Amerikanische Kriminalpolitik [Reprint 2022 ed.]
 9783112684085

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Amerikanische Kriminalpolitik.

Bon

Professor Dr. Berthold Freudenthal, Frankfurt a. Main.

Berlin 1907.

I. Guttentag, Verlagsbuchhandlung, (SS. m. b. H.

I. G«t1e«tag,

Verlagsbuchhandlung, G. m. b. H. in Berlin WS.

Zeitschrift für -ie gesamte Strafrechtswissenschaft. Unter ständiger Mitarbeiterschaft der Herren

Dr. E. Beling,

Dr. R. Frank,

Dr. H. Knapp,

ord. Professor in Tübingen,

ord. Professor in Tübingen,

Reichsarchiv-Assessor in München,

Dr. W. Mittermaier,

Dr. E. Steidle,

ord. Prosessor in Gießen,

Kriegsgerichtsrat in München,

herausgegebcn von

Dr.

Fra«; v. Lisrt,

Dr.

ord. Professor der Rechte in Berlin,

Dr.

Kart «. KUtenthat,

ord. Prof, der Rechte in Heidelberg.

1L o. Dippel,

Dr.

ord. Professor in Göttingen,

Gd. Kohtra«fch,

ord. Professor in Königsberg.

Siebenundztvanzigstcr Band. Alljährlich erscheint ein Band in acht Heften. Preis des Bandes 20 Mk.

Strafrechtliche Aufsätze und Vorträge. Von

Dr. Franz v, Liszt, Professor der Rechte. Zwei Bände, gr. 8°. Preis 20 Mk., gebunden in Halbfranz 22 Mk. 50 Pf.

Die

Hleform des StvctfverfclHvens. Von

Dr. Jrrant v. Lisrt, orb. Prviesior der Rechte an der Universität Berlin.

gr. 8°.

Preis 1 Mk. 20 Pf.

Sammlung

Aufserdeutscher Strafgesetzbücher in deutsch ex* Übersetzung. Herausgegeben von der Redaktion der Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft.

Verzeichnisse stehen zu Diensten.

Amerikanische Kriminalpolitik.

Hfferrtticher Wortrcrg, auf der

Versammlung der Internationalen Kriminalistischen Bereinigung,

Landesgruppe Deutsches Weich, am 8. Keptemver 1906

gehalten von

Professor Dr. Lerthold Freudenthal, Frankfurt a. Main.

Berlin 1907. I. Gnttentag, Verlagsbuchhandlung, G. m. H.

dedarf es der Rechtfertigung, wenn ich Sie bitte, mit mir im

engen Rahmen einer Stunde einen Blick auf die Kriminalpolitik der Nordamerikanischen Union zu werfen? Es ist lange her, daß dies Land uns in der Einzelhaft und im Schweigegebote die Grund­ lagen des Vollzuges unserer Freiheitsstrafen geliefert hat.

Seitdem

sind ihm Jahrzehnte mächtigen ideellen und materiellen Aufschwunges beschieden

Es wäre gegen alle Wahrscheinlichkeit, wenn

gewesen.

es in dieser Zeit nicht auch auf kriminalpolitischem Gebiete Fort­

schritte gemacht hätte.

Bei uns herrscht lebhafter theoretischer Streit über eine Reihe Vorschläge, die man als das Programm der

kriminalpolitischer

neuen

Schule zu bezeichnen

pflegt.

Wenn

sie auf Widerspruch

stoßen, so geschieht dies vor allem deswegen, weil man es für schwierig, ja unmöglich hält,

übersehen.

die Folgen ihrer Verwirklichung jetzt schon zu

Mancher von

diesen Vorschlägen ist nun aber drüben

bereits seit Jahrzehnten praktisch verwirklicht, vielfach noch dazu von jedem der Unionsstaaten in anderer Weise, sodaß uns die unschätzbare Möglichkeit gegeben ist, beim Einblick in amerikanische

Verhältniffe die verschiedenen Systeme zu vergleichen. Wäre es nicht fast unbegreiflich, wenn wir von dieser Möglichkeit keinen Gebrauch machten?*) Nicht als ob es jenseits des Ozeans menschliche Einrichtungen

gäbe, die keine Mängel hätten. Strafwesens ist nicht fleckenlos.

Auch das Bild des amerikanischen

Da fehlt vor allem jede

aus-

reickende Statistik. Etwas, was auch nur annähernd unserer trefflichen Reichskriminalstatistik gleichkäme, gibt es drüben bei der *) Eine eingehende Behandlung der hier notgedrungen z. T. nur kurz berührten Fragen behalte ich mir für später vor.

4

B. Freudenthal.

Jugend des Landes, seiner Größe, vor allem aber auch bei der Eifersucht nicht, mit der die Einzelstaaten jeden Einblick, geschweige jedes Dreinreden in ihre Angelegenheiten der Union versagen. Der entsprechende Mangel wie in der Union besteht in deren Einzelstaaten. Aber damit ist über die Bedeutung amerikanischer Kriminalpolitik für uns noch lange nichts entschieden. Einmal ist der Wert der Statistik für die Beurteilung ganzer kriminalpolitischer Systeme, wie bekannt, bestritten. Überdies aber haben wir keineswegs wertlose Einzelzahlen auch für Amerika, und vielleicht darf ich hier und da von ihnen eine Probe geben, ohne sie freilich hier voll würdigen zu können. Woran es fehlt, das sind die großen Reichs- und Staatsstatistiken. Man glaubt, auch ohne sie zu misten, was von den Maßregeln des neuen Systems zu halten sei. Es ist in der Tat merkwürdig, wie übereinstimmend in Amerika das Urteil über sie, sei es günstig, sei es ungünstig, im wesentlichen lautet. Die Sachkundigen drüben habe ich ihren kriminalpolitischen Einrichtungen gegenüber keineswegs unkritisch gefunden. So wird, um nur ein Beispiel anzuführen, außerhalb des Staates New Aork die zunächst ja sehr verführerische George Junior Repub lic, dieser Miniaturstaat mit Selbstgesetzgebung, Selbstrecht, sprechung und Selbstverwaltung der jungen Gefangenen, mit Recht skeptisch beurteilt. Ebenso die entsprechenden Einrichtungen in Pontiac (Jll.). Es gibt eben, selbst wenn die Statistik eine Quelle sicherer Erkenntnis sein sollte, jedenfalls noch andere Quellen. Nichts wäre darum verfehlter und zugleich billiger, als wenn man bei uns etwa das Urteil über die Brauchbarkeit des amerikanischen Strafvollzuges bis zum Vorliegen einer ausreichenden Unionsstatistik ablehnen wollte. Soviel vom Mangel der Statistik. Da haben wir weiter das Kreuz aller amerikanischen Beamtenverhältniffe, das — jetzt freilich tapfer bekämpfte — Spoil-System; boburd) sind vielfach der gerade herrschenden Partei zugehörige, aber sachlich ungeeignete Männer in die Strafanstalten berufen, die fähigsten Männer aus ihnen entfernt worden. Dazu kommen andere Mängel, wie Mißbrauch der Tages­ gebühren des Sheriff, sowie Einfluß von Politikern auf den Straf­ vollzug im einzelnen. Auch ihrer kleinen Gefängniffe, der Jails, die etwa unseren Amtsgerichtsgefängniffen entsprechen, können sich

Amerikanische Kriniinalpolitik.

