141 66 3MB
German Pages 504 [506] Year 2010
HEGELSTUDIEN BEIHEFT 53
2
Einleitung
hegel-studien Herausgegeben von
walter jaeschke und ludwig siep Beiheft 53
FELIX MEINER VERLAG HAMBURG
CONTRADICTIO EST REGULA VERI Die Grundsätze des Denkens in der formalen, transzendentalen und spekulativen Logik
von STEFAN SCHICK
FELIX MEINER VERLAG HAMBURG
4
Einleitung
Die Arbeit wurde im Jahr 2009 von der Philosophischen Fakultät I – Philosophie, Kunstund Gesellschaftswissenschaften – der Universität Regensburg als Dissertation angenommen.
Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über abrufbar. ISBN 978-3-7873-1973-2
© Felix Meiner Verlag, Hamburg 2010. ISSN 0440-5927. Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der fotomechanischen Wiedergabe und der Übersetzung, vorbehalten. Dies betrifft auch die Vervielfältigung und Übertragung einzelner Textabschnitte durch alle Verfahren wie Speicherung und Übertragung auf Papier, Transparente, Filme, Bänder, Platten und andere Medien, soweit es nicht §§ 53 und 54 URG ausdrücklich gestatten. Satz: Satzpunkt Ursula Ewert GmbH, Bayreuth. Druck und Bindung: Druckhaus »Thomas Müntzer«, Bad Langensalza. Werkdruckpapier: alterungsbeständig nach ANSI-Norm resp. DIN-ISO 9706, hergestellt aus 100 % chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Printed in Germany.
INHALTSVERZEICHNIS
EINLEITUNG
...........................................
11
DIE FORMALE LOGIK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
29
1. Über Begründung und Bedeutung der logischen Gesetze . . . . . . . . . 1.1. Die logischen Gesetze als mentale Gesetzmäßigkeiten . . . . . . . . 1.2. Die logischen Gesetze als ideale Gesetze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3. Die logischen Gesetze als allgemeinste Gesetze des Wirklichen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.4. Die logischen Gesetze als transzendentale Strukturen . . . . . . . .
33 33 41 52 58
2. Der logische Nominalismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1. Der logische Nominalismus als Bedeutungstheorie . . . . . . . . . . . 2.2. Das Problem der Äquivokation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
64 64 69
3. Das Problem der logischen Antinomien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 3.1. Antinomien und ihre »klassischen« Auflösungsversuche . . . . . . 82 3.2. Übergang zu nicht-klassischen Logiken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 3.3. Die Aufhebung des Satzes vom Widerspruch . . . . . . . . . . . . . . . . 100 DIE TRANSZENDENTALE LOGIK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 1. Die Deutung der Wissenschaftslehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1. Interpretation der Grundsätze der Wissenschaftslehre . . . . . . . . 1.1.1. Die »metaphysische« Interpretation . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1.2. Die selbstbewusstseinstheoretische Deutung . . . . . . . . . . . 1.1.3. Die ethische Deutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1.4. Operative Deutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
127 127 129 134 141 144
2. Fichtes Begründung der Grundsätze des Denkens . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1. Der Zirkel der Wissenschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.1. Die wechselseitige Abhängigkeit von Wissenschaftslehre und Logik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.2. Die wechselseitige Bestimmung von Form und Gehalt im Grundsatz der Wissenschaftslehre . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.3. Der Übergang in die Reflexionslogik . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2. Das Denken des Denkens: die Transzendentalphilosophie und der notwendige Zirkel des Geistes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
158 162 162 171 176 181
6
Inhaltsverzeichnis
2.3. Die Auflösung des Zirkels als transzendentale Fundierung der formalen Logik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.1. Die Genetisierung der Logik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.1.1. Der Unterschied der transzendentalen Logik vom logischen Empirismus . . . . . . . . . . . . . 2.3.1.2. Der Unterschied zum logischen Psychologismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.1.3. Die transzendentale Fundierung der Logik . . . . . 2.3.2. Die Genetisierung des Satzes der Identität . . . . . . . . . . . . . 2.3.2.1. »A ist A« als Tatsache des Bewusstseins . . . . . . . . 2.3.2.2. »Ich bin Ich« als Tatsache des Bewusstseins . . . . 2.3.2.3. »Ich = Ich« als Tathandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.3. Die Genetisierung des Widerspruchsprinzips . . . . . . . . . . 2.3.3.1. Die Begründung der Einführung eines zweiten Grundsatzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.3.2. Der Satz des Widerspruchs . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Fichtes Zärtlichkeit für das Widerspruchsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1. Der Widerspruch als methodisches Prinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2. Der Widerspruch und seine Auflösung in der Grundlage der WL ........................................... 3.2.1. Die Antinomien der Grundsätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.2. Die Auflösung des Widerspruchs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3. Der Widerspruch im Spätwerk . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
192 192 196 200 202 206 211 218 227 240 240 244 251 252 256 256 258 273
DIE SPEKULATIVE LOGIK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 279 1. Hegel und der Widerspruch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1. Die Einschränkung der universalen Gültigkeit des Satzes des Widerspruchs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1.1. Es gibt Widersprüche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1.2. Der Widerspruch als zu Überwindendes . . . . . . . . . . . . . . 1.1.3. Die Modifikation der Relata durch die Relation . . . . . . . . 1.2. Die Struktur des Widerspruchs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2.1. Der Widerspruch als semantisch-pragmatische Diskrepanz: die Reflexion der Begriffe in sich . . . . . . . . . 1.2.2. Der Widerspruch als Antinomie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2.3. Der sich entwickelnde dialektische Widerspruch . . . . . . .
298 298 298 303 308 328 328 338 351
Inhaltsverzeichnis
2. Hegels Begründung der Grundsätze des Denkens und des Widerspruchs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1. Die Reflexion als selbstbezügliche Negation . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2. Die Reflexionsbestimmungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.1. Die Unwahrheit des Identitäts- und Widerspruchsprinzips . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.1.1. Die Grundsätze des Denkens . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.1.2. Das Identitäts- und Widerspruchsprinzip als bestimmte Grundsätze betrachtet . . . . . . . . . . 2.2.1.3. Die Identität ist die noch nicht in sich bestimmte Reflexion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.2. Die Wahrheit des Widerspruchs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.2.1. Der Widerspruch als Reflexionsbestimmung . . . 2.2.2.2. Die Auflösung des Widerspruchs und sein Rückgang in den Grund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.2.3. Der Widerspruch als das entwickelte Nichts . . . . 2.2.3. Die Zuspitzung der Identität auf den Widerspruch . . . . . 2.2.3.1. Der absolute Unterschied . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.3.2. Die Verschiedenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.3.3. Der Gegensatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
7
363 364 373 375 375 382 391 397 399 405 410 414 415 419 427
3. Die operationale Anwendung der Reflexionsbestimmungen . . . . . . . 432 3.1. Die Struktur der Logik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 432 3.2. Die Stellung der Reflexionsbestimmungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 449 SCHLUSS
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 475
ABKÜRZUNGEN UND SYMBOLE . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 479 LITERATURVERZEICHNIS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 483
Vorwort
Da es bekanntlich um der Natur der Sache willen unpassend und zweckwidrig wäre, an dieser Stelle Erklärungen über Sinn und Zweck dieser Schrift voranzuschicken, soll dieses Vorwort nur dazu dienen, all denen zu danken, ohne die dieses Buch zumindest in dieser Form nicht hätte geschrieben werden können: An erster Stelle möchte ich meinem verehrten Lehrer Herrn Professor Dr. Rolf Schönberger danken, unter dessen umsichtiger Anleitung ich das Glück hatte, studieren, promovieren, arbeiten und forschen zu dürfen. Meinem Freund und Kollegen PD Dr. Stephan Grotz möchte ich mehr noch als für die Übernahme des Koreferates für seine freundliche Kritik an den Thesen dieser Schrift danken, die die Qualität selbiger immer wieder beförderte. Den Gesprächen mit ihm verdankt vor allem das Hegel-Kapitel mehr, als Zitate aus seinen Schriften je deutlich machen könnten. Bei Herrn Prof. Dr. Gunnar Hindrichs möchte ich mich besonders herzlich für die Übernahme und vor allem die Art der Drittgutachtertätigkeit bedanken. Meiner Familie, allen voran meinen Eltern und meiner Frau Sabine, werde ich für ihre Liebe und Unterstützung niemals genug danken können, will es auf diesem Wege aber doch immerhin versucht haben. Meine Frau sei sogleich noch einmal bedankt für die mehrmalige Korrektur dieser Schrift. Für die Übernahme dieser Arbeit – ohne durch ein Eheversprechen dazu verpflichtet gewesen zu sein – möchte ich mich ebenso bei meinem lieben Freund Andreas Eidenschink bedanken. Der Hanns-Seidel-Stiftung habe ich für ihre freundliche finanzielle Unterstützung während weiter Teile meiner Promotionszeit zu danken. Beim DAAD muss ich mich gleich doppelt bedanken: zum einen für die Gewährung eines Forschungsstipendiums während meiner Promotionszeit, das mir den Aufenthalt am Wittgenstein-Archiv in Bergen ermöglichte. Den dortigen Kollegen, insbesondere meinem Freund Christian Erbacher, sei hier auch noch einmal ausdrücklich für ihre Unterstützung gedankt. Zum anderen möchte ich mich für die Gewährung eines Postdoc-Stipendiums und die damit verbundene Möglichkeit eines Forschungsaufenthaltes an der Universität von Toronto bedanken. Mein Dank gilt hier in besonderer Weise auch Prof. Dr. Martin Pickavé für seine freundliche Einladung und noch freundlichere Aufnahme.
10
Vorwort
Für die Aufnahme meiner Arbeit in die Beihefte zu den Hegel-Studien sei abschließend dem Verlag Felix Meiner, insbesondere den Lektoren Horst Brandt und Marcel Simon-Gadhof, sowie den Herausgebern der Reihe Ludwig Siep und Walter Jaeschke gedankt. Gewidmet sei dieses Buch dem Andenken an meinen Vater Karl-Heinz Schick.
Am 9. Juni 2010 in Toronto
Stefan Schick
EINLEITUNG
Dass es nichts gibt, nichts im Himmel oder in der Natur oder im Geiste oder wo es sei, das sich selbst widerspräche und nicht es selbst wäre, das ist wohl eine unserer fundamentalsten Überzeugungen. Artikuliert wird sie im Satz der Identität und dem Satz des Widerspruchs. Eine Untersuchung des Widerspruchs setzt deshalb eine Untersuchung dieser beiden Sätze voraus – und umgekehrt. Nur dem ersten Anschein nach haben wir es bei diesen Sätzen aber mit trivialen und allzu verständlichen logischen Sätzen zu tun, die nicht weiter fragwürdig sind. Obwohl sie nämlich seit ihrer »Entdeckung« lange Zeit als fundamental und evident galten, so finden sich doch in der gesamten Geschichte der Philosophie die unterschiedlichsten Auffassungen darüber, worum genau es sich bei ihnen eigentlich handelt.1 Die berühmteste Formulierung des Satzes vom Widerspruch (oder genauer: des Satzes vom ausgeschlossenen Widerspruch) findet sich dabei wohl in Aristoteles’ Metaphysik: »daß nämlich dasselbe demselben und in derselben Beziehung […] unmöglich zugleich zukommen und nicht zukommen kann. Das ist das sicherste unter allen Prinzipien«2. Weil dieser Satz nach Aristoteles das sicherste Prinzip des Erkennens sein soll, muss er völlig voraussetzungslos (anhypotheton) gelten und damit unmittelbar evident sein. Denn da alle anderen Prinzipien ihn bereits voraussetzen, kann es keine andere Gewissheit geben, dem er seine Evidenz verdanken könnte: er ist also auch für uns nicht durch ein anderes Prinzip begründet, sondern unmittelbar gewiss.3 Für Aristoteles ist dieses Gesetz nur apagogisch begründbar, indem man diejenigen widerlegt, die es leugnen: seine Leugnung 1
Platon formuliert den SdW als erster explizit: In Politeia 436b wird festgestellt, es sei offensichtlich, »daß Einunddasselbe keine Lust haben wird, das Entgegengesetzte gleichzeitig in einer und derselben Beziehung und einer und derselben Richtung zu tun oder zu leiden.« In Sophistes 263d heißt es in Bezug auf Aussagen: »Wird also von dir Verschiedenes als identisch ausgesagt und Nichtseiendes als seiend, so wird eine solche aus Zeitwörtern und Hauptwörtern entstehende Zusammenstellung wirklich und wahrhaft eine falsche Rede.« Vgl. auch: Symposion 187a–b. 2 Met. IV, 3; 1005b 23 f. 3 Den SdW beweisen zu wollen, ist für Aristoteles so eher ein Zeichen von Dummheit. Denn es ist nur ein »Mangel an Bildung […], wenn man nicht weiß, wofür ein Beweis zu suchen ist und wofür nicht.« (Met. IV, 4; 1006a 7 f.) Für alles kann es nämlich keinen Beweis geben, da man sonst in einen unendlichen Regress oder einen Zirkel geraten würde.
12
Einleitung
würde nämlich die Möglichkeit sinnvoller Rede und sinnvollen Argumentierens und damit die Leugnung selbst aufheben. Wer also überhaupt etwas Sinnvolles zu sagen behauptet, indem er dem Satz des Widerspruchs seine Gültigkeit abspricht, der widerlegt sich bereits selbst.4 Wenn die notwendige Geltung des Satzes jedoch zunächst nur als unmittelbar in Bezug auf uns und unser Erkennen zugestanden wird, so kann man doch immer noch nach dem Grund dieser Notwendigkeit und Unhintergehbarkeit fragen. Denn das bedeutet ja noch nicht, ihn zu beweisen.5 Aber bereits die Unmittelbarkeit der Zum Problem der Evidenz dieses Prinzips vgl. Rolf Schönberger, »Evidenz und Erkenntnis. Zu mittelalterlichen Diskussionen um das erste Prinzip«. In: PhJb 102 (1995), 4–19. 4 Wenn jemand überhaupt nur etwas bezeichnen will, so Aristoteles, so nimmt er den SdW schon in Anspruch: denn im Bezeichnen ist etwas fest bestimmt und schließt sein Anderes aus – man meint eben das und nicht das Andere. (Vgl. insbesondere: Met. IV, 4; 1006a –1007a.) Der SdW ist so zunächst durchaus auch ein »semantisches Prinzip«, ein »Axiom der Sprache«. Sofern überhaupt etwas mit Sinn ausgesprochen werden soll, kann es nicht gleichzeitig sein Gegenteil meinen. (Vgl. Ingeborg Schüßler, »Semantik und Logik. Der elenktische Beweis des Satzes vom Widerspruch«. In: Ingeborg Schüßler/Wolfgang Janke (Hrsg.), Sein und Geschichtlichkeit. Karl-Heinz Volkmann-Schluck zum 60. Geburtstag, Frankfurt am Main 1974, 53–66, S. 53 f.) »Die Unmöglichkeit des Widerspruchs ist mithin ein Anspruch […] des Sinnes der Sprache selbst, dem alles sinnvolles [sic!] Sprechen immer schon entsprochen hat. Sofern der Mensch ein sprechendes Wesen ist, ist er unter den Anspruch der Unmöglichkeit des Widerspruchs in allem sinnvollen Sagen gestellt.« (66) 5 Im Mittelalter hat diese Frage als Erster Thomas von Aquin gestellt und sie mit der Erstrangigkeit des Seinsbegriffes beantwortet. (Vgl. Schönberger, Evidenz und Erkenntnis (1995), S. 7.) Bei Thomas hängt die Erfassung vom SdW von der Erfassung von »seiend« ab: »hoc principium, impossibile est esse et non esse simul, dependet ex intellectu entis« (In Metaph. IV, lect. 6, n. 10). Nach Thomas ist der SdW somit ein Prinzip, gegen das auch Gott in seiner Allmacht nicht verstoßen kann. Gott kann nur das bewirken, was keinen Widerspruch einschließt: »quicquid contradictionem non implicat, Deus potest.« (ScG II, 22; ed. Leon. XIII, S. 320.) Das liegt daran, dass der SdW Prinzip des Seins ist. Was also gegen diesen Satz verstoßen würde, wäre überhaupt nicht: »Oppositum autem entis est non ens. Hoc igitur Deus non potest, ut faciat simul unum et idem esse et non esse: quod est contradictoria esse simul.« (ScG II, 25; ed. Leon. XIII, S. 329.) Diese Begründung des SdW durch Thomas wird bei aller sonstigen Differenz dann weitestgehend von Siger von Brabant, Petrus von Alvernia und Heinrich von Gent übernommen. (Vgl. Schönberger, Evidenz und Erkenntnis (1995), S. 7.) Wenn hingegen wie bei Descartes der SdW selbst zum Gegenstand des göttlichen Willens wird und seiner Allmacht unterliegt, so ist Gott erst (wie bei den mathematischen Wahrheiten) durch seine eigene Schöpfung des Widerspruchprinzips an selbiges gebunden: und auch nur deshalb, weil Kontingenz (die Gültigkeit des Prinzips mal zu wollen und mal nicht zu wollen) der Allmacht Gottes zuwiderliefe. (Vgl. insbesondere den Brief an Mersenne vom 15. April 1630; AT I, S. 146 und den Brief an Arnauld vom 29. Juli 1648; AT V, S. 223 f.) Ebenso wurde versucht, die Gesetze des Denkens in der physiologischen Verfasstheit des Menschen zu begründen, wie dies etwa der dem Idealismus nahe stehende Gotthard Günther tut: »Unsere klassischen Denk-
Einleitung
13
Geltung in Bezug auf uns wird allein dadurch fragwürdig, dass dieses Prinzip faktisch geleugnet wurde.6 Und selbst wenn man die unmittelbare Geltung zugesteht und zugibt, dass jeder dieses Prinzip zumindest implizit in seinem Denken, Sprechen und Tun voraussetzt, dann ist damit immer noch keine Eindeutigkeit in der Explikation des Satzes gegeben. Schon allein, ob es sich um ein bloß logisches, semantisches, epistemologisches oder ontologisches Prinzip handelt, ist fraglich. Denn »der dem Prinzip zugesprochene unmittelbare Geltungsanspruch ist nicht identisch mit der Unmittelbarkeit seines Gegebenseins.«7 Ebenso problematisch ist sein Zusammenhang mit den anderen gesetze sind der direkte Ausdruck der Funktionsweise unseres Gehirns. Die Aristotelische Logik wurzelt in der physiologischen Unmöglichkeit einer simultanen Ingangsetzung reziproker (inverser) neuraler Reaktionen.« (Gotthard Günther, Idee und Grundriß einer nicht-Aristotelischen Logik. Die Idee und ihre philosophischen Voraussetzungen, Hamburg 21978, S. XI.) In der nicht-klassischen Logik erhebe der Geist sich hingegen gewissermaßen über die Materie. 6 Dieses Moment vereint unter anderem viele an Hegels Dialektik geschulte Denker. Nach Marx ist der Widerspruch »die Springquelle aller Dialektik« (Das Kapital I (1867); MEW 23, Anm. S. 623). Engels verteidigt (wie später Lenin und Mao) die Wirklichkeit des Widerspruchs, etwa in Anti-Dühring (31894); MEW 20, S. 111 ff. Und explizit gegen Hegels Auflösungsversuche des Widerspruchs gerichtet schreibt Adorno: »Dialektik als Verfahren heißt, um des einmal an der Sache erfahrenen Widerspruchs willen und gegen ihn in Widersprüchen zu denken. Widerspruch in der Realität, ist sie Widerspruch gegen diese.« (Negative Dialektik (1966); Ges. Schr. 6, S. 148.) Natürlich kannte bereits Aristoteles Denker wie Heraklit, die das Prinzip des zu vermeidenden Widerspruchs leugneten. Für Aristoteles hat Heraklit das aber eben nur behauptet, nicht gemeint. (Vgl. Met. IV,3; 1005b) Dennoch musste Aristoteles den SdW auf eine solche Weise verteidigen, dass damit der Evidenzanspruch, den er mit diesem Satz verband, nicht gleichzeitig wieder unterminiert wurde. (Vgl. Schönberger, Evidenz und Erkenntnis (1995), S. 5.) 7 Schönberger, Evidenz und Erkenntnis (1995), S. 12. Bereits bei Aristoteles finden sich unterschiedliche Fassungen des SdW, aber erst im Übergang vom 13. zum 14. Jahrhundert wird gefragt, wie sich die unterschiedlichen Formulierungen des SdW zueinander verhalten. So hat, wie später dann auch Łukasiewicz zu zeigen versucht hat, der SdW in der Metaphysik neben der semantischen drei weitere Bedeutungen: 1. Die ontologische: ein und demselben kann unmöglich dasselbe zugleich und in derselben Hinsicht zukommen und nicht zukommen (Met. IV, 3; 1005 b 19–20) bzw. unmöglich ist dasselbe zugleich und ist nicht (Met. III, 3; 996 b 30). 2. Die logische: widersprechende Aussagen können nicht gleichzeitig wahr sein (Met. IV, 6; 1011 b 13–14; Periherm. 7; 17b 20–23.), wobei Aussagen eben dann widersprüchlich sind, wenn die eine einem Subjekt etwas zuspricht, die andere es ihm abspricht. 3. Die psychologische: niemand kann glauben, dass dasselbe sei und nicht sei, also entgegengesetzte Überzeugungen haben (Met. IV, 3; 1005 b 23–26). Dabei zeigt schon der Umstand, dass dieses Prinzip in den Ausführungen über das Sein des Seienden und die Wissenschaft von dessen Prinzipien erfolgt, an, dass die ontologische Bedeutung für Aristoteles die primäre ist. (Vgl. Łukasiewicz, Satz vom Widerspruch (1910), S. 9–15.) So heißt es auch in der Topik: »Ferner, wenn das Akzidenz ein Gegenteil hat, muß man sehen, ob es dem Subjekt zukommt, dem das Akzidenz zukommen soll. Wenn es ihm
14
Einleitung
Grundsätzen des Denkens, insbesondere dem Satz der Identität, aber auch dem Satz vom ausgeschlossenen Dritten und dem Satz vom Grunde wie auch dem Satz der doppelten Negation.8 Der Satz des Widerspruchs und der Satz der Identität werden dabei mal als äquivalent, mal als unterschieden voneinander betrachtet. Deswegen erfordert auch die Untersuchung des einen die Untersuchung des anderen Satzes. Sie sind die Grundsätze des Denkens, die in einem ausgezeichneten Verhältnis zueinander stehen. Dabei ist wiederum offen, welchem der beiden Sätze der Primat zugesprochen werden muss.9 Die zukommt, kann jenes ihm nicht zukommen. D[e]nn demselben Subjekt kann unmöglich gleichzeitig Entgegengesetztes zukommen.« (Top. II, 7; 113 a 20 f.) Bei Aristoteles wird der SdW jedoch als logisches Prinzip noch gar nicht von dem ontologischen Prinzip getrennt. Zwar gilt ihm der SdW für das Seiende als solches, aber er ist »Grundsatz der Ontologie, von der Aristoteles selbst in dieser Frage die reine Logik nicht abtrennt« (Klaus Düsing, »Identität und Widerspruch – Untersuchungen zur Entwicklungsgeschichte der Dialektik Hegels«. In: Giornale di Metafisica. Nuova Serie VI (1984), 315–358, S. 316). Erst bei Kant verliert er diese ontologische Bedeutung und wird zum rein logischen Urteilsprinzip. Denn Kant trennt die formale Logik von der transzendentalen Logik, welche die alte Ontologie ersetzen soll. Für die Logik gilt: »die Logik beschäftigt sich nur mit der Form des Denkens überhaupt« (KrV B XXIII; AA 3, S. 15). Der SdW gilt Kant »vom Denken überhaupt ohne Rücksicht auf ein Object […]. Was also mit diesem Princip nicht bestehen kann, ist offenbar nichts (gar nicht einmal ein Gedanke).« (Über eine Entdeckung nach der alle neue Kritik der reinen Vernunft durch eine ältere entbehrlich gemacht werden soll (1790); AA 8, S. 195.) So bestimmte Kant den SdW folgendermaßen: »Der Satz nun: Keinem Dinge kommt ein Prädicat zu, welches ihm widerspricht; heißt der Satz des Widerspruchs und ist ein allgemeines, obzwar bloß negatives Kriterium aller Wahrheit, gehört aber auch darum bloß in die Logik, weil er von Erkenntnissen bloß als Erkenntnissen überhaupt, unangesehen ihres Inhalts gilt und sagt: daß der Widerspruch sie gänzlich vernichte und aufhebe.« (KrV B190; AA 3, S. 141.) Die Logik ist nach Seebohm für Kant gerade deshalb rein, weil ihr »die Dimension des Gegenstandbezuges völlig fehlt«, sie ist »rein subjektivisch und konzeptualistisch eine intensionale Logik« (Thomas M. Seebohm, »Die reine Logik, die systematische Konstruktion des Prinzips der Vernunft und das System der Ideen«. In: H. F. Fulda/Jürgen Stolzenberg (Hrsg.), Architektonik und System in der Philosophie Kants, Hamburg, 204–231, S. 204). Bei Hegel und Fichte wird dann die formale Logik wieder in die Ontologie integriert. 8 Die Probleme mit dem SvaD sind Probleme eigener Art, etwa seine Anwendbarkeit auf zukünftige Ereignisse oder auf Sätze wie »Der gegenwärtige König von Frankreich hat eine Glatze«. (Vgl. Bocheński, Formale Logik, Freiburg/München 21956, S. 71.) So beschränkt sich diese Arbeit auf die Untersuchung der Sätze der Identität und des Widerspruchs. Auf den SvaD wie auch den SdG, der ebenfalls zu den Grundsätzen des Denkens gezählt wird, wird nur in Bezug auf die beiden anderen Sätze eingegangen. 9 Es steht also in Frage, ob es sich bei diesen Sätzen um auseinander ableitbare bzw. austauschbare Sätze oder um Prinzipien sui generis handelt. Nach E. v. Hartmann etwa ist die logische Bedeutung des SdI nur vom SdW abgeleitet. »Der Satz der Identität negiert nur diejenige Nichtidentität, die nach dem Satz vom Widerspruch logisch unstatthaft wäre« (Kategorienlehre (1896), S. 310). Nach Hermann Lotze hingegen ist der SdI als »A =
Einleitung
15
Bedeutung des Satzes der Identität ist dabei nicht unproblematischer, sondern leidet vielmehr – bereits als bloß logisches Prinzip verstanden – unter einer zusätzlichen Zweideutigkeit: ob es sich nämlich hier um einen aussagenlogischen (a→a) oder prädikatenlogischen (»A ist A«) Satz handelt.10 Letztlich ist ja noch nicht einmal das, wovon diese Sätze sprechen, nämlich die Bedeutung von Identität und Widerspruch, unstrittig.11 Ebenso problematisch steht es um die Dignität dieser Sätze sowie um ihre Reichweite: 1.) Sind es triviale Gesetze bloß tautologischen Urteilens, nach denen zu sprechen eine Albernheit ist, oder handelt es sich um die fundamentalen Grundsätze des Seins und Denkens?12 2.) Besitzen diese Gesetze universale Geltung A« das »erste Denkgesetz«, wohingegen der SdW als »A nicht = Non A« nur dessen Verneinung ausdrückt. (Vgl. Logik (1912), S. 76.) 10 Aristoteles erwähnt den SdI nur flüchtig: An Pr 68a 20, er erfährt aber bereits in der Antike diese zwei unterschiedlichen Deutungen: einmal die peripathetische, die die prädikatenlogische ist: »A kommt allen A zu«. Noch bei Baumgarten ist der SdI die Regel, gemäß der man jedes Subjekt von sich selbst prädizieren kann: »Omne possibile A est A, seu quicquid est, illud est, seu omne subiectum est praedicatum sui« (Metaphysica (1779), § 11). Der stoische Satz der Identität hingegen lautet: »wenn das Erste, so das Zweite«, also »wenn p, dann p«. Hier ist nur eine Aussage einsetzbar. (Vgl. Łukasiewicz, Zur Geschichte der Aussagenlogik (1935), S. 111.) Neben diesen Formulierungen gibt es noch: »a = a« im Sinne des Ausdrucks der Identität als fundamentaler Eigenschaft aller Gegenstände und Gedanken, etwa bei Marx und Engels: »Der Satz der Identität im altmetaphysischen Sinn der Fundamentalsatz der alten Anschauung: a = a. Jedes Ding ist sich selbst gleich. Alles war permanent, Sonnensystem, Sterne, Organismen. Dieser Satz ist von der Naturforschung in jedem einzelnen Fall Stück für Stück widerlegt […], wird von den Anhängern des Alten immer noch dem Neuen entgegengehalten: Ein Ding kann nicht gleichzeitig es selbst und ein anderes sein.« (Engels, Dialektik der Natur (31894); MEW 20, S. 484.) 11 Es ist unklar, ob es sich bei Identität und Widerspruch um logische oder ontologische Bestimmungen handelt. Der SdI sagt etwa nach Heidegger, dass zu jedem Vorliegenden Selbigkeit mit sich selbst gehört: »Diese Selbigkeit gehört nicht wie eine durchgängige Beschaffenheit zu jedem Vorliegenden. Vielmehr gehört jedes Vorliegende in die Selbigkeit mit ihm selber, denn anders könnte niemals ein Vorliegendes selber von ihm selbst her vorliegen.« (Grundsätze des Denkens (1957); HeG 79, S. 111.) Die Identität liegt selbst nicht vor, sondern macht das Vorliegen überhaupt erst aus. »Die Identität gehört in das Anwesen als solches; wir finden sie nie als etwas unter anderem Anwesenden vor.« (147) Dagegen vertritt Frege die Auffassung, dass Identität nur etwas ist, was man in Bezug auf die unterschiedlichen Weisen des Gegebenseins eines Gegenstandes aussagen kann, etwa in Sätzen wie »Der Morgenstern ist der Abendstern.«. Identität betrifft dann nur die unterschiedlichen Sinne, die unterschiedliche Gegebenheitsweisen einer Bedeutung und dadurch identisch sind. »A = B« heißt eben für A und B, dass es sich bei ihnen um unterschiedliche Gegebenheitsweisen desselben Gegenstandes handelt. (Vgl. Über Sinn und Bedeutung (1892).) Zu Aristoteles’ Theorie der Gegensätze vgl.: Kat. 10, 11b 17–23, Periherm. 7, 17b 12–16. 12 Bei Duns Scotus etwa wird der Begriff des Seins von der Widerspruchsfreiheit her bestimmt und der Begriff des Nichts von dem der Widersprüchlichkeit her. Sein wird da-
16
Einleitung
oder ist ihre Gültigkeit regional eingeschränkt, etwa als Gesetze des endlichen Verstandes, die auch nur für die Endlichkeit Geltung besitzen, wohingegen in ihrer Überwindung eine höhere Vernunft zu sehen wäre?13 In Anbetracht dieser ungeklärten Fragen führt Heidegger zu Recht aus: mit von der Möglichkeit her begriffen: »›possibile‹ convertitur cum toto ente, nam nihil est ens, cuius ratio contradictionem includit.« (Quaest. sup. lib. Met. Ar. IX q. 1–2 n. 21; Op. philos. IV, 515.) Bei Leibniz bildet der SdW noch vor dem des zureichenden Grundes das Fundament aller Vernunfterkenntnis. (Monadologie (1714) §§ 31 f.) Die Vernunftwahrheiten wiederum gründen letztlich alle auf ihm, da ihr Gegenteil unmöglich ist, d. h. einen Widerspruch impliziert. (§ 33) Nach dem SdI gebildete Aussagen sind nach Leibniz ein Paradigma schlechthin notwendig wahrer Aussagen: alle ursprünglichen Prinzipien, das heißt die Prinzipien, die nicht bewiesen werden können und müssen, sind »die identischen Sätze, deren Gegenteil einen ausdrücklichen Widerspruch enthält.« (§ 35) Bei Kant hingegen ist er nur mehr noch ein negatives Kriterium der synthetischen Erkenntnis und nur Prinzip der analytischen Urteile, in denen ein Begriff erläutert und die Erkenntnis nicht erweitert wird. Nach Wilhelm von Ockham können Tautologien wie »chimaera est chimaera« sogar falsch sein, wenn die Termini dieses Satzes in signifikativer Supposition verwendet werden. (Vgl. Summa Logicae, II, 14.39; Op. Philos. I, S. 287.) Zur Gebrauchsweise der Tautologie innerhalb der Philosophie vgl. Stephan Grotz, Vom Umgang mit Tautologien: Martin Heidegger und Roman Jakobson, Hamburg 2000, S. 17–73. Grotz zeigt hier, dass die Relevanz, die man Tautologien zuschreibt, vom Verständnis des Begriffes der Identität fundamental abhängt. 13 Von besonderer Bedeutung ist hier Nicolaus Cusanus und seine Lehre von der Koinzidenz der Gegensätze. So wird in De docta ignorantia I das absolut Größte als das bestimmt, mit dem das absolut Kleinste zusammenfällt: »Maximum itaque absolutum unum est quod est omnia; in quo omnia, quia maximum. Et quoniam nihil sibi opponitur, secum simul coincidit minimum.« (I,2) Die Gültigkeit des SdW wurde also fragwürdig in Bezug auf das Problem, wie das Absolute gedacht werden kann – eine Schwierigkeit, die mit Kants Antinomienlehre wiederbelebt wird. Diese Widersprüche, in die sich die Vernunft bei jedem ihrer vier Versuche, das Unbedingte in den kosmologischen Ideen zu denken, verwickelt, löst Kant bekanntlich durch seine Unterscheidung zwischen Erscheinung und Ding an sich auf. Die Widersprüche kämen durch ihre Vermengung zustande. (Etwa: KrV B588 ff.; AA 3, S. 378 ff.) Die Widersprüche lösen sich so in bloßen (wenn auch notwendigen) Schein auf – allerdings mit der Konsequenz der spekulativen Unerkennbarkeit des Absoluten. Beim Versuch, das Absolute als Absolutes denken zu wollen, erweist sich also entweder der SdW oder das Denken überhaupt als unzulänglich, wobei Kant sich für die Unerkennbarkeit des Absoluten entscheidet. Die Frühromantik entscheidet sich wie bei Schlegel hingegen eher für die Verwerfung des SdW: »Hat man nun einmal die Liebhaberei fürs Absolute und kann nicht davon lassen: so bleibt einem kein Ausweg, als sich selbst immer zu widersprechen, und entgegengesetzte Extreme zu verbinden. Um den Satz des Widerspruchs ist es doch unvermeidlich geschehen, und man hat nur die Wahl, ob man sich dabei leidend verhalten will, oder ob man die Notwendigkeit durch Anerkennung zur freien Handlung adeln will.« (Blütenstaub-Fragment 20; KFSA II, S. 164.) Bei Novalis heißt es in eben diesem Sinne: »Den Satz des Widerspruchs zu vernichten ist vielleicht die höchste Aufgabe der höhern Logik.« (NA III, S. 570; vgl. auch S. 402.) Als Vermögen der Synthese des Widersprüchlichen gilt die Einbildungskraft. Durch sie soll das möglich sein,
Einleitung
17
»Welches ist der Ort der Herkunft der Grundsätze des Denkens? Jeder, der heute behaupten wollte, diese Frage sei einhellig entschieden, der schwindelt. […] Gestehen wir es ruhig ein: Die Herkunft der Grundsätze des Denkens, der Ort des Denkens, das diese Sätze setzt, das Wesen des hier genannten Ortes und seiner Ortschaft, all dieses bleibt für uns in ein Dunkel gehüllt.«14 Die »schulmäßige Darstellung« der Denkgesetze erwecke nur den Anschein, als leuchte der Inhalt der Denkgesetze unmittelbar ein. Heidegger versucht dagegen, den Inhalt dieser Sätze in ihrer Fragwürdigkeit zur Geltung zu bringen, von der aus sie erst klar werden können. Gesteht man nun aber ihre Fragwürdigkeit zu, so steht man sofort vor dem Problem, wie man sich überhaupt in ein reflexives Verhältnis zu ihnen setzen kann. Sie scheinen nämlich gar kein befragbarer Gegenstand zu sein, weil wir sie in unserer Befragung bereits voraussetzen.15 Aristoteles nimmt ja gerade deshalb eine unmittelbare Einsicht des höchsten Prinzips an, weil jede Untersuchung dieses Prinzips selbiges eben bereits in Anspruch nähme. Bei Thomas werden dementsprechend zwei Arten von Wissen zur Geltung gebracht: »scientia est conclusionum et intellectus principiorum«16. Die Verstandeseinsicht in die Prinzipien liegt dabei jedem Wissen aus Beweisen zu Grunde und kann nicht selbst bewiesen werden: »intermediatorum principiorum est sciencia indemonstrabilis, idest non per demonstrationem accepta«17. Das Problem ist also Folgendes: was dem diskursiven Denken verboten ist: den Widerspruch zu denken. In Schellings System des transscendentalen Idealismus (1800) heißt es: »[D]as einzige, wodurch wir fähig sind, auch das widersprechende zu denken, und zusammenzufaßen, [ist] – die Einbildungskraft.« (SHKA 9,1, S. 326 f.) Zu Novalis bemerkt Heidegger: »der denkende Dichter will sagen: Der Satz der gewöhnlichen Logik, nämlich das Gesetz vom zu vermeidenden Widerspruch, muß vernichtet und so der Widerspruch als Grundzug alles Wirklichen gerade zur Geltung gebracht werden. Novalis sagt hier genau das Selbe, was Hegel denkt: den Satz des Widerspruchs vernichten, um den Widerspruch als Gesetz der Wirklichkeit des Wirklichen zu retten.« (Grundsätze des Denkens (1957); HeG 79, S. 87 f.) Wir werden jedoch sehen, dass Hegel den SdW, im Gegensatz zu den Romantikern, eben nicht vernichtet. 14 Grundsätze des Denkens (1957); HeG 79, S. 92 f. 15 »So oft wir nämlich versuchen, die Grundsätze des Denkens vor uns zu bringen, werden sie unausweichlich Thema unseres Denkens – und seiner Gesetze. Hinter uns, im Rücken gleichsam, stehen jederzeit schon die Gesetze des Denkens und lenken jeden Schritt des Nachdenkens über sie.« (Grundsätze des Denkens (1957); HeG 79, S. 82.) 16 In Anal. Post. I,7; ed. Leon. 1*/2, S. 31. 17 In Anal. Post., I,7; ed. Leon. 1*/2, S. 31. Vgl. hierzu Andreas Speer, »Der Zirkel des Erkennens. Zu den epistemischen Bedingungen der Metaphysik bei Thomas von Aquin«. In: D. Fonfara (Hrsg.), Metaphysik als Wissenschaft, Freiburg i. Br./München 2006, 135– 152.
