Das Asylbewerberleistungsgesetz, die Verfassung und das Existenzminimum [1 ed.] 9783428501960, 9783428101962

Mit der Schaffung des Gesetzes zur Neuregelung der Leistungen an Asylbewerber vom 30.06.1993 (AsylbLG) wurde das Soziall

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German Pages 226 Year 2001

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Das Asylbewerberleistungsgesetz, die Verfassung und das Existenzminimum [1 ed.]
 9783428501960, 9783428101962

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Tübinger Schriften zum Staats- und Verwaltungsrecht

Band 60

Das Asylbewerberleistungsgesetz, die Verfassung und das Existenzminimum Von

Stefan Horrer

Duncker & Humblot · Berlin

STEFAN HORRER

Das Asylbewerberleistungsgesetz, die Verfassung und das Existenzminimum

Tübinger Schriften zum Staats- und Verwaltungsrecht Herausgegeben von Wolfgang Graf Vitzthum in Gemeinschaft mit Martin HeckeI, Karl-Hermann Kästner Ferdinand Kirchhof, Hans von Mangoldt Martin Nettesheim, Thomas Oppermann Günter Püttner, Michael Ronellenfitsch sämtlich in Tübingen

Band 60

Das Asylbewerberleistungsgesetz, die Verfassung und das Existenzminimum Von Stefan Horrer

Duncker & Humblot . Berlin

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Horrer, Slefan: Das Asylbewerberleistungsgesetz, die Verfassung und das Existenzminimum / von Stefan Horrer. - Berlin : Duncker und Humblot, 2001 (Tübinger Schriften zum Staats- und Verwaltungsrecht ; Bd. 60) Zug!.: Tübingen, Univ., Diss., 1999/2000 ISBN 3-428-10196-0

021 Alle Rechte vorbehalten

© 2001 Duncker & Humblot GmbH, Berlin

Fremddatenübernahme: psb presse service berlin Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0935-6061 ISBN 3-428-10196-0 Gedruckt auf aIterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 9

Für Antje, Katharina, Benno und Johannes

Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Wintersemester 1999/2000 von der Juristischen Fakultät der Eberhard-Karls-Universität Tübingen als Dissertation angenommen. Das Manuskript wurde im Juli 1999 abgeschlossen; Teilbereiche der Schrift habe ich für die Drucklegung überarbeitet. Danken möchte ich zuvörderst meinem Doktorvater, Herrn Prof. Dr. Günter Püttner, für die offene und unkomplizierte Art der Betreuung im Entstehungsprozeß der Arbeit. Von großem Wert waren die Hinweise und Ratschläge des erfahrenen Lehrers für die zügige und stringente Bearbeitung des Themas. Herrn Prof. Dr. Dr. h.c. Wolfgang GrafVitzthum danke ich nicht nur für die Übernahme und rasche Erstellung des Zweitgutachtens; sehr verbunden bin ich ihm auch für die ehrenvolle Aufnahme der Arbeit in die "Tübinger Schriften zum Staats- und Verwaltungsrecht". Frau Rechtsassessorin Sabine Dernai und Herrn Staatsanwalt Andreas Helbig schulde ich Dank für die Lektüre des Manuskripts. Förderung durch umfassende Information wurde mir im Landratsamt Heidenheim zuteil. Dafür danke ich besonders Herrn Leitenden Regierungsdirektor Helmut Reiner. Verbunden bin ich auch den Königsbronner Freunden, allen voran den Herren Jürgen Ruess und Dipl. Ing. (FH) Matthias Seitz, für die stete Gesprächsbereitschaft. Ohne die Ermutigung und Hilfe, die ich immer durch meine Ehefrau Antje Horrer erfahren habe, hätte ich mein Promotionsvorhaben nicht realisieren können. Ihr danke ich auch herzlich für die Bereitschaft, gemeinsame Pflichten für Zeiten alleine zu tragen und nicht zuletzt für das gerüttelte Maß an Geduld beim Zuhören. Königsbronn, im April 2000

Stefan Ho"er

Inhaltsverzeichnis 1. Kapitel Grundlagen § 1 Einleitung................................................... A. Gegenstand der Untersuchung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. B. Der Gang der Untersuchung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. § 2 Der historische Hintergrund und die Genese des AsylbLG . . . . . . . . . . . .. A. Die Entwicklung des Sozialleistungsrechts für Ausländer bis 1981. . .. B. Die gesetzlichen Vorstufen des AsylbLG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. C. Die Schaffung des AsylbLG und die Änderungsgesetzgebung . . . . . .. D. Anmerkung zur Genese des AsylbLG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

2. Kapitel Die Ausgliederung des Leistungsrechts für Asylbewerber und andere Ausländergruppen aus dem System des BSHG

§ I Die Wirkungen der Ausgliederung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

A. Vorbemerkung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 1. Die literarische Befassung mit der Ausgliederung ............ , H. Rechtsprechung und Ausgliederung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. III. Diskrepanz zwischen Rechtsprechung und Literatur. . . . . . . . . . .. B. Die rechtliche Einordnung des AsylbLG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 1. Die Bedeutung der Neuzuordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. H. Unklare Zuordnung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 1. Das Zuordnungsproblem. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 2. Voraussetzung einer Zuordnung zum Recht der Gefahrenabwehr. .. . . . . ... . . . ...... . .... . ...................... a) Der Begriff der Gefahrenabwehr und das AsylbLG . . . . . .. b) Kompetenzrechtliche Aspekte. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. c) Stellungnahme und Ergebnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. C. Das AsylbLG im System des Sozialrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 1. Das System des Sozialrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 1. Der Begriff des Sozialrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. a) Formeller Sozialrechtsbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. b) Materieller Sozialrechtsbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. aa) Relevanz des materiellen Sozialrechtsbegriffs. . . . . . ..

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bb) Der Kernbereich des Sozialrechts . . . . . . . . . . . . . . . .. 2. Der Begriff des Sozialhilferechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. H. Einordnung des AsylbLG. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. D. Anwendungsumfang des allgemeinen Sozial- und Sozialhilferechts . .. I. Grundsätzliche Unanwendbarkeit des SGB. . . . . . . . . . . . . . . . . .. H. Entsprechende Anwendung einzelner Bestimmungen des SGB . .. III. Unanwendbarkeit der Grundsätze der Sozialhilfe. . . . . . . . . . . . .. I. Die Grundsätze der Sozialhilfe und deren Bedeutung . . . . . . .. a) Aufgabenbestimmung der Sozialhilfe. . . . . . . . . . . . . . . . .. b) Selbsthilfegrundsatz. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. c) Nachranggrundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. d) Individualisierungsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 2. Verfassungsrechtliche Relevanz der legislativen Abbedingung der überkommenen Grundsätze des Sozialhilferechts . . .. IV. Anwendbarkeit sonstiger Sozialleistungsgesetze . . . . . . . . . . . . .. § 2 Verfassungsrechtliche Untersuchung der Ausgliederung. . . . . . . . . . . . . .. A. Der Untersuchungsmaßstab . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. B. Die Vereinbarkeit der Ausgliederung des AsylbLG aus dem BSHG mit Art. 3 Abs. 1 GG. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. I. Vereinbarkeit der Ungleichbehandlung von Deutschen und Ausländern mit Art. 3 Abs. 1 GG. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 1. Beeinträchtigung des allgemeinen Gleichheitssatzes . . . . . . . .. 2. Gleichbehandlungsgebote . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. a) Gleichbehandlungsgebot gemäß Art. 3 Abs. 3 GG . . . . . . .. b) Gleichbehandlungsgebot gemäß Art. 25 GG. . . . . . . . . . . .. 3. Differenzierungsziel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 4. Differenzierungskriterium. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 5. Rechtfertigung der Ungleichbehandlung . . . . . . . . . . . . . . . . .. a) Prüfungsintensität ............................... " aa) Die "Willkürformel" ......................... " bb) Die "neue Formel" . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. cc) Stellungnahme................................ b) Geeignetheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. c) Erforderlichkeit................................... d) Verhältnismäßigkeit im engeren Sinn. . . . . . . . . . . . . . . . .. 6. Ergebnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 11. Vereinbarkeit der Ungleichbehandlung von ausländischen Hilfeempfangern nach § 120 BSHG und Leistungsberechtigten gemäß § 1 Abs. 1 AsylbLG mit Art. 3 Abs. 1 GG. . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 1. Beeinträchtigung des allgemeinen Gleichheitssatzes . . . . . . . .. 2. Gleichbehandlungsgebote . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. a) Rechtliche Einordnung der Leistungsberechtigten . . . . . . .. b) Gleichbehandlungsgebot aus Art. 16 a Abs. I GG . . . . . . .. c) Gleichbehandlungsgebote aus Art. 3 Abs. 3, 25 GG. . . . . ..

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3. Differenzierungsziele ................................ , a) Ermittlung der Differenzierungsziele . . . . . . . . . . . . . . . . .. b) Verfassungsmäßigkeit der Differenzierungsziele . . . . . . . .. aa) Bekämpfung des Asylmißbrauchs durch Leistungsreduktion ................................... , (1) Ansichten in der Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . .. (2) Stellungnahme............................. (3) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. bb) Einsparungen durch Leistungskürzungen und Bekämpfung der Schlepperkriminalität . . . . . . . . . . . . . .. 4. Differenzierungskriterium ............................. , 5. Rechtfertigung der Ungleichbehandlung . . . . . . . . . . . . . . . . .. a) Prüfungsintensität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. b) Geeignetheit der Ungleichbehandlung . . . . . . . . . . . . . . . .. c) Erforderlichkeit................................... d) Verhältnismäßigkeit im engeren Sinn. . . . . . . . . . . . . . . . .. aa) Güterabwägung .............................. , bb) Überprüfung der Ungleichbehandlung am Maßstab des Sozialstaatsprinzips ........................... , (1) Der materiale Gehalt und die Bindungsintensität des Sozialstaatsprinzips .................... , (a) Der materiale Gehalt. . . . . . . . . . . . . . . . . . .. (b) Die Bindungswirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . .. (2) Vereinbarkeit der Differenzierung mit dem Sozialstaatsprinzip ............................. , 6. Ergebnis ........................................... , III. Die Ausgliederung des Asylbewerberleistungsrechts am Maßstab des Grundsatzes der Systemgerechtigkeit ................... , 1. Die Bedeutung der Systemgerechtigkeit - eine Bestandsaufnahme............................................. a) Systemgerechtigkeit in der Rechtsprechung des BVerfG . .. b) Die Ansätze der Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 2. Systemgerechtigkeit und Ausgliederung .................. , a) Das Ordnungssystem. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. aa) Die Konkretisierung des Bezugsrahmens . . . . . . . . . .. bb) Die Systemkonzeption des BSHG. . . . . . . . . . . . . . . .. b) Das AsylbLG im Vergleich mit dem System des BSHG .. , c) Bewertung....................................... 3. Der Systembruch am Maßstab der Systemdogmatik . . . . . . . .. a) Bewertung am Maßstab der Rechtsprechung des BVerfG .. b) Die Bewertung der Systemwidrigkeit nach den klassischen Ansätzen in der Literatur ........................... , c) Die Bewertung der Ausgliederung am Maßstab der Lehre Degenharts. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

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aa) Subsumtion................................... bb) Stellungnahme ................................ 4. Ergebnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. § 3 Völkerrechtliche Untersuchung der Ausgliederung . . . . . . . . . . . . . . . . . .. A. Vorbemerkung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. B. Die Ausgliederung gemessen am Maßstab der Genfer Flüchtlingskonvention . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. I. Rechtliche Qualifikation der GFK. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 1. Völkerrechtliche Qualifikation. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 2. Innerstaatliche Geltung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 11. Die einschlägigen Regelungen der GFK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. III. Die grundsätzliche Anwendbarkeit der GFK auf Leistungsberechtigte des AsylbLG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 1. Der Flüchtlingsbegriff der GFK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 2. Die Flüchtlingseigenschaft der Leistungsberechtigten gemäß § 1 Abs. 1 AsylbLG ................................... a) Leistungsberechtigte gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 1, 2 AsylbLG .. b) Sonstige Leistungsberechtigte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. c) Anerkannte Konventionsflüchtlinge als Leistungsberechtigte? ........................................... 3. Ergebnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. IV. Vereinbarkeit der Schlechterstellung von Leistungsberechtigten mit Art. 7 Abs. 1 GFK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 1. Der Regelungszweck des Art. 7 Abs. 1 GFK . . . . . . . . . . . . . .. 2. Die Anwendbarkeit des Art. 7 Abs. 1 GFK auf Asylbewerber und andere Leistungsberechtigte des AsylbLG. . . . . . . . . . . . .. a) Die herrschende Meinung ........................... b) Die Mindermeinung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. c) Stellungnahme .................................... aa) 1. Fallgruppe: (Noch) nicht als Flüchtlinge anerkannte Asylbewerber. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. bb) 2. Fallgruppe: Als Flüchtlinge anerkannte Leistungsberechtigte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 3. Ergebnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. V. Vereinbarkeit der Schlechterstellung von Leistungsberechtigten mit Art. 23 GFK ........................................... 1. Nichtanwendbarkeit des Art. 23 GFK aufgrund fehlender staatlicher Anerkennung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 2. Das Problem des rechtmäßigen Aufenthalts LS. des Art. 23 GFK ............................................... VI. Ergebnis..... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. C. Die Ausgliederung gemessen am Maßstab des Europäischen Fürsorgeabkommens ............................................... I. Genese, rechtliche Qualifikation und Regelungsbereich des EFA .

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11. Das Verhältnis des AsylbLG zum EFA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. III. "Erlaubter Aufenthalt" von Asylbewerbern, geduldeten Ausländern und Flüchtlingen? Die Anwendungsproblematik . . . . . . . . . . . . .. 1. Aufenthaltsgestattung und Duldung als Erlaubnis i.S.d. EFA .. a) Die befürwortende Ansicht .......................... b) Die ablehnende Ansicht. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. c) Stellungnahme.................................... 2. Aufenthaltsbefugnis gemäß § 30 AuslG als Erlaubnis i.S.d. EFA ............................................... IV. Ergebnis .............................................. D. Die Ausgliederung des Leistungsrechts gemessen am Maßstab des Internationalen Pakts über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte ................................................... I. Der Sozialpakt. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 11. Ausgliederungsrelevante Verpflichtungen des Sozialpakts . . . . . .. III. Der Sozialpakt als justitiabier Maßstab für die Ausgliederung des Asylbewerberleistungsrechts? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. IV. Ergebnis..............................................

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3. Kapitel Die Leistungen nach den Vorschriften des AsylbLG gemessen am Maßstab des Existenzminimums

§ I Vorbemerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. § 2 Das Existenzminimum - eine Bestandsaufnahme .................... A. Der Begriff des Existenzminimums ............................ I. Existenzminimum als Oberbegriff.......................... 11. Inhaltlich differenzierende Begriffe ......................... I. Historische Wurzeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 2. Heutiger Sprachgebrauch .............................. B. Das Existenzminimum als Leistungsanspruch und Abwehrrecht. . . . .. C. Die Bemessung des sozio-kulturellen Existenzminimums ........... I. Die verfassungsrechtlichen Vorgaben ....................... I. Das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit, Art. 2 Abs. 2 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 2. Die Menschenwürde .................................. a) Die Entwicklung der Rechtsprechung .................. b) Die Entwicklung der Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. aa) Menschenwürde als unbestimmter Rechtsbegriff ..... bb) Menschenwürde und materielle Abhängigkeit. . . . . . .. c) Die Schwelle zur Armut als negativer Interventionspunkt? . d) Der Beitrag der Menschenwürde zur Bestimmung des Existenzminimums . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

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3. Der allgemeine Gleichheitssatz .......................... 4. Der besondere Schutz von Ehe und Familie ................ 5. Das Sozial staats prinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. a) Bedeutung ....................................... b) Die Ressourcenabhängigkeit des Sozialstaats ............ 6. Zusammenfassung .................................... 11. Einfachgesetzliche Bemessungsvorgaben .................... D. Die Regelsätze ............................................ I. Umfang der Regelsätze .................................. 11. Die Regelsätze als pauschaliertes Teilexistenzminimum ........ 1. Regelsatzfestlegung als normativer Ort der Bemessung des Teilexistenzminimums ................................... 2. Fernwirkung der Regelsätze ............................ III. Die Bedarfsbemessungssysteme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 1. Das Warenkorbmodell. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. a) Begriff, Verfahren, Bedeutung ........................ b) Kritik ........................................... 2. Übergangsmodell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 3. Das Statistikmodell. .................................. a) Das Verfahren .................................... b) Kritik ........................................... 4. Deckelung und Koppelung der Regelsätze ................. 5. Fazit. .............................................. E. Zusammenfassung und Stellungnahme ......................... § 3 Das Leistungsniveau des AsylbLG im Vergleich mit den Leistungen der Sozialhilfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. A. Das Leistungssystem des AsylbLG. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. B. Der konkrete Leistungsumfang. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. I. Regelleistungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 1. Ernährung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 2. Hauswirtschaftlicher Bedarf. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 3. KörperpflegelReinigung ............................... 4. Kleidung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 5. Unterkunft. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 6. Leistungen bei Krankheit, Schwangerschaft und Geburt. . . . .. 7. Sonstige Leistungen .................................. 11. Eingeschränkte Leistungen gemäß § la AsylbLG. . . . . . . . . . . . .. 111. Leistungen in besonderen Fällen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. C. Vergleich der Leistungen nach dem AsylbLG mit dem Niveau der Sozialhilfe für Ausländer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. § 4 Überprüfung der Rechtfertigungsansätze rur die Minderleistungen nach den Vorgaben des AsylbLG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. A. Der Prüfungs maßstab . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

153 154 154 154 155 155 156 157 157 158 158 161 162 162 162 164 165 165 165 166 166 167 169 171 171 172 172 173 173 173 174 174 175 175 176 177 177 179 179

Inhaltsverzeichnis

B. Inkongruenz von verfassungsrechtlich garantiertem und sozialhilferechtlich definiertem Existenzminimum als Rechtfertigung für das Leistungsniveau des AsylbLG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. I. Darstellung des Ansatzes. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. II. Überprüfung des Ansatzes. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 1. Untauglichkeit des § 25 BSHG als Mittel zur Erkenntnis des verfassungsrechtlich garantierten Existenzminimums . . . . . . .. 2. § 120 Abs. 3, 5 BSHG als Rechtfertigungsansatz ............ 3. Stellungnahme ....................................... C. Der Lebensstandard in den Herkunftsländern der Leistungsberechtigten als Rechtfertigung des abgesenkten Leistungsniveaus . . . . . . . . . . . . .. D. Niedrigerer Bedarf der Leistungsberechtigten als verfassungslegitime Rechtfertigung der Minderleistungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. I. Darstellung des Ansatzes. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. II. Überprüfung der Bedarfsargumentation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 1. Das Bedarfsprinzip als verfassungsmäßiger Anknüpfungspunkt für die Höhe des Existenzminimums . . . . . . . . . . . . . . .. 2. Niedrigerer Bedarf der Leistungsberechtigten gemäß § 1 Abs. 1 AsylbLG? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. a) Gegenansichten in der Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. b) Stellungnahme. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. III. Die Aufenthaltsdauer als bedarfsprägender Faktor. . . . . . . . . . . .. I. Die Bedeutung des Zeitfaktors . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 2. Die maßgebliche Aufenthaltsdauer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. IV. Zusammenfassung und Ergebnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. § 5 Verfassungsmäßigkeit der Ermächtigung zu weiteren Leistungskürzungen gemäß § 1 a AsylbLG. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. A. Bedeutung und Problematik des § 1 a AsylbLG. . . . . . . . . . . . . . . . . .. B. Das im Einzelfall unabweisbar Gebotene und das Existenzminimum.. I. Ansätze zur Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffs . . . . . .. II. Stellungnahme.........................................

4. Kapitel Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse, gesetzgeberischer Handlungsbedarf und Schlußbetrachtung

15

181 181 182 182 184 185 186 187 187 189 189 190 190 192 195 195 196 199 199 199 201 201 203

205

§ 1 Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse und gesetzgeberischer Handlungsbedarf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 205 § 2 Schlußbetrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 209 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 211 Sachwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 221

Abkürzungsverzeichnis anderer Auffassung am angegebenen Orte Absatz am Ende alter Fassung ArbeitsfOrderungsgesetz Ausfiihrungsgesetz zum BSHG Alternativkommentar AK Alternative Alt. Anmerkung Anm. Archiv des öffentlichen Rechts AöR argumentum arg. Artikel Art. Asylbewerberleitungsgesetz AsylbLG Asylverfahrensgesetz AsylVfG AufenthG Aufenthaltsgesetz/EWG Ausländergesetz AuslG Ausfiihrungsvorschriften AV BerufsaubildungsfOrderungsgesetz BAf6G Baden-Württemberg Ba.-Wü. BayObLG Bayerisches Oberstes Landesgericht Bayerische Verwaltungsblätter BayVBI. Begründung Begr. Bundesgesetzblatt BGBI. Bundesgerichtshof BGH Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen BGHZ Bundesrat BR BR-Drucks. Bundesrats-Drucksache BSG Bundessozialgericht BSGE Entscheidungen des Bundessozialgerichts BSHG Bundessozialhilfegesetz BT Bundestag BT-Drucks. Bundestags-Drucksache BVerfG Bundesverfasungsgericht BVerfGE Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts BVerwG Bundesverwaltungsgericht BVerwGE Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts BVG Bundesversorgungsgesetz ders. derselbe dies. dieselbe(n) DJT Deutscher Juristentag a.A.

a.a.O. Abs. a.E. a.F. AFG AGBSHG

Abkürzungsverzeichnis Die öffentliche Verwaltung Deutscher Paritätischer Wohlfahrtsverband Deutscher Verein für öffentliche und private Fürsorge Deutsches Verwaltungsblatt Durchführungsverordnung Deutsche Verwaltungspraxis Entscheidung E Europäisches Fürsorgeabkommen EFA Europäische Menschenrechtskonvention EMRK erweiterte erw. Europäische SoziaIcharta ESC Einkommensteuergesetz EStG Europäische Union EU Europäische Grundrechte-Zeitschrift EuGRZ Einkommens- und Verbraucherstichprobe EVS Zeitschrift für das gesamte Familienrecht FamRZ Fürsorgerechtliche Entscheidungen der Verwaltungs- und Sozialgerichte FEVS die folgende(n) Seite(n) ff Gesetz zur Umsetzung des Föderalen Konsolidierungsprogramms FKPG Fn. Fußnote GB!. Gesetzblatt Grundgesetz GG GYIL German Yearbook OfInternational Law Hilfe in besonderen Lebenslagen HbL herrschende Lehre h.L. Hilfe zum Lebensunterhalt HLU herrschende Meinung h.M. Hrsg. Herausgeberlherausgegeben HS. Halbsatz HStruktG Haushaltsstrukturgesetz InfAuslR Informationen zum Ausländerrecht info also Informationen zum Arbeitslosenrecht und Sozialrecht IPBR Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte IPWSR Internationaler Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte International Refugee Organisation IRO Juristische Schulung JuS Juristenzeitung JZ Literatur Lit. Monatsschrift des Deutschen Rechts MDR m.w.N. mit weiteren Nachweisen Nachrichtendienst des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge NDV neubearb. neubearbeitet n.F. neue Fassung Neue Juristische Wochenschrift NJW Rechtsprechungsreport der NJW NJW-RR NVwZ Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht NVwZ-RR Rechtsprechungsreport der NVwZ NWVB!. Nordrhein-Westfalen Verwaltungsblätter DöV DPWV DV DVB!. DVO DVP

2 Horrer

17

18 NZS PrOVGE RG RGBl. RGr. RsDE Rspr. RVO

Rz.

SF SGB SGb. SKWPG StRspr. überarb. UNHCR UVG VGH vgl. VO VSSR VVDStRL

WVÜ ZAR ZDWF

ZtF

ZfS ZfSH ZfSWSGB ZRP ZStW

Abkürzungsverzeichnis Neue Zeitschrift für Sozialrecht Entscheidungen des Preußischen Oberverwaltungsgerichts Reichsgericht Reichsgesetzblatt Reichsgrundsätze über Voraussetzung, Art und Maß der öffentlichen Fürsorge Beiträge zum Recht der sozialen Dienste und Einrichtungen Rechtsprechung Reichsversicheungsordnung Randziffer Sozialer Fortschritt Sozialgesetzbuch Zeitschrift "Die Sozialgerichtsbarkeit" Gesetz zur Umsetzung des Spar-, Konsolidierungs- und Wachstums-Programms Ständige Rechtsprechung überarbeitet(e) United Nations High Commissioner for Refugees Unterhaltsvorschußgesetz Verwaltungsgerichtshof vergleiche Verordnung Vierteljahresschrift für Sozialrecht Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge Zeitschrift für Ausländerrecht Zentrale Dokumentationsstelle der Freien Wohlfahrtspflege für Flüchtlinge e.V. Zeitschrift rur das Fürsorgewesen Zentralblatt für Sozialversicherung, Sozialhilfe und Versorgung Zeitschrift für Sozialhilfe Zeitschrift für Sozialhilfe und Sozialgesetzbuch Zeitschrift für Rechtspolitik Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft

Im übrigen wird auf Hildebert Kirchner, Abkürzungsverzeichnis der Rechtssprache, 4. Aufl., Berlin 1993, verwiesen.

1. Kapitel

Grundlagen § 1 Einleitung A. Gegenstand der Untersuchung

Mit der Schaffung des Gesetzes zur Neuregelung der Leistungen an Asylbewerber vom 30.06.1993' (AsylbLG) wurde das Sozialleistungsrecht für Ausländer, die sich regelmäßig nur kurzzeitig und mit ungesichertem aufenthaltsrechtlichen Status in Deutschland autbalten, aus dem BSHG ausgegliedert und neu geordnet. Kern der Regelung ist eine deutliche Absenkung der bislang gewährten Leistungen. Die vorliegende Untersuchung hat dementsprechend die durch die Ausgliederung und die Leistungsabsenkung resultierenden rechtlichen, insbesondere verfassungsrechtlichen Probleme zum Gegenstand. Mit der Ausgliederung des Asylbewerberleistungsrechts aus dem BSHG wurde als Novum in der deutschen Sozialrechtsgeschichte zum ausgewiesenen Zwecke der SchlechtersteIlung der Leistungsberechtigten ein eigenständiges Leistungsrecht geschaffen, das neben und weitgehend unabhängig vom Bestand der überkommenen Sozialleistungssysteme Anwendung finden soll. Der Vorgang dieser Ausgliederung ebenso wie deren rechtssystematische Konsequenzen stellen neben daraus resultierenden verfassungsrechtlichen Fragen und den Bezügen zum Völkerrecht den einen Schwerpunkt der vorliegenden Arbeit dar. Es stellt sich namentlich die Frage nach der Verortung des AsylbLG im Rahmen des Rechtssystems. Evident ist die Problemstellung auch im Hinblick auf Art. 3 Abs. I GG: Immerhin werden mit der Ausgliederung des Asylbewerberleistungsrechts aus dem Bezugsrahmen des BSHG mittels einer leistungsrechtlichen SchlechtersteIlung der Betroffenen u.a. ausländer- und haushaltspolitische Zielsetzungen verfolgt. 2 Literatur und Rechtsprechung beschäftigte hingegen vermehrt ein anderes Problem des AsylbLG, dem gerecht zu werden in einem zweiten Schwerpunkt der vorliegenden Arbeit versucht wird: Die mit der Ausgliederung verbundene SchlechtersteIlung des betroffenen Personenkreises wirft die Frage nach der Sicherung, nach Art und Maß des Existenzminimums dieser Menschen auf. An diesem Topos entzünden sich die Emotionen. Hier treffen ausländerrechtliche Ordnungsaspekte auf verfassungsrechtliche Grenzen und fiskalpolitische Vorgaben auf sozialpolitisch WünschensI 2

2"

BGB\. 1993 I, 1074. Hierzu unten, § 2, B., II., 3.

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1. Kap.: Grundlagen

wertes. Die Quintessenz dieser Problematik ist die Frage nach dem verfassungsrechtlich gebotenen Umfang des Existenzminimums und damit letztlich die Suche nach einem adäquaten Maßstab zur Bemessung dieses notwendigen Minimums. In ihrer menschlichen und politischen Dimension wird diese Problemlage anschaulich mit einem Blick auf die kritischen Stimmen zum AsylbLG verdeutlicht: So wurde das neue Gesetz als praktizierter Rassismus im Gewand des Sozial staats bezeichnet. 3 Beabsichtigte Ausgrenzung, Entsolidarisierung, Diskriminierung, Repression und Verfolgung seien Auswirkungen einer SchlechtersteIlung bestimmter Ausländer. 4 Es werde der Weg in die ,,Angst- und Haßgesellschaft" markiert. 5 Andere stellen neben die Kritik Hinweise und Ratschläge, wie gegen das AsylbLG vorgegangen werden kann. 6 Mit Antragsformularen auf Leistungen nach dem AsylbLG, auf Arbeitserlaubnis, Schwangerschaftsausstattung etc. sowie Formulierungshilfen für die ordnungsgemäße Einlegung von Rechtsbehelfen und Rechtsmitteln wird versucht, 7 einen Beitrag zur Blockade des Vollzugs des AsylbLG zu leisten. 8 Ebenfalls ablehnend wandten sich im Anhörungsverfahren einzelne Sachverständige bzw. befragte Institutionen gegen die Einführung ebenso wie gegen die erste und zweite Novellierung des AsylbLG:9 Die Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege e. Verkennt als Konsequenz der Anwendung des AsylbLG die Entmündigung, die soziale und psychische Ausgrenzung sowie die Verelendung der Normbetroffenen. Auch das Diakonische Werk der Evangelischen Kirche in Deutschland hatte grundlegende Bedenken gegen das AsylbLG. Sowohl die geringe Grundsicherung als auch die Ausgrenzung bestimmter Personengruppen aus dem Regelungszusammenhang des Sozialhilferechts wurde als unvereinbar mit dem christlichen Menschenbild und dem GG bemängelt. Sparmaßnahmen auf Kosten der Schwächsten und das Verlassen der Grundprinzipien der Sozialhilfe benennt die Evangelischen Kirche als "problematisch und schwerlich verantwortbar". Anzumerken ist aber gleichwohl, daß die oftmals rigorose und plakativ geäußerte Kritik in der Öffent-

3 Schlagwort auf dem Deckblatt der Dokumentation: Das Ausländerleistungsgesetz. Unter dieser Bezeichnung wurde auch der Komplex des Asylbewerberleistungsrechts im Rahmen der politischen Meinungsbildung diskutiert. Die wesentlichen materiellrechtlichen Gehalte dieses Entwurfs sind in das AsylbLG eingegangen. 4 Das Ausländerleistungsgesetz, S. 5. 5 A.a.O., S. 5. 6 Classen, Menschenwürde mit Rabatt, S. 69 ff. 7 A.a.O., S. 72 ff. 8 A.a.O., S. 93; "Vorschläge für politische Aktionen". 9 Wiedergegeben werden im folgenden nur die einer einzigen Sammelstellungnahme zum Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des AsylbLG und anderer Gesetze (Ausschußdrucks. 257/13 des Ausschusses für Gesundheit vom 20.11.1995) entnommenen ablehnenden Ansichten. Eine Vielzahl weiterer kritischer Stimmen finden sich bspw. in folgenden Materialien zur Gesetzgebung: Ausschuß für Gesundheit, Ausschußdrucksachen 253/13, 256/13, 258/13, 1071/13,1087113 (S. 47 ft), 1099/13.

§ I Einleitung

21

lichkeit keine breite Basis gefunden hat, sondern im wesentlichen - soweit ersichtlich - auf einen verhältnismäßig kleinen, aber engagierten Personenkreis beschränkt geblieben ist. Es steht die Unkenntnis weiter Bevölkerungskreise hinsichtlich der Existenz des AsylbLG zu vermuten. Die alltäglichen Erfahrungen mit den oftmals von tiefgreifender Unwissenheit geprägten herrschenden Ansichten in Bezug auf die leistungsrechtliche Stellung der Asylbewerber geben keinen Anlaß, an der überwiegenden Zustimmung in der Bevölkerung zu den Einschränkungen im Asylbewerberleistungsrecht seit Beginn der achtziger Jahre zu zweifeln. Die Kenntnis der tatsächlichen materiellen Situation der Leistungsberechtigten des AsylbLG scheint vielmehr in einem umgekehrten Verhältnis zur jeweils befürworteten leistungsrechtlichen SchlechtersteIlung der Betroffenen zu stehen. Die vorliegende Arbeit soll vor diesem Hintergrund der öffentliche Meinung jenseits polemischer Kritik im politischen Meinungskampfund ebenso weit entfernt von einer bloß positivistischen Betrachtungsweise des AsylbLG als formell gesetztes Recht einen Beitrag zur rechtlichen Klärung des Spannungsfeldes zwischen Sparzwang, Ausländer- und Sozialrecht leisten. Eingebettet ist diese rechtliche Problematik freilich in einen weiteren, politischen Sachzusammenhang, der die nationale Dimension überschreitet: Als Problem "mehr erahnt als erkannt und mehr verdrängt als verarbeitet"IO wird das Verhältnis von Einreisefreiheit und sozialer Sicherung. Weithin, nicht nur gesamteuropäisch, ist größtmögliche Einreisefreiheit, verbunden mit dem Abbau der Grenzformalitäten und Kontrollen, ein politisches Ziel. Dessen bislang nur teilweise - Verwirklichung ist conditio sine qua non für jenes Phänomen, das oftmals mit dem Begriff des ,,Asylbewerberproblems" umschrieben wird und das auch der Grund für die Ausgliederung des Asylbewerberleistungsrechts und die Schaffung des AsylbLG war. 11 Für sich allein genommen ist das hohe Maß an Einreisefreiheit aber noch kein Problem. Dazu wird es erst durch den in Deutschland und in weiten Teilen der Europäischen Gemeinschaft allgemein üblichen relativ hohen Standard der sozialen Sicherung für alle Menschen. 12 Dieser wiederum hat - auf Deutschland bezogen - seinen Ursprung letztlich im Menschenbild des Grundgesetzes, in mit "Ewigkeitsgarantie" ausgestatteten Verfassungspostulaten, in der universelle Geltung beanspruchenden Menschenwürde. Damit sind die Koordinaten bezeichnet, innerhalb derer es Aufgabe der (internationalen) Politik ist, eine tragfähige Problemlösung zu erarbeiten.

Schiffer, ZAR 1991,21. V gl. zum geschichtlichen Hintergrund des AsylbLG unten, § 2. 12 Schon 1991 hat Schiffer, ZAR, a.a.O., S. 23, auf diese Problematik hingewiesen und mit seinen Argumenten der Schaffung des AsylbLG den Weg geebnet: ,,Bei Ausländern, die in ihr Herkunftsland zurückkehren müssen, können nicht unsere Standards fiir die Sozialhilfe Maßstab sein." "Je mehr Liberalität beim Einreisen, desto mehr Striktheit beim Aufenthalt, bei der Alimentierung und beim Ausweisen." \0

11

22

I. Kap.: Grundlagen

B. Der Gang der Untersuchung Zunächst ist die Genese des AsylbLG aus dem Sozialhilferecht darzustellen. Es wird der rechtshistorische Kontext, aus dem das AsylbLG entstanden und in welchem es eingebunden ist, grundrißartig aufgezeigt. Im zweiten Kapitel ist die Ausgliederung des Leistungsrechts für Asylbewerber und andere Ausländergruppen zu untersuchen. Als notwendig mit der Ausgliederung verbundenes Problem stellt sich die Frage nach der rechtssystematischen Zuordnung des AsylbLG. Auf der verfassungsrechtlichen Untersuchung der Ausgliederung liegt der Schwerpunkt dieses Kapitels. Daneben wird die Vereinbarkeit des neuen Leistungsrechts mit den Vorgaben des individualschützenden Völkervertragsrechts überprüft. Das dritte Kapitel ist dem Maß der Leistungen auf der Grundlage des AsylbLG gewidmet. Zu überprüfen ist, ob das Leistungsniveau des AsylbLG den Mindestanforderungen eines verfassungs gemäßen Existenzminimums entspricht. Dazu wird zunächst eine Bestandsaufnahme der rechtlichen und tatsächlichen Facetten des existenznotwendigen Minimums unternommen; anhand der Vorgaben des GG wird versucht, den Bereich eines verfassungsgemäßen Existenzminimums zu ermitteln. Sodann ist das konkrete Leistungsniveau des AsylbLG zu bestimmen und mit den Leistungen der Sozialhilfe als vorhandene Maß größe des notwendigen Lebensunterhalts zu vergleichen. Daraufhin wird unter Berücksichtigung der vorgefundenen Ansätze in Literatur und Rechtsprechung die Grundfrage zu beantworten sein, ob es eine verfassungslegitime Möglichkeit geben kann, das ermittelte und allgemein anerkannte minimale Leistungsniveau für in Not geratene Menschen in bestimmten Konstellationen zu unterschreiten und gleichwohl deren Existenzminimum zu sichern. Erst abschließend kann sodann auf die von § 1 a AsylbLG vorgesehene weitere Stufe der Leistungsabsenkung eingegangen werden. Auch insoweit stellt sich die Frage nach der Vereinbarkeit dieser Ermächtigung mit dem verfassungsrechtlich garantierten Existenzminimum und mithin der Menschenwürde der Betroffenen.

