Das Angesicht JHWHs: Studien zu seinem höfischen und kultischen Bedeutungshintergrund in den Psalmen und in Exodus 32-34 316148729X, 9783161487293

Die Rede vom "Angesicht JHWHs" nimmt in den biblischen Texten eine zentrale Stelle ein. JHWH kann sein Angesic

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German Pages 418 [425] Year 2008

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Table of contents :
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Titel
Vorwort
Inhaltsverzeichnis
Kapitel 1: Einleitung
A. Das Problem: Das »Angesicht JHWHs« – Vorstellungszusammenhang oder Redeweise?
B. Methodische und hermeneutische Vorüberlegungen
1. Anthropomorphismus – Berechtigung und Grenze einer Deutekategorie
2. Personale Gotteskonzepte und das Symbol des göttlichen »Körpers«
3. JHWHs Königsgestalt zwischen Polytheismus und Monotheismus
4. Zur Eigenart visueller Repräsentationen personaler Gotteskonzepte
a) Das »Angesicht JHWHs« und die Bilderfrage
b) Die »ikonische Differenz«: grundsätzliche Überlegungen zur symbolischen Repräsentation von Gottheiten im Alten Orient
c) Mentale Ikonographie und die Frage nach der Zugänglichkeit der Kultbilder
C. Die höfisch-kultische Audienzvorstellung – ein Schlüssel zur Bedeutung des »Angesichts JHWHs« im Alten Testament
1. Altorientalische Quellen für die »Audienzszenerie« in der Herrschafts- und Kultsymbolik
2. Die Aufgabe: Traditionsgeschichtliche Untersuchung
a) Das »Angesicht JHWHs« in den Psalmen und in Ex 32–34: Zur Begründung der Textauswahl
b) Zur Gliederung der Arbeit
Erster Teil: Das »Angesicht JHWHs« in den Psalmen: Psalm 27 – eine Tiefenexegese
Kapitel 2: Die Audienzvorstellung als impliziter Hintergrund der Rede vom »Angesicht JHWHs« in den Psalmen, untersucht am Beispiel von Psalm 27
A. Das »Angesicht JHWHs« in Psalm 27 B (V.7–13)
1. Ps 27,7f.: »Dein Angesicht, JHWH, will ich aufsuchen!« – Die Bitte um Audienz
2. Ps 27,9a: »Verbirg dein Angesicht nicht vor mir!« – Generelle Verweigerung der Audienz oder Ablehnung des Anliegens des Beters im Rahmen einer Audienz
Exkurs 1: Räumliche und soziale (Grund-)Konnotationen von hebräisch פנים »Angesicht«
3. Unschuldig angeklagt – ein konkreter Hintergrund der Bitte in Ps 27,9aβ–12?
4. Ps 27,13: »Gott schauen« vor dem Hintergrund der Audienzvorstellung I
a) Gottes und eines Menschen Angesicht »schauen« in Gen 33,10 und Gen 32,31f.
b) Das Angesicht Gottes »schauen« unter »Jubelruf« in Hi 33,26
c) Das »Schauen« des »Guten JHWHs« im »Land von Lebenden« in Ps 27,13
B. Die Audienzvorstellung in Psalm 27 A (V.1–6)
1. Ps 27,4: »Gott schauen« vor dem Hintergrund der Audienzvorstellung II
a) Ps 27,4: Die »Schönheit/Huld JHWHs« und die Audienzvorstellung
b) Zwei (nach-)kultische Bezugstexte für Ps 27,4: Ps 90,17 und Ps 16,11
Exkurs 2: Phönizische Text- und Bildzeugnisse und die Audienzvorstellung in Ps 27,4
aa) נעם in phönizisch-punischen Inschriften
bb) Audienzszenen vor Gottheiten in der phönizischen Ikonographie und das »Sehen« des נעם־יהוה in Ps 27,4
c) Die mentale Ikonographie der Audienz vor JHWH – Folgerungen zum Verständnis des »Sehens« Gottes in den Psalmen
Exkurs 3: תמונה »Gestalt/Erscheinung« und das »Sehen« des »Angesichts JHWHs«
2. Resümee: »Gott schauen« in Ps 27
Kapitel 3: Die Metaphorik der Thronsphäre JHWHs als Rahmenszenerie der Audienzvorstellung, ausgehend von Psalm 27
A. Psalm 27,5: Schutz und Rettung in der Thronsphäre JHWHs
1. Der Schutzraum von »Zelt«, »Flügeln« und »Angesicht« JHWHs in den Psalmen
Exkurs 4: Thronbaldachin und Tempelsymbolik
a) Die altorientalische Metaphorik vom schützenden »Schatten« des Königs(-gottes) und die Audienzvorstellung
b) Die Heiligtumsbezeichnungen אהל »Zelt« und סכה »Hütte« als Metaphern für die Thronsphäre JHWHs
2. Psalmensynopse zur Metaphorik von »Schatten« und »Schutz« in JHWHs Thronbereich
B. Psalm 27,1: »Licht« und »Rettung« und das »Angesicht JHWHs«
1. Das »Leuchten«/»Licht« der JHWH-pānīm und Gottes »Rettungshandeln« in den Psalmen und der aaronitische Segen in Num 6,24–26
2. Zusammenfassung und Folgerungen für die Frage nach der »Licht«-Metaphorik für JHWH und deren Deutung als »Solarisierung«
C. Resümee: JHWHs schützende Thronsphäre und die Audienzvorstellung
Zweiter Teil: Das »Angesicht JHWHs« in den Psalmen: Synoptische Übersicht
Kapitel 4: Ein »Survey« der Belege für die Rede vom »Angesicht JHWHs« in den Psalmen – Auswertung der tabellarischen Übersichten
Kapitel 5: Tabellarische Übersichten zum »Angesicht JHWHs« in den Psalmen
A. Übersicht 1: Das Vorkommen des »Angesichts JHWHs« nach den Psalmensammlungen und Gattungen
B. Übersicht 2: Die Psalmenbelege für das »Angesicht JHWHs« nach der nominalen und präpositionalen Verwendung von פנים
C. Übersicht 3: Kontextbezüge der Psalmenbelege für das »Angesicht JHWHs« (besonders Heiligtumssymbolik)
D. Übersicht 4: Synopse der Psalmenbelege für das »Angesicht JHWHs« in ihrer Zuordnung zur Audienzvorstellung
1. Psalmen 3–41: 1. Davidspsalter
2. Psalmen 42–89: Elohistischer Psalter und Anhang
3. Psalmen 90–106
4. Psalmen 107–150
E. Übersicht 5: Die Psalmenbelege für das »Angesicht JHWHs« nach der sachlichen Abfolge der Audienzvorstellung
1. Zulassung zur Audienz
2. Huldigung/Proskynese
3. Bitte um Annahme und Errettung
4. Gewährte Audienz I: Schutz und Rettung, Leben und Dienst vor dem Königsgott
5. Gewährte Audienz II: Gottes theophanes Eingreifen als königlicher Retter und Richter
6. Ablehnung (in) der Audienz: verweigerte Gottesnähe
7. Erweiterter metaphorischer Gebrauch der Rede vom »Angesicht JHWHs«
Dritter Teil: Das »Angesicht JHWHs« in Exodus 32–34
Kapitel 6: Das Problem der Gottespräsenz als literarischer und hermeneutischer Kern von Exodus 32–34
A. Vorüberlegungen
B. Eine hoseanische Antithese: Zum Hintergrund des Problems der wahren JHWH-Präsenz in Ex 32
Kapitel 7: Zur Theophanie JHWHs in Exodus 33,18–23
A. Der ambivalente Begleitschutz Gottes: Das mitgehende »Angesicht JHWHs« in Ex 33,12–17
B. Gottesschau und Verschonung: Die Dialektik der Theophanie-konzepte in Ex 33,18–23 und in Ex 34,6
Kapitel 8: Zusammenfassung der Ergebnisse
Bildanhang: Tafeln 1–40
Tafeln 1–40
Abbildungsverzeichnis (Kurzbeschreibung der Bildwerke)
Abbildungsnachweis (Quellenangaben)
Literaturverzeichnis
Stellenregister (Auswahl)
Sachregister
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Das Angesicht JHWHs: Studien zu seinem höfischen und kultischen Bedeutungshintergrund in den Psalmen und in Exodus 32-34
 316148729X, 9783161487293

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Forschungen zum Alten Testament Herausgegeben von Bernd Janowski (Tübingen) • Mark S. Smith (New Y o r k ) Hermann Spieckermann (Göttingen)

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ARTI BUS IN

Friedhelm Hartenstein

Das Angesicht JHWHs Studien zu seinem höfischen und kultischen Bedeutungshintergrund in den Psalmen und in Exodus 32-34

Mohr Siebeck

geboren 1 9 6 0 ; Studium der ev. Theologie, Assyriologie und Vorderasiat. Archäologie in München, Jerusalem und Bonn; 1996 Promotion; 2001 Habilitation; Professor für Altes Testament und Altorientalische Religionsgeschichte an der Universität Hamburg.

FRIEDHELM HARTENSTEIN,

ISBN 978-3-16-149729-3 ISSN 0940-4155 (Forschungen zum Alten Testament) Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

978-3-16-157778-9 Unveränderte eBook-Ausgabe 2019 © 2008 Mohr Siebeck Tübingen. Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das Buch wurde von Guide-Druck in Tübingen auf alterungsbeständiges Werkdruckpapier gedruckt und von der Großbuchbinderei Josef Spinner in Ottersweier gebunden.

Vorwort Im Sommersemester 1991 bat mich Prof. Dr. Jörg Jeremias, ihn zu Psalm 27 in seinem Münchner Hauptseminar »Das Gebet im Psalter« zu vertreten. Während der Vorbereitung auf die Sitzung merkte ich, daß ich mir noch nie eingehendere Gedanken über den alttestamentlichen Aussagenkreis vom »Angesicht JHWHs« gemacht hatte und daß mich dazu auch die zu Rate gezogenen Wörterbuchartikel und Kommentare im Unklaren ließen. Insbesondere stellte ich mir die Frage nach der mit solchen Anthropomorphismen verbundenen Bildlichkeif. Handelt es sich beim »Angesicht« Gottes um eine Redeweise oder um einen konkret-anschaulichen Vorstellungszusammenhang und somit um ein Teilelement eines Konzepts der »Gestalt« Gottes, das zu den kulturellen Verstehensvoraussetzungen des Psalters gehört? Wie läßt sich, falls letzteres zutrifft, das Verhältnis von mentalem Gotteskonzept und Ablehnung der (Kult-)Bilder in der hebräischen Bibel bestimmen? Was tragen religionsgeschichtliche Perspektiven zur Erhellung des Sachverhaltes bei? Die vorliegende Arbeit, die im WS 2000/2001 dem Fachbereich Evangelische Theologie der Philipps-Universität Marburg als Habilitationsschrift vorgelegen hat und im Sommersemester 2001 angenommen wurde, versucht diese Fragen zu beantworten. Ich hoffe, daß durch das Zusammenspiel von religionsgeschichtlichen (insbesondere ikonographischen) und exegetischen (vor allem traditionsgeschichtlichen) Beobachtungen eine möglichst »dichte Beschreibung« dessen gelungen ist, was Adressaten und Autoren der biblischen Texte assoziiert haben mögen, wenn sie vom »Angesicht JHWHs« sprachen. Die neuere Psalmenforschung seit 2001 ist für die Druckfassung insoweit berücksichtigt worden, als sie den Argumentationsgang der Arbeit direkt betrifft. Das Literaturverzeichnis dokumentiert auch, daß in den vergangenen Jahren keine Abhandlungen erschienen sind, die zu größeren Umarbeitungen oder Korrekturen genötigt hätten (eher hat es mich gefreut, daß bereits vorab an verschiedenen Stellen auf die Ergebnisse der Arbeit Bezug genommen wurde). Zur Entstehung des Buches haben viele Personen und Institutionen beigetragen: An erster Stelle Prof. Dr. Jörg Jeremias, der mir all die Jahre ein ebenso ermutigender wie konstruktiv kritischer Gesprächspartner gewesen ist. Ohne seine vorbildliche freundschaftliche Begleitung wäre dieses Buch nicht entstanden. Ihm sei weiter auch für die Erstellung des Erstgutachtens im Habilitationsverfahren gedankt, ebenso wie Prof. Dr. Bernd Janowski, Tübingen, der das Zweitgutachten übernommen hat. Prof. Dr. Walter Sommerfeld, Marburg, hat in seinem Gutachten aus assyriologischer Sicht wertvolle Hinweise

VI

Vorwort

zur Überarbeitung für den Druck gegeben. Regelmäßige Gesprächspartner in der Zeit der Abfassung der Arbeit waren Prof. Dr. Dr. Otto Kaiser und Prof. Dr. Rainer Kessler, beide Marburg. Bei der Endformatierung der Abgabefassung haben tatkräftig Dr. Anna-Karena Müller und Pfarrer Andreas Pohl mitgeholfen. Für die Beratung beim Prozeß der Drucklegung und den intensiven fachlichen Austausch zur »kleinen Biblia« danke ich nochmals dem schon genannten Mitkommentator der Psalmen im Rahmen der Neubearbeitung im Biblischen Kommentar, Prof. Dr. Bernd Janowski, der - zusammen mit Prof. Dr. Hermann Spieckermann, Göttingen, und Prof. Dr. Mark S. Smith, New York, - auch die Aufnahme des Bandes in die Forschungen zum Alten Testament befürwortet hat. Prof. Dr. Stephan Kroll, München, hatte die Freundlichkeit, das Manuskript im Blick auf die Vorderasiatische Archäologie und Ikonographie durchzusehen. Viele Mitarbeitende aus dem Hamburger Institut für Altes Testament haben Korrektur gelesen, bei der Registererstellung geholfen und wiederholt freundlich, aber bestimmt darauf hingewiesen, daß es nicht richtig sei, immer die eigenen Dinge »hintan« zu stellen: Dr. Ute Neumann-Gorsolke, Pfarrer Dr. Hans Schmoldt, sowie die studentischen Mitarbeiterinnen Katrin Schindehütte, Rinja Brand, Kirstin Koppelin und Elisabeth Kühn. Stud. theol. Florian Lippke, Tübingen, hat dankenswerter Weise bei der Einrichtung der Bildseiten geholfen. In diesem Zusammenhang sei auch den Inhabern der Bildrechte für die Abdruckgenehmigungen der Abbildungen gedankt. Die Evangelische Kirche von Kurhessen-Waldeck und die Deutsche Forschungsgemeinschaft haben mir von 1996-1997 und von 1997-1999 durch eine Hilfspfarrstelle und ein Habilitationsstipendium den Freiraum für die Abfassung der Arbeit ermöglicht. Auch ihnen sei dafür herzlich gedankt. Beim Verlag Mohr Siebeck schließlich haben Herr Dr. Henning Ziebritzki und Frau Tanja Mix lange auf das Manuskript warten müssen. Ihnen danke ich für freundliche Ermahnung und kompetente technische Betreuung. Last but not least hat wieder meine Frau Elisabeth die Hauptlast getragen und mich in jeder denkbaren Weise unterstützt. Was ich ihr verdanke, läßt sich kaum mit Worten ausdrücken.

Friedhelm Hartenstein

Hamburg, Ostern 2007

Inhaltsverzeichnis Vorwort

V

Kapitel 1: Einleitung

1

A. Das Problem: Das »Angesicht JHWHs« Vorstellungszusammenhang oder Redeweise? B. Methodische und hermeneutische Vorüberlegungen 1. Anthropomorphismus - Berechtigung und Grenze einer Deutekategorie 2. Personale Gotteskonzepte und das Symbol des göttlichen »Körpers« 3. JHWHs Königsgestalt zwischen Polytheismus und Monotheismus 4. Zur Eigenart visueller Repräsentationen personaler Gotteskonzepte a) Das »Angesicht JHWHs« und die Bilderfrage b) Die »ikonische Differenz«: grundsätzliche Überlegungen zur symbolischen Repräsentation von Gottheiten im Alten Orient c) Mentale Ikonographie und die Frage nach der Zugänglichkeit der Kultbilder C. Die höfisch-kultische Audienzvorstellung - ein Schlüssel zur Bedeutung des »Angesichts JHWHs« im Alten Testament 1. Altorientalische Quellen für die »Audienzszenerie« in der Herrschafts- und Kultsymbolik 2. Die Aufgabe: Traditionsgeschichtliche Untersuchung a) Das »Angesicht JHWHs« in den Psalmen und in Ex 32-34: Zur Begründung der Textauswahl b) Zur Gliederung der Arbeit

2 10 10 15 22 26 26

34 39 53 53 58 58 62

VIII

Inhaltsverzeichnis

Erster Teil:

Das »Angesicht JHWHs« in den Psalmen: Psalm 27 - eine Tiefenexegese Kapitel 2:

Die Audienzvorstellung als impliziter Hintergrund der Rede vom »Angesicht JHWHs« in den Psalmen, untersucht am Beispiel von Psalm 27

A. Das »Angesicht JHWHs« in Psalm 27 B (V.7-13) 1. Ps 27,7f.: »Dein Angesicht, JHWH, will ich aufsuchen!« Die Bitte um Audienz 2. Ps 27,9a: »Verbirg dein Angesicht nicht vor mir!« Generelle Verweigerung der Audienz oder Ablehnung des Anliegens des Beters im Rahmen einer Audienz Exkurs 1: Räumliche und soziale (Grund-)Konnotationen von hebräisch Ü'JS »Angesicht« 3. Unschuldig angeklagt - ein konkreter Hintergrund der Bitte in Ps 27,9aß-12? 4. Ps 27,13: »Gott schauen« vor dem Hintergrund der Audienzvorstellung I a) Gottes und eines Menschen Angesicht »schauen« in Gen 33,10 und Gen 32,3lf b) Das Angesicht Gottes »schauen« unter »Jubelruf« in Hi 33,26 c) Das »Schauen« des »Guten JHWHs« im »Land von Lebenden« in Ps 27,13 B. Die Audienzvorstellung in Psalm 27 A (V.l-6) 1. Ps 27,4: »Gott schauen« vor dem Hintergrund der Audienzvorstellung II a) Ps 27,4: Die »Schönheit/Huld JHWHs« und die Audienzvorstellung b) Zwei (nach-)kultische Bezugstexte für Ps 27,4: Ps 90,17 und Ps 16,11 Exkurs 2: Phönizische Text- und Bildzeugnisse und die Audienzvorstellung in Ps 27,4 aa) DJ)] in phönizisch-punischen Inschriften bb) Audienzszenen vor Gottheiten in der phönizischen Ikonographie und das »Sehen« des mrr~Di?] in Ps 27,4 c) Die mentale Ikonographie der Audienz vor JHWH Folgerungen zum Verständnis des »Sehens« Gottes in den Psalmen

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Inhaltsverzeichnis

2.