18
Einleitung
wenn der Satz der Identität und der Satz des Widerspruchs unser Denken leiten, dann können wir über sie nicht wie über beliebige Gegenstände nachdenken. Das Nachdenken über sie steht vielmehr je schon unter ihnen. Der Terminus »Grundsätze des Denkens« ist so doppeldeutig: »Die Doppeldeutigkeit des Genitivs zeigt an: Das Denken ist zumal das Subjekt und das Objekt für seine als Regeln gemeinten Grundsätze. Das Denken ist das Objekt seiner selbst als des Subjekts.«18 Wir nehmen dann denkend nie einen Standpunkt über ihnen ein. Um voraussetzungslos über sie nachdenken zu können, müsste es ein von den Gesetzen des Denkens freies Denken sein, das dies tut. Das wäre aber eben kein Denken. Das Denken scheint also vor einer mehr schlechten als rechten Alternative zu stehen: entweder in einen Zirkel zu verfallen oder doch wieder auf eine unmittelbare Evidenz oder Intuition zu verweisen, wobei dann zu fragen bleibt, in welches Verhältnis die offenbar ganz verschiedenen Intuitionen bezüglich des Satzes der Identität und des Satzes vom Widerspruch zu setzen sind. Diese Arbeit untersucht nun drei Denkformen und ihre jeweilige Auseinandersetzung mit dem Satz der Identität und dem des Widerspruchs: nämlich die formallogische, die transzendentalphilosophische und die spekulative. Alle drei setzen sich in unterschiedlicher Weise in ein Verhältnis zum Satz der Identität und dem des Widerspruchs. Sowohl die transzendentalphilosophische als auch die spekulative Denkart haben ihre Entelechie unbestreitbar im Deutschen Idealismus, und zwar in der Philosophie Fichtes und Hegels.19 Deshalb beschränkt sich die Auseinandersetzung mit dem transzendentalen und dem spekulativen Denken auf diese beiden Denker.20 Die Leis18
Grundsätze des Denkens (1957); HeG 79, S. 137. Obwohl er »in sich reich differenziert« (Walter Schulz, Das Problem der absoluten Reflexion, Frankfurt am Main 1963, S. 17) ist, kann man mit Schulz behaupten: »der Deutsche Idealismus ist und bleibt ein Ganzes« (17), schon allein insofern seine Protagonisten bis in ihre Spätphilosophien hinein versuchen, die immanenten Probleme der vorangehenden Systeme und »Unsysteme« (Jacobi) seit Kant nicht nur durch äußerlich bleibende Kritik, sondern ein konsequentes Zu-Ende-Denken dieser Vorgängersysteme zu überwinden. 20 Schelling ist dagegen sicher der Denker unter den Idealisten, der am wenigsten Logiker ist. So ist auch das Identitätsprinzip »A = A«, das am Anfang der Identitätsphilosophie steht, nicht in einen wirklich positiven Bezug zur formalen Logik gebracht. Es wird eher ausgehend von der epistemologischen Identität von erkennendem Subjekt und Erkenntnisobjekt gedeutet. »Es wird also gefordert eine absolute Indifferenz zwischen Objektivität und Subjektivität. Mit gleicher Notwendigkeit muß das Identische weder das eine 19
Einleitung
19
tung Fichtes und Hegels in der Auseinandersetzung um den Satz des Widerspruchs und den der Identität besteht einerseits darin, diesen notwendigen Zirkel auf je unterschiedliche Weise produktiv zu wenden: Das Denken versucht sich hier selbst zu denken und ist so wesentlich auf sich selbst bezogen. Andererseits führen beide diese Sätze an ihre Grenze, insofern sie den Widerspruch zu einem notwendigen Moment des Denkens machen.21 Die moderne formale Logik andererseits scheint gar nicht in den Zirkel zu gelangen, da sie von dem Akt des Denkens ganz abzusehen versucht. Und auch in ihr werden Kalküle entwickelt, die Widersprüche enthalten dürfen. Allerdings ist es fraglich, ob man bei der modernen formalen Logik von einem einheitlichen Denktypus sprechen kann. Denn auch wenn man gerne von »der formalen Logik« spricht, so erweist sie sich zumindest in ihrer philosophischen Selbstdeutung als in sich äußerst differenziert: Frege gibt den logischen Gesetzen eine ganz andere Bedeutung als der späte Wittgenstein. Zum anderen ist die Entwicklung der modernen formalen Logik nicht abgeschlossen, was sich alnoch das andre und das eine und das andre zugleich sein. Diesem entspricht der Satz: a = a. Er drückt die Existenz, das Wesen und die Form der absoluten Identität aus. Er sagt, die Identität a ist identisch mit der Identität a. Subjektobjekt a und Subjektobjekt a sind eins und ebendasselbe.« (Vortrag 1801; ed. Troxler, S. 50.) So meint er, die Formallogik sei eigentlich nur aus der Empirie gewonnen und würde fälschlich »zum Grunde alles Wissens« (27). Für die Transzendentalphilosophie könnte man es außerdem als fraglich erachten, ob sie sich in Fichte vollendet. Zumindest zwei Alternativen scheinen sich anzubieten: Kant und Husserl. Nun hat Kant aber nie versucht, die Grundsätze des Denkens herzuleiten und auch bei Husserl sehe ich nicht, dass die Reflexion auf die logischen Gesetze das spekulative Niveau wie bei Fichte erreichen würde, auch wenn die Logik in der transzendentalen Subjektivität fundiert wird. Gleiches gilt auch für neuere Versuche einer transzendentalen Begründung der Logik etwa bei Harald Holz, Philosophisch-logische Abhandlung. Entwurf einer transzendentalen Erkenntnistheorie zur Grundlegung formaler Logik, Bern 1984 oder Hermann Krings, Transzendentale Logik, München 1964. 21 In der Dialektik Fichtes und Hegels wird auch nach Heidegger »das Denken in eine andere, nach gewissen Hinsichten höchste Dimension gebracht« (Grundsätze des Denkens (1957); HeG 79, S. 82). Hier erst gelange das Denken in die Möglichkeit, sich selbst zu denken: »Durch die Dialektik gewinnt das Denken jenen Bezirk, innerhalb dessen es sich selber vollständig denken kann. Dadurch kommt das Denken erst zu sich selbst. Innerhalb der Dimension der Dialektik wird auf eine begründete Weise offenbar, daß und wie zum Denken nicht nur die Möglichkeit, sondern die Notwendigkeit gehört, sich selbst zu denken, sich in sich zu spiegeln, zu reflektieren.« (85) Das Denken wird an seine Grenzen gebracht: »Im Gesichtskreis der Dialektik gewinnen die Grundsätze des Denkens eine gewandelte Gestalt. Hegel zeigt, daß die genannten Denkgesetze mehr und anderes setzen, als was das geläufige Vorstellen unmittelbar in ihren Formeln findet.« (86) Hegel gebe den Grundsätzen ihre reichere Wahrheit zurück und bringe damit »erregende Sachverhalte zum Vorschein« (88). Mit dem Denken der Grundsätze des Denkens komme man, so Heidegger, dem Denken selbst auf den Grund. Das Denken ist sowohl Objekt als auch Subjekt der Grundsätze des Denkens.
20
Einleitung
lein daran zeigt, dass die Logik seit Frege ständig erweitert oder modifiziert wird (Erweiterung um Semantik bei Tarski, Ausbau zur Modallogik etc.) oder neue »Logiken« begründet werden (etwa mehrwertige Logiken unterschiedlichster Art). Es ist dann allerdings fraglich, ob verschiedene Logiken nicht einfach in einer äquivoken Weise vom Satz der Identität und dem Satz des Widerspruchs sprechen. Hierbei scheint es nun am sinnvollsten, die moderne formale Logik zunächst vom Moment ihrer Entstehung her zu betrachten, da sie hier in ihrer Absetzung gegen die traditionelle Logik am deutlichsten ihr Wesen und ihre Intentionen expliziert hat. Der Prozess der Vollendung des formallogischen Denkens begann dabei im ausgehenden 19. Jahrhundert. Hatte nach Kant die formale Logik seit Aristoteles keine Fortschritte mehr gemacht, weil sie überhaupt keine machen kann,22 so wird dies nach Freges Begriffsschrift (1879) wohl kein Logiker mehr behaupten.23 Der Grund für die Revolution der formallogischen Denkungsart war zunächst mathematischer Natur: die aristotelische Logik genügte zur Mitte des 19. Jahrhunderts nicht mehr den Ansprüchen der modernen Mathematik.24 Der erste Schritt in der Entwicklung der modernen Logik war insofern auch bereits vor Frege die Entwicklung eines Klassenkalküls, der die systematische Behandlung aller Beziehungen zwischen Klassen ermöglichte und zum Gegenstand hatte.25 Der Mathematiker George Boole versuchte dadurch, die Logik als einen Teil der Mathematik zu etablieren. Frege hingegen versuchte später, die Mathe-
22
»Daß die Logik diesen sicheren Gang schon von den ältesten Zeiten her gegangen sei, läßt sich daraus ersehen, daß sie seit dem Aristoteles keinen Schritt rückwärts hat tun dürfen […]. Merkwürdig ist noch an ihr, daß sie auch bis jetzt keinen Schritt vorwärts hat tun können, und also allem Ansehen nach geschlossen und vollendet zu sein scheint.« (KrV BVIII; AA XIX, 20.) Den Grund für die Geschlossenheit der Logik sieht Kant darin, dass der Verstand es hier nur mit sich selbst zu tun hat. Alle scheinbaren Erweiterungen fallen hingegen in den Bereich der Psychologie und verunstalten die Logik eher, als dass sie sie erweitern würden. So schreibt Karl Menger: Die Logik war »zwei Jahrtausende lang die konservativste aller Wissenschaften« (Menger, Die neue Logik (1936), S. 480). Der Terminus »formale Logik« wurde allerdings erst von Kant eingeführt, um sie gegen die transzendentale Logik abzuheben. (Vgl. Paul Hoyningen-Huene, Formale Logik. Eine philosophische Einführung, Stuttgart 1998, S. 27.) 23 Diese kann mit einigem Recht als die wichtigste logische Arbeit seit Aristoteles’ Analytiken gelten. (Vgl. Bocheński, Formale Logik (1956), S. 313.) Bei Quine heißt es: »Logik ist ein altes Gebiet, und seit 1879 ist es zu einem großen geworden.« (Willard Van Orman Quine, Grundzüge der Logik, Frankfurt a. M. 1974, S. 9.) Nach Tarski ist Frege »der größte Logiker des 19. Jahrhunderts« (Tarski, Einführung (1937), S. 14). 24 Vgl. Menger, Die neue Logik (1936), S. 482. 25 Im Folgenden werde ich die Begriffe »Klasse« und »Menge« synonym gebrauchen. Vgl. etwa auch Ramsey, Die Grundlagen der Mathematik (1925); FPR, S. 146 f.
Einleitung
21
matik auf die Logik zurückzuführen.26 Er war dabei »hauptsächlich an der Analyse des Gedankens interessiert«27 und versuchte »einen Inhalt durch geschriebene Zeichen in genauerer und übersichtlicherer Weise zum Ausdruck [zu] bringen, als es durch Worte möglich ist.«28 War die aristotelische Logik eine noch unvollständige Prädikatenlogik, so entwickelt sie sich bei Frege zu einem vollständigen System der Prädikatenund Aussagenlogik.29 Die Prädikationsstruktur, das heißt die Auffassung jedes Urteils als Verbindung eines Prädikats mit einem Subjekt durch die logische Kopula »ist«, die der aristotelischen Syllogistik zu Grunde liegt, wird als bloß grammatische Form nicht mehr in die Logik übernommen.30 Es kommt zu einer »Ersetzung der Begriffe Subject und Prädicat durch Argument und Function«31. Anstatt grammatischer Kategorien sollte nach Frege die mathe26
Gödel fasst dies als zwei Aspekte der formalen Logik: »Die Mathematische Logik, die nichts anderes ist als eine präzise und vollständige Formulierung der formalen Logik, hat zwei ganz unterschiedliche Aspekte. Auf der einen Seite ist sie ein Abschnitt der Mathematik, der statt von Zahlen, Funktionen, geometrischen Figuren usw. von Klassen, Relationen, Kombinationen von Symbolen usw. handelt. Auf der anderen Seite ist sie eine allen anderen vorausgehende Wissenschaft, welche die Ideen und Prinzipien enthält, die sämtlichen Wissenschaften zugrundeliegen.« (Kurt Gödel, »Russells mathematische Logik«. In: Alfred North Whitehead/Bertrand Russell, Principia Mathematica, Vorwort und Einleitungen. Mit einem Beitrag von Kurt Gödel, Frankfurt a. M. 1984, S. V.) 27 Gödel, Russels Logik (1944), S. V. Jaroslav Peregrin, »›Fregean‹ Logic and ›Russelian‹ Logic«. In: Australasian Journal of Philosophy 78,4 (2000), 557–574, S. 561: »judgeable contents are what Frege called thoughts and what we call propositions.« 28 Über den Zweck der Begriffsschrift (1882/83); BuaA S. 97. 29 Vgl. dazu etwa: Franz von Kutschera, »Das Verhältnis der traditionellen zur modernen Logik«. In PhJb 71 (1964), 219–229, S. 222 f. 30 Vgl. zur Kritik an dieser Form: Russell, Einführung (1919), S. 180 ff. Die bloß grammatischen Kategorien des Subjekts und des Prädikates können nach Frege für die Logik nicht von Bedeutung sein: »Logikbücher schleppen immer noch manches mit – z. B. Subjekt und Prädikat –, was eigentlich nicht in die Logik gehört« (Logik (1897); Nachg. Schr., S. 154). Durch den Gedanken sei nicht wie im Satz bestimmt, was sein Subjekt und was sein Prädikat sei. Zur Begründung, warum die Logik keine Subjekt-Prädikat-Unterscheidung vornimmt, vgl. Begriffsschrift (1879), S. 2 ff. Die moderne Logik zeichnet sich so zumindest zu ihrem Beginn auch durch ein Misstrauen gegen die Grammatik und die natürliche Sprache aus. Die Alltagssprache gilt als logisch unvollkommen und untauglich zur Begründung der Logik. Das Denken im menschlichen Geiste ist zwar abhängig von der Sprache, aber das ist nicht Thema der Logik, sondern der Psychologie. Die Logik sollte das Denken hingegen von den »Fesseln der Sprache« (Logik (1897); Nachg. Schr., S. 155) befreien. 31 Begriffsschrift (1879); BuaA, S. XIII. Das ermöglichte der Logik die Trennung zweier logischer Formen: nämlich von »Alle S sind P« (aus ρ(x) folgt immer ψ(x)) und »S ist P« (ψ(x)), die in der klassischen Logik die gleich Form besaßen. Diese Trennung, so Russell, »war ein ganz wesentlicher Fortschritt der symbolischen Logik«. (Russell, Einführung (1919), S. 183.) Erst dadurch wurden auch der Ausbau der Aussagen- und Prädikatenlogik
22
Einleitung
matische Unterscheidung in Buchstaben, die auf unbestimmte Zahlen verweisen, und Zeichen, die eine bestimmte Bedeutung haben, auf das »umfassendere Gebiet des reinen Denkens«32 ausgedehnt werden.33 Die Logik gebraucht damit Kalküle, die aus Zeichen und Operationsregeln bestehen: also aus Zeichen (vergleichbar den Figuren eines Spiels), den Formregeln (vergleichbar der Ausgangsstellung der Figuren eines Spiels) und den Umformungsregeln (sozusagen den erlaubten Spielzügen mit diesen Zeichen).34 Die Operationsregeln beziehen sich dabei auf die Gestalt der Zeichen und nicht auf ihren Sinn. So kann »jede wohlbestimmte mathematische Disziplin«35 ebenso als Kalkül verstanden werden wie ein Schachspiel.36 Die Verwendung der Symbolik ermöglicht strengere Schlussfolgerungen. Schließen geschieht nun durch »rechenmäßiges Operieren mit den Formeln«37. Offensichtlich entwickeln Fichte und Hegel ihr Denken noch im vorrevolutionären Zeitalter der alten aristotelischen Logik. So könnte man nun meinen, ihre Interpretation der Grundsätze des Denkens wäre verglichen mit der Auseinandersetzung mit der modernen Logik nur noch von historischem Interesse, die Untersuchung des transzendentalphilosophischen und spekulatisowie der logische Umgang mit Relationen möglich. Eine Relationstheorie sei in der prädikativen Logik nicht möglich gewesen. (Vgl. Carnap, Die alte und die neue Logik (1930), S. 16 ff.) In der aristotelischen Logik wären relationale Sätze nur als Prädikation formalisierbar gewesen (»x. ist. größer als p«). Die moderne Logik könne hingegen Relationen formalisieren (»Gxp«). Dass die vormoderne Logik diesen Unterschied nicht kannte, kann man hingegen nicht behaupten, denn sie unterschied ja solche Urteilsformen. Auch dass es keine Möglichkeit gab, diesen Unterschied symbolisch auszudrücken, stimmt nicht. Denn bereits der Kalkül Ploucquets kennzeichnet diesen Unterschied symbolisch (siehe unten). 32 Begriffsschrift (1879); BuaA, S. 1. 33 Diese Mathematisierung findet sich vor dem 19. Jahrhundert nur angedeutet. Neben Leibniz ist hier insbesondere Gottfried Ploucquet (1716–1790) zu nennen, mit dessen Expositiones sich Hegel für seine Disputation beschäftigen musste. (Vgl. Ploucquet, Logik, XIII f.) Bei Leibniz umfasst die Logik die Grundprinzipien aller Wissenschaften. Logik ist scientia generalis, die Wissenschaft vom Denkbaren. Ploucquet ging es hingegen nur um eine Formalisierung der Logik. Das Urteil ist eine Vergleichung von Subjekt und Prädikat. (§1) Die logische Kopula ist für Ploucquet Zeichen der durchgeführten Vergleichung. (§5). Erkenntnis der Identität ist Affirmation. Erkenntnis der Nichtidentität (= der Verschiedenheit) ist Negation. (§7) Die Beurteilung von Syllogismen führt Ploucquet auf logischen Kalkül zurück (vgl. 30–51). (Zum logischen Kalkül bei Ploucquet vgl.: XXII–XLI.) 34 »Unter einem K. versteht man ein System zur Herstellung von Figuren aus gewissen Ausgangspositionen, den Grundfiguren, nach bestimmten Herstellungsvorschriften, den Grundregeln«. (K. Lorenz, »Kalkül«. In: HWPh 4 (1976), 672–681, S. 672.) 35 Carnap, Logische Syntax (1968), S. 4. 36 Vgl. Bocheński, Formale Logik (1956), S. 311. 37 Carnap, Die alte und die neue Logik (1930), S. 16.
Einleitung
23
ven Denkens des Satzes der Identität und dem des Widerspruchs leite also nur »ein Interesse der Gelehrsamkeit«38, weil sie auf einer überholten Logik gründen.39 Denn auch wenn kaum noch jemand Carnaps Beurteilung der Folgen der Entwicklung der modernen Logik für die traditionelle Philosophie als Ganze – dass diese nämlich nur Vergangenheit sei – teilen wird,40 so hat doch zumindest die formale Logik in der Zeit nach Fichte und Hegel eine Fortentwicklung erfahren, die sie in ein ähnliches Verhältnis zur traditionellen Logik setzt, in dem etwa Teile der modernen Mathematik zur Euklidischen Geometrie stehen. Dieser unbestreitbare Fortschritt soll sich nicht nur auf ihre Resultate, sondern auch auf ihre Prinzipien ausgewirkt haben.41 Das könnte im schlimmsten Fall bedeuten, dass Fichte und Hegel den Satz des Widerspruchs und den Satz der Identität sowohl inhaltlich (falsche Formeln), material (Denkgesetze statt logischer Regeln) als auch in ihrer Bedeutung (als Grundgesetze) aus Sicht der heutigen Logik falsch interpretiert haben. Dass dem nicht so ist, kann nur die Auseinandersetzung mit der modernen Logik zeigen.42 Für diese Auseinandersetzung scheinen aber mehrere Wege gangbar zu sein: 38
Philosophiegeschichte I; SW 18, S. 29. Die logische Kompetenz der Idealisten Hegel und Fichte wird ohnehin schon für die Verhältnisse der damaligen Zeit von vielen Logikern als nicht allzu groß eingeschätzt. So heißt es bereits bei Łukasiewicz, Logistic and Philosophy (1936); Selected Works, S. 227: »Kant gave rise to German idealistic philosophy, whose flights of fancy and non-scientific character has surpassed all pre-Kantian systems.« 40 »Alle Philosophie im alten Sinne […] erweist sich vor dem unerbittlichen Urteil der neuen Logik nicht etwa nur als inhaltlich falsch, sondern als logisch unhaltbar, daher sinnlos.« (Carnap, Die alte und die neue Logik (1930), S. 13.) 41 »Die symbolische Logik besitzt darüber hinaus den Wert, daß sie eine unvergleichbar exaktere und umfangreichere Theorie der logischen Tatsachen bildet als die traditionelle formale Logik. Zum ersten Mal taucht hier der Versuch der exakten Bestimmung und des Erfassens der grundlegenden logischen Prinzipien [Hervorh. S. Sch.] auf; zum ersten Mal ist die Möglichkeit der Untersuchung gegeben, in welchem Zusammenhang diese Prinzipien miteinander stehen, welche von ihnen von den anderen unabhängig sind und welche man, auf Grund der anderen, beweisen kann.« (Łukasiewicz, Satz des Widerspruchs (1910), S. 227.) Die moderne Logik hat so dem SdW und dem SdI in ihrer eigenen Selbstdeutung ihren Rang und ihren Inhalt zugewiesen, indem sie sie als Regeln der Aussagenlogik bestimmt: p→p und ~(p∧~p). Schon allein den SdI und den SdW als Grundsätze, und dann auch noch als Grundsätze des Denkens zu untersuchen, scheint verfehlt, da der Terminus »Denkgesetz« zu implizieren scheint, es handle sich bei ihnen nur um psychologische Gesetze. Auch ihr Sonderstatus neben anderen logischen Gesetzen kann aus guten Gründen bezweifelt werden. 42 Dass die moderne mathematische Logik nicht eine Verabschiedung der vor-fregeschen Logik darstellen kann, versucht Michael Wolff (Abhandlungen über die Prinzipien der Logik, Frankfurt am Main 2004) dadurch zu zeigen, dass er sie zu einer Spezialdis39
24
Einleitung
Zunächst könnte man versuchen, vom Standpunkt der idealistischen Dialektik aus Kritik an der modernen Logik zu üben: die formale Logik wäre insuffizient, weil sie nicht dialektisch ist. Dieser Weg ist vor allem von früheren Hegelianern (und auch Marxisten) gerne beschritten worden, ist aber wenig produktiv.43 Denn man versichert den anderen nur des Standpunktes, den man ohnehin schon eingenommen hat. Einen Logiker wird das aber in den seltensten Fällen überzeugen, da er im Gegenzug zumindest auf die unbestreitbare Funktionalität seiner Disziplin und auf ihre Anwendbarkeit in den unterschiedlichen Bereichen verweisen kann. Dialektische Argumentationen überzeugen ohnehin meist nur den, der von der Dialektik als gangbarer Methode bereits überzeugt ist. Zum anderen könnte man versuchen, ein Nebeneinander von moderner Logik auf der einen und transzendentaler und spekulativer Logik auf der anderen Seite aufzuzeigen, das heißt ihre Probleme als verschieden voneinander zu behaupten. Man müsste dazu zeigen, dass es ganz unterschiedliche Fragestellungen sind, die die moderne Logik und die andererseits Fichte und Hegel bewegen, so dass es zu gar keinem Streit kommen kann, weil die Grundlage für eine Auseinandersetzung fehlt. Das hieße aber, die Auseinandersetzung der Idealisten mit den Grundsätzen des Denkens hätte der modernen Logik gar nichts zu sagen, diese könne eben nur keinen Einspruch dagegen erheben. Dem steht aber entgegen, dass Fichte und Hegel ganz explizit den Anspruch erheben, der formalen Logik mit ihrer Auseinandersetzung ihre Stelle zuzuweisen.44 ziplin innerhalb der Logik macht. Die mathematische Logik sei – anders als von Gödel behauptet – nicht die präzise Formulierung der formalen Logik, vielmehr seien mathematische und formale Logik systematisch verschiedene Teile der deduktiven Logik. (Vgl. S. XIII f.) Sein Frageansatz ist dabei aber ein anderer als der dieser Arbeit, da es ihm vornehmlich um den Nachweis der Eigenständigkeit der Syllogistik geht, die der mathematischen Logik als einer Logik des besonderen Verstandesgebrauchs noch vorgeordnet sei. (Vgl. S. 287.) Zu seiner Kritik an der Einteilung der Geschichte der Logik in »vor« und »nach 1879« (Freges Begriffsschrift (1879)) vgl. S. 284–288. 43 So versuchte etwa Georg Klaus zu zeigen, dass in den Deduktionen der formalen Logik selbst dialektische Momente auftreten, etwa aus Identität und Verschiedenheit, z. B. durch die Darstellung der identischen semantischen Bedeutung durch andere Zeichenreihen bei der Umformung. (Vgl. Georg Klaus, »Hegel und die Dialektik der formalen Logik.« In: Dtsch. Z. Philos. 11 (1963), 1489–1503, S. 1493.) 44 Bereits 1965 warf Manfred Zahn die Frage auf, ob es nicht deshalb nicht zu einem Gespräch zwischen Transzendentalphilosophie und Logik komme, weil keine der beiden Seiten das Problemniveau der anderen erreiche. (Vgl. Manfred Zahn, »Die Idee der formalen und transzendentalen Logik bei Kant, Fichte und Hegel«. In: Schelling-Studien. Festgabe für Manfred Schröter zum 85. Geburtstag, hrsg. v. Anton Mirko Koktanek, München-Wien 1965, 153–191, S. 154.) Er versucht deshalb eine Vorbereitung des Gesprächs
Einleitung
25
Diese beiden Möglichkeiten haben gemeinsam, die moderne Logik und das Denken des Idealismus bezüglich der Grundsätze des Denkens noch gar nicht in ein Gespräch miteinander zu bringen. Dabei scheinen mir dagegen drei Zugangsweisen möglich: Man kann zum einen inhaltlich versuchen, die Kompatibilität Fichtes und Hegels mit inhaltlichen Ergebnissen der modernen Logik oder einigen ihrer Positionen aufzuzeigen. So könnte man dann etwa Hegel als Vorläufer moderner Formen von Logik sehen, die Widersprüche zulassen. Damit gesteht man aber bereits zu, dass innerhalb dieser späteren Positionen ein Standard formuliert wird, den Fichte oder Hegel zwar antizipieren, von dem aus betrachtet sie aber eben nur als Propheten einer späteren Logik erscheinen – sei es in der Weise eines Moses oder eines Bileam. So verwundert es dann auch nicht, dass vornehmlich Vertreter dieser neuen Positionen solch einen Blick auf ihre Vorgänger einnehmen.45 Das wirkliche Theoriepotential Fichtes und Hegels und ihrer transzendentalen bzw. spekulativen Philosophie, das man auch für die moderne Logik fruchtbar machen kann, wird dabei aber gerade nicht ausgeschöpft. Zum zweiten könnte man versuchen, das transzendentale und spekulative Denken methodisch und formal in die moderne Logik zu transformieren, das heißt, ihre Philosophie in der Sprache der modernen Logik auszudrücken.46 Auch dieser Ansatz bringt deutliche Schwierigkeiten mit sich. So ließe sich aus der Perspektive der idealistischen Denker einwenden, ob es nicht widersprüchlich ist, Philosophien, die die wesentliche und notwendige Zusammengehörigkeit von Form und Inhalt ihrer Sätze behaupten, in reine
zwischen Transzendentalphilosophie und Logik. Mit dem Nebeneinander beider Disziplinen könne man sich nicht zufrieden geben. Ob die moderne Logik sich allerdings als »die methodisch durchgeführte Reflexion des Denkens auf sich selbst« (155), wie Zahn mit Krings, Transzendentale Logik (1964), S. 18 meint, begreifen würde, scheint mir fraglich. 45 So tut es etwa Graham Priest in seinem Buch: Beyond the Limits of Thought, Oxford 2002. Andererseits versucht Wilhelm Lütterfelds sowohl für Fichte als auch für Hegel die Kompatibilität zur analytischen Philosophie durch Gemeinsamkeiten ihres Denkens mit dem Wittgensteins nachzuweisen. (Vgl. zu Fichte: Lütterfelds, Fichte und Wittgenstein. Der thetische Satz, Stuttgart 1989; zu Hegel vgl. insbesondere: Das Erklärungsparadigma der Dialektik. Zur Struktur und Aktualität der Denkform Hegels, Würzburg 2006.) Auch bei Pirmin Stekeler-Weithofer wird Hegel zu einem Repräsentanten analytischen Denkens. (Vgl. Stekeler-Weithofer, Hegels analytische Philosophie. Die Wissenschaft der Logik als kritische Theorie der Bedeutung, Paderborn u. a. 1992.) 46 Diesen Versuch unternimmt Günther, Idee und Grundriß (1978).