§ 2 Der historische Hintergrund und die Genese des AsylbLG A. Die Entwicklung des Sozialleistungsrechts für Ausländer bis 1981 Die Hilferegelungen für in Not geratene Ausländer haben naturgemäß neben dem FÜTsorgerecht für Staatsangehörige der deutschen Länder bzw. des Reichs eine untergeordnete Rolle gespielt.!3 Reichseinheitlich geregelt wurde das Fürsorgerecht für \3 Das allgemeine Landrecht für den preussischen Staaten vorn 05.02.1794 bestimmt im 2. Teil, 19. Titel, § 4, lediglich: ,,Fremde Bettler sollen in das Land nicht gelassen oder darin geduldet, und wenn sie sich gleichwohl einschleichen, sofort über die Gränze ZUTÜckgeschaffi werden." Der Gesetzestext ist veröffentlicht bei Stolleis, Quellen zur Geschichte des Sozialrechts, S. 64.

§ 2 Der historische Hintergrund und die Genese des AsylbLG

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Fremde erstmals durch § 34 der Reichsgrundsätze über die Voraussetzung, Art und Maß der öffentlichen Fürsorge vom 04.12.1924. 14 Danach waren hilfsbedürftigen Ausländern insbesondere Unterkunft, Nahrung, Kleidung, Pflege, Krankenhilfe und nötigenfalls gemäß § 34 Satz 2 der Reichsgrundsätze Bestattungskosten zu gewähren. Die übrigen Bestimmungen des Fürsorgerechts fanden auf Ausländer gemäß § 34 Satz 3 der Reichsgrundsätze nur insoweit Anwendung, als die Reichsregierung mit Zustimmung des Reichsrats oder ein Staatsvertrag dies bestimmten. Gemäß § 13 der Verordnung über die Fürsorgepflicht vom 13.02.1924 15 war jener Bezirksfiirsorgeverband fiir die Hilfeleistungen an Ausländer zuständig, in dessen Bereich sich der hilfsbedürftige Ausländer befand. Noch unbekannt war den Reichsgrundsätzen eine Differenzierung innerhalb der Gruppe der Ausländer, wohingegen bei Art und Maß der Hilfeleistungen die deutsche Staatsangehörigen privilegiert wurden. Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges erfuhr das Fürsorgerecht fiir Ausländer durch Besatzungsrecht Modifizierungen. Die Reichsfiirsorgepflichtverordnung und die Reichsgrundsätze galten eingeschränkt weiterhin in den drei Westzonen sowie in Westberlin. In der sowjetischen Zone hingegen wurden diese Regelungen durch die Verordnung über Sozialfiirsorge fiir die Bevölkerung in der sowjetischen Besatzungszone Deutschland vom 22.04.1947 ersetzt. 16 In den von den Westalliierten besetzten Gebieten erging gemäß Art. II des Kontrollratsgesetzes Nr. 1 und des Art. II des Gesetzes Nr. 1 der amerikanischen Militärregierung ein Verbot gegen die Fortgeltung des § 34 der Reichsgrundsätze. Es durfte kein deutscher Rechtssatz mehr angewendet werden, der Menschen wegen ihrer Staatsangehörigkeit benachteiligte. 17 Diese Regelung setzte erst § 2 des Ersten Gesetzes zur Aufhebung des Besatzungsrechts vom 30.05.1956 18 mit Wirkung ab 01.06.1956 außer Kraft. 19 Die Reichsgrundsätze und die Reichsfiirsorgepflichtverordnung galten nach dem Krieg durch das Gesetz über die Änderung und Ergänzung fiirsorgerechtlicher Bestimmungen von 1953 20 im wesentlichen fort. 21 Mit der Schaffung des Bundessozialhilfegesetzes vom 30.06.1961 22 wurde auch das Fürsorgerecht fiir Ausländer neu geregelt und in den Rahmen des Sozialhilferechts eingefuhrt. § 120 BSHG a.F. war die zentrale Norm fiir die Hilfen fiir alle in Not geratenen Ausländer. Diese Regelung, RGBI. 1924 I, 765 fI. RGBI. 1924 I, 100 fI. 16 Vgl. hierzu: StolleislSchlamelcher, NDV 1985,309. 17 Hierzu: Jehle, Fürsorgerecht, Handkommentar, 3. Aufl., 1958, Kommentierung zu § 34 Reichsgrundsätze, Anm. 1, S. 207. 18 BGBI. 1956 I, 437. 19 Hofmann, ZAR 1990, 10 und Jehle, a.a.O. 20 BGBI. 1953 1,967. 21 Krahmer in LPK BSHG, Einleitung, Rn. I; SchellhornlJirasek/Seipp, Einfiihrung, Rn. 5. 22 BGBI. 1961 1,815. 14 IS

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1. Kap.: Grundlagen

die hinsichtlich des Leistungsniveaus zwar grundsätzlich unter jenem der Sozialhilfe für Deutsche angesiedelt war, blieb bis zur Haushaltskonsolidierungsgesetzgebung der achtziger Jahre unverändert und kannte bis dahin auch keine Unterscheidung der Hilfsbedürftigen in Asylbewerber und sonstige Ausländer. Privilegiert waren und sind allerdings nach § 120 Abs. 3 Satz I BSHG Ausländer, die vom Geltungsbereich von Rechtsvorschriften erfaßt werden, nach weIchen auch sonstige Sozialhilfe zu gewähren ist oder gewährt werden soll. Zu diesem Personenkreis zählen anerkannte Flüchtlinge, österreichische und schweizer Staatsangehörige, EG-Arbeitnehmer und Verbleibeberechtigte gemäß § 6 a Abs. 2 bis 8 AufenthG, Staatsangehörige der Signatarstaaten des Europäischen Fürsorgeabkommens, Angehörige und Zivilbedienstete der Stationierungsstreitkräfte in Deutschland sowie ausländische Diplomaten23 .

B. Die gesetzlichen Vorstufen des AsylbLG Die eigentliche Entwicklung hin zum AsylbLG wurde vor dem Hintergrund steigender Asylbewerberzahlen in sich verschlechternden ökonomischen Rahmenbedingungen durch die Verabschiedung des 2. Gesetzes zur Verbesserung der Haushaltsstruktur vom 22.12.1981 (2. Haushaltsstrukturgesetz)24 in Gang gesetzt. Art. 21 Nr. 29 dieses Gesetzes änderte § 120 BSHG insoweit, als sich der Anspruch asylsuchender Ausländer bis zum rechtskräftigen Abschluß des Asylverfahrens nunmehr lediglich auf die Hilfe zum Lebensunterhalt beschränkte und die weiteren von § 120 Abs. 1 Satz 1 BSHG vorgesehenen Sozialhilfeleistungen in das Ermessen der Leistungsträger gestellt wurde. 25 Weiterhin führte der damalige Gesetzgeber das Sachleistungsprinzip als Regelfall ein und eröffnete den Trägern der Sozialhilfe die Möglichkeit, die Hilfe zum Lebensunterhalt auf das Unerläßliche einzuschränken. Eine weitere SchlechtersteIlung des betroffenen Personenkreises brachte Art. 26 Nr. 12 des Gesetzes über Maßnahmen zur Entlastung der öffentlichen Haushalte und zur Stabilisierung der Finanzentwicklung in der Rentenversicherung sowie über die Verlängerung der Investitionshilfeabgabe (Haushaltbegleitgesetz 1984) vom 22.12.1983. 26 Die Leistungsabsenkung des § 120 Abs. 2 BSHG wurde mit diesem Gesetz auf asylsuchende Ausländer erweitert, deren Asylverfahren noch nicht unanfechtbar abgeschlossen war und die keine Aufenthaltsgenehmigung besaßen (§ 120 Abs. 2 Nr. 1 BSHG), die zur Ausreise verpflichtet waren, deren Aufenthalt aus völkerrechtlichen, politischen, humanitären oder aus den in § 51 Abs. 1 AuslG genannten Gründen aber geduldet worden war (§ 120 Abs. 2 Nr. 2 BSHG), sowie auf sonVgl. zu den Einzelheiten, Birk in: LPK BSHG, § 120, Rn. 7 ff. BGBI.I 1981, 1523. 25 § 120 Abs. 2 Satz 2 BSHG a.F. Als weitere Hilfen sah § 120 Abs. 1 Satz 1 BSHG Krankenhilfe, Hilfe für werdende Mütter und Wöchnerinnen sowie Hilfe zur Pflege vor. 26 BGBI. 1983 1,1532 mit Berichtigung in: BGBI. 1984 1,107. 23

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§ 2 Der historische Hintergrund und die Genese des AsylbLG

25

stige zur Ausreise verpflichtete Ausländer (§ 120 Abs. 2 Nr. 3 BSHG). Sonstige Sozialhilfe blieb jedoch weiterhin ins Ennessen des Sozialhilfeträgers gestellt. Auch das Sachleistungsprinzip und die Möglichkeit zur Einschränkung der Leistungen auf das zum Lebensunterhalt Unerläßliche wurden beibehalten. Neu hinzu trat jedoch die Möglichkeit, die Leistungen durch Aushändigung von Wertgutscheinen zu gewähren. 27 Trotz dieser Leistungseinschränkungen in Maß und Fonn der Hilfe stieg die Anzahl nicht nur der Asylbewerber, sondern auch jener Ausländer erheblich an, welchen aus völkerrechtlichen oder humanitären Gründen in Deutschland ein Bleiberecht zu gewähren war, wohingegen sich die Anerkennungsquoten im Asylverfahren stetig rückläufig entwickelten. 28 Deshalb wurde es als erforderlich erachtet, auch im Sozialleistungsrecht für die Nonnbetroffenen des § 120 Abs. 2 BSHG a.F. Änderungen vorzunehmen. In der Folge brachten die Fraktionen von CDU/CSU und FDP mit dem Entwurf eines Gesetzes über Leistungen der Sozialhilfe an Ausländer ein Gesetzgebungsverfahren in Gang. 29 Vorgesehen war eine Neuregelung der Sozialhilfe an Ausländer; dabei sollte § 120 BSHG gestrichen und dafür in das BSHG ein neuer Abschnitt 10 a eingefügt werden, der mit den neu zu schaffenden §§ 117, 118 den Leistungsumfang an die verschiedenen Gruppen von Ausländern regeln sollte. Es wurde versucht, den sozialhilferechtlichen Grundsätzen des BSHG gerecht zu werden und gleichzeitig die vom Ausländerrecht vorgegebene Zielrichtung hinsichtlich des Aufenthalts von Ausländern ohne verfestigten Aufenthaltsstatus zu berücksichtigen. 3o Zur Verwirklichung dieser Zielvorgabe sah der Gesetzentwurf eine Abstufung des Leistungsumfanges entsprechend der Verfestigung des Aufenthaltsstatus der Berechtigten vor. Bei einem auf Dauer verfestigten Aufenthaltsstatus sollte Sozialhilfe den Vorgaben des § 120 BSHG a.F. folgen. 31 Soweit von einem "dem Grunde nach nicht verfestigten Aufenthaltsstatus" auszugehen war, war vorgesehen, Hilfen nur im Umfang des zum Lebensunterhalt Unerläßlichen zu leisten. Die unterste Stufe der Hilfeleistungen war für Ausländer mit einem ,,rechtlich oder faktisch nur auf Zeit verfestigen Aufenthaltsstatus" geplant. Insoweit sollte "grundsätzlich nur die existenzsichernde Hilfe zum Lebensunterhalt im Umfange wie an Deutsche gewährt" werden. 32

27 Vgl. zu dieser Entwicklung auch: Hofmann, ZAR 1990, 10, 11 und Hohm, GK-AsylbLG 11, Rn. 13, 14. 28 Von 1985 bis 1990 stieg die Anzahl der Asylbewerber von 73832 auf 193063; gleichzeitig sank die Anerkennungsquote von 29,15 auf4,4 %; Daten für 1985: von Pollern, ZAR 1986, 67; Daten für 1990: von Pollern, ZAR 1991,78. 29 BT-Drucks. 12/3686. 30 BT-Drucks. 12/3686, Allgemeine Begründung. 31 In BT-Drucks. 12/3686, Allgemeine Begriindung, ist von "Sozialhilfe wie nach bisherigem Recht im weitgehenden Umfang" die Rede. Damit dürften sich die Regierungsfraktionen auf die Regelung des § 120 Abs. I BSHG a.F. bezogen haben. 32 BT-Drucks. 12/3686, a.a.O.

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1. Kap.: Grundlagen

Der Entwurfwurde in der 121. Sitzung des Deutschen Bundestages am 13.11.1992 in Erster Lesung beraten und danach an die zuständigen Ausschüsse verwiesen. Damit war das Gesetzgebungsverfahren für diesen Entwurfbeendet, da er sich durch die Ergebnisse der Verhandlungen zu Asyl und Zuwanderung vom 06.12.1992, dem sogenannten Asylkompromiß,33 erledigt hatte. Bei diesen Verhandlungen kamen die beteiligten Parteien (CDU/CSU, FDP, SPD) überein, ein Gesetz zur Regelung des Mindestunterhalts von Asylbewerbern zu schaffen. C. Die Schaffung des AsylbLG und die Änderungsgesetzgebung34

Unter Bezugnahme auf den nicht weiter beratenen Gesetzentwurf vom 10.11.1992 legten die Regierungsfraktionen am 02.03.1993 einen Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung der Leistungen an Asylbewerber35 vor. Die Vorlage wurde in erster Lesung am 04.03.1993 im Bundestages beraten und sodann zur weiteren Beratung federführend an den Ausschuß für Familie und Senioren überwiesen. Nach einer öffentlichen Anhörung erfolgte am 26.05.1993 im Bundestag in zweiter und dritter Lesung eine abschließende Beratung über eine entsprechende Beschlußempfehlung mit Bericht des federführenden Ausschusses als abgeänderte Entwurfsfassung, die sodann als Gesetz beschlossen wurde. 36 Die erforderliche Zustimmung gab der Bundesrats am 28.05.1993.37 Verkündet wurde das AsylbLG am 01.07.1993. 38 Der Zeitpunkt des Inkrafttretens wurde gemäß Art. 3 des Gesetzes zur Neuregelung der Leistungen an Asylbewerber auf den ersten Tag des auf die Verkündung folgenden vierten Monats bestimmt. 39 Mithin trat das AsylbLG am 01.11.1993 in Kraft. Noch im Jahr 1993, also schon kurz nach Inkrafttreten des AsylbLG, erfuhr dieses durch Art. 9 des Zweiten Gesetzes zur Umsetzung des Spar-, Konsolidierungs- und Wachstumsprogramms (2. SKWPG) vom 21.12.1993 40 eine Änderung. Diese bezog sich allerdings nur auf marginale Bereiche des § 3 AsylbLG a.F.41

Hierzu: Haberland, ZAR 1994, 3 ff, 51 ff. Eine ausführliche Dokumentation des Gesetzgebungsverfahrens bzgl. des AsylbLG findet sich bei Hohm, GK-AsylbLG 11. 35 BT-Drucks. 12/4451. 36 BR-Drucks. 354/93. 37 BR-Drucks. 354/93 (Beschluß). 38 BGB!. (Nr. 33) 1993 1,1074; Tag der Ausgabe: 01.07.1993. 39 Ausführlich mit der verfassungsrechdichen Problematik des Auseinanderfallens von Verkündung und Inkrafttreten setzt sich Hohm, GK-AsylbLG H, Rn. 34 ff auseinander. 40 BGBI. 1993 I, 2374. 41 Vgl. hierzu: Hohm, GK-AsylbLG H, Rn. 39. 33

34

§ 2 Der historische Hintergrund und die Genese des AsylbLG

27

Nach Gesetzesanträgen Bayerns42 und Baden-Württembergs43 im Jahr 1994, die allerdings im Gesetzgebungsverfahren keine Mehrheiten fanden, und einem Referentenentwurf zur Schaffung eines Ausländerleistungsgesetzes ebenfalls aus dem Jahr 1994,44 brachten die Fraktionen der CDU/CSU und FDP unter dem 24.10.1995 den Entwurf eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Asy1bLG und andere Gesetze45 auf den Weg des Gesetzgebungsverfahrens. Beabsichtigt war im Grundsatz, den Kreis der Leistungsberechtigten um möglichst alle jene Ausländer zu erweitern, die sich typischerweise nur vorübergehend und ohne Verfestigung ihres ausländerrechtlichen Status in Deutschland aufhalten. Diese Personen sollten abgesenkte Leistungen nach dem AsylbLG bis zu einer Dauer von zwei Jahren erhalten und erst danach in entsprechender Anwendung des BSHG Sozialhilfe beanspruchen können. 46 Ein besonderes Augenmerk wurde auf den Umfang der möglichen Einsparungen durch die Novelierung des Asylbewerberleistungsrechts gelegt. Der Gesetzentwurf prognostizierte eine Einsparung von etwa 944 Mio. DM für die Jahre 1996 und 1997 sowie eine Kostensenkung von 868 Mio. DM für das Jahr 1998. 47 Am 27.10.1995 wurde der Entwurf in Erster Lesung im Deutschen Bundestages beraten und sodann zur weiteren Beratung an die schon für das AsylbLG 1993 zuständigen Ausschüsse verwiesen. Die im Rahmen der Ausschußberatungen durchgeführte öffentliche Anhörung ließ erhebliche, auch verfassungsrechtliche Kritik an den geplanten Neuregelungen insbesondere durch das UN-Flüchtlingskommissariat, den paritätischen Wohlfahrtsverband und die Vereinigung Pro Asyl offenbar werden. 48 Dem ursprünglichen Entwurf eines ersten Änderungsgesetzes49 der Regierungskoalitionen stimmte der Bundestag am 08.02.1996 zu, wohingegen der Bundesrat am 01.03.1996 seine Zustimmung verweigerte. so Obwohl der am 04.03.1996 einberufene Vermittlungsausschuß dem Bundestag die Aufhebung des Gesetzbeschlusses vom 08.02.1996 empfahl,51 lehnte dieser die Beschlußempfehlung ab. 52 Ein zweiter Durchgang des Vermittlungsverfahrens endete nach fast einjähriger Beratung mit der Empfehlung erheblicher Änderungen des ersten Änderungsgesetzes des AsylbLG. Insbesondere zu erwähnen ist die Erweiterung des leistungsberechtigten Personenkreises um Bürgerkriegsflüchtlinge und 42 BR-Drucks. 480/94. 43 BR-Drucks. 535/94. 44

Hierzu: Schall/SchiejJer, ZAR 1994, 131, 133; Hahm, a.a.O., Rn. 44.

50

BR-Drucks. 93/96 (Beschluß).

45 BT-Drucks. 13/2746. 46 BT-Drucks. 13/2746, S. 2. 47 BT-Drucks. 13/2746, Allgemeine Begründung, 4. 48 Die wesentlichen Einwände der Sachverständigen sind dokumentiert bei Hahm, GK-AsylbLG 11, Rn. 55 ff. 49 BT-Drucks. 13/2746. 51 BT-Drucks. 13/4686. 52 BR-Drucks. 397/96 (Beschluß).

28

1. Kap.: Grundlagen

andere zur Ausreise verpflichtete Personen, bei denen Abschiebungshindernisse bestehen sowie die Verlängerung der Minderleistungsdauer auf 36 Monate. Dieser Beschlußempfehlung stimmte der Bundestag am 24.04.1997 zu. 53 Nach Zustimmung des Bundesrates wurde das Erste Gesetz zur Änderung des AsylbLG vom 26.05.1997 verkündet und trat am 01.06.1997 in Kraft. Am 05.08.1997 erfolgte eine Neubekanntmachung des AsylbLG.54 Schon knapp 4 Monate nach Inkrafttreten des ersten Änderungsgesetzes sah das Land Berlin erneut Handlungsbedarf hinsichtlich einer Novellierung des AsylbLG und brachte deshalb mit einem Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des AsylbLG am 10.09.1997 über den Bundesrat ein weiteres Gesetzgebungsverfahren in Gang. 55 Ziel der Initiative war in erster Linie die Schaffung eines an § 120 Abs. 3 BSHG orientierten rechtlichen Instrumentariums zur Verhinderung rechtsmißbräuchlicher Inanspruchnahme von Leistungen des AsylbLG. Am 28.01.1998 berieten die zuständigen Ausschüsse unter Federführung des Gesundheitsausschusses den Entwurf mit dem Ergebnis einer modifizierenden Beschlußempfehlung, der der Bundesrat am 06.02.1998 zustimmte. 56 Der Gesetzentwurf des Bundesrats sah in drei Konstellationen eine Einschränkung der Leistungen auf das nach den Umständen des Einzelfalls unabweisbar Gebotene vor: (1) Im Falle einer Einreise nach Deutschland, um Leistungen nach dem AsylbLG zu erlangen; (2) bei einer Nichtvollziehbarkeit aufenthaltsbeendender Maßnahmen aus Gründen, die von den betreffenden Leistungsberechtigten zu verantworten sind und

(3) fiir den Fall, daß Leistungsberechtigte nicht freiwillig ausreisen, obwohl sie dazu verpflichtet sind und einer Ausreise weder tatsächliche noch rechtliche Hindernisse entgegenstehen. Die Beratung in erster Lesung im Deutschen Bundestag am 26.03.1998 war gekennzeichnet von emotionalen Redebeiträgen, die die erhebliche öffentliche Kritik widerspiegelten. 57 Im Rahmen der Ausschußberatungen wurde eine öffentliche Anhörung durchgefiihrt, wobei sich die geladenen Sachverständigen nicht nur kritisch zum vorgelegten Entwurf äußerten. 58 Der Gesundheitsausschuß faßte am

BR-Drucks. 296/97 (Beschluß). BGBI. 1997 I, 2022. 55 BR-Drucks. 691197. 56 BR-Drucks. 691197 (Beschluß). 57 Vgl. BT-Prot., 13. Wahlp., S. 20537 ff. 58 Ebenfalls als Sachverständiger geladen war ein Vertreter des Landkreises Heidenheim; anhand der Leistungen dieses Landkreises an die Leistungsberechtigten des AsylbLG wird das Leistungsniveau exemplifIZiert. Zu der im einzelnen geäußerten Kritik und den positiven Stimmen zum Entwurf des 2. Änderungsgesetzes vgl. Hohm, a.a.O., Rn. 96 ff. 53

54

§ 2 Der historische Hintergrund und die Genese des AsylbLG

29

23.06.1998 eine Beschlußempfehlung, die den vorgelegten Entwurf insoweit änderte, als die zunächst vorgesehene Nummer 3 des § I a des Entwurfs gestrichen wurden, also keine Leistungseinschränkungen für nicht freiwillig ausreisende Personen vorgesehen werden sollten. 59 Am 25.06.1998 hat der Bundestag den Entwurf in dieser Fassung abschließend beraten und sodann unverändert beschlossen. 6o Die Zustimmung des Bundesrats erfolgte am 10.07.1998,61 woraufhin das Zweite Gesetz zur Änderung des AsylbLG vom 25.08.1998 am 31.08.1998 verkündet wurde und schon am 01.09.1998 in Kraft trat. 62 D. Anmerkung zur Genese des AsylbLG Betrachtet man die Entwicklung des Sozialleistungsrechts für Ausländer, zeigt sich eine geradezu hektische Gesetzgebungstätigkeit. Die Abstände der Novellierungen wurden immer kürzer63 und das Leistungsniveau bewegte sich scheinbar unaufhaltsam nach unten. 64 Die teilweise intransparenten Verfahren bei den mehrfachen Änderungen des AsylbLG innerhalb kurzer Zeit bei gleichbleibender Problemlage betreffend den Zustrom von Asylbewerbern und sogenannter Wirtschaftsflüchtlinge sprechen nicht für eine sorgfältige Gesetzgebung, sondern sind geeignet, verfassungsrechtliche Bedenken, insbesondere im Hinblick auf das Rechtsstaatsgebot, zu wecken. 65 Sowohl die rasch aufeinander folgenden Novellierungen des AsylbLG als auch die emotionalisierten Parlamentsdebatten im Rahmen der jeweiligen Gesetzgebungsverfahren offenbaren anschaulich die Qualität des Asylbewerberleistungsrechts als neuralgische Schnittstelle von Ausländer-, Flüchtlings-, und Sozialleistungsrecht. Auf diesen Punkt scheinen sich - was auch die permanente Bedeutung des Themenkomplexes in den aktuellen Medien spiegelt - Schatten der deutschen Vergangenheit und Befürchtungen für eine europäische und "globalisierte" Zukunft zu fokussieren.

BT-Drucks. 13/11172. BR-Drucks. 632/98. 61 BR-Drucks. 632/98 (Beschluß). 62 BGB!. 1998 I, 2505. 63 Hierzu kritisch: StreitlRübschmann, ZAR 1998, 266. 64 In der abschließenden Beratung des Entwurfs des 2. Änderungsgesetzes zum AsylbLG kündigte der damalige Bundesminister für Gesundheit, Horst Seehofer, an, in der nachfolgenden Legislaturperiode im Rahmen des AsylbLG das noch nicht gelöste Problem der illegal eingereisten und jener Personen, die - obwohl ausreisepflichtig - nicht freiwillig ausreisen, zu lösen (BT-Prot., 13. Wahlp., S. 22839). Hierzu konnte es aufgrund der Ergebnisse der Bundestagswahl des Jahres 1998 al1erdings nicht kommen. 65 Vg!. insoweit zusammenfassend: Rohm, GK-AsylbLG 11, Vorbemerkung. 59

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2. Kapitel

Die Ausgliederung des Leistungsrechts für Asylbewerber und andere Ausländergruppen aus dem System des BSHG § 1 Die Wirkungen der Ausgliederung A. Vorbemerkung Es stellt sich die Frage nach dem "quo vadis" des Asylbewerberleistungsrechts. Durch die Ausgliederung dieses Rechtsgebiets aus dem BSHG hat das Leistungsrecht für Ausländer mit regelmäßig nur kurzzeitigem und rechtlich ungesichertem Aufenthaltsstatus seinen angestammten systematischen Standort im Bezugsrahrnen des Sozialhilferechts verloren. Es zeigt sich, daß dieser Standortwechsel wesentlich durch ausländerpolitische und ausländerrechtliche Erwägungen verursacht worden ist. Dieser Umstand ist bei einer Bestimmung der neuen Positionierung des Asylbewerberleistungsrechts zu berücksichtigen. Der vorzunehmenden rechtlichen Untersuchung kann zugrundegelegt werden, daß das eigenständige Leistungsrecht für Asylbewerber und andere Ausländergruppen, die sich regelmäßig nur kurz in Deutschland aufhalten und keinen gesicherten ausländerrechtlichen Aufenthaltsstatus besitzen, zu einer SchlechtersteIlung dieser Gruppen im Vergleich mit den Leistungen nach den vorgängigen Regelungen des § 120 BSHG a.F. führt. Zwar muß der Leistungsumfang auf der Grundlage der §§ 3, 4, 6 AsylbLG nicht immer unter dem Maß der Leistungen bei der vormaligen Anwendung des § 120 BSHG a.F.\ liegen; vor allem im Hinblick auf die Dauer der Leistungseinschränkung brachte das AsylbLG a.F. Verbesserungen für die Normbetroffenen, da ursprünglich lediglich für 12 Monate abgesenkte Leistungen im Sinne der §§ 3,4,6 AsylbLG gewährt und sodann das BSHG entsprechend anzuwenden war. 2 Dieser Vorteil fiel allerdings weg, als im Zuge der Novellierung des AsylbLG im Jahre 1997 die Dauer der Leistungsabsenkung pauschal auf 36 Monate erhöht wurde. 3 Insgesamt jedoch liegt das Leistungsniveau des AsylbLG erheblich unter I Insbesondere lag es im pflichtgemäßen Ermessen der Sozialhilfebehörde, die Leistungen für den Personenkreis des § 120 Abs. 2 S. I Nr. 1-3 BSHG a.F. auf das zum Lebensunterhalt Unerläßliche zu beschränken. Diese Möglichkeit ist im Regelfall des AsylbLG nicht eröflhet; die Gewährung der Grundleistungen gemäß § 3 AsylbLG ist zwingend; im Ermessen des Leistungsträgers steht nur eine ausnahmsweise Leistungsgewährung nach § 6 AsylbLG. Zum Umfang des Ermessens nach § 120 Abs. 2 S. 3 BSHG a. F. vgl. BVerwG NDV 1985, 333 = EZAR 461 Nr. 10 = BVerwGE 71, 139. 2 § 2 Abs. 1 AsylbLG a.F.

§ I Die Wirkungen der Ausgliederung

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dem nach der vorher geltenden Rechtslage. 4 Auch kann immer eine Leistungsreduzierung in formeller Hinsicht konstatiert werden. Durch die - noch näher darzustellende - Unanwendbarkeit des Sozialverfahrensrechts und der Grundsätze der Sozialhilfe erfolgt eine grundsätzliche Schlechterstellung der Leistungsberechtigten des AsylbLG im Verhältnis zu Sozialhilfeempfängern hinsichtlich der Art und Weise der Leistungsgewährung. I. Die literarische Befassung mit der Ausgliederung

Die vom deutschen Verein für öffentliche und private Fürsorge erstmals öffentlich angeregtes Ausgliederung des Leistungsrechts für Asylbewerber6 aus dem Sozialhilferecht birgt mehrere verfassungsrechtliche Probleme und Grenzfälle. Diese vorwiegend grundrechtlichen Fragen waren vor der Einführung des AsylbLG Gegenstand einzelner Arbeiten. 7 Von den damaligen Autoren wurde allerdings nicht zwischen jenen Fragen, die sich durch die Ausgliederung per se ergeben und jenen, die die materiellen Gehalte eines Sonderrechts für Asylbewerber zum Gegenstand haben, unterschieden. Auch Sieveking8 geht nicht auf die Ausgliederungsproblematik als rechtssystematische Frage ein. Zwar schreibt er über die verfassungsrechtlichen Probleme eines eigenständigen Leistungsrechts für Asylbewerber. 9 In diesem Abschnitt seiner Arbeit verweist er aber im wesentlichen lediglich auf die Ausarbeitung von Zuleeg lO aus dem Jahre 1987. Damals wurde auch der Rechtsgedanke der Systemgerechtigkeit im Zusammenhang mit der geplanten Ausgliederung des Leistungsrechts für Asylbewerber von Zuleeg zwar angesprochen, aber nicht problematisiert. II Explizit aufgegriffen wurde die Problematik der Ausgliederung mit ihren verfassungsrechtlichen, rechtssystematischen und sozialpolitischen Bezügen hingegen im Rahmen des Anhörungsverfahrens vor der Einführung des AsylbLG.12

3

§ 2 Abs. I AsylbLG.

Im einzelnen vgl. unten, 3. Kap., § 3. sieben Thesen des deutschen Vereins sind veröffentlicht in NDV 1982, 246. 6 Soweit im folgenden vom Leistungsrecht rur Asylbewerber die Rede ist, sind immer auch die übrigen Leistungsberechtigten des § I Abs. I AsylbLG gemeint; ursprünglich wurde soweit ersichtlich - noch nicht daran gedacht, auch andere Ausländergruppen mit in das eigenständige Leistungsrecht einzubeziehen; es kann vermutet werden, daß die heutige Bezeichnung Asylbewerberleistungsgesetz noch auf diesen originären Plänen beruht. 7 Krahmer, ZfF 1988, 29 ff; Huber, NDV 1988, 251 ff; Zuleeg, ZDWF-Schriftenreihe Nr. 28, 1988. 8 ZDWF-Schriftenreihe Nr. 63. Vgl. auch Sieveking, info also 1996, 110 ff.; dieser Aufsatz gibt allerdings abgekürzt und nur leicht modifiziert das Rechtsgutachten, ZDWF-Schriftenreihe Nr. 63 wieder. 9 A.a.O., S. 39 ff. 10 Zuleeg, Gutachten. 11 Zuleeg, a.a.O., S. 11. 4

5 Die

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2. Kap.: Die Ausgliederung des Leistungsrechts aus dem System des BSHG

Kritisch zur Ausgliederung des Asylbewerberleistungsrecht äußert sich auch Kraus mit dem Hinweis, daß bei der Anwendung des AsylbLG "sehr nachdrücklich" das der Sozialhilfe zugrundeliegende Gebot der Unantastbarkeit der Menschenwürde als oberstes Konstitutionsprinzip der Verfassung zu beachten sei. 13 11. Rechtsprechung und Ausgliederung

Soweit ersichtlich, hat sich die Rechtsprechung bislang explizit mit der Problematik der Ausgliederung der Leistungen für Asylbewerber und andere Ausländergruppen aus dem BSHG als mögliche eigenständige Verletzung des Art. 3 GG, bzw. des Grundsatzes der Systemgerechtigkeit, nicht befaßt. In einigen Entscheidungen wurde als Prüfungsmaßstab zwar Art. 3 Abs. I GG zugrunde gelegt; dabei handelte es sich aber ausnahmslos um die Überprüfung der Vereinbarkeit unterschiedlicher Leistungen für Sozialhilfeempfanger und Leistungsberechtigte nach § I Abs. I AsylbLG mit dem allgemeinen Gleichheitssatz. 14 Bedeutung erlangen die rechtlichen Erwägungen dieser Entscheidungen allerdings durch deren Übertragung auf die Ausgliederungsproblematik. 15 Denn letztlich ist die Verfassungsmäßigkeit der Ausgliederung des Asylbewerberleistungsrechts auch und vor allem an der Vereinbarkeit mit Art. 3 GG zu messen. 111. Diskrepanz zwischen Rechtsprechung und Literatur

Fast sämtliche Arbeiten in der Literatur l6 sprechen sich für eine - zumindest partielle - Verfassungswidrigkeit der Herausnahme des Asylbewerberleistungsrechts aus dem BSHG aus. 17 Die Rechtsprechung hingegen hat keine durchgreifenden Bedenken gegen die zur Schaffung des AsylbLG führende Ausgliederung kundgetan. Ursächlich hierfür könnte sein, daß die an den Gerichten entscheidenden Praktiker 12 Ausschuß fiir Familie und Senioren, Prot. 12/40; Stellungnahme von Schulte, a.a.O., Anlagenband, S. 70 ff. 13 Kraus, Das neue Leistungsrecht fiir Asylbewerber, S. 48. 14 Die Mehrzahl der Entscheidungen wurden in Verfahren zur Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes getroffen und oftmals nicht veröffentlicht. Deshalb können hier nur einige Entscheidungen ohne Anspruch auf Vollständigkeit angefiihrt werden: OVG Niedersachsen, Beschluß vorn 27.06.97 - 12 L 5709/96 -, NVwZ-Beil. 1997,95; VG Freiburg, VBIBW 1994, 291 zur Problematik der Sachleistungen; VG Braunschweig, Entscheidung vorn 19.09.19964 A 4304/94 -; VerfG BB, Beschluß vorn 21.11.1996 - VfGBbG 17 - 19/96. Diese Rechtsprechung ist auch veröffentlicht bei Hohm, GK-AsylbLG VII. 15 Vgl. unten, § 2, B., 11. 16 Sowohl in der juristischen Fachliteratur als auch in den Veröffentlichungen sozial engagierter Verbände; vgl. insoweit oben, Einleitung und die dortigen Nachweise. 17 Huber, NDV 1988,251 ff; Krahmer, ZtF 1988,29 ff; Zuleeg, Gutachten; Sieveking, Rechtsgutachten; Röseler, Sozialleistungen fiir Flüchtlinge in der Bundesrepublik Deutschland, 2.9; alle m.w.N.

