Das amerikanische Regierungssystem: Vierzehnter Jahresbericht [Reprint 2022 ed.] 9783112693766, 9783112693759


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Das amerikanische Regierungssystem
VIERZEHNTEN JAHRESBERICHT DER STRASSBURGER WISSENSCHAFTLICHEN GESELLSCHAFT IN HEIDELBERG
Vorwort
Hochansehnliche Versammlung!
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Das amerikanische Regierungssystem: Vierzehnter Jahresbericht [Reprint 2022 ed.]
 9783112693766, 9783112693759

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Schriften der Straßburger Wissenschaftliehen Gesellschaft in Heidelberg Neue Folge 5. Heft

Das amerikanische Regierungssystem Hede, gehalten bei der Jahresversammlung der Straßburger Wissenschaftlichen Gesellschaft am 1. Oktober 1921 ron

Otto Lenel

Vierzehnter J a h r e s b e r i c h t Erstattet- von

Harry Breßlau

BERLIN UND LEIPZIG

1922

VEREINIGUNG WISSENSCHAFTLICHER VERLEGER WALTER DE GRUYTER & CO. VORMALS

(i. J . G Ö S C H E N ' S C H K

BUCHHANDLUNG



GEORG

VERLAGSHANDLUNG —

REIMER



KARL J .

J. GUTTEXTAG,

TRÜBNER



VEIT

VERLAGS&

COMP.

Die am 6. Juli 1906 gegründete S t r a ß b u r g e r

Wissenschaft-

l i c h e G e s e l l s c h a f t , die 1919 ihren Sitz nach Heidelberg verlegt hat und Vertreter aller Zweige der Wissenschaft umfaßt, veröffentlicht wissenschaftliche Arbeiten verschiedenen Inhalts und ümfangs, die in zwangloser Folge erscheinen und einzeln käuflich sind. Bänden ist nicht beabsichtigt.

Eine Zusammenfassung in

Yon der ersten Reihe dieser Schriften sind

'dl Hefte erschienen; im Jahre 1920 ist eine neue Folge begonnen worden.

Schriften clor Straßburger Wissenschaftlichen Gesellschaft in Heidelberg Neue Folge 5. Heft

Das amerikanische Regierungssystem Rede, gehalten bei der Jahresversammlung der Straßburger Wissenschaftlichen Gesellschaft am 1. Oktober 1921 von

Otto Lenel

Vierzehnter Jahresbericht Erstattet von

Harry Breßlau

BERLIN UND LEIPZIG

1922

VEREINIGUNG WISSENSCHAFTLICHER VERLEGER WALTER DE GRUYTER & CO. V O R M A L S

Ii.

.1. G Ö S C H E N ' S C H E

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GEORG

V E R L A G S H A N D L U N G R E I M E R



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.1. G U T T E N T A G ,

T R Ü B N E R

-

VEIT

V E R L A G S Sc

C O M P .

Das amerikanische Regierungssystem Rede, gehalten bei der Jahresversammlung der Straßburger Wissenschaftlichen Gesellschaft am 1. Oktober 1921

von

Otto Lenel

BERLIN UND LEIPZIG

1922

VEREINIGUNG WISSENSCHAFTLICHER VERLEGER WALTER DE GRUYTER & CO. VORMAI,S

G.

J. G Ö S C H E N ' S C H E

BUCHHANDLUNG



GEORG

VERLAGSHANDLÜNG REIMER



KARL

.1.



J.

GUTTENTAG,

TRÜRNER



VEIT

VERLAGSIFC

COMP.

Alle Rechte vorbehalten.

Druck: Hermann Hfililaus Nachfolger, IIof-Huchdruckerei in Weimar.

Das amerikanische Regierungssystem. liede, gehalten hei der Jahresversammlung der Straßburger Wissenschaftlichen Gesellschaft a m 1. Oktober

1921.

Von

Otto L e n e l . Wir leben heute unter der Herrschaft des reinen, durch keinerlei wirksame Hemmung eingeschränkten Parlamentarismus, jenes Systems, das dem Staatsoberhaupt jeden aktiven Einfluß auf die Führung der Staatsgeschäfte entzieht, es bei jedem Schritt abhängig macht von der Zustimmung des Ministeriums, den Bestand des Ministeriums aber wieder von dem fortdauernden Vertrauen des Parlaments. Noch haben sich die Folgen des Parlamentarismus bei uns nicht voll ausgewirkt, und ich denke nicht daran, alle unerfreulichen Erscheinungen der Gegenwart einzig gerade auf unser Regierungssystem zurückführen zu wollen. Aber eine dieser Folgen allerdings liegt doch heute schon so klar am Tage, daß man blind sein müßte, um sie zu übersehen. Wir Deutsche bedürfen in unserer politischen Lage mehr als irgendein anderes Volk der Erde einer wenigstens im Innern starken und zielsicheren Regierung. Nun gibt es leider kein Regierungssystem, das eine solche gewährleistet. Das parlamentarische aber zeichnet sich dadurch aus, daß es eine andre als eine schwache bei uns überhaupt nicht aufkommen läßt, sie auch dann nicht aufkommen lassen würde, wenn die Entente nicht bewußt in gleicher Richtung arbeitete. Man mag vom Werte des parlamentarischen Systems denken wie man will, jedenfalls kann es nur funktionieren, wenn zwei Voraussetzungen gegeben sind. Eine wenn nicht einheitliche, so doch im ganzen homogene Parlamentsmehrheit, die ihrem Führer eine zuverlässige Stütze bietet, und eine ebenfalls homogene Minderheit, die in ihren letzten Grundsätzen der Mehrheit nicht so ferne steht, daß sie nicht das Ruder ergreifen könnte, ohne alles umzustürzen, was jene aufgebaut hat,; das, was die Parteien trennt, darf, wie einmal Balfour gesagt hat, nicht von so fundamentaler oder revolutionärer Bedeutung sein, daß es die Gesellschaftsklassen oder die Vertreter der verschiedenen Meinungen in hoffnungsloser Entfremdung voneinander scheidet. 1 ) Beide Voraussetzungen fehlen bei uns. Wir haben keine auch nur einigermaßen geschlossene Parlamentsmehrheit, weder auf der Linken noch auf der Rechten. Ebensowenig eine jener Anforderung entsprechende Minderheit. Sieben Parteien ringen miteinander um die Herrschaft, jede von allen andern durch eine Kluft getrennt, keine mehr als einen Bruchteil des Reichs') Angeführt nach H a t s c h e k s englischem Staatsrecht bei H a s b a c h , Die moderne Demokratie (Neudruck) S. 1 7 7 I c h konnte die Stelle bei Hatschek nicht finden. S c h r i f t e n clor Straßburgor W i s s e n s c h a f t l i c h e n Gesellschaft N. F . V .

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tags umfassend. Ein Ministerium kann überhaupt nur durch eine Koalition mehrerer Parteien Zustandekommen. Auch Koalitionsministerien nun können da, wo die Parteistandpunkte nicht allzuweit voneinander liegen oder wo angesichts des äußern Feinds leidenschaftlicher Patriotismus ein eisernes Band um die widerstrebenden Kräfte legt, eine gewisse Stärke gewinnen. Weder das eine noch das anüre aber ist bei uns der Fall, und so sind alle Ministerien notwendig gebrechlich. Das Ministerium kann, gerade bei wichtigen Entschlüssen, nicht fest auf die Unterstützung aller verbündeten Parteien rechnen ; versagt aber auch nur eine die Gefolgschaft, so kommt es zu Fall. Es muß also, wenn es nicht stürzen will, ihnen allen Konzessionen machen, sorgfältig jeden Schritt vermeiden, der auch nur einer unter ihnen mißfallen könnte; ja mehr noch: da die Koalitionen keine sichere Mehrheit verbürgen, muß es auch noch andre Parteien schonen, auf deren Wohlwollen es angewiesen sein könnte. Innerhalb des Ministeriums führen die einander widerstrebenden, Parteikatechismen der einzelnen Minister zu beständigen Reibungen, zu gegenseitiger Paralysierung, zu einem Gegeneinander- und Aneinandervorbeiregieren. J e weniger sicher aber die Mehrheit sich im Besitz der Macht fühlt, um so weniger wird sie geneigt sein, der sie grundsätzlich bekämpfenden Minderheit freies Spiel zu gewähren. Schwäche der Regierung vermindert nicht, sondern verschärft die ohnehin vorhandene Gefahr der Parteityrannis. Kein Wunder, daß die Einsieht in diese Lage der Dinge denkende Politiker zu der Frage geführt hat, ob es nicht möglich sei, den deutschen Freistaat unter Festhaltung des demokratischen Prinzips nach einem anderen System einzurichten, das der Regierung mehr Festigkeit zu geben imstande wäre. Von selbst richtete sich da der Blick auf die große und blühende Republik jenseits des Ozeans, deren Verfassung von dem parlamentarischen System nichts weiß, und ernst zu nehmende Männer haben in der Tat die Meinung vertreten, daß die Annahme des amerikanischen Regierungssystems für die Zukunft unseres Vaterlandes bessere Aussichten eröffnet haben würde als der Parlamentarismus. Mein heutiger Vortrag möchte dazu beitragen, Ihnen hierüber ein Urteil zu ermöglichen. Das Regierungssystem, das in der Union besteht, kann ebensowenig wie das irgendeines andern Staates mit geschriebener Verfassung dem bloßen Wortlaut der Verfassung entnommen werden. Die Väter der amerikanischen Verfassung selber, so hervorragende Staatsmänner sie waren, haben von mancher fein ausgedachten Vorschrift Wirkungen erwartet, die ausgeblieben sind, und umgekehrt sind im lebendigen Lauf der Entwicklung Erscheinungen hervorgetreten, von denen sich diese Staatsmänner nichts träumen ließen. Auch ein so tief bohrender politischer Denker wie Tocqueville, dessen Démocratie en Amérique 1835 erschienen ist, hat sich in seiner Prognose vielfach getäuscht. Immerhin empfiehlt es sich, von den Vorschriften der Verfassung auszugehen. Der amerikanischen Verfassung ist bekanntlich charakteristisch, daß hier

o die Montesquieu zugeschriebene Lehre von der Teilung der Gewalten strenger als irgendwo sonst verwirklicht ist. Die Legislative liegt beim Kongreß, d. h, dem Repräsentantenhaus — oder wie m a n drüben kurz sagt: dem H a u s — und dem Senat, die Exekutive beim Präsidenten, die richterliche Gewalt bei den Bundesgerichten. Da ich nur von dem Regierungssystem reden will, so lasse ich die richterliche Gewalt beiseite, so großes Interesse auch ihre Gestaltung bietet, und beschränke meine Betrachtung auf die Legislative und Exekutive. Absolut ist die Trennung freilich zwischen ihnen keineswegs. Der Präsident ist an der Gesetzgebung zwar nicht positiv, aber doch negativ dadurch beteiligt, d a ß er Beschlüssen des Kongresses ein suspensives Veto entgegensetzen kann, und der Kongreß hat, wie wir noch sehen werden, mancherlei Mittel in der H a n d , u m die vollziehende Gewalt des Präsidenten zu hemmen. Aber bis an die Grenze des Möglichen allerdings ist die Trennung durchgeführt. Die Legislative liegt, sagte ich, beim Repräsentantenhaus u n d Senat. Beide — das H a u s von jeher, seit einigen J a h r e n aber auch der Senat — gehen aus direkter Volkswahl hervor, doch mit dem Unterschied, daß die Gesamtzahl der Repräsentanten unter die einzelnen Staaten nach Verhältnis ihrer Bevölkerungszahl (1 auf 200000) verteilt ist, während in den Senat jeder ¡Staat, einerlei ob klein oder groß, schwach oder stark bevölkert, je zwei Mitglieder entsendet; den jetzt 48 Staaten entsprechen also 96 Senatoren. Die Feststellung der aktiven Wahlberechtigung ist grundsätzlich den Staaten überlassen; doch besteht heute überall gleiches Wahlrecht — aber nicht Proportionalwahlrecht —, das in jüngster Zeit durch ein amendment zur Bundesverfassung auch auf die Frauen erstreckt worden ist. Die Wählbarkeit zum H a u s ist an die Vollendung des 25., die zum Senat an die des 30. Lebensjahrs geknüpft. Das Repräsentantenhaus wird alle zwei J a h r e erneuert. Wiederwahl und gar wiederholte Wiederwahl bildet keineswegs die Regel; das H a u s soll meist etwa zur Hälfte aus homines novi bestehen. Die Senatoren werden auf sechs J a h r e gewählt; in jedem zweiten J a h r scheidet ein Drittel aus. Wiederwahl war — bisher wenigstens — häufiger als für das Haus. Umstände, die zusammen mit der geringeren Zahl der Senatoren bewirken, daß im Senat mehr Tradition herrscht, Sachkenntnis und Erfahrung stärker vertreten sind als im Haus. Die eigentlich führenden Politiker pflegen im Senat zu sitzen, nicht im Haus. 1 ) Innerhalb der zweijährigen Legislaturperiode finden k r a f t Gesetzes nur zwei reguläre Sessionen s t a t t , mit einer Gesamtdauer von 10—12 Monaten. Die eine längere (the long session) beginnt anfangs Dezember .des Jahres, das auf die Wahl folgt, die des 1920 gewählten Hauses also erst im Dezember 1921, und dauert bis in den folgenden Juli oder August; die zweite, kürzere beginnt im darauffolgenden Dezember und dauert bis zum 4. März. *) W. W i l s o n , Constitutional government in the United States 1908 (Neudruck 1917) 113. Über die größere Häufigkeit der Wiederwahl 137. S. auch B r y c e , the American Commonwealth (2. ed. 1911) I 118 f. 1*