26
Einleitung
Formeln zu übersetzen und ob damit nicht gerade der wesentliche Sinn verloren geht.47 Der sinnvollste Weg scheint deshalb, Fichte und Hegel entsprechend ihres eigenen Selbstverständnisses in ein Verhältnis zur formalen Logik zu setzen, das heißt: ihre Bedingung der Möglichkeit und Wahrheit zu untersuchen. Dies ist gerade wegen der Sonderstellung des Satzes der Identität und des Widerspruchs möglich. Denn sie gelten nicht bloß als logische Urteilsregeln, sondern als erste Seinsprinzipien und damit zugleich als die Bedingung der Möglichkeit allen Wissens und auch aller Logik. Das transzendentale bzw. spekulative Verständnis dieser Sätze interpretiert sie in diesem Sinne als der formalen Logik je schon voraus liegende Grundoperationen des Denkens, die letztere in Anspruch nimmt, ohne sie eigens zu reflektieren. Hegel und Fichte explizieren so eben auch die impliziten Voraussetzungen der modernen Logik: transzendentale und spekulative Logik betrachten die Hypothesen des Formallogikers. In der spekulativen und transzendentalen Logik werden der Satz der Identität und der Satz des Widerspruchs als Bedingungen der Möglichkeit, überhaupt formale Logik betreiben zu können, thematisiert. Gleichzeitig zeigen sie, in welcher Weise in formalen Logiken überhaupt sinnvoll behauptet werden könnte, mit Widersprüchen umgehen zu können, ohne einfach bloß einen äquivoken Gebrauch vom Begriff »Widerspruch« zu machen. Da es sich beim Satz der Identität und dem Satz des Widerspruchs um Grundsätze des Denkens handelt, so erschließt umgekehrt auch das Verhältnis, in das sich die drei Typen des Denkens zu den Grundsätzen setzen, ihre innere Beschaffenheit. Mit anderen Worten: besser als alle Selbstexplikationen der im Fokus der Untersuchung stehenden Denktypen kann ihr Umgang mit den Grundsätzen des Denkens diese aufschließen. Der Umgang mit diesen Sätzen dient also dieser Arbeit als Interpretament insbesondere der Philosophie Fichtes und Hegels überhaupt. Das systematische Interesse dieser Arbeit besteht also darin, die mit dem Satz vom Widerspruch und dem Satz der Identität verbundenen Probleme zu lösen sowie Wesen und Verhält47
So hält bereits Erich Heintel eine Formalisierung von Dialektik für wenig Erfolg versprechend, weil ihr die Trennung von Form und Inhalt überhaupt nicht angemessen ist. (Vgl. Erich Heintel: »Einige Gedanken zur Logik der Dialektik«. In: Studium Generale 21 (1968), 203–217, S. 202.) Auch Kesselring wirft dieser Deutung vor, sie habe »sich unter dem Legitimationsdruck, unter den sie von seiten der formalen Logik geraten zu sein scheint, dazu verleiten lassen, die entwicklungstheoretischen und subjektivitätsphilosophischen Implikationen der Hegelschen Dialektik zu früh auszublenden.« (Thomas Kesselring, Die Produktivität Antinomie. Hegels Dialektik im Lichte der genetischen Erkenntnistheorie und der formalen Logik, Frankfurt a. M. 1984, S. 26.)
Einleitung
27
nis von formalem, transzendentalem und spekulativem Denken zu erhellen. Darüber soll umgekehrt aber auch etwas zur Deutung der Philosophie Fichtes und Hegels und Vertreter der modernen Logik beigetragen werden. Im Zentrum der Auseinandersetzung stehen dabei in allen drei Teilen die beiden Grenzen der Grundsätze des Denkens: nämlich ihre Begründung einerseits und ihre mögliche Auflösung im Widerspruch andererseits.48
48
Hier gilt Hegel ja ohnehin als Paradebeispiel ganz unterschiedlicher Autoren: »Es gibt in der Geschichte der Philosophie zwei Momente, in denen der Streit um den Satz vom Widerspruch die Gemüter erregte – mit dem einen verbindet man den Namen Aristoteles’, mit dem anderen – den Hegels.« (Łukasiewicz, Satz des Widerspruchs (1910), S. 1.) Hegel erkenne »die reale Existenz (realne istnienie) des Widerspruchs« (4) an und schuf eine metaphysische Logik, ohne auf den Satz des Widerspruchs gestützt zu sein. Allerdings wird Hegels Vorgehen (natürlich) als »allzu radikal, nicht streng genug und auch unklar, […] nicht vorsichtig, nicht streng und kritisch genug« (4) bezeichnet. Durch Hegel haben die Denkgesetze auch nach Heidegger ihre »bis dahin gültige Gestalt und Rolle eingebüßt.« (Grundsätze des Denkens (1957); HeG 79, S. 94.)
DIE FORMALE LOGIK
In der modernen Logik finden sich unterschiedliche Begründungs- und Überwindungsversuche für den Satz des Widerspruchs und den Satz der Identität. Um diese Versuche beurteilen zu können, ist die Deutung, die den logischen Gesetzen dabei gegeben wird, entscheidend. Die formallogischen Sätze, die unter den Namen Satz des Widerspruchs und Satz der Identität begründet oder überwunden werden, können nämlich mitunter sehr wenig mit den Prinzipien zu tun haben, die Aristoteles zu Grundsätzen des Seienden und des Wissens erklärte. Daraus können sich dann drei unterschiedliche Aufgaben ergeben: a) Wenn die formallogische Formulierung des Satzes der Identität und dem des Widerspruchs sowie des Widerspruches selbst die traditionellen Konzeptionen ersetzen oder zumindest begründen soll, so ist zu untersuchen, ob diesem Anspruch genügt wird. Das heißt dann aber, dass die traditionellen Konzeptionen ein Maßstab sind, an dem sich die formallogischen Konzeptionen jeweils messen lassen müssen. b) Wird nun dieser Anspruch nicht explizit erhoben, sondern die Differenz konzediert, so sollte doch immer noch nach dem Verhältnis der Konzeptionen zueinander gefragt werden. c) Wird gar kein Bezug mehr auf die außerformallogischen Konzeptionen dieser Sätze und des Widerspruchs genommen, so kann doch immer noch untersucht werden, ob sie nicht zumindest implizit in Anspruch genommen werden. Ganz grundsätzlich lässt sich die formale Logik dabei entweder als episteme oder als techne verstehen.1 Der ersten Auffassung nach hat es die Logik mit Entitäten einer bestimmten Art zu tun: dies mögen nun nur psychische Gegebenheiten, »platonische« Gegenstände oder auch transzendentale Strukturen sein. Der zweiten, operativen Auffassung nach hat es die Logik nur mit Handlungen bzw. Operationen zu tun. Die logischen Gesetze sind dann Regeln, die man wie die Regeln eines Spiels in bestimmter Weise anwenden kann: 1.) Von besonderer Bedeutung ist zunächst Freges gegen den Psychologismus gerichtete Umdeutung der Grundsätze des Denkens in logische Gesetze 1
Zu dieser Differenzierung und ihrer Manifestation in der Geschichte der Philosophie vgl. Vladimir Richter, Untersuchungen zur operativen Logik der Gegenwart, Freiburg/München 1965, S. 9–13.
30
Die formale Logik
des Wahrseins. Auf Grund seiner Kritik am Psychologismus glaubt Frege, die logischen Gesetze könnten nicht länger als Gesetze des Denkens gedeutet werden, weil sie dann nur psychologische Regelmäßigkeiten und keine immer gültigen Gesetze ausdrücken würden. Damit ergab sich aber das Problem der Begründung der Gültigkeit dieser Grundgesetze seiner Logik. Hier konnte sich Frege wiederum nur noch auf die psychologische Evidenz stützen, dass wir an diesen Gesetzen nicht zweifeln können, weil sie uns eben evident seien. Hierzu zeigen die Konzeptionen des Denkens bei Fichte und Hegel Alternativen auf. Denn die Verabschiedung der Sätze der Identität und des Widerspruchs als Grundsätze des Denkens beruht auf der Voraussetzung einer bloß scheinbar ausschließenden Alternative, unter die die Idealisten nicht fallen: dass nämlich die Gesetze der Logik entweder nichts mit unserem Denken zu tun haben oder bloß psychologisch zu untersuchende Denkgewohnheiten seien. Die Tätigkeit des Denkens wird in dieser Alternative von vornherein nur als psychischer Akt gefasst. Dadurch bleibt aber uneinsichtig, welchen Status die logischen Gesetze als Gesetze des Wahrseins haben sollen. Eine alternative Deutung der logischen Gesetze ist die als allgemeinste Seinsgesetze, wie sie sich bei Russell findet. Aber auch hier treten Schwierigkeiten in der Begründung der unbedingten Gültigkeit der logischen Gesetze auf. Denn es scheint a priori gar nicht wissbar, dass uns die Naturwissenschaften nicht irgendwann Erkenntnisse präsentieren, die zu einer Revision der logischen Gesetze führen könnten. Hier findet sich das von Kant für die Naturgesetze namhaft gemachte Problem, dass aus der faktischen Gegebenheit von Gesetzmäßigkeiten niemals die Notwendigkeit von Gesetzen folge, in Bezug auf die logischen Gesetze wieder. Die transzendentale Deutung der logischen Gesetze im Tractatus Wittgensteins bietet hier eine Lösung. Wie bei Kant werden die logischen Gesetze und Kategorien selbst ihrerseits als gegeben vorausgesetzt. Fichte und Hegel hingegen versuchten, deren Notwendigkeit einsehbar zu machen. Hierin überbieten sie die Reflexionen des frühen Wittgenstein. 2.) Verbreiteter ist heute wohl die Deutung der logischen Gesetze, die ich nominalistisch nennen möchte: den logischen Zeichen kommt nur die Bedeutung zu, dass wir sie nach festgelegten Regeln in einer bestimmten Weise verwenden können.2 In einer Metasprache wird sowohl Syntax als auch Se2
Walter Dubislav bezeichnete diese Deutung als formalistische Deutung der logischen Gesetze (wie auch der Mathematik): »Reine Logik wie reine Mathematik sind im eigentlichen Sinne des Wortes überhaupt keine Wissenschaften, die aus Behauptungen bestehen, zwischen denen ein Begründungszusammenhang obwaltet. Reine Logik wie reine Mathe-
Die formale Logik
31
mantik der Objektsprache (das Zeichensystem der Logik) festgelegt – hieraus ergibt sich dann für den Satz vom Widerspruch eine syntaktische (aus einem Widerspruch lässt sich nämlich alles ableiten, der logische Kalkül würde damit trivial) und eine semantische Begründung: in die Formeln ~(p∧~p) (SdW) und p→p (SdI) kann auf Grund der semantischen Festlegung der Wahrheitsfunktionalität der Konjunktion, der Negation und der Implikation für p jeder beliebige Wahrheitswert (w oder f) eingesetzt werden und die Formel bleibt dabei immer wahr. Beide Sätze werden hier also als Tautologien oder aussagenlogische Wahrheiten gedeutet. Aber sowohl in ihrer syntaktischen als auch semantischen Begründung werden beide als Prinzipien des Denkens immer schon vorausgesetzt. 3.) Dass die Begründung des Satzes der Identität und des Widerspruchs in der modernen Logik ungenügend ist und vom Begriff des Widerspruchs ein äquivoker Gebrauch gemacht wird, zeigt sich insbesondere in ihrem Umgang mit den logischen Antinomien, dem der zweite Teil dieses Kapitels gewidmet ist. Ausgeführt werden hier exemplarisch für logisch-mathematische Antinomien die so genannte Russell-Antinomie und für semantische Paradoxien die Lügnerparadoxie sowie verschiedene Versuche ihrer Auflösung. Besonders relevant ist dabei die Entwicklung parakonsistenter und paradoxer Logiken: in ihnen wird nicht mehr die Antinomie, sondern der Satz des Widerspruchs aufzulösen versucht. Die paradoxe Logik hat es sich dabei zur Aufgabe gemacht, den Satz vom Widerspruch als das fundamentale Dogma der Logik und der abendländischen Philosophie zu stürzen. Dazu entwickelt sie eine Semantik, die angeblich auch mit Widersprüchen umgehen kann. Aber auch diese setzt den Satz des Widerspruchs als Denkprinzip selbst in ihrer Leugnung desselben noch voraus. Hier zeigt sich die Fragwürdigkeit der von der Logik bis dato meist unbefragt vorausgesetzten Grundbegriffe und Grundsätze. So können nämlich auch vehemente Kritiker des Dialetheismus eigentlich nicht zeigen, warum der Satz des Widerspruchs vorauszusetzen ist. Sie können dies nur behaupten. Die Unbedingtheit lässt sich nämmatik stellen vielmehr Kalküle dar, in denen es sich darum handelt, aus bestimmten, an sich willkürlichen Ausgangsformeln nach bestimmten an sich willkürlichen Operationsvorschriften andere und andere Formeln herzuleiten.« (Walter Dubislav, »Über den sogenannten Gegenstand der Mathematik«. In: Erkenntnis 1 (1930), 27–48, S. 41.) Hierbei ist allerdings die Unterscheidung wichtig, ob diese Deutung bloß methodologischer Natur ist oder nicht, ob die logischen Gesetze also keine Bedeutung unabhängig von den definitorisch festgelegten Regeln haben sollen oder ob ihnen innerhalb der formalen Logik nur keine zugeschrieben und die Frage nach einer darüber hinausgehenden Bedeutung in eine Philosophie der Logik verlegt wird. Die methodologische Reduktion ist in jedem Fall sinnvoll.
32
Die formale Logik
lich nicht in der formalen Logik selbst, wohl aber in einer sie grundlegenden transzendentalen oder spekulativen Philosophie begründen. Die Diskussion basiert dabei aber auf einer unzulänglichen philosophischen Deutung des Satzes der Identität und des Widerspruchs: denn sowohl die Gegner als auch die Befürworter paradoxer Logiken übersehen die analoge oder vielleicht sogar äquivoke Bedeutung dieser Prinzipien.
. Über Begründung und Bedeutung der logischen Gesetze
In diesem Kapitel sollen unterschiedliche paradigmatische Begründungsversuche des Satzes der Identität und des Satzes des Widerspruchs dargestellt werden. Dabei wird ihre Begründung im Zusammenhang mit der jeweiligen Deutung der Logik und ihrer Gesetze untersucht. Gemeinsam ist den zunächst analysierten Positionen, dass sie die Logik als episteme verstehen.
1.1. Die logischen Gesetze als mentale Gesetzmäßigkeiten Zunächst möchte ich den Denktypus entwickeln, gegen den sich mit Frege die meisten modernen Logiker richten: die Deutung der logischen Gesetze als Gesetze der faktischen menschlichen Denkvollzüge. Der Grundgedanke einer solchen empirisch-psychologischen Begründung der Grundsätze des Denkens wird bereits bei John Locke wie später bei John Stuart Mill sehr klar ausgeführt. Dabei ist hier paradigmatisch bereits die Entscheidung gefallen, was unter Denken zu verstehen ist: nämlich ein psychisch-mentaler Vorgang. Die Alternative, die logischen Gesetze in der Tätigkeit des Denkens zu fundieren, ist deshalb von vornherein in der modernen Logik nicht ausgeschöpft worden – weil »Denken« eben schon in einer ganz spezifischen Weise verstanden wird.3 3
Der Kontrast zwischen der psychologisierenden Deutung des SdI und des SdW als »mentalistische« Gesetze des Denkens und der von Fichte und Hegel ist schon dadurch offensichtlich, dass beide zwar den SdW und den SdI im Denken fundieren, aber einer Begründung durch bloße Tatsachen des Bewusstseins oder einer anthropologischen Begründung wie bei Jakob Friedrich Fries ablehnend gegenüberstehen. Nach Fries lässt sich die demonstrative (~formale) Logik ohne die anthropologische Logik als der »Wissenschaft von der Natur und dem Wesen unseres Verstandes […] weder aufstellen noch verstehen«. (Grundriss der Logik (18273) § 1; FSS 7, S. 32 (OP 4).) Der Satz der Identität (»A ist A«) »hat für die Gegenstände, welche A sind, keine weitere Bedeutung, sondern nur für meine Wiederholung derselben Vorstellung in Subject und Prädicat eines Urtheils. Daher sind diese Grundsätze des Denkens nur die Gesetze, unter denen es dem denkenden Verstande Bedürfniß wird, zweymal dasselbe zu sagen.« (System der Logik (18373); FSS 7, S. 164 (OP XII).) Die anthropologische Logik fragt dabei nach den Gesetzen des Denkens als einer Tätigkeit des menschlichen Geistes – diese ist eine Tätigkeit unter anderen. »Diese Art logischer Untersuchungen fragt nun nur nach der Natur des menschlichen Verstandes, sie gehört also zur innern Selbstbeobachtung des Menschen, sie macht einen Theil der philosophischen Anthropologie aus.« (System der Logik (18373) § 1; FSS 7, S. 171
34
Die formale Logik
So diskutiert John Locke den Status des Satzes der Identität (»›what soever is, is‹«4) und des Widerspruchs (»›it is impossible for the same thing to be, and not to be‹«5) im Zusammenhang mit der Frage, ob es angeborene Prinzipien gibt: denn wenn überhaupt, wäre es beim Widerspruchs- und Identitätsprinzip am ehesten erlaubt, sie als ein- oder angeboren zu bezeichnen. Wenn sie angeboren wären, so müssten sie nach Locke dann auch universelle Zustimmung finden, was sie jedoch nicht tun. Denn es gäbe einen großen Teil der Menschheit, »to whom they are not so much as known.«6 Weil also die universelle Zustimmung fehlt, kann es sich nicht um angeborene Ideen handeln.7 Wenn das Prinzip der Identität und das des Widerspruchs angeboren wären, müssten sie zudem nicht nur universell anerkannt werden, sondern auch die ersten sein, die der Verstand von Kindern besitzt. Dem sei nicht so und sie gingen somit auch nicht allen erworbenen Kenntnissen vor-
(OP 3).) Bereits Kant will die Logik jedoch nicht nur streng von der Psychologie getrennt wissen, sondern auch von der Frage nach dem Ursprung der Erkenntnis wie auch der Anthropologie. Der Kant-Gegner Johann August Eberhard hingegen »beweist« die subjektive Gültigkeit des SdW durch den von Wittgenstein parodierten Versuch eines »Denkkrampfes«: er werde durch »das Bewußtsein [bewiesen], daß ich nichts widersprechendes denken kann. Wenn ich es versuche, so fühl ich, daß die eine Operation meiner vorstellenden Kraft die andere zerstört.« (Eberhard, Über die logische Wahrheit (1789), S. 25.) Diese subjektive Gültigkeit kann zum Zwecke der Objektivierung der Gültigkeit dann auf jeden Gegenstand übertragen werden: von einem Gegenstand kann nicht zugleich A und non-A prädiziert werden: »Ich sehe, daß es in meinen Gedanken nicht sein kann, und zwar nicht darum, weil es diese Gedanken, oder weil es überhaupt Gedanken sind, sondern weil es ein völlig unbestimmtes A ist, das durch das eben so unbestimmte Nicht A zerstört und aufgehoben wird. Es muß also nicht bloß von meinen Gedanken gelten, es muß eine allgemeine Gültigkeit haben, ich muß es von meinen Vorstellungen auf die Gegenstände übertragen können.« (25) 4 Essay 1690 I,2; Works I, S. 14. 5 Essay 1690 I,2; Works I, S. 14. 6 Essay 1690 I,2; Works I, S. 14. Als Beispiele finden sich Idioten und Kinder. 7 So heißt es: »it seeming to me near a contradiction, to say, that there are truths imprinted on the soul, which it perceives or understands not; imprinting, if it signify any thing, being nothing else, but the making certain truths to be perceived. For to imprint any thing on the mind, without the mind’s perceiving it, seems to me hardly intelligible.« (Essay 1690 I,2; Works I, S. 15.) Wenn man nun darauf verwiese, die Möglichkeit, sie erkennen zu können, sei angeboren, reicht das nach Locke für ihre Angeborenheit nicht aus. Denn das würde die spezifische Differenz zwischen angeborenen und erlernten Wahrheiten gerade aufheben. Hier ist die aristotelische Differenzierung des Möglichkeitsbegriffes also bereits aufgegeben. Denn natürlich ist es mir im Sinne der Widerspruchsfreiheit möglich, alle erlernbaren Ideen zu erlernen. Aber das ist doch eine andere Möglichkeit als etwa die, dass jemand, der bei geschlossenen Augen nicht sieht, nach dem Öffnen der Augen wieder sehen kann.
Über Begründung und Bedeutung der logischen Gesetze
35
her.8 Gerade dass Kinder, Idioten, Analphabeten usw., also Menschen, die kein oder kaum erlerntes Wissen besitzen, den Satz des Widerspruchs und den der Identität nicht kennen, sei ein Argument, dass es sich bei ihnen um keine angeborenen Prinzipien handle. Außerdem seien bereits die Ideen, auf denen die Prinzipien gründen, nicht angeboren. Folglich könnten auch die Prinzipien nicht angeboren sein.9 Der Satz des Widerspruchs etwa nimmt die Ideen »Identität«10 und »Unmöglichkeit« in Anspruch. Beide seien nicht angeboren, da es großer Aufmerksamkeit bedürfe, sie recht zu verstehen und zu bilden. Viele hätten außerdem eine ganz unterschiedliche Vorstellung von Identität. Aus alledem folgert Locke, dass das Prinzip der Identität und das des zu vermeidenden Widerspruchs aus der Erfahrung stammen.11
8
Nach Locke weiß nämlich das Kind, ohne dass es den SdW kennt, dass das Kindermädchen, das es füttert, nicht die Katze sei, mit der es spielt: »if there are innate truths, they must be innate thoughts; there being nothing a truth in the mind that it has never thought on. Whereby it is evident, if there be any innate truths in the mind, they must necessarily be the first of any thought on; the first that appear there.« (Essay 1690 I,2; Works I, S. 31.) 9 Vgl. Essay 1690 I,4; Works I, S. 57. 10 Identität bestimmt Locke folgendermaßen: »When we see any thing to be in any place in any instant of time, we are sure […] that it is that very thing, and not another, which at that same time exists in another place, how like and undistinguishable soever it may be in all other respects: and in this consists identity, when the ideas it is attributed to vary not at all from what they were that moment wherein we consider their former existence, and to which we compare the present.« (Essay 1690 II,27; Works II, S. 47.) Hier wird aber nicht die Bedeutung des Begriffes Identität bestimmt, sondern dasjenige, worauf wir ihn anwenden, was ja zwei unterschiedliche Gesichtspunkte sind. 11 Das Fehlerhafte dieser Argumentation ist ganz offensichtlich: denn natürlich müssen wir Begriffe in irgendeiner Form besitzen, um mit ihnen umgehen zu können. Deshalb müssen wir sie aber noch nicht explizieren können. Man könnte hier wie Kant gegen die Aposteriorität des Kausalitätsbegriffes einwenden, dass der SdW und der SdI zwar bei der Erfahrung anheben, aber ihr deshalb noch nicht entspringen, und ebenso, dass sich die Fähigkeit zur Explikation eines Begriffes von seiner Inanspruchnahme unterscheidet. So können Schulkinder ja beim Rechnen mit Zahlen umgehen, ohne deshalb den Begriff und den ontologischen Status der Zahl explizieren zu können. Genau das wendet ja Leibniz dann gegen Locke ein: Jedermann kennt die angeborenen Prinzipien und bedient sich ihrer in jedem Augenblick, ohne darauf zu achten. So wendet Theophilus gegen Philalethes, der die Argumente Lockes vorträgt, ein: »Aber ich bin erstaunt, daß es ihnen noch nicht eingefallen ist, daß wir doch unendlich viele Erkenntnisse haben, ohne daß wir sie uns, selbst dann, wenn wir sie brauchen, zu deutlichem Bewußtsein zu bringen vermögen.« (Neue Abhandlungen über den menschlichen Verstand (1704) I,1; LPW 3, S. 38.) Hegel bemerkt zu Argumenten im Sinne der von Locke: »Man kann diesem Einwurf einen Mißverstand zuschreiben, insofern die gemeinten Bestimmungen als angeborene darum nicht auch schon in der Form von Ideen, Vorstellungen von Gewußtem sein sollen.« (Enzyklopädie 1830 § 67; SW 8, S. 158.)
36
Die formale Logik
Dieser Gedanke, dass der Satz des Widerspruchs und der der Identität nicht Prinzipien aller Erkenntnis, sondern vielmehr Produkte empirischer Erfahrungen seien und auf Selbstbeobachtung gründen, findet sich später im Psychologismus John Stuart Mills wieder. Auch dieser argumentiert explizit gegen den apriorischen Charakter des Satzes des Widerspruchs, »that two contradictory propositions cannot both be true«12. Der Satz des Widerspruchs sei nur eine der ersten und gewohntesten Generalisierungen der Erfahrung. Er gründe darin, dass Glaube und Unglaube zwei voneinander unterschiedene geistige Zustände seien, die einander ausschließen. Dies würden wir durch die Beobachtung unseres Geistes feststellen: »And if we carry our observation outwards, we also find that light and darkness, sound and silence, motion an quiescence, equality and inequality […], any positive phenomenon whatever and its negative, are distinct phenomena, pointedly contrasted, and the one always absent where the other is present. I consider the maxim in question to be a generalization from all these facts.«13 Durch äußere Beobachtung stellen wir fest, dass bei jedem positiven Phänomen und seiner Verneinung, werden beide auf einen Gegensatz zugespitzt, eines immer anwesend, das andere immer abwesend sei. Der Satz des Widerspruchs ist eine Verallgemeinerung aus diesen Tatsachen. Er wie auch der Satz der Identität sind als Denkgesetze also aus der Erfahrung gewonnene Gewohnheiten unseres Denkens. Deshalb fallen sie auch in den Untersuchungsbereich der Psychologie. Nicht die Logik begründet die Psychologie, sondern die Psychologie die Logik. Die von Mill zur Begründung des Satzes des Widerspruchs herangezogenen Tatsachen (Licht und Dunkel, Schall und Stille) stellen jedoch überhaupt 12
A System of Logic (1843) II,7; Collected Works VII, S. 277. A System of Logic (1843) II,7; Collected Works VII, S. 277 f. Andererseits gibt es bei Mill durchaus Aussagen, dass die Logik zwar als Wissenschaft Teil der Psychologie, als techne immerhin aber die Lehre nicht des faktischen, sondern des gültigen Denkens sei. Begründet ist die Logik in der Psychologie: »Logic is not the theory of Thought as Thought, but of valid Thought; not of thinking, but of correct thinking. It is not a Science distinct from, and coordinate with, Psychology. So far as it is a science at all, it is a part, or branch, of Psychology; differing from it, on the one hand as a part differs from the whole, and on the other, as an Art differs from a Science. Its theoretic grounds are wholly borrowed from Psychology, and include as much of that science as is required to justify the rules of the art.« (Examination of Sir William Hamilton’s Philosophy and of the Principal Philosophical Questions Discussed in His Writings (1865); Collected Works IX, S. 359.) Vgl. dazu: Hans Rott, »A New Psychologism in Logic? Reflections from the Point of View of Belief Revision«. In: Studia Logica (2008) 88, 113–136, S. 114. 13
Über Begründung und Bedeutung der logischen Gesetze
37
keine kontradiktorischen Aussagen dar. Mill deutet die vom Satz des Widerspruchs ausgedrückte Inkonsistenz, dass kontradiktorische Propositionen nicht zusammen wahr sein können, »als Unverträglichkeit solcher Sätze in unserem belief […]. Mit anderen Worten: dem Nichtzusammenwahrsein der Sätze wird substituiert die reale Unverträglichkeit der entsprechenden Urteilsakte. […] Zwei kontradiktorisch entgegengesetzte Glaubensakte können nicht koexistieren – so müßte das Prinzip verstanden werden.«14. Diese Interpretation der logischen Gesetze als normativ gewendete psychologische Tatsachen kann jedoch nie die Notwendigkeit der logischen Gesetze begründen: »kein psychologisches Gesetz zwingt den Urteilenden unter das Joch der logischen Gesetze.«15 Eine für die moderne Logik bedeutendere Deutung der logischen Gesetze als Gesetze mentaler Vorgänge findet sich bei Boole und De Morgan. Bedeutend ist sie primär aber nicht deshalb, weil sie die Gesetze als Gesetze unserer Denkvollzüge deutet, sondern wegen ihrer Rückführung auf mathematische Gesetze. George Boole und Augustus de Morgan versuchten, die aristotelischen Schlussregeln umzuformulieren und als Teil des Klassenkalküls darzustellen.16 Beide gingen damit von einer intensionalen Begriffslogik zu einer extensionalen Klassenlogik über.17 Der Klassenkalkül hat es nur mit der Beziehung von Klassen zu tun und nicht mit der von Klassen und Elementen, mit Inklusion, Durchschnitt, Vereinigung, Identität und Komplementarität, nicht aber mit Elementschaft.18 George Boole wollte die Logik auf diese Weise als Teil der Mathematik etablieren. Dazu parallelisierte er Logik und Mathematik: »On the principle of a true classification, we ought no longer to associate Logic and Metaphysics, but Logic and Mathematics.«19 Deshalb müssen die Grundgesetze der Logik auch auf mathematische Gesetze zurückgeführt werden können. Materialiter fundiert er die Logik aber immer noch in der Verfassung des menschlichen Verstandes. Für Boole besteht nicht nur eine Analogie zwischen den Operationen des Geistes »in general reasoning«20 und den Operationen in der besonderen Wissenschaft Algebra, 14 15 16 17 18 19 20
Logische Untersuchungen (1913) I,5; Husserliana XVIII, S. 91. Logische Untersuchungen (1913) I,5; Husserliana XVIII, S. 98. Vgl. Menger, Die neue Logik (1936), S. 482 f. Vgl. Lorenz, Kalkül (1976), S. 676. Vgl. Wolff, Abhandlung (2004), S. 41 f. Boole, The mathematical Analysis of Logic (1847), S. 13. Boole, Investigation (1854), S. 6.
38
Die formale Logik
sondern eine exakte Übereinstimmung in ihren Gesetzen, durch die die zwei Klassen von Tätigkeiten ausgeführt werden.21 Da hier das (logische) Denken zu einer Art des Rechnens wird, verändert sich der Status der Denkgesetze und ihre Begründung: Augustus de Morgan sprach in diesem Zusammenhang von der Entwicklung einer »algebra of the laws of thought«22. Nach Boole kann das Gesetz des Widerspruchs – das bis dahin als unableitbares Grundgesetz der Logik galt – selbst aus der Mathematik abgeleitet werden. Boole erhebt also den Anspruch, in seinem extensionalen Klassenkalkül eine Lehre von den Grundoperationen des Denkens zu entwickeln, die auch den Satz des Widerspruchs umfasst: »It is designed, in the first place, to investigate the fundamental laws of those operations of the mind by which reasoning is performed. It is unnecessary to enter here into any argument to prove that the operations of the mind are in a certain real sense subject to laws, and that a science of the mind is therefore possible.«23 Dass dieser Versuch jedoch scheitert, zeigt diese Herleitung selbst, die den Satz des Widerspruchs bereits voraussetzt. Der Satz der Identität lautet nach Boole x = x. Es soll nun gelten: »When no subject is expressed, we shall suppose 1 (the Universe) to be the subject understood, so that we shall have x = x (1), the meaning of either term being the selection from the Universe of all the Xs which it contains, and the result of the operation being in common language, the class X, i. e. the class of which each member is an X.«24 »X« ist die Auswahl aller X aus dem Universum = 1, die es enthält. Resultat der Operation ist die Klasse X, die Klasse, deren jedes Glied ein X ist.25 »XY« soll dann die Auswahl der Individuen der Klasse X aus der Klasse Y (die Schnittmenge oder das Produkt von X und Y) sein. Y kann nun dabei aber auch gleich X sein, so dass man dann schreiben kann »XX«. »XX« wäre dann die Schnittmenge von X mit X. Der Auswahlakt aller X aus dem Universum
21
Zu Booles algebraischer Logik vgl. etwa: Kneale/Kneale, The Development of Logic, Oxford 31966, S. 404–420. 22 De Morgan, On the Syllogism II (1850), S. 22. 23 Boole, Investigation (1854), S. 3. 24 Boole, The mathematical Analysis of Logic (1847), S. 15 f. 25 Vgl. Bochenski, Formale Logik (1956), S. 349.
Über Begründung und Bedeutung der logischen Gesetze
39
kann zweimal durchgeführt werden, und wir erhalten immer dieselbe Auswahl X, so dass wir schreiben können: xx = x oder x2 = x (Idempotenzgesetz) Selbst wenn wir dieselbe Operation n-mal durchführen, erhalten wir immer wieder: xn = x.26 Dieses x2 = x ist bei Boole eines der fundamentalsten Denkgesetze. Boole meint nun, den Satz des Widerspruchs aus seiner Formel x2 = x ableiten zu können. Das metaphysische Widerspruchsprinzip, dass ein Seiendes unmöglich eine Qualität besitzen und gleichzeitig nicht besitzen kann (»that it is impossible for any being to possess a quality, and at the same time not to possess it«27), sei nur eine Folgerung aus dem Fundamentalgesetz des Denkens, das durch x2=x ausgedrückt wird. Der Satz des Widerspruchs ist nicht selbst ein fundamentales Denkgesetz, sondern nur die Konsequenz eines solchen, nämlich von x2 = x. Die Auswahl aller Nicht-X aus dem Universum bzw. der Allklasse = 1 ist nämlich 1 – x: »If x represent any class of objects, then will 1 – x represent the contrary or supplementary class of objects, i. e. the class including all objects which are not comprehended in the class x.«28 Wenn also X die Klasse aller Menschen repräsentiert, so repräsentiert (1 – x) die Klasse aller Nicht-Menschen. Die Gleichung x2 = x (Booles fundamentales Denkprinzip) kann nun umgeformt werden in x – x2 = 0. Das kann nach den axiomatischen Gesetzen der Kombination und der Transposition wiederum umgeformt werden in x (1 – x) = 0.29 x (1 – x) bezeichnet also die Klasse der gemeinsamen Individuen von X und –X (ihre Schnittmenge). Da dies aber gleich Null ist, folgt, dass diese Klasse nicht existiert oder, was nach Boole dasselbe bedeutet, dass es für dasselbe Individuum unmöglich ist, zugleich X und –X zu sein: die Schnittmenge von X und –X ist leer. Der Satz des Widerspruchs ist deshalb für Boole ganz trivial. Diese Trivialität erklärt sich aber daraus, dass für die Bestimmung des Non-X als (1 – x) schon vorausgesetzt ist, dass das Universum = 1 sich in die Klasse X und Non-X aufteilt. Der Satz des Widerspruchs ist insofern bereits vorausgesetzt, als Boole annehmen muss, dass kein Element zugleich der Klasse X und –X angehören kann. Sonst könnte man ja gar nicht sagen, dass die Klasse, in der 26 27 28 29
Vgl. Boole, The mathematical Analysis of Logic (1847), S. 17. Boole, Investigation (1854), S. 49. Boole, Investigation (1854), S. 48. Vgl. Boole, Investigation (1854), S. 35 f.