§ I Die Wirkungen der Ausgliederung

33

die den Verwaltungsrechtsstreitigkeiten zugrunde liegenden Sachverhalte anders, im besten Falle objektiver, beurteilen, als karitativ engagierte Juristen und Sachverständige. Es steht zu vermuten, daß in den Flüchtlingshilfsorganisationen 18 das Augenmerk verstärkt auf individuelle, tragische Schicksale und eine mitmenschliche, moralische Hilfspflicht sowie christliche Werte gelegt wird. Schlagwortartig kann die These aufgestellt werden, daß die Rechtsprechung eher in einem verantwortungsethischen, rationalen Kontext zu entscheiden hat, wohingegen die oben bezeichneten hilfstätigen Einrichtungen sich überwiegend der Gesinnungsethik verpflichtet sehen könnten. Der Realitätsgehalt dieser Hypothese braucht vorliegend jedoch nicht untersucht zu werden; für eine verfassungsrechtliche Überprüfung spielen diese soziologischen Erwägungen nur eine untergeordnete Rolle. Gleiches gilt für den sich aufdrängenden Eindruck einer gesteigerten Staatsnähe der entscheidenden Richter als Ursache für ein offensichtlich fehlendes verfassungsrechtliches Problembewußtsein betreffend die Regelungen des AsylbLG.19

B. Die rechtliche Einordnung des AsylbLG I. Die Bedeutung der Neuzuordnung

Die Ausgliederung des AsylbLG war von Anfang an auf die Schaffung eines neuen, geeigneteren Leistungssystems konzipiert. 2o Der Deutsche Verein für öffentliche und private Fürsorge (im folgenden abgekürzt benannt als Deutscher Verein) sah die Notwendigkeit, ein eigenständiges Bundesgesetz zu schaffen, in dem als Kern folgende Regelungen enthalten sein sollten: - Die vollständige Erfassung aller Gruppen von asylsuchenden Ausländern und ihnen vergleichbaren Gruppen unter Einbeziehungen der Familienangehörigen. - Eine Geltung dieser Regelungen bei Abweisung des Asylantrages bis zum Verlassen der Bundesrepublik. - Die Bemessung der Leistungen zum notwendigen Lebensunterhalt, die jedoch wegen des unterschiedlichen Bedarfes während des Asylverfahrens im Regelfall unterhalb der Leistung der Sozialhilfe liegen. - Die Gewährung von Sachleistungen, soweit dies möglich ist. 18 Bspw. Pro-Asyl, Flüchtlingsrat Niedersachsen, Flüchtlingsrat Brandenburg sowie kirchliche und weltanschauliche Organisationen. Auch der UNHCR ist zu dieser Gruppe zu zählen. 19 Colorandi causa können, als von diametral entgegengesetzten Auffassungen getragen, einerseits das Werk von Classen, Menschenwürde mit Rabatt und andererseits der Beschluß des VG Freiburg vom 10.02.1994 -4 K 163/94-, VBIBW 1994,291 ff, genannt werden. Ebenso selbstverständlich, wie Classen von der Verfassungswidrigkeit des AsylbLG und dessen Verstoß gegen elementare Regeln der Menschlichkeit ausgeht, konstatiert das VG Freiburg die Verfassungslegitimität des AsylbLG. 20NDV 1981,246.

3 Horrer

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2. Kap.: Die Ausgliederung des Leistungsrechts aus dem System des BSHG

- Die Möglichkeit zur Gewährung von anderen notwendigen Leistungen, z. B. bei Krankheit. - Die grundsätzliche Verpflichtung zum Einsatz der Arbeitskraft. 2 I Die Regelungen des AsylbLG stellen im wesentlichen die Transformation dieser Forderungen in ein Bundesgesetz dar22 und sollen auch im Rahmen des Leistungsrechts Mißbräuchen des Grundrechts auf Asyl vorbeugen. 23 Es zeigt sich, daß die Ausgliederung des Asylbewerberleistungsrechts nicht lediglich eine rechtstechnische Umgestaltung, sondern eine Neuregelung mit neuen Schwerpunkten - vorwiegend im Bereich der Mißbrauchsvermeidung des Asylrechts und im fiskalpolitischen Bereich 24 - ist. Dieses nunmehr eigenständig geregelte Leistungsrecht kann aber nicht unverbunden gleichsam in einem Vakuum ohne Zu- und Einordnung in ein normatives System bestehen. Für eine verfassungsrechtliche Untersuchung ist die Frage nach dem neuen Standort des Untersuchungsgegenstandes von erheblicher Bedeutung: Soweit es sich bei der Herausnahrne aus dem alten Zusammenhang und die Einführung in einen neuen Rahmen um eine lediglich technische oder systematische Rechtsfortbildung durch die Legislative handelt, begegnet dies keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Im Gegenteil: Der aus dem Rechtsstaatsgebot resultierende Grundsatz der Rechtsklarheit kann die Neuordnung indizieren. 25 Beispielhaft für diesen Vorgang sei die Neuordnung des Sozialrechts im Sozialgesetzbuch genannt. 26 Die Normierungen bleiben im sei ben Ordnungssystem, namentlich dem Sozialrecht, und werden nur in systematischer Hinsicht neu geordnet, um das Sozialrecht überschaubarer zu machen, ohne es zu reformieren. 27 Eine derartige gesetzgeberische Intention ist bei den Beratungen der Entwürfe des AsylbLG jedoch nie behauptet worden. Vor diesem Hintergrund wird die verfassungsrechtliche Relevanz der Ausund Neueingliederung des AsylbLG evident. Es stellen sich die Fragen nach dem Standort des AsylbLG im öffentlichen Recht und der Berechtigung des Gesetzgebers, diese mit Nachteilen für die Normbetroffenen verbundene Ausgliederung vorzunehmen.

NDV 1982,246, II. 5. Vgl. §§ 1,3,4 und 5 AsylbLG. 23 NDV 1982,246, II. 3.; in diese Richtung auch BT-Drucks s. 12/4451, Allgemeine Begründung, A. Allgemeiner Teil. 24 Hohm, GK-AsylbLG II, Rn. 11; dies v.a. bzgl. der 2. Novellierung. 25 Herzog in MaunzlDüriglHerzog, Art. 20, VII, Rn. 63. 26 Mrozynski, SGB I, Vorwort. 27 Mrozynski, a.a.O., S. VII; ob diese Aufgabe der Neuordnung des Sozialrechts im SGB erfiillt wurde, steht auf einem anderen Blatt. Bislang jedenfalls kann von einer erhöhten Rechtsklarheit noch keine Rede sein. 21

22

§ I Die Wirkungen der Ausgliederung

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11. Unklare Zuordnung

Ein Teilbereich des BSHG wurde ausgegliedert und eigenständig geregelt. Woher die Regelungsmaterie des AsylbLG stammt, bedarf deshalb keiner Erörterung. Bislang nicht geklärt ist jedoch die neue Zuordnung des AsylbLG. Unter Bezugnahme auf die Gesetzgebungsmaterialien wird teilweise die Zughörigkeit des AsylbLG zur Rechtsmaterie des Ausländerrechts vertreten. 28 Das Ausländerrecht wiederum ist als Teil des Rechts der Gefahrenabwehr konzipiert. 29 Schwer vereinbar mit dem GG dürfte die Herausnahme bestimmter Personengruppen aus dem Sozialhilferecht und die Neuregelung des Leistungsrechts für diese Personen im Rahmen des Rechts der Gefahrenabwehr sein. Dadurch würde nämlich ein wesentlicher, verfassungsrechtlich indizierter Teil der rechtlichen Fortentwicklung des Sozialrechts im 20. Jahrhundert negiert. Die Einstufung des AsylbLG als Recht der Gefahrenabwehr hätte zur Folge, daß hilfsbedürftige Ausländer als Gefahr für die öffentliche Sicherheit, als sogenannte Polizeigefahr, zu qualifizieren wären. Auf diesem Entwicklungsstand befand sich das vormalige Fürsorgerecht bis zu einer wegweisenden Entscheidung des BVerwG im Jahre 1954. 30 Es wurde damals festgestellt, daß es sich verbiete, Hilfsbedürftige als Objekte staatlichen Handelns anzusehen. Das waren sie nämlich insoweit, als deren Armut als Gefahr für die öffentliche Sicherheit bewertet wurde und Hilfen nur zur Beseitigung dieser Gefahr, nicht aber um der Menschen willen gewährt wurde. 31 Sollte das AsylbLG in der Tat eine ordnungsrechtliche Normierung darstellen, müßte ein Verstoß gegen Art. I Abs. I GG geprüft werden. Deshalb ist die rechtliche Qualifizierung des gegenwärtigen Standorts des AsylbLG indiziert.

J. Das Zuordnungsproblem Die Zuordnungsproblematik des AsylbLG entsteht einerseits durch dessen Charakter als Leistungsgesetz - die Regelungsmaterie: Leistung an bestimmte Ausländergruppen ist offensichtlich - und andererseits durch die gesetzgeberische Intention, mit einer Absenkung des Leistungsniveaus und der grundsätzlichen Einführung des Sachleistungsprinzips die Zuwanderung von Ausländern zu begrenzen 32 und Ein28 Röseler, Sozialleistungen fiir Flüchtlinge in der Bundesrepublik Deutschland, 2.9, S. 292; Röseler in: Huber, Ausländerrecht, B 166, Vorbemerkung, Rn. 9 übernimmt die Klassifizierung des AsylbLG als ein dem Ausländerrecht zugehöriges Gesetz; Zu leeg, Gutachten, S. 24; Sieveking, Rechtsgutachten, verweist auf Zuleeg, a.a.O.; SchellhomlJirasek/Seipp, § 120, Rn. 2 nehmen keine rechtliche Einordnung des AsylbLG vor. Sie beschränken sich darauf, festzustellen, daß die Regelungen des § 12011 BSHG a. F. für die Sozialhilfe wesensfremd gewesen sei und deshalb eine Ausgliederung, die das AsylbLG zur Folge hatte, stattfand. 29 Für den selben Zusammenhang vgl. Zuleeg, Gutachten S. 24, 25; ders., ZAR 1984, 80, 83 tT. Die EingritTsermächtigungen des AuslG dienen typischerweise der Gefahrenabwehr; Würtenberger/HeckmanniRiggert, Rn. 188. 30 BVerwGE I, 159 tT. 31 Stolleis, Quellen des Sozialrechts, S. 22 tT.



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2. Kap.: Die Ausgliederung des Leistungsrechts aus dem System des BSHG

sparungen der öffentlichen Haushalte in Höhe von über 2 Milliarden DM jährlich zu erzielen. 33 Durch die Bezugnahme auf den sogenannten Asylkompromiß vom 06.12.1992 34 in der allgemeinen Begründung des Entwurfs eines Gesetzes zur Neuregelung der Leistungen an Asylbewerber35 kann gefolgert werden, daß mit der Ausgliederung des Asylbewerberleistungsrechts zumindest auch eine ordnungsrechtliche Komponente verfolgt wurde. Dieser Umstand kommt in der Begründung des Gesetzentwurfs vom 02.03.1993 36 nur indirekt zum Ausdruck. Dadurch ähnelt diese Begründung jener bei der Einführung der Änderungen des § 120 BSHG a.F., die erstmals zu erheblichen Leistungskürzungen für Asylbewerber führten. 37 Verschiedentlich wurde auch damals unter Hinweis auf Gesetzesmaterialien38 von einer ordnungsrechtlichen Intention des Gesetzgebers dahingehend ausgegangen, den Mißbrauch des Asylgrundrechts durch Leistungseinschränkungen zu bekämpfen. 39 Diese ordnungsrechtliche, oder besser gesagt, ordnungspolitische Aufgabe der Ausgliederung kommt deutlich in den Beratungen des Bundestags zum Ausdruck: Explizit bestätigte die Abgeordnete Männle von der CDU/CSU-Fraktion die Absicht, durch die Kombination von Sachleistungen und einem geringen Barbetrag "das Abkassieren der Schlepper" zu beenden. 4o Aufschluß gibt auch der Redebeitrag des Abgeordneten Protzner, der ebenfalls der CDU/CSU Fraktion angehörte, anläßlieh der Ersten Lesung des vorgängigen Entwurfs eines Gesetzes über Leistungen der Sozialhilfe an Ausländer. 41 Der Abgeordnete trug als Mitglied der Regierungskoalition vor, daß sich der Entwurf, der inhaltlich mit den Regelungen des AsylbLG vergleichbar ist, gegen mehrere Mißstände richte. Im einzelnen nannte der Redner die BT-Drucks 12/4451, Allgemeine Begründung. BT-Drucks 12/4451, ebd.; diese Einsparungen sollten den Ländern als kostentragungspflichtigen Körperschaften gern. Art. 104 a GG i. V.m. Art. 83 GG zugute kommen. 34 Haberland, ZAR 1993, 3, 8. 35 BT-Drucks, 12/4451. 36 BT-Drucks, 12/4451. 37 2. Haushaltstrukturgesetz (2. HstruktG) vorn 22.12.1981, BGBI I, S. 1523; Haushaltsbegleitgesetz vorn 22.12.1983, BGBI 1983 I, S. 1532, wobei bei der damaligen Gesetzgebung eine Haushaltskonsolidierung - im wesentlichen also Einsparungen - im Vordergrund standen; vgl. hierzu: KardeIBerger-Delhey, ZFSHlSGB 1987,394; NDV 1982,246; Hahm, GK-AsylbLG II, Rn. 13, 14. 38 Bspw. BT-Drucks. 432/80. 39 StalleislSchlamelcher, NDV 1985, 309, 313, m.w.N. 40 Beitrag zur Debatte bei der Ersten Lesung in der 143. Sitzung des Deutschen Bundestages arn 04.03.1993, BT-Prot., 12. Wahlperiode, S. 12314. 41 BT-Drucks. 1213686 vorn 12.11.1992; dieser GesetzentwUIfzur Änderung des § 120 BSHG wurde nur einmal beraten und sodann aufgrund des sogenannten Asylkompromisses vorn 06.12.1982 aus dem Gesetzgebungsverfahren genommen, da sich die Parteien auf die Einbringung eines Entwurfs zum AsylbLG geeinigt hatten; vgl. Haberland, ZAR 1993,3,8; Hahm, GK-AsylbLG II, Rn. 15 ffund oben, I. Kap., § 2, B. 32

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§ 1 Die Wirkungen der Ausgliederung

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Bekämpfung des Schlepperunwesens, die Verhinderung des Mißbrauchs von Geldleistungen durch nicht verantwortungsvoll handelnde Haushaltsvorstände42 und die Verhinderung des Leistungsmißbrauchs durch mehrmalige Inanspruchnahme von Sozialleistungen mittels der Vortäuschung verschiedener Identitäten durch ein und dieselbe Person. Zur Bekämpfung der letztgenannten Mißbrauchsform schlug Protzner die Einführung bundeseinheitlicher Zahltage vor. Der mißbräuchlichen Inanspruchnahme des Grundrechts auf Asyl sollte weiterhin durch die Abschaffung der Krankenhilfe im Rahmen des § 120 BSHG a.F. entgegengetreten werden. Insgesamt war durch die Leistungsabsenkung eine verminderte Anreizwirkung des deutschen Asylrechts und insbesondere des Aslybewerberleistungsrechts intendiert. 43 Für die Überlegung, ob das AsylbLG dem Ausländer- und damit dem Ordnungsrecht zuzurechnen ist, ist auch ein Passus in der Allgemeinen Begründung des Gesetzesentwurfs zum AsylbLG beachtlich. Dort wird ausgeführt, im Kern handele es sich bei dem AsylbLG um eine Regelung des Aufenthalts- und Niederlassungsrechts von Ausländern nach dem AsylVfG. Die fürsorgerischen Gesichtspunkte der Leistungen an Asylbewerber sollten allerdings gewahrt bleiben. 44 Es zeigt sich also, daß ordnungsrechtliche Aspekte bei der Ausgliederung des Asylbewerberleistungsrechts eine erhebliche Rolle gespielt haben. 2. Voraussetzung einer Zuordnung zum Recht der Gefahrenabwehr

Dem Ordnungsrecht wäre das Asylbewerberleistungsrecht zuzuordnen, wenn es primär der Gefahrenabwehr zu dienen bestimmt ist. Dann müßte das Leistungsrecht für Asylbewerber als aus dem Sozialrecht herausgelöst und dem Ausländer - und damit dem Polizei- und Ordnungsrecht - zugeordnet angesehen werden. a) Der Begriff der Gefahrenabwehr und das AsylbLG Das Ordnungsrecht ist konstituiert durch den Begriff der Gefahrenabwehr. 45 Die historische Entwicklung des Polizeibegriffs fand statt gerade vor dem Hintergrund der Trennung von öffentlicher Wohlfahrtspflege und Gefahrenabwehr. 46 Es war ein prägendes Merkmal der absolutistischen Monarchien seit der Mitte des 17. Jahrhunderts, die Allzuständigkeit des Staates und seiner Polizeigewalt zu behaupten. 47 Die Aufgabe der Polizei wurde mit der Verpflichtung defmiert, die gute Ordnung, Sicher42 Gemeint war damit das Vorenthalten von Leistungen gegenüber den eigenen Familienmitgliedern. 43 Hohm, GK-AsylbLG, 11, Rn. 18, S. 8,9. 44 BT-Drucks. 12/4451, Allgemeine Begründung, 2. 45 Würtenberger/Heckmann/Riggert, Rn. 1 ff. 46 PrOVGE 9, 353 ff, sog. Kreuzberg - Urteil; WürtenbergeriHeckmann/Riggert, Rn. 6. 47 von Justi, Grundfeste, 1. Bd., 1760, "Einleitung zu dem ganzen Werke", S. 4 ff.

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2. Kap.: Die Ausgliederung des Leistungsrechts aus dem System des BSHG

heit und den Wohlstand der Untertanen aufrecht zu erhalten. Aufgabe der Polizeigesetze war es, die staatliche Macht zu schützen und zu mehren. 48 Der absolutistische Monarch verfolgte mit weltlich unbeschränkter Gewalt die Durchsetzung seiner politischen Programme und die Gestaltung der Gesellschafts- und Sozialordnung. 49 Seit der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts entwickelte sich das Polizeirecht zum Recht der Gefahrenabwehr, wie es heute verstanden wird. Es wurde die Trennung zwischen der Gefahrenabwehr und der Wohlfahrtspflege konstatiert. 50 Griffig in Gesetzesform regelt die polizeiliche Aufgabe der Gefahrenabwehr erstmals § 10 Teil 11 Titel 17 des Preußischen Allgemeinen Landrechts von 1794. Dort war normiert, daß es Aufgabe der Polizei sei, die öffentliche Ruhe, Sicherheit und Ordnung und die Abwehr bevorstehender Gefahren zu besorgen. 51 In den Polizei- und Ordnungsgesetzen der Länder wird heute immer dann zum Eingriff ermächtigt, wenn die öffentliche Sicherheit oder Ordnung gefährdet ist. 52 Dieser historische Bezug zeigt die Problematik der Einordnung des AsylbLG auf: Es ist konzipiert als Leistungsrecht;53 die Entstehungsgeschichte des neuen, eigenständigen Gesetzes spricht aber bei einer historischen Betrachtungsweise prima facie für eine vorwiegend ordnungsrechtliche ratio legis. Zwar ist anerkannt, daß auch Regelungen zur Gefahrenabwehr fürsorgerische Belange mitberücksichtigen können 54 und andererseits nicht orginär der Gefahrenabwehr dienende Regelungswerke auch ordnungsrechtliche Normierungen beinhalten dürfen, wenn diese zur Funktionsfähigkeit der Regelungsmaterie notwendig sind. 55 Maßgeblich für die Einordnung muß jedoch der vom Gesetzgeber verfolgte Hauptregelungszweck einer Normierung sein. Der Gesetzgeber verfolgte mit der Einführung des AsylbLG die Intention, ein Leistungsrecht für Asylbewerber und andere Ausländergruppen zu schaffen, das - vor dem Hintergrund einer ständig steigenden Anzahl von Ausländern mit ungesichertem ausländerrechtlichen Aufenthaltsstatus - durch die Absenkung des Leistungsniveaus das Grundrecht auf Asyl schützen und dem Mißbrauch staatlicher Sozialleistungen durch Nichtberechtigte vorbeugen soll.56 Zunächst ist also an dieser Stelle ein Konglomerat von legislativen Regelungszwecken zu konstatieren.

48 von Jus/i, Grundsätze der Policey-Wissenschaft 1756, S. 337; Wür/enberger/Heckmann/Riggert, Rn. 3 ff. 49 Bold/, in: Lisken/Denninger, Kap. A, Rn. 11 ff; Kroeschell, Bd. 3, S. 85 ff. 50 Würtenberger/Heckmann/Rigger/, Rn. 5. 51 Hierzu einschränkend: Wür/enbergeriHeckmann/Rigger/, Rn. 6. 52 Vgl. etwa §§ 1,3 PolG Baden-Württemberg. 53 Die Normadressaten werden als Leistungsberechtigte bezeichnet, § I AsylbLG. 54 So schon PrOVGE 9, 353 ff. 55 Sog. Annexkompetenz; Jarass/Piero/h, Art. 70, Rn. 7; BVerfGE 3, 407, 433; 84,247,250, m.w.N. 56 Zu dieser Motivation vgl. ausfiihrIich unten, § 2, 11.

§ I Die Wirkungen der Ausgliederung

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b) Kompetenzrechtliche Aspekte Der Gesetzgeber hat sich bei der Schaffung des AsylbLG ausdrücklich auf die bundesrechtliche Gesetzgebungskompetenz des Art. 74 Abs. 1 Nr. 7 GG gestützt. 57 Die Kompetenz des Bundes zur Regelung des Rechts der öffentlichen Fürsorge umfaßt als Kembereich die öffentliche Hilfe bei wirtschaftlichen Notlagen. 58 Dabei sind auch organisatorische Regelungen zulässig. 59 Anerkannt wird auch eine Annexkompetenz unmittelbar aus Art. 74 Abs. 1 Nr. 7 GG für die Normierung von Zwangsmaßnahmen gegen Hilfsbedürftige, wenn damit die Verwirklichung des eigentlichen Gesetzeszwecks sichergestellt werden SOIl.6O Mit der Schaffung des AsylbLG hat der Gesetzgeber einen Bereich der öffentlichen Hilfe bei wirtschaftlichen Notlagen geregelt. Die Allgemeine Begründung des Entwurfs des AsylbLG61 nimmt neben der Gesetzgebungskompetenz des Art. 74 Abs. 1 Nr. 7 GG allerdings auch jene des Art. 74 Abs. 1 Nr. 4 GG62 in Anspruch. Damit bezieht sich der Koalitionsentwurf auf die orginäre Regelungskompetenz für das Ausländerrecht und mithin eine Gesetzgebungskompetenz zur bundesrechtlichen Regelung der Gefahrenabwehr. 63 c) Stellungnahme und Ergebnis Letztlich erweist sich die teilweise vorgenommene ordnungsrechtliche Zuordnung des AsylbLG als falsch: Die Regelungsmaterie des AsylbLG ist mit der Aufgabe, bestimmten hilfsbedürftigen Ausländern das zum Leben Nötige zu leisten, klar definiert. Seit der oben dargelegten Trennung von Aufgaben der Wohlfahrtspflege und der Sicherung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung, kann ein Leistungsgesetz nicht mehr zu Recht in den Bezugsrahmen des Ordnungsrechts eingestellt werden. Von ordnungsrechtlichen Gesichtspunkten getragen ist allein die Motivation des Gesetzgebers, das Leistungsrecht für Asylbewerber und andere Ausländer aus dem BSHG auszugliedern und das Leistungsniveau zu senken. Dadurch nämlich versprach sich der Normgeber eine Verminderung des Zustroms von Asylbewerbern, einhergehend mit einer Sicherung des Grundrechts auf Asyl und der Konsolidierung der öffentlichen Haushalte. Die Bezugnahme auf die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz des Bundes gemäß Art. 74 Abs. 1 Nr. 4 GG ist vor dem Hintergrund der gesetzgeberischen Intention zu verstehen, mit dem AsylbLG auch eine das Aufenthalts- und NiederlasBT-Drucks. 12/4451, Allgemeine Begründung, 2. Jarass/Pieroth, Art. 74, Rn. 17. 59 BVerfGE 22,180,203. 60 BVerfGE 30, 47,53; Jarass/Pieroth, Art. 74, Rn. 17. 61 BT-Drucks. 12/4451, Allgemeine Begründung, 2. 62 Dazu auch: Hohm, GK-AsylbLG 11, Rn. 22. 63 Würtenberger/HeckmanniRiggert, Rn. 42. 57

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2. Kap.: Die Ausgliederung des Leistungsrechts aus dem System des BSHG

sungsrecht von Ausländern nach dem AsylVfG ergänzende leistungsrechtliche Ebene zu regeln. Richtig ist sie hingegen nicht. Die Regelungsmaterie ist nach wie vor das Leistungsrecht für Asylbewerber und andere Ausländergruppen. Der Umstand, daß die Leistungen abgesenkt und auch andere Einschränkungen vorgenommen wurden, ist eine gesetzgeberische Ermessensentscheidung, die verfassungsrechtlich zwar angreifbar ist,64 die Kompetenzordnung des Art. 74 Abs. I Nr. 7 GG aber nicht verläßt. Die materiellen Regelungen des AsylbLG liegen nicht im Bereich der Gefahrenabwehr, sondern haben ihren Grund allein in der Beachtung fürsorgerischer Gesichtspunkte der Leistungen an Asylbewerber und andere Ausländergruppen. Nur der Absenkung an sich und der Einführung eines verschärften Sachleistungsprinzips kommt eine ordnungsrechtliche Bedeutung zu. So läßt sich konstatieren, daß zwar die Ausgliederung des Asylbewerberleistungsrechts aus dem BSHG als Prozeß ordnungsrechtlich motiviert war, das AsylbLG als Leistungsgesetz aufgrund seiner materiellen Gehalte jedoch keinen ordnungsrechtlichen, sondern einen fürsorgerischen Hauptzweck verfolgt.

C. Das AsylbLG im System des Sozialrechts Bislang konnte festgestellt werden, daß das AsylbLG nicht dem Ausländerrecht als Recht der Gefahrenabwehr zuzuordnen ist. Keiner Erörterung bedarf die Kategorisierung des AsylbLG als - wie der Name schon sagt - Leistungsgesetz. Prima facie ist das AsylbLG auch dem Sozialrecht zuzuordnen. Für eine systematische Einordnung bedarf es jedoch zunächst einer Klärung dessen, was überhaupt unter dem Begriff des Sozialrechts zu verstehen ist. Deshalb wird im folgenden zunächst ein sozialrechtlicher Kernbereich herausgearbeitet, die Zugehörigkeit des AsylbLG zum Sozialrecht systematisch begründet und sodann der Gegenstand der Untersuchung im System des Sozialrechts positioniert. I. Das System des Sozialrechts

1. Der Begriffdes Sozialrechts In Rechtsprechung und Literatur haben sich differierende Sozialrechtsbegriffe herausgebildet. a) Formeller Sozialrechtsbegriff Überwiegend werden unter den Begriff des formellen Sozialrechts jene Rechtsmaterien subsumiert, die in das SGB Aufnahme gefunden haben. 65 Diesen formellen 64

Hierzu unten, 3. Kap.

§ I Die Wirkungen der Ausgliederung

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Sozialrechtsbegriff identifiziert Gitter aus Praktikabilitätsgründen mit dem Sozialrechtsbegriffüberhaupt. 66 Dieser Ansicht ist entgegenzuhalten, daß dadurch nur eine Teilmenge der sozialrechtlichen Regelungsbereiche dem Sozialrecht in dem von Gitter verstandenen Sinne unterfallen würde. Als formelles Sozialrecht sollen hier also nur die im Sozialgesetzbuch enthaltenen oder zumindest einbezogenen Rechtsmaterien verstanden werden. 67 b) Materieller Sozialrechtsbegriff Der Gehalt des materiellen Sozialrechtsbegriffes als terminus technicus ist umstritten. 68 Selbst die Zuordnung des Sozialrechts zum öffentlichen Recht ist nicht unstreitig. 69 Eine einheitliche Definition konnte sich bislang nicht durchsetzen, wobei die Auseinandersetzung über den Inbegriff des Sozialrechts auf Abgrenzungsprobleme außerhalb des sozialrechtlichen Kembereichs beschränkt bleibt. 70 Die als klassisch zu bezeichnende Konzeption des Sozialrechtsbegriffs knüpft an die sozialpolitischen Konstruktionsprinzipien sozialer Sicherung an. Diese bestehen aus den Bereichen Versicherung, Versorgung und Fürsorge. 7l Zum materiellen Sozialrecht gehören danach jene Rechtsgebiete, die diese sozialpolitischen Forderung als Hauptzweck unterstützen. Dabei handelt es sich herkömmlich um die Sozialversicherungssysteme, die soziale Entschädigung und im wesentlichen die Sozialhilfe. Daneben sind aber auch das Recht der Berufs- undAusbildungsförderung, das Erziehungs-, Kinder- und Wohngeldrecht sowie die Kinder- und Jugendhilfe zum Sozialrecht zu zählen. 73 65 SchulteITrenk-Hinterberger, 2.2.1., S. 30; Mrozynski, § I, Rn. 9; in das SGB haben als eigenständige "Bücher" bislang Eingang gefunden: Das Recht der AusbildungsfOrderung, einschließlich der Arbeitslosenversicherung, der Sozialversicherung, des sozialen Entschädigungsrechts, des Familienlastenausgleichs, des Wohngeldes, der Sozialhilfe, der Jugendhilfe und der Arbeitsförderung. 66 Gitter, § I, S. 3. 67 Als besondere Teile des SGB gelten bis zu ihrer Aufuahme in den Gesetzestext auch die in Art. 11, § I SGB I genannten Normierungen. 68 Gitter, § I; Zacher, Materialien zum SGB, A 19, insbesondere Fn. 45; Zacher, VSSR 1976, I ff, m.w.N. 69 Einerseits Mrozynski, § I, Rn. 11, der im Recht der betrieblichen Sozialleistungen sowie der Lohnfortzahlung im Krankheitsfalle u. ä. als teilweise privatrechtliche Regelungen kein Sozialrecht im technischen Sinne erkennen will und andererseits SchulteITrenk-Hinterberger, S. 29, die den materiellen Sozialrechtsbegriff als "bewußt offen konzipiert" sehen und deshalb mit der Zuordnung von privatrechtlichen Bereichen ein selbständiges Sozialrechtsgebiet statuieren wollen. 70 Rüfner, Einführung in das Sozialrecht 1991, S. 10 ff; Schulin, Sozialrecht 1993, Rn. 1-10; Mrozynski, § I, Rn. 11. 71 SchulteITrenk-Hinterberger, 2.2.2., S. 31. 72 Es ist auch vom sozialpolitischen oder positiven Sozialrechtsbegriff die Rede; Gitter, § I, S. 3; Zacher, VSSR 1976, 1,6. 73 Mrozinsky, § I, Rn. 14; hierzu schon oben a).

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2. Kap.: Die Ausgliederung des Leistungsrechts aus dem System des BSHG

Die Anlehnung an die ursprüngliche Konzeption des Sozialrechts, wie sie sich auch im GG niedergeschlagen hat,74 begründet eine gewisse Uferlosigkeit. Allerdings sind auch neuere Ab- und Eingrenzungsversuche nicht griffiger. Bley und Kreikebohm definieren das materielle Sozialrecht als jenen Teil der Rechtsordnung, der mittels gezielter Leistungen eines Trägers öffentlicher Verwaltung das Sozialstaatsprinzip als Hauptzweck realisiert, indem individuelle Güterdefizite vermieden oder beseitigt werden.15 Zacher hingegen unterstellt dem Sozialrechtsbegriff Vorsorgesysteme,16 Entschädigungssysteme,77 und Ausgleichssysteme78 . Diese Systematisierung wurde in der Literatur positiv aufgenommen, konnte sich aber nicht allgemein durchsetzen und ist insbesondere nicht in der Lage, dem herkömmlichen Systematisierungsansatz etwas wesentlich Neues hinzuzufügen. 79 Unabhängig von verschiedenen Differenzierungsansätzen ist nach einem Kembereich des materiellen Sozialrechtsbegriffs zu fragen. aa) Relevanz des materiellen Sozialrechtsbegriffs Durch die Ausgliederung des AsylbLG hat der Streit um den Begriff des Sozialrechts seine rein theoretische, nur didaktische und "rechtswissenschaftliche"8o Relevanz verloren, wie sie noch von Schulte und Trenk-Hinterberger 1985 zu Recht behauptet wurde. Damals konnte von einer sinkenden Bedeutung der Definitionsfrage ausgegangen werden, da mit der Schaffung und Fortschreibung des SGB vermehrt die verschiedenen Sozialrechtsbereiche gleichrangig nebeneinander gestellt wurden. 81 Durch die Ausgliederung des Asy1bewerberleistungsrechts aus dem BSHG hat der Gesetzgeber einen neuen Weg beschritten, der nicht mit den Ausgliederungen anderer Bereiche aus der Sozialhilfe verglichen werden kann. Anzusprechen ist insoweit der herausgenommene Bereich der Arbeitslosenhilfe; diese wurde im AFG geregelt und ist nunmehr als drittes Buch in das Sozialgesetzbuch eingegliedert worden. Gleiches gilt für das Wohngeldrecht, 82 welches allerdings zugleich über Art. 11, § 1 Nr. 14 SGB I Eingang in den besonderen Teil des SGB gefunden hat. Auch das Art. 74 Nr. 7, Nr. 10 und Nr. 22 GG. BleylKreikebohm, Sozialrecht 1993, S. 4, Rn. 3. 76 Im wesentlichen umfaßt dieser Begriff das Recht der Sozialversicherung. 77 Den Kern der Entschädigungssysteme bildet das BVG; der Anwendungsbereich dieses Gesetzes ist über die Kriegsopferversorgung jedoch wesentlich durch Verweisungen in zahlreichen anderen Gesetzen auf das BVG erweitert worden. Entsprechende Verweisungen enthalten beispielsweise das SVG, das BSG, das BSeuchG u.a., zum Ganzen: Gitter, vor § 31. 78 Z. B. Sozialhilferecht, Kindergeldrecht, Wohngeldrecht. 79 Mrozinsky, § I, Rn. 16, SchulteITrenk-Hinterberger, 2.2.2., S. 32; ähnlich: Schulin 1993, S. 18; Gitter, § 1. 80 SchulteITrenk-Hinterberger, 2.2.2., S. 36. 81 SchulteITrenk-Hinterberger, a.a.O. 82 Wohngeldgesetz (WoGG) Ld.F. d. Bek. v. 01.02.1993, BGB\. 11993,183. 74

7S

§ 1 Die Wirkungen der Ausgliede11lng

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AFG ist zwischenzeitlich in das SGB aufgenommen worden. Diese Ausgliederungen83 haben einen rechts technischen Hintergrund und sind deshalb nicht mit der des Asylbewerberleistungsrechts zu vergleichen. Auch ist durch die Geltung des SGB die Anwendung der sozialrechtlichen Grundsätze gewährleistet. Gerede hierin unterscheiden sich diese Ausgliederungen fundamental von der des Asylbewerberleistungsrechts. 84 bb) Der Kernbereich des Sozialrechts Trotz des breiten Spektrums der Sozialrechtsbegriffe und trotz der bestehenden Divergenzen in der Literatur läßt sich doch ein Kembereich des Sozialrechts herausarbeiten, der in allen Sozialrechtsbegriffen enthalten ist. Unterfallen diesem Kernbereich die Regelungen des AsylbLG, ist nachgewiesen, daß es sich bei diesem Gesetz um eine sozialrechtliche Normierung handelt, die vom Ausländer- und Asylrecht weiter entfernt ist als vom Sozialhilferecht. Das bedeutet weitergedacht: Bedarf es aus rechtstechnischen oder auch verfassungsrechtlichen Gründen Analogiebildungen, so sind analogiefähige Regelungen im SGB und BSHG, nicht aber im restriktiven Ausländerrecht zu suchen. Gleiches gilt auch und vor allem für den Bezugsrahmen der systematischen Auslegung des AsylbLG. Von einem Kernbereich kann also dann die Rede sein, wenn es Definitionsmerkmale gibt, die allen Sozialrechtsbegriffen zugrunde liegen. Als Gemeinsamkeit läßt sich zunächst das Tatbestandsmerkmal der gezielten, individualbezogenen Leistung durch einen Träger der öffentlichen Verwaltung feststellen. Entgegen der Ansicht von Schulte und TrenkHinterberger8 5 sind privatrechtliche Leistungsverpflichtungen aus dem Sozialrechtsbegriff auszuscheiden. Ansonsten müßte auch die im vierten Buch des BGB geregelte familienrechtliche Unterhaltsverpflichtung von Verwandten in gerader Linie 86 dem Sozialrecht unterfallen. Dies würde zu einer nicht mehr handhabbaren Ausdehnung des Begriffs des materiellen Sozialrechts führen. 87 Weiterhin greift ein sozialrechtlicher Mechanismus immer dann ein, wenn eine individuelle Notlage, die die soziale, jedenfalls aber die physische Existenz des Menschen zu gefährden im Stande ist, vorliegt. Zur Sicherung des Existenzminimums ist der Staat qua Verfassung verpflichtet, gesetzliche Regelungen und Mittel zur Verfügung zu stellen. 88 Dies ist das Strukturprinzip der Sozialhilfe schlechthin. 89 Zum

83 Zu erwähnen ist auch das Unterhaltsvorschußgesetz i.d.F. d. Bek. vom 19.01.1994, BGB!. I 1994, 165, (UhVG); auch dieses Rege1ungswerk gehört zum Besonderen Teil des SGB, Art. 2, § 1 Nr. 19 SGB I. 84 Zu den bisherigen Ausgliede11lngen: SchulteITrenk-Hinterberger, 2.2.2., S. 33 ff. 85 SchulteITrenk-Hinterberger, 2.2.1., S. 30. 86 §§ 1601 ffBGB. 87 Mrozynski, § 1, Rn. 11. 88 Zum Ganzen: Unten, 3. Kap.