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die Amerikaner nicht rühmen: die Versicherung des Direktors eines „Musterjails": Kartenspielen erlaube ich den Gefangenen nicht, zeigt einen ihrer für uns schwer verständlichen Mängel. Aber selbst in neuen Strafanstalten, Reformatories, ist nicht durchweg alles, wie es sein sollte. Hier wird dem Unterricht aller Einfluß auf die Strafdauer versagt. Dort wird die körperliche Ausbildung vernachlässigt. Hier besteht noch — freilich als seltene Ausnahme — Kontraktsystem, das dem Unternehmer draußen ge­ fährlichen Einfluß auf den Strafvollzug gewähren kann. Dort drängen doppelt belegte Zellen, das Zeichen des Raummangels, zu vorzeitiger Entlassung. Anscheinend überall legen sich die Ge­ fangenen bei den geringen Jdentifizierungsmöglichkeiten des jugend­ lichen Landes in weitem Maße der Anstaltsverwaltung gegenüber falsche Namen bei. Kurz an Mängeln fehlt es bei näherem Zusehen drüben nicht. Dieser Tatsache darf man sich und durfte ich mich nicht verschließen. Aber wer sich ihr nicht verschloffen hat, vielleicht darf gerade der die Bitte aussprechen: Treiben wir — bei aller wahrlich berech­ tigten Selbstachtung — doch auch den Zweifel und die Skepsis dem Fremden gegenüber nicht so weit, daß wir selbst den Schaden davon tragen: Ohne einen gewissen Optimismus ist noch wenig Großes auf Erden geschaffen worden. Damit genug von Mängeln, die ja doch nur den Schatten zu vielem Lichte darstellen. Aber auch, was für die Vereinigten Staaten gut und bewährt ist, das braucht noch lange nicht das Rechte zugleich für Deutschland zu sein; die Verhältnisse der beiden Länder sind ja so verschieden. Dieser oft erhobene Einwand wird auch mir entgegengehalten werden. Ich verkenne auch seine Be­ deutung keineswegs. In jedem einzelnen Punkte wird die Frage der Verwertbarkeit in unseren Verhältniffen auf das Vorsichtigste zu prüfen sein, und ich bin weit entfernt, alles für übertragbar zu halten, was ich hier — als zum Bilde amerikanischer Kriminalpolitik gehörig — berichte. Aber freilich steigert es die Bedeutung amerika­ nischer Einrichtungen für uns gerade auf kriminalpolitischem Gebiete doch anderseits ganz wesentlich, daß die Entwickelung drüben und bei uns durchaus parallel verlaufen ist. Werfen wir zum Beweise

einen kurzen Blick auf sie. Auch in Amerika haben einst Vergeltungs- und Zweckstrafe miteinander in schwerem Kampfe gelegen, und oft genug geht es *

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B. Freudenthal.

noch jetzt wie Wetterleuchten über den kriminalpolitischen Himmel der Union. Einst galt auch in ihr unbestritten als die Aufgabe jeder Strafe, den Verbrecher unter die Rechtsordnung 31t beuge.», ihm das Üble, das er getan, zu vergelten, die Tat zu sühnen. Es

lag der Geist der Rache einst auch über de» anrerikattische» Strafanstalten. „Die Disziplin muß, so hieß es in der Dienstan­ weisung des Staatsgefängnisses von Massachusetts,') so streng sein, wie das Gesetz der Menschlichkeit es irgend erlaubt, damit der Sinn des Gefangenen gebrochen und auf den Stand der Zer­ knirschung gebracht werde". Wenn diese Auffassung — und zwar für unsere Begriffe außerordentlich rasch — zurückgedrängt worden ist, so haben nicht sowohl die Juristen, die im wesentlichen dauernd in der Opposition gewesen sind, als vielmehr Theologen, Soziologen und Lehrer das Ver­ dienst hieran. Freilich kam auch derCh arakter des V0 lkes dein Fort­ schritte stark zu Hilfe. Amerika ist vom Ballast einer hier und da fast überreichen Tradition, lähmender Skepsis, tiefgründiger Ge­ lehrsamkeit und systematischer Bedenken ziemlich frei. Zudem ist das Volk reich, es liebt seine Kinder und sorgt in bisweilen ge­ radezu ergreifender Weise für sie; ruhig dürfte man die Union das Land der Jugendfürsorge nennen. Endlich vermag eine ein­ zelne bedeutende Persönlichkeit oder eine kleine Zahl solcher drüben einen Einfluß auszuüben, wie er bei uns auf dem Kontinent nicht entfernt möglich ist. Das Ergebnis der Entwickelung ist nicht die Beseitigung des alten Systems, sondern eine Art Arbeitsteilung zwischen diesem und dem neuen gewesen. Weite Gebiete gehören in Amerika noch der Vergeltungsstrafe. So steht auf dem Morde unter Vergeltungsgesichtspunkten in den meisten Einzelstaaten die Todesstrafe, deren Vollziehung durch Elektrizität sich übrigens nach dem im Staatsgefängnis zu Auburn von mir gewonnenen Eindrücke für uns nicht empfiehlt. Das alte System der Vergeltung gilt unter anderem auch grundsätzlich noch in den Staatsgefängniffen (State Prisons), etwa unseren Zuchthäusern. Wohl bricht auch in sie das neue System mit unbestimmten Strafen, Progressivsystem usw. hier und da schon machtvoll ein; aber freilich, diese modernen Einrichtungen nehmen sich

J) F. H. Wines, New Criminology (New Dork) 1904 S. 7.

Amerikanische Kriminalpolitik.

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im Rahmen einer solchen bald hundertjährigen Anstalt dann bisweilen stilwidrig aus, etwa wie elektrisches Licht in verfallendem Gemäuer. Gewiß gibt es Leute drüben, die dieser oder jener neuen Maß­ regel gegenüber ihre Bedenken haben. Aber einen grundsätzlichen Gegner des gesamten neuen Systems, einen Mann, der das alte System der Vergeltung als solches noch predigte, habe ich für meine Person in Amerika nicht gesehen; ich behaupte nicht, daß es keinen gibt. Als ich nach langem Bemühen in einem alten pennsylvanischen Politiker Wistar einen solchen mit oder ohne Recht gefunden zu haben hoffte, stellte sich heraus, daß er gerade verstorben war. Emen anderen habe ich nicht getroffen. In Amerika herrscht also das neue System. Die Grundlage, auf der es ruht, ist vorwiegend die soziologische Auffassung des Ver­ brechens; die biologische tritt, wie bei uns und vor allein in der Internationalen Kriminalistischen Vereinigung, zurück. In den An­ schauungen der leitenden Männer des Strafwesens, der Direktoren, wie Leonard, Randall, Scott usw., und der Soziologen, wie Barrows, Henderson und F. H. Wines, fand sich immer wieder die Annahine von der überwiegenden Bedeutung der gesell­ schaftlichen Faktoren des Verbrechens. Im Berichte für 1901 des State Board of Charities für den Staat New 2}orl2)3 heißt es: „Einen gewisien Einfluß kann man der Vererbung zuerkennen, die Hauptursachen der Kriminalität der Jugend liegen aner­ kanntermaßen in der fehlerhaften Umgebung in den ersten Jahren und in dem Mangel der Bedingungen für alle körperliche und geistige Entwickelung". Damit sind die Aufgaben des Gerichts, wie der Strasvollzugsbehörden vorgezeichnet: Wer in der Umgebung, der Erziehung des Täters usw. die wichtigsten Bedingungen des Verbrechens sieht, der muß int Einzelfalle diese Bedingungen zunächst festzu­ stellen und dann für die Zukunft abzuändern suchen. Beides ge­ schieht in Amerika. „Ob ein Junge Marmorkugeln gestohlen hat oder Zweiräder, so sagt einer der Vorkämpfer der Jugendgerichts­ bewegung, Richter Lind sey in Denver (Colorado)/) ist nicht die 2) Zitiert nach dem trefflichen Werke von I. M. Baernreither, Jugend­ fürsorge und Strafrecht in den Vereinigten Staaten (Leipzig, Duncker & Humblot) 1905 S. 47. 3) Charities, A Campaign for Childhood (New York) ohne Jahres­ zahl S. 6.