Exkurs 3: n310n »Gestalt/Erscheinung« und das »Sehen« des »Angesichts JHWHs« Resümee: »Gott schauen« in Ps 27

Kapitel 3:

Die Metaphorik der Thronsphäre JHWHs als Rahmenszenerie der Audienzvorstellung, ausgehend von Psalm 27

A. Psalm 27,5: Schutz und Rettung in der Thronsphäre JHWHs 1. Der Schutzraum von »Zelt«, »Flügeln« und »Angesicht« JHWHs in den Psalmen Exkurs 4: Thronbaldachin und Tempelsymbolik a) Die altorientalische Metaphorik vom schützenden »Schatten« des Königs(-gottes) und die Audienzvorstellung b) Die Heiligtumsbezeichnungen ^HK »Zelt« und rDO »Hütte« als Metaphern für die Thronsphäre JHWHs 2. Psalmensynopse zur Metaphorik von »Schatten« und »Schutz« in JHWHs Thronbereich B. Psalm 27,1: »Licht« und »Rettung« und das »Angesicht JHWHs« 1. Das »Leuchten«/»Licht« der JHWH-päni/n und Gottes »Rettungshandeln« in den Psalmen und der aaronitische Segen in Num 6,24-26 2. Zusammenfassung und Folgerungen für die Frage nach der »Licht«-Metaphorik für JHWH und deren Deutung als »Solarisierung« C. Resümee: JHWHs schützende Thronsphäre und die Audienzvorstellung

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142 142 142 149

149 161 170 177

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Zweiter Teil:

Das »Angesicht JHWHs« in den Psalmen: Synoptische Übersicht Kapitel 4:

Ein »Survey« der Belege für die Rede vom »Angesicht JHWHs« in den Psalmen - Auswertung der tabellarischen Übersichten

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X Kapitel 5:

Inhaltsverzeichnis

Tabellarische Übersichten zum »Angesicht JHWHs« in den Psalmen

A. Übersicht 1: Das Vorkommen des »Angesichts JHWHs« nach den Psalmensammlungen und Gattungen B. Übersicht 2: Die Psalmenbelege für das »Angesicht JHWHs« nach der nominalen und präpositionalen Verwendung von C. Übersicht 3: Kontextbezüge der Psalmenbelege für das »Angesicht JHWHs« (besonders Heiligtumssymbolik) D. Übersicht 4: Synopse der Psalmenbelege für das »Angesicht JHWHs« in ihrer Zuordnung zur Audienzvorstellung 1. Psalmen 3—41: 1. Davidspsalter 2. Psalmen 42-89: Elohistischer Psalter und Anhang 3. Psalmen 90-106 4. Psalmen 107-150 E. Übersicht 5: Die Psalmenbelege für das »Angesicht JHWHs« nach der sachlichen Abfolge der Audienzvorstellung 1. Zulassung zur Audienz 2. Huldigung/Proskynese 3. Bitte um Annahme und Errettung 4. Gewährte Audienz I: Schutz und Rettung, Leben und Dienst vor dem Königsgott 5. Gewährte Audienz II: Gottes theophanes Eingreifen als königlicher Retter und Richter 6. Ablehnung (in) der Audienz: verweigerte Gottesnähe 7. Erweiterter metaphorischer Gebrauch der Rede vom »Angesicht JHWHs«

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227 231 244 244 247 251 254 256 256 257 257 258 260 261 261

Dritter Teil:

Das »Angesicht JHWHs« in Exodus 32-34 Kapitel 6: Das Problem der Gottespräsenz als literarischer und hermeneutischer Kern von Exodus 32-34 A. Vorüberlegungen B. Eine hoseanische Antithese: Zum Hintergrund des Problems der wahren JHWH-Präsenz in Ex 32

265 265 268

Inhaltsverzeichnis

Kapitel 7: Zur Theophanie JHWHs in Exodus 33,18-23

XI

273

A. Der ambivalente Begleitschutz Gottes: Das mitgehende »Angesicht JHWHs« in Ex 33,12-17 B. Gottesschau und Verschonung: Die Dialektik der Theophaniekonzepte in Ex 33,18-23 und in Ex 34,6

277

Kapitel 8: Zusammenfassung der Ergebnisse

284

Bildanhang: Tafeln 1-40 Tafeln 1—40 Abbildungsverzeichnis (Kurzbeschreibung der Bildwerke) Abbildungsnachweis (Quellenangaben) Literaturverzeichnis Stellenregister (Auswahl) Sachregister

293 295 335 363 369 397 404

273

Kapitel 1

Einleitung Die Rede vom »Angesicht JHWHs« nimmt in den biblischen Texten eine zentrale Stelle ein und ist bis in unsere heutige liturgische Sprache hinein lebendig geblieben. Im Alten Testament hat die Aussage ihren hauptsächlichen Schwerpunkt im Sprachgebrauch der Psalmen: JHWH kann sein Angesicht »leuchten« lassen, und man begehrt die »Schau« dieses Angesichts als eine heilvolle Erfahrung der Gottesnähe. Andererseits bedeutet die »Verbergung« des göttlichen Angesichts das Abgeschnittensein von jeder Form göttlicher Zuwendung und damit die Überantwortung des einzelnen oder der ganzen Gesellschaft in den Bereich der Dunkelheit und der Lebensminderung. Verweisen solche Aussagen in den Psalmen und - davon abgeleitet - auch in anderen Bereichen des Alten Testaments, so besonders der hinteren Sinaiperikope Ex 32-34, in der das »Angesicht« JHWHs wie sonst nie Gegenstand theologischer Reflexion geworden ist, auf einen festen Zusammenhang von Vorstellungen? Dies scheint der Fall zu sein, wie die vorliegenden Untersuchungen - in Anknüpfung vor allem an ältere Erkenntnisse der Forschung zeigen werden. Der primäre Hintergrund der Aussagen vom »Angesicht« Gottes ist sehr wahrscheinlich im Zusammenhang der Symbolik der »offiziellen« Religion des vorexilischen und nachexilischen Jerusalemer Kultes zu suchen, auf dessen Inhalte und Handlungsvollzüge die Mehrzahl der Psalmen auch dann bezogen bleibt, wenn sie unabhängig vom Tempel überliefert und verfaßt wurden. Was läßt sich über die Bedeutung und Funktion der Aussagen vom »Angesicht Gottes« in einem solchen Rahmen herausfinden? Welche Konnotationen sind präzise mit dem Aussagenkreis verbunden? Was tragen religionsgeschichtliche Zugänge (Bilder und Texte) zur Erhellung bei? Schließlich: Welche Deutemuster sind für die Beschreibung einer solchen Vorstellung angemessen, und ist der oft anzutreffende Hinweis auf ein »anthropomorphes« Gottesbild bereits ausreichend? Hier kommen auch hermeneutische Probleme in den Blick. Sie reichen von dem - durch die alttestamentliche Forschung bisher zu wenig reflektierten - altorientalischen und antiken Konzept vom »Körper« der Gottheiten über die Eigenart von dessen visueller Repräsentation bis hin zur Frage nach der Funktion religiöser Sprache im Symbolsystem einer (nicht nur) vergangenen Kultur. Im Blick auf die primärsprachlichen Äußerungen des christlichen Glaubens stehen wir in der Wirkungsgeschichte von Gottesaussagen, die unaufhebbar von einer personalen und sozialen Hintergrundmetaphorik geprägt sind. Das »Angesicht« Gottes ist ein wichtiges

2

Kapitel 1:

Einleitung

Beispiel dafür. Die vorliegende Untersuchung möchte - im Modus historischer Annäherung an diese wesentliche Weise »Gott zu nennen« 1 - nicht zuletzt auch zur gegenwärtigen Diskussion um die Bedeutung und Bewertung traditioneller Gottesbilder beitragen.

A. Das Problem: Das »Angesicht JHWHs« Vorstellungszusammenhang oder Redeweise?2 Die Frage nach der Bedeutung der Rede vom »Angesicht JHWHs« hat im vergangenen Jahrhundert immer wieder das Interesse der Forschung gefunden, allerdings geschah das zumeist eher beiläufig. So sind nur zwei monographische Abhandlungen zum Thema zu nennen, denen sich - bis in die neueren Begriffswörterbücher hinein 3 - fast alle in der Literatur anzutreffenden Beurteilungen verpflichtet fühlen: Die nach wie vor mit Gewinn zu lesende Arbeit von Friedrich Nötscher, »Das Angesicht Gottes schauen« nach biblischer und babylonischer Auffassung (Würzburg 1924)4, und die Untersuchung von Joseph Reindl, Das Angesicht Gottes im Sprachgebrauch des Alten Testaments (Leipzig 1970). Beide gingen sowohl in der Fragehinsicht als auch in der methodischen Zugangsweise unterschiedliche Wege, die sich den Wandlungen der Forschungsgeschichte innerhalb des Zeitraums von über vierzig Jahren verdankt. Nötscher hatte die zumeist in die Form eines Wunsches oder einer Frage gekleidete Aussage vom »Schauen« der pene JHWH, wie sie sich vor allem in verschiedenen Psalmen findet, zum Zielpunkt seiner Untersuchung gemacht. Er hatte dabei babylonische und assyrische Quellen für die Beantwortung der Frage herangezogen, wovon die biblischen Texte eigentlich sprechen, wenn sie die »Gottesschau« als ein erstrebenswertes und heilvolles Ereignis benennen - im Gegensatz zu der im Alten Testament ansonsten an einigen Stellen belegten gegenläufigen Grenzaussage »Wer Gott sieht, muß sterben«. 5 Dabei hat Nötscher gezeigt, daß die Rede vom »Angesicht« einer Gottheit und ihrer damit verbundenen Zu- oder Abwendung in den altorientalischen Nachbarkulturen Israels nicht überall gleichgewichtig vertreten ist. So gibt es zwar semantisch mit den biblischen Wendungen ver-

1 Vgl. die so betitelten hermeneutischen Reflexionen zur »biblischen Polyphonie« des Redens zu, über und von Gott her bei RICŒUR, Gott, bes. 57ff. 2 Die folgende Forschungsübersicht erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit, sondern möchte die Grundprobleme deutlich werden lassen. 3 Vgl. VAN DER WOUDE, pämm, THAT II, 4 3 2 ^ 6 0 ; SIMIAN-YOFRE, pämm, ThWAT VI, 6 2 9 - 6 5 9 ; allgemeiner WEHRLE, Angesicht, N B L I, 1 0 4 - 1 0 7 ; SEOW, Face, D D D 2 , 322-325. 4 Nachdruck Darmstadt 1969 (im Anhang: BAUDISSIN, »Gott schauen« [1915]). 5

Vgl. dazu auch unten Kap. 7 C. (zu Ex 33,20).

A. Das Problem

3

gleichbare Aussagen aus dem Bereich der ägyptischen Kultur.6 Sehr viel zahlreicher sind aber die terminologisch den biblischen Befunden entsprechenden Belege für Wendungen mit dem »Angesicht« einer Gottheit in Texten, die den Kulturzusammenhängen des Zweistromlands entstammen. An dieser Verteilung hat sich, so weit ich sehe, trotz einer in vielem erweiterten Quellenlage nichts Grundsätzliches geändert, so daß vorrangig das akkadische Material fruchtbare Erkenntnisse verspricht.7 Auf ägyptische Vorstellungszusammenhänge »im akkadischen Gewand« stößt man andererseits in der Sprache vieler Briefe der Amarna-Korrespondenz des 14. Jh.s v. Chr., die immer wieder zitierte Beispiele speziell für höfische Wendungen im Zusammenhang mit dem »Angesicht« des Pharao enthält.8 6

Im Blick auf manche Psalmen (vgl. Ps 95-98) sind Passagen aus ägyptischen Kulthymnen bemerkenswert, die jedoch in einem rein götterweltlich ausgedeuteten Ritualkontext »im Unterschied zu babylonischen und hebräischen Psalmen« »die Menschenwelt, die conditio humana, vollständig aus dem Lob heraushalten« (ASSMANN, Hymnen, 7), was insofern den Vergleich mit alttestamentlichen Aussagen nur eingeschränkt zuläßt. Siehe z.B. ASSMANN, ebd., 265 (Nr. 115), ein Amun-Hymnus aus dem Ritual Amenophis I., in dem die morgendliche rituelle Schreinöffnung (vor dem Kultbild) des Amun-Re von Theben als kosmisches Festgeschehen besungen wird (Z.l 1-14): »Sein Gesicht wird enthüllt in seinem Tempel - sein Ruhm, er dringt bis ans Ende der Erde; sein Fest ereignet sich in diesem Heiligtum - sein Wohlgeruch durchzieht den Ozean;« (Hervorhebung hier und im folgenden von mir). Als götterweltliches Audienzgeschehen erscheint das tägliche Tempelritual im Hymnus Nr. 118 derselben Textgruppe (ebd., 267; Z.1.5f.): »Geöffnet wird die Sicht auf RE im Benbenhaus [...] HORUS und THOT sind gekommen Um dich zu schauen im Palast.« Vgl. auch aus Nr. 127 A (Papyrus Berlin 3049, eine theologische Hymne aus der Ramessidenzeit; ebd., 284), Z.44-48: »Die Götter kommen in Lobgesängen vor dein Angesicht, sie geben Preisungen deinem Großen Namen; sie sagen dir: >Erwache in Friedens sie preisen deinen Ka, denn du bist der Große des Himmels, der Mächtige der Erde.« Siehe die ähnliche Fortsetzung ebd., Z.55-60: »sie [sc. die Göttinnen] verehren deinen Aufgang, sie preisen aus Liebe zu dir, so groß sie ist, sie rühmen deine Gestalt, sie wecken dich auf mit Hymnen und jauchzen deiner Hoheit zu in Grußgebärden vor deinem schönen Angesicht, denn du bist ihr Schöpfer!«. 7 Für die in den ägyptischen Gebetstexten der sog. »persönlichen Frömmigkeit« des Neuen Reiches (vgl. ASSMANN, Hymnen, 369-449) zu findende Metaphorik vom »Angesicht« der Gottheiten würde eine vergleichende Untersuchung mit der Bildsprache alttestamentlicher Individualklagepsalmen lohnen (angesichts der zeitlichen und regionalen Begrenztheit der Quellengruppe soll diese jedoch nicht im Rahmen dieser Arbeit, sondern an anderer Stelle erfolgen). - Zur Erschließung der lange und weit verbreiteten akkadischen Wendungen im Zusammenhang mit pänu(m) »Vorderseite«, PI. »Gesicht« (sum. IGI) vgl. zum einen die Wörterbuchartikel: AHw II, 818-822 (pänu[m])\ CAD l/II, 21f. (amäru A 5), CDA, 263 (pänu[m])\ zum anderen folgende Abhandlungen: DHORME, L'emploi, 42-67 (Le visage [grundlegender Vergleich der akkadischen pänu(m)-Wendungen mit den hebräischen Äquivalenten]); OPPENHEIM, Idiomatic Accadian, 256-260 (zupänu[m])\ im weiteren siehe auch das bedeutungsverwandte Lexem zimu(m)\ AHw III, 1528f.: »(Gesichts-) Glanz« meist PI. »Aussehen, Gesicht(szüge)«; CAD 21, 119-122: »appearance, looks, countenance, luster«; CDA, 447: »face, appearance«. 8 Vgl. dazu schon ausführlich NÖTSCHER, Angesicht, der die Amarnabriefe im Lauf seiner Untersuchung immer wieder herangezogen hat.

4

Kapitel 1: Einleitung

Nötscher hatte als Ergebnis seines religionsgeschichtlichen Vergleichs herausarbeiten und breit belegen können, daß im mesopotamischen Bereich genaue terminologische Entsprechungen zwischen dem Aufsuchen eines Königs in einer Audienzsituation und dem Aufsuchen der Gottheit im Tempel bestehen. In beiden Kontexten kommt der »Schau« des Antlitzes von König oder Gottheit entscheidende Bedeutung zu: »Es ist wahrscheinlich, daß der Ausdruck >das Angesicht Gottes sehenDas Angesicht Gottes sehen< der Kultsprache hat eine Parallele in der Sprache des Hofzeremoniells, nämlich >das Angesicht des Königs« sehen. Hier kann es - und dies wird das ursprüngliche sein - einfach bedeuten: >vor dem König erscheinen, um ihm seine Ergebenheit oder seine Huldigung zu bezeugen, aber auch >zur Audienz zugelassen seindas gnädige Antlitz (pänisu damqü[t]a) des Königs sehenGottes Angesicht sehen< und >sich im Tempel befinden< sind zwei Dinge, zwischen denen der Israelite in seiner Vorstellung keinen sachlichen Unterschied macht, sodaß man, ohne mißverständlich zu werden, vom Tempelbesuch als von einem Schauen des göttlichen Antlitzes reden, also beide Ausdrücke promiscue gebrauchen kann, auch wenn man Gottes Angesicht in dem ursprünglich einmal gemeinten Sinn nicht sieht und gar nicht mehr daran denkt, es zu sehen.« 1 4

Mit dieser von den uns geläufigen Gegensatzpaaren sichtbar - unsichtbar und materiell - geistig geprägten Auffassung stellte Nötscher eine im Grunde sachlich unangemessene Alternative auf, denn die von ihm auch für die akkadischen Aussagen zu Recht betonte Doppelheit verweist auf ein Gottes&onzept, das mit den genannten Kategorien abendländischer Ontologie offenbar nicht zureichend beschrieben werden kann. Wir werden darauf ausführlicher zurückkommen (s.u.). In seiner Einschätzung der Bedeutung des »Schauens« des Angesichts Gottes sind Nötscher jedenfalls sowohl Reindl als auch die übrige Forschung bis in die Gegenwart mit immer neuen Abwandlungen gefolgt. Die Untersuchung Reindls von 1970 hatte es sich über die wegweisende ältere Arbeit Nötschers hinaus zur Aufgabe gemacht, nicht den religionsgeschichtlichen Hintergrund der Aussagen Uber das »Schauen« des Angesichts JHWHs weiter zu erschließen, sondern streng am alttestamentlichen Textbestand ausgerichtet alle festen sprachlichen Wendungen im Zusammenhang 12

Ebd., 72.

13

Ebd. (Hervorhebung von mir). Ebd., 89.