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2. Kap.: Die Ausgliederung des Leistungsrechts aus dem System des BSHG

Kernbereich des Sozialrechts kann diese Rechtstatsache gerechnet werden, weil sozialrechtliche Anspruchsgrundlagen oftmals viel früher eingreifen. So ist etwa die Leistung der Sozialversicherung nicht abhängig von individuellen Bedarfen; vielmehr herrscht hier im Grundsatz ein versicherungsmäßiges Gegenseitigkeitsverhältnis. 90 Auch das soziale Entschädigungsrecht ist nicht bedarfsabhängig, sondern knüpft mit den Leistungen für die Heim- und Krankenbehandlung, Grund-, Ausgleichs- und Berufsschadensrenten91 an ein Opfer des Anspruchsberechtigten für die Allgemeinheit an. 92 Als weiteres konstitutives Merkmal eines Sozialrechtskernbereichs läßt sich die legislative Verwirklichung des Sozialstaatsprinzips bezeichnen. 93 Notwendig für einen ,,kleinsten sozialrechtlichen Nenner" ist dies jedoch nicht. Zur Gewinnung einer Minimalposition läßt sich demnach folgendermaßen definieren: Den Kernbereich des Sozialrechts stellen Gesetze im materiellen Sinne dar, die Träger der öffentlichen Verwaltung verpflichten, existenzbedrohende, individuelle Güterdefizite so weit abzumildern, daß die Menschenwürde des einzelnen gesichert ist. Nicht bedeuten soll dieser Ansatz, daß nur sozialhilfeähnliche Leistungen dem Kernbereich des Sozialrechts zugehören und mithin das prägende kontinentale System der Sozialversicherung 94 nur am Rande dem Sozialrecht angehört. Festzustellen ist aber, daß eine Regelungsmaterie jedenfalls dann dem Sozialrecht zugeschlagen werden muß, wenn die Milderung oder Beseitigung individueller Notlagen durch Gesetze einem Hoheitsträger auferlegt worden ist. Konstitutives Merkmal allen Sozialrechts ist auch die Wahrung der Menschenwürde im Sinne des Art. 1 Abs. 1 GG. § 1 Abs. 1 Satz 2 SGB I nennt es als ausdrückliche Aufgabe des Sozialgesetzbuchs, dazu beizutragen, ein menschenwürdiges Dasein zu sichern. Dieses Strukturprinzip des Sozialrechts ist explizit nochmals in § 9 SGB I und § 1 BSHG genannt. Deshalb und unabhängig von sonstigen Sozialrechtsbegriffen ist die Sicherung der Menschenwürde als letztes Ziel des Sozialrechts in eine Kernbereichsdefinition mit aufzunehmen. 95

§ I BSHG, § 9 SGB I. Gitter, § I und ausführlich § 4. 91 Gitter, § 35. 92 Mrozinsky, § 5, Rn. I; Gitter, vor § 35. 93 Ähnlich: Bley/Kreikebohm, S. 4; Mrozinsky § I, Rn. 13. 94 Sogenanntes "Bismarck-System", hierzu Schulte/Trenk-Hinterberger, 10.4, S. 460. 95 Trenk-Hinterberger, Zf'SH 1980, 46, Fn. I, erkennt in der Sicherung der Menschenwürde die allgemeine sozialrechtliche Aufgabe. B/ey/Kreikebohm, S. 3, und Schulin, S. I, nennen den 89 90

Schutz der Menschenwürde stets an erster Stelle des Aufgabenkanons des Sozialrechts. Eine weitere wesentliche Funktion ist die Beförderung der Chancengleichheit.

§ I Die Wirkungen der Ausgliederung

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2. Der Begriff des Sozialhi/ferechts Das Sozialhilferecht ist geprägt durch das BSHG. Nur in diesem Gesetz ist traditionell das Recht der Sozialhilfe geregelt. 96 Was der Gesetzgeber unter Sozialhilfe versteht, läßt sich dem BSHG entnehmen. In seltener gesetzgeberischer Klarheit umreißt § I BSHG den Begriff der Sozialhilfe. 97 Danach sind die Leistungen in Hilfen zum Lebensunterhalt und Hilfen in besonderen Lebenslagen zu differenzieren. 98 "Aufgabe der Sozialhilfe ist es, dem Empfänger der Hilfe die Führung eines Lebens zu ermöglichen, daß der Würde des Menschen entspricht."99 Damit ist das sozialpolitische Leitmotiv lOO und die verfassungsrechtliche Verankerung der Sozialhilfe eindeutig festgelegt. IOI Die Bedeutung dieser Eingangsnorm des BSHG wird in der Literatur nicht nur als die "königliche Norm des BSHG"102, sondern auch als "verbindliche Richtschnur für die Ausgestaltung und für die Auslegung des BSHG" und als Leitgrundsatz und Fundamentalnorm des Soziaihilferechts lO3 bezeichnet. Im Gegensatz zum Sozialrecht im allgemeinen, bestehen im Sozialhilferecht keine Abgrenzungsschwierigkeiten; der Begriff des Sozialhilferechts ist klar umrissen. Sowohl in formeller als auch in materieller Hinsicht ist das Rechtsgebiet der Sozialhilfe durch das BSHG umfassend geregelt. Als argumentum e contrario kann deshalb postuliert werden, daß nicht Sozialhilfe ist, was nicht im BSHG geregelt ist. 11. Einordnung des AsylbLG

Durch die Herausnahme des Asylbewerberleistungsrechts aus dem BSHG hat der Gesetzgeber hinsichtlich der Zugehörigkeit zum Sozialhilferecht vollendete Tatsachen geschaffen. Es wurde gezeigt, daß das Recht der Sozialhilfe kongruent mit den Regelungen des BSHG ist. Folglich kann das AsylbLG nicht dem Sozialhilferecht zugeordnet werden. 104 Anderenfalls würde man eine eindeutige gesetzgebe96 SchulteITrenk-Hinterberger, 2.6.1., S. 55, die diese konsistente Regelung der Rechtsmaterie auf eine lange sozialpolitische Tradition in Deutschland zurückführen. 97 SchellhornlJirasek/Seipp, § I, Rn. 3. 98 § I I BSHG. 99 § I 11 I BSHG. 100 Trenk/Hinterberger, ZfSH 1980,46. 101 Daß die Rechtsstellung des Hilfeempfängers jedoch "klar und fortschrittlich" umrissen sei, kann indes vor dem Hintergrund der Offenheit des Begriffs der Menschenwürde nicht konstatiert werden; so aber SchellhornlJirasek/Seipp, § I, Rn. 3; zur Problematik der Menschenwürde im Sozialhilferecht: Trenk-Hinterberger, ZfSH 1980, 54 ff. 102 SchellhornlJirasek/Seipp, § I, Rn. 3. 103 Trenk-Hinterberger, ZfSH 1980, 46. 104 A.A. aber wohl Gitter, vor § 38. Er stellt fest, daß die Sozialhilfe "im wesentlichen" im BSHG geregelt sei und verweist lediglich a.a.O., dort Fn. I, auf das AsylbLG hinsichtlich der Leistungen an Asylbewerber, ohne sich festzulegen, ob dieses Gesetz zum Recht der Sozialhilfe gehört.

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2. Kap.: Die Ausgliederung des Leistungsrechts aus dem System des BSHG

rische Entscheidung ignorieren. Mit der Schaffung des AsylbLG verfolgte der Gesetzgeber gerade die Neuregelung des Rechts der Hilfeleistungen an Asylbewerber und anderen, definierten Ausländergruppen außerhalb des Sozialhilferechts. 105 Vergleicht man jedoch die Ausgangssituation der Hilfeempfanger einerseits und der Leistungsberechtigten andererseits, wird ohne weiteres offensichtlich, daß sowohl im BSHG als auch im AsylbLG Leistungen an Menschen in wirtschaftlichen Notlagen erbracht werden sollen. 106 Daraus resultiert zunächst folgendes: Es zeigt sich durch die wirtschaftliche Notlage als tatbestandliche Leistungsvomussetzung gemäß § 7 Abs. I S. I AsylbLG, daß mit dem AsylbLG eine Regelung auf dem Gebiet der öffentlichen Fürsorge im Sinne des Art. 74 Abs. I Nr. 7 GG getroffen wurde und schon deshalb das Asylbewerberleistungsrecht systematisch dem materiellen Sozialrecht zuzuordnen ist. Die Zugehörigkeit des AsylbLG zum Sozialrecht als Oberbegriff ergibt sich auch und gerade durch den Regelungsgehalt der Normierungen des AsylbLG: Die zuständigen Behörden 107 als Träger der öffentlichen Verwaltungen werden durch das AsylbLG verpflichtet, an in wirtschaftliche Notlagen gemtene Ausländer Leistungen in bestimmter Höhe zur Milderung individueller Güterdefizite zu erbringen. Diese Leistungen müssen von Verfassungs wegen ausreichend sein, den Leistungsberechtigten ein menschenwürdiges Leben zu ermöglichen. 108 Vor diesem Hintergrund kann zusammenfassend folgendes Ergebnis festgestellt werden: Das AsylbLG ist eine sozialrechtliche Normierung im materiellen Sinne, die nicht dem Recht der Sozialhilfe zugehört. D. Anwendungsumfang des allgemeinen Sozial- und Sozialhilferechts Mit der Schaffung des AsylbLG verfolgte der Gesetzgeber primär das Ziel, die Leistungen an Asylbewerber und andere Ausländergruppen außerhalb des Sozialhilferechts, in concreto: außerhalb des BSHG, zu regeln. Damit wurde das BSHG unanwendbar. Ebenso scheidet die unmittelbare Anwendung des SGB aus (1.). Der im Wege der Verweisung eröffnete Anwendungsumfang des SGB wird nachfolgend dargestellt (11.). Die Differenz des formellen und materiellen Leistungsniveaus zwischen Diese Zielbestimmung machten sich die Parteien im sog. Asylkompromiß zu eigen. Im Rahmen des AsylbLG erschließt sich dieser Umstand erst aus § 7 Abs. 1; danach haben die Leistungsberechtigten und deren Familienangehörige zunächst das verfügbare Einkommen und Vermögen vor der Gewährung von Leistungen nach dem AsylbLG aufzubrauchen. 107 In Baden-Württemberg obliegt die Ausfiihrung des AsylbLG den Aufuahrnebehörden und den Gemeinden; vgl. Flüchtlingsaufnahmegesetz (FlüAG), GBI. 1997,465. Eine Übersicht über sämtliche landesrechtliche Regelungen zum AsylbLG findet sich in: Hohm, GK-AsylbLG IV. 108 Ob dieses Postulat mit ..Ewigkeitsgarantie" gern. Art. 79 Abs. 3 GG erfüllt wird, ist eine andere Frage. 105

106

§ 1 Die Wirkungen der Ausgliederung

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Sozialhilfeleistungen und Leistungen nach dem AsylbLG stellt den wesentlichen Teil der verfassungsrechtlichen Problematik der Herausnahme des Asylbewerberleistungsrechts aus dem BSHG dar. In diesem Bereich sind die konkreten Auswirkungen der neuen Regelungen auf die Leistungsberechtigten normativ angesiedelt. Zur Ermittlung der Leistungsdifferenz zwischen BSHG und AsylbLG werden im folgenden auch die Strukturprinzipien der Sozialhilfe kurz skizziert, deren Unanwendbarkeit die Ausgliederung des AsylbLG bewirkt hat und bewirken sollte (III.). I. Grundsätzliche Unanwendbarkeit des SGB

Mangels Aufnahme in den besonderen Teil des SGB gemäß Art. 11, § 1 SGB I ist das gesamte SGB nicht unmittelbar auf das AsylbLG anwendbar. 109 Hieraus folgt in theoretischer Hinsicht zunächst, daß das Asylbewerberleistungsrecht nicht vom formellen Sozialrecht inbegriffen iSt. 11O Von Bedeutung für die Leistungsberechtigten ist allerdings nur die Unanwendbarkeit des ersten und zehnten Buches des SGB, in welchen - ähnlich dem System des BGB - der allgemeine Teil des SGB (SGB I) und das Verwaltungsverfahren (SGB X) geregelt wird. Die sonstigen Bücher des SGB stehen in keinem direkten Zusammenhang mit den Leistungen nach dem AsylbLG; insbesondere regelt sich die Anwendbarkeit dieser Bücher auf Asylbewerber allein nach den dortigen Tatbestandsvoraussetzungen. Röseler ist der Auffassung, der Gesetzgeber habe den Ausschluß insbesondere der Vorgaben der §§ 1, 15 bis 17 und 38 ff SGB I intendiert. lll Bei diesen Regelungen handelt es sich zum einen um die Aufgaben- und Zielbestimmungen des Sozialgesetzbuchs l12 und zum anderen um grundsätzliche Bestimmungen über das Leistungsverhalten l13 und die Grundsätze des Leistungsrecht. 1l4 In den Materialien zum Gesetzgebungsverfahren findet sich zum Verhältnis zwischen dem Asylbewerberleistungsrecht und dem SGB nichts. In der gesamten politischen, sozial- und verfassungsrechtlichen Diskussion des AsylbLG traten die Aspekte der in SGB I und X normierten Bestimmungen über die allgemeinen Grundsätze der Leistungsgewährung und des Verfahrensrechts in den Hintergrund. Die Debatte war und ist beherrscht von der Frage der Verfassungsmäßigkeit der materiellen Regelungen. 115 Nicht von der Hand zu weisen ist aber das Vorliegen einer bewußten Entscheidung des Gesetzgebers, das AsylbLG nicht dem Geltungsbereich des SGB zu unterwerfen. Dies ergibt sich - e contrario - aus der 109 Kunkel, NVwZ 1994, 352, 353; Röseler, Sozialleistungen für Flüchtlinge in der Bundesrepublik Deutschland, 2.9, S. 270, 292. 110 Statt aller: Mrozynski, § 1, Rn. 9. 111 Röseler, a.a.O., S. 292. 112 § 1 SGB I.

§§ 13 bis 17 SGB I. §§ 38 ffSGB I. 115 Vgl. nur die Stellungnahmen und Pressemitteilungen zur 2. Novellierung des AsylbLG; oben, 1. Kap., A. 1\3

114

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2. Kap.: Die Ausgliederung des Leistungsrechts aus dem System des BSHG

Vorschrift in § 9 III AsylblG, die §§ 44 bis 50 und §§ 102 bis 114 SGB X entsprechend anzuwenden. 1l6 Einer Anordnung, bestimmte Normen des SGB anzuwenden, hätte es nicht bedurft, wenn legislatorisch von einer Anwendung des ersten und zehnten Buches des SGB ausgegangen worden wäre. Der Ansicht von Röseler 1l7 ist insoweit zuzustimmen, als sich aus der Motivation des Gesetzgebers, ein beschränktes, auf die regelmäßig kurze Aufenthaltsdauer angepaßtes Leistungsrecht für Ausländer mit ungesichertem Aufenthaltsstatus zu schaffen, auch die Unanwendbarkeit des SGB folgern läßt. Gerade die in § 1 SGB I niedergelegten Leitlinien des Sozialrechts sollen keine Anwendung finden; weder soll zu Gunsten von Asylbewerbern ein Umgestaltungsprozeß der gesellschaftlichen Güterverteilung zur Erlangung höherer sozialer Gerechtigkeit 1l8 stattfinden, noch braucht nach der gesetzgeberischen Intention bei kurzzeitig, oft rechtswidrig anwesenden Ausländern soziale Sicherheit - die auf Integration gerichtet ist - gewährt werden. Der den Grundprinzipien des SGBl19 ebenfalls innewohnende integrative Aspekt sollte gerade nicht zu einem Bestandteil des AsylbLG werden. 120 Aus dieser Vorüberlegung läßt sich wiederum zweierlei folgern: - Auf nicht priviligierte Leistungsberechtigte ist das SGB insgesamt unanwendbar. 121 Nur auf diese Personengruppe von Leistungsberechtigten trifft die grundlegende, oben dargelegte gesetzgeberische Intention zu, die im Asylkompromiß vom 06.12.1992 ihren ersten Ausdruck fand, Leistungen zu erbringen, die einer kurzen Aufenthaltsdauer entsprechen. Für einen Zeitraum von höchstens 36 Monaten 122 ist mithin das SGB I und X nicht anwendbar. - Anders ist die Sachlage bei den priviligierten Leistungsberechtigten gemäß § 2 Abs. 1 AsylbLG. Diese Leistungsberechtigten erhalten Leistungen in entsprechender Anwendung des BSHG dann, wenn sie über eine Dauer von insgesamt 36 Monaten, frühestens beginnend am 01.06.1997, Leistungen nach § 3 AsylbLG erhalten haben. Es stellt sich die Frage, ob eine entsprechende Anwendung des BSHG immer auch zu einer analogen Anwendung des SGB I und X führt. Unabhängig von dem Streit, ob es sich bei der Verweisung in § 2 Abs. I AsylbLG um eine Rechtsgrund- 123 oder eine Rechtsfolgenverweisung 124 handelt, verbleibt es Hierzu: Hohm GK-AsylbLG III, § 9, Rn. 48 ff. S. 292. 118 Zum Begriff: Mrozynski, § I, Rn. 3. 119 Mrozynski, § I, Rn. 2. 120 So sinngemäß: BT-Drucks 12/4451, AIIgem. Begründung, A. AIIgem. Teil 2., soweit davon ausgegangen wird, daß es nicht notwendig ist, den Leistungsberechtigten ein Leben "auf eigenen Füßen" in Deutschland zu ermöglichen. 121 Anderes gilt für die ausdrücklich im AsylbLG angeordnete entsprechende Anwendbarkeit bestimmter Normenkomplexe; so auch Deibel, Städte und Gemeinderat 1995, 306, 308. 122 Teilweise kann sich dieser Zeitraum auf 48 Monate erhöhen; Hohm, NVwZ 1997,659. 123 So Hess. VGH, NVwZ-Beil. 1994,27,28. 116

117 A.a.O.,

§ I Die Wirkungen der Ausgliederung

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jedenfalls bei einer entsprechenden Anwendung nur des BSHG; auf das SGB wird nicht verwiesen. Folglich kann nicht auf die Strukturprinzipien des SGB im ersten und auch nicht auf das Verfahren der Leistungsgewährung im zehnten Buch zurückgegriffen werden. Die Vorschrift einer entsprechenden Anwendung indiziert, die Besonderheiten jenes rechtlichen und tatsächlichen Kontextes, in dem die Nonnen, auf die verwiesen wurde, angewendet werden, angemessen zu berücksichtigen. 125 Darüber hinaus ist das BSHG im Verhältnis zum SGB I lex specialis; eine Verweisung auf die Anwendung des spezielleren Gesetzes kann nicht zugleich eine entsprechende Anwendung des allgemeineren Gesetzes bewirken. 11. Entsprechende Anwendung einzelner Bestimmungen des SGB

In der ursprünglichen Fassung des AsylbLG ordnete lediglich § 9 Abs. 3 eine entsprechende Anwendung bestimmter Paragraphen an. Hierbei handelte es sich um die §§ 102 bis 114 SGB X. Dort werden verschiedene Erstattungspflichten von vorläufig leistenden Sozialhilfeträgern, die Verjährung dieser Erstattungs- und Rückerstattungsansprüche l26 sowie der Rechtsweg für die Geltendmachung der Erstattungsansprüche 127 geregelt. Diese Verweisungsanalogie wurde aus Gründen der Verwaltungseffizienz in das AsylbLG aufgenommen. 128 Art. 1 Nr. 9 des ersten Änderungsgesetzes des AsylbLG erweiterte mit Wirkung vom 01.06.1997 § 9 Abs. 3 AsylbLG in der Weise, als der bislang bestehenden Verweisungsanalogie die §§ 44 bis 50 SGB X hinzugefügt wurden. 129 Damit war den zuständigen Behörden die Möglichkeit gegeben worden, bei nachträglicher Kenntniserlangung über Tatsachen, die eine Leistungsberechtigung nach dem AsylblG ausschließen, zu Unrecht erbrachte Leistungen zurückzufordern. 130 Außerdem arbeitete man bei dieser Novellierung eine weitere Verweisung auf die Bücher I und X des SGB in den Gesetzestext ein: § 7 Abs. 4 AsylbLG verweist seither auch auf die §§ 60 bis 67 SGB I und auf § 99 SGB X. Mithin haben zwischenzeitlich Leistungsberechtigte die gleichen Mitwirkungs- und Auskunftspflichten wie Empfänger von solchen Leistungen, die im SGB geregelt sind. Damit wurde ein Mißstand behoben, der in der generellen Unanwendbarkeit des SGB auf das AsylbLG gründete. Einschlägig 124 Deibel, NWVBI. 1993,441; Hauck, NVwZ 1994,768,769; Hohm, GK-AsylbLG In, § 2, Rn. 96 ff; Röseler NVwZ 1994, 1084; Klinger, BWVP 1994,98, 100; hierbei handelt es sich um die h.M.; auch die Rechtsprechung statuiert eine Rechtsfolgenverweisung; vgl. hierzu die Rechtsprechungsübersicht bei Hohm, GK-AsylbLG I1I, § 2, Rn. 97. 125 Hohm, GK-AsylbLG I1I, § 2, Rn. 102, 103; zum Ganzen: Sauer, RsDE 1995, Heft 28, S. 31 ff. 126 § 113 SGB X. 127 § 114 SGB X.

Hohm, GK-AsylbLG I1I, § 9, Rn. 51. Zur Begründung: BT-Drucks. 13/2746, 17 ff; Hohm, GK-AsylbLG I1I, § 9, Rn. 2, 3. 130 BT-Drucks 13/2746, 17 ff.

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4 Horrer

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2. Kap: Die Ausgliederung des Leistungsrechts aus dem System des BSHG

für das Verfahren der Leistungsgewährung nach dem AsylbLG sind die Verwaltungsgesetze der Länder, weIche Mitwirkungs- und Auskunftspflichten, die jenen des SGB vergleichbar wären, nicht beinhalten. 131 111. Unanwendbarkeit der Grundsätze der Sozialhilfe

Die Strukturprinzipien des BSHG, die konstitutiv für das Sozialhilferecht sind und als überkommene Grundsätze des Fürsorgerechts in das BSHG Aufnahme gefunden haben, sind auf Leistungen für Leistungsberechtigte nach § I Abs. I AsylbLG nicht anwendbar. 132 In den folgenden Ausführungen werden die wesentlichen Grundzüge der Strukturprinzipien der Sozialhilfe ebenso wie deren Bedeutung kurz dargestellt. Diese unanwendbaren Grundsätze und das abgesenkte Leistungsniveau nach den Vorschriften des AsylbLG sind wesentliche Anknüpfungspunkte für die nachfolgend vorzunehmenden verfassungsrechtlichen Untersuchungen. I. Die Grundsätze der Sozialhilfe und deren Bedeutung

Die Grundzüge der Sozialhilfe sind von vier elementaren Strukturprinzipien geprägt. Ihnen kommt als überkommene Grundsätze des Sozialhilferechts und also des vormaligen Fürsorgerechts eine Bedeutung über die jeweils herrschende Gesetzeslage hinaus ZU. 133 Die Strukturprinzipien des Sozialhilferechts sind im Menschenbild des Grundgesetzes verankert und manifestieren, wie sich in der Offenheit der Zeit Rechtsprechung und Lehre - unter dem Einfluß der jeweiligen Zeitströmungen den ethisch, moralisch und rechtlich richtigen oder - als Synthese dieser kulturbedingten Wertmaßstäbe - zumindest vertretbaren Umgang mit hilfsbedürftigen Menschen vorstellen. 134 a) Als wesentlicher Grundsatz kann die Aufgabe der Sozialhilfe gelten, dem Hilfeempfänger die Führung eines Lebens zu ermöglichen, das der Würde des Menschen entspricht. 135 Die Bedeutung dieser ..königlichen Norm" I 36 und die SchwieHohm. NVwZ 1997.659.662; BT-Drucks 13/2746, S. 16 ff. Der Anwendungsumfang der Grundprinzipien der Sozialhilfe auf Analogberechtigte im Sinne des § 2 Abs. 1 AsylbLG ist umstritten: Für die Anwendbarkeit spricht sich Hohm, GK-AsylbLG m, § 2. Rn 112 ff. aus. dagegen Kunkel NVwZ 1994, 352. m Zu leeg, Gutachten, S. 20, erkennt in den Grundsätzen der Sozialhilfe allgemeine Rechtsgrundsätze, die das Verfassungsrecht auch außerhalb sozialrechtlicher Normierungen konkretisieren. 134 Zu den Grundsätzen der Sozialhilfe: SchulteITrenk-Hinterberger, 4. S. 104 ff; SchellhornlJirasek/Seipp, Einfiihrung Rn. 13. m.w.N. 135 § lAbs. 2 S. I BSHG. 136 Dieses, in Fachkreisen mittlerweile geflügelte Wort, wurde ursprünglich wohl von Schellhammer geprägt; jedenfalls ist er der einzige, der es ohne Quellenangabe verwendet; SchellhornlJirasek/Seipp, § I, Rn. 3. 131

132

§ I Die Wirkungen der Ausgliederung

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rigkeiten im Umgang mit diesem Grundsatz liegen gerade in der konkreten Aufgabenstellung, die Voraussetzungen für die Führung eines menschenwürdigen Lebens zu schaffen. Dieser Verpflichtung des Sozialhilfeträgers kommt eine überragende Bedeutung zu. 137 Mit der Bezugnahme auf die Menschenwürde hat der Gesetzgeber in § lAbs. 2 S.I BSHG einen für die Anwendung des gesamten Sozialhilferechts wesentlichen Auslegungsgrundsatz geschaffen, 138 der die Beachtung des Menschenbildes des Grundgesetzes vorschreibt. Allerdings ist der Begriff der Menschenwürde wegen seiner Offenheit in der Zeit und der extremen Vagheit l39 auslegungsbedürftig. Nur durch einzelfallbezogene Ermessensentscheidungen läßt sich jeweils konkretisieren, was der einzelne Hilfsbedürftige benötigt und wie dieses zu gewähren ist, um § lAbs. 2 BSHG zu entsprechen. Dazu hat sich in der Rechtsprechung eine breite Kasuistik entwickelt, die aufzuzeigen hier nicht möglich ist. 140 b) Ein weiteres Strukturprinzip ist das Ziel der Sozialhilfe, den Hilfeempfänger soweit wie möglich zu befähigen, unabhängig von ihr zu leben. 141 Dieser Grundsatz der Hilfe zur Selbsthilfe ist in § lAbs. 2 S. 2 I. HS. BSHG normiert. Hierunter fallen nicht nur Hilfen zur Herstellung der Arbeitsfähigkeit, sondern ebenso Maßnahmen, die die eigenständige Lebensführung der Hilfeempfänger fördern. 142 In dieser Zielsetzung spiegelt sich wiederum der Grundsatz der Menschenwürde als Fundament des Sozialhilferechts wider. 143 c) Der Nachrang der Sozialhilfe ist in § 2 BSHG verankert; schon dieser Ort im Gesetzesgefüge deutet auf die Bedeutung der Vorschrift hin. l44 Der Nachranggrundsatz macht den Ausnahmecharakter der Sozialhilfe deutlich: Nur ein anderweitig nicht gedeckter Bedarf ist Leistungsgrund für die Sozialhilfe. 145 Dieses Prinzip der materiellen Subsidiarität l46 bedeutet im einzelnen, daß sowohl Selbsthilfe, tatsächliche Leistungen Dritter, Leistungsverptlichtungen Dritter und Ermessensleistungen anderer öffentlich-rechtlicher Träger der Sozialhilfe vorgehen. 147 Der Nachranggrundsatz ist ebenfalls aus dem Fürsorgerecht überkommen. 148 DieSchellhornlJirasek/Seipp, § I, Rn. 7. SchellhornlJirasek/Seipp, a.a.O., Rn. 7. 139 Stolleis, NDV 1981,99. 140 Zusammenfassend: Trenk-Hinterberger, ZffiH 1980, 54 ff; SchulteITrenk-Hinterberger, 4.2., S. 104 ff. 141 SchulteITrenk-Hinterberger, 4.3., S. 106; Birk in: LPK-BSHG, § I, Rn. 15 ff. 142 SchellhornlJirasek/Seipp, § I Rn. 8. 143 Neumann, NVwZ 1995,426 ff. 144 Zur Subsidiarität der Sozialhilfe: SchellhornlJirasek/Seipp, § 2; SchulteITrenk-Hinterberger, 4.4., S. 109. 145 SchulteITrenk-Hinterberger, 4.4.1., S. 109, m.w.N. 146 SchulteITrenk-Hinterberger, a.a.O. S. 109. 147 SchulteITrenk-Hinterberger, a.a.O. S. 110 ff. 148 SachßelTennstedt, Bd. I, S. 14. 137

138



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2. Kap.: Die Ausgliederung des Leistungsrechts aus dem System des BSHG

sem Prinzip ist auch ein liberales Element insoweit immanent, als es grundsätzlich auf der Eigenverantwortlichkeit des Individuums aufbaut und die Hilfe der Gesellschaft erst an letzter Stelle einsetzen läßt. 149 d) § 3 BSHG normiert das Individualisierungsprinzip. Gemeint ist mit der Individualisierung der Hilfe eine gezielte Ausrichtung der Form, der Art und des Maßes sowie des Verfahrens der Hilfe auf den einzelnen. ISO Das dem Individualisierungsprinzip zugehörige Wunsch- und Wahlrecht des Hilfeempfängers lSI ist der Erhaltung der Eigenständigkeit des Individiums zu dienen bestimmt und fußt damit - wie der Grundsatz der Individualisierung allgemein - in der staatlichen Verpflichtung, den Hilfesuchenden bei der Führung eines menschenwürdigen Lebens zu unterstützen. IS2 Zu einem menschenwürdigen Leben gehört es, einem erwachsenen Menschen die Möglichkeit zu belassen, seine Bedarfsdeckung frei zu gestalten. IS3 2. Veifassungsrechtliche Relevanz der legislativen Abbedingung der überkommenen Grundsätze des Sozialhilferechts

Es liegt auf der Hand, daß verfassungsrechtliche Fragen gestellt werden, wenn der Gesetzgeber das Leistungsrecht für Asylbewerber und andere Ausländergruppen mit ungesichertem Aufenthaltsstatus außerhalb des Sozialhilferechts regelt und mithin die prägenden Grundsätze des Sozialhilferechts auf diesen Personenkreis nicht mehr zur Anwendung kommen. Wie oben gezeigt, sind es verfassungsrechtliche, grundrechtliehe Postulate, die durch die Grundsätze der Sozialhilfe verwirklicht und zu handhabbaren Auslegungshilfen sowie Leitlinien ls4 ausgeformt worden sind und in dieser Funktion den materiell-systematischen Rahmen des Sozialhilferechts darstellen. ISS IV. Anwendbarkeit sonstiger Sozialleistungsgesetze

Gemäß § 9 Abs. 2 AsylbLG werden Leistungen anderer, besonders Unterhaltspflichtiger, der Träger von Sozialleistungen oder der Länder, durch dieses Gesetz nicht beriihrt. ls6 Aus dieser Normierung ergibt sich, daß Leistungen, die ein LeiSachße in: Krejt/Mielienz, Stichwort Subsidiarität, S. 448 ff. SchulteITrenk-Hinterberger, 4., S. 113; Schellhorn/JirasekiSeipp, § 3, Rn. 3 ff. ISI § 3 Abs. 2 BSHG. IS2 Schellhorn/JirasekiSeipp, § 3, Rn. 11. IS3 Schellhorn/JirasekiSeipp, a.a.O., Rn. 12; BVerwGE 72, 354 ff; vgl. allerdings zu den Schattenseiten des Individualisierungsprinzips: SchultelTrenk-Hinterberger, 4.5.3., S. 116 ff. IS4 SchultelTrenk-Hinterberger, 4.1., S. 104. ISS Zur Bedeutung dieses Systems unten, 2. Kap., § 2, B., III. IS6 BT-Drucks. 12/4451, S. 4. Der nunmehr in § 9 Abs. 2 AsylbLG normierte Regelungsgehalt war im Entwurf noch in einern § 8 enthalten. 149

ISO

§ 2 Verfassungsrechtliche Untersuchung der Ausgliederung

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stungsberechtigter nach anderen Anspruchsnonnen erhält, den Leistungen nach dem AsylbLG vorgehen. 157 Außerdem bleibt ein Leistungsanspruch nach dem AsylbLG bei der Leistungsgewährung nach anderen Rechtsvorschriften unberücksichtigt; andere Leistungen können demgemäß also nicht unter Verweis auf Leistungen nach dem AsylblG versagt werden. 15s Nur dann sind Ansprüche auf Leistungen nach dem AsylbLG im Rahmen sonstiger Sozialleistungen zur berücksichtigen, wenn dies tatbestandiich vorgesehen ist. 159 Asylbewerber und diesen leistungsrechtlich gleichgestellte Ausländer erhalten folglich alle in den §§ 18 bis 29 SGB I vorgesehenen Leistungen, sofern die Tatbestandsvoraussetzungen erfiillt sind. 160 Dies ist bei der Sozialhilfe l61 nicht der Fall, da gemäß § 120 Abs. 2 BSHG Leistungsberechtigte nach § 1 AsylbLG keine Leistungen der Sozialhilfe erhalten. 162 Außerdem schließt § 9 Abs. 1 AsylbLG für Leistungsberechtigte nach dem AsylbLG insgesamt Leistungen nach dem BSHG oder vergleichbaren Landesgesetzen aus.

§ 2 Verfassungsrechtliche Untersuchung der Ausgliederung A. Der Untersuchungsmaßstab Durch die Ausgliederung des Leistungsrechts für die Nonnadressaten des § AsylbLG aus dem BSHG werden diese Personengruppen in leistungsrechtlicher Hinsicht anders behandelt als deutsche Staatsangehörige im allgemeinen und nicht dem Regime des AsylbLG unterfallende Ausländer im besonderen. Deshalb ist eine verfassungsrechtliche Überprüfung dieses Sonderrechts für Ausländer mit ungesichertem aufenthaltsrechtlichen Status am Maßstab des Art. 3 Abs. 1 GO unter Berücksichtigung der Vorgaben des Art. 3 Abs. 3 GG, des Sozialstaatsprinzips und vor dem Hintergrund des Gebots der Systemgerechtigkeit vorzunehmen. Inzident ist dabei auch die Vereinbarkeit der Ausgliederung mit der Menschenwürde der Betroffenen zu überprüfen. B. Die Vereinbarkeit der Ausgliederung des AsylbLG aus dem BSHG mit Art. 3 Abs. 1 GG Die Herausnahme des Leistungsrechts für Ausländer mit ungesichertem ausländerrechtlichen Aufenthaltsstatus bewirkt eine pauschale SchlechtersteIlung dieser BT-Drucks. 12/4451, S. 10. BT-Drucks. 12/4451, S. 10; hierzu: Kunkel, NVwZ 1994,352,354; Hohm GK-AsylbLG III, § 9, Rn. 12 tf. 159 BT-Drucks 12/4451, S. 10. 160 Kunkel, NVwZ 1994,352,354. 161 § 28 SGB I. 157 158

162

Schellhom/JirasekJSeipp, § 120, Rn. 23.

