institutionen zur „Entproletarisierung“ der sozialdemokratisch geprägten „Arbeiterschaft“ bestehen , wenngleich die Vorstellung des Sozialministeriums im Zusammenhang mit der Verw irk lichung des berufsständischen Staatsaufbaus ihre Auflösung vorgesehen hatte , da nach Ansicht des Sozialministers [ Neustädter-Stürmer 1934 , Anm. d. Vin ] deren Weiterbestehen mit dem berufsständischen Aufbau unvereinbar ist.121
Die reale Machtkonstellation verhinderte die kurzfristige Umsetzung der Pläne des Heim wehrflügels , sie wurden aus Opportunitätsgründen zurückgestellt , da man sich nicht an die – ebenfalls strukturell unpassenden – Handelskammern heranwagte.122 Bis zur Errichtung der „Einheitsgewerkschaft“ hatten die „neuen Arbeiterkammern“ zwei zusätzliche Funktionen : Sie mussten an die Stelle der verbotenen Richtungsgewerkschaften als Kollektivvertrags-Partnerinnen „einspringen“123 und nach der Entfernung der freigewerkschaftlichen Vertrauensleute regimekonforme Betriebsratsmitglieder ein117 Vgl. Göhring et al. ( 2001 ), 51–53. 118 Vgl. Sterling ( 1983 ). 119 Vgl. März Eduard / Weissel Erwin ( 1966 ) : Die Kammern für Arbeiter und Angestellte ( A rbeiterkammern ). In : Pütz , Theodor ( Hg. ) : Verbände und Wirtschaftspolitik in Österreich [ S chriften des Vereins für Sozialpolitik NF 39 ] , Berlin , 393–436 : 404. 120 Hofmann , Gustav / S chmitz , Hans ( Hg. ) ( 1936 ) : Der Gewerkschaftsbund der österreichischen Arbeiter und Angestellten und die Kammer für Arbeiter und Angestellte. Eine Zusammenfassung aller einschlägigen Vorschriften über das Dienstrecht der Angestellten des Gewerkschaftsbundes und der Arbeiterkammern nach dem Stande vom 15. Juni 1936 [ G esetzesausgabe des Gewerkschaftsbundes der österreichischen Arbeiter und Angestellten I ] , Wien / L eipzig , 7–8 , 13. 121 Vgl. ÖStA , AdR , BMfsV 542.SA 24 / g , Akt Nr. 87439. Zitiert in : Uhl , Heidemarie / L einer , Ursula ( 1991 ) : Geschichte der steirischen Kammer für Arbeiter und Angestellte in der Ersten Republik , Wien / Zürich , 228. 122 Vgl. ÖStA , AdR , BMfsV 542.SA 24 / g , Akt Nr. 87439. Zitiert in : Uhl et al. ( 1991 ), 228. 123 Vgl. Verordnung der Bundesregierung vom 16. Februar 1934 , betreffend die Aufrechterhaltung von Kollektivverträgen , BGBl. für die Republik Österreich Nr. 94 / 1934.
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setzen.124 Im Gegensatz zu den Arbeiterkammern , wo die gesetzliche Zugehörigkeit aufrecht blieb , war die Mitgliedschaft bei der EG formal freiwillig. Sie durfte allerdings nur ArbeiterInnen und Angestellte der Privatwirtschaft organisieren ,125 öffentlich Bediens tete einschließlich EisenbahnerInnen und Postbedienstete , aber auch Lohnabhängige der Land- und Forstwirtschaft hatten keine legale Gewerkschaft mehr.126 Auch die getrennte Organisation von Lohnabhängigen in Industrie und Gewerbe127 war eine Maßnahme , um die Klassenidentität aufzubrechen. Da der „berufsständische Aufbau“ wegen der divergierenden Interessen keineswegs glatt vor sich ging , blieben jene Christlichen Gewerkschaften , die Gruppen außerhalb der EG organisierten – vor allem im öffentlichen Dienst und in der Landwirtschaft , aber etwa auch die Hausgehilfinnen – nach dem 1. Mai 1934 bestehen und erfüllten zum Teil indirekt weiter gewerkschaftliche Funktionen.128 Ermöglicht wurde dies durch Statutenänderungen , die die Gewerkschaften in „kulturelle Vereinigungen“ umwandelten.129 Diese „freien Vereine“ konnten durch Einflussnahme auf die „Körperschaften“ des „Berufsstands der öffentlich Bediensteten“ und durch Personalunion ihre Position relativ gut halten , wobei aber klargestellt wurde , dass es sich bei der „amtlichen Vertretung“ um keine Gewerkschaft handelte.130 Wie auch bei der Land- und Forstwirtschaft umfasste der „Berufsstand“ Aktive , PensionistInnen , Familienangehörige und Hinterbliebene.131 Dem Berufsstand war man automatisch zugehörig.132 Für die Land- und Forstwirtschaft wurde nach der Umwandlung des Bauernbunds in den „Berufsstand“ bei ungeschmälerter Machtbasis 1935 das Ständekonzept durch die Einbeziehung von Selbstständigen und Lohnabhängigen in einer Organisation nach bereits erprobtem Muster133 am vollständigsten verwirklicht. Obwohl der „Landarbeiterschaft“ und den beibehaltenen Dienstnehmersektionen eigene Rechtspersönlichkeit zukam , „konnte man [ … ] die Stellung der Landarbeiter im Berufsstand“ [ … ] „nur als unterprivilegiert bezeichnen“. Die ehemaligen Christlichen Gewerkschaften verloren hier den ohnehin schon geringen Einfluss völlig.134 Neben Einheitsgewerkschaft plus Arbeiterkammern sollten auch die Betriebsorganisationen und die „Soziale Arbeitsgemeinschaft“ ( SAG ) der „Vaterländischen Front“ ( V F ) und die „Betriebskameradschaft“ der Heimwehr „die Arbeiterschaft“ in das Sys tem integrieren.135 In der SAG dominierte die Christliche Arbeiterbewegung und da124 Vgl. Verordnung der Bundesregierung vom 23. Februar 1934 über außerordentliche Maßnahmen auf dem Gebiete des Betriebsratswesens und über die Bestellung der Beisitzer der Gewerbegerichte und Einigungsämter , BGBl. für die Republik Österreich Nr. 122 / 1934. 125 Vgl. Hofmann et al. ( 1936 ). 126 Vgl. Göhring et al. ( 2001 ), 70. 127 Vgl. Göhring et al. ( 2001 ), 70. 128 Vgl. Reichhold ( 1987 ), 470–473. 129 Vgl. Schmit ( 2009 ), 20. 130 Vgl. Reichhold ( 1987 ), 488–491. 131 Vgl. Klenner ( 1953 ), 1156. 132 Vgl. u. a. Reichhold ( 1987 ), 490. 133 Siehe Kapitel 1.2.3. 134 Vgl. Reichhold ( 1987 ), 492 f. 135 Vgl. Bärnthaler , Irmgard ( 1971 ) : Die Vaterländische Front , Geschichte und Organisation , Wien / München / Zürich , 80.
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mit Exponenten der Einheitsgewerkschaft auf allen Führungsebenen. Zugleich war die SAG an der Basis aber teilweise von ehemaligen sozialdemokratischen Vertrauensleuten „durchsetzt“.136 Insofern hatte der Vorwurf von Heimwehrseite , die SAG fördere „eine Durchlöcherung der faschistischen Staats- und Gesellschaftsordnung“137 durchaus seine Berechtigung. Zur „Befriedung“ der sozialdemokratisch geprägten „Arbeiterschaft“ trug sie zwar nichts bei , aber bei den letzten Gesprächen zwischen Regierung und Vertretern der illegalen Linksopposition im März 1938 war ihr Ausbau zur Organisation der Linken innerhalb der VF – neben der Zusage von Wahlen in der Einheitsgewerkschaft – das wichtigste Zugeständnis der Regierung Schuschnigg. Das Öffnungskonzept war bis 1938 von der Christlichen Arbeiterbewegung abgeblockt worden , weil sie dadurch ihren Monopolanspruch auf die Vertretung „der Arbeiterschaft“ in einem „christlichen Österreich“ infrage gestellt und darüber hinaus die Interessen des Systems gefährdet sah.138 Im Untergrund formierten sich die verbotenen Freien Gewerkschaften neu , 1935 schlossen sich die kommunistische „Wiederaufbaukommission“ und das sozialdemokratische „Siebener-Komitee“ über Vermittlung des ( mehrheitlich sozialdemokratisch orientierten ) Internationalen Gewerkschaftsbunds ( IGB ) zum „Illegalen Bund der Freien Gewerkschaften“ zusammen.139 In der Realität der Untergrundarbeit änderte das aber nichts an der Rivalität zwischen SozialdemokratInnen und KommunistInnen. Die KommunistInnen setzten auf Unterwanderung der „Einheitsgewerkschaft“, während die sozialdemokratischen FreigewerkschafterInnen sich , wo es aus ihrer Sicht sinnvoll schien , an der von der Untergrundpartei „Revolutionäre Sozialisten“ ( RS ) ausgegebenen Parole der Abgrenzung gegenüber dem Regime orientierten. Zum Teil konnte man sich aber auch „eine begrenzte sozialpolitische Interessenvertretung im Rahmen der EG“ durchaus vorstellen.140 Kontakte zwischen illegalen FreigewerkschafterInnen und Funktionären der EG – und damit einen Informationsfluss in Richtung Illegale – gab es auf jeden Fall von Anfang an. Manche aus dieser „als Überläufer gebrandmarkten“ Gruppe brachen trotzdem „ihre persönlichen Beziehungen zu ihren früheren Kollegen noch nicht ganz ab“ und wurden „trotz ihrer Dienstleistungen für das neue Regime nicht zu Verrätern an ihren früheren Kollegen und Gesinnungsgenossen“.141 Das gilt auch für einen Teil der verbliebenen Arbeiterkammer-ExpertInnen , etwa in Wien für Josef Mire , den Leiter der Lehrlingsabteilung , den Sozialversicherungsexperten Eduard Stark und den schon erwähnten Wirtschaftswissenschaftler Benedikt Kautsky.142 136 Vgl. Pelinka , Anton ( 1972 ) : Stand oder Klasse ? Die christliche Arbeiterbewegung Österreichs 1933–38 [ Veröffentlichungen des Ludwig Boltzmann-Instituts für Geschichte der Arbeiterbewegung ] , Wien / München / Zürich , 123–126. 137 Vgl. Maleta , Alfred ( 1981 ) : Bewältigte Vergangenheit. Österreich 1932–1945 , Graz / Wien / Köln , 159. 138 Vgl. Pelinka ( 1972 ), 124–127. 139 Vgl. u. a. Klenner ( 1953 ),1189–1191 ; Leichter , Otto ( 1963 ) : Österreichs Freie Gewerkschaften im Untergrund , Wien / Köln / Stuttgart / Zürich , 38–39 ; Holtmann ( 1978 ), 220 ; Göhring et al. ( 2001 ), 120– 121 ; Pasteur ( 2008 ),134–136. 140 Vgl. Holtmann ( 1978 ), 206–207 , 218–221. 141 Leichter ( 1963 ), 104. 142 Vgl. Leichter ( 1963 ), 88 , desgl. Hindels , Josef ( 1976 ) : Österreichs Gewerkschaften im Widerstand 1934–1945 , Wien , 109.
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Als Arme des illegalen Gewerkschaftsbunds in den Betrieben fungierten vielfach die dort tätigen Vertrauensleute , ehemalige Betriebsratsmitglieder , die nach Abschaffung der Betriebsratskörperschaften und Einrichtung der „Werksgemeinschaften“143 unter dem Vorsitz von Unternehmensvertretern weiter die Vertretungsfunktion für die Belegschaft ausübten. Nach dem 12. Februar 1934 waren zwar alle deklariert freigewerkschaftlichen Betriebsratsmitglieder entfernt und durch ( zumindest nach außen ) konforme ersetzt worden , doch viele weniger politisch „Auffällige“ passten sich an , ohne die Verbundenheit mit ihrer alten Freien Gewerkschaft aufzugeben. 1936 durften die bisher durch die EG bestellten Vertrauensleute gewählt werden ( wobei die Rahmenbedingungen keineswegs demokratischen Anforderungen entsprachen ), was zu einer weiteren Stärkung der freigewerkschaftlichen SympathisantInnen führte und wichtigen RepräsentantInnen der illegalen Organisation eine legale Funktion verschaffte.144 Mithilfe dieses Netzwerks wurden 1938 – wegen des nie ausgeräumten Grundmisstrauens des Regimes gegen die „Marxisten“ mit geringem Erfolg – die letzten Verhandlungen über den Aufbau einer gemeinsamen Front gegen die nationalsozialistische Bedrohung geführt.145 In vielen Betrieben hatten die NationalsozialistInnen über ihre Betriebszellen längst Fuß gefasst , das System war von unten bis zur österreichischen NSBO-Leitung straff durchorganisiert. Es hatte die Aufgabe , in alle Gewerkschaften einzudringen und sie zu unterminieren , es musste gelingen , in jedem Gewerkschaftsvorstand einen Mann sitzen zu haben , von dem niemand wusste , dass er ein Nazi war.146
Das Unterminieren gelang so gut , dass die Liquidierung des gesamten Komplexes EG – Arbeiterkammern und die Überführung des Vermögens an die „Deutsche Arbeitsfront“ ( DAF ) weitgehend reibungslos vor sich gehen konnte.147 2.2 Quellenlage , Forschungsstand und weiterführende Fragestellungen 2.2.1 Quellen und Literatur Für die austrofaschistische Phase sind Quellenlage und Forschungsertrag zum Thema „Arbeiterschaft“ wesentlich umfangreicher als für die Erste Republik , obwohl die Beschlagnahme durch die Gestapo 1938148 auch für diesen Zeitraum ganz sicher zu großen Verlusten führte. Das lässt sich einerseits mit der Funktion der EG als „Staatsgewerkschaftsbund“ erklären , wodurch viele Dokumente ( w ie auch solche zu den in die EG in143 Vgl. Bundesgesetz vom 28. Juli 1934 über die Errichtung von Werksgemeinschaften , BGBl. für den Bundesstaat Österreich 153 / 1934 ; vgl. Wenzel , Karl ( 1935 ) : Die Werksgemeinschaft , Wien. 144 Vgl. u. a. Klenner ( 1953 ), 274–278 ; Leichter ( 1963 ), 70–75 ; Holtmann ( 1978 ), 232–235. 145 Vgl. dazu u. a. Leichter , Otto ( 1963 ) : Österreichs Freie Gewerkschaften im Untergrund , Wien / Köln / Stuttgart / Zürich , 121–129 ; Klenner ( 1953 ), 1323–1327 ; Göhring et al. ( 2001 ), 166–174 ; Holtmann ( 1978 ), 301. 146 Schopper , Hans ( o. J. ) : Presse im Kampf. Geschichte der Presse während der Kampfjahre der NSDAP ( 1933–1938 ), Wien , 305. Zitiert in : Göhring et al. ( 2001 ), 156. 147 Vgl. Göhring et al. ( 2001 ), 177–189 , 245 , 259–260 , 271–273 , 284–287 , 304–305. 148 Siehe Kapitel 1.4 , FN 86 , FN 87.
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tegrierten Arbeiterkammern149 ) erhalten blieben und im Österreichischen Staatsarchiv zugänglich sind.150 Andererseits ist es der konsequenten Arbeit des Dokumentationsarchivs des österreichischen Widerstands ( DÖW )151 zu verdanken , dass Prozessdokumente und Dokumente der Illegalität gesichert wurden. Schließlich sind die im „International Institute of Social History“ ( IISG ) in Amsterdam betreuten Teilnachlässe von Otto Bauer152 , darunter auch Korrespondenz mit Schorsch153 , und von Otto Leichter154 , dem „Kommunikationschef “ des illegalen Bundes der Freien Gewerkschaften , zu nennen. Die Dokumente aus diesen Archiven , insbesondere auch aus dem IISG intensiv einbezogen zu haben , ist das besondere Verdienst von Paul Pasteurs 2002 in französischer Sprache und 2008 in deutscher Übersetzung erschienenen Studie.155 Pasteurs Arbeit ist eine der beiden Monografien , die zum Thema „Interessenvertretung der Lohnabhängigen unter den Bedingungen des Austrofaschismus“ außerhalb der ZeitzeugInnen-Literatur vorliegen. Die andere , unter dem Titel „Anpassung und Widerstand“ fast zeitgleich erschienene , stammt von Walter Göhring und der Verfasserin und legt den Schwerpunkt auf die Arbeiterkammern als EG-Geschäftsstellen. Grundlegend für die Beschäftigung mit „der Arbeiterschaft“ ist zudem Everhard Holtmanns Studie aus dem Jahr 1978 , die allerdings – wie bis auf die genannten Ausnahmen die gesamte wissenschaftliche Überblicksliteratur – die Vertretungsstrukturen zwar berücksichtigt , aber hauptsächlich aus dem Blickwinkel der Auseinandersetzung mit den RS. Das mag nicht zuletzt dem prägenden Einfluss von Josef Buttingers 1948 erstmals erschienener Autobiografie156 zuzuschreiben sein , unter anderem wohl auch in der Einschätzung von Strategien und führenden Persönlichkeiten des Untergrunds. Die Darstellung der freigewerkschaftlichen Untergrundarbeit fällt auf jeden Fall bei Otto Leichter , der als „Kommunikationschef “ mit den verschiedenen „Fraktionen“ Kontakt halten musste , weniger pointiert und deutlich differenzierter aus. So hatte er offenbar auch Kontakt mit dem aus der Arbeiterkammer entlassenen jungen Stefan Wirlandner , nach 1945 Lei149 Österreichisches Staatsarchiv – Archiv der Republik – Bundesministerium für soziale Verwaltung : AT-OeStA / AdR BMfsV SP Sozialpolitik 1918–1940 – Inhalt : Kammer für Arbeiter und Angestellte. 150 U. a. Archiv der Vaterländischen Front im Österreichischen Staatsarchiv : AT-OeStA / AdR BKA BKA-I Parteiarchive VF ZSt 6 Titel : Gewerkschaft – Kollektivverträge , Korrespondenzen Entstehungszeitraum : 1934–1937. 151 DÖW Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes , Archivsite , URL : http ://www. doew.at / service / A rchiv / content.html ( abgerufen am 18. 7. 2012 ). 152 Archive des International Institute of Social History ( I ISG ), Amsterdam , Teilnachlässe : Otto Bauer Papers , URL : http ://search.iisg.nl / search / search ?action=transform&col=archives&xsl=archiv es-detail.xsl&lang=en&docid=10729049_EAD ( abgerufen am 11. 03. 2012 ). 153 Siehe Kapitel 1.1.1. 154 Archive des International Institute of Social History ( I ISG ), Amsterdam , Teilnachlässe : Otto Leichter Papers , URL : http ://search.socialhistory.org / Record / A RCH00810 / Holdings#tabnav ( abgerufen am 10. 07. 2012 ). 155 Pasteur , Paul ( 2002 ) : Être syndiqué( e ) á l’ombre de la croix potencée. Corporatisme , sydicalisme , résistance en Autriche 1934–1938 ( Êtudes Autrichiennes 11 ), Rouen. 156 Buttinger , Josef ( 1948 ) : Am Beispiel Österreichs , New York ; Buttinger , Josef ( 1953 ) : Das Ende der Massenpartei – Am Beispiel Österreichs , Frankfurt / Main ( Zweite Frankfurter Auflage 1972 ).
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ter der wirtschaftspolitischen Abteilung des Kammerbüros in Wien und damals Redakteur der halblegalen Zeitschrift „Der Strom“, also einem der von den RS wenig geliebten „Reformisten“.157 Insgesamt finden sich in allen Publikationen zum Thema „Gewerkschaften 1934 bis 1938“ nur sehr spärliche Hinweise auf die Rolle der nicht entlassenen sozialdemokratischen Arbeiterkammer-ExpertInnen 1934 bis 1938. Deshalb handelt es sich bei der nie publizierten Dissertation von Manfred Sterling über die Organisationsstrukturen der Kammern bis 1938 trotz einiger Ungereimtheiten noch immer um den wichtigsten Beitrag vor allem über die Entwicklung der Wiener Arbeiterkammer und damit auch zur Innensicht der EG bis zur Machtübernahme durch das NS-Regime. LeserInnen der Leichter-Publikation sollten sich allerdings dessen bewusst sein , dass es hier das Anliegen war , die lupenreine Oppositionshaltung der illegalen Gewerkschaften trotz unterschiedlicher Strategieauffassungen zu den RS zu dokumentieren , was in noch höherem Maß für den dritten der freigewerkschaftlichen „Zeitzeugenberichte“, den mehr als 350 Seiten umfassenden Abschnitt über die austrofaschistische Epoche im zweiten Band von Klenners Gewerkschaftsgeschichte158, gilt. Wie Buttinger und Leichter war Klenner als Obmann der Banken-Gruppe der illegalen „Freien Angestelltengewerkschaft“ ( FRAGÖ )159 und gleichzeitig legaler Betriebsvertrauensmann noch bis 1940160 unmittelbar in die Geschehnisse involviert. Reste der von ihm zusammengetragenen Sammlung von Publikationen der Untergrundbewegung tauchten bei der Räumung der alten ÖGB-Zentrale auf und wurden nach der Wiedereinrichtung des ÖGB-Archivs in dessen Bestände eingegliedert. Erhalten blieben die ursprüngliche Bestandsliste und die Auflistung jener Archivalien , die 1956 entnommen wurden. Nach Abgleichung mit der Sammlung des DÖW zur austrofaschistischen Periode wird sich herausstellen , ob sich in den Klenner-Unterlagen bisher nicht bekannte Dokumente befinden. Auf jeden Fall interessant ist ein Original des ersten Tätigkeitsberichts des illegalen „Bundes der Freien Gewerkschaften“ vom 1. November 1936 , den Klenner in der Gewerkschaftsgeschichte 1953 ausführlich zitiert.161 Die dritte freigewerkschaftliche Zeitzeugendokumentation ist „Österreichs Gewerkschaften im Widerstand“ von Josef Hindels.162 Hindels kam aus der bis 1934 von Manfred Ackermann , dem ersten RS-Obmann organisierten Jugendgruppe des „Zentralvereins der kaufmännischen Angestellten“, war ab 1934 im sozialdemokratischen Untergrund aktiv und lebte ab 1937 im Exil , in der Zweiten Republik war er viele Jahre Zentralsekretär der Gewerkschaft der Privatangestellten.163 Ihm ging es darum , das Heldenepos 157 Vgl. Leichter ( 1963 ), 26. 158 Klenner ( 1953 ), 1071–1335. 159 Vgl. Göhring / Pellar ( 2001 ), 120. 160 Vgl. Interview mit Fritz Klenner vom April 1985. Auszugsweise publiziert in : Gewerkschaft der Privatangestellten ( 1987 ) ( Hg. ) : GPA-Dokumentation 1945–1947. Von der Gründung bis zum 1. Gewerkschaftstag , Wien , Blatt Mai 1945 ( Bänder im Institut zur Erforschung der Geschichte der Gewerkschaften und Arbeiterkammern in der Arbeiterkammer Wien ). 161 Vgl. Klenner ( 1953 ), 1205–1243. 162 Siehe FN 149. 163 Vgl. u. a. Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes / Bund sozialdemokratischer Freiheitskämpfer und Opfer des Faschismus ( Hg. ) ( 1996 ) : Josef Hindels. Erinnerungen eines linken Sozialisten , Wien.
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des gewerkschaftlichen Widerstands gegen beide Faschismen zu schreiben , sein Buch ist aber trotzdem auch für die Forschung von Interesse , da sich hier , gegliedert nach Gewerkschaftsgruppen , etliche sonst nirgends festgehaltene Informationen finden. Informationen zu den Untergrund-Gewerkschaften sind also , wie die angeführten Beispiele zeigen , viele vorhanden , aber weit verstreut und manchmal in einem unerwarteten Kontext. Das zugängliche Material würde sicher ausreichen , um die fehlende wissenschaftliche Aufarbeitung der Geschichte der freigewerkschaftlichen Illegalität unter dem Austrofaschismus vorzunehmen. Hinsichtlich der Christlichen Arbeiterbewegung und ihrer Verantwortung im Staatsgewerkschaftsbund wurde die wissenschaftliche Aufarbeitung bereits 1972 durch Anton Pelinka mit seiner Studie „Stand oder Klasse ? “ geleistet. Paul Wodrazkas Publikation von 2003164 übernimmt demgegenüber vergleichsweise unkritisch die Positionen der Polemik-Literatur der frühen 1930er-Jahre , während die 2012 abgeschlossene Dissertation von Georg-Hans Schmit über „Die christliche Arbeiterbewegung zwischen 1. und 2. Republik“ neue und ergänzende Aspekte erschließt.165 Reichholds schon mehrfach erwähntes Geschichtswerk zur Christlichen Gewerkschaftsbewegung ist für die austrofaschistische Ära als Zeitzeugen-Literatur einzustufen und zu bewerten : Der Autor war Redakteur der „Österreichischen Arbeiter-Zeitung“, des EG-Zentralorgans und damit das regimetreue Gegenüber zu Leichters Tätigkeit für die Untergrundorganisationen. In den in der Zweiten Republik meistens aus Anlass eines Gründungsjubiläums he rausgegebenen Geschichtsbüchern für einzelne ÖGB-Gewerkschaften wird der Zeitraum 1933 bis 1938 überall angesprochen , aber mit unterschiedlicher Schwerpunktsetzung und sehr unterschiedlicher Informationsqualität. Der Widerstand von GewerkschafterInnen beider „Lager“ gegen das NS-Regime steht dabei eindeutig im Zentrum , wo die Zeit des Austrofaschismus ausführlicher behandelt wird , geschieht dies fast immer aus freigewerkschaftlicher Perspektive. Diese Geschichtsbücher enthalten allerdings manchmal , wenn auch häufig leider ohne Beleg , höchst interessante Hinweise und Fakten , etwa zum Vermögenstransfer von den liquidierten Freien Gewerkschaften zur Einheitsgewerkschaft. Solche Informationen finden sich zum Beispiel in der Geschichte der Land- und Forstarbeiterorganisation von 2006 und in der 1967 verfassten Geschichte der Gewerkschaft Druck und Papier.166 Die Aneignung des freigewerkschaftlichen Vermögens durch die EG ist ein noch wenig erschlossenes Forschungsfeld , in das neben den Liegenschaften auch das Unterstützungswesen , die genossenschaftlichen Einrichtungen und das in Banken , vorwiegend aber nicht ausschließlich in der Arbeiterbank deponierte Vermögen einzubeziehen wären. Das Kapitel über Gewerkschaften in der ausgezeichnet recherchierten Diplomarbeit Eduard Mezes über das Ende der Arbeiterbank167 bringt dazu 164 Wodrazka , Paul Bernhard ( 2003 ) : Und es gab sie doch ! Die Geschichte der christlichen Arbeiterbewegung in Österreich in der Ersten Republik , Frankfurt / Main. 165 Vgl. Schmit , Georg-Hans ( 2012 ) : Vom Untergang der Demokratie bis zum Beginn der 2. Republik – die christliche Arbeiterbewegung in den Jahren 1933 bis 1946 , phil. Diss. , Wien. 166 Narozny , Eduard : Die Geschichte der Gewerkschaft Druck und Papier von der Gründung im Jahre 1892 bis zum Jubiläum des einhundertfünfundzwanzigjährigen Bestandes im Jahre 1967 , Wien. 167 Vgl. Meze , Eduard ( 2007 ) : Das Ende der Arbeiterbank nach dem Februar 1934 , Dipl.-Arb. , Innsbruck , 27–33.
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erstmals genauere Ansätze. Die beste Chance , mehr als bisher bekannt ist , über die Aneignung des freigewerkschaftlichen Vermögens zu erfahren , bietet aber sicher die aktuelle Restitutionsforschung. Vor allem die Ergebnisse des von Sabine Schweitzer im Rahmen des Kreisky-Archivs 2012 durchgeführten Projekts „Restitution im Bereich des ÖGB nach 1945“168 könnte eine erweiterte Basis für zukünftige Forschungsarbeit schaffen. Die wichtigste gedruckte Quelle zur Legistik des austrofaschistischen Ständestaats im Hinblick auf Interessenvertretung der Lohnabhängigen , einschließlich der Regelung des Vermögenstransfers , ist die bereits erwähnte , von Gustav Hofmann und Hans Schmitz herausgegebene und in der Literatur kaum beachtete Gesetzesedition aus dem Jahr 1936. Der dort angesprochene „berufsständische Aufbau“, dessen Ziel die totale Aufhebung der „Gegnerfreiheit“169 war , forderte gerade auch die davon negativ Betroffenen zu genauer „Konkurrenzbeobachtung“ heraus. Otto Leichter publizierte seinen Befund nach dem Ende des austrofaschistischen Regimes und vor seiner Emigration in die USA.170 III. Forschungsstand und Forschungsfragen zu zwei ausgewählten Themen 3.1 Zum Vertretungsmandat für „die Arbeiterschaft“ Mit dem Einigungsamtsgesetz vom Dezember 1919 ( E AG ) erfolgte die rechtliche Anerkennung der durch die Kollektivvertragsparteien abgeschlossenen Verträge ,171 wobei das Gesetz „den Gewerkschaften eine Art von Monopolstellung beim Abschluss [ … ] zuerkannte“172 und das schon im Betriebsrätegesetz vom Mai 1919 festgelegte Recht der betrieblichen Interessenvertretung auf Abschluss von ergänzenden Betriebsvereinbarungen bestätigte.173 Außerdem erfolgte durch die rechtliche Anerkennung eine Aufwertung der Funktion der Betriebsräte als Organe zur Überwachung des Durchführens und Einhaltens der Kollektivverträge ( K V ).174 Da das EAG nur für Mitglieder der Gewerkschaft , die den Vertrag abschloss , galt , barg diese Rechtslage angesichts der Exis tenz von konkurrierenden Richtungsgewerkschaften ein großes Konfliktpotential. In der überwiegenden Mehrheit waren die Freien Gewerkschaften als die weitaus stärksten Organisationen die KV-Partnerinnen und auch der Großteil der Betriebsratskörperschaften zählte zum sozialdemokratischen Lager. Damit die Verträge durch Unorganisierte oder anders Organisierte nicht unterlaufen werden konnten , setzten sie auf das im anglo-amerikanischen Raum übliche „Closed Shop-Prinzip“, sie schlossen also KV-Vereinbarungen mit Organisations- und Aussperrungsklauseln , in denen sich die Unternehmerseite zur ausschließlichen Beschäftigung von FreigewerkschafterInnen 168 Vgl. Homepage Kreisky-Archiv / M itarbeiterinnen , URL : http ://www.kreisky.org / i ndex_mitarbeiterinnen.htm. 169 Siehe Kapitel 3. 2. 170 Leichter , Otto ( 1939 ) : Der Versuch einer berufsständischen Gewerkschaft. Der Gewerkschaftsbund der österreichischen Arbeiter und Angestellten , 1934–38 , Leiden. 171 Vgl. Gesetz vom 18. Dezember 1919 über die Errichtung von Einigungsämtern und über kollektive Arbeitsverträge , StGBl. für die Republik Österreich Nr. 16 / 1920 , 19–24 : 22–23. 172 Lederer , Max ( 1932a ) : Tarifvertrag und Tarifvertragsrecht in Österreich. In : Heyde , Ludwig ( Hg. ) : Internationales Handwörterbuch des Gewerkschaftswesens , Berlin , 1670–1678 : 1670. 173 Vgl. Lederer ( 1932a ), 1672. 174 Siehe Kapitel 1.3.1.
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verpflichtete.175 Das erschwerte die Mitgliederwerbung der anderen Richtungsgewerkschaften natürlich massiv. Sie bekämpften deshalb – zunächst mit wenig Erfolg – den „Terror in den Betrieben“ auf zwei Ebenen , einerseits durch Klagen wegen Verletzung der Koalitions- und Vereinsfreiheit ,176 andererseits mit Gesetzesinitiativen.177 Die Klagen wurden nicht selten abgewiesen , und zwar durchwegs mit der Begründung , „dass als das wirksamste Mittel zu einer möglichst weiten Erfassung der Arbeiterschaft dieses erscheint , dass der Organisation Nichtangehörige von der Erlangung einer Arbeitsstelle ausgeschlossen werden“178 , wie es der Oberste Gerichtshof formulierte , der allerdings in seiner Spruchpraxis schwankte.179 Auch liberale Arbeits- und Sozialrechtsexperten wie Max Lederer oder Artur Lenhoff unterstützten diese Rechtsmeinung ,180 während zum Beispiel das Wiener Oberlandesgericht „Closed Shop“ und Organisationszwang als „unsittlich und der Koalitionsfreiheit widersprechend“ bewertete.181 Die Staatsintervention in dieser Frage erfolgte – unter dem Druck von Heimwehrflügel und Unternehmerverbänden – erstmals 1929 mit dem „Antiterrorgesetz“ durch die Regierung Streeruwitz. Der Erstentwurf sah nicht nur ein Verbot des „Closed Shop“-Prinzips und des Organisationszwangs vor , sondern stellte de facto jede gewerkschaftliche Organisationsarbeit einschließlich Streiks als „Nötigung“ unter Strafe182 und begünstigte zudem die „gelben“ Heimwehrorganisationen183 , sodass ihn auch die Christlichen Gewerkschaften ablehnten. Bei dem nach heftigen politischen Auseinandersetzungen gefundenen Kompromiss184 setzte sich die sozialdemokratische Seite teilweise durch , wenn sie im Parlament auch nicht zustimmte , weil das „Closed Shop“-Verbot ebenso wie das Verbot des Abzugs von Mitgliedsbeiträgen durch die Unternehmen aufrecht blieb.185 Aber immerhin konnte das Verbot von Arbeitskämpfen abgewendet werden und die durch Novellierung des EAG eingeführte „Außenseiterwirkung“ brachte einen Fortschritt , dessen Bedeutung sich erst in der Zweiten Republik wirklich zeigte : Der KV galt ab jetzt auch für Unorganisierte und anders Organisierte und der Betriebsrat erhielt Einspruchsrecht , womit er die Möglichkeit hatte , Scheinabkommen mit einer gelben Gewerkschaft zu blockieren.186 175 Vgl. Leichter , Käthe ( 1932a ) : Wirtschaftskatastrophe und gewerkschaftliche Abwehrkämpfe. In : Deutsch et al. , 225–257 : 241. 176 Vgl. Leichter , Käthe ( 1932 ) : Rationalisierungs- und Stabilisierungsbestrebungen. In : Deutsch et al. , 191–224 : 220 ; vgl. Reichhold ( 1987 ), 401. 177 Vgl. Reichhold ( 1987 ), 403. 178 Vgl. Klenner ( 1953 ), 849. Formulierung in einem Spruch des Obersten Gerichtshofs ; vgl. auch einen Spruch des Wiener Landesgerichts , zitiert in Leichter ( 1932 ), 220–221. 179 Vgl. Reichhold ( 1987 ), 401. Hier wird eine gegenteilige Rechtsmeinung des Höchstgerichts vermerkt. 180 Vgl. Klenner ( 1953 ), 849–850. 181 Vgl. Reichhold ( 1987 ), 401. 182 Vgl. Reichhold ( 1987 ), 404. ; vgl. Klenner ( 1953 ), 1064. 183 Vgl. Leichter ( 1932 ), 240. 184 Vgl. Bundesgesetz vom 5. April 1930 zum Schutz der Arbeits- und der Versammlungsfreiheit. BGBl. Nr. 113 / 1930 , 546–548. 185 Vgl. u. a. Leichter ( 1932a ), 241. 186 Vgl. Leichter ( 1932a ), 241 ; vgl. Lederer ( 1932a ), 1674.
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Das vor 1934 besonders von den Christlichen Gewerkschaften erwünschte Verbot des Beitragsabzugs durch die Unternehmen behinderte sie , als sie die bestimmende Kraft im Staatsgewerkschaftsbund geworden waren. Sie erreichten die Aufhebung des Verbots und die Beibehaltung der „Außenseiterwirkung“.187 Das formal weiterbestehende „Closed Shop“-Verbot war unter den Bedingungen der Diktatur allerdings irrelevant : Nur EG-Mitglieder , Heimwehrleute und VF-Mitglieder hatten in der Zeit extrem hoher Arbeitslosigkeit realistische Chancen auf Neueinstellung.188 Das „Antiterrorgesetz“ in der Fassung von 1930 ist , zweimal novelliert , geltendes österreichisches Recht und sein positiver Kern , die „Außenseiterwirkung“ von Kollektivverträgen189 ist Grundlage für die im Vergleich hohe Effizienz von arbeitsmarktund wirtschaftspolitischen Steuerungsmaßnahmen durch Kollektivvertrag gegenüber anderen europäischen Staaten , wie sie sich zuletzt bei den Kurzarbeitsverträgen in der Wirtschaftskrise 2009 zeigte. Trotzdem findet sich abgesehen von etlichen juristischen Kommentaren , einer Dissertation , die die Terror-These der Christlichen Gewerkschaften unterstützt ,190 und einem zwar relevanten , aber 1984 verfassten Beitrag in einem Sammelband191 keine Forschungsarbeit , die sich mit dem „Antiterrorgesetz“, seiner Vorgeschichte192 und seiner Langfristwirkung in Österreich beschäftigen würde. Offen ist zum Beispiel die Frage , welche Motive beziehungsweise welche Interessen dem Abgehen von der Möglichkeit der „Außenseiterwirkung“, wie sie vor der Verrechtlichung des KV-Wesens Realität gewesen war , bei der Textierung des EAG 1919 zugrunde lagen. Zu untersuchen wäre auch , ob und in welchen Bestimmungen Teile des „Antiterrorgesetzes“ 1934 bis 1938 direkt oder indirekt aufgehoben wurden – ob etwa durch die alleinige KV-Fähigkeit der EG und das Werkvertretungsgesetz das den Betriebsräten zuerkannte Einspruchsrecht gegen nicht akzeptable KV-Abschlüsse ungültig wurde. Was die Zweite Republik betrifft , so geht zwar aus der Literatur hervor , dass das neuerliche Inkrafttreten des Gesetzes von 1930 zumindest vonseiten der sozialistischen Fraktion als diskriminierend empfunden wurde , der ÖGB aber nur die Beseitigung des ohnehin schon für die EG aufgehobenen Verbots des Abzugs der Mitgliedsbeiträge durch die Lohnbüros193 durchsetzte , während der Schutz der „negativen Koalitionsfreiheit“, also das Recht , sich nicht organisieren zu müssen , als harter Kern des „Antiterrorgesetzes“ bestehen blieb. Hier könnte die Erforschung der Ursachen einen Beitrag leisten , um unter Umständen die von der relativ hohen Politikgestaltungsmöglichkeit des ÖGB während der ersten 187 Vgl. Schmit ( 2009 ), 91 ; vgl. Reichhold ( 1987 ), 468. Reichholds Darstellung enthält allerdings die Fehlinformation , dass die „Außenseiterwirkung“ erst im austrofaschistischen Ständestaat eingeführt worden sei. 188 Vgl. Bärnthaler ( 1971 ), 26. 189 Seit 1974 Teil des Arbeitsverfassungsgesetzes. 190 Waal , Wilfried de ( 1979 ) : Betriebsterror und christliche Gewerkschaften , phil. Diss. , Wien. 191 Stubenvoll , Karl ( 1984 ) : Zur Genesis und Funktion des „Antiterrorgesetzes“ vom 5. April 1930. In : Helmut Konrad ( Hg. ) : Neuere Studien zur Arbeiterbewegung. Zum fünfundzwanzigjährigen Bestehen des Vereins für Geschichte der Arbeitergeschichte , Bd. 1 , Beiträge zur Wirtschafts- und Sozialgeschichte [ Materialien zur Arbeiterbewegung 35 ] , Wien , 213–245. 192 Für etliche Verträge der Freien Gewerkschaften vor 1914 galt durchaus eine „Außenseiterwirkung“. 193 Vgl. Klenner ( 1953 ), 856 , 1509 ; vgl. Klenner , Fritz ( 1979 ) : Die österreichischen Gewerkschaften. Vergangenheit und Gegenwartsprobleme , Bd. 3 , Wien , 2212.
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Jahrzehnte der Zweiten Republik überdeckten auch in der Sozialstaatsära realen Machtverhältnisse sichtbar zu machen. Nicht zuletzt auch im Hinblick auf die immer wieder aufkommenden Debatten zur Verfassungsänderung wäre die Analyse der Spruchpraxis und der juristischen Fachliteratur im Zusammenhang mit der „Closed Shop“-Praxis , vor allem in Bezug auf die Akzeptanz oder Ablehnung der Intentionen der Kelsen-Verfassung von 1920 ebenfalls ein Projekt mit starkem Aktualitätsbezug. 3.2 Zur Begriffsklärung „Austrofaschismus“ und „Neokorporatismus“ Es fällt auf , dass die in diesem Beitrag genannten und die meisten anderen Publikationen zu den Jahren 1933 bis 1938 – mit Ausnahme der von Emmerich Tálos verfassten oder betreuten194 – die Benennung „Austrofaschismus“ im Titel vermeiden , Holtmann und Pasteur lehnen sie außerdem ausdrücklich ab. Einen Beitrag , um die unterschiedlichen Standpunkte bezüglich der Zuordnung des Dollfuß / Schuschnigg-Regimes auch unter kritischen HistorikerInnen und PolitikwissenschaftlerInnen etwas anzunähern , könnte vielleicht die tiefer gehende Analyse der Haltung zur Emanzipation „der Arbeiterschaft“ über die Ablehnung des „Klassenstandpunkts“ hinaus und im Hinblick auf „völkische“ Konzepte leisten. Nach Einschätzung der Verfasserin wäre dabei die Bestätigung der These Irmgard Bärnthalers in ihrem Standardwerk über die VF von 1971 zu erwarten , man habe , „die getarnte faschistische Diktatur aufgerichtet. Zwanzig Prozent Quadragesimo anno ; achtzig Prozent Faschismus.“195 In unmittelbarem Zusammenhang mit dem fehlenden Grundkonsens für die SystemZuordnung des Dollfuß / Schuschnigg-Regimes steht die weitverbreitete Bezeichnung der Sozialpartnerschaft der Zweiten Republik als „Neo-Korporatismus“. Diese aus der angloamerikanischen Wissenschaftstheorie und deren historischem Erfahrungshorizont stammende Definition196 assoziiert , auch wenn ihre AnhängerInnen neo-korporatistische Interessenabstimmung durchaus als demokratiekompatibel bewerten ,197 auf jeden Fall für Österreich die Herkunft von faschistischen Korporativismus-Konzeptionen , die neben den Arbeitsmarktparteien den Staat als dritten ( kontrollierenden ) "Partner" etablierten. Der Versuch von Margarete Grandner und Franz Traxler , die Differenzierung unter Verweis auf triparitätische Ansätze in der Ersten Republik mit der Formulierung 194 Tálos , Emmerich ( 2004 ) : Arbeiterschaft und Austrofaschismus. In : Brigitte Bailer-Galanda ( Red. ) : Themen der Zeitgeschichte und der Gegenwart : Arbeiterbewegung – NS-Herrschaft – Rechtsextremismus ; ein Resümee aus Anlass des 60. Geburtstags von Wolfgang Neugebauer , Wien , 27–42 ; Tálos , Emmerich / Neugebauer , Wolfgang ( Hg. ) ( 2012 ) : Austrofaschismus. Politik – Ökonomie – Kultur 1933–1938 , Wien / Berlin. 195 Bärnthaler ( 1971 ), 162. Die der Publikation zugrunde liegende Dissertation wurde mit dem Leopold-Kunschak-Preis ausgezeichnet. 196 Vgl. Schmitter , Philippe C. ( 1974 ) : Still the Century of Corporatism ? In : The Review of Politics Jg. 36 ( 1974 ) Heft 1 , 85–131. 197 Vgl. u. a. Czada , Roland ( 1995 ) : Konjunkturen des Korporatismus. Zur Geschichte eines Pradigmenwechsels in der Verbändeforschung. In : Streeck , Wolfgang ( Hg. ) : Staat und Verbände ( Politische Vierteljahresschrift , Sonderheft 25 ), Opladen , 37–64 ; Karlhofer , Ferdinand ( 2007 ) : Filling the Gap ? Korporatismus und neue Akteure in der Politikgestaltung. In : Österreichische Zeitschrift für Politikwissenschaft Jg. 36 ( 2007 ) Heft 4 , 389–404.
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„liberaler Korporatismus“ vorzunehmen ,198 bringt zwar schon etwas mehr Klarheit , löst aber die Grundproblematik nicht. Es kommt hinzu , dass die paritätisch angelegte überbetriebliche gesetzliche Interessenvertretung vor allem wegen der „Zwangsmitgliedschaft“ immer wieder direkt auf das austrofaschistische System zurückgeführt wird. Das ist historisch in doppelter Hinsicht falsch. Denn erstens ging es dem Austrofaschismus um das Zerschlagen von Gewerkschaften als Klasseninstitutionen , es ging ihm darum „integrale Körper“ zu schaffen , wobei die Kammern , ( auf Unternehmerseite nur formal ) ihrer „Klassenfunktion“ entkleidet , praktische Ansatzpunkte boten. Zweitens war das „österreichische Kammersystem [ … ] von Anfang an ‚gegnerfrei‘ organisiert“ und [ ab 1920 /21 , Anm. d. Verf.in ] „binnendemokratisch“, wie es Peter Pernthaler 1995 prägnant umriss.199 Überlegenswert wäre es daher ( nicht nur in Bezug auf die österreichische Situation ), die von Tálos 2008 publizierte neutrale Definition der Sozialpartnerschaft als „triparitätisches Muster der Interessenvermittlung“200 in den aktuellen Debatten stärker zu berücksichtigen.
198 Vgl. Grandner et al. ( 1984 ), 77–78. 199 Vgl. Pernthaler , Peter ( 1995 ) : Berufliche Selbstverwaltung in Österreich – Relikt des Ständestaates oder Modell für die Zukunft. In : Bundesarbeitskammer , 71–97 : 83–84. 200 Tálos , Emmerich ( 2008 ) : Sozialpartnerschaft. Ein zentraler politischer Gestaltungsfaktor in der Zweiten Republik , Innsbruck , 10.
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Stefan Eminger
Politik und Wirtschaft Die österreichischen Handelskammern 1930–1938 Am Beispiel der österreichischen Handelskammern lässt sich das komplexe Geflecht von Politik und Wirtschaft eingehend studieren. Spitzenfunktionäre der Kammern übten vielfach wichtige politische Funktionen aus und bereits Mitte 1932 traten die Handelskammern für ein Regime mit außerordentlichen Vollmachten ein. Der Errichtung eines „Ständestaates“ standen die Handelskammern als reine Unternehmerorganisationen aber skeptisch gegenüber und während der bürgerlichen Diktatur 1934 bis 1938 gerieten sie stark unter Druck. Die folgenden Ausführungen geben einen Überblick über Funktion und Organisation der Handelskammerorganisation von der Weltwirtschaftskrise bis zum „Anschluss“ Österreichs an Deutschland. In der Art eines Literaturberichtes fassen sie den Forschungsstand zusammen und benennen Desiderate. I. Die Handelskammern – Funktion und Organisation Die Handelskammern waren und sind Organisationen von Unternehmerinnen und Unternehmern1. Sie sind öffentlich-rechtlich verankert , mit Pflichtmitgliedschaft ausgestattet und vertreten die selbstständig Erwerbstätigen mit Ausnahme jener der Landwirtschaft und der freien Berufe. Zu ihren wichtigsten Aufgaben zählen die gesetzlich festgeschriebene Befugnis , Gesetzesentwürfe und bestimmte Verordnungen zu begutachten , und das schwierige Geschäft , einen Ausgleich zwischen den verschiedenen Interessen ihrer Mitglieder herbeizuführen. Die Handelskammern waren in der Zwischenkriegszeit primär territorial , nach Bundesländern , organisiert. Die fachlich-vertikale Gliederung beschränkte sich auf die Unterteilung in zumeist drei Sektionen – Handel , Gewerbe , Industrie. Eine Sonderstellung hatte die Wiener Handelskammer inne. Sie war bis 1937 auch für Niederösterreich und 1 Die Bezeichnung „Handelskammer“ ist der traditionell übliche und lange Zeit auch offiziell verwendete Kurztitel für jene Institution , die laut einschlägiger Gesetzesmaterie bis 1920 Handels- und Gewerbekammer , danach bis 1938 Kammer für Handel , Gewerbe und Industrie , ab 1946 Kammer der gewerblichen Wirtschaft und seit 1994 Wirtschaftskammer heißt.
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III. Wirtschafts- und Interessenpolitik
bis 1923 für das Burgenland zuständig und nahm – gefolgt von der Grazer Kammer – eine dominierende Position ein. Eine Spitzenorganisation in Form einer Bundeshandelskammer existierte bis 1937 nicht.2 Strukturell kam den Handelskammern eine Doppelstellung zu. Sie waren Behörde und Interessenvertretung zugleich. Die daraus resultierenden Vorteile ergaben sich aus der gesetzlichen Verankerung und dem privilegierten Zugang zu politischen Entscheidungsgremien ; die Schwierigkeiten bestanden im Zwang zum Ausgleich der oft stark divergierenden Interessen innerhalb der Organisation und im notgedrungen moderateren Auftreten bei der Interessenvermittlung nach oben. Den freien , privatwirtschaftlich verankerten Interessenverbänden von Handel , Gewerbe und Industrie war die Politik der Handelskammern daher meist zu vorsichtig und diplomatisch und der Druck der Basis auf die Spitzengremien der Handelskammern nahm insbesondere am Tiefpunkt der Krise stark zu.3 Parteipolitisch betrachtet waren in den Handelskammern vor allem christlichsozial und großdeutsch orientierte Mandatare vertreten. Sie kandidierten zumeist auf gemeinsamen Listen , da eine akzentuierte Parteipolitik die stets fragile Einheit der Kammern tendenziell infrage stellte. In den Handelskammern in Wien und Graz gab es auch einige wenige sozialdemokratische Funktionäre. Das Verhältnis zwischen Regierung und Handelskammern verschlechterte sich Anfang der 1930er-Jahre. Im Zuge der Etablierung des austrofaschistischen Regimes 1933 / 34 stand der Weiterbestand der Handelskammern überhaupt infrage. Wirtschaftspolitische Differenzen und der Umstand , dass die Handelskammern – als Klassenorganisation der UnternehmerInnen – in den zu schaffenden Ständestaat nicht hineinpassten , markierten die Hauptkonfliktpunkte ; darüber hinaus wurden Teile der Handelskammern in die Nähe nationalsozialistischer Gesinnung gerückt. Die Kammern blieben jedoch bestehen – wenn auch um den Preis erheblicher Kompetenzeinbußen zugunsten der neuen Bünde , die als Vorformen der zu schaffenden „Stände“ konzipiert waren. Erst das Handelskammerumformungsgesetz von 1937 stellte den Fortbestand der Kammern außer Streit. Nach dem Gewerkschaftsbund 1934 war nun auch die Existenz einer weiteren Klassenorganisation im vermeintlichen Ständestaat festgeschrieben worden.4 II. Literatur Die Literatur über die Politik der österreichischen Handelskammern in den 1930er-Jahren ist überschaubar. Sie lässt sich grob in drei Gruppen gliedern. 2 Geißler , Franz ( 1974 ) : 125 Jahre Wiener Handelskammer. In : Wirtschaftspolitische Blätter Jg. 21 ( 1974 ) Heft 1 , 1–22 : 2 , 4. 3 Eminger , Stefan ( 2005 ) : Das Gewerbe in Österreich 1930–1938. Organisationsformen , Interessenpolitik und politische Mobilität , Innsbruck , 93. 4 Haas , Karl ( 1977 ) : Zum Problemkomplex „Wirtschaftsverbände und Ständestaat“. In : Jedlicka , Ludwig / Neck , Rudolf ( Hg. ) ( 1977 ) : Das Juliabkommen von 1936. Vorgeschichte , Hintergründe und Folgen. Protokoll des Symposiums in Wien am 10. und 11. Juni 1976 [ Veröffentlichungen der Wissenschaftlichen Kommission des Theodor-Körner-Stiftungsfonds und des Leopold-Kunschak-Preises zur Erforschung der Österreichischen Geschichte der Jahre 1918 bis 1938 4 ] , Wien , 328–342.
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�������������������������������������� ������������������������ : Politik und Wirtschaft
2.1 Kammereigene Publikationen Bei der ersten Gruppe handelt es sich um zumeist kammereigene Publikationen. Unter ihnen befinden sich die frühesten Arbeiten zum Thema. Sie sind in der Regel deskriptiv-institutionengeschichtlich ausgerichtet und stehen vielfach im Kontext von Kammerjubiläen.5 Der ersten Gruppe zuzurechnen sind auch die Arbeiten „des“ Kammerhistorikers schlechthin , Franz Geißler. Geißler , seit 1927 Beamter der Wiener Handelskammer und später der Bundeskammer für gewerbliche Wirtschaft , verfasste auch die einzige Monografie über die Handelskammern in der Ersten Republik6. Diese oft zitierte , zweibändige Arbeit ist eine Fundgrube in Sachen Kammergeschichte. Sie wurde überwiegend aus den Quellen der Registratur der Wiener Handelskammer gearbeitet und der Fokus der Darstellung liegt daher auch auf Organisation und Politik der Wiener Kammer. Die intime , auch aus der Zeitzeugenschaft rührende Kenntnis der Kammergeschichte des Autors hat ein thematisch breit gefächertes Werk entstehen lassen , das in Fragen der Bewertung mitunter aber etwas einseitig ist. Immer wieder wechselt Geißler von der Rolle des Historikers in die des Kammer-Anwalts. Der erste Band steckt den institutionellen und politischen Rahmen der Kammertätigkeit ab. Im zweiten Band werden die 1929 an Intensität zunehmenden kammerinternen verfassungspolitischen Debatten 5 Kammer der gewerblichen Wirtschaft für Steiermark ( Hg. ) ( 1950 ) : 100 Jahre Handelskammer Steiermark , Graz ; Pisecky , Franz ( 1951 ) : 100 Jahre Oberösterreichische Handelskammer , Linz ; Mader , Friedrich ( 1951 ) : Handelskammer und gewerbliche Wirtschaft Tirols 1900–1938. In : Gerhardinger , Hermann / Egert , Franz / Huter , Franz ( Hg. ) : Tiroler Wirtschaft in Vergangenheit und Gegenwart. Festgabe zur 100-Jahrfeier der Tiroler Handelskammer , Bd. 2 [ S chlern-Schriften 78 ] , Innsbruck , 165– 196 ; Kammer der gewerblichen Wirtschaft für Vorarlberg ( Hg. ) ( 1952 ) : 100 Jahre Handelskammer und gewerbliche Wirtschaft in Vorarlberg , Feldkirch ; Kammer der Gewerblichen Wirtschaft für Kärnten ( Hg. ) ( 1953 ) : Kärntens gewerbliche Wirtschaft von der Vorzeit bis zur Gegenwart , Klagenfurt ; Klose , Alfred ( 1960 ) : Wie es aus der geschichtlichen Entwicklung heraus zur heutigen Organisationsform kam. In : Wirtschaftspolitische Blätter Jg. 7 ( 1960 ) Heft 1 , 3–7 ; Mitic , Max / K lose , Alfred ( 1966 ) : Die Handelskammerorganisation in Österreich. In : Pütz , Theodor ( Hg. ) : Verbände und Wirtschaftspolitik in Österreich [ S chriften des Vereins für Socialpolitik , N.F. 39 ] , Berlin , 502–572 ; Zirkovits , Ernst ( 1973 ) : Burgenlands Handel einst und jetzt. Die Entwicklung der Interessenvertretung der burgenländischen Handelskammer unter besonderer Berücksichtigung des Handels von 1850 bis 1973 , Wien ; Pagitz , Franz ( 1975 ) : 125 Jahre Handelskammer Salzburg 1850–1975 , Salzburg ; Kühne , Ernst H. ( 1976 ) : 125 Jahre Handelskammer O.Ö. , Linz ; Koren , Johannes / Ebner , Manfred ( 1977 ) : Handelskammer und Sozialpartnerschaft. Österreich auf seinem Weg. Mit Beiträgen von Franz Geißler , Werner Melis und Herbert Reiger , 2. Aufl. , Graz ; Reiger , Herbert ( 1998 ) : 150 Jahre österreichische Wirtschaftskammerorganisation. In : Wirtschaftspolitische Blätter Jg. 45 ( 1998 ) Heft 6 , 539–547. 6 Geißler , Franz ( 1977 ) : Österreichs Handelskammer-Organisation in der Zwischenkriegszeit. Eine Idee auf dem Prüfstand. Bd. 1 : Nach dem Reformgesetz 1920 , Wien ; Geißler , Franz ( 1980 ) : Österreichs Handelskammer-Organisation in der Zwischenkriegszeit. Eine Idee auf dem Prüfstand. Bd. 2 : Die große Wende , Wien ; weitere einschlägige Arbeiten Geißlers sind : Geißler , Franz ( 1949 ) : Die Entstehung und der Entwicklungsgang der Handelskammern in Österreich. In : Mayer , Hans ( Hg. ) : Hundert Jahre österreichischer Wirtschaftsentwicklung 1848–1948. Hg. auf Veranlassung der Bundeskammer der gewerblichen Wirtschaft zum hundertjährigen Bestande der Kammerorganisation , Wien , 21–126 ; Geißler ( 1974 ), 2–22.
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III. Wirtschafts- und Interessenpolitik
rund um einen „Ständerat“ detailliert referiert ,7 der Hauptteil ist der Darstellung des Ringens der Kammern um ihren Weiterbestand im austrofaschistischen „Ständestaat“ gewidmet. Argumente wie Strategien der meisten Gegner und Befürworter werden breit dargestellt. Die extrem kammerkritische Politik des Präsidenten des neu geschaffenen Gewerbebundes und späteren Präsidenten der Bundeshandelskammer und niederösterreichischen Handelskammer , Julius Raab , bleibt dabei allerdings etwas blass.8 Relativierend fällt auch die Auseinandersetzung mit den NS-Vorwürfen aus9 und vereinzelt verfällt Geißler auch in die demokratiekritische Diktion seiner ( Kammer-)Quellen ; etwa wenn er in Bezug auf die frühen 1930er-Jahre wiederholt und pauschal von einer „Krise des Parlamentarismus“ in Österreich spricht.10 2.2 Historisch-politologische Publikationen Die Arbeiten der zweiten Gruppe wurden von HistorikerInnen und Politologen verfasst. Sie setzten Mitte der 1970er-Jahre ein und bestehen überwiegend aus Aufsatzliteratur. Die Analysen sind primär politikgeschichtlich ausgerichtet. Karl Haas beschäftigte sich 1977 erstmals detaillierter mit dem Verhältnis von Wirtschaftsverbänden und „Ständestaat“11. Er konstatiert eine zunehmende Politisierung der wirtschaftlichen Interessenvertretungen im Rahmen der politisch-ökonomischen Doppelkrise ab 1932 und arbeitet die prekäre Stellung der Handelskammern im Rahmen des berufsständischen Neuaufbaues heraus. Insbesondere skizziert er die Auseinandersetzung der Handelskammern mit dem neu geschaffenen Gewerbebund Julius Raabs und weist nachdrücklich auf die machtpolitische Dimension dieses Konfliktes hin. Ferner thematisiert Haas die Frage der NS-Affinität in Teilen der Handelskammern und analysiert die systempolitischen Diskussionen der Handelskammern. Demnach waren die Spitzenvertreter der Handelskammern weder Anhänger eines reinen Ständesystems noch überzeugte Befürworter der parlamentarischen Demokratie. Zumindest im Herbst 1933 favorisierten sie vielmehr ein Zweikammernsystem , in dem ein Ständerat für wirtschaftliche Angelegenheiten und das Parlament für kulturelle und politische Agenden zuständig sein sollte.12 Mit der wechselnden Haltung der österreichischen Handelskammern in der Frage des Anschlusses an Deutschland beschäftigte sich Peter Géza Fischer in einem 1977 erschienenen Aufsatz.13 Der Beitrag beleuchtet erstmals auch die internationalen Kontakte der Handelskammern in der Zwischenkriegszeit und bietet interessante Einblicke in die Vielfalt der Anschluss- und internationalen Wirtschaftsorganisationen. Hatten sich die Kammern bis Mitte der 1920er-Jahre mit dem Thema Anschluss kaum auseinandergesetzt , so bedeutete der Amtsantritt Friedrich Tilgners ( 1925 ) als Präsident der Wiener Kammer einen Kurswechsel. Fischer untersucht die nun einsetzenden Bemühungen der 7 Geißler ( 1980 ), 46–111. 8 Ebenda , 330–332 , 353–354. 9 Ebenda , 295–313. 10 Geißler ( 1977 ), 29 , 44 , 90. 11 Haas ( 1977 ), 328–342. 12 Ebenda , 331. 13 Fischer , Peter G. ( 1977 ) : Die österreichischen Handelskammern und der Anschluß an Deutschland. Zur Strategie der „Politik der kleinen Mittel“ 1925 bis 1934. In : Jedlicka / Neck ( 1977 ), 299–314.
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Kammern im Hinblick auf einen zunächst wirtschaftlichen Anschluss an Deutschland. Er analysiert vor allem die Tätigkeit des ehemaligen Gesandten in Berlin , Richard Riedl , der zum gemeinsamen Delegierten der Kammern in Fragen der „Erweiterung des österreichischen Wirtschaftsgebietes“ bestellt worden war.14 Nach dem Scheitern der Zollunion mit Deutschland 1931 zeichnete sich allmählich ein Kurswechsel ab , der sich im Rahmen der Debatten um die Lausanner Anleihe 1932 noch verstärkte. In dieser Frage trat die Heterogenität der in den Kammern vertretenen Interessen deutlich zutage.15 Eher kursorisch widmet sich Fischer in seinem Beitrag über die wirtschaftliche Interessenvertretung zwischen „Ständestaat“ und „Führerstaat“ dem Thema Handelskammern und Nationalsozialismus.16 Basierend auf Dokumenten der Wiener Handelskammer und des damaligen Verwaltungsarchivs zeichnet er primär die personellen Rochaden v. a. der Wiener Kammer im Zuge des „Anschlusses“ an Hitler-Deutschland nach. 1984 erschien eine der seltenen Studien , die auch das wirtschaftspolitische Konzept der Handelskammern in der Weltwirtschaftskrise untersuchte. Der quellengesättigte Aufsatz von Margarete Grandner und Franz Traxler handelt zwar nur über die Wirtschaftskonferenz von 1930 , beschränkt sich also auf den Beginn der Großen Depression in Österreich.17 Unter Heranziehung korporatismustheoretischer Ansätze weist der Beitrag nach , in welch hohem Ausmaß der Leitende Sekretär der Wiener Kammer , Ludwig von Mises , die Konferenz mit seinem radikal liberalen Kurs dominiert hat. Sowohl die Gewerkschaften wie auch die Vertretung der Landwirtschaft wurden dadurch vor den Kopf gestoßen. Die ersten Ansätze einer politikwissenschaftlichen Analyse der Handelskammerpolitik der Zwischenkriegszeit lieferte Emmerich Tálos18. Der Autor widmet sich hier u. a. der Frage der institutionellen und personalen Verbindungen der Handelskammern zu bürgerlichen Politikern , politischen Gremien und freien Verbänden. Auch seiner Untersuchung liegt das gründliche Studium von Materialien der Registratur der Wiener Handelskammer zugrunde. Neben dem wichtigen Begutachtungsrecht der Kammern verweist Tálos auf die Beziehung der Kammern zu Enqueten , Konferenzen und Kommissionen , auf die vielfältigen Personalunionen im Hinblick auf Kammer- und politische Funktionen sowie auf den privilegierten Zugang , den Kammerfunktionäre zu Ministern oder auch Regierungschefs genossen. Als ein Beispiel nennt der Autor etwa die Person Ernst Streeruwitz. Streeruwitz war zwischen 1927 und 1930 Vizepräsident , dann 14 Fischer ( 1977 ), 303. 15 Ebenda , 312–313. 16 Fischer , Peter G. ( 1978 ) : Wirtschaftliche Interessenvertretung vom „Ständestaat“ zum „Führerstaat“. In : Czeike , Felix ( Hg. ) : Wien 1938. [ Forschungen und Beiträge zur Wiener Stadtgeschichte 2 , Sonderreihe der Wiener Geschichtsblätter ] , Wien , 207–215. 17 Grandner , Margarete / Traxler , Franz ( 1984 ) : Sozialpartnerschaft als Option der Zwischenkriegszeit ? Liberalkorporatistisches Krisenmanagement am Beispiel der Wirtschaftskonferenz von 1930. In : Fröschl , Erich / Z oitl , Helge ( Hg. ) : Februar 1934. Ursachen , Fakten , Folgen. Beiträge zum wissenschaftlichen Symposion des Dr.-Karl-Renner-Instituts abgehalten vom 13. bis 15. Februar 1984 in Wien [ Thema Zeitgeschichte 2 ] , Wien , 75–117. 18 Tálos , Emmerich ( 1995 ) : Interessenvermittlung und partikularistische Interessenpolitik in der Ersten Republik. In : Tálos , Emmerich / Dachs , Helmut / Hanisch , Ernst / Staudinger , Anton ( Hg. ) : Handbuch des politischen Systems Österreichs. Erste Republik 1918–1933 , Wien , 371–394.
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bis 1935 Präsident der Wiener Handelskammer , gleichzeitig war er Vorstandsmitglied des Hauptverbandes der Industrie , Obmann des Arbeitgeberverbandes der Niederösterreichischen Textilindustrie , Nationalratsabgeordneter der Christlichsozialen Partei und 1929 auch Bundeskanzler. Hervorzuheben ist ferner Tálos’ detailliertere Diskussion der verfassungsrechtlichen Konzeptionen der Kammern zur Schaffung eines „Ständerates“ oder „Wirtschaftsparlamentes“ und er verweist auch darauf , dass die Handelskammern bereits 1932 für außerordentliche Vollmachten für die Regierung zur Krisenlösung eintraten.19 Einblicke in Streeruwitz’ systempolitische Vorstellungen gibt Stefan Eminger in seiner Diplomarbeit über Gewerbepolitik und gewerbliche Organisationen zur Zeit der Weltwirtschaftskrise.20 Am Tiefpunkt der Krise und noch vor der Etablierung der Regierungsdiktatur Dollfuß war Handelskammerpräsident Streeruwitz mit demokratie kritischen Äußerungen an die Öffentlichkeit getreten. Er plädierte damals für eine Neuaufrichtung der „Autorität“ im Staat. Der Apparat der modernen Demokratie sei „funktionsunfähig“, das Mehrheitsprinzip habe versagt , der Klassenkampf und ein „falsche[ r ] Freiheitsbegriff“ lösten die staatliche und soziale Ordnung auf. Das „politische Tor zur wirtschaftlichen Vernunft“ sei die Mobilisierung des Ständegedankens gegen den Klassenkampf , denn der „Kurs unserer Zeit“ gehe „auf Ordnung und Autorität , die Kurve missbrauchter Freiheit“ sei „im Niedergang“.21 Kursorisch mit den Handelskammern befasst sich auch Gerhard Senft in seiner 2002 erschienenen Monografie zur Wirtschaftspolitik des „Ständestaates“.22 Basierend v. a. auf der Arbeit Geißlers und zeitgenössischen Presseberichten skizziert er die Auseinandersetzungen um den Weiterbestand der Handelskammern im „Ständestaat“. Mit der Handelskammerpolitik aus der Sicht „des Gewerbes“ beschäftigt sich die Dissertation von Stefan Eminger23. Erstmals wird darin detaillierter auf die divergierenden Haltungen der Länderkammern in der Frage der Lausanner Anleihe und des damit verbundenen Anschlussverbotes hingewiesen sowie das mitunter recht gespannte Verhältnis zwischen den verschiedenen Interessenvertretungen des Gewerbes und den Kammern analysiert.24 Die Arbeit bringt auch neues Material in Bezug auf die Frage des Weiterbestandes der Handelskammern im „Ständestaat“. So richtete sich der Protest des Kleingewerbes v. a. gegen die Wiener Kammer , während das Verhältnis zwischen den Länderkammern und ihrer dortigen Klientel weitgehend ungetrübt war.25 Dar über hinaus wurde der Nachweis geführt , dass die Vergabe der Kammermandate Ende 1935 eine Maßnahme „politischer Säuberung“ darstellte und neues Material zur Frage der NS-Af19 Tálos ( 1995 ), 373. 20 Eminger , Stefan ( 1995 ) : Gewerbepolitik und gewerbliche Organisationen in Österreich zur Zeit der Weltwirtschaftskrise , Dipl.-Arb. , Wien , 66–68. 21 Das politische Tor zur wirtschaftlichen Vernunft , Österreichs Wirtschaft , 2. 3. 1933 , 104 , 168 ; zit. n. Eminger ( 1995 ), 67. 22 Senft , Gerhard ( 2002 ) : Im Vorfeld der Katastrophe. Die Wirtschaftspolitik des Ständestaates. Österreich 1934–1938 [ Vergleichende Gesellschaftsgeschichte und politische Ideengeschichte der Neuzeit 15 ] , Wien , 230–236. 23 Eminger ( 2005 ). 24 Ebenda , 89–90. 25 Ebenda , 81 , 133.
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finität in den Handelskammern präsentiert.26 Demnach lassen sich in der Kammerbürokratie und generell in den alpenländischen Länderkammern spätestens ab 1933 stärkere NS-Tendenzen nachweisen. Der Präsident der Grazer Kammer etwa , Viktor Franz , deklarierte sich im Frühjahr 1933 als NS-Sympathisant , als er den deutschen Reichsjustizkommissär Hans Frank im Verband der Kraftfahrstaffel der NSDAP mit seinem Privatauto an der Landesgrenze erwartete , und der Direktor der Kärntner Kammer , Walter Lakomy , galt den österreichischen Sicherheitsbehörden als Initiator der Hinwendung von Teilen der Kärntner Heimwehr zur NSDAP.27 2.3 Wirtschaftswissenschaftliche Publikationen Die dritte Gruppe von Literatur über die Politik der österreichischen Handelskammern bilden wirtschaftswissenschaftlich orientierte Arbeiten. Insbesondere Publikationen über den sogenannten „Austroliberalismus“ und den herausragenden Vertreter dieser Strömung , Ludwig Mises , sind hier zu nennen. Als langjähriger Leitender Sekretär der Wiener Handelskammer ( 1920–1934 ) übte Mises zeitweilig erheblichen Einfluss nicht nur auf die Kammerpolitik , sondern teils auch auf die österreichische Wirtschaftspolitik insgesamt aus. Der Großteil der Arbeiten dieser Gruppe stützt sich neben den wirtschaftswissenschaftlichen Publikationen dieser Ökonomen auf ( auto-)biografische Literatur und Ego-Dokumente. Der Fokus der Arbeiten liegt auch hier auf der Wiener Kammer. Der Frage des Einflusses von Mises auf die österreichische Wirtschaftspolitik der Zwischenkriegszeit widmet sich Franz Baltzarek in einem 1981 erschienenen Aufsatz.28 Vor allem für die erste Phase der Krisenlösungsdiskussion ( 1929–1932 ) konstatiert er in Unternehmerkreisen großen Einfluss der Mises’schen Krisenanalyse.29 Baltzarek lenkt den Blick auch auf die vielfältigen gesellschaftlichen und beruflichen Kontakte von Mises , der sich selbst wohl nicht zu Unrecht als „den“ österreichischen Nationalökonomen der Zwischenkriegszeit betrachtete. Das von ihm initiierte und seinen Schülern Friedrich A. Hayek ( 1927–1931 ) und Oskar Morgenstern ( 1932–März 1938 ) geleitete Österreichische Institut für Konjunkturforschung stärkte nicht nur Mises’ , sondern auch die wirtschaftspolitische Position der Wiener Kammer.30 Auf die wachsende Bedeutung der Kammerbürokratie in der Zwischenkriegszeit in Bezug auf die Formulierung wirtschaftspolitischer Leitsätze verweist der aus einer Innensicht der Institution verfasste Aufsatz von Alexander Hörtlehner.31 Der Autor , vormals Sekretär der Kammer der gewerblichen Wirtschaft Wien , bezeichnet Mises und nicht das gewählte Präsidium als den eigentlichen „Kammerherrn“. Durch dessen gute Kontakte 26 Ebenda , 134–137 , 139. 27 Ebenda , 135. 28 Baltzarek , Franz ( 1981 ) : Ludwig von Mises und die österreichische Wirtschaftspolitik der Zwischenkriegszeit. In : Wirtschaftspolitische Blätter Jg. 28 ( 1981 ) Heft 4 , 127–139. Dieses Heft ist zur Gänze Ludwig von Mises gewidmet. 29 Ebenda , 135. 30 Ebenda , 134. 31 Hörtlehner , Alexander ( 1981 ) : Ludwig von Mises und die österreichische Handelskammerorganisation. In : Wirtschaftspolitische Blätter Jg. 28 ( 1981 ) Heft 4 , 140–150 : 142.
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zu bürgerlichen Politikern , hohen Verwaltungsbeamten , Bankern , Wissenschaftlern und Wirtschaftstreibenden sowie als Universitätslehrer und Leiter eines „Privatseminars“ in der Wiener Kammer reichte Mises’ Einfluss weit über die engeren Kammerkreise hinaus.32 Mises’ Bedeutung für die wirtschaftspolitische Diskussion der frühen 1930er-Jahre wird auch in der Diplomarbeit von Alfred Hochholdinger betont.33 Der Autor konzentriert sich zwar auf das wirtschaftswissenschaftliche Werk von Mises ; anhand von Quellenmaterial aus der Registratur der Wirtschaftskammer Wien beleuchtet er aber dennoch auch dessen dominierende Rolle auf der Wirtschaftskonferenz 1930 und den Handelskammertagen 1931 und 1932.34 Breiterer Raum ist ferner der Gründung und Tätigkeit des Österreichischen Institutes für Konjunkturforschung gewidmet. Hochholdinger verweist hier etwa auf die anfängliche Skepsis der Kammer für Arbeiter und Angestellte gegen die Situierung einer unabhängigen Einrichtung in der Wiener Handelskammer. Die Arbeitnehmervertretung hätte so ein Institut lieber im Rahmen des Bundesamtes für Statistik gesehen.35 Der recht enge Zusammenhang dieses von der Rockefeller Foundation finanzierten Institutes mit der Wiener Handelskammer wird in der Arbeit implizit immer wieder deutlich , bildet aber kein weiterführendes Thema. Rezente Beiträge zum Austroliberalismus im Allgemeinen und zu Mises im Besonderen hat Hansjörg Klausinger geliefert. Ein Verdienst seiner Arbeit liegt in der Erschließung einschlägigen , schwer zugänglichen Materials in US-amerikanischen Sammlungen ( v. a. Korrespondenz , Tagebuch von Oskar Morgenstern ) sowie in der Einbeziehung der angelsächsischen Wirtschaftsliberalismus-Forschung in die österreichische Zeitgeschichtsschreibung. Klausinger schlägt damit erstmals eine Brücke zwischen der His toriografie des ökonomischen Denkens in Österreich und der österreichischen Zeitgeschichtsforschung. In seinem 2005 erschienenen Aufsatz über das Verhältnis des Austroliberalismus zum „Ständestaat“ in der Zeitschrift „Zeitgeschichte“ thematisiert Klausinger u. a. die Haltung Mises’ zu Demokratie und Diktatur.36 Diese war bereits 1927 nicht frei von Ambivalenzen. Mises’ grundsätzliches Bekenntnis zur Demokratie erscheint auf eine vom Geist des Liberalismus aufgeklärte Demokratie eingeschränkt und von einer „von Sonderinteressen dominierten Parteiendemokratie“ geschieden. Die Demokratie in Österreich habe Mises durch die Macht der Sozialdemokratie und v. a. der Gewerkschaften gelähmt gesehen und als „gescheitertes Experiment“ betrachtet. Den italienischen Faschismus habe Mises zwar aus prinzipiellen Gründen abgelehnt , diesem jedoch zugebilligt , „dass er voll von den besten Absichten [ ist ] und dass [ sein ] Eingreifen für den Augenblick die europäische Gesittung gerettet hat“.37 Zumindest rückblickend 32 Hörtlehner ( 1981 ), 142 , 146. 33 Hochholdinger , Alfred ( 1983 ) : Ludwig von Mises. Sein Einfluss in Österreich in der Zwischenkriegszeit , Dipl.-Arb. , Wien. 34 Ebenda , 139–156. 35 Ebenda , 111–112. 36 Klausinger , Hansjörg ( 2005 ) : Von Mises zu Morgenstern. Der Austroliberalismus und der „Ständestaat“. In : Zeitgeschichte Jg. 32 ( 2005 ) Heft 5 , 323–335. Der Beitrag erschien in leicht veränderter Form auch bei Klausinger , Hansjörg ( 2006 ) : Austrian Economics during the Ständestaat. In : The Quarterly Journal of Austrian Economics Jg. 9 ( 2006 ) Heft 3 , 25–43. 37 Mises , Ludwig ( 1927 ) : Liberalismus , Jena , 45 ; zit. n. Klausinger ( 2005 ), 324 f.
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habe Mises die Errichtung der bürgerlichen Diktatur 1933 / 34 aber ebenso kritisiert. Für ihn hätte es sich um nicht mehr als um einen bloßen Austausch der Machthaber gehandelt : „Das Schlagwort ‚Ständestaat‘ [ so Mises ] deckte nichts als das Streben der christlich-sozialen Partei und der mit ihr verbündeten Heimwehren nach ungehemmter Parteiwirtschaft.“38 In der Frage der Rekonstruktion informeller Beziehungsnetze von Funktionären und Beamten der Handelskammern ist Klausingers Beitrag über die Politikberatung von Austroliberalen in den 1930er-Jahren von Interesse.39 Unter anderem auf Basis von privater Korrespondenz und Tagebucheinträgen präsentiert er darin Informationen über lose Zirkel , in denen Mises und andere Vertreter der Handelskammern verkehrten und über welche diese auch wirtschaftspolitisch Einfluss auszuüben trachteten. Ein Beispiel dafür war die sogenannte Meinl-Gruppe ; ein liberales Netzwerk von Industriellen und Ökonomen rund um Meinl , Mises und einige Mitglieder des Instituts für Österreichische Konjunkturforschung. Auch andere Vertreter der Handelskammer gehörten ihr an. Diese Gruppe stand nicht nur hinter einer wirtschaftsliberalen Pressekampagne , die zwischen 1931 und 1934 im „Neuen Wiener Tagblatt“ gelaufen war ,40 sie initiierte auch die Schaffung eines „Komitees“ innerhalb des Hauptverbandes der Industrie , das zwischen 1932 und 1933 mehrmals zusammentraf. Diese Zusammenkünfte wurden allesamt vom christlichsozialen Industrievertreter Alexander Hryntschak veranstaltet , und unter den Teilnehmern befanden sich neben anderen Anton Apold , Generaldirektor der Alpine Montan Gesellschaft , Alfred Götzl , Direktor der Garvenswerke , Viktor Kienböck , der neue Präsident der Oesterreichischen Nationalbank , und Rost van Tonningen , der Vertreter des Völkerbundes in Österreich. Auf diesen Treffen wurden zwar primär wirtschaftspolitische Fragen erörtert ,41 es sei aber auch deutlich geworden , dass die meisten Teilnehmer die Mittel der parlamentarischen Demokratie für die Lösung der Krise wenig geeignet hielten und die Errichtung eines autoritären Regimes präferierten.42 Offen bleibt , ob Vertreter der Handelskammer in diesem Komitee vertreten waren und , wenn ja , welche Rolle sie dabei spielten. III. Desiderate Zusammenfassend ist festzuhalten , dass v. a. die institutionengeschichtliche Seite der österreichischen Handelskammern gut erforscht ist. Detailliert aufgearbeitet sind auch die Konflikte der Handelskammern um ihren Fortbestand 1933–1937. 38 Mises , Ludwig ( 1978 ) : Erinnerungen , Stuttgart / New York , 86 ; zit. n. Klausinger ( 2005 ), 325. 39 Klausinger , Hansjörg ( 2008 ) : Policy Advice by Austrian Economists : The Case of Austria in the 1930s. In : Koppl , Roger ( E d. ) : Explorations in Austrian Economics ( Advances in Austrian Economics 11 ), 25–53. 40 Das „Neue Wiener Tagblatt“ wurde vom Steyrermühl-Konzern des Papierindustriellen Victor Grätz , eines engen Freundes von Mises und Angehörigen der Meinl-Gruppe , herausgebracht. Klausinger ( 2008 ), 32. 41 Ebenda , 36–37. 42 Klausinger stützt sich hier auf den Befund von Haas , Karl ( 1979 ) : Industrielle Interessenpolitik in Österreich zur Zeit der Weltwirtschaftskrise. In : Jahrbuch für Zeitgeschichte 1978 , Wien , 97–126 : 110–123.
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Dagegen existiert keine umfassende und kritische Analyse der Politik der österreichischen Handelskammern in der Zwischenkriegszeit. Was insbesondere fehlt , sind Studien , die die Heterogenität der Handelskammern systematisch berücksichtigen ; v. a. am Tiefpunkt der Weltwirtschaftskrise wird diese Zersplitterung deutlicher fassbar. Es fehlen mithin Studien , die die Fraktionierung nach regionalen ( L änderkammern ), sektoralen , betriebsgrößenspezifischen und parteipolitischen Geschichtspunkten stärker in den Blick nehmen. Gänzlich ausgespart wurden ferner Fragestellungen , die einer international vergleichenden Perspektive verpflichtet sind. Welche Rolle spielten mit den Handelskammern vergleichbare Institutionen bei der Etablierung und Stabilisierung diktatorischer Regime – in Deutschland und Italien , aber auch in Nachfolgestaaten der Habsburgermonarchie ? Welche politischen Optionen wurden dort favorisiert , welche ökonomischen Krisenlösungsansätze forciert und wie wurden diese Initiativen von den österreichischen Kammern rezipiert ? Darüber hinaus mangelt es an Arbeiten , die sich eingehend mit folgenden Themenbereichen befassen : • Handelskammern und Demokratiekritik : Hier geht es vor allem um eine adäquate Einschätzung des Beitrages der Handelskammern an der Abschaffung der parlamentarischen Demokratie in Österreich. Anknüpfend v. a. an Geißler ( 2. Bd. , 1980 ) und Tálos sollte die kammerinterne Diskussion um Alternativentwürfe zur parlamentarischen Demokratie näher beleuchtet werden. Ferner wäre im Anschluss an Eminger ( 1995 ) auch die Haltung von Spitzenfunktionären der Handelskammern zu Demokratie und Diktatur genauer zu analysieren. • Handelskammern und Nationalsozialismus : Ausgehend von Haas , Fischer ( 1978 ), Eminger ( 2005 ) wäre der Frage der Nazifizierung der Handelskammern detaillierter nachzugehen , und zwar sowohl auf der Ebene der Mandatare wie auch auf jener der Bürokratie. Erhärten sich die Hinweise auf eine regional unterschiedliche NS-Affinität in den Kammern ? Gab es auch branchen- und betriebsgrößenspezifische Signifikanzen in dieser Frage und , wenn ja , welche Motivbündel lassen sich auf Basis dieser Erkenntnisse formulieren ? • Handelskammern und Außenpolitik : Die Handelskammern waren international gut vernetzt. Inwiefern waren diese Kontakte auch politisch relevant ? Wie groß waren die Überschneidungen von Wirtschafts- und Außenpolitik ? Wichtige Fragen der „außenpolitischen Kammerdiplomatie“ wurden zwar schon von Fischer ( 1977 ) angerissen. Die internen Diskussionen um konkurrierende Konzepte für größere Absatzgebiete sowie die Tätigkeit von Repräsentanten der Kammern in internationalen und bilateralen Organisationen wären aber präziser darzustellen. Auch die Frage des Anschlusses wäre nochmals zu erörtern. Vor dem Hintergrund verschärfter Konkurrenzbedingungen auch im Falle eines Anschlusses an Deutschland sollte überdies genauer differenziert werden , ob und zu welchem Preis die verschiedenen Kammerfraktionen solche Zusammenschlüsse wollten.43 43 Die doch recht differenzierte Haltung vieler Wirtschaftstreibender gegenüber einem Zusammenschluss mit Deutschland betonen etwa Nautz , Jürgen ( 1988 ) : Die österreichische Wirtschaft und die Anschlussfrage. In : Albrich , Thomas / Eisterer , Klaus / Steininger , Rolf ( Hg. ) : Tirol und der An-
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• Handelskammern und Krisenanalyse : Überraschenderweise gibt es keine zusammenfassende Darstellung von Krisenanalyse und -lösungsansätzen der österreichischen Handelskammern. Existierte eine solche und , wenn ja , wessen Interessen fanden darin ihren Niederschlag , welche nicht ? Im Anschluss an Grandner / Traxler und die wirtschaftswissenschaftlichen Arbeiten über Mises wären hier die einschlägigen Positionen innerhalb der Kammern zu untersuchen und den veröffentlichten Stellungnahmen gegenüberzustellen. Kaum noch thematisiert wurden darüber hinaus die von dem deutschen Anthropogeografen Friedrich Ratzel beeinflussten Thesen von Handelskammerpräsident Streeruwitz , der die Große Depression u. a. mit der angeblichen „Abschwächung der Vorherrschaft der weißen Rasse in aller Welt“ in Zusammenhang brachte.44 • Handelskammern und Interessenvermittlung : Die verschiedenen Formen der Einflussnahme von „pressure groups“ auf politische Entscheidungsträger stehen im Mittelpunkt der politikwissenschaftlichen Verbandsforschung. Welche Strategien waren wann und warum effizient , welche nicht ? Ausgehend von Tálos , Eminger ( 2005 ) und Klausinger ( 2008 ) ist hier an eine vertiefende Analyse der Verflechtungen wirtschaftlicher Interessenvertretungen untereinander und an jene zwischen Politik und Wirtschaft zu denken. Insbesondere sollten hier auch die beruflichen und privaten Netzwerke der Spitzenvertreter der Kammerbürokratie schärfer in den Blick genommen werden. • Handelskammern und Österreichisches Institut für Konjunkturforschung : Anknüpfend an Hochholdinger und Klausingers ( 2005 ) Bemerkungen über die Rolle Morgensterns als Politikberater des Schuschnigg-Regimes wäre eine kritische Analyse des Verhältnisses des Österreichischen Instituts für Konjunkturforschung zu den Handelskammern einerseits und zur bürgerlichen Regierungsdiktatur andererseits lohnend. • Quellen : Bisher noch zu wenig wahrgenommen wurden Materialien in den Regis traturen der Länderkammern außer Wien , das Kammerschrifttum in den Beständen des Bundeskanzleramtes und in den Bundesministerien für Handel , Inneres , Finanzen , Soziales und Äußeres im Österreichischen Staatsarchiv / A rchiv der Republik , ( Auto-)Biografien und Memoiren von Kammerfunktionären und -mandataren sowie generell die – freilich schwer zu recherchierenden – Ego-Dokumente.
schluss. Voraussetzungen , Entwicklungen , Rahmenbedingungen 1918–1938 [ I nnsbrucker Forschungen zur Zeitgeschichte 3 ] , Innsbruck , 385–402 ; Mathis , Franz ( 1996 ) : Wirtschaft oder Politik ? Zu den „wirtschaftlichen“ Motiven einer politischen Vereinigung zwischen 1918 und 1938. In : Gehler , Michael / Schmidt , Rainer F. / Brandt , Harm-Hinrich / Steininger , Rolf ( Hg. ) : Ungleiche Partner ? Österreich und Deutschland in ihrer gegenseitigen Wahrnehmung. Historische Analysen und Vergleiche aus dem 19. und 20. Jahrhundert [ H istorische Mitteilungen. Im Auftrage der Ranke-Gesellschaft , Beiheft 15 ] , Stuttgart , 427–439 : In Bezug auf das Gewerbe vgl. Eminger ( 2005 ), 89. 44 Das Jahr der Entscheidungen , Wirtschaftliche Nachrichten , 25. 6. 1931 , 426–428 : 426. Auch in der ansonsten sehr gründlich gearbeiteten Dissertation von Baril , Waltraud ( 1965 ) : Ernst von Streeruwitz , ein österreichischer Politiker der Ersten Republik , phil. Diss. , Wien , finden diese Äußerungen keine Erwähnung.
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Quellen- und Literaturverzeichnis Baltzarek , Franz ( 1981 ) : Ludwig von Mises und die österreichische Wirtschaftspolitik der Zwischenkriegszeit. In : Wirtschaftspolitische Blätter Jg. 28 ( 1981 ) Heft 4 , 127–139. Baril , Waltraud ( 1965 ) : Ernst von Streeruwitz , ein österreichischer Politiker der Ersten Republik , phil. Diss. , Wien. Eminger , Stefan ( 1995 ) : Gewerbepolitik und gewerbliche Organisationen in Österreich zur Zeit der Weltwirtschaftskrise , Dipl.-Arb. , Wien. Eminger , Stefan ( 2005 ) : Das Gewerbe in Österreich 1930–1938. Organisationsformen , Interessenpolitik und politische Mobilität , Innsbruck. Fischer , Peter G. ( 1977 ) : Die österreichische Handelskammern und der Anschluß an Deutschland. Zur Strategie der „Politik der kleinen Mittel“ 1925 bis 1934. In : Jedlicka , Ludwig / Neck , Rudolf ( Hg. ) ( 1977 ) : Das Juliabkommen von 1936. Vorgeschichte , Hintergründe und Folgen. Protokoll des Symposiums in Wien am 10. und 11. Juni 1976 [ Veröffentlichungen der Wissenschaftlichen Kommission des Theodor-Körner-Stiftungsfonds und des Leopold-Kunschak-Preises zur Erforschung der Österreichischen Geschichte der Jahre 1918 bis 1938 4 ] , Wien , 299–314. Fischer , Peter G. ( 1978 ) : Wirtschaftliche Interessenvertretung vom „Ständestaat“ zum „Führerstaat“. In : Czeike , Felix ( Hg. ) : Wien 1938 [ Forschungen und Beiträge zur Wiener Stadtgeschichte 2 , Sonderreihe der Wiener Geschichtsblätter ] , Wien , 207–215. Geißler , Franz ( 1949 ) : Die Entstehung und der Entwicklungsgang der Handelskammern in Österreich. In : Mayer , Hans ( Hg. ) : Hundert Jahre österreichischer Wirtschaftsentwicklung 1848–1948. [ Hg. auf Veranlassung der Bundeskammer der gewerblichen Wirtschaft zum hundertjährigen Bestande der Kammerorganisation ] , Wien , 21–126. Geißler , Franz ( 1974 ) : 125 Jahre Wiener Handelskammer. In : Wirtschaftspolitische Blätter Jg. 21 ( 1974 ) Heft 1 , 1–22. Geißler , Franz ( 1977 ) : Österreichs Handelskammer-Organisation in der Zwischenkriegszeit. Eine Idee auf dem Prüfstand. Bd. 1 : Nach dem Reformgesetz 1920 , Wien. Geißler , Franz ( 1980 ) : Österreichs Handelskammer-Organisation in der Zwischenkriegszeit. Eine Idee auf dem Prüfstand. Bd. 2 : Die große Wende , Wien. Grandner , Margarete / Traxler , Franz ( 1984 ) : Sozialpartnerschaft als Option der Zwischenkriegszeit ? Liberalkorporatistisches Krisenmanagement am Beispiel der Wirtschaftskonferenz von 1930. In : Fröschl , Erich / Z oitl , Helge ( Hg. ) : Februar 1934. Ursachen , Fakten , Folgen. Beiträge zum wissenschaftlichen Symposion des Dr.-Karl-Renner-Instituts abgehalten vom 13. bis 15. Februar 1984 in Wien [ Thema Zeitgeschichte 2 ] , Wien , 75–117. Haas , Karl ( 1977 ) : Zum Problemkomplex „Wirtschaftsverbände und Ständestaat“. In : Jedlicka , Ludwig / Neck , Rudolf ( Hg. ) ( 1977 ) : Das Juliabkommen von 1936. Vorgeschichte , Hintergründe und Folgen. Protokoll des Symposiums in Wien am 10. und 11. Juni 1976 [ Veröffentlichungen der Wissenschaftlichen Kommission des Theodor-Körner-Stiftungsfonds und des Leopold-KunschakPreises zur Erforschung der Österreichischen Geschichte der Jahre 1918 bis 1938 4 ] , Wien , 328–342. Haas , Karl ( 1979 ) : Industrielle Interessenpolitik in Österreich zur Zeit der Weltwirtschaftskrise. In : Jahrbuch für Zeitgeschichte 1978 , Wien , 97–126. Hochholdinger , Alfred ( 1983 ) : Ludwig von Mises. Sein Einfluss in Österreich in der Zwischenkriegszeit , Dipl.-Arb. , Wien. Hörtlehner , Alexander ( 1981 ) : Ludwig von Mises und die österreichische Handelskammerorganisation. In : Wirtschaftspolitische Blätter Jg. 28 ( 1981 ) Heft 4 , 140–150.
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III. Wirtschafts- und Interessenpolitik
Gedruckte Quellen Wirtschaftliche Nachrichten mit den amtlichen Nachrichten der Kammern für Handel , Gewerbe und Industrie in Wien , Feldkirch , Graz , Innsbruck , Klagenfurt , Linz , Salzburg und der Burgenländischen Handelskammer und den Mitteilungen des Außenhandelsdienstes dieser Kammern Österreichs Wirtschaft. Wochenschrift des Niederösterreichischen Gewerbevereins
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Wolfgang Meixner
Wirtschaftstreibende , Bankiers und wirtschaftliche Interessenverbände 1930–1938 I. Forschungsstand Aufgabenstellung für diesen Beitrag ist , Stand und Desiderate der Erforschung des Dollfuß / Schuschnigg-Regimes zu benennen. Der Befund fällt in dem mir vorgegebenen Bereichen ernüchternd aus. Zwar existieren Überblicksdarstellungen zur Wirtschaftsgeschichte dieses Zeitabschnittes , diese gehen , wenn überhaupt , nur punktuell auf Wirtschaftstreibende ein.1 Die von Franz Mathis Ende der 1980er-Jahre vorgelegte Studie zu den österreichischen Großunternehmen befasst sich vornehmlich mit den Betrieben und beleuchtet Unternehmer- bzw. Managementpersönlichkeiten nur am Rande.2 Einzeldarstellungen österreichischer Wirtschaftstreibender im 20. Jahrhundert bleiben kursorisch.3 Eine zu 1 Vgl. Butschek , Felix ( 1985 ) : Die österreichische Wirtschaft im 20. Jahrhundert , Stuttgart , 28–64 ; Hanisch , Ernst ( 1994 ) : Der lange Schatten des Staates. Österreichische Gesellschaftsgeschichte im 20. Jahrhundert [ Österreichische Geschichte 1890–1990 ] , Wien , 263–336 ; Sandg ruber , Roman ( 1995 ) : Öko nomie und Politik. Österreichische Wirtschaftsgeschichte vom Mittelalter bis zur Gegenwart [ Österreichische Geschichte ] , Wien , 335–402 ; Weber , Fritz ( 1995 ) : Die wirtschaftliche Entwicklung. In : Tálos , Emmerich / Dachs , Herbert / Hanisch , Ernst / Staudinger , Anton ( Hg. ) : Handbuch des politischen Systems Österreichs. Erste Republik 1918–1933 , Wien , 23–42 ; Mattl , Siegfried ( 2005 ) : Die Finanzdiktatur. In : Tálos , Emmerich / Neugebauer , Wolfgang ( Hg. ) : Austrofaschismus. Politik – Ökonomie – Kultur 1933–1938 [ Politik und Zeitgeschichte 1 ] , Wien , 202–220 , sowie jüngst Butschek , Felix ( 2010 ) : Österreichische Wirtschaftsgeschichte. Von der Antike bis zur Gegenwart , Wien / Köln / Weimar , 182–250. Eine Auswahl bis 1991 erschienener ökonomischer und wirtschaftshistorischer Aufsätze zur Zwischenkriegszeit in Österreich findet sich bei Matis , Herbert ( Hg. ) ( 1994 ) : The Economic Development of Austria since 1870 [ The Economic Development of Modern Europe since 1870 4 ] , Aldershot-Brookfield , 257–526. 2 Vgl. Mathis , Franz ( 1987 ) : Big Business in Österreich. Österreichische Großunternehmen in Kurzdarstellungen , Wien / München , sowie Mathis , Franz ( 1990 ) : Big Business in Österreich II. Wachstum und Eigentumsstruktur der österreichischen Großunternehmen im 19. und 20. Jahrhundert. Analysen und Interpretation , Wien / München. 3 Als Beispiele für Tirol vgl. Swarovski , Daniel / Klughardt Bernd A. ( 1989 ) : Die Persönlichkeit des Firmengründers als Erfolgsfaktor für ein Unternehmen : Ein Fallbeispiel. In : Österreichische Gesellschaft für Unternehmensgeschichte ( Hg. ) : Unternehmer und Unternehmen. Festschrift für Alois
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den eher hagiografisch gehaltenen Unternehmerporträts des Habsburgerreiches vergleichbare Arbeit zu Persönlichkeiten des 20. Jahrhunderts existiert nicht.4 Das von der Österreichischen Akademie der Wissenschaften herausgegebene Österreichische Biographische Lexikon porträtiert seit einiger Zeit verstärkt Wirtschaftstreibende.5 Neue Wege beschreiten die Unternehmens- bzw. Unternehmeruntersuchungen von Oliver Kühschelm , die der Erforschung von Unternehmen und UnternehmerInnen als lieux de mémoire verpflichtet sind.6 Die 1995 fertiggestellte Dissertation von Thomas Krautzer beschäftigt sich systematisch mit Wirtschaftstreibenden.7 Krautzer untersuchte anhand eines Sample soziologische , demografische und elitäre Aspekte der österreichischen Unternehmerschaft und wirtschaftlicher Führungskräfte im 20. Jahrhundert.8 Die personellen Verflechtungen der Wiener Großbanken mit den Industrieaktiengesellschaften beleuchtet die Dissertation von Peter Eigner.9 Eine der Untersuchung von Stefan Eminger zum Gewerbe in Österreich zwischen 1930 und 1938 vergleichbare Arbeit zu den österreichischen Wirtschaftstreibenden im Industriebereich liegt nicht vor.10 Noch schlechter sieht es im Bereich der Bankiers aus. Dem Befund von Peter Eigner , dass „die Kenntnisse über die Biografien der Bankiers [ … ] äußerst lückenhaft [ seien ] , wie überhaupt das österreichische Wirtschaftsbürgertum eine wenig erforschte Personengruppe darstellt“ ist zuzustimmen.11 Zwar ist das österreichische Bankenwesen der Zwischenkriegszeit seit den Arbeiten von Karl Ausch und Eduard März im Mittelpunkt der Forschung , Arbeiten zu Bankiers sind jedoch ein
Brusatti [ Veröffentlichungen der Österreichischen Gesellschaft für Unternehmensgeschichte 13 / 1 4 ] , Wien , 77–93 ; Klughardt , Bernd ( 1992 ) : Geschichte des Unternehmens Swarovski in Hinblick auf das 100jährige Firmenjubiläum. In : Brusatti , Alois ( Hg. ) : Familienunternehmen [ Veröffentlichungen der österreichischen Gesellschaft für Unternehmensforschung 15 ] , Wien , 17–32 , sowie Alexander , Helmut ( Hg. ) ( 2007 ) : Innovatives Tirol. Techniker – Erfinder – Unternehmer , Innsbruck. 4 Langendorf , Jean-Jacques ( 1997 ) : Genie und Fleiss. Unternehmergestalten der Monarchie 1600– 1918 , Wien. 5 Vgl. Forschungsaufgaben. Österreichisches Biographisches Lexikon 1815–1950 , URL : http ://www. oeaw.ac.at / oebl / i nstitut.htm ( abgerufen am 31. 10. 2011 ). 6 Kühschelm hat u. a. die Firmen und Unternehmerfamilien Meinl , Manner und Swarovski untersucht. Vgl. Kühschelm , Oliver ( 2005 ) : Julius Meinl. Patriarchalisch , ( g roß )bürgerlich , österreichbewusst ; Manner. „Die Schnitte der Patrioten“; sowie Swarovski. Österreichischer „Multi“ und Tiroler „Weltmarke“. In : Brix , Emil / Bruckmüller , Ernst / Stekl , Hannes ( Hg. ) : Memoria Austria III. Unternehmer , Firmen , Produkte , Wien , 43–96 ; 97–130 ; 131–168. 7 Vgl. Krautzer , Thomas ( 1995 ) : Österreichische Spitzen-Unternehmer des 20. Jahrhunderts : eine statistische Untersuchung des sozialen Erscheinungsbildes , der Karrieremuster und der historischen Verflechtungen der Elite der österreichischen Unternehmerschaft zwischen 1936 und 1976 , phil. Diss. , Graz. 8 Zum Projektziel vgl. Karner , Stefan ( 1992 ) : Führungskräfte in der österreichischen Wirtschaft des 20. Jahrhunderts. In : Brusatti ( Hg. ), 53–60. 9 Vgl. Eigner , Peter ( 1997 ) : Die Konzentration der Entscheidungsmacht. Die personellen Verflechtungen zwischen den Wiener Großbanken und Industrieaktiengesellschaften 1895–1940 , phil. Diss. , Wien. 10 Vgl. Eminger , Stefan ( 2005 ) : Das Gewerbe in Österreich 1930–1938. Organisationsformen , Inte ressenpolitik und politische Mobilität , Innsbruck / Wien / Bozen. 11 Eigner , Peter ( 2005 ) : Diener der österreichischen Wirtschaft. Von NS-Karrieristen , Profiteuren und Mitläufern in Österreichs Banken 1938–1945. In : Pawlowsky , Verena / Wendelin , Harald ( Hg. ) : Arisierte Wirtschaft [ R aub und Rückgabe Österreich von 1938 bis heute 2 ] , Wien , 102–124 : 104.
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�������������������������������������������������������������������������������������������������� ���������������������������������������������������������������������������������� : Wirtschaftstreibende , Bankiers und wirtschaftliche Interessenverbände 1930–1938
Desiderat.12 Auf den österreichischen Privatbankensektor in der Zwischenkriegszeit geht Peter Melichar ein.13 Unveröffentlicht geblieben ist die Arbeit von Fritz Weber zur Krise des österreichischen Bankenwesens in den 1920er-Jahren.14 Im Zuge der wirtschaftshistorischen Aufarbeitung der österreichischen NS-Geschichte rücken Banken und Bankiers der Zwischenkriegszeit unter einem neuen Fokus ( Arisierung , Mitläufer , Profiteure ) ins Blickfeld.15 Melichar liefert im Rahmen seiner Untersuchung zur Neuordnung des österreichischen Bankenwesen nach dem „Anschluss“ vom März 1938 108 Falldarstellungen liquidierter und arisierter Bankhäuser , geht aber , aus verständlichen Gründen , auf die Einzelpersönlichkeiten nicht näher ein.16 Die genaue Anzahl der Banken in Österreich vor dem „Anschluss“ ist unbekannt. Melichar bezieht 135 Bankfirmen in seine Untersuchung ein , davon 29 , die zwischen 1918 und 1938 gegründet worden waren.17 Auch die Erforschung wirtschaftlicher Interessenverbände und Vertretungsorganisationen weist Lücken auf. Bereits 1978 hatte Karl Haas die industrielle Interessenpolitik der Ersten Republik zur Zeit der Weltwirtschaftskrise in groben Zügen dargelegt.18 Die Arbeiten von Gerald Sturmair behandeln nur die Spitzenverbände und gehen weder auf Branchen- noch auf Regionalverbände ein.19 Eine konzise Untersuchung der Handels- und Gewerbekammern in der Zwischenkriegszeit fehlt , obwohl Material dafür genügend vorhanden wäre.20 Für eine Sekundäranalyse der handelnden Personen 12 Vgl. Ausch , Karl ( 1968 ) : Als die Banken fielen. Zur Soziologie der politischen Korruption , WienFrankfurt / Main-Zürich ; März , Eduard ( 1981 ) : Österreichische Bankenpolitik in der Zeit der großen Wende 1913–1923. Am Beispiel der Creditanstalt für Handel und Gewerbe , Wien. Ein rezenter Überblick findet sich in Rathkolb , Oliver / Venus , Theodor / Zimmerl , Ulrike ( Hg. ) ( 2005 ) : Bank Austria Creditanstalt. 150 Jahre österreichische Bankengeschichte im Zentrum Europas , Wien. 13 Vgl. Melichar , Peter ( 2005 ) : Bankiers in der Krise : Der österreichische Privatbankensektor 1928– 1938. In : Eigner , Peter / Köhler , Ingo ( Hg. ) : Privatbankiers in Mitteleuropa zwischen den Weltkriegen [ G eld und Kapital. Jahrbuch der Gesellschaft für mitteleuropäische Banken- und Sparkassengeschichte 7 ] , Stuttgart , 135–191. 14 Vgl. Weber , Fritz ( 1991 ) : Vor dem großen Krach. Die Krise des österreichischen Bankwesens in den zwanziger Jahren , unveröffentlichte Habilitationsschrift Wien. 15 Vgl. etwa Eigner , Peter / Melichar , Peter ( 2002 ) : Enteignungen und Säuberungen – Die österreichischen Banken im Nationalsozialismus. In : Ziegler , Dieter ( Hg. ) : Banken und „Arisierungen“ in Mitteleuropa während des Nationalsozialismus [ G eld und Kapital. Jahrbuch der Gesellschaft für mitteleuropäische Banken- und Sparkassengeschichte 5 ] , Stuttgart , 43–116 ; Eigner , Peter ( 2005 ), 102– 124 , sowie Venus , Theodor ( 2005 ) : Abgebrochene Rückkehr – der Fall des Bankhauses Gebrüder Gutmann. In : Pawlowsky / Wendelin ( Hg. ), 152–170. 16 Vgl. Melichar , Peter ( 2004 ) : Neuordnung im Bankenwesen. Die NS-Maßnahmen und die Problematik der Restitution [ Veröffentlichungen der Österreichischen Historikerkommission. Vermögensentzug während der NS-Zeit sowie Rückstellungen und Entschädigungen seit 1945 in Österreich 11 ] , Wien / München , 200–442. 17 Vgl. Melichar ( 2004 ), Tab. 144 sowie Tab. 145 , 443–446. 18 Vgl. Haas , Karl ( 1978 ) : Industrielle Interessenpolitik in Österreich zur Zeit der Weltwirtschaftskrise. In : Jahrbuch für Zeitgeschichte ( 1978 ), 97–126. 19 Vgl. Sturmayr , Gerald ( 1996 ) : Industrielle Interessenpolitik in der Donaumonarchie [ S ozialund wirtschaftshistorische Studien 22 ] , Wien / München sowie Sturmayr , Gerald ( 1995 ) : Industrielle Interessenverbände : Ringen um Einheit. In : Tálos et al. ( Hg. ), 339–352. 20 Vgl. die von Eminger ( 2005 ), 12 , als „materialreich[ … ] , aber leider etwas unstrukturiert[ … ]“ charakterisierten Arbeiten von Geißler , Franz ( 1977 ) : Österreichs Handelskammer-Organisation in
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III. Wirtschafts- und Interessenpolitik
im Wirtschaftsbereich des Dollfuß / Schuschnigg-Regimes heranziehenswert ist das von Gertrud Enderle-Burcel erstellte biografische Handbuch der Mitglieder des Staatsrates , Bundeskulturrates , Bundeswirtschaftsrates und Länderrates sowie des Bundestages.21 Zur Wirtschaftspolitik dieser Zeit liegt mit der Monografie von Gerhard Senft eine zusammenfassende Darstellung vor.22 II. Ergebnisse 1.1 Finis Austriae : Der Zerfall des Habsburgerreiches infolge der Niederlage im Ersten Weltkrieg Die „Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts“ führte zum Zerfall des Habsburgerreiches.23 Wie Herbert Matis betonte , war das Reich letztendlich aber an einem doppelten Anachronismus gescheitert : Als vorwiegend dynastisch geprägtes Staatswesen war sie ein historisches Relikt , als multinationaler Vielvölkerstaat aber ihrer Epoche voraus. Allerdings war ihre pluralistische Gesellschaft unter den Bed ing ungen des ansteigenden Nationalismus nicht in der Lage , „ihre weitere Existenz einem einzigen , allgemein verbindlichen und nationsübergreifenden Staatsgedanken ( oder auch bloß Wirtschaftsinteresse ) unterzuordnen“.24 Die Einheit des Reiches belasteten aber auch soziale und wirtschaftliche Entwicklungen und deren Folgen. Der auch im Habsburgerreich im Verlauf des 19. Jahrhunderts einsetzende Industrialisierungsprozess , der sich im 20. Jahrhundert fortsetzte , hatte schlussendlich zu einer völligen Umgestaltung aller Lebens- und Produktionsprozesse geführt , die Franz Mathis wie folgt resümiert : An die Stelle einer vorwiegend agrarischen , wenig marktorientierten und wenig arbeitsteiligen Wirtschaftsstruktur mit niedriger Produktivität trat eine ungleich produktivere Wirtschaft , die von nicht-agrarischen , zunächst industriell-gewerblichen und in der Folge immer mehr Dienstleistungen anbietenden Tätigkeiten geprägt und in einem hohen Grad an Arbeitsteilung und Marktintegration gekennzeichnet war.25 der Zwischenkriegszeit. Eine Idee auf dem Prüfstand. 1. Bd. : Nach dem Reformgesetz 1920 , Wien , sowie Geißler , Franz ( 1980 ) : Österreichs Handelskammer-Organisation in der Zwischenkriegszeit. Eine Idee auf dem Prüfstand. 2. Bd. : Die große Wende , Wien. 21 Vgl. Enderle-Burcel , Gertrude unter Mitarbeit von Johannes Kraus ( 1991 ) : Christlich – ständisch – autoritär. Mandatare im Ständestaat 1934–1938. Biographisches Handbuch der Mitglieder des Staatsrates , Bundeskulturrates , Bundeswirtschaftsrates und Länderrates sowie des Bundestages , Wien. 22 Senft , Gerhard ( 2002 ) : Im Vorfeld der Katastrophe. Die Wirtschaftspolitik des Ständestaates. Österreich 1934–1938 ( Vergleichende Gesellschaftsgeschichte und politische Ideengeschichte der Neuzeit 15 ), Wien. 23 Reimann , Aribert ( 2004 ) : Der Erste Weltkrieg – Urkatastrophe oder Katalysator ? In : Aus Politik und Zeitgeschichte. Beilage zur Wochenzeitung Das Parlament B 29– 30 ( 2004 ), 30–38 : 30. 24 Matis , Herbert ( 1991 ) : Grundzüge der österreichischen Wirtschaftsentwicklung 1848–1914. In : Rumpler , Herbert ( Hg. ) : Innere Staatsbildung und gesellschaftliche Modernisier ung in Österreich und Deutschland 1867 / 7 1–1914. Historikergespräch Österreich – Bundesrepublik Deutschland 1989 , Wien / München , 107–124 : 124. 25 Mathis , Franz ( 1997 ) : Die österreichische Wirtschaft. Grundlagen und Entwicklungen. In : Steininger , Rolf / G ehler , Michael ( Hg. ) : Österreich im 20. Jahrhundert 2 , Innsbruck , 415–453 : 415.
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�������������������������������������������������������������������������������������������������� ���������������������������������������������������������������������������������� : Wirtschaftstreibende , Bankiers und wirtschaftliche Interessenverbände 1930–1938
Gravierender als die politischen Folgen des Ersten Weltkrieges erwies sich für das neu entstandene Deutsch-Österreich der Zerfall des Reiches als geschlossenes Staats- und Wirtschaftsgebiet. Dieses Gebiet war durch eine enge wirtschaftliche Verflochtenheit gekennzeichnet. Dabei hatten die „Alpenländer“ ( die nun im Wesentlichen das neue Staatsgebiet der Ersten Republik bildeten ) im Habsburgerreich als Industriegebiete mit den übrigen Regionen agrarische wie grundstoffliche Rohstoffe ausgetauscht. Ein Minimum an Außenhandel hatte eine zumindest ausgeglichene Leistungsbilanz ermöglicht.26 Der infolge des Zerfalls des Reiches nun fehlende Außenhandel bewirkte für den neuen Staat unangenehme Effekte ( strukturelles Leistungsbilanzdefizit ). Daran knüpfte sich sogleich eine Debatte um die ( Ü ber-)Lebensfähigkeit dieser neuen Republik.27 Auch wenn Ansätze zu einer Verlagerung des Schwerpunktes des österreichischen Außenhandels nach Westen bereits in der Ersten Republik in Gang gesetzt worden waren ( beschleunigt und finalisiert wurde sie letztendlich durch den sogenannten „Anschluss“ 1938 und in der Zeit nach 1945 ), blieb die wirtschaftliche Verflechtung dieses neuen Österreichs mit den Nachfolgestaaten ( Tschechoslowakei , Ungarn , Polen , Jugoslawien sowie Rumänien ) nach wie vor groß : 1924 gingen 46,3 Prozent der österreichischen Exporte in diese Staaten und „nur“ 13,1 Prozent in das Deutsche Reich. 1937 betrug der Exportanteil in die Nachfolgestaaten immer noch 31,5 Prozent , während jener in das Deutsche Reich bei 14,8 Prozent lag.28 1.2 Ökonomische Herausforderungen für die neue Republik Die gravierendste ökonomische Herausforderung des neuen Staates war jedoch die galoppierende Inflation , die durch staatliche Maßnahmen zunächst nur unzureichend bekämpft werden konnte. Einhalt brachte eine 1922 aufgrund der drei „Genfer Protokolle“ gewährte internationale Anleihe von 650 Millionen Goldkronen , allerdings um den Preis der weitgehenden Aufgabe der staatlichen Souveränität.29 Österreich stand in der Folge zwar unter Aufsicht eines Generalkommissärs mit großen finanziellen Befugnissen , aber diese Maßnahmen zeigten bald Wirkung.30 Das Ende der Inflationszeit wird schließlich durch die Gründung der „Oesterreichischen Nationalbank“ sowie die Einführung des Schillings ( 1925 ) markiert.31 1929 erfolgte auch in Österreich , bedingt durch die Weltwirtschaftskrise , ein schwerer wirtschaftlicher Rückschlag.32 Als sich die österreichische Wirtschaft zu Beginn 26 Vgl. Kernbauer , Hans / März , Eduard / Weber , Fritz ( 1983 ) : Die wirtschaftliche Entwicklung. In : Weinzierl , Erika / Skalnik , Kurt ( Hg. ) : Österreich 1918–1938. Geschichte der Ersten Republik 1 , Graz / Wien / Köln , 343–379 : 344–345. 27 Vgl. Butschek ( 1985 ), 28–30 : 30. 28 Vgl. Butschek ( 2011 ), Übersicht 38 : Regionalstruktur des österreichischen Außenhandels 1920 bis 1937 , 187. 29 März , Eduard ( 1981 ) : Österreichische Bankenpolitik in der Zeit der großen Wende 1913–1923. Am Beispiel der Creditanstalt für Handel und Gewerbe , Wien , 470–503 , sowie Kernbauer , Hans ( 1995 ) : Österreichische Währungs- , Bank- und Budgetpolitik in der Zwischenkriegszeit. In : Tálos et al. ( Hg. ), 552–569 : 557. 30 Vgl. Butschek ( 2011 ), 202–203. 31 Bachinger , Karl / Matis , Herbert ( 1974 ) : Der österreichische Schilling. Geschichte einer Währung , Graz / Wien / Köln. 32 Vgl. Butschek ( 2011 ), 219–231.
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III. Wirtschafts- und Interessenpolitik
der 1930er-Jahre zu erholen schien , wurde sie neuerlich durch die Zahlungsunfähigkeit der Creditanstalt erschüttert.33 Ein Grund dafür war unter anderem das Bestreben der österreichischen Bankenwelt , die Position des wichtigsten Kreditgebers für die Nachfolgestaaten zu halten , was mitunter zur Finanzierung riskanter Projekte geführt hatte.34 Ein weiterer Grund der Bankenkrise lag in deren schmaler Kapitalbasis , die nach Beendigung der Inflation nicht ausreichend aufgebaut worden war. Eine große Herausforderung für die österreichische Wirtschaft stellte weiter die dras tische Verkleinerung des Binnenmarktes von 53 auf ca. 6,5 Millionen Menschen dar. Dies betraf vor allem die im neuen Staatsgebiet verbliebene Großindustrie , die vorwiegend ganz im Westen ( Vorarlberg ) sowie im Osten ( Raum um Wien ) und in der Steiermark konzentriert war. Aufgrund geänderter Marktvoraussetzungen sowie struktureller und konjunktureller Probleme sank die Zahl der Großunternehmen ( mehr als 1.000 Beschäftigte ) drastisch , nämlich von 74 im Jahr 1913 auf 49 im Jahr 1937. Als Großkonzern , aufgrund der Beschäftigtenlage , anzusehen war mit der Alpine Montangesellschaft nur ein Unternehmen.35 Der österreichische Eigentümercharakter blieb allerdings gewahrt , denn nur 13 Großunternehmen waren 1937 in ausländischer , fünf davon in deutscher Hand.36 Beachtenswerter aber erscheint ein anderes Phänomen , das durch den Zerfall des Habsburgerreiches eingetreten war : Ein nicht unbeträchtlicher Teil der Unternehmen desselben hatte nun ihren Sitz nicht mehr in Österreich , sondern in einem der Nachfolgestaaten. Die Untersuchung von 2.592 Betrieben mit mehr als 20 Beschäftigten zeigt , dass mehr als ein Viertel ihren Firmensitz in Böhmen und rund sieben Prozent in Mähren hatte. Von den auf dem Gebiet der neuen Republik ansässigen Firmen wiederum hatte gut ein Viertel der Betriebe ihren Sitz in Wien , gefolgt von Vorarlberg , Nieder österreich und der Steiermark.37 1.2 Wirtschaftstreibende ( Unternehmer ) in der Zwischenkriegszeit Drei Viertel der in den 1930er-Jahren in Österreich tätigen UnternehmerInnen wurden zwischen 1870 und 1890 geboren.38 Sie hatten ihre Jugend sowie einen guten Teil ihrer Lebenszeit ( 30 Jahre und mehr ) in der Zeit der Monarchie verbracht und waren durch 33 Vgl. Rathkolb et al. ( Hg. ) ( 2005 ) sowie Eigner , Peter / Melichar , Peter ( 2008 ) : Das Ende der Boden-Credit-Anstalt 1929 und die Rolle Rudolf Siegharts. In : Österreichische Zeitschrift für Geschichtswissenschaften Jg. 19 ( 2008 ) Heft 3 , 56–114 , und Stiefel , Dieter ( 2008 ) : Die Krise der CreditAnstalt in den 1930er-Jahren und ihre Folgen für das österreichische Bankensystem. In : Österreichische Zeitschrift für Geschichtswissenschaften Jg. 19 ( 2008 ) Heft 3 , 117–141. 34 Vgl. Kernbauer , Hans / Weber , Fritz ( 1993 ) : Multinationales Banking im Donauraum ? Die Geschäftspolitik der Wiener Großbanken 1918–1929. In : Österreichische Zeitschrift für Geschichtswissenschaften Jg. 4 ( 1993 ) Heft 4 , 585–616. 35 Vgl. Mathis ( 1997 ), 432 , sowie besonders zur „Alpine“ Fischer , Peter G. ( 1983 ) : The Österreichisch-Alpine Montangesellschaft , 1918–1938. In : Teichova , Alice / C ottrell , Philip L. ( Hg. ) : International Business and Central Europe , 1918–1939 , Leicester / New York , 253–267. 36 Vgl. Mathis ( 1997 ), 432–433. 37 Vgl. Meixner , Wolfgang ( 2001 ) : Aspekte des Sozialprofils österreichischer Unternehmer im 19. Jahrhundert : regionale und soziale Mobilität , phil. Diss. , Innsbruck , 59. 38 Dieser Abschnitt referiert Ergebnisse einer empirischen Untersuchung ( Sample von 425 österreichischen Spitzen-Unternehmern , davon 83 mit dem Stichjahr 1936 ). Vgl. Krautzer ( 1995 ).
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diese geprägt worden. Dies drückt sich sowohl im Lebensstil , in dem das „Imperiale“ fortlebte , wie es Karner / Krautzer ausdrücken , als auch in ihrer Einstellung zu Staat ( Ablehnung des „Kleinstaates“ und Infragestellung seiner Überlebensfähigkeit ) und Regierungsform ( Republik ) aus.39 Die regionale Herkunft der vor 1900 geborenen UnternehmerInnen lag fast zur Hälfte außerhalb des neuen Staatsgebietes , vor allem in „Altösterreich“. Zwei Drittel dieser Personen stammten aus Familien , die bereits wirtschaftlich tätig waren. Dabei rekrutierten sich Eigentümerunternehmer zu 80 Prozent aus bereits wirtschaftlich tätigen Familien ( vor allem Erben ). UnternehmerInnen mit wirtschaftsfernerer Herkunft rekrutierten sich aus dem Bürgertum ( Beamten- und Offiziersfamilien ) sowie vereinzelt aus dem Bauernstand. Einige waren aus dem Gewerbe in das Unternehmertum gelangt. Eine einschneidende Gemeinsamkeit dieser Kohorten sind die Erfahrungen des Ers ten Weltkrieges , den viele von ihnen im Schützengraben oder häufiger noch als Offiziere erlebt hatten. Über 85 Prozent der im Ersten Weltkrieg eingerückten Unternehmer standen in einem Offiziersrang.40 Damit einhergingen – im Gegensatz zur Zeit nach 1945 – nicht ein kollektives Gefühl einer „Wiederaufbaugeneration“, sondern vielmehr Frustration , „kontraproduktive Hoffnungslosigkeit“ sowie „politische Aufgeregtheit“, wie es Krautzer charakterisierte.41 Otto Bauer hat in seinem Werk „Die österreichische Revolution“ darauf hingewiesen , dass das „Alt-Wiener Patriziat“ „mit ihrem Reich [ … ] auch ihren Reichtum verloren“ hatte und „aus seiner gewohnten bürgerlichen Lebenshaltung tief hinabgestürzt“ worden war. Zunehmend war bei diesen auch die Hoffnung geschwunden , das „alte“ Österreich werde , wenn auch in veränderter Gestalt , wieder auferstehen.42 Das wirtschaftliche Treiben des unternehmerischen Teiles dieser Gesellschaft stand daher in den ersten Jahren nach 1918 vielfach unter dem Motto „Adler mit geknickten Schwingen“. So hatte Heimito von Doderer seinen Vater , den Eisenbahnmagnaten und viertgrößten Aktionär der Creditanstalt , Wilhelm Ritter von Doderer , nach dem Ersten Weltkrieg charakterisiert.43 Ab Mitte der 1920er-Jahre gelang es Vertretern der Großbanken und der Großindustrie zunehmend , innerhalb des bürgerlichen Lagers an Einfluss zu gewinnen.44 Diese ( w ieder-)gewonnene Machtstellung verleitete etwa den Journalisten und Schriftsteller Hugo Bettauer in seinem Roman „Das entfesselte Wien“ dazu , von den Verwaltungsräten , Generaldirektoren und Bankiers , die „sich einbilden , daß die Republik eine Aktiengesellschaft ist , in der sie die Majorität haben“ zu sprechen.45 39 Vgl. Karner , Stefan / Krautzer , Thomas ( 2008 ) : Der österreichische Unternehmer im 20. Jahrhundert. In : Karner , Stefan / M ikoletzky , Lorenz ( Hg. ) : Österreich. 90 Jahre Republik. Beitragsband der Ausstellung im Parlament , Innsbruck / Wien / Bozen , 253–266 : 257. 40 Vgl. Krautzer ( 1995 ), 154. 41 Vgl. Krautzer ( 1995 ), 151–152. 42 Vgl. Bauer , Otto ( 1923 ) : Die österreichische Revolution , Wien , 207–210 , 207. 43 Ich verdanke dieses Zitat dem lesenswerten Aufsatz von Ernst Bruckmüller zum österreichischen Bürgertum zwischen Monarchie und Republik. Vgl. Bruckmüller , Ernst ( 1993 ) : Das österreichische Bürgertum zwischen Monarchie und Republik. In : Zeitgeschichte Jg. 20 ( 1993 ) Heft 3 / 4 , 60–84 : 69. 44 Vgl. Bachinger , Karl ( 1983 ) : Anmerkungen zur Wirtschaftspolitik der Ersten Republik. In : Christliche Demokratie Jg. 1 ( 1983 ) Heft 1 , 42–53 : 45. 45 Zit. nach Hall , Murray G. ( 1978 ) : Der Fall Bettauer , Wien , 38.
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Frauen spielten in der Zwischenkriegszeit als aktive Unternehmerinnen so gut wie keine Rolle. Der Platz der Frau war vorbestimmt als Gattin und Mutter. Nur unter den kleineren Gewerbetreibenden sind etwas zahlreicher auch Frauen vertreten.46 Insgesamt stellte das österreichische Unternehmertum der Zwischenkriegszeit eine nahezu geschlossene Gesellschaft dar , in die kaum jemand ohne entsprechenden familialen Hintergrund sowie entsprechendes Startkapital vorzudringen vermochte , sodass sich dessen vertikale Durchlässigkeit als dementsprechend gering erwies. 1.3 ( Nicht-)Einfluss des Dollfuß / Schuschnigg-Regimes auf die Wirtschaftstreibenden 1.3.1 ( Partei-)Politische Präferenzen Karl Bachinger hatte konzediert , dass die „Unternehmerschaft [ … ] nach dem Sturz der alten Ordnung politisch heimatlos geworden war“. Ab dem Sommer 1919 bemühten sich jedoch die Christlichsozialen um eine Herausführung der Unternehmerschaft aus ihrer „politischen Isolierung“.47 Zunehmend fanden Industriekreise nun Rückhalt bei kleinbürgerlichen Massenparteien. Laut Krautzer nahm das Dollfuß / Schuschnigg-Regime keinen allzu großen Einfluss auf die Unternehmerschaft. Wer sich nur irgendwie im bürgerlichen Fahrwasser bewegte , hatte nichts zu befürchten und selbst nationalsozialistische Agitation wurde mehr oder weniger übergangen , wenn sie von honorigen Unternehmern „mit Kruckenkreuz auf und Hakenkreuz hinter dem Revers ausgeübt wurde“.48 Als Beispiel dafür können die Tiroler Unternehmer und Wirtschaftsführer Friedrich Reitlinger und Ezio Foradori gelten ; von denen Letzterer auch nach 1945 eine schillernde Rolle in der Tiroler Wirtschaft( spolitik ) spielte.49 Keine Chance auf Weiterbeschäftigung während des Dollfuß / Schuschnigg-Regimes hatten hingegen Sozialdemokraten ( z . B. Mitarbeiter der Wiener Städtischen ), die zu dieser Zeit freilich höchst selten in so hohen Wirtschaftspositionen zu finden waren. Offensichtlich griff das Regime bei staatsnahen Wirtschaftskörpern ( DDSG , ÖBB , PSK etc. ) sowie sozialistischen Hochburgen der Gemeinde Wien und besonders wichtigen Großunternehmen ( Banken , Alpine-Montan ) über Nachbesetzungen mit ( scheinbar ) treuen Gefolgsleuten durch.50 Laut Krautzers Untersuchung fühlten sich 58 Prozent der österreichischen SpitzenUnternehmer im 20. Jahrhundert parteilich gebunden , wobei diese Parteibindung bei UnternehmerInnen des Typus ManagerIn wesentlich höher war als bei Eigentümerunternehmern. Im zeitlichen Verlauf nahm diese Parteibindung deutlich ab.51 46 Vgl. Krautzer ( 1995 ), 41–42. 47 Vgl. Bachinger , Karl ( 1985 ) : Die österreichische Industrie in der Umbruchsphase nach dem Ers ten Weltkrieg. In : Christliche Demokratie Jg. 3 ( 1985 ) Heft 4 , 281–306. Bachinger zitiert hierbei eine Formulierung von Richard Schmitz aus der Reichspost von 1924 : Nicht Sozialismus , sondern Sozialreform , Reichspost , 19. 4. 1924 , 2. 48 Vgl. Krautzer ( 1995 ), 194. 49 Vgl. Meixner , Wolfgang ( 2002 ) : Ing. Friedrich Reitlinger ( 1877–1938 ). Industrieller und Wirtschaftsfunktionär in Tirol zwischen Heimwehr und Nationalsozialismus. In : Zeitgeschichte Jg. 29 ( 2002 ) Heft 4 , 191–201 ; zu Foradori vgl. Enderle-Burcel ( 1991 ), 75–76. 50 Vgl. Krautzer ( 1995 ), 194–195. 51 Vgl. Kapitel 10 bei Krautzer ( 1995 ), 203–211.
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Generell haben demokratische Parteien der Ersten Republik auf UnternehmerInnen keine hohe Anziehungskraft besessen. Sowohl die Vaterländische Front wie auch die NSDAP übten großen Druck auf potenzielle Parteigänger aus , was Wirtschaftstreibende offenbar weniger tangierte. Die Vaterländische Front fungierte als Einheitspartei und drängte jeden zum Beitritt. Ihre Mitgliederzahlen sind daher zum größten Teil auf diesen Druck und / oder reinen Opportunismus zurückzuführen. Laut Krautzer fühlten sich 36 Prozent der sich parteigebunden deklarierten Spitzen-Unternehmer der VF zugehörig. Beim Bekenntnis zur NSDAP ist die Sachlage differenzierter. Auch hier vermag der Druck mitunter eine Rolle gespielt haben , allerdings kann es auch Begeisterung und Opportunismus ( vor allem nach dem sogenannten „Anschluss“ ) gewesen sein , der zum Beitritt führte. Die NSDAP verstand sich als Elitepartei , die Aufnahmen eher beschränkte als förderte. Bei aller Vorsicht der Interpretation lässt Krautzers Untersuchung doch den Schluss zu , dass den UnternehmerInnen eine deutlichere Sympathie für den Nationalsozialismus unterstellt werden kann. Immerhin wandten sich 43 Prozent aller UnternehmerInnen , die sich vor 1945 parteilich banden , dem Nationalsozialismus zu.52 Eigner sieht hingegen in den Vorständen , Direktionen , Verwaltungs- bzw. Aufsichtsräten bis zum „Anschluss“ nur „eine relativ kleine Zahl bekennender Nationalsozialisten vertreten“, konzediert allerdings einen seit 1936 spürbar stärker gewordenen „politische[ n ] Druck seitens Nazi-Deutschlands“. Als Beispiele nennt er die „Alpine Montangesellschaft“ sowie die „Mercurbank“.53 Zu vermuten ist , dass einzelne österreichische UnternehmerInnen auch aus wirtschaftlichen Motiven ( erhoffte Gewinne ) die Nähe zum Nationalsozialismus suchten. Von den zwölf durch die Vaterländische Front in eine wirtschaftliche Position gehievten Personen verloren zehn in der NS-Zeit diese wieder ; eine erlebte einen beruflichen Abstieg und eine wurde verhaftet. Nur zwei davon wurden nach 1945 wieder in ihre alte Position gesetzt.54 Die Analyse der politischen Bindung nach Betriebsgröße und Unternehmertypologie zeigt nach Krautzers Untersuchung , dass die Vaterländische Front bei den sogenannten „kleinen Unternehmern“ ( Eigentumsunternehmer mit Betrieben unter 100 Beschäftigte ) kaum Anklang fand. Wer irgendwie konnte , antwortete der Vaterländischen Front offenbar mit Boykott. Diese Gruppe , in der die liberalen Werte des Großbürgertums noch keine allzu festen Wurzeln geschlagen hatten , in der aber ein traditionelles Bedürfnis nach bürgerlicher Rückendeckung vorhanden war , tendierte eher zur NSDAP. Diese Gruppe wurde nach 1945 von der ÖVP „aufgesogen“.55 Krautzer untersuchte auch den Parteiwechsel : Selbstauflösungen , Verbote und Totalitarismen haben diesbezüglich deutliche Spuren im Zugehörigkeitsmuster zu Parteien hinterlassen. Die AnhängerInnen demokratischer Parteien traten totalitären Gesinnungen bei ( Christlichsoziale zur Vaterländischen Front ) oder gingen in die innere Emigration , bis sie sich in der Zweiten Republik wieder den parteipolitischen Pendants 52 Vgl. Krautzer ( 1995 ), 206 , Tabelle 47 , sowie Stiefel , Dieter ( 1981 ) : Entnazifizierung in Österreich , Wien / München / Zürich , 191–220. 53 Vgl. Eigner ( 2005 ), 110. 54 Vgl. Krautzer ( 1995 ), 198–199 : Tabelle 45. 55 Vgl. Krautzer ( 1995 ), 208.
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anschlossen. Angehörige der Vaterländischen Front wechselten aber auch zur NSDAP. Die AnhängerInnen vor allem der NSDAP reagierten auf die Entnazifizierung mit einer Nicht-Einbindung in andere politische Lager.56 1.3.2 Verbandsmäßiges Wirken Neben der Herkunft und den individuellen Präferenzen der Wirtschaftstreibenden soll hier auch deren institutionelles und verbandsmäßiges Wirken beleuchtet werden.57 Ich stütze mich hier vor allem auf die Forschungen und Veröffentlichungen von Sturmayr.58 Industrielle Interessenverbände organisierten sich in der cisleithanischen Reichshälfte seit der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts in Zweck- , Fach- , Territorial- und Zentralverbänden ; Letztere als Ergebnis der Konzentration industrieller Interessen. Dieser Konzentrationsprozess war keinesfalls konfliktfrei vonstattengegangen , sodass drei Spitzenverbände bestanden : der „Industrielle Klub“, der „Zentralverband der Industriellen Österreichs“ sowie der „Bund Österreichischer Industrieller“. Die Verbandspolitik vor dem Ersten Weltkrieg war durch Rivalität und partielle Kooperation dieser drei Zentralverbände geprägt. Dabei fungierten diese Interessenverbände am Ende der Donaumonarchie zunehmend auch als Herrschaft stabilisierende Vermittler staatlicher Wirtschaftslenkung sowie als Mittel zur Lenkung des Staates. Kriegsbedingt kam es bis zum Ende des Ersten Weltkrieges zum Zusammenschluss der drei zentralen industriellen Verbände zum „Reichsverband der österreichischen Industrie“. Das Kriegsende brachte schließlich eine weitere Neuorganisation mit sich , lagen doch einige Territorien von Fach- und Regionalverbänden im Ausland bzw. hatten mächtige Interessenverbände ihr Vermögen durch die Zeichnung von Kriegsanleihen verloren ( z. B. der „Verein der Montan- , Eisen- und Maschinenindustriellen Österreichs“ sowie der „Zentralverein der Bergwerksbesitzer Österreichs“ ). Deshalb beschloss der Reichsverband im November 1918 , die nunmehr innerhalb der Grenzen der neuen Republik gelegenen Industriebetriebe in der „Vereinigung der deutsch-österreichischen Industrie“ zu organisieren.59 Ab 1921 fungierte diese Vereinigung als „Hauptverband der Industrie Österreichs“, allerdings unter einem neuen Präsidenten , Fritz Hamburger , nachdem sich keiner der drei Spitzenfunktionäre des Reichsverbandes ( Heinrich Vetter , Sigmund Brosche , Georg Günther ) zur Wiederwahl bereit erklärte.60 Zugleich wurde der bisherige zentrale Arbeitgeberverband der Monarchie , die „Hauptstelle österreichischer Arbeitgeber-Organisationen“ aufgelöst und deren Agenden dem Hauptverband übertragen. Damit war erstmals ein einheitlicher Spitzenverband entstanden und zugleich der Zentralisierungsprozess der 56 Vgl. Krautzer ( 1995 ), 209 : Tabelle 49. 57 Vgl. Haas , Karl ( 1977 ) : Zum Problemkomplex „Wirtschaftsverbände und Ständestaat“. In : Jedlic������� ka����������������������������������������������������������������������������������������������������� , Ludwig / Neck , Rudolf ( Hg. ) : Das Juliabkommen von 1936. Vorgeschichte , Hintergründe und Folgen. Protokoll des Symposiums in Wien am 10. und 11. Juni 1976. Wissenschaftliche Kommission des Theodor-Körner-Stiftungsfonds und des Leopold Kunschak-Preises zur Erforschung der österreichischen Geschichte der Jahre 1927 bis 1938 [ Veröffentlichungen 4 ] , Wien , 328–342 , sowie Klose , Alfred ( 1983 ) : Die Interessenverbände. In : Weinzierl / Skalnik ( Hg. ), 331–341. 58 Vgl. Sturmayr ( 1995 ) sowie Sturmayr ( 1996 ). 59 Vgl. Sturmayr ( 1995 ), 341–342. 60 Vgl. zu Günther : Österreichische Akademie der Wissenschaften ( Hg. ) ( 1958 ) : Biographisches Lexikon 1815–1950. Bd. 2 , Lfg. 7 , Wien , 101.
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industriellen Dachverbände abgeschlossen. Nach dem Rücktritt Hamburgers wegen seines Engagements in der Kriegswirtschaft folgte ihm der Wiener Metallindustrielle Ludwig Urban jun. auf dem Präsidentensessel.61 Zum geschäftsführenden Vizepräsidenten wurde , eine alte Tradition , Fachleute aus der Hoheitsverwaltung nach deren Ruhestandsversetzung für den Verband zu gewinnen , wieder aufnehmend , SC i. R. Robert Erhart bestellt. Der Verband musste allerdings der neuen Staatssituation Rechnung tragen : Einerseits hatten sich durch den Wegfall einstiger Industrieregionen die regionalen Gewichte im Verband verschoben ( neben dem Wiener Becken fungierten die Steiermark und Vorarlberg als nennenswerte Rekrutierungsbereiche ), anderseits verlor auch die großbetriebliche Grundstoffindustrie zunehmend an Einfluss im Verband , sodass fortan die Vertreter der mittelständigen metallverarbeitenden Industrie , des Maschinenbaus sowie der Elektroindustrie dominierten. Die Politik des Hauptverbandes war durch Interventionen auf verschiedensten Ebenen gekennzeichnet. Einfluss wurde auf Regierungsebene , vor allem über das Finanzund Handelsministerium , genommen. Vor allem die den Industriellen zu weit gehende Sozialpolitik der Anfangsjahre der Ersten Republik wurde bekämpft. Im Kabinett Streeruwitz erreichte die Einflussnahme einen Höhepunkt , kam doch Streeruwitz aus dem Unternehmerlager. Doch auch die nachfolgenden Kabinette ( Schober ) fungierten eher unternehmerfreundlich.62 Im Parlamentarismus war die Industrie zunächst nur bescheiden verankert. 1923 konnten gerade einmal vier Vertreter des Hauptverbandes bei Parlamentswahlen durchgesetzt werden ( drei von der CS-Partei , einer auf der Liste der Großdeutschen ). Erst das Ausei nanderbrechen des Bürgerblocks zur Jahreswende 1931 / 32 führte zu einem prinzipiellen Wandel der Position des Verbandes gegenüber den politischen Parteien. In einem informellen Gespräch mit Bundeskanzler Buresch wurden im Jänner 1932 „Alternativen zur parlamentarischen Demokratie“ besprochen , wobei der Verband die Reorganisation des Bürgerblocks unter Wiedereinbeziehung der Großdeutschen Partei sowie die Aushebelung des Parlamentarismus mittels „Notverordnungen“ gegenüber einer Koalition zwischen Christlichsozialen und Sozialdemokraten bevorzugte.63 Nicht zuletzt aufgrund von Spannungen innerhalb des Verbandes , die in dem Vorwurf mündeten , dieser agiere „ohne ‚Plan‘ “ und „ ‚politisch erfolglos‘ “, wurden die Kontakte zwischen dem Verband und der Regierung in der Ära Dollfuß enger.64 Dies , obwohl der Hauptverband dem ehemaligen Landwirtschaftsminister zunächst eher skeptisch gegenübergestanden war.65 Vor allem nach der Ausschaltung des Parlaments sowie nach dem Verbot der Sozialdemokratie , beides vonseiten der Industrie begrüßt , verbesserte sich das Verhältnis zunehmend. 1934 wurde der Hauptverband für den im Aufbau befindlichen autoritären Staat gewonnen , wofür dieser sogar sein Verbandssystem unter dem Motto „Treue um Treue“ opferte.66 61 Vgl. Enderle-Burcel ( 1991 ), 251–252. 62 Vgl. Sturmayr ( 1995 ), 346–347. 63 Vgl. Sturmayr ( 1995 ), 348 , sowie Haas ( 1978 ), 114–116. 64 Haas ( 1978 ), 118. 65 Vgl. Haas ( 1978 ), 118 , sowie Kluge , Ulrich ( 1985 ) : Engelbert Dollfuß. Agrarpolitiker in der Krisenzeit 1922–1934. Versuch einer biographischen Annäherung. In : Christliche Demokratie Jg. 3 ( 1985 ) Heft 2 , 127–143 : 132–133. 66 Sturmayr ( 1995 ), 347 ; vgl. auch Senft , Gerhard ( 2002 ) : Im Vorfeld der Katastrophe. Die Wirt-
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Auch der Heimwehrbewegung stand der Hauptverband von Anfang an positiv gegenüber. Nur eine Minderheit im Hauptverband trat bereits 1923 für eine Unterstützung der Nationalsozialisten ein. Bis in die 1930er-Jahre unterstützte der Hauptverband offiziell jedoch nur die Heimwehren.67 Im März 1934 trat der Hauptverband mit allen Sektionen und industriellen Fachverbänden geschlossen der „Vaterländischen Front“ bei. Legalisiert wurde dieser Prozess durch das Gesetz über den „Bund der österreichischen Industriellen“ vom 17. Oktober 1934.68 Dieser „Industriellenbund“ fungierte ab 1. Januar 1935 als öffentlich-rechtliche Interessenvertretung und beendete damit die freie Verbandstätigkeit der Industrie. Im April 1934 kam es auch zur Formierung des „Ausschusses österreichischer Industrieller“. Der Ausschuss verstand sich als Zusammenschluss von Industriellen , die sich zu einem freien , selbstständigen und deutschen Österreich bekannten ; ebenso zur berufsständischen Ordnung von Wirtschaft und Gesellschaft sowie zur Regierung Dollfuß. Der Ausschuss wollte auch eine Brücke zu nationalsozialistisch eingestellten Industriekreisen schlagen , stieß aber sofort auf Kritik aus dem Wiener Industriellen-Verband und scheiterte , noch bevor er damit richtig begonnen hatte.69 1.4 Aufstiegs- oder Abstiegsgeschichte ? Ernst Bruckmüller hat bereits 1993 darauf hingewiesen , dass es falsch wäre , die „Geschichte der bürgerlichen Klassen Österreichs ausschließlich als eine Geschichte von Katastrophen und Brüchen zu beschreiben“.70 Dies gilt auch für das Segment der Wirtschaftstreibenden. Immerhin hatten sämtliche Großunternehmen des Jahres 1913 die Kriegswirren überstanden ; über 80 Prozent wurden in der Ersten Republik weitergeführt. Allerdings wurden manche Opfer eines Konzentrationsprozesses , den die Verkleinerung des Binnenmarktes ausgelöst hatte ( Baumwollspinnereien , Automobilindus trie , Lokomotiv- sowie Glühlampenproduktion ).71 Ab Mitte der 1920er-Jahre kam es wieder zu beträchtlichen industriellen Investitionen und es gelang verschiedenen österreichischen Industriellen sehr wohl , allen voran Julius Meinl , ihre Firmen nicht nur durch die Wirren der Nachkriegszeit zu steuern , sondern auch zu expandieren. Auch Vorarlberger Industrielle wie etwa F. M. Hämmerle bewiesen Anpassungsfähigkeiten an die neuen Zeiten und vermochten ihre Unternehmungen sogar auszubauen.72 In Reutte beispielsweise machte sich 1921 mit Paul Schwarzkopf ein aus Prag stammender und aus schaftspolitik des Ständestaates. Österreich 1934–1938 [ Vergleichende Gesellschaftsgeschichte und politische Ideengeschichte der Neuzeit 15 ] , Wien , 192–214. 67 Sturmayr ( 1995 ), 349. 68 Sturmayr ( 1995 ), 350. Vgl. auch Schmitz , Richard ( 1934 ) : Der Weg zur berufsständischen Ordnung in Österreich [ S chriftenreihe zur berufsständischen Ordnung 1 ] , Wien , sowie Schmitz , Richard ( 1935 ) : Die berufsständische Neuordnung in Österreich. Eine Zwischenbilanz [ S chriftenreihe der kath. Akademikergemeinschaft in Österreich 3 ] , Wien / I nnsbruck. 69 Vgl. Haas ( 1977 ), 335–336. 70 Bruckmüller ( 1993 ), 75. 71 Vgl. Mathis , Franz ( 1992 ) : Erfolg und Misserfolg der österreichischen Großunternehmen im 20. Jahrhundert. In : Zeitschrift für Unternehmensgeschichte Jg. 37 ( 1992 ) Heft 1 , 1–18 : 6–7. 72 Vgl. Hämmerle , Otto ( 1948 ) : Die Entwicklung der Vorarlberger Baumwollindustrie. Dargestellt am Werdegang der Firma F. M. Hämmerle in Dornbirn , Diss. , Innsbruck.