B. Freudenthal.

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Hauptsache bei den Feststellungen des Richters. Die Frage ist, warum er gestohlen hat und wie man den Rückfall verhüten kann". Damit sind wir bei der Frage: was tut man in Amerika, um dies Endziel aller Kriminalpolitik zn erreichen, um den Rückfall zu verhüten? Scheiden wir da die alten von den jungen Ver­ brechern. Von abgeschloffenen Ergebniffen ist bei jenen, seien sie nun Gewohnheits- (ha bi tu al-) oder Berufsverbrecher (professional criminals), wenig zu berichten. Die Soziologen empfehlen ihnen gegenüber unbestimmte Strafurteile, die auch in manchen Staaten, wie Connecticut, schon auf sie angewandt werden. Ein Gesetz dieses Staates hat bis zn 30 Jahren, ein Gesetz von Iowa ihnen gegenüber 25 Jahre Gefängnis angedroht, Massachusetts 1904 das gesetzliche Maximum der Straftat — unter Vorbehalt des Eingreifens von Governor und Council —, Ohio 1885 lebens­ längliche Freiheitsstrafe. Es kennzeichnet aber die Schwankungen, die hierin z. Z. noch stattfinden, daß dies Gesetz von Ohio wieder aufgehoben worden ist, — wie die „Charities“, ein angesehenes soziologisches Blatt, sagen,4) „infolge eines zeitweiligen Rückschlages des öffentlichen Empfindens", — und daß nun wieder ganz neuer­ dings Bestrebungen für seinen Wiedererlaß im Gange sind. Richt hier, sondern bei den Anfängern im Verbrechen liegt, entsprechend der Auffaffung, daß man gar nicht zeitig genug ein­ greifen könne, der Schwerpunkt amerikanischer Kriminalpolitik. Be­ deutungsvoll für uns ist so gut wie ausschließlich die amerikanische Behandlung der Jugend nnd der Erstmaligen. Drei Schlagworte sind es, die ihnen gegenüber das Verfahren kennzeichnen: I. Besserungssystem (Reformatory System S. 8 ff.), II. Be­ währung (Probation S. 18 ff.) und III. Jugendgerichtshöfe (Juvenile Courts S. 20 ff.). I. Das Besserungssystem. Schon seit 1825 bestehen in der Union Befferungssch ulen (Reform Schools) für Jugendliche regelmäßig — die Altersgrenzen schwanken — über sieben und bis zu fünfzehn oder sechzehn Jahren. Die Ausdehnung des in ihnen verwirklichten Befferungsprinzipes auf ältere Jahrgänge bis zu 25 (Pennsylvanien), 30 (New Aork u. a.), 35 (New Jersey), ja 40 Jahren (Massachusetts) und die

4) Charities X, 267.

Amerikanische Kriminalpolitik.

Schaffung

von

Besserungsgefängnissen

9 (Reform

Prisons)

für sie ist nicht ohne Kampf erfolgt. Wesentliches Verdienst daran kommt dem ersten amerikanischen Gefängniskonqresse zu Cin­

cinnati von 1870 zu. Die erste volle praktische Verwirklichung eines Gefängnisses fand die Besserungsstrase im Re-

innerhalb

formatory

des

Staates

New Jork,

des ersten hiermit für alle Zeiten verbunden.

Zacharias

Brockways,

Im allgemeuien können nur

in

Elmira.

Name

Der

Direktors von

Elmira, ist

solche Jugendliche — in

dem

obigen weiten amerikanischen Sinne — den Reformgesängniffen zu­ gewiesen werden,

die noch nicht wegen Verbrechens (felony) eine

Freiheitsstrafe verbüßt haben. Erstmalige in diesem Sinne. Überall gilt der Grundsatz, daß für Jugendliche besondere

Anstalten notwendig seien, und nicht bloß besondere Abteilungen derselben Anstalt: Im Jahre 1819 wurde der Vorschlag ge­

in

macht,

innerhalb

der

Anstalt in Bellevue ein besonderes Ge­ errichten. Es kennzeichnet die heutige

bäude für Jugendliche zu

amerikanische

Auffaffung,

wenn

Homer Folks,

der Leiter der hierzu be­

State Cliarities Aid Association von New Dort/)

merkt, damals sei dieser Vorschlag ein Fortschritt gewesen; „heute würde er einen Sturm der Eutrüstung erregen". Es ist bekannt, daß wir in Deutschland für Jugendliche im ganzen nur zwei be­ sondere Gefängnisanstalten, im übrigen lediglich besondere Ab­

teilungen besitzen.

Aber man differenziert auch die beiden Arten von Besserungs-

anstalten, Reformschulen und Reformgefängniffe, unter einander möglichst. Beide wollen bessern, aber diese in strafferer Zucht als jene.

Die

Namen

von

Besserungsschulen

sind,

weil

Volksausfassung immer wieder als Strafanstalten ansah,

sie

die

mehrfach

gesetzlich geändert worden. Fast durchweg haben sie auch in ihrer äußeren Erscheinung jetzt wenig mehr von Gefängniffen. Ihnen fehlen Wälle; sie bestehen aus Familien in Einzelhäusern. Wie ernst

es mit ihrer Scheidung

von

den Befferungsgefängnissen

genommen wird, zeigt eine Bemerkung, die der Direktor einer der besten Besserungs sch ulen, nämlich von Gien Mills, auf eine Frage von mir machte: Er gehe, so sagte er, nicht zum Kongresse

5) Homer Folks, Gare of Destitute, Neglected and Delinquent Children (New York, Macmillan Comp.) 1902 S. 200.

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B. Freudenthal.

der Nation al Prison Association, weil seine Anstalt Besserungs schule sei und er sie mit dieser — übrigens hochange­ sehenen — Gefängnis gesellschaft nicht in Zusammenhang gebracht zu sehen münsche. Auf der anderen Seite streben die Reformgesäng nisse mit allen Mitteln danach, nicht mit Gefängnissen im alten Sinne ver­ mengt zu werden, vor allem weil dies den Insassen das Fort­ kommen erschweren würde. In Concord wurde mir als Beweis für die Taktlosigkeit eines früheren Gouverneurs von Massachusetts erzählt, er habe bei einem Besuche im Reformatory dessen Insassen „Gefangene" angeredet. Mir wurde auf meine Frage empfohlen, sie bei meiner Ansprache „junge Leute" (young men) zu nennen. Es soll eben im Reformatory erzogen werden. Und das geschieht denn tatsächlich. Bildung (Formation) der »och nicht Sechzehnjährigen ist Aufgabe der Reformschulen, Umbildung (Reformation) der Über-Sechzehnjährigen Ziel der