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2. Kap.: Die Ausgliederung des Leistungsrechts aus dem System des BSHG

Personengruppe. Durch das AsylbLG wurde der Leistungsanspruch rur eine gesetzlich definierte Gruppe außerhalb der überkommenen Leistungsgesetze geregelt. Aufgrund des niedrigeren Leistungsniveaus in Maß und Form werden diese Leistungsberechtigten gegenüber allen anderen Grundrechtssubjekten in verschiedener Hinsicht ungleich behandelt. Dabei sind rur eine verfassungsrechtliche Überprüfung Vergleichsgruppen zu bilden, um durch eine differenzierte Betrachtungsweise Verletzungen des Art. 3 Abs. I GG ermitteln zu können l63 . Bei den Leistungsberechtigten des AsylbLG handelt es sich immer um Ausländer. Deshalb ist zunächst die Ungleichbehandlung von ausländischen und deutschen Hilfeempfängern l64 zu untersuchen (unten 1.), um die Frage beantworten zu können, ob insoweit überhaupt Differenzierungen auf der leistungsrechtlichen Ebene statthaft sind. Unmittelbar durch die Ausgliederung verursacht ist die Differenzierung zwischen Leistungsberechtigten nach § 1 Abs. 1 AsylbLG und ausländischen Hilfeberechtigten, die einen Anspruch auf Sozialhilfe gemäß § 120 Abs. 1 BSHG haben. Eine Prüfung dieses Verhältnisses wird ebenfalls vorzunehmen sein (unten 11.).165 Schließlich erhebt sich die Frage, ob die Ausgliederung des AsylpLG aus dem BSHG mit dem Grundsatz der Systemgerechtigkeit zu vereinbaren ist (unten III.). Sollte sich das AsylbLG als systemwidrig im Sinne der von Rechtsprechung und Literatur erarbeiteten dogmatischen Grundlagen erweisen, stellte dies nach herrschender Meinung eine Verletzung des allgemeinen Gleichheitssatzes dar. I. Vereinbarkeit der Ungleicbbebandlung von Deutscben und Ausländern mit Art. 3 Abs. 1 GG

Vorrangig ist das Verhältnis von Ausländern und Deutschen zu untersuchen, da die legislative leistungsrechtliche Grenzziehung in grundsätzlicher Weise zwischen diesen beiden Vergleichsgruppen verläuft. Stellt sich heraus, daß eine Ungleichbehandlung dieser Gruppen leistungsrechtlich unstatthaft ist, sind notwendig auch die Regelungen des AsylbLG gleichheitswidrig, da Normadressaten des AsylbLG ausschließlich Ausländer sind. 166 Zur sachgerechten Prüfung der Vorgaben des Art. 3 Abs. 1 GG sind die vom Gesetzgeber Benachteiligten in einer Vergleichsgruppe Allgemein zur Prüfung des Gleichheitssatzes: Jarass, NJW 1997,2545 tf. Eine Vergleichbarkeit dieser Gruppen liegt vor, da es sich zwar bei dem AsylbLG um keine Regelung der Sozialhilfe, wohl aber um ein Sozialleistungsgesetz handelt; vgl. oben 1. Kap., § I, C. 165 Keiner gesonderten Untersuchung bedarf das Verhältnis von Leistungsberecbtigten nach § I des AsylbLG und Asylberechtigten, da die Letztgenannten deutschen Hilfeempfängem in sozialhilferechtlicher Hinsicht gleichgestellt sind gern. Art. 23 GFK i.V.m. § 2 AsylVfG; hierzu: Kunkel, NVwZ 94, 352, 353; Stech, S. 101. 166 § I Abs. I AsylbLG. 163

164

§ 2 Verfassungsrechtliche Untersuchung der Ausgliederung

55

zusammenzufassen und jener Gruppe gegenüberzustellen, bei welcher Differenzierungskriterien tatbestandIich nicht eingreifen. 167 Dabei sollten 168 solche Fallgruppen ausgewählt werden, die hinsichtlich der Eigenschaften an die die Unterscheidung anknüpft, möglichst ähnlich sind. 169 Hilfsbedürftige Deutsche und Ausländer als jeweilige Vergleichsgruppenangehörige entsprechen diesen Erfordernissen. In beiden Fällen handelt es sich um in Deutschland lebende Personen in wirtschaftlichen Notlagen. Zwar können innerhalb der Obergruppe ,,Ausländer" näher beieinander liegende Vergleichsgruppen gebildet werden; 170 die verfassungsrechtliche Überprüfung der Ungleichbehandlung der in § I Abs. I AsylbLG genannten Personengruppen allein innerhalb der Gruppe der ausländischen Hilfebedürftigen würde jedoch die verfassungsrechtlich relevante Grenze zwischen deutschen Staatsbürgern und Ausländern umgehen. 171 Der Begriff der Gleichheit indiziert gerade die Pflicht, nicht nur innerhalb einer Gruppe von ohnehin sozialrechtlich Unterprivilegierten 172 eine Gleichheitsprüfung vorzunehmen, sondern in einem abgestuften Verhältnis zunächst zu untersuchen, ob eine Ungleichbehandlung von Ausländern im Verhältnis zu Deutschen überhaupt verfassungsgemäß ist, um sodann zu fragen, inwieweit innerhalb der Gruppe der Ausländer differenziert werden darf. 1. Beeinträchtigung des allgemeinen G/eichheitssatzes

Deutsche haben einen Anspruch auf Sozialhilfe, der im Falle der jeweiligen Tatbestandsmäßigkeit der Normen des BSHG den gesamten sozialhilferechtlichen Leistungskatalog um faßt. 173 Demgegenüber sind Ausländer grundsätzlich auf den beschränkten Leistungskatalog des § 120 BSHG verwiesen. Es wird Hilfe zum Lebensunterhalt gewährt; 174 aus dem Katalog des § 27 BSHG - Hilfen in besonderen Lebenslagen - jedoch lediglich Krankenhilfe, 175 Hilfe für werdende Mütter und Wöchnerinnen I 76 und Hilfe zur Pflege l77 . Weitergehende Leistungen der Sozialhilfe stehen gemäß § 120 Abs. I S. 2 BSHG im Ermessen der Sozialhilfeträger. Darüber Schmalz, Grundrechte, Rn. 493. Nicht notwendige Voraussetzungen; vgl. zur Begründung: Schmalz, 3.a.0. 169 In der insoweit vergleichbaren Rechtsprechung des US Supreme Court wird dieses Vorgehen als "suspect c1assification" bezeichnet; hierzu: Maaß, NVwZ 1988, 14, 17 ff. 170 Unten, n. 167

168

§ 2, Rn. 72 bis 77. Zum Leistungsumfang für Ausländer vgl. § 120 BSHG. 173 Vgl. oben, I. Kap. 174 §§ 11 ffBSHG. 175 § 37 BSHG. 176 § 38 BSHG.

171 So aber Hohm, GK-AsylbLG III, 172

177

§ 68 BSHG.

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2. Kap.: Die Ausgliederung des Leistungsrechts aus dem System des BSHG

hinausgehende Anspruchsbeschränkungen enthalten die Vorschriften des § 120 Abs. 3 und 5 BSHG.178 Die Gruppe der mit deutschen Hilfeempfängern gleichgestellten Ausländer, die aus Staaten stammen, mit welchen binationale Verträge im Sinne des § 120 Abs. 1 S. 3 BSHG abgeschlossen wurden, können hier außer Betracht bleiben, da es sich bei diesen besonders Privilegierten um eine relativ kleine Gruppe handelt; im wesentlichen sind nur mit europäischen Nachbarstaaten derartige völkerrechtliche Verträge geschlossen worden. 179 Mithin ist der allgemeine Gleichheitssatz jedenfalls hinsichtlich der weit überwiegenden Anzahl der in Deutschland lebenden Ausländer beeinträchtigt. 2. Gleichbehandlungsgebote

Soweit ein Gleichbehandlungsgebot tatbestandsmäßig ist, kann die Ungleichbehandlung von Deutschen und Ausländern im Sozialleistungsrecht 180 rechts- und verfassungswidrig sein. Rechtswidrigkeit tritt ein bei einem Verstoß gegen völkervertragliche Selbstverpflichtungen des Staates zur Gleichbehandlung definierter Ausländergruppen. Die Untersuchung der Ausgliederung des Leistungsrechts für die vom AsylbLG Betroffenen aus dem BSHG vor dem Hintergrund völkervertraglicher Verpflichtungen betreffend die sozialleistungsrechtliche Behandlung von Asylbewerbern und sonstigen Flüchtlingen bleibt einem gesonderten Abschnitt vorbehalten. 181 Verfassungswidrig ist die Ungleichbehandlung, wenn gegen das Diskriminierungsverbot des Art. 3 Abs. 3 GG oder eine aus Art. 25 GG resultierende Gleichbehandlungspflicht verstoßen wird. Von Bedeutung sind bei der verfassungsrechtlichen Überprüfung der Ungleichbehandlung lediglich Gleichbehandlungsgebote von Verfassungsrang. Nur ein Verstoß gegen solche kann zur Verfassungswidrigkeit einer Differenzierung führen. Nicht relevant sind im Verhältnis zwischen Deutschen und Ausländern, die nach § 120 BSHG hilfeberechtigt sind, gewisse Vorwirkungen aus dem Grundrecht auf Asyl. 182 Ob und wenn, inwieweit solche bestehen, kann an dieser Stelle noch dahinstehen. Die Ungleichbehandlung von Asylbewerbern und Aus178 Zusammenfassend zu den Normierungen und der Genese des § 120 BSHG: Korde/Berger-Delhey, ZfSH/SGB 1987,393 ff; allgemein zu § 120 BSHG: Schellhorn/Jirasek/Seipp, § 120. 179 Zu erwähnen sind insbesondere folgende Verträge: Europäisches Fürsorgeabkommen vom 11.12.1953, BGB! 195611, S. 563; Deutsch-schweizerische Fürsorgevereinbarung vom 14.07.1953, BGBI 1953 11, S. 32; Deutsch-österreichisches Abkommen über Fürsorge und Jugendwohlfahrtspflege vom 17.01.1966, BGBI1969 11, S. I. Insbesondere auf das EFA wird unten, § 3, noch gesondert eingegangen. 180 Auf die Einordnung des AsylbLG als sozialrechtliche Normierung ist zu verweisen; vgl. oben 2. Kap., § I, C. ISI Unten 2. Kap., § 3. 182 Hierzu unten, 11., 2., b).

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ländern mit verfestigtem ausländerrechtlichen Aufenthaltsstatus wird besonders zu untersuchen sein; dabei ist auf Art. 16 a Abs. I GG einzugehen. Art. 3 Abs. 3 GG wird teilweise in der Literatur systematisch als lex specialis vor dem allgemeinen Gleichheitssatz eingeordnet. 183 Andere I 84 erkennen in dem Diskriminierungsverbot des Art. 3 Abs. 3 GG ein Differenzierungsverbot im Rahmen der Prüfung des allgemeinen Gleichheitssatzes. Die Rechtsprechung wendet Art. 3 Abs. 3 GG regelmäßig als spezielleres Grundrecht vor Art. 3 Abs. I GG an. 18S Letztlich braucht diese dogmatische - anscheinende oder scheinbare - Meinungsverschiedenheit nicht vertieft zu werden, da die praktische Bedeutung der Einordnung des Art. 3 Abs. 3 GG irrelevant ist: Die Prüfungsmaßstäbe und -ergebnisse bleiben sich gleich. Die systematische Funktion des Art. 3 Abs. 3 GG wird angemessen berücksichtigt, wenn eine Einordnung der Diskriminierungsverbote in den Bezugsrahmen der Prüfung des allgemeinen Gleichheitssatzes vorgenommen wird. Ein Gebot zur Gleichbehandlung kann notwendig nur die Kehrseite eines Verbots der Diskriminierung sein. a) Gleichbehandlungsgebot gemäß Art. 3 Abs. 3 GG Die sozialleistungsrechtliche Ungleichbehandlung von Ausländern und Deutschen setzt an dem Differenzierungsmerkmal der Staatsangehörigkeit an und ist verfassungswidrig, wenn sie einem Differenzierungsverbot des Art. 3 Abs. 3 GG zuwiderläuft. Die Staatsangehörigkeit ist in dem exklusiven l86 Katalog des Art. 3 Abs. 3 GG nicht enthalten. Bei der grammatikalischen Auslegung dieses Verfassungssatzes scheidet eine Anwendung des Art. 3 Abs. 3 GG auf das Differenzierungsmerkmal der Staatsangehörigkeit also schon an dieser Stelle aus. 187 Auch eine ElWeiterung des Katalogs im Wege der Analogie kommt nicht in Betracht. 188 Zwar beinhaltet der Begriff der Staatsangehörigkeit auch Elemente der Begriffe Heimat und Sprache, auch des Glaubens und der ethnischen Zugehörigkeit. Gleichwohl elWeist sich die Differenzierung von Grundrechtssubjekten anhand des Merkmals der Staatsangehörigkeit als vom Grundgesetz explizit vorgesehen. So sind aus Art. 8,9, ll, 12, 16 Abs. 2 GG lediglich Deutsche berechtigt, die dort enthaltenen Grundrechte auszuüben. Die systematische Interpretation des GG belegt folglich die verfassungsrechtliche Möglichkeit, zwischen Deutschen und Ausländern zu differenzieren. 189

Dürig in MaunzlDüriglHerzog, Art. 3 III, Rn. 1-3; JarasslPieroth, Art. 3, Rn. 67. Stein, Staatsrecht, § 49 I, 3.; Schmalz, Grundrechte, Rn. 531; Starck in: von Mangoldtl KleinlStarck, Art. 3 Abs. 3, Rn. 338. 185 BVerfGE 9,124,129; 9, 237, 248. 186 Dürig in MaunzlDüriglHerzog, Art. 3 III, Rn. 27. Im Ergebnis auch Starck in: von MangoldtlKleinlStarck, Art. 3 Abs. 3, Rn. 348. a.A.: Schmidt-BleibtreuIKlein, Art. 3, Rn. 40. 187 BVerfGE 51,1,30. 188 Dürig in MaunzlDüriglHerzog, Art. 3 III, Rn. 28. 183

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Auch kann das Merkmal der Staatsangehörigkeit nicht den Tatbestandsmerkmalen Heimat und Herkunft zugeordnet werden, da sich der erstgenannte Begriff lediglich auf jene geographische Gegend bezieht, die den Einzelnen während seiner Kindheit und Jugendzeit prägt. 190 Wohingegen Herkunft im Sinne des Art. 3 Abs. 3 GG die ständisch-soziale Abstammung und Verwurze1ung meint. 191 Eine völlige Gleichbehandlung aller im Inland befindlichen Ausländer mit Deutschen ist - jedenfalls bei relativ offenen Grenzen - ökonomisch kaum denkbar. Die Auswirkungen auf die sozialen Sicherungssysteme müßten vor dem Hintergrund weltweit wachsender Flüchtlingsströme als nicht finanzierbar prognostiziert werden. b) Gleichbehandlungsgebot gemäß Art. 25 GG Art. 25 GG verpflichtet den Gesetzgeber nicht, in Deutschland lebende ausländische Staatsangehörige und Deutsche gleich zu behande1n. 192 Dies ergibt sich aus dem Umstand, daß den von Art. 25 GG in die Verfassung einbezogenen allgemeinen Regeln des Völkerrechts 193 eine Inländergleichbehandlung unbekannt ist. Insbesondere ist festzustellen, daß völkervertragsrechtliche Regelungen gerade nicht zu den allgemeinen Regeln des Völkerrechts gehören, da sie nicht "von der weitaus größeren Zahl der Staaten ( ... ) anerkannt werden", 194 sondern lediglich fiir die Vertragsparteien Bindungswirkung entfalten. 195 In erster Linie handelt es sich bei den von Art. 25 GG umfaßten Rechtssätzen um solche des Völkergewohnheitsrechts. 196 Allerdings sind den allgemeinen Regeln des Völkerrechts auch Individualrechte bekannt, die primär im Bereich der Menschenrechte angesiedelt und vorwiegend in der EMRK normiert worden sind. 197 Es handelt sich aber bei diesen Rechten ausnahmslos nicht um solche, die eine sozialrechtliche Gleichstellung von Ausländern und Deutschen vorsehen; tatsächlich ist der gewohnheitsrechtliche Standard weitaus beschränkter. Ihm unterfallen lediglich der Anspruch auf die Anerkennung von Rechtsfahigkeit und 189 Im Ergebnis gleich: Stech, S. 104; Stolleis/Schlamelcher, NDV 1985,309,311; beide Arbeiten beziehen sich auf die Rechtslage vor Erlaß des AsylblG. Starck in: von Mangoldt/ Klein/Starck, Art. 3 Abs. 3, Rn 366. 190 Dürig in Maunz/Dürig/Herzog, Art. 3 III, Rn. 75; Dürig betont, daß Heimat auch durch Zuzug erworben werden kann; Stolleis/Schlamelcher, NDV 1985, 309, 311. 191 Stolleis/Schlamelcher, a.a.O., S. 311; BVerwGE 22, 66, 70; Starck in: von Mangoldt/ Klein/Starck, a.a.O., Rn. 366, m.w.N. 192 Zu leeg, ZAR 1983, 132 ff; Stech, S. 100; Stolleis/Schlamelcher, a.a.O., S. 311. 193 Zum Begriff: Ipsen, Völkerrecht, § 74, Rn. 10. 194 BVerfGE 16,27,33. 195 Daraus läßt sich der Schluß ziehen, daß beispielsweise das weitgehende Sozialrechte gewährende EFA nicht über Art. 25 GG universelle Geltung beanspruchen kann; zum Verhältnis zwischen Vertragswerken und allgern. Regeln des Völkerrechts vgl. Ipsen, Völkerrecht, § 74, Rn. 13 ff. 196 Ipsen, a.a.O., § 74, Rn. 13 ff. 197 Ipsen, a.a.O., Rn. 22, m.w.N.

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Rechtssubjektivität aller Menschen, das Recht auf Leben, körperliche Unversehrtheit und Sicherheit der Person sowie die Gleichheit vor Gesetz und Gericht und der Anspruch auf ein geordnetes Verfahren und rechtliches Gehör. 198 Mithin verlangen die allgemeinen Regeln des Völkerrechts keine Gleichbehandlung von Ausländern und Deutschen in sozialleistungsrechtlicher Hinsicht.

3. Dijferenzierungsziel

Als Differenzierungsziel läßt sich zum einen eine beabsichtigte legislatorische Privilegierung von Deutschen aufgrund einer besonderen nationalen Solidarität der Staatsangehörigen konstatieren. 199 Anknüpfend an die erhöhten Pflichten deutscher Staatsangehöriger und unter Berücksichtigung der eigentlichen Trägerschaft und mithin der Finanzierung des Sozialleistungssystems bevorzugt der Gesetzgeber Deutsche vor Ausländern. 2oo Stech201 legt treffend die Überlegung zugrunde, daß den Deutschen als Angehörigen einer grundsätzlich lebenslangen Solidargemeinschaft die Aufgabe der Sicherung der staatlichen Systeme zukommt und diese Pflicht auch eine vorbeugende, weitgehende Sicherung der materiellen Lebensgrundlage in Krisensituationen durch staatliche Leistungen zu begründen vermag. In der Literatur wird teilweise vertreten, es ließe sich aus § 34 Reichsgrundsätze entnehmen, für eine differenzierende sozialleistungsrechtliche Ausgestaltung zwischen Deutschen und Ausländern bestünden traditionale Gründe. 202 Dieser Aussage ist grundsätzlich zuzustimmen;203 nicht hingegen dem Fazit, daraus ergäbe sich de lege lata eine verfassungsrechtliche Begründung für ein verfassungslegitimes Differenzierungsziel hinsichtlich der Rechtslage im sozialleistungsrechtlichen Verhältnis zwischen Deutschen und Ausländern. Eine Tradition allein liefert keinen verfassungsmäßigen und sachgerechten Grund zur Differenzierung. 204 Zum anderen dient die deutsche Staatsangehörigkeit als tatbestandliche Voraussetzung des ungekürzten Sozialhilfebezugs aber auch als Mittel, den Kreis der Berechtigten zu begrenzen. Damit wird der Schutz der inländischen Sozialleistungssysteme vor einer Überbeanspruchung bewirkt. 205

Ipsen, a.a.O., § 46, Rn. 6; und grundlegend dazu: Doehring, S. 35 tf, 109 tf. Stech, S. 102; StolleislSchlamelcher. NDV 1985,309, 312. 200 Sieveking, Gutachten S. 41. 201 S. 105. 202 StolleislSchlamelcher, a.a.O., S. 312; Stech, S. 105. 203 Die Unterscheidung zwischen Staatsangehörigen und Ausländern war rur die Entwicklung der modemen Nationalstaaten geradezu konstituierend. 204 BVerfGE 62, 256, 279. 205 Kritisch zum Ganzen: Hai/bronner, VSSR 1992,77,86 tf, m.w.N. Der Autor stellt zwar fest, daß eine Begrenzung der Partizipationsberechtigten vorgenommen werden muß, bezweifelt aber, daß die Staatsangehörigkeit hierfiir auch in Zukunft das geeignete Mittel ist. 198 199

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4. Dijferenzierungskriterium Die Ungleichbehandlung setzt an dem rechtlichen Merkmal der Staatsangehörigkeit an. Bereits im Rahmen der Priifung des spezielleren Gleichheitsrechts des Art. 3 Abs. 3 GG als Gleichbehandlungsgebot im Rahmen des allgemeinen Gleichheitssatzes wurde festgestellt, daß eine Ungleichbehandlung am Merkmal der Staatsangehörigkeit nicht per se gegen ein Diskriminierungsverbot verstößt. Auch sonstige verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Staatsangehörigkeit als Differenzierungsmerkmal sind an dieser Stelle nicht zu erheben. Ein sich möglicherweise für Asylbewerber aus Art. 16 a Abs. 1 GG ergebendes Differenzierungsverbot wird im Sachzusammenhang unten H. zu behandeln sein; für die Vergleichsgruppe der Ausländer im allgemeinen spielt es keine Rolle. Nachdem nunmehr festgestellt werden konnte, daß eine generelle Gleichbehandlung von Deutschen und Ausländern aufgrund spezieller Normen nicht geboten ist und sowohl das Differenzierungsziel als auch das Differenzierungskriterium dargestellt wurde, bleibt zu priifen, inwieweit die gängige sozialrechtliche Differenzierungspraxis zwischen den hier relevanten Vergleichsgruppen zu rechtfertigen ist. 206 Die Ungleichbehandlung muß sachgerecht sein.

5. Rechtfertigung der Ungleichbehandlung a) Priifungsintensität Zunächst ist ein adäquater Prüfungsmaßstab festzulegen, aus dem sich die Intensität der Rechtfertigungspriifung ergibt. Die Frage nach der "richtigen" Prüfung der Verfassungsmäßigkeit einer Ungleichbehandlung wird von Rechtsprechung und Literatur nicht einheitlich beurteilt, wenn sich auch zunehmende NiveIlierungstendenzen erkennen lassen. 207 Ausgehend von dem Satz, daß es dem Gesetzgeber grundsätzlich freisteht, auszuwählen, an welche Sachverhalte er die gleichen oder unterschiedliche Rechtsfolgen knüpfen will, solange diese Auswahl nicht sachfremd ist,208 erhebt sich die Frage, welche konkreten Kriterien für eine Überpriifung der Verfassungslegitimität einer Differenzierung heranzuziehen sind, wie das Merkmal der Sachgerechtigkeit materiell auszufüllen ist.

206 Soweit Art. 3 Abs. 3 GG als Konkretisierung nicht tatbestandsmäßig ist, lebt Art. 3 Abs. I GG als subsidiäres Grundrecht wieder auf; Dürig in Maunz/Dürig/Herzog, Art. 3 III, Rn. 27. 207 Hierzu: Jarass, NJW 1997, 2545 ff. 208 BVerfGE 75, 108, 157; 90, 145, 198; 94, 241, 260.

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aa) Die "Willkürfonnel" Ein Teil der Rechtsprechung 209 beläßt es bei einer sogenannten Willkürprüfung. Danach ist nur die Einhaltung der äußeren Grenzen der legislatorischen Freiheit zu überprüfen. 210 Eine willkürliche Differenzierung des Gesetzgebers im Rahmen der Rechtsetzungsgleichheit liegt nach dieser Auffassung vor, wenn sich objektiv211 kein sachlicher Grund für eine gesetzgeberische Ungleichbehandlung finden läßt,212 wenn diese ,,kurzum willkürlich" ist. 213 bb) Die "neue Fonnel" Mit einer Entscheidung vom 07.10.1980 214 setzte der 1. Senat des BVerfG eine Entwicklung hin zu einem differenzierteren Umgang mit der Rechtfertigung von Ungleichbehandlungen in Gang. 215 Hierin wird das Bemühen sichtbar, deutlichere Kriterien für die Frage zu finden, wann eine vorhandene Ungleichbehandlung hinzunehmen iSt. 216 Nach dieser sogenannten neuen Fonnel sind Ungleichbehandlungen von Gruppen oder Einzelnen schon dann nicht mehr gerechtfertigt, wenn zwischen den Vergleichsgruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, daß eine differenzierte Behandlung gerechtfertigt iSt. 217 Regelmäßig wird deshalb heute neben bzw. anstatt einer Willkürprüfung eine der Verhältnismäßigkeitsprüfung nahestehende Untersuchung der möglichen Verletzung des allgemeinen Gleichheitssatzes vorgenommen. 218 Die Willkürprüfung steht zur neuen Fonnel in einem abgestuften Verhältnis. Bei Differenzierungen, die an sachbezogenen Merkmalen 219 ansetzen und von geringer Grundrechtsrelevanz sind, kann es auch nach der neuen Fonnel bei einer weniger intensiven, lediglich auf hinreichende sachliche Gründe abstellenden Prüfung bleiben. Erläuternd ist zur Anknüpfung an sachbezogene Merkmale anzuführen, daß damit von der Rechtsprechung eine unterschiedliche Behandlung von gleichen Sach-

BVerfDE 9, 334, 337; 64,158,169; 71, 39, 58; 86, 81, 87, jeweils ffi.w.N. Statt aller: BVerfDE 9, 334, 337, ffi.w.N. 211 BVerfDE 80, 48,51; 86, 59, 63. 2I2 BVerfDE 91,118, 123; und ähnlich BVerfDE 83, 1,23. 213 Dürig in Maunz/Dürig/Herzog, Art. 3 I, Rn. 311. 214 BVerfDE 55, 72, 88. 209

210

215 Zur Entwicklung der Rechtsprechung: Herzog in Maunz/Dürig/Herzog, Art. 3 Abs. 1, Anhang, Rn. 6 ff. 216Jarass,NJW 1997,2524 ff; Sachs, JuS 1997, 124ff. 217 BVerfDE 55, 72, 88. 218 Für eine generelle Anwendung der neuen Formel spricht sich Herzog in Maunz/Dürig/ Herzog, Art. 3 I Anhang Rn. 10 aus. 219 Jarass, NJW 1997,2524,2547.

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2. Kap.: Die Ausgliederung des Leistungsrechts aus dem System des BSHG

verhalten gemeint ist. 220 Die Prüfungsintensität reicht - abhängig von der Regelungsmaterie und den Differenzierungskriterien "vom bloßen Willkürverbot bis zu einer strengen Bindung an Verhältnismäßigkeitserfordernisse".221 So ist nach der Rechtsprechung des I. Senats eine intensive Prüfung vorzunehmen, wenn die zu untersuchenden gesetzlichen Differenzierungen an personenbezogenen Merkmalen oder an unmittelbar sachbezogenen Merkmalen mit mittelbaren Ungleichbehandlungen von Personen anknüpfen. 222 Besonders intensiv, also mit hoher Kontrolldichte, hat die Prüfung vorgenommen zu werden, wenn sich die personengebundenen Merkmale als Differenzierungskriterien jenen des Katalogs des Art. 3 Abs. 3 GG annähern und mithin die Gefahr einer Minderheitendiskriminierung besteht, bzw. die fragliche Differenzierung Auswirkungen auf andere grundrechtlich geschützte Lebensbereiche hat. 223 Wann Merkmale personengebunden sind, konnte bislang nicht geklärt werden. Jarass 224 ist der Auffassung, eine Personengebundenheit liege jedenfalls dann vor, wenn ein Merkmal einer Person lebenslang anhaftet. Dieser Ansicht ist grundsätzlich zuzustimmen. Allerdings dürfte es sachgerecht sein, neben dem zeitlichen Faktor auch einen verhaltensgebundenen Aspekt mitzuberücksichtigen. Vor diesem Hintergrund ist ein Merkmal personengebunden, wenn es unmittelbar in einer Eigenschaft einer Person begründet ist und zwar nicht unabänderlich, so doch aber von nicht nur kurzer Dauer und erheblicher Bedeutung für den rechtlichen Status dieser Person ist. Diese Erweiterung erscheint notwendig, da sowohl die Ausländer- als auch die Asylbewerbereigenschaft nicht lebenslang in einer Person verwirklicht bleiben müssen. Der Ausländer kann eingebürgert werden, der Asylbewerber mag seinen Antrag zurücknehmen. Daß die Ausländer- und Asylbewerbereigenschaften trotz der nicht notwendig lebenslangen Anhaftung dieses Merkmales an einer Person nicht sachbezogen ist, dürfte evident sein. Im Wege der Subtraktionsmethode bleibt somit nur die Zuordnung dieser Eigenschaften zu den personenbezogenen und insbeson-

220 Zum besseren Verständnis mag das Beispiel eines Verbotes von Gaststättenbesuchen ab einer bestimmten Uhrzeit für Jugendliche dienen. Wenn solche Verbote unterschiedlich strenge Anforderungen beinhalten, liegt eine objektive Ungleichbehandlung von Jugendlichen vor, die sich jeweils in den Geltungsbereich eines solchen Verbotes begeben. Soweit aber ein sachlicher Grund für die differierenden Verbote besteht, diese also nicht willkürlich voneinander abweichen, ist auch nach der sog. neuen Formel gegen die Ungleichbehandlung nichts zu erinnern, da der Anknüpfungspunkt fiir die unterschiedliche Behandlung die grundsätzliche Schädlichkeit von Gaststättenbesuchen zu später Stunde für Jugendliche ist; vgl. hierzu Jarass, a.a.O., S. 2547 und Sachs, JuS 1997, 124, 126. Am Maßstab einer intensiven Verhältnismäßigkeitsprüfung wäre der Fall jedoch zu beurteilen, wenn innerhalb der Gruppe der Jugendlichen differenziert würde, wenn bspw. für ausländische Jugendliche Sonderregeln gelten würden.·Dann nämlich erfolgte die Anknüpfung an personengebundenen Merkmalen. 221 BVerfGE 88, 87,96; 93, 99, 111. 222 Jarass, a.a.O., S. 2549. 223 BVerfGE 88, 87, 96, 97; 92,26, 51 ff; Jarass, a.a.O., S. 2547. Zu der parallelen der Rechtsprechung des US Supreme Court vgl. Sachs, JuS 1997, 124, 127. 224 A.a.O., S. 2549.

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dere - wegen der Dauerhaftigkeit und der U.U. existentiellen Bedeutung der Eigenschaften - auch zur Gruppe der personengebundenen Merkmalen. 225 ce) Stellungnahme Die Prüfung nach den Vorgaben der sogenannten neuen Formel wird den hohen Anforderungen des allgemeinen Gleichheitssatzes eher gerecht als eine Untersuchung einer Ungleichbehandlung am Maßstab eines bloßen Willkürverbotes. Allein das Vorhandensein eines sachlichen Grundes ist nicht hinreichend zur Rechtfertigung erheblicher Differenzierungen zwischen Personengruppen geeignet. Die Schwierigkeiten bei der praktischen Anwendung einer reinen WiIlkürprüfung werden durch Versuche der älteren Rechtsprechung offenbar, den weiten Begriff der Willkür einzugrenzen, indem etwa Grenzen zulässiger Differenzierungen im Gerechtigkeitsgedanken226 oder in der Natur der Sache227 gesucht werden. Die Ausstrahlungswirkung der sonstigen grundrechtlichen Freiheiten gebietet eine intensive Kontrolle unterschiedlicher Regelungen ähnlicher Sachverhalte durch den Gesetzgeber. Auch Art. 3 Abs. I GG ist im Lichte des GG auszulegen, die Anwendung zu überprüfen. Die Möglichkeit einer entsprechenden Handhabung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes im Rahmen der Gleichheitsprüfung läßt angemessene Ergebnisse erwarten, erlaubt, das Gewicht eines legitimen Differenzierungsziels mit jenem der Ungleichbehandlung sachgerecht abzuwägen. Da im Rahmen der vorliegenden Prüfung auf die Ausländereigenschaft, die ein personenbezogenes Merkmal darstellt, abgestellt wird, muß folglich die großzügige Gestaltungsspielräume für den Gesetzgeber belassende Willkürprüfung - auch im Sinne des oben gezeigten abgestuften Verhältnisses zur neueren Rechtsprechung des I. Senats des BVerfG - ausscheiden. Vorzunehmen ist eine intensive Prüfung nach der sogenannten neuen Formel. Das Ausmaß der Differenzierung muß also in einem angemessenen Verhältnis zu dem angestrebten Differenzierungsziel stehen. In herkömmlicher Weise ist nach der Geeignetheit, der Erforderlichkeit und der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne der Ungleichbehandlung von Ausländern und Deutschen zu fragen. b) Geeignetheit Es sind keine Gründe ersichtlich, die gegen die Geeignetheit einer sozialleistungsrechtlichen Ungleichbehandlung von Deutschen und Ausländern zur Erreichung der

225 Näher zu Unterscheidung und Bedeutung sach- bzw. personenbezogener Merkmale: Kirchhofin: IsenseeiKirchhof, HdbStR V, 1992, § 124, Rn. 194 ff. 226 So noch BVerfGE 86, 81, 87 unter Hinweis auf BVerfGE 1,264,275 ff. 227 BVerfGE 71, 39, 58; 76, 256, 329, heide m.w.N.

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2. Kap.: Die Ausgliederung des Leistungsrechts aus dem System des BSHG

Differenzierungsziele, namentlich einer partiellen Privilegierung von deutschen Staatsangehörigen gegenüber Ausländern und dem Schutz der inländischen sozialen Sicherungssysteme, sprechen könnten. c) Erforderlichkeit Erforderlich ist die Differenzierung zwischen vollumfänglich sozialhilfeberechtigten deutschen Staatsangehörigen und lediglich gemäß § 120 BSHG anspruchsberechtigten hilfsbedürftigen Ausländern, wenn zur Erreichung des Differenzierungsziels ein milderes Mittel nicht zur Verfügung steht. 228 Als Differenzierungsziel wurde oben (Kap. 2, § 2, B., 1.,3.) zum einen eine sozialleistungsrechtliche Privilegierung der mit der Trägerschaft und der Finanzierung der inländischen Sozialleistungssysteme regelmäßig lebenslang belasteten deutschen Staatsangehörigen herausgearbeitet. Zum anderen dient das Merkmal der Staatsangehörigkeit als handhabbares Kriterium für den Zugang zu den deutschen Sozialleistungssystemen. Ein milderes, die Normadressaten des § 120 BSHG weniger belastendes Mittel zur Erreichung der intendierten Ziele ist unter den vom Gesetzgeber legitimerweise zugrunde gelegten Prämissen nicht gegeben. Durch die Ungleichbehandlung der Betroffenen können Deutsche privilegiert und der Zugang zu den sozialen Sicherungssystemen begrenzt werden. Allerdings sind auch in der vorliegenden Konstellation Alternativen zur Staatsangehörigkeit als Unterscheidungskriterium grundsätzlich ersichtlich. Selbstverständlich nicht in Betracht kommt jedoch ein "ausländerfreies Deutschland" als Alternative zu einer Differenzierung zwischen Deutschen und Ausländern zur Sicherung der sozialen Leistungen. Zwar könnte dann risikolos auf differenzierende Regelungen im Sozialleistungsrecht - und auch sonst - verzichtet werden; Anspruchsteller wären schlicht nicht vorhanden. Daß das kein milderes Mittel im hier gemeinten Sinne darstellen kann, bedarf keiner Erläuterung. Einen gangbaren Weg stellte hingegen eine Differenzierung am Bezugspunkt des längerfristigen, berechtigten Aufenthalts in Deutschland oder der Steuerpflicht über einen längeren Zeitraum dar. Solche Lösungen mögen sinnvoller oder gerechter sein;229 allein, dem Gesetzgeber verbleibt ein gewisses Maß an Entscheidungsfreiheit und (noch) präferiert er- im Rahmen der Erforderlichkeit in nicht zu beanstandender Weise - die Staatsangehörigkeit als Differenzierungskriterium. Anzumerken ist nämlich, daß das Gebot der Erforderlichkeit im Rahmen einer Gleichheitsprüfung nur eine eingeschränkte Funktion haben kann. Denn anzuerkennen ist auch unter Zugrundelegung der sogenannten neuen Formel ein nicht lediglich enger Ermessensspielraum des Gesetzgebers bei der Entscheidung, 228 Vgl. zu den Anforderungen an eine legislatorische Maßnahme i.R. der Erforderlichkeit etwa: BVerfGE 85, 238, 254. Das Gericht stellt fest, daß die Auswirkungen eines Gesetzes nicht "weiter greifen" dürfen, "als der die Verschiedenbehandlung legitimierende Zweck es rechtfertigt". BVerfGE 91, 389, 403 stellt auf den Begriff der "weniger einschneidenden Maßnahme" ab. Vgl. auch BVerfGE 94, 241, 260. 229 Vgl. zu den Möglichkeiten alternativer Differenzierungskriterien unten, c).