40
Die formale Logik
alle X und alle Non-X vereinigt sind, gleich dem Universum 1 ist. In dem dem Beweis vorgängigen Gedanken non-x = 1 – x ist der Satz des Widerspruchs also bereits gesetzt, nämlich dass ein Individuum entweder in die Klasse X oder Non-X fällt. Denn wenn es möglich wäre, dass ein Individuum in beiden Klassen auftaucht, wäre ihr addierter Wert größer als 1. Das Element, das sich sowohl in der Klasse X als auch in der Klasse Non-X findet, müsste nämlich doppelt gezählt werden. Zusätzlich ist sogar noch das Axiom des ausgeschlossenen Dritten vorausgesetzt, denn sonst wäre die Vereinigung der Klassen X und Non-X kleiner als das Universum = 1, da das Universum Elemente enthalten würde, die außerhalb der Klassen X und Non-X liegen. Die Alternativen – wenn der Satz des Widerspruchs und der Satz vom ausgeschlossenen Dritten nicht vorausgesetzt würden – ließen sich in Form eines Mengendiagramms so darstellen, dass sie einerseits eine gemeinsame Schnittmenge aufweisen und andererseits mit ihren beiden Mengen nicht das Universum ausfüllen:30 wenn der Satz des Widerspruchs nicht gültig ist, gibt es eine Schnittmenge von X und Non-X, wenn der Satz vom ausgeschlossenen Dritten nicht gültig ist, füllen X und Non-X nicht das Universum aus. Booles erstaunliches Ergebnis, dass das, was gemeinhin als fundamentales Axiom der Metaphysik angesehen wurde, nur die Folgerung aus einem seiner Form nach mathematischen Denkgesetz ist, setzt die »metaphysische« oder axiomatisch gesetzte Prämisse je schon voraus, dass ein X nicht gleichzeitig Non-X sein kann. Dass die mit dieser Voraussetzung angereicherte Mengentheorie Booles dann das Ergebnis der metaphysischen Voraussetzung wieder herausklauben kann, ist in der Tat wenig erstaunlich. Man könnte sagen, seine Einteilung des Universums in die Klassen X und Non-X ist nichts weiter als das äußerlich und anschaulich gemachte »fundamental axiom of metaphysics« selbst.31
30
Vgl. eine analoge Darstellung zur Getrenntheit von wahr und falsch in Graham Priest, »What’s so bad about Contradictions«. In: Graham Priest u. a. (Hrsg.), The Law of Non-Contradiction. New Philosophical Essays, Oxford 2006, 23–38, S. 25 ff. und Patrick Grim, »What is a Contradiction?«. In: Graham Priest u. a. (Hrsg.), The Law of Non-Contradiction. New Philosophical Essays, Oxford 2006, 49–72, S. 65 ff. 31 Analoges gilt übrigens auch von Tarskis Behauptung, der Identitätsbegriff könne mit Hilfe des Mengenbegriffs definiert werden: Die Menge, die einer bestimmten Funktion entspricht, enthalte als Elemente alle Dinge, die die Eigenschaft besitzen und sonst keine. Jeder Eigenschaft könne man eine bestimmte Menge zuordnen und jeder Menge sei eine Eigenschaft zugeordnet, die nur zu den Elementen dieser Menge gehöre. (Vgl. Tarski, Einführung (1937), S. 44 f.) Identität läge dann vor, wenn zwei Eigenschaften x und y dieselbe Menge zugeordnet wäre. Das Definiens benutzt also auch hier schon den Begriff der Selbigkeit (Identität).
Über Begründung und Bedeutung der logischen Gesetze
41
1.2. Die logischen Gesetze als ideale Gesetze Mill und auch Boole verbanden die Existenz logischer Gesetze mit unserem intellektuellen Fassungsvermögen. In seiner Auseinandersetzung mit dem Psychologismus und der daraus resultierenden strikten Trennung von Logik und Psychologie hat der Ausdruck »Gesetze des Denkens« mit Frege dagegen eine Abwertung gegenüber dem Begriff »logische Gesetze« erfahren. Wie später Husserl versucht Frege zu zeigen, dass die logischen Gesetze nicht mentaler Natur sind: die Kalkülregeln seien nicht auf mentale Operationen rückführbar, sie seien keine bloßen Denkgewohnheiten.32 In Kernsätze zur Logik (1882) Nr. 17 schreibt Frege: »Die Gesetze der Logik können nicht durch psychologische Untersuchung gerechtfertigt werden.«33 Denn jede Wahrheit ist ewig und könne deshalb weder von der psychologischen Beschaffenheit des sie Denkenden abhängen, noch davon, ob sie überhaupt gedacht wird.34 Frege versucht deshalb in seinen Schriften, den »verderbliche[n] Einbruch der Psychologie in die Logik«35 und damit die »psychologische Verfälschung«36 der Logik zurückzudrängen.37 Neben Husserl und Frege betont auch Łukasiewicz den Unterschied zwischen der psychologischen und der logischen Deutung des Satzes vom Widerspruch und fordert eine strikte Trennung von Logik und Psychologie.38 Das »heute so verbreitete Durcheinander des Logischen mit dem Psycho-
32
Vgl. Lothar Kreiser, »Logik im Spannungsfeld von Biologie und Psychologie«. In: Dtsch. Z Philos. 39,2 (1991), 1083–1094, S. 1085 ff. Galt so mit Frege und Husserl der Psychologismus eigentlich lange Zeit als endgültig widerlegt, so gibt es nun doch Tendenzen zur Wiederbelebung psychologistischer Logikinterpretationen. So wollen Gabbay und Woods eine neue Logik etablieren, die im Gegensatz zur Alternative wieder das Subjekt der Tätigkeit der Logik untersucht. Damit knüpfen sie, wie sie meinen, in gewisser Weise wieder am Psychologismus an: »If psychologism is the view that logic has something to do with how beings like us think and reason, then we are psychologicists.« (Dov Gabbay/John Woods, »The New Logic«. In: Logical Journal of the IGPL 9 (2001), 141–174, S. 144.) Zur Frage eines neuen Psychologismus vgl. unter anderem Rott, A New Psychologism in Logic? (2008). 33 Nachg. Schr., S. 190. 34 Vgl. Kernsätze zur Logik (1882) Nr. 11; Nachg. Schr., S. 190. 35 Grundgesetze der Arithmetik I (1893), S. XIV. 36 Logik (1897); Nachg. Schr., S. 154. 37 Einer der von ihm kritisierten Psychologisten ist dabei der frühe Husserl, der ja dann in seinen Logischen Untersuchungen die wohl berühmteste Kritik am Psychologismus formulierte. Vgl. dazu: Rezension Husserl (1894); Kl. Schr., S. 192. 38 »Der Weg zu den Grundlagen der Logik führt nicht durch die Psychologie.« (Satz des Widerspruchs (1910), S. 43.)
42
Die formale Logik
logischen«39 hätte seinen Ursprung allerdings bereits bei Aristoteles. Im 4. Buch der Metaphysik fänden sich nämlich drei Bedeutungen des Satzes vom Widerspruch:40 Eine ontologische (»Kein Gegenstand kann dieselbe Eigenschaft enthalten und gleichzeitig nicht enthalten«41), eine logische (»Zwei Urteile, von denen das eine gerade diese Eigenschaft einem Gegenstand zuerkennt, die ihm das andere aberkennt, können nicht gleichzeitig wahr sein«42) und eine psychologische (»Zwei Überzeugungen, denen widersprüchliche Urteile entsprechen, können nicht gleichzeitig in demselben Intellekt existieren«43). Aristoteles entgehe dabei die rein psychologische Natur der Überzeugungen. Er übertrage zwischen Urteilen auftretende Abhängigkeitsbeziehungen auf psychische Erscheinungen. Außerdem schreibe er Überzeugungen Eigenschaften zu, die nur auf Urteile anwendbar seien, nämlich Wahrheit und Falschheit. Nur Urteile würden bedeuten, Überzeugungen als psychische Erscheinungen hingegen nicht. In seiner logischen Bedeutung beziehe der Satz des Widerspruchs sich nicht wie in seiner psychologischen Bedeutung auf psychische Zustände, sondern auf Urteile.44 Zur Begründung des 39
Satz des Widerspruchs (1910), S. 32. »Wo immer der SW [Abkürzung für die Schrift Satz des Widerspruchs; S. Sch.] erwähnt wird, dort wird auch darauf hingewiesen, daß die Differenzierung von diesen drei Bedeutungen, die bei Aristoteles ein bißchen verwickelt sind, ein großes Verdienst von Łukasiewicz ist.« (Jan Woleński, »Jan Łukasiewicz und der Satz vom Widerspruch«. In: Niels Öffenberger/Mirko Skarica (Hrsg.), Beiträge zum Satz vom Widerspruch und zur Aristotelischen Prädikationstheorie, Hildesheim u. a. 2000, 1–42, S. 4.) 41 Satz des Widerspruchs (1910), S. 10. 42 Satz des Widerspruchs (1910), S. 11. 43 Satz des Widerspruchs (1910), S. 13. Alle drei Bedeutungen unterscheiden sich dem Sinne nach, da von unterschiedlichen Dingen die Rede ist: von Gegenständen, Urteilen und Überzeugungen. Deshalb handle es sich um drei verschiedene Sätze. Aber der logische und der ontologische Satz seien, wenn auch nicht sinnidentisch, so doch äquivalent, da der logische aus dem ontologischen Satz folgt. (Vgl. S. 17 ff.) Denn wenn das Urteil, dass ein Gegenstand eine Eigenschaft besitzt, wahr ist, dann enthält dieser Gegenstand diese Eigenschaft. Ähnliches gilt beim Absprechen einer Eigenschaft. Wenn zwei widersprüchliche Urteile wahr wären, müsste derselbe Gegenstand die Eigenschaft enthalten und nicht enthalten. Das ist auf Grund des ontologischen Satzes nicht möglich. Andererseits folgt der ontologische Satz aus dem logischen. Sollte nämlich ein Gegenstand eine Eigenschaft enthalten und nicht enthalten, wären zwei widersprüchliche Urteile gleichzeitig wahr. Das ist auf Grund des logischen SdW unmöglich. Also folgt aus dem logischen SdW: kein Gegenstand kann zugleich eine Eigenschaft enthalten und nicht enthalten. Seiendes und wahre Urteile entsprechen einander. Ein wahres Urteil spricht einem Gegenstand eine Eigenschaft zu (bzw. ab), die dieser Gegenstand enthält (bzw. nicht enthält). Ein Gegenstand enthält die Eigenschaft, die ihm ein wahres Urteil zuspricht. 44 Ein Urteil ist dabei »ein in Worten ausgesprochener Satz, und zwar einer, der auch etwas bedeutet.« (Satz des Widerspruchs (1910), S. 14.) Einem Urteil müssen die Eigenschaften wahr und falsch zugesprochen werden können. Dazu muss es behaupten, dass 40
Über Begründung und Bedeutung der logischen Gesetze
43
psychologischen Satzes des Widerspruchs würden die entgegengesetzten Überzeugungen von Aristoteles fälschlich als entgegengesetzte Eigenschaften des Geistes aufgefasst. Damit würde er aus der ontologischen Fassung des Satzes folgen. Denn nach dieser kann kein Gegenstand entgegengesetzte Eigenschaften enthalten.45 Dagegen wendet Łukasiewicz zu Recht ein, dass »jede Überzeugung ein positiver psychischer Akt«46 ist: die Überzeugungen »p ist wahr« und »~p ist wahr« sind beide positive Akte. Es ist also kein Widerspruch am Ding »Geist«, dass er entgegengesetzte Überzeugungen hat. Ein Widerspruch läge nur dann vor, wenn jemand eine Überzeugung besäße und zugleich nicht besäße. Die psychologische Bedeutung des Satzes folgt deshalb nicht aus seiner ontologischen oder logischen Bedeutung. Das Hauptargument der Psychologismuskritiker ist aber, dass eine psychologische oder empiristische Fundierung der logischen Gesetze nie die Unbedingtheit ihrer Geltung begründen kann. Die logischen Gesetze sollen apodiktische Gültigkeit besitzen. Der Satz des Widerspruchs sagt nicht, dass es nur zu vermuten ist, dass von kontradiktorischen Urteilen eines wahr und eines falsch ist. Induktion kann niemals begründen, dass ein Gesetz gilt, sondern gibt nur eine gewisse Höhe der Wahrscheinlichkeit seiner Geltung an. Auf psychologischer Basis könnten die logischen Gesetze also nur »den Rang bloßer Wahrscheinlichkeiten haben«47. Der Satz des Widerspruchs könnte höchstens eine empirische Regularität darstellen: »Immer wieder würden nämlich Zweifel darüber aufkommen, ob der durch die angenommene Definition bestimmte Begriff der Überzeugung der wirklichen Überzeugung entspräche. Der psychologische Satz vom Widerspruch betrifft nämlich Erscheinungen (zjawisk), also wirkliche Tatsachen, und die Begriffe von solchen Tatsachen können nicht beliebig konstruiert werden, sondern müssen Eigenschaften enthalten, die diesen Tatsachen tatsächlich (istotnie) zukommen.«48 Die Begründung des Satzes des Widerspruchs in seiner psychologischen Deutung könnte umgekehrt auch nie durch die Logik geschehen, sondern nur durch die Psychologie.49 Der psychologische Satz des Widerspruchs, dass etwas ist oder dass etwas nicht ist. Ein Urteil ist keine Verknüpfung von Begriffen oder ein psychischer Zustand der Überzeugung. 45 Vgl. Satz des Widerspruchs (1910), S. 23 ff. 46 Satz des Widerspruchs (1910), S. 29. 47 Logische Untersuchungen (1913) I,5; Husserliana XVIII, S. 74. 48 Satz des Widerspruchs (1910), S. 38. 49 »Wenn er also nur ein empirisches Gesetz sein kann, so läßt er sich nicht auf Grund apriorischer Urteile beweisen […].« (Woleński, Jan Łukasiewicz (2000), S. 6.)
44
Die formale Logik
zwei widersprechende Überzeugungen sich nicht im selben Intellekt finden können, kann nur mit den Mitteln der Psychologie erwiesen werden, und das heißt eben mittels empirischer Untersuchung: »solange darf niemand den psychologischen Satz vom Widerspruch als ein Gesetz des Denkens verkünden.«50 Empirisch ließen sich aber wie bei Locke Gegenbeispiele anführen, dass es Menschen gab, die einen Widerspruch glaubten.51 Daraus schloss Frege nun, dass man die logischen Gesetze nicht als Denkgesetze deuten dürfe und plädierte für das Absehen der Logik vom Akt des Denkens. Die Logik sei nicht die Wissenschaft von den Gesetzen des Denkens, sondern den »Gesetze[n] des Wahrseins«52. Der Gedanke – den die Logik untersucht – sei vom Denkenden und der Tätigkeit unseres Denkens unabhängig. »Der Gedanke ist etwas Unpersönliches.«53 Er steht allen, die ihn denken, »als derselbe gegenüber«54. Denken ist nicht ein Hervorbringen der Gedanken und der Gedanke keine Denktat.55 Das Denken ist nur ein Erfassen von Gedanken. Gedanken sind jedoch nicht private Vorstellungen, sondern »abstrakte Entitäten in einem platonischen dritten Reich [Hervorh. S. Sch.]«56 – neben dem Reich unserer Vorstellungen und der empirischen Welt in Raum und Zeit. Der Logik kommt es zu, das Objektive, den Gedanken selbst zu untersuchen. Der Akt des Erfassens von Gedanken hingegen ist Thema der Psychologie. Die Logik handelt vom objektiven Gedanken, die Psychologie vom subjektiven Denken. Beides ist scharf zu trennen.57 Wenn die Logik aber nicht die Tätigkeit des Denkens zu ihrem Gegenstand hat, so sind auch die logischen Gesetze keine Gesetze, die das Denken bestimmen. Die Logik fragt nicht nach dem natürlichen Verlauf des Denkens 50
Satz des Widerspruchs (1910), S. 40. Łukasiewicz denkt hier etwa an Hegel in Bezug auf die Bewegung oder Cusanus, wenn er Gott als coincidentia oppositorum dachte. (Vgl. Satz des Widerspruchs (1910), S. 40 ff.) Husserl führt wie Locke, nur mit entgegengesetzter Intention, Beispiele an, die man für die psychologische oder empiristische Interpretation des SdW untersucht haben müsste: Verrückte, Hypnotisierte, Kranke etc.: »In demselben Individuum, oder noch besser, in demselben Bewußtsein, können während einer noch so kleinen Zeitstrecke kontradiktorische Glaubensakte nicht andauern. Aber ist dies wirklich ein Gesetz? Dürfen wir es wirklich mit unbeschränkter Allgemeinheit aussprechen? Wo sind die Psychologischen Induktionen, die zu seiner Annahme berechtigen?« (Logische Untersuchungen (1913) I,5; Husserliana XVIII, S. 91.) 52 Der Gedanke (1918); Kl. Schr., S. 343. 53 Logik (1897); Nachg. Schr., S. 146. 54 Logik (1897); Nachg. Schr., S. 145. 55 Logik (1897); Nachg. Schr., S. 148. 56 Hans-Johann Glock, Wittgenstein-Lexikon, Darmstadt 2000, S. 128. 57 So schreibt er: »es ist das Psychologische von dem Logischen, das Subjective von dem Objectiven scharf zu trennen« (Grundlagen der Arithmetik (1884), S. XXII). 51
Über Begründung und Bedeutung der logischen Gesetze
45
in der menschlichen Seele, denn das faktische Denken interessiert sie nicht. Diese Aufgabe weist Frege der Psychologie zu: »Am meisten ist aber vor der Meinung zu warnen, es sei Aufgabe der Logik, das wirkliche Denken und Urteilen zu erforschen, sofern es mit den Gesetzen des Wahrseins in Einklang sei.«58 Der Akt des Fürwahrhaltens, den der Psychologe untersucht, muss von dem Gehalt, der als wahr anerkannt wird, unterschieden werden. So muss es also auch Gesetze für die Wahrheit des Gehaltes geben, die Gesetze des Wahrseins. Grund für den Psychologismus ist nach Frege so unter anderem die Verwechslung von Wahrheit mit Gewissheit. Aus den logischen Gesetzen würden dadurch Gesetze der subjektiven Gewissheit.59 Die Gesetze der Logik sind aber eben nicht Gesetze des Fürwahrhaltens, sondern des Wahrseins. Diese Gesetze des Wahrseins bestimmen die »Regeln für unser Denken und Fürwahrhalten«60. Nur sie können dann auch normativ gewendet werden. So ergeben sich erst in einem zweiten Schritt Vorschriften für das Denken und das Urteilen. Nur weil die logischen Gesetze keine Gesetze des Denkens sind, sondern vom Denken unabhängige Wahrheiten, können sie Gesetze für das Denken werden.61 Logische Gesetze enthalten keinen normativen Gedanken. Sie sind theoretische Wahrheiten, die wie alle Wahrheiten zur Normierung eines Urteils verwendet werden können.62 Das eine ist ihr Gehalt, das andere eine Funktion. Die rein logischen Gesetze beziehen sich nur auf Ideales, die »technischen Regeln einer spezifisch humanen Denkkunst«63 dagegen auf Reales. Der Einbruch der Psychologie in die Logik beruht nach Frege auf dem verhängnisvollen Doppelsinn des Wortes Gesetz. Deshalb soll das Wort »Denkgesetz« in der Logik ganz vermieden werden, weil dadurch die logischen Gesetze als Naturgesetze aufgefasst würden. Sie bezeichnen dann nur »das Allgemeine im seelischen Geschehen des Denkens«64. Sie wären Gesetze 58
Logik (1897); Nachg. Schr., S. 158. Die Folge ist »das unrettbare Versinken in den Idealismus«. (Grundgesetze der Arithmetik I (1893), S. XIX.) 60 Logik (1897); Nachg. Schr., S. 139. 61 Sie sind »Grenzsteine in einem ewigen Grunde befestigt« (Grundgesetze der Arithmetik I (1893), S. XVI). 62 »Man muß durchaus unterscheiden: Gesetze, welche zur Normierung der Erkenntnistätigkeiten dienen, und Regeln, welche den Gedanken dieser Normierung selbst enthalten und sie als allgemein verpflichtend aussagen.« (Logische Untersuchungen I (1913); Husserliana XVIII, S. 159.) 63 Logische Untersuchungen I (1913); Husserliana XVIII, S. 163. 64 Der Gedanke (1918); Kl. Schr. S. 342. 59
46
Die formale Logik
für den (empirisch-psychologischen) Vorgang des Denkens, der dann ebenfalls dem Naturgeschehen analog gedacht wird. Diesen Vorgang untersucht aber die Psychologie. Diese untersucht, wie sich »die intellektuellen Betätigungen formen, anordnen und zusammenschließen [müssen], damit die resultierenden Urteile den Charakter der Evidenz, der Erkenntnis im prägnanten Sinne des Wortes erlangen. Die kausale Beziehung ist hier greifbar. Der psychologische Charakter der Evidenz ist ein kausaler Erfolg gewisser Antezedenzien.«65 Die logischen Gesetze können nicht analog zu Naturgesetzen gedacht werden, sonst »können sie nichts anderes als psychologische Gesetze sein; denn das Denken ist ein psychologischer Vorgang [Hervorh. S. Sch.].«66 Denkgesetze im psychologischen Sinne geben aber nur einen mittleren Durchschnitt an, vergleichbar mit der gesunden Verdauung. Sie könnten dann nicht mehr normierend sein. Logische Gesetze können nur dann als Denkgesetze bezeichnet werden, wenn man damit meint, dass in Übereinstimmung mit ihnen gedacht werden soll.67 Bezeichnet man die logischen Gesetze als Denkgesetze »oder besser Urteilsgesetze«68, so muss man sich dabei vergegenwärtigen, das es sich in diesem Sinne nur um Gesetze handeln kann, die wie juristische Gesetze vorschreiben, wie man denken soll und nicht wie man faktisch denkt.69 Der Zwang der logischen Gesetze ist nicht vergleichbar mit dem der Naturgesetze. Die logischen Gesetze sind nämlich nicht wie die Naturgesetze bloße Annäherungen an die wahrhaft gültigen Gesetze des Denkens. Andererseits regieren sie das Denken auch nicht auf kausale Weise, sind keine »Kausalgesetze des Denkens«70. Die logischen Gesetze beschreiben nicht, wie wir auf Grund der Verfasstheit unseres menschlichen Geistes denken müssen, wohingegen Verstöße gegen diese Gesetze als Ausfallserscheinungen zu deuten wären. Selbst wenn es psychologische Gesetze gäbe, die den Menschen nötigen würden, immer gemäß den logischen Gesetzen zu denken, wären diese doch immer noch von den logischen Geset-
65
Logische Untersuchungen I (1913); Husserliana XVIII, S. 159. Grundgesetze der Arithmetik I (1893), S. XV. 67 »Diese verdienen den Namen ›Denkgesetze‹ nur dann mit mehr Recht, wenn damit gesagt sein soll, dass sie die allgemeinsten sind, die überall da vorschreiben, wie gedacht werden soll, wo überhaupt gedacht wird.« (Grundgesetze der Arithmetik I (1893), S. XV.) 68 Logik (1897); Nachg. Schr., S. 157. 69 »Das wirkliche Denken ist mit den logischen Gesetzen nicht immer im Einklange, ebensowenig wie das wirkliche Handeln mit dem Sittengesetze. Es ist darum wohl besser, das Wort ›Denkgesetz‹ in der Logik ganz zu vermeiden, weil es immer dazu verführt, die logischen Gesetze wie Naturgesetze aufzufassen.« (Logik (1897); Nachg. Schr., S. 157.) 70 Logische Untersuchungen I (1913); Husserliana XVIII, S. 78. 66
Über Begründung und Bedeutung der logischen Gesetze
47
zen selbst unterschieden.71 Die psychologisch-kausalen Gesetze sind nämlich Realgesetze, die logischen sind »Idealgesetz[e]«72. Zwischen Idealem und Realem ist keine Vermittlung möglich.73 Auch im Urteilen interessiert den Logiker nicht der Urteilsakt als Fürwahrhalten, sondern der Satz interessiert als »ideale Bedeutungseinheit«74. Für das Prinzip des Widerspruchs als Urteil über Urteile folgt daraus: »weder das Prinzip, noch das, worüber es urteilt, sind Urteile.«75 Es ist kein Gesetz für Urteilsakte, sondern »ein Gesetz für Urteilsinhalte […], mit anderen Worten, für die idealen Bedeutungen, die wir kurzweg Sätze zu nennen pflegen.«76 Um seinen Sinn zu verstehen, müsse man sich nur »den Sinn entgegengesetzter Satzbedeutungen […] vergegenwärtigen.«77 Dann ergibt sich: »›Von zwei kontradiktorischen Sätzen ist einer wahr und einer falsch.‹«78
71
»Wir fingieren einen Idealmenschen, in dem alles Denken so vonstatten geht, wie es die logischen Gesetze fordern. Natürlich muß die Tatsache, daß es so vonstatten geht, ihren erklärenden Grund haben in gewissen psychologischen Gesetzen […]. Ich frage nun: Wären diese Naturgesetze und jene logischen Gesetze unter den gemachten Annahmen identisch? Die Antwort muß offenbar verneinend ausfallen. Kausalgesetze, nach welchen das Denken so ablaufen muß, wie es nach den idealen Normen der Logik gerechtfertigt werden könnte, und diese Normen selbst – das ist doch keineswegs dasselbe« (Logische Untersuchungen I (1913); Husserliana XVIII, S. 78 f.). In diesem Sinne könnte man ja die transzendentalphilosophische Deutung des Denkens und seiner Gesetze missverstehen. Tatsächlich vertreten Gabbay/Woods in ihrer Konzeption einer neuen Logik die These, Logik hätte es mit einem fingierten Idealmenschen zu tun: »In our approach, a logic is a formal and somewhat idealized descritpion of a logical agent.« (Gabbay/Woods, The new Logic (2001), S. 144.) 72 Logische Untersuchungen I (1913); Husserliana XVIII, S. 168. »Die psychologistischen Logiker verkennen die grundwesentlichen und ewig unüberbrückbaren Unterschiede zwischen Idealgesetz und Realgesetz, zwischen normierender Regelung und kausaler Regelung, zwischen logischer und realer Notwendigkeit […].« (79 f.) 73 »Die Aufgabe der Psychologie ist es, den realen Zusammenhang der Bewußtseinsvorgänge untereinander, sowie mit den zugehörigen psychischen Dispositionen und den korrespondierenden Vorgängen im körperlichen Organismus gesetzlich zu erforschen. […] Ganz anders geartet ist die Aufgabe der Logik. Nicht nach kausalen Ursprüngen und Folgen der intellektuellen Betätigungen fragt sie, sondern nach ihrem Wahrheitsgehalt; sie fragt, wie solche Betätigungen beschaffen sein und verlaufen sollen, damit die resultierenden Urteile wahr seien.« (Logische Untersuchungen I (1913); Husserliana XVIII, S. 67 f.) 74 Logische Untersuchungen I (1913); Husserliana XVIII, S. 178. 75 Logische Untersuchungen I (1913); Husserliana XVIII, S. 179. 76 Logische Untersuchungen I (1913); Husserliana XVIII, S. 179. 77 Logische Untersuchungen I (1913); Husserliana XVIII, S. 180. 78 Logische Untersuchungen I (1913); Husserliana XVIII, S. 179.