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Aus besonderem Anlaß (on extraordinary occasions) 1 ) k a n n der Präsident den Kongreß oder auch eines der beiden Häuser zu außerordentlichen Sitzungen berufen. Man tut dies nicht gerne; es hat sich jedoch gerade bei den letzten Kongressen wiederholt, und so auch 1921, nicht vermeiden lassen. Dem europäischen Auge, das die Verhandlungen der beiden Häuser verfolgt, fällt auf den ersten Blick eines auf: das Fehlen einer leitenden Regierung. Wir in Europa waren und sind daran gewöhnt, daß die Gesetzes Vorschläge fast alle von der Regierung ausgehen; diese läßt sie durch ihre geschulten Beamten ausarbeiten; Regierungsvertreter sind ständig im Parlament anwesend, sie übernehmen die Verteidigung der eingebrachten Entwürfe, beteiligen sich an der Debatte, und in den parlamentarisch regierten Staaten ist das Schicksal wichtiger Gesetzentwürfe zugleich das der Regierung. Von alledem nichts in Amerika. Zwar gibt es auch dort eine Regierung: den Präsidenten mit seinen jetzt zehn Sekretären, die zusammen das sog. Kabinett bilden. Aber diese Regierung hat offiziell nichts mit der Gesetzgebung zu tun. Es gibt in beiden Häusern keine Regierungsbank und keinen Regierungstisch. Ihre Mitglieder haben als solche nicht das Recht, sich an der Debatte zu beteiligen, und Mitglieder der gesetzgebenden Körperschaften brauchen sie nicht nur nicht zu sein, sondern dürfen sie als Unionsbeamte gar nicht sein. Das Recht gesetzgeberischer Initiative steht der Regierung nicht zu, und wenn sie ein Gesetz wünscht, so kann sie das zwar zu erkennen geben, z. B. durch eine Botschaft des Präsidenten; aber einbringen kann sie selber das Gesetz nicht, muß vielmehr einen Angehörigen eines der beiden Häuser als Vertrauensmann vorschieben. Alle Gesetzesvorschläge gehen von einzelnen Repräsentanten oder Senatoren aus. Solcher Gesetzesvorschläge werden während der zweijährigen Lebensdauer eines Repräsentantenhauses nicht Hunderte und nicht Tausende, sondern Zehntausende eingebracht 2 ), wobei allerdings zu berücksichtigen ist, daß es sich bei vielen darunter um sog. private bills handelt, die lediglich die Bewilligung von Konzessionen, Pensionen und dergleichen zum Gegenstande haben, und daß auch zahllose public bills sich auf Dinge beziehen, die bei uns von der Verwaltung erledigt werden. Es ist selbstverständlich ausgeschlossen, daß auch nur ein erheblicher Teil dieser Gesetzes vor schläge verabschiedet werden könnte; nach B r y c e ' s 3 ) Berechnung wird dies günstige Schicksal etwa 5 °/0 darunter zuteil. Auch dieser geringe Prozentsatz könnte nicht bewältigt werden, wenn die Debatte im Haus nicht aufs äußerste beschränkt würde. Den Rednern wird schon durch die Geschäftsordnung vielfach ihre Zeit zugemessen, mitunter eine Stunde, mitunter 40 Minuten oder auch nur 5 Minuten. 4 ) Mit dem Ablauf der Zeit schneidet der Sprecher erbarmungslos das Wort ab; oft erbittet sich dann der verkürzte Redner vom Haus die Erlaubnis, seine Bemer») Constitution of the U. S. art. II sec. 3.

) a. a. O. I 159.

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) Ziffern bei B r y c e I 138.

*) House Manual v. 1910 (House döcuments vol. 105) §§742. 787. 884. 884 a . 8 5 0 - 8 5 2 .

klingen im Protokoll, dem Record, zu erweitern. Auch durch Beschluß des Hauses wird nicht selten die Debatte zeitlich begrenzt. Noch viel einschneidender aber wirkt der Schlußantrag (the previous question), der drüben mit ganz anderer Energie gehandhabt wird als bei uns. Gott sei Dank, the House is not a deliberate assembly, hat einmal der Sprecher Reed gesagt. 1 ) Das Verfahren in bezug auf Gesetzesvorschläge ist im Haus heute das folgende. Die bill wird bei dem Schriftführer eingereicht 2 ) und von dem Sprecher ohne Debatte einer der zahlreichen ständigen Kommissionen (standing committees) überwiesen, mitunter Hunderte an einem Tag. 3 ) In diesen committees liegt der eigentliche Schwerpunkt der Gesetzgebung; hier sterben 95 °/0 der bills eines sanften Todes. Als Regel, sagt W. Wilson in seinem 1885 erschienenen Buche über die Kongreßregierung 4 ), dessen Darstellung noch heute zutrifft 5 ), ist mit der Überweisung an ein committee das Schicksal einer bill besiegelt: a bill committed is a bill doomed. Der Weg vom Tisch des Schriftführers bis zu einem Kommissionszimmer sei eine parlamentarische Seufzerbrücke, die zu einem dunkeln Kerker führe, von wannen es keine Rückkehr gebe. Auch dem Antragsteller wird vor der Verweisung an die Kommission nicht das Wort verstattet, so sehr er darauf brennen mag, die Aufmerksamkeit des Hauses auf sich und seine Ansichten zu lenken. Alle wirkliche Arbeit wird in beiden Häusern von den ständigen committees getan, deren es 1919 im House 61 6 ), im Senat wahrscheinlich noch einige mehr gab"), und der Sprecher und die Vorsitzenden — chairmen — dieser committees haben es in ihrer Macht, ob eine bill dem Hause vorgelegt oder begraben werden soll; sie sind die eigentlich bedeutsamen Leute, in deren Hand die Klinke der Gesetzgebung liegt. Die Zusammensetzung der committees erfolgte früher im House auf andere Weise als im Senat. Dort nämlich war es der vom House ^gewählte Sprecher, der selbstherrlich die Mitglieder der einzelnen committees wie auch ihre Vorsitzenden ernannte und so nächst dem Präsidenten der mächtigste Mann im Lande war. Heute — seit dem 62. Kongreß — werden im House wie im Senat die Kommissionen durch Wahl gebildet 8 ), und das House y

) W i l s o n , Constit. gov. 88. -) House Manual v. 1919 §811. 812 Anm. ) Ich finde im House Journal vom 19. Mai 1919 an diesem einzigen Tage, dem ersten der außerordentlichen Session, wenn ich recht gezählt habe, 571 public bills und etwa halb soviel private bills als introduced und referred to committees verzeichnet, und an den folgenden Tagen hat der Andrang kaum nachgelassen. Die Mehrzahl der public bills bezweckte aber lediglich die Uberweisung von einem oder zwei deutschen Geschützen an einzelne amerikanische Städte. Im weiteren Verlauf der Session wird natürlich die Zahl der eingebrachten bills immer kleiner, da, je weiter die Session vorschreitet, desto geringer die Aussicht ist, eine bill noch durchzubringen. 4 ) Congressional government 69. 5 ) Vgl. W i l s o n , Constit-. gov. 90: few bills ever see the light again after being referred to a committee. 6 ) House Manual v. 1919 § 662. 7 ) Die neuesten Senate Manuals liegen mir nicht vor. Ubiges schließe ich aus den Angaben früherer Manuals. s ) I n W irklichkeit erfolgt die Auswahl durch das committee 011 Ways and Means, das seiner» 3



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wählt auch die Vorsitzenden. Wer sagen würde, daß die chairmen der conimittees eine zweite Regierung bildeten, würde der Wahrheit sehr nahe kommen. Aber es ist eine eigene Art von Regierung. Die Ressorts einer europäischen Regierung arbeiten in Fühlung miteinander, s o l l e n es wenigstens, und es ist die freilich nicht immer gelöste Aufgabe des Ministerpräsidenten, bei uns des Reichskanzlers, dafür zu sorgen, daß diese Fühlung nicht verlorengeht. Solche Fühlung wird unter den committees nicht einmal angestrebt. Jedes arbeitet für sich, und sie sehen eifersüchtig auf ihre Selbständigkeit. 1 ) So kann es sehr wohl geschehen, daß verschiedene committees einander entgegengesetzte Beschlüsse fassen; dies um so eher als die Gebiete mancher committees sich nahe berühren, und es mannigfache Grenzgebiete gibt, die ebenso dem einen wie dem andern zugehören. Am seltsamsten, für den Europäer auf den ersten Blick unbegreiflich, machte sich bis in allerneueste Zeit diese Selbständigkeit bei den committees geltend, die mit den Finanzen^ der Ausgabenbewilligung und der Besteuerung, zu tun haben. Die zwei wichtigsten darunter sind im Haus das committee on appropriations und das on ways and means. Jenem liegt die Bewilligung der Ausgaben ob, neben ihm allerdings noch einer Reihe von andern'committees innerhalb ihres besondern Ressorts; sie lösten diese Aufgabe in Anlehnung an einen Bericht des Schatzsekretärs, der aber keineswegs die Bedeutung eines europäischen Budgetvoranschlags hatte. Er kam auf folgende Weise zustande. Jedes Department, Büro, Amt usw. legte eine Abschätzung der für seine Bedürfnisse erforderlichen Bewilligungen vor. Eine wirksame Kontrolle dieser Anforderungen wurde weder vom Schatzamt noch vom Präsidenten geübt, von jenem nicht, weil es dafür keine Autorität hatte, von diesem nicht, weil ihm die notwendige Zeit und eindringende Sachkenntnis fehlte. Die Anforderungen wurden also vom Schatzamt einfach mechaniscli zusammengestellt. Wie es dabei zuging, kann man sich denken. Ein Beamter äußerte einmal dem angesehenen Senator Reed Smoot seine Befriedigung darüber, daß man bei den Bewilligungen sein Büro so gut behandelt habe. „Wie ?", sagte der Senator, „wir haben euch ja % eurer Anforderungen gestrichen". „Jawohl," antwortete der Beamte, „aber i^uf Streichungen waren wir gefaßt, haben darum von vornherein 40 °/0 mehr gefordert, als wir brauchten, und sind nun sehr zufrieden." 2 ) Auf solcher Grundlage also arbeiteten die bewilligenden committees, die sog. spending committees. Das committee on ways and means seinerseits hat seinem Namen nach für Mittel und Wege zur Bestreitung der Ausgaben zu sorgen: es bewilligt die Zölle, Steuern usw. Jeder normale europäische Finanzminister betrachtet es nun als seine Aufgabe, Einseits vom Mehrheitscaucus zusammengesetzt wird, und dem Führer der Minderheit. S t a n w o o d , hist. of the presid. (1916) 223f. J) W i l s o n , Congr. Gov. 60f. 2 ) Proeeedings of the acad. of political scienee of the city of New York v. 1921 (vol. IX 435), wo Reed Smoot selbst die Geschichte erzählt.



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nahmen und Ausgaben möglichst im Gleichgewicht zu halten. Die Einnahmen sollen hinter den Ausgaben nicht zurückbleiben, sie aber auch nicht beträchtlich übersteigen; eine unnötige Belastung des Volkes würde man ihm ebenso übel, vielleicht noch übler nehmen als ein Defizit. Von einer derartigen Sorge fürs Gleichgewicht war in Amerika bis zu seinem Eintritt in den Weltkrieg keine Rede, k o n n t e gar keine Rede sein. Denn das committee on ways and means wußte ja gar nicht, welche Ausgaben von den andern committees bewilligt worden waren oder noch bewilligt werden würden. Man fragt sich: wie war ein solcher Zustand möglich ? Die Antwort ist einfach. Die Einnahmen aus den Zöllen waren so ungeheuer groß, daß ein Defizit in der Vorkriegszeit ganz außer Frage stand, und man sich vielmehr den Kopf'nur darüber zu zerbrechen brauchte, wie das überflüssige Geld zu verpulvern sei. Aufgabe des committce on ways and means war denn in Wahrheit auch gar nicht, Mittel und Wege zur Deckung der Ausgaben zu suchen, sondern in der Hauptsache lediglich: für Schutz der Industrie durch hohe Zölle z?u sorgen. 1 ) Während des Krieges, wo eine gewaltige Steigerung der Ausgaben mit einem gewaltigen Rückgang der Zolleinnahmen Hand in Hand ging, mußte sich diese Art Finanzgebalirung als unmöglich herausstellen, und es trat ein, was eintreten mußte: das Schatzamt, die Treasury, wurde die eigentlich ausschlaggebende Instanz, wenn auch äußerlich die committees in beiden Häusern nach wie vor weiter fungierten. Eine wirksame Kontrolle der Ausgaben fand aber auch jetzt nicht statt. Erst vor wenigen Monaten ist ein Gesetz durchgegangen, das der Selbständigkeit der committees auf dem Gebiete der Finanzen überhaupt ein Ende zu machen bestimmt ist und das ganze Budgetsystem der Union auf eine neue Basis stellt. Ich werde auf dies wichtige Gesetz noch zu sprechen kommen. Immer aber handelt es sich liier nur um das Budget. Im übrigen ist es dabei geblieben, daß Dutzende von committees selbständig nebeneinander arbeiten, ohne daß eine Instanz sichtend und ordnend mit eigener Verantwortung über dem Ganzen schwebt. Man kann sich denken, was für ein Gesetzgebungsbetrieb dabei herauskommt. Es ist der reine Zufall, sagt kein anderer als W i l s on 2 ), wenn mehrere Gesetze derselben Session in ihrer allgemeinen Richtung übereinstimmen. Die Verhandlungen innerhalb der committees können natürlich mehr oder weniger gründlich sein. Sie können Sachverständige und Zeugen hören, auch die Beamten der Exekutive zu schriftlichem oder mündlichem Bericht auffordern. Sie tagen aber bei geschlossenen Türen, so daß eine ständige Kontrolle der Öffentlichkeit ausgeschlossen ist. Der eigentlich entscheidende Mann ist der chairman; von ihm hängt es wesentlich ab, welche bills zur Erörterung gelangen, welche nicht. Den Bericht an das Haus erstattet meist der chairman selbst, mitunter auch ein anderes Mitglied des committee. Im Repräsentantenhaus sind der Debatte auch in diesem Stadium engste Grenzen gesetzt. Die W i l s o n , Congr. Gov. 172; B r y c e a. a. O. I 178.