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in welcher Weise er ein bestimmtes (Differenzierungs-) Ziel erreichen möchte. Nach wie vor muß er nicht die beste, vernünftigste oder gerechteste Lösung auswählen. 230 Folglich dürfen die Anforderungen an die Erforderlichkeit einer Differenzierung nicht überspannt werden; andernfalls bestünde die Gefahr, daß die Gesetzgebung zu einer Anwendung des allgemeinen Gleichheitssatzes nach den Prämissen des BVerfG - dem nach der Ordnung des GG lediglich eine Funktion als Kontrollinstanz zukommt - verflachte. 231 Es drohte ein "Rechtsprechungsstaat" den Rechtsstaat zu verdrängen. 232 Deshalb ist letztlich die Erforderlichkeit der hier zu überprüfenden Ungleichbehandlung zu bejahen. d) Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne Unverhältnismäßig im engeren Sinne ist die Differenzierung, wenn sie nicht in einem angemessenen Verhältnis zu den Gründen für die Ungleichbehandlung steht. 233 Im Rahmen einer Abwägung ist die Relation zu ermitteln und abschließend zu bewerten. Als Differenzierungsgrund wurde die Privilegierung der deutschen Staatsangehörigen aufgrund ihrer besonderen PflichtensteIlung, einhergehend mit der Notwendigkeit des Schutzes der inländischen staatlichen Sozialleistungssysteme, herausgearbeitet. 234 Ausländer haben grundsätzlich die Möglichkeit, in ihr Herkunftsland auszureisen, um im Falle einer materiellen Notlage die dort gegebenenfalls vorgehaltenen sozialen Sicherungssysteme in Anspruch zu nehmen. Wenn sich hilfsbedürftige Ausländer entscheiden, in Deutschland zu bleiben, müssen sie die nach geltendem Recht vorgesehenen Leistungseinschränkungen des § 120 BSHG in Kauf nehmen. Diese Feststellungen können unbeschränkte Geltung für jene Ausländer beanspruchen, die sich kurzzeitig, etwa als Touristen oder Studenten, in Deutschland aufhalten. Zwar kann auch bei dieser Gruppe mit Recht eingewandt werden, daß die angebotenen Hilfen in anderen Ländern häufig nicht dem Niveau jener in Deutschland entsprechen. Dieser Umstand kann aber nicht in allgemeiner Weise der Solidargemeinschaft der deutschen Staatsangehörigen angelastet werden. Faktum bleibt, daß - wie im Rahmen der Erforderlichkeitsprüfung bereits ausgeführt - die inländischen sozialen Sicherungssysteme nicht zureichend für die Abfederung materieller Notlagen von einer unbestimmten und unbestimmbaren Anzahl von Ausländern sind. Allerdings Jarass, a.a.O., S. 2546. Stech, S. 116. 232 Stech, a.a.O. 233 Jarass, NJW 1997,2545,2549 m.w.N.; BVerfGE 82,126,146, m.w.N. Zur Frage, ob es auch auf die durch die Differenzierung verursachten Belastungen für die Betroffenen ankommt 230 231

vgl. unten, 11.5. d). 234 Oben, 3. 5 Horrer

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darf die Rolle jener Ausländer, die in Deutschland als "Gastarbeiter" leben, nicht verkannt werden. Diese nämlich befinden sich oftmals seit Jahrzehnten im Inland und tragen - ebenso wie Deutsche - zum Erhalt der Solidargemeinschaft und zur Sicherung der Sozialleistungssysteme bei. Eine pauschale SchlechtersteIlung dieser Personenkreise kann nicht leicht einleuchten. 235 Nun sind manche Härten einer rigorosen Differenzierung am Merkmal der Staatsangehörigkeit bereits de lege lata abgemildert worden, bzw. waren in Teilbereichen der sozialen Sicherung nie vorhanden. Zu denken ist dabei in erster Linie an die Sozialversicherungen. Diese leisten nach dem Versicherungsprinzip beitragsabhängig und kennen - cum grano salis - Unterscheidungen zwischen Deutschen und Ausländern nicht. Andere sozialrechtlich begründete Leistungen für Ausländer sind in eine Abhängigkeit zur Aufenthaltsdauer im Inland gestellt worden; auch hier hat die Privilegierung von Deutschen trotz vergleichbarer Beiträge von ausländischen Arbeitnehmern an Bedeutung verloren. 236 Insgesamt ist eine politische und in der Folge auch gesetzgeberische Tendenz zur Anknüpfung des Leistungsrechts an einen längerwährenden, ausländerrechtlich abgesicherten Aufenthalt ersichtlich. 237 Das ändert aber noch nichts an der tatsächlichen SchlechtersteIlung von Ausländern im Bereich der Sozialhilfe. Unrealistisch ist die Vorstellung, Ausländer, die in Deutschland geboren wurden, deren Eltern, oftmals Großeltern als Gastarbeiter einreisten, könnten bei materiellen Notlagen auf eine Rückkehr in das Land verwiesen werden, dessen Staatsbürger sie sind. Dagegen spricht die häufig fehlende Sprachkenntnis und der Mangel an kulturellem und persönlichem Bezug. Diese Ausländergruppe bedarf des Schutzes der inländischen Solidargemeinschaft in gleicher Weise wie deutsche Staatsbürger. Allerdings, wenn für viele Ausländer der zweiten oder dritten Generation der rechtliche Heimatstaat nicht mehr der tatsächliche ist - und nur deshalb muß ein Verweis auf die Leistungen des Herkunftslandes ausscheiden -, liegt es nicht fern, von diesen Menschen den Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit zu fordern. Die Einbürgerung unterliegt bei diesen Personen nur geringen Hürden. 238 Den eigentlichen Hinderungsgrund stellt für viele Betroffene die grundsätzliche Verpflichtung dar, die ursprüngliche Staatsangehörigkeit abzulegen. Diesem Problem der nicht gestatteten doppelten Staatsbürgerschaft abzuhelfen, war eine wesentliche Zielvorgabe in der Ausländerpolitik der im Oktober 1998 gewählten Bundesregierung. Politisch durchsetzen läßt sich dieses Vorhaben gegenwärtig gleichwohl nicht. 239 Die Forderung, die deutsche Staatsangehörigkeit anzunehmen, stellt für im deutschen Kulturkreis verwurzelte Ausländer keine Ebenso: Hailbronner, VSSR 1992, 77 tf. Vgl. bspw.: § 8 Abs. 2 Nr. 2 BAföG; zum Ganzen: Hailbronner, a.a.O., S. 84. 237 Hailbronner, a.a.O., S. 87. 238 §§ 85 tf AusiG. 239 Dieses Vorhaben wurde während des Wahlkampfes bis zum September 1998, v.a. von Bündnis 90IDie Grünen, aber auch von der SPD, immer wieder betont und hat die CDU im Verbund mit der CSU veranlaßt, eine von rechtsradikalen Parteien gleichfalls unterstützte, heftig umstrittene Unterschriftenaktion gegen die doppelte Staatsangehörigkeit durchzuführen. Vgl. insoweit: Die Zeit vom 14.01.1999, (Nr. 3) S. I und 11-14. 235 236

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unzumutbare Härte dar; eine Entscheidung für oder gegen die hiesige Solidargemeinschaft kann gefordert werden. Dies gilt um so mehr, wenn die Möglichkeit einer doppelten Staatsbürgerschaft eröffnet wird. Vor diesem Hintergrund wird deutlich, daß bei einer Abwägung des Rechtsgutes der Sicherung der inländischen Sozialleistungssysteme, einhergehend mit der Privilegierung von Deutschen vor Ausländern, mit dem Interesse von Ausländern, in Deutschland in gleicher Weise wie hiesige Staatsangehörige sozial abgesichert zu leben, das erste überwiegt und die aus dieser Ungleichbehandlung resultierenden Belastungen für die Betroffenen nicht unzumutbar sind. Freilich bleiben Bedenken bestehen; die unbedingt gerechteste, den unterschiedlichen Fallgestaltungen angemessenste Lösung dürfte mit einer Bezugnahme auf die Staatsangehörigkeit im Zuge einer zunehmenden Globalisierung des Waren- und Dienstleistungsverkehrs nicht gefunden worden sein. 24O Wie jedoch schon mehrfach betont, bleibt dem Gesetzgeber ein Gestaltungsspielraum. Mithin sind die Gründe für die ungleiche Behandlung von Deutschen und Ausländern als sachgerecht und auch verhältnismäßig im engeren Sinne zu qualifizieren. 6. Ergebnis

Die Ungleichbehandlung von Deutschen und Ausländern ist auf dem Gebiet des Sozialhilferechts gerechtfertigt und damit verfassungsmäßig. Bedingung hierfür ist, daß die Differenzierung und der diese rechtfertigende Grund in einem angemessenen Verhältnis stehen. Diese Bedingung wird - wie gezeigt - erfüllt. 11. Vereinbarkeit der Ungleichbehandlung von ausländischen Hilfeempfängern nach § 120 BSHG und Leistungsberechtigten gemäß § 1 Abs. 1 AsylbLG mit Art. 3 Abs. 1 GG241

Auch die unterschiedliche Behandlung dieser Vergleichsgruppen ist am Maßstab des allgemeinen Gleichheitssatzes zu untersuchen. In dieser Konstellation wird vom Gesetzgeber innerhalb der Obergruppe der Ausländer anband besonderer Merkmale differenziert. Außerdem zieht diese Ungleichbehandlungjene Grenze, die überhaupt erst den Anlaß für die vorliegende Untersuchung gegeben hat: Nur das Leistungsrecht für die zweite Gruppe wurde aus dem BSHG ausgelagert und im AsylbLG geregelt. Es greift nicht zu weit, zu behaupten, daß die Unterscheidung dieser hier maß-

240 AusfiihrIich zu den Bedenken gegen die Anknüpfung an die Staatsangehörigkeit: Hailbronner, a.a.O., S. 86 ff. 241 Soweit im folgenden von Leistungsberechtigten die Rede ist, sind die Normbetroffenen des § I Abs. I AsylbLG gemeint; der Begriff der Hilfeempfänger bezieht sich auf Ausländer, die unmittelbar Anspruch auf Sozialhilfe gern. § 120 BSHG haben.



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geblichen Gruppen gleichsam den neuralgischen Punkt, die Sollbruchstelle der Verfassungsmäßigkeit des AsylbLG darstellt.

J. Beeinträchtigung des allgemeinen Gleichheitssatzes Die Differenzierung zwischen den Vergleichsgruppen ergibt sich aus dem unterschiedlichen Leistungsniveau der nach § 120 BSHG und jener nach § 1 AsylbLG berechtigten Ausländer. 242 Die leistungsrechtliche Schlechterstellung durch die Regelungen des AsylbLG veranschaulicht ein kursorischer Vergleich zwischen der Regelsatzhöhe nach § 22 BSHG und den von § 3 Abs. 2 AsylbLG vorgesehenen monatlichen Geldbeträgen. So betrugen die Regelsätze der Sozialhilfe 1998 im Durchschnitt über DM 540,00 monatlich,243 wohingegen sich der im gleichen Zeitraum aufzuwendende Barbetrag für einen nach den Vorgaben des AsylbLG leistungsberechtigten Haushaltsvorstand - bei diesem handelt es sich immer um einen Erwachsenen - DM 360,00 beträgt, soweit eine Unterbringung außerhalb von Gemeinschaftsunterkünften erfolgt und die Gewährung von Sachleistungen nicht möglich ist. 244 Weitere erhebliche Benachteiligungen lassen sich bei den Leistungen im Krankheitsfa1l 245 und den sonstigen Leistungen im Sinne des § 6 AsylbLG konstatieren. Insbesondere sind Hilfen für werdende Mütter und Wöchnerinnen sowie Hilfe zur Pflege im Gegensatz zu den Regelungen des § 120 BSHG überhaupt nicht vorgesehen. Eine objektive Ungleichbehandlung der Vergleichsgruppen liegt auf der Hand.

2. Gleichbehandlungsgebote Die Einschlägigkeit von Gleichbehandlungsgeboten für Leistungsberechtigte hängt von deren ausländerrechtlichen Status ab. Dieser wird für die jeweiligen Personengruppen zunächst kurz dargestellt, um sodann auf die Frage eingehen zu können, ob aus Art. 16 a Abs. I GG ein Gleichbehandlungsgebot für Asylbewerber erwächst. Die Abgrenzung innerhalb der Gruppe der Leistungsberechtigten ist notwendig, da besondere Vorwirkungen aus Art. 16 a Abs. I GG nur für Asylbewerber, nicht aber zugunsten sonstiger Leistungsberechtigter gelten können.

242 Zum Leistungsniveau des § 120 BSHG vgl. oben I. 1.; die Leistungen nach § 3 AsylbLG sind unten, 3. Kap., dargestellt. 243 Der aktuelle Stand der Regelsätze ist veröffentlicht bei Mergler/Zink, § 22, Rn. 20a. 244 § 3 Abs. 2 S. 1 AsylbLG i.Y.m. § 44 AsylVfG. 245 § 4 AsylbLG.

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a) Rechtliche Einordnung der Leistungsberechtigten246 Der Antrag auf AsyJ247 ist ein konstitutives Merkmal für die Leistungsberechtigung gemäß § I Abs. I Ziff. I und 2 AsylbLG.248 Ziffer I rekurriert auf den Besitz einer Aufenthaltsgestattung nach den Vorschriften des AsylVtG. Gemäß § 55 Abs. I S. 2 und S. 3 AsylVtG wird eine solche Aufenthaltsgestattung bei der Stellung eines Asylantrages zur Durchführung des Asylverfahrens erteilt. 249 Bei dem von Ziffer 2 umfaßten Personenkreis handelt es sich um Ausländer, die auf dem Luftweg einreisen wollen und die entweder aus einem sicheren Herkunftsstaat250 kommen oder nicht im Besitz eines gültigen Passes oder Paßersatzes sind. Deren AsylantragsteIlung bemißt sich nach § 18 a AsylVtG. Das diese Gruppe kennzeichnende Tatbestandsmerkmal der Asylantragsstellung - bzw. zumindest die Absicht dazu - macht es erforderlich, zu untersuchen, inwieweit sich aus Art. 16 a Abs. I GG für Asylsuchende aufleistungsrechtlicher Ebene ein Gleichbehandlungsgebot ergibt (unten b.). Bei diesen Personen handelt es sich oftmals um Flüchtlinge. Aufgrund dieser rechtlichen Kategorisierung ist eine Auseinandersetzung mit den völkerrechtlichen Regelungen des sozialrechtlichen Status von Flüchtlingen indiziert. Diese können Gleichbehandlungsgebote enthalten. Allerdings sind diese regelmäßig auf der Ebene des einfachen Gesetzesrechts angesiedelt und deshalb gesondert darzustellen. 251 Die zweite Hauptgruppe von Leistungsberechtigten setzt sich zusammen aus Kriegs- und Bürgerkriegsflüchtlingen. Diese Personen stützen ihren ausländerrechtlichen Status grundsätzlich auf §§ 32, 32 aAusIG.252 Eine weitere Gruppe bilden jene Leistungsberechtigten, die unter Ziffer 5 des § I Abs. I AsylbLG fallen. Deren ausländerrechtlicher Status ist lediglich durch die vollziehbare Ausreisepflicht definiert. Diese Verpflichtung kann verschiedene Gründe haben. In Betracht kommt einmal, daß ein Asylantrag nicht gestellt253 oder die Anerkennung als Asylberechtigter durch die zuständige Behörde abgelehnt wurde, ohne eine Duldung nach § 55 AuslG auszusprechen. Weiterhin kann eine Ausreisepflicht in der Zurücknahme des Asylantrages 254 oder durch das schlichte Fehlen einer nach § 3 Abs. I AuslG erforderlichen Aufenthaltsgenehmigung begründet sein. 255 Welche Motive diese Ausländer zur i1Vgl. hierzu auch unten, § 3, B., III., 3. Oder zumindest die Absicht, einen Asylantrag zu stellen, beispielsweise bei § lAbs. 1 Nr. 2 AsylbLG. 248 Mittelbar gilt dies auch für die Familienangehörigen der in Ziffer 1 und 2 Genannten; vgl. § lAbs. 1 Nr. 6 AsylbLG. 249 Hierzu: Hohm, GK-AsylbLG III, § I, Rn. 14 bis 27. 250 § 29 a AsylVfG. 251 Vgl. unten, § 3. 252 § 1 Abs. I Nr. 3 AsyJbLG. 253 Hohm GK-AsylbLG III, § I, Rn. 51 ff. 254 Vgl. § 67 Abs. I Nr. 3 AsylVfG. 255 Hierunter fallen auch illegal Eingereiste. 246 247

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legalen Einreise oder zum rechtswidrigen Verbleib in Deutschland jeweils bewegt, interessiert den Gesetzgeber auf der Basis des Grundrechts auf Asyl insoweit nicht, als es sich bei den Fluchtgründen nicht um politische Verfolgung i.S.d. Art. 16 a Abs. 1 GG handelt. Naheliegend ist in nicht wenigen Fällen, für den illegalen Aufenthalt sonstige, weder von Art. 16 a Abs. 1 GG noch von der GFK erfaßte Fluchtgründe anzunehmen. Als Motivation für die Flucht kommen dabei Gründe wie wirtschaftliche Not, Naturkatastrophen usw. in Betracht; bei Frauen dürfte dabei oftmals die Furcht vor sexueller Gewalt für die Flucht ausschlaggebend gewesen sein. 256 Gemeinsam ist den von § 1 Abs. 1 Ziff. 5 AsylbLG erfaßten Ausländern aber, daß sich ihr Fluchtgrund - soweit ein solcher vorliegt - nicht rechtlich manifestiert hat. Dennoch kann zumindest ein nicht kleiner Teil der von § 1 Abs. 1 Nr. 5 AsylbLG erfaßten Personen der Genfer Flüchtlingskonvention unterfallen. 257 b) Gleichbehandlungsgebot aus Art. 16 a Abs. 1 GG Für die Gruppe der Asylbewerber ist nunmehr zu überprüfen, ob sich begünstigende Vorwirkungen aus Art. 16 a Abs. 1 GG ergeben. 258 Vereinzelt wird in der Literatur die Ansicht vertreten, das Grundrecht auf Asyl entfalte insoweit Vorwirkungen zu Gunsten von Asylbewerbern, als diesen eine materielle Lebensgrundlage geboten werden müsse, die jener von Asylberechtigten zu entsprechen haben. 259 Unbestritten sind lediglich bestimmte, von Art. 16 a Abs. 1 GG ausgehende Vorwirkungen für Asylbewerber. 26o Diese beinhalten jedenfalls ein Aufenthaltsrecht zur Durchführung des Asylverfahrens,261 außerdem das Gebot des Nonrevoulement. 262 Im übrigen jedoch ist die Rechtsstellung von Asylbewerbern restriktiv gestaltet und dies - in verfassungsrechtlicher Hinsicht263 - zurecht. 264 Eine andere 256 Zur Diskussion über geschlechtsspezifische Fluchtgründe: Hai/bronner, ZAR 1998, 152 ff; näher zum Ganzen: Unten, § 3. 257 Auf die hieraus resultierenden Rechtsfolgen wird unten, § 3, eingegangen. 258 Nach ganz herrschender Ansicht gelten die von der Rspr. zugunsten der Asylbewerber entwickelten Vorwirkungen des Grundrechts auf Asyl auch nach der Neufassung des Asylrechts durch die Einfiigung des Art. 16 a GG im Jahre 1993 (BGBI. I, 1002) ungeschmälert fort. Vgl. hierzu: Gäbel-Zimmermann, S. 35, m.w.N. 259 Kimminich, JZ 1965, 739, 744 a.E.; differenzierend: VG München, InfAuslR 1984, 150, 151. Für Asylbewerber aus einem Vertragsstaat des EFA befiirwortend: VGH Mannheim, NVwZ 1984, 193. 260 BVerwGE 62, 206 ff; RandelzhoJer in Maunz/Dürig/Herzog, Art. 16 11, S. 2, Rn. 118 ff, die Kommentierung bezieht sich zwar auf Art 16 GG a.F.; dies ändert aber nichts an der Aktualität der Ausfiihrungen hinsichtlich der rechtlichen Qualifizierung von Asylbewerbern; Stolleis/Schlamelcher NDV 1985, 309, 311; Zuleeg, ZAR 1983, 188, 193. 261 RandelzhoJer in Maunz/Dürig/Herzog, a.a.O., Rn. 123. 262 RandelzhoJer, a.a.O., Rn. 119 ff. 263 Die moralischen und ethischen Aspekte des Umgangs mit schutzlosen Asylbewerbern stehen auf einem anderen Blatt.

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Frage ist es freilich, wie intensiv diese Restriktionen in sozialrechtlicher Hinsicht sein dürfen. Grundsätzlich kann konstatiert werden, daß Asylbewerbern jedenfalls Sozialleistungen gewährt werden müssen, die das verfassungsrechtliche Existenzminimum nicht unterschreiten. 265 Darüber hinausgehende Ansprüche lassen sich Art. 16 a Abs. I GG nicht entnehmen. Dieses Grundrecht schützt vor Verfolgung, gewährt dem Schutzsuchenden einen sicheren Zufluchtsort. Es liegt im Ermessen des Gesetzgebers, wie er den Zeitraum zwischen AsylantragsteIlung und Entscheidung über den Asy lantrag sozialrechtlich ausgestaltet. De lege lata hat er sich in historisch und international konsequenter Weise266 dazu entschieden, Asylbewerbern weniger zu geben, als anderen Ausländern oder Deutschen bzw. Asylberechtigten267 • Allerdings ist die gegenteilige Ansicht, also die Befürwortung einer sozialleistungsrechtlichen Gleichstellung von Asylbewerbern und Asylberechtigten auf der Basis folgender Überlegungen nicht abwegig: Es besteht solange eine Vermutung dafür, daß Asylbewerber tatsächlich politisch verfolgt sind, bis das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge268 über den Asylantrag entschieden hat. 269 Diese allgemein anerkannte Vermutung auch auf die sozialrechtliche Stellung von Asylbewerbern durchgreifen zu lassen, wäre konsequent. Grundsätzlich nämlich ist die Anerkennung als Asylberechtigter durch das Bundesamt ein lediglich deklaratorischer Verwaltungsakt. Mithin hätten zumindest jene Asylbewerber, die letztlich als Asylberechtigte anerkannt werden, Anspruch auf eine sozialleistungsrechtliche Gleichstellung mit deutschen Staatsangehörigen. An diesem Punkt steht der Gesetzgeber zwischen Szylla und Charybdis; entweder entscheidet er sich dazu, zunächst den abzulehnenden Asylbewerbern zuviel, oder aber den schließlich Berechtigten zuwenig zu geben. Gelöst wurde dieses Problem von der Rechtsprechung, indem eine Unterscheidung zwischen einem Kernbereich des Asylrechts und flankierenden Rechten getroffen wurde. Der Kernbereich, zu dem das Recht auf Nichtrück- bzw. Abschiebung in das Verfolgerland zählt, wird unabhängig von der Anerkennung der Asylberechtigung gewährt. Sonstige Rechte, beispielsweise berufliche und persönliche Entfaltung ebenso wie eine sozialleistungsrechtliche Besserstellung der Asylbewerber, werden von einer positiven Entscheidung des Bundesamts für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge abhängig gemacht. Insoweit soll die Anerkennung nicht nur deklaratorisch - wie im Kernbereich des Grundrechts auf Asyl-, sondern konstitutiv wirken. 27o Vor dem Hintergrund dieser gefestigten Rechtsprechung ist 264 RandelzhoJer in MaunzlDüriglHerzog, a.a.O., Rn. 141, 142; StolleislSchlamelcher, a.a.O., S. 311; Stech, S. 101,102. 265 Ausfiihrlich dazu unten, 3. Kap. 266 StolleislSchlamelcher, a.a.O., S. 311 rn.w.N.

267 Asylberechtigte sind gern. Art. 23 GFK i.V.rn. den einschlägigen Normen des BSHG voll sozialhilfeberechtigt. 268 § 5 AsylVtU. 269

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RandelzhoJer in MaunzlDüriglHerzog, a.a.O., Rn. 16. Vgl. dazu etwa: BVerwGE 49, 202, 205 ff; 62, 206, 211; 65, 244, 247.

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2. Kap.: Die Ausgliederung des Leistungsrechts aus dem System des BSHG

gegen die gesetzgeberische Entscheidung, Asylbewerber bezüglich ihrer leistungsrechtlichen Stellung nicht zu privilegieren, nichts zu erinnern. Ein sozialleistungsrechtliches Gleichbehandlungsgebot kommt auf der Grundlage des Art. 16 a Abs. 1 GG folglich nicht in Betracht. c) Gleichbehandlungsgebote aus Art. 3 Abs. 3, 25 GG Auch im Rahmen der Differenzierung zwischen Hilfeempfängem und Leistungsberechtigten können sich weder aus dem Diskriminierungsverbot, noch aus den allgemeinen Regeln des Völkerrechts weitergehende Gleichbehandlungsgebote ergeben. Auf das oben I. in diesem Zusammenhang Niedergelegte ist zu verweisen. Weitere Ansätze für verfassungsrechtliche Gleichbehandlungsgebote sind nicht vorhanden.

3. Differenzierungsziele Die Differenzierungsziele müssen dem gesetzlichen Regelungszweck entsprechen und verfassungsgemäß sein. 271 a) Ermittlung der Differenzierungsziele272 Drei Ziele im AsylbLG verankerten Ungleichbehandlung lassen sich benennen: - Die Bekämpfung der mißbräuchlichen Inanspruchnahme des Grundrechts auf Asyl, - finanzielle Einsparungen durch Leistungsreduktionen sowie - die Bekämpfung der Schlepperkriminalität. Im sogenannten Asylkompromiß vom 06.12.1992 gingen die beteiligten Fraktionen übereinstimmend von der Notwendigkeit aus, daß die Zuwanderung nach Deutschland zu begrenzen und zu steuern ist sowie der Mißbrauch des Asylrechts verhindert und der Schutz tatsächlich Verfolgter gewährleistet werden muß. 273 Neben der Änderung des Asyl-, Ausländer-, Flüchtlings- und weiterer Rechtsgebiete einigten sich die Parteien zur Beseitigung der festgestellten Mißstände auch auf die Schaffung eines Gesetzes über die Regelung des Mindestunterhalts von Asylbewerbern. 274 Im Gesetzgebungsverfahren des AsylbLG wurde auf die Ergebnisse des sogenannten Asylkompromisses zur Begründung des Gesetzesvorhabens ausdrücklich Bezug Instruktiv zur konkreten Prüfung: Schach, DVBI. 1988, 863, 874. Vgl. zu den Regelungszwecken des AsylbLG auch schon oben, 2. Kap., § I, B., I. und 11. 273 Asylkompromiß, 1., I.; veröffentlicht bei Kraus, Heft 24, und GiesleriWasser, S. 225 ff. 274 Asylkompromiß, 11, a.E. 271

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genommen. 275 Letztlich liegen mithin die von den beteiligten Parteien festgelegten Zielvorgaben auch dem AsylbLG als eine die Änderungen des Ausländer- und Asylrechts flankierende Maßnahme zugrunde. Dies belegen auch die anläßlich der Lesungen der Entwürfe des AsylbLG geführten Debatten im Deutschen Bundestag. 276 Mißbrauchsbekämpfung als Gesetzeszweck und damit als Differenzierungsziel offenbart auch die Genese des AsylbLG aus den Regelungen des § 120 BSHG a. F. Ursprünglich war geplant, nur § 120 BSHG a. F. an die Tatsache der massenhaften AsylantragsteIlung, verbunden mit einer niedrigen Anerkennungsquote, anzupassen. 277 Zuvor war § 120 BSHG a. F. bereits leistungsrechtlich eingeschränkt worden durch das 2. Haushaltsstrukturgesetz vom 22.12.1981 und das Haushaltsbegleitgesetz vom 22.12.1983 278 . Für die dadurch entstandene SchlechtersteIlung von Ausländern mit "negativem und ungesichertem Aufenthaltsrecht"279 haben Stolleis und Schlamelcher, ihnen folgend Zuleeg280 und Stech,281 anschaulich die legislatorische Intention der Anreizverminderung für noch in ihren Heimatländern befindliche potentiellen Asylantragsteller herausgearbeitet. 282 Diesen Schluß haben Sieveking und andere richtigerweise auch für das AsylbLG gezogen. 283 Ganz deutlich im Vordergrund standen fiskalpolitische Erwägungen noch bei der Änderung des § 120 BSHG a. F. in den achtziger Jahren. 284 Die Einsparungsmöglichkeiten durch Leistungskürzungen werden neben der Aufgabe der Mißbrauchsbekämpfung aber auch ausdrücklich in den Begründungen des Entwurfs des AsylbLG ebenso wie in den Materialien zur Änderung des AsylbLG als Motivation für die gesetzliche Neuregelung des Leistungsrechts für Asylbewerber genannt. 285 Sieveking stellt diesen Aspekt in den Vordergrund. 286 Für diese Auffassung spricht manches, v.a. die prekäre Situation der öffentlichen Haushalte seit dem Beitritt der neuen Länder; belegen läßt sie sich aber aus den Gesetzgebungsmaterialien nicht.

BT-Drucks. 12/4451, Allgemeine Begründung. Vg!. etwa die Debatte anläßlich der Zweiten und Dritten Lesung des Entwurfs eines Gesetzes zur Neuregelung der Leistungen an Asylbewerber am 26.05.1993, BT-Prot., 12. Wahlp., S. 13501 ff, 1359Iff. Eine Dokumentation der wesentlichen Argumente im Gesetzgebungsverfahren hat Kraus in Heft 24 des Forum Jugenssozialarbeit zusammengestellt und bewertet. 277 BT-Drucks. 12/3686. 278 BGB!. 1981 I, 1523 ff; BGB!. 1983 I, 1532 ff; hierzu: Hohm, GK-AsylbLG 11, Rn. 13, 14 und oben, 1. Kap., § 2. 279 Diesen Terminus haben StolleislSchlamelcher, NDV 1985, 309 ff geprägt. 280 Gutachten, S. 27. 281 S. 73 ff. 275 276

Hierzu auch: Nees, NDV 1982,247 ff, m.w.N. Rechtsgutachten S. 39 ff, 43. 284 Hohm, GK-AsylbLG 11, Rn. 13, 14. 285 BT-Drucks. 13/4451, Allgemeine Begründung und insbesondere BT-Drucks. 13/2746, Allgemeine Begründung sowie oben, I. Kap., § 2. 286 Rechtsgutachten, S. 22, 23. 282 283

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2. Kap.: Die Ausgliederung des Leistungsrechts aus dem System des BSHG

Nicht ausdrücklich genannt wird die Bekämpfung der Schlepperkriminalität als Gesetzesziel von den amtlichen Begründungen der Entwürfe des AsylbLG. Aus den Beratungen der Entwürfe im Deutschen Bundestag erschließt sich die legislatorische Absicht einer Lösung der Schlepperproblematikjedoch ohne weiteres. Keine Debatte verging ohne Hinweise auf diese Form der Kriminalität, wobei wirksame Maßnahmen zur Bekämpfung v.a. in der Beschränkung der baren Geldmittel der Leistungsberechtigten gesehen wurde. Es wurde davon ausgegangen, daß die Schlepperorganisationen ohne begründete Aussicht auf Entlohnung in Geld ihre Tätigkeit einstellen würden. 287 b) Verfassungsmäßigkeit der Differenzierungsziele aa) Bekämpfung des Asylrnißbrauchs durch Leistungsreduktion Diese gesetzgeberische Absicht ist in verfassungsrechtlicher Hinsicht die umstrittenste. Die unterschiedlichen Ansichten resultieren aus der rechtlichen Komplexität dieses Differenzierungsziels. Konkret stellt sich die Frage, ob die Mißbrauchsbekämpfung in letzter Konsequenz gegen das Gebot der Menschenwürde verstößt. Vielfach wird in der Literatur vertreten,288 durch die Absenkung des Leistungsniveaus würden die inländischen Leistungsberechtigten schlechtergestellt, um letzten Endes die mißbräuchliche Einreise und AsylantragsteIlung von potentiellen Asylbewerbern zu verhindern. Wenn nun die Absenkung der Leistungen an Asylbewerber und diesen gleichgestellten Ausländern in den Herkunftsländern dieser Personen bekannt wird und sich dadurch potentielle Leistungsberechtigte von der Einreise nach Deutschland und einer - unbegründeten - AsylantragsteIlung abhalten lassen, so ist gegen diesen Wirkungsmechanismus nichts zu erinnern. Anders stellt sich die Sachlage aber dann dar, wenn die SchlechtersteIlung der bereits inländischen Leistungsberechtigten zur Abschreckung der potentiell Einreisewilligen in deren Heimatländern dienen soll. Damit würden die Leistungsberechtigten aus generalpräventiven Gründen zu Objekten staatlicher Politik gemacht, was nach ständiger Rechtsprechung einen Verstoß gegen das Prinzip der Menschenwürde indizieren kann. 289

287 Vgl. schon die Rede des Abgeordneten Profzner der CDU/CSU-Fraktion während der Ersten Lesung des Entwurfs eines Gesetzes über Leistungen der Sozialhilfe an Ausländern (BTDrucks 12/3686); BT-Prot., 12. Wahlp., S. 10258 ff. Auch die damalige Bundesministerin fiir Familie und Senioren, Hannelore Rönsch, betonte fiir die Bundesregierung das Ziel, das Leistungen an Asylbewerber in Art und Umfang nur noch so zu erbringen, daß eine Bezahlung von Schleppern nicht mehr möglich sein soll; BT-Prot., 12. Wahlp., S. 13591 ff. 288 Im einzelnen vgl. unten, (1). 289 BVerfGE 5,85,204; 7, 198,205; 27, 1,6; 28, 386, 391; 50, 166, 175, 176, m.w.N.; kontrovers: BVerfGE 30, 1,25 ff, 39 ff.

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Nicht die Verhinderung von Asylrnißbrauch - sozusagen als Oberziel -, sondern der Weg zu diesem Ziel wurde und wird vielfach angegriffen. Die Frage der Verfassungsmäßigkeit der abgesenkten Leistungen als Mittel zur Zuzugsbegrenzung wird in der Literatur unter dem Schlagwort der Abschreckung kontrovers diskutiert. Der Meinungsstand wird im folgenden kurz dargestellt: (1) Ansichten in der Literatur Wie bereits erwähnt, stellte sich dieses Problem nicht erst mit der Einführung des AsylbLG, sondern beschäftigte verschiedene Autoren schon seit der Haushaltskonsolidierungsgesetzgebung der achtziger Jahre. Grundlegend haben sich dieses Problems schon im Jahre 1985 Stolleis und Schlamelcher angenommen. 290 Sie legten dar, daß die eigentlichen Normadressaten im Ausland lebten und es für die Regelungsbetroffenen im Inland keine Möglichkeit gebe, sich entsprechend dem Normbefehl- Unterlassen der Einreise und des unbegründeten Asylantrags - zu verhalten. Ausdrücklich gehen Stolleis und Schlamelcher von einem Verstoß gegen Art. I Abs. I GG insoweit aus. In ähnlicher Weise äußern sich Huber291 und Krahmer292 . Zuleeg293 greift den Gedanken auf und kommt gleichfalls zum Ergebnis der Verfassungswidrigkeit der Abschreckungsintention. Den oben Genannten schließt sich Sieveking294 hinsichtlich der rechtlichen Einordnung der Abschreckungswirkung als verfassungsrechtlich zumindest bedenklich an. Lediglich Stech295 gelangt zu einem differenzierenden Ergebnis. Zwar gibt er zu, daß eine Wirkung auf Inländer in der intendierten Weise mit den Einschränkungen kaum zu erzielen sein wird, diese wegen der Senkung des Leistungsniveaus 296 kaum den Asylantrag zurücknehmen dürften. 297 Auch geht er von einem generalpräventiven Zweck der Absenkung aus, welche er auch insoweit für unstatthaft hält, da derartige Regelungen im Rahmen des Art. I Abs. I GG nur verfassungsgemäß sein könnten, wenn der Normbetroffene durch persönlich vorwerfbares Handeln den Anlaß der Gefahr, in seiner Person Nachteile zu erleiden, gesetzt hat. Dabei bezieht er sich auf die Rechtsprechung des BVerfGE.298 Der Autor stellt weiterhin vor diesem Hintergrund fest, daß der Gesetzgeber die Leistungsbeschränkungen allein mit der Absicht der Bekämpfung des Asylrnißbrauchs nicht verfassungsgemäß begründen könne. Allerdings seien bei der Gesetzgebung,

NDV 1985, 309 ff. NDV 1988,251 ff. 292 ZfF 1988, 29 ff. 293 Gutachten, S. 27 ff. 294 Rechtsgutachten, S 39 ff, 43; auch schon in: VSSR 1994,45,62 ff., 71. 295 S. 75 ff. 290 291

Stech bezieht sich auf die Änderung des § 120 BSHG a.F. Stech, S. 79. 298 BVerfGE 50, 166, 175 ff.

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die zur Absenkung der Leistungen führte, weitere Ziele verfolgt worden. Stech rekurriert auf die Haushaltskonsolidierungsgesetzgebung der achtziger Jahre und gelangt zu der Auffassung, daß auch die Erzielung von Einsparungen und die zweckgebundene Verwendung von Mitteln im Sinne der Sicherung des Grundrechts auf Asyl den Leistungskürzungen zugrunde lägen. 299

(2) Stellungnahme Soweit das Differenzierungsziel tatsächlich lediglich auf die Abschreckung der sich noch in ihren Heimatländern befindlichen Ausländer als Normadressaten mittels einer gezielten Benachteiligung der im Inland Leistungsberechtigten abstellen würde, wäre ein Verstoß gegen Art. 1 Abs. 1 GG möglich. Denn dadurch würde der einzelne Leistungsberechtigte "zum bloßen Objekt im Staate" gemacht, was seine Subjektqualität in Frage stellte und deshalb dem Menschenwürdeprinzip des GG widerspräche. Die schlechte Behandlung der Einzelnen würde als generalpräventives Mittel benutzt, um Dritte von einem bestimmten Tun abzuschrecken. Allerdings ist es sehr fraglich, ob tatsächlich ein derartiger Wirkungsmechanismus intendiert war, nunmehr zum Tragen kommt und deshalb ein Verstoß gegen Art. 1 Abs. 1 GG vorliegt: Die Mißbrauchsbekämpfung durch Leistungsabsenkungen beinhaltet verschiedene tatsächliche Anknüpfungspunkte. Neben der denkbaren Abschreckungswirkung durch die Schlechterstellung der schon im Lande befindlichen Ausländer kann das niedrige Leistungsniveau auch auf Einreisewillige wirken, denen die jetzt gesunkene Attraktivität Deutschlands als Einreiseland zur Kenntnis gelangt. Verfassungsrechtlich unbedenklich ist nämlich eine Signalwirkung, ausgehend von einer Absenkung des Leistungsniveaus für Asylbewerber und diesen gleichzustellenden Ausländergruppen in Deutschland insgesamt. Nur dürfen für dieses Signal nicht Leistungsberechtigte als Objekte, als bloße Medien benutzt werden. Wenn davon auszugehen ist, daß potentiell Einreisewillige in ihren Heimatländern von einem abgesenkten Leistungsniveau für Asylbewerber in Deutschland aufgrund neuer gesetzlicher Regelungen erfahren, ist es überhaupt nicht zwingend anzunehmen, für diese Kenntniserlangung sei die "Benutzung" von inländischen Asylbewerbern notwendig ist. Es kann genauso unterstellt werden, daß Einreisewillige von der Neuordnung des Leistungsrechts erfahren. Davon wird sogar in der Tat auszugehen sein, denn wie anders, als durch Informationen über die Art und den Umfang deutscher Sozialleistungen auch an Ausländer, könnte die - im weltweiten Vergleich - exorbitant hohe Anzahl der nach Deutschland einreisenden Flüchtlinge seit den siebziger Jahren zustande gekommen sein? Tatsächlich politisch Verfolgte, also die Grundrechtsträger des Art. 16 a Abs. 1 GG, dürften sich durch abgesenkte Leistungen kaum von einem Asylgesuch in Deutschland abhalten lassen. 30o

299

Stech, S. 81, 82.