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Berlin kommender Unternehmer sesshaft , dem es in der Folge gelang , mithilfe der deutschen Konkurrenten und mittels gefinkelter Patent- und Verwertungsverträge bis zur Machtübernahme Hitlers 1933 ein halb Europa beherrschendes Kartell auf Molybdänerzeugung aufzubauen.73 Die Firma und Familie Swarovski reagierte auf Absatzschwierigkeiten mit der Herstellung neuer Verfahren ( k ristallbesetzte Stoffbänder , Glasreflektoren ) und Produkte ( Schleifscheiben , Feldstecher ).74 Auch im Bereich der Radio- bzw. Rundfunkröhrenproduktion gelang es österreichischen Firmen , zu europäischer Bedeutung aufzusteigen.75 Es gab in der Zwischenkriegszeit durchaus Produktionsbereiche ( R adiogeräte , Gummiwaren , Schmucksteine , Reinigungsmittel ), in denen internes Unternehmenswachstum stattfinden konnte. Andere Branchen verzeichneten externes Wachstum oder vermochten durch vertikale Integration zu reüssieren.76 Insgesamt übertrafen allerdings nur fünf ( Bergbau , Erdöl und Magnesit ; Säge- und Holzindustrie ; Papierindustrie ; chemische Industrie ; Leder , Textil und Bekleidung ) der zehn Indus triezweige bis 1937 ihren Produktionsstand von 1913.77 Daher darf die oben skizzierte Entwicklung , wie Mathis zu Recht betont , auch nicht überschätzt werden. Es gab genügend Beispiele in der Zwischenkriegszeit , wo es Unternehmen und UnternehmerInnen nicht gelang , erfolgreich zu reüssieren. Den Unternehmensleitungen , so das Resümee von Mathis , stand kein „Patentrezept“ zur Verfügung , und diese sahen sich aufgerufen , „den für ihr Unternehmen jeweils zielführendsten und gleichzeitig auch gangbaren Weg zu wählen“. Offenbar hing es von der Unternehmerpersönlichkeit und deren Geschick , sich bietende Chancen zu nützen , ab , wie ihre Unternehmungen mit den ungünstigen Rahmenbedingungen in dieser Zeit zurechtkamen.78 III. Resümee Die Wirtschaftsgeschichte der Zwischenkriegszeit wird zumeist im Zusammenhang mit den Folgen der Niederlage im Ersten Weltkrieg sowie der Weltwirtschaftskrise betrachtet. Dabei gilt das Augenmerk vordergründig der Überlebensfähigkeit des neuen Staates , der Hartwährungspolitik , der hohen Arbeitslosigkeit und dem geringen Erfolg , diese zu senken. Auf der Personenebene ist über die Wirtschaftstreibenden und ihre Interessen kaum etwas bekannt. Das österreichische Unternehmertum der Zwischenkriegszeit fungierte als nahezu geschlossene Gesellschaft , in die kaum jemand ohne entsprechenden 73 Vgl. Walleczek , Julia ( 2007 ) : Paul Schwarzkopf. Ein guter Draht zu Wolfram und Molybän. In : Alexander ( Hg. ), 168–179. 74 Vgl. Winkler , Michael ( 2007 ) : Daniel Swarovski sen. – Mit dem richtigen Schliff zum Weltruhm. In : Alexander , 186–195 : 192–193. 75 Vgl. Luxbacher , Günther ( 2003 ) : Massenproduktion im globalen Kartell. Glühlampen , Radioröhren und die Rationalisierung der Elektroindustrie bis 1945 [ Aachener Beiträge zur Wissenschaftsund Technikgeschichte des 20. Jahrhunderts 4 ] , Berlin / Diepholz , sowie Lebeth , Thomas ( 2011 ) : Der österreichische Beitrag zur technischen Entwicklung und industriellen Produktion der Rundfunkröhre [ Schriftenreihe Geschichte der Naturwissenschaften und Technik 19 ] , Linz. 76 Vgl. Mathis ( 1992 ), 8–9. 77 Vgl. Mosser , Alois ( 1985 ) : Industrielle Entwicklung und konjunkturelle Dynamik in Österreich 1920–1937. In : Christliche Demokratie Jg. 3 ( 1985 ) Heft 4 , 307–322 : Tab. 6 , 320. 78 Vgl. Mathis ( 1992 ), 9.
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familialen Hintergrund sowie entsprechendes Startkapital vorzudringen vermochte. Ihre politischen , soweit vorhandenen , und gesellschaftlichen Interessen waren geprägt durch die gemeinsame Sozialisation in der Kriegszeit und der Tradierung von Werten aus der Zeit der Monarchie. Dem neuen Staat standen sie skeptisch bis feindlich gegenüber. Parteipolitisch gab es eine Affinität zu totalitären Strömungen ; auch dem Nationalsozialismus gegenüber zeigte man sich nicht verschlossen. Das wirtschaftliche Wirken war gekennzeichnet von Pragmatismus bis Opportunismus. Institutionell formierte man sich in Verbänden sowie in den gesetzlichen Interessenvertretungen , die Einfluss auf die Wirtschaftspolitik des Staates zu nehmen versuchten. Über die Bankiers dieser Zeit ist kaum etwas bekannt. Aufgrund ihrer ähnlich gelagerten Herkunft ( Bürgertum ) und Interessen , dürften ihre politischen und gesellschaftlichen Vorstellungen ähnlich denen der Wirtschaftstreibenden gewesen sein. IV. Desiderate der Forschung Während die Makroebene der wirtschaftlichen Entwicklung hinreichend erforscht ist , liegen auf der Mikroebene nur einzelne Ergebnisse vor. Die handelnden Personen , ihre Absichten , Pläne , aber auch ihre Netzwerke sind bislang nur unzureichend in das Blickfeld der Forschung gelangt. Weiters fehlen Studien regionalen Charakters sowie zu VertreterInnen einzelner Branchen. Die wesentlichen Desiderate in der Erforschung der Wirtschaftstreibenden , Bankiers und wirtschaftlicher Interessenverbände in der Zeit des Dollfuß / Schuschnigg-Regimes sind : • Historische Betriebsanalysen , die die Reaktion von Betrieben und Branchen auf die neue Situation in der Ersten Republik beleuchten. • Analyse der Erfolgsfaktoren , die einzelne Unternehmungen trotz ungünstiger äußerer Rahmenbedingungen zur Europa- bzw. Weltgeltung verhalfen. • Biografische Untersuchungen einzelner Unternehmerpersönlichkeiten , ihrer Netzwerke und Verflechtungen sowie politischer Einstellungen zu Staat , Demokratie und Parlamentarismus. • Einzelbiografische Untersuchungen zu Bankiers und ihrer sozialen und familialen Herkunft. • Kollektivbiografische Untersuchung zu den Bankiers im Sinne der Arbeit von Krautzer. • Biografische Untersuchungen zu Funktionären der industriellen Verbände und deren Beziehungen zur Regierung. • Weitere Erforschung der Interessenverbände auf regionaler und branchenspezifischer Ebene. • Erforschung der öffentlich-rechtlichen Interessenvertretungen der Industrie ab 1935 sowie des Wirkens der Regierungskommissäre für die Privatindustrie.
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�������������������������������������������������������������������������������������������������� ���������������������������������������������������������������������������������� : Wirtschaftstreibende , Bankiers und wirtschaftliche Interessenverbände 1930–1938
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Ernst Langthaler
Ein brachliegendes Feld Forschungen zur Agrargeschichte Österreichs in den 1930er-Jahren I. Überblick Vor mehr als drei Jahrzehnten ging Ulrich Kluge mit der zeit- sowie der wirtschafts- und sozialhistorischen Forschung zur österreichischen Zwischenkriegszeit hart ins Gericht : Die Geschichte von Agrarpolitik , Agrarwirtschaft und Agrargesellschaft habe bestenfalls „punktuelle und flüchtige Aufmerksamkeit“ gefunden ; die Ursache dafür sah er im Fehlen eines klaren Leitmotivs.1 Obwohl der damalige Kritiker mittlerweile zur Behebung dieser Misere beigetragen hat , ist Euphorie über den aktuellen Forschungsstand zur österreichischen Agrargeschichte in den 1930er-Jahren nicht angesagt : Wie die agrarhis torische Forschung zur Zeit des Nationalsozialismus in Österreich2 gleicht jene zur Spätphase der Ersten Republik und zum austrofaschistischen „Ständestaat“ einem brachliegenden Feld. Wir verfügen über keine umfassende Gesamtdarstellung der Verflechtungen von Agrarpolitik , Agrarwirtschaft und Agrargesellschaft zwischen Weltwirtschaftskrise und „Anschluss“, die dem geschichtswissenschaftlichen state of the art entspräche. Dieser Befund wirkt angesichts des Gewichts des Agrarsektors im Österreich der 1930er-Jahre ernüchternd : Die land- und forstwirtschaftlichen Betriebsflächen bedeckten 1930 neun Zehntel des Bundesgebietes ; die laut Volkszählung 1934 der Land- und Forstwirtschaft Zugehörigen umfassten 37,1 Prozent der Erwerbstätigen und 27,3 Prozent der Wohnbevölkerung ; der Agraranteil am Bruttonationalprodukt pendelte zwischen 12,8 ( 1929 ) und 14,3 1 Vgl. Kluge , Ulrich ( 1978 ) : Agrarpolitik und Agrarkrise 1918 bis 1933. Möglichkeiten und Grenzen agrarhistorischer Forschung in Österreich und Deutschland. In : Botz , Gerhard / Hautmann , Hans / Konrad , Helmut / Weidenholzer , Josef ( Hg. ) : Bewegung und Klasse. Studien zur österreichischen Arbeiterbewegung , Wien / München / Zürich , 629–645 , hier 638. 2 Als Überblick vgl. Langthaler , Ernst ( 2000 ) : Eigensinnige Kolonien. NS-Agrarsystem und bäuerliche Lebenswelten 1938–1945. In : Tálos , Emmerich / Hanisch , Ernst / Neugebauer , Wolfgang / Sieder , Reinhard ( Hg. ) : NS-Herrschaft in Österreich. Ein Handbuch , Wien , 348–375. Als umfassende Monografie zur österreichischen Agrargeschichte 1938 bis 1945 vgl. Langthaler , Ernst ( 2009 ) : Schlachtfelder. Ländliches Wirtschaften im Reichsgau Niederdonau 1938–1945 , Habilitationsschrift , Wien ( P ublikation in Vorbereitung ).
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III. Wirtschafts- und Interessenpolitik
Prozent ( 1937 ).3 Den Stellenwert des Agrarbereichs belegen nicht nur wirtschafts- und sozialstatistische Kennzahlen , sondern auch Schlüsselbegriffe politisch-ideologischer Debatten – etwa der viel zitierten „Trabrennplatz-Rede“ von Bundeskanzler Engelbert Dollfuß 1933 , in der die patriarchalische Bauernfamilie als Leitmetapher der „berufsständischen Zusammengehörigkeit“ im Kampf gegen die Klassenspaltung auftrat.4 Freilich lässt sich nicht behaupten , die historische Forschung habe dieses Segment der österreichischen Gesellschaft der 1930er-Jahre völlig missachtet ; seit den 1980er-Jahren gab es einige Aktivitäten in dieser Richtung. Leider beschränken sich die Ergebnisse des Forschungsprojekts Agrarischer Strukturwandel und Agrarpolitik in der Ersten Republik auf die 1920er-Jahre.5 Ebenso bedauerlich ist , dass die Beiträge zum Symposion Agrarpolitische Probleme der Zwischenkriegszeit nur bruchstückhaft veröffentlicht worden sind.6 Kluges Agrargeschichte Österreichs zwischen Republikgründung und „Anschluß“, 1981 als Habilitation vorgelegt , 1988 in erweiterter Form publiziert , bildet als politik- und wirtschaftshistorischer Überblick noch immer einen wichtigen Bezugspunkt.7 Diese umfassende Monografie findet 1989 in James W. Millers Studie zur Agrarpolitik Dollfuß’ eine Ergänzung.8 Ebenso bedeutsam für diesen Forschungsstrang ist Gerhard Senfts 2002 publizierte Habilitationsschrift zur Wirtschaftspolitik des „Ständestaates“ mit ausführlichen Abschnitten zur Agrarpolitik.9 Neben diesen Monografien behandeln mehrere Aufsätze zentral oder am Rande agrarhistorische Aspekte Österreichs in den 1930er-Jahren.10 Auch die Beiträge des zweibändigen Handbuchs Ge3 Zu den Zahlenangaben vgl. Sandgruber , Roman ( 2002 ) : Die Landwirtschaft in der Wirtschaft – Menschen , Maschinen , Märkte. In : Bruckmüller , Ernst / Hanisch , Ernst / Sandgruber , Roman ( Hg. ) : Geschichte der österreichischen Land- und Forstwirtschaft im 20. Jahrhundert , Bd. 1 : Politik , Gesellschaft , Wirtschaft , Wien , 191–408 , hier 264 , 301 , 344. 4 Zit. nach Berchtold , Klaus ( 1967 ) : Österreichische Parteiprogramme , Wien , 430. 5 Das vom Jubiläumsfonds der Oesterreichischen Nationalbank finanzierte Projekt wurde am Inst itut für Zeigeschichte der Universität Wien unter der Leitung von Karl Haas und Mitarbeit von Manfred Hahn , Siegfried Mattl und Ernst Metz durchgeführt. Zum Projektansatz vgl. Hahn , Manfred / Mattl , Siegfried / Metz , Ernst ( 1979 ) : Agrarischer Strukturwandel und Agrarpolitik in der Ers ten Republik Österreich. In : Agrar-Journal 2 ( 1979 ), 9–12. Als Projektergebnisse vgl. Mattl , Siegfried ( 1981 ) : Agrarstruktur , Bauernbewegung und Agrarpolitik in Österreich 1919–1929 , Salzburg ; Metz , Ernst ( 1984 ) : Großgrundbesitz und Bodenreform in Österreich 1919 bis 1924 , phil. Diss. , Wien. 6 Das Symposion wurde 1983 von der Wissenschaftlichen Kommission des Theodor-Körner-Stiftungsfonds und des Leopold Kunschak-Preises zur Erforschung der österreichischen Geschichte der Jahre 1918 bis 1938 veranstaltet. Die unveröffentlichten Tagungsbeiträge sind in der Sozialwissenschaftlichen Dokumentation ( S owidok ) der Arbeiterkammer Wien verfügbar. 7 Vgl. Kluge , Ulrich ( 1988 ) : Bauern , Agrarkrise und Volksernährung in der europäischen Zwischenkriegszeit. Studien zur Agrargesellschaft und -wirtschaft der Republik Österreich 1918 bis 1938 , Stuttgart. Die Zeit des „Ständestaates“ wird jedoch nur mehr in einem knappen Ausblick abgehandelt. 8 Vgl. Miller , James W. ( 1989 ) : Engelbert Dollfuß als Agrarfachmann. Eine Analyse bäuerlicher Führungsbegriffe und österreichischer Agrarpolitik 1918–1934 [ Böhlaus zeitgeschichtliche Bibliothek 10 ] , Wien / Köln. 9 Vgl. Senft , Gerhard ( 2002 ) : Im Vorfeld der Katastrophe. Die Wirtschaftspolitik des Ständestaates. Österreich 1934–1938 [ Vergleichende Gesellschaftsgeschichte und Ideengeschichte der Neuzeit 15 ] , Wien. 10 Die betreffenden Aufsätze werden in den folgenden Anmerkungen genannt.
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schichte der österreichischen Land- und Forstwirtschaft im 20. Jahrhundert11 und eines Tagungsbandes zur deutschen , österreichischen und schweizerischen Agrarpolitik 1930 bis 196012 beleuchten , wenn auch mit unterschiedlicher Tiefenschärfe , die österreichische Agrargeschichte der 1930er-Jahre. Trotz der scheinbaren Fülle an Arbeiten fällt die Bilanz mager aus : Die Agrargeschichte Österreichs in den 1930er-Jahren stand in der bisherigen Forschung nicht im Zentrum , sondern bildete bestenfalls ein Randthema ; entsprechend unausgewogen und zersplittert stellt sich der Forschungsstand dar. Angesichts dieses ernüchternden Überblicks konzentriert sich der vorliegende Aufsatz darauf , Einblicke in zentrale Spannungsmomente der politik- , wirtschafts- und sozialhistorischen Forschung zu eröffnen und in einem knappen Ausblick künftige Forschungsperspektiven zu umreißen. II. Einblicke 2.1 „Agrarischer Kurs“: Kampfrhetorik oder Interessenpolitik ? Die Rede vom „agrarischen Kurs“ seit Dollfuß’ Ernennung zum Landwirtschaftsminis ter 1931 bildete einen Brennpunkt der agrarpolitischen Debatten in Österreich. In rascher Folge unterwarf die Bundesregierung die vom Preisverfall erfassten Produktmärkte , vor allem auf dem Milch- , Vieh- und Getreidesektor , staatlichen Regulativen , die über den Außenschutz hinaus auch auf die Preisstabilisierung auf dem Binnenmarkt mittels Stützungszahlungen und Mengenbeschränkungen abzielten. Gewerbe- und Industrievertreter sowie die sozialdemokratische Arbeiterbewegung warfen der Bundesregierung unter christlichsozialer Führung die Bevorzugung agrarischer ProduzentInnen auf Kosten gewerblich-industrieller ProduzentInnen und KonsumentInnen vor.13 Kluge wertet den „agrarischen Kurs“ als ideologie- und interessengeleitete Kampfrhetorik , indem er Dollfuß’ Binnenmarktordnung auf die ungünstige Außenhandelssituation zurückführt und die Kluft zwischen bäuerlichen Forderungen sowie agrarpolitischen und ‑ökonomischen Resultaten faktenreich zu belegen sucht. Das Unvermögen des Staates , das ( berg-)bäuerliche Verschuldungsproblem in den Griff zu bekommen , die unter der Kanzlerschaft Kurt Schuschniggs zurückhaltende Subventionspolitik und die budget schonende Selbstfinanzierung der Agrarförderung ( „Futtermittellizenzgebühr“ ) belas 11 Vgl. Bruckmüller , Ernst / Hanisch , Ernst / Sandgruber , Roman / Weigl , Norbert ( 2002 ) : Geschichte der österreichischen Land- und Forstwirtschaft im 20. Jahrhundert , Bd. 1 : Politik , Gesellschaft , Wirtschaft , Wien ; Bruckmüller , Ernst / Hanisch , Ernst / Sandgruber , Roman ( Hg. ) ( 2003 ) : Geschichte der österreichischen Land- und Forstwirtschaft im 20. Jahrhundert , Bd. 2 : Regionen , Betriebe , Menschen , Wien. 12 Vgl. Langthaler , Ernst / Redl , Josef ( Hg. ) ( 2005 ) : Reguliertes Land. Agrarpolitik in Deutschland , Österreich und der Schweiz 1930–1960 [ Jahrbuch für Geschichte des ländlichen Raumes 2 ] , Innsbruck / Wien / Bozen. Die dem Band zugrunde liegende Tagung wurde 2004 vom Ludwig BoltzmannInstitut für Geschichte des ländlichen Raumes organisiert. 13 Als Überblick vgl. Senft , Gerhard ( 2005 ) : Vom Markt zum Plan. Die Agrarpolitik des österreichischen „Ständestaates“ 1934–1938. In : Langthaler / Redl ( 2005 ), 114–123. Zur Getreidemarktordnung vgl. Werner , Wolfgang ( 1993 ) : Die Roggenpreisstabilisierung des Verbands ländlicher Genossenschaften in Niederösterreich im August 1933. In : Unsere Heimat. Zeitschrift für Landeskunde von Niederösterreich Jg. 64 ( 1993 ), 182–199.
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teten die bäuerliche Existenz insgesamt und verschärften die Ungleichheiten zwischen verschiedenen Betriebsgrößen , Produktionszweigen und Agrarregionen.14 Letztendlich verlor der „Ständestaat“, trotz der anfänglichen Allianz mit der Landbevölkerung , das Vertrauen seiner Kernklientel : „Das Gros der österreichischen Bauern und die Mehrzahl der berufsständisch organisierten Interessenpolitiker fühlten sich von der Agrarpolitik Schuschniggs düpiert.“15 Sinngemäß behauptet Sigurd Pacher mit Verweis auf das trotz der „Bergbauernhilfsaktion“ ungelöste bäuerliche Verschuldungsproblem , die „Nichtexistenz einer auf agrarische Interessen ausgerichtete Politik“, der „agrarische Kurs“ gleiche einer „Seifenblase“.16 Zahlreiche ForscherInnen sehen im „agrarischen Kurs“ jedoch mehr als eine rhetorische Floskel , wenn auch mit unterschiedlichen Argumenten. Gustav Otruba stellt einen Zusammenhang zwischen der bauernfreundlichen Hochpreispolitik und der Minderung des Lebensstandards der Industriearbeiterschaft her.17 Entgegen Kluges Ansicht , das agrarpolitische Establishment habe die Balance zwischen Agrar- und Indus triestaat angestrebt , betont Miller Dollfuß’ Prägung durch das bäuerlich-katholische Milieu und dessen autoritäre Tendenz als Minister , „alle ihm zu Verfügung stehenden Mittel für agrarische Interessen einzusetzen“.18 Senft räumt zwar einen Zielkonflikt zwischen Agrarprotektion und Budgetkonsolidierung ein ; alles in allem habe das Dollfuß / Schuschnigg-Regime aber versucht , „dem Bauerntum eine hegemoniale Rolle im Staate zukommen zu lassen“19 , und gewährleistet , „dass landwirtschaftliche Erzeugnisse klaren Vorrang gegenüber gewerblichen oder besonders industriellen Produkten hatten“20. Siegfried Mattl verweist auf die differenzierenden Effekte des „agrarischen Kurses“, der Mittel- und Großbetriebe und Ackerbaugebiete begünstigt sowie Kleinbetriebe und Gebirgsregionen benachteiligt habe.21 In dieses Bild fügen sich auch die von Vorstellungen einer „moralischen Ökonomie“ getriebenen Bauernproteste gegen Finanzund andere staatliche Behörden.22 Den „agrarischen Kurs“ als Interessenpolitik relativierend , skizziert Ernst Hanisch das Dilemma , in dem sich die österreichische Agrarpolitik in der Weltwirtschaftskrise befand : Protektionismus zugunsten der Landwirtschaft auf 14 Vgl. Kluge ( 1988 ), 441–469. 15 Kluge ( 1988 ), 468. 16 Vgl. Pacher , Sigurd ( 1994 ) : Die Agrarpolitik des österreichischen Ständestaates. In : Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte 81 ( 1994 ), 339–368 , hier 363–364. 17 Vgl. Otruba , Gustav ( 1974 ) : „Bauer“ und „Arbeiter“ in der Ersten Republik. In : Botz , Gerhard / Hautmann , Hans / Konrad , Helmut ( Hg. ) : Geschichte und Gesellschaft. Festschrift für Karl R. Stadler , Wien , 57–98 , hier 92–93. 18 Miller ( 1989 ), 116. 19 Senft , Gerhard ( 2005 ) : Anpassung durch Kontraktion. Österreichs Wirtschaft in den dreißiger Jahren. In : Tálos , Emmerich / Neugebauer , Wolfgang ( Hg. ) : Austrofaschismus. Politik – Ökonomie – Kultur 1933–1945 , Wien , 182–199 , hier 121. 20 Senft ( 2005 ), 186. 21 Vgl. Mattl , Siegfried ( 2005 ) : Die Finanzdiktatur. Wirtschaftspolitik in Österreich 1933–1938. In : Tálos / Neugebauer ( 2005 ), 202–220 , hier 215. 22 Vgl. Mattl , Siegfried ( 1993 ) : Krise und sozialer Protest. Die Widerstandshandlungen österreichischer Bauern gegen das behördliche Exekutionssystem in den Jahren 1931 bis 1933. In : Zeitgeschichte Jg. 20 ( 1993 ), Heft 1 /2 , 1–22.
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Kosten breiter Konsumentenkreise oder Marktliberalisierung zugunsten der Exportindustrie auf Kosten der – am Weltmarkt nicht wettbewerbsfähigen – bäuerlichen Agrarproduzenten.23 Weitgehende Einigkeit besteht darüber , dass das Kernproblem weniger in einer agrarischen Überproduktion als vielmehr in der – durch die Agrarprotektion verschärften – Unterkonsumtion von Nahrungsmitteln durch die von Einkommensverlusten betroffenen Lohnabhängigen in Gewerbe und Industrie bestand.24 Im Unterschied zur Agrarmarktordnung des Dollfuß / Schuschnigg-Regimes herrschen in der Forschung zur „berufsständischen Ordnung“, die in der Land- und Forstwirtschaft 1935 ansatzweise errichtet wurde , ähnliche Auffassungen. Die „Berufsstände“ waren einerseits öffentlich-rechtliche Selbstverwaltungskörperschaften , die vormals staatliche Verwaltungsaufgaben übernahmen ; andererseits wurden sie über die Besetzung der Spitzenfunktionäre vom Staat kontrolliert. Karl Haas hat das pointiert ausgedrückt : „Die autoritäre Staatsführung ersparte sich beamtete Staatsdiener , indem sie mittels ernannter Verbandsfunktionäre sich den entsprechenden Einfluss auf die Verwaltung der Verbände sicherte.“25 Der „Berufsstand Land- und Forstwirtschaft“ war genau genommen ein fragiler Überbau auf Basis der Massenorganisationen Bauernbund und Landwirtschaftskammer , die das Gros der Agrarbevölkerung allein über christlichsoziale Lagerbindung26 und zwangsweise Kammermitgliedschaft zu mobilisieren vermochten ; dementsprechend ungebrochen war die Kontinuität der Agrareliten vor und nach 1934 / 35.27 Kluge zufolge bildete der „Berufsstand Land- und Forstwirtschaft“, der dem Bauernbund als Entscheidungsinstanz und der Landwirtschaftskammer als Expertengremium übergestülpt wurde , einen zahnlosen Apparat , der den Durchgriff der Staatsmacht zu verschleiern trachtete.28 Ähnlich argumentiert Hanisch , der die effektive Macht im Agrarbereich aufseiten der „Regierungsdiktatur“ verortet.29 In längerfristiger Perspektive erscheint die gesetzliche Auf- , aber faktische Abwertung der agrarischen Interessenvertretung im „Ständestaat“ als Entwicklungsphase des österreichischen 23 Vgl. Hanisch , Ernst ( 2005 ) : Das Dilemma der Politik. Die Agrarpolitik von Engelbert Dollfuß. In : Langthaler / Redl ( 2005 ), 107–113 , hier 111–112. 24 Vgl. Senft ( 2002 ), 440. 25 Haas , Karl ( 1977 ) : Zum Problemkomplex „Wirtschaftsverbände und Ständestaat“. In : Haas , Karl ( 1977 ) : Zum Problemkomplex „Wirtschaftsverbände und Ständestaat“. In : Jedlicka , Ludwig / Neck , Rudolf ( Hg. ) ( 1977 ) : Das Juliabkommen von 1936. Vorgeschichte , Hintergründe und Folgen. Protokoll des Symposiums in Wien am 10. und 11. Juni 1976 in Wien [ Veröffentlichungen der Wissenschaftlichen Kommission des Theodor-Körner-Stifungsfonds und des Leopold-Kunschak-Preises zur Erforschung der Österreichischen Geschichte der Jahre 1927–1938 , Bd. 4 ] , Wien / München , 328–342 , hier 333. 26 Vgl. Hänisch , Dirk ( 1998 ) : Die österreichischen NSDAP-Wähler. Eine empirische Analyse ihrer politischen Herkunft und ihres Sozialprofils [ Böhlaus zeitgeschichtliche Bibliothek 35 ] , Wien / Köln / Weimar , 324 , der die Resistenz der christlichsozial mobilisierten Agrarbevölkerung gegenüber der NSDAP betont. 27 Vgl. Lebensaft , Elisabeth / Mentschl , Christoph ( 2003 ) : Feudalherren – Bauern – Funktionäre. Österreichs Agrarelite im 20. Jahrhundert. Ein biographisches Handbuch [ Studien und Forschungen aus dem Niederösterreichischen Institut für Landeskunde 30 ] , St. Pölten. 28 Vgl. Kluge ( 1988 ), 465–469. 29 Vgl. Hanisch , Ernst ( 2002 ) : Die Politik und die Landwirtschaft. In : Bruckmüller et al. ( 2002 ), 15–189 , hier 55.
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„Agrarkorporativismus“30 im 20. Jahrhundert : Standen nach Ernst Bruckmüller die bäuerlichen Genossenschaften , Bauernbünde und Landwirtschaftskammern zunächst im Dienst der Abwehr von durchgreifender Demokratisierung und Kommerzialisierung ( „konservative Modernisierung“ ),31 beförderten sie schließlich die Ein- und Unterordnung des Agrarsektors in der sozialstaatlich verfassten Industrie- und Dienstleistungsgesellschaft.32 Die faktische Aushebelung des „Berufsstandes Land- und Forstwirtschaft“ durch die austrofaschistische „Regierungsdiktatur“ kann als ein – aber gewiss nicht als einziger – Schritt im Übergang von der bäuerlich-resistenten ( „konservativen“ ) zur staatsgeleitet-forcierten Agrarmodernisierung zwischen den 1930er- und 1950er-Jahren gesehen werden.33 2.2 Agrarsektor : Leistungsträger oder Problemfall ? Lange bevor sich die Geschichtsforschung der Entwicklung des österreichischen Agrarsektors in den 1930er-Jahren annahm , hatte das Thema von agrarwissenschaftlicher Seite her Aufmerksamkeit gefunden. Nach zeitgenössischen Überblicken kurz vor34 und nach dem „Anschluss“ 193835 zeichnen Ernst Lagler und Anton Steden bald nach 1945 – vor dem Erfahrungshintergrund der kriegsbedingten Produktionseinbrüche – ein vergleichsweise positives Bild der österreichischen Agrarentwicklung zwischen den Weltkriegen. Beide verweisen auf die Diversität der regionalen Agrarsysteme Österreichs aufgrund natur- und verkehrsbedingter Standortunterschiede. Zugleich betonen sie die Produktivitätsfortschritte bei der Pflanzen- und Tierproduktion sowie die Steigerung der Selbstversorgung mit den wichtigsten Nahrungsmitteln unter dem Schutzmantel der Agrarpolitik. So etwa stiegen die durchschnittlichen Hektarerträge 1926 bis 1935 gegenüber 1910 bei den Hauptgetreidearten um 18 bis 51 Prozent , bei Kartoffeln um 74 Prozent und bei Zuckerrüben um 47 Prozent ; die durchschnittliche Jahresmilchleistung der Kühe wurde 1919 bis 1934 von 1.300 auf 2.100 Liter angehoben. Diese Leistungssteigerungen beruhten weniger auf agrartechnischen Innovationen als auf der Verbreitung einer institutionellen Innovation des späten 19. Jahrhunderts : des organisatorischen Zusammen30 Zum Begriff vgl. Langthaler , Ernst ( 2008 ) : Nahe und entfernte Verwandtschaft. Agrar-Korporativismus in Niederösterreich. In : Eminger , Stefan / Langthaler , Ernst ( Hg. ) : Niederösterreich im 20. Jahrhundert , Bd. 1 : Politik , Wien / Köln / Weimar , 687–710. 31 Vgl. Bruckmüller , Ernst ( 1979 ) : Die verzögerte Modernisierung. Mögliche Ursachen und Folgen des „österreichischen Weges“ im Wandel des Agrarbereiches. In : Knittler , Herbert ( Hg. ) : Wirtschafts- und sozialhistorische Beiträge. Festschrift für Alfred Hoffmann zum 75. Geburtstag , Wien , 289–307 ; Bruckmüller , Ernst ( 1995 ) : Interessenvertretung der Bauern. In : Tálos , Emmerich / Dachs , Herbert / Hanisch , Ernst / Staudinger , Anton ( Hg. ) : Handbuch des politischen Systems Österreichs. Erste Republik 1918–1933. Wien , 353–370. 32 Vgl. Krammer , Josef / Hovorka , Gerhard ( 2006 ) : Interessenorganisation der Landwirtschaft : Landwirtschaftskammer , Präsidentenkonferenz und Raiffeisenverband. In : Dachs , Herbert / G erlich , Peter / G ottweis , Herbert / K ramer , Helmut / L auber , Volkmar / Müller , Wolfgang C. / Tálos , Emmerich ( Hg. ) : Politik in Österreich. Das Handbuch. Wien , 480–492 , hier 490. 33 Vgl. Langthaler ( 2008 ), 709–710. 34 Vgl. Dorfwirth , Leopold A. ( 1938 ) : Die österreichische Agrarpolitik seit dem Ende des Weltkrieges , Wien. 35 Vgl. Schöhl , Harald ( 1938 ) : Österreichs Landwirtschaft. Gestalt und Wandlung 1918–1938 , Berlin.
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schlusses der bäuerlichen Betriebe zu – teils durch Völkerbundkredite finanzierten – Erzeugungs- , Verarbeitungs- und Vermarktungsgenossenschaften.36 Der Gesamtwert der Agrarproduktion schrumpfte zwar 1929 bis 1931 von 1.332 Mio. auf 1.164 Mio. Schilling , wuchs aber bis 1937 auf 1.407 Mio. Schilling an ; damit lag das agrarische Produktionsvolumen um 16,5 Prozent über dem von 1913.37 Diese Erfolgsbilanz verliert jedoch an Glanz , wenn sie in Beziehung zum Leistungspotenzial tritt. So etwa verweist Senft auf die mangelnde Ausschöpfung von Modernisierungspotenzialen im Agrarbereich aufgrund traditionalistischer Betriebsführung , zunehmenden Kapitalmangels und vor allem zögerlicher Rationalisierungsinitiativen vonseiten des Agrarapparats ; dafür gaben weniger ökologische oder ökonomische Schranken als vielmehr der Anfang der 1930erJahre eingeschlagene protektionistische Kurs der Agrarpolitik den Ausschlag.38 Nicht die Produktionsleistungen , sondern die daraus geschöpften Einkünfte verschiedener Produzentengruppen dienen Kluge als Maßstab ; angesichts der nach Agrarregionen , Produktionszweigen und Betriebsgrößen auseinanderstrebenden Einkommensentwicklung mutet die Gesamtbilanz für die Jahre 1934 bis 1938 weitaus negativer an : „Auf keinem Produktionszweig der österreichischen Agrarwirtschaft zeigten sich in der Ära Schuschnigg auch nur die geringsten Anzeichen eine grundlegenden Verbesserung in absehbarer Zeit.“39 Die vergleichsweise hohen Getreide- , vor allem die über das Niveau von 1929 gekletterten Weizenpreise bescherten den Ackerwirtschaften im burgenländischen , nieder- und oberösterreichischen Flachland Einkommensvorteile auf Kosten der Grünland- und Waldwirtschaften im Mittel- und Hochgebirge , die von Getreidezukäufen abhingen und unter dem Verfall der Milch- und Holzpreise litten.40 Das landwirtschaftliche Einkommen pro Hektar Kulturfläche verfiel 1928 bis 1931 im Durchschnitt von 174 auf 89 Schilling , der Reinertrag von 65 auf minus 9 Schilling ; auch in den Folgejahren wurde das Ausgangsniveau nicht mehr erreicht.41 Noch deutlicher ins Negative kippt die Bilanz , wenn man die prekäre Nahrungsmittelversorgung der Lohnabhängigen außerhalb des Agrarsektors einkalkuliert.42 Trotz aller Produktivitäts- und Produktionssteigerungen vermochte das staatlich regulierte Agrarsystem in den 1930erJahren weder der Gesamtheit der ProduzentInnen angemessene Einkommen noch den KonsumentInnen eine angemessene Nahrungsmittelversorgung zu erschwinglichen Preisen zu sichern.
36 Vgl. Lagler , Ernst ( 1952 ) : Entwicklungsphasen der österreichischen Agrarpolitik in dem Zeitraum zwischen den beiden Weltkriegen. In : Lagler , Ernst / Meßner , Johannes ( Hg. ) : Wirtschaftliche Entwicklung und soziale Ordnung , Wien , 395–418 ; Steden , Anton ( 1952 ) : Wandlungen der landwirtschaftlichen Betriebsstruktur Österreichs seit der Jahrhundertwende unter dem Einfluß von Absatz und Preisen. In : Lagler / Meßner ( 1952 ), 419–437. Zu ähnlichen Befunden vgl. Meihsl , Peter ( 1961 ) : Die Landwirtschaft im Wandel der politischen und ökonomischen Faktoren. In : Weber , Wilhelm ( Hg. ) : Österreichs Wirtschaftsstruktur gestern – heute – morgen , Bd. 2 , Berlin , 551–839 , hier 562–565. 37 Vgl. Senft ( 2005 ), 120. Es handelt sich um reale Preise auf der Basis von 1937. 38 Vgl. Senft ( 2002 ), 442–443. 39 Kluge ( 1988 ), 458–459. 40 Vgl. Kluge ( 1988 ), 453–459. 41 Vgl. Schöhl ( 1938 ), 51. 42 Vgl. Kluge ( 1988 ), 459–462 ; Senft ( 2002 ), 440.
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III. Wirtschafts- und Interessenpolitik
Technischer Wandel im österreichischen Agrarsystem im 20. Jahrhundert
Anmerkung : Der graue Bereich markiert die „Sattelzeit“ der NS-Ära. Quelle : Langthaler ( 2009 ), 823.
Vor dem Hintergrund eigener Forschungen markieren die späten 1930er-Jahre in längerfristiger Perspektive eine Wendezeit der österreichischen Agrarentwicklung. Zunächst war Arbeitskraft auf dem Land noch eine vergleichsweise reichlich verfügbare und daher – vor allem gegenüber agrartechnischen Investitionen – vergleichsweise billige Ressource. Doch das Faktorpreisverhältnis schlug 1938 mit der massiven „Landflucht“ und Technisierungsoffensive im Nationalsozialismus um : Steigende Landarbeiterlöhne sowie staatlich subventionierte Landmaschinen und Betriebsmittel führten zu einer vergleichsweisen Verbilligung arbeits- und landsparender Technologien und hoben – im Verbund mit institutionellen Neuerungen – deren Einsatz auf ein bislang unerreichtes Niveau ( „ Sattelzeit“ ) ; den vollen Durchbruch erfuhr diese Faktorsubstitution jedoch erst in den Jahrzehnten nach der Ent-Technisierung in den späten Kriegsund ersten Nachkriegsjahren ( siehe Abbildung ). So gesehen bildete die österreichische Agrarentwicklung zwischen Weltwirtschaftskrise und „Anschluss“ die Spät- und Auflösungsphase eines arbeitsintensiven und kapitalextensiven Regimes , bevor sich die Entwicklungskorridore in Richtung Arbeitsextensivierung und Kapitalintensivierung verschoben.43
43 Vgl. Langthaler , Ernst ( 2013 ) : Varieties of Modernity : Fascism and Agricultural Development in Austria , 1934–1945. In : Cabo Villaverde , Miguel / Fernández Prieto , Lourenzo / Pan-Montojo , Juan ( Hg. ) : Agriculture in the Age of Fascism. Authoritarian Technocracy and Rural Modernization , 1922–1945 , Turnhout 2012 ( i n Vorbereitung ).
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2.3 Bäuerlicher Paternalismus : Stabilisierung oder Erosion ? Die sozialhistorische Forschung ist sich weitgehend einig darin , dass sich im Schatten der politischen und ökonomischen Doppelkrise der 1930er-Jahre der säkulare Wandel der ländlichen Gesellschaft , trotz punktueller Neuerungen , insgesamt verlangsamte. In einem umfassenden Handbuchartikel skizziert Bruckmüller die Eckpunkte dieser „verzögerten Modernisierung“ für die Zwischenkriegszeit : erstens das Weiterbestehen des „bäuerlichen Hauses“ mit dessen „Einheit von Betrieb und Familie“ als zentraler Bezugspunkt der Gruppenbildungen auf dem Land ; zweitens die Verdichtung des seit dem späten 19. Jahrhundert entstandenen Netzes landwirtschaftlicher Organisationen und dessen Erweiterung durch Landarbeitergewerkschaften.44 Die Krise der 1930er-Jahre habe die „konservative“ – d. h. gegen eine durchgreifende Kommerzialisierung und Demokratisierung gerichtete – Agrarmodernisierung seit den 1880er-Jahren fortgeschrieben : Einerseits setzten der kaufkraftbedingte Einbruch der Nachfrage nach Nahrungsmitteln , vor allem gegenüber Getreide und Kartoffeln pro Nährwerteinheit teureren Milchund Fleischprodukten , sowie die angebotsdämpfende Marktordnung der Kommerzialisierung gewisse Grenzen. Andererseits wurde die autoritär-konservative Mentalität der bäuerlichen „Hausväter“ durch die „versteckte Arbeitslosigkeit“ – die ( Weiter‑ )Beschäftigung von Familienangehörigen und auch Personen mit Gesindestatus , die in der krisengeschüttelten Industrie keine Arbeit ( mehr ) fanden – abermals gestärkt.45 Eine wichtige Facette des bäuerlichen Paternalismus in der Zwischenkriegszeit , die Patron-Klient-Beziehungen zwischen Bauernfamilie und ledigem Gesinde , erhellt Norbert Ortmayr. Aus historisch-anthropologischer Perspektive charakterisiert er den Gesindedienst als Geflecht wechselseitiger , wenn auch ungleich verteilter Verpflichtungen , das ökonomische , soziale und kulturelle Aktivitäten umfasste : etwa die permanente Verfügbarkeit als Arbeitskraft aufseiten der unterbäuerlichen Klienten , der Einbezug des Gesindes in Familienfeiern und Geschenkrituale aufseiten der bäuerlichen Patrone. Ende der 1920er- , Anfang der 1930er-Jahre mehrten sich jedoch die Anzeichen der Erosion des paternalistischen Regelwerks : die Ablösung von Kost und Quartier im Haus der DienstgeberInnen als Lohnbestandteil durch eigene Verpflegung und Unterkunft ; der Wandel vom Jahres- zum Monatslohn und die Abnahme des Naturallohnanteils ; zunehmende Winterarbeitslosigkeit durch Entlassung des Gesindes im Herbst aus Rentabilitätsgründen ; die vermehrte Beschäftigung ausländischer SaisonarbeiterInnen ; die Entstehung eines überregionalen Arbeitsmarktes mit einem Überangebot an Arbeitssuchenden und – bedingt durch die Zunahme mithelfender Familienangehöriger – beschränkter Nachfrage ; die Verbreitung von Landarbeitergewerkschaften und damit zusammenhängenden Streikbewegungen ; die Ablösung der altständischen Dienstbotenordnung durch die am Vertragsprinzip orientierte Haus- und Landarbeiterordnung. Kurz , das ländliche Patron-Klient-Verhältnis entwickelte sich in Richtung des Lohnarbeitsverhältnisses , jedoch noch ohne umfassende Einbettung in das entsprechende Institutionengefüge wie 44 Vgl. Bruckmüller , Ernst ( 1983 ) : Sozialstruktur und Sozialpolitik. In : Weinzierl , Erika / Skalnik , Kurt ( Hg. ) : Österreich 1918–1938. Geschichte der Ersten Republik , Bd. 1 , Graz / Wien / Köln , 381–436 , hier 391. 45 Vgl. Bruckmüller ( 1979 ), 299–307.
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III. Wirtschafts- und Interessenpolitik
etwa der Arbeitslosenversicherung.46 In der Kluft zwischen erodiertem Paternalismus und noch lückenhaftem Arbeitsvertragsarrangement sahen sich ländliche DienstbotInnen , vor allem ledige , weibliche und aus unterbäuerlichen Verhältnissen stammende , zunehmender Willkür durch bäuerliche DienstgeberInnen und Ignoranz vonseiten „ständestaatlicher“ Amtsträger ausgesetzt – und projizierten mitunter ihre Erlösungshoffnungen auf den heraufdämmernden Nationalsozialismus.47 Zwar belegt diese im oberösterreichischen Zentralraum – d. h. in einem mittel- bis großbetrieblichen , gemischt acker- und viehwirtschaftlichen sowie gesindereichen Agrarsystem – angesiedelte Lokal- und Regionalstudie überzeugend die Erosion des bäuerlichen Paternalismus in den 1930er-Jahren ; überregionale Aussagen , etwa zur ( bei den Wahlen der frühen 1930erJahre noch geringen )48 Affinität von Landbevölkerung und Nationalsozialismus , bedürften jedoch des Vergleichs mit anderen regionalen „Ökotypen“49 der Agrargesellschaft. III. Ausblick Die Einblicke in politik- , wirtschafts- und sozialhistorische Forschungsstränge werfen eine Reihe inhaltlicher , noch nicht zufriedenstellend beantworteter Fragen auf : Welche Effekte des „agrarischen Kurses“ waren von den Entscheidungsträgern beabsichtigt , welche folgten unbeabsichtigt aus ihren agrarpolitischen Eingriffen ? An welchen Maßstäben lässt sich der makro- und mikroökonomische Entwicklungsstand des Agrarsektors messen ? Wie ist das demokratische bzw. autoritäre Potenzial in den ländlichen Milieus einzuschätzen ? Sie verweisen aber auch auf quer dazu liegende theoretisch-methodische Probleme , deren Lösungsversuche weiterführende Wege der Forschung erschließen ; drei davon sollen hier skizziert werden : der tendenzielle Struktur- , Nationalstaats- und Epochenzentrismus der bisherigen Forschung. Der Strukturzentrismus kennzeichnet ein Gutteil der politik- und wirtschaftshistorischen , aber auch Teile der sozialhistorischen Forschung zur Agrargeschichte Österreichs in den 1930er-Jahren. Sie äußert sich in mehreren Tendenzen : politische , ökonomische und ansatzweise auch soziale Momente in den Mittelpunkt und kulturelle Momente an den Rand der Entwicklung zu rücken ; grobe Kategorisierungen nach Großgruppen ( „die Landwirtschaft“, „die Bergbauern“, „das Gesinde“ usw. ) gegenüber feingliedrigeren Unterscheidungen zu bevorzugen ; die Macht der Verhältnisse gegenüber den Deutungs- und Handlungskompetenzen der Akteure zu überbewerten. Forschungen jenseits des Strukturzentrismus’ begreifen Agrarpolitik , Agrarsektor und Agrargesellschaft als Kräftefelder von Beziehungen zwischen ( beschränkt ) deutungs- und handlungsmächti46 Vgl. Ortmayr , Norbert ( 1986 ) : Ländliches Gesinde in Oberösterreich 1918–1938. In : Ehmer , Josef / M itterauer , Michael ( Hg. ) : Familienstruktur und Arbeitsorganisation in ländlichen Gesellschaften , Wien / Köln / Graz , 325–416. 47 Zu Fallbeispielen in einer niederösterreichischen Voralpenregion vgl. Langthaler , Ernst ( 2003 ) : Agrarwende in den Bergen : eine Region in den niederösterreichischen Voralpen ( 1880–2000 ). In : Bruckmüller et al. , 563–650 , hier 627–629. 48 Vgl. Hänisch ( 1998 ), 291–325. 49 Vgl. Ortmayr , Norbert ( 1992 ) : Sozialhistorische Skizzen zur Geschichte des ländlichen Gesindes in Österreich. In : Ortmayr , Norbert ( Hg. ) : Knechte. Autobiographische Dokumente und sozialhistorische Skizzen [ Damit es nicht verlorengeht 19 ] , Wien / Köln / Weimar , 297–376.
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gen Akteuren , die verschiedene Arten und Mengen von Ressourcen zum Einsatz bringen. In einem derartigen Akteur-Netzwerk-Rahmen wären auch die nach wie vor ausstehenden Elitenbiografien über Dollfuß , Schuschnigg und andere Entscheidungsträger anzusiedeln. Eine solche Versuchsanordnung schärft den Blick für feinere Unterschiede zwischen Personen und Gruppen , was vergröbernde Kategorisierungen hintanhält. Ansätze in diese Richtung zeigen die Arbeiten Mattls50 und Ortmayrs51 zur „moralischen Ökonomie“ ( u nter‑ )bäuerlicher Gruppen als resistenz- und widerstandsfördernder Ressource ; daran anknüpfend wäre die im cultural turn der ( Geschichts-)Wissenschaften angelegte Aufwertung historisch-anthropologischer Ansätze weiterzuentwickeln.52 Der Nationalstaatszentrismus kanalisiert die Blicke der politik- , wirtschafts- und teilweise auch der sozialhistorischen Forschung auf den durch die Staatsgrenzen markierten Behälterraum. Forschungspragmatische Gründe , etwa die Verfügbarkeit von Daten allein auf nationalstaatlicher Aggregationsebene , mögen dabei eine Rolle spielen ; doch dürfte dieses Problem viel grundsätzlicher im „methodologischen Nationalismus“ – der im Historismus des 19. Jahrhunderts geprägten ( u nd durch den weltanschaulichen Nationalismus verschärften ) Fixierung auf den Nationalstaat als scheinbar selbstverständlicher Beobachtungsrahmen53 – begründet sein. Zur Überwindung des Nationalstaatszentrismus‘ stehen im Zuge des spatial turn der ( Geschichts-)Wissenschaften mehrere Wege offen :54 Einerseits setzen inter- und transnationale Zugänge , wie sie etwa Kluge55 und Senft56 ansatzweise beschreiten , Österreich in Bezug zu anderen demokratischen , autoritären und totalitären Nationalstaaten ; dabei schärfen vergleichs- und verflechtungshistorische Untersuchungen den Blick für Ähnlichkeiten und Gemeinsamkeiten sowie wechselseitige Transfers , etwa bei der Orientierung des Agrarprotektionismus am italienischen Vorbild , dem Zusammenspiel von Agraraußenhandel und Binnenmärkten oder der grenzüberschreitenden Landarbeitsmigration. Andererseits vermögen klug platzierte lokal- und regionalhistorische Untersuchungen nach dem Muster von Ortmayrs Regionalstudie57 die Vielgestaltigkeit des nationalstaatlichen Behälterraumes – etwa die agrarischen Disparitäten hinsichtlich Betriebsstandorten , Besitzgrößen und Produktionsschwerpunkten – sowie die Formierung translokaler und ‑regionaler Verflechtungsräume – etwa entlang der Produktkette von Viehaufzuchtbetrieben im Gebirge über Abmelkwirtschaften in der Ebene bis zu städtischen Konsumzentren – aufzuzeigen. Der Epochenzentrismus fördert die Tendenz , den Untersuchungszeitraum auf he rausragende Eckdaten – 1931 / 34 und 1938 – zu beschränken , ohne darüber hinausreichende Entwicklungen einzubeziehen. Im Sinn eines temporal turn der ( Geschichts‑ ) Wissenschaften wären kurz- , mittel- und langfristige Zeitebenen , etwa Fernand Brau50 Vgl. Mattl ( 1993 ). 51 Vgl. Ortmayr ( 1986 ). 52 Vgl. Sieder , Reinhard ( 1994 ) : Sozialgeschichte auf dem Weg zu einer historischen Kulturwissenschaft ? In : Geschichte und Gesellschaft 20 , 445–468. 53 Vgl. Pernau , Margrit ( 2011 ) : Transnationale Geschichte , Göttingen , 7–19. 54 Zu den im Zuge des spatial turn diskutierten Raumkonzepten vgl. Günzel , Stephan ( Hg. ) ( 2010 ) : Raum. Ein interdisziplinäres Handbuch , Stuttgart / Weimar. 55 Vgl. Kluge ( 1988 ). 56 Vgl. Senft ( 2002 ). 57 Vgl. Ortmayr ( 1986 ).
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III. Wirtschafts- und Interessenpolitik
dels „episodische“, „zyklische“ und „strukturelle Zeit“, in ihrer Wechselwirkung zu begreifen.58 Ein nach wie vor anregendes Modell langfristiger Agrarentwicklung in Österreich bietet Bruckmüllers „österreichischer Weg“ der „konservativen Modernisierung“, der sich von der bauernfreundlichen Grundentlastung 1848 über die Formierung antiliberalistischer und ‑sozialistischer Bauernorganisationen seit den 1880er-Jahren bis zur „Affinität zwischen Austrofaschismus und Landwirtschaft“ in den 1930er-Jahren spannt.59 Unter Einbezug von nationalsozialistischer Ära und Zweiter Republik könnten Spätphase der Ersten Republik und „Ständestaat“ aus einer reflexiven Modernisierungsperspektive60 in die 150-jährige longue durée der österreichischen Agrarentwicklung zwischen „Bauernbefreiung“ und EU-Beitritt eingebettet werden. Fragen nach „Modernisierung und Anti-Modernismus“61 in Agrarpolitik , Agrarwirtschaft und Agrargesellschaft oder , umfassender , nach Kontinuität und Wandel des Nahrungsproduktion , -distribution und ‑konsum umspannenden „Nahrungsregimes“62 im Österreich der 1930er-Jahre ließen sich in diesem Rahmen neu stellen und beantworten. So etwa wäre zu diskutieren , inwieweit die für die Jahre 1938 bis 1945 formulierte „Sattelzeit“-These63 auch für die Jahre 1931 / 34 bis 1938 Geltung besitzt.64 Freilich sind diese drei Forschungsperspektiven keineswegs deckungsgleich ; manchen mögen sie sogar , etwa im Rahmen einer nationalhistorischen Großerzählung , als unvereinbar erscheinen. Diesem möglichen Einwand steht die Auffassung von Geschichtsforschung als diversifiziertes , aber diskursiv vernetztes Feld gegenüber.65 Sinngemäß kann die Überwindung von Struktur- , Nationalstaats- und Epochenzentrismus mit Bezug auf den cultural , spatial und temporal turn unterschiedliche , aber synergetisch aufeinander bezogene Perspektiven der Forschung eröffnen. An den dafür nötigen Quellengrundlagen mangelt es keineswegs : Von den bislang nur selektiv ausgewerteten 58 Vgl. Landsteiner , Erich ( 2001 ) : Epochen , Stufen , Zeiten. Vom historischen Epochenschema zu Fernand Braudels Dialektik historischer Zeitabläufe. In : Wiener Zeitschrift für Geschichte der Neuzeit 1 /2 , 17–37. 59 Vgl. Bruckmüller ( 1979 ) ; Langthaler , Ernst ( 2005 ) : Der „österreichische Weg“ – und dar über hi naus. Ernst Bruckmüllers Modell der Agrarmodernisierung im 19. und 20. Jahrhundert. In : Langthaler / Redl ( Hg. ) ( 2005 ), 244–260. 60 Vgl. Van der Loo , Hans / Van Reijen , Willem ( 1992 ) : Modernisierung. Projekt und Paradox , München. 61 Vgl. Mattl , Siegfried ( 1996 ) : Modernisierung und Anti-Modernismus im österreichischen „Ständestaat“. In : Österreichische Gesellschaft für Kritische Geographie ( Hg. ) : Auf in die Moderne ! Österreich vom Faschismus zum EU-Beitritt , Wien , 77–86 , hier 81–82. 62 Zum Konzept der Nahrungsregimes ( food regimes ) vgl. Langthaler , Ernst ( 2010 ) : Landwirtschaft vor und in der Globalisierung. In : Sieder , Reinhard / L angthaler , Ernst ( Hg. ) : Globalgeschichte 1800– 2010 , Wien / Köln / Weimar , 135–169. 63 Vgl. Langthaler ( 2009 ), 817–842. Demzufolge war die österreichische Agrarentwicklung in der NS-Zeit durch eine zwar auf der technischen Ebene stecken gebliebene , aber auf der institutionellen Ebene umfassende Weichenstellung – mit nachhaltigen Auswirkungen auf die Entwicklung nach 1945 – geprägt. 64 Vgl. Langthaler ( 2012 ). So etwa spekuliert auch Mattl ( 1996 ), 81 , über die langfristigen Effekte von Modernisierungsschritten während des „Ständestaates“ auf die Agrarentwicklung in der Zweiten Republik. 65 Als ein Plädoyer unter vielen vgl. Fulbrook , Mary ( 2002 ) : Historical Theory , London.
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Aktenbeständen des Bundesministeriums für Land- und Forstwirtschaft im Österreichischen Staatsarchiv66 bis zu der Fülle an teils publizierten , teils unpublizierten Selbstzeugnissen von Angehörigen ( u nter‑ )bäuerlichen Gruppen in der Dokumentation lebensgeschichtlicher Aufzeichnungen67 erstreckt sich ein vielschichtiger Quellenkorpus , der die Beantwortung alter und neuer Fragen zur österreichischen Agrargeschichte in den 1930er-Jahren ermöglicht. Dieses brachliegende Feld in der einen oder anderen Weise fruchtbar zu machen , wäre gewiss eine lohnende Aufgabe.
66 Vgl. Österreichisches Staatsarchiv / A rchiv der Republik / Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft ( 1918–1941 ). Der umfangreiche Bestand ist durch Findbehelfe grob erschlossen. Zu Bestandsbeschreibung vgl. Lautner , Dieter ( 1996 ) : Handel / Wirtschaft / Bauten. In : Fink , Manfred ( Hg. ) : Das Archiv und seine Bestände. Teil I : Das Archivgut der 1. Republik und aus der Zeit 1938 bis 1945 , Wien , 319–392 , hier 367–373. 67 Die Dokumentation lebensgeschichtlicher Aufzeichnungen ist am Institut für Wirtschafts- und Sozialgeschichte der Universität Wien eingerichtet. Die Selbstzeugnisse sind durch ein detailliertes Register erschlossen. Eine Auswahl ist in der Buchreihe Damit es nicht verlorengeht ediert worden , darunter : Weber , Therese ( Hg. ) ( 1984 ) : Häuslerkindheit. Autobiographische Erzählungen [ Damit es nicht verlorengeht 3 ] , Wien / Köln / Graz ; Weber , Therese ( Hg. ) ( 1985 ) : Mägde. Lebenserinnerungen an die Dienstbotenzeit bei Bauern [ Damit es nicht verlorengeht 5 ] , Wien / Köln / Graz ; Ortmayr , Norbert ( Hg. ) ( 1992 ) : Knechte. Autobiographische Dokumente und sozialhistorische Skizzen [ Damit es nicht verlorengeht 19 ] , Wien / Köln / Weimar.
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III. Wirtschafts- und Interessenpolitik
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III. Wirtschafts- und Interessenpolitik Mattl , Siegfried ( 2005 ) : Die Finanzdiktatur. Wirtschaftspolitik in Österreich 1933–1938. In : Tálos , Emmerich / Neugebauer , Wolfgang ( Hg. ) : Austrofaschismus. Politik – Ökonomie – Kultur 1933– 1945 , Wien , 202–220. Meihsl , Peter ( 1961 ) : Die Landwirtschaft im Wandel der politischen und ökonomischen Faktoren. In : Weber , Wilhelm ( Hg. ) : Österreichs Wirtschaftsstruktur gestern – heute – morgen , Bd. 2 , Berlin , 551–839. Metz , Ernst ( 1984 ) : Großgrundbesitz und Bodenreform in Österreich 1919 bis 1924 , phil. Diss. , Wien. Miller , James W. ( 1989 ) : Engelbert Dollfuß als Agrarfachmann. Eine Analyse bäuerlicher Führungsbegriffe und österreichischer Agrarpolitik 1918–1934 [ Böhlaus zeitgeschichtliche Bibliothek 10 ] , Wien / Köln. Ortmayr , Norbert ( 1986 ) : Ländliches Gesinde in Oberösterreich 1918–1938. In : Ehmer , Josef / Mitterauer , Michael ( Hg. ) : Familienstruktur und Arbeitsorganisation in ländlichen Gesellschaften , Wien / Köln / Graz , 325–416. Ortmayr , Norbert ( 1992 ) : Sozialhistorische Skizzen zur Geschichte des ländlichen Gesindes in Österreich. In : Ortmayr , Norbert ( Hg. ) : Knechte. Autobiographische Dokumente und sozialhistorische Skizzen [ Damit es nicht verlorengeht 19 ] , Wien / Köln / Weimar , 297–376. Ortmayr , Norbert ( Hg. ) ( 1992 ) : Knechte. Autobiographische Dokumente und sozialhistorische Skizzen [ Damit es nicht verlorengeht 19 ] , Wien / Köln / Weimar. Otruba , Gustav ( 1974 ) : „Bauer“ und „Arbeiter“ in der Ersten Republik. In : Botz , Gerhard / Hautmann , Hans / Konrad , Helmut ( Hg. ) : Geschichte und Gesellschaft. Festschrift für Karl R. Stadler , Wien , 57–98. Pacher , Sigurd ( 1994 ) : Die Agrarpolitik des österreichischen Ständestaates. In : Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte 81 , 339–368. Pernau , Margrit ( 2011 ) : Transnationale Geschichte , Göttingen. Sandgruber , Roman ( 2002 ) : Die Landwirtschaft in der Wirtschaft – Menschen , Maschinen , Märkte. In : Bruckmüller , Ernst / Hanisch , Ernst / Sandgruber , Roman ( Hg. ) : Geschichte der österreichischen Land- und Forstwirtschaft im 20. Jahrhundert , Bd. 1 : Politik , Gesellschaft , Wirtschaft , Wien , 191–408. Schöhl , Harald ( 1938 ) : Österreichs Landwirtschaft. Gestalt und Wandlung 1918–1938 , Berlin. Senft , Gerhard ( 2002 ) : Im Vorfeld der Katastrophe. Die Wirtschaftspolitik des Ständestaates. Österreich 1934–1938 [ Vergleichende Gesellschaftsgeschichte und Ideengeschichte der Neuzeit 15 ] , Wien. Senft , Gerhard ( 2005 ) : Vom Markt zum Plan. Die Agrarpolitik des österreichischen „Ständestaates“ 1934–1938. In : Langthaler , Ernst / Redl , Josef ( Hg. ) ( 2005 ) : Reguliertes Land. Agrarpolitik in Deutschland , Österreich und der Schweiz 1930–1960 [ Jahrbuch für Geschichte des ländlichen Raumes 2 ] , Innsbruck / Wien / Bozen , 114–123. Senft , Gerhard ( 2005 ) : Anpassung durch Kontraktion. Österreichs Wirtschaft in den dreißiger Jahren. In : Tálos , Emmerich / Neugebauer , Wolfgang ( Hg. ) : Austrofaschismus. Politik – Ökonomie – Kultur 1933–1945 , Wien , 182–199. Sieder , Reinhard ( 1994 ) : Sozialgeschichte auf dem Weg zu einer historischen Kulturwissenschaft ? In : Geschichte und Gesellschaft 20 , 445–468. Steden , Anton ( 1952 ) : Wandlungen der landwirtschaftlichen Betriebsstruktur Österreichs seit der Jahrhundertwende unter dem Einfluß von Absatz und Preisen. In : Lagler / Meßner ( 1952 ), 419–437. Van der Loo , Hans / Van Reijen , Willem ( 1992 ) : Modernisierung. Projekt und Paradox , München. Weber , Therese ( Hg. ) ( 1984 ) : Häuslerkindheit. Autobiographische Erzählungen [ Damit es nicht verlorengeht 3 ] , Wien / Köln / Graz.
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����������������������������������������� ������������������������� : Ein brachliegendes Feld Weber , Therese ( Hg. ) ( 1985 ) : Mägde. Lebenserinnerungen an die Dienstbotenzeit bei Bauern [ Damit es nicht verlorengeht 5 ] , Wien / Köln / Graz. Werner , Wolfgang ( 1993 ) : Die Roggenpreisstabilisierung des Verbands ländlicher Genossenschaften in Niederösterreich im August 1933. In : Unsere Heimat. Zeitschrift für Landeskunde von Nieder österreich Jg. 64 , 182–199.
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Gabriella Hauch
Vom Androzentrismus in der Geschichtsschreibung Geschlecht und Politik im autoritären christlichen Ständestaat / „ Austrofaschismus“ ( 1933 / 34–1938 ) Die Frage nach der Wirkungsmacht der Kategorie Geschlecht im Feld des Politischen ist konstitutiver Teil der Frauen- und Geschlechtergeschichte seit den 1970er-Jahren – auch in Österreich.1 Für die verschiedenen politischen Systeme , die das jeweilige politische Profil „Österreich“ im 19. und 20. Jahrhundert ausmachten , sind spezielle ForschungsKonjunkturen festzustellen. Der autoritäre christliche Ständestaat beziehungsweise der „Austrofaschismus“ zählt dabei nicht zu den sehr dicht beforschten Perioden , aber es liegen Bestandsaufnahmen und Analysen für den Stellenwert von Geschlecht in der Politik der Machthaber ebenso wie der illegalen Opposition vor. Aus den kompetitiven Debatten um die Definitionsmacht , mit welcher Begrifflichkeit das repressive politische Regime in Österreich zwischen März 1933 beziehungsweise Februar 1934 bis zur Machtergreifung des Nationalsozialismus im März 1938 zu fassen ist , die nach wie vor öffentlich bewegt ,2 blieb die Kategorie Geschlecht jedoch weitgehend ausgespart.3 Das irri1 Ich danke Maria Mesner für ihre Anregungen und Diskussionen zu diesem Text , Karl Fallend , Ernst Hanisch und Anton Staudinger für wichtige Hinweise und Michaela Neuwirth für die Erstellung des Fußnotenformates. 2 Vgl. War Dollfuß ein Faschist ? Aus zwei „Standard“-Diskussionen zum Thema Engelbert Dollfuß und Austrofaschismus. In : Kos , Wolfgang ( Hg. ) ( 2010 ) : Kampf um die Stadt. Politik , Kunst und Alltag um 1930 , 361. Sonderausstellung des Wien-Museums , 19. November 2009 bis 28. März 2010 , 64–72. 3 Vgl. Tálos , Emmerich ( 2005 ) : Das austrofaschistische Herrschaftssystem. In : Tálos , Emmerich / Neugebauer , Wolfgang ( Hg. ) : Austrofaschismus. Beiträge über Politik – Ökonomie – Kultur , 1933– 1938 , Wien , 394–420 ; Tálos , Emmerich u. Manoschek , Walter ( 2005 ) : Zum Konstituierungsprozess des Austrofaschismus. In : Tálos / Neugebauer ( Hg. ), 6–25 ; Schefbeck , Günther ( Hg. ) ( 2004 ) : Österreich 1934. Vorgeschichte – Ereignisse – Wirkungen , Wien ; Kepplinger , Brigitte / Weidenholzer , Josef / Hummer , Hubert ( 2009 ) : Februar 1934 : Vergangenheit , die endlich vergehen soll ? In : Kepplinger , Brigitte / Weidenholzer , Josef ( Hg. ) : Februar 1934 in Oberösterreich. „Es wird nicht mehr verhandelt …“, Weitra , 9–49. jüngst : Dostal , Thomas ( 2010 ) : Intermezzo – Austrofaschismus in Linz. In : Mayrhofer , Fritz / Schuster , Walter ( Hg. ) : Linz im 20. Jahrhundert. Beiträge , Bd. 2 , Historisches Jahrbuch der Stadt Linz 2007 /2008 /2009 , Linz , 620–781 : 765 ff.
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IV. Politik und Gesellschaft
tiert , denn allein angesichts der vergeschlechtlichten Eigendefinition des „Christlichen Ständestaates“, in Form von Rekatholisierung , Remaskulinisierung und Frauendiskriminierung im politischen Sektor , scheint es naheliegend , die Kategorie Geschlecht als zentrales Analyseinstrument einzusetzen. Im Folgenden wird dem Forschungsstand zu Geschlecht und Politik während des autoritären christlichen Ständestaates nachgegangen , es werden die zentralen Ergebnisse präsentiert sowie bestehende Forschungslücken thematisiert. I. Androzentrismus in der ständestaatlichen Politik und ihrer Geschichtsschreibung Der autoritäre christliche Ständestaat positionierte sich in der Reihe repressiver Regime der Moderne , die ihre Machtstrukturen geschlechtsspezifisch männlich definierten und in entsprechenden Gesetzen festschrieben.4 Die meisten dieser Staaten konnten aus der „Kontrolle über die Frauen“ ( Joan W. Scott ) keinen ad hoc festzustellenden materiellen Nutzen generieren , weshalb die Konstruktion und Konsolidierung von Macht in den Fokus der Analyse rückt , um die Motivation dafür zu verstehen.5 Im autoritären Ständestaat wurde die im Bundesverfassungsgesetz 1920 ( Artikel 7 Absatz 1 ) verankerte staatsbürgerliche Gleichberechtigung durch die „Doppelverdiener-Verordnung“ von 1933 für den öffentlichen Sektor und in der sogenannten Mai-Verfassung von 1934 ( Artikel 16 , Abschnitt 1 und 2 ) die gleichen Rechte der Frauen aufgehoben.6 Die Geschlechterdifferenz als Paradigma für politische und soziale Hierarchien ist beim autoritären Ständestaat außerdem in seiner Eigendefinition als „christlicher“ Staat enthalten , betrachtet man die Position der katholischen Kirche zur Modernisierung der Geschlechterverhältnisse in Richtung Gleichheit , die von ihren zentralen Protagonisten als „widernatürlich“ abgelehnt wurde.7 4 Vgl. Hauch , Gabriella ( 2007 ) : Gender in Wissenschaft und Gesellschaft : Von der Nützlichkeit einer Kategorie und ihrer nachhaltigen Wirkung. In : Pammer , Michael / Neiß , Herta / John , Michael ( Hg. ) : Erfahrung der Moderne. Festschrift für Roman Sandgruber zum 60. Geburtstag , Stuttgart , 491–508. 5 Vgl. Scott , Joan W. ( 1986 ) : Gender. Eine nützliche Kategorie der historischen Analyse. In : American Historical Review Jg. 91 ( 1986 ), Heft 5 , 1053–1075 ( Originaltitel : Gender. A Useful Category of Historical Analysis ) [ neu erschienen in : Kaiser , Nancy ( Hg. ) ( 1994 ) : Selbstbewusst. Frauen in den USA , Leipzig , 27–75 ]. 6 Zit. nach : Bei , Neda ( 2008 ) : Krampus , Gott , Führer. In : Lehmann , Brigitte ( Hg. ) : „Dass die Frau zur Frau erzogen wird.“ Frauenpolitik und Ständestaat , Wien , 119. Vgl. dort die Diskussion um Widersprüche und Ambivalenzen zwischen normsetzender Tätigkeit , Regierungspropaganda und historischer Faktizität – nach Adamovic und Funk – angesichts der Verfassungsbrüche , 103–122. Damit soll allerdings nicht nahegelegt werden , dass das formale Gleichheitsgebot , das auch Geschlecht einschloss , in der Ersten Republik zum Beispiel das gleichheitswidrige patriarchale Eherecht aufgehoben hätte. Dieser Widerspruch zwischen Verfassung und – in diesem Fall – ABGB prägte die republikanische Geschichte Österreichs von Beginn an. 7 Teile der Katholischen Frauenbewegung interpretierten demgegenüber die Begrifflichkeit von „christlich“ als weder männlich noch weiblich und damit als Basis für Frauenrechte. Ihre Position war jedoch nie mehrheitsfähig , vgl. Hauch , Gabriella ( 1995 ) : Frauenbewegung – Frauen in der Politik in der Ersten Republik. In : Tálos , Emmerich / Dachs , Herbert / Hanisch , Ernst / Staudinger , Anton ( Hg. ) : Handbuch des politischen Systems. Erste Republik 1918–1933 , Wien , 277–291 [ neu erschienen in : Hauch , Gabriella ( Hg. ) ( 2009 ) : Frauen bewegen Politik. Österreich 1848–1938 , Innsbruck / Wien / Bozen , 129–150 : 133–137 ].
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Die politischen Eliten des autoritären Ständestaates vereinten verschiedene Männerschichten aus dem christlichsozial-katholischen Vereinsspektrum , den Heimwehren , dem Landbund , dem Hochadel , also Milieus , die nach dem Ersten Weltkrieg durchwegs nicht zu den Profiteuren der parlamentarischen Demokratie gezählt hatten. Neben der Abschaffung der Adelsprivilegien hatte die Frauenemanzipation als – auch angstgerierendes – Synonym für diese „neue Welt“ fungiert.8 Dementsprechend wurde danach getrachtet , die exklusiven politischen Männerzirkel der Vorkriegszeit wieder herzustellen. System-affirmative politische Akteurinnen sollten auf wenige , als unpolitisch definierte Frauen-Abteilungen unter männlicher Führung in der Katholischen Aktion und der Vaterländischen Front , was den ausschließlich männlichen Charakter des politischen Feldes und seiner Eliten unterstrich , beschränkt werden. Mit dieser Geschlechterpolitik förderte und pflegte der autoritäre christliche Ständestaat eine spezielle – in Nachfolge des Ersten Weltkriegs entstandene – Facette von maskuliner politischer Kultur , die unabhängig von der politischen Orientierung im virilen Kämpfer zum Ausdruck kam. In allen Gesellschaften Europas zwischen den beiden Weltkriegen schien diese martialische Männlichkeit mit der Diversifikation der Geschlechterverhältnisse der Moderne zu korrespondieren.9 Die Geschlechterverhältnisse , die die Strukturen ebenso wie die Tagespolitik des autoritären christlichen Ständestaates prägten , wurden in den sich als „allgemein“ positionierenden wissenschaftlichen Arbeiten über „Austrofaschismus“ oder „Ständestaat“ weitgehend nicht reflektiert , was auf die nachhaltige Wirkung dieses Systems verweist.10 Alleine Männer fungierten im autoritären Ständestaat als explizit politische Akteure , während versucht wurde , Frauen zu politischen Nicht-Wesen zu machen und ihren selbstbestimmten Akteurinnen-Status , gleich welcher ideologischer Ausrichtung , zum 8 Vgl. Hauch , Gabriella ( 2008 ) : Welche Welt , welche Politik ? Zum Geschlecht in Revolte , Rätebewegung , Parteien und Parlament. In : Konrad , Helmut / Maderthaner , Wolfgang ( Hg. ) : „ … der Rest ist Österreich“. Das Werden der Ersten Republik Österreich , Bd. 1 , Wien , 281–316. Vgl. auch paradigmatisch : Starhemberg , Ernst Rüdiger ( 1971 ) : Memoiren , Wien / München , 37 f. : Am Ende des Ersten Weltkrieges wurde der Autor von einfachen Soldaten auf der Linzer Landstraße attackiert , seine Tapferkeitsmedaillen heruntergerissen und zusammengeschlagen. 9 Vgl. Passmore , Kevin ( 2003 ) : Europe. In : ders. ( Hg. ) : Women , Gender and Fascism in Europe , 1919–1945 , New Brunswick , 235–268. 10 Im ersten 1984 herausgegebenen Sammelband ( Tálos , Emmerich / Neugebauer , Wolfgang [ Hg. ] [ 1984 ] : Austrofaschismus , Beiträge über Politik – Ökonomie – Kultur , Wien ) ist kein frauen- oder geschlechtergeschichtlicher Beitrag enthalten , in der Neuauflage 1988 füllt Irene Bandhauer-Schöffmann – die seit 1984 mehrere Publikationen zu katholischen und bürgerlichen Frauen beziehungsweise zur Frauenpolitik des Ständestaates vorgelegt hatte – diese Lücke , ebenso wie in der gründlich überarbeiteten Neuauflage aus 2005 : Schöffmann , Irene ( 1988 ) : Frauenpolitik im Austrofaschismus. In : Tálos , Emmerich / Neugebauer , Wolfgang ( Hg. ) : Austrofaschismus. Politik – Ökonomie – Kultur , 4. Aufl. , Wien , 317–343 ; und Bandhauer-Schöffmann , Irene ( 2005 ) : Der „Christliche Ständestaat“ als Männerstaat ? Frauen- und Geschlechterpolitik im Austrofaschismus. In : Tálos / Neugebauer ( Hg. ) ( 2005 ), 254–280. Die in der Zwischenzeit teilweise erfolgte Sensibilisierung von kultur- und sozialgeschichtlichen Ansätzen in der Historiographie gegenüber geschlechtergeschichtlichen Ansätzen ist etwa im Kapitel „Frauensport“ zu finden bei Marschik , Matthias ( 2005 ) : Turnen und Sport im Austrofaschismus ( 1934–1938 ). In : Tálos / Neugebauer ( Hg. ) ( 2005 ), 372–389.
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Verschwinden zu bringen.11 Diese Anmaßung , die ständestaatliche Politik als androzentrisch zu definieren , das heißt als scheinbar geschlechtsneutrale Sphäre , die realiter jedoch Männer als politische Subjekte meint , scheint sich in der Geschichtsschreibung darüber zu einem Gutteil fortzusetzen.12 II. Die Kategorie Geschlecht ins Zentrum gesetzt Neben dem dominierenden Androzentrismus in der Geschichtsschreibung zum autoritären christlichen Ständestaat – zieht man die von Emmerich Tálos und Wolfgang Neugebauer herausgegebenen „Austrofaschismus“-Bände , die Publikation über das im Jahre 2004 im Parlament stattgefundene Symposium zu „Österreich 1934“ oder die jüngst publizierte Studie von Thomas Dostal zu Linz heran – liegen Ergebnisse aus der Frauen- und Geschlechtergeschichte vor : Vor allem die Re-Aktionen von grundsätzlich ständestaatlich affirmativ positionierten Frauenorganisationen sowie die Vermännlichung des Staates durch Irene Bandhauer-Schöffmann13 und die Geschlechterpolitik sowie die Geschichte von AkteurInnen der illegalen NationalsozialistInnen , dem zentralen Konkurrenzprojekt des Ständestaates , durch Johanna Gehmacher.14 Diese Thematisierungen sind wissenschaftsgeschichtlich in dem Interesse der Geschlechterforschung angelegt , Frauen als Akteurinnen in der Vergangenheit zu erforschen sowie das brisante geschichtspolitische Feld Nationalsozialismus und seine Vorgeschichte geschlechtersensibel aufzuarbeiten.15 Vergleichbare Arbeiten zur Geschlechterpolitik sowie zu Akteurinnen der ebenfalls verbotenen sozialdemokratischen und kommunistischen Opposition fehlen – mit Ausnahme einer ersten geschlechtsspezifischen Untersuchung der Ausbürgerungspraxis der Bundespolizeidirektion Wien16 – beziehungsweise sind rudimentär in Einzelstudien zu finden.17 11 Dass dies nicht ohne Widerstand vonseiten der System-affinen politischen Aktivistinnen vor sich ging , vgl. Schöffmann , Irene ( 1984 ) : Organisation und Politik katholischer Frauen im „Ständestaat“. In : Zeitgeschichte Jg. 11 ( 1984 ), Heft 11 / 1 2 , 349–375. 12 Vgl. als möglichen Aufbruch in der Politik- und Gesellschaftsgeschichte Hanisch , Ernst ( 2012 ) : Traditionelle Männlichkeitsrollen im „Austrofaschismus“. In : Reiter-Zatloukal , Ilse / Rothländer , Christiane / Schönberger , Pia ( Hg. ) : Österreich 1933–1938. Interdisziplinäre Annäherungen an das Dollfuß- / Schuschnigg-Regime , Wien / Köln / Weimar , Wien , 220–224. 13 Vgl. Schöffmann , Irene ( 1984a ) : Ein ( a nderer ) Blick auf die katholische Frauenbewegung der Zwischenkriegszeit. In : Österreich in Geschichte und Literatur , 28. Jg. ( 1984 ), Heft 3 , 155–168 ; dies. ( 1984b ) : Mütter in der Vaterländischen Front. In : Aufrisse , 5. Jg. ( 1984 ), Heft 3 , 20–24 ; BandhauerSchöffmann ( 2005 ). 14 Vgl. Gehmacher , Johanna ( 1994 ) : Jugend ohne Zukunft. Hitler-Jugend und Bund Deutscher Mädel in Österreich vor 1938 , Wien ; dies. ( 1998 ) : „Völkische Frauenbewegung“. Deutschnationale und nationalsozialistische Geschlechterpolitik in Österreich , Wien. 15 Vgl. Saurer , Edith ( 1999 ) : Skizze einer Geschichte der historischen Frauenforschung in Österreich. In : Hey , Barbara ( Hg. ) : Innovationen. Standpunkte feministischer Forschung und Lehre , Wien , 319–377 ; dies. ( 1993 ) : Frauengeschichte in Österreich. Eine fast kritische Bestandsaufnahme. In : L’Homme. Zeitschrift für Feministische Geschichtswissenschaft Jg. 4 ( 1993 ), Heft 2 , 37–63. 16 Vgl. Reiter-Zatloukal , Ilse / Rothländer , Christiane ( 2010 ) : Staatsbürgerschaftsentzug und Geschlechterdifferenz. Rechtsgrundlagen und Ausbürgerungspraxis 1933 bis 1938 am Beispiel Wien. In : L’Homme. Z.F.G. Jg. 21 ( 2010 ), Heft 2 , 135–153 : 152. 17 Vgl. Prost , Edith ( Hg. ) ( 1989 ) : „Die Partei hat mich nie enttäuscht …“ Österreichische Sozialdemokratinnen , Wien ; Hauch , Gabriella ( 1995a ) : Vom Frauenstandpunkt aus. Frauen im Parlament
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Eine der ältesten Arbeiten , die sich explizit mit der frauenspezifischen Schulpolitik , einem zentralen Aspekt der Geschlechterpolitik des Ständestaates , befasst , stammt von Herbert Dachs und ist in einer der Doyenne der österreichischen Zeitgeschichtsforschung Erika Weinzierl gewidmeten Festschrift zu ihrem 60. Geburtstag erschienen.18 Das Feld der Frauenbewegungen gilt als relativ gut erforschtes Gebiet der Frauen- und Geschlechtergeschichte in Österreich. Allerdings fokussiert das Forschungsinteresse mehr auf diejenigen Akteurinnen und Politiken , die dafür einstanden , die geschlechtsspezifischen Handlungsspielräume zu erweitern beziehungsweise zu revolutionieren. Die Historiografie zur katholischen Frauenbewegung oder anderen als „konservativ“ definierten Frauenorganisationen und -politiken führen im Vergleich dazu ein Schattendasein.19 Einen wichtigen Beitrag für die geschlechterfokussierte Forschung zum „Austrofaschismus“ stellte bislang das Ende des Jahres 2004 in Wien stattgefundene Symposion „Frauenpolitik im Ständestaat : Neokonservatives Rollenbild und Ständestaat-Ideologie“ dar.20 Die daraus hervorgegangene Publikation versammelt Studien zur Geschlechtsspezifik des Staates sowie seiner Gesetzgebung – auch unter dem Fokus von Männlichkeit21 – zur Biografie von oppositionellen Wissenschafterinnen sowie zur Agency von jüdischen Frauen.22 Die 2008 auf Deutsch erschienene Studie von Paul Pasteur zum traditionell – weil an organisierter Erwerbsarbeit orientiert23 – männerdominierenden Bereich der Gewerkschaften ist durchgehend geschlechtersensibel formuliert , versucht , trotz prekärer Quellenlage den Blick auch auf die wenigen Akteurinnen zu richten , und analysiert „Frauen , die unbekannte Größe in der Sozialpolitik“, in einem Unterkapitel zu „Opfer der Sozialpolitik des christlich-autoritären ständischen Regimes“.24 1919–1933 , Wien oder die vom Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstandes unter dem Sachbereich „Widerstand und Verfolgung 1934–1945“ herausgegebenen Publikationen. 18 Vgl. Dachs , Herbert ( 1985 ) : Das Frauenbild in der Schule des „Austrofaschismus“. In : Ardelt , Rudolf G. / Huber , Wolfgang / Staudinger , Anton ( Hg. ) : Unterdrückung und Emanzipation. Festschrift für Erika Weinzierl , Wien / Salzburg , 83–99. 19 Ausnahme : Kronthaler , Michaela ( 1995 ) : Die Frauenfrage als treibende Kraft. Hildegard Burjans innovative Rolle im Sozialkatholizismus und Politischen Katholizismus vom Ende der Monarchie bis zur „Selbstausschaltung“ des Parlamentes , Graz / Wien / Köln. Zu den deutschnationalen Frauen der Habsburgermonarchie : vgl. Zettelbauer , Gudrun ( 2005 ) : „Die Liebe sei Euer Heldentum.“ Geschlecht und Nation in völkischen Vereinen der Habsburgermonarchie , Frankfurt / Main. 20 Vgl. Bandhauer-Schöffmann , Irene ( 2008 ) : Gottgewollte Geschlechterdifferenzen. Entwürfe zur Restrukturierung der Geschlechterdichotomie in der Konstituierungsphase des „Christlichen Ständestaates“. In : Lehmann ( 2008 ), 15–61. 21 Vgl. Mattl , Siegfried ( 2008 ) : Austrofaschismus , Kulturkampf und Frauenfrage. In : Lehmann ( 2008 ), 63–78 ; Bei ( 2008 ), 99–151. 22 Vgl. Karlsson , Irmtraut ( 2008 ) : Der tiefe Sturz. In : Lehmann ( 2008 ), 79–98 thematisiert Käthe Leichter , Marie Jahoda , Elsa Köhler ; Hecht , Dieter J. ( 2008 ) : Jüdische Frauen im Austrofaschismus. In : Lehmann ( 2008 ), 153–178. 23 Vgl. Hauch , Gabriella ( 1991 ) : „Arbeite Frau ! Die Gleichberechtigung kommt von selbst“ ? In : Konrad , Helmut ( Hg. ) : „Daß unsre Greise nicht mehr betteln gehen !“ Sozialdemokratie und Sozialpolitik im Deutschen Reich und in Österreich-Ungarn , Wien / Zürich , 62–86 [ neu erschienen in Hauch ( Hg. ) ( 2009 ), 105–127 ]. 24 Vgl. Pasteur , Paul ( 2008 ) : Unter dem Kruckenkreuz. Gewerkschafter und Gewerkschafterinnen in Österreich 1934–1938 , Innsbruck / Wien / Bozen , 163–169.
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Übereinstimmend wird in den vorliegenden geschlechtsspezifischen und geschlechtersensiblen Studien die Errichtung des autoritären Ständestaates christlicher Provenienz als Projekt der österreichischen Antimoderne definiert.25 Im spannungsgeladenen gesellschaftspolitischen Kosmos Österreichische Revolution und Erste Republik gestaltete sich der Diskurs um die Zukunft auch in Form von imaginierten Geschlechterbildern. Im System der parlamentarischen Parteien-Demokratie und vor allem in der Metropole Wien fungierten Sozialdemokratie , moderne Kunst und Frauenemanzipation für die katholischen und deutschnational-völkischen Milieus als Projektionsfläche für deren antisemitisch und rassistisch gefärbte Revolutionsfurcht sowie ihre Angst vor Sittenlosigkeit und dem Zerfall der Familie. Der autoritäre christliche Ständestaat verstand sich als Bollwerk gegen diese „Gefahren“. An diese Intention des Regimes knüpften die frauen- und geschlechtsspezifischen Studien an und konzentrieren sich – explizit oder implizit – auf den urbanen Raum , vor allem Wien. In geringerem Ausmaß wurde bislang das Augenmerk der Forschung auf die Auswirkungen von Remaskulinisierung und Rekatholisierung auf die Frauenorganisationen , die Lebenswelten und Politiken in der mittel- und kleinstädtischen wie ländlichen Provinz gelegt.26 Neben einigen universitären Abschlussarbeiten , die sich mit frauen- beziehungsweise geschlechtergeschichtlichen Aspekten des Regimes befassen ,27 ist als weiterer wichtiger geschlechterspezifischer Zugang jüngeren Datums das Projekt „Frauen in Bewegung ( 1918–1938 )“ der Österreichischen Nationalbibliothek zu nennen.28 25 Vgl. Bandhauer-Schöffmann ( 2005 ), 255 f. ; Mattl ( 2008 ), 66 f. 26 Vgl. Dostal ( 2010 ), erwähnt ab und an frauenspezifische Aspekte , wie 645 , dass es ein Mutterschutzwerk der VF gegeben hätte , oder 713 , einen Arbeitsdienst für die weibliche Jugend. Vgl. weiters Hauch , Gabriella ( erscheint 2013 ) : Frauen.Leben.Linz. Eine Frauen- und Geschlechtergeschichte im 19. und 20. Jahrhundert , Linz. In der „Salzburger Frauengeschichte“ wurde zwar zwischen Erster Republik und Ständestaat in der Einleitung unterschieden , die darauf folgenden Zeitungs- und Interviewausschnitte , die zeitgenössisches Frauenleben illustrieren sollen , sind jedoch nicht entsprechend der unterschiedlichen politischen Systeme kontextualisiert. Vgl. Ellmauer , Daniela u. Kirchmayr , Birgit ( 1996 ) : Zwischen den Kriegen : Frauenleben in Salzburg 1918 bis 1938. In : Thurner , Erika / Stranzinger , Dagmar ( Hg. ) : Die andere Geschichte 2. Eine Salzburger Frauengeschichte des 20. Jahrhunderts , Salzburg / München , 15–70 , z. B. „Zur Salzburger Trachtenfrage“. 27 Vgl. Ennsmann , Brigitte ( 1993 ) : Frauenpolitik und Frauenarbeit im Austrofaschismus , Dipl.Arb. , Wien ; Franke , Angela ( 1989 ) : Doppelverdienergesetz und Doppelverdienerkampagne , Dipl.Arb. , Wien ; Juffinger , Sabine ( 1993 ) : Politischer Katholizismus im Austrofaschismus 1933 / 34–1938. Zur Analyse der politischen Rhetorik des Austrofaschismus am Beispiel der „österreichische[ n ] Mission“ sowie anhand der Konstruktion des Geschlechterverhältnisses , Dipl.-Arb. , Innsbruck ; dies. ( 1996 ) : Zwischen Ausgrenzung und Einmischung. Eine ideologiekritische Analyse der Konstruktion / Steuerung / Wirkung des hierarchischen Geschlechterverhältnisses im Austrofaschismus , phil. Diss. , Innsbruck ; Kirchmayr , Birgit ( 1996 ) : „ … und das Ideale ist die Frau und Mutter“: Austrofaschistische Frauenpolitik und weibliche Erinnerung , Dipl.-Arb. , Salzburg ; Klampferer , Anita ( 1997 ) : Frauensport im Austrofaschismus im Spiegel repräsentativer Sportfachzeitschriften , Dipl.-Arb. , Wien. 28 Ein FWF-gefördertes Projekt von Ariadne , der frauenspezifischen Informations- und Dokumentationsstelle der ÖNB gemeinsam mit dem Institut für Zeitgeschichte in Wien , URL : www.fraueninbewegung.onb.ac.at ( abgerufen am 01. 01. 2012 ). Die Homepage spiegelt die vielen offenen Fragen der frauen- und geschlechterspezifischen Bearbeitung des autoritären christlichen Ständestaates , vgl.
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III. Aspekte struktureller Frauen- und Geschlechterpolitik im autoritären Ständestaat Eine kulturpolitische Front in der Ersten Republik verlief zwischen jenen Milieus , die mit der Österreichischen Revolution angestammte Privilegien und damit die Rahmungen ihrer Lebenswelten verloren hatten , und jenen , für die sich – zumindest abstrakt – erweiterte Handlungsspielräume eröffneten. Wie sehr die Geschlechterverhältnisse und Geschlechterbeziehungen in den 1920er-Jahren zu Verhandlungsthemen wurden , wird zum Beispiel in der zeitgenössischen Belletristik deutlich. Szenen , wie sie der Schriftsteller David Vogel in seinem Ende der 1920er-Jahre in Wien spielenden Roman „Eine Ehe in Wien“ als „dichterisch zu bewältigendes Jetzt“ ( Ernst Bloch ) verarbeitet hatte , sollten im „Christlichen Ständestaat“ weder faktische Realität noch fiktionales Sujet sein : Ein arbeitsloser Mann verrichtet die Hausarbeit , während seine Frau Karriere macht. Auf diesen Rollentausch angesprochen , „witzelt[ e ] [ er ] gezwungen , heutzutage sind die Bereiche nicht mehr so klar abgesteckt“.29 Mit der Niederschlagung des Aufstandes des Republikanischen Schutzbundes im Februar 1934 und der Verabschiedung der sogenannten Maiverfassung 1934 manifestierten die VertreterInnen der Antimoderne ihren Sieg und begannen eine in ihren Augen „gottgewollte“ ( Geschlechter- ) Ordnung wiederherzustellen. Die „Verordnung der Bundesregierung vom 15. Dezember 1933 über den Abbau verheirateter weiblicher Personen und andere dienstrechtliche Maßnahmen“ ( BGBl. 1933 , Nr. 545 ), die sogenannte „Doppelverdiener-Verordnung“ wurde für den öffentlichen Dienst erlassen , die als ein erster struktureller Markstein für die Verschlechterung der staatsbürgerlichen Rechtsstellung von Frauen bewertet wird.30 Gestützt auf das Notverordnungsrecht nach dem Kriegswirtschaftlichen Ermächtigungsgesetz 1917 , handelte es sich , so bereits die zeitgenössische Einschätzung der Staatswissenschaftlerin Käthe Leichter , dabei mehr um ein Ideologem als eine wirkungsvolle Maßnahme gegen die Massenarbeitslosigkeit und stellte vor allem einen strukturellen Angriff gegen die Frauenerwerbstätigkeit dar.31 Die Zahlen der erwerbstätigen Frauen in Österreich stützten Leichters Analyse : Machte 1934 der Frauenanteil an den Beschäftigten rund 30,6 % aus , sank er bis 1937 auf 27 %.32 Die ersten drei Abschnitte der Verordnung fixierten die verschiedenen Kontexte und Ausnahmebestimmungen für den Dienstaustritt bei Eheschließung beziehungsweise den Aufnahmestopp von verheirateten Frauen im öffentlichen Dienst. Der Abschnitt IV galt hingegen auch für Männer : Lebensgemeinschaften ohne Eheschließung wurden für alle öffentlich Bediensteten ohne Ausnahme zum „Dienstvergehen“ erklärt , das zur EntJammernegg , Lydia ( 2009 ) : Frauen in Bewegung ( 1918–1938 ). Reflexionen über dokumentarische und historische Zugänge. In : Gehmacher , Johanna / Vittorelli , Natascha ( Hg. ) : Wie Frauenbewegung geschrieben wird. Historiographie , Dokumentation , Stellungnahmen , Bibliographien , Wien , 197–218. 29 Vgl. Vogel , David ( 1994 ) : Eine Ehe in Wien , Frankfurt / Main , 314. 30 Vgl. Bandhauer-Schöffmann ( 2005 ), 275 f. ; Bei ( 2008 ), 103–118. 31 Vgl. Leichter , Käthe ( 1933 ) : Zurück ins Haus ? – Hinein in die Zwangsarbeit ! Frauenarbeit im faschistischen System. In : Frauentag 1933 [ neu erschienen in : AK Wien ( Hg. ) ( 1995 ) : Käthe Leichter zum 100. Geburtstag , Texte zur Frauenpolitik , Wien , 186 f. ] ; dies. ( 1934 ) : Wem nützt es ? In : Die Frau , Februar 1934 , [ neu erschienen in : AK Wien ( Hg. ) ( 1995 ), 211 ]. 32 Vgl. Stiefel , Dieter ( 1988 ) : Die große Krise in einem kleinen Land. Österreichische Finanz- und Wirtschaftspolitik 1929 bis 1938 , Wien / Köln / Graz , 189 f.
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lassung – ohne Abfertigungsanspruch – führte. Auch die in den ersten drei Abschnitten vom Heiratsverbot ausgenommenen öffentlichen Bedienstetengruppen – Schauspielerinnen , Postexpedientinnen33 und Tabakarbeiterinnen – waren von der Entlassung im Fall des unehelichen Zusammenlebens betroffen. Dies war ein deutlich disziplinierender Eingriff in die private Lebenswelt von ökonomisch unabhängigen Frauenmilieus und öffnete „unerträglicher Moralschnüffelei“34 Tür und Tor. Ein damals in Wien kursierender Witz unterstreicht Leichters Empörung : „In Österreich ist alles neu. Das Wappen , der Titel , die Verfassung. Folgerichtig hat Österreich auch eine neue Landespatronin : Santa Denunziata“.35 Der Sektor des öffentlichen Dienstes wurde zum Exerzierfeld des „autoritären Regierungskurses“ auf dem Weg zur Vollendung eines „christlichen , sozialen , deutschen Staat( es ).“36 Zu weiteren strukturell greifenden und geschlechterdifferenzierenden Maßnahmen im öffentlichen Bereich hatte bereits der Runderlass vom 31. März 1933 gezählt , der Beamte mit Heeresangehörigen gleichstellte , was das Verbot einer Parteizugehörigkeit , das Tragen von Abzeichen und die Kritik am Staat betraf – die Denunziation von Verstößen dagegen wurde zur Dienstpflicht erklärt. Hand in Hand mit der lauter werdenden Infragestellung der Existenz von Beamtinnen erfolgte eine Aufwertung der Bundesbeamten durch das Zugeständnis einer eigenen Uniform. Diese Verordnung modifizierte das Uniformverbot und zielte auf die Repräsentation des autoritären Ständestaates durch uniformierte Männermassen in der Öffentlichkeit.37 Außerdem ist diese Maßnahme als Konkurrenzprojekt zur wachsenden martialischen Attraktivität der illegalen NSDAP und als Antwort auf die Militarisierung des Deutschen Reiches zu interpretieren. Ein weiterer Bereich , in den der autoritäre christliche Ständestaat disziplinierend eingriff , war die Schulpolitik , vor allem in Wien.38 Die Schließung einer der beiden existierenden staatlichen Mädchenmittelschulen sowie die drastische Kürzung der staatlichen Subventionen für private Mädchenmittelschulen , die die kompensatorische Erhöhung des Schulgeldes zur Folge hatte , führte weniger zum Wechsel von Mädchen in koedukative Mittelschulen , sondern vor allem zum Rückgang der Mittelschülerinnen.39 Die oft fragile Entscheidungsbasis für Eltern , auch Töchtern eine höhere Bildung zu ermöglichen , wurde in den Jahren der Massenarbeitslosigkeit durch Barrieren dieser Art nachhaltig erschüttert. Hatten im Schuljahr 1933 / 34 21.453 Mädchen Mittelschulen besucht , waren es 1936 / 37 nur mehr 19.525 , was ein Sinken des Anteils von 33,32 % auf 30,83 % aller MittelschülerInnen bedeutete.40 Die Rekatholisierung der Erziehung der Jugend brachte nicht nur die verpflichtende Einführung des Religionsunterrichtes , sondern modifizier33 So wurden die Leiterinnen kleiner Postämter bezeichnet. 34 Vgl. Leichter ( 1934 ), 211 f. 35 Vgl. DÖW 4028b / 55 Kruckenkreuzler , Pankratius ( 1935 ) : So lacht man in Österreich , Karlsbad , 8 , zit. nach : Pasteur ( 2008 ), 82. 36 Vgl. Leichter , Käthe ( 1933 ) : Plädoyer des Widerspruchs. In : Reichspost , 21. 12. 1933 , zitiert nach : Bei ( 2008 ), 114 f. 37 Vgl. Regierungsverordnung 4. Mai 1933 , BGBl. 164 , 10. Mai 1933 , BGBl. 173 und 7. Dezember 1933 , BGBl. 536 , zit. nach Bei ( 2008 ), 115–118. 38 Vgl. Dachs , Herbert ( 2005 ) : „Austrofaschismus“ und Schule. In : Tálos / Neugebauer , 282–297. 39 Vgl. Bandhauer-Schöffmann ( 2008 ), 22. 40 Vgl. Ennsmann ( 1993 ), 62 , zit. nach : Bandhauer-Schöffmann ( 2008 ), 58.
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te das ( L ern-)Klima in den Schulen. „Selbstzensur“ von LehrerInnen wie von SchülerInnen begann den Unterricht , „bis dahin ein Ort von relativ viel geistiger Freiheit“, zu zerstören , erinnerte die spätere Doyenne der Frauen- und Geschlechtergeschichte Gerda Lerner ihre Wiener Schulzeit in einer privaten Mädchenschule.41 Vom verpflichtenden Besuch von Rosenkranz- und Maiandachten sowie der Notwendigkeit , gefirmt zu sein , um zur Matura antreten zu können , erzählte Trude Konecny , konfessionslose Sozialdemokratin und damalige Mittelschülerin.42 Der Zwang , der hinter der „zweiten Gegenreformation“43 oder „neuen Gegenrefor mat ion“44 der Rekatholisierung stand – als Zeichen dafür wurden in den öffentlichen Schulen in Wien Kruzifixe in den Schulzimmern aufgehängt – verstärkte das außerhalb der angestrebten kulturellen und religiösen katholischen Hegemonie stehende Anderssein. Der verpflichtende Religionsunterricht betraf auch protestantische und jüdische SchülerInnen , im angestammten Klassenzimmer verblieb jedoch die katholische Mehrheit. „Wenn wir zurückkamen in die Klasse“, erinnerte Lerner , „versuchten wir uns wieder einzufügen , doch es funktionierte nicht : wir waren die Juden , wir waren diejenigen , die den Klassenraum verlassen mussten , während der Katechismus gelehrt wurde.“45 Antijudaismus basierte in Österreich auf einer vielfältig funktionalen und langen Tradition des politischen Katholizismus , die von der Amtskirche , dem katholischen Vereinswesen und staatlich durch die Christlichsoziale Partei und ab 1933 / 34 vom christlichen Ständestaat repräsentiert wurde. Im kompetitiven Spannungsverhältnis zum Nationalsozialismus kam es vonseiten der politischen Eliten des Ständestaates zwar immer wieder zu verbalen Abgrenzungen vom völkischen Rassismus , ohne jedoch „die Juden“ anders als durch angeblich angeborene „jüdische“ Eigenschaften – was den Diskurs in den 1920erJahren geprägt hatte – zu stigmatisieren und diesen die guten Eigenschaften des „gottgewollten deutsch( en ) Volkstums“ entgegenzusetzen. Forderungen nach Dissimilation und staatlicher Diskriminierung , wie von katholischer Seite propagiert , wurden durch die ständestaatliche Gesetzgebung jedoch nicht sanktionierend in Gesetze gegossen.46 Die Periode des Regierens mittels Verordnungen endete mit der Verfassung vom 1. Mai 1934 , die das parlamentarische Prinzip außer Kraft setzte. Nachträglich erfolgte die Legalisierung der „Doppelverdiener-Verordnung“.47 Der Gesetzesvorbehalt zu Artikel 16 Absatz 2 hatte Geschlecht , im Gegensatz zu Geburt , Stand oder Klasse , nicht mehr bei den als unzulässig „Vorrechte“ begründenden Kategorien aufgelistet. Das bedeutete , „Vorrechte“ aufgrund des Geschlechts sowie des – ebenso im Gegensatz zum Artikel 7 Absatz 1 des Bundes-Verfassungsgesetz des Jahres 1920 nicht mehr erwähnten – religi41 Vgl. Lerner , Gerda ( 2009 ) : Feuerkraut. Eine politische Autobiografie , Wien , 83. 42 Vgl. Konecny , Trude ( 1984 ) : „Innerlich hab ich mich nie untergeordnet.“ In : Maimann , Helene / Mattl , Siegfried ( Hg. ) : Die Kälte des Februar. Österreich 1933–1938 , Wien , 169. Auch zit. nach : Mattl ( 2008 ), 63 f. 43 Vgl. Maimann / Mattl ( Hg. ) ( 1984 ), 127. 44 Vgl. Mattl ( 2008 ), 74. 45 Vgl. Lerner ( 2009 ), 55. 46 Vgl. Staudinger , Anton ( 2002 ) : Katholischer Antisemitismus in der Ersten Republik. In : Botz , Gerhard / O xaal , Ivar / Pollak , Michael / S cholz , Nina ( Hg. ) : Eine zerstörte Kultur – Jüdisches Leben und Antisemitismus in Wien seit dem 19. Jahrhundert , Wien , 2. Aufl. , 261–280 : 274 und 278. 47 Vgl. Bandhauer-Schöffmann ( 2005 ), 258.
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ösen Bekenntnisses waren nicht mehr verfassungsrechtlich verboten. Mit der „Mai-Verfassung“ wurden die Grundrechte der Ersten Republik Österreich „pseudolegal“48 modifiziert und reformuliert. Der Absatz 2 widmete sich ausschließlich Frauen , garantierte „die gleichen Rechte und Pflichten wie Männer“ und hob dies im nächsten Halbsatz , „soweit nicht durch Gesetz anders bestimmt ist“, wieder auf. Die Regierungsverordnungen der jüngsten Vergangenheit wurden damit legitimiert und der Raum für neue eröffnet.49 IV. Frauen- und Geschlechterpolitik der Vaterländischen Front Am 20. Mai 1933 wurde von Bundeskanzler Engelbert Dollfuß die Vaterländische Front als Einheitsorganisation nach faschistischem Vorbild und mit dem Anspruch , offen für alle „deutschen“ Österreicher und Österreicherinnen zu sein , gegründet. Entsprechend der Ideologie von den getrennten Geschlechtersphären eröffnete auch die Vaterländische Front ein spezielles Frauenreferat. Als Vorsitzende fungierte seit 1933 Fanny Starhemberg , die gleichzeitig seit 1925 als bundesweite Präsidentin der Katholischen Reichsfrauenorganisation fungierte und als ehemalige Bundesrätin zur weiblichen Elite der Christlichsozialen Partei zu zählen ist. Eine spezielle Nähe zur Staatsmacht im christlichen Ständestaat wurde ihr als Mutter des Heimwehrführers Ernst Rüdiger Starhemberg zugeschrieben.50 Auch wenn sie selbst bekannte , bis 1935 keine Ahnung über die Aufgaben des Frauenreferates gehabt zu haben , gibt es Hinweise , dass die Landesleiterinnen sorgfältig nach ihrer Loyalität zum ständestaatlichen Regime ausgewählt worden waren. Folglich wurde in Wien die Präsidentin der Katholischen Frauenorganisation Alma Motzko-Seitz , die weder als „frontfreundlich“ noch als heimwehrkompatibel galt , übergangen.51 Erst nach einem Wechsel in der Wiener Landesleitung der Heimwehren wurde Motzko-Seitz im April 1937 zur Landesleiterin bestellt und mit der Exekution der beiden Aufgaben , die Vertretung der Fraueninteressen innerhalb der Vaterländischen Front und der Gewinnung von Frauen für dieselbe , betraut.52 In der Vaterländischen Front existierte unabhängig vom Frauenreferat seit 1934 mit dem „Mutterschutzwerk“ ( MSW ) eine weitere mit frauen- und geschlechtsspezifischen Agenden befasste Abteilung. Es fungierte , direkt dem Bundesleiter der Vaterländischen Front unterstellt , als „Frontwerk“, das seine Ursprünge in der Sektion „Jungmütterrunde“ der Katholischen Frauenorganisation ( K FO ) Wien hatte. Deren Leiterin Minna Wolfring war es gelungen , entsprechend dem italienisch-faschistischen Vorbild , eine zentrale , staatlich finanzierte Dachorganisation für alle staatlichen und privaten Institutionen , die mit Müttern und Kindern befasst waren , zu gründen. Jedoch war auch diese loyale Institution mit knappen Finanzmitteln und Misstrauen konfrontiert53 und die Eheberatung wurde nicht von einer Frau des Mutterschutzwerkes , sondern vom Vor48 Die Juristin Neda Bei bezeichnet sie als „Non-Verfassung“, vgl. Bei ( 2008 ), 120. 49 Vgl. Bandhauer-Schöffmann ( 2005 ) ; Bei ( 2008 ), 119 f. 50 Vgl. Hauch ( 1995a ), 330–336. 51 Vgl. Schöffmann ( 1984 ), 358. 52 Vgl. Schöffmann ( 1988 ), 317–343. 53 Vgl. Mesner , Maria ( 2010 ) : Geburten / Kontrolle. Reproduktionspolitik im 20. Jahrhundert , Wien / Köln / Weimar , 71–74.
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standsmitglied der „St. Lukas Gilde“ Albert Niedermeyer geleitet.54 Selbst in Wien , wo eine von der sozialdemokratischen Sozialpolitik gut ausgebaute Infrastruktur vom Mutterschutzwerk akquiriert werden konnte , zeigte sich in deutlicher Weise , wie weit die Vaterländische Front davon entfernt war , die Hegemonie unter der weiblichen Bevölkerung zu erringen – es gab Ortsgruppen , in denen keine Mutterschutzreferentin nominiert werden konnte. In Niederösterreich , Salzburg und der Steiermark wurden 1935 Zusammenarbeitsabkommen mit der Katholischen Aktion geschlossen , um der Personalknappheit abzuhelfen. Eine wichtige Gruppe im Mutterschutzwerk der Steiermark bildeten 163 junge , unverheiratete Frauen des Freiwilligen Arbeitsdienstes , die in den Industrieorten Mutterschutzheime betreuten.55 In Linz wurde versucht , mit der Verteilung von Hilfsmitteln an bedürftige Familien deren Sympathien und Loyalität für das System zu wecken. Außerdem wurde in verschiedenen Kursen die Verpflichtung unterrichtet , für eine gesunde und vaterlandstreue Nachkommenschaft zu sorgen , was auf die bevölkerungspolitische Intention des Mutterschutzwerkes verweist.56 Zentriert rund um die Bekämpfung des Geburtenrückgangs und der Aufwertung von Mütterlichkeit , gestaltete sich die Bevölkerungspolitik des Mutterschutzwerkes keineswegs ausschließlich pronatalistisch.57 Im Zentrum ihrer Kritik an der Sozialpolitik im Wien der Ersten Republik stand der Vorwurf , dass diese auch einer Klientel zugutegekommen wäre , die „hemmungslos und verantwortungslos ins Leben gesetzt“ hätte.58 Und bei der Auszeichnung von kinderreichen Müttern beim Muttertag 1935 in Wien wurde darauf geachtet , nur diejenigen zu prämieren , die sich „ohne Inanspruchnahme der Fürsorge durchgebracht“ hätten. Die „qualitative Bevölkerungspolitik“ des Mutter schutzwerkes ging davon aus , dass „mit dem aus der Gosse karitativ aufgezogenen Nachw uchs“ das neue Österreich nicht aufgebaut werden könnte.59 Dementsprechend hieß es auch bei der Vorbereitung der Muttertagsfeierlichkeiten 1937 , dass „weniger die bedürftigen , als gute und tüchtige Mütter“ zu diplomieren wären.60 Rund um die Muttertage versuchte das autoritäre Regime , über die Klassen- und politischen Grenzen hinweg eine geschlechtsspezifische Brücke zu den „Arbeitermüttern“ zu schlagen. Die Tradition des Muttertages , von den USA kommend , wurde in der Ersten Republik Österreich vor allem von der bürgerlich-liberalen Frauenbewegung bemüht , um die unbezahlten Reproduktionsarbeiten von Frauen zumindest an einem Tag im Jahr 54 Vgl. Löscher , Monika ( 2007 ) : Katholizismus und Eugenik in Österreich. „ … Dass die katholische Auffassung alle vernünftigen Versuche der positiven Eugenik voll Freude begrüßt und unterstützt …“. In : Bader , Gerhard / Hofer , Veronika / Mayer , Thomas ( Hg. ) : Eugenik in Österreich. Biopolitische Strukturen von 1900–1945 , Wien , 140–161 : 152 ; Mesner ( 2010 ), 71. 55 In Wien waren 11 Mädchen des FAD im MSW aktiv , ansonsten in keinem Bundesland , vgl. Bandhauer-Schöffmann ( 2005 ), 264. 56 Vgl. Dostal ( 2010 ), 645. 57 Vgl. Löscher ( 2007 ), 141. 58 Sinn und Zweck des Mutterschutzwerkes , zit. nach : Bandhauer-Schöffmann ( 2005 ), 270. 59 Vgl. Bandhauer-Schöffmann ( 2005 ), 270. 60 Weisungen , die Vorarbeiten für den Muttertag betreffend , zit. nach : Bandhauer-Schöffmann , Irene ( 2001 ) : Das große Mutteropfer. Muttertagsfeiern im ‚Christlichen Ständestaat‘. In : Boesch , Alexander / Bolognese-Leuchtenmüller , Birgit / K nack , Hartwig ( Hg. ) : Produkt Muttertag. Zur rituellen Inszenierung eines Festtages , Wien , 61–69 : 69.
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öffentlich zu würdigen.61 Im autoritären christlichen Ständestaat wurde er ab 1935 zu einem staatlich inszenierten Feiertag der christlichen Opferrolle von Frauen und Müttern. Offizielle Festakte in Rathäusern , besondere Müttergottesdienste oder Friedhofsgänge für die toten Mütter bildeten den Kontext , warum in der „Mütterzeitung“, dem offiziellen Organ des Mutterschutzwerkes , befriedigt resümiert wurde , dass es mit dem Muttertag 1936 „das erste Mal gelungen [ war ] , die gesamte Öffentlichkeit in den Dienst des Mutterschutzwerkes“ zu stellen.62 Dass an dessen Inszenierung in Wien sich auch die österreichische Abteilung der Weltorganisation Zionistischer Frauen beteiligte , ging im katholischen Diskurs unter.63 Das Mitwirken der jüdischen Frauenorganisation war in der regimeaffirmativen Öffentlichkeit durchaus erwünscht. Ein Verhalten , das Teil der ambivalenten Haltung der Vaterländischen Front und ihrer Frauenorganisationen zum eigenen Antisemitismus war , vor allem angesichts des propagierten rassischen Antisemitismus der nationalsozialistischen – religions- und kirchenfeindlichen – Konkurrenz.64 Im Jahr zuvor , am 16. März 1935 , waren die Aufgaben des Frauenreferates der Vaterländischen Front formuliert worden , um die Konkurrenzsituation mit der Katholischen Frauenorganisation zu beseitigen.65 Die KFO war zwar bereits 1933 geschlossen der Vaterländischen Front beigetreten , hatte ihre Vereinstätigkeit jedoch in den gewohnten Strukturen fortgesetzt. Zwei Jahre nach Beginn der autoritären Umgestaltung der parlamentarischen Demokratie sollte die KFO aufgelöst werden und ihre Mitglieder sich in die Vaterländische Front beziehungsweise in die Katholische Aktion integrieren. Laut der Zeitgenossin und Nachfolgerin von Motzko-Seitz als Präsidentin der KFO Wien , Gräfin Gabriele Thun , ging lediglich in Wien der Eintritt nicht reibungslos vor sich.66 Gleichzeitig erfolgte auch die Eingliederung des Bundes Österreichischer Frauenvereine ( BÖFV ) in das Frauenreferat der Vaterländischen Front. Marie Hoheisl , die Vorsitzende , Gisela Urban , ihre Stellvertreterin , und andere Vorstandsmitglieder wurden zur Mitarbeit „berufen“. Basierend auf dieser Formulierung diskutiert Bandhauer-Schöffmann ihre These , dass nicht nur Überzeugung , sondern auch taktisches Kalkül als Motiv für den Eintritt in das Frauenreferat der Vaterländischen Front gewirkt hätte , um als Vertreterinnen der bürgerlichen Frauen nicht gänzlich aus der legalen Öffentlichkeit eliminiert zu werden.67 Der BÖFV engagierte sich bei den beiden großen frauenspezifischen Tagungen der Vaterländischen Front „Der Wirkungsraum der österreichischen Frau“ im Frühjahr 1935 und ein Jahr später bei „Die Frau im Neuaufbau Österreichs“,68 während gleichzeitig Hoheisl bereits in Kontakt mit illegalen NS-Netzwerken gestanden sein dürf61 Boesch , Alexander ( 2001 ) : Das Muttertagsreden. Einführung und das Muttertagsreden des politischen Katholizismus in Österreich. In : Boesch et al. ( 2001 ), 27–51. 62 Vgl. Mütterzeitung 1 ( 1936 ) 2 , 8 , zit. nach : Bandhauer-Schöffmann ( 2008 ), 63. 63 Vgl. Hecht ( 2008 ), 157. 64 Vgl. Staudinger ( 2002 ), 278. 65 Vgl. Schöffmann ( 1984 ), 359 ff. ; Schöffmann , Irene ( 1986 ) : Die Bürgerliche Frauenbewegung im Austrofaschismus. Eine Studie zur Krise des Geschlechterverhältnisses am Beispiel des Bundes österreichischer Frauenvereine und der Katholischen Frauenorganisation für die Erzdiözese Wien , phil. Diss. , Wien. 66 Vgl. Interview Thun , zit. nach : Schöffmann ( 1984 ), 349. 67 Vgl. Schöffmann ( 1984 ), 359. 68 Vgl. Bandhauer-Schöffmann ( 2005 ) 267.
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te. Einen Tag nach der Machtübernahme des Nationalsozialismus trug sie – zum Entsetzen ihrer katholischen Kolleginnen – das Parteiabzeichen der NSDAP auf dem Revers.69 V. System-affirmative Akteurinnen Bald nach dem Februar 1934 hatten sich Vertreterinnen der nicht verbotenen Teile der bürgerlichen Frauenbewegung im „Frauen-Not-Dienst“ zusammengefunden , um angesichts des herrschenden Elends und der Massenverarmung unbezahlte Sozialarbeit zu leisten : neben der Katholischen Frauenorganisation auch der Bund Österreichischer Frauenvereine , die Österreichische Frauenpartei , Protestantische und Altkatholische Frauen und die österreichische Abteilung der Weltorganisation Zionistischer Frauen.70 Neben Ausspeisungen , Bekleidungsverteilungen , Versorgung von Kindern und Kranken zählte es zu den Aufgaben der daran beteiligten Frauen , je eine Familie aus eigenen Mitteln zu unterstützen. Im Jahre 1937 waren 1.250 Frauen daran beteiligt.71 Ein spezieller sich der Verbreitung vaterländischer und jüdischer Gesinnung widmender im Jahre 1935 gegründeter Verein war der „Legitimistische Jüdische Frauenbund“, der die Wiedererrichtung der Habsburgermonarchie im Verein mit dem „Legitimistischen Bund jüdischer Frontkämpfer“ als Ziel definierte.72 Spätestens die „Mai-Verfassung“ 1934 zeigte den katholischen wie bürgerlich liberalen Frauenorganisationen , dass sich ihre mit dem „christlichen Ständestaat“ verbundenen Hoffnungen auf eine neue glänzende Ära für Frauen als äußerst prekär herausstellten. „Endlich vom Parlament erlöst“, hatten die „Frauen-Briefe“ , das Publikationsorgan der Katholischen Frauenorganisation ( K FO ) der Erzdiözese Wien , nach der Ausschaltung des Parlamentes 1933 getitelt.73 Die Basis der Politik der KFO bildete die Ideologie der sich ergänzenden gottgewollten Wesensverschiedenheiten der Geschlechter ohne explizite Hierarchie. Damit begründeten sie ihre Forderungen nach höherer Mädchenbildung ebenso wie nach sozialrechtlicher Absicherung in frauenspezifischen Erwerbsberufen , nach vermehrten Karrieremöglichkeiten oder grundsätzlich nach dem politischen Mitspracherecht von Frauen.74 Den Kern ihrer Erwartungshaltung gegenüber dem autoritären Ständestaat bildete das Attribut „christlich“, das sie als Garant für die Etablierung einer „wahren“ Volksgemeinschaft auf Basis der Anerkennung der Geschlechterdifferenz interpretierten. Entsprechend ihrer Lesart der Enzyklika Quadragesimo anno , wo die „Häuslichkeit“ nur als „hauptsächliches“ und nicht als ausschließliches „Arbeitsgebiet“ der Familienmütter bezeichnet wurde , hatte der Papst der außerhäuslichen Frau69 Vgl. Interview Brunner , zit. nach : Schöffmann ( 1984 ), 359 f. 70 Vgl. Hecht ( 2008 ), 162 ; Malleier , Elisabeth ( 2002 ) : Jüdische Frauen in Wien 1816–1938. Wohlfahrt – Mädchenbildung – Frauenarbeit , Wien. Zum Engagement jüdischer Frauen in Linz vgl. Wagner , Verena ( 2008 ) : Jüdisches Leben in Linz 1849–1943 , Bd. I ( Institutionen ) und Bd. II ( Familien ), Linz. 71 Rundschreiben des Frauen-Not-Dienstes , April 1937 , zit. nach : Hecht ( 2008 ), 162. 72 Vgl. Hecht ( 2008 ), 163. 73 Vgl. Endlich vom Parlament erlöst. In : Frauen-Briefe ( Mai 1933 ) Folge 89 , 1. 74 Vgl. Hauch , Gabriella ( 1998 ) : Machen Frauen Staat ? Geschlechterverhältnisse im politischen Sys tem. In : Studer , Brigitte / Wecker , Regina / Ziegler , Béatrice ( Hg. ) : Frauen und Staat. Berichte des Schweizer Historikertages in Bern , Oktober 1996 , Basel , 90–108 [ neu erschienen in : Hauch ( Hg. ) ( 2009 ), 151–169 ].
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enerwerbsarbeit seinen Segen gegeben. Ihre erfolglosen Bestrebungen , die „Doppelverdiener-Verordnung“ sowie die im Artikel 16 in der „Mai-Verfassung“ festgeschriebene Ausnahmegesetzgebung gegen Frauen als der Enzyklika widersprechend zu denunzieren , sind dank der Arbeiten von Bandhauer-Schöffmann gut dokumentiert.75 Die ständestaatliche Konzeption , auf der Basis der Enzyklika eine Reorganisation der Politik im katholischen Sinn anzustreben , sollte in den Augen der KFO die Möglichkeit eröffnen , die Geschlechterdifferenzen politisch aufzuwerten und im neuen „christlichen“ Staat sichtbar , mit Einfluss und Macht ausgestattet , zu verankern. Im August 1933 publizierte die KFO der Erzdiözese Wien ihre erste „Stellungnahme zur Errichtung und Zusammensetzung des Ständerates“, worin sie die Errichtung einer „Selbstverwaltungskörperschaft des hauswirtschaftlichen Berufsstandes“ forderte. Die Sichtweise , dass Hausfrauen als Berufstätige zu kategorisieren wären , einte wie die Forderung nach Schaffung einer „Hausfrauenkammer“ die katholische mit der bürgerlich-liberalen sowie der deutschnational-völkischen Frauenbewegung.76 Im „Christlichen Ständestaat“ war es – in den Augen der KFO Wien unter Federführung von Motzko-Seitz77 – essenziell notwendig , der großen Masse der Hausfrauen den Status einer Berufsbürgerin zu verschaffen , da nach Zerschlagung der parlamentarischen Demokratie das Staatsbürgertum obsolet und von den Berufsständen ersetzt worden war. Das Bemühen der KFO war vergeblich. Die Protagonisten des Ständestaates definierten Rekatholisierung als Remaskulinisierung und hatten keineswegs vor , ihre Definitionsmacht zur Diskussion zu stellen. Als „Gebot des staatlichen Wiederaufbaus“ galt es ihnen , „die hausväterliche Gewalt zu bekräftigen , anstatt den Haushalt als solchen zu einer unabhängigen Wirtschaftszelle zu machen“.78 Dementsprechend wurden lediglich zwei Frauen als Vertreterinnen des Schulwesens in den Bundeskulturrat berufen : Dr. Henriette Siess , die Direktorin des ( ersten ) privaten Mädchengymnasiums in der Rahlgasse in Wien VI , und die Wiener Hauptschuldirektorin Dr. Margarethe Rada.79 Alle anderen ständestaatlichen Körperschaften auf Bundesebene waren ausschließlich von Männern besetzt , was die „Wiener Zeitung“ vom 1. November 1934 mit dem Aufmacher „Neue Ordnung – Neue Männer“ würdigte.80 Auf Gemeindeebene besetzten ver75 Vgl. Schöffmann , Irene ( 1984c ) : „ … da es in Christus weder Mann noch Weib gibt.“ Eine historische Analyse des Geschlechterverhältnisses im Katholizismus am Beispiel der Katholischen Frauenorganisation im Austrofaschismus. In : Wiener Historikerinnen ( Hg. ) : Die ungeschriebene Geschichte. Dokumentation des 5. Historikerinnentreffens in Wien , 16. bis 19. April 1984 , Himberg bei Wien , 70–82 ; Schöffmann ( 1984 ) ; Schöffmann ( 1984a ), 160 f. ; Bandhauer-Schöffmann ( 2008 ), 37–52 ; Schöffmann ( 1986 ). 76 Vgl. den Antrag im Nationalrat auf Errichtung einer „Hausfrauenkammer“ durch die großdeutsche Abgeordnete Marie Schneider vom Mai 1931 , der jedoch nie zur Beratung kam sowie ihre Rede im August 1932 , wo sie sich für einen „Ständestaat“ aussprach , vgl. Hauch ( 1995a ), 236 f. Zur Hauswirtschaftskammer , vgl. Schöffmann ( 1984 ), 366–370 ; Bandhauer-Schöffmann ( 2005 ), 259 ff. 77 Vgl. Schöffmann ( 1984 ), 350 f. 78 Vgl. Krasser , Joseph M. : Die Frau im neuen Staat. In : Wiener-Wirtschafts-Woche 3 / 7 , 14. 02. 1934 , 2 , zit. nach : Bandhauer-Schöffmann ( 2008 ), 43 f. 79 Vgl. Enderle-Burcel , Gertrude ( 1991 ) : Christlich – ständisch – autoritär. Mandatare im Ständestaat 1934–1938 , Wien. 80 Vgl. Wiener Zeitung , 01. 11. 1934 , 4 , zit. nach Schöffmann ( 1984a ), 160 f.
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einzelt Frauen Sitze in den „Gemeindetagen“, wie etwa die Lehrerin und Landesführerin der weiblichen Jugend von „Jung-Vaterland“ Eleonore Jandaurek für den Stand der Elternschaft , neben 35 männlichen „Räten der Stadt Linz“.81 Die Kritik der zwar immer affirmativ das neue System unterstützenden „loyalen Opposition“ ( Bandhauer-Schöffmann ) der KFO Wien unter ihrer Präsidentin Motzko-Seitz provozierte disziplinierende Maßnahmen. Im April 1935 erfolgte nach heftigen Kontroversen die Eingliederung der KFO Wien in die Katholische Aktion und damit in die kirchliche Hierarchie unter klerikaler Führung.82 Eine weitere zentrale Frauenfigur , die als Teil der loyalen Opposition kategorisiert werden kann , war Grete Daurer , später verheiratete Rehor , von 1966 bis 1970 die erste Ministerin Österreichs. Die junge Hilfssekretärin der christlichen Textilarbeitergewerkschaft avancierte zur einzigen Repräsentantin der Einheitsgewerkschaft des Ständestaates , die sich öffentlich für die Berechtigung von Frauenerwerbsarbeit und damit gegen die dominante Gewerkschaftslinie positionierte.83 Auf der ersten Reichskonferenz der Textilarbeitergewerkschaft 1936 formulierte die damals 26-Jährige ihre Frauenforderungen , die denen der Sozialdemokratie Ende des 19. Jahrhunderts ähnelten : keine Überstunden , Einhaltung der Arbeitszeit , Errichtung von Gewerbeinspektoraten mit Inspektorinnen , gleicher Lohn für gleiche Arbeit sowie die Schaffung von Frauensektionen. Letzteres war ihr in ihrer eigenen Textilarbeiter( i nnen )-Gewerkschaft im ersten Halbjahr 1935 auch gelungen. Daurer hatte die Leitung inne , bis sie offiziell aufgrund der „Doppelverdiener-Verordnung“ aus dem Erwerbsleben ausschied.84 Im Vorstand der Einheitsgewerkschaft wurde keine Frau nominiert , jedoch scheinen im Jahre 1936 zwei Frauen in der Leitung der Bekleidungsarbeitergewerkschaft auf.85 Als weitere frauenspezifische Aktion der Einheitsgewerkschaft gilt die Veranstaltung der Frauenkonferenz der Handelsangestellten am 28. November 1937 in Graz. Das zentrale Referat hielt Elly Peissler über den „Beitrag der Frauen zum Aufbau der neuen ständischen Ordnung“.86 Bandhauer-Schöffmann thematisierte in ihren Publikationen auch Konkurrenzen und verschiedene Standpunkte unter den katholischen Protagonistinnen , vor allem zwischen Motzko-Seitz und ihrer Gegenspielerin Emma Kapral.87 Besonders die Interviews , die sie Anfang der 1980er-Jahre mit damals noch lebenden zentralen Akteurinnen geführt hatte , fungieren als aussagekräftige Zeugnisse dafür.88 Motzko-Seitz , im 81 Vgl. Dostal ( 2010 ), 656 ff. 82 Vgl. Schöffmann ( 1984 ) ; Bandhauer-Schöffmann ( 2005 ), 268. 83 Vgl. Pasteur ( 2008 ), 165 f. ; Frankenstein , Gerda ( 1994 ) : Grete Rehor : Gewerkschafterin – Parlamentarierin – Erste „Frau Minister“ Österreichs. Versuch einer Standortbestimmung zwischen dem katholischen Frauenleitbild der „Mütterlichkeit“ und der „Neuen Frauenbewegung“, Dipl.-Arb. , Wien ; Scheffl , Barbara ( 2009 ) : Die ÖVP-Politikerin Grete Rehor und ihr Einsatz für Frauen am Beispiel des Hausgehilfengesetzes , Dipl.-Arb. , Wien. 84 Sie soll in eine „Hinterziehungsaffaire“ involviert gewesen sein , vgl. Pasteur ( 2008 ), 165. Interessant erscheint in diesem Kontext , dass auch gegen Alma Motzko-Seitz eine Kampagne wegen angeblicher Finanzverfehlungen geführt wurde , vgl. Schöffmann ( 1984 ), 355. 85 Dabei handelte es sich um Elise Koszik und Antonie Jung , vgl. Pasteur ( 2008 ), 166. 86 Vgl. Pasteur ( 2008 ), 166 f. 87 Vgl. Schöffmann ( 1984a ), 249–358 ; zu Emma Kapral vgl. Hauch ( 1995a ), 275–279. 88 Die Transkripte befinden sich am Institut für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte der Universität Wien.
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November 1935 zum Rücktritt gezwungen und mit einer öffentlichen von der Amtskirche geführten Kampagne konfrontiert ,89 entschied sich gegen die Katholische Aktion und für den Eintritt in das Frauenreferat der Vaterländischen Front. Der autoritäre christliche Ständestaat versuchte vergeblich , einen totalitären Kommunikationsraum wie die „vollfaschistischen Staaten“ Italien und Deutschland zu schaffen. Dort evozierten systemkonforme Massenbewegungen , totalitäre Medien und gegenseitige , lebensbedrohliche zivile Überwachung im Alltag eine Verunsicherung und Desorientierung der Einzelnen bezüglich ihrer Selbst- und Weltwahrnehmung.90 Die Zwangsmaßnahmen der Rekatholisierung und Remaskulinisierung im autoritären Ständestaat unter maßgeblicher Federführung von Repräsentanten der alten Mächte Adel und Klerus begleiteten die steigend enthusiasmierte Stimmung für den Nationalsozialismus – auch von Frauen. VI. Akteurinnen in Opposition zum autoritären Ständestaat : Nationalsozialistinnen und völkische Frauen Der Einbruch der „Männerpartei“ NSDAP in das als relativ stabil eingeschätzte christlichsoziale und deutschnationale Wählerinnenklientel wurde bei den Landtagswahlen 1932 offensichtlich. Die Anteile von männlichen und weiblichen WählerInnenstimmen der NSDAP glichen sich an , jedoch machten die Frauenstimmen für die anderen Parteien nach wie vor die große Mehrheit aus.91 Die steigende Attraktivität der NSDAP für immer breiter werdende Frauenschichten und für große Teile der an Perspektiven armen Jugend , vor allem nach dem Februar 1934 , thematisieren zahlreiche Studien von Johanna Gehmacher. Dabei verbindet sie ihre Analyse der Bedeutung der Geschlechtszuschreibung für das Engagement in illegalen NS-Gruppen mit der Politik des autoritären christlichen Ständestaates , mit regionalen Strukturdifferenzen und Besonderheiten und thematisiert die Situation in verschiedenen Bundesländern.92 Die Notwendigkeit , den Kampf um die Jugend zu führen , war den federführenden Politikern des autoritären christlichen Ständestaates zwar bewusst , allerdings scheiterten die Projekte „Österreichischer Jugendbund“ und „Österreichisches Jungvolk“, auch unter dem Fokus des Generationenkonfliktes , der die „Hitler-Jugend“ so attraktiv machte.93 Der Begriff „Hitler-Jugend“ ( HJ ) umfasste beide nach Geschlechtern getrennten Jugendorganisationen. Für die männlichen Jugendlichen galt jedoch dieselbe geschlechtsneutrale Bezeichnung , während die weiblichen im „Bund deutscher Mädel“ ( BDM ) organisiert waren. Das heißt , sie waren semantisch immer nur ein Teil des Ganzen , was 89 Vgl. Bandhauer-Schöffmann ( 2005 ), 268 ; Schöffmann ( 1984 ), 355. 90 Vgl. Mattl ( 2008 ), 64. 91 Vgl. Gehmacher , Johanna ( 1998 ) : Das Wahlrecht als Waffe ? Deutungsmuster geschlechtsspezifischen WählerInnenverhaltens am Ende der Ersten Republik. In : Diendorfer , Gertraud / Jagschitz , Gerhard / R athkolb , Oliver ( Hg. ) : Zeitgeschichte im Wandel. Tagungsband zu den 3. Österreichischen Zeitgeschichtetagen 1997 , Wien , 256–262. 92 Vgl. Gehmacher , Johanna ( 1995 ) : Illegale nationalsozialistische Jugendorganisierung in Österreich 1933–1938 : Mobilisierungsmuster im Regionalvergleich. In : Albrich , Thomas / Matt , Werner ( Hg. ) : Geschichte und Region. Die NSDAP in den 30er Jahren im Regionalvergleich. Forschungsberichte – Fachgespräche , Dornbirn , 101–113. 93 Vgl. Gehmacher ( 1994 ), 400–423 ; Dostal ( 2010 ), 645.
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die weibliche Zweitrangigkeit unterstrich. Dieses Strukturmerkmal für das hierarchische Geschlechterverhältnis innerhalb der HJ zieht Gehmacher als roten Faden durch ihre Arbeiten , wobei sie dem Faktum der „Illegalität“ eine besondere Bedeutung zuschreibt.94 In der ersten Phase der Illegalität , die vor allem von aktionistischer Militanz geprägt war , wie Bomben zünden , dominierten die Burschen. Viele von ihnen flohen nach illegalen Aktionen , verfolgt und ohne berufliche Perspektive , über die grüne Grenze in die „Österreichische Legion“ nach Deutschland.95 Allerdings konnten in dieser Zeit , als es noch keine geschlechtsspezifisch getrennten Gruppen gab , in der propagierten „Kameradschaft“ der Ausnahmesituation die Geschlechterhierarchien verwischen : Einzelne terroristische Aktivitäten von Frauen sind feststellbar.96 Die durchwegs dominante Definition von den jungen Nationalsozialistinnen als unpolitisch korrespondierte mit Überlegungen der ständestaatlichen Behörden , die Mädchen und Frauen als weniger gefährlich einschätzten. Dies wussten die illegalen Gruppen strategisch zu nutzen und setzten die Dank ihres Geschlechts geschützteren Frauen bei illegalen Aktionen , wie dem Transport von Flugblättern oder Munition , ein.97 Das Juliabkommen 1936 brachte viele Erleichterungen für die österreichischen NationalsozialistInnen und der illegalen NS-Mädchenarbeit eine massive Förderung vonseiten der Reichsjugendführung in Berlin. Ab diesem Zeitpunkt wurde explizit nicht mehr der Aktivismus von konspirativen Gruppen , sondern die Verbreitung nationalsozialistischer Ideologie in getarnten legalen Gruppen unterstützt. So führte die Schwäche der ständestaatlichen Jugendorganisationen zur Unterwanderung ganzer Ortsgruppen. Die monogeschlechtliche Organisierung setzte zudem bei den Mädchen und jungen Frauen eine Identitätsentwicklung in Gang. Die legale Herausgabe einer Mädchenzeitschrift , Heimabende , Ausflüge und mehrtägige Lager – die als nicht politisch erinnert wurden – eröffneten neue Erlebnisräume abseits von Elternhaus und Schule , ohne die Mädchen mit dem – möglicherweise abschreckenden – militaristischen Impetus der HJ in Berührung zu bringen.98 Auch Johanna Gehmacher gelang es in den 1990er-Jahren ( noch ), Interviews mit ehemaligen Akteurinnen zu führen , die differenzierte subjektive Einblicke 94 Vgl. Gehmacher , Johanna ( 1990 ) : „Ostmarkmädel“. Anmerkungen zum Illegalen Bund deutscher Mädel in Österreich ( 1933–1938 ). In : Gravenhorst , Lerke / Tatschmurat , Carmen ( Hg. ) : TöchterFragen. NS-Frauen-Geschichte , Freiburg i. Br. , 253–296 ; Gehmacher ( 1995 ). 95 Vgl. Gehmacher , Johanna ( 1996 ) : Fluchten , Aufbrüche. Junge Österreicher und Österreicherinnen im nationalsozialistischen Deutschland 1933–1938. In : Horvath , Traude / Neyer , Gerda ( Hg. ) : Auswanderungen aus Österreich : von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis zur Gegenwart , Wien , 211– 232 ; Reiter-Zatloukal / Rothländer ( 2010 ), 143 ff. 96 Vgl. Gehmacher ( 1994 ), 321 ff. 97 Vgl. Gehmacher , Johanna ( 2002 ) : Der nationalsozialistische „Bund Deutscher Mädel“ in Österreich. In : Tálos , Emmerich / Hanisch , Ernst / Neugebauer , Wolfgang / Sieder , Reinhard ( Hg. ) : NSHerrschaft in Österreich. Ein Handbuch , Wien , 467–493 : 475. 98 Vgl. Gehmacher , Johanna ( 2007 ) : Biografie , Geschlecht und Organisation : Der „Bund Deutscher Mädel“ in Österreich. In : Reese , Dagmar ( Hg. ) : Die BDM-Generation. Weibliche Jugendliche in Deutschland und Österreich im Nationalsozialismus , Berlin , 159–213 : 173 ff. Im Jänner 1938 sollen 10.080 Mädchen und junge Frauen dem BDM angehört haben. Vgl. dazu Weber-Stumfohl , Herta ( 1939 ) : Ostmarkmädel. Ein Erlebnisbuch aus den Anfangsjahren und der illegalen Kampfzeit des BDM in der Ostmark , Berlin , zit. nach : Gehmacher ( 1995 ), 103.
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IV. Politik und Gesellschaft
in damalige Lebenswelten erlauben.99 Ein besonderes Spannungsverhältnis ergab sich durch die geschlechtsspezifisch unterschiedlichen Wahrnehmungsweisen des Verhältnisses von legaler und illegaler NS-Jugendarbeit.100 Eine interdisziplinäre Untersuchung der Ausbürgerungspraxis – auf Basis des Kriegswirtschaftlichen Ermächtigungsgesetzes 1917 – von Ilse Reiter-Zatloukal und Christiane Rothländer zeigt anhand der Bundespolizeidirektion Wien , dass der Frauenanteil an den Ausbürgerungen äußerst gering war. Daraus kann allerdings , wie die Autorinnen konstatieren , kein direkter Schluss über eine geringere illegale nationalsozialistische Tätigkeit von Frauen gezogen werden.101 Dieser Befund aus neu erschlossenen Quellen basiert bereits in diskursiver ebenso wie handlungsorientierter Hinsicht auf dem zweiten Schwerpunkt der Forschungsarbeiten von Gehmacher zum autoritären christlichen Ständestaat , der Konstruktion der „Völkischen Frauenbewegung“. In dieser als „neu“ apostrophierten Frauenbewegung sammelten sich das weibliche Klientel der Großdeutschen Volkspartei ebenso wie deutschnational gesinnte Frauen des BÖVF102 und die seit 1933 in der Illegalität agierenden Nationalsozialistinnen.103 Basierend auf dem integrierenden Begriff der „deutschen Volksgemeinschaft“, der geschlechtsspezifisch die deutsche beziehungsweise „arische“ Mutter mit Volk verknüpfte , bildete das „Kampfbündnis“ zwischen GDVP und NSDAP vom 15. Mai 1933 die Brücke zwischen den verschiedenen Milieus.104 Das einigende Konstrukt der „Volksgemeinschaft“, das heißt des „deutschen Volkes“ als „Rasse“, basierte auf einem Geschlechterverhältnis , das die Zugehörigkeit zum „Volk“ mit der Abstammung verknüpfte und die sexuellen Beziehungen zu entscheidenden Ein- und Ausschlusskriterien stilisierte.105 Das Ziel der NS-Frauenpolitik war , eine rassistisch unterlegte , klassen- und milieuübergreifende Interessens identität von ( deutschen ) Frauen herzustellen und die Staatsbürgerin der demokratischen Republik durch die arisch / deutsche Hausfrau zu ersetzen. Da ihrer Meinung nach jede Frau auch Hausfrau wäre , konnten sie gleichzeitig die Forderung nach Gleichstellung von berufstätigen und ledigen mit verheirateten Frauen in ihr Programm integrieren und rassistisch fokussiert eine Facette der modernen Geschlechterkonzeptionen vertreten. 99 Vgl. Gehmacher , Johanna ( 1999 ) : Zukunft , die nicht vergehen will. Jugenderfahrungen in NSOrganisationen und Lebensentwürfe österreichischer Frauen. In : Benninghaus , Christina / Kohtz , Kerstin ( Hg. ) : „Sag mir , wo die Mädchen sind …“ Beiträge zur Geschlechtergeschichte der Jugend , Köln / Weimar / Wien , 261–274 ; Gehmacher ( 1990 ). 100 Vgl. Gehmacher ( 2007 ), 182. 101 Vgl. Reiter-Zatloukal / Rothländer ( 2010 ), 146 ff. 102 Zum Beispiel etliche Protagonistinnen des dem BÖFV angehörenden „Vereins für Fraueninteressen“ in Linz , vgl. Hauch ( erscheint 2013 ). 103 Vgl. Gehmacher , Johanna ( 2001 ) : Nachfolgeansprüche. Deutschnationale und nationalsozialistische Politik und die bürgerliche Frauenbewegung. Österreich 1918–1938. In : Gerhard , Ute ( Hg. ) : Feminismus und Demokratie. Europäische Frauenbewegungen der 1920er Jahre , Königsstein / Taunus , 159–175. 104 Vgl. Gehmacher , Johanna ( 1996 ) : „Volksgemeinschaft der Frauen“ ? Diskurse und Strategien deutschnationaler Geschlechterpolitik in Österreich 1918–1938. In : L’Homme. Z.F.G. Jg. 7 ( 1996 ), Heft 1 , 159–169. 105 Gehmacher , Johanna ( 1998a ) : Die Eine und der Andere. Moderner Antisemitismus als Geschlechtergeschichte. In : Bereswill , Mechthild / Wagner , Leonie ( Hg. ) : Bürgerliche Frauenbewegung und Antisemitismus , Tübingen , 101–120 : 104.