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) Congr. Gov. 113.

8 kurze Lebensdauer des Hauses drängt zu höchster Eile. Das weiß das Haus, das wissen auch die committees und sind deshalb langen Debatten durchaus abgeneigt. Ich erinnere daran, daß die beiden regulären Sessionen zusammen im ganzen nur 10—12 Monate dauern; davon sind aber Feiertage in Abzug zu bringen, ferner die Zeit für die Konstituierung des Hauses, für die Wahl des Sprechers, der sonstigen Beamten des Hauses und der committees und für die dem Haus obliegende Besorgung der Angelegenheiten des Distrikts Columbia. Die Freitage sodann sind private bills und dem committee on claims vorbehalten, das mit den Rechtsansprüchen gegen die Union befaßt ist. 1 ) Endlich wird sehr viel Zeit dadurch weggenommen, daß die Finanz- und gewisse andere committees privilegiert sind, d . h . jederzeit auch außer der Reihe gehört werden müssen 2 ), und daß außerdem kraft einstimmigen Beschlusses des Hauses überhaupt über jede bill außer der Ordnung verhandelt werden kann. 3 ) Der Raum für nicht privilegierte bills ist also ungemein knapp und bleibt knapp, auch wenn eine außerordentliche Session hinzutritt, was ja doch nur geschieht, wenn außerordentliche Geschäfte zu erledigen sind. Die übliche Eile ist daher nicht wunderbar. Der Berichterstatter des committee hat im Haus der Regel nach e i n e Stunde zu seiner Verfügung.4) Diese pflegt er aber nicht ganz für sich zu verwenden; er kann nämlich einen Teil der ihm gewährten Zeit an andere — Freunde und Gegner der Vorlage — abgeben. Das tut er natürlich nicht zugunsten jedes beliebigen und tut es nur für eine bestimmte Anzahl von Minuten, die der Redner nicht überschreiten darf; wer sich nicht zuvor mit dem Sprecher oder dem Berichterstatter verständigt hat, kommt überhaupt nicht zu Wort. 5 ) Beim Ablauf der Stunde aber stellt der Berichterstatter in der Regel den Schlußantrag, der ebenso regelmäßig angenommen wird. Ohne den Schlußantrag würde die Debatte ins Unendliche fortgehen, das Haus seine kostbare Zeit und das committee jede Aussicht verlieren, seinen Antrag durch zubringen. Mit Annahme des Schlußantrags sind alle amendments ausgeschlossen und nun erfolgt die Abstimmung mit J a und Nein. W i l s o n hat ganz zutreffend die Lage des Hauses mit der der römischen Komitien verglichen, die bekanntlich gegenüber den Gesetzesvorschlägen kein Amendierungsrecht besaßen und nur zwischen Annahme und Ablehnung zu wählen hatten. 6 ) Eine wirkliche Debatte findet in der Regel nur über ') House Manual v. 1919 § 870. An Samstagen pflegte früher das Haus nicht zu sitzen. Das scheint sich neuerdings geändert zu haben. 2 ) House Manual v. 1919 § 722. • 3 ) House Manual v. 1919 §§ 732. 876. 879. 8 8 4 \ 4 ) A. a. O. §§ 742. 743. Nach der Geschäftsordnung hätte er, wenn die Debatte sich über einen Tag hinaus erstreckt, noch eine Stunde für sein Schlußresume. Jedoch „in the later practice this right to close may not be exercised after the previous question is ordered". Anni. zu §743. 5 ) W i l s o n , Congr. Gov. 75f., Constit. Gov. 93: No member who has not previously arranged the matter either with the chairman of the committee or with the Speaker, need rise or seek to catch the Speaker's eye. ") Congr. Gov. 109.

die bills statt, die die Finanzen betreffen, und außerdem auch über die auswärtigen Angelegenheiten. Vergegenwärtigt man sich den Redestrom, der sich in unsern Parlamenten ergießt, so kann man sich fast eines Gefühls des Neides nicht erwehren; es begreift sich aber, daß das Publikum an dieser Art Debatte sehr geringes Interesse nimmt; in den amerikanischen Zeitungen würde man vergeblich die regelmäßigen ausführlichen Parlamentsberichte suchen, an die wir in Europa gewöhnt sind. Die meisten Sitzungen des Hauses finden nur Scheines halber statt. Das ganze System erinnert, wie auch Wilson bemerkt hat, an einen bekannten Vorschlag, den John Stuart Mill in seiner Selbstbiographie macht. 1 ) Eine zahlreiche Volksvertretung, führt er dort aus, sei außerstande, gute Gesetze zu machen; ihre Pflicht sei nur, dafür zu sorgen, d a ß sie gemacht werden, und das könne am besten durch einen Gesetzgebungsausschuß geschehen, der aus einer kleinen Zahl geistig hochstehender Politiker zu bestehen hätte, zu deren Elaborat das Haus selbst nur J a oder Nein sagen dürfe. Mill hat dabei übersehen, daß die so unendlich mannigfaltige Gesetzgebungsarbeit nicht durch einen einzigen Ausschuß geleistet werden kann, daß dazu vielmehr, wie in Amerika, eine ganze Anzahl von committees erforderlich ist, die unmöglich alle mit geistig hochstehenden Männern besetzt werden können und notwendig die Fühlung miteinander verlieren. Der Senat hat sich in seiner Geschäftsordnung nicht die gleichen Fesseln angelegt wie das Haus. Hier kommt man infolge der längeren Lebensdauer des Senats, der sehr viel geringeren Zahl der Mitglieder, ihrer größeren Geschäftserfahrung und Sachkenntnis und der dadurch gegebenen Selbstbeschränkung auch ohne das Papagenoschloß des Schlußantrags aus und ist daher eine wirkliche Debatte möglich. Die in einem Haus angenommene Vorlage geht an das andre, das Amendierungsrecht hat und •— insbesondere der Senat — davon auch Gebrauch macht. Geldbewilligungen wurden, früher wenigstens, durch den Senat öfter erhöht, um noch etwas mehr Geld in die einzelnen Staaten zu leiten. Einigen sich die beiden Häuser nicht, so werden gewöhnlich je drei Mitglieder eines jeden in eine Konferenz abgeordnet, die dem Gesetz eine beiderseits annehmbare Fassung zu geben sucht. In dieser Gestalt wird dann das Gesetz meist hier wie dort ohne Debatte angenommen. 2 ) J e knapper gegen den Schluß der Session die Zeit wird, um so mehr steigert sich die Geneigtheit, Gesetzesvorschläge unbesehen anzunehmen. Es gehört zur Taktik eines geschickten chairman, diesen Umstand für Geldbewilligungen und private bills aller Art auszunutzen. Die fast unbeschränkte Herrschaft der committees bringt eine Gefahr mit sich, die nicht übersehen werden darf, die Gefahr nämlich, daß dunkle Einflüsse sich geltend machen. Durch die Beschlüsse des Kongresses werden in tausend Fällen mehr oder minder starke private Interessen betroffen, und zwar l

) Deutsche Übersetzung (1874) S. 220.

-) B r y ee a. a. 0. I 189.

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nicht nur durch die eigentlichen private bills, sondern ebenso auch durch zahllose public bills, z. B. solche, die Zölle, Eisenbahnen, Bergwerke, Schifff a h r t , Patentrecht und dergleichen betreffen. Nichts natürlicher als daß diese Interessenten sich an die Mitglieder der committees heranzumachen suchen, und daß sie hier viel leichteres Spiel haben als sie gegenüber einem verantwortlichen Ministerium oder gegenüber dem ganzen Kongresse haben würden. Die Gesamtheit der Personen, die, ohne Mitglieder des Kongresses zu sein, die Gesetzgebung zu beeinflussen suchen, bezeichnet man drüben technisch mit dem Wort „the l o b b y " (die Vorhalle), und da die K u n s t , die committees im ganzen oder einzelne Mitglieder zu beeinflussen, immerhin gelernt sein will, da hier sehr viel von Takt, Geschicklichkeit, E r f a h r u n g abhängt, so h a t sich in Washington, wie auch bei den Staatslegislaturen, eine Klasse gewerbsmäßiger lobbyists gebildet, die den Interessenten ihre Dienste gegen Bezahlung zur Verfügung stellen. 1 ) Man darf bei alledem keineswegs sogleich an Bestechung denken. Man ka'im einem committee oder einem seiner Mitglieder Tatsachen und Argumente an die H a n d geben, durch gewichtige Empfehlungen, Ausnutzung gesellschaftlicher Beziehungen, selbst durch weibliche Anziehungsk r a f t zu wirken suchen, ohne mit dem Gesetz in Konflikt zu geraten. Gefährlich sind auch schon diese Verfahrensarten, weil jedenfalls alle Garantien fehlen, die eine öffentliche Verhandlung für objektive Beurteilung bietet. Wirkliche Bestechung k o m m t gewiß n u r selten vor, und d a n n selbstverständlich nicht in der Weise, daß man dem Mann einfach einen Scheck in die H a n d drückt, aber z. B. durch Beteiligung an vorteilhaften Unternehmungen, Vergebung von Lieferungen, Verschaffung lukrativer Posten und ähnliches mehr. Solchen Einwirkungen der Interessenten auf die Spur zu kommen und ihnen entgegenzutreten, ist ganz und gar nicht leicht. I n einer der vielen Reden seiner ersten Wahlkampagne klagt W i l s o n darüber, daß die von den Interessen b e k ä m p f t e Gesetzgebung in den Kommissionszimmern sterbe und nur die von ihnen gewünschte herausgebracht werde, und er r ü h m t dann den Mut tapferer Volksvertreter (the courage of brave men), die nicht locker lassen, sondern durch beständiges Bohren, eigene Nachforschung und Drohung mit der Öffentlichkeit einen widerwilligen chairman zwingen, mit einem schon zum Tod verurteilten Gesetzesentwurf schließlich doch herauszurücken. E r könne, sagt er charakteristischerweise, e i n i g e glänzende Beispiele solcher Männer nennen. 2 ) Ich habe im bisherigen ein ungeschminktes Bild der amerikanischen Legislative zu geben versucht. Welche Rolle spielt nun demgegenüber der Präsident und sein K a b i n e t t ? Der Präsident wird bekanntlich in indirekter W a h l gewählt, durch Wahlmänner (electors), die auf die einzelnen Staaten im Verhältnis ihrer BevölkeÜber lobby und lobbyists vgl. B r y c e I 691. -) W i l s o n , the new freedom (Tauchnitz 1913) 122. 127.



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nmgsziffer verteilt sind. Der Modus für deren Wahl war den einzelnen Staaten überlassen; doch besteht jetzt überall das System des sog. general ticket, d. h. die sämtlichen Wähler jedes Staates wählen die ihm zufallenden Wahlmänner auf einer Liste, so daß die Stimmen der innerhalb des Staats vorhandenen Minorität gänzlich unter den Tisch fallen. 1 ) Von dem indirekten Wahlsystem versprachen sich die Schöpfer der Konstitution große Dinge. Sie meinten, die Wahlmännerversammlung werde eine Auslese besonders verdienter Männer darstellen, und erwarteten, daß sie, unbeirrt durch das Parteigezänk des Tags, den besten und befähigtesten Bürger auf den Präsidentensitz erheben werde. Das indirekte Wahlrecht hat überall, wo man derartige Hoffnungen daran knüpfte, diese Hoffnungen getäuscht, und so auch hier. Die Kandidaten werden überhaupt nicht von den electors ausgesucht, sondern von den großen Parteikonventionen bezeichnet, deren Beschlüsse kraft der Parteidisziplin für die electors unbedingt maßgebend sind, und die Parteikonventionen denken gar nicht daran, immer den besten Mann auf den Schild zu heben; sie suchen nicht den bestdenkbaren Präsidenten, sondern den bestdenkbaren Kandidaten. „Gentlemen", erklärte einmal ein .amerikanischer Politiker, „ich würde einen ausgezeichneten Präsidenten abgeben, aber einen erbärmlichen Kandidaten." 2 ) Mit sehr wenigen Ausnahmen erheben sich daher die amerikanischen Präsidenten nicht über das Niveau einer anständigen Mittelmäßigkeit. Die Gründe für diese Erscheinung sind verschiedener Art. 3 ) Zunächst hat die Demokratie, und insbesondere die amerikanische, überhaupt keine Vorliebe für große Männer. Sodann pflegt ein bedeutender Mann selbständige Ideen zu haben, durch die er sich Gegner innerhalb der eigenen Partei schafft. Darum werden auch die Parteiprogramme, die sog. Platformen, immer möglichst farblos gehalten, um ja keinen Anstoß zu geben. Ein Kandidat mit selbständigem Programm würde den Erfolg gefährden. Eine Laufbahn, bemerkt einmal Wilson 4 ), die einem Manne einen sich deutlich abhebenden Platz in der öffentlichen Schätzung gibt, disqualifiziert positiv für die Präsidentschaft; die Klippen der Kandidatur könne nur ein leichtes Boot mit geringer Fracht passieren, das je nach den Schwierigkeiten der Passage auch leicht gedreht werden könne. Weiter hinzu kommt die Rücksicht auf den Sonderpatriotismus der einzelnen Staaten. Dadurch, daß eine Partei ihren Kandidaten einem bestimmten Staat entnimmt, kann sie dort eine Anzahl Wähler kapern, so vielleicht die Mehrheit der dortigen Stimmen auf ihre Elektorenliste vereinigen und damit, vermöge des general ticket, das Gewicht des ganzen Staats für sich gewinnen. Die Parteien pflegen daher ihre Kandidaten nicht den ihnen ohnehin sichern Staaten zu entnehmen, sondern den 2 ) Angeführt bei W i l s o n , Congr. Gov. 42. B r y e e I 42f. •') B r y c e l 77 f. widmet der Frage ,,whv great men are not ehosen presidents" ein eigenes Kapitel. ') A. a. O.