48
Die formale Logik
Frege lehnt jede externe Begründung der logischen Gesetze explizit ab. Die Logik darf weder auf die Psychologie noch auf die Metaphysik angewiesen sein, weil diese selbst die Logik gebrauchen. Aber auch die Logik selbst verfällt nach Husserl dem ersten Anschein nach einem Zirkel: denn auch sie nimmt als Wissenschaft ihre eigenen Regeln immer schon in Anspruch. Dieser Zirkel löse sich jedoch durch die Unterscheidung zweier Arten von Voraussetzung: Prämissen, die in Anspruch genommen werden, und »Regeln, denen gemäß die Wissenschaft verfahren muß, um überhaupt Wissenschaft zu sein.«79 Nur wenn aus den Regeln der Logik geschlossen würde, würde in einen vitiösen Zirkel verfallen werden. Es leuchtet aber nicht ein, wieso der eine Zirkel vitiöser sein soll als derjenige, dass die Ableitungsregeln ungeprüft in Anspruch genommen werden.80 Wenn außerdem die logischen Gesetze als platonische Gesetze des Wahrseins oder Idealgesetze in keiner Weise vom Denken begründet sein dürfen, dann wird der Status ihrer Geltung selbst problematisch. Man kann dann – wie in der Wertphilosophie von den Werten – eigentlich nur noch sagen, dass sie eben gelten, zumindest wenn man an ihrer Unbedingtheit festhält. Diese Geltung kann man einsehen – oder eben auch nicht. Dieses Problem zeigt sich an Freges Überlegungen zur Begründung der logischen Gesetze: Das Recht, ein logisches Gesetz als wahr anzuerkennen, leitet sich zunächst aus der Rückführung auf andere logische Gesetze her. Bei bestimmten Gesetzen – wie beim Satz der Identität – ist dies nicht mehr möglich. Man könne dann nur noch einen Grund des Fürwahrhaltens angeben, was aber den Logiker als Logiker nicht beschäftigt. Hier scheint also nur noch die Alternative offen zu bleiben: entweder doch eine psychologische Grundlegung zu liefern oder eben darauf verweisen, dass den Logiker nur interessiert, was aus der bereits akzeptierten Geltung einiger Gesetze folgt. Frege selbst wird hier psychologisch: ein Gesetz anzuerkennen und zu bezweifeln erscheint ihm als »Versuch, aus der eignen Haut zu fahren«81: 79
Logische Untersuchungen I (1913); Husserliana XVIII, S. 69. Allerdings gibt Husserl selbst bei dem SdW und dem Versuch, ihn aus heterogenen Gehalten abzuleiten, durchaus einen reflektiven Zirkel zu: »Es ist nun klar, daß die Unzuträglichkeit bei primitiven Grundsätzen, wie dem Satz vom Widerspruch, modus ponens u. dgl., insofern zum Zirkel wird, als die Ableitung dieser Sätze sie selbst in den einzelnen Herleitungsschritten voraussetzen würde – nicht in der Weise von Prämissen, aber in der von Ableitungsprinzipien, ohne deren Gültigkeit die Ableitung Sinn und Gültigkeit verlieren würde. In dieser Hinsicht könnte man von einem reflektiven Zirkel sprechen, im Gegensatz zum gewöhnlichen oder direkten circulus in demonstrando, wo Prämissen und Schlusssätze ineinanderlaufen.« (Logische Untersuchungen I (1913); Husserliana XVIII, S. 170.) Gerade diesen reflektiven Zirkel wird Fichte versuchen aufzuheben. 81 Grundgesetze der Arithmetik I (1893), S. XVII. 80
Über Begründung und Bedeutung der logischen Gesetze
49
»Wer einmal ein Gesetz des Wahrseins anerkannt hat, der hat damit auch ein Gesetz anerkannt, das vorschreibt, wie geurtheilt werden soll, wo immer, wann immer und von wem immer geurtheilt werden mag.«82 Wittgenstein wendet hier zu Recht ein: »es ist merkwürdig, daß ein so exakter Denker wie Frege sich auf den Grad des Einleuchtens als Kriterium des logischen Satzes berufen hat.«83 Der Status der Frege’schen Logik ist nach Wittgenstein problematisch, wird doch Freges »Logik zur Physik des geistigen Reichs«84. Der Geist wird zu einer Art Sinn, mit dessen Hilfe wir ein bestimmtes Reich betrachten, um dort die Wahrheit gewisser logischer Sätze zu erkennen. Wenn eine Wahrheit allerdings auf diese Weise unmittelbar bewusst ist, dann kann man einer solchen nicht widersprechen, ohne den, der sie vorbringt, einen Lügner zu nennen: »Ebenso steht es, wenn jemand behauptet, der Satz vom ausgeschlossenen Widerspruch leuchte ihm unmittelbar ein. Es könnte sein, daß diese Behauptung das Ergebnis eines psychologischen Experiments ist; vielleicht liegt es aber auch am Alkohol.«85 Nach Wittgenstein verfällt also Frege selbst einer bestimmten Art von Psychologie, da die Gegebenheit der Wahrheit der logischen Gesetze ebenso unklar ist wie ihr Status. Auch Husserl unterzieht in den Prolegomena die logischen Gesetze und die Tätigkeit des Denkens einer womöglich noch strikteren Trennung als Frege, da er den Aspekt der Normativität der Gesetze noch stärker aus ihnen aussondert und als nachträgliche Funktion interpretiert. In den logischen Gesetzen würde ein idealer Gehalt formuliert, der vom Denken ganz unberührt ist. Wie bei Frege stellt sich so aber auch bei Husserl das Problem der Legitimation dieser idealen Gehalte. Husserl selbst versucht dann zunehmend, die Logik in einer transzendentalen Phänomenologie zu begründen. Der Status und die Evidenz der »logischen Grundbegriffe und Grundsätze«86 bliebe ansonsten ungeklärt. Husserl entwirft dabei eine transzendentale Logik, eine Begründung der Logik in der transzendentalen Subjektivität und muss sich deshalb mit dem Vorwurf auseinandersetzen, dass seine subjektiv gerichtete Betrachtung logischer Gebilde nun selbst dem Psychologismus zu 82
Grundgesetze der Arithmetik I (1893), S. XVII. Tractatus 6.1271. 84 Grundlagen der Mathematik Cambridge 1939; WS 7, S. 208. 85 Grundlagen der Mathematik Cambridge 1939; WS 7, S. 209. In einem ähnlichen Sinne kritisiert auch Hegel die Behauptung unmittelbarer Gewissheiten: »Daraus, daß das unmittelbare Wissen das Kriterium der Wahrheit sein soll, folgt fürs zweite, daß aller Aberglaube und Götzendienst für Wahrheit erklärt wird […].« (Enzyklopädie 1830 § 72; SW 8, S. 162) 86 Formale und transzendentale Logik (1929); Husserliana XVII, S. 273. 83
50
Die formale Logik
verfallen droht.87 Schrieb er doch selbst noch in den Logischen Untersuchungen: »Transzendentalpsychologie ist eben auch Psychologie.«88 In Formale und transzendentale Logik unterscheidet er dann aber die transzendental-phänomenologische Subjektivität »mit ihrem konstitutiven Bewußtseinsleben und ihren transzendentalen Vermögen«89 von der psychologischen Subjektivität, der menschlichen Seele. Er fordert eine »radikale Scheidung zwischen Psychologie und Transzendentalphilosophie«90. Kant wirft er dabei vor, »daß er das transzendentale Problem der Logik nicht als ein ihr vorangehendes erkannt hat. […] Für Kant aber ist es genug, auf die formale Logik in ihrer apriorischen Positivität zu rekurrieren, oder wie wir sagen würden in ihrer transzendentalen Naivität.«91 Damit greift er aber nur wieder die Kritik Fichtes und Hegels an Kant auf. Nach Husserl soll die transzendentale Logik auch die Wesensmöglichkeit der formalen Logik begründen. Allerdings ist die transzendentale Logikbegründung Husserls eine ganz andere als die Fichtes und auch bereits Kants: denn diese transzendentale Logik ist wiederum eine »material[e] eidetisch[e] Wissenschaf[t]«92, die rein auf Anschauung beruht. So können also weder Frege noch Husserl die Apriorität der logischen Gesetze, die sie ja behaupten, verständlich machen, ohne auf transzendentale Strukturen zurückzugreifen oder doch wieder psychologische Evidenzen in Anspruch nehmen zu müssen. Eine transzendentale Begründung der Logik konnte sich so aber nicht durchsetzen, wie ihre Ablehnung durch Łukasiewicz zeigt: »Man muß im allgemeinen bemerken, daß das Stützen der Wahrheit der Urteile auf das Gefühl der Evidenz und auf die geistige Organisation zwei sehr verwandte Argumentationsweisen sind. Der Unterschied besteht hauptsächlich darin, daß im ersten Fall die angebliche Wahrheitsgrundlage irgendein psychischer Akt, also eine bloß vorläufig andauernde Erscheinung ausmacht, im zweiten Fall aber irgendeine psychische Disposition, die wir für die dauerhafte Eigenschaft des Verstandes halten. Beide Argumen-
87
Vgl. Formale und transzendentale Logik (1929); Husserliana XVII, S. 155–183. Logische Untersuchungen I (1913); Husserliana XVIII, S. 102 Anm. 3. 89 Formale und transzendentale Logik (1929); Husserliana XVII, S. 259. 90 Formale und transzendentale Logik (1929); Husserliana XVII, S. 259. 91 Formale und transzendentale Logik (1929); Husserliana XVII, S. 272. 92 Ideen I (1913); Husserliana III, S. 23. Vgl. dazu auch: Zahn, Die Idee der formalen und transzendentalen Logik (1965), S. 155 ff. 88
Über Begründung und Bedeutung der logischen Gesetze
51
tationsweisen führen meiner Meinung nach zum Subjektivismus und Skeptizismus.«93 Aber hier werden wiederum psychologische und transzendentale Fragestellungen in eins gesetzt. Nur deshalb können sich nach Łukasiewicz Beweise a priori nicht auf transzendentale Strukturen gründen, sondern müssen sich auf Definitionen stützen.94 Transzendentale Strukturen stehen aber nicht im selben Verhältnis zu psychischen Tatsachen wie ein Akt zur Disposition und können nicht nur durch Introspektion gewonnen werden. Durch psychische Vorgänge und die Beobachtung ihres faktischen Verlaufs kann selbstverständlich »kein logischer, apodiktisch gültiger Regelzusammenhang hergestellt werden«95. Trotzdem sind diese Regeln aber auch die »Konstitutionsprinzipien für diejenigen psychischen Vorkommnisse […], die man […] mit einigem Recht als Denkakte bezeichnen kann.«96 So hinkt der Vergleich der logischen Gesetze mit den Moralgesetzen doch ganz deutlich: denn eine Handlung bleibt auch dann Handlung, wenn sie moralischen Normen nicht genügt. Sie ist eben dann nur keine moralische, sondern eine unmoralische Handlung. Das Denken steht aber doch nicht in diesem Verhältnis zu den logischen Gesetzen: als würde man eben schon irgendwie denken und im günstigsten Fall dann auch noch gemäß logischen Gesetzen. Der Psychologismus ist dadurch noch gar nicht in adäquater Weise widerlegt, dass man die Regeln der Logik für nicht psychologisch begründet erklärt und dagegen das Denken dieser Regeln sowie die Einsicht in ihre Geltung nun seinerseits für ein bloß faktisches Erlebnis hält, das sich nur durch empirische Kriterien vom Wahrnehmen und Empfinden unterscheidet. Man muss vielmehr »reine, regelhafte Verhältnisse konstituierende Handlungen konzipieren, die gewissen psychischen Akten, sofern diese als Denkvollzüge bestimmt werden sollen, als ideale Bedingungen der Möglichkeit zugrunde liegen.«97 Es bleibt eine bloße Voraussetzung, dass man den Akt des Denkens nur als etwas Subjektives verstehen kann. Hierin liegt der Grundfehler Freges und der Erbschaden eines großen Teils der modernen Logik: die Tätigkeit des Denkens wird nur als psychologische Tätigkeit aufgefasst, die vom Vorstellen gar nicht unterschieden ist. Denken ist aber, wie gerade Fichte und Hegel zeigen, zu93
Satz des Widerspruchs (1910), S. 129. Vgl. Satz des Widerspruchs (1910), S. 129. (siehe unten) 95 Düsing, Das Problem der Subjektivität in Hegels Logik. Systematische und entwicklungsgeschichtliche Untersuchungen zum Prinzip des Idealismus und zur Dialektik, Bonn 1976, S. 14. 96 Düsing, Das Problem der Subjektivität in Hegels Logik (1976), S. 14. 97 Düsing, Das Problem der Subjektivität in Hegels Logik (1976), S. 14. 94
52
Die formale Logik
nächst alles andere als ein durch Selbstbeobachtung zu gewinnender bloß empirisch-psychischer Vorgang.
1.3. Die logischen Gesetze als allgemeinste Gesetze des Wirklichen Bereits für Aristoteles erscheint die ontologische Bedeutung des Widerspruchsprinzips insofern als seine prinzipiellste, aus der sich seine logische und seine psychologische Bedeutung herleiten, als sich seine Ausführungen über ihn doch nicht in den Analytiken oder der Hermeneutik finden, sondern in den Ausführungen über die erste Wissenschaft, deren Gegenstand das Sein, insofern es seiend ist, bildet. Das Sein, insofern es seiend ist, zeichnet sich aber dadurch aus, dem Prinzip des ausgeschlossenen Widerspruchs zu unterliegen. Vor allem die Logik Russells ist in der Moderne wieder durch solch eine »ausgesprochen realistische Haltung«98 geprägt. Die Logik ist für ihn gegenüber den anderen Wissenschaften mit den allgemeineren und abstrakteren Zügen der Wirklichkeit befasst. Sie entspricht in dieser Hinsicht der ersten Philosophie des Aristoteles, die ja eben die allgemeinsten Züge des Seins des Seienden betrachtet und nicht das Sein, insofern es bewegt oder belebt ist: »[L]ogic is concerned with the real world just as truly as zoology, though with its more abstract and general features«99. Die Logik erfasst nach Russell die allgemeinsten Wesenszüge der Welt und stellt damit die Grenzen dessen auf, was in der Welt möglich ist.100 Die Bezeichnung der logischen Gesetze als Denkgesetze ist auch nach Russell »irreführend, denn wichtig ist nicht, daß wir in Übereinstimmung mit diesen Gesetzen denken, sondern daß sich die Dinge in Übereinstimmung mit ihnen verhalten; mit anderen Worten, daß, wenn wir in Übereinstimmung mit ihnen denken, wir richtig denken.«101 Der Satz des Widerspruchs kann deshalb kein Denkgesetz sein, weil wir im Glauben an ihn nicht von einer Beschaffenheit des Geistes überzeugt sind. Er bezieht sich auf Dinge und nicht bloß auf Gedanken. Er selbst ist »kein Gedanke, sondern eine die Dinge in der Welt betreffende Tatsa-
98
Gödel, Russells mathematische Logik (1944), S. VII. Introduction to mathematical Philosophy (1919), S. 169. 100 Wenn die Wahrheiten der Logik nun aber nicht kontingent sein sollen, dann müsste man sagen, dass ihre Wahrheiten im Gegensatz zu denen der Naturwissenschaften auf Grund ihres höheren Allgemeinheitsgrades von Kontingenz in Notwendigkeit umschlagen. Zu dieser Konzeption der Logik durch Russell vgl. Peregrin, Logic (2000), S. 563 ff. 101 Russell, Probleme der Philosophie (1950), S. 74 f. 99
Über Begründung und Bedeutung der logischen Gesetze
53
che.«102 Russell behauptet eine notwendige Gültigkeit a priori der logischen Gesetze. Der Grund für diese Gültigkeit vor aller Erfahrung muss doch aber seinerseits noch einmal einsichtig gemacht werden können. Die bloße Allgemeinheit kann diese Notwendigkeit entweder nicht begründen – nämlich dann, wenn größte Allgemeinheit bloß das Abstrakteste meint. Denn das setzt ein Gegebenes voraus, von dem wir abstrahieren. Aus der Abstraktion folgt aber nicht, dass alles Gegebene immer so beschaffen sein wird. Denn Induktion kann nun einmal keine Notwendigkeit begründen und der Apriorität widerspricht sie sogar. Oder die Notwendigkeit wird bereits vorausgesetzt – wenn es a priori gelten soll. Dann kann sie aber nur trocken versichert werden.103 So scheint also wieder nur die Alternative zu bleiben, entweder das Wissen um die Notwendigkeit der logischen Gesetze als unmittelbar gegeben anzunehmen oder ihre Apriorität aufzugeben. Wenn die logischen Gesetze also nur allgemeinere, aber ansonsten den Naturgesetzen analoge Gesetze des positiv gegebenen Wirklichen wären, so könnten wir mit unserem Wissen um die Wirklichkeit auch die allgemeinsten Gesetze dieser Wirklichkeit verändern müssen. Es gälte damit: »logic is in the same epistemic boat as other scientific theories.«104 Auf Grund äußerlicher, empirischer Beobachtungen und Überlegungen wäre es möglich, die logischen Prinzipien revidieren zu müssen. So gibt es konsequenterweise für Willard van Orman Quine überhaupt keine Wahrheiten mehr, die a priori
102
Russell, Probleme der Philosophie (1950), S. 90. Die Begründung ist freilich wenig überzeugend: »Wenn das, was wir glauben, nicht auf die Dinge in der Welt zutreffen würde, so würde die Tatsache, daß wir gezwungen sind, es als wahr zu denken, den Satz des Widerspruchs nicht davor bewahren, falsch zu sein; und dies zeigt, daß das Gesetz kein Denkgesetz ist.« (90) Dies schiene aber doch vorauszusetzen, dass wir etwas denken könnten, was wir gar nicht denken können. Auch hier sieht man eine laxe Verwendung des Begriffs »Denken«. 103 Peregrin meint hierzu, letztlich müsse man für die Russell’sche Deutung der Logik etwas Ähnliches annehmen, wie es Kant gegen Hume in Anschlag bringt: die Notwendigkeit muss von uns her stammen, es muss sich um eine (transzendentale) Notwendigkeit unseres Erkenntnisvermögens handeln. Um Russells Konzeption der Logik zu retten, müsse man sie deshalb modifizieren: »The modified conception claims that logic reports the most general traits of the world as we think it.« (Peregrin, Logic (2000), S. 565.) Dies meine nun aber keinen Rückfall in den Psychologismus, vielmehr transzendiere das gemeinte Denken das aktuale Denken und lege die Grenzen dessen fest, was wir denken können und was nicht. Peregrin hält diesen Weg, den der frühe Wittgenstein eingeschlagen hat, allerdings nicht für gangbar. 104 Otávio Bueno/Mark Colyvan, »Logical Non-Apriorism and the ›Law‹ of Non-Contradiction«. In: Graham Priest u. a. (Hrsg.), The Law of Non-Contradiction. New Philosophical Essays, Oxford 2006, 156–175, S. 156.
54
Die formale Logik
wahr wären. Denn Apriorität wäre gleichzusetzen mit Irreversibilität,105 irreversible Wahrheiten gibt es aber nicht. So kann es sich auch bei den logischen Gesetzen nicht um Wahrheiten a priori handeln. Wie alle Gesetze und Überzeugungen seien auch sie »Konstruktionen« des Menschen, die durch Erfahrung korrigiert werden könnten und müssten: »The totality of our so-called knowledge or beliefs, from the most casual matters of geography and history to the profoundest laws of atomic physics or even of pure mathematics and logic [Hervorh. S. Sch.], is a men-made fabric which impinges on experience only along the edges.«106 Davon, im Falle neuer empirischer Erkenntnisse einer Revision unterworfen werden zu müssen, seien auch die logischen Grundsätze – explizit nennt er den Satz vom ausgeschlossenen Dritten – nicht ausgenommen. Ihre Veränderung hält Quine für genauso normal wie eine Revision der Naturgesetze. Ihre Modifikation sei kaum problematischer als die anderer (überholter) Gesetze: »Revision even of the logical law of the excluded middle has been proposed as a means of simplifying quantum mechanics; and what difference is there in principle between such a shift and the shift whereby Kepler superseded Ptolemy, or Einstein Newton, or Darwin Aristotle?«107 Letztlich müsste man also mit Quine folgern, dass auch der Satz des Widerspruchs und der Satz der Identität prinzipiell revidierbar sein müssten, da sie ansonsten a priori wahr wären.108 105
»Apriority is identified by Quine with unrevisability.« (Hilary Putnam, »There is at least one a priori truth«. In: Erkenntnis 13 (1978), 153–170, S. 153.) 106 Quine, Two Dogmas (1964), S. 42. 107 Quine, Two Dogmas (1964), S. 43. Das Argument der Quantenmechanik wird auch bei Bueno/Colyvan, Logical Non-Apriorism (2006), S. 158 ff. aufgegriffen. Allerdings schiene es mir notwendig, dass hier zuerst der Status der Negation und die Art des Gegensatzes in der Formel »Ex = +1/2 v Ex = –1/2« geklärt würde. 108 Putnam wird so auch gegen Quine einwenden, dass zumindest die Wahrheit a priori gewiss ist, dass nicht alles widersprüchlich ist (siehe unten). Die Frage ist aber dann, welches Kriterium festlegt, wann ein Widerspruch wirklich ist und wann wir ihn aufzuheben haben. Bereits der frühe Łukasiewicz hatte hingegen die Ansicht vertreten, das Widerspruchsprinzip wäre schon bei Aristoteles »keine notwendige Grundlage für eine der bedeutendsten Regeln des Schließens […], nämlich für das Syllogismusprinzip.« (Satz des Widerspruchs (1910), S. 111.) Der Untersatz könne gegen den SdW verstoßen und dennoch erhalte man die richtige Schlussfolgerung. Also könne man auch nicht behaupten, dass dieser Satz für das richtige Schlussfolgern eine unumgängliche Voraussetzung wäre. Die Aufhebung der Gültigkeit des SdW wäre also nicht gleichbedeutend mit einer Aufhebung der Logik schlechthin. Łukasiewicz geht es dabei vor allem um eine Kritik daran, dass der SdW, obwohl er unbegründet ist, für unantastbar gilt. Ihn stört somit die fehlende
Über Begründung und Bedeutung der logischen Gesetze
55
Gegen Quine könnte man aber doch erwidern, dass die Revision von Überzeugungen die Gültigkeit des Satzes des Widerspruches immer schon voraussetzt. Denn es kommt zunächst überhaupt nur zur Revision solcher Überzeugungen, weil sie auf irgendeine Weise mit durch Erfahrung gewonnenen Sätzen in Widerspruch stehen oder der Widerspruch in einer Theorie nur durch sehr komplizierte Zusatzannahmen aufgelöst werden könnte. Außerdem: wenn eine Tatsache zu meinen Überzeugungen in Widerspruch steht, so dass aus meiner Überzeugung ~p, aus der Empirie aber p folgt, stelle ich mir nicht jedes Mal die Frage, ob die Überzeugungen revisionsbedürftig sind oder ob ich das Prinzip des zu vermeidenden Widerspruchs aufgeben soll. Vielmehr wird man eine starke Tendenz haben, an der Gültigkeit des Satzes des Widerspruchs festzuhalten.109 Mit dem Faktum, dass wir um der Gültigkeit des Satzes des Widerspruchs willen eher andere Prinzipien aufgeben würden, weil sie nicht dessen Gewissheit haben, begründet auch David Lewis seine Ablehnung, an einer Diskussion über die Gültigkeit dieses Prinzips überhaupt teilzunehmen. Denn solch eine Diskussion könne nur auf der Basis gemeinsamer Prinzipien geführt werden, die aber alle weit weniger gewiss seien als der Satz des Widerspruchs.110 Dieses Faktum ist ein starkes Indiz für Begründung für den SdW. Łukasiewicz fragt genau nach Bedeutung, Grund der Gewissheit der logischen Gesetze, dem Verhältnis der Prinzipien zueinander, unterstellt aber, dass gerade daran Hegels Logik gescheitert sei, dass sie diese Fragen nicht gestellt habe. Weil er sich diese Arbeit nicht macht, deshalb negiere Hegel den SdW nur verbal. Łukasiewicz selbst sieht sich sozusagen als das dritte historische Ereignis in der Geschichte des SdW: das erste war Aristoteles, das zweite Hegel. (Vgl. Łukasiewicz, Satz des Widerspruchs (1910), S. 5.) 109 So hat auch Popper mit folgenden Ausführungen vollkommen Recht: »Kritik besteht stets in der Herausstellung irgendeines Widerspruches: entweder eines Widerspruches innerhalb der kritisierten Theorie oder eines Widerspruches zwischen dieser Theorie und einer anderen, die wir aus irgendeinem Grunde akzeptieren wollen, oder eines Widerspruches zwischen einer Theorie und bestimmten Tatsachen – oder genauer, zwischen einer Theorie und bestimmten Tatsachenaussagen. […] Ohne Widerspruch, ohne Kritik gäbe es kein vernünftiges Motiv für die Änderung unserer Theorien: es gäbe keinen geistigen Fortschritt.« (Karl R. Popper, »Was ist Dialektik?« (1940). In: Ernst Topitsch (Hrsg.), Logik der Sozialwissenschaften, Köln-Berlin 61970, 263–290, S. 266.) 110 So schreibt er an Priest und Beall: »I decline to contribute to your proposed book about the ›debate‹ over the law of non-contradiction. […] To conduct a debate, one needs common ground; principles in dispute cannot of course fairly be used as common ground; and in this case, the principles not in dispute are so very much less certain than non-contradiction itself that it matters little whether or not a successful defence of non-contradiction could be based on them.« (David Lewis, »Letters to Beall and Priest«. In: Graham Priest u. a., The Law of Non-Contradiction. New Philosophical Essays, Oxford 2006, 176 f., S. 176.) So basiert Lewis Konzeption der möglichen Welten auf dem Widerspruchsprinzip als dem gemeinsamen Prinzip aller möglichen Welten: »there is no subject matter,
56
Die formale Logik
die andersartige Natur der Gültigkeit des Identitäts- und Widerspruchsprinzips – etwa gegenüber den Newton’schen Gesetzen. Das lässt aber doch gerade nach dem Grund für diese Andersartigkeit fragen. So argumentiert auch Putnam für den Sonderstatus bestimmter Gesetze der Logik. Er wendet sich dabei auch gegen die Behauptung, die Prinzipien der Logik seien natürlich oder angeboren und bedürften deswegen keiner Begründung. Denn das bedeute: »to obliterate totally the distinction between reason and blind faith.«111 Die Prinzipien der Logik könnten vielmehr deshalb nicht auf Grund vernünftiger Argumente revidiert werden, weil durch diese fundamentalen Gesetze der Logik erst festgelegt werde, was ein vernünftiges Argument ist.112 Wir könnten uns überhaupt nicht vorstellen, dass sie durch ein vernünftiges Argument verworfen werden müssten, da sie dieses selbst in Anspruch nehmen müsste.113 Unter den logischen Gesetzen gebe es deshalb ein in dem Sinne a priori wahres Prinzip, das vernünftigerweise unter keinen Umständen aufzugeben ist: eine schwache Version des Widerspruchsprinzips.114 Dieses ist nun wirklich so schwach, dass man nicht einmal mehr von einem Prinzip wird sprechen können:
however marvellous, about which you can tell the truth by contradicting yourself. Therefore there is no mountain where contradictions are true. An impossible world where contradictions are true would be no better. The alleged truth about its contradictory goingson would itself be contradictory.« (David Lewis, On the plurality of worlds, Malden, MA u. a. 22001, Anm. S. 7.) Damit degeneriert der Möglichkeitsbegriff hier zum bloß logischen, nach dem es bekanntlich auch möglich ist, dass der Kaiser der Türkei Papst wird. 111 Putnam, A priori truth (1978), S. 164. Putnam übt hier außerdem Kritik auf Grund modallogischer Erwägungen. 112 So versteht auch Putnam den apagogischen Beweis des Aristoteles für den SdW besser als Łukasiewicz, wenn er ihn so auslegt, dass jeder, der gegen die Gültigkeit dieser fundamentalen Gesetze der Logik argumentiert, diese im Argumentieren und Behaupten schon in Anspruch nimmt. (Vgl. Putnam, A priori truth (1978), S. 165.) »The idea is that the laws of logic are so central to our thinking that they define what a rational argument is.« (Putnam, A priori truth (1978), S. 165.) 113 Allerdings schränkt er wiederum ein: »It does not show that a putative law of logic, for instance the Principle of Contradiction, could not be overthrown by direct observation. Presumably I would give up the Principle of Contradiction if I ever had a sense datum which was both red and not red, for example.« (Putnam, A priori truth (1978), S. 166.) Ob hier von Putnam wirklich ein klarer und distinkter Gedanke gedacht wurde, sei dahingestellt. 114 »The law of logic I want to consider is a very weak version of the Principle of Contradiction.« (Putnam, A priori truth (1978), S. 155.)
Über Begründung und Bedeutung der logischen Gesetze
57
»This is simply the principle that not every statement is both true and false. The denial of this principle is, of course, the claim that every statement is both true and false.«115 Die Apriorität dieses Minimalprinzips solle – ähnlich wie bei Aristoteles – aus der Gegenannahme hervorgehen: es existiere eine Theorie (T), in der dieses Minimalprinzip nicht gelte. Dann müsste diese Theorie jeden Satz und seinen Widerspruch enthalten: »The theory T will have to be the theory which consists of every statement and its negation.«116 Damit würde es aber keine Theorie mehr sein. Außerhalb dieser Einschränkung könnte es dann durchaus zu widersprüchlichen Aussagen kommen, etwa: »Das Elektron ist ein Teilchen.« sei wahr und falsch oder »Das Elektron ist eine Welle.« Abgesehen davon, ob hier überhaupt ein kontradiktorischer Gegensatz vorliegt, müsste man doch fragen, was das Prinzip der Anwendung des Satzes vom Widerspruch sein soll. Denn der Widerspruch in einer Theorie kann uns ja nicht sagen, ob es sich bei ihm um einen »wahren« Widerspruch handelt, den man nicht durch eine bessere Theorie aufheben sollte.117 Es ist also fraglich, wie hier der Charakter der Prinzipienhaftigkeit des Minimalprinzips gerechtfertigt sein soll. Was soll sich denn daraus begründen, also prinzipiieren lassen, wenn es doch offenbar dann wiederum ein Prinzip geben muss, wann eine Behauptung wahr und zugleich falsch sein darf und wann nicht?118
115
Putnam, A priori truth (1978), S. 156. Dieses Prinzip ist noch einmal eine Abschwächung gegenüber dem eingeschränkten SdW, »that ordinary macro-observable statements, ordinary statements about macro-observables, are not both true and false, or […] that most statements are not both true and false« (156). 116 Putnam, A priori truth (1978), S. 157. 117 Innerhalb des empiristischen Paradigmas von Quine könnte man unter Umständen immer noch eine methodologische Apriorität annehmen. Die Apriorität der Logik, etwa im Sinne der Vorgängigkeit vor anderen Wissenschaften, wäre schwächer als die Behauptung, dass die Logik in der Tat a priori gültig ist. (Vgl. Bueno/Colyvan, Logical Non-Apriorism (2006), S. 162.) Denn hier könnten empirische Überlegungen zur Revision der Methodologie und damit der vorgängigen Wissenschaft führen. Die einstmals methodologische Apriorität könnte dann in eine empirisch nachprüfbare Hypothese umgewandelt werden. »Methodological apriorities need not be immune to revision on supposed non-empirical grounds.« (Michael D. Resnik, »Revising Logic«. In: Graham Priest u. a. (Hrsg.), The Law of Non-Contradiction. New Philosophical Essays, Oxford 2006, 178–194, S. 183.) Methodologie ist nach Resnik ein System von Normen, das unsere wissenschaftliche Praxis regelt. Die Revision der Logik ist ein Sonderfall der Revision der Methodologie. (Vgl. S. 184.) 118 Putnams Vergleich seines Minimalprinzips mit Descartes »cogito« (Putnam, A priori truth (1978), S. 156) trifft schon deshalb nicht zu, weil Descartes »cogito« durchaus den Charakter eines Prinzips hat oder haben soll – außer im Verständnis von Leibniz.
58
Die formale Logik
1.4. Die logischen Gesetze als transzendentale Strukturen Als »eine sprachliche Version des transzendentalen Idealismus«119 kann man die Konzeption der logischen Gesetze in Wittgensteins Tractatus deuten.120 So beschreibt er im Vorwort ein der Kantischen Kritik analoges Unternehmen: »Das Buch will also dem Denken eine Grenze ziehen, oder vielmehr – nicht dem Denken, sondern dem Ausdruck der Gedanken: Denn um dem Denken eine Grenze zu ziehen, müßten wir beide Seiten dieser Grenze denken 119
Glock, Wittgenstein-Lexikon (2000), S. 17. Auch Hacker bezeichnet Wittgensteins Philosophie als »eine Form von Idealismus. Spezifischer ausgedrückt, es wird dort allem Anschein nach eine an Kant gemahnende Verbindung von empirischem Realismus und transzendentalem Solipsismus verfochten.« (P. M. S. Hacker, Wittgenstein im Kontext der analytischen Philosophie, Frankfurt am Main 1997, S. 67.) 120 Diese transzendentale Deutung ist sicher nicht die einzig mögliche, vielleicht nicht einmal eine besonders populäre. Viele deuten den Tractatus eher in einem operativen Sinne, etwa Richter, Untersuchungen zur operativen Logik (1965): die logischen Gesetze sind nur Regeln für die Operation mit den Elementarsätzen. Ein komplexer Satz ist demnach Resultat einer logischen Operation, die ihn aus anderen Basen der Operation hervorgebracht hat. (Tractatus, 5. 21.) Zu Grunde liegen diesen Operationen als letzte Bestandteile die so genannten Elementarsätze, in denen Sachverhalte behauptet und abgebildet werden. (Tractatus 4.21.) Aber auch Richter sieht, dass die Logik des Tractatus zumindest auch transzendental ist, insofern sie die Möglichkeitsbedingungen der Sätze zeigt. Allerdings sieht Richter darin einen latenten Widerspruch zu Wittgensteins eigentlich operativer Auffassung der Logik, der zur Revision seines Werkes Anlass gab. Der Auffassung von Logik als techne sei W. treu geblieben, wohingegen er seine transzendentale Auffassung aufgegeben habe. (Vgl. Richter, Untersuchungen zur operativen Logik (1965), S. 38, 47 f.) Damit wird dann das Spätwerk als »kontinuierliche Weiterführung seines ersten genialen Werkes« (51) deutbar. Gründe ganz anderer Art gegen eine transzendentalphilosophische Deutung Wittgensteins führt hingegen Walter Schulz an: denn Transzendentalphilosophie ist eine Philosophie der Subjektivität, die auch darlegt, wie und warum die Subjektivität ihre Bedingungen auf das Gegebene anzuwenden vermag. (Vgl. Walter Schulz, Wittgenstein. Die Negation der Philosophie, Pfullingen 21979, S. 14.) Nach Wittgenstein kann aber nur gezeigt und nicht erwiesen werden, dass die Welt eine logische Struktur hat. (Vgl. S. 19.) Die Koinzidenz von Logik und Welt ist vermittelt durch die Identifikation von Logik und Sprache. (Vgl. S. 20 f.) Wittgenstein ist kein Transzendentalphilosoph, er will Logik und Subjektivität nicht zusammenschließen. Im Gegenteil: »Der Zweck des Philosophierens ist es, den Untergang der Subjektivität in der logischen Richtigkeit herbeizuführen.« (32) Die Grenze der Welt und der Sprache sei so bei Wittgenstein auch nicht eine Bedingung, sondern bedeute nur, dass etwas nicht zur Welt gehört. So sieht Schulz bei Wittgenstein nur eine mangelnde Dialektik, weswegen er keine Deduktion des Wie des Bedingten durch das Ich unternimmt. Sicher ist Schulz darin Recht zu geben, dass Wittgensteins Transzendentalphilosophie dialektisch unterbestimmt ist. Darin liegt der Grund für die Verabschiedung derselben, die Richter betont. Das bedeutet aber nicht, dass er nicht den Versuch einer transzendentalphilosophischen Logikbegründung unternommen hätte.
