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German Pages 265 Year 1981
JÜRGEN SIMON
Das allgemeine Persönlichkeitsrecht und seine gewerblichen Erscheinungsformen
Freiburger Rechtsgeschichtliche Abhandlungen Herausgegeben vom Institut für Rechtsgeschichte und geschichtliche Rechtsvergleichung der Albert·Ludwigs·Universität. Freiburg i. Br.
Neue Folge . Band 3
Das al1gemeine Persönlichkeitsrecht und seine gewerblichen Erscheinungsformen Ein Entwicklungsprozeß
Von
Dr. Jürgen Simon
DUNCKER & HUMBLOT /
BERLIN
Alle Recht.e vorbehalten & Humblot, Berlin 41 Gedruckt 1981 bei Buchdruckerei Bruno Luck, Berlin 65 Printed in Germany
!Cl 1981 Duncker
ISBN 3 428 04999 3
Vorwort Die Arbeit hat im Sommersemester 1978 der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg i. Br. als Dissertation vorgelegen. Für die Anregung zu diesem Thema, für viele Diskussionen und Ratschläge danke ich Professor Dr. Detlef Liebs. Professor Dr. Kar! Kroeschell danke ich für sein Gutachten und Professor Dr. Wolfgang Zorn für Impulse, die eine wirtschaftsgeschichtliche Sicht des Themas eröffneten. Die Deutsche Vereinigung für gewerblichen Rechtsschutz und Urheberrecht hat in dankenswerter Weise durch ihren Zuschuß zu den Druckkosten die Veröffentlichung der Arbeit wesentlich gefördert. Mein besonderer Dank gilt meiner Frau. Statt sich in die üblichen Tugenden des Verzichts und des Duldens einzuüben, hat sie die Arbeit von Beginn an mit ausgetragen. Die Schrift wäre ohne ihre Unterstützung und kritische Begleitung in dieser Form nicht zustandegekommen; so aber wurde sie zum gemeinsamen Gewinn. Die Goetheschen Zeilen der Rückbindung hochfliegender Begriffe an die konkrete Gestalt gelten deshalb ihr: Suleika:
Volk und Knecht und überwinder Sie gestehn zu jeder Zeit: Höchstes Glück der Erdenkinder Sei nur die Persönlichkeit.
Hatem:
Kann wohl sein! So wird gemeinet; Doch ich bin auf anderer Spur: Alles Erdenglück vereinet Find ich in Suleika nur.
Hannover, im Dezember 1980 Jürgen Simon
Gliederung Allgemeines Persönlichkeits recht als Aufgabe und Anspruch
17
Erster Teil
Die geistig-gewerblichen Persönlichkeitsrechte 1. Kapitel: Das Urheberpersönlichkeitsrecht ..........................
21
2. Kapitel: Die Rechtsprechung zum Urheberpersönlichkeitsrecht ......
49
3. Kapitel: Urheberpersönlichkeit im Nationalsozialismus ..............
61
4. Kapitel: Der Schutz des Urhebers in der bildenden Kunst ..........
68
5. Kapitel: Das Persönlichkeitsrecht des Verlegers ....................
76
6. Kapitel: Persönlichkeitsrecht des ausübenden Künstlers ............
82
7. Kapitel: Die Anerkennung der Erfinderehre ........................
88
8. Kapitel: Der angestellte Erfinder .................................. 108 9. Kapitel: Wettbewerbsrecht
117
10. Kapitel: Schutz der Arbeitskraft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 129 11. Kapitel: Das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb 134 12. Kapitel: Namens-, Warenzeichen- und Firmenrecht ................ 145
Zweiter Teil
Das allgemeine Persönlichkeitsrecht als subjektives Recht 1. Kapitel: Die Gesetzgebungsgeschichte des § 823 Abs. 1 BGB ........ 155 Exkurs:
Die Ablehnung des immateriellen Schadenersatzes... . . . . . .. 166
2. Kapitel: Der Streit um das allgemeine Persönlichkeitsrecht als sub-
jektives Recht vor 1900 .................................... 169
3. Kapitel: Der Streit um ein allgemeines Persönlichkeitsrecht als sub-
jektives Recht nach 1900 .................................. 191
Gliederung
8
4. Kapitel: Andere Lösungsvorschläge ................................ 209 5. Kapitel: Der Weg der Rechtsprechung .............................. 215 6. Kapitel: Nationalsozialismus und allgemeines Persönlichkeitsrecht .. 226 7. Kapitel: Die Beiträge der §§ 826 und 1004 BGB zur Entwicklung des
allgemeinen Persönlichkeitsrechts ......................... , 231
Ergebnis
247
Literaturverzeidlnis
251
Verzeichnis der Entscheidungen ..... ................................... 263
Inhaltsverzeichnis Allgemeines Persönlichkeitsrecht als Aufgabe und Anspruch
17
Erster Teil
Die geistig-gewerblichen Persönlichkeitsrechte Erstes Kapitel: Das Urheberpersönlichkeitsrecht. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 1. Problemstellung ..................................................
21 21
2. Geistes- und wirtschafts geschichtliche Grundlagen ................
22
3. 4. 5. 6.
27
7.
8.
9. 10.
Erste gesetzliche Regelungen des Urheberrechts im 19. Jahrhundert Der Stand der zeitgenössischen Technologie. . . ........ ... . .... ..... Die Lehre vom geistigen Eigentum ................................ Persönlichkeitsrechtliche Opposition zur Lehre vom geistigen Eigentum .............................................................. Das Literatururhebergesetz vom 11. Juni 1870 ...................... Das Urheberrecht als Persönlichkeits recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. a) earl Gareis .................................................... b) Otto von Gierke ................................................ c) Die dualistische Theorie Josef Kohlers .......................... d) Die monistische Theorie Philipp Allfelds ........................ e) Die trialistische Theorie Alexander Elsters ...................... Das Literatururhebergesetz von 1901 in der wissenschaftlichen Diskussion .......................................................... Die Entwicklung des Urheberpersönlichkeitsrechts nach 1927 ...... a) Die Konferenz von Rom und ihre Folgen ................. . . . . . .. b) Ausstrahlungen des Begriffs "droit moral"
29 30
33 34 37 37 38 41 42 43 44 46 47 48
Zweites Kapitel: Die Rechtsprechung zum Urheberpersönlichkeitsrecht ..................
49
1. Die Rechtsprechung vor 1900 (LUG von 1870) ...................... 2. Die Rechtsprechung bis 1908 (LUG von 1901) ......................
49 50
3. Die Rechtsprechung nach dem 1. Weltkrieg ........................ a) Strindberg-Urteil .............................................. b) Erstes Rundfunkurteil (Der Tor und der Tod) .................. c) Zweites Rundfunkurteil (Wilhelm Busch) ........................
53 53 54 56
4. Das Urheberpersönlichkeitsrecht als ständige Rechtsprechung......
59
10
Inhaltsverzeichnis
Drittes Kapitel:
Urheberpersönlichkeit im Nationalsozialismus. ... ... ... ... .. . .. . .. .. ... 1. Ideologische Bestimmungen und ihre praktische Bedeutung für das Urheberpersönlichkeitsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Rechtsprechung als Anwalt der Volksinteressen
61 61 64
Viertes Kapitel:
Der Schutz des Urhebers in der bildenden Kunst 1. Die Entwicklung der Kunsturhebergesetze und ihres persönlichkeitsrechtlichen Gehalts ................................................ 2. Der Beitrag der Rechtsprechung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Das Sirenen(Fresken-)Urteil .................................... b) Die Erweiterung des Schutzbereichs ............................
68 68 70 70 73
Fünftes Kapitel:
Das PersönIichkeitsrecht des Verlegers ................................
76
Sechstes Kapitel:
Persönlichkeitsrecht des ausübenden Künstlers ........................
82
Siebtes Kapitel:
Die Anerkennung der Erfinderehre .................................... 88 1. Zur Geschichte des Erfinderrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ... . . . . . . . . . . . . . 88 a) Die Entwicklung bis zum Gesetz von 1877 ...................... 88 b) Das Patentwesen nach 1877 .................................... 93 2. Die Patentgesetze von 1877 und 1891 .............................. 96 3. Das Persönlichkeitsrecht an der Erfindung ........................ 98 a) Das Recht vor Anmeldung der Erfindung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 b) Das Recht am angemeldeten Patent ............................ 99 4. Das Gesetz von 1936 .............................................. 103 105 5. Der Beitrag der Rechtsprechung Achtes Kapitel:
Der angestellte Erfinder .............................................. 108 1. Die Ausgangssituation ............................................ 109 2. Persönlichkeitsrechtliche Tendenzen zugunsten des angestellten Erfinders . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 112 Neuntes Kapitel:
117 Wettbewerbsrecht 1. Allgemeines Wettbewerbsrecht und Persönlichkeitsrecht . . . . . . . . . . .. 117 a) Zur Geschichte wirtschaftlichen Wettbewerbs .................. 117
Inhaltsverzeichnis
11
b) Persönlichkeits- oder Immaterialgüterschutz: die Anfänge der Auseinandersetzung ............................................ 122 c) Stärkung des privatrechtlichen Standpunkts in den 20er Jahren .. 125 d) Gegenläufige Tendenzen in den 30er Jahren 126 Zehntes Kapitel:
Schutz der Arbeitskraft........ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 1. Sozialgeschichtliche Voraussetzungen .............................. 2. Schutz der Arbeitskraft als Persönlichkeitsrecht durch § 823 Abs. 1 BGB? ............................................................ 3. Die Folgediskussion um ein Persönlichkeitsrecht auf Schutz der Arbeitskraft ......................................................
129 129 130 132
Elftes Kapitel:
Das Remt am eingerimteten und ausgeübten Gewerbebetrieb 1. Wirtschaftsgeschichtliche Voraussetzungen ........................ 2. Persönlichkeitsrechtliche Tendenzen in der Rechtsprechung um 1900 3. Der gleichzeitige Streit um das geschützte Rechtsgut in der Wissenschaft ............................................................ 4. Stärkung der persönlichkeitsrechtlichen Argumentation durch die Rechtsprechung um 1930 ..........................................
134 134 135 140 141
Zwölftes Kapitel:
Namens-. Warenzeichen- und Firmenrecht ............................ 1. Die Entwicklung des Namensrechts zum Persönlichkeitsrecht ...... 2. Die Entwicklung des Warenzeichens zum Persönlichkeitsrecht sowie ihre Umkehrung .................................................. 3. Der persönlichkeitsrechtliche Schutz der Firma ....................
145 145 146 151
Zweiter Teil
Das allgemeine Persönlichkeitsrecht als subjektives Recht: Ein dogmatischer Hindernislauf Erstes Kapitel:
Die Gesetzgebungsgeschimte des § 823 Abs. 1 BGB .................... 1. Der Vorschlag des ersten Entwurfs ........ " ...................... 2. Vorschlag und Diskussion zum zweiten Entwurf .................. 3. Die Problematik des § 727 des ersten Entwurfs .................... 4. Die Revision des zweiten Entwurfs ............ , ......... , ......... 5. Schutz eines allgemeinen Persönlichkeitsrechts oder einzelner Rechtsgüter durch § 823 Abs. 1 BGB ...................................... 6. Zusammenfassung ................................................ EXKURS: Die Ablehnung des immateriellen Schadenersatzes ..........
155 156 157 158 159 161 163 166
12
Inhaltsverzeichnis
Zweites Kapitel:
Der Streit um das allgemeine Persönlichkeitsrecht als subjektives Recht vor 1900 .............................................................. 1. Die rechtsphilosophischen Grundlagen ............................ a) Immanuel Kant ................................................ b) Georg Wilhelm Friedrich Hegel ................................ 2. Friedrich Carl von Savigny ........................................ 3. Georg-Friedrich Puchta ............................................ 4. Der weitere Diskussionsverlauf zum allgemeinen Persönlichkeitsrecht als subjektivem Recht ........................................ a) Karl-Adolph v. Vangerow ...................................... b) Bernhard Windscheid .......................................... c) Carl Neuner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. d) Rudolph von Jhering und Carl-Georg Bruns .................. 5. Carl Gareis .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 6. Josef Kohler ...................................................... 7. Otto von Gierke .................................................. 8. Erste Ergebnisse als Konturen und Tendenzen ....................
169 169 169 170 173 178 180 180 180 181 182 184 186 187 189
Drittes Kapitel:
Der Streit um ein allgemeines Persönlichkeitsrecht als subjektives Recht nach 1900 ............................................................ 1. Die Begründung des Persönlichkeitsrechts aus der zentralen Stellung des subjektiven Rechts und der Entstehungsgeschichte des § 823 Abs. 1 (Heinrich Dernburg) ........................................ 2. Restriktive Bestimmung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts trotz extensiver Auslegung des subjektiven Rechts (Paul Eltzbacher) .... 3. Die Begründung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts als subjektives Recht aus dem Ordnungszusammenhang von § 823 Abs. 1 und 2 BGB (Heinrich Lehmann) ........................................ 4. Zwischenbilanz einer das allgemeine Persönlichkeitsrecht ablehnenden Position (Andreas v. Tuhr) .................................... 5. Unbehagen an der Dogmatik als Grund für eine Wende zum allgemeinen Persönlichkeitsrecht (Paul Oertmann) .................... 6. Entstehungsgeschichte und mangelndes Verkehrsbedürfnis als Argument gegen ein allgemeines Persönlichkeitsrecht im Sinne eines subjektiven Rechts (Gottlieb Planck) .................................. 7. Ablehnung des Persönlichkeitsrechts als subjektives Recht wegen zu weitreichenden Normschutzes (Enneccerus / Lehmann) ............ 8. Das Persönlichkeits recht als bloße Rechtskategorie, nicht als subjektives Recht (A. Wieruszowski) .................................... 9. Das allgemeine Persönlichkeits recht als "Mutterboden" für besondere Persönlichkeitsrechte, nicht als subjektives Recht (Walter Schönfeld) ........................................................ 10. Die dogmatische "Charakterlosigkeit" des allgemeinen Persönlichkeitsrechts ........................................................
191 191 193 195 196 199 200 202 204 205 206
Inhaltsverzeichnis
13
Viertes Kapitel: Beiträge des Schrifttums zur Entwicklung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts außerhalb der Diskussion um ein subjektives Recht ........ 209 1. Die Wirkung der Grundrechtsartikel der Weimarer Verfassung für ein allgemeines Persönlichkeitsrecht .............................. 209 2. Analogieschlüsse und leitende Rechtsgedanken .................... 211
Fünftes Kapitel: Der Weg der Rechtsprechung .......................................... 1. Die grundsätzliche Ablehnung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts 2. Freiberufliche Tätigkeit und der Nietzsche-Briefe-Fall ............ 3. Erste Ansätze allgemein-persönlichkeitsrechtlicher Rechtsbildung .. 4. Verstärkte Hinweise auf eine Annäherung an ein allgemeines Persönlichkeitsrecht ..................................................
215 216 219 222 223
Sechstes Kapitel: Die Veränderung des subjektiven Rechts im Nationalsozialismus und seine Auswirkungen auf das Recht der Persönlichkeit .................. 220
Siebtes Kapitel: Die Beiträge der §§ 826 und 1004 BGB zur Entwicldung des allgemeinen Persönlichkeitsrecllts .................................................. 1. Persönlichkeitsschutz und Persönlichkeitsrechts-Entwicklung über § 826 BGB ........................................................ a) Die Einstellung der Wissenschaft. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. b) Schwerpunkte der Rechtsprechung .............................. 2. Zum aktionenrechtlichen Gehalt der Entwicklung des Persönlichkeitsrechts ........................................................ a) Die deliktische Unterlassungsklage .............................. b) Die actio quasinegatoria ........................................ c) Stellungnahme der Wissenschaft ................................
231 232 232 234 240 240 241 244
Ergebnis
247
Literaturverzeicllnis
251
Verzeichnis der Entsclleidungen ........................................ 263
Abkürzungsverzeichnis Die vorstehend verwendeten Abkürzungen entsprechen Hildebert Kirchners Abkürzungsverzeichnis der Rechtssprache, Berlin 1957. Soweit sie darüber und über den allgemeinen Sprachgebrauch hinausgehen, sind sie im folgenden verzeichnet. Bü
Berner übereinkunft
HZ
Historische Zeitschrift
KJ
Kritische Justiz (Vierteljahresschrift)
LUG
Literatururhebergesetz
VGB
Volksgesetzbuch
WV
Weimarer Verfassung
ZRP
Zeitschrift für Rechtspolitik
Allgemeines Persönlichkeitsrecht als Aufgabe und Anspruch Weder seine Anerkennung durch den BGHI noch der Beschluß des Bundesverfassungsgerichts2 , welcher den grundsätzlichen Ersatz immaterieller Schäden in Geld guthieß, konnten dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht eine eindeutige und unanfechtbare Position im Rechtsleben sichern.3 Die vorliegende Untersuchung soll deshalb zu einem besseren Verständnis von Grundlagen und Problemen dieses Rechts beitragen, mag es auch so scheinen, als greife sie für die aktuelle Auseinandersetzung weit zurück und breit aus. Aber das scheint nur so. Wenn der einzelne in seinem "Achtungs- und Teilhabeanspruch" an die Gesellschaft zwar gehört, aber nicht wirksam geschützt wird', so beruht dieser Mangel nicht zuletzt auf Unvollkommenheit des allgemeinen Persönlichkeitsrechts in theoretischer Gestalt und praktischer Verwirklichung, tritt es doch mit dem Anspruch auf, nicht nur schöner Gedanke, sondern sozial verläßlich zu sein. Eine Untersuchung, die sich Begründung und Ausprägung dieser Differenz zwischen Forderung und Wirklichkeit zum Gegenstand macht, stößt in der juristischen Wissenschaft auf eine Diskussion, die bisher nahezu ausschließlich dogmatisch oder geistesgeschichtlich-historisch betrieben wurde. Das mag seinen Grund u. a. darin haben, daß das allgemeine Persönlichkeitsrecht und manche seiner Erscheinungsformen, wie die Ehre, durchaus von ideellen Rechtsvorstellungen geprägt sind. Für eine rechtshistorische Arbeit, die an diese Diskussion anschließt, würden jedoch beide Sichtweisen, für sich genommen, zu zweifelhaften Ergebnissen führen: die nur geisteswissenschaftlich-historische Methode möglicherweise zu einer emphatischverklärten Sicht von der Aufwärtsentwicklung aus früherer Unvollkommenheit, von der faustischen Anlage der Persönlichkeit und ihrem Drang ins Unendliche seit Plato bis Nicolai Hartmann.5 Eine rein dogmatische Analyse liefe Gefahr, die Rechtsbildung aus ihrem historischen Kontext zu lösen, der sie bestimmt. Damit läge die Versuchung BGHZ 13, 334 (338). BVerfGE 34, 269. 8 Schwerdtner, Peter, Das Persönlichkeitsrecht in der deutschen Zivilrechtsordnung: Offene Probleme einer juristischen Entdeckung, Berlin 1976, 1
2
S.l.
, Vgl. Schwerdtner, S. 3 ff., S. 349 ff. I Vgl. Hubmann, Heinrich, Das Persönlichkeitsrecht, Köln / Graz 11967,
S. 1- 84.
2 Slmon
18
Allgemeines Persönlichkeitsrecht als Aufgabe und Anspruch
nahe, ein zeitlos-abstraktes Recht zu definieren, das sich scheinbar aus sich selbst reguliert, in Wirklichkeit jedoch, wie die Abwehr des allgemeinen Persönlichkeitsrechts seitens eines großen Teils der Wissenschaft und der Rechtsprechung zeigt, auf höchst wirklichen, zeitgebundenen Gesellschaftsvorstellungen gründet und diesen zu überlangem Weiterleben verhilft. Diese Problemstellung verweist auf den Bildungsprozeß des allgemeinen Persönlichkeitsrechts, der, seiner abstrakt-ideellen Begriffsbestimmung6 zuwider, wesentlich von seinen wirtschaftlichen Besonderungen geprägt ist. Dem nachzugehen, hat sich die Arbeit in zweierlei Hinsicht als Aufgabe gestellt: Die Klärung der These, inwieweit das allgemeine Persönlichkeitsrecht durch gewerbliche Persönlichkeitsrechte beeinflußt wurde, setzt die Darstellung ihrer Entstehungsprozesse voraus; diese sollen im einzelnen, aber immer im Hinblick auf eine mögliche Ausstrahlung auf das allgemeine Persönlichkeitsrecht, verfolgt werden. Der Fortgang der Untersuchung wird dabei zwar ähnliche Phasen, doch unterschiedliche Entwicklungen bei den jeweiligen Persönlichkeitsrechten nachzeichnen und deren verschieden starke Einwirkungen auf das allgemeine Persönlichkeitsrecht. Sowohl ihr wirtschaftlich-soziales Gewicht, als auch die Bedeutung, die sie für die Diskussion um das allgemeine Persönlichkeitsrecht haben, rechtfertigen es, die Urheber-, Patent-, Wettbewerbsund Namensrechte als prototypisch abzuhandeln, da sie zwischen ca. 1870 und 1940 das allgemeine Persönlichkeitsrecht am intensivsten geprägt haben. Der zweite Teil der Arbeit befaßt sich mit der Auseinandersetzung um das allgemeine Persönlichkeitsrecht selbst. Entscheidende Bedeutung kam hier dem Gesetzgeber des BGB zu, auf den sich Reichsgericht wie Schrifttum berufen haben. Seine Einstellung wiederum gründete auf der seit Friedrich earl von Savigny unüberhörbaren Diskussion um dieses Rechtsinstitut, deren dogmatische Probleme nachvollzogen werden sollen. Die Analyse von Rechtsprechung und Wissenschaft wird erweisen, daß der Streit um das allgemeine Persönlichkeitsrecht und seine Normierung als absolutes subjektives Recht in § 823 Abs. 1 BGB weit über einen begrenzten dogmatischen Rahmen hinausführt und überall die Nahtstellen durchscheinen läßt, an denen höchst reale Verkehrsbedürfnisse die Theorie beeinflußt haben. Da sich dieses Beziehungsgefüge zwischen positivem Recht und seinen Abstraktionsformen besonders plastisch am Beispiel des Eigentums aufzeigen läßt, I Zu den unzählbaren Versuchen, Persönlichkeit und Persönlichkeitsrecht zu definieren, vgl. Rubmann, S. 9; zum Problem der häufig vorausgeschickten und hier unterbliebenen Definition vgl. Regel, Georg Wilhelm Friedrich, Grundlinien der Philosophie des Rechts, Werke Bd. 7, hg. v. Eva Moldenhauer und Karl Markus Michel, Frankfurt/M. 1970, § 2, S. 31 ff.
Allgemeines Persönlichkeitsrecht als Aufgabe und Anspruch
19
auf dessen Vorbild die Persönlichkeitsrechte bis heute dogmatisch fixiert sind, bestimmten fördernde wie hemmende Auswirkungen dieser Abhängigkeit den Gang der Entwicklung wesentlich mit. Schließlich sei auf einen folgenreichen Aspekt hingewiesen, der die Diskussion um das allgemeine Persönlichkeitsrecht als absolutes subjektives Recht geprägt hat: Seine widerwillige Verwandtschaft mit dem Eigentumsrecht hat nicht wenig dazu beigetragen, für das Persönlichkeitsrecht ebenfalls absoluten Charakter zu verlangen. Dieselbe Tendenz zur absoluten Individualisierung wurde unterstützt durch jenes Idealbild der Person, das die Bedingungen der bürgerlichen Gesellschaft jedem nahelegten, und das in der gleichzeitigen literarischen Klassik eine Verklärung erfuhr, die sich substantiell bis in die heutige Diskussion hat erhalten können. Ein Beispiel mag dies und seine Fragwürdigkeit aufzeigen: In der Wissenschaft wird gern und ausführlich der Wert des Persönlichkeitsrechts mit einem Zitat des größten deutschen Dichters belegt.7 Johann Wolfgang von Goethe wird in den Mund gelegt, die Persönlichkeit als "höchstes Glück der Erdenkinder" bestimmt zu haben. Doch bei Goethe liest sich im West-Östlichen Divan die Aussage im Kontext anders: Suleika: Volk und Knecht und überwinder
Sie gestehn zu jeder Zeit: Höchstes Glück der Erdenkinder Sei nur die Persönlichkeit.
Abgesehen von dem relativierenden Konjunktiv befindet die ergänzende Replik: Hatern:
Kann wohl seinl So wird gemeinet; Doch ich bin auf anderer Spur: Alles Erdenglück vereinet Find ich in Suleika nur.!
Das Ideal der Persönlichkeit, wie es in der zeitgenössischen Phantasie zum allgemeinverbindlichen Prinzip hochstilisiert wurde, erfährt bei Goethe in der kunstvollen Ja-aber-Konstruktion eine ironische Rückwendung gerade ins höchst Konkrete und Private. Goethe dürfte um die Kluft gewußt haben, die die historische Situation von jenem Anspruch des Menschen entfernt hat.' Seitdem stellte sich dem bürgerlichen Rechtsempfinden die Aufgabe, diese Differenz zu verringern mit dem Ziel einer Gesellschaft von chancengleichen Persönlichkeiten. Die Diskussion um das allgemeine Persönlichkeitsrecht hat diesen Weg Vgl. z. B. Hubrnann, S. 37; kritisch Schwerdtner, S. 4. von Goethe, Johann Wolfgang, Der West-Östliche Divan, Buch Suleika, Artemis-Gedenkausgabe, 3. Bd., Zürich 21959, S. 353. g Vgl. Adorno, Theodor W., Glosse über die Persönlichkeit, in: Stichworte, Kritische Modelle 2, Frankfurt/M. 1969, S. 51 ff. (52). 7
8
20
Allgemeines Persönlichkeitsrecht als Aufgabe und Anspruch
beschritten, nicht ohne allerdings die Zielbestimmung ihren eigenen Zweckmäßigkeiten anzuverwandeln. Damit dieser Weg nicht etwa von der Sozialverantwortlichkeit wegführt, haben Juristen wie atto v. Gierke den Gedanken der Sozialpflichtigkeit in den Begriff des subjektiven Rechts gefügt. Dieser Aspekt und seine spätere Verabsolutierung verdienen höchste Beachtung für die Entwicklung des Persönlichkeitsrechts.
Erster Teil
Die geistig-gewerblichen Persönlichkeitsrechte Erstes Kapitel
Das Urheberpersönlichkeitsrecht 1. Problemstellung Zu Beginn des 19. Jahrhunderts hatte die Auflösung naturrechtlichen Denkens zur Aufgabe der Theorie von den angeborenen Rechten geführt und spürbare Lücken hinterlassen. Von den Versuchen, sie mit einem allgemeinen Persönlichkeits recht zu schließen, war derjenige am erfolgreichsten, der dasselbe über die seit längerer Zeit erkannten Verbindungen zwischen Urheber- und Persönlichkeitsrecht zu entwickeln sich anschickte. 1 Zum Teil gründet dies darauf, daß von der Aufklärung ausgehendes Gedankengut Ende des 18. Jahrhunderts in eine Theorie mündete, die das Urheberrecht als Persönlichkeitsrecht verstand; eine genauere Untersuchung führt auf komplexere Zusammenhänge, die verdeutlichen, wie sehr eine Rechtsentwicklung durch wirtschaftliche Bedürfnisse bestimmt werden kann, und wie beide einander bedingen. 2 Dementsprechend richtet sich die folgende Darstellung des Urheberrechts besonders darauf, die Verschränkung bzw. wechselseitige Förderung von materiellen Interessen und denen an ihrer rechtlichen Fundierung aufzuzeigen. So formuliert und transportiert die Evolution des Urheberpersönlichkeitsrechts immer konkreter den Gedanken eines allgemeinen Persönlichkeitsrechts. Seine Anfänge 1 Vgl. Leuze, Dieter, Die Entwicklung des Persönlichkeitsrechts im 19. Jahrhundert, Bielefeld 1962, S. 65 ff. (Ersatz immateriellen Schadens) und S. 80 ff. (Wiederbelebung der actio iniuriarium). Zur actio iniuriarium vgl. auch Maass, Heinrich, Information und Geheimnis im Zivilrecht, Stuttgart 1970, S. 6 ff. und Liebs, Detlef, Römisches Recht, Göttingen 1975, S. 293 ff. t Vgl. v. Gamm, Otto-Friedrich Freiherr, Urheberrechtsgesetz, München 1968, Einführung S. 2; Götz v. OZenhusen, Albrecht, Recht auf geistiges Eigentum und Raubdrucke, in: KJ 1970, S. 36 ff. (39). Letzterer geht davon aus, daß eine von der "individualistischen Konzeption des deutschen Urheberrechts abweichende(n) Theorie vom geistigen Eigentum ... nur im Zusammenhang mit der Erforschung der realen literarischen Produktionsverhältnisse möglich sein" wird.
22
I. Teil: Die geistig-gewerblichen Persönlichkeitsrechte
waren bestenfalls Bestandteile eines solchen und wurden vorwiegend zum Schutz von Verleger und Drucker benutzt. Doch die allmähliche Konkretisierung des Schutzes bewirkte, daß man dem Autor zunehmend Befugnisse einräumte, die ihrerseits erneute Anstöße gaben zur Entfaltung persönlichkeitsrechtlicher Sinnzusammenhänge. In seinen Bildungsprozeß schließt das Urheberrecht unterschiedliche ökonomische und soziale Bewertungen der schöpferischen Arbeit ein; es basiert ebenso auf Erfindung und Innovation moderner Reproduktionstechniken wie auf gesellschaftlichen Umstrukturierungen. Das Resultat sind Gesetze, die entweder ihrer Konzeption nach die Grundlage dafür boten, oder aber elastisch bzw. lückenhaft genug waren, eine Vertiefung durch Rechtsprechung und Wissenschaft nicht zu hindern; Voraussetzung ist eine Wissenschaft, die unterschiedlichen Nuancen rechtsimmanenter Faktoren wie gesellschaftlichen Bedürfnissen nachgeht. 3 Um dies in seinem historischen wie auch systematischen Zusammenhang, d. h. als Entfaltung persönlichkeitsbestimmter Momente darzustellen, muß auf deren Anfänge zurückgegriffen werden.
2. Geistes- und wirtschaftsgeschichtlicbe Grundlagen Der Ursprung des Urheberrechts führt auf die Verleihung kaiserlicher und landesfürstlicher Privilegien zurück, die dem Verleger eines Buches ohne Berücksichtigung der Urheberschaft jeweils auf besonderen Antrag gewährt wurden; im Vordergrund standen gewerbliche Gesichtspunkte statt persönlichkeitsbezogener.4 Darin jedoch lediglich eine Förderung des Gewerbes von Buchdruckern und Verlegern zu sehen5 , ist aufgrund neuerer Erkenntnisse nicht richtig. 6 Hansjörg Pohlmann weist schon für das 16. Jahrhundert in "Deutschland" ein auch auf materielle Interessen gerichtetes Urheberbewußtsein nach, das die Gebiete des schöpferischen Geistes erfaßte und sich sogar vereinzelt über spezielle Autoren-Privilegien in der Praxis durchsetzen konnte. 7 a Vgl. die grundlegenden Ausführungen von Vogel, Martin, Deutsche Urheber- und Verlagsrechtsgeschichte zwischen 1450 und 1850, in: Archiv für Geschichte des Buchwesens, Bd. XIX, Lieferung 1, 1978. 4
v. Gamm, S. 40.
Vgl. Riezler, Erwin, Deutsches Urheber- und Erfinderrecht, München u. Berlin 1909, S. 14. , Vgl. Pohlmann, Hansjörg, Das neue Geschichtsbild der deutschen Urheberrechtsbewegung, in: Ufita-Schriftenreihe, Heft 20, Baden-Baden 1961, &
S. 39 f. 7 Pohlmann, Hansjörg, ebda.; ders., Die Frühgeschichte des musikalischen Urheberrechts, Kassel / Basel 1962, S. 9. Vogel, S. 15 ff. (insbes. 22 ff.), relativiert die Ergebnisse Pohlmanns. Vgl. auch Sutermeister, Peter, Das Urheberrecht am Film, Basel 1955, S. 45. Zu
1. Kap.: Das Urheberpersönlichkeitsrecht
23
Obwohl der Gedanke, den Verleger als Rechtsnachfolger des Verfassers zu betrachten, in der Literatur zunehmend anerkannt wurde, blieb er aus Gesetzen ausgeklammert.8 Die Entwicklung des Urheberund Verlagsrechts nahm ihren Ausgang somit weniger von den berechtigten Interessen der Urheber, als vielmehr von denen der Drucker und Verleger, die mehr wirtschaftliches Gewicht in die Waagschale zu werfen hatten. 9 "Das Bedürfnis ... , ihre ,mit Mühe und Kosten' gedruckten Werke gegen billigen Nachdruck zu sichern, war einer der entscheidenden Anstöße für die Entwicklung der Lehre vom geistigen Eigentum und der urheberrechtlichen Gesetzgebung lo ." Daneben versuchte auch der seit der Renaissance selbstbewußter auftretende Autor zunehmend, sein Recht an Geisteswerken durchzusetzen, indem er sich einer von der Naturrechtslehre ausgebildeten Theorie vom geistigen Eigentum bediente, die in ihren Anfängen wohl der Begründung eines Verlagsrechts, nicht aber eines Urheberrechts förderlich war. Das Bedürfnis nach einem rechtlich zu fixierenden Selbstverständnis verstärkte sich nachhaltig, als sich im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts der bürgerlich-literarische Markt zu bilden begann. Dazu trugen die Konzentration des Handelskapitals in den wichtigsten Handelszentren und Hauptstädten bei, insbesondere in dem zentralen Messeplatz Leipzig, wie die Auflösung städtisch-zünftlerisch-handwerklicher Produktion durch ländliches Verlagsgewerbe; die Zunahme manufaktureller Produktion und der vermehrte Einsatz von Maschinen im Bergbau und der Eisenindustrie, schließlich Landreformen und Aufbau einer bürgerlichen Staats- und Verwaltungsbürokratie. l l Diese Prozesse formten wesentlich eine neue Gesellschaft, die bürgerliche, und das ihr entsprechende Lesepublikum, dessen Bedürfnisse "nach literarischer Unterhaltung, wissenschaftlicher Bildung, moralischer Unterweisung, Markt- und politischer Information zur Revolutionierung der literarischen Produktion - der unmittelbaren Buchproduktion, aber Äußerungen über den Eingriff in Werke vgl. z. B. u. Repgow, Eyke, Vorrede zum Sachsenspiegel, Landrecht, hg. v. Karl August Eckhardt, in: Monumenta Germaniae Historica, Fontes Iuris Germanici Antiqui, Nova Series Tomi I Pars I, Göttingen 81973, S. 46, Zeile 230 ff.: "Alle de unrechte varen, / Unde werven an disseme buke i den send ek disse vluke / Unde de valsh hir to scriven: / din messelsucht milt en bekliven." Vgl. auch Brant, Sebastian, Das Narrenschiff, Stuttgart 1964, S. 444 f., "Verwahrung", der dritten Ausg., Basel 1499, vorangestellt. 8 Vgl. Bussmann / Pietzger / Kleine, Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht, Berlin 81962, S. 320. • Vgl. u. Gamm, S. 40. 10
Götz u. Olenhusen, S. 37 f.
Vgl. Winckler, Lutz, Entstehung und Funktion des literarischen Marktes, in: ders., Kulturwarenproduktion, Aufsätze zur Literatur- und Sprachsoziologie, Frankfurt/M. 1973, S. 12 ff. (22). 11
I. Teil: Die geistig-gewerblichen Persönlichkeitsrechte
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auch der literarischen Arbeit selbst, der Stile, Techniken und Stoffe führen" mußten. 1! Das Ausmaß der Marktentwicklung läßt sich an der jährlichen Buchproduktion ablesen, die von 755 Titeln 1740 auf 2569 im Jahre 1800 stiegl3 ; es ergibt sich ebenfalls aus der Anzahl der Schriftsteller, die 1773 dreitausend betrug, 1787 dagegen schon sechstausend. 14 Das Schutzbedürfnis von Verlegern und Autoren nahm eine ganz andere Größe an, je mehr Kapital in Betriebe investiert werden mußte, und je mehr Menschen in den wachsenden Produktionszweig integriert und von ihm abhängig wurden. Die existentielle Bedeutung des "Eigentums" an geistigen Erzeugnissen rückte entsprechend in den Vordergrund, - in dem Maße, in dem "in den Staaten der neueren Zeit ... Sicherheit des Eigentums der Angel (ist), um den sich die ganze Gesetzgebung dreht ...15." In seiner berühmten Schrift "Der Büchernachdruck nach echten Grundsätzen des Rechts" von 1774 betonte Johann Stephan Pütter aus Göttingen, diese rechtspolitisch wirksame Tendenz: "Diese (die Werke des Autors, J. S.) sind gleich ursprünglich ein wahres Eigentum ihres Verfassers, sowie ein jeder das, was seiner Geschicklichkeit und seinem Fleiß sein Dasein zu danken hat, als sein Eigentum ansehen kannI8 ." Die "natürliche" Berechtigung des Urhebers, die hier mit dem Eigentum an materiellen Gegenständen verglichen wird17 , resultiert aus der einzigartigen Beziehung des Geistesproduzenten zu seinem Werk, die den Kern der überlegungen zum Urheberrecht bildet. Eng dem ideellen Argument verknüpft, und in der praktischen Durchsetzung kaum davon trennbar, ist das vermögensrechtliche Interesse, die Werknutzung; um den Zusammenhang beider entwickelte sich bis heute die Diskussion. Die materielle Begründung für die Auseinandersetzungsintensität und -dauer, personifiziert in der Rolle des Verlegers, liegt wesentlich darin, daß dieser sich durch die Befürwortung eines UrheberpersönlichkeitsWinckler, S. 23. Jentzsch, Rudolf, Der deutsch-lateinische Büchermarkt nach den Leipziger Ostermeßkatalogen von 1740, 1770 und 1800 in seiner Gliederung und Wandlung, Leipzig 1912, S. 314 ff. Zu höheren Zahlen gelangen Kapp / Goldjriedrich, Geschichte des deutschen Buchhandels, Leipzig 1886 - 1913, 4 Bde., 3. Bd., S. 557: 2000 Neuerscheinungen 1770 und 4000 im Jahre 1800. Die An12
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gaben bestätigen trotzdem unser Ergebnis. VgI. auch Vogel, S. 51 ff. Vogel setzt die Entwicklung des Urheberpersönlichkeitsrechts zu früh an, lediglich Ansätze desselben sind für diesen Zeitpunkt feststellbar. 14 Kapp / Goldjriedrich, ebda., S. 249. 15 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich, zit. nach Rosenkranz, Karl, Hegels Leben, Berlin 1844, S. 525. 11 Pütter, Johann Stephan, Der Büchernachdruck nach echten Grundsätzen des Rechts geprüft, Göttingen 1774, S. 25. 17 Aus dem Vergleich wird später die unmittelbare übertragung eigentuml;lbestimmter Grundsätze.
1. Kap.: Das Urheberpersönlichkeitsrecht
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rechts eine Stärkung seiner eigenen Rechts- und wirtschaftlichen Position versprach. In den allerseltensten Fällen verstand er sich bis heute darauf, dem Autor die für diesen mit dem ideellen Urheberpersönlichkeitsrecht einhergehenden materiellen Vorteile zu übertragen. Zwischen den heute "bei formaler Betrachtung relativ weitgehenden Autorenrechten und ihrer realen Bedeutung besteht eine unübersehbare Diskrepanz18 ." Schon Immanuel Kant hat die Ansicht vertreten, daß das Urheberrecht seinem Wesen nach ein Persönlichkeitsrecht und seine Verletzung eine Schädigung der Person sei. In seiner Abhandlung über die "Unrechtmäßigkeit des Nachdrucks von Büchern" schrieb er 1785, das Buch eines Autors sei als Rede an die Nation zu verstehen, an der der Verfasser ein persönliches Recht habe, welches durch nicht genehmigten Nachdruck Einbuße erleide. 19 Ohne auf die Ausführungen Kants und ihre Bedeutung im einzelnen einzugehen20 , ist hier festzustellen, daß Kant das Urheberrecht als persönliches Recht (ius personalissimum) bezeichnet, im Unterschied zu dem am opus mechanicum, das das Sachenrecht erfaßt; damit liefert er das Losungswort für die nachfolgende rechts wissenschaftliche Auseinandersetzung. 21 Georg Wilhelm Friedrich Hegel hat sich in seinen "Grundlinien der Philosophie des Rechts" ebenfalls der Probleme der Nutzung geistiger Produkte angenommen. 22 Sein und Kants Eintreten für die Rechte der Autoren demonstriert, wie sehr Verletzungen durch Nachdrucke an der Tagesordnung waren; es zeigt darüber hinaus den wachsenden Umfang des literarischen Marktes, und seine Auswirkungen auf persönliche und Vermögensbereiche des Urhebers. 23 Hegel unterscheidet zwischen der unveräußerlichen Totalität der ganzen geistigen Produktion und der einzelnen verkäuflichen (§ 67). 18 Götz v. Olenhusen, S. 39, beurteilt die Reform des Urheberrechts weitgehend negativ, da sie die wirtschaftlich abhängige Funktion der Autoren nicht verändere, "sondern weitgehend bloß die durch die technische und wirtschaftliche Entwicklung bedingte Rechtsprechung zu gesetzlichen Normen umgeprägt hat." 18 Vgl. Kant, Immanuel, Von der Unrechtmäßigkeit des Büchernachdrucks, in: Berliner Monatsschrift 1785, Bd. 5, S. 403 ff.; vgl. Leuze, S. 85 ff.; vgl. Hubmann, Urheber- und Verlagsrecht, München 31974, S. 18 f. 20 Vgl. MeZZiger, Alphons, Das Verhältnis des Urheberrechts zu den Persönlichkeitsrechten, Diss. Bern 1929, S. 42 ff. 11 Vgl. Leuze, S. 86. Josef Kohler kritisiert mit der Persönlichkeits rechtslehre Gierkes zugleich Kant. Die Theorie Gierkes ist für ihn "keinem juristischen Boden entsprungen, sondern die abenteuerliche Ausgeburt eines unjuristischen Genius", in: ders., Urheberrecht an Schriftwerken und Verlagsrecht, Stuttgart 1907, S. 76; vgl. auch Troller, Alois, Bedenken zum Urheberpersönlichkeitsrecht, Baden-Baden 1959, S. 12. IZ Regel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, §§ 67 ff., S. 144 ff. 11 Vgl. WinckZer, S. 21 ff.
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I. Teil: Die geistig-gewerblichen Persönlichkeits rechte
Das Eigentümliche der geistigen Produktion ist, daß sie durch ihre Entäußerung in die Äußerlichkeit einer Sache umschlagen ~nd als solche von einem anderen produziert und verbreitet werden kann, der damit zu ihrem Eigentümer und Produzenten wird (§ 68). Der Urheber bleibt jedoch Eigentümer der grundsätzlichen Weise der Vervielfältigung. Kants und Hegels Parteinahme für den geistigen Produzenten gründet in ihrem geistesgeschichtlichen Hintergrund: Das Persönlichkeitspathos der Aufklärung forderte die Selbstbewußtwerdung der Autoren sowie die Formulierung ihrer Rechte. 24 Zugleich aber löste ein weiteres Produkt der Aufklärung den entscheidenden Interessenkonflikt erst aus: Der expandierende Gewerbezweig des Verleger- und Druckergewerbes war, wie der Autor, auf seine "rechtmäßigen" Einkünfte angewiesen, seit das feudale Mäzenatentum mit dem Aufstieg der bürgerlichen Gesellschaft abnahm. 25 Seine Lage wurde erschwert durch das Nachdruck-Unwesen, das trotz partikularer Verbote, begünstigt durch die territoriale Zersplitterung Deutschlands an der Wende des 19. Jahrhunderts zu wirtschaftlich kaum tragbaren Einkommensminderungen für Verleger und Autoren führte. 26 Rücksichten aber insbesondere auf den wichtigen Posten ,Buchexport', der in seiner Handelsbilanz einen allmählich immer offensichtlicheren Niederschlag fand, veranlaßten den merkantilistischen "Fürsten-Unternehmer" zum Eingreifen. Adolph von Knigge diagnostizierte die überschneidung ideeller und wirtschaftlicher Probleme und ihre Konsequenzen: "Bey dem täglich in allen Ständen wachsenden Hange zum Lecteur, sind Schriftsteller und Buchhandel ein bedeutender Gegenstand der Aufmerksamkeit weiser Regierungen geworden, besonders was die Rücksicht auf den dadurch beförderten Geldumlauf und die Handelsbilanz betrifft27 ." 24 Vgl. z. B. Fichte, Johann Gottlieb, Beweis der Unrechtmäßigkeit des Büchernachdrucks, Berlinische Monatsschrift 1791, Bd. 21, S. 443 ff. 25 Vgl. auch Sutermeister, S. 45. 26 Vgl. Hubmann, Urheberrecht, S. 16 ff. Zur ausländischen und deutschen Entwicklung unter vulgärmaterialistischen Gesichtspunkten: vgl. Kauschansky, D. M., Evolution des Autorrechts, Die moderne Auffassung über die soziale Funktion der Erzeugnisse geistiger Tätigkeit und die Forderung des faktischen Schutzes des Autors, in: Ufita, Bd. 6, 1933, S. 24 ff. (28 f.). Zur Kommerzialisierung der Literatur und ihren sozialen F.()lgen Ende des 18. Jahrhunderts vgl. Haferkorn, Hans J., Zur Entstehung der bürgerlichliterarischen Intelligenz und des Schriftstellers im Deutschland zwischen 1750 und 1800, in: Deutsches Bürgertum und literarische Intelligenz 1750 bis 1800, Stuttgart 1974, Literatur- und Sozialwissenschaften 3, hg. v. Bernd Lutz, S. 113 ff. (203 ff.). Die Wende, "das Urheberrecht als ein Persönlichkeits recht mit vermögenswerten Bestandteilen zu definieren ... stand in unmittelbarem Zusammenhang mit der veränderten Stellung des Autors im literarischen Produktionsprozeß, mit seiner gesellschaftlichen Aufgabe, seinem Selbstverständnis und den veränderten ästhetischen Idealen gegen Ende des 18. Jahrhunderts." - so Vogel, S. 40 ff.
1. Kap.: Das Urheberpersönlichkeitsrecht
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3. Erste gesetzliche Regelungen des Urheberrechts im 19. Jahrhundert Eine der ersten Schutzmaßnahmen für den Urheber findet sich im bayrischen Strafgesetzbuch von 1813 in Artikel 397: "Wer ein Werk der Wissenschaft oder Kunst ohne Einwilligung seines Urhebers, des Erben oder anderer, welche die Rechte des Urhebers erlangt haben, durch Vervielfältigung mittels Drucks oder auf andere Weise dem Publikum bekannt macht, ohne dasselbe zu eigentümlicher Form verarbeitet zu haben, wird neben dem Schadensersatze nach den in den einzelnen Druckprivilegien oder in deren Ermangelung nach den in den Polizeistrafgesetzen enthaltenen Bestimmungen bestraft." Im Unterschied zur sonstigen deutschen Urheberrechtsentwicklung anerkennt das bayrische Gesetzbuch in Art. 397 und im späteren Gesetz vom 15. April 1840, Art. lAbs. 1 ein allgemeines Urheberrecht. 28 Allgemein und für Bayern ab 1865 gilt, daß die Entwicklung urheberrechtlicher Befugnisse vom System der Einzelbefugnisse ausgeht; von dieser Basis aus werden Forderungen nach einem Urheberpersönlichkeitsrecht erhoben. Die Wissenschaft hingegen lehnt ein solches wegen der Unbestimmtheit eines allgemeinen Urheberrechts und aus mangelndem sozialen Interesse in der Regel ab; die Gesetzgebung verweigert sich einem so weitgehenden Anspruch.29 Anregungen für das bayrische und andere Gesetze waren ausgegangen von dem auf französischem Einfluß beruhenden Badischen Landrecht von 18093°, das bereits geistiges Eigentum anerkannte, wie auch VOn verschiedenen Initiativen der Buchhändler auf dem Wiener Kongreß. Dort vertraten die Verleger Johann Friedrich CoUa und Friedrich Justin Bertuch in offizieller Mission die Interessen des deutschen Buchhandels, der den überregionalen Schutz seiner Rechte wie auch der seiner Autoren forderte. CoUa und Bertuch waren zumindest insoweit erfolgreich, als in Art. 18 d der Bundesakte vom 8. Juni 1815 das Versprechen aufgenommen wurde, die Bundesversammlung werde sich mit der "Sicherstellung der Rechte der Schriftsteller und Verleger gegen den Nachdruck" bei ihrer ersten Zusammenkunft beschäftigen 27 v. Knigge, Freiherr Adolph, Ober Schriftsteller und Schriftstellerey, Hannover 1793, S. 299 f.; vgl. auch ders., Ober den Büchernachdruck, Hamburg 1792, Wiesbaden 1974, hg. und mit Nachwort versehen v. A. Götz v. Olenhusen. 28 Vgl. das Dekret vom 19. Juli 1793, abgedruckt bei Rudolf Klostermann, Das Urheberrecht und das Verlagsrecht. Das geistige Eigentum an Schriften, Kunstwerken und Erfindungen, Berlin 1867, 1. Bd., S. 396, Anm. 2. 29 Vgl. v. Grolmann, Wilhelm, System und Entwicklung der urheberrechtlichen Befugnisse im deutschen Reich unter besonderer Berücksichtigung des Rundfunks, Diss. Kiel 1928, S. 27. 30 Zum französischen Einfluß vgl. Voigtländer, RudQlf, Die Gesetze betreffend das Urheberrecht und Verlags recht an Werken der Literatur und Tonkunst vom 19.6. 1901, Kommentar, Leipzig 1901, S. 20.
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I. Teil: Die geistig-gewerblichen Persönlichkeitsrechte
sowie "gleichförmige Verfügungen" darüber und über die "Preßfreiheit" verfassen. Die Bundesversammlung, die sich erstmals am 26. März 1817 mit Art. 18 d befaßte, verzögerte eine Gesetzesinitiative bis 1835; zu diesem Zeitpunkt hatte sich der Nachdruck aufgrund überregionaler Vertragsschlüsse und durch den Aufbau eigener Verlage in den bisher nachdruckenden Ländern bereits reduziert. Daß die Bundesversammlung trotzdem vereinbarte, den Nachdruck im ganzen Bundesgebiet zu verbieten, führt auf politische Ereignisse wie das Hambacher Fest von 1832 oder das Frankfurter Attentat von 1833 zurück, die eine scharfe Zensur revolutionärer Schriften nach sich zogen; das schriftstellerische Eigentum sollte genau und nach allgemeinverbindlichen Grundsätzen festgestellt und geschützt werden. 3l Auf diese Weise trug der Abbau liberaler Vorstellungen das seine zur Entwicklung der Elemente eines Urheberpersönlichkeitsrechts bei. Das erste "moderne" Urheberrechtsgesetz, das dem Urheber für die Dauer seines Lebens und seinen Erben 30 Jahre darüber hinaus Urheberschutz verlieh, war das preußische Gesetz vom 11. Juni 1837 "Zum Schutz des Eigentums an Werken der Wissenschaft und Kunst gegen Nachdruck und Nachbildung32 ." In den Paragraphen 1, 2 und 3 behielt es das Recht des Neuabdrucks einer bereits herausgegebenen Schrift sowie deren mechanischer Vervielfältigung dem Autor oder dem von ihm Legitimierten vor. Der Begründung der Ministerialkommission entsprechend sollten dergleichen Bestimmungen dem Urheber und seinen persönlichkeits- und vermögensrechtlichen Interessen zugute kommen. 33 Während auf das preußische Gesetz weitere in anderen Ländern folgten, arbeitete eine Kommission des Börsenvereins der Deutschen Buchhändler34 einen umfangreichen Gesetzesentwurf aus, den sogenannten Frankfurter-Entwurf, der die bisherigen urheberrechtlichen Errungenschaften für Verleger und Autor sichern sollte. Er war die wohl wichtigste Grundlage für die Beratungen der Bundesversammlung, die 1864 eine neue Gesetzesinitiative den einzelnen Bundesstaaten zur Annahme empfah1.35 Sie sollte schließlich zu dem Literatururhebergesetz vom 31
Zur Durchsetzung der Beschlüsse und ihrer gesetzlichen Regelung vgl.
Rintelen, Max, Urheberrecht und Urhebervertragsrecht, Wien 1958, S. 21. 32 Vgl. Bussmann / Pietzger / Kleine, S. 321. 33 Vgl. Heymann, Ernst, Die zeitliche Begrenzung des Urheberrechts, in:
Sitzungsberichte der Preußischen Akademie der Wissenschaften, 1927, Nr. 9, S. 70 ff. (87). 34 Dem Börsenverein der Deutschen Buchhändler gehörte die Mehrzahl der deutschen Verleger und Buchhändler an; er nennt sich heute - in derselben Funktion - Börsenverein des Deutschen Buchhandels. 35 Vgl. Allfeld, Philipp, Die Reichsgesetze betreffend das literarische und artistische Urheberrecht, München 1893, S. 4 f.
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1. Kap.: Das Urheberpersönlichkeitsrecht
11. Juni 1870 führen, das nach der Gründung des Deutschen Reiches das erste allgemeinverbindliche Gesetz in Deutschland für das Urheberrecht wurde. Die in Umrissen nachvollzogene Urheberrechts-Diskussion, die seit dem Preußischen Allgemeinen Landrecht36 ihren Niederschlag in mehreren Landesgesetzen fand, zu denen auch das Gesetz von 1870 vor der Reichsgründung zählte, ist vor ihrem zeitgenössischen ökonomisch-technischen Hintergrund zu betrachten.
4. Der Stand der zeitgenössischen Technologie Zu Beginn des 19. Jahrhunderts entwickelte sich im Zuge des expandierenden Buchmarktes (mit ca. 11 000 Neuerscheinungen um 1840) die Technik der Druckpresse geradezu revolutionär: " ... die Erfindungen der Stanhopepresse, der dampf getriebenen König'schen Schnellpresse (1813), der Stereotypie und der Steindruckerei, die ergänzt wurden durch die Erfindung der Papiermaschine und eines leistungsfähigeren Schriftgießeverfahrens (forderten), zu immer neuen umfangreicheren Unternehmungen heraus37 ." Das gegen Ende der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts gewaltige Anwachsen der Druckerzeugnisse, besonders der Zeitschriftenproduktion, verstärkt sich in der zweiten Hälfte kontinuierlich, um nach den 70er Jahren nochmals sprunghaft anzusteigen: Auf dem Zeitschriftenmarkt steigert sich die durchschnittliche Auflagenhöhe bei gleichzeitig größerem Umfang und Format wie häufigerem Erscheinen. Daneben nimmt die Verwendung des Bildes in Zeitschriften und Büchern zu; das reicht von der Textillustration . bis zur mehrfarbigen Kunstbeilage. Die Voraussetzungen für diesen Aufschwung liegen in den gewaltigen Fortschritten der Papierfabrikation, des Druckmaschinenbaues, der Reproduktionstechnik, der Druckfarbenindustrie, der Erfindung der Setzmaschine (1884), der maschinellen Ausrüstung der Buchbinderei USW. 38 Die technischen Erfindungen wiederum wie ihre Nutzung hängen unmittelbar mit den durch die Reichsgründung geWährleisteten Erleichterungen für den Handel mit Büchern und periodischen Schriften zusammen: Der räumlich engere Zusammenschluß durch Post- und Bahnverbindungen, die Vereinheitlichung und Senkung der Beförderungstarife bewirkten mit reibungsloseren und rascheren Versandmöglichkeiten den großen Aufschwung von Zeitschriften- und Buchhandel. 38
Der in §§ 995 ff., 1294 ff. gewährte Schutz beruhte in seinem Kern noch
in der Privilegienlehre. 37 Vogel, S. 127. 88 Menz, Gerhard, Die Zeitschrift, ihre Entwicklung -
gungen, Stuttgart 1928, S. 114.
ihre Lebensbedin-
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I. Teil: Die geistig-gewerblichen Persönlichkeits rechte
Neue gesetzliche Bestimmungen für die periodische Presse wie z. B. die Abschaffung der Inseratensteuern oder der notwendigen Kaution bei Zeitungsgründungen mit Inseraten sowie die liberale Neuordnung der Gewerbegesetze führten zu einem erheblichen Wachstum, das sich trotz hoher Arbeitslosenzahlen (1900 - 1905 : 4,3 % der Verbandsmitglieder des graphischen Gewerbes) und verstärkten Einsatzes von Maschinen in einem rapiden Steigen der Beschäftigtenzahlen ausdrückte. "In den dreißig Jahren von 1875 bis 1906 hatte sich die Zahl der Beschäftigten im graphischen Gewerbe von 46204 auf 191147 mehr als vervierfacht ...30." Alois Schulte geht in seiner geschätzten Entwicklung der Papierfabrikation40 davon aus, daß 1853 171 Papiermaschinen in dem später vom Deutschen Reich um faßten Gebiet betrieben wurden: 1875 waren es bereits 782 und 1897 gar 2274. Im Zeitraum von 1896 bis 1900 gab es 389 Setzmaschinen, ihre Zahl stieg bis 1905 auf 1311. Die Zahl der Schnellpressen wuchs von 5811 im Jahre 1881 auf 13589 im Jahre 1905, die von Rotationsmaschinen im selben Zeitraum von 96 auf 870. 41 Die Papiererzeugung stieg von 62000 t im Jahre 1853 bis zum Jahre 1897 auf 677000 t. 42 Diese technisch, wirtschaftlich und sozial umwälzenden Veränderungen fordern dazu heraus, von einer Revolution der Kommunikationsstruktur zu reden (Borchardt), die sich als Anforderung an Gesetzgeber, Rechtsprechung und Wissenschaft niederschlug.
5. Die Lehre vom geistigen Eigentum Im gleichen Zeitraum entwickelte sich, von diesen Faktoren beeinflußt, die juristische Theorie: Bis in die 90er Jahre des 19. Jahrhunderts herrschte die Idee vom geistigen Eigentum, die, in Anlehnung an das Sacheigentum, die Anerkennung von Urheberrechten plausibel machte. Sie vermochte diese sogar im allgemeinen Sprachgebrauch durchzuaQ Kirchner, Hans-Martin, Wirtschaftliche Grundlagen des Zeitschriftenverlages im 19. Jahrhundert, in: Kirchner, Joachim, Das deutsche Zeitschriftenwesen, seine Geschichte und seine Probleme, Bd. II: Vom Wiener Kongreß bis zum Ausgange des 19. Jahrhunderts, Wiesbaden 1962, S. 379 ff. (460). 40 Schulte, Alois, Wir machen die Sachen ... , Wiesbaden 1955, S. 20, zit. bei Kirchner, Hans-Martin, S. 435. Offizielle Produktionsstatistiken liegen erst seit Ende des 19. Jahrhunderts vom Papiermacherverein vor. 41 Vgl. Kirchner, Hans-Martin, S. 459. 42 Vgl. ebda., S. 435. Um sich gegenseitig zu schützen, schlossen sich Schriftsteller seit ca. 1870 verstärkt in Verbänden zusammen; bezeichnenderweise also seit der Zeit des großen wirtschaftlichen Aufschwungs. Vgl. dazu und insbesondere zum Problem der Integration bzw. Desintegration der Verbände Kron, Friedhelm, Schriftsteller und Schriftstellerverbände, Stuttgart 1976, S. 31 ff.; vgl. auch Lattmann, Dieter, Schwarzer Freitag für große Worte - Buch und Autor in den 70er Jahren, in: Bücher von heute sind die Taten von morgen, hg. von Gustav Schmid-Küster, Bremen 1971, S. 99 ff. (111).
1. Kap.: Das Urheberpersönlichkeitsrecht
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setzen und ging schließlich in die Verfassung des Deutschen Reiches ein: Art. 4 Ziff. 6 regelt den Schutz des geistigen Eigentums als eine Angelegenheit der Reichsgesetzgebung. 43 Ihre rechtspolitische Begründung findet diese Theorie in der Überwindung des Privilegiensystems, ihre Aufgabe in der Feststellung eines urheberrechtlichen Schutzes für das Individuum mit dem Ziel, vermögens- und persönlichkeitsbezogenen Argumenten zum Durchbruch zu verhelfen. 44 Das Reichsgericht konstatierte in seiner Entscheidung vom 1. Juli 188446 , daß sowohl die neuere wissenschaftliche Meinung als auch das Reichsgesetz die Lehre vom geistigen Eigentum fraglos anerkennen; sein Schutz sei ausdrückliches Gebot." Das dieser Theorie zugrundeliegende Interesse fordert freie Nutzung und Verfügung der Schöpferpersönlichkeit an dem geformten Gedankeninhalt seines Werkes, allerdings, im Unterschied zum Sacheigentum, insoweit begrenzt, als mit der Publikation der Inhalt zum Allgemeingut wird.47 An diesem Punkt setzte die Kritik an, die sich gegen die "naturwüchsige" Anschauung, ein Geisteswerk sei wie jedes andere körperliche Gut der Eigentumsherrschaft unterworfen, mit dem Argument wehrte, daß die "Sozialbindung" diesen immateriellen Gütern zu einem lediglich eingeschränkten Eigentumsbegriff verhelfe, und sie somit abgelehnt werden müsse. 48 Man erhob Einspruch dagegen, daß eine sprachlich unspezifische Zurechnung unvermittelt zur sachgerechten juristischen Erfassung dienen sollte, wobei die Differenz zwischen Sprachbild und Rechtsbegriff aufgehoben wird. 49 Obgleich Befürwort er der Theorie, kritisiert dies auch Ludwig Kuhlenbeck 1901: "Jenem von der Laienwelt instinktiverfaßten Gedanken eines geistigen Diebstahls, der also ein ,geistiges Eigentum' voraussetzte, trat der Begriffsformalismus der Fachjurisprudenz mit seinem starren Eigentumsbegriff entgegen, der auf körperliche Sachen beschränkt ist 50 ." Vgl. Kohler, Urheberrecht, S. 21. Vgl. Reinhardt, Werner, Die materielle Sicherheit des Urhebers als rechtspolitisches Problem, Diss. Freiburg 1958, S. 30. 4S RGZ 12, 50 (53) vom 1. Juli 1884. 4S RGZ 27, 60 vom 31. Januar 1891. Allerdings betonten die deutschen Delegierten schon auf der Berner Zusammenkunft (Konvention) für Urheberrechtsfragen im September 1886, daß nach der herrschenden Auffassung in Deutschland das Urheberrecht nicht mehr als geistiges Eigentum bezeichnet werden könne. 41 Vgl. Müller, Georg, Bemerkungen über das Urheberpersönlichkeitsrecht, Ufita 1929, Bd. 2, S. 367 ff. (376 ff.). 48 Vgl. Burchard, earl, Urheberrecht, Erfmderrecht und gewerbliches Urheberrecht in ihren wesentlichsten Beziehungen zueinander, Diss. Breslau 1908, S. 23. 49 Vgl. Röhler, Hans-Joachim, Die Kritik am Referentenentwurf zu einem neuen Urheberrechtsgesetz und der Entwurf des Bundesjustizministeriums, Diss. Freiburg 1963, S. 157. 43
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1. Teil: Die geistig-gewerblichen Persönlichkeitsrechte
Das Merkmal der vermögensrechtlichen Nutzung wurde von den verschiedensten Seiten abgelehnt. Trotzdem ist eine generelle Ablehnung ungerechtfertigt. Die Lehre vom geistigen Eigentum ist nicht nur Indiz für den Willen zur unumschränkten Beherrschung eines Objekts und dessen wirtschaftlicher Verwertung, sondern auch Kennzeichen der Aporie, ein Immaterialgut als solches zu begreifen. Sie sollte theoretisch die materiell höchst gefährdete Lage eines ganzen Berufsstandes auffangen und verändern. So verstanden bezeugt sie das Gegenteil ihres Anscheins. Ihre generelle Ablehnung greift zu kurz, wenn sie es unterläßt, gleichzeitig ihre Verdienste anzuerkennen, die zwar in erster Linie die äußere Beziehung zwischen Schöpfer und Werk berühren, die Urheberschaft des Verfassers aber voraussetzen und so persönlichkeitsbezogene Momente theoretisch wie praktisch ausbauen halfen. Die Theorie vom geistigen Eigentum, die von Autoren wie Carl Gareis, Otto v. Gierke, Josef Kohler und anderen mit Erfolg bekämpft worden ist, hat sich dennoch bei einzelnen Anhängern längere Zeit halten können, appellierte sie doch über ihre juristische und historische Begründetheit hinaus einprägsam an die Vorstellungskraft. Ludwig Kuhlenbeck vertrat sie 1901 im Anschluß an Albert Osterrieth; 1934 bekannte sich Christi an Finger in einer ausführlichen Besprechung von Alfred Streißlers "Das Recht des Ungreifbaren" zum Begriff des geistigen Eigentums; noch 1955 äußerte sich der BGH, daß die Herrschaft über sein Werk dem Urheber nicht erst durch den Gesetzgeber verliehen wird, "sondern (sie) folgt aus der Natur der Sache, nämlich aus seinem geistigen Eigentum ...51." Die Diskussion um einen umkämpften Begriff lebt so unter neuen Vorzeichen wieder auf: Inhaltliche Beschränkungen des Urheberrechts sollten unter den Begriff der Enteignung und somit in den Bereich der Entschädigung gebracht werden (Art. 14 GG).52 50 Kuhlenbeck, Ludwig, Das Urheberrecht (Autorrecht) an Werken der Literatur und Tonkunst und das Verlagsrecht, Leipzig 1901, S. 21; vgl. zur Lehre vom geistigen Eigentum auch Michaelis, Robert, Persönlichkeitsrechtliche Befugnisse im deutschen Urheberrecht und droit moral des französischen Rechts, Diss. Leipzig 1926, S. 15. 51 Vgl. Osterrieth, Albert, Altes und Neues zur Lehre vom Urheberrecht, Leipzig 1892; Kuhlenbeck, S. 44. Finger, Christian, Persönlichkeitsrechte, Geistiges und gewerbliches Eigentum, in: MuW 1934, 34. Jg., S. 433 ff.; Streißler, Alfred, Das Recht des Ungreifbaren. Versuch eines Systems des Immaterialgüterrechts unter besonderer Berücksichtigung der Rechte an selbständigen Immaterialgütern, Berlin 1932. BGHZ 17, 267 (278) vom 18. Mai
1955.
5! Vgl. Reinhardt, S. 30. Vgl. den Referentenentwurf von 1954 für ein neues Urheberrechtsgesetz; vgl. Hubmann, Das Recht des schöpferischen Geistes, Berlin 1954 u. a.
1. Kap.: Das Urheberpersönlichkeitsrecht
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6. Persönlichkeitsrechtliche Opposition zur Lehre vom geistigen Eigentum Schon der Germanist Johann-Caspar BluntschIi lehnte in seinem "Deutschen Privatrecht" von 1853 den Begriff geistiges Eigentum mit der Begründung ab, daß nicht das Manuskript oder die Buchexemplare das zu schützende Objekt dieses Rechts darstellen, sondern dessen unkörperliche Natur als Geistesprodukt. 53 Mit Kant müsse man es als persönliches Recht kennzeichnen, das Werk für sich behalten und eine nicht genehmigte Veröffentlichung verhindern zu können. 54 Mit BluntschIi beginnt eine Entwicklung, die die persönlichen Interessen des Autors in den Vordergrund rückt. Sie kann dies nur auf Grundlage dessen, daß die wirtschaftlichen Interessen, um deren Anerkennung vorher gekämpft wurde, inzwischen ohnehin in der Theorie als selbstverständlich vorausgesetzt wurden - ohne je ihre praktische Durchsetzung entschieden angestrebt zu haben. Insofern basiert eine Lehre von der persönlichen Natur des Urheberrechts auf ihrer materiell orientierten Vorgängerin. Max Lange schließt sich inhaltlich BluntschIi an und verwirft 1858 die Grundbegriffe vom geistigen Eigentum; statt dessen sieht er die Willensbestimmung des Autors wie die den Willen in sich schließende Persönlichkeit als die entscheidenden Elemente des Urheberrechts an. Schutz des Werkes fordert nicht das Eigentum, sondern die unstatthafte Verfügungsmöglichkeit anderer, welche durch mechanische Tätigkeit von dem Ergebnis einer geistigen Anstrengung Besitz ergreifen.55 Wenig später bezeichnet Georg Beseler in seinem "System des gemeinen deutschen Privatrechts" das Autorrecht als ein Recht der Persönlichkeit, das Eingriffe anderer ausschließt; er vernachlässigt über den persönlichkeits rechtlichen Aspekten nicht die vermögensrechtlichen Teile des Urheberrechts. 56 Auch Felix Dahn rückt von der Theorie des geistigen Eigentums ab und hält den Begriff für unzutreffend, da das Eigentum nur als ausschließliche Herrschaftsmacht über einen körperlichen Gegenstand denkbar sei, dieser aber gerade beim Urheberrecht fehle. 57 In der Wertung dieser Autoren ist Dieter Leuze darin zuzustimmen, daß durch sie das Persönlichkeitsrecht von den angeborenen Rechten 53
Bluntschli, Johann-Caspar, Deutsches Privatrecht Bd. I, München 1853,
U
Bluntschli, S. 189; vgl. hierzu und zum folgenden auch Leuze, S. 89 f. Lange, Max, Kritik der Grundbegriffe vom geistigen Eigentum, Schoene-
S.188. 55
beck 1858, S. 40 ff. 58 Beseler, Georg, System des gemeinen deutschen Rechts, Berlin 31873, S. 322 ff. (1. Auflage Leipzig 1847 - 55). 57 Dahn, Felix, Deutsches Rechtsbuch, Nördlingen 1877, S. 111 f. 3 Simon
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I. Teil: Die geistig-gewerblichen Persönlichkeitsrechte
abgesondert wurde, die unter der Herrschaft der Historischen Schule verpönt waren, daß es ·ferner in einen innigen Zusammenhang mit einem Rechtsinstitut des positiven Rechts gebracht und dadurch seiner Anerkennung Vorschub geleistet wurde 68 • Sicher bestärkten "auch die methodische Disziplin der historischen Rechtsschule" und ihre Folgen die Auffassung, wo die Möglichkeit von Nutzung und Disposition aufhörten, gebe es kein Eigentum"5D. Den Wandel vom Urheberrecht als originärem Verlagsrecht zum Konzessionsrecht, geistigen Eigentum oder schließlich Persönlichkeitsrecht verursachten jedoch nicht allein dogmatische Härten der Theorien. Die Kurskorrektur verdankte sich entscheidend der seit den letzten Jahrzehnten des 18. Jahrhunderts geforderten und sich seit der Jahrhundertwende tendenziell durchsetzenden Anerkennung des "privatautonomen" Autors, der zumindest dem Anspruch nach persönlich geschützt sein und die Produkte seiner Arbeit genießen sollte; sie gründete auf der wachsenden volkswirtschaftlichen Bedeutung des Rechtsguts, die eigentumsrechtlich nicht hinreichend begriffen werden konnte, die aber nun, gewissermaßen als überreaktion, dazu tendierte, vermögensrechtliche Aspekte ganz auszuklammern. 6o Den entgegengesetzten Weg schlug das Gesetz von 1870 ein.
7. Das Literatururhebergesetz vom 11. Juni 1870 Die Gesetzgeber hatten in den ersten Gesetzen des 19. Jahrhunderts begonnen, Autor und Verleger gegen Nachdruck und andere Angriffe auf die Nutzung der literarischen Arbeit zu schützen; sie schufen den positiv rechtlichen Boden dafür, daß das Arbeitsprodukt als verfügbares Rechtsgut galt, das ähnlich anderen Vermögenswerten übertragen werden konnte. 6! Sie beschränkten den Urheberschutz i. d. R. auf einzelne Befugnisse von Verlegern und Autoren und vermieden Ausdrücke, die trotz persönlichkeitsrechtlichen Gehalts auf ein allgemeines Persönlichkeitsrecht hindeuten konnten. 62 Dieses Prinzip hielt auch das Gesetz von 1870 ein. Dem Urheber wurde in § 1 das ausschließliche Recht der Vervielfältigung auf mechanischem Wege zugestanden - die wichtigste Funktion des Urheberrechts überhaupt. Diese Vorschrift schützte die materiellen Interessen des Autors nicht nur darin, die Veröffentlichung 68
Leuze, S. 92.
Vogel, S. 166. GO Vogel, S. 157; völlig ausgeklammert wurde der vermögensrechtliche Aspekt allerdings nicht, a. A. Vogel. G1 Riezler, Urheberrecht, S. 14 f. 62 Vgl. Mandry, Gustav, Das Urheberrecht an literarischen Erzeugnissen und Werken der Kunst. Ein Kommentar zu dem königlich bayrischen Gesetze vom 20. Juni 1865, Erlangen 1867, S. 44. 69
1. Kap.: Das Urheberpersönlichkeitsrecht
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der Werke aufzuschieben oder zu verweigern, wie der Gedanke an ein so geschütztes Recht nahelegte. Das Vervielfältigungsrecht wurde in § 4 durch das Verbot des Nachdrucks ohne Genehmigung des Berechtigten ergänzt. Das Urheberrecht war gemäß §§ 3 S. 1, 8 und 12 vererblich und konnte zu Lebzeiten wie für den Todesfall ganz oder beschränkt übertragen werden - eine Bestimmung von grundsätzlicher vermögensrechtlicher Bedeutung. Darüber hinaus beinhaltete sie persönlichkeitsrechtliche Momente, wie etwa jenes, das den Erben zum Schutz der Interessen des Autors berechtigte. Das Reichsgericht bestätigte dies 1884. Danach sollte das Recht auch als persönliches "in dem selben Sinne und Umfange, mit dem nämlichen Charakter eines unbedingten Verbietungsrechtes, wie es in den Händen des Schriftstellers selbst bestand" auf die Erben übergehen. 63 Da nach § 3 die gesamte Urheberrechts-Übertragung möglich war, wurde diese Bestimmung Gegenstand heftiger Auseinandersetzungen in der Wissenschaft; ökonomisch brisant, bot sie dem Verleger weiterhin die Möglichkeit, sich auf Kosten der Autoren durchzusetzen, indem er sich deren Werknutzungs- und das damit verbundene "Persönlichkeitsrecht" ganz und für jede nur denkbare Verwendungsart übertragen lassen konnte. Die herrschende Lehre bekannte sich, entweder wegen der positivrechtlichen und damit zu akzeptierenden Regelung oder aus Überzeugung zur vollen Übertragbarkeit des Rechts. 64 Die gegenteilige Auffassung vertrat insbesondere Kohler, der das Urheberrecht für ein "unveräußerliches Individualrecht" des Autors hielt. 65 Maßgeblich unterstützt wurde er durch Gierke, der apodiktisch erklärte: "Das Urheberrecht ist seiner Substanz nach unübertragbar ••• 66." Er gründete seine Ansicht, derzufolge es sogar bedeutungslos war, daß das Gesetz die uneingeschränkte Übertragung aussprach, auf die sonstigen Bestimmungen des Gesetzes, "die eine vollkommene Losreißung des Urheberrechts von der Person des Urhebers ausschließen67 ." Die Unbedingtheit, mit der Kohler, Gierke u. a. gegen die Übertragbarkeit zu Felde zogen, erwies sich auf die Dauer als so erfolgreich, daß dieser Standpunkt eine besondere Rolle bei den Arbeiten zu der Revision des LUG spielte. Vgl. RGZ 12, 50 vom 1. Juli 1884. Vgl. z. B. Osterrieth, Albert, Urheberrecht, S. 95 f.; Endemann, Friedrich, Das Gesetz betreffend das Urheberrecht an Schriftwerken, Abbildungen, musikalischen Kompositionen und dramatischen Werken vom 11. Juli 1870, Berlin 1871, S. 11 ff.; Wächter, Oscar, Das Autorrecht nach dem gemeinen deutschen Recht, Stuttgart 1875, S. 107 ff. u. a. 65 Kohler, Josef, Das Autorrecht, Jena 1880, S. 152. 86 v. Gierke, Otto, Deutsches Privatrecht, Bd. I, Leipzig 1895, S. 805. 83
84
67
Gierke, S. 805, Anm. 1.
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I. Teil: Die geistig-gewerblichen Persönlichkeits rechte
Im Gesetz von 1870 war nur die freiwillige Übertragung, nicht die Zwangsvollstreckung eingeführt.6s Demzufolge blieb der Gegenstand streitig. Gierke sah das Urheberrecht in seinem personenrechtlichen Inhalt für unpfändbar an, ebenso Kohler; sie teilten mit anderen die Auffassung, daß dem Autor das unbeschränkte Recht der Werkveröffentlichung zustehen müsse; einen vermögensrechtlichen Inhalt erhalte das Manuskript erst dann, wenn es veräußert werde, der Urheber seinen Willen also derart erklärt habe. 69 Man diskutierte die Zwangsvollstreckungsbefugnisse zusätzlich in dem Punkt, ob der Autor nach der Erstveröffentlichung zu einer weiteren Auflage, Übersetzung oder der Überlassung des Nachdrucksrechts gezwungen werden könnte. Geänderte Lebensumstände des Autors oder sich wandelnde politische, religiöse ete. Anschauungen könnten eine weitere Auflage verbieten. Kohler insbesondere vertrat das Recht des Publikums, dem als Nährboden und bisherigem Empfänger eines Werks nun auch das Recht auf ein "mehr" zustehe, das jedes Persönlichkeitsrecht des Autors einschränke.70 Das Problem konnte nicht eindeutig entschieden werden; zwei Generationen später, im Nationalsozialismus, wurden gerade Kohlers Argumente wieder aufgegriffen. Besonders Gierke begrüßte das Gesetz; er suchte nahezu überall eine Bestätigung für die persönlichkeitsrechtliche Theorie zu erblicken, die sich hier in den §§ 5 a und 24 insbesondere im Schutz der literarischen Ehre des Autors gegen Plagiate oder gegen indiskrete Veröffentlichungen eines vertraulich mitgeteilten Manuskripts niederschlug. 71 Die praktische Bedeutung des Gesetzes wurde aber überwiegend und zu recht in seiner vermögensrechtlichen Ausrichtung gesehen; sie sollte der geistigen Produktion den verdienten Lohn sichern: Das Urheberrecht galt daher überwiegend als Vermögensrecht mit persönlichkeitsrechtlichen Beziehungen.72 Abstand und Überblick erlauben der heutigen Wissenschaft, die Vermischung von Gegenstand des Rechts (positives Benutzungsrecht) und Schutzumfang (negatives Verbietungsrecht) im Gesetz von 1870 genauer in den Blick zu nehmen, innerhalb derer Ansätze zu einem Urheberpersönlichkeitsrecht sich nicht haben herausdifferenzieren können. 73 es All/eId,
Die Reichsgesetze, S. 55.
e. Vgl. Kahler, Das Autorrecht, S. 137; Gierke, Deutsches Privatrecht, S. 813
mit weiteren Nachweisen in Anm. 38. 70 Vgl. die Hinweise bei Gierke, Privatrecht, S. 813 f. und bei Kahler, S. 137. 71 Vgl. Gierke, S. 815 f.; vgl. auch Gareis, earl, Das juristische Wesen der Autorrechte, sowie des Firmen- und Markenschutzes, in: Buschs Archiv 1877, Bd. 35, S. 185 ff. (204). 72 Vgl. Mittelstaedt, Droit moral im deutschen Urheberrecht, GRUR 1913, S. 84 ff. (85), der selbst anderer Meinung ist; vgl. v. Gamm, S. 43 u. a. 71 v. Gamm, S. 44 f.
1. Kap.: Das Urheberpersönlichkeitsrecht
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8. Das Urheberrecht als PersönliclJkeitsrecht In der Zeit nach 1870 wurden insbesondere zwei Lehren entwickelt, die Gesetzgebung und Rechtsprechung wesentlich beeinflußt haben. earl Gareis und atto v. Gierke auf der einen, Josef Kohler auf der anderen Seite haben sie geprägt. a) Carl Gareis
In seiner grundlegenden Schrift über "Das juristische Wesen der Autorrechte ..." von 1877 entschied sich Gareis gegen die Theorie des geistigen Eigentums, die er als nicht entwicklungsfähig abtat, da die Konsequenzen, die man aus dem Eigentumsbegriff ziehen wollte und müßte, im Autorrecht nicht vorhanden seien: 74 Die übernahme des Eigentumsbegriffs intendierte Begriffsidentität und unbeschränkte oder doch nur geringfügig eingeengte übertragbarkeit des Urheberrechts, die sich bei der regelmäßig praktizierten Aufgabe von Rechten gegen den Autor richten mußte. Die Befürworter eines Persönlichkeitsrechts wandten sich deshalb dagegen, da ihnen die enge Verknüpfung von Autor und Werk eine etwaige Eigentumsübertragung unmöglich zu machen schien, und die Ausnutzung des Schöpfers durch den Verleger unausweichlich zu werden drohte. 76 Schließlich gebot die technische Entwicklung zunehmend über neue und effizientere Verbreitungs- und Verwertungsmöglichkeiten, welche die regelmäßige Gesamtübertragung der Rechte an einem Werk als unzumutbar verwerfen mußte. Gareis hielt nur die Theorien für entwicklungsfähig, die das Urheberrecht als ein "Recht der Persönlichkeit", ohne Verknüpfung mit einem Vermögensrecht, sahen: Jeder Mensch, führte er aus, habe das Recht, seine persönlichen Eigenschaften zu benutzen und zu verwerten; demgemäß müsse die positive Rechtsordnung ihm dieses Recht auch zuerkennen. Bezüglich des Urheberrechts sei dies in verschiedener, dringend erweiterungsfähiger und -bedürftiger Weise schon geschehen. 76 Bereits der Titel seines Aufsatzes "Das juristische Wesen der Autorrechte ..." erschließt Gareis' Ausgangspunkt: Das Urheberrecht ist nur zu ermitteln, wenn es als Persönlichkeitsrecht begriffen werden kann. 77 Indem Gareis das als Institut des positiven Rechts anerkannte Autorrecht als Persönlichkeitsrecht charakterisiert, führt er dieses in das positive Recht ein und versucht, ihm dort seinen Platz zu sichern. 78 Gareis, Autorrechte, S. 187. Vgl. dazu das Beispiel von Haenisch, Konrad, Die Not der geistigen Arbeiter, Leipzig 1920, S. 29, das verlegerische Willkür gegenüber dem häufig unerfahrenen und wirtschaftlich schwachen Autor demonstriert. 78 Gareis, Autorrechte, S. 194 f., 203 ff. 77 Vgl. Leuze, S. 93. 74 75
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I. Teil: Die geistig-gewerblichen Persönlichkeitsrechte
Gareis' Darstellung des positivrechtlichen Gehalts persönlichkeitsbezogener Momente im Urheberrecht an Schriftwerken, Werken der bildenden Kunst, der Photographie, an Mustern und Modellen, des Marken- und Firmenschutzes wie im Recht des Erfinders demonstriert, wie weit er den Bogen der "Individualrechte" spannen will.79 Die Bedeutung dieser Schrift und der nachfolgenden Werke geht über eine Erarbeitung einzelner Individualrechte hinaus. so Die enge Verknüpfung von Mustern und Modellen, Marken- und Firmenschutz mit dem Persönlichkeitsrecht signalisieren einen charakteristischen Zug an einem sozialen und ökonomischen Entwicklungsstand, in dem personale Bindungen noch die Forderungen nach Rechtsschutz als Persönlichkeitsschutz weitgehend bestimmten. Selbst Praktiker, die aktuelle wirtschaftliche Veränderungen eher einschätzen konnten, wandten sich erst später gegen diese persönlichkeitsfixierten Ansichten: Kapitalakkumulation, verstärkte Konzentration, Kartellbildung und damit verbundene "Entpersönlichung" im wirtschaftlichen und sozialen SektorS1 , deren Bedeutung sich Rechtsprechung und Wissenschaft verzögert erschloß, überholten vielfach diese Rechte als "Individualrechte". Daß Gareis und seine Anhänger sie dennoch auch in der Folgezeit unter die Persönlichkeitsrechte einreihten, ist unter anderem darauf zurückzuführen, daß bei den gegebenen Zuweisungsschwierigkeiten auf anderen Gebieten schlechtere Schutzmöglichkeiten bestanden, als im persönlichkeitsrechtlichen Bereich, wie sie ihn formulierten. b) Qtto von Gierke
Auch Otto v. Gierkes Behauptung des Persönlichkeitsrechts als eines allgemeinen Grundrechts setzte sich erfolgreich gegen die früher rechtspolitisch tradierte, ebenso konstruktive wie wirkungsvolle Identifizierung des Urheberrechts mit dem Sacheigentum durch. Das in "langem geschichtlichem Ringen" entfaltete und durch seine eigentümliche SubLeuze, S. 97. Vgl. auch Gareis, Das Recht am menschlichen Körper, Festgabe der Juristischen Fakultät zu Königsberg für ihren Senior Johann Theodor Schirmer, Königsberg 1900, S. 69 ff. 80 S. dazu unten. 81 Die Argumente von Rudolf Callmann dürften im Hinblick auf die "Entpersönlichung" wirtschaftlicher Vorgänge und Strukturen so zu werten sein, vgl. ders., Der unlautere Wettbewerb, Mannheim / Berlin / Leipzig 1929, S. 26 ff. In der Regel setzte diese Sichtweise, abgesehen von Beiträgen wie dem von Isay, Rudolf, Das Recht am Unternehmen, Berlin 1910, erst in den 30er Jahren ein. Sie ist verknüpft mit Namen wie Alfred Hueck, Hans-Carl Nipperdey u. a. Vgl. zum wirtschafts geschichtlichen Ablauf Wehler, HansUlrich, Der Aufstieg des organisierten Kapitalismus und Interventionsstaates in Deutschland, in: Winkler, Heinrich August, Organisierter Kapitalismus, Voraussetzungen und Anfänge, Göttingen 1974, S. 36 - 57. 78
7'
1. Kap.: Das Urheberpersönlichkeitsrecht
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jektgebundenheit mit "eigenartigem Gepräge" versehene Urheberrecht offenbart sich bei Gierke in seinem Wesen als umfassendes Persönlichkeitsrecht. 82 Einer Argumentation, die, den tatsächlichen Gegebenheiten entsprechend, das Urheberrecht in die Nähe des Verlags rechts rückte und somit dessen vermögensrechtlichen Aspekt betonen mußte, setzt er die persönlichkeitszentrierte Betrachtung entgegen: "Wenn auch unzweifelhaft sein Schutz (des Werkes, J. S.) nicht nur geschichtlich vom Schutz des Verlagsrechts ausgegangen ist, sondern auch heute vor allem die wirtschaftliche Ausbeutung fremder Geisteswerke hindern will, so umspannt er doch nach geltendem Recht in gleicher Weise die idealen und die materiellen Interessen, die sich für den Urheber an seine Schöpfung knüpfen. Die dem Schöpfer eines Geisteswerkes vorbehaltene Herrschaft soll ihm einen möglichen Gewinn, sie soll ihm auch die Durchführung seiner wissenschaftlichen und künstlerischen Absichten und seine Errungenschaften an Ruhm und Ehre sichern8a ." Obwohl Gierke die persönlichkeitsrechtlichen Interessen betont, will er die vermögensrechtlichen in gleicher Weise berücksichtigen. Gegenüber seinem Engagement für die persönlichkeitsbezogenen Aspekte treten sie jedoch in den Hintergrund. Daß diese Gewichtung dem damals geltenden Recht entsprochen hätte, kann nur als Zweckeuphemismus bewertet werden, der - immerhin - seine Wirkung auf die juristische Umwelt zeitigen sollte. Anstatt beide Elemente voneinander zu trennen, will Gierke sie in ein Persönlichkeitsrecht zusammenschließen; nur so, aufgehoben in diesem umfassenden Recht, bleibt auch die vermögensrechtliche Komponente des Geisteswerks Objekt des Urheberrechts, das dem Urheber die ausschließliche Befugnis über jede Verfügung sichert. 84 Darin einbegriffen sind die Veräußerungsrechte einschließlich der Wahl von Zeit und Ort, die Rechte der Änderung und Vervielfältigung bzw. Reproduktion. Selbst wenn die unmittelbare Zusammengehörigkeit von Werk und Autor im Augenblick der Veröffentlichung partiell aufgegeben wird, da das Werk in gewissem Umfang Gemeingut wird, bleibt die Autor-Werk-Beziehung vorrangig und sichert dem Urheber auch zukünftig den "inneren Bestand" des Werkes, d. h. sein Gedankengut wie das Recht auf dessen neuerliche Vervielfältigung und Veröffentlichung. Die Parallele zur heutigen Betrachtungsweise liegt nahe in der Anerkennung materieller und ideeller Interessen in einer Einheit. Die Behauptung, Gierke habe das Urheberrecht allein dem Persönlichkeitsrecht zugeteilt, wird insofern seiner Lehre nicht gerecht, als diese höchst differenziert das Unterschiedene in seiner Einheit verstanden 8Z
83 84
Vgl. Gierke, Privatrecht, S. 756 ff. Gierke, S. 759. Vgl. Gierke, S. 765 ff.
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I. Teil: Die geistig-gewerblichen Persönlichkeitsrechte
und belassen hat. Dieser Zusammenschluß im Persönlichkeitsrecht ist es auch, den Gierke als seine Leistung gegenüber der Aufspaltung bei Kohler verteidigt. s5 Nennenswert an Gierkes Leistung scheint mir seine Originalität, mit der er, ohne sich auf eine längere Tradition dieser einzelnen Rechte als Persönlichkeitsrechte oder gar auf die Anerkennung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts stützen zu können, eine solch kohärente Konzeption entwickelte, die weit über das Verständnis von Gareis hinausgreift. Als Wegweiser haben ihm die im germanischen Recht schon früh entwickelten besonderen Rechte gegolten, deren Vorbildcharakter Gierke nahezu überstrapaziert hat; zu nennen wäre etwa die germanische Hausmarke. s8 Daneben haben ihn die gemeinschaftsgebundenen Schutzvorstellungen beeinflußt, die im germanischen Recht stärker als im römischen im Vordergrund standen. Darüber hinaus hatten bereits Köhler und andere Autoren die besonderen Persönlichkeits rechte als Immaterialgüterrechte zusammengefaßt und ihnen Eingang in die Rechtsordnung erkämpft. s7 Dies alles zu einem großen Wurf verbunden zu haben, ist das Verdienst Gierkes und Begründung für den hervorragenden Einfluß, den er auf die Entwicklung des Urheberrechts, des Urheberpersönlichkeitsrechts und durch deren Gewichtung auf das allgemeine Persönlichkeitsrecht nehmen konnte.B s Gierkes Bestimmung des Urheberrechts als Ausfluß des "Grundrechts" Persönlichkeitsrecht hat bis heute wichtige Anstöße gegeben.B9 Dogmatisch stieß seine Theorie aus mehreren Gründen auf Ablehnung. Zum einen hatte Gierke sie für das zeitgenössische Verständnis zu weit und allumfassend, zu sehr durchsetzt mit öffentlich-rechtlichen Momenten, entwickelt; darüber hinaus kritisierte man einzelne Punkte. Man war der Auffassung, ein Urheberrecht als reines Persönlichkeitsrecht müsse mit dem Tod des Autors erlöschen und könne nicht übertragen werden; statt der Bedeutung, die die Persönlichkeit des Urhebers bei Gierke erhielt, rückte dessen von ihm gelöstes Werk zunehmend in den Vordergrund der Betrachtung. Und obwohl Gierke die materiellen Autoreninteressen keineswegs übergangen hatte, schienen sie zu wenig berücksichtigt.so 85 Gierke, S. 707, Arun. 15. 8e Vgl. Gierke, Die germanische Hausmarke, in: MuW 1911/12, Jg. 11, S. 398 ff. Dazu Janssen, Albert, Otto von Gierkes Methode der Geschichtlichen Rechtswissenschaft, Diss. Göttingen, Frankfurt, Zürich 1974, S. 74 f. 87 Vgl. Müller, Georg, Otto v. Gierke, Ufita 1941, Bd. 14, S. 1 ff. (7). 88 Vgl. die direkten Hinweise z. B. in RGZ 113, 419 vom 12. Mai 1926 und 116,295 vom 16. März 1927. 8e Vgl. Müller, Georg, O. v. Gierke, S. 12 und Röhler, Hans-Joachim, S. 20 f.; BGHZ 13, 334 (338) vom 25. Mai 1954. 90 Kohler, Urheberrecht, S. 7 ff.