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zweifelhaften, von deren Abstimmung das Wahlergebnis abhängt. Die Rücksicht auf den W e r t des Kandidaten t r i t t dabei in zweite Linie. B r y c e (I 81) erzählt, wie er einmal auf einer Eisenbahnfahrt mit zwei Journalisten ins Gespräch über die nächste Präsidentenwahl kam. Die beiden redeten hoffnungsvoll von der K a n d i d a t u r eines Indiana man, einer obskuren Persönlichkeit, von der Bryce niemals etwas gehört hatte. E r wunderte sich und f r a g t e : „warum nehmt ihr denn nicht den Senator A., nach jedermanns Meinung den klügsten und erfahrensten Kopf eurer Partei, einen Mann von fleckenloser Vergangenheit?" „ J a w o h l " , antwortete man ihm, „ganz richtig. Aber sehen Sie, er s t a m m t aus einem kleinen Staat, den wir schon sicher haben. Indianas Votum aber ist der Mühe wert, und mit unserem Manne können wir Indiana kriegen (we can carry Indiana)." Wenn nach alledem glänzende staatsmännische Begabung vom Präsidenten nicht zu erwarten ist, so muß zugegeben werden, daß er solcher Begabung in gewöhnlichen Zeiten auch k a u m bedarf, sowenig wie ein konstitutioneller Fürst. Sorgt er f ü r Beobachtung der Gesetze, hält er den öffentlichen Frieden aufrecht, ist er sorgsam und ehrlich in der Auswahl seiner Beamten, so h a t er im ganzen seine Schuldigkeit getan. N u r in außergewöhnlichen Konstellationen macht sich der Mangel an wahrhaft staatsmännischen Qualitäten fühlbar, u n d auch da ist die Union heute in der glücklichen Lage, d a ß selbst die ärgsten Mißgriffe das Staatswesen nicht in ernste Gefahr bringen können. H ä t t e aber etwa zurZeit der Sezession s t a t t eines Lincoln ein Wilson auf dem Präsidentenstuhl gesessen, so hätte darüber die Union in Stücke gehen mögen. Die Befugnisse des Präsidenten sind nicht gering und vor allem, sie sind real und stehen nicht, wie die des deutschen Reichspräsidenten, bloß auf dem Papier, da die Wirksamkeit' seiner Anordnungen von keinerlei Gegenzeichnung abhängig ist. E r h a t insbesondere das K o m m a n d o von Heer u n d F l o t t e ; er leitet die auswärtige Politik; er ernennt die Bundesbeamten (einschließlich der Gesandten und Konsuln), wozu er allerdings der Zustimmung des Senats bedarf, er h a t das Recht, mit Zustimmung einer Zweidrittelmehrheit des Sen a t s Verträge zu schließen, das Recht, beide Häuser zu außerordentlichen Sitzungen einzuberufen; das Recht des suspensiven Veto; auch ein Begnadigungsrecht bei Vergehen gegen die Union; endlich hat er für sorgfältige Vollziehung der Gesetze zu sorgen. 1 ) Diese Befugnisse sind seit Erlassung der Konstitution verfassungsmäßig die gleichen geblieben. Nicht so ihre praktische Bedeutung. Es lassen sich hier zwei entgegengesetzte Strömungen beobachten. Die eine geht in der R i c h t u n g einer Unterwerfung der Exekutive unter den Kongreß. Die ersten Präsidenten waren hochstehende Männer von starkem Willen, u n d der in seinen eigenen Geschäften unerfahrene Kongreß fügte sich willig ihrer F ü h r u n g . Allmählich aber sank einerseits das Prestige der Präsidenten, und andrerseits s

) Constitution of t h e U. S. art. J I sec. 2. 3.

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wurde sich der Kongreß seiner Macht bewußt und benutzte sie, u m sich die Exekutive möglichst zu unterwerfen. 1 ) Dazu boten sich ihm verschiedene Wege. E r konnte die Gesetze so fassen, daß der Spielraum für die Exekutive bedeutend eingeengt wurde; er legte die H a n d auf den Geldbeutel; er beanspruchte die Aufsicht über die F ü h r u n g der Exekutive, stellte Untersuchungen an, oder seine committees verlangten schriftliche Berichte oder auch das persönliche Erscheinen der Sekretäre, und das Ergebnis war, daß diese, die rechtlich allein dem Präsidenten untergeben sind , tatsächlich in der steten F u r c h t d e s Kongresses lebten, so daß ihnen oft keine Zeit zur Erledigung dringender Geschäfte blieb. 2 ) Gegen Übergriffe der Gesetzgebung in das Gebiet der Exekutive k a n n der Präsident allerdings den Schutz der Bundesgerichte anr u f e n , — Gesetze, die der Verfassung zuwiderlaufen, sind nichtig; aber diese Waffe ist ziemlich s t u m p f ; denn eine scharfe Grenze zwischen den Gebieten der Legislative und der Exekutive läßt sich nicht ziehen. Zweifellos ist es Aufgabe der Gesetzgebung, der Exekutive Richtlinien zu geben, und wie weit sie darin gehen darf, ist streng juristisch nicht festzustellen. Wenn so der Kongreß die Möglichkeit besaß und nutzte, sich in die Exekutive einzumengen, so m u ß man sich doch sehr hüten, die Tragweite dieser Übergriffe in bezug auf die Stellung des Präsidenten zu überschätzen. Der Präsident bleibt immer der Vertrauensmann des Volks, der anerkannte F ü h r e r der N a t i o n ; er vermag immer zu der Nation zu reden und wird auch von ihr gehört, während das H a u s sich durch die Unterdrückung der Debatte ihr Ohr verschlossen h a t . Präsidenten von Charakter und Willen wissen von diesen Vorteilen Gebrauch zu machen. Das Vetorecht h a t in den letzten zehn Jahren an Bedeutung nicht verloren, sondern gewonnen. Während von Washington bis Lincoln im ganzen nur 47 Vetos vorgekommen sind, h a t Cleveland allein nicht weniger als 346 bills mit dem Veto belegt, Roosevelt deren 40 3 ); über T a f t und Wilson fehlen mir die Nachrichten. Die Botschaften ferner, die sich früher auf ganz allgemeine Anregungen beschränkten, wachsen sich neuerdings zu detaillierten Gesetzesvorschlägen aus, also zu einer verkappten Usurpation der dem Präsidenten versagten Gesetzesinitiative. Eine gewaltige Verstärkung h a t endlich die Stellung des Präsidenten dadurch erfahren, daß die auswärtige Politik, deren F ü h r u n g in seiner H a n d liegt, heute infolge der mächtigen imperialistischen Strömung in der Union eine ganz andere Rolle spielt als in früherer Zeit. Der E i n t r i t t der Union in den Weltkrieg h a t geradezu eine Autokratie Wilsons ins Leben gerufen. Der Kongreß dachte nicht daran, den Krieg zu benutzen, um seine Macht gegen das Gebot der politischen Klugheit auf Kosten des Präsidenten noch weiter auszudehnen. Vielmehr wurden dem Präsidenten durch eine Anzahl von Gesetzen eine Reihe außerordentlicher Befugnisse übertragen, die es ihm ermöglichten, das ganze Schwergewicht der a

2 W i l s o n , Congr. Gov. 43f. ) W i l s o n , Congr. Gov. 278. ) S t a n w o o d , history of the presidency (1916) 324.



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Union gegen uns in die Wagschale zu werfen. Der Präsident setzte so ziemlich alles durch, was er wollte; er und seine Sekretäre führten jetzt das Steuer. D i e s war freilich nur eine vorübergehende Episode. Mit dem Abschluß des Kriegs setzte die Reaktion ein. Die Diktatur Wilsons — namentlich, d a ß er es, ganz im Gegensatz zu den von ihm selbst literarisch vertretenen Grundsätzen 1 ), unterließ, bei den Friedensverhandlungen den R a t und die Zustimmung des Senats einzuholen — rief eine starke Gegnerschaft hervor, die bei den Wahlen von 1920 zum Unterliegen seiner Partei führte. Nichtsdestoweniger ist es höchst wahrscheinlich, daß das Amt des Präsidenten in Z u k u n f t an Bedeutung nicht einbüßen, sondern wachsen wird. Zu den wichtigsten unter den Befugnissen des Präsidenten gehören zweifellos das Veto und die Leitung der auswärtigen Politik. Mag auch das Veto durch eine Zweidrittelmehrheit beider Häuser lahmgelegt werden können, so halten sich doch in den Vereinigten Staaten die beiden großen Parteien so sehr die Wage, daß diese Mehrheit meist nicht leicht aufzubringen ist. Auch steht die öffentliche Meinung, die drüben eine so große Rolle spielt, bei solchen Konflikten durchaus nicht immer oder auch nur in der Regel auf Seiten des Kongresses. Es handelt sich hier ja nicht um einen Kampf zwischen Volk und Herrscher; der Präsident ist selbst Erwählter des Volkes und genießt als solcher meist größeres Ansehen als der Kongreß. Die auswärtige Politik f ü h r t der Präsident mit Hilfe seines wichtigsten Sekretärs, des Staatssekretärs, ist aber durchaus nicht gehindert, diesen, wenn er ihm unbequem ist, beiseitezuschieben, wie dies W i l s o n bekanntlich mit Lansing getan hat. 2 ) Zwar pflegen sich beide in der Regel vorsichtigerweise in Fühlung mit dem committee des Senats f ü r auswärtige Angelegenheiten zu halten. Denn der Kongreß h a t auch hier eine nicht zw ignorierende M a c h t : er kann durch Verweigerung von Geldmitteln die Ergreifung von Maßregeln, die er mißbilligt, dem Präsidenten unmöglich machen; er entscheidet über Krieg und Frieden; Verträge bedürfen, wie schon bemerkt, der Zustimmung einer Zweidrittelmehrheit des Senats. Doch aber bleibt der Einfluß des Präsidenten außerordentlich groß. Schon durch die E r n e n n u n g von Gesandten. H ä t t e bei Ausbruch des Kriegs in Berlin ein Kenner u n d Freund Deutschlands gesessen, wie dies früher oft der Fall war, so wäre vielleicht manches anders gegangen. Freilich bedarf der Präsident auch hier der Zustimmung des Senats; aber sie wird ihm in der Regel erteilt ®), und außerdem h a t er Mittel und Wege, um seine Politik auch über die Köpfe der Gesandten weg zur Geltung zu bringen. So h a t Wilson in Umgehung der Verfassungsbestimmungen den bekannten Obersten House als seinen >•) W i l s o n , Constit. Gov. 139. 2 ) Man lese das keineswegs verbindliche Schreiben vom 11. Februar 1920, worin Wilson Lansing zur Amtsniederlegung auffordert, bei L a n s i n g , Die Versailler Friedensverhandlungen (1921) S. 1. (Mir nur in der Übersetzung zugänglich). s ) W i l s o n , Constit. Gov. 139.

persönlichen Vertrauensmann nach Europa geschickt; der Mann h a t t e keinerlei offizielle Stellung; aber als Vertreter des Präsidenten war er, wie ein amerikanischer Gegner Wilsons ihn n e n n t , eine A r t Obergesandter f ü r alle Länder (super-Ambassador to all countries) und wurde als solcher allgemein anerkannt. 1 ) Ferner kann der Kongreß den Präsidenten nicht zu einem positiven Vorgehen in bestimmter Richtung zwingen und umgekehrt ihn nicht hindern, in seiner Eigenschaft als Oberbefehlshaber aller Streitkräfte der Union Maßregeln zu ergreifen, die vielleicht gefährliche Folgen haben können, es sei denn, daß diese Maßregeln besondere Geldbewilligungen erfordern. Der Präsident kann in kritischen Augenblicken ebensogut Ol wie Wasser ins Feuer gießen, durch seine H a l t u n g die nationalen Leidenschaften aufpeitschen wie zu beruhigen stichen, zum Kriege treiben wie davon abhalten. H ä t t e Wilson es gewollt, so h ä t t e er angesichts der Volksstimmung schon den Lusitaniafall zum Kriegsgrund machen können. Wenn endlich der Präsident zum Abschluß von Verträgen der Zustimmung des Senats bedarf, so darf nicht übersehen werden, d a ß die den Vertragsabschluß vorbereitenden Verhandlungen in der H a n d des Präsidenten und seines Staatssekretärs liegen. E r k a n n auf diesem Wege das L a n d in weitgehendem Maße vinkulieren, ja den Senat vor eine vollendete Tatsache stellen. In solchen Fällen wird sich der Senat der Zustimmung in der Regel nicht entziehen. Immer und ausnahmslos erfolgt die Zustimmung auch solchenfalls freilich nicht. Mitunter ist sie lediglich aus Gründen der Wahlpolitik verweigert worden; der Vertrag ist vielleicht einzelnen Staaten unerwünscht, und die im Senat herrschende Partei fürchtet, die Stimmen dieser Staaten zu verlieren. 2 ) Vielleicht ergreift der Senat auch gerne die Gelegenheit, einem opponierenden Präsidenten eine kleine Demütigung zu bereiten. 3 ) Es k a n n aber auch sein, d a ß der Senat bei seiner Weigerung die wahren Interessen seines Landes besser versteht als ein eigensinniger und eitler Präsident. Aus diesem Grunde hat Wilson die Zustimmung zu dem Vertrag von Versailles nicht erlangen k ö n n e n : der Senat wollte nicht, d a ß Amerika durch den E i n t r i t t in den Völkerbund in die ihm fremden europäischen Händel hereingezogen werde. Uber blickt m a n das geschilderte Regierungssystem im ganzen, so treten seine Mängel grell hervor. Die Trennung der Legislative und der Exekutive bewirkt, daß für die F ü h r u n g der Geschäfte eigentlich niemand verantwortlich ist. J e d e r kann sich entlasten. Die committees können beim besten Willen die Aufgaben nicht lösen, die ihnen gestellt sind. Der Kongreß seinerseits k a n n , wenn m a n ihn für törichte Gesetzgebung verantwortlich machen will, erwidern, er müsse, wenn er ü b e r h a u p t etwas zustande bringen wolle, sich auf seine committees verlassen. Will m a n die Exekutive tadeln, so schiebt sie die Schuld darauf, daß ihr die Initiative zu den erforderlichen Maßregeln J a m e s M. B e c k , The passing of the new freedom (1920) 46. :l -) B r y c e I 109f. ) W i l s o n , Constit. Gov. 139.



