Das Bauernkind [7. Aufl. Reprint 2019]
 9783486774320, 9783486774313

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Karl Springenschmid

Das Bauernkind 7. unveränderte Auflage

LU

19

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Verlag ROldenbourg München und Berlin

Druck : OL Vldeutour-, Müncheu

Bestellnummer 3986

Ivhalt-verjeichuis. Seitt

I. Der Bauernhof Stube und Haus................................................... Die Arbeit........................ Das Leben............................................................ Die Menschen............................................ Die Lebensgemeinschaft..................................... Die Gemeinde.......................

3 17 28 40 57 70

II« Das Bauernrind Die Sinne............................................................. 83 Die Sprache.............................................................102 Die Gesittung......................................................... 116

Erster Teil:

Der Bauernhof.

Springenschmid, Das Bauernkind.

Stube und Haus. „Johann und Gertraud Dorderegger." So steht beim Bichlbauer über der Haustür. Jeder, der ins Haus tritt, kann es lesen, dah diese Firma zwei Inhaber hat. Mes, was er in der Stube, im Stall und auf den Feldern sieht und hört, ist gemeinsame Sache -es Johann und der Gertraud Dorderegger. Die Bichlbämin ist für den Hof genau so notwendig und unersetzlich wie der Bichl­ bauer. Sie haben beide den Hof geheiratet. Nur ein ver­ heirateter Bauernhof bringt den rechten Segen. Ein lediger Hos versetzt die ganze Gemeinde in Unruhe. Die Weiberleut möchten den jungen Bauer verheiraten und die Männer den ledigen Hos. Die Hofanlage, die Wirtschaftsweise, kurz das ganze Leben auf dem Hof verlangt beide, den Bauer und die Bäurin. Weil die Frau in der Wirtschaft einen notwendigen Platz ausfüllt, hat sie auch in der Ehe einen notwendigen Platz neben dem Manne. Haus und Hof, Arbeit und Ruh, Sorg und Freud sind beiden Ehleuten gemeinsam. Dieses Gemeinsame ist ein eisernes Band. Eine Bauernehe geht nicht leicht in Trümmer. Von auhen besehen schaut dieses Eheleben nüchtern und derb aus. Wenn man die Bichlbäurin fragt, ob ihr Mann zu Hause sei, sagt sie: „Na, der Bauer ist nit da." Als wär „der Dauer" gar nicht ihr Mann. Wenn der Bichlbauer von seiner „Alten" spricht» dann hört es sich an, als spräche er von einem fremden Frauenzimmer, 1*

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das ihn weiter nichts anginge und nur zufAtig aus seinem Hof wirtschafte. Es ist mit der Dauernehe wie mit einem rupfeNen Hemd. Das ist rauh und grob, wenn man es an­ greift. Es beiht und kratzt auhen auf der Haut. Aber es gibt warm innen und hält stand, länger als ein Menschenleben. Hauswesen. Dieses gesunde Eheleben schasst ein tüchtiges, festes Hauswesen. Bis in den hintersten Winkel reicht die gesunde, frische Häuslichkeit. Mes, was auf dem Hofe lebt, Bauers­ leut, Kinder, Dienstboten und Vieh, ist von dieser Häuslich­ keit ersaht. Es ist nichts Lediges auf dem Hof, alles ist familienhaft, das Arbeiten, das Beten, das Essen, das Bei­ sammensein in der Stube, die Sitten, die Feste, der Kirch­ gang. Es gibt keine eigenen Teller, nur eine Schüssel, keine eigenen Zimmer, nur eine Stube für alle, keine eigene Arbeit, nur ein Schassen für alle. Die Häuslichkeit durchdringt das ganze Leben. Häuslichkeit ist ein angeborener Sinn wie Schauen, Hören und Schmecken. Wenn etwas Lediges oder Einzelnes auf den Hof kommt, ein Knecht, eine Magd, ein „Annehmkind", ein Kalb, ein Rotz, eine Schüssel, eine Pflug­ schar, so wird es in die Häuslichkeit hineingezogen. Es gehört zu den anderen Dienstboten, Kindern, Kühen, Rössern, Geräten und Werkzeugen dazu, es gehört zum Hauswesen. Alles Einzelne Und Ledige heiratet auf den Hof ein. Wenn es nicht zum Hauswesen patzt, dann zieht es wieder ab oder wird verhandelt oder verkauft. Die ganze Bauernwirtschaft ist ein Familienbetrieb; denn zur Familie gehört alles, was auf dem Hof lebt, Menschen und Vieh: gohann und Gertraud, Maria und Joseph, das Kindlein „auf Heu und auf Stroh", die Hirten, Ochs und Esel. Häuslichkeit ist etwas anderes als Wohnlichkeit. Zur Häuslichkeit gehört ein Haus, das für die Familie gebaut ist.