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Vom Verbot der NS-Organisationen im Frühjahr 1933 blieb aufgrund einer Umbe nennung der „Bund nationaler deutscher Frauen Wiens“ ausgenommen. Die vorwiegend von Frauen getragenen deutschnationalen Netzwerke fungierten als wirkungsvolle , die Attraktivität des Nationalsozialismus steigernde soziale Hilfseinrichtungen und als Tarnung der illegalen politischen NS-Organisationen.106 Die bereits 1931 als „Kampfbündnis“ der NS- und GDVP-Frauen definierte „Völkische Nothilfe“, die „Deutsche Nothilfe“ seit 1933 und die „Volkshilfe“ seit 1935 verdankten ihre Existenz auch dem Engagement der ehemaligen Nationalratsabgeordneten der GDVP Marie Schneider , die als „Aktivis tin am Rande der Legalität“ jonglierte und auch Verbindungen zum BÖFV unterhielt. Ab 1935 zahlte sie ihren Mitgliedsbeitrag zur illegalen NSDAP aus Tarnungsgründen an Franz Langoth in Linz.107 Aus den Gemeinsamkeiten und Kontinuitäten in deutschnational frauenbewegten Milieus folgert Gehmacher , dass diese wesentlich zur sozialen Stabilisierung und Verbreiterung der Ideologie der NSDAP in Österreich beitrugen.108 Unterstützt wurde dieses Frauen-Unterfangen durch die Einschätzung der Behörden des autoritären christlichen Ständestaates , dass Frauen nicht zur Gruppe gefährlicher politischer AktivistInnen zählen und ihnen , als unpolitischem Geschlecht , keine wesentliche Wirkungs- und Deutungsmacht zukommen würde. Das heißt , der ständestaatliche politische Androzentrismus trug nicht nur wesentlich zur Stärkung des Nationalsozialismus bei , sondern auch zur Unterminierung des Ständestaates selbst. VII. Einzelne Spuren : die linke Opposition gegen den autoritären christlichen Ständestaat Als nach dem Zusammenbruch der Creditanstalt 1930 die Weltwirtschaftskrise in ihrer vollen Macht Österreich traf , entwickelten sich die beiden Sündenbock-Ideologeme „die Juden sind schuld“ und „die Frauen nehmen Familienvätern die Arbeit weg“ zu Selbstläufern. Fast verzweifelt anmutend , versuchte die Sozialdemokratin Adelheid Popp in der Frauentagsbroschüre 1933 , psychologisch zu erklären , warum der Diskurs um das „Doppel-Verdienertum“ immer mehr unkritische Verbreitung fand.109 Dies zu erleben , die Aufbauarbeit der jungen Ersten Republik Österreich in der autoritären christlichen Politik revidiert zu sehen , prägten den Lebensabend etlicher Pionierinnen der Modernisierung der Geschlechterverhältnisse in diesen Jahren – in Melancholie und Radikalisierung. 106 Vgl. Gehmacher , Johanna ( 1999a ) : Agitatorinnen. Zur Politisierung von Frauen in nationalsozialistischen Kontexten. In : Lechner , Manfred / S eiler , Dietmar ( Hg. ) : zeitgeschichte.at. 4. Österreichischer Zeitgeschichtetag 99 , Innsbruck / Wien / München-Bozen , 119–125. 107 Vgl. Gehmacher , Johanna / Hauch , Gabriella ( 1995 ) : Eine „deutsch fühlende Frau“. Die großdeutsche Politikerin Marie Schneider und der Nationalsozialismus in Österreich. In : Frauenleben 1945. Kriegsende in Wien. Katalog zur 205. Sonderausstellung des Historischen Museums der Stadt Wien , 21. September–19. November 1995 , Wien , 115–132. Vgl. auch Gehmacher ( 1998 ), 213–221. 108 Vgl. Gehmacher , Johanna ( 2000 ) : Selbst / Darstellungen und Allianzen. „Völkische“ Frauen in Österreich. In : Korotin , Ilse / S erloth , Barbara ( Hg. ) : Gebrochene Kontinuitäten ? Zur Rolle und Bedeutung des Geschlechterverhältnisses in der Entwicklung des Nationalsozialismus , Innsbruck / Wien / Bozen , 216–233. 109 Vgl. Popp , Adelheid ( 1933 ) : Frauentag 1933. In : Frauentag 1933 , Wien , 3.
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IV. Politik und Gesellschaft
Das Verbot der SDAP und der Kommunistischen Partei bedeutete auch das Verbot der – zumindest in ihren Grundsätzen – für Frauenemanzipation und Frauenbefreiung stehenden Parteien. Deren Akteurinnen sind während des autoritären christlichen Ständestaates in klandestinen Widerstandsgruppen , in innerer Emigration und in Gefängnissen110 sowie – möglicherweise – als Überläuferinnen aufseiten der Machthaber111 oder der NSDAP zu finden. Die geschlechtsspezifischen Facetten des Aufstandes des Republikanischen Schutzbundes im Februar 1934 wurden bislang weder auf Schutzbund- noch auf Heimwehr-Polizei-Bundesheer-Seite thematisiert , allerdings liegen Einzelinformationen sowie erste Arbeiten vor.112 Dasselbe gilt für die Akteurinnen und die Geschlechterverhältnisse innerhalb der Revolutionären Sozialisten , der klandestinen Nachfolgeorganisation der SDAP und der Kommunistischen Partei , wiewohl in auto-/ biografischen Studien sowie in den vom Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstands herausgegebenen Bundesländer-Bänden zu „Verfolgung und Widerstand“ Spuren auszumachen sind.113 Geschlechtersensibler zeigt sich in dieser Hinsicht die Belletristik.114 110 Zum Beispiel Maria Emhart , Lisa Fischer oder Gabriele Proft. Zu Maria Emhart vgl. Marschalek , Manfred ( 1986 ) : Der Wiener Sozialistenprozess 1936. In : Stadler , Karl R. ( Hg. ) : Sozialistenprozesse. Politische Justiz in Österreich 1870–1936 , Wien / München / Zürich , 429–490 ; zu Lisa Fischer vgl. Prost ( 1989 ), 255–287 : 264–273 ; zu Gabriele Proft vgl. Hauch ( 1995a ), 296 f. , und Angerer , Marie Louise ( 1989 ) : Gabriele Proft „Faust soll zwischen 1480 und 1540 gelebt haben“. In : Prost ( 1989 ), 187–221. 111 Die illegal erscheinende sozialdemokratische Arbeiter-Zeitung denunzierte Elly Peissler , die bei der Frauenkonferenz der Handelsangestellten der Einheitsgewerkschaft am 28. November 1937 in Graz referiert hatte , mit einer krude sexistischen Figur : „Es gibt verschiedene Formen der Prostitution , die sexuelle ist nicht immer die allerhässlichste“, vgl. Pasteur ( 2008 ), 166 f. Neben der Option Peisslers , nun für die Einheitsgewerkschaft tätig zu sein , könnte sie jedoch auch Mitglied der Kommunistischen Partei oder der NSDAP geworden sein , die die ‚Unterwanderung‘ der Einheitsgewerkschaften ernsthaft betrieben. 112 Zum Beispiel die oben erwähnte Elly Peissler , die am 11. Februar 1934 in einer Rede zum Kampf mit der Waffe aufgerufen hatte , vgl. Pasteur ( 2008 ), 136 f. ; Mauder , Maria ( 1989 ) : Frauen im Februar 1934 , Dipl.-Arb. , Wien ; Helfert , Veronika ( 2010 ) : Geschlecht.Schreiben.Politik. Frauentagebücher im Februar 1934 , Dipl.-Arb. , Wien ; Helfert , Veronika ( erscheint 2013 ) : „Lieber Gott ( … ) lasse mich sterben – u. schenke dafür Wien Frieden u. Segen.“ Politik schreiben. Das Tagebuch Berhardine Almas , 1934. In : Hämmerle , Christa / G erhalter , Li ( Hg. ) : Tagebücher von Frauen im 20. Jahrhundert , Wien ; in Oberösterreich wurden Frauen wegen „Teekochens“ für am Aufstand Beteiligte inhaftiert , vgl. Hauch ( erscheint 2013 ) ; Bauer , Ingrid ( 1988 ) : „Tschickweiber haum’s uns g’nennt …“ Frauenleben und Frauenarbeit an der „Peripherie“, Wien. 113 Vgl. Steiner , Herbert ( 1973 ) : Biographische Anmerkungen. In : ders. ( Hg. ) : Käthe Leichter. Leben und Werk , Wien , 11–229 ; Gardiner , Muriel ( 1989 ) : Deckname Mary. Erinnerungen einer Amerikanerin im österreichischen Untergrund. Mit einem Vorwort von Anna Freud , Wien ; auch in den biografischen Studien zu den sozialdemokratischen National- und Bundesratsabgeordneten , vgl. Hauch ( 1995a ) und Prost ( 1989 ). Hanna Lichtenberger arbeitet derzeit an der Universität Wien an einer Diplomarbeit über Psychoanalytikerinnen im klandestinen Widerstand gegen den autoritären christlichen Ständestaat. 114 Vgl. die Frauengestalten und Inszenierungen von Männlichkeit / en und Geschlechterbeziehungen. In : Franzobel ( 2007 ) : hunt oder Der totale Februar , Weitra ; uraufgeführt im Kohlerevier des Hausruckviertels , OÖ , Sommer 2005 , vgl. Müller , Chris ( 2009 ) : Von den Schmauchspuren des Bürgerkriegs zum Theaternebel. In : Kepplinger / Weidenholzer ( Hg. ) ( 2009 ), 85–112 ; sowie : Reichart , Elisabeth ( 1984 ) : Februarschatten , Wien.
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Als zentrale Imaginationsfigur prägte der virile Kämpfer die politische Kultur der Ersten Republik ebenso wie das gewaltvolle Ende der parlamentarischen Demokratie.115 Idealisierungen dieses Typus von Männlichkeit waren in den Organisationen der Arbeiterbewegung ebenso zu finden wie in Frontkämpferverbänden , der Roten Garde , der Volkswehr oder in der Heimatschutzbewegung. Kämpferinnen in Waffen sind für Österreich nicht bekannt. Brachte dieses Ideal der wehrhaften Männlichkeit , unterstützt von Abenteuerlust , vor allem junge Nationalsozialisten in die „Österreichische Legion“ in NS-Deutschland , machten sich ab 1936 vermehrt junge Männer der Linken auf , um in Spanien nach dem falangistischen Putsch der Armee im Sommer 1936 mit der Waffe die Republik zu verteidigen oder der Revolution zum Durchbruch verhelfen. Auch junge Österreicherinnen engagierten sich im Spanischen Bürgerkrieg auf der republikanischen Seite , als Ärztinnen , Krankenschwestern , Röntgenassistentinnen oder Dolmetscherinnen , wie es der geschlechtsspezifischen Segregation entsprach.116 Abseits von einzelnen Hinweisen fehlt jedoch eine systematische Aufarbeitung von Geschlechterverhältnissen oder Geschlechterzuschreibungen , von AkteurInnen , geschlechtsspezifischen Diskursen und Erfahrungen der jungen linken Opposition zum autoritären christlichen Ständestaat ebenso wie für die alten Eliten von Sozialdemokratie und Kommunistischer Partei , im Zentrum Wien ebenso wie in der österreichischen Provinz. 1934 betonte die Sozialwissenschaftlerin Käthe Leichter die strukturelle Bedeutung von Frauendiskriminierung für jedes repressive politische System , auch für den „Christlichen Ständestaat“, und meinte , dass es den Sozialdemokratinnen gut anstehen würde , wieder in die Position von „Frauenrechtlerinnen“ zu schlüpfen.117 Diese hatten nach dem Ersten Weltkrieg die ( Reaktivierung der ) Sozialistische( n ) Fraueninternationale dominiert118 und über gemeinsame internationale Projekte ein Netzwerk aufgebaut , das auch nach dem Verbot der SDAP und der Gründung der Revolutionären Sozialisten bestehen blieb. Fünf österreichische Sozialdemokratinnen nahmen unter falschem Namen an der Internationalen Studienwoche in Brüssel im August 1936 teil , die vom Frauensekretariat der Sozialistischen Arbeiter-Internationale veranstaltet wurde und wo die junge Helga Potetz über den Widerstand gegen den Ständestaat referierte. Zu einer weiteren Zusammenkunft kam es im Jahr darauf , als zum Begräbnis von Leopoldine Glöckel etliche
115 Hanisch , Ernst ( 2005 ) : Männlichkeiten. Eine andere Geschichte des 20. Jahrhunderts , Wien / Köln / Weimar , 17–126. 116 Vgl. Landauer , Hans ( 2003 ) : Lexikon der österreichischen Spanienkämpfer 1936–1939 , Wien , 30–37 ( Die Frauen und der Sanitätsdienst ) ; Nicht alle erreichten Spanien , wie die beiden Linzerinnen Gisela Taurer verh. Tschofenig und Margarethe Gröblinger , die nur bis Lyon kamen : vgl. Gugglberger , Martina ( 2006 ) : „Versuche , anständig zu bleiben.“ – Widerstand und Verfolgung von Frauen im Reichsgau Oberdonau. In : Hauch , Gabriella ( Hg. ) : Frauen in Oberdonau. Geschlechtsspezifische Bruchlinien im Nationalsozialismus , Linz , 281–343 : 314 ff. 117 Vgl. Der Kampf der Frauen um ihre Rechte. Käthe Leichters letzte Rede. In : Internationaler Frauentag 1947 , Wien , o. S. 118 Vgl. Hauch , Gabriella ( 2011 ) : „Eins fühlen mit den Genossinnen der Welt“. Kampf- und Feiertage der Differenz : Internationale Frauentage in der Ersten Republik Österreich. In : Niederkofler , Heidi / Mesner , Maria / Z echner , Johanna ( Hg. ) : Frauentag. Erfindung und Karriere einer Tradition , Wien , 60–105.
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internationale Sozialistinnen anreisten.119 Frauen , nicht nur der organisierten Linken , verließen jedoch auch das ständestaatliche Österreich in die Emigration beziehungsweise folgten etliche ihren nach dem Februar 1934 von Hinrichtung und Gefängnisaufenthalten bedrohten Männern in die Sowjetunion oder westliche Staaten.120 Auch hier fehlt eine systematische Aufarbeitung , wenngleich mit den ersten publizierten Forschungsergebnissen , wie erwähnt , von Reiter-Zatloukal und Rothländer zur geschlechtsspezifischen Ausbürgerungspolitik von 1933 bis 1938 eine Quellensorte erschlossen wurde , die einen Schritt in diese Richtung weist.121 VIII. Ausblick Ein weiterer zentraler vor allem auch unter geschlechtsspezifischem Fokus zu erschließender Quellenbestand ist der nun im Österreichischen Staatsarchiv einzusehende sogenannte Moskauer Bestand „Generalsekretariat der Vaterländischen Front“.122 Auf Basis dieser Dokumentensammlung scheint eine vertiefende Rekonstruktion der frauen- und männerspezifischen Politiken ebenso möglich wie die Analyse der Geschlechterkonstruktionen in den Inszenierungen und Repräsentanzen sowie den staatlichen Institutionen und Maßnahmen des autoritären christlichen Ständestaates. Als weitere Quellenbestände zur Erforschung des systemimmanenten beziehungsweise affirmativen Politikfeldes könnten zeitgenössische Zeitungen , Zeitschriften und andere Publikationen herangezogen sowie eine systematische Durchforstung von Nachlässen in in- und ausländischen Archiven ( A msterdam , Washington , New York , London etc. ) durchgeführt werden. Ein zentrales Forschungsdesiderat umfasst die explizit geschlechterpolitische Perspektivierung der Frage nach Kontinuitäten und Brüchen von autoritärem christlichem Ständestaat / „Austrofaschismus“ und Nationalsozialismus. Differenzierte Fragstellungen nach der Geschlechtsspezifik des Antisemitismus als kultureller Code bieten sich als integrierende Klammer an. Ein weiterer Ansatz für künftige Forschungen liegt in der Bezogenheit der jeweiligen Identitätspolitiken von Regime und Opposition und inwiefern diese über die Konstruktion von Geschlechterverhältnissen und 119 Vgl. Bandhauer-Schöffmann , Irene ( 2011 ) : Absenz , Resistenz und Erinnerung. Frauentage zwischen 1933 und 1945 und die Thematisierung von Faschismus und Krieg. In : Niederkofler et al. ( 2011 ), 106–139 : 121. Leopoldine Glöckel ( 1871–1937 ) hatte sich im Allgemeinen Österreichischen Frauenverein engagiert , bevor sie der SDAP beitrat , wo die Wiener Gemeinderätin und Landtagsabgeordnete der Ersten Republik dem Frauen-Zentralkomitee angehörte. Sie war Lehrerin und mit dem Schulreformer und Unterstaatssekretär für Unterrichtswesen 1919–1920 Otto Glöckel verheiratet. 120 An dieser Stelle seien exemplarisch genannt : Mayenburg , Ruth von ( 1978 ) : Hotel Lux , München ; die Kommunistin Anne Salomon , vgl. Fallend , Karl ( 1992 ) : Anne Salomon. In : Fallend , Karl / Reichmayr , Johannes ( Hg. ) : Siegfried Bernfeld oder die Grenzen der Psychoanalyse , Frankfurt / Main , 70 ff. ; Lepoldine Münichreiter und ihre drei Kinder , die Witwe eines der hingerichteten Schutzbundkämpfer , vgl. McLoughlin , Barry / S chafranek , Hans / Szevera , Walter ( 1997 ) : Aufbruch – Hoffnung – Untergang. Österreicherinnen und Österreicher in der Sowjetunion 1925–1945 , Wien , 578–585 ; unter den Emigranten waren auch SozialdemokratInnen wie Emmy Freundlich , vgl. Hauch ( 1995a ), 259– 264 ; desgl. Bechtel , Beatrix ( 1989 ) : Emmy Freundlich. In : Prost ( 1989 ), 89–133. 121 Vgl. Reiter-Zatloukal / Rothländer ( 2010 ), 135 ff. Zwei Monografien sind in Vorbereitung. 122 ÖSTA , AdR , 514.
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-beziehungen gestaltet wurden. Die Einbeziehung von handlungsorientierten Perspektiven legt nahe , mittels biografischer Studien mit sozialgeschichtlichem Fokus die Geschlechtsspezifik von Handlungs / spiel / räumen in den Blick zu nehmen. Spuren dafür könnten in Nachlässen von EmigrantInnen verschiedener politischer Couleur wie in Österreich verbliebener politischer ProtagonistInnen gefunden werden. An dieser Stelle sei darauf hinzuweisen , dass die Frauen- und Geschlechtergeschichte ebenso wie die Politikgeschichte speziell der katholischen Frauenbewegung über die politischen Systembrüche hinweg bislang relativ wenig Aufmerksamkeit gewidmet hat. Forschungsdesiderata , die Klandestinität wie die Emigration linker Frauen betreffend , wurden bereits formuliert. Deutlich wurde in diesem Abschnitt , dass die Etablierung des autoritären christlichen Ständestaates für Frauen bedeutet hatte , ihre nicht lange zu erprobende politische Subjekthaftigkeit wieder zu verlieren. Diese geschlechtsspezifische politische Zäsur ist durch eine wissenschaftsgeschichtliche Perspektive zu erweitern , denn sie bedeutete auch den intellektuellen Aderlass einer noch jungen Wissenschaftstradition in Österreich – vor der Machtergreifung des Nationalsozialismus in Österreich. Käthe Leichter , Marie Jahoda , Lucy Varga , Marie Langer , Goldy ParinMatthey oder Margarethe Schütte-Lihotzky , um nur einige zu nennen , waren nicht nur intellektuell feinsinnige Analytikerinnen , sondern sich auch der Wirkungsmacht der Kategorie Geschlecht für Gesellschaft und Wissenschaft bewusst , was in ihren wissenschaftlichen Arbeiten zum Ausdruck kam. Das heißt , mit der Gründung des autoritären christlichen Ständestaates verschwanden erste Ansätze einer Wissenschaftstradition , die in Österreich erst wieder in den 1970er-Jahren aufgegriffen wurde und die seitdem gegen den vorherrschenden Androzentrismus – auch – in der Politikgeschichte Österreichs anschreibt. Der Systembruch von Monarchie zu Republik , als Österreichische Revolution im his toriografischen Kanon bezeichnet , wurde – neben anderen Paradigmen – zentral an der Abschaffung der politischen Ausschlusskategorie Geschlecht und der neuen Existenz der Staatsbürgerin festgemacht.123 Dass angesichts dieses wissenschaftlichen Vorlaufs der Systembruch von parlamentarischer Republik zur Diktatur keine frauen- und geschlechtergeschichtlichen Perspektivierungen in der Geschichtsschreibung nach sich gezogen hat , ist angesichts der Programmatik von Rekatholisierung , Remaskulinisierung und Frauendiskriminierung des autoritären christlichen Ständestaates schwerlich nachzuvollziehen. Die Aufhebung der bürgerlichen Freiheiten und die Schaffung einer auf Berufsständen basierenden Gesellschaftsstruktur bedeuteten den Beginn eines nachhaltigen Rückschlags für die Institutionalisierung von Geschlechtergerechtigkeit ebenso wie einer geschlechtersensiblen ( Geschichts-)Wissenschaft in der Zweiten Republik Österreich.
123 Hanisch , Ernst ( 1994 ) : Der lange Schatten des Staates. Österreichische Gesellschaftsgeschichte im 20. Jahrhundert , Wien , 268.
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Archiv Österreichisches Staatsarchiv , AdR
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Julie Thorpe
Education and the Austrofascist State ‘The Austrofascist child’s state’ might be the title for a forthcoming publication on the Austrian Ständestaat. While historians already know a great deal about children in Nazi Germany and Fascist Italy , we know very little about their Austrian counterparts other than a handful of memoirs by émigré authors who wrote down their childhood experiences after fleeing the Nazi takeover of their country of birth in 1938.1Political-social analyses of the elementary and high school curriculum under Austrofascism reveal the ideological agenda behind the Ministry of Education’s new textbooks in 1935 , but offer only a partial glimpse of the process of fascistization from above and below. Photographs of uniformed boys and girls , marching with flags , and attending rallies orga nized by the Austrofascist youth brigade , populate the picture of a state propagating the cult of youth in ‘New Austria’. But there remains a great deal more to be said about this fascinating topic of education under the Austrofascist state. Social and cultural histories of children’s lived experience of fascist dictatorships in Italy and Germany , including school and extra-curricular activities , provide a historiographical and methodological framework in which to explore the Austrian child’s view of the state.2 This is a necessary conceptual shift from the narrowly national perspective that dominates histories of education from the Habsburg empire to the collapse of the Nazi state in Austria. Moreover , it is in the context of the state’s training of new Austrian citizens that the Ministry of Education’s curriculum plans and textbooks stand alongside other aspects of youth policy , such as the fraught relationship between state and church youth groups , or the issue of educating non-German-speakers , whose youth groups and bilingual schools were targeted by the state’s assimilationist policies. In other words , the picture of education under Austrofascism , as in the case of all histories of education under dictatorships , is necessarily more complex than curriculum plans and uniforms. 1 See , for example , Clare , George ( 1982 ) : Last Waltz in Vienna : The Destruction of a Family 1842– 1942 , London. 2 The literature on youth and fascism is too vast to cite here , but one of the notable studies for Italy is Koon , Tracy H. ( 1985 ) : Believe , Obey Fight : Political Socialization of Youth in Fascist Italy , 1922– 1943 , Chapel Hill. A recent comprehensive English-language study of Nazi educational and youth policy is Pine , Lisa ( 2010 ) : Education in Nazi Germany , Oxford and New York.
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IV. Politik und Gesellschaft
The purpose of this paper is to survey the existing literature on the topic of education and the Austrofascist state and to introduce some potential areas of inquiry for further research in the field. In the first section on historiography I argue that notwithstanding a recent revival of interest in Austrofascist school and youth policy positioning the Aus trian case alongside Fascist Italy and Nazi Germany , there continues to be a general absence of transnational methodologies in studies of Austrofascism reflecting a larger symptomatic of fascism studies more generally. In the second part of the paper , I introduce what I consider to be three useful themes for future research into the relationship between education ( both curricular and non-curricular ) and the Austrofascist state. These three themes are : commemoration of the First World War in the state’s curricular and extra-curricular activities ; the role of confessional education within the broader political and religious landscape of church-state relations ; and the nature of youth conformism and dissent in the Austrofascist state. While these themes have been touched upon in the existing literature to varying degrees of analysis , I argue that a rigorous transnational approach to these themes would place the Austrian example more visibly in the mainstream international scholarship on fascism elsewhere. I. The historiographical context A starting point for the current German-language literature on education in the Austrofascist state is Herbert Dachs’ chapter on schools in Emmerich Tálos’ and Wolfgang Neugebauer’s edited volume on Austrofascism.3 According to Dachs , the Austrofascist period signaled continuity with , rather than a departure from , the political instrumentalization of the Austrian school system under the First Republic. The collapse of the Habsburg monarchy ushered in an era of federal administrative regulation of Austrian schools with the souls of Austrian children becoming the prime battleground in the new republic. The first act on 19 April 1919 by the Social Democratic Undersecretary for Education , Otto Glöckel , to abolish compulsory religious education in schools has become a lieu de mémoire of that battleground in Austrian political historiography. That one of the first acts of the Dollfuss dictatorship in April 1933 was to overturn the Glöckel Decree , exactly fourteen years after it had been enacted on the grave of the Catholic monarchy , provides an alternative site of memory in the history of the Austrofascist state. Classroom crucifixes have thus become a site of contested memories of Austrian schools from the empire to the Nazi dictatorship. The reintroduction of religion into classrooms has been interpreted by Dachs and others as a top-down effort by Austrofascist bureaucrats to remake schools into state institutions of religious patriotism that failed in the face of a largely Social Democratic and German-nationalist teaching profession. The removal of teachers belonging to the socialist teachers’ unions in February 1934 cleared the way for the government to tighten control over the remaining teachers on condition that they join the Fatherland Front , while the introduction of new textbooks in 1935 signaled another step closer towards a coordi3 Dachs , Herbert ( 2005 ) : „Austrofaschismus“ und Schule : Ein Instrumentalisierungsversuch. In : Tálos , Emmerich / Neugebauer , Wolfgang ( Hg. ) : Austrofaschismus : Politik , Ökonomie , Kultur 1933– 1938 , Wien , 282–296.
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��������������������������������������������������� ��������������������������������������� : Education and the Austrofascist State
nated school system that served the interests of a one-party state. Since the Ministry of Education’s curriculum plan for 1935 to train Austrian youth ‘to feel , think and conduct themselves in a religious-moral , national , social and patriotic manner’ was sufficiently ambiguous to allow German-nationalist teachers to exploit the rhetoric of Austrian particularity towards their own end of promoting greater-German sympathies , the experiment in Austrofascist pedagogy could be regarded as a failure. But the evidence of teachers ( a long with many other Fatherland Front functionaries ) switching loyalties in 1938 does not explain how the process of coordinating a one-party school system in Austria was implemented in an era of radical right-wing governments , nor does it offer any perspective on the larger political , social , cultural and national aims of the Austrofascist state.4 The dearth of new research questions and methods in the field of Austrofascism and education is evident in the bibliography of Dachs’ chapter published in 2005. He cites two recent dissertations ( w ithin the past twelve years ) and one 1978 publication that deals specifically with the school system under the ‘authoritarian’ Austrian state.5 The rest of his sources , including his own 1982 publication , treat the Austrofascist period within a longer chronology of education policy and reform from the monarchy to the Second Republic.6 The five years of the Dollfuss-Schuschnigg dictatorship , as far as Aus trian historiography is concerned , are regarded as no more than an authoritarian experiment that undid the achievements of the reform-minded Glöckel era and held the Austrian education system captive to a religious and patriotic agenda out of step with the will of the population.7 Anglophone contributions tend to follow the trend of Austrian historians. John Rath’s work during the Second World War on Austrian ‘citizenship training’ in the authoritarian era is emblematic of the first wave of scholarly work on authoritarian and fascist countries in the United States and Britain.8 Rath was one of the forerunners in Anglo4 Thorpe , Julie ( 2010 ) : Austrofascism : Revisiting the ‘Authoritarian State’ Forty Years On. In : Journal of Contemporary History Jg. 45 ( 2010 ) Heft 2 , 315–343. 5 Erben , Friedrich ( 1999 ) : Schule und „Ständestaat“ – Die österreichische Schule und ihre Bedeutung für das autoritäre Regime 1934–1938 , Dipl.-Arb. , Wien ; Tancsits , Claudia ( 2002 ) : Manifestationen des Österreichbewusstseins im Schulwesen der Zwischenkriegszeit unter besonderer Berücksichtigung der Zeit von 1933 bis 1938 , phil. Diss. , Wien ; Sorgo , Wolfgang ( 1978 ) : Autoritärer „Ständestaat“ und Schulpolitik 1933–1938 , phil. Diss. , Wien. 6 See , for example , Dachs , Herbert ( 1982 ) : Schule und Politik. Die politische Erziehung an den österreichischen Schulen 1918–1938 , Wien / München ; Engelbrecht , Helmut ( 1988 ) : Geschichte des österreichischen Bildungswesens , Bd. 5 , Wien ; Fischl , Hans ( 1950 ) : Schulreform , Demokratie und Österreich 1918–1950 , Wien ; Battista , Ludwig ( 1948 ) : Die pädagogische Entwicklung des Pflichtschulwesens und der Lehrerbildung von 1848–1948. In : Loebenstein , Edgar ( Hg. ) : 100 Jahre Unterrichtsministerium , Wien , 139–167. A more recent ( 2009 ) doctoral dissertation on Austrian schoolbooks follows the approach of locating the Austrofascist period in a larger history of interwar Austrian political culture. See Pfefferle , Roman ( 2009 ) : Schule macht Politik. Schulbücher als Gegenstand politischer Kulturforschung am Beispiel politischer Erziehung im Österreich der Zwischenkriegszeit , phil. Diss. , Wien. 7 Typical of this glossed-over treatment of education under the Dollfuss-Schuschnigg regime within longer histories of the interwar First Republic is Olechowski , Richard ( 1983 ) : Schulpolitik. In Weinzierl , Erika / Skalnik , Kurt ( Hg. ) Österreich 1918–1938 : Geschichte der Ersten Republik , Bd. 2 , Graz. 8 Rath , R. John ( 1943 ) : Training for Citizenship , ‘Authoritarian’ Austrian Style. In : Journal of Cen-
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phone historiography of the ‘authoritarian Austria’ thesis , which held that that Austria bore some outward similarities to the genuine fascist countries of Italy and Germany , but remained authoritarian in its core ideology and structures.9 This premise has continued to inform Anglo-American contributions to the field with Carla Esden-Tempska’s 1990 article on Austrian ‘civic education’ reproducing much of Rath’s earlier work.10 Michael Zeps’ Education and the Crisis of the First Republic , the only full-length , English-language study devoted to the topic of Austrian education in the interwar years , conforms to the pattern of treating the ‘authoritarian’ state within a longer chronology of the First Republic.11 Limiting his analysis to the years prior to 1934 , Zeps argues that the earlier crisis over religion in schools was never resolved under the Austrofascist state even after the Glöckel Decree had been overturned and a concordat between the Vatican and Vienna in 1934 made religion classes compulsory for all baptized Catholics and ensured that curricula taught in other subjects did not contradict Church teaching. Negotiations for a new concordat had in fact been underway well before 1933 , but the agreement signed in 1934 stopped short of insisting on the public confessional school system that Austrian bishops had hoped for.12 Zeps makes fleeting reference to Schuschnigg’s attempt to reform teacher education as a tertiary qualification , which remained ������� unrealized by the time of Anschluss.13 Not withstanding the reasons for its failed implementation , Schuschnigg’s design for greater state control over education would be the subject of an important future study on Austrofascism with respect to its borrowing from other models of fascist pedagogy and teacher education. Just as Austrofascist politicians looked to Italy and Germany for developing their press and propaganda ministry , in��� cluding��������������������������������������������������������������������������������� plans for a state-accredited journalism qualification that floundered for financial reasons , Schuschnigg’s vision for a modern teaching profession is entirely in keeping with his fascist modernizing projects elsewhere in education , the press and population politics , for example.14 Other more general studies of the period include case studies of the regime’s school and youth policy , such as Laura Gellott’s work on state and church youth groups.15 Schuschnigg’s creation of the state youth organization , the Österreichisches Jungvolk tral European Affairs Jg. 3 ( 1943 ) Heft 2 , 121–146 ; Rath ( 1949 ) : History and Citizenship Training : An Austrian Example. In : Journal of Modern History Jg. 21 ( 1949 ) Heft 3 , 227–238. 9 Thorpe ( 2010 ), 316. 10 Esden-Tempska , Carla ( 1990 ) : Civic Education in Authoritarian Austria , 1934–38. In : History of Education Quarterly Jg. 30 ( 1990 ) Heft 2 , 187–211. 11 Zeps , Michael J. ( 1987 ) : Education and the Crisis of the First Republic , Boulder. 12 Zeps ( 1987 ), 180–183. 13 Zeps ( 1987 ), 185. 14 On the Austrofascist press and propaganda ministry , see Thorpe , Julie ( 2011 ) : Pan-Germanism and the Austrofascist State 1933–38 , Manchester. For Fascist Italy’s journalism training institute that was modeled on the Columbia School of Journalism , see Galassi , Stefania ( 2008 ) : Pressepolitik im Faschismus : Das Verhältnis von Herrschaft und Presseordnung in Italien zwischen 1922 und 1940 , Stuttgart. On Italy’s population politics , see Ipsen , Carl ( 1996 ) : Dictating Demography , Cambridge. 15 Gellott , Laura ( 1987 ) : The Catholic Church and the Authoritarian Regime in Austria , 1933–1938 , New York ; Gellott , Laura ( 1988 ) : Defending Catholic Interests in the Christian State : The Role of Catholic Action in Austria , 1933–1938. In : The Catholic Historical Review Jg. 74 ( 1988 ) Heft 4 , 571–589.
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( ÖJV ), in August 1936 followed on the heels of the July Agreement between the Austrian and German governments that relaxed restrictions on underground Nazi activities in Austria and legalized the circulation of Nazi newspapers in Austria. Therefore , the ensuing battle for the bodies and minds—if not the souls—of young Austria , has to be seen against this backdrop of international relations between Austria and Germany. Catholic youth groups were exempt from the ÖJV according to Article 14 of the 1934 concordat , but church leaders quickly moved to bring all Catholic youth groups into a single organization , Katholisches Jungvolk ( K JV ), under the mantle of Catholic Action. During negotiations for the 1934 concordat the Austrian bishops had wished to ensure that no loophole existed for state organizations to exploit the freedom of Catholic youth groups and welfare auxiliaries , as had already happened in Nazi Germany , and they were successful in so far as Catholic Action was granted full autonomy under the final terms of the concordat.16 Thus it is not only in the wrangling over confessional education in the new Austrian state , but also in the struggle to maintain an autonomous Catholic youth programme outside the sphere of the state’s direct control , that historians still have much ground to cover in understanding the nature of conformism and dissent in the Austrofascist dictatorship. Again , the international context looms large in the arena of state-church politics , as I have already alluded to regarding Austro-German relations after 1936. But the Austrian context also needs to be situated within the broader picture of Vatican diplomacy , Catholic internationalism and the Fatherland Front’s efforts to promote Italo-Austrian friendship through official visits and exchanges of youth , among its other state auxiliary groups.17 Similarly , the relationship between the ÖJV and the Fatherland Front’s ‘Germandom’ organization , the Österreichischer Verband für volksdeutsche Auslandsarbeit ( ÖVVA ), warrants a more exhaustive investigation. Established in 1934 by the former Christian Social education minister , Emmerich Czermak , co-editor of the Reichspost , Heinrich Mataja , and the Benedictine historian and professor at the University of Graz , Hugo Hantsch , the two-fold purpose of the ÖVVA was to formalize links with Germanspeaking minorities abroad and facilitate and advise the government’s work of Germanizing Austria’s own minorities. By bringing this organization under the direct authority of the Fatherland Front , the leaders of the ÖVVA also hoped to foil the attempt of National Socialists to gain a stronghold in German-nationalist groups and redirect the activism of these groups towards the Austrian state rather than Nazi ������ Germany. Recruiting Austria’s youth was the focus of the ÖVVA especially after the formation of the ÖJV. ÖVVA leaders worked closely with the ÖJV , supplying their leaders with teaching manuals so they could instruct their members to collect money and books to 16 Gellot ( 1988 ), 574 , 580. 17 While the term ‘Catholic internationalism’ has been mostly applied to the nineteenth century , the transnational dimensions of the Church’s associational and devotional life is equally , if not m ore , apt for the period between the world wars. See Viaene , Vincent ( 2008 ) : International History , Religious History , Catholic History : Perspectives for Cross-Fertilization ( 1830–1914 ). In : European History Quarterly Jg. 38 ( 2008 ) Heft 4 , 578–607. On the Fatherland Front’s visits to Fascist Italy , see Bärnthaler , Irmgard ( 1964 ) : Geschichte und Organisation der Vaterländische Front : Ein Beitrag zum Verständnis totalitärer Organisation , phil. Diss. , Wien. See also Thorpe ( 2011 ).
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donate to German-speakers abroad. The first major fundraising initiative of the ÖJV in June 1937 raised 20,000 Schillings to build German schools along the Upper Austrian border with Czechoslovakia , evidence that ‘Germandom work’ was as much directed at Austria’s own bilingual areas as those across the border.18 Other aspects of the state’s mobilization of youth for ‘Germandom’ work , through study exchanges , sporting and choral tours , for example , also fall under the topic of Austrofascism and education at home and abroad. A recent ( 2011 ) study on pan-Germanism and the Austrofascist state addresses the regime’s education politics with a focus on the systematic efforts to dismantle bilingualism and enforce adherence to the state curricular and extra-curricular efforts amongst non-German-speaking minorities in Austria.19 Drawing on existing Austrian scholarship on the Carinthian Slovenes , Burgenland Croats and Viennese Czechs , as well as correspondence between the Fatherland Front and the representatives of these minority communities in Austria , the author shows that some minority schools fared better under Austrofascism than others.20 Croatian-speakers in the Burgenland fared better than their Slovene counterparts in Carinthia under the Austrofascist state : a new provincial school law introduced in 1937 in the Burgenland was a victory for representatives of the Croatian-speaking community who had thrown their weight behind the new Austrian state while continuing to maintain links with Croatian press and religious associations in Yugoslavia. But their support for Austrofascism was conditional upon keeping their own language , lyrics and youth leaders in the official curriculum plans , textbooks and extra-curricular activities of the ÖJV. Carinthia’s Slovene population had no such choice : both the public and private schools that had taught Slovenian language since the 1848 revolutions had been either shut down or forced to close after a relentless campaign by local German-nationalist groups and the Carinthian provincial government succeeded in firing or transferring teachers and priests and hiring German-speaking replacements. Czech-speakers in Vienna and Lower Austria had the option of private tuition under the Komenský school association whose status was safeguarded under the minorities clause of the 1919 Saint Germain Treaty and the 1920 Brno Treaty. So long as Czech patrons , and not Austrian state coffers , were transporting the children of Czechspeaking migrant workers from Lower Austrian villages to the schools in Vienna , the Komenský schools were not a threat to the state’s interests , though Fatherland Front leaders might have queried the citizenship status of the parents and barred their entry into the Front , thereby precluding them from occupying civil posts in the state. For Vienna’s Jewish community , education in public schools was one of the most visible spheres of discrimination under the Austrofascist state yet to date there has been no study of this specific area of anti-Semitism prior to 1938. Histories of anti-Semitism , on 18 Bärnthaler ( 1964 ), 268–269. 19 Thorpe , Julie ( 2011 ). 20 On Carinthian Slovenes , see Haas , Hanns / Stuhlpfarrer , Karl ( 1977 ) : Österreich und seine Slowenen , Wien ; on Burgenland Croats , see the contributions by Gerald Schlag and Franz Szucsich in Stefan Geosits ( Hg. ) ( 1986 ) : Die burgenländischen Kroaten im Wandel der Zeiten , Wien ; on Vienna’s Czech-speaking community , see Brousek , Karl M. ( 1980 ) : Wien und seine Tschechen : Integration und Assimilation einer Minderheit im 20. Jahrhundert , München.
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the one hand , and Jewish politics , on the other , subsume the topic of the Austrofascist state within broader histories of the interwar period.21 The majority of Jewish schoolteachers dismissed in February 1934 had not been members of the Social Democratic party. Then in September 1934 , the Ministry of Education decreed that all non-Catholic students were to be streamlined into parallel classes , ostensibly on the grounds that some middle and elementary schools were overcrowded and that it would release Jews and Protestants from the compulsory Catholic religion classes that Dollfuss had introduced the previous year. Jewish leaders unanimously condemned the segregation of Jewish and non-Jewish students , but could not agree over what provisions the state should make for education for Jews. Liberals advocated integration in public schools , while Zionists wanted secular Jewish schools , but reiterated that these should not be made compulsory and that Jewish children should have the same educational opportunities as non-Jews. Orthodox Jews opposed the Zionists’ proposal for secular Jewish schools in favour of religious-based education.22 Anecdotal evidence of discrimination against Jewish pupils in Austrian state schools exists in childhood memoirs of the period , but a systematic analysis of Jewish school students in the Austrofascist state still awaits its historian.23 The assimilation and exclusion of ethnic and religious minority youth groups in the Austrofascist state has also been analyzed in a 2011 dissertation by Thomas Pammer , who had access to files released by the Russian government to the Austrian State Archives. These ‘Moscow files’ relate largely to the ÖJV’s activities outside Austria’s borders but also the efforts within Austria to assimilate its non-German-speaking minorities. Pammer concludes that in comparison with the ‘tolerant’ policies of allowing limited bilingualism within the state and private school system , the ÖJV was more systematic in its efforts to eradicate non-German-speakers from the ranks of its youth organiza tion. For example , ÖJV leaders maintained the lines of segregation between ‘irredentist’ Carinthian Slovene youth groups and other ‘assimilated’ Slovenes , although accusations of irredentism towards Slovene groups in Austria were more often simply a smokescreen for discrimination against the civic rights of all Slovene-speakers in the state.24 Similarly , Czech youth groups were initially prevented from joining the ÖJV until the General Secretary of the Fatherland Front intervened ostensibly on constitutional grounds but also as a strategy of forcibly assimilating Czech-speakers in the new Austrian state , although the question of how many Czech youth wanted to join the ÖJV in the first place remains unclear.25 On the grounds of this active discrimination against minorities , amongst other evidence , Pammer makes the case that the ÖJV could be regarded as a fascist organization even if the state itself disqualified as a fully-fledged fascist counterpart to Germany and Italy.26 21 See , for example , Pauley , Bruce ( 1992 ) : From Prejudice to Persecution : A History of Austrian Anti-Semitism , Chapel Hill. 22 Freidenreich , Harriet Pass ( 1991 ) : Jewish Politics in Vienna 1918–1938 , Bloomington , 198–200 , 272. 23 Clare ( 1982 ) is the only English-language memoir I know of that offers this anecdotal evidence. 24 Pammer , Thomas ( 2011 ) : V. F.-Werk „Österreichisches Jungvolk“. Geschichte und Aspekte der staatlichen Organisierung der Jugend im Dollfuß / S chuschnigg-Regime 1933–1938 , Dipl.-Arb. , Wien , 109. On the issue of Slovene ‘irredentism’ , see Thorpe ( 2011 ). 25 Pammer ( 2011 ), 112. 26 Pammer ( 2011 ), 159–161.
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Quite apart from the theoretical debate over whether the state was ‘authoritarian’ or ‘fascist’ , discussion in both the German and Anglophone sources about the relationship between Austrian schools and the regime’s larger political , national , cultural and social objectives is sketchy , at best. As with many interpretations of the limited success of Austrofascist politics in the face of mounting opposition by underground Nazis in Austria and their supporters in the Third Reich , Dachs’ conclusion that the regime ultimately failed to turn pro-German ( t hough not necessarily pro-Nazi ) Austrian school students ( and their teachers ) into Austrian patriots , misses the mark of studies of ‘everyday’ fascism elsewhere in Europe. Austrofascism needs to be seen within this broader European process of ���� making citizens and states in the interwar era. Schools , along with other public spaces such as the press and radio or local monuments , were sites of citizenship training in the new Aus tria as much as they also served as state experiments in a one-party education system.27 One Austrian scholar has indicated the plausibility of a comparative European model for Austria’s education system throughout its evolution from the monastic era of the early Middle Ages to ‘neo-corporativism’ in the second half of the twentieth century.28 While the problem of periodization needs to allow for regional varieties within Austria—the diverse examples of the Burgenland and Carinthia would illustrate this for the Austrofascist period—there are also possibilities for cross-regional and transnational comparisons with other European countries. The example of the private Czech schools in Vienna and their supporters in Czechoslovakia would fit such a comparative model , in the same way that the activities of the ÖVVA in the Sudetenland and elsewhere illustrates the international context in which Austrofascist politicians and auxiliary groups mobilized supporters beyond the boundaries of the Austrian state. It is this larger transnational and comparative approach to education and Austrofascism that is missing in the existing literature and is symptomatic of a larger historiographical problem with studies of fascism in general. II. A new research agenda ? It lies beyond the scope of this chapter to suggest future research topics other than the gaps I have already mentioned in the previous section. But in this section I want to briefly outline a few possible avenues for original enquiries that build on existing scholarship in the field of education and Austrofascism. Three themes stand out : firstly , attitudes to27 A recent Masters thesis provides an interesting case analysis of the school radio programme under the mantle of the state’s radio chief , Rudolf Henz. Established in 1932 , the school radio ���� programme������������������������������������������������������������������������������������������ offered two half-hour segments daily from 1933 and was intended to augment classroom teaching of the state curriculum. See Tinhof , Julia ( 2009 ) : „Ihr Jungen schließt die Reihen gut , ein Toter führt uns an“. Propaganda im Austrofaschismus. Mag.-Arb. Wien , 114–115. 28 Engelbrecht , Helmut ( 1992 ) : Bemerkungen zur Periodisierung der österreichischen Bildungsgeschichte. In : Lechner , Elmar / Rumpler , Helmut / Z darzil , Herbert ( Hg. ) : Zur Geschichte des österreichischen Bildungswesens. Probleme und Perspektiven der Forschung , Wien , 11–34. Engelbrecht outlines a progression through several evolutionary stages of Austrian schools from the ‘monastic phase’ during the eighth to 13th centuries ; the ‘urban phase’ from the 14–15th centuries ; the ‘confessional phase’ in the Counter-Reformation period of the 16 and 17th centuries ; the ‘state phase’ following the Napoleonic Wars in the early 18th century ; the era of party domination from the late-nineteenth century until the 1960s , which signaled the start of the ‘neo-corporative’ plurality of public and private schools.
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wards pacifism and war in Austrofascist curriculum ; secondly , the role and reputation of public and private schools in Austria and their relationship with other institutions in Austria and abroad , including the Church ; and , thirdly , the extra-curricular activities of Fatherland Front youth groups as a site of conformism or dissent within the regime. English journalist and playwright Cicely Hamilton ( 1872–1952 ) published an outsider’s guide to Austrian politics , culture and society , Modern Austria as Seen by an English Woman , which gives some insight into the elementary history curriculum prior to the introduction of new textbooks in 1935. Particularly revealing is her observation that in Austria , unlike England , school children were encouraged to reflect on the world war and its devastating impact on both civilians and soldiers alike. Austrian children were taught not only the ‘facts’ of war , but were also encouraged to respond to vivid scenes of combat , fear , loss of life and mourning. In this way , ‘the idea which found favour with many of our post-war educationists , that children should know little or nothing of the war , was not accepted by teachers of Austrian schools.’ On the contrary , Hamilton observed , Austrian children were made to ‘realize the meaning of warfare , not only by presentment of fact and incident , but also by questions designed to stir imagination.’29 Similarly , questions about commemoration and victims of war were clearly aimed at stimulating family dinnertime discussions , extending the long arm of the state beyond the boundaries of ‘public’ indoctrination in classrooms into the ‘private’ realm of family and home life. Students were asked to investigate war memorials in their neighbourhood and to reflect on how they had been made aware in their own homes of ‘the most terrible of all wars …that lasted from 1914 to 1918 [ in which ] thirty million men were engaged.’ Questions on wounded soldiers , their care during and after the war , and the fate of prisoners of war in Russia were also aimed at the students’ own family histories. Schoolbooks encouraged them to ask their fathers about prisoners of war , their mothers about the impact of the war on the home front , and tradesmen about the lack of raw materials and labour during the war.30 A comparison between these textbooks and those that were introduced after 1935 would reveal whether there was a shift in emphasis during the Austrofascist regime on the history of the world war and the Austrian efforts to care for war victims during the first decade of the First Republic. Open-ended questions such as these also gave plenty of margin for teachers to add their own emphasis on militarism and pacifism at the same time that they also reveal how the state viewed the home , family , education , social welfare , gender , labour , and public memory within an integrated world view.31 During her visit to Austria , Hamilton also toured an agricultural high school in Salzburg where boys and girls over the age of 16 , the sons and daughters of farmers , received instruction in traditional and modern agricultural methods , including cheese making as a regional specialty. Girls were offered additional classes in cooking , nutrition , basic 29 Hamilton , Cicely ( 1935 ) : Modern Austria as Seen by and Englishwoman , London , 118. 30 Hamilton ( 1935 ), 119. 31 Contemporary Austrian publications on patriotic education include Neidl , Margarete ( 1934 ) : Der vaterländische Gedanke in Erziehung und Unterricht , Wien ; Vereinigung christlich-deutscher Mittelschullehrer Österreichs ( Hg. ) ( 1936 ) : Österreich. Grundlegung der vaterländischen Erziehung , Wien / Leipzig ; Gorbach , Alfons ( Hg. ) ( 1935 ) : Vorträge über vaterländische Erziehung , Graz , as well as the pedagogical journals „Elternhaus und Schule“ and „Schriften des Pädagogischen Institutes der Stadt Wien“.
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nursing and childcare. Religious instruction and lessons in German language and folk song made up the rest of the curriculum in what Hamilton declared ‘an industrious , many-sided institution’ that left her pondering ‘why it is that a townsman who earns his living by the simple job of minding a machine in a factory—a machine that probably does all the real work—should so often consider himself the intellectual superior of the worker on the land with his many and varied attainments ? ’32 Hamilton was no conservative ; she had campaigned for women’s rights before the war and toured Europe in the 1930s as a freelance journalist documenting the Stalinist and Fascist regimes in Russia and Italy. Her open admiration for the ‘industrious’ Austrian peasant belied a long English fascination with the arts and crafts movement at home and abroad and was a variation on nineteenth-century British travel writing by women who combined political activism with social issues and a commitment to supporting and exporting local art. Austrofascist propaganda bureaucrats were well aware of the appeal of Austrian art and culture in Britain and enlisted the help of Austrian émigré writers , journalists , artists , and photographers in the service of the Austrofascist state’s image abroad.33 Hamilton’s visit to an agricultural trade school highlights the institutional advantage that such an educational programme might have over other more traditional academic schools in facilitating exchanges and contacts across Austria’s borders. Convent schools offer an alternative site of transnational exchanges and relations bet ween Austria and other European systems of education , especially in Italy. We have already seen that the 1934 concordat fell short of Austrian ecclesiastical hopes for a state-funded confessional education system in Austria , but private Catholic schools continued to operate under the Austrofascist Ministry of Education. These schools were likely more integrated with the extra-curricular activities of the KJV , although the schools themselves did not operate within the jurisdiction of Catholic Action. Handicrafts also featured in these private schools , especially those run by women religious orders , and the archives of these Austrian orders remain untapped in studies of the Austrofascist period. Finally , the nature of youth conformism and dissent within and outside the ranks of the Fatherland Front—before and after the creation of the ÖJV—needs to be held up under the light of comparative fascism studies. One of the innovations of recent scholarship on Italy and Germany has been to explore the processes of exchange , contact and transfer across state borders , destabilizing the distinction between what was authentically homegrown fascism and what was mere imitation.34 In Austria , the ÖJV looked first to Italy and increasingly Germany for models of training young leaders and sent its delegates to an international fascist camp outside Rome , known as Campo d’Austria.35 In October 1936 a delegation of Fatherland Front functionaries visited Fascist Italy , including male and female members of the ÖJV who mingled with young Fascist groups at a film evening , attended a candlelight vigil in Rome’s Colosseum for the dead chancel32 Hamilton ( 1935 ) : Modern Austria , 203–205. 33 Thorpe ( 2011 ). 34 Nolzen , Armin / Reichardt , Sven ( Hg. ) ( 2005 ) : Faschismus in Italien und Deutschland : Studien zu Transfer und Vergleich , Göttingen. 35 Pammer ( 2011 ), 84–87.
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lor , Dollfuss , on the anniversary of his birthday and had audiences with both Mussolini and Pope Pius XI during their ten-day visit.36 These kinds of exchanges between Austrian and Italian youth belong to the history of cultural diplomacy in an era of European fascism , but they also reflect the place and call of youth in the Austrofascist state. Could one be a devout Catholic heeding the pope’s call to build the Church while also serving the interests of the Austrofascist state ? At what point did those two projects overlap or diverge in the sphere of youth and education specifically ? How exactly were ÖJV members encouraged to emulate their older Italian cousins skilled already for more than a decade in combining loyalty to both the Duce and the Pope ? And how did relations with youth further afield , in Denmark , for example , figure in the larger goal of promoting and building the new Austrian state ?37 These and many other questions can only be answered fully in the context of transnational approaches to fascism in general , and to the Austrofascist state in particular. Encouraging signs that new research is emerging in German and Italian scholarship in this direction will encourage future Austrian students and scholars to follow in the footsteps of the ÖJV delegates themselves in visiting the sites of contact and exchange between the Austrofascist state and its counterparts in Europe.
36 Thorpe ( 2011 ). 37 The so-called ‘Danish Action’ under Austrofascism followed the earlier humanitarian interven tion of Denmark and other countries to evacuate starving Austrian children during the food crisis after the First World War. See Pammer ( 2011 ), 84–87.
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Thomas Pammer
Austrofaschismus und Jugend : gescheiterte Beziehung und lohnendes Forschungsfeld ? Vorbemerkung Die Frage der außerschulischen Jugenderziehung und der Jugendorganisationen in der Zeit des Dollfuß / Schuschnigg-Regimes1 hat bislang innerhalb der österreichischen Geschichtswissenschaft keine größere Aufmerksamkeit gefunden. Der Vergleich mit der Situation in Deutschland verdeutlicht dies : Die 2003 von der Bibliothek für Bildungsgeschichtliche Forschung in Berlin zusammengestellte Bibliografie zur Hitlerjugend ( HJ ) weist nicht weniger als 294 selbstständige ( Sekundärliteratur-)Publikationen zu diesem Themenkreis aus.2 Nachdem bis Anfang der 1980er-Jahre nur vereinzelte Untersuchungen erschienen waren , explodierte die Forschung zu Beginn der 1990er-Jahre regelrecht : Zwischen 1990 und 2002 wurden pro Jahr durchschnittlich 20 für die Jugendpolitik des NS-Regimes relevante Monografien veröffentlicht.3 Demgegenüber erschienen in Österreich im selben Zeitraum nur zwei Publikationen , die explizit Jugendpolitik und Staatsjugend im Austrofaschismus thematisierten.4 Seitdem blieb der Forschungsstand im Wesentlichen unverändert ; eine umfassende Untersuchung zu diesem Themenkomplex steht nach wie vor aus. In den Fokus des disziplinären Interesses geriet die Jugendpolitik des Regimes abseits der Schule nur dort , wo sie sich mit anderen Forschungsfeldern kreuzte : etwa dem Konflikt zwischen Regierung und katholischer Kirche , der illegalen Betätigung nationalsozialistischer Jugendlicher , dem Verhalten des Regimes gegenüber 1 In diesem Aufsatz verwende ich die Begriffe „Dollfuß / S chuschnigg-Regime“, „Regime“, „Austrofaschismus“ sowie „Ständestaat“ als synonyme Bezeichnung für das zwischen 1933 / 34 und 1938 in Österreich regierende Herrschaftssystem. 2 Ritzi , Christian ( Hg. ) ( 2003 ) : Hitler-Jugend. Primär- und Sekundärliteratur der Bibliothek für Bildungsgeschichtliche Forschung , Berlin. 3 Ritzi ( 2003 ), 7–9. 4 Gehmacher , Johanna ( 1994 ) : Jugend ohne Zukunft. Hitler-Jugend und Bund Deutscher Mädel in Österreich vor 1938 , Wien , 400–422 , sowie Kemmerling-Unterthurner , Ulrike ( 1991 ) : Die katholische Jugendbewegung in Vorarlberg 1918–1938 [ Vorarlberg in Geschichte und Gegenwart 5 ] , Dornbirn , 41–56.
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IV. Politik und Gesellschaft
Sport- und Kulturvereinen oder den Wechselbeziehungen zwischen Staatsjugend und Schule. Nur das Interesse von StudentInnen an der Thematik scheint im Steigen begriffen zu sein – allein zwischen 2007 und 2011 erschienen hierzu vier Diplomarbeiten.5 Allerdings erschwert besonders Studierenden das Fehlen einer geeigneten Grundlagenliteratur diesbezügliche Forschungen erheblich. Der Schwerpunkt zur hiesigen Forschung über Jugendpolitik in totalitären oder autoritären Herrschaftssystemen lag eindeutig auf den sieben Jahren nationalsozialistischer Herrschaft in Österreich6 – die fünf Jahre Ständestaat fanden sehr viel weniger Beachtung. Dieser Sachverhalt findet seine Entsprechung in der Autobiografik : Gegenüber einer Vielzahl7 an Veröffentlichungen über eine Jugend in der ( legalen oder illegalen ) HJ / BDM existiert so gut wie keine Autobiografie8 , welche eine Mitgliedschaft in einer austrofaschistischen Jugendorganisation thematisiert. Eine Ursache dafür war sicherlich , dass sich manche ZeitzeugInnen , die eine Autobiografie verfassten , wohl verpflichtet fühlten , der Nachwelt eine Warnung vor dem Nationalsozialismus zukommen zu lassen ; gerade weil sie selbst jener Ideologie so blind verfallen waren , welche sie – nach den Worten des Münchner Historikers und einstigen begeisterten HJ-Mitgliedes Hermann Graml9 – stets hemmungslos hofiert und umschmeichelt hatte. Die Erfahrungen in den 5 Mayer , Bernd ( 2007 ) : Gesellschaftspolitischer Faktor „Jugend“. Jugendbewegungen in Österreich : von der Jahrhundertwende bis zum Ständestaat , Dipl.-Arb. , Graz ; Gober , Eva Maria ( 2008 ) : Die Instrumentalisierungs- bzw. Sozialisierungsversuche und Erziehungsprinzipien im autoritären Ständestaat Österreichs 1933 / 34–1938. Ein Beitrag zur Schul- und Erziehungsgeschichte im ‚austrofaschistischen‘ Österreich am Beispiel des burgenländischen Schul- und außerschulischen Pädagogikfeldes anhand von Chroniken , Dokumenten , Jahresberichten , Erlässen und von Gesprächen mit Zeitzeugen , Dipl.-Arb. , Wien ; Tinhof , Julia ( 2009 ) : Ihr Jungen schließt die Reihen gut , ein Toter führt uns an. Propaganda im Austrofaschismus. Schwerpunktthema : Kinder und Jugendliche , Dipl.-Arb. , Wien ; Pammer , Thomas ( 2011 ) : V. F.-Werk „Österreichisches Jungvolk“. Geschichte und Aspekte der staatlichen Organisierung der Jugend im Dollfuß / S chuschnigg-Regime 1933–1938 , Dipl.-Arb. , Wien. 6 Neben Gehmacher ( 1994 ) wären dies beispielsweise : Kannonier-Finster , Waltraud ( 2004 ) : Hitler-Jugend auf dem Dorf. Biographie und Geschichte in einer soziologischen Fallstudie , Innsbruck ; Perchinig , Elisabeth ( 1996 ) : Zur Einübung von Weiblichkeit im Terrorzusammenhang. Mädchen adoleszenz in der NS-Gesellschaft , Wien ; Achs , Oskar ( 1988 ) : Jugend unterm Hakenkreuz. Erziehung und Schule im Faschismus , Wien. 7 Eine Auswahl solcher Autobiografien , über welche – nebenbei bemerkt – eine kulturwissenschaftliche Analyse noch ausständig ist : Ringler , Ralf Roland ( 1977 ) : Illusion einer Jugend. Lieder , Fahnen und das bittere Ende. Hitler-Jugend in Österreich. Ein Erlebnisbericht , St. Pölten ; Aull-Fürs tenberg , Margret ( 2001 ) : Lebenslüge Hitler-Jugend. Aus dem Tagebuch eines BDM-Mädchens , Wien ; Massiczek , Albert ( 1988 ) : Ich war Nazi. Faszination – Ernüchterung – Bruch. Ein Lebensbericht , Wien ; Kislinger , Helmut ( 2009 ) : Verführt und missbraucht. Ein ehemaliger Hitlerjunge erzählt aus den Jahren 1938–1945 , Steyr ; Aschböck , Edith ( 2002 ) : Jugend im Dritten Reich , Wien. 8 Ein vom ehemaligen Wiener Universitätsarchivar Franz Gall verfasster Artikel vermittelt mitunter den Eindruck eigenen Erlebens. Vgl. Gall , Franz ( 1976 ) : Zur Geschichte des Österreichischen Jungvolks 1935–1938. In : Neck , Rudolf / Wandruszka , Adam ( Hg. ) : Beiträge zur Zeitgeschichte. Festschrift Ludwig Jedlicka zum 60. Geburtstag , St. Pölten , 217–235. 9 Graml , Hermann ( 1992 ) : Integration und Entfremdung. Inanspruchnahme durch Staatsjugend und Dienstpflicht. In : Benz , Ute ( Hg. ) : Sozialisation und Traumatisierung. Kinder in der Zeit des Nationalsozialismus , Frankfurt / Main , 70–79 : 75.
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Verbänden des Ständestaates erschienen demgegenüber pädagogisch wohl weniger wertvoll. Und auch für HistorikerInnen wirkte die unentschlossene Jugendpolitik des Ständestaates im Vergleich zum hocheffizienten und totalen Zugriff des Nationalsozialismus auf die Jugend als wenig lohnendes Forschungsfeld. I. Der Topos : die Erfolglosigkeit der austrofaschistischen Jugendpolitik Man begnügte sich im Wesentlichen mit der Feststellung , dass es dem Dollfuß / Schuschnigg-Regime nicht gelungen wäre , die Jugend zu gewinnen , wie es Johanna Gehmacher bündig formulierte : „Die Bemühungen um eine Integration der österreichischen Jugendlichen in den austrofaschistischen Staat müssen als gescheitert bezeichnet werden.“10 Eine Einschätzung , die in der Folge in der Wissenschaft kritiklos übernommen wurde.11 Die austrofaschistische Jugendpolitik wurde also summarisch mit dem Prädikat „erfolglos“ etikettiert – damit schien das Thema im Wesentlichen erledigt. Was war aber der tiefere Grund dafür , dass sich die österreichischen Jugendlichen von ihrem Regime allem Anschein nach nicht ebenso widerstandslos in Anspruch nehmen ließen , wie es Graml der deutschen Jugend attestierte ?12 Für Robert Kriechbaumer waren es die Dominanz der alten Eliten und der Rückgriff auf den verstaubten Habsburger-Mythos , die ein jugendliches Erscheinungsbild des Regimes verhindert hätten ; ein solches wäre jedoch notwendig gewesen , um im Kampf um die Jugend mit dem in dieser Hinsicht außerordentlich erfolgreichen Nationalsozialismus bestehen zu können.13 Gehmacher hingegen machte die heterogene gesellschaftliche Basis des Staates sowie die grundsätzliche Konzeptlosigkeit in der Jugendpolitik für dieses Scheitern verantwortlich.14 Herbert Dachs sah – auf die Schulpolitik bezogen – eine Ursache dafür im bewussten Nachahmen nationalsozialistischer Inhalte und Stile in der Jugendpolitik , welche nicht nur eine Immunisierung der Jugend gegen den Nationalsozialismus verfehlt , sondern sie sogar auf diesen vorbereitet hätte.15 All diese Erklärungsversuche sind richtig , betreffen jedoch nur Teilbereiche. Eine umfassende Beantwortung dieser Frage steht noch aus. Ein Aspekt , der zur Bildung des Topos beitrug , war freilich auch das offensichtliche Misstrauen oder Unbehagen , mit dem die Führer des Ständestaates – besonders der christlich-soziale Flügel unter Dollfuß und Schuschnigg – die Jugend betrachteten.16 Sie waren in der Jugendpolitik weit mehr reagierend als agierend und unterschieden sich 10 Gehmacher ( 1994 ), 423. 11 Beispielsweise : Pawlowski , Verena / L eisch-Prost , Edith / K lösch , Christian ( 2004 ) : Vereine im Nationalsozialismus. Vermögensentzug durch den Stillhaltekommissar für Vereine , Organisationen und Verbände und Aspekte der Restitution in Österreich nach 1945 [ Veröffentlichungen der Österreichischen Historikerkommission Bd. 21 / 1 ] , Wien , 192. 12 Graml ( 1992 ), 70. 13 Kriechbaumer , Robert ( 2002 ) : Ein Vaterländisches Bilderbuch. Propaganda , Selbstinszenierung und Ästhetik der Vaterländischen Front 1933–1938 , Wien , 70. 14 Gehmacher ( 1994 ), 423. 15 Dachs , Herbert ( 2005 ) : „Austrofaschismus“ und Schule. In : Tálos , Emmerich / Neugebauer , Wolfgang ( Hg. ) : Austrofaschismus. Politik – Ökonomie – Kultur , Wien , 282–296 : 296. 16 Ein Ausdruck dafür ist etwa das in der Maiverfassung festgelegte Mindestalter von 24 Jahren für die Teilnahme an Volksabstimmungen.
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damit einerseits von der Sozialdemokratie , die in den 1920er-Jahren mit viel Elan und anfangs durchaus erfolgreich ihre Jugendorganisationen aufgebaut hatte , besonders aber von den NationalsozialistInnen , die sich selbst als „Bewegung der Jugend“ sahen und 1933 proklamierten , zwei Drittel der österreichischen Jugend in ihren Reihen zu haben.17 Diese Behauptung wurde nicht nur vom Regime für bare Münze genommen18 , sondern auch von einer Anzahl österreichischer Nachkriegshistoriker.19 Gehmacher blieb es vorbehalten , diese Behauptung etwas zurechtzurücken : Tatsächlich gehörten der HJ 1933 weniger als 25.000 Personen an , nicht einmal ein Zehntel aller organisierten Jugendlichen in Österreich.20 Selbst wenn man die tendenziell pro-nationalsozialistischen Jugendorganisationen des übrigen deutschnationalen Lagers – mit etwa 68.000 Mitgliedern21 – hinzurechnet , kommt man höchstens auf ein Drittel der Jugend ; die nationalsozialistischen Jugendlichen blieben gegenüber den Jugendverbänden der Sozialdemokratie ( m it rund 60.000 Mitgliedern ) und der katholischen Kirche ( etwa 100.000 ) weit in der Unterzahl. Die von Botz konstatierte „sozialpsychologische Faschismus-Disponiertheit der Jugend“22 in der Zwischenkriegszeit lässt sich somit zumindest durch diese Zahlen nicht bestätigen. Dass die Behauptung der NationalsozialistInnen dennoch Glauben fand , lag vorrangig an der Stärke der HJ an den höheren Schulen sowie ihrem ausgesprochenen Aktivismus , der sich im Frühsommer 1933 in einer spektakulären Anschlagsserie äußerte , an der auch viele minderjährige HJ-Mitglieder beteiligt waren. II. Der Kampf der Machtgruppen um die Jugend Das autoritäre Regime bemühte sich nun jedoch nicht darum , die Jugend durch seine Politik zu gewinnen oder in eigene Organisationen einzugliedern , sondern versuchte , regimefeindliche Jugendarbeit zunächst ausschließlich durch Zwangsmaßnahmen zu unterbinden. Im Mai 1933 wurde die Koalitionsfreiheit der MittelschülerInnen aufgehoben , im Juni die HJ verboten und im Februar 1934 die sozialistischen Jugendverbände aufgelöst. Wirk17 Gehmacher , Johanna ( 1995 ) : Eine Bewegung der Jugend ? Nationalsozialistische Mobilisierungsund Organisationsstrategien in Österreich vor 1938. In : Ardelt , Rudolf G. / G erbel , Christian ( Hg. ) : Österreichischer Zeitgeschichtetag 1995. Österreich – 50 Jahre Zweite Republik. 22. bis 24. Mai 1995 in Linz , Innsbruck , 428–431 : 428. 18 So etwa Unterrichtsminister Kurt Schuschnigg im November 1933 : „Unendlich viel Jugend beherrscht in diesen Tagen politischer Hochspannung das Straßenbild. [ … ] Dreiviertel dieser Jugend weiß nicht , für welches Programm sie sich erhitzt , ein großer Teil hat in früheren Zeitläuften ein anderes , immer aber ein Antiabzeichen getragen , und trägt jetzt eben das Hakenkreuz.“ Tzöbl , Josef A. ( 1933 ) : Vaterländische Erziehung. Mit Geleitwort von Dr. Kurt von Schuschnigg , Wien , 6. 19 Etwa Gerhard Jagschitz , Bruce Pauley oder Gerhard Botz. Vgl. Gehmacher ( 1995 ), 428. 20 Gehmacher ( 1995 ), 431. 21 In welchem Ausmaß Doppelmitgliedschaften zwischen den deutschnationalen Jugendbünden und der legalen HJ bestanden – und die Gesamtzahl der Jugendlichen dieses Lagers somit niedriger veranschlagt werden muss – ist unklar. 22 Botz , Gerhard ( 1981 ) : Strukturwandlungen des österreichischen Nationalsozialismus ( 1904– 1945 ). In : Ackerl , Isabella / Neck , Rudolf ( Hg. ) : Politik und Gesellschaft im alten und neuen Österreich , Bd. 2 , Wien , 163–193 : 193.
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lich effektiv waren diese Verbote freilich nur im letzteren Fall. Da beinahe das gesamte sozialdemokratische Vereinswesen zerschlagen worden war , hatten linksgerichtete Jugend liche kaum Tarnungsmöglichkeiten in legalen Organisationen , ganz im Unterschied zu den HJ-Mitgliedern , welche in den fast zur Gänze intakt geblieben nationalen Vereinen untertauchten und ihre Jugendarbeit dort beinahe ungestört weiterführen konnten.23 Parallel zu den Repressionsmaßnahmen begannen nun innerhalb des Herrschaftssystems intensive Verhandlungen über die Frage , in welcher Form die österreichische Jugend außerhalb der Schule organisiert und beeinflusst werden sollte. Dieses im Jargon der damaligen Zeit kurz „Jugendfrage“ genannte Problem entwickelte sich zu einer der brennenden innenpolitischen Fragen des Dollfuß / Schuschnigg-Regimes , denn sie berührte beinahe sämtliche politischen und gesellschaftlichen Gruppen an einer empfindlichen Stelle : ihrem Nachwuchs. Die Verhandlungen über die Jugendfrage können nun als beispielhafter Fall für den von Botz konstatierten „gemäßigten Verbände-Pluralismus“24 im Austrofaschismus gelten. Die wichtigsten Akteure waren ein kleiner Zirkel um Bundeskanzler Schuschnigg25 , die Heimwehr , die katholische Kirche und die christliche Arbeiterbewegung , daneben die religiösen und ethnischen Minderheiten. Auch Institutionen wie Militär , Bundesländer oder Bauernbünde verfolgten auf diesem Gebiet ihre eigenen Interessen. Von allen regimekonformen Gruppierungen stets mitgedacht wurde in dieser Frage natürlich auch die Bedrohung durch die illegalen politischen Kräfte des nationalsozialistischen und linken Lagers. Wie heftig die Konflikte zwischen den einzelnen Machtgruppen in dieser Frage waren , lässt sich schon allein an der langen Zeitspanne ablesen : Von der Ausschaltung des Parlaments im März 1933 bis zur Bildung der Staatsjugendorganisation „Österreichisches Jungvolk“ ( ÖJV ) Ende August 1936 und der gleichzeitigen Verabschiedung eines Jugendgesetzes , womit sämtliche Jugendarbeit in Vereinen einer Genehmigungspflicht durch das Unterrichtsministerium unterworfen wurde , vergingen beinahe dreieinhalb Jahre.26 III. „Die Kirche“ gegen „den Staat“ ? Die meiste Aufmerksamkeit wurde in der bisherigen Forschung den Auseinandersetzungen zwischen Regime und katholischer Kirche gewidmet sowie dem interessanten Umstand , dass gerade in dieser spezifischen Frage die Kirche nicht zum – wie es Ernst Hanisch ausdrückte27 – größten Profiteur des Regimes wurde. Dabei kollidierte der 23 Vgl. Gehmacher ( 1994 ), 374–400. 24 Botz , Gerhard ( 1983 ) : Gewalt in der Politik. Attentate , Zusammenstöße , Putschversuche , Unruhen in Österreich 1918 bis 1938 , München , 235. Allerdings geht Botz davon aus , dass die Phase dieses begrenzten Pluralismus zusammen mit einer partiellen Defaschistisierung des Regimes erst etwa im Oktober 1935 einsetzte. 25 Für die maßgeblich von Schuschnigg bestimmte Jugendpolitik der Ostmärkischen Sturmscharen vgl. Reich , Walter ( 2002 ) : Die Ostmärkischen Sturmscharen. Für Gott und Ständestaat , Frankfurt / Main , 327–339. 26 Eine erste chronologische Zusammenfassung dieser Konflikte findet sich bei Pammer ( 2011 ), 17–57. 27 Hanisch , Ernst ( 2005 ) : Der politische Katholizismus als ideologischer Träger. In : Tálos / Neugebauer ( Hg. ), 68–87 : 68.
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kirchliche Anspruch auf ein Vorrecht in der Jugenderziehung mit dem Bestreben bestimmter Regierungskreise , eine Staatsjugend nach faschistischem Muster aufzubauen. Schon 1971 stellte Irmgard Bärnthaler diesen Konflikt in den Mittelpunkt ihres kurzen Abrisses über das ÖJV.28 Eine wichtige , in Österreich jedoch verhältnismäßig wenig rezipierte Untersuchung stammt von der amerikanischen Historikerin Laura Gellott29 , die beinahe die Hälfte ihrer Abhandlung diesen Auseinandersetzungen widmete. Sie konnte nachweisen , dass schon bei den Schlussverhandlungen zum Konkordat im Frühjahr 1934 die „Jugendfrage“ ein vorrangiger Streitpunkt gewesen war.30 Dabei weigerte sich die Regierung hartnäckig und letztlich erfolgreich , bestimmte Forderungen des Vatikans zu erfüllen , die der Bildung einer Staatsjugendorganisation direkt zuwidergelaufen wären. Dennoch war Gellott der Ansicht , dass sich die Kirche in der „Jugendfrage“ gegen das Regime im Großen und Ganzen behauptet habe.31 Sie hätte ihre Verbände erhalten und zusätzlich noch einen erheblichen Einfluss in der Staatsjugend ausüben können ; eine Einschätzung , der sich Hanisch anschloss : Gleichzeitig ging die katholische Kirche auf eine stärkere Distanz zum Regime. Der Konflikt zwischen Vaterländischer Front und Katholischer Aktion wird in der Forschung eher unterschätzt , genauso wie der Konflikt zwischen der Staatsjugend und der Katholischen Aktion , woraus eher letztere als Sieger hervorging. Sie übertraf in der Mitgliederzahl die Staatsjugend um das Dreifache.32
Zu einem völlig konträren Ergebnis kam hingegen Gerhard Schultes , der in seiner Arbeit33 über den mitgliederstarken , interdiözesanen „Reichsbund der katholischen deutschen Jugend Österreichs“ ebenfalls diesem Konflikt nachging. Er legte dar , wie die tiefe Uneinigkeit innerhalb des Episkopats den Zusammenbruch dieses Dachverbandes beschleunigte und die faktische Eingliederung der nun aufgesplitterten Diözesanjugendverbände in das ÖJV im Laufe des Jahres 1937 überhaupt erst ermöglichte.34 Für Schul28 Bärnthaler , Irmgard ( 1971 ) : Die Vaterländische Front. Geschichte und Organisation , Wien , 172–177. 29 Gellott , Laura ( 1982 ) : The Catholic Church and the Authoritarian Regime in Austria 1933–1938 , Madison , 112–250. 30 Gellott ( 1982 ), 148–152. 31 Gellott ( 1982 ), 234. 32 Hanisch , Ernst ( 1994 ) : 1890–1990. Der lange Schatten des Staates. Österreichische Gesellschaftsgeschichte im 20. Jahrhundert , Wien , 314. Diese Zahlenverhältnisse , auf denen Hanischs Einschätzung beruht , sind allerdings mit hoher Wahrscheinlichkeit falsch. Sie gehen auf Angaben Guido Zernattos zurück , der den Mitgliederstand des ÖJV im März 1938 mit 130.000 und jenen der Konkordatsjugend mit 300.000 bezifferte. Vermutlich gehörten dem ÖJV Anfang 1938 dagegen rund 350.000 Jugendliche an ( d amit etwa 29 % aller in Österreich wohnenden 6- bis 18-Jährigen ), einschließlich jener 150.000 Mitglieder katholischer Jugendvereine , welche durch Verträge zwischen der ÖJV-Führung und den Bischöfen zum formalen Eintritt in die Staatsjugend verpflichtet wurden , jedoch weiterhin in ihren eigenen Gruppen verblieben. Zum Problem der Mitgliederzahlen der einzelnen Verbände vgl. Pammer ( 2011 ), 70–73. 33 Schultes , Gerhard ( 1967 ) : Der Reichsbund der katholischen deutschen Jugend Österreichs [ Veröffentlichungen des kirchenhistorischen Instituts der katholisch-theologischen Fakultät der Universität Wien 4 ] , Wien , 319–326. 34 Schultes ( 1967 ), 324.
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tes waren die katholischen Jugendorganisationen , die damit einen erheblichen Teil ihrer Souveränität eingebüßt hatten , die großen Verlierer der Jugendpolitik des Regimes – besonders wenn man die hohen Erwartungen miteinbezieht , welche diese anfangs an das autoritäre System gehabt hatten. Auch ich gelangte in meiner Untersuchung zu ähnlichen Schlüssen.35 Auch wenn es zur Frage des Verhältnisses zwischen Regime und Kirche in der Jugendpolitik auch einige regionale Studien36 gibt , ist sie bisher nur unvollständig behandelt worden. Vor allem die unterschiedlichen Positionen zur „Jugendfrage“ innerhalb des Episkopats wurden noch zu wenig beachtet ; daher herrscht in der österreichischen Geschichtswissenschaft zuweilen noch immer die Auffassung , „die Kirche“ bzw. „der Episkopat“ hätten zwischen 1933 und 1938 in dieser Frage einen einheitlichen Block gebildet.37 In diesem Zusammenhang wären noch Recherchen in den einzelnen Diözesanarchiven lohnenswert , besonders in den diesbezüglich bislang kaum bearbeiteten Nachlässen der ( Erz-)Bischöfe Theodor Innitzer ( Wien ), Johannes Maria Gföllner ( Linz ), Sigismund Waitz ( Salzburg ) und Adam Hefter ( Gurk ).38 Ebenso wie in der Kirche gab es auch innerhalb der Regierung stark divergierende Vorstellungen über die künftige Jugendorganisierung. Während vor allem Dollfuß , aber zunächst auch Schuschnigg auf eine große , einheitliche Organisation unter gleichberechtigtem Einschluss der katholischen Jugendverbände hinarbeiteten , verfolgte Vizekanzler und Heimwehrführer Ernst Rüdiger ( von ) Starhemberg von Beginn an das Ziel , die Heimwehrjugend „Jung-Vaterland“ zur Staatsjugend auszubauen und mittelfristig nach Vorbild des italienischen Faschismus die gesamte außerschulische Jugend erziehung dem Staat zu unterstellen. Die Bischöfe bemerkten schon früh diese Faschisierungstendenzen und legten in drei Eingaben an die Bundesregierung ihre Bedenken dar – besonders die Erziehungsinhalte von „Jung-Vaterland“ wurden dabei heftig angegriffen.39 Dieser grundlegende Konflikt zwischen Heimwehr und Kirche wurde bisher 35 Pammer ( 2011 ), 135–139. 36 So etwa mit besonderem Fokus auf Vorarlberg : Kemmerling-Unterthurner ( 1991 ) und Kemmerling-Unterthurner , Ulrike ( 1988 ) : Die staatliche Jugendorganisation in Österreich 1933–1938 mit besonderer Berücksichtigung von Vorarlberg. In : Historische Blickpunkte. Festschrift für Johann Rainer , Innsbruck , 311–330 ; sowie für Oberösterreich : Rohrhofer , Franz Xaver ( 2007 ) : Fronten und Brüche. Ständestaat und katholische Kirche 1933–1938 , Linz , 163–192. Allerdings stützen sich beide Untersuchungen in ihren Bewertungen hauptsächlich auf Schultes ( 1967 ). 37 So verwies etwa Hanisch ( 2005 ), 83 , auf eine Stellungnahme Bischof Gföllners zur „Jugendfrage“, ohne zu beachten , dass dessen Position – die Ablehnung eines Zusammenschlusses von Staatsund Konkordatsjugend – keineswegs die Haltung aller österreichischen Bischöfe widerspiegelte. Tatsächlich entwickelte sich aus dieser Stellungnahme eine bittere Kontroverse zwischen dem Linzer Bischof und Kardinal Innitzer , die schließlich sogar im Vatikan Aufmerksamkeit erregte. Vgl. Pammer ( 2011 ), 38–39. 38 Die Nachlässe der Bischöfe Ferdinand Pawlikowski ( S eckau ) und Michael Memelauer ( St. Pölten ) habe ich bereits im Rahmen meiner Diplomarbeit bearbeitet ( Pammer , 2011 ). 39 Zwei dieser Memoranda ( vom November 1933 und Oktober 1934 ) sind editiert bei Liebmann , Maximilian ( 1984 ) : Jugend – Kirche – Ständestaat. In : Liebmann , Maximilian / Binder , Dieter A. ( Hg. ) : Hanns Sassmann zum 60. Geburtstag. Festgabe des Hauses Styria , Graz , 187–204 ; die dritte bei : Denkschrift des österreichischen Episkopates über die Jugend-Organisationen , Wiener Diözesanblatt , 29. 1. 1936 , 6–11.
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kaum beachtet ; ebenso wenig liegt eine Untersuchung über die Heimwehrjugend vor , der Anfang 1936 mehr als 100.000 Jugendliche angehörten. Für eine solche Analyse wären nun in erster Linie die bisher unbearbeiteten Publikationen des „Jung-Vaterland“40 sowie Stellungnahmen zur „Jugendfrage“ in der übrigen Heimwehrpresse von Interesse. Eine derartige Untersuchung wäre auch deshalb wünschenswert , da diese Organisation entscheidenden Einfluss auf das ÖJV gewinnen sollte. Während die Heimwehr ihre politische Bedeutung nach dem Sturz Starhembergs großteils eingebüßt hatte , konnten die ehemaligen „Jung-Vaterland“-Kader die weitaus meisten leitenden Positionen41 in der neuen Staatsjugend besetzen und ihre unverhohlen faschistischen Erziehungsideale dort mit wenigen Abstrichen weiterhin umsetzen. Dies führte zu einem interessanten Phänomen : Entgegen Botz’ Befund , dass sich das teilfaschistische Regime nach 1935 / 36 wieder stärker zum „autoritär-bürokratischen“ Typus zurückbildete ,42 zeigten sich in Jugendpolitik und Staatsjugend Tendenzen einer immer deutlicheren „äußeren“ und „inneren“ Faschisierung.43 Erstere durch die ( geplante ) Inkorporation so gut wie aller noch legalen Jugendverbände – einschließlich der katholischen – in das ÖJV sowie einen langsam , aber stetig wachsenden Druck auf die österreichischen Jugendlichen , der Staatsjugend beizutreten ; Letztere etwa durch die radikale Betonung des Führerprinzips oder – zumindest in den ÖJV-Burschengruppen – die völlige Zurückdrängung der vorgesehenen „sittlich-religiösen“ Erziehung zugunsten einer einseitigen Ausrichtung auf Sport und vormilitärische Erziehung. Welche Überlegungen die Staatsführung letztlich dazu bewogen , den ehemaligen Heimatschützern in der neuen Staatsjugend so große Macht einzuräumen , bleibt vorerst ungeklärt. IV. „Faschistische Totalität“ oder „autoritärer Pluralismus“ ? Durchaus von Bedeutung ist die Jugendpolitik des Ständestaats bei Diskussionen zur begrifflichen Einordnung des Regimes. So bezweifelte Ende der 1970er-Jahre Everhard Holtmann in seiner Kontroverse mit Manfred Hahn den faschistischen Charakter des Regimes unter anderem mit Hinweis auf die vermeintlich unbehinderte Existenz der katholischen Jugendverbände.44 Stanley Payne wiederum sah in der Staatsjugend nur einen äußerlichen faschistischen Aufputz des Regimes ,45 während Julie Thorpe in ihr einen Teil des breiten austrofaschistischen Projekts erblickte , mit dem Österreich nach Vorbild Italiens und Deutschlands umgestaltet werden sollte.46 40 Jung-Vaterland. Offizielles Organ des Jugendverbandes „Jung-Vaterland“, Wien. 41 Zum Leiter des ÖJV , dem sog. „Bundesjugendführer“, wurde etwa Georg Thurn-Valsassina ernannt , der Schwager Starhembergs. Das „Direktorium“ ( bestehend aus Bundeskanzler Schuschnigg , Unterrichtsminister Hans Pernter , VF-Generalsekretär Guido Zernatto und – in seiner Eigenschaft als Führer der Sport- und Turnfront – Heimwehrführer Starhemberg ), dem statutengemäß die obers te Leitung der Staatsjugend zukam , griff kaum in die Leitung ein. Vgl. Pammer ( 2011 ), 101–102. 42 Botz ( 1983 ), 235. 43 Pammer ( 2011 ), 158–171. 44 Holtmann , Everhard ( 1978 / 79 ) : Austrofaschismus als fixierte Idee. Eine Erwiderung auf Man fred Hahn. In : Zeitgeschichte Jg. 6 ( 1978 / 79 ) Heft 11 / 1 2 , 427–431 : 429. 45 Payne , Stanley ( 1995 ) : A History of Fascism , 1914–1945 , London , 250–251. 46 Thorpe , Julie ( 2010 ) : Austrofascism. Revisiting the „Authoritarian state“ 40 years on. In : Journal
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Dazu ist anzumerken , dass die bloße Existenz einer Staatsjugend oder parallel dazu bestehender religiöser Jugendverbände noch nichts über die ideologische Ausrichtung eines Herrschaftssystems aussagt.47 Von größter Bedeutung für die Beantwortung dieser Frage wäre es daher , Jugendpolitik und Staatsjugend des Dollfuß / Schuschnigg-Regimes in einen europäischen Zusammenhang zu stellen und hinsichtlich Erziehungsinhalten , Einfluss der Kirchen , Organisationsstruktur und Gründungscharakter zu untersuchen. In einen solchen Vergleich sollten jedoch nicht nur die beiden vollfaschistischen Nachbarländer48 einbezogen werden , sondern auch autoritär geführte Staaten wie Bulgarien , Ungarn und Portugal. Die Staatsjugendorganisationen der beiden Letzteren , die Levente49 sowie die Moçidade Portuguesa50 scheinen sich dafür besonders zu eignen , da sie gewisse strukturelle Ähnlichkeiten zum ÖJV aufweisen. Im Zuge dessen könnte auch festgestellt werden , ob und in welchem Ausmaß es in der Jugendpolitik zu Transfers zwischen einem anderen System und dem österreichischen Regime gekommen ist und ob in diesem Zusammenhang etwa von einem „Imitationsfaschismus“51 gesprochen werden kann. Auch müsste untersucht werden , welchen Stellenwert der Jugendmythos – laut Payne war die Verherrlichung der Jugend ein genuines Merkmal faschistischer Bewegungen52 – in den verschiedenen Herrschaftssystemen einnahm und auf welche Weise an die Jugend appelliert wurde. V. Eine Jugendpolitik der ethnisch-gesellschaftlichen Homogenisierung ? Der britische Soziologe Michael Mann definierte Faschismus folgendermaßen : „Fascism is the pursuit of a transcendent and cleansing nation-statism through paramilitarism.“53 Diese Ideologie erhebe also den Anspruch , durch eine Militarisierung der Gesellschaft und die reinigende Macht eines Staatsnationalismus soziale Spannungen überwinden und sämtliche Bevölkerungsgruppen in ein organisches und harmonisches „Ganzes“ überführen zu können. Von dieser These ging auch Thorpe in ihrer Untersuchung zum Nation-Building-Prozess des Ständestaats aus. In einer Analyse von Presse- , Bevölkerungs- und Erziehungspolitik wies sie nach , in welch hohem Maße das Regime die supranationale Vergangenof Contemporary History Jg. 45 ( 2010 ) Heft 2 , 315–343 : 324. 47 So existierten im faschistischen Italien ebenfalls katholische Jugendverbände , ohne dass der faschistische Gehalt von Mussolinis Regime deshalb in Zweifel gezogen würde. 48 Zur italienischen Staatsjugend , der Opera Nazionale Balilla , vgl. Schleimer , Ute ( 2004 ) : Die Opera Nazionale Balilla bzw. Gioventù Italiana del Littorio und die Hitlerjugend. Eine vergleichende Darstellung , Münster. 49 Eine der wenigen Untersuchungen der Levente in einer westlichen Sprache findet sich bei Vitári , Zsolt ( 2007 ) : Jugendbewegungen im Zeichen nationalpolitischer und paramilitärischer Ausrichtung im Vorkriegsungarn. Deutsche Jugend und Levente. In : Suevia Pannonica. Archiv der Deutschen aus Ungarn Jg. 35 ( 2007 ), Heidelberg , 48–71. 50 Arriaga , Lopes ( 1976 ) : Mocidade Portuguesa. Breve História de uma Organização Salazarista , Lissabon. 51 Zu diesem Begriff vgl. Hanisch ( 1994 ), 313–314. 52 Payne ( 1995 ), 25. 53 Mann , Michael ( 2004 ) : Fascists , Cambridge , 14.
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heit Österreichs sowie seine ethnischen und religiösen Minderheiten zugunsten einer einseitigen Betonung seines „katholischen Deutschtums“ beiseiteschob.54 Dabei zitierte sie auch einen Artikel aus einer burgenlandkroatischen Zeitung , in welcher ein Jugendführer die kulturelle Gleichschaltung der kroatischsprachigen Jugend im ÖJV beklagte.55 Inwieweit nun die Staatsjugend zum Träger einer solchen nationalistischen Agenda wurde , muss noch eingehender untersucht werden.56 Dabei kämen in erster Linie die Zeitungen und Publikationen der Minoritäten , also jene der Burgenlandkroaten , der Kärntner Slowenen und der Wiener Tschechen als Quellen infrage , zusätzlich dazu Orts- , Schul-57 und Kirchenchroniken in den einzelnen Siedlungsgebieten. Auch hier darf die außerschulische Jugendpolitik nicht isoliert behandelt , sondern muss in einem engen Zusammenhang mit der Schulpolitik gegenüber den ethnischen Minderheiten gesehen werden. In einem unmittelbaren Zusammenhang dazu steht die Frage nach den In- und Exklusionstendenzen der austrofaschistischen Jugendpolitik gegenüber der jüdischen Glaubensgemeinschaft. Gehmacher sah im faktischen Ausschluss jüdischer Jugendlicher aus dem ÖJV einen klaren Beleg für die nationalsozialistische Unterwanderung der Staatsjugend bis in die höchsten Führungspositionen.58 Abgesehen von der problematischen Gleichung „antisemitisch = nationalsozialistisch“ ist dem entgegenzuhalten , dass diese Exklusion auch eine Propagandastrategie des Regimes darstellen könnte , um in Anbetracht des latenten Antijudaismus großer Bevölkerungsteile der illegalen HJ einen Wettbewerbsvorteil unter nichtjüdischen Jugendlichen zu nehmen. Eine Segrega tion der jüdischen Jugend wurde zudem von einem Großteil der zahlenmäßig dominierenden orthodox und zionistisch gesinnten Jüdinnen und Juden – einschließlich der Leitung der Israelitischen Kultusgemeinde ( IKG ) – angestrebt und ausdrücklich gutgeheißen.59 Auch wurde im ÖJV , trotz einzelner dahin gehender Vorstöße , kein Arierparagraf eingeführt. Als Quellenbestände für eine eingehendere Untersuchung dieses Verhältnisses bieten sich die Akten über jüdische ( Jugend-)Vereine im Archiv der IKG Wien sowie die vielfältige jüdische Presse60 an. In Verbindung mit Manns These wäre weiters die Frage zu klären , inwieweit das Regime die Staatsjugend für den Versuch einsetzte , seine Legitimationsgrundlage auch auf überwiegend regierungsfeindliche gesinnte Gesellschaftsgruppen , etwa die Arbei54 Thorpe ( 2010 ), 328–343. 55 Thorpe ( 2010 ), 330. 56 Eine erste Analyse der Jugendpolitik des Regimes gegenüber den ethnischen Minderheiten – mit Schwerpunkt auf den Entscheiden des Unterrichtsministeriums über deren Vereine nach dem Jugendgesetz – findet sich bei Pammer ( 2011 ), 106–112. 57 Ein Beispiel für die Verwendung von Schulchroniken zur Analyse von Jugend- und Schulpolitik findet sich bei Kriechbaumer , Robert ( 1993 ) : Zwischen Kruckenkreuz und Hakenkreuz. Schule im autoritären und totalitären Staat , dargestellt am Beispiel Pongauer Schulchroniken 1934–1945 , Salzburg. 58 Gehmacher ( 1994 ), 422–423. 59 Vgl. dazu Pammer ( 2011 ), 116–123. 60 Neben den größten politischen Gruppen innerhalb des Judentums ( A ssimilantInnen , Orthodoxe , Links- und RechtszionistInnen ) verfügte auch eine Reihe jüdischer Jugendvereine über eigene Zeitschriften , etwa : Die Nation. Monatsschrift des Berit Trumpeldor , Wien. Einige dieser Publikationen sind auch in der Bibliothek des Jüdischen Museums Wien zugänglich.
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terschaft , auszudehnen. So betonte die Bundesjugendführung wiederholt die Wichtigkeit der „sozialen Frage“ sowie ihr Bestreben , die Kategorie gesellschaftlicher Herkunft im ÖJV irrelevant zu machen – und somit eine Art austrofaschistischer „Volksgemeinschaft“ entstehen zu lassen.61 VI. Eine gescheiterte Integration der oppositionellen Jugend ? Ebenso wenig wie unter den Erwachsenen gelang dem Regime letztlich innerhalb der Jugend eine Mobilisierung über die unmittelbare Kerngruppe des katholisch-vaterländischen Lagers hinaus.62 Großen Anteil daran hatten die illegalen Jugendgruppen , die zu Kristallisationspunkten regimefeindlicher Aktivitäten wurden und trotz harter Repressionen ein fast unüberwindbares Hindernis für die austrofaschistischen Vereinheitlichungsbestrebungen darstellten. Sie stützten und schürten nicht nur mentale Resistenz vieler Jugendlicher gegen die Regierung , sondern versuchten auch , regimekonforme Jugendverbände zu infiltrieren , um dort die politisch indifferenten Jugendlichen in ihrem Sinne zu beeinflussen. Zur erfolgreichen illegalen Tätigkeit der HJ existiert bereits eine eingehende Untersuchung ,63 auch wenn Gehmacher das Ausmaß der nationalsozialistischen Unterwanderung des ÖJV vermutlich überschätzte.64 Im Gegensatz dazu gibt es in der Frage des Verhältnisses der illegalen kommunistischen und sozialistischen Jugendgruppen zum Regime noch Forschungsdefizite. Zur Revolutionären Sozialistischen Jugend ( R SJ ) stellt nach wie vor Wolfgang Neugebauers Untersuchung aus 1975 die rezenteste Literatur dar.65 Die RSJ war im Unterschied zur illegalen HJ keine wirkliche Jugendbewegung , sondern eine Kaderorganisation mit nur etwa 1.000 Mitgliedern , deren Altersschnitt bei über zwanzig Jahren lag.66 Ähnlich aufgebaut war auch der Kommunistische Jugendverband ( K JV ).67 Die Methoden des Widerstandes unterschieden sich erheblich voneinander. Während die HJ neben der Infiltration von legalen Organisationen auch ihre Kommunikationsstrategie öffentlichkeitswirksamer Sabotageaktionen und Demonstrationen aufrechterhielt , rückte die RSJ nach der Hinrichtung ihres Mitglieds Josef Gerl im Juli 1934 von waghalsigen öffentlichen Aktionen ab. Der KJV hingegen verfolgte ebenso wie die HJ 61 Vgl. dazu Pammer ( 2011 ), 123–132. 62 Diesen Eindruck bestätigt auch eine Analyse der regionalen Stärke des ÖJV : Seine Hochburgen lagen ungefähr deckungsgleich mit den einstigen der Christlichsozialen in Westösterreich sowie den niederösterreichischen Agrargebieten. Weit unterdurchschnittlich blieben die Mitgliederzahlen in Kärnten und Wien. Vgl. Pammer ( 2011 ), 74–77. 63 Gehmacher ( 1994 ), 295–448. 64 Vgl. dazu Pammer ( 2011 ), 147–157. 65 Neugebauer , Wolfgang ( 1975 ) : Bauvolk der kommenden Welt. Geschichte der sozialistischen Jugendbewegung in Österreich , Wien , 301–315. 66 Neugebauer ( 1975 ), 301. 67 Auch über den KJV liegt momentan lediglich eine eingehendere Untersuchung vor : Weinert , Willi ( 1986 ) : Der kommunistische Jugendverband in der Illegalität vor 1938. In : Historische Kommission beim ZK der KPÖ ( Hg. ) : Beiträge zur Geschichte der kommunistischen Jugendbewegung in Österreich , Wien , 36–46.
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eine Strategie der Unterwanderung , insbesondere der Jugendgruppen von Einheitsgewerkschaft und Sozialer Arbeitsgemeinschaft ( SAG ), welche von der christlichen Arbeiterbewegung geführt wurden. Ziel war die Bildung einer Volksfront der Jugend gegen die nationalsozialistische Bedrohung ;68 und zumindest unmittelbar vor dem Umsturz , zwischen 9. und 11. März 1938 , gab es tatsächlich Anzeichen zum Entstehen einer solchen.69 Da es sich bei dieser Jugendarbeit um verbotene politische Betätigung handelte , kommen für Forschungen in erster Linie die Akten der Strafverfolgungsbehörden in Betracht , also jene der Sicherheitsdirektionen70 und der Landesgerichte bzw. im Falle Wiens der Bundespolizeidirektion und des Jugendgerichtshofes71. Außerdem befinden sich im Bestand „Sonderarchiv Moskau“ des Österreichischen Staatsarchivs umfangreiche und unbearbeitete Aktenbestände zur SAG , die möglicherweise auch Material zu ihren Jugendsektionen enthalten. VII. Jugendorganisationen als Orte der Einübung von Geschlecht Nicht zuletzt stellen Jugendorganisationen auch hervorragende Gegenstände für Untersuchungen von Geschlechterkonstruktionen dar. Großteils unbelastet vom humanistischen Bildungsideal , das in den Schulen noch vermittelt wurde , althergebrachten Wertvorstellungen , die nach wie vor in den Familien vertreten wurden , und unter weitgehendem Ausschluss der Religionsgemeinschaften konnten diktatorische Herrschaftssysteme hier den „Neuen Menschen“ nach ihren Vorstellungen formen. Auch zu diesem Thema existieren , abgesehen von Gehmachers Analyse der illegalen HJ , für Österreich noch keinerlei Untersuchungen. Eine mögliche Frage wäre , ob und wie sich die Rollenzuweisungen der Geschlechter in den Jugendorganisationen des betont antimodernen Ständestaates von jenen der sich als modern und revolutionär verstehenden vollfaschis tischen Nachbarländer unterschied. Bezüglich des weiblichen Organisationsgrads in der Staatsjugend war Österreich mit seinen Nachbarn durchaus vergleichbar. Immerhin machten die Mädchen fast 45 % der ÖJV-Mitglieder aus – etwas überraschend angesichts der Tatsache , dass die katholische Kirche , wenn sie sich schon mit der außerschulischen vormilitärischen Erziehung der Burschen abfinden musste , mit allen Mitteln wenigstens das Primat über die Mädchenerziehung erhalten wollte.72 Für eine diesbezügliche Fragestellung scheint ein diskursanalytischer Zugang besonders vielversprechend zu sein. Bilder und Vorstellungen von Männlich- bzw. Weib68 Weinert ( 1986 ), 44–46. 69 Über dieses interessante Phänomen gibt es mehrere Zeitzeugenberichte , etwa bei Schmidl , Ernst Anton ( 1988 ) : März 1938. Der deutsche Einmarsch in Österreich , Wien , 131 ; oder bei : Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstands ( Hg. ) ( 1992 ) : Erzählte Geschichte. Berichte von Männern und Frauen in Widerstand wie Verfolgung. Bd. 2 : Katholiken , Konservative , Legitimisten , Wien , 97. 70 Es ist allerdings unsicher , wie viel derartiges Aktenmaterial noch verfügbar ist. Zumindest im Falle der Sicherheitsdirektion Niederösterreich wurden alle Akten der Jahre 1936–1938 skartiert. ( Freundliche Mitteilung von ADir. Tragschitz vom 9. Jänner 2011. ) 71 Die Akten der Landesgerichte und des Jugendgerichtshofes lagern in den jeweiligen Landesarchiven. 72 Vgl. dazu Liebmann ( 1984 ), 197–204.
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lichkeit in ÖJV-Publikationen73 könnten hierbei mit entsprechenden Äußerungen in ( Jugend-)Zeitschriften der katholischen Kirche , des linken sowie des nationalsozialis tisch-deutschnationalen Lagers verglichen werden , in weiterer Folge mit Darstellungen von Geschlecht in Publikationen der italienischen und deutschen Staatsjugend. An dieser Stelle sei auch auf die bisher unbearbeiteten Akten des VF-Frauenreferats im „Sonderarchiv Moskau“ hingewiesen , welche enge Kontakte zur ÖJV-Führung unterhielt. Sehr viele Aspekte der austrofaschistischen Jugendpolitik , wie subjektive Erfahrung von Gemeinschaft , von Druck und Zwang , das vermittelte Weltbild , die tatsächlich durchgeführten Aktivitäten und die Einschätzung der Staatsführer , lassen sich freilich aus Aktenbeständen und Publikationen nicht beantworten. Erkenntnisse darüber können – mangels der eingangs erwähnten diesbezüglichen Autobiografik – nur aus Befragungen von ZeitzeugInnen gewonnen werden. Da anzunehmen ist , dass viele Mitglieder des ÖJV bzw. anderer regimekonformer Jugendverbände später auch Mitglieder von HJ bzw. BDM waren , böten solche Interviews ideale Voraussetzungen für einen Vergleich zwischen diesen Organisationen. Ein Problem stellt dabei jedoch der verhältnismäßig geringe Organisationsgrad des ÖJV dar , der in den meisten Bundesländern nur zwischen drei und 20 % schwankte.74 Einzig in Vorarlberg waren über 40 % der Jugendlichen in diesem Verband organisiert. In der gebotenen Kürze dieses Artikels war es nur möglich , einen kurzen Überblick über einige Themenfelder zu bieten , die noch wissenschaftlicher Beachtung bedürfen. Mein Ziel war es , auf die große Bedeutung der Frage der Jugendorganisierung in der austrofaschistischen Innenpolitik hinzuweisen sowie darauf , dass sie für eine Vielzahl an Fragen ein lohnendes Forschungsfeld darstellen kann – besonders im Hinblick auf die vergleichende Faschismusforschung.
73 Für Mädchen unter 14 Jahren : Mädelblatt , Wien. Für Mädchen ab 14 Jahren : Die Junghelferin , Wien. Für Burschen unter 14 Jahren : Bubenblatt , Wien. Für Burschen ab 14 Jahren : Der Jungschütze , Wien. Für erwachsene JugendführerInnen : Der Jugendführer , Wien. Außerdem sind die von der ÖJV-Führung herausgegebenen „Behelfsdienste“, welche die Leitlinien für die Erziehungsinhalte vermittelten , von höchstem Interesse. 74 Vgl. Pammer ( 2011 ), 74–77.
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Gertrude Enderle-Burcel / Alexandra Neubauer-Czettl
Staat im Umbruch – Forschungslücken zur Geschichte Österreichs der Jahre 1933 bis 1938 Bei den Recherchen im Rahmen der Edition der Ministerratsprotokolle der Ersten Republik zeigt es sich , dass bei überraschend vielen Themen Forschungslücken festzustellen sind. Dieser Beitrag wird diese Problematik in drei Teilen behandeln. Im ersten Teil wird auf die Veränderungen im Ablauf des Ministerrates und auf die Bedeutung des Juli-Abkommens 1936 als Zäsur eingegangen. Im zweiten Teil wird auf Quellenbestände hingewiesen , die bis dato noch weitgehend unbenützt in verschiedenen Archiven lagern und deren Aufarbeitung wesentlich zum Schließen der Forschungslücken beitragen könnte. Im dritten Abschnitt werden einige mögliche Ansätze zur Elitenforschung in Verwaltung und Politik aufgezeigt. I. Zum Wandel der Entscheidungsfindung auf Regierungsebene Im März 1935 unternahm Bundeskanzler Kurt Schuschnigg den ersten Versuch , den Ablauf der Ministerratssitzungen zu ändern.1 Die Intervalle wurden sehr unregelmäßig : ein bis sechs Wochen. Auch die Wochentage – ursprünglich Freitag – wechselten. Ende 1937 kündigte sich das Ende des Gremiums Ministerrat an. Bundeskanzler Schuschnigg erklärte in MRP 1066 vom 22. Dezember 1937 , „bis auf weiteres einmal im Monat eine Ministerbesprechung anberaumen zu wollen , bei der keine laufenden Geschäftsstücke , sondern nur zu Informationszwecken und zur Erstattung von Anregungen außen- , wirtschafts- und sozialpolitische und ähnliche Fragen behandelt werden sollten“. Zusätzlich gibt es in MRP 1069 vom 21. Februar 1938 den Hinweis auf außerordent liche Verhandlungen des Ministerrates im Sitzungssaal des Amtsgebäudes Ballhausplatz 2 und auf Sitzungen von Ministerkomitees.2 1 Protokolle des Ministerrates der Ersten Republik ( 1993 ) : Kabinett Dr. Kurt Schuschnigg , Bd. 2 , Wien , MRP 987 / 4 vom 15. März 1935. 2 Vgl. Enderle-Burcel , Gertrude : Staat im Umbruch – Forschungslücken zur Geschichte Österreichs der Jahre 1933 bis 1938 , URL : http ://www.univie.ac.at / z eitgeschichte / cms / uploads / Paper-Enderle-Burcel.pdf ( abgerufen am 17. 10. 2011 ). In Beilage 1 werden Beispiele für Ministerkomitees der letzten beiden Bände des Kabinetts Schuschnigg angeführt.
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V. Rechts- und Verwaltungsgeschichte
Die Veränderungen in den formalen Abläufen werden schließlich so augenfällig , dass sich die Frage aufwirft , wann , wo und welcher Kreis die politisch relevanten Entscheidungen – die neben der Gesetzesvorbereitung stets Eingang in die Ministerratsbesprechungen gefunden hatten – besprach. Es wird genau zu analysieren sein , welche Gesetzesentwürfe und Themen überhaupt noch und in welchem Umfang im Ministerrat diskutiert wurden , wie lange noch die demokratischen Traditionen nachwirkten und ab wann auch diese Scheinfunktion aufgegeben wurde. Erst nach Vorliegen des letzten Bandes des Kabinetts Schuschnigg wird eine umfassende Analyse der Jahre 1933 bis 1938 möglich sein. Ein Vergleich mit den Ministerratsprotokollen früherer Kabinette wird die Möglichkeit schaffen , hier Kontinuitäten und Diskontinuitäten aufzuzeigen. Die Bedeutung der Ministerratsprotokolle als Informationsquelle zu wesentlichen Vorgängen im Staat nimmt spätestens mit dem Juli-Abkommen 1936 ab.3 Auffallend ist , dass anstelle des Ministerrates in den 1930er-Jahren zunehmend Minis terkomitees traten , in denen nur ein Teil der Regierungsmitglieder zu Beratungen zusammenkam. In den meisten Fällen konnten bisher keine Unterlagen zu Ministerkomiteesitzungen eruiert werden. In einigen Fällen konnten Aufzeichnungen mehr zufällig in Akten zum betreffenden Thema gefunden werden.4 In den Tagebuchaufzeichnungen des Diplomaten Heinrich Wildner gibt es aber auch Hinweise auf Ministerbesprechungen. Am 15. Juni 1937 findet sich der Eintrag : „Minis terbesprechung mit Kienböck wegen der deutschen Angelegenheit , Schachtbesuch , Alpine. Alle wenig im Bilde.“ Am 25. November 1937 heißt es : „Ministerbesprechung im Parlament , wo Schmidt recht oberflächlich mit alten Argumenten die deutsche Sache behandelte und sich weiter zurückzog …“5 Für Ende November 1937 gibt es auch in den Memoiren von Guido Zernatto Hinweise auf eine Ministerbesprechung im Parlament , an der der Bundeskanzler , Zernatto , Guido Schmidt und Michael Skubl teilnahmen.6 Am 18. Jänner 1938 gab es einen außerordentlichen Ministerrat , zu dem laut Edmund Glaise-Horstenau kein Schriftführer zugezogen war und der ausschließlich politische Fragen behandelte.7 Hinweise darauf finden sich im Archiv der Republik in einem Karton des Bundesministeriums für Landesverteidigung „Ministerratssitzung 1067–1070“, in dem Datum und Tagesordnung der angesprochenen Sitzung aufscheinen.
3 Broucek , Peter ( 1977 ) : Edmund Glaise-Horstenau und das Juliabkommen 1936. In : Das Juliabkommen von 1936. Vorgeschichte , Hintergründe und Folgen , Protokoll des Symposiums in Wien am 10. und 11. Juni 1976 ( Veröffentlichung der Wissenschaftlichen Kommission des Theodor-Körner-Stiftungsfonds und des Leopold-Kunschak-Preises zur Erforschung der österreichischen Geschichte der Jahre 1927 bis 1938 4 ), Wien , 119–135 : 129. 4 Einen Sonderfall stellt ein Sitzungsprotokoll des Ministerkomitees zur II. Novelle des GSVG vom 22. November 1937 dar , das MRP 1064 vom 16. November 1937 beiliegt. 5 Vgl. ÖStA , AVA , Nachlass Heinrich Wildner , E / 1791 :11. 6 Zernatto , Guido ( 1938 ) : Die Wahrheit über Österreich , Paris , 182–183. 7 Broucek , Peter ( 1983 ) : Ein General im Zwielicht. Die Erinnerungen Edmund Glaises von Horstenau , Bd. 2 ( Veröffentlichungen der Kommission für neuere Geschichte Österreichs 70 ), Wien / Köln / Graz , 217 ; Akten zur Deutschen Auswärtigen Politik 1918–1945 ( 1950 ) : Serie D ( 1937–1945 ), Bd. I , Baden-Baden , Nr. 280 , 405–406.
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Glaise-Horstenau gibt in seinen Memoiren auch über die Abhaltung eines am 26. Jänner 1938 einberufenen sogenannten Rumpfministerrates Auskunft , bei dem neben ihm Bundeskanzler Schuschnigg , Arthur Seyss-Inquart , Schmidt , Zernatto und Skubl anwesend waren.8 Insgesamt scheint das Jahr 1936 als wesentliche Zäsur zu wenig erforscht zu sein. Das Juli-Abkommen des Jahres 1936 hat in den verschiedensten Bereichen des österreichischen Staates eine Dynamik gebracht , die bis jetzt zu wenig Beachtung gefunden hat. Von deutscher Seite wurde ab dem Juli-Abkommen 1936 die Vorbereitung des Anschlusses aggressiv betrieben. Dies ist besonders auf dem Sektor der Wirtschaft nachweisbar – etwa beim zunehmenden Konkurrenzkampf zwischen italienischem und deutschem Kapital am Energiesektor ( bei der Steweag ) oder am Versicherungssektor ( bei den Verhandlungen um den Phönix-Aktienbesitz zwischen der Generali-Gruppe sowie der Münchner Rück und Allianz Deutschland ). Auch bei der Alpine Montan Gesellschaft lässt sich ab August 1936 eine Verstärkung der Geschäftsbeziehungen zu Deutschland feststellen , die 1937 zu großen Vertragsabschlüssen mit den Vereinigten Stahlwerken führte. Bei der Alpine Montan Gesellschaft ist in diesem Zusammenhang eine Verringerung des italienischen Geschäftes bemerkbar.9 Am deutlichsten ist die Reduzierung der italienischen Aktivitäten bei der DDSG nachweisbar.10 Die wenigen Beispiele zeigen , dass auf die deutschen Kapitalinteressen mehr Aufmerksamkeit in der Forschung gelegt werden muss. Ausgangspunkt könnten jene Unternehmungen sein , die vor 1938 überhaupt nicht oder noch nicht mehrheitlich in deutschem Besitz waren , die aber unmittelbar nach dem „Anschluss“ übernommen wurden , bei denen also offenkundiges Interesse bestand. Bei diesen Unternehmen müsste nach strukturellen und personellen Veränderungen in der Zeit zwischen Juli 1936 und März 1938 geforscht werden. Im Tagebuch von Wildner findet sich etwa auch der Hinweis : „Die großen Forstwirtschaftsbesitzer aus der Schauflergasse haben sich in Berlin eine Verkaufsstelle errichtet und in der Präsidentenkonferenz verankert …“11 Zu den engen Verbindungen österreichischer Holzindustrieller vor 1938 nach Deutschland gab es laufend Artikel in der Zeitschrift „Die Industrie“.12
8 Broucek ( 1983 ), 215–216. 9 Enderle-Burcel , Gertrude : Italienische Kapitalbeteiligungen 1934–1938. In : Guiotto , Maddalena / Wohnout , Helmut ( Hg. ) : Italien und Österreich im Mitteleuropa der Zwischenkriegszeit / Italia e Austria nell’Europa centrale tra le due guerre mondiali , Wien ( P ublikation in Vorbereitung ). 10 Enderle-Burcel , Gertrude ( 2010 ) : Konkurrenz auf der Donau – Anfang und Ende der Betriebsgemeinschaft der Ersten Donau-Dampfschiffahrtsgesellschaft mit der Königlich-ungarischen Flußund Seeschiffahrts A.G. in der Zwischenkriegszeit. In : Matis , Herbert / Resch , Andreas / Stiefel , Dieter ( Hg. ) : Unternehmertum im Spannungsfeld von Politik und Gesellschaft. Unternehmerische Aktivitäten in historischer Perspektive , Beiträge gesammelt zu Ehren von Alice Teichova ( Veröffentlichungen der ÖGU 28 ), Wien / Berlin , 171–184. 11 Vgl. ÖStA , AVA , Nachlass Heinrich Wildner , E / 1791 :11 , Eintragung vom 20. Februar 1937. 12 Vgl. etwa Studienreise österreichischer Holzindustrieller nach Deutschland , Die Industrie , Nr. 44 , 29. 10. 1937 , 8–9. Die umfassenden Verwendungsarten des Holzes. Österreichische Holzindustrielle besuchen reichsdeutsche Werke , Die Industrie , Nr. 45 , 5. 11. 1937 , 6.
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II. Quellenbestände zu den Forschungslücken 1933 bis 1938 2.1 Bestände im Österreichischen Staatsarchiv In den historischen Einleitungen zu den edierten Ministerratsprotokollen wurde immer wieder darauf hingewiesen , dass außenpolitische und handelspolitische Fragen wenig Raum einnehmen. In entscheidenden Momenten wird auf Ministerkomitees verwiesen. In den 1930er-Jahren finden sich besonders häufig die Hinweise auf ein wirtschaftliches Ministerkomitee ( w irtschaftspolitisches Ministerkomitee , handelspolitisches Ministerkomitee ), in dem alle mit den Handelsvertragsverhandlungen zusammenhängenden Fragen behandelt wurden. Für den Zeitraum vom November 1931 bis September 1937 gibt es 120 Sitzungen , die Protokolle haben einen geschätzten Umfang von 1.500 Seiten. Die Sitzungsprotokolle befinden sich verteilt auf fünf Kartons im Archiv der Republik , im Bestand BKA / A A , 14 HP ( Handelspolitik ), Signatur Wirtschaft Österreich 1932–1938. Diese Quelle ist für eine weitere Erforschung des deutsch-österreichischen Handelsverkehres – wie für zahlreiche andere bilaterale Handelsverhältnisse – von besonderer Bedeutung. Das Material zeigt , dass die gesamte österreichische Handelspolitik dieser Jahre von keinen langfristigen Konzepten , sondern von an Einzelinteressen orientierten Ad-HocEntscheidungen geleitet war. Derzeit sind in der Forschung die vielen Einzelclearingverträge , die sich häufig ändernden Clearingspitzen zugunsten oder auf Kosten der jeweiligen Handelspartner in ihrer Bedeutung für die gesamte österreichische Handelspolitik oft nur schwer einschätzbar ( etwa mit Bulgarien , mit der Türkei , aber auch mit Italien ). Insgesamt können die zahlreichen Eingriffe in die verschiedensten Wirtschaftszweige anhand dieser Quelle gut verfolgt werden. Den Lippenbekenntnissen des autoritären Staates zur Privatwirtschaft standen unzählige „marktregulierende“ Eingriffe gegenüber. Neben diesem großen Bestand wurden im Zuge der Bearbeitung der Ministerrats protokolle der Bände 7 und 8 des Kabinetts Schuschnigg Sitzungsprotokolle der sogenannten Preisbeobachtungskommission aufgefunden. Dieses Gremium hatte beratende Funktion und sollte besonders Vorschläge zu Preissenkungen von Nahrungsmitteln , Transportkosten , Grund- und Rohstoffen erarbeiten.13 Angesichts der Vielfalt an Ministerkomitees – stichwortartig seien hier die Themen des Zeitraumes November 1936 bis Ende 1937 wie etwa Arbeitsbeschaffungsprogramm , Gewerbesperre , Preisverbilligungsaktion , Milizbegünstigungsgesetz , Ordnungsschutzgesetz , Freiwilliger Arbeitsdienst , Berufsständischer Aufbau , Vereinsgesetznovelle , Ärzteordnung usw. angeführt – stellen die bisher gefundenen Bestände nur einen kleinen Teil dar. Erst nach Abschluss der Edition der Ministerratsprotokolle der Regierungen Dollfuß und Schuschnigg wird eine genaue Analyse über die Häufigkeit der Einsetzung von Ministerkomitees sowie eine Übersicht zu den Themenbereichen möglich sein. 13 Die Verhandlungsschriften über die 25 Sitzungen der Preisbeobachtungskommission finden sich im ÖStA , AdR , BKA / Büro Feest , Karton 7614 b , Konvolut „Preisbeobachtungscom. Sitzungsprotokolle“.
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Kursorisch werden hier noch einige Archivbestände des Österreichischen Staatsarchivs angeführt , die für viele Forschungsdesiderata der Jahre 1933–1938 weiterführende Materialien enthalten. Im Archiv der Republik in der Bestandsgruppe Bundeskanzleramt : Politisches Büro 1936–1938 ( 15 Kartons ) ; Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit / Situationsberichte der Staatspolizei 1936–1938 ( 3 Kartons ) ; Büro Feest ( Felix Feest : seit April 1935 Konsulent für wirtschaftliche Angelegenheiten , seit April 1937 Bundeskommissär zur Überwachung der Preise ) 1936–1937 ( 22 Kartons ) ; Präsidium Korrespondenz – ein Teil davon das Büro Glaise-Horstenau ( 16 Kartons ) ; Präsidium Ministerkorrespondenz ( 20 Kartons ) ; Berufsständischer Aufbau 1937–1938 ( 9 Kartons ) ; Heimatdienst ( April 1933 Gründung eines Kuratoriums für den österreichischen Heimatdienst – Propaganda und Aufklärungsarbeit ) 1933–1938 ( 1 4 Kartons ) ; der Bestand Vaterländische Front , im Besonderen die Teile aus Moskau.14 Zu den angeführten Beständen gibt es detaillierte Bestandsbeschreibungen auf der Homepage des Österreichischen Staatsarchivs. Als noch relativ unbekannte Quelle ist der Nachlass Heinrich Wildner anzuführen , der erst seit Dezember 2009 im ÖStA frei zugänglich ist. Für Forschungen zum Thema Lobbyismus von Interessengruppen der österreichischen Industrie in den 1930er-Jahren empfiehlt sich im Archiv der Republik , Bundesministerium für Handel und Verkehr , Präsidium die Sonderlegung „Auskünfte“. Der Bestand umfasst 224 Kartons und besteht aus Informationen und Interventionen – fallweise gibt es auch Dankschreiben für geleistete Interventionen – , die Verbände , Einzelunternehmen , Einzelunternehmer und „Interventionisten“ unterschiedlichster Art – so etwa auch Politiker , Rechtsanwälte , Vertreter von Wehrverbänden usw. – an den jeweiligen Handelsminister richteten. Ab 1931 schwillt der Umfang der Interventionen deutlich an. Die Indexbände gehören zu den bestgeführten Nachschlagebüchern. Abschließend sei noch auf einen Bestand hingewiesen , der für die Geschichte des Österreichischen Bundesheeres zwar überaus wichtig , doch bisher nicht erschlossen ist. Rund 5000 Faszikel Frontmiliz müssten für die Forschung aufgearbeitet werden. 2.2 Bestände im Parlamentsarchiv Die Frage nach dem Rückhalt der Regierungen Dollfuß und Schuschnigg in der österreichischen Bevölkerung gehört in der Forschung zu den immer wieder gestellten Fragen. Die Hinweise auf regierungskritisches Verhalten in MRP 1044 vom 20. November 1936 waren sehr deutlich. Der Bundesminister für Finanzen Dr. Rudolf Neumayer „stellt fest , daß er genötigt sei , [ … ] zur Art und Weise der Verhandlungsführung im Budgetausschuß Stellung zu nehmen , und hiebei in die für einen Finanzminister unangenehme Situation komme , das Budget gegenüber den durch den Generalberichterstatter Ilg gemachten Ersparungsvorschlägen zu verteidigen“. Bundeskanzler Schuschnigg meinte dazu , „er werde St.Sekr. Dr. Schmidt ersuchen , mit dem Genannten Fühlung zu nehmen , um ihn zu einer 14 Vgl. ÖStA , AdR , Moskauer Beuteakten – Vaterländische Front.
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Revision seines Standpunktes zu bewegen. Falls dies nichts nützen sollte , würde ihn Redner zu sich kommen lassen und ihn ersuchen , das Referat zurückzulegen [ … ].“ Ilg sei „zu verpflichten , daß er mit seinen Anträgen nicht in die Öffentlichkeit trete“.15 Weiterführende Recherchen führten zu einem bisher in der Fachwelt noch völlig unbekannten Aktenbestand im Parlamentsarchiv in Wien. Hier finden sich für die Jahre 1935 bis 1937 Wortprotokolle des sogenannten Finanz- und Budgetausschusses des Bundestages – also für jene Jahre , in denen es in Österreich kein Parlament gab. Insgesamt liegen Materialien von 37 Sitzungen des Finanz- und Budgetausschusses für die Zeit vom 24. Jänner 1935 bis 18. November 1937 vor. Die Sitzungsprotokolle sind in der Form von Typoskripten mit zahlreichen handschriftlichen Zusätzen erhalten und umfassen im Original circa 3.600 Seiten. Stenografische Aufzeichnungen und Reinschriften fehlen. Die in den Ministerratsprotokollen der letzten Jahre der Ersten Republik oft nur angedeuteten Interessenkonflikte werden in diesem Forum mit Deutlichkeit und Vehemenz ausgetragen. In einem Staat mit Einheitsgewerkschaften , ständestaatlich organisierten Interessenvertretungen und ohne zugelassene politische Parteien prallten im Budgetausschuss parteipolitische Strömungen , föderalistische Interessen , Gewerkschaftsforderungen und Unternehmerintentionen beim Streit um die Verteilung von finanziellen Mitteln aufeinander. Die Sitzungsprotokolle zeigen , dass das Grundkonzept der berufsständischen Ordnung im Wesentlichen an der Realität vorbeigegangen ist. Dass es nach den Verboten ein „ideelles Weiterbestehen der politischen Parteien“ gab , wurde bereits von Walter Goldinger in den 1960er-Jahren festgestellt.16 Die Wortprotokolle des Finanz- und Budgetausschusses der Jahre 1935 bis 1937 sind einzigartig , da es weder in den Jahren des demokratischen Parlamentarismus davor noch nach 1945 Wortprotokolle der Sitzungen der diversen Ausschüsse gibt.17 Eine rasche Edition – etwa in Form einer Online-Edition – wäre wünschenswert , da ein vermehrtes und langfristiges Forschen im Parlamentsarchiv erfahrungsgemäß auf organisatorische Schwierigkeiten stößt. III. Eliten in Umbruchzeiten Im letzten Teil werden einige Überlegungen zum Thema Eliten in Umbruchzeiten vorgestellt. Es fehlt eine umfassende Verwaltungsgeschichte zur Ersten und Zweiten Republik sowie ausreichende Forschungen über die Beamten sowohl auf Bundes- wie auch auf Landesebene. Teile der Verwaltungseliten sind ansatzweise erforscht. Exemplarisch sei hier auf Gernot Stimmers Publikation18 oder auf das Handbuch zu den Sektions15 Protokolle des Ministerrates der Ersten Republik ( 2011 ) : Kabinett Dr. Kurt Schuschnigg , Bd. 7 , Wien , MRP 1044 / 18 vom 20. November 1936 , 34–40. Ulrich Ilg stammte wie Staatssekretär Guido Schmidt aus Vorarlberg. 16 Goldinger , Walter ( 1963 ), Die Erste Republik. In : Institut für Österreichkunde ( Hg. ) : Entwicklung der Verfassung Österreichs vom Mittelalter bis zur Gegenwart , Graz , 112–119 : 118. 17 Angaben laut Auskunft des Direktors des Parlamentsarchivs Dr. Günther Schefbeck. 18 Stimmer , Gernot ( 1997 ) : Eliten in Österreich 1848–1970 , 2 Bände ( Studien zu Politik und Verwaltung 57 ), Wien.
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chefs19 oder auf das Diplomatenbuch verwiesen.20 In diesen Veröffentlichungen finden sich auch die wichtigsten einschlägigen Publikationen zum Thema. In diesem Zusammenhang sei noch auf eine Tagung in Linz im Frühjahr 2008 verwiesen , deren Ergebnisse mittlerweile publiziert wurden.21 In politischen Umbruchzeiten – und als solche können die Jahre 1933 bis 1938 bezeichnet werden – kommt dem Verhalten der Beamtenschaft besondere Bedeutung zu. Die Feststellung der politischen Einstellung von Spitzenbeamten – egal zu welcher Zeit – gehört aber zu einer der schwierigsten Forschungsaufgaben. Für die Durchführung der Regierungsmaßnahmen wurde es ab 1933 immer wichtiger , regierungstreue Beamte in der Verwaltung zur Verfügung zu haben. Es wurde ein Bundeskommissär für Personalangelegenheiten , Arbogast Fleisch22 , für die Personalpolitik bestellt. Beamte , die nicht voll für den Regierungskurs eintraten , versuchte man , und das zum Teil noch vor den Februarkämpfen 1934 und dem Juliputsch 1934 , durch immer schärfere Handhabung des Disziplinarrechtes zu eliminieren. Der Anteil jener öffentlichen Bediensteten , die aus politischen Gründen eine Disziplinarstrafe erhielten , wird in der Literatur mit zwei Prozent beziffert.23 Die Frage ist allerdings , ob neben den Disziplinarverfahren auch andere Maßnahmen wirksam wurden. Inwieweit etwa waren das Budgetsanierungsgesetz des Jahres 1931 , die Abbauverordnung von 1931 und das Wartegeldgesetz von 1932 dazu benützt worden , um „politisch unzuverlässige Beamte“ schon in niedrigeren Dienstklassen zu eliminieren. Dafür könnten z. B. gezielt die Versetzungen in den Wartestand oder die Ruhestandsversetzungen vor Erreichung des Pensionsalters einer genaueren Untersuchung unterzogen werden , etwa ob diese Beamtengruppen mehr NSDAP-Mitglieder aufweisen als eine Gruppe , die mit Erreichung des Pensionsalters in den Ruhestand versetzt wurde. Eine Detailuntersuchung über die Beurlaubungen gegen Wartegeld im Bundesheer der Ersten Republik kommt zu dem Schluss , dass unter den betroffenen Offizieren etwa ein Drittel der christlichsozialen Offiziersgewerkschaft angehört hatte. Die Mehrheit der Beurlaubten gehörte den deutschnationalen Soldatenverbänden oder der NSDAP an.24 Dies zeigt , dass das Wartegeldgesetz benützt wurde , um politisch unzuverlässige Offiziere vom Dienst zu entfernen. Beim momentanen Stand der Forschung können zwar aufgrund von kollektivbiografisch orientierten Publikationen zu einzelnen Gruppen – etwa zu Sektionschefs oder Spitzendiplomaten – genauere Aussagen über soziale Herkunft , Ausbildung , Karrie19 Vgl. zum Forschungsstand Enderle-Burcel , Gertrude / Follner , Michaela ( 1997 ) : Diener vieler Herren. Biographisches Handbuch der Sektionschefs der Ersten Republik und des Jahres 1945 , Wien , 5 , 501. 20 Agstner , Rudolf / Enderle-Burcel , Gertrude / Follner , Michaela ( 2009 ) : Österreichs Spitzendiplomaten zwischen Kaiser und Kreisky. Biographisches Handbuch der Diplomaten des Höheren Auswärtigen Dienstes 1918 bis 1959 , Wien. 21 Weber , Wolfgang / S chuster , Walter ( Hg. ) ( 2011 ) : Biographien und Zäsuren. Österreich und seine Länder 1918–1933–1938 ( H istorisches Handbuch der Stadt Linz 2010 /2011 ), Linz. 22 Enderle-Burcel et al. ( 1997 ), 98–99. 23 Sedlak , Eva-Maria ( 2004 ) : Politische Sanktionen gegen öffentliche Bedienstete im österreichischen „Ständestaat“, phil. Diss. , Wien , 164. 24 Mairamhof , Erwin ( 1994 ) : Beurlaubungen gegen Wartegeld im Bundesheer der 1. Republik nach dem Bundesgesetz von 1932 , Mitterberg , 5.
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re , politisches Verhalten ( abhängig von der Quellenlage ), zusätzliche Qualifikationen , Wirtschaftskompetenz und Veröffentlichungen gemacht werden , doch müsste die Basis dringend erweitert werden. Aber alleine die Ausdehnung der Untersuchung vom Sektionschefrang auf Ministerialratsebene würde eine Vergrößerung der zu untersuchenden Personengruppe auf das Zehnfache bedeuten. Noch tiefer gehende Forschungen kämen in eine Größenordnung von einigen Tausend Beamten. Umfassende Biografien , die alle wesentlichen Eckdaten enthielten , sind wahrscheinlich nicht zu leisten. Eine Möglichkeit wäre etwa , sich nur mit einzelnen Kriterien , etwa der Frage nach der Religionszugehörigkeit , zu befassen. Bei vorsichtiger Interpretation der Karrieredaten der Sektionschefs und Spitzendiplomaten entsteht der Eindruck , dass Sektionschefs mit jüdischem Glaubensbekenntnis oder Ursprungs in den 1920er-Jahren pensioniert wurden und bei den weiteren Ernennungen keine mehr in den Sektionschefrang nachrückten. Bei dieser Fragestellung sind noch gezielte Forschungen notwendig. 3.1 Die Liquidierung der österreichischen Verwaltung 1938 Es fehlt eine umfassende behördengeschichtliche Darstellung der Eingliederung und Neugestaltung der Verwaltung nach dem März 1938. Eine zeitgenössische Gesetzes sammlung von Helfried Pfeifer gibt zwar einen Überblick über den „einmaligen Eingliederungsprozess“25 , den der Autor 1941 als abgeschlossen betrachtete. Bis heute ist jedoch noch nicht der Versuch gemacht worden , aus dieser Gesetzessammlung das Ausmaß der Veränderungen in der Verwaltung herauszufiltern. In welchem Ausmaß Verwaltungsstellen liquidiert wurden , welche Stellen in der Zeit von 1938 bis 1941 noch wichtige Übergangsfunktionen innehatten , welche Kompetenzen zentral / dezentral wahrgenommen wurden und viele andere Fragen sind noch der Forschung vorbehalten. Karl Stadler stellte 1972 in seinem Vorwort zur Publikation von Gerhard Botz über die Eingliederung Österreichs ins Deutsche Reich fest : „Den Auflösungsprozeß des österreichischen Staates und die Oktroyierung fremder Verwaltungsstrukturen , den chaotischen Zustand auf dem Gebiet des Staatsrechtes , die Interferenz widerstreitender Sonderinteressen ,reichsdeutscher‘ und einheimischer Nationalsozialisten zu erforschen , wurde von österreichischen Juristen und Historikern ( von wenigen Ausnahmen abgesehen ) bisher als nicht zu ihrem Aufgabenbereich gehörend gerechnet …“26 Eine Ausnahme ist die Publikation zu den „Reichsforsten“.27 Verallgemeinerungen über das Verhalten der österreichischen Beamten 1938 fallen in der Literatur ganz unterschiedlich aus.28 Die Beurteilungen von Zeitgenossen und in 25 Pfeifer , Helfried ( 1941 ) : Die Ostmark. Eingliederung und Neugestaltung , Historisch-systematische Gesetzessammlung nach dem Stande vom 16. April 1941 , Wien , V. 26 Botz , Gerhard ( 1972 ) : Die Eingliederung Österreichs in das Deutsche Reich. Planung und Verwirklichung des politisch-administrativen Anschlusses ( 1938–1940 ) ( Schriftenreihe des Ludwig Boltz mann-Instituts für Geschichte der Arbeiterbewegung 1 ), Wien , 9. 27 Rathkolb , Oliver / Wirth , Maria / W ladika , Michael ( 2010 ) : Die „Reichsforste“ in Österreich 1938–1945 : Arisierung , Restitution , Zwangsarbeit und Entnazifizierung. Studie im Auftrag der Österreichischen Bundesforste AG , Wien. 28 Vgl. Botz , Gerhard ( 1980 ) : Wien vom „Anschluß“ zum Krieg. Nationalsozialistische Machtüber-
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der Literatur sind so allgemein – „einzelne“, „gelegentlich“, „eine Menge Beamte , in ihrem Selbstbewusstsein schwer getroffen“ u. Ä. – und so unpräzise , dass sie in der gegenwärtigen Opfer-Täter-Diskussion nicht weiterführen. Seriöse Aussagen über die OpferTäter-Mitläuferrolle der österreichischen Beamtenschaft sind beim momentanen Stand der Forschung nicht möglich. Bei den Fragen nach Opfer / M itläufer / Täter gilt jedenfalls , dass derzeit konkrete Angaben nur zu relativ kleinen Personengruppen gemacht werden können. Der Aufstieg österreichischer Beamter im Dienste des Deutschen Reiches – etwa von der mittleren Ebene in Leitungspositionen – ist nur in Einzelfällen erforscht. Die personellen Konsequenzen des „Eingliederungsprozesses“ sind bei Weitem noch nicht in allen Facetten durchleuchtet. Sieht man Österreich als Opfer , so wird das Bild von massenhaften Entlassungen und Neubesetzungen transportiert. Die Säuberung des öffentlichen Dienstes in den Spitzenpositionen ist offenkundig. Wie weit frei gewordene leitende Positionen von „reichsdeutschen Funktionären“ besetzt wurden , lässt sich aber nur punktuell nachweisen.29 Veränderte Verwaltungsstrukturen bei den Zentralstellen machen einen direkten Vergleich oft nur schwer möglich. Nimmt man Verwaltungseinheiten , die auch im Deutschen Reich weiterbestanden haben , und sieht sich die leitenden Positionen an , so ergibt sich ein anderer Eindruck. Mit dem Ostmark-Jahrbuch des Jahres 1942 lassen sich die leitenden Beamten von elf vergleichbaren Verwaltungsstellen eruieren ( Statistisches Amt für die Reichsgaue , Oberfinanzpräsident von Wien , Oberlandesgericht Wien , Reichspatentamt / Zweigstelle Österreich , Reichsbahndirektion Wien , Reichsforstverwaltung , Reichsbankhauptstelle Wien , Wiener Börse , Außensenate Wien des Reichsverwaltungsgerichtshofes , Reichspostdirektion Wien , Außenabteilung des Rechnungshofes des Deutschen Reiches ). Von diesen elf Verwaltungsstellen , die als Rechtsnachfolger von ehemaligen österreichischen Bundeseinrichtungen gewertet werden können , waren nur zwei Spitzenpositionen mit Reichsdeutschen besetzt ( Reichspostdirektion und Außenabteilung des Rechnungshofes ). Die übrigen wurden mit ehemaligen österreichischen Beamten besetzt. Ohne in die Tiefe gehende personenbezogene Forschungen bleiben aber alle Angaben zur erfolgten oder auch nicht erfolgten Durchdringung österreichischer Verwaltungseinheiten zufällig. Eine der wenigen Detailuntersuchungen gibt es zu den schon angeführten „Reichsforsten“. 3.2 Kontinuität – Diskontinuität Auf Sektionschefebene sind acht Beamte festzustellen , die durchgehend – Erste Republik / 1938–1945 / Zweite Republik – Verwendung fanden. Von diesen Beamten hatten alle – mit einer Ausnahme – ihren Dienst bereits in der Monarchie angetreten. Sie waren damit im wahrsten Sinne des Wortes „Diener vieler Herren“. Dass ihnen der Wechsel von höheren Positionen im Ständestaat zu mittleren oder leitenden Stellungen im Nanahme und politisch-soziale Umgestaltung am Beispiel der Stadt Wien 1938 / 39 , Wien / München , 60– 61 ; Broucek ( 1983 ), 280 , 292. 29 Rot-weiß-rot-Buch ( 1946 ) : Gerechtigkeit für Österreich ! Darstellungen , Dokumente und Nachweise zur Vorgeschichte und Geschichte der Okkupation Österreichs ( nach amtlichen Quellen ), erster Teil , Wien , 77.
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tionalsozialismus ohne offenkundiger Nähe zur NSDAP gelang , zeigt , dass selbst Diktaturen zumindest auf Verwaltungsebene gewisse Kontinuitäten zuließen bzw. nützten.30 Auch hier gilt , dass Aussagen nur zu den Spitzenbeamten – und dies nur auf Bundesebene – möglich sind. Ein Überblick über den Stand der Forschung auf Landesebene ist nach Erscheinen der im Zuge der Linzer Tagung des Jahres 2008 entstandenen Publikation möglich.31 Infolge dieser Tagung wurde eine Forschungsinitiative gestartet , die im Rahmen einer Vortragsreihe im Österreichischen Staatsarchiv läuft. Vierzehn Wissenschafterinnen und Wissenschafter beschäftigen sich mit strukturellen und personellen Veränderungen in der Verwaltung zwischen 1933 / 1934 / 1938 / 1945.32 Parallel wurde im Februar 2011 ein Workshop abgehalten , der sich mit strukturellen und personellen Veränderungen in den österreichischen Bibliotheken beschäftigt hat.33 Angedacht sind auch weitere Forschungen zu Österreichs Diplomaten. Das Außenressort würde sich durch die umfangreichen Vorarbeiten vom Gesandten Rudolf Agstner zu einer in die Tiefe gehenden Fallstudie anbieten. Ausgehend vom Jahr 1938 könnten die Jahre davor und danach einer umfassenden Untersuchung unterzogen werden. 1938 umfasste der österreichische Auswärtige Dienst in allen Verwendungsgruppen 379 Personen. Bei Öffnung des Archivs des Außenministeriums wäre dies wohl eine durchaus zu bewältigende Personengruppe. Einige Vorarbeiten gibt es weiters zur biografischen Erfassung der Generäle des Österreichischen Bundesheeres der Ersten Republik. Ansprechpartner dafür ist Gerhard Artl im Österreichischen Staatsarchiv. Auffallend sind personelle Veränderungen im Bundesheer – ersichtlich aus den Chroniken der „Militärhistorischen Zeitschrift“ der Jahre 1936 und 1937 – deren Bedeutung nur nach gezielten Forschungen beurteilt werden kann. Noch weitgehend unerforscht sind die Obersten Gerichtshöfe und Richter ( Oberster Gerichtshof , Oberstes Gefällsgericht , Generalprokuratur , Oberlandesgerichte , Oberstaatsanwaltschaften ), für die auch im Rahmen der Forschungsinitiative „Verwaltung im Umbruch“ keine BearbeiterInnen gefunden werden konnten. Stichwortartig sei noch auf die Sozialversicherungsträger , auf die Schulorgane , auf die Kammern und die Spitzen der katholischen und evangelischen Kirchen verwiesen. Zur Wirtschaftskammer Wien ist anzumerken , dass es umfangreiche Personalakten gibt. Eine Anfrage an das Diözesanarchiv Wien , ob es Aktenbestände für die Jahre 1934 bis 1938 ( Katholische Aktion – Verhältnis nach dem Konkordat , Beratungen der Bischofs30 Vgl. Enderle-Burcel et al. ( 1997 ), 506. 31 Weber et al. ( 2011 ). 32 Vgl. Enderle-Burcel , Gertrude : Staat im Umbruch – Forschungslücken zur Geschichte Österreichs der Jahre 1933 bis 1938 , URL : http ://www.univie.ac.at / z eitgeschichte / cms / uploads / Paper-Enderle-Burcel.pdf ( abgerufen am 17. 10. 2011 ), Beilage 3. 33 Die Ergebnisse der Forschungsinitiativen „Verwaltung im Umbruch“ und „Bibliotheken im Umbruch“ werden 2013 in einem Sonderband der Mitteilungen des Österreichichen Staatsarchivs publiziert. Vgl. auch Enderle-Burcel , Gertrude : Staat im Umbruch – Forschungslücken zur Geschichte Österreichs der Jahre 1933 bis 1938 , URL : http ://www.univie.ac.at / z eitgeschichte / cms / uploads / Paper-Enderle-Burcel.pdf ( abgerufen am 17. 10. 2011 ), Beilage 4.