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6

Kapitel 1: Einleitung

der pene JHWH semantisch zu untersuchen, um auf diesem Weg die Beantwortung der Frage nach einer eventuellen, den meisten Belegstellen gemeinsamen Vorstellung vom Angesicht Gottes zu versuchen. Das Ergebnis Reindls ist dabei ein negatives: »Vom »Angesicht Gottes< wird im AT häufig gesprochen, ohne daß [...] dabei sich ein fester Begriff gebildet hätte. [...] Wir werden daher nicht von einem Begriff, sondern nur von der Redeweise vom »Angesicht Gottes< sprechen und uns des Umstandes bewußt bleiben, daß diese Redeweise den gleichen Ausdruck häufig in verschiedener Hinsicht und aus verschiedenen Vorstellungen heraus gebraucht.«15

Reindls umfangreiche Einzelbeobachtungen bieten zwar eine wertvolle Grundlage für weitere Untersuchungen, allerdings scheint es als Ergebnis nicht ausreichend, die Rede vom »Angesicht Gottes« rein als »Redeweise« ohne weiteren konzeptionellen Hintergrund zu begreifen. Funktional steht diese nach Reindl ausschließlich »im Dienste theologischer Aussagen«, ohne »Aussagen über das Antlitz der Gottheit zu machen«. 16 Wenn Reindl andererseits zutreffend für den präpositionalen Gebrauch von EPE in den Psalmen feststellt, daß die »Verwendung auf ganz bestimmte Motive beschränkt ist und daß sie mit diesen Motiven verbunden bleiben, auch wenn diese in ganz verschiedenen Gattungen vorkommen«11, so wertet er diesen Befund dennoch nicht - wie es sich aus motiv- bzw. traditionsgeschichtlicher Perspektive sehr nahelegen würde - als mögliches Indiz für einen den Psalmenvorkommen insgesamt gemeinsamen, aber nicht explizit thematisierten Vorstellungszwsammenhang. Nimmt man aber als Kernbereich für die päriim-Wendungen den Überlieferungszusammenhang des Jerusalemer Kultes an, dessen Vorstellungswelt die überwiegende Mehrzahl der Psalmenbelege prägen dürfte, so erscheint es als eine Verkürzung der von Nötscher einst klar gesehenen konzeptionellen Zusammenhänge, wenn Reindl etwa den Aussagen über das »Leuchten« des JHWH-Antlitzes mit seinen heilvollen Auswirkungen keinen festliegenden Bezug auf die (intentional gegenläufigen) Aussagen Uber die »Verbergung« des Angesichts Gottes zubilligen möchte. 18 Es kann angesichts der signifikanten Verteilung des Belegmaterials nicht das letzte Wort in dieser Sache sein, auf weitere Versuche einer konzeptionellen Deutung der Aussagen zum »Angesicht JHWHs« zu verzichten. Eine knappe Übersicht über den alttestamentlichen Sprachgebrauch im Anschluß an die Aufstellung von Reindl kann die Problemstellung in dieser Hinsicht noch einmal verdeutlichen: 19 15 16 17 18 19

REINDL, Angesicht, 200. Ebd., 211. Ebd., 237 (Hervorhebung von mir). Ebd., 108f. Vgl. die Tabelle bei REINDL, Angesicht, 228.

A. Das Problem

1

a) Blickt man auf die Verteilung der Belege für den nominalen Gebrauch von pänlm bezogen auf JHWH, so zeigt sich folgender Befund: 20 Den eindeutigen Schwerpunkt des Vorkommens bilden die Psalmen (35-mal; 1-mal in Thr), daneben die drei großen Prophetenbücher (Jes 6-mal; Jer 6-mal; Ez 8-mal) und einige wenige Texte im Pentateuch (vor allem Ex 33-34, Num 6,24-26; insgesamt in Gen bis Dtn 29 Stellen). Neben weiteren Vorkommen in Hi (4-mal) und Dan (2-mal) finden sich andererseits im ganzen DtrG (Jos bis 2 Kön) nur 7 Belege (Chr 4-mal). Auffallend ist auch die geringe Belegdichte des Lexems in weiten Teilen des Dodekapropheton (nur Hos 1-mal; Mi 1-mal; Sach 3-mal; Mal 1-mal). b) Der Befund beim präpositionalen Gebrauch (lipne JHWH etc.) deckt sich von der Verteilung her in etwa mit dem genannten nominalen Vorkommen, auch was das gänzliche Fehlen in bestimmten Textbereichen angeht (so finden sich keine Belege für den nominalen und präpositionalen Gebrauch in Joel, Am, Obd, Cant, Est, Rut). Schwerpunkte des präpositionalen Gebrauchs bilden wiederum die Psalmen (50-mal 21 ), die großen Propheten Jes, Jer, Ez (63-mal) sowie diesmal auch der Pentateuch (Gen bis Dtn 174-mal, in erster Linie »P«-Texte im Zusammenhang des Wüstenheiligtums und der damit verbundenen kultischen Handlungen). Im Dodekapropheton finden sich dagegen insgesamt wieder nur 18 Belege. Im DtrG (Jos bis 2 Kön) kommt die Präposition lipne (JHWH) deutlich häufiger vor als das Nomen pänlm (89-mal; vgl. Chr 45-mal; Esr 9-mal). 20 Angaben im folgenden nach REINDL, ebd., wobei die unterschiedliche Zählung der Belegstellen im Vergleich mit den Wörterbuchartikeln auffällt. Dies hängt mit der jeweils nicht einheitlichen Unterscheidung zwischen nominalem und präpositionalem Gebrauch zusammen. Auch meine eigene Untersuchung der Psalmenbelege kommt auf eine andere Verteilung als REINDL (vgl. die folgende Anm. und ausführlich unten, Kap. 5, Übersicht 2, zu den nominalen und präpositionalen Verwendungen). Ich zähle die Belege in Ps 16,11; 21,7; 140,14 ("pDTIK) und in Ps 9,20 ("['DS'^iJ) als nominal, da sie zwar eine präpositionale Fügung darstellen, aber aufgrund der morphologischen Unterschiedenheit der beiden Elemente hier die Bedeutung des Nomens stärker bewußt sein dürfte als bei den proklitischen Zusammensetzungen wie etc. Zur Strittigkeit der Frage vgl. etwa KEDAR, Semantik, 20. Nach der systematischen Zusammenstellung der hebräischen Präpositionen bei JENNI, Präpositionen 1, 18f., kann im eigentlichen Sinn als semantisch weitgehend verblaßte präpositionale Fügung des Nomens •,]B nur ' S 1 ? »vor« gelten (vgl. Ges 18 , 1060-1063). Aber auch hier scheint es mir sehr wahrscheinlich, daß bei dem auffallend homogenen Vorstellungshintergrund der »Angesichts«-Wendungen in den Psalmen mit ihrer der Tempelsymbolik entnommenen Szenerie des thronenden Königsgottes bzw. dessen richterlich-rettenden Einschreitens zum Kampf in fast allen Psalmenbelegen (und semantisch verwandten Stellen) die nominale Bedeutung präsent zu denken ist. Insofern habe ich bei meiner Untersuchung beide Verwendungsweisen zusammengenommen (vgl. dazu die Übersichten 1 - 5 in Kap. 5). 21 Nach meiner Zählung (vgl. Kap. 5, Übersicht 2) 43-mal präpositional und 43-mal nominal, was im Alten Testament mit Abstand das häufigste Vorkommen der nominalen Wendungen darstellt. Vgl. dazu auch REINDL, ebd., 236: »hier [d.h. in den Psalmen] ist vor allem die Quelle, aus der die meisten Belege für Redewendungen m i t ' ' ']S kommen.«

8

Kapitel 1: Einleitung

c) Blickt man auf feste Wortkoppelungen und das jeweilige semantische Umfeld der Bezeichnung »Angesicht JHWHs«, so differenziert sich das Bild weiter aus. Zwei signifikante Befunde seien erwähnt: Vom »Schauen« (HK~I [Ps 42,3], zweimal auch nm [Ps 11,7; 17,15]) oder »(Aufsuchen« (töp3) des Angesichts JHWHs ist ganz überwiegend wieder nur in den Psalmen die Rede (zum »Schauen« - teils auch ohne explizite Nennung von päriim - und vergleichbaren Wendungen vgl. Ps 11,7; 16,10f.; 17,15; 21,7; 27,4.13; 42,3; 63,3; 84,8 u.a.; außerhalb des Psalters in den Regelungen zu den Jahresfesten Ex 23,15.17; 34,20.23f.; Dtn 16,16; 31,11 sowie in 1 Sam 1,22; Jes 1,12; Hi 33,26; vgl. Gen 33,10). 22 Ebenso spricht man vom »Licht« (TiK) und vom »Leuchten« bzw. »Leuchtenlassen« des »Angesichts« Gottes vor allem in Texten des Psalters - mit wenigen scheinbaren Ausnahmen wie Num 6,24-26 oder Dan 9,17, die konzeptionell dem Sprachgebrauch der Psalmen nahestehen. Daneben begegnet in den Psalmen (und in Hi) besonders häufig die negative Aussage vom »Verbergen« des Antlitzes JHWHs (vorwiegend mit dem Verb "IHD Hi), die im Zusammenhang der großen Prophetenbücher Jes, Jer und Ez einen zweiten Schwerpunkt ihres Vorkommens hat (fast alle pänTmBelege in diesem Bereich stehen im Zusammenhang mit der Verborgenheit Gottes). d) Nur an ganz wenigen Stellen findet sich das »Angesicht JHWHs« als eigenständiges Subjekt einer Aussage (Dtn 4,37; Jes 63,9; Thr 4,16 und mehrfach in Ex 33, einem Text, der für unsere Fragestellung in vielerlei Hinsicht eine Sonderstellung einnimmt). 23 Ansonsten - und dies ist der Normalfall begegnen die pene JHWH als Objekt eines Handelns Gottes oder menschlicher Handlungsträger; jeweils in charakteristischen Wendungen, für die sich - zumindest was den Psalter angeht - fast durchgehend analoge Wendungen aus 22 Seit ABRAHAM GEIGER (Urschrift und Übersetzungen der Bibel, 1857, 337ff.) ist es in der Exegese weithin üblich, die von den Masoreten in Ex 23,15.17; 34,20.23f.; Dtn 16,16 (zweimal), 31,11; Jes 1,12 und Ps 42,3 vorgenommene Punktierung der Formen von ilfcO als N i f a l in solche des Qal umzuwandeln (ursprüngliches Nifal ist wohl für 1 Sam 1,22 anzunehmen). Der Vergleich mit dem Sprachgebrauch der LXX macht es sehr wahrscheinlich, daß MT hier wie die griechische Übersetzungstradition aus dogmatischen Gründen ein ursprüngliches »Sehen« des »Angesichts JHWHs« als anstößige Aussage vermeiden wollte (vgl. dazu im einzelnen NÖTSCHER, Angesicht, 90ff., bes. 92f.; REINDL, Angesicht, 147-149). 23 Zu dem theologisch gewichtigen Text Ex 33, den man nicht selten zum Ausgangspunkt von Erörterungen zur Vorstellung vom »Angesicht« JHWHs im Alten Testament gemacht hat (vgl. exemplarisch die an sich durchaus lesenswerten Überlegungen bei EICHRODT, Theologie, 2/3, 12-15), siehe Kap. 7 dieser Arbeit (im Zusammenhang der Behandlung von Ex 33 werden dort auch die oben genannten Stellen für den Subjektgebrauch der pene JHWH zur Sprache kommen, denn sie verweisen alle auf einen vergleichbaren Hintergrund: das göttliche bzw. königliche Handeln im Kampf und Krieg). Wie zu zeigen sein wird, kann man die Reflexionen von Ex 33, insbesondere der Theophanieszene Ex 33,18-23, nur vor dem Hintergrund der Psalmen angemessen verstehen.

A. Das Problem

9

dem Hofzeremoniell bzw. dem Kontext des Königtums nachweisen lassen. 24 Diese Belegverteilung spricht für eine erneute religions- und traditionsgeschichtliche Untersuchung, die stärker die Einsichten Nötschers als diejenigen Reindls als Ausgangspunkt nehmen wird. Hat man nun die von Nötscher für Mesopotamien und das Alte Testament namhaft gemachte Analogie zwischen Königtum und (königlicher) Gottheit vor Augen, wenn es um die Aussagen zum Angesicht JHWHs geht, so legt sich dies als eine grundlegende Fragehinsicht für eine erneute traditions- und religionsgeschichtliche Untersuchung nahe: Die Entsprechungen zwischen beiden Bereichen beziehen sich vor allem auf die Audienz, ein in den Kulturen des Alten Orients durch das Hofzeremoniell in seinem Ablauf und seinen Bedeutungen genau festgelegtes soziales Geschehen mit hoch normierten Handlungsrollen. Die biblischen Wendungen im Zusammenhang mit dem »Suchen« und »Schauen« des Angesichts der Gottheit könnten dann unter anderem im Sinne einer Audienzszenerie vor der (in der Regel thronend vorgestellten) Gottheit zu verstehen sein, vor deren Angesicht der Beter treten möchte. Hierzu bedarf es einiger weitergehender methodischer und hermeneutischer Erwägungen, die auch Kriterien für die Beurteilung der oben bereits berührten Frage nach Kultbildern JHWHs zu liefern versprechen - demjenigen Problemkreis, in dessen Behandlung sich in der aktuellen Forschung die meisten Bezugnahmen auf die biblische Rede vom »Angesicht Gottes« finden.

24 Vgl. zu den wichtigsten Wendungen folgende Einzeluntersuchungen: JOHNSON, Aspects (verschiedene Wendungen); SEYBOLD, Reverenz (CTH n*?n); GRUBER, Aspects, 554-563 (D'JS TIN und Ü B TKH); DERS., Faces (CPB RBH), FOWLER, Meaning (zu 'DB1?

nvr).

10

Kapitel 1: Einleitung

B. Methodische und hermeneutische Vorüberlegungen 1. Anthropomorphismus

- Berechtigung und Grenze einer

Deutekategorie

In der Forschung ist es üblich, die Rede vom »Angesicht Gottes« als »Anthropomorphismus« zu kennzeichnen, wobei hier nicht selten ein philosophie- und theologiegeschichtlich begründetes Unbehagen mitschwingt. 25 Dazu sei stellvertretend noch einmal Reindl zitiert: »Der Anthropomorphismus ist ein Darstellungsmittel, mit dessen Hilfe bestimmte Eigenschaften und Verhaltensweisen Gottes verständlich gemacht werden. Bei der Beurteilung dieser eigentümlichen Verflechtung von anthropomorpher Gottesvorstellung und Bildlosigkeit ist die Erkenntnis wichtig, daß wir es im Alten Testament nur mit einer Redeweise vom > Angesicht GottesGott ist Geist< (Joh 4,24) ist eine beinahe >unbiblische< Definition, wenn man es als absolute, aus dem Kontext gelöste Aussage faßt.« 31

12

Kapitel 1: Einleitung

es seinerzeit Ludwig Köhler in seiner Theologie des Alten Testaments formulierte, der »Eigenbegrifflichkeit« 33 der biblischen Texte angemessener: »Die Anthropomorphismen bleiben im AT sachgemäß; sie erfahren keine >VergeistigungLesbarkeitEntwicklung< an der Idee der Geistigkeit Gottes mißt, und weil er es unterläßt, den Begriff der Sichtbarkeit als solchen zu analysieren.« (Hervorhebung von mir). Zu dem, im Vergleich mit unserer - durch den cartesianischen Subjekt-ObjektGegensatz geprägten - Wirklichkeitsauffassung, andersartigen und umfassenderen Begriff des »Sehens« im AT vgl. etwa FUHS, rä'äh, ThWAT VII, 233: »Die Zusammenstellungen rä'äh, sim, säkal, jäda' (Jes 41,20); bin, rä'äh, sakal (Jes 44,18); säma', rä'äh, bin (Jes 6,9); rä'äh, säma', qäsafc, bin (Jes 32,3f.); säma', häzäh, rä'äh, sür (Num 24,16) lassen nicht auf gezielte Differenzierung visuell-sensorischer und noetischer Apperzeptionen schließen, sie drücken vielmehr die Totalität menschlicher Wahrnehmungsfähigkeit aus. Gleichwohl bleibt das Sehvermögen bzw. die Sehfähigkeit der Augen konstitutiv für die Apperzeption der in Distanz zum wahrnehmenden Subjekt erfahrenen Wirklichkeit.« (Hervorhebung von mir). Jedoch ist hierfür, um Mißverständnissen vorzubeugen, auch ein anderer, wenn man so möchte, »mythisch« bestimmter Subjekt-Begriff zu veranschlagen, der den »Gegenstand« (das Erkenntnis-Objekt) im Prinzip personal (als »Gegenüber«) und nicht materiell konzipiert (vgl. dazu CASSIRER, Philosophie II, 39ff., [»Charakter und Grundrichtung des mythischen Gegenstandsbewußtseins«]; HÜBNER, Wahrheit, 109ff. [»Gegenständlichkeit als Einheit von Ideellem und Materiellem«]; DUX, Logik, 108ff. [»Das subjektivische Schema als immanentes Objekt- und Ereignisschema«]). Zu der auch diesem kognitiven Schema eigenen semantischen Doppel struktur (symbolischer Verweisungszusammenhang zwischen Vorder- und Hintergrund) siehe unten, 15ff. 38

14

Kapitel 1:

Einleitung

Auch wenn in dieser Verallgemeinerung Bultmanns manches noch zu wenig präzise erscheint, so ist doch festzuhalten: Die Texte des Alten Israel spiegeln über weite Strecken dieselben formalen bzw. kategorialen Voraussetzungen einer mythischen Interpretation der Welt wie die altorientalischen Kulturen. Will man von hier aus die biblischen Anthropomorphismen und also auch das »Angesicht Gottes« verstehen, so muß man sich zunächst zu scheinbar selbstverständlichen theologischen und philosophischen Vorverständnissen neuzeitlicher Forschung in eine methodische Distanz setzen, um versuchsweise in einem kontrollierten Zirkel über die Rekonstruktion der den Texten inhärenten »Fremdheit« zu einer Beurteilung des Wertes des auf diesem Weg Entdeckten für das »Eigene« (der Theologie) zu gelangen. 39 Für die altorientalische Weltauslegung, die keinen umfassenden Begriff für Wirklichkeit im ganzen kannte, und somit auch keinen Begriff von Transzendenz im Sinne einer Unterscheidung von Inner- und Außerweltlichem, hält sich auch das Gotteskonzept stets im Horizont der Welt. 40 Die Wirklichkeit wird als Handlungszusammenhang gedeutet, indem sie in ihrer Tiefendimension als subjektiv bzw. personal strukturiert aufgefaßt wird: 41 eine solche sozial lesbare Welt erscheint als Kosmos, als ein durch ständige Interaktion göttlicher Wesen durchwirkter und geordneter Lebensraum, der fundamental von Kommunikation geprägt ist. 42 Dies gilt es nun im Blick auf die Struktur personaler Gottesvorstellungen zu vertiefen, um so das Phänomen des »Körpers« der Gottheiten - und damit auch des göttlichen »Angesichts« - als Teilelement eines bestimmten religiös-kulturellen Symbolsystems in den Blick zu bekommen.