1. Kap.: Das Urheberpersönlichkeitsrecht
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c) Die dualistische Theorie Jose! Kohlers
Mit Kohler verlagert sich die juristische Theoriebildung von ihrer synthetisierenden Ausrichtung zu einer mehr analytischen. Schopenhauer hatte Kohler das Stichwort geliefert, als er gegen Ausläufer des Nachdruck-Unwesens mit dem Schule machenden Argument zu Felde zog, materielle Gegenstände wie Bücher etc. seien nur Akzidentia zum immateriellen Eigentum. 91 Hierauf errichtete Kohler seine Lehre vom Immaterialgüterrecht. Nach dualistischem Prinzip trennt sie das vermögensrechtliche Element dogmatisch vom persönlichkeitsrechtlichen und führt zu einem Doppelrecht, das die systematische Gruppierung nach tradierter Weise begünstigt.92 Gerade dies ebnete seiner Lehre den Weg in Wissenschaft und Praxis. Die Nähe zur Auffassung vom geistigen Eigentum ermöglichte es deren Vertretern eher, die gewohnte Position der neuen anzupassen, als es der scheinbar polaren Persönlichkeitsrechts-Theorie mit ihren dogmatischen wie praktischen Härten gelingen konnte. Kohlers Hervorhebung der vermögensrechtlichen Seite, des ökonomisch nutzbaren immateriellen Gutes, traf den Nerv des "geistig-gewerblichen Rechtsschutzes"; auf dieser Basis wollte er die persönlichkeitsbestimmten Interessen abgehandelt wissen. Als einer der energischsten und erfolgreichsten Befürworter der persönlichkeitsrechtlichen Bestandteile des Urheberrechts erblickte er in jenen weniger spezifische urheberrechtliche Elemente als vielmehr Ausstrahlungen eines allgemeinen Persönlichkeitsrechts. Gemeinsam mit Gierke, wenn auch auf unterschiedlichem dogmatischem Fundament, vertrat er eine grundlegende Position des Persönlichkeitsrechts, dem damit eine "Quellrechtsfunktion" zugesprochen wurde. Es sollte das ganze Rechtssystem in seinen unterschiedlichsten Erscheinungsformen durchdringen, so daß beispielsweise das Eigentum sich nicht von jedem personenrechtlichen Bezug lossagen, umgekehrt das Autorrecht nicht als reines Persönlichkeitsrecht ausgegeben werden konnte. 93 Der Gegenstand des Urheberrechts, das Geisteswerk, ist mit seiner Fertigstellung aus der Person des Schöpfers hervorgetreten und existiert als selbständiges Wesen, das gesondert geschützt werden muß, abgetrennt von den persönlichen Belangen des Urhebers, die dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht zugeordnet werden. u4 Beide Rechtsteile durchkreuzen sich jedoch und sind vielfach miteinander verklammert. 95 91 92
Vgl. Müller, Georg, Bemerkungen, S. 376 ff. Kohler, Urheberrecht, S. 7 ff.
Kohler, S. 2. Kohler, Zur Konstruktion des Urheberrechts, in: Archiv für Bürgerliches Recht, Bd. 10, S. 248; Kohler, Urheberrecht, S. 1. 95 Kohler, Zur Konstruktion, S. 440. 93 U
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I. Teil: Die geistig-gewerblichen Persönlichkeitsrechte
Diese Abgrenzungen erwiesen sich auch auf anderen Gebieten als methodisch sinnvoll, zugleich als inhaltlich vertretbare Forderung, z. B. nach einem Persönlichkeitsrecht an Briefen, welches sich als immer dringlicheres Bedürfnis kundgetan hatte, nachdem das Recht an Briefen lange Zeit nur aus künstlerischen Erwägungen, nicht aber wegen der Privatsphäre geschützt wurde. D6 Gegen Kohler wurde geltend gemacht, daß die geschichtliche Entwicklung zwar vom Schutz des Vermögensrechts ausgegangen sei; im Sinne moderner Rechtsentwicklung seien aber in stärkerem Maße persönliche Interessen zu schützen, selbst solche, die möglicherweise erst später erkannt würden. D7 Demgegenüber forderte Mittelstaedt eine noch tiefer greifende Trennung, die selbst den Zusammenhang zwischen persönlichkeits rechtlichen und vermögensrechtlichen Interessen leugnete. D8 Andere lehnten die Aufspaltung in ideelle und materielle Interessen ab, da diese weder analytisch eindeutig nachvollziehbar, noch praktisch durchführbar sei; mit Gierke hielten sie an der unteilbaren Einheit des jeweils zu schützenden Rechtsguts fest. 99 d) Die monistische Theorie Philipp Allfelds
Erscheinungsformen, wie sie in der heutigen Praxis des allgemeinen Persönlichkeitsrechts geläufig sind, traten beim Urheberpersönlichkeitsrecht in ähnlicher Vielfalt auf. So kennzeichneten sachenrechtliche Bestimmungen die Lehre vom geistigen Eigentum, wie sie für das Recht am eigenen Körper und damit für ein allgemeines Persönlichkeitsrecht gelten sollten. 100 Kohlers Auffassung von Immaterialgütern als Rechtsobjekten entsprach dem Versuch, das Objekt für ein allgemeines Persönlichkeitsrecht im Bereich des Urheberrechts ausfindig zu machen. Aus demselben Grund lassen sich in der Wissenschaft Tendenzen verzeichnen, die das allgemeine Persönlichkeitsrecht aus dem umstrittenen dogmatischen Rahmen herausnehmen und ihm eine selbständige Stellung im Rechtssystem zuweisen wollten. 101
s. unten; vgl. Kohler, S. 114 zu weiteren Konsequenzen. Vgl. Heckmann, Wilhelm, Die personenrechtlichen Elemente in den Urhebergesetzen, Diss. Jena 1910, S. 13; Kohler selbst sah in diesem Fall den Autor durch die persönlichkeitsrechtliche Seite seines Rechts geschützt. 8S Vgl. Mittelstaedt, Preisschleuderei und Urheberrechtsverletzung, in: DJZ 1906, Bd. 11, S. 1130 ff. 99 Vgl. Gierke, Privatrecht, S. 763; Neumann-Duisberg, Horst, Das gesprochene Wort im Urheber- und Persönlichkeits recht, Regensburg - Münster 1949, S. 26 f. 100 Vgl. Willmund, Hilde, Das allgemeine Persönlichkeitsrecht, Diss. Köln 1938, S. 42 f. tot S. dazu im einzelnen unten. 88 87
1. Kap.: Das Urheberpersönlichkeitsrecht
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Daneben bot sich der Versuch Philipp Allfelds anl02 , wegen der Vermischung persönlichkeitsrechtIicher mit vermögensrechtlichen Bestandteilen das Urheberrecht als Recht sui generis zu bestimmen: Persönlichkeits- und vermögensrechtliche Beziehungen des Urhebers zu seinem Werk stellten demnach nur zwei Seiten desselben Sachverhalts dar. Das Prinzip eines ungeteilten, komplexen Rechtsinstituts übertraf an Stimmigkeit und Ausgewogenheit alle übrigen Lehrmeinungen. Die Tatsache, daß auch seitens der Dogmatik keine nennenswerten Einwände gegen diese Konstruktion eines Sonderrechts erhoben werden konnten, verhalf der monistischen Theorie zu ihrer Durchsetzungskraft, die sich ab ca. 1900 bewährte; heute bestimmt sie die herrschende Lehre. los Die wachsende Anerkennung dieser Meinung bewirkte wegen der Untrennbarkeit ihrer Elemente zugleich die Aneignung persönlichkeitsrechtlichen Gedankenguts, das anfangs zögernd, ab 1928 aber in Verbindung mit anderen Komponenten schlagartig durchbrach; es förderte Tendenzen zugunsten eines Urheberpersönlichkeitsrechts auf den Geist eines allgemeinen Persönlichkeitsrechts hin. e) Die trialistische Theorie Alexander Elsters
In diesem Rahmen sei auch die letzte der bedeutenden Lehren genannt, die allerdings nicht der Gesetzgebungsepoche, das heißt der Jahrhundertwende, entstammt, sondern erst in den 20er Jahren voll entwickelt wurde. Ihre praktische Relevanz wurde von jeher als dürftig und damit als vernachlässigenswert angesehen.t° 4 Ihr theoretischer Rang liegt darin, daß sie das Urheberrecht als Teilgebiet des geistiggewerblichen Rechtsschutzes kennzeichnet. Elster geht aus vom Kohler'schen Dualismus persönlichkeitsrechtlicher und materieller Bestandteile des Urheberrechts, nimmt aber eine Verbindung beider Elemente an. Der Leistung als geistiger Schöpfung kann nur ein Persönlichkeitsrecht gerecht werden; vom Willen des Urhebers und vom "Markt" soll es abhängen, ob sie Gegenstand eines 102 All/eZd, Philipp, Kommentar zu dem Gesetz vom 19. Juni 1901 betreffend das Urheberrecht an Werken der Literatur und über das Verlagsrecht, München 1902, S. 21 ff. 103 Vgl. Heckmann, S. 14 ff.; Süss, Hermann, Die Übertragung des Urheberrechts, Speyer 1911, S. 17 f.; UZmer, Eugen, Urheber- und Verlagsrecht, Berlin - Göttingen - Heidelberg !1960, S. 98 ff.; ablehnend Munck, Walter, Die Rechtsstellung des Urhebers nach übergang des Urheberrechts, Diss. Freiburg 1933, S. 12 f.; Hoenisch, Werner, Photographisches Urheberrecht und Urhebervertragsrecht, Diss. Leipzig 1934, S. 24 u. a. 10& Vgl. UZmer, Urheber- und Verlagsrecht, S. 22 ff.; a. A. Müller, Georg, Bemerkungen, S. 391.
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I. Teil: Die geistig-gewerblichen Persönlichkeits rechte
Vermögensrechts wird; der Wille muß auf materiellen oder immateriellen Wettbewerb gerichtet sein, um das Geisteserzeugnis auf den Markt gelangen zu lassen. Ein Recht persönlicher Natur orientiert sich also auf den Wettbewerb hin, und die wettbewerbliche Bestimmung ihrerseits führt die Leistung in den Bereich der Vermögensrechte. Die Entwicklung vollzieht sich danach in drei Stufen: Persönlichkeitsrecht, Wettbewerbsrecht, Vermögensrecht. t05 Das unveröffentlichte Werk will Elster durch ein Persönlichkeitsrecht schützen. Das Urheberrecht hingegen ordnet er dem Wettbewerb zu, da eine Leistung in der Regel auf den Markt kommen muß, um urheberrechtlich geschützt zu werden. Bemerkenswert ist seine Einschätzung der Marktverhältnisse und deren Gewichtung in seiner Theorie: i. d. R. wird für den Markt produziert, folgerichtig muß auch die Leistung des Künstlers darauf ausgerichtet sein. Dieses Moment läßt sich heute weniger denn je verleugnen; die umfangreiche Literatur über die Monokausalität aller Produktionsarten bestätigt es. tOG Elsters Verdienst ist es, mit dieser Tendenz ein Charakteristikum der heutigen Geistesproduktion freigelegt zu haben, das von einer ideellen Betrachtungsweise gern zugedeckt wird.
9. Das Literatururhebergesetz von 1901 in der wissenschaftlichen Diskussion Auf der Grundlage des Gesetzes von 1870 haben Wissenschaft und Rechtsprechung urheberrechtliche Vervielfältigungs- und Verbreitungsrechte im Sinne von Ausschließungsrechten weiterentwickelt und das Recht auf öffentliche Aufführung gefördert. Das Urheberrecht wurde aus dem Bereich eines bloßen Nachdruck- und Nachbildungsschutzes gelöst und damit das Urheberpersönlichkeitsrecht in seinen Grundelementen gefestigt. t07 Derlei rechtliche Neubesinnung mündete in der Forderung nach einem Urhebergesetz, in dem die Mängel des Gesetzes von 1870 zu revidieren wären. Gestützt wurde dies Verlangen durch die Notwendigkeit, nach Erlaß des BGB das rechtliche Verhältnis zwischen Urheber und Verleger neu zu formulieren, da sich Befugnisse der Urheber und die Beziehungen, die beim Verlagsrecht durch Vertrag entstanden, dort niederschlugen. tOB Ferner mußten die intert05 Elster, Alexander, Das Persönlichkeitsrecht im geistes-gewerblichen Rechtsschutz, in: GRUR 1927, S. 431 ff. (432). 108 Zum Thema "Kunst als Ware" vgl. Haug, Wolfgang Fritz, Kritik der Warenästhetik, Frankfurt/M. 1972 mit weiteren Hinweisen; Benjamin, Walter, Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit, in: ders., Illuminationen, Frankfurt/M. 1961, S. 148 ff. 107 Vgl. v. Gamm, S. 46. 108 Vgl. Kuhlenbeck, S. 12.
1. Kap.: Das Urheberpersönlichkeitsrecht
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nationalen Einflüsse und Wechselwirkungen, besonders die Berner übereinkunft von 1886, angemessen berücksichtigt werden, bewirkten sie doch den stärkeren Schutz von übersetzungen, von Presseerzeugnissen und ausländischen Werken. Gegen eine etwaige Regelung des Urheberrechts in Einzelbefugnissen wurden ab 1901 vermehrte Bedenken erhoben. Das System der einzelnen Rechte sollte sich, je detaillierter es entwickelt worden war, um so geschlossener in einem einzigen umfassenden Recht äußern. Ein Konglomerat von Einzelbefugnissen reichte weder zum Schutz aller Autoreninteressen, noch konnte es Grundlage für systematische Erweiterungen sein: Die urheberrechtliche Nutzung technischer Erfindungen im Kommunikationswesen wurde so dem Urheber vorenthalten, wie das Beispiel des Rundfunks zeigen sollte.109 Trotz wissenschaftlicher Stellungnahmen und Entwürfe lehnte der Gesetzgeber ein umfassendes Urheberpersönlichkeitsrecht ab. Er glaubte, das persönliche Interesse des Verfassers an seinen Erzeugnissen hinreichend gesichert zu haben, da ohne dessen Zustimmung das Werk weder veröffentlicht, noch nach übertragung des Urheberrechts geändert werden durfte. Das Ergebnis aller Bemühungen um eine Neufassung war dürftig: In übereinstimmung mit dem dreißig Jahre alten Gesetz von 1870 normiert § 8 weiterhin die unbeschränkte Urheberrechtsübertragung auf Dritte: Der Verleger bleibt der Begünstigte. Wenn § 14 die ausschließlichen Rechte dem Urheber zuerkennt, so unter der Bedingung, daß nichts anderes vereinbart wird, einer Bedingung, deren Ausfüllung in der Praxis allein von Nutzen und Interesse war. Gleichzeitig weist sie darauf hin, daß das Urheberrecht der Substanz nach übertragbar war, obwohl man dies bisher weitgehend in Rechtsprechung und Literatur abgelehnt hatte. Noch der bald erschienene Kommentar von Ludwig Kuhlenbeck beharrt darauf, daß dem Urheber dann sein Recht neben dem des Verlegers verbleiben müsse, wenn rechtswidrige Verbreitung oder Vervielfältigung es verletzten. übertragbar sollte das Urheberrecht nur sein, sofern es nicht mehr Individualrecht, sondern davon gelöstes "geistiges Eigentum", verkehrs fähiges "Immaterialrecht" war.110 Das Gesetz verstand das Urheberrecht, wie Kuhlenbeck interpretierte, in begrenzt dinglichem Sinn als Verfügungsrnacht über das objektivierte Geisteswerk. Wissenschaft und Rechtsprechung handhabten das Gesetz auf ihre Weise, indem sie den von ihnen nunmehr umfassend vertretenen Grundsatz, jede mögliche Beeinträchtigung eines Werkes durch Dritte 109 110
Vgl. Grolmann, S. 28; KuhZenbeck, S. 13 f. Kuhlenbeck, erschienen in 1. Aufl. 1901, S. 99 f.
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I. Teil: Die geistig-gewerblichen Persönlichkeitsrechte
auszuschließen, in dessen Wortlaut wiederzufinden behaupteten. Dieser weitreichende Schutzanspruch konnte sich jedoch noch nicht auf flankierende Maßnahmen wie Unterlassungs- und Beseitigungsansprüche stützen, die es in der Folgezeit von Rechtsprechung und Literatur zu entwickeln galt. Unsicherheit erzeugte darüber hinaus das Nebeneinander vermögensrechtlicher und persönlichkeitsrechtlicher Argumente,111 Technische Fortschritte im Kommunikationswesen sowie die Kooperation auf bi- und multilateraler Ebene, ausgelöst durch Exportsteigerungen und engere vertragliche Beziehungen, förderten in den folgenden Jahren weitere Reformbestrebungen mit der Tendenz, das persönlichkeitsrechtliche Moment zu festigen, beispielsweise durch Verlängerung der Schutzfristen über 30 Jahre hinaus. Ein entsprechendes Gesetz erging am 22. Mai 1910; es regelte die Durchführung der revidierten Berner übereinkunft zum Schutz von Werken der Literatur und Kunst unter Berücksichtigung von Schallplatte und Film. Langfristig entschied sich so die Wissenschaft im Streit um Wortlaut und Sinn des Gesetzes zugunsten einer Stärkung der Urheberpersönlichkeit, die in ihrer Werk-Schöpfer-Beziehung geschützt werden sollte. l12 1929 endlich hielt Reichsgerichtsrat Georg Müller diese Ansicht für ganz und gar unbedenklich, selbst wenn es an eindeutigen Belegen dazu im Gesetz mangeln sollte. Die Zeiten "beredter Kasuistik" sollten vorbei sein: Die "Anwendung erkannter Grundwahrheiten darf nicht daran scheitern, daß im Gesetz nichts Genaues oder vielleicht gar nichts davon zu lesen steht" .113
10. Die Entwicklung des Urheberpersönlichkeitsrecb.ts nach 1927 Ende der 20er Jahre konnte Smoschewer feststellen, daß die Bemühungen um ein Urheberpersönlichkeitsrecht wieder auflebten. 114 Dies 111 S. Osterneth / Marwitz, S. 6 und die Erläuterungen zu dem Gesetz im einzelnen und Mitteis / Lieberich, Deutsches Privatrecht, München 51968, S.45. 112 A. A. ist z. B. Riezler, Urheberrecht, S. 81 f., er glaubt sich auf der Seite der damaligen Lehre; wie Kuhlenbeck die heutige Lehre, vgl. Osterrieth / Marwitz, S. 68. 113 Müller, Georg, Bemerkungen, S. 386. Für Voigtländer / Elster / Kleine (Die Gesetze, betreffend das Urheberrecht an Werken der Literatur und der Tonkunst sowie an Werken der bildenden Kunst und der Photographie, Kommentar, Berlin '1952, S. 73 f.) entsprach § 11 im Jahre 1952 methodisch nicht mehr dem Erkenntnisstand; "er enthält jedoch die notwendigen gesetzlichen Grundlagen, aus denen Wissenschaft und Rechtsprechung die Lehre entwickeln konnten, die den gegenwärtigen Auffassungen vom Schutz des Werkes und der darin schöpferischen Persönlichkeit ... gerecht werden." Die in § 11 geregelten persönlichkeitsrechtlichen Bestandteile und Nutzungsrechte "sind deshalb heute schon als Grundlage für die Rechtsfindung heranzuziehen, insbesondere was das Urheberpersönlichkeitsrecht anbetrifft."
1. Kap.: Das Urheberpersönlichkeitsrecht
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galt auch für den Streit um das allgemeine Persönlichkeitsrecht, der wegen der Rechtsprechung des Reichsgerichts lange Zeit geruht hatte; kaum ein Wissenschaftler, der sich mit dem Urheberpersönlichkeitsrecht auseinandersetzte, konnte das allgemeine Persönlichkeitsrecht unerwähnt lassen. ll5 Es avancierte gar zum "aktuellsten Rechtsbegriff" .116 a) Die Konferenz von Rom und ihre Folgen
Zu dem Prozeß um eine endgültige Anerkennung des Urheberpersönlichkeitsrechts seit Mitte der 20er Jahre trugen internationale Einflüsse wesentlich bei; so z. B. die Konferenz von Rom im Jahre 1928, die die Berner übereinkunft persönlichkeitsrechtlich revidieren sollte. Dort wurden zwar in Art. 6bis der RBü urheberrechtliche Teilbefugnisse normiert, ein allgemeines Persönlichkeitsrecht dagegen nicht einmal gefordert. Art. 6bis gestand dem Urheber zu, "überall dort, wo sein Werk wiedergegeben wird, als Urheber genannt zu werden, aber auch das Recht, daß sein Wille beachtet wird, wenn er überhaupt nicht oder mit fremdem Namen als Urheber bezeichnet werden Will 117 ." Hinzugefügt wurde das Recht auf Integrität des Werkes, d. h. ein Abwehrrecht gegen Eingriffe in die Substanz. Durch die Ratifizierung der revidierten Berner übereinkunft wurde diese Gesetz und mit ihr erstmalig ein Urhe berpersönlichkeitsrecht. 118 Diese Entwicklung eines besonderen Persönlichkeitsrechts im Urheberrecht förderte in mehrfacher Hinsicht nachhaltig die Diskussion um das allgemeine Persönlichkeitsrecht. Einmal war man sich nicht sicher, ob das Urheberpersönlichkeitsrecht auf eine Ausstrahlung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts zurückzuführen oder ein selbständiges, auch gedanklich unabhängiges Recht sei; zum anderen erhielten die überlegungen Auftrieb, die in der Anerkennung des Urheberpersönlichkeitsrechts eine Vorwegnahme des allgemeinen Persönlichkeitsrechts zu erkennen glaubten. Der Diskussionsstand als enger Zusammenhang von Urheberpersönlichkeitsrecht und allgemeinem Per114 Smoschewer, Fritz, Das Persönlichkeitsrecht im allgemeinen und im Urheberrecht, in: Ufita 3 (1930), S. 119 ff., 229 ff. und 349 ff., S. 115. 116 Hermann, Heinz, Das allgemeine Persönlichkeitsrecht. Diss. Rostock
1935, S. 13 und 18. llG Theegarten, Hermann Walter, Das Problem des allgemeinen Persönlichkeitsrechts, Diss. Köln 1934, S. 2 f. Wiethölter, Rudolf, sieht ebenfalls das
Verständnis des allgemeinen Persönlichkeitsrechts wesentlich urheberrechtlich geprägt, vgl. ders. in seinem grundlegenden Beitrag: Zur politischen Funktion des Rechts am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb, in: KJ 1970, S. 121 ff. (127). 117 Hoffmann, Willy, Die revidierte Berner Übereinkunft, S. 112. 118 Vgl. Becker-Bender, Walter, Das Urheberpersönlichkeitsrecht im musikalischen Urheberrecht, Heidelberg 1940, S. 75 f.
1. Teil: Die geistig-gewerblichen Persönlichkeitsrechte
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sönlichkeitsrecht manifestiert sich in einer Fragebogenaktion, die Bruno Marwitz, Alexander Elster und Willy Hoffmann bei interessierten und betroffenen Kreisen veranlaßten. Es ging darum, ob ein allgemeines Persönlichkeitsrecht oder lediglich ein spezielles im Rahmen der· Bestimmungen des Urheberrechts anzuerkennen sei. Die überwiegende Anzahl der Befragten stimmte für den letzten Vorschlag und lehnte ein weitreichendes allgemeines Persönlichkeitsrecht abu,; trotzdem läßt sich diese offiziöse Aktion als solche bereits im Sinne eines Fortschritts für das allgemeine Persönlichkeitsrecht, ausgehend vom Urheberrecht, verstehen. So hatte die Romkonferenz von 1928 den letzten Anlaß gegeben, das Urheberpersönlichkeitsrecht anzuerkennen, wie sich in dem sofortigen Niederschlag in der später zu erörternden Rechtsprechung zeigte. b) Ausstrahlungen des Begriffs "droit moral"
Unter dem Einfluß der Romkonferenz ist der Begriff des droit moral, der etwa dem des Urheberpersönlichkeitsrechts entspricht, auf deutsche Urheberrechtsverhältnisse übertragen worden. Seine Rezeption entfachte von neuem die öffentliche Diskussion, ob der Urheber durch ein von außen in das Gebiet des Urheberrechts eingreifendes allgemeines Persönlichkeitsrecht geschützt werden oder, wie gehabt, nach urheberrechtlichen Einzel- bzw. Grundsatzbestimmungen sein Recht erhalten sollte; ferner verhalf dieser Begriff dem Problem, ob das allgemeine Persönlichkeitsrecht den Güterschutz gewährleisten sollte, zu mehr Publizität, wie sich aus einer Anzahl von Schriften ablesen läßt. 120
Ufita 1929,2. Jg., S. 156 ff. Vgl. Müller, Arndt, Das "droit moral" in der europäischen Nachkriegsgesetzgebung, Diss. Leipzig 1930, mit weiteren Hinweisen. 119
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Zweites Kapitel
Die Rechtsprechung zum Urheberpersönlichkeitsrecht 1. Die Rechtsprechung vor 1900 (LUG von 1870) Die Rechtsprechung hat sich im wesentlichen in zwei Urteilen zum LUG von 1870 geäußert. Nach der ersten Entscheidung vom 1. Juli 18841 hatte der Verfasser eines Handbuchs dem beklagten Buchhändler (Verleger) das gesamte Verlagsrecht an seinem Werk übertragen. Nach seinem Tod ließ der Verleger ohne Zustimmung der Erben eine von dritter Seite bearbeitete Neuauflage erscheinen; dagegen erhoben die Erben Klage mit der Begründung, daß ohne ihre Zustimmung keine veränderte neue Auflage herausgegeben werden dürfe; außerdem verlangten sie das Honorar für diese Auflage. Das Reichsgericht prüfte, ob der Beklagte die veränderte Auflage aus dem Vertrag mit dem Verfasser ableiten konnte. Es distanzierte sich von der früheren Doktrin, wonach mit dem Tod des Schriftstellers lediglich das Vermögensrecht übergehe, nicht aber seine Individualrechte. Geist und Zweck des LUG, soweit sie aus der Entstehungsgeschichte entnommen werden konnten, sprächen vielmehr dafür, daß bei den Erben auch die geistigen Interessen fortlebten. Die Vorinstanzen hatten offensichtlich das vermögens rechtliche Problem des Honorars nicht von dem persönlichkeitsrechtlichen Aspekt geschieden, der auf die Erben übergegangen war. Auf diese Differenz berief sich aber das Reichsgericht: "Es entspricht vollkommen dem höheren Standpunkte, von welchem die neuere Doktrin und mit ihr das Reichsgesetz das sogenannte geistige Eigentum auffaßt, den Geisteswerken nicht lediglich, soweit sie Gewinn bringen, sondern auch soweit mit ihnen Ehre und Ansehen verbunden ist, einen über die Lebensdauer des Schriftstellers hinausreichenden Schutz zu verleihen, den Autor in den nächsten Generationen der Erben noch fortleben zu lassen,. ,I." Wenn das Reichsgericht von einem "höheren Standpunkte" sprach, erwog es, über materiellen Gewinn hinausgehend, persönlichkeitsrechtliche Schutzmaßnahmen. Eine Trennung persönlichkeitsrechtlicher 1 RGZ 12, 50 vom 1. Juli 1884. lEbda., S. 53.
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I. Teil: Die geistig-gewerblichen Persönlichkeitsrechte
und vermögensrechtlicher Momente gelang jedoch weder hier noch der späteren Reichsgerichtsrechtsprechung, wenn sie formuliert: "... dem persönlichkeitsrechtlichen Kerne des Urheberrechts wächst an, was etwa nach dem Vertragsabschluß an vermögensrechtlichen Urheberbefugnissen durch gesetzliche Neuschöpfung in der Person des Veräußerers entstehts." Die Metapher vom persönlichkeitsrechtlichen Kern und dem, was ihm anwächst, deutet zwar einen Fortschritt an, aber auch die Aporie, den Begriff Persönlichkeit und ein allgemeines Persönlichkeitsrecht genau zu bestimmen. Sie veranlaßte die Suche nach einer praktikablen Lösung des Interessenkonflikts in der Beantwortung der schlichten Frage, "welche Rücksicht oder welcher Zweck dabei im Vordergrunde steht und ausschlaggebend ist4." Nach der Entscheidung vom 10. Juli 18866 hatte der Kläger ein Werk herausgegeben, das der Beklagte mit einem geänderten Titelblatt ausgestattet und vertrieben hatte. Der Kläger wurde in der ersten Instanz abgewiesen. Das Reichsgericht nahm jedoch Nachdruck an, verurteilte den Beklagten und betonte in seiner Begründung den immateriellen Aspekt, "da sich das Interesse des Autors schlechterdings nicht in einem bloßen Vermögensgenusse erschöpft, das ideelle Interesse, sich eben nur so, wie er es beschlossen, kundzugeben, vielmehr durchaus im Vordergrunde steht'." Ausschlaggebend für das Reichsgericht war die unbedingte Wahrung des Autorrechts. 7 Selbst bei Verlust des Autorrechts oder Verzicht darauf sollte der persönlichkeitsrechtliche Schutz nicht entfallen, da die Substanz unverzichtbar beim Autor verbliebe.
2. Die Rechtsprechung bis 1908 (LUG von 1901) Bereits mit der Entscheidung vom 18. Mai 19048 setzte die Rechtsprechung des Reichsgerichts Akzente: Sie beurteilte den Anspruch 3 RGZ 123, 312 vom 16. Febr. 1929. 'Elster, Alexander, Das Urheberpersönlichkeitsrecht in der Rechtsprechung des Reichsgerichts, in: Reichsgerichtspraxis im deutschen Rechtsleben, Festgabe der juristischen Fakultäten zum 50jährigen Bestehen des Reichsgerichts, Bd. 4, S. 252 ff. (254). Elsters Zuversicht, dies könne für das Urheberrecht ohne genaue Abgrenzung des Persönlichkeitsrechts gelingen, stößt auf das Problem, das eine bestimmen zu wollen, wenn das andere noch unbestimmt ist, weil beides, sofern es miteinander vermittelt ist, sich nur über das jeweils andere als bestimmte Qualität definiert. Damit soll nicht behauptet werden, diese Bereiche seien überhaupt genau abgrenzbar. Bis heute reichen die Versuche, eine endgültige Definition der Persönlichkeit und des Persönlichkeitsrechts zu geben: Hubmann, Das Persönlichkeitsrecht, S.9. i RGZ 18, 10. lEbda., S. 18. 7 Ebda. 8 JW 1904, S. 391, Nr. 20.
2. Kap.: Die Rechtsprechung zum Urheberpersönlichkeitsrecht
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eines Schriftstellers gegen seinen Verleger, selbständige Äußerungen an dem diesem übertragenen Werk zu unterlassen, ausschließlich vermögensrechtlich. Vergeblich hatte der Autor in der Begründung seiner Ansprüche auf den schädigenden Einfluß dieser Eingriffe für sein künstlerisches Ansehen hingewiesen. Der Grund für eine Haltung, die von allen persönlichkeitsrechtlichen Ansätzen absah, ist schwer ersichtlich, zumal aus dem Sachverhalt ein unmittelbar vermögensrechtliches Interesse nicht erkennbar ist, eine Verletzung persönlichkeitsrechtlicher Urheberinteressen dagegen nahelag. Die Entscheidung hat in ihrer Einseitigkeit die weitere Rechtsprechung nicht beeinflussen können.' Ein wenig späteres Urteil des Reichsgerichts zum Gebrauchsmusterschutz nimmt den Entwicklungsstand differenzierter auf, auch wenn es der Sache nach im Sinne der vorher zitierten Entscheidung erkennt, "daß die Theorie, welche hier in noch nicht abgeschlossenem Umfange besondere Persönlichkeits- oder Individualitätsrechte konstruieren will, als Grundlage für die Auslegung des Gesetzes nicht geeignet" erscheint. lo Diese Abwehrhaltung kennzeichnet ein die Geschichte des Persönlichkeitsrechts bis heute bestimmendes Moment; ihr verdankt sich der bequeme Standpunkt, sich von der Rechtsentwicklung distanzieren zu können, ohne sich mit ihr auseinanderzusetzen. Diese Haltung ist widersinnig, verkehrt sie doch den gestaltenden Charakter der Rechtsprechung aus durchsichtigen Gründen in sein passiv-abwartendes Gegenteil. Man wertete das Persönlichkeitsrecht ohne weiteres als "konstruiert" ab, obwohl die Konstruktion neuer zunächst notwendig unfertiger Rechtsinstitute nach Inkrafttreten des BGB in großem Umfang erforderlich und durch Wissenschaft und Praxis auch bewältigt wurde. Eine weiterführende Entscheidung des Reichsgerichts zum Urheberrecht, die implizit auf die enge Verbindung mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht hinweist, stammt aus dem Jahre 1908. 11 Es ging um die Frage, ob ein Urheber Annoncen verbieten darf, die der Inhaber eines Lesezirkels einem Buch beilegt. Das OLG Dresden wie das Reichsgericht grenzten die gedruckten Exemplare eines Werkes, die mit Zustimmung des Urhebers in den Verkehr gebracht worden waren, aus dem Zuständigkeitsbereich des Autors aus. Sie erkannten ein außerhalb der Einzelbestimmungen des Urhebergesetzes geltendes Persönlichkeitsrecht nicht an. 12 Vgl. Marwitz / Möhring, S. 86. RGZ 58, 24 (29) vom 27. Febr. 1904. 11 RGZ 69, 242 vom 16. Sept. 1908. 12 Ebda., S. 243. D
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I. Teil: Die geistig-gewerblichen Persönlichkeitsrechte
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Diese Auffassung widerspricht nicht der Ausgestaltung persönlicher Rechte des Urhebers innerhalb des abgesteckten Rahmens. Das Reichsgericht anerkennt im Gegenteil das Interesse des Verfassers an der unveränderten Wiedergabe seines Werkes und gesteht ihm auch dann noch Rechtsschutz zu, wenn er das Urheberrecht selbst übertragen hatte. 1S Es äußert sich nicht klar zu dem Problem eines "Substanzvorbehalts" des Autors, setzt jedoch immanent die ausschließliche Verfügungsbefugnis des Urhebers über Bestand und Form des Werkes voraus wie auch das Recht, bei jedem rechtmäßig in den Verkehr gebrachten Werksexemplar nachträgliche Änderungen zu untersagen, obwohl mit seiner übergabe an den Verleger die ausschließliche Befugnis, das Werk zu verbreiten, erschöpft war. 14 Von einem Persönlichkeitsrecht ist hier freilich noch nicht die Rede. Ebenfalls aus dem Jahre 1908 stammt die grundlegende Entscheidung des Reichsgerichts zu den Nietzsche-Briefen. 15 In ihr lehnt das Gericht ein allgemeines subjektives Persönlichkeitsrecht ab; stattdessen anerkannt es "nur besondere, gesetzlich geregelte Persönlichkeitsrechte, wie das Namensrecht, das Warenzeichenrecht, das Recht am eigenen Bilde, die persönlichkeitsrechtlichen Bestandteile des Urheberrechts16 ." Abgesehen von der wenig gründlich ausformulierten Ablehnung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts, die den Auftakt zu einer unglücklichen "ständigen" Rechtsprechung bildete 11, sah sich das Reichsgericht immerhin veranlaßt, bei der Erörterung möglicher Verletzungen des Urheberrechts das Problem eines allgemeinen Persönlichkeitsrechts als Rechtsgrund für besondere Persönlichkeitsrechte einzubeziehen. Diese Fragestellung gründet zunächst auf dem Vorbringen der Klägerin, letztlich aber in persönlichkeitsschützenden Tendenzen der Zeit, wie sie herausgefordert wurden durch immer häufigere Eingriffe in die Persönlichkeitssphäre im Gefolge sprunghafter Entwicklung von Technik und Wirtschaftsleben. Daß Urheberrecht und allgemeines Persönlichkeitsrecht zusammenhängen könnten, wurde damit zwar erwogen, freilich vorerst erneut abgelehnt. Zudem beschränkte sich der Senat auf die Entwicklung lediglich der persönlichkeitsrechtlichen Bestandteile des Urheberrechts. RGZ 63, 394(397) vom 16. Juni 1906. Vgl. Smoschewer, S. 256. 15 RGZ 69,401 vom 7. Nov. 1908. 18 Ebda., S. 403. 17 Noch 1926 folgte das Reichsgericht unbesehen diesen Grundsätzen und lehnte ein allgemeines Persönlichkeitsrecht des Urhebers wie ein allgemeines Urheberrecht ab, da es dem deutschen Recht fremd sei; die Rechte des Urhebers erschöpften sich in Einzelbefugnissen, vgl. RGZ 113, 414 vom 12. Mai 13 14
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2. Kap.: Die Rechtsprechung zum Urheberpersönlichkeitsrecht
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Er stellte ausdrücklich fest, daß der urheberrechtliche Schutz von Briefen, auch von Vertrauensbriefen, keine anderen Voraussetzungen habe als der von anderen Schriftwerken.18 Der Einfluß eines neben dem Urheberrecht stehenden allgemeinen Persönlichkeitsrechts wird so kategorisch abgelehnt. Dennoch sind die Äußerungen des Reichsgerichts nicht ganz eindeutig, insofern sie die Frage offenlassen, ob mit den persönlichkeitsrechtlichen Bestandteilen des Urheberrechts nur einzelne Bestimmungen gemeint sind oder, weiterführend, grundlegende Leitgedanken und Beziehungen. Der Teil der Wissenschaft, der das Urteil kritisierte, folgerte, daß außerhalb des Urheberrechts ein Persönlichkeitsrecht mehr allgemeiner Natur bestehen müsse, wenn im Urheberrecht persönlichkeitsrechtliche Bestandteile behauptet würden. Insofern schien das Urteil sowohl geeignet, der Forderung auf Anerkennung eines allgemeinen Persönlichkeitsrechts Nachdruck zu verleihen, als auch dessen Ablehnung zu begründen.19
3. Die Rechtsprechung nach dem 1. Weltkrieg a) Strindberg-UrteiZ
Noch vor der wichtigen "Strindberg"-Entscheidung vom 23. April 1921 sprach das Reichsgericht von einem "urheberrechtlichen Persönlichkeitsrecht" , das der Kläger nach den Bestimmungen des Gesetzes, d. h; des LUG von 1901, nicht geltend machen könnte, "selbst wenn es neben den Bestimmungen des Spezial gesetzes anzuerkennen wäre 2o ." Im Strindberg-Urteil behaupteten die Erben Strindbergs, die Beklagte vertreibe widerrechtlich verschiedene von ihr besorgte Übersetzungen; sie beantragten, die gewerbsmäßige Vervielfältigung und Vertreibung dieser Werke zu untersagen, diese selbst zu vernichten und Schadensersatz.21 Dem wurde stattgegeben, gestützt auf § 9 LUG von 1901, der dem Erwerber des Urheberrechts das Recht verweigerte, Zusätze, Kürzungen oder sonstige Änderungen an dem Werke vorzunehmen. Nach Auffassung des Reichsgerichts bestätigt das Gesetz in dieser Bestimmung, daß "die ausschließliche Befugnis des Urhebers, über den Bestand und die Form des Werkes zu verfügen", selbstverständlich vorausgesetzt wird.22 18
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RGZ 69, 403. Vgl. dazu Elster, Das Persönlichkeitsrecht, S. 43 mit weit. Hinw. RGZ 82, 333 (337) vom 28. Mai 1913. RGZ 102, 134 ff. vom 23. Apri11921. Ebda., S. 141.
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1. Teil: Die geistig-gewerblichen Persönlichkeitsrechte
Seine Entscheidung begründet das Reichsgericht mit dem Urheberrecht als solchem.23 Damit übersteigt es erstmalig die engherzige Bindung an Einzelbefugnisse, um sich statt dessen auf inzwischen entwickelte Grundgedanken zu berufen. Diese Tendenz verstärkt es am 8. April 1925, wenn es von einem "Ausfluß der Persönlichkeit" spricht.24 b) Erstes Rundjunkurteil (Der Tor und der Tod)
Mehrfach bedeutsam ist die Entscheidung über die Senderechte an Hugo von HofmannsthaIs Einakter "Der Tor und der Tod"25. Sie destilliert die allgemeinen, persönlichkeitsschützenden Grundsätze des Urheberrechts heraus und spricht dem Urheber selbst nach Vertragsschluß entstandene neue technische Nutzungsmöglichkeiten zu. Die Beklagte hatte das Werk 1925 im Rundfunk ohne vorherige Erlaubnis Hugo v. HofmannsthaIs, des Klägers, ausgestrahlt. Auf seine Proteste hatte sie erwidert, die Rundfunkübertragung veröffentlichter Werke könne ohne Zustimmung des Urhebers erfolgen. HofmannsthaI fühlte sich in seinen Rechten verletzt und verlangte Schadensersatz. Seinem Klagantrag wurde in allen Instanzen entsprochen. Eingangs betont das Reichsgericht, der Anspruch könne nicht auf allgemeine Befugnisse nach Art eines umfassenden Persönlichkeits- oder Urheberrechts gegründet werden. Das Berufungsgericht hatte demnach zu Recht den Versuch zurückgewiesen, die Klage darauf zu stützen, da nach geltendem Recht kein derartiger allgemeiner Schutz bestehe. Das sei § 1 LUG zu entnehmen, der ausdrücklich Schutz nur nach Maßgabe dieses Gesetzes verleihe, d. h. nur insoweit, als die Befugnisse des Urhebers einzeln aufgeführt seien; der Entwurf dieses Gesetzes bestätige das negative Ergebnis; ein nennenswertes Bedürfnis nach einer allgemeinen ausschließlichen Befugnis des Urhebers über die Wiedergabe des Werkes bestehe in der Praxis nicht. 28 Das Reichsgericht prüfte deshalb allein die dem Urheber zustehenden Rechte auf Vervielfältigung und gewerbsmäßige Verbreitung und kam zu dem Ergebnis, bei extensiver Auslegung des § 11 könne man eine Rundfunksendung als Verbreitung ansehen. § 11 ist jedoch zugleich die allgemeinste Schutzbestimmung des Gesetzes. Dieser Bezug ließ einen Teil des Schrifttums annehmen, die allgemeine Grundlage des Urheberrechts habe die Entscheidung geleitet.27 Ebda., S. 141 f. u RGZ 110, 393 (397) vom 8. April 1925. !5 RGZ 113, 414 vom 12. Mai 1926. 18 Ebda., S. 415. !7 Elster, Das Urheberpersönlichkeitsrecht, S. 252 f. und 263. !3
2. Kap.: Die Rechtsprechung zum Urheberpersönlichkeitsrecht
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Die spätere Anerkennung eines Urheberpersönlichkeitsrechts im Urteil vom 26. Januar 1929 sollte diese Vermutung bestätigen.28 Auch nach der übertragung seiner Urheberrechte sollten nach dem Willen des Gerichts neue technische Nutzungsmöglichkeiten dem Autor zugutekommen: eine Ausweitung vermögensrechtlicher Motive bis zu ihrem Umschlag in die persönlichkeitsrechtliche Qualität der Urheberrechte. Die Frage hatte der Gesetzgeber bereits bei der Verabschiedung des Gesetzes von 1901 diskutiert. Aktuell wurde sie durch die Entwicklung von mechanischen Musikspielapparaten mit Rollen und gelochten Scheiben und später durch Film und Rundfunk. Da diese Erfindungen binnen kurzer Zeit in Großindustrien verwertet wurden, konnten sie etlichen Autoren neue Existenzmöglichkeiten bieten. Die sich überstürzende Entwicklung des Rundfunks verdeutlicht diesen Prozeß. Sie läßt sich ablesen an den sprunghaft steigenden Gebühren zahlender Hörer: bereits Ende 1924 500 000. Die Anzahl wuchs weiter, nach anscheinend bereinigter Statistik, über 1. Mil!. Ende 1925, 1,5 Mil!. Ende 1926, 2 Mil!. Ende 1927 auf 4,2 Mil!. Ende 1932; in der Bundesrepublik waren es 1953 11 Mill.29 Bereits 1888 und 189130 hatte sich das Reichsgericht in zwei Urteilen mit dem "Nachdruck" durch mechanische Musikspielapparate zu befassen. Es hatte sich damals im Sinne des Autorrechts gegen die ungehinderte industrielle Verwertung gewandt und sie als "Nachdruck" von Noten bezeichnet. Nach Ansicht des Gerichts liefen sowohl persönlichkeitsrechtliche wie vermögensrechtliche Interessen des Urhebers Gefahr, der neuartigen Technik teilweise geopfert zu werden, wobei ihm freilich der Schutz der vermögensrechtlichen Seite wegen der gewinnträchtigen wirtschaftlichen Nutzungsmöglichkeiten besonders am Herzen lag. Die schlechte klangliche Wiedergabe jener ersten Apparate berührte jedoch nicht minder die schützenswerten ideellen Autoreninteressen. In dem Urteil von 1891 bekräftigte das Reichsgericht den Grundsatzcharakter der ersten Entscheidung: "Die Wissenschaft, auch die wissenschaftliche Jurisprudenz, hält sich nicht an Äußerlichkeiten, sondern sie sucht das Wesen der Dinge zu ergründen. Hat das Gesetz die Feststellung des Begriffes der mechanischen Vervielfältigung, wie sie dem Nachdrucke zugrundeliegt, der Wissenschaft überlassen, so wird eine verständige Handhabung des Gesetzes derartige Formen der mechanischen Vervielfältigung, welche dem Zwecke, dem Wesen und der Natur der Sache nach der Vervielfältigung durch Drucklegung gleichstehen, auch in Bezug auf die Frage des Nachdruckes den Druckwerken gleichbehandeln ... Durch die Erfindung und Ausbildung dieser mechanischen Z8
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In: GRUR 1929, S. 509 f.
Haensel, earl, Leistungsschutz oder Normalvertrag, Hamburg 1954, S. 14. RGZ 22, 174 v. 19. Dez. 1888 und RGZ 27, 60 v. 31. Jan. 1891.
I. Teil: Die geistig-gewerblichen Persönlichkeitsrechte
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Vervielfältigung ist es erst möglich geworden, das geistige Eigentum zu sichern und verwertbar zu machen. Ist es diese Funktion des Mittels, wodurch das geistige Eigentum gangbar und umsetzbar gemacht wird, so stehen darin die Notenblätter der mechanischen Musikwerke den gedruckten Noten gleich, und deshalb sind sie ihnen auch für den Schutz des geistigen Eigentums und das Verbot des Nachdrucks gleichzustellen. Die Rechtsprechung ist zu dieser Gleichstellung befugt, auch wenn dem Gesetzgeber diese neue Form der Fixierung eines Musikwerkes und die neue Art ihrer mechanischen Vervielfältigung nicht bekannt war31." 1909 und 1911 sollte diese Rechtsprechung in zwei weiteren Entscheidungen vom Reichsgericht bestätigt werden. 32 Kritiker der Rechtsprechung des Reichsgerichts gehörten jener Fraktion an, die im allgemeinen Persönlichkeitsrecht eine Behinderung des freien Rechts- und Wirtschaftsverkehrs vermutete und daher die höchstrichterliche Gewichtung persönlichkeitsrechtlicher Momente mit Argwohn beobachtete, ließ sie doch eine Auswirkung auf den allgemeinen persönlichkeitsrechtlichen Gedanken befürchten. So galt ihre Ablehnung auch Interpreten des Reichsgerichts, wie etwa Smoschewer, der bündig und bestimmt die Ansicht vertrat, "daß der Schluß von diesem Urheberpersönlichkeitsrecht auf ein allgemeines Persönlichkeitsrecht" zwingend 33 , das besondere nichts anderes als eine Spielart des umfassenden sei, welches seinerseits damit verstärkt werde.34 c) Zweites Rundfunkurteil (Wilhelm Busch)
Ein zweites Rundfunkurteil des Reichsgerichts, in dem es um die Werke von Wilhelm Busch ging, wirkte ähnlich klärend wie die Entscheidung zu HofmannsthaIs "Der Tor und der Tod" .35 Die Parteien stritten um die Senderechte an verschiedenen Werken Wilhelm Buschs, welche den Klägern zu folge durch eine Rundfunkausstrahlung verletzt worden waren. Die Beklagte lehnte Entgeltansprüche der Kläger ab, da sie bereits an die "Gesellschaft für Senderechte GmbH" Vergütungen entrichtet habe, an der der Verlag Buschs als Mitglied beteiligt war; folglich stünden die Senderechte ihm zu. Die Kläger, Wilhelm Buschs Erben, bestritten die Berechtigung der Gesellschaft und machten eigene Ansprüche geltend. Der Erste Zivilsenat gab dem Antrag der Kläger statt. In seiner Begründung hebt er die Bedeutung des Rundfunks hervor, der das Nachrichtenwesen revolutioniert habe. Durch die unabsehbaren Wirkungs- und Nutzungsmöglichkeiten des neuen Me31 RGZ 27, 60 (65 f.), abweichend von Vorinstanzen und Gutachten des musikalischen Sachverständigenvereins Weimar. 32 RGZ 71, 127 v. 5. Mai 1909 und RGZ 77,8 v. 21. Juni 1911. 33
Smoschewer, S. 123.
Vgl. Giesecke, Hans, Die juristischen Probleme des Bildfunks, Berlin u. Leipzig 1932, S. 21. 3. nGZ 123, 312 v. 16. Febr. 1929. 34
2. Kap.: Die Rechtsprechung zum Urheberpersönlichkeitsrecht
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diums sieht er die "sachlichen Grundlagen und Voraussetzungen für Verträge, die der Mitteilung von Geisteswerken dienen, ... auf ungeahnte Weise dadurch verändert, ... 36" Das Gericht spricht daher dem Verlag Buschs "die unbeschränkten dinglichen Urheberrechte" zu und damit alle später erwachsenden wirtschaftlichen Befugnisse aus diesen Rechten. Der entscheidende Vorbehalt jedoch liegt in dem Hinweis, daß durch die umwälzenden Neuerungen der Technik inzwischen dem Autor ein völlig neues Wirkungsfeld erwachsen sei. Deshalb konnten, trotz uneingeschränkter Übertragung, die Urheberrechte nur in dem Umfang abgetreten werden, "der nach den damaligen Umständen als anerkannter, gesetzlich geschützter Inbegriff nutzbarer Befugnisse für den Verkehr in Betracht kam 37 ." Die Befugnisse in ihrer Gesamtheit bilden demnach eine teilbare Einheit, wie namentlich die §§ 12 und 14 LUG nahelegen. "Diese können dergestalt nebeneinander bestehen, daß einzelne veräußert werden, die anderen beim Urheber (oder dessen Erben) verbleiben. Wird ,das Urheberrecht' übertragen, so geht auf den Erwerber im Zweifel nur die Befugnis über, das Werk in der vom Verfasser gewählten Form auszunutzen; und auch in dieser Form nur soweit, als nicht bestimmte Benutzungsarten gesetzlich dem Urheber vorbehalten sind38 ." Dieses Urteil ist von der Wissenschaft zustimmend aufgenommen worden; selbst die Kritik, etwa die von Alexander Elster39 , richtete sich nur gegen einzelne Punkte dieses speziellen Falles. Das Reichsgericht führt weiter aus, daß das Urheberrecht, selbst wenn es ausdrücklich unbeschränkt überlassen wird, nicht restlos auf den Vertragspartner übergehen kann: "Der Urheber behält in jedem Fall ein unveräußerliches Persönlichkeitsrecht, das der Vertrag unberührt läßt, auch wenn der andere ,die unbe-
schränkten dinglichen Urheberrechte' und damit alle vermögensrechtlichen Bestandteile des urheberrechtlichen Befugniskreises erwirbt; ein Recht, das sich vornehmlich in der Abwehr gegen entstellende Veränderungen des Werkes (§ 9 LiturhG) zeigt, ... Dem persönlichkeitsrechtlichen Kern wächst an, was etwa nach dem Vertragsabschlusse an vermögensrechtlichen Urheber~ befugnissen durch gesetzliche Neuschöpfung in der Person des Veräußerers
entsteht. Gleiches gilt von jenen ihrer Art und wirtschaftlichen Wirkung nach völlig neuen Möglichkeiten der Ausnutzung, die (wie der Rundfunk) keine bloße Weiterbildung oder Abspaltung bisheriger Verwertungsarten sind40." 38
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Ebda., S. 316. Ebda., S. 318. Ebda., S. 319. Vgl. Elster, Das Urheberpersönlichkeitsrecht, S. 282 f. RGZ 123, 312 (320).
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I. Teil: Die geistig-gewerblichen Persönlichkeitsrechte
Das Gericht argumentiert ohne Not statt vermögensrechtlich ausdrücklich mit dem unveräußerlichen Persönlichkeitsrecht, welches damit endgültig, Schlußstein einer langen Entwicklung, gesichert ist. In der Kombination der drei wesentlichen Argumente, nämlich der Beteiligung des Urhebers an der wirtschaftlichen Nutzung seines Werkes, der unveräußerbaren rechtlichen Substanz, wie sie dem Urheber bleibt, und schließlich jener Rechtsfigur, die als droit moral vorbildlich wurde, schuf sich das Gericht die Basis für die Nutzungsrechte des Autors. 41 Mit dieser Urteilsbegründung scheint außerdem jene Wendung vollzogen, die das Reichsgericht seit seinen Anfängen eingeschlagen hat: Standen anfangs die vermögensrechtlichen Erwägungen im Mittelpunkt, so wurden nach und nach die ideellen Interessen einbezogen, bis diese schließlich ein solches Gewicht erhielten, daß, in Umkehrung des Ausgangspunkts, dem persönlichkeitsrechtlichen Kern vermögensrechtliche Befugnisse anwachsen sollten. So konsolidierten sich vermögensrechtliche Interessen für die Urheber zwar im Ergebnis nicht zufriedenstellend, wie die Praxis bis heute zeigt, aber wenigstens vorläufig rechtlich. Diese rechtliche Entwicklung stimmt nicht überein mit der der wirtschaftlichen Fakten; eine grundlegende Verbesserung der Autorenposition bleibt als Anspruch an die Zukunft bestehen. Trotzdem enthält sie wesentliche Denkanstöße zugunsten der Urheber, die mit Ausbau und Verwirklichung von Freiheitsrechten einhergingen; sie manifestierten sich nicht nur in den Verfassungen von 1815 bis 1919, sondern auch in der Entwicklung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts über seine Besonderungen. Wechselwirkung und gegenseitige Befruchtung kennzeichnen den Ausbildungsprozeß jener Rechte: Wie das allgemeine Persönlichkeitsrecht dem ständigen Verweis auf die den besonderen Persönlichkeitsrechten zugrunde liegenden allgemeinen Rechtsstrukturen und Grundgedanken sein Entstehen verdankt, so erhielt umgekehrt das Urheberpersönlichkeitsrecht durch jenes eine theoretische Stütze, die nicht allein zu seiner Anerkennung beitrug, sondern die es zum Kristallisationspunkt der Entscheidungen des Reichsgerichts werden ließ. Gelangte durch diese Entwicklungen auch weniger der einzelne Autor in den Genuß verbesserten Rechtsschutzes als der Unternehmer, d. h. hier der Verleger, so war damit der Rechtsprechung doch zumindest eine wegweisende Aufgabe zugefallen, die sie nach der RomKonferenz konsequent weiterverfolgt hat.
41 Vgl. Roeber, Georg, Die Urheberschaft am Film, Baden-Baden 1956, S.18.
2. Kap.: Die Rechtsprechung zum Urheberpersönlichkeitsrecht
59
4. Das Urheberpersönlichkeitsrerht als ständige Rerhtsprerhung Wie die späteren, so gründen auch viele gleichzeitige Urteile auf den dargelegten Einsichten und Ableitungsmustern. Nach der Reichsgerichts-Entscheidung vom 26. Januar 192942 hatte der beklagte Verleger gegen den Willen des Verfassers einen Neudruck von dessen Buch veranlaßt. Das Reichsgericht erkannte an, daß der Verleger dem Urheber nicht ausreichend Gelegenheit gegeben hatte, die ihm für eine Neuauflage nötig erscheinenden Änderungen vorzunehmen. Zum Vertragstext führte es aus, er bezwecke, "dem Verfasser sein Urheberpersönlichkeitsrecht in gewisser Richtung zu seinen Gunsten abzugrenzen und diese Grenze zu sichern. Es geht nicht an, es wiederum einzuschränken aufgrund einer Gesetzesvorschrift, bei der man in der Regel an unbedeutende Änderungen durch den Verleger zu denken hat ...'3." In dem Urteil vom 3. Juli 1929 erblickte das Reichsgericht den Zweck des § 13 VerlG darin, "das Persönlichkeitsrecht des Urhebers an seinem Werke zu schützen44 ." Eine spätere Entscheidung aus dem Jahre 1933 sprach von der Urheberehre, die mit dem Urheberpersönlichkeitsrecht gleichgesetzt wurde 45 , und von persönlichkeitsrechtlichen Belangen des Urhebers und Verlegers. 48 Ein letztes Beispiel datiert vom 18. März 1936.47 Ein Verleger hatte die übersetzung eines Buches bestellt und darin fehlerhafte Passagen ausgebessert, ohne § 13 VerlG zu berücksichtigen, der für Verleger dasselbe Veränderungsverbot enthält, wie es in § 1 LUG niedergelegt ist. Der erkennende Senat sprach ihm das Recht zur Veränderung ab, da das Persönlichkeitsrecht des Originalautors bzw. des übersetzers, aus dem der Verleger seine Rechte abgeleitet hatte, zu gering eingeschätzt worden war. Der Revision hielt das Reichsgericht vor, sie habe nicht ausreichend beachtet, "daß das Änderungsrecht als das Recht des Urhebers, über die äußere und innere Form seines Werkes zu bestimmen, Ausfluß des Urheberpersönlichkeitsrechts ... , also seinem Wesen nach von der Art des Werkes unabhängig ist'8." Smoschewer resümiert diese Entwicklung des Urheberpersönlichkeitsrechts und schließt treffend auf die Chance, die im Rückbezug dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht daraus erwachsen sollte: "Hat einmal das Reichsgericht auf dem Sondergebiete des Urheberrechts sich entschlossen, auf ,erkannte Grundwahrheiten' zurückzugreifen, von 4t
48
u 4S
41 47 4S
GRUR 1929, S. 509. Ebda., S. 512. RGZ 125, 174 v. 3. Juli 1929. RGZ 140, 264 (266) v. 26. April 1933. Ebda., S. 269 f. RGZ 151, 50 v. 28. März 1936. Ebda., S. 52.
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I. Teil: Die geistig-gewerblichen Persönlichkeits rechte
denen ,im Gesetz nichts genaues oder gar nichts zu lesen steht', so wird es bei diesem Sondergebiet nicht Halt machen können und früher oder später den gleichen Grundwahrheiten folgend, auch ein allgemeines, bürgerlichrechtliches Persönlichkeitsrecht anerkennen müssen"."
49 Smoschewer, S. 122; ähnlich Müller, Georg, Bemerkungen, S. 383: "Ist das Urheberpersönlichkeitsrecht Befugnis der Person an sich selbst, so liegt es nahe, ein allgemeines Persönlichkeitsrecht für folgerichtig zu halten."
Drittes Kapitel
Urheherpersönlichkeit im Nationalsozialismus 1. Ideologische Bestimmungen und ihre praktische Bedeutung für das Urheberpersönlichkeitsrecht Den gesamten Problemkreis, insbesondere die wechselseitige Weiterentwicklung vermögens- und persönlichkeitsrechtlicher Bestandteile, spannte der Nationalsozialismus in den Rahmen der Beziehung des einzelnen zur Volksgemeinschaft ein, ohne allerdings die allgemeinen persönlichkeitsrechtlichen Bezüge, wenn auch neu definiert, aus den Augen zu verlieren. Die Allgemeinheit, so wurde 'verfügt, hätte Interesse daran, geistiges Schaffen zu fördern und deswegen dem Urheber umfassende Rechte zuzubilligen. Durch möglichst effiziente Verbreitungsmechanismen suchte man, "die Grundlage geistigen Zusammenwirkens in der Volksgesamtheit" herzustellen. 1 "Literarisches und künstlerisches Schaffen ist deshalb keine bloße Privatangelegenheit des Schöpfers. Aufgabe des Urheberrechts ist es nun, diese scheinbar widerstrebenden Interessen des Einzelnen an der Auswertung seines Werkes und der Volksgemeinschaft an der Veröffentlichung desselben auszugleichen2 ." Der nationalsozialistischen Variante des Urheberrechts war es demnach darum zu tun, die Wertigkeiten und ihre Prioritäten unter diesen schutzwürdigen Gütern zu klären. Einerseits befürchtete man, und hier griff man bezeichnenderweise das allgemeine Persönlichkeitsrecht an, daß ein Urheberpersönlichkeitsrecht im Sinne eines allgemeinen Persönlichkeitsrechts das Gleichgewicht durch zu starke Autorrechte stören könnte. Deshalb wollte man sich mit den "urheberrechtlichen Ansprüchen persönlichkeitsrechtlicher Natur" (§§ 9, 12 LUG) begnügen und sie vom Persönlichkeitsrecht scheiden. Die Bedenken mündeten in eine Strömung gegen das Persönlichkeitsrecht überhaupt. Eine grundsätzliche Anerkennung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts würde möglicherweise auch unerwünschten Autoren Schutz gewähren, ohne daß dem durch eindeutige künstlerische Wertbegriffe Einhalt geboten werden könnte. 3 Andererseits berief man sich auf das "Führerwort" , "daß 1 2
Hoffmann, Willy, Ein deutsches Urheberrechtsgesetz, Berlin 1933, Sprenkmann, Wolfgang, Zum Filmurheberrecht, Heidelberg 1936,
S. 23. S. 54.
62
1. Teil: Die geistig-gewerblichen Persönlichkeitsrechte
für die Menschheit der Segen nie in der Masse lag, sondern in ihren schöpferischen Köpfen ruhte, die daher in Wirklichkeit als die Wohltäter des Menschengeschlechts anzusprechen sind4 ." Demnach wäre der Schutz des Urhebers zu den "wesentlichen Grundsätzen des nationalsozialistischen Rechtslebens und Rechtsdenkens zu zählen,"5 die Rechte des Individuums denen der Massenbedürfnisse mithin vorrangig zu werten. Diese Widersprüche führten dazu, die Einzelpersönlichkeit zwar grundsätzlich zugunsten der Volksgesamtheit zurückzustellen, gleichzeitig aber ihren Schutz als umfassend zu proklamieren. So verbot auf der einen Seite der Anspruch der Allgemeinheit, die Unvollständigkeit des überkommenen Urheberrechts durch die Festlegung weiterer Schutzbereiche zu beheben. Das Angewiesensein auf die schöpferische Leistung des Individuums blockierte auf der anderen Seite den revolutionären Ausbau des gemeinen Nutzens. Die Vorschläge des Ausschusses zur Neugestaltung des deutschen Urheberrechts von 1939 liefen so auf das inhaltslose Programm hinaus, den Schutz des Urhebers auf das Werk als "eigenpersönliche Prägung" zu beschränken, um nicht an "bewährten Grundsätzen zu rütteln". Eine echte Veränderung war ausgeschlossen. Die Rechtslage blieb trotz ihrer Einbindung in eine gewandelte politisch-soziale Wirklichkeit die alte, d. h. umstritten, immerhin jetzt geprägt vom Spannungsverhältnis zwischen Urheber und Allgemeinheit. Obwohl die ungeklärte Situation gerade im wirtschaftlichen Nutzungsbereich als besonders störend empfunden wurde, blieb es im wesentlichen bei geringfügigen Veränderungen zu Lasten des allgemeinen Persönlichkeitsrechts, und natürlich wurde die Terminologie umgestellt. Daß die Ereignisse im politischen Leben das langsame Voranschreiten der Juristen sehr bald überholt hatten, bedarf keiner Erwähnung. Welch halbherzige Entscheidungen das Dilemma zwischen Erfordernissen des Marktes und staatlich geförderter Ideologie bewirkt hat, läßt sich an der Zuteilung wirtschaftlicher Nutzungsrechte anschaulich belegen: Mußte es der staatlichen Kulturpolitik darum zu tun sein, Urheber und deren Produkte abhängig von ihren Werturteilen zu halten, d. h. ihnen gerade nicht die relative Unabhängigkeit eines seiner Theorie nach freien Marktes zu gewähren, so sah sie sich dennoch gezwungen, dem Urheber das ausschließliche Verwertungsrecht zuzusprechen, 3 Sprenkmann, S. 54 f.; anschließend vermerkt derselbe Autor, die wenigen gesetzlichen Bestimmungen in den Verträgen würden durch Vereinbarung zugunsten der Verleger z. T. praktisch ganz ausgeschaltet. • HitZer, Adolf, Mein Kampf, München 1939, 139. - 140. Tausend, S. 497; vgl. z. B. Die Neugestaltung des deutschen Urheberrechts, in: Arbeitsberichte der Akademie für deutsches Recht, Berlin u. München 1939, S. 34. 5 Die Neugestaltung, ebda.
3. Kap.: Urheberpersönlichkeit im Nationalsozialismus
63
da er wegen seiner engen Beziehungen zum Werk dieses am besten in seiner Integrität schützen konnte, und nicht durch wirtschaftliche Nutzung anderer um seinen "gerechten Lohn" gebracht werden sollte. Obwohl der ständige Legitimationsdruck gebot, das Recht der Allgemeinheit als den Rechten des Individuums absolut vorrangig zu postulieren6 , blieben dem Urheber letztlich persönlichkeits- und vermögensrechtlicher Schutz gleichermaßen erhalten, wenn auch begründet mit veränderter Phraseologie: "Der Schutz der schöpferischen Persönlichkeit wird dann am besten sichergestellt, wenn das ihr eingeräumte Recht nicht lediglich als ein durch das logische Rechtsdenken begründetes Prinzip des privaten Herrschaftsverhältnisses erscheint, sondern aus der Fülle der Wechselbeziehungen erfaßt ist, die sich zwischen dem Urheber, seinem Werk und der Volksgemeinschaft, deren Kulturgut dieses Werk sein soll, ergeben7 ." Die geplanten Reformen eines nationalsozialistischen Urheberrechts stellten sich demnach im Grunde un-nationalsozialistisch dar, da sie sich ausschließlich auf Entwürfe und Reformvorhaben stützten, die schon lange vorher diskutiert worden waren: 1. Zusammenfassung sämtlicher urheberrechtlichen Materien in einem
Gesetz.
2. Berücksichtigung der bisher im wesentlichen von der Rechtsprechung einbezogenen technischen Entwicklung. 3. Verarbeitung der Ergebnisse der Rom-Konferenz, welche die Rechtsprechung bereits berücksichtigt hatte. 4. Schutz der eigenpersönlichen Beziehung des Urhebers zu seinem Werk, was die Rechtsprechung ebenfalls schon verwirklicht hatte. Gemeinfreien Werken sollte zusätzlicher Schutz gegen "verschandelnde" Bearbeitungen zukommen. Dieser Gedanke war schon lange erörtert worden. 8 Der enge Zusammenhang zwischen Persönlichkeitsund Gemeinschaftsrecht legte nahe, den Bearbeitungsschutz als nationalsozialistisch in Anspruch zu nehmen, verlangte doch die Volksgemeinschaft "Heilighaltung der großen arteigenen Persönlichkeit".9 Das Urheberpersönlichkeitsrecht sollte zu diesem Zweck als weiter Schutzmantel die Reinerhaltung des Werkes gewährleisten, die Verwaltung • Die Neugestaltung, S. 37. 7 Die Neugestaltung, S. 38; vgl. dazu Hubmann, Das Recht des schöpferischen Geistes, S. 90 f. 8 Vgl. Elster, Der Schutz des Urhebers gegen Verschandelung seiner Werke außerhalb des gewöhnlichen Urheberschutzes, in: GRUR 1928, S. 34 ff. e Vgl. Voigtländer / Elster, Die Gesetze betreffend das Urheberrecht an Werken der Literatur und der Tonkunst sowie an Werken der bildenden Kunst und der Photographie, Kommentar, Berlin 31939, S. 91, im Unterschied zu Voigtländer / Elster / Kleine, Berlin 41952, S. 68 f.
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I. Teil: Die geistig-gewerblichen Persönlichkeits rechte
des Rechts dem Staat oder den Nachkommen obliegen.t° Rigorosere Vorschläge übertrugen den Gedanken vom Gemeinschaftsrecht als Gemeinschaftspflichtigkeit auf zeitgenössische Werke: Die Verantwortung des einzelnen gegenüber der Volksgemeinschaft sollte bei bedeutenden Werken auf ihn als Zwang zur Veröffentlichung zurückwirken; nicht genehmigte Veröffentlichungen im Ausland sollten verboten werden. Bei geistigen Produkten staatsfeindlichen oder unsittlichen Inhalts würden die Befugnisse der Polizei ausreichen. l l Die persönlichen Belange des Urhebers, manifestiert im Urheberpersönlichkeitsrecht, sollten gegenüber dem Schutz des Werkes in den Hintergrund treten, dessen Betreuung in der Rangfolge nach dem Urheber die Reichskulturkammer am besten zu übernehmen geeignet schien. Daß diese sogar partiell die Rechtsnachfolge antreten sollte, zeigt etwa folgender Satz: "Im übrigen muß das Erbrecht eingeschränkt werden. Andernfalls züchtet der Staat ein Geschlecht von Nichtstuern heran ...12." Gemeinsam zielten diese Maßnahmen gegen "kulturfeindlichen Individualismus", juristisch also auf Aushöhlung eines umfassenden Urheberpersönlichkeitsrechts. Zwar wurde das nicht verwirklicht, doch hat man 1938 mit Genugtuung, wenn auch irrtümlich, vermerkt, daß die Interessen der Volksgemeinschaft voll und ganz anerkannt würden, der Gedanke des allgemeinen Persönlichkeitsrechts dagegen auf dem Gebiete des Urheberrechts in Vergessenheit geraten sei.13 Zumindest galt dies für seine ursprüngliche, daher von einem Teil der nationalsozialistischen Autoren verurteilte Gestalt, der man zu viel "liberalistischindividualistisches Gedankengut" vorwarf. In Gierkes, Walter Schönfelds und Franz Arthur Müllereiserts Sinn der Sozialpflichtigkeit des einzelnen konnte man ihn hingegen wieder erstarken lassen, ohne ideologische Abstriche befürchten zu müssen. 14
2. Die Rechtsprecl1ung als Anwalt der Volksinteressen Läßt sich heute feststellen, daß das nationalsozialistische Gedankengut für die Entwicklung des Persönlichkeitsrechts von geringfügiger Bedeutung war, soweit es sich überhaupt im positiven Recht niedergeschlagen hat1 5 , so hat es doch die Rechtsprechung seiner eigenen Zeit prägen können. Zwei abschließende Urteile des Reichsgerichts belegen 10
Voigtländer / Elster.
n Vgl. Bull, S. 378 f. 12 Bull, S. 381. 13 Vgl. Willmund, S. 52; Elster, Die Rechtspersönlichkeit des Urhebers und ihr Recht in der Volksgemeinschaft, in: GRUR 1940, S. 404 f. 14 Vgl. z. B. Gierke, Privatrecht, S. 767. 15 Vgl. Dietz, Adolf, Das Droit Moral des Urhebers im neuen französischen und deutschen Urheberrecht, München 1968, S. 19.
3. Kap.: Urheberpersönlichkeit im Nationalsozialismus
65
dies. Die erste Entscheidung ist weniger nationalsozialistisch als von dem Gedanken der Sozialpflichtigkeit des Urhebers bestimmt. Im April 1933 hatte sich der I. Zivilsenat mit der Abgrenzung von Urheber- gegenüber Verlagsrechten zu befassen. l6 Der Verfasser eines banktechnischen Leitfadens hatte nach mehreren Auflagen seines Werkes in einem Verlag den Vertrag mit diesem 1922 für die achte und alle folgenden Auflagen verlängert; die Bedingungen sollten für die Zukunft gleich bleiben. Unter anderem verpflichtete sich der Kläger dem beklagten Verlag gegenüber, nach Aufforderung binnen sechs Monaten jeweils eine vollständige druckfertige Handschrift vorzulegen. 1931 machte der Kläger geltend, der Verlagsvertrag sei wegen Verstoßes gegen die guten Sitten nichtig, da er übermäßig gebunden werde. Die Klage wurde in allen Instanzen abgewiesen; alle verneinten eine Knebelung des Klägers durch den Vertrag. Weder die persönliche Freiheit sei in unwürdiger Weise eingeschränkt, noch werde seine Urheberehre, damit sein Urheberpersönlichkeitsrecht, gekränkt. Nach den Verkehrsanschauungen müßten die vermögens- und persönlichkeitsrechtlichen Belange des Autors zwar geprüft werden, aber "das Bedürfnis des Verkehrs, ganz abgesehen von den eigenen geschäftlichen Wünschen des Verlags, erhebe auf dem Büchermarkt Ansprüche auf weitere Benutzung. Durch den Verleger als Mittler der Nachfragenden tritt deren Begehr an den Urheber heran, als sei er der Gemeinschaft durch das einmal geschaffene Werk verpflichtet. In diesen Erscheinungen des Verkehrslebens äußert sich der auf das Urheberrecht angewandte Gedanke der ,sozialgebundenen Befugnis'. Wie er für das Sacheigentum anerkannt ist, muß er auch für das Recht an Geisteswerken, unbeschadet des Persönlichkeits rechts ihres Schöpfers, berücksichtigt werden17." In dieser Deutlichkeit hatte die Rechtsprechung den Vorrang der Gemeinschaft vor dem Persönlichkeitsrecht des Urhebers noch nicht verfügt; vor allem verwundert das Hervorheben der Verlegerinteressen, da das Urheberpersönlichkeitsrecht in erster Linie neben ideellen Gesichtspunkten der Eingrenzung verlegerischer Ausnutzung dienen sollte. Der berechtigte Gedanke der Sozialgebundenheit des Eigentums wird hier zu Lasten einer nicht gerade begünstigten Gruppe im Übermaß strapaziert und damit in sein Gegenteil verkehrt. Bekannter wurde ein Streit um das Horst-Wessel-Lied, den das Reichsgericht 1936 entschied. l8 Die Beklagte hatte "in ihrem Verlag eine Klavierbegleitung (ohne Text) der Melodie hergestellt und ver18 17 18
RGZ 140, 264 v. 26. April 1933. Ebda., S. 270. RGZ 153, 71 v. 2. Dez. 1936.
5 Simon
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I. Teil: Die geistig-gewerblichen Persönlichkeitsrechte
trieben, nach der das allgemein als ,Horst-Wessel-Lied' bezeichnete Gedicht ,Die Fahne hoch' gesungen wird." Der Kläger, ein Verlag, hatte in Wahrnehmung der Urheberrechte an der Melodie beantragt, der Beklagten die Vervielfältigung der bearbeiteten Melodie zu verbieten. Er forderte für sich das Recht, durch Vertrag mit den Erben Horst WesseIs der Verleger für die gesamte musikalische Verwertung des Liedes geworden zu sein. WesseI seinerseits habe ältere Liedweisen umgestaltet, d. h. schöpferisch verändert. Die Beklagte beanspruchte für sich, das alte Volkslied unter neuer Bezeichnung zu verbreiten. Das Landgericht hatte die Klage abgewiesen, das OLG die Berufung des Klägers zurückgewiesen, da die Melodie, die aus alten Weisen zusammengesetzt war, keine schutzfähige Leistung darstelle. Das Reichsgericht hob auf und verwies (zurück. Durch eine genaue vergleichende Gegenüberstellung mit den älteren Melodien hatte das OLG festgestellt, daß das Horst-Wessel-Lied keine selbständige neue Weise und somit auch kein Werk der Tonkunst sei. Das Reichsgericht konzedierte das, stellte aber auf die eigenständige Leistung einer Bearbeitung ab, welche der Vergleich der neuen Singweise mit den älteren Melodien erkennen lasse. Die ausschlaggebende Begründung lieferte der unterschiedliche Gesamteindruck, der das Horst-Wessel-Lied als enthusiastisches Kampflied ganz wesentlich von seinen balladenartigen Vorbildern unterscheide: "Auch diese Wirkung auf das Volk im großen, der Widerhall, den die Tonschöpfung findet, die Stimmung, die sie erzeugt, dürfen bei der Messung des urheberrechtlichen Gewichts nicht unbeachtet bleiben19 ." Die urheberrechtliche Frage, ob ältere Persönlichkeits- und Vermögensrechte zugunsten plagiierender Bearbeitungen eingeschränkt werden dürfen, löste das Gericht nicht etwa mit dem Herausarbeiten von Kriterien für eine Bearbeitung; stattdessen stellt es auf die Massenwirksamkeit ab, welche die Neufassung des Liedes ihren Vorläufern voraushabe, ein sachfremdes Argument, da ihre Qualität als agitatorisches Instrument der Neufassung den Charakter einer Bearbeitung und den damit verbundenen rechtlichen Schutz sichern mußte. Die hier vom Gericht eröffnete Möglichkeit, aus politischen Motiven freie Melodien urheberrechtlich zu binden, offenbart die generelle Tendenz jener Zeit, "ererbte" Rechtsgrundsätze zu übernehmen und zugleich zu verkehren. Die Entscheidung des Reichsgerichts erhellt deutlich das Bemühen der Rechtsprechung, völkische Momente ("Wirkung auf das Volk im großen") stärker zu berücksichtigen, um Rechtsprobleme aller Art politischem Einwirken unterzuordnen.20 Wenn trotz IG 20
Ebda., S. 77. Zur Kritik an diesem Urteil s. Hubmann, Urheberrecht, S. 106; Voigt-
3. Kap.: Urheberpersönlichkeit im Nationalsozialismus
67
dieser Urteile und trotz der voreiligen Grabrede einiger Wissenschaftler auf das allgemeine Persönlichkeitsrecht und seine Erscheinungsformen im Urheberrecht für dieselbe Zeit die Feststellung getroffen werden konnte, daß die Weiterentwicklung des Urheberrechts dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht zu neuer Qualität verholfen habe, so stimmt dies zwar einerseits mit einer Grundthese dieser Arbeit überein. 21 Andererseits bedarf eine solche Aussage der Differenzierung: Von einer Neubelebung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts kann nur unter dem Vorbehalt die Rede sein, daß es eine neue Qualität zugesprochen bekam, eine kontinuierliche Entwicklung im vorhergehenden und heutigen Sinn davon also nicht profitiert fiat. Die entschiedene Einbindung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts in den Gedanken der Sozialpflichtigkeit hat ihm zwar eine neue, grundsätzlich bereichernde Dimension eröffnet, diese aber durch den völkischen Kontext diskreditiert. Ferner beschränkten sich diese Impulse lediglich auf den Bereich theoretischer Erörterungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts; ihre Umsetzung in die richterliche Praxis blieb ihnen bis nach dem Zweiten Weltkrieg verwehrt.
länder / Elster / Kleine, '1952, S. 40: "diese Entscheidung widerspricht sich aus durchsichtigen Gründen, wenn sie trotzdem ein Urheberrecht Horst Wesseis an der bekannten Melodie des Horst-Wessel-Liedes, die von der Sachverständigenkammer als alte Volksliedmelodie festgestellt worden ist, bejaht." !1 Vgl. Kirchhof, Karl-Heinz, Das allgemeine Persönlichkeits recht, Diss. Göttingen 1938, S. 9.
so
Viertes Kapitel
Der Schutz des Urhebers in der bildenden Kunst 1. Die Entwicldung der Kunsturhebergesetze und ihres persönlicbkeitsrechtlichen Gehalts Im Kunsturheberrecht hat sich eine ähnliche Entwicklung durchgesetzt wie in dem eng verwandten Literatururheberrecht. In den Entwurf zum Urheberrechtsgesetz vom 11. Juni 1870 hatte der Gesetzgeber ursprünglich den Kunst- und Photographieschutz einbezogen. Während man von letzterem sehr bald absah, da man der Photographie die Kriterien eines Kunstwerks nicht zuordnen konnte, hätten die §§ 59 bis 67 den Kunstschutz regeln sollen; über den Schutz der Kunstindustrie traten jedoch vor der zweiten Lesung erhebliche Meinungsverschiedenheiten auf, da man das Kunstgewerbe vernachlässigt glaubte. 1 Dies hatte zur Folge, daß man in der zweiten Lesung den ganzen Komplex aussonderte; erst im Mai 1875 veranstaltete die Reichsregierung eine Enquete bei Sachverständigen aus Künstler- und Industriekreisen, deren Ergebnisse neben anderen Vorarbeiten in einen Entwurf eingingen, der im Herbst 1875 an den Reichstag übermittelt wurde und schließlich zum Gesetz vom 9. Januar 1876 betreffend das Urheberrecht an Werken der bildenden Künste führte.2 In ihm fehlte, wie sich als besonders gravierender Mangel herausstellte, hinreichender Schutz für Bauwerke, die künstlerische Ziele anstrebten, und für kunstgewerbliche Erzeugnisse und ihre Entwürfe; jedes Werk konnte nachgebildet werden, wenn man es von einer Darstellungsweise in eine andere überführte. Es wurde als "vielfach verfehlte und übereilte Arbeit" abgelehnt. 3 Dazu trug die unzureichende Regelung des Photographieschutzes bei.' So wurden bald Stimmen laut, die Verbesserungen forderten; sie sollten schließlich zu dem neuen KUG vom 9. Januar 1907 führen. 1 Vgl. Wächter, Oscar, Das Urheberrecht an Werken der bildenden Künste, Photographien und gewerblichen Mustern, Stuttgart 1877, S. 13 ff. 2 Vgl. dazu Osterrieth / Marwitz, Das Urheberrecht, S. 3 f.; Zur Entwicklung vor 1870: Riezler, Urheberrecht, S. 400 f.; Hütten, Bruno, Das Bauwerks recht, Marburg 1912, S. 9 f.; Diess, Zur Frage des Persönlichkeits rechts im Kunstschutzrecht, in: GRUR 1929, S. 436 ff. 3 Kohler, Josef, Kunstwerkrecht, Stuttgart 1908, S. 16. , Kohler, S. 17.
4. Kap.: Der Schutz des Urhebers in der bildenden Kunst
69
Die Begründung zu dem neuen Kunstschutzgesetz von 1907 ist bemerkenswert; sie schickt voraus, daß "die Vorschriften des allgemeinen Rechtes dem Künstler ausreichenden Schutz gewähren, namentlich dann, wenn mit der Bekanntgabe des veränderten Werkes eine Verletzung der künstlerischen Ehre des Urhebers oder die Gefahr einer Täuschung des Publikums verbunden istfi ." Das KUG weist gleichermaßen persönlichkeitsrechtliche wie vermögensrechtliche Aspekte auf, die freilich weder durchgängig im Sinne eines einheitlichen Rechts einander zugeordnet sind, noch als zwei selbständige Rechte getrennt behandelt werden.' Wie beim LUG hat der Gesetzgeber das Problem, beide Bereiche regeln zu wollen, ohne sie doch, wie anfangs die Wissenschaft unter dualistischem Diktat postulierte, wenn auch selbst nicht einlösen konnte, trennen oder zumindest scharf abgrenzen zu können. Insgesamt läßt sich ein langsames Vordringen persönlichkeitsrechtlicher Gedanken, wenn auch mit jeweils unterschiedlicher Gewichtung, konstatieren.7 Hinweise in den Begründungen der Entwürfe, ebenso die Rechtsprechung, lassen unschwer erkennen, in welchem Maße selbst die unterschiedlichen Theorien dazu beigetragen haben, das persönlichkeitsrechtliche Element durch Bezüge auf ein allgemeines Persönlichkeitsrecht oder aber auf seine speziellen Ausprägungen zu fördern; ein einhelliges Bekenntnis des Gesetzgebers läßt sich freilich daraus nicht entnehmen. Eine Gesamtwürdigung des Gesetzes von 1907 muß feststellen, daß das Urheberpersönlichkeitsrecht dürftig bedacht wurde. 8 Seine Qualität ließ sich hingegen gemäß dem jeweiligen Stand der Wissenschaft und in Anlehnung an die wachsende persönlichkeitsrechtliche Ausrichtung unterschiedlich interpretieren und auf die Praxis anwenden. Beispiel dafür ist § 12 KUG, der das Urheberpersönlichkeitsrecht besonders schützte, indem er dem Urheber die ausschließliche Befugnis über Bestand und Form des Werks zusprach. 9 Die bald grundlegend geänderte Sicht dieses Paragraphen, die auf dem Auffassungswandel von Vermögens- und Persönlichkeitsrecht zwischen ca. 1910 und 1927/28 beruht, drückt sich in den unterschiedlichen Stellungnahmen von Osterrieth / Marwitz aus; in der ersten Auflage ihres "Urheberrechts" be5 Begründung zum Entwurf des KUG von 1907, § 12. , Vgl. Hütten, S. 6. 7 Vgl. z. B. §§ 14, 15 KUG, die bereits persönlichkeits rechtliche Aspekte hervorheben. 8 Derselben Auffassung Müller, Georg, Bemerkungen, S. 382. • Vgl. Osterneth / Marwitz, S. 92, mit Teilen der Begründung zu dem Gesetz.
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1. Teil: Die geistig-gewerblichen Persönlichkeitsrechte
zeichneten sie das aus § 12 KUG fließende Recht als Vermögensrecht, in der zweiten Auflage als Persönlichkeitsrecht.10
2. Der Beitrag der Rechtsprechung Zu dieser Wende hat die Rechtsprechung des Reichsgerichts beigetragen; ähnlich wie beim LUG von 1901 verfuhr sie ausgleichend und vermittelnd, behob Mängel und Lücken des Gesetzes, um ideellen wie materiellen Bedürfnissen der Zeit annähernd gerecht zu werden. a) Das Sirenen(Fresken-)urteil
Das "Sirenenurteil" von 1912 gilt als Meilenstein der Entwicklung zum Urheberpersönlichkeitsrecht. 11 Der Entscheidung des I. Zivilsenats lag folgender Sachverhalt zugrunde: Die Beklagte war Eigentümerin eines Hauses, in dessen Treppenflur der Kläger auf Bestellung der Beklagten das Fresko "Felseneiland mit Sirenen" gemalt hatte. Die Eigentümerin ließ das Bild später ohne Zustimmung des Klägers so übermalen, daß die anfangs nackten Sirenen bekleidet wurden. Der Künstler erhob Klage, die Beklagte sei zu verurteilen, das Bild aus dem "öffentlichen Anblick" zu entfernen. Nachdem die Beklagte das Signum des Klägers beseitigt und den übermalten Teil verhängt hatte, erweiterte der Kläger seinen Antrag dahin, die Übermalung sei zu entfernen. Der Kläger stützte sich auf sein Persönlichkeitsrecht, die Beklagte auf ihr Eigentumsrecht. Wie das Kammergericht gab auch das Reichsgericht dem Antrag des Klägers statt. Es verweist auf seine Entscheidung vom 7. November 190812 , in der dargelegt worden war, daß, selbst wenn das geltende Recht ein allgemeines subjektives Persönlichkeitsrecht nicht vorsehe, besonders geregelte Persönlichkeitsrechte wie die persönlichkeitsrechtlichen Bestandteile des Urheberrechts sehr wohl bestünden und auch wirksam würden. Ergänzend konnte man sich auf ein Urteil vom 16. September 190813 berufen, welches hervorgehoben hatte, daß die Befugnisse des § 11 LUG "den Begriff des Urheberrechts nicht abschließend umgrenzen ... ; ... nicht bloß das Vermögensinteresse, sondern auch das geistige Interesse des Schriftstellers, welches er daran hat, daß sein Werk nur, wie es verfaßt ist, veröffentlicht werde", sei geschützt. 14 10
Osterrieth / Marwitz, S. 92.
RGZ 79, 397 v. 8. Juni 1912; vgl. Elster, Das Urheberpersönlichkeitsrecht, S.266. 1% RGZ 69, 401 (403) v. 7. Nov. 1908. 13 RGZ 69, 242 v. 16. Sept. 1908. 11
4. Kap.: Der Schutz des Urhebers in der bildenden Kunst
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Für ebenso interpretierbar wie ergänzungsbedürftig hält das Reichsgericht die ausdrücklichen Bestimmungen des KUG von 1907; so entnimmt es ihnen frei, aber konsequent den Grundsatz, "daß der Künstler, dem modernen Rechtsempfinden entsprechend, ein gesetzlich geschütztes Recht darauf hat, daß das von ihm geschaffene Werk, als ein Ausfluß seiner individuellen künstlerischen Schöpferkraft, der Mitund Nachwelt nur in seiner unveränderten individuellen Gestaltung zugänglich gemacht bzw. hinterlassen werde 15 ." Bereits zu diesem Zeitpunkt spricht das Reichsgericht im Zusammenhang mit der Nichtübertragbarkeit der Substanz eines Werkes ausdrücklich vom Persönlichkeitsrecht des Künstlers, welches nach den Vorschriften des KUG auch dann beim Künstler verbleibe, wenn an den Verleger oder zwecks anderweitiger gewerbsmäßiger Vervielfältigung, Verbreitung und Vorführung die Urheberrechte übertragen worden seien. Hingegen ermangele es gesetzlicher Vorschriften, die das Verhältnis Künstler-Eigentümer regelten. Der Gesetzgeber, so führt das Reichsgericht weiter aus, sei davon ausgegangen, daß die Vorschriften des allgemeinen Rechts auch in diesem Konfliktfall genügenden Schutz gewähren. "Seiner Begründung gegenüber bestehen aber bei der Auffassung, daß unser bürgerliches Recht ein allgemeines Persönlichkeitsrecht ... nicht anerkennt, und bei der Auslegung, die § 823 BGB durch die Rechtsprechung der Gerichte gefunden hat, berechtigte Zweifelte." Solche Stellungnahmen zeigen, daß das Reichsgericht die persönlichkeitsrechtlichen Bestandteile des Urheberrechts als den jeweiligen gesetzlichen Regelungen immanent unterstellte. So erblickte es über die "ausdrücklichen Bestimmungen" hinaus urheberrechtliche Befugnisse, die, zusammengeschlossen, dem Urheber ein Persönlichkeitsrecht gewährten, welches in den unterschiedlichsten Fällen angewandt werden konnte. Das hier behandelte Urteil arbeitet, indem es sich auf den Sinn des Urheberrechts stützt, gleichsam als Vorgriff die Grundsätze heraus, die in späteren Urteilen das Urheberpersönlichkeitsrecht umreißen sollen. Ein so im Urheberrecht realisiertes Persönlichkeitsrecht konnte nicht ohne Auswirkung auf das allgemeine Persönlichkeitsrecht bleiben, wenngleich die Diskussion zunächst aus Kriegs- und Kriegsfolgegründen für einige Zeit verstummte. Spätere, bis heute reichende Bezugnahmen auf dieses Urteil, erweisen seine Bedeutung auch für den umfassenderen Begriff des allgemeinen Persönlichkeitsrechts. Mittelstaedt bezeichnete es als bahnbrechend für die Anerkennung des Persönlichkeitsschutzes schlechthin: Es hielt einerseits den Persönlich14
16 18
RGZ 79, 398 f. RGZ 79, 399.