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konferenz , Schwangerschaftsabbruch , Jugenderziehung , Abweichungen / Ü bereinstimmungen der katholischen Kirche mit den „Ständestaat“-Vertretern ) gäbe , führte zu einer Weiterleitung an das Diözesanarchiv St. Pölten , das keine Hinweise zu den Forschungsfragen gab. In diesen Archiven werden daher auch inhaltliche und personenbezogene Forschungen nicht einfach sein. Versuchsweise wurden mithilfe des Amtskalenders des Jahres 1937 43 Vertreter der Erzdiözese Wien erfasst. Davon konnten nur für sieben Persönlichkeiten biografische Forschungen eruiert werden. Der größte Teil dieser Publikationen ist 30 Jahre alt oder älter. Zu Überlegungen , in welches politische Lager evangelische Akademiker und Theologen einzureihen sind , heißt es in einer Publikation von 1987 , dass dies „aufgrund weithin noch strikt gehandhabter Archivsperren“ noch nicht gesagt werden kann.34 Insgesamt sollte das Verhältnis der evangelischen Kirche zum katholischen „Ständestaat“ – etwa die Kirchenverfassung 1931 , der Entwurf eines Protestantengesetzes 1937 , das Verhältnis zur Vaterländischen Front , zum Nationalsozialismus usw. – noch intensiven Forschungen unterzogen werden. Die Archivbestände sind umfangreich , geordnet und bisher wenig verwendet. Zur Israelitischen Kultusgemeinde gibt es durchgehend Sitzungsprotokolle des Vorstandes , die für die Jahre 1933 bis 1938 in die Forschung einbezogen werden könnten. Die Beispiele aus Kammer und Kirchen zeigen die Schwierigkeiten von personenbezogener Forschung abseits der öffentlichen Verwaltung bzw. außerhalb der staatlichen Archive. Insgesamt sind daher die Verwaltungseliten – trotz aller Lücken – noch am besten erforscht. Viele Verallgemeinerungen halten einer exakten Überprüfung nicht stand. Genaue Analysen scheitern aber an der Masse der Beamten. Der ambitionierte Versuch von Gernot Stimmer zu den „administrative Eliten“35 , die deutlich weiter gefasst sind als die Beamten im Sektionschefrang , zeigt aber die Grenzen. Unterschiedliche Samples und Methoden machen Vergleiche mit vorliegenden Detailuntersuchungen unmöglich. Eine größer angelegte Forschung auf diesem Gebiet wäre nur mit strikten Vorgaben sinnvoll , um Einzelergebnisse von Detailforschungen vergleichen zu können. Insgesamt wäre eine systematische Erfassung – etwa in einem Forschungsregister – und Koordinierung der wichtigsten Forschungsprojekte und -vorhaben auf dem Gebiet der Forschung zu Verwaltungseliten wünschenswert. Schwerpunkte könnten dabei etwa auf der Zusammensetzung des Sicherheitsapparates ( Heer , Polizei ) und wichtiger Verwaltungsstellen der Justiz ( Oberste Gerichtshöfe , Justizministerium , Bundeskanzleramt / Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit ) liegen.
34 Barton , Peter F. ( 1987 ) : Evangelisch in Österreich. Ein Überblick über die Geschichte der Evangelischen in Österreich ( Studien und Texte zur Kirchengeschichte und Geschichte , Reihe 2 , 11 ), Wien / Köln / Graz , 168. 35 Stimmer ( 1997 ), 851–881.
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3.3 Einige Überlegungen zu Forschungslücken zu den politischen Eliten 1933 bis 1938 Nach der sukzessiven Auflösung der politischen Parteien ( Kommunistische Partei im Mai 1933 / Nationalsozialistische Partei im Juni 1933 / Sozialdemokratische Partei im Februar 1934 ) und der Selbstauflösung der Christlichsozialen Partei im September 1934 wäre die Frage nach dem weiteren Schicksal der Parteieliten zu stellen. Für die Sozialdemokratie wären die Lebensumstände ihrer Elite zu erforschen , die wohl erst zu definieren wäre ( M itglieder der Parteigremien , Spitzenpolitiker , Funktionäre in Gewerkschaften und Kammern , Vertreter der sozialdemokratischen Wirtschaftsunternehmen ). Forschungsansätze wären die Lebensumstände 1934 bis 1938 , 1938 bis 1945 und danach ( Verfolgung / i nnere Emigration / NSDAP-Mitgliedschaft ), die Zugehörigkeit zum linken oder rechten Parteiflügel , die jüdische Herkunft , der Antisemitismus in der Sozialdemokratie vor 1938. Die bisher erfolgte Exil- und Emigrationsforschung deckt nur Teile dieser Fragestellungen ab. Bei den christlichsozialen Eliten – auch hier wäre die Personengruppe erst zu definieren – ist ebenfalls nach dem Verhalten in den Jahren 1934 bis 1938 zu forschen : Wer blieb demokratischen Traditionen ( z . B. Josef Schlegel ; System Kunschak36 ) verbunden , wer driftete zu den Heimwehren ab ( z . B. Julius Raab ), wer ist zur Elite des katholisch autoritären „Ständestaates“ zu rechnen ( z . B. Richard Schmitz ) ; wer geht ins Exil37 , wer ist Anschlussgegner , wer zeigt eine Nähe zum Nationalsozialismus usw. ? Auch beim christlichsozialen Lager ist die Frage nach Antisemitismus und nach den Formen und Auswirkungen vor 1938 zu stellen – etwa in der Schulpolitik , in der Verwaltung , in der Wirtschaft. Hier wäre ein Forschungsansatz z. B. die Frage , ob und wie jüdische Unternehmen bei öffentlichen Lieferungen , bei Gewerbeansuchen , bei Finanzstrafverfahren u. Ä. in den 1930er-Jahren benachteiligt wurden. Zu fragen wäre weiters nach Kontakten zwischen den Vertretern der verschiedenen politischen Lager in den Jahren 1933 bis 1938. Es stellt sich auch die Frage nach der Bezeichnung für das politische System der Jahre 1934 bis 1938 in Österreich – eine Fragestellung , die bei der ÖVP noch immer Irritationen hervorruft. Es fehlen Biografien zu den Regierungsmitgliedern der Jahre 1933 bis 1938. Von 53 Regierungsmitgliedern gibt es zu 33 Ministern keine Biografie. Bei zehn weiteren sind die Biografien 25 bis 40 Jahre alt. Auch zu Viktor Kienböck wären neuere Forschungen sinnvoll. Es fehlen zudem Publikationen zu den Landeshauptleuten. Von 22 Landeshauptleuten der Jahre 1933 bis 1938 gibt es zehn Biografien. Die Beschäftigung mit Landespolitikern ist aber offenkundig intensiver. So erschien 2011 eine weitere Publikation zu den politischen Eliten in Niederösterreich.38 36 Das „System Kunschak“ wird im Ministerrat als „eine starke Belastung für den gegenwärtigen Regierungskurs“ bezeichnet. Vizekanzler Rüdiger Starhemberg meinte sogar : „Ob man nicht einmal Schluß machen könnte mit Kunschak …“ Vgl. Protokolle des Ministerrates der Ersten Republik ( 1995 ) : Kabinett Kurt Schuschnigg , Bd. 3 , Wien , MRP 1013 / 7 vom 29. Oktober 1935 , 350 ( Stenogramm ). 37 Vgl. Einzelbeispiele bei Feichtinger , Johannes ( 1992 ) : Das christlichsoziale Exil. Die Exilpolitik der Christlichsozialen in Großbritannien 1938–1945 , Dipl.-Arb. , Graz. 38 Bezemek , Ernst / Dippelreiter , Michael ( 2011 ) : Politische Eliten in Niederösterreich. Ein biogra-
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Es fehlen größtenteils Forschungen zur Umsetzung der ständestaatlichen Verfassung auf Landesebene. Die politischen und personellen Strukturen der Landtage , Landesregierungen , der Berufsstände , der Kammern , der Gemeinden sind mit den Ausnahmen von Wien39 und Salzburg40 weitgehend unerforscht. 3.4 Wirtschaftseliten und Lobbyismus in Österreich Ein weites Forschungsfeld stellen nach wie vor Österreichs Wirtschaftseliten dar. Industrielle , Bankiers , Unternehmer , Beamte an den Schaltstellen der Ministerien , Politiker , Wirtschaftsanwälte und Verbandsfunktionäre , Vertreter der Vaterländischen Front und von Wehrverbänden bildeten ein Netzwerk – von Emmerich Tálos als eines der bedeutendsten auf gesamtstaatlicher Ebene bezeichnet 41 – , das einer gründlichen Erforschung harrt. Forschungen zum Lobbyismus in Österreich würden auch wesent liche Erkenntnisse zu den staatlichen Versuchen , in die Privatwirtschaft einzugreifen , zu dem Verbändewesen in Österreich , zu den Wirtschaftsstrukturen – nach Branchen und Regionen – sowie zu den Interventionisten und Adressaten bringen. Dazu gehörten zudem die Sichtbarmachung von verwandtschaftlichen Beziehungen , Schul- und Lebensfreundschaften , die Rolle des CVs u. Ä. Nicht zuletzt fehlen auch umfassende Forschungen zur Anfälligkeit von Industrieeliten für den Nationalsozialismus. Die Spitzen – wie Anton Apold und Philipp Schoeller – sind zwar bekannt , doch fehlen Untersuchungen etwa zu den in Österreich stark vertretenen Mittelbetrieben. IV. Resümee Aus dem bisher Gesagten ist der Schluss naheliegend , dass die derzeitige Forschungspolitik nur unzureichend gerüstet ist , diese Forschungsziele , mit denen ein Team von HistorikerInnen für Jahrzehnte ausgelastet werden könnte , erfüllen zu können.
phisches Handbuch 1921 bis zur Gegenwart ( S chriftenreihe des Forschungsinstitutes für PolitischHistorische Studien der Dr.-Wilfried-Haslauer-Bibliothek Salzburg 38 ), Wien. 39 Seliger , Maren ( 2010 ) : Scheinparlamentarismus im Führerstaat. „Gemeindevertretung“ im Austrofaschismus und Nationalsozialismus , Funktionen und politische Profile Wiener Räte und Ratsherren 1934–1945 im Vergleich ( Politische Politik und Zeitgeschichte 6 ), Wien. 40 Stock , Hubert ( 2010 ) : „ …nach Vorschlägen der Vaterländischen Front“. Die Umsetzung des christlichen Ständestaates auf Landesebene , am Beispiel Salzburg ( S chriftenreihe des Forschungsins titutes für Politisch-Historische Studien der Dr.-Wilfried-Haslauer-Bibliothek Salzburg 39 ), Wien. 41 Tálos , Emmerich ( 1995 ) : Interessenvermittlung und partikularistische Interessenpolitik in der Ersten Republik. In : Tálos , Emmerich / Dachs , Herbert / Hanisch , Ernst / Staudinger , Anton ( Hg. ) : Handbuch des politischen Systems Österreichs. Erste Republik 1918–1933 , Wien , 371–394 : 380.
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Ilse Reiter-Zatloukal
Verwaltungs- und justizgeschichtliche Forschungsdesiderate 1933–1938 Während die Verfassungsgeschichte der Jahre 1933 bis 1938 einen vergleichsweise hohen Aufarbeitungsgrad aufweist , ist die Justiz- und Verwaltungs- , insbesondere Polizeigeschichte dieser Zeit nach wie vor von zahlreichen Forschungsdesideraten gekennzeichnet. Diese sollen im Folgenden skizziert werden , ausgehend von denjenigen Themenfeldern , zu denen entweder in den letzten Jahren , insbesondere im Zuge von interdisziplinären Projekten unter der Leitung der Verfasserin ,1 mittlerweile ( Teil-)Erkenntnisse erzielt oder aber bereits Vorarbeiten für künftige Projekte geleistet werden konnten. I. Staatsangehörigkeit im Migrationskontext Eines dieser Forschungsfelder ist das Staatsangehörigkeitsrecht im Austrofaschismus , dessen Entwicklung sowohl durch die Verschärfung der Einbürgerungsvoraussetzungen als auch die Einführung von neuen Tatbeständen zum Zweck der Ausbürgerung aus politischen Gründen geprägt war. Diese Novellierungen des aus 1925 stammenden Staatsbürgerschaftsgesetzes , vorgenommen durch Regierungsverordnungen auf der Grundlage des Kriegswirtschaftlichen Ermächtigungsgesetzes von 1917 , standen unter dem Zeichen einer ideologischen Aufladung der Staatsangehörigkeit im Sinne einer unbedingten Regimeloyalität. Darüber hinaus sollten nach dem Inkrafttreten der austrofaschistischen Maiverfassung 1934 die neuen verfassungsrechtlichen Vorgaben auf dem Gebiet des Staatsbürgerschaftsrechts durch ein neues Staatsbürgerschaftsgesetz implementiert werden. 1 Es handelt sich dabei um das insbesondere vom Jubiläumsfonds der Stadt Wien für die Akademie der Wissenschaften und vom Jubiläumsfonds der Stadt Wien für die Universität Wien geförderte Projekt zur politisch motivierten Ausbürgerung in Wien in den Jahren 1933 bis 1938 ( durchgeführt mit Christiane Rothländer ), andererseits um das hauptsächlich vom Forschungsförderungsfonds ( F WF ) sowie dem Jubiläumsfonds der Stadt Wien geförderte Projekt zum politisch motivierten Vermögensentzug in Wien in den Jahren 1933 bis 1938 ( durchgeführt mit Christiane Rothländer und Pia Schölnberger ). Zu erwähnen ist in diesem Kontext aber auch das vom Zukunftsfonds der Republik Österreich geförderte Projekt zum „Adolf-Hitler-Haus“ in Wien-Mariahilf ( durchgeführt mit Christiane Rothländer und Marie-Noëlle Yazdanpanah ).
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V. Rechts- und Verwaltungsgeschichte
Die keineswegs unbedeutenden realisierten wie geplanten Modifikationen des Staatsangehörigkeitsrechts stießen allerdings lange Zeit kaum auf wissenschaftliches Interesse. Erwähnung fand das verschärfte Einbürgerungsrecht zwar etwa in Willibald Liehrs Arbeit über das österreichische und ausländische Staatsbürgerschaftsrecht aus dem Jahr 19502 und in Rudolf Thienels Darstellung des österreichischen Staatsbürgerschaftsrechts aus 1989 ,3 eingehender beschäftigte sich mit dieser Thematik jedoch erst 2011 ein Beitrag der Verfasserin.4 Hierbei konnte u. a. die Tendenz aufgewiesen werden , durch Normierung einer De-Facto-Einbürgerungssperre im November 1933 den Erwerb der Staatsbürgerschaft für „volksfremde Personen“ ( insbesondere aus Osteuropa ) massiv zu erschweren , wenn diese eine zusätzliche Belastung des österreichischen Arbeitsmarkts , der staatlichen Fürsorgeeinrichtungen und der kommunalen Armenfürsorge befürchten ließen. Die Neuregelung 1933 richtete sich aber auch mittels Verstärkung der Bundeskompetenzen zulasten der Länder gegen das ( noch ) „Rote Wien“, das von der Regierung u. a. verdächtigt wurde , mittels Einbürgerung die Ausweisung ausländischer Kommunisten aus Österreich zu verhindern. Als Ergebnis dieser Modifikationen des Einbürgerungsrechts trat ein Rückgang um mehr als 93 Prozent der Einbürgerungen bzw. entsprechender Zusicherungen in Wien ein. Festzustellen waren auch Versuche seitens der „Vaterländischen Front“, auf die Einbürgerungen hinkünftig direkten Einfluss zu nehmen. Ungeachtet dieser ersten neuen Erkenntnisse bleibt aber die Einbürgerungspraxis in der Zeit des Austrofaschismus ein Forschungsdesiderat , fehlen doch Untersuchungen der individuellen Verleihungs- bzw. Zusicherungsakte der Länder auf der Grundlage der Bestände der Landesarchive. Wie die Einbürgerungen , so wurden bis vor wenigen Jahren auch die politisch motivierten Ausbürgerungen in den Jahren 1933 bis 1938 weitgehend von der Forschung ignoriert , wiewohl zwischen 1933 und 1938 in Österreich 10.250 bis 10.500 derartiger Ausbürgerungen vorgenommen wurden. Seit August 1933 konnte nämlich die österreichische Staatsangehörigkeit durch die Verwaltungs- bzw. Polizeibehörde dann entzogen werden , wenn jemand ein offenkundig „Österreich-feindliches“ Verhalten im Ausland an den Tag legte – sich also insbesondere für eine verbotene Partei ( K PÖ , SDAP , NSDAP ) betätigte – oder sich ohne Ausreisebewilligung in das Deutsche Reich begeben hatte , wobei dieser zweite Ausbürgerungsgrund naturgemäß v. a. gegen NationalsozialistInnen angewendet wurde. Für die Exilländer der linken Opposition ( v. a. ČSR und UdSSR ) galten nämlich keine derartigen Ausreisebeschränkungen , weshalb Angehörige der linken Opposition in der Regel wegen „Österreich-feindlichen Verhaltens“ ausgebürgert wurden. Die Forschungslücke hinsichtlich der politisch motivierten Ausbürgerungen wurde schon Ende der 1990er-Jahre von der Verfasserin thematisiert.5 Zu dieser Zeit war 2 Liehr , Willibald ( 1950 ) : Das österreichische und ausländische Staatsbürgerschaftsrecht , 1. Teil : Das österreichische Staatsbürgerschaftsrecht. Unter besonderer Berücksichtigung der Staatsbürgerschaft der Frau und Kinder sowie der einschlägigen Bestimmungen des ausländischen Staatsbürgerschaftsrechtes [ Fachbücherei des Standesbeamten 1 ] , Wien , 31. 3 Thienel , Rudolf ( 1989 ) : Österreichische Staatsbürgerschaft , Bd. 1 : Historische Grundlagen und völkerrechtliche Entwicklung , Wien , 63. 4 Reiter-Zatloukal , Ilse ( 2011b ) : Staatsbürgerschaftsrecht in Österreich 1933–1938. In : BRGÖ , 291– 316 : 292. 5 Vgl. Reiter , Ilse ( 1996 ) : Ausgewiesen , abgeschoben. Eine Geschichte des Ausweisungsrechts in
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das Phänomen der Ausbürgerung aus politischen Gründen nur in einem Beitrag von Johanna Gehmacher im Zuge ihrer Arbeiten über die NS-Jugendorganisationen6 sowie in Publikationen von Barry McLoughlin , Hans Schafranek und Walter Manoschek im Zusammenhang mit den österreichischen EmigrantInnen in der Sowjetunion angesprochen worden.7 Zu den Ausbürgerungen in Wien wurden dann seit 2006 mehrere Publikationen8 im Rahmen eines Forschungsprojekts unter der Leitung der Verfasserin9 vorgelegt. In diesem Jahr erschien des Weiteren ein Artikel Wolfgang Meixners ,10 in dem Österreich vom ausgehenden 18. bis ins 20. Jahrhundert , Habil. , Wien , in überarbeiteter Fassung erschienen als Reiter , Ilse ( 2000 ) : Ausgewiesen , abgeschoben. Eine Geschichte des Ausweisungsrechts in Österreich vom ausgehenden 18. bis ins 20. Jahrhundert [ Studien aus Recht , Geschichte und Gesellschaft 3 ] , Frankfurt / Main , 487 , auch FN 2583. 6 Gehmacher , Johanna ( 1996 ) : Fluchten , Aufbrüche. Junge Österreicher und Österreicherinnen im nationalsozialistischen Deutschland 1933–1938. In : Horvath , Traude / Neyer , Gerda ( Hg. ) : Auswanderungen aus Österreich. Von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis zur Gegenwart , Wien / Köln / Weimar , 211–232 : 214 und passim. 7 McLoughlin , Barry / Schafranek , Hans ( 1999 ) : Österreicher im Exil. Sowjetunion 1934–1945. Eine Dokumentation , hrsg. vom Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes , Wien , 138 ; McLoughlin , Barry / S chafranek , Hans / Szevera , Walter ( 1997 ) : Aufbruch – Hoffnung – Untergang. Österreicherinnen und Österreicher in der Sowjetunion 1925–1945 [ Österreichische Texte zur Gesellschaftskritik 64 ] , Wien , 286 ff und passim ; McLoughlin , Barry / S chafranek , Hans ( 1996 ) : Die österreichische Emigration in die UdSSR bis 1938. In : Horvath , Traude / Neyer , Gerda ( Hg. ) : Auswanderungen aus Österreich. Von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis zur Gegenwart , Wien / Köln / Weimar , 163–185 : 164 ; Manoschek , Walter ( 1991 ) : Hans und Maria Boček. „Denn hier werden wir nie eine Heimat finden können“. In : Schafranek , Hans : Die Betrogenen. Österreicher als Opfer stalinis tischen Terrors in der Sowjetunion , Wien , 155–159 ; Schafranek , Hans ( 1991 ) : 405 Kurzbiographien österreichischer Stalin-Opfer ( 1933–1939 ). In : Schafranek , Hans ( Hg ) : Die Betrogenen. Österreicher als Opfer stalinistischen Terrors in der Sowjetunion , Wien , 161–244 , passim. 8 Chronologisch : Reiter , Ilse ( 2006a ) : Nationalstaat und Staatsangehörigkeit in der Zwischenkriegszeit – AusländerInnenausweisung und politische Ausbürgerung in Österreich vor dem Hintergrund des Völkerrechts und der europäischen Staatenpraxis. In : Hahn , Sylvia / Komlosy , Andrea / Reiter , Ilse ( Hg. ) ( 2006 ) : Ausweisung , Abschiebung und Vertreibung in Europa 16.–20. Jahrhundert , Innsbruck / Wien / Bozen , 193–218 ; dies. ( 2006b ) : Ausbürgerung. Politisch motivierter Staatsbürgerschaftsverlust im Austrofaschismus , Teil 1. In : juridikum. zeitschrift im rechtsstaat , Jg. 18 ( 2006 ), Heft 4 , 173–176 ; Rothländer , Christiane ( 2007 ) : Ausgebürgert. Politisch motivierter Staatsbürgerschaftsverlust im Austrofaschismus , Teil II. In : juridikum. zeitschrift im rechtsstaat , Jg. 19 ( 2007 ), Heft 1 , 21–25 ; Reiter , Ilse ( 2010a ) : Die Ausbürgerungsverordnung vom 6. August 1933. In : Böhler , Ingrid / Pfanzelter , Eva / Spielbüchler , Thomas / Steininger , Rolf ( Hg. ) : 7. Österreichischer Zeitgeschichtetag 2008 : 1968 – Vorgeschichten – Folgen. Bestandsaufnahme der österreichischen Zeitgeschichte , Innsbruck / Wien / Bozen , 845–854 ; Rothländer , Christiane ( 2010 ) : Die Ausbürgerungspraxis der Bundes-Polizeidirektion Wien 1933–1938. In : Böhler / Pfanzelter / Spielbüchler / Steininger , 855–865 ; Reiter , Ilse / Rothländer , Christiane ( 2010 ) : Staatsbürgerschaftsentzug und Geschlechterdifferenz. Rechtsgrundlagen und Ausbürgerungspraxis 1933 bis 1938 am Beispiel Wien in : L’homme. Europäische Zeitschrift für Feministische Geschichtswissenschaft 21 /2 , 135–153. Eine Monografie befindet sich im Stadium der Überarbeitung für den Druck. 9 Das 2004 bewilligte Projekt lief 2005 an , vgl. Ausbürgerungen im Austrofaschismus – Forschungsprojekte ( 2 8. 11. 2005 ), auf URL : http ://www.dieuniversitaet-online.at / beitraege / news / Ausburgerungen-im-austrofaschismus / 10 / neste /259.html ( 1. 6. 2012 ). 10 Meixner , Wolfgang ( 2006 ) : 11.000 ausgebürgerte illegale Nazis aus Österreich zwischen 1933 und
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er den Fokus v. a. auf Fragen der Sozialstruktur11 der ausgebürgerten „illegalen Nazis“12 legte. Im Unterschied zu diesem eher quantifizierenden Zugang befasste sich das Projekt Reiter / Rothländer zum einen mit der Einbettung des Phänomens der Ausbürgerung nicht nur in den Kontext der sonstigen Maßnahmen des Regimes zur Unterdrückung der politischen Opposition ,13 sondern auch in den historischen völkerrechtlichen Diskurs und die internationale Staatenpraxis.14 Zum anderen standen die Gesetzgebungsgeschichte sowie die Durchführungspraxis anhand der Erlässe des Bundeskanzleramtes und des Behördenschriftverkehrs im Vordergrund des Forschungsvorhabens. Bereits auf dieser Untersuchungsebene zeigte sich für Österreich ein zunächst völlig uneinheitliches Behördenvorgehen aufgrund unterschiedlicher juristischer Interpretationen der Ausbürgerungsverordnung , darüber hinaus aber auch ein Bemühen des Bundeskanzleramts um zumindest vordergründige Rechtskonformität der Verfahren. Ein weiterer Fokus des Projekts lag auf den konkreten Ausbürgerungsfällen in Wien , anhand der dem Wiener Stadt- und Landesarchiv kurz zuvor vom Wiener Magistrat übergebenen Ausbürgerungsakten , die sowohl in quantitativer als auch in qualitativer Hinsicht ausgewertet wurden. Dieser bis dahin unbearbeitete Bestand erwies sich erheblich größer , als nach dem Ausbürgerungsverzeichnis zu vermuten war , da er eine Vielzahl von nicht abgeschlossenen Fällen enthielt und nur 63 Prozent der eingeleiteten 849 Verfahren tatsächlich mit einer Ausbürgerung geendet hatten.15 Gerade die nicht beendeten Verfahren waren aber diejenigen , die spannende juristische Fragen aufwarfen oder politische 1938. In : Bericht über den 24. Österreichischen Historikertag in Innsbruck von 20.–23. 9. 2005 , Innsbruck 2006 , 601–607 , auch URL : www.lbihs.at / MeixnerIllegaleNazis.pdf ( aufgerufen am 26. 5. 2012 ). 11 Diesen Fragestellungen dient auch das 2006 beim Jubiläumsfonds der Oesterreichischen Nationalbank eingereichte Projekt „Die Sozialstruktur der illegalen NS-Bewegung in Österreich ( 1933– 1938 )“, Projektleitung. Gerhard Botz , Projektmitarbeiter Kurt Bauer und Wolfgang Meixner , siehe zum Stand der Arbeiten URL : http ://www.kurt-bauer-geschichte.at / forschung.htm ( 25. 5. 2012 ). 12 Siehe dazu kritisch Rothländer ( 2007 ) : 24. 13 Reiter-Zatloukal , Ilse ( 2012b ) : Politische Radikalisierung , NS-Terrorismus und „innere Sicherheit“ in Österreich 1933–1938. Strafrecht , Polizei und Justiz als Instrumente des Dollfuß / S chuschniggRegimes. In : Härter , Karl / Graf , Beatrice de ( Hg. ) : Vom Majestätsverbrechen zum Terrorismus : Politische Kriminalität , Recht , Justiz und Polizei zwischen Früher Neuzeit und 20. Jahrhundert [ Studien zur europäischen Rechtsgeschichte. Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für europäische Rechtsgeschichte Frankfurt / Main 68 ] , Frankfurt / Main , 271–320. 14 Reiter ( 2006a ) ; dies. ( 2006b ) ; dies. ( 2010b ) : Zwangsausbürgerung aus politischen Gründen : ein Element europäischer Rechtsu nkultur im 20. Jahrhundert ? In : Olechowski , Thomas / Neschwara , Christian / Lengauer , Alina ( Hg. ) : Grundlagen der österreichischen Rechtskultur. Festschrift für Werner Ogris zum 75. Geburtstag , Wien / Köln / Weimar , 433–458 ; Reiter-Zatloukal , Ilse ( 2011a ) : Denationalisation , Migration und Politik. Zur Praxis des Staatsangehörigkeitsentzugs im 20. Jahrhundert. In : migraLex. Zeitschrift für Fremden- und Minderheitenrecht 9 , 2–10 ; dies. ( 2012a ) : Migration und politisch motivierter Staatsbürgerschaftsentzug im 20. Jahrhundert. In : Dahlvik , Julia / Fassmann , Heinz / Sievers , Wiebke ( Hg. ) : Migration und Integration – wissenschaftliche Perspektiven aus Österreich , Jahrbuch 1 /2011 [ M igrations- und Integrationsforschung. Multidisziplinäre Perspektiven 2 ] , Tagungsband der 1. Jahrestagung der Migrations- und Integrationsforschung in Österreich , veranstaltet von der Kommission für Migrationsforschung an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften und der Universität Wien ( Forschungsplattform Migration and Integration Research ), Wien , 75–90. 15 Vgl. Reiter / Rothländer ( 2010 ) : 144.
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Einflussnahmen zeigten bzw. auf die massive politische Unterwanderung der Wiener Polizei hinwiesen.16 Daher musste die Untersuchung der Frage nach den Wiedereinbürgerungen nach 1945 im Rahmen dieses Projekts zugunsten einer vollständigen Erfassung und Auswertung des gesamten Wiener Aktenbestands ausgeklammert werden. Es verbleiben somit erhebliche Forschungsdesiderate im Bereich der politisch motivierten Ausbürgerungen. Zum einen fehlen nämlich vergleichende Länderstudien , um regionale Unterschiede der Durchführungspraxis herausarbeiten zu können. Außerdem können nur auf diese Weise die österreichweiten Relationen zwischen Ausbürgerungen von Angehörigen der linken Opposition und den NationalsozialistInnen geklärt werden , da das amtliche Ausbürgerungsverzeichnis die politische Zugehörigkeit der Ausgebürgerten nicht ausweist. Weiters würden sich daraus auch Erklärungen für die unerwarteten quantitativen Wien-Befunde ergeben. Wie Rothländer nämlich herausgearbeitet hat ,17 liegt Wien , gerechnet anhand der österreichweiten Zahl der Ausbürgerungen mit nicht einmal sechs Prozent an drittletzter Stelle , gefolgt bloß von den bevölkerungsschwachen Bundesländern Vorarlberg und Burgenland , während die meisten Ausbürgerungen auf die Steiermark und Kärnten entfielen. Im Verhältnis zur Wohnbevölkerung gerechnet ist Wien sogar auf dem absolut letzten Platz , denn sogar im Burgenland gab es doppelt so viele Ausbürgungen als in Wien. Wien ist also extrem unterrepräsentiert bei den Ausbürgerungen , was aber deshalb umso befremdlicher erscheint , als Wien bei den Rückkehreransuchen infolge des Juliabkommens 1936 nach einer von Rothländer vorgenommenen Stichprobe von über 3.800 Ansuchen an der dritten Stelle liegt , während bei den anderen Ländern die Ausbürgerungszahlen weitgehend mit den Rückkehreransuchen korrelieren.18 Diese hohen Wiener Zahlen weisen jedenfalls darauf hin , dass viele Flüchtlinge aus Wien ihre Ausbürgerung für möglich oder wahrscheinlich hielten , obwohl sie tatsächlich gar nicht stattgefunden hatte. Ein weiteres , damit ebenfalls im Zusammenhang stehendes Forschungsdesiderat stellt die Frage dar , wie hoch die Flüchtlingszahlen überhaupt waren. Mindestens muss nach den deutschen Zahlen von 35.000 bis 40.000 Deutschland-Flüchtlingen ausgegangen werden , und – bezieht man Familienangehörige und ArbeitsmigrantInnen mit ein – laut österreichischer Staatspolizei sogar von mindestens 63.000. Andere Quellen gehen sogar von 84.000 Flüchtlingen inklusive der Familienangehörigen in Bayern aus.19 Angesichts dieser Zahlen stellt auch die Erforschung der reichsdeutschen Einbürgerungspraxis betreffend die österreichischen Flüchtlinge sowohl in quantitativer als auch qualitativer Hinsicht ein Forschungsdesiderat dar. Nach reichsdeutschen Angaben wurden 16 Wie sie kürzlich in Rothländer , Christiane ( 2012a ) : Die Anfänge der Wiener SS , Wien , 265–299 , 363–398 , 405–413 , aufgezeigt wurde. 17 Z. B. Rothländer ( 2010 ) : 856. 18 Rothländer ( 2010 ) : 862. 19 Von 40.000 Flüchtlingen spricht Langoth , Franz ( 1951 ) : Kampf um Österreich. Erinnerungen eines Politikers , Wels , 235 ; so auch Hitler in einem Brief an Mussolini vom 11. 3. 1938. In : Akten zur deutschen auswärtigen Politik ( 1950 ), Ser. D ( 1937–1945 ), Bd. 1 : Von Neurath zu Ribbentrop ( S eptember 1937–September 1938 ), Baden-Baden , Nr. 352 , 469 ; nach der Niederschrift der Besprechungen über den Haushalt 1936 des Hilfswerks Österreich am 13. und 14. 10. im Reichs- und Preußischen Ministerium des Innern waren es 35.000. In : ebd. , Nr. 170 , 257 ; vgl. allgemein zur deutschen Flüchtlingspolitik Rothländer ( 2012a ) : 529.
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nämlich insgesamt 10.200 österreichische EmigrantInnen eingebürgert.20 Wenngleich die Übereinstimmung dieser Einbürgerungszahl mit der Zahl der österreichischen Ausbürgerungen den Eindruck zu erwecken vermag , als seien fast alle ausgebürgerten österreichischen Nationalsozialisten reichsdeutsche Staatsbürger geworden ,21 so wäre dieser Schluss jedoch verfehlt. Das Interesse der ausgebürgerten ÖsterreicherInnen , nunmehr also Staatenlosen , an einer reichsdeutschen Staatsangehörigkeit scheint nämlich keineswegs auf ungeteilte Zustimmung im Deutschen Reich gestoßen zu sein. Es dürften zwar , wie Rothländer in ihrer Arbeit über die „Anfänge der Wiener SS“ zeigt ,22 die emigrierten SA- und SS-Angehörigen samt Frauen und Kindern rasch eingebürgert worden sein , inwieweit dies aber auch auf andere politische Flüchtlinge aus Österreich zutraf , ist nicht bekannt. Die Behandlung der Rechtsprobleme derjenigen Ausgebürgerten , die nach ihrer Flucht auch privat in Deutschland ein neues Leben beginnen und ihre österreichische Ehe scheiden lassen wollten , wirft allerdings berechtigte Zweifel an einer quasi-automatischen Einbürgerung in Deutschland auf , wie die Verfasserin jüngst aufgezeigt hat.23 Die Ausgebürgerten konnten sich nämlich als Staatenlose in Deutschland nicht scheiden lassen , einer die Scheidung ermöglichenden Verleihung der deutschen Staatsangehörigkeit stand jedoch das Regime ablehnend gegenüber. Wie Martin Bormann dazu 1935 ausführte , würde dadurch nicht nur eine Tätigkeit der einstigen Österreicher für die NSDAP in ihrem Herkunftsland verunmöglicht werden , sondern auch die beabsichtigte Repatriierung der Flüchtlinge nach Österreich. Mit der Frage nach der Höhe der Flüchtlingszahlen verbunden ist wiederum das Forschungsdesiderat betreffend die Rückkehr der österreichischen Flüchtlinge bzw. EmigrantInnen , und zwar sowohl unter dem Gesichtspunkt der Amnestierungen als auch unter jenem der Wiedereinbürgerung in Österreich. Bald nach den Februarereignissen 1934 ging das Dollfuß / Schuschnigg-Regime nämlich aufgrund der mehr oder weniger heftigen Kritik ausländischer Regierungen in der darauffolgenden Justizpraxis zu einer Befriedungspolitik über. Diese wurde aber , was die „Amnestierungen“ der Jahre 1934 bis 1938 betrifft , von der Wissenschaft vernachlässigt , sieht man von den Ausführungen Holtmanns und Volsanksys ab.24 Letztlich ( noch ) nicht endgültig geklärt ist etwa nicht 20 Volsansky , Gabriele ( 2001 ) : Pakt auf Zeit. Das deutsch-österreichische Juli-Abkommen 1936 , Wien / Köln / Graz , 187. 21 Diesen Eindruck kann allerdings aufgrund Gehmachers Gegenüberstellung der 10.200 Eingebürgerten im Verhältnis zu den laut ihrer Angabe bis 1936 ausgebürgerten 10.640 ÖsterreicherInnen entstehen , Gehmacher ( 1996 ) : 223 , FN 51. 22 Rothländer ( 2012a ) : 539. 23 Reiter / Rothländer ( 2011 ) ; Reiter-Zatloukal , Ilse ( 2012c ) : Ehe , Staatsangehörigkeit und Migration. Österreich 1918–1938. In : Kohl , Gerald / Olechowski , Thomas / Staudigl-Chiechowicz , Kamila / TäubelWeinreich , Dori ( Hg. ) : Eherecht 1811 bis 2011. Historische Entwicklungen und aktuelle Herausforderungen = BRGÖ 1 /2012 , 118. 24 Holtmann , Everhard ( 1978 ) : Zwischen Unterdrückung und Befriedung. Sozialistische Arbeiter bewegung und autor itäres Regime in Österreich 1933–1938 [ Studien und Quellen zur österreichischen Zeitgeschichte 1 ] , Wien , 170 f , 246 ; Volsansky ( 2001 ) : 185 ; zur Amnestierung der linken Opposition 1935 vgl. Marschalek , Manfred ( 1990 ) : Untergrund und Exil. Österreichs Sozialisten zwischen 1934 und 1945 [ S ozialistische Bibliothek , Abteilung 1 : Die Geschichte der Österreichischen Sozial demokratie 3 ] , Wien , 179 ; zur Frage , ob die Amnestie 1936 auch für die emigrierten Schutzbündler
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nur ,25 auf welche Personenkategorien sich die „Amnestien“ jeweils konkret in den beiden oppositionellen Lagern bezogen , sondern es mangelt bislang auch an einer umfassenden Analyse der konkreten Durchführung der Amnestien sowohl in qualitativer als auch quantitativer Hinsicht. Damit verbunden ist auch die unbefriedigende Forschungslage hinsichtlich der Heimkehr der Flüchtlinge und der Rückbürgerungen bis zum „Anschluss“ 1938. Zwar wird die Rückkehr sowohl der NS-„Emigranten“ als auch der linken Flüchtlinge aus der ČSR und der UdSSR im einschlägigen Schrifttum regelmäßig thematisiert ,26 es gibt aber nach wie vor keine umfassenden Erkenntnisse hinsichtlich der behördlichen Abwicklung der Rückkehrbewegungen sowie der tatsächlichen RückkehrerInnenzahlen.27 Die Zahl der insgesamt bewilligten Rückkehransuchen ist ebensowenig bekannt wie die der tatsächlichen RückkehrerInnen und erst recht der darunter befindlichen Ausgebürgerten. Hinsichtlich der rechtlichen Voraussetzungen für eine Wiedereinbürgung bis zum „Anschluss“ sowie eines 1936 nach dem Juliabkommen fertiggestellten Entwurfes für ein Wiedereinbürgerungsgesetz liegen allerdings bereits Ergebnisse vor.28 Ungeklärt ist dementsprechend zum gegenwärtigen Zeitpunkt auch die genaue Zahl der Rückkehrer nach dem „Anschluss“ 1938 , die Franz Langoth auf rund 8.500 schätzte.29 Eine systematische Untersuchung der Rückkehr und Wiedereinbürgerung der Flüchtlinge nach dem März 1938 stellt daher ebenfalls ein Desiderat dar. Im Juli 1938 wurde nämlich festgelegt , dass alle Bescheide , mit denen österreichische Bundesbürger „deutschen oder artverwandten Blutes“ im Austrofaschismus ausgebürgert worden waren , als nicht erlassen zu gelten hätten. Hannelore Burger und Harald Wendelin zufolge begann die Wiedereinbürgerung von Nationalsozial istInnen im Herbst 1938 , wobei sich die Zahl der positiv abgeschlossenen Fälle bis Kriegsbeginn auf insgesamt 530 belaufen habe.30 Es wurde aber bislang weder eine umfassende qualitative Analyse dieser Wiedereinbürgerungen vorgenommen noch auch untersucht , wie es sich mit der Wiedereinbürgerung von Mitgliedern der linken Opposition verhielt. Zu Beginn der Zweiten Republik lebten dann die Ausbürgerungen des Austrofaschismus wieder auf. Eine Aufhebung der Ausbürgerung konnte jedoch nach dem Staatsbürgerschafts-Überleitungsgesetz 1945 erfolgen , wenn der Betroffene keine fremde Staatsbürgerschaft erworben hatte und die Ausbürgerung nicht als Folge einer allgemeinen Haltung des Ausgebürgerten verfügt worden war , die mit den Grundsätzen der unabhängalt , die Dokumente bei McLoughlin / S chafranek ( 1999 ), ab Nr. 122. 25 Siehe dazu Reiter-Zatloukal , Ilse ( 2012e ) : Die Begnadigungspolitik der Regierung Schuschnigg. Von der Weihnachtsamnestie 1934 bis zur Februaramnestie 1938. In : BRGÖ , 336–364. 26 Volsansky ( 2001 ) : 185 ; Stadler , Karl R. ( 1974 ) : Opfer verlorener Zeiten. Geschichte der Schutzbund-Emigration 1934 , Wien , 207 ; Holtmann ( 1978 ) : 105 , 157 ; Marschalek ( 1990 ) : 17. 27 Siehe die Statistik der Rückkehransuchen nach Ländern gegliedert bei Rothländer ( 2010 ) : 863. 28 Siehe dazu erste Ergebnisse bei Reiter-Zatloukal ( 2011b ) : 304 ff. 29 Langoth ( 1951 ) : 337. 30 Vgl. Burger , Hannelore / Wendelin , Harald ( 2004 ) : Vertreibung , Rückkehr und Staatsbürgerschaft. Die Praxis der Vollziehung des Staatsbürgerschaftsrechts an den österreichischen Juden. In : Kolonovits , Dieter / Burger , Hannelore / Wendelin , Harald ( Hg. ) : Staatsbürgerschaft und Vertreibung ( Veröffentlichungen der Österreichischen Historikerkommission. Vermögensentzug während der NS-Zeit sowie Rückstellungen und Entschädigungen seit 1945 in Österreich 7 ), Wien / München.
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gigen demokratischen Republik Österreich in Widerspruch stand. Aufgrund der Staatsbürgerschaftsrechtsnovelle 1949 konnten Ausbürgerungen weiters widerrufen werden , wenn das politische Verhalten der betroffenen Person wenigstens seit Kriegsende eine positive Einstellung zur Republik widerspiegelte. Auch diese Wiedereinbürgerungsvorgänge harren noch der Erforschung. Dass die Wiedereinbürgerung nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs auch über die Ausbürgerungen hinausgehend spannende juristische und zeitgeschichtliche Fragen aufwirft , zeigt etwa das in der Dissertation von Barbara Toth 2010 thematisierte Gültigkeitsproblem der Einbürgerung Walter Reders in Deutschland.31 Einen weitgehend weißen Fleck in der wissenschaftlichen Aufarbeitung stellt darüber hinaus der Umgang der Behörden der Zweiten Republik mit Wiedereinbürgerungsanträgen von Spanienkämpfern dar , wobei zu diesem Problemkreis auch eine umfassende Aufarbeitung der Vorgeschichte fehlt : Dass österreichische Interbrigadisten aufgrund des Staatsbürgerschaftsgesetzes von 1925 infolge Eintritts in ein „fremdes Heer“ ihrer Staatsangehörigkeit verlustig gingen , wurde zwar im einschlägigen Schrifttum immer wieder am Rande erwähnt32 und kürzlich auch von der Verfasserin ausführlicher thematisiert ,33 bislang konnte aber weder die Zahl der auf diese Weise Ausgebürgerten ausgemacht werden , noch existiert eine Untersuchung der Behördenpraxis hinsichtlich dieser Aus- und Wiedereinbürgerungen. In seiner 2010 publizierten Diplomarbeit über die Tiroler Spanienkämpfer wies Friedrich Stepanek allerdings nach ,34 dass die Tiroler Landesregierung zunächst Ausbürgerungsbescheide von Interbrigadisten entweder in analoger Anwendung des Staatsbürgerschafts-Überleitungsgesetzes von 1945 widerrief , ihre Praxis aber in den 1960er-Jahren35 grundlegend änderte und durch Feststellungen des seinerzeitigen Staatsbürgerschaftsverlusts gleichsam neue Ausbürgerungen vornahm , ohne dass bislang eine Ursache für diesen Paradigmenwechsel festgemacht werden konnte. II. ( Sonstige ) Maßnahmen der polizeilichen Oppositionsbekämpfung Ebenfalls ein Forschungsdesiderat bildete lange Zeit der politisch motivierte Vermögensentzug , dem sich bis zur Aufnahme eines FWF-Projekts unter der Leitung der Verfasserin36 im Wesentlichen nur die Studie von Mesner , Reiter und Venus mit Schwer31 Walter Reder hätte weder aus Österreich aus- noch im Deutschen Reich eingebürgert werden dürfen , Tóth , Barbara ( 2010 ) : Der Handschlag. Die Affäre Frischenschlager-Reder , phil. Diss. , Wien , 50. 32 Z. B. Vereinigung Österreichischer Freiwilliger in der Spanischen Republik 1936 bis 1939 und der Freunde des Demokratischen Spanien ( Hg. ) ( 1986 ) : Österreicher im spanischen Bürgerkrieg. Interbrigadisten berichten über ihre Erlebnisse 1936 bis 1945 , Wien , 45 ; Landauer , Hans / Hackl , Erich ( 2003 ) : Lexikon der österreichischen Spanienkämpfer 1936–1939 , Wien , 14 , 17 ; Flanner , Karl ( 1983 ) : Wiener Neustadt im Ständestaat. Arbeiteropposition 1933–1938 [ Materialien zur Arbeiterbewegung 31 ] , Wien , passim ; Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes ( Hg. ) ( 1986 ) : Für Spaniens Freiheit. Österreicher an der Seite der Spanischen Republik 1936–1939. Eine Dokumentation , Wien , passim. 33 Reiter ( 2011b ) : 309. 34 Stepanek , Friedrich ( 2010 ) : „Ich bekämpfte jeden Faschismus“. Lebenswege Tiroler Spanienkäm pfer , Innsbruck / Wien / Bozen , 136. 35 Stepanek ( 2010 ) : 141. 36 Vgl. dazu Reiter , Ilse / Rothländer , Christiane / Schölnberger , Pia ( 2009 ) : Politisch motivierter Vermögensentzug in Wien 1933–1938. In : juridikum. zeitschrift im rechtsstaat Jg. 21 ( 2009 ), Heft 1 , 48–54 ;
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punkt auf dem Vorwärtsverlag widmete ,37 wobei die Quellenlage in diesem Bereich freilich als problematisch bezeichnet werden muss. Dies trifft auch für andere bislang weitgehend unbearbeitete Themenfelder im Bereich der polizeilichen Maßnahmen gegen die politische Opposition zu. Über die Erweiterungen der Polizeikompetenzen hinaus fand nämlich seit 1933 eine ungeheuere Ausweitung des Verwaltungsstrafrechtes statt , die in ihren praktischen Auswirkungen nahezu völlig unerforscht ist.38 Grund für die Etablierung des Polizeistaates war ,39 dass die Regierung dadurch die ( noch unabhängige ) Justiz explizit umgehen wollte , weshalb v. a. die Tatbestände des Polizeistrafrechts nun vervielfacht wurden. Inhaltlich zielten die Maßnahmen primär auf Delikte im Zusammenhang mit politischer Propaganda ( bis hin zum NS-Terrorismus ) ab. Gemeinsam waren all diesen neuen Strafbestimmungen die dramatische Erhöhung der bisher üblichen Strafobergrenzen bei Geld- und Arreststrafen , und zwar mindestens um das Zehnfache , zum Teil sogar um das Fünfzigoder Hundertfache , weiters die Möglichkeit , Geld- und Arreststrafen kumulativ zu verhängen , und zwar auch zusätzlich zur strafgerichtlichen Verurteilung. Gleichzeitig wurden die Rechtsschutzmöglichkeiten massiv eingeschränkt und die gerichtliche Kontrolle des Polizeihandelns hinsichtlich derartiger polizeistrafrechtlicher Tatbestände ausgeschlossen , um die Effizienz der Oppositionsbekämpfung zu erhöhen. Da solche verwaltungsstrafrechtlichen Verurteilungen , insbesondere der Polizeiarrest , neben der „Anhaltung“ zum Alltag politischer Verfolgung in dieser Zeit gehörten40 und ganz offensichtlich Reiter-Zatloukal , Ilse ( 2012d ) : Repressivpolitik und Vermögensentzug 1933–1938. In : Reiter-Zatloukal , Ilse / Rothländer , Christiane / Schölnberger , Pia ( Hg. ) : Österreich 1933–1938. Interdisziplinäre Annäherungen an das Dollfuß / Schuschnigg-Regime , Wien / Köln / Weimar , 61–76 ; Rothländer , Christiane ( 2012b ) : Die Durchführungspraxis des politisch motivierten Vermögensentzugs 1933–1938. In : ebd. , 77–93. 37 Mesner , Maria / Reiter , Margit / Venus , Theodor ( 2007 ) : Enteignung und Rückgabe. Das sozialdemokratische Parteivermögen in Österreich 1934 und nach 1945 , Innsbruck / Wien / Bozen , siehe auch rezent dies. ( 2012 ), Rückgabe. Nicht Restitution. Am Beispiel der SPÖ , In : Reiter-Zatloukal , Ilse / Rothländer , Christiane / S chölnberger , Pia ( Hg. ) : Österreich 1933–1938. Interdisziplinäre Annäherungen an das Dollfuß / S chuschnigg-Regime , Wien / Köln / Weimar , 305–314. 38 Dazu Neugebauer , Wolfgang ( 2005 ) : Repressionsapparat und -maßnahmen 1933–1938. In : Tálos , Emmerich / Neugebauer , Wolfgang ( Hg. ) : Austrofaschismus. Politik – Ökonomie – Kultur 1933–1938 , 5. , völlig überarb. und erg. Aufl. [ Politik und Zeitgeschichte 1 ] , Wien , 298–313 ; Reiter-Zatloukal ( 2012b ). 39 Siehe zur Rolle der Polizei bei der Etablierung der Regierungsdiktatur Mähner , Peter ( 1990 ) : Die Rolle der Polizei in der Konstituierungsphase des Austrofaschismus , Dipl.-Arb. , Wien ; Winkler , Elisabeth ( 1983 ) : Die Polizei als Instrument in der Etablierungsphase der austrofaschistischen Diktatur ( 1932–1934 ) mit besonderer Berücksichtigung der Wiener Polizei , phil. Diss. , Wien. 40 Neugebauer ( 2005 ) ; Reiter-Zatloukal ( 2012e ) ; Riedler , Anton ( 1935 ) : Die Ausnahmebestimmungen gegen die Nationalsozialisten im österreichischen Bundesrecht. In : Verwaltungsarchiv. Zeitschrift für Verwaltungsrecht und Verwaltungsgerichtsbarkeit 40 , 225–278 ; Riedler , Anton ( 1936 ) : Die Ausnahmegesetzgebung in Österreich 1933–1936 , Berlin ; Weiser , Max ( 1935 ) : Das Polizeirecht der Jahre 1933 und 1934 , Sonderbeilage zur Öffentlichen Sicherheit Nr. 1 ; Gürke , Norbert ( 1933 ) : Der politische Sinn der Notverordnungspraxis. In : Verwaltungsarchiv. Zeitschrift für Verwaltungsrecht und Verwaltungsgerichtsbarkeit 38 , 279–304 ; siehe auch die „Denkschriften von Rechtsanwalt Dr. Erich Führer , 1936 / 37“, im Anhang von Putschek , Wolfgang ( 1993 ) : Ständische Verfassung und autoritäre Verfassungspraxis in Österreich 1933–1938 mit Dokumentenanhang. Verfassung und Verfassungswirklichkeit. [ Rechtshistorische Reihe 109 ] , Frankfurt / New York , 231 ff.
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regelmäßig auch vor oder nach Strafurteilen ausgesprochen wurden , könnte die Erforschung der einschlägigen Polizeipraxis , insbesondere mittels der noch teilweise in den Landesarchiven vorhandenen Aktenbestände der Bezirkshauptmannschaften , wertvolle neue Ansatzpunkte für die Einschätzung des Dollfuß / Schuschnigg-Regimes aus rechtlicher Sicht liefern. Der mit den Verwaltungsstrafen im engsten Zusammenhang stehende Freiheitsentzug durch die Anhaltung war seit der Studie von Jagschitz aus 197541 ebenfalls von der Forschung vernachlässigt worden. Mit der Dissertation von Pia Schölnberger zum Anhaltelager Wöllersdorf42 und den ( noch zu erwartenden ) Ergebnissen Kurt Bauers zur Sozialstruktur der in den österreichischen Anhaltelagern Internierten wird allerdings diese erhebliche Forschungslücke geschlossen.43 Für eine darüber hinausgehende Beurteilung des nun etablierten Polizeistaates wäre aber auch eine weiter gehende Erforschung der personellen Säuberungen der Polizei im Austrofaschismus , der Nazifizierung des Polizeiapparats und personellen Kontinuitäten in demselben , auch über den „Anschluss“ hinaus , von hohem Interesse. III. Justiz Verschiedene Forschungsdesiderate ergeben sich auch für die Justiz , wenngleich diese durch eine Reihe von Arbeiten , insbesondere von Holtmann , Neugebauer u. a. , einen 41 Jagschitz , Gerhard ( 1975 ) : Die Anhaltelager in Österreich. In : Vom Justizpalast zum Heldenplatz : Studien und Dokumentationen 1927 bis 1938 [ Festgabe der Wissenschaftlichen Kommission des Theodor-Körner-Stiftungsfonds und des Leopold-Kunschak-Preises zur Erforschung der Österreichischen Geschichte der Jahre 1927 bis 1938 anlässlich des 30jährigen Bestandes der Zweiten Republik Österreich und der 20. Wiederkehr des Jahrestages des Österreichischen Staatsvertrages ] , Wien , 128–151. 42 Siehe Schölnberger , Pia ( 2012b ) : „Eine Klausur umdrahteten Bereichs“. Das „Anhaltelager“ Wöllersdorf 1933–1938 , phil. Diss. , Wien ; zuvor dies. ( 2010a ) : Wöllersdorf – Die Anfänge. In : Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes ( Hg. ) : Jahrbuch , 190–211 ; dies. ( 2010b ) : „Durchaus erträglich“ ? Alltag im Anhaltelager Wöllersdorf. In : Mitteilungen des Dokumentationsarchivs des österreichischen Widerstandes , F. 195 , 1–4 ; dies. ( 2012 a) : „Ein Leben ohne Freiheit ist kein Leben“. Das „Anhaltelager“ Wöllersdorf 1933–1938. In : Reiter-Zatloukal , Ilse / Rothländer , Christiane / S chölnberger , Pia ( Hg. ) : Österreich 1933–1938. Interdisziplinäre Annäherungen an das Dollfuß / Schuschnigg-Regime , Wien / Köln / Weimar. 43 Für die ersten Projektergebnisse vgl. Bauer , Kurt ( 2012a ) : Kurzbiografien bekannter linker Anhaltehäftlinge 1933–1938 , http ://www.kurt-bauer-geschichte.at / PDF-Materialien / Kurzbiografien-linker-An haltehaeftlinge.pdf ( aufgerufen am 1. 12. 2012 ) ; ders. ( 2012b ) : Die Anhaltehäftlinge des Ständestaates ( 1933–1938 ), http ://www.kurt-bauer-geschichte.at / PDF_Forschung_Material / A nhalteprojekt_erste-Ergebnisse_2012–01–22.pdf ( aufgerufen am 1. 12. 2012 ) ; zuvor auch Bauer , Kurt : Zum Entstehen der Anhaltelager in Österreich 1933 / 34. In : Böhler , Ingrid / Pfanzelter , Eva / Spielbüchler , Thomas / Steininger , Rolf ( Hg. ) : 7. Österreichischer Zeitgeschichtetag 2008 : 1968 – Vorgeschichten – Folgen. Bestandsaufnahme der österreichischen Zeitgeschichte , Innsbruck / Wien / Bozen 2010 , 825–836 ; siehe zur Erforschung der oberösterreichischen Anhaltehäftlinge durch Kurt Bauer URL : http ://www.land-oberoesterreich. gv.at / cps / rde / xbcr / SID–14F46115–289F5466 / ooe / PK_LH_12. 10. 2011_Internet.pdf ( aufgerufen am 25. 6. 2012 ) ; siehe weiters das Projekt des Zukunftsfonds P10–0714 zur „Sozialstruktur der sozialdemokratischen und kommunistischen Häftlinge der österreichischen Anhaltelager ( 1933–1938 )“, URL : http :// www.zukunftsfonds-austria.at / i ndex.php ?i=6&k=P10–0714 pdf ( aufgerufen am 25. 6. 2012 ).
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erheblich höheren Aufarbeitungsgrad aufweist als die Polizeipraxis , insbesondere freilich was die Standgerichtsbarkeit ( v. a. die justizielle Aufarbeitung der Februarereignisse ) und die Sozialistenprozesse 1935 / 36 betrifft.44 Abgesehen von einer Studie Holt44 Bauer , Ingrid ( 1986 ) : „Milder“ Terror ? Politische Justiz gegen die illegale sozialistische Bewegung in Salzburg 1934–1938. In : Stadler , Karl R. ( Hg. ) : Sozialistenprozesse. Politische Justiz in Österreich 1870–1936. Wien / München / Zürich , 491–508 ; Hauch , Gabriella ( 1986 ) : „ , …Je härter die Urteile , desto gerechter …“ Todesurteile in den Standgerichtsprozessen in Oberösterreich. Sozialistenprozesse. Politische Justiz in Österreich 1870–1936. In : Stadler , Karl R. ( Hg. ) : Sozialistenprozesse. Politische Justiz in Österreich 1870–1936 , Wien / München / Zürich , 317–328 ; Holtmann , Everhard ( 1975a ) : Politische Tendenzjustiz während des Februaraufstands 1934. In : Das Jahr 1934 : 12. Februar. Protokoll des Sympo siums in Wien am 5. Februar 1974 [ Veröffentlichungen / Wissenschaftliche Kommission des TheodorKörner-Stiftungsfonds und des Leopold-Kunschak-Preises zur Erforschung der Österreichischen Geschichte der Jahre 1927 bis 1938 2 ] , 45–57 ; ders. ( 1975b ) : Zwischen „Blutschuld“ und „Befriedigung“: Autoritäre Julijustiz. In : Das Jahr 1934 : 25. Juli. Protokoll des Symposions in Wien am 8. Oktober 1974 [ Veröffentlichungen der Wissenschaftlichen Kommission des Theodor-Körner-Stiftungsfonds und des Leopold-Kunschak-Preises zur Erforschung der Österreichischen Geschichte der Jahre 1918 bis 1938 3 ] , Wien , 36–45 ; ders. ( 1980 ) : Autoritätsprinzip und Maßnahmengesetz. Zur verfassungsrechtlichen Stellung der Justiz im österreichischen Ständestaat. In : Die österreichische Verfassung von 1918 bis 1938. Protokoll des Symposiums in Wien am 19. 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V. Rechts- und Verwaltungsgeschichte
manns45 besteht allerdings bislang ein Forschungsdefizit hinsichtlich der Tätigkeit des zur Aufarbeitung des Juliputsches 1934 eingerichteten Militärgerichtshofes , zu dessen Schließung aber in naher Zukunft eine rechtshistorische Dissertation beitragen wird.46 Ungeklärt sind bisher sogar die konkreten Opferzahlen sowohl der „Februarkämpfe“ als auch des Juliputsches.47 Lange Zeit völlig unberücksichtigt blieb auch die politische Alltagsjustiz , welchem Forschungsfeld sich erstmals Rothländer in ihrer Monografie über die „Anfänge der Wiener SS“ zuwendete.48 Unerforscht erscheinen des Weiteren die Praxisauswirkungen des im Austrofaschismus modifizierten Gerichtsverfassungsrechts hinsichtlich der Einschränkung bzw. Beseitigung der richterlichen Unabhängigkeit.49 Es konnten nämlich seit Februar 1934 politisch unbequeme Richter durch Verfügung des Justizministers gegen ihren Willen bis zu einem Jahr „außerhalb ihres Amtssitzes verwendet werden“.50 Das Verfassungsübergangs-Gesetz 1934 normierte schließlich zwecks „Reinigung“ des Richterstands für eine Übergangszeit , die sich dann aber bis zum „Anschluss“ 1938 erstreckte , dass Richter ohne gerichtliches Erkenntnis vom Justizminister versetzt oder abgesetzt werden konnten , „wenn ihr Verbleiben auf ihrem Dienstposten oder im richterlichen Dienste überhaupt dem Ansehen der Rechtspflege offenbar zum Abbruch gereichen , insbesondere die Unparteilichkeit der Rechtsprechung nicht mehr gewährleisten würde“.51 Nicht bekannt ist bislang , ob und in welchem Ausmaß die Regierung tatsächlich von dieser Möglichkeit Gebrauch machte. Damit im Zusammenhang stehen auch Forschungsdesiderate hinsichtlich der Richter und Staatsanwälte ,52 und zwar sowohl im Hinblick auf individuelle Karrieren als auch in kollektivbiografischer Sicht , wobei hier Synergien mit dem DÖW-Projekt zur Nazi45 Holtmann ( 1975b ). 46 Dissertation Christine Goedels am Institut für Rechts- und Verfassungsgeschichte , Wien. 47 Garscha , Winfried R. ( 2012 ) : Opferzahlen als Tabu. Totengedenken und Propaganda nach Februar aufstand und Juliputsch 1934 , In : Reiter-Zatloukal , Ilse / Rothländer , Christiane / S chölnberger , Pia ( Hg. ) : Österreich 1933–1938. Interdisziplinäre Annäherungen an das Dollfuß / S chuschnigg-Regime , Wien / Köln / Weimar. 48 Rothländer ( 2012a ). Eine umfassendere Studie dazu ist in Vorbereitung. 49 Vgl. dazu Reiter , Ilse ( 2007 ) : Richterliche Unabhängigkeit im autoritären Ständestaat. In : Hel ige , Barbara / Olechowski , Thomas ( Hg. ) : 100 Jahre Richtervereinigung. Beiträge zur Jur istischen Zeitgeschichte , Wien , 89–111. 50 BGBl. 83 / 1934. 51 BGBl. II 75 / 1934. 52 Zu diesen Themenfeldern siehe bislang nur Mattl , Siegfried ( 1995 ) : Beiträge zu einer Sozialgeschichte der österreichischen Richterschaft ( 1900–1924 ). In : Weinzierl , Erika / R athkolb , Oliver / A rdelt , Rudolf G. / Mattl , Siegfried ( Hg. ) : Justiz und Zeitgeschichte. Symposionsbeiträge 1976–1993 , Bd. 2 , Wien , 169–187 ; Rathkolb , Oliver ( 1995 ) : Anmerkungen zur Entnazifizierungsdebatte über Richter und Staatsanwälte in Wien 1945 / 46 vor dem Hintergrund politischer Obsessionen und Pressionen während des Nationalsozialismus. In : Weinzierl , Erika / R athkolb , Oliver / A rdelt , Rudolf G. / Mattl , Siegfried ( Hg. ) : Justiz und Zeitgeschichte. Symposionsbeiträge 1976–1993 , Bd. 2 , Wien , 75–99. Ders. ( 2007 ) : Zu Sozialgeschichte und Habitus österreichischer RichterInnen seit 1924. In : Helige , Barbara / Olechowski , Thomas ( Hg. ) : 100 Jahre Richtervereinigung. Beiträge zur Juristischen Zeitgeschichte , Wien , 67–87.
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fizierung der österreichischen Justiz nach dem „Anschluss“53 genützt werden könnten. Wissenschaftlich vollkommen vernachlässigt wurden bislang aber auch die NS-Anwaltschaft in Österreich vor 1938 und die Rolle einzelner dieser Anwälte nach dem Anschluss , wobei hier im Zusammenhang mit einem derzeit durchgeführten Forschungsprojekt zum NS-Rechtswahrerbund vor 1938 in der damaligen „Ostmark“54 bereits einschlägige Vorarbeiten geleistet werden. Hinsichtlich der Erforschung des 1934 anstelle des Verfassungs- und Verwaltungsgerichtshofes eingerichteten Bundesgerichtshofes bestehen ebenfalls vielfache Defizite , insbesondere hinsichtlich von dessen Judikatur , zu der neben rezenten Hochschulschriften55 bislang nur vereinzelt Erkenntnisse zum Staatsangehörigkeitsrecht56 sowie zum Religions- und Presserecht57 vorliegen.58 Eine umfassende Erforschung von dessen Tätigkeit stellt allerdings angesichts des enormen Umfangs der ungeordneten Aktenbestände im Staatsarchiv eine herkulinische Aufgabe für RechtshistorikerInnen dar. Evident ist nach den bisherigen Ausführungen wohl , dass ausreichende Arbeitsfelder für die rechtsgeschichtliche Forschung über das Dollfuß / Schuschnigg-Regime für die nächsten Jahre existieren. Diese sollten aber angesichts der in der Regel überaus komplexen Quellenlage am effizientesten durch interdisziplinäre Projekte bearbeitet werden. Es ist zu hoffen , dass deren Realisierung nicht am chronischen Ressourcenmangel scheitert. Dies wäre umso befremdlicher , als im Jänner 2012 nun endlich die Entscheidung für eine weitgehende Rehabilitierung derjenigen verwaltungsbehördlich oder justiziell verfolgten Oppositionellen gefallen ist , die sich zwischen 6. März 1933 und 12. März 1938 „in Wort und Tat für ein unabhängiges , demokratisches und seiner geschichtlichen Aufgabe bewusstes Österreich eingesetzt“ hatten.59
53 URL : http ://www.doew.at / projekte / w uv / ns-justiz2.html ( 29. 5. 2012 ). 54 Projekt der Hochschuljubiläumsstiftung der Stadt Wien ( 2012 ). 55 Axmann , Klaus ( 2012 ) : Der österreichische Bundesgerichtshof , Dipl.-Arb. , Wien ; Kroker , Ines ( 2002 ) : Der Bundesgerichtshof und seine Grundrechtsjudikatur , rechtswiss. Diss. , Innsbruck. Siehe auch Olechowski , Thomas ( 1999 ) : Die Einführung der Verwaltungsgerichtsbarkeit in Österreich , Wien , 247–249. 56 Siehe zur BGH-Judikatur zum Ausbürgerungsrecht Reiter ( 2010a ) : 849 ; dies. ( 2011b ) : 295 , 302 f , 312. 57 Olechowski , Thomas ( 2005 ) : Der österreichische Bundesgerichtshof und seine Judikatur zum Religionsrecht 1934–1938. In : öarr. österreichisches Archiv für recht & religion 52 / 1 , 88–105 ; ders. ( 2011 ) : Die behördliche Einstellung der „Pädagogischen Blätter“ 1936. Schulpolitik , Presserecht und Verwaltungsgerichtsbarkeit in der Zeit des Autoritäten Ständestaats. In : BRGÖ , 153–174 ; siehe zur BGH-Judikatur zum Ausbürgerungsrecht Reiter ( 2010a ) : 849. 58 Reiter-Zatloukal , Ilse : Der Bundesgerichtshof 1934–1938. Wendeexperte oder Verteidiger des Rechtsstaats ? In : Jabloner , Clemens ( Hg. ) : Gedächtnisschrift für Robert Walter ( i m Druck ). 59 BGBl. I 8 /2012.
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Hannes Leidinger / Verena Moritz
Das Kriegswirtschaftliche Ermächtigungsgesetz ( K WEG ) vor dem Hintergrund der österreichischen Verfassungsentwicklung1 Einleitung Im März 1933 , nach der Ausschaltung des Parlaments in Wien , wurden auf Grundlage des Kriegswirtschaftlichen Ermächtigungsgesetzes ( K WEG ) sukzessive demokratische Strukturen abgebaut. Die Regierung unter Bundeskanzler Engelbert Dollfuß erließ Notverordnungen , die auf zweifelhaften verfassungsrechtlichen Rahmenbedingungen basierten. Auch die neue Verfassung des sogenannten „Ständestaates“, die am 1. Mai 19342 als „Kundmachung der Bundesregierung“ verlautbart wurde , beruhte de facto auf dem KWEG.3 Die Interpretation der Ereignisse des März 1933 im Sinne eines „Verfassungsbruches“ setzte sich , so Gerhard Botz , in der österreichischen Geschichtsdarstellung erst ab Ende der Sechzigerjahre durch.4 Nichtsdestoweniger verdeutlichte auch in weiterer Folge gerade die Beschäftigung mit rechtsgeschichtlichen Fragen das Vorhandensein unterschiedlicher Einschätzungen der Entwicklungen zwischen 1918 und 1933 / 34 und insbesondere der folgenden Jahre bis zum „Anschluss“.5 Das KWEG mag hierfür als besonders „prominentes“ Beispiel herhalten. Der vorliegende Text will – in gleichsam referierender Weise – einerseits die Möglichkeiten reflektieren , die sich anhand einer kontextbezogenen Beschäftigung mit der 1 In den Artikel fließen Ergebnisse eines vom Bundesministerium für Wissenschaft und Forschung ( BMWF ) geförderten Projektes zur Geschichte des KWEG ein. 2 BGBl. Nr. 1 , 1934 , 1. Stück. 3 Berger , Peter ( 2007 ) : Kurze Geschichte Österreichs im 20. Jahrhundert. Wien , 168. 4 Botz , Gerhard ( 1983 ) : Der „4. März 1933“ als Konsequenz ständischer Strukturen , ökonomischer Krisen und autoritärer Tendenzen. In : Fröschl , Erich / Z oitl , Helge ( Hg. ) : Der 4. März 1933. Vom Verfassungsbruch zur Diktatur , Wien , 13–36 :14. Vgl. dazu auch die Darstellungen zum März 1933 und zum Februar 1934 in Leidinger , Hannes / Moritz , Verena ( 2008 ) : Die Republik Österreich 1918 /2008. Überblick – Zwischenbilanz – Neubewertung , Wien , 129–131. 5 Erwähnung verdienen hier zweifelsohne die unter dem Motto „Justiz und Zeitgeschichte“ ab den 1970er-Jahren entstandenen Aufsätze , vgl. Weinzierl , Erika / Rathkolb , Oliver / A rdelt , Rudolf G. / Mattl , Siegfried ( Hg. ) ( 1977 f. ) : Justiz und Zeitgeschichte. Symposionsbeiträge 1976–1993 , 2 Bde. , Wien.
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V. Rechts- und Verwaltungsgeschichte
Verfassungsentwicklung in der Ersten Republik ergeben , und andererseits auf Fragen hinweisen , die sich – am Beispiel des KWEG – in Zusammenhang mit einer Hinwendung zu rechtsgeschichtlichen Themenfeldern ergeben können. Gleichzeitig soll der Forschungsstand hinsichtlich des KWEG mit seinen Verästelungen in diverse zeitgenössische und historiografische Debatten zumindest in groben Zügen dargelegt werden. Dabei gilt es zunächst festzuhalten , dass die österreichische Verfassungsgeschichte prima vista hinreichend erforscht erscheint. So liegen neben verschiedenen Gesamtdarstellungen – mit unterschiedlichen Schwerpunktsetzungen hinsichtlich rechtsgeschichtlicher oder rein historischer Fragestellungen6 – auch zahlreiche Publikationen vor , die sich mit den einzelnen Wegmarken der österreichischen Verfassungsentwicklung in der Zeit der Ersten Republik auseinandersetzen. Allerdings hat anscheinend das Interesse an einer „rechtlichen Zeitgeschichte“, bezogen auf Österreich in der Zwischenkriegszeit , in den letzten beiden Jahrzehnten abgenommen. Ähnliches gilt für die Bereitschaft , rechtsgeschichtliche Probleme in historische Darstellungen entsprechend zu integrieren. Eine Neubewertung vorliegender Ergebnisse und eine nähere Betrachtung bestimmter Aspekte wären daher unbedingt anzustrengen.7 Dies gilt beispielsweise für Arbeit und Bedeutung der parlamentarischen Ausschüsse in Zusammenhang mit verfassungsrechtlichen Fragen. Auch eine tiefer gehende Auseinandersetzung mit den aufgebotenen Kontrollmechanismen im Rahmen der Verfassungsgerichtsbarkeit bis zu ihrer Außerkraftsetzung sowie deren Rezeption in der Öffentlichkeit erscheint angezeigt.8 Ebenfalls zu beachten wäre die Reaktion des Auslands auf die in Österreich vollzogenen Verfas6 Zum Beispiel : Berchtold , Klaus ( 1998 ) : Verfassungsgeschichte der Republik Österreich , Bd. 1 : 1918–1933. Fünfzehn Jahre Verfassungskampf , Wien / New York ; Brauneder , Wilhelm ( 2009 ) : Österreichische Verfassungsgeschichte. Wien ; Lehner , Oskar ( 1995 ) : Österreichische Verfassungsentwicklung. In : Tálos , Emmerich / Dachs , Herbert / Hanisch , Ernst / Staudinger , Anton ( Hg. ) : Handbuch des politischen Systems Österreichs. Erste Republik 1918–1933 , Wien , 49–58 ; Neck , Rudolf ( 1975 ) : Die Entstehung der österreichischen Verfassung bis zum Sommer 1934. In : Jedlicka , Ludwig / Neck , Rudolf ( Hg. ) : Das Jahr 1934 : 25. Juli. Protokoll des Symposiums in Wien am 8. Oktober 1974 , Wien , 69–75 ; Pelinka , Anton / Welan , Manfried ( 1971 ) : Demokratie und Verfassung in Österreich , Wien / Frankfurt / Zürich ; Reiter , Ilse ( 1997 ) : Texte zur österreichischen Verfassungsentwicklung 1848–1955 , Wien ; Schambeck , Herbert ( Hg. ) ( 1980 ) : Das österreichische Bundes-Verfassungsgesetz und seine Entwicklung , Berlin ; Walter , Friedrich ( 1972 ) : Österreichische Verfassungs- und Verwaltungsgeschichte von 1550–1955. Aus dem Nachlass herausgegeben von Adam Wandruszka , Wien / Köln / Graz. 7 Vgl. allerdings einige Hochschulschriften : Bogensberger , Gerald ( 2000 ) : Vom Konstitutionalismus zur demokratischen Republik. Der Einfluss von Dr. Karl Renner auf das B-VG 1920 , jur. Diss. , Linz ; Frohnecke , Stefanie ( 2006 ) : Die Arbeiten der Konstituierenden Nationalversammlungen in Österreich und Deutschland 1919 / 1920 im Vergleich : Ausgewählte Verfassungsprobleme , jur. Diss. , Wien ; Sima , Christian ( 1993 ) : Österreichs Bundesverfassung und die Weimarer Reichsverfassung : der Einfluß der Weimarer Reichsverfassung auf die österreichische Verfassung 1920 bis 1929 , Frankfurt u. a. , sowie Wohnout , Helmut ( 1990 ) : Verfassungstheorie und Herrschaftspraxis im autoritären Österreich. Zur Entstehung und Rolle der legislativen Organe 1933 / 34–1938. phil. Diss. , Wien. Zu nennen wäre hier auch : Hackl , Peter ( 1993 ) : Das Kriegswirtschaftliche Ermächtigungsgesetz und die Entstehung autoritärer Strukturen unter der Regierung Dollfuß , Dipl.-Arb. , Wien. 8 Vgl. dazu allerdings : Widder , Helmut ( 1995 ) : Verfassungsrechtliche Kontrollen in der ersten Republik. In : Tálos , Emmerich / Dachs , Herbert / Hanisch , Ernst / Staudinger , Anton ( Hg. ) : Handbuch des politischen Systems Österreichs. Erste Republik 1918–1933 , Wien , 105–122.
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����������������������������������������������������������������������������������������� �������������������������������������������������������� : Das Kriegswirtschaftliche Ermächtigungsgesetz ( K WEG )
sungsänderungen. Vor allem die diesbezüglichen Debatten und Entwicklungen im Jahr 1929 beschäftigten verschiedene Beobachter. Aufschluss darüber geben beispielsweise die diesbezüglichen Berichte des sowjetischen Repräsentanten in Wien.9 In den Fokus der RechtshistorikerInnen gerieten indes vor allem das Bundes-Verfassungsgesetz ( B-VG. ) aus dem Jahr 192010 und die Novelle des Jahres 192911 , während die ins Jahr 1925 datierende Reform12 nicht zuletzt aufgrund ihrer vergleichsweise geringeren Bedeutung für den öffentlichen Diskurs eher in den Hintergrund trat. Dem Großteil der diesbezüglich vorhandenen Arbeiten ist jedenfalls das Bemühen um einen multiperspektivischen Ansatz gemein. Im Zentrum des Interesses standen aber zweifelsohne die Entstehung der jeweiligen Verfassungen13 beziehungsweise Novellen , die diesbezüglichen Beratungen im „Hohen Haus“ oder aber konkrete Fragen wie etwa jene der Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern. Die Verwendung von parlamentarischen Materialien , Dokumenten parteienspezifischer Provenienz oder publizistischen Quellen weist dabei durchaus unterschiedliche Gewichtungen auf. Als Desiderat kann schließlich eine eingehende und umfassende Untersuchung des Stellenwerts der Verfassung in der öffentlichen Debatte14 und für das Demokratieverständnis der Ersten Republik insgesamt gelten.15 Darauf hat schon Helmut Rumpler in einem Aufsatz aus dem Jahr 1990 hingewiesen.16 9 Entsprechende Hinweise finden sich in den Dokumenten des Archivs des russischen Außenministeriums in Moskau. Die betreffenden Materialien konnten im Rahmen des von V. Moritz geleiteten FWF-Projektes P20477-G15 eingesehen werden. 10 Ermacora , Felix ( 1976–1993 ) : Die Entstehung der Bundesverfassung 1920 , 5 Bde. , Wien ; Schefbeck , Günther ( Hg. ) ( 1995 ) : 75 Jahre Bundesverfassung. Festschrift aus Anlaß des 75. Jahrestages der Beschlussfassung über das Bundesverfassungsgesetz , Wien. 11 Berchtold , Klaus ( 1979 ) : Die Verfassungsreform von 1929. Dokumente und Materialien , Wien ; Hasiba , Gernot D. ( 1978 ) : Die Ereignisse von St. Lorenzen im Mürztal als auslösendes Element der Verfassungsreform von 1929 , Graz ; Hasiba , Gernot D. ( 1976 ) : Die Zweite Bundes-Verfassungsnovelle von 1929. Ihr Werdegang und wesentliche verfassungspolitische Ereignisse seit 1918. Wien / Köln / Graz. 12 Berchtold , Klaus ( Hg. ) ( 1992 ) : Die Verfassungsreform von 1925. Dokumente und Materialien zur Bundesverfassungsnovelle , Wien. 13 Im Text wird nicht auf die Länderverfassungen eingegangen. Demzufolge ist mit „Verfassung“ bzw. mit „Verfassungen“ ausschließlich das B-VG. und seine Novellen gemeint. 14 Vgl. dazu zwei ältere Hochschulschriften : Duval , Gottfried ( 1952 ) : Die Wiener Tagespresse und das Ringen um die zweite Novelle der österreichischen Bundesverfassung. 1929 , 2 Bde. , phil. Diss. , Wien , und Moritz , Heribert ( 1949 ) : Die Wiener Tagespresse , die Nationalversammlung und das Werden der Verfassung 1918–1920 , phil. Diss. , Wien. 15 Einen parteienspezifischen Zugang bei : Hanisch , Ernst ( 1990 ) : Demokratieverständnis , parlamentarische Haltung und nationale Frage bei den österreichischen Christlichsozialen. In : Drabek , Anna / Plaschka , Richard / Rumpler , Helmut ( Hg. ) : Das Parteienwesen Österreichs und Ungarns in der Zwischenkriegszeit , Wien , 73–86 ; Konrad , Helmut ( 1990 ) : Demokratieverständnis , parlamentarische Haltung und nationale Frage bei den österreichischen Sozialdemokraten. In : Drabek , Anna / Plaschka , Richard / Rumpler , Helmut ( Hg. ) : Das Parteienwesen Österreichs und Ungarns in der Zwischenkriegszeit. Wien 107–126 . Nicht zuletzt die „Figur“ Otto Bauer bietet immer wieder Anlass zu Diskussionen über das sozialdemokratische Demokratieverständnis. Vgl. dazu jüngst : Hanisch , Ernst ( 2011 ) ; Der große Illusionist. Otto Bauer ( 1881–1938 ), Wien / Köln / Weimar. 16 Rumpler , Helmut : Parlamentarismus und Demokratieverständnis in Österreich. In : Drabek , Anna / Plaschka , Richard / Rumpler , Helmut ( Hg. ) ( 1990 ) : Das Parteienwesen Österreichs und Ungarns
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Die Verfassung war gewissermaßen als Rahmen des politischen Handelns präsent und von zentraler Bedeutung für die politischen Kämpfe in der Ersten Republik.17 Diesen Zugang legte auch der Blick auf die innere Entwicklung des Nachbarlands nahe : Der Einfluss der deutschen Debatte rund um die „Weimarer Verfassung“ auf die österreichische Situation ist hier nicht zu unterschätzen. Insbesondere die Novelle 1929 spiegelt diesen Befund wider.18 Dabei gilt es zu beachten , dass die Verfassungsnovelle des Jahres 1929 insgesamt höchst unterschiedliche Bewertungen etwa für die politische Entwicklung der Folgejahre in der Historiografie erfährt.19 Davon abgesehen darf eine quasi gewachsene Sensibilität gegenüber spezifischen verfassungsrechtlichen Streitfragen in Österreich vorausgesetzt werden. „Verfassungsfragen“ wurden als „Machtfragen“ mit unmittelbaren Auswirkungen begriffen.20 „Die Verfassungskonstruktion der Ersten Republik hat beide Großparteien in je anderer Weise geradezu provoziert , das Parlament bloß als Machtinstrument zu benützen , solange es sich dazu eignete.“21 Die Verfassung wird aus diesem Blickwinkel gewissermaßen als Ursache für das Scheitern der Demokratie beurteilt.22 Darüber hinaus muss auch berücksichtigt werden , dass schon vor dem Ende des Ersten Weltkriegs Diskussionen über verfassungsrechtliche Fragen breiteres Interesse hervorrufen konnten. Ein Blick auf die Geschichte des KWEG , das Ulrich Kluge als „verspäteten Fluch der Habsburgermonarchie über das republikanische Österreich“ bezeichnete ,23 mag diese Annahme untermauern.24 II. „Geburt“ eines Gesetzes Das in den Juli 1917 datierende KWEG , auf das sich später die Regierung unter Engelbert Dollfuß bei ihrem Weg in den autoritären Staat berief , hatte bereits einen Vorläufer. Hierbei handelt es sich um eine kaiserliche Verordnung vom 10. Oktober 1914 , „mit in der Zwischenkriegszeit , Wien , 1–18 , 2. 17 Bezeichnenderweise trägt der erste Band von Klaus Berchtolds Verfassungsgeschichte der Republik Österreich den Untertitel „Fünfzehn Jahre Verfassungskampf “ und verweist damit ganz offensichtlich auf Ignaz Seipel. Vgl. : Berchtold ( 1998 ) und Seipel , Ignaz ( 1939 ) : Der Kampf um die österreichische Verfassung , Wien u. a. 18 Berchtold , Klaus ( 1998 ) : Verfassungsgeschichte der Republik Österreich , Bd. 1 : 1918–1933. Fünfzehn Jahre Verfassungskampf , Wien / New York , 571. 19 Siehe dazu beispielsweise die Artikel von Hanisch ( 1990 ), Konrad ( 1990 ) und Rumpler ( 1990 ). 20 Vgl. Welan , Manfried ( 1984 ) : Die Verfassungsentwicklung in der Ersten Republik , In : Desput , Joseph F. : Österreich 1934 / 1984. Erfahrungen , Erkenntnisse , Besinnung , Graz / Wien / Köln 1984 , 73– 90 , 75. 21 Rumpler ( 1990 ), 9. 22 Über durchaus umstrittene „Erklärungen“ und Deutungen der Gründe , die zum Ende der Demokratie führten , siehe beispielsweise : Tálos , Emmerich ( 2007 ) : Deutungen des Österreichischen Herrschaftssystems 1934–1938. In : Wenninger , Florian / D vořak , Paul / Kuffner , Katharina ( Hg. ) : Geschichte macht Herrschaft. Zur Politik mit dem Vergangenen , Wien , 199–214. 23 Kluge , Ulrich ( 1984 ) : Der österreichische Ständestaat 1934–1938. Entstehung und Scheitern. Wien , 59. 24 Siehe dazu auch die Einschätzung bei Rumpler ( 1990 ), 3.
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welcher die Regierung ermächtigt“ wurde , „aus Anlaß der durch den Kriegszustand verursachten außerordentlichen Verhältnisse die notwendigen Verfügungen auf wirtschaftlichem Gebiete zu treffen“.25 Diese jedoch sollten „nach Wiedereintritt normaler Zustände sofort außer Kraft“ gesetzt werden.26 Als die bereits wenige Wochen nach Beginn des Ersten Weltkriegs verfügte Bestimmung erlassen wurde , agierte die k. k. Regierung freilich ohne Parlament. Dieses war bereits im März 1914 sistiert worden. Die Verordnung vom 10. Oktober 1914 stützte sich wiederum auf das umstrittene Notverordnungsrecht , den „berühmt , berüchtigten“ § 14 des Staatsgrundgesetzes vom 21. Dezember 1867.27 Auf Basis des „Paragraphen 14“ konnten Verordnungen auch dann erlassen werden , wenn der Reichsrat nicht versammelt war. Nach Zusammentritt des Parlaments musste die Regierung binnen vier Wochen die auf diese Weise zustande gekommenen Verordnungen zur Genehmigung vorlegen. Sie erloschen , sofern eines der beiden „Häuser“, Abgeordneten- oder Herrenhaus , die Zustimmung verweigerte. In diesem Zusammenhang hervorzuheben ist , dass auf Grundlage des § 14 erlassene Verordnungen keine Abänderung des Staatsgrundgesetztes vornehmen durften.28 Der „Vorläufer“ des KWEG kam 510 Mal zur Anwendung. Im Unterschied zu diversen auf dem § 14 beruhenden Verfügungen berührten die Bestimmungen auf Grundlage der Verordnung vom 10. Oktober 1914 tatsächlich „nur“ solche Belange , die den „kriegswirtschaftlichen Erfordernissen“ galten.29 Als im Mai 1917 der Reichsrat wieder einberufen wurde , geriet die Notverordnungspraxis der Regierung massiv unter Beschuss. Der Sozialdemokrat Karl Seitz bezeichnete die „§ 14-Verordnungen“ als „Schande“ und forderte deren Eliminierung.30 Am 14. Juni 1917 wurde Karl Seitz zum Vorsitzenden des kriegswirtschaftlichen Ausschusses bestellt. Dort musste man sich unter anderem mit den aufgrund der Verordnung vom 10. Oktober 1914 erlassenen Verfügungen auseinandersetzen. Bald wurde klar , dass dessen Abschaffung chaotische Zustände herbeiführen würde. Man votierte demgemäß für einen entsprechenden „Ersatz“ für die Verordnung vom 10. Oktober 1914.31 Endgültig in Kraft trat das neue Gesetz am 24. Juli 1917. Mit dem sogenannten „Kriegswirtschaftlichen Ermächtigungsgesetz“ wurde „die Regierung ermächtigt [ … ] , aus Anlaß der durch den Kriegszustand verursachten außerordentlichen Verhältnisse die notwendigen Verfügungen auf wirtschaftlichem Gebiete zu treffen“.32
25 RGBl. 274 / 1914. 26 RGBl. 274 / 1914. 27 RGBl. 141 / 1867. Zum Notverordnungsrecht in Cisleithanien siehe : Hasiba , Gernot D. ( 1985 ) : Das Notverordnungsrecht in Österreich ( 1848–1917 ). Notwendigkeit und Missbrauch eines „staatserhaltenden Instrumentes“, Wien. 28 Hasiba , Gernot D. ( 1981 ). : Das Kriegswirtschaftliche Ermächtigungsgesetz ( K WEG ) von 1917. Seine Entstehung und Anwendung vor 1933. In : Festschrift für Ernst C. Hellbling , Berlin , 543–565 , 546. 29 Hasiba ( 1981 ), 547. 30 Stenografische Protokolle des Reichsrates , Haus der Abgeordneten , 5. Sitzung der XXII. Session am 13. Juni 1917 , 183. 31 Zit. nach Hasiba ( 1981 ), 553. 32 RGBl. 307 / 1917.
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III. Das KWEG von der Gründung der Republik bis zum Bundes-Verfassungsgesetz vom 1. Oktober 1920 Mit dem Beschluss der Provisorischen Nationalversammlung vom 30. Oktober 1918 „über die grundlegenden Einrichtungen der Staatsgewalt“ erhielt der neue Staat Deutschösterreich seine erste vorläufige Verfassung.33 Paragraph 16 dieses Beschlusses rezipierte sämtliche in Kraft stehenden Normen aus der Monarchie , soweit sie nicht durch den Beschluss selbst aufgehoben und abgeändert wurden. Auf diese Weise blieb auch die Gültigkeit des KWEG aufrecht. Tatsächlich machte der Staatsrat ausgiebig von Verfügungen auf Grundlage des KWEG Gebrauch. Bis Anfang März 1919 waren mit Berufung auf das KWEG 48 sogenannte „Vollzugsanweisungen“34 ergangen. Der Großteil davon , so der Rechtshistoriker Gernot D. Hasiba , hätte bei entsprechendem Willen wohl auch den üblichen Weg der Gesetzgebung durchlaufen können.35 In diesem Zusammenhang sei auch die Charakterisierung des Wesens der Nationalversammlung als Ausdruck eines „neuen Absolutismus“ beachtet.36 Schließlich regte sich angesichts der oftmaligen Anwendung des KWEG auch seitens der von Karl Renner angeführten Koalitionsregierung ein gewisses Unbehagen. Ersten diesbezüglichen Initiativen , um das KWEG entsprechenden Kontrollmechanismen zu unterwerfen , folgten überdies konkrete Einwände der Großdeutschen. Im Rahmen der Parlamentssitzung am 6. Mai 1919 forderte der großdeutsche Abgeordnete Emil Kraft die Regierung auf , sie möge alle KWEG-Verordnungen , die bislang noch nicht der Nationalversammlung vorgelegt worden waren , dieser unverzüglich zur Beschlussfassung unterbreiten.37 Kurz darauf , am 21. Mai , beantragte er schließlich sogar die Aufhebung des KWEG.38 Der Abgeordnete warnte : „Die Anwendung des Ermächtigungsgesetzes auf Fälle , die nur bei einer zwangsweisen Auslegung unter seine Bestimmungen fallen , lassen die berechtigte Sorge aufkommen , dass irgendeine kommende Regierung damit ohne Parlament unter dem Scheine der Verfassung die ganze Herrschaft bestreiten könnte : ein verschleierter § 14 einer scheinbar demokratischen Regierung.“39 33 Hasiba ( 1981 ), 557. 34 Die Bezeichnung „Verordnung“, die vor dem Herbst 1918 üblich gewesen war , „wurde infolge der negativen Erfahrungen aus der Monarchie“ bewusst vermieden , vgl. Hasiba , Gernot D. ( 1984 ) : Die „rechtliche“ Zeitgeschichte – Ein anderer Weg zur Bewältigung der Vergangenheit. In : Desput , Joseph F. ( Hg. ) : Österreich 1934 / 1984. Erfahrungen , Bekenntnisse , Besinnung , Graz / Wien / Köln , 91–103 :101. 35 Hasiba ( 1981 ), 557. 36 Felix Hurdes dazu : „Es gab nur eine Nationalversammlung , die unmittelbar oder durch Ausschüsse die gesamte Staatsgewalt ausübte. Die Reaktion gegen einen angeblichen monarchischen Absolutismus hatte einen neuen Absolutismus geschaffen , den Absolutismus der Nationalversammlung“, zit. n. Rumpler ( 1990 ), 6. 37 Stenografische Protokolle , 12. Sitzung der Konstituierenden Nationalversammlung für Deutsch österreich am 6. Mai 1919 , 307. 38 Stenografische Protokolle , 17. Sitzung der Konstituierenden Nationalversammlung für Deutsch österreich am 21. Mai 1919 , 306. 39 242 der Beilagen. Konstituierende Nationalversammlung , Antrag des Abgeordneten Kraft und Genossen betreffend die Außerkraftsetzung des Gesetzes vom 24. Juli 1917 , mit welchem die Regierung ermächtigt wird , aus Anlaß der durch den Krieg verursachten außerordentlichen Verhältnisse
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Krafts Antrag wurde dem zuständigen Ausschuss für Handel , Gewerbe , Industrie und Bauten übergeben , wo er jedoch liegen blieb.40 Ein Rückgang der auf Grundlage des KWEG verfügten Vollzugsanweisungen ergab sich in weiterer Folge nicht. Im Gegenteil. Zwischen 1. Jänner 1919 bis zum 1. Oktober 1920 wurden 344 Verordnungen auf Basis des KWEG erlassen.41 Allein 1919 war beinahe ein Drittel aller per Staatsgesetzblatt verlautbarten Gesetze , Verordnungen , Vollzugsanweisungen etc. auf Grundlage des KWEG ergangen. Bereits 1918 , innerhalb der wenigen Wochen seit der Entstehung der jungen Republik bis Jahresende , war etwa ein Viertel aller in den Staatsgesetzblättern verzeichneten Bestimmungen auf das KWEG zurückzuführen.42 IV. Die Verfassungen von 1920 und 1929 und die Anwendung des KWEG 1918–1931 Mit 1. Oktober 1920 wurde in Österreich das Bundes-Verfassungsgesetz beschlossen. Außerdem erging ein Verfassungs-Übergangsgesetz43 , in dem auch das KWEG eine Rolle spielte. Unter § 7 , Abschnitt 2 hieß es : „Die nach dem Gesetz vom 24. Juli 1917 , R. G. Bl. Nr. 307 , mit welchem die Regierung ermächtigt wird , aus Anlaß der durch den Kriegszustand verursachten außerordentlichen Verhältnisse die notwendigen Verfügungen auf wirtschaftlichem Gebiete zu treffen , der Regierung zustehenden Befugnisse gehen sowohl auf die Bundesregierung als auch auf die einzelnen Bundesminister über.“44 Somit war das aus der Monarchie stammende KWEG auch Bestandteil der Verfassung der Republik und also Teil der anerkannten Rechtspraxis geworden. Unter § 7 , Abschnitt 1 des Verfassungs-Übergangsgesetzes wiederum wurde die Übertragung der Kompetenzen der bisherig zuständigen Organe an die nunmehrigen festgelegt. „Demnach“, hieß es , „treten namentlich an die Stelle der Nationalversammlung der Nationalrat , an die Stelle des Präsidenten der Nationalversammlung , soweit er mit Bundesgeschäften betraut war , der Bundespräsident , an die Stelle der Staatsregierung die Bundesregierung , an die Stelle der Staatssekretäre die Bundesminister , an die Stelle des Staatsrechnungshofes der Rechnungshof.“45 Die Frage der Rechtsnachfolge ist deshalb von Bedeutung , weil sie im Zuge des Protestes der Sozialdemokratischen Arbeiter-Partei ( SDAP ) gegen die Anwendung des KWEG durch die Regierung 1933 zum Thema gemacht wurde. § 3 des KWEG , so wurde beanstandet , bestimme , dass „die auf Grund dieses Gesetzes erlassenen Verordnungen [ … ] vierteljährlich dem Reichsrat vorzulegen“ seien , „das heißt in unserem Fall dem die notwendigen Verfügungen auf wirtschaftlichem Gebiete zu treffen. 40 Huemer , Peter ( 1975 ) : Sektionschef Dr. Robert Hecht und die Zerstörung der Demokratie in Österreich , Wien , 140. 41 Hasiba ( 1981 ), 559. 42 1918 waren es 36 , 1919 192 KWEG-Verordnungen. Zählung aufgrund des Staatsgesetzblattes für den Staat Deutschösterreich , Jahrgang 1918 ; Staatsgesetzblatt für die Republik Österreich , Jahrgang 1919. 43 Die genaue Benennung des sogenannten Verfassungs-Übergangsgesetzes lautet : Verfassungsgesetz vom 1. Oktober 1920 , betreffend den Übergang zur bundesstaatlichen Verfassung. – StGBl. 451 / 1920. 44 StGBl. 451 / 1920. 45 StGBl. 451 / 1920.
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Nationalrat“.46 Hier argumentierte man aber auf unsicherem Terrain. Tatsächlich regelte der betreffende Text des Verfassungs-Übergangsgesetzes entgegen vorhandener Ansichten keineswegs den Übergang der Kompetenz von Organen aus dem k. k. Österreich auf das Österreich des Jahres 1920 , sondern die Ablösung der seit Republikgründung existenten Organe durch die nunmehrigen.47 „Nach allgemeiner Ansicht der Wissenschaft kann der Nationalrat nicht als Rechtsnachfolger des Reichsrates betrachtet werden. Die namhaften Juristen unter den Regierungsgegnern nahmen sich daher des Arguments nicht an.“48 Festzuhalten ist : Eine Rechtsnachfolge vom Reichsrat auf den Nationalrat wird im betreffenden Text des Verfassungs-Übergangsgesetzes weder explizit erwähnt , noch finden sich dort allgemeine Formulierungen , die diesen Sachverhalt nahelegen würden. Das KWEG wurde nun „ständig“ und „unbeanstandet“ von den Sozialdemokraten , die sich freilich ab 1920 in der Opposition befanden , angewandt.49 Da sich die SDAP als Regierungspartei zuvor ebenfalls viele Male des Gesetzes bedient hatte , um nicht zuletzt soziale Maßnahmen zu treffen , ergab sich aus deren Sicht offenbar keine Notwendigkeit , gegen eine mehr oder weniger gängige Praxis zu opponieren. Die auf Grundlage des KWEG erlassenen Verordnungen wurden vierteljährlich dem Nationalrat vorgelegt – eine Vorgehensweise , die offenbar nicht durchgängig bis 1932 / 33 aufrechterhalten wurde. So verweist Hasiba darauf , dass ab 1. Jänner 1928 die Vorlage der KWEG-Verordnungen „stillschweigend“ entfallen sei.50 Eine Begründung für diese veränderte Vorgehensweise fehlt. In jedem Fall ging die Zahl der KWEG-Vollzugsanweisungen seit 1921 kontinuierlich zurück. In der ersten Gesetzgebungsperiode , die bis Oktober 1923 dauerte , wurden 187 KWEG-Verordnungen erlassen. Hasiba führt den Rückgang nicht zuletzt auf die Begleiterscheinungen der sogenannten „Genfer Sanierung“51 zurück. Erforderliche Maßnahmen konnten nun mithilfe des „Außerordentlichen Kabinettsrates“ und des Wiederaufbaugesetzes vom November 1922 verfügt werden.52 Der Rückgang der KWEG-Verordnungen zwischen 1924 und 1932 lässt sich anhand folgender Tabelle veranschaulichen :
46 Huemer ( 1975 ), 155. 47 Peter Kostelka irrt also , wenn er meint : „§ 7 Absatz 1 dieses Verfassungsüberleitungsgesetzes regelt nämlich , welche Organe als die Nachfolger der entsprechenden Einrichtungen gemäß der monarchischen Verfassung von 1867 zu betrachten sind.“ – Kostelka , Peter ( 1983 ) : Der Verfassungsbruch aus rechtsdogmatischer Sicht. In : Fröschl , Erich / Z oitl , Helge ( Hg. ) : Der 4. März 1933. Vom Verfassungsbruch zur Diktatur , Wien , 123–135 :129. 48 Huemer ( 1975 ), 155. 49 Hasiba ( 1981 ), 559. 50 Hasiba ( 1981 ), 561. 51 Zum Sanierungsprogramm auf Grundlage der „Genfer Protokolle“ siehe : Berger ( 2007 ), 79–82. 52 Hasiba ( 1981 ), 560. Vgl. dazu BGBl. 1922 / 844 : Bundesverfassungsgesetz vom 26. November 1922 über die Ausübung der außerordentlichen Vollmachten , die der Bundesregierung gemäß dem Genfer Protokoll Nr. III vom 4. Oktober 1922 eingeräumt werden.
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Anwendung des KWEG in den Jahren 1924–193253 Jahr 1924 1925 1926 1927 1928 1929 1930 1931 1932
Anzahl der KWEG-Verordnungen 18 13 9 4 3 5 1 3 2 GESAMT für 1924–1932 : 58
Auf Grundlage des KWEG wurden nunmehr im Regelfall keine neuen Materien mehr abgehandelt , sondern existente Regelungen verlängert. Die Verfassungsnovelle 1925 , die zu einer Erweiterung der Bundeskompetenzen führte , brachte keine Änderungen hinsichtlich des KWEG , wenngleich es offenbar zur Vorlage von KWEG-Verordnungen im Ministerrat kam. Mehr als eine Aufstellung der diesbezüglichen Regelungen ergab sich daraus aber nicht.54 Im Jänner 1927 unternahm schließlich das Bundeskanzleramt einen Vorstoß zur „Demontage“ des KWEG. Es fragte bei den Ministerien an , wie sie sich zur Aufhebung der im KWEG zitierten „außerordentlichen“, durch den Krieg hervorgerufenen „Verhältnisse“ stellen würden.55 Näheres zu den Motiven für diesen Vorstoß ist nicht bekannt. Tatsächlich war im Verfassungs-Übergangsgesetz unter dem Paragrafen 17 vorgesehen , zur gegebenen Zeit die Beendigung der durch die „kriegerischen Ereignisse der Jahre 1914 bis 1918 hervorgerufenen außerordentlichen Verhältnisse“ per Bundesgesetz für behoben zu erklären.56 Damit wäre auch dem KWEG die Grundlage entzogen worden. Doch das in den Raum gestellt Gesetz kam nicht zustande. „Die Zunahme der innenpolitischen Spannungen seit den Juli-Ereignissen von 1927 und die damit verbundene Hinwendung in Richtung eines autoritären Kurses ließ es“ dann der „sozialdemokratischen Opposition für ratsam erscheinen , die endgültige Aufhebung des KWEG zu fordern“.57 In jedem Fall stellte der SDAP-Abgeordnete Albert Sever im Juni 1928 im Nationalrat den Antrag auf Verabschiedung eines Bundesgesetzes , „betreffend die Feststellung des Zeitpunktes der durch den Krieg hervorgerufenen Verhältnisse“, wobei er sich auf die diesbezüglichen Formulierungen im Verfassungs-Übergangsgesetz berufen konnte. Im zuständigen Verfassungsausschuss blieb der Antrag aber liegen.58 53 Berechnungen auf Grundlage von : Bundesgesetzblatt für die Republik Österreich , Jahrgänge 1924 bis 1932. 54 Protokolle des Ministerrates der Ersten Republik. Abteilung IV. 20. November 1924 bis 20. Oktober 1926 , Bd. 3. Kabinett Dr. Rudolf Ramek. 2. November 1925 bis 7. Mai 1926 , Wien 2002 , 28 , 46. 55 Hasiba ( 1981 ), 559. 56 StGBl. 140 / 1920. 57 Hasiba ( 1981 ), 561. 58 Stenografische Protokolle , 45. Sitzung des Nationalrates , 26. 6. 1928 , 1333.
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Die Unzufriedenheit mit dem herrschenden politischen System kam unter anderem in dem Willen zu einer weiteren Umgestaltung der Verfassung zum Ausdruck. Zwischen 1926 und 1928 gingen diesbezügliche Initiativen von den Großdeutschen , dem Landbund und schließlich von der CSP aus. Die bürgerlichen Parteien strebten in jedem Fall eine Stärkung der Stellung des Bundespräsidenten , eine Einschränkung der Rechte der parlamentarischen Minderheit und einen größeren Einfluss des „ständischen“ Gedankengutes auf die österreichische Gesetzgebung an. Nun lag es an Bundeskanzler Ernst von Streeruwitz , eine Reform auf den Weg zu bringen. Der neue Mann an der Spitze aber geriet zunehmend unter Druck seitens der Heimwehren. Konnte im Oktober 1928 , als Heimwehr und sozialdemokratischer Schutzbund in Wiener Neustadt gleichzeitig paradierten , die befürchtete blutige Auseinandersetzung verhindert werden , forderte eine Konfrontation der Wehrverbände im steirischen St. Lorenzen im August 1929 drei Todesopfer. Streeruwitz , dem die Verantwortung für die Ereignisse in der Steiermark angelastet wurde , ließ in der Folge einen Entwurf für eine neue Verfassung ausarbeiten. Enthalten waren Änderungen betreffend Wahl und Stellung des Bundespräsidenten , das Notverordnungsrecht des Staatsoberhauptes sowie hinsichtlich der Neuregelung der Polizeikompetenzen.59 Den Heimwehren ging das Konzept des Bundeskanzlers zur Umgestaltung der Verfassung nicht weit genug. Als der Druck weiter wuchs und mehr oder weniger unverhohlen mit einem gewaltsamen Umsturz gedroht wurde , trat Streeruwitz zurück.60 Ihm folgte Johann Schober nach. Obgleich das Gesprächsklima zwischen Schober und der SDAP61 überraschend gut war und der neue Kanzler offenbar keineswegs den radikalen Forderungen der Heimwehr entsprechen wollte , wurde allseits von einem „Verfassungskampf “ gesprochen. In dessen Verlaufe spielte auch das KWEG keine unerhebliche Rolle. So wurde im Rahmen der Reichskonferenz der SDAP am 24. November 1929 die Aufhebung des KWEG gefordert. Gleichzeitig sollte dem Notverordnungsrecht des Bundespräsidenten nur dann zugestimmt werden , „wenn der Hauptausschuss des Nationalrates zustimme und es sachlich beschränkt werde“.62 Im „Kleinen Blatt“ wurden unter dem kämpferischen Motto „Das letzte Wort !“ die „sozialdemokratischen Bedingungen“ für die Verfassungsreform angeführt. Dort bezeichnete man das intendierte Notverordnungsrecht als „diktatorisch“ und forderte außerdem explizit die Aufhebung des KWEG.63 Parteiinterne Vorstöße zur Abschaffung des KWEG wurden aber zunächst beiseitegeschoben.64 In weiterer Folge wurden die Verhandlungen über die neue Verfassung auf parlamentarischer Ebene fortgesetzt , wobei für die Sozialdemokraten Robert Danneberg die Gespräche leitete. Obwohl Otto Bauer dann in der vorletzten Sitzung des Verfassungsunterausschusses am 4. / 5. Dezember 1929 nachdrücklich die Forderung nach Aufhebung
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Hasiba ( 1984 ), 94–95. Berchtold ( 1998 ), 520–522. Vgl. dazu : Jahrbuch der österreichischen Arbeiterbewegung 1929 , Wien 1930 , 68–69. Berchtold ( 1998 ), 563. Das Kleine Blatt , 26. 11. 1929 , 1–2. Berchtold ( 1998 ), 563.
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des KWEG erhob , spielte dieser Punkt weiterhin keine Rolle mehr.65 Es ist davon auszugehen , dass sich die Aufmerksamkeit der SDAP wohl vermehrt auf das Notverordnungsrecht des Bundespräsidenten verschob. Die zweite Bundes-Verfassungsnovelle , die am 7. Dezember verabschiedet wurde , trat am 11. Dezember 1929 in Kraft.66 Mit ihr wurde unter Artikel 18 , Absatz 3–5 , ein Notverordnungsrecht des Bundespräsidenten festgelegt.67 Entgegen der später von der SDAP vertretenen Meinung , wonach das KWEG aufgrund des neuen Notverordnungsrechtes „derogiert“ worden sei , lässt sich diese Einschätzung nicht aufrechterhalten. Das KWEG wurde im gleichzeitig mit der Verfassungsnovelle verabschiedeten Verfassungsübergangsgesetz unverändert übernommen.68 Interessanterweise wurden noch im Dezember 1929 , nach Inkrafttreten der Verfassungsnovelle , zwei KWEG-Verordnungen erlassen. In einem Fall ging es um „die Einteilung der unfallversicherungspflichtigen Betriebe in Gefahrenklassen“, im anderen Fall um die sogenannten „Pächterschutzbestimmungen“.69 Da es sich hier um soziale Maßnahmen handelte , welche vor allem die sozialdemokratische Klientel betrafen , sei der mangelnde Protest daran , dass die Verordnungen per KWEG zustande kamen , – so die Meinung von Gernot D. Hasiba – „verständlicher“.70 Tatsächlich erscheint es doch eher befremdlich , dass die Sozialdemokraten , die kurz vorher die Abschaffung des KWEG gefordert hatten , es nun nicht beeinspruchten. Beachtung verdient in diesem Zusammenhang vor allem die „Pächterschutzverordnung“. Sie wurde per KWEG am 18. Dezember 1929 bis einschließlich 30. Juni 1930 auf Grundlage einer bestehenden Regelung vom 2. Juni 1925 verlängert.71 Allerdings hatten die Sozialdemokraten erfolglos versucht , den Pächterschutz gesetzlich zu verankern.72 Festzuhalten ist des Weiteren , dass im Dezember 1930 der sozialdemokratische Abgeordnete Anton Hölzl den bereits 1928 von Sever eingebrachten Antrag zur Abschaffung des KWEG erneut vorlegte. Da der Antrag im Verfassungsausschuss keine Aussicht auf entsprechende Behandlung hatte , ergab sich auch 1930 ein weiteres Mal die Verlängerung der Pächterschutzverordnung auf Grundlage des KWEG.73
65 Hasiba ( 1981 ), 562. 66 Berchtold ( 1998 ), 562. 67 BGBl. 1929 , Stück 98 , Nr. 392. Das Bundesverfassungsgesetz vom 7. Dezember 1929 , betreffend einige Abänderungen des Bundes-Verfassungsgesetzes vom 1. Oktober 1920 in der Fassung des BGBl. Nr. 367 von 1925 ( Zweite Bundesverfassungsnovelle ) regelt dieses Notverordnungsrecht unter § 6. 68 Hasiba ( 1981 ), 562. 69 Dazu vgl. Durig , Ernst ( o. J. ) : Die Pächterschutzverordnung. 70 Hasiba ( 1981 ), 562. 71 Vgl. : BGBl. 1929 , Stück 100 , Nr. 418 : Verordnung der Bundesminister für Justiz und für Landund Forstwirtschaft vom 18. Dezember 1929 , betreffend die Verlängerung der Geltungsdauer der Pächterschutzverordnung und BGBl. 1929 , Stück 100 , Nr. 421 : Verordnung des Bundesministers für soziale Verwaltung vom 19. Dezember 1929 , betreffend die Einteilung der unfallversicherungspflichtigen Betriebe in Gefahrenklassen und die Feststellung der Prozentsätze der Gefahrenklassen für die Zeit vom 1. Jänner 1930 bis zum 31. Dezember 1934. 72 Hackl ( 1993 ), 40. 73 Hasiba ( 1981 ), 563.
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Während sowohl SDAP als auch CSP ihre Zielsetzungen in der Novelle von 1929 zum Teil hatten erreichen können ,74 stellte das Ergebnis der Verfassungsnovelle die Heimwehren in keiner Weise zufrieden. Die diesbezügliche Entwicklung verstärkte vielmehr den Willen nach einer gewaltsam herbeizuführenden Änderung der Verhältnisse. Die Regierung aber erwies sich als mehr oder minder handelsunfähig. Da sie mit einem Misstrauensvotum des Nationalrates zu rechnen hatte , wurde dieser durch den Bundespräsidenten gemäß Artikel 29 , Absatz 1 des Bundesverfassungsgesetzes aufgelöst. Schon damals stand der Vorwurf von „Verfassungsbruch“ im Raum.75 Das Ergebnis der für November 1930 angesetzten Neuwahlen stellte sich dann für die CSP als höchst unerfreulich dar : Eine sichere Mehrheit im Parlament musste trotz Mandatsüberlegenheit der bürgerlichen Parteien gegenüber der SDAP als fraglich gelten. V. Das KWEG 1932 Die weiteren Monate waren nicht zuletzt vom Zusammenbruch der Credit-Anstalt geprägt. Ein von mehr als 600.000 Stimmen unterstütztes Volksbegehren der Heimwehr , die eine Bestrafung der Schuldigen am Zusammenbruch der CA forderte , blieb indessen unbeachtet.76 Die Regierung beschritt derweilen den Weg zur sogenannten „Lausanner Anleihe“, deren Gewährung an den Verzicht des „Anschlusses“ an Deutschland sowie an eine Sanierung der Staatsfinanzen gebunden war. Anfang 1932 kam es dann infolge des Austritts der Großdeutschen Volkspartei aus der Regierung zu einer Umbildung derselben. Die neue Regierung stand auf schwachen Beinen. Gleichzeitig ließ die SDAP anscheinend durchblicken , nun für eine Regierungsbeteiligung bereit zu sein.77 Diesbezügliche Angebote seitens Ignaz Seipels hatte man ja zu einem früheren Zeitpunkt zurückgewiesen. Jetzt aber gingen die Signale der SDAP ins Leere. Im Februar 1932 wurden im Parlament wichtige Materien behandelt. Es ging um zwei Bundesverfassungsgesetze , die in Sachen Wirtschaft und Handelspolitik die Ermächtigung gesetzesändernder Verordnungen ohne vorherige parlamentarische Genehmigung zuließen. Die SDAP gab sich skeptisch. Von besonderem Interesse erscheinen folgende Aussagen Otto Bauers : „Seit einiger Zeit beobachten wir , dass eine kleine , aber mächtige Gruppe innerhalb der christlichsozialen Partei immer lauter nach der Ausschaltung des Parlaments ruft , nach einem Regierungssystem , das ohne und gegen die Volksvertretung herrschen soll.“78 Aus diesem Grunde sei man nicht geneigt , mit Ermächtigungsgesetzen die Voraussetzung für eine solche Entwicklung zu unterstützen. Die Sozialdemokraten schlugen vielmehr vor , die Ausübung des Ermächtigungsgesetzes an die Zustimmung des Hauptausschusses des Nationalrates zu knüpfen. Diesem Antrag wurde stattgegeben.79 74 Über die „Bilanz“ des sogenannten „Verfassungskampfes“ siehe u. a. die Analyse bei Berchtold ( 1998 ), 569–571. 75 Zu dieser Problematik siehe Berchtold ( 1998 ), 576 , 589–592. 76 Berchtold ( 1998 ), 622. 77 Berchtold ( 1998 ), 631. 78 Stenografische Protokolle der 74. Sitzung des Nationalrates am 16. Februar 1932 , 1961 und Berchtold ( 1998 ), 633. 79 Berchtold ( 1998 ), 633.
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Kurze Zeit später ergaben sich alarmierende Veränderungen im Wählerverhalten : Zweifelsohne war neben vielen anderen Gründen ( Wirtschaftskrise , Arbeitslosigkeit etc. ) auch das Scheitern der Zollunion mit Deutschland mitverantwortlich für die Stärkung der österreichischen Nationalsozialisten gewesen. Der neue Bundeskanzler Engelbert Dollfuß erreichte indessen mit einiger Mühe eine Dreierkoalition zwischen CSP , Landbund und Heimatblock. Eine tragfähige Basis für die anstehenden politischen Entscheidungen war damit aber nicht erreicht worden. Die Behandlung der Lausanner Anleihe auf parlamentarischer Ebene drohte zu einer Zitterpartie zu werden. Infolge der Kräfteverteilung bei der Nationalratswahl 1930 verfügte die Regierung über 83 Mandate , die Oppositionspartei über 82. Die diesbezüglichen Beratungen im Parlament begannen am 28. Juli 1932.80 Die Anleihe wurde schließlich mit 82 zu 80 Stimmen gebilligt.81 Am 1. Oktober 1932 wurde die Verordnung über „die Geltendmachung der im 7. Credit-Anstalts-Gesetz ( BGBl. Nr. 415 aus 1931 ) angeführten Haftungen“ kundgemacht. Diese stützte sich auf das KWEG.82 Der Umstand , dass die Verordnung dem Nationalrat nicht vorgelegt , sondern lediglich zur Kenntnis gebracht wurde , sicherte die Entscheidung der Regierung ab.83 Der sozialdemokratische Parteivorstand kritisierte daraufhin die Regierung aufs Heftigste und warf ihr ein verfassungswidriges Vorgehen vor. Man erinnerte des Weiteren an das mit Artikel 18 der Verfassung vorhandene Notverordnungsrecht , das allerdings nicht ohne Mitwirkung eines parlamentarischen Ausschusses ausgeübt werden durfte. In den Augen der Sozialdemokraten hatte Artikel 18 , der mit der Verfassungsnovelle 1929 in Kraft getreten war , das KWEG abgelöst. Nun aber muss te aus Sicht der SDAP befürchtet werden , dass Dollfuß das KWEG benutzen werde , um eine „Regierungsdiktatur“ zu errichten. Anlass zu einer diesbezüglichen Sorge gaben nicht nur Äußerungen des Bundeskanzlers , sondern auch die Erklärungen des Sektionschefs im Heeresministerium , Robert Hecht , der das KWEG regelrecht als Alternative zum parlamentarischen Prozedere anpries.84 Die „Reichspost“, welche die Vorgangsweise der Regierung vorbehaltlos unterstützte , stellte den sozialdemokratischen Vorwurf , wonach sich Dollfuß nach deutschem Vorbild nunmehr einen „österreichischen Artikel 48“ schaffen wolle , freilich in Abrede. Es sei „ganz lächerlich und absurd , jedes Notrecht des Staates als ‚Diktatur‘ abtun zu wollen“.85 Indessen kündigte die SDAP an , alle ihr zur Verfügung stehenden Mittel zu nützen , um eine Rücknahme der auf Grundlage des KWEG erlassenen Verordnung und eine verfassungsmäßige Bestimmung in Sachen Haftbarmachung zu erwirken. Am 20. Oktober 1932 trat der Nationalrat zusammen. Die an diesem und am darauffolgenden Tag geführten Debatten , die über weite Teile um das KWEG kreisten , verliefen 80 Ursprünglich sollte sie bereits am 20. Juli beginnen. Da aber im Finanz- und Budgetausschuss Otto Bauer vom Abgeordneten Hainzl ( Heimatblock ) attackiert und am Kopf verletzt wurde , fanden die Beratungen dann erst am 28. statt. – Vgl. Stenografische Protokolle der 93. Sitzung des Nationalrates am 20. Juli 1932 , 2413. 81 Dazu ausführlich Berchtold ( 1998 ), 674–679. 82 BGBl. 303 / 1932. 83 Vgl. Berchtold ( 1998 ), 686. 84 Neues Wiener Journal , 2. Oktober 1932 , 2. 85 Reichspost , 3. Oktober 1932 , 1.
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äußerst turbulent. Seitz erinnerte daran , dass die Regierung in diesem Zusammenhang das Notverordnungsrecht gemäß Artikel 18 der Verfassung heranziehen hätte müssen. Nun sei mit der Anwendung des KWEG ein „Präjudiz“ geschaffen worden , um den Weg in die Diktatur zu ebnen. Das KWEG aber sei entgegen aller juristischen Spitzfindigkeiten nicht mehr anzuwenden , da es die durch den Krieg hervorgerufenen außerordentlichen Verhältnisse nicht mehr gebe. Als Replik auf den Vorwurf , die Sozialdemokraten hätten kein Problem gehabt , das KWEG in Zusammenhang mit dem Pächterschutz zu akzeptieren , entgegnete Seitz sinngemäß , dass es sich hier in seiner Bedeutung um eine marginale Verfügung gehandelt hätte. Gleichzeitig brachte er seine Verwunderung zum Ausdruck , dass das KWEG nicht bereits im Rahmen der Abstimmung über die Lausanner Anleihe zur Anwendung gekommen sei. Außerdem kündigte er den Widerstand der Sozialdemokratie gegen einen „Verfassungsbruch“ an.86 Die Sozialdemokraten forderten schließlich Neuwahlen am 27. November. Außerdem wurde ausdrücklich die Aufhebung des KWEG verlangt und vor einem „Hinabschlittern in die Verfassungs- und Kulturlosigkeit“ gewarnt.87 Im Dezember 1932 tat sich im Rahmen des Finanzausschusses für die SDAP noch einmal die Möglichkeit auf , gegen das KWEG aufzutreten. Allerdings konnte sie hier keine Abgeordneten anderer Parteien auf ihre Seite ziehen. Keine Unterstützung fand überdies der sozialdemokratische Antrag , die „Wirksamkeit des Bankhaftungsgesetzes auf die Mitglieder des Verwaltungsrates von Bankaktiengesellschaften“ zu erstrecken. Die Vorlage des Ausschusses , die schließlich am 13. Dezember 1932 im Nationalrat beraten wurde , sah lediglich vor , die CA-Verordnung zur Kenntnis zu nehmen. Es folgte eine kurze Debatte , bei welcher der sozialdemokratische Abgeordnete Ernst Koref noch einmal mit Nachdruck auf die Gefährlichkeit des KWEG hinwies. Er witterte „verfassungsbrecherische Absichten“.88 In der Historiografie wird die Einschätzung Peter Huemers , wonach die Anwendung des KWEG in Zusammenhang mit der Haftbarmachung der CA-Funktionäre ein „Versuchsballon“ für ein Regieren ohne Parlament gewesen sei , vielfach geteilt. Gerade im Sommer 1932 sei überdies „starker außenpolitischer Druck [ … ] in Richtung auf eine autoritäre Lösung ausgeübt“ worden.89 Dennoch gibt es auch Stellungnahmen , die zum einen die diesbezügliche Gespaltenheit innerhalb der CSP hervorheben und zum anderen dem damaligen Argument von der Dringlichkeit der Verordnung , die den Griff zum KWEG notwendig gemacht hätte , folgen können.90 Die scharfe Reaktion , mit der die SDAP sich im Herbst 1932 gegen das KWEG stellte , wird in diversen Darstellungen überdies mit den Ereignissen in Deutschland in Zusam86 Stenografische Protokolle , 102. Sitzung des Nationalrats der Republik Österreich , IV.G.P – 20. Oktober 1932 , 2656–2662 87 Stenografische Protokolle , 102. Sitzung des Nationalrats der Republik Österreich , IV.G.P – 20. Oktober 1932 , 2670. In derselben Sitzung legte im Übrigen Stefan Tauschitz sein Amt als Dritter Nationalratspräsident zurück. An seine Stelle trat Josef Straffner. Tauschitz war 1933 österreichischer Gesandter in Berlin. 88 Stenografische Protokolle , 109. Sitzung des Nationalrates der Republik Österreich , IV. G. P. , 13. Dezember 1932 , 2846. 89 Botz ( 1983 ), 22 f. 90 Berchtold ( 1998 ), 687.
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menhang gebracht. Zweifelsohne wirkten sich diese auch auf die in der Folge allerdings defensive Haltung der Sozialdemokraten gegenüber der Regierung aus. Das Schicksal der deutschen „Bruderpartei“ diente außerdem zur Bestätigung des eigenen Kurses. So begegnete man parteiinterner Kritik , wonach eine Bereitschaft zur Regierungsbeteiligung eine Zuspitzung der Lage , wie sie sich 1933 darstellte , verhindert hätte , mit dem Beispiel der Sozialdemokraten in Deutschland.91 VI. 4. März 1933 In den ersten Märztagen des Jahres 1933 sollte sich das Schicksal der Demokratie im Österreich der Zwischenkriegszeit endgültig entscheiden. Die Ereignisse des 4. März , die sich vor dem Hintergrund eines Warnstreiks der Eisenbahner abspielten , sind in ihrem Ablauf hinreichend bekannt. Dennoch hinterließen sie einen interpretatorischen Spielraum , der einmal mehr auch in der Nachbetrachtung zu Polarisierungen führte. Die Regierung unter Bundeskanzler Dollfuß hatte angekündigt , im Falle des Streiks eine Verordnung aus dem Jahre 1914 zur Geltung zu bringen , mit der „die Bestrafung“ der an der Arbeitsniederlegung Beteiligten gerechtfertigt werden sollte.92 Bei den Debatten am 4. März 1933 im Parlament wehrte sich Bundeskanzler Dollfuß dann gegen den sozialdemokratischen Vorwurf , ein Gesetz heranzuziehen ,93 dessen Gültigkeit als strittig angesehen wurde.94 Dollfuß insistierte auf der diesbezüglichen Rechtmäßigkeit und meinte – zweifelsohne auch auf die Haltung der SDAP gegenüber dem KWEG anspielend – , die Opposition habe „Jahre hindurch Gelegenheit gehabt , diese und vielleicht andere Verordnungen in der Zeit , als sie die Führung in der Regierung gehabt haben , wirklich zu beseitigen“. Er könne die „naive Begründung , dass man es nicht mehr für aktuell gehalten oder vergessen hätte , nicht ernstlich glauben“ und vermute vielmehr , „dass man sich auch damals gedacht hat , wer weiß , wozu diese Verordnung einmal gut ist“.95 Dass es im Verlauf der Sitzung zum Rücktritt aller drei Präsidenten des Nationalrats kam , muss nicht näher dargelegt werden. Die Motive für den Rücktritt Karl Renners , zu dem u. a. auch Otto Bauer geraten hatte , boten jedenfalls Anlass für diverse zeitgenössische und nachmalige Erörterungen.96 Auch innerhalb der SDAP war Renners Amts91 Vgl. dazu zum Beispiel die Protokolle der Reichskonferenz vom April 1933 : VGA , Partei-Archiv vor 1934 : Parteitage , Parteikonferenzen etc. 1916 bis 1933 , Mappe 65 A : Reichskonferenz 15. / 16. 4. 1933. 92 Die Verordnung stammte vom 27. Juli 1914 , RGBl. Nr. 155. 93 Nach Ansicht der SDAP war auch dieses Gesetz – genauso wie das KWEG – „von irgendeinem Hecht ausgegraben“ worden , vgl. Arbeiter-Zeitung , 6. März 1933 , 3. 94 Vgl. dazu die Aussage von Anton Rintelen , der im Ministerrat vom 28. Februar 1933 u. a. auf die Anwendung von Gesetzen aus der Monarchie im Nachbarland Tschechoslowakei verwies , vgl. Kriechbaumer , Robert ( 2001 ) : Die großen Erzählungen der Politik. Politische Kultur und Parteien in Österreich von der Jahrhundertwende bis 1945 , Wien / Köln / Weimar , 235. 95 Stenografische Protokolle , 125. Sitzung des Nationalrates der Republik Österreich , IV. G. P. , 4. März 1933 , 3387. 96 Offenbar hatte Renner die Entscheidung , das Amt als Nationalratspräsident niederzulegen , nicht allein gefällt. Adolf Schärf , Klubsekretär der Sozialdemokraten , hielt dazu in seinen Erinnerungen fest : „Nun , in der Ecke des Foyers besprachen sich – ohne daran zu denken , den Abgeordnetenklub
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niederlegung durchaus umstritten.97 Als haltlos erscheint indessen die Behauptung von Heinrich Drimmel , wonach der Rücktritt Renners ein „sozialdemokratischer Coup“ war , „um nachher die Regierung zu stürzen und dem Bundespräsidenten einen sozialdemokratischen Kanzlerkandidaten vorzuschlagen“.98 Den Sozialdemokraten wurde sogleich bewusst , dass mit der Sitzung vom 4. März eine womöglich äußerst prekäre Entwicklung eingeleitet worden war und die Gefahr bestand , dass mithilfe des KWEG regiert werden könnte.99 Noch vor den Ereignissen am 4. März 1933 war im Parlament der Hauptausschuss zu einer Sitzung einberufen worden. Diese sollte am 7. März 1933 stattfinden. Vor Beginn der Sitzung traf sich der christlichsoziale Klubvorstand bei Bundeskanzler Dollfuß. Letzterer verwies auf eine „gewisse Stimmung gegen das Parlament“ in der Bevölkerung und auf die Notwendigkeit , die zu befürchtende nationalsozialistische Propagandawelle aufzufangen. Nun wurde über eine Pressenotverordnung und ein allgemeines Versammlungs- und Aufmarschverbot gesprochen. Außerdem sei eine grundlegende Verfassungsänderung anzustreben.100 Wie bei der Unterredung vereinbart , stellte Karl Buresch ( C SP ) vor dem Hauptausschuss einen Vertagungsantrag , den er mit den „ungeklärten parlamentarischen Verhältnissen“ begründete. Der Vertagungsantrag der Regierungsparteien wurde mehrheitlich angenommen.101 Seitz hingegen forderte die Neuwahl der drei Nationalratspräsidenten und erblickte im Verhalten der Regierung Anzeichen , wonach man „eine rein formelle Frage der Geschäftsordnung dazu benützen wolle , um die Grundrechte der Republik , die Verfassung und damit alle Gesetze und Verordnungen , also die gesamte staatliche mit der Sache zu befassen – Otto Bauer und Karl Seitz über das , was geschehen sollte. Sie riefen mich und trugen mir auf , Renner , der , vom Krawall der Christlichsozialen umtost , auf dem Präsidentenstuhl saß , auszurichten , er habe als Präsident des Nationalrates zu demissionieren. Mich überkam eine böse Ahnung , ich bekam ein bitteres Gefühl. Ich antwortete den beiden , ich sei nicht bereit , Renner diesen Auftrag zu überbringen , wenn nicht ein zweiter mit mir zu ihm ginge ; dazu wurde nun Dr. Danneberg bestimmt. Beide gingen wir zu Dr. Renner und überbrachten ihm den Auftrag. Er legte sofort das Amt zurück.“ Schärf , Adolf ( 1963 ) : Erinnerungen aus meinem Leben , Wien , 116 und vgl. Fischer , Heinz ( 1983 ) : Der Geschäftsordnungs- und Verfassungsbruch von 1933 / 34 im Lichte der weiteren Entwicklung des österreichischen Parlamentarismus. In : Fröschl , Erich / Z oitl , Helge ( Hg. ) : Der 4. März 1933. Vom Verfassungsbruch zur Diktatur , Wien , 95. 97 Vgl. dazu die Protokolle der Reichskonferenz vom April 1933 : VGA , Partei-Archiv vor 1934 : Parteitage , Parteikonferenzen etc. 1916 bis 1933 , Mappe 65 A : Reichskonferenz 15. / 16. 4. 1933 und Berchtold , ( 1998 ), 704 , sowie : Arbeiter-Zeitung , 5. März 1933 , 2 , und Kostelka ( 1983 ), 124 f. 98 Zit. nach Welan ( 1984 ), 83–84. 99 Vgl. dazu das „Protokoll der Sitzung des Verbandes der sozialdemokratischen Abgeordneten und Bundesräte“ am 4. März 1933 , kurz nach Ende der Parlamentssitzung. – VGA , Partei-Archiv vor 1934. Protokolle der Klub- , Verbands- , Vorstands- und Bundesratssitzungen , Mappe Nr. 20 : Div. Protokolle August–Dezember 1932 / Jänner–März 1933. Vgl. des Weiteren auch das Protokoll der Sitzung des Parteivorstandes vom 5. März 1933 : VGA , Partei-Archiv vor 1934 , Mappe Nr. 6 : Sitzungsprotokolle , sowie die Arbeiter-Zeitung , 5. März 1933 , 2. 100 Goldinger , Walter ( Hg. ) ( 1980 ) : Protokolle des Klubvorstandes der Christlichsozialen Partei 1932–1934 , Wien , 131–138 ; Berchtold ( 1998 ), 713. 101 Berchtold ( 1998 ), 714.
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Ordnung und Gebarung in Gefahr zu bringen“.102 Buresch indessen meinte , die Sitzung am 4. März sei nicht formell geschlossen worden und dauere daher noch an. Die „Wahl des Ständigen Unterausschusses des Hauptausschusses103 ( der berufen ist , bei Notverordnungen des Bundespräsidenten zuzustimmen ), die als erster Punkt auf der Tagesordnung stehe“, sei „kein Grund , eine Sitzung abzuhalten“.104 Damit war auch dieser Weg , eine verfassungs- beziehungsweise geschäftsordnungskonforme Lösung herbeizuführen , obsolet.105 Interessanterweise hatte Justizminister Schuschnigg im Rahmen der Ministerratssitzung vom 7. März 1933 einen Entwurf zur Änderung des Straf- sowie Pressegesetzes vorgelegt , der auf Grundlage des Artikels 18 der Verfassung beruhte. Doch verwies er darauf , dass „der ständige Unterausschuss des Hauptausschusses nicht bestehe“, weshalb die Heranziehung des KWEG zu erwägen sei.106 Hinsichtlich der Anwendung von KWEG oder des Artikels 18 ergaben sich hierauf unterschiedliche Meinungen. Schließlich aber kristallisierte sich heraus , dass nunmehr das KWEG anzuwenden sei. Allerdings wollte Vizekanzler Franz Winkler ( L andbund ) offenbar die Zustimmung des Bundespräsidenten bezüglich dieser Vorgangsweise gesichert wissen. Dollfuß begab sich in der Folge zu Wilhelm Miklas und bot die Demission der Regierung an. Letzterer aber sprach Dollfuß bzw. der Regierung sein vollstes Vertrauen aus.107 Manfried Welan sieht im diesbezüglichen Verhalten von Wilhelm Miklas eine „Selbstausschaltung“ des Bundespräsidenten , da er sich damit der Möglichkeit einer späteren Entlassung der Regierung beraubte.108 Am Abend des 8. März berichtete Danneberg109 seinen Parteikollegen von einer Unterredung mit Dollfuß. Hinsichtlich der Parlamentskrise verlangte der Bundeskanzler „Verhandlungen über die Verfassungsreform“ sowie über die Geschäftsordnung des Parlaments. Erst nach einer diesbezüglichen Einigung sollte das Plenum der Volksvertretung wieder zusammentreten.110 Außerdem hatte Dollfuß offenbar auch nichts dagegen , dass der Hauptausschuss seinen ständigen Unterausschuss wähle , womit der Weg 102 Arbeiter-Zeitung , 8. März 1933 , 2. 103 Zur Funktion von Hauptausschuss und ständigem Unterausschuss siehe Widder , Helmut ( 1980 ) : Der Nationalrat. In : Schambeck , Herbert ( Hg. ) : Das österreichische Bundes-Verfassungsgesetz und seine Entwicklung , Berlin , 261–336 , 288–290. 104 Arbeiter-Zeitung , 8. März 1933 , 2. 105 „Der Gedanke , die parlamentarische Lage durch eine Notverordnung des Bundespräsidenten zu entwirren , setzte [ … ] die Wahl des ständigen Unterausschusses voraus , da nach Artikel 18 Absatz 3 des Bundesverfassungsgesetzes nur im Einvernehmen mit ihm eine Notverordnung erlassen werden konnte“, Berchtold ( 1998 ), 713. 106 Zit. nach Berchtold ( 1998 ), 714. 107 Arbeiter-Zeitung , 8. März 1933 , 1. 108 Welan ( 1984 ), 84. 109 Hinsichtlich des Zusammentreffens von Danneberg und Dollfuß gibt es unterschiedliche Hinweise. Während Rabinbachs Darstellung suggeriert , dass die Unterredung vor dem Abend des 8. März stattfand ( R abinbach , Anson [ 1989 ] : Vom Roten Wien zum Bürgerkrieg , Wien , 75 ), verweist Berchtold auf den 12. März 1933 ( Berchtold [ 1989 ] , 718 ). Dass zwei Daten genannt werden , lässt eventuell auch auf mehrere Treffen schließen. 110 Rabinbach ( 1989 ), 75.
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zu einer Notverordnung gemäß Artikel 18 der Verfassung durch den Bundespräsidenten beschritten hätte werden können.111 Realiter aber wurde eine derartige Lösung bewusst verhindert. Als Renner einige Tage nach dem verhinderten Zusammentritt der Nationalratssitzung noch einmal den Versuch zur Einberufung des Hauptausschusses des Nationalrates unternahm , reagierten die Klubobleute der Regierungsparteien ablehnend.112 Der Bundeskanzler hatte mit seinen Stellungnahmen gegenüber Danneberg den Widerstandswillen des maßgeblichen Teils der Partei entscheidend geschwächt. In der Folge blieb es bei verbalen Kampfansagen und diversen Entschließungsanträgen der SDAP. Dies zeigte sich auch im Rahmen der Bundesratssitzung am 17. März. Der oppositionellen Forderung nach Wiederherstellung „des verfassungsmäßigen Zustandes“ folgten keine konkreten Konsequenzen.113 Indessen verfolgte die Regierung weiterhin eine Verfassungsreform , die offenbar jene Zielsetzungen beinhaltete , die 1929 am Widerstand der Sozialdemokraten gescheitert waren.114 Obwohl Dollfuß mit seiner Italienreise bereits im April 1933115 einen Weg abseits demokratischer Spielregeln vorzuzeichnen schien und weitere Verordnungen auf Grundlage des KWEG erlassen wurden , blieben die Sozialdemokraten hinsichtlich der Verfassungsreform offenbar verhandlungsbereit.116 Allerdings lehnte die SDAP eine Ausweitung des Notverordnungsrechts des Bundespräsidenten ab , „da sie darin die Grundlage sah , um den Faschismus einzuführen“.117 Außerdem hielt Danneberg fest , dass im Zuge etwaiger Verhandlungen die Abschaffung des KWEG zu fordern sei.118 Der Glaube der Sozialdemokraten an eine Zusammenarbeit mit der Regierung erwies sich indes als völlig illusorisch. Wirkungslos blieben auch die im Bundesrat vorgetragenen SDAP-Proteste.119 Mittlerweile waren die Absichten des Bundeskanzlers hinsichtlich der zukünftigen Rolle des Parlaments immer konkreter geworden. Das Konzept einer „ständischen Verfassung“ begann allmählich Gestalt anzunehmen und die Vorgehensweise gegen die oppositionellen Parteien verschärfte sich.120 Die Lahmlegung des Verfassungsgerichtshofes im Mai 1933 machte deutlich , dass jeglicher Widerspruch , der diesen Kurs beeinträchtigt hätte , unerwünscht war.121 Dass durch einige auf Grundlage des 111 Berchtold ( 1998 ), 718. 112 Wohnout , Helmut ( 1993 ) : Regierungsdiktatur oder Ständeparlament ? Gesetzgebung im autoritären Österreich , Wien / Köln / Graz , 69. 113 Stenografische Protokolle der 186. Sitzung des Bundesrates am 17. März 1933 , 2027–2029. 114 Berchtold ( 1998 ), 735. Ausführlich dazu außerdem : Wohnout , Helmut ( 1993 ), 82–91. 115 Vgl. dazu die Berichterstattung in der Neuen Freien Presse , 11. April 1933 , 1–2. 116 Vgl. die Resolution der SDAP-Reichskonferenz vom 15. April 1933 , Neue Freie Presse , 16. April 1933 , 1 f. ; Berchtold ( 1998 ), 735. 117 Berchtold ( 1998 ), 735. 118 Berchtold ( 1998 ), 736. 119 Ausführlich dazu : Die Wahrheit über das Kriegswirtschaftliche Ermächtigungsgesetz. Protokoll der Verhandlungen des Verfassungsausschusses des Bundesrates vom 20. Dezember 1933 u. des Plenums des Bundesrates vom 18. Jänner 1934 , Wien 1934. 120 Berchtold ( 1998 ), 738. 121 Dazu vgl. u. a. Kostelka ( 1983 ), 132–133.
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KWEG erlassene Verordnungen ein Verfassungsbruch vollzogen worden war , lag auf der Hand.122 Bis Ende 1933 wurden über 300 Verordnungen unter Berufung auf das KWEG erlassen.123 VII. Kurzes Resümee Die Rolle des KWEG in der Geschichte der Ersten Republik124 verdeutlicht die Wichtigkeit einer Beschäftigung mit verfassungsrechtlichen Aspekten. Gleichzeitig ergibt sich daraus eine Reihe von weiterführenden Fragen , die u. a. die Haltung von Parteien und Öffentlichkeit zur Verfassung an sich berühren. Daran anknüpfend ergibt sich außerdem die Perspektive einer eingehenden und umfassenden Untersuchung des Demokratieverständnisses in der Ersten Republik. Neben diesen innenpolitischen Aspekten erscheint es auch lohnend , sich der Resonanz im Ausland auf die Verfassungsänderungen in Österreich zuzuwenden. Immerhin mussten diesbezügliche Entwicklungen in Hinblick auf außenpolitische Konzeptionen und Strategien Berücksichtigung finden. Gerade in Zusammenhang mit den damals auf breiter Ebene diskutierten Mitteleuropakonzeptionen , die parallel zu den innenpolitischen Auseinandersetzungen über Verfassungsfragen in Österreich präsentiert wurden , erscheint eine Beschäftigung mit der Wahrnehmung der betreffenden Verfassungsdebatten als wichtiger Beitrag für das Verständnis innen- wie außenpolitischer Wechselwirkungen.
122 Vgl. dazu die Ausführungen bei Merkl , Adolf : Die Frage der Geltung des kriegswirtschaftlichen Ermächtigungsgesetzes und seines Verhältnisses zur Verordnungsvollmacht des Bundespräsidenten. In : Juristische Blätter , 62. Jg , Nr. 7 , 8. April 1933 , 138–141. Insgesamt über die juristischen Debatten zum KWEG hinsichtlich seiner Verfassungsmäßigkeit siehe Hackl ( 1993 ), 42–53. 123 Vgl. Wahrheit über das Kriegswirtschaftliche Ermächtigungsgesetz. Protokoll der Verhandlungen des Verfassungsausschusses des Bundesrates vom 20. Dezember 1933 u. des Plenums des Bundesrates vom 18. Jänner 1934 , Wien 1934 , 6–7. 124 Das KWEG wurde erst 1946 aufgehoben.
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Maren Seliger
Forschungsdefizite auf Wiener Regionalebene 1933–1938 I. Vorbemerkung Im Folgenden soll auf einige Forschungsdefizite verwiesen werden , die sich aufgrund meiner bisherigen Beschäftigung mit Themen zur Wiener Stadtgeschichte , vor allem jedoch im Zuge der kürzlich vorgelegten vergleichenden Untersuchung über die Wiener „Gemeindevertretung“ im Austrofaschismus und Nationalsozialismus , hier mit Betonung auf den Austrofaschismus1 , ergeben.2 Die Arbeit umfasst ideologische Begründung , Funktionsweise und personelle Zusammensetzung der Scheinparlamente. Die Themenauswahl war zum Teil pragmatisch begründet : Es eröffnete sich die Möglichkeit einer Unterstützung der Forschungsarbeit durch die Österreichische Gesellschaft für historische Quellenstudien ( ÖGQ ), die neben ihrer wissenschaftlichen Editionstätigkeit über viel Erfahrung auf dem Gebiet der biografischen Forschung verfügt. Zum anderen behandelt die Studie weitgehendes Neuland und stellt eine Fortsetzung kollektivbiografischer Arbeiten auf Bundesebene dar.3 Der komparative Ansatz versprach darüber hinaus Erkenntniswert , da er Gemeinsamkeiten 1 Zur Problematisierung des Begriffs Faschismus vgl. u. a. Hanisch , Ernst ( 2005 ) : Der Politische Katholizismus als ideologischer Träger des „Austrofaschismus“. In : Tálos , Emmerich / Neugebauer , Wolfgang ( Hg. ) : Austrofaschismus. Politik – Ökonomie – Kultur 1933–1938 ( Politik und Zeitgeschichte 1 ), Wien , 68–86 : 68–70 , sowie Tálos , Emmerich ( 2005 ) : Das austrofaschistische Herrschaftssystem. In : Tálos / Neugebauer ( Hg. ) : 394–420 : 413–417. 2 Seliger , Maren ( 2010 ) : Scheinparlamentarismus im Führerstaat. „Gemeindevertretung“ im Austrofaschismus und Nationalsozialismus. Funktionen und politische Profile Wiener Räte und Ratsherren 1934–1945 im Vergleich ( Politik und Zeitgeschichte 6 ), Wien. Seliger , Maren / Ucakar , Karl ( 1985 ) : Wien. Politische Geschichte 1740–1934. Entwicklung und Bestimmungskräfte großstädtischer Politik , 2 Bde. , Wien. Seliger , Maren / Ucakar , Karl ( 1984 ) : Wahlrecht und Wählerverhalten in Wien 1848– 1932. Privilegien , Partizipationsdruck und Sozialstruktur ( Kommentare zum Historischen Atlas von Wien 3 ), Wien. Seliger , Maren ( 1980 ) : Sozialdemokratie und Kommunalpolitik in Wien. Zu einigen Aspekten sozialdemokratischer Politik in der Vor- und Zwischenkriegszeit ( Wiener Schriften 49 ), Wien. 3 Vgl. Enderle-Burcel , Gertrude ( 1991 ) : Christlich – Ständisch – Autoritär. Mandatare im Ständestaat 1934–1938 , Wien.