Reformgefängnisse. Bildung wie Umbildung aber soll sich auf den ganzen Menschen erstrecken, seinen Körper, Verstand und Charakter. Uns hier interessieren die Erziehungsgesichtspunkte der Reformgefängnisse in erster Linie. Der Strafvollzug in ihnen wendet sich an den Umbildungs­ fähigen. Der Erziehungsunsäbige wird, sobald man ihn als solchen erkannt hat, wenn nicht an eine Krankenanstalt, so an eine der alten Vergeltungsanstalten rücksichtslos abgeschoben. Die Besserungsfähigen der Zweckstrafe, die übrigen der Ver­ geltung! Gleich zu Anfang muß darum, wie beim Arzt zum Zwecke der Diagnose, die Individualität aufs genaueste ermittelt werden. Die Interviews des Direktors mit dem Neuankömmling an der Hand eingehender Fragebogen dauerten im Reformatory des Staates Minnesota, in St. Cloud, pro Kopf etwa eine Stunde. Damit ist dann die Grundlage zu der Individualisierung gegeben, ohne die eine Umbildung des Verbrechers undenkbar ist. „Erziehen heißt individualisieren", hat Geheimrat Kröhne einst gesagt. Da wird zunächst der Körper umgebildet. Durch kräftige Kost, Bäder, Massage, Turnen, anstrengendes militärisches Exerzieren wird für seine Entwickelung gesorgt. Gerade vom Drill hält man in Ost und West drüben ganz allgemein außerordentlich viel, gibt er ja doch außer allem Anderen die erwünschte Ge-

legenheit, den Ehrgeiz der jungen Gefangenen anzuspornen und ihnen schon in der Anstalt zu zeigen, daß man durch gute Führung es zu Stellung und Vorrechten bringen kann. Der Ausbildung des Verstandes zweitens dienen die — wenigstens in den prächtig eingerichteten großen Reformatories sehr zahlreichen — wissenschaftlichen und berufstechnischen Kurse (Schools of Leiters und Schools of Trade). Dazu tragen auch reiche Bibliotheken bei. Für ständige Fühlung des Gefangenen mit der Außenwelt sorgt man durch Maueranschläge, in denen die wichtigsten Tagesereignisse bekannt gemacht, durch Zeitungen, die non den Insassen herausgegeben werden, und in denen so mancher Beitrag den Wert seines Verfassers und seiner Wiedergewinnung enthüllt. Dazu kommen periodische Debattierabende, in denen Selbstkontrolle wie Selbstbewußtsein gehoben werden sollen. Es gilt ja doch in viel mehr Fällen, den Willen des Verbrechers zu stählen als zu brechen; die überwiegende Mehrzahl der Verbrecher hat einen zu schwachen, nicht, wie manche meinen, zu starken Willen. Den Charakter schließlich sucht man vorzugsweise dadurch zu erziehen, daß man den jungen Leuten Vertrauen schenkt, sie zu­ gleich aber Versnchuiigeu aussetzt. So werden auf der letzten Stufe der Strafvollstreckung die Gefangenen vielfach auf die Gefängnis­ farm hinausgeschickt, wo sie leichter entweichen, leichter Tabak und andere verbotene Früchte erlangen, leichter auch sich der Faulheit hingeben können. Sie werden auch auf Botengänge in die Stadt geschickt; man empfiehlt, die Aufträge hierzu in den Reformschulen lieber die weiblichen als die männlichen Gefängnisbeamten erteilen zu lassen; einem jungen Gentleman ist es schwerer, einer Frau sein Wort zu brechen und etwa zu entweichen. So wird zugleich die Ritterlichkeit geweckt, an die zllvor in der Regel noch keiner hier appelliert hat. Auch die Religion wird als Erziehungsmittel allerersten Ranges zu ihrem vollen Rechte im Reforinatory gebracht; zu­ meist ist der Besuch des Gottesdienstes der eigenen Konfession obli­ gatorisch, während der anderer Denominationen gestaltet ist. Dem Ziele so tiefgreifender Umbildung entspricht die Organi­ sation der Reformgefängnifse. Sie charakterisiert dreierlei: a) Progressivsystem, b) unbestimmtes Strafurteil und c) vorläufige Entlasst!ug.

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B. Freudenthal.

a) Die Reformgefängnifse sind nach Klaffen anfgebaut wie Schulen. Je höher die Klaffe, je größer die Annäherung an die volle Freiheit. Wer die oberste Klaffe erreicht und sich in ihr die vorgeschriebene Zeit bewährt hat, kann dem Aussichtsrat der An­ stalt zur vorläufigen Entlaffung vorgeschlagen werden (Progressiv­ system). So hängt, als ein mächtiger Sporn für ihn selbst, als eine wesentliche Erleichternng der Disziplin für die Anstalt, das Strafmaß und damit das Schicksal des Einzelnen von seiner Führung zum guten Teil ab. Und zwar müssen in drei Gebieten ausreichende Leistungen vorliegen: in der Schule, im beruflichen Unterricht und in der Disziplin. Der Berechnung der Leistungen liegt ein Marken­ system zugrunde, das die jederzeitige Feststellung der Führung des Gefangenen auf jedem Gebiete der Ausbildung ermöglicht und da­ durch eine wertvolle Kontrolle für den Direktor gegenüber seinen Beaniten und für das Entlaffungsamt gegenüber dem Direktor bildet. Wenn man freilich in Amerika behauptet, die Führung des Gefangenen sei nach dem Markensystem mathematisch exakt festzustellen, derart, daß für freies Ermessen der Anstaltsverwaltling kein Raum bleibe, so liegt hierin — zum Glück — eine Selbsttäuschung: Bei Würdigung der Leistlingen des Einzelnen muß seiner natür­ lichen Veranlagung Rechnung getragen werden, wenn man gegen den Unbegabten nicht ungerecht sein will. Anders ausgedrückt, die Strafdauer muß von den aus die Gesamtpersönlichkeit zurttckgesührten, den relativen, nicht den absoluten Leistungen in der Anstalt ab­ hängen. So kann den Anstaltsbcainten eine gewisse Freiheit nicht benommen werden, die mit einem wirklich exakten Berechnungs­ system unvereinbar ist. b) Aus dem Befferungszwecke der Strafe folgt unmittelbar das zweite Charakteristikum des neuen Systems, das sogenannte unbe­ stimmte oder, wie man es jetzt in Amerika häufig nennen hört, unbegrenzte Strafurteil (indeterminate oder indefinite sentence). Vou Liszt hat nachgewiesen, daß das unbestimmte Strafurteil in seinem Kerne für uns in Deutschland ein alter Bekannter ist, den erst fremde Einflüsse verdrängt haben. Der Gedankengang, der ihm zugrunde liegt, ist überaus einfach: Man will den Verbrecher im Resormgefängnis erziehen. Wer aber kann in der Hanptverhanolung voraussagen, wann dies Ziel erreicht sein wird? Ist es nicht ein bloßer Zufall, wenn

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Amerikanische Kriminalpolitik.

dies einmal im Einzelfalle gelingt? Wer kennt da schon die zahl­ losen Faktoren, von denen die Beantwortung der Frage nach jenem Zeitpunkt abhängt? Bei uns kommt dazu, daß, selbst wenn man sie

kennt, das Strafmaß — zum mindesten auch — nach Vergeltungs­ gesichtspunkten, nicht oder doch nicht bloß unter dem Gesichtspunkte

der Erziehung festgesetzt wird.

So ist dann oft die Folge, daß der

Gefangene in dem Augenblick, der für seine Entlassung

der rechte

wäre, weil seine Zeit noch nicht abgelaufen ist, festgehalten, oder daß er zu einer Zeit entlassen werden muß, in der seine Umbildung noch nicht vollendet ist. Kein Anstaltsbeamter wird das häufige Vor­ kommen solcher Fälle bestreiten.