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Ein weiteres Argument spricht gegen die verbreitete Ansicht in der Literatur hinsichtlich der Verfassungswidrigkeit der Asylmißbrauchsbekämpfung durch Leistungsabsenkung: Kehrt man die Tatsache der Abschreckung in ihr Gegenteil, denkt man sich also ein aufgewertetes Leistungsrecht, müßte dieses als verfassungswidrig angesehen werden, wenn durch die Verbesserung der Leistungen für Asylbewerber Dritte in ihrem Beschluß befördert werden, nach Deutschland einzureisen, weil nach der gängigen, oben dargelegten Argumentationsweise - die nunmehr besser behandelten Asylbewerber als Objekte staatlichen Handeins mit dem Ziel, andere Ausländern zur Einreise zu animieren, angesehen werden müßten. Dies kann schwerlich sein. Auch die Rechtsprechung äußert in den wenigen bisher ergangenen Entscheidungen hinsichtlich der Leistungskürzungen für die Normbetroffenen des AsylbLG keine Bedenken gegen das Differenzierungsziel der "Abschreckung" potentieller Asylbewerber ohne Asylgrund. Das Ziel der Sicherung des Grundrechts auf Asyl sei nicht zuletzt durch eine Abschreckung jener Personen zu erreichen, die sich nur aus wirtschaftlichen Gründen in das Bundesgebiet begeben wollten, um ein Aufenthaltsrecht und Sozialleistungen zu erhalten. 301 Ähnlich entschied das VG Braunschweig,302 als es feststellte, Aufgabe des AsylbLG sei es auch, durch die abgesenkten Leistungen keinen Anreiz für Ausländer zu schaffen, aus wirtschaftlichen Gründen nach Deutschland einzureisen. Immer stellt die Rechtsprechung dabei aber auf die inländische Rechtslage und deren Wirkung auf sich noch im Ausland aufualtende Ausländer ab. Das Vorliegen eines Verstoßes gegen Art. lAbs. 1 GG durch eine Instrumentalisierung der jeweiligen Leistungsberechtigten zum Zwecke der Abschreckung potentieller EinreisewiIIigen, welchen die durch die Absenkungen des Leistungsniveaus verursachten Beeinträchtigungen der Leistungsberechtigten vor Augen geführt wird, verneinen die Gerichte.

(3) Ergebnis Soweit demgemäß die Verhinderung des Asylmißbrauchs durch Leistungsabsenkung der Intention dient, Ausländer nicht durch einen höheren Standard der sozialen Versorgung zur Einreise zu motivieren, ist dagegen verfassungsrechtlich nichts einzuwenden. Die Tatsache der Leistungsabsenkung per Gesetzesänderung allein vermindert die Motivation, einzureisen, man kann auch sagen: wirkt abschreckend und darf dies auch, da für die Erzielung dieser Wirkung nicht Menschen mißbraucht wer300 Genausowenig abhalten lassen sich freilich auch anderweitig Verfolgte. Es fUhrt kein Weg daran vorbei: Es ist eine äußerst unbefriedigende Situation, daß zwar politisch Verfolgte in Deutschland Schutz finden, Anne, Hungernde, Notleidende jedoch an der Grenze abzuweisen sind. 301 VG Freiburg, Beschluß vom 10.02.1994 - 4 K 163/94 -, VBIBW 1994, 291 ff. 302 Gerichtsentscheid vom 19.09.1996 - 4 A 4304/94 -, veröffentlicht bei Hohm, GKAsylbLG VII, vor § I AsylbLG, (VG-Nr.2).; ähnlich auch: VGH Kassel, Beschluß vom 23.03.1994, NVwZ-Beil. 1994,27 ff.

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den, sondern der gewöhnliche Infonnationsfluß in die Herkunftsländer der potentiell Einreisewilligen über die Art und das Maß der Sozialleistungen für Ausländer in Deutschland ausreicht. bb) Einsparungen durch Leistungskürzungen und Bekämpfung der Schlepperkriminalität - Auch die Absicht, Steuergelder einzusparen, ist als verfassungslegitimes Differenzierungsziel anzusehen. Die Leistungen des AsylbLG sind auf das Ziel der Ausgabenbegrenzung von Bund, Ländern und Gemeinden gerichtet. 303 Freilich darf auch eine Haushaltskonsolidierung grundrechtliche Positionen der Nonnbetroffenen nicht um des Sparens Willen verletzen. Ob dies durch die Regelungen des AsylbLG der Fall ist, bleibt der verfassungsrechtlichen Überprüfung der Verhältnismäßigkeit der Differenzierung und insbesondere der Leistungshöhe vorbehalten. Das Differenzierungsziel "Einsparungen" verstößt per se jedenfalls nicht gegen das GG.304 - Keine verfassungsrechtlichen Bedenken bestehen auch gegen das Ziel der Bekämpfung der Schlepperkriminalität.

4. DijJerenzierungskriterium Eindeutig ergibt sich aus der Gesetzesbegründung und dem Kontext des Entwurfs des AsylbLG, daß sämtliche Differenzierungen an der Eigenschaft des kurzen, ungesicherten Aufenthalts der Leistungsberechtigten anknüpfen. 305 Dieses Merkmal ist sämtlichen Personengruppen des § 1 Abs. 1 AsylbLG gemein. Damit steht dieser Anknüpfungspunkt in einer Tradition mit den vorgängigen Änderungen des § 120 BSHG a.F. und wurde als Differenzierungskriterium schon von Stolleis und Schlamelcher306 herausgearbeitet.

5. Rechtfertigung der Ungleich behandlung a) Prüfungsintensität Es gelten die oben 307 dargestellten Maßstäbe. Der Umstand einer AsylantragsteIlung bzw. eines regelmäßig kurzen und ungesicherten Aufenthalts stellt jedenfalls ein So schon oben a); Deibel, ZAR 1998,28 m.w.N. wohl Sieveking, Gutachten, S. 32 ff. 305 BT-Drucks. 12/4451; 13/2746, jeweils Allgemeine Begründung. 306 NDV 1985,309 ff. 307 2. Kap., § 2, B., 1., 5., a). 303

304 A.A.

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personenbezogenes Merkmal dar. Aufgrund der Bedeutung des rechtlichen Status für die Träger dieses Merkmals, und weil es kaum eine Möglichkeit für die Betroffenen gibt, ihre ausländerrechtliche Stellung nach einer bestands- oder rechtskräftigen Entscheidung der Ausländerbehörde bzw. des Verwaltungsgerichts zu verbessern, oder ihre Aufenthaltsdauer im Inland auf legale Weise zu verlängern, ist das Differenzierungsmerkmal auch als personengebunden zu qualifizieren. Die Normbetroffenen können den begünstigenden Sachverhalt in ihrer Person - konkret also eine leistungsrechtliche Besserstellung - nicht oder nur schwer erfüllen. Deshalb ist eine intensive, am Verhältnismäßigkeitsmaßstab angelehnte Überprüfung der Ungleichbehandlung erforderlich. b) Geeignetheit der Ungleichbehandlung Die Differenzierung zwischen Ausländern, die nach § 120 BSHG hilfeberechtigt sind und solchen, die dem Regelungsbereich des AsylbLG unterfallen, muß geeignet sein, das legislatorische Differenzierungsziei zu erreichen. 308 Prima facie sind die Ausgrenzungen der von § 1 Abs. 1 AsylbLG erfaßten Ausländer und die damit einhergehenden Leistungsbeschränkungen geeignet, die Zuwanderung von Einwanderern dieser Gruppe zu begrenzen. Unbestritten ist die Anzahl der Asylbewerber nach der Einführung des AsylbLG drastisch gesunken. 309 Legt man die Schätzungen der Einsparungen für Bund, Länder und Gemeinden, die sowohl im Rahmen des Entwurfs des AsylbLG 1993 als auch bei der Änderungsgesetzgebung des Jahres 1997 angestellt wurden, als realistisch zugrunde, erwies und erweist sich das AsylbLG auch insoweit als geeignetes Mittel. Bei näherem Hinsehen offenbart sich die Geeignetheit der vorgenommenen Differenzierungen jedoch als nicht so sicher wie sie scheint. Der tatsächliche Rückgang der Asylbewerberzahlen kann, muß aber nicht auf das veränderte Leistungsrecht zurückzuführen sein. Gleichzeitig mit der politischen Entscheidung für die Einführung des AsylbLG wurden vorrangig asyl- und ausländerrechtliche Restriktionen vorgenommen. 3IO Das neu geschaffene Leistungsrecht stellte dabei nur eine flankierende Maßnahme dar. 311 Es läßt sich also nicht mit letzter Sicherheit sagen, daß die Geeignetheit der mit einer SchlechtersteIlung der Betroffenen einhergehenden Ausgliederung des Asylbewerberleistungsrechts zur Bekämpfung des sogenannten Asylmißbrauchs allein durch den faktischen Rückgang der Asylbewerberzahlen nach der Einführung der Minderleistungen nachgewiesen sei. Vor diesem Hintergrund ist der Einwand von Zuleeg 312 aus dem Jahre 1988, die Planung eines eigenständigen Leistungsrechts für Asylbewerber betreffend, nicht von Jarass, a.a.O., S. 2549. 1993 kamen im Vergleich zum VOIjahr 26,48 % und 1994 ebenfalls im Vergleich zum Vorjahr 60,57 % weniger Asylbewerber ins Land; von Pollern, ZAR 1995,64. 310 Vgl. im einzelnen hierzu: Haberland ZAR 1994, 3 ff, 51 ff. 311 Haberland, a.a.O., S. 3. 312 Gutachten, S. 29, 30. 308

309

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der Hand zu weisen. Er bemängelte das Fehlen von Belegen für die Wirksamkeit eines geänderten Leistungsrechts zur Begrenzung der Einreise von Menschen aus der Dritten Welt;3\3 in ähnlicher Weise äußerte sich auch Stech. 314 Dieser Einwand wird verstärkt durch die Entwicklung des Asylbewerberaufkommens nach der Änderung des § 120 BSHG a.F. im Rahmen der Haushaltskonsolidierungsgesetzgebung der achtziger Jahre. 315 Zunächst war auch damals ein stetiges Absinken der Anzahl der asylsuchenden Ausländer festzustellen;316 schon Anfang der neunziger Jahre befanden sich jedoch mehr Asylbewerber in Deutschland als je zuvor. Ausgehend vom früheren Höchststand im Jahre 1980 hatte sich 1992 die Anzahl mit 438191 mehr als vervierfacht. 317 Bis zum Jahre 1996 verminderte sich die Zahl der Asylbewerber auf 116367. 318 Von 1997 auf 1998 ging die Anzahl von Asylsuchenden nochmals zuriick, und zwar auf 104353. 319 Diese Zahlen legen einen Schluß nahe: Maßgeblich für die Einwanderung 320 ist nicht allein das deutsche Sozialleistungsrecht, sondern auch der Leidensdruck der Menschen in ihren Heimatländern. Mit einem verminderten leistungsrechtlichen Anreiz zur Einreise lassen sich die Zahlen der Flüchtlinge zwar höchstwahrscheinlich beeinflussen. Schließlich stellt die Entscheidung, einen Staat mit höheren Sozialleistungen an Ausländer bei der Einreise und der AsylantragsteIlung zu bevorzugen, aus Sicht der Asylbewerber ein ökonomisch sinnvolles Verhalten dar. Der durch die Anreizverminderung ausgelöste Mechanismus verliert aber einen Teil seiner Effizienz, wenn sich die Lebensumstände der potentiellen Einwanderer relativ zum inländischen Sozialleistungsniveau verschlechtern. Darüber hinaus weist die europäische Entwicklung der Asylbewerberzahlen auf ein zusätzliches Problem hin: Zwar begehren weniger Menschen Asyl in Deutschland, dafür steigen die Zahlen der Asylsuchenden in anderen Ländern der EU.321 Es wird sich in diesem Zusammenhang zukünftig verstärkt die Frage stellen, ob eine isolierte, national begrenzte Betrachtung der tatsächlichen und rechtlichen Asylproblematik trotz einer sich intensivierenden europäischen Einigung noch sinnvoll ist. Vermutlich wird nämlich eine Vielzahl von Flüchtlingen in erster Linie die Sicherheit und auch die materiellen Lebenschancen der EU als Einheit und weniger die eines bestimmten Mitgliedsstaates suchen.

313 Gemeint sind wohl die sog. Hungerflüchtlinge. 314 A.a.O., S. 114. 315 2. HstruktG vom 12.12.1981, BGBl I, S. 1523; Haushaltsbegleitgesetz 1984 vom

22.12.1983, BGBI I, S. 1532. 316 1980: 107.818, 1981: 49.391, 1982: 37.423, 1983: 19.737. Die Zahlen wurden entnommen aus: Statistisches Jahrbuch 1998, S. 67. 317 von Pollern, ZAR 1994,64; Statistisches Jahrbuch 1998, S. 67. 318 von Pollern, ZAR 1997,90; Statistisches Jahrbuch 1998, S. 67. 319 Statistisches Jahrbuch 1998, S. 67. 320 So wird man auch den Zustrom von Asylbewerbern wohl realiter bezeichnen müssen. 321 Entsprechende Zahlen wurden von der Deutschen Presse Agentur (dpa) unter dem 23.01.1999 veröffentlicht; bspw. in: Heidenheimer Neue Presse vom 23.01.1999, S. 1.

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Es wäre aber zu kurz gegriffen, vor diesem Hintergrund die mit dem AsylbLG vorgenommenen Differenzierungen als per se ungeeignet zu verwerfen. Die Not der Menschen in ihren Herkunftsstaaten stellt eine Variable dar, auf die von Deutschland aus nur in begrenztem Umfang eingewirkt werden kann. Der Gesetzgeber ist jedoch darauf verwiesen, bei neuen Gesetzesvorhaben von einem bestimmten status quo auszugehen. Zukünftige Entwicklungen sind nur bedingt vorhersehbar, weshalb dem Gesetzgeber eine weite Einschätzungsprärogative zukommen muß. Ceteris in paribus kann folglich von der Geeignetheit der Differenzierungen insoweit ausgegangen werden, da bei unveränderter weltpolitischer Lage zunächst sowohl die Begrenzungsgesetzgebung der achtziger Jahre als auch die Einfuhrung des AsylbLG - im Verbund mit den Restriktionen des Ausländer- und Asylrechts - einen Rückgang der Einwanderungszahlen bewirkt hat. Auch soweit eine mißbräuchliche Inanspruchnahme von staatlichen Leistungen verhindert werden soll, kann von der Geeignetheit des AsylbLG ausgegangen werden. Die Absenkung des Leistungsniveaus fur die Leistungsberechtigten nach den Regelungen des AsylbLG in den ersten drei Jahren der Leistungsberechtigung entlastet die öffentlichen Haushalte und fuhrt damit zu einer gewissen322 Konsolidierung der öffentlichen Haushalte. Der Rückgang der Asylbewerberzahlen bestätigt - unter den soeben gemachten Einschränkungen - auch die Geeignetheit der Ungleichbehandlung zur Bekämpfung der Schlepperkriminalität. c) Erforderlichkeit Nicht erforderlich ist die Differenzierung zwischen den Vergleichsgruppen grundsätzlich, wenn ein milderes Mittel, im vorliegenden Kontext eine andere, weniger belastende Differenzierung zum gleichen Ergebnis fuhrt. 323 Damit muß die vorgenommene Ungleichbehandlung in ihrem ganzen Ausmaß von dem verfolgten Zweck gerechtfertigt sein. 324 Eine weniger belastende Differenzierung zwischen den hier gebildeten Vergleichsgruppen ist vorstellbar in drei Bereichen: Erstens könnte der betroffene Personenkreis enger gefaßt werden. Dies würde jedoch das Differenzierungsziel insgesamt unterlaufen, da so bestimmte Gruppen von 322 Verglichen mit dem Gesamtanteil der Sozialhilfe an den öffentlichen Haushalten fällt die erwartete Entlastung von insgesamt etwa 2,5 bis 3 Milliarden DM (BT-Drucks. 12/4451, Allgemeine Begründung, 5.; 13/2746, Allgemeine Begründung, 4.) nur wenig ins Gewicht. Eine Betrachtung ex post belegt i.ü., daß vorhandene Einsparungen durch weitere Ausgaben aufgezehrt wurden. Realiter stiegen die gesamten Ausgaben für die Sozialhilfe und die Leistungen nach dem AsylbLG von 1994 bis 1996 trotz einer Abnahme der Asylbewerberzahlen und im wesentlichen gleichbleibenden Ausgaben für die Sozialhilfe um ca. 109 Millionen DM. Dies erschließt sich aus einem Abgleich der im Statistischen Jahrbuch 1998, S. 465, veröffentlichten einschlägigen Daten. 323 Jarass, NJW 1997,2545,2549. 324 Vgl. insoweit oben, B., 1., 5. c).

6 Horrer

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Ausländern ohne oder mit nur kurzzeitigem Aufenhaltsrecht schlechter als andere, mit ebenso ungesichertem Status, behandelt würden, was darüber hinaus einen Verstoß gegen Art. 3 Abs. I GG im Verhältnis dieser Vergleichs gruppen zueinander indizierte. Zweitens wäre daran zu denken, die Differenzierung hinsichtlich des Leistungsniveaus weniger belastend zu gestalten. Dabei erhebt sich die rechtstatsächliche Frage, inwieweit Absenkungen vorgenommen werden müssen, um noch von einem erheblich verminderten Anreiz zur Einreise sprechen zu können. Dieses Problem läßt sich einer statischen Lösung jedoch nicht zuführen, da jeder Lösungsansatz von der kaum beeinflußbaren Variablen des Leidensdrucks der potentiellen Einwanderer abhängt. Als Handlungsspielräume eröffnende Bandbreite läßt sich lediglich die Differenz zwischen den Leistungen der Sozialhilfe für Ausländer nach § 120 BSHG und dem verfassungsrechtlichen Existenzminimum angeben. Erforderlich ist die Leistungsabsenkung aber jedenfalls hinsichtlich des Differenzierungsziels "Einsparungen". Eine abgeschwächte Ungleichbehandlung würde auch zu einer verminderten Haushaltskonsolidierung führen. 325 Drittens stellte eine Verkürzung der Dauer der Leistungsabsenkung von derzeit 36 Monaten 326 ein milderes Mittel dar. An diese temporäre Komponente der vorgenommenen Differenzierung knüpfen sich erhebliche Bedenken. Bis zum 31.05.1997 war die Leistungsabsenkung auf einen Zeitraum von 12 Monaten begrenzt. Durch das Erste Gesetz zur Änderung des AsylbLG vom 26.05.1997 327 wurde aus nicht aus den Gesetzgebungsmaterialien nachvollziehbaren Gründen eine Absenkungsdauer von 36 Monaten eingeführt. Bei den Beratungen des Vermittlungsausschusses nach der Zustimmungsverweigerung durch den Bundesrat wurde die im Entwurf zur Änderung des AsylbLG ursprünglich vorgesehene Frist von zwei auf drei Jahre ohne Begründung verlängert. 328 Es ist zu vermuten, daß für diese Verlängerung ausschließlich monetäre Erwägungen maßgeblich waren. Hierfür spricht insbesondere das Scheitern einer Einigung über den Entwurf eines ersten Gesetzes zur Änderung des AsylbLG und andere Gesetze im Vermittlungsverfahren. Ursächlich für dieses Scheitern waren zu geringe bzw. nicht vorhandene Einsparungen. 329 325 Vgl. zum Vorgehen bei der Berechnung der prognostizierten Einsparungen durch das Erste Änderungsgesetz zum AsylbLG: BT-Drucks 13/2746, Allgemeine Begründung, 4. Zu den unterschiedlichen Ansichten bzgl. der finanziellen Auswirkungen dieses Anderungsgesetzes: Kraus, Dokumentation, S. 32 ff. 326 § 2 Abs. I AsylbLG. 327 BGBI 1997 I, S. 1130 ff. 328 Vgl. insoweit: BT-Drucks 13/2746, S. 1 ff. In diesem Entwurfwar noch eine Absenkung fiir die Dauer von 24 Monaten vorgesehen. Die Beschlußempfehlung des Vermittlungsausschusses in der Sitzung vom 23.04.1997, BR-Drucks. 296/97, geht dagegen bereits von einer Minderleistungsdauer von 36 Monaten aus. 329 Zum ganzen: Hohm, GK-AsylbLG 11, Rn. 72.

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Vor dem Hintergrund des abgeschwächten Zustroms von Asylbewerbern seit der Einführung des AsylbLG im Jahre 1993 war die Intensivierung der Ungleichbehandlung nicht erforderlich im Sinne eines strengen MaßstAbs. Das Ziel der Differenzierung, den Asylrnißbrauch zu bekämpfen, konnte nachgewiesenermaßen auch mit einer zwölfmonatigen Frist erreicht werden. Insgesamt kann trotz des oben 33o dargestellten Hintergrundes einer dem Gesetzgeber zustehenden weiten Einschätzungsprärogative hinsichtlich des Differenzierungsziels "Mißbrauchsbekämpfung" nicht mehr von der Erforderlichkeit der vorgenommenen Differenzierung ausgegangen werden. Anders ist die Erforderlichkeit einer dreijährigen Absenkung des Leistungsniveaus zwar im Kontext der fiskalpolitischen Zielsetzung und jener der Bekämpfung der Schlepperkriminalität zu sehen. Durch einen längeren Absenkungszeitraum lassen sich zu einen höhere Beträge einsparen und zum anderen verbleibt des Leistungsberechtigten länger weniger Bargeld zur Bezahlung der Schlepper. Es wird aber im Rahmen der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne zu klären sein, ob diese Ziele gewichtig genug sind, Einschränkungen von dieser Intensität zu rechtfertigen. 331 d) Verhältnismäßigkeit im engeren Sinn Im Rahmen einer Güterabwägung ist zu überprüfen, ob die vorgenommene Ungleichbehandlung und das sie tragende Differenzierungsziel in einem angemessenen Verhältnis zueinander stehen. 332 Maßgeblich ist auch insoweit, ob Differenzierungsziele und damit Gründe für die Ungleichbehandlung von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, daß sie die verschiedenartige Behandlung der zugrunde liegenden Sachverhalte rechtfertigen. 333 Nicht zuletzt handelt es sich bei dieser Verhältnismäßigkeitsprüfung im engeren Sinne um eine Ausprägung des Erfordernisses, den Begriff der Sachangemessenheit einer Ungleichbehandlung für eine konkrete Überprüfung anband der einschlägigen Verfassungsnormen - hier des Sozialstaatsgebots - fruchtbar zu machen. 334 Über den richtigen Weg dieser Konkretisierung besteht auch innerhalb der Verfechter der sogenannten neuen Formel Uneinig-

B., I., 5., c). Ähnlich, aber in anderem Zusammenhang: Hohm, GK-AsylbLG III, § 2, Rn. 69; dort auch zu den möglichen Gründen für die Aufnahme der Dreijahresfrist. 332 Jarass, NJW 1997,2545,2549 m.w.N. 333 BVerfGE 94, 241, 260, stRspr.; Herzog in Maunz/Dürig/Herzog, Art. 3, Anhang, Rn. 6. Zur Dogmatik der Verhältnismäßgkeit im engeren Sinne im allgemeinen und dem Abwägungsvorgang zwischen den Vor- und Nachteilen der kollidierenden Rechtsgüter im besonderen vgl. Huster, S. 139 ff. 334 Neben dem Gleichheitssatz steht als zentrales Verfassungspostulat bei der Frage nach der Verfassungsmäßigkeit der Ausgliederung des Leistungsrechts für Asylbewerber aus dem BSHG das Sozialstaatsprinzip; vgl. insoweit unten, bb). 330 33\

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2. Kap.: Die Ausgliederung des Leistungsrechts aus dem System des BSHG

keit. 335 Herzog 336 umschreibt das Gebot der Sachangemessenheit337 in folgender Weise: Eine Ungleichbehandlung muß auch hinsichtlich ihres Gewichts auf den Bürger von dem rechtfertigenden Grund getragen werden. Andere wollen die Belastung einer Differenzierung hingegen gerade nicht der Verhältnismäßigkeitsprüfung zugrunde legen, sondern stellen allein auf das Ausmaß der Ungleichbehandlung ab. 338 Dieser Ansicht kann nicht zugestimmt werden. Eine unterschiedliche Behandlung von Menschen bzw. Sachverhalten,339 die weder für die eine, noch für die andere Vergleichsgruppe Belastungen mit sich bringt, ist zwar vielleicht denkbar, rechtlich aber irrelevant. Denn selbst wenn in materieller Hinsicht keinerlei Veränderungen für die Betroffenen eintreten, wird doch die eine Gruppe von der anderen separiert, man kann sagen: ausgegrenzt. Das hat regelmäßig für die Ausgegrenzten soziologisch nachteilige Folgen; Art. I Abs. I GG kann schon allein dadurch verletzt sein. Eine Ausnahme dieser Regel kann allenfalls in einer Situation gesehen werden, in der beide unterschiedlich behandelte Vergleichsgruppen eine genau gleich weit gehende soziale Aufwertung erfahren. Dieser Fall dürfte aber als unrealistisch zu vernachlässigen sein. Deshalb ist letztlich eine Relation zwischen der Ungleichbehandlung und dem sie rechtfertigenden Grund im Wege einer Güterabwägung zu ermitteln und gleichzeitig festzustellen, ob dieses Verhältnis sachangemessen ist. 340 Dabei ist die Belastung für die ungleich Behandelten ebenfalls angemessen zu berücksichtigen. aa) Güterabwägung Die Ungleichbehandlung von Leistungsberechtigten nach § I Abs. I AsylbLG im Verhältnis zu anderen Ausländern ist erheblich. Sie führt zu sozialer Ausgrenzung, sie verhindert die Integration 341 und verweist die Normbetroffenen auf ein Leben am 335 Vgl. die teilweise unterschiedlichen Ansätze: Jarass, a.a.O., S. 2545 ff; für eine VerhältnismäßigkeitspIÜfung ohne Anwendung der Willkürformel in Teilbereichen: Herzog in Maunz/ Dürig/Herzog Art. 3, Anhang, Rn. 9 a.E.; ähnlich auch Schoch, DVBI 1988, 863, 874 ff m.w.N.; Stech, S. 117 ff; Huster, S. 139 ff, 382 ff. 336 Herzog in Maunz/Dürig/Herzog, Art. 3, Anhang, Rn. 6. 337 Zum Begriff: Schoch, DVBI1988, 863, 874 ff. 338 Jarass, a.a.O., S. 2549 schreibt ausdrücklich, es gehe nicht um die Verhältnismäßigkeit der Belastung, sondern um die der Ungleichbehandlung. 339 Allerdings kann ein Sachverhalt "ohne menschliche Beteiligung" nicht Gegenstand einer grundrechtlichen Untersuchung sein; Sachverhalte sind keine Grundrechtsträger. 340 Im einzelnen herrschen bei der Konkretisierung des Begriffs der Sachangemessenheit noch erhebliche Unsicherheiten; vgl. einerseits Schoch, a.a.O., und andererseits Jarass, a.a.O. 341 Mit dem Begriff Integration ist als soziologische Kategorie im vorliegenden Zusammenhang die Eingliederung eines Individuums in ein soziales System gemeint. Zu den differierenden Begriffen der Integration vgl.: Soziologie-Lexikon, Stichwort Integration. Diese Eingliederung soll durch das AsylbLG gerade verltindert werden. In der Allgemeinen Begründung des Entwurfs des AsylbLG wird ausdrücklich festgestellt, daß das AsylbLG im Gegensatz zum

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Rande des Existenzminimums. 342 Weder sprachliche Förderung noch berufliche Perspektiven werden den Leistungsberechtigten staatlicherseits geboten. Ein Sonderrecht für eine relativ kleine Gruppe von Menschen wurde geschaffen, das diese abgrenzt von allen anderen Hilfeempfängern in Deutschland. Auch durchbricht des AsylbLG das System des Sozialhilferechts. 343 Darüber hinaus ist zu bedenken, daß die Leistungsabsenkungen seit dem 01.06.1997 jeden Leistungsberechtigten drei Jahre lang betreffen. 344 Die Ausgrenzung müßte durch das Gewicht der Gründe für diese Differenzierung gerechtfertigt sein. Wie bereits dargelegt, liegen die Differenzierungsziele darin, den in der Möglichkeit des Bezugs des regulären Sozialhilfesatzes liegenden Anreiz zur Stellung unbegründeter Asylanträge, zur rechtswidrigen Einreise und zum illegalen Verbleib in Deutschland entgegenzuwirken und gleichzeitig die Belastung der öffentlichen Haushalte zu verringern sowie die Schlepperkriminalität zu bekämpfen. Dahinter steht nicht zuletzt das verfassungsrechtliche Gebot, das Grundrecht auf Asyl in seiner Effektivität zu erhalten. Die Entscheidung, ob nun diese Ziele hinreichend bedeutend sind, ob sich gar eine staatliche Verpflichtung zu der Ausgliederung des Leistungsrechts für Asylbewerber aus dem BSHG mit den einhergehenden Ungleichbehandlungen ergibt, kann nicht frei von Wertungen getroffen werden. Vor dem Hintergrund der rasant ansteigenden Zuwanderungszahlen zu Beginn der neunziger Jahre und der dadurch ebenso schnell wie stetig wachsenden Belastung der Haushalte v.a. der Länder und Kommunen - und damit letztlich der steuerzahlenden Bevölkerung spricht viel für eine rechtfertigende Wirkung dieser Tatsachen für die Ungleichbehandlung. Auch hinsichtlich der Normierungen des AsylbLG gilt das im Zusammenhang der Differenzierung zwischen Deutschen und Ausländern Dargelegte: Ohne eine effektive Abgrenzung der sozialen Leistungssysteme nach außen, ist deren dauerhafte Funktionsfähigkeit nicht denkbar. 345 Eine höhere Attraktivität für Ausländer ohne verfestigten ausländerrechtlichen Aufenthaltsstatus würde mit großer Wahrscheinlichkeit eine erheblich höhere Anzahl von Flüchtlingen und Notleidenden nach Deutschland ziehen. Darin wäre ein normaler, subjektiv nachvollziehbarer und aus Flüchtlingssicht wirtschaftlich sinnvoller Vorgang zu sehen. Eine Überforderung der öffentlichen Kassen und wohl auch der gesellschaftlichen Verhältnisse BSHG kein "existentiell gesichertes und sozial integriertes Leben der Leistungsberechtigten ,auf eigenen Füßen' in der Bundesrepublik Deutschland zu Ziel hat," sondern im Verhältnis zur Sozialhilfe vereinfacht und an einen regelmäßig nur kurzzeitigen Aufenthalt angepaßt ist; (BT-Drucks. 12/4451). Diese legislatorische Verweigerung von Integration veranlaßt Kraus, Dokumentation, S. 48, darauf hinzuweisen, daß bei der praktischen Anwendung des AsylbLG das Menschenwürdeprinzip verstärkt zu berücksichtigen sei, "um rechtsverletzende Vereinfachungen auszuschließen". 342 Oder darunter, was im 3. Kap. zu klären sein wird. 343 Zu leeg, Gutachten, S. 19 ff; zu den Auswirkungen des AsylbLG vgl. nur Classen, Menschenwürde mit Rabatt. 344 § 2 Abs. 1 AsylbLG. 345 Hailbronner, VSSR 1992, 77,98.

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lägen dann aber nicht fern. Mit dem exorbitanten Anstieg der Asylbewerberzahlen und dem zunehmenden Verbleiben von abgelehnten Asylbewerbern in Deutschland 346 haben die gesetzlich vorgesehenen Zuzugs beschränkungen in das Bundesgebiet de facto einen erheblichen Teil ihrer Effizienz verloren. 347 Mit der Asylantragstellung war ein faktischer Zugang zum Kreis der Leistungsberechtigen des BSHG vorhanden. Oben wurde für Ausländer mit einem aufenthaltsrechtlich verfestigten Status die Verfassungslegitimität einer Ungleichbehandlung im Verhältnis zu deutschen Hilfeempfangern innerhalb des Rahmens des BSHG festgestellt,348 obschon viele Ausländer seit Generationen in Deutschland leben, hier bleiben wollen und dürfen. Dann muß konsequenterweise auch zwischen diesen Ausländern und Asylbewerbern bzw. diesen gleichgestellten Ausländern, differenziert werden. Sowohl hinsichtlich der regelmäßigen Aufenthaltsdauer als auch in Bezug auf deren Berechtigung zum Verbleib in der Bundesrepublik Deutschland bestehen zwischen den vorliegend relevanten Vergleichsgruppen so erhebliche Differenzen, daß eine leistungsrechtliche Sondernormierung für den Kreis der nunmehr gemäß § 1 Abs. 1 AsylbLG Leisungsberechtigten, die diesen rechtlichen und tatsächlichen Unterschieden gerecht wird, verfassungsrechtlich indiziert ist. Denn Ungleiches gleich zu behandeln, verstößt ebenso gegen den allgemeinen Gleichheitssatz, wie die Ungleichbehandlung von Gleichem. Auch bei einer rechtshistorischen Betrachtungsweise zeigt sich, daß Zulassungsbeschränkungen gegenüber Externen jedem wohlfahrtsstaatlichen Leistungssystem immanent sind. 349 In politischer Hinsicht stellte sich unter den 1993 gegebenen Umständen nicht die Frage, ob, sondern nur wie die inländischen Sozialleistungssysteme vor einer Überbeanspruchung geschützt werden sollten. Mit dem AsylbLG wurde ein effektives Instrument der Einwanderungsbeschränkung geschaffen; daß es bessere, humanere und verfassungsrechtlich weniger bedenkliche Instrumentarien gibt, wird vielfach behauptet, aber nirgends konkretisiert. Letztlich gilt aber auch hier: Der Gesetzgeber braucht zur Erreichung der gesteckten Ziele nicht die zweckmäßigste, vernünftigste oder gerechteste Lösung eines mit Ungleichbehandlungen verbundenen Problems zu finden. 35o Er benötigt und hat bei der rechtlichen Gestaltung verschiedener Lebensbereiche einen relativ weiten Spielraum. 351 Hierzu: Deibel, ZAR 1998, 28. Hailbronner, a.a.O., S. 98. 348 Oben, I. 346

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349 SachßelTennstedt, Bd. 3, S. 275; die Autoren stellen aber auch fest, daß mit dem Ende des 19. Jahrhunderts eine ,,Dynamik der Inklusion" zu verzeichnen ist. 350 BVertGE 4, 144, 155; 83, 395,401; 84, 348, 359, stRspr. 351 Jarass, NJW 1997,2545,2546 m.w.N. Lediglich anzumerken ist, daß sich nach der sog. Willkürpriifung das Problem einer Abwägung der widerstreitenden Rechtsgüter nicht stellt: Ein sachlicher Grund für die Ungleichbehandlung der Leistungsberechtigten nach § I Abs. I AsylbLG findet sich in deren aufenthaltsrechtlichen Situation unschwer. Und als "schlichtweg willkürlich" kann die Ungleichbehandlung der betreffenden Personengruppen auch nicht qualifiziert werden.