39 Vgl. zur Übertragung der phänomenologischen Reduktion im Sinne Husserls in die Religionswissenschaft als Teilmoment eines hermeneutischen Zugangs zu religiösen Ausdrucksformen COLPE, Neubegründung, 133-139, bes. 138: »Denn es kommt für den Wissenschaftler viel darauf an, das Fremde an >der Religion* und das Eigenartige an >fremden Religionen< als das, was es ist, stehen zu lassen.« Zu der hier implizierten notwendigen Spannung zwischen (phänomenologisch orientierten) »Innen-« und (z.B. soziologisch orientierten) »Auy?erc«-Perspektiven für die religionswissenschaftliche Erkenntnis und die daraus resultierende Vielfalt methodischer Zugänge vgl. COLPE, ebd., 139ff., sowie STOLZ, Grundzüge, 34ff. 40 Vgl. DUX, Logik, 197ff.; bes. 198: »Ersichtlich bedeutet der Überstieg von dem, was erfahrbar geschieht, auf den in den Göttern verkörperten Ursprung eine Transzendenz, wenn auch nicht in ein Jenseits, das alle Welt überschreitet. Diese Transzendenz hält sich im Erfahrungsbereich der Welt selbst. Der Welt selbst eignet diese Tiefendimension.« (Vgl. dazu auch meine Überlegungen in HARTENSTEIN, Unzugänglichkeit, 15f.). 41 Vgl. GLADIGOW, Strukturprobleme, 295 (»3.2 Götter als handelnde Subjekte«); DERS., Gottesvorstellungen, HrwG III, 32ff. 42 Siehe zum Zusammenhang von Handlungslogik und Kommunikation (Sinndimension jedes Handelns) grundsätzlich LEACH, Kultur; spezieller im Blick auf die Handlungsrollen von Gottheiten GLADIGOW, Sinn, 42ff.; DERS., Gottesvorstellungen, HrwG III, 4 5 ^ t 7 (»C Formen der Kommunikation mit den Göttern«).

B. Methodische

2. Personale Gotteskonzepte

und hermeneutische

Vorüberlegungen

und das Symbol des göttlichen

15

»Körpers«

Die mythische Weltauslegung über das kognitive Schema der »Handlung« hat weitgehende Implikationen. Es handelt sich um eine Form der Transzendenz, die der Welt eine Tiefendimension43 verleiht und so alle möglichen Inhalte von Erfahrung umgreift und prägt. Nur in einer Sphäre der Sozialität gibt es sinnhaftes, verstehbares Handeln. Die durch ein solches Interaktionsschema geformte Erkenntnis erhält dadurch immer schon ein transzendierendes, in gewissem Sinne auch transzendent zu nennendes Moment. Es handelt sich um die etwas paradox anmutende Weise einer »immanenten Transzendenz«, die die Gesamtwirklichkeit - als unthematischen Horizont - über eine symbolische Logik von Korrespondenzen ordnet.44 Das prägt sich besonders deutlich an der Symbolisierung der großen kosmischen Gegebenheiten aus: Himmel und Erde, Festland und Meer, die Grundrhythmen der Tages- und Jahreszeiten (mit den astronomischen Bewegungen) können über das Handlungsschema konzipiert werden. In der (keineswegs einzigen oder auch ältesten) Form personal konzipierter Gottheiten erscheinen sie als die großen übermenschlichen Handlungsträger des Weltzusammenhangs. 45 Und dabei bekommt die - durch das Handlungsschema mitgesetzte - Transzendenz eine explizite Füllung im Sinne einer ausgeprägten Asymmetrie des Gegenübers.46 Der den Menschen begegnende göttliche Interaktionspartner steht so weit über diesen, daß seine Handlungsüberlegenheit die unauslotbare Tiefendimension der Welt thematisch werden läßt und eine ausdrückliche Symbolisierung dieser besonderen Qualität von Begegnung herausfordert.47 Dies geschieht, indem der über43 Siehe DUX, Logik, 196ff. Zum Begriff bereits CASSIRER, Philosophie II, 130 (hinsichtlich der mythischen Zeit; siehe HARTENSTEIN, Unzugänglichkeit, 14ff.). 44 Vgl. RICCEUR, Poetik, 25 (Hervorhebung von mir): »[...] ein Symbol [...] ist an den Kosmos gebunden. Innerhalb des heiligen Universums beruht sogar die Fähigkeit zur Sprache auf der Fähigkeit des Kosmos, Bedeutung zu verleihen. Die Logik von Korrespondenzen, die die vergleichende Religionsgeschichte zutage fördert, bringt diese vermischte Eigenart der Symbolik des Heiligen zum Ausdruck. Sie ist sprachlich und kosmisch zugleich.« 45 Siehe GLADIGOW, Gottesvorstellungen, HrwG III, 47: »Wenn >Welt< in diesem Sinne durch eine Mehrzahl von Göttern differenziert und geordnet ist, sich in ihrer Gesamtheit als System von Sozialbeziehungen fassen läßt, ist sie nicht nur in einem gewissen Sinne >verständlichbewohntheimeligSphäre des Seinigencorporeity< still does not acknowledge a distinction between body and soul, nor does it establish a radical break between natural and supernatural. Man's corporeality also includes organic realities, vital forces, psychic activities, divine inspirations or influxes.«62 Die Grenzen des Leibes waren hier weder nach innen noch nach außen eindeutig bestimmt. 63 Vielmehr erscheint Leiblichkeit als ein Kraftfeld verschiedener Energien und Mächtigkeiten, so daß der »Körper« nicht als isolierte und einheitliche Größe und auch nicht als eine bloß physische Entität aufgefaßt wurde, sondern vielmehr einen »Plural« darstellte - eine anthropologische Eigenart, die sich ähnlich auch für die Kulturen des Alten Orients und für Israel aufzeigen läßt.64 Die im Körper des Menschen wirkenden Kräfte wurden nun bei den Griechen stets als defizient verstanden und verwiesen auf ihre »Reinform«, die übergroße Lebensfülle und den übermenschlichen Glanz der Götter: »By taking to an extreme all the qualities and bodily values that are present in humans in a form that is always diminished, derivative, faltering, and precarious, we can endow the divinities with a set of traits that, even in their epiphanic manifestations here below, when they are present among mortals, still locates them in an inaccessible region beyond our ken. The result is that gods actually transgress the strict corporeal code by means of which they are represented in their relations to humans. « 6 5

Hier sind zwei auch für das Alte Israel (und den Alten Orient) wesentliche Besonderheiten des Konzepts der Körper der Götter benannt: zum einen die oben bereits thematisierte Asymmetrie, die Überlegenheit der Götter auch in körperlicher Hinsicht, die zu einer Symbolisierung ihres ureigenen Raums in der Tiefe der Welt führt, der für Menschen unzugänglich ist. Zum anderen die ebenfalls aus der »Größe« der Gottheiten resultierende Überschreitung des körperlichen Codes, die dessen Funktion auf die Kommunikation mit den große Aufsatz über den Körper der Götter unter dem Titel »Corps obscur, corps eclatant« erstmals veröffentlicht wurde. Hervorzuheben sind für unsere Fragestellung besonders CASSIN, Forme (zu Mesopotamien; s.u.); FRONTISI-DUCROUX, Les limites (zu den »Grenzen« des griechischen Anthropomorphismus). 62 VERNANT, Mortals, 29 (Hervorhebung von mir). 63 »This intertwining of the physical and the psychological in a self-consciousness that involves the parts of the body is summarized in James Redfield's striking remark that for the Homeric heroes, >the interior I is none other than the organic I.Psychology«; bes. ebd., 199f., zum »concept of multiple and external souls«); BRUNNER, Herz, 3ff. (drei Aufsätze zum »Herz« als Personzentrum in Ägypten); BRUNNER-TRAUT, Ägypten, llOf. (Skizze zum altägyptischen Menschenbild mit seinen Komponenten Ka, Ba und Ach); KOCH, Geschichte, 43ff. (»Strahlkräfte und Wirkgrößen im Umkreis menschlicher und göttlicher Wesen«, ebenfalls zu Altägypten); WOLFF, Anthropologie, 21ff. (»Des Menschen Sein - Anthropologische Sprachlehre«, zu der Vielfalt hebräischer Begriffe, die zusammen das Kräftefeld einer Person umreißen); vgl. JANOWSKI, Konfliktgespräche, 204ff. 65

VERNANT, Mortals, 31.

20

Kapitel l:

Einleitung

Menschen in Epiphanie66 und Kult konzentriert, zugleich aber ein unbekanntes »Dahinter« anzeigt, das ganz der göttlichen Sphäre zugehört und die Konturen ihrer »Gestalten« verschwimmen läßt. Die göttlichen Körper sind Licht, haben Leben, Fülle und Glanz im Übermaß67 - da dies von den Menschen stets nur begrenzt und nie vollendet erfahren und wahrgenommen werden kann, bleibt nur die Annäherung, der Versuch der Vorstellung. Der unverstellte Blick aber ist für Menschen nicht auszuhalten.68 Neben diesem prinzipiellen »Über«- und somit in gewissem Sinn auch »Nicht«-Charakter69 der Götterkörper ist im archaischen Griechenland - und dies wiederum mit dem Vorderen Orient und Israel vergleichbar - die soziale Funktion des »imaginären« Körpers entscheidend: »Through a combination of its [sc. the human bodies] qualities, powers, and >vital< values, which are always sacralized with reference to their divine model, and which each individual has in varying amounts, the body assumes the form of a sort of heraldic picture on which each person's social and personal status is inscribed and can be deciphered [,..].«70

Unter diesem Aspekt einer sozialen »Lesbarkeit« des Körpers erscheinen Kleidung, Waffen und Attribute sozusagen als dessen Erstreckungen und Erweiterungen71 Sie gehören zu seinem Kräftefeld ebenso wie die organischen 66

Siehe dazu für die griechische Religion auch DIETRICH, Epiphanies; DERS., Divine Concept. 67 Siehe VERNANT, Mortals, 36 (»IV Splendor of the gods«). Zu analogen Aussagen über die Qualitäten der göttlichen »Körper« in Verbindung mit der Terminologie des »Schreckenglanzes« in Mesopotamien, auf die erstmals OPPENHEIM, pul(u)h(t)u, 33, aufmerksam gemacht hat, siehe CASSIN, Splendeur, 10, sowie ebd., 122f.: »Cette corrélation entre le corps et la lumière, qu'A.L. Oppenheim avait mis en relief au début de son article, m'avait semblé un point important [...] En effet, qu'est-ce que le corps, pour les Mésopotamiens, sinon le contour des objets (zumru signifie aussi bien le corps d'un être humain, d'un dieu ou d'un objet qu'une portion délimitée du territoire), sinon la forme que leur confère la lumière?«; DIES., Forme, 69ff. (zum »Schreckensglanz« melammu etc. der Gottheiten). Zu Ugarit und Israel siehe SMITH, Form, 427: »To conclude, one Iron Age view of God employs the language of superhuman size and human form, blazing in brilliant light. Early prophetic tradition and Ex 33-34 preserve vestiges of this depiction of the Israelite god, and the second millennium evidence from Ugarit furnishes the background to these few Biblical survivals of the God of human form and superhuman size.« 68

Der entsprechende alttestamentliche Spitzensatz Ex 33,20 (kein Mensch kann Gott sehen und am Leben bleiben), hat wohl primär eine andere, kontextbedingte Zielrichtung (siehe unten, Kap. 7). 69 Vgl. zur metaphorischen Struktur der »ist« und »ist-nicht«-Aussagen über die Körperlichkeit der Götter VERNANT, Mortals, 34f., 46 (siehe dazu auch unten, 25ff., zu den Kultbildern). 70 Ebd., 36. 71 Zur »Kleidung« der Götter in Mesopotamien vgl. OPPENHEIM, Garments; BRONGERS, Termini; CASSIN, Splendeur, 103ff.; sachlich auch BERLEJUNG, Insignien (zur Königsinvestitur); zu Ugarit siehe KORPEL, Rift, 364ff.; zu den alttestamentlichen Aussagen

B. Methodische

und hermeneutische

Vorüberlegungen

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Glieder und die psychischen Energien (»extensions that permit them [sc. the powers penetrating the body] to enlarge their field of action and to reinforce their effects« 72 ). Menschlicher und göttlicher Körper - beide sind zuallererst »soziale Körper«, deren wesentliche Eigenschaft es ist, Mensch oder Gottheit einen Ort zu verleihen, eine präzise Lokalisierung im Wertesystem der Gesellschaft mit ihrer Hierarchie aus Verwandtschafts- und Herrschaftsbeziehungen. In diesem Sinn ist die Kommunikation mit einer Gottheit schon deshalb unauflöslich mit der Körpervorstellung verbunden, weil der Leib stets einen Fixpunkt der sozialen Beziehungen und Handlungen bildet: »Moreover, all the activities of cult presuppose the incorporation of the divine: how could humankind institute regular exchange with the gods in which homages and benifits balance out, unless the Immortals appear in this world in a visible and specific form, in an particular time?«73 place and at a particular

Es ist aufschlußreich, daß Vernant in diesem Zusammenhang mit keinem Wort auf die Kultbilder zu sprechen kommt, denen er andernorts so viel Aufmerksamkeit geschenkt hat. Wir werden darauf - d.h. auf die Bedeutung der Bilder für die Präsenz der Götter gerade in körperlicher Hinsicht und auf Vernants Forschungen hierzu - noch ausführlicher zurückkommen. Entscheidend erscheint mir an dieser Stelle jedoch, daß man seiner Einsicht folgt und die Frage nach dem »Körper« der Götter nicht in unsachgemäßer Verengung an die Kultbilder zurückbindet, sondern in der skizzierten umfassenderen Perspektive wahrnimmt: 74 Es geht bei der Frage nach dem griechischen (und altorientalischen) Anthropomorphismus der Gottheiten vorrangig um einen symbolischen göttlichen Körper, d.h. um eine innerhalb der Logik eines bestimmten sozialen Codes notwendige Vorstellung: » [...] it is the body that gives a subject his or her identity, by distinguishing that person from all of his (or her) peers through appearance, physiognomy, clothing, and insignia. Like human beings, the gods have proper names. Like them too, gods have bodies - that is to say, a set of

ausführlich PODELLA, Lichtkleid, der anhand der »Kleidmetaphorik in der Bibel« (ebd., 4ff.) »Untersuchungen zur Gestalthaftigkeit Gottes im Alten Testament und seiner altorientalischen Umwelt« (so der Untertitel der Arbeit) durchgeführt hat (vgl. DERS., Kleid/Be-, Entkleiden, HrwG III, 38Iff.). 72 VERNANT, Mortals, 37. 73 VERNANT, ebd., 47. 74 GLADIGOW, Gottesvorstellungen, HrwG III, 40f., sieht die »Körperlichkeit der Götter« in engem Zusammenhang mit den Kultbildern. Daß das symbolische, mentale Konzept des Götterleibs jedoch im Verhältnis zur bildlichen Repräsentation unabhängig ist, betont VERNANT, ebd., 43 (Hervorhebung von mir): »The divine body, in all the concentrated mass of its being, weighs as much as the marble or bronze statue located in the god's temple: yet it is aerial, ethereal, impalpable, and as weightless as a ray of light.«.

22

Kapitel 1: Einleitung

specific characteristics that make them recognizable by differentiating supernatural Powers with whom they are associated.alte, unverdorbene* Kultform zu vertreten, so daß sie sich bilderreichen Kulturen gegenüber überlegen fühlen und die eigene Identität deutlich gegen andere inner- und fremdreligiöse Konzepte abgrenzen konnten [,..].« 115

Doch diese These erscheint problematisch. Die einfache Übertragung von Gadamers für einen anderen Kontext entworfenen Bildtheorie auf die Interpretation altorientalischer Zeugnisse scheint mit einer Eintragung ontologischer Prämissen einherzugehen, die den Blick auf die Eigenart der in den Texten ausgedrückten Konzepte zumindest sehr einengt. Der oben im Anschluß an Vernant ausführlich behandelte symbolische »Körper« der Götter, wie er eben auch aus mesopotamischen Zeugnissen erschlossen werden kann, kommt dabei gar nicht in den Blick. 116 Statt dessen setzt Berlejung ein (»ein von der Gottheit erfülltes Bild« [ebd., 282]) davon nicht klar ab. Dies hängt mit der einseitigen Konzentration ihrer Untersuchung auf das Kultbild zusammen (siehe unten, 32, Anm. 116). 114 BERLEJUNG, Theologie, 146 (siehe das Zitat oben, 30, Anm. 109). 115 Ebd., 420 (Hervorhebung von mir). 116 Dies beruht auf einer bewußten Entscheidung (ebd., 17ff.) für das anthropomorphe Kultbild als alleinigen Gegenstand der Untersuchung, für das BERLEJUNG aufgrund von dessen ontologischem Mehrwert auch eine spezielle Hermeneutik beansprucht (ebd., 18f.) ein fragliches Unternehmen, wie die Zielvorgabe zeigt: »Anhand des literarischen Quellenmaterials, das uns darüber Auskunft gibt, wie sich die Betrachter vor dem Bild verstanden, ist es möglich, Einblicke darüber zu gewinnen, inwiefern die Bilder mit deren eigener Erfahrung verbunden waren, sie in die existentielle Auseinandersetzung führten und sie eine göttliche Wirklichkeit erkennen ließen, die außerhalb ihrer Sinneswahrnehmung lag.« (ebd., 19, Hervorhebung von mir). Die ausdrückliche Distanzierung von einer Interpretation (wie der in der vorliegenden Untersuchung favorisierten), die das Symbolsystem zu rekonstruieren versucht, in das die Vorstellung von der »Gestalt« der Gottheit unlöslich eingebunden war, erscheint wenig glücklich. Anstelle dessen werden dem aus seinem Kontext isolierten Phänomen bzw. den dafür herangezogenen Quellen die eigenen Prämissen zugeschrieben: »Neben der rein analytischen Bildbetrachtung geht es in einer >Theologie der Kultbilder< vor allem auch um deren überzeichenhaften Charakter. Ein Kultbild ist mehr als ein Zeichen oder die Summe der Symbole, die es in Form seines Schmuckes und seiner Kleidung an sich trägt. Es hat als gan-

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Vorüberlegungen

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den Texten m.E. letztlich fremdes Konzept von einer Art »himmlischer Gottessubstanz« und deren »irdischem Leib« (dem Kultbild) voraus, bei dem sie das ganze Gewicht auf die Identität von Gott und Bild legt:117 »Abschließend ist festzuhalten, daß dem Bilderdenken des Alten Orients der Begriff des >Repräsentationsbildes< zugrunde lag. Das Kultbild wurde als lebendiger, irdischer Leib der Gottheit angesehen, mit der es durch übernatürliche Herkunft [...] seinsmäßig verbunden war. Der Kult des Alltags und der der Feste konnte daher von der grundsätzlichen Identität von Gott und Bild ausgehen.« 1 1 8