Wie es einerseits so Aussieht, als hätte der Bauernhof selbst die Bäurin geheiratet, so schaut es umgekehrt wieder aus, als hätten sich Bauer und Bäurin diesen Hos so für chr Hauswesen gebaut; denn das Bauernhaus ist ein rechter Familienbau, nichts Eigenes, nichts Abgesondertes, alle Räume für alle zugänglich, Mensch und Dieh unter einem Dach. Don innen heraus ist das Bauernhaus gebaut, ohne besondere Über­ legungen und Erfindungen, nüchtern und derb, wie die Bauernehe, aus der es entsprungen ist. Ruhig und sicher steht es da. Ohne Überhebung, ohne besonderen Schmuck» in strenger Sachlichkeit. Unser Bauernhaus ist der bauliche Aus­ druck für die gesunde, tüchtige Häuslichkeit. Dieses Hauswesen, das nach auhen und innen so fest und gewitz dasteht, ist der rechte Platz für einen Kindersegen. Die Kinder gehören notwendig zu ihm. Bauer und Bäurin, Mensch, Dieh, Hos, Arbeit, die ganze Häuslichkeit braucht Kinder. Darum ist ein Bauernhof ohne Kinder noch ärger als ein lediger Hof; denn ein lediger Hof kann heiraten. Dann hört man bald in seiner Stube die Kinder schreien. Aber ein kinderloser Bauernhof stirbt. Ein richtiges Bauern­ haus ist ein Kinderhaus. Es ist gar nicht ohne Kinder zu denken. Die Orgelpfeifen. Und der Kindersegen kommt. Die Bäurin trägt die Kinder her. Sie legt sich nieder, wenn ihre Zeit kommt. Dann geht sie wieder an ihre Arbeit. So ist es Brauch. Ohne viel Aufregungen und Überlegungen. Das Kinder­ hertragen ist so natürlich, wie ein fruchtbarer Baum Äpfel tragen mutz und ein guter Acker Korn. Der Apfelbaum und das Kornfeld tragen alle Jahre ihre Frucht. Die Kinder­ ernte geht nicht mit dem Iahreslauf, aber die Abstände sind oft nicht viel gröher. Die Bichlbäurin hat die Stube bald

voll Kinder und jetzt, wo der älteste Bub schon am der Stube hinausgewachsen ist und das ganze Ham unsicher macht, trägt sie schon wieder eines her. So kommen die Kinder an und füllen die Stube und das Ham. Sie gleichen einander wie die Dutterstritzeln, die alle mit dem gleichen Model ge­ macht sind. Es ist nicht selten, daß das älteste Dirnl ihr jüngstes Drüderl „kindst". Beim Waschlbauer hat die älteste Tochter hinamgeheiratet. Die Waschlbäurin kann aber nicht bei der Hochzeit ihrer Tochter sein, weil sie gerade ein festes Dirnl in die Welt gesetzt hat. „Sie hat es nit sehen können, daß die Kinder auf dem Hof weniger werden." Meine Mutter, die das zwölfte Kind in einer solchen Reihe war, hat es mir oft erzählt, wie ihr Vater in seinen alten Tagen manchmal ein unrechtes von seinen zwölf Kindern bei den Ohren nahm, weil er sie nicht mehr ameinanderhalten tonnte. Fünferlei Kinder. Wer beim Zwieslhofer in die Stube schaut, sieht gerade acht Kinder um den Tisch sitzen, große, kleine und ganz kleine. Wie sie alle frisch daraufloslösseln am der gleichen Schüssel, die gleiche Suppe, da tät keiner glauben, daß das fünferlei Kinder sind. Das große Dirnl, schon eine feste Dirn, schreibt sich Anna Reischl und ist ein Ledigs von der Zwieslhoferin. Die zwei starken Buben, die die schnellsten bei der Schüssel sind, heißen Johann und Joseph Brötzner und sind am der ersten Ehe der Bäurin. Der Zwieslhofer ist am dem Krieg nicht mehr heimgekommen. Etliche Jahre daraus hat ein Holzknecht den ledigen Hof und die Bäurin geheiratet. Er war selbst ein Wittiber und hat das rothaarige Bübl, auch einen Seppl, mitgebracht. Am dieser Ehe stammen die letzten drei Zwieslhofkinder, von denen das kleinste noch nicht recht bis zur Schüssel langen kann und über den Tisch eine Suppenstraße anlegt. Ein viertes ist auf dem Weg.