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versagt sei oder die Mittel dazu verweigert würden. Der Kongreß wiederum erwidert, daß die besten Gesetze nichts helfen, wenn ihre Ausführung in der Hand von unfähigen Beamten liege, die ni6ht von ihm ernannt seien.1) Es ist ferner klar, daß eine widerwillige Verwaltung tausend Mittel besitzt, um der Ausführung von Gesetzen Steine in den Weg zu legen, und daß die stoßweisen Kontrollversuche des Kongresses ihr Ziel nur unvollkommen erreichen können. 2 ) All dessen sind sich weite Kreise des amerikanischen Volkes voll bewußt, obwohl man um deswillen durchaus nicht aufhört, die Verfassung als den Gipfel politischer Weisheit und als Vorbild für die ganze Welt zu preisen. Seit einiger Zeit ist, durch die unbefriedigenden Finanzverhältnisse veranlaßt, eine Reformbewegung im Gange, die, wie so oft in Amerika, weder von der Regierung noch vom Kongreß, sondern von einer Anzahl angesehener Bürger ausgeht. Diese haben sich zu einem Komitee zusammengetan — the national budget committee — und durch wirksame Agitation die öffentliche Meinung für sich zu gewinnen verstanden. Sie haben bereits einen ersten sehr bedeutsamen Erfolg zu verzeichnen. Vor wenigen Monaten ist ein von mir schon erwähntes Gesetz ergangen (the Budget and Accounting Act vom 10. Juni 1921), das bestimmt ist, der unglaublichen Finanzwirtschaft der Kongreßcommittees ein Ende zu machen und ein Budgetsystem im europäischen Sinne einzuführen. Das Gesetz fügt in das Schatzamt ein besonderes Budgetbüro — bureau of the budget — ein, mit einem Direktor an der Spitze, der aber nicht vom Schatzsekretär, sondern vom Präsidenten ernannt und ihm direkt unterstellt ist. Seine Aufgabe ist es, die Anforderungen der verschiedenen departments unter sich und mit den Staatseinkünften in Einklang zu bringen. Man hat ferner bereits beschlossen, in beiden Häusern für die Bewilligung von Ausgaben, die bisher verschiedenen committees oblag, je ein committee zu schaffen. Weiter ist beabsichtigt, eine Einigung der beiden Häuser dahin herbeizuführen, daß in Zukunft das Budget., wie es nunmehr vom Präsidenten unter Mitwirkung des Schatzamts und des Budgetdirektors dem Kongreß zugeschickt wird, von diesem nicht erhöht, sondern nur herabgesetzt werden kann. Neue im Budget nicht vorgesehene Ausgaben sollen nur durch Sondergesetz nach Annahme des Budgets bewilligt werden können. Endlich ist eine durchgreifende Reorganisation der Regierungsmaschinerie in Aussicht genommen. Es hat sich in dieser allmählich ein Zustand herausgebildet, der ganz ähnlich auch bei uns besteht. Die Geschäftsgebiete der verschiedenen departments sind keineswegs homogen zusammengesetzt, engverwandte Geschäfte an verschiedene Ressorts verteilt, ganz fremdartige Geschäftszweige aus Zufallsgründen dem oder jenem department überwiesen, das eigentlich mit ganz anderen Dingen zu tun hat. 3 ) Die Folge ist, wie bei uns, eine ungeheure Ver2 >) W i l s o n , Congr. Gov. 281. ) W i l s o n , Congr. Gov. 270. ) Vgl. P r a t t in den Proceedings of the Acad. of political science in the citv of New York I X 347 f. 3



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,schwendung von Geld und Arbeitskraft, dazu beständige Reibungen. Hier soll durch eine planmäßige Neuordnung der Ressorts Abhilfe geschaffen werden. So verheißungsvoll all diese Bestrebungen scheinen, so wird man doch gut tun, die Hoffnungen nicht allzu hoch zu spannen und abzuwarten, wie die Dinge sich weiterentwickeln werden. Denn Zweifelsfragen drängen sich auf. Wird der Budgetdirektor stark genug sein, um die departments unter dem Daumen zu halten ? wird der Kongreß auf die Dauer sich die Einschränkung einer seiner wichtigsten Machtbefugnisse gefallen lassen ? wird er nicht versuchen, mit den von mir geschilderten Mitteln in die Amtsführung auch des Budgetdirektors hineinzupfuschen ? Was geschieht, wenn der Kongreß das Budget unerträglich beschneidet1) ? Wenn man erwägt, wieviel an legitimem und illegitimem Einfluß mit der Ausgabenbewilligung verknüpft ist, wird man Anstand nehmen, auf diese Fragen eine allzu zuversichtliche Antwort zu geben. Alles wird davon abhängen, ob der Druck der öffentlichen Meinung dauernd kräftig genug bleiben wird, um das neue Budgetsystem in dem geplanten Sinne durchzusetzen. Außerdem aber und hauptsächlich: das Grundübel, an dem das Regierungssystem leidet •— die Ausschaltung der Exekutive aus der Gesetzgebung —, wird durch die ganze Reform, abgesehen vom Budget, gar nicht berührt. Dieses Übel dürfte überhaupt unheilbar sein. Wie sollte man ihm beikommen ? Man könnte an eine Umbildung des Kabinetts in ein parlamentarisches Ministerium denken, und Wilson scheint bei Abfassung seines Buchs über die Kongreßregierung in der Tat dieses Ziel im Auge gehabt zu haben. Das parlamentarische System würde drüben wenigstens nicht der Schwierigkeit begegnen, die bei uns in der Vielheit der Parteien liegt. Aber mit diesem System würde die Allmacht des Kongresses, namentlich des Repräsentantenhauses, besiegelt, das Gegengewicht, das in der Selbständigkeit des Präsidenten liegt, beseitigt, und die Amerikaner haben mit ihren Präsidenten doch sehr viel bessere Erfahrungen gemacht als mit ihren legislativen Versammlungen. Die Präsidenten haben die Verwaltung im ganzen ehrlich und wirksam geführt; sie können, wenn der Kongreß seine Pflicht nicht tut, die öffentliche Meinung aufrütteln und, wenn sie Männer von Ideen sind, auf den Weg dieser Ideen leiten; von der auswärtigen Politik gar nicht zu reden. Noch weniger Aussicht auf Verwirklichung hat aus gleichem Grunde der neuerdings aufgetauchte Gedanke, den Präsidenten selber absetzbar zu machen, wenn eine Zweidrittelmehrheit des Kongresses sich für die Absetzung erkläre. 2 ) Oder soll auf dem Wege, der mit dem Budget-Gesetz beschritten worden ist, weitergegangen werden ? Das würde nicht mehr und nicht weniger bedeuten als die Umgestaltung des Kabinetts zu einem Ministerium zwar nicht im parlamentarischen, aber doch im konstitutionellen Sinn, derart, daß es, an Stelle der chairmen der committees, die Leitung der ] ) Ganz verwerfen kann der Kongreß das Budget nicht, da zahlreiche Auagaben gesetzlich festgelegt sind, die sog. permanent appropriations. 2) J a m e s B e c k a. a. O. 85.

Schriften der StraBbuigor Wissenschaftlich™ Oesollschaft N. V. V.

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Legislative in die H a n d bekäme, der Präsident also die Stellung erhielte, die bei uns bis zur Revolution der Kaiser einnahm, die Union in die Bahn des verpönten ehemaligen deutschen Reiches hinüberglitte. Ich halte auch eine solche Entwicklung f ü r unwahrscheinlich. Dies System widerstreitet nicht n u r den demokratischen Anschauungen des Volks, sondern würde den Keim zu den schwersten Konflikten in sich schließen, die die Gefahr des Umsturzes der Verfassung mit sich brächten. Nur eine tiefgewurzelte erbliche Monarchie, und auch sie nicht immer, kann solche Konflikte überwinden. Es ist aber bemerkenswert, daß eine derartige Entwicklung von Edward Stanwood, dem Verfasser einer 1916 erschienenen Gcschichte der Präsidentschaft, a m Schlüsse seines Buches zwar nicht als etwas Wünschenswertes bezeichnet, aber doch als möglich ernsthaft ins Auge gefaßt wird, unter ausdrücklichem Hinweis auf das damalige deutsche Reich ; der Verfasser spricht d a n n allerdings die Zuversicht aus, daß Amerika allezeit weise und vorausblickende Männer haben werde, die nicht zugeben würden, d a ß allzu große Macht in die H a n d e i n e s Mannes gerate. Man sieht, es ist viel leichter, die bestehenden Mängel zu erkennen, als sie zu bessern. Trotz alledem muß man sich hüten, über das ganze System leichthin den Stab zu brechen. Mit Recht sagt Bryce 1 ), das Problem einer starken Exekutive in einem demokratischen Land sei so unendlich schwierig, d a ß alles, was nicht geradezu einEehlschlag sei, ein Erfolg genannt werden müsse. Ein Fehlschlag ist aber die Verfassung, die die Amerikaner sich gegeben haben, trotz aller ihrer Mängel für sie nicht gewesen. Daß sie es nicht geworden ist, liegt an mancherlei Ursachen. Vor allem an der politischen Disziplin der Amerikaner, die kein andres Volk in gleichem Maße besitzt, ihrer rückhaltlosen Unterordnung unter die zeitweilige Mehrheit, ihrer Abneigung gegen jeden gewaltsamen Umsturz. Diese Disziplin d ü r f t e enge zusammenhängen mit der Abwesenheit der unheilvollen Parteizerklüftung, dem Nebeneinander von n u r zwei großen ausschlaggebenden Parteien, deren jede, wenn sie einmal unterlegen ist, hoffen darf, demnächst doch wieder zur Macht zu gelangen. Man mag über das amerikanische Parteiwesen so gering denken wie man will — und m a n ist berechtigt, sehr gering davon zu denken —, gewiß ist, daß jenes Zweiparteiensystem die Union seit dem Sezessionskrieg vor schweren Erschütterungen bewahrt h a t . Daneben fallen noch eine Reihe weiterer Faktoren ins Gewicht: die Macht der öffentlichen Meinung, die alle Autoritäten im Zaum hält und unter sich zwingt; die unendlich günstigen Bedingungen für das materielle Gedeihen, die auch durch eine schlechte Gesetzgebung und die ärgste Mißwirtschaft nicht zunichte gemacht werden können; die Unangreifbarkeit der Union durch auswärtige Mächte, infolge wovon Fehler der auswärtigen Politik niemals so viel Unheil stiften können wie bei uns; nicht zuletzt auch der im Vergleich mit den deutschen Verhältnissen wreit geringere Umfang der Staatstätigkeit ü b e r h a u p t , das Fehlen des bei uns übermächtigen Reglemenl

) Tht, American Commonwealth I 72.



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tierungsdrangs. Es gibt in der Union keine staatlichen Eisenbahnen, keinen staatlichen Telegraphen- und Telephonbetrieb, keine staatlichen Bergwerke, keine von der Union organisierte Arbeiter- und Angestelltenversicherung, und Sozialisierungsbestrebungen würden keinerlei Boden finden. Sehr vieles von dem, was bei uns der Staat leistet oder zu leisten versucht, das erwartet man drüben von der privaten Initiative. Nach der amerikanischen Auffassung hat jedermann für sich selbst zu sorgen, und ist es nicht Sache der Regierung, ihm diese Sorge abzunehmen.1) Mag sein, daß unsere Auffassung von den Aufgaben des Staates höher steht, aber es fehlt so dort der Stoff zu Konflikten, die bei uns immer von neuem das ganze Staatswesen in Gefahr bringen. Eine ganz andere Frage als die, ob die Amerikaner mit ihrer Verfassung auskommen können, ist selbstverständlich die, ob sie oder eine ähnliche Verfassung bei uns möglich sein würde. Sie ist meines Erachtens auf das entschiedenste zu verneinen. Die Wirkungen des amerikanischen Regierungssystems würden bei uns ganz verderbliche sein. Von alledem, was den Amerikanern ihr Regierungssystem erträglich und durchführbar macht, gilt bei uns das Gegenteil. Insbesondere beruht die Stellung des amerikanischen Präsidenten darauf, daß er die Mehrheit des Volkes hinter sich hat und daß die unterlegene Minderheit sich der Mehrheitsentscheidung fügt. Weder das eine noch das andere wäre bei uns zu erwarten. Eine absolute Mehrheit könnte ein Kandidat bei uns nur dadurch erlangen, daß mehrere in ihren Grundsätzen weit auseinandergehende Parteien sich dennoch im Wege des Kompromisses auf ihn einigen. Ein solches Kompromiß würde nicht leicht zu erzielen sein; käme es aber dazu, so würde der Kompromißkandidat aller Voraussicht nach nicht ein Staatsmann sein, wie wir ihn brauchen, von genialer Begabung und eisernem, rücksichtslosem Willen, sondern ein biederer Schönredner und Allerweltsfreund, der noch keiner der sich vereinigenden Parteien auf den Fuß getreten hat, vielleicht auch ein geschickter Demagog, der mehreren Parteien nach dem Munde zu reden wußte. Ein derartiger Mann, der die Kunst des Redens besser versteht als die des Schweigens und Handelns, genügt allenfalls für die dekorative Stelle, die die Reichsverfassung dem Präsidenten einräumt, nicht aber für die Lösung der Aufgaben, die unsere furchtbare Lage einem wirklich regierenden Präsidenten stellen würde. Noch schlimmer würde die Sache, wenn kein Kompromiß zustande käme; dann bleibt kaum ein anderer Ausweg, als den unser Wahlgesetz tatsächlich betreten hat, nämlich die relative Mehrheit entscheiden zu lassen; der so erwählte Präsident wäre dann von vornherein nur der Vertreter einer Minderheit. Woher soll einem solchen Präsidenten Autorität kommen ? Daran, daß unsere undisziplinierten Parteien eine derartige Wahl respektieren, die von dem so gewählten Präsidenten ernannten Minister während der Dauer der Präsidentschaft ruhig ihres Amtes walten, gar ein von ihm eingelegtes Veto ergeben hinnehmen sollten, ist gar *) W i l s o n , Constit. Gov. 19.