Wer ernstlich durch die Strafe er­ ziehen will — und das wollen wir bei Jngendlichen ja zweifellos

im Strafvollzüge, — der

muß den

Zeitpunkt für die Feststellung

des Strafmaßes verschieben, mit anderen Worten zum sogenannten

unbestimmten Strafurteil gelangen. Aber auch wer gerechte Vergeltung für auf Erden möglich hält, wer in

ihr das Wesen der

Strafe sieht,

mir, bei der unbestimmten Verurteilung landen.

Schwere der Schuld und Schwere der Strafe

muß, so Soll

scheint

zwischen

eine Gleichung be­

stehen, so muß zunächst die Schwere der Schuld festgestellt' werden. Dafür aber ist es nicht gleichgültig, ob die Eltern und Voreltern des Täters getrunken, in Strafanstalten gesessen, vagabundiert haben,

und jedenfalls nicht, ob der Gefangene selbst mangelhaft erzogen, in schlechter Gesellschaft aufgewachsen, von Natur wenig veranlagt und da­ durch im ehrlichen Erwerbe behindert ist. Wer aber darf vom Richter,

zumal unter heutiger Geschäftslast, verlangen, daß er alle diese und andere Faktoren in der Hauptverhandlung ermittele? Wir hörten,

daß ihre Feststellung in

der

Strafanstalt beim Strafantritt pro

Kopf eine volle Stunde in Anspruch nimmt, und selbst dann werden Täuschungen und Irrtümer nicht ausgeschlossen sein. Erst im

Strafvollzüge wird es allmählich möglich, sie, soweit dies überhaupt angängig erscheint, in wirklich zuverlässiger Weise festzustellen. Auch gerechte Vergeltung also führt zum unbestimmten Strafurteil. Vom Standpunkte der Besseruugs- wie der

Vergeltungsstrafe sind

die sog. unbestimmten Strafurteile gerechtfertigt. Die Auseinander­ setzungen über sie sollten insofern von den Gegensätzen der Straf­

rechtsschulen unabhängig sein und bleiben. Gewisie Vorurteile gegen sie entstammen dem Epitheton „un­ bestimmte" Strafurteile. In der Tat aber sind sie z. Z. in

B. Freudenthal.

14

Amerika nirgends wirklich unbestimmt.

Überall,

sind, ist der Strafdauer ein Höchst-, in

Mindestmaß gesetzt.

wo sie eingeführt

vielen Staaten auch ein

Möglich, daß die Bestrebungen nach absoluter

Unbestimmtheit einst zum Ziele führen werden; z. Z. ist die Bezeich­

nung „relativ unbestimmte Strafurteile" (v. Liszt) zutreffender.

Was die verschiedenen Systeme jener Beschränkungen der Straf­ dauer betrifft, so

spricht für das

gesetzliche Maximum aller­

dings, daß darin ein Schutz der individuellen

liegt;

Freiheit

hin­

gegen empfiehlt sich in. E- nicht auch das gesetzliche Minimum, das

ii. a. von Liszt empfohlen hat: Es ist nämlich einmal über­ flüssig, denn den progressiven Strafvollzug zu durchlaufen, erfor­

dert unter allen Umständen eine gewiffe Mindestdauer, deren Fest­ setzung man in der Hand hat; sie beträgt z. B. in Elmira 12 Mo­ nate. Jenes Minimum ist aber auch schädlich, denn es hindert die Anstalt unter Umständen, den Entlaffungsreifen zu entlassen. Am bedenklichsten aber ist richterliches Maximum

nimum, weil dies nach den amerikanischen gehung des unbestimmten Strafurteils

und Mi­

Erfahrungen zur Um­

führt.

Doch

darauf darf

ich hier nicht näher eingehen. Eher könnte man sich damit befreunden, daß der Richter innerhalb des gesetzlichen Maximums im Einzel­

salle ein solches seinerseits feststelle. c) Zum Progressivsystem und zum unbestimmten Strafurteil tritt als Abschluß des Strafvollzuges in der Anstalt die bedingte

oder vorläufige nämlich

Entlassung (Release on Parole).

die vorgeschriebene Zeit

hindurch

Wer sich

gut geführt und durch oder Ange­

Vermittelung des Anstaltsdirektors oder von Freunden

hörigen

eine

geeignete Stellung in Aussicht hat,

Entlaffungsamt

der

Anstalt (Parole-Board)

der kann vom

bedingt

entlassen

werden. Beschließt das Amt seine bedingte Entlassung, so untersteht er

in der Probezeit — in Indiana, New Jersey und anderen Staaten auf mindestens ein Jahr, in New Ijork u. a. auf die recht kurze Zeit von 6 Monaten — der Anstaltsaufsicht, d. h.

aber nicht

einer Polizeiaufsicht, sondern wohlwollender Fürsorge, zumeist aus­ geübt durch Pfleger (Parole - Officers), die entgeltlich oder ehren­

amtlich bestellt sind oder ein gemischtes System beider Arten von Pflegern darstellen, wie in dem Musterlande der Parole, in Indiana. Vielfach sind diese Parole-Officers die Beamten wohltätiger Ge­ sellschaften, also in derartiger pfleglicher Tätigkeit bereits geübt.

Amerikanische Kriminalpolitik.

15

Ihre Aufgabe ist es, mit den Gefangenen durch Briefwechsel, Be­

such usw. Fühlung zu halten. Hat sich der Gefangene die Bewährungsfrist hindurch gut ge­ halten — die Kontrolle hierüber ist nicht überall einwandfrei —,

so wird er endgültig entlassen.

Hat er sich nicht bewährt, so wird

er ohne neues Urteil in die Anstalt zurückgebracht. Man hat mancherlei Bedenken gegen das damit kurz skizzierte Reformsystem geltend gemacht. Hier nur das eine oder andere:

1. Man behauptet, der Geist der Sentimentalität walte über dem neuen System. Sollte er in der Tat irgendwo herrschen — ich habe ihn in den Reformatories nicht gefunden —,

Schuld an den Anstaltsbeamten, nicht am System.

so

läge die

Die Insassen

müssen ihre Kräfte scharf anspannen, um die vorläufige Entlassung

zu erreichen; das ist der Eindruck, den man beim Durchwandern der amerikanischen Reformatories selbst gewinnt, den mir überdies ein früherer Elmira-Insasse vollauf bestätigt hat; ich hatte ihn während seiner Strafzeit in Elmira kennen gelernt und empfing, als er, ein Österreicher, nach seiner Entlassung vor kurzem Frankfurt

passierte, seinen Besuch. Gerade die echten Verbrecher fürchten

die neuen Anstalten

— trotz mancher Annehmlichkeiten, die sie bieten — mehr, als die

alten Gefängnisse, wo sie zur festgesetzten Stunde zur Entlassung kommen müssen, also nichts zu fürchten haben.

Es ist kein Wider­

spruch, daß der Ton, in dem der Direktor mit den Gefangenen

verkehrt, etwa der eines guten Lehrers gegenüber seinen Schülern

ist. Scheu vor ihm ist in den guten Anstalten nicht zu finden. Das Vertrauen, das er ihnen überlegtermaßen schenkt, wird von ihnen erwidert. vieler.