Der Begriff der »Repräsentation« erscheint für das Verständnis altorientalischer Bildkonzepte als wertvoll. Wir müssen darauf zurückkommen. Ihn jedoch einseitig auf die »Identität von Gott und Bild« festzulegen, verfehlt seine Intention und entspricht wohl auch nicht der Eigenart der Quellen. Folgt man nämlich einer Deutung mesopotamischer Kultbildvorstellungen, wie sie u.a. Thorkild Jacobsen vorgelegt hat, so deckt diese Sicht (die Gottheit ist das Bild) nur die eine Seite ab. Zugleich gibt es eben auch gegenteilige Aussagen über die Nicht-Identität (die Gottheit ist nicht das Bild). 119 Und das deutet auf eine noch einmal andersartige Relation von personalem Gotteskonzept und visueller Repräsentation. Bildtheoretisch wird man sich dann - statt von der einseitigen Betonung der Identität - eher von einem Begriff der »ikonischen Differenz« leiten lassen.

zes Wirklichkeitscharakter und ist damit grundsätzlich den Siegeln überlegen, die allenfalls Wirklichkeiten abbilden, sie aber nicht schaffen.« (Ebd., 18, Hervorhebung im Original). 117 Das gibt insofern die Intention vieler mesopotamischer Quellen wieder, als es darin um die Versicherung der Gottespräsenz ging, im Blick auf eine Rekonstruktion des dahinterstehenden Konzepts erscheint es jedoch als Verkürzung (s.u.; vgl. dazu auch VAN OORSCHOT, Macht, 301f.). 118 Ebd., 283 (Hervorhebung außer in Z.2 von mir). 119 Vgl. JACOBSEN, Image, 16f. (»The cult statue was the God«), 17f. (»The cult statue was not the God«). Im oben dargelegten Sinn reflektiert JACOBSEN grundsätzlich die Eigenart mesopotamischer Weltkonzepte: »We moderns - most of us at least - live in two intersecting worlds, the world of tangible things and the world of intangibles; we are dualists, of mind and of matter, of material and of spiritual. [...] For the ancients there was no such dismissal. Their world was one, they were monists. They too distinguished between experience when awake and dreams, but to them the difference was not, as for us, one of kind, that is, real or unreal, but one of degree.« (ebd., 18f., Hervorhebung hier und im folgenden von mir). Auf die Kultbilder angewandt (ebd. 22): »[...] we do not wish to suggest the image of a vessel filled with a different content, or even of a body with a god incarnate in it. We must think, rather, in terms of a purely mystic unity, the statue mystically becoming what it represents, the god, without, however, in any way limiting the god, who remains transcendent.«

34

Kapitel 1: Einleitung

b) Die »ikonische Differenz«: grundsätzliche Überlegungen zur Repräsentation von Gottheiten im Alten Orient

symbolischen

Nimmt man die Erkenntnisse Vernants zum symbolischen Charakter und zur sozialen Funktion der »Körper« der Götter im archaischen Griechenland ernst, und sieht man darin eine prinzipielle Verwandtschaft mit den Vorstellungen, die man sich im Alten Orient von der »Leiblichkeit« der Gottheiten machte, so stellt sich die Frage, in welchen Medien bzw. symbolischen Formen diese Konzepte zum Ausdruck kamen. Daß hier Bild und Wort sehr viel näher beieinander lagen als dies angesichts der gelegentlichen Entgegensetzung beider Ausdrucksformen in der theologischen Diskussion den Anschein hat, läßt sich in mehrfacher Hinsicht erhärten. 120 Der Tempelkult als der Mittelpunkt der Religion im Alten Orient war ein komplexes symbolisches Geschehen, in dem verschiedene Darstellungsformen und Darstellungsebenen zusammenwirkten, 121 um die Kommunikation mit den Gottheiten zu gewährleisten: von der Rauminszenierung für die rituellen Handlungen über die diese begleitenden, aber auch eigenständigen Sprechakte, die Musik, den Opferund Weihrauch bis zur durchgängig wirksamen visuellen Dimension (durch Bilder, Symbole, Kleidung, Gestik und Mimik der Akteure). Der Kult war dabei nach dem Muster höfischer Vorgänge auf ein hervorgehobenes Zentrum der göttlichen Präsenz hingeordnet. Dieser Bereich höchster Mächtigkeit und Anwesenheit der Gottheiten wurde bevorzugt durch ein ortsfestes oder bewegliches Kultbild markiert. Das bedeutet jedoch weder, daß dies die einzige »Erscheinungsform« der Gottheit war, noch, daß das damit unausdrücklich verbundene Konzept des »Bildes« automatisch nach dem Muster von »Identität« zu rekonstruieren sei. Vielmehr scheint sich gerade beim anthropomorphen Kultbild zu bestätigen, was Paul Ricceur als die grundsätzliche Besonderheit religiöser Symbole überhaupt betont hat: eine Zeichenbeziehung, die durch die unaupiebbare Spannung zwischen Partizipation und Differenz geprägt ist.n2 Auch Vernant weist aufgrund seiner Forschungen zur Geschichte 120 Vgl. aus der älteren Diskussion zu diesem Gegensatz im Alten Testament SCHMIDT, Ausprägungen, bes. 30f.; KRAUS, Hören; siehe aber auchKEEL, UEHLINGER, GGG, 453ff.; aus systematisch-theologischer Perspektive (im Blick auf die konfessionellen Unterschiede in der Beurteilung von Bild und Wort) vgl. den instruktiven Aufsatz von HERMS, Sprache, aus alttestamentlicher Sicht jüngst die differenzierten Überlegungen von VAN OORSCHOT, Macht. 121 Vgl. STOLZ, Grundzüge, lOlff., zu den Darstellungsebenen eines religiösen Symbolsystems; siehe allgemeiner CANCIK, MOHR, Religionsästhetik, HrwG I, bes. 142ff. (»Zeichen«); LEACH, Kultur. 122 Vgl. RICCEUR, Interpretation, 44f.; DERS., Poetik, 13ff.; MATTERN, Ricceur, 56, zur Unhintergehbarkeit aller Symbole (des Kosmos, der Sozialität, des Selbst) im Sinne kulturimmanenter »Interpretanten« (Peirce), die »einen Platz in einem Zeichensystem einnehmen« müssen, »um ihren symbolischen Charakter zu erhalten.« Gerade dies ermöglicht überhaupt die Rekonstruktion von Sinn und damit den Versuch wissenschaftlichen (historischkritischen) Verstehens.

B. Methodische

und hermeneutische

Vorüberlegungen

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des »Bild«-Begriffs in Griechenland genau in diesem Sinn dem »Idol«, dem Kultbild, diese Spannung als eigentliches Proprium zu: »Die religiöse Figur soll allerdings nicht nur im Geist des Betrachters die heilige Macht evozieren, auf die sie sich bezieht, die sie in gewissen Fällen wie bei der anthropomorphen Statue >vergegenwärtigt< und in anderen Fällen in symbolischer Form heraufbeschwört. Ihr Anspruch reicht weiter. Sie stellt mit der heiligen Macht eine wirkliche Kommunikation her, einen echten Kontakt über das, was sie auf die eine oder andere Weise darstellt; sie hat den Anspruch, diese Macht hic et nunc zu vergegenwärtigen, sie den Menschen in Ritualen zur Verfügung zu stellen. Doch wenn das Idol über die Darstellung eine Brücke zum Göttlichen zu schlagen versucht, muß es durch dieselbe Abbildung gleichzeitig die Distanz zur Welt der Menschen kennzeichnen, die Inkommensurabilität betonen zwischen der heiligen Macht und allem, was sie, auf stets inadäquate und unvollkommene Weise, den Augen der Sterblichen offenbart. Mit dem Jenseits einen wirklichen Kontakt etablieren, es aktualisieren, vergegenwärtigen und dadurch intim am Göttlichen teilhaben - doch in derselben Bewegung unterstreichen, was dieses Göttliche an Unerreichbarem enthält, an Geheimnisvollem, grundlegend Anderem und Fremdem -, das ist die unvermeidliche Spannung, die im Rahmen des religiösen Denkens jede Form der Darstellung gewährleisten muß.«>2^

Vernant hat diese Spannung zwischen Präsenz und Distanz, zwischen zugänglicher Nähe und hintergründiger Ferne für das alte Griechenland am Beispiel eines bestimmten archaischen Typs von Götterbildern aufgezeigt, dem xoanon, »ein nur leicht bearbeitetes Idol aus Holz in der sogenannten Pfeilerform in primitiver Ausführung.« 124 Aufschlußreich ist nun, wie Pausanias die besondere Wirkung dieser Symbole auf den Betrachter beschrieb. Kennzeichnend hierfür sei nämlich vor allem ein Gefühl von »Fremdheit« gewesen, daß damit zusammenhänge, »daß sie nicht im üblichen Sinn etwas darstellen«, sondern »durch das Verwirrende [...] etwas Göttliches, theion ti, ein übernatürliches Element« 125 anzeigen. An dieser antiken Äußerung läßt sich Wesentliches zum Hintergrund und Wesen auch unseres heutigen, zumeist kaum hinterfragten Bildverständnisses ablesen: »Diese archaischen Symbole, die in der Kultpraxis eines Gottes oft eine grundlegende Rolle spielen und sich unmittelbar auf ihn beziehen [...], sind keine Bilder in unserem Sinn. Sie haben weder in bezug auf ihren Ursprung, noch auf ihre Funktionen die Schwelle übertreten, jenseits derer man zu Recht stricto sensu von Bildern sprechen kann.« 1 2 6

Ein Bild wird erst zum Bild in unserem Sinn, wenn es über die Funktion der Mimesis, der Nachahmung, definiert wird, also dann, wenn es »etwas dar123

VERNANT, Mythos, 180f. (Hervorhebung von mir). Ebd. Zu den archaischen xoana vgl. neben VERNANT, »Presentification«, 153ff., BURKERT, Religion, 90f.; DERS., Temple, 31ff.; BRUIT ZAIDMAN, SCHMITT PANTEL, Religion, 215f.; GLADIGOW, Epiphanie, 100. 125 VERNANT, Mythos, 182 (vgl. DERS., »Presentification«, 154, mit Anm. 4). 126 Ebd. (Hervorhebung von mir). 124

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Kapitel 1: Einleitung

stellt«. Das moderne Bildverständnis folgt hierin einer Transformation des Bildkonzepts, die sich im alten Griechenland erst allmählich vollzogen hat, und die Vernant als eine Umkehrung »Von der Vergegenwärtigung des Unsichtbaren zur Nachahmung der Erscheinung« beschrieben hat. 127 Letztere Auffassung ist vor allem durch Piaton populär geworden und setzt die Relation zwischen einem Vor- oder Urbild und dem dieses nachahmenden Abbild als konstitutiv für das Wesen des Bildes. Wenn heute Philosophen und Kulturwissenschaftler über die elementare Definition des Bildes nachdenken, so erfolgt dies immer noch in Auseinandersetzung mit der Wirkungsgeschichte dieser prägenden Definition, die den Charakter des Bildes entweder positiv als größtmögliche Annäherung an den Gegenstand oder negativ als bloßen Versuch einer zum Scheitern verurteilten Kopie behandelt. 128 Für beide Urteile ist die Relation auf das Urbild ausschlaggebend. Neben dieser so verbreiteten Auffassung vom Bild als »Abbild« steht eine ältere, anders geartete, die in Griechenland etwa mit den archaischen xoana, im Alten Orient mit allen Göttersymbolen (prominent mit den menschengestaltigen Kultbildern der Tempel) verbunden war. Dieses Bildkonzept war keine Theorie, sondern eher ein Verstehensmuster der kultischen Praxis insgesamt: »Die Figur braucht den Ritus, um die göttliche Macht und Handlung darzustellen. [...] Daher erscheint das xoanon stets im Zentrum eines Festzyklus, der darum herum organisiert wird und mit ihm ein kohärentes symbolisches System bildet, dessen Elemente - figürliches Zeichen und rituelle Handlungen - alle zusammengehören und aufeinander antworten. Die Frage nach seiner Wirkung außerhalb dieses Systems stellt sich nicht. [...] Da es dem Rituellen verhaftet ist, hat das Idol in seiner figürlichen Gestalt keine volle Autonomie erlangt.«129

Exakt eine solche unauflösliche Einbindung in die rituellen Handlungsvollzüge eines täglichen Tempelrituals und eines jahreszyklisch geordneten kultischen Festkalenders ist auch für die Kultbilder des Alten Orients entscheidend gewesen. Indem sie das Handlungszentrum eines größeren symbolischen Ganzen bildeten, wurden sie gar nicht als Bild und als einzelnes Phänomen wahrgenommen, sondern als eine Erscheinungsform der Götter im Rahmen einer Inszenierung, die gar nicht zwischen Sichtbarem und Unsichtbarem, Materiellem und Imaginärem unterschied:

127 Vgl. die vollständige engl. Übersetzung (»From the >Presentification< of the Invisible to the Imitation of Appearance«) in DERS., Mortals, 151 ff. 128 Vgl. SCHLÜTER, HOGREBE, Bild, HWP 1, 913ff. (Hervorhebung von mir), »Die Entwicklung des B.-Begriffes, wie er in der christlichen Theologie und Philosophie [...] seinen festen Platz hat, muß von der Bedeutungsvielfalt des griechischen e'iKcov (lat. imago) ausgehen und zudem den Sinn von B. in der antiken Kunst in Betracht ziehen, für die Übereinstimmung als Beziehung von Ähnlichkeit zwischen B. und Ur-B, eine Idealforderung war.« 129 VERNANT, Mythos, 184 (Hervorhebung von mir).

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Vorüberlegungen

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»[...] eine Kultstatue, in welcher Form auch immer, selbst in Menschengestalt, wird nicht unbedingt als Bild wahrgenommen. Die Kategorie der bildlichen Darstellung ist keine unmittelbare Gegebenheit des menschlichen Geistes [...]. Sie bildet den geistigen Rahmen und setzt voraus, daß die Begriffe Erscheinung, Nachahmung, Ähnlichkeit, Bild und falscher Schein in ihren gegenseitigen Beziehungen und ihrer gemeinsamen Gegenüberstellung zum Realen, zum Sein, sich bereits gebildet und klar abgezeichnet haben.« 1 3 0

Es galten hier jedoch andere Unterscheidungen, wie diejenige zwischen menschlicher und göttlicher Sphäre, deren gelingende Kommunikation vom Willen der Gottheiten abhing, sich »sehen zu lassen«, um sich dabei gleichzeitig stets auch zu entziehen. Es kann im symbolischen System des Kultes keine Markierung von Anwesenheit geben, ohne zugleich unausdrücklich auf die Distanz zu verweisen, die die göttliche Übermacht und Überfülle jenseits der Menschen auszeichnet. Die schon in der Rauminszenierung fundamental verwirklichte Asymmetrie dieser Begegnungen, wie sie durch das höfische Zeremoniell versinnbildlicht wurde, erforderte dann auch gar nicht notwendig ein anthropomorphes Kultbild, wohl aber eine symbolische Markierung der unmittelbarsten Gottespräsenz. Wenn nun der ganze Kult ein Zeichensystem gebildet hat und über all seine Vollzüge und Symbole auf die hintergründige Welt der Götter verwies bzw. Einblicke in diese eröffnete, so hängt die Vorstellung von den Gottheiten, die - wie wir gesehen haben - notwendig die Dimension des Körperlichen einschloß, nicht allein am Kultbild. Denn dieses stellte weder den »Körper« der Gottheit noch diese selbst dar, sondern bildete eine Projektionsfläche, einen Resonanzraum für die Imagination der Gottespräsenz, für die »Erscheinung« des Gottes, wie sie durch das Konzert der rituellen Vollzüge hervorgerufen wurde. 131 Und hier liegen dann Bild und Wort ganz nahe beieinander. Denn beide, sowohl das Bild und seine »Lesbarkeit« als auch die durch die Sprache realisierten Bilder der Imagination, folgen dem Grundmuster des Szenischen und damit dem Schema von Handlung, das für die religiöse Symbolik des Alten Orients fundamental ist. Und nicht nur für diese. Eilert Herms hat auf jene grundlegende Analogie zwischen der »Sprache der Bilder« und der bildgebenden Funktion der Sprache auch im Blick auf die Struktur menschlicher Erfahrung überhaupt und speziell religiöser Erfahrung hingewiesen. Denn auch die verbale Interaktion wird stets als Handlung und d.h. in leibhafter Verortung wahrgenommen:

130

Ebd., 197f. (Hervorhebung von mir). Um es an einem heutigen Beispiel zu sagen: kein Gottesdienstbesucher käme auf die Idee, ein einfaches Altarkreuz für ein »Bild« der verehrten Gottheit zu halten. Es ist die gelenkte Imagination durch das liturgische Geschehen und die Verortung der eigenen Identität in den narrativen Zusammenhängen der christlichen Grunderzählungen, die ihm seinen Mehrwert, seinen symbolischen Sinn verleihen. 131

38

Kapitel 1: Einleitung

»Damit wird deutlich, daß zwischen Wort und Bild kein Gegensatz besteht, sondern daß in den Gesamtzusammenhang der Sprache der Bilder das Bild des Wortes hineingehört. Es gibt die leibhafte Gestalt des Wortes nur im Gesamtzusammenhang der Sprache der Bilder. Die leibhafte Gestalt des Wortes ist stets Ingrediens von Szenen erlebter, erinnerter und erwarteter, personaler Interaktion. «132 Diese Feststellung einer grundsätzlichen Verschränkung beider Dimensionen m e n s c h l i c h e r Erfahrung und Äußerung, der visuellen und verbalen, will natürlich keineswegs ihre unterschiedlichen Leistungen negieren. Sehr eng werden die Parallelen j e d o c h gerade im B e r e i c h der religiösen S y m b o l i k , weil hier für Bilder und Sprechakte innerhalb metaphorische

Grundstruktur

gilt.

eines symbolischen

Systems

dieselbe

D i e M e t a p h e r lebt von e i n e m internen

Kontrast, einer Spannung von Identität und Nicht-Identität, die als solche das sprachliche B i l d a u s m a c h t und w e d e r nach der einen noch nach der anderen Seite aufgelöst werden kann. 1 3 3 Ein genuines Bild ( z . B . ein Kultbild) lebt von einem ganz analogen Kontrast, der den Betrachter - in ebensolcher W e i s e wie die Metapher den L e s e r oder H ö r e r - »verstrickt« zwischen O b e r f l ä c h e und Tiefe, zwischen Materialität und Sinn, zwischen greifbarer Präsenz und sich entziehender Distanz, o h n e daß der B l i c k j e m a l s zur R u h e käme. Bleibt der B l i c k einmal ganz im Vordergründigen hängen, wird das B i l d opakP4

Läßt

sich der B l i c k durch das B i l d »hinter« oder »über« es hinausführen, so verbindet sich damit eine so nur dem B i l d eigene Erfahrung der Transparenz

-

für den religiösen M e n s c h e n auch der Transzendenz. W e n n in dieser Hinsicht W o r t und Bild gleichsinnig als metaphorische Prozesse wirken, so kann man 132 HERMS,