Über Begründung und Bedeutung der logischen Gesetze
59
können […].«121 Später heißt es: »Die Logik ist transzendental.«122 Sie ist dies, weil in ihr gezeigt wird, was überhaupt sinnvoll aussagbar ist. Die Erfahrung darf deshalb einen Satz der Logik weder widerlegen noch bestätigen können.123 Denn empirische Sätze, die der Logik widersprächen, wären überhaupt keine sinnvollen Sätze. Durch die logische Syntax, also dem System der Regeln, durch das bestimmt wird, was eine sinnvolle Verbindung von Zeichen ist, sind die Grenzen des Sagbaren gegeben.124 Was der Logik widerspricht, kann auch nicht sprachlich dargestellt werden. Deshalb kann es nicht einmal gedacht werden, denn Ausdruck eines Gedankens muss immer die Sprache sein: »Der Gedanke ist der sinnvolle Satz.«125 So kann Wittgenstein sagen: »Daß die Logik a priori ist, besteht darin, daß nicht unlogisch gedacht werden kann.«126 Gedanken sind nicht Entitäten jenseits der Sprache, die Beziehung zwischen Denken und Sprache ist nicht mehr wie bei Frege und Russell eine äußerliche, die Sprache nicht nur ein Medium zur Übertragung von Gedanken.127 Die Gesetze der Logik sind deshalb a priori, weil sie die Regeln widerspiegeln, nach denen die Wirklichkeit beschrieben wird, und nicht weil sie – wie bei den Psychologisten, bei Frege oder Russell – eine besondere Wirklichkeit beschreiben. Allerdings müssen Sprache und Wirklichkeit nach Wittgenstein ihre strukturellen Züge gemeinsam haben, damit erstere letztere darstellen kann. Die logische Form der Sprache muss mit der wesentlichen metaphysischen Form der Welt identisch sein.128 Zwischen Welt und Sprache besteht eine Strukturidentität: beiden liegt dieselbe Ordnung zu Grunde. Es gibt nur eine Logik, die Logik der Welt und der Syntax der Sprache ist. Diese Struktur ist unhintergehbar, sie liegt allem Denken voraus und kann deshalb
121
Tractatus, Vorwort. Tractatus 6.13. 123 Vgl. Tractatus 6.1222. 124 Vgl. Glock, Wittgenstein-Lexikon (2000), S. 206. 125 Tractatus 4. 126 Tractatus 5.4731. 127 Vgl. Glock, Wittgenstein-Lexikon (2000), S. 130. Sehr viel später hat Wittgenstein diese Parallelisierung von Sprache und Denken aufgegeben. (Vgl. S. 130 ff.) In den PU finden sich allerdings noch Spuren der alten Auffassung. (Vgl. etwa PU §§ 329 f.) 128 Vgl. Glock, Wittgenstein-Lexikon (2000), S. 15 f. In den späteren PU heißt es unter Bezugnahme auf den Tractatus: »Das Denken ist mit einem Nimbus umgeben. – Sein Wesen, die Logik, stellt eine Ordnung dar, und zwar die Ordnung a priori der Welt, d. i. die Ordnung der Möglichkeiten, die Welt und Denken gemeinsam sein muß. Diese Ordnung aber, scheint es, muß höchst einfach sein. Sie ist vor aller Erfahrung; muß sich durch die ganze Erfahrung hindurchziehen; ihr selbst darf keine erfahrungsmäßige Trübe oder Unsicherheit anhaften.« (PU § 97.) 122
60
Die formale Logik
nur gezeigt werden. Entsprechend schreibt Wittgenstein in seinen Tagebüchern: »Ja, meine Arbeit hat sich ausgedehnt von den Grundlagen der Logik zum Wesen der Welt.«129 Die Grenzen der Welt sind auch die Grenzen der Logik. Was jenseits der Grenzen dieser Welt liegt, kann gar nicht mehr Gegenstand der Logik sein, auch nicht in negativer Weise, dass die Logik es als nicht zur Welt gehörig beurteilt. Denn dafür müsste sie bereits über die Grenzen der Welt hinauskönnen, um die Grenzen von der anderen Seite zu betrachten: »Was wir nicht denken können, das können wir nicht denken; wir können also auch nicht sagen, was wir nicht denken können.«130 Die Logik hat dabei aber nicht nur Möglichkeiten, sondern alles, was möglich ist, als Tatsache zum Gegenstand: »Die Logik handelt von jeder Möglichkeit und alle Möglichkeiten sind ihre Tatsachen.«131 Dabei fallen Denkmöglichkeit – was bei Wittgenstein zugleich Möglichkeit des Ausdrucks der Gedanken bedeutet – und mögliche Wirklichkeit zusammen: denn die logische Form ist das, was das Bild der Wirklichkeit, das wir uns machen, und die Wirklichkeit selbst, gemeinsam haben. Logik soll das, was denkbar ist, vom Undenkbaren durch das Denkbare begrenzen. Ein Gegenstand kann nach dem frühen Wittgenstein nur in bestimmten Verbindungen in einem Sachverhalt auftreten. Die Möglichkeit eines Sachverhaltes ist äquivalent zur Möglichkeit, ein Bild davon machen zu können.132 Der Satz ist das logische Bild einer Sachlage, der Sinn eines Satzes besteht in der Darstellung einer Sachlage. Aber die logische Form selbst, also das, was der Satz mit der Wirklichkeit gemein haben muss, kann der Satz nicht darstellen. Er kann nur die Wirklichkeit darstellen. Es bedürfte eines archimedischen Standpunktes außerhalb der Logik, um über die logische Form sprechen zu können. Die logische Form drückt sich zwar im Satz aus, kann aber nicht durch ihn ausgedrückt, kann nur gezeigt, aber nicht gesagt werden. Auf die transzendentalen logischen Strukturen der Welt und der Sprache bzw. des Denkens kann man also nur noch zeigen. Das heißt aber letztlich auch, dass man sie nur noch als positives Faktum hinnehmen und den Grund ihres Geltens nicht einsichtig 129
Tagebücher 1914–1916, 2.8.16; WS 1, S. 174. Tractatus 5. 61. 131 Tractatus 2.0121. 132 Tractatus 3.001: »›Ein Sachverhalt ist denkbar‹, heißt: Wir können uns ein Bild von ihm machen.« Und 3.02: »Der Gedanke enthält die Möglichkeit der Sachlage, die er denkt. Was denkbar ist, ist auch möglich.« Man sieht hier auch, dass auf eine eindeutige Differenzierung von Denken und Vorstellen verzichtet wird. 130
Über Begründung und Bedeutung der logischen Gesetze
61
machen kann.133 Über die transzendentale Struktur können wir nicht sprechen, weil wir sie beim Sprechen immer schon in Anspruch nehmen. Sie kann sich nur noch zeigen. Diese unaussprechliche transzendentale Struktur zeigt sich in den Sätzen der Logik, den Tautologien, denen alle sinnvollen Sätze entsprechen müssen. Deswegen sagen die Tautologien selbst auch nichts mehr aus. Sie sind sinnlos, aber nicht unsinnig, sondern in ihnen zeigt sich die Struktur. Wollten wir die logische Form darstellen, müssten wir außerhalb der Logik und damit außerhalb der Welt stehen. »Der Satz kann die logische Form nicht darstellen, sie spiegelt sich in ihm. Was sich in der Sprache spiegelt, kann sie nicht darstellen. Was sich in der Sprache ausdrückt, können wir nicht durch sie ausdrükken. Der Satz zeigt die logische Form der Wirklichkeit. Er weist sie auf.«134 Die transzendentalen Strukturen von Welt und Sprache können nur gebraucht, aber nicht eigens dargestellt werden. Sie zeigen sich nur in ihrem Gebrauch. Um sie zu einem Gegenstand, über den wir etwas sagen können, zu machen, müssten wir sie erst loswerden können. Um etwas über die logische Form zu sagen, müssten wir uns also in einer anderen Welt als der unseren aufhalten.135 Das Solipsismus-Problem des Tractatus beruht letztlich auf dieser scheinbar alternativlosen kantischen Fassung der Transzendentalphilosophie, die nur die Faktizität der logischen Strukturen behaupten kann: »Die Grenzen
133
Hier weist Wittgenstein ja dann auch auf die Mystik hin. Nach Stekeler-Weithofer mystifiziert Wittgenstein im Traktat die Logik. (Vgl. Pirmin Stekeler-Weithofer, Grundprobleme der Logik. Elemente einer Kritik der formalen Vernunft, Berlin/New York 1986, S. 183.) Transzendental sei bei Wittgenstein, anders als bei Kant, nur im Sinne von unhintergehbar gemeint. (Vgl. S. 176.) Damit begehe er aber einen Fehler, »wenn er die funktionale Wahrheitslogik nicht als mathematisches Konstrukt betrachtet, sondern als die ›transcendentale‹, d. h. unhintergehbare, Logik der Sprache« (142). Ich sehe hingegen nur das Problem, dass Wittgenstein den Grund der Isomorphie von Wirklichkeit und Logik nicht einsichtig machen kann. Die Behauptung derselben als solcher scheint mir hingegen sinnvoll. Carnap hat eben nicht Recht, wenn er meint, jeder könne eine beliebige Sprache der Logik entwickeln (siehe unten). 134 Tractatus 4.121. 135 Vgl. Wilhelm Vossenkuhl, Ludwig Wittgenstein, München 1995, S. 102. »Transzendentale Bedingungen haben die stark klebende Eigenschaft, daß wir sie nicht loswerden können. Wir müßten sie aber erst loswerden, um sie zu einem Gegenstand, über den wir etwas sagen können, zu machen.« (102)
62
Die formale Logik
meiner Sprache bedeuten die Grenzen meiner Welt.«136 Die Grenzen der Logik bestimmen die Grenzen meiner Welt. Deshalb kann die Logik auch keine Alternativen ausschließen, denn was jenseits dieser Grenzen liegt, kann nicht gesagt und nicht gedacht werden. Wenn die Grenzen der Logik mit den Grenzen der Welt koinzidieren, so kann eben das, was jenseits der Welt ist, nicht gedacht werden. Weil aber die Grenzen nur als die Grenzen meiner Sprache und meines Denkens festgehalten werden, so ist die Welt, die sich darin darstellt, auch nur die, wie sie mir notwendig erscheint: »Was der Solipsismus nämlich meint, ist ganz richtig, nur läßt es sich nicht sagen, sondern es zeigt sich. Daß die Welt meine Welt ist, das zeigt sich darin, daß die Grenzen der Sprache (der Sprache, die allein ich verstehe) die Grenzen meiner Welt bedeuten.«137 Über dieses Ich, dem meine Welt und Sprache zugehören, kann man wie über die Notwendigkeit seiner Verfasstheit nicht mehr aussagen, als dass es nicht zur Welt gehört, sondern eine Grenze der Welt ist. Es ist »kein Teil unserer Erfahrung auch a priori«138. Das Ich ist also nur Grenze, nicht Teil der Welt. Dass man aber über dieses Ich und die Notwendigkeit seiner Verfasstheit nicht mehr aussagen kann, liegt daran, dass Wittgenstein entgegen seiner Versicherung sehr wohl eine sehr distinkte Vorstellung davon hat, wie dieses Subjekt zu denken wäre, wenn man es denn denken könnte: nämlich als »ein metaphysisches Subjekt«139, das sich wie das Auge zum Gesichtsfeld verhält. So verstanden kann es natürlich »kein Teil unserer Erfahrung auch a priori«140 sein, weil das Auge sich selbst eben nicht sehen kann: »Das Ich des Solipsismus schrumpft zum ausdehnungslosen Punkt zusammen, und es bleibt die ihm koordinierte Realität.«141 Wenn das Ich tatsächlich nur ein Auge wäre, dann wäre Wittgensteins »ursprüngliche Einsicht« bezüglich dieses Ich sicher völlig richtig. Aber gerade indem er so die Vorstellung des Ich als eines Gegenstandes in der Welt abzuwehren versucht, hält er doch an dieser Vorstellung fest: denn er denkt das Ich in Analogie zum Auge, das ein Gegenstand ist.142
136
Tractatus 5.6. Tractatus 5.62. 138 Tractatus 5.634. 139 Tractatus 5.633. 140 Tractatus 5.634. 141 Tractatus 5.64. 142 Zusätzlich verfällt er in die Dialektik der Grenze, die Hegel kritisiert hat: denn natürlich bezieht sich Wittgenstein ständig auf das, was sich angeblich nicht denken lässt. 137
Über Begründung und Bedeutung der logischen Gesetze
63
Wittgenstein selbst hat dann den Gedanken von den logischen Gesetzen als transzendentalen Strukturen, innerhalb derer uns die Welt überhaupt nur erscheinen kann, aufgegeben und zu bloß operativen Regeln umgedeutet: wie man im Schachspiel nach bestimmten Regeln zieht, so formt man nach den logischen Regeln die Zeichen um. Deswegen sind die Regeln der Logik dann auch nicht mehr »wahr« oder notwendig. Regeln sind willkürlich, sie sind »keiner Art von Realität verantwortlich«143, auch nicht einer Bedeutung des Wortes. Die Bedeutung wird nur durch die Regel definiert. So sind alle Gesetze der Logik, auch der Satz vom ausgeschlossenen Widerspruch, willkürlich.144 Ändern wir die Regeln, etwa die der Negation, so spielen wir zwar vielleicht ein anderes Spiel, aber kein falsches. Andererseits ist dieser neue Ansatz aber doch eine Konsequenz aus der problematischen Position des Tractatus. Denn dort wird nicht einsichtig, wieso dem Ich, das dort nur als negativer Grenzbegriff fungiert, gerade diese logischen Regeln zu Eigen sind. Es besteht ja kein notwendiger, sondern ein nur faktischer Zusammenhang zwischen Ich und gerade diesen transzendentalen Strukturen. Auch die Wahrheit dieser Strukturen konnte oder wollte Wittgenstein nicht aufzeigen: es bleibt dabei, dass die Welt eben nur meine Welt ist. Will man den logischen Gesetzen eine Bedeutung in dem Sinne geben, dass sie Gesetze von etwas sind, so ist Wittgensteins Deutung im Tractatus die Summe der vorher dargestellten Konzeptionen: es sind transzendentale Strukturen von Welt, Sprache und Denken. Worin sie begründet sind und inwiefern sie wahr sind, das klärt sie allerdings nicht. Dass darin ein grundsätzliches Defizit liegt, zeigt die folgende Untersuchung der Alternative: der operativ-nominalistischen Logik.
143
Vorlesungen 1930–1935, S. 148. Wittgenstein schreibt hierüber selbst: »Diese Feststellung klingt ein wenig abstoßend, ist aber trotzdem wahr.« (Vorlesungen 1930–1935, S. 238.) 144
. Der logische Nominalismus
Wenn epistemische Deutungen der formalen Logik in Bezug auf die Begründung ihrer eigenen Geltung defizitär bleiben, bleibt die Alternative, den logischen Zeichen gar keine Bedeutung außerhalb ihrer Verwendung im jeweiligen formalen System zuzuschreiben. Die Bedeutung eines Zeichens besteht dann wie die Bedeutung von Figuren in einem Spiel bloß darin, was für Operationen man mit ihm ausführen kann. Die logischen Gesetze entsprechen dann entweder den Ausgangsstellungen in einem Spiel oder den Regeln, nach denen man diese Ausgangsstellung verändern kann. Handelt es sich hier um eine bloß methodologische Reduktion der Bedeutung, ist sie äußerst fruchtbar: denn man spielt ja nicht anders Schach, wie Wittgenstein einmal ausführt, wenn den Figuren unabhängig von den Regeln noch eine Bedeutung zukäme, etwa wenn die Verschiebung von Truppen auf einem Schlachtfeld nach Schachregeln erfolgen würde. Um zu gewinnen, müsste man in derselben Weise wie vorher spielen. Dies kann man analog auf die formale Logik (und Mathematik) anwenden. Anders verhält es sich, wenn diese Reduktion eine philosophische Deutung darstellt und man sagt, die Zeichen und Gesetze besäßen tatsächlich keine weitere Bedeutung außerhalb ihrer operativen Verwendung. Es ist eben ein Unterschied, ob man sich für die weitere Bedeutung nicht interessiert, weil sie für die eigene Forschung nicht relevant ist, oder ob man eine weitere Bedeutung generell abspricht, denn das ist selbst wiederum eine Bedeutungstheorie. Problematisch wird dies zusätzlich, wenn diese Differenz ignoriert wird. Die Kritik in den folgenden Ausführungen richtet sich deshalb nur gegen die besagte Theorie der Bedeutung und mehr noch gegen ihre Vermengung mit der bloß methodologischen Reduktion.
2.1. Der logische Nominalismus als Bedeutungstheorie Unter Berufung auf Wittgensteins Tractatus wendet sich die Logik im Wiener Kreis ausschließlich der Sprache zu. Die Logik könne überhaupt nur dann exakt betrieben werden, wenn sie sich nicht auf Urteile, Gedanken und Gedankeninhalte, sondern auf sprachliche Ausdrücke beziehe. Denn nur
Der logische Nominalismus
65
hier ließen sich »scharfe Regeln« aufstellen.145 Dies ergänzt etwa Hans Hahn durch die Auffassung, dass die Sätze der Logik auf Grund von willkürlichen Sprachkonventionen wahr seien:146 die Logik »handelt nur von der Art, wie wir über die Gegenstände sprechen; die Logik entsteht erst durch die Sprache«147. Damit müsse man nicht mehr nach dem Grund ihrer Geltung fragen. Das kann natürlich nicht bedeuten, dass die Logik von den gegebenen Sprachen ausgehen und nun deren Struktur analysieren würde. Die Logik ist nicht als Analyse der tatsächlichen Sprache zu betrachten, sondern als Konstruktion einer formalisierten Kunstsprache: sie ist aus einer definitorisch festgelegten Syntax und (gegebenenfalls) Semantik aufgebaut. Die faktische Verwendung der Sprache ist nicht der Maßstab der Logik, da diese ja ungenau ist. Carnaps berühmtes Toleranzprinzip beruht also auf der Künstlichkeit der formalisierten Sprachen: »In der Logik gibt es keine Moral. Jeder mag seine Logik, d. h. seine Sprachform, aufbauen wie er will. Nur muß er, wenn er mit uns diskutieren will, deutlich angeben, wie er es machen will, syntaktische Bestimmungen geben anstatt philosophischer Erörterungen.«148 Die Logik ist also keine beobachtende, sondern eine konstruierende Wissenschaft.149 Das System der symbolischen Logik ist kein System von Behauptungen, sondern als eine Sprache »ein System von Zeichen mit Regeln zur Verwendung dieser Zeichen«150. Die besondere Reinheit der logischen Ableitungen besteht darin, dass sie keine Voraussetzungen machen kann, außer denen, die sie explizit macht – zumindest nicht ohne dass dies offensichtlich würde.151 Die logischen Eigenschaften und Beziehungen von Sätzen hängen nur von der syntaktischen Struktur der Sätze ab. Der logische Kalkül besteht aus Zeichen, Formregeln (das entspricht der Ausgangsstellung der Figuren eines Spiels) und den Umformungsregeln (das entspricht den erlaubten Spielzügen).152 Dies markiert besagten deutlichen Unterschied zu Wittgensteins Tractatus, auf den sich der Wiener Kreis berief. Carnaps und Wittgen-
145
Vgl. Carnap, Logische Syntax (1968), S. 1. Dabei ignoriert auch Carnap Wittgensteins Gedanken, dass die logische Notwendigkeit auf transzendentalen Strukturen gründet, die Sprache und Wirklichkeit gemeinsam haben. 146 Vgl. Glock, Wittgenstein-Lexikon (2000), S. 209 f. 147 Hahn, Logik, Mathematik und Naturerkennen (1933), S. 233. 148 Carnap, Logische Syntax (1968), S. 45. 149 Vgl. Horst Wessel, Logik, Berlin 1998, S. 8. 150 Carnap, Symbolische Logik (1968), S. 1. 151 Vgl. Carnap, Symbolische Logik (1968), S. 2. 152 Vgl. Carnap, Logische Syntax (1968), S. 4 f.
66
Die formale Logik
steins Vorstellungen von logischer Syntax sind »grundverschieden«153. Nach Wittgenstein liegt allen möglichen Sprachen eine gemeinsame logische Syntax zu Grunde. Es besteht eine isomorphe Beziehung zur logischen Form dessen, was sprachlich darstellbar ist. Für Carnap dagegen kann den verschiedenen Sprachen eine ganz unterschiedliche Syntax zukommen.154 Im Wiener Kreis werden die logischen Sätze, die Tautologien, zu bloß tautologischen Umformungen von Symbolen. Denken besteht nur in tautologischen Umformungen, die nie zu etwas Neuem führen: »Alles Denken ist tautologisch.«155 Die Logik stellt eine Symbolik bereit, dasselbe auf verschiedene Weise zu sagen.156 Der »Grundfehler der weltabgewandten Philosophie«157 besteht so angeblich in der »Überschätzung des Denkens«158. Diese führte zum Endringen metaphysischer Elemente in die Wissenschaft.
153
Hacker, Wittgenstein (1997), S. 89. Für Wittgenstein untersucht die Logik nicht die Regularitäten unserer Sprache, sondern ihre Regeln. Wie Peregrin es ausdrückt: »the inferential structure of the core of our language« (Peregrin, Logic (2000), S. 567). Gegenstand der logischen Analyse der Sprache wären also weiterhin – im Sinne Wittgensteins – die transzendentalen Strukturen der Sprache. »Our logic expresses the normative structure constituitve [Hervorh. S. Sch.] of our language, but thereby the one which is bound to be embodied by all languages worth the name.« (568) Diese normative Struktur, die unsere Sprache konstituieren soll, kann aber nun nicht Ergebnis einer Abstraktion aus der gegebenen Sprache (oder mehreren gegebenen Sprachen) sein. 154 So sieht ja auch Richter, der für ein operatives Verständnis der Logik plädiert, das dann auch unterschiedliche Logiken zulassen soll, dass diese transzendentale Voraussetzungen haben müssten, die dann keine sprachlichen oder logischen Regeln mehr sein könnten. Diese Voraussetzungen sind für ihn »›selbstverständliche‹« (Richter, Untersuchungen zur operativen Logik (1965), S. 12 f.) Voraussetzungen. Die Aufgabe der Philosophie scheint aber dann doch gerade darin zu bestehen, diese Selbstverständlichkeiten deutlich zu machen, denn: »Das Bekannte überhaupt ist darum, weil es bekannt ist, nicht erkannt.« (Phänomenologie (1807); GW 9, S. 26.) 155 Hahn, Reflexionen über Max Plancks Positivismus und reale Außenwelt (Nachlass); BMG, S. 61. Dieser Gedanke wurde auch in der Zeit des Deutschen Idealismus vertreten, etwa von Fries: »Der reflectirende Verstand ist aber ein bloßes Vermögen der innern Wiederbeobachtung dessen, was in unsrer Vernunft ist, Wiederholung des Gegebenen ist sein einziges Eigenthum, sich selbst überlassen vermag er also nichts als die Regeln der Tautologie zu bestimmen, d. h. die Regeln dessen, wie, wenn Vorstellungen gegeben sind, noch einmal dasselbe gesagt werden könne. Diese Regeln der Tautologie sind die philosophischen Grundregeln des Denkens und fließen unmittelbar aus den Formen der Begriffe und Urtheile.« (System der Logik (18373); FSS 7, S. 300 f. (OP 132 f.)) Dagegen scheint der Hegel’sche Gedanke, dass schon das im weitesten Sinne diskursive Denken nicht nur tautologisch ist, eher ungewöhnlich. 156 Hahn, Die Bedeutung der wissenschaftlichen Weltauffassung (1930–31); BMG, S. 40 f. 157 Hahn, Überflüssige Wesenheiten (1930); BMG, S. 26. 158 Hahn, Überflüssige Wesenheiten (1930); BMG, S. 26.
Der logische Nominalismus
67
Die Logik sagt nichts über Gegenstände aus. Sie entsteht nur dadurch, dass mittels einer Symbolik, die nicht eineindeutig ist, die Welt abgebildet wird. Auch der Satz des Widerspruchs handelt so nur »von der Art[,] wie die verwendete Symbolik bezeichnen soll«159. Die Sätze der Logik sagen nicht Tatsachen über die Welt aus, sondern wie man Gesagtes auch anders sagen kann. Die Unwiderlegbarkeit der logischen Gesetze kommt daher, dass die Logik gar nichts über Gegenstände aussagt. So lernen wir den Satz vom Widerspruch »durch Dressur«160, indem wir lernen, bestimmten Gegenständen eine Bezeichnung (z. B. »rot«) beizulegen, und wir vereinbaren, jedem anderen dieser Gegenstände die Bezeichnung »nicht rot« zuzuschreiben. Der Satz des Widerspruchs sagt somit nur, »wie wir über die Gegenstände sprechen wollen«161. Dies ist der Grund für die absolute Sicherheit, mit der wir sagen könnten, kein Gegenstand sei sowohl rot als auch nicht rot. Aber auch hier wird bereits vorausgesetzt, dass die Welt der bezeichenbaren Gegenstände geschieden ist: Eigenschaften fallen eben unter eine bestimmte Klasse oder nicht. Die metaphysische Voraussetzung Wittgensteins, die dieser noch als solche kennzeichnete, wird also einfach nur nicht reflektiert.162 Selbst wenn man also zugestehen würde, dass es sich beim Verhältnis von Sprache und Welt um das einer nicht bijektiven Abbildung handeln sollte (die Abbildung mag sogar weder injektiv noch surjektiv sein): wenn denn überhaupt ein Abbildungsverhältnis vorliegen soll, so müssen Elemente einer definierten Menge auf eine Bildmenge abgebildet werden. Da es sich bei dem Abgebildeten um einen Definitionsbereich handeln soll, so muss eben auch definiert sein, ob ein Element zu dieser Menge gehört oder nicht. Es darf aber nicht der Fall auftreten, dass ein Element einerseits zur Definitionsmenge gehört, andererseits nicht. Sogar der Bereich der Bildmenge und die Funktion selbst müssen definiert sein: so kann eben die Menge der reellen Zahlen ausgenommen Null mittels einer Funktion auf die natürlichen Zahlen abgebildet werden. Die Definition der Mengen nimmt damit eine Scheidung der Zugehörigkeit und Nichtzugehörigkeit vor, die bei Ungültigkeit des Widerspruchsprinzips gar nicht möglich wäre. Das eben stellt Aristoteles in
159
Hahn, Empirismus, Mathematik, Logik (1929); BMG, S. 57. Hahn, Logik, Mathematik und Naturerkennen (1933), S. 234. 161 Hahn, Logik, Mathematik und Naturerkennen (1933), S. 235. 162 Auch nach Blau hat die Logik das »Realitätsprinzip: Es gibt genau eine Realität« (Ulrich Blau, »Die Logik der Unbestimmtheiten und Paradoxien«. In: Erkenntnis 22 (1985), 369–459, S. 394) zur Voraussetzung – als synthetisches Urteil a priori. Als Vorbedingung jeder Logik sei es nicht beweisbar: »Auf ihm beruht die Korrespondenzvorstellung der Wahrheit, auf dieser das Bivalenzprinzip, auf diesem die klassische Logik« (394). 160
68
Die formale Logik
seinen Ausführungen über dieses Prinzip fest: Wer nur etwas Bestimmtes als bestimmt setzt, der setzt das Prinzip bereits voraus. Dass dieser Ausgang von Definitionen zudem nicht alle Probleme beseitigt und den Status der Gesetze immer noch ungeklärt lässt, belegen spätere Ausführungen Łukasiewiczs. Dieser wendet sich in In defence of Logistic (1937) von der vormals von ihm vertretenen Ansicht der Logik und der Interpretation ihrer Gesetze ab, die er selbst als nominalistisch bezeichnet. Nach dieser hat es die Logik nur mit Zeichen und den Regeln ihrer Kombination zu tun. Später ist er aber überzeugt, dass diese Zeichen an sich selbst – nicht erst durch spätere konventionelle Festlegung – bedeutungstragend sein müssen. Damit wendet er sich explizit gegen den logischen Konventionalismus des Wiener Kreises:163 »The whole difference between logistic and a game of chess consists precisely in this, that chessmen do not mean anything, while logical symbols have meaning. We are concerned with that meaning, with the thoughts and ideas expressed by signs, even if we do not know what these meanings are, and not with the signs as such.«164 Vermittelt durch die logischen Zeichen solle vielmehr ein Verständnis einiger »laws of thought«165 gewonnen werden. Łukasiewicz kehrt also selbst dahin zurück, die logischen Gesetze als Denkgesetze zu deuten. Als Logiker könne man jedoch nicht über den nominalistischen Standpunkt der Logik, also über die Bedeutung der Gesetze der Logik, entscheiden. Dies sei Aufgabe der Philosophie, die den materialen Status der Gesetze der Logik zu begründen hat. Dabei schreibt er dann auch dem Satz vom ausgeschlossenen Widerspruch einen Sonderstatus zu, den er in seiner früheren Schrift gerade geleugnet hatte: »This is an absolute truth which holds in all logical systems under the penalty that should this principle be violated then all logic and all scientific research would lose their purpose.«166
163
Łukasiewicz, In Defence of Logistic (1937); Selected Works, S. 248. Łukasiewicz, In Defence of Logistic (1937); Selected Works, S. 241. 165 Łukasiewicz, In Defence of Logistic (1937); Selected Works, S. 241. 166 Łukasiewicz, In Defence of Logistic (1937); Selected Works, S. 248. 164
Der logische Nominalismus
69
2.2. Das Problem der Äquivokation Die Semantik einer formalisierten Sprache betrifft die sprachlichen Ausdrücke und ihre Designata, ihre Syntax hingegen die äußere Struktur der Ausdrücke und ihre strukturellen Beziehungen zueinander.167 Syntaktische Untersuchungen beschäftigen sich also nur mit der graphischen Gestalt der verwendeten Zeichen und ihren Kombinationsmöglichkeiten. Die Bedeutung der Zeichenstruktur ist dagegen Gegenstand der Semantik.168 Unter Semantik wird meistens »die systematische Angabe der Bedingungen [verstanden], unter denen die Sätze einer formalen Sprache wahr oder falsch sind.«169 Rein syntaktisch lässt sich das Prinzip des Widerspruchs als das Verbot begründen, dass wir keine Widersprüche in einer Theorie zulassen wollen, weil aus einem Widerspruch alles folgt (ex contradictione quodlibet): A ∧ ~A ⊦B. Das ECQ liefert die Möglichkeit, die Ablehnung des Widerspruchs ohne
167
Vgl. Wolfgang Stegmüller, Das Wahrheitsproblem und die Idee der Semantik. Eine Einführung in die Theorien von A. Tarski und R. Carnap, Wien/New York 21968, S. 42. 168 Vgl. Franz von Kutschera, Elementare Logik, Wien/New York 1967, S. 14. Nach dem Verständnis von Logik, wie es sich bei Frege findet, hatte es die Logik primär mit logischen Wahrheiten zu tun und nur sekundär mit logischer Folgerung. (»Die Sätze der Logik sind Tautologien.« (Tractatus 6.1.)) Heute ist das Verhältnis in der Logik eher umgekehrt. (Vgl. JC Beall/Greg Restall, »Logical Pluralism«. In: Australasian Journal of Philosophy 78,4 (2000), 475–493, S. 475.) Die formale Logik hat es also nach Meinung der einen damit zu tun, was aus was folgt, mit der Folgerelation zwischen Prämissen und Konklusionen, nach Meinung anderer (eher früheren) Vertreter hat sie es hingegen mit einer bestimmten Klasse von Aussagen, den Tautologien zu tun. (Vgl. Greg Restall, »Laws of Non-Contradiction, Laws oft he Excluded Middle, and Logics«. In: Graham Priest u. a. (Hrsg.), The Law of Non-Contradiction. New Philosophical Essays, Oxford 2006, 73–84, S. 73.) Die Formel B folgt – in einer Modelltheorie im Sinne Tarskis – logisch aus Formel A, wenn jedes semantische Modell (jede erfüllende Interpretation), die Formel B wahr macht, auch Formel A wahr macht. Hier liegt eine rein semantische Beziehung vor. Der Kalkül ist dagegen nur das syntaktische Spiegelbild für den semantischen Begriff der Folgerung. (Vgl. Stegmüller, Das Wahrheitsproblem (1968), VI.) Folgerung bedeutet: Eine Konklusion A folgt logisch aus der Prämissenmenge Σ, wenn in jedem Fall, in dem jede Prämisse in Σ wahr ist, auch A wahr ist. Sei ⊨ die Relation der logischen Folgerung. ⊨ kann dann entweder semantisch oder beweistheoretisch definiert werden: Semantisch: Σ ⊨ A gilt für eine bestimmte Menge von Werten gdw.: wenn alle Formeln in Σ wahr sind unter einer Bewertung, dann ist auch A wahr. Beweistheoretisch: Σ ⊨ A gilt für eine bestimmte Menge von Regeln gdw. es eine Ableitung von A gibt, von der alle Prämissen in Σ sind. (Vgl. Graham Priest/Richard Routley, »Systems of Paraconsistent Logic«. In: Graham Priest/Richard Routley/Jean Norman (Hrsg.): Paraconsistent Logic. Essays on the Inconsistent, München u. a. 1989, 151– 186, S. 151.) 169 Hoyningen-Huene, Formale Logik (1998), S. 251.