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nicht zu denken. Sucht doch selbst in Amerika der Kongreß, obwohl er meist gar nicht von Gegnern des Präsidenten geführt ist, sich, wie wir sahen, die Exekutive mit allerlei Mitteln zu unterwerfen. Bei uns würde nur die Alternative bleiben: entweder müßte der Präsident sich vor den wechselnden Reichstagsmehrheiten ducken, d. h., im Gegensatz zu Amerika, parlamentarisch regieren, oder der Konflikt würde ein Dauerzustand werden. Wir müssen uns vielleicht dazu beglückwünschen, daß unsere Verfassung den Präsidenten zu einer bloßen Repräsentationsfigur gemacht hat. Noch viel weniger würde der Reichstag imstande sein, unter dem amerikanischen System zu arbeiten, wo er der Führung durch eine verantwortliche Regierung entbehren, die Parteigegensätze sich also noch viel wilder entfalten würden, als sie es heute tun; denn heute haben wenigstens die 'sei es auch zusammengeflickten und wechselnden Mehrheiten ein gewisses Interesse daran, die Regierung eine Zeitlang zu stützen und zu halten. Man stelle sich die amerikanische Committee-Gesetzgebung in unsern Reichstag übertragen vor, die doch keine zufällige Begleiterscheinung, sondern eine notwendige Folge der Trennung zwischen Legislative und Exekutive ist. Anarchie würde das unausbleibliche Ergebnis sein. Je mehr man sich in die fremden Verfassungsverhältnisse vertieft, um so sicherer erkennt man, daß von der Übernahme von Regierungssystemen, für die bei uns alle Voraussetzungen fehlen, für uns kein Heil zu erwarten ist. Das gilt vom parlamentarischen, das gilt ebenso vom amerikanischen Regierungssystem.

VIERZEHNTEN JAHRESBERICHT DER

STRASSBURUER WISSENSCHAFTLICHEN GESELLSCHAFT IN HEIDELBERG KKSTATTET

BEI DER JAHRESVERSAMMLUNG AM 1. OKTOBER 1U21

VON

HARKY

BRESSLAU.

Der elfte in Straßburg am 7. Juli 1917 erstattete Jahresbericht des Vorsitzenden der Gesellschaft ist dem 83. Heft ihrer Schriften beigegeben.

Der zwölfte am 19. Juli 1918 in Straßburg and der

dreizehnte am 28. September 1920 in Heidelberg erstattete Jahresbericht werden nicht veröffentlicht werden.

Im Jahre 1919 hat

eine Mitgliederversammlung nicht stattfinden können.

ITochansehnliche Versammlung! Zum ersten Male seit wir in dieser altberühmten Musenstadt gastliche Aufnahme gefunden haben, tritt heute die Straßburger Wissenschaftliche Gesellschaft an die Öffentlichkeit, um in hergebrachter Weise einem weiteren Kreise von ihren Zielen und von ihrer Tätigkeit Rechenschaft abzulegen. Wir danken allen Anwesenden, die unserer Einladung gefolgt sind und dadurch ihr Interesse an unseren Bestrebungen bezeugen; wir danken auch S. Magnifizenz dem Herrn Rektor der Universität, der uns gestattet hat, unsere Versammlung in diesem schönen und ehrwürdigen Räume abzuhalten. Als wir am 19. Juli 1918 nach vier schweren Kriegsjahren zu unserer letzten öffentlichen Jahressitzung in Straßburg zusammentraten, lebten wir noch der Hoffnung auf einen ehrenvollen Frieden und auf eine dauernde Wirksamkeit in dem deutschen Elsaß. Vier Monate später, in der Mitgliederversammlung, die am 9. November stattfand, zwei Tage vor der Unterzeichnung des Waffenstillstandes, der dem Kriege, aber nicht der Feindschaft ein Ende machte, hatten wir solche Hoffnung begraben müssen; uns blieb nur eben noch die Zeit, durch unanfechtbare Beschlüsse, welche die Verlegung der Gesellschaft nach Heidelberg vorsahen, ihren Fortbestand zu sichern. In wehmütigster Stimmung verließen wir alle den schönen Saal, in dem wdr zwölf Jahre lang getagt hatten und den wir nur noch einmal, zehn Tage später, zur Vornahme eines formalen Geschäfts betreten sollten: wir gedenken noch heute des Vortrages, den unser ehrwürdiges Mitglied Herr Spitta an jenem 9. November über die Kriegsdichtungen des Herzogs Albrecht von Preußen hielt, und mit dem zum letzten Male im Senatssaale der Kaiser-Wilhelms - Universität die deutsche Wissenschaft zum Worte kam. Zwölf Tage danach zogen französische Truppen in Straßburg ein; es folgte b^ld die Schließung der Universität, die brutale Vertreibung vieler, die Flucht oder der Rückzug der übrigen Professoren: nur wenige Mitglieder unserer Gesellschaft, fast sämtlich altelsässischer Herkunft, blieben in dem verlorenen Reichslande; die anderen — und unter ihnen auch einige Altelsässer, die nicht Franzosen werden wollten —- zerstreuten sich über ganz Deutschland. Die großartigen wissenschaftlichen Einrichtungen, die Deutschland in der H a u p t s t a d t des Reichslandes geschaffen hatte, die Universität mit ihren reich ausgestatteten Instituten und Seminaren, die kostbare Bibliothek, die drittgrößte des Reiches, die Stiftungen, welche der Universität als einer deutschen Hochschule zugewandt waren, wurden von den Franzosen in Besitz genommen. An die Stelle der Kaiser-Wilhelms-

Universität ist die Université de Strasbourg getreten, an der mit Ausnahme ganz weniger Elsässer nur französische Lehrer in französischer Sprache lehren und in französischer Art auf die Examina vorbereiten. Von der deutschen Hochschule ist nichts übriggeblieben als unsere Gesellschaft, die ihr freilicli nicht formell angehörte, aber doch in ihrem Interesse gegründet und mit ihr aufs innigste verbunden war. F a s t zwei J a h r e vergingen, ehe die Gesellschaft ihre Tätigkeit wieder aufnehmen konnte. I m F r ü h j a h r 1920 kamen die gesetzlichen Formalitäten, welche die Sitzverlegung nach Heidelberg nötig machte, zum Abschluß. Am 28. September des vorigen Jahres hielten wir die erste Mitgliederversammlung in Heidelberg ab, willkommen geheißen von der uns altbefreundeten Schwesteranstalt der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, der wir für die uns stets bewiesene gute Gesinnung auch heute unseren verbindlichsten D a n k abstatten und mit der wir jetzt noch enger dadurch verbunden sind, daß eine Anzahl ihrer Mitglieder in unsere Gesellschaft eingetreten ist und sie hinwiederum eine Anzahl der unsrigen ihrem Kreise angegliedert h a t . In jener Mitgliederversammlung, zu der sich Kollegen aus allen Teilen Deutschlands eingefunden h a t t e n , und in der kein Zweifel darüber bestand, d a ß unsere Gesellschaft auch unter den traurig veränderten Verhältnissen ihre Tätigkeit fortsetzen u n d an ihrem Teile für den Wiederaufbau Deutschlands wirken müsse, wurde die Gesellschaft auf eine neue Grundlage gestellt. I n d e m wir die ehemaligen Dozenten der Universität, die jetzt in Deutschland eine selbständige wissenschaftliche Stellung einnehmen, zu Mitgliedern wählten, machten wir die Straßburger Wissenschaftliche Gesellschaft zur Repräsentantin der vernichteten Kaiser-Wilhelms-Universität. Die Bedeutung dieses Beschlusses ist von allen Neugewählten verstanden worden, und in ergreifender Weise haben viele von ihnen uns versichert, wie dankbar sie in treuer Anhänglichkeit der in Straßburg verbrachten J a h r e gedenken, die sie zu den schönsten und ertragreichsten ihres Lebens zählen. Aber nicht nur in ihrer Mitgliedschaft m u ß t e unsere Gesellschaft umgestaltet werden, sondern auch ihre Aufgaben und ihre Tätigkeit m u ß t e n der neuen Lage angepaßt werden. Als unsere Gesellschaft am 6. Juli 1906 gegründet wurde, sollte sie im Reichslande die Stelle einer Akademie der Wissenschaften vertreten, die dort fehlte — einer Akademie freilich ohne den N a m e n einer solchen, in freierer Organisation als die in Deutschland bestehenden Anstalten dieses Namens u n d ohne den bei jenen bestehenden Zusammenhang mit den staatlichen Behörden, deshalb aber auch unabhängig von ihnen u n d von dem der deutschen Wissenschaft nicht immer hold gesinnten Notablen-Parlament des Landes. I n unseren Satzungen wurde daher die Pflege aller Wissenschaften in Elsaß-Lothringen als Zweck der Gesellschaft bezeichnet, und in ihrer ersten öffentlichen Sitzung a m 6. Juli 1907 steckte der unvergeßliche erste Präsident Adolf Michaelis ihr als Ziel a b : die Zusammenfassung und Vereinigung aller

wissenschaftlichen Kräfte des Reichslandes zu gemeinsamer Arbeit, wodurch, wie er hoffte, zugleich der Universität eine geschlossenere Vertretung ihrer wissenschaftlichen Bestrebungen und damit ein größeres Gewicht gegeben werden sollte. Jetzt ist die Universität aufgehoben und das Reichsland ist dem Reiche zum zweiten Male entrissen. Aus dieser Tatsache haben wir die Konsequenz gezogen und in unseren Satzungen die Worte, welche unsere Pflege der Wissenschaften auf Elsaß-Lothringen beschränkten, gestrichen. Aber indem wir so der Entwickelung der Dinge Rechnung getragen haben, dachten wir nicht daran, unserer Vergangenheit und dem Namen, den wir führen, untreu zu werden. Unsere Gesellschaft hat nie Politik getrieben und wird sich auch in Zukunft von jeder wie immer gearteten politischen Tätigkeit fernhalten, Aber die Wissenschaft kennt keine politischen Grenzen, und wenn das Elsaß aus der deutschen Staatsnation ausgeschieden ist, so gehört es nichtsdestoweniger wie vor 1870, so nach 1920 durch seine Geschichte, seine Sprache, seine Sitten und die Abstammung seiner Bevölkerung der deutschen Kulturnation an. Und wie die deutsche Wissenschaft vor 1870 nie aufgehört hat, sich mit der Geschichte, der Landeskunde, der Sprache und der Literatur, der Wirtschaft und dem Rechte des Elsaß zu beschäftigen, so werden wir auch in Zukunft jede ernste wissenschaftliche Arbeit, die sich mit elsaß-lothringischen Dingen befaßt, nach dem Maße unserer Mittel und Kräfte besonders gern unterstützen. Darüber hinaus aber denken wir auch an die Hunderte von Elsässern und Deutsch-Lothringern, die während des halben Jahrhunderts deutscher Herrschaft auf deutschen höheren Schulen und an der deutschen Universität Straßburg ihre Bildung erhalten haben. Wir lehnen es durchaus ab, unter ihnen eine ähnliche Propaganda zu treiben, wie sie von Franzosen früher in ElsaßLothringen getrieben wurde oder heute in den besetzten Rheinlanden getrieben wird. Aber wenn einmal die Zeit kommt, in der wenige oder viele von jenen Männern spontan wiederum den Anschluß an die deutsche Wissenschaft suchen und dabei unseren R a t und unsere Hilfe erbitten, so sollen ihnen diese nicht versagt werden. Einstweilen aber wollen wir in objektiver Darstellung der Welt zeigen, was das halbe Jahrhundert, während dessen Elsaß-Lothringen mit Deutschland wieder vereinigt war, für die Geschichte von Wissenschaft und Kunst in den Reichslanden, aus der unsere Gegner es gern auswischen möchten, in Wahrheit bedeutet. Diesem Zwecke soll das große Werk dienen, dessen Herstellung die Gesellschaft im vorigen Jahre beschlossen hat und dessen Bearbeitung Herr Otto Mayer übernommen h a t : die Geschichte der Kaiser-Wilhelms-Universität, die sich zu einer Geschichte alles dessen erweitern mag, was die Dozenten der Universität, abgesehen von ihrer eigentlichen Lehrtätigkeit, auf allen Gebieten des kulturellen Lebens des Reichslandes ausgewirkt haben. Die Schwierigkeiten, die bei dieser Arbeit zu überwinden sind, und die hauptsächlich darauf beruhen, daß die amtlichen Straßburger Akten uns einstweilen unzugänglich sind, sind groß. Aber wir hoffen ihrer dennoch Schriften der Straflburger Wissenschaftlichen Oesellschaft N. F . V.