Sprache, 241 (Hervorhebung von mir). Vgl. RICCEUR, Metapher, 191 (Hervorhebung von mir): »Die Metapher erscheint dann als der Schematismus, in dem die metaphorische Attribution erfolgt. Dieser Schematismus macht die Imagination zum Entstehungsort des bildlichen Sinnes im Spiel von Identität und Differenz. Und die Metapher ist der Ort in der Rede, der diesen Schematismus sichtbar macht, weil Identität und Differenz hier nicht verschmolzen sind, sondern im Widerstreit miteinander stehen.« Siehe auch BOEHM, Wiederkehr, 26ff., für den »die Metapher als ein besonders geeigneter Kandidat« erscheint, »strukturelle Einsichten in die Funktionsweise von >Bildern< zu eröffnen, ob sie nun gemalt, skulptiert, gebaut, gestellt, gespielt oder getanzt sind.« (Ebd., 26). Der Grund für diese Analogie ist der semantische Kontrast: »Die Bildhaftigkeit, die uns die Metapher darbietet, läßt sich [...] als ein Phänomen des Kontrastes kennzeichnen. [...] Was immer sich im sprachlichen Bild fügt, seine innere Differenz wird doch als eine einzige Sinngröße erfahrbar: etwas wird als etwas sichtbar und plausibel.« (Ebd., 29, Hervorhebung im Original). 1 3 4 So die Terminologie von ARTHUR C. DANTO, der »die doppelte Aufmerksamkeit, zu der uns das Bild veranlaßt, mit dem Wechselspiel einer >Opazitätssindzeigensagenikonische Differenz< nennen. Sie markiert eine zugleich visuelle und logische Mächtigkeit, welche die Eigenart des Bildes kennzeichnet, das der materiellen Kultur unaufliebbar zugehört, auf völlig unverzichtbare Weise in Materie eingeschrieben ist, darin aber einen Sinn aufscheinen läßt, der zugleich alles Faktische überbietet,«135

Welche Konsequenzen sind nun angesichts dessen im Blick auf die Frage nach dem Verhältnis von (personalem) Gotteskonzept und symbolischer Repräsentation und damit auch des »Sehens« des »Angesichts« der Gottheit zu ziehen? c) Mentale Ikonographie und die Frage nach der Zugänglichkeit der Kultbilder Der symbolische »Körper« der Gottheiten bzw. ihre »Gestalt« und »Erscheinung« stellt nach dem bisher Gesagten ein Konzept dar, das stets eng mit verschiedenen visuellen Repräsentationen verbunden war, aber letztlich an keine von ihnen mit Notwendigkeit gebunden war. In den mesopotamischen Texten und auch in der ägyptischen Tradition finden sich zwar Aussagen, die eine Rückwirkung der konkreten Gestalt von Kultbildern auf die Vorstellung zeigen, die man sich von der ihnen eigenen »Gestalt« gemacht hat. 136 Damit ist aber der symbolische Körper der Götter keineswegs einseitig auf ein präzises Aussehen festgelegt. Man muß sich darüber im klaren sein, daß - wie oben im Anschluß am Vernant dargelegt - die imaginierten Göttergestalten niemals individuelle Züge im Sinne der späteren hellenistischen Tradition zeigten, sondern vielmehr rollen- und statusspezifische Merkmale trugen. Nicht ohne Bezug auf die visuellen Symbole, aber doch viel umfassender als diese, könnte man dann im Blick auf die imaginierten Götterbilder, wie es Mettin-

135

BOEHM, Wiederkehr, 30 (Hervorhebung von mir). Vgl. GLADIGOW, Gottesvorstellungen, HrwG III, 40, Anm. 49 (zur altägyptischen Vorstellung, daß »das >Fleisch< der Götter aus Gold sei [...]«); LIVINGSTONE, Works, 92ff. (»Götterbeschreibungstexte«, die zum Teil auf die mit einer kultischen und kosmischen Symbolik verbundenen Materialien der Götterbilder Bezug nehmen; vgl. etwa ebd., 95 [VAT 8917 obv. Z. 12]: »His skull is silver. His sperm is gold.« - zur Symbolik der Stoffe für die Bilder vgl. zusammenfassend BERLEJUNG, Geheimnis, 110f.). 136

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Kapitel 1: Einleitung

ger getan hat, von einer »mentalen Ikonographie« sprechen. 137 Diese stellt ein für den ganzen Alten Orient geltendes Phänomen dar, das insofern auch dann anzunehmen ist, wenn es - wie im westsemitischen Bereich - gelegentlich offizielle Kultformen ohne anthropomorphe Kultbilder gegeben hat. 138 Mit logischer Selbstverständlichkeit galt auch dann, etwa bei den durch Betyle vergegenwärtigten Gottheiten, die soziomorphe Menschengestalt. 1 3 9 Die Gottheiten »selbst«, wie sie auch durch die Handlungskonstellationen der mythischen Texte oder durch die Kulthymnen 140 für die Imagination evoziert wurden, waren nicht abhängig von bestimmten Visualisierungen. Insofern machen es uns die unzähligen Darstellungen des Vorderen Orients und Ägyptens (keineswegs nur die Kultbilder der Tempel, die archäologisch kaum überliefert sind) überaus schwer, zu entscheiden, ob ein damaliger Betrachter darin die Gottheit selbst oder ihre symbolische Repräsentation im kultischen Geschehen wahrgenommen hat, denn genau diese Unterscheidung war ihm letztlich fremd.m Weder im archaischen Griechenland noch im Alten Orient existierte, wie wir gesehen haben, ein Begriff des Bildes, der auf der Relation von Urbild und Abbild beruhte. Insofern hat man auch ikonographisch nur sehr selten eine Festlegung in Richtung der einen oder anderen Dimension des Gotteskonzepts (der hintergründigen Gottheit bzw. ihrem Kultbild) vorgenommen. Dennoch gibt es solche Darstellungen, die zeigen, daß man die »ikonische Differenz« im oben benannten Sinn bzw. die Spannung des Symbolischen zwischen Präsenz und Distanz - wenn auch kaum als solche bewußt wahrgenommen hat. Denn diese bildet, wie wir gesehen haben, ein logisches Implikat des personalen Gotteskonzepts, insofern die unauslotbare Überlegenheit der Gottheiten sozusagen eine »zweite Ebene« in die Erfahrung einführt: die Tiefe oder Hintergründigkeit einer Sphäre, die ganz den Göttern

137

Vgl. oben, 27, Anm. 95. Vgl. METTINGER, No Graven Image?, 81ff. (mit der Rezension von UEHLINGER, Aniconism [siehe oben, 28, Anm. 98]). 139 Das hatte einst W. ROBERTSON SMITH bereits klar gesehen: »In der Natur der Sache aber liegt kein Grund, weshalb die physische Verkörperung, die die Gottheit im Interesse ihrer Verehrer annimmt, ein Abbild ihrer eigenen Gestalt sein sollte, und in den ältesten Zeiten, in die der Cultus heiliger Steine zurückgeht, ist ersichtlich kein Versuch gemacht worden, das Gottesbild als ein Abbild zu gestalten. Ein Steinhaufe oder ein roher Steinpfeiler sind überhaupt kein Abbild; und ich glaube, dass wir auf ganz falschem Wege wären, wenn wir ihre Wahl als Symbol der Gottheit aus irgend einer Betrachtung darüber, wem sie etwa gleichen, zu erklären versuchten.« (DERS., Religion, 157, Hervorhebung von mir). 140 Vgl. dazu BURKERT, STOLZ, Hymnen. 141 Vgl. BERLEJUNG, Theologie, 61: »Die Schwierigkeiten, die Darstellungen von Göttern von denen der Kultbilder zu unterscheiden, hängen damit zusammen, daß den Bildhauern und Siegelschneidern nur selten daran gelegen war, eine Realdifferenzierung zwischen Gott und Bild durchzuführen. Ihnen war vielmehr wichtig, die Realpräsenz der Gottheit in ihrem Kultbild aufzuzeigen; dies gelang, indem eine Gottheit ikonographisch kaum von ihrem Kultbild zu trennen war.« 138

B. Methodische

und hermeneutische

Vorüberlegungen

41

vorbehalten ist, aber von diesen in geregelter Kommunikation zugänglich gemacht werden kann. Die symbolische Doppelung der Wirklichkeit bildete eine Grundstruktur der altorientalischen (und altgriechischen) Weltwahrnehmung.142 Um die Plausibilität dieser Rekonstruktion zu illustrieren, möchte ich an dieser Stelle noch einige ausgewählte Bildzeugnisse heranziehen und dabei angeregt durch die Forschungen Vernants - mit griechischen Darstellungen beginnen. Die Abbildungen auf Taf. 1,1-4 zeigen Vasenbilder verschiedener attischer Gefäße. Sie beziehen sich alle auf die Panathenäen, »das Fest der Bürger von Athen und ihrer Göttin Athena, Patronin von Stadt und Territorium, Herrin der Akropolis - des Angelpunkts der Stadt wo ihre Tempel und Statuen auf den größten und schönsten Plätzen stehen.« 1 4 3 Interessanterweise wurde die aus den Textüberlieferungen und dem Parthenonfries als die zentrale Handlung des Festes bekannte »Übergabe des neuen Peplos an die Göttin« 1 4 4 , eines im Laufe eines Jahres durch die auf der Akropolis wohnenden jungen Mädchen gewebten prunkvollen Gewandes für das alte Kultbild (xoanon) der Athena Polias, auf Vasenbildern nicht abgebildet. Statt dessen finden sich auf ihnen aber andere Stationen dieses großen öffentlichen Kultereignisses, so vor allem die Ankunft des Opferzuges der Bürger auf der Akropolis (Taf. 1,2-3), wobei der Altar unter freiem Himmel vor dem Tempel - wie im westsemitischen Bereich - die entscheidende Stelle der Kommunikation mit der Göttin während des Festes bezeichnet. 145 Es ist sehr aufschlußreich, wie vielgestaltig und doch eindeutig die Göttin im Zusammenhang des Festrituals zur Darstellung kommt: Auf Taf 1,1 ist sie in menschlicher Gestalt abgebildet, offensichtlich in ihrem Tempel (vgl. die rahmenden Säulen, den Sockel mit dem Altar rechts und die Andeutung des Tempeldaches). Athena trägt die Ziegenhaut, die Ägis, und den Helm. Links lehnt ihr großer Schild; auf ihm und auf dem Altar wird sie flankiert von Eulen, ihrem Attributtier, dem sie sie sich mit einer Drehung ihres Kopfes lebendig zuwendet. Nach Claude Bérard, dessen Interpretation dieser Bilder ich hier referiere, wird die Göttin hier »nicht als steife, unbeteiligte Statue [...] [vgl. dazu Taf. 1,2-3], sondern als aktive Priesterin ihres eigenen Kultes« 1 4 6 dargestellt (mit der Rechten hält sie eine für das Trankopfer bestimmte Schale). Ihre die Decke des Tempels durchbrechende Größe 1 4 7 wird darauf

142

Vgl. oben, 13ff. BÉRARD, Feste, 155. Zu den Panathenäen vgl. weiter BURKERT, Religion, 232f„ sowie (in manchem überholt) ausführlicher DEUBNER, Feste, 22ff. 144 Ebd., 156. 145 Vgl. BURKERT, Temple, 36f.: »The altar is commonly placed opposite the temple entrance, as is also true in West-Semitic sanctuaries. Facing the altar, the worshipers thus had the temple at their back. This is the arrangement for the main prayer, pronounced by the priest or the lord of sacrifice immediately before the slaughter.« Vgl. DERS., Religion, 92: »The festival is enacted in the open air around the altar and temple; built as a façade, the temple [...] provides the magnificent background.« 143

146

BÉRARD, Feste, 156. 147 Yg| z u d i e s e m Topos als Teil der Epiphanieschilderung der Aphrodite bei Anchises den großen Hymnus für diese Göttin, Z. 171-174: »Selbst aber legte sie an ihre herrlichen Hüllen, die hehre Göttin, und als sie sich trefflich und völlig gekleidet, da wuchs sie gleich mit dem Haupt bis ans Dach der wohlgezimmerten Hütte. Ewig unsterbliche Schönheit aber

42

Kapitel 1: Einleitung

hindeuten, daß hier vorrangig an die eigentliche hintergründige Gestalt der Göttin gedacht ist. Taf. 1,2-3 zeigen beide die Ankunft des Opferzuges mit den Rindern und Schweinen am Altar: Der Anführer reicht über diesen hinweg der Athenapriesterin, hinter der die überlebensgroße Kultstatue der Göttin (oder doch eine weitere Priesterin?) mit erhobener Lanze und Schild zu sehen ist ( T a f . 1,2), einen Gegenstand. Nochmals dieselbe Situation ist auf Taf. 1,3 zu sehen, nun aber so, daß die Priesterin mit den Zweigen, die sie von dem Anführer des Opferzugs empfangen hat, die Göttin über den Altar hinweg begrüßt. Aufgrund der Größe und starren Haltung wird es sich dabei um die Statue handeln. Noch einmal anders das vierte Bild ( T a f . 1,4), das wie das erste im Tempel situiert ist (vgl. wiederum den Altar auf Podest mit der dahinter aufragenden Säule). Ein Teilnehmer des Zuges bringt Schaf und Stier zum Altar. Über diesem erscheint in überdimensionaler Größe und mit weit geöffneten Augen die auch auf Taf. 1,1 an dieser Stelle befindliche Eule, voller Lebendigkeit und überirdischer Ausstrahlung: »Es ist dieselbe Eule wie auf dem ersten Bild [...]; aber durch die Wirkung des Rituals ist sie zu wunderbarer Größe angewachsen. Athena selbst ist verschwunden, zumindest ihre körperliche Erscheinung, und alle ihre Kraft ist in ihrem Vogel konzentriert [...]. Der Mensch erlebt eine Erscheinung des Göttlichen, ein Phänomen psychologischer Art.« 14 ® Es ist aufschlußreich und lehrreich, wie diese Bilder den auf dem Höhepunkt eines öffentlichen Festrituals stattfindenden Kontakt mit der Gottheit unter verschiedenen Aspekten darstellen: Gleichbleibend sind die vordergründigen Verrichtungen der Menschen, die sichtbaren Handlungen des Rituals, polymorph und überirdisch ist die Gestalt der Göttin. Ihre Präsenz im Rahmen der Rauminszenierung des Heiligtums kann gleichgewichtig durch ihre »eigentliche«, durch Größe ausgezeichnete menschengestaltige Erscheinung, durch die Vermittlung einer Priesterin, durch eine Kultstatue und schließlich durch die Epiphanie ihrer göttlichen Macht in ihrem Symboltier bildhaft festgehalten werden. Nach unserer Auffassung »Materielles« und »Psychisches« stehen ungeschieden nebeneinander. Die Gottheit läßt sich in vielen Weisen »sehen« und erhebt so das Fest in den Rang eines Ereignisses der Verbindung beider Welten, der göttlichen und der menschlichen, die wie Vorder- und Hintergrund innerhalb des konkret-anschaulich gefaßten symbolischen Geschehens unterscheidbar bleiben. Nur auf wenigen Bildzeugnissen finden sich nebeneinander die »eigentliche« hintergründige menschengestaltige Gottheit und ihr Kultbild. Eine aufschlußreiche Gegenüberstellung zweier solche Darstellungen auf Taf. 2 führt uns aus Griechenland zurück nach Mesopotamien: Taf. 2,1 zeigt auf einem Krater aus Tarent (Anfang 4. Jh. v. Chr.) einen Tempel, in dessen geöffnetem Eingang die offenbar vergoldete Statue des Gottes Apollon zu sehen ist. Diese ist durch ihren starren Ausdruck und die Wiedergabe ihrer »Materialität« deutlich als »Bild« gekennzeichnet. Hier ist also bereits der Übergang zu einem Bildverständnis erfolgt, das in den Tempelstatuen des öffentlichen Kultes ein repräsentatives »Abbild« des Gottes im Sinne der Nachahmung sah (im Gegensatz zu den oben erwähnten archaischen xoana, die im Ritus die Gottheit unmittelbar vergegenwärtigten).' 4 9 Dies zeigt deutlich der Kontrast zu dem rechts neben dem Tempel abgebildeten Gott in seiner eigentlichen Gestalt: er ist durch Haltung und Größe (bei gleichen ikonographischen Kennzeichen von Gesicht und Frisur) als die lebendige Gottheit selbst dargestellt, die vor dem neutralen dunklen Hintergrund ganz für sich steht (die Beischrift »Apoll« kennzeichnet sie - wie auch das Attribut der Leier - zusätzlich als eben diesen Gott). Die rund eineinhalb Jahrtausende ältere Darstellung auf Taf. 2,2 teilt

strahlt von den Wangen.« (WEIHER, Hymnen, 103: Hervorhebung von mir). Siehe zur Stelle auch GLADIGOW, Gottesvorstellungen, HrwG III, 41. 148 BERARD, Feste, 158 (Hervorhebung von mir). 149 Vgl. dazu VERNANT, Mythos, 189. 150 Vgl. zu ähnlichen griechischen Darstellungen, die durch zweifache Wiedergabe zwischen Kultbild und Gottheit differenzieren, BURKERT, Temple, 33, mit Anm. 18, sowie