70
Die formale Logik
die Einführung oder Verwendung des Wahrheitsbegriffes zu begründen:170 denn wenn aus A ∧ ~A jede beliebige Formel B folgt, so ist die Theorie, die A ∧ ~A enthält, trivial. Enthält ein formales System S eine Formel A, so dass A und dessen Negation ~A beide Theoreme dieses Systems sind, sind alle seine Formeln Theoreme. In der klassischen Logik folgt aus der Inkonsistenz eines formalen Systems unmittelbar seine Trivialität.171 Man kann sagen, der Widerspruch ist explosiv.172 Diese Explosivität des Widerspruchs lässt sich leicht beweisen: (1) A ∧ ~A (2) A (3) A ∨ B (4) ~A (5) B
(1) und Simplifikation (2) und Addition (1) und Simplifikation (3), (4) und disjunktiver Syllogismus
Jeder Kalkül und jede Theorie, in der ein Widerspruch auftritt, heißt also deshalb trivial, weil sich aus ihm alles ableiten lässt. Wir verbieten den Widerspruch, weil er die Trivialität der den Widerspruch enthaltenden Theorie zur Folge hat. Auf Grund der Explosivität des Widerspruchs muss sich jedes logische System durch Folgerichtigkeit oder Konsistenz auszeichnen, darf also nicht zu Widersprüchen führen: »im Verfolg unserer Schlüsse dürfen wir nie dazu geführt werden, sowohl p als Non-p zu behaupten«173. Vor Tarski erfolgte in der symbolischen Logik eine Ausklammerung des Wahrheitsproblems, insofern auf eine präzise Explikation des Wahrheitsbegriffes einfach verzichtet wurde und die Prädikate »w« und »f« einfach verwendet wurden.174 Die Semantik will hingegen eine formal korrekte Wahrheitsdefinition liefern, da sonst auch für formalisierte Sprachen – genauso wie für die semantisch geschlossenen Umgangssprachen – semantische Antinomien unvermeidbar wären. Seit Tarski wird (etwa in der Modelltheorie) eine Metasprache (etwa: Umgangssprache Deutsch) zur Formulierung von Regeln für den Gebrauch einer symbolischen (Objekt-)Sprache – einschließ-
170
Vgl. Stegmüller, Das Wahrheitsproblem (1968), S. 13. Vgl. Newton C.A. da Costa, »On the theory of inconsistent formal Systems«. In: Notre Dame Journal of Formal Logic 15,4 (1974), 497–510, S. 497. 172 Die logische Folgerung ⊨ ist explosiv gdw. für alle A und B, {A, ~A}⊨ B. Vgl. Priest/ Routley, Systems of Paraconsistent Logic (1989), S. 151. Parakonsistenz liegt dann vor, wenn sie nicht explosiv ist: {A, ~A}⊭B. 173 Russell/Whitehead, Principia Mathematica (1910), S. 23. 174 Vgl. Stegmüller, Das Wahrheitsproblem (1968), S. 66. 171
Der logische Nominalismus
71
lich der Definition »wahr in S« – verwendet.175 Jede derartige semantische Interpretation von Kunstsprachen weist konstruktive Züge auf, weil ihre Ausdrücke nicht von sich aus Bedeutung haben.176 Der semantische Gebrauch von aussagenlogischen Operatoren lässt sich dabei – wie bereits im Tractatus Wittgensteins – in Form von Wahrheitstafeln (oder Wahrheitstabellen) angeben. Sie zeigen die Wahrheitswerte des komplexen Satzes für jede mögliche Kombination der Wahrheitswerte seiner Bestandteile.177 Die Begründung des Identitäts- und Widerspruchsprinzips scheint so auch ganz unproblematisch zu werden, insofern sie einfach auf der Definition der in ihnen verwendeten Zeichen und dem Zweiwertigkeitsprinzip beruhen.178 Nach Wittgenstein etwa kann man den Satz des Widerspruchs in der Form ~(p ∧ ~p) – wie jeden anderen logischen Satz – durch Einsetzung der Wahrheitswerte daraufhin untersuchen, ob es sich bei ihm um eine Tautologie handelt.179 Eine aussagenlogische Formel ist dann aussagenlogisch wahr (tautologisch, gültig, allgemeingültig), wenn sie wahr ist für alle extensionalen Interpretationen. Formal (oder aussagenlogisch) falsche Sätze sind hingegen Kontradiktionen, die für alle extensionalen Interpretationen falsch sind. Da deshalb jeder Satz zu erkennen gibt, ob es sich bei ihm um eine Kontradiktion oder um eine Tautologie handelt, ist auch die »übliche Unterscheidung zwischen Grundsätzen und abgeleiteten Sätzen in der Logik willkürlich. Für einen logischen Satz ist es unwesentlich, von irgendwelchen anderen Sätzen abgeleitet zu sein; er läßt seine Gültigkeit durch seine eigene Form erkennen.«180 Nach Wittgenstein gibt es in der Logik nur gleichberechtigte Sätze und nicht – wie bei Frege und Russell – besondere Grundgesetze. Ob ein Satz eine Tautologie ist, zeigt er selbst an.181 Der Satz des Widerspruchs und der Satz der Identität wären in diesem Sinne nicht grundsätzlicher als alle anderen Tautologien, sondern zwei Tautologien unter anderen, die alle zeigen, dass sie logisch wahr sind. Anders verhält es sich bei Logikern wie Bertrand Russell oder David Hilbert, für die die Logik in ihrer vollendeten Gestalt ein axiomatisiertes System 175
Vgl. Stegmüller, Das Wahrheitsproblem (1968), S. 42. Vgl. Franz von Kutschera, Die Antinomien der Logik. Semantische Untersuchungen, Freiburg/München 1964, S. 16. 177 Vgl. Glock, Wittgenstein-Lexikon (2000), S. 372. 178 Das Zweiwertigkeitsprinzip, nach dem jede Aussage einen der beiden Wahrheitswerte »w« oder »f« (wahr oder falsch) besitzt, ist eines der fundamentalen Prinzipien, auf denen auch die klassische moderne Logik fußt. 179 Vgl. Tractatus 6.1203. 180 Carnap, Die alte und die neue Logik (1930), S. 21 f. 181 Vgl. Tractatus 6.127. 176
72
Die formale Logik
ist, dessen relevante Theoreme aus einigen Grundsätzen mit Hilfe von Ableitungsregeln »formal-kalkülmäßig« hergeleitet werden können.182 Bei diesen Logikern, die Grundsätze der Logik annehmen, kommen die früheren Grundsätze des Denkens zwar unter den Lehrsätzen des Aussagenkalküls vor, haben darin aber keine ausgezeichnete Stellung. Man wählt sie nicht als Ausgangssätze des Aussagenkalküls, sie sind zu seiner Begründung nicht notwendig.183 Sie sind »in Wirklichkeit nicht fundamentaler oder selbstverständlicher als verschiedene andere ähnliche Prinzipien«184, etwa die De Morgan’schen Gesetze, das Distributiv- und Assoziativgesetz oder das Gesetz der doppelten Negation.185 Dieses aristotelische Prinzip des Seins und Denkens wird so zwar von der symbolischen Logik übernommen, aber eben nur als ein Element, das mit anderen logischen Regeln in Zusammenhang steht, von denen Aristoteles nichts wusste.186 Es ist allerdings zu untersuchen, ob die aristotelischen Prinzipien dabei nicht auf etwas reduziert werden, was ihnen gar nicht angemessen ist: eine Operationsregel innerhalb eines Kalküls oder eine bloße Tautologie zu sein. Es mag sein, dass die Logik innerhalb ihrer Kalküle ohne den Satz des Widerspruchs in der Form ~(p ∧ ~p) auskommt, aber trotzdem nimmt sie das Widerspruchs- und Identitätsprinzip in anderem Sinne je schon in Anspruch. Auf Grund der semantischen Definition der logischen Zeichen soll die Logik also zeigen können, dass ~(p ∧ ~p) wahr sein muss.187 Zuerst muss man die Festlegung der Negation betrachten: Steht p für einen Aussagesatz, so gilt für die Verwendung des Negationszeichens »~«: »~p« soll dann und genau nur dann wahr sein, wenn »p« nicht wahr (also falsch) ist. Wenn p eine wahre Aussage ist, so ist ~p eine falsche Aussage, und wenn p eine falsche Aussa-
182
Vgl. Dieter Wandschneider, »Formalität und Wahrheit«. In: Gerd Simon/Erich Straßner, Sprechen – Denken – Praxis. Zur Diskussion neuer Antworten auf eine alte Frage in Praxis, Wissenschaft und Philosophie, Weinheim/Basel 1979, 257–269, S. 257. 183 Vgl. Menger, Die neue Logik (1936), S. 485. 184 Russell, Probleme der Philosophie (1950), S. 74. 185 Taucht der SdI in der Form p → p bei Hilbert/Ackermann noch unter den 15 Grundformeln der Aussagenlogik auf (sogar als erste), so ist dies beim SdW nicht der Fall. (Vgl. Hilbert/Ackermann, Grundzüge (1928), S. 39.) Die Grundformeln umfassen unter anderem das Kommutativgesetz, das Assoziativgesetz, das Gesetz der doppelten Negation usw. Nach Russell lässt sich die gesamte Mathematik aus zehn solcher Axiome ableiten. (Vgl. Russell, Principles (1964), S. 4f und 16 f.) Der SdW kommt nicht unter diesen Grundpropositionen vor, sondern zählt nur »zu den wichtigsten unter den elementaren Eigenschaften von Propositionen, die unter den Folgerungen auftreten.« (Russell/Whitehead, Principia Mathematica (1910), S. 24.) 186 Vgl. Satz des Widerspruchs (1910), S. 223 ff. 187 Vgl. Stegmüller, Das Wahrheitsproblem (1968), S. 101.
Der logische Nominalismus
73
ge ist, so ist ~p eine wahre Aussage.188 Das Negationszeichen ist also so definiert, dass es den Wahrheitswert einer Aussage verändert. So ergibt sich für die Negation bekanntlich folgende Wahrheitstafel: p
~p
w
f
f
w
Das Negationszeichen soll dem deutschen Wort »nicht« entsprechen.189 Wenn »~« aber tatsächlich dem deutschen Wort »nicht« entspricht, so ist zunächst einmal offensichtlich, dass in der Wahrheitsbedingung für »~« selbiges schon in Anspruch genommen wird. Hier wird das Verständnis von Negation also schon als gültig vorausgesetzt. Außerdem wird hier das Bivalenzprinzip vorausgesetzt – oder definitorisch als gültig festgelegt –, insofern jeder Aussage entweder der Wahrheitswert »w« oder »f«, niemals aber beide zusammen oder keiner von beiden zukommt. Nur weil wir bereits voraussetzen, dass »jeder Satz entweder wahr oder falsch ist«190, ist die Belegung der Negation einleuchtend. Das Bivalenzprinzip hat seinen Grund aber im Satz vom ausgeschlossenen Dritten und dem Widerspruchsprinzip. Gesteht man das aber alles zu, so ergibt es sich tatsächlich fast schon wie von selbst, dass der Satz des Widerspruchs, verstanden als ~(p ∧ ~p), eine aussagenlogische Wahrheit oder eine bloße Tautologie ist. Denn die Wahrheitsbedingung der logischen Konjunktion wird zusätzlich so bestimmt, dass eine Aussage der Form »p ∧ q« genau dann wahr ist, wenn p und q beide wahr sind. Das lässt sich dann wiederum in einer Wahrheitstafel darstellen:
188
Vgl. etwa auch D. Hilbert/W. Ackermann, Grundzüge (1928), S. 3 f. Dieselbe Bestimmung der logischen Verknüpfung »nicht« findet sich wohl in fast jedem Logikbuch. In den grundlegenden Principia Mathematica (1910) heißt es: »Die kontradiktorische Funktion mit dem Argument p, wo p irgendeine Proposition ist, ist die Proposition, die den kontradiktorischen Gegensatz von p bildet, d. h. die Proposition, die behauptet, p ist nicht wahr. Das wird bezeichnet mit ~ p. So ist ~ p die kontradiktorische Funktion mit p als Argument und bedeutet die Negation der Proposition p.« (14) 189 Vgl. Carnap, Einführung in die symbolische Logik (1968), S. 8. Man kann die Negation auch in der Semantik möglicher Welten festlegen: A ∧ B ist wahr in w gdw. A ist wahr in w und B ist wahr in w. ~A ist wahr in w gdw. A ist nicht wahr in w. (Vgl. Beall/Restall, Logical Pluralism (2000), S. 478.) Oder auch in Tarski-Modellen etc.: immer gilt für die Negation: ~A ist wahr in x gdw. A nicht wahr ist in x. x ist dann eben entweder eine mögliche Welt, ein Tarski-Modell o. Ä. Das ist die klassische Bestimmung der Negation. (Vgl. S. 481.) 190 Carnap, Einführung in die symbolische Logik (1968), S. 10.
74
Die formale Logik
p
q
p∧q
w
w
w
w
f
f
f
w
f
f
f
f
Da beim Wahrsein einer Aussage p ~p nach Festlegung der Negation notwendig falsch ist und umgekehrt, kann der Ausdruck (p ∧ ~p) für keine Belegung von p wahr sein. Somit ist seine Negation wiederum notwendig wahr, was sich noch einmal in einer Wahrheitstafel darstellen lässt: p
~p
p ∧ ~p
~(p ∧ ~p)
w
f
f
w
f
w
f
w
Dass eine Aussage der Form »p ∧ ~p« niemals wahr ist, gründet also nur darauf, dass wir die Operatoren »~« und »∧« – also Negation und Konjunktion – für Aussagen so verwenden, dass es nicht zulässig ist, die Möglichkeit von »p ∧ ~p« zu akzeptieren.191 Der Satz »p ∧ ~p« ist in allen Fällen falsch, der Satz »~(p ∧ ~p)« ist in allen Fällen wahr.192 Es ist aber fraglich, ob die Tautologie ~(p ∧ ~p) wirklich dem klassischen Satz des Widerspruchs entspricht. Hatte Wittgenstein noch im Tractatus eben dies als Begründung für die logischen Gesetze zu zeigen versucht, so lehnt er selbst später die Erklärung des Satzes vom Widerspruch durch die Wahrheitstafel ab.193 Die Tautologie ~(p ∧ ~p) sei überhaupt nicht identisch mit dem Verbot, keine Widersprüche zuzulassen: »Das Nicht-Geltenlassen des Widerspruchs charakterisiert die Technik unserer Verwendung unserer Wahrheitsfunktionen. Lassen wir den Widerspruch in unsern Sprachspielen gelten, so ändern wir jene Technik – so, als 191
Vgl. Wessel, Logik (1998), S. 14. Vgl. Vorlesungen über die Grundlagen der Mathematik Cambridge 1939; WS 7, S. 214. Modelltheoretisch könnten wir es auch so ausdrücken, dass die Formel F = A ∧ ~A kein Modell besitzt, sie ist unerfüllbar. Oder in der Semantik möglicher Welten: dass es keine mögliche Welt gibt, in der »A ∧ ~A« erfüllt wäre. 193 »Früher einmal habe ich den Satz vom ausgeschlossenen Widerspruch und andere Sätze der Logik in einer bestimmten Symbolik geschrieben, und dies hielt ich für eine Art Erklärung.« (Vorlesungen über die Grundlagen der Mathematik Cambridge 1939; WS VII, S. 213.) 192
Der logische Nominalismus
75
gingen wir davon ab, eine doppelte Verneinung als Bejahung anzusehen. Und diese Änderung wäre von Bedeutung, da die Technik unserer Logik ihrem Charakter nach zusammenhängt mit der Auffassung der Wahrheitsfunktionen.«194 Für unseren Sprachgebrauch ist es charakteristisch, den Widerspruch auszuschließen und ihm gewöhnlich keine Bedeutung zu verleihen.195 Man kann den Satz des Widerspruchs einerseits als die Regel auffassen, die die Bildung des logischen Produkts »p ∧ ~p« verbietet. Aber diese Regel ist überhaupt nicht identisch mit dem Ausdruck »~(p ∧ ~p)«. Dieser drückt kein Verbot aus, sondern ist nichts weiter als eine Tautologie. Eine Tautologie sagt aber nichts aus, die Regel hingegen schon.196 Wenn wir den Widerspruch verbieten, so werden Widerspruchsformen aus unserer Sprache ausgeschlossen.197 Wir schließen den Widerspruch deshalb aus der Sprache aus, weil wir für ihn keine klare Verwendung haben. Deshalb wollen wir ihn nicht verwenden. Das Spiel, in dem die Figur (p ∧ ~p) verboten wird, ist so auch nur ein Spiel – ebenso das Spiel, in dem sie erlaubt wird.198 Ohne sämtliche Voraussetzungen des späteren Wittgenstein zu teilen, lässt sich feststellen, dass das Prinzip, das den Widerspruch verbietet, nicht identisch ist mit der Tautologie ~(p ∧ ~p), und die Negation, die den Widerspruch verbietet, nicht identisch mit dem Wahrheitsfunktor sein kann, der nur den Wahrheitswert umkehrt. Ansonsten wäre der Ausdruck (p ∧ ~p) als Teil innerhalb einer Formel nämlich wieder erlaubt, etwa in ~(~(p ∧ ~p) ∧ (p ∧ ~p)). Diesen Ausdruck könnte man dann zusammen mit seiner Negation wieder in eine Formel als Teilglied integrieren usw. Putnam wendet sich allerdings gegen die Auffassung, es wäre nur eine konventionelle Regel der Sprache, nach der man einem Satz und seiner Negation nicht zugleich zustimmen könne, weil die Bedeutungen von Negation und Falschheit so festgelegt sind, dass das eben nicht erlaubt sein kann. Diese Deutung versuche nämlich zu erklären, warum das Prinzip des Widerspruchs wahr ist. Man könne aber, so Putnam, das Prinzip des Widerspruchs nur dann durch Konvention wahr machen, wenn es bereits wahr ist, sonst könnte
194
Bemerkungen über die Grundlagen der Mathematik VII,27; WS 6, S. 394. Vgl. Vorlesungen über die Grundlagen der Mathematik Cambridge 1939; WS 7, S. 216. 196 Vgl. Philosophische Bemerkungen, Anhang Widerspruchsfreiheit; WS 2, S. 325 und Wittgenstein und der Wiener Kreis, Widerspruchsfreiheit IV; WS 3, S. 131. 197 Vgl. Bemerkungen Über Philosophie der Psychologie I,44; WS 8, S. 17. 198 Vgl. Wittgenstein und der Wiener Kreis, Widerspruchsfreiheit IV; WS 3, S. 132. 195
76
Die formale Logik
es eben gleichzeitig auch wieder nicht wahr sein.199 Außerdem muss für die Einführung der logischen Zeichen ein intuitives Sprachverständnis immer schon vorausgesetzt werden.200 Diese Probleme beruhen aber letztlich darauf, dass der Satz des Widerspruchs in vielfältiger Weise ausgesagt, der Zusammenhang aber nicht geklärt wird. Beim Satz der Identität gibt es eine namenlogische (peripatetische) und eine aussagenlogische (stoische) Version: in a = a bezieht sich die Identität nämlich auf eine Namenvariable, in die nur ein allgemeiner Name eingesetzt werden darf, im zweiten Fall (p → p) bezieht sie sich auf eine Aussagenvariable.201 p → p: Der aussagenlogische Satz der Identität kann also so formuliert werden: »Wenn p, so p.«202 Auch für diesen Satz kann man eine Begründung anführen, die sich allein auf die Bedeutung der Wörter »wenn-so« stützt.203 a → b bedeutet, dass aus a b folgt, es ist Ausdruck einer einseitigen Folgerung. Die Folgerungsbeziehung ist reflexiv, das heißt, dass jedes Urteil mit sich selbst in dieser Beziehung steht.204 Auch bei diesem Satz handelt es sich um eine aussagenlogische Tautologie. Den tautologischen Charakter kann man auch hier der Wahrheitstafel über die Verwendung des Implikationszeichens entnehmen: p
q
p→q
w
w
w
f
w
w
f
f
w
w
f
f
199
Vgl. Putnam, A priori truth (1978), S. 163. Konventionen und Definitionen setzen also den SdW voraus, da das, was (auf Grund von Konvention) wahr ist, nicht gleichzeitig falsch sein kann. Aber Putnam glaubt, davon würden alle Versuche der Begründung des SdW und der logischen Gesetze überhaupt betroffen, auch die »that they are the laws of thought, or that they arise from relations of our ideas.« (163) Hier wird sich im Verlauf der Untersuchung zeigen, dass überhaupt nicht versucht wird, Theoriepotentiale anderer Philosophien wie die von Hegel und Fichte auszuschöpfen. 200 Vgl. Stegmüller, Das Wahrheitsproblem (1968), S. 242. 201 Vgl. Łukasiewicz, Zur Geschichte der Aussagenlogik (1935), S. 111 f. 202 Tarski, Einführung (1937), S. 23. 203 Vgl. Łukasiewicz, Satz des Widerspruchs (1910), S. 192. 204 Versteht man den SdI im Sinne des Schließens als A ⊢ A, dann ist dies der einzige in keiner Logik bezweifelte gültige Schluss: »For all we know the only inference left in the intersection of all logics might be the identity inference A ⊢ A.« (Beall/Restall, Logical Pluralism (2000), S. 490.)
Der logische Nominalismus
77
Setzt man nun für q wiederum p ein, so sieht man, dass »p → p« für beide möglichen Wahrheitswerte von p (f/w) (aussagen)logisch wahr ist, also eine Tautologie vorliegt: p
p
p→p
w
w
w
f
f
w
Die Tautologie liegt aber doch nur dann vor, wenn man schon voraussetzt, dass bei einem Wahrheitswert »w« (bzw. »f«) für p1 der Wahrheitswert für p2 ebenfalls »w« (bzw. »f«) ist. Gerade das setzt aber doch das Gesetz der Identität schon voraus. a = a: Schon in p → p sieht Wittgenstein »einen degenerierten Satz, der auf der Seite der Wahrheit ist.«205 Versteht man den Satz der Identität im Sinne von »a = a«, so ist er für die Logik noch weit weniger konstitutiv. Bei Wittgenstein heißt es sogar: a = a heißt gar nichts.206 Deswegen werde diese Formel auch nie benützt:207 »Ausdrücke wie ›a = a‹, oder von diesen abgeleitete, sind weder Elementarsätze, noch sonst sinnvolle Zeichen.«208 Sie sind bloß Scheinsätze. »Beiläufig gesprochen: Von zwei Dingen zu sagen, sie seien identisch, ist ein Unsinn, und von Einem zu sagen, es sei identisch mit sich selbst, sagt gar nichts.«209 In den PU heißt es: »›Ein Ding ist mit sich selbst identisch.‹ – Es gibt kein schöneres Beispiel eines nutzlosen Satzes, der aber doch mit einem Spiel der Vorstellung verbunden ist. Es ist, als legten wir das Ding, in der Vorstellung, in seine eigene Form hinein, und sähen, daß es paßt.«210 Dabei ist aber auch für Wittgenstein nur das »=–Zeichen« als Ausdruck für Gleichheit überflüssig, nicht aber die Gleichheit, die es ausdrückt. Diese wird nämlich durchaus ausgedrückt: »Gleichheit des Gegenstandes drücke ich durch Gleichheit des Zeichens aus, und nicht mit Hilfe eines Gleichheitszeichens. Verschiedenheit der Gegenstände durch Verschiedenheit der Zeichen«211.
205
Bemerkungen über die Grundlagen der Mathematik III,33; WS 6, S. 167. Vgl. Philosophische Bemerkungen Anhang Widerspruchsfreiheit; WS 2, S. 332. 207 Wittgenstein und der Wiener Kreis, Hilberts Beweis; WS 3, S. 139. 208 Tractatus 4.243. 209 Tractatus 5.5303. 210 PU § 216. 211 Tractatus 5.53. Ausgehend von diesen Überlegungen Wittgensteins kann der Begriff nun aber auch problematisiert werden. 206
78
Die formale Logik
Es ist in der Logik tatsächlich fraglich, ob der Satz der Identität nicht ausschließlich zur Mathematik gehört, da die Zugehörigkeit des Identitätszeichens zur Logik selbst fraglich ist. Nach dem frühen Wittgenstein ist das Identitätszeichen nicht Teil der logischen Syntax. Das Gleichheitszeichen gehört nicht als wesentlicher Bestandteil zur Begriffsschrift: einfach schon aus dem Grund, dass Identität absolut nichtssagend ist. Heute gehört die Identität erst zum um die Identität erweiterten Prädikatenkalkül.212 Aussagenlogik und Prädikatenlogik erster Stufe kommen ohne ein Zeichen für Identität und damit ohne das Gesetz der Identität aus.213 Das Identitätszeichen wird nur deshalb eingeführt, weil dadurch die Anzahl der zu einem Individuenbereich gehörigen Elemente ausgedrückt werden kann.214 Bezeichne nun »a« eine Individuenvariable. Die Identität von »a = a« – also die Selbstidentität – ist dann nicht konstitutiv für das Verständnis von Identität, sondern nur ein Spezialfall der Identität als Ununterschiedenheit (»a = b«), dass nämlich alles, was über a gesagt werden kann, auch von b gilt: (a = b) ≡ ∀ P ((P(a) ∧ P(b)) ∨ (~P(a) ∧ ~P(b))). Identität der Form »a = b« liegt dann vor, wenn man alles, was man über a sagen kann, auch über b sagen kann. »a = a« ist dann Ausdruck dessen, dass die Identität totalreflexiv ist.215 Für die Begründung des Satzes der Identität der Form »Jedes Ding ist sich selbst gleich: x = x«216 gilt »dann und nur dann, wenn alles, was man über das Ding x sagen kann, auch über das Ding x gesagt werden kann.«217 Die Bestimmung der Identität von x und y geht so der Identität des x mit sich selbst (x = x) vorher, denn letztere resultiert aus einer Eigenschaft der Identität, die die Identitätsrelation neben der Eigenschaft der Transitivität und Symmetrie besitzt.218 »x = x« »drückt die reflexive Eigenschaft der Identität aus: eine Relation heißt reflexiv, wenn sie
212
So heißt es bei Hilbert/Ackermann: »Der Prädikatenkalkül mit Identität entsteht aus dem gewöhnlichen Prädikatenkalkül, indem man zu den Aussagen- und Prädikatenvariablen das zweistellige Prädikat der Identität ›x = y’ hinzunimmt. Dies ist insofern berechtigt, als das Prädikat der Identität ein rein logisches Prädikat ist.« (Grundzüge (41959), S. 104.) 213 Gleichheit und Identität sind dabei als Synonyme zu betrachten. (Vgl. Tarski, Einführung (1937), S. 60.) 214 Vgl. dazu: Hilbert/Ackermann, Grundzüge (1928), S. 104 ff. Zum Problem der Zugehörigkeit des Identitätszeichens zur Logik vgl. auch: Quine, Philosophy of Logic (1986), S. 60–64. 215 Vgl. Carnap, Einführung in die symbolische Logik (1968), S. 68 f. Vgl. dazu auch: Tarski, Einführung (1937), S. 32 f. 216 Tarski, Einführung (1937), S. 33. 217 Tarski, Einführung (1937), S. 33. 218 Vgl. Russell, Principles (1964), S. 23. Verschiedenheit wird dann von Russell als die Negation von Identität definiert.
Der logische Nominalismus
79
zwischen einem Term und diesem selbst gilt, sei es allgemein oder doch immer dann, wenn sie zwischen diesem Term und irgendeinem gilt.« 219 Tatsächlich setzt die Logik aber doch von Anfang an in ihrer Verwendung von Konstanten und auch bei der Verwendung von Variablen das Gesetz der Identität unausgesprochen voraus. So heißt es bereits bei Frege: »Bei aller Unbestimmtheit muss aber daran festgehalten werden, dass ein Buchstabe die Bedeutung, welche man ihm einmal gegeben hat, in diesem Zusammenhang beibehält.«220 Auch in den Principia Mathematica heißt es über den Gebrauch einer Variablen: »daß eine Veränderliche eine merklich identische Bedeutung bei ihrem verschiedentlichen Vorkommen im selben Zusammenhang bewahrt, so daß viele Veränderliche zusammen im selben Zusammenhang vorkommen können, jede mit ihrer besonderen identischen Bedeutung«221. In diesem Sinne ist auch der Satz der Identität je schon vorausgesetzt, dass nämlich an all den Stellen, an denen die Satzvariable in einer Formel vorkommt, derselbe Ausdruck für sie eingesetzt werden muss.222 Wären nämlich die Glieder im Abhängigkeitsverhältnis des Logikkalküls nicht identisch mit sich selbst und nicht zugleich nicht anders als sie selbst, so implizierte das den durchgängigen Wandel aller ihrer Verhältnisse. Deswegen ist der Satz der Identität auch das Fundament der modernen Logik.223 So schreibt Wittgenstein auch einmal an Russell: »Identität ist der Teufel in Person und ungeheuer wichtig; sehr viel wichtiger, als ich dachte. Sie hängt […] unmittelbar mit den grundlegendsten Fragen zusammen […]. Ich habe alle möglichen Ideen, wie man das Pro-
219
Whitehead/Russell, Principia Mathematica (1910), S. 36. Begriffsschrift (1879); BuaA, S. 1. 221 Whitehead/Russell, Principia Mathematica (1910), S. 12. Außerdem wird der Satz der Identität in der Form p → p verwendet, um die Proposition zu definieren. »Every proposition implies itself, and whatever is not a proposition implies nothing. Hence to say ›p is a proposition‹ is equivalent to saying ›p implies p‹; and this equivalence may be used to define propositions.« (Russell, Principles of Mathematics (1903), S. 15.) 222 Vgl. Carnap, Einführung in die symbolische Logik (1968), S. 25. 223 Vgl. Ingeborg Schüßler, »Logik und Ontologie. Fichtes transzendentale Begründung des Satzes der Identität«. In: Klaus Hammacher (Hrsg.), Der transzendentale Gedanke. Die gegenwärtige Darstellung der Philosophie Fichtes, Hamburg 1981, 498–507, S. 498. Irrtümlich identifiziert Schüßler in ihrer Argumentation den SdI und den SdW. 220
80
Die formale Logik
blem lösen könnte, ohne bis jetzt allerdings etwas Bestimmtes erreichen zu können. Den Mut lasse ich jedoch nicht sinken und denke weiter nach.«224 Auch dieses Problem gründet wiederum auf der vielfältigen Weise, in der der Satz der Identität ausgesagt wird. Dabei wird aber in der Logik wie bereits beim Satz des Widerspruchs mitunter fälschlicherweise der Anspruch erhoben, das obsolet gemacht zu haben, was man traditionell als Grundsatz des Denkens bezeichnete. Wie problematisch dies werden kann, zeigt sich am Umgang mit dem Widerspruch in der formalen Logik.
224
Brief an Russell, 29.10.1913; Briefe, S. 36.
. Das Problem der logischen Antinomien
Wie sehr die moderne Logik an Widersprüchen in Form von Paradoxien und Antinomien interessiert ist, zeigt die Menge an Publikationen zu diesem Problem. Dabei werden die verschiedensten Typen von Paradoxien behandelt, von denen uns aber nur die Antinomien interessieren, bei denen p ~p und ~p p impliziert. Als Antinomie gilt in der modernen Logik ein kontradiktorischer und zugleich beweisbarer Satz bzw. (wie bereits bei Kant) zwei kontradiktorisch entgegengesetzte Sätze, die sich beide beweisen lassen. Eine Antinomie liegt also auch dann vor, wenn ein Satz beweisbar und widerlegbar ist.225 Die logischen Antinomien werden gewöhnlich in die mengentheoretischen und die semantischen Paradoxien bzw. Antinomien unterteilt.226 Diese Trennung ist dabei nicht zwingend, findet sie doch in den Principia Mathematica überhaupt nicht statt, sondern wird erst von Frank S. Ramsey etabliert. Nach ihm ist diese Unterscheidung eine Einteilung der Antinomien 225
Vgl. Stegmüller, Das Wahrheitsproblem (1968), S. 24 f. In diesem Kapitel werde ich Antinomie und logische Paradoxie synonym verwenden, da sich in der Forschung beide Bezeichnungen finden. Von Kutschera bestimmt Antinomien so: »[E]ine Antinomie ist eben ein kontradiktorischer Satz, der aus anscheinend wahren Prämissen nach anscheinend richtigen Schlußregeln abgeleitet ist.« (Von Kutschera, Antinomien der Logik (1964), S. 12.) Diese Antinomien/Paradoxien unterscheiden sich von Paradoxien wie der Barbier, der in einem Dorf alle Einwohner rasiert, die sich nicht selbst rasieren, dadurch, dass man das Paradox nicht einfach durch die Annahme der Nichtexistenz des den Widerspruch implizierenden Objekts auflösen kann: es gibt keinen solchen Barbier, weil der Begriff des Barbiers in inkonsistenter Weise bestimmt ist. Im Falle der mengentheoretischen Paradoxien lässt sich die Existenz der paradoxen Menge dagegen innerhalb des Systems der Mengenlehre beweisen. (Vgl. Elke Brendel, Die Wahrheit über den Lügner. Eine philosophischlogische Analyse der Antinomie des Lügners, Berlin/New York 1992, S. 9; zur möglichen Differenzierung der Begriffe »Paradoxie« – »Antinomie« vgl. außerdem S. 7f f.) Stanisław Leśniewski selbstverständlich hat genau so gegen die Russell-Antinomie argumentiert und gemeint, sowohl der Satz »Die Menge aller Mengen, die sich nicht selbst enthalten, enthält sich selbst.« als auch der entgegengesetzte Satz »Die Menge aller Mengen, die sich nicht selbst enthalten, enthält sich nicht selbst.« sei falsch, weil in beiden Sätzen Prädikate von einem leeren Subjekt, also einem Subjekt, das nicht denotiert, also keinen Gegenstand bezeichnet, ausgesagt werden. Solche Sätze seien immer falsch: »the expression […] denotes no object and thus every proposition that includes this expression as its subject is false. In such a case both the propositions […] are false since both contain subjects which do not denote anything at all.« (Is a Class of Classes not subordinated to Themselves, subordinated to Itself? (1914); Collected Works I, S. 115.) 226 Vgl. etwa: Priest, »The logic of Paradox«. In: Journal of philosophical Logic 8,2 (1979), 219–241, S. 219.
82
Die formale Logik
»in zwei grundsätzlich verschiedene Gruppen«227. Die erste Gruppe (mathematische Antinomien) würde ohne Vorkehrungen in Logik und Mathematik auftreten, weil diese Antinomien nur mathematische Begriffe wie den der Menge benötigen. Sie zeigen, dass mit der Mathematik etwas nicht stimmt. Die zweite Klasse von Antinomien gründe hingegen auf empirischen Begriffen und deren Antinomien könnten damit auf »fehlerhaften Vorstellungen, die das Denken und die Sprache betreffen«228, beruhen: »sie implizieren alle einen psychologischen Begriff wie Bedeutung, Definition, Benennung oder Behauptung«229.
3.1. Antinomien und ihre »klassischen« Auflösungsversuche Im Folgenden werden jeweils eine semantische und eine mengentheoretische Antinomie kurz dargestellt, sowie jeweils eine mögliche Auflösung der Antinomie. Tatsächlich gibt es mehrere Versuche, diese Antinomien aufzulösen, wobei zumindest die für die semantische Paradoxie von Tarski vorgeschlagene Lösung wohl die bedeutendste ist. Entscheidend ist aber, dass keiner der bisherigen Lösungsansätze in vollständiger Weise befriedigen konnte. Jede Lösung ist mit hohen Kosten verbunden. Deshalb bietet sich einerseits die parakonsistente Logik an, die durch die Aufhebung des ex falso quodlibet die Paradoxien – wie widersprüchliche Theorien überhaupt – in angemessener Weise logisch untersuchbar machen will. Andererseits bietet sich der in dieser Hinsicht noch konsequentere Dialetheismus an, der die Widersprüche als hinzunehmende Facta und damit als wahre Widersprüche gelten lassen will. Semantische Paradoxien oder Antinomien gründen auf semantischen Begriffen, insbesondere dem Begriff der Wahrheit und der Falschheit.230 Die be-
227
Die Grundlagen der Mathematik (1925); FPR, S. 145. Die Grundlagen der Mathematik (1925); FPR, S. 146. 229 Mathematische Logik (1926); FPR, S. 189. Wir übernehmen Ramseys Einteilung, obwohl es natürlich fraglich ist, ob die komplementäre Alternative zu mathematisch logischen Begriffen im Sinne Ramseys tatsächlich in psychologischen Begriffen besteht. Beide Paradoxien beziehen sich also auf verschiedene Gegenstandsbereiche und scheinen deshalb von unterschiedlicher Art zu sein: die logischen Paradoxien (einschließlich der Paradoxie von Russell) gründen auf logischen Begriffen (wie dem der Klasse), die semantischen Paradoxien auf semantischen Begriffen, etwa dem der Wahrheit. (Vgl. Sainsbury, Paradoxien (2001), S. 190.) 230 Zur semantischen Paradoxie vgl. Stegmüller, Das Wahrheitsproblem (1968), S. 26– 36. 228
Das Problem der logischen Antinomien
83
kannteste und wohl auch älteste semantische Antinomie ist dabei die Lügnerparadoxie.231 Ihre einfachste Version lautet:232 L: L ist falsch. Daraus folgt: (a) Wenn L wahr ist, dann ist der Satz falsch. (b) Wenn L falsch ist, dann ist der Satz wahr. Laut Tarski verwickelt sich jede Sprache in solche Antinomien, in der zum einen die logischen Grundregeln gelten und die zum anderen semantisch geschlossen ist. Eine Sprache ist dann semantisch geschlossen, wenn sie geeignet ist, alle relevanten Tatsachen der Semantik in ihrer eigenen Sprache auszudrücken. Eine semantisch geschlossene Sprache kann über ihre eigenen Ausdrücke reden und diesen semantische Eigenschaften zuschreiben: jeder Ausdruck einer geschlossenen Sprache besitzt einen semantischen Status und dieser Status kann in ihr ausgedrückt werden.233 Alle Umgangssprachen sind nach Tarski semantisch geschlossen. Dies zeigt sich am Wahrheitsbegriff: in
231
Vgl. Brendel, Die Wahrheit über den Lügner (1992), S. 21 ff. Eine weitere semantische Paradoxie wäre die Antinomie von Grelling: »Ein Eigenschaftsausdruck X ist genau dann heterologisch, wenn er nicht die Eigenschaft hat, die er bezeichnet.« Indem man diesen Ausdruck auf sich selbst bezieht, also fragt, ob der Ausdruck »heterologisch« selbst heterologisch ist, verwickelt man sich in eine Antinomie: denn ist der Ausdruck heterologisch, so besitzt er nicht die Eigenschaft, die er bezeichnet. Folglich wäre er nicht heterologisch. Ist er aber nicht heterologisch, so besitzt er die Eigenschaft, die er bezeichnet, und ist folglich heterologisch. Eine weitere semantische Antinomie wäre die Antinomie von Richard. (Vgl. dazu etwa: Brendel, Die Wahrheit über den Lügner (1992), S. 48 f.) 232 Vgl. dazu: Sainsbury, Paradoxien (2001), S. 168 ff. Tarski verwendet sie in einer von Łukasiewicz herstammenden Fassung. Wir könnten sie folgendermaßen reformulieren (vgl. Tarski, Wahrheitsbegriff (1935), S. 270 f.): »c« diene als typographische Abkürzung des Ausdrucks: »die in dieser Fußnote in Zeile 7 von oben gedruckte Aussage«. Dann betrachten wir folgende Aussage: c ist keine wahre Aussage. Daraus folgt aus der Bedeutung von Symbol »c«: (a) »c ist keine wahre Aussage.« ist mit c identisch. Aus der nach Tarski gebräuchlichen Wahrheitsdefinition: »x« ist genau dann eine wahre Aussage, wenn x der Fall ist, folgt dann weiter: (b) »c ist keine wahre Aussage.« ist genau dann eine wahre Aussage, wenn c keine wahre Aussage ist. Aus (a) und (b) ergibt sich dann der Widerspruch (oder die Antinomie): c ist genau dann eine wahre Aussage, wenn c keine wahre Aussage ist. 233 Vgl. Bradley Armour-Garb, »Diagnosing Dialetheism«. In: Graham Priest u. a. (Hrsg.), The Law of Non-Contradiction. New Philosophical Essays, Oxford 2006, 113– 125, S. 114.