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Herr zu werden, und wir werden durch die Teilnahme ermutigt, die diesem Werke von allen Seiten gezollt wird; sie hat auch in einer Spende von 10000 Mark ihren Ausdruck gefunden, die uns für die ersten vorbereitenden Arbeiten an der Universitätsgeschichte zugeflossen ist und auf deren Erhöhung im Falle des Bedürfnisses wir hoffen dürfen. Zur Ergänzung dieses Werkes, das sich vorzugsweise auf das Elsaß beziehen wird, soll eine kleinere Schrift dienen, die über Wissenschaft und Kunst in Lothringen 1871— 1918 handeln wird; mit ihrer Bearbeitung ist Herr Keune, früher Museumsdirektor in Metz, beschäftigt. Wir dürfen ihrer Veröffentlichung schon im nächsten Jahre entgegensehen, und zugleich mit ihr gedenken wir anläßlich der 50. Wiederkehr des Stiftungstages unserer Universität eine kurze und mehr populäre Schrift als Vorläufer des großen Universitätswerkes herauszugeben, die uns Herr 'Otto Mayer schenken wird. Auf dem Gebiete, von dem ich bisher gesprochen habe, begegnet sich unsere Tätigkeit mit der des Wissenschaftlichen Institutes für die ElsaßLothringer im Reiche, das im Herbst dieses Jahres in Frankfurt a. M. eröffnet werden soll. Aber diese Begegnung ist durchaus freundschaftlich; wir verfolgen ähnliche Ziele nur auf verschiedenen Wegen und mit verschiedenen Mitteln, und eine Arbeit Haijd in Hand ist schon dadurch verbürgt, daß der Vorsitzende und ein anderes Mitglied des Vorstandes des Instituts dem Ausschusse unserer Gesellschaft angehören. So begrüßen wir den Beginn der Arbeit des Institutes mit Freude und Hoffnung und rufen ihm ein freundliches Glückauf zu. Indem uns so seit der Verbannung aus Straßburg und gerade infolge ihrer neue Aufgaben erwachsen sind, haben wir die alten, die auf die allgemeine Pflege der Wissenschaften abzielten, nicht vergessen; wir haben sie im abgelaufenen Geschäftsjahre nach zweijähriger Unterbrechung energisch wieder aufgenommen. In der Reihe unserer Schriften waren bis zum Ende des Weltkrieges 37 Einzelhefte, im Umfange von 16 bis zu 360 Seiten schwankend, mit zahlreichen Tafeln und Abbildungen erschienen; von der philologisch-historischen Disziplin haben fast alle in ihnen Förderung erfahren, aber auch die Theologie und die Naturwissenschaften, ja auch praktische Jurisprudenz und Medizin, die von den deutschen Akademien im allgemeinen nicht berücksichtigt zu werden pflegen, sind in ihnen zum Worte gekommen. Im abgelaufenen Jahre haben wir dann von Heidelberg aus eine neue Folge dieser Schriften eröffnet, von der drei Hefte aus den Gebieten der Biologie, der romanischen Philologie und der Geschichte der Philosophie bereits erschienen sind, ein viertes, das einen Beitrag zur semitischen und allgemeinen Religionsgeschichte gibt, im Drucke vollendet ist. Wir hoffen, diese Publikationen, die wir mit den übrigen deutschen Akademien austauschen, trotz der ungeheuerlichen Steigerung der Herstellungskosten auch im nächsten Jahre in gleicher Weise fortsetzen zu können. — Zu besonderer Freude hat es uns gereicht, daß wir dank

der unermüdlichen Arbeitskraft des Herrn Schwartz auch das wissenschaftliche Hauptunternehmen der Gesellschaft, die erste kritische Ausgabe der Akten der acht ältesten allgemeinen Kirchen Versammlungen der Christenheit, die seit dem Erscheinen des ersten Bandes im Jahre 1914 geruht hat, wieder aufnehmen konnten. Ein zweiter Band ist begonnen; die erste seiner vier Lieferungen ist im Druck vollendet, die zweite wird im Frühjahr, die beiden letzten werden im Laufe des Jahres 1922 folgen. Wir haben angesichts der um ein Vielfaches erhöhten Kosten dieses großen, auf 20 Bände berechneten Werkes mit der Vereinigung Wissenschaftlicher Verleger in Berlin, in der die altberühmte Straßburger Verlagsbuchhandlung von Karl J . Trübner aufgegangen ist, einen neuen Vertrag abgeschlossen und nicht ohne Sorge die schweren finanziellen Verpflichtungen übernommen, die dieser Vertrag uns trotz weitgehenden E n t gegenkommens der Buchhandlung auferlegte. So ist es denn sehr erfreulich, daß wir durch die Bewilligung einer beträchtlichen Unterstützung von Seiten der Notgemeinschaft der deutschen Wissenschaft des größten Teiles dieser Sorge überhoben worden sind. Dadurch ist die weitere Fortsetzung des Unternehmens gesichert, und Deutschland wird in dieser Ausgabe der Acta conciliorum oecumenicorum der Welt ein Werk schenken, das für die gesamte Christenheit von der höchsten Bedeutung ist. Von internationalem Interesse sind auch zwei andere größere Unternehmungen unserer Gesellschaft: das Sammelbuch und das große Wörterbuch der griechischen Papyrusurkunden aus Ägypten, an denen Herr Preisigke seit langen Jahren mit außerordentlichem Fleiß und größter Sachkunde tätig ist. Von dem im In- und Auslande mit gleicher Freude begrüßten Sammelbuch, das die dem unerschöpflichen Boden Ägyptens abgewonnenen, bisher in zahlreichen Einzelpublikationen zerstreuten Urkundenfunde an einer Stelle vereinigt, waren noch in Straßburg der erste Textband und eine Lieferung des die Register enthaltenden zweiten Bandes, der seinen Vorgänger eigentlich erst wissenschaftlich recht benutzbar macht, erschienen. J e t z t hoffen wir die vieler Schwierigkeiten halber unterbrochene Publikation wieder fortsetzen zu können; die heutige Mitgliederversammlung wird darüber zu beschließen haben. Für das Wörterbuch, das wir gemeinsam mit der Heidelberger Akademie der Wissenschaften in Angriff genommen haben, sind die Vorarbeiten so weit ged i e h e n , daß demnächst an den Beginn des Druckes gedacht werden kann, der bedeutende Geldmittel erfordern wird. Nehmen wir zu dem Gesagten hinzu, daß unsere Gesellschaft, wie sie sich früher an einzelnen wissenschaftlichen Unternehmungen der Berliner Akademie mit Geldbeiträgen beteiligt hat, und wie sie seit Jahren zu den Kosten der von dem Kartell der deutschen Akademien geleiteten Bearbeitung des Thesaurus linguae latinae einen Beitrag leistet, so auch ferner gewillt und bereit sein wird, ähnliche gemeinsame Arbeiten deutscher gelehrter Gesellschaften aus ihren Mitteln fördern zu helfen, und daß sie weiter ebenso entschlossen ist, wie früher



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in Straßburg, so jetzt an ihrem neuen Wohnsitz auch wissenschaftliche Einzelarbeiten ihrer Mitglieder und eventuell auch anderer Gelehrter nach dem Maße ihres Vermögens zu unterstützen, so werden Sie am Schlüsse dieses Berichtes von mir zu hören erwarten, ob denn unsere Mittel uns gestatten, so vielfache und so hoch gesteckte Ziele anzustreben. Einen ins einzelne gehenden Bericht über unsere Finanzen wird unser Schatzmeister in der heutigen Mitgliederversammlung erstatten, ich darf.mich hier mit wenigen allgemeinen Mitteilungen begnügen. Als unsere Gesellschaft vor 15 Jahren begründet wurde, verfügte sie nur über äußerst geringe Mittel; wenige tausend Mark, die von Mitgliedern oder Freunden beigesteuert waren. Aber sie durfte auf Unterstützung aus der gleichzeitig ins Leben' getretenen Stiftung rechnen, die der Professor der evangelischen Theologie Aug. Eduard Cunitz errichtet hatte, indem er sein ganzes Vermögen im Betrage von mehr als 300000 Mark der Kaiser-Wilhelms-Universität zur Förderung wissenschaftlicher Studien vermacht hatte. Diese Rechnung war richtig; durch die Verwaltung der Cunitzstiftung sind unsere Arbeiten wiederholt und nicht unbeträchtlich mit Geldmitteln unterstützt worden, und wenn heute auch diese Stiftung der französischen Konfiskation verfallen ist, so weiß jeder, der ihren 1886 verstorbenen, gut elsässisch und gut deutsch gesinnten Begründer gekannt hat, wie wenig das seinen Gedanken und Absichten entspricht. Abgesehen von den Beiträgen, die wir aus der Cunitzstiftung erhielten, wurde unsere Tätigkeit auch dadurch erleichtert , daß der hochherzige Straßburger Buchhändler Karl J . Trübner, dessen Andenken in unserem Kreise immer mit warmer Dankbarkeit gedacht werden wird, den Verlag unserer Schriften übernahm, ohne daß wir einen Beitrag zti den Herstellungskosten zu leisten hatten. Aber dessenungeachtet blieb unsere Wirksamkeit in den ersten Jahren eingeengt und beschränkt. Da krönte Karl Trübner seine Fürsorge für unser junges Unternehmen durch ein großmütiges Legat von 250000 Mark, das uns nach dem Tode seiner Witwe im Dezember 1908 ausbezahlt wurde. Erst durch dies reiche Geschenk und durch einige kleinere, aber nicht minder dankbar aufgenommene Stiftungen, die uns um dieselbe Zeit und in den nächsten Jahren zuteil wurden, wurde unsere Gesellschaft auf einen festen Boden gestellt; nun erst konnten wir die Arme ausstrecken und uns freier regen, nun erst seit dem Jahre 1909 durften wir uns an jene großen und kostspieligen Aufgaben wagen, von denen ich vorhin sprach. Allein noch immer standen wir, sozusagen, auf einem Fuße. Das Trübnersche Testament bestimmte, daß das Zinserträgnis des uns vermachten Legats nur für Arbeiten auf dem Gebiete der historischen und philologischen Wissenschaften verwandt werden dürfe. Für Arbeiten aus dem Gebiete der mathematischen und naturwissenschaftlichen Fächer standen uns daher nur die geringen, zuletzt auf etwa 20000 Mark angewachsenen Mittel zu Gebote, die wir aus anderen Stiftungen und aus dem Erlös für unsere Schriften sammeln konnten, deren Herstellungskosten wir



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bald nach dem Tode Trübners durch einen neuen Verlagsvertrag auf eigene Rechnung übernommen hatten. So unterschieden wir uns von den anderen gelehrten Gesellschaften und Akademien Deutschlands auch dadurch, daß wir zwar nicht in der Zusammensetzung unserer Mitgliedschaft, wohl aber in unserer Wirksamkeit eigentlich nur eine der beiden Klassen besaßen, die in jenen vereinigt sind. Heute habe ich die besondere Freude mitteilen zu können, daß auch diese Unzulänglichkeit glücklich behoben ist. Durch die Hochherzigkeit eines unserer ehemaligen Straßburger Mitbürger, des Herrn Karl Adler, der in Zukunft neben Karl Trübner als der zweite große Gönner und Wohltäter unserer Gesellschaft dankbar geehrt werden wird, ist es geschehen, daß uns die ehemals in Straßburg, jetzt in Berlin domizilierte Adler u. Oppenheimer A.-G. die Summe von 300000 Mark geschenkt hat, deren Zinsen seit dem Mai dieses Jahres fast unbeschränkt zu unserer freien Verfügung stehen. So hat sich unser bisheriges Vermögen verdoppelt, und wenn auch heute 600000 Mark weniger bedeuten als vor dem Kriege die Hälfte dieser Summe, so ist es doch ein großer Vorteil, daß wir nunmehr in der Lage sind, den bisher doch eigentlich nur auf dem Papier stehenden ersten Paragraphen unserer Satzung tatsächlich auszuführen und unsere Fürsorge a l l e n Wissenschaften zuzuwenden. Hochansehnliche Versammlung! Unser teures Vaterland ist durch die Ereignisse der letzten drei Jahre auf das schwerste heimgesucht; ungewiß hegt die Zukunft vor uns, und Schwereres noch mag uns bevorstehen. Aber wer kundigen Auges in die Geschichte Deutschlands zurückblickt, der weiß, daß sie sich nie in gerader Linie bewegt hat, sondern daß auf Perioden des Aufstiegs stets solche des Niederganges, daß aber wiederum auch auf das schlimmste Mißgeschick stets neue und bessere Zeiten gefolgt sind. Unsere äußere Machtstellung hat man uns genommen, und zum ersten Male in dem Jahrtausend, das seit der Gründung des deutschen Reiches verflossen ist, ist dieses Reich wallen- und wehrlos geworden. Aber das beste, was wir im 19. Jahrhundert errungen hatten, die wieder errichtete Einheitlichkeit des Reichs ist uns geblieben und die führende Stellung, die wir in der Wissenschaft gewonnen hatten, hat man uns nicht nehmen können. Diese Stellung zu behaupten, zu befestigen und zu mehren, ist die Aufgabe wie anderer gelehrter Gesellschaften so auch der unsrigen. Litteris et patriae, der Wissenschaft und dem Vaterlande, war der Wahlspruch, der auf dem Giebelfelde des stolzen Gebäudes stand, in dem wir uns einst zu versammeln pflegten. Diesen Spruch hat jetzt die Straßburger Wissenschaftliche Gesellschaft zu ihrem Losungswort gemacht, und mit ihm schreiten wir trotz allem, was wir erlebt und erlitten haben, aufrechten Hauptes in ein neues J a h r des Lebens unserer Gesellschaft.