Ebda., S. 400.
1. Teil: Die geistig-gewerblichen Persönlichkeitsrechte
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keitsschutz so, wie ihn die Begründung zum KUG aus allgemeinen Grundsätzen gefolgert hatte, für bedenklich und begründete dies mit der bisherigen Rechtsprechung zu § 823 Abs. 1 BGB; andererseits erkannte es denselben Persönlichkeitsschutz in dem Rechtsgedanken, welcher eben diesem KUG zugrundelag. Aus dem persönlichen Recht des Urhebers auf Integrität seines Werkes entnahm es den wichtigsten allgemeinen Grundsatz des Persönlichkeitsrechts. 17 Einschränkende Kritik erfuhr das Sirenenurteil noch in den 50er Jahren: Westermann hielt ihm die Absolutheit seiner Aussage vor l8 ; im Einzelfall müsse vielmehr gewährleistet sein, daß u. U. Interessen des Eigentümers die des Schöpfers auf Integrität zurückdrängen könnten. Den Kern der Entscheidung, die unantastbare Werk-SchöpferBeziehung, billigt auch Westermann. Dazu ist anzumerken, daß das Reichsgericht durchaus Vorrechte des Eigentümers anerkannte, dort z. B., wo es ihm das Recht zugestand, ein zu eigen erworbenes Kunstwerk zu vernichten - eine schwer verständliche Regelung, wenn die bloße Veränderung des künstlerischen Produktes unzulässig sein sollte. Die "Unsinnigkeit" des Vernichtungsrechts beruht auf heterogenen Rücksichten: Es galt einerseits, das Werk in seiner originalen Gestalt zu erhalten, andererseits mußte das Ansehen des Urhebers geschützt werden; beide Grundsätze scheinen durch Vernichtung nicht verletzt. 19 Das Freskenurteil steht erst am Beginn eines langen Weges zum absoluten Werkschutz; es weist auf der einen Seite durch seine bemerkenswerte Vernichtungs-Erlaubnis als Äußerung privatrechtlicher Herrschaftsmacht sowie auf der anderen durch das Veränderungsverbot die Richtung einer künftigen Rechtsentwicklung. 20 Der Konflikt zwischen Eigentumsrecht und Urheberpersönlichkeitsrecht wurde 18 Jahre später in der Selbstverständlichkeit einer rechtlichen überzeugung aufgelöst: Eine Entscheidung des Landgerichts Berlin spricht dem Eigentümer eines Kunstwerks das Recht zu, ein ihm gehörendes Werk zu vernichten, da er damit in "die künstlerische Eigenart des fortbestehenden Werkes und damit in das Persönlichkeitsrecht des Künstlers nicht eingreife 21 ." 17 18
Mittelstaedt, Droit moral im deutschen Urheberrecht, S. 85 f. Westermann, Harry, Person und Persönlichkeit als Wert im Zivilrecht,
Karlsruhe 1957, S. 28.
Michaelis, S. 51. zo Vgl. zum Sirenen(Fresken-)urteil: Dietz, S. 110 f.; Elster, Das Urheberpersönlichkeitsrecht, S. 266; ausführliche Kritik von Smoschewer, S. 257. 18
Vgl. dazu den aktuellen Beitrag in: Süddeutsche Zeitung Nr. 180 vom 8. Aug. 1977, S. 12, von d. s.: "Die vernichtete ,Vorfahrt' oder Kunst als Ware." 21 LG Berlin vom 30. Okt. 1930, Ufita 1931, S. 258 ff.
4. Kap.: Der Schutz des Urhebers in der bildenden Kunst
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Die Eindeutigkeit der Formulierung verbirgt die Problematik: Eine Abhängigkeit künstlerischen Ansehens von dem materiellen Fortbestehen seiner Werke ist sehr wohl denkbar, da sich die Bedeutung eines Künstlers i. d. R. nach seinen tatsächlich vorhandenen Werken bemißt, kurzlebige Produkte hingegen geringere Chancen für eine entsprechende Würdigung bzw. Publizität vermitteln. Das Recht des Eigentümers wäre demnach mit dem erheblich erweiterten Anspruch des Urhebers bzw. dem gleichlautenden der Gesellschaft auf Unveränderbarkeit und Unversehrtheit seiner Werke zu koordinieren.
b) Die Erweiterung des Schutzbereichs Eine weitere bedeutsame Entscheidung erging zwölf Jahre nach dem Sirenenurteil, am 8. April 1925.22 Als Zwischenbilanz verstanden, gewährt sie zugleich Einblicke in den fortwährenden Streit um Urheberehre und Erfinderehre, der besonders für den angestellten Urheber erhebliche wirtschaftliche Bedeutung hatte23 ; dabei ging es um die Frage, in welcher Person das Urheberrecht originär entstehen könne. Der Beklagte hatte als leitender Architekt im Angestelltenverhältnis Innenausstattungen für die Klägerin hergestellt und sich, nachdem er seine Stellung aufgegeben hatte, mit großen Lettern in einem von ihm gestalteten Weinrestaurant als Urheber des Gesamtentwurfs bezeichnet. Der Anstellungsvertrag enthielt keine Urheberrechtsregelungen. Die Klägerin forderte Beseitigung der Schrift und Vernichtung sämtlicher Fotografien davon. Das Reichsgericht sprach dem Architekten ausdrücklich das Recht zu, seinen Namen anzubringen, ein Recht, das überhaupt keiner Erörterung bedürfe, wenn der Urheber nicht durch den Arbeitsvertrag gebunden sei. Sei er das, verfüge er grundsätzlich über das gleiche Recht. "Diese Befugnis ist ein Ausfluß des Persönlichkeitsrechts, das zwar insoweit im KUG nicht besonders geregelt, aber in dieser Ausstrahlung durch die schon erwähnte Vorschrift des § 13 als an sich bestehend stillschweigend anerkannt worden ist, wenn es dort heißt, der Name oder Namenszug des Urhebers dürfe auf dem Werk von einem anderen als dem Urheber selbst nur mit dessen Einwilligung angebracht werden24 ." Die Begründung aus der Vorschrift des § 13 KUG wirkt bemüht, da dort nur der Abwehranspruch gegen andere geregelt worden ist; der Umkehrschluß, daß daraus das Recht des Urhebers folge, den eigenen Namen anzubringen, erscheint keineswegs zwingend. Die Entschei22 23 2(
RGZ 110,393 v. 8. April 1925. S. unten bei Angestelltenerfindung. RGZ 110,397.
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I. Teil: Die geistig-gewerblichen Persönlichkeitsrechte
dung ist nicht aus einer Einzelbestimmung zu begreifen, sondern verdankt sich dem "Geist des ganzen Gesetzes" .25 Der Rückschluß von jenem "Ausfluß des Persönlichkeitsrechts" auf ein allgemeines Persönlichkeits recht liegt nahe, war aber wohl nicht beabsichtigt. Die Bemerkung, im KUG fehle eine persönlichkeitsrechtliche Regelung, gilt zweifellos dem beschränkten Urheberpersönlichkeitsrecht, zumal anschließend auf den urheberpersönlichkeitsrechtlichen Inhalt des § 13 KUG verwiesen wird. Die dritte wichtige Entscheidung ist der "Elfenreigen-Fall" aus dem Jahre 1928.28 Hier war die Freiheit des Urhebers, ein von ihm geschaffenes Werk in veränderter Form zu wiederholen, zu beurteilen: Wie andere zuvor von ihm gemalte Bilder überließ der Beklagte sein Bild "Elfenreigen" samt Schutzrechten der Klägerin, einer Kunstanstalt, die es, wie gewöhnlich, gewerbsmäßig vervielfältigte und vertrieb. Elf Jahre später malte er für eine andere Kunstanstalt F. das Bild "Blumenreigen" , das nicht nur dem "Elfenreigen" sehr ähnelte, sondern auch die gleiche Größe aufwies; F. vervielfältigte das Bild und brachte es in den Handel. Die Klägerin sah darin eine Rechtsverletzung. Das Reichsgericht wies ihre Klage ab. Es zweifelte nicht, daß der "Blumenreigen" ein selbständiges Werk "künstlerischer Eigenart" darstellte, das künstlerische Urheberrecht der Klägerin am "Elfenreigen" mithin nicht verletzt sein konnte. Das Gericht bekräftigte, jeder Vertragsauslegung müsse die Annahme zugrundeliegen, daß in jedem Kunstwerk, gleichgültig, ob hohen oder niederen Ranges, ein eigenpersönliches Gebilde zu sehen sei; ferner, daß der Schöpfer in seinem weiteren Schaffen nicht gehindert werden könne, das zu malen, was zu den freien Bestandteilen und Mitteln künstlerischen Bildens gehöre. 27 Ohne ein Urheberpersönlichkeitsrecht ausdrücklich zu erwähnen, basiert die Entscheidung des Reichsgerichts auf der schöpferischen Freiheit des Künstlers. Diese freilich signalisiert im Grunde nichts anderes als einen wesentlichen Bestandteil eines umfassenden Urheberpersönlichkeitsrechts, welches das Reichsgericht implizit in allgemeinen Grundsätzen, ohne Rücksicht auf besondere Paragraphen des KUG, geschützt sieht.28 25 Vgl. Smoschewer, S. 258: "eine weitgehende Anerkennung eines irgendwie allgemeinen Persönlichkeitsrechts im Wege der Analogie"; vgl. Elster, Das Urheberpersönlichkeitsrecht, S. 271. 28 RGZ 119,408 vom 14. Jan. 1928. 27 Ebda., S. 413. 28 Vgl. zu diesem Urteil Elster, Das Urheberpersönlichkeitsrecht, S. 275 f., der die Entscheidung von ihrer konkreten Fallage, nicht vom Grundsätzlichen her, kritisiert; vgl. auch den ähnlich gelagerten Fall RGZ 36, 46 vom 9. Nov. 1895.
4. Kap.: Der Schutz des Urhebers in der bildenden Kunst
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Die Erörterung des KUG hat verdeutlicht, wie Rechtsprechung und Literatur den Begriff des Urheberpersönlichkeitsrechts auch im Bereich des KUG herausgebildet haben, und wie sich dies auf die allgemeine Diskussion, insbesondere aber zugunsten persönlichkeitsrechtlicher Denkmuster auswirkte. 29 Selbst wenn man es nicht positivrechtlich anerkennen wollte, wuchs das allgemeine Persönlichkeitsrecht im Verlauf der langjährigen Auseinandersetzung zu einer "Denkform" , einem "Mutterrecht" oder einem wegweisenden "Leitgedanken" heran.3o Inwieweit sich diese rechtlichen Umorientierungen in der juristischen Praxis tatsächlich umsetzen konnten, läßt sich für das Literatur- und Kunsturheberrecht kaum ermessen. Das Persönlichkeitsrecht des Urhebers auf Veröffentlichung, Vervielfältigung und Integrität des Werkes hat sicher viel dazu beigetragen, seine Nutzungsrechte zu stärken. Dennoch dürfte die Verwirklichung des schönen Gedankens vom Persönlichkeitsrecht auch heute noch Zukunftsmusik sein, wenn man sich verdeutlicht, daß für die mehreren Tausend Autoren "der Wunschtraum ihres Lebens darin besteht, einen Verleger zu finden, der sie druckt, eine Bühne, die sie aufführt, einen Dirigenten, der sie spielt, und daß von diesen vielen Tausenden vielleicht zehn Leute aus der Spitzengruppe die freie Entscheidung darüber haben, ob sie ein Werk in der Schublade liegen lassen31 ." Dem Grundsatz nach befindet sich noch heute der Urheber dem yerwerter seines Werkes gegenüber in einer ähnlich schwachen Position wie ein Arbeitnehmer. 32 Von daher schien eine persönlichkeits rechtliche Begründung seiner Rechte dringend geboten. Die auratische Einmaligkeit des bildnerischen Kunstwerks hat zu der frühzeitigen Anerkennung in diesem Bereich wesentlich beigetragen.
!8 Vgl. Smoschewer, S. 258 und Elster, Das Urheberpersönlichkeitsrecht, S.271. 30 Vgl. Wieroszowski, Der heutige Stand der Lehre vom Persönlichkeitsrecht, in: DRiZ, Heft 6,1927, S. 225 ff. (228 f.) mit weit. Hinw. 31 Haensel, Leistungsschutz, S. 42. 32 Hubmann, Urheberrecht, S. 43.
Fünftes Kapitel
Das Persönlichkeitsrecht des Verlegers Das Verlagswesen ist gleichermaßen geprägt von wirtschaftlichen wie geistigen Faktoren: Seine Voraussetzung ist die schöpferische Tat des Urhebers, seine Aufgabe die Marktumsetzung. Beide Elemente haben sich im früheren wie gegenwärtigen Verlagsrecht niedergeschlagen, wobei in erster Linie die wirtschaftlichen Bedürfnisse von Autoren und Verlegern zur Anerkennung persönlichkeitsrechtlicher Grundsätze geführt haben. Während sich das Urheberrecht in gesetzlichen Normierungen entwickelte, hat sich das Verlagsrecht im wesentlichen als Vertrags- und Gewohnheitsrecht herausgebildet,! Mit Beginn der 90er Jahre bahnten sich seitens der Berufsverbände auf Autoren- wie auf Verleger-Seite Vereinheitlichungsbestrebungen an2 , die zum Reichsgesetz über das Verlagsrecht vom 19. Juni 1901 führten; abgesehen von einer Änderung vom 22. Oktober 1910 gilt es bis heute fast unverändert. Um seinen Inhalt richtig einschätzen zu können, muß die Regelung des Urheberrechts an Werken der Literatur und Tonkunst als sein Kontext mit gelesen werden. Das Gesetz kam den gewohnheitsrechtlichen Ordnungen des VerlagsBuchhandels wenig entgegen und wurde von dieser Seite aus wirtschaftlichen Gründen kaum befürwortet; um so mehr von den Autoren, deren ökonomische Unterlegenheit in ihm aufgefangen werden sollte.3 Dem Verleger wurde in § 9 ein Ausschlußrecht gegenüber Dritten zuerkannt, das auf dem Urheberrecht des Verfassers beruht. 4 Daneben blieb den Verlagen in der uneingeschränkten Vertragsfreiheit die wirtschaftliche Dominanz gegenüber dem Autor erhalten. Mit einer Ausnahme enthält das Gesetz bezeichnenderweise kein zwingendes Ver1 Voigtländer, Rudolf, Die Gesetze betreffend das Urheberrecht und Verlagsrecht an Werken der Literatur und Tonkunst vom 19. Juni 1901, Leipzig 1907, S. 21. 2 Ballerstedt, Kurt, Urheber- und Erfinderrecht, Beilage zur Vorlesung, (0.0.) 1947, S. 23. 3 Vgl. Voigtländer, S. 22 f. im Unterschied zu Ballerstedt, der diesen Aspekt vernachlässigt. 4 Vgl. v. Gamm, S. 46.
5. Kap.: Das Persönlichkeits recht des Verlegers
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tragsrecht; es regelt im wesentlichen Vervielfältigungs- und Verbreitungsrechte. Die persönlichkeits rechtlichen Einsprengsel im Verlagsrecht verdanken sich durchweg dem Konflikt zwischen Verwertungsinteressen und Marktgeboten einerseits wie künstlerisch-ideellen Urheberintentionen andererseits. 5 Die hier auftauchenden strittigen Punkte finden stets eine Entsprechung im Urheberrecht. Von zentraler Bedeutung war dabei der Umfang möglicher Rechtsübertragung von künstlerischen Werken, der weitere Probleme birgt; daneben, fast zweifelsfrei anerkannt, das Persönlichkeitsrecht des Verlegers. Gerade dieses Faktum zeigt, wie sich ein derivatives wirtschaftliches Schutz- und Verwertungsrecht, ähnlich dem am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb, eher durchsetzen kann als das originäre des Urhebers, sofern nur der jeweilige Berufsstand gezielten Einfluß auf den Gesetzgeber nimmt. Das Recht des Verlegers, das Verlagsrecht ohne besondere Genehmigung des Autors weiterzuübertragen, kann für ihn von großer wirtschaftlicher Bedeutung sein; es erspart ihm Verluste z. B. bei Änderungen des Verlagsprogramms, Vererbung oder Verkauf des Verlags. Andererseits kann der Autor geschädigt werden, wenn sich der neue Verlag nicht in gleicher Weise für ihn einsetzt. Das persönlichkeitsrechtliche Problem einer von ihm nicht genehmigten Weiterübertragung offenbart sich zugleich als ein wirtschaftliches. Diese Doppelbödigkeit war im 19. Jahrhundert unterschiedlich eingeschätzt worden. So hatte z. B. ein Rescript des preußischen Justizministers vom 7. Juni 1834 die Übertragbarkeit des Verlagsrechts an Dritte ohne Genehmigung des Autors bejaht, während die Motive des württembergischen Handelsgesetzbuches (1840) den entgegengesetzten Standpunkt einnahmen. 6 Eine Entscheidung des Reichsgerichts von 1888 7 hielt die vom Autor nicht genehmigte Übertragung des Verlagsrechts für zulässig. Das Gericht berief sich auf das LUG vom 10. Juni 1870, das seinem Wortlaut nach eine unbeschränkte Urheberrechtsübertragung ermöglichte. Während diese Regelung von Anfang an umstritten war und zunehmend kritisiert wurde, hielt sich der Strafsenat strikt an den Grundsatz, daß das Urheberrecht "ein reines Vermögensrecht sei und alle weiteren Interessen ausschließe", ohne die reichhaltige Literatur heranzuziehen. Noch fand die Rechtsprechung der Zivilsenate ausreichende Berück5 Vgl. zu dieser Problemstellung das Gutachten von Mayer, E., Verleger und Autor nach dem Verlagsrechtsentwurf, Annalen des Deutschen Reiches, München 1901, S. 94 ff. a Vgl. Osterrieth, Albert, Gutachten zum 25. Deutschen Juristentag 1900, Bd. 11, S. 185. 7 RGSt 17, 268 vom 6. April 1888.
I. Teil: Die geistig-gewerblichen Persönlichkeitsrechte
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sichtigung: Diese hatten durchaus "ideelle Aspekte" im urheberrechtlichen Bereich betont.8 Einmal noch, 1904, nahm ein Urteil die gleiche auf den vermögensrechtlichen Aspekt beschränkte Position ein: "Für das Wesen des Urheberrechts ist nicht von Bedeutung, daß es auch
zum Schutz von Interessen dienen kann, die außerhalb der Sphäre des Ver-
mögensrechts liegen. Daß dem Urheber zuweilen ein pekuniärer Wert nicht zukommt, hat dasselbe mit anderen Vermögensrechten gemeinu." Nach Ansicht des Reichsgerichts rechtfertigte nichts eine von den sonstigen Vermögensrechten unterschiedene übertragung des Urheberrechts. 10 Verständlicherweise votierte der Deutsche Schriftstellerverband unter der Führung Ernst Wiecherts 1891 gegen die ungenehmigte Weiterübertragung, die er nur bei Vererbung oder Firmenübernahme gelten ließ.l1 Der Börsenverein der Deutschen Buchhändler formulierte daraufhin 1893 einen Gegenentwurf. Die Motive des Gesetzes von 1901 beabsichtigten, über die dort vertretene Auffassung hinausgehend, wie auch über die des Reichsgerichts in Strafsachen, die Verwertung geistiger Arbeit im geltenden Recht durch eine Sicherung persönlicher Interessen des Urhebers zu ergänzen. Wie im LUG und KUG äußerte sich darin dieselbe Tendenz einer in der Literatur verbreiteten, gesetzgeberisch jedoch noch vorsichtig formulierten Anerkennung persönlicher Interessen, die, war sie einmal kodifiziert, ihre Auswirkungen auf das allgemeine Persönlichkeitsrecht nicht verfehlen konnte; die zunehmende Diskussion jener Jahre veranschaulicht diesen Prozeß. Albert Osterrieth begründete auf dem Deutschen Juristentag 1900 das grundsätzliche Verbot der ungenehmigten Weiterübertragung mit dem ungewöhnlichen Argument, die Leistung des Verlegers sei nicht 8 RGZ 12, 50, vom 1. Juli 1884 und RGZ 18, 10 vom 10. Juli 1886, RGZ vom 18. Mai 1904, JW 1904, S. 391 Nr. 20. g RGSt, aaO., S. 274.
Ebda. Wortführer auf dem Gebiete der Tonkunst war Richard Strauß, der mit seinen Verlegern einen Dauerkampf ausfocht, an Gesetzesentwürfen mitwirkte und sich schriftstellerisch und musikalisch für die Rechte der Komponisten einsetzte. Wie Schubert, der einige Jahrzehnte zuvor seine Lieder an den Verleger und Komponisten Diabelli zu einem Spottpreis verkaufte Diabelli erzielte allein aus einem Lied Schuberts einen höheren Gewinn als er diesem an Entlohnung für sein gesamtes Liedschaffen gezahlt hatte -, gibt der frühe Strauß mit seinen Liedern ein Beispiel für verlegerische Ausbeutung, wie sie allerdings in dieser Form nicht durchgängig war. Der "Krämerspiegel" , op. 66 von Strauß, vertont rachsüchtig zwölf Gesänge von Alfred Kerr, u. a.: "Hast du ein Tongedicht vollbracht, nimm vor den Füchsen dich in acht ... Denn solche Brüder Reinecke, die fressen dir das Deinige!" 10
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5. Kap.: Das Persönlichkeits recht des Verlegers
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fungibel, sondern persönlicher Natur. 12 Das Gesetz von 1901 schließlich gewährte zwar in § 28 die "stark verklausulierte" Möglichkeit einer ungenehmigten übertragung von Verlagsrechten, gab gleichzeitig aber auch dem Urheber das Recht, aus gewichtigem Grunde dem Verleger eine übertragung zu untersagen,13 womit sich im Ergebnis geringfügige persönlichkeitsrechtliche, vor allem aber ökonomisch wirksame Aspekte des Urheberrechts durchgesetzt haben. Von der kaum wahrnehmbaren Stärkung der Urheberpersönlichkeit auf verlagsrechtlichem Gebiet, wie sie etwa § 13 vornimmt, wenn er dem Verleger jede Werkänderung untersagt, ist das dem Verleger eigene Persönlichkeitsrecht zu unterscheiden, welches gleichwohl seine Substanz vom Urheberrecht ableitet. Im Unterschied zum Urheber erwächst es ihm aus seiner Eigenschaft als Verleger und "Gewerbetreibender höheren StilS".14 über die allgemeinen persönlichkeitsrechtlichen Grundsätze hinaus, wie sie für alle Gewerbetreibenden gelten, wird dem Verleger besonderer Änderungsschutz zuteil; er erhält ein Persönlichkeitsrecht, das auch Namen und Titel schützt.1 5 Literatur und Rechtsprechung zögerten in diesem Falle nicht, ein solches Recht zu unterstützen, ging es doch um den Schutz von Unternehmen. Als Begründung diente die Besonderheit des Verlagsgeschäfts. Im Gegensatz zu der Ausübung selbst führte der bloße Handel mit geistigen Werken zu der Wertschätzung jener "hochgearteten" Tätigkeit, welcher die Individualität ihres Leiters das ihr eigene Gepräge gibt. Dieser "good-will" des Betriebs findet seinen Ausdruck im Verlagsprogramm, "zu dessen Wahrung der Verleger genau wie zur Wahrung seiner Persönlichkeit aufgrund des Persönlichkeitsrechts berechtigt ist1 6." Seine inhaltliche Basis gründet es in dem Vertrauensverhältnis, das auf der geistigen Verbundenheit der Vertragsparteien beruht und als Treueverhältnis anerkannt wirdP So bestimmt sollten sich die Beziehungen eines Verlegers nicht im rein Geschäftlichen erschöpfen; 12 Osterrieth, Gutachten, S. 195; vgl. das Gutachten von Alexander-Katz, Günther, S. 147 ff., 164 ff., der die Ansicht Osterrieths vertritt; a. A. Mayer, E., S. 98. U Vgl. de Boor, Helmut, Urheberrecht und Verlagsrecht, Stuttgart 1917, S. 326; Elster, Urheberpersönlichkeitsrecht, S. 279. 14 Kahler, Urheberrecht, S. 467. 15 Vgl. Kahler, S. 468. 18 Hoffmann, Willy, Das Reichsgesetz über das Verlagsrecht mit Erläuterungen, Berlin 1925, S. 66. 17 Vgl. Gierke, Privatrecht, 3. Bd., Leipzig 1917, S. 765; Elster, Urheber-, Erfinder-, Warenzeichen- und Wettbewerbsrecht (Gewerblicher Rechtsschutz), Berlin u. Leipzig 21928, S. 209. Bahnbrechend war hier das Urteil des KG Berlin vom 6. Juli 1918, in: GRUR 1918, S. 128; vgl. auch RGZ 79, 156 (160) vom 27. März 1912; 110,275 (281) vom 16. März 1925; 112, 173 (188 f.) vom 5. Dez. 1925; 115,358 (363 f.) vom 5. Jan. 1927; 125,174 (178) vom 3. Juli 1929.
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I. Teil: Die geistig-gewerblichen Persönlichkeitsrechte
statt dessen berufen ihn Sachkenntnis, Urteilsfähigkeit und einfühlendes Verständnis dazu, ein eigenes Persönlichkeitsrecht geltend zu machen, das der besonderen Berufstätigkeit entspricht, im Zweifel aber gegenüber dem Urheber zurückstehen muß.1 8 Das Recht des Verlegers erweist sich so als eines wesentlich vermögensrechtlicher Natur mit persönlichkeitsrechtlicher Prägung. 19 Die Diskussion um Persönlichkeitsrechte hatte sich beim Verlags recht umstandslos darauf einigen können, dem derivativen Persönlichkeitsrecht unter bestimmten Umständen den Vorrang vor dem originären einzuräumen; daß diese Priorität die Praxis bestimmt, bedarf bei den heute noch herrschenden Verlagsbedingungen keiner Erörterung. 2o Nicht zufällig traf die Frage um Anerkennung eines Verleger-Persönlichkeitsrechts auf so viel Bereitwilligkeit und rasche Entschlossenheit bei allen beteiligten Gruppen: In den späten 20er Jahren läßt sich ganz allgemein eine Tendenzwende erkennen, seit der mit größerer Entschiedenheit zugunsten der besonderen Persönlichkeitsrechte, aber auch punktuell für ein allgemeines votiert und entschieden wurde. Das Motiv dafür dürfte in der immer stärkeren Orientierung am gewerblichen Gebrauchswert zu suchen sein: So weist der Prozeß um die Anerkennung des Verlegerrechts die charakteristischen Merkmale all jener Verfahren auf, in denen zugunsten spezieller gewerblicher Persönlichkeitsrechte zu entscheiden war. 1933 erachtet man diese rechtliche Um- und Neubewertung bereits als selbstverständlich; für das Verlagsrecht bestätigt das Reichsgericht im selben Jahr die Rechtswirksamkeit persönlichkeitsrechtlicher Belange des Urhebers wie des Verlegers. 21 So also lautet das Fazit einer Entwicklung, die seit dem Ende des 18. Jahrhunderts der Frage der Marktmacht in immer neuen Antworten zu begegnen hatte. Das Persönlichkeitsrecht, das als subjektives Recht seiner liberalen Prämisse nach die Gleichheit der Bürger schützen sollte, diente in der Praxis dazu, sie tendenziell aus den Angeln zu heben, wenn es, wie hier, mit wirtschaftlicher Macht einherging. Die theoretische Gleichartigkeit des subjektiven Rechts wurde damit nicht berührt, wohl aber ergab sich eine tatsächliche Verschiedenheit für die Autoren, "die der ,höher vollendeten Drucktechnik', sprich, dem mächtigeren Marktteilnehmer ausgeliefert sind. Was gestört ist, ist die ChanRGZ 125, 174 (178). A. A. Kohler, Urheberrecht, S. 160 f. 20 Haenisch; zur Situation des Urhebers heute: vgl. Süddeutsche Zeitung Nr. 159 vom 14.7.1977, S. 3: "Die dünne Luft der dichterischen Freiheit" (Riehl-Heyse, Herbert). 21 RGZ 140, 264 (269 f.) vom 26. April 1933. 18
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5. Kap.: Das Persönlichkeitsrecht des
Verle~ers
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cengleichheit: Denn die Ausklammerung der Marktmacht aus dem Begriff des subjektiven Rechts vergrößert die Chance seiner Verwirklichung beim Mächtigen22 ."
!! Biedenkopj, Kurt Hans, Ober das Verhältnis wirtschaftlicher Macht zum Privatrecht, in: Wirtschaftsordnung und Rechtsordnung, Festschrift zum 70. Geburtstag von Franz Böhm, Karlsruhe 1965, S. 113 ff. (118).
6 Simon
Sechstes Kapitel
Persönlichkeitsrecht des ausübenden Künstlers Nach 1870 lösten neue technische Entwicklungen eine Fülle von Problemen für Gesellschaft, Wirtschaft und den einzelnen aus, um deren Lösung Rechtspraxis, Wissenschaft und Gesetzgebung mit wechselndem Erfolg bemüht waren. Wo man nicht Bewährtes an neue Gegebenheiten anpassen konnte, erwog man tiefgreifende Änderungen bis hin zur Einrichtung neuer Rechtsinstitute. Darin liegt ein Grund für die wiederholten Forderungen nach besonderen Persönlichkeits rechten und dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht. Der Bereich des künstlerischen Leistungsschutzes dokumentiert eine solch komplexe Situation. Es galt Kriterien dafür zu entwickeln, ob ein ausübender Künstler ein Werk lediglich wiedergibt oder durch seine Leistung ein neues Kunstwerk schafft. Wirtschaftlich und für den Urheber auch persönlichkeitsrechtlich bedeutsam wurden künstlerische Leistung wie damit verknüpfte unternehmerische, als es technisch möglich wurde, musikalische Kompositionen auf reproduzierbare mechanische Teile zu übertragen. Bestimmungen des Schlußprotokolls der Berner übereinkunft von 1886 erlaubten dies der Industrie, ohne Genehmigung des Künstlers und ohne Vergütungen an ihn zahlen zu müssen; ein Geschenk an die Schweizer Spielwerkindustrie, das allerdings über den nationalen Verwertungsrahmen hinauswuchs. 1 Auf dem Gebiet des Urheberrechts konnte sich, wie gezeigt, der Schutz der Künstlerpersönlichkeit nach und nach durchsetzen. Die Industrie für mechanische Musikinstrumente versuchte jedoch seit 1870, die Rechte des Werkschöpfers zurückzudrängen.! Die ausgebeuteten Künstler wandten sich an die Gerichte. Das Reichsgericht hatte sich, wie dargelegt, 1888 mit der Frage auseinanderzusetzen, ob Herstellung und Verbreitung durchlochter Tafeln, die auf einer Walze Musikstücke reproduzieren konnten, unerlaubter Nachdruck im Sinne des Urhebergesetzes von 1870 seien. Grundsätzlich hielt es dies für möglich, doch müsse im Einzelfalle eine genaue Prüfung vorgenommen werden. 3 1
Art. 13 Abs. 2 Bü; vgl. auch Haensel, S. 6.
Ostemeth / Marwitz, S. 243. a Vgl. RGSt 32, 41 vom 24. Febr. 1899; RGZ 27, 60 (68) VQm 31. Jan. 1891; 71, 127 vom 5. Mai 1909; 134, 198 (208) vom 14. Nov. 1931. 2
6. Kap.: Persönlichkeitsrecht des ausübenden Künstlers
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Im Unterschied zur Rechtsprechung gab die Gesetzgebung von 1901 für bereits erschienene Werke die mechanische Wiedergabe grundsätzlich frei. Dafür hatten sich die beteiligten Wirtschaftskreise eingesetzt, stützte doch die mechanische Musikindustrie ihren großen Aufschwung in erster Linie auf Grammophone und Schallplatten: Vor Erlaß des Gesetzes stieg die Zahl der dort Beschäftigten von 4000 auf 12 000 in zwei Jahren. Die Produktion wurde zu 3/4 exportiert; zusätzliche Vergütungen an Künstler hätten die Erzeugnisse verteuert und damit möglicherweise ausländischer Konkurrenz Einbrüche in den Markt ermöglicht; - oder sie mußten den Gewinn schmälern. Genug Gründe, bereits erschienene Werke zu Lasten der Urheber gemeinfrei zu erklären.' Die Motive zu dem Gesetz von 1901 haben diesen Aspekt hervorgehoben, und so wurde er ohne Berücksichtigung persönlichkeitsrechtlicher Argumente in Kommissionen wie in Beratungen des Reichstagsplenums diskutiert: "Es entspricht nur der Billigkeit, der Industrie, die sich Beschränkungen ihrer bisherigen Freiheit unterwerfen muß, einen Schutz gegen unberechtigte Nachbildung ihrer oft mit großen Kosten erworbenen Vorrichtungen zu bewilligen6 ." Der Gesetzgeber normierte die Vernachlässigung der urheberrechtlichen Grundsätze in § 22 LUG von 1901. Nunmehr war die Vervielfältigung zulässig, "wenn ein erschienenes Werk der Tonkunst auf solchen Scheiben, Platten, Walzen, Bändern und ähnlichen Bestandteilen von Instrumenten übertragen wird, welche zur mechanischen Wiedergabe von Musikstücken dienen6 ." Der Interpret eines Kunstwerks wurde nach dem Urheberrechtsgesetz überhaupt nicht geschützt. Im Jahre 1900 entschied das Landgericht Berlin, daß ein auf der phonographischen Walze aufgenommener künstlerischer Gesangsvortrag ein geistiges Arbeitswerk sei.1 Leo Eger hielt den künstlerischen Vortrag für eine eigenschöpferische TätigkeitS, W. Meinhardt, der darin eine Bearbeitung sah, schloß sich dieser Auffassung im Grunde an.' Das Landgericht Leipzig beurteilte den künstlerischen Vortrag als eigenständige Geistesschöpfung, an der freilich der Schallplattenfabrikant vollen Urheberschutz durch Vertrag mit dem Künstler erlangte. 10 4 Vgl. Blau, Theodor, Die Schallplatte im schweizerischen Urheberrecht unter Berücksichtigung des deutschen Rechts und der Berner übereinkunft, Diss. Berlin 1936, S. 14 Anm. 28. 5 Zit. nach Osterrieth / Marwitz, S. 243. 6 S. ergänzend dazu § 26. 7 In: GRUR 1900, S. 131, ohne Datum. 8 Eger, Leo, Der Phonograph und das Urheberrecht, in: Archiv für bürgerliches Recht, Bd. 18, S. 264 f. (283). 9 Meinhardt, W., Der Phonograph im Urheberrechtsgesetz vom 19. Juni 1901, in: GRUR 1908, S. 67 ff.
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I. Teil: Die geistig-gewerblichen Persönlichkeitsrechte
Kohler hatte sich noch in seinem "Urheberrecht ..." dagegen ausgesprochen, die Wiedergabe eines Werkes der Literatur oder Tonkunst als Sprachgebilde und somit als schutzfähig anzuerkennen, da es sich nur um die Verwirklichung des im Werk Manifestierten handele. l l 1909 änderte er im Zuge der wachsenden Durchsetzung persönlichkeitsrechtlicher Elemente in Rechtsprechung und Schrifttum seine Ansicht und stimmte zögernd der konträren Meinung A. Osterrieths zu: "Es wäre ... nicht ausgeschlossen, den persönlichen Vortrag eines Musikwerkes als ein Mittel der Tonkunst anzusehen, da es eine durch das Mittel der Töne objektivierte, individuelle, künstlerische Leistung in sich schließt12 ." Rechtsprechung und Literatur nahmen im Unterschied zur gesetzlichen Regelung überwiegend ein Bearbeiterrecht an, sogar z. T. mit Annäherungen an ein Urheberpersönlichkeitsrecht. E. Riezler stellte gar die These auf, daß man in den Anfängen der Erörterungen des Leistungsschutzes versucht habe, ihn über ein allgemeines Persönlichkeitsrecht zu begründen; freilich erfolglos, da ein allgemeines Persönlichkeitsrecht überhaupt nicht, als Grundlage für die Konstruktion von subjektiven Leistungsansprüchen aber erst recht nicht anerkannt wurde. 1s Immerhin ging er von der gegenseitigen Beeinflussung des allgemeinen und der besonderen Persönlichkeitsrechte aus und setzte voraus, daß das allgemeine Persönlichkeitsrecht in seinem derzeitigen Entwicklungsstand imstande sei, auf ein besonderes Persönlichkeitsrecht einwirken zu können. Gegen den Einspruch der deutschen Delegierten änderte man endlich auf der Konferenz von Berlin 1908 den Art. 13 Abs. 2 Bü dahin ab, daß den Urhebern von Werken der Tonkunst die ausschließliche Befugnis an der übertragung ihrer Werke auf mechanische Reproduktionsinstrumente wie auch an deren öffentlicher Aufführung zustehen sollte. Der von vielen wegen Art. 3 des Schlußprotokolls als unhaltbar empfundene Zustand war damit grundsätzlich rechtlich beseitigt. Den Widerstand von deutscher Seite berücksichtigte man indes dadurch, daß es jedem Land freigestellt wurde, diese Bestimmung mit Vorbehalten und Einschränkungen zu versehen. Der Gesetzgeber setzte daher gemäß Art. I Nr. 7 der Novelle vom 22. Mai 1910 die §§ 22 - 22 c an die Stelle des früheren § 22; er führte eine Zwanglizenz ein, die nach der ersten befugten Vervielfältigung mechanischer Art den Urheber zur weiteren 10 Zit. bei v. Rauscher auf Weeg, H. H., Das Aufführungsrecht der Interpreten und Schallplattenhersteller nach geltendem Deutschen Recht, Köln / Weidenpesch 1960, S. 25 mit weit. Hinw. 11 Kohler, Urheberrecht, S. 136 f. _ 12 Ders., in: GRUR 1909, S. 231; vgI. dazu Elster, Urheberrecht, S. 113 ff. 1S S. Riezler, Urheberrecht, S. 277 f.
6. Kap.: Persönlichkeitsrecht des ausübenden Künstlers
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übertragung verpflichtete, die also in das ausschließliche Recht des Künstlers eingriff. 14 Die zweite gravierende Änderung verursachte die Einführung des § 2 Abs. 2 LUG auf Betreiben der Industrie. 15 Er lautete: "Wird ein Werk der Literatur oder der Tonkunst durch einen persönlichen Vortrag auf Vorrichtungen für Instrumente übertragen, die der mechanischen Wiedergabe für das Gehör dienen, so steht die auf diese Weise hergestellte Vorrichtung einer Bearbeitung des Werkes gleich. Das gleiche gilt, wenn die übertragung durch Lochen, Stanzen, Anordnung von Stiften oder eine ähnliche Tätigkeit geschieht und die Tätigkeit als künstlerische Leistung anzusehen ist. Im Falle des Satzes 1 gilt der Vortragende, im Falle des Satzes 2 derjenige, welcher die übertragung bewirkt, als Bearbeiter." Diese Vorschrift setzte den ausübenden Künstler dem Urheber durch "urheberrechtsartig ausgestaltete Befugnisse" gleich. l l Sie ist von Anfang an heftig kritisiert worden; der Einfluß der Schallplattenindustrie lag greifbar naheY Zwar entsteht das Recht aus § 2 Abs. 2 in der Person des Künstlers, aber das Reichsgericht konnte dem Zweck der Vorschrift entnehmen, daß das Bearbeiterrecht in der Regel stillschweigend vom Künstler auf den Plattenproduzenten übertragen wurde. 18 H. C. Nipperdey rügte deshalb, daß man an den Schutz des ausübenden Künstlers nicht im geringsten gedacht hatte. Dessen Leistung sollte nur den Anknüpfungspunkt mit dem Urheberrecht bieten, jenem Punkt, der sich dessen Dogmatik unterordnen läßt; denn erklärtes Ziel war es, den wettbewerblichen Schutz der Musikindustrie vor unbefugter Vervielfältigung über das LUG zu lösen. 19 I. d. R. ließ sich der jeweilige Unternehmer das Urheberrecht des "Bearbeiters" über § 2 Abs. 2 übertragen und erlangte dadurch Ausschlußrechte. Für die erste Entwicklungsphase des Leistungsschutzes ist damit dessen urheberrechtsartig ausgestalteter Charakter kennzeichnend, durchsetzt von persönlichkeitsrechtlichen Momenten; sie sollten allerdings ausschließlich dem Unternehmer zugute kommen. Als einzige Vgl. Osterrieth / Marwitz, S. 244 f. Vgl. Haensel, S. 6; er sieht in dieser Vorschrift ein sehr gutes Beispiel für den Fall, daß ein Interessenverband mit hervorragenden Fachleuten den Gesetzgebungsvorgang beeinflussen kann (S. 10). 11 Vgl. RGZ 153, 1 (11) vom 14. Nov. 1936 und die Kritik daran bei Nipperdey, Hans-Carl, Der Leistungsschutz des ausübenden Künstlers, Berlin u. Frankfurt 1959, S. 9 ff. 17 S. Goldbaum, Wenzel, Urheberrecht und Urhebervertragsrecht, BadenBaden 21927, S. 50 u. a.; vgl. Nipperdey, S. 13 mit weit. Hinw. 18 RGZ 153, 1 (8) vom 14. Nov. 1936. 1. Vgl. Nipperdey, S. 27 f.; sehr zu bezweifeln ist seine Ansicht, daß die heute von ausübenden Künstlern gestellte Forderung nach Leistungsschutz 1910 nicht akut war, vgl. S. 25 f. 14
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I. Teil: Die geistig-gewerblichen Persönlichkeitsrechte
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Stimme von Gewicht versuchte der BGH noch 1952, den Gesetzgeber des § 2 Abs. 2 zu verteidigen: "In der Tat kann die Einschaltung einer persönlichen Leistung bei der Fixierung des Tonwerkes auf einen Tonträger nicht weggedacht werden, wenn diese die im Rahmen eines Urheberrechtsgesetzes allein mögliche Deutung erhalten soll und wenn man nicht, was abzulehnen ist, dem Gesetzgeber unterstellen wollte, er habe uneingeschränkt eine Aufgabe des gewerblichen Rechtsschutzes, nämlich des Schutzes der Herstellung von Schallplatten, urheberrechtlichen Grundsätzen unterstellen wollenlO." Die Entstehungsgeschichte bestätigt die gegenteilige Auffassung, wie auch die gesamte einschlägige Literatur in dieser Frage den gegenteiligen Standpunkt einnimmt. Der BGH verteidigt sich deshalb nur halbherzig: . "Daß der Gesetzgeber mit dieser Regelung zugleich das wirtschaftliche Endziel einer Unterstützung der Schallplattenindustrie verfolgt hat, ändert nichts daran, daß die Normierung dieses Schutzes nach den Grundsätzen des Urheberrechts stattgefunden hat, das immer eine natürliche Person des Urheberberechtigten voraussetztl l." Eine zweite Phase der Auseinandersetzung mit dem Leistungsschutz begann um 1927, als auch die Diskussion um das Urheberpersönlichkeitsrecht und ein allgemeines Persönlichkeitsrecht wieder aufflammte. Unter anderem trug dazu die stürmische Entwicklung der Schall pI attenindustrie bei, die 1929 30 Mil!. Schallplatten umsetzen konnte; der Rundfunk hatte im selben Jahr ca. 3 Mil!. Hörer; die Rundfunkkasse konnte etwa 60 Mil!. Mark an Gebühren einziehen.211 Die mit dem Leistungsschutz befaßten Autoren traten nun z. T. für einen Schutz mit Ausschließungsrecht ein, wie er dem Urheber zustand.1I3 Eine andere Gruppe versuchte, den Gedanken eines vollen Urheberpersönlichkeitsrechts durchzusetzen, wie Rudolf Cahn-Speyer und Fritz Smoschewer.24 Sie bejahten damit die Eigenständigkeit der Leistung des ausübenden Künstlers, d. h. ein durch ihn neu geschaffenes Werk. Der Entwurf des Reichsjustizministeriums schlug in den §§ 57 f. einen Leistungsschutz mit persönlichkeitsrechtlichen Elementen vor. 25 Jene Bereitschaft, die vor der Novellierung des LUG von 1910 BGHZ 8, 88 (93 f.) vom 21. Nov. 1952. Ebda.; zur Entstehungsgeschichte im einzelnen vgl. Blomeyer, Arwed, Der Urheberrechtsschutz für den ausübenden Tonkünstler nach deutschem Recht, Berlin 1960, S. 9 ff. 22 Vgl. HaenseZ, S. 12 und S. 101. !3 Vgl. Marwitz, Bruno, in: GRUR 1930, S. 281 ff. U Vgl. Cahn-Speyer, Rudolf, über das Schutz recht des ausübenden Künstlers, in: Ufita 1932, S. 342; Smoschewer, Zur Frage des Urheberschutzes der wiedergebenden Künstler, in: GRUR 1927, S. 50; Hoffmann, Willy, Das Urheberrecht des nachschaffenden Künstlers, in: GRUR 1927, S. 69 ff.; Homburg, Robert, Le droit des artistes executants, in: Ufita 1928, S. 288 ff. 25 Vgl. Voigtländer / Elster / Kleine, 4. Auf!. 1952, S. 44. 20
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6. Kap.: Persönlichkeitsrecht des ausübenden Künstlers
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bestand, nach Grundsätzen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts auch reproduzierende Künstler zu schützen, wurde damit wieder belebt. Demgegenüber verstummten die Stimmen nicht, die im ausübenden Künstler nur den Urheber "zweiter Hand" erblickten.21 Insgesamt läßt sich feststellen, daß im musikalisch-urheberrechtlichen Bereich der ursprüngliche Schöpfer rechtlich schlechter eingestuft wurde als z. B. der literarische Autor. Noch weniger wurde der reproduzierende Künstler geschützt, Resultat eindeutiger urheberrechtlicher Verleugnung. Nach 1932 lehnte man zunehmend die Gleichstellung von ausübendem Künstler und Urheber ab. Die neuere deutsche Urheberrechtslehre unterscheidet deshalb zwischen Urheberrechten und Schutzrechten, die zwar persönlichkeitsrechtliche wie vermögensrechtliche Merkmale aufweisen, aber nicht über ein allgemeines Persönlichkeitsrecht, sondern vermittels einzelner Rechtsbestimmungen mit persönlichkeitsrechtlichem Inhalt wie §§ 12, 824 BGB, 22 KUG etc. geschützt werden.27
2G Vgl. Goldbaum, S. 19 f.; Marwitz I Möhring, S. 35; Marwitz, Bruno, Erweiterung oder Beschränkung des Kreises der urheberrechtlich Geschützten?, in: GRUR 1926, S. 573; Marwitz, Künstlerschutz, in: Ufita 1930, S. 299. 17 Vgl. Ulmer, S. 12 und S. 141; Hubmann, Urheberrecht und Urheber- und Verlagsrecht, S. 251 ff.
Siebtes Kapitel
Die Anerkennung der Erfinderehre Das Urheberrecht ist inhaltlich und formal eng mit dem technischen Schutzrecht der Patente verbunden. Gemeinsam haben sie geistige Schöpfungen zum Gegenstand, freilich von unterschiedlicher Individualität: Technische Schutzrechte sind weniger subjektbezogen als die Urheberrechte. Ihr den Naturwissenschaften verpflichteter Charakter bedingt eine objektiv sachlich überprüfbare Bestimmtheit, die persönlichkeitsrechtliche Zuordnungen erschwert. Die Geschichte des Urheberund Erfinderrechts läßt dies deutlich werden, aber auch beider enge Berührung. Gemeinsamkeiten und Unterschiede sollen hier nicht im einzelnen verfolgt werden; größere Nähe zum gewerblichen Rechtsschutz mit Muster-, Wettbewerbs- und Warenzeichenrecht sowie qualitativ andere Relevanz im Marktgeschehen und industrieller Entwicklung sind für Erfindungen offensichtlich und damit auch ihre weitere Entfernung vom Persönlichkeitsrecht. Die Patenterteilung kommerzialisiert gleichsam den "Urtatbestand" des Erfinderrechts, daher treten im subjektiven Patentrecht die persönlichkeitsrechtlichen Komponenten zurück. 1 Die gewerblichen Schutzrechte sind in erster Linie wirtschaftlicher Natur; sie sollen das Wirtschaftspotential eines Landes entwickeln und stärken helfen. Es liegt daher nahe, daß die Rechtsordnung erst spät das Erfinderrecht als Wurzel eines besonderen subjektiven Rechts anerkannte. 1. Zur Geschichte des Erfinderrechts a) Die Entwicklung bis zum Gesetz von 1877
Ein ausschließliches Verwertungsrecht technischer Erfindungen beim Urheber war dem früheren Recht fremd, wie die Verleihung gewerblicher Monopole in den zurückliegenden Jahrhunderten erweist. Das Zunftwesen verhinderte ein Zuschreiben der Erfindung an eine Einzelperson, um die Arbeitsbedingungen der Zunftgenossen möglichst gleichmäßig zu gestalten. Wenn es sich nicht technischen Neuerungen gegenüber ablehnend verhielt und so aus Sorge um standesgemäße Lebens1 Tetzner, Heinrich, Das materielle Patentrecht der Bundesrepublik Deutschland, Darmstadt 1972, S. 40 ff.
7. Kap.: Die Anerkennung der Erfinderehre
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bedingungen die industrielle Entwicklung hemmte, führte es zu Kollektivprivilegien.2 Neuartige Gewerbe bedurften sogar der besonderen Erlaubnis des Herrschers (z. B. das Buchdruckereigewerbe), der in späteren Zeiten auch Einzelprivilegien erteilte, um das einheimische Gewerbe und seine eigenen Finanzen zu stärken. Noch lag der Gedanke fern, den Erfinder anzuerkennen und zu fördern oder ihn gar als Persönlichkeit zu schützen; offensichtlich wird das in jenem Grundsatz, daß Privilegienbegünstigter und Erfinder nicht identisch sein mußten. 3 Diese Verhältnisse führten z. T. zu erheblichen Mißbräuchen, die schon innerhalb des Privilegienwesens ein Rechtsbewußtsein zeitigten, "das sich einerseits gegen die Monopole auflehnte, andererseits dem wirklichen Erfinder einen Anspruch auf ein ihn für bestimmte Zeit schützendes Privileg zugestand 4 ." Ein englisches Gesetz von 1623 steuerte als erstes dem Mißbrauch bei der Erteilung von Monopolen, hauptsächlich aus fiskalischen Gründen. Es gestand dem Erfinder Rechte zu, ohne ihm freilich einen Anspruch auf ein Privileg zu geben. Unter der Wirkung naturrechtlicher wie auch revolutionsnaher Gedanken, welche die Früchte geistiger Arbeit ihrem Urheber zusprachen, normierte erstmals die französische Gesetzgebung 1791 eine allgemeine Berechtigung des Erfinders: Jede Erfindung in irgendeinem Zweige der Industrie sollte Eigentum ihres Urhebers sein.5 Seit der Wende zum 19. Jahrhundert wurden den Erfindern im deutschen Reichsgebiet Privilegien erteilt (Preußen seit 1800, Baden 1808), deren Verrechtlichung (Willkürausschluß) zu Privilegienordnungen führte. So erhielten nach dem Preußischen Ministerpublicandum vom 14. Oktober 1815 Patente einen Schutz zwischen sechs Monaten und fünfzehn Jahren. Während auf diese Weise seit Anfang des 19. Jahrhunderts auch auf deutschem Boden Privilegien schließlich zu allgemeinen Gesetzen führten, die den Erfinder begünstigten, verurteilte eine liberale Wirtschafts auffassung bis etwa Mitte des Jahrhunderts die Privilegien einzelner als gegen die Gewerbefreiheit gerichtete, bekämpfte sie als Einengung der Betätigungsfreiheit und hielt sie für volkswirtschaftlich nachteilig. Auf eine Kurzformel gebracht, lautete der Einwand: Er2 Die alte Nürnberger Handwerksordnung ist ein typisches Beispiel für versteinertes Zunftrecht, das Meistern verbot, sich einer neuen technischen Einrichtung zu bedienen; vgl. Tetzner, S. 42 Anm. 71. 3 Vgl. Rintelen, Max, Der Rechtsschutz für geistiges Schaffen, Ein geschichtlicher überblick, Graz 1931, S. 18 und Riezler, Urheberrecht, S. 14. , Gierke, Privatrecht, S. 850. 5 Vgl. Rintelen, S. 19 und Kohler / Mintz, Die Patentgesetze aller Völker, Berlin 1912, 2. Bd., S. 471, Französisches Gesetz vom 7. Jan. 1791, Art. l er : "Toute decouverte ou nouvelle invention dans tous les genres d'industrie est la propriete de son auteur."
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I. Teil: Die geistig-gewerblichen Persönlichkeitsrechte
findungspatente sind dem Gemeinwohl schädlich.' Erfindungen sollten allen, die sie zu nutzen verstanden und wirtschaftlich über genügend Mittel verfügten, zur Verwertung überlassen werden, obwohl gerade die Väter des Wirtschaftsliberalismus Adam Smith und John Stuart Mill in dem Erfindungsschutz ein legitimes Mittel staatlicher Gewerbeförderung erblickt hatten. In der Folge ahmte man Erfindungen ungehindert nach, ohne den Urheber zu entlohnen; die Erfinder wandten sich in immer stärkerem Maße an das Ausland, um dort den zu Hause versagten rechtlichen Schutz einzuholen. Patente brachten in den Kleinstaaten Deutschlands dem Erfinder zu wenig ein.7 Die Behörden prüften, besonders in Preußen, jede angemeldete Erfindung genauestens auf Neuheit und Wert; sie patentierten sie nach freiem Ermessen, wobei das Interesse der Gesamtheit den Vorrang hatte.8 Während in Bayern 1871 88 Patente erteilt wurden, im industriefreundlichen Sachsen 138, in Württemberg 97, fiel die Zahl im größtenteils agrarstaatlichen Preußen von 74 Patenten 1862 auf 36 im Jahre 1871 (1867 aber 103).9 Der massive Einfluß der Industrie, den z. B. der internationale Patentkongreß in Wien, die Bildung eines Patentschutzvereins, der Patentschutzentwurf von 1872 ete. belegen, sollte jedoch bald zu einer Änderung dieser Einstellung führen, was sich in einem rapiden Ansteigen der erteilten Patente ausdrückte. In Preußen wuchs ihre Zahl von 126 im Jahre 1873 auf 4601876 (Sachsen 483).10 Der patentrechtIiche Schutz der Urheberpersönlichkeit, ihrer materiellen und immateriellen Interessen entwickelte sich nicht im gleichen 8 S. dazu aber Silberstein, Marcel, Erfindungsschutz und merkantilistische Gewerbeprivilegien, Zürich 1961, S. 266 f., der liberale Auffassungen und ihre negativen Auswirkungen auf Patente für Preußen seit 1806 nachweisen kann; Kahler, Josef, Lehrbuch des deutschen Patentrechts, Mannheim und Leipzig 1908, S. 9, spricht vom "Pesthauch der Lehre der Freihandelsschule" , die das "Erfinderrecht im Keime zu ersticken drohte. ce 7 Borchardt, Kout, Die industrielle Revolution in Deutschland, München 1972, S. 51 meint, der Grund für den lange Zeit wirkungslosen Schutz deutscher Erfinder liege in der Kleinstaaterei, die den einzelnen hätte zu wenig Gewinn erzielen lassen. Die logische Verknüpfung von mangelndem Schutz und geringem Gewinn ist aber unrichtig. Richtig ist vielmehr, daß selbst mit anfangs fehlenden und erst nach und nach eingeführten Patentgesetzen der Gewinn für den einzelnen Erfinder in einem größeren Wirtschaftsraum größer gewesen wäre. Im übrigen zeigt eine genaue Analyse, daß z. B. in Preußen die Gesetze sehr restriktiv angewandt wurden und so ein wirkungsvoller Schutz trotz Gesetz verhindert wurde; vgl. auch Kahler, Patentrecht, S. 1; mit Beispielen: Schreiber, Kurt, Die rechtliche und wirtschaftliche Bedeutung der Angestelltenerfindung, Berlin 1930, S. 12. 8 Vgl. Kahler, Josef, Handbuch des deutschen Patentrechts in rechtsvergleichender Darstellung, Mannheim 1902, S. 9; Müller, Alfred, Die Entwicklung des Erfindungsschutzes und seiner Gesetzgebung in Deutschland, Diss. München 1898, S. 18. t Vgl. Müller, Alfred, vergleichende Statistik am Ende des Bandes. 10 Müller, Alfred.
7. Kap.: Die Anerkennung der Erfinderehre
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Maße. Ursächlich dafür scheint nicht zuletzt die arrogante Einstellung, welche dem Autor eines schriftstellerischen Werkes oder eines Musikstücks wertvollere geistige Tätigkeit zuschrieb als dem praktisch wirkenden Erfinder. Dieselbe Einschätzung äußerte sich, sobald es um Vergütungen oder gar "gerechten Lohn" ging, in vornehmer Zurückhaltung. Das größere Verständnis dem Autor gegenüber erwuchs denn auch in erster Linie den unmittelbaren Interessen der Verleger, die offensichtlicher von ihren Urhebern abhingen, als die Industrie von Patenten. Im Zuge der auf 1848 folgenden ökonomischen Strukturwandlung Deutschlands entwickelte sich eine Schicht von Erfindern und Technikern, die oft selbst Unternehmer waren. Sie konnten nicht nur wirtschaftliches, sondern, dadurch bedingt, z. T. auch politisches Gewicht in die Waagschale werfen, wie z. B. die Brüder Siemens. "Für sie waren Bestrebungen zur Vereinheitlichung und Verbesserung des Erfindungsschutzes auf dem Gebiete des Deutschen Bundes keineswegs nur eine wirtschaftspolitische, sondern eine konstitutionelle Forderung zur Sicherung eines bürgerlichen Persönlichkeitsrechts, des ,geistigen Eigentums' .. .11." Ihre Stimmen blieben auch im Rechtsleben nicht ungehört. Während die Nationalversammlung in Frankfurt noch 1849 vergeblich versuchte, das Erfinderrecht reichsrechtlich zu regeln, während sich in Preußen 4/5 der Handelskammern im Jahre 1853 gegen ein Erfinderrecht aussprachen und die preußische Regierung noch 1872 für die Abschaffung des Erfinderschutzes beim Bundesrat plädierte, obwohl die Reichsverfassung in Art. 4 Ziff. 2, 5, 6 und 13 die Reichsregierung für zuständig erklärt hatte, regte der Verein Deutscher Ingenieure im selben Jahr die Gesetzgebung gleichermaßen an, wie der Patentschutzverein unter Werner von Siemens, indem er den Entwurf eines Patentgesetzes vorlegte. i2 Einen wichtigen Beitrag leistete der internationale Patentkongreß von 1872 in Wien, auf dem unter den anwesenden Industriellen, Erfindern und Regierungsvertretern die Befürworter einer Patent gesetzgebung vorherrschten. i3 Schließlich demonstrierte die Weltausstellung von Philadelphia 1876 den technischen Fortschritt Amerikas, der offensichtlich durch sein Patentrecht begünstigt worden war. i4 Diese .Ausstellung bewirkte einen grundlegenden Stimmungsumschwung in Deutschland. 11 Silberstein, S. 274 mit weit. Hinw.; vgl. auch die Protokolle der Reichstagsverhandlungen. 12 Busse, Rudolf, Patentgesetze und Gebrauchsmustergesetze, Berlin 1937,
S.28.
13 Häufig waren Erfinder und Industrielle noch identisch, wie das Beispiel der Brüder Siemens zeigt. 14 Zur volkswirtschaftlichen Bedeutung von Patenten s. S. 93.
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I. Teil: Die geistig-gewerblichen Persönlichkeitsrechte
Trotz des Mißstands von 29 verschiedenen Patentgesetzen, welche die übereinkunft des Zoll- und Handelsvereins von 1852 mit ihren allgemeinen Leitsätzen zur Erfolglosigkeit verurteilten,15 wäre zu diesem Zeitpunkt kein vereinheitlichendes Gesetz zustande gekommen, wenn nicht weitere Ereignisse hinzugetreten wären: Die Weltwirtschaftskrise von 1873 und ihr Druck ließen den Erfindungsschutz als willkommene Hilfe für die "notleidende" Industrie erscheinen. So fand trotz aller Widrigkeiten das Gesetz vom 25. Mai 1877 endlich eine breite Mehrheit, zu der sich selbst das ostelbische Junkerturn gesellt hatte: Ein gesetzlicher Anspruch des Erfinders wurde an Stelle des bisherigen Gnadenrechts verankert. 16 Unter dem Eindruck einer schweren Produktionskrise, die "schutzzöllnerische und geradezu neomerkantilistische Strömungen in Europa" verbreitete 17 , hatte sich der überwiegend freihändlerisch eingestellte Reichstag zu Schutzmaßnahmen bestimmen lassen. Die Grundstimmung der Fachdiskussionen, die dem Gesetz vorausgegangen waren, richtete sich auf die "dringende Pflicht der Träger der deutschen Industrie, jeden einseitigen Schutz von Interessen der Erfinder zu verhüten, vielmehr in erster Linie Interessen der Industrie zu berücksichtigen18 ." Der Entwurf tendierte also dazu, die Patente mit hohen Taxen zu belegen und durch ein scharfes Vorprüfungsverfahren auf Neuheit zahlenmäßig gering zu halten. Das Gesetz selbst zog "einerseits den Schlußstrich zu der aus dem Merkantilismus überkommenen, rein wirtschaftspolitisch begründeten Privilegierung des Erfinders", und eröffnete andererseits eine neue Periode, indem es "als Gegengewicht gegen den absoluten Anspruch des Erfinders, den ... Begriff des ,öffentlichen Interesses' gesetzlich verankerte(n)19." Die Entscheidung des Gesetzgebers zugunsten eines Erfinderschutzes beruhte demnach nicht im geringsten auf revolutionären Urheberrechtsprinzipien; im Vordergrund standen vielmehr volkswirtschaftliche Gründe: Außenhandelspolitisch geboten Interdependenz der nationalen Wirtschaften und beschleunigte Entwicklung der Technik mittels des Erfindungsschutzes, Schutzzölle zu errichten. über diese wirtschaftspolitischen Zielsetzungen ist das "moralisch fundierte Anrecht" des Erfinders nicht völlig in den Hintergrund getreten. 20 Wenn es auch 15 Busse, S. 27 f.11 Vgl. Silbers tein, S. 268, 282; Silberstein spricht dem in dem Gesetz verwirklichten Erfinderschutz bereits den Charakter eines Persönlichkeitsrechts zu. Diese Einschätzung ist zu wenig von juristischen überlegungen geprägt, wie die Untersuchung des Gesetzes zeigen wird, in dem sich allerdings erste Ansätze zu einem Persönlichkeitsrecht finden. 17 Silberstein, S. 268 f. 18 Silberstein, S. 28I. 19 Silberstein, S. 30I. 20 Vgl. Bernhard, Wolfgang, Die Bedeutung des Patentschutzes in der Industriegesellschaft, Köln, Berlin, Bonn, München 1974, S. 28 ff.
7. Kap.: Die Anerkennung der Erfinderehre
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zu dem Gesetz von 1877 kaum beigetragen hat, so war es doch Nutznießer der materiellen Bedingungen, die es begründen halfen. Die Entwicklung negierte nicht die Erfindung als Geistesschöpfung, sondern hob die ihr innewohnende und sie fördernde materielle wie volkswirtschaftliche Bedeutung hervor, die i. d. R. dazu beiträgt, einen Maßstab für die ideelle Anerkennung des Erfinders auszubilden.21 b) Das Patentwesen nach 1877
Der Ausgleich zwischen Erfinderinteressen und industriell-gewerblichen Ansprüchen markiert den roten Faden der weiteren Entwicklung; er findet seine Parallele in der Interdependenz von wirtschaftlichen und persönlichkeitsrechtlichen Interessen der Erfinder. Beide Komplexe sind in ihrem Zusammenhang umstritten. Unzweifelhaft gewann jedenfalls der persönlichkeitsrechtliche Aspekt des Erfinderrechts über das wachsende volkswirtschaftliche Gewicht des Patentwesens an Bedeutung; letzteres soll daher zunächst behandelt werden. Der Bereich des Patentwesens ist in erster Linie der des sekundären Sektors, des größten Sachkapitaleinsatzes also, wenn in herkömmlicher Weise der Produktions faktor Boden als Primär- und die Dienstleistungen als Tertiärsektor bestimmt werden. Der industrielle Wachstumsprozeß seit 1850 ist begleitet von einer Verschiebung der drei genannten "Produktionsfaktoren zum Sachkapitaleinsatz hin und zur Vergrößerung des Anteils der kapitalintensiven Wirtschaftszweige an der gesamten Wertschöpfung 22 ." Damit wird aus einer anfangs marginalen Größe der Beitrag des sekundären Sektors zum wesentlichen Indikator des Wachstumsprozesses. Eine genaue Einschätzung des Faktors Patente im Gesamtkomplex der industriellen Entwicklung, die sich vielfältiger, gleichzeitig wirksamer und einander bedingender Kräfte verdankt, ist freilich nicht möglich ohne eingehende Analyse des wirtschaftlichen Gesamtsystems, wie sie hier nicht geleistet werden kann. Sinnvoll erscheint demgegenüber eine Untersuchung des Zusammenhangs zwischen Patenten und technischem Fortschritt, wobei letzterer ein quantitativ schwer meßbarer Impuls des industriellen Wachstums- und Differenzierungsprozesses ist. 23 Der technische Fortschritt gibt einen Anreiz zur Investi21 Vgl. Vocke, Wilfried, Das Persänlichkeitsrecht des Erfinders unter besonderer Berücksichtigung der Erfindung ohne Schutzrecht, Diss. Tübingen
1965, S. 1.
22 Vgl. Unterburg, Gerd, Die Bedeutung der Patente in der industriellen Entwicklung, Berlin 1970, S. 23. 23 Unterburg, S. 14; der Begriffsinhalt der industriellen Entwicklung kann hier nicht näher bestimmt werden, vielmehr sei auf Unterburg verwiesen, der sich mit diesem Problem näher befaßt: vgl. S. 21 Anm. 14 mit weit. Hinw. auf die einschlägige Literatur.
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I. Teil: Die geistig-gewerblichen Persönlichkeitsrechte
tionstätigkeit, da mit ihm Erwartungen auf Produktmehrung und Produktivitätserhöhung wie Gewinnmaximierung verbunden sind. Patente "sind als Prozeßregler sekundäre Determinanten der industriellen Entwicklung, die nicht direkt auf die Unternehmererwartungen, sondern über einen Impuls, den technischen Fortschritt, und die damit verbundenen Anreize den Prozeß des zunehmenden Sachkapitaleinsatzes determinieren24 ." Die vorliegenden Arbeiten auf dem Sektor des Patentwesens versuchen, scheint mir, bisher meist erfolglos, eine genaue Wechselwirkung zwischen Industrialisierung, Patententwicklung und Erfindungsschutz nachzuweisen. Die volkswirtschaftliche Bestimmung der Patente als "Prozeßregler" und "sekundäre Determinanten" ist geeignet, ihnen einen bestimmten Platz im mikro- wie makroökonomischen Bereich zuzuordnen und damit vorzugeben, ihre Funktion präzise erkannt zu haben. Die dazu herangezogenen Argumente klingen durchaus plausibel, ohne allerdings einen nahtlosen Begründungszusammenhang zu liefern, und ohne den Innovationsprozeß in einzelne Wirkungsfaktoren und -strukturen auflösen zu können; ein solches Verfahren ist im übrigen kaum denkbar, zumal die geschichtliche Entwicklung durchaus unterschiedliche Schlüsse zuläßt, wie die Industrialisierung Preußens beweist, in der trotz "doktrinärem Liberalismus und restriktiver Patenterteilung" der englische Vorsprung frühzeitig aufgeholt werden konnte. 26 Plausibel ist es trotzdem, einen engen Zusammenhang zwischen Erfindungen, Erfindungsschutz, industrieller Revolution und ihren bis heute spürbaren Ausläufern anzunehmen. Schließlich fällt nicht zufällig die intensive Weiterentwicklung der deutschen Industrie in die Zeit nach dem ersten deutschen Reichspatentgesetz vom 1. Juli 1877, wie auch umgekehrt der Entstehungszeitpunkt des Patentgesetzes für die Häufung von Patenten aufschlußreich ist. Die plötzliche und überwältigende Anzahl konkurrierender Patente im Sektor Maschinenbau, Chemie, Elektrizität, Photographie etc. geht in der Tat auf bahnbrechende Ideen und schnelles Innovationsvermögen zurück. 26 Kohler hat treffend bemerkt, daß gerade "solche deutschen Industrien, die den Weltmarkt beherrschen, wie die Farbenindustrie ... , die elektrische Industrie, die Maschinenindustrie, ... in besonders hervorragender U Unterburg, S. 45; dazu zusammenfassend S. 160 f., 179 ff. Vgl. zu den Bestimmungsfaktoren des technischen Fortschritts Börlin, Max, Die volkswirtschaftliche Problematik der Patentgesetzgebung, St. Gallen 1954, S. 16 ff. 2$ Heggen, Alfred, Erfindungsschutz und Industrialisierung in Preußen 1793 - 1877, Göttingen 1975, S. 100 ff. und Peter Lundgreens Besprechung dazu, in: HZ 1976, S. 456 f. 2S Kohler, Handbuch, S. 9.
7. Kap.: Die Anerkennung der Erfinderehre
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Weise an dem Patentschutz" teilnehmen,27 den das Reichspatentgesetz durchzusetzen half. Ein weiteres Indiz für die Wechselwirkung zwischen Patenten, Patentschutz und industtieller Entwicklung ist der in den 70er Jahren nach der Krise langsam beginnende Vorbereitungswettbewerb in Form der Forschungskonkurrenz, die den Markt- und Preiswettbewerb verschärfte, ihn gleichzeitig verlagerte und sich verstärkt auf innerbetriebliche Forschung wie deren Niederschlag in Patenten stützte.28 Sie war u. a. Produkt größeren Sachkapitaleinsatzes und förderte ihrerseits Konzentration wie Kartellbildung; die mit ihr verbundene Kapitalintensität verdrängte den privaten zugunsten des Angestelltenerfinders und schuf in Form der "Etablissementserfindung" das größte Problem des Patentrechts. Die empirisch-quantitative Einschätzung der volkswirtschaftlichen Bedeutung von Patenten beruht letztlich auf der Zahl der Patentanmeldungen seit der Eröffnung des Patentamtes 1877. Ende 1877 lagen bereits 3212 Anmeldungen vor, 1878 waren es 5949; bis 1895 betrug die Steigerung jährlich rund 500 Anmeldungen (bis 1895 ca. 15000); seit 1895 läßt sich ein mittlerer Zuwachs von 1400 Anmeldungen feststellen, der seit 1900 noch zunimmt. Die Zahl wächst bis 1913 absolut von 21 922 auf 49 532 (= + 28 000). Bezeichnenderweise ist der Rückgang während des Ersten Weltkriegs äußerst gering, trotz der kriegsbedingten Produktionsveränderung (21041 im Jahre 1915). 1919 beträgt die Anmeldungszahl 43279 Patente, 56721 im Jahre 1921; 1922/23 ist ein leichter Rückgang zu verzeichnen, der in der Zeit des folgenden Aufschwungs bis 1930 zu einer Rekordhöhe von 78 400 Anmeldungen führt. Eine eindeutig kausale Beziehung zwischen einer Wirtschaftslage und der Zahl von Anmeldungen läßt sich nicht rechtfertigen, wie der Hochstand 1930 beweist; die Blüte der Erfindungen fällt im Gegenteil mit einem Niedergang der Wirtschaft zusammen und läßt eher den Schluß zu, daß in solchen Zeiten die Erfindungstätigkeit am regsten ist. 29 Obwohl in der Folgezeit die Konjunktur anstieg, fielen die Patentanmeldungen; sie schwankten zwischen 1934 bis 1938 um 5000. Bis 1943 sank die Zahl geringfügig ab; nach der Wiedereröffnung des Patentamtes lassen sich für 1950 53375 Anmeldungen verzeichnen und 60 230 im Jahre 1953. Insgesamt weist die Entwicklung von Anmeldungen bis zum Zweiten Weltkrieg ein relativ konstantes und geradliniges Wachstums auf mit zr Ebda.
Prahl, Klaus, Patentschutz und Wettbewerb, Göttingen 1970, S. 49; vgl. auch Tetzner, Das materielle Patentrecht, S. 56. 21 Zu der Statistik im einzelnen: Wurdach, Günther, Probleme und Ergebnisse der Patentstatistik, Diss. München 1960, S. 9 ff.; die Photoindustrie beispielsweise hatte in der Weltwirtschaftskrise Hochkonjunktur. !8
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1. Teil: Die geistig-gewerblichen Persönlichkeitsrechte
"Ausreißern"; man kann von einem Trend sprechen.3u Ein Vergleich mit der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung zeigt, daß beider Verlauf im wesentlichen übereinstimmt, wenngleich auf dem Gebiete des Patentwesens mit bemerkenswerten Abweichungen. Die offensichtlich wachsende Bedeutung des Patentsektors schlug sich rechtlich in neuen Problemen nieder. Insbesondere stellte sie Gesetzgeber, Rechtsprechung und Rechtswissenschaft vor die Aufgabe, der im einzelnen kaum abschätzbaren gesamtgesellschaftlichen Bedeutung, d. h. einmal dem volkswirtschaftlichen Gewicht der Patente wie andererseits ihrer Herkunft aus dem Individualbereich des Erfinders u. a. über persönlichkeitsrechtliche Lösungen gerecht zu werden; als noch schwieriger erwies sich das Problem der sogenannten Angestelltenerfindung.
2. Die Patentgesetze von 1877 und 1891 Mit dem Patentgesetz vom 25. Mai 1877 hatte der Gesetzgeber sein wichtigstes Ziel erreicht, Regelungen zu schaffen, die neue Erfindungen als solche erkennen und schützen ließen. Ein Persönlichkeitsrecht des Erfinders hatte er nicht gewährt: aus Sorge vor Nachteilen für die industrielle Entwicklung; der Schutz neuer Erfindungen diente jedoch als Fundament persönlichkeits rechtlicher Regelungen. Industrielle Kreise äußerten sich indes unzufrieden über das patentamtliche Verfahren und seine Art der Vorprüfung. Dies insbesondere führte zu einer Revision des Patentgesetzes im Jahre 1891, das die Mängel auf beiden Seiten verbesserte. 3l Zentraler Gedanke wie umstrittenster Diskussionspunkt in den folgenden Jahrzehnten war der jegliches Persönlichkeitsrecht ablehnende § 3 des Patentgesetzes; er räumte dem einen Anspruch auf Erteilung des Patents ein, der die Erfindung zuerst anmeldete. 32 Der Gewinn für den Anmelder, der mit dem Erfinder nicht identisch sein mußte - ein Vorteil für die industrielle Ausnutzung - , bestand nach § 4 darin, daß er ausschließlich befugt war, "gewerbsmäßig den Gegenstand der Erfindung herzustellen, in Verkehr zu bringen, feil zu halten oder zu gebrauchen". Damit wurde das Anmeldeprinzip zum Kern der rechtlichen Ausgestaltung des Patentrechts. Dem Reichspatentamt war es gleichgültig, woher der Anmelder seine Kenntnisse bezog. Begründet wurde dieses Verfahren, abgesehen von den Interessen der Industrie auf reibungslosere Aneignung der Ange;. stellten patente, damit, den Erfinder aus volkswirtschaftlichen Gründen 30 Wurdach, S. 10; die tatsächlich eingetragenen Patente finden sich ebda., S. 25 ff. 31 Schwagmeier, Friedrich, Das Urheberrecht des Geschäftsherrn an Werken und Erfindungen seiner Angestellten, Diss. Heidelberg 1908, S. 7.
3~ Vgl. Peltz, Erich, Der Gemeinschaftsgedanke im neuen Patentrecht, Köln Diss. 1938, S. 15.
7. Kap.: Die Anerkennung der Erfinderehre
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zur raschen Anmeldung seines Patents zu veranlassen. Er selbst wurde mit Vorbedacht nicht erwähnt.33 Ihm stand es frei, ein Verfahren auf Nichtigkeit oder Zurücknahme des Patents einzuleiten, wenn ihn der Anmelder in seinen Rechten verletzt hatte. Die §§ 35 und 36 regelten Schadensersatzleistungen und enthielten Strafbestimmungen für den Fall einer wissentlichen Ausbeutung einer Erfindung entgegen § 4. Nach Gierkes Worten verlangte zwar das geschichtlich entwickelte Rechtsbewußtsein gebieterisch die Anerkennung einer ausschließlichen Berechtigung, "durch deren Vorbehalt dem Erfinder, wenn er durch Hingabe einer in seiner Persönlichkeit entsprungenen Idee an die Gemeinschaft das wirtschaftliche Leben befruchtet und mit neuen Werten bereichert, ein äußerer Vorteil aus seiner Schöpfung gesichert wird3'." Das Patentgesetz von 1877 und das darauf folgende von 1891 verliehen diesem Gedanken mit dem Anmeldeprinzip jedoch nur unvollkommen Ausdruck. Die Gesetzgebung hat Wissenschaft und Praxis geprägt. Rechtsprechung und einem Teil der Literatur gegenüber erwies sie sich als Fessel. Auf der anderen Seite regte sie die Wissenschaft an, Grundsätze des Immaterialgüter- oder Persönlichkeitsrechts intensiver auszubilden und dafür einzutreten.36 Insgesamt verlangsamte der Gesetzgeber die Entwicklung eines Erfinderpersönlichkeitsrechts. Selbst heute behauptet sich die persönlichkeitsrechtliche Auffassung nicht unbestritten, wie der Kommentar von Bussmann / Pietzger / Kleine zeigt, nach deren Ansicht persönlichkeitsrechtliche Deutungen des Erfinderrechts am Wesen dieses Rechtsgebiets vorbeiführen; sie argwöhnen in der Verleihung rechtlicher Vorzugsstellung eine wirtschaftliche Ausnutzung. Darin liegt in der Tat der legitime Kerngedanke des Problems.s6 Die Verfechter des Persönlichkeitsrechts versuchten, das Erfinderrecht über den Gesetzestext hinaus zu erweitern. Seit 1900 strebte man an, vermögens- wie persönlichkeitsrechtliche Belange über § 823 Abs. 1 BGB zu schützen und dabei den allgemeinen Persönlichkeitsrechtsgedanken stärker heranzuziehen; dies erlaubte der Grundsatz, daß die allgemeinen Bestimmungen des bürgerlichen Rechts neben die besonderen der gewerblichen Schutzgesetze treten. 57 So sollten soziale Geaa VgI. die Motive zu den §§ 3 und 10 des Entwurfs zum Gesetz vom 25. Mai 1877; Bericht der Reichstagskommission betr. den Abänderungsentwurf von 1891, Drucksache Nr. 152/7. 3& Gierke, Privatrecht, S. 855. a5 GÜlland. / Queck, Die gesetzgeberische Reform der gewerblichen Schutzrechte, Berlin - Leipzig 1919, S. 3. 38 Bussmann / Pietzcker / Kleine, aaO., 11962, S. 165. 37 RGZ 115, 180 (184) vom 30. Okt. 1926; 120,94 (97) vom 31. Jan. 1928. 7 Stmon
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sichtspunkte, die nach ihrer Auffassung zur Entstehung des Patentgesetzes beigetragen hatten, mehr berücksichtigt werden. Der spätere, darauf fußende Entwurf von 1913 berücksichtigte in seinen Erläuterungen bereits das Erfinderprinzip. Er hält die Tatsache der geistigen Urheberschaft an sich für genügend, um ein Recht auf das Patent zu begründen. 38 Neben jenen Änderungen, die das Patentrecht in den Jahren 1900, 1911 und im Entwurf von 1913 erfahren hat, nach Verlängerung der Schutzdauer (1920), Erhöhung der Patentdauer von 15 auf 18 Jahre (1923), Kosten- und Gebührenerleichterungen (1932), brachte das Patentgesetz vom 5. Mai 1936, das bis heute gilt, bedeutendere Neuerungen.
3. Das Persönlicbkeitsrecllt an der Erfindung Das Recht auf Anerkennung der Erfinderschaft, etwa als Erfinder genannt zu werden, ist vor der Anmeldung beim Patentamt nicht mit dem Recht identisch, über welches der Urheber anschließend verfügen soll. Beide Rechte sind von dem Vermögensrecht zu unterscheiden, das sich objektiviert und von der Person des Schöpfers löst. s9 a) Das Recht vor Anmeldung der Erfindung
Eine nicht angemeldete oder nicht mehr geschützte Erfindung verleiht dem Erfinder weniger Befugnisse als das Recht auf Erfinderehre nach der Anmeldung, also nach dem Akt, der zum vollen Patentrecht verhilft. 40 Sie gewährt z. B. einen Anspruch auf Erteilung des Patents, auf Geheimhaltung einer Erfindung oder Ausschluß jeglicher Pfändung. 41 Die Erfindung muß allerdings in irgend einer Form realisiert sein, um jenes erste Erfinderrecht beanspruchen zu können; wer dieses widerrechtlich verletzt, soll daran gehindert bzw. zu einer Schadensersatzleistung gezwungen werden. 42 Das Gesetz von 1877/91 enthielt keine persönlichkeitsrechtlichen Bestimmungen zum Schutze des Nichtanmelders. Deswegen war dieser jedoch nicht schutzlos: § 3 Abs. 2 sollte den prima-facie Anspruch des Beilage zu Nr. 7/8 von BI. 1913, S. 14 ff. VgI. Kohler, Handbuch, S. 75 f. 40 VgI. Riezler, Urheberrecht, S. 25. 41 Vgl. Kohler, Josef, Der unlautere Wettbewerb, Berlin u. Leipzig 1914, S. 255; ders., Handbuch, S. 248 ff.; ders., Patentrecht, S. 86 und 227. U Das Erfinderrecht entsteht in dem Augenblick, in dem die Erfindung vorliegt, vgI. Allfeld, Philipp, Gewerblicher Rechtsschutz, 1. Bd. Musterschutz, Erfindungsschutz (Patentrecht), Hamburg 1923, S. 95 f.; Munk, Leo, Die patentrechtliche Licenz, Berlin 1897, S. 3 u. a. 38 38
7. Kap.: Die Anerkennung der Erfinderehre
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Anmelders korrigieren, indem er ihn dann zurückwies, wenn er den wesentlichen Inhalt seiner Anmeldung von einem anderen ohne Einwilligung entnommen hatte und dieser Einspruch erhob. Die §§ 2 Abs. 1, 35 und 36 sollten ein unbefugtes "Inbenutzungnehmen einer Erfindung" verhüten. Nach § 10 stand dem Berechtigten die Nichtigkeitsklage zu. Schließlich erhielt er später die negatorische Klage, die ihn nach § 823 BGB vorgehen ließ. Die Verteidiger des Persönlichkeits rechts versuchten, diese Schutzbestimmungen zusammenzufügen, entweder zugunsten eines einheitlichen Persönlichkeitsrechts oder, wie Kohler, als doppelte Verletzung: des Immaterialgüter- und des Persönlichkeitsrechts. Kohlers Vorstoß, den er 1878 als erster unternahm, fand weitgehende Zustimmung 43 ; andere, wie Gierke, Felix Dahn und earl Gareis, verstanden das Recht an der Erfindung als einheitliches Persönlichkeitsrecht, das die Rechtsordnung als Bestandteil einer bestimmten Persönlichkeitssphäre anerkennen sollte. Soweit es bereits Gegenstand des Rechtsverkehrs war, sollte das Erfinderrecht aus dem Persönlichkeitsrecht ausgespart bleiben. 44 b) Das Recht am angemeldeten Patent
Das Recht am angemeldeten Patent war als Persönlichkeitsrecht ebenso umstritten, wie das auf Anerkennung der Erfinderschaft vor der Anmeldung. 45 Die eine Fraktion verstand das Erfinderrecht als Recht an der eigenen Person, als ein Persönlichkeitsrecht. 46 Demgemäß konnte die staatliche Patenterteilung nicht rechtsbegründend wirken, vielmehr wurde das Erfinderrecht mit der Erfindung geboren als augenblicklich "rechtlich anerkanntes Persönlichkeitsgut" .47 Für die Anerkennung des Erfinderrechts als subjektives Persönlichkeitsrecht hat Gierkes Kampf um ein allgemeines Persönlichkeitsrecht als Schutz schöpferischer wie geistiger Leistung große Wirkung gezeitigt. 48 43 Kohler, Josef, Deutsches Patentrecht, Mannheim und Straßburg 1878; vgl. noch ders., Handbuch, Vorwort, S. V mit weit. Hinw. 44 S. dazu im einzelnen u. a. Schanze, Oscar, Der rechtliche Schutz der Erfinderehre, Gewerblicher Rechtsschutz 1902, S. 65 ff.; Munk, S. 3 f.; Gierke, Privatrecht, S. 856, 873, 892; weitere Hinweise s. Isay, Hermann, Patentgesetz und Gesetz, betreffend den Schutz von Gebrauchsmustern, Berlin 1903, S. 92; vgl. auch Osterrieth, Albert, Lehrbuch des gewerblichen Rechtsschutzes, Leipzig 1908, S. 80, Anm. 2 und S. 94: "Die Frage ist noch lebhaft umstritten"; Haff, Karl, Institutionen des Deutschen Privatrechts, Bd. I, Personenund Sachenrecht, Stuttgart 1927, S. 98 f. 45 Die einzelnen dazu ausgebildeten Theorien sollen nicht ausführlich dargestellt und auf ihren persönlichkeitsrechtlichen Gehalt hin untersucht werden, da sie sich grundsätzlich mit den im Urheberrecht diskutierten decken. 46 Gierke, Privatrecht, S. 856. 47 Gierke, Privatrecht, S. 857, 873.
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I. Teil: Die geistig-gewerblichen Persönlichkeitsrechte
Angegriffen wurde seine Auffassung z. B. von Hermann Isay.49 Er bezeichnete diese Konstruktion als unhaltbar, da das Individualrecht mit einem Erfinderrecht nichts zu tun habe. Nach Gierke bestünde auch dann noch ein Recht des erfindenden Angestellten an der Erfindung, wenn er keinen Besitz, somit kein Recht an ihr habe. Isay zufolge sollte ein solches Recht auf Besitz statt auf Individualrecht beruhen können, zumal dieses nicht übertragbar sei. 50 Dahinter stand die Sorge vor zu großer Ausdehnung des Erfinderrechts, denn ein Schutz der Angestelltenerfindung war besonders dazu angetan, die Industrie zu beunruhigen. Die Protagonisten des Persönlichkeitsrechts verstanden es, vorsichtig zu taktieren, entweder das Fehlen einer persönlichkeitsrechtlichen Regelung zuzugestehen, und den Schutz der Erfinderehre aus anderen Grund- und Rechtssätzen herzuleiten51 ; oder aber wie Kohler u. a., sich rückhaltlos für das Persönlichkeitsrecht einzusetzen, indem es galt, seinen allgemeinen Begriff durch stete Rückverweise, vor allem aber durch seine Position als besonderes Persönlichkeitsrecht im Privatrecht zu sichern. Kohlers "Deutsches Patentrecht", das 1878 erschien, war für die Entwicklung des Patentrechts in Literatur und Rechtsprechung von bahnbrechender Wirkung.52 Der von ihm eingeführte und durchgesetzte Begriff des Immaterialgüterrechts präzisierte und erleichterte die Auseinandersetzung um den vermägens- und persönlichkeitsrechtlichen Gehalt des Patentrechts, da dieser, darin dem Eigentum ähnlich, von der Person ablösbare und übertragbare Vermögensrechte umfaßte. 5s Das Recht sollte aus der persönlichen Erfindung entstehen, sein Gegenstand unkörperlicher Art sein. An der Erfindung als einem von der Person des Erfinders losgelösten, veräußerten Recht machte sich dagegen für den Urheber ein Immaterialgüterrecht fest. 54 Wie im Urheberrecht nahm Kohler den Einfluß der gemeinrechtlichen Praxis auf, die das Recht des schöpferischen Menschen überwiegend nach vermögensrechtlichen Kriterien beurteilt hatte. Solche Erfindungen, die im Persönlichkeitsbereich des Erfinders blieben, wollte seine Lehre durch ein nicht näher bestimmtes Persönlichkeitsrecht geschützt sehen.55 Vgl. Tetzner, S. 30. n Isay, Patentgesetz, S. 92.
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65
Isay, S. 100 f. Schanze, S. 70. Kohler, Deutsches Patentrecht, S. 7. Kohler, ebda. Kohler, ebda. Tetzner, S. 30 vernachlässigt in seiner negativen Einschätzung der
gemeinrechtlichen Praxis und ihrer Theorie Strukturen, die Kahler u. a.