Dafür eine Probe aus meinem Tagebuche statt berichten zum Teil

Die bedingt Entlassenen von Elmira

schriftlich allmonatlich über ihr Ergehen an die Anstalt. Einer von ihnen fragt in seinem Monatsbriefe, der während meines Besuches

in Elmira eintraf, den Direktor Scott an, ob er die Anstalt einmal

wieder besuchen und ein junges Mädchen mitbringen dürfe, das im gleichen Geschäfte wie er arbeite; ob der Direktor wohl für ihn ein gutes Wort bei ihr einlegen wolle. Die Disziplinarmittel hat man überall mehr und mehr gemildert, aber wiederum aus Zweckmäßigkeit, nicht aus über­ triebener Humanität. So zieht man Einsperrling in großen und lichten, aber absolut isolierten Räumen jetzt vielfach den Dunkel-

B. Freudenthal.

16

zellen vor, in denen der Gefangene häufig entweder schläft oder aber

bitter und hart wird.

Auch die Prügelstrafe ist aus den Refor-

matories der höherzivilisierten Staaten verbannt, weil sie, wie man

annimmt, gleichzeitig den Schlagenden, den Geschlagenen lind

den

demoralisiert, die Mitgefangenen er­ bittert und damit die Erreichung des Strafzweckes vereitelt. Die der Exekution Beiwohnenden

fortgesetzte Befferung in

Führung

der Insassen schreibt der

Mansfield

(Ohio), Leonard, u. a.

der

ausgezeichnete Direktor von

„außer der Einwirkung auf Verstand und Körper, der Abwesenheit der gröberen Formen der Bestrafung oder Disziplin" jiis).

2.

Zur Bekämpfung

des

Reformsystems

dient auch die Be­

hauptung, daß dieses System Heuchler "erziehe. greiflich. ab.

Es hängt ja hier vom Verhalten des

Sie ist gewiß be­ Gefangenen

Wer aber die Durchschnittszeit hindurch, d. i.

viel

in Elmira 18

Monate, nicht nur aus Heuchelei Disziplin gehalten, sondern auch die erforderlichen Leistungen in der Schule und gewerblichen Aus­ bildung „geheuchelt" hat — wenn solche Heuchelei überhaupt denk­

bar ist —, bei dem ist dann

leicht aus Heuchelei Gewöhnung

ge­

worden. 3. Aber werden wir denn die geeigneten Männer für die

Leitung der Reformatories finden? Darauf ist zu antworten:

rum sollten wir sie nicht finden, da mail sie in Amerika hat? Wir werden

sie unter den

Männern zu suchen haben, die

Disziplin zu halten verstehen, ohne sie doch als

zusehen.

Wa­

gefllnden

Selbstzweck

Ob wir, wie Japan, zur Schaffung von

an­

Akademien

zur Ausbildung von Gesängnisbeamten gelangen werden oder nicht, ist eine Frage, die hier nicht zur Behandlung steht.

zlim neuen System empor", das war

Amerika immer wieder

begegnet

bin.

die

„Sie wachsen

Auffassung, der ich in

Warum

sollte es bei uns

anders sein?

4. Es ist schon oft und auch neuerdings wieder ausgesprochen worden, daß es im allgemeinen Verwaltungsbcamte seien, die über die Entlaffung in amerikanischen Reformgefängnissen zu ent­ scheiden hätten. Daraus wird dann leicht bei uns durch ein Miß­

verständnis das Bedenken hergeleitet, ob es solchen abhängigen Verwaltungsbeamten gegenüber nicht an den notwendigen Garantien gegen Mißbrauch ihrer Machtbefugniffe fehle.

6) Ohio State Reformatory. Report of Superintendent 1903/1904.

17

Amerikanische Kriminalpolitik.

In der Tat aber sind es überwiegend nicht Verwaltungsbeamte in unserm Sinne, denen in Amerika die vorläufige Entlasiung obliegt,

sondern Kollegien, zusammengesetzt wie Geschworenen- oder Schöffen­

gerichte. Hat ja doch selbst der Direktor der Anstalt vielfach lediglich Vorschlagsrecht, nicht einmal überall Sitz und Stimme im Entlaffungsamte.

Zumeist besteht dies aus

des Staates.

einer Reihe angesehener Bürger

Neuerdings ist, um

allen Einwendungen die Spitze

abzubrechen, im Staate New Jork ein Entlaffungsamt für Harts Island geschaffen worden, in dem das Berufsrichtertum stark ver­ treten ist. So lassen sich diese Ämter in ihrer Zusammensetzung

den in der Hauptverhandlung tätigen Richterkollegien annähern. Sie treten periodisch zusammen und unterrichten sich aus den

nach dem Markensystem ausgearbeiteten Berichten über Individu­

alität und Führung der für die Entlassung in Betracht kommenden

Gefangenen.

Die Mitglieder des Amtes lassen sich diese auch selbst

kommen, einzeln oder zusammen, wie ihnen vielfach der Zutritt zu jedem und die Einsicht in die Bücher der Anstalt zum Zwecke der Kontrolle freisteht. Weitere Garantien gegen Mißbrauch können in Einführung

einer gesetzlichen Frist, nach

das

Amt gebracht

deren

werden muß,

Ablauf jeder Gefangene vor

in

dem Recht

Verkehrs der Gefangenen mit den vorgesetzten

unmittelbaren

Behörden, in Ein­

führung einer Berufungs-Instanz bei versagter Parole, wie sie auch

für Amerika in Gestalt eines Court of Discharge empfohlen worden ist, usw. bestehen.

5. Noch ein Wort über die Kosten.

Ein System, das Lehrer

an Stelle von Aufsehern verwendet, muß insoweit Mehrkosten ver­ ursachen. Dazu kommt — höchst bemerkenswerter Weise — die Erfah­

rung, daß unter den unbestimmten Strafurteilen die Straf­

zeit durchschnittlich länger geworden ist, — Schutz der Gesell­

schaft, nicht Milde gegen den Verbrecher, ist eben ihr Leit­

motiv. Anderseits haben aber die Gefangenen jetzt bei Fleiß mehr zu gewinnen und — z. B. bei simulierter Arbeitsunfähigkeit — mehr zu verlieren als früher. Sie können auch, da sie in Gemeinschaft arbeiten,

mehr Maschinen verwenden, als in den Isolierzellen etwa des alten

pennsylvanischen Systems; die Arbeit wird also ertragreicher. Boies') berechnet die Jahresdurchschnittskosten pro Gefangenen für 1899 in

7) Boies, The Science of Penology (New York and London, G. P. Putnam’s Sons), 1901 S. 191.

B. Freudenthal.

18 dem

als

teuer bekannten

Reformatory zu Elmira auf 150, im

Staatsgefängnis von Sing Sing auf 141,14, in dem von Auburn

auf 141,59 Dollar.

Der Direktor des Slaatsgefängnisses in Con­

necticut sagt, daß durch

die Einführung des

Progressivsystems

in seiner Anstalt diese nicht um einen Pfennig teurer geworden sei.

Keinesfalls aber dürfte selbst ein wesentlicherer Kostenunterschied als der von Boies berechnete (9 Dollar etwa pro Kopf und Jahr)

ohne weiteres schon gegen

das neue System entscheiden.

Einmal

wollen wir nicht vergessen, daß es sich hier um die Alternative

handelt, „Seelen oder Dollar zu retten", wie man in Amerika sagt. Aber ist nicht das System im Endergebnisse auch das billigste, das 6e» relativ größten Schutz gegen Rückfall gewährt? Und wird

dies

nicht dasjenige System sein, das den Jugendlichen zunächst

lebens- und konkurrenzfähig, nicht weltscheu macht und ihn dann in

geeigneter Stellung, sowie unter Schutzaufsicht zur Entlassung bringt? Vergessen wir doch auch nicht, daß wir den Unionsbürger „den

praktischen Amerikaner" nennen.