Schriften der Straßburger Wissenschaftlichen Gesellschaft N. F. V.

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VEREINIGUNG WISSENSCHAFTLICHER

VERLEGER

WALTER DE GRUYTER & Co. BERLIN W 10 UND LEIPZIG.

Schriften der Straßburger Wissenschaftlichen Gesellschaft: Heft 1- D e r P a p y r u s L i b b e y . Ein ägyptischer Heirats vertrag. Von W. Spiegeiberg. Mit drei Tafeln in Lichtdruck. 4°. IV, 12 S. 1907. Ji 4.~ Heft 2- A r a b i s c h e B e d u i n e n e r z ä h l u n g e n : Arabischer Text. Von Enno Littmann. 4°. VII, 58 S. 1908. _ .. Ji».— Heft 8' A r a b i s c h e B e d u i n e n e r z ä h l u n g e n : Übersetzung. Von Enno Littmann. Mit 16 Abbildungen im Text. 4°. XI, 57 S. 1908. Ji 6.— Heft 4: D i e g r i e c h i s c h e n M a r t y r i e n . Rede.gehalten bei der ersten Jahresversammlung der Wissenschaftlichen Gesellschaft in Straßburg am 6. Juli 1907. Von Albert Ehrhard Mit Anhang: X. Jahresbericht der Wissenschaftlichen Gesellschaft in Straßburg, erstattet bei der ersten Jahresversammlung am 6. Juli 1907 von A D O L F M I C H A E L I S . Mit dem Verzeichnis der Mitglieder der Gesellschaft. 4°. 30 und 8 S. 1907. Ji 3.— Heft 5 : S t u d i e n zu Q u i n t i l i a n s g r ö ß e r e n D e k l a m a t i o n e n . Von R. Reitzenstein. Ji 9.— 4 .IV, 90 S. 1909. Heft 6 : Ü b e r d i e p s e u d o a p o s t o l i s c h e n K i r c h e n o r d n u n g e n . Von E. Schnait;. Mit Anhang: 2. Jahresbericht, erstattet am 4. Juli 1908 von A D O L F M I C H A E L I S . 3. Jahresbericht, erstattet am 3. Juli 1909 von T H E O B A L D ^ I E G L E K . Mit dem Verzeichnis der Mitglieder der Gesellschaft. 4°. IV, 40 und 15 S. 1910. Ji 4.— Heft 7 : B u ß s t u f e n u n d K a t e c h u m e n a t s k l a s s e n . Von E. Schwartz. Lex. 8°. IV, 61 S. 1911. .. Ji 3.50 Heft 8: G r i e c h i s c h e U r k u n d e n d e s Ä g y p t i s c h e n M u s e u m s zu K a i r o . Von Friedrich Preisigke. Lex. 8 VIII, 58 S. 1911. Ji 3.20 Heft 9 : Ven ezi a n i s c h - I s t r i s e h e S t u d i e n . Von Walter Lenel. Mit 3 Tafeln in Lichtdruck. Lex. 8°. XV, 197 S. 1911. Jt 10.50 Heft 10: Z u r n o r d a r i s c h e n S p r a c h e u n d L i t e r a t u r . Vorbemerkungen und vier Auf.Ji 9.60 sätze mit Glossar. Von Einst Leumann. Lex. 8°. VIII, 147 S. 1912. Heft U : D i e j u r i s t i s c h e P e r s ö n l i c h k e i t d e r s t a n d e s h e r r l i c h e n F a m i l i e . Von Hermann Rehm. Lex. 8° VI, 76 S. 1911. Jk 3.— Heft 12: ß u r z ö e s E i n l e i t u n g zu d e m B u c h e K a l l l a w a D i m n a . Von Theodor Nöldeke. Lex. 8°. V, 27 S. 1912. .. Ji 1.50 Heft 13: E i n E r b s t r e i t a u s d e m p t o l e m ä i s c h e n Ä g y p t e n . Von Otto Gradenwitz, Friedrich Preisigke, Wilhelm Spiegelberg. Mit vier Tafeln in Lichtdruck. Lex. 8°. VII, 62 S. 1912. ' Jt 6.— Heft 14: D a s t a u s e n d j ä h r i g e J u b i l ä u m d e r d e u t s c h e n S e l b s t ä n d i g k e i t . Rede, gehalten in der Wissenschaftlichen Gesellschaft zu Straßburg, am 1. Juli 1911. Von Harry Bresslau. Mit Anhang: 4. u. 5. Jahresbericht, erstattet von T H E O B A L D ZIEGLEM. Mit dem Verzeichnis der Mitglieder der Gesellschaft. Lex. 8°. III, 16 und 17 8. 1912. Jil.%) Heft 15: D e r A l e x a n d e r s a r k o p h a g a u s S i d o n . Von Franz Winter. Format 5 7 X 5 0 c m 18 Seiten Text und 18 Tufeln in Faksimile-Farben-Lichtdruck. 1912. In Mappe Ji 120.— Heft 16: D i e s t a ' n d e s h e r r l i c h e S c h i e d s g e r i c h t s b a r k e i t . I h r e Z u l ä s s i g k e i t u n d i h r e G r e n z e n im h e u t i g e n R e c h t e . Denkschrift, im Auftrage des Vereins der deutschen Standesherren verfaßt von Hermann Rehm. Lex. 8°. V, 57 S. 1912. Jt 2.40 Heft 17: C h e m i s c h e S t e . u e r u n g s v o r g ä n g e i m T i e r k ö r p e r . Rede, gehalten in der Wissenschaftlichen Gesellschaft zu Straßburg am 6. Juli 1912, von Franz Hofmeister. Mit Anhang: 6. Jahresbericht, erstattet von H A B R Y B R E S S L A U . Mit den Berichten der Herren E. Schwartz, F. Preisigke und 0. Gradenwitz über die wissenschaftlichen Unternehmungen der Gesellschaft. Lex. 8 III, 15 und 20 S. 1912. ^1.20 Heft 18: D e r P a p y r u s c o d e x s a e c . V I ^ V I I d e r P h i l l i p p s b i b l i o t h e k i n C h e l t e n h a m . Koptische theologische Schriften. Herausgegeben und übersetzt von W. E. Crum. Mit einem Beitrag: Zur literarhistorischen und theologischen Würdigung der Texte von A. Ehrhard. Lex. 8°. XVIII, 171 S. und 2 Lichtdrucktafeln. 1915. ^15.— Heft 19: P r i n z - J o a c h i m - 0 s t r a k a. Griechische und demotische Beisetzungsurkunden für Ibis- und Falkenmumien aus Ombos. Herausgegeben von Friedrich Preisigke und Wilhelm Spiegelberg. Lex. 8«. VIII, 69 S. 1914. Mit..4 Tafeln iu Lichtdruck. Jt 6.40 Heft 20: K o n z i l s t u d i e n . I. Cassian und Nestorius. II. Über echte und unechte Schriften des Bischofs Proklos von Konstantinopel. Von Eduard Schwartz. Lex. 8°. V, 70 S. 1914. Ji 3.60 Heft 21: D a s D e u t s c h e O b s e r v a t o r i u m i n S p i t z b e r g e n . Beobachtungen nnd Ergebnisse. I. Herausgegeben von H. Hergesell. Lex. 8 V, 65 S. 1914. Mit 10 Abbild, im Text, 8 Tafeln und 1 Karte. M 6.— Heft 22: D i e B e v ö l k e r u n g M i t t e l a m e r i k a s . Vortrag, gehalten in der Wissenschaftlichen Gesellschaft zu Straßburg am 22. November 1913, nachträglich erweitert und mit Anmerkungen versehen. Von Karl Sapper. Mit Anhang: 7. Jahresbericht, erstattet von H A R R Y B R F S S L A U . Mit dem Verzeichnis der Mitglieder der Gesellschaft, Lex. 8°. III, 32 und 10 S. 1914. Ji\M)

VEREINIGUNG

WISSENSCHAFTLICHER

VERLEGER

WALTER DE GRUYTER it Co. BERLIN W 10 UND LEIPZIG.

Schriften der Straßburger Wissenschaftlichen Gesellschaft: (Fortsetzung von Seite 3 des Umschlags.)

Heft 23: K l s ä . s s i s c h e U r k u n d e n , vornehmlich des 13. Jahrhunderts, herausgegeben von Alfred Hessel. Mit einer Tafel in Lichtdruck. Lex. H IV, 73 S. 1915. Jl 4.50 Heft 24 : D ie A r t h r i t i s d e f o r m a n s a l s A l l g e m e i n e r k r a n k u ng. Von G. Lcdderhose aus Straßburg. Lex. 8 40 S. 1915. Jl 2.— Heft 25: Von Z a h l e n und Z a h l w o r t e n bei d e n a l t e n Ä g y p t e r n u n d w a s f ü r a n d e r e V ö l k e r und S p r a c h e n d a r a u s zu l e r n e n ist. Ein Beitrag zur Geschichte von Rechenkunst und Sprache von Kurt Sethe. Mit drei Tafeln. Lex. 8 VIII. 147 S. 1916. Jt 14.— Heft 26: S p ä t e V e r g e l t u n g . Aus der Geschichte der Theodicec. Vortrag, gehalten in der Wissenschaftlichen Gesellschaft in Straßburg am20. November 1915. Von Kriclt Klosttrmann. Mit Anhang : 8 . und 9. Jahresbericht, erstattet von HAKBV BRESSLAI 1 . Mit dein Verzeichnis der Mitglieder der Gesellschaft. Lex. 8". V, 45 und lti S. 1910. Jl 2.40 Heft 27: K a t a l o g d e r g e s c h i c h t l i c h e n V u l k a n a u s b r ü c h e . Von Karl Sapper. Lex. 8°. X, 358 S. 1917. M 24.— Heft 28: Die E r g e b n i s s e d e r g e o l o g i s c h e n F o r s c h u n g e n in E l s a ß - L o t h r i n g e n u n d i h r e V e r w e n d u n g zu K r i e g s z w e c k e n . Vortrag in der Mitgliederversammlung der Wissenschaftlichen Gesellschaft in Straßburg am 19. Februar 1916. Von Leopold ranWerveke. Lex. 8°. V, 73 S 1916. Mit 16 Zeichnungen und 1 Tafel. Ji 4.— Heft 29: Die E b e n b ü r t i g k e i t s f r a g e im H a u s e C r o y . Von Hermann Nehm. Lex 8°. 30 S. 1916. J i 1.50 Heft 30: Die I n s c h r i f t von S k a p t o p a r e n e in i h r e r B e z i e h u n g zur K a i s e r l i c h e n K a n z l e i in Rom. Von Friedrich l'reisigke. Mit einer Schrifttafel. Lex. 8°. V, 79 S. ' 1917. Jth — Heft 31 : D i e a l t g r i e c h i s c h e B ü h n e . Von August Frickenhaus. Mit einer Beilage von Eduard Schirart:. Mit 29 Abbildungen und 3 Tafeln in Lichtdruck. Lex. 8 V I I I , 129 S. 1917. _ Ji 16.— Heft 32: D e r A l m a n a c h p e r p e t u u m des A b r a h a m Z a c u t o . Ein Beitrag zur Geschichte der Astronomie im Mittelalter von Berthold Cohn. Lex. 8°. V, 48 S. 1918; Jl 5. — Heft 33: Zur P a t h o l o g i e u n d P h y s i o l o g i e des D u r s t e s . Von Erich Meyer. Mit Anhang: 1 0 . und 1 1 . Jahresbericht, erstattet von I I A E R Y BRESSLAU. Mit deui Ver-. zeichnis der Mitglieder der Gesellschaft. Lex. 8°. 23 und 24 S. 1918. Ji 1.60 Heft 34: Z u r E n t s t e h u n g d e r l l i a s . Von Eduard Schirart.:. Lex. 8°. V, 40 S. 1918. J(3.— Heft 35: D a s n e u e k i r c h l i c h e G e s e t z b u c h — Codex J u r i s C a n o n i c i — s e i n e G e s c h i c h t e u n d E i g e n a r t . Mit einem Anhang: Sammlung einschlägiger Aktenstücke. Von August Knecht. Lex. 8°. IV, 71 S. 1918. Jl'3.— Heft 36: Ü b e r d i e P h a r m a k a in d e r I l i a s u n d O d y s s e e . Von Oswald Schmied eben/. Lex. 8°. 29 S. 1918. Ji 2.— Heft 37: P r o v e n z a l i s c h e S t u d i e n I. Von Oskar Schultz- Gora. Lex. 8°. VIII, 103 S. 1919. Ji 8.— Zu den otjon anue^oltenon Preisen tritt ein Verle^ertuuerunirszusehlag von 250"n-

Neue Folge Heft 1 D i e H a r m o n i e in d e r E n t w i c k l u n g der O r g a n i s m e n . Rede, gehalten in der zwölften Jahresversammlung der Wissenschaftlichen Gesellschaft in Straßburg. Samstag, 13. Juli 1918. Von Franz Keibel. Mit 8 Abbildungen. Lex. 8°. IV, 18 S. 1920. Jt 6.— Heft 2: P r o v e n z a l i s c h e S t u d i e n IL Fon Oskar Schultz-Gora. Lex. 8°. VI, S. 105—153. 1921. Ji 16. — Heft 3: D i e E r k e n n t n i s l e h r e des J o h a n n e s E r i u g e n a im Rahmen ihrer metaphysischen und anthropologischen Voraussetzungen nach den Quellen dargestellt von Artur Schneider. Lex. 8». VIII. 68 S. 1921. 11.— Heft 4: S t e i n v e r e h r n n g b e i d e n I s r a e l i t e n . Ein Beitrag zur semitischen und allgemeinen Religiousgeschichte von Georg Beer. Lex. 8°. VI, 22 S. 1921. Jit'i. — Weimar. — Hof-Buchdruckerei.