7. Kap.: Die Anerkennung der Erfinderehre
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Trotz seines Vorstoßes setzte sich die Auffassung vom Charakter des Erfinderrechts als Persönlichkeitsrecht nur sehr langsam durch; bis 1927/28 konnte man sie nicht als die herrschende bezeichnen. Vielmehr dominierte das Erfinderrecht als Untersagungsrecht, entwickelt aus früheren Patentgesetzen; in ihnen war das Ausschließungsrecht das charakteristische Merkmal gewesen, um die Patentberechtigungen zu unterscheiden." Seit der Mitte der 20er Jahre griff die Literatur, bestärkt durch die öffentliche Diskussion um die Angestelltenerfindung und den Grundrechtsteil der Weimarer Verfassung, Bestrebungen der Erfinder auf, ihren Namen nicht von dem des Anmelders verdecken zu lassen. Um wirtschaftliche Interessen durchzusetzen und an den Gewinnen der Unternehmen zu partizipieren, erhielt jene "ewig unverrückbare Tatsache" erstrangiges Gewicht, Urheber der Erfindung zu sein, also die Erfinderehre zugesprochen zu erhalten.57 Diese ideelle Komponente überdeckte sogar den wirtschaftlichen Aspekt, wo der Erfinderruhm statt des materiellen Gewinns betont wurde; ihre zunehmende Anerkennung legitimierte gleichzeitig Forderungen, auch finanziell zu profitieren. In seiner Entscheidung vom 29. März 1905 verwies bereits das Reichsgericht auf die ideelle Seite, indem es dem Erfinder beiläufig den Anspruch zuerkannte, "als solcher zu gelten". Damit konnte es sich kaum auf eine gesetzliche Grundlage stützen, sondern bewegte sich auf "nahezu unvorbereitetem Gelände" .G8 Die in dem Urteil nur beiläufig berührte Forderung des Erfinders nach einem Persönlichkeitsrecht der ErfinderehreG8 wurde auch in den drei folgenden Jahrzehnten nicht erfüllt, trotz verstärkter Diskussion auf allen Seiten. Besonders hervorzuheben ist die nachdrückliche Erörterung von Gülland und Queck, die schon 1919 in der Nachfolge Kohlers, Gierkes und E. Riezlers für ein Persönlichkeitsrecht des Eraufnehmen konnte; Savigny, auf den sich Tetzner bezieht, erleichtert allerdings Kritikern wegen seiner starren Haltung zum Persönlichkeitsrecht ein Urteil; insbesondere, wenn sie ihn als einzig verbindlichen Sprecher für römisch-rechtliche Anschauungen ansehen und das sonstige Schrifttum vernachlässigen, fällt die Kritik häufig vernichtend aus. 68 Vgl. Munk, S. 7. 67 Vgl. Damme / Lutter, Das deutsche Patentrecht, Berlin 11925, S. 219. 68 RG, BI. 1905, S. 162; Wank, Gerhard, Das Persönlichkeitsrecht des Erfinders, Diss. Erlangen 1938, S. 5. 6t Der Begriff "Ehre" sollte von materiellen Interessen absehen lassen und das ideelle Moment kennzeichnen. Allgemein faßte man das Erfinderinteresse nicht unter den bürgerlich-rechtlichen Ehrbegriff, selbst wenn man von Erfinderehre sprach; Ehre wurde vielmehr synonym mit Persönlichkeitsrecht verwandt, freilich in der Meinung, damit einen eingängigeren und plausibleren Ausdruck gefunden zu haben.
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I. Teil: Die geistig-gewerblichen Persönlichkeitsrechte
finders eintraten und den amtlichen Entwurf eines neuen Patentgesetzes von 1913 diesbezüglich kritisierten. 6o Die Nähe zu Gierke zeigt sich insbesondere in der Bestimmung dieses Rechts als Ausfluß des "allgemeinen Grundrechts der Persönlichkeit", das die Rechtslehre, so Gülland und Queck unzutreffend, bereits gebilligt habe; lediglich Gierke und wenige andere Autoren gingen soweit. Im Unterschied zu der geläufigen Ansicht, das Erfinderrecht sei höchstpersönlich und unveräußerlich, versuchten Gülland und Queck, für das Persönlichkeitsrecht größere privatrechtliche Geltung zu erreichen. Sie bezeichneten die urheberrechtliche Regelung, die Veräußerung etc. zuließ, als wesensmäßig verwandt, ja vorbildhaft, um mit diesem Hinweis der Industrie die Sorge um mögliche Nachteile zu nehmen. Gl Das Patentamt kam der Anerkennung des Persönlichkeitsrechts einen Schritt näher als noch das Reichsgericht in seinem Urteil vom 29. März 1905. In der Bekanntmachung des Präsidenten des Reichspatentamtes vom 15. Februar 1922 schrieb es versuchsweise vor, den Erfinder in der Patentschrift zu nennen.G2 Ohne einen förmlichen Rechtsanspruch anzuerkennen änderte das Patentamt damit seine frühere Haltung, jedoch auch ohne die Richtigkeit der Angaben zu gewähren bzw. die materiellen Rechtsverhältnisse berühren zu wollen. Die Interessen der Industrie liefen seit geraumer Zeit parallel, solange ein derartiger Schritt ihre Position sichern würde und kein hinderliches Persönlichkeitsrecht des Erfinders zu befürchten war. 83 Im Verwaltungswege wurde damit einer gesetzlichen Regelung vorgegriffen, auch wenn die Angabe des Erfinders vorerst noch den Charakter einer unverbindlichen Mitteilung in der Patentschrift trug. Weder wurde die materielle Rechtslage dadurch geändert, noch konnte der Erfinder aus der Namensnennung einen Anspruch auf allgemeine Anerkennung herleiten.84 Die Wissenschaft begrüßte die Maßnahme als Rechtsfortbildung gerade im Hinblick auf das diffizile und drängende Problem der Angestelltenerfindung; die Praxis nutzte die neue Möglichkeit ausgiebig, so daß kein Grund bestand, von ihr wieder ab10 GÜlland. / Queck, S. 72 ff.; wie Kahler lehnen sie den Begriff "Erfinderehre" als irreführend ab. 81 Gülland / Queck, S. 74 und 77. 62 BI. 1922, S. 22 ff. und RG vom 8. Okt. 1930, MuW 1931, S. 34 ff. auf ein evtl. anzuerkennendes Persönlichkeitsrecht ging der Präsident des Patentamtes nicht ein. 83 Vgl. dazu Hüfner, Karl, Feststellung des Wortlauts der Patentschrift durch das Patentamt und Anführung des Namens des Erfinders in der Patentschrift, in: MuW 10, 1910, S. 365 ff.; Ephraim, Julius, Feststellung des Wortlauts ... (s. o. Hüfner), in: MuW 11, 1911, S. 106 f.; Gülland / Queck, aaO., S. 77. M Vgl. Kisch, Wilhelm, Handbuch des deutschen Patentrechts, Manrlheim, Berlin u. Leipzig 1923, S. 50.
7. Kap.: Die Anerkennung der Erfinderehre
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zurücken; der Gesetzgeber wurde vielmehr zu einer Regelung genötigt, da sich im steten Verwaltungsbrauch das "Persönlichkeitsrecht" der Erfinder auf Namensnennung festigte. 6s Bis 1928/29 hatte sich die Situation zugunsten des Persönlichkeitsrechts weiterhin verbessert. Zwar konnten durchgängig anerkannte Grundsätze nicht entwickelt werden; sein hauptsächlicher Inhalt, der Anspruch des Erfinders, öffentlich als solcher zu gelten, hatte sich jedoch durchgesetzt. Die 9. Auflage von Richard Lutters Patent gesetz aus dem Jahre 1928 demonstriert das Ergebnis. Hatte die 8. Auflage von 1920 noch auf fehlende Grundsätze für ein Individualrecht hingewiesen und daneben lediglich das Erfinderrecht, wenn auch dies nicht als Persönlichkeitsrecht behandelt, so behauptet der Kommentar 1928 apodiktisch das Bestehen eines Persönlichkeitsrechts.68 Ähnlich verfuhr H. Isay in der 5. Auflage seines Patentgesetzes von 1932.67 Auch der Beitrag von Hans Thieme von 1935 "Mitarbeiter und Industrie" berichtet, daß lange Zeit der Widerstreit zwischen persönlichkeitsrechtlicher, volkswirtschaftlicher und sachenrechtlicher Betrachtungsweise die rechtswissenschaftliche Durchdringung des Erfinderrechts gekennzeichnet habe, sogar sachenrechtliche Erfindungsrechte vertreten worderi seien; dies, obwohl es gerade dieser Auseinandersetzung angestanden hätte, den persönlichkeitsrechtlichen Gedanken zu unterstützen. GS Eine Stärkung persönlichkeits rechtlicher Ansätze schlug sich in § 32 des Entwurfs zum Patentgesetz von 1929 nieder, der den Anspruch des Erfinders auf Namensnennung endlich erfüllte.
4. Das Gesetz von 1936 Im Patentgesetz von 1936 hatte sich anscheinend die offizielle Auffassung des Nationalsozialismus durchgesetzt. Dies schien der auch andernorts häufig zitierte Passus aus Hitlers "Mein Kampf" beweisen zu sollen: "Eine menschliche Gemeinschaft erscheint nur dann als gut organisiert, wenn sie den schöpferischen Kräften in möglichst entgegenkommender Weise ihre Arbeiten erleichtert und nutzbringend für die Gesamtheit anwendet. Das Wertvollste an der Erfindung selbst, mag sie nun 1m Materiellen oder in der Welt der Gedanken liegen, ist zunächst der Erfinder alsPersoneo ."
el
Damme / Lutter, aaO., S. 220. Lutter, Richard, Patentgesetz, Berlin u. Leipzig 81920, S. 49 und 91928,
87
Isay, Patentgesetz, S. 121 und 151.
85
S. 38 f. 88
10
Thieme, Hans, Mitarbeiter und Industrie, Tübingen 1935, S. 48.
S. 496 f.
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I. Teil:
Die geistig-gewerblichen Persönlichkeitsrechte
Das Reichsjustizministerium hatte 1934 die 1913 begonnenen, seit zwei Jahren ruhenden Arbeiten an der Revision des Patentgesetzes wieder aufgenommen und den Entwurf des Reichsjustizministeriums von 1932 gründlich geändert. Nach der amtlichen Begründung bestimmten drei Gesichtspunkte die Neufassung, wobei nationalsozialistisches Gedankengut den Rahmen beschrieb70: Die schöpferische Persönlichkeit sollte gefördert und geschützt werden, allerdings "im Ehrendienst von Volk und Staat". Ideologisch verbrämt formuliert sich hier die altvertraute Forderung nach einem gerechten Ausgleich zwischen Persönlichkeitsschutz und der den Erfinder ausbildenden und versorgenden Allgemeinheit, die ihn für ihre Leistungen "regreßpflichtig" macht. In solche überlegungen war die Entwicklung von Persönlichkeitsrecht und Patentschutz seit Beginn eingebettet; selbst das liberale 19. J ahrhundert hat davon stets Gebrauch gemacht, wenngleich häufig materieller Vorteile wegen. Daneben traten gesetzestechnische Ziele wie Vereinfachung des Gesetzes, seine übersichtliche Gestaltung und Anpassung an internationale übereinkünfte. In erster Linie aber dachte man daran, die bisherigen persönlichkeitsrechtlichen und sonstigen Fortbildungen aus Rechtsprechung, Praxis und Wissenschaft zu normieren. Im Ergebnis führte dies, ohne ideologische Phraseologie, dazu, daß das Erfinderrecht im Gesetz von 1936 seinen älteren Fassungen ganz unähnlich wurde. Im Mittelpunkt steht mit § 3 der Anspruch des Erfinders gegen den Staat, ihm das Patent zu erteilen. Damit geht das Gesetz zum Erfinderprinzip über. Die erfinderische Persönlichkeit soll gewürdigt, ihr die Anerkennung gezollt werden, "die als Ansporn zu neuem Schaffen notwendig ist". 71 Das Recht auf das Patent steht jedoch auch dem Anmelder zu, wie § 4, ähnlich dem Gesetz von 1877/91, bestimmt. Der Gesetzgeber begründet diese Einschränkung mit praktischen Erfordernissen: die Prüfung der Patentanmeldung solle nicht durch umständliche Feststellung des Erfinders verzögert werden. Die verschiedene Gewichtung von Erfinder- und Anmelderstellung demonstriert den persönlichkeitsrechtIichen Fortschritt, der seit 1877/91 bis 1936 erzielt worden war, obwohl er nur auf den ersten Blick sonderlich groß erscheint.7 2 Das Erfinderrecht reduziert sich bei näherem Hinsehen auf einen abgeschwächten Erfindergrundsatz. Der persönlichkeitsrechtliche Schutz, den die nationalsozialistische Bewegung emphatisch als ihr Verdienst lobte, fällt damit, soweit er die neue gesetz10 Tl 7!
In: BI. 1936, S. 103. Amtliche Begründung, in: BI. 1936, S. 103.
Vgl. Kisch, Wilhelm, Anmeldeprinzip oder Erfinderprinzip, S. 131.
7. Kap.: Die Anerkennung der Erfinderehre
105
liche Regelung betrifft, kläglich aus. Auch der Versuch, den Wert des Erfinders auf Leistungs- und Persönlichkeitsprinzipien des Nationalsozialismus zu gründen, steht auf tönernen Füßen; Rechtsprechung, Literatur und patentamtliche Praxis hatten längst auf ein gestärktes Erfinderpersönlichkeitsrecht hingewirkt. 73 5. Der Beitrag der Rechtsprechung
Die Rechtsprechung schwankte lange, welcher Seite sie sich in der Auseinandersetzung um vermögens- oder persönlichkeitsrechtliche Bestandteile des Patentrechts zuneigen sollte. Ganz aus dem Rahmen fällt ein Urteil vom 21. November 188674, wonach die "Ehre" an der Erfindung zum Gegenstand eines Rechtsgeschäfts gemacht worden war: Der Erfinder eines neuen Spatenpfluges hatte die Ehre an der Erfindung dem Beklagten gegen Entgelt überlassen; dieser kam seinen Vertragsverpflichtungen nicht nach. Der österreichische Oberste Gerichtshof gab der Klage auf Entgelt statt.75 Das Gericht hatte sich Anschauungen zu eigen gemacht, wie sie in der juristischen Wissenschaft der Zeit nur von wenigen geteilt wurden, selbst im Lager derjenigen, die das Erfinderrecht nicht akzeptierten. Kristallisationspunkt war die Behauptung, weder sei es unmöglich noch durch Gesetz verboten, daß ein Dritter eine Erfindung als seine eigene ausgebe. Weder herrschende Lehre noch überwiegende Rechtspraxis deckten eine so weitreichende Auslegung; nicht mit der Ehre als übertragbarer sollte gehandelt, vielmehr die Erfindung ungehindert verwertet werden können. Deshalb sollte der Betriebsinhaber statt des Angestellten als Erfinder gelten. 78 Das Problem der Anerkennung eines Erfinderrechts vor der Anmeldung beim Patentamt hat das Reichsgericht in mehreren Urteilen beschäftigt. In einer Entscheidung vom 28. Mai 189277 sah der Erste Zivilsenat eine nicht angemeldete Erfindung für schützenswert an. Aus diesem Spruch ging das Persönlichkeitsrecht des Erfinders gestärkt hervor, urteilte das Gericht doch über einen Bereich, der vor materieller Verwertung, d. h. vor Patenterteilung liegt. Allerdings schränkt das Gericht dieses Recht bei der Diensterfindung wieder so weit ein, daß kaum ein Gewinn für den Erfinder bleibt. Immerhin finden sich persönlichkeitsrechtliche Ansätze zugunsten des Erfinders, auch wenn 73
74 75
7' 77
Wank, S. 15 f. mit weit. Nachw.; a. A. Peltz, S. 1. Zit. nach Munk, S. 4. Munk, S. 4. Vgl. Tetzner, S. 40 f. RGZ 29, 49 vom 28. Mai 1892.
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I. Teil: Die geistig-gewerblichen Persönlichkeitsrechte
sich diese zunächst für die Betriebe auswirken und erst langfristig ideelle und materielle Vorteile für den Erfinder bringen sollten. Die Rechtsprechung, die ein Erfinderrecht vor der Anmeldung anerkennt, wird in den folgenden Entscheidungen vertieft, ohne daß dessen persönlichkeitsrechtlicher Gehalt angesprochen oder gar Bezüge zum allgemeinen Persönlichkeitsrecht hergestellt würden. 78 Insgesamt kann sich das Erfinderrecht vor der Patentanmeldung schon bald nach Erlaß des Patentgesetzes von 1877 auf eine ständige Rechtsprechung stützen, die ausdrücklich seinen vermögensrechtlichen Gehalt feststellt, den persönlichkeitsrechtlichen, ideellen Aspekt aber mit sich transportiert. 79 Dazu gehört auch das "natürliche Recht" des Erfinders, seine Erfindungsgedanken selbst weiterzuverfolgen, ohne sie anderen preisgeben zu müssen. 80 Dies besagt ein aus dem Jahre 1922 stammendes Urteil, das den persönlichen Bereich des Erfinders weniger zurückhaltend bestimmt, ihn vielmehr als naturgemäß geschützt begreift. Der Ausdruck "natürliches Recht" zeigt, daß sich persönlichkeitsrechtliches Gedankengut in der Rechtsprechung des Reichsgerichts einen festen Platz sichern konnte. Bereits in seiner ersten Entscheidung zum Erfinderrecht vor Anmeldung vom 25. April 188281 hatte das Reichsgericht dem Erfinder das Recht zugesprochen, anerkannt und geschützt zu werden. Den Aspekt des ausschließlichen Gebrauchs hatte es deutlich davon unterschieden: der Erfinder erlangt ihn erst durch Privilegierung seitens der Staatsgewalt. Das Erfinderrecht, das richtigerweise vom Patentrecht zu scheiden ist, sollte nur bis zur Patenterteilung gelten, anstatt etwa daneben als "koexistierendes Gebilde" fortzubestehen. 82 Die Frage galt es zu beantworten, ob das Patentrecht einen persönlichkeits rechtlichen Kern enthielt oder ausschließlich vermögensrechtlicher Natur war. Das Reichsgericht hat in übereinstimmung mit dem allmählich überwiegenden Teil der Wissenschaft die persönlichkeitsrechtlichen Elemente des Erfinderrechts nicht länger unausgesprochen in seine Urteilsbegründungen einfließen lassen, sondern sie auch ausdrücklich benannt. Seine Entscheidung vom 7. Dezember 193283 liest sich fast als Bekenntnis dazu, zu einer Zeit, als Urheber-, Patent- und gewerbliche Probleme von vielen mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht verbunden wurden: Das OLG Düsseldorf als Berufungsgericht hatte eine 78 RGZ 77, 81 ff.; RGZ 26, 64 vom 11. Juni 1890; 37, 41 vom 11. April 1896; RGZ vom 29. März 1912, MuW 1912, S. 404 f. 70 Vgl. RGZ 77, 81. 80 RGZ 105, 315 (319) vom 1. Nov. 1922. 81 RGZ 7, 52 (58) vom 25. Apr. 1882. 82 RGZ 75, 225 (228) vom 13. Febr. 1911. 88 RGZ 139, 87 vom 7. Dez. 1932.
7. Kap.: Die Anerkennung der Erfinderehre
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Feststellungsklage für zulässig gehalten, auch wenn die Patentfähigkeit der Erfindung vorher nicht geklärt wurde. Der Kläger könne sich "auf das Persönlichkeitsrecht an der Erfindung berufen".84 Das vorinstanzliche OLG schien bewußt testen zu wollen, ob das Reichsgericht seine einschränkende Haltung aufzugeben bereit sei. Dieses nahm die offensichtliche Provokation auf, indem es jeder Ausweitung persönlichkeitsrechtlichen Gedankenguts Einhalt gebot. Freilich mußte es selbst anerkennen, daß dem Erfinder das Persönlichkeitsrecht zusteht, bei der Patenterteilung genannt zu werden. Durch dieses Zugeständnis veranlaßt, legt das Gericht erneut Nachdruck auf die Feststellung, das Recht an der Erfindung könne nicht allgemein als Persönlichkeitsrecht bezeichnet werden. 85 In der Sache sieht sich das Gericht jedoch mit dem Vorderrichter einig, wenn es ihm konzediert, er habe sich nur im Ausdruck vergriffen; im Ergebnis sei ihm zuzustimmen. Sichtbar ist hier die Ambivalenz, mit der das Reichsgericht taktiert: Wenn es schon ein Persönlichkeitsrecht als schützenswert anerkennen muß, so soll dies doch möglichst restriktiv geschehen, um Tendenzen zu dessen Ausweitung frühzeitig zu unterbinden. Gleichzeitig läßt sich erkennen, wie weitgehend persönlichkeitsrechtliches Gedankengut ins Patentrecht einfließen konnte, etwa als Erfinderehre, um von hier aus auf andere Sektoren überzugreifen. Eine weitere Ausdehnung verhindert die Befürchtung, der wirtschaftliche Verkehr könne durch absolute, generell wirkende Persönlichkeitsrechte oder ein allgemeines Persönlichkeits recht zum Erliegen kommen.
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Ebda., S. 92. Ebda.
Achtes Kapitel
Der angestellte Erfinder Zentraler, weil zugleich sozialer, wirtschaftlicher und rechtlicher Unruheherd des Patentwesens war nicht der Streit um die Urheberschaft des einzelnen freischaffenden Erfinders, sondern die Arbeitnehmererfindung. Der angestellte Erfinder erhob Ansprüche auf die Verwertung seiner Erfindung, gleichgültig, ob er sie allein oder mit anderen gemacht hatte. Der Unternehmer schuf in der Regel durch die Kapitalausstattung seines Betriebes die Voraussetzungen für Erfindungen, folglich interessierte er sich für ihre Erträge. Der Erfinder mußte den manchmal geringen, aber auch in Mill. Reichsmark gehenden Gewinnen zuschauen, die er bewirkt hatte, ohne davon zu profitieren. 1 Da es um erhebliche materielle und persönliche Werte (Erfinderehre) ging, kam es seit Ende des 19. Jahrhunderts zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen Arbeitgebern und Angestelltenverbänden, die das Problem der Erfinderehre, der ideellen und materiellen Teilhabe wie des allgemeinen Persönlichkeitsrechts in die Öffentlichkeit trugen. Ein Grund war, daß die Gesetze von 1877 und 1891 keine ausdrückliche Regelung enthielten, ein scheinbares Versäumnis, das jedoch angesichts der wirtschaftlichen und sozialen Bedeutung der Frage wenig überrascht.! In diesen Gesetzen ging es hauptsächlich um den Erfindungsgegenstand, d. h. darum, den technischen Fortschritt zu betreuen, ohne die Belange des Erfinders oder der Allgemeinheit entscheidend zu gewichten.8 Die makroökonomische Bedeutung des Problems zeigt sich darin, daß der Anteil der Arbeitnehmererfindungen an der Gesamtzahl der Erfindungen etwa im Jahr 1950 mehr als 70 % umfaßt und nach Quantität und Qualität weiter zunimmt. 4 1 Vgl. das instruktive Beispiel bei Volmer, Bernhard, Arbeitnehmererfindungsgesetz, München u. Berlin 1958, S. 29 f. aus einer Reichstagsdiskussion von 1905. 2 A. A. Wangemann, Paul, Das Recht der Angestellten an ihren Erfindungen, Diss. Straßburg o. J., ca. 1911, S. 9. a Klauer / Möhring, 2. Auf!. 1940, S. 56. , Kirchhof!, Heinrich, Probleme des Rechtes der Arbeitnehmer-Erfindung, in: JR 1951, S. 303 f.; z. T. erheblich abweichende Zahlen finden sich bei Engländer, Konrad, Die Angestelltenerfindung nach geltendem Recht, Leipzig / Erlangen 1925, S. 43; Gaul / Bartenbach, Handbuch des gewerblichen Rechtsschutzes, Köln - Marienburg 11974, S. 86 schätzen den Anteil auf 80 - 90 Ofo aller Erfindungen.
8. Kap.: Der angestellte Erfinder
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1. Die AusgangssituatioD In genormten Verträgen wurde dem Arbeitnehmer abverlangt, sämtliche Erfindungen entschädigungslos und ohne genannt zu werden, in das Alleineigentum der Firma zu übertragen, sofern nicht der Arbeitgeber ohnehin originär Eigentum erwarb; eine Vergütung hing von seinem Ermessen ab. 5 Die Praxis klärte so Rechtsfragen durch Vertrag (Erfinderklausel). War keine im Vertrag enthalten, ermittelte das Gericht den Parteiwillen und wog Arbeitgeber- und Angestellteninteressen gegeneinander ab. 6 In einer ebenso vielsagenden wie typischen Entscheidung aus dem Jahre 1887 stellte das Reichsgericht fest: Wenn sich jemand vertraglich verpflichtet, seine Arbeitskraft für einen anderen zu verwenden, gehört das wirtschaftliche Produkt dem anderen. Das gleiche gilt für eine Erfindung. 7 Während die Praxis, abgesichert durch Klauseln, sich wenig darum kümmerte, ob die Erfindung in der Person des Urhebers oder in der des Unternehmers entstand, war dies der strittige Punkt in der Wissenschaft. Die Stellungnahmen zu dieser Frage entsprechen der grundsätzlichen Einstellung des jeweiligen Autors zum Persönlichkeitsrecht; freilich übten selbst die Verfechter eines allgemeinen Persönlichkeitsrechts oder eines besonderen Persönlichkeitsrechts bei der Angestellten- oder Etablissements- bzw. Betriebserfindung Zurückhaltung. 8 Eine Gruppe sprach die Erfindung dem Arbeitgeber originär zu, "dergestalt, daß die Erfindung bei der Konzeption im Gehirn des Angestellten sofort in das Vermögen des Geschäftsherrn hineinwächst ...9.", d. h. ohne urheberrechtliche Grundsätze zu berücksichtigen. Nach der anderen Auffassung sollte der Unternehmer die Erfindung derivativ, aber auch ohne ausdrücklichen übertragungsakt, erwerben. lo Die 5 VgI. die Dienstvorschrift der Siemens- u. Halske AG von ca. 1899, zit. bei Engländer, S. 46, Anm. 16: "I. Erfindungen oder Verbesserungen aller Art, welche von den Angestellten der Gesellschaft gemacht werden, kann diese als ihr ausschließliches Eigentum in Anspruch nehmen." Zur Vergütung vgl. RG vom 9. Juli 1919, BI. 1919, S. 132 ff. (134). e VgI. Schreiber, Kurt, Die rechtliche und wirtschaftliche Bedeutung der Angestelltenerfindung, Berlin 1930, S .. 18. 7 RGZ vom 2. Febr. 1887, PatentbI. 89, 119; s. dazu Osterrieth, Albert, Verhandlungen des 28. Deutschen Juristentages, Berlin 1905, 2. Bd., S. 194 ff. 8 Der Begriff stammt von Gareis, earl, Das deutsche Patentgesetz vom 25.5.1877, Berlin 1877, S. 75 ff. Er besagte, daß die Erfindung "allmählich und durch das Zusammenwirken verschiedener Ingenieure oder anderer Beamter dieses Etablissments in der Weise gemacht worden ist, daß es schließlich unmöglich ist, zu sagen, wer von den einzelnen physischen Personen die entscheidende ingenieuse Idee hatte." Die spätere Bezeichnung Betriebserfindung fußte auf § 9 Abs. 2 des Reichstarifvertrages der akademisch gebildeten Angestellten der chemischen Industrie vom 27. April 1920. o Wangemann, S. 24. 10 Gierke, Privatrecht, S. 869 f.; vgI. auch Allfeld, Philipp, Kommentar zu
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I. Teil: Die geistig-gewerblichen Persönlichkeits rechte
Rechte des Arbeitgebers waren dinglicher oder obligatorischer Natur. Die Originär-Erwerbs-Theorie entsprach insofern der Wirklichkeit, als der Patentinhaber häufig wahrheitswidrig als Erfinder angesehen und mit der Erfinderehre ausgestattet wurde. Die vom Gesetzgeber vollzogene Normierung des Anmeldeverfahrens diente dieser Lehre als Absicherung und Bestätigung. Unter ihren Vertretern sind insbesondere Kohler und H. Isay zu nennen. l l Man kritisierte an ihr die uneingeschränkt industrie freundliche Einstellungl2 und, juristisch, daß der Dienstvertrag wie ein dingliches Veräußerungsgeschäft behandelt werde. 13 Bei Kohler, der auch hier wirtschaftlich-praktische Belange im Auge hatte, verblüfft angesichts seiner sonstigen persönlichkeitsrechtlichen Beweggründe diese Zurücksetzung des Angestelltenerfinders. Eine plausible Rechtskonstruktion zu finden, war ihm nicht leicht. Nach einem allgemein kritisierten Entwurf l4 sah er jede Erfindung als Rechtsgeschäft an, bei dem der Arbeitgeber ein Recht auf die Erfindung durch rechtsgeschäftliche Stellvertretung seitens des Angestellten erlangen sollte. Der Angestellte verpflichtete sich bei seinem Eintritt in den Betrieb, diesen in jeder Beziehung zu fördern; also falle eine Erfindung dem Unternehmer als sein Eigentum zu. Einen Anhalt im Gesetz lieferte ihm § 2 des Geschmacksmustergesetzes, den er analog auf das Dienstverhältnis übertrug. 15 Da die Erfindung offensichtlich ein Realakt ist, mußte Kohlers Rechtsgebäude nicht nur die Kritik der Vertreter des Persönlichkeitsrechts hervorrufen. Desgleichen wurde seine andere Prämisse, das soziale Unterordnungsverhältnis, angegriffen.16 Schon 1906 sah man sie, in enger Verbindung "mit dem Rechtszustande der früheren Leibeigenschaft"17, als rudimentär an, als unerwünschtes Relikt aus unfreien A bhängigkei tsverhäl tnissen. 18 den Reichsgesetzen über das gewerbliche Urheberrecht, München 1904, S. 26 u. a. 11 Kahler, Handbuch, S. 234 ff.; Isay, Patentgesetz, S. 87 ff.; AlexanderKatz, Paul, Die Rechtsverhältnisse der höheren technischen Angestellten, Berlin 1906, S. 26 ff. 12 Wangemann, S. 25 und 59 f.; Schwagmeier, Friedrich, Das Urheberrecht des Geschäftsherrn an Werken und Erfindungen seiner Angestellten, Diss. (Heidelberg), Berlin 1908, S. 23. 13 Vgl. Volmer, S. 35 und Engländer, aaO., S. 11 über ihre Verbreitung und Ablehnung. 14 Volmer, S. 27 spricht davon, daß Kahler das Recht des Arbeitgebers zu erklären sucht. 15 Kahler, Patentrecht, S. 59 ff.; ders., Handbuch, S. 234 ff.; ders. Lehrbuch, S. 87 ff.; vgl. dazu Engländer, S. 53 und 59. . IG Alexander-Katz, Richard, Gutachten zum 28. Deutschen Juristentag, Berlin 1905, Bd. 2, S. 282 ff. (290 ff.).
8. Kap.: Der angestellte Erfinder
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Kahler also trug nicht gerade dazu bei, die Angestelltenerfindung persönlichkeitsrechtIich abzusichern. Rückhalt erhielt sie vielmehr, wenn überhaupt von juristischen Konstruktionen, von der Abtretungstheorie. Beispielhaft steht dafür Gierkes Ansicht. Er hielt fest, daß "das ursprüngliche Erfindungsrecht mit seinem idealen Werte und seiner Ehre beim Erfinder" verbleibt.19 Hierin blieb Gierke konsequent. Aus ökonomischen Gründen akzeptierte er dagegen eine praktische Regelung im Sinne der Unternehmung, wonach durch Vertrag im voraus ein sofortiger Übergang des Rechts vereinbart werden konnte; regelmäßig sollte dem Geschäftsherrn ein abgeleitetes Erfinderrecht zukommen. 2o Die Abtretungstheorie, die ein Persönlichkeitsrecht nicht grundsätzlich ablehnt, erlangte als herrschende Lehre weite Verbreitung, da sie weder eine einseitige Haltung wirtschaftlichen Interessen gegenüber vertrat, noch - theoretisch - dem Arbeitnehmer sämtliche Rechte absprach; in Begründung wie Ergebnis konvenierte sie mit der Rechtsprechung ihrer Zeit. So lehnte das OLG Köln21 in einer Entscheidung die Stellvertretungslehre Kohlers ausdrücklich ab, um dann fortzufahren, daß herrschende Lehre und Rechtsprechung des Reichsgerichts "eine Übertragung des Urheberrechts des Angestellten auf den Geschäftsherrn kraft des Dienstverhältnisses aufgrund stillschweigenden Vertrags dann (annehmen), wenn die Erfindung oder das Urheberrecht in den Rahmen des Dienstverhältnisses des Angestellten fällt ... Hiernach erwirbt der Geschäftsherr das Urheberrecht als abgeleitetes ..." Noch 1939 läßt das Reichsgericht offen, ob die Erfindung "ohne weiteres" dem Geschäftsherrn zufällt oder besonders übertragen werden muß. 22 Trotz ungenauer Ausdrucksweise oder gar gegenteiligen Anscheins herrscht aber Einigkeit über die Tatsache, daß der Erfinder sein Gedankenprodukt selbst ersonnen hat. Dies war zu offenkundig, um dauerhaft geleugnet werden zu können. 23
17 Katz, Edwin, Rechte der Angestellten an der Erfindung, in: GRUR 1906, S. 213 ff. (219). 18 Sinzheimer, Hugo, Artikel "Arbeitsrecht", in: Handwörterbuch der Staatswissenschaften, 1. Bd. Jena 41923, S. 844 ff. (855). 11 Gierke, Privatrecht, S. 870 Anm. 45. 20 Vgl. Gierke, S. 869 f. !1 Vom 6. März 1918, in: GRUR 1919, S. 113. 22 RGZ 163, 112 (115) vom 22. Dez. 1939. !3 Vgl. RGZ vom 14. Jan. 1914, MuW 1913, S. 554; OLG Düsseldorf v. 11. März 1919, MuW 1919, S. 162; RGZ v. 9. Juli 1919, BI. 1919, S. 132; RG v. 5. Febr. 1930, RGZ 127, 197 (201).
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I. Teil: Die geistig-gewerblichen Persönlichkeitsrechte
2. Persönlichkeitsrechtliche Tendenzen zugunsten des angestellten Erfinders Trotz und z. T. gerade wegen der einmütig ablehnenden Haltung von allen Seiten meldeten sich bereits vor der Jahrhundertwende Stimmen zugunsten des Angestelltenerfinders. Sicherlich trug dazu die breite juristische Diskussion um ein allgemeines Persönlichkeitsrecht bei. Inwieweit auch soziale Gedanken, veränderte Grundanschauungen, mit eingeflossen sind, läßt sich im einzelnen nicht feststellen. Eine entsprechende Tendenz ist seit den 8Der Jahren des 19. Jahrhunderts zu bemerken; sie zeigt sich in der Bismarckschen Sozialgesetzgebung, wenngleich diese von der Angst vor sozialistischen Umtrieben beflügelt wurde. 24 Ungleich plastischer wird das neue Bild vom angestellten Erfinder von den Betroffenen selbst mitgezeichnet, die sich mit Geschick und Publizität Gehör zu verschaffen wußten. Zwar gab es schon seit Ende der 7Der Jahre im Reichstag und unter Juristen vereinzelte Stimmen für den Arbeitnehmererfinder, Gewicht erhielten sie jedoch erst um die Jahrhundertwende durch Angestelltenverbände. 25 Ihr Schlagwort "Expropriation auf geistigem Gebiet" drang an die Öffentlichkeit; sie beklagten "eine arbeitnehmerfeindliche Haltung", von der sie "im Stich gelassen worden" seien ... Zwei rechtspolitische Forderungen stellten sie auf: ,,1. Anerkennung des Persönlichkeitsrechts des Erfinders; 2. Ansprüche auf einen Teil des Erfindungsgewinnes 26 ." Wie vorauszusehen, stießen sie auf heftigen Widerstand der Industrie. Um den eigenen Status zu bewahren, lehnte diese alle Vorschläge, Entwürfe und etwa damit verbundene Eingriffe kategorisch ab. 27 Man leugnete die Mißstände und wandte "sich aufs schärfste gegen jeden Versuch eines gesetzgeberischen Eingriffs in die ruhige Entwicklung der Organisation der Industrie 28 ." Der Streit um persönlichkeits- und vermögens rechtliche Teilhabe verursachte derartiges Aufsehen, daß ein Abgeordneter 1912 erklärte: "Die Angestelltenerfindung hat in den Wahlen eine bedenkliche Rolle gespielt. Dadurch, daß U Vgl. VopZer, Otto, Bismarcks Sozialpolitik, in: HZ 167 (1943), S. 336 ff.; Badura, Peter, Das Verwaltungsrecht des liberalen Rechtsstaates, Göttingen 1967, S. 20 f. mit weit. Hinw.
2$ Insbesondere der Bund der technisch-industriellen Beamten und der deutsche Technikerverband. 2G VoZmer, S. 28 f. mit Hinweis auf die Reichstagsverhandlung vom 1. Febr. 1913, in: GRUR 1913, S. 61. 17 Vgl. v. Siemens, Werner, Das Recht der Angestellten zu den Erfindungen, in: GRUR 1907, S. 203 ff.; S. 211: "Das Sonderinteresse ... (ist) Gift für das Allgemeininteresse"; S. 213: Schwächung der Industrie ist die Folge.
!8
Engländer, S. 1.
8. Kap.: Der angestellte Erfinder
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ein Problem zu einer Machtfrage wird, gewinnt es in der Regel nicht an Klarheit29 ." Die Wissenschaft hatte sich indes der Erfinderehre auch für Angestellte verstärkt angenommen; unter anderen Autoren wie Paul Wangemann und Konrad Engländer. Bereits vor und um 1900 hatten sich Gierke, earl Gareis und Philipp Allfeld für ein allgemeines wie auch hier wirksames Persönlichkeitsrecht, zumindest aber für ein besonderes, ausgesprochen, das dem Angestelltenerfinder zugute kommen sollte. Ihre Beiträge wirkten über den begrenzten Patentsektor hinaus, so daß sich eine erstarkende Persönlichkeitsrechtspartei formieren konnte. Marksteine in der Entwicklung des Persönlichkeitsrechts für die Angestelltenerfindung waren der 28. und 29. Juristentag. Die dort geäußerten Vorstellungen wollten die Erfi~dung dem Angestellten, der sie gemacht hat, bewahren und nicht dem Geschäftsherrn, sofern nicht ein Vertrag das Gegenteil bestimmte; angemessenes Entgelt sollte zugesichert werden. Die Vertragsfreiheit über Erfindungen wollte man freilich nicht eingeschränkt sehen. Gerade sie führte aber zum Verzicht des Angestellten. Das Gewicht dieser Fraktion zeigte sich in der an den Reichskanzler gerichteten Aufforderung des Reichstags von 1909, die Erfindung der technischen Angestellten und Arbeiter sei in der bevorstehenden Reform des Patentgesetzes stärker zu schützen. 3o Trotz aller persönlichkeitsrechtlichen Kämpfe mußte Jahre später,
1919, erneut ins Bewußtsein gerückt werden, daß es um nichts Gerin-
geres ging als um einen Ausgleich der divergierenden Interessen auf dem Gebiet geistiger Lohnarbeit: "Das Problem ist ein soziales31 ." Es war in erster Linie - und ist es noch heute - ein wirtschaftliches, das die grundsätzlichen Fragen von Lohnarbeit und Kapital betrifft und praktisch wie theoretisch im bestehenden Bezugsrahmen kaum lösbar ist. Gülland und Queck haben 1919 neben anderen die Funktionsfähigkeit "der Unternehmung als Wertfaktor der Volkswirtschaft" für das ausschlaggebende Argument gehalten, da nur sie dem angestellten Erfinder überhaupt eine Verwertung seiner Schöpfung ermögliche. "Der genossenschaftliche Geist, Treueverhältnis der Arbeitsgemeinschaft muß hier der Eigensucht des einzelnen die richtigen Bahnen weisen32 ." Zwischen den Polen volkswirtschaftlichen Schadens und individuellen Eigennutzes sollte der Weg zu jener Lösung führen, die 29 Zit. bei Hueck, Alfred, Gedanken zur Neuregelung des Rechts der Arbeitnehmererfindungen, Festschrift für Arthur Nikisch, Tübingen 1958,
S.63. 30 31
31
In: GRUR 1909, S. 202 ff. Gülland / Queck, S. 94.
Dies., S. 97.
8 Slmon
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I. Teil: Die geistig-gewerblichen Persönlichkeitsrechte
dem Erfinder grundsätzlich ein Persönlichkeitsrecht und nach den Gegebenheiten eine Vergütung zuspricht. Ende 1919 erzielten Vertreter der Industrie- und der Angestelltenverbände übereinstimmung in der Frage der Betriebs- und der dienstlichen Einzelerfindung. 33 Die daraufhin abgeschlossenen Tarifverträge der 20er Jahre, insbesondere der für allgemeinverbindlich erklärte Reichstarifvertrag der chemischen Industrie, hatten, wo sie ein Persönlichkeitsrecht des angestellten Erfinders nicht behinderten, so doch so gut wie keine praktischen Konsequenzen. Eine fortschrittliche Ausnahme war auch hier die bereits erwähnte Bekanntmachung des Patentamtspräsidenten von 1922 über die Erfinderbenennung34 , die als ein erster Ansatzpunkt für ein Persönlichkeitsrecht auch des angestellten Erfinders begrüßt wurde. 35 Aber auch der Gesetzgeber hat die während des Krieges liegengebliebenen Reformpläne wieder aufgenommen. Der "Entwurf eines allgemeinen Arbeitsvertragsgesetzes" löste sich von der patentrechtlichen, d. h. erfinderrechtlichen, zugunsten einer mehr arbeitsrechtlich ausgerichteten Sicht. Er besann sich auf die von Rechtsprechung und herrschender Lehre entwickelten Grundsätze, wonach dem Unternehmer die Rechte aus der Betriebserfindung und aus der betrieblichen Einzelerfindung ohne weiteres zuständen, da der Arbeitnehmer sie mit Vertragsschluß grundsätzlich auf diesen übertragen habe. Der Entwurf des Arbeitsvertragsgesetzes fiel damit hinter den Entwurf von 1913 zurück, zumal er dem Arbeitnehmer keine Vergütung zusprach. Immerhin hatte sich das Recht auf Erfindernennung inzwischen unter dem Schlagwort Erfinderehre auch in dem Entwurf durchgesetzt; insofern kennzeichnet er einen fortgeschrittenen Stand persönlichkeitsrechtlichen Gedankenguts. Ein grundsätzlicher Einschnitt vollzog sich mit dem Patentgesetz von 1936, obwohl darin das Arbeitnehmererfinderrecht nicht ausdrücklich geregelt, vielmehr einem späteren Arbeitsvertragsgesetz vorbehalten wurde. Trotzdem wirkte sich das Patent gesetz aus, da ihm das Erfinderpersönlichkeitsrecht und das wenn auch eingeschränkte Erfinder38 Die Unterscheidung in Betriebserfindung, dienstliche Einzelerfindung und nichtbetriebliche Erfindung hatte sich statt des Begriffs EtablissementErfindung seit dem Augsburger Kongreß von 1904 durchsetzen können. Ein ähnliches Verhalten wie im Jahre 1919 zeigte sich kurz nach dem Zweiten Weltkrieg, als unter dem Eindruck der Kriegslasten und -folgen wie der drohenden Entflechtungsgefahren die Unternehmerseite in der Mitbestimmungsfrage zu weitergehendem Entgegenkommen bereit war als Jahre danach. 34 s. o. 35 Volmer, S. 32; ihm ist zuzustimmen, soweit er damit die erste amtliche Maßnahme meinte.
8. Kap.: Der angestellte Erfinder
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prinzip zugrunde lagen: Auswirkungen, die nicht im patentIichen Bereich verblieben, sondern auf das allgemeine Persönlichkeitsrecht ausstrahlten. Wenn auch das Reichsgericht im Unterschied zur späteren BGH-Praxis noch nicht den Schluß von dem speziellen auf ein allgemeines Persönlichkeitsrecht zog, so modernisierte doch die Lehre insoweit ihre Auffassung, als der Arbeitgeber nach Anerkennung eines Erfinderpersönlichkeitsrechts auf keinen Fall mehr originär das Arbeitnehmererfinderrecht erwerben sollte. Die veränderte Sicht zeigte sich unmittelbar nach Erlaß des Gesetzes: Von der 9. Auflage seines Patentgesetzkommentars im Jahre 1928 zur 10. von 1936 vollzog R. Lutter eine bezeichnende Wendung. In der 9. Auflage hatte er die Diensterfindung noch ohne weiteres dem Geschäftsherrn zugeschrieben36 ; acht Jahre später mußte er das Gegenteil beteuern: " ... daß im Falle der Diensterfindung die persönliche Erfinderehre dem Angestellten bleibt ... ist selbstverständlich37 ." Dieser Wandel gründete sich in erster Linie auf das "eingeschränkte Erfinderprinzip" des § 3. § 26 Abs. 6 PatG verpflichtete den Anmelder, den Erfinder namhaft zu machen; § 36 schrieb vor, daß der Erfinder in den Bekanntmachungen des Patentamts, auf der Patentschrift und in der Patentrolle zu nennen sei. Darüber hinaus stützte § 4 die neue Gewichtung, indem er nur noch von Diensterfindung und freier Erfindung sprach; nach der Regelung der §§ 5 Abs. 1 S. 2 und 12 Abs. 2 und 5 konnten mehrere Arbeitnehmer an einer Diensterfindung beteiligt und dennoch Erfinder sein, ohne den Anspruch auf Vergütung zu verlieren (Miterfinder).38 Eine einheitliche Praxis und Regelung blieben der Diskussion um die Arbeitnehmererfindung dennoch versagt. Erst unter dem Druck des technischen Krieges39 kam am 12. Juli 1942 die "Verordnung über die Behandlung von Erfindungen von Gefolgschaftsmitgliedern" zustande. Sie verpflichtete die "Gefolgschaftsmitglieder" dazu, ihre aus dem Betrieb hervorgegangenen Erfindungen dem Unternehmer gegen angemessene Vergütung zu Verfügung zu stellen. über die immanente Anerkennung persönlichkeitsrechtlicher Elemente war damit der Anspruch des Betriebs auf die Erfindung zwar für rechtens erklärt, allerdings nur gegen entsprechende Vergütung an den eigentlichen Urheber. Dies stärkte die Stellung des Angestelltenerfinders im persönlichkeitsrechtlichen wie materiellen Bereich. 1957 endlich konnte sich 38 Lutter, Richard, Patentgesetz, Berlin u. Leipzig 81928, S. 56 f. und 1°1936, S.87. 37 Lutter, 10. Aufl., S. 87. 3S Vgl. MolitOT, Erich, Deutsches Arbeitsrecht mit Einschluß der Grundzüge der Sozialversicherung, Leipzig 1938, S. 119. 38 Volmer, S. 41.
HG
I. Teil: Die geistig-gewerblichen Persönlichkeitsrechte
die persönlichkeitsrechtliche Auffassung des Patentamtes und des Schrifttums im Arbeitnehmererfindungsgesetz durchsetzen. 4o Der Überblick über die Herausbildung des Erfinderpersönlichkeitsrechts aus anfänglich schwachen persönlichkeitsrechtlichen Momenten hat gezeigt, daß sich diese Erscheinungsform des Persönlichkeits rechts, welche dem subjektiven Bereich äußerlicher ist, im Vergleich zu dem volks- und betriebswirtschaftlich unbedeutenderen Urheberrecht ungleich mühevoller und nur gegen große Widerstände als besonderes Persönlichkeits recht hat durchsetzen können. Der entscheidende Grund für die Ablehnung persönlichkeitsrechtlichen Verständnisses lag in der Furcht der Industrie, über eine zunächst ideelle Anerkennung auch unternehmerisches Terrain zu verlieren. Als Kompromißlösung bot sich die Erfinderehre an, die seit Mitte der 30er Jahre unbestritten jedem Erfinder zugesprochen wurde. Inwieweit mit dieser Festlegung persönlichkeitsrechtlicher Grundsätze materielle Vergütungen verbunden waren, kann im Rahmen dieser Arbeit empirisch nicht festgestellt werden. Einen Hinweis gibt die "Verordnung über die Behandlung von Erfindungen von Gefolgschaftsmitgliedern" vom 12. Juli 1942, die an das Überlassen von Diensterfindungen angemessene Vergütungen knüpft. Bis dahin scheinen dem Angestelltenerfinder weder große ideelle geschweige denn materielle Zugeständnisse gemacht worden zu sein.
40 Die Haltung des Patentamtes äußerte sich besonders deutlich in der Stellungnahme des Präsidenten des Reichspatentamtes, in: Mitteilungen der deutschen Patentanwälte 1938, S. 285; vgI. auch die Entscheidung des 5. Beschwerdesenats des Patentamtes vom G. August 1951, BI. 1951, S. 294. Die Diskussion über die Betriebserfindung und ihre behauptete praktische Notwendigkeit ist mit dem Arbeitnehmererfindungsgesetz nicht abgeschlossen. VgI. dazu Vocke, S. 25 ff. mit weit. Hinw.; Benkard, Georg, Kommentar zum Patent-, Gebrauchsmuster- und Patentanwaltsgesetz, München - Berlin
'1954, S. 63 u. a.
Neuntes Kapitel Wettbewerbsrecht 1. Allgemeines Wettbewerbsrecht und PersönIichkeitsrecht Der Streit für und wider ein allgemeines Recht der Persönlichkeit wurde nicht nur im Urheber- und Patentschutz ausgetragen; er erfaßte die gesamte Breite des Wettbewerbsrechts mit seinen heterogenen Erscheinungsformen der gewerblichen Betätigung wie der der Arbeitskraft, des Warenzeichens, der Ausstattung, des Namens und der Firma. Auch hier ging die Anerkennung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts mit der Entwicklung der besonderen Rechte der Persönlichkeit in der Weise einher, daß diese Diskussion und Entwicklung von jenem maßgeblich gefördert haben. a) Zur Geschichte wirtschaftlichen Wettbewerbs
Erst Ende des letzten Jahrhunderts zeigte sich die Notwendigkeit, gewerbliche Arbeit und ihre Produkte gegen ruinösen Wettbewerb effektiver zu schützen.! Die bis weit ins 19. Jahrhundert reichende Zunftverfassung mit ihrer standesrechtlichen Ordnung der Innungen, Gilden und Zünfte und deren strengen Regeln schloß unlauteres Geschäftsgebahren weitgehend aus2 ; ein unmittelbar persönliches Verhältnis als Basis des Arbeitslebens trug dazu ebenso stark bei wie ein vergleichsweise gering ausgeprägter Erwerbssinn. Nicht ohne Grund kann man beim Zunftwesen vom konservierenden Strukturmerkmal einer statischen Gesellschaft sprechen: die interpersonellen Bindungen hemmten die ungehinderte Verfügbarkeit des arbeitenden Individuums und damit eine industrielle Arbeitsorganisation. Die wirtschaftliche Schädigung des Konkurrenten war noch nicht Ziel oder Begleitumstand gewerblicher Tätigkeit oder einzelner Aktionen. ! Vgl. Warnecke, Ernst Adolf Friedrich, Warenzeichenschutz und unlauterer Wettbewerb, Diss. Erlangen 1928, S. 32 f. und Bolle, Johannes Andreas, Entwicklungslinien und systematische Stellung der Regeln über den unlauteren Wettbewerb im deutschen und englischen Recht, Diss. Leipzig 1928, S. 35 f.
2 Vgl. Gaul / Bartenbach, S. 8. "Unlauteren" Wettbewerb gab es allerdings auch früher, vgl. Sebastian Brant: "Man sudelt jetzt in allen Dingen, daß man sie geben kann gering", zit. nach Bolle, S. 9 f. Anm. 38; weit. Hinw. auf Bestimmungen gegen unlauteren Wettbewerb im Mittelalter, S. 10 f.
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I. Teil: Die geistig-gewerblichen Persönlichkeitsrechte
Der Grundsatz der Handels- und Gewerbefreiheit, der die Zunftverfassung verdrängte, begünstigte um des größten wirtschaftlichen Nutzens willen die freie Entfaltung der Kräfte; größere Ausdehnung des Wirtschaftsraums und Aufhebung des unmittelbar persönlichen Verhältnisses zwischen den Wirtschaftssubjekten wirkten in dieser Richtung. Das Ziel eines maximalen individuellen ökonomischen Nutzens führte in Verbindung mit der Freisetzung der Gewerbetreibenden aus feudalen Bindungen, dem Aufkommen der Industrie und der rechtlichen Vereinheitlichung weiter Wirtschaftsgebiete im beispielgebenden England zu einem idealtypischen Manchester-Liberalismus (Weber), mit dem manche Erscheinungen in Deutschland durchaus Schritt halten konnten. 3 Im Zentrum der Gesellschaftstheorie stand das freie Spiel "der selbstverantwortlichen Kräfte, des harmonischen Interessenausgleichs durch den freien Markt, sowie der gewaltlosen Konstituierung des Gesellschaftsganzen durch die sich von selbst einstellende Marktordnung4 ." Man ging von der Annahme aus, daß, entsprechend einer Persönlichkeit, die sich auf privatrechtlichem Gebiete in freier, nur durch sittliche Gebote beschränkter Entfaltung zur Geltung bringen durfte, die Rechtsordnung nur gegen Störungen durch unerlaubte Handlung einzugreifen hätte. Dieser GrundeinsteIlung hatte gerade die Historische Rechtsschule Vorschub geleistet, welche die Loslösung aus feudaler Abhängigkeit zugleich mit formaler Freiheit und Gleichheit im rechtlichen Bereich forderte: auf der Basis einer Verabsolutierung des Eigentumsgedankens. Marx irrt, wenn er sie auf den Bereich feudaler Romantik einengt: Das von ihr vertretene Verkehrsrecht, letztlich auf römischem Recht beruhend, förderte jene neuen Wirtschaftsprinzipien. In der Praxis zielten diese Grundsätze auf totale Konkurrenz ab. Im öffentlichen Bewußtsein machte sich das kaum negativ bemerkbar, solange die Wirtschaft expandierte und ein, wenn auch eingeschränkter Schutz vor unlauterem Wettbewerb fortgalt. 5 Erst nach der großen Krise von 1873 und dem Wegfall der letzten Schutzgesetze forderten gesamt- wie einzelwirtschaftliches Interesse zunehmend außen- und binnenwirtschaftliche Absicherung betrieblicher Leistungen gegen "ungerechtfertigte" Eingriffe; das Schutzargument trat, wenn auch zunächst als Forderung, begleitend neben die Konkurrenz. 6 Verallgemei3 Hermand, Jost, spricht von "Ellbogendarwinismus", in: Der gründerzeitliche Parvenü, in: Aspekte der Gründerzeit, Katalog der Ausstellung der Akademie der Künste, Berlin 1974, S. 7 ff. (8). 4 Heller, Hermann, Staatslehre, Leiden 31934, S. 112; vgl. Neumann, Franz, Der Funktionswandel des Gesetzes im Recht der bürgerlichen Gesellschaft, in: ders., Demokratischer und autoritärer Staat, Frankfurt/M. 1967, S. 7 ff. 5 Vgl. dazu im einzelnen Bolle, S. 21 ff.
9. Kap.: Wettbewerbsrecht
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nernd zeichnet sich hier eine Tendenz der Privatrechtsentwicklung ab, wie sie aus dem Wandel der Wirtschaftsverfassung zu verstehen ist. "Diese Verfassung erzwingt überall, wo der freie Ausgleich mißlingt und die gesellschaftliche Solidarität bedroht ist, die Intervention der staatlichen Gesetzgebung oder die dauernde Steuerung durch öffentliche Wirtschaftsverwaltung7 ." Grundlegend für die heutige Gestaltung des Wirtschaftsrechts wurde die Reichsgewerbeordnung vom 21. Juni 1869, die letzte Reste des Zunftwesens beseitigte, und das Strafgesetzbuch vom 31. Mai 1870, welches landesrechtliche Bestimmungen über Wirtschaftsdelikte außer Kraft setzte. Für die folgende Zeit galt der Grundsatz der Gewerbefreiheit mit der Konsequenz, daß man alle Handlungen des freien Wettbewerbs, soweit sie nicht durch wenige Spezialgesetze verboten waren, als erlaubt ansah; ein privates Recht des Konkurrenten auf Abwehr bestand zunächst nicht. 8 Der bisherige, namentlich der strafrechtliche Schutz von Firma, Name, Warenzeichen gegen Verrat von Fabrik- und Geschäftsgeheimnis wie gegen Kreditgefährdung entfiel in weiten Bereichen, wodurch sich die wirtschaftenden Subjekte härtesten Wettbewerbsbedingungen ausgesetzt sahen; ruinöse Maßnahmen der Gewerbebetriebe gegeneinander häuften sich.9 "Das bedeutete für das Gebiet des Wettbewerbs im Wirtschaftsleben die Sanktionierung des Kampfes ums Dasein ...10." Betroffen waren in erster Linie Mittel- und Kleinbetriebe, während Großunternehmen über ein hinreichendes Grundkapital verfügten, oder gar durch Zusammenschluß ihre Marktmacht bis zur gänzlichen Ausschaltung des Wettbewerbs ausbauen konnten. Mit Recht sprach bereits 1863 der Wirtschaftswissenschaftler Bruno Hildebrand in seiner Abhandlung über "Die gegenwärtige Aufgabe der Wissenschaft der Nationalökonomie" von Monopolisierungsbestrebungen. l l Dabei konnte er sich noch kaum Vereinigungen vorstellen wie etwa das 1893 gegründete Rheinisch-Westfälische Kohlesyndikat: In fünf Betrieben des Ruhrgebiets hatten sich 80 Ofo der gesamten Hochofenkapazität zusame Vgl. Rintelen, Max, Der Rechtsschutz für geistiges Schaffen, Graz 1931, S. 23 ff. 7 Wieacker, Privatrechtsgeschichte, S. 546. 8 Vgl. hierzu Lobe, Adolf, Die Bekämpfung des unlauteren Wettbewerbs, Bd. I, Der unlautere Wettbewerb als Rechtsverletzung, Leipzig 1907, S. 117; RGZ 3, 67 v. 30. Nov. 1880; RGZ 18,93 v. 13. Nov. 1886; RGZ 20, 71 v. 7. Dez. 1887; RGZ 29, 57 v. 29. Apri11892. D Vgl. z. B. RGZ 20, 71; Fikentscher, Wolfgang, Wettbewerb und gewerblicher Rechtsschutz, München u. Berlin 1958, S. 134. 10 BoZle, S. 17. 11 In: Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik, Jena 1863, S. 17.
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I. Teil: Die geistig-gewerblichen Persönlichkeitsrechte
mengeschlossen.1 2 Eine von der kapitalstarken Spitze der Industrie gleichzeitig durchgesetzte "Konkurrenzregulierung" verschärfte mit Trusts, Konventionen, Fusionen und Kartellen den unlauteren Wettbewerb derart, daß er die Existenz der mittleren und kleineren Betriebe mit geringer Kapitalausstattung gefährdete. Sie gerieten durch die Vereinbarungen der "Großen" von zwei Seiten unter Druck. Diese unhaltbare Lage führte am 19. Dezember 1891 zur Bildung des "Vereins für den Schutz des gewerblichen Eigentums". Industrielle Kreise hatten sich mit dem Ziel verbunden, vom Gesetzgeber dringlichst Abhilfemaßnahmen zu verlangen. Daneben wirkten juristische Wissenschaftler wie Handelskammern in gleicher Absicht auf Reichstag und Bundesrat ein. Das Ergebnis konnte das Reichsamt des Innern und der Justiz im Herbst 1894 mit den "Grundzügen" eines Entwurfs zur Bekämpfung des unlauteren Wettbewerbs vorlegen. Am 1. Juli 1896 trat das Gesetz zur Bekämpfung des unlauteren Wettbewerbs in Kraft. Wie aus dem Fehlen einer Generalklausel zu entnehmen ist, sollte es nicht den gesamten Bereich des Wettbewerbs regeln, sondern nur spezielle Tatbestände, ausgesprochene Mißstände angehen. So wandte es sich insbesondere gegen unlautere Reklame (§§ 1 und 4), gegen Eingriffe in die Rechte des Teilnehmers am Wirtschaftsverkehr (§§ 6, 7) und gegen den Verrat von Geschäfts- und Betriebsgeheimnissen (§§ 9, 10); andere Bereiche blieben ausgespart. Dieser Mangel geht auf die tatsächlich wie begrifflich noch unscharfe Fassung des "unlauteren Wettbewerbs" zurück, aber auch auf ein verbreitetes Mißtrauen gegenüber der Richterschaft, der man nicht zutraute, komplexe wirtschaftliche Verhältnisse zu erfassen. 13 Zur gleichen Zeit wurden gewerbliche, technische und künstlerische Ausschlußrechte eingeführt und ausgebaut. Die Urhebergesetze beabsichtigten, das Wirtschaftsgut des Urhebers vor nicht genehmigter gewerbsmäßiger Verbreitung zu schützenl4 ; das Kunstschutzgesetz von 1876 und das Gesetz über den Photographieschutz aus demselben Jahr sowie beider Zusammenfassung im Gesetz von 1907 sicherten in wesentlichen Zügen den Bereich der bildenden Kunst und der Photographie vor unbilligen Eingriffen; der Erfinderschutz, geregelt in den Patentgesetzen von 1877 und 1891, war von größter wirtschaftlicher wie auch geringfügiger persönlichkeitsrechtlicher Bedeutung für die Abwehr unberechtigter Verwertung von Erfindungen; das Geschmacksmustergesetz von 1876, das sog. "kleine Kunsturheberrecht" , schützte lZ Hausherr, Hans, Wirtschaftsgeschichte der Neuzeit vom Ende des 14. bis zur Höhe des 19. Jahrhunderts, Köln / Graz 31960, S. 39. 13 Vgl. Lobe, Die Bekämpfung, S. 129. 14 Gesetze vom 11. Juni 1870 und 19. Juni 1901.
9. Kap.: Wettbewerbsrecht
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gewerbliche Muster, Modelle und Vorlagen ebenso wie das Gebrauchsmustergesetz von 1891 jene Erfindungen, die den Maßstäben einer Patentierung nicht gerecht wurden. 15 Die Warenzeichengesetze von 1874 und 1884 schließlich gestatteten dem Gewerbetreibenden die monopolisierte Verwendung eines Zeichens für seine Ware, um Kundenkontakte zu erleichtern und seine Besitzstände zu sichern. le Diese Regelungen des gewerblichen Rechtsschutzes hatten gegen Einwände wettbewerbswirtschaftlich-liberaler Art zu kämpfen; im Sinne eines Konkurrenz-Darwinismus sollte sich der Tüchtige behaupten. Dem ökonomischen und staatlichen Verständnis widersprach es, aus dem Markt wettbewerbslose Schonzonen auszugrenzen und so das Fundament Gewerbefreiheit zu erschüttern. Trotzdem nahm der Staatsinterventionismus seit Ende der 70er Jahre stetig zu, ohne freilich ins Bewußtsein der Handelnden zu dringen. Gleichwohl empfand man das Recht zum Schutz des Wettbewerbs nicht als "Fremdkörper im inneren System der Privatrechtsordnung, da zu den Funktionsprinzipien des klassischen Wirtschaftsliberalismus gerade die Reinhaltung des wirtschaftlichen Wettbewerbs gehört1 7 ." Das Gesetz von 1896 gegen den "wie eine Pest um sich greifenden Wettbewerb" (Baumbach) galt als unzureichend, obwohl das BGB mit § 824 einen weiteren Mißstand beseitigte und mit § 826 sogar eine Generalklausel stellte. 18 Mit Hilfe von § 826 konnten freilich fahrlässige und schuldlose Wettbewerbsbeeinträchtigungen nicht erfaßt werden; zum anderen scheute man sich, jemanden durch den Vorwurf des Verstoßes gegen die guten Sitten zu diskriminieren. Trotz der Bedeutung, die § 826 in Rechtsprechung und Literatur gewann, ist er deshalb von vielen nur als Notbehelf angesehen worden. IB Die Lücken ließen sich auf mehreren Wegen schließen: bei fahrlässigen Eingriffen über § 823 Abs. 1 BGB; über eine analoge Anwendung des § 1004 BGB; außerdem erwog man, das verletzte Recht als Persönlichkeitsrecht zu begreifen. Verbesserungen bot der Gesetzgeber an, als er am 7. Juni 1909 ein neues Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb erließ. Es regelte das dringliche Problem des Ausverkaufswesens, bekämpfte wirksamer Schmiergeldunwesen wie unlautere Reklame und verschärfte gleichermaßen die Haftung des Geschäftsherrn wie die Strafvorschriften. Dem 15 Neues Gebrauchsmustergesetz vom 5. Mai 1936 in Verbindung mit dem Patentgesetz. 18 Vgl. Fikentscher, S. 139 ff. 17 Wieacker, Privatrechtsgeschichte, S. 544. 18 Vgl. Mugdan, Benno, Die gesamten Materialien zum bürgerlichen Gesetzbuch für das Deutsche Reich, Bd. 11, Recht der Schuldverhältnisse, Berlin 1899, S. 1078 f. 19 Vgl. Lobe, Die Bekämpfung, S. 141 und Anm. 3.
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I. Teil: Die geistig-gewerblichen Persönlichkeitsrechte
Bedürfnis der Praxis sollte eine Generalklausel abhelfen; auch sie gründete auf den guten Sitten.20
b) Persönlichkeits- oder Immaterialgüterschutz: die Anfänge der Auseinandersetzung Das Lückenproblem beim Schutz redlichen Wettbewerbs spitzte sich zu in der Frlilge nach dem zu schützenden Rechtsgut. Sollte die Persönlichkeit des wirtschaftenden Subjekts oder lediglich ein Immaterialgut geschützt werden? Seit dem Aufkommen der Wettbewerbsfragen hat sich die Literatur mit diesem Interessenkonflikt auseinandergesetzt. In erster Linie sei hier wieder Kohler genannt, der mit dem Begriff des Immaterialgüterrechts für eine scharfe terminologische Unterscheidung vom Persönlichkeitsrecht sorgte. Im Unterschied zu einigen Nachfolgern sah er beide Momente nicht antithetisch, sondern als sich ergänzende Teile, das Persönlichkeitsrecht aber als Wurzel des Immaterialgüterrechts. 21 Kohler und seine Zeitgenossen erkannten, daß die Metapher vom freien Spiel der Kräfte weniger ökonomische Wirklichkeit, als vielmehr den utopischen Entwurf liberaler Wirtschaftsphilosophie beschrieb. Deshalb forderte man vom Staat, er möge "kräfteausgleichendere Begrenzungen der wirtschaftlichen Freiheit" vornehmen und privatrechtlichen Schutz durch einen absoluten Schutz der Persönlichkeit über ein allgemeines Persönlichkeitsrecht durchsetzen. 22 Für Kohler, Gareis und Gierke war die Persönlichkeit ethischer Mittelpunkt des gewerblichen Rechts: Wettbewerb, Gewerbe und Unternehmen galten als Emanationen der Persönlichkeit, Produkte ihres zusammenhängenden Wirkens; in der Gesamtheit dieses Wirkens fand die Persönlichkeit ihre "unantastbare Stätte" .23 Als Bildner und Verteidiger solcher Grundsätze war Kohlers Einfluß auf Entstehung und Entwicklung des Wirtschafts rechts von herausragender Bedeutung. Ihm verdankt sich das entschiedene Eintreten für ein Persönlichkeitsrecht, obwohl es seine Lehre vom Immaterialgüterrecht erlaubt hätte, den Schutz im Wettbewerb von persönlichkeitsrechtlichen Momenten abzulenken. Stattdessen bewirkte ihre Publizität, daß das allgemeine Persönlichkeitsrecht, obwohl nicht anerkannt, als Quellrecht eine Ausstrahlungskraft erhielt, deren Wechselwirkung mit den besonderen Persönlichkeits20 Die Anwendung dieses Ausdrucks führte zunehmend zur Entschärfung des ethisch diskriminierenden Inhalts; zur lückenfüllenden Funktion des UWG vgl. RGZ 48,114 v. 11. April 1901 und RGZ 73, 294 v. 7. April 1910. 21 Vgl. Fikentscher, S. 157. 22 Vgl. Wieruszowski, S. 228. 23 Kahler, Jasef, Der unlautere Wettbewerb, Berlin u. Leipzig 1914, S. 23.
9. Kap.: Wettbewerbsrecht
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rechten, hier dem Recht des Gewerbebetriebs, beide Seiten befruchten sollte. Kohler darf sich 1914 an seinem Resultat freuen: "Man hat auch von der begrifflichen Unmöglichkeit eines Persönlichkeitsrechts, von der Unmöglichkeit eines auf die Gewerbeübung sich beziehenden Privatrechts gesprochen. Die können wir heutzutage beiseite lassen. Die Logik der Tatsache hat gerichtet. Was hat denn jene negative Theorie für das praktische Rechtsleben geleistet? Hat sie auch nur die dringendsten Erfordernisse des wirtschaftlichen Verkehrslebens befriedigt"?" Der analytischen Trennung persönlichkeitsrechtlicher und immaterialgüterrechtlicher Bestandteile setzten andere ein umfassendes Persönlichkeitsrecht entgegen, das mit seiner nachdrücklichen Gewichtung des persönlichkeitsbezogenen Aspekts den Rechtsgrund für den Schutz gegen unlauteren Wettbewerb abgeben sollte.25 Eine dritte Position argumentierte, weniger umfassend, nach ausschließlich persönlichkeits rechtlichen Grundsätzen. Sie begriff das natürliche Dasein des Menschen als durch ein Persönlichkeitsrecht geschützt, dessen Ausstrahlungen sich in besonderen Betätigungsrechten manifestierten. Das menschliche Tun war so als besondere Erscheinungsform des Seins in das natürliche Dasein eingebunden. 28 Es sollte zwar Frage der Rechtsentwicklung und der Gesetzgebung sein, welches Recht sich konkret ausbildete, im Bereich wirtschaftlichen HandeIns drängte jedoch die Entwicklung selbst danach, "die Ausübung einer gewerblichen Tätigkeit als Betätigung des Persönlichkeitsrechts aufzufassen, denn nur diese rechtliche Konstruktion vermag allen Erscheinungen des unlauteren Wettbewerbs gerecht zu werden27 ." Befriedigender Schutz des gewerblichen Lebens schien nur dann gewährleistet, wenn ein absolut wirkendes Persönlichkeitsrecht jede Art des unlauteren Wettbewerbs abwehren konnte. In diesem Sinn begrüßte man die Generalklausel des § 1 UWG als "heimlichen Freund", da sie das Angriffsobjekt des unlauteren Wettbewerbs nicht mehr im Vermögen sehe, wie noch § 826. 28 Kohler, S. 20. Vgl. Gierke, Otto von, Der Rechtsgrund des Schutzes gegen unlauteren Wettbewerb, in: GRUR, 4. Bd., S. 116. 28 Vgl. Lobe, Die Bekämpfung, S. 167. 27 Lobe, S. 144; vgl. Lobe, Der unlautere Wettbewerb als Rechtsverletzung nach der Rechtsprechung des Reichsgerichts, in: MuW 1906/07, S. 164 f.; Lobe, Das Gesetz zur Bekämpfung des unlauteren Wettbewerbs. Leipzig 1896, S. 2 ff.; Lobe, Der Begriff der guten Sitten im BGB. § 826 und UWG § 1, in: GruchB. 1932, S. 145 ff., 154 ff.; ähnlich wie Lobe: Degen, Die Bedeutung des § 826 für den gewerblichen Rechtsschutz, in: GRUR 1909, S. 137 ff. (144); Mutzenbecher, Franz Matthias, Zur Lehre vom Persönlichkeitsrecht, Diss. Hamburg 1909, S. 49 f. 28 Vgl. Lobe, Albert, Die Generalklausel des neuen Wettbewerbsgesetzes, in: GRUR 1910, S. 7. U
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I. Teil:
Die geistig-gewerblichen Persönlichkeits rechte
Andererseits hätte es des § 1 UWG gar nicht erst bedurft, wäre man nicht durch die Ablehnung des Persönlichkeits rechts in die Verlegenheit geraten, mit der Generalklausel einen ähnlich weiten Rahmen zu zimmern.29 Wo diese Theorie einerseits etwa Ehre und Namen aus dem Schutzbereich des Persönlichkeitsrechts ausschloß, rügte man andererseits ihre Dehnung des Persönlichkeitsrechts: das des Geschäftsinhabers an der gewerblichen Tätigkeit wollte sie auf die seines Stellvertreters, seiner Angestellten und Arbeiter ausweiten. 30 Die Namen seiner Protagonisten, Kohler, Gierke, A. Lobe und anderer erweckten bei den Anhängern eines Persönlichkeitsrechts im Wettbewerb den schmeichelhaften Eindruck, ihre Lehre des Persönlichkeitsrechts böte die am weitesten verbreitete Konstruktion des gewerblichen Rechtsschutzes. sl Die herrschende Ansicht freilich lautete anders. Das ganze erste Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts kannte noch keinen allgemein verbindlichen Begriff des unlauteren Wettbewerbs; vielmehr behalfen sich die Gerichte, besonders das Reichsgericht wie auch der überwiegende Teil der Wissenschaft, mit der Ansicht, daß, abgesehen von einzelnen positiven Gesetzesbestimmungen, die Gewerbefreiheit die gesamte wirtschaftliche Tätigkeit als Betätigung der allgemeinen Handlungsfreiheit außerhalb des Rechts gesetzt habe. Bei dieser Prämisse schienen alle Bestrebungen sinnwidrig, ein Persönlichkeitsrecht zu konstruieren. Stattdessen sollte der Grundsatz der Gewerbefreiheit zur geschäftlichen Konkurrenz aller führen; dieser Wettbewerb galt jedoch nicht als Recht der Gewerbetreibenden, sondern als Ausfluß der allgemeinen Freiheit und durfte als solcher auch dann nicht eingeschränkt werden, wenn er ruinös bis zur Selbstaufhebung sein sollte.32 Nur die guten Sitten blieben oberstes Gebot: Unehrliche Mittel durften nicht verwendet werden. Damit sind die Grundlinien des Wettbewerbs juristisch nachgezogen; ökonomisch beruhten die Thesen auf dem längst unstimmigen liberalen Modell der atomistischen Konkurrenz vieler gleich Großer, die mit gegenläufigen Interessen den Gesamtnutzen bilden sollten. S3 Scheide29 Vgl. Lobe, Die Bekämpfung des unlauteren Wettbewerbs und die Aufnahme Deutsch-Österreichs in das Deutsche Reich, in: MuW 1918, S. 70 ff. 30 Vgl. Callmann, Rudolf, Der unlautere Wettbewerb, Kommentar, Mannheim / Berlin / Leipzig 1929, S. 23 f. 31 Vgl. z. B. OsteTTieth, Lehrbuch, S. 7 f.; OsteTTieth, Zwanglose Betrachtung über § 1 des neuen Wettbewerbsgesetzes, in: GRUR 1909, S. 399. 32 Finger, Christian, Reichsgesetz zur Bekämpfung des unlauteren Wettbewerbs vom 27. Mai 1896 nebst dem Rechte an Namen (§ 12 BGB) und § 826 BGB, Berlin 21907, S. 5 und 41911, S. 14 ff. 33 Vgl. Gotthold, Jürgen, Wirtschaftliche Entwicklung und Verfassungsrecht, Köln 1975, S. 31 ff.
9. Kap.: Wettbewerbsrecht
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punkt für Befürworter und Gegner des Persönlichkeitsrechts war die Klassifikation: Sollten die Interessen der gewerbetreibenden Person vor dem Prinzip des Wettbewerbs rangieren oder umgekehrt? Die zweite Auffassung erforderte einen mehr "technischen" Schutz, will man so den Gegensatz zum persönlichkeitsgebundenen charakterisieren. Sie nahm keinen Anstoß daran, daß das Wettbewerbsrecht vom BGB getrennt worden war, wenngleich sich beider Normen ergänzen sollten. 34 Schließlich begriff man das Wettbewerbsrecht als Bestandteil einer bestimmten Wirtschaftsordnung; als solches hatte es zunehmend volkswirtschaftliche Ordnungsaufgaben erhalten, die gegenüber der privaten Sicherung des Konkurrenten vorrangig ausgebaut werden mußten. Zwei Entwicklungslinien des Wettbewerbsrechts lassen sich nachzeichnen, die sich ergänzen, aber grundsätzlich auch kollidieren konnten: einerseits die privatrechtliche Absicherung des einzelnen wirtschaftenden Subjekts, zum anderen seine Einbettung in volkswirtschaftliche Zielsetzungen; diese herrschte in immer größerem Umfang allen Teilbereichen ihren Zweck auf: Erhaltung und Ausbau der Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung. Dieser Zusammenhang hat sich den Juristen der Jahrhundertwende weniger erschlossen als den Wissenschaftlern der 30er Jahre; analytischer begreifen läßt er sich aus heutigen Strukturen des ökonomischen und sozialen Gefüges, in dem liberale Grundsätze anfangs zugunsten neoliberaler, später zugunsten interventionistischer zurückgetreten sind. c) Stärkung des privatrechtlichen Standpunkts in den 20er Jahren
Die Vertreter der persönlichkeitsrechtlichen Theorie, die den Gedanken des allgemeinen Persönlichkeitsrechts um die Jahrhundertwende auch in das Wettbewerbsrecht eingebracht' hatten, erfuhren in den späten 20er Jahren zunehmende Betätigung. Namhafte Autoren waren inzwischen auf die Theorie vom gewerblichen Persönlichkeitsrecht eingeschwenkt. 30 Eine Anzahl weiterer, beachtlicher Lösungsvorschläge schien die Gewähr dafür zu bieten, mit Hilfe des Persönlichkeitsrechts die Lücken des Rechtsschutzes im Wettbewerbssystem schließen zu können: die umfassende Generalklausel des UWG wie die allerorts verstärkt geführte Diskussion um ein allgemeines Persönlichkeitsrecht und dessen Erscheinungsformen im Wettbewerb, schließlich die Rechtsprechung des Reichsgerichts zum Gewerbebetrieb.36 AllerA. A. Fikentscher, S. 152 ff. Vgl. Lobe, Albert, Die Entwicklung des Schutzes gegen den unlauteren Wettbewerb nach der Rechtsprechung des Reichsgerichts, in: GRUR 1931, S. 1215 ff. (1217). 38 Nach Bussmann / Pietzger / Kleine, S. 8 haben sich die Protagonisten eines starken Wettbewerbs rechts auch für den Persönlichkeitsschutz eingesetzt. 34
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I. Teil: Die geistig-gewerblichen Persönlichkeitsrechte
dings mußte die Theorie vom Persönlichkeits recht im Wettbewerbsrecht einräumen, daß das Reichsgericht ein besonderes Persönlichkeitsrecht zum Schutz der Erwerbstätigkeit durchgängig abgelehnt hatte. 57 Es gab jedoch Ausnahmen zugunsten eines allgemeinen Persönlichkeitsrechts, die auf ein besonderes Persönlichkeitsrecht zurückwirken mußten; so, wenn das Reichsgericht vom "Recht der Persönlichkeit" sprach oder von der Verletzung "persönlicher Rechte" .38 Selbst in der Anerkennung des Immaterialguts Unternehmen entdeckte man ein besonderes Persönlichkeitsrecht zum Schutz der Erwerbstätigkeit, das nur die "falsche Etikette" des Immaterialgüterrechtsschutzes trage. Diese Deutung hatte ihre Berechtigung. Sie registrierte seismographisch alle Ansätze zugunsten der Persönlichkeitsrechte. Problematisch wird das Vorgehen allerdings gerade auf dem Gebiet des Wettbewerbsrechts; hier hatte das Reichsgericht mit besonderer Bestimmtheit in verschiedenen Urteilen ein Persönlichkeitsrecht abgelehnt. Dennoch zu behaupten, dasselbe bilde das inhaltliche Substrat seiner Rechtsprechung bedeutet, die ablehnende Haltung des Gerichts in ihr Gegenteil zu verkehren. d) Gegenläufige Tendenzen in den 30er Jahren
Die Theorien der 30er Jahre über das Schutzobjekt des Wettbewerbs waren nach wie vor gespalten in persönlichkeits- und vermögens rechtliche Zwecke, erweiterten ihr Interesse darüber hinaus aber auf den Schutz des Berufsethos und die Reinhaltung des Leistungswettbewerbs 39 ; immer weniger wurde das Wettbewerbsrecht als Normenkomplex zum Schutze des einzelnen Gewerbetreibenden angesehen. 40 Zwar hatte man schon vorher einen Nutzen der Allgemeinheit nicht gerade verneint, aus· dem fehlenden Klagerecht des Publikums jedoch gefolgert, daß es nur in zweiter Linie geschützt sei. 41 Nun betonte man die sozialrechtliche Aufgabe des Wettbewerbsrechts, ohne den individuellen Konkurrentenschutz zu vernachlässigen. Die neue Betrachtung trat hervor, als die Diskussion um das allgemeine Persönlichkeits37 Vgl. im Unterschied dazu Wiethölter, S. 127 und andere, die davon ausgehen, daß die Lehre vom Persönlichkeitsrecht um diese Zeit schon in Rechtsprechung und Wissenschaft herrschte; Wiethölter räumt allerdings die Möglichkeit eines Nebeneinanderbestehens von Persönlichkeitsrechts- und Immaterialgüterrechtsschutz ein. . 38 Vgl. Lobe, Die Entwicklung des Schutzes, S. 1218. 39 Lobe, insbesondere S. 1217 und Kraft, Alfons, Interessenabwägung und gute Sitten im Wettbewerbsrecht, München u. Berlin 1963, S. 197. 40 Vgl. Kraft, S. 193, insbesondere Fußnote 520 mit weit. Hinw. 41 Abgesehen von frühen, vereinzelten Stimmen wie der Otto Mayers, der bereits 1881 dafür eintrat, das Verwaltungsrecht zur Lösung der Probleme des unlauteren Wettbewerbs heranzuziehen, s. Mayer, Die concurrence deloyale, in: ZHR 1881, Bd. 26, S. 363 ff.
9. Kap. : Wettbewerbs recht
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recht eindringlicher geworden und auf Teilgebieten erstmalig erfolgreich war. Obwohl die sozialrechtliche Forderung nach Schutz der Allgemeinheit in den Vordergrund rückte, wurde parallel zu ihr die Theorie eines in diesem Bereich benötigten, daher zumindest in Ansätzen anzuerkennenden Persönlichkeitsrechts weiterhin vertreten:u Neue Gegner erwuchsen dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht aus sozial-nationaler Sicht. Die bisherigen Bemühungen um das geschützte Rechtsgut als Persönlichkeitsrecht rügte man in ihrer Beschränkung, dasselbe rein privatrechtlich zu begreifen; man hielt dem Individualismus den Gesichtspunkt des "Volkslebens" entgegen und plädierte für das gemeine Wohl als zu schützendes Gut. 43 Die Fetischisierung der Wirtschaft um ihrer selbst und ihrer Mitbewerber willen wurde kritisiert, da sie alle anderen Menschen zu bloßen Mitteln zum Zweck degradiere. 44 Die Gestaltung der Wirtschaft könne nicht länger der Privatwillkür und deren juristischer Chiffrierung überlassen bleiben. 45 Diese Auffassung, die das Persönlichkeitsrecht und den Schutz des einzelnen oft mit Übertreibungen beschuldigte, so etwa, wenn sie jene als "Ausgeburt der romanistischen Tradition" bekämpfte, verdankt sich einschneidenden wirtschaftlichen und sozialen Veränderungen. Diese hinterließen in der Forschung einer neuen Juristengeneration, u . a. bei Hans Carl Nipperdey, Alfred Hueck und Eugen Ulmer, Spuren, die der persönlichkeitsrechtlichen Betrachtung ebenfalls entgegengesetzt waren. Diese Autoren sahen, wie Ulmer es formulierte, das System der Konkurrenz häufig durchbrochen durch monopolistische Einzelunternehmen und durch den intervenierenden Staat, der die private Wirtschaft immer stärker dirigierte, ja tendenziell auf eine Stärkung der gebundenen Konkurrenz hinarbeitete. 46 Derlei Anschauung mußte den Sinn der Frage nach dem geschützten Rechtsgut und damit nach dessen persönlichkeitsrechtlichem Gehalt grundsätzlich anzweifeln; das Wissen um seine Essenz brächte keine neuen Erkenntnisse für die Lösung des Problems, was erlaubter, was unlauterer Wettbewerb sei, da alle Rechtsgüter in fairer Konkurrenz vernichtet werden könnten.47 Konsequent offenbarte sich die legale Siegeschance als primär geschütztes Vgl. Fikentscher, S. 223. Vgl. Jäger, Hartwig, Das gemeine Wohl als Rechtsgut des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb, Diss. Heidelberg 1935, S. 1, S. 6 f. 44 Jäger, S. 28. 45 Jäger, S. 37. 48 Ulmer, Eugen, Sinnzusammenhänge im modernen Wettbewerbsrecht, Berlin 1932, S. 9; vgl. auch Schrauder, Gerhard, Wettbewerbsverstöße als Eingriffe in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb, Bielefeld 1970, S. 115 ff. 47 Nipperdey, Hans-earl, Wettbewerb und Existenzvernichtung, Eine Grundfrage des Wettbewerbsrechts, Kartellrundschau 1930, S. 127 ff. (133). 42
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1. Teil: Die geistig-gewerblichen Persönlichkeitsrechte
Interesse des Wettbewerbs, "der legale Vorsprung des korrekten Wettkämpfers vor den korrekten Mitbewerbern48 ." Die Anwendung persönlichkeitsrechtlicher Grundsätze wurde schließlich mit dem Hinweis auf die Ohnmacht gegenüber dem übergewicht und der komplizierten Rechtslage von Wettbewerbsverstößen abgelehnt. 4u
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Böhm, Franz, Wettbewerb und Monopolkampf, Vgl. Böhm, S. 289; vgl. auch Kraft, S. 199.
Berlin 1933. S. 285 f.
Zehntes Kapitel
Schutz der Arbeitskraft 1. Sozialgeschichtliche Voraussetzungen Wie notwendig Maßnahmen zum Schutze der Arbeitskraft für die Entfaltung des einzelnen sind, erhellt ein Blick auf die sozialen Verhältnisse zwischen 1870 und 1910. In dieser Zeit wuchs die Bevölkerungszahl von ca. 40 Mill. 1870 auf 67 Mill. im Vorkriegsjahr 1913 1 ; die Zahl der Beschäftigten in Industrie und Handwerk stieg von ca. 4 Mill. auf 11 MilJ.2, wobei die Industrie den weitaus größten Teil aufnehmen konnte. Verdeutlichen läßt sich dies an der Entwicklung der Betriebe mit mehr als 50 Beschäftigten: Ihre Zahl nahm von 4000 im Jahre 1861 auf etwa 19000 im Jahre 1895 zu; sie allein beschäftigten schließlich 3 Mill. Arbeitnehmer. 3 Trotzdem fanden viele Arbeitskräfte keine Anstellung. Arbeitslosigkeit und Auswanderung steigerten sich gegenseitig. Dieser angespannten Lage zum Trotz blieb es bei § 105 der Gewerbeordnung von 1869: "Die Fortsetzung der Verhältnisse zwischen selbständigen Gewerbetreibenden und den gewerblichen Arbeitern ist, vorbehaltlich der durch Reichsgesetz begründeten Beschränkungen, Gegenstand freier Übereinkunft." Die Rechtsprechung der Reichsgerichte bestätigte "den Vertragsschließenden bei Eingehung des Arbeitsvertrages hinsichtlich Maß und Höhe von Leistung und Gegenleistung volle Vertragsfreiheit4 ." Die Unternehmen nutzten die Lage, sogenannte Arbeitsordnungen durchzusetzen, die durch Vertragsschluß in den Inhalt des Arbeitsvertrages eingingen: gebraucht wurden sie "zur Erziehung der Arbeiter und zur Aufrechterhaltung der Herrschaftsstruktur5 ." Sie maßten sich an, nicht nur den Arbeitsablauf selbst, sondern auch das 1 Hof/mann, Walter G., Das Wachstum der deutschen Wirtschaft seit der Mitte des 19. Jahrhunderts, Berlin 1965, S. 174.
Hof/mann, S. 176. Schmoller, Gustav, Grundriß der allgemeinen Volkswirtschaftslehre, 2 Teile, München und Leipzig 1923, 1. Teil, S. 514. , RGSt 21, 114 (118) vom 6. Okt. 1870. 5 Bocks, Wolfgang, Die badische Fabrikinspektion. Arbeiterschutz, Arbeiterverhältnisse und Arbeiterbewegung in Baden 1879 bis 1914, Diss. Freiburg / München 1978, S. 395 f. 2
3
9 Simon
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I. Teil: Die geistig-gewerblichen Persönlichkeitsrechte
außerbetriebliche Leben in einer für den Arbeiter unwürdigen Weise zu regeln. 6 Jene Entscheidungen zum Schutze der Arbeitskraft, die Wolfgang Bocks in seiner Dissertation über die badische Fabrikinspektion zur Zeit des ausgehenden 19. Jahrhunderts anführt, verbesserten an dieser Lage nichts. Bocks gelangt über eine Fülle von Urteilen und Berichten zu dem Ergebnis, "daß vielen, zumeist noch manchesterlich-liberal ausgebildeten Richtern das nötige Verständnis für die sozialen Umwälzungen und sozialpolitischen Probleme fehlte, und sie gerne bereit waren, Verstöße gegen die Gewerbeordnung eher als Kavaliersdelikte denn als strafrechtliche Vergehen anzusehen7 ." Die seit der Mitte des letzten Jahrhunderts aufkommende Arbeiterbewegung nahm sich auch des Schutzes der Arbeitskraft an, zunächst auf den konkreten Fall bezogen, langfristig aber mit dem Ziel, rechtliche Änderungen zu erreichen. Im Rahmen des Wirtschafts-, besonders des Wettbewerbsrechts wurde entsprechend heftig für und gegen ein Recht an der Betätigung als Persönlichkeitsrecht gestritten. 8
2. Schutz der Arbeitskraft als Persönlichkeitsrecht durch § 823 Abs. 1 BGB? In den Beratungen zum BGB hatte ein Mitglied der Reichstagskommission zu § 808 des Entwurfs beantragt, neben Gesundheit, Eigentum und Ehre ete. die Arbeitskraft zu schützen. Die anschließende Diskussion stellte klar, daß eine Verletzung der Gesundheit bei einem Eingriff in die Arbeitskraft immer vorausgesetzt sei. Der Antragsteller gab sich damit zufrieden und zog seinen Antrag zurück. 9 Nach Inkrafttreten des BGB wurde das Vorgehen des Gesetzgebers mit dem Argument verteidigt, daß jene Regelung, den Prinzipien moderner Gesetzgebungstechnik entsprechend, bestrebt sei, ohne Kasuistik auszukommen. Es mag dahingestellt bleiben, ob wirklich 6 Vietinghoff / Scheel, Gewerbliches Arbeitsvertragsrecht in Preußen während des 19. Jahrhunderts, Diss. Göttingen 1972, S. 205. 7 Bocks, S. 221 und 351. 8 Vgl. dazu die grundsätzlichen Ausführungen, auch zur heutigen Rechtslage bei Hubmann, Das Persönlichkeitsrecht, S. 185 f. und die übersicht von Bentele, Max, Das Recht auf Arbeit, Zürich 1949; vgl. auch Neumann, Franz, Die Arbeitsfreiheit als absolutes Recht und ihr Schutz durch § 823 Abs. 1 BGB, in: Arbeitsrecht 1926, XIII. Jg., Sp. 923 ff. In der juristischen Diskussion besteht idR. ein enger Zusammenhang zwischen dem Schutz der Arbeit und dem des Gewerbebetriebs. Die Argumente überschneiden sich teilweise, weshalb sich eine Trennung nicht immer aufrechterhalten läßt. D Vgl. Mugdan, Bd. 11, S. 1297; Riezler, Erwin, Arbeitskraft und Arbeitsfreiheit in ihrer privatrechtlichen Bedeutung, in: Archiv für Bürgerliches Recht 1906, S. 219 ff.