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V. Rechts- und Verwaltungsgeschichte
und Differenzen sichtbar machen kann. Außerdem war davon auszugehen , dass Funktionsweise und personelle Zusammensetzung der „Gemeindevertretungen“ Rückschlüsse auf das jeweilige Herrschaftssystem und seine Interessengebundenheit ergeben.4 Die Untersuchung eröffnet ein breites Feld weiterführender Forschungen , von denen einige angesprochen werden sollen , und zwar in unterschiedlicher Konkretheit : Die Vorschläge bewegen sich zwischen allgemein gehaltenen Überlegungen und Thesen bis zu Hinweisen auf noch nicht benutzte Quellenbestände einschließlich möglicher zu erwartender Ergebnisse. II. Zum Forschungsstand Zuvor sei auf eine Besonderheit hingewiesen , die den Stand der Wien-Forschung betrifft , und zwar eine noch länger dauernde Aussparung des Zeitabschnitts 1933 bis 1938 als für die gesamtstaatliche Ebene. 1948 erschien in den USA das Werk des amerikanischen Ökonomen und Sozialhistorikers Charles A. Gulick ( 1896–1984 ), Österreich von Habsburg zu Hitler. Diese materialreiche wissenschaftliche Untersuchung enthielt u. a. auch eine ausführliche Analyse zur Wiener Kommunalpolitik im „Roten Wien“ und unter „klerikal-faschistischer“ Herrschaft. 1950 erschien das fünfbändige Werk erstmals in deutscher Sprache. Die 1976 vorgelegte gekürzte Fassung und die 1980 erschienene zweite Auflage der fünfbändigen Ausgabe sind Ausdruck einer breiteren Rezeption Jahrzehnte später. Das Thema Austrofaschismus in Wien wurde anlässlich des 40. Jahrestages der Machtübernahme im Wiener Rathaus , im Jahr 1974 , aufgegriffen und war Gegenstand eines ausführlichen Überblicksbeitrags des Wirtschaftshistorikers Franz Baltzarek. Die Ursache für die lange vernachlässigte Thematik führte der Autor auf eine „gewisse Tabuisierung“ in der Nachkriegszeit zurück , deren Ende , wie er ausführt , nach 40 Jahren Abstand nun gekommen sei.5 Im großkoalitionären Klima – Wien wurde bis 1973 von einer Großen Koalition regiert – zielte der antifaschistische Grundkonsens der Zweiten Republik auf den Nationalsozialismus , zu dessen Opfern auch viele Verantwortliche für die Beseitigung der Demokratie 1933 / 1934 zählten. In der Einschätzung der Vorgängerdiktatur und ihrer Vorgeschichte herrschte hingegen weitgehend Dissens , der zunächst mit Schweigen übergangen wurde.6 Der Beitrag Baltzareks aus dem Jahr 1974 sollte Einzelerscheinung bleiben trotz der ab Ende der 1960er-Jahre einsetzenden Zeitgeschichtsforschung. 1978 erschien die Arbeit von Gerhard Botz über „Nationalsozialismus in Wien. Machtübernahme und Herrschaftssicherung 1938 / 1939“7 , deren Fortsetzung bis 1945 allerdings ein Forschungsdesiderat darstellt. Mitte der 1980er-Jahre wurde auf Initiative des Wiener Geschichtsvereins 4 Die Untersuchung stützte sich v. a. auf Quellen im Wiener Stadt- und Landesarchiv ( WStLA ), im Österreichischen Staatsarchiv ( ÖStA ) sowie in zahlreichen weiteren Institutionen , Spezialarchiven und Dokumentationsstellen. Soweit im vorliegenden Text auf sie direkt Bezug genommen wird , werden diese im Anhang ( Quellen ) angeführt. Generell ist auf Seliger ( 2010 ) zu verweisen. 5 Baltzarek , Franz ( 1974 ) : Wien 1934–1938. Die Geschichte der Bundeshauptstadt im autoritären Österreich. In : Wiener Geschichtsblätter Jg. 29 ( 1974 ), Sonderheft 2 , 49–97 : 49–50 , 92. 6 Die von Baltzarek konstatierte „Tabuisierung“ wird durch den Zeitzeugen Adolf Schärf bestätigt. Vgl. Geheimer Briefwechsel Mussolini-Dollfuss ( 1949 ). Mit einem Vorwort von Vizekanzler Dr. Adolf Schärf , Wien , 8. 7 Inzwischen mehrfach aufgelegt , zuletzt 2008 in überarbeiteter und erweiterter Fassung.
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�������������������������������������������������������������������� ������������������������������������������������������� : Forschungsdefizite auf Wiener Regionalebene 1933–1938
eine politische Geschichte Wiens erarbeitet , die den Zeitraum von 1740 bis 1934 umfasst.8 Das 1984 erstmals vorgelegte Standardwerk über den Austrofaschismus , herausgegeben von Emmerich Tálos und Wolfgang Neugebauer , inzwischen in fünfter erweiterter Auflage 2005 erschienen , präsentiert den Forschungsstand vor allem für die gesamtstaatliche Ebene.9 In Teilbereichen wurde auch auf Wien Bezug genommen , wie dem der Ideologie des politischen Katholizismus , der Sozial- , Bildungs- und Kulturpolitik. Eine Durchsicht des Indexbandes 1977–2002 über die verschiedenen Publikationsreihen des Vereins für Geschichte der Stadt Wien10 sowie der Österreichischen Städtebibliographie11 erbrachte nur vereinzelte Nachweise forschungsgestützter Detailstudien , die in den 1990er-Jahren erschienen sind und eine wichtige Grundlage für eine noch zu erarbeitende Gesamtdarstellung über Wien im Austrofaschismus darstellen.12 Vor allem die von Melinz / Ungar vorgelegte vergleichende , politische Zäsuren überspringende Studie „Wohlfahrt und Krise. Wiener Kommunalpolitik 1929–1938“ kommt zu interessanten , die jeweiligen Handlungsspielräume berücksichtigenden Ergebnissen : Trotz leerer Kassen , Sparzwang und Schwerpunktverlagerungen im Wohlfahrtsbereich bleiben grundlegende Differenzen der beiden Fürsorgemodelle erhalten. Dass die Beschäftigung mit den „dunklen Flecken“ der Geschichte mit einem schmerzhaften Erkenntnisprozess verbunden ist und daher erst mit zeitlicher Verzögerung einsetzt , ist nichts Ungewöhnliches. Die Auseinandersetzung mit dem österreichischen Anteil am Nationalsozialismus ist inzwischen Teil des kulturellen Gedächtnisses geworden. Nach rund 70 Jahren ist ein größerer Nachholbedarf in der kritischen Aufarbeitung des „heimischen“ Faschismus zu konstatieren. Vor allem für die regionale Ebene erscheint diese überfällig.13 Das im Januar 2012 im Nationalrat beschlossene Rehabilitierungsgesetz für die Opfer des Unrechtsregimes14 kann als Signal für eine breitere gesellschaftliche Akzeptanz derartiger Forschungsbemühungen gewertet werden. 8 Seliger / Ucakar ( 1985 ). 9 Tálos , Emmerich / Neugebauer , Wolfgang ( Hg. ) ( 2005 ) : Austrofaschismus. Politik – Ökonomie – Kultur 1933–1938 ( Politik und Zeitgeschichte 1 ), Wien. 10 Ganster , Ingrid ( 2003 ) : Generalindex zu den Veröffentlichungen des Vereins für Geschichte der Stadt Wien 1977–2002 , Wien. Berücksichtigt wurden dabei folgende Zeitschriften : Wiener Geschichtsblätter , Jahrbuch des Vereins für Geschichte der Stadt Wien sowie Forschungen und Beiträge zur Wiener Stadtgeschichte. 11 Pro Civitate Austriae ( 1996–2009 ). Information zur Stadtgeschichtsforschung in Österreich , Neue Folge Heft 1–13. 12 Zum Beispiel : Melinz , Gerhard ( 1994 ) : Die Christlichsoziale Partei Wiens. Von der Majorität zur Minorität und „Kerntruppe“ der Vaterländischen Front. In : Wiener Geschichtsblätter Jg. 49 ( 1994 ) Heft 1 , 1–14. Melinz , Gerhard / Ungar , Gerhard ( 1996 ) : Wohlfahrt und Krise. Wiener Kommunalpolitik 1929–1938 ( Forschungen und Beiträge zur Wiener Stadtgeschichte 29 ), Wien. Feller , Barbara ( 1991 ) : Baupolitik in Wien im Austrofaschismus , phil. Diss. , Wien. 13 Als ein Beispiel der Aufarbeitung vgl. Stock , Hubert ( 2010 ) : „ … nach Vorschlägen der Vaterländischen Front“. Die Umsetzung des christlichen Ständestaates auf Landesebene , am Beispiel Salzburg , Wien / Köln / Weimar. 14 Am 18. 1. 2012 beschloss das Plenum des Nationalrates einstimmig das Aufhebungs- und Rehabilitierungsgesetz 2011. Es betrifft zwischen 1933 und 1938 verurteilte , angehaltene oder ausgebürgerte Personen , die sich für den Erhalt eines unabhängigen und demokratischen Österreichs eingesetzt haben. Vgl. Parlamentskorrespondenz Nr. 31 vom 18. 1. 2012.
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III. Forschungsergebnisse – Forschungslücken Austrofaschismus wie NS-Herrschaft hielten zur Legitimation ihrer Machtausübung am Surrogat einer „Gemeindevertretung“ fest , die durch „Berufung“ des jeweiligen Gemeindeführers zustande kam. Zum „Führer“ des „christlichen und deutschen“ Wien wurde 1934 mit Richard Schmitz ( 1885–1954 ) ein prominenter christlichsozialer Politiker berufen. Er war dem rechten Flügel ( „Reichspost-Fraktion“ ) der insgesamt eher restaurativen Wiener Christlichsozialen Partei ( C SP ) zuzurechnen und galt als militanter Repräsentant des politischen Katholizismus ( Direktor des Katholischen Volksbundes ). Als Mandatar im Wiener Gemeinderat ( 1918–1923 ) und Nationalrat ( 1920–1934 ) gehörte er verschiedenen Bundesregierungen an und war Leitungsmitglied der Gesamtpartei. Zur Zeit seiner Berufung zum Regierungskommissär war er Minister im Kabinett Dollfuß und Vertreter eines prononcierten Rechtskurses. Er fühlte sich berufen , die religiös-sittlichen „Verheerungen“ von Aufklärung , Liberalismus und Sozialismus durch Rekatholisierung zu beseitigen und eine an der katholischen Soziallehre orientierte „berufsständische“ Neuordnung von Staat und Gesellschaft zu etablieren. Sein Bekenntnis zum „Deutschtum“ als Teil der „Österreich-Ideologie“ und ein religiös bis rassistisch gefärbter Antisemitismus sind zu seiner weiteren politischen Charakterisierung zu ergänzen.15 3.1 Vorreiterrolle Wiens im „berufsständischen Aufbau“ Auf den unter „Kanonendonner“16 am 13. Februar 1934 in das Wiener Rathaus einziehenden Regierungskommissär Schmitz wartete wohl eine der schwierigsten Aufgaben bei der endgültigen Etablierung des Austrofaschismus. Die durch die monatelang andauernde Zermürbungstaktik der Regierung Dollfuß geschwächte Sozialdemokratie war verboten und die von ihr gestellte Wiener Stadtregierung hinter Gitter gesetzt worden. Damit war das endgültige Aus einer der Modernisierung verpflichteten sozia-kompensatorischen Reformpolitik besiegelt , die sich auf eine überwältigende Zustimmung der Stadtbewohner stützen konnte und als Gegenmodell zur Politik der Bürgerblockregierungen fungiert hatte. Darüber hinaus verband sich mit dem „Roten Wien“ für ihre Anhänger hoher Symbolwert als „Kleinod der internationalen Arbeiterbewegung“17. Wien als Hochburg der Sozialdemokratie beruhte auf der ökonomischen Struktur der Stadt als wichtigstem Industriestandort Österreichs , wobei die modernsten großindus triellen Betriebe in ausländischem , besonders deutschem Kapitalbesitz waren.18 Wien 15 Zu Schmitz vgl. Seliger ( 2010 ), 32–36. Richard Schmitz ist ein Themenschwerpunkt einer 2011 erschienenen Publikation mit neun verschiedenen Beiträgen gewidmet , und zwar Wohnout , Helmut ( Hg. ) ( 2011 ) : Demokratie und Geschichte ( Jahrbuch des Karl von Vogelsang-Instituts zur Erforschung der Geschichte der christlichen Demokratie in Österreich Jg. 13 / 1 4 2009 /2010 ), Wien / Köln / Weimar , 75–314. 16 So Schmitz in der Wiener Bürgerschaft , 15. Sitzung , 20. Dezember 1934 , zit. n. Seliger ( 2010 ), 51. 17 So Otto Bauer nach den Wahlen 1927 , Arbeiter Zeitung , 28. April 1927. 18 Banik-Schweitzer , Renate ( 1983 ) : Zur Bestimmung der Rolle Wiens als Industriestadt für die wirtschaftliche Entwicklung der Habsburgermonarchie. In : Banik-Schweitzer , Renate / Meißl , Gerhard ( Hg. ) : Industriestadt Wien. Die Durchsetzung der industriellen Marktproduktion in der Habsburgerresidenz ( Forschungen und Beiträge zur Wiener Stadtgeschichte 11 ), Wien , 5–97 : 12 , 21–22.
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�������������������������������������������������������������������� ������������������������������������������������������� : Forschungsdefizite auf Wiener Regionalebene 1933–1938
unterschied sich damit von den überwiegend agrarisch geprägten christlichsozial dominierten übrigen Bundesländern. Die seit der Demokratisierung des Wahlrechts auf eine zu Unrecht empfundene dauernde Oppositionsrolle verwiesene CSP Wiens – zuletzt auf einen Stimmenanteil von 20 Prozent reduziert – hatte mit dem Gewaltstreich im Februar 1934 in Gestalt des Regierungskommissärs Schmitz die Macht im Rathaus usurpiert. Vor diesem Hintergrund wird deutlich , wie groß das Interesse an einer möglichst rasch zu erfolgenden institutionellen Absicherung war : Die neue Stadtordnung – und damit das erste austrofaschistische Verfassungsdokument – wurde bereits Ende März 1934 oktroyiert , die als Parlamentsersatz dienende „berufsständische“ Bürgerschaft hielt ihre erste Sitzung am 17. Mai 1934 ab , gut ein halbes Jahr bevor sich die entsprechenden Beratungsorgane auf Bundesebene konstituieren sollten.19 Der seit 1920 bestehende Doppelcharakter Wiens als Gemeinde und Bundesland blieb auch nach 1934 erhalten. Wien firmierte als bundesunmittelbare Stadt mit Länderstatus im Rahmen eines Bundesstaates mit stark eingeschränkten föderalen Rechten. Der Übergang zum „berufsständischen“ Aufbau wurde vermutlich auch durch den bereits im Mai 1932 ( nach den Wahlverlusten im April 1932 ) erfolgten Führungswechsel an der Spitze der CSP Wien vom unumstrittenen Führer der christlichsozialen Arbeiterbewegung , Leopold Kunschak ( 1871–1953 ), Multifunktionär , auch Vorstandsmitglied im Katholischen Volksbund , zu Robert Krasser ( 1882–1958 ) erleichtert. Letzterer war ein enger Vertrauter von Schmitz , sein Nachfolger als Direktor des Katholischen Volksbundes , außerdem leitend im Österreichischen Cartellverband tätig.20 Krasser , von Beruf Mittelschulprofessor , wurde von Schmitz zu seinem Stellvertreter im Wiener Stadtschulrat bestellt. Kunschak übernahm nach dem Februar 1934 keine Funktion im Wiener Rathaus.21 Die von ihm herausgegebene „Österreichische Arbeiter-Zeitung“ kommentierte – im Unterschied zur Euphorik der „Reichspost“ – die Machtübernahme eher verhalten , verbunden mit einer Distanzierung von der in der „bürgerlichen Presse“ oft übertrieben gepflogenen Hetze gegen die Wiener Steuern.22 Trotz der hier angedeuteten Differenzierungen hatte sich die christliche Arbeiterbewegung loyal dem DollfußKurs angeschlossen.23 19 Die Stadtordnung der Bundeshauptstadt Wien. VO des Bundeskommissärs für Wien vom 31. März 1934 , LGBl. für Wien Nr. 20. Wiener Bürgerschaft , 1. Sitzung , 17. Mai 1934. Wohnout , Helmut ( 1993 ) : Regierungsdiktatur oder Ständeparlament ? Gesetzgebung im autoritären Österreich ( Studien zu Politik und Verwaltung 43 ), Wien / Köln / Graz , 240–244. 20 Krasser wird als „tatkräftiger“ Vertreter des christlichen Konservativismus und „Schlüsselfigur in den Ereignissen 1930 bis 1950 im Hochschulbereich bezeichnet. Drimmel , Heinrich ( 1966 ) : Die katholischen Intellektuellen. In : Klostermann , Ferdinand / K riegl , Hans / Maurer , Otto / Weinzierl , Erika ( Hg. ) : Kirche in Österreich 1918–1965 , Wien ; 335–347 : 343. 21 Er beklagte vielmehr , dass er von allen Informationen im Zusammenhang mit der Einsetzung des Regierungskommissärs ausgeschlossen geblieben war. Vgl. Melinz ( 1994 ), 11. Kunschak wurde stattdessen in den Staatsrat berufen und war Mitglied des Innenpolitischen Ausschusses. Dazu Enderle-Burcel ( 1991 ), 138–140. 22 Österreichische Arbeiter-Zeitung , 26. Mai 1934 , 3 , zit. n. Seliger ( 2010 ), 282–283. 23 Vgl. dazu Pelinka , Anton ( 1972 ) : Stand oder Klasse ? Die Christliche Arbeiterbewegung Österreichs 1933 bis 1938 ( Veröffentlichungen des Ludwig Boltzmann-Instituts für Geschichte der Arbeiterbewegung ), Wien , 30–34. Er konstatiert den eindeutigen Vorrang der Lagerbindung.
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Hier stellen sich mehrere Fragen : die nach den möglicherweise unterschiedlich stark ausgeprägten Vorbehalten gegenüber dem Verfassungskompromiss von 1920 , die nach der Machtverteilung innerhalb der Wiener CSP im Zeitablauf und nach ihrem Stellenwert in der Gesamtpartei , besonders im Zusammenhang mit dem innenpolitischen Dauerkonflikt um Wien. Die Absage an die parlamentarische Demokratie wirft auch die Frage nach den historischen Vorbelastungen , d. h. der Gründungs- und Entwicklungsgeschichte der Partei auf. Nach der Präsentation der Ergebnisse über die soziale und politische Zusammensetzung der Bürgerschaft wird darauf noch einzugehen sein. 3.2 Soziale und politische Struktur der Bürgerschaft Neben einer vergleichenden institutionellen Analyse der Scheinparlamente wurden die insgesamt 83 austrofaschistischen Räte und 77 NS-Ratsherren24 anhand ihrer sozialen und politischen Profile untersucht. Während der institutionelle Vergleich zu den erwartbaren Ergebnissen führte ( d ie Realisierung des Führerprinzips fand seine extrems te Ausprägung im Nationalsozialismus ), boten die beiden Mandatargruppen ein heterogenes Bild mit zum Teil unerwarteten Ergebnissen. Da Bürgerschaftsmitglieder und Ratsherren vor allem den „katholischen“ und den „nationalen“ Teil des Bürgertums repräsentierten , stimmten sie hinsichtlich ihrer sozialen Zusammensetzung weitgehend überein. Dennoch lassen Abweichungen im Detail ein gruppenspezifisches Profil erkennen , auf das hier nicht näher eingegangen werden soll. Nur so viel sei festgehalten : Soziale Herkunft , Bildungsstand und berufliche Stellung zeigten ein verwandtes Verteilungsmuster und sorgten für eine weitgehende Abschottung von der unteren Sozialschicht. Die größte Differenz bestand hinsichtlich der Bekenntnisfrage : Bei den Räten dominierte die römisch-katholische Religionszugehörigkeit ( 90 Prozent ), Ratsherren waren überwiegend „gottgläubig“ ( 70 Prozent ), mit überproportionalen Anteilen für zuvor protestantische Bekenntnisse. Die „berufsständisch“ begründete Berufungspraxis hatte zu einer ähnlichen sozialen Zusammensetzung der „Gemeindevertretung“ geführt , wie sie die CSP-Fraktion von 1932 bis 1934 aufwies , allerdings mit zwei Abweichungen : die in der Fraktion bestehende Dominanz des mittelständischen Gewerbes wurde in der Bürgerschaft durch die stärkere Berücksichtigung von Industrievertretern relativiert und bei den unselbstständig Erwerbstätigen waren vermehrt höhere Sozialschichten berufen worden.25 Die stärkere Vertretung der Industrie in der Bürgerschaft entsprach auch der Akzeptanz der indus triekapitalistischen Wirtschaft durch den „Sozialrealisten“ Schmitz , der allerdings mittelgroße Betriebe in Familienbesitz den „unpersönlichen“ Aktiengesellschaften vorzog.26 Generell entsprach die Zusammensetzung der Bürgerschaft und der NS-Ratsherren den Regimen , aus deren politisch präformierten Rekrutierungsfeldern sie berufen wurden. Die Bürgerschaftsmitglieder entstammten zu rund 80 Prozent aus den „Berufsständen“ ( i n Wirklichkeit aus ihren Vorformen , Unternehmerverbänden und Ein24 Das Mandatssoll der Bürgerschaft betrug 64 , für die NS-Ratsherren 45 Mandate. 25 Im Unterschied zur Bürgerschaft dominierten unter den NS-Ratsherren Industrievertreter , das Gewerbe war schwach , der Einzelhandel überhaupt nicht vertreten. Vgl. Seliger ( 2010 ), 706. 26 Seliger ( 2010 ), 33 , 354. Diese Präferenz sollte sich allerdings bei der Berufung der Industrievertreter nicht voll durchsetzen.
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heitsgewerkschaft , beide staatlich gelenkt ) und zu rund 20 Prozent aus den „Kulturellen Gemeinschaften“ ( Vertreter von Religionsgemeinschaften , aus dem Schul- und Erziehungswesen sowie aus Kunst und Wissenschaft ).27 In beiden zusammen sollte sich das „ständische“ Prinzip realisieren. Ein Berufungskriterium „Heimwehrmitgliedschaft“ oder „Funktion in der Vaterländischen Front“ war zwar nicht in der Stadtordnung vorgegeben , jedoch bei der Kandidatenauswahl mit ausschlaggebend. Die Siegerkoalition vom Februar 1934 schlug sich in der Zusammensetzung der Bürgerschaft höchst einseitig nieder : Ehemals der CSP nahestehende Räte dominierten mit rund 70 Prozent , Angehörige oder Unterstützer des Heimatschutzes ( Fey-Richtung ) fanden nur zu etwas über zehn Prozent Berücksichtigung. Die Wiener Bürgerschaft nahm diesbezüglich eine Sonderstellung im Vergleich mit den beratenden Organen auf Bundesebene und in den übrigen Ländern ein. Dort lag der Prozentanteil mit ca. 30 bis 40 Prozent „Heimatschützern“ entschieden höher.28 Die nicht überraschende starke Repräsentanz von Räten mit CSP-Nähe definierte sich durch die Merkmale Mitgliedschaft in der CSP ( darunter auch rund 13 Prozent öffentliche Mandatsträger aus der Zeit vor 1933 / 34 ), in der christlichen Arbeiterbewegung , im Cartellverband ( CV ) sowie durch Funktionen in katholischen , zur Amtskirche gehörenden Institutionen oder ihr nahestehender Vereine ( verschiedene Organisationseinheiten der Katholische Aktion , Gesellenverein der Erzdiözese Wien , Katholischer Schulverein für Östrerreich , Reichsverband der Elternvereine an den Mittelschulen Österreichs , Reichsbund der katholischen deutschen Jugend Österreichs ). Der CV-Anteil bewegte sich um ca. 20 Prozent. Er war damit in etwa so hoch wie der Anteil , der auf Mandatare der christlichen Arbeiterbewegung entfiel. Deren geringer Stellenwert korrespondierte mit dem Umstand , dass einer der Ihren erst 1937 zu einem der drei Vizebürgermeister bestellt wurde.29 Rund ein Drittel der Bürgerschaftsmitglieder übte leitende Funktionen in der Vaterländischen Front , überwiegend auf Landesebene , aus ( der Landesleiter selbst , Beiratsmitglieder der Landesleitung , Landesführer-Stv. des Österreichischen Jungvolks und Leitungsmitglieder der Sozialen Arbeitsgemeinschaft ). Unter ihnen war der CSP-Anteil noch höher als in der Bürgerschaft insgesamt , was die Aussage , die Vaterländische Front sei in ihrem Kern eine Fortsetzung der CSP unter anderem Namen , zu bestätigen scheint. Bei der Berufung in die Bürgerschaft kam es zu keiner Ausgrenzung von Kandidaten mit NSDAP-Mitgliedschaft. Rund zehn Prozent der Räte war vor oder nach dem Verbot der NSDAP beigetreten ( vor allem Selbstständige in Industrie , Handel und Dienstleis tungen , aber u. a. auch ein leitender Gewerkschaftsfunktionär ). Neben erfolglos gestellten Anträgen um Aufnahme in die NSDAP kamen nach 1938 drei weitere hinzu. Die meisten dieser Räte hatten führende Funktionen im Verbandswesen des Austrofaschismus , ihre Affinität zur NSDAP war der Rathausführung zumeist bekannt. Inwieweit diese Bindungen aus Gesinnungsgründen oder Opportunitätserwägungen eingegangen 27 Auf Bundesebene entsprach diese Einteilung den beiden selbstständigen Organen „Bundeskulturrat“ ( 40 Mandate ) und „Bundeswirtschaftsrat“ ( 80 Mandate ). 28 Seliger ( 2010 ), 305. 29 Dies war Christgewerkschafter Hans Waldsam. Er trat an die Stelle von Ernst Karl Winter. Vgl. Seliger ( 2010 ), 269 , 401.
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wurden , muss als offen gelten.30 Für den berufenden Bürgermeister überwog offenbar das Bestreben , auch diese Kandidaten in die Gemeindevertretung zu integrieren. Aber auch sonst ergab die Recherche Anhaltspunkte für mit dem Nationalsozialismus verwandte ideologische Positionen , wie rassistischen Antisemitismus , Antiliberalismus , Antimarxismus , deutsch-völkisches Denken und Verwerfung moderner Kunst als „Kulturbolschewismus“. Dieser Befund ist kaum überraschend , finden sich hierfür doch ausreichende Anknüpfungspunkte in Programmen der CSP , ihr nahestehender Vereine sowie dem Heimatschutz. Selbst in der propagierten „Österreichideologie“ des Austrofaschismus , die der Abgrenzung gegenüber dem Nationalsozialismus dienen sollte , fanden sich entsprechende Versatzstücke.31 Zum heterogenen Erscheinungsbild der Bürgerschaft trugen darüber hinaus ein Überläufer aus der Sozialdemokratie und weiter zurückliegende parteipolitische Naheverhältnisse von Mandataren bei , wie zum Landbund , zur bürgerlich-demokratischen Arbeitspartei oder zum Ständebund für Gewerbe und Handel. Der Vertreter der Israelitischen Kultusgemeinde ( IKG ) war Mandatar der Jüdischnationalen Partei im Gemeinderat ( 1919–1923 ) gewesen. Dominiert von ehemaligen Mitgliedern der CSP und ihr Nahestehenden war in der Bürgerschaft ein breites Spektrum antidemokratisch eingestellter Mandatare vertreten , das auch Mitglieder der NS-Bewegung einschloss. Bereits mit der Bestellung des ersten Vizebürgermeisters , des Majors a. D. Fritz Lahr ( 1892–1953 ), stellvertretender Landesleiter des Wiener Heimatschutzes , hatte sich die Offenheit nach rechts gezeigt. Er gehörte dem deutschnational-nazistischen Flügel des Wehrverbandes an und diente sich als Kurzzeit-Bürgermeister 1938 beim Übergang zur NS-Machtetablierung an. Die nicht erfolgte Ausgrenzung von Kandidaten mit NS-Bindungen bei der Berufung führte nach 1945 dazu , dass sich auch einige ehemalige Bürgerschaftsmitglieder der Entnazifizierung zu unterziehen hatten.32 3.2.1 Forschungsdesiderat Einzelbiografien Die präsentierten Befunde über die Bürgerschaftsmitglieder wurden auf der Basis von Kollektivbiografien erarbeitet. Ergänzende Einzelbiografien zur empirischen Absicherung der Aussagen und zu deren Differenzierung konnten wegen der begrenzten Ressourcen nicht geleistet werden. Nur für einen Mandatar wurde dies ansatzweise versucht , bei dem auch auf Sekundärliteratur zurückgegriffen werden konnte.33 Weiterführende Untersuchungen in diese Richtung wären daher wünschenswert. Außerdem musste aufgrund der erstmaligen Bearbeitung der Thematik bei verschiedenen Ergebnissen auf deren Vorläufigkeit verwiesen werden , sodass sich auch hier zusätzlicher Forschungsbedarf einstellt. Dies betrifft zum Beispiel bestimmte Merkmale des Sozial30 Seliger ( 2010 ), 285–301. 31 Vgl. Staudinger , Anton ( 2005 ) : Austrofaschistische „Österreich“-Ideologie. In : Tálos / Neugebauer ( Hg. ) : 28–52. 32 Seliger ( 2010 ), 630–654. 33 Dies betrifft den als „Grenzgänger“ zwischen den Systemen bezeichneten Ludwig Herberth , Großhandelskaufmann , Vorstandsmitglied im neu geschaffenen Handelsbund , Präsident der Buchkaufmannschaft Wien. Vgl. Seliger ( 2010 ), 295–298 , 642–653.
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profils , Angaben über die Zugehörigkeit zur Heimwehr oder die Auswirkungen der NSMachtergreifung 1938 auf die Bürgerschaftsmitglieder. Darüber hinaus könnten die bisher vorliegenden Recherchen Ausgangspunkt für zusätzliche Fragestellungen sein , wie die nach bürgerlichen Karrieremustern ( u nter Berücksichtigung der Ehepartnerinnen ) und nach speziellen , auch lagerübergreifenden Netzwerken , was in der präsentierten Arbeit nur vereinzelt möglich war. Schließlich ließen sich anhand der beiden jüdischen Mandatare unterschiedliche Lebensentwürfe ( Assimilation / Zionismus ) rekonstruieren , für die sich in der Studie erste Ansätze finden. 3.2.2 Strukturdefizite der CSP Faschistische Systeme haben sich in der Zwischenkriegszeit in Ländern mit gesellschaftlicher und mentaler Rückständigkeit durchgesetzt. Die entwickelten Industriegesellschaften des Westens erwiesen sich hingegen als faschismus-resistent , wie im Übrigen auch die benachbarte Tschechoslowakei.34 Die Entstehung und Entwicklung von Parteien wird durch sozioökonomische Faktoren , rechtliche und kulturelle Rahmenbedingungen determiniert , auf die die Parteien ihrerseits wiederum einwirken. Ein Blick auf die Entstehungsgeschichte der Wiener CSP macht deutlich , welche Hypotheken einer Rolle als demokratietaugliche „Modernisierungsagentur“ entgegenstanden. Sie gründete sich als Partei des zahlenmäßig starken altständischen Wiener Bürgertums , das durch Fabriks- und Verlagswesen unter Druck geraten war. Antiliberalismus und Antisemitismus – verstärkt durch die Einbindung restaurativer katholischer Sozialreformer – gehörten zur ideologischen Grundausstattung der Partei und waren das Erfolgsrezept für den Sieg über die Wiener großbürgerlichen Liberalen. Ihre enge Verflochtenheit mit dem katholisch-kirchlichen Bereich ließ sie zum Teil des politischen Katholizismus werden.35 Die Entwicklung zur katholisch-dynastischen Reichspartei und die im Gesamtstaat dominierenden Interessen der feudalen Großagrarier machten einen Richtungswandel umso unwahrscheinlicher. Die Umwälzungen nach dem Ende der Monarchie trafen die Wiener CSP besonders schwer. Sie führten neben allen anderen „Verlusten“ zum schmerzhaften Wechsel auf die Oppositionsbänke. Daher ist es nachvollziehbar , dass die Wiener CSP als konservativste Teilorganisation in der Gesamtpartei galt , deren Schwergewicht nun außerhalb Wiens lag. Dieser Ruf ging vor allem auf einen Kreis katholischer Intellektueller zurück , der bereits in der Vorkriegszeit eine stärkere Ausrichtung der Politik an religiösen Werten verlangt hatte.36 Unterstützt wurde diese Strömung durch den Übergang der weltlichen Schutzfunktion für die Kirche vom Thron auf die CSP. 34 Vgl. dazu ausführlich Winkler , Heinrich August ( 2011 ) : Geschichte des Westens. Die Zeit der Weltkriege 1914–1945 , München , 1203–1204. 35 Vgl. Staudinger , Anton ( 1983 ) : Christlichsoziale Partei. In : Weinzierl , Erika / Skalnik , Kurt ( Hg. ) : Österreich 1918–1938. Geschichte der Ersten Republik , Bd. 1 , Graz / Wien / Köln , 249–276 :251. 36 Staudinger ( 1983 ), 253–254. Genannt werden Ignaz Seipel , Victor Kienböck , Richard Schmitz und Friedrich Funder. Dazu auch Boyer , John W. ( 2010 ) : Karl Lueger ( 1844–1910 ). Christlichsoziale Politik als Beruf. Eine Biografie ( Studien zu Politik und Verwaltung 93 ), Wien / Köln / Weimar , 350–360. Mit gewissen Einschränkungen akzeptierten diese Parteireformer die industrielle Produktionsform , wollten diese jedoch mit einer die Individualisierung negierenden berufsständischen Ordnung verbinden.
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Die zentralen politischen Weichenstellungen erfolgten auf gesamtstaatlicher Ebene , spezielle Wiener Interessen hatten sich dort zu artikulieren : Wie sie jeweils definiert wurden , ist klärungsbedürftig , ihre Chance auf Durchsetzung war wegen der Bevorzugung des Agrarsektors eher gering einzuschätzen. Für die Sozialdemokratie galt ihre Position in Wien als Sache der Gesamtpartei , die Wiener CSP hatte umgekehrt die Erfüllungsgehilfin der Politik der Bundesregierung und der anderen Bundesländer gegenüber Wien zu spielen. Aus ihrer Doppelrolle als Oppositions- und Großstadtpartei begründet sich das Interesse , den Fokus bei der historischen Ursachenforschung für das Scheitern der Demokratie auch auf die Wiener Regionalebene zu legen. These : Die CSP Wien vertrat vor allem vom ökonomischen Wandel und der Sparpolitik des Bundes betroffene Mittelschichten , sodass der Ruf nach dem Einsatz von Brachialgewalt in der Wiener Partei besonders früh laut wurde und der Antisemitismus besonders ausgeprägt ausfiel. In diesem Zusammenhang stellt sich auch die Frage nach Nähe oder Distanz der verschiedenen „Flügel“ der Partei zum Heimatschutz. Der Befund , dass auf den Heimatschutz in der Wiener Bürgerschaft ein unterdurchschnittlich geringer Anteil an Mandaten entfiel , könnte diesen atypischen Umstand durch eine weitergehende Recherche plausibler werden lassen. Differenzierte Ergebnisse würde neben dem Ansetzen auf der obersten Ebene der Partei ( Gemeinderatsklub , Parteileitung )37 vor allem eine zumindest punktuelle Berücksichtigung der mittleren und unteren Ebenen der Wiener CSP sowie ihrer breit gefächerten verbandlichen38 und katholischen Vorfeldorganisationen erbringen. Die kaum überschaubare Zahl von Vereinen stellte bisher eine Hürde dar , in das „Innenleben“ der Partei vorzudringen.39 Der Ertrag verspricht ein vielfacher zu sein : Er könnte die Verbreitung antidemokratischer Mentalitäten belegen , zur Klärung des Gewichts einzelner Interessengruppen beitragen und möglicherweise auch zu einer weiteren Differenzierung des bisher erforschten Wählerverhaltens führen. Die Hilfestellung der katholischen Kirche bei der Etablierung des Austrofaschismus und ihre Gegnerschaft gegen Säkularisierung und Individualisierung als Ausdruck der Moderne lassen einer Untersuchung katholischer Vereine ( zum Beispiel des Katholischen Volksbundes oder des Reichsbundes der katholischen deutschen Jugend Österreichs – in Letzterem wurden mehrere Bürgerschaftsmitglieder sozialisiert ) besonderes Gewicht zukommen. 37 Hierzu ist auf die Arbeit von Melinz ( 1994 ) zu verweisen , der vor allem die Jahre 1929–1934 untersucht hat. 38 Vgl. dazu Lehnert , Detlef ( 1991 ) : Kommunale Politik , Parteiensystem und Interessenkonflikte in Berlin und Wien 1919–1932. Wohnungs- , Verkehrs- und Finanzpolitik im Spannungsfeld von städtischer Selbstverwaltung und Verbandseinflüssen , Berlin. Lehnert , Detlef ( 1994 ) : Organisierter Hausbesitz und kommunale Politik in Wien und Berlin 1890–1933. In : Geschichte und Gesellschaft Jg. 20 ( 1994 ) Heft 1 , 29–56. Mattl , Siegfried ( 1984 ) : Krise und Radikalisierung des „Alten Mittelstandes“. In : Fröschl , Erich / Z oitl , Helge ( Hg. ) : Das Jahr 1934 : 12. Februar. Ursachen , Fakten , Folgen , Wien , 51–63. 39 Informationen dazu bei Hawlik , Johannes ( 1971 ) : Die politischen Parteien Deutschösterreichs bei der Wahl zur konstituierenden Nationalversammlung 1919 , phil. Diss. , Wien , 110–155. Die auf breiter Quellenbasis und Sekundärliteratur basierende Arbeit stellt eine unverzichtbare Hilfe bei der Untersuchung des Parteiensystems , auch Wiens , dar. Die Dissertation hätte es verdient , gedruckt zu werden.
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Schließlich erscheinen internationale Vergleiche zielführend , die den Zusammenhang von gesellschaftlichem Entwicklungsstand , Parteienstruktur und Formen der politischen Konfliktlösung untersuchen. Warum nicht das Nachbarland Tschechoslowakei zum Vergleich heranziehen oder die der CSP verwandte deutsche Zentrumspartei ? Oder Großstädte , die bis zum Ersten Weltkrieg von bürgerlich-liberalen Parteien geführt wurden ? 3.3 Bürgerschaft in der Praxis In der auf die Beratungsfunktion reduzierten „berufsständischen“ Bürgerschaft – sie besaß noch Organcharakter und eine stark eingeschränkte Beschlusskompetenz – artikulierte sich eine ausgesprochene Interessenheterogenität , die in der Regel nicht „ständekonform“ ausfiel. Die Stellungnahmen waren daher von der postulierten Klassenharmonie innerhalb eines Berufsstandes weit entfernt und drückten darüber hinaus Verbandsinteressen in ungefilterter Form aus , wie dies „Ständeparlamenten“ entspricht. Die von Schmitz angeordnete Sitzordnung nach „Ständen“, wobei ein Unternehmer- neben einem Arbeitnehmervertreter Platz zu nehmen hatte , diente daher mehr dem schönen Schein als dem Sein.40 Das diffus bleibende Abstimmungsverhalten – Fraktionsbildung war ausdrücklich verboten – sicherte den Handlungsspielraum der Stadtführung. Beschlüsse der Bürgerschaft standen unter dem Vorbehalt der Zustimmung des Bürgermeisters , bei Gesetzen auch der des Bundeskanzlers. Meinungsäußerungen aus der Bürgerschaft als Korrektiv zu Vorlagen der Rathausbürokratie waren in dosierter Form erwünscht. Die untersuchte pseudo-parlamentarische Praxis bestätigte das in der Stadtordnung festgelegte Führerprinzip , das die demokratische Verfassung auf den Kopf stellte. Betrachtet man die gesichteten Redebeiträge unter dem Aspekt der politischen Bewertung des Machtwechsels im Rathaus , so wird eine eher pessimistische Grundstimmung vermittelt. Mittelständische Vertreter von Handel und Gewerbe fordern weiter gehende ökonomische Schutzmaßnahmen und Ausschaltung des Wettbewerbs , die Industrie fühlt sich nicht ausreichend unterstützt und ein Vertreter der Beamten scheint vollends mit der neuen Lastenverteilung unzufrieden. Spezielle Fraueninteressen , im Zusammenhang mit der Doppelverdienerverordnung diskutiert , wurden vom Bürgermeister und der Bürgerschaftsmehrheit vom Tisch gewischt. Mandatarinnen waren in der Bürgerschaft marginal , zwischen drei und fünf Prozent schwankend vertreten. Die stenografischen Berichte bieten auch einen Einblick in den von der Rathausführung praktizierten , zumeist „schleichenden“ Antisemitismus.41 Dieser artikulierte sich vornehmlich in Zusammenhang mit Redebeiträgen des Vertreters der IKG , Rechtsanwalt Jakob Ehrlich ( 1877–1938 ), und zwar wenn dieser eine Juden diskriminierende Personalpolitik und ihren Ausschluss bei städtischen Auftragsvergaben beklagte.42 40 Für die vergleichbaren vorberatenden Bundesorgane galt hingegen eine nach dem Namen gereihte Sitzordnung. Vgl. Wohnout ( 1993 ), 247. 41 Vgl. dazu auch Wohnout , Helmut ( 1994 ) : Die Janusköpfigkeit des autoritären Österreich. Katholischer Antisemitismus in den Jahren vor 1938. In : Geschichte und Gegenwart Jg. 13 ( 1994 ), Heft 1 , 3–16 : 9–15. Ebenso Maderegger , Sylvia ( 1973 ) : Die Juden im österreichischen Ständestaat 1934–1938 ( Veröffentlichungen des Historischen Instituts der Universität Salzburg ), phil. Diss. , Wien / Salzburg , 136 , 166–168 , 224–235 , 242. 42 Seliger ( 2010 ), 132–141 , 358.
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Diese Befunde beruhen auf der Auswertung einiger ausgesuchter Protokolle über die in nichtöffentlichen Sitzungen vertraulich geführten Verhandlungen der Bürgerschaft und die Budgetdebatten , die , abweichend vom sonstigen Usus , öffentlich abgehalten wurden. Eine breiter angelegte Auswertung dieser leicht zugänglichen Quelle könnte die Befunde der Untersuchung bestätigen oder modifizieren. Besonders die Frage nach der politischen Integrationskraft der Stadtpolitik anhand ihrer Resonanz in der Bürgerschaft ließe sich noch differenzierter im Zeitablauf beantworten. Aus den überlieferten Redebeiträgen lassen sich auch Anhaltspunkte für herrschende politische Mentalitäten und Vorurteilsmuster ablesen. Darüber hinaus geben die Protokolle Einblick in die praktizierte Stadtpolitik und ihre Begründung aus Sicht der Rathausführung und der Kommentierung durch die Mandatare. Die insgesamt abgehaltenen 74 Sitzungen , davon 39 nichtöffentliche und 15 Sitzungen , in denen das städtische Budget öffentlich verhandelt wurde , liegen in Maschinenschrift vor , ab der Sitzung vom 9. Dezember 1937 allerdings nur noch in unkorrigierter Fassung.43 Ergänzend zu den Verhandlungen der Bürgerschaft sind die Protokolle des Haushaltsausschusses der Bürgerschaft zu nennen , eine bisher kaum herangezogene Quelle. Der unter dem Vorsitz des Bürgermeisters tagende Ausschuss umfasste neben leitenden Beamten 15 Räte ( vornehmlich Unternehmervertreter ). Er war an die Stelle der 1920 eingeführten ständigen Gemeinderatsausschüsse auf Ebene der von Amtsführenden Stadträten geleiteten Geschäftsgruppen getreten mit folgenden Kompetenzen : Vorberatung des Budgets ( Voranschlag und Rechnungsabschluss ) sowie der städtischen Wirtschaftspläne. Außerdem kam ihm ein Beschlussrecht für im Voranschlag nicht vorgesehene Ausgaben bis zu einer bestimmten Höhe sowie für an bestimmte finanzielle Unter- bzw. Obergrenzen gebundene Transaktionen des unbeweglichen Gemeindevermögens , von Darlehensgewährungen etc. zu. Der vertraulich tagende Haushaltsausschuss hielt insgesamt 50 Sitzungen ( 17. Mai 1934 bis 12. Februar 1938 ) ab. Seine Tätigkeit wird in Sitzungsprotokollen und Verhandlungsmitschriften dokumentiert. Erstere sind für den gesamten Zeitraum vorhanden. Sie halten lediglich die Ergebnisse der Verhandlungen fest. Die Mitschriften beginnen zwar erst mit der 23. Sitzung am 10. Dezember 1935 , liegen aber durchgehend bis zur letzten Sitzung vor. Sie haben einen Umfang von maschinschriftlich insgesamt rund 1.300 Seiten. Wie in der Quelle angemerkt , handelt es sich nicht um ein stenografisches Protokoll des Debattenverlaufs , sondern um eine „auszugsweise Wiedergabe der Ausführungen des Herrn Bürgermeisters und der Debatte-Redner“. Auch mit dieser Einschränkung stellen die Mitschriften eine informative Ergänzung zu den Bürgerschaftsprotokollen dar , vor allem hinsichtlich der im Plenum öffentlich abgehaltenen Budgetdebatten. Stichproben lassen vermuten , dass im „vertrauten Kreis“ des Ausschusses problemoffener argumentiert wurde. Es konnten auch Vorberatung und Beschlussfassung zwischen Ausschuss und Plenum voneinander differieren. Die Dominanz des vorsitzenden Bürgermeisters erscheint im Ausschuss noch ausgeprägter als im Plenum.44 43 Wiener Stadt- und Landesarchiv ( WStLA ), Bürgerschaft 1934–1938 , Stenografische Berichte 1934–1937. Die letzte nichtöffentliche Sitzung , über die ein stenografischer Bericht vorliegt , fand am 21. Dezember 1937 statt. 44 WStLA , Wiener Bürgerschaft 1934–938 , B 11 Haushaltsausschuss : Sitzungsprotokoll 1934–1938 , Zur Verhandlungsschrift über die Sitzung des Haushaltsausschusses 1935–1938.
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3.4 Personelle „Säuberungen“ und Personalpatronage Der Regierungskommissär hatte umfassende Kompetenzen im Bereich der Personalpolitik mit dem Recht der sofortigen Dienstenthebung. Der größte Teil der städtischen Beamten habe sich – so das neue Stadtoberhaupt – „in williger Unterordnung unter die neugesetzte Autorität und in guter Disziplin meinen Anordnungen gefügt“. Obstruktion werde allerdings mit harter Hand begegnet.45 Die Frage der Verlässlichkeit des bürokratischen Apparates stellte sich umso dringender , als das neue Credo der Stadtpolitik lautete : „Ein über dem Parteistandpunkt stehender Mann hat die Verwaltung der Stadt zu führen.“46 Damit war das Ressortprinzip der demokratischen Verfassung obsolet geworden , die Verwaltungsgruppen des Magistrats wurden von unverantwortlichen Beamten geführt. Wie in einer neueren Untersuchung belegt ,47 sollte sich die leitende Bürokratie nach geringfügigen Eingriffen als zuverlässiges Instrument der neuen Führung erweisen. Ein großer Teil der akademisch gebildeten Beamten war noch in der Monarchie nach entsprechender politischer Auslese in den Dienst der Stadt getreten. Darüber hinausgehende Aussagen über Veränderungen in der Zusammensetzung der städtischen Dienstnehmer scheitern offenbar an der Quellenlage. Die Personalakten sind nur lückenhaft überliefert und nicht nach dem Zeitpunkt des Ein- bzw. Austritts , sondern alphabetisch geordnet. Sie enthalten auch keine Angaben über die parteipolitische Orientierung.48 So liegen über politisch motivierte „Säuberungen“ oder den Umfang der praktizierten Patronage für die eigene Klientel nur Schätzwerte vor.49 Profiteure personeller Umbesetzungen ließen sich auch unter den Bürgerschaftsmitgliedern nachweisen , wie die Beförderung von zwei Gymnasialprofessoren zu Schuldirektoren oder die Neubesetzung des Postens des Chefarztes der Krankenfürsorgeanstalt der Angestellten und Bediens teten der Stadt Wien belegen.50 Spielraum für Neueinstellungen eröffnete außerdem 45 Richard Schmitz , Wiener Bürgerschaft , 2. Sitzung , 17. Mai 1934 , 13 zit. n. Seliger ( 2010 ), 78–79. 46 Wien im Aufbau. Drei Jahre Neues Wien ( 1937 ), 15. 47 Rigele , Brigitte ( 2011 ) : Beamtenelite im Wiener Magistrat zwischen 1918 und 1938. In : Weber , Wolfgang / Schuster , Walter ( Hg. ) : Biographien und Zäsuren. Österreich und seine Länder 1918–1933– 1938 ( H istorisches Jahrbuch der Stadt Linz 2010 /2011 ), Linz , 271–294 : 279–280 , 284–285. 48 WStLA , M.Abt. 202 – Magistratsabteilung 2 ( Personalamt ), M.Abt. 521 – Magistratsabteilung 3 ( Besoldungsamt ). Eine Angabe über die Parteizugehörigkeit findet sich erst in der NS-Zeit. Nach 1945 wird die Mitgliedschaft zur NSDAP und ihren Organisationen erfasst. Vgl. dazu Rigele ( 2011 ), 272–273. 49 Geschätzte Angaben über erfolgte Dienstenthebungen finden sich bei Feiler , Margaret ( 1964 ) : The Viennese Municipal Service 1933 to 1950 , Diss. , New York , 113–114. 300 bis 400 Sozialdemokraten ( vor allem Angehörige der Rathauswache ) und 400 bis 500 Nationalsozialisten sollen davon betroffen gewesen sein. Ebenso Rigele ( 2011 ), 279–280. Gulick , Charles A. ( 1950 ) : Österreich von Habsburg zu Hitler , Wien Bd. I-V : IV , 359 , erwähnt hingegen 1.200 Entlassungen nach 1934 allein aus Gas- und EWerk. Über personelle Säuberungen unter den Hausbesorgern der städtischen Wohnhäuser wird in der Bürgerschaft diskutiert. Vgl. Wiener Bürgerschaft , 15. Sitzung , 20. Dezember 1934 , 538 , 550 zit. n. Seliger ( 2010 ), 126. Wien im Aufbau. Drei Jahre Neues Wien ( 1937 ), Wien , 49–55 , hält bis Ende 1936 die Einstellung von ca. 3.600 „jungen Leuten“ fest. Der aktive Personalstand – Hoheitsverwaltung , Unternehmungen , Schule – wird mit rund 42.000 Dienstnehmern angegeben. 50 Seliger ( 2010 ), 361–362 : Paul Ceska ; 371–372 : Viktor Trautzl ; 380–381 : Hans Weiland.
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die sogenannte Doppelverdienerverordnung , nach der verheiratete Frauen den öffentlichen Dienst zu quittieren hatten. Deren zahlenmäßige Auswirkung ist allerdings bislang nicht bekannt. Stark betroffen scheinen davon vor allem städtische Lehrerinnen gewesen zu sein.51 Das Wiener Amnestiegesetz von 1937 ( GBL. Wien 22 / 1937 ), das die Wiedereinstellung politisch gemaßregelter Bediensteter ermöglichen sollte , hat in Wien vermutlich keine Umsetzung gefunden , da die Rathausführung nach eigenen Angaben die Neuaufnahme der „staatstreuen“, christlichen ( ! ) Jugend präferierte.52 Eine Wiedereinstellung 1934 „freigesetzter“ Sozialdemokraten blieb den Nationalsozialisten mit der „Aktion Neubacher“ vorbehalten.53 Etwas günstiger stellt sich die Quellenlage im Schulbereich dar. Schmitz , ehemals Unterrichtsminister ( 1926–1929 ) und Vorkämpfer einer reaktionären Schulpolitik , nutzte seine Machtfülle , um mit der als „Schulmarxismus“ qualifizierten demokratischen Schulreform gründlich aufzuräumen. Nach einer blitzartigen ersten politischen Säuberungswelle unter leitenden Beamten des Stadtschulrates und der Absetzung von Schuldirektoren folgten weitere Eingriffe beim Lehrpersonal , begleitet vom Gesinnungsdruck einer am „Religiös-Sittlichen“ ausgerichteten Schulpolitik.54 Offizielle Quellen sprechen von einer Verjüngung durch Neuaufnahme von rund 600 Junglehrern , d. h. rund 12 Prozent des gesamten Lehrpersonals.55 Die im Aktenbestand Stadtschulrat für Wien im Wiener Stadt- und Landesarchiv vollständig erhaltenen „Standesausweise“ für Lehrer an öffentlichen Pflichtschulen könnten zur genaueren Entschlüsselung der Auswirkungen des schulpolitischen Rückwärtsgangs einen wichtigen Beitrag leisten. Sie enthalten umfassende Angaben , wie Zu- und Vorname , Geburtsname , Geburtsjahr , Familienstand , Religion , Ort und Jahr der Reifeprüfung , Jahr und Art der Lehrbefähigung , zivile oder militärische Auszeichnungen , Wohnadresse.56 In dieser Ausführlichkeit , Persönlichkeitsschutz missachtend , findet sich das städtische Lehrpersonal , mit Stand 1. April 1935 bzw. 1. Oktober 1937 , auch im Handbuch der bundesunmittelbaren Stadt Wien veröffentlicht.57 Diese ungewöhnliche Transparenz könnte vermuten lassen , dass damit ein Nachweis erfolgreicher Wende51 Schmitz , Richard ( 1935 ) : Die Schule im Neuen Wien. In : Das Neue Wien und seine Bürgerschaft. Eine Darstellung des ständischen Aufbaues in der Stadt Wien , Wien , 141–142 : 141. 52 Seliger ( 2010 ), 133 , 402–404. 53 Botz , Gerhard ( 2008 ) : Wien im Nationalsozialismus. Machtübernahme , Herrschaftssicherung , Radikalisierung 1938 / 39 , Wien , 135. 54 Dachs , Herbert ( 1982 ) : Schule und Politik. Die politische Erziehung an den österreichischen Schulen 1918 bis 1938 , Wien / München , 259–260. Fischl , Hans ( 1951 ) : Schulreform , Demokratie und Österreich 1918–1950 , Wien , 75–102. Schmitz ( 1935 ), 141. Das Schulwesen der Stadt Wien in den Jahren 1934–1936. Die Umgestaltung des niederen und mittleren Schulwesens der Stadt Wien unter der Führung des Bürgermeisters Richard Schmitz ( 1937 ), Wien , 6. 55 Wien im Aufbau. Drei Jahre Neues Wien ( 1937 ), Wien , 49. 56 WStLA , Landesarchiv , Schulverwaltung , Stadtschulrat – A 9 Standesausweise 1916–1945 : öffentliche Schulen , Sonderschulen , Privatschulen. Heranzuziehen ist auch das Verordnungsblatt des Stadtschulrates für Wien , in dem Umbesetzungen einschließlich der DirektorInnen an Mittelschulen festgehalten sind. 57 Handbuch der bundesunmittelbaren Stadt Wien Jg. 61 ( 1935 ), 694–832 , Jg. 62 ( 1937 ), 341–456.
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politik ( m it antisemitischem Einschlag ? ) vorgelegt werden sollte. Der allgemeine Aktenbestand des Wiener Stadtschulrates , obwohl nur lückenhaft überliefert und in seiner Aussagefähigkeit derzeit noch nicht abschätzbar , harrt ebenso einer wissenschaftlichen Erschließung und Auswertung.58 IV. Desiderat Gesamtdarstellung der Kommunalpolitik 1934–1938 Untersuchungen zur Politik auf Wiener Ebene liegen für Teilbereiche bereits vor , für andere wären sie erst zu erarbeiten bzw. zu vertiefen. Eine die bisherigen Ergebnisse zusammenführende und diese ergänzende Darstellung sowie eine Gesamtbewertung stehen noch aus. So viel kann bereits derzeit konstatiert bzw. als Hypothese formuliert werden : Austrofaschistische Politik beanspruchte vormoderne , von der ökonomischen und sozialen Entwicklung überholte politische Legitimationsformen , die in Wirklichkeit nicht eingelöst wurden und der Rechtfertigung der Zerstörung der Demokratie dienten. Stattdessen herrschte das Führerprinzip. Mit der Beschwörung der berufsständischen Neuordnung grenzte sich das Regime vom NS-Staat ab ( so ausdrücklich Schmitz59 ) und kam der im gewerblichen Mittelstand verbreiteten Sehnsucht nach statischen gesellschaftlichen Verhältnissen bei möglichster Ausschaltung von Arbeitnehmerinteressen entgegen. Mit einer vor allem in Wien überwiegend säkularisierten Gesellschaft konfrontiert fühlte sich der Gemeindeführer Schmitz als Vertrauensmann der katholischen Kirche besonders verpflichtet , eine „Gegenreformation“ einzuleiten. Die austrofaschistische Kommunalpolitik verstand sich daher in umfassendem Sinn als Gegenentwurf zur Modernisierungspolitik des „Roten Wien“. In der Schulpolitik setzte sie auf die Demolierung einer „liberalistischen“ Pädagogik. Sie zeichnete sich durch eine veränderte Lasten- und Leistungsverteilung zugunsten der städtischen Ober- und Mittelschicht aus. Lag der Schwerpunkt der Kommunalpolitik im „Roten Wien“ im Bereich der sozialen Infrastruktur , setzte Nachfolger Schmitz diesen auf die technische Infrastruktur. Allerdings erhielten die aufgrund der anhaltenden Verarmung der Bevölkerung unumgänglichen Fürsorgemaßnahmen , verbunden mit katholischer Missionierungstätigkeit , einen höheren budgetären Stellenwert als vermutlich intendiert. Die Wirtschaftskrise , die Deflationspolitik des Bundes , die Beteiligung am bundesstaatlichen Finanzausgleich und die eigene Steuerpolitik bestimmten den finanziellen Handlungsspielraum. Die als „Arbeitsschlacht“ inszenierte Investitionspolitik der Kommune war in ihren Auswirkungen bescheiden und verlieh der für die Wiener Wirtschaft wichtigen Exportindustrie keine Wachstumsimpulse. Diese Feststellung gilt allerdings in noch höherem Umfang für die Bundesebene , die , wenn überhaupt , den Agrarsektor förderte. Neben einer quellenkritischen Aufarbeitung der praktizierten Politik würde sich die quantifizierende Methode der Einnahmen- und Ausgabenanalyse als sinnvoll erweisen. Sie könnte an die bis 1934 vorliegenden Zeitreihen anschließen ,60 um damit 58 WStLA , Landesarchiv , Schulverwaltung , Stadtschulrat ; zugänglich über A 1 Geschäftsprotokoll : Index 1871–1955. 59 Vgl. Seliger ( 2010 ), 41–42. 60 Vgl. Seliger / Ucakar ( 1985 ). Für Teilbereiche vgl. ebenso Melinz / Ungar ( 1996 ).
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geänderte politische Prioritätensetzungen nachvollziehbar zu machen. Antisemitismus , von jeher fixer Programmpunkt mit Integrationsfunktion für die christlichsoziale Bewegung , fand unter Schmitz neuerlich Eingang in die Politik auf Wiener Ebene. Wieweit dieser gegen desintegrierende Tendenzen im eigenen Lager erfolgreich war , ist schwer abzuschätzen. Als eine Abwehr oder eine Immunisierung gegen den Nationalsozialismus kann er jedoch ebenso wenig bezeichnet werden wie das Verbot der linken Arbeiterbewegung. Abschließend soll noch das Thema Repression des „heimischen“ Faschismus erwähnt werden. Diese lag vornehmlich im Verantwortungsbereich des Gesamtstaates ( Justiz , Polizei ) und umfasste über den Aspekt der „Freiheitsberaubung“ hinaus weitere , die Existenz bedrohende und einengende Maßnahmen , sodass u. a. bereits vor 1938 ein geistiger Aderlass aus Österreich einsetzte. Vorliegende Forschungsergebnisse über die Folgen der Errichtung des Unrechtsregimes61 wären durch weiterführende Arbeiten zu ergänzen. In diesem Zusammenhang ist auf die im Zuge der Diskussion über die Rehabilitierung der Opfer des Austrofaschismus angestoßenen Forschungsprojekte zu verweisen.62 Die Akten über politische Verfahren vor dem Wiener Landesgericht stellen dafür einen wichtigen Quellenbestand dar.63
61 Für einen ersten Überblick vgl. Neugebauer , Wolfgang ( 2005 ) : Repressionsapparat und -maßnahmen 1933–1938. In : Tálos / Neugebauer ( Hg. ) : 298–319 sowie Pfoser , Alfred / Renner , Gerhard ( 2005 ) : „Ein Toter führt uns an ! “. In : Tálos / Neugebauer ( Hg. ) : 338–356. Ebenso Gulick ( 1950 ), Bd. IV , 340– 401 , Bd. V , 126–210 , 231–255 , 279–293. 62 Gerechtigkeit für die Opfer des Austrofaschismus , Der Sozialdemokratische Kämpfer , 1–2– 3 /2011. 63 WStLA , Landesarchiv , Landesgericht für Strafsachen 1850–1959 , Vr – Strafakten des Landesgerichts I , für 1920–1937 auch des Landesgerichts II. Ein Findbehelf für die politischen Verfahren 1934– 1938 ist vorhanden. Belege für Verhaftungen finden sich , allerdings nur unvollständig überliefert , als sog. „Haftzettel“ in den Historischen Meldeunterlagen des WStLA.
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�������������������������������������������������������������������� ������������������������������������������������������� : Forschungsdefizite auf Wiener Regionalebene 1933–1938
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Florian Wenninger
Dimensionen organisierter Gewalt. Zum militärhistorischen Forschungsstand über die österreichische Zwischenkriegszeit Einleitung Die traditionelle Militärhistorie kultiviert , um in der Metapher des Buchtitels zu bleiben , ein klar abgestecktes Forschungsfeld. Sie setzt sich mit der Struktur , Ausstattung und Verwaltung von Militärapparaten auseinander , analysiert die Konzepte für deren Einsatz und beleuchtet den Hergang bewaffneter Konfrontationen.1 Als Faustregel gilt dabei : Je spezialisierter das Verständnis von Militärgeschichte , desto mehr kommt sie den Ansprüchen des Militärs entgegen. Als traditionsbewusste Institutionen sind Armeen dem Gedanken der Geschichtspflege gegenüber besonders offen , eine Beschäftigung mit militärischen Themen ist in ihrem Verständnis nie ausschließlich L’art pour l’art , sondern ein Beitrag zur Festigung des Korpsgeistes. Auch darüber hinaus sind historische Arbeiten , die im Umfeld des Militärs entstehen , um die Destillation von Lehren bemüht , die nach Möglichkeit zu einer militärischen Effizienzsteigerung in der Gegenwart beitragen sollen. Weil die gewalttätige Lösung von Interessendivergenzen das Kerngeschäft des Militärs ist , steht dieser Gewalteinsatz , seine Planung und Durchführung auch im Zentrum seiner Aufmerksamkeit. Viele Arbeiten zur Militärgeschichte der österreichischen Zwischenkriegszeit bilden da keine Ausnahme. Der vorliegende Artikel ist demgegenüber bemüht , die Geschichte der organisierten Gewalt in den Jahren 1918 bis 1938 ausgehend von der zugrunde liegenden gesellschaftlichen Frontstellung her zu entwickeln. Am ehesten scheint dafür ein organisationsgeschichtlicher Ansatz geeignet zu sein , der sich den nichtnationalsozialistischen Wehrverbänden und dem staatlichen Gewaltapparat widmet. Dagegen werden ereignis- , operations- und technikgeschichtliche Aspekte nur am Rande behandelt und dahin gehend Interessierte auf die
1 Zu Zielen der Militärgeschichtsschreibung vgl. die Beiträge in Kühne , Thomas / Z iemann , Benjamin [ i n Verbindung mit dem Arbeitskreis Militärgeschichte e. V. und dem Institut für soziale Bewegungen der Ruhr-Universität Bochum ] ( 2000 ) : Was ist Militärgeschichte ? , Paderborn u. a.
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VI. Militärgeschichte
einschlägige Literatur verwiesen.2 Wo neuere Archivfunde den Wissensstand sinnvoll ergänzen , wurden sie eingefügt. Ein abschließendes Resümee widmet sich Fragen und Ansätzen künftiger Forschungen.3 I. Die Heimwehren Bei der Vielzahl paramilitärischer Einheiten in Österreich fiel es auch ZeitgenossInnen schwer , den Überblick zu behalten.4 In der Literatur findet sich bislang kein vollständiges Verzeichnis , aber noch in den 1930ern listet ein Polizeibericht 26 bürgerliche Wehrverbände auf.5 In den Anfängen der Republik waren es mindestens doppelt so viele. Über die Mehrzahl dieser Einheiten , die oftmals nur kurzzeitig existierten , miteinander fusionierten oder sich wieder auflösten , ist nichts Näheres bekannt. Ein Forschungsresümee konzentriert sich daher naturgemäß auf die Größeren und Langlebigeren unter ihnen.6 2 Deren Zitation ist im Hinblick auf die Fülle der Literatur natürlich selektiv. Zumindest bis zur Jahrtausendwende sind Publikationen und Hochschulschriften aber gut systematisch erfasst worden , vgl. Heeresgeschichtliches Museum ( Hg. ) ( 1968 ) : 1918–1968. Die Streitkräfte der Republik Österreich , Wien [ K atalog zur Sonderausstellung im Heeresgeschichtlichen Museum Wien 1968 ] , 453–462 ; desgl. den umfassenden Appendix bei Broucek , Peter / Peball , Kurt ( 2000 ) : Geschichte der österreichischen Militärhistoriographie , Köln / Weimar / Wien. 3 Wertvolle Hinweise und Anregungen für den folgenden Text bezog ich aus den Vorträgen von Otto Naderer und Erwin Schmidl im Rahmen der Tagung „Österreich 1933–1938“, abgehalten an der Universität Wien vom 20. bis 26. Jänner 2011. Desgleichen sehr profitiert habe ich von der Lektüre des Manuskriptes : Die austrofaschistische Diktatur. Österreich 1933–38 , von Emmerich Tálos , das 2013 in Buchform erscheint und auch ausführlich militärgeschichtliche Aspekte behandelt. Allen drei Personen sei an dieser Stelle herzlich gedankt. 4 Vgl. Reich , Walter ( 2000 ) : Die Ostmärkischen Sturmscharen. Für Gott und Ständestaat , Frankfurt / Main , 216. 5 Wiener Heimwehrverband , Heimwehrverband , Heimatschutzverband ( NÖ ), Österr. Heimatschützer Vereinigung , Freiheitsbund der christlichen Arbeiter und Angestellten Österreichs , Vaterländischer Schutzbund , Wiener Heimatschutzverband , Österreichische Legion , Österreichische Post- und Telegraphenwehr , Heimatschutz Österreich , Reichsverband „Erwachendes Österreich“, Eisenbahnerwehr , Verbandslegion der heimattreuen Juden Österreichs , Österreichische Bauernwehr , Vaterländischer Verband : Starhemberg , Ostmärkische Sturmscharen , Reichsverband der österreichischen Schwarzhemden , Heimatschutzverband Österreich , Verband Neu Österreich , Heimatsturmschar , Heimwehr Deutsch-Österreich , Deutsche Heimatschutzverbindung Österreich , Grüne Front , Österreichischer Volkssturm , Schutzverband Österreich „Viribus Unitis“, Staatsarchiv , AVA , BKA Inneres , Berichte der Sicherheitsdirektionen , 1935–1938 , Karton 43 , Folio 669 , zit. n. Scheuch , Hanno ( 1983 ) : Wehrformation : Bauernwehr , Dipl.-Arb. , Wien , 56. Etliche Gruppierungen , wie die Anfang der 1920er in Wien sehr aktive monarchistische „Ostara“ um Karl Burian , deren Mord an einem sozialdemokratischen Funktionär maßgeblich für die Aufstellung des Republikanischen Schutzbundes war , fehlen in dieser Aufzählung allerdings. 6 Eine einheitliche , zentral organisierte Heimwehr existierte bis 1936 zu keinem Zeitpunkt. Wie noch zu zeigen sein wird , handelte es sich um ein fragiles Geflecht unterschiedlicher Verbände , die sich durch ihre große Nähe zu den bürgerlichen Parteien auszeichneten. Ungeachtet der Vielzahl von Namen , die sich durch Fusionen oder Abspaltungen auch mehrfach ändern konnten , werden Teile dieses Organisationsagglomerats im Weiteren pauschal als „Heimwehr“ bezeichnet und der Begriff dort , wo keine bestimmte Struktur gemeint wird , im Plural verwendet.
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Unmittelbar nach dem Zusammenbruch der Monarchie entstanden entgegen einer ausdrücklichen Weisung der Provisorischen Nationalversammlung7 in mehreren Bundesländern ortsgebundene bewaffnete Gruppen , deren Gründung verschiedene Ursachen haben konnte. a. Schutz des bäuerlichen Eigentums In der Übergangsphase von der alten zur neuen Ordnung hatten staatliche Autoritäten vielerorts vorübergehend ihre Macht verloren. Schon im Sommer 1918 , nach dem Zusammenbruch der letzten , aberwitzigen Offensive an der Piave , hatten sich in der Armee erste Auflösungserscheinungen bemerkbar gemacht. In der ungarischen Reichshälfte waren 100.000 Deserteure zu verzeichnen , die eigene Verbände , sogenannte „grüne Kader“, bildeten und in der Bevölkerung auf starken Rückhalt rechnen konnten. Auch wenn die deutschsprachigen Landesteile als vergleichsweise loyal gelten durften , betrug die Zahl der Fahnenflüchtigen alleine in der Reichshauptstadt Wien zur selben Zeit immerhin 19.000. 8 Die Soldaten , die nun immer zahlreicher ins Hinterland gelangten , waren in einem jämmerlichen Zustand.9 Mit der Armee des Reichs löste sich auch deren Logistik auf. Vielerorts gab es keine Instanz , die an ihrer Stelle für Abrüstung , Unterkunft , Verpflegung und geordneten Heimtransport der Männer Sorge getragen hätte. Besonders in den südlichen und westlichen Bundesländern war daher die Angst vor Plünderungen Anlass zur Gründung lokaler Milizen.10 Obwohl sie vielfach als „Fenster- und Auslagenschutztruppe“11 gegründet worden waren , trat der politische Charakter der Einheiten schon in den Anfängen offen zutage.12 Sie waren Gewaltorganisationen im Dienste der ökonomischen Eliten und der bürgerlichen Parteien , ihre Hauptaufgabe lag in der Bekämpfung der erstarkten Arbeiterbewegung.13 Die soziale Zusammensetzung der neu aufgestellten Verbände war über das ganze Bundesgebiet gesehen deutlich ländlich geprägt , wobei die Untersuchung Schneebergers überzeugend nachweist , dass dies keineswegs auf alle Heimwehrformationen zu7 Vgl. Rauter , Gerhard ( 1989 ) : Die österreichische Wehrgesetzgebung. Motive – Entwicklungslinien – Zielsetzungen – Wehrrechtsindex 1868–1989 , Wien , 45 f. 8 Etschmann , Wolfgang ( 1979 ) : Theorie , Praxis und Probleme der Demobilisierung 1915–1921 , phil. Diss. , Wien , 30 f. 9 Vgl. ebenda , 31. 10 Vgl. Gulick , Charles A. ( 1948 ) : Österreich von Habsburg zu Hitler , Bd. 1 , Wien , 173–185. 11 So die selbstironische Rückschau in einem Bericht der Tiroler Heimwehrleitung zit. n. Carsten , Francis L. ( 1978 ) : Faschismus in Österreich. Von Schönerer zu Hitler , München , 63. 12 Die gegenläufige Behauptung speist sich sowohl aus der Selbstbeschreibung der Heimwehren wie auch aus offiziellen Stellungnahmen , insbesondere von Landesregierungen wie in Tirol , der Steiermark oder Vorarlberg , die ihre Unterstützung für die Heimwehren als Akt im allgemeinen Interesse darzustellen versuchten. Beispielhaft etwa bei Chraska , Wilhelm ( 1981 ) : Die Heimwehr und die Erste Republik Österreich. Überlegungen zur österreichischen Staatswerdung nach dem Zusammenbruch der Monarchie 1918 , Kiel , 43. Die Annahme , die Wahrnehmung sozialer Interessen sei kein politischer Akt und daher wären auch die Heimwehren zumindest in ihren Anfängen „unpolitisch“ gewesen , stützt sich auf ein stark verkürztes Verständnis des Politischen an sich. 13 Ihrem historischen Gebrauch folgend werden die Zuschreibungen „bürgerlich“, „rechts“ und „konservativ“ im Weiteren synonym verwendet.
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VI. Militärgeschichte
treffen sollte und „ländlich“ auch nicht ohne Weiteres mit „bäuerlich“ gleichzusetzen war.14 Abgesehen von vereinzelten Scharmützeln und Plünderungen verlief die Rückführung der Soldaten relativ friedlich.15 Zur Gefahr für das bäuerliche Eigentum wurde stattdessen eher die Staatsmacht , die zur Versorgung der Städte auf Lebensmittelrequirierungen angewiesen war. Angesichts dessen schlug die ursprünglich durchaus prorepublikanische Stimmung in der Bauernschaft zusehends um , wobei sich materielle Interessen unter dem Einfluss der bürgerlichen und klerikalen Agitation16 immer mehr mit tradierten antiurbanen , antisozialistischen und antisemitischen Ressentiments vermengten und jene Melange des Hasses auf Wien bildeten , dessen Ausläufer mancherorts bis heute spürbar sind. b. Soziale Deklassierung von Gewerbetreibenden , Beamtenschaft und Intellektuellen Doch nicht nur Soldaten , auch die Zivilbevölkerung war in erbärmlicher Verfassung – und das nicht erst seit Kriegsende.17 Welche dramatischen Folgen ein solcher Zustand für das gesellschaftliche Machtgefüge haben konnte , zeigten bereits seit 1916 diverse Hungerunruhen und spontane Plünderungen , bei denen die Obrigkeit Mühe hatte , die Ordnung wieder herzustellen ,18 und schließlich mehrere Rebellionen innerhalb der Armee.19 Tiefen Eindruck sowohl auf die österreichischen Eliten wie auch auf die unterprivilegierten Schichten der Bevölkerung machten zudem die Revolution , die 1917 in Russland gesiegt hatte , und die Räterepubliken in München und Budapest.20 Die gras14 Die Autorin unterscheidet allerdings zwischen „traditionalen“ und „partiell modernisierten“ Heimwehren , vgl. Schneeberger , Franziska ( 1988 ) : Sozialstruktur der Heimwehr in Österreich. Eine Vergleichend-Politische Sozialgeschichte der Heimwehrbewegung , phil. Diss. , Salzburg , 60–97. In komprimierter Form findet sich die Argumentation in Schneeberger , Franziska 1988 / 89 : Heimwehr und Bauern – ein Mythos , In : Zeitgeschichte Jg. 16 ( 1988 / 89 ), Heft 4 , 135–145. 15 Vgl. Haas , Karl ( 1985a ) : Demobilisierung und militärischer Gebietsschutz : Zum militärpolitischen Aspekt der deutschböhmischen Frage. In : ders. : Austromarxismus und Wehrfrage. Zur militärpolitischen Pragmatik der österreichischen Sozialdemokratie in der Ersten Republik , phil. Habil. , Wien , 55–70 :57. 16 Vgl. Macartney , Charlile A. ( 1925 ) : The social revolution in Austria , Cambridge , 54 f. 17 Zur Versorgungssituation in der Endphase des Krieges vgl. Plaschka , Richard Georg / Haselsteiner , Horst / Suppan , Arnold ( 1974 ) : Innere Front. Militärassistenz , Widerstand und Umsturz in der Donaumonarchie 1918. Zwischen Streik und Meuterei , Bd. 1 , Wien , 46–58. 18 So berichtet etwa Stefan Karner , dass in der Steiermark Streikbewegungen , tlw. auch verbunden mit Hungerrevolten , seit 1916 stark zunahmen. Dabei habe die Exekutive die Ruhe hie und da nur durch „Androhung des Einsatzes schwerer Waffen“ wieder herstellen können , zudem rüstete die Staatsmacht massiv auf , vgl. Karner , Stefan ( 2005 ) : Die Steiermark im 20. Jahrhundert , 2. , durchges. und ergänzte Ausgabe , Graz , 118. 19 Vgl. Plaschka et al. ( 1974 ), 324–400 , desgl. Etschmann 1979 , 52 ff. Plaschka , Richard Georg ( 1984 ) : Matrosen , Offiziere , Rebellen : Krisenkonfrontationen zur See 1900–1918. Taku-Tsushima – Coronel / Falkland – „Potemkin“ – Wilhelmshaven – Cattaro , Wien , 155–278. Relativ detailgetreu , aber ohne Einzelnachweise dagegen die Darstellung des Soldatenrats und Journalisten Bruno Frei , vgl. ders. ( 1927 ) : Die roten Matrosen von Cattaro. Eine Episode aus dem Revolutionsjahre 1918 , Wien [ w iederaufgelegt 1963 ebenda ]. 20 Zu den Auswirkungen der russischen Revolution auf die Aufstandsbewegungen in Österreich siehe u. a. Leidinger , Hannes / Moritz , Verena ( 2003 ) : Gefangenschaft , Revolution , Heimkehr. Die Bedeutung der Kriegsgefangenenproblematik für die Geschichte des Kommunismus in Mittel- und Ost-
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sierende Revolutionsangst , gepaart mit einem tatsächlichen oder befürchteten sozialen Abstieg , führte zu einer politischen Radikalisierung , die am Land vornehmlich die besitzende Bauernschaft erfasste und im urbanen Bereich neben Unternehmern vor allem das Kleinbürgertum. Freiberufler , Offiziere und Gewerbetreibende sowie Studenten bildeten in der städtischen Bevölkerung die Spitze der konterrevolutionären Bewegungen. Gemessen am Mannschaftsstand der Heimwehren fiel der Anteil der urbanen , mehrheitlich deutschnational-völkisch orientierten Gruppen in den nächsten gut fünfzehn Jahren nicht ins Gewicht. Allerdings bildeten sie das Reservoir für die Führungsebenen der Heimwehren , deren ländliches Fußvolk ( abseits der besitzenden , ebenfalls häufig deutschnationalen Bauern im Westen und Süden ) mehrheitlich christlichsozial ausgerichtet blieb. Arbeiter waren in der Phase der Grenzkonflikte bis 1920 /21 vertreten , spielten später aber keine Rolle mehr.21 Das organisatorische Fundament der Verbände war nicht neu , sondern bestand aus dem bürgerlichen Vereinswesen , das begann , unter diversen Bezeichnungen bewaffnete Einheiten aufzustellen. Die Finanzierung übernahmen Geschäftsleute , Adlige , Bankiers und Industrielle , die sich dadurch eine erfolgreichere Wahrnehmung ihrer Klasseninteressen versprachen.22 Der Umstand , dass die Heimwehren sich kaum aus Mitgliedsbeiträgen finanzierten , machte sie in den folgenden Jahren stark abhängig von finanziellen Zuwendungen. Daraus erklären sich bis zu einem gewissen Grad zweifellos die späteren Volten ihrer Führer. c. Bewaffnete Konflikte mit Nachbarstaaten Sich abzeichnende Territorialkonflikte waren der dritte Grund für die rasche Aufstellung der Heimwehren und der gleichfalls bundesweit tätigen Frontkämpfervereinigung. europa 1917–1920 , Wien / Köln / Weimar ; Turok , Vladimir ( 1970 ) : Die russische Oktoberrevolution und ihre Rückwirkungen auf den Zusammenbruch der österreichisch-ungarischen Monarchie , In : Plaschka , Richard G. / Mack , Karlheinz ( Hg. ) : Die Auflösung des Habsburgerreiches : Zusammenbruch und Neuerrichtung im Donauraum , München , 226–230 ; Löw , Raimund ( 1980 ) : Otto Bauer und die russische Revolution , Wien ; Hautmann , Hans ( 1987 ) : Geschichte der Rätebewegung in Österreich 1918– 1924 , Wien / Zürich , 146 ff. und 177–201. 21 Vgl. Lauridsen , John T. ( 2007 ) : Nazism and the Radical Right in Austria 1918–1934 , Copenhagen , 95–104. Lauridsen bestätigt Schneeberger damit weitgehend. Gerade die Geschichte der Heimwehren verdeutlicht aber , wie relativ diese Abgrenzungen zu werten sind. Die auf Adam Wandruszka zurückgehende Vorstellung zweier unabhängiger bürgerlicher „Lager“ hatte mit den tatsächlichen Verhältnissen nur bedingt etwas gemein. Sie ist Produkt der „Koalitionsgeschichtsschreibung“ und folgt nachvollziehbaren persönlichen und kollektiven Interessenlagen , vgl. Fritzl , Hermann / Uitz , Martin ( 1975 ) : Kritische Anmerkungen zur sogenannten Lager-Theorie. In : Österreichische Zeitschrift für Politikwissenschaft , Jg. 5 ( 1975 ), Heft 4 , 325–332. 22 Der spätere Bundeskanzler und Industrielle , Ernst Streeruwitz , spricht diesen Punkt in seinen Memoiren recht offenherzig an , vgl. ders. ( 1937 ) : Springflut über Österreich. Erinnerungen , Erlebnisse , Gedanken aus bewegter Zeit 1914–1929 , Wien / L eipzig , 212–242. Siehe zu diesem Thema auch den Aufsatz von Wolfgang Meixner zum Präsidenten der Tiroler Industriellenvereinigung , vgl. ders. ( 2002 ) : Ing. Friedrich Reitlinger ( 1877–1938 ). Industrieller und Wirtschaftsfunktionär in Tirol zwischen Heimwehr und Nationalsozialismus. In : Zeitgeschichte Jg. 29 ( 2002 ), Heft 4 , 191–201 , sowie , vor allem für Anfang der 1930er , Haas , Karl ( 1978 ) : Industrielle Interessenpolitik zur Zeit der Weltwirtschaftskrise , In : Jahrbuch für Zeitgeschichte 1978 , 97–126.
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Der Anschluss Böhmens an Deutschösterreich war durch die rasche Reaktion der tschechoslowakischen Regierung , der die Volkswehr militärisch nicht viel entgegenzusetzen hatte , rasch erledigt.23 Völlig aussichtslos war auch gewaltsamer Widerstand gegen die italienische Annexion Südtirols. In Kärnten und der Steiermark sah die Sache – auch aufgrund der italienisch-jugoslawischen Differenzen – anders aus. Um den SHS-Truppen , die den königlichen Anspruch auf das mehrheitlich slowenischsprachige Südkärnten unterstreichen sollten , entgegentreten zu können , wurden die im Aufbau befindlichen Volkswehrtruppen durch Freiwilligenverbände verstärkt.24 Allerdings wurde das Motiv der Territorialverteidigung post festum durch die Heimwehren selbst viel stärker hervorgestrichen , als es de facto war. Das zeigte sich angesichts 1925 /26 , als ein italienischer Einmarsch befürchtet und deshalb die Mobilisierung der Tiroler Heimwehr erwogen wurde. Besorgte Heimwehrangehörige wiesen das mit der Begründung von sich , ihre Organisation sei lediglich zur „Niederhaltung des inneren Feindes“ geschaffen worden.25 d. Sozialdemokratische Dominanz in Staat und Heer Das vierte und wichtigste Gründungsmotiv der Heimwehren bildeten die innenpolitischen Frontstellungen. Obwohl in der provisorischen Nationalversammlung in der Minderheit , gelang es der Sozialdemokratie noch bis Anfang 1920 , eine beherrschende Rolle innerhalb des Staates einzunehmen. Zu guten Teilen war diese Vormachtstellung dem Umstand geschuldet , dass der Gegenseite ihr traditioneller Repressionsapparat nicht zur Verfügung stand , während man selbst die provisorische Armee kontrollierte. Durch den Waffenstillstand von Villa Giusti am 3. November 1918 hatte die k. u. k. Armee faktisch aufgehört zu existieren. An ihre Stelle trat zunächst ein Freiwilligenheer : die Volkswehr. Ihre Aufstellung war nicht nur den Grenzstreitigkeiten zuzuschreiben. Die Volkswehr sollte aus Sicht der Sozialdemokratie Gewähr für demokratisch-republikanische Zustände und gegen Restaurationsbestrebungen bieten. Zugleich bildete sie ein Versorgungsinstrument für Kriegsheimkehrer , die ökonomisch vor den Trümmern ihrer Existenz standen. Der sozialdemokratische Einfluss auf die Volkswehr basierte auf einem Netz an Vertrauenspersonen , das Julius Deutsch seit Ende des Jahres 1917 aus dem Kriegsministerium heraus gesponnen hatte und das sich mit den späteren Soldatenräten weitgehend überschnitt. Von Bedeutung waren also vor allem die niederen Chargen und Mannschaften , sozialdemokratische Offiziere blieben dagegen durchwegs 23 Vgl. Rauter ( 1989 ), 46 , bes. FN 82. 24 Vgl. Pauley , Bruce F. ( 1972 ) : Hahnenschwanz und Hakenkreuz. Steirischer Heimatschutz und österreichischer Nationalsozialismus 1918–1934 , Wien , 34 f. Zum südlichen Grenzkonflikt von 1918 /20 gibt es eine umfangreiche , national-agitatorische und hinsichtlich ihres geschichtswissenschaftlichen Wertes zweifelhafte Literatur , von deren Zitation an dieser Stelle abgesehen wird. Eine kritische Auseinandersetzung mit ihren Hauptthesen findet sich bei Moritsch , Andreas ( 1996 ) : Abwehrkampf und Volksabstimmung – Mythos und Realität , In : ders. ( Hg. ) : Austria Slovenica : Die Kärntner Slovenen und die Nation Österreich ; Koroški Slovenci in avstijska nacija , Klagenfurt / Celovec , 58–70. Siehe außerdem Fräss-Ehrfeld , Claudia ( 2000 ) : Geschichte Kärntens 1918–1920. Abwehrkampf – Volksabstimmung – Identitätssuche , Klagenfurt. Im Kontext der Wehrverbände relevant ist zudem Steinböck , Erwin ( 1963 ) : Die Volkswehr in Kärnten unter Berücksichtigung des Einsatzes der Freiwilligenverbände , Graz [ P ublikationen des österreichischen Instituts für Zeitgeschichte , Bd. 2 ]. 25 Zit. n. Rebitsch , Wolfgang ( 2009 ) : Tirol Land in Waffen. Soldaten und bewaffnete Verbände 1918 bis 1938 , Innsbruck , 125.
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in der Minderheit. Eine vertiefende Auseinandersetzung mit den Soldatenräten , die ja auf Basis des § 31 des Wehrgesetzes 192026 auch im Bundesheer der Ersten Republik als „Vertrauensmänner“ fortbestanden27 und bei deren Wahlen bis Ende der 1920er immer noch die Sozialdemokratie reüssierte , wäre wünschenswert. Bislang existiert dazu lediglich eine stark auf Sekundärquellen gestützte Diplomarbeit.28 Die vorhandene Literatur zur Volkswehr umfasst neben einigen Überblicksartikeln29 und Regionalstudien30 bislang nur zwei knappe und sowohl hinsichtlich ihrer Quellen als auch der thematischen Breite dürftige Gesamtdarstellungen ,31 deren Wert von den entsprechenden Passagen in mehreren Dissertation eindeutig in den Schatten gestellt wird.32 Im Zentrum der Betrachtung stehen mehrheitlich Aufbau und Gliederung sowie militärische Einsätze. Die durchaus widersprüchliche politische Dimension der Volkswehr blieb dagegen unterbelichtet. So bestand die Volkswehrführung durchwegs aus Offizieren des ehemaligen 26 StGBl. 122 / 1920. Zu den für das Bundesheer relevanten Legislativakten 1918–1938 vgl. Rauter ( 1989 ), 44–98. 27 Vgl. Rauter ( 1989 ), 50 f. 28 Vgl. Hasenhündl , Gerhard ( 1977 ) : Das Rätewesen im österreichischen Bundesheer der 1. Republik , Hausarb. , Wien. 29 Vgl. Steinböck , Erwin ( 1989 ) : Entstehung und Verwendung der Volkswehr. In : Ackerl , Isabella / Neck , Rudolf ( Hg. ) : Saint-Germain 1919. Protokoll des Symposiums am 29. Und 30. Mai 1979 in Wien [ Veröffentlichungen der Wissenschaftlichen Kommission des Theodor-Körner-Stiftungsfonds und des Leopold-Kunschak-Preises zur Erforschung der österreichischen Geschichte der Jahre 1918 bis 1938 , Bd. 11 ] , Wien , 180–200 ; Ortner , Christian M. ( 2008 ) : Volkswehr und Bundesheer bis 1933. In : Karner , Stefan / M ikoletzky , Lorenz ( Hg. ) : Österreich. 90 Jahre Republik. Beitragsband zur Ausstellung im Parlament , Innsbruck / Wien / Bozen , 469–468 ; Schmidl , Erwin A. ( 2008 ) : Österreichs Sicherheitspolitik und das Bundesheer 1918 bis 2008 : Ein Überblick. In : Karner / M ikoletzky 2008 481–495 ; Broucek , Peter ( 1983 ) : Heerwesen. In : Weinzierl , Erika / Skalnik , Kurt ( Hg. ) : Österreich 1918–1938 , Graz / Wien / Köln , Bd. 1 , 209–224 :210 ff. ; Etschmann , Wolfgang ( 2007 ) : Improvisierte Streitkräfte am Beginn der Ersten Republik – die deutsch-österreichische Volkswehr , In : Ehlert , Hans / Heinemann , Winfried ( Hg. ) : Nationalstaat , Nationalismus und Militär / [ X XXII. Internationaler Kongress für Militärgeschichte , 20.–25. 8. 2006 Potsdam ]. Commission Internationale d’Histoire Militaire , Deutsche Kommission für Militärgeschichte , Potsdam , 279–284. 30 Schaffer , Roland ( 2004 ) : Die Volkswehr in der Steiermark , phil. Diss. , Graz ; Rebitsch ( 2009 ) ; Gerdenitsch , Josef ( 1967 ) : Das Wiener Arsenal in der Ersten Republik. Die politische , wirtschaftliche und militärische Bedeutung in den Jahren 1918–1927 , phil. Diss. , Wien ; Volaucnik , Christoph ( 1985 ) : Volkswehr und Bundesheer in Vorarlberg 1918–1938. In : Montfort. Vierteljahresschrift für Geschichte und Gegenwart Vorarlbergs , Jg. 37 ( 1985 ), Heft 2 / 3 , 147–187. 31 Glaubauf , Karl ( 1993 ) : Die Volkswehr 1918–1920 und die Gründung der Republik , Wien [ Österreichische Militärgeschichte , Sonderband ] ; desgl. das im Auftrag der KPÖ erstellte , nur in Fragmenten überlieferte Manuskript von Zamiš , Guido ( 1984 ) : Militärpolitik der KPÖ. Kap. 1 , 2 und 8 , Archiv des Instituts für Zeitgeschichte Wien , DO 883 , Mm–152. Zamis war selbst Mitglied der Roten Garde und später Angehöriger des Bundesheeres. Im Zuge der Vaugoin’schen Säuberungen wurde er 1924 wegen Disziplinärer Vergehen vor Gericht gestellt , was die KPÖ medial zu nutzen versuchte. 32 Vgl. v. a. Etschmann ( 1979 ) ; Haas , Karl ( 1967 ) : Studien zur Wehrpolitik der österreichischen Sozialdemokratie 1918–1926 , phil. Diss. , Wien ; McLoughlin , Finbarr ( 1990 ) : Der Republikanische Schutzbund und gewalttätige politische Auseinandersetzungen in Österreich 1923–1934 , phil. Diss. , Wien ; Vlcek , Christine ( 1971 ) : Der Republikanische Schutzbund in Österreich. Geschichte , Aufbau und Organisation , phil. Diss. , Wien.
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k. u. k Generalstabskorps ,33 ähnlich die Besetzung der Landeskommanden.34 Andererseits wurden Soldatenräte institutionalisiert und Nichtmaturanten eine Offizierslaufbahn eröffnet. Die Sozialdemokratie beschritt damit in Österreich einen grundsätzlich anderen Weg als in Deutschland , wo sie im Kampf gegen die Kommunistische Partei ein Bündnis mit der republikfeindlichen Reichswehr und diversen rechtsradikalen Freischärlerverbänden einging , ohne in deren innere Verfasstheit einzugreifen. Obwohl die Bemühungen in Österreich eines eingehenderen Studiums bedürften , lässt sich doch sagen , dass zumindest ernsthafte Versuche unternommen wurden , langfristig eine republikanische Militärmacht heranzuziehen.35 Zusätzlich interessant ist die Volkswehr , weil hier das einzige Mal in der österreichischen Geschichte Überlegungen eine Rolle spielten , wie ein möglichst an demokratischen Wertvorstellungen orientiertes und zugleich auch demokratisch verfasstes Militär aussehen könnte.36 e. Rechtsradikalismus in den Anrainerstaaten Dass die Heimwehren auch nach Bewältigung der Nachkriegswirren und Abflauen der revolutionären Regungen Anfang der 1920er nicht aufgelöst , sondern zunächst im Gegenteil reorganisiert , ausgebaut und aufgerüstet wurden , verdankten sie maßgeblich ausländischen , insbesondere bayrischen und ungarischen Interessen. München war in den Nachkriegsjahren zum Dreh- und Angelpunkt des deutschsprachigen Rechtsradikalismus geworden. Die Stadt war ein politischer Druckkochtopf , in dessen trüben Tiefen Reaktionäre aller Schattierungen Pläne schmiedeten , Demokratie und Republik schnellstmöglich abzuhelfen. Eine Schlüsselstellung in diesem Konglomerat nahm die bayrische Reichswehrführung ein. Sie bildete in den Worten des späteren SAChefs und damaligen Hauptmanns im Münchner Wehrkreiskommando , Ernst Röhm ,
33 Vgl. Zeinar , Hubert ( 2006 ) : Geschichte des österreichischen Generalstabes , Wien / Köln / Weimar , 630 , bes. FN 10. Zum weiteren Dienst ehemaliger k. u. k. Soldaten in der Volkswehr und im Bundesheer siehe außerdem Kristan , Heribert ( 1988 ) : Geschichte des Generalstabes des österreichischen Bundesheeres von 1918 bis 1938 , phil. Diss. , Wien , sowie auch die publizierte Dissertation von AlbuLisson , Diana Carmen ( 2011 ) : Von der k. u. k. Armee zur Deutschen Wehrmacht. Offiziere und ihr Leben im Wandel politischer Systeme und Armeen , Frankfurt / Main u. a. Die Autorin stützt sich in ihrer empirischen Untersuchung vor allem auf Anmeldeblätter zur Aufnahme in das österreichische Heer , die von mehr als 1.600 Offizieren ausgefüllt wurden , aber im Grunde nur fundierte Aussagen bis 1920 erlauben. Zwei auf Amtsschemata gestützte Tiefenbohrungen für die Jahre 1928 und 1938 sind zwar aufschlussreich was Kontinuitäten angeht , allerdings nur bedingt aussagefähig , da politisch motivierte Außerdienststellungen beispielsweise nur unzureichend berücksichtigt wurden. 34 Vgl. Haas ( 1967 ), 37 f. Siehe dazu auch die zeitgenössischen Ausführungen von Otto Bauer , vgl. ders. ( 1921 ) : Die Offiziere und die Republik. Ein Vortrag über die Wehrpolitik der Sozialdemokratie , Wien. 35 Dem Zivilkommissariat oblag die Führung der Personalevidenzen der Offiziere , die es auf ihre Verlässlichkeit zu prüfen hatte. Politisch fragwürdige Elemente wurden ausgeschieden , vgl. Haas ( 1967 ), 38. Desgl. Glaubauf ( 1993 ), 31–34. 36 Siehe dazu die Ausführungen von Julius Deutsch als neu bestellter Staatssekretär für Heerwesen vor dem Reichsvollzugsausschuss der Soldatenräte. In : ders. ( 1923 a ) : Aus Österreichs Revolution. Militärpolitische Erinnerungen , Wien , 82 f.
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den „Kristallisationskörper für alle Organisationen“.37 In Umgehung der Bestimmungen des Versailler Vertrages baute die deutsche Generalität mit Rückendeckung der Reichsregierung ein flächendeckendes Netzwerk paramilitärischer Einheiten auf , das als Schwarze Reichswehr in die Geschichte einging.38 Auf diese Weise sollte das mit 100.000 Mann begrenzte staatliche Militär im Einsatzfall ergänzt werden. Die Schwarze Reichswehr war auch ein wichtiges innenpolitisches Instrument der politischen Rechten. Sie kam nicht nur im Zuge von Grenzstreitigkeiten zum Einsatz , besonders in Oberschlesien , sondern ihre Einheiten beteiligten sich mehrfach an der militärischen Bekämpfung linker Bestrebungen im Inland , so 1919 an der Niederschlagung des Spartakusaufstandes in Berlin und der Räterepublik in München , 1920 während des Kapp-Putsches und im Zuge des Ruhrkampfes 1921. Den mit Abstand stärksten , weitgehend autonom agierenden Teilverband der Schwarzen Reichswehr stellten die bayrischen Einwohnerwehren dar , deren Mannschaftsstand im Jänner 1920 bereits über eine Viertelmillion betrug und bis Mitte des Folgejahres auf über 361.000 Männer anstieg.39 Nachdem der gescheiterte Offiziersputsch um Kapp , Lüttzwitz , Erhardt und Ludendorff die Position der Norddeutschen innerhalb der radikalen Rechten stark geschwächt hatte , wurde die vom Führer der bayrischen Einwohnerwehren , Georg Escherich , gegründete „Organisation Escherich“ ( Orgesch ) zur Dachorganisation der rechten Paramilitärs in ganz Deutschland. Bereits die Einwohnerwehren hatten ihre Fühler nach Österreich ausgestreckt , nun wurde zu diesem Zweck im Mai eine eigene Struktur eingerichtet , die abermals nach ihrem Leiter benannte Organisation Kanzler , kurz Orka. Wenig später wurde in Tirol offiziell aus mehreren Gruppen die „Tiroler Heimatwehr“ gebildet. Von der bayrischen Regierung mit Sondervollmachten und einem Budget von einer halben Million Mark ausgestattet , um „im Südosten die Ordnung wieder herzustellen“40 machte sich Kanzler daran , die untereinander zum Teil völlig zerstrittenen Formation in Abstimmung mit den bürgerlichen Parteien zu einen und nach Bundesländern zusammenzufassen.41 Das brachte eine Interessenüberschneidung mit dem mittlerweile etablierten HorthyRegime mit sich , das der österreichischen Rechten erstmals 1920 beträchtliche Mittel zu37 Carsten ( 1978 ), 59. 38 Zur Geschichte der Schwarzen Reichswehr siehe zuletzt Sauer , Bernhard ( 2004 ) : Schwarze Reichswehr und Fememorde. Eine Milieustudie zum Rechtsradikalismus in der Weimarer Republik , Berlin , desgl. die aufschlussreiche Arbeit von Rabisch , Birgit ( 2005 ) : Die schwarze Rosa. Eine Frau in der Weimarer Republik , Springe. 39 Large , David Clay ( 1980 ) : The Politics of Law and Order : A History of the Bavarian Einwohnerwehr , 1918–1921. In : Transactions of the American Philosophical Society , New Series , Vol. 70 , No. 2 , 1–87 :39. 40 Edmondson , Clifton Earl 1966 : The Heimwehr and Austrian Politics , 1918–1934 , Diss. , Duke , 8. Nachdem zum Zeitpunkt der Abfassung dieses Artikels kein Exemplar der publizierten Version von Edmondsons Studie verfügbar war , beziehen sich alle folgenden Zitate auf das Originalmanuskript der Dissertation , das in Kopie am Institut für Zeitgeschichte Wien liegt. 41 Edmondson ( 1966 ), 8 f. ; Kanzlers Aktivitäten sind durch ihn selbst gut dokumentiert , eine Übersicht seiner Besprechungen in Österreich bis November 1920 findet sich bei Nusser , Horst G.W. ( 1973 ) : Konservative Wehrverbände in Bayern , Preußen und Österreich 1918–1933 [ m it einer Biografie von Forstrat Georg Escherich 1870–1941 ] , München , 155 f.
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kommen ließ.42 Bald tüftelten ungarische Verbindungsleute gemeinsam mit Orgesch und Christlichsozialer Partei an militärischen Umsturzplänen.43 Wie konkret diese Vorhaben waren , unterstreicht der Umstand , dass in Szalaegerszeg bereits Invasionstruppen aus ehemaligen Offizieren aufgestellt wurden.44 Die Pläne wurden erst hinfällig , nachdem die Sozialdemokratie im Herbst 1920 endgültig aus der Wiener Regierung ausschied. 1.1 Die Frühphase der Heimwehren bis 1923 Im Juli 1920 traten mehrere österreichische Milizen , unter ihnen die Tiroler Heimatwehr , offiziell der Orgesch bei.45 Hinsichtlich ihrer Ziele setzten die Bayern den Österreichern Anfang 1920 zunächst auseinander , es bedürfe der Bildung einer transnationalen antisozialistischen und antihabsburgischen Koalition. Ungeachtet der in christlichsozialen Kreisen verbreiteten legitimistischen Nostalgien wurden dagegen keine grundsätzlichen Einwände vorgebracht. Auch als Münchner Emissäre den Tiroler Heimwehrführern wenige Monate später eröffneten , man strebe einen neuerlichen Putsch in Berlin an , schienen die mit einer solchen Aussicht kein Problem zu haben.46 Das Einverständnis machte sich bezahlt , von nun an rollte der Nachschub.47 Die Aufrüstung erfolgte zwar illegal und ergo im Geheimen , umsonst war sie aber nicht : Die Österreicher hatten jeden Gummiknüttel , jede Patrone penibel zu bezahlen.48 Die bis dahin vorherrschende Art der Waffenbeschaffung , der Diebstahl aus Heeres- bzw. Volkswehrbeständen war zwar offenbar nicht so ergiebig , aber wohl kostengünstiger gewesen.49 Nachdem aus dem beabsichtigten neuerlichen Umsturz bis 1923 dann nichts wurde , entwickelte die Münchner Fraktion um Ludendorff zwei neue Szenarien : Im Idealfall gelänge der Anschluss zumindest von Teilen Österreichs an Deutschland und die Installation Ludendorffs als großdeutschem Diktator. Alternativ erschien die Abtrennung Bayerns und die Bildung einer bayrisch-österreichisch-ungarischen Union unter dem Hause Wittelsbach ein gangbarer Weg.50 42 Vgl. die Berichte in der Arbeiterzeitung zwischen 22. und 26. September 1920. Siehe auch Kerekes , Lajos ( 1979 ) : Von St. Germain bis Genf. Österreich und seine Nachbarn 1918–1922 , Wien / Köln / Graz. 43 Vgl. Kerekes , Lajos ( 1965 ) : Die weiße Allianz. Bayrisch-österreichisch-ungarische Projekte gegen die Regierung Renner im Jahre 1920 , Österreichische Osthefte Jg. 7 , ( 1965 ), Heft 5 , 353–366. 44 Entsprechende Hinweise hatten die Verhaftung mehrerer Offiziere in Wien und einen diplomatischen Eklat zur Folge , vgl. Arbeiterzeitung vom 1. Juni 1920 , desgl. Broucek , Peter ( 2008 ) : Militärischer Widerstand. Studien zur österreichischen Staatsgesinnung und NS-Abwehr , Wien / Köln / Weimar , 50 f. ; desgl. Jedlicka , Ludwig ( 1955 ) : Ein Heer im Schatten der Parteien. Die militärpolitische Lage Österreichs 1918–1938 , Graz / Köln , 11 , 39. 45 Vgl. Rape , Ludger ( 1977 ) : Die österreichischen Heimwehren und die bayerische Rechte 1920– 1923 , Wien , 69. 46 Im Übrigen auch nicht der ebenfalls anwesende Tiroler Landeshauptmann , vgl. Rape ( 1977 ), 45 f. 47 Vgl. Carsten ( 1978 ), 51. Siehe dazu auch die Ausführungen des ehemaligen Heimwehrmannes Wiltschegg , dessen detailreiche Darstellung besonders in ihren analytischen Passagen durchaus kritisch zu lesen ist , vgl. Wiltschegg , Walter ( 1985 ) : Die Heimwehr. Eine unwiderstehliche Volksbewegung ? Wien , 153. Desgl. auch Nusser ( 1973 ), 158. 48 Vgl. Nusser ( 1973 ), 170. 49 Vgl. Chraska ( 1981 ), 9 f. 50 Carsten ( 1978 ), 57. Siehe außerdem Steger , Bernd ( 1980 ) : Berufssoldaten oder Prätorianer. Die
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Die persönliche wie ideologische Elastizität zentraler Führungsfiguren war nicht einfach Ausdruck eines pragmatischen Politikverständnisses. Viel eher kennzeichnete sie gewaltbereite Polithasardeure , deren Weltbild sich hauptsächlich aus antisozialistischen , rassistischen Versatzstücken speiste , die aber gleichzeitig keinerlei Skrupel hatten , sämtliche Werthaltungen hintanzustellen , sobald sie sich davon persönliche Vorteile versprachen.51 Entsprechend vernachlässigbar sind auch die in der Literatur dennoch häufig betonten ideologischen Unterschiede.52 Die Führer der rechten Wehrformationen in Österreich , die nach dem Scheitern des Kapp-Putsches in Deutschland personell mit geflüchteten Putschisten verstärkt wurden ,53 wären wohl nicht beleidigt gewesen , als das bezeichnet zu werden , was sie waren : rabiat-antisozialistische , völkische Militaristen. Resultate dessen waren nicht nur vage Zukunftsvisionen , sondern auch stetig wechselnde , häufig auf den ersten Blick überraschende Koalitionen , in denen der materielle Vorteil im Zweifel stets schwerer wog als ideologische Gegensätze. In Österreich erfuhren die Heimwehren großzügige Unterstützung nicht nur privater Geldgeber , sondern auch öffentlicher Stellen. Infolge der dezentralen Struktur der Volkswehr waren die bürgerlichen Landesregierungen in der Lage , die Heimwehren großzügig aus staatlichen Beständen auszurüsten , und machten von dieser Möglichkeit ausgiebig Gebrauch. In der Steiermark erhielten die Heimwehren neben Infanteriewaffen und Artillerie auch Flugzeuge.54 Einflussnahme des bayrischen Offizierskorps auf die Innenpolitik in Bayern und im Reich 1918–1924 , Frankfurt / Main. 51 Ein selbst unter dieser Maßgabe außergewöhnlicher Fall war Ludendorffs Mitarbeiter Max Bauer. Er sondierte mehrfach in höherem Auftrag mit Heimwehrleuten die Möglichkeiten für einen Umsturz in Österreich und war zentrale Figur des Kapp-Putsches. Ungeachtet dessen brachte es der steckbrieflich gesuchte rechte Putschist und Verschwörer nur wenig später , 1923 , zum persönlichen Gast Leo Trotzkis , hielt sich in dieser Funktion länger in Moskau auf und initiierte deutsch-sowjetische Rüstungskooperationen , an denen er als Agent mehrerer Industrieunternehmen kräftig mitverdiente. Schließlich avancierte Bauer zum Militärberater Chiang Kai-sheks und starb als solcher Ende der 1920er in Shanghai , vgl. Vogt , Adolf 1974 : Oberst Max Bauer. Generalstabsoffizier im Zwielicht. 1869–1929 , Osnabrück. 52 Wiltschegg versuchte am systematischsten , die unterschiedliche Beantwortung weltanschaulicher Fragen zu illustrieren , vgl. ders. ( 1985 ), 261–267 , ansonsten begnügen sich entsprechende Passagen meist mit dem Hinweis auf das deutschnationale vs. das christlichsoziale Lager. 53 Zu den prominenteren Flüchtlingen zählten neben Bauer Korvettenkapitän Hermann Erhardt , Kommandeur der nach ihm benannten Brigade , und , für die weitere Entwicklung am bedeutsamsten , Waldemar Pabst. Der hatte als Offizier die Ermordung von Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg befohlen und danach , ebenfalls als Mitarbeiter Ludendorffs , den Kapp-Putsch mitgeplant. In Österreich avancierte er als Stabschef bald zu einer Schlüsselfigur zunächst der Tiroler , später der gesamtösterreichischen Heimwehr. Vierzig Jahre später , 1962 , gab Pabst dem Spiegel ein berühmt-berüchtigtes Interview , vgl. : Ich lies Rosa Luxemburg richten. Ein Gespräch mit Putsch-Hauptmann Waldemar Pabst , URL : http ://www.spiegel.de / spiegel / print / d–45139766.html ( abgerufen am 22. Mai 2011 ). Zu Pabst siehe vor allem Gietinger , Klaus ( 2009 ) : Der Konterrevolutionär. Waldemar Pabst – eine deutsche Karriere , Hamburg. Vernachlässigbar ist dagegen die tendenziöse Auswertung des Pabst-Nachlasses bei Konrad , Rüdiger ( 2012 ) : Waldemar Pabst. 1880–1970. Noskes Bluthund oder Patriot ? Beltheim-Schnellbach. 54 Vgl. Gieler , Herbert ( 1969 ) : Die Wehrverbände in der Ersten Republik Österreich , phil. Diss , Wien , 94. Siehe dazu auch die Wahrnehmungen der Gegenseite : Deutsch , Julius ( 1923 b ) : Wer rüstet zum Bürgerkrieg ? Neue Beweise für die Rüstungen der Reaktion , Wien ; desgl. Carsten ( 1978 ), 42.
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Mannschaftsstände , teilweise auch die Bewaffnung der Heimwehren brauchten den Vergleich mit dem staatlichen Militär bald nicht mehr zu scheuen und ließen wenig Zweifel darüber aufkommen , dass man es hier mit Truppen einer Bürgerkriegsarmee zu tun hatte.55 Bei Demonstrationen wie 1919 in Graz taten sich bürgerliche Freiwilligenverbände durch besondere Brutalität hervor , allen voran jene Einheiten , die aus Studenten gebildet waren.56 Nachdem der rote Umsturz , in dessen Erwartung die Heimwehren gegründet worden waren , vorerst ausblieb und auch die Freikorpskämpfe im Baltikum und Schlesien zu Ende gingen , an denen zahlreiche Österreicher teilgenommen hatten ,57 gingen die Aktivitäten der militanten Rechten ab 1923 merklich zurück.58 Die stark fragmentierten bürgerlichen Parteien waren sich zwar mit wenigen Ausnahmen darin einig , dass sie weiterhin militärische Formationen zu ihrer Verfügung haben wollten , verfolgten dieses Ziel aber auf höchst unterschiedliche Weise. Infolgedessen entstand keine einheitliche Parteiarmee , sondern sich voneinander nach regionalen , organisatorischen und militärischen Gesichtspunkten stark unterscheidende Verbände. Ideologisch waren die Heimwehren so vage und zerrissen wie die mit ihnen 55 Vgl. Wiltschegg ( 1985 ), 291 ff. 56 Vgl. Botz , Gerhard ( 1976 ) : Gewalt in der Politik. Attentate , Zusammenstöße , Putschversuche , Unruhen in Österreich 1918 bis 1934 , München , 42 f. In Tirol sollen Studenten auch eigene Terrorkompanien gebildet haben , vgl. Carsten ( 1978 ), 50. Die Witwe eines ehemaligen Freikorps-Mitglieds hat sich für ihre 2010 approbierte Dissertation zum studentischen Element in den Wehrverbänden auf die Sammlung von Kameraden ihres Mannes gestützt. Leider überzeugt die Studie weder methodisch noch inhaltlich. Eine neuerliche Auswertung der zugrunde liegenden Bestände wäre jedoch eventuell spannend. Vgl. Renkin , Lieselotte ( 2010 ) : Sprung Auf , Vorwärts , Hurrah. Das Studentenfreikorps. Eine Studie unter Berücksichtigung der schwierigen innenpolitischen , wirtschaftlichen und sozialen Situation der Ersten Republik , phil. Diss. , Wien. 57 Als Standardwerke zu den Freikorps anzusehen ist nach wie vor Waite , Robert G. L. 1952 : Vanguard of Nazism. The Free Corps Movement in postwar Germany 1918–1923 , Harvard. Die Perzeption der Freikorps und speziell den Einfluss des Nationalsozialismus darauf untersucht die gelungene Studie von Mathias Sprenger , vgl. ders. ( 2008 ) : Landsknechte auf dem Weg ins Dritte Reich ? Zu Genese und Wandel des Freikorpsmythos , Paderborn. Ansonsten hält sich die Erforschung der Freikorps allgemein in Grenzen und ist häufig durch Empathie und eine gewisse thematische Engführung gekennzeichnet. Als repräsentativ dürfen in diesem Zusammenhang die Arbeiten von Schulze und Koch gelten , vgl. Schulze , Hagen ( 1969 ) : Freikorps und Republik 1918–1920 , Boppard am Rhein ; desgl. Koch , Hannsjoachim W. ( 2002 ) : Der deutsche Bürgerkrieg. Eine Geschichte der deutschen und österreichischen Freikorps 1918–1923 , Dresden. Neue Informationen über Freikorps in Österreich , die Teilnahme von Österreichern an Freikorpsaktivitäten im Ausland und die Langzeitwirkungen der Freikorpserfahrung auf die österreichische Innenpolitik und hier speziell auf das bürgerliche Milieu findet man in der Literatur allenfalls in Fragmenten. Umso wichtiger wäre die Fortführung der raren Ansätze wie jenes Michael Gehlers , vgl. ders. ( 1988 ) : Studenten im Freikorps Oberland. Der „Sturmzug Tirol“ in Oberschlesien 1921. In : Tiroler Heimat Jg. 51 / 52 ( 1987 / 88 ), 129–152. 58 Inwieweit die Heimwehren in dieser Phase tatsächlich dazu übergingen , sich systematischer in soziale Auseinandersetzungen , speziell in Lohnkämpfe , einzuschalten und Streiks niederzuschlagen , wie Carsten schreibt ( ders. [ 1978 ] , 51 ) bedürfte noch einer eingehenderen Untersuchung. Fest steht , dass es mehrere solcher Interventionen in der Steiermark gab , vgl. Hinteregger , Robert ( 1978 ) : Die steirische Arbeiterschaft zwischen Monarchie und Faschismus. In : Botz , Gerhard / Hautmann , Hans / Konrad , Helmut / Weidenholzer , Josef ( Hg. ) : Bewegung und Klasse. Studien zur österreichischen Arbeitergeschichte , Linz , 269–296. Siehe auch FN 76 in diesem Beitrag.
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eng verflochtenen bürgerlichen Parteien. Sie bildeten gewissermaßen ein Sammelbecken für den radikalisierten Teil des Parteifußvolkes. Die Zerwürfnisse innerhalb der deutschen Rechten nach den gescheiterten Putschversuchen 1920 und 1923 hatten naturgemäß starke Auswirkungen auf die österreichische Entwicklung , deren Erforschung nach Bundesländern unterschiedlich weit gediehen ist.59 Im Sommer 1922 ließen die Österreicher die Bayern wissen , man sei „angesichts der Verhältnisse in Deutsch-Österreich [ … ] gezwungen , [ … das eigene ] Geschick selbst in die Hand zu nehmen. Es handelt sich zunächst um die Schaffung einer Brachialgewalt.“60 Hintergrund dessen war wohl vor allem die vor dem Abschluss stehende Genfer Sanierung. Im Abtausch gegen einen Kredit über 650 Millionen Goldkronen akzeptierte die österreichische Bundesregierung die vorübergehende Ausschaltung der Budgethoheit des Parlamentes und quasi diktatorische Vollmachten für einen durch den Völkerbund ernannten Kommissar. Es war offenkundig , dass mit dieser Anleihe seitens der Regierung auch das Ziel verfolgt wurde , unter Verweis auf externe Zwänge die sozialen Errungenschaften der Republik zurückzustutzen.61 Der mittlerweile zum Bundeskanzler aufgestiegene Ignaz Seipel62 hielt Widerstand seitens der Sozialdemokratie , etwa in Form von Streiks , für durchaus wahrscheinlich. Weil die Verlässlichkeit des Bundesheeres in Zweifel stand , sah der Bundeskanzler in den Heimwehren ein alternatives Machtmittel für diesen Konflikt.63 Allerdings waren sowohl 59 Während die Kärntner Heimwehr und die rechten Verbände in Wien bislang nur unzureichend untersucht wurden , ist etwa der niederösterreichische Landesverband durch mehrere Arbeiten gut erforscht , vgl. die zweibändige , detailreiche , aber leider recht unübersichtlich gegliederte und analytisch sowie methodisch begrenzte Dissertation von Schweiger , Franz ( 1964 ) : Die niederösterreichische Heimwehr von 1928 bis 1930. Mit besonderer Berücksichtigung des sogenannten Korneuburger Eids ( 18. Mai 1930 ), phil. Diss. , Wien ; desgl. Paumann , Bernhard ( 1971 ) : Die Tätigkeit der nieder österreichischen Heimwehr in ihren lokalen Organisationen ( 1918–1930 ), Hausarb. , Wien ; Hübner , Lieselotte ( 1976 ) : Julius Raab. Seine Tätigkeit in der niederösterreichischen Heimwehr , Hausarb. , Wien ; Klaus-Dieter Mulley hat die Vorgänge rund um den Korneuburger Eid in einem Aufsatz unterhaltsam dargestellt , vgl. ders. ( 2008 ) : „Volksbewegung“ oder „Prätorianergarde“ ? Die Heimwehr in Niederösterreich. In : Eminger , Stefan / L angthaler , Ernst / Melichar , Peter ( Hg. ) : Niederösterreich im 20. Jahrhundert. Bd. 1 : Politik , Wien / Köln / Weimar , 425–442. Lohnende Überblicke über die Anfänge in den genannten Ländern , die als Ausgangs- und Orientierungspunkt dienen könnten , finden sich bei Rape ( 1977 ), 185–210 und 223–227 , sowie bei Wiltschegg ( 1985 ), 166–171 und 113–126. 60 Zit. n. Nusser ( 1973 ), 229. 61 Vgl. Kernbauer , Hans / Weber , Fritz ( 1985 ) : Von der Inflation zur Depression. Österreichs Wirtschaft 1918–1934. In : Tálos , Emmerich / Neugebauer , Wolfgang ( Hg. ) : „Austrofaschismus“. Beiträge über Politik , Ökonomie und Kultur 1934–1938 , 3. , erw. Aufl. , Wien , 1–30 :8 f. 62 Ignaz Seipel verfügte über glänzende Kontakte zu den Milizen und hatte im Unterschied zu anderen Christlichsozialen keinerlei Skrupel , sie unbeschadet allfälliger ideologischer Differenzen für seine Ziele einzusetzen. So war Seipel bereits 1920 gemeinsam mit Leopold Kunschak in Wien um die dortigen – überwiegend deutschnationalen – Milizen bemüht gewesen , vgl. Rape ( 1977 ), 294. 63 Vgl. Staudinger , Anton ( 1979 ) : Christlichsoziale Partei und Heimwehren bis 1927. In : Neck , Rudolf / Wandruszka , Adam ( Hg. ) : Die Ereignisse des 15. Juli 1927. Protokoll des Symposiums in Wien am 15. Juni 1977 [ Veröffentlichungen der Wissenschaftlichen Kommission des Theodor-Körner-Stiftungsfonds und des Leopold-Kunschak-Preises zur Erforschung der österreichischen Geschichte der Jahre 1918 bis 1938 , Bd. 5 ] , Wien , 110–136 :124 ff.
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Seipel als auch die industriellen Finanziers der Heimwehren angesichts der fortgesetzten Streitigkeiten zwischen den unterschiedlichen Formationen und Formatiönchen in Sorge um die Schlagkraft der Truppe.64 Für weitere Geldflüsse wurde den Verbänden daher zur Auflage gemacht , sich zumindest auf Landesebene zu vereinheitlichen und sich enger an Parteien und Regierung anzulehnen.65 Der Plan , die verschiedenen Flügel durch finanziellen Druck unter ein Kommando zu zwingen , misslang letztlich. Allerdings wurde der Einfluss der Münchner Gruppierungen erfolgreich zurückgedrängt , wenn auch nicht beseitigt.66 Im Jahr 1923 hatten sich die Heimwehren im Großen und Ganzen in drei Strömungen zusammengefunden : Die an Bayern grenzenden Landesorganisationen Tirol , Salzburg , und Vorarlberg standen in Österreich ( i m Fall Salzburgs : vorerst67 ) in einem besonderen Naheverhältnis zur Christlichsozialen Partei und korrespondierten gemeinsam mit den oberösterreichischen und Kärntner Verbänden in München mit der Orgesch bzw. mit dem Bund Bayern und Reich. Informell hatten sich diese Gruppen im „Alpenklub“ zusammengeschlossen. Die Wehrverbände in Wien , Niederösterreich und der Steiermark waren stärker deutschnational geprägt und , das war der bedeutsamere Unterschied , ressortierten in München im Lager Ludendorffs. Den dritten Strang bildeten kleinere und radikalere Gruppierungen , etwa Korporierte und Offiziersverbände in der Bundeshauptstadt.68 Im April 1923 wählte immerhin der Alpenklub den Tiroler Christlichsozialen und Heimwehrführer Richard Steidle zum Bundesführer. Seipel beeindruckte das nicht sonderlich , er zog es vor , selektiv an einzelne Bundesländer auszuzahlen , besonders an die vom rabiaten Antisemiten Hermann [ von ] Hiltl geführte Wiener Frontkämpfervereinigung. Weil auch die Münchner Quellen versiegten , saßen die Heimwehren auf dem Trockenen.69 Die sich langsam stabilisierende Wirtschaftslage , die Verbesserung der sozialen Situation und der damit nachlassende Unmut der ärmeren Bevölkerungsteile ließ auch die bürgerliche Furcht vor „den Roten“ nachlassen. Entsprechend geringer war der Bedarf an einer militärischen Rückversicherung. 64 Zum doppelten Zahlungshindernis wurde zusätzlich ironischerweise der Antisemitismus. Wie Max Bauer an Waldemar Pabst schrieb , wollten die nationalen Industriellen nur noch an nationale Formationen zahlen und jüdische nichts mehr für hakenkreuzlerische Formationen geben. Nachsatz Bauer : „das [ hakenkreuzlerisch , Anm. ] sind nun eigentlich alle , und es ist ein ziemlich übles Delema [ sic ! ]“, zitiert nach Carsten ( 1978 ), 61 f. 65 Carsten ( 1978 ), 59. 66 Vgl. Rape ( 1977 ), 376–386 67 Von Beginn an stark waren in Salzburg deutschnationale Kräfte , bald dominierten sie die Organisation. Bislang gibt es zur Salzburger Landesorganisation nur eine Hausarb. , vgl. Uebelhoer , Ilse ( 1980 ) : Die Heimwehr in Salzburg 1918–1934 unter besonderer Berücksichtigung der Aufbaujahre , Neumarkt / Salzburg. 68 Carsten ( 1978 ), 62. Insbesondere der Wissensstand zu den stark fragmentierten , einander in dauernd wechselnden Koalitionen befehdenden rechten Verbänden in Wien ist gering. 69 Vgl. Carsten ( 1978 ), 59 f. Die von Seipel zurückgehaltenen Industriellenmittel waren freilich nicht die einzigen Zuwendungen an die Heimwehr. In mehreren Bundesländern genossen sie nach wie vor die Unterstützung durch lokale Eliten , keineswegs nur in Tirol und Vorarlberg , sondern etwa auch in Kärnten , vgl. Edmondson ( 1966 ), 16 f.
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Die durchaus nicht günstigen äußeren Umstände hinderten die Führung der Heimwehren aber nicht , zusehends ambitionierte Pläne zu schmieden : Bereits 1924 war die Übernahme der Macht im Staat das erklärte Ziel Steidles und seines Stabschefs , „Waldemar des Großen“, Pabst.70 Mochte solches Schwelgen immerhin die Herren bei Laune halten , war es für die Gesamtorganisation sicherlich zu wenig. Entsprechend traurig sah die Verbandsrealität aus. Das Einzige , was die Heimwehren bis 1927 einigermaßen zusammenzuhalten vermocht habe , seien die regelmäßigen Zusammenstöße mit der Linken gewesen , bemerkte Vinzenz Schumy später.71 Die vitalsten Landesverbände blieben bundesweit die Steiermark und Tirol , von wo ab 1926 auch wieder die ersten Reanimationsversuche für die Bundesorganisation ausgingen.72 1.2 Die „Zäsur“ 1926 /27 Als einer von zwei entscheidenden Impulsen , die zum Wiederaufleben der Heimwehren beitrugen , wird in der Geschichtsschreibung häufig die Verabschiedung des Linzer Programms der Sozialdemokratie 1926 beschrieben. Tatsächlich war die Außendarstellung der Heimwehren nahezu hysterisch und nach Kräften bemüht , eine Passage , die tatsächlich der Festschreibung einer strikt defensiven Strategie dienen sollte , in die Ankündigung einer Rätediktatur umzudeuten. Wie eine Aufstellung Paumanns über die Gründung von Orts- und Bezirksgruppen der niederösterreichischen Heimwehr zeigt , mag die Propaganda wichtig gewesen sein , um ein bestimmtes Klima zu schaffen , das wiederum die spätere Entwicklung begünstigte. Zunächst waren ihre unmittelbaren praktischen Auswirkungen aber überschaubar : Von Jänner 1926 bis Juli 1927 entstanden ganze zehn neue Ortsgruppen.73 Dennoch datiert die Wende zum latenten Bürgerkrieg , die meist im Zusammenhang mit dem Justizpalastbrand gesehen wird , in Wirklichkeit ins Jahr 1926. Ihren Kern bildet die neuerliche Übernahme der Kanzlerschaft durch den Hardliner Ignaz Seipel. Der Justizpalastbrand im Juli 1927 war aber sicher in mehrfacher Weise ein bedeutsames Ereignis. Die Wiener Ereignisse des 15. und 16. Juli lösten starke Beunruhigung im bürgerlichen Milieu aus , die durch die Propaganda der Rechtsparteien weiter geschürt wurde , indem vor allem die Loyalität des Bundesheeres in Zweifel gezogen wurde.74 Der Appell zur bürgerlichen „Selbsthilfe“ zeigte Wirkung. Alleine in Niederösterreich entstanden bis Jahresende 1927 fast zweihundert neue Heimwehrgruppen.75 Zugleich riefen sich die ehemaligen Großsponsoren plötzlich wieder ihre Liebe fürs Vaterland ins Gedächtnis und öffneten dessen selbst ernannten Rettern Herzen und Kassen gleichermaßen. 70 Vgl. Emdondson ( 1966 ), 30 f. 71 Vgl. ebenda , 34. 72 Zur Geschichte der relativ gut erforschten Tiroler Heimwehr siehe Lösch , Verena ( 1986 ) : Die Geschichte der Tiroler Heimatwehr von ihren Anfängen bis um Korneuburger Eid ( 1920–1930 ), phil. Diss. , Innsbruck ; desgl. Wolf , Michael ( 2002 ) : Die Entstehung der Tiroler Heimatwehr unter besonderer Berücksichtigung der gesamtösterreichischen politischen Lage , Dipl.-Arb. , Wien und Rebitsch ( 2009 ). 73 Paumann , Bernhard ( 1971 ) : Die Tätigkeit der niederösterreichischen Heimwehr in ihren lokalen Organisationen ( 1918–1930 ), Hausarb. , Wien , Anhang , 7. 74 Vgl. Pauley ( 1972 ), 51. 75 Vgl. Paumann ( 1971 ), Anhang , 7–11.
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Die Folgen des Justizpalastbrands waren für die rechten Wehrverbände also über die Maßen erfreulich. Durch den starken Zustrom neuer Mitglieder konnten die bestehenden Strukturen rasant ausgebaut werden.76 Waren die Heimwehren bis dahin nur in den Alpenländern gut organisiert gewesen , gelang es nun auch , weiter in den Osten und vor allem auch in Industriereviere zu expandieren. Zugleich schien die organisatorische Straffung endlich Form anzunehmen. Auf Steidles Betreiben wurde im Oktober 1927 ein Dachverband gegründet , der „Bund der österreichischen Selbstschutzverbände“.77 Eine wesentliche Konsequenz des Juli 1927 war außerdem , dass man im Ausland wieder auf die Wehrverbände aufmerksam wurde. Namentlich in Ungarn , das sich 1927 mit Italien verbündet hatte , um ein Gegengewicht zur Kleinen Entente zu bilden. Österreich war für beide Bündnispartner geostrategisch als Brücke zueinander interessant. Gleichzeitig waren weder Italien noch Ungarn an einem Anschluss Österreichs an Deutschland und damit einer klaren deutschen Hegemonie im Donauraum interessiert.78 Im April 1928 thematisierte der ungarische Ministerpräsident Bethlen bei einem Besuch in Mailand gegenüber den Italienern erstmals die Möglichkeit , in Österreich mithilfe der straff reorganisierten , zentral gelenkten Heimwehren eine Diktatur zu errichten. Nach seinem , Bethlens , Dafürhalten seien dafür nichts weiter als 300.000 Schilling und ausreichend Waffen notwendig.79 Mussolini zeigte sich unter zwei Bedingungen aufgeschlossen : dass die Heimwehren sich erstens selbst ausdrücklich verpflichteten , in absehbarer Zeit im Sinne der Vereinbarung aktiv zu werden , und zweitens nach erfolgter Machtübernahme das Thema Südtirol nicht mehr angreifen würden.80 Steidle gab die gewünschten Erklärungen umgehend ab. Ab 1927 begannen die Heimwehren wieder damit , ihre deutschen Netzwerke etwas sorgfältiger zu pflegen. Ihre Interessen jenseits der Grenzen galten nun zunehmend Berlin statt München , oder : der Deutschnationalen Volkspartei des Magnaten Alfred Hugenberg statt dem vergleichsweise klammen Escherich. Zugleich ging es hier nicht nur um Geld. Innerhalb der Heimwehren befürchtete man offenbar , im Falle eines Bürgerkrieges in Österreich würde das Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold womöglich zugunsten der Sozialdemokratie eingrei76 Dieser Strukturaufbau umfasste auch Arbeiterinteressenorganisationen. Anders als die deutsche ( aber ähnlich wie die österreichische ) NSDAP gründeten die Heimwehren eigene Gewerkschaften. Massiv unterstützt wurden sie dabei von gewogenen Unternehmern , allen voran vom größten Indus triebetrieb der Republik , der Alpine Montan , wie Barbara Schleicher in ihrer ausgezeichneten Arbeit gezeigt hat , vgl. dies. ( 1999 ) : Heisses Eisen. Zur Unternehmenspolitik der Österreichisch-Alpine Montangesellschaft in den Jahren 1918–1933 , Frankfurt / Main u. a. , bes. 315–365. In begrenztem Maß erfolgreich waren Gründungen von Heimwehrgewerkschaften auch in mehreren kommunalen Betrieben , besonders in den Bereichen Verkehr , Post und Bundesbahn , Arbeiten dazu fehlen aber bis dato. 77 Vgl. Wiltschegg ( 1985 ), 42. Als Heimwehren werden ab diesem Zeitpunkt nur noch jene Formationen bezeichnet , die dem österreichischen Dachverband angehörten. 78 Die Bedeutung des internationalen Kontextes für die österreichischen Entwicklungen wird durchaus kontroversiell beurteilt , vgl. dazu die Beiträge von Dieter A. Binder und Helmut Wohnout in diesem Band , siehe zudem die Kritik Lauridsens ( 2007 ), 431 f. 79 Vgl. Kerekes , Lajos ( 1966 ) : Abenddämmerung einer Demokratie. Mussolini , Gömbös und die Heimwehr , Wien , 9 ff. 80 Das Thema Südtirol war zwar in deutschnationalen Kreisen emotional hoch aufgeladen , gleichzeitig gingen sowohl Nationalsozialisten wie auch Deutschnationale und Katholisch-Bürgerliche mit der Frage völlig pragmatisch um : Rom hatte schlicht mehr zu bieten als Bozen und Meran.
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fen.81 Für diesen Fall wollte man durch ein Abkommen mit dem Stahlhelm entsprechende Vorkehrungen treffen. Die Deutschen nützten dabei ihrerseits die Gelegenheit und baten , Steidle möge ihnen behilflich sein , mit den Italienern ins Gespräch zu kommen.82 In Ansätzen wurde hier also die weiße Koalition aus dem Jahr 1920 wiederbelebt. Die Industrie hatte ihre Zahlungen an die Heimwehren 1922 davon abhängig gemacht , ob es diesen gelänge , sich organisatorisch zu konsolidieren , sich nicht ständig in den Haaren zu liegen und sich ansonsten einigermaßen gesittet zu benehmen. Bereits an diesen keineswegs ambitionierten Vorgaben waren die Heimwehren damals kläglich gescheitert. Ihre neuen Freunde in Budapest und Rom verlangten 1928 , nicht nur dass es gelänge , binnen kürzester Zeit eine einheitliche , schlagkräftige Organisation aufzubauen , sondern auch dass diese umgehend in Aktion träte. Wir wissen nicht , ob Steidle tatsächlich glaubte , seinem bundesweiten Machtanspruch mithilfe der ungarisch-italienischen Zuwendungen zum Durchbruch verhelfen zu können , oder ob er einfach va banque spielte , alles oder nichts. Wenig überraschend war jedenfalls das Ergebnis : Er verlor. Obwohl im Herbst 1927 offiziell zum „Bundesführer“ aufgestiegen , hielten sich seine Kompetenzen als solcher in ebenso engen Grenzen wie die Loyalität der Landesführungen. Immerhin gelang es , sich vorläufig auf eine gemeinsame Strategie zu verständigen , die darin bestehen sollte , die Sozialdemokratie nach Möglichkeit so zu provozieren , dass sie schließlich entweder von sich aus handeln würde oder sich Teile ihrer Basis verselbstständigten und den ersehnten Vorwand zum Losschlagen liefern würden. In einer solchen Auseinandersetzung , so das Kalkül , würde keine bürgerliche Regierung neutral bleiben können und jedenfalls Bundesheer und Polizei gegen die Sozialdemokratie in die Schlacht werfen. Im Zuge einer solchen militärischen Konfrontation sollte dann die Macht im Staat auf ein Kuratorium übergehen , dem neben Heimwehrführern auch Johann Schober angehören sollte. Der Wiener Polizeipräsident war in die Pläne offenkundig eingeweiht und einverstanden.83 Die Heimwehren begannen also mit einer Aufmarschtätigkeit in Permanenz , vorzugsweise in roten Hochburgen in Industrieregionen. Wie ungarische Beobachter nach Budapest meldeten , geschah dies mit Rückendeckung , zum Teil auch aktiver Unterstützung der Staatsmacht.84 Einen ersten Höhepunkt erreichten diese Aktivitäten am 7. Oktober 1928 , als die Heimwehren in Wiener Neustadt aufmarschierten. Im Vorfeld hatten zahlreiche Beobachter den Ausbruch eines Bürgerkrieges für unausweichlich gehalten , das Ereignis schlug wochenlang ungeheure Wellen. In der Folge wurde auch Hitler auf die Heimwehren aufmerksam. Er setzte sich ausführlicher mit ihrer Strategie und Tak81 Die Furcht vor den internationalen Kontakten der Sozialdemokratie war auch in Ungarn verbreitet , so existierte laut dem ungarischen Generalstab 1928 eine Abmachung zwischen der SDAPÖ und ihrer tschechoslowakischen Schwesternpartei , sich im Konfliktfall gegenseitig zu unterstützen , vgl. Kerekes ( 1966 ), 25 , FN 27. Dass es tatsächlich zumindest Verhandlungen in diese Richtung gegeben hat , bestätigt etwa Haas ( 1967 ), 189. Gesichert ist eine Kooperation beim Aufbau der Selbstschutzformation der deutschsprachigen Sozialdemokratie , an der österreichische Funktionäre mitwirkten , vgl. Vlcek ( 1971 ), 122 f. 82 Vgl. Kerekes ( 1966 ), 32 f. 83 Vgl. Kerekes ( 1966 ), 17 f. 84 Vgl. Kerekes ( 1966 ), 24 ff.
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tik auseinander und versuchte , Schlüsse für die Aktivitäten der NSDAP in Deutschland abzuleiten.85 Entgegen den Erwartungen verlief der Tag aber ruhig und der Plan der Heimwehren ging auch später nicht auf. Die Sozialdemokratie blieb selbst dann noch defensiv , als man im August 1929 eine ihrer Kundgebungen unter MG-Feuer nahm.86 Nach der ersten Enttäuschung verlangten die Italiener schriftliche Garantien. Zu diesem Zeitpunkt waren die Heimwehrführer optimistisch , den allzu laxen Bundeskanzler Ernst Streeruwitz in Kürze stürzen und durch Johann Schober ersetzen zu können.87 Schober wurde im bürgerlichen Lager allgemein als Repräsentant eines autoritären Kurses betrachtet , in den neben den Heimwehren auch Teile des Episkopats ihre Hoffnungen setzten.88 Er sollte endlich jene autoritäre Verfassungsreform auf den Weg bringen , an die sich zuvor weder Seipel noch Streeruwitz herangewagt hatten. Entweder also die Sozialdemokratie fügte sich einem ( zunächst ) rein juristischen Staatsstreich oder sie leistete Widerstand , dann aber müsste man ihr nicht alleine gegenübertreten , sondern mit der gesamten staatlichen Macht. In beiden Fällen konnten die Heimwehren den Italienern getrost geben , was sie verlangten. Steidle erklärte also im August 1929 , man würde spätestens im ersten Halbjahr 1930 „die entscheidende Aktion zur Änderung der österreichischen Staatsverfassung“ starten.89 Zunächst schien tatsächlich alles nach Plan zu verlaufen. Bereits Ende September 1929 hatte Streeruwitz entnervt demissioniert. An seine Stelle trat auch wirklich Schober. Allein , der hatte damit , was er wollte : das Amt des Bundeskanzlers und die Sozialdemokratie in einer Position , in der sie eine autoritäre Novelle der Verfassung zu akzeptieren bereit war. Solange die Interessen des Beamtenapparates als über den Parteien stehender „eigentlicher Staat“ gewahrt blieben , war ein darüber hinausgehender Putsch überflüssig.90 Die schließlich vereinbarte Verfassungsnovelle trug zwar deutlich autoritärere Züge als das in Geltung befindliche Grundgesetz und bot ( was die Sozialdemokratie gefliessentlich verschwieg91 ) durchaus Handhabe für einen künftigen Staatsstreich. Aber auch nach der Reform war die Verfassung weit von dem Ständestaat ent85 Vgl. Lankheit , Klaus A. ( 1999 ) : „Für uns Nationalsozialisten muß das eine warnende Lehre sein.“ Hitler , Legalität und österreichische Heimwehr 1928–31 , In : Zeitgeschichte , Jg. 26 , 5 / 1999 , 317–338. 86 Beim Zusammenstoß im steirischen St. Lorenzen wurden am 18. August 1929 durch das Feuer der Heimwehr drei Sozialdemokraten getötet und insgesamt zwischen achtzig und zweihundert Personen verletzt. Vgl. Pauley ( 1972 ) 57 f. , Gulick ( 1948 ), Bd. III , 87–93 ff. 87 Streeruwitz selbst interpretierte St. Lorenzen wohl zu Recht als Versuch , seine Regierungsarbeit zu sabotieren und ihn zu stürzen , vgl. ders. ( 1937 ), 414 f. 88 So etwa Ferdinand Pawlikowsky , Bischof von Seckau , der Schober später anbot , ihn für einen Staatsstreich von seinem Eid zu entbinden , vgl. Langoth , Franz 1951 : Kampf um Österreich. Erinnerungen eines Politikers , Wels , S. 82 ; Pawlikowskis Initiative erwähnt allerdings nicht nur der Nationalsozialist Langoth , per se eine begrenzt verlässliche Quelle , sondern auch G. E. R. Gedye , vgl. ders. ( 1947 ) : Die Bastionen fielen. Wie der Faschismus Wien und Prag überrannte , 40. 89 Kerekes ( 1966 ), 41. 90 Vgl. Winkler , Elisabeth ( 1983 ) : Die Polizei als Instrument in der Etablierungsphase der austrofaschistischen Diktatur ( 1932–1934 ) mit besonderer Berücksichtigung der Wiener Polizei , phil. Diss. , Wien , 208. 91 Otto Bauer sprach von der „Marneschlacht für den österreichischen Faschismus“, vgl. Arbeiterzeitung vom 12. Dezember 1929 , 1 f.