Ist es wahrscheinlich, daß das

Reformsystem in stetigem Fortschritt in nunmehr etwa ein Dutzend der Unionsstaaten eingeführt worden wäre, wenn es ein unpraktisch kostspieliges System wäre?

II.

Aller

Anstaltserziehung

haftet etwas

Unnatürliches

au.

wie sie in Anstalten unvermeidlich ist,

Jede Freiheitsbeschränkung,

entfremdet der Freiheit und erzeugt leicht Jnstitutspflanzen. ist durchaus die Auffassung der Amerikaner.

Das

Darum betrachten sie

die Anstalt als letztes der Mittel zur Erziehung junger Leute. Sind diese nur verwahrlost, so zieht man ihre Überweisung an

eine Familie vor.

Bei verbrecherischen Jugendlichen hört man

in Amerika oft die Klage,

daß

Familien zu finden: Ihre

es

schwierig sei,

für sie paffende

eigene Familie ist zumeist ungeeignet,

und fremde geeignete Familien nehmen sie in der Regel nicht an.

Um so größere Bedeutung hat in Amerika die Bewährung

(Probation), die, von Massachusetts in den sechziger Jahren des 19. Jahrhunderts zuerst in Amerika eingesührt, nunmehr in min­ destens 10 Staaten und in

15 von den 25 größten Städten der

Union in Anwendung ist. Die Probation entspricht weder ganz unserer bedingten Straf­

aussetzung, noch der bedingten Verurteilung. Bei jener bleibt der — sagen wir des Diebstahls — überführte Angeklagte sein Leben ang wegen Diebstahles

verurteilt.

Bei

dieser kaun

die Verur-

Amerikanische Kriminalpolitik.

nachträglich rückgängig nnd hinfällig werden; doch in der Hauptverhandlung eine Verur­

teilung allerdings iminerhin

19

aber fand

teilung statt.

Wo die Probation besteht, da kommt es gar nicht

zur Verurteilung: der amerikanische Richter schiebt vielmehr nach Feststellung des Sachverhaltes den Erlaß des Urteils Hinalls und

stellt den überführten Angeklagten —

bation-Officers desseil Aufgaben liche sind.

den

unter die Aufsicht

eines Pro­

Fürsorger würden wir ihn nennen —,

uns

bekannten des

Parole-Officers ähn­

Es sind weder überall bloß Erstmalige, noch bloß junge Leute, die unter Probation

gestellt werden

können.

Im Heimats-

und

Musterstaat der amerikanischen Probation, in Maffachusetts, waren

z. B. im Jahre 1903 unter 8140 ihrer Unterstellten nicht weniger als 6236 über

Die Dauer

der Bewährungsfrist

ist in den verschiedenen Staaten verschieden.

Hier besteht sie in

21 Jahre alt.

jedem Falle so lange, wie es der Richter für gut hält. stimmt das Gesetz

den Zeitraum ein für alle Male.

Staate New Dork eingesetzte Kommission

Dort be­

Eine vom

hat vor kurzem vorge­

schlagen, sie bei Verbrechen nicht unter 1 Jahr, sonst nicht unter 3 Monate dauern zu lasten. Ihr Wert ist kaum zu überschätzen: nicht in erster Linie, daß es zu gar keiner Verurteilung kommt, ist das Große an ihr, wohl aber daß sie — im Gegensatz zu unserer bedingten Strafaussetzung — dem Überführten den Makel der Vorstrafe erspart, und ferner, daß sie ihn auf längere Zeit wohlwollender Aufsicht unterstellt.

genügt gerade bei Jugendlichei» nicht, wenn man uns —

lediglich

einmal

in

der

Es

sie — wie bei

Hauptverhandlung

durch

den

Richter verwarnt und dann eventuell auf mehrere Jahre sich selbst

überläßt. 86 pCt. der unter Probation Gestellten kommen nach den Sta­

tistiken von Indiana nicht wieder vor den Hof, nach dem Berichte der Gefängnis - Kommission in Massachusetts über 60pCt.; in Denver sollen es in den ersten zwei Jahren nach Begründung des Jugendgerichtshoses sogar etwa 94 pCt., nämlich 523 von 554, gewesen sein.') Doch besagen diese Zahlen in. E. an und für sich vor eingehenderer Prüfung, für die hier der Platz nicht ist, nicht allzuviel.

*) Barrows, Children's Courts (Washington, Government Printing Office) 1904, S. XV.

20

B. Frcudcntkal.

HL Weder Probation, noch Reformsystem sind Einrich­ tungen allein für Jugendliche im eigentlichen Sinne; wir wissen, daß sie auch höhere Altersstufen erfaffen. Eine bloße Jugendein­

richtung ist die dritte uns hier interessierende, der Jugendgerichts­ hof (Iuvenile oder Children’s Court). Er widmet sich dem Sonderinteresse derer, die im Zeitpunkte der Überweisung an den

Hof das 16. Lebensjahr (dies ist die Regel) nicht überschritten haben. Man hat in Amerika den Zusammenhang des Verbrechens mit sozialen Problemen, hier insbesondere mit denen der Verwahr­ losung Jugendlicher und ihrer Vernachlässigung durch Ange­ hörige erkannt; so bringt man alle diese Klassen, zumeist allerdings die Delinquenten von den übrigen getrennt, vor den Jugend­ gerichtshof. Es soll keine Gemeinschaft Jugendlicher mit alten Verbrechern entstehen, einmal in räumlicher und zeitlicher Beziehung: Vor wie in der Verhandlung hält man sie darum von der Berührung mit Älteren fern und urteilt über sie zu anderer Zeit, vielfach auch in anderen Räumen oder Gebäuden ab. Reben der räumlichen und zeitlichen erstrebt man aber auch eine sachliche Differenzierung. Die Sache eines Jungen ist anders anzusehen als die älterer Leute. Nimmt er Spielwaren aus einer Ladenauslage, dann begeht er, so meint man in Amerika, in seinen eigenen Augen wie in denen seiner Genoffen, die es doch eigentlich am besten beurteilen können, einen dummen Streich, vielleicht eine Heldentat, nicht aber ein eigentliches Verbrechen. Er ist darum auch anders zu behandeln als der echte Verbrecher. Statt ihn einzusperren, beseitige man den Anstoß zum Verbrechen. So veranlaßt Lindsey, daß Spielplätze eingerichtet, Sandhaufen angefahren werden, damit es die Jungen künftig nicht nötig haben, ihr Spielzeug zu stehlen. Um sie vom Vagabundieren abzuhalten, kontrolliert er ihren Schulbesuch. Die kriminalistischen Maßregeln, die im übrigen ergriffen werden, kennen wir: Probation, Überweisung an Familien oder Reformschulen, in

letzter Linie an Reformgefängniffe. Was im Einzelfalle unter den vielen möglichen Maßnahmen zweckdienlich ist, kann nur ein Spe­ zialist für Jugendsachen entscheiden. Der Jugendrichter soll ein solcher Spezialist sein. Oft freilich ist dem Jugendlichen nicht zu helfen, ohne daß der Hebel, statt bei ihm, bei seiner Umgebung oder bei ihm und ihr

Amerikanische Kriminalpolitik.