10. Kap.: Schutz der Arbeitskraft
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alle Fälle von Beeinträchtigung der Arbeitskraft zugleich Eingriffe in die Gesundheit sind. Die überwiegende Anzahl unmittelbarer Einwirkungen fällt sicherlich darunter.t° Die Grenze des Schutzbereichs so eng ziehen bedeutet aber, andere Möglichkeiten der Verletzung nahezu freizugeben, nämlich alle mittelbar physisch, psychisch, ökonomisch und sozial beschwerenden Eingriffe. Erforderlich wurde ein absolutes subjektives Recht an der Arbeitskraft, das persönlichkeitsrechtlichen Charakter haben sollte. Vor 1900 tat sich vor allem das "traditionelle" Dreigestirn Gareis, Kohler und Gierke als Vorkämpfer für einen Schutz der Betätigung hervor. Sie stießen auf großen Widerstand: War es ein schwerer Entschluß, ein Urheberpersönlichkeitsrecht als subjektives Recht anzuerkennen, so schien es fast aussichtslos, dies auch für die Körperkraft und ihre Betätigung zu fordern. l1 Wenn man, wie Kohler, von der offensichtlichen wirtschaftlichen Seite ausging, mußte die ablehnende Haltung sinnwidrig erscheinen. Politische Ökonomie und Nationalökonomie hatten die wirtschaftliche Bedeutung der menschlichen Arbeitskraft und ihren Wert als wirtschaftliches Gut überzeugend ausgewiesen, die Rechtswissenschaft indes steIlte sich taub. 12 Dasselbe Argument einer Identität von Subjekt und Objekt, welches als Einwand gegen ein Persönlichkeits recht an den eigenen Geisteskräften erhoben worden war, fand auch hier Verwendung; die wirtschaftliche Alltagserfahrung hingegen nimmt die selbstverständliche Unterscheidung Arbeitskraft/Persönlichkeit wahr. Gierkes Verständnis des Persönlichkeitsrechts als "allgemeines Grundrecht" mußte demgegenüber folgerichtig einen Schutz der Arbeitskraft fordern. Ihm zufolge beinhaltete das Recht der Persönlichkeit selbstverständlich das Recht zu beliebiger Erwerbstätigkeit im Rahmen jener besonderen Persönlichkeitsrechte, welche die freie Betätigung der eigenen leiblichen und geistigen Kräfte garantieren. 13 In der industriellen Welt schien dieses Recht vor allen anderen gefährdet; deshalb stellte sich der Rechtsordnung die Aufgabe, auch einer Entäußerung der Arbeitsfreiheit, z. B. durch Dienstverträge, feste Grenzen zu setzen, ihren unverzichtbaren und unveräußerlichen Kern herauszuarbeiten. 14 Dieselbe Aufgabe stellte sich Gareis. 15 Ihn verVgl. Hubmann, Das Persönlichkeitsrecht, S. 188. Damit soll nicht gesagt sein, daß die Arbeitskraft etwa nicht geschützt wurde, vgl. dazu Neumann, Sp. 927. 12 Kohler, Das Autorrecht, S. 125 f. 13 Vgl. Gierke, Privatrecht, S. 713. 14 Gierke, S. 710. 16 Gareis, earl, Das deutsche Handelsrecht, Berlin 71903, S. 54. 10 U
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I. Teil:
Die geistig-gewerblichen Persönlichkeitsrechte
bindet mit Gierke jene Zurückhaltung, mit der zwar ein Recht der Betätigung als Persänlichkeitsrecht gefordert wird, allerdings mit der sofortigen Einschränkung auf die gewerbliche Betätigung - eine Konkretion, die den umfassenden Gedanken auf einen kleinen Ausschnitt, nämlich den unternehmerischer Tätigkeit, einschränkt. Derlei Selbstbescheidung bei den Vertretern des allgemeinen Persänlichkeitsrechts ließ ein umfassendes Schutzrecht als aussichtslose Forderung erscheinen. Das verdeutlicht die Ablehnung E. Riezlers, der, in Abgrenzung zu der herrschenden Ansicht, welche die Arbeitskraft unter die unmittelbaren Gegenstände des Rechtsverkehrs subsumierte, dieselbe als schützenswerten Bestandteil der Persänlichkeit in die Kategorie der Persänlichkeitsrechte einreihte, um ihr nach § 823 BGB Schutz zu gewähren. 16 Wegen der drohenden praktischen Folgen wurde seine Theorie abgelehnt: "Die Frage, ob es nun ein solches Recht der Arbeitsfreiheit gibt, ist für ein Industrieland wie Deutschland von großer praktischer Bedeutung für die wirtschaftlichen Kämpfe zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Erkennen wir ein solches Recht an, so kann aus dem Gesichtspunkt des § 823 Abs. 1 heraus z. B. das Streikpostenstehen ersatzpflichtig machen; nämlich dann, wenn durch diese Posten ernstlich arbeitswillige Personen von der Arbeit abgehalten werden und hierdurch einen wirtschaftlichen Schaden erleiden. Unter den gleichen Voraussetzungen hätte dann ebenso der ausgesperrte Arbeiter Ersatzanspruche gegen den die Aussperrung aussprechenden Arbeitgeberverband17." Diese privatrechtlich denkbaren, wenn auch durchaus nicht unumgänglichen Konsequenzen führten neben anderen, scheinbar juristischen Bedenken zur einhelligen Ablehnung des Schutzes der Betätigung.1 8 Der unausgesprochene Angelpunkt liegt darin, daß d,ie Arbeitskraft zu gering eingeschätzt wurde, ihr wirksamer Schutz aber als zu teuer.
3. Die Folgediskussion um ein Persönlichkeitsrecbt auf Schutz der Arbeitskraft Mit den genannten Theoremen und Argumenten ist die Diskussion bis zum Ende des Ersten Weltkrieges umrissen. Der verlorene Krieg, veränderte politische Verhältnisse, Forderungen von Gewerkschaften und anderen Gruppen, schließlich auch rechtliche Maßnahmen zu einem Schutz der Betätigung, forderten dazu heraus, daß man sich nach dem Weltkrieg verstärkt sozialen Problemen zuwandte; die Berücksichtigung der Menschenrechte sollte auch im Arbeitsleben zu demokratischen Verhältnissen beitragen. Vgl. Riezler, Arbeitskraft, S. 241 f. Enneper, Hans, Die Rechtsgüter des § 823 Abs. 1 BGB, Diss. Marburg 1929, S. 33. 18 Vgl. Kraft, S. 152 f. 10
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10. Kap.: Schutz der Arbeitskraft
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Art. 157 der Weimarer Verfassung regelte den Schutz der Arbeitskraft: Sie stand "unter dem besonderen Schutz des Reichs". Diese Formulierung versprach viel und hielt wenig, denn der Streit über ihre Interpretation zeitigte eine solche Abnutzung, daß sie nurmehr als Programmsatz verstanden wurde. 19 Wenn so auch aus Art. 157 in der Regel kein Anspruch hergeleitet werden konnte, so beharrte eine Minorität doch weiterhin auf dem Standpunkt eines daraus abzuleitenden besonderen Persönlichkeitsrechts. A. RosenthaI z. B. gründete bei Eingriffen einen Unterlassungsanspruch auf das "absolute Persönlichkeitsrecht freier Betätigung" und leitete im Anschluß an A. Lobe einen einheitlichen "Anspruch auf Untersagung von Störungen ohne weiteres aus dem die Persönlichkeit schützenden Ausschlußrechte her ... ". Auch Franz Neumann bestätigte in einer gründlichen Analyse die "Arbeitsfreiheit als absolutes Recht" .20 Wenn nicht nur in der Weimarer Zeit, sondern auch später ein solches Recht dennoch überwiegend abgelehnt worden ist, so darf darüber die Ausstrahlung auf ein allgemeines Persönlichkeitsrecht, wie sie von diesem Gebiet allgemein, aber auch von den Statements profilierter Verfechter des Persönlichkeitsrechts ausging, nicht unterschätzt werden. Auch ihr verdankt sich die allmähliche Stärkung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts, nicht zuletzt mit den Argumenten der damaligen Diskussion wächst heute die Zahl der Befürworter dieses Rechts. 21
1D Vgl. Das Bürgerliche Gesetzbuch, Kommentar hg. von Reichsgerichtsräten, Leipzig 1928, S. 560 f., wonach die Arbeitskraft nicht als Recht und nicht als nach Art. 157 geschützt angesehen wird; sie wird lediglich als Betätigungsmöglichkeit verstanden. Vgl. Enneper, S. 32; Simon, Dionysius Karl, Der Schutz der Persönlichkeitsrechte im Rahmen des § 823 Abs. 1 BGB, Diss. Marburg 1932, S. 71. 20 Rosenthal, Alfred, Wettbewerbsgesetz, Berlin u. Leipzig 51922, S. 37 f. Rosenthal, Berlin 81930, S. 17. 21 Vgl. Hubmann, Das Persönlichkeitsrecht, S. 188 und Anm. 14 mit weit. Hinw. und Kneppe, Klaus, Das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb und seine Stellung im Deliktschutzsystem des § 823 Abs. 1 BGB, Tübingen, Diss., 1964, S. 105.
Elftes Kapitel
Das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb 1. Wirtschaftsgeschichtliche Voraussetzungen Das Unternehmen wie seine rechtliche Regelung haben seit der Mitte des 19. Jahrhunderts die Wirtschaftsgesellschaft geprägt. Ein Blick auf die Entwicklung des industriellen und handwerklichen Sektors seit der Zeit, in der Deutschland nachhaltig industrialisiert worden ist, d. h. nach dem "take-off" (Rostow) in den 50er Jahren, mag dies verdeutlichen. Sowohl die Zahl der Beschäftigten, die im Vergleich zu Landwirtschaft, Handel und Verkehr ungleich stärker, nämlich von ca. 25 auf 40 Ofo bis 1914 stieg, wie der Anteil am Nettoinlandsprodukt, das in derselben Zeit von ca. 20 auf 45 Ofo wuchs,1 bezeugen die Sprengkraft, die vom industriellen Bereich auf die angrenzenden wirtschaftlichen Sektoren und die tradierte Sozialstruktur ausgehen mußte. Die Betriebszahlen der Produktionsmittel- und Verbrauchsgüterindustrie führen das Gewicht des industriellen Sektors noch deutlicher vor Augen: 1875 zählte man bereits 2,5 Mill. Betriebe, davon 486 000 in der Produktionsmittelindustrie, die auf 524000 nach dem Ersten Weltkrieg anwuchsen, während die Verbrauchsgüterindustrie in derselben Zeit von 2 Mill. auf 1,6 Mill. Betriebe abnahm. 2 Die Aktiengesellschaften allein vereinigten eine Kapitalkraft, die sich um 1900 bereits auf 7,5 Milliarden Reichsmark belief gegenüber 850 Millionen im Jahre 1870; die GmbH's verfügten über eine weitere Milliarde.3 Diese Zahlen illustrieren, in welchem Umfang das Unternehmen als wirtschaftliches Mikro-Zentrum seit den 70er Jahren des 19. Jahrhunderts die ökonomische Praxis und Theorie beherrschte, währenddessen Gesetzgeber, Rechtsprechung und Rechtswissenschaft nur zögernd eine so umfassende Vermögenseinheit als rechtlichen Inbegriff fassen konn1 Aubin, Hermann, und Zorn, Wolfgang, Handbuch der deutschen Wirtschafts- und Sozialgeschichte, Stuttgart 1976, Bd. 2, S. 528. I BechteZ, Heinrich, Wirtschafts- und Sozialgeschichte Deutschlands, München 1967, S. 353 f. 3 Bechtel, S. 359.
11. Kap.: Das Recht am Gewerbebetrieb
135
ten.4 Es fehlte nicht an Versuchen, die aufgetretenen Lücken zu füllen. Ein Teil der Lehre war schon seit der Jahrhundertwende bemüht, die Kritik an dem anachronistischen Rechtszustand zugunsten eines positiven "Rechts am Unternehmen" zu überwinden. 5 Dabei entwickelten sich insbesondere drei Aspekte zum Schutz der wirtschaftlichen Interessen des Unternehmers: Die dynamische, persönlichkeitsbezogene Seite, das "Betreiben", das "Unternehmen", das "Ausüben", konnte hervorgehoben werden; oder die statische, die auf die geronnene Arbeit abstellt, verkörpert im "eingerichteten" Gewerbebetrieb. Schließlich ließen sich beide Seiten kombinieren. Die letzte Position hat das Reichsgericht vertreten und durchgesetzt.
2. Persönlichkeitsrechtliche Tendenzen in der Rechtsprechung um 1900 Seit Ende der 80er Jahre hatte das Reichsgericht begonnen, den Gewerbebetrieb6 in einzelnen Ausprägungen zu schützen; diese Rechtsprechung hat es gefestigt und der BGH hat sie fortgesetzt7, so daß man heute vom gesicherten Bestand des subjektiven Rechts am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb sprechen kann. 8 Bis 1900 gründen die ersten Entscheidungen des Reichsgerichts auf dem Gedanken der Gewerbefreiheit, wie ihn § 1 GewO normiert. 9 Ein Pionier-Urteil des Reichsgerichts vom 27. Oktober 188810 sprach, noch recht unklar, von einer Verletzung des Gewerbetreibenden "in 4 Bezeichnend dafür ist die "Revolution" der Betriebswirtschaftslehre seit der Zeit der Jahrhundertwende, vgl. Weber, Eduard, Literaturgeschichte der Betriebswirtschaftslehre, Tübingen 1914; Löffelholz, Josef, Geschichte der Betriebswirtschaft und der Betriebswirtschaftslehre, Stuttgart 1935. Vgl.
Aubin / Zorn, S. 156.
5 Isay, Das Recht am Unternehmen, Berlin 1910 mit weit. Hinw. und Jans, Karl-Wilhelm, Das Recht am Unternehmen und die Wirtschaftsordnung, Diss. Köln 1936. e Die Unterschiede im Sprach- wie juristischen und ökonomischen Lehrgebrauch zwischen Gewerbebetrieb und Unternehmen sollen hier nicht behandelt werden. IdR. wird Unternehmen heute als der weitere Begriff gegenüber Betrieb benutzt. 7 Vgl. die Anfänge der BGH-Rechtsprechung in BGHZ 2, 387 vom 15. Juni 1951 und die "Constanze"-Entscheidung vom 26. Okt. 1951, BGHZ 3, 270, in der der BGH die Voraussetzung des unmittelbaren Eingriffs in den Bestand aufgegeben hat zugunsten des Schutzes gegen einen unmittelbaren Eingriff in den Bereich des Gewerbebetriebs, der in seinem Stand nicht verletzt sein mußte. 8 Zur Kritik daran vgl. Deutsch, Erwin, Entwicklung und Entwicklungsfunktion der Deliktstatbestände, in: JZ 1963, S. 385 ff. und Wiethölter,
S. 121 ff.
9 "Der Betrieb eines Gewerbes ist jedermann gestattet, soweit nicht durch dieses Gesetz Ausnahmen oder Beschränkungen vorgeschrieben oder zugelassen sind."
136
I. Teil: Die geistig-gewerblichen Persönlichkeits rechte
rechtlich erlaubten gewerblichen Verfügungen ...11." Der Entscheidung des Reichsgerichts vom 26. September 189412 lag die Unterlassungsklage eines Gewerbetreibenden gegen seinen Konkurrenten zugrunde. Dieser hatte unberechtigt behauptet, eine bestimmte Ware sei geschmacksmusterrechtlich geschützt; er hatte damit, dem Vortrag des Klägers zufolge, dessen Gewerbebetrieb beeinträchtigt. Das Reichsgericht führte aus, daß "dem in solcher Weise in der Freiheit seiner gewerblichen Tätigkeitsentwicklung Beeinträchtigten und zugleich in seinen vermögensrechtlichen Interessen Verletzten ein Klagerecht zu(stehe) ..." Ein weiteres Urteil vom 25. Juni 1890 sprach davon, daß bestimmte Maßnahmen das Recht auf Achtung der Person und das Ansehen des individuellen Geschäftsbetriebes verletzen könnten. 13 Das Reichsgericht betonte schon in diesen frühen Entscheidungen die freie Tätigkeitsentfaltung, ohne jedoch dabei vermögensrechtliche Aspekte zu vernachlässigen. In einer Entscheidung vom 24. Januar 189514 stellte das Gericht fest, daß das Verhältnis zwischen dem Gewerbetreibenden und seinem Konkurrenten mit Hilfe der allgemeinen Vorschriften zum Schutze der Persönlichkeit und des Vermögens gegen rechtswidrige Beeinträchtigung zu würdigen sei, sofern es außerhalb von Verträgen oder sonstigen Rechtsverhältnissen liegt. In einer Entscheidung vom 9. Dezember 189915 erkannte es einem gewerblichen Konkurrenten die negatorische Klage nach den allgemeinen Grundsätzen des bürgerlichen Rechts zu, mit dem besonderen Hinweis auf § 1 GewO, der das Recht auf freie gewerbliche Betätigung innerhalb der gesetzlichen Schranken begründete. Mit dieser Rechtsprechung hatte sich das Reichsgericht eine Basis geschaffen, um die weitere Entwicklung des Rechts am Gewerbebetrieb nicht nur vermögens-, sondern auch persönlichkeits rechtlich beurteilen zu können. Insbesondere der Hinweis auf die allgemeinen Vorschriften zum Schutz der Persönlichkeit ließ vermuten, das Gericht habe sich die Ansicht eines Teils der Wissenschaft zum allgemeinen Persönlichkeits recht bzw. zum besonderen Persönlichkeitsrecht des Gewerbebetriebs zu eigen gemacht. Diese Tendenz schwächte sich nach 1900 allerdings ab.
10 11 12 13 14
15
RGZ 22, 93 (96). Vgl. auch RGZ vom 18. Okt. 1899, JW 1899, S. 749. In: BI., Bd. 1, S. 94. RGZ 28, 238 (248). RGZ 35, 166 f. RGZ 45, 59 (61 f.).
11. Kap.: Das Recht am Gewerbebetrieb
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Nach Inkrafttreten des BGB griffen Rechtsprechung und Wissenschaft immer seltener auf § 1 GewO zurück, da er kein Privatrecht, sondern eine öffentlich-rechtliche Norm beinhaltete, wie der Staatsgerichtshof 1925 endgültig feststellte. 16 Neben den §§ 823 Abs. 2, 824 und insbesondere 826 BGB, zog das Reichsgericht statt dessen verstärkt wettbewerbsrechtliche Bestimmungen heran; dagegen lehnte es "mehrfach ab, ein nach § 823 Abs. 1 geschütztes Persönlichkeitsrecht auf freie und ungestörte Berufsausübung schlechthin anzuerkennen" .n In der Entscheidung vom 11. April 1901 18 anerkannte das Reichsgericht gewerbliche Ausschlußrechte, die durch Unterlassungsklage geschützt waren. Es ließ dahingestellt sein, ob die Analogie der negatorischen Klage überhaupt möglich war, fuhr aber fort: "Für diejenigen, welche dem Gewerbebetriebe ... den Charakter eines subjektiven Rechtes (,Individualrechts') zuschreiben, ergibt sich allerdings die Zulässigkeit einer solchen, quasinegatorischen Klage aus der absoluten Natur des Rechts19 ." Einer eigenen Stellungnahme enthielt sich das Reichsgericht, doch äußerte es sich indirekt zum allgemeinen Persönlichkeitsrecht bzw. seiner Besonderung. Damit charakterisierte es den damaligen Stand der Diskussion, der den engen Zusammenhang zwischen allgemeinem Persönlichkeitsrecht und speziellem Persönlichkeitsrecht gleichsam als Ahnung vor sich her schob. In dem Fall vom 29. Mai 1902 20 hatte der beklagte Unternehmer wegen eines Streiks einen Boykottaufruf an andere Unternehmer gerichtet. Die betroffenen Arbeiter wurden abgewiesen: § 823 Abs. 1 BGB sei nicht einschlägig; die selbständige gewerbliche Tätigkeit könne zwar als ein wohlerworbenes Recht betrachtet werden, zumal sie durch das Gesetz zur Bekämpfung des unlauteren Wettbewerbs vom 27. Mai 1896 besonders geschützt werde. Das Gericht fuhr jedoch fort: "Nun werden allerdings von einer mehrfach vertretenen Theorie eine (nicht abgeschlossene) Reihe sogenannter Persönlichkeits- oder Individualrechte aufgestellt, und für Privatrechte erklärt, darunter auch ein Recht auf freie Erwerbstätigkeit. Aber diese, bisher noch nicht zur Abklärung und Anerkennung gelangte, Auffassung erscheint für die Anwendung des § 823 Abs.1 BGB, dessen Begrenzung damit eine völlig unsichere würde. nicht als verwertbar ... Ist also der Begriff der ,sonstigen Rechte' auf die bestimmten, von der Rechtsordnung als solche ausgestalteten und umschriebenen subjektiven Rechte zu beschränken, so fallen hierunter nicht die einer solchen Rechtsnatur ermangelnden Befugnisse oder Fähigkeiten, welche zufolge der allgemeinen Freiheit des HandeIns jedermann zukommen, nicht also schon 18 17 18 18 20
Vgl. Kneppe, S. 55.
Ebda., S. 56. RGZ 48, 114. Ebda., S. 120 f. RGZ 51, 369.
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I. Teil: Die geistig-gewerblichen Persönlichkeits rechte
an sich die Befugnis zu ungehinderter Verwertung der Arbeitskraft, nicht eine bloße Erwerbsaussicht!l." Das Urteil vom 14. Dezember 1902 22 , in dem es, parallel zu RGZ 28, 238 vom 25. Juni 1890, um eine Liefersperre durch einen Börsenverein ging, bestätigte diese Rechtsprechung. Sie verweigerte damit den Schutz der ungehinderten Arbeitskraft wie auch der bloßen Erwerbsaussicht; davon unterschied sie die unternehmerische Tätigkeit, soweit sie sich in einem eingerichteten Gewerbebetrieb manifestierte. 23 In der grundlegenden Entscheidung vom 27. Februar 190424 hatte der Kläger seine Produktion eingestellt, nachdem ihn die Beklagte aus drei eingetragenen Gebrauchsmustern verwarnt hatte. Da die Gebrauchsmuster nicht mehr schutz fähig waren, erreichte er ihre Löschung und klagte auf Schadensersatz. Der erkennende Senat entschied für den Kläger; er stellte fest, daß dessen Eigentumsrechte zwar nicht beeinträchtigt seien, von grundsätzlicher Bedeutung hingegen sei der gestörte Gewerbebetrieb: "Dadurch, daß es sich bei dem bestehenden selbständigen Gewerbebetriebe nicht bloß um die freie Willensbetätigung des Gewerbetreibenden handelt, sondern dieser Wille darin bereits seine gegenständliche Verkörperung gefunden hat, ist die feste Grundlage für die Annahme eines subjektiven Rechts an diesem Betriebe gegeben. Störungen und Beeinträchtigungen, welche sich unmittelbar gegen den Gewerbebetrieb richten, dürfen deshalb als eine unter § 823 Abs. 1 fallende Rechtsverletzung angesehen werden25 ." Diese Argumentation schloß die in den Entscheidungen vor 1900 formal dominierenden Rechte der freien Erwerbstätigkeit zwar nicht aus, sondern ordnete sie in den bestehenden Gewerbebetrieb ein. Sie wandte sich aber gegen ihre Charakterisierung als besondere Persönlichkeits- oder Individualrechte: "Die Ansicht, daß das Gesetz die von ihm aufgeführten Güter, als Leben, Gesundheit und Freiheit, selbst zu Gegenständen eines besonderen daran bestehenden Rechts habe erheben und durch die Worte ,oder ein sonstiges Recht' seinen Schutz über die ausdrücklich genannten hinaus noch auf andere derartige Lebensgüter habe ausdehnen wollen, hat in der Rechtsprechung des Reichsgerichts keinen Anklang gefunden, und es ist auch bereits ausgesprochen, daß die Theorie, welche hier in noch nicht abgeschlossenem Umfange besondere Persönlichkeits- oder Individualitätsrechte konstruieren will, als Grundlage für die Auslegung des Gesetzes nicht geeignet erscheine. Deshalb ist z. B. verneint worden, daß die freie Erwerbstätigkeit als solche, Körp~r,
Ebda., S. 373. RGZ 56, 271; Kneppe, S. 56 korrigiert zu recht das Datum von 1902 auf 1903. 23 RGZ 51, 374; vgl. dazu auch RGZ 51, 66 vom 6. März 1902, ausführlicher abgedruckt in: JW 1902, Beilage S. 227, Nr. 88; RGZ 56, 271 (275). 24 RGZ 58, 24 ff. 25 Ebda., S. 29 f.; zu der grundsätzlichen Kritik an diesem Urteil s. Wiethälter, S. 121 ff. 21
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11. Kap.: Das Recht am Gewerbebetrieb
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so wenig wie die Befugnis zu ungehinderter Verwertung der Arbeitskraft, unter den Schutz des § 823 Abs. 1 falle z8." Die Ausführungen des Reichsgerichts sollen nicht im einzelnen kritisiert werden27, zumal sein Verfahren, statt zu begründen, auf vorhergehende Entscheidungen zu verweisen, legitim ist, und deshalb höchstens mit Unbehagen rezipiert werden darf. Das Fundament selbst scheint jedoch gelegentlich zu unsolide, um eine Kette folgender Entscheidungen abstützen zu können: Dafür sind etwa in den Urteilen vom 25. Juni 1890, 6. März 1902 und 9. Mai 1902 die Betätigung von Arbeitskraft und Erwerbsaussichten, letztlich die allgemeine Berufsund Arbeitsentfaltung, zu knapp gestreift worden; noch weniger sind Persönlichkeits- oder Individualrechte diskutiert worden. Wie sehr sich das Gericht dennoch den dort gesetzten Maßstäben verpflichtet fühlte, erhellen die Urteile vom 6. März 1902 und 4. Oktober 190628 , in denen jeweils Ärzte Eingriffe in ihre Praxis geltend gemacht hatten. Während in dem ersten Fall der Arzt durch den Besitz einer Privatklinik, d. i. eines "konkreten" Gewerbebetriebs schutzwürdig war und deshalb "nicht bloß ein Recht auf persönliche Achtung" verletzt werden konnte, fehlte dieses Eigentumsprivileg im zweiten Fall; der Kläger wurde abgewiesen. 29 Schließlich sprach das OLG Dresden sogar vom Schutz des eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetriebes "als einem von der Persönlichkeit losgelösten Bestandteil der Umwelt30 ." Offenkundig floß in diese Rechtsprechung die wirtschaftliche Entwicklung mit ein, wie sie sich mit der Lösung des Unternehmens von der einzelnen Unternehmerpersönlichkeit stetig vollzogen hatte. Sie begünstigte den Schutz der statischen Seite, den eingerichteten Gewerbebetrieb, auf Kosten der "dynamischen" Eigentümer-Unternehmer-Persönlichkeit, die zunehmend durch Management ersetzt worden war. Trotzdem berücksichtigte die Rechtsprechung auch weiterhin die "individuelle Tätigkeit" des Arbeitgebers im Rahmen von § 823 Abs. 1, ohne sie als solche für schützenswert zu erklären.
RGZ 58, 28 f. S. dazu das Kapitel "Die Entwicklung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts in der Rechtsprechung" . 28 RGZ 51, 66 und 64, 155. 29 Vgl. auch das Urteil vom 3. Febr. 1910, RGZ 73, 107, das diese Rechtsprechung bestätigt. Sehr kritisch dazu Isay, Das Recht am Unternehmen, S. 20; a. A. Giesecke, Paul, Recht am Unternehmen und Schutz des Unternehmens, in: GRUR 1950, S. 298 ff. (306), der aus den Entscheidungen des Reichsgerichts vom 24. Juni 1937, RGZ 155,234 (239) und vom 17. Aug. 1938, in: GRUR 1939, S. 397 schließt, daß das RG seine restriktive Haltung aufzugeben begann. 30 Urteil vom 12. März 1909, in: MuW 1909, S. 282 (285); vgl. Kneppe, S. 67. 26
27
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I. Teil: Die geistig-gewerblichen Persänlichkeitsrechte
3. Der gleichzeitige Streit um das geschützte Rechtsgut in der Wissenschaft Bis zum Inkrafttreten des BGB fand sich die Rechtsprechung des Reichsgerichts nur von einer Minderheit im Schrifttum bestätigt. Dort trat die Lehre vom Persönlichkeitsrecht am Unternehmen in zwei Formen auf: Das Recht am Unternehmen als Anwendungsfall des allgemeinen Persönlichkeitsrechts oder als besonderes Persönlichkeitsrecht auf gewerbliche Betätigung, wie es als absolutes Recht unter § 823 Abs. 1 falle. sl Beide Ansichten bezogen sich auf die Freiheit des Menschen, sich zu betätigen, allgemein oder eingeschränkt auf die gewerbliche Tätigkeit. Die herrschende Lehre dagegen bestimmte den Betrieb als Schutzobjekt, das Recht daran als Immaterialgüterrecht, das nach § 823 Abs. 1 zu schützen seLS2 Hervorzuheben sind erneut Gierke und Kohler, die ihre Lehre vom allgemeinen Persönlichkeitsrecht auch auf dieses Rechtsgebiet übertragen haben. Das Persönlichkeitsrecht als allgemeines Grundrecht der Persönlichkeit prägt sich, nach Gierke, unmittelbar in dem Recht der freien gewerblichen Betätigung aus." Davon zu scheiden ist das Recht auf besondere wirtschaftliche Tätigkeit, solche aus erfolgreicher Erwerbstätigkeit. Das Recht der gewerblichen Betätigung umfaßt die Persönlichkeitsgüter des "good-will", d. h. Kundschaft, Kredit, Ruf, Geschäftsbeziehungen ete., welche die Grundlage für die weitere Betätigung bilden. Mit seiner Klassifizierung zielte Gierke nicht nur auf bestehendes Gesetzesrecht oder eine etwa bestätigende Rechtsprechung ab; vielmehr konzipierte er "ein rechtspolitisch erstrebtes Rechtsmodell" .S4 Kohler, der diesen umfassenden Blickwinkel ablehnt, geht von dem Gedanken eines "subjektiven Gewerberechts" aus, das er als Privatrecht den Persänlichkeitsrechten zuordnet. s6 Das Unternehmen symbolisierte ihm "die Persönlichkeit in ihrem zusammenhängenden Wirken." Es konnte aus sich heraus besondere Persönlichkeits rechte wie Name, Firma, Etablissementbezeichnung und Marke als "Sperrforts" ausson31
Vgl. Michaelis, Wilhelm, Das Recht am Unternehmen, Diss. Leipzig 1937,
S. 48 ff.
3! Vgl. Nipperdey, Hans-earl, Die Frage des Schutzes des Unternehmens nach § 823 I, Beiträge zum Wirtschaftsrecht, 2. Bd., Marburg 1931, S. 445 ff.
(453). 33 Gierke, Privatrecht, S. 713. 34 Buchner, S. 118. 36 Vgl. Kohler, Enzyklopädie der Rechtswissenschaft, Bd. I, S. 593 f.; zu
dem Begriff des subjektiven Gewerberechts und die darum gefÜhrte Auseinandersetzung vgl. v. Laun, Rudolf, Das Recht zum Gewerbebetrieb, Wien und Leipzig 1908, S. 24 ff. insbes. S. 25 Anm. 103.
11. Kap.: Das Recht am Gewerbebetrieb
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dern, "welche der Person gegen die Angriffe einen besonders wirksamen Schutz gewähren sollen." Diese "Sperrforts" genügen jedoch nicht: Das Unternehmen, verkörpert in einer Person in ihrem unmittelbaren Wirken, bedarf umfassender Sicherung; " ... hinter den Sperrforts ist die ganze Feste zu schützen", die ihrerseits im Zusammenhang mit dem Gesamtschutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts steht.36 Beide Autoren wie auch Gareis, der das Recht an einem individuell ausgestalteten Gewerbebetrieb als Persönlichkeitsrecht versteht37 , rükken die dynamische Seite, die unternehmerische Tätigkeit als Persönlichkeitsrecht in den Vordergrund. Formal entsprach dieser Argumentation eine Seite der Rechtsprechung des Reichsgerichts, ohne daß das Gericht den weitergehenden Schluß der Autoren mit vollzogen, d. h. die allgemeine wirtschaftliche Tätigkeit als ein "Recht zu beliebiger Erwerbstätigkeit" anerkannt hätte. 38 Stattdessen stand die Kombination von Persönlichkeits- und Vermögensschutz von Anfang an als Kernpunkt reichsgerichtlicher Rechtsprechung zum Recht am Gewerbebetrieb fest. Als unrichtig erweist sich insofern die Vermutung, die unbedingte persönlichkeitsrechtliche Orientierung habe im ersten Jahrzehnt nach der Jahrhundertwende die rechtliche Lehre geprägt. Vielmehr ist die Rechtsprechung des Reichsgerichts als ein vorsichtiger Versuch, sich auf dem Terrain eines neuen Rechtsgebiets zu orientieren, zu werten, mithin die Entwicklung gewerblicher Tätigkeit im Rahmen eines eingerichteten Betriebes zu schützen.
4. Stärkung der persönlichk.eitsrechtlichen Argumentation durch die Rechtsprechung um 1930 Die Jahrzehnte bis zum Ende der 20er Jahre haben die Lehre vom eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb gefestigt. Jene, zuerst in § 1 GewO aufgetretenen, von Rechtsprechung und Literatur übernommenen subjektiven Elemente, die den " ausgeübten" Gewerbebetrieb geformt haben, erhielten nach einer Phase der Einschränkung nach 1900 in der Rechtsprechung um 1930 erneutes Gewicht. Sie dienten einer zusätzlichen rechtlichen Absicherung des Betriebes über die Person des Unternehmers; dies fällt besonders deshalb auf, weil man bei Betriebserfindungen insoweit zurückhaltender verfuhr. Wiethölter spricht von einer "skurril-kuriosen Zwischenetappe" ;39 es bleibt zu prüfen, ob und inwieweit die bisherige Begründung des Un38 Kohler, Jasef, Der unlautere Wettbewerb, Berlin 1914, S. 22 ff. 37 Gareis, Das deutsche Handelsrecht, Berlin 1903, S. 66 f. 38 Gierke, Privatrecht, S. 713; vgl. Kneppe, S. 54 f. 38 Wiethölter, S. 125.
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I. Teil: Die geistig-gewerblichen Persönlichkeitsrechte
ternehmensrechts durch Rechtsschutz aus dem Persönlichkeitsgedanken ersetzt worden ist. Das Reichsgericht hatte früher die Frage aufgeworfen, ob ein subjektives Recht auf freie Erwerbstätigkeit mit dem Schutz des § 823 Abs. 1 vereinbart werden könne. 4o Die Entscheidung vom 27. Februar 1904, die als Markstein für die Entwicklung des Rechts am Unternehmen gilt, lehnt dies ab. 41 Erst die Entscheidung vom 7. Oktober 1924 berücksichtigt in größerem Umfang persönlichkeitsrechtliche Momente. 42 Der Kläger hatte geltend gemacht, durch die Beklagte in seinem subjektiven Recht auf alleiniges Benutzen seiner Diplome und Auszeichnungen verletzt worden zu sein. Das Reichsgericht anerkannte sein Vorbringen und rügte außerdem eine Verletzung des Namensrechts; schließlich lag nach seiner Auffassung in dem Vorgehen des Beklagten "ein Eingriff in das vom Kläger erworbene Recht und gleichzeitig eine Beeinträchtigung seiner gewerblichen Betätigung und Persönlichkeit ...". "Die Verleihungen schufen ein rein persönliches Recht des Klägers." Die Beklagte hatte sich eines "rechtswidrigen Eingriffs in die persönlichen Rechte des Klägers ... schuldig gemacht43 ." In besonderer Weise betonte das Reichsgericht das persönliche Recht auf gewerbliche Betätigung, obwohl der Kläger kein Unternehmer war; über die ihm vorgelegte Frage hinaus bezog es damit Stellung zur Bewertung persönlichkeitsrechtlicher Aspekte. Aus dieser Entscheidung wurde vielfach die Anerkennung eines nach § 823 Abs. 1 geschützten Persönlichkeitsrechts herausgelesen. 44 Diese Interpretation geht insofern zu weit, als ein "rein persönliches Recht" noch kein Persönlichkeitsrecht und die Beeinträchtigung der gewerblichen Betätigung wie der Persönlichkeit noch keine solche des Persönlichkeitsrechts darstellt. Ersichtlichen Nachdruck legt jedenfalls die Begründung auf das dynamische Moment beim Gewerbebetrieb. 45 Bestätigung erfährt diese Gewichtung in anderen, gleichlautenden Entscheidungen. So erkennt RGZ 135, 395 vom 19. März 1932 den Geschäftsinhaber in seiner Wettbewerbsposition RGZ 48, 114 vom 11. April 1901. u RGZ 58, 24 ff.; Wiethölter, S. 121 ff. analysiert sehr gründlich die ungenaue Gedankenführung des RG, die für die weitere rechtliche Ausgestaltung des Unternehmensrechts grundlegend sein sollte. 42 RGZ 109, 51 (52) f.; das Urteil wird eingehender bei der Rechtsprechung zum allgemeinen Persönlichkeitsrecht behandelt. 43 Ebda., S. 53, 52. 44 Vgl. Suppes, Elisabeth, Die Rechtsprechung des Reichsgerichts und des Bundesgerichtshofs über das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb, Diss. Freiburg 1956, S. 68; Rosenthal, Wettbewerbsgesetze, Berlin 71927, S. 17; Nipperdey, Beiträge, S. 445 ff. 45 Vgl. Nipperdey, ebda., S. 455. ~o
11. Kap.: Das Recht am Gewerbebetrieb
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gegen sklavische Nachahmung "vermöge seines Persönlichkeitsrechts im Bereiche seiner Gewerbetätigkeit als durch die Rechtsordnung geschützt" an. Dieses Urteil unterstreicht deutlicher als das vorher angeführte ein Persönlichkeitsrecht des Unternehmers. Wie dieses stellt es nicht auf den eingerichteten Gewerbebetrieb ab, sondern hebt die Gewerbetätigkeit als das bestimmende Moment hervor, das die Rechtsordnung persönlichkeitsrechtlich schützen müsse. Interessanterweise nimmt das Urteil auf R. Callmann und A. Baumbach Bezug, die beide ein Persönlichkeitsrecht am Gewerbebetrieb ablehnen; es setzte sich damit dem Vorwurf aus, seine Argumente seien in ihrer Ambivalenz mißverständlich.46 Schließlich formuliert das Reichsgericht am 23. Februar 1934 ein "Rechtsgut auf uneingeschränkte Ausübung der gewerblichen Betätigung" .47 Diese Rechtsprechung bekräftigt es in weiteren Fällen, in denen es jeweils das subjektive Moment des Gewerbebetriebs, die Tätigkeit, schützt, ohne eigentlich auf dessen persönlichkeitsrechtlichen Gehalt hinzuweisen. So etwa, wenn es Eingriffe "unmittelbar in die gewerbliche Tätigkeit" des Klägers oder in dessen gewerbliche Bewegungsfreiheit als widerrechtliche Verletzungen charakterisiert.48 Wenn sich "keine unmittelbare Hinderung des Anbietens und Abschließens von Verkäufen und dergleichen oder irgend einer Be- oder Vertriebshandlung" nachweisen läßt, nimmt das Gericht in einigen Fällen keinen Eingriff an. 49 In der Entscheidung vom 18. Januar 1905 billigt es dem Verletzten die Möglichkeit zur Klage zu, "insbesondere auf Unterlassung nicht zutreffender mündlicher oder schriftlicher Bemühungen, die sein gewerbliches Tun als Verletzung des Schutzrechtes hinstellen". Wenn sich das Gericht im Urteil vom 19. März 193250 zum Persönlichkeitsrecht der Gewerbetätigkeit bekennt, ist es zum Grundgedanken eines allgemeinen Persönlichkeitsrecht nicht mehr weit. Dies belegt die These von einer relativen Kontinuität reichs gerichtlicher Rechtsprechung: Ihre Argumentation hat sich insofern gewandelt, als sie vom Beginn an das Recht am Gewerbebetrieb, wenn schon nicht als Persönlichkeitsrecht, so doch als absolutes Recht mit Eigentumscharakter und persönlichkeitsVgl. Jans, S. 51, Anm. 42. RGZ 144, 41 (52 f.). 48 RG vom 12. Juni 1911, JW 1911, 712 f. (713), Nr. 12 und RG vom 13. Juli 1909, JW 1909, S. 493, Nr. 16. In diesem Urteil wird allerdings betont, daß die sonstigen Rechte des § 823 Abs. 1 nicht Persönlichkeits- oder Individualrechte seien, "insbesondere auch nicht die Befugnis ungehinderter Verwertung der Arbeitskraft und Erwerbsmöglichkeit ...". 48 RGZ 60, 1 (4) vom 2. Jan. 1905; vgl. auch RGZ 77, 217 vom 28. Sept. 1911; 102,223 vom 2. Juni 1921; RG vom 12. Juni 1911, JW 1911, S. 712, Nr. 12. 50 RGZ 135, 395. 48 47
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I. Teil: Die geistig-gewerblichen Persönlichkeitsrechte
rechtlichen Elementen anerkannt wissen wollte. Wenn sich seit ca. 1928 persönlichkeitsrechtliche Grundzüge zunehmend Gehör verschaffen, so mit dem Effekt, die Stellung des Unternehmers im Unternehmensschutz aufzuwerten. Im Ergebnis ist es daher richtig, von einem "Mantel der Individualbezogenheit des subjektiven Rechts und der Fiktion vom personalen Charakter der Rechtsträger" zu sprechen, in dessen Schutz die Rechtsprechung, ja das Privatrecht insgesamt, wirtschaftliche Macht auch rechtlich zementiert haben. 51 Kurt Biedenkopf sieht in diesem Vorgehen, Rechtsrnacht dadurch zu verleihen, daß der tatsächlichen Macht privat rechtliche subjektive Rechte gewährt werden, eine typisch deutsche Entwicklung.52 Das allgemeine Persönlichkeitsrecht hat diesen Prozeß gefördert, wenn es auch selbst für das Unternehmensrecht nicht vollgültig anerkannt worden ist. Die offenkundige Zurückhaltung in Rechtsprechung und Literatur gegenüber dem eindeutigen Bekenntnis zu einem Persönlichkeitsrecht an der Erwerbstätigkeit wurde sicher unbewußt auch deshalb durchgehalten, weil sonst die Forderung nach Anerkennung eines Rechts an der beruflichen Betätigung Auftrieb erhalten hätte: Beide waren Synonyme und wurden "von der tätigkeitsbezogenen Seite des Persönlichkeitsrechts erfaßt."53 Es entsprach daher den Intentionen, besonders denen der Rechtsprechung, zwar persönlichkeitsrechtliche Momente zu berücksichtigen, sie aber nicht als solche in einem subjektiven Recht manifest werden zu lassen.
51 52
Biedenkopf, S. 118.
Ebda.
Sobiraj, Ingo, Schutz der beruflichen Betätigung, Persönlichkeitsrecht und Beruf, Diss. Köln 1960, S. 9. 63
Zwölftes Kapitel
Namens-, Warenzeichen- und Firmenrecht 1. Die Entwicklung des Namensrechts zum Persönlichkeitsrecht Der Schutz des Namens, nach § 12 BGB ein besonderes Persönlichkeitsrecht, ist das Ergebnis langdauernder Bemühungen. An ihrem Anfang stehen öffentlich-rechtliche Interessen: Der Untertan mußte für Kriegsleistungen und Steuerzahlungen identifiziert werden. Er selbst dagegen benötigte Schutz; sein Name bot die Grundlage für Verträge und Kreditgewährung. Die Rezeption des römischen Rechts ließ allerdings bis Mitte des 19. Jahrhunderts die privatrechtliche Auffassung vorherrschen, daß der Name nicht eigens geschützt werden müsse. Trotz der Anerkennung des Persönlichkeitsguts Name, zu der Gareis und Kohler in der zweiten Jahrhunderthälfte beigetragen haben1 , lehnte der erste Entwurf zum BGB eine gesetzliche Normierung wie schon beim allgemeinen Persönlichkeitsrecht ab: Theorie und Praxis seien noch nicht hinreichend einig; es sei bedenklich, die wissenschaftliche Entwicklung vorwegzunehmen. 2 Die Kritik mit Gierke als ihrem Wortführers erreichte schließlich die Aufnahme des Namensrechts als Persönlichkeitsrecht im BGB. Hier wird ersichtlich, auf welche Widerstände selbst inzwischen nahezu "tradierte" Persönlichkeitsrecht trafen: Die Befürchtung galt einer Kettenreaktion, die ein einmal Gesetz gewordenes Persönlichkeitsrecht auslösen könnte. Ohne auf den wissenschaftlichen Disput und die Rechtspraxis vergangener Epochen einzugehen4, sei lediglich angemerkt, daß die Leipziger Juristische Fakultät das Namensrecht als privatrechtliches Ausschluß recht erstmals 1781 bezeichnenderweise in einem handelsrechtlichen Streitfall anerkannt hat. In der Folge ergingen einige Urteile, I Vgl. Marx, Arthur, Der Schutz des Namensrechts durch § 12 des Bürgerlichen Gesetzbuchs, Diss. Leipzig 1906, S. 6. 2 Motive Bd. IV, Berlin 1888, S. 1005 ff. a Gierke, Otto v., Der Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuches und das deutsche Recht, Leipzig 1889, S. 86 f. 4 Vgl. Irmscher, Karl, Der privatrechtliche Schutz der Persönlichkeit in der Praxis des gemeinen und der partikularen Rechte des 19. Jahrhunderts, Diss. Frankfurt/M. 1953,S. 141 ff. und Marx, S. 2 ff.
10 Simon
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1. Teil: Die geistig-gewerblichen Persönlichkeitsrechte
insbesondere zum Recht auf einen adeligen Namen, die ihm absoluten Privatrechtsschutz zusprachen. Das Reichsgericht nahm diese Rechtsprechung in mehreren Entscheidungen auf. 5 Auch in diesem Bereich übertrug es geläufige Eigentumsvorstellungen auf das immaterielle Gut, wie z. B. das Urteil vom 30. Juni 1886 zum Ausdruck bringt: "Der Begriff des privatrechtlichen Eigentums ist in der Praxis wiederholt auf unkörperliche Ergebnisse einer individuellen Betätigung angewendet worden, auch wenn ausdrückliche Bestimmungen zu ihrem Schutze nicht gegeben sind, z. B. auf die Rechte zur Führung eines bestimmten Namens, des Wappens und Siegels eines bestimmten Geschlechtse." Daß zur Entwicklung des Namensrechts gewerbliche Gründe entscheidend beigetragen haben - abgesehen von dem "mittelalterlich angehauchten Institut" (eohn) des Adels, der, um seine Reinhaltung besorgt, prozessierend dem Namensschutz vorarbeitete7 - , belegt eine Äußerung des Reichsgerichts vom 9. Dezember 1904.8 Sie bezog sich auf die amtliche Denkschrift zum Entwurf eines Bürgerlichen Gesetzbuches von 1896, in der die Einführung des Namensrechts, wie sie für den zweiten Entwurf vorgesehen worden war, damit begründet wurde, "daß nach der Rechtsentwicklung sowie den Bedürfnissen des Lebens und des Verkehrs außer dem bereits bestehenden gewerblichen Namensschutz (Firmenrecht, Warenzeichenrecht) ein allgemeiner Anspruch auf Schutz des bürgerlichen Namens anzuerkennen sei9 ." Denkschrift wie Gericht bestätigen damit der bisherigen Entwicklung ihre wesentlich gewerbliche Ausrichtung, die die Voraussetzungen zu dem nun geforderten bürgerlichen Namensschutz geschaffen hatte. 10
2. Die Entwicklung des Warenzeichens zum Persönlicbkeitsrecht sowie ihre Umkehrung Anstöße zur Änderung der Namensrechtspraxis fanden sich auf ökonomischem Sektor bereits lange Zeit vorher. Marken- bzw. Warenzeichen- und Firmenrecht bereiteten den Weg. ~ Vgl. RGZ 2, 145 vom 7. Mai 1880; 5, 171 vom 22. Okt. 1881; 29, 123 vom 11. April 1892. e RGZ 18, 10 (19). 7 Vgl. z. B. den erfolgreichen Prozeß des Fürsten von Sayn-Wittgenstein gegen die Witwe seines Bruders, der mit dieser eine "unebenbürtige" Ehe eingegangen war, RGZ 29, 123. 6 RGZ 59, 284 (286). D Ebda., S. 285 f.; vgl. Denkschrift zum Entwurf eines Bürgerlichen Gesetzbuches, Berlin 1896, S. 3 (ohne weit. Angaben). 10 Vgl. dazu auch RGZ 7, 279 vom 10. Febr. 1882 (Johann Maria Farina); RGZ 18, 28 vom 21. Okt. 1886 (Johann Hoff); RGZ 22, 58 vom 11. Jan. 1888 (A. W. Faber); RGZ 40, 61 vom 13. Nov. 1897 (Justus Liebig).
12. Kap.: Namens-, Warenzeichen- und Finnenrecht
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Während Kohler vom allgemeinen Persönlichkeitsrecht forderte, daß es aus sich heraus die besonderen Institute wie Namen, Firma, Marke etc. bilde, verlief die tatsächliche Entwicklung entgegengesetzt. Spricht man heute auch allgemein dem Warenzeichen den persönlichkeitsrechtlichen Charakter ab, so bekannte sich die Generation um die Jahrhundertwende dazu; in der Zwischenzeit ist auch dieser Bereich entpersönlicht. Der Brauch, Produkte der eigenen Tätigkeit mit Ursprungszeichen zu versehen, führt weit zurück. l i Solange das Zeichen auf einem Produkt stellvertretend für die Person stand, wie es z. B. die Steinmetzen des Mittelalters auf ihren Steinen anbrachten, übertrug sich darin der persönliche Charakter der Arbeitsleistung auf ihr Ergebnis. Gleichzeitig hat das mittelalterliche Zunftwesen zu der gewerblichen Entwicklung der Marke bereits beigetragen, indem es Erzeugnisse gegen unbefugten Gebrauch zu schützen suchte. 12 Später erhielten einige Gewerbe landesherrliche Privilegien zur Absicherung ihrer Zeichen; das Preußische Allgemeine Landrecht schützte in Teil II Titel 20 § 1451 "Waren von an sich untadelhafter Güte mit dem Namen oder Merkmale inländischer Fabrikanten oder Kaufleute ..." Eine neue Phase des Markenwesens beginnt mit der industriellen Revolution, im System freier Konkurrenz: "Das Ergebnis dieses Strukturwandels ist der Eifer der Mitbewerber, der Anonymität zu entweichen und eine Sicherheit und Vorsprung gewährende Bindung des Marktpartners zu erlangen13 ." Derlei Bestrebungen prägen das moderne Markenrecht, das im wesentlichen auf die preußische Verordnung vom 18. August 1847 zurückgeht, die in Rheinland und Westfalen die seit langem üblichen Marken schützte. Das Markenschutzgesetz vom 30. November 1874 erwirkte die reichsrechtliche Regelung und die Registrierung. Während die deutschen Landesgesetze, so auch das preußische von 1847, die Firmenzeichen als Rechtsgut zugrundelegten, von denen jedes Unternehmen regelmäßig nur eins besaß, beschränkte das Gesetz von 1874 die Anzahl der dem einzelnen Produzenten zustehenden Markenzeichen nicht. Der Schutz der Firmenzeichen wandelte sich damit zum Markenschutz. Nur der Kaufmann als Firmeninhaber konnte die Eintragung einer Marke erwirken. Sie erfolgte ohne Prüfung, reine Wortzeichen waren von ihr ausgeschlossen. 11
Vgl. Schluep, Walter, Das Markenrecht als subjektives Recht, Basel 1964,
S. 33 f.
12 Hierzu und zum folgenden Warnecke, Ernst Adolf Friedrich, Warenzeichengesetz und unlauterer Wettbewerb, Diss. Erlangen 1928, S.l.
13
Schluep, S. 44.
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I. Teil: Die geistig-gewerblichen Persönlichkeitsrechte
Derart hat das von alters her vertraute Warenzeichenrecht das Recht der Firma und des Personennamens bereichert und abgesichert, daß es in kodifizierter Form, als Markenschutzgesetz vom 30. November 1874, ursprünglich sogar den gesamten unlauteren Wettbewerb regeln sollte. 14 Dieser Aufgabe konnte es kaum genügen, um so weniger, als es in den linksrheinischen, durch eine fortschrittliche französische Praxis ausgezeichneten Gebieten, den gewohnten Schutzbereich einengte. Im Unterschied zum französischen Recht schützte es lediglich eingetragene Warenzeichen und inländische Kaufleute; diese Eingrenzung bestätigte das Reichsgericht. 15 Die Kritik seitens des Schrifttums führte schließlich am 12. Mai 1894 zum Reichsgesetz zum Schutz der Warenbezeichnung, welches das Anmeldeverfahren durch Vorprüfung ersetzte, den Zeichenschutz auf Wortzeichen erstreckte und den Kreis der Zeichenberechtigten auf alle Gewerbetreibenden ausdehnte. Bald darauf setzte eine rege Anmeldetätigkeit ein: Im ersten Jahr lagen 10 781 Anmeldungen vor, 1913 hatte sich die Zahl verdreifacht. Danach läßt sich ein langsameres Anwachsen verzeichnen, anders als bei der Entwicklung der anderen Schutzrechte.16 Die Anmeldekurve der Wortzeichen nach § 4 Ziff. 1 WZG verläuft ähnlich: Von 284 Anmeldungen 1894 stieg ihre Zahl sprunghaft auf 2110 im nächsten Jahre, auf 5346 im Jahre 1900 und verdoppelte sich bis 1905 fast noch einmalP Seit ca. 1870 formierten sich besonders die Deutschrechtler zugunsten des Markenrechts als Persönlichkeitsrecht. Von Gierke und Kohler ging einmal mehr die Initiative aus. 18 Gierke verfolgte die historischen Wurzeln sogar zurück bis zur "germanischen Hausmarke".19 Er arbeitete den Charakter des frühen Markenrechts als eines Persönlichkeitsrechts heraus wie auch die Verwendung der Marke als Ursprungszeichen, wobei er nachzuweisen suchte, "daß ein geschichtlicher Zusammenhang zwischen der germanischen Hausmarke und ihrer ,verjüngten Wiederbelebung' im Warenzeichen des geltenden Rechts besteht. Das verbindende Element ist für ihn der einheitliche Gedanke des rechtlich geschützten Persönlichkeitszeichens 20 ." Irmscher, S. 216. Vgl. RGZ 3 vom 30. Nov. 1880, S. 67; vgl. dazu die vehemente Kritik von Kahler, Der unlautere Wettbewerb, S. 43. 18 Wurdack, S. 17. 17 Vgl. Osterrieth, Albert, Die Schutzfähigkeit der Wortzeichen (§ 4 Ziff. 1 WZG), in: Vorschläge zur Reform des Patentrechts und des Warenzeichenrechts, 11. Teil, Vom Deutschen Verein für den Schutz des gewerblichen Eigentums, Düsseldorfer Kongreß 1907, S. 136 ff. (138). 18 Vgl. Kahler, Der unlautere Wettbewerb, S. 42 ff. und 59 f. gegen die römisch-rechtliche Betrachtungsweise. 18 In: MuW 1911/12, S. 398 ff. 14
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12. Kap.: Namens-, Warenzeichen- und Firmenrecht
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Rechtsprechung und eine wenn auch nicht unumstritten herrschende Lehre bekannten sich daraufhin zunehmend zum Warenzeichen als einem Persönlichkeitsrecht: Es bot sich als Rechtsgrund des Markenoder Zeichenschutzes unmittelbar plausibel an; es konnte die Person in ihrer Individualität und Besonderheit schützen. Der äußere Charakter des absoluten Zeichenrechts war hingegen vermögensrechtlich geformt. 21 Das Patentamt verlieh dieser Doppelung amtlichen Anstrich, indem es auch solche Warenkennzeichen unterschied, an denen ein Individualrecht nicht bestehe.22 Das Reichsgericht bekannte sich ebenfalls zur persönlichkeitsrechtlichen Interpretation; es sah das Zeichenrecht "aus dem Recht der Persönlichkeit" entspringen. 23 Zu einem Unisono reichte es freilich aus guten Gründen nie. Wie sich das Unternehmen von der Person seines Begründers und Leiters als eigenständiger vermögensrechtlicher wie kapita1int~nsiver Faktor seit Ende des 19. Jahrhunderts zu lösen begann,2C so vollzog das Warenzeichen einen ähnlichen Prozeß der Entpersönlichung. Als Merkmal der Persönlichkeit verlor es in dem Augenblick seine Bedeutung, in dem das Zeichen zum Massenwarenzeichen wurde. Während der Übergangszeit der Manufaktur und der beginnenden Industrialisierung entsprach es der Produktionsweise, die ursprünglich personengebundene Eigentümlichkeit des Zeichens auch rechtlich entsprechend zu bewerten - als Persönlichkeitsrecht. Als höchstpersönliches Gut büßt es an Sinn ein in einem Unternehmen, in dem eine größere Anzahl von Personen in Massenfertigungsweise arbeitet und dies im Namen eines fernen Inhabers oder anonymer Anteilseigner, denen das Warenzeichen zusteht. Von einem "Stempel der Persönlichkeit" konnte in der Regel nicht mehr die Rede sein. 25 Vererblichkeit, Übertragbarkeit und Bilanzierungsfähigkeit kennzeichnen das Warenzeichen vorzüglich als Immaterialgut. Allein die Zahl der angemeldeten Rechte sprach dafür, daß von einer engen Beziehung Person - Zeichen regelmäßig nichts übrig geblieben war. Deshalb charakterisierte ein Teil der Wissenschaft - gegen Kohlerdas Warenzeichen, seinem eigentlichen Wortsinn nachgehend, als Aus20 Janssen, Albert, Otto v. Gierkes Methode der geschichtlichen Rechtswissenschaft, Diss. Göttingen u. a. 1974, S. 74 f; 21 VgI. Seligsohn, Arnold, Gesetz zum Schutz der Warenbezeichnungen, Berlin u. Leipzig 21905, S. 14 f. 22 In: BI. 6, S. 373; wohl im Unterschied zu solchen Waren, an denen ein Individualrecht möglich ist. za RGZ 108, 8 (9) vom 19. Juni 1923; zu weiteren Anhängern dieser Ansicht vgl. Finger, Christian; ,Das Reichsgesetz zum Schutze der Warenbezeichnungen vom 12. Mai 1894, Berlin 11906, S. 27. 24 VgI. zu den strukturellen ökonomischen Veränderungen Wehler, S. 36 ff. 25 VgI. Hösel, Paul, Erkennt die geltende deutsche Privatrechtsordnung ein allgemeines Persönlichkeitsrecht an?, Diss. Müochen 1950, S. 63.
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I. Teil: Die geistig-gewerblichen Persönlichkeitsrechte
weis der Ware, also einer Sache, nicht der Person; es sollte eine Sachbeziehung verkörpern, einen "unkörperlichen Gegenstand der Außenwelt, ein sogenanntes Immaterialgut von wesentlich vermögensrechtlicher Bedeutung" ,28 das dem Eigentum nahe verwandt war. Unterstützung erhielt diese Argumentation dadurch, daß man das Warenzeichen wieder mehr dem Bereich zuordnete 27 , dem es die persönlichkeitsrechtliche Lehre entzogen hatte: Die Bewehrung der Warenbezeichnung sollte das Publikum vor Täuschung schützen; so wurde es Teil des allgemeinen Wettbewerbsrechts. 28 Während Pinzger und Heinemann noch 1926 in ihrem Kommentar zum Warenzeichenrecht das Recht am Zeichen beharrlich als Persönlichkeitsrecht behaupteten29 , hatte die gegenteilige Ansicht etwa R. Callmanns mehr Realität auf ihrer Seite, wenn sie feststellte, daß die Funktion des Warenzeichens "in der Weltwirtschaft dem Streben nach Entpersönlichung entgegenkommt. uso Gegenstand des Zeichenschutzes sollte folglich der Geschäftsbetrieb sein.l l Solche überlegungen führten zusätzlich zum gestaltenden Wirtschaftsprozeß dazu, daß sich der vermögens rechtliche Aspekt des Zeichenrechts zu seinem Kern verwandelte. Das Reichsgericht vollzog diese Wendung mit. Während es zunächst, von Ausnahmen abgesehen32 , das Recht am Warenzeichen als Persönlichkeitsrecht charakterisierte und dadurch wider Willen Tendenzen zugunsten des allgemeinen Persönlichkeitsrechts gefördert hatte 33 , wandte es sich 1927 von der persönlichkeitsrechtlichen Theorie ab. s4 Diese Abkehr bewirkte, daß die bisher universale Geltung des Warenzeichens nun den Eintragungsschutz lediglich bis an die Landesgrenzen wirken ließ.35 28
Finger, Das Reichsgesetz, S. 27.
Bezeichnenderweise entfällt z. B. in der dritten Aufl. des Kommentars zum WZG, die Seligsohn 1925 erscheinen ließ, seine frühere persönlichkeitsrechtliche Auffassung kommentarlos. 28 Pinzger / Heinemann, Das deutsche Warenzeichenrecht, Berlin 1926, S. 25 f. und Adler, Emanuel, Besprechung von Alfred Hagens Warenzeichenrecht, in: ZHR 1928, S. 209 ff.; vgl. Elster, Urheberrecht, S. 360 f. A. A. Gierke, Julius V., der für ein Persönlichkeitsrecht eintritt: Handelsrecht und Schiffahrtsrecht, Berlin 31929, S. 92. 21 Pinzger / Heinemann, S. 18 ff. Z7
Pinzger / Heinemann, S. 26. Vgl. Freund / Magnus / Jüngel, Das deutsche Warenzeichenrecht, Berlin u. Leipzig 81933, S. 214. 3! Vgl. RGZ vom 2. Dez. 1921, in: MuW 22, 61 (62); RGZ 20, 53 vom 5. Dez. 1887. 33 Vgl. RGZ 51, 263 (267) vom 2. Mai 1902; 54, 414 vom 12. Mai 1903; 64, 397 (398) vom 30. Nov. 1906; 69, 401 (403) vom 7. Nov. 1908; 71, 41 (42) vom 30. April 1909; 87, 274 vom 5. Nov. 1915; 93,291 (292) vom 17. Sept. 1918; 108, 8 (9) vom 19. Juni 1923 und 113, 413 vom 12. Mai 1926. 34 RGZ 118,76 (81) vom 20. Sept. 1927. 30
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12. Kap.: Namens-, Warenzeichen- und Firmenrecht
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Im Laufe der 30er Jahre klärten sich die Ansichten zu mehr Eindeutigkeit. Das Warenzeichen wurde grundsätzlich mit dem Betrieb und nicht mit der Person seines Inhabers verbunden; es diente dem Schutz des lauteren Wettbewerbs. 3G Nunmehr beanstandete Pinzger in seinem Kommentar zum "Deutschen Warenzeichenrecht" von 1937 an der überholten Ansicht, wie er sie selbst vertreten hatte, man habe in gekünstelter Weise den Betrieb personifizieren müssen, um zu einem Persönlichkeits recht am Warenzeichen zu gelangen, und habe damit auch dessen grundsätzlicher übertragbarkeit widersprochen. 37 Mit dieser Wende war jener Prozeß abgeschlossen, der den bisher behandelten gewerblichen Persönlichkeitsrechten zuwiderläuft: Die Marke hatte wirtschaftlich und rechtlich eine von ihrem Träger gelöste Gestalt als Vermögenswert gewonnen, indem sie von der ursprünglichen, in der sie sich, ähnlich dem Namen, als Ausfluß der Persönlichkeit dargestellt hatte, abgerückt war.3s Fast allen Beteiligten, auch dem Reichsgericht, fiel es deshalb nicht schwer, ihre Auffassungen dem Wirtschaftsverkehr anzubequemen und die "Entideologisierung" des Persönlichkeitsrechts in diesem Sektor durchzuführen. Schließlich wurde für ausreichenden Schutz im WZG vom 5. Mai 1936 gesorgt; außerdem hing von einem Persönlichkeitsrecht im Warenzeichenrecht viel weniger ab, als etwa von einem solchen am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb für das Unternehmen als Ganzes.
3. Der persönlicltkeitsrechtliche Schutz der Firma Der Schutz der Firma trug seinerseits zum Namensschutz und zum Persönlichkeitsrecht bei. Ein Recht an der Firma, d. h. an dem Namen des Kaufmanns, unter dem er seine Geschäfte betreibt, hat die Gesetzgebung seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, anerkannt; sein Einfluß auf die Entwicklung des Personennamenrechts war beträchtlich: Es übernahm sogar "die Führung in der Weiterentwicklung des Namensgebrauchs zu einem subjektiven Privatrecht" .39 35 Vgl. Reimer, Eduard, Wettbewerbs- und Warenzeichenrecht, Berlin 1933, S. 47. In der 2. Aufl. v.on 1947, S. 54, konnte Reimer feststellen, daß nunmehr überwiegend das Wettbewerbsrecht als Immaterialgüterrecht bezeichnet wird. 36 Vgl. Busse, Rudolf, Warenzeichengesetz vom 5. Mai 1936, Berlin 21939, S. 22; Ludwig, Walter, Die übertragbarkeit des Warenzeichens, Diss. Leipzig 1935, S. 12 f.; Bruck, Werner, Die gewerblichen Kennzeichen und ihr zivilrechtlicher Schutz, Diss. Köln 1936, S. 16 ff.; Sandreuter, Karl Martin, Rechtliche Natur, Entstehung und Endigung des Markenrechts, Basler Studie zur Rechtswissenschaft, Heft 1, Basel 1932, S. 29 ff. 37 Pinzger, Werner, Das deutsche Warenzeichenrecht, München u. Berlin
21937, S. 19. 38
Vgl. Tetzner, Heinrich, Kommentar zum Warenzeichengesetz, Heidelberg
1958, S. 75 f.
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I. Teil: Die geistig-gewerblichen Persönlichkeitsrechte
Anfänge dieses Schutzes führen gleichfalls auf das mittelalterliche Markenrecht zurück40 , das im signum mercatorum seine personenrechtliche Hülle abstreifte und sich zu einem Vermögenswert wandelte. 41 Vorzüglich die fingierten Namen der Handelsgesellschaften und ihr Gebrauch leiteten schließlich in das moderne Firmenrecht über, das umfassend, einheitlich und den ökonomischen Verkehrsformen gerecht, im Allgemeinen Deutschen Handelsgesetzbuch von 1861 geregelt wurde. 42 Mit ihm hatten die Bestrebungen gesiegt, die den Namen der Firma als Vermögenswert begriffen; in Art. 27 ADHGB fanden sie ihren Niederschlag. Insgesamt bestimmte sich das Recht an der Firma als subjektives Privatrecht mit eigentumsähnlichem Akzent43 ; Art. 22 erlaubte die freie übertragbarkeit der Firma und ließ auf unbeschränkte Verfügungsmacht schließen. Art. 23 freilich verhinderte ihre übertragung ohne das zugrundeliegende Handelsgeschäft - eine deutliche Absage an jegliche strikte Eigentumstheorie. Gierke sprach denn auch diesem Recht einen vermögensrechtlichen Inhalt, doch mit persönlichkeitsrechtlichem Kern ZU. 44 Wie gewöhnlich verfehlte er damit die Praxis, die wegen der umfassenden Regelung des Firmenschutzes auf persönlichkeitsrechtliche Grundsatzbestimmungen verzichtete.45 De lege ferenda fand seine Anregung jedoch Resonanz. Wegen ihrer funktionalen Gleichartigkeit schien es einerseits geboten, Erkenntnisse des privatrechtlichen Firmenschutzes auf das Recht des bürgerlichen Namens zu übertragen. Kohler war einer der ersten, der mit Erfolg eine Ausdehnung des Art. 27 ADHGB auf das gesamte Zivilrecht vorschlug. 46 Auf der anderen Seite hatte der vermögensrechtliche Charakter des Firmenschutzes herrschende Lehre und Praxis so stark beeinflußt, daß die Denkschrift zu den Motiven wie auch das Reichsgericht, welches sich in einem Urteil vom 9. Dezember 1902 darauf bezog, feststellen konnten47 : Aus der Tatsache, daß der Firmenschutz des früheren Handelsgesetzbuches in dem gleichzeitig mit dem BGB in Kraft getretenen neuen HGB beibehalten worden ist, "ergibt sich, daß diese Bestimmungen für den Schutz der Firma, des kaufmännischen Na39
Irmscher, S. 200.
Das ebenfalls wichtige Wappenrecht wird hier außer acht gelassen. Vgl. Weber, Anton, Beitrag zur Dogmatik des Namenrechts, Diss. Freiburg 1905, S. 48. 42 Vgl. Irmscher, S. 201 ff. 43 Vgl. Art. 16, 17, 18, 19,22,24 ADHGB. 44 Vgl. Gierke, Privatrecht, S. 725. 45 Vgl. die Fülle von Entscheidungen bei Irmscher, S. 207 ff. U Vgl. BrexeZ, Richard, Die Entwicklung des Namensgebrauchs zu einem Persönlichkeitsrecht, Diss. Berlin 1962, S. 106 mit Hinw. auf Josef Kohlers Recht des Markenschutzes von 1884, S. 14. 47 RGZ 59, 284, (286); s. o. Anm. 9. 40 41
12. Kap.: Namens-, Warenzeichen- und Firmenrecht
153
mens, als zweckentsprechend und vor allem auch als genügend erachtet wurden. Danach ist es nicht zulässig, die teilweise weitergehenden Bestimmungen über das Namensrecht allgemein auf das Firmenrecht zu übertragen." Zweierlei hört man heraus: Die herrschende Meinung und - als Adressat der Selbstdarstellung - gegenläufige Bestrebungen, den Firmenschutz persönlichkeitsrechtlich aufzuwerten. Letztere konnten langfristig Terrain gewinnen. Der Auffassung, die das Unternehmen allseitig abzusichern suchte, bot sich der persönliche Bezug des Kaufmanns zu seinem Betrieb als Modell an. Da die Firma mit dessen Namen identifiziert wurde, sollte das gesamte Recht der Firma weder als Geschäftsbezeichnung noch als Immaterialgüterrecht, sondern als absolutes Persönlichkeitsrecht gelten. Es war nach § 23 HGB beschränkt veräußerlich, durch die actio negatoria abgesichert und konnte bereits durch einen Eingriff in das Absatzgebiet des Firmeninhabers verletzt werden. 48 Die Argumente machten Schule, nicht zuletzt unter dem Einfluß Gierkes und Kohlers, welche die persönlichkeitsrechtliche Strömung im Bereich des gewerblichen Schutzes gefördert hatten. So wenig Erfolg sie im positiven Recht für ein allgemeines Persönlichkeitsrecht verbuchen konnten - langfristig wirkten die speziellen Rechte in ihrem Sinne. Obwohl die kaufmännischen Identitätsmerkmale nicht fest mit dem Träger verbunden, sondern veräußerlich waren, entfaltete insbesondere § 12 BGB mit der Zeit seine Wirkung. Anfangs hatte man ihn auf den persönlichen Schutz beschränkt. 411 Dann erklärte das Reichsgericht auch kaufmännische Familiennamen, die den wahren Familiennamen enthielten, nach § 12 für schutzwürdig.50 Darauf verstärkte es den Schutz schlagwortartiger Abkürzungen durch § 12, obwohl sie bereits unter § 16 UWG fielen. 51 Schließlich bezog das Gericht die handelsrechtliche Firma selbst ein, wobei juristische Personen ohne weiteres geschützt wurden; Einzelkaufleute und OHG's anfangs nur, wenn sie ihren Namen bzw. den eines Gesellschafters enthielten.52 Das Kammergericht zog 1928, in der Blütezeit gewerblicher Persönlichkeitsrechte, einen vorläufigen Strich unter die Entwicklung der Rechtsprechung, indem es feststellte: "Es unterliegt nach der neue ren Vgl. Finger, BerUn 21906, S. 265. Vgl. Nußbaum, Hans G., Der persönliche Schutz gegen Namensmißbrauch und unbefugte Darstellungen - ein Beitrag zur Lehre vom Persönlichkeitsrecht, Diss. Freiburg 1932, S. 6 ff.; vgl. RGZ 59, 284 vom 9. Dez. 1904; 88, 421 vom 29. Sept. 1916. 50 RG vom 27. Mai 1909, DJZ 1909, S. 1091. 61 RGZ 109,213 vom 26. Sept. 1924; 115,401 vom 11. Jan. 1927. 62 RGZ 114,90 vom 11. Juni 1926; 117,215 vom 3. Juni 1927. 48
49
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I. Teil: Die geistig-gewerblichen Persönlichkeitsrechte
Praxis des Reichsgerichts keinem Zweifel ... , daß der Schutz des § 12 für jede Firma ... in Anspruch genommen werden kann53 ." Typische Tatbestände des unlauteren Wettbewerbs wurden damit persönlichkeitsrechtlich erfaßt. Dies lag jedoch nicht an der "Kasuistik unserer Gesetze", die Verwischungstendenzen förderten 54 , sondern erst jenes Bündel subjektiver Rechte schien den Unternehmensschutz hinreichend sichern zu können. Es hieße, Mittel mit Gründen zu verwechseln, beurteilte man die gesetzliche Kasuistik selbst für zukunftsträchtig. Wettbewerbsrechtler halfen die Zusammenhänge zu entwirren, freilich bis heute ohne durchschlagenden Erfolg. A. Baumbach muß feststellen, daß es kaum einen Streitgegenstand von höherem Wert gebe als das Recht, einen Namen als Firma zu verwenden. Der Geschäftsname eines Kaufmanns sei nahezu sein bester Vermögenswert. 55 Dieselbe Beobachtung macht R. Callmann: Die zunehmende Macht wirtschaftlicher Zwecke habe schließlich auch den Namen ihren materiellen Bedürfnissen dienstbar gemacht; das Rechtsleben müsse sich daher auf seine immaterialgüterrechtlichen Momente beziehen; mit seiner Verwendung als Firma oder Warenzeichen erhielte er schließlich den Charakter eines vollendeten Immaterialguts.56 Solche realistischen Einschätzungen verhallten fast ungehört. Das Reichsgericht verteidigte seine mühsam errungene Einsicht57 , und auch der BGH hat sich wegen der unbestreitbar personenrechtlichen Elemente zu ihr bekannt.58 H. Hubmann plädiert mit der wohl herrschenden Lehre für die Anerkennung eines vermögens- und persönlichkeitsrechtlichen Doppelcharakters der Firma.59 Festzuhalten bleibt, daß das Recht der Firma, das anfangs dem Namensrecht persönlichkeitsrechtliche Impulse verlieh, von diesem rückwirkend eine solche Stärkung empfangen hat, die seinen Charakter von einem überwiegend vermögensrechtlichen in einen persönlichkeitsrechtlichen fundierten Kern verwandelten. Gerade der enge Zusammenhang zwischen Persönlichkeit und ihrem Akzidenz, dem Namen, sowie dessen kaufmännische Ausprägungen sollten auf die Anerkennung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts befruchtend wirken.
53 5f
55 58
KG JW 1928, 367.
Nußbaum, S. 7.
Kommentar zum Wettbewerbsrecht, Berlin 1929, S. 310 f.
CaZlmann, S. 26.
Vgl. RGZ 158, 226 (231) VQm 14. Sept. 1938. BGHZ 17, 209 vom 10. Mai 1955 (nicht ganz eindeutig); vgl. aber BGHZ 32, 103 (109) vom 26. Febr. 1960. 59 Hubmann, Das Persönlichkeitsrecht, S. 282 ff. 57
58
Zweiter Teil
Das allgemeine Persönlichkeitsrecht als subjektives Recht: Ein dogmatischer Hindernislauf Erstes Kapitel
Die Gesetzgehungsgeschichte des § 823 Ahs. 1 BG B Obwohl seit Inkrafttreten des BGB am 1. Januar 1900 mehr als 75 Jahre vergangen sind, bereitet die Eingrenzung der schutzwürdigen Persönlichkeitsbereiche große Schwierigkeiten. Wissenschaft und Rechtsprechung sind sich zwar weitgehend darüber einig, daß die im BGB vorgesehenen Möglichkeiten des Persänlichkeitsschutzes nicht ausreichten und daher erweitert werden mußten. 1 Mit dieser Einschätzung geht jedoch bis heute eine allgemeine Unsicherheit über die Bestimmung des allgemeinen Persänlichkeitsrechts einher, die vom "Oberbegriff mit bloßer Ordnungsfunktion"2 bis zum "juristischen Monstrum" reicht. 3 Es kann also nicht verwundern, wenn die Väter des BGB bei Eingrenzung und dogmatischer Aufgliederung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts, diesem schwer abgrenzbaren "Bündel von Schutzpositionen, die dem Rechtskreis einer bestimmten Person zugeordnet werden"4, keine Einhelligkeit erzielen konnten. Die Diskussion entspann sich bei der Gestaltung des heutigen § 823 Abs. 1 BGB.5 Die Bedeutung dieser Vorschrift in ihrer jetzigen Fassung liegt für die Rechtspraxis in ihrem "generalklauselartigen" Charakter ("oder ein sonstiges Recht"), der es ermöglichen könnte, auch andere 1 Vgl. die Verhandlungen des 42. Deutschen Juristentages, Düsseldorf 1957, Bd. 2, 1. Abt. S. 31 ff. ! Vgl. Hubmann, Das Persönlichkeitsrecht, S. 128 ff. 3 Vgl. Esser, Jasef, Schuldrecht, Bd. H, Besonderer Teil, Karlsruhe 31969,
S.401.
Ebda. Bereits der Dresdner Entwurf gewährte in Art. 1011 persönlichkeitsrechtlichen Schutz, wenn jemand einem anderen die persönliche Freiheit widerrechtlich entzogen hatte, vgl. Dresdner Entwurf eines Allgemeinen Deutschen Gesetzes über Schuldverhältnisse von 1866, Neudruck Aalen 1973, 4
5
S.206.
156
11. Teil: Allgemeines Persönlichkeits recht als subjektives Recht
Persönlichkeitsgüter unter ihren Schutz zu nehmen und als Persönlichkeitsrechte anzuerkennen. 6 Schon im Jahre 1899 stellte Heinrich Dernburg lapidar fest, daß mit § 823 ein "Tummelplatz für Streitfragen" geschaffen worden seF, und daß entgegen der Denkschrift des Bundesrates8 das Schadenersatzrecht keine feste gesetzliche Grundlage für die Entscheidungen der Rechtspraxis erhalten habe. Der Streit entzündete sich nicht allein an der Frage, was unter "sonstiges Recht" zu verstehen sei, sondern vor allem daran, ob der Gesetzgeber mit § 823 Abs. 1 der Rechtsprechung ein Instrument zum Schutze der Persönlichkeit in scharf abgegrenzten Bereichen an die Hand geben wollte, oder ob § 823 Abs. 1 darüber hinaus ein allgemeines Persönlichkeitsrecht anerkannte. Da der bloße Wortlaut des § 823 Abs. 1 keine Auskunft darüber gibt, ist zunächst seine Entstehungsgeschichte zu verfolgen.
1. Der Vorschlag des ersten Entwurfs § 704 Abs. 2 des ersten Entwurfs des BGB lautete: "Hat jemand aus Vorsatz oder Fahrlässigkeit durch eine widerrechtliche Handlung das Recht eines anderen verletzt, so ist er den durch die Rechtsverletzung dem anderen verursachten Schaden diesem zu ersetzen verpflichtet, auch wenn die Entstehung eines Schadens nicht vorauszusehen war. Als Verletzung eines Rechtes im Sinne der vorstehenden Vorschrift ist auch die Verletzung des Lebens, des Körpers, der Gesundheit, der Freiheit und der Ehre anzusehen." Nach der Feststellung, daß "zweifellos ... die Verletzung des einem anderen zustehenden absoluten Rechtes" widerrechtlich ist, und daß "das gesetzliche Verbot einem jeden zum Schutze dient"', wird die inhaltliche Konkretisierung von § 704 Abs. 2 Satz 2 wie folgt begründet: "Die Vorschrift, daß als Verletzung eines Rechtes im Sinne des § 704 Abs.2 auch die Verletzung des Lebens, des Körpers, der Gesundheit, der Freiheit und der Ehre anzusehen sei, ist notwendig, weil mit Grund bezweifelt werden kann, ob diese höheren Güter als Rechte bezeichnet werden können, aber gerade sie auch des Schutzes bedürfen, der ihnen bei einer engeren Auffassung der Schadenszufügung oft gefehlt hatto." Die Begründung differenziert zwischen einer engeren und einer weiteren Auffassung der Schadenszufügung. Sie hält beide für vertretbar , Vgl. Müller, Lorenz, Begriff und Existenz der Persönlichkeitsrechte nach geltendem Recht, Diss. Würzburg 1916, S. 24. 7 Dernburg, Heinrich, Die Schuldverhältnisse 11, 3. Aufl. Halle 1906, S. 698. 8 Denkschrift des Bundesrates zu dem Entwurf eines Bürgerlichen Gesetzbuches, Berlin 1896. , Motive 11, S. 726. 10 Ebda., S. 728.
1. Kap.: Die Gesetzgebungsgeschichte des § 823 Abs. 1 BGB
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und stellt deshalb um der Rechtssicherheit willen Leben, Gesundheit etc. subjektiven Rechten i. S. v. §704 Abs. 2 gleich. Die Entscheidung für diese Lösung ist nach ihren Worten eine rechtspolitische, keine dogmatisch-juristische, denn zu den dogmatischen Zweifeln, ob die in § 704 Abs. 2 S. 2 angeführten Güter subjektive Rechte seien, wollte der erste Entwurf keine Stellung beziehen. Deutlich sagen das die Motive dort, wo es um diesen Begriff gehtl l , mit dem Hinweis, daß das Wesen einzelner Rechte oder Rechtsgattungen eine positivrechtliche Ausprägung jeweils am geeigneten Orte erfahren habe: "Nach § 704 Abs. 2 sind Leben, körperliche Unversehrtheit, Gesundheit, Freiheit und Ehre Rechtsgüter, deren vorsätzliche und fahrlässige Verletzung durch eine widerrechtliche Handlung zum Schadensersatz verpflichtet. Ob hieraus sich ableiten läßt, daß Rechte an der eigenen Person im Entwurf anerkannt seien, darf der Entscheidung durch die Rechtswissenschaft anheimgestellt bleibeni!."
2. Vorschlag und Diskussion zum zweiten Entwurf Skrupel und Unentschlossenheit bei der in der Wissenschaft noch offenen Frage über die Rechtsnatur der subjektiven Rechte legten es nahe, den letzten Satz von § 704 Abs. 2 zunächst einmal zu streichen, so daß im zweiten Entwurf nunmehr § 746 Abs. 1, die Hauptvorschrift der unerlaubten Handlungen, lautete: "Wer vorsätzlich oder fahrlässig ein Recht eines anderen widerrechtlich verletzt oder wer gegen ein zum Schutz des anderen bezweckendes Gesetz verstößt, ist dem anderen zum Ersatz des dadurch verursachten Schadens verpflichtet. Ist nach dem Inhalt des Gesetzes ein Verstoß gegen dasselbe auch ohne Verschulden möglich, so tritt die Ersatzpflicht nur im Falle des Verschuldens ein." Der Antrag, § 704 Abs. 2 S. 2 zu streichen, wurde im wesentlichen damit begründet, daß man "auf den lehrhaften Schlußsatz des § 704" im ersten Entwurf, demzufolge als Verletzung eines Rechtes "im Sinne der vorstehenden Vorschrift" auch die Verletzung eines der einzeln aufgeführten immateriellen Rechtsgüter anzusehen sei, durchaus verzichten könne, "da die heutige Wissenschaft ein persönliches Recht im weiteren Sinne annehme I3 ." In der Kommission für die zweite Lesung ging die Diskussion von der überzeugung eines Teils der Mitglieder aus", daß "der Rechtskreis des Einzelnen seine eigentlichen Vermögensrechte, dingliche wie obligatorische, sodann aber auch seine sogenannten Persönlichkeits11 Vgl. FränkeZ, Alfred, Der Schutz der Ehre nach bürgerlichem Recht, Breslau 1908, S. 6. I! Motive I, S. 274. 13 Mugdan, Bd. 11, S. 1078; Protokolle, S. 8494. Vgl. zum 2. Entwurf im einzelnen Dernburg, S. 698 f. Anm. 5. 14 Vgl. Protokolle des Entwurfs eines Bürgerlichen Gesetzbuches IV, S.573.
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11. Teil: Allgemeines Persönlichkeits recht als subjektives Recht
rechte (Leben, körperliche Unversehrtheit, Gesundheit, Freiheit, Ehre) umfasse, welche durch das an jedermann gerichtete Verbot eines Eingriffs ebenso geschützt seien, wie die Rechte an Sachen15." Die andere Seite war der Meinung, das Gesetzeswerk müsse eine Vorschrift im Sinne des § 704 Abs. 2 S. 2 enthalten oder den Besitz, die Ehre und die Freiheit eigens erwähnen, da es sonst bei fahrlässiger Verletzung von Ehre und Freiheit keinen Rechtsschutz gäbe. Es sei zu unsicher, auf die Auslegung zu vertrauen, daß zu den Rechten im Sinne des Abs. 1 auch Ehre und Freiheit gehörten. t6 Abgesehen von der Notwendigkeit, beide besonders zu erwähnen, sei es schon .. der Vollständigkeit wegen" höchst erwünscht, wenn die Verletzung des Lebens, des Körpers und der Gesundheit im Gesetz zur Sprache komme. Der Antrag wurde von der Mehrheit mit der Begründung abgelehnt, der vorgeschlagene Zusatz zu § 704 rufe einen .. doktrinären Eindruck" hervor. So wie die Verletzung des Besitzes keiner Erwähnung bedürfe, sei es unnötig, die Verletzung des Lebens, des Körpers und der Gesundheit einzeln aufzuzählen. Die fahrlässige Verletzung von Freiheit und Ehre unter besonderen privatrechtlichen Schutz zu stellen, verböte sich angesichts der Gefahr, damit über die im StGB aufgestellten Grundsätze hinauszugehen und eine allgemeine actio culpae zu schaffen, die den Rechtsverkehr erheblich gefährden würde.
3. Die Problematik des § 727 des ersten Entwurfs Die gegen die Streichung laut gewordenen Bedenken tauchten bei der Erörterung von § 727 des ersten Entwurfs wieder auf, wo erneut gefordert wurde, die fahrlässige Verletzung von Ehre und Freiheit ausdrücklich unter privatrechtlichen Schutz zu stellen. § 727 lautete: ..Wer aus Vorsatz oder Fahrlässigkeit einem anderen durch eine widerrechtliche Handlung die persönliche Freiheit entzieht, ist verpflichtet, einem Dritten, welcher zu dem anderen während der Entziehung der Freiheit in einem Rechtsverhältnisse steht, durch welche gegen denselben ein gesetzlicher Anspruch auf Unterhalt entstanden ist, insoweit Schadensersatz zu leisten, als infolge der Freiheitsentziehung der Anspruch auf Unterhalt im Inland mit Erfolg nicht geltend gemacht werden kann. Auf diesen Entschädigungsanspruch finden die Vorschriften des § 723 Abs.2 und des § 724 entsprechende Anwendung. Im übrigen bestimmen sich die Verpflichtungen des Schuldigen zu Schadensersatz nach den Vorschriften des § 704." Diese Bestimmung sollte folgendermaßen neu gefaßt werden: ..Wer wegen widerrechtlicher Entziehung der persönlichen Freiheit eines Menschen Schadensersatz zu leisten hat, ist verpflichtet, einen Dritten, wel15 Protokolle der Kommission für die zweite Lesung des Entwurfs des Bürgerlichen Gesetzbuches, Berlin 1889, Bd. 11, S. 2711 ff. lS Ebda., S. 2723.