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fernt , den die Heimwehren gefordert und wie ihn Steidle den Ungarn und Italienern versprochen hatte.92 Die Heimwehren waren jedoch nicht imstande , auf diese Niederlage rasch und entschieden zu reagieren. Grund dafür waren neuerliche heftige interne Auseinandersetzungen , vornehmlich zwischen Steidle und Pfrimer , die sich seit 1928 die Bundesführung teilten. Ein deutscher Bericht sah innerhalb der Heimwehren Ende 1929 drei unterschiedliche Fraktionen am Werk : Gemäßigte wie den niederösterreichischen Landesführer Raab , die mit der Verfassungsreform zufrieden waren ; eine zentristische Fraktion unter Steidle , die weiter Druck auf die bürgerlichen Parteien machen wollte ; und Radikale wie Pfrimer , die einen militärischen Umsturz präferierten.93 Ungeachtet aller Querelen waren Personalstand und Bewaffnung der Heimwehren zu diesem Zeitpunkt durchaus beachtlich. Wiltschegg schätzt die Angehörigen der militärischen Heimwehr-Abteilungen94 in den Blütejahren 1928 bis 1930 auf etwa 120.000 Mann.95 Beurteilungen des Bundesheeres Anfang des Jahres 1934 veranschlagten ihre Stärke trotz des organisatorischen Niedergangs immerhin noch auf 25.000 bis 30.000 Mann.96 Die Angaben zur Bewaffnung sind in der Literatur höchst unterschiedlich , fest steht aber , dass die Heimwehren nicht nur über leichte und schwere Infanteriewaffen verfügten , sondern auch über Artillerie und Luftaufklärung.97 Ihr militärisches Potenzial , resümiert Lauridsen , habe jedenfalls gereicht , die Sozialdemokratie gemeinsam mit den staatlichen Gewaltapparaten niederzuwerfen. Ein Putsch aus eigener Kraft sei demgegenüber nie ein realistisches Szenario gewesen.98 Sozialdemokratische Fachleute teilten diese Einschätzung im Wesentlichen.99 Auch die militärischen Überlegungen , die von Bundesheer und Exekutive seit 1927 /28 angestellt wurden , zeigen deutlich , dass man 92 Zur Geschichte der Verfassungsreform von 1929 vgl. Berchtold , Klaus ( 1998 ) : Verfassungsgeschichte der Republik Österreich. 1918–1933. Fünfzehn Jahre Verfassungskampf , Wien / New York , bes. 489– 572. 93 Vgl. Carsten ( 1978 ), 122. 94 Neben den militärischen bestanden auch noch zivile Formationen , in denen organisiert zu sein der eher passiven Mitgliedschaft in einer bürgerlichen Partei entsprochen haben dürfte , detailliertere Forschungen hiezu stehen aus. 95 Vgl. Wiltschegg ( 1985 ), 292. 96 Vgl. ebenda , 292 f. Lauridsen weist allerdings einerseits darauf hin , dass Schätzungen des militärischen Potenzials ja nicht pauschal alle bewaffneten oder mobilisierbaren Männer summieren dürften , sondern auch deren vordefinierte Verwendung im Rahmen des Orts- , Bezirks- und Landesschutzes berücksichtigen müssten. Tatsächlich mobil und umfassend einsetzbar sei nur der Landesschutz gewesen , der wiederum über 25.000 bis 30.000 Mann nicht hinausgekommen sei , gl. Lauridsen ( 2007 ), 142 f. 97 Steinböck beziffert das Waffenarsenal mit Anfang 1933 auf 58.000 Gewehre , 560 MG , 18 schwere Minenwerfer und 21 Gebirgshaubitzen , vgl. Steinböck , Erwin 1988 : Österreichs militärisches Potenzial im März 1938 , München , 41 f. 98 Vgl. Lauridsen ( 2007 ), 144. 99 So hielt Körner noch Ende 1931 , also nach der erfolgten massiven Aufrüstung der Heimwehren , intern fest , „militärtechnisch ist das ganze Gerede von dem Marsch nach Wien einfach ein Unsinn und eine Kinderei , die nicht ernst genommen werden sollte. Man lasse die Heimwehr von Steiermark den Marsch nach Wien antreten. [ … ] Solche innerlich nicht gefestigten Heimwehrhaufen lösen sich doch von selbst auf , wenn Geld , Verpflegung , Transport , Unterkunft und dergleichen nicht stimmen. [ … ] beim Marsch auf Wien [ … werden ] so viele Hindernisse ganz von selbst entstehen , dass das ganze Unternehmen in sich selbst zusammenfallen muss.“ Zitiert nach Vlcek ( 1971 ), 282.
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den Heimwehren nicht zutraute , es mit der Arbeiterbewegung alleine aufzunehmen. Ihnen , so das Kalkül Schobers und Vaugoins , würde gegebenenfalls die Rolle von Agents provocateurs zukommen , in den bewaffneten Auseinandersetzungen hätten sie aber wohl nur flankierende Funktion , während die Hauptlast der Kämpfe durch die staatlichen Truppen zu tragen wäre.100 Durch die unübersichtlichen Organisationsstrukturen der Heimwehren war eine realistische Einschätzung ihrer militärischen Bedeutung schon für Zeitgenossen wie Carl Vaugoin „auch nicht annähernd feststellbar“101 , die militärische Ausbildung der Heimwehren hielt der Heeresminister jedenfalls für „äußerst fragwürdig“ und äußerte im September 1933 gegenüber einer Schutzbunddelegation : „Ich kommandiere Soldaten und der Herr Fey Banden.“102 Allgemein waren Waffen aber sicher nicht das Hauptproblem der Heimwehren , sondern ihre innere Zerrissenheit. Steidle versuchte , die internen Differenzen durch ein gemeinsames Programm beizulegen , das schließlich am 18. Mai 1930 in Korneuburg verabschiedet wurde und auf das alle Führer vereidigt werden sollten. Sowohl die Veranstaltung selbst als auch ihre politischen Folgen waren von allerhand Kuriositäten begleitet.103 Von einem ideologiekritischen Standpunkt betrachtet war der Eid so vage und widersprüchlich wie die gesamte „Theorie“-Produktion der Heimwehren. Aufgrund der starken organisatorischen und ideellen Fragmentierung ist eine Auseinandersetzung mit der Ideologie der Heimwehren schwierig. Wie bereits angemerkt wurde , darf die praktische Bedeutung ideologischer Dispositionen für die Heimwehren allgemein als vernachlässigbar gelten. Am erfolgversprechendsten scheint es , ihre Inhalte grundsätzlich als Verdichtung und Radikalisierung von Ideologemen zu begreifen , die im bürgerlichen Milieu bereits fest verankert waren. In der Literatur bereits beschrieben sind romantisch-antimodernistische , korporatistische und katholische Einflüsse.104 Oft erwähnt , aber nicht systematischer untersucht sind dagegen völkische Einflüsse. Sicherlich spielte auch die Zuspitzungen liberaler Vorstellungen eine bedeutsame Rolle.105 Organisatorisch verfehlte das Korneuburger Treffen seinen Zweck , die unterschied lichen Landesverbände zu einen , vollständig. Aufschlussreich war allenfalls die Reaktion der bürgerlichen Parteien. Während Großdeutsche und Landbund die Ableistung des Korneuburger Eids scharf ablehnten , stellten die Christlichsozialen ihren Abgeordneten Nämliches auf Druck des rechten Wiener Flügels frei. 100 Vgl. Hetfleisch , Gerhard ( 1990 ) : Schoberpolizei und Balkanbolschewiken. Beiträge zur Geschichte der Polizei der Ersten Republik und zur politischen Emigration aus Südosteuropa nach Österreich 1919–1934 , phil. Diss. , Innsbruck , 80 f. 101 Staudinger , Anton 1971 : Bemühungen Carl Vaugoins um Suprematie der Christlichsozialen Partei in Österreich ( 1930–33 ) [ M itteilungen des Österreichischen Staatsarchivs , Bd. 23 ] , Wien , 366. 102 Pertinax [ O tto Leichter ] : Österreich 1934. Die Geschichte einer Konterrevolution , Zürich , 119. 103 Vgl. Mulley ( 2008 ). 104 Vgl. Siegfried , Klaus-Jörg ( 1974 ) : Universalismus und Faschismus. Das Gesellschaftsbild Othmar Spanns , Wien. 105 Das zumindest legen diverse Beiträge in der von den Heimwehren herausgegebenen Halbmonatszeitschrift „Die Wirtschaftspolitik“ nahe. Siehe außerdem Pircher , Gerhard ( 1985 ) : Wirtschaftspolitische Vorstellungen der österreichischen Heimwehrbewegung , Dipl.-Arb. , Wien ; desgl. Klausinger , Hansjörg ( 2005 ) : Von Mises zu Morgenstern. Der Austroliberalismus und der „Ständestaat“. In : Zeitgeschichte Jg. 32 ( 2005 ), Heft 5 , 323–335
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Als die Heimwehren sich nach diesem Fehlschlag wieder ihrer neuen politischen Leidenschaft zuwandten , der Demontage des amtierenden Bundeskanzlers , hatten sie die Rechnung ohne den Wirt gemacht. Schober ging nun nämlich seinerseits in die Offensive und betrieb aktiv die Ablöse der HW-Bundesspitze um Steidle und Pabst. Letzten ließ er als Ausländer kurzerhand ausweisen , zudem erreichte er eine Drosselung der finanziellen Zuwendungen.106 Als Vehikel zur politischen Eliminierung Steidles bediente er sich dessen ehrgeizigen Protegés , Ernst Rüdiger Starhemberg. Der junge Aristokrat war einer der reichsten Großgrundbesitzer des Landes , unterhielt aus eigenen Mitteln eine ansehnliche Privatarmee , die Jäger-Bataillone107 , und hatte sich erst 1929 mithilfe Steidles und mehrerer Bezirksführer gegen den Willen der Christlichsozialen Landespartei zum oberösterreichischen Heimwehrführer aufgeschwungen.108 Als solcher wandte er sich nun mithilfe Schobers , der Christlichsozialen Partei und der Industriellenvereinigung gegen seinen einstigen Verbündeten und stieg zum Bundesführer auf. In dieser Funktion entfaltete Starhemberg eine rege Aktivität , die ihn nach Schobers Demissionierung im Herbst 1930 ins Kurzzeit-Kabinett Vaugoins trug. Die Ministerwürden förderten zweifellos Starhembergs ohnehin reichlich vorhandenes Selbstvertrauen weiter , machten ihn aber keineswegs zu einem loyaleren Verbündeten. Im Gegenteil war Starhemberg bemüht , die Heimwehren stärker von den Christlichsozialen zu emanzipieren und ihren eigenständigen Charakter zu stärken. Das Ergebnis war eine eigenständige Kandidatur von Teilen der Heimwehren bei den Nationalratswahlen im November 1930. Bereits die Vorbereitungen der Wahl offenbarten die ganze Fragilität der Wehrverbände : Die niederösterreichischen Formationen lehnten eine eigenständige Kandidatur mehrheitlich ab , ihr Führer Julius Raab kan106 Vgl. Kondert , Reinhart ( 1975 ) : Schober und die Heimwehr. Der Niedergang des Austrofaschismus 1929–1930 , In : Zeitgeschichte Jg. 3 ( 1975 / 76 ), Heft 6 , 163–175. 107 Starhemberg erarbeitete im Exil ab 1938 mehrere Versionen seiner Memoiren , die 1942 erstmals in New York erschienen und später von seinem Sohn Heinrich gemeinsam mit einem ehemaligen Kameraden aus den Studentenfreikorps und Führer der Heimwehr-Studentenschaft , dem nachmaligen Unterrichtsminister Heinrich Drimmel , 1971 neu aufgelegt wurden. Die unterschiedlichen Versionen samt Konzepten und Schriftverkehr befinden sich im Oberösterreichischen Landesarchiv , teilweise auch im Institut für Zeitgeschichte Wien. Eine kritische Edition wäre ein durchaus spannendes Projekt , zumal die bisherige Biografik im Fall Starhemberg vielfach unkritisch seine Perspektive übernimmt oder überhaupt ins Hagiografische abgleitet , vgl. Britz , Werner ( 1993 ) : Die Rolle des Fürsten Ernst Rüdiger Starhemberg bei der Verteidigung der österreichischen Unabhängigkeit gegen das Dritte Reich 1933–1936 , Frankfurt / Main u. a. , desgl. Walterskirchen , Gudula ( 2002 ) : Starhemberg oder die Spuren der „30er Jahre“, Wien. Die stark auf Sekundärquellen gestützte und um zeitgenössische Presseartikel ergänzte Arbeit von Ursula Mayer widmet sich kaum der Person , sondern vor allem organisationsgeschichtlichen Aspekten , vgl. dies. ( 1977 ) : Starhemberg und die oberösterreichische Heimwehr , Hausarb. , Salzburg. 108 Der prominenteste unter den lokalen Unterstützern Starhembergs war Friedrich Mayer , seit 1921 oberösterreichischer Landes- , später Bundesstabsleiter. Durch einen archivarischen Glücksfall wurde sein Nachlass , der Unterlagen der oberösterreichischen Landesstabsleitung aus den Jahren 1919 bis 1933 enthält , in jüngerer Zeit entdeckt und durch den Archivar des Traditionsregiments „k. k. Landwehrinfanterieregiment Linz Nr. 2 ( L IR 2 )“, Andreas Danner , angekauft. Danner stellte den gesamten Bestand als Digitalisat dem Oberösterreichischen Landesarchiv zur Verfügung , wo er öffentlich zugänglich ist und einer Bearbeitung harrt.
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didierte auf der Liste der Christlichsozialen. Starhemberg verhandelte mit der N SDAP über eine gemeinsame Kandidatur , weil die aber Parität auf der Kandidatenliste verlangte , scheiterte die Einigung schließlich. Am Ende fuhr der „Heimatblock“ eine veritable Niederlage ein.109 Organisatorisch krachte es nun aber an allen Ecken und Enden. Infolge der Streitereien um eine eigenständige Kandidatur spalteten sich die nieder österreichischen Heimwehren , der Flügel um Raab trat aus dem gesamtösterreichischen Verband aus. Ihm folgten die Formationen Feys in Wien und Vas’ im Burgenland.110 Während sich die völkischen Formationen im Süden sukzessive der NSDAP zuwandten , versuchten die Christlichsozialen , zumindest ihnen traditionell nahestehende Landesorganisationen wieder enger an sich zu binden , allen voran Tirol und Niederösterreich. Auch dort trieben sie damit aber Teile der völkischen Basis in die Arme der NSDAP. Angesichts des desolaten Zustands der Heimwehren stellten in- und ausländische Förderer ihre Zahlungen neuerlich ein. Die Christlichsoziale Partei hoffte offenkundig , dies könne dazu beitragen , Starhemberg loszuwerden.111 Tatsächlich blieb der zwar formal Bundesführer , zog sich aber im Mai 1931 nach Oberösterreich zurück und überließ vorübergehend seinem Stellvertreter Pfrimer das Feld. 1.3 Putschversuche und Staatsstreich Der neue geschäftsführende Bundesführer war ein eingeschworener Faschist und fürchtete das tatsächliche Zustandekommen einer großen Koalition. Zudem sah sich speziell Pfrimers völkische Richtung innerhalb der Heimwehren mit zunehmender Konkurrenz durch die NSDAP konfrontiert und hatte daher starkes Interesse , die eigene Handlungsfähigkeit unter Beweis zu stellen. Pfrimer machte sich daher umgehend an die Planung eines Umsturzes , der im September 1931 tatsächlich in die Tat umgesetzt wurde , über die Steiermark aber nie hinauskam.112 Keine der anderen HW-Landesorganisationen beteiligte sich , ebenso wenig die NSDAP , was das ansonsten herzliche Verhältnis kurzfristig etwas trübte. Allerdings machte auch Pfrimer selbst als völkischer Umstürzler keine sonderlich gute Figur.113 Trotz der dilettantischen Durchführung musste der Pfrimerputsch für die Linke ein Alarmzeichen sein. Während bis an die Zähne bewaffnete Milizionäre in der Steiermark Ortschaften und Ämter besetzten , politische Gegner arretierten und Schutzbündler bei Kapfenberg in ein Feuergefecht mit zwei Toten verwickelten , tat die Bundesregierung zunächst – nichts. Erst auf massives Drängen der Sozialdemo109 Zu seiner Rolle dort vgl. Nimmvervoll Eduard ( 1993 ) : Der Heimatblock im Nationalrat der Ers ten Österreichischen Republik. Der Heimatblock als ein Ausdruck der Heimwehren bezüglich ihrer Intentionen nach faschistischer Umgestaltung des parlamentarisch-demokratischen Systems der Ers ten Republik , Dipl.-Arb. , Wien. 110 Vgl. Pauley ( 1972 ), 84 f. 111 Vgl. Carsten ( 1978 ), 170 f. 112 Vgl. Hofmann , Josef ( 1965 ) : Der Pfrimer-Putsch. Der steirische Heimwehrprozeß des Jahres 1931 , Wien / Graz. Siehe auch : Höbelt , Lothar : „Herbstmanöver“. Der Pfrimerputsch 1931 und seine Auswirkungen auf Oberösterreich [ erscheint in der Reihe des Oberösterreichischen Landesarchivs zur Geschichte Oberösterreichs 1918–1938 ab 2014 , ich danke dem Autor für die Zurverfügungstellung des Manuskriptes ]. 113 Edmondson ( 1966 ), 240.
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kratie , Vizekanzler Schobers und des Landbund-Innenministers Franz Winkler wurde schließlich das Bundesheer mobilisiert. Aber auch dann ging das Einrücken der Bundesheerabteilungen in die aufständischen Gebiete mit äußerster Langsamkeit vor sich. Offenkundig war man darauf bedacht , den Heimwehreinheiten ausreichend Gelegenheit zum Rückzug zu geben und ihnen ihre Waffen mehrheitlich belassen zu können.114 Die Anführer der Putschisten flüchteten kurzzeitig ins Ausland , kehrten aber bald zurück , angeblich auf Anraten Seipels.115 Sie wurden dann zwar vor Gericht gestellt , dieses sprach sie aber unter dem Jubel ihrer Anhänger frei. Für den Fall einer Verurteilung hatte die Regierung Buresch allerdings bereits eine Amnestie erwogen.116 Trotz des für die Heimwehren glimpflichen Ausganges war die Niederlage nicht zu übersehen , was die internen Konflikte naturgemäß weiter verschärfte und eine verstärkte Hinwendung mehrerer Formationen zur erstarkenden N SDAP beförderte. Im Sommer 1932 forderten die Steirer Starhembergs Rücktritt , angeblich schlossen sich diesem Wunsch 172 Führer im ganzen Land an.117 Mit italienischer Unterstützung konnte sich Starhemberg jedoch halten , woraufhin Pfrimer den Titel des „Ehrenführers der Heimwehr“, den man ihm nach seinem Prozess im Dezember 1931 verliehen hatte , am 8. Mai 1932 zurücklegte und aus der Organisation austrat. Er übernahm stattdessen die Führung des „Deutschen Heimatschutzes“, die steirischen Heimwehren waren damit ins NS-Lager übergewechselt.118 Im Mai 1932 hatte Engelbert Dollfuß das Bundeskanzleramt übernommen. Nach den vorangegangenen christlichsozialen Wahlniederlagen bestand sein Ziel nun darin , einen Urnengang auf Bundesebene zu verhindern , weil damit mutmaßlich der Verlust der christlichsozialen Vormachtstellung einhergehen würde. Der Weg in die Diktatur war damit vorgezeichnet. Solange das von Dollfuß angestrebte Bündnis mit den Nationalsozialisten nicht fix iert war , war er bei seinem Vorgehen gegen die Sozialdemokratie auf die Unterstützung der Heimwehren angewiesen. Auch die hatten freilich keine Zeit zu verlieren. Nach einem Bericht der deutschen Botschaft aus dem Herbst 1933 standen die Formationen des Burgenlands , Kärntens , der Steiermark und Salzburgs mittlerweile mehrheitlich im Lager der Nazis.119 Angesichts dessen legten sogar Fey und Starhemberg ihre Animositäten im Dienste der gemeinsamen Interessen vorübergehend auf Eis. Seit März 1933 unterstützten sie Dollfuß’ Notverordnungsregime. Das Verhältnis der drei Männer blieb dessen ungeachtet ein Zweckbündnis , geprägt von gegenseitigem Misstrauen , Kompetenzstreitigkeiten und dem wechselseitigen Bemühen , doch noch mit den Nazis ins Geschäft zu kommen.120 114 Vgl. Hofmann ( 1965 ), 71. Nach Pauley wurden 2.217 Gewehre , tausend Stahlhelme und 34 MGs sowie fünfhundert Bajonette beschlagnahmt , vgl. ders. ( 1972 ), 122. Angesichts der aufgebotenen ( u nd bewaffneten ) 14.000 Heimwehrmänner ein verkraftbarer Aderlass. 115 Vgl. Notiz Vinzenz Schumys vom „7. Dezember [ 1931 ] Abends“, Nachlass Schumy , Archiv des Instituts für Zeitgeschichte Wien , DO 212 , Mappe 91. 116 Ebenda. 117 Carsten ( 1978 ), 195 f. 118 Vgl. Pauley ( 1972 ), 140. 119 Vgl. Carsten ( 1978 ), 202 f. 120 Vgl. Edmondson ( 1966 ), 348.
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Unmittelbar nach der faktischen Lahmlegung des Nationalrates121 begann die Regierung , öffentlich Vorkehrungen für den Bürgerkrieg zu treffen. Zu diesem Zweck sollten die regierungstreuen Wehrverbände vereinheitlicht werden , um im Ernstfall Bundesheer und Exekutive zu unterstützen. Die Heimwehren stimmten dem zu , offenbar weil sie annahmen , den neuen Verband schon aufgrund ihrer Größe dominieren zu können. Naheliegenderweise drängten sie darauf , die neue Hilfstruppe im von Fey geleiteten Sicherheitsressort anzusiedeln , außerhalb des Zuständigkeitsbereiches Vaugoins und des Bundesheeres. Anzunehmen ist , dass von dort aus gegenteilige Anstrengungen unternommen wurden. Die Lösung bestand im Mai 1933 jedenfalls in der Schaffung zweier getrennter Formationen. Das kasernierte , dem Militär direkt unterstehende Militärassistenzkorps wurde aus 8.000 sogenannten „A-Männern“ gebildet. Diese Freiwilligen wurden für längstens sechs Monate verpflichtet , wobei zwar bevorzugt Angehörige der Wehrverbände zum Zug kamen , allerdings auch darüber hinaus Männer aufgenommen werden konnten. Wer sich im Zuge seiner Verwendung als „AMann“ als zuverlässig erwiesen hatte , konnte auf eine längerfristige Übernahme als „BMann“ ins Bundesheer hoffen.122 Der zweite Verband , das „Freiwillige Schutzkorps“ war seinem Wesen nach viel eher ein echter Assistenzkörper. Es bestand ausschließlich aus Angehörigen der rechten Wehrverbände , die im Bedarfsfall als Auxiliarkräfte fungieren sollten. Die Ausrüstung übernahm zwar das Bundesheer , die FSK-Formationen unterstanden aber dem Sicherheitsministerium Emil Feys. In Wien wurden vier kasernierte Regimenter des FSK aufgeboten , in den anderen Landeshauptstädten existierten kleinere Einheiten. Zusätzlich wurden Gendarmerie und Grenzschutz durch Schutzkorpsangehörige ergänzt. Im März 1934 erreichte das Schutzkorps mit 42.000 Mann seinen Höchststand , was nicht nur militärisch bedeutsam war. Offenkundig handelte es sich auch um ein Instrument zur vorübergehenden wirtschaftlichen Versorgung der eigenen Klientel.123 Als das Freiwillige Schutzkorps im März 1935 schließlich auf Geheiß der Regimes abgewickelt wurde , war das ein deutliches Zeichen für den Machtverlust der Heimwehren innerhalb des Regierungslagers.124 Kurz nach dem Treffen von Dollfuß und Mussolini in Riccione im August 1933 teilte Starhemberg dem Führerrat der Heimwehren mit , dass der Abschluss des vaterländischen Diktaturprojektes unmittelbar bevorstünde.125 Im Jänner 1934 begann das Ende 121 Zu deren unmittelbarem Vorspiel die Hirtenberger Waffenaffäre gehörte , vgl. Binder , Dieter A. ( 2007 ) : Der Skandal zur „rechten“ Zeit. Die Hirtenberger Waffenaffäre 1933 an der Nahtstelle zwischen Innen- und Außenpolitik. In : Gehler , Michael / Sickinger , Hubert ( Hg. ) : Politische Affären und Skandale in Österreich. Von Mayerling bis Waldheim , Innsbruck / Wien , 278–292. 122 Vgl. Broucek , Peter ( Hg. ) ( 2011 ) : Feldmarschalleutnant Alfred Jansa. Ein österreichischer General gegen Hitler. Erinnerungen , Wien / Köln / Weimar , 593. 123 Bisher existiert keine ausführlichere Schilderung des Freiwilligen Schutzkorps. Der entsprechende Bestand im Staatsarchiv wäre hier ebenso eine geeignete Quelle wie die zeitgenössische Tagespresse zu diesem Thema , im Schnittarchiv des Tagblattes in der Wiener Rathausbibliothek findet sich ein entsprechender Ordner. Am Ausführlichsten behandelt ist das FSK bislang bei Winkler ( 1983 ), 214– 227 , und Wiltschegg ( 1985 ), 296 f. 124 Vgl. Wiltschegg ( 1985 ), 297. 125 Carsten ( 1978 ), 213 f.
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des elfmonatigen Staatsstreiches. Offenkundig in Absprache mit der Bundesregierung126 verlangten die Heimwehrführungen von den bürgerlichen Landeshauptleuten ultimativ ein scharfes Vorgehen gegen politische GegnerInnen im Staatsapparat , die Ernennung von Regierungskommissären für sozialdemokratisch regierte Städte und die Verstärkung der Exekutive durch Kräfte der Heimwehren sowie , en passant , auch die Herabsetzung der Grundsteuer , eine kleine Belohnung für die aristokratische Führungsriege.127 1.4 Heimwehren im Austrofaschismus Nach den militärischen Auseinandersetzungen des Jahres 1934 und der vorläufigen Konsolidierung des Regimes stieg Starhemberg zum Führer der Vaterländischen Front auf , der er bis dahin nur mit Geringschätzung begegnet war.128 Bezeichnenderweise wehrte er sich auch jetzt gegen die Eingliederung der Heimwehren in die von ihm geleitete Organisation. Es sollte sich aber zeigen , dass Starhemberg auch in dieser Frage nicht sonderlich konsequent war. Die erbitterten Rivalitäten zwischen den unterschiedlichen Formationen , vor allem zwischen den Heimwehren einer- und Ostmärkischen Sturmscharen und Freiheitsbund andererseits , führten zu einem regelrechten Wettrennen um den Aufbau neuer Ortsstrukturen. Um dieses Treiben wieder in einigermaßen geordnete Bahnen zu lenken , versuchte die VF erfolglos zu vermitteln. Schuschnigg griff dabei zunächst zum bewährtesten Disziplinierungsinstrument : Geld. Den einzelnen Wehrverbänden wurde untersagt , auf eigene Faust Mittel zu akquirieren , stattdessen wurde eine Zentralkasse geschaffen. Ausnahmen bedurften einer ausdrücklichen Bewilligung des Bundeskanzlers.129 Nach der Jahreswende 1934 / 35 folgte ein Gebietsschutz : Wo schon eine Wehrformation existierte , durften keine neuen gegründet werden.130 Der Erfolg beider Maßnahmen hielt sich jedoch in Grenzen. Der wesentlich effektivere Gegner der Heimwehren waren wieder einmal sie selbst. Nach den Februarkämpfen 1934 brachen neuerlich die internen Gräben auf , vornehmlich zwischen Starhemberg und Fey.131 Die Heimwehrführung wäre gut beraten gewesen , diese Konflikte rasch auf ein zivilisiertes Niveau herunterzufahren und nach außen einigermaßen geeint aufzutreten. Dass sie das nicht tat , zeugt von völliger Verkennung ihrer tatsächlichen Lage. 126 Wofür etwa die Teilnahme der Ostmärkischen Sturmscharen an der Machtdemonstration in Innsbruck spricht , vgl. Goldinger , Walter / Binder , Dieter ( 1992 ) : Geschichte der Republik Österreich 1918–1938 , Wien / München , 218. 127 Vgl. Edmondson ( 1966 ), 361–370 , Carsten ( 1978 ), 216 f. 128 Kurz vor seiner Ernennung zum Stellvertretenden VF-Führer im Oktober 1933 verbot Starhemberg seinen Männern sogar ausdrücklich das Tragen des höhnisch „Gesinnungswurm“ genannten VF-Abzeichens , desgleichen untersagte er die Teilnahme an Frontkundgebungen. Dies deshalb , weil die Gefahr drohe , „dass die VF dazu missbraucht wird , um unter neuem Namen alte politische Parteien [ gemeint ist offenkundig die CSP , Anm. ] wieder aufscheinen zu lassen“, zit. nach Bärnthaler , Irmgard ( 1971 ) : Die Vaterländische Front. Geschichte und Organisation , Wien / Frankfurt / Zürich , 34. 129 Der genaue Zeitpunkt dieses Erlasses ist unklar , am 6. Oktober 1934 ersucht die steirische VFLandesleitung aber um Weisungen , weil als Folge des Erlasses seitens der Wehrverbände nun finanzielle Forderungen an sie herangetragen würden. VF-Archiv 514 / 193 / 1 28. 130 Vgl. Reich ( 2000 ), 401 ff. 131 VF-Archiv 514 / 4 2 / 328.
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Wie die Reichswehrführung in Deutschland hatte zweifellos auch die österreichische Generalität die rechten Wehrverbände im Land lange als notwendiges Übel im Kampf gegen die Linke betrachtet. Nachdem sich aber gezeigt hatte , dass die Errichtung der Diktatur geglückt war und die Wehrverbände den Bestand des Regimes nun eher gefährdeten denn stabilisierten , entfiel ihre Daseinsberechtigung. Als richtiggehende Bedrohung mussten außerdem die Forderungen Starhembergs und Feys empfunden werden , das Bundesheer ihrem Kommando zu unterstellen. Die Interessen des Militärs trafen sich in diesem Punkt mit jenen der politischen Führung. Auch Schuschnigg verspürte wenig Verlangen , sich militärisch dem Gutdünken seiner notorisch illoyalen Mitstreiter auszuliefern , und erklärte im November 1935 dem päpstlichen Nuntius , er wolle die Wehrverbände in einer Organisation zusammenfassen und diese dem Heer unterstellen.132 Mitte Oktober 1935 machte Schuschnigg schließlich Ernst. Zunächst entließ er Fey133 aus dem Kabinett. Um den Affront zu kaschieren , wurde als Feys Nachfolger der niederösterreichische Vertraute Starhembergs , Landeshauptmannstellvertreter Eduard Baar-Baarenfels bestellt.134 Zugleich wurde die Verschmelzung der Wehrverbände in einer gemeinsamen Organisation angekündigt , der „Freiwilligen Miliz – Österreichischer Heimatschutz“.135 Anfang April 1936 , als die Welt unter dem Eindruck des deutschen Einmarsches im Rheinland stand , folgte der nächste Schlag. Unter Bruch des Vertrages von Saint-Germain verkündete die österreichische Regierung die Einführung der allgemeinen Dienstpflicht.136 Ausgegeben wurde diese Maßnahme zwar als ein Instrument zur Stärkung des Bundesheeres , faktisch richtete er sich aber wohl mindestens so sehr gegen die Heimwehren , die aus gutem Grund die Einführung der Wehrpflicht stets bekämpft hatten.137 Starhemberg reagierte auf Schuschniggs Vorgehen einmal mehr unglücklich. Er näherte sich einerseits wieder den Nazis an und versuchte zugleich , durch Demonstrationen seiner Anhänger und martialische Reden Gegendruck auf die Regierung aufzubau132 Vgl. Carsten ( 1978 ), 253. 133 Zu Emil Fey fehlt bislang eine kritische Biografie. Die Dissertation von Franz Oswald kann hierbei teilweise als Ausgangspunkt dienen , vgl. ders. ( 1964 ) : Die Stellung von Major a. D. Emil Fey in der Politik der ersten Republik und des Ständestaates , phil. Diss. , Wien. Vom wissenschaftlichen Standpunkt unbrauchbar ist dagegen die stark auf Oswald rekurrierende Darstellung von Mautner-Markhof , Georg J. E. ( 2004 ) : Major Emil Fey. Heimwehrführer zwischen Bürgerkrieg , Dollfuß-Mord und Anschluß , Graz / Stuttgart. 134 Der Nachlass von Baar-Baarenfels befindet sich im Staatsarchiv. Der spätere Vizekanzler , den sein Weg später als Häftling nach Dachau und Mitarbeiter der IG Farben nach Auschwitz führte , war sicherlich kein sonderlich eigeninitiativer Akteur , weder innerhalb der Heimwehren noch des Regimes. Eine erste , leider recht unkritische und hinsichtlich der verwendeten Quellen naturgemäß eingeschränkte Auswertung hat Anita Korp für ihre Diplomarbeit unternommen , vgl. dies. ( 1998 ) : Der Aufstieg vom Soldaten zum Vizekanzler im Dienste der Heimwehr. Eduard Baar von Baarenfels , Dipl.-Arb. , Wien. 135 Vgl. Arthofer , Hans ( o. J. [ 1937 ] ) : 1918–1936. Vom Selbstschutz zur Frontmiliz , o. O. , 35 f. 136 BGBl. 102 / 1936. 137 Bis zur Durchsetzung der bürgerlichen Dominanz über das Bundesheer ging von der allgemeinen Wehrpflicht aus Sicht der Rechten durchaus eine Gefahr aus , weil die gut organisierte Arbeiterschaft problemlos massenhafte Eintritte ihrer Anhänger initiieren konnte. Umgekehrt war aus den nämlichen Gründen die allgemeine Wehrpflicht noch bei der Abrüstungskonferenz 1932 ein Allparteienkonsens gewesen , vgl. Jedlicka ( 1955 ), 91.
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en. Mit dieser Taktik erreichte er aber nur seine endgültige Demontage. Anlässlich der Maifeiern der christlichen Arbeiterbewegung in Wien kam es am 10. Mai 1936 zu Auseinandersetzungen zwischen Heimwehrangehörigen und Freiheitsbündlern. Schuschnigg , der dabei von den Heimwehrmännern persönlich beschimpft und ausgepfiffen worden war ,138 sah nun endgültig keinen Grund mehr für weitere Zurückhaltung. Eine Woche später wurde Starhemberg aus dem Kabinett entfernt , seinen Posten als Vizekanzler übernahm abermals Baar-Baarenfels. Neuer VF-Führer wurde Schuschnigg. Starhembergs Anhängerschaft protestierte wütend ,139 unternahm aber letztlich nichts. Den Kanzler dürfte das in seinem Kurs bestärkt haben. Am 17. Mai wurde das gesamte Wiener Schutzkorps aufgelöst. Am 20. Mai folgte die Gründung der „Frontmiliz“ der VF anstelle der „Freiwilligen Frontmiliz – Österreichischer Heimatschutz“. Damit wurde das endgültige Ende der „Selbstschutzverbände“ eingeläutet.140 Das entsprechende Gesetz war deutlich von dem Bemühen geprägt , die Suprematie des Bundesheeres festzuschreiben.141 Formal blieben die Wehrverbände neben der Frontmiliz vorerst bestehen , die außen- und innenpolitische Entwicklung schwächte insbesondere die Position der Heimwehren aber weiter , vor allem das Juliabkommen mit dem Deutschen Reich und der Skandal rund um die Phoenix-Versicherung , in den zahlreiche HW-Führer verwickelt waren.142 Im September 1936 kam es zusätzlich wieder zu schweren Konflikten innerhalb der Heimwehren , nachdem Fey wieder zum Wiener Landesführer gewählt worden war und umgehend begonnen hatte , an Starhembergs Stuhl zu sägen.143 Für Schuschnigg bot sich damit ein Anlass , die Wehrverbände Anfang Oktober per Gesetz endgültig zu beseitigen.144 Die Auflösung betraf allerdings manche etwas weniger als andere. Die Ostmärkischen Sturmscharen blieben als Organisation bestehen , weil sie bereits zuvor offiziell in den Status einer reinen Kulturorganisation zurückversetzt wor138 Vgl. Gulick ( 1948 ), Bd. V , 422 f. Die Auseinandersetzung ging aber über verbale Pöbeleien weit hinaus , drei Personen wurden durch Bajonettstiche , mehrere andere durch Steinwürfe schwer verletzt , vgl. ebenda. 139 Vgl. Aufruf „An alle Heimatschützer Wiens“, VF-Archiv 514 / 818 / 6 –9. 140 BGBl. 160 / 1936. Zur Konstituierung der Frontmiliz vgl. Steinböck ( 1988 ), 44–52. 141 So oblag die militärische Ausbildung der Frontmiliz gänzlich dem Heer , vgl. Jedlicka ( 1955 ), 129 f. In der Öffentlichkeit wurde seitens des Regimes auch betont , Aufgabe der neuen Miliz sei primär Zuarbeit für das Bundesheer , vgl. VF-Archiv 514 / 3039 / 92–93. Zugleich wurde versucht , Heimwehrfunktionäre nicht in zentrale Funktionen der Frontmiliz aufrücken zu lassen : Als in Salzburg der dortige Landeskommandant verstarb , wurde seinem Nachfolgekandidaten , General Ontl , die Ernennung offenbar deshalb verweigert , weil er als Heimwehrmann galt , vgl. VF-Archiv 514 / 131 / 152. 142 Über die Phoenix-Versicherung waren nicht nur Beamte bestochen worden und hatten sich Manager unlauter bereichert , sondern hatten auch rechte Organisationen , von Monarchisten über Heimwehren und Sturmscharen bis hin zu den Nationalsozialisten , beträchtliche Summen lukriert , vgl. Gulick ( 1948 ), Bd. V, 423–438 , bes. 431 f. 143 Fritz Lahr behauptete später , Fey sei es um die Beseitigung Starhembergs gegangen , weil der ein Hindernis für eine Einigung mit den Nationalsozialisten gewesen sei. Tatsächlich war Starhemberg aber bereits monatelang durch das Annulierungsverfahren seiner Ehe und eine Liaison mit der Burgschauspielerin Nora Gregor sehr in Anspruch genommen und glänzte deshalb als Heimwehrführer durch Inaktivität , sodass es durchaus noch andere Motive geben mochte , sich seiner zu entledigen , vgl. Wiltschegg ( 1985 ), 205 f. 144 BGBl. 335 / 1936.
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den waren.145 Das hinderte sie aber nicht , auch weiterhin vormilitärisches Training zu betreiben.146 Einem Rundschreiben , das kurze Zeit später an die Kreis- , Bezirks- und Ortsführer der Niederösterreichischen Sturmscharen erging , war außerdem zu entnehmen , der Kanzler habe ungeachtet der Auflösung angeordnet , „dass in jedem Bezirke eine Stosstruppe verlässlicher , handfester und altbewährter Sturmscharkameraden zusammengestellt wird , welche die Aufgabe hat , als Stosstruppe der V. F. nach jeweiligen Frontweisungen eingesetzt zu werden“.147 In dieser Anweisung ist wohl der Ausgangspunkt für die formal erst im Juli 1937 erfolgte Aufstellung des Sturmkorps zu sehen , das bislang noch weitgehend unerforscht ist.148 Die Überführung der Wehrverbände in die Frontmiliz war begleitet von organisatorischem Chaos und einer unglücklichen Informationspolitik.149 Die Heimwehren protest ierten scharf , setzten dem Vorgehen der Regierung aber ansonsten nichts entgegen.150 Ihre Entmachtung war damit perfekt , einzig in Vorarlberg gelang es den Heim145 Vgl. Reich ( 2000 ), 416 ff. 146 Vgl. Reich ( 2000 ), 420 f. 147 VF-Archiv 514 / 3203 / 160–161 :161. 148 Das betrifft sowohl die Motive hinter der Gründung als auch die Größe des Sturmkorps. Wiltschegg spricht ohne Quellenangabe von 120 Mann , vgl. ders. ( 1985 ), 14. Broucek schreibt , gestützt auf eine Seminararbeit aus den 1960ern , angestrebt worden wäre ein Stand von 4.000 Mann , die auch als Säuberungstruppe gegen die NSDAP fungieren sollten , vgl. Broucek ( 2008 ), 308. Wenigstens zeitweise gingen die Planungen aber sicher noch bedeutend weiter. Einem undatierten Konzept in den Akten des Generalsekretariats der VF ist zu entnehmen , dass für den Eintritt ins Sturmkorps strenge Kriterien hinsichtlich der körperlichen und politischen Eignung zu erfüllen waren , so eine Körpergröße von mindestens 1,70 m und die Beibringung zweier Bürgen für die politische Zuverlässigkeit. Die Mitgliedschaft im Sturmkorps sollte eine anderwärtige Organisationsmitgliedschaft ausschließen , sie war zudem an eine sechsmonatige Bewährungsfrist gebunden. In der Truppe sollte schärfster Drill gelten , neben der körperlichen Ausbildung lag ein besonderes Augenmerk auch auf der ideologischen Schulung. Für den geplanten massiven Ausbau spricht nicht nur die ausdrückliche Feststellung , das Sturmkorps dürfe maximal ein Prozent der Wohnbevölkerung ( ! ) umfassen , sondern auch die Absicht , „Spezialsturmblocks“ zu bilden , die über besondere technische und chemische Fertigkeiten verfügen sollten. VF-Archiv 514 / 3227 / 18–29. Der elitäre Anspruch des Sturmkorps , gepaart mit der völlig auf die Person des Führers Schuschnigg ausgerichtete Disziplinierung und die einschlägige öffentliche Inszenierung bestätigen klar die Interpretation Ernst Hanischs und Robert Kriechbaumers , das Sturmkorps sei der SS nachempfunden gewesen , vgl. Hanisch , Ernst ( 1994 ) : Der lange Schatten des Staates. Österreichische Gesellschaftsgeschichte im 20. Jahrhundert , Wien , 314 ; Kriechbaumer , Robert ( 2002 ) : Ein Vaterländisches Bilderbuch. Propaganda , Selbstinszenierung und Ästhetik der Vaterländischen Front 1933–1938 , Wien / Köln / Weimar , 48 f. Entsprechend reges Interesse rief das Sturmkorps auch bei Anhängern des Faschismus im Ausland hervor , so ersuchte die britische Imperial Fascist Guard um Zusendung näherer Informationen „for propaganda purposes“, VF-Archiv 514 / 3229 /21. 149 Einem Stimmungsbericht aus der Obersteiermark vom 31. Juli 1936 war etwa zu entnehmen , dass „eine allseitige Unklarheit und Unsicherheit“ darüber herrsche , „ob die Wehrformationen als solche überhaupt aufgelöst sind oder ob sie als reine zivile Vereinigungen [ … ] weiterbestehen“. Die Leute begegneten der Frontmiliz mit Misstrauen und wollten „sich absolut in kein wie immer geartetes Abenteuer einlassen , sie woll[ t ]en nichts anderes , als wieder in Ruhe und Frieden arbeiten zu können“. Von einem Beitritt in die Frontmiliz schrecke zudem die bestehende Unsicherheit über die arbeitsrechtlichen Konsequenzen und die staatliche Versorgung ab. VF-Archiv 514 / 590 / 10–14. 150 Siehe oben , desgl. VF-Archiv 514 /2231 / 169–170.
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wehren , die Frontmiliz direkt zu übernehmen.151 Das Bild der Frontmiliz in der Öffentlichkeit war augenscheinlich verheerend. Aktivitäten wie ein erstes größeres Manöver in Kärnten im August 1936 mit mehr als zweitausend Milizionären und entsprechender medialer Begleitmusik152 schafften es nicht , die Stimmung zu drehen. Die Frontmiliz , an deren schierer Existenz in der Bevölkerung offenkundig Zweifel bestanden ,153 wurde schließlich im Juli 1937 auch formal dem Bundesheer eingegliedert.154 Ein längeres Leben als der Frontmiliz war paradoxerweise den offiziell aufgelösten Wehrverbänden vergönnt. Ihre Führer verblieben auf regionaler Ebene fast ausnahmslos , auf Bundesebene zu guten Teilen weiter auf ihren Posten. Auch ihre organisatorischen Strukturen wurden nicht vollständig aufgelöst. Stattdessen wurden die Wehrverbände in Veteranenvereine überführt , über deren Strukturen und Aktivitäten bislang nicht viel bekannt ist. Sie sollten wohl einem unkontrollierten Abdriften der Kameraden aller Fraktionen zu den Nationalsozialisten vorbeugen , inwieweit auch militärische Überlegungen eine Rolle spielten , ist dagegen unklar , evident sind die Hoffnungen der „Veteranen“ auf baldige Reaktivierung und Bewaffnung.155 Zu untersuchen wäre in diesem Zusammenhang auch , wie umfassend die Entwaffnung der Wehrformationen tatsächlich durchgeführt wurde. Der größte Veteranenverband , der österreichweit tätig war und von der starhembergtreuen Nomenklatura der ehemaligen Heimwehren geleitet wurde , war der „Kameradschafts- und Unterstützungsverein ehemaliger Heimatschützer“, später kurz „Alt-Heimatschutz“. Dieser unterhielt in Linz ein Büro , das Starhembergs Stellvertreter als Bundesführer , Heinrich Wenninger , führte. Mit offizieller Duldung156 und partieller Unterstützung der VF157 organisierte der Alt-Heimatschutz soziale und karitative Aktivitäten und nahm allgemeine – und speziell personalpolitische – Interessen der Heimwehrangehörigen innerhalb des Regimes wahr. Das hieß freilich nicht , dass die handelnden Personen tatsächlich gedachten , „unpolitisch im vaterländischen Sinne zu wirken“, wie es in ihren neuen Statuten stand.158 Sie gaben überaus politische Medien heraus ( speziell die in Linz erscheinende Zeitung „Die Neue Zeit“ ), intrigierten wie eh und je gegeneinander159 und führten mit Verve die Auseinandersetzungen mit ihrem 151 VF-Archiv 514 / 622 / 7–9. 152 Vgl. Die Berichterstattung über das Manöver vom 23. August 1936 auf der Flattnitz in den Tageszeitungen der folgenden Tage. 153 So sah sich die VF-Bezirksorganisation Baden noch im Sommer 1937 , kurz vor der Auflösung , genötigt , einen Aufmarsch zu organisieren , um der Bevölkerung die Existenz der Frontmiliz zu beweisen. VF-Archiv 514 / 176 / 1 2–13. 154 BGBl. 227 / 1937. 155 VF-Archiv 514 / 879 / 180. 156 Die Toleranz der Staatsführung hatte freilich auch Grenzen. So wurde den Veteranen das Tragen der alten Heimwehrabzeichen und Teilen der Uniform ausdrücklich untersagt , vgl. VF-Archiv 514 / 107 / 83–84 , auch Aufmärsche hatten zu unterbleiben , nachdem Kundgebungen in Wels und Hermagor in Demonstrationen für den Anschluss umgeschlagen waren , vgl. VF-Archiv 514 / 622 / 57. 157 Das Wiener Sekretariat des Alt-Heimatschutzes befand sich in Räumlichkeiten , die durch die VF zur Verfügung gestellt wurden , vgl. VF-Archiv 514 / 622 / 4 4. 158 VF-Archiv 514 / 622 / 4 . 159 Feys Anhänger hatten sich im April 1937 in dem „Reichskameradschaftsverband ehemaliger Hei-
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Lieblingsfeind innerhalb des Regimes fort , mit der christlichen Arbeiterbewegung.160 Im Jahr 1937 versuchte die Gruppe um Odo Neustädter-Stürmer eine Reaktivierung der Heimwehren , um gemeinsam mit der NSDAP eine „Nationalfascistische Front“ der oppositionellen Kräfte zu bilden , offenkundig zeitigte diese Initiative aber keine konkreten Folgen.161 Für die VF waren die Kameradschaften ein Quell steten Ärgernisses. Nachdem Ignorieren das Problem nicht zu lösen vermochte ,162 wurden Stimmen laut , die Kameradschaften ebenfalls zwangsweise unter dem Dach der VF zu vereinheitlichen.163 Dazu kam es aber nicht mehr. II. Die kleinen bürgerlichen Wehrverbände Aus Platzgründen konzentriert sich die Zusammenschau der kleineren Verbände auf die Bauernwehren des Landbundes und die Frontkämpfervereinigung , die beide vergleichsweise früh in nationalsozialistische Gefilde abdrifteten , sowie auf die zwei wichtigsten der christlichsozialen Partei nahestehenden Wehrverbände neben den Heimwehren , die Ostmärkischen Sturmscharen und den Freiheitsbund.164 Zu den Wehrabteilungen der Christlich-Deutschen Turnerschaft liegt bislang noch keine Arbeit vor. Zweifelhaft ist aber , inwieweit die Kurzdarstellung Wiltscheggs zutrifft , in der es heißt , dass „etwa ab 1933“ Wehrabteilungen gebildet worden seien.165 In den christlichen Turnvereinen Ober österreichs wurde aber beispielsweise bereits 1927 das Wehrturnen gutgeheißen , die Bildung eigener Wehrzüge aber vorerst noch abgelehnt.166 Bereits 1928 wurde dann jedoch die „Eingliederung des Wehrturnens“ beraten ,167 bei einem Heimwehraufmarsch am 26. Mai 1929 in Gmunden marschierten bereits zwei Kompanien der Wehrturner unter dem Kommando eines eigenen Wehrturnwartes mit.168 Für 1931 wird schließlich berichtet , die Wehrabteilungen in den oberösterreichischen Vereinen hätten sich „zur Gänze von der Beteiligung am Heimatschutz gelöst“.169 Die Aufarbeitung der Geschichte der matschutz- und Schutzkorpsangehöriger“ zusammengetan , anders als der Alt-Heimatschutz stellten sie sich aber gegen eine aktive Teilhabe am Staat , vgl. VF-Archiv 514 /2455 / 30. Auch Freiheitsbündler und Sturmscharangehörige hatten Kameradschaften gebildet , alle Fraktionen beäugten sich argwöhnisch wie eh und je und versuchten nach Möglichkeit , einander zu schaden , etwa bei Postenbesetzungen im Schutzkorps , vgl. VF-Archiv 514 / 166 / 15–16. 160 Vgl. Wiltschegg ( 1985 ), 99–110. 161 VF-Archiv 514 / 1 41 / 13–16. 162 VF-Archiv 514 / 1 41 /2. 163 VF-Archiv 514 / 879 / 180. 164 Die NS-Verbände bleiben aus systematischen Erwägungen außen vor , da sie an anderer Stelle in diesem Band behandelt werden. 165 Wiltschegg ( 1985 ), S. 331. 166 Vgl. Dickinger , Roman ( 1987 ) : Die christlich-deutsche Turnerschaft in Oberösterreich. Chronik 1905–1938 , unpubl. Manuskript , 4 Bde. , Bd. 1 , 46 ( Bibliothek des Instituts für Zeitgeschichte Wien , L–1571 ). 167 Ebenda , S. 51. 168 Ebenda , S. 58. 169 Ebenda , S. 87.
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christlich-deutschen Wehrturner wäre ein lohnendes Vorhaben , Quellen stünden genügend bereit.170 Ähnliches trifft auf die Burgenländischen Landesschützen , die christlichsoziale Abspaltung der burgenländischen Heimwehr , zu.171 2.1 Bauernwehren Zur Geschichte der Bauernwehren liegt bisher lediglich eine Diplomarbeit vor , die sich vornehmlich auf die Publizistik des Landbundes und Akten des Innenressorts stützt.172 Eine neuerliche Bearbeitung des Themas unter Berücksichtigung weiterer Quellenbestände ( Bezirkshauptmannschaften , diplomatische Berichte , Landessicherheitsdirektionen sowie Nachlass Schumy ) und vorhandener Sekundärliteratur könnte das bestehende Bild aber sicher erheblich verfeinern. In den Auseinandersetzungen zwischen Schober und den Heimwehren nach der Verfassungsreform 1929 schlugen sich beide deutschnationale Parteien , die Großdeutsche Volkspartei und der Landbund , auf die Seite des Kanzlers. Zur Jahreswende 1929 / 30 wurde daher der Landbund-Vizekanzler Schumy , eigentlich ein alter Förderer der Heimwehren , aus seiner Klagenfurter HW-Ortsgruppe ausgeschlossen.173 Der Landbund reagierte auf die Anfeindungen umgehend und begann noch im Dezember 1929 in der Steiermark mit der Bildung einer „steirischen Bauernwehr“.174 Inwieweit man dabei tatsächlich Formationen aus den Umbruchsjahren 1918 / 19 reaktivierte und dies nicht einfach nur aus strategischen Überlegungen behauptete , ist offen.175 Es folgte wenige Wochen später die Gründung einer Reichsorganisation , der Bruch mit den Heimwehren war damit trotz gegenläufiger Beteuerungen nicht mehr zu leugnen.176 Innerhalb der Reichsorganisation übernahmen die Oberösterreicher um Franz Maier und Franz 170 Neben Satzungen und Verordnungsblättern bieten sich als Quellen zahlreiche publizierte Leitfäden , Kalender , das Handbuch „Die Schmiede“, die Verbandsturnerzeitung und allenfalls noch vorhandene Bestände des Pressedienstes der Turnerschaft an. Siehe auch Recla , Josef ( 1982 ) : Die christliche Turnerbewegung. Frisch , Fromm , Fröhlich , Frei. Eine Gedenkschrift [ G emeinschaft ehemaliger Christlich-Deutscher Turner Österreichs ] , Golling ; desgl. Matzinger , Petra ( 1993 ) : Die christliche Turnerbewegung in Österreich und der Antisemitismus , Dipl.-Arb. , Wien. Matzingers Ausführungen stützen sich stark auf Recla und zeichnen sich leider nicht durch Quellenkritik aus. Die Wehrfrage behandelt sie allenfalls am Rande , etwa wenn sie schreibt , „allzuoft musste in diesen Jahren die Turnkleidung mit der Uniform getauscht werden , wodurch die turnerische und fachliche Arbeit stark in Mitleidenschaft gezogen wurde“ ( S . 80 ). 171 Vereinzelte Hinweise finden sich zudem in den Beständen des VF-Generalsekretariats ( etwa Berichte über Einigungsversuche mit dem Starhemberglager aus dem April 1933 , vgl. VF-Archiv 514 / 1602. Als Quelle infrage kommen neben Presseberichten auch Bestände der burgenländischen Landesregierung , da als Kommandant der Schützen der Landesrat und spätere Landeshauptmann Hans Sylvester fungierte. 172 Scheuch ( 1983 ). 173 Schumy selbst sah die Verantwortlichen für seinen Ausschluss in Ludwig Hülgerth und dem Kärntner Heimwehr-Geschäftsführer Emil Barnert , vgl. Benedikt , Ursula ( 1966 ) : Vinzenz Schumy 1878–1962. Eine politische Biographie , phil. Diss. , Wien , 124 ff. 174 Wiltschegg ( 1985 ), 333. 175 Vgl. Scheuch ( 1983 ), 23 f. 176 Ebenda , 27 f.
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Bachinger die Führung.177 Der Aufbau weiterer Formationen in anderen Bundesländern verlief offenbar recht unterschiedlich , von durchschlagendem Erfolg dürfte er nirgends begleitet gewesen sein. Entweder verblieb das Publikum , das man zu rekrutieren gedachte , in den Heimwehren oder es wechselte gleich in die NS-Formationen.178 Ein Grund dafür mag die undurchsichtige Struktur der Bauernwehren gewesen sein , die öffentlich unter verschiedenen Bezeichnungen in Erscheinung traten und zwar dem Landbund nahestanden , von diesem aber erst zwei Jahre später , 1932 , als „eigene“ Wehrorganisation unter dem Titel „Grüne Wehr“ proklamiert wurden.179 Im Juli 1933 wurden die Angehörigen der Grünen Wehr ins Assistenzkorps eingegliedert und standen damit im Einflussbereich des Heeres. Angesichts des von den Heimwehren dominierten Freiwilligen Schutzkorps dürfte das durchaus den Wünschen des Landbundes entsprochen haben.180 Im Assistenzkorps war die Grüne Wehr unter den Wehrverbänden als zweitstärkste vertreten.181 Wie Finanzierung und Bewaffnung bis dahin bewerkstelligt worden waren , liegt weitgehend im Dunkeln , Bundeskanzler Schober wies entsprechende Verdächtigungen der Heimwehr naturgemäß von sich.182 Durchaus nicht unwahrscheinlich sind jedenfalls Zuwendungen aus Deutschland. Im Sommer 1933 wandelte sich der Landbund zur „Nationalständischen Front“ und hoffte , außerhalb der VF als Dachorganisation des zersplitterten deutschnationalen Organisationswesens fungieren zu können.183 Schon bei den ersten Großveranstaltungen zeigte sich aber , dass von einer gemeinsamen Front keine Rede sein konnte und die Organisation stark von der NS-Bewegung unterwandert war.184 Nachdem die Heimwehren im September 1933 Dollfuß erfolgreich gedrängt hatten , den Landbund aus der Regierung zu werfen , spaltete sich dieser faktisch. Einige Funktionäre , unter ihnen Schumy , schlossen sich der VF an. Der Großteil der Anhängerschaft und damit auch der Wehrorganisation wanderte dagegen zur NSDAP ab. Einheiten der Grünen Front beteiligten sich 1934 zwar nur vereinzelt am Juliputsch , nach diesem wurde die Organisation dennoch behördlich aufgelöst.185 2.2 Frontkämpfervereinigung ( FKV ) Angesichts der revolutionären Unruhen des Jahres 1919 waren bürgerliche Gruppierungen auch im roten Wien bestrebt , eine eigene Wehrorganisation aufzubauen. Führend waren dabei mehrere Gruppen völkisch-legitimistischer Offiziere , besonders die um den Freikorps-Gründer Hermann Hiltl , zu der auch der spätere Vizekanzler Emil Fey gehörte. Dieser Kreis gründete zunächst einen Interessen- und Versorgungsverband für ehemalige Heeresangehörige , den Wirtschaftsverband der ehemaligen Berufsmilitärga-
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Ebenda , 27. Ebenda , 30. Ebenda , 32. Vgl. ebenda , 52 ff. Ebenda , 55. Ebenda , 29. Wandruszka , Adam ( 1983 ) : Das „nationale Lager“. In : Weinzierl / Skalnik , 277–315 :306 f. Ebenda , S 307. Vgl. Scheuch ( 1983 ), 82 ff.
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gisten , der als Vorstufe zu der am 30. April 1920 konstituierten186 Frontkämpfervereinigung fungierte.187 Entscheidend war , dass der Gründungsimpuls zwar von rechten Offizieren ausging , die Mitgliedschaft aber im Unterschied zu anderen Offiziersorganisationen bald auch Mannschaftsdienstgraden offenstand. Es gelang der FKV , rasch auch in anderen Bundesländern Fuß zu fassen. Neben radikalem Antisemitismus war das hervorstechendste ideologische Charakteristikum der FKV anfänglich ihr Legitimismus , der wiederum eine geistige Brücke zum rechten Flügel der Christlichsozialen um Seipel und Funder , aber auch zur christlichsozialen Arbeiterschaft schlug. Die Christlichsozialen versuchten früh , einen Wiener Dachverband der bürgerlichen Formationen zu schaffen , finanziert maßgeblich durch Industrielle und das Horthy-Regime ,188 die Allianz war aber von Beginn an brüchig.189 Aus dem Personalpool der FKV stammten sowohl Funktionäre der Heimwehren190 wie der NSDAP191 und der Christlichsozialen Partei. Ende der 1920er wandte sich die FKV stärker der NSDAP zu , bei Wahlen rief man aber noch 1930 zur Stimmabgabe für die CSP auf.192 Den Ausschlag zugunsten der NSDAP dürfte schließlich deren Verbot 1933 gewesen sein , in dessen Folge viele ihrer Mitglieder in die FKV strömten , um sie als legalen Betätigungsrahmen zu nützen. Eine gewisse Rolle mag auch der dezidiert kleinstaatliche Kurs der Regierung Dollfuß gespielt haben , der eingefleischten Großdeutschen in den Reihen der FKV nicht gefallen konnte. Im Juni 1935 löste die Generaldirektion für Öffentliche Sicherheit die FKV schließlich als staatsfeindliche NS-Tarnorganisation auf.193 Die Aktivität der FKV wird in der Literatur vor allem auf propagandistischer Ebene , in der Verbreitung von antisemitischen , antisozialistischen Ressentiments gesehen. Von anderen bürgerlichen Bewegungen ähnlichen Zuschnitts unterschied sich die Agitation der FKV aber entscheidend darin , dass sie durch Umzüge und Demonstrationen bewusst versuchte , den öffentlichen Raum in der Bundeshauptstadt nicht der Linken zu überlassen.194
186 Vgl. Rape ( 1977 ), 189 , desgl. Messerer , Ingeborg ( 1963 ) : Die Frontkämpfervereinigung DeutschÖsterreichs. Ein Beitrag zur Geschichte der Wehrverbände in der Republik Österreich , phil. Diss. , Wien , 5 ff. 187 Vgl. Gieler ( 1969 ), 19 ff. 188 Als Dachorganisation wurde der „Bund für Ordnung und Wirtschaftsschutz“ ins Leben gerufen , vgl. Rape ( 1977 ), 191. 189 Vgl. Strigl , Mario ( 2000 ) : Vom Legitimismus zum Nationalsozialismus. Die Frontkämpfervereinigung in Österreich , Dipl.-Arb. , Wien , 42. 190 HW-Landesführerstellvertreter Fritz Lahr war Gründungsmitglied der FKV. 191 Der Wiener NSDAP-Gauleiter Alfred Frauenfeld stammte aus der FKV , Hiltl hatte keine formale Funktion innerhalb der NSDAP , war aber etwa 1929 Ehrengast auf dem Reichsparteitag in Nürnberg. 192 Vgl. Strigl ( 2000 ), 55 f. 193 Vgl. ebenda. 83. Die im gleichen Monat gegründete „Vaterländische Frontkämpferbewegung der österreichischen Reichskameradschafts- und Soldatenfront“, kurz „Frontkämpferbewegung“, hatte mit der FKV nichts zu tun. Sie stellte einen Zusammenschluss des Reichskameradschaftsbundes mit dem Kriegerbund und der österreichischen Soldatenfront dar und wurde als solcher der VF eingegliedert , VF-Archiv 514 / 1 488 / 173–175 194 Vgl. Strigl ( 2000 ), 48.
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Die Angaben über den militärischen Wert gehen dagegen auseinander.195 Fest steht die Verwicklung in mehrere gewalttätige Auseinandersetzungen , als berühmt-berüchtigtstes Beispiel dafür steht sicherlich die Schießerei in Schattendorf im Jänner 1927. Die Hochburgen der FKV lagen allerdings in Gebieten , die klar von der Linken dominiert wurden , vornehmlich in und um Wien. Angesichts dessen konnte es die FKV kaum auf größere Zusammenstöße ankommen lassen , sondern lediglich als Assistenzkörper eine Rolle spielen , was ab 1933 auch der Fall war. Während Organisation , Ideologie und Stellung zu den anderen Wehrverbänden bereits relativ gut erforscht sind , vornehmlich durch die Diplomarbeit von Mario Strigl , gilt das nicht für die Rolle der FKV als Wehrverband im engeren Sinn. Näher in Augenschein genommen werden müssten dafür sicherlich die Landesorganisationen , die – wie in der Steiermark – zeitweise auch Wehrbündnisse mit den Heimwehren unterhielten.196 2.3 Die ostmärkischen Sturmscharen Als Gegengewicht zur verbandlichen Jugendarbeit linker wie deutschnationaler Gruppierungen hatte man im katholischen Milieu Deutschlands bereits vor dem Ersten Weltkrieg mit dem Aufbau eigener Strukturen begonnen. Diese „Wanderburschen“-Gruppen waren Wandervogel und Roten Falken nachempfunden , ihr Aktivismus und ihre vergleichsweise große Freizügigkeit stieß aber in den eigenen Reihen auf erhebliche Skepsis und blieb daher bis in die 1920er eine regionale Erscheinung. Im Jahr 1929 wurde allen internen Widerständen zum Trotz von den Wanderburschen als ihre deutschlandweite Organisation die „Sturmschar des katholischen Jungmännerverbands“ gegründet , die in Konkurrenz zur HJ ebenfalls bald mit vormilitärischer Erziehung begann.197 Im Sommer 1930 lernte Schuschnigg als Teil einer Tiroler Delegation im Rheinland die Sturmscharen kennen und entschloss sich umgehend , den österreichischen Vereinskatholizismus um eine ähnliche Organisation zu erweitern. Mit der Gründung der Ostmärkischen Sturmscharen ( OSS ) am 7. Dezember 1930 war auch eine interne Mission verbunden : die Erneuerung des Vereinskatholizismus „im Geiste Luegers“, was sowohl konservative Kapitalismuskritik als auch völkisches Gedankengut einschloss.198 Zumindest offiziell handelte es sich in den Anfängen also um keinen Wehrverband. Im Hinblick sowohl auf das Datum der Gründung ( ein Monat nach der Wahlschlappe der Christlichsozialen , die 195 So Messerer ( 1963 ), 55 , unter Berufung auf ein ehemaliges Mitglied : Die FKV habe „nur einige MG und Gewehre“ aus Weltkriegsbeständen besessen. Was sonst an Waffen vorhanden gewesen sei , habe sich im Privatbesitz der Mitglieder befunden. Demgegenüber sprach der steirische Heimwehrführer Pantz in einer Denkschrift für die ungarische Regierung von 10.000 bewaffneten Mitgliedern der FKV , vgl. Kerekes ( 1966 ), 13. Auch die Gegneraufklärung des Schutzbundes nahm die FKV – im Gegensatz etwa zur niederösterreichischen Heimwehr – in einem Bericht im Juli 1927 durchaus ernst , vgl. Naderer , Otto 2004 : Der bewaffnete Aufstand. Der Republikanische Schutzbund der österreichischen Sozialdemokratie und die militärische Vorbereitung auf den Bürgerkrieg ( 1923–1934 ), Graz , 247. Erwin Steinböck spricht – allerdings lückenhaft belegt – von 12.000 bis 15.000 Gewehren und 150 MG , die die FKV „zu ihren Glanzzeiten“ besessen haben soll , vgl. ders. ( 1988 ), 42. 196 Vgl. Pauley ( 1972 ), 51. 197 Vgl. Reich ( 2000 ), 54–66. 198 Vgl. ebenda , 67 f. Ähnlich gelagerte Versuche unternahmen auch Organisationen wie der Bund Neuland.
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nicht zuletzt der Kandidatur des Heimatblocks zu verdanken war ) als auch auf die zunehmend antiklerikalen Töne , die aus den Heimwehren nach außen drangen , ist es allerdings unwahrscheinlich , dass nicht von Beginn an entsprechende Pläne existierten.199 OSS-Reichsführer wurde mit Kurt Schuschnigg ein parteiinterner Rechtsausleger und enger Vertrauter Seipels. Der flächendeckende Organisationsaufbau wurde mit Unterstützung der christlichsozialen Parteileitung und des Bauernbundes vorangetrieben ,200 begleitet von wütenden Ausfällen der Heimwehren gegen diese „Tabernakelwanzen“ und „Piusindianer“.201 Ein wichtiger Meilenstein war für die OSS die Rekrutierung von Dollfuß’ Nachfolger als niederösterreichischer Bauernbundführer , Leopold Figl. Im Mai 1932 trat auch Raabs Heimwehr-Landesverband den OSS bei.202 Die offizielle Militarisierung der OSS erfolgte nach der Parlamentsausschaltung 1933 , einerseits durch Übernahme von Angehörigen in die neu geschaffenen Assistenzkörper , andererseits durch direkte Bewaffnung.203 Der Mannschaftsstand der OSS blieb mit 15.000 Mann dennoch vergleichsweise bescheiden. Walter Reich hat die Geschichte der Sturmscharen ausführlich dargestellt , allerdings stand ihm , wie auch der restlichen Forschergemeinde , die zur Periode 1933–1938 arbeitet , ein zentraler Quellenbestand nicht zur Verfügung , namentlich die durch das Moskauer Kriegsarchiv 2009 restituierten Aktenbestände des Generalsekretariats der Vaterländischen Front und der Sturmscharen in Wien. Auch die Bestände der Landesarchive wurden bisher kaum herangezogen. Dadurch war Reich stark auf die offiziöse Außendarstellung der Sturmschar angewiesen und konstruiert sie stark als systemloyalen Gegenpol zum Nationalsozialismus ,204 wohingegen sich in den VF-Akten durchaus Anzeichen für ein Einsickern nationalsozialistischer Anhänger finden lassen.205 199 Kurt Schuschnigg schrieb am 15. Oktober 1931 an Carl Vaugoin : „Aus meiner persönlichen Meinung habe ich nie einen Hehl gemacht – das System von heute ist für unser Land nicht tauglich – daher wird es früher oder später von selbst in sich zusammenbrechen. Daß dann eine politische Front vorhanden sei , die im Stande ist den politischen Katholizismus aufzunehmen , soll mit eine der Hauptsorgen der Sturmscharbewegung – wie ich sie mir vorstelle – sein.“ Zitiert nach : Staudinger , Anton 1975 : Christlichsoziale Partei und Errichtung des „Autoritären Ständestaates“ in Österreich. In : Jedlicka , Ludwig / Neck , Rudolf ( Hg. ), Vom Justizpalast zum Heldenplatz. Studien und Dokumentationen 1927 bis 1938 [ Festgabe der Wissenschaftlichen Kommission des Theodor-Körner-Stiftungsfonds und des Leopold-Kunschak-Preises zur Erforschung der österreichischen Geschichte der Jahre 1927 bis 1938 anläßlich des dreißigjährigen Bestandes der Zweiten Republik Österreich und der zwanzigsten Wiederkehr des Jahrestages des Österreichischen Staatsvertrages ] , Wien , 65–81 :66. 200 Wiltschegg ( 1985 ), 327. Offenkundig reichten die zur Verfügung gestellten Mittel aber bei Weitem nicht aus , vgl. Reich ( 2000 ), 194. 201 VF-Archiv 514 /2344 / 10. Dem Vorwurf der allzu großen Nähe zu den christlichsozialen Eliten begegneten die Salzburger Sturmscharen am 5. April mit einer Erklärung , in der es hieß , man sei eine politische Erneuerungsbewegung und als solche „vielfach sogar im Kampfe gegen die christlichsoziale Partei gross geworden“. Man sei „keineswegs eine Nachfolgerin der alten christlichsozialen Partei oder eine getarnte neue Partei“ und verwahre sich daher dagegen , „dass man mit Angriffen gegen die ‚Christlichsozalen‘ oder mit Schlagern von ‚Bonzentum‘ und ‚Klerikalismus‘ Hiebe gegen sie führt.“ VF-Archiv 514 / 1666 / 104. 202 Vgl. Reich ( 2000 ), 148 ff. 203 Vgl. ebenda , 202–216. 204 Vgl. ebenda , 274–298. 205 So heißt es in einem Schreiben an das VF-Generalsekretariat vom 17. September 1935 in Bezug auf
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2.4 Freiheitsbund Im Juli 1927 , nur einen Tag nach dem Ende der Straßenkämpfe in Wien , beschlossen die christlichen Gewerkschafter unter Leopold Kunschak , ihre eigene militärische Vereinigung aufzustellen , den Freiheitsbund. Entgegen den offiziellen Verlautbarungen dürfte der Anlass dazu aber weniger der Schutz „christlicher Arbeiter vor dem sozialdemokratischen Betriebsterror“ gewesen sein.206 Der „rote Terror“ im Betrieb bestand vornehmlich aus einer Mischung aus Werbetätigkeit , sozialem Druck und verweigerter Hilfestellung gegenüber politischen GegnerInnen. Zu Fällen physischer Gewalt kam es am Arbeitsplatz dagegen selten , wo dies doch der Fall war , richtete sich die Aggression meist gegen Vorgesetzte207 und Streikbrecher ,208 nicht aber gegen KollegInnen. Die Gefahr linker Angriffe auf Einrichtungen und Kundgebungen der christlichen Gewerkschaften war überschaubar ,209 dafür existierten außerdem bereits entsprechende Ordnerabteilungen.210 Anzunehmen ist daher , dass die Gründung des Freiheitsbundes sich vor allem gegen die Heimwehren richtete. Die hatten mittlerweile begonnen , systematischer um Arbeiter zu werben , und im Mai 1928 auch eine eigene Gewerkschaft gegründet. Das gute Verhältnis zu den Heimwehren , um das sich Kunschak und seine Leute ursprünglich bemüht hatten ,211 schlug daraufhin in eine scharfe Konkurrenz um , wobei die Heimwehren auch vor mehreren gewaltsamen Angriffen auf christliche Gewerkschaftsveranstaltungen nicht zurückschreckten.212 Der Freiheitsbund war daher wohl vor allem dazu gedacht , der zunehmenden Militanz in den eigenen Reihen Raum den Grazer Stadtteil Mariatrost : „Es ist eine Tatsache , dass fast nur Nazi und darunter die allerärgsten und direkt gefährliche sich hier zu den O.S.S gemeldet haben.“ VF-Archiv 514 / 1039 / 18. 206 Wiltschegg ( 1985 ), 328. 207 Vgl. Botz ( 1976 ), 74 f. Das von Botz erstellte Verzeichnis politischer Gewalttaten enthält bis zum Juli 1927 keinen einzigen Vorfall zwischen sozialdemokratischen und christlichsozialen Gewerkschaftern oder Arbeitern ( vgl. ebenda , S. 259–265 ). Die Legende vom Betriebsterror , die im bürgerlichen Milieu eine wichtige Rolle spielte , dürfte eher der traumatischen Erfahrung von Unternehmern und leitenden Angestellten geschuldet sein , die ihre bis 1918 unumschränkte Verfügungsgewalt im Betrieb verloren hatten und in der Republik vermehrt auf Widerstand der Arbeiterschaft stießen. 208 Zu diesem Ergebnis kommt im Übrigen auch die Arbeit des Christgewerkschafters Wilfried de Waal , die häufig bemüht wird , um die Erzählung vom „Betriebsterror“ zu untermauern. Bezeichnenderweise spricht de Waal schon in der Einleitung davon , dass es sich bei dem Begriff keineswegs um eine „gewalttätige Form des politischen Machtkampfes“, sondern vielmehr um ein „Chiffre“ handle , die er , „da er sich [ … ] eingebürgert hat [ … ] der Einfachheit halber“ übernehme ( S . 1 ). Im Weiteren der Arbeit wird stillschweigend jegliche Aktivität gegen Nicht-Sozialdemokraten bzw. nicht bei den Freien Gewerkschaften Organisierte unter „Betriebsterror“ subsumiert und der Legende damit weiter Vorschub geleistet. Vgl. De Waal , Wilfried ( 1979 ) : Betriebsterror und christliche Gewerkschaften. Das Entstehen des Antiterrorgesetzes , phil. Diss. , Wien. 209 Botz listet zwischen 1922 und 1931 ganze sechs Zusammenstöße zwischen sozialdemokratischen und christlichsozialen Arbeitern auf , vgl. ders. ( 1976 ), 232. 210 Vgl. Hemala , Franz ( 1936 ) : Der Freiheitsbund. In : Jahrbuch der christlichen Arbeiterschaft 1 / 1936 , 136–144 :137. 211 Vgl. Pelinka , Anton ( 1972 ) : Stand oder Klasse ? Die christliche Arbeiterbewegung Österreichs 1933 bis 1938 , Wien / München / Zürich , 29. 212 Vgl. Baumgartner , Walter ( 1985 ) : Der österreichische Freiheitsbund. Wehrverband der Christlichen Arbeiterbewegung 1927–1936 , Dipl.-Arb. , Wien , 10 f. , 47.
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zu geben und auf diese Weise den Abwerbeversuchen der Heimwehren vorzubeugen. Mit der Aufstellung eigener Abteilungen , Zehner- und Hundertschaften wurde im Lauf des Jahres 1928 begonnen ,213 eine straffere , zentralistische Organisation und verstärkte Militarisierung ( Uniformierung , Schießübungen etc. ) brachte aber erst die Statutenreform vom Juni 1930. Ab diesem Zeitpunkt stand der Organisation eine Doppelführung vor , bestehend aus der politischen und der militärischen Leitung.214 Als Bundesführer fungierte Johann Staud , Bundeswehrführer wurde der ehemalige Kommandant der 6. Brigade des Bundesheeres , Generalmajor Adolf Sterz ,215 dem 1935 General Hans Groß folgte.216 Der Freiheitsbund entwickelte ein Netzwerk an Unterorganisationen , zu denen neben Betriebsgruppen auch eine eigene Jugendorganisation , ein akademisches Korps und eine „Frauenhilfsgruppe“ gehörten.217 Die Mitgliederzahlen blieben vorerst aber bescheiden218 und nahmen erst ab der Jahreswende 1933 / 34 sprunghaft zu.219 Wie auch die christlichsoziale Arbeiterbewegung selbst war der Freiheitsbund primär eine ostösterreichische Erscheinung.220 In Quellen und Literatur öfter anzutreffen ist die Behauptung , der Freiheitsbund sei im Austrofaschismus von der Opposition stark unterwandert worden. Allerdings gehen die Behauptungen , wer da nun einsickerte , stark auseinander. So wollte der Besucher einer Innsbrucker Sturmschar-Veranstaltung im November 1934 den „alten Schutzbundgeist“221 verspürt haben , auch aus Wien wurde Anfang Juni 1935 vermeldet , der Freiheitsbund werde „wegen der Durchsetzung seiner Führerschaft mit ehemaligen Schutzbündlern von den anderen Wehrverbänden boykottiert“.222 Allerdings war andererseits das Verhältnis der Organisation zu den Nazis überaus herzlich. Staud arbeitete aktiv an der Einbindung „betont Nationaler“ in die Regierung223 und hatte 1935 keinerlei Hemmungen , sich antisemitische Aktivitäten seiner Organisation von der deutschen Botschaft bezahlen zu lassen.224 Das Einsickern von Oppositionellen war außerdem kein Privileg des Freiheitsbundes. Auch die Heimwehren mussten 1936 die Entdeckung machen , dass sich in ihrem Kraftfahrkorps eine Zelle kommunistischer Wehrsportler eingenistet und Munition entwendetet hatte.225 213 Ebenda , 32. 214 Vgl. Stubenvoll , Karl ( 1982 ) : Die Christliche Arbeiterbewegung Österreichs von 1918 bis 1933. Organisation , Politik , Ideologie , phil. Diss. , Wien , 196–214 , hier 199. 215 Baumgartner ( 1985 ), 19. 216 Ebenda , 112. 217 Ebenda. 218 Stubenvoll gibt für den Jahresbeginn 1929 1.500 Mitglieder an , vgl. ders. ( 1985 ), 203. 219 Wiltschegg nennt für das Jahr 1935 einen Mannschaftsstand von 30.350 , vgl. ders. ( 1985 ), 329. Nach anderen Angaben befanden sich darunter jedoch nur 8.000 Wehrfähige , vgl. Baumgartner ( 1985 ), 114. Behauptungen , wonach 1936 allein in Wien mehr als 40.000 Arbeiter und Angestellte den militärischen Abteilungen angehört hätten ( vgl. Pelinka [ 1972 ] , 76 ) gehen auf die propagandistischen Angaben Hemalas zurück und dürften stark übertrieben sein. 220 Vgl. Stubenvoll ( 1982 ) 203. 221 VF-Archiv 514 /2344 / 10. 222 VF-Archiv 514 / 586 / 3. 223 Carsten ( 1978 ), 227. 224 Vgl. Pelinka ( 1972 ), 164 f. 225 VF-Archiv 514 / 622 / 62–63.
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Ein demokratisches Gegengewicht zu faschistischen Regimeströmungen lässt sich im Freiheitsbund schwerlich erkennen , zumal schon seine Existenz als Ausdruck der autoritären Wende innerhalb der christlichen Gewerkschaften gedeutet werden könnte ,226 seine Führer ungeachtet mehrerer Versöhnungsappelle letztlich keinerlei hinhaltenden Widerstand gegen den Kurs von Dollfuß und später Schuschnigg erkennen ließen und der Freiheitsbund die Errichtung der Diktatur aktiv unterstützte ( woraufhin seine Führer anschließend zu deren Hauptprofiteuren zählten ). Die Perspektive der Opposition auf den Freiheitsbund könnte das bisherige Bild aber ergänzen und schärfen , zudem wäre der Freiheitsbund ein geeignetes Fallbeispiel zur Untersuchung des legal möglichen Dissenses im Regime Dollfuß / Schuschnigg wie auch dessen integrativen Potenzials. Auch sind die Langzeitwirkungen dieser einzigen dezidiert gewerkschaftsnahen Wehrorganisation in der Gründungsphase des ÖGB nach 1945 , die man etwa netzwerkanalytisch erforschen könnte , ein spannendes Thema. Als im engeren Sinn militärhistorische Fragestellung bietet sich im Fall des Freiheitsbundes eine weiter gehende Auseinandersetzung mit dessen – sich voneinander stark unterscheidenden – Landesverbänden und deren militärischer Ausrichtung an. Zu erforschen wäre darüber hinaus auch in diesem Fall die Beziehung mit und Wahrnehmung durch staatliche Behörden , speziell Bundesheer und Exekutive. III. Das Bundesheer Die Umwälzungen im Herbst 1918 beraubten das österreichische Bürgertum vorübergehend seiner militärischen Machtmittel , brachten in einer historischen Ausnahmesituation ein bewaffnetes und organisiertes Proletariat in Gestalt der Volkswehr hervor. Angesichts dessen war es wenig verwunderlich , dass der Entwicklung der bewaffneten Macht allgemein große Bedeutung beigemessen wurde. Die bürgerliche Seite verfolgte dabei zwei Ziele : den sozialdemokratischen Einfluss im Militär zurückzudrängen und selbst loyale Gewaltinstrumente in die Hand zu bekommen. Die österreichischen Stellen hatten Anfang 1919 Vorkehrungen für den Aufbau eines Milizheeres auf Basis einer Allgemeinen Wehrpflicht geschaffen. Der Friedensvertrag mit den Alliierten untersagte dergleichen aber und bestand auf einem Berufsheer. Inwieweit dahinter , ebenso wie hinter der Reduktion der Volkswehr , auch die Interessen der österreichischen Rechten standen , wäre noch zu klären.227 Grundsätzlich waren sowohl Struktur und Gliederung wie auch der Bewaffnung durch die Bestimmungen des Friedensvertrages enge Grenzen gesetzt , die jenen für die anderen Verliererstaaten nachempfunden waren.228 Die zwischen März und November 1920 neu aufgestellte Armee , 226 Als Ziele des Freiheitsbundes hielt § 2 des Statutes nicht nur die „Zusammenfassung der schaffenden christlich-deutschen Bevölkerung zu einer kraftvollen Volksgemeinschaft“ fest , sondern auch die „Förderung einer starken Staatsautorität“, Begriffe wie „Demokratie“ oder „Republik“ sucht man demgegenüber vergeblich , vgl. das Statut , wiedergegeben bei Baumgartner ( 1985 ), 14–19. 227 Vgl. Botz ( 1976 ), 57 , bes. FN 57. Dass die Konservativen massiv auf eine Reduktion der Volkswehr drängten , ist hinreichend belegt. Weniger eindeutig war die Haltung zur Wehrpflicht , auch konservative Länder traten für ein Miliz- statt einem Berufsheer ein , wohl weil sie annahmen , auf diese Weise den Anteil eigener Anhänger heben zu können , vgl. Haas ( 1967 ), 53. 228 Jedlicka ( 1955 ), 21 ; desgl. Ortner ( 2008 ), 482 f.
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die sich zunächst „Österreichische Wehrmacht“ nannte und erst ab 1. Jänner 1922 „Bundesheer“, umfasste schließlich sechs gemischte Brigaden und ersetzte die mit 13. April 1920 aufgelöste Volkswehr. Die Bewaffnung des Bundesheeres bestand vornehmlich aus leichten Infanteriewaffen , ergänzt durch jeweils gut zweihundert leichte und schwere Maschinengewehre , 60 Minenwerfer und 90 Geschütze. Der Besitz von Flugzeugen , Fliegerabwehrwaffen und Panzern war hingegen untersagt , ebenso der Unterhalt eines eigenen Generalstabes.229 Über die Einhaltung dieser Bestimmungen wachte bis Anfang 1928 eine interalliierte Militärkommission.230 Die vorgeordnete Dienststelle des Militärs bildete das Bundesministerium für Heerwesen , das bis November 1920 „Staatsamt für Heerwesen“ geheißen hatte und im November 1933 in „Bundesministerium für Landesverteidigung“ umbenannt wurde. Ihm stand bis zum Auseinanderbrechen der Proporzregierung Mayer im November 1920 Julius Deutsch vor. Neben der Verfassungs- markierte die Wehrfrage eine entscheidende Bruchlinie der Ers ten Republik. Einigen konnte man sich zunächst immerhin auf die Rekrutierung : Wie von den Christlichsozialen gewünscht , erfolgte diese in Landeskontingenten , wobei , wenn sich in einem Bundesland nicht ausreichend Freiwillige fanden , Landesfremde herangezogen werden konnten. Die Sozialdemokratie stimmte dem zu , weil sie offenkundig hoffte , angesichts der antimilitaristischen Grundstimmung in der Bauernschaft die entsprechenden Defizite aus der Arbeiterschaft bedecken und dem Bundesheer da-
229 Im Fall der Luftfahrt versuchte das Bundesheer , die Vertragsbestimmungen zu umgehen , indem die Einrichtungen der Fliegertruppe , soweit noch vorhanden , von der 1923 gegründeten „Österreichischen Luftfahrt Aktiengesellschaft“ ( ÖLAG ) übernommen wurden. Die ÖLAG übernahm auch ehemalige Militärpiloten und bildete in Kooperation mit dem Bundesheer in einem geheimen Programm ab 1928 neue aus. Ab 1933 wurde schließlich die Aufrüstung der Luftwaffe mit Unterstützung Italiens forciert und die Geheimhaltung bis Mitte 1935 schrittweise aufgegeben. Sowohl bei den Februar- , vor allem aber bei den Julikämpfen 1934 kam die Luftwaffe zu Aufklärungszwecken zum Einsatz , vgl. Prigl , Hubert ( 1990 ) : Die Militärluftfahrt in Österreich zwischen November 1918 und Juli 1938 , Dipl.Arb. , Wien ; desgl. ders. ( 1993 ) : Die Geschichte des Fliegerhorstes Langenlebarn von 1936 bis heute , phil. Diss. , Wien. 230 Organisation , Ausstattung , Dislozierung und Bewaffnung des Heeres sind vergleichsweise gut erforscht , siehe Blasi , Walter ( 2011 ) : Soldat auf zwei Rädern : die Motorräder des Bundesheeres der Ersten Republik ( 1920–1938 ), Wien ; Bratranek , Alfred ( 1998 ) : Die militärischen Flußstreitkräfte in Österreich 1918–1938 , Univ. Dipl.-Arb. , Wien ; Steinböck , Erwin ( 1991 ) : Die Organisation des Österreichischen Bundesheeres von 1920 bis 1938. In : Das Bundesheer der Ersten Republik 1918–1938. Teil 1 : Organisation und Bewaffnung [ M ilitaria Austriaca 1991 / Folge 7 ] , Wien , 7–72 ; Mötz , Josef ( 1991 ) : Die Bewaffnung des Bundesheeres der Ersten Republik. In : Das Bundesheer der Ersten Republik 1918– 1938. Teil 1 : Organisation und Bewaffnung [ M ilitaria Austriaca 1991 / Folge 7 ] , Wien , 75–85 ; Urrisk , Rolf M. ( 1988 ) : Die Räderfahrzeuge des österreichischen Bundesheeres 1918–1988 , Graz ; ders. ( 1989 ) : Die Panzerfahrzeuge des österreichischen Bundesheeres 1918–1988 , Graz ; ders. ( 1990 ) : Die Bewaffnung des österreichischen Bundesheeres : 1918–1990 , Graz ; ders. ( 1990 ) : Die Wasserfahrzeuge des österreichischen Bundesheeres 1918–1990 , Graz ; ders. ( 1990 ) : Die Spezialfahrzeuge des Österreichischen Bundesheeres 1918–1988 , Graz ; ders. ( 1993 ) : Die Uniformen des Österreichischen Bundesheeres 1918–1938 , Graz ; ders. ( 2006 ) : 100 Jahre Panzerwaffe im österreichischen Heer , Gnas.
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mit einen proletarischen Charakter geben zu können.231 Heftig umstritten waren dagegen die politische Ausrichtung des Militärs , das Recht auf politische Betätigung von Heeresangehörigen und die Kommandogewalt. Während die Sozialdemokratie auf den republikanisch-demokratischen Charakter des Heeres bedacht war ,232 eiferte die bürgerliche Seite im Verband mit einem Großteil des Offizierskorps dem reichsdeutschen Ideal einer vorgeblich „unpolitischen“ Armee nach.233 Kristallisationspunkte dieser Auseinandersetzung waren neben Eidformel und Traditionspflege besonders die politische Bildungsarbeit innerhalb des Heeres und allfällige politische Aktivitäten von Offizieren und Mannschaften außerhalb der Dienstzeit.234 Hinsichtlich der Kommandogewalt kam man überein , dass „Vertrauensmänner der Mannschaft ( Soldatenräte ) [ … ] die wirtschaftlichen Interessen und vertraglichen Rechte [ … ] zu vertreten [ hatten , und ] eine Beeinträchtigung der Kommandogewalt durch diese Vertrauensmänner [ … ] nicht stattfinden“ dürfe.235 Das änderte allerdings nichts daran , dass viele ehemalige k. u. k. Offiziere schon die bloße Existenz der Soldatenräte als Provokation empfanden. Das Berliner Militärwochenblatt vom 4. Juni 1921 hielt denn auch vermutlich weniger Faktizität fest , als es eine unter österreichischen Offizieren verbreitete Gefühlslage beschrieb , wenn es über das Bundesheer urteilte : „Ein Spiegelbild der traurigen Zustände Deutschösterreichs bildet die politisch völlig zersetzte und kommunistisch verseuchte , gewerkschaftlich organisierte Wehrmacht , in der die Soldatenräte den Begriff einer Kommando- und Befehlsgewalt völlig aufgehoben haben. In der von der Entente zugebilligten Stärke von 30.000 Mann hat die Wehrmacht in ihrer jetzigen Verfassung für die Wehrfähigkeit des Landes nicht den geringsten Wert – eher ist sie eine Gefahr.“236 Als in Deutschland am 13. März 1920 der Kapp-Putsch losbrach , zog am Morgen des 14. März vor dem Parlament in Wien Volkswehr auf , es folgten spontane Arbeiterdemonstrationen. Dieser Druck war ausschlaggebend für die Verabschiedung des Wehrgesetzes am 18. März 1920 , das damit in direkter Beziehung zu den Vorgängen in Deutschland zu sehen ist.237 Es wäre aber verfehlt , darin ein reines Ergebnis linker Ob231 Jedlicka ( 1955 ), 23 f. 232 Vgl. Haas , Karl ( 1985b ) : Die Heeresreform und ihre Durchführung 1920 : Republikanische Verlässlichkeit des Heeres und Sicherung der parteilichen Machtstellung als sozialdemokratische Maximen. In : ders. : Austromarxismus und Wehrfrage , 145–175. 233 Anders als der abgedankte Deutsche Kaiser Wilhelm hatte der österreichische Monarch Karl „seine“ Soldaten und Offiziere nicht aus dem Eid entlassen , was viele vor erhebliche Gewissensprobleme stellte , vgl. Jedlicka ( 1955 ), 29 f. , Rauter ( 1989 ), 47. 234 Vgl. ebenda. 235 Koalitionsabkommen 1919 , zitiert nach Deutsch ( 1923 a ), 128. 236 Zitiert nach Jedlicka ( 1955 ), 57. 237 Vgl. Körner , Theodor ( 1977 ) : Militärputsch in Berlin – und seine Lehren. In : ders. : Auf Vorpos ten. Ausgewählte Schriften 1928–1938 , herausgegeben und kommentiert von Ilona Duczynska , Wien , 138–177 :138 f. [ u rsprünglich erschienen in der Beilage „Auf Vorposten“ der Zeitung des Militärverbandes , „Der Freie Soldat“ im Mai und Juni 1930 ] , desgl. Haas ( 1967 ), 112 f. Die Genese des Wehrgesetzes selbst ist dargelegt bei Staudinger , Anton ( 1970 ) : Die Entstehung des Wehrgesetzes vom 18. März 1920. In : Österreichische Militärische Zeitschrift 8 / 1970 , 136–140.
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struktionspolitik zu sehen. Auch die Sozialdemokratie hatte Abstriche machen müssen. Das illustrierte nicht zuletzt die Gründung einer eigenen Soldatengewerkschaft , des Militärverbands , am 1. Mai 1920. So sollte der Einflussverlust infolge des Niederganges der Soldatenräte gebremst werden.238 Der Koalitionsbruch und die Bildung der ersten bürgerlichen Alleinregierung brachten im April 1921 erstmals kurzzeitig einen Mann ins Heeresministerium , der eines der längstdienenden Regierungsmitglieder der Ersten Republik werden sollte und die Geschichte des Bundesheeres maßgeblich prägte : der Wiener Christlichsoziale Carl Vaugoin.239 In seinen ersten Monaten im Amt war Vaugoin mit der Bewältigung der Burgenlandkrise beschäftigt ,240 hinsichtlich der militärischen Qualifikation Vaugoins plagten den nunmehrigen Kanzler Schober aber offenkundig bald Zweifel. Anfang Oktober 1921 entließ er Vaugoin und berief an dessen Stelle Oberst Josef Wächter , dessen Sohn zu den Führern des Juliputsches im Jahr 1934 gehören würde.241 Mit der Kanzlerschaft Seipels kehrte Vaugoin aber bereits Ende Mai 1922 wieder ins Heeresministerium zurück. Dort wandte er sich umgehend seinem Kernanliegen zu : der „Entpolitisierung“ des Heeres.242 Die Bewertung dieses Vorhabens durch die Geschichtsschreibung ist letztlich untrennbar mit deren Verständnis von Politik und Gesellschaft verbunden. Während nämlich noch allgemein ersichtlich ist , dass Vaugoin im Weiteren nicht an einer Ent- , sondern an einer Umpolitisierung gelegen war , wird Personen wie Schober , SchönburgHartenstein oder Jansa häufig attestiert , sie wären tatsächlich an einem „neutralen“ Militär interessiert gewesen , treu im Dienste des Volksganzen. In Wirklichkeit hieß „unpolitisch“ zu sein aber auch in deren Fall , ein verlässliches Instrument der politischen Rechten zu werden. Die Mehrheit der Offiziere sowohl der Polizei wie der Armee ver238 Vgl. Böhner , Gerhard ( 1982 ) : Die Wehrprogrammatik der SPÖ , Wien , 90 f. 239 Zum politischen Wirken Vaugoins vgl. umfassend Staudinger ( 1971 ). 240 Teile der deutschsprachigen Gebiete Westungarns waren in den Friedensverhandlungen 1919 Österreich zugeschlagen worden , allerdings zögerte Ungarn die tatsächliche Abtretung mehrfach hinaus und ließ die fraglichen Gebiete im August 1921 durch Gendarmerie und nationalistische Freischärler besetzen. Auch die österreichische Seite setzte nun Gendarmerie in Marsch , die allerdings gegen die ungarischen Kräfte nicht aufkam und sich nach zwei Wochen und mehreren , zum Teil heftigen Gefechten wieder zurückziehen musste. Unter Ausnützung der innerungarischen Wirren infolge des Restaurationsversuches von Karl Habsburg und mit politischer Rückendeckung durch die Alliierten rückte ab Mitte November 1921 das Bundesheer in zwei Etappen im Burgenland ein , wobei es nur zu einem Zusammenstoß mit ungarischen Freischärlern bei Kittsee kam. Zur Burgenlandkrise siehe Schlag , Gerald ( 1983 ) : Die Kämpfe um das Burgenland 1921 , Wien ; desgl. ders. ( 2001 ) : Aus Trümmern geboren … Das Burgenland 1918–1921 , Eisenstadt ; Walder , Peter ( 1998 ) : Die Organisation der Gendarmerie im Burgenland 1919–1921 , Univ. Dipl.-Arb. , Wien ; Jedlicka , Ludwig ( 1961 ) : Die militärische Landnahme des Burgenlandes und deren innenpolitische Bedeutung. In : Burgenländische Heimatblätter , Nr. 23 / 1961 , 117–123. 241 Vgl. Jedlicka ( 1955 ), 116 f. 242 Seine beiden wichtigsten Mitarbeiter in dieser Funktion waren Robert Hecht und Artur Schiebel. Während zu Hecht eine umfassende Arbeit vorliegt , vgl. Huemer , Peter ( 1975 ) : Sektionschef Robert Hecht und die Zerstörung der Demokratie in Österreich. Eine historisch-politische Studie , Wien , existiert zu Schiebel lediglich eine knappe Diplomarbeit , vgl. Rehak , Christian ( 2002 ) : Schiebel Artur , General der Infanterie und Sektionschef des Bundesministeriums für Heerwesen. Eine Biografie , Dipl.-Arb. , MilAk , Wiener Neustadt.
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standen sich in der k. u. k. Tradition als elitäre , über Zweifel erhabene Kaste von Dienern einer Nation , die ihrerseits letztlich vage blieb. Als Kern dieser Vorstellungswelt blieb lediglich ein konservatives , hierarchisches Gesellschaftsverständnis übrig , das mit demokratischen Rahmenbedingungen zwangsläufig in Konflikt geriet : „Mit Schmerz muß der wahre Volksfreund erkennen , daß die vielgepriesene Freiheit täglich und stündlich in der gröbsten Weise mißbraucht wird und in der Presse wie im Parlament Zustände herrschen , die geradezu – nach der Polizei schreien.“243 Es war daher nicht nur Vaugoin , der die Umfärbung der Armee betrieb , sondern er wurde dabei massiv von der Mehrheit des Offizierskorps unterstützt. Die politischen Säuberungen konzentrierten sich in den nächsten Jahren auf drei Ebenen : 1. Als Gegengewicht zum sozialdemokratischen Militärverband begann er ab 1922 mit Unterstützung der christlichsozialen Gewerkschafter um Kunschak und Staud mit dem Aufbau einer eigenen , christlichsozialen Soldatengewerkschaft , dem Wehrbund. Dieser erlangte rasch beträchtlichen Einfluss , speziell auf die Personalpolitik , und fungierte innerhalb des Ressorts zeitweise als eine Art „Nebenregierung“. 2. Mithilfe einer Traditionspflege , die statt scharfer Abgrenzung vom Kaiserreich dessen militärische Glorie betonte , sollte umstürzlerisches Gedankengut in der Truppe zurückgedrängt werden. Die Verklärung der Monarchie stieß allerdings nicht nur im sozialdemokratischen , sondern auch im deutschnationalen Milieu auf heftigen Widerspruch.244 3. Der wichtigste Verbündete des Ministers bei seinem Vorhaben war die Zeit. Im Vertrag von Saint-Germain waren dem Bundesheer detaillierte Auflagen gemacht worden.245 Dazu gehörte ein Bestand von insgesamt 30.000 Mann , verteilt auf 1.500 Offiziere , 2.000 Unteroffiziere und 26.500 Wehrmänner. Offiziere und Berufsunteroffiziere hatten eine Dienstzeit von 35 Jahren , Mannschaften sechs Jahre aktiv und sechs Jahre in der Reserve. Bereits ab 1924 konnte sich der Minister daher auf alliierten Zwang berufen , wenn er ihm unzuverlässig erscheinende Elemente aus dem aktiven Dienst verbannte. Ersetzt wurde das abgehende Personal speziell durch Männer , die zum Nachweis ihrer politischen Verlässlichkeit entsprechende Atteste ihrer Pfarrer , christlichsozialen Abgeordneten oder christlichsozialen Personalvertreter beibringen konnten.246 Auch der Beamtenabbau im Zuge der Genfer Sanierung 1922 bot 243 Ebenda , 353. Schön illustriert diese Perspektive in der Geschichtsschreibung die Dissertation von Kristan ( 1988 ), die in ihren Bewertungen nahtlos an die zeitgenössische Rechte anschließt , sowohl wenn es um die Volkswehr als auch um das Wehrgesetz geht. 244 Zur Traditionspflege des Bundesheeres in der Ersten Republik wäre noch viel Arbeit zu leisten , einen hilfreichen Ausgangspunkt dabei kann die Darstellung von Rolf M. Urrisk bilden , vgl. ders. ( 1997 ) : Die Traditionspflege des österreichischen Bundesheeres 1918–1998 , Gnas , 11–20 ; Hoy , Matthias ( 2005 ) : Tradition und Traditionspflege im österreichischen Bundesheer. In : Etschmann , Wolfgang / Speckner , Hubert ( Hg. ) : Zum Schutz der Republik Österreich … , Wien , 491–495 :494. Auch die Traditionspflege des Bundesheeres der Zweiten Republik und ihre Auseinandersetzung mit der Zwischenkriegszeit wäre ein lohnendes Feld. 245 Eine detaillierte Aufstellung der Vertragspunkte , vor allem aber eine umfassende Darstellung der Gliederung findet sich bei Steinböck ( 1991 ), 7 f. 246 Vgl. Staudinger ( 1971 ), 298. Siehe auch die Darstellung Johann Fürböcks , der als Betroffener
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eine willkommene Gelegenheit zu gezielter Personalpolitik. Immerhin war es üblich , um sich eine gewisse Gesprächsbasis mit der Opposition zu erhalten , der Sozialdemokratie bei den Neuaufnahmen ein kleines Kontingent zuzugestehen. Diese Praxis wurde durch die Regierung Seipel aber 1926 eingestellt.247 Neben politischen Säuberungsmaßnahmen , beständigen Geldsorgen und einem fatalen Image des Militärs in der Bevölkerung248 waren die folgenden Jahre vom Bemühen des Bundesheeres geprägt , seine Rolle als bewaffnete Macht im Staat zu behaupten. Als Konkurrenten traten hier sowohl Wehrverbände als auch und vor allem die Exekutive auf den Plan. Trotz mannigfaltiger personeller Überschneidungen und partieller Kooperationen , als etwa 1925 /26 die Südtirolfrage zu eskalieren drohte ,249 war die institutionelle Rivalität zwischen staatlicher Macht und Wehrverbänden ein Kontinuum , das erst im Austrofaschismus eine Lösung erfuhr , zunächst mit der Niederwerfung des Schutzbundes und der SA bzw. SS 1934 , später mit der Auflösung der Heimwehren 1936. Sicherheitspolitisch war Österreich in der Zwischenkriegszeit bekanntlich zwischen zwei einander belauernden Interessenkoalitionen eingekeilt. Bereits im August 1920 hatten Jugoslawien und die ČSSR ein Bündnis geschlossen , dem sich später Rumänien anschloss und das durch Polen , vor allem aber durch Frankreich gefördert wurde. Diese Kleine Entente bezweckte im Wesentlichen den Erhalt des Status quo im Donauraum : kein Erstarken Ungarns , keine Restauration der Habsburger , kein Vordringen Deutschlands durch Anschluss Österreichs. Die Teilnehmerstaaten der Kleinen Entente akkordierten sich nicht nur politisch , sondern auch militärisch : Zwischen 1929 und 1937 fanden regelmäßige Besprechungen der Generalstäbe statt , die insgesamt neunzehn Operationspläne ausarbeiteten. Auch ihre Gegner blieben keineswegs untätig. Während die deutsche Reichsregierung aber vorerst anderwärtig beansprucht war und sich bis Anfang der 1930er nicht sonderlich für die Vorgänge an ihrer Südgrenze interessierte , erkannten Ungarn und Italien rasch ihre gemeinsamen Interessenlagen und begannen , schildert , er habe 1924 im Café Leopold Kunschak angesprochen und ihn um Unterstützung seines Aufnahmegesuchs gebeten. Dieser bestellte ihn , ohne sich nach seiner Parteimitgliedschaft zu erkundigen , zu sich ins Parlament und rief dort in Gegenwart des Aspiranten „eine Heeresdienststelle“ an. Daraufhin erfolgte auch tatsächlich die Aufnahme , allerdings wurde nach Ablauf der sechsjährigen Dienstzeit eine Weiterverpflichtung abgelehnt , offenbar , weil der Betreffende zwischenzeitlich nicht dem Wehrbund beigetreten war. Vgl. Fürböck , Johann o. J. [ 1968 ] : 50 Jahre republikanische Gendarmerie. Österreichische Gendarmen erzählen , Wien , 7 f. 247 Haas , Karl ( 1985 c ) : Das Debakel der sozialdemokratischen Militärpolitik oder die Bilanz der Erfahrungen : das militärpolitische Kalkül vom demokratisch-republikanischen , neutralistischen bürgerlichen Heer als Illusion. In : ders. : Austromarxismus und Wehrfrage , 237–252 :241 f. 248 So ist einem vertraulichen Lagebericht der Tiroler Heimwehr noch 1924 zu entnehmen , die Landbevölkerung erkundige sich bei jeder sich bietenden Gelegenheit , „ … weshalb die Wehrmacht noch nicht aufgelöst wurde. Sie glaube , der Ausbau der Reschenbahn , der Fernpassbahn etc. , der Bau von Wohnungen bringe mehr Nutzen als das Bundesheer.“ Zitiert nach Rebitsch ( 2009 ), 124. 249 Vgl. McLoughlin ( 1990 ), 122–128 ; Vlcek ( 1971 ), 108–114. Eine neuerliche Kooperation zwischen Wehrverbänden beider Lager und der Staatsmacht bahnte sich 1933 an , als eine Invasion der Österreichischen Legion befürchtet wurde. Die Entlassung Vaugoins als Heeresminister im September 1933 setzte diesen Bestrebungen jedoch bald ein Ende , vgl. Staudinger ( 1971 ), 362 f.
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nach der Etablierung ihrer jeweiligen Rechtsregime danach zu handeln. Österreich war hier insbesondere als Aufmarschraum gegen die Tschechoslowakische Republik und Jugoslawien interessant , aber auch als Landbrücke für den Nachschub zwischen den beiden Partnern.250 Obwohl sich Österreich seit der ersten Kanzlerschaft Schobers traditionell um ein gutes Einvernehmen mit der ČSR bemühte , kam es zu keinerlei militärischer Kooperation. Wie die anderen Anrainerstaaten auch nahm die ČSR das österreichische Militär schlicht nicht ernst genug.251 Als im März 1931 die deutsch-österreichischen Zollunionspläne bekannt wurden , protestierten die Staaten der kleinen Entente vehement , weil sie darin nicht ganz zu Unrecht einen wirtschaftlichen Anschluss sahen.252 An der dauerhaften Trübung der Beziehungen konnte auch nichts ändern , dass auch Italien strikt gegen die Zollunion gewesen war. Mit der Regierungsübernahme durch Dollfuß im Mai 1932 erfolgte eine zunehmend stärkere Anlehnung an Italien und Ungarn , wie nicht nur der Abschluss der Römischen Protokolle im März 1934 , sondern auch eines Rüstungsabkommens im November 1934 belegen.253 Wohl nicht nur aufgrund der angespannten Haushaltslage , sondern auch weil es den regierenden Parteien als politisch unzuverlässig galt , blieben die Personalstände des Bundesheeres deutlich unter dem von den Alliierten zugestandenen Limit.254 Einen Wendepunkt markierte auch in diesem Fall das Jahr 1927 , und zwar schon Monate vor dem 15. Juli , nämlich als den Schutzbund mit der Räumung seiner Waffenbestände im Wiener Arsenal im März 1927 die bis dahin größte Entwaffnungsaktion der Republik ereilte. Die Entwaffnung der einen stellte einen bedeutsamen Nachschubfaktor für die anderen dar : Sämtliche beschlagnahmten Waffen gingen in den Besitz des Bundesheeres über.255 250 Zu diesem Zweck erhielt Österreich Zuschüsse für den Bau der Packer Bundesstraße und der Großglockner Hochalpenstraße , vgl. Steinböck ( 1988 ), 34. Zur Rolle Österreichs in den sicherheitspolitischen Überlegungen seiner Nachbarn siehe auch Jedlicka , Ludwig ( 1975 ) : Aufteilungs- und Einmarschpläne um Österreich 1918–1934. In : ders. : Vom alten zum neuen Österreich. Fallstudien zur österreichischen Zeitgeschichte 1900–1975 , St. Pölten , 141–165. 251 Vgl. Jedlicka ( 1955 ), 37. 252 Siehe dazu Dejmek , Jinřich ( 1994 ) : Die tschechoslowakisch-österreichischen Beziehungen zur Zeit der Verhandlungen über eine deutsch-österreichische Zollunion 1930–1931 [ in tschechischer Sprache mit deutschspr. Abstract ]. In : Historický ústav ( Hg. ) : Moderní Dĕjiny 2. Sborník k dĕjinám 19. A 20. Století , Prag , 233–260 253 Vgl. Enderle-Burcel , Gertrude ( 1993 ) : Militarisierung der Gesellschaft – Aspekte österreichischer Wehrpolitik 1918–1938 , In : Festschrift für Kurt Peball [ M itteilungen des österreichischen Staatsarchives 43 ] , Wien , 178–193 :189 , desgl. Steinböck ( 1988 ), 34. 254 Die Heeresausgaben stiegen zwischen 1925 und 1931 zwar moderat , aber kontinuierlich an , während die Personalstände des Militärs in etwa gleich blieben. Allerdings kam es zu einer Umschichtung zwischen den Standesgruppen : Während die im Friedensvertrag vorgeschriebene Maximalzahl an Offizieren 1932 fast ausgeschöpft war , war der Anteil der Wehrmänner sogar wieder gesunken , was wohl nicht zuletzt auf die politischen Säuberungen Vaugoins zurückzuführen war. 1932 erlebte das Budget infolge der Wirtschaftskrise eine empfindliche Kürzung , vgl. Jedlicka ( 1955 ), 72 f. Allerdings stiegen die faktischen Militärausgaben ab dem Jahr 1934 , zum Teil verschleiert , wieder stark an , vgl. Enderle-Burcel ( 1993 ), 188. 255 Vgl. Barthou , Michael ( 2002 ) : Rüstung und Rüstungsanstrengungen des Österreichischen Bundesheeres von 1935 bis 1940 , Dipl.-Arb. , MilAk Wiener Neustadt , 12.
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Im Zuge des Justizpalastbrandes im Juli 1927 hatte das Bundesheer Sicherungsaufgaben übernommen. Nachdem es diese Probe seiner Loyalität zufriedenstellend gemeis tert hatte ,256 folgten zahlreiche weitere Einsätze als Assistenzkörper der Exekutive , so während des Aufmarsches in Wiener Neustadt im Oktober 1928 ,257 anlässlich des Pfrimer-Putsches im September 1931258 und zur Durchsetzung des Verbotes des Maiaufmarsches 1933. Anfang Oktober 1928 stellte die interalliierte Kontrollkommission ihre Tätigkeit in Österreich ein. Nun wurden im Heeresressort umgehend Vorbereitungen für den Ausbau des Militärs getroffen. Im Kern ging es dabei um eine Reorganisation der Infanterie , eine stärkere Motorisierung der Truppe , eine Modernisierung der Artillerie und den Aufbau der Luftwaffe259 sowie um die Verbesserung der Kommunikationsmittel.260 Seit Beginn der Kanzlerschaft Seipels 1926 war man verschärft gegen die verbliebenen Sozialdemokraten innerhalb des Heeres vorgegangen. Auch die externen Kontrollmöglichkeiten wurden systematisch beseitigt. Durch die Verfassungsreform 1929 wurde dem Parlament der Oberbefehl über das Heer entzogen und dieser dem Bundespräsidenten übertragen. Die Ständige Parlamentskommission existierte zwar noch bis 1932 , wurde in ihrer Arbeit aber systematisch behindert. Worin nach der Bewährung bei diversen Assistenzeinsätzen die wahrscheinlichsten Einsatzszenarien für das Bundesheer bestanden , wurde im Rahmen der Herbstmanöver 1930 ersichtlich. Nach übereinstimmendem Dafürhalten der sozialdemokratischen Militärfachleute dienten sie dazu , einen „Marsch auf Wien“ zu proben.261 Straßenkampfvorschriften , einschlägige Übungen und Alarmpläne sowie Absprachen mit der Exekutive für den Ernstfall ergänzten diesen Eindruck stimmig.262 Hier wurde eine Armee fit für den Bürgerkrieg gemacht. Anfang Februar 1932 wurde in Genf eine internationale Abrüstungskonferenz eröffnet , deren Auswirkungen im Fall Österreichs und anderer Verliererstaaten paradox waren : Sie durften fortan mit internationalem Segen aufrüsten. Österreichs Verhandlungsziel hatte in der Einführung der allgemeinen Wehrpflicht bestanden , was von allen Parlamentsparteien , wenn auch aus unterschiedlichen Motiven , unterstützt worden war. Damit konnte man sich zwar nicht durchsetzen , erreichte aber immerhin , dass weder Polizei und Gendarmerie noch die Heimwehren auf den Stand des Heeres angerechnet wurden. Wichtiger noch war aber das Placet263 für die Aufstellung des kurzzei256 Vgl. Rebitsch ( 2009 ), 125. 257 Zu den Aufmärschen in Wiener Neustadt hat Peter Zumpf eine ausführliche Quellen- und Fotoedition erstellt , vgl. ders. ( 1998 ) : Konfrontation Schutzbund – Heimwehr. Wiener Neustadt 1928. 258 Schober hatte ursprünglich nur Gendarmerie einsetzen wollen. Nachdem Julius Deutsch aber deponiert hatte , dass diese wohl kaum als verlässlich angesehen werden könne , da ihr steirischer Landeskommandant , Oberstleutnant Franz Zelburg , selbst der steirischen Heimwehr nahestand , sagte der Kanzler schließlich den Einsatz des Bundesheeres zu , vgl. Hofmann ( 1965 ), Wiener Neustadt , 70. 259 Vgl. Barthou ( 2002 ), 13 f. 260 Vgl. McLoughlin ( 1990 ), 280. 261 Vgl. ebenda. 262 Vgl. Heeresgeschichtliches Museum ( Hg. ) ( 1968 ) : 1918–1968. Die Streitkräfte der Republik Österreich , Wien [ K atalog zur Sonderausstellung im Heeresgeschichtlichen Museum Wien 1968 ] , 219 f. 263 Man begnügte sich bereits mit den positiven Signalen während der Verhandlungen , die Einfüh-
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tig dienenden Assistenzkorps , wobei man die internationalen Gesprächspartner über die Bestimmung des Assistenzkorps keineswegs im Unklaren ließ.264 Im Jahr 1931 war die Regierung mit der Novellierung des Wehrgesetzes gescheitert , mit der innerhalb des Heeres noch schärfer gegen politische Gegner vorgegangen werden sollte.265 Nachdem sie den Nationalrat stillgelegt hatte , dekretierte die Bundesregierung 1933 in rascher Folge drei Wehrgesetznovellen , die der weiteren politischen Durchdringung des Heeres in ihrem Sinne dienen sollten.266 Erstmals richtete sich das auch gegen Anhänger der NSDAP , von denen etwa tausend auf Basis der dritten dieser Novellen267 entlassen wurden.268 Damit machte sich Heeresminister Vaugoin innerhalb des Offizierskorps viele Feinde. Man hatte ihn gerne unterstützt , solange es um die Zurückdrängung sozialdemokratischer Strömungen gegangen war. Sein nunmehriges Vorgehen wurde aber als unlautere Einmischung in die innere Verfassung des Heeres zurückgewiesen.269 Die Entlassung Vaugoins aus dem Kabinett und die Übernahme der Heeresagenden durch den Bundeskanzler im September 1933 unterstrich dessen Willen , die Republik in einen Staat faschistischen Zuschnitts überzuleiten.270 Mit der steten Verschlechterung des Verhältnisses zum Deutschen Reich wandte sich das Einsatzszenario des Bundesheeres gleichzeitig stärker der Gefahr einer Invasion zu. Ihr versuchte man ab 1934 , durch eine stärkere Anlehnung an die Achse Rom-Budapest271 und eine intensive Aufrüstung zu begegnen. Letztere wurde vom 1935 neu eingesetzten Generalstabschef Alfred Jansa272 vorangetrieben und sowohl durch eigene Mittel als auch durch italienische Anleihen finanziert. Diese Unterstützung Wiens durch Rom war durchaus im Sinne der Westmächte , offenbar war der erste italienische Rüstungskredit sogar ein direkter Abtausch gegen die Gewährung französischer Rüstungshilfen.273 Doch der Abessinienkrieg und die deutsch-italienische Achse warfen bereits ihre Schatten voraus : Die ursprünglich von Italien zugesagte Übergabe von 1.000 Beutegerung des Assistenzkorps datiert vor den formellen Abschluss der Abrüstungskonferenz. 264 Vgl. Wrba , Marian ( 1989 ) : Genfer Politik. Österreich und das System der Kollektiven Sicherheit 1932–1935 , Dipl.-Arb. , Wien , 87 f. 265 Vgl. Rauter ( 1989 ), 83 ff. 266 Vgl. Enderle-Burcel ( 1993 ), 182 267 BGBl. 296 / 1933 268 Vgl. Schmidl , Erwin A. ( 1987 ) : März ’38. Der deutsche Einmarsch in Österreich , Wien , 48. Zu NS-Aktivitäten im Heer siehe ebenda , 47–57. Vgl. desgl. Marschnig , Gerhard Paul ( 1984 ) : Die Militarisierung der Gesellschaft im Autoritären „Ständestaat“, Dipl.-Arb. , Klagenfurt , 51 f. 269 Vgl. Staudinger ( 1971 ), 349 ff. Mit der Entlassungswelle 1933 war das NS-Problem im Bundesheer keineswegs beseitigt , wie zahlreiche Beschwerden der Vaterländischen Front belegen , vgl. VF-Archiv 514 / 754 / 103 ; 514 / 847 / 4 270 Vgl. Staudinger ( 1971 ), 372 ff. 271 Dem bereits angesprochenen Militärpakt mit Italien und Ungarn vom 11. November 1934 folgte zu Ostern 1936 eine weitere Vereinbarung mit Italien , das für den Fall eines deutschen Angriffs die Unterstützung des Bundesheeres durch fünf italienische Divisionen zusagte , vgl. Steinböck ( 1988 ), 34. 272 Zur Person Jansa siehe Hafner , Johann ( 1991 ) : Feldmarschalleutnant Jansa Alfred Edler von Tannenau , phil. Diss. , Wien. Seit Kurzem liegen die Erinnerungen Jansas in gedruckter Form vor , vgl. Jansa , Alfred ( 2011 ) : Erinnerungen. Ein österreichischer General gegen Hitler. Eingeleitet und he rausgegeben von Broucek , Peter. Wien / Köln / Weimar. 273 Enderle-Burcel ( 1993 ), 189.
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schützen der k. u. k. Armee samt Munition an das Bundesheer kam nur in Ansätzen zustande. Weitere Kredite verweigerte Rom trotz entgegengesetzter Vereinbarungen ebenso wie die gleichfalls vereinbarte Lieferung von schweren Panzern.274 Diverse materielle Hilfestellungen Italiens für die Exekutive in Österreich weisen auf eine Strategie hin , die Diktatur Schuschniggs im Inneren zu stabilisieren , sie aber nicht zu einem militärischen Faktor gegenüber den Anrainerstaaten , vor allem Deutschlands , werden zu lassen. Die letzte Phase des Österreichischen Bundesheeres war geprägt von zunehmenden Meinungsverschiedenheiten zwischen militärischer und politischer Führung rund um den sogenannten Jansa-Plan zur Verteidigung des Landes.275 Inwieweit tatsächlich der häufig zu vernehmende Befund zutrifft , Schuschnigg habe auch in diesem Fall einfach konzeptlos agiert , ist allerdings fraglich. Der Kanzler verweigerte sich den Rüstungswünschen seiner Militärs wohl auch einfach deshalb , weil er nie wirklich vorhatte , einem Vordringen Deutschlands mit Waffengewalt zu begegnen. Was die Stellung des Heeres im Staat betrifft , so gibt es zahlreiche eindeutige Hinweise darauf , dass sowohl die Führung des Militärs als auch der Exekutive in der Transformationsphase von der Republik zur Diktatur nicht einfach die willigen Befehlsempfänger waren , als die sie sich später selbst darstellten oder dargestellt wurden.276 Wie Vaugoin 1933 feststellte , wäre der diktatorische Kurs ohne das Einverständnis von Armee und Exekutive gar nicht möglich gewesen.277 Die Armee war tragende Säule des Staates , nach den Worten des Staatssekretärs Guido Zernatto gehörten „die Armee und die Vaterländische Front [ … ] zusammen und haben die Aufgabe diesen Staat zu halten und zu garantieren“.278 Die Armee ließ sich willig in die neue , faschistische Struktur integrieren und unterstützte eine entsprechende Indoktrinierung ihrer Kader.279 Die 274 Vgl. Jedlicka ( 1955 ), 139 ff. Allerdings wurden bis 1938 mehrere leichte M.33 / 35 Panzer von F iat geliefert , die eigentlich nicht in die österreichischen Verteidigungskonzepte passten , vgl. Barthou ( 2002 ), 42 ff. Zu den k. u. k. Beutegeschützen siehe auch Wiener , Friedrich ( 1977 ) : Österreich-Ungarns schwere Artillerie. Einige Bemerkungen zum Nachkriegsschicksal der schweren Geschütze des kaiserlichen Heeres. In : Bradley , Dermot / Marwedel , Ulrich ( Hg. ) : Militärgeschichte , Militärwissenschaft und Konfliktforschung. Eine Festschrift für Werner Hahlweg [ Studien zur Militärgeschichte , Militärwissenschaft und Konfliktforschung , Bd. 15 ] , Osnabrück , 443–451. 275 Zu den Verteidigungsplanungen vgl. Schmidl ( 1987 ), 61–68 ; Zeinar ( 2006 ), 666–719 , Steinböck ( 1988 ), 79–100 , Broucek , Peter ( 1981 ) : Die militärische Situation Österreichs und die Entstehung der Pläne zur Landesverteidigung. In : Neck , Rudolf / Wandruszka , Adam ( Hg. ) : Anschluß 1938. Protokoll des Symposiums in Wien am 14. und 15. März 1978 [ Wissenschaftliche Kommission des TheodorKörner-Stifungsfonds und des Leopold-Kunschak-Preises zur Erforschung der österreichischen Geschichte der Jahre 1918 bis 1938 , Bd. 7 ] , Wien , 135–163. Desgleichen die vielfältigen Hinweise in der hervorragenden Studie von Lassner zur österreichischen Außenpolitik in den 1930ern , vgl. Lassner , Alexander N. ( 2001 ) : Peace at Hitler’s Price : Austria , the great powers and the ‘Anschluss’ , 1932–1938 , phil. Diss. , Ohio State University. 276 Prototypisch nachzulesen bei Allmayer-Beck , Johann Christoph ( 1968 ) : Das Vorspiel zur Katas trophe , In : Heeresgeschichtliches Museum ( Hg. ) ( 1968 ) : 1918–1968. Die Streitkräfte der Republik Österreich , Wien [ Katalog zur Sonderausstellung im Heeresgeschichtlichen Museum Wien 1968 ] , 219 f. 277 Vgl. Huemer ( 1975 ), 124. 278 Rede Zernattos über „Vaterländische Front und bewaffnete Macht vor Mitgliedern des Generalstabes 1937 , VF-Archiv 514 /2989 / 1–5 :5. 279 Das wird anhand des Curriculums der Wiener Neustädter Militärakademie deutlich , die weltan-
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Heeresführung achtete dabei zwar darauf , ihre neu gewonnene Autonomie nicht neuerlich beschneiden zu lassen ,280 das war aber nicht als prinzipielle Distanz zu interpretieren.281 Auch die Rivalitäten mit den rechten Wehrverbänden waren einer institutionellen Konkurrenz und nicht politischen Meinungsverschiedenheiten zuzuschreiben , wie mehrere Stimmungsberichte aus dem Heer zeigen.282 Die autoritäre Wende entsprach schließlich insbesondere dem Gesellschaftsbild des Offizierskorps , dessen jüngere , stärker deutschnational orientierte Teile283 allenfalls eine stärker völkisch orientierte Staatsausrichtung begrüßt hätten. Die folgende Militarisierung der Gesellschaft , von der Justiz284 über den Sport285 bis zur vormilitärischen Jugenderziehung286 geschah unter aktiver Teilhabe des Bundesheeres. Ebenso war die Beseitigung der Personalvertretung im Heer und wohl auch die Zurückdrängung und endliche Beseitigung der miss liebigen Heimwehrkonkurrenz auf das Betreiben der Heeresführung zurückzuführen. Selbstverständlich im Sinne des Heeres waren außerdem die Einführung der Allgemeinen Wehrpflicht und die forcierte Aufrüstung ab 1935 , auch wenn sie nicht in den angestrebten Dimensionen erfolgte.287 schaulichen Schulungen umfassend Platz einräumte und dafür hochrangige Referenten verpflichtete , vgl. VF-Archiv 514 /2430 / ohne Seitenangabe. 280 So wurden zwar sämtliche Heeresangehörige in der VF erfasst , allerdings wurde 1936 verfügt , dass die VF-Landesleitungen sich nicht direkt an die VF-Dienststellen innerhalb des Heeresressorts wenden durften , sondern dies ausschließlich im Wege des Generalsekretariats zu erfolgen hatte. Offenkundig sollten auf diese Weise Störungen der Befehlskette ausgeschlossen werden , ein eindeutiges Zugeständnis an die Heeresführung , vgl. VF-Archiv 514 / 848 / 5–11. Auch wenn es um die geeignete Verbreitung des Wehrgedankens ging , war die Heeresleitung nicht gewillt , sich von der Vaterländischen Front hineinreden zu lassen , wie ein Briefwechsel anlässlich der Herausgabe des Buches „Die Österreichische Wehrmacht 1937“ zeigte , vgl. VF-Archiv 514 /2988 / 1–12. 281 So übertrug durchaus auch das Bundesheer der VF Kompetenzen , wo ihm das hilfreich erschien , etwa wenn es um die Sammlung von Spenden zum Ausbau der Luftwaffe ging , vgl. VF-Archiv 514 /2220 / 53–54 , oder um die Überprüfung der politischen Zuverlässigkeit von Aufnahmekandidaten ins Heer , vgl. VF-Archiv 514 / 7 74 / 3 , bzw. von Freiwilligen für Feldübungen , vgl. VF-Archiv 514 / 7 79 /26. Auch verschloss sich das Bundesheer keineswegs allfälligen Interventionen der VF , vgl. etwa die von der VF-Baden betriebene Aufnahme eines Bewerbers an der Militärakademie Wiener Neustadt , vgl. VF-Archiv 514 / 1 184 / 31–32. 282 Symptomatisch war etwa der Ärger im Bundesheer über die Versuche der Heimwehren , sich die Meriten für die Februarkämpfe anzuheften , vgl. VF-Archiv 514 / 32 / 39–44. 283 Vgl. Schmidl ( 1987 ), 49 ff. 284 Vgl. Neugebauer , Wolfgang ( 1995 a ) : Politische Justiz in Österreich 1934–1945. In : Weinzierl , Erika / R athkolb , Oliver / A rdelt , Rudolf G. / Mattl , Siegfried : Justiz und Zeitgeschichte. Symposionsbeiträge 1976–1993 , Bd 1 , Wien , 114–138 ; Neugebauer , Wolfgang ( 1995 b ) : Standgerichtsbarkeit und Todesstrafe in Österreich 1933 bis 1938. In : Weinzierl et al. , Bd. 1 , 317–327 ; Neugebauer , Wolfgang ( 1995 c ) : Richterliche Unabhängigkeit 1934–1945 unter Berücksichtigung der Standgerichte und der Militärgerichte. In : Weinzierl , et al. Bd. 2 , 51–74. 285 Vgl. Enderle-Burcel ( 1993 ), 183 f. 286 Vgl. Marschnig ( 1984 ), 73–94. 287 Diese Aufrüstung samt nicht mehr verwirklichten Ausbauplänen bis 1940 hat Michael Barthou in seiner bereits zitierten Diplomarbeit bislang am ausführlichsten dargestellt. Siehe außerdem auch Steinböck ( 1988 ), 31–37 , 54–69. Desgl. Schmidl ( 1987 ), 43–46.
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Wie im Fall der Exekutive ist aber auch beim Heer der erstarkende NS-Einfluss ab 1936 nicht mehr zu übersehen : bereits 1937 wehten anlässlich Hitlers Geburtstag in den Grazer Kasernen ( ebenso wie am Gebäude der steirischen Polizeidirektion und des Landesgendarmeriekommandos ) Hakenkreuzfahnen.288 Als am 11. März 1938 Reservisten des Jahrganges 1915 einberufen wurden , rückten sie „oft bereits mit Hakenkreuzabzeichen , das Horst-Wessel-Lied singend , in die Kasernen ein“.289 Es ist demgemäß keineswegs sicher , ob Steinböcks Befund tatsächlich zutrifft , wonach ausschließlich die politische Ebene einen militärischen Widerstand gegen den deutschen Einmarsch im März 1938 verhindert habe.290 Auf seine Assistenztruppe , die Frontmiliz , hätte sich das Bundesheer jedenfalls nicht verlassen können. Wie deren Generalkommandant , Vizekanzler Hülgerth , zwei Tage vor dem deutschen Einmarsch erklärte , sei sein Verband in jedem Fall einsatzfähig – „aber nicht gegen Deutschland“.291 IV. Die Exekutive Bereits im Ersten Weltkrieg war die Exekutive , vor allem die zum Militär gehörende Gendarmerie , zur Niederhaltung von Aufständen im Inneren hochgerüstet worden.292 Dieser quasimilitärische Charakter hatte nicht nur zur Folge , dass auch die Exekutive im Vertrag von Saint-Germain mit Rüstungsrestriktionen belegt wurde ,293 sondern führte in der Ersten Republik auch zeitweise zu einem Konkurrenzverhältnis zwischen Exekutive und Bundesheer um die Rolle als bewaffnete Staatsmacht.294 Mit dem Übergang zur Republik kam es außerdem zu organisatorischen Änderungen im Polizeiwesen. So wurde die Gendarmerie in einen zivilen Wachkörper umgewandelt295 und das Polizeidienstgesetz verbeamtete die Mitglieder des Sicherheits- und Polizeiagentenkorps.296 Es folgten in mehreren Etappen eine starke Zentralisierung der 288 Vgl. Meldung der Sozialen Arbeitsgemeinschaft Graz an das VF-Generalsekretariat vom 23. April 1937 , VF-Archiv 514 /2823 / 6. 289 Schmidl ( 1987 ), 57. 290 Vgl. Steinböck , Erwin ( 1981 ) : Die bewaffnete Macht Österreichs im Jahre 1938. In : Neck / Wand ruszka , 109–134 :133 f. 291 Zitiert nach Schmidl ( 1987 ), 60. 292 So lag etwa der Mannschaftsstand der steirischen Gendarmerie zu Kriegsende fünfzig Prozent über jenem des Jahres 1913 , vgl. Karner ( 2005 ), 118. Eine ausführliche , naturgemäß wenig kritische Darstellung der Geschichte der österreichischen Exekutive findet sich bei Oberhummer , Hermann ( 1937 ) : Die Wiener Polizei. Neue Beiträge zur Geschichte des Sicherheitswesens in den Ländern der ehemaligen Österreichisch-ungarischen Monarchie , 2 Bände , Wien. 293 Vgl. Kristan ( 1988 ), 36. 294 Vgl. Jedlicka ( 1955 ), 13. 295 StGBl. 75 / 1918 296 StGBl. 517 / 1919. Zur Bedeutung dieses Schrittes siehe Dehmal , Heinrich et al. ( Hg. ) ( 1934 ) : Der österreichische Bundes-Kriminalbeamte. Gedenkwerk anlässlich des 80jährigen Bestandes des Kriminalbeamtenkorps Österreichs , 2. Aufl. , Wien , 62–66. Zur sozialen Situation von Gendarmen siehe Hesztera , Franz ( 1999 ) : Die sozialen Aspekte im Gendarmeriekorps bis 1918. In : Hörmann , Fritz / Hesztera , Gerald ( Hg. ) : Zwischen Gefahr und Berufung. Gendarmerie in Österreich , Werfen , 38–47 , und Arnold Perfler ( 1999 ) : Soziale Entwicklung , Dienstzeit , Unterkünfte von 1919 bis 1971. In : ebenda , 48–111.
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Exekutivkompetenzen297 und ein Ausbau der Bundespolizeibehörden298 , die nach und nach in den wichtigen Städten Dépendancen eröffnete.299 Dadurch ergaben sich drei unterschiedliche Wachkörper-Ebenen : In größeren Gemeinden existierten Lokalpolizeibehörden , die der jeweiligen Stadtverwaltung unterstanden. Darüber existierte die Gendarmerie ,300 als dritte und jüngste Ebene kam schließlich die Bundespolizei hinzu.301 Eine institutionelle Demokratisierung blieb dagegen weitgehend aus ,302 ebenso personelle Änderungen. Die Sozialdemokratie ließ die umfassenden Befugnisse der Exekutive , die noch auf das „Prügelpatent“ von 1854 zurückgingen ,303 unangetastet. Stattdessen ging sie mit den alten Behördeneliten ein freilich fragiles Bündnis auf Zeit ein.304 Die gesellschaftliche Politisierung und Polarisierung im Gefolge des Zusammenbruchs der Monarchie machte auch vor dem Exekutivpersonal nicht halt. Noch deutlicher als beim Militär blieb der sozialdemokratische Einfluss hier aber auf die Mannschaften beschränkt , während das Offizierskorps unangefochten von der Rechten dominiert wurde.305 Auch hier hatte die Ablehnung der neuen Zeiten stark damit zu tun , dass die Offiziere ihre Autorität gefährdet sahen , weil sich ihre Untergebenen nun erstmals in Gewerkschaften organisieren und ihre Interessen kollektiv wahrnehmen konnten.306 297 Zur rechtlichen Stellung der Exekutive und ihren Befugnissen vgl. Levetzow , Stephen ( 1991 ) : Die Polizei. Rechtsgrundlagen , Befugnisse , Organisation und Stellung zum Gesetz im Absolutismus bis zur Gegenwart , Dipl.-Arb. , Salzburg , 55–61 , zur großen Polizeireform 1929 vgl. Jäger Friedrich ( 1990 ) : Das große Buch der Polizei und Gendarmerie in Österreich , Graz , 114–121. Die Zentralisierungsbemühungen erlitten durch die Verwaltungsreform , die im Sanierungsprogramm von 1922 zur Auflage gemacht worden war , einen Rückschlag , was nicht nur für die Beamtenelite um Schober , sondern auch für die Christlichsoziale Partei ein starkes Motiv für eine Verfassungsreform darstellte , vgl. Winkler ( 1983 ), 59 f. 298 Vgl. Jäger ( 1990 ), 140–146. 299 Vgl. Levetzow ( 1991 ), 56. Wo Bundespolizeibehörden ( lokal unterschiedlich „Polizeidirektionen“ oder „Polizeikommissariate“ genannt ) entstanden , nahmen sie nicht nur staats- , sondern auch lokalpolizeiliche Agenden wahr. Zur Bundespolizei gehörten außerdem eigene Exekutivorgane , nämlich Bundessicherheitswache und Kriminalbeamtenkorps. Die polizeilichen Strukturen hat Schober selbst in einem auch darüber hinaus aufschlussreichen Vortrag vor Gewerbetreibenden anschaulich dargelegt , vgl. Schober , Johannes ( 1928 ) : Wirtschaft und Öffentliche Sicherheit. Vortrag , gehalten im Niederösterreichischen Gewerbeverein , Wien , 5–11. 300 Die Gendarmerie unterstand ihrerseits zunächst den Bezirkshauptmannschaften / Bezirkskommanden , in weiterer Folge den Landeshauptleuten / L andeskommanden und schließlich dem Innenministerium / G endarmeriezentraldirektion. 301 Der im Weiteren gebrauchte Begriff „Exekutive“ bezieht sich jeweils auf die zentral gelenkten Wachkörper. 302 Ein Überblick zu den dienst- und organisationsrechtlichen Neuerungen im Bereich der Gendarmerie der Ersten Republik findet sich bei Gebhardt , Helmut ( 1997 ) : Die Gendarmerie in der Steiermark von 1850 bis heute , Graz , 208–220. 303 RGBl. 96 vom 20. April 1854 , vgl. Levetzow ( 1991 ), 47–50. 304 Vgl. McLoughlin ( 1990 ), 167–181. Selbst als die politische Orientierung der Polizeiführung klar zutage trat , bemühte sich die Sozialdemokratie noch um ein gutes Verhältnis zur Exekutive und warb dafür auch in den eigenen Reihen , vgl. ebenda , 458. 305 Mähner , Peter ( 1990 ) : Die Rolle der Polizei in der Konstituierungsphase des Austrofaschismus , Diplomarbeit , Wien , 9. 306 Vgl. Winkler ( 1983 ), 24 f. Siehe desgl. Fürböck ( o. J. [ 1968 ] ), 14. Eine etwas ausführlichere Dar-
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Anders als das Heer blieb die Exekutive dennoch ein bürgerlicher stronghold , der sich in mehreren sozialen Unruhen bereits frühzeitig als loyal erwies307 und in seiner täglichen Arbeit durchaus parteiisch agierte. Rechte Aktivitäten wurden geduldet oder aktiv unterstützt ,308 linke dagegen von Beginn an argwöhnisch überwacht309 und bald aktiv behindert. Auch die demonstrative Nähe zu den rechten Wehrverbänden in den Bundesländern sprach eine deutliche Sprache.310 Ein zentraler Akteur im Exekutivbereich war der deutschnationale Wiener Polizeipräsident , begnadete Intrigant und Selbstvermarkter Johannes Schober , der es gleich mehrfach zum Bundeskanzler bringen sollte.311 Schober wurde in der letzten Phase der Monarchie als Wiener Polizeipräsident berufen , von der Republik übernommen und im Dezember 1918 zum Leiter des gesamtösterreichischen Sicherheitsdienstes ernannt , womit ihm auch die Gendarmerie unterstand.312 Er repräsentierte beispielhaft den autoritären und keineswegs unpolitischen Beamten alten Typs , der sich über gesellschaftlichen Konflikten stehen sah und dennoch in diese im Sinne der herrschenden Klasse intervenierte.313 Seine Machtbasis versuchte Schober , durch den Aufbau einer Instanz zu fes tigen , deren Zweck die Überwachung aller politischer Aktivitäten war : Die politische stellung desselben Autors findet sich im ersten Band von Fürböck , Johann ( 1965 ) : Die österreichische Gendarmerie in den beiden demokratischen Republiken. Von 1918 bis 1938 , Wien. Siehe auch Neubauer , Franz ( 1925 ) : Die Gendarmerie in Österreich 1849–1924 , Wien , 224 f. , und Dehmal et al. ( 1934 ), 65 f. 307 So zum Beispiel beim Grazer „Kirschenrummel“ am 7. Juni 1920 , als im Zuge von Teuerungsprotesten von der Gendarmerie 15 DemonstrantInnen erschossen und 20 durch Schüsse und eine unbekannte Zahl von Personen durch Bajonettstiche verletzt wurde , vgl. Neubauer ( 1925 ), 216 ff. 308 Vgl. Hautmann , Hans ( 1971 ) : Die verlorene Räterepublik , Wien / Frankfurt / Zürich , 159 f. ; Botz ( 1976 ), 92 309 Vgl. Hubert , Rainer ( 1990 ) : Schober. „Arbeitermörder“ und „Hort der Republik“, Wien / Köln , 45 ff. 310 Vgl. Rebitsch ( 2009 ), 25 , desgl. Edmondson ( 1966 ), 233 , 237. 311 Zu Johannes Schober und der zeitgeschichtlichen Befassung mit seiner Person siehe vor allem Hubert ( 1990 ) sowie die Darstellung des Sozialdemokraten Hannak , Jacques ( 1966 ) : Johannes Schober. Mittelweg in die Katastrophe. Porträt eines Repräsentanten der verlorenen Mitte , Wien / Frankfurt / Zürich und die den Jubilar keineswegs kritisch analysierenden Beiträge in Kroupa , Wilhelm ( Hg. ) ( 1982 ) : Festschrift zum 50. Todestag von DDDr. H. c. Johannes Schober , Bundeskanzler und Polizeipräsident [ eine Publikation des Freiheitlichen Bildungswerkes ] , Wien. 312 Vgl. die streckenweise keineswegs unproblematische , in ihrer autoritären Grundhaltung für die Mehrheit der Darstellungen charakteristische Schilderung bei Steinwender , Engelbert ( 1992 ) : Von der Stadtguardia zur Sicherheitswache. Wiener Polizeiwachen und ihre Zeit , Bd. 1 , Von der Frühzeit bis 1932 , Wien , hier 235. 313 So sollte nach § 92 der Dienstinstruktionen der Gendarmerie das Auftreten den Arbeitern gegenüber „ein Achtung und Vertrauen erweckendes sein , welches im Arbeiter die Notwendigkeit und den ernsten Willen der Staatsgewalt zur Aufrechterhaltung von Ordnung und Sicherheit erkennen lässt und ihm selbst einen Anhaltspunkt gegen Versuchungen und etwaige Einschüchterung durch Agitatoren , eine Stützung zur Wahrung des eigenen wohlverstandenen Interesses , zeigt“. Zitiert nach Neubauer ( 1925 ), 305. Weiter heißt es in der nämlichen offiziellen Chronik , man müsse „sich Epochen wie die französische oder russische Revolution , in denen an Stelle von Recht und Gesetz brutale Gewalt getreten waren und die Menschen ungehemmt ihren Trieben folgten , ins Gedächtnis rufen , um die Tätigkeit der Sicherheitsorgane ganz zu würdigen“ ( S . 306 ). Schobers politische Haltung ist treffend charakterisiert bei Hubert ( 1990 ), 69–85.
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Zentralevidenzstelle.314 Er verfügte zudem über hervorragende Kontakte ins rechtsradikale Milieu ,315 die im Herbst 1922 auch zu einer geheimen militärischen Vereinbarung mit den Heimwehren führten.316 Auch noch fünf Jahre später war Schober in die Eskalationsstrategie der Heimwehren 1927 /28 eingebunden ,317 er billigte den angestrebten Staatsstreich nicht nur , sondern unterstützte ihn auch aktiv.318 Die Festigung des rechten Korpsgeistes ging derweil vor allem im Wege der Rekrutierung vor sich. Kandidaten vom flachen , christlich-sozial regierten Land wurden derart konsequent bei der Aufnahme bevorzugt , dass die Exekutive vom Volksmund bald als „Mistelbacher“ tituliert wurde.319 Städtische Arbeiterschaft hatte demgegenüber kaum Aussichten , in den Polizeidienst aufgenommen zu werden. Die Ereignisse rund um den Justizpalastbrand , die Wiener Straßenkämpfe und die bundesweiten Streiks am 15. und 16. Juli 1927 sind mittlerweile gut erforscht.320 Sie waren keineswegs eine Verkettung unglücklicher Zustände , sondern können als das Ergebnis einer bewussten Eskalationsstrategie der Wiener Polizeiführung gewertet werden , der es um die Statuierung eines Exempels zu tun war. Falls Schober aufgrund des hohen gewerkschaftlichen Organisationsgrades Zweifel an der Zuverlässigkeit seines Korps gehabt haben mochte , konnte er nun ganz beruhigt sein : Die Wiener Polizisten , die zu fünf Sechstel den freien Gewerkschaften angehörten ,321 ließen keinerlei Hemmungen erkennen , auf Kommando brachiale Gewalt anzuwenden. Schobers Rechnung war aufgegangen. In den folgenden Jahren empfahl er sich bei jeder sich bietenden Gelegenheit höchst erfolgreich als star314 Vgl. Jagschitz , Gerhard ( 1979 ) : Die politische Zentralevidenzstelle der Bundespolizeidirektion Wien. Ein Beitrag zur Rolle der politischen Polizei in der Ersten Republik. In : Jahrbuch für Zeitgeschichte 1978 , Wien , 49–95. 315 Ein wichtiger Verbindungsmann für ihn war dabei Maximilian Ronge , der den militärischen Geheimdienst der Monarchie geleitet hatte , vgl. Ackerl , Isabella ( 1982 ) : Johannes Schober – ein Mann der Mitte. In : Kroupa , 22–43 :24 f. 316 Dieser Beleg einer derart frühen Konspiration der staatlichen Exekutive mit den rechten Wehrverbänden ist wörtlich zitiert bei Hetfleisch ( 1990 ), 65–67. 317 Vgl. Kerekes ( 1966 ), 17 f. 318 Vgl. Gulick ( 1948 ), Bd. III , 107 , desgl. Schweiger ( 1964 ), Bd. 1 , 57ff 319 Winkler ( 1983 ), 31. 320 Vgl. Botz ( 1976 ), 141–160. Die Beiträge in Neck / Wandruszka ( 1979 ) ; Oeller , Franz ( 1952 ) : Seipel , der 15. Juli 1927 und die Wiener Presse , phil. Diss. , Wien ; Chraska , Wilhelm ( 1964 ) : Der 15. Juli 1927 und seine Folgen , phil. Diss. , Wien ; Oberkofler , Gerhard ( 1982 ) : Der 15. Juli 1927 in Tirol. Regionale Bürokratie und Arbeiterbewegung , Wien ; Lang , Answer ( 2002 ) : Darstellung von Gewalt in ideologischen Medien am Beispiel des 15. Juli 1927 : Vergleich der Berichterstattung in „Arbeiter Zeitung“ und „Reichspost“, Dipl.-Arb. , Wien. Für die Ergebnisse der vom Wiener Gemeinderat eingesetzten Untersuchungskommission vgl. Danneberg , Robert ( Hg. ) ( 1927 ) : Die Wahrheit über die „Polizeiaktion“ am 15. Juli : Der Bericht der vom Wiener Gemeinderat zur Untersuchung der Ereignisse vom 15. Juli eingesetzten Kommission , Wien. Die gegenläufige Darstellung der Wiener Polizeidirektion findet sich in dies. ( Hg. ) ( 1927 ) : Ausschreitungen in Wien am 15. und 16. Juli 1927. Weissbuch , Wien. 321 Duczynska , Ilona ( 1975 ) : Der demokratische Bolschewik. Zur Theorie und Praxis der Gewalt , München , 129. Die Autorin war der SDAP 1927 beigetreten , gehörte deren linken Flügel an und arbeitete in den Medien des Schutzbundes mit , vgl. Frischauer , Margit ( 1976 ) : Auseinandersetzungen und Kontakte zwischen Sozialdemokraten und Kommunisten vom 15. Juli 1927 bis zum 12. Februar 1934 , phil. Diss. , Wien , 27 f.