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Als Zwischenergebnis ist zu konstatieren, daß die Abwägung der dargestellten Gründe für die Ungleichbehandlung der Vergleichsgruppen durch die Ausgliederung des Asylbewerberleistungsrecht mit dem rechtlich geschützten Interesse der Leistungsberechtigten grundsätzlich zugunsten der Differenzierung ausfallt, soweit es um die Bekämpfung der mißbräuchlichen Inanspruchnahme des Grundrechts auf Asyl geht. Soweit die hier zu überprüfende Differenzierung allerdings eine Haushaltskonsolidierung zum Ziel hat, muß eine angemessene Relation zwischen Ungleichbehandlung und Differenzierungsziel verneint werden. Aufgrund der erheblichen Eingriffe in grundrechtsgeschützte Lebensbereiche der Leistungsberechtigten352 reichen fiskaJpolitische Erwägungen und Zielsetzungen nicht hin, das Ausmaß der vorliegenden Ungleichbehandlung zu rechtfertigen. 353 Die Einsparung von Steuergeldern, einhergehend mit dem Schutz der erheblich belasteten Steuerzahler, ist zwar wichtig und begrüßenswert; gespart werden kann aber auch an anderer Stelle. Flüchtlinge stellen wohl den schwächsten Teil der Gesellschaft dar. Gerade aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ergibt sich die staatliche Verpflichtung, dort finanzielle Kürzungen vorzunehmen, wo noch Spielräume vorhanden sind. Das ist bei Ausländern, die aus meist wirtschaftlichen Gründen aus ihrer Heimat geflohen sind, nicht der Fall. Daß das Differenzierungsziel der Schlepperbekämpfung per se nicht gewichtig genug ist, eine jahrelange SchlechtersteIlung der betroffenen Ausländergruppe zu rechtfertigen, ist evident. Zur Kriminalitätsbekämpfung ist der Staat primär auf das Ordnungs- und das Strafrecht verwiesen. Erst wenn dessen Möglichkeiten gänzlich ausgeschöpft sind, kann an indirekte Maßnahmen gedacht werden. Für eine derartige Fallgestaltung ist im vorliegenden Zusammenhang aber nichts ersichtlich. Erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken erheben sich insbesondere hinsichtlich der erst 1997 eingeführten Dauer der Leistungsabsenkung von drei Jahren. 354 Die legitimen Gründe für die Ausgliederung des Asylbewerberleistungsrecht sind nicht hinreichend gewichtig, die Dauer der Beeinträchtigung der Rechtsgüter der Schlechtergestellten zu rechtfertigen. Eine dreijährige Leistungsabsenkung zwingt die Leistungsberechtigten aus oftmals nicht selbst verschuldeten Gründen sozial ausgegrenzt zu leben und beschränkt deren persönliche Entwicklungs- und Entfaltungsmöglichkeiten unzumutbar weitgehend. 355 Darüber hinaus hat sich der Asylbewerberzustrom nach dem Inkrafttreten des AsylbLG nachweislich 356 wesentlich abgeschwächt. Die Dauer der beschränkten Leistungen wurde dennoch aus nicht konkret nachvollziehbaren Gründen verlängert. Hieraus resultiert das Fehlen der Erfor352 Zu denken ist vor allem an den Schutzbereich des Art. 2 Abs. 1 GG. Zum konkreten Umfang der SchlechtersteIlung der Leistungsberechtigten vgl. unten, 3. Kap. 353 Jarass, NJW 1997,2545,2549. 354 Vgl. insoweit schon oben, c). 355 Zur zeitlichen Komponente der SchlechtersteIlung vgl. ausführlich unten, 3. Kap., § 4, D., 111., 1. 356 von Pollern, ZAR 1995, 64.

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2. Kap.: Die Ausgliederung des Leistungsrechts aus dem System des BSHG

derlichkeit der Ungleichbehandlung. 357 Wenn schon ein milderes Mittel zur Erreichung der Differenzierungsziele gegeben ist, namentlich eine kürzere Dauer der SchlechtersteIlung, stehen erst recht keine sachgerechten Gründe zur Seite, die die Dauer der durch die Ausgliederung des Asylbewerberleistungsrechts verursachten SchlechtersteIlung der Betroffenen und mithin die Ungleichbehandlung rechtfertigen könnten. Als vorläufiges Ergebnis ist auf der Basis dieser Abwägung folgendes festzuhalten: Grundsätzlich ist die Ausgliederung des Leistungsrechts fiir Ausländer mit kurzem und ungesichertem aufenthaltsrechtlichen Status dem Differenzierungsziel des Schutzes vor einer Inanspruchnahme ungekürzter Sozialhilfeleistungen durch mißbräuchliche AsylantragsteIlung nicht unangemessen. Nur aufgrund des Bestehens dieses legitimen Differenzierungsziels als rechtfertigender Grund fiir die Ungleichbehandlung sind die nicht gerechtfertigten Ziele der Haushaltskonsolidierung und der Bekämpfung der Schlepperkriminalität durch Leistungskürzungen unschädlich. Die Dauer der Ungleichbehandlung von drei Jahren fällt aber im Rahmen der vorliegend vorzunehmenden Güterabwägung zu Lasten des AsylbLG ins Gewicht. Mit der ursprünglich vorgesehenen Absenkungsdauer von einem Jahr konnten die anvisierten Ziele der Ausgliederung des Asylbewerberleistungsrechts erreicht werden. Zu diesem zeitlichen Rahmen sollte zurückgekehrt werden. 358 Deshalb ist hinsichtlich der Absenkungsdauer des Leistungsniveaus fiir die Normbetroffenen der §§ 3 ff AsylbLG ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG zu konstatieren. bb) Überprüfung der Ungleichbehandlung am Maßstab des Sozialstaatsprinzips In ständiger Rechtsprechung stellt das BVerfG sozialstaatliche Überlegungen in den Rahmen von Gleichheitsprüfungen ein und überprüft damit konkretisierend die Sachangemessenheit der vorgenommenen Differenzierungen bzw. überprüft das gefundene Ergebnis am Maßstab des Sozialstaatsprinzips.359 Die Notwendigkeit, nicht eine formale Gleichheit anzustreben, sondern diese mit materialen Gehalten auch aus dem Sozialstaatsprinzip anzureichern, wird auch in der Literatur allgemein anerkannt. 360 Im folgenden wird versucht, die Differenzierungen zwischen den hier relevanten Vergleichsgruppen vor dem Hintergrund des Sozialstaatsprinzips zu beleuchten und damit die vorzunehmende Abwägung, die Gleichheitsprüfung an sich, zu konkretisieren.

357

Hierzu oben, c).

Vgl. hierzu im einzelnen unten, 3. Kap., § 4, D., III. 359 BVerfDE 39, 316, 326; 44, 283, 290; 45, 376, 387; 52,264,272. 360 Vgl. nur: Jarass/Pieroth, Art. 20, Rn. 82; dies., Art. 3; Rn. 17; Herzog in Maunz/Dürig/ Herzog, Art. 20 VIII, Rn. 36, jeweils m.w.N. 358

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(1) Der materiale Gehalt und die Bindungsintensität des Sozialstaatsprinzips (a) Der materiale Gehalt Das in Art. 20 Abs. 1 GG normierte Sozialstaatsprinzip verpflichtet die Staatsgewalt, unterstützend einzugreifen, wenn und insoweit Gruppen der Gesellschaft oder einzelne "in ihrer persönlichen und sozialen Entfaltung behindert sind".361 Wesentliche Ziele dieser Staatsfundamentalnorm sind die Fürsorge für Hilfsbedürftige,362 mithin der Schutz vor Armut und Not sowie die Beförderung von Chancengleichheit und der Abbau von Wohlstandsdifferenzen. 363 Der Staat ist verpflichtet, soziale Sicherungssysteme vorzuhalten und für eine gerechte Sozialordnung zu sorgen. 364 Eine weitere Bedeutung der sozial staatlichen Verpflichtung des Staates liegt auch in der Aufgabe, die Ausübung der Grundrechte allen Grundrechtsträgem zu ermöglichen. Hierzu ist ein gewisses Maß an sozialer Sicherheit, eine materielle Lebensgrundlage erforderlich. 365 Nun gehören aber die konkrete Gestalt, die Wirkung der Aussagen des Sozialstaatsgebots und die praktische Behandlung desselben zu den umstrittensten Problemen in der Wissenschaft und Praxis des Verfassungsrechts. 366 Die grundlegende Schwierigkeit liegt in der Transformation des allgemein anerkannten abstrakten Gehalts des sozialen Staatsziels in konkrete Sollenssätze. 367 Dies spiegelt sich auch in der Frage der Bindungswirkung des Sozialstaatsprinzips wider. (b) Die Bindungswirkung Meist wird dem Sozialstaatsprinzip eine ermessensleitende Funktion, eine Rolle als Auslegungsrichtlinie für den Gesetzgeber zugeschrieben. 368 Insbesondere enthält Art. 20 Abs. 1 GG keine Grundrechte; daraus folgt, daß das Sozialstaatsprinzip allein dem Einzelnen keine subjektiv öffentlich-rechtliche Anspruchsgrundlage auf So-

BVerfGE 45,367,387. BVerfGE 40,121,133; 43, 13, 19; Zacher in: Isensee/KirchhojI, § 25, Rn. 27 ff. 363 Zacher, a.a.O., Rn 25, m.w.N. 364 Beispielhaft: BVerfGE 68, 193,209; BSGE 55, 224, 231. 365 Stein, Staatsrecht, § 21 IV, legt das Verhältnis von materieller Sicherheit und der Möglichkeit zur tatsächlichen Grundrechtsbetätigung unter dem Schlagwort der Sozialbindung der Grundrechte dar. 366 Zacher, a.a.O., Rn. 78, 79; vgl. auch Herzog, a.a.O., Rn. I ff. 367 Zacher, a.a.O., Rn. 61 ff, umschreibt diese Problematik präzise mit dem Begriffspaar "Abstrakte Gewißheit - konkrete Ungewißheit". 368 Maunz/Zippelius, § 14 I, 4., S. 103 ff; Zacher, a.a.O., S. 106 ff, m.w.N. 361

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2. Kap.: Die Ausgliederung des Leistungsrechts aus dem System des BSHG

zialleistungen gegen den Staat bietet. 369 Nicht bestritten370 wird die unmittelbar bindende Wirkung für den Gesetzgeber. Es handelt sich beim Sozialstaatsprinzip nicht nur um einen Programmsatz, sondern um eine alle Staatsgewalt bindende Staatsleitlinie. 371 (2) Vereinbarkeit der Differenzierung mit dem Sozialstaatsprinzip

Die fehlenden Konkretisierungen des Sozialstaatsprinzips durch die Rechtsprechung erschwert die praktische Anwendbarkeit dieses Verfassungspostulats erheblich. Das Ergebnis einer verfassungsrechtlichen Überprüfung der Vereinbarkeit des legislatorischen Handels bei der Neuregelung des AsylbLG ist determiniert vom Ausgangspunkt der Untersuchung. - Ginge man bei jedem sozialen Rückschritt von einem Verstoß aus, ließe sich ad hoc die Verfassungswidrigkeit der Ausgliederung zumindest bezüglich jener Leistungsberechtigten konstatieren, die sich schon vor der Einführung des AsylbLG in Deutschland befanden, da für diese Normbetroffenen zweifelsfrei eine Verschlechterung ihres sozialrechtlichen Status eingetreten ist. - Zum diametral entgegengesetzten Ergebnis muß man allerdings gelangen, wenn ausgehend von der Verpflichtung des Gesetzgebers, soziale Sicherungssysteme zu schaffen - die Ausgliederung des Leistungsrechts und die damit verbundene Schaffung des AsylbLG zugrunde gelegt wird: Der Gesetzgeber wäre somit gerade seiner Verpflichtung nachgekommen, ein passendes Leistungsrecht für Ausländer mit regelmäßig kurzem und ungesichertem Aufenthalt zu schaffen. Hier zeigt sich besonders deutlich die Gefahr eines ideologischen Mißbrauchs des Sozialstaatsprinzips zur Erreichung des politisch genehmen Ergebnisses. Gerade die Offenheit und Prozeßhaftigkeit des Begriffs der Sozialstaatlichkeit im allgemeinen und der des Sozialen im besonderen, verbieten - bis auf wenige Ausnahmen, zu denen beispielsweise die Sicherung des Existenzminimums gehört - eine bloße Subsumtion jedes "sozial bedenklichen" Sachverhalts allein unter die Kategorie eines Verstoßes gegen das Gebot der Sozialstaatlichkeit. 372 Objektive Ergebnisse würden sich so nicht gewinnen lassen. Auch beim vorliegenden Untersuchungsgegenstand bedarf es keines großen Argumentationsaufwandes, erhebliche Bedenken hinsichtlich der Vereinbarkeit der Ausgliederung des Leistungsrechts für die von § 1 Abs. 1 369 BVerfDE 27, 253, 283; Herzog, a.a.O., Rn. 49 f1 Allerdings wird teilweise ein unmittelbarer verfassungsrechtlicher Anspruch auf Gewährung eines Existenzminimums auf der Grundlage des Sozialstaatsprinzips vertreten: BVerfDE 82, 364, 368; BSG, NJW 1987,463; Jarass/Pieroth, Art. 20, Rn. 83. 370 Forsthof, VVDStRL 12 (1954), S. 8 ff, äußerte sich allerdings noch kritisch zum Verhältnis von Rechts- und Sozialstaat; er tendierte zu einer Bevorzugung des Rechtsstaatsgebots. 371 Herzog, a.a.O., Rn. 6. 372 Ähnlich: Zacher, a.a.O., Rn. 66.

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AsylbLG umfaßte Personengruppe mit dem Sozialstaatsprinzip zu konstatieren. Dieser Weg soll aber nicht beschritten werden. Richtiger erscheint es, von der Prämisse auszugehen, daß die konkrete Ausgestaltung der Sozialordnung dem Gesetzgeber zu überlassen ist. 373 Im Prozeß der demokratischen Willensbildung hat er sich entschieden, das Leistungsrecht für eine definierte Personengruppe außerhalb des BSHG zu normieren. Hierfür wurden im wesentlichen rechtfertigende Gründe angeführt. 374 Jeder Leistungsberechtigte hat einen Anspruch auf Hilfe, die ihm unabhängig von den Gründen der Hilfsbedürftigkeit gewährt wird, womit ein weiteres wesentliches Postulat des Sozialstaatsprinzips erfüllt ist. 375 Den Materialien zur Gesetzgebung des AsylbLG läßt sich entnehmen, daß mit der pauschalierten Leistung der regelmäßig bestehende Bedarf von Ausländern mit kurzzeitigem Aufenthalt gedeckt werden soll. Wenn und insoweit dies der Fall ist, kann ein Verstoß gegen das Sozialstaatsgebot nicht festgestellt werden. Ob die Leistungen in der Tat bedarfsgerecht sind, wird an anderer Stelle zu überprüfen sein. Diesen Leistungen einen pauschalierten Bedarf zugrunde zu legen, ist verfassungsrechtlich nach allgemeiner Ansicht unbedenklich. 376 Weitere konkrete Erfordernisse können auch im Rahmen der Prüfung des allgemeinen Gleichheitssatzes nicht als isoliert vom Sozialstaatsgebot verfassungsrechtlich gefordert begründet werden, ohne die Grenze zwischen dem rechtlich Gebotenen und dem sozial Wünschenswerten zu überschreiten. 377 Auch vor dem Hintergrund des Sozialstaatsprinzips ist die Sachangemessenheit der Differenzierung zwischen den vorliegend relevanten Vergleichs gruppen lediglich im oben festgestellten Umfang zu bejahen. 6. Ergebnis

Die Differenzierung zwischen den Vergleichsgruppen ist nicht sachgerecht, sie wird in ihrer Gesamtheit wegen der langen Dauer der Leistungsabsenkung nicht mehr von den legitimen Differenzierungszielen (Mißbrauchsbekämpfung, Steuereinsparungen und Bekämpfung der Schlepperkriminalität) gerechtfertigt. Die vom Gesetzgeber im AsylbLG manifestierte Ungleichbehandlung von Ausländern und Leistungsberechtigten nach § 1 Abs. I AsylbLG verstößt gegen den allgemeinen Gleichheitssatz. BVerfGE 59, 231, 263; 65,182,193. Vgl. oben. 375 Jarass/Pieroth, Art. 20, Rn. 74. 376 Hierzu umfanglich: Eylert, Rechtliche Probleme der schematisierenden materiellen Sozialhilfeleistungen. 377 Auch die bisher ergangenen Entscheidungen zur Verfassungsmäßigkeit des AsylbLG messen dem Sozialstaatsgebot insoweit keine über die Verpflichtung zur Gewährung des Existenzminimums hinausgehende Bedeutung bei; vgl. etwa NdsOVG, Beschluß vom 27.06.1997 - 12 L 5709/96 -, Hohm, GK-AsylbLG VII, vor § I, (OVG-Nr. 2). 373

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2. Kap.: Die Ausgliederung des Leistungsrechts aus dem System des BSHG

III. Die Ausgliederung des Asylbewerberleistungsrechts am Maßstab des Grundsatzes der Systemgerechtigkeit

Um die oben 11. vorgenommene Prüfung des allgemeinen Gleichheitssatzes nicht theoretisch zu überfrachten, um der Übersichtlichkeit willen und um den besonderen konstruktiven Bedingungen gerecht zu werden, wird im folgenden separat der Frage nachgegangen, ob die Herausnahme des Leistungsrechts tUr die Normbetroffenen des AsylbLG378 aus dem BSHG per se gegen das Gebot der Systemgerechtigkeit verstößt und damit durch diesen Verstoß die Verfassung (auch) in dieser Ausprägung des Art. 3 Abs. I GG verletzt ist. Eine gesonderte Behandlung dieses Problems gebietet auch die umstrittene dogmatische Handhabung des Topos der Systemgerechtigkeit. 379 In der Literatur wurde das AsylbLG schon mit der Systemgerechtigkeit in Zusammenhang gebracht. Dies allerdings lediglich im Binnenbereich und nicht den Gesichtspunkt der Ausgliederung betreffend. 38o 1. Die Bedeutung der Systemgerechtigkeit 381 eine Bestandsaufnahme

-

Der dem Prinzip der Systemgerechtigkeit zugrundeliegende Gedanke ist einfach: Der Gesetzgeber sei zunächst frei, Systeme zu bilden oder sich tUr vorgefundene zu entscheiden; hat er aber systematisch Recht gesetzt, so müsse hernach Konsequenz im weiteren Vorgehen herrschen. 382 Die Geltung, Wirkung und dogmatische Einordnung dieses tragenden Prinzips wird in Rechtsprechung und Literatur teilweise sehr unterschiedlich bewertet. a) Systemgerechtigkeit in der Rechtsprechung des BVerfG Der Topos der Systemgerechtigkeit wurde und wird vom BVerfG in verschiedenen "Schattierungen" nach wie vor angewendet. 383 Grundsätzlich ist es dem Gesetzgeber danach verwehrt, eine dem System nicht entsprechende Regelung zu schaf-

378 In concreto sind - wie oben - die Leistungsberechtigen während der 36-monatigen Phase der Leistungsabsenkung gemeint. 379 Hierzu unten, 1., b). 380 Hohm, GK-AsylbLG III, § 2, Rn. 61 ff. 381 Inhaltsgleich werden auch die Begriffe Konsequenzgebot, Prinzip der Folgerichtigkeit, Sachgesetzlichkeit verwendet. 382 Herzog in Maunz/Dürig/Herzog, Art. 3, Anhang, Rn. 31; zusammenfassend: Battis, S. 11 ff. 383 Zur Rechtsprechung des BVertU vgl. Selmer AöR 1976,399,454, Fn. 537; Degenhart, S. 8 ff, 20 ff, 26 ff; Battis, S. 13 ff; Haverkate, S. 123 ff, dort Fn. 33 auch zur Rspr. verschiedenerOVG.

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fen,384 der dem System immanenten Sachgesetzlichkeit zuwider zu handeln. 385 Dabei behandelt das BVerfG das Gebot der Systemgerechtigkeit immer als Konkretisierung der Willkürpriifung im Rahmen des Art. 3 Abs. 1 GG.386 Insoweit ist in der Rechtsprechung die in der Literatur zur verzeichnende dogmatische Unsicherheit nicht vorhanden. Die Intensität der Priifung und ebenso die Bedeutung eines Verstoßes gegen die Sachgesetzlichkeit wurde allerdings unterschiedlich bewertet. Sah das BVerfG in einer Systemwidrigkeit zunächst nur ein Indiz für einen verfassungswidrigen Gleichheitsverstoß,387 steigerte es in der Folgezeit die Anforderungen an die Rechtfertigung und Begründung eines Verstoßes. 388 Daraufhin setze eine entgegengesetzte Entwicklung ein, die zu einer bloßen Zweckmäßigkeitskontrolle einer Systemabweichung führte. 389 Nur ein Systemverstoß könne nicht zur Verfassungwidrigkeit fuhren; Bedingung dafür sei allein ein Verstoß gegen Maßstäbe der Verfassung. 390 Systemexterne Vergleiche lehnt das BVerfG generell ab. Unterschiedliche, widersprechende Bestimmungen in verschiedene Lebensbereiche regelnden Systemen indizierten nicht die verfassungsrechtliche Gebotenheit, diese Widerspriiche zu beseitigen. 391 Hinsichtlich der differierenden Judikatur des 1. und 2. Senats ist ein Verlust an eigenständiger Bedeutung des Gebots der Systemgerechtigkeit im Rahmen der Anwendung der neuen Formel zu verzeichnen. 392 Die bislang vorgenommene intensivere Wi11kürpriifung bei einer festgestellten Abweichung von einem vorhandenen System durch den Gesetzgeber wird ersetzt durch die Priifung der Sachangemessenheit einer Ungleichbehandlung, die im wesentlichen der Verhältnismäßigkeitspriifung angenähert ist. 393 Vor diesem Hintergrund läßt sich ein schwindender Einfluß der Lehre von der Systemgerechtigkeit in der Rechtsprechung konstatieren.

BVerfGE 7,129, 153. BVerfGE 25, 236, 252. 386 Hierzu: Battis, S. 14. 387 BVerfGE 34, 103, 115; zu den Entwicklungslinien der Rechtsprechung: Schach, DVBI. 1988, 863, 878. 388 Hierzu: Degenhart, S. 8 tf; BVerfGE 13, 331, 340. 389 Schach, a.a.O., S. 878. 390 BVerfGE 59, 36,49; 60, 16,42 tf; 76, 130, 139 tf; diese Argumentationsweise kritisiert Schach, a.a.O., in sich schlüssig, mit der Bemerkung, das BVerfG unterstelle damit, was gerade erst zu untersuchen sei, namentlich, daß ein Systemverstoß eine Verletzung des allgemeinen Gleichheitssatzes nach sich zöge. 391 BVerfGE 11,283,293; 34, 118, 150; Dürig in Maunz/Dürig/Herzag, Art. 3 I, Rn. 313 a, bezeichnet diese Haltung als ,,Binnendenken des BVerfG". 392 Vgl. hierzu beispielsweise: BVerfGE 81, 228, 237. 393 Herzag in Maunz/Dürig/Herzag, Art. 3, Anhang, Rn. 31, Fn. 50, schreibt von einer Konsumtion des Gebots der Sachangemessenheit durch die neue Formel. 384 385

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2. Kap.: Die Ausgliederung des Leistungsrechts aus dem System des BSHG

b) Die Ansätze der Literatur394 Battis395 erkennt im Topos der Systemgerechtigkeit keine über Art. 3 Abs. 1 GG hinausgehende Bedeutung. Zur Konkretisierung der Willkürprüfung, zur Gesetzesauslegung, für den Aufbau juristischer Dogmatiken und in der Rechtspolitik sei er jedoch nützlich. Herzog 396 kritisiert den Versuch, den Gesetzgeber lücken- und ausnahmslos auf die Durchhaltung eines Systems festzulegen. Er stellt die Befugnis des Gesetzgebers heraus, ein einmal gewähltes System zu verlassen, wenn hierfür sachliche Gründe vorliegen. Canaris hat den Systemgedanken geprägt und aus der zivilrechtIichen Dogmatik entwickelt. Er vertrat die Auffassung, ein Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz liege regelmäßig bei einem Systembruch vor. 397 Dabei verbleibt er allerdings letztlich in den dogmatischen Kategorien des Art. 3 Abs. I GG.398 Haverkate wendet sich grundsätzlich gegen die praktische Relevanz des Konsequenzgebots, hält aber eine (geringe) Systembindung des Gesetzgebers, basierend auf dem Grundsatz des Vertrauensschutzes, für denkbar. 399 Einen neuen Weg hat Degenhart beschritten, mit dem Ansatz, eine Ablösung aus dem Bezugsrahmen des allgemeinen Gleichheitssatzes durch den Versuch, die verfassungsrechtliche Relevanz legislatorischer Systemwidrigkeiten durch einen Rückgriff auf "eine materielle Höherwertigkeit" bestimmter systemprägender Normen, die sich durch eine gesteigerte Verfassungsnähe auszeichnen, zu erreichen. 4OO Ein Verstoß gegen das Grundgesetz wäre demzufolge dann zu konstatieren, wenn der Gesetzgeber Normen schafft, die anderen einfachgesetzlichen Regelungen, weiche aufgrund ihrer Normstruktur bestimmten Verfassungsgehalten angenähert sind, zumindest partiell widersprechen. 401 Zur Konkretisierung führt Degenhart das Kommunalrecht an. Einzelnen Normierungen sei eine gesteigerte Nähe zum Wesenskern der Selbstverwaltungsgarantie schon bescheinigt worden. 402 Ein Verstoß gegen diese Norrnkomplexe mit intensiviertem Verfassungsbezug stelle unter Umständen einen Verstoß gegen die sie fundierende Verfassungsnorm der Selbstverwaltungsgarantie

394 Aus Platzgründen kann hier nur ein kleiner Ausschnitt der vertretenen Ansichten dargestellt werden. 395 A.a.O., S. 29 ff. 396 Maunz/Dürig/Herzog, Art. 3, Anhang, Rn. 31. 397 Canaris, Systemdenken, S. 28.

Zu weiteren Ansätzen der Rechtswissenschaft vgl. Battis, S. 15 ff. Haverkate, S. 123 ff, 131. 400 Degenhart, S. 81. 401 Degenhart a.a.O. 402 Degenhart verweist auf: Scholtisek, DVBI. 1968, 828. 398

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dar. 403 Dabei kennzeichnet der Autor mit dem Begriff der Willkür auch Sachverhalte, die außerhalb des Anwendungsbereichs des Art. 3 Abs. I GG liegen. Willkür liege insoweit allgemein im Widerspruch zu Wertungen des GG.404 Der Ansatz ist bestechend, fand und findet aber in der Rechtsprechung ebensowenig Anklang wie in der Literatur. 405 Schoch406 plädiert für eine Reaktivierung des Kriteriums der Systemgerechtigkeit im Rahmen der Sachangemessenheit einer Differenzierung im Sinne des Art. 3 Abs. I GG. Einer Verkrustungsgefahr für die Rechtsordnung sei durch regelmäßig vorhandene Alternativen "richtiger" Regelungen eines bestimmten Lebenssachverhalts vorgebeugt. Der Gesetzgeber unterliege lediglich einer erhöhten Begründungspflicht. 407

2. Systemgerechtigkeit und Ausgliederung Nach der kursorischen Darstellung des Standes von Rechtsprechung und Lehre sollen nun die unterschiedlichen Ansätze sogleich am konkreten Fall, dem Verhältnis des AsylbLG zum System der Sozialhilfe, auf ihre Tauglichkeit untersucht und die Ausgliederung des AsylbLG am Maßstab des Gebots der Systemgerechtigkeit gemessen und bewertet werden. Oben wurde gezeigt, daß die unterschiedlichen Auffassungen in der Literatur im Fluß sind und auch die Rechtsprechung die Prüfungsintensität variiert. Es würde zu kurz greifen, vor diesem Hintergrund einzelne Ansätze kurzum als untauglich zu verwerfen, denn das sind sie nicht. Am sinnvollsten erscheint der Weg, die verschiedenen dogmatischen Konkretisierungen nacheinander auf den vorliegenden Untersuchungsgegenstand anzuwenden und damit fruchtbar zu machen. Dadurch wird die hier zu treffende Entscheidung hinsichtlich der verfassungsrechtlichen Relevanz der Ausgliederung des AsylbLG aus dem BSHG transparent. a) Das Ordnungssystem Zunächst ist das maßgebliche Ordnungssystem, gegen dessen immanente Gesetzlichkeit verstoßen worden sein kann, herauszuarbeiten.

Degenhart, S. 88. Degenhart, S. 87. 405 Vgl. nur die Stellungnahme von Haverkate, S. 126 ff. 406 DVBI. 1988, 863, 878. 407 Schach, a.a.O., S. 878, 879.

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2. Kap.: Die Ausgliederung des Leistungsrechts aus dem System des BSHG

aa) Die Konkretisierung des Bezugsrahmens Vor der Schaffung des AsylbLG waren die nunmehr dort geregelten Sachverhalte dem BSHG zugeordnet. § 120 BSHG a.F. bestimmte die Art und das Maß der Leistung für einen Großteil der mittlerweile nach § 1Abs. 1 AsylbLG Leistungsberechtigten. Das Leistungsrecht für die von § 120 BSHG a.F. Betroffenen war eingestellt in den Rahmen des SGB und damit ein Bestandteil des Sozialrechts im formellen Sinne. 408 Mit der Ausgliederung hat sowohl das BSHG als auch das SGB seine Geltung insoweit verloren. Nun wurde bereits festgestellt,409 daß das AsylbLG aber nach wie vor dem Kernbereich des Sozialrechts zuzuordnen ist, eine Regelung auf dem Gebiet der öffentlichen Fürsorge im Sinne des Art. 74 Abs. 1 Nr. 7 GG darstellt. Apriori könnte eingewandt werden, ein Systemverstoß komme schon denknotwendig deshalb nicht in Betracht, weil die Neuregelung den Rahmen des formellen Sozialrechts und mithin das maßgebliche System verlassen hat. Dieser Weg ist indes nicht gangbar, wenn der Topos der Systemgerechtigkeit einen Sinn behalten soll. Jedes rechtliche System befindet sich eingebunden in ein übergeordnetes und dieses wieder in ein Obersystem. Letztlich ist die Rechtsordnung und die Einheit derselben das umfassende System. 4lO Deshalb muß für eine praktische Anwendung des Gebots der Systemgerechtigkeit jene Systemebene als prüfungsrelevant gewählt werden, die bis zur fraglichen legislatorischen Veränderung des Systems den in Frage stehenden Regelungen gemeinsam war. Dieser Bezugsrahmen ist für den vorliegenden Untersuchungsgegenstand das BSHG. bb) Die Systemkonzeption des BSHG Das BSHG ist geprägt von den überkommenen Grundsätzen der Sozialhilfe. 411 Oben wurden die tragenden Strukturprinzipien bereits dargestellt. Im Zusammenhang mit der Ausgliederung des Leistungsrechts für Ausländer mit kurzem und ungesichertem Aufenthaltsstatus interessieren die Grundsätze der Hilfe zur Selbsthilfe,412 das Individualisierungsprinzip413 und die Aufgabe der Sozialhilfe, die Führung eines menschenwürdigen Lebens zu ermöglichen. 414 Der Subsidiaritätsgrundsatz4 15 kann insoweit vernachlässigt werden, da er auch im AsylbLG vollständig verwirklicht worden ist. 416 Als Fundament dieser Strukturprinzipien wurde bereits die MenOben, § 1, B., 1., 1., a). Oben, § 1, B., 11. 410 Kritisch zum Umgang mit "Ober-, Unter- und Nebensystemen": Battis, a.a.O., S. 15. 411 Hierzu oben, § 1, B., III. 412 § 1 Abs. 2 S. 2 BSHG. 4\3 § 3 BSHG. 414 § 1 Abs. 2 S. 1 BSHG. 415 § 2 BSHG. 416 § 7 AsylbLG. 408

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§ 2 Verfassungsrechtliche Untersuchung der Ausgliederung

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schenwürde bestimmt. 417 Schon der terminus technicus "Hilfe zur Selbsthilfe" weist auf eine wesentliche Emanation der Menschenwürde hin: Autonomie, die Möglichkeit der Führung eines autonomen Lebens418 ist ein Gebot des Art. 1 Abs. 1 GG und das Ziel des Grundsatzes der Hilfe zur Selbsthilfe. Auch der Individualisierungsgrundsatz zielt - vermittelt durch das Menschenwürdegebot - auf ein selbstbestimmtes Leben des Hilfeempfängers ab. 419 Neben der Autonomie ist die Integration der Hilfeempfänger eine Zielbestimmung der Grundsätze der Sozialhilfe. Besonders deutlich wird dieses Ziel in der Rechtsprechung des BVerwG, wenn es fordert, Sozialhilfe in Art und Maß so zu gestalten, daß es den Hilfeempfängern ermöglicht wird, in der Umgebung von Nichthilfeempfängern "ähnlich" wie diese zu leben. 42o Dieses Postulat bezieht sich auch auf die Form der Leistung. So sind Sachleistungen im Rahmen des Sozialhilfe als alleinige Leistungsform nicht statthaft. 421 b) Das AsylbLG im Vergleich mit dem System des BSHG Das AsylbLG verfolgt in weiten Teilen andere Ziel- und Zweckbestimmungen als das BSHG. Die abgesenkten Leistungen sollen zwar noch hinreichend sein, den Leistungsberechtigten die Führung eines menschenwürdigen Lebens zu ermöglichen,422 sind aber gerade auch auf fehlende Integration aufgrund eines nur kurzen, vorübergehenden Aufenthalts ausgerichtet. 423 Integration zu verhindern, ist ein nicht unerheblicher Teil der ratio legis des AsylbLG.424 Ebensowenig war der Gesetzgeber bei der Schaffung des AsylbLG bestrebt, den Leistungsberechtigten die Mittel für ein autonomes Leben in Deutschland zu gewähren. Das Sachleistungsprinzip war eingeführt worden, die Unterbringung erfolgt in der Regel in Gemeinschaftsunterkünften. 425 Der Gesetzgeber ging davon aus, daß der regelmäßig kurze Aufenthalt der Leistungsberechtigten - zum Zwecke der Durchführung eines Asylverfahrens - nicht zur Führung eines autonomen Lebens in der Bundesrepublik Deutschland berechtigt. Demgegenüber ist es ein wesentliches Ziel

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Oben, § I, B., III. Neumann, NVwZ 1995, 426 tf. weist auf die scheinbare Antinomie von staatlicher Hilfe

und Autonomie hin. 419 Oben, § I, B., III., 1., d); Schellhorn/Jirasek/Seipp, § 3, Rn. 12; BVerwGE 72, 354. 420 BVerwGE 36, 256, 258.

421 BVerwGE 72, 354 ff; hierzu: SchellhornlJirasek/Seipp, § 12, Rn. 52. Vgl. auch unten, 3. Kap., § 2, C., 11. 422 BT-Drucks 12/4451, Allgemeine Begründung, A. 4. 423 BT-Drucks 12/4451, a.a.O., 4. 424 Zur fehlenden Integrationskomponente der abgesenkten Leistungen vgl. Hohm, GKAsylbLG III, § 2, Rn. 16. 425 Vgl. § 3 AsylbLG; BT-Drucks 12/4451, a.a.O., 4.

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2. Kap.: Die Ausgliederung des Leistungsrechts aus dem System des BSHG

der Sozialhilfe, die Hilfsbedürftigen durch Hilfen zur Selbsthilfe zu einem selbstbestimmten, möglichst autonomen Leben zu fuhren. 426 c) Bewertung Es läßt sich mithin feststellen, daß der Gesetzeszweck des AsylbLG den Strukturprinzipien der Sozialhilfe in wesentlichen Bereichen entgegensteht. Bei Zugrundelegung der Ordnungsprinzipien des BSHG ist ein Systemverstoß zu konstatieren. Zu überprüfen ist nunmehr, ob diese Systemwidrigkeit eine statthafte, verfassungslegitime Maßnahme des Gesetzgebers war oder ob diese Neuregelung einen Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz bzw. - im Sinne Degenharts - eine Verletzung sonstigen Verfassungsrechts darstellt. Dabei wird sich zugleich erweisen, ob das Gebot der Systemgerechtigkeit zu weiterreichenden, neuen Erkenntnissen über die Frage der Verfassungsmäßigkeit der Ausgliederung fuhrt.

3. Der Systembruch am Maßstab der Systemdogmatik a) Bewertung am Maßstab der Rechtsprechung des BVerfG

An anderer Stelle427 wurde die gegenwärtige Zurückhaltung des BVerfG bei der Prüfung der Beachtung des Gebots der Systemgerechtigkeit gezeigt, wobei der 2. Senat systematische Gesichtspunkte im Rahmen der Willkürprüfung erörtert. Der I. Senat stellt die Systemprüfung in den Zusammenhang der Prüfung der Sachangemessenheit einer Differenzierung nach den Grundsätzen der von ihm geprägten neuen Formel ein. 428 Folglich ist konkretisierend zu fragen, ob die zum Systembruch fuhrende Differenzierung durch das Gewicht des verfolgten Ziels gerechtfertigt ist. Diese Frage wurde oben bereits aufgrund der dreijährigen Dauer der Leistungsabsenkung verneint. Nach der überkommenen Rechtsprechung des I. Senats liegt ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. I GG nur vor, wenn die festgestellte Systemwidrigkeit des AsylbLG nicht von sachlichen Gründen getragen ist, wenn sie als ,,kurzum ... willkürlich'