1. Kap.: Die Gesetzgebungsgeschichte des § 823 Abs. 1 BGB
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chem der Verletzte kraft Gesetzes Unterhalt zu gewähren hat, durch Gewährung einer Geldrente insoweit Schadensersatz zu leisten, als infolge der Freiheitsentziehung der Unterhaltsanspruch im Inlande nicht mit Erfolg geltend gemacht werden kann oder die Geltendmachung erheblich erschwert ist. Auf die Verpflichtungen finden die Vorschriften des § 724 Abs. 1 entsprechende Anwendung17." Als Begründung dieses Antrags diente unter anderem die überlegung, daß es fraglich sei, ob die Rechtsprechung die Freiheit wirklich als Recht im Sinne des § 704 ansehen werde, nachdem der Zusatz zu § 704, der diese Frage ausdrücklich bejaht hatte18 , weggefallen war und die verkürzte Vorschrift offenließ, ob fahrlässige Freiheitsentziehung zum Schadenersatz verpflichte. Die Kommissio~ lehnte mit dem ganzen § 727 des ersten Entwurfs auch seine Neufassung ab. Die Ersatzpflicht des Täters bei vorsätzlicher und fahrlässiger Freiheitsberaubung sei schon in § 704 geregelt. Die Freiheit als absolutes Recht beinhalte, daß bei ihrer Verletzung deren Aufhebung für die Zukunft verlangt werden könne, unabhängig von Vorsatz oder Fahrlässigkeit. Dennoch erschien es der Kommission ratsam, die Bedenken der Minderheit zu berücksichtigen; die geforderte KlarsteIlung versprach man sich von dem neuen § 747: "Wer widerrechtlich einem anderen die Freiheit entzieht, hat demselben den dadurch verursachten Schaden auch dann zu ersetzen, wenn ihm nur Fahrlässigkeit zur Last fällt." Damit gab die Kommission zu erkennen, daß sie von dem für die Streichung vorgebrachten Grund, "man könne vertrauen, daß der Charakter der Freiheit als eines Rechtes im Sinne des § 704 trotz der Streichung des dies ausdrücklich aussprechenden Zusatzes des Entwurfes von der Rechtsprechung nicht verkannt werden würde", nicht vollständig überzeugt war und die Frage lieber doch eigens regelte. 19
4. Die Revision des zweiten Entwurfs Die Revision des zweiten Entwurfs 20 hatte über einen Vorschlag zu befinden, in § 746 die Worte "das Recht eines anderen" bei gleichzeitiger Streichung von § 747 folgendermaßen zu konkretisieren (§ 808 Abs.1): "Wer vorsätzlich oder fahrlässig das Leben, den Körper, die Gesundheit, die Freiheit, das Eigentum oder ein sonstiges Recht eines anderen widerrechtlich verletzt." Ebda., S. 630. Vgl. Müller, Lorenz, S. 26. 19 Protokolle 11, S. 630. zo Protokolle IV, S. 200. 17
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Diesem Antrag, der im Wortlaut dem inkraftgetretenen § 823 Abs. 1 entspricht, und bei dem man die Ehre wegließ, wurde stattgegeben. Der Antragsteller hatte zur Begründung ausgeführt, sein Vorschlag sei hauptsächlich "redaktioneller Natur". Mit dieser beruhigenden Erklärung fiel jedoch ein wesentlicher Punkt endgültig unter den Tisch. § 704 Abs. 2 S. 2 hatte neben der Freiheit auch der Ehre gedacht; ihre Streichung mit den anderen Rechtsgütern soUte, wie es jedenfalls anfangs hieß, in der Sache nichts ändern. Wenn nun bei den absolut geschützten Rechtsgütern zwar die Freiheit, nicht aber die Ehre wiederauftauchte, so war dies leicht als Sachentscheidung aufzufassen, wenn man auch der Meinung sein konnte, sie sei bereits in einem früheren Stadium gefallen; zweifelsfrei war das bisher keineswegs. Stichhaltig ist dagegen das Argument, die schon in den Motiven des ersten Entwurfs verlauteten Zweifel, ob Leben, Körper, Gesundheit und Freiheit als Rechte betrachtet werden könnten, bedürften einer klaren Entscheidung des Gesetzgebers. Die Behebung gerade dieses Mangels war das eigentliche Motiv des Antragstellers, auch wenn er nur von einer Änderung "redaktioneller Natur" sprach. Der Appell an die Wissenschaft, diese Rechtsgüter des Individuums unter ein "persönliches Recht im weiteren Sinne" zu subsumieren, erhellt das Bedürfnis, damit auch der Rechtsprechung eindeutigere Leitlinien zur Verfügung zu stellen; denn nach der Streichung von § 704 Abs. 2 S. 2 sei "im Entwurf II nirgends unmittelbar ausgesprochen, daß die Verletzung dieser Güter sich zivilrechtlich als Delikt darstelle."!1 Für die in Rechtsprechung und Wissenschaft einsetzende Diskussion ist von Bedeutung, daß dem Antrag der Einwand entgegengehalten wurde, es sei nach seiner Fassung unklar, ob alle Rechtsgüter gedeckt seien, da sich die Schlußklausel "oder ein sonstiges Recht" an "Eigentum" anschließe und deshalb ausschließlich in diesem begrenzten Kontext ausgelegt werden könnte. 22 Die Protokolle halten dazu keine Stellungnahme der Komissionsmitglieder fest, sondern wenden sich der Debatte zum Begriff des Schutzgesetzes zu. Der Schluß, die Kommission habe sich den Standpunkt des Antragstellers zu eigen gemacht, wäre jedoch verfehlt. 23 Inhaltlich hatte sie wohl dem Schutz von Leben, Körper ete. gegen fahrlässige Verletzung zugestimmt, nicht aber gleichzeitig die dafür gegebene Begründung akzeptiert; ihre ursprüngliche Einstellung, der Wissenschaft zu überlassen, ob diese Rechtsgüter subjektive Rechte seien, hat die Kommission nirgends sichtbar revidiert. Alfred Fraenkel sagt mit Recht, daß eine so wesentliche Standpunkt21 22
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Ebda., S. 20l. Vgl. Müller, Lorenz, S. 27. Vgl. Fränkel, S. 10.
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änderung klarer formuliert und wohl auch protokolliert worden wäre. "Die einzige Folgerung, die man aus dem Protokoll dieser Beratung ziehen darf, ist die, daß in ihr zufällig nur Vertreter der Ansicht von der Rechtsnatur der fünf immateriellen Güter zu Wort gekommen sind24 ." 5. Schutz eines allgemeinen Persönlichkeitsrechts oder einzelner Rechtsgüter durch § 823 Abs. 1 BGB Ob die Kommissionsmitglieder mit § 823 Abs. 1 ein allgemeines Persönlichkeitsrecht tatbestandlieh fassen oder nur einzelne Rechtsgüter des Individuums schützen wollten, verraten ihre grundsätzlichen Außerungen26 zur dogmatischen Einordnung der anerkannten Rechtsgüter des Lebens, des Körpers, der Gesundheit und der Freiheit, als § 704 des ersten Entwurfs geändert wurde: Entwurf und sämtliche Änderungsanträge würden die Vorschriften über die Schadensersatzpflicht aus unerlaubten Handlungen denjenigen zuordnen, die die Rechtskreise, innerhalb derer die einzelnen ihre individuelle Freiheit entfalten und ihre Interessen verfolgen dürfen, voneinander abgrenzen: "Der Rechtskreis des Einzelnen umfasse zunächst seine eigentlichen Vermögensrechte, dingliche wie obligatorische, sodann aber auch seine sogenannten Persönlichkeitsrechte (Leben, körperliche Unversehrtheit, Gesundheit, Freiheit, Ehre), welche durch das an jedermann gerichtete Verbot eines Eingriffs ebenso geschützt seien, wie die Rechte an Sachen. Die Rechtskreise seien aber auch noch in der Weise voneinander abgegrenzt, daß das Gesetz dem Einen im Interesse eines Anderen gewisse Pflichten auferlegt, ihm ein bestimmtes Verhalten gebiete oder verbiete. Dabei könnten jedoch nur solche Gebote und Verbote in Betracht kommen, welche darauf abzielen, die Interessen des Einen vor Beeinträchtigungen durch den Anderen zu bewahren, nicht dagegen die im Interesse der Gesamtheit auferlegten gesetzlichen Pflichten, welche, weil sie den Interessen aller förderlich seien, auch jedem irgendwie Beteiligten zugute kommenH ." Wird mit diesen Worten nicht ein allgemeines Persönlichkeitsrecht bejaht? Wohl doch nicht. Die "sogenannten Persönlichkeitsrechte" werden nicht vom schutzwürdigen Individuum her positiv, sondern von ihrem möglichen Verletzer her, gleichsam negativ entwickelt; der Rechtskreisgedanke dient allein der schärferen begrifflichen Erfassung von Verletzungstatbeständen. Eine positive Umschreibung, wie sie in § 903 für das Eigentum vorliegt, fehlt für das Persönlichkeitsrecht. Paul Eltzbacher schlug 1903 vor: "Das Persönlichkeitsrecht ist das Ausschließungsrecht, das uns den Genuß unserer selbst und dessen, was qlit uns untrennbar verbunden ist, also unserer persönlichen Güter gewährEbda. Vgl. dazu auch S. 163 ff. u Protokolle 11, S. 567 f.
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leistet 27 ." Daß für das Eigentum in § 903 neben dem Schadensersatzund Abwehrtatbestand (§§ 823 Abs. 1, 1004 BGB) auch eine positive Regelung ins Gesetzbuch aufgenommen wurde, beweist die vorrangige Stellung und das Ausmaß, in welchem das Eigentum als Herrschaftsrecht gegenüber dem Persönlichkeitsrecht dogmatisch entwickelt und als bestimmende Rechtskategorie angesehen wurde. Es war nur folgerichtig, die übrigen Rechte des Individuums auch dogmatisch vom Eigentum her, d. h. vom Gedanken des Herrschaftsrechtes zu begreifen. Nachzuweisen ist das anhand der Reihenfolge, in der die einzelnen Rechtskreise aufgezählt wurden: Der einzelne darf zunächst, wie betont wurde, seine individuelle Freiheit entfalten und seine Interessen im Rechtskreis seiner eigentlichen Vermögensrechte verfolgen, worunter in erster Linie seine dinglichen, und danach seine obligatorischen Rechte zu verstehen sind. Sodann findet er seine Interessen im Rahmen der "sogenannten Persönlichkeitsrechte (Leben, körperliche Unversehrtheit, Gesundheit, Freiheit, Ehre)" gewahrt, die "wie die Rechte an Sachen ... durch das an jedermann gerichtete Verbot eines Eingriffs geschützt" sind.28 Angesichts solchen Denkens überrascht es nicht, daß in den Motiven zum ersten Entwurf die unter § 704 Abs. 2 S. 2 aufgezählten Rechtsgüter den absoluten Rechten gleichgestellt werden. So heißt es in den Motiven, daß als sedes materiae für die "Verletzung des absoluten Rechtes eines anderen" der zweite Absatz des § 704 anzusehen ist. 29 Wie unsicher die Väter des BGB bei der dogmatischen Erfassung der in § 823 Abs. 1 auf die Person bezogenen Rechtsgüter waren, kommt auch in der Diskussion um den Antrag 6 a zu § 704 im zweiten Entwurf zum Ausdruck. 30 Der Antrag lautete: ,,6. Zum Ersatz der Bestimmung des Entwurfs
a) Unter § 704 nur vorzuschreiben: Wer einem anderen widerrechtlich Schaden zufügt, sei es aus Vorsatz, sei es aus Fahrlässigkeit, ist ihm zum Ersatz verpflichtet. (Vgl. Art. 50 des schweizerischen Gesetzes über das Obligationenrecht)." Zur Begründung dieses Vorschlags wurde ausgeführt, Entwurf und Anträge gäben übereinstimmend die Beantwortung der Frage nach dem Vorliegen einer Schadensersatzpflicht der Ermittlung durch Wissenschaft und Praxis frei 31 , da es nicht sinnvoll sei, die Voraussetzungen 27 Die Handlungsfähigkeit nach deutschem bürgerlichem Recht, Bd. I, Berlin 1903, S. 304. 28 Protokolle 11, S. 567 f. 2g Motive 11, S. 726. 30 Vgl. Mugdan, 11, S. 1073; Protokolle, S. 2710. 31 Vgl. dazu auch S. 164 f.
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der Ersatzpflicht im Gesetz zu fixieren. Vielmehr solle es dem Feingefühl des jeweiligen Richters überlassen werden, von Fall zu Fall die richtige Grenze zu ziehen. Man hielt also § 704 Abs. 2 in seiner bisherigen Fassung noch für sehr unbestimmt und wollte deshalb auf eine gen aue Abgrenzung der Schadensersatzpflicht verzichten. Und zur Rechtfertigung der bisherigen Fassung heißt es: "Das Gesetz habe eine selbständige, über die Absichten seines Urhebers hinausreichende Bedeutung und könne auch auf Fälle angewendet werden, an welche dieser nicht gedacht habe. Der Antrag wolle die noch nicht genügend geklärte Lehre, in wie weit eine Schadensersatzpflicht aus unerlaubten Handlungen begründet sei, der wissenschaftlichen Fortentwicklung überlassen ...32." Mit dem knappen Abstimmungsergebnis von 10 gegen 8 Stimmen wurde der Antrag 6 a abgelehnt: 33 Er begnüge sich mit der Aufstellung des Prinzips der Ersatzverpflichtung für den aus unerlaubten Handlungen zugefügten Schaden, ohne jedoch die Voraussetzungen des Eintritts der Verpflichtung zu normieren. Die vorhandenen Schwierigkeiten blieben dadurch verdeckt; sie würden nur auf den Richter abgewälzt: "Es könne darauf vertraut werden, daß die Schwierigkeiten verschwinden, wenn sich erst einmal eine feste Praxis gebildet haben werde ... Das richtige Prinzip enthalte der § 704 Abs. 2; es empfehle sich um so mehr, die Fälle beider Kategorien einander gleichzustellen, als es häufig schwer sei, die rechtlich geschützten Interessen und die absoluten Rechte auseinanderzuhalten34."
6. Zusammenfassung Die Kommissionsmitglieder stellen die im ersten Entwurf in § 704 Abs.2 S. 2 aufgeführten Rechtsgüter Leben, Körper, Gesundheit, Freiheit und Ehre subjektiven absoluten Rechten gleich;85 der "begründete Zweifel", ob diese höheren Güter als Rechte deklariert werden könnten, wird zunächst in § 704 Abs. 2 S. 2 mit dem rechtspolitisch motivierten, dogmatisch jedoch unklaren Votum überspielt, daß "diese höheren Güter ... des Schutzes bedürfen, der ihnen bei einer engen Auffassung der Schadenszufügung oft gefehlt hat."36 Diese Unsicherheit kommt auch in der Formulierung "als Verletzung eines Rechtes gilt 37 auch die Verletzung des Lebens, des Körpers, der Gesundheit, der Ehre"88 zum Ausdruck. Entschlossen, eine Festlegung des sehr allgemeinen Begriffs 32 33 34 35
38 37 38
ebda., S. 1075. Ebda., S. 1073; Protokolle, S. 2711. Protokolle 11, S. 572. Vgl. Motive 11, S. 726 und 728. Ebda., S. 728. Hervorhebung durch den Verf. Protokolle 11, S. 566.
Mugdan,
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11. Teil: Allgemeines Persönlichkeitsrecht als subjektives Recht
"subjektives Recht" im Gesetz zu vermeiden, griff die Kommission zu der unscharfen Formulierung "ist ... anzusehen", die beide Deutungen zuläßt: Fiktion, also Ablehnung, und Anerkennung der Persönlichkeitsrechte als subjektive Rechte. Dieser Verzicht und die Überantwortung der ungelösten Fragen an Wissenschaft und Praxis offenbaren aber auch sachliche Schwierigkeiten, denen man sich bei dem Versuch, die Voraussetzungen der Ersatzpflicht herauszukristallisieren, ausgesetzt sah. 3D Man vermochte nicht genau zu klären, inwieweit eine Schadensersatzpflicht aus unerlaubter Handlung begründet sei, sondern glaubte, dies lIder wissenschaftlichen Fortentwicklung überlassen" zu sollen. Am deutlichsten tritt diese Unsicherheit in der Begründung zu dem Änderungsantrag zutage, man solle in das Gesetzeswerk lediglich einen "allgemeinen Grundsatz über die Verpflichtung zum Schadensersatz" aufnehmen. 40 Dieser Abschiebungsversuch wurde allerdings, wenn auch knapp
(10 : 8), mit der Begründung abgelehnt, die "vorhandenen Schwierig-
keiten" würden, anstatt sie zu lösen, verdeckt. Es sei vielmehr notwendig, "dem Richter zu seiner Entscheidung im Gesetz einen gewissen objektiven Maßstab an die Hand zu geben."41
Gegenüber dieser beherzigenswerten Einsicht geht die lapidare Feststellung bei der Revision des zweiten Entwurfs, "die heutige Wissenschaft (nehme) ein persönliches Recht im weiteren Sinne an" ,42 über die damalige Wirklichkeit weit hinaus und steht zudem in Widerspruch zu Äußerungen wie der, es müsse der "wissenschaftlichen Fortentwicklung überlassen" werden, Tatbestände für eine Schadensersatzpflicht aus unerlaubten Handlungen herauszuarbeiten. Ein Persönlichkeitsrecht war damals äußerst umstritten, was den Verdacht nahelegt, daß jene allzu zuversichtliche Bemerkung eine Schwäche verbergen sollte. Der Nachdruck und die Heftigkeit, mit der Otto v. Gierke, Josef Kohler u. a. das Bestehen dieses Rechts behaupteten, konnten allerdings den Blick für den zähen Widerstand trüben, mit dem ein allgemeines Persönlichkeitsrecht noch 50 Jahre später verhindert werden sollte. Der beschriebene Schnitzer der zweiten Kommission ist bezeichnend. Haben die Kommissionsmitglieder wirklich bei offenen, in der Entwicklung befindlichen Rechtsfragen Rechtsprechung und Wissenschaft mehr rechtsbildende Kraft zugetraut als dem Gesetzgeber? Oder wichen sie einer an sich möglichen Entscheidung aus, weil ihre römischrechtliche Vorbildung sie die gesellschaftliche und wirtschaftliche 38
40 41 42
Vgl. ebda., S. 567. Ebda. Ebda., S. 571. Protokolle VI, Berlin 1899, S. 200.
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Wirklichkeit verfehlen ließ, die sich im Problem des subjektiven Rechts zuspitzte? Verfehlt wäre es jedenfalls, die Kommission als einheitliches Organ zu betrachten, das gewissermaßen mit Nonchalance widersprüchliche Äußerungen produziert und kodifiziert. Diskussionsverlauf und -ergebnis bestätigen, daß der Kampf um ein allgemeines Persönlichkeitsrecht zwar aufgenommen, nicht aber entschieden werden konnte. Sie demonstrieren die Barrieren, auf die das Problem mit seinem Anspruch auf eine dogmatische Lösung treffen mußte; das rechtspolitische Argument für ein Persönlichkeitsrecht im ersten Entwurf ist hierfür ein Indiz. Deswegen mußte das Problem der Rechtsfortbildung überlassen werden, da die unterschiedlichen Ansichten, Ausdruck einer sich wandelnden gesellschaftlichen Wirklichkeit4 3 , eine gesetzliche Lösung zu diesem Zeitpunkt unmöglich machten. So könnte es zu erklären sein, daß die Väter des BGB viele und wichtige Fragen der Rechtspraxis überließen, andererseits aber daran festhielten, daß zuviel Spielraum für Richterrecht eine Gefahr für das Recht darstelle. 44 Die Rechtspraxis ihrerseits ließ sich von der konkreten Fallgerechtigkeit leiten und verwies in ihren Begründungen häufig darauf, daß der Gesetzgeber das allgemeine Persönlichkeitsrecht nicht geregelt habe. Schließlich oblag dem dritten .. Diskussionspartner" , der Wissenschaft, die juristische Erfassung des Persönlichkeitsrechts, insofern sie über Einzelfälle hinaus in tatbestandsmäßig typisierten Gruppen den Schutzbereich des Persönlichkeitsrechts erkunden und der Rechtsprechung Bewertungsmaßst~be an die Hand geben sollte. Diese Aufgabe hat die Wissenschaft nur in wenigen Fällen erfüllt. Die Gesetz gewordene Formulierung von § 823 Abs. 1 ist also ein Kompromiß zwischen geschlossenem und offenem Tatbestand. Durchgesetzt hat sich die .. Rechtskreistheorie" . Nicht das Individuum insgesamt, sondern einzelne, ihm zu seiner Entfaltung zugeordnete ..höhere Güter" wurden als schutzwürdige Rechtspositionen anerkannt, ähnlich wie Herrschaftsrechte an Sachen. Ob diese Rechtspositionen dogmatisch von den Vätern des BGB als subjektive absolute Rechte verstanden wurden, ist den widersprüchlichen Äußerungen nicht zu entnehmen. Wie im folgenden nachzuweisen sein wird, ließen sich Wissenschaft und Rechtsprechung dadurch aber nicht hindern, die Entstehungsgeschichte des § 823 Abs. 1 für eindeutig zu erklären und daraus ihre Schlüsse zu ziehen, wobei nur auffällt, daß diese historische Argumentation i. d. R. zur Absicherung bereits bestehender Auffassungen über das Persönlichkeitsrecht herangezogen wird.4 5 43
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Vgl. Wieacker, Privatrechtsgeschichte, S. 473. Vgl. Protokolle 11, S. 572. Vgl. dazu im einzelnen unten.
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Exkurs Die Ablehnung des immateriellen Schadensersatzes Hinreichender Schutz des allgemeinen Persönlichkeits rechts läßt sich nur durchsetzen, wenn Schadensersatzansprüche aus immaterieller Verletzung ihn vervollständigen. 46 Der im BGB fehlende Ersatz für den immateriellen Schaden in Geld, dessen späte Anerkennung erst der BGH in seiner Grundsatzentscheidung zum allgemeinen Persönlichkeitsrecht durchgesetzt hat 47 , und die Diskussion der Kommissionen über ihn ergänzen im Ergebnis die Gesetzgebungsgeschichte des allgemeinen Persönlichkeitsrechts. Die befaßte Kommission befürchtete, daß sich mit dem immateriellen Schadensersatz eine unkontrollierbare Aufwertung richterlichen Spielraums einschleichen und eine "dem deutschen Recht fremde Souveränität" in dem Streitverhältnis durchsetzen könnte, die bereits der Gesetzgeber der ZPO als höchst bedenklich eingeschätzt hatte. 48 Als Begründung gegen Freirechtsbewegung und "Flucht in die GeneralklauseI" (Hedemann) zog man die drohende Schrankenlosigkeit richterlichen Ermessens heran und eine daraus folgende Unmöglichkeit für den Revisionsrichter, evtl. nötige Urteilskorrekturen durchzusetzen. Die zweite Kommission bestand schließlich darauf, einen ablehnenden Rechtssatz ausdrücklich im Gesetz zu fixieren, da sie die "lebhafte Strömung" zugunsten des immateriellen Schadensersatzes mit Sorge betrachtete. Wörtlich fügte die Kommission hinzu: "Es widerstrebe der herrschenden Volksauffassung, die immateriellen Lebensgüter auf die gleiche Linie mit den Vermögensgütern zu stellen und einen idealen Schaden mit Geld aufzuwiegen49 ." Diese Ablehnung verkannte die "herrschende Volks auffassung" gründlich, denn, falls überhaupt eine Volksmeinung herbeizitiert werden durfte, war diese in sich zumindest uneins; die starke Bewegung, über den Ersatz des immateriellen Schadens ein allgemeines Persönlichkeitsrecht durchzusetzen, wurde völlig übergangen. 5o Darüber hinaus pauschalierte die Kommission Gegner und Befürworter, ohne ihren oft differenzierten Argumenten nachzugehen. Ihre Weigerung läßt erkennen, daß der Gedanke, den ideellen Schaden dem materiellen gleichzusetzen, auf weit vorgezogene Schranken stieß. Dazu trug we-
48
41 48
4U 60
Vgl. Leuze, S. 66. BGHZ 18, 149 vom 6. Juli 1955. Motive 11, S. 22. Protokolle I, S. 298 f. und 622 f. Vgl. Leuze, S. 68 f. mit weit. Hinw.
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sentlich bei, daß für das Bürgertum die Sphäre der Ideale scharf getrennt von jeglichem kruden Materialismus existierte, auf dessen Prinzipien aber tagtäglich die eigene Existenz gesichert werden mußte. Gustav Boehmer argwöhnt hinter den scheinbar idealistischen Argumenten eine "materialistische und spießbürgerliche Geisteshaltung", der der Vermögensschaden im Grunde mehr galt als der Nichtvermögensschaden. 51 Die an Befürwortern wachsende Bewegung zugunsten eines Ersatzes auch immaterieller Schäden in Geld schied die tradierte Auffassung der wohl bestimmenden "oberen" Schichten, man könne einen immateriellen Schaden ohne rechtliche Hilfe, notfalls mit Ehrenhändeln, beilegen, von der sich verändernden bürgerlich-industriellen Wirklichkeit; der Schein des früheren Daseins aber vermochte sich, wenn auch nur partiell, eben als juristischer, ins 20. Jahrhundert zu retten. Allerdings startete der Anlauf dieser Bewegung für eine Aufnahme ins Gesetz zu spät, um sich noch durchzusetzen. Die dogmatische Schwerfälligkeit, Bestimmungen des absoluten Eigentumsrechts auf Bereiche zu übertragen, deren Idealität sie ins Reich der Ethik verwies (Savigny), darf jedoch nicht nur als vordergründig abgetan werden. Das Problem des Wertausgleichs, der heute stärker denn je dahin tendiert, statt tradierte oder aufgelöste menschliche Beziehungen "heilen" zu können, ihren Ersatz in Geld zu betreiben, trägt sein Für und Wider in sich: Solange und soweit anderer Ausgleich fehlt, muß er für alle nach differenzierten Maßstäben in Geld vorgenommen werden. Die Bedenken der zweiten Kommission sind als spürbares Unbehagen erklärbar, ideale Werte auf ihren nunmehr realen Boden zurückzuführen und eventuell das eigene Gesellschaftsverständnis infragestellen zu müssen. Hier findet sich, wenn auch unbedacht, ein spätes Aufbegehren gegen die alle, auch ethische Bereiche einbeziehende Industriewelt; dasselbe findet sich, wenn auch von der entgegengesetzten Seite her, in den Argumenten gegen die Ehre als Persönlichkeitsrecht. Die Ehre stellt einen hohen Wert dar, der zur Grundbestimmung der Person gehört und als solchen einen ethischmoralischen Charakter, aber keinen materiellen hat. Davon ausgenommen sind die kaufmännische Ehre, der Kredit und die Verletzung der Geschlechtsehre, die beide ihre rechtliche Regelung einem anderen Ursprung als das allgemeine Persönlichkeitsrecht verdanken: Der Kredit gehört in den wirtschaftlichen Sektor, die Geschlechtsehre konnte auf ihre traditionelle Anerkennung bauen. Allerdings durchbrechen beide den Grundsatz, keinen Ausgleich des immateriellen Schadens in Geld zu gewähren, und hätten insoweit Anlaß geboten, sich des Problems eingehender anzunehmen. 51
Boehmer, Gustav, Zur Ehestörungsklage, in: AcP 155, S. 181 ff.
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H. Teil: Allgemeines Persönlichkeitsrecht als subjektives Recht
Die unbewußte Ambivalenz in den Bedenken der zweiten Kommission wird durch das folgende Bekenntnis deutlich, mit der die Kommission die volkserzieherische Aufgabe des kommenden Privatrechts begründet. Danach sollte das BGB die Anschauungen der "besseren Volkskreise" als Inhalt aufnehmen. Das gegenteilige Prinzip des materiellen Wertausgleichs, für das die französische Rechtsprechung stand, konnte, so meinte man, nur schlechteren Elementen Vorteile bringen, die schließlich Gewinnsucht, Eigennutz und Begehrlichkeit steigern müßten, bis auch die Gerichte jeden Maßstab verlieren würden. 52 Es ist verständlich, daß dies scharf kritisiert wurde. So von Paul Eltzbacher in seiner Rektoratsrede von 1913, in der er von Erwägungen spricht, "die klar denkender und lebenskundiger Gesetzgeber nicht eben würdig" sind, oder von kaum denkbar "matteren und unfreie ren" Begründungen.53 Auch Gierke griff den Entwurf des BGB an und forderte die Ausdehung des Prinzips vom immateriellen Schadensersatz in Geld für alle Deliktsobligationen.54 Heute sind pauschale Verurteilungen des Gesetzgebers nicht angebracht und auch durch mißverstandenes moralisches Engagement nicht zu rechtfertigen. 55 Die Behandlung, die dem immateriellen Schadensersatz vom Gesetzgeber widerfahren ist, wirft ein bezeichnendes Licht auf die Probleme, denen er sich bei der Regelung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts gegenüber sah. Sie zeigen die durchgängigen Schwierigkeiten der Einordnung von Immaterialgütern. Während jedoch die Lösung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts Rechtsprechung und Wissenschaft überlassen blieb, lehnte der Gesetzgeber den Ausgleich, der das allgemeine Persönlichkeitsrecht wesentlich hätte fördern können, strikt ab; hier glaubte er sich gezwungen, eine klare Grenze zu ziehen. Die Eindeutigkeit dieser Weigerung hat die bescheidenen positivrechtlichen Ansätze zu einem allgemeinen Persönlichkeitsrecht, zu dessen Flankierung der Ersatz des immateriellen Schadens notwendig gewesen wäre, auf noch schwankenderen Boden gestellt und zu seiner verzögerten Anerkennung wesentlich beigetragen.
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Vgl. Protokolle I, S. 298 f. und 622 f.
Eltzbacher, Paul, Schutz vor der Öffentlichkeit, Berlin 1913, S. 48. U Vgl. Gierke, Der Entwurf S. 197. 55 Vgl. die biedere Entrüstung von Klebes, Horst, Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts, Diss. Tübingen 1959, S. 94 ff.; vgl. aber auch für die heutige Zeit Schwerdtner, S. 265 ff. 53
Zweites Kapitel
Der Streit um das allgemeine Persönlichkeitsrecht als subjektives Recht vor 1900 1. Die rechtsphilosophischen Grundlagen a)
Immanuel Kant
Im Anschluß an Kant und insbesondere an Hegel hat die Rechtswissenschaft den "freien Willen als Grundlage des subjektiven Rechts" angesehen. 1 Sie hat damit inzidenter die Autonomie der Persönlichkeit im Sinne Kants als philosophischen Ausgangspunkt übernommen. Der von der nötigenden Willkür eines anderen unabhängige Wille gilt als Ausdruck der Freiheit, sofern diese mit der Freiheit jedes anderen nach einem allgemeinen Gesetz zusammen bestehen kann. 2 Die Freiheit ist das einzig angeborene, das einzig ursprünglich jedem Menschen als Menschen zustehende Recht. Aus diesem Blickwinkel bestimmt sich die Beziehung einer Person zur anderen und zur Sache. Das persönliche Recht besteht darin, den anderen nach eigenen willkürlichen Vorstellungen - in bestimmten Grenzen - zu Handlungen zu veranlassen; das persönliche Recht dinglicher Art ist das Recht, eine andere Person zu eigen zu haben. 3 Das Wesen des Sachenrechts schließlich liegt im Verhältnis der Personen untereinander hinsichtlich einer Sache.4 Diese Bestimmung der persönlichen Rechte - wie sie sich vor 1 Vgl. Haff, Karl, Institutionen der Persönlichkeitslehre und des Körperschaftsrechts, Zürich 1918, S. 5. 2 Vgl. Kant, Immanuel, Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre, Königsberg 1797, S. 45. Vgl. zum Problem von Freiheit etc. bei Kant insbes. BTÜggemeier, Gert, Probleme einer Theorie des Wirtschaftsrechts, in: Wirtschaftsrecht als Kritik des Privatrechts, hg. v. Assmann u. a., Königstein 1980, S. 28 ff. a Vgl. ders., Metaphysische Anfangsgründe ... , Gesammelte Schriften, Bd. VII, S. 271, 358. Siehe dazu Hegels Kritik, in: ders. Rechtsphilosophie, § 40, S. 99: "Der Inhalt des römischen sogenannten Personenrechts betrifft dann außer dem Recht an Sklaven, wozu ungefähr auch die Kinder gehören, und dem Zustande der Rechtlosigkeit (capitis diminutio) die Familienverhältnisse. Bei Kant sind vollends die Familienverhältnisse die auf ding-
liche Weise persönlichen Rechte." 4 Vgl. Kant, Metaphysische Anfangsgründe ... , Gesammelte Schriften, S. 260 f.
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dem Hintergrund einer gesetzten Vernünftigkeit in freier Subjektivität bewegen dürfen - und des Sachenrechts erweist die zentrale Stellung der Person in Kants Rechtssystem wie auch dessen weniger sachenrechtlich als vielmehr intersubjektiv gefaßten Charakter.
b) Georg Wilhelm Friedrich Hegel Freiheit und Wille, von den Naturrechtlern zu individualgebenden Grundkategorien entwickelt, sind bestimmend auch für Hegels Rechtsbegriff. Allerdings läßt er die Freiheit als bloß logisches Prinzip zugunsten einer je mit Notwendigkeit vermittelten hinter sich: "Der Boden des Rechts ist überhaupt das Geistige, und seine nähere Stelle und Ausgangspunkt der Wille welcher frei ist, so daß die Freiheit seine Substanz ausmacht ...5." Das Geistige oder Vernünftige charakterisiert die eine Seite des Willens, die andere gründet sich auf der Besonderheit des Subjekts, welche sein willkürliches Handeln bestimmt. Beide zusammen konstituieren die Person oder Persönlichkeit; diese enthält die Rechtsfähigkeit. Die Rechtsperson, die auf diesem Willensbegriff fußt, ist die personale übersetzung des Vernunftprinzips in die Realität. Sie gibt sich ihr Dasein, indem sie ihren Willen auf etwas bezieht, es durchdringt und sich diese Sache aneignet; dabei fällt unter Sache alles der Person Äußerliche, so auch ihre Körperlichkeit. 6 Lebendig ist jeder in einem Körper, als Rechtsperson hat jeder Leben und Körper als Gegenstand, als Eigentum, wenn er will. Auf den logischen Sprung und die daraus resultierende Identifizierung inhaltlich verschiedener Kategorien wie der eigentlich abstrakten Aneignung durch das "begreifende" Denken einerseits und der tatsächlichen durch das sachenrechtliche "Ergreifen" andererseits ist verschiedentlich hingewiesen worden7 : Hier manifestiert sich an ent6 Hegel, Rechtsphilosophie, § 4, S. 46. IdR. wird entweder nicht der komplizierte Entwicklungsgang des Willens bei Hegel gesehen oder zumindest übergangen, daß nur die Konstituierung des Denkbegriffs und damit der Nachvollzug der Subjekt-Objekt-Antinomie in ihrer dialektischen Beziehung den Zugang zu seinem Rechtsbegriff freigeben. Vgl. z. B. Schluep, S. 268 und Haff, Institutionen, S. 5; anders Leuze, S. 39 ff. e Vgl. Hegel, § 40; § 44: "Die Person hat das Recht in jede Sache ihren Willen zu legen, welche dadurch die meinige wird ... absolutes Zueignungsrecht des Menschen auf alle Sachen ... Die Seite aber, daß Ich als freier Wille mir im Besitze gegenständlich und hiermit auch erst wirklicher Wille bin, macht das Wahrhafte und Rechtliche darin, die Bestimmung des Eigentums aus"; vgl. auch § 45, § 51: Das Eigentum ist das Dasein der Persönlichkeit. 7 Vgl. statt vieler Marx, Karl, Grundrisse der Kritik der Politischen Ökonomie, Frankfurt/M. (0. J.), Nachdruck der Moskauer Ausg. von 1939 und 1941, S. 9: "Alle Produktion ist Aneignung der Natur von seiten des Individuums innerhalb und vermittels einer bestimmten Gesellschaftsform.
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scheidender Stelle unversehens ein bestimmtes gesellschaftliches Eigentum an Dingen als Grundkategorie des Rechts und damit unanfechtbare Realität, die aus den Axiomen einer Dialektik von geistigem und materiellem Objektbezug sowie aus deren sprachlicher Ineinssetzung ihre Legitimität bezieht. Auf den Stellenwert dieser Konzeption weist Jörg Paul Müller mit dem Bemerken hin, daß das juristische Gebäude des Persönlichkeitsschutzes mindestens in den ersten 30 Jahren dieses Jahrhunderts noch ganz wesentlich der Zivilistik des 19. Jahrhunderts und damit ihrem Gedankengut verhaftet war. 8 Mit seiner Kritik an der seinerzeit vorherrschenden Ansicht von der überwiegenden Aufgabe des Privatrechts als Schutzinstrument von Vermögenswerten verweist er auf ein Rechtsempfinden, das schon Jhering attackierte, indem er es, mit ironischer Schärfe, beim Namen nannte: "Also das Vermögen ist das einzige Gut, welches das Zivilrecht zu schützen hat? Alle anderen Dinge sind wertlose Dinge, um die der Richter sich nicht zu bekümmern braucht, der Richter kennt nur die Interessen des Geldbeutels - wo der Geldbeutel aufhört, hört für ihn das Recht aufo." Wenngleich sich Jhering seiner Übertreibung sicher bewußt war, so stellten ihm doch die Entstehungsgeschichte des § 823 und die Diskussion um subjektive und Persönlichkeitsrechte die Argumente für seine Anklage zur Verfügung, so z. B. in der Tendenz, vom Eigentumsrecht ausgehend das subjektive Recht als unbegrenzte Willensmacht zu bestimmen. lo Vorschnell wäre es, aus den bisherigen Zitaten aus der "Rechtsphilosophie" und der Kritik am Eigentumsbegriff den Schluß zu ziehen, Hegel anerkenne kein Persönlichkeitsrecht, oder ihm gar vorzuwerfen, die Lehre vom Persönlichkeitsrecht habe bei ihm den größten Tiefstand erreicht. l l Hegel bestimmt die Person, unterschieden von dem ihr vorausgesetzten Subjekt (bzw. Individuum), das nur die Möglichkeit der Person darstellt, als denjenigen, der im freien Willen berechtigt ist. 12 Mit der Definition als Person ist notwendig der Inhalt "Recht" verknüpft, "das Rechtsgebot ist daher: sei eine Person und respektiere die In diesem Sinn ist es Tautologie zu sagen, daß Eigentum (Aneignen) eine Bedingung der Produktion sei. Lächerlich aber ist es, hiervon einen Sprung auf eine bestimmte Form des Eigentums, z. B. das Privateigentum zu machen (Was dazu noch eine gegensätzliche Form, die nicht Eigentum ebensowohl als Bedingung unterstellt)". 8 Vgl. Müller, Jörg Paul, Die Grundrechte der Verfassung und der Persönlichkeitsschutz des Privatrechts, Bern 1964, S. 36 f. t Ihering, RUdolph, in: Jahrbücher für Dogmatik, Bd. 18, S. 44, (1880). 10 Vgl. Schubert, Werner, Die Entstehung der Vorschriften des BGB über Besitz und Eigentumsübertragung. Ein Beitrag zu Entstehungsgeschichte des BGB, Berlin 1966, S. 35 ff., 73 ff., 118 ff., insbes. S. 171 ff. U Vgl. z. B. Kirchhof, S. 3 f.; Müller, Begriff und Existenz, S. 5 f. 12
Hegel, § 35, S. 94.
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anderen als Personen 13 ." Die Person als Rechtsperson weiß sich frei in sich selbst; damit ist vorausgesetzt, daß sie sich selbst geistig durchdrungen hat und sich selbst und anderes will. Erst auf dieses Fundament gründet sich das in das Dasein umgesetzte persönliche Recht, das wesentlich Sachenrecht ist. "Dies Sachenrecht ist das Recht der Persönlichkeit als solcher", ist das allgemeine Recht der Persönlichkeit. 14 Es mutet seltsam und abwertend an, Hegel das Persönlichkeits recht als Sachenrecht bezeichnen zu sehen. Geringschätzung drückt diese Bestimmung freilich nur auf den ersten Blick aus, denn seine dialektische Entwicklung der Persönlichkeit aus dem Begriff von Freiheit und Vernunft macht es notwendig, alles andere, was nicht in ihr einbegriffen ist, zu trennen, so daß nur Persönlichkeit-sein ein Recht an Sachen gewährt, d. h. Persönlichkeit und Sache sich als getrennte gegenüberstehen. 15 Die hohe Wertschätzung, die dem "Sachenrecht" in seiner rechtsphiIosophischen Deutung zukommt, drückt sich aus in dem sehr umfangreichen Schutz für alle "Sachen", auf die sich der Wille der Person erstrecken kann, insbesondere Körper, Glieder und die ideellen Persönlichkeitsgüter. Die zuletzt genannten sind substantiell für die Person und deshalb unveräußerlich, ebenso die allgemeine Willensfreiheit, Sittlichkeit und Religion. 16 Wie später Savigny lehnt Hegel ein Recht des Menschen auf Selbstmord ab. Seiner Formulierung: "Spricht man also von einem Recht, das die Person über ihr Leben habe, so ist dies ein Widerspruch, denn es hieße, die Person habe ein Recht über sich" 17, ließe sich bei oberflächlicher Interpretation entnehmen, Hegel sei ein Gegner des Persönlichkeitsrechts. Abgesehen von seiner ausdrücklich positiven Stellungnahme dazu ist diese Ansicht deshalb falsch, weil auch, wenn die Person zwar ein Recht an sich hat (Persönlichkeitsrecht), daraus kein Recht folgt, sich selbst als Person aufzuheben; dies wäre eine zwar tatsächlich mögliche Handlung, die aber den Rechtsbereich überhaupt verläßt bzw. ihn negiert. 18 Derjenige, der über sein Leben verfügt, verstößt nicht nur gegen sein Persönlichkeitsrecht, sondern handelt unfrei und 13 Hegel, § 36, S. 95; vgl. Egger, Anton, Kommentar zum Schweizer Zivilgesetzbuch zu Art. 28, Das Personenrecht, Zürich 1911, S. 31. 14
Hegel, § 40, S. 99.
Zur hohen Einschätzung von Hegels Rechtsbegriff vgl. Leuze, S. 44 ff. und Larenz, Karl, Hegels Dialektik des Willens und das Problem der juristischen Persönlichkeit, in: Hegel, Georg Wilhelm Friedrich, Grundlinien der Philosophie des Rechts, hg. v. Helmut Reichelt, Frankfurt/M. 1972, S. 733 ff. (Abdruck des Textes von 1931); vgl. ders., Das "allgemeine Persönlichkeitsrecht" im Recht der unerlaubten Handlungen, in: NJW 1955, S. 521 ff. (525). 15
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Hegel, § 66, S. 141. Hegel, § 70 Zusatz, S. 152. Hegel, § 47, S. 111.
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unvernünftig, folglich ohne Recht. Hegels Ablehnung des Selbstmords bestimmt sich so im Grunde als Argument für seine Bejahung des Rechts der Persönlichkeit. 2. Friedrich earl von Savigny Bei Savigny vermittelt sich als "Ausgangspunkt seiner privatrechtlichen Dogmatik" Kantsches Gedankengut mit dem Hegels. 19 "Alles Recht", beginnt Savigny in seinem "System des heutigen Römischen Rechts", "ist vorhanden um der sittlichen, jedem einzelnen innewohnenden Freiheit willen. Darum muß der ursprüngliche Begriff der Person oder des Rechtssubjekts zusammenfallen mit dem Begriff des Menschen, und diese ursprüngliche Identität beider Begriffe läßt sich in folgender Formel ausdrücken: Jeder Mensch, und nur der einzelne Mensch ist rechtsfähig 20 ." Wer Träger eines subjektiven Rechts ist, soll Person sein. Person und subjektives Recht erhalten damit eine zentrale Stellung in der Rechtsordnung. 21 Die äußere Identität mit Hegels Rechtsbegriff, insbesondere was den Inhalt des der Person zustehenden subjektiven Rechts betrifft, täuscht, denn dessen System als die Basis aller Rechtsentwicklung findet bei Savigny kaum Resonanz. Zwar geht Savigny von Hegels Willensbegriff aus, aber er charakterisiert das subjektive Recht als Herrschaftsanspruch des individuellen menschlichen Willens und stellt damit im Unterschied zu Hegels vernünftigem Willen, der als Resultat einer komplexen Vermittlungs dialektik zwischen objektivem Vernunftprinzip und dessen subjektiver Daseinsform gedacht werden muß, gerade auf den Menschen in seinem psycho-physischen Sein ab; das mit einem Willen im Sinne eines psychologischen Vermögens begabte Individuum ist - Savigny zufolge - der Träger von Rechtsbeziehungen. 22 Wird der Bereich, in dem die Willensmacht regiert, wird also das subjektive Recht verletzt, so ergibt sich ein Klagerecht für jeden, denn die Rechtsfähigkeit gilt uneingeschränkt. 23 Eine solche individualpsychologische Konstruktion läuft Gefahr, gleichsam das "ethische Fundament" der rechtsphilosophischen Ausgangslage "unter dem auf ihm errichteten Gebäude" auszuhöhlen: J. P. Müller beschreibt dies in der treffenden Metapher, daß den per18 Vgl. Leuze, S. 46 und Coing, Helmut, Der Rechtsbegriff der menschlichen Person und die Theorie der Menschenrechte, Beiträge zur Rechtsforschung, Berlin u. Tübingen 1959, S. 202. 20 v. Savigny, Friedrich earl, 2. Bd., Berlin 1840, S. 2. 21 Vgl. Klingner, S. 19. 22 Vgl. Leuze, S. 47. 23 Savigny, 1. Bd., S. 333.
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sonalen Wertpositionen, die auf Errungenschaften des Naturrechts beruhen, innerhalb eines mit strenger· Begrifflichkeit und Systematik konstruierten Normengebäudes zunehmend die Lebensluft zu weiterer Entfaltung im Privatrecht entzogen wird. 24 War der auf die Allgemeinheit hin orientierte Begriff sittlicher Norm, dessen Verbindlichkeit das Individuum in freier Willensunterwerfung bejahte, für den praktischen Rechtsgebrauch schwerlich umzusetzen, so bahnte sich mit Savigny eine Aufsplitterung der Privatinteressen an, die insbesondere im strafrechtlichen Bereich breit anwendbar25 , schließlich in die Zuordnung schutzwürdiger Individualgüter zu bestimmbaren materiellen Wertvorstellungen einmündete. Diese Problematik hat T. W. Adorno im juristischen Bereich wie auch in der Interdependenz mit der gesamten gesellschaftlichen Entwicklung aufgezeigt: "Weil jedoch dies Allgemeine, die sittliche Freiheit, zwar der intelligiblen, geistigen und nicht der Sinnenwelt der empirischen Individuen angehöre, aber nur in diesen sich darstellt, sank mit dem anwachsenden bürgerlichen Individualismus jener Kantsche Begriff der Persönlichkeit ab und wurde Einzelpersonen angeheftet, die, nach seiner eigenen Unterscheidung, mehr durch den Preis als durch die Würde sich bestimmen."2' Vorläufig letzte Konsequenz und Abschluß, sowohl des argumentativen Fortganges als auch seiner faktischen geschichtlichen Entwicklung, bildet die in der Tat verdienstvolle Zuerkennung des Schmerzensgeldanspruchs für Persönlichkeitsrechtsverletzungen durch den BGH - gleichsam als handfest-pekuniäre Säkularisation philosophisch-ethischer Höhenflüge. 27 Sie bestätigt Rolf Kniepers Beurteilung der widerspruchslosen Einfügung des Schmerzensgeldanspruchs in Strukturprinzipien der Gesellschaft: "Es setzt sich ... in voller Klarheit jene bereits vor Hobbes analysierte, in der Folgezeit jedoch nicht aufgenommene Tatsache durch, daß der Wert der dissoziierten Individuen sich nach dem Urteil der Umwelt richtet und sich wie ein Marktpreis einpendelt28 ." Müller, S. 29. Vgl. Scheyhing, Robert, Zur Geschichte des Persönlichkeitsrechts im 19. Jahrhundert, in: AcP, Bd. 158, S. 505 ff. 28 Glosse über die Persönlichkeit, S. 52. Zum Schutz von "Persönlichkeiten" statt von Personen allgemein vgl. auch die Kritik von Klingner, S. 40 an Kohler und Hubmann. 27 Vgl. BGHZ 15, 249 vom 26. Nov. 1954. 28 Knieper, Rolf, Soraya und die Schmerzensgeldrechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, in: ZRP 1974, S. 137 ff. (139); vgl. den erhellenden !4
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Unterschied zwischen obiger BGH-Entscheidung und bei Knieper ebenfalls analysierter Bundesverfassungsgerichts-Rechtsprechung zu §§ 636 f. RVO, in: NJW 1973, S. 502. Vgl. auch Macpherson, C. B., Die politische Theorie des Besitzindividualismus, Frankfurt/M. 1973, S. 15, der diese Strukturen bis ins 17. Jahrhundert zurückverfolgen kann.
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Die bewußte, theoretisch wie praktisch vollzogene Differenzierung zwischen ethischer und juristischer Kompetenz im Persönlichkeitsschutz kennzeichnet Savigny als den geistigen Ausgangspunkt dieses rechts- und gesellschaftspolitisch bedeutungsvollen Verlaufs. Diese fakultative Bescheidung veranlaßte den Juristen Savigny, die Forderung nach einem globalen Persönlichkeitsrecht abzulehnen. Angriffspunkte bieten ihm diejenigen, die dem Menschen ein Recht auf sich selbst, entstehend mit seiner Geburt, zusprechen: "Diese Ansicht ist von manchen so erweitert worden, daß sie dem Menschen ein Eigentumsrecht an seinen Geisteskräften zuschreiben29 ." Demgegenüber bleibt Savignys Argument abstrakt, wenn er die Möglichkeit leugnet, einen anderen Menschen am Denken zu hindern und so in sein Eigentumsrecht einzugreifen. 30 Seine, gemessen an der oben skizzierten Perspektive der Rechtsentwicklung durchaus verantwortungsbewußte Weigerung, juristische Kategorien wie die des Eigentums auf die immateriellen unter den schutzwürdigen Gütern anzuwenden, kennzeichnen ihn ebenso, wie seine kluge, wenn auch langfristig unbefriedigende Beschränkung rechtlicher Wirksamkeit auf klar definierbare, juristisch eindeutig zu fixierende Persönlichkeitsrechte. Er geht deshalb von der sichtbaren Erscheinung der Person, des Körpers und der Glieder aus, an denen eine Verletzung möglich ist; ein Eigentumsrecht hieran wäre "verwerflich, indem es unter andern in consequenter Entwicklung auf die Anerkennung eines Rechts zum Selbstmord führt."31 Diese Begründung verläßt die rechtsimmanente Betrachtung und begibt sich auf das Gebiet der Ethik: Dies allein sei zuständig für die Entfaltung jener legitimen Macht des Menschen über sich selbst, für die es darüber hinaus keiner rechtlichen Anerkennung bedarf, wie sehr sie auch allerlei "künstliche Erweiterungen" herausfordern mag. Die Unverletzlichkeit der Person bildet zwar den letzten Grund für viele Rechte, ihre Garantie kann aber eine rechtliche Normierung nur in begrenztem Umfang leisten; sie überantwortet Savigny vielmehr dem Anspruch und Bestreben einer juristisch nicht zu kodifizierenden ethischen Gesinnung. Die oben angesprochene Fragwürdigkeit eigentums rechtlicher Denkmuster bei der Formulierung eines Persönlichkeitsrechts findet sich 29 Savigny, aaO., 1. Bd., S. 335. 30 Vgl. Hubmann, Das Persönlichkeitsrecht, S. 131. 31 Savigny, 1. Bd., S. 336. Für Savigny trifft nur mittelbar zu, was Macpherson als Charakteristikum des Liberalismus ermittelt hat: "Die Beziehung zum Besitzen, die für immer mehr Menschen die fundamental wichtige Beziehung geworden war, welche ihre konkrete Freiheit und ihre konkrete Chance, a11 ihre Möglichkeiten zu entfalten, bestimmte, wurde in die Natur des Individuums zurückinterpretiert. Das Individuum ist, so meinte man, insoweit frei, als es Eigentümer seiner Person und seiner Fähigkeit ist." (S. 15).
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hier wieder; konnten diese Schemata noch relativ widerstandslos übertragen werden auf materialisierte Produkte des Menschen, auf "geistiges Eigentum" und "Immaterialgüterrechte", so versagten derlei Analogien beim Schutz untrennbarer Persönlichkeitswerte. 32 Neben dem generellen Vorwurf an die Naturrechtler, sie unterstellten Eigentumsrechte gleichermaßen an Geisteskräften wie am menschlichen Körper samt Gliedern, welcher in der Pauschalität nicht haltbar ist, war es gerade Savignys "Selbstmordtheorie" , an der sich die Meinungen schieden. Bernhard Windscheid zieh sie der Inkonsequenz, komme es doch beim Privatrecht gerade auf die Eingrenzung Dritter bzw. deren Abwehr von der Rechtssphäre des einzelnen an, nicht hingegen auf einen Eingriff wie den den Selbstmörders in seine eigenen Rechte. 33 Maßstäbe für die weitere Diskussion lieferte Savigny mit seiner Bestimmung des subjektiven Rechts als Willensmacht des Individuums, sowie durch seine Ablehnung eines Eigentumsrechts an der eigenen Person und den Geisteskräften; beides war einer Anerkennung des Persönlichkeitsrechts nicht förderlich. Savignys Formulierung läßt sich dahingehend deuten, daß ihm das subjektive Recht zwar denkbar erschien bei greifbarem Eigentum oder Obligationen, nicht aber bei der eigenen Person. Die Beziehung des Subjekts zu der ihm äußerlichen Sache steht hier im Vordergrund des Denkens: eine bereits von Hegel ausgemachte Hürde des theoretischen Geistes. Diese ebenso unbewußte wie unverschuldete Fessel traditioneller Denkgewohnheiten veranlaßt H. Hubmann zu der kritischen Bemerkung, es gereiche der Rechtswissenschaft der Neuzeit keineswegs zur Ehre, daß sie den Begriff des subjektiven Rechts aus der Relation des Menschen zu körperlichen Dingen der Außenwelt abgeleitet habe, "so daß sie seine Beziehung zu unkörperlichen Dingen, um sie überhaupt rechtlicher Erfassung zugänglich zu machen und am Rechtsschutz teilnehmen zu lassen, als Immaterialgüterrechte nach Analogie des Eigentums behandeln mußte 34 ." Einer solch prinzipiellen Kritik wäre gerechterweise entgegenzuhalten, daß die Rechtswissenschaft zu Beginn des 19. Jahrhunderts aus ihrer eigenen geistesgeschichtlichen Tradition wie aus dem gesamtgesellschaftlichen Kontext heraus nicht anders konnte, als ihre Rechtsnormen vordringlich auf das Verhältnis des Menschen zu seiner dinglichen Umwelt zu beziehen. Der Anspruch, sie auf die Bereiche immateVgl. Müller, Jörg-Paul, Die Grundrechte, S. 37. Vgl. Windscheid, Bernhard, Lehrbuch des Pandektenrechts, 1. Bd., Frankfurt 71891, S. 94; zur Kritik weiterer Ungereimtheiten vgl. Leuze, 32
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S. 50 f. 34 Hubmann, Das Persönlichkeitsrecht, S. 116.
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rieller Rechtsgüter auszudehnen, wurde bezeichnenderweise erst zu einem Zeitpunkt von einem allgemeinen Bedürfnis getragen, als sich diese in stärkerem Maße auf dem Markt verwertbar, d. h. als potentielle Quelle materiellen Reichtums, erwiesen. Dieser Zusammenhang zwischen den materiellen und immateriellen Gütern in der gemeinsamen Kategorie des Werts - der sich nicht zufällig in der sprachlichen Doppelbedeutung Wert-haben und Wert-sein spiegelt - legt ein analoges Verfahren im rechtstheoretischen Denken nahe, wonach an das rechtlichen Schutz wert ist, was Wert produziert oder solchen beinhaltet. Die Analyse ihres Zustandekommens darf jedoch die Kritik solcher Denkstrukturen nicht ausschließen; sie sollte umgekehrt das Bewußtsein schärfen für Gefahren und Konsequenzen, die ihr innewohnen. So verweist die Auseinandersetzung um die Persönlichkeitsrechte auf die prinzipielle Gebundenheit juristischen Denkens an äußerlich realisierbare Vermögenswerte, von der sich auch die heutigen Vorstellungen nur schwer lösen können. 35 Mit gewisser Berechtigung läßt sich Savignys Standpunkt gleichwohl als zukunftsweisender ausdeuten, insofern als in seinem System die Anerkennung des Willens die Freiheit der Person voraussetzt, ein Recht der Person an sich selbst damit aber entbehrlich wird. Ludwig Raiser vermerkt in diesem Zusammenhang, daß sich die Lehre vom subjektiven Recht genau darin als ein Kernstück der deutschen Zivilrechtswissenschaft des 19. Jahrhunderts zu erkennen gibt, daß hinter der Klärung dieses Begriffs die Idee der freien, sittlich autonomen Persönlichkeit stand, damit der Grundsatz der Privatautonomie, deren Handlungsraum es zu sichern galt; die Person sollte sich von allen privatrechtlichen Schranken befreien können. Diese Idee entstand als Ausdruck einer Sozialphilosophie der Freiheit, deretwegen der Gedanke "des sozialen Ausgleichs und der Schutz der sozial Schutzbedürftigen teilweise vernachlässigt worden" ist. 3U Das Ziel der Sozialordnung lag im Schutz der Autonomie des Einzelnen37 ; das subjektive Recht als ihr Hauptnerv beanspruchte dabei die rechtliche Garantie der individuellen Willensmacht als originäre Äußerung eines Willenssubjekts.38 In diesem Geist trug Savignys Hervorheben dieses Rechtsinstituts, ungeachtet seiner Ablehnung des Persönlichkeitsrechts, zu dessen EntfalVgl. aber Hubmann, Das Persönlichkeitsrecht, S. 12 - 84. Westermann, Person und Persönlichkeit, S. 15. 37 Vgl. Raiser, Ludwig, Der Stand der Lehre vom subjektiven Recht im Deutschen Zivilrecht, in: JZ 1961, S. 465 ff.; zustimmend Schluep, S. 269; vgl. auch Coing, Helmut, Zur Geschichte des Privatrechtssystems, Frankfurt/M. 1961, S. 50 f. 38 Vgl. Coing, S. 51 f. mit Hinweis auf die Kontingenz von Einzelinteressen 35
38
und menschlicher Freiheit insgesamt. 12 Simon
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tung beLSg Hingegen brach die gemeinrechtliche und naturrechtliche Entwicklungsphase für das Persönlichkeitsrecht damit ab. In einer Zeit der Auflösung feudaler Bindungen war der Gedanke des privatautonomen Rechtssubjekts notwendig und auch zugleich gesellschaftliche Realität: Einmal als Postulat, d. h. als Anspruch auf Verwirklichung, zum andern als Exempel, d. h. im Zustand seiner teilweisen Verwirklichung. Fatal im Interesse der Sache wird diese geschichtliche Disposition jedoch dort, wo die Forderung nach Freiheit des Individuums, das "objektive Sollen" der Wirklichkeit (HegeI), die Idee, die die bürgerliche Gesellschaft von sich selbst hat, wie es Jürgen Habermas formuliert 40 , als bereits realisiert angesehen wird: Dann steht formale Freiheit, wie sie sich bereits durchgesetzt hat, für ihre eigentliche Idee. Dieses Dilemma weist sowohl die Geschichte der Privatautonomie wie die damit eng verbundene des Persönlichkeitsrechts auf: Beide werden, obwohl im Verlauf des 19. Jahrhunderts nur teilweise verwirklicht, als völlig entwickelt behandelt. 41 Das aktuelle Resultat führt uns Wolfgang Zeidler vor Augen: "Der soziale Rechtsstaat der Industriegesellschaft darf das Freiheitsprinzip nicht mehr wie bisher vorwiegend als begriffliches Element in einem idealistisch-dogmatischen Theoriensystem verstehen. Indem als Wirklichkeit ausgegeben wird, was in Wahrheit Hoffnung, Ziel, ja Utopie ist, wird das Recht zur Ideologie. In dieser Gestalt steht der Freiheitsbegriff einer realen Freiheit für den konkreten Menschen entgegen42." 3. Georg-Friedricll Puchta Puchta stellt die abstrakte, von allen individuellen Kennzeichen gelöste Person in das Zentrum seines Rechtssystems. In Anlehnung an Hegel wird ihre Äußerung, der Wille, grundlegend, denn durch ihn als Instrument der Selbstbestimmung wird die Person Rechtssubjekt.4s Obwohl sich der rechtliche Wille prinzipiell auch auf die eigene Person beziehen, sich selbst damit zum Gegenstand haben und so eine umfassende "Macht über die ganze Bestimmung der Person" beanspruchen kann44 , fehlt ihm doch hierzu die Vernünftigkeit; deren Platz füllt wie bei Savigny ein individual psychologischer Gehalt aus. Die Übereinstimmung in der Kennzeichnung von abstrakter Person und Rang des Vgl. Leuze, S. 59 und Liebs, S. 294 f. Strukturwandel der Öffentlichkeit, Neuwied u. Berlin 71975, S. 101. 41 Vgl. Knieper, S. 137 ff. e: Gerechtigkeit in der Industriegesellschaft, in: dito, Rechtspolitischer Kongreß der SPD von 1972 in Braunschweig, Karlsruhe 1972, S. 11 ff. (29). 43 Puchta, Georg Friedrich, Cursus der Institutionen, Leipzig '1881, besorgt v. P. Krüger, 1. Bd., S. 6 f. U Puchta, S. 50. 3D
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Willens mit Hegels entsprechenden Begriffen ist somit nur äußerlich.'5 Dennoch weist Puchtas Lehre mehr Gemeinsamkeiten mit Hegel auf als mit Savigny: Der rechtliche Wille existiert nur persönlichkeitsbezogen; mittelbar, indem er sich auf äußere Gegenstände erstreckt; unmittelbar durch Selbstreflexion.48 Die zweite Äußerungsform begründet das Recht der Persönlichkeit. Puchtas Argumentation wird verstärkt durch ein weiteres Recht an der eigenen Person, den Besitz als Erscheinungsform des Rechts an der Persönlichkeit. Im Unterschied zum rechtlichen Unterwerfungsverhältnis, das der Wille für das Eigentum begründet, eröffnet der Besitz ein tatsächliches. 47 Mit dieser Theorie könnte das heutige allgemeine Persönlichkeitsrecht vorweggenommen sein. Doch gibt es wesentliche Unterschiede, etwa darin, daß Puchta zwischen Mensch und Person trennt. Die rechtliche Macht, Person zu sein, die das Recht der Persönlichkeit bildet, gewährt eine vollständige Macht über die gesamte Bestimmung der Person, zu der insbesondere ihre Freiheit gehört.48 Puchta billigt der Persönlichkeit keine Macht über den Menschen zu, sondern lediglich über die eigene Person; Körper und Glieder des Menschen können also nicht in den Schutz bereich des subjektiven Rechts aufgenommen werden. 4a Die Nachfolge Hegels ließ Puchta auf jenes Problem stoßen, das eine Eingrenzung des Wirkungsbereichs des subjektiven Rechts erschwerte: Da der Wille nicht nur äußere Objekte, sondern sich selbst zum Bezugspunkt nehmen kann, steht ihm, den Implikaten eines subjektiven Rechts zufolge, auch ein Recht an sich selbst zu. 50 Dogmatische Einwände gegen das Persönlichkeitsrecht haben sich von seiner Entstehungsphase an bis heute daran festgemacht. 51 Schon Unger kritisierte 1863 in seinem "System des österreichischen allgemeinen Privatrechts" die Unhaltbarkeit eines Rechts, bei dem Subjekt und Objekt in eins 45 Vgl. Schönfeld, Walter, Puchta und Hegel, Rechtsidee und Staatsgedanke, Festgabe für Julius Binder, hg. v. K. Larenz, Berlin 1930, S. 29 f. 48 Vgl. Puchta, Cursus, S. 50; ders., Zu welcher Klasse von Rechten gehört der Besitz?, Rheinisches Museum für Jurisprudenz, Bd. 11, 1829, S. 306 ff. 47 Ebda.; vgl. Leuze, S. 54 f. 48 VgI. Müller, Lorenz, Begriff und Existenz, S. 10. n VgI. z. B. Müller, Georg, Bemerkungen, S. 367 ff.; die gegenteilige Meinung vertritt pointiert Eltzbacher, Die Handlungsfähigkeit, S. 304. VgI. Leuzes eingehende Untersuchung von Puchtas Recht der Persönlichkeit im Vergleich zu dem heutigen, S. 56 ff.; zur Kritik an Puchtas Auffassung vgl. Gareis, Das juristische Wesen, S. 189 f. 50 VgI. Puchta, Cursus, S. 50. 51 Vgl. Leuze, S. 56; vgl. Hubmann, Das Recht am Unternehmen, S. 54.
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fallen, gemessen an dem als praktikabel erwiesenen Prototyp des subjektiven Rechts, dem Eigentum.52
4. Der weitere Diskussionsverlauf zum allgemeinen Persönlicbk.eitsrecht als subjektivem Recht a) Karl-Adolph v. Vangerow
Vangerows Beitrag ist für die Bestimmung des subjektiven Rechts und sein Verhältnis zum Persönlichkeitsrecht insofern bedeutsam, als er am eindeutigsten den materiellen Aspekt der reflexiven Beziehung des subjektiven Willens hervorgehoben hat. 53 Die Freiheit des Einzelnen ist Vorbedingung des subjektiven Rechts. Jeder Mensch, so lehrt er unter Berufung auf das römische Recht, ist entweder einem anderen zu eigen oder hat Eigentum an sich selbst. Während Hegel für sein Eigentumsrecht am menschlichen Körper den freien, vernünftigen Willen in den Mittelpunkt der Theorie stellt und so zu einem philosophisch begründeten Begriff eines "persönlichen" Sachenrechts gelangt, unternimmt es Vangerow, den Begriff, seiner ethischen Hülle entkleidet, auf eine rechtlich eindeutige Ebene zu bringen.54 Abgesehen von der mangelnden Schlüssigkeit einer römisch-rechtlichen Lösung dieser Art, mußte die Behauptung einer sachenrechtlichen Beziehung des Menschen auf sich selbst bei der Wissenschaft auf entschiedene Ablehnung stoßen; gegen das Urteil dogmatischer Unhaltbarkeit konnte sich ein in sich unausgereifter Entwurf nicht behaupten.55 b) Bernhard Windscheid
Bernhard Windscheid ist ein weiterer Exponent aus den Reihen der Befürworter eines Rechts an der eigenen Person, wiewohl seine Argumentation der Vangerows entgegengesetzt verläuft. Nach seiner Definition ist das subjektive Recht eine von der Rechtsordnung verliehene 52 Vgl. Unger, Josef, System des österreichischen allgemeinen Privatrechts, Bd. I, Leipzig 41876, S. 506 Anm. 5. Ebda., S. 505: "Die Persönlichkeit ist ... nichts anderes als die Rechtsfähigkeit, als die Möglichkeit Rechte zu haben." Für Macpherson, S. 15, ist es nur naheliegend, daß sich die Besitzbezogenheit des Individuums umfassend ausdrückt: "Es ist wesenhaft der Eigentümer seiner eigenen Person oder seiner eigenen Fähigkeiten ...". 53 Vgl. Gareis, Das juristische Wesen, S. 188 ff. 54 Lehrbuch der Pandekten, Bd. I, Marburg u. Leipzig 71863, S. 72 Anm. 1 a; 55 Vgl. Gareis, Das juristische Wesen, S. 189; vgl. Müller, Lorenz, Begriff und Existenz, S. 5 f. mit sehr oberflächlicher Kritik; Leuze, S. 59 bemerkt pointiert, man könne "den Körper des lebenden Menschen (nicht) als eine Sache betrachten, die ebenso wie ein Kohlkopf in seinem Eigentum steht."
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Willensmacht oder Willensherrschaft. 5G Die spätere Modifizierung seiner Ansicht unter dem Einfluß von Thons, wonach "nicht vom subjektiven, sondern vom objektiven Willen, vom Willen des Gesetzgebers die berechtigende und verpflichtende Kraft ausgehe", kann hier unberücksichtigt bleiben, besteht doch die Willensherrschaft des freien Rechtssubjekts als das tragende Moment des Begriffs fort. 57 Sie kann sich als subjektives Recht auch auf die eigene Person erstrecken, wodurch sie sich "zu einem Rechte auf Leben, auf körperliche Integrität und ungehinderte Verfügung über den eigenen Körper (Freiheit)" bestimmt.58 Aufschlußreich im Vergleich zu den bisher erörterten objektbezogenen Prämissen ist Windscheids Grundsatz: Alle Rechte sind intersubjektiv zu verstehen, nicht nur als Relationen zwischen Person und Sache.59 In seiner Anerkennung des Persönlichkeitsrechts auferlegt sich Windscheid keine dogmatischen Bedenken; so hindern sie ihn nicht, den Begriff des subjektiven Rechts extensiv zu fassen. Ebenso bemerkenswert und, angesichts der umstrittenen Existenz der Persönlichkeitsrechte, überraschend liest sich sein Hinweis, sie bedürften keiner weiteren Explikation, da ihr Dasein sicher und ihre Begrenzung ohne Zweifel seien. GO c) earl Neuner
Die häufig vertretene Ansicht, dem Einfluß der Romanisten sei die beharrliche Ablehnung eines allgemeinen Persönlichkeitsrechts anzulasten, ist in dieser an Savigny orientierten, Pauschalität verfehlt, ebenso die Behauptung, nur die Germanisten hätten entscheidende Beiträge zu seiner Entwicklung geleistet.G1 Zweifellos ging die Mehrzahl der dogmatischen überlegungen im Sinne einer restriktiven Auslegung des subjektiven Rechts von den Römisch-Rechtlern aus, doch Puchta, Windscheid, Neuner und Regelsberger sollten, als Gegengewicht gegen 50 Vgl. Windscheid, Lehrbuch des Pandektenrechts, 1. Bd., Frankfurt 71891, S. 87. 67 Vgl. Raiser, S. 465; vgl. Schluep, S. 269; Leuze, S. 59; Hubmann, Das
Persönlichkeitsrecht, S. 117 mit eingehender Kritik an Windscheids Theorie des subjektiven Rechts; vgl. Thon, August, Rechtsnorm und subjektives Recht, Weimar 1878, S. 151 ff. und 291, der die "Privatansprüche" auf den Schutz persönlicher Güter sehr eng begrenzt. 68 Windscheid, S. 94; falsch Ulsamer, Franz, Zur Kritik der Lehre vom Persönlichkeitsrecht, Diss. München 1910, S. 16, der daraus auf Windscheids Ablehnung des Persönlichkeitsrechts schließt. 69 Vgl. Seetzen, Uwe, Der Verzicht im Immaterialgüterrecht, Göttingen 1969, S. 10. GO Windscheid, S. 95.
81 Dies zeigte die bisherige Diskussion der Entwicklung der Theorien zum Persönlichkeitsrecht; vgl. darüber hinaus Kahler, Das Autorrecht, Jena
1880; Wieruszowski, S. 225 ff.
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11. Teil: Allgemeines Persönlichkeits recht als subjektives Recht
das stimmgewaltige Veto Savignys nicht unterbewertet werden. Gerade Carl Neuner hat in "Wesen und Arten der Privatrechtsverhältnisse" als erster Pandektist das allgemeine Persönlichkeitsrecht als subjektives Recht, unterschieden von einzelnen Persönlichkeitsrechten, anerkannt - seine Funktion sei es, die besonderen Rechte zusammenzuhalten. 62 Er hat darüber hinaus, Gierkes Charakterisierung des Persönlichkeitsrechts als "Grundrecht" vorwegnehmend, das Recht der Persönlichkeit als deren erstes und ursprünglichstes Recht verstanden. 6s Das Recht der Persönlichkeit ist für ihn das Recht der Person, für sich selbst Zweck zu sein und sich so zu behaupten; es ist das konkrete Recht auf Leben, körperliche Unversehrtheit etc.84 , vermischt mit Rechten öffentlich-rechtlichen Charakters wie freier Berufswahl und freier Religionsausübung, die nach dem heutigen Verständnis nicht unter das allgemeine Persönlichkeitsrecht zu zählen sind.85 d) Rudolph von Jhering und CaTI-GeoTg BTUns
Weitere Differenzierungen bringt Rudolph v. Jhering in die Diskussion um den Charakter des subjektiven Rechts, indem er Begriffe wie Zweck, Nutzen und Interesse in seine Definition einführt. Entscheidend ist für ihn die inhaltliche Gestaltung des subjektiven Rechts: Sie hat Zweck und Richtung anzugeben; der förmlichen Seite wird in der Klagemöglichkeit Rechnung getragen. Subjektives Recht ist von seiner Substanz her rechtlich geschütztes (Privat-)Interesse.88 Wenn Ludwig Raiser kritisiert, der ideal-philosophische Ausgangspunkt, wie ihn Kant und Hegel geprägt hatten, sei hiermit endgültig verlassen, so ist hinzuzufügen, daß gerade das zentrale Moment, nämlich die Ausprägung gesellschaftlicher Vernunft im einzelnen Willen, im Zuge einer Güternivellierung verlorenging. 67 Ein Prozeß, der mit dem Vorhaben begonnen hatte, philosophisches Gedankengut in das Recht einzubringen, gelangte so zu seinem vorläufigen Abschluß.8s Diese Feststellung bleibt auch dann gültig, wenn Jhering das schutzwürdige Interesse neben ökonomischen Gütern auch auf ideale Werte beziehen will, da diese relativ eng begrenzt seien und Normierung nicht erlaube, 8! Vgl. Neuner, Carl, Wesen und Arten der Privatrechtsverhältnisse, Kiel 1866, S. 15 ff.; vgl. dazu Leuze, S. 62. e3 Neuner, ebenda. No Neuner, S. 16 f. e5 Ähnlich v. Schwind, Ernst Freiherr, Deutsches Privatrecht, Wien / Leipzig 1919, S. 179 f.: Persönlichkeitsrechte als "Grenzrechte" zum öffentlichen Recht. ee Jhering, Rudolf, Geist des römischen Rechts, 3. Teil, Basel 81954, S. 339 ff. e7 Raiser, S. 465; vgl. SchZuep, S. 273. 88 Vgl. Coing, Zur Geschichte des Privatrechtssystems, S. 73.
2. Kap.: Der Streit um das allg. Persönlichkeits recht vor 1900
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Entscheidungskriterien für ihre Durchsetzbarkeit aus sich selbst heraus zu entwickeln.o9 Jherings Bestimmung, daß das Persönlichkeits recht im Unterschied zu allen anderen Rechten des Privatrechts kein Rechtsverhältnis des Berechtigten zu etwas außer ihm Existierenden begründen soll, liefert einen neuen Gesichtspunkt zur Klärung des Verhältnisses zwischen subjektivem Recht und Persönlichkeitsrecht. "Nur das Recht der Persönlichkeit, dessen systematische Existenz man meines Erachtens sehr mit Unrecht bestritten hat, ist ein beziehungsloses, absolutes Recht, ein Recht ohne Rechtsverhältnis, ein Intransitivum, während sämtliche übrigen Rechte Transitiva sind 70 ." Diese Definition des Persönlichkeitsrechts als subjektives Recht ist insofern bedeutsam, als sie in dem Bemühen um Anerkennung des Persönlichkeitsrechts dieses zu einem "bezugslosen" Recht dadurch werden läßt, daß sie jene dogmatischen Grundsätze nicht berücksichtigt, aufgrund deren man bislang ein Persönlichkeitsrecht an sich selbst restriktiv-puristisch ablehnte (Savigny) oder großzügig akzeptierte (Puchta) oder aber als Rechtsverhältnis, dessen Objekt der Wille eines Dritten ist, neu bestimmte (Neuner). Dieser, im Rahmen der bisherigen Diskussion kaum haltbaren Konstruktion mußte es schwerfallen, eine Verpflichtung Dritter dogmatisch zu begründen, wenn sich das Recht der Persönlichkeit als "wunderlicher Schatten ohne Körper" qualifiziert. 71 Als Körper mit Schatten hätte man das Persönlichkeitsrecht eher anerkannt, sofern Jhering die tradierten Eigentumsvorstellungen auf das neue Rechtsinstitut übertragen hätte. Statt dessen war er bestrebt, verkrustete Strukturen wie auch das überkommene Denken in Subjekt-Objekt-Bahnen aufzubrechen und das Recht als intersubjektiven Regulator durchzusetzen. Die heutige Wissenschaft schlägt z. T. denselben Weg ein, ohne freilich das Recht als bezugslos zu charakterisieren. 72 Carl-Georg Bruns' Verdienst ist es, die differenten Positionen Jherings und Windscheids verbunden zu haben in einer Kombination aus subjektivem Recht als Willensmacht und der Zwecksetzung des Interessenschutzes, ein Kompromiß, der bis heute in dieser Form anerkannt wird. 73 8.
Vgl. Hubmann, Das Persönlichkeitsrecht, S. 117 ff. Jhering, Passive Wirkungen der Rechte, in: Jahrbücher
für die Dogmatik, 1871, S. 387 ff. (393). 71 Vgl. Ulsamer, S. 50 und Leuze, S. 61 ff. 72 Vgl. Hubmann, Das Persönlichkeitsrecht, S. 120: "Daher ist es ungenau, das Wesen des Eigentums in der Herrschaftsmacht über eine Sache zu sehen, es ist vielmehr das gegen jedermann wirkende Recht auf Achtung der eigenen Beziehung zur Sache, es ist ein Verhältnis von Person zu Person in bezug auf eine Sache." 70
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11. Teil: Allgemeines Persönlichkeits recht als subjektives Recht
5. earl Gareis Mit Carl Gareis "beginnt die Epoche, in der das Persönlichkeitsrecht zu einem festen Bestandteil der praktischen Rechtswissenschaft wird."74 Es ist deshalb nicht unberechtigt, ihn als Begründer der modernen Lehre vom Persönlichkeitsrecht zu bezeichnen,75 solange dies die etwa gleichzeitig erschienenen Arbeiten von Kohler und Gierke nicht ausschließt. Noch sollten seine unmittelbaren Vorläufer vernachlässigt werden: Bereits C. Neuner hatte das Persönlichkeitsrecht als Schutzrecht gegen Verletzungen herangezogen und versucht, es in das positive Recht zu verpflanzen. Beeinflußt schließlich auch von den Theorien A. Thons' und C.-G. Bruns' gilt Gareis nicht minder als der "Begründer", verdanken sich doch die große Publizität und das von nun an individualrechtlich geprägte Bewußtsein wesentlich seinem Einfluß, der die Zeitströmungen zu nutzen und zu unterstützen wußte. 78 Seine wichtigste Arbeit, "Das juristische Wesen der Autorrechte, sowie des Firmen- und Markenschutzes"77, rückt nicht nur eindeutig von Vangerow ab, dessen Lehre er als völlig unhaltbar disqualifiziert, sondern auch von G.-F. Puchta, dem er insbesondere eine falsche Objektbeziehung des Rechts vorwirft, als auch von C. Neuner, dem es an der Genauigkeit der Objektbezeichnung ermangele. Hingegen akzeptiert er B. Windscheids Begründung des subjektiven Rechts an der eigenen Person: In einer Anzahl von Rechtsverhältnissen disponiert der Wille des Rechtssubjekts über seine eigenen Kräfte. Die positive Rechtsordnung garantiert jedem die ihm zustehende Benutzung seiner persönlichen Eigenschaften gegen Eingriffe Dritter. Daraus ergibt sich ein Recht auf persönliche Eigenschaften und ihre Verwirklichung; damit empfängt das Rechtssubjekt "das Recht, seine Individualität als solche anerkannt zu sehen."78 Überhaupt bildet Individualität das Zentrum aller besonderen "Individualitätsrechte" . In seinem Kommentar zum Patentrecht spricht Gareis noch präziser von dem "allgemeinen Individualrecht" .79 Damit meint er nicht ein Recht des Subjekts an sich selbst, vielmehr eines auf Be- und Ausnutzung aller körperlichen und geistigen Kräfte; es handelt sich um ein subjektives Recht der Betätigung des Individuums, das die Beherrschung alles von der Person Getrennten, außerhalb der eigenen Rechtssphäre Liegenden einschließt. Als Bezeichnung empfiehlt Vgl. Raiser, S. 465. Leuze, S. 93. 75 Vgl. Ulsamer, S. 17. 78 Vgl. Hamprecht, Karl Heinz, Persönlichkeitsrecht im 19. Jahrhundert, Diss. Würzburg 1965, S. 117. 77 Gareis, S. 185 ff. 78 Gareis, S. 196. 19 Gareis, S. 19. 73
74
2. Kap.: Der Streit um das allg. Persönlichkeits recht vor 1900
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er den Namen "Individualrechte", im Unterschied zum Recht der Persönlichkeit. 80 Ähnlich wie später A. Lobe geht es Gareis um den dynamischen Aspekt, d. h. um das Tätigwerden der Person, weniger um ihren Existenzerhaltungsanspruch, der zwar auch als Individualrecht, aber weniger in Erscheinung treten und in erster Linie strafrechtlich geschützt werden soll. Diese Lehre, welche die auch nach 1900 noch überwiegend als Rechtsgüter bezeichneten Güter Leben, Körper ete. als subjektive Rechte qualifiziert und sich darüber hinaus auf Urheberund Erfinderrechte, Warenzeichenschutz ete. erstreckt, mußte in diesem frühen Stadium der Entwicklung auf Abwehr stoßen. Sl Widerstände setzten sich allenthalben dem Entwicklungsprozeß des Persönlichkeitsrechts als subjektivem Recht entgegen; besonders wirksam bremsten die bei den verschiedenen Autoren offenkundigen Differenzen in der Frage der dogmatischen Einordnung. Während sich Savigny am Dogma vom Eigentum als Herrschafts- und Ausschlußrecht orientiert, dieses Sachherrschaftsdenken jedoch nicht übertragen mag, da er das Bedürfnis nach einem Persönlichkeitsrecht überhaupt aus dem juristischen in den Bereich der Ethik verweist, besteht selbst unter denjenigen der nachfolgenden Theorien, die sich für ein Persönlichkeitsrecht aussprechen, keineswegs Einigkeit darüber, wo und mit welcher Begründung es der Dogmatik einzugliedern sei. So unterschiedlich die einzelnen Lösungswege sind, alle beanspruchen dogmatische Eindeutigkeit, behaupten mindestens aber Schlüssigkeit. Das beweist die unabdingbare Flexibilität, den "proteusartigen Charakter" (Gareis), dessen sich dieses neue Rechtsinstitut bequemen mußte, um den jeweiligen rechtspolitischen Interessen fügsam zu sein,82 So läßt sich hinter der scheinbaren "Exklusivität" juristischer Dogmatik anderweitige Zweckorientierung erahnen: Als immanentes Instrument juristischer Logik werden ihr die Inhalte im Grunde von der gesellschaftlichen Realität bereitgestellt. Gareis hingegen votiert offen aus rechtspolitischem Bedürfnis für das allgemeine Persönlichkeitsrecht: Die dogmatischen Positionen der angeführten Autoren sind für ihn belanglos; erheblich sind sie alle in ihrer Schlußfolgerung, daß der Mensch über ein Recht an der Verwertung seiner persönlichen Eigenschaften sowie an deren Schutz verfüge und darin bis an die Grenzen Das juristische Wesen, S. 198 f. Vgl. Gareis, ebda., S. 203 ff.; vgl. Müller, Lorenz, Begriff und Existenz, S. 19 und Laband, PauI, Die Literatur über das Deutsche Patentrecht, in: 80 81
ZHR 1878, S. 616 ff. 82
Die Diskussion des allgemeinen Persönlichkeitsrechts wird dies nach
1900 noch deutlicher zeigen.
186
11. Teil: Allgemeines Persönlichkeitsrecht als subjektives Recht
fremder Rechtssphären heranreiche. 8s In der geltenden Rechtsordnung sei die Persönlichkeit nicht umfassend geschützt, im Gegenteil: Sie sei dem positiven Recht in vielen Fällen sogar völlig gleichgültig. Deshalb fordert er von der Rechtswissenschaft, sie solle zugunsten des Individualrechts das von der Reichsgesetzgebung gelieferte Material aufarbeiten und zu einem über das Privatrecht hinausgreifenden System abrunden. 84
6. Josef Kohler Polemisch und nicht ohne Verallgemeinerungen wirft der Neuhegelianer Josef Kohler85 der "formalen römisch-rechtlichen Jurisprudenz" vor, sie habe es abgelehnt, Körper und Geisteskräfte in die rechtlich geschützten Güter einzubeziehen. Damit zielt er in erster Linie auf Savigny.86 Er selbst versucht, das Persönlichkeitsrecht aus der dogmatischen Sackgasse herauszuholen, an deren Ende die fatale Identität vom Subjekt des Rechts und seinem Objekt steht. Stattdessen begreift er die rechtliche Beziehung der Persönlichkeit zu ihren Objekten nicht analog der Summe zu ihren Teilen, sondern als ein Ganzes, das sich selbständig den Objekten seines Willens gegenübersieht.87 Das sie schützende Recht, das Persönlichkeitsrecht, lasse sich deshalb am treffendsten als das Mutterrecht bezeichnen, aus dem sich alle besonderen Persönlichkeitsrechte ableiten ließen, unter anderem das Recht auf Leben, Gesundheit usw.; das allgemeine Persönlichkeitsrecht sei das oberste Recht, dessen Charakter als subjektives Recht überhaupt nicht infrage stehe. 88 In direkter Nachfolge Hegels und wie dieser im Gegensatz zur römisch-rechtlichen Tradition will Kohler den Vergleich mit einem Sachenrecht nicht als Bestätigung der Mensch-Ding-Beziehung, sondern als eine Haltung verstanden wissen, die dort wie hier ihr Recht auf ungestörtes Sein, Selbstentfaltung, Ruhe und Initiative gegenüber Dritten, d. h. interpersonell und nicht als Herrschaftsmacht über eine Sache, bestimmt.s9 Bezeichnend für die unorthodoxe Verfahrensweise Kohlers ist sein Bemühen, das Persönlichkeitsrecht nicht aus dem Gesetz nachzuweisen, abgesehen von gelegentlichen Hinweisen auf die gemeinrechtliche actio injuriarium, sondern seine Existenz apriori der Rechtsordnung sei83 84
Gareis, Das juristische Wesen, S. 191 ff. Gareis, S. 209 f. Vgl. Hubmann, Das Persönlichkeitsrecht,
S. 89. Das Autorrecht, S. 15, 129 f. und ders., Der unlautere Wettbewerb, S. 20. 87 Lehrbuch des Bürgerlichen Rechts, Bd. 111, 1. Teil, Berlin 1915, S. 1. 88 Kohler / Hotzendorff, Enzyklopädie der Rechtswissenschaft in systematischer Bearbeitung, Bd. 1, 71915, S. 219. 88 Kohler, Lehrbuch, S. 2. 85
88
2. Kap.: Der Streit um das allg. Persönlichkeits recht voJ; 1900
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ner Zeit immanent zu unterstellen. 90 Im Unterschied zu C. Gareis und C. Neuner, welche die einzelnen Persönlichkeitsrechte in den Vordergrund gestellt haben, hat Kohler sich zwar auch gründlich der speziellen Rechte angenommen, das allgemeine Persönlichkeitsrecht aber als ihren gemeinsamen Mittelpunkt erkannt und mit dessen Gewichtung einen der "bemerkenswertesten Fortschritte in der Weiterentwicklung des Persönlichkeitsrechts" geleistet. si
7. Otto von Gierke Otto von Gierke hat wohl den entscheidenden Beitrag zur Durchsetzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts erbracht; obwohl seine Lehre abgelehnt wurde, konnte sie doch die Dogmatik des privaten Persönlichkeitsschutzes bis zu ihrer heutigen Fassung grundlegend mitformen. In seinem "Deutschen Privatrecht" leitet er den Zusammenhang zwischen subjektivem Recht und allgemeinem Persönlichkeitsrecht folgendermaßen her: Das objektive Recht anerkennt die Fähigkeit, Rechtssubjekt zu sein, d. h. die Rechtsordnung ihrerseits gewährleistet den allgemeinen Anspruch, als Person zu gelten. Diese Fähigkeit heißt Persönlichkeit; Recht der Persönlichkeit bedeutet durch Rechtssatz anerkannt sein92 , bedeutet, dasselbe als subjektives Recht durchzusetzen, d. h. es als Instrument der Willensmacht zu benutzen bei gleichzeitiger "Willensgebundenheit" .93 Die Persönlichkeitssphäre umfaßt Leib und Leben, Freiheit und Ehre, die Möglichkeit, die geistigen und leiblichen Kräfte zu betätigen, die besonderen Zustände, die die Persönlichkeit rechtserheblich qualifizieren, den Namen und das Geistesprodukt.84 Das subjektive Recht, das sich gleichermaßen durch Befugnisse wie Pflicht gebundenheit auszeichnet, kann sich auf verschiedene Objekte erstrecken; die erste, uns hier allein interessierende Gruppe von Rechten bildet die an der eigenen Person, "die dem Berechtigten den Genuß eines persönlichen Gutes oder die Betätigung einer persönlichen Kraft allen anderen Personen gegenüber gewährleisten. Als unmittelbares Objekt erscheint ein Bestandteil der eigenen Persönlichkeitssphäre, bezüglich dessen dem Berechtigten Herrschaft und somit Macht zur 80 Kohler hat zunächst, d. h. bis ca. 1907, den Begriff ,Individualrecht' benutzt. Wenn er von dem Persönlichkeitsrecht oder dem gesteigerten Persönlichkeitsrecht spricht, meint er das allen Besonderungen gemeinsame allgemeine Persönlichkeitsrecht. 81 Vgl. Reinhard, Rudolf, Das Persönlichkeitsrecht in der geltenden Rechtsordnung, Mannheim - Berlin - Leipzig 1931, S. 8. 8! Gierke, Deutsches Privatrecht, 1. Bd., Leipzig 1895, S. 265. 13 Gierke, Deutsches Privatrecht, S. 253, 254 Anm. 7. 84 Vgl. auch Theegarten, S. 10.
188
H. Teil: Allgemeines Persönlichkeitsrecht als subjektives Recht
Untersagung fremder Eingriffe zugesprochen wird. Verpflichtetes Subjekt ist jedermann95 ." Die scheinbare begriffliche Unschärfe läßt sich als eine für progressive persönlichkeitsrechtliche Tendenzen typische Vermischung von sachen rechtlichen und interpersonellen Vorstellungen begreifen bzw. als das Bemühen, jene durch diese dogmatisch zu ersetzen: Subjekt ist der durch das subjektive Recht Berechtigte, unmittelbares Objekt ein Teil der eigenen Persönlichkeitssphäre, mittelbares Objekt das verpflichtete Subjekt, also der Dritte. Die rechtlichen Beziehungen zwischen Subjekt und seinen Objekten sind demnach weder als Polarität noch als Identität zu verstehen, sondern als mehrschichtiges Bezugssystem von Rechten und Pflichten zwischen Personen. Gierke versprach sich durch diese Umstrukturierung der Dogmatik gleichzeitig mit der Lösung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts aus den sachenrechtlichen Fesseln dessen leichtere Durchsetzbarkeit. Tatsächlich aber mußte seine unorthodoxe Handhabung der Dogmatik bei ihren überzeugten Vertretern auf Widerstand und terminologische Mißverständnisse stoßen.DS Wie Kohler bejaht Gierke ausdrücklich ein Recht des "Ganzen" an seinen Bestandteilen, mit Nachdruck bezeichnet er das Recht der Persönlichkeit als subjektives Recht, das von allen anerkannt werden muß: "Es ist das einheitliche subjektive Grundrecht, das alle besonderen subjektiven Rechte fundamentiert und in sie alle hineinreichtD7 ," Vornehmlich diese Unbegrenztheit seines "einheitlichen Grundrechts" war es, die seine juristische Umwelt verschreckt hat, zumal dieses eine noch unübersehbare Vielfalt von besonderen Persönlichkeitsrechten aus sich hervorzubringen versprach. D8 Kohler hat der Kritik in einer Metapher treffend Ausdruck verliehen: "Gierke läßt den Baum des Persönlichkeitsrechts zu weit ragen; und dieser Riesenbaum umspannt schließlich das ganze Rechtsgebiet; schließlich wird fast jedes Recht zum Persönlichkeitsrecht 99 ." Seine Emphase wie die aus ihr folgende begriffliche Unschärfe haben möglicherweise seinem grandiosen Entwurf die Anerkennung verwehrt, die Gierke dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht erzwingen wollte. Dessenungeachtet hat seine Lehre zu einer Höherbewertung der Per95 Deutsches Privatrecht, S. 260 . .. Vgl. Brauer, S. 23; Theegarten, S. 10. 87 Deutsches Privatrecht, S. 703. 98 Entgegen Hubmanns Ansicht, Das Persönlichkeitsrecht, S. 131, gehören die besonderen Persönlichkeitsrechte zum Inhalt des "Grundrechts"; indem es ihnen zugrunde liegt, sind sie Teil von ihm. 'u Zur Konstruktion des Urheberrechts, in: Archiv für Bürgerliches Recht, 1895, S. 241 ff. (246).