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ker bürgerlicher Fels in der sozialistischen Brandung.322 Das machte auch intern weitere Zurückhaltung überflüssig. Die antisozialistische Rekrutierungspolitik wurde weiter verschärft ,323 gleichzeitig ließ Schober die erst kurz zuvor gewählte , sozialdemokratisch dominierte Personalvertretung auflösen. Unter dem besonders für Exekutivangehörige verstörenden Eindruck der jüngsten Geschehnisse brachten sie das gewünschte Ergebnis in Gestalt eines massiven Rechtsruckes. Sicherheitshalber wurde anschließend der Einfluss der Personalvertreter dennoch stark beschnitten.324 Obwohl Schobers „Kesseltreiben gegen alle sozialdemokratisch organisierten Beam ten“325 nun endgültig offen zutage trat , reagierte die Sozialdemokratie trotz Drängen Deutschs kaum. Selbst die Aufstellung der Wiener Gemeindeschutzwache nach dem 15. Juli 1927 , einer politisch loyalen Hilfstruppe der Stadt , die ein Gegengewicht zu den Heimwehren bilden sollte , erfolgte in Abstimmung mit Schober , der dafür großzügig 180 Säbel aus Polizeibeständen stiftete.326 Keineswegs auf Hieb- und Stichwaffen beschränkte sich die Anschaffungspolitik der Polizei selbst. Bereits seit 1918 war die Exekutive ungeachtet erheblicher Einsparungen in der staatlichen Verwaltung kontinuierlich ausgebaut worden.327 Ab 1927 wurde sie nun mit Rückendeckung der Alliierten gezielt auf den Bürgerkrieg vorbereitet.328 Die entsprechenden Planungen wurden in Abstimmung mit Bundesheer , Gendarmerie und Heimwehren intensiviert.329 Die Verfassungsreform 1929 führte zu einer Rücknah322 So natürlich auch im bereits zitierten Vortrag vor dem Niederösterreichischen Gewerbeverein , vgl. Schober ( 1928 ), 18 f. 323 Staudinger ( 1971 ), 298. 324 Vgl. Winkler ( 1983 ), 37–48. 325 Garscha , Winfried R. / McLoughlin , Barry ( 1987 ) : Wien 1927. Menetekel für die Republik , Wien , 166. 326 Winkler ( 1983 ), 64 ff. Auch in diesem Fall zeigten sich die engen Beziehungen des rechten Lagers zu den Alliierten. Es gelang erfolgreich , die Interalliierte Kontrollkommission dazu zu bringen , die Gemeindeschutzwache als Verstoß gegen den Friedensvertrag zu brandmarken und ihre Auflösung zu fordern. Die Stadt Wien wandelte die Gemeindeschutzwache daraufhin um in eine deutlich schwächere Gemeindewache ohne Polizeifunktion mit maximal 1.000 Mann. Inoffiziell diente sie dem Schutzbund als legaler Rahmen und wäre im Ernstfall auch aus dessen Beständen bewaffnet worden. Vgl. Vlcek ( 1971 ), 152–159. Zwei Jahre später , 1929 , wurde die Gemeindewache im Zuge der Verfassungsreform unter Bundeskanzler Schober dann wieder aufgelöst , vgl. Levetzow ( 1991 ), 58 f. 327 Vgl. Schober ( 1928 ), 19 ff. Der Ausbau betraf übrigens nicht nur die Exekutivagenden im engeren Sinne : Schober unterhielt auch eine Trinkerfürsorgestelle , ein Frauenasyl und ein eigenes Jugendheim für obdachlose oder sozial auffällige Jugendliche , die dort „neben harmlosen Spielen auch zu leichter , spielend zu verrichtender Arbeit angehalten“ wurden , vgl. ebenda , 22 f. 328 So schaffte die Wiener Polizeidirektion nach dem Juli 1927 Radpanzer an , was nach den Bestimmungen des Vertrages von St.-Germain eigentlich verboten war , von den Alliierten jedoch mit der ausdrücklichen Auflage gestattet wurde , sie nur im urbanen Bereich einzusetzen , vgl. Placz , Heinz ( 2006 ) : Die Bewaffnung der österreichischen Exekutive in der Ersten Republik von 1918 bis 1938 – Ein Überblick. In : Gebhardt , Helmut ( Hg. ) : Polizei , Recht und Geschichte. Europäische Aspekte einer wechselvollen Entwicklung. Beiträge des 14. Kolloquiums zur Polizeigeschichte , Graz , 105–125 :117. Auch die Anschaffung nichttödlicher Waffen wie des Gummiknüppels war im Kontext der verstärkten Repression zu sehen , vgl. Gebhardt ( 1997 ), 258. Zur politischen Säuberung und gleichzeitigen Aufrüstung der Exekutive siehe außerdem McLoughlin ( 1990 ), 274–278. 329 Vgl. Hetfleisch ( 1990 ), 71–80 , desgl. Gulick ( 1948 ), Bd. 3 , 77
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me der Föderalisierungsmaßnahme im Exekutivbereich durch die Verfassungsreform 1925330 und einer stärkeren Zentralisierung. Die Mitsprache der Länder in Sicherheits agenden wurde beseitigt , eine Maßnahme , die sich vor allem gegen das Rote Wien richtete und ansonsten dem Machtkalkül Schobers entsprach.331 Allerdings behielt sich der Bund das Recht vor , bei Bedarf bewaffnete Lokalpolizei aufzustellen , diese Verfassungspassage bildete die Grundlage für die Schaffung des Freiwilligen Schutzkorps und damit der Erhebung der Heimwehren in den Status von Hilfspolizei.332 Ein Jahr später , im September 1930 , folgte die Schaffung der Generaldirektion für öffentliche Sicherheit , die im Bereich des Innenministeriums bzw. des Bundeskanzleramtes angesiedelt war. Auf den ersten Blick war das ein paradoxer Schritt , denn die Generaldirektion fungierte als oberste Polizeibehörde und war der bis dahin obersten Behörde , der Sicherheitspolizeidirektion Wien , vorgeordnet. Kurz vor seinem Abgang als Bundeskanzler schwächte Schober damit also seine eigene Herkunftsdienststelle , die er ein Jahr vorher noch massiv gestärkt hatte. Tatsächlich dürfte sich diese Maßnahme ursprünglich gegen die Heimwehren gerichtet haben , die eine führende Stellung in der Exekutive für einen ihrer Gewährsmänner beanspruchten , was Schober durch eine noch stärkere Zentralisierung in seinem Ressort verhindern wollte. Als er dann unvermutet demissionieren musste , erreichte er das Gegenteil : Sein Nachfolger im Kabinett Vaugoin wurde ausgerechnet Starhemberg , der nun einen alten Gegenspieler Schobers in Wien , den späteren Nationalsozialisten Franz Brandl , zum Polizeivizepräsidenten machte.333 Angesichts des großen Entgegenkommens , mit dem ihnen seitens der Exekutive und des Bundesheeres bis dahin begegnet worden war , hatten die Heimwehren bei ihren Umsturzplänen zumindest auf eine wohlwollende Neutralität , wenn nicht auf ein Eingreifen der Staatsmacht zu ihren Gunsten gesetzt.334 Vorläufig stellte sich das aber anlässlich des Pfrimer-Putsches noch als zu optimistische Annahme heraus. Zwar verhielt sich insbesondere die Gendarmerie vielerorts abwartend und unterstützte vereinzelt auch offen die Putschisten ,335 mehrheitlich befolgten Bundesheer und Exekutive aber die Anweisungen ihrer Vorgesetzten. Das Verhalten folgte freilich einer institutionellen , keiner demokratischen Logik , wie sich anlässlich der Ausschaltung des Parlaments 1933 zeigte , als Polizeibeamte das Parlament besetzten , um das Zusammentreten der Abgeordneten zu verhindern.336 Dennoch war es aus Sicht der Heimwehren naheliegend , umso dringlicher zu versuchen , wenigstens einen Teil des staatlichen Gewaltapparates direkt unter ihre Kontrolle zu bringen. Mit der Entlassung Hermann Achs aus dem Kabinett und der Übernahme des Staatssekretariats für die Innere Sicherheit durch Emil Fey am 17. Oktober 1932 gelang ihr das auch. Aus der Perspektive der christlichsozialen Parteiführung war ein solcher Schritt dagegen nur als konkrete Vorbereitung für den Staats330 Vgl. Levetzow ( 1991 ), 56 f. 331 Winkler ( 1983 ), 68–72. 332 Ebenda , 69 f. 333 Ebenda , 76 f. 334 Vgl. Pauley ( 1972 ), 119. 335 Vgl. Naderer ( 2004 ), 271 f. 336 Vgl. Steinwender , Engelbert ( 1992 ) : Von der Stadtguardia zur Sicherheitswache. Wiener Polizeiwachen und ihre Zeit , Bd. 2 : Ständestaat , Großdeutsches Reich , Besatzungszeit , Graz , 21 f.
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streich sinnvoll , wie im Übrigen auch die Schaffung des Freiwilligen Schutzkorps und die Einrichtung von Landessicherheitsdirektionen im Juli 1933. Die Sicherheitsdirektionen waren der Bundespolizei übergeordnet und sollten deren politische Zuverlässigkeit auf Landesebene sicherstellen.337 Wie stark der Wille war , die Exekutive politisch ins Regime einzubinden , machte die Eingliederung der Bundessicherheitswache in die Vaterländische Front im Juni 1933 deutlich.338 Es folgte drei Monate später eine erhebliche Kompetenzerweiterung durch die Verordnung „betreffend die Verhaltung sicherheitsgefährlicher Personen zum Aufenthalte in einem bestimmten Orte oder Gebiete“.339 Sie ermöglichte es den Sicherheitsdirektionen , Missliebige auch ohne konkreten Tatverdacht in neu zu schaffenden Anhaltelagern festzusetzen.340 Mit der Ausweitung der legalen Befugnisse ging eine Aufweichung elementarer Bürgerrechte einher. Im Amtsverständnis der Behörden existierten sie gegen Ende des Jahres 1933 faktisch ohnehin nicht mehr. So regte sich sofort wütender Protest , als der Polizei nach diversen Übergriffen auch nur die eigenmächtige physische Misshandlung von Häftlingen verboten werden sollte.341 Die 1933 eingeleitete Remilitarisierung der Gendarmerie war anfänglich ebenfalls im Kontext des erwarteten Bürgerkrieges zu sehen. Nach der Stabilisierung des Regimes Ende 1934 verschob sich der Fokus dann in Richtung militärischer Landesverteidigung nach außen.342 Im November 1933 kam es zur Einrichtung eines Staatspolizeilichen Büros , das der weiteren Zentralisierung der Sicherheitsagenden dienen sollte und als politische Polizei wichtige Strukturmerkmale des deutschen Geheimen Staatspolizeiamtes aufwies.343 Wenig verwunderlich führte in beiden Fällen die Kombination aus massiver Aufstockung der Mittel bei gleichzeitiger Entgrenzung des Handlungsrahmens zu einer weiteren Verselbstständigung der Behörde.344 Das machte sich insbesondere in der letzten Phase vor dem „Anschluss“ 1938 bemerkbar , in der es zu einer durch die deutschnationale Prägung stark begünstigten nationalsozialistischen Unterwanderung345 kam und die eine reibungslose Eingliederung in den NS-Repressionsapparat mündete.346 337 Vgl. Steinwender ( 1992 ), Bd. 2 , 36 f. , desgl. Winkler ( 1983 ), 194–199. 338 Vgl. Winkler ( 1983 ), 187–192. 339 BGBl. 431 / 1933 , Vgl. Berchtold , Klaus ( 1995 ) : Die persönliche Freiheit als Problem der Ersten Republik. In : Weinzierl , Erika et al. , Bd. 2 , 666–673 :670 f. ; Jagschitz , Gerhard ( 1975 ) : Die Anhaltelager in Österreich ( 1933–1938 ). In : Jedlicka / Neck ( 1975 ), 128–151. Desgl. Schölnberger , Pia ( 2012 ) : Eine „Klausur umdrahteten Bereichs“. Das „Anhaltelager“ Wöllersdorf ( 1933–1938 ), phil. Diss. , Wien. 340 Holtmann , Everhard ( 1978 ) : Zwischen Unterdrückung und Befriedung. Sozialistische Arbeiterbewegung und autoritäres Regime in Österreich 1933–1938 , Wien , 50 f. ; Steinwender ( 1992 ), Bd. 2 , 42–49. 341 VF-Archiv 514 / 1591 / 96. 342 Vgl. Schmidl , Erwin A. ( 1999 ) : Zwischen Bürgerkrieg und „Anschluß“. Die österreichische Gendarmerie 1934 bis 1938 , In : Hörmann / Hesztera , 148–153 :148 f. , desgl. Steinböck ( 1988 ), 53. 343 Zu den Kompetenzen des Staatspolizeilichen Büros vgl. Winkler ( 1983 ), 205–214 , bes. 211 f. 344 Vgl. Carsten ( 1978 ), 238. Zur Geschichte der Gendarmerie im Austrofaschismus siehe Gebhardt ( 1997 ), 271–293. Die Verselbstständigung war vorerst auch durchaus im Sinne des Systems , etwa wenn die Polizei keinerlei Anstalten machte Ermittlungen aufzunehmen , nachdem Heimwehrmänner in Tirol Ende 1934 einen angeblichen Oppositionellen zu Tode prügelten , vgl. Schreiben des VF-Generalsekretariats an das Staatspolizeiliche Büro vom 12. 12. 1934 , VF-Archiv 514 /24 / 1 13–116. 345 Vgl. Knoll , Harald ( 1991 ) : Die Grazer Polizei zwischen 1938 und 1945 mit besonderer Berücksichtigung der Geschichte der Ordnungspolizei im Dritten Reich , Dipl.-Arb. , Graz , 27 f. 346 Vgl. Winkler ( 1983 ), 246–280 , desgl. Hesztera , Gerald ( 2009 ) : Gendarmerie und Polizei zwischen
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Die Mehrheit der bisherigen Arbeiten zur Geschichte der Exekutive in der Ersten Republik und im Austrofaschismus ist nach 1945 im Umfeld der Polizei und Gendarmerie entstanden. Peter Mähner hat zu Recht kritisiert , dieses Naheverhältnis begünstige eine „pathetische und pamphletische Lobhudelei“,347 wo kritische Auseinandersetzung angezeigt wäre. Auch jüngere Beispiele stützen diesen Befund leider mehrheitlich.348 Freilich ist auch der Umstand , dass eine Darstellung als Hochschularbeit entsteht , keineswegs Garant für eine gelungene Analyse.349 Als Pionierarbeiten im gegenständlichen Bereich sind insbesondere die leider bis heute ungedruckten Arbeiten von Winkler und Mähner zu sehen. Allerdings widmen beide sich speziell der Transformationsphase 1930–1934 , eine konzise Gesamtdarstellung der Exekutive der Zwischenkriegszeit fehlt dagegen bis heute und beschränkt sich auch für den Austrofaschismus auf Skizzen. Sinnvolle Ergänzung könnten deren Arbeiten insbesondere durch eingehendere Untersuchungen der Aktivitäten der Sicherheitsdirektionen erfahren. V. Der Republikanische Schutzbund Die Mehrzahl der relevanten Arbeiten zum Republikanischen Schutzbund stellen bislang leider ungedruckte Hochschulschriften dar , konkret die Dissertationen von Karl Haas , Christine Vlcek und Barry McLoughlin sowie die Habilitation von Karl Haas. Abseits mehrerer Artikel gibt es zu dem Themenkreis nur drei ausführlichere Publikationen , nämlich die veröffentlichten Dissertationen von Erwin Tramer350 und Otto Naderer sowie die Monografie von Duczynska. Austrofaschismus und Nationalsozialismus , Dipl.-Arb. , Wien , 25–91 ; ders. ( 1999 ) : Opfer und Täter : Die Gendarmerie in der Zeit des Nationalsozialismus. In : Hörmann / Hesztera , 154–166. Vgl. außerdem Knoll ( 1991 ) sowie die ausgezeichnete Arbeit von Sanwald , Siegfried 1999 : Instrument des staatlichen Terrors : Die Polizei im Dritten Reich 1933–1939. Mit besonderer Berücksichtigung der Funktion des Wiener Polizeiapparates als Repressionsorgan der politischen Machthaber der Ersten Republik , Wien , 32–53. Auch zahlreiche VF-Berichte wiesen auf die stillschweigende Duldung , manchmal auch auf die aktive Unterstützung hin , die nationalsozialistische Aktivitäten seitens der Exekutive genossen , vgl. etwa den Bericht des Favoritner VF-Bezirksleiters vom 9. Jänner 1934 , VF-Archiv 514 / 572 /2. 347 Mähner ( 1990 ), 75. Der Autor bezog sich mit seiner Kritik auf dieses Buch : Bundespolizeidirektion Wien ( Hg. ) 1949 : 80 Jahre Wiener Sicherheitswache , Wien. 348 Vgl. u. a. Kepler , Leopold et al. ( Hg. ) ( 1974 ) : Die Gendarmerie in Österreich 1849–1974 , Graz ; Bundespolizeidirektion Klagenfurt ( Hg. ) ( 1998 ) : 70 Jahre Bundespolizeidirektion Klagenfurt 1928– 1998. Festschrift anlässlich der Eröffnung des Sicherheitszentrums Klagenfurt , Klagenfurt ; Brettner , Friedrich ( 1997 ) : Für Heimat , Volk und Ehre. Gendarmen der ersten Stunde , nicht Beruf , sondern Berufung. Die Gendarmerie in Niederösterreich von 1945–1955 , Mattighofen ; Magrutsch , Helmut ( 2003 ) : Die Bewaffnung der Wiener Sicherheitswache von 1869 bis 2002 , Wien. 349 So die rechtswissenschaftliche Dissertation von Haberl , Herbert ( 1991 ) : Geschichte des Sicherheitswesens in Österreich. Ein entwicklungsgeschichtlicher Beitrag , Diss. , Salzburg , die den / d ie LeserIn mit Quellenverweisen oder Analysen kaum behelligt , ähnlich die veröffentlichte Dissertation von Neumann , Veronika ( 2006 ) : Die Grazer Polizei – Ihre Aufgabenbereiche im kulturellen und gesellschaftlichen Wandel des 20. Jahrhunderts , Graz. 350 Tramer , Erwin ( 1969 ) : Der Republikanische Schutzbund. Seine Bedeutung in der politischen Entwicklung der Ersten Österreichischen Republik , phil. Diss. , Erlangen. Die Arbeit ist allerdings von den nachfolgenden Untersuchungen als weitgehend überholt zu betrachten.
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Mit Wehrpolitik hatte sich die Arbeiterbewegung seit ihren Anfängen beschäftigt. Um die Jahrhundertwende hatte sich sowohl in der deutschen als auch in der österreichischen Sozialdemokratie die Forderung der Märzrevolution von 1848 durchgesetzt : Volksbewaffnung durch Einführung eines Milizsystems.351 Der Dienst des Bürgers in Uniform sollte die Armee vor allem als Instrument gegen die eigene Bevölkerung nutzlos machen und dem Charakter des Militärs als Staat im Staat vorbauen. Am Ende des Ersten Weltkrieges wirkte diese Forderung anachronistisch. Die Kriegsgräuel hatten nicht nur das Erzhaus und die monarchische Staatsform völlig desavouiert , sondern – wenig verwunderlich – auch speziell das Militär. Gleichwohl folgte die Aufmerksamkeit , die speziell Otto Bauer und Julius Deutsch auf die Zukunft des Heeres richteten , einer durchaus realistischen Lagebeurteilung. Die Kader des neuen republikanischen Militärs waren überwiegend aus der untergegangenen k. u. k. Armee hervorgegangen und standen der Republik feindselig gegenüber. Blieb die bewaffnete Macht in diesen Händen , war kaum anzunehmen , dass sie sich in den anstehenden politischen Auseinandersetzungen nobel zurückhalten würde. Die von der Sozialdemokratie daher neuerlich forcierten Milizheer-Pläne scheiterten aber während der Friedensverhandlungen von Saint-Germain am Einspruch der Alliierten.352 Das 1920 beschlossene Wehrgesetz353 ließ in sozialdemokratischen Kreisen „keine Illusionen darüber [ aufkommen ] , dass alle darinnen getroffenen Vorkehrungen zum Schutze des demokratischen Charakters des Bundesheeres im Grunde genommen ziemlich fragwürdig waren“.354 Nach dem Ausscheiden aus der Regierung verfügte man durch die „Ständige Parlamentskommission für Heeresangelegenheiten“ noch über eine gewisse Kontrollmöglichkeit.355 Zudem 351 Die Forderung nach Volksbewaffnung spielte insbesondere im Auftakt zur Wiener Revolution von 1848 eine zentrale Rolle. Zum sozialdemokratischen Diskurs fünfzig Jahre später sei exemplarisch auf das Erfurter Programm von 1891 verwiesen , dessen dritter Forderungspunkt lautete : „Erziehung zur allgemeinen Wehrhaftigkeit. Volkswehr an Stelle der stehenden Heere. Entscheidung über Krieg und Frieden durch die Volksvertretung. Schlichtung aller internationalen Streitigkeiten auf schiedsgerichtlichem Wege.“ Vgl. die digitalisierte Quelle im Marxists’ Internet Archive , URL : http ://www.marxists. org / deutsch / geschichte / deutsch / spd / 1891 / erfurt.htm ( abgerufen am 09. Oktober 2011 ). Siehe dazu auch Bebel , August ( 1898 ) : Nicht stehendes Heer sondern Volkswehr , Stuttgart ; Grünberg , Karl / Däumig Ernst ( 1919 ) : Die Sozialistische Volkswehr : „Sozialistische Volkswehr“ an Stelle des stehenden Kasernenheeres ! Praktische Anregungen und Vorschläge für e. sofortige Umrüstung Deutschlands im Sinne des „Erfurter Programms“, mit einem Vorwort von Ernst Däumig , Berlin. Unübersehbar sind in dieser Debatte die deutsch-französischen Wechselbeziehungen , vgl. Jaurès , Jean ( 1913 ) : Die neue Armee , Jena. Zur österreichischen Sozialdemokratie vgl. vor allem Haas ( 1967 ), Heiß , Gernot ( 1978 ) : Zur antimilitaristischen Taktik der österreichischen Sozialdemokratie vor dem Ersten Weltkrieg. Die Diskussion auf dem Gesamtparteitag von 1903 , In : Botz , Gerhard et alii ( Hg. ) : Bewegung und Klasse. Studien zur österreichischen Arbeitergeschichte , Wien / München / Zürich , 561–579. Sowohl die deutsche als auch die österreichische Sozialdemokratie rückte aber im Laufe der 1920er ( im Unterschied etwa zur französischen Sozialistischen Partei ) vorübergehend vom Milizsystem wieder ab , vgl. Haas ( 1967 ), 165 f. 352 Vgl. Broucek ( 1989 ), 223 ff. 353 Zu Inhalt und Bedeutung des Wehrgesetzes vgl. Haas ( 1967 ), 111–116. 354 Vlcek ( 1971 ), 4. 355 Die Ständige Parlamentskommission wurde allerdings im Jahr 1932 von der Bundesregierung mithilfe des mit ihren Parteigängern besetzten Verfassungsgerichtshofes erfolgreich ausgehebelt. Vgl. Haas ( 1985 c ), 251.
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war man bestrebt , möglichst viele eigene Anhänger im Bundesheer unterzubringen , die Übernahme politisch verlässlicher Offiziere , insbesondere der Volkswehrleutnants zu erreichen und durch die Gründung einer Soldatengewerkschaft , des Militärverbandes , die eigenen Kräfte innerhalb des Militärs zu bündeln.356 Wenn es aber nicht gelang , in absehbarer Zeit wieder in Regierungsverantwortung zu kommen , durfte man sich über die Erfolgsaussichten dieser Bemühungen keinerlei Hoffnung hingeben. Ein Blick über die Grenzen war durchaus dazu angetan , die Furcht vor diktatorischen Regimen zu nähren – sei es die Niederschlagung der Münchner und Budapester Räterepublik 1919 oder der Kapp-Putsch 1920. Nicht nur die rechten Wehrverbände , auch das Verhalten der Exekutive musste diesbezügliche Sorgen verstärken. Nicht nur dass die Nähe zu den rechten Paramilitärs kaum zu übersehen war , gingen Polizei und Gendarmerie bei Demonstrationen regelmäßig mit großer Härte gegen die Arbeiterschaft vor. So auch , als im Juni 1919 kommunistische Putschpläne ruchbar wurden. Im Grunde hatte die Polizei das Unternehmen bereits im Vorfeld erfolgreich unterbunden , indem sie die Führer der Revolte festnahm. Als es dennoch am 15. Juni zu Demonstrationen von KP-AnhängerInnen kam , reichte ein vergleichsweise harmloser Tumult als Anlass , um in die Menge zu schießen. Zurück blieben zwanzig Tote.357 In Reaktion darauf forderte der Wiener Arbeiterrat , in dem die KP vergleichsweise stark war , ein Instrument zur politischen Überwachung der Polizei und richtete als eigenes Exekutivorgan Ordnerausschüsse ein. Diese Ordnerausschüsse bildeten eine von drei Quellen , aus denen sich später der Republikanische Schutzbund speisen sollte.358 Die zweite waren die traditionellen Ordnergruppen der SDAP , die seit den 1890ern bei öffentlichen Aktivitäten einen reibungslosen Ablauf zu gewährleisten hatten , aber auch Propagandaaufgaben wahrnahmen und Streikposten stellten. Das dritte Reservoir bildeten Arbeiter- und Fabrikswehren. Diese waren während des Umsturzes 1918 aufgestellt worden , um die vorübergehend aufgelöste staatliche Macht zu ersetzen und die Bevölkerung insbesondere vor durchziehenden Truppen zu schützen.359 Bereits im November 1921 schlug Julius Deutsch auf dem sozialdemokratischen Parteitag vergeblich vor , die vorhandenen Kräfte organisatorisch zusammenzufassen.360 Das zunehmend offensivere Vorgehen der rechten Wehrverbände samt gewaltsamen Übergriffen mit Toten und Verletzten , aber auch die faschistische Machtergreifung in Italien beförderten im Lauf des Folgejahres jedoch ein Umdenken.361 Entscheidend dazu beigetragen hatte wohl auch die Erkenntnis , dass die Hoffnung auf eine allgemeine Abrüstung illusorisch war.362 Es mündete schließlich im Februar 1923 in der Gründung des Republikanischen Schutzbundes , einer bundeseinheitlichen Wehrorganisation mit zentraler Leitung. Der Schutzbund war zunächst nicht einfach als Parteigarde gedacht , 356 Zu den einschlägigen sozialdemokratischen Bemühungen vgl. Haas ( 1967 ), 16–45 , 117 ff. 357 Botz ( 1976 ), 67 f. 358 Vgl. McLoughlin ( 1990 ), 15 f. 359 Allein auf Wiener Ebene existierten bis zum Sommer 1920 etwa zwanzig derartige Formationen , die neben Infanteriegewehren auch über Maschinengewehre und einen Panzerautozug verfügten , vgl. Haas ( 1967 ), 168 f. 360 McLoughlin ( 1990 ), 16. 361 Vgl. Vlcek ( 1971 ), 56 ff. 362 Vgl. Tramer ( 1969 ), 32 f.
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sondern sollte den Nukleus einer wehrhaften Arbeiterbewegung bilden und in den bestehenden Partei- und Gewerkschaftsstrukturen363 wirken. Zu diesem Zweck wurde ein breites Bildungsangebot entworfen , von dem später allerdings deutlich weniger als geplant umgesetzt wurde.364 Auf soziokultureller Ebene war der Schutzbund darüber hi naus als parteikonformes Konkurrenzangebot zu den formal politisch unabhängigen , tatsächlich aber durchwegs rechts stehenden Kameradschaften gedacht.365 Die militärische Ausbildung einschließlich des Schießwesens366 wurde in Zusammenarbeit mit den sozialdemokratischen Sportorganisationen durchgeführt , auf diese Weise blieb auch der legale Schein gewahrt. Obwohl Schobers Polizeidirektion früh ihr Möglichstes tat , die Waffenkontrolleure der Alliierten für die reichlichen Bestände verschiedener Arbeiterformationen zu interessieren und es auch zu diversen Beschlagnahmungen kam , waren die verbliebenen Bestände immer noch ansehnlich. Die Infanteriewaffen des Schutzbundes stellten die staatlichen Bestände weit in den Schatten ,367 darüber hinaus verfügte man auch über einige wenige Geschütze.368 Die Frage des organisatorischen Aufbaus ( u nd damit verbunden der Befehlsgewalt ) war parteiintern zunächst umstritten. Während mehrere Funktionäre wie Karl Heinz , der Obmann der Sozialistischen Arbeiterjugend , eine lose Formation präferierten , die im Fall des Falles aus Mitgliedern der unterschiedlichen Parteigliederungen gebildet würde , setzte sich am Ende eine Fraktion rund um Julius Deutsch durch , die auf eine eigene , militärisch ausgerichtete Struktur drängte.369 Nach dem Justizpalastbrand wuchs die Kritik an diesem Wehrkonzept , sowohl von Befürwortern einer generellen Abrüs 363 Das ist insofern von Bedeutung , als das Primat der Partei über die Freien Gewerkschaften in der Anfangsphase der Republik noch nicht so stark ausgebildet war. Dennoch galten Partei- und Gewerkschaftsmitgliedschaft gleichermaßen als Legitimation für den Beitritt zum Schutzbund. Die engen Beziehungen zu den Gewerkschaften waren zum beiderseitigen Vorteil gedacht : Der Schutzbund wurde maßgeblich durch Gewerkschaftsgelder finanziert und war in einer militärischen Konfrontation auf begleitende gewerkschaftliche Kampfmaßnahmen angewiesen , um Transport und Nachschub des Gegners zum Erliegen zu bringen. Umgekehrt fungierte der Schutzbund als Ordnertruppe bei Gewerkschaftsveranstaltungen , sicherte Gewerkschaftseinrichtungen und beschützte Streikende , vgl. Vlcek ( 1971 ), 88 f. 364 Vgl. ebenda , 11 ff. 365 Zur Geschichte der Veteranenverbände der Ersten Republik und des Austrofaschismus wurde leider bislang kaum wissenschaftlich gearbeitet , vgl. Prattes , Florian ( 2009 ) : Der Österreichische Kameradschaftsbund und seine Rolle im kollektiven und individuellen Gedächtnis seiner Mitglieder , Dipl.-Arb. , Graz , 45–48 ; Überegger , Oswald 2011 : „Erinnerungsorte“ oder nichtssagende Artefakte ? Österreichische Kriegerdenkmäler und lokale Kriegserinnerung in der Zwischenkriegszeit. In : Cole , Laurence / Hämmerle , Christa / S cheutz , Martin ( Hg. ) : Glanz – Gewalt – Gehorsam. Militär und Gesellschaft in der Habsburgermonarchie ( 1800 bis 1918 ), Essen , 293–310. 366 Für die Schießausbildung wurden zunächst ab 1928 eigene Schützenvereine gegründet , eine Überführung dieser Aktivitäten in den Schutzbund selbst fand erst ab Jänner 1933 statt , vgl. Naderer ( 2004 ), 235. 367 Diese Überlegenheit im Bereich der leichten Waffen hielt bis zum Bürgerkrieg im Februar 1934 vor. Nach Schätzungen Naderers betrug das Verhältnis Bundesheer zu Schutzbund bei Maschinengewehren 450 zu mindestens 700 , bei Gewehren 34.500 zu mindestens 40.000 , vgl. Naderer ( 2004 ), 243. 368 McLoughlin ( 1990 ), 19. 369 Naderer schreibt Julius Deutsch’ Erfolg vermutlich zu Recht dem Umstand zu , dass sie konkreter und damit praktikabler erschienen als die gegenläufigen Überlegungen , vgl. ders. ( 2004 ), 152.
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tung wie Karl Renner und Karl Kautsky als auch von Militärs wie Theodor Körner , der sich um die militärische Effizienz eines isoliert agierenden Schutzbundes sorgte.370 Julius Deutsch argumentierte seine Linie stark unter Verweis auf die Erfahrungen während der Aufstände in Mitteldeutschland und die Niederlage der italienischen Arbeiterschaft. In beiden Fällen sei die Linke durchaus nicht ohne Waffen dagestanden. In einer Auseinandersetzung mit militärisch organisierten , straff geführten und zu komplexeren Operationen fähigen Gegnern könne aber nur bestehen , wer durch zentrale Leitung sicherstelle , dass es nicht zu einer bloßen Potenzierung des individuellen Aktionismus käme.371 Die gegenläufige militärische Argumentation verwies dagegen auf die Bedeutung der Wehrbereitschaft der Massen , die es aufrechtzuerhalten gelte.372 Die Finanzierung des Schutzbundes , der bis 1924 noch dem Exekutivausschuss der jeweiligen Landesarbeiterräte unterstand , erfolgte zunächst aus Zuwendungen der Gewerkschaften und Beiträgen jener Organisationen , die ihm korporativ beitraten. Nach der Selbstauflösung der Arbeiterräte Ende 1924 fiel zwar deren gesamtes Vermögen dem Schutzbund zu , dessen Finanzprobleme änderten sich aber erst nachhaltig , als der Schutzbund 1926 der ASKÖ eingegliedert wurde und in weiterer Folge auch Direktsubventionen der SDAPÖ erhielt.373 Das blieb nicht ohne Folgen für das Verhältnis zur Partei. Von nun an fungierte ein zwölfköpfiger Vorstand als Leitungsgremium , in dem prominente Vertreter der Partei saßen , so neben Julius Deutsch auch Otto Bauer und Friedrich Adler. Im Unterschied zur gewählten politischen Leitung wurden die militärischen Führer ernannt. Es dürfte allerdings bis zur Schutzbundreform 1927 auch hier üblich gewesen sein , zumindest die Ränge bis zum Kompanieführer zu wählen.374 Im Herbst 1926 setzte eine intensive bürgerliche Medienkampagne gegen den Schutzbund ein , deren Ausgangspunkt ein Zusammenstoß zwischen Schutzbündlern und Angehörigen der Katholischen Jugend in Wien-Hernals darstellte.375 Nach der Übernahme der Kanzlerschaft durch Ignaz Seipel im Oktober und dem Beschluss des „Linzer Programms“ im November 1926 wurden die Rufe nach einer Auflösung des Schutzbundes zunehmend schriller. Sie richteten sich vornehmlich an die Entente , wo die Rechte mit ihrem Lobbying bereits früher erfolgreich gewesen war. So hatte die Pariser Botschafterkonferenz schon zu einem früheren Zeitpunkt eigentlich die Auflösung der „Geheimverbände“, also des Schutzbundes und der wehrturnenden Arbeitersportvereine , verlangt.376 Die Sozialdemokratie hatte zu diesem Zeitpunkt bereits drei Abrüstungsvorschläge gemacht , die jedoch vonseiten der Heimwehren bzw. der mit ihnen verbundenen Parteien allesamt zurückgewiesen worden waren.377 370 Vgl. Vlcek ( 1971 ), 60 ff. 371 Seine Argumentation zur Ausrichtung des Schutzbundes legte Julius Deutsch in einer programmatischen Broschüre dar , vgl. ders. ( 1926 ) : Antifaschismus ! Proletarische Wehrhaftigkeit im Kampfe gegen d. Faschismus , Wien. 372 Vgl. Vlcek ( 1971 ), 60 f. 373 Vgl. McLoughlin ( 1990 ), 25 ff. , Vlcek ( 1971 ), 128 f. 374 Vgl. McLoughlin ( 1990 ), 27. 375 Vgl. Vlcek ( 1971 ), 131 f. 376 Vgl. Vlcek ( 1971 ), 132. 377 Vgl. McLoughlin ( 1990 ), 457. Weitere sozialdemokratische Abrüstungsangebote folgten 1927 , 1928 , 1929 und alleine 1930 sechsmal.
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Nach einem ersten Versuch Anfang der 1920er begann die Sozialdemokratie ab etwa 1926 , neuerlich in den Dörfern zu agitieren. Mit diesem Vorstoß ins christlichsoziale Kernland wagte man sich aber auch aus der sicheren Deckung der roten Städte und beschleunigte abermals ein beidseitiges Wettrüsten. Im Zuge dessen wurde die ursprüngliche Übereinkunft , im Burgenland keine Wehrformationen aufzubauen , um Ungarn keinen Vorwand für eine militärische Intervention zu liefern , bald hinfällig. Die Frontkämpfervereinigung , die an der ursprünglichen Vereinbarung mit der Sozialdemokratie nicht beteiligt gewesen war und außerdem als traditionell pro-ungarisch galt , begann 1926 mit der Gründung von Ortsorganisationen. Die Sozialdemokratie antwortete mit der Gründung von Schutzbundformationen.378 Für die 1927 anstehenden Nationalratswahlen versuchte Ignaz Seipel , eine bürger liche Einheitsliste zu bilden , und konzentrierte sich darauf , die ansonsten vermeintlich drohende sozialdemokratische Machtübernahme in düstersten Farben auszumalen. Für die ersten Monate des Jahres 1927 wurde daher allerseits eine harte Wahlauseinandersetzung erwartet. Ab März 1927 wurde die allgemeine Spannung durch die „Arsenal-Affäre“ weiter erhöht , in deren Verlauf die Staatsmacht zwischen März und Mai 1927 erhebliche Waffenmengen des Schutzbundes beschlagnahmte , die im Wiener Arsenal gelagert gewesen waren.379 Militärisch waren die Folgen für den Schutzbund zwar empfindlich , aber nicht dramatisch. Auf psychologischer Ebene kam die Passivität der Sozialdemokratie angesichts der offensiven Vorgehensweise der Gegenseite aber einer Niederlage gleich. Sie markierte den Beginn einer langen , erfolgreichen Zermürbungstaktik.380 Deren nächste Etappe folgte in Gestalt des Polizeimassakers vom 15. Juli 1927 auf dem Fuß. Abermals beließ es die Sozialdemokratie bei verbalem Protest , und das , obwohl die Ereignisse ungleich alarmierender waren. Das betraf nicht nur das brutale Vorgehen der Exekutive. Die wichtigste Waffe der Arbeiterschaft , der Generalstreik , hatte sich außerhalb der roten Hochburgen durch den Einsatz von Gewalt seitens der rechten Wehrverbände , aber auch der Staatsmacht als wirkungslos entpuppt. Die Tragweite dessen fasste Julius Deutsch in einem Schreiben an Seitz zusammen : „Wir treiben ganz offensichtlich auf den Faschismus zu [ … ] Wer weiß , ob wir noch einmal Gelegenheit haben werden , die Gegenwehr zu organisieren , wenn wir es jetzt nicht tun.“381 Keineswegs nur linke Hitzköpfe , sondern auch altgediente Genossen wie Wilhelm Ellenbogen oder Johann Schorsch traten dafür ein , „den Kampf , der , wenn auch ohne unsere Absicht , nun einmal begonnen hatte , bis zur letzten Konsequenz durchzufechten“.382 Die überwiegende Mehrheit der Parteiführung war sich aber einig , einem Bürgerkrieg aus dem Weg zu gehen. 378 Vgl. Vlcek ( 1971 ), 134 f. 379 Die Szenen während der Räumungen waren teils durchaus dramatisch. Nachdem am Nachmittag des 2. März 1927 Bundesheer und Polizei vor dem Arsenal aufgezogen waren und mit der Waffensuche begannen , wurde der Schutzbund in den angrenzenden Bezirken in Alarmbereitschaft versetzt und zernierte mit mehreren Tausend Mann den Gebäudekomplex , vor dem sich eine aufgebrachte Menschenmenge versammelte , vgl. McLoughlin ( 1990 ), 148–151 , Vlcek ( 1971 ), 142 f. 380 Vgl. McLoughlin ( 1990 ), 160–163. 381 Schreiben vom 20. 07. 1927 , zitiert nach Garscha / McLoughlin ( 1987 ), 258. 382 So Julius Deutsch , die Wortmeldungen Ellenbogens und Schorschs im Parteivorstand bzw. in der Gewerkschaftskommission resümierend , zitiert nach Duczynska ( 1975 ), 111.
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Im Kontext des Schutzbundes wird der Justizpalastbrand häufig in den Kontext eines Konfliktes über Strategie und Taktik gestellt , der tatsächlich aber schon länger zwischen Alexander Eifler auf der einen und Theodor Körner auf der anderen Seite gegärt hatte und sich nun entlud. Es greift allerdings , wie McLoughlin zu Recht kritisiert ,383 zu kurz , die beiden Charaktere auf den brillanten Theoretiker ( Körner ) und den dumpfen Drillsergeanten ( Eifler ) zu reduzieren , eine Deutung , die letztlich auf Julius Deutsch zurückgeht.384 Beide Männer , Körner und Eifler , hatten von Beginn an im Schutzbund mitgewirkt. Nach dem Justizpalastbrand rückte Körner zum militärischen Leiter des Schutzbundes auf , während Eifler , der als deklariert sozialdemokratischer Offizier seinen Abschied aus dem Bundesheer hatte nehmen müssen , dessen Wiener Führung übernahm.385 Die in der Literatur meist alleine Eifler zugeschriebene Schutzbundreform vom Herbst 1927 wurde in Wirklichkeit noch im gegenseitigen Einvernehmen erarbeitet. Die darin festgeschriebene Militarisierung , Disziplinierung und Entpolitisierung ( m it der auch eine politische Säuberung einherging386 ) bzw. Entdemokratisierung des Verbandes als Reaktion auf vermeintliche Disziplinlosigkeiten während der Wiener Ausschreitungen hatte auch Körner in einer internen Besprechung zunächst noch vehement befürwortet : „[ … ] wir müssen es den Ordnern einbläuen , dass sie , wenn sie in den Uniformen stecken , aufhören Vertrauensmänner oder Parteimitglieder zu sein , dass sie dann nichts sind als Soldaten , die ihrem Kommandanten zu gehorchen haben [ … ].“387 Je intensiver sich Körner in den darauffolgenden Monaten aber mit den prinzipiellen Möglichkeiten einer militärischen Austragung des Konfliktes befasste , desto stärker betonte er dessen politische Komponente. Die Resultate seiner Überlegungen stellte er bereits im Frühjahr 1928 als „Grundsätze für Gewaltanwendung und Bürgerkrieg“ intern zur Diskussion. Die Regierung arbeite unverkennbar auf eine Ausschaltung der Arbeiterbewegung hin. Man müsse dem aber so lange auf dem Boden der Gesetzlichkeit begegnen , als die Regierung diesen nicht verlasse , weil die Massen den Kampf nur unterstützen würden , wenn sie ihn für legitime Notwehr hielten.388 An diese politische 383 Vgl. McLoughlin ( 1990 ), 11 f. 384 Dort findet sie sich freilich unter anderen Vorzeichen : Deutsch tendiert stark dazu , Körner als versponnenen Philosophen dar- und ihm Eifler als realitätsnäheren Praktiker gegenüberzustellen , was wohl nicht zuletzt einem Legitimationsinteresse des Autors entsprach , der Eiflers Linie unterstützt hatte , vgl. Deutsch , Julius ( 1947 ) : Alexander Eifler. Ein Soldat der Freiheit , 2. Aufl. , Wien , 28 ff. 385 Vgl. Vlcek ( 1971 ), 275. 386 Vgl. McLoughlin ( 1990 ), 456. Für und wohl auch von ehemaligen Schutzbundmitgliedern wurde im Sommer 1927 der kommunistische „Rote Frontkämpferbund“ gegründet , der aber bald behördlich aufgelöst wurde und sich im darauffolgenden Herbst als „Österreichische Arbeiterwehr“ neu formierte , vgl. Garscha , Winfried R. / Hautmann , Hans ( 1984 ) : Februar 1934 in Österreich , Berlin , 20 , 80. Das militärische Potenzial der Organisation blieb vernachlässigbar , vgl. Steinböck ( 1988 ), 43. Ab 1932 kam es jedoch mehrfach zu gemeinsamen Aktionen von Arbeiterwehr und Schutzbund gegen Nationalsozialisten , vgl. Frischauer ( 1976 ), 162–173. Siehe auch : März , Peter : „Eine Hand , ein Arm oder das Augenlicht ist schnell eingebüsst.“ Revolutionäre Arbeiterwehr und KPÖ in Oberösterreich 1928 bis 1933 [ erscheint in der Reihe des Oberösterreichischen Landesarchivs zur Geschichte Oberösterreichs 1918–1938 ab 2014 ]. 387 Zitiert nach Naderer ( 2004 ), S. 169 f. 388 Vgl. Duczynska ( 1975 ), 123 f.
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Strategie knüpfte Körner eine „Technik des Bürgerkrieges“, die an das klassische Repertoire der Guerilla-Kriegsführung anschloss. Als Hauptgegner betrachtete er nicht die Heimwehren , sondern den staatlichen Gewaltapparat. Den wiederum bekämpfe man vorzugsweise nicht durch Gewalt , sondern durch Infiltration , indem man ihn also durch Agitation unter den Mannschaften als Instrument in der Hand der Regierung unbrauchbar mache. Sollte dies nicht gelingen , müsse der Schutzbund eine offene Konfrontation nach dem Muster regulärer Armeen nach Möglichkeit vermeiden und stattdessen auf eine kleinteilige Zermürbungstaktik setzen. Allgemein sei passive Verteidigung anzuraten , Offensivstöße dagegen nur in Ausnahmefällen. Die Frage der Bewaffnung spiele eine nachgeordnete Rolle : „Auf was es ankommt , ist : Alle in der Masse der Arbeiter schlummernden Kräfte aufzuwecken , zusammenzufassen und zu organisieren , alle möglichen Fälle durchzudenken , um Selbstständigkeit , Selbsttätigkeit , Selbstbewusstsein und damit Sicherheit im Bürgerkrieg und Kampf zu erzielen.“389 Die ursprüngliche Forderung nach einer Entpolitisierung des Schutzbundes wurde hier in ihr Gegenteil verkehrt : Nur als Fisch im Wasser , als politisierter Teil der organisierten Massen konnte der Schutzbund nach nunmehrigem Dafürhalten erfolgreich sein. Eifler hielt ein solches Einsatzszenario für zu abstrakt und stellte dem eine Einschätzung entgegen , die sich zumindest hinsichtlich der Ausgangslage bewahrheiten sollte : Wahrscheinlich sei , dass eine schwache bürgerliche Regierung , die über eine dünne Mehrheit verfüge , gestützt auf Militär und Exekutive gegen eine starke , aber immer noch minoritäre Sozialdemokratie vorgehen werde , um eine Diktatur zu errichten. Auch dann aber sei es doch das Recht der Arbeiterschaft , sich zu wehren , und dafür gelte es , Vorkehrungen zu treffen. In den Aufgabenbereich des Schutzbundes fiele der militärische Teil dieser Vorbereitungen. Die politische Beeinflussung der Massen , aber auch des Gegners sei hingegen Angelegenheit von Partei und Gewerkschaft. Die von Körner geäußerte Kritik an der „geistlosen Militarisierung“ entspreche letztlich der Forderung nach Entmilitarisierung.390 Während der rechte Flügel im Parteivorstand nach dem Justizpalastbrand das Konzept des Schutzbundes für gescheitert hielt und seine Abrüstung verlangte , argumentierte die Linke , die Formation sei zwar geschwächt , aber noch immer stark genug , es mit einem rechten Putsch , an dem sich die Staatsgewalt nicht beteilige , alleine aufzunehmen.391 Die folgenden zwei Jahre waren von einer umfassenden militärischen Theoriebildung geprägt , für die vor allem Körner verantwortlich zeichnete.392 Gleichzeitig wurde unter der Ägide Eiflers eine effiziente Reorganisation vorangetrieben und deren Ergebnis in imposanten Manövern der Öffentlichkeit präsentiert.393 Das eine hatte allerdings mit dem anderen denkbar wenig zu tun. Die praktische Organisationsarbeit Eiflers ignorier389 Ebenda , 125. 390 Vgl. ebenda 128 f. 391 Vgl. Vlcek ( 1971 ), 165 ff. 392 Anders , als die Gegner Körners behaupteten , waren viele seiner Gedanken durchaus praktischer Natur und beschäftigten sich etwa mit der Bekämpfung der von der Exekutive neu angeschafften Radpanzer , vgl. Naderer ( 2004 ), 212. 393 So hielt der Schutzbund zwischen 1929 und 1931 Winterkampfübungen im Gebirge ebenso ab wie riesige Manöver mit bis zu fast 19.000 Mann und Aufmärsche mit bis zu 35.000 Mann , weit mehr , als der Personalstand des gesamten Bundesheeres , vgl. Naderer ( 2004 ), 210–220.
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te großzügig Körners Überlegungen , der wiederum hielt den „geistlosen Militarismus“ Eiflers für schädlich und ließ an dessen Operationsplänen kein gutes Haar.394 Den aus diesem Widerspruch resultierenden fortgesetzten Grabenkampf fasste Körner am Ende so zusammen : „Heinz entscheidet sich für Eifler gegen mich. Deutsch hält zu Heinz , weil dieser sein unentbehrlicher Sekretär für alles ist. Und schließlich entscheiden sich auch die Spitzen der Gesellschaft für Eifler und gegen mich …“395 Im Frühjahr 1930 schied Körner aus der zentralen Leitung des Schutzbundes aus , nahm an dessen Entwicklung aber weiterhin regen Anteil. Konfrontationen mit rechten Wehrverbänden gehörten zwar zum Alltag , beschränkten sich aber – sofern die Heimwehren berührt waren – üblicherweise auf Defensivakte und Drohgebärden.396 Zu physischen Auseinandersetzungen kam es dagegen verhältnismäßig selten , durch die strikte Disziplin des Schutzbundes blieb den Versuchen der Heimwehren , einen Bürgerkrieg zu provozieren , der Erfolg versagt. Der Gewalt , die zunehmend von den Nationalsozialisten ausging , begegnete der Schutzbund insofern offensiver , als die Anweisungen zur unbedingten Zurückhaltung in diesen Fällen ����� gelockert wurden , nicht zuletzt , weil die NS-Formationen die Sozialdemokratie gezielter in ihren eigenen Hochburgen zu stellen versuchte.397 In den folgenden drei Jahren mehrten sich die Anzeichen für zwei Entwicklungen , die für den Schutzbund gravierende Folgen haben mussten – und dennoch nicht hatten. Einerseits verdichteten sich die Hinweise , dass die bürgerlichen Parteien die Demokratie tatsächlich überwinden wollten. Sie gedachten allerdings nicht , sich dabei auf Gedeih und Verderb den Heimwehren auszuliefern , und verweigerten deshalb dem Pfrimer-Putsch im September 1931 die Gefolgschaft. Andererseits , und das war eine neue Erfahrung für sozialdemokratische Funktionäre , zeigte die Moral der eigenen Gefolgschaft Abnützungserscheinungen. Zwar ist die Annahme , SozialdemokratInnen seien nun oder zu einem späteren Zeitpunkt in Massen ins Lager der Nationalsozialisten übergelaufen , mit hoher Wahrscheinlichkeit falsch.398 Aber auch eine Passivierung der einst allzeit mobilisierbaren sozialdemokratischen Gefolgschaft musste verheerende Konsequenzen auf alle etwaigen Verteidigungspläne haben. Die Parteiführung wich von ihrer rigorosen Defensivstrategie dennoch selbst dann nicht ab , als Dollfuß im März 1933 das Parlament ausschaltete und damit nicht nur sämtliche Illusionen über seine Absichten zerstreute , sondern auch an der sozialdemokratischen Basis ein letztes Mal die Stimmung zum Kochen brachte.399 394 Zusammenfassend dargestellt hat Körner diese Kritikpunkte nochmals , nachdem er nach seinem Rücktritt im Dezember 1931 einer Einladung des steirischen Schutzbundes gefolgt war und über die Ergebnisse seiner Inspektion Bericht erstattete , vgl. Vlcek ( 1971 ), 280–283 , außerdem Naderer ( 2004 ), 280–284. 395 Zitiert nach Duczynska ( 1975 ), 155. 396 Defensivakte bedeuteten , dass man Heimwehrüberfällen , wie sie 1929 in der Steiermark mehrfach stattfanden , gewaltsam begegnete , aber seinerseits nicht initiativ wurde. Die Drohgebärden bestanden vor allem in einer regen Aufmarschtätigkeit. 397 Vgl. McLoughlin ( 1990 ), 459. 398 Es existieren bislang keinerlei statistisch gesicherte Erkenntnisse hierüber , die Aussagen in behördlichen Dokumenten sind durchaus widersprüchlich. Fest steht , dass es 1933 / 34 vermehrt zu Organisationswechseln kam , zum überwiegenden Teil dürfte davon aber die KPÖ profitiert haben. 399 Nach dem 15. März liefen aus den Bundesländern Meldungen ein , die Stimmung im Schutzbund sei angesichts der Untätigkeit der Parteiführung „von einer Meuterei nicht weit entfernt“. „Ein großer
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Angesichts dessen sind ernsthafte Zweifel angebracht , ob an der Spitze der Partei tatsächlich je ernsthaft erwogen wurde , den Schutzbund wirklich einzusetzen. Die Bundesregierung ihrerseits handelte , nachdem die Sistierung der Demokratie einmal offen zutage getreten war , schnell und entschlossen : Ausgehend von Tirol wurde der Schutzbund in der zweiten Märzhälfte 1933 behördlich aufgelöst.400 Die Sozialdemokratie beugte sich abermals. Der Schutzbund wurde unter Einbeziehung der SAJ in eine „Propagandaabteilung“ umgewandelt , zu der auch eine „Ordnerorganisation“ gehörte. Weder an der Leitung noch an der Einsatzplanung änderte sich ansonsten etwas , obwohl sich die Rahmenbedingungen fundamental verschoben hatten.401 Die Intensität staatlichen Drucks nahm stetig zu , zugleich konnte die Sozialdemokratie der eigenen Anhängerschaft nicht mehr durch öffentliche Aufmärsche Sicherheit oder den Heimwehren einen Abstand gebietenden Respekt einflößen. Angesichts dessen machten sich intern tiefe Brüche bemerkbar , die gegen Ende des Jahres 1933 in Auflösungserscheinungen mündeten.402 Eine letzte Chance , sich wieder zurück ins Spiel zu bringen , stellte aus Sicht der Schutzbundführung bezeichnenderweise die Hoffnung dar , sich Dollfuß als Bündnisgenosse gegen die immer drohendere Gefahr einer NS-Invasion anzutragen. Einen Partner dafür meinte man ausgerechnet in Richard Steidle ausgemacht zu haben , mit dessen Tiroler Heimwehr es tatsächlich zu einer Übereinkunft kam , die vorsah , den Schutzbund wieder zuzulassen und zu bewaffnen. Allerdings verweigerte dem der Ministerrat am 18. August 1933 seine Zustimmung. Dennoch beschloss Mitte September eine Konferenz der westlichen sozialdemokratischen Länderorganisationen , sich vor allem gegen den Nationalsozialismus zu richten. Um dem Nachdruck zu verleihen , trat man am 17. September neuerlich an das Regierungslager , namentlich Carl Vaugoin , heran. Wie zuvor Steidle war auch Vaugoin mit einer Reaktivierung des Schutzbundes grundsätzlich einverstanden und versprach , sich dafür im Kabinett zu verwenden. Infolge seiner Entlassung aus dem Kabinett blieb diese Zusage aber folgenlos.403 Angesichts des unbeirrten Vordringens der Regierung beschlossen Sozialdemokratie und Gewerkschaften bei einer gemeinsamen Konferenz im September 1933 vier rote Linien , auf deren Überschreitung sofort bewaffneter Widerstand folgen sollte : 1. Einsetzung eines Regierungskommissärs in Wien , 2. Auflösung der Partei , 3. Auflösung der Gewerkschaften , 4. Dekretierung einer neuen Verfassung.404 Es war kaum mehr als eine Geste der Hilflosigkeit , vermutlich dazu gedacht , gegenüber der eigenen Anhängerschaft Führungsstärke zu demonstrieren. Die folgenden Wochen vergingen mit gespanntem Warten. Am 5. Jänner tagte die Schutzbundführung in Wien. Die Berichte über den InTeil unserer Genossen wünscht , dass die Entscheidung nicht auf die lange Bank hinausgeschoben wird [ … ] Aus der Leidenschaftlichkeit besonders des jungen Teiles unserer Genossen [ … ] nehme ich an , dass der Partei eine große Krise bevorsteht , wenn nicht so rasch als möglich irgend etwas geschieht , das den Leuten zeigt , dass der Kampf nicht aufgegeben wurde.“, zitiert nach McLoughlin ( 1990 ), 379. 400 Als formale Begründung dienten zwei Zusammenstöße mit Schutzbündlern in der Steiermark und Niederösterreich , vgl. Vlcek ( 1971 ), 310 f. , Naderer ( 2004 ), 313 f. 401 Vgl. Naderer ( 2004 ), 319 ff. 402 Vgl. Vlcek ( 1971 ), 318 ff. 403 Vgl. Staudinger ( 1971 ), 362. 404 Vgl. Gulick ( 1948 ), Bd. IV , 224.
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halt dieser Besprechung stammen aus den Prozessen der austrofaschistischen Justiz und sind daher mit Vorsicht zu genießen. Wahrscheinlich ist aber , dass offen besprochen wurde , was ohnehin niemand mehr übersehen konnte : Der letzte , entscheidende Stoß der Regierung stand unmittelbar bevor. Die Ableitung war aber nicht offensiv , nun also von sich aus loszuschlagen , um wenigstens das Überraschungsmoment auf seiner Seite zu haben , sondern abermals rein defensiv : Man unterstrich , das Signal zum Aufstand sei der Generalstreik. Erst auf diesen hin solle der Schutzbund planmäßig aktiv werden.405 Ende Jänner 1934 begann die Regierung mit der Arretierung der leitenden Funktionäre des Schutzbundes. Am 10. Februar war die Verhaftungswelle weitgehend erfolgreich abgeschlossen , die sozialdemokratische Wehrformation stand ohne Führung da. Im Namen der Partei ersuchte Friedrich Adler daraufhin Theodor Körner , das Kommando zu übernehmen. Der erbat sich unwirsch Bedenkzeit , um sich selbst ein Bild von der Lage zu machen. Sein Resümee war verheerend : „Ich habe daraufhin einige Bezirke angesehen , die Schutzbundführer dieser Bezirke geprüft , wie sie sich eine gewaltsame Auseinandersetzung vorstellen , und festgestellt , dass keiner eine Vorstellung [ … ] hatte , dass alle wussten , dass sie sich bereitzuhalten hatten [ … ] und dass der Generalstreik das Signal zum Eingreifen der Waffen sei. Dann würde befohlen werden …“406 Körner lehnte die Übernahme des Kommandos ab und erklärte gegenüber Otto Bauer , er hielte alle Versuche der Gewaltanwendung für völlig aussichtslos. Gemeinsam mit Oskar Helmer und Heinrich Schneidmadl führte Körner am 11. Februar nochmals Verhandlungen mit Bundespräsident Miklas. Der zeigte sich konziliant und ließ wissen , es werde zu keinen gewaltsamen Aktionen kommen. Die Bereitschaften des Schutzbundes wurden daraufhin aufgelöst.407 Diesmal kam es zu wütenden Protesten von Landesfunktionären , vor allem aus Oberösterreich. Als in den frühen Morgenstunden des 12. Februar der Schutzbund in Linz das Feuer auf Polizei und Heimwehr eröffnete , die das Parteihaus besetzen wollten , handelte er gegen den ausdrücklichen Befehl der Wiener Leitung. Auch wo es in den folgenden Tagen andernorts zu Kämpfen kam , war das vielfach Selbstaktivierungstendenzen an der Basis zuzuschreiben.408 Resümee und Ausblick Die militärhistorische Befassung mit der österreichischen Zwischenkriegszeit ist relativ am weitesten in der Ereignis- und Organisationsgeschichte gediehen. Die großen gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen 1927 und 1934 sowie der deutsche Ein405 Vgl. Vlcek ( 1971 ), 327 ff. 406 Zitiert nach Duczynska ( 1975 ), 180. Körner hatte bereits früher darauf gedrungen , im Ernstfall müssten die Schutzbundeinheiten in der Lage sein , auf eigene Faust das Richtige zu tun. Dass Kurt Peballs Annahme zutrifft , wonach die Schutzbundformationen tatsächlich auf die eigenständige Kampfführung vorbereitet wurden , darf als unwahrscheinlich gelten , vgl. Peball , Kurt ( 1975 ) : Februar 1934 : Die Kämpfe. In : Jedlicka , Ludwig / Neck , Rudolf ( Hg. ) : Das Jahr 1934 : 12. Februar. Protokoll des Symposiums in Wien am 5. Februar 1974 [ Wissenschaftliche Kommission des Theodor-KörnerStiftungsfonds und des Leopold-Kunschak-Preises zur Erforschung der österreichischen Geschichte 1927 bis 1938 , Bd. 2 ] , Wien , 25–33 :27. 407 Vgl. Duczynska ( 1975 ), 181. 408 McLoughlin ( 1990 ), 407–454.
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marsch 1938 standen in den 1970ern und 1980ern im Zentrum des Interesses409 und haben in den vergangenen Jahren erneut Aufmerksamkeit erfahren.410 Die Flut an ( mehrheitlich nichtwissenschaftlichen ) Publikationen speziell zu den Februarkämpfen täuscht allerdings leicht darüber hinweg , dass es bis jetzt keine umfassende Gesamtdarstellung gibt , die die Darstellungen von Sieger und Besiegten in Beziehung zueinander setzte. Die Perspektive der Geschlagenen wäre abseits der Parteipublizistik , Erinnerungsliteratur und raren Zeitzeugenbefragungen411 besonders Vernehmungs- und Gerichtsprotokollen zu entnehmen , wobei natürlich strategische Aussagen ins Kalkül zu ziehen sind. Hier macht sich bemerkbar , dass sich die österreichische Militärgeschichte bislang überhaupt kaum für eine Perspektive „von unten“412 erwärmen kann.413 Auch organisationsgeschichtlich tun sich noch durchaus erhebliche Lücken auf. Sie umfasst einerseits allgemein die Jahre 1923–1927 , die – da sie einigermaßen ruhig verliefen – bislang kaum untersucht wurden. Auch für die Zeit davor bzw. danach ist die Erforschung der Wehrverbände nach Bundesländern und Wehrverband recht unterschiedlich weit vorangekommen. Regionalstudien würden sich im Fall der rechten Wehrverbände insbesondere für Wien , das Burgenland , Kärnten und Salzburg anbie409 Vgl. vor allem die anlassbezogenen Bände der Körner-Kunschak-Kommission. Zum 12. Februar 1934 siehe außerdem besonders die Beiträge in : Fröschl , Erich / Zoitl , Helge ( Hg. ) ( 1984 ) : Februar 1934. Ursachen – Fakten – Folgen. Beiträge zum wissenschaftlichen Symposion des Dr.-Karl-RennerInstituts , abgehalten vom 13. bis 15. Februar 1984 in Wien. Zum 25. Juli 1934 vgl. bes. Jagschitz , Gerhard ( 1976 ) : Der Putsch. Die Nationalsozialisten 1934 in Österreich , Graz / Wien / Köln. Zur deutschen Invasion 1938 vgl. bes. Schmidl ( 1987 ) und Steinböck ( 1988 ). 410 Vgl. zum 25. Juli 1934 Bauer , Kurt ( 2003 ) : Elementar-Ereignis. Die österreichischen Nationalsozialisten und der Juliputsch 1934 , Wien ; Schafranek , Hans ( 2006 ) : Sommerfest mit Preisschießen. Die unbekannte Geschichte des NS-Putsches im Juli 1934 , Wien. Klösch , Christian ( 2007 ) : Des Führers heimliche Vasallen. Die Putschisten des Juli 1934 im Kärntner Lavanttal , Wien ; Wolf , Gerald M. ( 2008 ) : „Jetzt sind wir die Herren …“. Die NSDAP im Bezirk Deutschlandsberg und der Juli-Putsch 1934 , Innsbruck. Zum 12. Februar siehe Anzenberger , Werner / Polaschek , Martin F. ( 2004 ) : Widerstand für eine Demokratie : 12. Februar 1934 , Graz. Desgl. die Ausführungen Wolfgang Maderthaners zu den Februarkämpfen in Wien in : Csendes , Peter / O pll , Ferdinand ( Hg. ) : Wien. Geschichte einer Stadt , Bd. 3 , Wien-Köln-Weimar , 448–460.Sehr durchwachsen ist die Bilanz der Beiträge in : Schefbeck , Günther ( Hg. ) ( 2004 ) : Österreich 1934. Vorgeschichte – Ereignisse – Wirkungen , Wien. 411 Hans Safrian und Barry McLoughlin haben in den 1980ern zahlreiche Schutzbündler persönlich befragt , die Ergebnisse aber nicht publiziert. Erlebnisberichte finden sich zudem noch in Etzersdorfer , Irene / Schafranek , Hans ( 1984 ) : Der Februar 1934 in Wien , Wien. Eine bislang kaum geöffnete Schatztruhe stellt diesbezüglich die Sammlung Peter Kammerstätters im Archiv der Stadt Linz dar. Ein bislang unter dem Gesichtspunkt der Schutzbundhistorie noch nicht systematisch ausgewerteter Bestand ist jener des Interviewprojektes „Erzählte Geschichte“ des Dokumentationsarchives des Österreichischen Widerstandes. 412 Siehe dazu die theoretischen Überlegungen von Ulrich , Bernd ( 1996 ) : „Militärgeschichte von unten“. Anmerkungen zu ihren Ursprüngen , Quellen und Perspektiven im 20. Jahrhundert. In : Geschichte und Gesellschaft Jg. 22 / 1996 , 473–503 , und als Praxisbeispiele die die Beiträge im Band von Wette , Wolfram ( Hg. ) ( 1992 ) : Der Krieg des kleinen Mannes. Eine Militärgeschichte von unten , München. 413 Siehe dazu auch Cole , Laurence / Hämmerle , Christa / S cheutz , Martin ( 2011 ) : Glanz – Gewalt – Gehorsam. Traditionen und Perspektiven der Militärgeschichtsschreibung zur Habsburgermonarchie. In : Cole et al. , 13–28 :27.
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ten , für den Schutzbund allgemein an der Peripherie. Hinsichtlich der Wehrverbände ist die Forschung kaum über die großen Formationen hinausgelangt , wobei die Jahre 1936–1938 , also die Periode der rechten Veteranenvereinigungen , bislang gar nicht untersucht wurden. Zu den Wehrabteilungen der christlichen Turnvereine ist ebenso wenig bekannt wie etwa zu den Bauernwehren , zu den studentischen Formationen oder zu den Offiziersvereinigungen. Auch zur Frontmiliz und dem Sturmkorps liegen nur fragmentarische , einander zum Teil widersprechende Informationen vor. Wenig Aufmerksamkeit durch die Forschung hat bislang die Perspektive der Wehrverbände unterschiedlicher Provinienz aufeinander erfahren. Hinsichtlich des staatlichen Gewaltapparates sind ebenfalls Forschungsdefizite erkennbar. So fehlt etwa eine befriedigende Gesamtdarstellung der Volkswehr , ebenso eine Untersuchung der Soldatengewerkschaften. Ungeachtet ihrer Bedeutung hat sich für Letztere die österreichische Militärgeschichte praktisch gar nicht interessiert und die verdiente Arbeit eines ausländischen Kollegen hat das Thema vor allem im Hinblick auf die Parteien noch nicht erschöpfend bearbeitet.414 Für die Phase des Austrofaschismus wäre auch eine Studie zum Freiwilligen Schutzkorps wichtig , nicht zuletzt würde das Vergleiche zu faschistischen Formationen und ihrer Rolle als „Notpolizei“ in anderen Staaten erlauben.415 Die Erforschung operativen Denkens beschränkt sich bislang weitgehend auf den Schutzbund und das Bundesheer416 und spielt in der Historiografie der Wehrverbände nur eine untergeordnete Rolle. Die Teilhabe von Militärpersonal an den Wehverbänden aller politischen Richtungen ist zwar in einer Vielzahl von Quellen belegt , bislang aber noch nicht systematischer untersucht. Derlei wäre nicht zuletzt unter einem mentalitätsgeschichtlichen Blickwinkel interessant : Handelte es sich dabei um die Flucht in ein militaristisches Refugium , dessen ideologischer Rahmen letztlich nachrangig war ? Waren die Heimwehren demnach speziell für Veteranen eine Art militarisierter Geselligkeitsverein , dessen soziale Aktivitäten viel stärker für ein Engagement bestimmend waren als die politischen oder militärischen ? Der Mangel an Arbeiten zur Exekutive ist eklatant. Die ausgezeichneten Arbeiten von Winkler und Mähner beleuchten beide den Übergangsprozess von der Demokratie in die Diktatur , eine wichtige Ergänzung wären hier Untersuchungen zu den Sicherheitspolizeidirektionen abseits von Wien und Graz. Wichtige Voraussetzungen für eine konzise Gesamtdarstellung der Geschichte der Exekutive in der Ersten Republik und im Austrofaschismus wären außerdem Untersuchungen zur regionalen Ebene. Das beträfe nicht nur die Landeskommanden der Gendarmerie , sondern vor allem auch die Bezirkshauptmannschaften. Stark unterentwickelt sind bisher generell transnationale Ansätze. Vorliegende Arbeiten , in denen das doch der Fall ist , konzentrieren sich für die Frühphase bis 1923 auf die Beziehungen der österreichischen Rechten nach München und , eingeschränkter , nach Budapest. Die Periode ab 1927 ist für die Kontakte der Heimwehren nach Itali414 Vgl. Bell , Raymond E. ( 1982 ) : The Effectiveness of the Austrian Army and the Organization of Military Unions 1920–1934 , phil. Diss. , New York University , New York. 415 Vgl. Winkler ( 1983 ), 221 f. 416 Vgl. Lassner ( 2001 ), 361 ff. Desgl. Rauchensteiner , Manfried ( 1978 ) : Zum ‚operativen Denken‘ in Österreich 1918–1938 : Pazifismus statt Kriegstheorien. In : Österreichische Militärische Zeitschrift , 2 / 1978 , 107–116.
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en und Ungarn dank der Arbeit von Kerekes gut erforscht , dagegen liegen die Beziehungen zu Bewegungen und Parteien in Deutschland bis 1933 weitgehend im Dunkeln. Zu den internationalen Kontakten des staatlichen Heeres ist für denselben Zeitraum kaum etwas bekannt , hier täten sich sowohl auf Ebene der Institutionen als auch des ideellen Transfers spannende Fragestellungen auf. ÖsterreicherInnen waren zwischen 1918 und 1938 in vier Zusammenhängen intensiver in militärische Zusammenhänge außerhalb ihres Staates involviert : Sie nahmen bis 1921 an Freikorpskämpfen in Osteuropa teil , kämpften für und gegen die Budapester Räterepublik , sammelten sich ab 1933 in der nationalsozialistischen Österreichischen Legion und waren ab 1936 im Verhältnis zur eigenen Bevölkerung außerordentlich stark mit Freiwilligen im Spanischen Bürgerkrieg vertreten. Die Rolle von Österreichern in den deutschen Freikorps ist bislang ebenso unerforscht wie ihre Funktion in den ungarischen Auseinandersetzungen.417 Zur österreichischen Legion hat dagegen erst jüngst Hans Schafranek ein umfangreiches Pionierwerk vorgelegt ,418 auch die Schutzbund emigration419 und das Engagement von ÖsterreicherInnen im Spanischen Bürgerkrieg ist mittlerweile ausführlich bearbeitet worden.420 417 Eszter Brader widmet dem Thema in ihrer sehr informativen Dissertation leider nur wenige Seiten , vgl. dies. ( 1981 ) : Ungarn und Deutschösterreich zur Zeit der ungarischen Räterepublik 1919 , phil. Diss. , Wien , 303–307. 418 Schafranek , Hans ( 2011 ) : Söldner für den Anschluss. Die österreichische Legion 1933–1938 , Wien. 419 Vgl. Stadler , Karl R. ( 1974 ) : Opfer verlorener Zeiten. Geschichte der Schutzbund-Emigration 1934 , Wien ; McLoughlin , Barry / S chafranek , Hans / Szevera , Walter ( 1997 ) : Aufbruch – Hoffnung – Endstation. Österreicherinnen und Österreicher in der Sowjetunion 1925–1945 , Wien. 420 Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstandes ( Hg. ) ( 1986 ) : Für Spaniens Freiheit ! Österreicher an der Seite der Spanischen Republik 1936–1939. Eine Dokumentation , Wien ; Landauer , Hans / Hackl , Erich ( 2008 ) : Lexikon der österreichischen Spanienkämpfer 1936–1939 , Wien ; Hackl , Erich / L andauer , Hans ( Hg. ) ( 2000 ) : Album Gurs. Ein Fundstück aus dem Österreichischen Widerstand , Wien ; Stepanek , Friedrich ( 2010 ) : Die Tiroler Freiwilligen im Spanischen Bürgerkrieg 1936– 1939. Eine Kollektivbiografie , Innsbruck / Wien / Bozen ; Valentin , Hellwig ( 2010 ) : „Uns’re Heimat ist heute vor Madrid …“ Die Kärntner Freiwilligen im Spanischen Bürgerkrieg 1936–1939 , Klagenfurt ; Panzl , Silvia ( 2002 ) : Das Salzkammergut als Ort oppositioneller und reformatorischer Kräfte von 1934–1945 mit Schwerpunkt ‚Spanischer Bürgerkrieg‘ , Dipl.-Arb. , Wien ; Vereinigung Österreichischer Freiwilliger in der Spanischen Republik 1936 bis 1939 und der Freunde des Demokratischen Spanien [ Redaktion : Bruno Furch / A lois Peter ] ( Hg. ) ( 1986 ) : Österreicher im Spanischen Bürgerkrieg. Inter brigadisten berichten über ihre Erlebnisse 1936 bis 1945 , Wien ; Fellinger , Alfred ( 1999 ) : Österreicher im Spanischen Bürgerkrieg. Eine biographische Forschung , phil. Diss. , Wien ; Kromp , Renate ( 1992 ) : Österreich und der Spanische Bürgerkrieg , Dipl.-Arb. , Wien ; Köb , Klaus ( 1990 ) : Der Spanische Bürgerkrieg im Spiegel der österreichischen Presse , Dipl.-Arb. , Innsbruck ; Martinez , Garcia / Belen , Maria ( 2002 ) : Der Spanische Bürgerkrieg : Interkultureller Austausch anhand des Interbrigadisten Josef Schneeweiß , phil. Diss. , Wien ; Leichtfried , Johannes ( 2012 ) : Österreich und Spanien in den 1930ern : Gegenseitige Wahrnehmung , diplomatische Beziehungen , politisch-ideologische Beeinflussungen , phil. Diss. , Innsbruck ; Kruse , Felicitas ( 1998 ) : Schieß gut , aber freu Dich nicht ! Österreicherinnen und Österreicher im Spanischen Bürgerkrieg 1936–1939. Historische Photographien aus dem Bildarchiv der Österreichischen Nationalbibliothek , Innsbruck ; Präauer , Bernhard ( 1999 ) : Österreicher im Spanischen Bürgerkrieg. Mit besonderer Berücksichtigung der Entwicklung des Nationalbewusstseins unter den Spanienkämpfern , Dipl.-Arb. , Salzburg ; Schütz , Edgar ( 1993 ) : La guerra de la tinta.
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Besonders hinsichtlich der nichtstaatlichen Militärformationen wären internationale vergleichende Studien nach dem Vorbild der richtungsweisenden Arbeit von Sven Reichardt421 interessant. Vielversprechend wäre auch die Analyse der Bedeutung des Schutzbundes für die nichtkommunistische proletarische Militanz auf europäischer Ebene. Evident ist hier , dass der Schutzbund nicht nur beispielgebend für den Aufbau entsprechender Wehrorganisationen in mehreren europäischen Ländern war , sondern österreichische Fachleute aktiv in die Aufstellung linker Wehrformationen in anderen Staaten eingebunden waren.422 Ein zentrales Defizit bildet das Fehlen einer politischen Geschichte von Bundesheer und Exekutive , die Jedlicka zwar im Titel seines Buches „Heer im Schatten der Parteien“ andeutet , seiner eigenen Ankündigung dann aber nur in Ansätzen gerecht wird. Im Zentrum einer solchen Betrachtung müsste das Beziehungsgeflecht zwischen den Wehrformationen einer- und staatlichem Gewaltapparat , Parteien und Interessengruppen andererseits stehen. Weil aber auch die rechten Wehrverbände bislang nur unzureichend im Kontext der sie unterstützenden Parteien ( aber auch etwa der katholischen Kirche ) untersucht wurden , entstand der Eindruck , speziell die Heimwehren seien eigenständige Gebilde gewesen , die ex post für die Errichtung der Diktatur verantwortlich gemacht werden könnten. Schneeberger spricht hier zu Recht von „Sündenbockgeschichtsschreibung“423 , Jill Lewis hat richtig angemerkt , dass diese Missinterpretation die Gesamteinschätzung des Austrofaschismus verzerrt hat.424 Letztlich handelt es sich bei der isolierten Betrachtung der Heimwehren um eine Spätfolge der Koalitions- und Lager-Geschichtsschreibung , die zwei konservative Parteientypen sehen wollte , wo de facto nur ein einziges , höchst fragiles bürgerliches Milieu existierte , das eben auch die Heimwehren einschloss. Abseits von Franziska Schneebergers ausgezeichneter Untersuchung liegen bislang keine ergiebigeren Forschungen zur Sozialstruktur der Wehrverbände vor. Hauptgrund dafür ist wohl auch ein Quellenproblem , insbesondere der Mangel an Mitgliederverzeichnissen. Wie sich in den vergangenen Jahren mehrfach gezeigt hat , ist dem weniger wissenschaftlich als pekuniär beizukommen. Im Internet tauchen immer wieder einzelne Karteiblätter und Verzeichnisse sowohl des Schutzbundes als auch der Heimwehren auf.425 Angesichts der verlangten Preise kommen aber wohl nur Institutionen als Käufer infrage , ohne eine entsprechende Ankaufsstrategie ist daher nicht mit der Verbesserung der direkten Quellenlage zu rechnen. Aufschlussreich könnte einstweilen immerhin eine systematische AusSoziopolitischer Prozeß und mediale Praxis im Spanischen Bürgerkrieg , phil. Diss. , Wien ; 421 Reichardt , Sven ( 2002 ) : Faschistische Kampfbünde. Gewalt und Gemeinschaft im italienischen Squadrismus und in der deutschen SA , Wien / Köln / Graz. 422 Vgl. McLoughlin ( 1990 ), 455 ; Vlcek ( 1971 ), 124–128. 423 Schneeberger ( 1988 / 89 ), 135. 424 Vgl. Lewis , Jill ( 1990 ) : Conservatives and fascists in Austria , 1918–1934. In : Blinkhorn , Martin ( Hg. ) : Fascists and Conservatives. The radical right and the establishment in twentieth-century Europe , 98–117 :102 ff. 425 Mehrfach wurden auf eBay Mitgliederkarten des Schutzbundes , einmal auch ein Personenverzeichnis einer Heimwehrgruppe , offenbar aus Salzburg , angeboten. Auf dem Wiener Naschmarkt wurden 2007 zwei Schuber mit Unterlagen und Karteikarten der Schutzbund-Ortsgruppe Völkermarkt offeriert. Bei einer groben Sichtung fanden sich in dem Material auch Dokumente aus anderen Gemeinden , vornehmlich Abrechnungen und Übungskladden bzw. Teilnehmerlisten von Treffen.
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wertung vorhandener Dokumente der Wehrverbände und vor allem von Beobachterinformationen sein. Zumindest zu den jeweiligen Führungskorps könnten gruppenbiografische Arbeiten aufschlussreich sein , desgleichen personelle Querverbindungen zu den staatlichen Gewaltapparaten , soweit sie sich aus deren Aktenbeständen erschließen. Bisherige Untersuchungen haben sich stark auf die militärische Dimension der Wehrverbände konzentriert , weitgehend offen sind dagegen kultur- , sozial- und wirtschaftshistorische Aspekte. Das umschließt einmal die zivile Komponente der Organisationsstrukturen , also Frauen- und Jugendorganisationen , im Fall der Heimwehren auch etwa Interessenorganisationen wie die Unabhängigen Gewerkschaften.426 Zweitens beinhaltet das soziale Aktivitäten und Festkultur , damit aber auch Überlappungen mit anderen Vereinen. Dadurch könnten wichtige Hinweise auf den sozialen Kontext , aber auch auf die breitenwirksamen Teile der Ideologie gewonnen werden. Drittens wäre eine Untersuchung der aktivistischen Elemente auf allen Organisationsebenen interessant , die ein wichtiges Element für Vergleichsstudien bilden würden. Die einzige Schutzbund-Uniform in der gegenwärtigen Ausstellung des Heeresgeschichtlichen Museums ist die Jacke einer Schutzbündlerin. Dieses Artefakt ist insofern bemerkenswert , als es auf einen weitgehend unbekannten Zusammenhang verweist. Frauengeschichtliche Fragestellungen spielen in der Militärgeschichte der Zwischenkriegszeit bislang überhaupt keine Rolle , obwohl sie auch im engeren Sinne militärisch relevant sind. Das betrifft die Mitgliedschaft von Frauen in militärischen Formationen und angeschlossenen Vereinen ebenso wie die Rolle , die Frauen bei gewaltsamen Auseinandersetzungen spielten , besonders bei jenen im Jahr 1934. Im Unterschied zum Juliputsch fanden die Februarkämpfe fast ausschließlich im dicht verbauten Gebiet statt. Frauen waren hier nicht nur anwesend , sondern aufseiten der Aufständischen aktiv beteiligt. Dieser Umstand wurde anschließend aber sowohl von ihren männlichen Kameraden als auch von ihren Gegnern und der einschlägigen Geschichtsschreibung großzügig ignoriert.427 Zu untersuchen wäre in diesem Zusammenhang auch , wie sehr Männer ihre Domäne „Gewalt“ gegen weibliche Einflüsse verteidigten oder ob Frauen erst durch die Geschichtsschreibung in die Unsichtbarkeit abgedrängt wurden. Daran unmittelbar anschließend besteht ein wesentliches Forschungsdesiderat in der Untersuchung von Kontinuitäten der Wehrverbände. Zur Untersuchung von Langzeitwirkungen wäre natürlich auch die Periode ab 1945 wichtig , wurde bislang aber weitgehend ignoriert. Lohnende Ansatzpunkte wären hier sowohl Personenkontinuitäten , etwa in der Exekutive und dem Bundesheer , als auch Historiografie und Traditionspflege sowie die Bedeutung der historischen Erfahrung 1918–1938 im historisch-politischen Bewusstsein der Bevölkerung und der politischen AkteurInnen. 426 Zu den Unabhängigen Gewerkschaften liegt bislang nur eine recht begrenzte Publikation vor , vgl. Göhring , Walter ( 1998 ) : Die gelben Gewerkschaften Österreichs in der Zwischenkriegszeit , Wien. 427 Karin Bergers Film über Anni Haider , die als MG-Schützin den Rückzug der Schutzbündler aus dem Göthehof deckte , ist eine der raren Ausnahmen , vgl. Berger , Karin ( R ) : Tränen statt Gewehre. Anni Haider erzählt. A 1983 , 30 Min. Eine Diplomarbeit behandelt den eigentlichen Gegenstand ihres Titels nur auf knapp fünfzehn Seiten in Form von Zeitzeuginnenberichten , vgl. Mauder , Maria ( 1989 ) : Frauen im Februar 1934 , Dipl.-Arb. , Wien , 75–88. Eine jüngere Arbeit zu Frauen im Februar 1934 behandelt exemplarisch vornehmlich bürgerliche Frauen , die von den Kämpfen vor allem aus der Zeitung Notiz nahmen , vgl. Helfert , Veronika ( 2010 ) : Geschlecht. Schreiben. Politik. Frauentagebücher im Februar 1934 , Dipl.-Arb. , Wien , 114–119.
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Dieter A. Binder
„Austrofaschismus“ und Außenpolitik Die zu kurz geratene Diskussion Eine Vorbemerkung In seiner Studie zur Außenpolitik der Zweiten Republik hat Michael Gehler Grundsätzliches zu einer modernen Darstellung des Genres aufgezeigt : „Drei elementare Dimensionen“ gilt es zu überlegen : Erstens gibt es eine Außenpolitik im engeren Sinn , d. h. hier geht es um die Rolle des Außenamts [ … ] und das Diplomatencorps mit seinem Eigenleben [ … ] eingeschlossen die Auslandskulturarbeit ; zweitens die Außenpolitik im weiteren Sinne , d. h. hier handelt es sich um Prozesse und Strukturen wie den Außenhandel und die Außenwirtschaftspolitik ; drittens die Aktivitäten der einzelnen Außenminister [ … ] und Regierungen , die als politisch Verantwortliche einschließlich ihrer Parteien und des Parlaments begriffen werden.1
Dieses Schema ist auch auf die Zwischenkriegszeit zu übertragen , wenngleich es naturgemäß im steten Dialog mit den innenpolitischen Vorgängen zu einer „Verknappung der Ressourcen“ ab dem März 1933 kommt. Der Staatsstreich und seine Folgen , das Ende der Parteien und der autoritäre Anspruch der Regierung bedeuten noch lange nicht , dass die Akteure der offiziellen Außenpolitik nicht auch in einem Spannungsverhältnis zu Fraktionen innerhalb der fragilen Regierungskoalition , zu Interessengruppen und zu Verbänden standen. Gehler hat überdies klar die „Außenwirkung von innerer Politik , die Außen- und Selbstwahrnehmung Österreichs in der Staatenwelt und die vielschichtigen , von außen stammenden , fremdbestimmten Einflüsse auf die ( Innen-)Gestaltung des Landes“ angesprochen , wobei es „die Entwicklung in den internationalen Kontext einzubinden“ gilt.2 Eine fundierte Gesamtschau der österreichischen Außenpolitik der Zwischenkriegszeit oder auch nur der Jahre 1933 bis 1938 fehlt. Dies galt auch lange Zeit für die Zweite Republik. Anscheinend hat die Zäsur von 1918 und die damit verbundene „Kleinstaaterei“ die außenpolitische Ebene als wenig attraktiven Forschungsgegenstand 1 Gehler , Michael ( 2005 ) : Österreichs Außenpolitik der Zweiten Republik. Von der alliierten Besatzung bis zum Europa des 21. Jahrhunderts , Innsbruck , Bd. 1 , 15. 2 Ebenda , 14.
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VII. Außenpolitik
erscheinen lassen. Andererseits ist eine Tendenz zu beobachten , den „Austrofaschismus“ gleichsam aus dem Kanon „österreichischer Geschichte“ zu nehmen , was umso dramatischer ist , wenn ein Band auf die „Vermittlung von Basiswissen für Studierende , Lehrende und die historische interessierte Öffentlichkeit“ zielt und dabei „einen Überblick über die österreichische Geschichte von 1500 bis in die Gegenwart , basierend auf dem aktuellen Forschungsstand“ anbietet , in dem die Jahre 1933 / 34 bis 1938 ignoriert werden.3 Ein kurzer Überblick Waren die ersten Anschlussversuche 1918 / 19 geprägt von der österreichischen Dynamik unter der Stabführung Otto Bauers ,4 die ihr Pendant im einschlägigen Paragrafen der Weimarer Verfassung fanden , so folgte in den Jahren ab 1920 eine Phase der stillen Annäherung und Vorbereitung , etwa durch die Angleichung der Rechtssysteme , die schließlich im Zollunionsprojekt zu münden schien. Diese stille Diplomatie war gekennzeichnet vom Bemühen , durch partnerschaftliches Auftreten zum gewünschten Erfolg zu kommen. Der genuin österreichische Revisionismus , die Forderung nach einem Zusammenschluss mit Deutschland , scheiterte bereits vor den Friedensverträgen und war somit weitgehend auf eine subkutane Gestaltung im bilateralen Verhältnis beider Staaten angewiesen. Die ab den Genfer Protokollen forcierte Darstellung eines pseudo-neutralen Standpunktes Österreichs und seiner Außenpolitik , die keine Außenpolitik betrieb , wurde international durch das deutsch-österreichische Zollunionsprojekt desavouiert , da darin letztlich der Revisionismus schlagartig wiederum sichtbar wurde. Rolf Steininger5 hat auf den Paradigmenwechsel zu Beginn der 1930er-Jahre hingewiesen : Die Forcierungstendenz ging von der österreichischen auf die deutsche Außenpolitik bereits vor dem Regierungsantritt Hitlers über und wurde mit der deutschen Aggression ab dem Frühjahr 1933 scheinbar endgültig aus dem außenpolitischen Aktionsrahmen der österreichischen Regierung gestrichen. Der revisionistische Ansatz , der in der Planung der Zollunion 1930 von deutscher Seite zum Ausdruck kam6 und der letztlich am Widerstand des Völkerbundes nach einem gezielten Lobbying österreichischer Industriekreise scheiterte , wurde mit der Ernennung Adolf Hitlers zum Reichskanzler Ende Jänner 1933 zur offiziellen Maxime der deutschen Außenpolitik. 3 Scheutz , Martin / Strohmeyer , Arno ( Hg. ) ( 2010 ) : Von Lier nach Brüssel : Schlüsseljahre österreichischer Geschichte ( 1 496–1995 ), Innsbruck , 7. 4 Hanisch , Ernst ( 2011 ) : Der große Illusionist. Otto Bauer ( 1881–1938 ), Wien. 5 Zur Periodisierung der Anschlussbewegung siehe Steininger , Rolf ( 2002 ) : 12 November 1918–12 March 1938 : The Road to the Anschluss. In : Steininger , Rolf / Bischof , Günter / G ehler , Michael ( Hg. ) : Austria in the Twentieth Century , New Brunswick / L ondon , 85–114. 6 Krüger , Peter ( 1987 ) : Die Außenpolitik der Republik von Weimar , Darmstadt , 512–516 ; Knipping , Franz ( 1987 ) : Deutschland , Frankreich und das Ende der Locarno-Ära 1928–1931. Studien zur internationalen Politik in der Anfangsphase der Weltwirtschaftskrise , München , 142–148 ; Hannak , Jacques ( 1966 ) : Johannes Schober. Mittelweg in die Katastrophe. Porträt eines Repräsentanten der verlorenen Mitte , Wien ; Hubert , Rainer ( 1990 ) : Schober. „Arbeitermörder“ und „Hort der Republik“. Biographie eines Gestrigen , Wien / Köln / Weimar ; Gehler , Michael ( 2007 ) : Schober , Johannes. In : Neue Deutsche Biographie , Berlin Bd. 23 , 347 f.
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����������������������������������������������������� ������������������������������������� : „Austrofaschismus“ und Außenpolitik
Die Akzentverschiebung unter Hitlers Stabführung war eindeutig : Aus dem Zusammenschluss zweier Staaten hatte nun der Anschluss „aller Deutschen“ an das „Deutsche Reich“, allen voran Österreichs und der deutschsprachigen Gebiete der Tschechoslowakei , zu werden , gleichgültig welche Mittel angewandt werden mussten. Dollfuß wurde aus deutscher Sicht durch seine Neubestimmung des deutsch-österreichischen Verhältnisses zum „Verräter am Deutschtum“. Für Österreich bedeutete dies , dass nach dem Scheitern des terroristischen schnellen Wegs deutscher Einflussnahme 1933 / 34 mit dem Putschversuch im Juli 1934 als Höhepunkt die Periode der „evolutionären Lösung“ folgte , bis das Land im März 1938 nicht mehr in der Lage war , der Erpressung durch Hitlers Regierung echten Widerstand entgegenzusetzen. Die Wirtschaftskrise destabilisierte und deklassierte in zunehmendem Ausmaß alle Bevölkerungsschichten und damit die klassischen politischen Körperschaften. Die Deindustrialisierungs- und Reagrarisierungsprozesse schwächten die modernen Gesellschaftssegmente wie Industrie , Finanzkapital und Arbeiterschaft7 und führten im sozialdemokratischen Milieu zu einem bemerkenswerten Organisationsverlust bei den freien Gewerkschaften und in der Partei selbst , während angesichts der fragilen Regierungskoalition Dollfuß’ die zentrale Bürokratie und der zunehmende politische Druck der faschistisch orientierten Heimwehrgruppierungen innerhalb des Regierungslagers echten Gestaltungswillen erkennen ließen. Außerhalb des Regierungsbogens stand eine zunehmend defensiv agierende Sozialdemokratie , deren Versuch , die Regierung durch das gezielte Enttarnen großangelegter Waffenschiebereien ( Hirtenberger Affäre ), die man jahrelang stillschweigend geduldet hatte , international so unter Druck zu bringen , dass nur mehr ein Rücktritt vorstellbar war.8 Der Machterhaltungswille von Dollfuß spiegelt sich im Ad-hoc-Lavieren seiner Regierung , die angesichts der internationalen Irritation durch die Hirtenberger Affäre zur Selbstverteidigung auf der Basis von penetranten Lügen schritt und damit scheinbar Erfolg hatte. Geflissentlich ignorierte Dollfuß , dass ihn wohl nur die Entwicklung in Deutschland nach dem 31. Jänner 1933 vor weiteren Peinlichkeiten gerettet hatte. Die NSDAP , die zwischen 1930 und 1932 rasant an Bedeutung gewonnen hatte und die seit 1920 bestehende Bürgerblock-Regierung de facto endgültig destabilisierte , war eine Partei , die wie keine andere von Beginn an nicht nur eine innerösterreichische Gruppierung darstellte , sondern auch deklariertermaßen Teil einer deutschen Partei in Österreich war. Mit der Machtübernahme der NSDAP in Deutschland war Adolf Hitler nicht nur politischer Repräsentant der neuen deutschen Außenpolitik Österreich gegenüber , sondern gleichzeitig auch innerösterreichischer Oppositionsführer. Die sich konkurrenzierenden Gruppierungen innerhalb der österreichischen NSDAP hatten somit zumindest bis zum sogenannten „Röhm-Putsch“ unterschiedliche deutsche Ansprechpartner , während gleichzeitig die deutsche Gesandtschaft in Wien einerseits offizielle Vertretung der deutschen Reichsregierung bei der österreichischen Bundesregierung war und ande7 Stiefel , Dieter ( 1988 ) : Die große Krise in einem kleinen Land. Österreichs Finanz- und Wirtschaftspolitik 1929–1938 , Wien. 8 Binder , Dieter A. ( 2007 ) : Der Skandal zur „rechten“ Zeit. Die Hirtenberger Waffenaffäre 1933 an der Nahtstelle zwischen Innen- und Außenpolitik. In : Gehler , Michael / Sickinger , Hubert ( Hg. ) : Politische Affären und Skandale in Österreich. Von Mayerling bis Waldheim , Innsbruck , 278–292.
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VII. Außenpolitik
rerseits eine der Schlüsselorganisationen für die österreichische NSDAP war , was während des Juliputsches 1934 und ab dem Sommer 1934 unter dem neuen Gesandten , Franz von Papen , dramatisch zum Ausdruck kam. Diese Doppelfunktion wurde im Zuge des Internationalen Kriegsverbrecherprozesses in Nürnberg ausführlich abgehandelt.9 Auf außenpolitischer Ebene gelang der Regierung Dollfuss durch eine partielle Internationalisierung des deutsch-österreichischen Konflikts ab dem Frühsommer 1933 ein Erfolg , der die antidemokratischen Vorgänge innerhalb des Landes zu relativieren schien. Unter italienischem Druck verzichtete Österreich auf die Anrufung des Völkerbundes , wohl aber unterstrichen italienische , französische und britische Demarchen in Berlin das internationale Interesse an Österreichs Selbstständigkeit. Schuschnigg blieb in seinen politischen Grundlinien zaudernd und wenig konsequent , letztlich spielte er auf Zeitgewinn , wobei ihm die Umstellung der deutschen aggressiven Politik auf den evolutionären Weg vorerst zuarbeitete. Zunächst entsetzt über die weitgehenden Absprachen zwischen Dollfuß und Mussolini , die Österreich in militärische Planungen Italiens gegen Jugoslawiens einbezogen , suchte Schuschnigg das italienische „Protektorat“, wie es seit 1933 de facto bestand , durch eine erneute Internationalisierung des deutsch-österreichischen Konfliktes durch eine Intervention der Großmächte zurückzudrängen , vermied aber gleichzeitig eine deutliche Absage an den „italienischen Kurs“, der Italien in Bezug auf Österreich eine Sonderstellung zumaß. Im Inneren suchte Schuschnigg nach der Regierungsumbildung 1935 eine vorsichtige Aussöhnung mit der Arbeiterschaft , doch stoppte er diese Signale 1936 angesichts des „Juliabkommens“ mit Deutschland. Dieses sollte den bilateralen Konflikt beseitigen und gleichzeitig die innere Befriedung Österreichs gegenüber den österreichischen Nazis vorantreiben. Das offizielle Bild des Nichteinmischungspaktes wurde durch das geheime „Gentlemen’s Agreement“ konterkariert , da es weitgehende Zugeständnisse gegenüber den Nazis enthielt. Das „Juliabkommen“ verstärkte die deutsche Penetration des österreichischen politischen und wirtschaftlichen Lebens , wobei der deutsche „Vierjahresplan“ bereits die österreichischen Ressourcen in die deutsche Aufrüstung einbezog. Das deutsch-österreichische Abkommen machte aus der Sicht der englischen Diplomatie den deutsch-österreichischen Konflikt zu einer Familienangelegenheit , in die man sich nicht mehr einzumischen brauchte. Österreichs Haltung gegenüber den Partnerstaaten im Völkerbund angesichts des italienischen Überfalls auf Abessinien – trotz einer zunehmenden Distanz konnte man sich nicht zu einer Verurteilung durchringen – isolierte das Land weiter. Andererseits intensivierte man den Ausbau des Bundesheeres , indem man gegen die Bestimmungen des Friedensvertrages die allgemeine Wehrpflicht einführte und mit einer durch die Knappheit der Mittel äußerst bescheidenen Aufrüstung begann. Österreichs militärische Planung setzte im Falle eines deutschen Angriffes auf hinhaltenden , partiellen Widerstand , der den deutschen Vorstoß verlangsamen sollte , um den europäischen Mächten Zeit für Hilfsmaßnahmen zu verschaffen.10 9 Adams , Henry Mason / Adams , Robin K. ( 1987 ) : Rebel Patriot. A Biography of Franz von Papen , Santa Barbara. 10 Zu Beginn der 1970er-Jahre erlebte eine derartige militärische Planung , die den hinhaltenden Widerstand mit einer außenpolitischen Frontbildung kombinierte , im Landesverteidigungsplan eine
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Obwohl man die Brüchigkeit der in der „Römer Entrevue“ von 1934 festgeschriebenen wechselseitigen Verpflichtung zwischen Italien , Ungarn und Österreich erkannte und die beiden Partnerstaaten überdies ihren Druck auf Österreich , sich mit Deutschland bedingungslos auszusöhnen , verstärkten , blieben Schritte hin zu einer Neugewichtung der Außenpolitik , etwa gegenüber der Tschechoslowakei , im unverbindlichen Gestus stecken. Die lange Zeit vorherrschende Theoriebildung zur Außenpolitik der Jahre 1933 bis 1938 war geprägt von der grundsätzlichen Einschätzung des Regimes. Als selbst ernannter Nachlassverwalter und Sprecher der ständestaatlichen Konkursmasse exemplifizierte Gottfried-Karl Kindermann die These vom „Ständestaat“ als „Abwehrfront“ gegen den Nationalsozialismus ,11 wobei er damit im Wesentlichen , wenn auch ungeheuer materialreich und durchaus anregend , die Widerstandsthese von Ludwig Reichhold aufgriff.12 Dabei nahmen diese Autoren durchaus Anleihen bei Zeitzeugen , die den antinationalsozialistischen Habitus der Regierungen Dollfuß und Schuschnigg zumindest zeitweise ernst nahmen , wie etwa der amerikanische Gesandte in Wien , George S. Messersmith , zwischen den Jahren 1934 und 1937.13 Das gegenläufige Konzept fußt auf Otto Bauers Analyse aus dem Frühjahr 1934 , in der er das Scheitern des „Austrofaschismus“ voraussagt , da sich das Regime durch den Februar 1934 selbst um eine Stärkung der Abwehrfront gebracht und damit dem Nationalsozialismus den Weg geebnet hätte.14 Diesem Modell folgte Karl Renner15 und es wurde schließlich von Charles A. Gulick in die wissenschaftliche Literatur eingebürgert.16 Gulicks Darstellung wurde a priori von der Österreichischen Volkspartei als politischer Angriff gewertet und provozierte als „bürgerliche“ Gegendarstellung die von Neuauflage unter völlig geänderten Vorzeichen. Vgl. Jansa , Alfred ( 2011 ) : Erinnerungen. Ein österreichischer General gegen Hitler. Eingeleitet und herausgegeben von Broucek , Peter. Wien / Köln / Weimar. Philipp , Hannes ( 2010 ) : Der Operationsfall „A“. Gesamtbedrohung im Zeichen der Raumverteidigung , 1973–1991. In : Rauchensteiner , Manfried ( Hg. ) : Zwischen den Blöcken. Nato , Warschauer Pakt und Österreich [ S chriftenreihe des Forschungsinstitutes für politische Studien der Dr.-WilfriedHaslauer-Bibliothek 36 ] , Salzburg , 325–386. 11 Kindermann , Gottfried-Karl ( 2003 ) : Österreich gegen Hitler. Europas erste Abwehrfront 1933– 1938 , München ; ders. ( 2002 ) : Österreich als Angriffsziel und Gegner des Nationalsozialismus , Wien ; ders. ( 1984 ) : Hitlers Niederlage in Österreich , Hamburg. 12 Reichhold , Ludwig ( 1985 ) : Kampf um Österreich. Die Vaterländische front und ihr Widerstand gegen den Anschluss 1933–1938 , Wien. 13 Stiller , Jesse H. ( 1987 ) : George S. Messersmith. Diplomat of Democracy , Chapel Hill , London , 56–95 ; weiters Goldner , Franz ( 1979 ) : Dollfuss im Spiegel der US-Akten. Aus den Archiven des Secretary of State , Washington – bisher unveröffentlichte Berichte der US-Botschaften Wien , Berlin , Rom , London , Paris , Prag – St. Pölten. 14 Bauer , Otto ( 1934 ) : Der Aufstand der österreichischen Arbeiter. Seine Ursachen und seine Wirkungen , Prag ; weiters in : Bauer , Otto ( 1976 ) : Werkausgabe , Bd. 3 , Wien. 15 Weber , Fritz ( 1983 / 84 ) : Karl Renner über die sozialdemokratischen Bemühungen um einen Kompromiss mit Dollfuß. In : Zeitgeschichte Jg. 11 ( 1983 / 84 ), 253–266 ; Renner , Karl ( 1945 ) : Denkschrift über die Geschichte der Unabhängigkeitserklärung Österreichs und die Einsetzung der provisorischen Regierung der Republik , Wien. 16 Gulick , Charles A. ( 1949 ) : Österreich von Habsburg zu Hitler , Wien. Originalausgabe : ders. ( 1948 ) : Austria from Habsburg to Hitler , Berkeley-Los Angeles.
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Heinrich Benedikt herausgegebene Schau der Zwischenkriegszeit ,17 die überdies auch im Hinblick auf den noch ausstehenden Staatsvertrag der Opferthese und anderen aktuellen Anliegen der Bundesregierung zuarbeitete , wiewohl auch hier exzellente Grundlagenarbeiten zu finden sind. Während die Herausgabe der Übersetzung des fünfbändigen Werkes von Gulick sichtlich von der Sozialistischen Partei Österreichs unterstützt wurde , konnte der Herausgeber der „Geschichte der Republik“ auf Mittel der Bundeswirtschaftskammer zurückgreifen.18 Erika Weinzierl und Kurt Skalnik unternahmen zu Beginn der 1980er-Jahre den Versuch , an die Stelle der landläufigen Koalitionsgeschichtsschreibung einen forschungsbestimmten Standard zu schaffen , der jedoch teilweise amalgamierenden Charakter annahm. Ausdrücklich sei in diesem Kontext auf den Beitrag Stephan Verostas verwiesen , dessen Darstellung letztlich seine Thesen von 1954 stützen sollte.19 Völlig anders gelagert ist die Darstellung von Ernst Hanisch , der weitgehend die innere Verfasstheit des Staates und dessen Gesellschaft sieht.20 Diese kontroverse Sichtweise wurde und wird seit 1945 mit der Verwendung der Begriffe „Austrofaschismus“ und „Christlicher Ständestaat“ verbalisiert , während umgangssprachlich bis in die 1990er-Jahre der nationalsozialistische Sprachduktus im Begriff „Systemzeit“ weiterlebte. In diesem Kontext sei darauf hingewiesen , dass der österreichische Bundespräsident Wilhelm Miklas 1933 / 34 selbst ohne Anführungszeichen von Austrofaschismus sprach.21 Helmut Wohnout hat in seiner exemplarischen Studie die Herrschaftspraxis der Regierungen Dollfuß und Schuschnigg präzise dargestellt und damit einen wesentlichen Beitrag zur Verortung des Regimes innerhalb der antidemokratischen Landschaft der Zwischenkriegszeit geleistet.22 Um diese Verortung voranzutreiben , ist eine vergleichende Analyse der außenpolitischen Dimension des „Ständestaats“ vonnöten. Faschismus und Nationalsozialismus wurzeln in ihrer außenpolitischen Konzeption vorerst in der Ablehnung der Friedensverträge , deren Revision letztlich den imperialistischen Gestus einleitete und im Nationalsozialismus mit dem rassistischen Konzept verschmolzen wurde. Dem „autoritären Ständestaat“ fehlt aber nicht nur eine für den Faschismus / Nationalsozialismus konstitutive Massenbasis in der Bevölkerung , sondern es mangelt ihm scheinbar auch
17 Benedikt , Heinrich ( Hg. ) ( 1954 ) : Geschichte der Republik Österreich , Wien. 18 Dankbar erinnere ich mich an Karl von Cornides , der als Verleger des Werkes von Benedikt mir die Protokolle der Autorensitzungen dieses Werkes zur Einsicht gab. 19 Verosta , Stephan ( 1983 ) : Die österreichische Außenpolitik 1918–1938 im europäischen Staatensystem 1918–1938. In : Weinzierl , Erika / Skalnik , Kurt ( Hg. ) : Österreich 1918–1938. Geschichte der Ers ten Republik , Bd. 1 , Graz / Wien / Köln , 107–146 ; Verosta , Stephan ( 1954 ) : Die geschichtliche Kontinuität des österreichischen Staates und seine europäische Funktion. In : Benedikt , Heinrich ( Hg. ) : Geschichte der Republik Österreich , Wien , 573–610. 20 Hanisch , Ernst ( 1994 ) : Der lange Schatten des Staates. Österreichische Gesellschaftsgeschichte im 20. Jahrhundert ( 1890–1990 ), Wien [ Österreichische Geschichte , Bd. 10 ]. 21 Ich danke Herrn Univ.-Prof. Dr. Maximilian Liebmann , Graz , für diesen Hinweis. 22 Wohnout , Helmut ( 1993 ) : Regierungsdiktatur oder Ständeparlament ? Gesetzgebung im autoritären Österreich , Wien. Vgl. den Überblick von Kirk , Tim ( 2003 ) : Fascism and Austrofascism. In : Bischof , Günter / Pelinka , Anton / L assner , Alexander ( Hg. ) : The Dollfuss / S chuschnigg Era in Austria. A Reassessment [ C ontemporary Austrian Studies 11 ] , New Brunswick / L ondon , 10–31.
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ein revisionistisches außenpolitisches Anliegen ,23 da man sich im Hinblick auf Italien im Südtirol-Diskurs zurücknahm und die zunächst wirtschaftspolitischen Bedenken im Hinblick auf einen „Anschluss“ in ein ideologisches Konzept einbrachte. Dieser Paradigmenwechsel , wesentlicher Bestandteil in der Legitimation des „Ständestaates“ als Abwehr des Nationalsozialismus , korreliert allerdings mit der weitgehenden Einbindung Österreichs in das revisionistische Konzept Mussolinis und dessen Donauraumpläne , die in den „Römischen Protokollen“ mündeten und damit eine klare Frontstellung gegenüber der Kleinen Entente von österreichischer Seite mittrugen.24 Schuschniggs Wahrnehmung der weit darüber hinausgehenden Absprachen zwischen Dollfuß und Mussolini mögen Einfluss auf dessen Haltung , die einseitige Bindung an Italien und Ungarn zu lockern , genommen und dessen Bereitschaft zur „Aussöhnung“ mit dem nationalsozialistischen „Reich“ beflügelt haben. Wenn man den „Ständestaat“ als Verteidigungsmetamorphose gegenüber dem Nationalsozialismus liest , muss man aber auch das „Juliabkommen“ von 1936 als dezidierten „Dammbruch“ in dieser Konzeption zur Kenntnis nehmen , was seitens der deutschen Regierung auch getan wurde , während die österreichischen Nationalsozialisten noch irritiert auf den Vertrag schauten.25 Hitlers anmaßende Präpotenz beim Zusammentreffen mit Schuschnigg im Februar 1938 ist letztlich nur die konsequente Umsetzung des „Dammbruchs“ von 1936. Schuschniggs ambivalente Haltung im Hinblick auf die Sonderbeziehungen zu Italien und Deutschland wird auch in der Fortsetzung der beschränkten Internationalisierung des deutsch-österreichischen Konflikts , besonders aber in seiner katastrophalen Völkerbundpolitik im Umfeld des italienischen Überfalls auf Abessinien sichtbar. Hier liegt die Vermutung nahe , dass an die Stelle einer klaren außenpolitischen Grundlinie ein Adhoc-Lavieren getreten ist. Österreich hat sich damit aus dem internationalen Diskurs genommen , sodass die weitgehende Akzeptanz des „Anschlusses“ im März 1938 auf internationaler Ebene als logische Folge interpretiert werden kann , wiewohl dabei natürlich auch Dispositionen der Kollaboration mit dem nationalsozialistischen Deutschland , wie sie im „Münchner Abkommen“ 1938 sichtbar geworden sind , mitzudenken sind. Die Nabelschau Robert Kriechbaumer hat in seiner Binnendarstellung der Vaterländischen Front einen „inneren Vortrag“ Theodor ( von ) Hornbostels26 aus dem März 1936 an die Spit23 Revisionistisch hingegen war der antimoderne Gestaltungswille im Hinblick auf den gewünschten Umbau der Gesellschaft im ständestaatlichen Duktus. 24 Binder , Dieter A. ( 2002 ) : The Christian Corporatist State : Austria from 1934 to 1938. In Steininger , Rolf / Bischof , Günter / G ehler , Michael ( Hg. ) : Austria in the Twentieth Century , New Brunswick / L ondon , 72–84. 25 In diesem Kontext sei auf die Einbeziehung der österreichischen wirtschaftlichen und personellen Ressourcen in den deutschen Vierjahresplan hingewiesen. 26 Bielka , Erich [ von Karltreu ] ( 1982 ) : Theodor [ von ] Hornbostel. In : Neue Österreichische Biographie , Wien , Bd. 21 , 37–46 ; weiters Agstner , Rudolf / Enderle-Burcel , Gertrude / Follner , Michaela ( 2009 ) : Österreichs Spitzendiplomaten zwischen Kaiser und Kreisky. Biographisches Handbuch der Diplomaten des Höheren Auswärtigen Dienstes 1918 bis 1959 , Wien , 255–258 ; zu Bielka ebenda , 129–132.
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ze seines Kapitels über die Außenpolitik des autoritären Ständestaates gestellt.27 Unter dem Stichwort „Unsere Verhältnisse zu den Nachbarstaaten“ setzt er sich vor dem „Juliabkommen“ etwas „unterkühlt“ mit Italien auseinander , wobei er ausdrücklich eine realistische Einschätzung der Südtirolfrage28 nebenbei gibt , da dieser Problemkreis zweifellos zwischen 1919 und 1970 auch ein immer wiederkehrender Bestandteil der Innenpolitik war. „Wie gesagt , unser Staat kann als Kleinstaat nur Realpolitik führen , ein Umstand , der auch unser Verhältnis zu Italien bestimmt.“ Ausgehend von der SüdtirolProblematik und den österreichisch-italienischen Spannungen unter Ignaz Seipel ortet Hornbostel bereits in den 1920er- und zu Beginn der 1930er-Jahre ein Ausbleiben der Unterstützung durch Deutschland , wobei er den Bogen von Seipels Bemühungen im Vorfeld zu den Genfer Protokollen bis hin zur Lausanner Anleihe spannt. Die Hinwendung zu Italien wäre also ein notwendiger Schritt gewesen , da Österreich „nicht in Berlin Hilfe bekommen“ konnte und daher Italien als „einzige[ r ] angrenzende[ r ] Großstaat“ hilfsbereit gewesen wäre.29 Entschieden weist er kontrafaktisch die Annahme zurück , dass Italien für diese Hilfe österreichische „Gegenleistungen“ eingefordert hätte. Als enger Vertrauter von Dollfuß und von Schuschnigg musste er natürlich um die politischen Gegengeschäfte wissen , die im Hinblick auf die Ausschaltung der Sozialdemokratie auf der Hand lagen und deren Ausmaß Schuschnigg nach seiner ersten Begegnung mit Mussolini als Bundeskanzler zutiefst irritiert hatten. Italiens Interesse verkürzt Hornbostel auf Österreichs Funktion als „eine Art Pufferstaat zwischen“ Italien „und den slawischen Staaten“, womit die Eingliederung Österreichs ins revisionistische , gegen die Kleine Entente gerichtete italienische Donauraumkonzept gemeint war , sowie „dem aufstrebenden“ nationalsozialistischen Deutschland.30 Österreich und Ungarn werden , und damit versucht Hornbostel , den gegen die Kleine Entente gerichteten Affekt der Römer Protokolle unausgesprochen zu relativieren , als Schutzschild gegen die zwei Stoßrichtungen des von „Preußendeutschland“ ausgehenden „Imperialismus“ definiert. Der deutsche „Drang nach Osten“ und der deutsche „Drang ans Mittelmeer“ bedrohen Italiens Interessen und werden durch ein selbstständiges Österreich und Ungarn im Vorfeld abgestoppt.31 Nach dieser Einschätzung der österreichisch-italienischen Beziehungen kann Hornbostel in äußerst knapper Form das deutsch-österreichische Verhältnis darlegen. Ohne den wirtschaftlichen Nutzen für Österreich bei normalisierten Beziehungen auszublenden , relativiert er die Folgen der gewünschten Aufhebung der „Kulturschande“ der „1000-Mark-Sperre“, da eine touristische Belebung im gehobenen Segment eher unwahrscheinlich wäre und „auf Leute , die mit einer Stange Wurst , einem Leib ( ! ) Brot und einem Rucksack voll Propagandamaterial nach Österreich kommen“, zu verzichten
27 Kriechbaumer , Robert ( Hg. ) ( 2005 ) : Österreich ! und Front Heil ! Aus den Akten des Generalsekretariats der Vaterländischen Front. Innenansichten eines Regimes [ S chriftenreihe der Forschungsinstitutes für politisch-historische Studien der Dr.-Wilfried-Haslauer-Bibliothek , 23 ] ; 346–352. 28 Ebenda , 348. 29 Ebenda , 347. 30 Ebenda , 347 f. 31 Ebenda , 348.
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wäre.32 Nach dieser knappen Replik auf das nationalsozialistische Deutschland , wobei auffallenderweise nicht die politische Struktur des Nachbarlandes thematisiert wird , sondern dessen Politik auf das traditionelle Spannungsfeld „Preußen – Österreich“ reduziert wird , nimmt Hornbostel ausführlich zum Problemkreis „Legitimismus und Restauration“ Stellung , nachdem im Jahr zuvor das Traditionsreferat innerhalb der Vaterländischen Front ins Leben gerufen ,33 die Habsburgergesetze aufgehoben , der Landesverweis zurückgenommen worden waren und die partielle Ausfolgung des Familienversorgungsfonds eingesetzt hatte.34 Preußen hat eine Riesenangst , dass sich Österreich so weit konsolidieren könnte , dass es dadurch ein Anziehungspunkt für andere Gebiete wird , die sich in irgendeiner Form an Österreich angliedern oder zusammenschließen könnten und damit die Grundlage für ein großes , katholisches Staatswesen geben könnten. Die Idee Habsburg und Katholizismus sind daher für das Dritte Reich Zielscheiben.35
Neben dem bereits angesprochenen Antagonismus „Preußen – Österreich“ wird ein politisches Potenzial , ein „katholisches Mitteleuropa“ unter habsburgischer Patronanz angedeutet , womit aber der antihabsburgische Affekt des „gottlosen“ Nationalsozialismus doppelt provoziert wird. Gleichzeitig bremst Hornbostel überschnelle Rückschlüsse : Die Idee ist zu heilig , als dass wir sie zum Gegenstand eines Lottospiels machen. Es wäre untragbar , wenn wir mit 70 , 80 Prozent Unsicherheit in eine solche Sache hineinschlittern wollten und damit erreichen , dass wir in einer Woche die Idee Habsburg , ja vielleicht die Idee Österreich überhaupt aufgeben müssten.36
Nachdrücklich betont Hornbostel , dass eine Restauration der Habsburger kein revisionis tisches Programm darstelle , denn die „heutigen Grenzen würden auf alle Fälle berücksichtigt“. Die Restauration versucht er , eher als ein Vehikel darzustellen , Österreich als Nukleus für ein „wirtschaftliches Zusammenleben im Donauraum“ schmackhaft zu machen. Ein daraus kommender weiterer Schritt , der die „Wirtschaftsunion“ zu einer neuen Staatlichkeit führen würde , könne er angesichts des Nachwirkens der „schönen Zeit , die unter Franz Joseph war“, nicht ausschließen. Erhebliche legitimistische Potenziale sieht er innerhalb der Tschechoslowakei , besonders in Mähren und der Slowakei , ebenso wie in Jugoslawien. Nach dieser nostalgischen Tour d’Horizon kommt Hornbostel zur zentralen Einschätzung einer Restauration der habsburgischen Herrschaft in Österreich : 32 Kriechbaumer ( 2005 ), 348 f. 33 Wohnout , Helmut ( 1992 ) : Das Traditionsreferat der Vaterländischen Front. Ein Beitrag über das Verhältnis der legitimistischen Bewegung zum autoritären Österreich 1933–1938. In : Österreich in Geschichte und Literatur Jg. 36 ( 1992 ), Heft 2 , 65–82. 34 Vgl. Binder , Dieter A. ( 2003 ) : Die Funktion des Habsburger-Gesetzes von 1919 und seine politisch-historische Instrumentalisierung. In : Beer , Siegfried / Marko-Stöckl , Edith / R affler , Marlies / Schneider , Felix ( Hg. ) : Focus Austria. Vom Vielvölkerreich zum EU-Staat [ S chriftenreihe des Instituts für Geschichte 15 ] , Graz , 298–317. 35 Kriechbaumer ( 2005 ), 349. 36 Ebenda.
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VII. Außenpolitik Innenpolitisch würden keine Schwierigkeiten vorhanden sein , außenpolitisch ist der Gedanke augenblicklich blockiert. Es ist daher jedes übertriebene Antreiben dieses Problems nicht nur derzeit eine überflüssige Mühe , sondern sogar schädlich.37
Dieser Abschnitt kann wohl nicht als außenpolitisches Dispositionspapier gelesen werden , er muss angesichts einer euphorischen Welle von Ehrenbürger-Ernennungen für den Thronprätendenten , ( Erzherzog ) Otto ( von ) Habsburg-Lothringen als innenpolitischer Warnschuss verstanden werden. Abschließend werden Österreich und der Donauraum nochmals unter dem Punkt „Die einseitige Aufhebung des Locarno-Paktes“ Gegenstand einer außenpolitischen Analyse , in der auf ein Memorandum Deutschlands an die Staaten des Locarno-Paktes hingewiesen wird , indem „Hitler [ … ] Versprechungen und Versicherungen zwecks Aufrechterhaltung des Friedens für die West- und Ostgrenzen“ gab.38 Das Fehlen einer Erklärung im Hinblick auf Österreichs Souveränität würde die „wichtigsten Staatsmänner von Europa“ darin bestärken , dass Hitlers „Friedensbeteuerungen nicht ehrlich gemeint sind“. Daraus zieht Hornbostel apodiktisch den Schluss , [ … ] dass sich niemand mit Deutschland in irgendwelche Verhandlungen bezüglich gegenseitiger Friedensbereitschaft einlassen wird , bevor nicht klipp und klar [ … ] Deutschland die Freiheit , Selbständigkeit und Unabhängigkeit Österreichs garantiert haben wird.39
Hornbostel muss als Leiter der Politischen Abteilung des Außenamtes im Bundeskanzleramt seit dem April 1933 als eine der zentralen Persönlichkeiten an der Schnittstelle zwischen dem beamteten Apparat des diplomatischen Dienstes des autoritären Österreichs , dessen politischer Führungselite , insbesondere des Bundeskanzlers Kurt ( von ) Schuschnigg , und den „System-Erhaltern“ der Vaterländischen Front angesehen werden. Der referierte „interne Vortrag“ aus dem März 1936 stellt keine klassische außenpolitische Analyse dar , sondern verknüpft in allen Abschnitten innenpolitische Problemzonen mit außenpolitischen Fragestellungen. Der Zwang Österreichs „als Kleinstaat“ zur „Realpolitik“, den Hornbostel an die Spitze seiner Ausführungen gestellt hat , muss relativiert werden. Der beschränkte Handlungsspielraum der Regierung ergibt sich nicht aus der Größe des Staates , sondern aus seinem innenpolitisch verursachten reduzierten Spielraum. Die einseitige Bindung an Italien , die seit dem Frühsommer 1933 Dollfuß und Schuschnigg daran hinderte , den deutsch-österreichischen Konflikt wirklich zu internationalisieren , ebnete letztlich den Weg in die Katastrophe des Juliabkommens 1936. Dramatisch wird im Vortrag auch sichtbar , dass die Römer Protokolle von 1934 keine Leitlinie außenpolitischen Handelns zwischen Italien , Österreich und Ungarn gebracht hatten , sondern weiterhin primär der bilaterale Dialog zwischen Wien und Rom geführt wurde. Selbst bei einer richtigen Einschätzung des italienischen Bedürfnisses , die beiden Partnerstaaten als Pufferstaaten zwischen den eigenen Aspirationen im Donauraum unter Vermeidung einer direkten Grenze mit dem erstarkenden Deutschland zu halten , kann einer professionellen Analyse die Diskrepanz des italienischen Groß37 Kriechbaumer ( 2005 ), 350. 38 Ebenda , 351. 39 Ebenda.
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machtanspruchs und der tatsächlichen ökonomischen bzw. militärischen Stärke Italiens entgangen sein. Ungarns ambivalente Haltung Deutschland gegenüber basierte ja gerade auf dieser Erkenntnis , dass der Großmachtstatus Italiens weitgehend einer italienischen Selbstimagination entsprang. Die ausufernde Beschäftigung mit der Frage der Restauration wiederum zeigt , dass ein von der Regierung unternommener Versuch zur Basisverbreiterung , der innenpolitisch ohnehin zum Scheitern verurteilt war , außenpolitisch die Regierung eher unter „verschärfte Beobachtung“ stellen würde , da bei allem Respekt vor habsburgischer Nostalgie in einzelnen Bevölkerungsgruppen weder die Regierungen der Tschechoslowakei und Jugoslawiens noch jene der Partnerstaaten Ungarn und Italien an einer habsburgischen Restauration Interesse haben konnten. In der Beurteilung der internationalen Lage und deutscher Friedensangebote macht die Studie von Klaus Hildebrand deutlich , dass die Einschätzung der Regierung Schuschnigg eher einer innerösterreichischen Nabelschau , einem Wunschdenken entsprach und nicht auf einer Analyse der globalen Machtsituation beruhte.40 Der Blick in die Literatur Lässt man die wenigen Übersichtsdarstellungen zum außenpolitischen Spektrum des „autoritären Ständestaates“ beiseite ,41 so verbleiben im Wesentlichen drei Schwerpunkte , die sich direkt mit außenpolitischen Fragestellungen des Regimes beschäftigen , nämlich das Konkordat42 , das Dreieck Italien – Ungarn – Österreich ,43 das deutschösterreichische Verhältnis.44 Daneben bleibt Platz für bilaterale Fragestellungen , die in unterschiedlicher Intensität die nachbarschaftlichen Beziehungen zur Tschechoslowakei und Jugoslawien analysieren.45 Im Hinblick auf die Tschechoslowakei hinterfragt Matt40 Aus diesem Grund referiert Kriechbaumer ( 2005 ), 351 , Anm. 84 , ausführlich die Darstellung Hildebrands. Vgl. Hildebrand , Klaus ( 1996 ) : Das vergangene Reich. Deutsche Außenpolitik von Bismarck bis Hitler , Stuttgart , 619 f. 41 Tálos , Emmerich / Neugebauer , Wolfgang ( Hg. ) ( 2005 ) : Austrofaschismus. Beiträge über Politik , Ökonomie und Kultur 1934–1938 , Wien ( 1. Aufl. 1984 , 5. Aufl. 2005 ) ; Rásky , Béla ( 1995 ) : Die außenpolitischen Beziehungen Österreichs zu den Nachfolgestaaten der Donaumonarchie ( 1918–1938 ). In : Tálos , Emmerich / Dachs , Herbert / Hanisch , Ernst / Staudinger , Anton ( Hg. ), Handbuch des politischen Systems Österreichs. Erste Republik 1918–1933 , Wien , 652–664. 42 Hier stehen allerdings innerkirchliche Vorgänge im Vordergrund , der genuin außenpolitische Aspekt wird in der Regel nur gestreift. Kremsmair , Josef ( 1980 ) : Der Weg zum österreichischen Konkordat , Wien. 43 Kerekes , Lajos ( 1966 ) : Abenddämmerung einer Demokratie. Mussolini , Gömbös und die Heimwehr , Wien ; Petersen , Jens ( 1973 ) : Hitler-Mussolini. Die Entstehung der Achse Berlin-Rom 1933–1936 , Tübingen ; Weinberg , Gerhard L. ( 1970 ) : The Foreign Policy of Hitler’s Germany. Diplomatic Revolution in Europe 1933–1936 , Chicago. 44 Ross , Dieter ( 1966 ) : Hitler und Dollfuß. Die deutsche Österreich-Politik 1933–1934 , Hamburg ; Binder , Dieter A. ( 1979 ) : Dollfuß und Hitler. Über die Außenpolitik des autoritären Ständestaates in den Jahren 1933 / 34 , Graz. 45 Hier sei meritorisch auf die Studien Walter Hummelbergers in den Bänden von Jedlicka , Ludwig / Neck , Rudolf ( Hg. ) ( 1975 ) : Das Jahr 1934 : 12. Februar , Wien / München , und Jedlicka , Ludwig / Neck , Rudolf ( Hg. ) ( 1975 ) : Das Jahr 1934 : 25. Juli , Wien / München , verwiesen. Weiters Teichova , Alice / Matis , Herbert ( Hg. ) ( 1996 ) : Österreich und die Tschechoslowakei. Die wirtschaftliche Neu-
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hias F. Lill die österreichische Außenpolitik gegenüber diesem Staat unter besonderer Berücksichtigung der Sudetendeutschen-Frage , womit er indirekt die Schutzmachtstellung Österreichs gegenüber der deutschsprachigen Minderheit im Nachbarland anspricht.46 Im Hinblick auf Italien zeigen die aus Innsbruck kommenden Studien , dass das innenpolitisch relevante Thema Südtirol als bilaterales Sonderproblem , wiewohl durch die Annäherung an Italien reduziert , im Hintergrund Schatten warf.47 Auch die Außenwahrnehmung nicht involvierter Staaten ist relativ spärlich vertreten.48 Seit den 1860er-Jahren erstarkte das Interesse Frankreichs an einem von Deutschland unabhängigen Österreich , da in dessen Unabhängigkeit als Ganzem man eine „Machtfrage gegenüber Deutschland“ sah.49 Thomas Angerer hat die Ambivalenz der französischen Außen- und Kulturpolitik gegenüber dem autoritären Ständestaat nicht zuletzt gerade im Hinblick auf das Juliabkommen 1936 fokussiert.50 Die Sowjetunion als wesentlicher Bestandteil österreichischer Außenpolitik seit 1945 wurde gleichsam rückwirkend in den Beobachtungsfundus aufgenommen ,51 wobei auch hier zwischen bilateralen Beziehungen und parteipolitischer Interaktion unterschieden werden muss.52 ordnung in Zentraleuropa in der Zwischenkriegszeit , Wien / Köln / Weimar ; Suppan , Arnold ( 2003 ) : Die Außenpolitik der ersten Tschechoslowakischen Republik aus Wiener Sicht. In : Suppan , Arnold / Vyslozil , Elisabeth ( Hg. ) : Edvard Beneš und die tschechoslowakische Außenpolitik 1918–1948 , Frankfurt / M. Im Hinblick auf Jugoslawien erweist sich die Studie von Suppan , Arnold ( 1996 ) : Jugoslawien und Österreich 1918–1938 , Wien / München , als Suchbuch. 46 Lill , Matthias F. ( 2007 ) : Die Tschechoslowakei in der österreichischen Außenpolitik der Zwischenkriegszeit ( 1918–1938 ) ( Quellen und Studien zur Geschichte und Kultur der Sudentendeutschen 2 ), München. 47 Gehler , Michael ( 2007 ) : Eduard Reut-Nicolussi und die Südtirolfrage 1918–1938. Streiter für die Freiheit und die Einheit Tirols. Biographie und Darstellung [ S chlern-Schriften 333 / 1 ] , Innsbruck. Gehler , Michael / Unterthiner , Evi ( Hg. ) 2007 ) : Eduard-Reut-Nicolussi und die Südtirolfrage 1918– 1958. Streiter für die Freiheit und die Einheit Tirols. Dokumentenedition ( S chlern-Schriften 333 /2 ), Innsbruck. 48 Zimmermann , Horst ( 1973 ) : Die Schweiz und Österreich während der Zwischenkriegszeit. Eine Studie und Dokumentation internationaler Beziehungen im Schatten der Großmächte , Wiesbaden. 49 Porpaczy , Barbara ( 2002 ) : Frankreich-Österreich 1945–1960. Kulturpolitik und Identität [ I nnsbrucker Forschungen zur Zeitgeschichte 18 ] , Innsbruck / Wien / Meran , 37. 50 Angerer , Thomas ( 1992 ) : Die französische Österreichpolitik vor dem „Anschluß“ 1938. In : Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte Jg. 40 ( 1992 ), Heft 1 , 29–59 ; ders. ( 1988 ) : Erster Schritt zum Anschluß ? Frankreich und das Juliabkommen. In : Geschichte und Gegenwart. Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte , Gesellschaftsanalyse und politische Bildung , Jg. 7 ( 1988 ), 185–194. Weiters : Koja Friedrich / P fersmann , Otto ( Hg. ) : Frankreich – Österreich. Wechselseitige Wahrnehmung und wechselseitiger Einfluß seit 1918 [ Studien zu Politik und Verwaltung 58 ] , Wien / Köln / Graz. 51 Neutatz , Dietmar ( 1987 ) : Die Beziehungen zwischen der Sowjetunion und Österreich 1918– 1938 , Salzburg ; Haas , Hanns / Stadler , Franz ( Hg. ) ( 1984 ) : Österreich und die Sowjetunion 1918– 1955 , Wien ; Haider , Edgar ( 1975 ) : Die österreichisch-sowjetischen Beziehungen 1918–1938 , phil. Diss. , Wien. 52 McLoughlin , Barry / L eidinger , Hannes / Moritz , Verena ( 2009 ) : Kommunismus in Österreich 1918–1938 , Innsbruck / Wien / Bozen ; Mugrauer , Manfred ( Hg. ) ( 2009 ) : 90 Jahre KPÖ. Studien zur Geschichte der Kommunistischen Partei Österreichs [ A lfred Klahr Gesellschaft Quellen und Studien 12 ] , Wien.
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Während man den Jahren 1933 / 34 großes Interesse entgegenbringt , wird das Juliabkommen 1936 eher meritorisch behandelt ,53 wiewohl Siegfried Beers Studie der bilateralen Beziehungen zur britischen Außenpolitik zeigt , wie sehr die Einbeziehung außenpolitischer Aspekte anderer Machtzentren ein erhellendes Licht auf die außenpolitische Situation des Dollfuß / Schuschnigg-Regimes erhellen.54 Deutlich tritt dabei eine personenbezogene Periodisierung zutage , wobei die „Ära“ Dollfuß stärker analysiert ist als die „Ära“ Schuschnigg.55 Im Gegensatz zu den außenpolitischen Aktenpublikationen anderer Staaten sind die von Arnold Suppan betriebenen „Außenpolitischen Dokumente der Republik Österreich 1918–1938“ erst im Vorfeld „ständestaatlicher“ Konfigurationen angelangt. Fasst man die augenblickliche und wohl schon lang anhaltende Tendenz der mannigfachen punktuellen Analysen zum „Ständestaat“ zusammen , so ist festzuhalten , dass vielfach das deutsch-österreichisch-italienische Beziehungsgeflecht meritorisch dem innenpolitischen Erzählstrang zugeordnet wird. Überspitzt könnte man formulieren , dass der deutsch-österreichische Konflikt auch vor dem Juli 1936 nahezu unbewusst als „innerdeutscher“ Konflikt gelesen wird. Dies korrespondiert mit der in den letzten Jahren zu beobachtenden verstärkten Hinwendung zu Fragen des Juli 1934.56 Außerhalb der fragilen „Koalitionen“, die die Regierungen Dollfuß / Schuschnigg darstellen , werden Fragen nach außenpolitischen Kontakten anderer gesellschaftlich relevanter Gruppen nur im Hinblick auf die NSDAP gestellt. Nahezu unberücksichtigt ist der Aspekt der außenpolitischen Beziehungen dieser Regierungen zu anderen Staaten , wiewohl etwa eine Analyse im Hinblick auf Spanien zeigt , dass das „austrofaschistische“ Regime nach Ausbruch des spanischen Bürgerkriegs weiterhin die spanische Republik als legitime Repräsentantin des Staates ansah und es duldete , dass etwa der österreichische Rüstungsindustrielle Fritz Mandl Waffen an diese lieferte. Ob dies gleichsam von der aktuellen Situation Österreichs , in dem ja aus Sicht der Regierung ebenfalls eine fremde Macht im Inneren gegen das herrschende System kämpfte , abgeleitet wurde oder ob dies einfach dem Legitimitätsdenken entsprang , das eine rechtmäßige Regierung im Abwehrkampf gegen Putschisten sah , muss Gegenstand einer Analyse werden. 53 Jedlicka , Ludwig / Neck , Rudolf ( Hg. ) ( 1977 ) : Das Juliabkommen von 1936. Vorgeschichte , Hintergründe und Folgen. Protokoll des Symposiums in Wien am 10. und 11. Juni 1976 in Wien [ Veröffentlichungen der Wissenschaftlichen Kommission des Theodor-Körner-Stifungsfonds und des Leopold-Kunschak-Preises zur Erforschung der Österreichischen Geschichte der Jahre 1927–1938 , Bd. 4 ] , Wien /München. 54 Beer , Siegfried ( 1998 ) : Der unmoralische Anschluss : Britische Österreichpolitik zwischen Containment und Appeasement 1931–1934 , Wien / Köln / Weimar. Ausdrücklich sei darauf hingewiesen , dass der Band weit über den angegeben Zeitraum hinaus analytisch wirksam ist. 55 Vgl. Lassner , Alexander N. ( 2001 ) : Peace at Hitler’s Price : Austria , the Great Powers , and the Anschluss , phil. Diss. , Ohio State University ; ders. ( 2003 ) : The Foreign Policy of the Schuschnigg Government 1934–1938 : The Quest of Security. In : Bischof , Günter / Pelinka , Anton / L assner , Alexander ( Hg. ) : The Dollfuss / S chuschnigg Era in Austria. A Reassessment [ C ontemporary Austrian Studies 11 ] , New Brunswick / L ondon , 163–186. 56 Bauer , Kurt ( 2003 ) : Elementar-Ereignis. Die österreichischen Nationalsozialisten und der Juliputsch 1934 , Wien ; Schafranek , Hans ( 2006 ) : Sommerfest mit Preisschießen. Die unbekannte Geschichte des NS-Putsches 1934 , Wien ; Klösch , Christian ( 2007 ) : Des Führers heimliche Vasallen. Die Putschisten des Juli 1934 im Kärntner Lavanttal , Wien ; Wolf , Gerald M. ( 2008 ) : „Jetzt sind wir die Herren …“. Die NSDAP im Bezirk Deutschlandsberg und der Juli-Putsch 1934 , Innsbruck.
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In Summe unterscheidet sich damit die Forschungslandschaft zum „Ständestaat“ kaum von jener der Ersten Republik , da auch hier eine umfassende Darstellung zur Außenpolitik Österreichs fehlt. In beiden Fällen – in jenem der Republik und in jenem des „Ständestaates“ – ist darin auch ein Nachklingen der bewussten Reduktion auf sich selbst , die in der pseudoneutralen Haltung der österreichischen Außenpolitik ab den Genfer Protokollen zu beobachten ist , zu sehen. Der Bruch dieser Traditionslinie in der Annäherung an Italien und Ungarn ab Beginn der 1930er-Jahre erfolgte verschämt und die Römischen Protokolle 1934 entwickelten keine identitätsstiftende Funktion.57 Ein weiterer Grund für diese tradierte Sichtweise mag darin liegen , dass man die außenpolitischen Aktivitäten primär an den dominanten Politikern ( Otto Bauer , Ignaz Seipel , Johannes Schober , Engelbert Dollfuß , Kurt von Schuschnigg ) und nicht am professionellen Apparat österreichischer Diplomatie untersucht. Weitgehend konturlos bleiben Personen , die vorübergehend die Außenpolitik führten.58 Diese reflexhafte Orientierung unter dem Aspekt , dass „Männer Geschichte machen“, kommt dem Dilettantismus jener österreichischen Politiker entgegen , die unter bewusster Vernachlässigung und demonst rativer Übergehung des professionellen Apparates , Außenpolitik in einer Art Geniestreichstrategie zu betreiben suchten , was vor allem auf die Außenpolitik von Dollfuß und Schuschnigg zutrifft. Sowohl der Briefwechsel Mussolini – Dollfuß , das geheime Zusatzprotokoll zum „Juliabkommen“ 1936 und das irrwitzige Unternehmen der direkten Begegnung zwischen Schuschnigg und Adolf Hitler in Berchtesgaden , ohne dass davor ausreichende Sondierungen über das Endergebnis durchgeführt worden waren , zeigen diesen Aspekt dramatisch. Unter diesen Auspizien sind auch wesentliche Stimmen aus der beamteten Diplomatie im Hochverratsprozess gegen Guido Schmidt zu lesen.59 Defizite Ausgehend von diesem knappen Überblick wären folgende Desiderate einzumahnen : 1. Eine Darstellung des diplomatischen Dienstes der Zwischenkriegszeit wäre die Basis für die Analyse des Spannungsbogens professionelle diplomatische Vertretung und ( partei-)politisch orientierter Außenpolitik. Insbesondere käme es hier auch auf eine Analyse der personellen Fragmentierungen 1918 / 19 und 1933 / 34 an.60 Es ist zu hoffen , dass die Edition der österreichischen Akten zur Außenpolitik für den Zeitraum 1933 bis 1938 die zentralen Dokumente des außenpolitischen Selbstverständnisses sowohl der fachspezifischen Beamtenschaft als auch der politischen Repräsentanten in ihrer 57 Vgl. Kriechbaumer ( 2005 ). 58 Berger-Waldenegg , Egon / Berger-Waldenegg , Heinrich ( 1998 ) : Biographie im Spiegel. Die Memoiren zweier Generationen , Wien ; Dörner , Christian / Dörner-Fazeny , Barbara ( 2007 ) : Theodor von Hornbostel 1889–1973 , Wien. 59 Der Hochverratsprozess gegen Dr. Guido Schmidt vor dem Wiener Volksgericht. Die gerichtlichen Protokolle mit den Zeugenaussagen , unveröffentlichten Dokumenten , sämtlichen Geheimbriefen und Geheimakten , Wien , 1947. Max ( Freiherr von ) Löwenthal hat in seinen Erinnerungen diese Spannung kurz angedeutet , sie jedoch auf eine Frage von persönlichen Animositäten reduziert , vgl. Löwenthal , Max ( 1985 ) : Doppeladler und Hakenkreuz. Erlebnisse eines österreichischen Diplomaten , Innsbruck , 120. 60 Als erster Ansatzpunkt dient Agstner et al. ( 2009 ).