21

zugleich eingesetzt wird. Darum räumt das Gesetz in den vorge­ schrittenen Staaten die weitestgehenden Rechte über alle, die zu ihm in Beziehung treten, dem Jugendrichter ein. Warnungszettel an pflichtvergessene Eltern, Probation, Geld-, schlimmstenfalls selbst Gefängnisstrafe ihnen gegenüber sind seine Maßnahmen. In Chicago wurde ein Bürger vor den Hof zitiert, von dem der Jugendrichter Mack durch ihm vorgeführte junge Herumtreiberinnen (night-walkers) hörte, daß er sie nachts in Hotels geführt habe. Ebenso ein Drogist, der an junge Leute gesetzwidrigerweise Ziga­ retten verkauft hatte usw. Der Jugendrichter vereinigt eben alle die Fäden in seiner Hand, die das Schicksal des Kindes darstellen. Er wird zur Zentrale für Jugendfürsorge. Wenn dies die weitausschauenden Ziele der Children’s Courts im allgemeinen sind, so ist deren Organisation ungleich­ mäßig. Nach meinen Eindrücken dürsten drei Typen zu scheiden sein. Den einen vertritt Indianapolis, besten Jugendrichter nur Jugendrichter ist. Den zweiten Chicago (Jll.) und Denver (Col.); hier ist der Jugendrichter daneben auch anderweitig richterlich tätig. Die dritte Art stellt z. B. Philadelphia und Boston (Mast.) dar, wo jeder Richter nur eine Zeit lang, in Philadelphia einen Monat, Jugendrichter ist. Die erste Art der Besetzung ist offensichtlich die beste; die Richter der zweiten Klaffe sind überlastet, die der dritten unbe­ friedigt: natürlich, denn wo ein ständiger Wechsel in Jugendsachen stattfindet, da wird weder der einzelne Richter zum Spezialisten, noch kann die einzelne Sache zielbewußt durchgeführt werden. Dem Jugendrichter steht ber Probation-Officer zur Seite. Ihm geht von jeder einlaufenden Jugendsache Nachricht zu. Darauf stellt er vor der Verhandlung die Sachlage fest, um in ihr — gleich einem guten Sekundanten — mit seinen Anträgen dem Richter beispringen zu können. Wird der Angeklagte demitächst unter Probation gestellt, so übernimmt der Probation- Officer die Aufsicht. Er vereinigt also polizeiliche Tätigkeit vor der Haupt­ verhandlung mit der des Staatsanwaltes in ihr und der eines Pflegers nach ihr. Die Einrichtung wird in Amerika von den Fachleuten einmütig als gelungen betrachtet, so jung sie ist: Am 1. Juli 1899 trat der erste Jugendgerichtshof — in Chicago — in Tätigkeit. 1904 bestanden — nach Barrows, Children’s Courts — solche schon

22

B. Freudenthal.

in acht Staaten und elf großen Städten der Union. englische und irische Städte sind gefolgt.

Australische,

Demgegenüber kann es nicht ins Gewicht fallen, daß aus der Statistik ein abschließendes Urteil über die Jugendgerichtshöse noch nicht zu entnehmen ist. Bedarf es denn der Statistik für den Nachweis, daß es jungen Leuten besser tut, wenn man sie den alten Verbrechern fernhält und sie berät, statt sie einzusperren? rmd daß bei ihnen Richter, ausgestattet mit Spezialkenntnis ihrer Eigenart, mehr erreichen als aildere? Die Ersparnisse durch diese Jugendgerichtshöfe sind erheblich. Der Gouverneur von Colorado berechnet in einer Botschaft die vom J.G.H. in Denver in 18 Monaten gemachten Ersparnisse auf über 80 000 Dollar. Auch vom materiellen Standpunkte aus ist es also besser, „Kinder zu retten, als Verbrecher zu strafen". Doch nun denke ich an Martin Luthers Wort: „Predigen ist keine Kunst, aber zur rechten Zeit aushören." Ich ziehe nur noch die Ergebnisse unseres Einblickes in die Verhältnisse dieses für Kriminal­ politik so merkwürdig veranlagten Landes. Da finden wir folgendes: I. Die Union drängt die Freiheitsstrafe stark zurück. Bald setzt sie die Schutzaufsicht von vornherein an ihre Stelle (Probation), bald läßt sie diese Aussicht nach teilweisem Voll­ züge der Freiheitsstrafe eintreten (Parole). Auf deutsche Ver­ hältnisse übertragen, hieße es zunächst, die bedingte Strafaussetzung durch die bedingte Verurteilung zu ersetzen, die um deswillen allein unvergleichlich besser ist als jene, weil sie das Brandmal der Vor­ strafe mit allen ihren Folgen fernhält. Ferner hieße es, die bei uns bisher unausgenützte vorläufige Entlassung aus einer Ausnahme zu einem regelmäßigen Bestandteil des Strafvollzuges zu machen, beide aber, bedingte Verurteilung und vorläufige Entlassung, mit wohlorganisierter Schutzaufsicht zu verbinden.

II. Der Streit von Vergeltungs- und Zweckstrafe hat in Amerika mit einer Teilung der Arbeit geendet, die auch für uns möglich ist. Danach sind (nur dies interessiert hier) der Zweck-, genauer der Befferungsstrafe unter gewissen Bedingungen die jüngeren Verbrecherklassen zugefallen. Auch das Deutsche Reich sollte den besserungsfähigen Jugendlichen, soweit sie der Freiheitsstrafe ver­ fallen, auf der Grundlage des Progressivsystems und des ehemals bei lins heimischen unbestimmten Strafurteils die Ausbildung in

Amerikanische Kriminalpolitik.

23

den Dingen bieten, deren sie bedürfen, um nach der Entlassung brauchbare Menschen zu werden. III. Übernehmen wir von der Union, die so Vieles von uns

bewußt und dankbar übernommen hat, die unschwer übertragbaren Jugendgerichte als Zentralen für verbrecherische und verwahrloste Jugendliche und besetzen wir sie mit Richtern, die, wenn möglich, nur als Jugendrichter tätig sind und in dieser Tätigkeit solange als möglich belassen werden. Irre ich nicht, so ist es dies im wesentlichen, was uns Amerika zu sagen hat. Manches davon ist längst vorgeschlagen, zum Teil von trefflichen Kenklern amerikanischer Verhältnisse hier in unserem Kreise. Nichts scheint den Entwickelungsrichtungen unserer Kriminal­ politik zuwiderztllaufen. Möchte uns Amerika aber bei ihrer Fortbildung vor allem in Einem vorbildlich sein: etwas weniger Geduld zu besitzen, als wir bisher auf diesem Gebiete gehabt haben. Warum erproben wir z. B. das Reformsystem nicht, wie man es in England getan, in ein oder zwei geeigneten Anstalten für Jugendliche, statt uns den Kopf zu zerbrechen, wie es wohl ausfallen könne? Alljährlich werden bei uns über 50 000 Jugendliche verurteilt. Ist es nicht erstaunlich, wie unser Staat die Juristen über Fragen von so unmittelbar praktischer Bedeutung weiter streiten läßt, — auf die Gefahr hin, daß indessen Geschlechter junger Menschen der Volkswirtschaft, der Wehrkraft des Landes verloren gehen? Der Gesetzgeber sollte die Einigung der Juristen darüber nicht abwarten, ob es theoretisch berechtigt ist, einen jungen Rechtsbrecher, ehe man ihn als Verbrecher abstempelt, erst einmal zu verwarnen, oder darüber, ob man ihn in der Strafanstalt länger oder kürzer sitzen lassen soll, als nach dem Urteil aller am Vollzüge Beteiligten für ihn und die Gesellschaft gut wäre. Keiner in diesem Kreise unterschätzt die Bedeutung der Wissenschaft. Über der Theorie

aber und über ihren Interessen steht uns allen unser Land.

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