2. Kap.: Der Streit um das aUg. Persönlichkeitsrecht vor 1900
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sönlichkeit überhaupt beigetragen, und dies nicht zuletzt durch die Arbeit am Detail, z. B. seine Kritik am ersten Entwurf des BGB.
8. Erste Ergebnisse als Konturen und Tendenzen In Gierkes und Kohlers Definitionen des Persönlichkeitsrechts finden sich Tendenzen, welche die unbeschränkte Herrschaft einer Person über eine Sache im Sinne der dogmatischen Tradition des subjektiven Rechts einschränken zugunsten begrenzter Ausschlußrechte; damit gelangen sie zu einem "relativierten", interpersonalen Eigentumsbegriff mit sozial bedingten Schranken (z. B. "Gemeingut" im Urheberrecht), der die Subsumtion der Persönlichkeits rechte unter die subjektiven Rechte grundsätzlich erleichterte, mit dem tradierten sachenrechtlichen Verständnis jedoch kollidierte. A. Lobe sollte den Begriff des relativen Ausschlußrechts für die Persönlichkeitsrechte in den folgenden Jahren ausbauen und mit Hilfe einer präziseren Begrifflichkeit Widerstände verringern. 100 Dreißig Jahre später waren die Gründe für dieselbe Kritik an dem sachenrechtlichen Eigentumsverständnis noch immer aktuell: Zu ihrem Wortführer machte sich Hans Kelsen, indem er das Auseinanderklaffen von Eigentum einerseits und lediglich persönliche Rechtsverhältnisse begründenden Forderungsrechten andererseits anprangert als eine Systematik des bürgerlichen Rechts, die nicht ohne Illusionen über die tatsächlichen Herrschaftsverhältnisse auskommt. lOl Kelsens Analyse trifft den Punkt, den zumindest bereits Gierke zu überwinden versuchte: eben durch die Anerkennung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts als eines subjektiven Rechts; sie verdeutlicht zugleich die Hürden für deren erste Schritte. 102 Für die Zeit vor 1900 lassen sich, zusammenfassend, zwei Hemmnisse charakterisieren, die die Anerkennung eines allgemeinen Persönlichkeitsrechts u. a. verhindert haben: -
Ausgehend vom sachbezogenen Eigentumsbegriff als dem Prototyp des subjektiven Rechts fiel es schwer, einzelne immaterielle Lebensgüter oder gar die Persönlichkeit insgesamt als Objekt eines subjektiven Rechts zu begreifen. Als Lösung bot sich an, mit Hilfe eines neuen dogmatischen Eigentumsverständnisses, das den tradierten absoluten Charakter hätte ablegen müssen, das Persönlichkeitsrecht als scheinbar objektloses Rechtsverhältnis zu bestimmen, von dem Eingriffe Dritter ausgeschlossen wären.
100 Der unlautere Wettbewerb als Rechtsverletzung, S. 145 ff.; vgl. zu diesem Problem Hubmann, Das Recht des schöpferischen Geistes, S. 78. 101 10!
Kelsen, S. 45.
Vgl. Bucher, S. 27.
190 -
11. Teil: Allgemeines Persönlichkeits recht als subjektives Recht Das intendierte allgemeine Persönlichkeitsrecht erwies sich als ein zu diffiziles Konstrukt, um den Gehalt seines Schutzes in eine abstraktbegriffliche Form einbinden zu können; dies hat auch die Entwicklung der besonderen Persönlichkeitsrechte bestätigt.
Von dieser verworrenen Grundlage mußte der weitere Diskussionsverlauf für und wider das allgemeine Persönlichkeitsrecht seinen Ausgang und Inhalt nehmen. Negatives Denkmuster blieb bis heute der tradierte Eigentumsbegriff und sein Einfluß auf den Charakter des subjektiven Rechts, hinderlich blieben außerdem sämtliche bisher erörterten Einwände wider das allgemeine Persönlichkeitsrecht, etwa die vermeintliche Subjekt-Objekt-Identität und die Unmöglichkeit, den Befugnisinhalt klar abzugrenzen.
Drittes Kapitel
Der Streit um ein allgemeines Persönlichkeitsrecht als subjektives Recht nach 1900 über zwei Wege wurde im wesentlichen ein allgemeines Persönlichkeitsrecht angestrebt: Einer führt über Analogie und leitende Rechtsgrundsätze, der andere über die Subsumtion des allgemeinen Persönlichkeitsrechts unter das "sonstige Recht" des § 823 Abs. 1 BGB. Die besten Argumente finden sich bei denen, die von § 823 Abs. 1 ausgehen; die anderen Versuche treten demgegenüber in den Hintergrund. Von den drei Deliktstatbeständen der §§ 823 Abs. 1, Abs. 2 und 826 BGB, die zur Klärung der persönlichkeitsrechtlichen Frage von Rechtsprechung und Schrifttum herangezogen wurden, soll im folgenden zunächst § 823 Abs. 1 behandelt werden.
1. Die Begründung des Persönlichkeitsrechts aus der zentralen Stellung des subjektiven Rechts und der Entstehungsgeschichte des § 823 Abs. 1 (Heinrich Demburg) Als eine der ersten Stimmen von Gewicht zugunsten des allgemeinen Persönlichkeitsrechts hat Heinrich Dernburg in der 7. Auflage seiner "Pandekten" (1902) in den durch das BGB neu entfachten Streit eingegriffen. Seine Lehre nimmt ihren Ausgang bei einem zentralen, die Rechtsordnung bestimmenden Recht im subjektiven Sinn, welches der Person jenen Anteil an Lebensgütern zuspricht, der ihr vom allgemeinen Willen zugestanden und gewährleistet wird. 1 Trotz der scheinbar äußerlichen Zuordnung wurzelt das subjektive Recht im Individuum, ja ist mit ihm im Grunde so verwurzelt, daß dem Staat nur dessen Anerkennung und Schutz verbleibt, nicht aber seine Erschaffung. 2 Dernburgs Theorie über Wesen und Bedeutung des subjektiven Rechts greift derart weit aus, daß sie ihnen über die logische Priorität hinaus sogar die zeitliche vor dem objektiven Recht einräumt, eine These, die wegen ihres krassen Widerspruchs zum zeitgenössischen dogmatischen Verständnis kritisiert worden ist. 3 Sie erhellt aber den Dernburg, Pandekten, 1. Bd., Berlin 71902, S. 85. Ders., Die allgemeinen Lehren des bürgerlichen Rechts des Deutschen Reiches und Preußens, Halle 1902, S. 104. a Vgl. Kirchhof, S. 21 f. und Bucher, S. 27. 1
Z
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11. Teil: Allgemeines Persönlichkeitsrecht als subjektives Recht
Rang, den diese Rechte in Dernburgs System einnehmen, und läßt auf seine positive Haltung zu einem allgemeinen Persönlichkeitsrecht schließen. Dernburg grenzt seine Bestimmung des subjektiven Rechts von Windscheid ab, der es als Willensmacht des Berechtigten verstanden hatte. Zwar erkennt er dessen Definition für manche Rechtsgebiete wie das Vermögensrecht als zutreffend an, verweigert ihr jedoch mit Entschiedenheit seine Zustimmung für Familien- und Persönlichkeitsrechte: Die Selbstherrlichkeit der Willensmacht muß bei den Rechten auf körperliche Unversehrtheit, Freiheit, Ehre und bei dem Namensrecht ein Ende haben. Das entscheidende Argument gegen Windscheids Lehre vom "Wollendürfen" sieht er darin, daß sie es erlaubt hat, Rechte der Persönlichkeit gänzlich zu leugnen. Als Anhänger der Lehre vom Persönlichkeitsrecht begreift er dies als "eine schädliche Folge der unrichtigen Grundauffassung des Rechts im subjektiven Sinn."4 Wichtig wäre es gewesen, die Einschränkung der "Selbstherrlichkeit", mit der er eine unbegrenzte Willens ausübung einzugrenzen gedachte, näher zu begründen, sei es im Sinne einer Sozialpflichtigkeit wie bei Gierke oder einer dogmatischen Umorientierung, wie sie Dernburg wohl eher im Auge hatte. So jedoch bleibt seine Bestimmung des Persönlichkeitsrechts als das "Recht auf Wahrung der sozialen Stellung des einzelnen" im Ansatz stecken. 5 Auch seine "allgemeinen Grundsätze über die unerlaubte Handlung" tragen wenig zur Klärung seiner theoretischen Position bei. Zwar erläutert er ausführlich die Entstehungsgeschichte des § 823, um so die dem Wortlaut "oder ein sonstiges Recht" innewohnende Tendenz, Persönlichkeitsrechte zu unterstellen, nachdrücklich abzusichern. 8 Die gegenteilige Auslegung verwirft er, die denselben Wortlaut ausdrücklich in den Kontext mit dem Eigentum stellt, folglich ausschließlich Rechte nach jener Art deduziert, wie sie sich als die herrschende Lehre etabliert hat. Seine eigene Argumentation stützt er freilich nur auf Vermutungen: auf die unterstellte Absicht des Gesetzgebers, der damit, daß er in die Schlußrevision die vier persönlichen Lebensgüter eingeschoben habe, ausdrücken wollte, daß ihnen der Status von Rechten, nicht bloß von Rechtsgütern zukomme. Es ist in der Tat nicht wahrscheinlich, daß der Gesetzgeber eine in ihrer Mehrdeutigkeit unzureichende, kasuistische Regelung beabsichtigt hat. Die darin zutage tretende Ratlosigkeit entspricht dennoch seiner grundsätzlich restriktiven Haltung dem Persönlichkeitsrecht gegenüber eher als die befürwortende Deutung Dernburgs, wiewohl er eine solche mit seiner Unschlüssigkeit in Kauf nehmen mußte. Mangelnde Präzi4
G
8
Dernburg, Die Ebda., S. 49.
allgemeinen Lehren, S. 105.
Ebda., 2. Bd., 1901, S. 611 ff.
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sierung und überwälzen des Problems auf Rechtswissenschaft und Praxis lassen sich vielfach als Ausdruck wie scheinbarer Ausweg dieser Unentschiedenheit feststellen. Dernburgs Argumentation darf insofern als typisch für die Fraktion der Befürworter des Persönlichkeitsrechts gelten, als sie das subjektive Recht als konstitutives, dem objektiven Recht vorausgehendes Element der Rechtsordnung begreift; die zentrale Stellung dieses Rechts aber fordert nahezu zwangsläufig ihre Umsetzung in ein Persönlichkeitsrecht. Ebenso bezeichnend für die Unschlüssigkeit, die noch nach Inkrafttreten des BGB herrschte, ist Dernburgs Unterlassung, die Gewichtsverlagerung des subjektiven Rechts zugunsten eines allgemeinen Persönlichkeitsrechts auch dogmatisch abzusichern. So gehen seine Gedankengänge in ihren historischen Interpretationen zu weit, in ihren Begründungen verweisen sie zu eng auf das jeweils vorgestellte Ergebnis. Sie zeigen jedoch, daß angesichts des neuen Streitobjekts § 823 Abs. 1 die geläufigen Gründe für und wider das allgemeine Persönlichkeitsrecht zwar zurückgetreten sind, wenn auch nicht ganz an Bedeutung verloren haben. 2. Restriktive Bestimmung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts trotz extensiver Auslegung des subjektiven Rechts (Paul Eltzbacher) Die bis heute herrschende "Kombinationstheorie" , welche die eng begrenzte Fassung des subjektiven Rechts bei Savigny mit seiner ausgreifenden Bestimmung bei Jhering vermittelte7 , bot seitdem der Wissenschaft den Rahmen für verschiedene Interpretationen des subjektiven Rechts. Paul Eltzbacher ist ein Hauptvertreter der extensiven Auffassung, nach der das subjektive Recht nicht nur die gesamte Stellung der Person, sondern auch alle Vorschriften zu ihren Gunsten einschließt.8 Diese Bestimmung greift dogmatisch sehr weit; da sie das bloße Bestehen von Rechtsnormen von der Befugnis, den eigenen Willen Dritten gegenüber durchzusetzen, nicht genau unterscheidet, ermöglicht sie eine Verwechslung von Rechtsgut und Recht. Mit einer solchen Grundhaltung ist aber der Weg zu einer uneingeschränkten Befürwortung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts gewiesen. Eltzbacher beschreitet ihn, wenn auch mit Vorbehalten. Das Dasein eines Persönlichkeitsrechts ist für ihn nicht zu bezweifeln. Auch das Zaudern des Gesetzgebers kann ihn nicht irritieren: "Wo ein Gesetz eine Reihe von Einzelbestimmungen trifft, die lauter AnwenVgl. Seetzen, S. 71 mit weit. Hinw. Vgl. Eltzbacher, Die Handlungsfähigkeit nach deutschem bürgerlichen Recht, Bd. 1, Berlin 1903, S. 106 und 309. 7
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11. Teil: Allgemeines Persönlichkeits recht als subjektives Recht
dungen eines bestimmten Grundsatzes sind, ... (dürfen) wir nicht schon deshalb die Geltung des Grundsatzes in seinem ganzen Umfang für ausgeschlossen halten ... , weil der Gesetzgeber sich diesen Grundsatz nicht klar gemacht ... hat 9." Dieses Bedenken mündet in der Gewißheit: "Zugunsten des Einzelnen ist vorgeschrieben, daß niemand in gewissen Grenzen sein Leben, seine Freiheit, seine Ehre und seine anderen persönlichen Güter verletzen darf. Wie kann man bezweifeln, daß der Einzelne ein Recht an diesen persönlichen Gütern, also ein Persönlichkeits recht hati°?" Das allgemeine Persönlichkeitsrecht versteht Eltzbacher als Ausschließungsrecht, das den Genuß der persönlichen Güter, also der Persönlichkeit selbst und des damit untrennbar Verbundenen, gewährleisten soll.11 Im Unterschied zu Autoren, die im wesentlichen äußere Güter als schützenswert anerkennen, garantiert die Rechtsordnung nach Eltzbachers Auffassung auch die persönliche Stellung als Rechtsstellung, eben als das Persönlichkeitsrecht. Nicht einer Klasse von Persönlichkeitsrechten obliegt der Schutz der Persönlichkeit gegen einschneidende Beeinträchtigungen, sondern einem einheitlichen Rechtsinstitut. Allein diese Schutzfunktion ist als Qualität des Persönlichkeitsrechts objektiv anerkannt: einmal durch den Schadensersatzanspruch bei Verletzung der ersten vier Güter des § 823 Abs. 1 BGB, der ein Recht an diesen Gütern voraussetzt; zum anderen durch den ungeschriebenen Rechtssatz, wonach dem einzelnen ein Recht zur Abwehr strafbarer Handlungen zusteht, wie es § 823 Abs. 2 BGB zu entnehmen ist.12 Mit anderen hat Eltzbacher so auf eine Ausdehnung und dogmatische Veränderung des subjektiven Rechts hingearbeitet. la Nicht in Übereinstimmung mit ihnen befindet er sich in seinem Bemühen, das allgemeine Persönlichkeitsrecht weitgehend einzuschränken, so z. B. wenn er es, wie später A. Lobe, als Ausschlußrecht bestimmt und die Rechte an Namen, Firma, Warenzeichen und das Urheberrecht als Rechte an äußeren Gütern aus ihm ausgrenzt. 14 Diese Beschränkung mußte für das allgemeine Persönlichkeitsrecht durchaus nicht nur negative Folgen haben. Seine Begrenzung und genauere Bestimmung konnte dazu beitragen, es für Wissenschaft und Praxis annehmbarer werden zu lassen als in der weiten Gestalt, die ihm Gierke gegeben hatte. EZtzbacher, Die Unterlassungsklage, Berlin 1906, S. 94. EZtzbacher, Die Handlungsfähigkeit, S. 309. 11 Ebda., S. 304 f. 12 Vgl. Hermann, S. 15. 13 Vgl. Z. B. Bärger, S. 49. U Vgl. Eltzbacher, Die Handlungsfähigkeit, S. 306 f. t
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3. Kap.: Der Streit um das allg. Persönlichkeitsrecht nach 1900
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3. Die Begründung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts als subjektives Recht aus dem Ordnungszusammenhang von § 823 Abs. 1 und 2 BGB (Heinrich Lehmann) Eine differenzierte Begründung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts aus § 823 Abs. 1 BGB hat Heinrich Lehmann entwickelt. 15 Er geht aus von dem Unterschied zwischen § 823 Abs. 1 und Abs. 2 BGB: Wie das Eigentum bestimmen sich die sonstigen Rechte als absolute subjektive Rechte, sofern man sie, in Einklang mit der herrschenden Lehre, im Kontext mit dem Eigentum liest. 16 Davon sollen die vier Rechtsgüter ausgenommen sein. Beide, Rechtsgüter und absolute subjektive Rechte, stellt Lehmann dem Schutz sonstiger Interessen, den Abs.2 statuiert, gegenüber. Seine Interpretation der Rechtsgüter des Abs. 1 als Ausflüsse eines allgemeinen Persönlichkeitsrechts begründet er in doppelter Weise, wobei die dogmatisch-formale Beweisführung an Schlüssigkeit dem Hinweis auf die gesellschaftlichen Verkehrsbedürfnisse überlegen zu sein scheint. Mit dieser Interpretation setzt er sich von der herrschenden Lehre ab, die als den übergeordneten Gesichtspunkt der vier Rechtsgüter zwar eine hohe Persönlichkeitsbewertung, nicht aber ein Persönlichkeitsrecht im juristischen Sinn anerkennt. Lehmann dagegen setzt ein solches voraus: "Es ist klar, daß man bei einigermaßen korrekter Ausdrucksweise das Leben selbst nicht als Recht bezeichnen kann ... Man muß vielmehr scharf betonen, daß durch den Schutz der Rechtsgüter des Lebens usw. nur ein einziges Interesse, das am Genuß der eigenen Person (nicht an äußeren Gütern), nach verschiedenen Richtungen hin gesichert wird, und zwar in einer Form, die dasselbe den übrigen anerkannten Privatrechten im Gegensatz zu sonstigen Rechtsgütern gleichstellt. Besteht aber auch nur die Möglichkeit dieser Auslegung, so dürften die praktischen Bedürfnisse für sie den Ausschlag geben17." Die ansonsten wohl überlegte Beweiskette mündet abermals in dem häufig strapazierten sog. Bedürfnis der Praxis, dessen sich Befürworter wie Gegner des allgemeinen Persönlichkeitsrechts i. d. R. an jenem Punkt bedienen, an dem die Plausibilität des Arguments weitere Überlegungen überflüssig erscheinen läßt, an dem aber sein jeweiliger konkreter Inhalt zu überprüfen wäre. In einem zweiten Schritt folgert Lehmann aus dem Zusammenhang des Persönlichkeitsrechts mit den absoluten subjektiven Rechten und deren gemeinsamer Abgrenzung 15 Lehmann, Heinrich, Die Unterlassungspflicht im Bürgerlichen Recht, in: Abhandlungen zum Privatrecht und Prozeßrecht, Bd. 15, München 1906, S. 128 ff. 11 Lehmann, Heinrich, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Gesetzbuches, Berlin und Leipzig !1922, S. 56. 17 Ebda.
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von den geschützten Interessen des Abs. 2, daß das allgemeine Persönlichkeitsrecht ein subjektives Recht sein müsse, andernfalls läge ein Fehler des Gesetzgebers vor, wenn er die Rechtsgüter des § 823 Abs. 1 durch Abs. 2 geschützt sehen wollte. 18 Lehmanns Argumentation unterscheidet zwar die subjektiven Rechte von den weniger geschützten Rechtsgütern, will diese aber letztlich jenen gleichstellen, um den Genuß an der eigenen Person gewährleisten zu können; er begründet diese Forderung abermals mit dem globalen Hinweis auf die praktischen Bedürfnisse seiner Zeit nach verstärktem Persönlichkeitsschutz.
4. Zwischenbilanz einer das allgemeine Persönlichkeitsrecht ablehnenden Position (Andreas v. Tuhr) Zu den Gütern und Interessen, welche die Rechtsordnung schützt, gehört nach Tuhr auch die Herrschaft über die Person selbst. "Leib und Leben, Freiheit, Ehre etc. sind Objekte, deren Schutz sich jede Rechtsordnung zur Hauptaufgabe setzen muß."19 Problematisch bleibt freilich, wie der Rechtsschutz im einzelnen bestimmt ist, d. h. im konkreten Fall, ob er so weit reicht, den genannten Gütern den Schutz subjektiver Rechte zuzubilligen. Tuhr spricht sich grundsätzlich gegen ein Persönlichkeitsrecht aus, das die sonstigen Privatrechte begleitet.20 Einen Streit über die vier Rechtsgüter in § 823 BGB hält er für ergebnislos, da der Gesetzgeber eigens, um diese Frage nicht entscheiden zu müssen, die Rechtsfolgen konkret geregelt habe. 21 Diese Beobachtung trifft zu, allerdings mit dem Vorbehalt, daß der Gesetzgeber damit die Diskussion über das allgemeine Persönlichkeitsrecht und seine mögliche Anerkennung keinesfalls abbrechen wollte. Tuhr anerkennt die wichtige Funktion, die ein allgemeines Persönlichkeitsrecht für die Rechtspraxis erhielte, wenn er stattdessen § 826 als ausreichenden Schutz empfiehlt, der das "sogenannte Persönlichkeitsrecht" ersetzen soll: § 823 Abs. 1 BGB ist grundlegend für Schadenersatz bei fahrlässiger Eigentumsverletzung und Verletzung der sonstigen Rechte, § 826 begründet Haftung nur für vorsätzliche Schädigung.2! Seiner Ansicht nach fehlen für ein Persönlichkeits recht einige Voraussetzungen, wie sie ansonsten subjektive Rechte kennzeichnen: 1. "Während die subjektiven Rechte dem Berechtigten eine Herrschaft verleihen, ein Dürfen, das ihm sonst nicht zustehen würde (Eigentum), oder eine an sich allgemein zulässige Handlung zu seinen Gunsten monopoli-
Vgl. dazu auch Börger, S. 46 ff. v. Tuhr, Andreas, Der allgemeine Teil des Deutschen Bürierlichen Rechts, 1. Bd., Leipzig 1910, S. 148. 20 Ebda., S. 149. 21 Ebda., S. 150. ZI Ebda. 18 18
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sieren (Urheberrecht), fehlt hier beides: Leib und Leben verdankt man der Natur, die Freiheit des HandeIns ist ebenfalls ein natürlicher Zustand, der vom Gesetz zwar beschränkt werden kann, aber nicht geschaffen zu werden braucht;" 2. über Beginn und Ende des Rechts werde nichts ausgesagt bzw. dies sei in manchen Fällen zweifelhaft; 3. man könne diese Rechte nicht übertragen und auch nicht auf sie verzichten; 4. Inhalt und Umfang seien noch nicht gesetzlich geregelt; vielfach handele es sich sogar um Interessen, die überhaupt noch nicht anerkannt seien.23
Heute überzeugt es nicht mehr, dogmatisch vom Eigentum und dem ihm nachgeformten geistigen Eigentum bzw. Urheberrecht auszugehen. Vor allem ist Tuhrs Vertrauen in eine vorgegebene Integrität von Leib, Leben und Handlungsfreiheit keineswegs mehr selbstverständlich. Mangelnde übertragbarkeit und Verzichtbarkeit tragen, um das dritte Argument aufzunehmen, sein Plädoyer ebenfalls nicht; übertragbar ist u. a. auch nicht das Recht am eigenen Namen.!' Schließlich ist die Begrenzung eines Rechts, zeitlich wie inhaltlich, stets erst präzisiert worden, nachdem es als ein mögliches Recht zur Kenntnis genommen wurde. Beifallswert sieht Tuhr freilich die Anerkennung eines allgemeinen bzw. besonderen Persönlichkeitsrechts davon abhängen, ob jemand den Schadensersatz auszudehnen interessiert ist, oder ob er dies gerade fürchtet. Damit legt er die häufig mühsam vorgeschobenen dogmatischen bzw. historischen Argumente bloß, die die jeweilige Interessenlage nur vordergründig absichern konnten. Seine Diagnose lenkt den Blick auf eine juristische Metaebene, die von anthropologischen, politischen, sozialen, ethischen ete. Gesichtspunkten, verkürzt: von "Verkehrsbedürfnissen" , bestimmt wird. Konsequenterweise spricht Tuhr von dem "unbestimmten Rechtsgefühl" , das uns gerade in diesem schwierigen Bereich des Persönlichkeitsrechts leitet, wie es ihn dazu anhält, mit "Billigkeitserwägungen" für dieses "äußerste Grenzgebiet" des Rechts zu argumentieren. 25 Diese Ausflucht aus juristischer Stringenz in Zweckmäßigkeitserwägungen kritisiert Franz Neumann zurecht an Tuhr. 28 Darüber hinaus zeigt sich, wie schwer es fällt, die vom Eigentum als dem typischen subjektiven Recht geprägten Inhalte in der übertragung zu handhaben: Hat ein Recht eine andere Gestalt, kann es dogmatisch nicht unter diesen "eindeutigen" Begriff subsumiert werden. Fast alle Gegner des allgemeinen Persönlichkeitsrechts teilen den Standpunkt 23 24
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Ebda., S. 151. Vgl. Smoschewer, S. 189 f. Der allgemeine Teil, S. 151 f. Vgl. Neumann, Die Arbeitsfreiheit, Sp. 928.
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11. Teil: Allgemeines Persönlichkeitsrecht als subjektives Recht
Josef Ungers, wonach der Inhalt eines subjektiven Rechts grundsätzlich ein Haben aussagt, das Persönlichkeitsrecht jedoch der umgekehrten Position des Seins zuzuordnen sei. 27 Die Unsicherheit, die die "proteusartige" Gestalt des PersönlichkeitsreC'hts hei. seinen Verfechte rn und Gegnern hervorruft, schlägt sich stets in ungenauer Argumentation nieder. So auch bei Tuhr. Er vermeidet es, die Rechte genau zu bezeichnen, spricht vielmehr von "Zweifeln" bei "manchen Emanationen" und mangelnder Anerkennung. Das sind Bedenken eines juristischen Unbehagens, wie sie auch bei anderen Autoren bis heute formuliert werden. 28 Das Argument, weder Inhalt noch Umfang des Persönlichkeits rechts seien bisher gesetzlich geregelt, findet sich auch als Vorwurf der "Verschwommenheit"29 oder der "Unklarheit und Unsicherheit des Befugnisinhalts" 80. Die Anhänger der Lehre vom allgemeinen Persönlichkeitsrecht mußten einräumen, daß eine präzise Umschreibung wie beim Eigentum und anderen Herrschaftsrechten nicht möglich sei; schwer voneinander abzugrenzende Persönlichkeitssphären ergäben notwendig einen nur relativ zu fassenden Schutz81 ; im übrigen seien andere Rechtsbegriffe nicht minder schwer bestimmbar. Callmann etwa hat dies angesprochen in einem Vergleich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts mit den "guten Sitten" .32 Auch hier wieder das Plädoyer für eine praktische, den Bedürfnissen des Rechtsverkehrs angepaßte Gesetze san wendung bei nicht geregelten Rechtsgütern: Smoschewer schlägt vor, daraus die Folgerung zu ziehen und ein subjektives Recht anzuerkennen. 83 Ähnlich argumentiert Börger.84 Die Zuordnung zu den subjektiven Rechten berührt noch heute einen empfindlichen Nerv des Persönlichkeitsrechts. Dazu hat sich KrügerNieland 1961 im Karlsruher Forum geäußert. Sie hält Bedenken oder Einwände dagegen nur dann für begründet, wenn das Wesen eines subjektiven Rechts definitiv dadurch gekennzeichnet sei, "daß der Tatbestand seiner Verletzung eindeutig aus dem Gesetz oder doch aus festgefügten Wertvorstellungen der Rechtsgemeinschaft zu entnehmen 27 UngeT, Josef, System des österreichischen allgemeinen Privatrechts, Bd. I, Leipzig 81892, S. 540 ff. 28 Vgl. Hubmann, Das Persönlichkeitsrecht, S. 128 ff. 28 Vgl. Baumbach, Adolf, Das gesamte Wettbewerbsrecht, Berlin 21931,
S.68. 30 Wieruszowski, S. 229. 31 Vgl. SmoscheweT, S. 176 f. 32 Callmann, Der unlautere Wettbewerb, S. 30. aa Smoschewer, S. 189. 34 BörgeT, S. 53.
3. Kap.: Der Streit um das allg. Persönlichkeitsrecht nach 1900
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ist85 ." Dies ist nach ihrer Ansicht weder hier der Fall noch bei sonstigen absoluten Rechten, deren spezifischer Gehalt gerade erst anhand des jeweiligen Verletzungstatbestandes näher zu bestimmen sei. Die Autorin plädiert für das subjektive Recht als eine von der Rechtsdogmatik erarbeitete Rechtsfigur, die einmal als Resultat einer geschichtlichen Entwicklung, zum andern aber auch als rechtstechnisches Hilfsmittel den Freiheitsbereich des Einzelnen umreißt, und die schließlich im Persönlichkeitsrecht das Urbild des subjektiven Rechts verkörpert, dem nur über Generalklauseln Rechnung getragen werden kann. 3ß
5. Unbehagen an der Dogmatik als Grund für eine Wende zum allgemeinen Persönlichkeitsrecht (paul Oertmann) Oberflächliche Gesetzesauslegung wirft hingegen Paul Oertmann demjenigen vor, der die vier Lebensgüter anstandslos als subjektive Rechte anerkennt, ohne den Zusatz "oder ein sonstiges Recht" in § 823 Abs. 1 BGB gebührend zu beachten. Er begründete 1906 seinen Verzicht auf eine grammatische Auslegung damit, daß sie ausschließlich den Bezug auf das Eigentum herstelle.87 Dies setzt allerdings voraus, daß eine alternative Strukturierung das theoretische Konzept untermauert. Stattdessen verweist Oertmann auf Sachautorität, nämlich auf die Kommission für das BGB, die negativ entschieden habe. Die Entwicklung des § 823 Abs. 1 lehrt jedoch, daß darin keine grundsätzliche Gegnerschaft des Gesetzgebers gemutmaßt werden kann. Einige Jahre später, 1925, spricht Oertmann in einer Abhandlung über die Struktur der subjektiven Privatrechte von einer grundsätzlichen Wende zugunsten der Anerkennung solcher Rechte, "wenn sie auch nicht im entferntesten den Umfang und die Bedeutung aufweisen dürften, den Gierke und andere Germanisten ihnen zuschreiben, und wenn auch die Beweisführung durch den verunglückten § 823 Abs. 1 BGB sicherlich versagt hat."88 Deutlich rückt er von seiner früheren Ansicht ab; sichtlich distanziert umreißt er jenes "frühere" Problembewußtsein der Wissenschaft, das sich etwa mit der engen Sicht des subjektiven Rechts oder einem Zusammenfallen von Subjekt und Objekt abgemüht habe. Für wichtiger als diese Innenschau hält Oertmann nun die Außenwirkung eines allgemeinen Persönlichkeitsrechts, das den absoluten Schutz, dessen es bedürfe, in neueren Gesetzen auch erU KTÜger-NieZand, Gerda, Grundprobleme der Haftung im § 823 Abs. 1 BGB, Karlsruher Forum, Karlsruhe 1961, S. 17. 88 Ebda., S. 18. 87 Bürgerliches Gesetzbuch, Allgemeiner Teil, Das Recht der Schuldverhältnisse, Berlin 1906, S. 941. 88 Zur Struktur der subjektiven Privatrechte, in: AcP 1925, S. 129 ff. (139).
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11. Teil: Allgemeines Persönlichkeits recht als subjektives Recht
halten habe; im Unterschied zu anderen Rechten werde der Mensch durch das Persönlichkeits recht in dem geschützt, was er sei und was er tue. 30 Oertmanns veränderte Auffassung deutet auf eine grundsätzliche Anerkennung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts hin, ohne dessen Charakter genauer bestimmt zu haben: Seine "Innenseite", also wohl sein dogmatischer Bestimmungsort, sollte nicht mehr die frühere Relevanz beanspruchen; zudem schien er überhaupt nicht bestimmbar zu sein. Wenn es sinnvoll und auch legitim erscheint, die Ausarbeitung eines Persönlichkeitsrechts im Rahmen der gesetzgeberischen Normierungen aus dem Bedürfnis danach zu begründen, so verrät doch implizit dieser Standpunkt eine ungeduldige, ja kritische Haltung gegenüber befriedigenden Lösungsmöglichkeiten der Dogmatik. Oertmanns Ausweg entspricht einer Zeitströmung, die das subjektive Recht entweder anders, z. B. als Genußrecht zu bestimmen suchte, oder sich um Dogmatik wenig bemühte. 40 Dahinter dürfte häufig die resignative Skepsis etwa eines Eugen Ehrlich zu vermuten sein: "Tatsächlich verkleidet die Jurisprudenz als subjektives Recht nur die Interessen, die in den Rechtsverhältnissen privat rechtlich geschützt werdenu." Dieselbe Haltung spiegelt sich in W. Muscheidts kritischem Hinweis auf den hermeneutischen Zirkel, der unvermeidbar sei, sofern man unbedenklich von einem Begriff des subjektiven Rechts ausgeht, der seinerseits ebenso bedenkenlos gebildet worden ist; man werde dann notwendig zu einer Ablehnung gelangen, wenn das betreffende Objekt nicht vorher mit unter den Inhalt des Begriffs ge faßt worden sei. Erfolgversprechender sei, die Schutzwürdigkeit der jeweiligen Interessen im Hinblick auf die Rechtsordnung festzustellen; hier allein fände man die Kriterien für einen wirksamen Rechtsschutz. 42
6. Entstehungsgeschichte und mangelndes Verkehrsbedürfnis als Argument gegen ein allgemeines Persönlichkeitsrecht im Sinne eines subjektiven Rechts (Gottlieb Planck:) Planck nähert sich der Frage, ob das Recht der Persönlichkeit an Leben, Körper, Ehre etc. ein subjektives Recht oder nur geschütztes Rechtsgut ist, von zwei Seiten. Seine ausführliche Interpretation der Entstehungsgeschichte und der jetzigen Fassung des § 823 Abs. 1 führt ihn zu dem Ergebnis, das BGB habe ein Persönlichkeitsrecht als subjektives Recht grundsätzlich nicht anerkennen wollen. 43 Der unerläß38 Ebda., S. 140 f. 40 Vgl. Wieruszowski, S. 228 f. und Smoschewer, S. 163 ff. 41 Juristische Logik, Berlin 1918, S. 194.
'I Vgl. Muscheidt, S. 29.
43 Plancks, G., Kommentar Bd. I, Berlin '1913, S. 7 f., unverändert zu Bd. I, 31903, S. 56 f.
3. Kap.: Der Streit um das allg. Persönlichkeitsrecht nach 1900
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liche Hinweis jedoch fehlt, daß damit keine Entscheidung für die Zukunft getroffen, sondern diese Rechtsprechung und Wissenschaft überlassen werden sollte. Auch seine Untersuchung des zweiten Problemkreises, d. h. der Frage, was unter dem "sonstigen Rechte" in § 823 Abs. 1 zu verstehen sei, führt ihn nicht zu einem anderen Ergebnis. 44 In der dritten Auflage seines Kommentars, 1904, wendet er gegen die Befürworter eines allgemeinen Persönlichkeitsrechts ein, es entspreche nicht dem Sprachgebrauch, das Leben etc. als Recht zu bezeichnen; man könne deshalb im Zweifel nicht annehmen, daß das Gesetz die Güter in diesem Sinn eingef~hrt habe. 45 Der Aussage läßt sich schwerlich widersprechen; sie deckt sich zudem mit den "begründeten Zweifeln", wie sie bereits die Motive äußern. Doch ist das Argument zu pauschal und dient allein der Abwehr, keiner sinnvollen Weiterführung der Diskussion: Es kann nicht einfach darum gehen, das Leben als Recht zu behaupten; erforderlich war vielmehr, die im 19. Jahrhundert diskutierte Frage aufzunehmen, inwieweit es ein Recht am Leben, an Äußerungen des Lebens, an Teilen etc. gibt. Planck verfestigt den status quo, indem er die in ihm aufgehobenen Fragestellungen leugnet. In diesem Sinn verwahrt er sich auch in der 4. Auflage von 192846 gegen ein allgemeines Persönlichkeitsrecht mit dem Hinweis auf die Ablehnung der Praxis. Eine solche Orientierung ist geeignet, ein veränderndes Rechtsbewußtsein tradierten Zuständen zu verpflichten. Planck besteht darauf, daß nicht zwangsläufig ein subjektives Recht dort vorliege, wo eine Rechtsvorschrift jemanden zugunsten eines anderen einschränke; er schlußfolgert daraus, daß die unter den Schutz des § 823 Abs. 1 gestellten Rechtsgüter nicht als subjektive Rechte, sondern lediglich als rechtlich geschützte Interessen zu verstehen seien, deren Kreis man auf die in Abs. 1 genannten Güter beschränken müsse. Weder Begründung noch Konsequenz können befriedigen; ihre verkürzte Form zeigt apodiktische Endgültigkeit, wo Differenzierung nötig wäre: Die zitierte praktische Rechtsanwendung trug durchaus das Bedürfnis nach einem allgemeinen Persönlichkeitsrecht wie sogar seine tendenzielle Verwirklichung in sich; sie hat gerade deshalb den Ausweg über die §§ 826, 1004 BGB gewählt, um den "Verkehrsinteressen" zu genügen. Wenn Planck eine Anerkennung der Rechtsgüter des § 823 Abs. 1 als subjektive Rechte verhindern will, dann liegt seiner Position ein bestimmtes, nicht näher erörtertes Vorverständnis zugrunde, dem sich die Sache zu beugen hatte. " Bd. 11, 31904, S. 968 ff.; in den Grundlinien noch unverändert 41928, Bd. 11, 2. Hälfte, S. 1713 ff. 45 Bd. 11, S. 972. 48 Bd. 11, S. 1718 f.
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11. Teil: Allgemeines Persönlichkeitsrecht als subjektives Recht 7. Ablehnung des Persönlicbkeitsrechts als subjektives Recht wegen zu weitreichenden Normschutzes (Enneccerus I Lehmann)
Die Willensmacht des Menschen erstreckt sich nach Enneccerus nicht nur auf ihm Äußerliches, sondern auch auf seine Person selbst; der Schluß auf ein Recht an der eigenen Person verstoße somit nicht gegen dogmatische Grundlagen. Enneccerus bezweifelt daher auch nicht grundsätzlich die Legitimität von Persönlichkeitsrechten. Freilich reiche der bisherige "gewisse" Persönlichkeitsschutz auf straf-, polizei- und zivil rechtlichem Gebiet aus; zudem sieht er keine Rechtsvorschrift, welche die persönliche Sphäre als subjektives Recht bestimmt, sei es durch Grundsätze über Entstehen und Untergehen der Rechte oder durch eine Zivilklage." Da er außerdem das Bedürfnis nach einem grundlegenden allgemeinen Persönlichkeitsrecht leugnet, gelangt er zu dem Resultat: "Die Einreihung eines allgemeinen Persönlichkeitsrechts unter die subjektiven Rechte würde der Entfaltung anderer Persönlichkeiten schwere Hemmnisse auferlegen und den Fortschritt hindern48 ." Enneccerus' Argumentation belegt einmal mehr die Schwierigkeiten, das allgemeine Persönlichkeitsrecht dogmatisch dem vorhandenen Rahmen einzufügen und gleichzeitig zu erweitern. Die Feststellung, es fehle ein Bedürfnis für das allgemeine Persönlichkeitsrecht, widerspricht fast leichtfertig den sozialen, wirtschaftlichen und rechtlichen Verhältnissen; zumindest hätte das ernsthafte Begehren der Befürworter bessere Gegenargumente gefordert. So bleibt seine Feststellung Behauptung; dies gilt auch für die Spekulation, daß die Einreihung eines allgemeinen Persönlichkeitsrechts unter die subjektiven Rechte die Entfaltung anderer hemmen, ja den Fortschritt insgesamt hindern könne. Unbegründet und unbewiesen trägt diese Aussage nichts zu einer sinnvollen Entwicklung bei. Ausführlicher behandeln Enneccerus und Heinrich Lehmann das allgemeine Persönlichkeitsrecht im "Recht der Schuldverhältnisse" .49 Sie stellen grundsätzlich fest, daß Leben, Körper etc. deshalb in § 823 Abs. 1 ausdrücklich und als Rechtsgüter genannt seien, weil sie gerade nicht zu den subjektiven Privatrechten gehörten. Das sei, 1927 ebenso wie 1950, herrschende, wenn auch nicht unbestrittene Ansicht. Die grammatische Verbindung zwischen den vier Rechtsgütern, dem Eigen47 Enneccerus / Kipp / Wolf!, Lehrbuch des Bürgerlichen Rechts, 1. Bd., Marburg 1931, 13. Bearb. v. Nipperdey, H.-C., S. 215; inhaltlich wie dies., Lehrbuch des Bürgerlichen Rechts, 1. Bd. 1. Abt., Marburg 1924, 10. Bearb.,
S. 168 ff.
Ebda. Marburg, 101927, S. 663; im wesentlichen unverändert, allerdings mit Tendenz zur Aufgabe dieser Ansicht: Freiburg 13 1950, S. 881 ff. 48 49
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turn und einem sonstigen subjektiven Recht halten sie zwar für möglich, wenn auch für abwegig. Dies zu konzedieren hieße, daß auch andere persönliche Lebensgüter wie Ehre, Stand etc. zu einer Anerkennung als subjektive Rechte drängen würden. Diese Weiterungen mögen zwar problematisch sein, eine Diskussion um ihre etwaige Anerkennung ist jedoch kein schlüssiger Einwand gegen die "Rechtsgüter" des § 823 Abs. 1 und ihren persönlichkeitsrechtlichen Charakter. Der Vorwurf einer pauschal ablehnenden Haltung kann die bei den Autoren nicht treffen, wenn sie beispielsweise ein Recht auf Leben etc. als subjektives Recht anerkennen. Tatsächlich ist es ja problematisch, des Wortlauts von § 823 Abs. 1 wegen Leben, Körper etc. als Rechte zu bezeichnen, will man nicht annehmen, der Gesetzgeber habe sich einer "höchst laxen und unlogischen Ausdrucksweise" bedient.5o Um dem zu entgehen, ziehen Enneccerus und Lehmann die Entstehungsgeschichte heran; die Kommission habe die vier Persönlichkeitsgüter nie zu den subjektiven Rechten gezählt, abweichende Redewendungen einzelner Kommissionsmitglieder und die der Denkschrift könne man außer Betracht lassen. Damit übergehen sie freilich die Unentschiedenheit der Kommission, die sich gerade in diesen abweichenden Äußerungen ausdrückt. 51 In der 13. Auflage endlich, 1950, findet sich das wesentliche Argument für die Ablehnung: Lehmann wendet sich, wie schon Tuhr, gegen eine Ausweitung des Normenschutzes, welcher durch die Aufnahme zusätzlicher Lebensgüter unter die sonstigen Rechte des § 823 bewirkt würde. Es sei grundsätzlich rechtspolitisch falsch, "weiteren Normenschutz durch willkürliche Einreihung beschränkt geschützter Rechtslagen unter den Begriff des subjektiven Rechts" zu erschleichen.52 Immerhin konzediert Lehmann inzwischen eine mögliche Anerkennung eines allgemeinen Persönlichkeits rechts in § 823 Abs. 1 als "Denkform" , um den Schutz der Persönlichkeitssphäre behutsam auf dem AnalogieWege auszudehnen; nach seiner Meinung könne dies jedoch noch keinen allgemeinen Persönlichkeitsschutz mit sich bringen.53 Zögernd nimmt er so den relativ fortgeschrittenen Stand der Rechtsprechung des Reichsgerichts auf, der kurze Zeit später zur Anerkennung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts durch den BGH führen sollte.
50 51 GI
53
10. Aufl., S. 663. Ebda., S. 664.
13. Aufl., S. 882.
Ebda.
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11. Teil: Allgemeines Persönlichkeitsrecht als subjektives Recht
8. Das Persönlichkeitsrecht als bloße Rechtskategorie, nicht als subjektives Recht (A. Wieruszowski) Wieruszowski gehört zu denen, die das allgemeine Persönlichkeitsrecht gegen Ende der 20er Jahre in Annäherung an die Rechtsprechung des Reichsgerichts als praktikables Hilfsmittel für rechtstheoretische Erörterungen, freilich ohne Anspruch auf unmittelbare Umsetzung als subjektives Recht, ansahen. 54 Der Verfasser lehnt zunächst jede Lehre ab, die dadurch, daß sie ein Herrschaftsverhältnis des Menschen über seine eigene Persönlichkeit leugnet, nicht imstande ist, ein absolutes Recht zu begründen. Er sucht deshalb, über die Kritik des subjektiven Rechts-Begriffs zu dessen neuer Ausdeutung zu gelangen: "Erblickt man das Wesen des subjektiven Rechts in einer durch die Gebote der Rechtsordnung geschützten Willensmacht, so mag es allerdings schwer sein, zur Annahme einer die eigene Persönlichkeit erfassenden Willensmacht zu gelangen. Aber trägt nicht diese Auffassung des subjektiven Rechts ganz deutlich die Spuren individualistischen Denkens an sich, und sollte sie mit dem Wandel dieses Denkens nicht auch eine subjektivistische Wandlung erfahren haben5G ?" Wer, den Tendenzen der Zeit entsprechend, unter dem subjektiven Recht die Sicherung des jeweils individuellen Genusses an den zu Rechtsgütern erhobenen Lebensgütern versteht, für den ist nach Auffassung des Autors ein allgemeines Persönlichkeitsrecht nicht problematisch. Um so verblüffender wirkt nach dieser Feststellung des Autors eigenes Plädoyer, das sich gegen die Aufnahme des allgemeinen Persönlichkeitsrechts in das geltende Recht ausspricht, aus den bekannten Gründen: Sein Umfang sei nicht bestimmt, seine Grenzen unklar, und der Freirechtsbewegung würde zu viel Spielraum überlassen; hingegen sei es sinnvoll, scharf umrissene einzelne Persönlichkeitsgüter anzuerkennen. 58 Mit einer tendenziell veränderten Rechtsprechung des Reichsgerichts übereinstimmend, will er den Gedanken des Persönlichkeitsrechts auf eine bloße "Rechtskategorie" reduzieren, die Wissenschaft und Praxis befruchten soll. Besondere Sorge bereitet dem Autor, daß durch die Rechtsprechung die Schutzgrenzen der Person zu sehr ausgeweitet würden und, wie Ludwig Raiser es formuliert: "das Pathos des Persönlichkeitsschutzes in dem Maße an Lautstärke" zunimmt, "in dem nach allen Beobachtungen der Soziologen, Psychologen und Seelsorger die Kraft allgemein nachläßt, ein eigenständiges, selbstverantwortliches Personsein vor Gott und den Menschen durchzuhalten57 ." 64
65 68 67
Vgl. Hermann, S. 16. Wieruszowski, S. 228. Wieruszowski, S. 229. Raiser, S. 471.
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Gemessen an den tatsächlichen Möglichkeiten ihrer Verwirklichung befürchtet Raiser freilich zu Unrecht eine überdehnung der Schutzgrenzen. 58 Mit Wieruszowski wird eine Strömung deutlich, welche, da sie die Entwicklung der besonderen Persönlichkeitsrechte für sinnvoll und notwendig hält, nicht an einer, wenn auch nur theoretischen Anerkennung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts als Rechtskategorie vorbeikann.
9. Das allgemeine Persönlicbkeitsremt
als "Mutterboden" für besondere Persönlichkeitsremte, nicht als
subjektives Remt (Walter 8mönfeld)
Dieser Tendenz ist auch Walter Schönfeld verpflichtet. Seine Abhandlung über das subjektive Recht und das allgemeine Persönlichkeitsrecht ist eine der gründlichsten, differenziertesten. Er geht aus von einer rechtsphilosophischen Betrachtung, mit dem Ergebnis, daß das Persönlichkeitsrecht als Rechtsstellung Freiheit und Unverletzlichkeit beinhaltet, also aktives Handeln und Geschütztsein der Person. Die Persönlichkeit wird in ihrer Würde, d. i. der Zusammenfassung von Freiheit und Unverletzlichkeit, durch § 823 Abs. 1 geschützt. In jedem Fall, "besteht mit dem allgemeinen Personenstand ein allgemeines Persönlichkeitsrecht ... , das sich in seine Besonderheiten auseinanderlegt oder ,ausgliedert' ...69 Somit ist das allgemeine Persönlichkeitsrecht, bildlich gesprochen, der Mutterboden, aus dem die besonderen Rechte im Laufe der Geschichte herauswachsen, sobald eine neue Seite, ein neues Glied der kulturellen und rechtlichen Persönlichkeit sich herausgebildet hat. Aber gerade darum steht es mit diesem nicht auf einer Stufe und gleichem Range, da das Allgemeine mit dem Besonderen nicht in Wettbewerb zu treten vermag, indem es als Ganzes in und nicht außer seinen Teilen istGO." Die Position des Persönlichkeitsrechts in der Rechtsordnung läßt sich nur kennzeichnen durch seine Rechtsnatur, d. h. ob es sich als subjektives Recht bestimmt. Das subjektive Recht selbst charakterisiert Schönfeld mit Bezug auf B. Windscheid als Rechtsmacht eines Subjekts über ein Objekt; ein echtes subjektives Recht bedeutet demnach das "eigentümliche Haben eines Objekts". Diese traditionelle Einschätzung zeitigt zum wiederholten Male die Konsequenz, dem Persönlichkeits68 Vgl. Weber, Max, Rechtssoziologie, Neuwied / Berlin 1967, S. 167 und Larenz, Karl, Lehrbuch des Bürgerlichen Rechts, Allg. Teil, München 71967 u.a. 59 Schönjeld, Walter, Rechtsperson und Rechtsgut im Lichte des Reichsgerichts, in: Die Reichsgerichtspraxis im deutschen Rechtsleben, Bd. I1, Berlin 1929, S. 215. GO Ebda.
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11. Teil: Allgemeines Persönlichkeitsrecht als subjektives Recht
recht die Natur des subjektiven Rechts abzusprechen, da in der Rechtsperson die Identität von Subjekt und Objekt ein Rechtsverhältnis ad absurdum führe. 81 Scharfsinnig unterlegt Schönfeld der Rechtsprechung ein allgemeines Persönlichkeitsrecht, der Ablehnung des Reichsgerichts und seiner Bestimmung des subjektiven Rechts zum Trotz: Die besonderen Ausprägungen, wie sie von Gesetzgeber und Rechtsprechung anerkannt sind, verdanken ihre Existenz einem allgemeinen Persönlichkeitsrecht, das ihnen als "Mutterboden" zugrundeliegt; sie sind keine subjektiven Rechte im materiellen Sinn, höchstens im formellen Sinn durch Rechtsbehelfe wie Unterlassungs- und Schadensersatzklage. Dies bedingt eine Schutzform, bei der "das Eigentum als deren Ur- und Vorbild an der Spitze marschiert."82 Er plädiert gegen starre Rechtsanwendung, stattdessen für vorsichtige Analogie, um Lücken zu schließen. Wenn Schönfelds Argumentation auch in traditionellen SubjektObjekt-Vorstellungen und einer dogmatisch restriktiven Auffassung vom Charakter des subjektiven Rechts befangen bleibt, so zeichnet sie sich demgegenüber durch genaue Kenntnis der Intentionen des Reichsgerichts aus, denen die behutsame Annäherung an das allgemeine Persönlichkeitsrecht, vorerst als "Denkbegriff", zu dieser Zeit nicht mehr fern liegt. So sieht sich Schönfeld mit dem Reichsgericht nicht im Widerspruch, wenn er das Persönlichkeitsrecht vorsichtig in das für die Praxis noch unverbindliche Zentrum des Rechtssystems rückt. 83
10. Die dogmatische "Charakterlosigkeit" des allgemeinen Persönlicbkeitsrecbts Mit der Ablehnung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts einerseits, seiner Bestimmung als subjektives Grundrecht andererseits ist das dogmatische Spektrum, das der Gesetzgeber des BGB vorfand, weitgehend abgesteckt. Die aus der Diskussionsbreite resultierende Problemfülle läßt die Zurückhaltung des Gesetzgebers verständlich werden; insbesondere von germanistischer Seite wurde wegen der offenbaren Unmöglichkeit, zu einem übereinstimmenden Ergebnis zu gelangen, Kritik an einer dogmatisch orientierten Haltung überhaupt geübt. 84 Seitdem hat der Streit im Schrifttum erheblich zugenommen; in der Praxis ließ er schließlich den BGH alle dogmatischen Bedenken gegenüber dem subjektiven Recht aufgeben zugunsten einer forcierten Anerkennung dieses Rechts. 85 R. Scheyhing spricht deshalb zu Recht 81 Ebda., S. 217. 82 Ebda., S. 256. 83 Ebda., S. 271. 84 Vgl. Noack, Harald, Sozialstaatsklauseln und juristische Methode, Baden-Baden 1975, S. 39 - 102. 65 Zur Anerkennung eines allgemeinen Persönlichkeitsrechts durch den BGH s. S. 238 f.
3. Kap.: Der Streit um das allg. Persönlichkeitsrecht nach 1900
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von dem Widerspruch eines Rechtsinstituts, das zwar im Zentrum der Rechtsordnung angesiedelt ist, bei dem aber die gewöhnliche Methode der Dogmengeschichte versagt. 68 In der Literatur wurde die Revision der bisherigen Praxis scharf kritisiert. 67 Gleichwohl räumte man das Ungenügen ein, die persönlichen Rechtsgüter weiterhin mit der unzureichenden Denkform des subjektiven Rechts zu erfassen, da dieser Weg bei der heutigen Aktualität des Persönlichkeitsschutzes zu einem Wettlauf um die Ausbildung neuer subjektiver Rechte geführt habe. 6s Sei dies schon problematisch bei Persönlichkeitsrechten wie dem am gesprochenen Wort, so zeige sich die schiere Unmöglichkeit in dem Versuch, auch ein allgemeines Persönlichkeitsrecht als subjektives Recht zu definieren69 • Es wäre jedoch falsch, die Denkform des subjektiven Rechts preiszugeben ohne dogmatisch befriedigende Ersatzfiguren. Schon seit geraumer Zeit wird gegen die klassische Lehre vom subjektiven Privatrecht eingewandt, sie habe es unternommen, diesen Begriff "zur ausschließlichen Grundlage der Auffassung des Privatrechts zu machen" .70 Eine Kontinuität "im ideologisch fundierten Bekenntnis zur Denkfigur des subjektiven Rechts" wird mit diesem distanzierten Einwand zumindest in ersten Ansätzen aufgekündigt.71 Weiter geht eine Kritik wie die Helmut Coings, welche gleichzeitig mit den Zusammenhängen, in denen sich die Figur des subjektiven Rechts entwickelt hat, auch deren Veränderbarkeit aufzeigt, sie also nicht als vom Gegenstand gelöste ratio sich selbst überläßt. 72 Auch eine Kritik wie die Hans Kelsens, der gleichfalls einer vermuteten ideoloZur Geschichte des Persönlichkeltsrechts, S. 504. Vgl. Hubmann, Das Persönlichkeitsrecht, S. 6 Anm. 12, S. 109 Anm. 6. Zu neueren Versuchen, das subjektive Recht (gegen Hubmann) zu bestimmen, vgl. Klinger, S. 45 ff. und Wien, Frank, Das allgemeine Persönlichkeitsrecht im Lichte neuesten Schrifttums und der neuesten Rechtsprechung, Diss. Marburg 1961, S. 25 ff. mit weit. Hinw. 18 Vgl. Müller, Jörg-Paul, Die Grundrechte, S. 34. I. Vgl. ebda. Nach Siebert, Wolfgang, Zur allgemeinen Problematik des Persönlichkeitsrechts, in: NJW 1958, S. 1369 ff. (1373) liegen die Gründe, die gegen ein allgemeines Persönlichkeitsrecht zu sprechen scheinen, hauptsächlich auf rechtsdogmatischem Gebiet, speziell in der bestimmten Eigenart der Lehre vom absoluten subjektiven Recht. 70 Coing, Zur Geschichte des Privatrechtssystems, S. 55. 71 Raiser, S. 465. 72 Vgl. dazu Thoss, Peter, Das subjektive Recht in der gliedschaftlichen Bindung, Zum Verhältnis von Nationalsozialismus und Privatrecht, Frankfurt/Mo 1968, S. 24: "Was einem liberalen System die Person und Recht sind, können sie einem sozialstaatlichen nicht sein." Vgl. auch LaTenz, Karl, Entwicklungstendenzen der heutigen Zivilrechtsdogmatik, in: JZ 1962, S. 105 ff. und Scholler, Heinrich, Person und Öffentlichkeit, München 1967, S.357. 6S
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11. Teil: Allgemeines Persönlichkeitsrecht als subjektives Recht
gischen Funktion oder Fundierung des subjektiven Rechts nachspürt, führt weiter. Diese ist nach seiner Ansicht geeignet, die Vorstellung aufrechtzuerhalten, daß das subjektive Recht, insbesondere das Privateigentum, "eine gegenüber dem objektiven Recht transzendente Kategorie sei ... Der Begriff eines vom objektiven Recht verschiedenen und ihm gegenüber unabhängigen subjektiven Rechts wird um so wichtiger, wenn jenes, d. h. die die Institutionen des Privateigentums noch gewährleistende Rechtsordnung, als eine wandelbare und sich stetig wandelnde, durch menschliche Willkür geschaffene und nicht auf dem ewigen Willen der Gottheit, auf der Vernunft oder auf der Nation ruhende Ordnung erkannt wird."73 Heute wird dem Geltungsbereich des subjektiven Rechts durch die Rechtsordnung eine engere Grenze gezogen; die Evolution von Persönlichkeitsrechten und allgemeinen Persönlichkeitsrechten auf der einen Seite ermöglicht jene Beschneidung der anderen Seite, wie sie gegenüber dem Rechtszustand noch der Jahrhundertwende deutlich wird. L. Raiser vertieft die Fragestellung rechtspolitisch, indem er sich überlegt, ob eine solche Korrektur ausreicht, ja, ob die Denkfigur des subjektiven Rechts der einzige und notwendige Ausdruck für die Stellung der Person im Recht sein müsse. Die Antwort fällt bei ihm negativ aus; er plädiert deshalb dafür, die Funktion des subjektiven Rechts überhaupt zu begrenzen. 74 Unbehagen wie explizite Kritik beruhen auf der Aporie, welche seit Savigny und Puchta die unterschiedlichen Auffassungen über Dogmatik und Methodik am Beispiel des Persönlichkeits rechts bis heute kennzeichnet. Sie hat dazu geführt, daß sich die Entwicklung dieses Rechtsinstituts scheinbar neben dogmatischen Postulaten vollzogen hat, die sich einerseits aus ihrem Realitätsbezug gelöst und verselbständigt hatten, andererseits um so leichter von fragwürdigen "Verkehrsbedürfnissen" bestimmbar waren. Im Grunde war es das Persönlichkeitsrecht als immaterielles Recht, welches seinerseits auf eine verkrustete Dogmatik zurückgewirkt und dazu beigetragen hat, daß das heutige kritische Eigentumsverständnis, wie es mehr und mehr den absoluten Charakter dieses subjektiven Rechts zugunsten relativierender Schranken in Frage stellt, einem moderneren gesellschaftlichen Eigentumsbegriff Rechnung trägt. Damit aber, scheint mir, nimmt es die von Gierke postulierte "Sozialpflichtigkeit" in sich auf, die nach dessen Intentionen ohnehin nicht auf das Privatrecht beschränkt sein sollte.76 73 Kelsen, S. 43. 74
Kelsen, S. 471 f.
75 Zur Entwicklung des subjektiven Rechts grundsätzlich Preuß, Ulrich K., Die Internalisierung des Subjekts. Zur Kritik der Funktionsweise des subjektiven Rechts, Frankfurt/M. 1979, insbesondere S. 15 - 30 (Begriffsgeschichte des subjektiven Rechts). Vgl. auch Brehmer / Voegeli, Das allgemeine Persönlichkeitsrecht, in: JA 197.8, S. 374 ff. und 492 ff.
Viertes Kapitel
Beiträge des Schrifttums zur Entwicklung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts au6erhalb der Diskussion um ein subjektives Recht 1. Die Wirkung der GrundreclJ.tsartikel der Weimarer Verfassung für ein allgemeines PersönliclJ.keitsrecht 1930 glaubt F. Smoschewer die Persönlichkeit als Rechtsgut anerkannt; daran dürfe spätestens seit der Weimarer Reichsverfassung von 1919 kein Zweifel mehr bestehen. 1 Seine Ansicht wurde entschieden abgelehnt2 ; erst Anfang der 50er Jahre, nach dem Ausbau der Grundrechte im Grundgesetz, bediente sich der BGH solcher Ansätze, um ein allgemeines Persönlichkeitsrecht aus Grundsätzen der Verfassung abzuleiten. Fritz Smoschewer knüpft an den zweiten Haupttitel der Weimarer Verfassung, "Grundrechte und Grundpflichten der Deutschen", bzw. an dort "erkannte Grundwahrheiten" an, die ein ungestörtes, freies und würdiges Dasein in einer sozialen Gemeinschaft gewährleisten sollen. Das Recht der Persönlichkeit beruht nach seinem Verständnis auf den Grundpfeilern Frieden, Freiheit und Achtung, die ihrerseits als Grundrechte wiederum Ausfluß der Persönlichkeit sind.3 Der Autor verweist auf einen ganzen Katalog von Grundrechtsartikeln, deren Inhalt seine These stützten; er entzieht sich freilich nicht dem Einwand, die Artikel könnten lediglich programmatischen Charakter haben oder Anweisungen für Gesetzgebung und Verwaltung beinhalten, ohne für den einzelnen subjektive Rechte im Verkehr mit Dritten zu begründen. Eine unterschwellige Unsicherheit verrät der Hinweis auf die Bedeutung dieser Grundrechtsartikel für eine künftige Rechtsprechung wie auch die Gewißheit: "Die Persönlichkeit des Einzelnen, ihr freies, ungestörtes und menschenwürdiges Dasein in körperlicher, geistiger, religiöser, sozialer und wirtschaftlicher Bedeutung ist von der Verfassung als Rechtsgut anerkannt4 ." Der noch bestehende Mangel an flankierenSmoschewer, S. 173. Vgl. Hermann, S. 16. a Smoschewer, S. 174. 4 Smoschewer, S. 175.
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11. Teil: Allgemeines Persönlichkeitsrecht als subjektives Recht
den zivilrechtlichen Sanktionen hätte seiner Meinung nach durch diE:: actio quasi negatoria bei zukünftigen Eingriffen behoben werden können. Smoschewer greift auf ein Verständnis der Grundrechte im Privatrecht zurück, wie es heute unter dem Stichwort Drittwirkung der Grundrechte erörtert wird. 5 Hugo Preuß zufolge, dem Verfasser des Entwurfs, beinhaltet die Weimarer Verfassung in der überwiegenden Zahl der Grundrechtsbestimmungen derartige programmatische Erklärungen, "Wechsel auf die Zukunft".6 "Immerhin blieb eine Reihe von Grundrechtsartikeln der Weimarer Reichsverfassung unmittelbar anwendbar, wie die früher erwähnten, dem BGB entnommenen Artt. 118 und 159 oder die Garantie der Vertragsfreiheit und das Verbot des Wuchers und sittenwidriger Rechtsgeschäfte (Art. 152), ...7." Obwohl niemand Smoschewers etwas erzwungene Erklärung, das Persönlichkeitsrecht sei durch die Weimarer Verfassung anerkannt, unterschreiben mochte, bleibt es doch unverständlich, daß seine Gedanken so wenig Resonanz fanden. Selbst in der neueren Literatur bezieht sich niemand auf seine für die heutige Auffassung wegweisende überlegung. Das verwundert um so mehr, als in den zwei Jahrzehnten nach Verabschiedung der Weimarer Reichsverfassung gerade die privatrechtliche Wirkung der Grundrechte sehr umstritten war: Art. 118 Abs. 1 S. 2 WV war der Hauptanwendungsfall, der von der Lehre restriktiv ausgelegt wurde; als "Paradefall" folgte Art. 159. "Bedauerlicherweise ist über diesen beiden angeblichen ,Ausnahmen' übersehen worden, daß in der Weimarer Verfassung noch weitere bedeutsame Fälle der Drittwirkung anerkannt waren oder dies wenigstens ernsthaft erörtert wurde ... Bei anderen Freiheitsrechten traten zumindest namhafte Stimmen für Drittwirkung eins." Im Ergebnis hält Walter Leisner fest, daß in der Weimarer Zeit eine erweiterte Grundrechtswirkung ernsthaft in Betracht gezogen wurde, daß jedoch praktische Auswirkungen durch die Unmöglichkeit genereller Aussagen über den Charakter der Grundrechte verhindert wurden. 9
5 Die Drittwirkungs-Problematik war schon in der Weimarer Zeit Gegenstand von Erörterungen, vgl. Leisner, Walter, Grundrechte und Privatrecht, München 1960, S. 293 ff. 6 Zit. bei Ramm, Thilo, Die Freiheit der Willensbildung, Arbeits- und Sozialrechtliche Studien, Heft 1, Stuttgart 1960, S. 49. 7 Zit. bei Ramm, ebda. 8 Leisner, S. 294 f., insbes. Anm. 21. 9 Ebda., S. 297. Körner, Gerhard, Der Rechtsschutz des Unternehmens nach § 823 Abs. 1 BGB, Diss. Frankfurt/M. 1959, S. 44, ist anderer Ansicht.
4. Kap.: Andere Lösungsvorschläge
211
2. Analogieschlüsse und leitende Rechtsgedanken Bedürfnisse der Praxis veranlaßten auch jene Versuche, ein allgemeines Persönlichkeitsrecht auf anderem Wege als aus Verfassungsnormen zu deduzieren: mit Hilfe von Analogieschlüssen und leitenden Rechtsgedanken. Als einer der ersten hatte Gierke die besonderen Persönlichkeitsrechte mittels Analogie erfassen wollen, im Rückgriff auf das allgemeine Persönlichkeitsrecht,l° Wenn Gierke das allgemeine Persönlichkeitsrecht als konstitutiv für die besonderen bestimmt, so unterscheidet sich gerade darin seine Lehre wesentlich von den nachfolgenden, die umgekehrt das nach herrschender Ansicht nicht existierende allgemeine Persönlichkeitsrecht mittels Analogie durchsetzen wollen. Unter den späteren Autoren ist es Heinrich Lehmann, der diesen Gedanken fortführt: "Es gibt ein allgemeines Persönlichkeitsrecht. Aber es wird geschützt nach anderen als den in § 823 Abs. 1 BGB erwähnten Richtungen nur im Rahmen der irgendwo nachweisbaren Störungsverbote und erlaubter Analogieschlüsse zu ihnenl l." Ca. 25 Jahre später schlug Alfred Rosenthai den gleichen Weg ein; er konnte bereits auf zwei Urteile des Reichsgerichts verweisen, welche die "Machtbefugnis der Persönlichkeit" anerkennen12 , sowie auf A. Wieruszowski, der ebenfalls für eine Anerkennung der Persönlichkeitswerte, allerdings gegen ein allgemeines Persönlichkeitsrecht, argumentiert. 13 Rosenthai schlägt vor, auf die "großen Zusammenhänge" zurückzugreifen - ein Vorhaben, das er nicht ganz zu Recht im Gegensatz zu den Motiven sieht. "Die Entwicklung geht ihren Gang, mag man für sie diesen oder jenen Namen prägen, dieses oder jenes Etikett anheften14 ." Entsprechend unüberhörbar artikuliert sich, Rosenthai zufolge, das Bedürfnis der Zeit nach Anerkennung eines allgemeinen Persönlichkeitsrechts und besonderer Persönlichkeitsrechte, wie es sich auch in der höheren Einschätzung der Grundrechte durch die Weimarer Verfassung ausdrückt. Die vielen Angriffsflächen der Persönlichkeit will Börger verringern; Beeinträchtigungen durch politische Bewegungen, Medien etc. sollen durch das allgemeine Persönlichkeitsrecht verhindert werden. Er verweist auf die positiven Reaktionen von Rechtsprechung (z. B. 10 11 12 13 14
Gierke, Deutsches Privatrecht, S. 704. Lehmann, Die Unterlassungspflicht, S. 128 f. RosenthaI, Wettbewerbsgesetz, Berlin 81930, S. 1; vgl. bereits 71928. Wieruszowski, S. 288 ff. RosenthaI, Wettbewerbsgesetz, S. 1.
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11. Teil: Allgemeines Persönlichkeitsrecht als subjektives Recht
Entwicklung des Rechts am eigenen Bild etc.).t 5 Wenngleich letztere in einzelnen Bestimmungen nur besondere Persönlichkeitsrechte geregelt hat, so erlaubt deren Häufigkeit Börger jedoch den Schluß auf ein allgemeines Persönlichkeitsrecht. Er erblickt in den besonderen Rechten Erscheinungsformen eines allgemeinen Grundsatzes; in ihnen gelangt das Wesen zu seiner je besonderen Gestalt, ihm verdankt sich, nicht nur als Denkform, der kontinuierliche Prozeß der Fortentwicklung. 18 Zur Begründung verweist er auf P. Eltzbacher, den er jedoch nicht überzeugend interpretiert: Eltzbacher gibt zwar zu bedenken, "nicht schon deshalb die Geltung eines Grundsatzes für ausgeschlossen zu halten, weil der Gesetzgeber sich diesen Grundsatz nicht klar gemacht" und eine Reihe von Einzelbestimmungen getroffen habe, die lauter Anwendungen dieses Grundsatzes seien. Als Ausgangspunkt für die Auslegung ist jedoch nach Eltzbachers Meinung ein Gesetz erforderlichP Gerade dies fehlt beim allgemeinen Persönlichkeitsrecht, wenn man § 823 Abs. 1 als Grundlage ablehnt. Damit argumentiert Eltzbacher, wie sich im Zusammenhang mit seinen Ausführungen verstehen läßt, dezidiert gegen ein Vorgehen mit Analogieschlüssen. 18 Auch F. Smoschewer schlägt vor, allgemeine, ungeschriebene Normen, insbesondere die der Rechtsmoral, z. B. die §§ 138, 826 BGB heranzuziehen, um ein allgemeines unveräußerliches Persönlichkeitsrecht zu rechtfertigen. 19 Dazu beruft er sich auf Georg Müller, Mitglied des I. Zivilsenats des Reichsgerichts, einer der wenigen Befürworter eines Persönlichkeitsrechts im höchsten Zivilgericht, der gefordert hatte: "Wer für alles und jedes einen sicheren Beleg aus Gesetzen fordert, darf's ablehnen .... Die Anwendung erkannter Grundwahrheiten darf nicht daran scheitern, daß im Gesetz nichts Genaues oder vielleicht gar nichts davon zu lesen steht20 ." Derlei Befürwortung vom Richterrecht läßt sich von Mitgliedern des Reichsgerichts selbst zwar äußerst selten vernehmen, findet sich im übrigen Schrifttum aber des öfteren. In seiner vielbeachteten Abhandlung "Rechtsnorm und Entscheidung" sieht Hermann Isay eine Aufgabe des Richters darin, ähnlich dem Gesetzgeber "Normbildner" zu sein. Der Richter werde zwar i. d. R. versuchen, auf dem Wege der Analogie vorzugehen. Ist das aber nicht möglich, müsse er auf allgemeinere Rechtsgrundsätze zurückgreifen, um Normen aus ihnen logisch deduzieren oder aber jene induktiv bilden zu kön15 16 17 18
18 20
Börger, S. 43.
Ebda.
Börger, S. 44; Eltzbacher, Die Unterlassungsklage, S. 94.
Die Unterlassungsklage, ebda. und S. 126.
Smoschewer, S. 122. Müller, Georg, S. 386.
4. Kap.: Andere Lösungsvorschläge
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nen. 21 Callmann verbindet dieselben überlegungen mit der Forderung nach Anerkennung eines allgemeinen Persönlichkeitsrechts: "Erkennt man an, daß es Rechtsnormen gibt, die unabhängig vom geschriebenen und ungeschriebenen Recht der Rechtsordnung immanent sind, ,so ist die erste und vornehmste dieser Normen jene, die dem Menschen das Gesamtpersönlichkeitsrecht garantiert'22." Solche Versuche, alle verfügbaren juristischen Mittel ins Feld zu führen, um ein allgemeines Persönlichkeits recht durchzusetzen, wurden selbstverständlich durchschaut. Aus Eltzbachers freilich nicht ganz nachvollziehbarer Sicht soll gerade das Bemühen, alle plausiblen Argumente für das allgemeine Persönlichkeitsrecht vorzubringen, zu seiner verfestigten Ablehnung geführt haben. 23 Diese Auffassung wird von der tatsächlichen Entwicklung nicht gestützt, denn ohne die steten Bemühungen von Gareis, Gierke, Kohler und anderen wäre der Widerstand nicht geschwunden, sondern hätte sich mühelos zu einer unangefochten herrschenden Meinung zusammenschließen können. So aber gelangte man wenigstens in einzelnen Bereichen: Lebensbild, Firmenrecht, Warenzeichenrecht etc., zu speziellen Persönlichkeitsrechten, die ihrerseits auf das allgemeine Persönlichkeitsrecht als ihre Bedingung vorauswiesen.24 Durch eine Vielzahl von Argumenten, die denen der Gegenseite sehr oft überlegen waren, erreichte man Einbrüche in erstarrte Denk- und Verfahrensmuster. Hatten die Gegner des Persönlichkeitsrechts beabsichtigt, jene Bestrebung, das Richterrecht zugunsten eines allgemeinen Persönlichkeitsrechts einzusetzen, zu diskreditieren, indem sie auf die Freirechtsbewegung verwiesen,26 so erzielten sie damit freillch den gegenteiligen Effekt, daß die Befürworter eines Persönlichkeits rechts sich nicht nur für dieses, sondern auch für ein verstärktes Richterrecht einsetzten.26 Jene in sich uneinheitliche Argumentation mit Hilfe von Analogieschlüssen und leitenden Rechtsgedanken weist das für die Entwicklung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts typische Erscheinungsbild auf: Zu Beginn des 20. Jahrhunderts, nach Einführung des BGB, häuften sich die Versuche, mit diesen Mitteln ein allgemeines Persönlichkeits21 Isay, Rechtsnonn und Entscheidung, Berlin 1929. 22 CaZlmann, S. 25; vgl. Specker, Die Persönlichkeitsrechte, Aarau 1911,
S.28. 23 EZtzbacher, Die Unterlassungsklage, S. 126. 24 Zum Urheberrecht etc. vgl. RGZ 69, 242 (244) vom 16. Sept. 1908 und 79, 397 (398) vom 8. Juni 1912. 25 Wieruszowski, S. 229. 26 Vgl. CaZlmann, S. 57 f. und Heinrici, C., Zur Frage des Einflusses von
Richterturn und Ministerialbürokratie auf die Entwicklung des Privatrechts, in: GruchB 70, S. 577 ff.
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11. Teil: Allgemeines Persönlichkeits recht als subjektives Recht
recht durchzusetzen. Nach wenigen Jahren, unter dem Einfluß der abwehrenden Reichsgerichtsrechtsprechung, ließen sie scheinbar nach, um aber, zunächst verborgen vor der Öffentlichkeit, an praxisorientierten, klareren Bestimmungen zu arbeiten (wie z. B. Adolf Lobe); gegen Ende der 20er Jahre konnte man auf dieser Basis erneut zu offenen Strategien übergehen, insbesondere mit Unterstützung von Fachleuten des geistig-gewerblichen Rechtsschutzes, so daß, in übereinstimmung mit neuerlichen Tendenzen der Rechtsprechung, die Anerkennung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts sehr nah zu liegen schien. Der Nationalsozialismus unterband diesen Diskussionsverlauf; er lenkte ihn auf eine andere Ebene.
Fünftes Kapitel
Der Weg der Rechtsprechung § 823 Abs. 1 BGB sollte, so die zweite Kommission, Ausgangspunkt der weiteren Entwicklung des Rechts der unerlaubten Handlung sein. Ausreichenden Schutz gegen schädigende Handlungen vermeinte man dadurCh gewähren zu können, daß die Aufzählung von Einzeltatbeständen, wie etwa in der römischen lex Aquilia, mit einem entwicklungsfähigen, "offenen Tatbestand" zu verbinden wäre, etwa durch den Hinweis auf die "sonstigen Rechte" in § 823 Abs. 1 BGB.l Einer diffusen Ausdeutung des general klausel artigen Tatbestands wurde dadurch entgegengewirkt, daß die Kommissionsmitglieder als Leitbegriff den des subjektiven absoluten Rechts vor Augen hatten. 2 Somit ließ sich bereits bei den Beratungen zu § 823 Abs. 1 das Bemühen erkennen "möglichst alle Schadensersatzansprüche mit § 823 Abs. 1 zu begründen und dem Bedürfnis nach Ausbreitung des Schutzes gegen Schädigungen mit Hilfe dieser Vorschrift zu genügen 3 ." Da der Begriff des subjektiven absoluten Rechts bei der Fassung des § 823 Abs. 1 sowohl für die Einzeltatbestände als auch bei der generalklauselartigen Ausweitung Pate stand, mithin die gesamte Kompromißformel mitsamt ihrer "Mischung beider Elemente" von der Klammer des subjektiven absoluten Rechts zusammengehalten wurde, folgt, allein aus der Gesetzgebungsgeschichte, daß mit § 823 Abs. 1 nicht der Schutz jenes "juristischen Monstrums", wie Esser das allgemeine Persönlichkeitsrecht bezeichnet 1 Bei der Aufzählung der Einzeltatbestände hatte man an die der Schutzgesetze des § 823 Abs. 2 BGB angeknüpft. Daraus folgt, um mit Reinhardt zu sprechen, "daß bei der ursprünglich vorgesehenen Fassung (§ 704 Entwurf I) der Grundtatbestand der unerlaubten Handlung im Verstoß gegen ein Verbotsgesetz gesehen wurde [Motive 11, S. 725 f.], und diesem Tatbestand dann nur die Verletzung von Rechten anderer gleichgestellt wurde. In den Reformplänen, die die Akademie für Deutsches Recht ausarbeitete, taucht der Gedanke wieder auf und ist, wie mir scheint, auch in neuerer Zeit durch die Herausarbeitung besonderer Verhaltenspflichten als Grundlage des Schadensersatzes wieder sichtbar geworden". So Reinhardt, Rudolf, Die subjektiven Rechte, in § 823 Abs. 1 BGB, Karlsruher Forum, Karlsruhe 1961, Referate und Diskussionen zum Thema: Grundprobleme der Haftung in § 823 Abs. 1 BGB, S. 3 mit Hinweis auf v. Caemmerer, Wandlungen des Deliktrechtes, Festschrift DJT "Hundert Jahre Deutsches Rechtsleben" , Bd. 11, S. 49 ff., 71 ff. ! Vgl. Motive 11, S. 726 und 728. 3 Reinhardt, Die subjektiven Rechte, S. 3.
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11. Teil: Allgemeines Persönlichkeits recht als subjektives Recht
hat4 , intendiert war. Die Väter des BGB hatten mit ihren Hinweisen auf die rechtsbildende Kraft der Rechtsprechung und der Rechtslehre vielmehr zu verstehen gegeben, daß nicht sie selber, wohl aber Wissenschaft und Rechtspraxis die Aufgliederung des "Persönlichen im weiteren Sinne" vorzunehmen hätten. Daß die sachliche Eingrenzung der schutzwürdigen Persönlichkeitsbereiche von den Kommissionsmitgliedern selbst nicht geleistet wurde, überrascht nicht, wenn man berücksichtigt, daß für ein Denken, welches sich am Begriff des subjektiven absoluten Rechts orientiert, das Konglomerat von Schutzpositionen, aus dem das "persönliche Recht im weiteren Sinne" besteht, viel zu diffus erscheint, um in einem oder mehreren Tatbeständen faßbar zu sein. Sollten die Gerichte die Aufgabe sachgerecht lösen, mußten sie "die für das Zivilrecht notwendige Konkretisierung" der einzelnen Schutzpositionen herausarbeiten. Da sie hierbei Neuland betraten, war eine eindeutige Kategorienbildung nicht sobald zu erwarten. Die wirtschaftlich-soziale wie auch technische Entwicklung in den ersten drei Jahrzehnten dieses Jahrhunderts, z. B. auf dem Gebiet des Nachrichtenwesens, trug an die Gerichte ganz neue Rechtsprobleme heran. Eine Besinnung auf die historische Auslegungsmethode erschien daher sachgerecht. Auf diesem Wege kamen bei den Entscheidungen vielfach die Väter des BGB, wenn auch häufig mißverstanden, erneut zu Gehör.
1. Die grundsätzliche Ablehnung des allgemeinen Persönlicl1keitsrechts Die im folgenden angeführten Urteile sollen auf die wichtigsten Entscheidungen reduziert bleiben. Sie verdeutlichen, daß in einem konkreten Verletzungsfall in der Regel nicht die Gesamtpersönlichkeit betroffen ist, sondern einzelne Seiten, Werte bzw. Güter. 5 Die erste ablehnende Entscheidung des Reichsgerichts datiert vom 29. Mai 1902.8 Anläßlich der Einführung eines neuen Lohntarifs war es zwischen dem Inhaber der verklagten Firma und seinen Arbeitern zu Streitigkeiten gekommen, die zunächst dadurch beigelegt werden konnten, daß zwischen den Arbeitern und der Firma die probeweise Ein, Esser, Schuldrecht Bd. 11, 3. Aufl. 1969, S. 40l. Vgl. Hubmann, Das Persönlichkeitsrecht, S. 156. 8 RGZ 51, 369. Vgl. die vorausgehende Entscheidung des OLG Hamburg vom 20. Nov. 1900, in: GRUR, Bd. 6, S. 210: Das Persönlichkeitsrecht kann nicht anders "zugegeben werden, als es Anerkennung gefunden hat in der Vorschrift des § 12 des BGB. Dort aber wird nur eine Schutzbestimmung getroffen gegen unbefugte Anmaßung eines Namens und es können demgegenüber allen Ausführungen, welche die Notwendigkeit eines verallgemeinerten Schutzes der Persönlichkeit dartun, nur die Bedeutung beachtenswerter Vorschläge zu künftigen gesetzgeberischen Maßnahmen beigemessen werden," 6
5. Kap.: Der Weg der Rechtsprechung
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führung des neuen Lohntarifs unter Garantie des Durchschnittslohnes der letzten sechs Monate vereinbart wurde. Aus Solidarität mit einem Planierer, dem der Inhaber der Beklagten die Auszahlung der Lohndifferenz verweigerte, kündigten am 6. Januar 1900 die meisten Arbeiter, nachdem die Planierer bereits zuvor die Arbeit ohne Kündigung niedergelegt hatten. Daraufhin setzte sich der Inhaber der beklagten Firma schriftlich mit zahlreichen anderen Firmen der Emaillierbranche in Deutschland in Verbindung: Er bat die Adressaten seines Rundschreibens, in dem er eine Darstellung der Streitigkeiten aus seiner Sicht gab, die am Schluß genannten 88 Arbeiter, unter denen auch die Kläger aufgezählt waren, nicht in ihren Dienst aufzunehmen, um seine Position in diesem Konflikt zu stärken. Daraufhin erhoben einige Betroffene Klage mit dem Ziel: "die Beklagte zur Abgabe einer Erklärung der Unrichtigkeit ihrer Behauptung, zur Zurücknahme ihrer Bitte um NichteinsteIlung der Arbeiter gegenüber den Empfängern des Schreibens, zur Veröffentlichung der betreffenden Erklärung und endlich zum Ersatz des den Klägern durch das Rundschreiben verursachten Geldschadens zu verurteilen." Die Klage war in allen Instanzen erfolglos. Die Kläger hatten ihre Ansprüche mit § 823 Abs. 1 und 2 BGB i. V. m. §§ 185 -187 StGB und den §§ 824 und 826 BGB begründet. Einigkeit bestand zwischen Tat- und Revisionsrichtern darüber, daß zu den durch § 823 Abs. 1 geschützten Rechtsgütern nicht die Ehre zählt. Während die Berufungsrichter, das OLG Köln, die von den Klägern aufgeworfene Frage, ob zu den durch § 823 Abs. 1 geschützten Rechtsgütern das Recht der Person auf ungestörte Ausnutzung ihrer Arbeitskraft gehört, offenlassen konnten, weil sie eine Widerrechtlichkeit der Handlung der Beklagten unter diesem Aspekt verneinten, haben die Revisionsrichter grundsätzlich Stellung genommen. Der von den Klägern in allen drei Instanzen vorgenommenen Subsumtion der Ehre und des Rechtes der Person auf freie ungestörte Ausnutzung ihrer Arbeitskraft und ihrer persönlichen Fähigkeiten unter den Begriff der "sonstigen Rechte" trat das Reichsgericht entgegen: In dem Bestreben, eine Verwässerung ("so weite Ausdehnung") dieses generalklauselartigen Tatbestandes zu verhindern, begründete es sein Nein damit, daß der letztere Ausdruck, solange das Gesetz keine Alternative böte, in der juristischen Bedeutung von wirklichen subjektiven Rechten verstanden werden müsse. Die "sonstigen Rechte" seien ausschließlich auf die bestimmten, von der Rechtsordnung als solche ausgestalteten und umschriebenen Rechte zu beschränken. Das Gericht schließt: "keinesfalls ist aus dem Gesetzestext das Gegenteil herzuleiten" und fährt fort: "Es sind in Abs. 1 des § 823 zuvörderst bestimmte Lebensgüter: Leben, Körper, Gesundheit, Freiheit aufgeführt. Dafür aber, daß diese Lebensgüter
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11. Teil: Allgemeines Persönlichkeits recht als subjektives Recht
damit als wirkliche Rechte anerkannt statt als bloße Beispiele von Rechten genannt seien, und daß dementsprechend die Worte ,oder ein sonstiges Recht' in einem allgemeineren, auch anders als die ausdrücklich genannten Lebensgüter umfassenden Sinne gebraucht seien, spricht weder die Fassung, noch die Entstehungsgeschichte der Gesetzesstelle." Aus der Zuordnung der "sonstigen Rechte" zu den von der Rechtsordnung garantierten subjektiven Rechten folge, daß hierunter nicht fallen könnten alle einer solchen Rechtsnatur ermangelnden Befugnisse oder Fähigkeiten, welche aufgrund der allgemeinen Freiheit des Handelns jedermann zukommen: nicht also schon an sich die Befugnis zu ungehinderter Verwertung der Arbeitskraft, nicht eine bloße Erwerbsaussicht. Den Vertretern der Theorie einer ,,(nicht abgeschlossenen) Reihe sogenannter Persönlichkeits- oder Individualrechte", worunter auch ein Recht auf freie Erwerbstätigkeit fiele, hielten die Revisionsrichter entgegen, daß diese Auffassung von Privatrechten, solange sie nicht zu einer eindeutigen Klärung gelangt sei, für die Anwendung des § 823 Abs. 1 nicht verwertbar scheine, da sie dessen Begrenzung völlig verwischen würde. Mit dieser letzten Begründung bewegen sich die Richter in einem Zirkel: Der Gesetzgeber hatte die Klärung eines allgemeinen Persönlichkeitsrechts Rechtspraxis und Wissenschaft überlassen; die Rechtswissenschaft, z. T. fehlgeleitet durch eine falsche Interpretation der Entstehungsgeschichte, lehnt deshalb ein allgemeines Persönlichkeitsrecht ab; das Reichsgericht darf sich mit dem Verweis auf die Uneinheitlichkeit der Rechtswissenschaft dem gesetzgeberischen Auftrag entziehen: So verweist ein Beteiligter auf den anderen. Exemplarisch läßt sich dies an der Urteilsbegründung demonstrieren: Behauptet wird, daß man den Begriff der sonstigen Rechte nicht so weit ausdehnen dürfe; verwiesen wird dabei auf den Text des § 823 Abs. 1, dem eine solche Dimension nicht zu entnehmen sei - das aber war gerade die vom Gesetzgeber aufgegebene Fragestellung, der man sich mit einer Vorab-Antwort entzieht.7 Gut ein halbes Jahr später hat der gleiche (VI.) Senat des Reichsgerichts8 in einem obiter dictum diese Rechtsauffassung bestätigt: "Die in § 823 Abs. 1 BGB statuierte Schadensersatzpflicht setzt die widerrechtliche Verletzung eines der dort genannten Rechtsgüter oder Rechte voraus. Die Ansicht, daß unter die ,sonstigen Rechte' im Sinne dieses Gesetzes die sämtlichen, wenn auch nicht als subjektive Rechte vom Gesetz ausgestalteten, sog. Persönlichkeits- oder Individualrechte zu rechnen seien, ist vom erkennenden Senat bisher mehrfach abgelehnt worden, so nament7 8
Vgl. Hubmann, Das Persönlichkeitsrecht, S. 114 f., insbes. Anm. 30 und 31. RGZ 56, 271 ff. (275) vom 14. Dez. 1902.
5. Kap.: Der Weg der Rechtsprechung
219
lich in Beziehung auf die Befugnis zu ungehinderter Verwertung der Arbeitskraft oder Erwerbsmöglichkeit."