B. Methodische

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Vorüberlegungen

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bei aller Unterschiedlichkeit der dahinterstehenden Konzepte doch eine deutliche Gemeinsamkeit der ikonographischen Ausführung: Es handelt sich um ein altbabylonisches Terrakottarelief aus einer kleinen Gruppe, die jeweils dasselbe Motiv zeigt. 151 Auffallend ist zunächst die Frontalität der Darstellung. Das Bild ist zweigeteilt, wobei sich obere und untere Hälfte - darin den beiden Seiten der Darstellung auf dem Tarent-Krater vergleichbar - aufeinander beziehen. Unten sieht man eine Tempelfront, die mit typischen Merkmalen altbabylonischer (und kassitenzeitlicher) Tempelfassaden ausgestattet ist: Auf der Basislinie stehen rechts und links zwei flankierende niedere Gottheiten (mit wassersprudelnden Gefäßen), über denen jeweils ein übelabwehrender Humbabakopf angebracht ist. Ein über diesen beiden Köpfen befindliches, durch eine dreifache Schuppenreihe verziertes Dach, dem ein ebensolches »Podest« unten zwischen den flankierenden Figuren entspricht, verweist auf die mit den mesopotamischen Tempeln verbundene Sergsymbolik. In dem so gebildeten Rahmen der Tempelfassade steht aufrecht in der Mitte eine männliche Figur, die von zwei Löwenpaaren begleitet wird. Ihre Kopfbedeckung (die Breitrandkappe) reicht bis in die Schuppenreihen des Daches hinein. Erst in der Relation zur oberen Hälfte des Bildes erscheint es als wahrscheinlich, daß die Gestalt im Tempel als Kultstatue zu verstehen ist. Denn oben über der Fassade ist - genau in der zentralen Achse - der riesenhafte Oberkörper einer bärtigen männlichen Gestalt zu sehen, deren Kopfbedeckung und Armhaltung genau der kleinen Figur unter ihr entsprechen. Links und rechts flankieren Waffen (oder »Strahlen«?) die Erscheinung. Ikonographisch läßt die Figur für sich genommen eher an einen irdischen Herrscher denken, der Gesamtkontext macht es jedoch sehr wahrscheinlich, daß hier die durch ihre übermenschliche Größe ausgezeichnete hintergründige Gottheit selbst über dem Tempel mit ihrem Kultbild dargestellt ist. 152 Eine Identifikation des Gottes ist jedoch nicht möglich. Wie die beiden Abbildungen auf Taf. 3 lehren, kann man eventuell noch weiter zurückgehen, um bildliche Zeugnisse für eine Unterscheidung zwischen der Gottheit und ihrer kultischen Vergegenwärtigung zu finden. Auf einer altsumerischen Weiheplakette aus Ur ( T a f . 3,1, Mitte des 3. Jt.s v. Chr.), die in zwei Register aufgeteilt ist, ist zweimal ein analoges Ritualgeschehen dargestellt: Oben libiert ein nackter Priester auf einen Opferaltar vor einer thronenden Gottheit, während hinter ihm kleinere Teilnehmer hinzutreten, und darunter ist eine solche Libation vor der Tempelfassade zu sehen. Die Gottheit und ihr Tempel sind hier ikonographisch austauschbar. Daß bei der thronenden Gottheit an deren hintergründige Gestalt gedacht sein dürfte, macht auch ihre Größe wahrscheinlich. Die in etwa gleichzeitige Siegelabrollung aus Umma (?) auf Taf. 3,2 stellt die auf der Votivtafel getrennten Vergegenwärtigungen der Gottheit (Göttergestalt und Tempelfassade) in einer Bildszene parataktisch nebeneinander. Im Tempel wird die hintergründige Sphäre der Götter zugänglich - beide GLADIGOW, Präsenz, 120, der dies als »beachtliche ikonographische Reflexion« beurteilt, die m.E. an die uralte implizite ikonische Doppelstruktur der Kultsymbole anknüpft. 151 Vgl. zu den weiteren Stücken der Gruppe das nicht betitelte Referat von OPIFICIUS im Archäologischen Anzeiger 1962, 856ff., die von einem »altbabylonischen Kriegsgott« spricht (Marduk? [ebd., 859]). Siehe DIES., Terrakottarelief, 88ff. Anders als OPIFICIUS, die die Konstellation als Gott auf einem Wagen deutet, folge ich der Interpretation von COLLON, Art, lOlf.: »Another type, represented at Ur, Kish and elsewhere, shows what has been interpreted as a temple façade with the cult statue in the centre, framed by frontal lions similar to those found at numerous sites from the mid-third millenium onwards, and door-jambs decorated with demon heads and statues of female deities holding vessels from which flow streams of water.« (Vgl. auch die Abbildung eines weiteren Stückes in HROUDA [Hg.], Der Alte Orient, 225 unten). 1 5 2 Siehe die Bildunterschrift bei COLLON, Art, 103 (zu Abb. 84b): »The deified king or warrior god with weapons above a temple façade.«

44

Kapitel 1: Einleitung

Ebenen, Menschen- und Götterwelt werden ikonographisch zusammengenommen. Was wir als visuelle und imaginäre Ebene unterscheiden, ist von derselben Anschaulichkeit geprägt. Das Nebeneinander von Vorder- und Hintergrund des symbolischen Geschehens in Ritual und Tempelsymbolik kennzeichnet auch das in der alttestamentlichen Exegese (nicht ganz zu Recht) zum ikonographischen Standardbeispiel für altorientalische Heiligtumskonzepte gewordene Nabü-apla-iddina-Relief aus Sippar (Taf. 4,1, 1. Hälfte des 9. Jh.s v. Chr.). 1 5 3 Schon die Größenunterschiede zwischen den von links hinzutretenden Personen der höfisch stilisierten Einführungsszene und dem unter einem Baldachin bzw. in einem Schrein thronenden Sonnengott Samas als Ziel der Audienz verweist auf die symbolische Transparenz des Kultgeschehens: Im Heiligtum öffnet sich der Zugang zur göttlichen Welt. Die Ikonographie des einzigartigen Dokuments ist schon so häufig besprochen worden, daß ich mich hier auf das für eine präzise Deutung wesentliche Verhältnis von Darstellung und Inschrift beschränken möchte, das wertvolle Hinweise für die uns leitende Fragestellung geben kann. Das Sipparrelief handelt von der - nach einem langjährigen Verlust des zentralen Kultbildes des Sonnenheiligtums Ebabbar vorgenommenen - Erneuerung der Kultstatue unter Nabü-aplaiddina. Die Anfertigung der neuen Samas-Statue wurde laut der Inschrift durch ein direktes Einwirken des Gottes initiiert (wunderbare Bereitstellung eines göttlichen Modells). Offenbar hat die auf dem Relief vor dem Schrein auf einem Tisch dargestellte Sonnenscheibe (niphu), die einst auf Befehl des Königs Simbar-sipak (Anfang 11. Jh. v. Chr.) aufgestellt wurde, als Interimssymbol gedient. Die Zerstörung des alten Kultbildes durch die Sutäer deutet die Inschrift als eine lang andauernde zornige Abwendung der Gottheit. Ohne das Bild galt der Kult offenbar als unvollständig und unheilvoll: »(11) Samas, der große Herr, (12), der seit langer Zeit (13) mit Akkad zürnte (14) und seinen Nacken abgewandt hatte, (15) unter der Regierung des Nabü-apla-iddina, (16) des Königs von Babylon, (17) erwies er Gnade (salüna irsima) (18) und wandte sein Gesicht wieder [...] zu (sahäru D). (19) Eine Zeichnung/Relief seiner Statue (usurti salmlsu) (20) in gebranntem Ton (21) mit seinem Aussehen (sikinsu) und seinen Insignien (22) (simätisu) wurde auf der gegenüberliegenden Seite (23) des Euphrat, (24) am westlichen Ufer (25) gefunden [..,].« 154 Es ist aufschlußreich, wie hier die zornige »Abwendung des Nackens« ebenso wie die erneute »Zuwendung des Angesichts« dem Sonnengott selbst zugeschrieben werden (»Nacken« und »Angesicht« sind dabei kaum nur idiomatisch zu verstehen). Gottheit und Bild werden also klar unterschieden. Der Gott ist keinesfalls »existentiell« an sein Kultbild gebunden. 1 5 5 Dieses wurde aber, das zeigt die Deutung des offenbarten Modells als Wiederzuwendung des göttlichen »Angesichts«, als der wichtigste Garant des heilvollen Gotteskontakts angesehen. Zumindest ist das die Auffassung des Königs Nabü-apla-iddina. Denn er verschafft mit der Legende von der Auffindung des Modells seiner Kultrestitution ausdrücklich die göttliche 153 Vgl. die viel rezipierte Auslegung von METZGER, Wohnstatt, 141ff. - Aus assyriologischer und archäologischer Sicht siehe RASHID, Sonnentafel; LAMBERT, Cosmology, 64, Anm. 16; ausführliche Interpretationen unter Berücksichtigung des Zusammenhangs von Relief und Inschrift bieten JACOBSEN, Image, 20-23, und BERLEJUNG, Theologie, 141-149. 154 Kol. III. Zitiert nach BERLEJUNG, Theologie, 143 (Zeilenzählung in runden Klammern und Hervorhebung in Z. 17f. von mir). Vgl. die Übersetzung von JACOBSEN, Image, 20f.: »the great lord Shamash, who for a long time had been wroth with Akkad (i.e. Babylonia) and angrily averted his neck, became appeased in the reign of Nabü-apal-iddina, King of Babylon, and turned his face hither.« 155 Hier besteht in BERLEJUNGs Interpretation (ebd., 146) eine gewisse Widersprüchlichkeit (dazu siehe oben, 30, Anm. 109).

B. Methodische

und hermeneutische

Vorüberlegungen

45

Legitimation, so daß die bisherige Praxis der Verehrung des Samas in Form des - der Eigeninitiative seines Vorgängers entstammenden - Kultsymbols defizitär erscheint. 156 Nun sollte man daraus nicht, wie Berlejung zu Recht betont hat, eine allgemeine Abwertung von Kultsymbolen im Verhältnis zu anthropomorphen Kultbildern in Mesopotamien ableiten (s.u.). 157 Was aber als allgemeingültig erscheint, ist die Unterscheidung zwischen der (in diesem Fall) großen kosmischen Gottheit im Hintergrund und ihren vielfältigen Repräsentationen. Über dem thronenden Samas des Reliefs steht die Beischrift »Image (or >StatuePriestersind im Dunkelnto seek the face of God< or simply >to seek Godmoderne< se von Ps 29,lf.« JEREMIAS, ebd., 125 (Hervorhebung im Original).

HuldiExege-

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Kapitel 2: Die Audienzvorstellung

in Psalm 27

hang mit den MIR "OD.9 Aber nur selten läßt sie sich wie in Ps 27,6-13 in einen gut erkennbaren situativen Kontext einordnen:10 Dem »Aufsuchen« JHWHs mit seinen Assoziationen einer Audienz bei dem göttlichen König soll eine freundliche Annahme und Antwort auf das Anliegen folgen (V.7f.). Die negative Bitte »Verbirg (nun) nicht dein Angesicht vor mir!« in Ps 27,9 wird dann in demselben Zusammenhang des Ersuchens um Zugang zu Gott und die damit verbundene Erwartung gnädiger Zuwendung gedeutet werden müssen. Um sich dies noch klarer vor Augen zu führen, ist es sinnvoll, sich knapp die mit dem hebräischen • , 3S »Angesicht« verbundenen konkreten räumlichen und sozialen (Grund-)Konnotationen zu verdeutlichen. Exkurs 1: Räumliche und soziale (Grund-)Konnotationen »Angesicht«

von hebräisch D'JS

Ernst Jenni vermerkt hierzu im Rahmen seiner breit angelegten Untersuchung der hebräischen Präpositionen, »daß das >Konfrontationsorgan< • , ] S >Vorderseite/Angesicht< als handelnder Körperteil bei Kontakthandlungen nicht vorkommt, da bei der Konfrontation offenbar die Distanz und nicht der Kontakt konstitutiv ist.«'' Aus dieser allgemeinen semantischen Beobachtung lassen sich konzeptionelle Folgerungen für unsere Fragestellung ableiten: D ' E »Angesicht« impliziert fast immer die Relation eines direkten Gegenübers von (zumeist) personalen Instanzen (vgl. die im weiteren noch genauer zu betrachtende Wendung D'JD D ' E r t N »von Angesicht zu Angesicht« 12 ). Dieses direkte Gegenübersein ist stets »frontal«, einander zugewandt, zu denken (= Konfrontation13). Wichtig ist, daß es dabei um eine Nähe geht, die immer zugleich auch eine räumliche Distanz impliziert, einen Raum zwischen den beiden beteiligten Größen, der durch Blick-Kontakt ausgemessen bzw. überbrückt werden kann. In diesem Sinn ist auch die präpositionale Verwendung des Nomens D^S in Zusammensetzungen mit den Präpositionen oder |Q zu sehen. Die präpositionalen Fügungen 'S 1 ? »vor« oder ^BO »von her« implizieren einen an der räumlichen (Seh-)Achse in der Horizontalen orientierten Zwischenraum,14 Diese Kombination eines sich Gegenüber-Befindens bei gleichzeitiger (Seh-)Distanz, die sich bei den festen Wendungen mit dem Nomen C B findet, hat nun eine genaue Entsprechung in der sozialen Situation der Audienz vor dem menschli-

9

Z u D ' B "VNON i m A l t e n T e s t a m e n t v g l . v . a . BALENTINE, H i d d e n G o d , s o w i e PERLITT,

Verborgenheit, und GROß, Gesicht. 10 Vgl. als diesbezügliche Parallele zu Ps 27,7-9a etwa Ps 102,2f. 11 JENNI, Präpositionen 1, 231 (Hervorhebung von mir). 12 Siehe unten, Kap. 2 B., Exkurs 3. 13 So der sprachwissenschaftliche Begriff für diesen Sachverhalt in der allgemeinen Semantik. Vgl. dazu LYONS, Semantik II, 304: »Die wichtigste Rolle bei der Zuerkennung kanonischer Orientierung in der Horizontale spielt die Konfrontation. Wenn zwei Leute [...] in ein Gespräch oder eine andersgeartete Interaktion verwickelt sind, konfrontieren sie einander normalerweise (d.h. jeder wendet dem anderen seine Vorderseite zu). Daraus folgt, daß sich alles, was sich zwischen X und Y während der Konfrontation begibt, vor jedem von ihnen abspielt;« (Hervorhebungen von mir). 14 Vgl. JENNI, Präpositionen 1, 18, der das Oppositionspaar '3S1? »vor«// »hinter« den »Präpositionen mittlere(r) Spezialisierung mit einer zusätzlichen Orientierungsachse«, in diesem Fall der »Sehachse«, zuweist.

A. Das »Angesicht JHWHs« in Ps 27 B(V. 7-13)

73

chen (und - wie ich meine - auch dem göttlichen) Herrscher. Es geht dabei ja um das Geschehen einer konfrontierenden Begegnung zwischen (idealtypisch zwei) Personen von unterschiedlichem sozialen Rang. Eine solche Begegnung ist - wie wir sehen werden - stets dadurch gekennzeichnet, daß der »Raum«, in dem sie stattfindet, die soziale Asymmetrie symbolisch zum Ausdruck bringt und präsent hält. Insofern ist bei jedem in Texten oder auf Bilddokumenten geschilderten Audienzgeschehen eine (reale oder vorgestellte) räumliche Verortung des an der Sehachse orientierten frontalen Gegenüberseins mitgesetzt (z.B. ein Thronsaal). In diesem bereits in der Semantik von D'32 angelegten »Zwischenraum« drücken sich höchste erreichbare Nähe bei gleichzeitig unüberbrückbarer (sozialer) Distanz zwischen Audienzsuchendem und Audienzgewährendem aus. Der Blick-Kontakt »von Angesicht zu Angesicht« ist dabei die primäre Realisierung bzw. die Grundvoraussetzung der bei einer Audienz erstrebten Kommunikation mit dem Höhergestellten.

Interessanterweise findet sich nun aber im Alten Testament keine direkte sprachliche Analogie für die Aussage, daß der König oder ein anderer sozial Höhergestellter im Rahmen einer Audienz sein »Angesicht« vor einem Rangniederen »verbirgt«.15 Es gibt allerdings sachlich entsprechende Textstellen, die zeigen, daß die Verweigerung des in einer Audienz gesuchten »BlickKontakts« mit dem Herrscher Ausdruck von dessen Zorn und Ungnade gegenüber Bittstellern bzw. Untergebenen ist (in den alttestamentlichen Textbelegen handelt es sich stets um Personen, die zum König in einer bevorzugten sozialen Beziehung stehen). Es gibt dabei zwei unterschiedliche Verwendungsweisen solcher Aussagen, eine weitere und eine engere, was für die zahlreichen alttestamentlichen Belegstellen zur Verbergung des JHWHAntlitzes ebenfalls aussagekräftig ist. Die erste, weitere Verwendungsweise hat es mit einer generellen Verweigerung der Audienz und damit der Kommunikation mit dem König zu tun. Es ist dies stets Ausdruck des Unwillens und der Ungnade gegenüber bestimmten Personen, denen bei Androhung des Todes der Zutritt zum Herrscher verweigert wird. So darf nach Ex 10,28f. Mose dem Pharao nicht mehr unter die Augen treten (wörtlich: »mein Angesicht nicht mehr schauen«): 28 Und Pharao sagte zu ihm:

Hing) ^""lOtn

»Geh weg von vor mir!

15

Das scheint - soweit ich sehe - weitgehend auch für den akkadischen Sprachbereich zuzutreffen, wo zwar häufig vom »Verbergen« des Angesichts der Gottheiten, nicht aber von dem eines Herrschers gesprochen wird (vgl. immerhin eine mögliche entsprechende Stelle aus einem neuassyrischen Brief, die BALENTINE, Hidden God, 28, Anm. 27, anführt, wobei er jedoch auf die unterschiedlichen Übersetzungen und Satzabgrenzungen von OPPENHEIM, Accadian, 256, und WATERMAN, Correspondence, 114f., hinweist (WATERMAN, Nr. 885: Brief des Shupa an den Kronprinzen Assurbanipal, Z. 22f.). Letzterer übersetzt im Sinne eines negativen »Verbergens des Angesichts«: »>I shall turn (and) die if the crown prince my lord turns away his face from me< mär sarri be-li pa-ni-su ina muh-hi-ia us-sa-hi-ra.« [Hervorhebung von mir]).

74

Kapitel 2: Die Audienzvorstellung

Hüte dich, fahre nicht fort,

in Psalm 27

^Ofl" 1 ?«

mein Angesicht zu schauen! Denn am Tag, an dem du mein Angesicht schaust,

"lOtÖH "OS nitGewalttat!< (0017) schnauben« weisen auf die Sphäre des Rechts, konkreter auf die Situation der Falschaussage vor Gericht, (vgl. Ex 20,16; 23,1; Dtn 19,16.18; Prv 6,19; 12,17; 14,5; 19,5.9). Im Psalter ist etwa auf Ps 35,11 zu verweisen, wo von »Frevel-Zeugen« gesprochen wird (00n Hü), die den Beter durch ihr Auftreten in die soziale Isolation getrieben haben (V.12b).25 Nahe an Ps 27,11 f. führt vor allem Ps 5,8f. - eine Stelle, die außerdem den Zusammenhang von Audienzvorstellung und Erwartung der (Rechts-)Hilfe durch JHWH angesichts von Verleumdung weiter zu beleuchten vermag:26 8 Ich aber - dank deiner großen Gnade will ich eintreten in dein Haus, mich tief verbeugen hin zu

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deinem heiligen Palast/Thronsaal in Furcht vor dir!

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9 JHWH, leite mich in deiner Gerechtigkeit

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um meiner Verleumder willen! 2 7 Mache recht/eben vor mir deinen Weg!