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Widersprüchlichkeit vollständig dokumentiert. Dies bedeutet meines Erachtens die Hereinnahme der relevanten Akten zumindest aus dem Bereich des Bestandes der Vaterländischen Front. 2. Das Scheitern diverser zentraleuropäischer Konzeptionen , die Österreich zu Beginn der 1930er-Jahre außenpolitischen Spielraum zurückgebracht hätten , wären in eine umfassende Analyse des mitteleuropäischen Raumes , des Spannungsverhältnisses zwischen Kleiner Entente und den revisionistischen Mächten Italien und Ungarn einzubringen.61 Dies gilt besonders für die Option einer Annäherung an die Tschechoslowakei , die Schuschnigg durchaus sah. 3. Das Beziehungsgeflecht Rom – Budapest – Wien ist weniger als außenpolitisches Phänomen , sondern primär unter innenpolitischen Vorgaben zu lesen ; konsequenterweise wird bei einer solchen Lesart das oft gebrauchte Bild vom „Ständestaat“ als antinationalsozialistischer Widerstandsversuch relativiert , was Mussolini selbst nach dem Februar 1934 , dem Verfassungs-Oktroi vom 30. April / 1. Mai 1934 eindrucksvoll unterstrich : Sein Interesse an Österreich war nach dem Ausschalten der Sozialdemokratie weitgehend erloschen. 4. Der Abschluss des Konkordats 1933 / 34 ist in seiner Vorgeschichte auf innerkirchlicher , parteipolitischer und außenpolitischer Ebene umgehend zu analysieren und kann nicht nur als Bestandteil der Kirchengeschichte gelesen werden. Die außenpolitisch abgesegnete Rückkehr zu einem neoabsolutistischen Verhältnis von Kirche und Staat , das sich zweifellos am hypotrophen Konkordat von 1855 orientierte , ist im Weiteren auch auf seine Auswirkungen innerhalb des außenpolitischen Spielraums zu analysieren. Eine rein innerösterreichische Betrachtungsweise , die das Konkordat auch als gelebten Revisionismus erkennt , verstellt aber den Blick auf das Faktum , dass der Heilige Stuhl den „Anschluss“ kommentarlos zur Kenntnis nahm und den bis dahin hochgepriesenen katholischen Vorzeigestaat ein stilles Begräbnis bereitete. 5. Vor allem für die Phase des Staatsstreichs auf Raten bis hin zum 12. Februar 1934 sind Analysen der außenpolitischen Kontakte und Beziehungen aller politisch relevanter Gruppen in Österreich unabdingbar. Nicht unerheblich dabei sind private Netzwerke , die internationale Vernetzungen ermöglichen und auch das Österreichbild im Ausland prägen.62 Eine Reduktion auf den als Wahlkampfmunition erstmals edierten Briefwechsel Mussolini – Dollfuß63 ist ebenso unzulässig wie eine Reduktion auf die Kontroverse mit dem Nationalsozialismus. Die von Siegfried Beer verfasste Studie zur österreichischen Außenpolitik für den Zeitraum 1918 bis 1933 zeigt den Erkenntniswert einer derartigen Perspektive.64 Nicht ohne Bedeutung dürften in diesem 61 Vgl. Plaschka , Richard G. / Haselsteiner , Horst / Suppan , Arnold / Drabek Anna M. / Z aar , Brigitte ( Hg. ) ( 1995 ) : Mitteleuropa-Konzeptionen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts [ Z entraleuropa Studien 1 ] , Wien. 62 Hier ist von der Studie Peter Pirkers , G. E. R. Gedye – Ein kritischer Journalist als transnationaler politischer Akteur in Zentraleuropa zwischen dem Ersten Weltkrieg und dem Kalten Krieg , grundlegendes zu erwarten. 63 Geheimer Briefwechsel Mussolini-Dollfuß. Vorwort von Adolf Schärf. Kommentar von Karl Hans Sailer. Anhang : Aus den Memoiren Starhembergs , Wien , 1949. 64 Beer , Siegfried ( 1990 ) : Das außenpolitische Dilemma Österreichs 1918–1933 und die österreichi-
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Kontext die Bestände der Vaterländischen Front sein. Das von Robert Kriechbaumer vorgelegte Florilegium aus den Akten des Generalsekretariats der Vaterländischen Front macht deutlich , dass es ein Zusammenwirken zwischen Repräsentanten der politisierten Beamtenschaft und dem Funktionärskader der Vaterländischen Front gegeben hatte.65 Es wäre zu prüfen , ob die Vaterländische Front über das Beziehungsgeflecht Österreich – Italien – Ungarn bzw. Österreich und Deutschland hinaus außenpolitische Zielsetzungen diskutierte oder definierte. 6. Das Juliabkommen von 1936 bedarf einer umfassenden Untersuchung im Hinblick auf den Lobbyismus aller politisch relevanter Gruppierungen , die möglicherweise , durchaus unterschiedlichen Interessenlagen anhängend , Einfluss auf die Regierung nahmen , um dieses Vertragswerk voranzutreiben. Gleichzeitig gilt es , die außenpolitische Wirkungsgeschichte dieses Vertrages zu erheben , da davon ausgegangen werden kann , dass nicht nur die britische Österreichpolitik dadurch entscheidend beeinflusst wurde. Dies wurde auch von regierungsnahen Kreisen wahrgenommen und als Kritik an Schuschnigg herangetragen.66 7. Das Versagen der österreichischen Völkerbundpolitik , darin eingebettet die Zurückhaltung bei der Internationalisierung des deutsch-österreichischen Konflikts und die Frage der Kontaktpflege zu der Staatengemeinschaft insgesamt , muss Gegenstand des analytischen Diskurses sein. 8. Ein erhebliches Defizit ist auch im Hinblick auf das Beziehungsgeflecht Außenpolitik und Ökonomie zu verorten , wiewohl auch hier durchaus erste Studien vorliegen.67 Dabei könnte , folgt man dem Ansatz von Alice Teichova , sowohl das politisch-ökonomische Beziehungsgeflecht der mitteleuropäischen Staaten als auch die ökonomische Penetrationspolitik von Großstaaten gegenüber Kleinstaaten analysiert werden.68 Exemplarisch ist dies an der Alpine-Montangesellschaft in Österreich thematisiert worden.69 schen Parteien. In : Drabek , Anna M. / Plascka , Richard G. / Rumpler , Helmut ( Hg. ) : Das Parteienwesen Österreichs und Ungarns in der Zwischenkriegszeit , Wien , 169–186. 65 Kriechbaumer ( 2005 ). 66 Ernst Karl Winter an Kurt von Schuschnigg , 26. Oktober 1936. In : Kriechbaumer ( 2005 ), 378 f ; Richard Schmitz an Kurt von Schuschnigg , 12. Februar 1937 , in ebenda. 379 f. 67 Berger , Peter ( 2000 ) : Im Schatten der Diktatur : Die Finanzdiplomatie des Vertreters des Völkerbundes in Österreich. Rost van Tonningen 1931–1936 , Wien. Eine vergleichbare Studie , wie sie Jürgen Nautz für die frühe Republik vorgelegt hat , fehlt für die Jahre 1933 bis 1938 , vgl. Nautz , Jürgen ( 1994 ) : Die österreichische Handelspolitik der Nachkriegszeit 1918 bis 1923. Die Handelsvertragsbeziehungen zu den Nachfolgestaaten , Wien. Die in die Jahre gekommene Dissertation von Grete Klingenstein zur Anleihe von Lausanne ist primär innenpolitisch orientiert , vgl. Klingenstein , Grete ( 1965 ) : Die Anleihe von Lausanne. Ein Beitrag zur Geschichte der Ersten Republik in den Jahren 1933–1934 [ P ublikationen des Österreichischen Instituts für Zeitgeschichte 5 ] , Graz. 68 Teichova , Alice / C otrell , P. L. ( 1983 ) : International Buisness and Central Europe 1918–1939 , New York ; Teichova , Alice ( 1988 ) : Kleinstaaten im Spannungsfeld der Großmächte. Wirtschaft und Politik in Mittel- und Südosteuropa , Wien ; Teichova / Matis ( 1996 ). 69 Hwaletz , Otto ( 2001 ) : Die österreichische Montanindustrie im 19. und 20. Jahrhundert , Wien / Köln / Weimar.
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9. Gleiches gilt auch für das Beziehungsgeflecht Diplomatie und Militär , wobei besonders im Hinblick auf das 1933 / 34 wiederbelebte Instrument des Militärattachés in Österreich zu verweisen wäre , da diesem naturgemäß auch nachrichtendienstliche Funktionen zukam.70
70 Rust , Dietmar ( 2011 ) : Das militärische Nachrichtenwesen im Bundesministerium für Heerwesen bzw. Bundesministerium für Landesverteidigung von 1933 bis 1938 , Dipl.-Arb. , Wien ; Lassner , Ale xander N. ( 2009 ) : In search of Allies. Intelligence Assessments by Austrian Military Attachés 1933– 1938. In : Journal for Intelligence , Propaganda and Security Studies , Vol. 3 ( 2009 ), No 1 , 53–70.
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Helmut Wohnout
Bundeskanzler Dollfuß und die österreichischitalienischen Beziehungen 1932–1934 I. Die österreichisch-italienischen Beziehungen der 1930er-Jahre als Forschungsdesiderat der Zeitgeschichte Das Verhältnis zwischen Österreich und Italien zählt zu den zentralen Determinanten für die politische Entwicklung Österreichs in den 1930er-Jahren. Es steht in einem direkten Zusammenhang mit dem Entstehen des autoritären Staates und der gewaltsamen Ausschaltung der Sozialdemokratie aus dem politischen Leben. Seine wechselnde Intensität hatte unmittelbare Auswirkungen auf das Verhältnis zu Deutschland vom Beginn der Kanzlerschaft Adolf Hitlers bis zum März 1938. Darüber hinaus wurden die Beziehungen zu Italien auch bestimmend für die österreichische Außenpolitik gegenüber den Westmächten genauso wie der Kleinen Entente und Ungarn. Umso überraschender ist es , dass bis heute keine quellenbasierte Monografie die österreichisch-italienischen Beziehungen der 1930er-Jahre , oder zumindest zentrale Teile davon , beleuchtet. Die vorliegende Literatur beschränkt sich auf Überblicksartikel sowie Studien zu Einzelaspekten und basiert vielfach auf dem Forschungsstand der 1970er-Jahre. Den Anfang machte noch davor die 1966 erschienene , hauptsächlich auf ungarischen Quellen beruhende Studie von Lajos Kerekes.1 Einige Jahre danach folgte im Hinblick auf die Beziehungen zu Deutschland die Arbeit von Jens Petersen.2 Aus italienischer Perspektive ging die Mussolini-Biografie Renzo de Felices näher auf dessen Politik Österreich gegenüber ein.3 Neben ihm ist Enzo Collotti zu nennen , der sich zwar in ers ter Linie mit Aspekten der deutschen Geschichte befasste , aber schon 1966 seinen ersten Aufsatz mit Österreichbezügen vorgelegt hatte.4 1 Kerekes , Lajos ( 1966 ) : Abenddämmerung einer Demokratie. Mussolini , Gömbös und die Heimwehr , Wien / Frankfurt / Zürich. 2 Petersen , Jens ( 1973 ) : Hitler-Mussolini. Die Entstehung der Achse Berlin-Rom 1933–1936 , Tübingen. 3 De Felice , Renzo ( 1974 ) : Mussolini il duce. vol. 1. Gli anni del consenso 1929–1936 , Torino. 4 Colotti , Enzo ( 1965 ) : Il fascismo e la questione austriaca. In : Movimento di liberazione in Italia , ( 1965 ) 81 , 3–25.
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VII. Außenpolitik
Im Zusammenhang mit den bilateralen Historikerkonferenzen in Innsbruck und Venedig 1971 / 72 entstanden einige Überblicksartikel zu den wechselseitigen Beziehungen , österreichischerseits von Ludwig Jedlicka5 oder italienischerseits von Ennio di Nolfo.6 In den 1980er-Jahren erschienen Beiträge zu einzelnen Teilaspekten der bilateralen Kontakte , so wiederum von Enzo Collotti auf italienischer7 und Dieter A. Binder oder Karl Haas auf österreichischer Seite.8 Peter Enderle legte eine Dissertation zu den wirtschaftspolitischen Verflechtungen vor.9 Ein gewisses Augenmerk erfuhren die Vorgeschichte und die Auswirkungen der italienischen Invasion in Äthiopien auf das Verhältnis zu Österreich.10 Im Tagungsband des von der Österreichischen Akademie der Wissenschaften 1988 veranstalteten „Anschlusssymposions“ beschäftigte sich Angelo Ara mit den bilateralen Beziehungen in der letzten Phase vor 1938.11 Etwa um dieselbe Zeit publizierte der langjährige Herausgeber des Austrian History Yearbooks , R. John Rath , eine an die Arbeit von Lajos Kerekes anknüpfende Untersuchung zu den frühen Kontakten von Heimwehr und österreichischen Regierungskreisen zu Italien und 5 Jedlicka , Ludwig ( 1975 ) : Österreich und Italien 1922–1938. In : Wandruzska , Adam / Jedlicka , Ludwig ( Hg. ) : Innsbruck-Venedig. Österreichisch-Italienische Historikertreffen 1971 und 1972 , Wien , 197–219. Zu den Historikerkonferenzen kritisch : Heiss , Hans ( 2012 ) : Rücken an Rücken. Zum Stand der österreichischen zeitgeschichtlichen Italienforschung und der italienischen Österreichforschung. In : Gehler , Michael / Guiotto , Maddalena ( Hg. ) : Italien , Österreich und die Bundesrepublik Deutschland in Europa. Ein Dreiecksverhältnis in seinen wechselseitigen Beziehungen und Wahrnehmungen von 1945 / 49 bis zur Gegenwart , Wien / Köln / Weimar , 101–128 : 118–119. 6 Di Nolfo , Ennio ( 1975 ) : Die österreichisch-italienischen Beziehungen von der faschistischen Machtergreifung bis zum Anschluß ( 1922–1938 ). In : Wandruszka / Jedlicka ( 1975 ), 221–271. 7 Colotti , Enzo ( 1983 ) : Fascismo e Heimwehren : la lotta antisocialista nella crisi della prima repubblica austriaca. In : Rivista di storia contemporanea 12 ( 1983 ), 300–337 ; Colotti , Enzo ( 1984 ) : Die Faschisierung des italienischen Staates und die fortschreitende Beeinflussung österreichischer Rechtsgruppen. In : Fröschl , Erich / Z oitl , Helge ( Hg. ) : Der 4. März 1933. Vom Verfassungsbruch zur Diktatur , Wien , 149–164. Colotti , Enzo ( 1985 ) : Austria 1934 : riflessioni su una sconfitta. In : Belfagor , 40 , fasc. 2 ( 1985 ), 129–146. 8 Binder , Dieter Anton ( 1980 ) : Die Römer Entrevue. In : Österreich in Geschichte und Literatur , Jg. 24 ( 1980 ) Heft 5 , 281–299 ; Haas , Karl ( 1984 ) : Die römische Allianz 1934. In : Fröschl / Z oitl ( 1984 ), 149–164. 9 Enderle , Peter ( 1979 ) : Die ökonomischen und politischen Grundlagen der Römischen Protokolle aus dem Jahre 1934 , phil. Diss. , Wien. 10 Erstmals präsentierte 1978 Lorenz Mikoletzky eine kleinere , unter Nutzung von Primärquellen verfasste Studie zum Themenkreis ; in den 1990er-Jahren entstanden eine Diplomarbeit in Klagenfurt und eine Dissertation in München. Letztere ist auch als Monografie publiziert. Mikoletzky , Lorenz ( 1978 ) : Österreich , Italien und der abessinische Krieg 1935 / 36. Politik , Meldungen und Streiflichter. In : Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs , Heft Nr. 31 ( 1978 ), 487–501 ; Orlando , Silvia ( 1992 ) : Die „aktive“ und „passive“ Rolle des austrofaschistischen Österreich in der internationalen italo-äthiopischen Krise ( Ende 1934–Mitte 1936 ), Dipl.-Arb. , Wien. Friedl , Thomas-Peter ( 1999 ) : Die geheimen Zusatzprotokolle in den „Accords de Rome“ vom 7. Jänner 1935. Französische und italienische Interessen in Afrika und Europa und das Scheitern der Sicherstellung der österreichischen Unabhängigkeit , Frankfurt / Berlin / Bern u. a. 11 Ara , Angelo ( 1990 ) : Die italienische Österreichpolitik 1936–1938. In : Stourzh , Gerald / Z aar , Birgitta ( Hg. ) : Österreich , Deutschland und die Mächte. Internationale und österreichische Aspekte des „Anschlusses“ vom März 1938 , Wien , 111–129.
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������������������������������������������������������������������������������������������������ ���������������������������������������������������������������������������������� : Bundeskanzler Dollfuß und die österreichisch-italienischen Beziehungen 1932–1934
Ungarn in den Jahren 1928 bis 1930.12 Im Jahr 2007 hat Walter Rauscher einen Überblicksartikel zu den österreichisch-italienischen Beziehungen 1918–1955 vorgelegt.13 Die erstmals von Petersen aufgearbeiteten deutsch-italienischen Beziehungen haben zuletzt durch die Arbeit von Gianluca Falanga eine Aktualisierung mit wertvollen Hinweisen auf das Dreiecksverhältnis der beiden Länder zu Österreich erfahren.14 Im Zuge zweier von der Fondazione Bruno Kessler veranstalteter internationaler Tagungen 2007 und 2008 hat sich der Verfasser näher mit den österreichisch-italienischen Beziehungen im Zusammenhang mit dem politischen Systemwechsel 1933 / 34 auseinandergesetzt. Der diesbezügliche Sammelband liegt allerdings bis dato noch nicht vor. Eine umfassende Arbeit zu den österreichisch-italienischen Beziehungen der Zwischenkriegszeit im Allgemeinen oder der 1930er-Jahre im Besonderen steht , wie eingangs erwähnt , nach wie vor aus. Einzelne in Österreich seit den 1990er-Jahren als Diplomarbeiten bzw. Dissertationen entstandene Studien , vor allem jene von Hans W. Schmölzer , hätten als Ausgangspunkt für eine solche umfassende Monografie dienen können , wurden bedauerlicherweise aber nicht weiter verfolgt.15 „Die zeithistorischen Geschichtswissenschaften Österreichs und Italiens leben Rücken an Rücken , in einem Zustand freundlicher Ignoranz des jeweils anderen.“16 Dieser erst jüngst formulierte kritische Befund des Südtiroler Historikers Hans Heiss besitzt für die wissenschaftliche Aufarbeitung der Periode vor dem Zweiten Weltkrieg zweifellos Gültigkeit. Dabei böte die Quellenlage , sowohl was publizierte als auch was unpublizierte Bestände betrifft , gute Anknüpfungspunkte. An publizierten Akteneditionen reichen zwar österreichischerseits die „Außenpolitischen Dokumente der Republik Österreich“17 erst bis zum Beginn des Betrachtungszeitraums , doch liegt seit geraumer Zeit eine um12 Rath , R. John ( 1988 ) : Mussolini , Bethlen , and the Heimwehr in 1928–1930. In : Wank , Solomon / Maschl , Heidrun / Mazohl-Wallnig , Brigitte / Wagnleitner , Reinhold ( Hg. ) : The Mirror of History : Essays in Honor of Fritz Fellner , Santa Barbara / O xford , 431–450. 13 Rauscher , Walter ( 2007 ) : Österreich und Italien 1918–1955. In : Koch , Klaus / Rauscher , Walter / Suppan , Arnold / Vyslonzil , Elisabeth ( Hg. ) : Von Saint Germain zum Belvedere. Österreich und Europa 1919–1955 , Wien / München , 186–209. 14 Falanga , Gianluca ( 2008 ) : Mussolinis Vorposten in Hitlers Reich. Italiens Politik in Berlin 1933– 1945 , Berlin. 15 Schmölzer , Hans W. ( 1996 ) : Die Beziehungen zwischen Österreich und Italien in den Jahren 1930– 1938 , phil. Diss. , Innsbruck. Dagegen bietet die politikwissenschaftliche Arbeit von Andreas Mittelmeier , wenngleich veröffentlicht , kaum Anknüpfungspunkte für weiterführende historische Forschungen. Mittelmeier , Andreas ( 2010 ) : Austrofaschismus contra Ständestaat. Wie faschistisch war das autoritäre Regime im Österreich der 1930er Jahre verglichen mit Mussolinis Italien ? Dipl.-Arb. , Wien. An weiteren , seit den 1990er-Jahren entstandenen Hochschulschriften seien genannt : Franz , Alexander ( 1996 ) : Autoritäres politisches System und Wirtschaftsordnung am Beispiel Faschismus , Nationalsozialismus und Austrofaschismus , Dipl.-Arb. , Wien ; Koman , Georg ( 1999 ) : Die Deutschland- und Italienpolitik der Regierung Dollfuß. Österreich als Spielball der revisionistischen Großmächte ? Dipl.-Arb. , Wien ; Unger , Michael ( 2004 ) : Pressepolitik im austrofaschistischen Österreich. Ein internationaler Vergleich am Beispiel der Pressepolitik im deutschen NS-Staat und im faschistischen Italien , Dipl.-Arb. , Wien. 16 Heiss ( 2012 ), 101. 17 Koch , Klaus / R auscher , Walter / Suppan , Arnold / Vyslonzil Elisabeth ( Hg. ) ( 2009 ) : Außenpolitische Dokumente der Republik Österreich 1918–1938 ( k ünftig ADÖ ), zuletzt erschienen : Bd. 8 : Österreich im Zentrum der Mitteleuropapläne 12. September 1931 bis 23. Februar 1933 , Wien.
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VII. Außenpolitik
fassende Edition der Aktenbestände der italienischen Außenpolitik vor.18 Sie wurde bislang von der österreichischen Forschung weitgehend vernachlässigt.19 Was die Primärquellen anlangt , sind die einschlägigen österreichischen Aktenbestände im Archiv der Republik zumindest zum Teil für die vorhandenen Studien herangezogen worden. Eine punktuelle Auswahl einiger Dokumente wurde erstmals 1949 publiziert20 und 2004 neu aufgelegt.21 Die italienischen Aktenbestände in Rom sind bisher für die österreichische Zeitgeschichtsforschung allerdings noch nicht umfassend ausgewertet worden. Im Folgenden wird für den Zeitraum 1932–1934 der Versuch unternommen , aufzuzeigen , dass allein schon die Gegenüberstellung der zugänglichen österreichischen unpublizierten und publizierten Quellen mit den edierten italienischen , britischen und französischen Akten und sonstigen verfügbaren Materialen , wie etwa den Memoiren des italienischen Unterstaatssekretärs Fulvio Suvich22 oder den am Wiener Institut für Zeitgeschichte befindlichen unpublizierten Aufzeichnungen Eugenio Morreales23 , neue Facetten aufzeigt und in der Lage ist , die Zeitgeschichtsforschung zu den 1930er-Jahren in Österreich substanziell voranzutreiben. Die folgende Skizze , die vorrangig die politische Einwirkung Italiens auf Österreich und weniger die wirtschaftspolitischen Konsultationen in den Fokus rückt , versteht sich daher als Anstoß für weiterführende Forschungen zu den österreichisch-italienischen Beziehungen vor 1938. II. Die Entwicklung der bilateralen Beziehungen zwischen Österreich und Italien in der Ersten Republik Seit den frühen 1920er-Jahren war der Erhalt der österreichischen Unabhängigkeit erklärtes Ziel der italienischen Politik. Nicht nur im Hinblick auf die Wahrung der Territorialgewinne in der Folge des Weltkriegs , sondern auch um eine deutsche Hegemonie in Mitteleuropa zu verhindern.24 Darüber hinaus sollte vermieden werden , dass im Süden Österreichs Jugoslawien durch allfällige Gebietsgewinne in Kärnten als Folge eines Endes der österreichischen Eigenstaatlichkeit eine zusätzliche Aufmarschbasis gegen 18 Ministerio degli Affari Esteri ( Hg. ) ( 1953–1990 ) : I Documenti Diplomatici Italiani ( k ünftig DDI ) : serie VII ( 1922–1935 ), volume 1–16 , serie VIII ( 1935–1939 ), volume 1–13 , Rom. 19 Zu den wenigen diesbezüglichen Ausnahmen zählen die Studie von R. John Rath ( 1988 ) und die Dissertation von Hans W. Schmölzer ( 1996 ). 20 Geheimer Briefwechsel Mussolini-Dollfuß. Mit einem Vorwort von Vizekanzler Adolf Schärf. Erläuternder Text von Karl Hans Sailer ( 1949 ), Wien. 21 Maderthaner , Wolfgang / Maier , Michaela ( Hg. ) ( 2004 ) : „Der Führer bin ich selbst“. Engelbert Dollfuß – Benito Mussolini Briefwechsel. Überarbeitete und ergänzte Neuauflage der Broschüre „Der geheime Briefwechsel Dollfuß-Mussolini“, Wien 2004. 22 Suvich , Fulvio ( 1984 ) : Memorie 1932–1936. A cura di Gianfranco Bianchi , Milano. Zu Suvich vgl. auch : Österreicher , Christian ( 1991 ) : „Fulvio Suvich“. Unterstaatssekretär im italienischen Außenminis terium 1932–1936. Seine Haltung zu Österreich , Deutschland und der Anschlussfrage , Dipl.-Arb. , Wien. 23 Eugenio Morreale : Mussolini gegen Hitler auf dem österreichischen Ring. Eigene Erinnerungen und italienische Geheimdokumente über Mussolinis Versuch , den Anschluss zu verhindern ( u nveröffentlichtes Manuskript ), ( k ünftig Morreale ), Österreichische Gesellschaft für Zeitgeschichte / A rchiv des Instituts für Zeitgeschichte , Wien ( k ünftig AIfZG ), Do 4 / M m –15. 24 Ara ( 1990 ), 112–113.
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������������������������������������������������������������������������������������������������ ���������������������������������������������������������������������������������� : Bundeskanzler Dollfuß und die österreichisch-italienischen Beziehungen 1932–1934
Italien erhielt , wie überhaupt das neue jugoslawische Königreich , das die italienischen Ansprüche auf die östliche Adriaküste weitgehend verhindert hatte , zum neuen Hauptgegner Italiens avancierte. Die italienische Außenpolitik sah Österreich als einen [ … ] wichtigen Puffer , Mittler und Brückenkopf nach Zentraleuropa , als Staat , der zwar mit spürbarer Herablassung als Juniorpartner behandelt wurde , aber zugleich von erheblicher Bedeutung war : Österreich stand aus römischer Sicht einer geschlossenen slawischen EinflussSphäre von Prag bis Belgrad als willkommenes Hindernis im Weg und diente zugleich als Bollwerk gegen deutsche Revisionsbestrebungen. Zudem dämmte es den deutschen Einfluss nach Süden hin ein und sicherte die Brennergrenze.25
Ungeachtet dieser Konstante waren die bilateralen Beziehungen zu Österreich in den 1920er-Jahren starken Schwankungen unterworfen. Hatte Mussolini Bundeskanzler Ignaz Seipel 1923 noch als jenen Mann gerühmt , „der Österreich gerettet habe“, so erreichte das österreichisch-italienische Verhältnis im Februar 1928 seinen absoluten Tiefpunkt , was seine Ursachen in der schwelenden Südtirolfrage hatte.26 Erst Bundeskanzler Johannes Schober sollte es wieder gelingen , durch vertrauensbildende Maßnahmen eine verbindlichere Gesprächsbasis zu Mussolini aufzubauen. Dabei kam ihm die zweite Konstante in der Politik des Duce entgegen , nämlich dessen bedingungslose Ablehnung der österreichischen Sozialdemokratie. Mussolinis Aversion hatte sich insbesondere seit dem Brand des Justizpalastes am 15. Juli 1927 auf das sozialdemokratisch dominierte „Rote Wien“ fokussiert.27 Ab 1928 setzte die massive finanzielle Unterstützung der Heimwehr ein ,28 genauso wie Mussolini danach trachtete , in Österreich eine Rechtsregierung mit größtmöglicher ideologischer Nähe zum Faschismus zu etablieren. Dabei unterstützte Mussolini anfangs die ihm von Heimwehrseite wiederholt präsentierten Putschpläne ( „ Marsch auf Wien“ ), wobei er eng mit der ungarischen Regierung Bethlen kooperierte.29 Doch musste man italienischerseits bald erkennen , dass sich die Heimwehr allein als zu schwach für einen gewaltsamen Umsturz erwies. 25 Heiss ( 2012 ), 109. 26 Jedlicka , Ludwig ( 1975 ) : Die Außenpolitik der Ersten Republik. In : Jedlicka , Ludwig / Neck , Rudolf ( Hg. ) : Vom Justizpalast zum Heldenplatz. Studien und Dokumentationen 1927 bis 1938 , Wien , 103–113 : 105. Vgl. auch : Weiss , Klaus ( 1989 ) : Das Südtirol-Problem in der Ersten Republik. Dargestellt an Österreichs Innen- und Außenpolitik im Jahre 1928 , Wien / München. 27 Gründe für die besondere Aversion Mussolinis gegenüber der österreichischen Linken lagen u. a. in der Tatsache , dass die bis 1933 anschlussfreundliche Sozialdemokratie sich jeder Annäherung an das faschistische Italien widersetzte sowie italienische Emigranten unterstützte , deren Aktivitäten in Rom genau verfolgt wurden. Dazu kam , so die Einschätzung Morreales , die Vertrautheit Mussolinis mit führenden sozialdemokratischen Politikern , die er vor 1914 , zumindest teilweise , infolge seiner eigenen sozialistischen Vergangenheit persönlich kennengelernt hatte , was nunmehr seine Ablehnung verstärkte. Morreale , AdIZG , Do 4 / M m–15 , I /2–3. 28 Morreale , AdIZG , Do 4 / M m 15 , II / 16. Folgt man der Darstellung Petersens , so erhielt schon zwischen 1928 und 1930 die österreichische Heimwehrbewegung seitens des faschistischen Italien mehr als sechs Millionen Lire. Petersen , Jens ( 1974 ) : Gesellschaftssystem , Ideologie und Interesse in der Außenpolitik des faschistischen Italien. In : Quellen und Forschungen aus italienischen Archiven und Bibliotheken Jg. 54 ( 1974 ), 428–470 : 442. 29 Rath ( 1988 ), 435–440.
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Johannes Schober ließ von Anfang seiner Bundeskanzlerschaft an keinen Zweifel da rüber , eine italienisch-ungarisch orientierte Politik zu betreiben. Seine ursprünglichen Verfassungspläne im Herbst 1929 sicherten ihm nicht nur die Gefolgschaft der Heimwehr , sondern stießen auch bei Mussolini auf Wohlgefallen. Ungeachtet der Ergebnisse der Verfassungsreform , die weit hinter den hochgeschraubten antidemokratischen Erwartungen der Heimwehren zurückblieb , gelang es Schober bei seinen Begegnungen mit Mussolini im Zuge der Zweiten Haager Konferenz und vor allem bei seinem Besuch in Rom im Februar 1930 , im Zuge dessen die Freundschafts- und Schiedsgerichtsverträge mit Rom unterzeichnet wurden , sich weiterhin dessen Unterstützung zu versichern. Dies , obwohl sich die anfänglichen Erwartungen , die Mussolini in Schober gesetzt hatte , mit dem mit der Sozialdemokratie erzielten Kompromiss bei der Verfassungsreform nicht erfüllt hatten. Durch die sogenannte Abrüstungsfrage zwischenzeitlich der Heimwehr weitgehend entfremdet , scheute sich der österreichische Bundeskanzler nicht , diese bei Mussolini – offenbar mit zeitweiligem Erfolg – zu diskreditieren. So erklärte Mussolini im Mai 1930 gegenüber der Grande Dame der Christlichsozialen Partei , der Fürstin Franziska Starhemberg , dass ihm die Haltung der Heimwehren unverständlich sei und er hoffe , dass sich diese wieder hinter Schober stellen würden.30 Hier wird ein weiteres Element der Österreichpolitik Mussolinis deutlich : Als Mittel zum Zweck der Radikalisierung der österreichischen Politik im antidemokratischen und antimarxistischen Sinn waren ihm die Heimwehren recht. Die Kapazität , den Umschwung in Österreich im Alleingang herbeizuführen , traute er ihnen aber seit 1930 kaum mehr zu. Dabei setzte er lieber auf eine ihm geeignet erscheinende Führungspersönlichkeit an den staatlichen Schaltstellen der Macht , die die Dinge im evolutionären Sinn vorantrieb. So erforderlich , konnten dabei die Heimwehren zur Erhöhung des Tempos jederzeit aktiviert werden. Die Grundlinien der Politik Mussolinis gegenüber Österreich zu Beginn der 1930erJahre lassen sich in etwa wie folgt zusammenfassen : • Erhaltung der österreichischen Selbstständigkeit im Sinne des Schutzes der italienischen nationalen Interessen. • Absoluter Antimarxismus und unversöhnliche Gegnerschaft zur Sozialdemokratie ; insbesondere Auflösung des Schutzbundes und Zerschlagung der sozialdemokratischen Machtpositionen im Roten Wien. Immer mehr setzte sich dabei in der italienischen Politik gegenüber Österreich die Meinung fest , es sei von zentraler Bedeutung , den Sozialisten gerade in der Bundeshauptstadt ihre Basis zu entziehen.31 • Bildung einer dauerhaften Rechtsregierung unter maßgeblicher Berücksichtigung der Heimwehr. • Etablierung eines Regierungssystems mit stark autoritärem Einschlag. 30 Telegramm 449 , Gesandter Egger an Generalsekretär Peter , 30. 5. 1930 , Zl. 27.646–113 / 1930 , Öster reichisches Staatsarchiv ( k ünftig ÖSTA ) / A rchiv der Republik ( k ünftig AdR ), Neues Politisches Archiv , ( Künftig NPA ), Liasse Italien I / I II , 1930–1032. Zur Person Franziska Starhembergs : Deutsch , Heidrun ( 1967 ) : Fürstin Franziska Starhemberg , phil. Diss. , Wien. 31 Collotti ( 1984 ), 155 ; Rath ( 1988 ), 437–439.
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• Auf dieser Basis Vorantreiben der gegen die Kleine Entente gerichteten italienischen Politik im Donauraum in Kombination mit Ungarn und Österreich , entsprechend dem durchgehend angewandten Revisionsprinzip der italienischen Außenpolitik. Der Rücktritt Schobers im Herbst 1930 , die nicht realisierten Putschpläne der Heimwehr während der kurzen Regierung Vaugoin und die deutsch-österreichischen Zollunionspläne unter Bundeskanzler Otto Ender führten zu einer zeitweiligen neuerlichen Trübung der zwischenstaatlichen Beziehungen und damit zu einer Unterbrechung der italienischen Pläne in Bezug auf Österreich. Auch die große persönliche Wertschätzung Mussolinis für Schober wich im Laufe der Zeit einer kritischeren Beurteilung.32 Zugleich richtete Mussolini wieder ein vermehrtes Augenmerk auf die Heimwehr. Auf Vermittlung von dessen Mutter bei ihrem Besuch bei Mussolini 1930 war es im Juli desselben Jahres zu einer ersten Begegnung mit dem jungen und innerhalb der Heimwehr aufstrebenden Ernst Rüdiger Starhemberg gekommen.33 Es gelang ihm , sich Mussolinis Unterstützung zu versichern. Der Duce wurde zum Hauptfinancier der politischen Aktivitäten Starhembergs , die ihm den Weg an die Spitze der Heimwehr ebneten. Als Gegenleistung wurde Starhemberg , der noch in den 1920er-Jahren deutschnational orientiert war und direkte Verbindungen zu den Nationalsozialisten besaß , mehr und mehr zum Verfechter der im Vorangegangenen näher skizzierten politischen Pläne Mussolinis im Hinblick auf Österreich innerhalb der politisch heterogenen Heimwehrführung.34
32 Collotti ( 1984 ), 158. Die Enttäuschung Mussolinis über das Agieren Schobers spiegelt sich auch in den Aufzeichnungen Richard Schüllers wider. Nautz , Jürgen ( Hg. ) ( 1990 ) : Unterhändler des Vertrauens. Aus den nachgelassenen Schriften von Sektionschef Dr. Richard Schüller , Wien / München , 158. 33 Ausführlich berichtet Ernst Rüdiger Starhemberg in den unterschiedlichen Sprachversionen seiner Memoiren über diese Begegnung , genauso wie über seine späteren Gespräche mit Mussolini. Den Erinnerungen Starhembergs ist allerdings aus folgendem Grund nur ein eingeschränkter Quellenwert beizumessen : Erstmals erschienen seine Lebenserinnerungen 1942 in englischer Sprache ( Between Hitler and Mussolini. Memoirs of Ernst Rudiger Starhemberg , New York / L ondon ). Diese Fassung entstand während seines Einsatzes aufseiten der Alliierten bei der „Freien Französischen Luftwaffe“. Die Arbeit wurde durch seine Abkommandierung nach Afrika allerdings jäh unterbrochen und das Buch durch seinen Verleger ohne abschließende Zustimmung Starhembergs zum Text auf den englischsprachigen Markt gebracht. Schon im Winter 1938 / 39 hatte er ein Manuskript seiner Privatsekretärin diktiert gehabt , das sich allerdings durchaus vom Text des 1942 erschienen Buches unterschied ( es befindet sich heute im Archiv des Instituts für Zeitgeschichte der Universität Wien ). Die deutsche Fassung seiner Memoiren erschien 15 Jahre nach seinem Tod , 1971 und stellt eine nachträglich überarbeitete Kombination beider von Starhemberg diktierter Manuskripte dar. Starhemberg , Ernst Rüdiger ( 1971 ) : Memoiren , Wien / München , 76–80. Zur Biografie Starhembergs siehe : Berger , Barbara ( 1967 ) : Ernst Rüdiger Fürst Starhemberg. Versuch einer Biographie , phil. Diss. , Wien. Eine später erschienene biografische Darstellung enthält gerade im Hinblick auf die Beziehungen Starhembergs zu Italien bedauerlicherweise keine neuen Erkenntnisse. Walterskirchen , Gudula ( 2002 ) : Starhemberg oder Die Spuren der „30er Jahre“, Wien. 34 Morreale , AdIZG , Do 4 / M m –15 , II , 20–23.
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III. Die italienische Österreich-Politik während der Kanzlerschaft Dollfuß’ 3.1 Mai 1932 bis Oktober 1932 : Abwartende Distanz zwischen Rom und Wien Noch bei Antritt der Regierung Dollfuß im Frühjahr 1932 war das Wiederaufleben der italienisch-österreichischen Sonderbeziehungen keine ausgemachte Sache. Dollfuß blieb in den ersten Monaten seiner Amtszeit zu Italien auf Distanz. Bis zu den parlamentarischen Beratungen über die Völkerbundanleihe von Lausanne im August 1932 stand die Bildung einer großen Koalition zwischen Christlichsozialen und Sozialdemokratie im Raum. Dollfuß stand innerhalb der Christlichsozialen Partei für den Flügel der niederösterreichischen Agrarier , der weit eher als die Gruppe um den späten Seipel einem Kompromiss mit den Sozialdemokraten zugeneigt schien , was zu Misstrauen sowohl der Heimwehr als auch Italiens Anlass gab. So fuhr noch Anfang Juni 1932 Ernst Rüdiger Starhemberg zu Mussolini nach Rom. Ihm gegenüber setzte er seinen Plan auseinander , für den Fall , dass Dollfuß doch noch eine Koalition mit den Sozialdemokraten bilden sollte , mit einem Heimwehrputsch Unterrichtsminister Anton Rintelen zum Bundeskanzler zu machen.35 Doch verfolgte Dollfuß ungeachtet solcher Spekulationen ab seinem Amtsantritt konsequent einen Kurs , der entsprechend den Vorstellungen des rechten Flügels der Christlichsozialen und der Heimwehrführung vom strikten Willen zur Durchsetzung der Staatsautorität gekennzeichnet war. Das für die Regierung so mühevolle Ringen um die parlamentarische Beschlussfassung der Anleihe von Lausanne führte die endgültige Zäsur herbei : Während die Sozialdemokraten in der Hoffnung , das Kabinett zu stürzen , im Nationalrat gegen den Lausanner Vertrag votierten , brachte Dollfuß den Vertrag , wenn auch nur ganz knapp , mithilfe der Heimwehr über die Bühne. Das Verhältnis Dollfuß’ zur Sozialdemokratie verschlechterte sich daraufhin rapide , daneben setzte er erste Schritte , mit denen er sich vom demokratischen Parlamentarismus abzuwenden begann. 3.2 Oktober 1932 bis April 1933 : Wechselseitige Annäherung mit ungarischer Vermittlung Die zweite Phase in den Beziehungen setzt in etwa mit der erstmaligen Erlassung einer Verordnung aufgrund des kriegswirtschaftlichen Ermächtigungsgesetztes36 durch die Regierung Dollfuß im Oktober 1932 ein. Fast zeitgleich begannen die seit Schober abgekühlten Beziehungen zu Italien wieder aufzuleben. Der von Dollfuß gesetzte Schritt war im Hinblick auf die Schwächung des Parlaments wie auch der sozialdemokratischen Opposition von der italienischen Diplomatie aufmerksam registriert worden. Am 11. Oktober 1932 ließ Mussolini Dollfuß durch den österreichischen Gesandten in Rom , Lothar Eg35 Schmölzer ( 1996 ), 51 ; Schausberger , Franz ( 1993 ) : Letzte Chance für die Demokratie. Die Bildung der Regierung Dollfuß I im Mai 1932. Bruch der österreichischen Proporzdemokratie , Wien / Köln / Weimar , 109–111 , 126–127 ; Kerekes ( 1966 ), 106–107. Zum Verhältnis Dollfuß’ zur Sozialdemokratie siehe auch : Jagschitz , Gerhard ( 1975 ) : Bundeskanzler Engelbert Dollfuß und der Juli 1934. In : Jedlicka / Neck ( 1975 ), 233–239 : 238 ; Jagschitz , Gerhard ( 1983 ) : Engelbert Dollfuß. In : Weissensteiner , Friedrich / Weinzierl , Erika ( Hg. ) : Die österreichischen Bundeskanzler. Leben und Werk , Wien , 190–216 : 211–213. 36 Wohnout , Helmut ( 1993 ) : Regierungsdiktatur oder Ständeparlament ? Gesetzgebung im autoritären Österreich , Wien / Köln / Graz , 55–56. Huemer , Peter ( 1975 ) : Sektionschef Robert Hecht und die Zerstörung der Demokratie in Österreich. Eine historisch-politische Studie , Wien , 138–156.
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ger-Möllwald , seiner besonderen persönlichen Wertschätzung versichern und stellte seine weitere Unterstützung für die Regierung in Aussicht.37 Nur fünf Tage später trat Emil Fey in die Regierung ein. Seine Ernennung zum Staatssekretär für Sicherheitswesen war eine unmittelbare Reaktion auf den immer mehr eskalierenden NS-Terror in Österreich. Sie erfolgte vonseiten Dollfuß’ gegen beträchtlichen Widerstand innerhalb seiner eigenen Partei im Einvernehmen mit Feys späterem heimwehrinternen Gegenspieler Starhemberg.38 Dabei handelte es sich um eine vertrauensbildende Maßnahme des Bundeskanzlers nicht nur gegenüber der Heimwehr , sondern auch gegenüber Mussolini , galt doch Fey als militanter Gegner der Sozialdemokratie. Dollfuß blieb allerdings in dieser Phase gegenüber Italien noch vorsichtig. Sichtlich bemüht , sich außenpolitisch mehrere Optionen offenzuhalten , vermied er zu diesem Zeitpunkt noch den persönlichen Kontakt39 und ließ seine Kommunikationsstränge über den italienischen Gesandten , vor allem aber über den seit Ende September 1932 im Amt befindlichen , politisch weit rechts stehenden , ungarischen Ministerpräsidenten Gyula Gömbös laufen : Am 6. und 7. November kam es zu einem ersten persönlichen Zusammentreffen der beiden Regierungschefs im Rahmen einer informellen Jagdeinladung im westungarischen Ort Királyszállás.40 Über seinen Mittelsmann Gömbös , der unmittelbar im Anschluss an das Treffen nach Rom weiterfuhr , gab Dollfuß Mussolini seine Entschlossenheit zu verstehen , die Position seiner Regierung mithilfe der Heimwehr um jeden Preis zu verteidigen und dem Anschluss unter allen Umständen Widerstand zu leisten.41 Dabei war Dollfuß an sich an einem freundschaftlichen Verhältnis zum Deutschen Reich gelegen. Der ungarische Ministerpräsident konnte Mussolini berichten , dass Dollfuß guten Willens sei , sich aus dem Sumpf des Parlamentarismus zu befreien , wie er es formulierte. Gömbös und Mussolini verständigten sich auf eine Unterstützung der Allianz zwischen Dollfuß und der Heimwehr , worüber der ungarische Ministerpräsident Dollfuß noch im November 1932 persönlich unterrichtete.42 37 Schmölzer ( 1996 ), 54–56 ; Telegramm 82 , Geandter Egger an Generalsekretär Peter , 12. 10. 1932 , OSTA / AdR , NPA , Liasse Italien I / I II Geheim. 38 Schon in der 1942 publizierten Fassung seiner Memoiren bekannte sich Starhemberg dazu , Fey nicht nur vorgeschlagen , sondern auf seine Ernennung gegenüber Dollfuß nachdrücklich gedrängt zu haben ( „[ … ] I actually pressed Dollfuß to appoint Fey to the post“ ), nicht ohne hinzuzufügen , damit den schwersten Fehler in seiner gesamten politischen Karriere begangen zu haben. Starhemberg ( 1942 ) : 88–89. Zum Widerstand innerhalb der Christlichsozialen Partei gegen Fey : Goldinger , Walter ( Hg. ) ( 1980 ) : Protokolle des Klubvorstandes der Christlichsozialen Partei 1932–1934 , Wien , 19–27. 39 Renzo De Felice schreibt in seiner Mussolini-Biografie , dass Dollfuß vor dem 30. Jänner 1933 alle Bemühungen Roms um ein Treffen mit Mussolini aus Rücksichtnahme auf die Beziehungen zu Paris abgewehrt hätte. De Felice ( 1974 ), 468–469. 40 Besprechung Bundeskanzler Dollfuß mit ungarischem Ministerpräsidenten Gömbös am 6. und 7. November 1932 in Királyszállás , Internes Informationspapier , AdR , NPA Ungarn Geheim I / I II , Zl. 24883 , o. D. , ADÖ ( 2009 ) : Bd. 8 , Wien. Nr. 1246 ; Besprechung Bundeskanzler Dollfuß mit ungarischem Ministerpräsidenten Gömbös am 6. und 7. November 1932 in Királyszállás , Amtserinnerung ( streng geheim ), AdR , NPA Ungarn Geheim I / I II , Zl. 26615 / 13 , 7. 11. 1932 , ADÖ ( 2009 ) : Bd. 8 , Wien. Nr. 1247. In der älteren Literatur , u. a. bei Kerekes ( 1966 ) oder bei Jedlicka ( 1975 ), wird als Ort des Treffens vom 7. 11. 1932 unzutreffender Weise Wien angegeben. 41 Morreale , AdIZG , Do 4 / M m –15 , III / 5. 42 „Italien und Ungarn begrüßen mit Freude die auf ein Zusammenarbeiten der christlichsozialen Partei und der Heimwehren gerichtete Entwicklung der Politik des Herrn Bundeskanzlers und
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Der italienische Unterstaatssekretär Fulvio Suvich resümierte die italienisch-ungarischen Überlegungen im November 1932 folgendermaßen : Riassumendo i punti trattati , si è messo l’accento su una intensficazione dei rapporti fra Italia e Ungheria con un effettivo appoggio italiano , sulla commune visione della necessità di un rafforzamento di un regime autoritario in Austria sul binomio Dollfuß-Heimwehren , su una politica di più stretti rapporti nel campo economico fra Italia , Ungheria e Austria.43
Noch im Laufe des Jahres 1932 kam es zu Konsultationen , die die Annäherung der drei Staaten auf der handelspolitischen Ebene vorantrieben. Als dann im Zuge der internationalen Turbulenzen rund um das Auffliegen der Hirtenberger Waffenaffäre Italien Österreich demonstrativ den Rücken stärkte und damit Dollfuß außen- wie innenpolitisch eine Demütigung ersparte , trug das zur weiteren Verbesserung im Klima zwischen Rom und Wien bei. Die inhaltliche und zeitliche Nähe zu den parlamentarischen Ereignissen vom 5. März 1933 , die der Regierung den Anlass boten , „[ … ] ohne parlamentarische Kontrolle zu regieren und im Wege des Staatsstreichs auf Raten den Faschisierungsvorstellungen Mussolinis näherzukommen [ … ] erscheint stringent , sollte aber nicht überbewertet werden“.44 3.3 April 1933 bis Juli 1933 : Beginn der engen österreichisch-italienischen Kooperation als Folge der Kanzlerschaft Adolf Hitlers in Deutschland Mit dem Regierungseintritt der Nationalsozialisten Ende Jänner 1933 begann sich der Handlungsspielraum von Bundeskanzler Dollfuß gegenüber Mussolini schrittweise einzuengen. Hitler lehnte es bekanntlich von Anfang an kategorisch ab , mit Dollfuß Verhandlungen auf gleicher Augenhöhe zu führen , und begann , seine „maßlose Politik“45 Österreich gegenüber zu formulieren : Rücktritt des Bundeskanzlers und Einrichtung eines Übergangskabinetts , Neuwahlen sowie die Beteiligung der Nationalsozialisten an
werden diese Entwicklung gerne fördern , einerseits im Wege des italienischen Gesandten in Wien , anderseits mit Einbeziehung des ungarischen Ministerpräsidenten.“ Besprechung Bundeskanzler Dollfuß mit ungarischem Gesandten Ambrozy am 16. November 1932 in Wien , AdR , NPA , Ungarn Geheim I / I II , o. Z. , 16. 11. 1932 , ADÖ ( 2009 ) : Bd. 8 , Wien. Nr. 1250 ; Kerekes ( 1966 ), 117–120. 43 „Zusammenfassend wurde der Akzent auf eine Intensivierung der Beziehungen zwischen Italien und Ungarn gelegt , gemeinsam kam man überein , unter Zuhilfenahme wirksamer italienischer Einflussnahme , ein autoritäres Regime in Österreich , fußend auf den beiden Säulen Dollfuß-Heimwehren und der Stärkung der wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Italien , Ungarn und Österreich zu forcieren.“ Suvich ( 1984 ), 101. 44 Binder , Dieter Anton ( 2007 ) : Der Skandal zur „rechten“ Zeit. Die Hirtenberger Waffenaffäre an der Nahtstelle zwischen Innen- und Außenpolitik. In : Gehler , Michael / Sickinger , Hubert ( Hg. ) : Politische Affären und Skandale in Österreich. Von Mayerling bis Waldheim , Innsbruck / Wien / Bozen , 3. Aufl. , 278–292 : 291. Anders die Beurteilung von Siegfried Beer , für den bereits die Hirtenberg-Affäre „als sichtbare Konsequenz den pro-italienischen und damit pro-faschistischen Kurs der Regierung Dollfuß nach innen und nach außen“ einleitete. Beer , Siegfried ( 1984 ) : Der „unmoralische“ Anschluß. Britische Österreichpolitik zwischen Containment und Appeasement 1931–1934 , Wien / Köln / Graz , 175. 45 Binder ( 1980 ), 282.
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der Regierung.46 Anfang März 1933 folgte dann das unrühmliche Ende des demokratischen Parlamentarismus in Österreich ; fast zeitgleich zu den Wahlen im Deutschen Reich vom 5. März , die den Abschluss der Phase der NS-Machtergreifung in Deutschland bedeuteten und in Wien von Großkundgebungen der österreichischen Nationalsozialisten sowie der neuerlichen , ultimativen Forderung nach Rücktritt der Regierung und sofortigen Neuwahlen in Österreich begleitet wurden.47 Dass diese letzte Etappe der nationalsozialistischen Machtergreifung in Deutschland einen mitentscheidenden Faktor für das Einschlagen des autoritären Kurses in Österreich bildete , entsprach auch der Einschätzung des italienischen Gesandten in Wien , Gabriel Preziosi. Den Schritt Dollfuß’ , vorderhand ohne Parlament weiterzuregieren , wertete der Diplomat als direkte Konsequenz der deutschen Wahlen und der darauffolgenden Massendemonstrationen in Österreich.48 Mussolini sah nun den Zeitpunkt für die Realisierung seiner spätestens seit 1927 gehegten Pläne in Bezug auf die österreichische Politik als gekommen an. Für seine politischen Absichten im Hinblick auf Österreich schien unter den gegebenen Umständen die Achse Dollfuß –Heimwehr eine substanzielle Basis zu bieten und er wies seinen Gesandten Preziosi an , sowohl bei Dollfuß als auch bei Starhemberg in Richtung einer Festigung ihrer Kooperation zu wirken.49 Um die politisch unberechenbare Heimwehr auf Kurs zu halten , setzte Mussolini auf eine Art Paralleldiplomatie auf Parteiebene. Als sein persönlicher Vertrauensmann in Österreich fungierte Eugenio Morreale. Dieser war seit 1927 in Wien , arbeitete journalistisch als Korrespondent italienischer Blätter , war zugleich Presseattaché an der italienischen Gesandtschaft und amtierte als direkter Verbindungsmann Mussolinis zur Heimwehr , insbesondere zu Starhemberg , aber auch zu Fey. Morreale empfing seine politischen Aufträge direkt aus Rom , wo er auch um finanzielle Mittel zur Erreichung seiner politischen Ziele ansuchen konnte und einzuberichten hatte.50 Innerhalb der italienischen Gesandtschaft in Wien war Morreale der vehementeste Verteidiger der italienischen Unterstützung für die Unabhängigkeit Österreichs. Dementsprechend war er auch für die deutsche Diplomatie ein explizites 46 Binder , Dieter Anton ( 1976 ) : Dollfuß und Hitler. Über die Außenpolitik des autoritären Ständestaates in den Jahren 1933 / 34. Graz , 114–115 ; Binder , Dieter Anton ( 1983 ) : Der grundlegende Wandel in der österreichischen Außenpolitik 1933. In Geschichte und Gegenwart. Vierteljahresschrift für Zeitgeschichte , Gesellschaftsanalyse und politische Bildung Jg. 2 ( 1983 ) Heft 3 , 226–242 : 231. 47 Stourzh , Gerald ( 1990 ) : Die Außenpolitik der österreichischen Bundesregierung gegenüber der nationalsozialistischen Bedrohung. In : Stourzh / Z aar ( 1990 ), 319–346 : 321. 48 Soppressione di fatto da parte di Dollfuss del Parlamento austriaco , R. 1028 / 561 , Preziosi a Mussolini , 9. 3. 1933 , DDI , VII , 13 , Nr. 189. 49 Rapporti fra Dollfuss e le Heimwehren , T. s. 582 / 72 R. , Mussolini a Preziosi , 4. 4. 1933 , DDI , VII , 13 , Nr. 364. 50 Opportunità di una collaborazione sincera e completa fra Dollfuss e le Heimwehren , L. p. , Jacomoni a Morreale , 4. 4. 1933 , DDI , VII , 13 , Nr. 369. Die Rolle Eugenio Morreales wird auch von Starhemberg in den unterschiedlichen Fassungen seiner Erinnerungen bekräftigt. Eine vergleichbare Funktion , wie sie Morreale in Österreich gegenüber der Heimwehr hatte , übte in Berlin bis zum Sommer 1933 Giuseppe Renzetti aus , der abseits der diplomatischen Vertretung Italiens als persönlicher Vertrauter und Informant Mussolinis zu den deutschen NS-Größen fungierte. Falanga ( 2008 ), 29–36.
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Feindbild. Aus deren Perspektive stellte er eine Belastung für die deutsch-italienischen Beziehungen dar. Er wurde daher nach Abschluss des Juli-Abkommens 1936 von Mussolini aus Wien abgezogen und als Konsul nach Baltimore versetzt.51 Anfang April 1933 erhielt Morreale aus Rom den Auftrag , die Heimwehr im italienischen Sinn auf Linie zu bringen , nachdem sich Dollfuß bei Preziosi über ihre mangelnde Loyalität der Regierung gegenüber beklagt hatte.52 Italienischerseits vertrat man den Standpunkt , dass die Kampagne für die Unabhängigkeit des Landes von der Regierung getragen werden müsste. Die Heimwehr wäre zu schwach , um sich offen der nationalsozialistischen Bewegung entgegenzustellen , befänden sich doch zu viele Anschlussbefürworter in ihren Reihen , so der nüchterne Befund aus dem römischen Außenministerium.53 Mussolini verlangte als Gegenleistung für seine Unterstützung von der Heimwehr , sich uneingeschränkt hinter den Kanzler zu stellen und die Stärkung des österreichischen Staatsgedankens zur politischen Richtschnur zu machen. Zugleich forderte er von Dollfuß ein , der Heimwehr ( u nd damit auch ihm ) politisch entgegenzukommen. Mit den von Dollfuß bis Anfang April 1933 getroffenen Maßnahmen , zu ihnen zählte bereits die am 31. März erfolgte Auflösung des Republikanischen Schutzbundes , zeigte sich Mussolini zufrieden. Es wäre richtig , nicht mehr über Wahlen zu sprechen , wie sie von den Nationalsozialisten dies- und jenseits der Grenze so vehement gefordert wurden , nur – und hier ist Mussolini wieder bei seinem ewigen Thema Österreich betreffend – müsste Dollfuß den Zeitpunkt beschleunigen , um Land und Stadt Wien vom Austromarxismus zu befreien. Im Übrigen äußerte er von sich aus seine Bereitschaft , mit Dollfuß persönlich zusammenzutreffen , sobald die gegenwärtige Krise überwunden wäre.54 Doch angesichts der sich innen- wie außenpolitisch immer dramatischer zuspitzenden Lage entschied sich Dollfuß dafür , nun von sich aus das Gespräch mit Mussolini zu suchen. Am 9. April telegrafierte er nach Rom , sich ehes tens mit dem italienischen Regierungschef aussprechen zu wollen. Im Bewusstsein , dass sein Besuch von der österreichischen Öffentlichkeit heikel aufgenommen werden würde , bildete die Teilnahme an den vatikanischen Osterzeremonien im Heiligen Jahr einen willkommenen äußeren Anlass. Den bilateralen Teil mit Italien wollte der Kanzler „mit möglichst wenig Aufsehen“ durchführen.55 Der eigentliche Auslöser für die kurzfristig anberaumte Reise war allerdings ein in Wien aufgetauchtes Gerücht , wonach einzelne Teile der Heimwehr gemeinsam mit den Nationalsozialisten und mit italienischer Unterstützung einen Putsch beabsichtigten. Umso mehr als sich zur selben Zeit Hermann Göring und Franz von Papen in Rom aufhielten , sah der österreichi51 Morreale , AdIZG , Do 4 / M m–15 , III /25–26. Ebneth , Rudolf ( 1976 ) : Die österreichische Wochenschrift „Der christliche Ständestaat“. Deutsche Emigration in Österreich 1933–1938 , Mainz , 15–16 , 247–275. 52 Rapporti fra Dollfuss e le Heimwehren , T. s. 1223 / 1 16. R. , Preziosi a Mussolini , 29. 3. 1933 , DDI , VII , 13 , Nr. 319. 53 Opportunità di una collaborazione sincera e completa fra Dollfuss e le Heimwehren , L. p. , Jacomoni a Morreale , 4. 4. 1933 , DDI , VII , 13 , Nr. 369. 54 Situazione interna austriaca. Eventualità di un incontro Mussolini-Dollfuss. T. 583 / 73 R. , Mussolini a Preziosi , 4. 4. 1933 , DDI , VII , 13 , Nr. 365. 55 Telegramm Dollfuss an Egger , 9. 4. 1933 , Zl. 21.837–13 / 1933 , ÖSTA / AdR , NPA , Liasse Italien I / I II Geheim.
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sche Kanzler Gefahr im Verzug und wollte sich persönlich Klarheit über die Einstellung Mussolinis Österreich gegenüber verschaffen.56 Am 15. April 1933 kam es zu dem von Dollfuß angestrebten Treffen mit Mussolini und Unterstaatssekretär Fulvio Suvich ( das Amt des Außenministers bekleidete zwischen 1932 und 1936 Mussolini selbst ). Der Besuch verlief für den Bundeskanzler erfreulich. Nicht nur dass sich alle Befürchtungen und Gerüchte im Hinblick auf einen möglichen Schwenk Italiens in der Frage des Verhältnisses zu Deutschland als unbegründet herausstellten , wurde er von Mussolini mit ausgesuchter Freundlichkeit empfangen. Darüber hinaus verstand es Engelbert Dollfuß , auch die persönliche Sympathie des italienischen Regierungschefs zu gewinnen. „Il Dollfuß – malgrado la sua minuscola statura – è un uomo d’ingegno dotato anche di volontà e nell’insieme produce una buona impressione“, resümierte Mussolini seinen Eindruck nach dem Zusammentreffen.57 Er glaubte , in Dollfuß jenen Mann zu erkennen , bei dem er dort anknüpfen konnte , wo er in seinen Bestrebungen mit Schober stecken geblieben war. Der Duce versicherte , dass eine autoritäre Regierung in Österreich , solange sie die Unabhängigkeit des Landes zum Ziel habe , auf seine Hilfe zählen könne , und riet zu einem energischen und konsequenten Vorgehen in der Verfassungsfrage. „Bleiben Sie stark , das österreichische Volk kann auf die Freundschaft und Hilfe Italiens immer rechnen“, versicherte er dem österreichischen Regierungschef zum Abschied.58 Dollfuß konnte Rom erleichtert verlassen. Demgegenüber war das Klima bei den Verhandlungen zwischen der deutschen Delegation und der italienischen Führung durch die gleichzeitige Anwesenheit des österreichischen Kanzlers mit einem Schlag belastet. Mussolini sprach sich Göring gegenüber erneut vehement gegen Neuwahlen in Österreich und eine Einbeziehung der Nationalsozialisten in die Regierung aus. Nach seiner ergebnislosen Rückkehr in Berlin resümierte Göring : „Die unerwartete Ankunft dieses verfluchten Dollfuß in Rom hat die Dinge noch verkompliziert.“59 Dem Treffen zu Ostern folgte ein weiterer Besuch des österreichischen Bundeskanzlers zu Pfingsten in Rom. Den äußeren Rahmen bildete diesmal die Unterzeichnung des Konkordats mit dem Heiligen Stuhl. Das neuerliche persönliche Zusammentreffen zwischen Mussolini und Dollfuß brachte eine Bestätigung des bei der
56 Zu seinen Motiven , sich um den Termin bei Mussolini zu bemühen , äußerte sich Dollfuß einen Tag vor seiner Abreise , am 10. 4. 1933 , im Ministerrat und nach seiner Rückkehr , am 20. 4. 1933 , im Klubvorstand der Christlichsozialen Partei sowie einen Tag später gegenüber dem französischen Gesandten in Wien , Gabriel Puaux. Neck , Rudolf / Wandruszka , Adam ( 1983 ) : Protokolle des Ministerrates der Ersten Republik , Abt. VIII , Bd. 3 , Wien. Nr. 866 / 4 ( 10. 4. 1933 ) ; Goldinger ( 1980 ), 227–228. M. Puaux , Ministre de France à M. Paul-Boncour , Ministre des Affaires Étrangères , T. Zl. 383 à 388 , 21. 4. 1933 , Documents Diplomatiques Français 1932–1939 ( k ünftig DDF ), 1ère Série , Tome III , Paris 1967 , Nr. 158 ; Beer ( 1984 ), 194–195. 57 „Dollfuss ist – trotz seiner kleinen Statur – ein Mann von Begabung und Willenskraft und macht insgesamt einen guten Eindruck.“ Situazione interna austriaca. Anschluss , Appunto , Colloquio Mussolini-Dollfuss , 12. 4. 1933 , DDI , VII , 13 , Nr. 411. 58 Gespräche des H. Bundeskanzlers mit Herrn Mussolini und Herrn Suvich in Rom , 12. und 13. April 1933 , Gesandter Egger an Generalsekretär Peter , 21. 4. 1933 , Zl. 21.967–13 / 33 , ÖSTA / AdR , NPA , Liasse Italien I / I II Geheim. 59 De Felice ( 1974 ), 472 ; vgl. auch : Falanga ( 2008 ), 33.
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ersten Begegnung erzielten Einvernehmens.60 Der Duce ermutigte den österreichischen Kanzler , sowohl gegen die Nationalsozialisten als auch gegen die Sozialdemokraten vorzugehen und bot ihm im Gegenzug Garantien gegen einen durch die Nationalsozialisten beabsichtigten Anschluss an.61 Von Rom nach Wien zurückgekehrt , konnte der österreichische Bundeskanzler gegenüber seinen Parteifreunden berichten , nunmehr „restlos auf die Freundschaft Italiens“ rechnen zu können.62 Immerhin hatte Dollfuß mit der bereits erwähnten Auflösung des Republikanischen Schutzbundes , dem Verbot der Kommunistischen Partei und seinen wiederholten Ankündigungen , den demokratischen Parlamentarismus in seiner bisherigen Form nicht mehr wiedererstehen lassen zu wollen , mehreren langjährigen Forderungen Mussolinis an die österreichische Politik entsprochen. Dennoch wurde Mussolini im Laufe des Frühsommers klar , dass der österreichische Bundeskanzler durch seine hinhaltende Politik nach wie vor bestrebt war , sich nicht ausschließlich der italienischen Option auszuliefern : Dies betraf seine wiederholten Versuche , allen Schwierigkeiten zum Trotz mit dem nationalsozialistischen Deutschland ins Gespräch zu kommen , genauso wie sein mit Rücksicht auf die Westmächte und die Kleine Entente abwartendes Verhalten gegenüber der Sozialdemokratie. Italienischerseits hätte man schon zu diesem Zeitpunkt gerne ein gewaltsames Vorgehen gegen die Sozialisten gesehen.63 Gegenüber dem französischen Gesandten in Wien , Gabriel Puaux , brachte Dollfuß Mitte Mai sein Dilemma auf den Punkt : Faites bien comprendre à Paris qu’il m’est difficile de gouverner si , dans cette petite Autriche divisée , chaque parti se place sous la protection d’un état étranger et le fait intervenir sans cesse dans notre vie publique : l’Allemagne pour les nazis , l’Italie pour les Heimwehren , et la Tchécoslovaquie et la France pour les socialistes.
Nicht minder pointiert fiel die trockene Replik des französischen Diplomaten gegenüber dem Bundeskanzler aus : „J’espère [ … ] que vous tenez le même langage à mon collègue italien.“64 Zusätzlich erschwert wurde die Situation für Dollfuß dadurch , dass sich spätestens im Laufe des Frühjahrs 1933 Differenzen zwischen Italien und Ungarn im Hinblick auf Österreich zu zeigen begannen , schwebte doch Gömbös vor , Deutschland in die60 Inhalt der Unterredung des H. Bundeskanzlers mit Herrn Mussolini in Rom am 3. und 5. Juni 1933 , Amtserinnerung , 13. 6. 1933 , Zl. 22.966–13 / 1933 , ÖSTA / AdR , NPA , Liasse Italien I / I II Geheim ; Colloquio con Dollfus circa la sua recente visita a Roma e l’eventuale scioglimento del partito nazista austriaco , T. 2517 /223 R. , Preziosi a Mussolini , 7. 6. 1933 , DDI , VII , 13 , Nr. 774. 61 De Felice ( 1974 ), 474. 62 So Dollfuß in der Sitzung des Klubvorstandes der Christlichsozialen Partei vom 22. Juni 1933. Goldinger ( 1980 ), 252. 63 Beer ( 1984 ), 200 ( F N 200 ). 64 Dollfuß : „Geben Sie Paris zu verstehen , dass mir das Regieren nicht leicht fällt , wenn sich in diesem geteilten Österreich jede Partei unter die Obhut eines ausländischen Staates stellt und diesen in unser öffentliches Leben ständig intervenieren lässt : Deutschland für die Nazis , Italien für die Heimwehren und die Tschechoslowakei und Frankreich für die Sozialisten.“ Puaux : „Ich hoffe [ … ] dass Sie mit meinem italienischen Kollegen genauso reden.“ M. Puaux , Ministre de France à M. Paul-Boncour , Ministre des Affaires Étrangères , T. Zl. 465 à 468 , 19. 5. 1933 , DDF , 1 , III , Nr. 298.
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se Kombination mit einzubeziehen , wenn es sein musste , auf Kosten Österreichs. Diese Entwicklung , die der österreichischen Diplomatie nicht verborgen blieb , sorgte auch in weiterer Folge wiederholt für Irritationen bei Dollfuß , beispielsweise anlässlich des überraschenden Besuchs von Gombös bei Hitler in Berlin im Juni 1933.65 Dollfuß war sich – in durchaus realistischer Einschätzung seines italienischen Gegenübers – alles andere als sicher , ob der Duce im Falle einer Verständigung mit der Sozialdemokratie noch länger bereit sein würde , seine schützende Hand über die österreichische Regierung zu halten.66 In seinem Ende Juni 1933 verfassten Abschlussbericht teilte , ja verstärkte der scheidende britische Gesandte Eric Phipps die Befürchtungen des österreichischen Bundeskanzlers : [ Dollfuß ] must resist the siren-like Socialist appeals for a ‘black-red’ coalition or collabora tion , even though those appeals may reach him through echoes of the honest Federal President and the holy and guileless Cardinal Archbishop. Any serious flirtation with the hated Marxists would cause Dr. Dollfuß’ speedy downfall , for not only would it split his party , but it would cost him the loss of Italian support.67
3.4 Juli 1933 bis März 1934 : Massive Einflussnahme Mussolinis auf die österreichische Politik Anfang Juli begann Mussolini , seinen Druck auf Dollfuß schrittweise zu erhöhen. In einem Brief vom 1. Juli forderte er Dollfuß auf , „[ … ] di svolgere un programma di effettive sostanziali riforme interne in senso decisamente fascista”.68 Die Regierung sollte , so setzte er fort , bei ihrem Verfassungsvorhaben auf die Sozialdemokratie keine Rücksicht nehmen , da diese angesichts der nationalsozialistischen Bedrohung nolens volens ohnedies genötigt sein werde , dem zuzustimmen , was die Regierung vorlege. In seiner Antwort vom 22. Juli strich Dollfuß sein Bemühen hervor , Vorbereitungen zur Errichtung eines „straffen Autoritätsregimes“ zu treffen , blieb dabei aber vage und unbestimmt. Er 65 Österreichischerseits war man über den Besuch in keiner Weise vorinformiert worden. Außerdem empfand man es als aufreizend , dass Gömbös während seines Aufenthalts auch mit Theo Habicht zusammenkam. Dollfuß spekulierte gegenüber dem italienischen Gesandten wie auch gegenüber dem Vertreter des Finanzkomitees des Völkerbundes in Wien , Rost van Tonningen , offen , man hätte in Berlin über eine Aufteilung Österreichs im Falle einer nationalsozialistischen Machtübernahme gesprochen , wobei das Burgenland Ungarn zufallen würde. Als Reaktion lud er umgehend Gömbös zu einem Österreichbesuch ein , der von 9.–10. Juli 1933 in Wien stattfand. Reazioni in Austria al recente viaggio di Gömbös a Berlino , L. p. , XLV , Morreale a Jacomoni , 21. 6. 1933 , DDI , , VII , 13 , Nr. 876 ; Preoccupazioni di Dollfuss per il contegno dell’Ungheria , T. rr. 2861 /250 R. , Preziosi a Mussolini , 27. 6. 1933 , DDI , VII , 13 , Nr. 891 ; Enclosure , Note by Mr. Sargent , o.Z. , 29. 6. 1933 , Documents on British Foreign Policy 1919–1939 ( k ünftig DBFP ), Second Series , Vol. V , London 1956 , Nr. 233. 66 Enclosure , Note by Mr. Sargent , o.Z. , 29. 6. 1933 , DBFP , 2 , V , Nr. 233. 67 Beer ( 1984 ), 209. 68 „[ … ] ein Programm von effektiven und wesentlichen internen Reformen in entschieden faschis tischem Sinne durchzuführen.“ Situazione interna in Austria. Opportunità di più stretti legami tra Austria e Ungheria , L. p. , Mussolini a Dollfuss , 1. 7. 1933 , DDI , VII , 13 , Nr. 923 ; Schreiben Mussolini an Dollfuß , 1. 7. 1933 , o. Z. , fol. 572–583 , ÖSTA / AdR , NPA , Liasse Italien I / I II Geheim , 1933–1934 ; Maderthaner / Maier ( 2004 ), 23–27.
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erwähnte seine Bemühungen bei der Errichtung der Vaterländlichen Front als überparteilichen Zusammenschluss , basierend auf dem Führerprinzip , und die Ernennung des früheren Bundeskanzlers Otto Ender zum Verfassungsminister.69 Dass gerade letztere Personalentscheidung bei Mussolini auf besondere Sympathie gestoßen ist , darf angesichts der nicht gerade italienfreundlichen Linie Enders als Bundeskanzler zwei Jahre zuvor dahingestellt bleiben. Er galt wie der frühere Bundeskanzler und nunmehrige Finanzminister Karl Buresch sowie der Parteiobmann der Christlichsozialen und langjährige Heeresminister Carl Vaugoin den Italienern als Vertreter des alten , verbrauchten Parteiensystems. Alle drei waren nach italienischer Lesart nicht geeignet , den nach außen erforderlichen Erneuerungswillen zu verkörpern.70 Der italienische Gesandte Preziosi beschrieb Ender als „[ … ] un cristiano-sociale invasato da idee ultra democratiche , ma passato ultimamente a concezioni fasciste“.71 Immer wieder versuchte zeitgleich die deutsche Führung , Italien mit Schalmeientönen von seiner proösterreichischen Haltung abzubringen. So betonte Hermann Göring in einem Gespräch mit dem italienischen Botschafter in Berlin am 17. Juli 1933 , weder er noch Hitler würden einen Anschluss ohne die Zustimmung Italiens wollen , doch wünsche man sich italienischerseits Neutralität in der Österreichfrage und keine Unterstützung für Dollfuß. Göring sprach offen aus , dass der österreichische Bundeskanzler spätestens im Frühjahr 1934 einer nationalsozialistischen Revolution würde weichen müssen , und fügte möglicherweise in Anspielung auf die Südtirolfrage kryptisch hinzu , es werde nach dem Sturz von Dollfuß das eintreten , was die Italiener wollten und die Deutschen noch nicht öffentlich aussprechen könnten.72 Doch hielt die italienische Diplomatie an ihrem Kurs fest. Suvich machte gegenüber den Westmächten deutlich , dass Italien eine gewaltsame Aktion Hitler-Deutschlands gegenüber Österreich mit militärischen Mitteln beantworten würde.73 Und Berlin ließ Mussolini durch seinen Botschafter Vittorio Cerutti unmissverständlich wissen , dass die terroristischen Tätigkeiten der österreichischen Nationalsozialisten in krassem Widerspruch zu allen Versicherungen stünden , wonach Deutschland den Anschluss nicht anstrebe.74 Als Mussolini Ende Juli 1933 in Rom mit Gömbös zu Gesprächen zusammentraf , monierte er im Hinblick auf Österreich , dass Dollfuß schon seit Monaten die Einführung der neuen Verfassung verspreche , ohne dass etwas geschehen sei. Außerdem hätte er auch gegenüber der österreichischen Linken nicht den richtigen Ton angeschlagen , weshalb von der Bezwingung der österreichischen Marxisten nunmehr noch weniger die 69 Schreiben Mussolini an Dollfuß , 1. 7. 1933 , o. Z. , fol. 572–583 , ÖSTA / AdR , NPA , Liasse Italien I / I II Geheim , 1933–1934 ; Riforma della costituzione austriaca in senso corporativo e autoritario. Situazione politica interna. Rapporti dell’Austria con l’Italia e l’Ungheria , L. p. , Dollfuß a Mussolini , 20. 7. 1933 , DDI , VII , 14 , Nr. 9 , es ist nicht nachvollziehbar , weshalb das Schreiben in den DDI mit 20. 7. 1933 datiert ist ; Maderthaner / Maier ( 2004 ), 30–36. 70 Schmölzer ( 1996 ), 122–124. 71 „[ … ] ein Christlichsozialer , durchsetzt von ultrademokratischen Ideen , aber schließlich für faschistische Konzepte offen.“ Nascita di vari movimenti politici in Austria , R. r. 2839 / 1 493 , Preziosi a Mussolini , 10. 7. 1933 , DDI , VII ,13 , Nr. 966. 72 Lungo colloquio con Göring circa il disarmo , la situazione interna tedesca e la questione austriaca , Zl. 3174 / 498 R. , Cerutti a Mussolini , 17. 7. 1933 , DDI , VII , 14 , Nr. 2. 73 Beer ( 1984 ), 213–214. 74 Falanga ( 2008 ), 37.
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Rede sein könne als vor einem Jahr. Man verständigte sich darauf , von Dollfuß ein energischeres Auftreten gegenüber der linken Opposition zu verlangen. Dazu kam , dass die diplomatischen Schritte des österreichischen Kanzlers , Ende Juli neben Italien auch an Großbritannien und Frankreich mit dem Ersuchen heranzutreten , die österreichische Souveränität gegenüber dem Deutschen Reich zu gewährleisten , in Italien als Versuch , sich nicht zu sehr an den südlichen Nachbarn zu binden , negativ registriert wurden.75 Gelegenheit , um mit dem österreichischen Kanzler Klartext zu sprechen , sollte sich bald bieten. Denn als sich Mitte August in Wien wieder einmal Gerüchte über einen bevorstehenden Nazi-Putsch verdichteten , wollte sich Dollfuß neuerlich persönliche Rü��� ckendeckung bei Mussolini holen. Schon seit Ende Juli liefen auf diplomatischer Ebene Gespräche über ein neuerliches Zusammentreffen , nun fand sich Mussolini binnen nur weniger Tage zu einem solchen in Riccione an der italienischen Adriaküste bereit , wo er sich über das Wochenende zur Erholung aufhielt.76 Die Gespräche am 19. und 20. August fanden zwar nach außen hin wiederum in einer betont freundschaftlichen Atmosphäre statt , doch bei den politischen Beratungen redeten Mussolini und sein Unterstaatssekretär Fulvio Suvich diesmal mit dem österreichischen Kanzler in einem weitaus ultimativeren Ton als bei den ersten beiden Treffen in Rom. Schon optisch wurde deutlich , wer das Sagen hatte : Am Lido von Riccione posierte der Duce – ganz im Stil der virilen Selbstinszenierung seiner Person durch die faschistische Propaganda – kraftstrotzend in der Badehose und mit nacktem Oberkörper. Daneben stand , etwas verloren , der schmächtige Kanzler in seinem Sommeranzug mit Krawatte und Hut.77 „Nous avons donné une petite injection a Monsieur Dollfuß.“78 So formulierte es Suvich nachträglich gegenüber seinen ungarischen Verbündeten. Zwar versicherten Mussolini und sein Unterstaatssekretär dem österreichischen Bundeskanzler weiterhin ihre Unterstützung in der Erhaltung der österreichischen Unabhängigkeit gegenüber HitlerDeutschland , doch junktimierten sie diese ziemlich unverblümt mit einem detaillierten Forderungskatalog.79 Die Verfassungsreform sollte noch im September fertiggestellt werden. Anstelle der sozialdemokratischen Stadtregierung sollte in Wien ein Regierungskommissär eingesetzt werden. Weiters urgierte Mussolini eine Regierungsumbildung. Die dem italienischen Kurs ablehnend gegenüberstehenden Landbundminister sollten Repräsen75 De Felice ( 1974 ), 480. 76 Zu den Umständen des Zustandekommens des Treffens in Riccione vgl. zusammenfassend : Enderle ( 1979 ), 94–97. 77 Was das gute zwischenmenschliche Einvernehmen zwischen Dollfuß und Mussolini betrifft , so bestätigte Eugenio Morreale , dass der Kanzler – genauso wie Starhemberg – zwar Mussolinis persönliche Sympathie besaß , schränkt aber ein , dass diesem Umstand keine weitergehende Bedeutung beizumessen war. Morreale , AdIZG , Do 4 / M m –15 , II /20. Aufschlussreich in diesem Zusammenhang ist , dass die Einladung Mussolinis an die Familie von Dollfuß , den Sommerurlaub 1934 als seine Gäste in Italien zu verbringen , nicht von diesem ausging , sondern über das Ersuchen von Dollfuß hin erfolgte , um auf diese Art „den Eindruck persönlicher Intimität“ zu suggerieren. Schmölzer ( 1996 ), 101. 78 „Wir haben Herrn Dollfuß eine kleine Injektion verpasst.“ Kerekes ( 1966 ), 158. 79 Entrevue Bundeskanzler Dollfuß-Mussolini in Riccione ( 19. und 20. August d. J. ), Amtserinnerung , Zl. 24.456–13 / 1933 , ÖSTA / AdR , NPA , Liasse Italien I / I II Geheim , 1933–1934 ; vgl. dazu auch : Maderthaner / Maier ( 2004 ) : 39–44.
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tanten der Heimwehr weichen. Die Regierung sollte in ihrem Erscheinungsbild einen betont diktatorischen Charakter annehmen und der Kanzler eine Vereinigung aller patriotischen Kräfte unter dem Dach der Vaterländischen Front ankündigen. Als Startschuss für all diese Maßnahmen sollte eine große programmatische Rede Dollfuß’ dienen , die der Kanzler am 11. September 1933 im Rahmen einer Veranstaltung der Vaterländischen Front am Rande des Katholikentages vor mehreren Zehntausend Zuhörern hielt. Er unterstrich dabei seine Ablehnung des demokratischen Parlamentarismus und erklärte , dass „die Zeit marxistischer Volksführung und Volksverführung“ genauso vorüber sei wie jene „der Parteienherrschaft“. Er strebe , so Dollfuß , „[ … ] den sozialen , christlichen , deutschen Staat Österreich auf ständischer Grundlage , unter starker autoritärer Führung“ an.80 Obwohl Dollfuß bei seinen Ankündigungen wieder relativ allgemein geblieben war , zeigte sich Mussolini zufrieden. In einer Unterredung mit dem Leiter der handelspolitischen Sektion im Außenministerium , Dr. Richard Schüller , den Mussolini seit Jahren als besonderen Verbindungsmann in allen österreichischen Angelegenheiten schätzte ,81 verlieh er seiner Befriedigung über die sogenannte Trabrennplatzrede Ausdruck. Er erklärte , die von Dollfuß verkündeten Grundsätze seien gesund und entsprächen der Zeit. Zugleich konzedierte er , dass die Verfassung in jedem Staat anders sein müsse , je nach seiner Geschichte und seinen Verhältnissen.82 Noch einige Tage vor der Trabrennplatzrede Dollfuß’ hatte sich Mussolini in Rom mit Ernst Rüdiger Starhemberg getroffen. Dabei wurde eine Richtschnur für das Agieren der Heimwehr festgelegt , die in großen Zügen tatsächlich bis in das Frühjahr 1934 Geltung behalten sollte. Starhemberg verpflichtete sich gegenüber Mussolini , mit der Heimwehr nicht nur in die Vaterländische Front einzutreten , sondern dort genauso wie in der Regierung den Führungsanspruch von Dollfuß zu akzeptieren. Voraussetzung dafür war aber die Entfernung der Landbundminister Franz Winkler und Vinzenz Schumy aus dem Kabinett. Zwischenzeitlich sollte die Heimwehr zwar die Regierung unterstützen , aber ihren eigenen Kurs als Gegengewicht zu den noch verbliebenen demokratischen Kräften innerhalb des Regierungslagers aufrechterhalten : „Le Heimwehren esercitano una continua pressione sul Governo Dollfuß perché si indirizzi sempre più verso una politica dittatoriale e di carattere fascista.“83 Was die Person Starhembergs selbst betraf , so wurde ver80 Die sogenannte Trabrennplatzrede des Bundeskanzlers ist publiziert in : Weber , Edmund ( Hg. ) ( 1935 ) : Dollfuß an Österreich. Eines Mannes Wort und Ziel ( Berichte zur Kultur- und Zeitgeschichte , 10. Sonderschrift ), Wien / L eipzig , 19–45 : 31–33. 81 Zur Person Richard Schüllers und zu dessen besonderer Vertrauensstellung zu Mussolini vgl. : Weissensteiner , Friedrich ( 1980 ) : Sektionschef Dr. Richard Schüller und die Wirtschaftspolitik der Ersten Österreichischen Republik. In : Österreich in Geschichte und Literatur Jg. 24 ( 1980 ) Heft 4 , 217–237 : 227–231 ; Nautz ( 1990 ), 146–157 ; Enderle-Burcel , Gertrude / Follner , Michaela ( 1997 ) : Diener vieler Herren. Biographisches Handbuch der Sektionschefs der Ersten Republik und des Jahres 1945 , Wien , 423–424. 82 Gesandter Dr. Schüller , Unterredung mit Herrn Mussolini in Rom , 15. 9. 1933 , Zl. 25.131–13 / 1933 , ÖSTA / AdR , NPA , Liasse Italien I / I II Geheim , 1933–1934. 83 „Die Heimwehren üben einen kontinuierlichen Druck auf die Regierung Dollfuß aus , um sie immer mehr in Richtung einer diktatorischen und faschistischen Politik zu drängen.“ Atteggiamento delle Heimwehren nei confronti del Governo Dollfuß , Colloquio Mussolini-Starhemberg , Appunto , o.Z. , 6. 9. 1933 , DDI , VII , 14 , Nr. 154.
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einbart , dass dieser in die Regierung in der Nachfolge Winklers als Vizekanzler eintreten solle , allerdings erst zum Zeitpunkt der Inkraftsetzung der neuen Verfassung. Bis dahin sollten andere Vertreter der Heimwehr die frei werdenden Regierungsämter einnehmen. Dementsprechend wandte sich Mussolini am 9. September , unmittelbar nach seinen mit Starhemberg getroffenen Festlegungen , nochmals brieflich an Dollfuß. Er wiederholte , dass es gelingen würde , zahlreiche Nationalsozialisten von der Regierung zu überzeugen , würde nur der „Weg der Faschisierung des Staates“ entschieden genug eingeschlagen werden. Dabei bezog er sich auf die in Riccione besprochene Regierungsumbildung und verlangte neuerlich explizit die Abberufung der beiden Landbundminister Winkler und Schumy.84 Diesmal entsprach Dollfuß den personellen Wünschen seines italienischen Mentors. Bei der kurz darauf erfolgenden Regierungsumbildung am 21. September 1933 entfernte Dollfuß allerdings nicht nur Winkler und Schumy , sondern zur allgemeinen Überraschung auch Verteidigungsminister Vaugoin aus der Regierung , was ebenfalls als Signal Italien gegenüber interpretiert werden kann. Das Amt des Vizekanzlers ging vom Landbund auf die Heimwehr in der Person von Emil Fey über. Ins Sozialministerium zog Richard Schmitz als Ressortchef ein. Damit war auch personell ein deutlicher Schwenk in Richtung einer autoritären Regierung vollzogen. Unterstaatssekretär Suvich begründete gegenüber dem britischen Botschafter in Rom die Regierungsumbildung damit , „[ … ] that Herr Dollfuß had been compelled to change the form of government in order to take the wind out of Nazi sails. Nazi movement attracted the youth of Austria against old political parties but Herr Dollfuß would now offer counter attraction of his own movement.“85 Doch in der Mussolini am meisten im Hinblick auf die inneren Verhältnisse Österreichs interessierenden Frage , nämlich jene der endgültigen Ausschaltung der Sozialdemokratie , blieb Dollfuß weiterhin zögerlich.86 84 Situazione interna in Austria e rapporti delle Heimwehren con il Governo di Dollfuß. L. p. Mussolini a Dollfuß , 9. 9. 1933 , DDI , VII , 14 , Nr. 162 ; Maderthaner / Maier ( 2004 ), 46–47. Schon in der zusammenfassenden Gesprächsnotiz über die Verhandlungen in Riccione , verfasst von dem Dollfuß begleitenden Gesandten Theodor Hornbostel , heißt es : „Hinsichtlich der Innen-Politik versuchten die italienischen Herren [ gemeint sind Mussolini und Suvich , Anm. d. A. ] [ … ] eine Pression auf den Herrn Bundeskanzler im Sinne einer stärkeren Beteiligung der Heimwehren auszuüben. Der Herr Bundeskanzler ist diesen Versuchen jedoch mit Erfolg ausgewichen.“ Entrevue Bundeskanzler Dollfuß-Mussolini in Riccione am 19. und 20. August d. J. , Amtserinnerung , Zl. 24.456–13 / 1933 , ÖSTA / AdR , NPA , Liasse Italien I / I II Geheim , 1933–1934. Der Diplomat Theodor Hornbostel , der im Gegensatz zu Dollfuß fließend italienisch sprach , begleitete den Kanzler seit 1932 auf den meisten seiner Auslandsreisen , vor allem auf jenen nach Italien. Im April 1933 wurde er von Dollfuß zum Leiter der Politischen Abteilung im Außenamt ernannt. Dörner , Christian / Dörner-Fazeny , Barbara ( 2006 ) : Theodor von Hornbostel , 1889–1973 , Wien / Köln / Weimar , 53 , 62. 85 Sir R. Graham to Sir J. Simon , No. 274 , Telegraphic , Zl. C 8422 /2092 / 3 , 22. 9. 1933 , DBFP , 2 , V , Nr. 405. 86 Der britische Gesandte Walford Selby schätzte die Haltung des Bundeskanzlers gegenüber den Sozialisten Mitte Oktober 1933 folgendermaßen ein : „[ Dollfuß ] led me to understand that , while he was himself strongly anti-Marxist , he did not intend to push measures against the Socialists to any extremes. Were they , however , to attempt to agitate against him through their foreign connextions , or to make difficulties for him in Austria , he would take all necessary steps to meet the agitation , in the same way as he was doing against the Nazis. He intended to maintain order at all costs and this must be clearly understood in Austria and outside.“ Beer ( 1984 ), 258.
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Genau dies prägte auch immer mehr das Dollfuß-Bild der mit Österreich befassten italienischen Diplomaten. So beschrieb der italienische Gesandte in Budapest , Ascanio Colonna , Anfang Dezember 1933 gegenüber Mussolini das Agieren Dollfuß’ als zaudernd und unentschlossen. Er vermutete , der österreichische Bundeskanzler würde nach anderen Wegen als den zuletzt mit dem Duce vereinbarten suchen , womit er offenbar auf die vorsichtigen Sondierungen vonseiten Dollfuß’ in Richtung der Möglichkeit einer direkten österreichisch-deutschen Verständigung anspielte.87 Innerhalb der italienischen Führung war die Unzufriedenheit Mussolinis über den in seinen Augen schleppenden Fortgang der Dinge in Österreich bekannt. Intern äußerte sich Mussolini Anfang 1934 über Dollfuß , dieser hätte die Mentalität eines k. u. k. Beamten , nötig sei jedoch eine Bluttransfusion der faschistischen Art.88 Spätestens seit Ende November / A nfang Dezember 1933 stand die Erwiderung der Besuche von Dollfuß in Italien durch Unterstaatssekretär Suvich im Raum. Als dieser einen Besuch in Berlin für Mitte Dezember vorbereitete , sorgte dies am Ballhausplatz für Irritationen. Von österreichischer Seite drängte man daraufhin auf einen Besuch auch in Wien , als Termin dafür wurde die Zeit von 18. bis 20. Jänner 1934 in Aussicht genommen. Der Besuch des Unterstaatsekretärs fiel mitten in die neue Terrorwelle der Nazis , die in ihrer Intensität alles bisher da gewesene übertraf.89 Vor dem Hintergrund eines Landes , das sich augenscheinlich im Ausnahmezustand befand , setzte Suvich dem Bundeskanzler neuerlich den Unmut Italiens über den aus Sicht des Nachbarn schleppenden Fortgang der inneren Umgestaltung Österreichs auseinander. Weder sei es bisher zur Auflösung der politischen Parteien noch zur Fertigstellung der Verfassungsreform gekommen , geschweige denn , dass in Wien die sozialdemokratische Stadtregierung durch einen kommissarischen Leiter ersetzt worden sei. Der italienische Unterstaatssekretär machte Dollfuß gegenüber deutlich , dass das italienische Vertrauen ihm gegenüber im Vergleich zur ersten Jahreshälfte 1933 , als man in ihm den Mann sah , der energisch die Neugestaltung der politischen Verhältnisse angehen würde , einer kritischeren Sichtweise gewichen sei.90 Der Kanzler versuchte , noch einmal auf die italienischen Vorhaltungen ausweichend zu reagieren. Bemerkenswert war jedenfalls seine diesbezügliche Argumentation gegenüber Suvich. Man müsse vermeiden , so Dollfuß , dass bei einer gleichzeitigen Auflösung der sozialdemokratischen Gemeindeadministration in Wien und der Sozialdemokratischen Partei deren Parteigänger zu den Nazis überlaufen würden. Damit unterschied sich Dollfuß diametral von der italienischen Einschätzung , wonach ein entschlossener Schlag gegen die sozialdemokratische Führung die Attraktivität der Regierung gerade gegenüber der großen Zahl der Indifferenten steigern würde. Dollfuß sollte Recht behalten. 87 Impressioni riportate da Gömbös nella sua visita a Vienna circa la situazione interna ed estera dell’Austria , Zl. 4770 / 1 1062 / 1876 R. , Colonna a Mussolini , 2. 12. 1933 , DDI , VII , 14 , Nr. 435. 88 Petersen ( 1973 ), 285. 89 Wohnout , Helmut ( 2004 ) : Dreieck der Gewalt. Etappen des nationalsozialistischen Terrors in Österreich 1932–1934. In : Schefbeck , Günther ( 2004 ) : Österreich 1934. Vorgeschichte – Ereignisse – Wirkungen , Wien / München , 78–90 : 87–88. 90 Suvich ( 1984 ), 264–271.
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Der Besuch des italienischen Unterstaatssekretärs verlief vordergründig in einer freundschaftlichen Atmosphäre , umso mehr als Suvich jener Richtung der italienischen Außenpolitik zuzuzählen war , die – insbesondere seit der nationalsozialistischen Machtübernahme in Deutschland – strikt für die Aufrechterhaltung der österreichischen Unabhängigkeit eintrat.91 Doch sparte der italienische Unterstaatssekretär nicht mit mehr oder minder unverhohlenen Drohungen , sollten die von Italien gewünschten innenpolitischen Maßnahmen nicht binnen kurzer Zeit gesetzt werden. Vor allem seine Gespräche mit Fey und Starhemberg sollten Dollfuß warnend signalisieren , dass Italien auch andere innerösterreichische Optionen offenstanden. Zum Abschluss seines Aufenthalts in Wien traf Suvich mit den Gesandten Großbritanniens und Frankreichs zusammen , um mit ihnen im Lichte seiner Beratungen mit der österreichischen Regierungsspitze die politische Lage im Land zu erörtern. In den getrennt stattgefundenen Begegnungen ließ er gegenüber beiden keinen Zweifel mehr darüber aufkommen , dass Italien , das die Hauptlast in der Aufrechterhaltung der österreichischen Unabhängigkeit gegenüber Hitler trage , entschlossen sei , innenpolitisch den Kurs vorzugeben. Dem französischen Gesandten war danach klar , dass Suvich den italienischen Druck auf Dollfuß im Zusammenspiel mit der Heimwehr trotz des hinhaltenden Widerstands des Kanzlers nochmals erhöht hatte.92 Sein britischer Kollege telegrafierte nach der Zusammenkunft an das Foreign Office : „Suvich regarded the present political system as out of date. It must be ‘renovated’ and a new basis found.“93 Zurückgekehrt nach Rom fasste Suvich , nachdem er Mussolini Bericht erstattet und mit dem Duce das weitere Vorgehen akkordiert hatte , nochmals die italienischen Forderungen gegenüber Dollfuß brieflich in einer ultimativen Form zusammen : [ … ] lotta contro il marxismo – riforma della costituzione in senso antiparlamentare e corporativo – abolizione dei partiti e rafforzamento del fronte patriottico ; che il momento per procedere a questa opera più decisa pareva non possa essere ulteriormente dilazionato. [ … ] occorre però che [ … ] Ella , signor Cancelliere , compia qualcuno degli atti che da Lei si aspettano conformemente agli accordi di Riccione.94 91 Suvich ( 1984 ), 269. 92 M. Puaux , Ministre de France à M. Paul-Boncour , Ministre des Affaires Étrangères , T. Zl. 64 à 71 , 20. 1. 1934 , DDF , 1 , V , Nr. 246. 93 Sir W. Selby to Sir J. Simon , No. 9 Telegraphic , R 388 / 37 / 3 , 20. 1. 1934 , DBFP , 2 , VI , Nr. 194. Im Auftrag des Foreign Offfice bemühte sich der britische Botschafter in Rom , Eric Drummond , nach der Rückkehr Suvichs um eine Interpretation dieser Bemerkung. Er fasste seine Eindrücke in vier Punkten zusammen : Unabhängigkeit als deutscher Staat in Mitteleuropa , Formung einer von der Jugend getragenen Bewegung zur Bekämpfung der NS-Propaganda , Einführung der neuen Verfassung und Beseitigung der sozialistischen Herrschaft in Wien , wobei der letzte Punkt nach Einschätzung des britischen Botschafters Suvich am vordringlichsten schien. Beer ( 1984 ), 280–281. 94 „[ … ] den Kampf gegen den Marxismus , die Reform der Verfassung in einem antiparlamentarischen und korporativen Sinn , die Beseitigung der Parteien und die Stärkung der Vaterländischen Front ; schließlich , dass der Augenblick , um dieses entschiedene Werk in Angriff zu nehmen , nicht weiter hinausgeschoben werden könne. [ … ] es erweist sich aber als nötig , dass Sie , Herr Bundeskanzler , [ … ] eine der Handlungen vollführen , die von Ihnen im Einklang mit den Vereinbarungen von Riccione erwartet werden.“ Intenzione di Mussolini di appoggiare fino in fondo l’indipendenza dell’Austria purché Dollfuss prenda decise provvedimenti contro il marxismo oltre che contro il na-
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Geradezu erfreut fiel die italienische Reaktion auf Ausbruch und Verlauf der bewaffneten Kampfhandlungen zwischen der Staatsmacht bzw. der Heimwehr und der Sozialdemokratie am 12. Februar aus. Am 14. Februar sprach Unterstaatssekretär Suvich von einer „glänzenden Kraftprobe“,95 die die Bundesregierung abgegeben habe , und einen Tag später meinte er gegenüber dem amerikanischen Botschafter in Rom , Breckinridge Long , dass eine „heilsame Entwicklung“96 in Österreich stattfände. Er gab sich der Illusion hin , dass sich die Nazis vom Durchgreifen der Regierung gegenüber der Sozialdemokratie beeindrucken lassen würden und auch Mussolini glaubte , Dollfuß’ energisches Auftreten hätte den Nationalsozialisten das Argument , der Kanzler wage nichts gegen die Linke zu unternehmen , aus der Hand geschlagen. Bereits einen Schritt weiter , zumindest im privaten Gespräch , ging Mussolinis Verbindungsmann in Wien , Eugenio Morreale. Bei einem Mittagessen mit dem Vertreter des Völkerbundes in Wien , Rost van Tonningen , sprach er am 16. Februar davon , dass nun , da die Sozialdemokratie aufgelöst sei , auch die anderen Parteien , inklusive der Christlichsozialen , verschwinden müssten.97 Nach dem Ende der Kämpfe richtete Mussolini durch seinen Botschafter in Berlin Außenminister Neurath expressis verbis aus , dass Rom in Österreich keine nationalsozialistische Regierung dulde , würde dies doch einen De-facto-Anschluss bedeuten. Schon die Existenz eines Reichsbeauftragten für Österreich stelle einen Anschlag auf die österreichische Unabhängigkeit dar.98 Einen Tag später , am 17. Februar 1934 , demselben Tag , an dem Italien gemeinsam mit Frankreich und Großbritannien die österreichische Unabhängigkeit Österreichs bekräftigt hatte , ließ der Duce Dollfuß wissen : Er möge sich nicht durch die Proteste sinistrer europäischer Kreise , gemeint waren damit offensichtlich die westlichen Demokratien , beeindrucken lassen. Zugleich drängte er aber nochmals darauf , rasch den neuen Staat auf ständischer Basis zu realisieren , und fügte hinzu , dass diese innere Erneuerung fundamental wichtig sei , auch was die äußere Situation der Unabhängigkeit Österreichs betreffe.99 Letzteres konnte durchaus als Junktim verstanden werden , wonach die weitere Unterstützung der österreichischen Unabhängigkeit an die wunschgemäße Umsetzung der italienischerseits gesetzten Rahmenbedingungen im Hinblick auf die neue Verfassung zu sehen war. zionalsocialismo , Suvich a Dollfuss , L. confidenziale strettamente personale 902 , 26. 1. 1934 , DDI , VII , 14 , Nr. 618 ; Unterstaatssekretär Suvich , Privatschreiben an Herrn Bundeskanzler über seine Eindrü������� cke in Wien , 26. 1. 1934 , Zl. 50.769–13 / 1934 , ÖSTA / AdR , NPA , Liasse Italien I / I II Geheim , 1933–1934 ; Maderthaner / Maier ( 2004 ), 58–61 ; Suvich ( 1984 ), 272–273 ( h ier wird eine gekürzte Wiedergabe des Schreibens abgedruckt ). 95 Telegramm Nr. 17 , Rintelen an Außenamt , 14. 2. 1934 , ÖSTA / AdR , NPA , Ges. Rom Quirinal , Telegramme nach Wien 1927–1938. 96 “According to Suvich Italy considers it a very salutary movement [ … ]” Telgramm 2–28 , Breckinridge Long an Secretary of State Cordell Hull , 15. 2. 1934 , Zl. 863.00 / 864 , National Archives , Washington D. C. , Record Group 59 : General Records of the Department of State , 1930–1939. 97 Berger , Peter ( 2000 ) : Im Schatten der Diktatur. Die Finanzdiplomatie des Vertreters des Völkerbundes in Österreich , Meinoud Marinus Rost van Tonningen 1931–1936 , Wien / Köln / Weimar , 534. 98 Falanga ( 2008 ), 42. 99 Opportunità che Dollfuss proceda subito alla creazione del nuovo Stato austriaco su basi corporativi sensa farsi impressionare dalle proteste dei circoli di sinistra europei , T. 283 /27 R. , Mussolini a Preziosi , 17. 2. 1934 , DDI , VII , 14 , Nr. 711.
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Dollfuß antwortete postwendend und versicherte dem Duce , die Arbeit an der neuen Verfassung so weit wie möglich zu beschleunigen. Er verwies auf das von ihm eingesetzte Ministerkomitee und betonte , offensichtlich in der Hoffnung , damit Mussolini zu beruhigen , dass auch der zum Sozialminister aufgestiegene Heimwehrideologe und bisherige Staatssekretär Odo Neustädter-Stürmer diesem Gremium angehören würde. Der neue Sozialminister wurde von ihm als jener Mann präsentiert , der das Wiedererstehen der Sozialdemokratie verhindern und über den ständischen Aufbau wachen würde.100 Anlässlich einer Unterredung in Rom am 14. März 1934 , drei Tage vor Unterzeichnung der Römischen Protokolle , informierte Dollfuß Mussolini erstmals persönlich über die zu diesem Zeitpunkt schon großteils feststehenden Details der neuen autoritären Verfassung. Es war dies das erste direkte Gespräch nach der Niederschlagung des Februar-Aufstandes. Mussolini verhielt sich entgegenkommend und verbindlich. Er gratulierte dem Bundeskanzler zur Liquidierung der Sozialdemokratie in Österreich , ehe die beiden auf das Verhältnis zu Deutschland zu sprechen kamen.101 3.5 Die kurze Phase der innerstaatlichen Hegemonie der Heimwehr mit italienischer Rückendeckung „The Heimwehr , with its Italian orientation , is triumphant , and Austria seems , to Italian eyes , to have taken a step towards Fascism.“102 So analysierte der britische Gesandte Walford Selby wenige Tage nach dem Ende der Februarkämpfe die innenpolitische Situation in Österreich. Er hatte damit die Machtverhältnisse treffend beschrieben. Mithilfe der politischen Rückendeckung Mussolinis gelang es in den folgenden Wochen der Heimwehr , sich bei der abschließenden Phase der Erarbeitung der neuen , mit 1. Mai 1934 in Kraft tretenden ständisch-autoritären Verfassung in vielen Bereichen durchzusetzen. Auch wenn die Erhaltung der österreichischen Unabhängigkeit am 17. Februar 1934 , basierend auf einem französischen Kompromissvorschlag , von den drei europäischen Mächten Großbritannien , Frankreich und Italien gleichzeitig , jedoch unilateral und unabhängig vom Völkerbund , postuliert worden war ,103 war Dollfuß mit dem 12. Februar 100 Assicurazione di Dollfuss che promulgherà al più presto una nuova costituzione a base corporative , T. 777 / 96 R. , Preziosi a Mussolini , 19. 2. 1934 , DDI , VII , 14 , Nr. 718. 101 Nuova costituzione austriaca. Rapporti fra Austria e Germania , Colloquio Mussolini-Dollfuss , Appunto , 14. 3. 1934 , DDI , VII , 14 , Nr. 804. 102 Sir W. Selby to Sir J. Simon , No. 40 , Zl. R. 1262 / 37 / 3 , 19. 2. 1934 , DBFP , 2 , VI , Nr. 300. 103 Im Hinblick auf die häufig verwendete Bezeichnung als „Garantieerklärungen“ ist relativierend festzuhalten , dass sich Frankreich , Italien und Großbritannien weder am 17. Februar 1934 noch am 27. September 1934 , als sie nach dem NS-Putsch im Juli ihre Erklärung in gemeinsamer Form wiederholten , auf eine solche verständigen konnten. Erst im französisch-italienischen Abkommen vom 7. Jänner 1935 ( „ Mussolini-Laval Abkommen“ ), dem Großbritannien am 3. Februar 1935 beitrat , konnte man sich auf Konsultationsverpflichtungen im Garantiefall einigen. Zu mehr reichte es auch bei der von allen drei Mächten abgegebenen Erklärung von Stresa am 14. 4. 1935 nicht. Angerer , Thomas ( 1992 ) : Die französische Österreichpolitik vor dem „Anschluss“ 1938. In : Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte Jg. 40 ( 1992 ) Heft 1 , 29–59 : 30 ; Angerer , Thomas ( 2007 ) : Kontinuitäten und Kontraste der französischen Österreichpolitik 1919–1955. In : Koch et al. ( 2007 ), 129–157 : 142 ; Angerer , Thomas ( 1999 ) : Die französischen Garntieforderungen und die Ursprünge des Anschluß-Verbots im österreichischen Staatsvertrag 1946–1947. In : Angerer , Thomas / Bader-Zaar , Birgitta / Grandner , Margare-
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endgültig jener Rest an außenpolitischer Handlungsfreiheit abhandengekommen , der ihm bis dahin noch geblieben war. Er war enger denn je an Italien gekettet. Im Mittelpunkt der bilateralen Gespräche stand nunmehr neben dem Schutz der Unabhängigkeit gegenüber Nazi-Deutschland vor allem die Realisierung der gegen die Kleine Entente gerichteten italienischen Donauraumpolitik , die am 17. März zur Unterzeichnung der Römischen Protokolle führte. Innenpolitisch wirkte man italienischerseits auf den funktionalen Fortbestand der Achse Dollfuß –Heimwehr ein , wobei Mussolini dem Konzept Starhembergs , die Heimwehr bei ihrem gleichzeitigen Fortbestand in die Vaterländische Front zu integrieren , jenem von Fey , der die Heimwehr möglichst unabhängig vom Einfluss des Bundeskanzlers halten wollte , den Vorzug gab.104 Dies entsprach der bisherigen Linie des Duce gegenüber der Heimwehr. Direkte italienische Pressionen auf Dollfuß , die in der zweiten Jahreshälfte 1933 zugenommen und unmittelbar vor den Februarereignissen ihren Höhepunkt erreicht hatten , waren nun nur mehr in seltenen Fällen erforderlich. Für die Umsetzung im Hinblick auf die von Mussolini gewünschte Richtung der inneren Verhältnisse Österreichs sorgten ohnedies die sich am Höhepunkt ihres Einflusses befindlichen Heimwehrminister in der Regierung. Fasst man die Entwicklung der Monate nach dem 12. Februar 1934 zusammen , so erhärtet sich die These , dass es Mussolini bei seiner Einflussnahme auf die Konstituierung des autoritären Ständestaates in Österreich in allererster Linie um die Ausschaltung der Sozialdemokratie und damit einhergehend die Beseitigung der Demokratie in Österreich ging. Dies ist auch insofern schlüssig , als jede Beteiligung der Sozialdemokratie an einer Regierung wegen ihrer traditionell guten Beziehungen zu Frankreich und zur Kleinen Entente eine unerwünschte Beeinträchtigung der Donauraumpolitik Mussolinis dargestellt hätte. Unter diesem Gesichtspunkt bildete die italienische Einflussnahme auf die österreichische Innenpolitik die Sicherstellung der eigenen außenpolitischen Interessen. Sobald diese politischen Ziele Mussolinis erreicht waren , und dies war nach der Niederwerfung der Sozialdemokratie im Februar , der Unterzeichnung der Römischen Protokolle im März und der neuen österreichischen Verfassung vom 1. Mai 1934 der Fall , nahm sein Interesse für viele Details betreffend die inneren Vorgänge in Österreich deutlich ab. Auch was personelle Einflussnahmen anlangte , hielt sich Mussolini nun im Gegensatz zum Herbst 1933 zurück. Dies galt auch für Starhemberg , mit dem den Duce der längste Kontakt zu allen führenden österreichischen Politikern , immerhin seit 1930 , verband. Zwar gratulierte er ihm noch in warmherzigen Worten zu seiner Ernennung zum Vizekanzler Anfang Mai 1934.105 Nach der Ermordung Dollfuß’ machte er jedoch keinerlei Anstalten mehr , ihn als Kanzler zu favorisieren. Schenkt man den Ausführungen te ( 1999 ) : Geschichte und Recht. Festschrift für Gerald Stourzh zum 70. Geburtstag , Wien / Köln / Weimar , 413–429 : 418–419. 104 Situazione politica in Austria : contrasto tra Starhemberg e Fey circa la funzione delle Heimwehren , Colloquio Mussolini – Starhemberg , Appunto , 17. 4. 1934 , DDI , VII , 15 , Nr. 110. 105 Compiacimento del Governo italiano per la nomina a vice cancelliere di Starhemberg , T. 565 R , Mussolini a Starhemberg , 3. 5. 1934 , DDI , VII , 15 , Nr. 181.
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von Fulvio Suvich Glauben , so signalisierte Mussolini sogar , die Ernennung Schuschniggs zu befürworten.106 Jedenfalls war Mussolini bereits unmittelbar nach der Ermordung Bundeskanzler Dollfuß’ durch seine Gesandtschaft in Wien informiert , dass sich die Nachfolgefrage auf Schuschnigg hin entwickle , ohne dass der Duce erkennbare Initiativen für seinen Protegé Starhemberg setzte.107 Zu den bereits beschriebenen Ursachen für die einsetzende italienische Zurückhaltung kam noch eine ganz wesentliche generelle Entwicklung hinzu : die im Laufe des Jahres 1934 einsetzende Verschiebung des außenpolitischen Fokus Mussolinis weg vom Donauraum hin zu den italienischen Mittelmeerinteressen und zu jenen kolonialen Bestrebungen der italienischen Politik in Afrika , die im Herbst 1935 zur bewaffneten Aggression Italiens in Abessinien führen sollten. Damit hatte aber auch die Heimwehr den Zenit ihrer nur wenige Monate andauernden Dominanz in der österreichischen Politik in der zweiten Jahreshälfte 1934 schon wieder überschritten , hing ihre Machtposition doch so gut wie ausschließlich von der italienischen Rückendeckung ab. IV. Bilanz der italienischen Österreich-Politik am Ende der Regierung Dollfuß Bundeskanzler Dollfuß war in seiner italienischen Politik anfangs durchaus zurückhaltend. Solange es ging , versuchte er , einer zu engen Bindung zu entgehen. Zwar entschied er sich relativ früh für einen strikten Rechtskurs unter Einbindung der Heimwehr und damit verbunden der außenpolitischen Unterstützung Italiens , doch entwickelte sich der Weg in die Diktatur erst schrittweise im Zuge seiner Kanzlerschaft. Vor allem ab dem Zeitpunkt der nationalsozialistischen Machtergreifung in Deutschland verengte sich sein Spielraum immer mehr , auch wenn er bis zuletzt versuchte , sich mehrere politische Optionen offenzuhalten. Der von Dollfuß anfangs nur zögerlich eingeschlagene Schwenk in Richtung Italien und die damit einhergehende Abwendung von der demokratischen Verfassung wurden maßgeblich mit beeinflusst von dem ab dem Machtantritt Hitlers ausgehenden deutschen Druck auf Österreich und dem damit einhergehenden Terror der österreichischen Nationalsozialisten. Schon wegen der historischen Belastung durch den Verlust Südtirols und die Italianisierungspolitik der Faschisten wäre die an sich höchst unpopuläre Verbindung mit dem „Erbfeind“ Italien nicht zustande gekommen , hätte sie 1933 / 34 aus der Sicht des österreichischen Bundeskanzlers nicht die einzig außenpolitisch wirksame Option dargestellt , um eine nationalsozialistische Machtübernahme in Österreich zu verhindern. Mentale Vorbehalte gegenüber dem südlichen Nachbarn musste auch Dollfuß selbst hintanstellen. Als Kaiserschützenoffizier war er während des Weltkriegs an der italienischen Front gestanden. Nichts veranschau106 „A successore nel Cancellierato è stato chiamato Kurt Schuschnigg. L’influenza di Mussolini non è stata estranea a questa nomina. L’altro candidato era il principe Starhemberg , più vicino per temperamento e carattere a Mussolini , ma che quest’ultimo giudicava meno maturo per un posto di tanta responsabilità.“ Suvich ( 1984 ), 104. 107 Questione della nomina del nuovo cancelliere austriaco , T. s. 2695 /242 R. , Grazzi a Mussolini , 26. 7. 1934 , DDI , VII , 15 , Nr. 567 ; Notizie circa gli avvenimenti di Vienna e l’assassinio di Dollfuss , Telespr. R. 2944 / 1577 , Grazzi a Mussolini , 26. 7. 1934 , DDI , VII , 15 , Nr. 572 ; Colloquio con Miklas circa la situazione interna austriaca e la nomina di von Papen , T. 2768 /247 R. , Preziosi a Mussolini , 28. 7. 1934 , DDI , VII , 15 , Nr. 600.
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licht seine diesbezüglichen emotionalen Reserven besser als eine Bemerkung gegenüber dem französischen Gesandten nach dem Wien-Besuch des aus Triest stammenden Unterstaatssekretärs Fulvio Suvich : „Quelle que soit mon estime pour la personnalité de M. Suvich , croyez-vous qu’il nous a été agréable de recevoir à Vienne un ancien déserteur de l’armée austro-hongroise ? “108 Gerade weil Dollfuß , solange es irgendwie möglich schien , sich politisch nicht völlig an Italien ausliefern wollte , begann er mehrmals im Laufe des Jahres 1933 – wenn auch letztlich vergeblich – , unter der Hand Möglichkeiten einer direkten deutsch-österreichischen Verständigung zu sondieren. Gegen Ende des Jahres 1933 versuchte er , den ihm in Riccione auferlegten Kurs abzuschwächen , indem er sich vermehrt um die Rückendeckung der Westmächte bemühte.109 Zu einer Befassung des Völkerbundes kam es allerdings aus Rücksicht auf Italien nicht. Ungeachtet seiner Bemühungen um eine zumindest partielle Internationalisierung des österreichischdeutschen Konflikts , war Dollfuß nach dem Februar 1934 mehr denn je auf Italien angewiesen. Im kleinen Kreis klagte er , auf wirksame Unterstützung nur noch aus Rom zählen zu können. Daher bliebe ihm im Moment gar nichts anders übrig , als das zu tun , was man ihm aus Italien anschaffe.110 Die Fehleinschätzung Mussolinis , wonach die einzig erfolgversprechende Methode , die Dynamik des Nationalsozialismus in Österreich zu bremsen , der Versuch wäre , dem Konkurrenten die Waffe des Antimarxismus zu entwinden , hatte für Österreich fatale Folgen. Möglicherweise hoffte der italienische Diktator , mit dieser Haltung den Inkonsequenzen seiner eigenen Politik zu entgehen , die zwar den deutschen Revisionismus förderte , aber zugleich die Einbeziehung Österreichs in den deutschen Machtbereich zu verhindern suchte.111 Jedenfalls erzielte die von Mussolini herbeigeführte Politik in keiner Weise ihre beabsichtige Wirkung , im Gegenteil : Mit demagogischer Raffinesse verstand es die nationalsozialistische Propaganda , nach dem 12. Februar sich selbst zu Verteidigern der österreichischen Arbeiterbewegung zu stilisieren und die Regierung abermals in die Defensive zu drängen.112 Es ist nicht bekannt , dass nach der Niederwerfung der sozialdemokratischen Arbeiterschaft Nationalsozialisten in nennenswerter Zahl ins Regierungslager gewechselt wären. Dagegen liefen , wie von Dollfuß in seinem Gespräch mit Suvich vom Jänner 1934 befürchtet , etliche Sozialdemokraten zu den Nationalsozialisten über. In der gegebenen Situation erblickten sie in ihnen den konsequentesten Gegner des ihnen verhassten katholisch-autoritären Dollfuß-Regimes. Dies galt vor allem für Sozialdemokraten aus nicht urbanen Milieus , bei denen ein Hauptmotiv ihrer politischen Orientierung in der Ablehnung des politisch konnotierten klerikalen Katholizismus lag.113 108 „Wenn ich auch die Persönlichkeit von Herrn Suvich schätze : Glauben Sie , dass es angenehem für uns war , einen ehemaligen Deserteur der östereichisch-ungarischen Armee in Wien zu empfangen ? “ M. Puaux , Ministre de France à Vienne , à M. Daladier , Ministre des Affaires Étrangères. T. 125 à 129 , 21. 1. 1934 , DDF , 1 , V , Nr. 297. 109 Beer ( 1984 ), 265. 110 Sir W. Selby to Sir J. Simon , No. 50 , Zl. R. 1527 / 37 / 3 , 5. 3. 1934 , DBFP , 2 , VI , Nr. 332. 111 Petersen ( 1973 ), 189. 112 Suppan , Arnold ( 1996 ) : Jugoslawien und Österreich 1918–1938. Bilaterale Außenpolitik im europäischen Umfeld , Wien / München , 204. 113 Konrad , Helmut ( 2004 ) : Der 12. Februar in Österreich. In : Schefbeck ( 2004 ), 91–98 : 96.
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Der italienische Kurs wurde von Dollfuß innenpolitisch teuer erkauft. Von Repräsentanten der westlichen Demokratien auf die demokratiewidrigen Elemente des Regierungssystems angesprochen , räumte Dollfuß wiederholt ein , zu vielem als Gegenleistung für die italienische Unterstützung genötigt worden zu sein.114 Dem entspricht in etwa R. John Raths Einschätzung , dass die Bestrebungen Mussolinis , einen politischen Systemwechsel in Österreich herbeizuführen , 1933 / 34 im Gegensatz zu den späten 1920er-Jahren deshalb Erfolg hatten , [ … ] possibly because Seipel , Schober and Vaugoin were not quite as decidedly antidemocratic as Dollfuss had become in 1933 and 1934. More important , from 1928 to 1930 Austria still had many foreign friends besides Italy , and no enemy was at hand to resort to violent means to destroy Austria’s independence. In 1933–1934 Austria was engaged in a life-and-death struggle with Nazi-Germany , and fascist Italy was the sole protector to whom the Austrian government could turn for military assistance. All the ammunition was now in Mussolinis hands.115
114 So beispielsweise in einem Gespräch mit dem französischen Außenminister Louis Barthou am 19. 6. 1934. Der französische Außenminister versicherte übrigens bei dieser Gelegenheit Dollfuß ausdrücklich , nichts gegen die italienische Orientierung der österreichischen Außenpolitik einzuwenden zu haben. Angerer ( 1992 ), 32 ; Mr. Hadow to Sir R. Simon , No. 17 Saving : Telegraphic , Zl. R 3603 / 37 / 3 , DBFP , 2 , VI , Nr. 467 ; Kindermann , Gottfried-Karl ( 2003 ) : Österreich gegen Hitler. Europas erste Abwehrfront 1933–1938 , München , 190. 115 Rath ( 1988 ), 444.
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Autorinnen und Autoren Dieter A. Binder , Professor Dr. , geb. 1953 , lehrt seit 1983 am Institut für Geschichte der Karl-Franzens-Universität und seit 2003 an der Fakultät für Mitteleuropäische Studien der Andrássy-Universität Budapest. Zuletzt erschienen : Skrivna družba. Zgodovina in simbolika prostozidarjev , Celje 2008 ; Die Freimaurer. Ursprung , Rituale und Ziele einer diskreten Gesellschaft , Freiburg – Basel – Wien 2008 , 4. Aufl. ; gemeinsam mit Heinz Peter Wassermann : Die steirische Volkspartei oder die Wiederkehr der Landstände , Graz 2008 ; Die Freimaurer. Geschichte , Mythos , Symbole , Wiesbaden 2009 , 3. Aufl. 2012 ; gemeinsam mit Eugen Lennhoff , Oskar Posner : Internationales FreimaurerLexikon , München 2011 , 6. Aufl. ; gemeinsam mit Helmut Konrad / Eduard Staudinger ( Hg. ) : Die Erzählung der Landschaft , Wien / Köln ( u. a. ) 2011. Lucile Dreidemy , DDr. , geb. 1985 , Zeithistorikerin und Germanistin. Seit 2009 Assistentin in Ausbildung am Institut für Zeitgeschichte der Universität Wien , Redaktionsmitglied der Zeitschrift „Zeitgeschichte“ und assoziiertes Mitglied des Initiativkollegs „Europäische historische Diktatur- und Transformationsforschung“. Forschungsschwerpunkte : das Dollfuß / Schuschnigg-Regime und dessen geschichtspolitische Rezeption , Mythentheorien , Korporatismus und Ständestaatsideologie , Biografik. Jüngste Publikation : Dollfuß – biografisch. Eine Längsschnittanalyse des biografischen Diskurses über Engelbert Dollfuß , in : Ilse Reiter-Zatloukal / Christiane Rothländer / Pia Schölnberger ( Hg. ) : Österreich 1933–1938. Interdisziplinäre Annäherungen an das Dollfuß-/ Schuschnigg-Regime , Wien : Böhlau , 2012 , S. 230–244. Paul Dvořak , Studium der Geschichte , Studienaufenthalt an der Universität Paris IV ( Sorbonne ), Studienassistent am Institut für Geschichte , Mitarbeit im Literatur- und Kunstverein Wien – Alte Schmiede , Mitherausgabe des Tagungsbandes : Herrschaft. Macht. Geschichte , Wien 2008. Katharina Ebner , Dipl.-Kulturw. Univ. , geb. 1982 , Diplomstudiengang Sprachen , Wirtschafts- und Kulturraumstudien in Passau und Bologna mit einem Schwerpunkt auf der italienischen Politik- und Zeitgeschichte. Ihre Forschungsinteressen liegen im
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Autorinnen und Autoren
Bereich der ( europäischen ) Friedens- und Konfliktforschung , der transnationalen Geschichte , der internationalen Faschismusforschung und des politischen Katholizismus. Derzeit arbeitet sie im Rahmen des Initiativkollegs „Europäische historische Diktatur- und Transformationsforschung“ der Universität Wien an ihrer Dissertation zum Thema „Ideologietransfer des italienischen Faschismus nach Österreich und Ungarn – zur Rolle der römisch-katholischen Kirche“. Stefan Eminger , Mag. Dr. , geb. 1967 , studierte Geschichte und Deutsche Philologie in Wien. 1995 Abschluss der Diplomarbeit „Gewerbepolitik und gewerbliche Organisationen in Österreich zur Zeit der Weltwirtschaftskrise“, 2002 Promotion mit der Arbeit über „Organisationsformen , Interessenpolitik und politische Mobilität des Gewerbes in Österreich 1930 bis 1938“. 2000 bis 2005 wissenschaftlicher Mitarbeiter im Niederösterreichischen Landesarchiv in St. Pölten mit den Hauptarbeitsgebieten Zwangsarbeit und „Arisierungen“ / Rückstellungen im Reichsgau Niederdonau , danach Referent für die zeitgeschichtlichen Bestände des Landesarchivs. 2001 bis 2005 Lehrbeauftragter am Institut für Zeitgeschichte der Universität Wien. Gertrude Enderle-Burcel , HR Dr. , Studium der Germanistik , Geschichte und Wirtschaftsgeschichte an der Universität Wien ; Promotion zum Doktor der Philosophie im Mai 1979 ; seit Mai 1979 im Rahmen der Österreichischen Gesellschaft für historische Quellenstudien mit der Edition der Ministerratsprotokolle der 1. Republik befasst ; seit 1988 als wissenschaftliche Leiterin ; Jänner 1997 Hofrätin im Österreichischen Staatsarchiv ; seit 1995 Erweiterung der Editionstätigkeit auf die Ministerratsprotokolle der 2. Republik , parallel dazu von 2003 bis 2012 stellvertretende Leiterin der Stabsabteilung des Österreichischen Staatsarchivs ; neben der Editionstätigkeit biografische Forschungen zu Eliten in Politik , Verwaltung und Wirtschaft ; wirtschaftshistorische Forschungen zu Themen der 1. und 2. Republik. Gerhard Hartmann , geb. 1945 ; Studium der Katholischen Theologie an der Universität Wien ( Dr. theol. 1974 ), seit 1970 im Verlagswesen ( zuletzt ab 1999 Geschäftsführer der Lahn-Verlag GmbH und der Topos Taschenbücher in Kevelaer ). 1990 Habilitation als Privatdozent für Neuere Kirchengeschichte an der Theologischen Fakultät der Universität Graz. Veröffentlichungen ( u. a. ) : Für Gott und Vaterland. Geschichte und Wirken des CV in Österreich , Kevelaer 2006 ; Daten der Kirchengeschichte , Wiesbaden 2007 ( 2. ergänzte Aufl. ) ; Kirche und Nationalsozialismus , Kevelaer 2007 ; Die Kaiser des Heiligen Römischen Reiches , Wiesbaden 2008 ; Der CV in Österreich. Seine Entstehung , seine Geschichte , seine Bedeutung , Kevelaer 2011 ( 4. ergänzte Aufl. ). Gabriella Hauch , Mag. Dr. , geb. 1959 , Univ.-Prof. für Geschichte der Neuzeit / Frauenund Geschlechtergeschichte an der Universität Wien. 2000–2012 Gründungsprofessorin des gesamtuniversitären Instituts für Frauen- und Geschlechterforschung an der Johannes-Kepler-Universität Linz und Herausgeberin der Studien zur Frauen- und Geschlechterforschung ; seit 1995 Mitherausgeberin der Österreichischen Zeitschrift für Geschichtswissenschaften , seit 2012 von L’Homme. Europäische Zeitschrift für fe-
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Autorinnen und Autoren
ministische Geschichtswissenschaft sowie der L’Homme-Schriften. Forschungsschwerpunkt : Geschlechtergeschichte Europas seit Ende des 18. Jahrhunderts mit Fokus auf die Habsburgermonarchie / Österreich. Publikationen ( u. a. ) : Frauen bewegen Politik. Österreich 1848–1938 , Innsbruck 2009 ; Frauen.Leben.Linz. Eine Frauen- und Geschlechtergeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts , erscheint 2013. Christian Klösch , Mag. Dr. , Historiker , geb. 1969 in Wolfsberg / Kärnten. Studium der Geschichte und Philosophie in Graz und Wien. 1999–2004 Mitarbeiter der Österreichischen Historikerkommission. Seit 2005 Mitarbeiter der Kommission für Provenienzforschung am Technischen Museum Wien. Herbert-Steiner-Preis 2006. Lehraufträge an der Universität Klagenfurt und der Universität Wien. Forschungsschwerpunkte : Austrofaschismus und Nationalsozialismus , österreichische Emigration in den USA , Verkehrsgeschichte Österreichs , Kärntner Zeitgeschichte des 20. Jahrhunderts. Weitere Informationen : www.christiankloesch.at Ernst Langthaler , PD Dr. , geb. 1965 , Ausbildung : Studium der Geschichte und Graduiertenkolleg „Historische Anthropologie“ an der Universität Wien ; Position : Leiter des Instituts für Geschichte des ländlichen Raumes ( IGLR ) in St. Pölten und Privatdozent für Wirtschafts- und Sozialgeschichte an der Universität Wien ; aktuelle Buchpublikationen : gemeinsam mit Reinhard Sieder ( Hg. ) : Globalgeschichte 1800–2010 , Wien / Köln ( u. a. ) 2010 ; gemeinsam mit Erich Landsteiner ( Hg. ) : Agrosystems and Labour Relations in European Rural Societies , Middle Ages – Twentieth Century , Turnhout 2010 ; gemeinsam mit Ewald Hiebl ( Hg. ) : Im Kleinen das Große suchen. Mikrogeschichte in Theorie und Praxis , Innsbruck / Wien ( u. a. ) 2012. Hannes Leidinger , PD Mag. Dr. , geb. 1969 , Studium der Geschichte , der Klassischen Archäologie und der Ur- und Frühgeschichte , Lehraufträge an den Instituten für Geschichte und Zeitgeschichte der Universität Wien , Gastprofessur an der Universität Wien ; zahlreiche Publikationen. Forschungsschwerpunkte : Österreichische Geschichte im 19. und 20. Jahrhundert , Geschichte der Sowjetunion , Filmquellen zur Geschichte Österreichs , Habsburgermonarchie , Erster Weltkrieg , Geschichtstheorien , Historische Suizidologie , Kapitalismus- , Sozialismus- , Kommunismus- und Kriegsgefangenenforschung , Militär- und Spionagegeschichte. Wolfgang Meixner , geb. 1961 , Studium der Europäischen Ethnologie / Volkskunde sowie „gewählte Fächer“ mit Schwerpunkt Sozialgeschichte an der Universität Innsbruck , Mag. phil. 1989 , Dr. phil. 2001 , Assistent am hiesigen Institut seit 1994. Forschungsschwerpunkte : Unternehmer- und Unternehmensgeschichte , wirtschaftsgeschichtliche Aspekte in der NS-Zeit , sozialer Wandel in der Region. Seit 1. Juli 2007 Assistenzprofessor. Mit 12. Oktober 2007 als Vizerektor für Personal an der Universität Innsbruck bestellt ( bis 28. Februar 2016 ). Verena Moritz , Mag. Dr. , geb. 1969 , Geschichte- und Slawistikstudium an der Universität Wien ; Lehraufträge an den Instituten für Geschichte und Zeitgeschichte der Uni-
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Autorinnen und Autoren
versität Wien ; zahlreiche Publikationen zur russischen / sowjetischen sowie zur österreichischen Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts , Filmgeschichte oder zum Ersten Weltkrieg ; Mitarbeiterin mehrerer Forschungsvorhaben , Leiterin des FWF-Projektes „Österreichisch-sowjetische Beziehungen 1918–1938“; Mitglied der österreichisch-russischen Historikerkommission. Manfred Mugrauer , Mag. phil. , geb. 1977 in Vöcklabruck , Studium der Politikwissenschaft an der Universität Wien , wissenschaftlicher Sekretär der Alfred Klahr Gesellschaft. Veröffentlichungen zur Politikgeschichte und Kulturpolitik der Kommunistischen Partei Österreichs , u. a. : Die Politik der KPÖ in der Provisorischen Regierung Renner , Innsbruck / Wien ( u. a. ) 2006 ; ( Hg. ) : 90 Jahre KPÖ. Studien zur Geschichte der Kommunistischen Partei Österreichs , Wien 2009. Alexandra Neubauer-Czettl , Mag. phil. , geb. 1977 Vorau / Steiermark , 1995 bis 2000 Diplomstudium der Geschichte und Germanistik an der Universität Wien , seit 2000 wissenschaftliche Mitarbeiterin der Österreichischen Gesellschaft für historische Quellenstudien , Mitarbeit an diversen Projekten , Veranstaltungen und Publikationen ; 2001 bis 2005 auch Assistentin am Institut für Allgemeine Pädagogik an der Wirtschaftsuniversität Wien ; 2006 bis 2008 DOC-Stipendium der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. Publikationen ( u. a. ) : Staatliche Sportförderung in Österreich in der Ersten Republik ( Wien 2001 , zugleich Univ. Dipl. Wien 2000 ) ; Edition der Ministerratsprotokolle der Ersten Republik , Kabinett Ramek , Band 3 ( Wien 2002 ) und 4 ( Wien 2005 ) ; Kabinett Schuschnigg , Band 7 ( Wien 2011 ). Thomas Pammer , geb. 1982 in Graz. Nach einer touristischen Ausbildung mehrjährige Tätigkeit im Hotelgewerbe , danach Doppelstudium der Geschichte und der Skandinavistik an der Universität Wien. Studienaufenthalte in Umeå und Stockholm , 2011 Diplomarbeit im Fach Geschichte zum „Österreichischen Jungvolk“ in den Jahren 1933–1938 ; 2012 Diplomarbeit im Fach Skandinavistik zu den Kindertransporten der Schwedischen Israelmission 1938–1941. Forschungs- und Interessengebiete : Geschichte der Jugend , Emigrationsgeschichte. Brigitte Pellar , geb. 1947 , freischaffende Historikerin mit Schwerpunkt auf die Entwicklung der Gewerkschaftsbewegung. Bis 1989 Lektorin im Verlag des Österreichischen Gewerkschaftsbunds , dann Tätigkeit im Bereich Bildung und Kultur der Wiener Arbeiterkammer , 2001 bis 2007 Leitung des Instituts zur Erforschung der Geschichte der Gewerkschaften und Arbeiterkammern , ab 2005 Lehraufträge am Institut für Politikwissenschaft der Universität Wien. Publikationen ( u. a. ) : Die österreichische Gewerkschaftsbewegung von den Anfängen bis 1999 , Wien 2000 ( in Weiterführung der Gewerkschaftsgeschichte von Fritz Klenner ) ; … mit sozialpolitischen Erwägungen. Staatliche Arbeitsstatistik und Gewerkschaftsmitsprache im Handelsministerium der Habsburgermonarchie , Wien 2012.
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Autorinnen und Autoren
Ilse Reiter-Zatloukal , a. o. Univ.-Prof. Dr. iur. Universität Wien , Institut für Rechts- und Verfassungs ge schichte ; Studium der Rechtswissenschaften an der Universität Wien ; Forschungsprojekte zur politischen Ausbürgerung und zum politisch motivierten Vermögensentzug im Austrofaschismus ; zur österreichischen Strafrechtsgeschichte im 19. und 20. Jahrhundert sowie zur österreichischen Anwaltsgeschichte ; weitere Forschungsschwerpunkte : Verfassungsgeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts , Geschichte des Migrations- und Staatsangehörigkeitsrechts sowie Geschlechtergeschichte. Hans Schafranek , Historiker , Dr. phil , geb. in Schärding ( Oberösterreich ). Lebt in Wien und Berlin. Freier Mitarbeiter des Dokumentationsarchivs des Österreichischen Widerstandes. Autor bzw. Herausgeber von 14 wissenschaftlichen Buchpublikationen zu den Schwerpunkten vergleichende Diktaturforschung ( Nationalsozialismus und Stalinismus ), Emigration in die UdSSR , österreichische Zeitgeschichte und Nachrichtendienste im 2.Weltkrieg. Letzte Monografie : Söldner für den Anschluss. Die Österreichische Legion 1933–1938 , Wien 2011. Derzeitige Forschungsschwerpunkte : Nationalsozialismus in Österreich ; V-Leute der Gestapo ; High Heels. Kultur- , sozial- und erotikgeschichtliche Dimensionen einer unbequemen Verführung 1650–2012. Georg-Hans Schmit , nach Ablegung der Reifeprüfung am Wiener Goethegymnasium im Jahr 1985 direkter Einstieg ins Berufsleben , Ausbildung zum Bankkaufmann und langjährige Expertentätigkeit im Bankenbereich. Berufsbegleitendes Studium der Politikwissenschaft und Geschichte an der Universität Wien mit den Forschungsschwerpunkten Österreichische Politik , Bürokratie und öffentliche Verwaltung , Austrofaschismus , Politische Bildung , Arbeiterbewegung und Gewerkschaftliche Bildungsarbeit. Dissertation über die Entwicklung der Christlichen Arbeiterbewegung in den Jahren 1933 bis 1946. Seit vielen Jahren Tätigkeit in unterschiedlichen Feldern der Erwachsenenbildung sowie im Schulungsbereich verschiedener ArbeitnehmerInnenorganisationen. Maren Seliger , geb. in Hamburg , seit 1969 in Wien , Studium der Politikwissenschaft und Geschichte an den Universitäten Freiburg i. Br. , West-Berlin ( Dipl. Pol. : Otto-Suhr-Institut ) und Wien ( Dr. phil. ) ; Mitarbeiterin im Institut für Stadtforschung , Leiterin der Politischen Dokumentation im Wiener Stadt- und Landesarchiv ; Veröffentlichungen im Bereich der Wiener Stadtgeschichte , Kommunalpolitik und Parteienforschung. Gerhard Senft , geb. 1956 , Professor an der Wirtschaftsuniversität Wien. Studium der Volkswirtschaft und mehrjährige Berufstätigkeit als Ingenieur im Industrieanlagenbau. Im universitären Rahmen lehrend und forschend tätig seit 1988. Arbeitsschwerpunkte : Problemgeschichte und Theorieentwicklung der Ökonomie ; Geschichte der sozialen Bewegungen ; Geldwesen , Arbeitsorganisation und Zeitfaktor in historischer Dimension ; Wirtschaftspolitik ; Faschismusforschung. Theodor Körner-Preis für den Fachbereich Wirtschaftswissenschaften 2001. Von ihm erschien u. a. : Im Vorfeld der Katastrophe. Die Wirtschaftspolitik des Ständestaates. Österreich 1934–1938. Vergleichende Gesellschaftsgeschichte und politische Ideengeschichte der Neuzeit , Band 15. Braumüller Universitätsverlag , Wien 2002.
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Autorinnen und Autoren
Johannes Thaler , geb. 1979 , Gedenkdienst am Staatlichen Jüdischen Museum in V ilnius / Litauen , Studium der Geschichte , Slawistik und Politikwissenschaft in Wien und Neapel. Tätigkeiten bei : Österreichische Historikerkommission , Österreichisches Parlamentsarchiv , Allgemeiner Entschädigungsfonds für Opfer des Nationalsozialismus , Provenienzforschung der Universitätsbibliothek Wien , Jüdische Filmwoche , Österreichischer Austauschdienst. Verfasst derzeit seine Dissertation im Rahmen des Initiativkollegs ( Doktoratskollegs ) „Europäische historische Diktatur- und Transformationsforschung“ am Institut für Zeitgeschichte der Universität Wien zum Thema „Faschismus und kleinstaatliche Diktatur – Ein Vergleich von Litauen und Österreich in der Zwischenkriegszeit“. Julie Thorpe , received her PhD in History from the University of Adelaide in 2007. She currently holds an Australian Research Council Postdoctoral Fellowship at the Institute for Culture and Society at the University of Western Sydney where she is carrying out a study of World War One refugees in the Austro-Hungarian empire and the role of the international community in responding to the empire’s displaced populations. She also has an interest in Catholic devotional and associational life in Central Europe in the twentieth century. Her first book , Pan-Germanism and the Austrofascist State , 1933–38 , was published by Manchester University Press in 2011. Florian H. Wenninger , geb. 1978 , nach der Matura 1998 / 1999 Gedenkdienst in Yad Vashem / Jerusalem ; langjährige Tätigkeit in der außerschulischen Jugendarbeit und in der historisch-politischen Erwachsenenbildung ; Studium der Politikwissenschaft mit Schwerpunkt auf Politische Geschichte Mitteleuropas im 19. und 20. Jahrhundert , Vergangenheitspolitik im internationalen Vergleich und Friedens- und Konfliktforschung an der Universität Wien. Ab 2005 wissenschaftliche Hilfskraft am Institut für Staatswissenschaft , seit 2008 Doktorand und Assistent in Ausbildung am Institut für Zeitgeschichte der Universität Wien. 2009–2012 assoziiertes Mitglied des Initiativkollegs „Europäische historische Diktatur- und Transformationsforschung“. Zahlreiche Publikationen. Seit 2009 Redaktionsmitglied der Zeitschrift „Zeitgeschichte“. Helmut Wohnout , Priv.-Doz. , Mag. phil. , Dr. phil. , Min.-Rat , geb. 1964. Studium der Geschichte an der Universität Wien , Postgraduate-Studien an der Georgetown-University , Washington D. C. , Habilitation für das Fach Österreichische Geschichte an der Karl-Franzens-Universität Graz ; Abteilungsleiter im Bundeskanzleramt / Bundespressedienst , Geschäftsführer des Karl von Vogelsang-Instituts zur Erforschung der Geschichte der christlichen Demokratie in Österreich. Herausgeber des Jahrbuchs „Demokratie und Geschichte“, Forschungs- und Publikationsschwerpunkte : Studien zur österreichischen und europäischen Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts , Parteienund Institutionengeschichte , Widerstand und Verfolgung , Antisemitismus , Restitution und Umgang mit den Opfern des NS nach 1945 , Oral-history-Projekte.
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ILSE REITER-ZATLOUKAL, CHRISTIANE ROTHLÄNDER, PIA SCHÖLNBERGER (HG.)
ÖSTERREICH 1933–1938 INTERDISZIPLINÄRE ANNÄHERUNGEN AN DAS DOLLFUSS-/SCHUSCHNIGG-REGIME
Die Publikation bietet den aktuellen Forschungsstand sowie neue Perspek tiven der wissenschaftlichen Auseinandersetzung über das politische Sys tem der Jahre 1933 bis 1938 in Österreich. Für eine breite Diskussion dieser bis heute umstrittenen Epoche innerhalb der österreichischen Zeitgeschich te werden unterschiedliche Themenbereiche interdisziplinär – geschichts wissenschaftlich , rechtshistorisch , politologisch – beleuchtet. Die Themen schwerpunkte umfassen die Etablierung des austrofaschistischen Systems , politische Gewalt und Justiz , unterschiedliche Arten der Verfolgung von RegimegegnerInnen , eine eingehende Diskussion der Maiverfassung 1934 , wirtschaftliche / soziale sowie Genderaspekte des DollfußSchuschnigg Regimes sowie die Frage der Rückgabe in dieser Zeit entzogenen Vermö gens nach 1945. 2012. 400 S. GB. 240 X 170 MM | ISBN 978-3-205-78787-7
böhlau verlag, wiesingerstrasse 1, a-1010 wien, t: + 43 1 330 24 27-0 [email protected], www.boehlau-verlag.com | wien köln weimar
ROBERT KRIECHBAUMER
EIN VATERLÄNDISCHES BILDERBUCH PROPAGANDA, SELBSTINSZENIERUNG UND ÄSTHETIK DER VATERLÄN DISCHEN FRONT 1933–1938 (SCHRIFTENREIHE DES FORSCHUNGSINSTITUTES FÜR POLITISCH-HISTORISCHE STUDIEN DER DR.-WILFRIED-HASLAUERBIBLIOTHEK, BAND 17)
Das 20. Jahrhundert wurde das Jahrhundert der Bilder. Die Photographie und der Film wurden „Zeugen der Zeit“. Während um 1900 die Presse mit ihren Nachrichten und Bildern den Ereignissen oft Wochen nachhinkte , verkürzte sich diese Differenz nach dem Ersten Weltkrieg auf Tage und Stunden. Die kollektive Wahrnehmung erfolgte zunehmend durch die Linse des Photo graphen. Das Photo , vor allem das Pressephoto , wurde zum Inbegriff der Wirklichkeit. Die in diesem Band enthaltenen Photographien illustrieren die Selbstinszenierung der Vaterländischen Front. Als Bilder „von oben“ blenden sie die Geschichte „von unten“ aus. Armut , Arbeitslosigkeit und Hunger sind nicht ihr Thema , sie sind keine Sozialreportage. Als Dokumente der defensiv en Selbstinszenierung vor allem gegenüber dem Nationalsozialismus legen sie jedoch die Strukturen und den imitativen Charakter der propagandistischen Bemühungen offen. In diesem Kontext verlieren sie ihren musealen Charakter und offerieren dem Betrachter eine Schrift , die man lesen kann. 2002. 272 S. 263 S/W-ABB. GB. 210 X 270 MM | ISBN 978-3-205-77011-4
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