2. Freiberufliche Tätigkeit und der Nietzsche-Briefe-Fall
1906 erging vom VI. Senat eine abermalige Bestätigung.9 In dem Urteil ging es um die Frage, ob sich ein ärztlicher Standesverein nach § 823 Abs. 1 oder 826 BGB schadensersatzpflichtig macht, wenn er durch Beschluß seinen Mitgliedern untersagt, mit einem nicht dem Verein angehörenden Arzte Berufsbeziehungen zu pflegen, insbesondere seine Vertretung zu übernehmen oder gemeinschaftlich zu konsultieren. Der von diesem Beschluß betroffene Arzt hatte Klage auf Aufhebung des Beschlusses und auf Ersatz des ihm dadurch erwachsenen Vermögensschadens erhoben. Die Klage hatte in keiner Instanz Erfolg. Der Verein wäre dann zum Schadensersatz aus § 823 Abs. 1 verpflichtet, wenn die Ausübung des ärztlichen Berufes ein "sonstiges Recht" im Sinne des § 823 Abs. 1 wäre. Während das Berufungsgericht, das Oberlandesgericht Breslau, ähnlich wie oben das Oberlandesgericht Köln, die Frage dahingestellt sein ließ, ob die Berufstätigkeit eines Arztes einen Gewerbebetrieb darstelle oder als durch § 823 Abs. 1 besonders geschütztes Recht erscheinen könne: "da es jedenfalls an dem Erfordernis der Widerrechtlichkeit in der Handlungsweise des Beklagten fehle", nahm das Reichsgericht auch diesen Fall zum Anlaß, im Rückgriff auf die zitierten Entscheidungen klarzustellen, daß eine Ausdehnung des Begriffs "ein sonstiges Recht" auf die sog. Persönlichkeitsrechte, darunter auch ein Recht auf freie Erwerbstätigkeit, nicht dem Geiste des Gesetzes entspreche, mithin nicht anzuerkennen sei. Die Ausübung des ärztlichen Berufs stelle kein "sonstiges Recht" im Sinne dieses Paragraphen dar. Da sie zudem wegen ihres höheren wissenschaftlichen und sittlichen Interesses außerhalb des materiellen Wertbegriffs liege, auch wenn sie in Erwerbsabsicht geschähe, könne man sie nicht mit einem eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb vergleichen, zumindest insoweit nicht, als dieser als ein "sonstiges Recht" dem Schutze des § 823 Abs. 1 unterstehe; er kam daher als Anspruchsgrundlage für die ärztliche Berufsausübung nicht infrage. Auch § 826 könne keine Anwendung finden. Die von der beklagten Standesorganisation gegen den Kläger getroffene Maßregel sei nach dem Tatsachenvortrag nicht geeignet gewesen, die wirtschaftliche Existenz des Klägers völlig oder nahezu völlig zu untergraben. Auch habe die Maßregel nicht zu der Handlungsweise des Klägers, welche der beklagten Standesorganisation zu ihrem Vorgehen Veranlassung gab, in einem unbilligen Verhältnis gestanden, so daß sie sich als eine Maß8
RGZ 64, 155 vom 4. Okt. 1906.
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11. Teil: Allgemeines Persönlichkeitsrecht als subjektives Recht
nahme der Willkür und Gehässigkeit darstellte. Soweit die Bedenken des Senats zu § 826. Man wird erinnert an die vom selben Senat vorher entschiedene Frage, inwieweit die gewerblichen Lohnkämpfe der Arbeitgeber- oder Arbeitnehmervereinigungen sowie die im Zusammenhang damit ergriffenen Maßnahmen gegen Personen der Gegenpartei gegen die guten Sitten verstoßen. In ähnlicher Weise konstatierte der I. Senat des Reichsgerichts in einer Entscheidung vom 7. November 1908,10 daß es ein subjektives Persönlichkeits recht an eigenen Briefen, abgesehen vom Urheberrecht, nicht gebe, obwohl am 7. April desselben Jahres der IH. Senat obiter eingeräumt hatte: "Die Ehre als ideales Gut bildet einen Teil des Persönlichkeits rechts des Menschen, sie ist Grundlage seiner Existenz."l1 In der Praxis wurde die Ehre weder als sonstiges Recht im Sinne von § 823 Abs. 1 noch als Persönlichkeitsrecht je anerkannt. In dem Urteil vom November ging es um die beabsichtigte Veröffentlichung von Friedrich Nietzsches Briefwechsel mit einem ihm befreundeten Professor aus den Jahren 1870/71 bis Anfang 1889, wogegen sich Nietzsches Schwester und Alleinerbin gewandt hatte. Die Klägerin hatte beantragt, die Beklagten zu verurteilen 1. "anzuerkennen, daß jede Vervielfältigung, jede Bearbeitung oder öffent-
liche Mitteilung und jede gewerbsmäßige Verbreitung, sowie jede übersetzung der Briefe Friedrich Nietzsches an Professor O. in Basel während der Dauer der gesetzlichen Schutzfrist von dreißig Jahren seit Friedrich Nietzsches Ableben ohne ihre Einwilligung sowohl im Deutschen Reiche als auch in den bei der Berner Konvention beteiligten Staaten rechtlich unstatthaft sei; 2. bei Strafe jede Vervielfältigung, Bearbeitung, öffentliche Mitteilung, gewerbliche Verbreitung oder übersetzung dieser Briefe, sowie auch jede Ankündigung darüber innerhalb der fraglichen Zeit und Gebiete zu unterlassen und etwa widerrechtlich bereits hergestellte Exemplare und die zur widerrechtlichen Vervielfältigung ausschließlich bestimmten Vorrichtungen zu vernichten." Die Klägerin hatte ihre Anträge in erster Linie mit einem ihr zustehenden Autorrecht begründet, ferner mit dem Eigentum ihres Bruders an den Briefen, das auf sie als Erbin übergegangen war, und schließlich mit der Behauptung, daß "diese Veröffentlichung ein von ihr zu vertretendes Persönlichkeitsrecht Friedrich Nietzsches sowie ein gleiches in ihrer Person begründetes Recht verletzen (würde). Die Briefe seien mit Intimität und schrankenloser Offenheit geschrieben, so daß die Persönlichkeit des Absenders dadurch der Offentlichkeit gegenüber bloßgestellt werde. In der Veröffentlichung liege ein Vertrauensbruch, da sie nur für den Adressaten bestimmt seien; auch 10 11
RGZ 69, 401 (403 f.). RGZ 68, 229 (231).
5. Kap.: Der Weg der Rechtsprechung
221
enthielten sie Stellen, deren Bekanntgabe die Angehörigen Friedrich Nietzsches verletzen würde." Obwohl auf die Revision der Klägerin das Reichsgericht das Berufungsurteil aufgehoben und die Sache an das Oberlandesgericht Jena zurückverwiesen hatte, wurde den Berufungsrichtern bestätigt, daß sie die Klage mit Recht abgewiesen hätten, "soweit sie auf ein sog. Individual- oder Persönlichkeits recht der Klägerin gestützt war. Ein allgemeines subjektives Persönlichkeitsrecht ist dem geltenden bürgerlichen Recht fremd. Es gibt nur besondere, gesetzlich geregelte Persönlichkeitsrechte, wie das Namensrecht, das Warenzeichenrecht, das Recht am eigenen Bilde, die persönlichkeitsrechtlichen Bestandteile des Urheberrechts. Ein Persönlichkeitsrecht an den eigenen Briefen - abgesehen von deren urheberrechtlichen Schutz -, dessen gesetzliche Anerkennung vielfach, unter anderem auch in dem ersten Entwurfe zum gegenwärtigen Urheberrechtsgesetze vorgeschlagen war, ist bisher nicht durchgedrungen. Ein Rechtsschutz der Persönlichkeit ist daher auf diesem Gebiete nur gegen unerlaubte Handlungen gegeben, und zwar gegen begangene im Wege der Schadensersatz- und Wiederherstellungsklage, gegen in Aussicht stehende im Wege der Unterlassungsklage1!." Stattgegeben mit der Folge der Zurückverweisung wurde der Revision wegen einer möglichen Verletzung des Urheberrechts der Klägerin, das unter die Kategorie der "besonders geregelten Persönlichkeitsrechte" falle. In diesem Zusammenhang hatte das Reichsgericht, wie oben dargelegt, auf die persönlichkeitsrechtlichen Bestandteile des Urheberrechts besonders hingewiesen. Die Beweisführung des Gerichts überzeugt nicht. Sie stützt sich auf die Behauptung, die sich auch in der Literatur häufig findet, ein allgemeines Persönlichkeitsrecht sei dem bürgerlichen Recht fremd.1 3 Dabei hätte es zumindest einer Präzisierung bedurft, ob nur das gesetzte Recht gemeint sei oder auch das Gewohnheitsrecht und die sonstige Rechtsentwicklung außerhalb des Gesetzes. Für sich genommen, läßt diese Behauptung eine gewisse Abneigung des Reichsgerichts spüren, die andere, unausgesprochene Gründe vermuten läßt: so etwa die Schwierigkeit, das Persönlichkeitsrecht als subjektives Recht zu begreifen, da doch Leib, Leben und Freiheit des HandeIns einem jeden von der Natur zuerkannt, d. h. als natürliche Zustände garantiert seien. 14 Das Reichsgericht folgt mit diesem Argument einer traditionellen Auffassung, wie sie seit Herausarbeitung des subjektiven Rechts im frühen 19. Jahrhundert gegen ein allgemeines Persönlichkeitsrecht angeführt worden ist. 15 Relevant für die Konstituierung eines Persönlichkeits12 18
14
15
RGZ 69, 404. Vgl. dazu z. B. Theegarten, S. 19. Vgl. Kirchhof, S. 51. Vgl. Hubmann, H., Das Persönlichkeitsrecht, S. 114 f.
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11. Teil: Allgemeines Persönlichkeitsrecht als subjektives Recht
rechts ist danach nur die rechtlich geschaffene Persönlichkeit, nicht aber eine naturgegebene oder ethisch definierte mit ihren rechtlich nicht fixierbaren Bedürfnissen und Zielen. Dieselben Gedankengänge finden sich in jener bereits erörterten Entscheidung aus dem Jahr 1912, in welcher derselbe Senat das Urheberrecht eines Künstlers gegenüber dem Eigentumsrecht des Bestellers abzugrenzen hatte. 16
3. Erste Ansätze allgemein-persönlichkeitsrechtlicher Rechtsbildung Erst im Jahre 1924 entscheidet das Reichsgericht kasuistisch, daß der Träger einer Auszeichnung jederzeit einem anderen die Benutzung dieser Auszeichnung auch dann verbieten kann, wenn er sie vorher gutgeheißen hat. Die Beklagte hatte die vom Kläger erfundenen Gaskocher hergestellt und verkauft. Sie hatte die dem Kläger für seine Erfindung verliehenen Auszeichnungen in der Weise verwendet, "daß sie auf ihren Geschäftsbogen, die am Rande ein Verzeichnis der von ihr vertriebenen Waren enthalten, die auf den verschiedenen Ausstellungen dem Kläger verliehenen Medaillen, Diplome usw." aufgezählt hatte, ohne die ausgezeichnete Person und ohne die Ware anzugeben, auf die sich die Auszeichnungen bezogen. Das Reichsgericht entschied in Übereinstimmung mit dem Berufungsgericht für einen Untersagungsanspruch zugunsten des KlägersP Ferner wurde ihm für die Zeit der rechtswidrigen Benutzung ein Schadensersatzanspruch mit der Begründung gewährt, daß in dem Verhalten der Beklagten "ein Eingriff in das vom Kläger erworbene Recht und gleichzeitig eine Beeinträchtigung seiner gewerblichen Betätigung und Persönlichkeit" liege. 18 Dieses vom Kläger erlangte Recht, erworbene Auszeichnungen im Geschäftsverkehr mit seinem Namen zu verbinden, wird im Leitsatz als ein höchst persönliches Recht bezeichnet, "das den Schutz des § 823 Abs. 1 BGB genießt". Der naheliegende Zusammenhang mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht wird in dieser Entscheidung noch nicht hergestellt. Am 12. Mai 1926 verwehrte das Reichsgericht einem Kläger, der sich durch eine von ihm nicht genehmigte Rundfunkübertragung aus seinen Werken in seinen Rechten verletzt fühlte, seine Ansprüche ausdrücklich auf allgemeine Befugnisse im Sinne eines umfassenden Persönlichkeitsoder Urheberrechts zu stützen.1 9 16 17 18 IG
RGZ 79, 397 (399) vom 8. Juni 1912. RGZ 109, 51 (52 f.) vom 7. Okt. 1924. Ebda., S. 53. RGZ 113, 413 (414 f.).
5. Kap.: Der Weg der Rechtsprechung
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Das Kammergericht hat sich dem 1928 ausdrücklich angeschlossen: "Diesen Standpunkt aufzugeben liegt keine Veranlassung vor. Die Anerkennung eines allgemeinen Persönlichkeitsrechts wäre mit den geltenden Bestimmungen, welche den Schutz einzelner bestimmter Individualrechte betreffen, kaum vereinbar."20 In der vorgenannten Entscheidung bezieht sich das Reichsgericht auf eine ständige Rechtsprechung, die es in dieser Form nicht gibt. Das Gericht hatte 1908 in dem Nietzsche-Urteil zum letzten Male ausführlicher zum allgemeinen Persönlichkeitsrecht Stellung genommen und es, wenn auch in widersprüchlicher Weise, abgelehnt. Mit Recht wurde gesagt, daß die Argumentation des Reichsgerichts in diesem Urteil im Grunde sehr wohl auf ein allgemeines Persönlichkeitsrecht, zumindest auf Elemente davon, hinausläuft,21 wie dies z. B. auch im 72. Band, Seite 255 zum Ausdruck kommt, wo das Reichsgericht dahingestellt sein lassen will, ob in dem bestimmten Fall das allgemeine Persönlichkeitsrecht oder ein sonstiges Recht verletzt ist. Mit der bloßen Nennung dieser Alternative rückt das Reichsgericht um einige Grade von der bisherigen Rechtsprechung ab, schwächt aber durch die Bemerkung, es könne "dahingestellt bleiben", seine Aussage wieder ab.
4. Verstärkte Hinweise auf eine Annäherung an ein allgemeines Persönlichkeitsrecht Die "ständige" Rechtsprechung des Reichsgerichts, das ein allgemeines Persönlichkeitsrecht zwar durchweg, wenn auch immer unentschiedener, ablehnt, wurde in der Regel von den unteren Gerichten übernommen, wie sie auch in der Literatur lange Zeit den Ton angab. In einer aufsehenerregenden Entscheidung trat ihr jedoch das OLG Kiel entgegen. Es ging darum, die Aufführung eines Theaterstücks zu untersagen, welches das Schicksal einer namentlich bezeichneten Familie darstellte. Das Gericht musterte die vorhandenen Spuren eines allgemeinen Persönlichkeits rechts im geltenden Recht, entnahm § 823 Abs. 1 auch den Gedanken, daß die Person in besonders wichtigen Daseinsbedingungen ein Recht auf Unverletzlichkeit habe, und kam nach 20 KG, in: JW 1928, S. 363; vgl. auch LG Berlin, JW 1929, S. 451. 21 Vgl. z. B. Wieruszowski, S. 230; Kirchhof, S. 73 mit Hinw. auf RGZ 109, 51 vom 7. Okt. 1924; vgl. auch Brauer, S. 34, der der Auffassung ist, daß das Reichsgericht trotz der Beschränkung auf besondere Persönlichkeitsrechte in Wirklichkeit seinen Entscheidungen ein übergeordnetes Persönlichkeitsrecht zugrundegelegt und Unterlassungsklage wie § 826 BGB nur als Hilfsmittel eingesetzt hat. Vgl. Staudinger, BGB, Allg. Teil, 3./4. Aufl. 1908, S. 1421: "Die Lehre von den Persönlichkeitsrechten wird ... vom Reichsgericht ... grundsätzlich abgelehnt, im praktischen Ergebnis aber mehrfach adoptiert;" vgl. auch Hennann, S. 11.
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11. Teil: Allgemeines Persönlichkeitsrecht als subjektives Recht
kurzer Bestandsaufnahme der Rechtsprechung des Reichsgerichts zu der Forderung: "Aber trotz dieser Ablehnung eines allgemeinen Persönlichkeitsrechts durch das Reichsgericht kann sich eine den Lebensnotwendigkeiten angepaßte Rechtsprechung der Fortbildung des in den angeführten gesetzlichen Bestimmungen immer wieder zum Ausdruck kommenden allgemeinen Rechtsgedankens eines umfassenden Schutzes des Gesamtkreises einer Person in ihrer Allgemeinheit ihrer rein persönlichen Beziehungen nicht auf die Dauer verschließen. Auch die Rechtslehre erwartet von der Rechtsprechung eine weitere Entfaltung eines allgemeinen Persönlichkeitsrechts. Der Senat glaubt, im vorliegenden Fall den Anspruch der Kläger schon aus einem Persönlichkeitsrechte herleiten zu können, ohne daß es einer abschließenden Stellungnahme dazu bedarf, ob ein solches Recht schon jetzt allgemein zu bejahen ist, und wie man im Einzelfalle die Grenzen dieses Rechts zu ziehen haben würde2 2 ." Das Gericht glaubte also, in der gesetzlichen Normierung besonderer Persönlichkeits rechte den Grund für die Anerkennung eines allgemeinen Persönlichkeitsrechts gefunden zu haben. Wie letzteres im einzelnen aussehen sollte, führt es jedoch nicht aus; vielmehr sichert es sein Urteil über § 826 BGB ab. Aus diesem Urteil wie auch aus weiteren Äußerungen des Reichsgerichts ist zu erkennen, daß sich die Rechtsprechung dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht näherte. Auch das Kammergericht hat die Entscheidung des OLG Kiel mit dem Bemerken aufgenommen, "daß in der modernen Rechtsprechung Zweifel geäußert worden sind, ob an der allgemeinen Ablehnung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts angesichts der Bedürfnisse des Lebens noch fest gehalten werden kann23 ." Hier ging es um einen Unterlassungsanspruch. Die Antragstellerin wandte sich dagegen, daß ein Roman, der ihre Lebensgeschichte enthielt, ohne ihre Zustimmung verbreitet wurde. Das Reichsgericht selbst hat sich in einer späteren Entscheidung fast schon für ein allgemeines Persönlichkeits recht ausgesprochen. Der Kläger war in einem Buch namentlich als Schwager eines Mörders und wahrheitswidrig als Wechselreiter bezeichnet worden. Ihm entstand großer geschäftlicher Schaden. Er verlangte Feststellung der Schadensersatzpflicht des Verlages. Die Vorinstanzen wiesen ab, das Reichsgericht hob auf. Es stellte fest: "Selbst wenn man entgegen dem bisherigen Standpunkt (RGZ 113, S. 414) und der überwiegenden Ansicht des Schrifttums ein allgemeines Persönlichkeitsrecht als durch § 823 Abs. 1 geschützt anerkennen wollte, bedürfte es einer erheblichen Einschränkung und Begrenzung des Wesens dieses Rechts 22 23
OLG Kiel, in: JW 1930, S. 78 ff. (80). KG, in: Ufita 1931, S. 320.
5. Kap.: Der Weg der Rechtsprechung
225
und Schutzes. Es müßte sich in jedem Fall um das ganz besondere, charakteristische Wesen der Einzelperson oder ihrer Betätigung handeln24."
Mit dieser Äußerung schien das Reichsgericht - gleichsam resignierend - den Kurs auf ein allgemeines Persönlichkeitsrecht einschlagen zu wollen. Die Ära des Nationalsozialismus sollte diese Entwicklung aufschieben.
U
RGZ vom 2. Febr. 1933, HRR 1933, Nr. 1319.
15 Simon
Sechstes Kapitel
Die Veränderung des subjektiven Rechts im Nationalsozialismus und seine Auswirkungen auf das Recht der Persönlichkeit Das subjektive Recht bestimmte sich als "Eckpfeiler des ganzen Rechtsbaus" der Zivilistik des 19. Jahrhunderts. 1 Es sollte dem Schutz der Einzelperson dienen, die im Zentrum des Privatrechtssystems stand. Der Entwicklung der Freiheitsrechte, wie sie sich in den Verfassungen ausprägt, korrespondiert im Ausbau der subjektiven Rechte eine verstärkte Stellung des Berechtigten im privaten Bereich - die nachgeholte individuelle Verantwortung als Kehrseite intendierter Freiheit.2 Wenn Gierke am Ende des 19. Jahrhunderts in der Nachfolge der Rechtslehre Immanuel Kants dessen sittliches Pathos eines ethischen Individualismus bekräftigt, indem er die untrennbare Einheit von Rechten und Pflichten postuliert und damit das Individuum wesentlich in seiner Bindung und Verbindlichkeit gegenüber allgemeinen Normverpflichtungen einer Gemeinschaft begreift, so läßt sich auch sein System, jedenfalls sein Ausgangspunkt, auf individualistische Grundgedanken zurückführen. 3 Seine Begründung des subjektiven Rechts rückt allerdings die verbindenden und verbindlichen Werte der Allgemeinheit in den Vordergrund gegenüber dem Rechtspositivismus des ausgehenden Jahrhunderts. Erst der Nationalsozialismus unternahm einen umstürzenden Angriff auf das subjektive Recht in seiner bisherigen Gestalt sowie auf das allgemeine Persönlichkeitsrecht, da sich beide, entgegen seinen Zwekken, als Kerngehalt individualistischer Rechtsauffassung erwiesen hatten. Deren Rechts- und Gesellschaftsinhalte mußte der völkisch-rassische Gemeinschaftsgedanke, der die zentrale Wertgrundlage des "neuen" rechtlichen Denkens und HandeIns bildete, nahezu notwendig als falsch und systemstörend bekämpfen.' So reagierten die zeitgenössischen Juristen auf den seit der Machtergreifung groß angelegten Ver1 Bekker, Ernst Immanuel, System des heutigen Pandektenrechts, Bd. I, Weimar 1886, S. 46. 2 Vgl. Müller, Jörg-Paul, Die Grundrechte, S. 11. a Vgl. Rüthers, Bernd, Die unbegrenzte Auslegung, Tübingen 1968, S. 338, insbes. Anm. 13. 4 Vgl. Rüthers, S. 339.
6. Kap.: Nationalsozialismus und allgemeines Persönlichkeits recht
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such einer Umwertung aller Werte zwiespältig: Sahen sich die einen zur Verteidigung des subjektiven Rechts, seiner Funktion im Rechtssystem wie seiner Wertgrundlage berufen,5 so strebten andere in programmatisch vollzogener Abkehr von der "subjektivistischen", der "liberalistischen" Grundlage der Wertordnung einer völkischen Rechtsstellung bzw. Pflichtgebundenheit des einzelnen der Gesamtheit gegenüber zu.' Dem "Volksgenossen" als Träger einer GliedsteIlung in der Volksgemeinschaft wurde durch das objektive Recht eine "volksgenössische Rechtsstellung" zugewiesen, in der Rechte und Pflichten zusammenfallen sollten. Andere Juristen wie Rudolf Schulz-Schäffer, Walter Schönfeld und Hans Würdinger, die den Begriff des subjektiven Rechts erhalten wollten, fügten ihm als notwendigen Bestandteil die Pflichtgebundenheit bei, wie sie in Ansätzen schon bei Gierke zu finden war. 7 Die Anwälte des subjektiven Rechts konnten auf seine unersetzliche Funktion im bürgerlichen Rechtssystem wie in seiner Rechtspraxis hinweisen, in der das subjektive Recht Inbegriff jeglicher durch das objektive Recht verliehener Berechtigungen war; eine völlige Preisgabe dieses Begriffs war daher kaum durchführbar. Kritische Anmerkungen gegen eine eventuelle Liquidation dieses Rechts konnten wirkungsvoll auf eine etwaige Entrechtung des Einzelnen verweisen, aber auch auf die Gefährdung des Leistungswettbewerbs und der vollen Wahrnehmung der GliedsteIlung des Volksgenossen in der Gemeinschaft; der Nichtvolksgenosse könne als Teilnehmer am bürgerlichen Rechtsverkehr nicht berücksichtigt werden,s Diese theoretischen Standortbestimmungen bezogen sich auf unseren Gegenstand in doppelter Weise: über den Entwurf eines Volksgesetzbuches durch namhafte Juristen und über die Rechtsprechung, wie sie bei den besonderen Persönlichkeitsrechten dargestellt worden ist. Beides beeinflußte die Entwicklung des Persönlichkeitsrechts nicht unwesentlich. Der Entwurf eines Volksgesetzbuches von 1942 beruht auf langer Geistes- und Literaturtradition, einer ihrer Protagonisten war Gierke. Seine Fordeqmg nach einem "wirklich volkstümlichen, germanistisch-deutschem Rechtsdenken entsprechenden Gesetzbuch" nahm 5 Vgl. Heck, Philipp, Rechtserneuerung und juristische Methodenlehre, Tübingen 1936, S. 38. e Vgl. Larenz, Karl, Rechtsperson und subjektives Recht. Zur Wandlung der Rechtsgrundbegriffe, in: Grundfragen der neuen Rechtswissenschaft, Berlin 1935, S. 225 ff.; völlige Ablehnung des subjektiven Rechts bei Eckhardt, Recht oder Pflicht, in: DRW 1936, S. 7 ff. ' 7 Vgl. Schulz-Schäjjer, Rudolf, Persönlichkeits recht und Rechtserneuerung, in: Festgabe für Jung, Marburg 1937, S. 193 ff.; Schönjeld, Walter, Der Kampf wider das subjektive Recht, in: ZAkadR 1937, S. 107 und Würdinger, H., Das subjektive Recht im Privatrecht, in: DRW 1936, 1. Bd. 15 ff. Vgl. auch Gierke, Privatrecht, S. 251. Weitere Hinweise bei Rüthers, S. 340 ff. (342 f.). a Vgl. Rüthers, S. 344.
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11. Teil: Allgemeines Persönlichkeits recht als subjektives Recht
man im Zuge eines Aufschwungs des "germanischen Rechtsdenkens" im Nationalsozialismus auf. 9 Auf verschiedenen Kongressen wie auch in der Literatur wurde der Gedanke eines Volks gesetzbuches als Ersatz für das BGB behandelt, bis eine Kommission in den Arbeitsberichten der Akademie für Deutsches Recht einen Entwurf vorlegen konnte, der zwar Beachtung fand, sich aber nicht durchsetzte. lo Auf die Darstellung der Grundregeln eines Volksrechts in Buch I, "Der Volksgenosse", folgt als erster Abschnitt "Die Persönlichkeit des Volksgenossen". Die Bestimmungen kennzeichnen ihn gleich eingangs als Verpflichteten, der der Volksgemeinschaft mit seiner Person und seinem Vermögen alles zu ihrem Bestand und Gedeihen Nötige zu geben hat. "Dafür sichert ihm die Rechtsordnung seine Rechtsstellung in der Volksgemeinschaft als Ausdruck seiner Persönlichkeit und seiner Verantwortungl l ." Die dann beschriebene Rechtsstellung umfaßt Beachtliches und hätte, wäre das VGB in Kraft getreten, die Rechtsstellung des Einzelnen sehr verbessert: ,,§ 4. Jeder Rechtsgenosse genießt Schutz gegen Verletzungen seiner Rechtsstellung. Er wird geschützt gegen Angriffe auf Ehre, Freiheit und Arbeitskraft, auf Leben und Gesundheit, auf sein Eigentum und seine Stellung im Wirtschaftsleben." Diese Bestimmungen übertreffen die Regelung des BGB bei weitem; hier scheint, wie die Erläuterungen von Heinrich Lehmann nahelegen, der Streit um ein Recht der Persönlichkeit ausdrücklich und vorabentschieden worden zu sein. Der Hinweis auf § 823 BGB und die Herauslösung des Persönlichkeitsschutzes aus dem Deliktsrecht zeugen ebenfalls davon, daß man die frühere gemeinrechtliche Regelung ebenso berücksichtigte wie den Ausbau des Strafrechts an ihrer Stelle im zweiten Teil des 19. Jahrhunderts. 12 Die Rechtsstellung des Einzelnen in der Gemeinschaft sollte als zusammenhängendes Ganzes, als eine Einheit erfaßt werden, denn "die frühere Theorie konnte diesen Lebensverhältnissen nicht gerecht werden, wenn sie sie in einzelne Rechte und Pflichten auflöste. Auch das viel umstrittene allgemeine Persönlichkeitsrecht war nicht in der Lage, die in der Rechtsstellung des einzelnen gegebene Verbindung von Rechten und Pflichten klarzustel8 Vgl. Stolleis, Michael, Gemeinschaftsformeln im nationalsozialistischen Recht, München 1974, S. 18 f. 10 V.olksgesetzbuch, Grundregeln und Buch I, Entwurf und Erläuterungen, Arbeitsberichte der Akademie für Deutsches Recht, Nr. 22, München u. Berlin 1942, vorgelegt v. Justus W. Hedemann, H. Lehmann, W. Siebert. Vgl. dazu Wieacker, Privatrechtsgeschichte, S. 536; Lange, Heinrich, Die Entwicklung der Wissenschaft vom Bürgerlichen Recht seit 1933, Tübingen 1941, S. 31 ff.; Boehmer, Gustav, Die Idee des Deutschen Volksgesetzbuches, in: Jb. Ak. f. DR., 1939/49, S. 32 ff. (39 f.). 11 Volksgesetzbuch § 1 (2), S. 15. 12 Volksgesetzbuch, Erläuterungen, S. 47.
6. Kap.: Nationalsozialismus und allgemeines Persönlichkeitsrecht
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len I3 ." Allerdings stehen die Rechte unter dem Primat der Pflichtigkeit des einzelnen "Rechts genossen in der Volksgemeinschaft", deren Kehrseite sie darstellen, bedeuten also eine "völkische Rechtsstellung" im oben erwähnten Sinn. Der Ausschuß ist nicht etwa bei der Generalklausel des § 4 Satz 1 und ihren Spezifizierungen in Satz 2 stehengeblieben, sondern hat im Bewußtsein ihrer späteren Weiterentwicklung einzelne Grundwerte und bereits absehbare Neubildungen in den §§ 5 - 23 näher umrissen: so z. B. Ehre, Arbeitskraft, Name, Bild und Eigenleben. Dabei sollte der Schutz der Arbeitskraft hervorgehoben werden, der von Reichsgericht und herrschender Lehre bislang abgelehnt worden war. Zusammenfassend läßt sich feststellen, daß in diesem Abschnitt des VGB eine grundlegende Neuerung des Persönlichkeitsrechts geplant war, die nach der Absicht der Gesetzesredaktoren, soweit es um die Seite der Berechtigungen geht, auf der Höhe der Diskussion um ein allgemeines Persönlichkeitsrecht stand. Das Persönlichkeitsrecht kann hier allerdings nicht mehr mit der Kategorie eines subjektiven Rechts begriffen werden, da der Vorrang der Volksgemeinschaft nach dem pointierten Grundsatz "Die Gemeinschaft ist alles, der einzelne nichts" keinerlei Normkonkretisierung im Sinne eines herkömmlichen Persönlichkeitsschutzes zugelassen hätte. 14 Auch die Bestimmung der Personen als "Teilsubjekte" einer interpersonalen "Rechtssubjektivität" und die Gewährleistung ihrer ungestörten "Subjektverhältnisse" , wie sie Müllereisert vornimmt, erübrigt ein subjektives Recht und beläßt nur mehr die "zu schützende Lebensfunktion des Rechtsgenossen" .15 Die Auflösung der Kategorie subjektiver Rechte korrespondiert allzu leicht mit dem Abbau einzelner subjektiver Rechte, die sich dem "Wohl des Ganzen" als einem Dogma unterzuordnen haben. So konnte Ernst August Utescher feststellen: "Ein Recht der Persönlichkeit gibt es für uns nicht mehr, wohl aber das Recht der schöpferischen Persönlichkeit im Interesse der Sicherung der Gesamtleistungsfähigkeit der Volksgemeinschaft1 6 ." Diesem Grundsatz mußte sich der Persönlichkeits schutz beugen. Nicht mehr Sicherheit und Entfaltung der Einzelperson stehen im Vordergrund, sondern ihr Schutz nur, soweit er "für das Volksganze als Mitglied der Volksgemeinschaft nützVolksgesetzbuch, S. 49. Vgl. zu Volksgesetzbuch und Persönlichkeitsschutz: Swoboda, Ernst, Die Neugestaltung des bürgerlichen Rechts, Rechts- und Staatswissenschaftliche Abhandlungen, Heft 8, Brunn, Prag, Leipzig, Wien 1935. 15 Müllereisert, F. Arthur, Juristische Grundbegriffe, Würzburg - Aumühle 13
a
1936, S. 180. 16
Der Entwurf für ein neues Geschmacksmustergesetz, in: Jb. "Ak. f; DR "
1939/40, S. 166 ff.
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11. Teil: Allgemeines Persönlichkeits recht als subjektives Recht
lich ist ... Jede Person hat danach einen bestimmten Wert für die Volksgemeinschaft ... d. h. dieser Wert vermindert sich oder schwindet ganz, wenn die Person sich volksfeindlich und schädlich betätigt 17 ." Das allgemeine Persönlichkeitsrecht in dieser neuen, nicht nur theoretischen, sondern höchst realen Gestalt hat nahezu nichts mehr gemein, weder mit den Postulaten seiner Befürworter im Kaiserreich und in der Weimarer Republik, noch auch mit seiner theoretisch-gemdnschafts-idealen Ausbildung in den §§ 1, 4, 5 - 23 des VGB. Zwar muß eingeräumt werden, daß ein großer Teil der Juristen diese Wegbiegung weder überblickte noch befürwortete. Objektiv prägten sich in dem Wandel der Kategorien subjektives Recht und Persönlichkeitsrecht jedoch Inhalte aus, die in einem veränderten Rechtsbewußtsein Einbruchstellen für die Reduzierung des Persönlichkeitsschutzes bis zu seiner völligen Aufhebung markieren.
17
Hermann, S. 26.
Siebentes Kapitel
Die Beiträge der §§ 826 und 1004 ßGB zur Entwicklung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts Die vorliegende Untersuchung hatte sich neben der Darstellung der besonderen gewerblichen Persönlichkeitsrechte zur Aufgabe gestellt, die Wechselwirkungen zwischen allgemeinem Persönlichkeitsrecht und speziellen Persönlichkeitsrechten zu verfolgen. Im Blickpunkt standen dabei bisher vor allem die wirtschaftlichen Ausprägungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts: Urheber-, Patent- und Wettbewerbsrecht. Sie exemplifizierten, wie sie durch die ökonomische Entwicklung, ihrer wirtschaftlichen Bedeutung entsprechend, nachdrücklich bestimmt wurden, und wie sie ihrerseits an den verschiedensten "Nahtstellen" das allgemeine Persönlichkeitsrecht beeinflußten. Dabei war zu beachten, daß das allgemeine Persönlichkeitsrecht eine relativ "autonome" Sonderbewegung vollzogen, mit anderen Worten sich besonders langsam entwickelt hat und sich erst nach dem Zweiten Weltkrieg zu einem überwiegend, wenn auch nicht unangefochten anerkannten Rechtsinstitut verdichten konnte. Dabei übersehen wir nicht, daß auch andere als wirtschaftliche Momente zum allgemeinen Persönlichkeitsrecht beigetragen haben. Schon die Behandlung des Urheberrechts ergab gelegentlich einen relativen Gleichlauf geistiger und ökonomischer Momente; auch der Bewertung der menschlichen Betätigungsfreiheit im Recht des Wettbewerbs lagen ethische Normen zugrunde. Dieser Begründungszusammenhang zwischen Recht und seinem ethischen Erfordernis ist in Heinrich Hubmanns Standardwerk "Das Persönlichkeitsrecht" ausführlichst zur Sprache gekommen, dem, vervollständigt mit den Schriften von Dieter Leuze "Die Entwicklung des Persönlichkeitsrechts im 19. Jahrhundert" und Robert Scheyhing "Zur Geschichte des Persönlichkeitsrechts im 19. Jahrhundert", in diesem Punkt kaum etwas hinzuzufügen ist. Eine ausschließlich ethische Betrachtung wird freilich dadurch relativiert, daß Entwicklungen, die "ideelle" Persönlichkeitsrechte gefördert haben, häufig in eindeutigem Zusammenhang mit wirtschaftlichen Prozessen abgelaufen sind. Beispielsweise verdankt das Namensrecht als Persönlichkeitsrecht seine Anerkennung wesentlich dem zuvor durchgesetzten kaufmännischen Namensrecht. Auch auf die vielen
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11. Teil: Allgemeines Persönlichkeits recht als subjektives Recht
wirtschaftlichen Sachverhalte, die den Urteilen zur Unterlassungsklage und zu § 826 BGB zugrundeliegen, ist hinzuweisen. Das ist allerdings nicht der einzige Grund für die abschließende Erörterung der §§ 826 und 1004. Mit beiden Paragraphen wurden Probleme angegangen, die nach Ansicht vieler Autoren mit Hilfe des Persönlichkeitsrechts hätten gelöst werden müssen. Die Frage stellt sich demnach, ob die §§ 826 und 1004 BGB als Ersatzlösungen eines Persönlichkeitsrechts dieses verhindert oder umgekehrt ein für das allgemeine Persönlichkeitsrecht geschärftes Bewußtsein geschaffen haben; oder ob sie sich dieser Problemstellung gegenüber indifferent gezeigt haben.
1. Persönlichkeitssmutz und PersönlichkeitsrechtsEntwicklung über § 826 BGB Größte praktische Bedeutung für den Schutz der Persönlichkeit hatte § 826. Gerade wenn man, wie das Reichsgericht, eine Anerkennung persönlichkeitsrechtlicher Grundsätze über die "sonstigen Rechte" des § 823 Abs. 1 ablehnte, bot § 826 in seiner Unbestimmtheit Aussicht auf hinlänglichen Schutz gegen Verletzungen der Persönlichkeit; für Differenzierungen und Interessenabwägungen öffnete er weiten Raum. 1 a) Die Einstellung der Wissenschaft
J. Kohler hat schon zu Beginn des Jahrhunderts weitsichtig erkannt: "Die Hauptbedeutung des § 826 ist aber nicht die dogmatische, sondern die geschichtlich rechtsentwickelnde. Solange nämlich das Persönlichkeitsrecht noch nicht im vollen Umfange anerkannt ist, ist es von der größten Wichtigkeit, eine Gesetzesbestimmung zu besitzen, durch welche die Gerichte in der Lage sind, das Persönlichkeitsrecht auch ohne seine Anerkennung zu schützen, und dies geschieht auf Grund des § 826, indem Verletzungen des Persönlichkeitsrechts unter die Verletzungen gegen die guten Sitten mit eingezählt werden. Auf solche Weise können gute Urteile mit unrichtigen Entscheidungsgründen entstehen, und allmählich kann die Anerkennung des Persönlichkeitsrechts heranwachsen!." Indem Kohler die rechtsentwickelnde Funktion dieses Paragraphen für das allgemeine Persönlichkeitsrecht und seine Erscheinungsformen entworfen hat, förderte er sie zugleich; Rechtsprechung und Literatur konnten mit § 826 auf einem Nebenfeld des § 823 Abs. 1 wirken, wenn auch nicht persönlichkeitsrechtlich, so doch persönlichkeitsschützend. Vgl. Börger, S. 63. Kohler, Josef, Lehrbuch des Bürgerlichen Rechts, Bd. 11, 1., Berlin 1906, S. 535; zugleich hat Kohler ausdrücklich geäußert, daß ein allgemeines Persönlichkeitsrecht nicht zu entbehren sei und § 826 offensichtlich nicht ausreiche, vgl. ders., Das Eigenbild im Recht, Berlin 1903, S. 20. 1
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Dies ließ um die Jahrhundertwende einen einflußreichen Teil des Schrifttums von einer Lösung des Problems über § 823 Abs. 1 ganz absehen und stattdessen auf § 823 Abs. 2 und insbesondere auf § 826 ausweichen. Dem Widerstand des Reichsgerichts gegen ein allgemeines Persönlichkeitsrecht ließ sich nur so begegnen, den Persönlichkeitsschutz über § 826 auszubauen, statt auf einem einheitlichen Persönlichkeitsrecht zu beharren;3 der Vorschlag, sich mit diesem Ersatz vorläufig zu begnügen4 , beruhte zudem auf der Einschätzung geringer sonstiger Veränderungschancen, freilich auch auf der Funktion des § 826, der in der rechtlichen Praxis eine Wirkung entfaltete, fast wie Art. 28 ZGB, die persönlichkeitsrechtliche Generalklausel des Schweizer Rechts. 5 Diese vorläufig genügsame, im übrigen abwartende Haltung hatte gegen Ende der 20er Jahre personell die meisten Befürworter wie auch sachlich die größten Erfolgsaussichten, da sich, bei großzügiger Betrachtung, wegen des reichsgerichtlichen Vetos für das allgemeine Persönlichkeitsrecht noch nicht viel geändert hatte. Wer ein Persönlichkeitsrecht ablehnte, wehrte sich deshalb nicht unbedingt gegen einen begrenzten Schutz der Person, um, den Verkehrsbedürfnissen genügend, den vermeintlich schmalen Grat zwischen Wirtschaftsinteressen und hemmender Rücksicht auf den Einzelnen auszubalancieren; wer es verfocht, erhoffte sich neue Ansätze für die Zukunft, lautete doch etwa um 1930 die Trendmeldung, binnen kürzester Zeit werde das Reichsgericht seine Haltung zugunsten des allgemeinen Persönlichkeitsrechts ändern. Neben den Versuchen, das Persönlichkeitsrecht direkt, d. h. über § 823 Abs. 1 durchzusetzen, finden sich zu dieser Zeit viele Stimmen, die, behutsam die eigentliche Konsequenz eines allgemeinen Persönlichkeitsrechts zurücknehmend, stattdessen in § 826 den Wegweiser erblicken, "der bei weitherziger Auslegung seines geschmeidigen Tatbestandes den fortschreitenden Bedürfnissen des Persönlichkeitsrechts gerecht werden kann'." Es schien nicht unbedingt vonnöten, das Persönlichkeitsrecht als Recht anzuerkennen, solange die Rechtsprechung sonstigen "ausreichenden" Schutz verlieh. 7 Abgesehen von dem fragwürdigen Begriff des genügenden Schutzes sprach gegen diese Interimslösung, daß § 826 einen Verstoß gegen die guten Sitten Vgl. Schulz-Schäffer, Das subjektive Recht, S. 138 f. Vgl. Cosack, Konrad, Lehrbuch des Deutschen Bürgerlichen Rechts 1. Bd., Jena 41903, S. 602. 8 Vgl. Specker, Karl, Die Persönlichkeitsrechte mit besonderer Berücksichtigung des Rechts an der Ehre im Schweizerischen Privatrecht, Aarau 1911, S. 52. e Wieruszowski, S. 203. 7 Vgl. Börger, S. 65. 3 4
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11. Teil: Allgemeines Persönlichkeitsrecht als subjektives Recht
verlangte und so den Schädiger möglicherweise diskriminierte.B Freilich führte die Praxis im Laufe der Zeit von der Unsittlichkeit im engeren Sinne zu BilligkeitserwägungenD und schließlich so weit, daß man im Einzelfall im Rahmen von § 826 besser als bei jeder anderen Norm abwägen zu können meinte, ohne moralische Überprüfung oder Wertung. Im übrigen gewährleistete diese Lösung mehr juristische Sicherheit, fühlte man doch bei § 826 den "festen Boden des Gesetzes unter den Füßen" .10 Indessen gilt all dem gegenüber H. Hubmanns Einwand, daß, wer den Schutz der Persönlichkeit hauptsächlich über § 826 gewährleisten will, ihren geringeren Schutz hinnimmt. Für die praktische Rechtsanwendung bedeute dies, nach Hubmanns Ansicht, keinen Gewinn. l l Unmittelbar und dogmatisch sicherlich nicht; langfristig und mittelbar jedoch haben Praxis und theoretische Diskussion des § 826 das allgemeine Persönlichkeitsrecht gefördert. Dies zeigt anschaulich die Rechtsprechung des Reichsgerichts: Ihre ablehnenden Stellungnahmen schließen Entscheidungen nicht aus, die persönlichkeitsrechtliche Grundsätze bejahen. b) Schwerpunkte der Rechtsprechung
Die einschlägigen Entscheidungen des Reichsgerichts betreffen sämtlich besondere Persönlichkeitsrechte; z. T. werden gleichzeitig allgemeine Grundsätze erörtert. Ihre Darstellung wird erweisen, daß § 826 auf dem Gebiet des gewerblichen Rechts die "größte Kraftleistung" zugemutet worden ist. 12 Die erste wichtige Entscheidung hat der VI. Zivilsenat am 17. März 1904 getroffen. 13 Die beklagte Gesellschaft hatte den Kläger wegen agitatorischer Betätigung entlassen. Die Arbeitsnachweisstelle des Verbandes Berliner Metallindustrieller, welche alle Personen, die bei einem seiner Mitglieder Arbeit suchten, überprüfte, hatte dem Kläger einen Nachweisschein verweigert, wodurch ihm die Mitgliedsfirmen 8 Vgl. Bärger, S. 64 f. und Wiethölter, S. 126. • Vgl. Bärger, ebda. und Wiethälter, ebda. 10 Smoschewer, S. 179 ff.; es ist allerdings fraglich, wie sehr man bei dieser Generalklausel auf festen Boden bauen konnte, vgl. Willmund, S. 33 f. 11 Das Persönlichkeitsrecht, S. 153 f. 12 Vgl. Hedemann, Justus W., Werden und Wachsen im Bürgerlichen Recht, Berlin 1913, S. 12: "Ganz unerwartete, merkwürdige riesenhafte Figuren sind während der letzten Jahrzehnte im Bereich des gewerblichen und industriellen Rechts erwachsen, Streik und Boykott, Aussperrung und schwarze Listen, Kartelle und Trusts. Die Rechtsordnung stand diesen Gebilden zunächst ganz hilflos gegenüber." Vgl. auch Kohler, Der unlautere Wettbewerb, S. 20: " ... die damalige Pandektenwissenschaft wußte ja nichts damit anzufangen ..... . 13 RGZ 57,418.
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und damit der größte Teil der Berliner Industriebetriebe der Metallbranche verschlossen waren. Der Kläger machte die Beklagte für den ihm entstandenen Schaden verantwortlich, indem er behauptete, es verstoße gegen die guten Sitten, wenn die Beklagte es ihm im höchsten Grade erschwere, in seinem Berufe weiter tätig zu werden. Das Reichsgericht erklärte im Unterschied zu den Vorinstanzen den Klaganspruch für berechtigt. Der Senat prüfte die Maßregel des Verbandes als unerlaubte Handlung mit der Folge einer Haftung aus § 826 und stellte fest, daß eine solche Arbeitssperre einer vollständigen Ausschließung des Arbeiters von jedem größeren Betrieb der Metallbranche nahekam; er warf die Frage auf, "ob nicht eine Einrichtung, die einem Unternehmerverbande einen so eminenten Eingriff in die Betätigung der Arbeitskraft eines anderen ermöglicht, und bzw. die Betätigung der dadurch gegebenen Gewalt als gegen das Gesetz verstoßend anzusehen seP4." Das Gericht bewertete die Maßregel als sehr schweren Eingriff in das wirtschaftliche Leben des Betroffenen und verurteilte die Beklagte zu Schadensersatz wegen Verstoßes gegen die guten Sitten, da dem Kläger "die Gewinnung von Arbeitsgelegenheit auf einem gewerblichen Gebiet, das bezüglich der Zahl der darin beschäftigten Arbeiter in allererster Reihe steht, in weitestgehender Weise beschränkt und erschwert" werde; auch "in den Kämpfen, die der gewerbliche Wettbewerb und in besonderer Schärfe der Interessen- und Klassengegensatz zwischen den Arbeitgebern und Arbeitnehmern im gewerblichen Großbetriebe mit sich bringt", widerspreche dies den bestehenden Sittenanschauungen oder erscheine unbillig und ungerecht. t5 In ständiger Rechtsprechung wiederholte das Reichsgericht immer wieder den Grundsatz, daß Arbeitsmöglichkeiten nicht sittenwidrig beeinträchtigt werden dürften. t8 Trotzdem scheint der Schluß fernzuliegen, daraus irgendwann ein absolutes Recht auf Betätigung der Arbeitskraft zu formulieren,17 Stattdessen hat die reichs gerichtliche Praxis selbst bei einer Annäherung an den Charakter eines schützenswerten Rechtsguts die sozialen Schranken so weit gefaßt, daß sie sich weder eindeutig noch endgültig bestimmen ließen. So bleibt festzuhalten, daß das Reichsgericht ein Persönlichkeitsrecht auf Betätigung der Arbeitskraft grundsätzlich abgelehnt hat t8 , wenn es auch der Persönlichkeit in diesem Bereich nicht jeglichen Schutz verwehrte. Derlei Ebda., S. 426. Ebda., S. 427. 18 Vgl. Hubmann, Das Persönlichkeitsrecht, S. 189 und RGZ 71, 108 vom 3. Mai 1909; RGZ 104, 327 vom 6. April 1922; RG, in: JW 1930, S. 410 vom 30. Mai 1929. 17 Vgl. aber Hubmann, ebda. 18 Vgl. RGZ 51, 369 vom 29. Mai 1902. 14
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11. Teil: Allgemeines Persönlichkeitsrecht als subjektives Recht
labile Rechtsverhältnisse konnten schließlich nicht verhindern, daß ein auch nur um weniges erweiterter und ausgebauter Schutz zu der Konsequenz eines besonderen Persönlichkeitsrechts verleitete oder doch fordern ließ. Auf diese oder jene Weise mußte das wiederum dem Gedanken eines allgemeinen Persönlichkeits rechts dienlich sein. Das Reichsgericht freilich begnügte sich vorerst mit § 826. Im Urteil desselben Senats vom 15. November 1909 hatte der Kläger Ersatz des Schadens gefordert, der ihm durch den Versuch seiner Frau und ihrer Verwandten sowie des beklagten Arztes entstanden war, ihn wider besseres Wissen wegen Geisteskrankheit zu entmündigen. Das Reichsgericht wollte § 826 angewandt wissen wegen schweren Eingriffs in die persönlichen Verhältnisse des Klägers. 111 Zu einem Schutz der wirtschaftlichen Existenz über § 826 gelangte das Reichsgericht in der Entscheidung vom 13. Januar 1927.20 Hier hatte eine Auskunftei eine Verurteilung des Klägers wegen Meineids, versuchten Betrugs und Unterschlagung ete. nach 20 Jahren an Kunden weitergegeben und damit nach Ansicht des Senats gegen die zur sittlichen Norm gewordenen Anschauungen verstoßen, daß eine schwere, insbesondere einmalige Bestrafung "dem Verurteilten nicht lebenslang nachgetragen werden darf, daß ihm vielmehr dazu verholfen werden muß ... sich ein neues wirtschaftliches Leben aufzubauen ...21." Die Auskunftei habe ihre "allgemeine Menschenpflicht" verletzt.!! In seiner berühmten, oben abgehandelten Entscheidung vom 9. Juli 1929 23 hätte das OLG Kiel lieber ein allgemeines Persönlichkeitsrecht zugrundegelegt, behalf sich im konkreten Fall aber mit § 826, der "jedenfalls auch" einschlägig sei, "selbst wenn man Bedenken haben sollte, ihn schon aus dem Rechte der Persönlichkeit herzuleiten24 ." Deutlicher läßt sich kaum die Funktion beschreiben, die § 826 inzwischen angenommen hatte: Als zweckdienliches Instrument eines Kompromisses diente er ausdrücklich der Absicherung persönlichkeitsrechtlicher Grundsätze. Diese Entscheidung wurde denn auch als weiterer Erfolg auf dem Wege zu einem Persönlichkeitsrecht verbucht 25 , auf dem § 826 Wegweiser und Notbehelf sein sollte. Man wies auf eine wenig ältere Ent19
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Vgl. auch RGZ 85, 343 vom 19. Okt. 1914. RGZ 115, 416. Ebda., S. 417. Vgl. RGZ 162, 7 vom 4. Okt. 1933. In: JW 1930, S. 78. Ebda. Vgl. z. B. Adler, Emanuel, in: JW 1930, S. 78ff.
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scheidung des Landgerichts Berlin vom 6. März 192826 hin, in der sich die Grenzen des Aushilfsparagraphen auftaten. Die Kläger hatten beantragt, der Beklagten zu untersagen, ein Schriftwerk zu verbreiten, in dem diese die Lebensgeschichte der Kläger samt Namen mitgeteilt hatte. Die Beklagte hatte die Kläger weder vorsätzlich noch sittenwidrig verletzt. Das LG merkt an, daß die Rechtsprechung für das deutsche Recht ein allgemeines Persönlichkeitsrecht immer abgelehnt habe, und fährt dann fort: "Man kann aber aus den gesetzlich besonders geregelten Persönlichkeitsrechten, insbesondere aus dem Namensrecht und dem Recht am eigenen Bilde, folgern, daß die Darstellung einer Persönlichkeit in einem Schriftwerk stets dann unzulässig ist, wenn die Persönlichkeit ein berechtigtes Interesse daran hat, daß die Darstellung unterbleibt27." Im Grunde schließt das LG damit auf ein allgemeines Persänlichkeitsrecht, ohne seine Entscheidung darauf zu stützen. Vielmehr leitet es sie aus besonders geregelten Persönlichkeitsrechten ab. Damit zeigt es, daß noch andere Wege gangbar waren, wenn § 826 einmal ausfallen sollte. § 826 blieb allerdings der "Normalbehelf" .28 In dem Beschluß vom 10. November 1930 29 schließlich setzte sich das Kammergericht mit der Problematik des allgemeinen Persänlichkeitsrechts auseinander. Die Antragstellerin hatte bei dem Gegner als Stenotypistin gearbeitet und aus ihrer Lebensgeschichte erzählt. Sie behauptete, der vom Antragsgegner ver faßte Roman "eine gewisse Viktoria" enthalte eine Reihe von Episoden aus ihrem Leben, bei deren romanhafter Aufbereitung sie gestaltend mitgewirkt habe; deshalb stehe ihr ein Miturheberrecht zu; der Antragsgegner hätte den Roman ohne ihre Zustimmung nicht veröffentlichen dürfen, denn seine Verbreitung enthalte eine sittenwidrige Schädigung und Beeinträchtigung ihrer übrigen Interessen. Das KG verneinte das Miturheberrecht, während es den Unterlassungsanspruch aus persönlichkeitsrechtlichen Gesichtspunkten anerkannte. In seiner Begründung stellt es fest, daß das Reichsgericht in ständiger Rechtsprechung ein allgemeines Persönlichkeitsrecht abgelehnt habe, weist auf die Zweifel hin, die in der neueren Rechtsprechung laut geworden sind, und gelangt zu dem Schluß: "Auf jeden Fall hat das zum Kreise des Persönlichkeitsrechts gehörige Recht des Einzelnen auf seine sogenannte Geheimsphäre in wachsendem Maße Anerkennung durch die Rechtsprechung gefunden. Die Grundlage hierfür bildet die Auffassung, daß es bei Vorliegen gewisser Voraussetzungen 20 27 28 28
In: JW 1929, S. 451. Ebda. Vgl. KG vom 22. Jan. 1942, in: Ufita 15, S. 267. In: Ufita 4, S. 319 ff.
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11. Teil: Allgemeines Persönlichkeitsrecht als subjektives Recht
den heutigen, gemäß §§ 138, 826 BGB auch für das Rechtsleben maßgeblichen sittlichen Anschauungen widerspricht, wenn Lebensumstände und Lebensgeschichte des Einzelnen einem weiteren Personenkreise oder sogar der breiten Offentlichkeit mitgeteilt werden30 ." Das KG plädiert im Grunde für ein allgemeines Persönlichkeitsrecht, bedarf dessen aber nicht, da wie im Fall des OLG Kiel 3t mit § 826 BGB ausgeholfen werden konnte. Wie ersichtlich, tendierte die Rechtsprechung dazu, im Rahmen von § 826 dem Persönlichkeitsrecht immer offener nachzugehen. Mehr als 20 Jahre sollten jedoch noch vergehen, bis sich der I. Zivilsenat des BGH in seiner Entscheidung vom 25. Mai 1954, dem "Schacht-BriefUrteil", grundsätzlich mit dem Persönlichkeits recht befaßte32 : Die Beklagte hatte in ihrer Wochenzeitung einen Artikel über Hjalmar Schacht veröffentlicht, der zu einer von Schacht gegründeten neuen Außenhandelsbank Stellung nahm; darin setzte sich die Zeitung mit dem politischen Wirken Schachts während des Nationalsozialismus und nach dem Krieg auseinander. Der Kläger, ein Rechtsanwalt, sandte im Auftrag Schachts ein Schreiben an die Beklagte, das die Aufforderung zur Berichtigung enthielt und sich auf das Pressegesetz i. V. mit dem BGB und auf das Urheberrecht stützte. Mit entstellenden Auslassungen veröffentlichte die Beklagte die Zuschrift unter der Rubrik "Leserbriefe". Der Kläger fühlte sich dadurch in seinen Persönlichkeitsrechten verletzt. Der BGH gab seiner Klage statt, indem er erstmalig ein allgemeines Persönlichkeitsrecht anerkannte. Dazu führte er im Hinblick auf das Problem des § 826 BGB aus: "Das Reichsgericht hat zwar in zahlreichen Entscheidungen über § 826 BGB Persönlichkeitsrechten Schutz zugebilligt, ... aber grundsätzlich Persönlichkeitsrechte mit der absoluten Wirkung der Ausschließungsbefugnis nur für bestimmte einzelne Persönlichkeitsgüter anerkannt8!." Der BGH unterscheidet zwischen solchen Persönlichkeitsrechten mit der "absoluten Wirkung der Ausschließungsbefugnis" , wie sie das Reichsgericht lediglich für wenige Persönlichkeitsgüter anerkannt hat, und dem Schutz, den jenes weiteren Persönlichkeitsgütern zugebilligt hat, ohne sie als Rechte aufzufassen. Das Urteil stellt sich so als Konsequenz der Rechtsprechungstradition des Reichsgerichts dar; es verdeutlicht zugleich ihre Entwicklung: Der BGH spricht von Persönlichkeitsrechten, wo das Reichsgericht noch Persönlichkeitsgütern Schutz gewährt hat. Die Entscheidung würdigt die Schrittmacherdienste 30 31
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Ebda., S. 322. In: JW 1930, S. 78. BGHZ 13, 334. Ebda., S. 337 f.
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der früheren Rechtsprechung, die diese für die Anerkennung des allgemeinen Persönlichkeits rechts verrichtet habe: "Nachdem nunmehr das Grundgesetz das Recht des Menschen auf Achtung seiner Würde (Art. 1 Grundgesetz) und das Recht auf freie Entfaltung seiner Persönlichkeit auch als privates, von jedermann zu achtendes Recht anerkennt ... , muß das allgemeine Persönlichkeits recht als ein verfassungmäßig gewährleistetes Grundrecht angesehen werden ...34." Die Begründung des BGH fußt allerdings weniger auf Entwicklungen, wie sie etwa um 1930 ausgereift waren. Vielmehr hatte man erst nach 1945 unter dem unmittelbaren Eindruck des Zweiten Weltkriegs von verschiedenen Seiten auf den Ausbau des allgemeinen Persönlichkeitsrechts anstelle von § 826 gedrängt, nicht ohne die Verdienste dieser Bestimmung anzuerkennen. 35 Erst jetzt konnte man überblicken, daß mit ihm - nach der Vorhersage Kohlers - "auch im deutschen Recht trotz der Ablehnung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts praktisch ein weitgehender Schutz der Persönlichkeit geschaffen" worden war, dem freilich durch die Ablehnung eines allgemeinen Persönlichkeitsrechts der konsequente letzte Orientierungspunkt fehle. 36 Gelegentlich behauptete man sogar euphemistisch, die Rechtsprechung des Reichsgerichts habe ein allgemeines Persönlichkeitsrecht im Rahmen des § 826 praktisch längst anerkannt. 37 Das Grundsatzurteil des BGH wie auch die zuvor erhobenen Forderungen nach dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht sind als Ergebnisse jener kontinuierlichen Diskussion um § 826 als der wichtigsten Vorschrift zur Verwirklichung "eines Rechtes höherer Ordnung" zu verstehen. § 826 hat damit, ähnlich den besonderen Persönlichkeitsrechten im Urheber- oder Patentrecht etc., einen wichtigen Beitrag für das allgemeine Persönlichkeitsrecht geleistet. Da er vielfach in gegenteiliger Absicht, zur Abwehr des allgemeinen Persönlichkeitsrechts herangezogen worden ist, mußte sich der Versuch, ihn als Grundlage des Persönlichkeitsrechts zu entwickeln, besonders mühevoll und widersprüchlich durchsetzen.
Ebda., S. 338. VgI. Coing, Helmut, Das Grundrecht der Menschenwürde, Der strafrechtliche Schutz der Menschlichkeit und das Persönlichkeitsrecht des bürgerlichen Rechts, in: SJZ 1947, S. 642. 38 Ebda. 37 Coing, in: Staudinger / Coing, Vorbemerkung 21 vor § 1, S. 60. Eine entschiedene Ablehnung dieser These findet sich bei Maass, S. 9 ff.; nach Maass blieb § 826 BGB ein reines Vermögensdelikt des Reichsgerichts. 34
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II. Teil: Allgemeines Persönlichkeitsrecht als subjektives Recht
2. Zum aktionenredJ.tlimen Gehalt der Entwicklung des PersönlichkeitsredJ.ts Bis zur Anerkennung durch den BGH 1954 ermangelte dem Persönlichkeitsrecht nicht nur das Recht auf immateriellen Schadensersatz, sondern auch eine Ausgestaltung prozessualer Durchsetzungsmöglichkeiten, wie sie insbesondere die Unterlassungsklage bietet. Der Streit um jene dokumentiert wiederum deren Verflechtung mit der Entwicklung des Persönlichkeits rechts, sind doch die Persönlichkeitsgüter vom Gesetzgeber dann erst recht nicht hinreichend geschützt worden, wenn eine wirksame Abwehr durch die Unterlassungsklage auch noch unterbleiben soll.38 Deshalb verbanden die Verfechter des allgemeinen Persönlichkeitsrechts und seiner Besonderungen ihre Schutzvorschläge mit der Forderung nach der Unterlassungsklage. Z. T. gingen sie sogar so weit, daß sie in der Befugnis, eine Klage zu erheben, bereits einen Ausfluß des Persönlichkeitsrechts erblickten; dies galt ganz besonders für die Unterlassungsklage. 3ß Wer dagegen ein Persönlichkeits recht ablehnte, suchte, wie das Reichsgericht, nach anderen Lösungen. a) Die deliktische Unterlassungsklage
Der VI. Senat des Reichsgerichts begründete am 11. April 1901 eine Unterlassungsklage von der deliktischen Seite her. 40 Ein Frachtunternehmen hatte einer Speditionsfirma angedroht, es werde eine andere Firma bitten, sich zukünftig nicht mehr der Speditionsfirma für Vermittlungsgeschäfte zu bedienen. Die Speditionsfirma erhob u. a. Klage auf Unterlassung dieser Mitteilung. Das Landgericht entsprach dem Antrag der J(lägerin. Das Berufungsgericht wies die Klage ab. Das Reichsgericht gab der Revision statt und stellte das erstinstanzliche Urteil wieder her. Ein wettbewerbswidriges Verhalten nach den §§ 1, 6, 8 UWG vom 27. Mai 1896, die einen Anspruch auf Unterlassung ergaben, lag nicht vor. Das Reichsgericht betonte indessen, daß trotzdem ein Bedürfnis für diesen Rechtsschutz bestehe; das BGB habe durch die besondere Normierung der Ansprüche auf Unterlassung in den §§ 12, 862 und 1004 einen Anspruch für die anderen Gebiete des BGB nicht ausschließen wollen. Dafür sprach, daß die §§ 1, 2, 6, 8 des UWG ebenfalls Unterlassungsansprüche gewährten. Da diese Vorschriften nicht alle Erscheinungsformen unlauteren Wettbewerbs treffen konnten und 38 Vgl. Kirchhof, S. 64 und HohZoch, Gerhard, Die negatorischen Anspruche und ihre Beziehungen zum Schadensersatz, Diss. Freiburg 1975, S. 40 f. Auf den nachträglichen Rechtsschutz soll hier nicht eingegangen werden. 38 Vgl. Lobe, Die Bekämpfung, S. 331 ff.; ders., Unterlassungs anspruch und Strafgesetz, in: GRUR 1917, S. 15 ff. und Smoschewer, S. 169 ff. 40 RGZ 48, 114 ff.
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wollten, sondern nur ihre ausgeprägtesten, erklärte das Reichsgericht, daß die allgemeinen Bestimmungen des BGB herangezogen werden müßten, um Lücken zu schließen. § 826 BGB schien dazu besonders geeignet zu sein. Das bedeutete, daß nach Ansicht des Reichsgerichts über die gesetzlich geregelten Fälle hinaus ein Anspruch auf Unterlassung wenigstens da zu gewähren sei, "wo ein unerlaubtes Verhalten bereits verwirklicht wurde, aber weitere Eingriffe zu besorgen sind, wo mit der Klage die Fortsetzung oder Vollendung der verübten bzw. begonnenen Schädigung verhütet werden SOll41." Das Reichsgericht hatte sich damit gegen eine Analogie zu den absolut geschützten Positionen der §§ 12, 1004 des BGB entschieden und stattdessen den deliktischen, diskriminierenden Schadensersatzanspruch des § 826 herangezogen, um die Unterlassungspflicht zu begründen. Da das Wettbewerbsrecht wesentlich auf den Grundsätzen des § 826 errichtet worden war, konnte sich das Reichsgericht auf bereits entwickelte Prinzipien berufen. 42 Daneben erwähnte der Senat die Möglichkeit, den Unterlassungsanspruch auf eine Analogie zu den negatorischen Klagen zu stützen; er ließ eine Entschädigung im vorliegenden Fall dahingestellt bleiben, fuhr jedoch fort: "Für diejenigen, welche dem Gewerbebetrieb, dessen Ausübung durch Erwerbung von Kundschaft usw. den Charakter eines subjektiven Rechtes ("Individualrechte") zuschreiben, ergibt sich allerdings die Zulässigkeit einer solchen quasinegatorischen Klage aus der absoluten Natur des Rechtes 43 ." Das Gericht sah sich nicht genötigt, sich damit auseinanderzusetzen. Sein Hinweis aber markierte nicht nur den Weg, den es später selbst einschlagen sollte, sondern hat denselben als eine mögliche Lösung den Verfechte rn des Persönlichkeitsrechts zugeordnet. 44
b) Die actio quasinegatoria Grundlegend für die quasinegatorische Unterlassungsklage ist das Urteil vom 5. Januar 1905 geworden.45 Der Beklagte verfaßte und ließ ein Buch erscheinen, das durch seine Behauptungen den Kredit der Klägerin und ihren Erwerb gefährden konnte. Die Klägerin beantragte und erlangte eine einstweilige Verfügung, die dem Beklagten verbot, 41 Ebda., S. 118. 42 Ebda., S. 120. Zur Kritik an dieser Entscheidung vgl. HohZoch, S. 42 f. und Kirchhof, S. 66. 43 RGZ 48, 120 f. " Vgl. als weitere "deliktsrechtliche" Entscheidungen RGZ 56, 271 vom 14. Dez. 1902; RGZ 60, 121 vom 9. Jan. 1905; RGZ 72, 251 vom 3. Dez. 1909; RGZ 79, 17 vom 8. Febr. 1912; RGZ 82, 59 vom 15. März 1913; RGZ 88, 129 vom 24. Febr. 1915; RGZ 91, 265 vom 5. Nov. 1917. Von Seiten der Literatur sei besonders auf EZtzbacher, Die Unterlassungsklage, S. 73 ff. hingewiesen. 46 RGZ 60, 6. 16 Slmon
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seine Behauptungen weiter zu verbreiten. Das Landgericht hielt die einstweilige Verfügung gegen den Widerspruch des Beklagten aufrecht; dessen Berufung hatte Erfolg, ebenso jedoch die dagegen gerichtete Revision. Der VI. Senat des Reichsgerichts rügte das Berufungsgericht, das den Anspruch auf Unterlassung unerlaubter Handlung beschränkt hatte. 48 Er selbst gewährte, ohne wie bei der Schadensersatzpflicht aus unerlaubter Handlung ein Verschulden voraussetzen zu müssen, die Unterlassungsklage bei jedem "objektiv widerrechtlichen Eingriff in ein vom Gesetz geschütztes Rechtsgut ... , wenn weitere Beeinträchtigungen zu besorgen sind."47 Mehrere Entscheidungen bestätigten diese Rechtsprechung, in denen der in § 1004 enthaltene Rechtsgedanke aus Bedürfnissen des Verkehrs über den Kreis der absoluten Rechte hinaus ausgedehnt wurde, um auch andere Rechtsgüter gegen wiederholte rechtswidrige Eingriffe zu schützen. 48 Eine die Verkehrsbedürfnisse juristisch spezifizierende Begründung für diese Lesart gab das Reichsgericht nicht. In der Entscheidung vom 11. April 1901 49 führte es lediglich die Unterlassungsklage des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb sowie die eigene Rechtsprechungstradition an, insbesondere die Urteile vom 6. März 1890 und vom 8. Januar 1897 5°, die allerdings Sonderfälle betrafen, deren erstes sogar nach französischem Recht ergangen war51 • Ausschlaggebend blieben so das "Bedürfnis für einen solchen Rechtsschutz" bzw. die "Verkehrsbedürfnisse" , welche eine plausible dogmatische Grundlage benötigten. Diese fand sich in der actio quasi negatoria, da diese actio keinen diskriminierenden Charakter hatte und im Unterschied zur Schadensersatzpflicht aus unerlaubter Handlung auf ein Verschulden verzichtete. 52 Die Rechtsprechung des Reichsgerichts sucht derart einen Ausweg aus den schutzbedürftigen Konflikten, ohne diese rechtlich unter das Ebda., S. 7. Ebda. 48 Vgl. RGZ 109, 50 vom 7. Okt. 1924; davor lag z. B. das Urteil vom 16. Okt. 1905, RGZ 61, 366. 41 RGZ 48, 114. 50 RGZ 25, 374 und RGZ 38, 379. 51 Vgl. Kirchhof, S. 68. 52 Auf die Darstellung der Beseitigungsklage in ihrer deliktischen und quasinegatorischen Gestalt kann hier verzichtet werden, da deliktische und quasinegatorische Unterlassungsklagen den Weg der Rechtsprechung in ihrem Bemühen hinreichend kennzeichnen, die Persönlichkeitssphäre nach den Bedürfnissen des Verkehrs zu schützen, ohne das Persönlichkeitsrecht selbst anerkennen zu müssen. 4e 47
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Persönlichkeits recht subsumieren zu wollen. Gleichwohl hat sie persönlichkeitsrechtliche Belange berücksichtigt, wie eine Rechtsgutanalyse zeigt: Im ersten Fall, dem Urteil vom 11. April 1901,63 handelte es sich um einen Eingriff in einen Gewerbebetrieb, also in materialisierte und ausgeübte Unternehmertätigkeit. Das Urteil vom 5. Januar 190564 betraf eine Kreditgefährdung und mögliche Nachteile daraus für den Erwerb. Zu dem geschützten Rechtsgut führte das Reichsgericht aus: .. Das Bürgerliche Gesetzbuch schützt, wie sich aus § 824 ergibt, den Kredit, den Erwerb und das Fortkommen einer Person als ein besonderes, der Verletzung zugängliches Rechtsgut." Die Entscheidung vom 16. Oktober 1905 55 legte den Erwerb des Klägers als geschütztes Rechtsgut zugrunde. Dies gilt ebenso für das Urteil vom 23. Oktober 1914.66 Das geschützte Rechtsgut Ehre war hingegen Gegenstand des Urteils vom 12. Mai 191957 • Am 7. Oktober 1924 sprach das Reichsgericht 58 von einem rechtswidrigen Eingriff in die .. Persönlichkeitsrechte des Klägers" und von einer .. Beeinträchtigung seiner gewerblichen Betätigung und Persönlichkeit". RGZ 116, 151 vom 15. Februar 1927 59 betraf den Schutz der freien Erwerbstätigkeit der kleineren Gewerbetreibenden. GO Bemerkenswert, daß das Reichsgericht in diesem Fall erstmals von den ..vom Recht anerkannten Rechtsgütern" sprach, im Unterschied zu dem sonst benutzten Ausdruck ..vom Gesetz geschützte Rechtsgüter" .61 Einer Entscheidung des Reichsgerichts62 aus dem Jahre 1937 lag die Behauptung des Beklagten zugrunde, die Ehefrau des Klägers habe einen Mann in ihr Zimmer einsteigen lassen. Der Kläger maß dem Vorwurf ehrverletztenden Charakter bei und wollte mit seiner Klage eine zu erwartende Wiederholung verhindern. Das Reichsgericht sah in der Verletzung der Ehre der Ehefrau einen Angriff auf die Ehre des Ehemannes und hielt die für die vorbeugende Unterlassungsklage erforderliche Voraussetzung, daß in ein geschütztes Rechtsgut widerrechtlich eingegriffen und ein weiterer Eingriff zu besorgen sei, für gegeben. G3 53
RGZ 48, 114.
sc RGZ 60, 6.
RGZ 61, 366. In: JW 1915, 29. 57 RGZ 95, 339. 58 RGZ 109, 50. 59 VgI. die ausführlichere Darstellung, in: JW 1927, S. 1471 ff. 60 Vgl. Smoschewer, S. 172. 81 VgI. Börger, S. 57 f. und Smoschewer, ebda. 62 RGZ 156,372 vom 2. Sept. 1937. ea Ebda. 55
56
244
11. Teil: Allgemeines Persönlichkeitsrecht als subjektives Recht
Die Ehre als ein von der Rechtsprechung nicht anerkanntes besonderes Persönlichkeitsrecht wird hiermit vom Reichsgericht im Ergebnis wie ein absolutes subjektives Recht geschützt. Alle diese Fälle betrafen Güter, die z. T. als besondere Persönlichkeitsrechte begriffen oder unter das allgemeine eingereiht wurden. Sie bekräftigten die Vermutung, daß die quasinegatorische Unterlassungsklage dazu diente, eine direkte, aus einem Persönlichkeitsrecht als absolutem subjektiven Recht zu folgernde Unterlassungsklage zu ersetzen, das Persönlichkeitsrecht also überflüssig zu machen. Insofern hat die Unterlassungsklage Katalysator-Funktion, welche die Osmose persönlichkeitsrechtlicher Grundsätze bei abweisender Oberfläche begünstigt und so den Boden für eine Anerkennung des Persönlichkeitsrechts durch den BGH bereitet hat. c) Stellungnahme der Wissenschaft
Unmittelbar nach Inkrafttreten des BGB beklagte sich das juristische Schrifttum über den unzureichenden Schutz der Persönlichkeit, die durch die Unterlassungsklage nicht mehr erfaßt sein sollte. Man wollte nicht akzeptieren, daß das BGB die Klage beseitigt hatte, obwohl die Praxis des code civil sie zum Persönlichkeitsschutz geschaffen und auch in Deutschland eingeführt hatte. 64 Man unterstellte, die Verfasser des BGB seien sich wohl nicht darüber klar gewesen, daß sie Rechte verliehen, indem sie Schadenersatzansprüche an die Verletzung des Lebens, des Körpers etc. knüpften. 65 Die Ursache für das Versäumnis sei daher nicht ein einschränkendes Konzept des Gesetzbuches, sondern mangelnder überblick des Gesetzgebers. Anhaltspunkte dafür boten die Gesetzesmaterialien. 66 Der Vorwurf beruht allerdings auf der Prämisse, die Anerkennung eines Persönlichkeitsrechts sei unzweifelhaft das Gebot der Stunde.67 Er fußt außerdem auf einem falschen Vorverständnis: Die Kommission wollte die Frage des allgemeinen Persönlichkeitsrechts Wissenschaft und Rechtsprechung überlassen; sie hat ein grundlegendes Persönlichkeitsrecht weder unmittelbar noch mittelbar anerkannt. Es verbietet sich also, das Fehlen der Unterlassungsklage in Gesetz und Gesetzesmaterialien etwa mangelhafter Einsicht der Beteiligten zuzuschreiben. Der Zusammenhang zwischen fehlender Unterlassungsklage und fehlendem allgemeinen Persönlichkeitsrecht, das trotz Kenntnis der spezifischen Problemlage an der übertragung der
64 65
88 87
Vgl. Eltzbacher, Die Unterlassungsklage, S. 103Vgl. ebda. Vgl. ebda., S. 103. Vgl. ebda., S. 90 ff.
7. Kap.: Die Beiträge der §§ 826 und 1004 BGB
245
Eigentumsdogmatik auf immaterielle Werte gescheitert ist, dies wie auch die Ablehnung des Ersatzes immaterieller Schäden weist vielmehr auf eine Struktur hin, die sowohl Normierungen als auch ihre Auslassung begründet: Wo materielle Prinzipien die übertragung erlaubt hätten, sollten dies die ethischen verhindern. Diese ambivalente Haltung konnten Rechtsprechung und Wissenschaft erst im Laufe der folgenden Jahrzehnte durchbrechen. 1929, als ein allgemeines Persönlichkeitsrecht energisch gefordert und Besonderungen teilweise realisiert wurden, betonte A. Lobe in einem Rückblick auf die Tätigkeit des Reichsgerichts die bedeutsame Fortbildung des Rechts durch die Ausbildung der Unterlassungsklage, wie sie inzwischen als actio negatoria und als quasi negatoria einzelne Persönlichkeitsrechte schützte: "Die Versagung der Anerkennung eines solchen absoluten Persönlichkeitsrechts hat dann das Reichsgericht dazu geführt, aus jeder verwirklichten unerlaubten Handlung bei Wiederholungsgefahr dem Verletzten einen Unterlassungsanspruch zu gewähren 68 ." In einer Veröffentlichung von 1917 hatte sich Lobe noch kämpferischer ausgedrückt. Er warf dem Reichsgericht vor, zwar die Notwendigkeit des Unterlassungsanspruchs zu erkennen, dem ihm zugrunde liegenden Recht jedoch die Existenzberechtigung abzusprechen. 6D Als einzig sicherer Anhalt für ein besonderes Rechtsschutzbedürfnis erwies sich aber für Lobe immer wieder der Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht70 , "das hinter allem steht ... und dessen Verletzung das besondere Bedürfnis nach einem privatrechtlichen Schutz durch eine Unterlassungsklage begründet."71
In der Zwischenzeit hatte die mit der Unterlassungsklage operierende Rechtsprechung den Schutz der Persönlichkeit und auch den Gedanken vom allgemeinen Persönlichkeitsrecht derart gefestigt, daß man dafür plädierte, die bereits angebahnte Anerkennung des Persönlichkeitsrechts zu vollenden und das Mittel der quasinegatorischen Unterlassungsklage so überflüssig zu machen. 72 Da jedoch dieser Verzicht auf den so erfolgreich eingesetzten Notbehelf lediglich vereinzelt gefordert wurde, fuhren die Vertreter der Lehre von einem allgemeinen Persönlichkeitsrecht fort, sich der actio quasi negatoria zu bedienen; selbst wenn sie die actio wegen dogmatischer Unhaltbarkeit ablehnten, setzten sie sie als Argumentationshilfe ein. 73 Der Unterschied zwischen Lobe, Fünfzig Jahre Reichsgericht, S. 257. Lobe, Unterlassungsanspruch, S. 18. 10 Ebda., S. 22. 11 Ebda., S. 21. 12 Vgl. RosenthaZ, Wettbewerbsgesetz, Berlin 11928, S. 17. 13 Vgl. Kirchhof, S. 69. 88
89
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11. Teil: Allgemeines Persönlichkeitsrecht als subjektives Recht
subjektivem Recht und bloß geschütztem Rechtsgut verlor dadurch an Bedeutung, daß die durch die Unterlassungsklage zunehmend geschützten persönlichen Rechtsgüter "praktisch absoluten subjektiven Rechten gleichgestellt" wurden. 74 Das allgemeine Persönlichkeitsrecht bestätigte sich mittels der Unterlassungsklage sozusagen aus sich selbst, denn es mußte "unbedingt als immer neue Quelle für die actio quasi negatoria betrachtet werden ..."; sie ihrerseits schien "den in dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht schlummernden Persönlichkeitsgütern geradezu vorbehalten 75 ." In solcher Ergänzung durch rechtlich geschützte Persönlichkeitsgüter sah man die Möglichkeit, den Persönlichkeitsschutz umfassend zu sichern76 , bis man schließlich - so Fritz Smoschewer - aus allen betroffenen Rechtsgütern die Persönlichkeit insgesamt und damit ein allgemeines Persönlichkeitsrecht hätte herausfiltern müssen. 77 Hat sich diese Erwartung auch in der unmittelbar folgenden Zeit nicht bewahrheitet, so trug doch die actio quasi negatoria zur Begriffsentfaltung und -durchsetzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts Entscheidendes bei. Jene Wechselwirkung zwischen Persönlichkeitsrecht und Unterlassungsklage wurde bereits 1927 in dem Umstand begrüßt, "daß die Fortschritte des vorbeugenden Rechtsschutzes gerade von der Bewegung für das Persönlichkeitsrecht entscheidenden Anstoß erfahren haben ... Und das bedeutet eben die Erhebung des Persönlichkeitsrechts zum Range einer absolut wirksamen Ausschließungsbefugnis ... Damit war dann aber auch eine erhebliche Verstärkung relativer Wirkungskraft für das ganze Persönlichkeitsrecht gewonnen; denn nunmehr konnte man es im ganzen Umfang seines Herrschaftsbereichs den ,sonstigen Rechten' des § 823 Abs. 1 einordnen und so den ausgleichenden Deliktschutz nicht mehr bloß bei vorsätzlichem und sittenwidrigem, sondern auch schon bei nur fahrlässigem Eingriff gewähren78 ."
74
75 11
77 78
Hubmann, Das Persönlichkeitsrecht, S. 357. Willmund, S. 34.
Vgl. ebda.
Smoschewer, S. 170 ff.
A. Wieruszowski, aaO, S. 227 f.
Der Begriff Persönlichkeit ist nicht zu retten. (Th. W. Adorno)
Ergebnis 1954 hatte der Bundesgerichtshof mit einem Grundsatz der Rechtsprechung des Reichsgerichts gebrochen, demzufolge ein allgemeines Persönlichkeits recht dem geltenden bürgerlichen Recht fremd ist. Wenig später, am 14. Februar 19581 , gewährte das Gericht darüber hinaus immateriellen Schadensersatz: Eine pharmazeutische Firma hatte ohne Einwilligung das Bild eines bekannten Herrenreiters verbreitet, das ihn werbewirksam auf seinem Pferde zeigte. Der BGH sah persönlichkeitsrechtliche Befugnisse am eigenen Bild verletzt und ließ die bisherige Rechtsprechung zum immateriellen Schadensersatz mit der Begründung hinter sich, daß ein Schutz der "inneren Freiheit" ohne Ersatz dieser Schäden weitgehend unwirksam sei. Das Gericht grenzte sich damit von einem Urteil ab, in dem es noch kurz zuvor, am 8. Mai 1956 2 , ausgeführt hatte, daß immaterieller Schaden und Geldersatzanspruch unvereinbar seien. Damals hatte eine Werbefirma ebenfalls ohne Einwilligung eine Aufnahme des Schauspielers Paul Dahlke verbreitet. Obwohl der Schauspieler gegen Entgelt nichts an einer Publizierung auszusetzen gehabt hätte, sprach ihm der BGH u. a. eine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts zu, statt Schmerzensgeld freilich einen materiellen Schadensersatz als Ausgleich wirtschaftlicher Interessen. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht, dessen ideeller Charakter immer wieder hervorgehoben worden war, bekam hier erstmals einen überwiegend materiellen Zug. Mit der Entscheidung aus dem Jahr 1958 setzte der BGH durch, was die Gesetzgeber des BGB und ständige höchst richterliche Rechtsprechung verhindern wollte: Ethische Grundsätze sollten keinesfalls durch materielle Entschädigung abgegolten werden können. Noch sollte die gewerbliche Nutzung der eigenen Persönlichkeitssphäre begünstigt werden, wie sie tendenziell im Persönlichkeitsrecht als Objekt-SubjektIdentität angelegt und bereits von Savigny hellsichtig kritisiert worden war. Bewußt hatte man dem BGB die Anschauungen der "besseren Volkskreise" vorbildhaft zugrundegelegt, um einer Kommerzialisierung der Persönlichkeit vorzubauen. Es lag freilich nicht an jener Verwertbarkeit, die das Reichsgericht und andere Autoren befürchten ließ, aus dem Persönlichkeitsrecht könnten dem wirtschaftlichen Ver1 BGHZ 26, 349. z BGHZ 20, 345.
248
Ergebnis
kehr dann Hindernisse erwachsen, wenn man es über einzelne Besonderungen zu einem allgemeinen Grundsatz ausbaue, so daß allseitige Rücksichtnahme schließlich jede Bewegung verhindere. Das tatsächliche Resultat lautet anders, wenngleich seine Praxis nicht sämtliche Einwände des Reichsgerichts beseitigen konnte: Begriffliche Unschärfe kennzeichnet das Persönlichkeitsrecht bis heute, sie hat sich inzwischen aber auch als vorteilhaft erwiesen; der Verstoß gegen dogmatische Grundsätze des subjektiven Rechts, prototypisch verkörpert im Eigentum, hat dazu beigetragen, eine Neubesinnung über das subjektive Recht einzuleiten, von der schließlich auch der Eigentumsbegriff profitieren sollte. Demgegenüber treten die anderen Bedenken des Reichsgerichts in den Hintergrund: Der Vorwurf der Abstraktheit des allgemeinen Persönlichkeitsrechts traf auch andere Rechte, ebenso seine zu Beginn des Jahrhunderts noch mangelhafte Durchbildung. Wesentlicher dürfte vielmehr die enge Bindung des Denkens an Eigentumsvorstellungen gewesen sein und, paradoxerweise auch deren Gegenteil: ethische Normen, die ebenfalls ein allgemeines Persönlichkeitsrecht verhinderten. Trotz ausdrücklicher Aufforderung des Gesetzgebers fehlte es an Mut zum Richterrecht; die Rechtsprechung zum Wettbewerbsrecht und zu § 1004 BGB konnte nur schmalen Teilbereichen zugute kommen. Organisationssoziologische Aspekte wie der bekannte "horror pleni" des Reichsgerichts haben die vielfältigen Skrupel noch verstärkt. Demgegenüber sind in dem behandelten Zeitraum die gewerblichen Persönlichkeitsrechte in den Vordergrund getreten. In zwei Zeitabschnitten prägten sie die Diskussion bis ca. 1940: Der eine fällt in die zweite Phase der Industrialisierung in Deutschland, erreicht seinen Höhepunkt mit der Einführung des BGB, der daraufhin entfachten Debatte um § 823 Abs. 1, bis sich diese an der Rechtsprechung des Reichsgerichts bricht. Die Befürworter des Persönlichkeitsrechts haben den Zusammenhang der besonderen Rechte der Persönlichkeit mit deren "Grundrecht" immer wieder hergestellt. Ihre verstärkte Hinwendung zu den Problemen auf dem gewerblichen Sektor läßt sich zum großen Teil auf die überragende Bedeutung des Wirtschaftslebens zurückführen, auf ökonomische Expansion und Konzentration, die selbst wiederum über viele Vermittlungsschritte bedingt sind durch Erfindungsbreite und -tiefe, das Aufkommen neuer Betriebsformen, die sich von der Persönlichkeit des Privatunternehmers lösen etc. Nicht zuletzt hängt das komplexe "Regelsystem" von in- und ausländischer Marktexpansion ab: Neue Güter werden produziert, neue Bedürfnisse geweckt und befriedigt. Ein weiterer Faktor ist die Steigerung der Kaufkraft, die neben der ausländischen Güternachfrage zu erhöhter Marktverdichtung führt und einen verschärften Wettbewerb fördert, der schließlich rechtliche Gegenmaßnahmen erzwingt. Zu ihnen gehören
Ergebnis
249
der Ausbau spezieller Persönlichkeits rechte und vorerst vergebliche Vorstöße zur Anerkennung des allgemeinen. Das Nachlassen der Debatte um die Persönlichkeits rechte seit ca. 1910 läßt sich mit der ablehnenden Rechtsprechung des Reichsgerichts, seit 1914 bis ca. 1924 mit dem Ersten Weltkrieg und seinen Folgen begründen, die in Deutschland andere Fragestellungen in den Vordergrund rückten. Erst in den Jahren danach zeichnete sich eine wirtschaftliche Konsolidierung ab. Dabei gelang wieder der Anschluß an ausländische Märkte und internationale Organisationen. Der Einfluß des Auslands machte sich zumal im Urheberrecht bemerkbar, wie die Rom-Konferenz 1928 mit den anschließenden Diskussionen um das "droit moral" und weitere Anstöße zu Gesetzesentwürfen zeigen. Die juristische Bewältigung der aus den vielfältigsten Innovationen erwachsenen dogmatischen Anforderungen war noch keineswegs geleistet, als sie in den 30er Jahren, während des Nationalsozialismus, einen neuen Bezugsrahmen erhielt: Das Spannungsverhältnis zwischen dem einzelnen und der Volksgemeinschaft prägte die Debatte; später wurde sie, kriegsbedingt, im wesentlichen nur noch auf dem Patentsektor fortgeführt. Dieser Prozeß demonstriert noch einmal im Überblick die Gesellschaftsbezogenheit des Rechts: Deren "nervus re rum" , die ökonomischen Faktoren, erforderten und gestalteten zugleich das Persönlichkeitsrecht. Ihr Einfluß ging so weit, daß "die Rechtsgarantie in weitestem Umfang direkt im Dienst ökonomischer Interessen"3 stand, wie das Kapitel über den Leistungsschutz des ausübenden Künstlers gezeigt hat. Hier wurden Bestimmungen getroffen, die, urheberrechtliche Grundsätze außer acht lassend, nur scheinbar dem Künstler, tatsächlich der Musikindustrie zugute kamen. Beim angestellten Erfinder etwa waren es dezidierte wirtschaftliche Interessen, welche die Durchsetzung eines besonderen Persönlichkeitsrechts zu verhindern wußten. In anderen Bereichen ließ sich zumindest eine mittelbare Einflußnahme feststellen, so im Urheber- oder Patentrecht bzw. dem Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb. Insgesamt haben ökonomische Einflüsse den Charakter des allgemeinen Persönlichkeitsrechts als eigentumsähnliches Vermögens- und Verwertungsrecht entscheidend geprägt. Waren zu Beginn des 19. Jahrhunderts lediglich einige seiner Besonderungen wie das geistige Eigentum marktgängig und zunehmend schützenswert, so haben Industrialisierung und Vermarktung immer mehr Teile der Person ausdifferenziert, angreifbar und verwertbar gemacht und schließlich verrechtlicht. Bis zum Kern der Person ist dieser Prozeß erst nach dem Zweiten 3
Weber, Max, Rechtssoziologie, Neuwied 1960, S. 79.
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Ergebnis
Weltkrieg, auf der erweiterten Stufenleiter der Marktallmacht vorgedrungen. Dahlke- und Herrenreiterfälle demonstrieren dies eindrucksvoll als Ausgleich wirtschaftlicher Interessen. Damit hat das absolute subjektive Eigentumsrecht trotz mancher - letztlich scheinbarer - Behinderung dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht Form und Gehalt vermittelt. Sein Inhalt stellt den Zusammenhang her, der zur Kommerzialisierung der Persönlichkeits- wie zu Ausdehnung und Absicherung der Vermögenssphäre geführt hat. Das Eigentum hat sich ein neues, umfassendes Verwertungsrecht zugesellt.
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RGZ 123, Seite 312 vom 16. Febr. 135, 395 19. März 136, 415 ll.Juni 139, 7. Dez. 87 26. April 140, 264 144, 23. Febr. 41 151, 28. März 50
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