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Auch hier bittet der Beter darum, vor Gott treten zu können, um seine Klage zu Gehör zu bringen und einen (Rechts-)Entscheid für seinen Fall zu erhalten. Nach Ps 5,8 ist der »Ort«, an dem JHWH hören soll (vgl. V.2f.), »sein Haus«. In dieses »Haus«, das hier nur den Heiligtumsbezirk als ganzen meinen kann, will der Beter »eintreten« (KID), um dort dem Königsgott (vgl. V.3 die Anrede O'PO mein König«) die Proskynese zu erweisen (Hin II Hist »sich tief beugen, verneigen«). Es ist dies eine festliegende Handlungsabfolge, die besonders für das Audienzzeremoniell vor dem Herrscher typisch ist.28 Sehr aufschlußreich für unsere Fragestellung ist dann, daß diese Huldigung vor dem königlichen Gott »in Richtung auf« seinen hekäl erfolgt. Der mehrdeutige Begriff hekäl kann sowohl den Palast einer irdischen Residenz wie 25 Vgl. auch die Ps 27,2f. ähnliche Kriegsmetaphorik für die Feinde in Ps 3 5 , 1 - 4 , die dann später - wie in Ps 27,12 - in juristischer Terminologie als falsche bzw. frevlerische Zeugen erscheinen (Ps 35,1 lf.). 26 Zu Ps 5 vgl. JANOWSKI, Der barmherzige Richter, 109-111. 27 So mit Seybold, Psalmen, 40, der die Verbform von Pi »verleumden« (aram.) ableiten möchte (doch bleibt dies unsicher, vgl. HAL, 1348f.: »[persönlicher] Feind«), 28 Vgl. dazu die vergleichende Untersuchung der hebräischen und akkadischen Terminologie bei GRUBER, Aspects I, 90ff. (zum kultischen Gebrauch); 182ff. (zum höfischen Äquivalent).

A. Das »Angesicht JHWHs« in Ps 27 B

(V.7-13)

81

auch einen Tempel bezeichnen. 29 Innerhalb des Jerusalemer Heiligtumskonzepts ist er außerdem die technische Bezeichnung für den Hauptraum des Tempelgebäudes (seine Vorcella), das so insgesamt als »Königspalast« JHWHs ausgewiesen ist. Ausgerichtet ist der hekäl auf den Debir (in vorexilischer Zeit ein kubusförmiger, etwas erhöhter Einbau, in nachexilischer Zeit immer noch Bezeichnung für die Cella des Jerusalemer Tempels), auf die Stelle, wo nach der Thronvision in Jes 6 - für das menschliche Auge unsichtbar, aber als hintergründige Realität für die Vorstellung gegenwärtig - riesenhaft der Gottesthron aufragt. Ps 5,8 zeigt diese beiden, in der Raumsymbolik des Heiligtums auf das engste miteinander verbundenen Ebenen mit aller wünschenswerten Deutlichkeit: wer das Heiligtum betritt, der bewegt sich in seiner Vorstellung zugleich in einer tieferen, hintergründigen Wirklichkeit: in der Sphäre JHWHs, die durch die Symbolik des Tempels als eine königliche Residenz konzipiert ist. Das »Hineingehen« von dem Ps 5,8 spricht, impliziert auch das Herantreten an den Gottesthron, gedacht im Rahmen einer Königsaudienz. Indem aber die Proskynese in Ps 5,8 ausdrücklich »in Richtung auf deinen heiligen hekäl« (ItEHp-^DTT^K) erfolgt, werden die beiden Ebenen auch wieder unterschieden:30 Das Tempelgebäude selbst darf offensichtlich durch den Beter nicht betreten werden, 31 dennoch vergegenwärtigt der Heiligtumsbesuch - bzw. der Text des Psalms - für die Vorstellung als »mentales szenisches Bild« den Zugang zur göttlichen Thronsphäre. Im Rahmen dieser »Audienz« wird in Ps 5,8f., wo wie in Ps 27,11 die Notsituation eines zu Unrecht Beschuldigten vorausgesetzt ist, die »Führung« bzw. »Leitung« durch Gott auf dessen »ebenen/rechten Weg« erbeten (ähnlich auch in Ps 27,11). Beide Male wird die an sich so vielfältige, besonders im weisheitlichen Sprachgebrauch verbreitete Metaphorik des »Weges« ("|~n) verwendet, um die von J H W H erhoffte (Rechts-)Hilfe »um meiner Feinde/Verleumder willen« (jeweils TVKÖ zu umschreiben. Es würde für unsere Fragestellung zu weit führen, dem hier genauer nachzugehen. Festhalten läßt sich aber im Licht des für beide Psalmen charakteristischen Zusammenhangs von Audienzvorstellung und Bitte um Rettung/Hilfe (aus der Not falscher Beschuldigung), daß man diese Formulierungen nicht allein als Ausdruck weisheitlicher Bildsprache sehen darf, sondern vielleicht damit zu rechnen hat, daß hier noch der Reflex eines institutionellen Hintergrundes (von Rechtsentscheiden am Heiligtum) zu finden ist. Für die vorliegende Endge-

29

Siehe dazu u.a. HARTENSTEIN, Unzugänglichkeit, 57ff. Eine strukturell völlig vergleichbare Stelle, die den Sachverhalt nochmals zu illustrieren vermag, findet sich im Psalter nur noch in Ps 28,2: »Höre die Stimme meines Flehens, wenn ich zu dir schreie, wenn ich meine Hände erhebe zu deinem heiligen Debir! « CKCD;3 "[tDlp "TDT'PR ' T ) ; vgl. daneben auch noch Ps 134,2: »Erhebt eure Hände zum Heiligtum!« ( e n p CDT-iRto). 30

31

Siehe dazu oben, 47ff.

82

Kapitel 2: Die Audienzvorstellung

in Psalm 27

stalt beider Psalmen gilt das mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht mehr. 32 Im Blick auf die Entstehung von Ps 27 könnte es aber auf eine unabhängige Herkunft des zweiten Teils Ps 27,7-13* verweisen. Einen weiteren Schritt voran in unserem Versuch, die Audienzvorstellung, wie sie Ps 27 als ganzen prägt, zu verstehen, bringt uns nun die Untersuchung des letzten Verses des zweiten Psalmteils, der das für unsere Fragestellung so wichtige, oben bereits gestreifte Thema der »Schau (des Angesichts) Gottes« aufgreift. 4. Ps 27,13: »Gott schauen« vor dem Hintergrund der Audienzvorstellung

I

Der zweite Teil von Ps 27 endet mit einer Vertrauensaussage. Dies ergibt sich, wenn man die satzeinleitende Partikel K1?']'? »wenn nicht« an dieser Stelle affirmativ (»sicherlich«) versteht: 33 13 Wenn ich nicht ganz sicher wäre, (noch) mit Lust 3 4 zu sehen das Gute JHWHs

Tua«n nirr-moa

iöi? ni«-)1?

im Land von Lebenden -

Als abschließende Umschreibung der vom Beter ersehnten Erfahrung von Rettung und Heil, die in Ps 27,7-12 zuvor schon als Audienz vor JHWH, als Aufnahme in die unmittelbare Nähe Gottes und als Nichtauslieferung an die »Lügenzeugen« kenntlich wurde, findet sich in V.13 nun noch die Erfahrung der »Gottesschau«. Was ist damit gemeint bzw. welche traditionsgeschichtlichen Linien verbinden diesen mit Termini der visuellen Wahrnehmung bezeichneten Gotteskontakt mit der die vorigen Verse bestimmenden Audienzvorstellung? Bleibt man bei dem durch die Formulierungen von V.8f. angezeigten höfisch-kultischen Konzept der Begegnung mit dem Königsgott JHWH, so ist auf die oben bereits erwähnten Wendungen vom »Sehen/Schauen« (zumeist ritf")) des göttlichen »Angesichts« zu verweisen (direkte Belege im Psalter Ps 11,7; 17,15; 42,3; außerhalb des Psalters Gen 33,10; 1 Sam 1,22; Jes 1,12; Hi 33,26), die in der menschlichen Sphäre ihre sprachliche und sachliche Analogie in Schilderungen der Begegnung zwi-

32 Vgl. ähnlich Z E N G E R , Angesicht, 19. - Daß die Suche der Exegeten nach der »eigentlichen Not« in den Individualklagepsalmen nicht selten »im Grunde quer zur eigenen Intention der Texte« läuft, hat CRÜSEMANN, Im Netz, in bedenkenswerter Weise herausgestellt (Zitat, ebd., 139). Für C R Ü S E M A N N ist gerade die nicht »monokausal« auflösbare Häufung von Notaussagen die große Stärke der Texte auch im Blick auf ihrer Verwendbarkeit als Gebetstexte bis heute. Siehe dazu auch JANOWSKI, Die „kleine Biblia", 136f. 3 3

34

Vgl. H A L , 4 9 8 ; NIEHAUS,

Use.

Vgl. zu dieser auch in Ps 27,4 und in Hi 33,28 (vgl. unten, Kap. 2 A., 4b) vorkommenden Konstruktion von i l K l (oder einem anderen Verb der visuellen Wahrnehmung) + 3 zur Bezeichnung einer »interessierte[n] Wahrnehmung mit dem Auge« J E N N I , Präpositionen 1 , 246ff.

A. Das »Angesicht

JHWHs«

in Ps 27 B

83

(V.7-13)

sehen Herrscher und Untergebenen bzw. allgemeiner zwischen sozial höherund tieferstehenden Personen haben (vgl. z.B. Gen 32,21; 33,10; 43,3.5; 44,23.26; 2 Sam 3,13; 2 Sam 14 passim). Hierzu müssen an dieser Stelle zwei wichtige Texte ausführlich zur Sprache kommen, die einen Rahmen für die folgenden Überlegungen zur »Schau« (des »Angesichts«) JHWHs abzustecken vermögen. a) Gottes und eines Menschen Angesicht »schauen« in Gen 33,10 und Gen 32,31f. In Gen 32 und 33 findet sich die breit ausgeführte Schilderung der Wiederbegegnung der (durch Jakobs List und Flucht) entzweiten Brüder Jakob und Esau. Jakob sieht diesem - wiederum durch Flucht (aus Harran) eingeleiteten - Zusammentreffen mit dem betrogenen Bruder mit Sorge entgegen und versucht mit Boten und Versöhnungsgaben schon vorab eine für ihn günstige Situation zu schaffen (Gen 32,14-22). Daß die Schilderung der Vorbereitung des Treffens und dieses selbst in einer höfischen Stilisierung erscheinen, 35 wird besonders deutlich, wenn man das Ende der Boteninstruktion durch Jakob in Gen 32,21 mit der Begegnungsszene in Gen 33,10f. vergleicht: Gen 32,21: » [ . . . ] dann sollt ihr [zu Esau] sagen: >Siehe, dein Knecht Jakob ist hinter uns!unser Vater ist bei Gott und steht vor ihm für uns, er wird uns losbitten von Sünden. Es ist daselbst kein Helfer keinem einzigen Menschen, der gesündigt hat.Lösegeld< gefunden!«

Nach dem hier vorgeschlagenen Verständnis des schwierigen, da vielfach mehrdeutigen Textes (vgl. besonders die Zuordnung der Suffixe) sprechen V.23f. ausschließlich von dem Geschehen in der Sphäre Gottes, wo es eine Aufgabe der dort »vor ihm« (V 1 ^ V.23; vgl. 1 Kön 22,19 [1,L?I>]; Sach 6,5 ]HK *?i>]; Hi 1,6; 2,1 [mir amtierenden »Boten/Engel« ist, zwischen der menschlichen Welt und dem Bereich des Gottesthrons zu »vermitteln« (ein f ^ O ist ein »Dolmetscher«48). Ähnlich wie die »Göttersöhne« in Hi l,6ff. und Hi 2,lff. die Erde durchstreifen und zum regelmäßigen Rapport vor den Thron JHWHs treten (Stichworte Kin und bv ZW Hitp), wird in Hi 33,23 offenbar vorausgesetzt, daß ein solcher himmlischer »Fürsprecher« zugunsten eines einzelnen Menschen Auskunft gibt und so - im Fall seiner Rechtschaffenheit/Geradheit (IltÖ1 V.23) - für dessen Belange eintritt49 (so wird ja auch der »Satan« in Hi 1,8 ausdrücklich hinsichtlich eines einzelnen, eben Hiobs, befragt und nimmt dazu Stellung). Daneben könnte die Rolle des »Fürsprechers« in Hi 33,23 auch im Sinne eines persönlichen Schutzengels verstanden werden, der den Menschen bei seinem Bemühen um Zugang bei Gott begleitet und unterstützt (vgl. dazu auch Hi 5,1).50 Deutlich ist jedenfalls, daß die Interzession des himmlischen »Beamten« den königlichen Gott zu einer für den Kranken schicksalswendenden Reaktion der Gnade veranlaßt (]]!"! V.24), die darin besteht, daß er wiederum dem »Mittlerengel« den Auftrag gibt, das Leben des Leidenden vor dem »Hinabfahren zur Grube« zur bewahren (vgl. auch hier die Analogie zu Hi 1,12; 2,6, wo JHWH es dem »Satan« anheimstellt, das Schicksal Hiobs - entsprechend der »Wette« natürlich negativ - zu beeinflussen). Nach dieser Schilderung der hintergründigen Vorgänge im Bereich Gottes sprechen die folgenden Verse Hi 33,25ff. von den damit zugleich einhergehenden Wirkungen in der Menschenwelt: 25 Kräftig ist (dann) sein Leib wie früher,

i~]Ci?3 tÖSC?"]

er kehrt zurück zu den Tagen seiner Jugend. 26 Fleht er (dann) zu Gott,

I

" W

47

Siehe dazu J a n o w s k i , Sühne, 149f.; 171. Vgl. HAL, 558: 1. »Beamter, Mittelsmann«, a) »Dolmetscher«, b) »Abgesandter«, 2. »untergeordnete himmlische Wesen, Fürsprecherengel« (Hi 33,23). 48

49

In diesem Sinne ist Hi 33,23f. in der rabbinischen Literatur verstanden worden, »die die Rettung auf Verdienst, Gebotserfüllungen, Buße und gute Werke zurückführt.« ( J E R E M I A S , Lösegeld, 219). 50 Zu dieser verbreiteten altorientalischen Vorstellung, die es mit der »Einführung« vor das Antlitz einer Gottheit in Analogie zur Einführung vor den Thron eines Herrschers zu tun hat, vgl. nochmals exemplarisch Taf. 24 (siehe auch oben, 56ff.).

A. Das »Angesicht JHWHs« in Ps27B(V.

89

7-13)

so nimmt der ihn wohlwollend an,

VtST",

und er schaut sein Angesicht unter Jubelruf! Und es kehrt für (den) Menschen seine Gerechtigkeit zurück; 27 gerecht/gerade

51

nynng r s

trn

(ist er dann) vor (den)

Menschen und spricht: »Ich habe gefehlt, das Gerade/Rechte habe ich verkrümmt,

d 1 ? ) ^ - ^ I HD] TiKon

'ri'i^n "i^i

aber Gleiches geschah mir nicht! 5 2 28 Errettet hat er meine Lebenskraft vom Hinabfahren in die Grube, und mein Leben schaut mit Lust das

n n t i ö - ü i ? q [itö?]] TöE« r n s : n « - i F -lirca [in»m' ] T r m

Licht! 53

Die Fürsprache des »Vermittlers« vor dem Gottesthron hat die Restitution des Kranken zur Folge. Er gesundet und kommt wieder zu Kräften. Und gleichzeitig öffnet sich ihm auch wieder der Zugang zu Gott, und er kann nach langer Zeit von neuem die Erfahrung machen, daß Gott »antwortet«. Aufschlußreich für unsere Fragestellung und speziell das Thema der »Gottesschau« ist wieder die Terminologie, mit der die neu möglich gewordene Kommunikation zwischen Mensch und Gott umschrieben wird: »Fleht er (dann) zu Gott, so nimmt der ihn wohlwollend an, und er schaut sein Angesicht unter Jubelruf.« Das Anliegen der zweiten Elihurede findet hierin seine Zuspitzung. Dies bedarf einer knappen Erläuterung. Die Elihureden setzen deutlich die Dialoge zwischen Hiob und seinen Freunden aus dem Corpus der Redegänge (sowie die Rahmenerzählung) voraus und beziehen zu der dort entfalteten Problematik Stellung. Üblicherweise sieht man in unserem Abschnitt eine »Lehre von der göttlichen Leidenspädagogik« entfaltet, »die den Sünder zur Umkehr und damit zum Leben führen

51

Das "112'' ist schwierig zu verstehen. Die Punktation der Masoreten ergibt wenig Sinn (»er blickt«?). Häufig findet sich der Vorschlag einer Umpunktierung zu »er singt« (was gut zur Situation eines die Restitution und Heilung feiernden Dankliedes in der Kultgemeinde passen würde; vgl. FOHRER, Hiob, 453; 455). Vom Kontext her ist m.E. die oben gewählte Übersetzung als Nominalsatz mit dem Adjektiv HD'' »gerecht/gerade« sehr naheliegend (Parallelismus zu i i p i ü in V.26; Leitwort Itö'' zuvor in Hi 33,3.23 [s.o.] und danach ein zweites Mal in Hi 33,27). 52

Vgl. z.B. DELITZSCH, lob, 443; siehe die Darstellung der Diskussion unter Einbeziehung der Versionen in HAL, 1334 (HIDI Qal »gleich sein, werden«, 3.). 53 Die Konstruktion von HS") + D meint eine gesteigerte Form des »Sehens«, eine visuelle Wahrnehmung unter intensiver emotionaler Beteiligung (vgl. dazu JENNI, Präpositionen 1, 244f.; ebd., 245 [zur oben gewählten Übersetzung von Hi 33,28]); siehe ausführlicher dazu auch unten, Kap. 2 B.l.a, zu Ps 27,13 und Ps 27,4, wo sich dreimal dieses sog. »Beth des Interesses« bzw. »beth sphaerae« (vgl. JENNI, ebd., 244) zusammen mit Verben der (visuellen) Wahrnehmung findet.

90

Kapitel 2: Die Audienzvorstellung

in Psalm 27

will«. 54 Auch wenn diese Sicht im Kern zutrifft, ist sie nach der oben vorgetragenen Deutung der Verse 23f. doch an einer wesentlichen Stelle zu modifizieren: Wo nämlich erfolgt nach Hi 33 die »Umkehr« des Beters und wie bestimmt sie sich inhaltlich? Wenn man, wie es zumeist der Fall ist, die Rolle des »Mittlerengels« so versteht, daß er nach V.23 nicht vor dem Gottesthron, sondern beim Beter wirkt, dann würde er durch sein Aufzeigen des eigentlich von dem Leidenden erwarteten rechten Weges und dessen bußfertiger Reaktion darauf die Voraussetzung für das von Gott gefundene »Lösegeld« schaffen. Doch eine solche deuteronomistisch anmutende »Umkehr« zur Buße schildert der Text an dieser Stelle gerade nicht! Daher legt sich - entsprechend der oben gewählten Übersetzung von TltÖ1 DIN1? Tin 1 ? in V.23 - ein anderes Verständnis nahe, das auch durch die rabbinische Rezeption der Stelle gestützt wird. Worin besteht nämlich die Verfehlung Hiobs nach der Argumentation Elihus? In Hi 33,8ff. hält er Hiob vor, daß er mit dem Ausbleiben einer Antwort Gottes hadert, die er im Bewußtsein seiner Unschuld ungeduldig einfordert (V.12f.): »Da bist du im Unrecht, entgegne ich dir, denn größer ist Gott als ein Mensch. Warum streitest du wider ihn: >Fürwahr, all meinen 55 Worten antwortet er nicht!