Endlich sitzt noch ein Dirnl bei der Schüssel, Katharina ObinAer mit Namen, der Stalldim chr Ledigs, ein „Annehmklnd". Das sind die fünferlei Kinder auf dem Zwieslhof. Die Milch­ suppe schmeckt allen recht gut. Sie gehören bei der Suppen­ schüssel zusammen, aber auch beim Arbeiten und keiner, der nicht die Zwieslhoser-Verwandtschast eigens studiert hat, kann die Kinder auseinanderklauben. Der einzige Unter­ schied liegt in den Schreibnamen. Die kann man nicht sehen oder hören. Die kommen erst in der Schule auf. Daheim gebraucht sie kein Mensch. Den Joseph Drötzner heißen sie „Seppl", den Joseph Schwaighofer „Füchsl", well er die brennroten Haare seines Vaters geerbt hat. So herrscht besonders jetzt mach dem Kriege auf vielen Bauernhöfen ein sehr köstliches Namensdurcheinander. Zwei, drei Schreibnamen unter den Kindern einer Famllie sind keine Seltenheit. Aber die Verwirrung besteht nur in Ma­ trikeln und Katalogen. Bei der Suppenschüssel, beim Heu­ einführen besteht sie nicht; denn die feste, gesunde Häuslichkeit des Bauernhofes zieht famllienfremde Kinder herein. Auch die fremden Kinder werden eigene Kinder, die zum Hof und zum Hauswesen gehören. Stubenzeit. Das Famllienleben spielt sich in der Stube ab. Hier steht der breite Ofen. Im Winter ist es traulich warm. gm Sommer angenehm kühl. Draußen in Feld und Wald ist die Arbeit und Plag, hier herinnen ist die Ruhe. In der Stube wird gegessen, gebetet und gerastet. Die ganze Familie ist dabei versammelt. Die gemeinsamen Mahlzeiten, die Ruhe und Andacht, überhaupt die stillen Zeiten im Bauernleben sind in der Stube. Wie aus dieser beschaulichen Ruhe und Andacht die Kraft für die gesamte Bauernarbeit entspringt, so ist

von der Stube aus das ganze Haus entstanden. Das Bauern­ haus ist um und über die Stüde gebaut. Die Stube ist der Kern des Hauses. Die Stube ist für alle da. Für die Dauersleut, die Dienstboten, die Handwerker, wenn sie auf die Stör kommen, die Kinder, die Katzen und Hunde, gm Winter kriechen auch noch die Hennen von außen herein in den Verschlag, der ihnen unter der Stubenbank eingerichtet wird. Auch der Gimpel in seinem grünen Häusl ist da. Alles hat gleich viel Anteil an der Wärme des Ofens. Nur das Vieh, das sich seinen Stall selbst wärmt, ist von der Stuben­ gemeinschaft ausgeschlossen. Es kann sich niemand in der Stube absondern. Da liegt der Bauer lang hingestreckt auf der Ofenbank, die Arme unterm Kopf und ruht aus. Die Bäurin beim Fenster flickt an einer Hose herum. Der Knecht schnitzt an seinem Pfeifenröhrl. Und dazwischen die Kinder. Es wird nicht viel geredet. Jedes ist für sich mit etwas oder nichts beschäftigt. Diese leibliche Nähe der Menschen in der Stube erzeugt geradezu ein körperhaftes Empfinden für Häuslichkeit, einen eigenen Sinn, gn der Stube ist — wenn man vom Vieh absieht — die Gemeinschaft des Bauernhofes auf engem Raum beisammen und die Kinder, die hier aufwachsen, sind schon vom ersten Erwachen an in dieser Gemeinschaft; denn die Stube ist das Kinderzimmer des Bauernhauses. Hier in der behaglichen Wärme des Ofens werden die Kinder erst richtig „herausgebachen", wie der Dauer sagt. Das Fatschenpopperl. Wenn der kleine Bauernmensch in die Welt gesetzt ist, dann bleibt er zunächst ein armes „Fatschenpopperl". So genannt, weil es für die groben Bauernhände mehr wie ein zierliches, in Tücher gewickeltes Spielzeug aussieht. Die Mutter steht nach einigen Tagen vom Bett auf und be­ ginnt wieder allmählich ihr Tagewerk. Jeden freien Augen-

blick ist sie bei ihrem Kindl und herzt es, oft nur schnell zwischen zwei Handgriffen, oder sie steht beim Her- und hutscht dabei die Wiege. Jeden Augenblick für das Kind muh sie sich von der Arbeit abstehlen. Die übrige Zeit wird das „Popperl" der „£o