84
Die formale Logik
unserer Umgangssprache reden wir über Wahrheit und schreiben sie bestimmten Aussagen zu. Dieser alltägliche Wahrheitsbegriff ist nun nach Tarski inkohärent. In Bezug auf die Umgangssprache ist sowohl eine Definition des Wahrheitsbegriffes als auch »sein konsequenter und mit den Gesetzen der Logik übereinstimmender Gebrauch unmöglich«234. Der alltägliche Wahrheitsbegriff muss deshalb »durch eine Reihe von Wahrheitsbegriffen in hierarchischer Ordnung ersetzt werden, die jeweils in einer nicht-natürlichen Sprache ausgedrückt werden«235. Nur auf Grund der semantischen Geschlossenheit kann sich eine Aussage nämlich selbst einen Wahrheitswert zuschreiben. Solange also die gewöhnlichen Gesetze der Logik für eine gegebene Sprache gelten, diese Sprache zudem Wahrheitsprädikate enthält, die sich auf ihre eigenen Sätze beziehen, und sie Namen für all ihre Sätze enthält, solange ist die Existenz paradoxer Sätze unvermeidbar.236 Deshalb könnten wir nach Tarski in den natürlichen Sprachen keine adäquate Wahrheitstheorie bilden. Die Lügnerparadoxie beweist die Inkohärenz unserer Sprache. Um die Paradoxien aufzuheben, muss man die semantische Geschlossenheit der Sprache aufheben: man muss den semantischen Status der Ausdrücke einer Objektsprache diesen Ausdrücken in einer davon verschiedenen Metasprache zuweisen. In den formalisierten Sprachen lässt sich ein Wahrheitsbegriff bilden, weil diese nicht den universalistischen Charakter der Umgangssprache besitzen. Wird die Sprache einer formalisierten deduktiven Wissenschaft betrachtet, so muss man »zwischen der Sprache, von der wir sprechen, und der Sprache, in der wir sprechen, sowie auch zwischen der Wissenschaft, die Gegenstand der Betrachtung ist, und der Wissenschaft, in der die Betrachtung angestellt wird, deutlich unterscheiden.«237 Die Namen der Ausdrücke der untersuchten Sprache, von der wir sprechen, und der Relationen zwi234
Tarski, Wahrheitsbegriff (1935), S. 266. Sainsbury, Paradoxien (2001), S. 178. 236 Vgl. Armour-Garb, Diagnosing Dialetheism (2006), S. 119. Charakteristisches Merkmal der Umgangssprache ist nach Tarski ihr Universalismus: in keiner anderen Sprache dürfen Worte oder Ausdrücke auftreten, die man nicht in Umgangssprache übersetzen könnte. Worüber man sinnvoll sprechen kann, darüber kann man in der Umgangssprache sprechen. Für semantische Untersuchungen bedeutet das: in die Sprache müssen wir Ausdrücke und Aussagen, Namen von Aussagen und Ausdrücken, Aussagen, die die Namen enthalten, und semantische Ausdrücke wie »wahre Aussage«, »Name« und »bezeichnen« aufnehmen. Dieser Universalismus ist der Quell der Antinomien. Daraus folgert Tarski: »diese Antinomien scheinen einfach ein Beweis dafür zu sein, dass sich auf dem Boden jeder Sprache, welche im obigen Sinne universal wäre und für welche hiebei die normalen Gesetze der Logik gelten sollten, ein Widerspruch ergeben muss.« (Tarski, Wahrheitsbegriff (1935), S. 278.) 237 Tarski, Wahrheitsbegriff (1935), S. 281 f. 235
Das Problem der logischen Antinomien
85
schen ihnen gehören zur Metasprache. Die Beschreibung dieser Ausdrücke und die Definition der Begriffe (wie Folgerung, beweisbarer Satz, wahre Aussage) sind Gegenstand der Metawissenschaft.238 Zur Aufhebung der semantischen Antinomie kann man nach Stegmüller nur die Tarski’sche Lösung wählen, die semantische Geschlossenheit aufzuheben, weil man auf die elementaren logischen Gesetze nicht verzichten könne. Deshalb müsse man mit Tarski die einheitliche Sprache in eine Objektsprache und eine Metasprache aufsplittern.239 Semantische Ausdrücke dürfen sich nicht auf Sätze derselben Sprache beziehen, in der sie vorkommen. Die Ersetzung der logischen durch neue Grundregeln als andere Alternative zur Auflösung von Antinomien wäre demgegenüber eine »wissenschaftliche Katastrophe«240, der ganze Forschungsbetrieb könnte nicht mehr aufrecht erhalten werden. Nach den Dialetheisten hingegen hilft uns die Lösung Tarskis nicht, das Lügnerparadoxon und seine Prinzipien zu bestimmen. Für sie ist es gerade nicht so, dass das Lügnerparadoxon uns lehrt, das Sprachen wie das Englische unfähig wären, ihre eigene Semantik auszudrücken, sondern dass sie dies sehr wohl können, indem sie in gewisser Weise inkonsistent sind.241 Auch im Bereich der Mathematik können – bei Vernachlässigung gewisser Vorsichtsmaßregeln – Antinomien auftreten. Diese Antinomien erforderten einen Neuaufbau der Logik.242 Das Operieren mit Klassen und Klassen von
238
Zu weiteren nicht paradoxen Versuchen, die Lügnerantinomie aufzulösen vgl. Brendel, Die Wahrheit über den Lügner (1992), S. 87–179. 239 Vgl. Stegmüller, Das Wahrheitsproblem (1968), S. 2 f. 240 Stegmüller, Das Wahrheitsproblem (1968), S. 39. 241 Vgl. Armour-Garb, Diagnosing Dialetheism (2006), S. 116. Auch Wandschneider, »Zum Antinomienproblem der Logik«. In: Ratio 16 (1974), 74–91, S. 77 f. kritisiert, dass die Sprachphilosophie und die Sprachwissenschaft ohne die Möglichkeit des Selbstbezuges in ihrer Sprache (in einer Sprache über diese Sprache sprechen zu können) nicht möglich wären. Priests ausführlichste Darstellung seiner dialetheistischen Theorie mit der ausführlichsten Darstellung der Antinomien, den Versuchen ihrer Auflösung und seiner Kritik daran findet sich in: Priest, In Contradiction (2006). In Priest, Beyond the Limits of Thought (2002) versucht Priest seinen Dialetheismus zusätzlich philosophiehistorisch zu untermauern: Cusanus, Kant und vor allem Hegel werden zu Vorläufern des Dialetheismus, denen aber leider das logische Werkzeug fehlte, diese Widersprüche logisch angemessen darzustellen. Zu einem besseren Verständnis dieser Autoren verhelfen Priests unmittelbare Ausführungen wegen seiner Unvertrautheit mit deren Texten aber nicht. Zum Umgang mit Paradoxien in der Gegenwartslogik sind seine Ausführungen hingegen kenntnisreich und gewinnbringend zu lesen. 242 »Dringender noch wurde die Notwendigkeit eines Neuaufbaues der Logik, als man gewisse Widersprüche […] zunächst auf mathematischem Gebiete bemerkte, die sich aber bald als solche allgemein-logischer Natur herausstellten. Sie konnten nur durch gründ-
86
Die formale Logik
Klassen (bzw. Mengen und Mengen von Mengen) in der naiven Mengenlehre in Mathematik und Logik führte zu Paradoxien. Die bekannteste dieser Klassen-Antinomien ist wohl die sogenannte Russell-Antinomie:243 sie basiert auf der »Menge aller Mengen, die sich nicht selbst als Element enthalten« (Menge oder Klasse M). Russell hat diese Paradoxie 1901 entdeckt und damit Freges Versuch, die Mathematik mittels Logik zu begründen, zunichte gemacht. In den Principia Mathematica wird sie folgendermaßen dargestellt: »Es sei w die Klasse all jener Klassen, die nicht Elemente von sich selbst sind. Welche Klasse immer dann x sein mag, ›x ist ein w‹ ist äquivalent mit ›x ist nicht ein x‹. Gibt man also dem x den Wert w, so ist ›w ist ein w‹ äquivalent mit ›w ist nicht ein w‹.«244 Hier haben wir dann zwei Sätze, die sich kontradiktorisch entgegengesetzt sind, und die sich beide beweisen lassen, indem man ihre Negation ad absurdum führt:245 »M enthält sich selbst als Element« und »M enthält sich nicht selbst als Element«. Man scheint hier entweder gegen den Satz vom ausgeschlossenen Dritten (weder enthalten noch nicht enthalten) oder gegen den Satz vom Widerspruch verstoßen zu müssen. Die Zermelo-Fraenkel-Mengenlehre konnte diese Antinomien durch eine Abschwächung des Komprehensionsaxiomes vermeiden. Bei Frege lautete dieses noch: »∀x: A(x) ⇔ x ∈ {y∣ A(y)}« (mit: {y∣ A(y)}: »Klasse aller Objekte y mit der Eigenschaft A«). Nach seiner Abschwächung lautet es dann: nur Elemente einer bereits gebildeten Klasse dürfen in die Abstraktionsklasse {y∣ A(y)} aufgenommen werden: »∀x: A(x) ⇔ x ∈ {y∣ A(y)} ∧ B(x)}« (mit »B(x)«: Ausdruck der abgeschwächten Bedingung, dass x Element mindestens einer Klasse z ist).246 Russell/Whitehead glaubten hingegen, diese Antinomie (wie auch die des Lügners und andere) sei eine Folge des »Zirkelfehlerprinzips«247, und so suchten sie nach einer philosophischen und nicht nur pragmatischen Lösung des Problems. Alle Antinomien haben dieselbe Struktur: »ihnen allen liche Neugestaltung der Logik überwunden werden.« (Carnap, Die alte und die neue Logik (1930), S. 15.) 243 Weitere Antinomien dieser Art wären die Antinomie von Burali-Forti und die Antinomie von Cantor: die Potenzmenge einer Menge M (die Menge aller Teilmengen von M) ist nach dem Satz von Cantor von größerer Mächtigkeit als M. Sei nun A die Menge aller Mengen. Die Potenzmenge von A müsste nun nach dem Satz von Cantor mächtiger als A sein, was aber der Festsetzung dieser Menge als Allmenge widerspricht. (Vgl. zu diesen Antinomien auch: Brendel, Die Wahrheit über den Lügner (1992), S. 47.) 244 Russell/Whitehead, Principia Mathematica (1910), S. 87. 245 Vgl. Stegmüller, Das Wahrheitsproblem (1968), S. 24. 246 Vgl. auch: Brendel, Die Wahrheit über den Lügner (1992), S. 52 f. 247 Russell/Whitehead, Principia Mathematica (1910), S. 89.
Das Problem der logischen Antinomien
87
[liegen] Zirkeltrugschlüsse zugrunde«248. Jeder solche Widerspruch sagt nämlich etwas aus über alle Fälle einer bestimmten Art. Aber aus der Aussage selbst geht ein neuer Fall hervor, »der von derselben Art ist und zugleich nicht ist, wie die Fälle, deren Gesamtheit die ursprüngliche Aussage betraf.«249 Der Zirkel entsteht aus der Annahme, »eine Menge von Gegenständen könne Elemente enthalten, die nur vermittels der Menge als ganzer definiert werden können.«250 Es handelt sich dabei um »illegitime Gesamtheiten«251, denn die Menge setzt alle Elemente dieser Menge voraus und soll gleichzeitig selbst Element dieser Menge sein. So darf eben ein Allsatz nicht selbst Element dessen sein, worüber die Allheit ausgesagt wird. Die Menge aller Mengen, die sich nicht selbst enthalten, ist so eine illegitime Gesamtheit.252 Eine Klasse darf deshalb nicht ein Argument der Funktion sein, die diese Klasse definiert. Für Russell ist dies ein Grund für die Aufstellung der Typentheorie, nach der Klassen hierarchisch so angeordnet sind, dass jede Klasse immer auf einer höheren Stufe steht als ihre Elemente. Daher kann keine Klasse sich selbst angehören.253 »Keine Gesamtheit kann Elemente enthalten, die nur über diese Gesamtheit selbst vollständig zu spezifizieren sind.«254 Die Antinomie zwingt uns anzunehmen, dass es eine Klasse dieser Art nicht geben kann. Die Auflösung erfolgt also dadurch, dass man Terme von der Form x ∈ x verbietet und »postuliert, daß die Elemente einer Menge und die Menge selbst Gebilde von unterschiedlichem ›Typ‹ sind.«255 Die Typenregel ordnet der Menge einen um eins höheren Wert als ihren Elementen zu. Daher ist verständlich, dass »x ∈ x« nicht zulässig sein kann, weil x hier als Element und Menge auftreten würde.256 Allerdings ist diese Lösung – wie auch die von Tarski – zu restriktiv. Denn neben pathologischen Fällen werden auch sinnvolle Selbstbezüglichkeiten 248
Russell/Whitehead, Principia Mathematica (1910), S. 87. Russell/Whitehead, Principia Mathematica (1910), S. 89. 250 Russell/Whitehead, Principia Mathematica (1910), S. 55. 251 Russell/Whitehead, Principia Mathematica (1910), S. 56. 252 Man kann das Lügnerparadoxon aber so umformulieren, dass es nicht unter das Zirkelfehlerprinzip fällt. Vgl. dazu.: Sainsbury, Paradoxien (2001), S. 181 ff. 253 Vgl. Sainsbury, Paradoxien (2001), S. 167. 254 Sainsbury, Paradoxien (2001), S. 186. 255 Wandschneider, Antinomienproblem (1974), S. 76. 256 Allerdings gibt es immer wieder neue Versionen insbesondere der Lügnerparadoxie, wie etwa den »Super-Lügner (SL)« (Rudolf Schüßler, »Nachwuchs für den Lügner. Vom Lügner und verstärkten Lügner zum Super-Lügner«. In: Erkenntnis 24 (1986), 219–234, S. 219), die die scheinbar gelungenen Auflösungen der Paradoxie wieder hinfällig werden zu lassen versuchen. 249
88
Die formale Logik
eliminiert.257 Denn es gibt durchaus sinnvolle Sätze der Form x ∈ x, x ∈ y ∧ y ∈ x, die auch für unzulässig erklärt werden müssen (etwa: »Die Klasse der Menschen ist kein Mensch.«).258 Die »klassischen« Lösungen der Antinomien (wie die Tarskis und Russells), das heißt die Lösungen, die innerhalb der klassischen zweiwertigen Logik verbleiben, haben gemeinsam, die Paradoxien syntaktisch zu verbieten. So wird der Lügner-Satz mit Tarski syntaktisch verboten, weil er die Objekt-/Metasprachenhierarchie verletzt. Damit wird aber ungewollt die Syntax verengt: denn mit dem Verbot der semantischen Selbstreferenz verbietet man gleichzeitig, wesentliche Teile unseres Denkens sprachlich auszudrücken, etwa die Reihe der natürlichen Zahlen 0, 1 , 2, 3,…. Diese können wir nämlich nur durch ein Verständnis des Symbols »…« verstehen. Aber: »Dieses vielleicht wichtigste logisch-mathematische Symbol drückt selbstreferentielle Regeln aus; in diesem Fall: (R) Addiere 1 und dann befolge den ersten Teil von (R) Jedes nichttriviale Rechnerprogramm hat Schleifen und jede Unendlichkeitsvorstellung beruht auf einer selbstreferentiellen Regel: Man betrachtet ihre sämtlichen Resultate, gleichsam von außen, als ein Objekt.«259 Semantische Selbstreferenz ist so »die gemeinsame Wurzel von sinnvollen Rekursionen, unendlichen Mengen, leeren Regressen, Paradoxien und ihren Lösungen.«260 Alle Unendlichkeitsvorstellungen beruhen nach Blau letztlich auf selbstreferentiellen Regeln.
3.2. Übergang zu nicht-klassischen Logiken Wittgenstein diskutiert die Frage nach dem Widerspruch vornehmlich als Analyse der mathematischen Antinomien und des Versuchs, die Wider257
Vgl. Wandschneider, »Das Antinomienproblem und seine pragmatische Dimension«. In: Herbert Stachowiak (Hrsg.), Pragmatik. Handbuch pragmatischen Denkens IV. Sprachphilosophie, Sprachpragmatik und formative Pragmatik, Hamburg 1993, 320–352, S. 323. 258 Vgl. Wandschneider, Antinomienproblem (1974), S. 76. 259 Blau, Unbestimmtheiten und Paradoxien (1985), S. 383. 260 Blau, Unbestimmtheiten und Paradoxien (1985), S. 383. In einem anderen Aufsatz schreibt Blau: »Es ist die Selbstreferenz, die hinter allen semantischen, mengentheoretischen, epistemischen, deontischen und Handlungsparadoxien steckt. […] Trotzdem kann man dem Kobold nicht böse sein, denn er leistet einzigartige Dienste: Jeder endliche Wegweiser ins Unendliche ist selbstreferentiell.« (Ulrich Blau, »Vom Henker, vom Lügner und von ihrem Ende«. In: Erkenntnis 19 (1983), 27–44, S. 38.)
Das Problem der logischen Antinomien
89
spruchsfreiheit der Axiomensysteme der Mathematik zu beweisen.261 Wittgenstein will die Mathematiker diesbezüglich therapieren, das heißt ihnen die Angst vor dem Widerspruch nehmen: »Der Widerspruch. Warum grad dieses eine Gespenst? Das ist doch sehr verdächtig.«262 »Ich möchte mich gegen den Popanz des Widerspruchs wenden, gegen die abergläubische Furcht, als würde die Auffindung eines Widerspruchs die Zerstörung des Kalküls bedeuten.«263 Die Angst vor dem Widerspruch in der Mathematik ist von der Sache her gar nicht gerechtfertigt. Denn die Vermeidung des Widerspruchs wie auch der Beweis einer These durch die Rückführung der entgegengesetzten Behauptung auf einen Widerspruch, das sind nur Methoden in der Mathematik, die zu brauchbaren Sätzen führen – »und brauchbar ist hier ähnlich unbestimmt wie eine Pointe haben.«264
261
Dieses Unterfangen Hilberts wurde bekanntlich durch Gödel »torpediert«. Er bewies, dass ein System P nicht seine eigene Widerspruchsfreiheit beweisen kann: »Satz XI: Sei κ eine beliebige rekursive widerspruchsfreie Klasse von Formeln, dann gilt: Die Satzformel, welche besagt, daß κ widerspruchsfrei ist, ist nicht κ-beweisbar: insbesondere ist die Widerspruchsfreiheit von P in P unbeweisbar, vorausgesetzt, daß P widerspruchsfrei ist (im entgegengesetzten Fall ist natürlich jede Aussage beweisbar).« (Über formal unentscheidbare Sätze der Principia mathematica und verwandter Systeme I (1931); Collected Works I, S. 192.) Dieser Satz (der zweite Unvollständigkeitssatz) ist ein Zusatz zum ersten Unvollständigkeitssatz, der lautet: Jedes hinreichend mächtige formale System ist entweder widersprüchlich oder unvollständig. Den Beweis führt Gödel über den Satz: Der Satz mit der Nummer x ist nicht ableitbar. Dieser Satz soll nun selbst die Nummer x haben. Der Satz behauptet also seine eigene Unbeweisbarkeit. Er muss wahr sein, denn wäre er falsch, so wäre er beweisbar und damit wahr, was einen Widerspruch bedeuten würde. Wenn er also beweisbar wäre, so wäre er falsch. Gödel selbst stellt diesen Satz in die Nähe der Lügnerparadoxie. (Vgl. S. 150.) Bei Gödel findet sich dieser Beweis natürlich in einer formalisierten Fassung, soll diese Beweismethode doch auch für alle formalen Systeme anwendbar sein, die in ihrer inhaltlichen Deutung über genügend Ausdrucksmittel verfügen, die im Beweis vorkommenden Begriffe zu definieren, und in denen jede beweisbare Formel inhaltlich richtig ist. Hierzu meint nun Wittgenstein: »Da sieht man wie einfach es ist etwas Wahres zu sagen. / wenn Dich diese Regel hier zu so einem dummen Spiel führt, so wende sie hier nicht an.« (Fragment ›Unter Logik versteht man‹; Nachlass MS 178d, S. 2 f.) 262 Bemerkungen über die Grundlagen der Mathematik; WS 6, S. 254. 263 Wittgenstein und der Wiener Kreis, Widerspruchsfreiheit VIII; WS 3, S. 196. »Die bürgerliche Stellung des Widerspruchs, oder seine Stellung in der bürgerlichen Welt: das ist das philosophische Problem.« (PU § 125.) 264 Wittgenstein, Fragment ›Unter Logik versteht man‹; Nachlass MS 178d, S. 1. Weiter heißt es: »Warum sollte sich ein Mathematiker prinzipiell vor dem Widerspruch bekreuzigen. (Man möchte sagen: hab keine Angst er beißt nicht!)« (S. 1 f.)
90
Die formale Logik
Der Widerspruch in der Mathematik tritt nur in den Spielregeln, den Regeln, nach denen man im mathematischen Kalkül zieht, auf. Deshalb kann man zu seiner Auflösung einfach eine weitere Regel einführen, die zwischen den sich widersprechenden Regeln entscheidet.265 Spielregeln, die sich in einem bestimmten Fall widersprechen, sind bis zum Eintreten des Widerspruchs in Ordnung. Erst wenn ein Widerspruch eintritt, muss durch eine neue Regel zwischen den sich widersprechenden Regeln entschieden werden.266 Der Widerspruch ist erst dann ein Widerspruch, wenn er auftritt. Er ist nicht versteckt in den Axiomen, »so wie die Tuberkulose: Man ahnt nichts, und eines Tages ist man tot.«267 Ein Widerspruch wird erst dann problematisch, wenn man ihn bemerkt. Denn dann kann man nicht mehr weiterspielen. Im Falle einer Kontradiktion sagen die Regeln nicht mehr, was man zu tun hat.268 Regeln dürfen sich nicht widersprechen, weil man ansonsten nicht weiß, was man zu tun hat, und dann hören sie auf, Regeln zu sein.269 Deshalb müsste man die neue Regel einführen, die einem sagt, was man zu tun hat. Bedeuten die Axiome der Mathematik, deren möglicher Widerspruch zueinander in Frage steht, die Regeln, nach denen man spielt, so können diese Regeln einander widersprechen; die eine kann eine bestimmte Art des Weiterspielens vorschreiben, die andere verbieten: »ich weiß nicht, was ich tun soll. Was machen wir in einem solchen Fall? Sehr einfach: Wir führen eine neue Regel ein, und damit ist der Konflikt entschieden.«270 Das ex falso quodlibet könnten wir mit der neuen Regel vermeiden, dass aus einem Widerspruch keine Folgerungen gezogen werden dürfen. Das hat natürlich Wittgensteins Konzeption von Mathematik zur Voraussetzung, nach der Mathematik »nicht als ein Korpus von Wahrheiten über abstrakte Gegenstände, sondern als Teil menschlicher Tätigkeit«271 zu verstehen ist. Die Regeln der Logik gleichen den Regeln des Schachspiels und der logische Kalkül dem Schachspiel selbst. Wie man im Schachspiel nach bestimmten Regeln zieht, so formt man nach den logischen Regeln die Zeichen um. Deswegen sind die Regeln der Logik auch nicht »wahr«, sondern konventionell gesetzt:
265
Vgl. Philosophische Bemerkungen Anhang Widerspruchsfreiheit; WS 2, S. 321. Vgl. Philosophische Grammatik II: Über Logik und Grammatik; WS 4, S. 303. 267 Wittgenstein und der Wiener Kreis, Widerspruchsfreiheit III; WS 3, S. 120. 268 Vgl. Philosophische Bemerkungen Anhang Widerspruchsfreiheit; WS 2, S. 322. 269 Vgl. Philosophische Grammatik II: Über Logik und Grammatik; WS 4, S. 305. 270 Wittgenstein und der Wiener Kreis, Widerspruchsfreiheit II; WS 3, S. 120. 271 Glock, Wittgenstein-Lexikon (2000), S. 23. 266
Das Problem der logischen Antinomien
91
»Die Regeln der Logik könnte ich ebenso gut in Frage stellen wie die Schachregeln. Wenn ich die Regeln ändere, ist es ein anderes Spiel, und damit ist der Fall erledigt.«272 Zu den Paradoxien der Sprache bemerkt Wittgenstein nicht ganz zu Unrecht, dass diese Widersprüche nicht schaden würden. Die Sprache würde dadurch nicht weniger brauchbar, dass man im Falle des Lügners aus einem Satz sein Gegenteil und wiederum dessen Gegenteil folgern kann: »der Satz selbst ist unbrauchbar, und ebenso dieses Schlüsseziehen; aber warum soll man es nicht tun? – Es ist eine brotlose Kunst!«273 Der Satz habe nur dadurch ein Interesse, dass er bestimmte Leute quält. Zum anderen ist es für Wittgenstein durchaus möglich, dass Widersprüche benutzt werden könnten. Regeln sind willkürlich, sie sind »keiner Art von Realität verantwortlich«274, auch nicht einer Bedeutung des Wortes. Die Bedeutung wird nur durch die Regel definiert. So sind alle Gesetze der Logik, auch der Satz vom ausgeschlossenen Widerspruch, willkürlich.275 Deshalb ist der Widerspruch für die Mathematik auch nur ein Schreckgespenst. Den Widerspruch zu verbieten, bedeutet nur, sich ein Ausdruckssystem mit möglicherweise großen Vorteilen zu wählen, aber nicht, dass Widersprüche generell nicht verwendet werden könnten. So wäre es etwa möglich, dass wir einen Widerspruch hervorbringen wollen und versuchen, ihn im Gebiet der Logik zu erzeugen, »warum nicht z. B. um zu zeigen, daß alles auf dieser Welt ungewiß sei?«276 Das Staunen und die Unentschlossenheit in einem widersprüchlichen Befehl könnten genau der Zweck des Widerspruchs in diesem Sprachspiel sein.277 Man könnte dem Widerspruch eine Bedeutung geben, wenn man festlegt, wie man etwa auf widersprüchliche Befehle zu reagieren habe, wie man also der Regel zu folgen habe: »wenn man Verhaltensregeln für den Fall eines widersprüchlichen Befehls gibt, so dürfte wohl alles in Ordnung scheinen.«278 In bestimmten Zusammenhängen würden wir Widersprüche durchaus auch verwenden (etwa mit »Ja und Nein« antworten). In Sätzen wie »Ich mag es und ich mag es nicht.« wenden wir den Satz des Widerspruchs nicht an.279 272
Vorlesungen 1930–1935; S. 41. Bemerkungen über die Grundlagen der Mathematik Anhang; WS 6, S. 120. 274 Vorlesungen 1930–1935; S. 148. 275 Wittgenstein schreibt hierüber selbst: »Diese Feststellung klingt ein wenig abstoßend, ist aber trotzdem wahr.« (Vorlesungen 1930–1935; S. 238.) 276 Bemerkungen über die Grundlagen der Mathematik; WS 6, S. 211. 277 Vgl. Bemerkungen über die Grundlagen der Mathematik; WS 6, S. 255. 278 Vorlesungen über die Grundlagen der Mathematik Cambridge 1939; WS 7, S. 213. 279 Vgl. Vorlesungen 1930–1935; S. 239. 273
92
Die formale Logik
Selbst wenn wir zu praktischen Zwecken eine Rechnung durchführen würden und diese führt auf einen Widerspruch, so könnte dies bedeuten: »Tu wie Dir beliebt, ich die Rechnung entscheide darüber nicht. […] Der Widerspruch könnte als ein Wink der Götter aufgefaßt werden, daß ich handeln soll und nicht überlegen.«280 Die für Wittgenstein entscheidende Frage besteht somit nicht darin, wie Widersprüche um jeden Preis zu vermeiden sind, sondern was wir tun sollten, wenn wir zu einem Widerspruch gelangt sind. Wir wollen ja nur das Sprachspiel weiterspielen können. Wir sollten uns vom Widerspruch eben nicht behexen lassen.281 Eine Mathematik oder Logik voller Widersprüche wäre so nach Wittgenstein durchaus möglich. Wir könnten in der Logik Kontradiktionen an Stelle von Tautologien verwenden. Dies könnte in einer »neuen Kontradiktionenlogik«282 der Fall sein. Denn die »Kontradiktion und die Tautologie sagen ja nichts, sondern sie sind nur eine Methode, die logischen Zusammenhänge zwischen den Aussagen zu demonstrieren.«283 Denn weder bei der Tautologie noch bei der Kontradiktion gibt es Wahrheitsbedingungen – die eine ist immer wahr, die andere niemals. »Tautologie und Kontradiktion sind sinnlos.«284 Sie sind beide sinnlos, aber nicht unsinnig, sie gehören beide zum Symbolismus. Sie stellen nicht Bilder der Wirklichkeit dar, keine möglichen Sachlagen. »Denn jene läßt jede mögliche Sachlage zu, diese keine.«285 Weder in der Tautologie, noch in der Kontradiktion wird die Wirklichkeit in irgendeiner Weise bestimmt. »Tautologie und Kontradiktion sind die Grenzfälle der Zeichenverbindung, nämlich ihre Auflösung.«286 »Die Kontradiktion ist das Gemeinsame der Sätze, was kein Satz mit einem anderen gemein hat. Die Tautologie ist das Gemeinsame aller Sätze, welche nichts miteinander gemein haben.
280
Wittgenstein; Nachlass MS 127, S. 83. Vgl. Wittgenstein; Nachlass MS 233b, S. 60. 282 Wittgensteins Vorlesungen über die Grundlagen der Mathematik Cambridge 1939, WS VII, S. 228. 283 Wittgenstein und der Wiener Kreis, Widerspruchsfreiheit IV; WS 3, S. 131. »Alle Sätze der Logik sagen aber dasselbe. Nämlich nichts.« (Tractatus 5.43.) 284 Tractatus 4.461. 285 Tractatus 4.462. Ähnlich heißt es bei Carnap: »Da alle Sätze der Logik tautologisch und gehaltleer sind, kann aus ihr nichts darüber erschlossen werden, wie die Wirklichkeit sein muß oder wie sie nicht sein kann. Jeder logisierenden Metaphysik, wie sie im größten Maßstabe von Hegel aufgestellt worden ist, ist damit die Berechtigung genommen.« (Carnap, Die alte und die neue Logik (1930), S. 23.) 286 Tractatus 4.466. 281
Das Problem der logischen Antinomien
93
Die Kontradiktion verschwindet sozusagen außerhalb, die Tautologie innerhalb aller Sätze. Die Kontradiktion ist die äußere Grenze der Sätze, die Tautologie ihr substanzloser Mittelpunkt.«287 Welchen Grenzfall wir verwenden, ob die Tautologie oder die Kontradiktion, sei dabei nun willkürlich. Mittels Tautologien zeige die Logik die formalen logischen Eigenschaften der Sprache und der Welt. »Es ist klar, daß man zu demselben Zweck statt der Tautologien auch die Kontradiktionen verwenden könnte.«288 Die Logik, die Widersprüche vermeidet, ist »ja nur eine Logik, in anderen Logiksystemen könne es beliebig viele Widersprüche geben.«289 Wenn wir eine andere Logik hätten, würde nichts Falsches passieren, außer dass wir eventuell nicht mehr von Logik sprechen würden: »ich würde meinen, daß alles, was wir als Erklärung dafür, weshalb der Widerspruch nicht funktioniert, vorbringen und auffassen, stets eine andere Ausdrucksweise dafür ist, daß wir nicht wollen, daß er funktioniert.«290 In der Mathematik kann man den Widerspruch »entweder als etwas Verbotenes oder als etwas Erlaubtes auffassen.«291 Der Satz vom auszuschließenden Widerspruch ist eben nicht unabhängig von seiner Verwendung und Anwendung. Wir verwenden ja auch die doppelte Negation ~~p nicht nur als p, sondern häufig auch als einfache Negation ~p. Unabhängig von unserer Verwendung hat das Negationszeichen jedoch keine Bedeutung. So ist es eben nicht eine dem ~-Zeichen zu Grunde liegende Bedeutung, aus der notwendig folgt: ~~p = p, sondern das Negationszeichen erhält durch unsere Verwendung dieser Regel erst diese Bedeutung. Wer deshalb von ~~p zu ~p übergeht, folgt nicht einer falschen Regel für die Negation, sondern gibt der Regel eine andere Bedeutung.292 So können wir auch den Satz des Widerspruchs verwenden, können es aber ebenso gut sein lassen. Ihm Immergültigkeit zuzuschreiben, hieße, ihm eine von seiner Verwendung unabhängige Bedeutung zukommen zu lassen. Das widerspricht aber Wittgensteins Auffassung
287
Tractatus 5.143. Tractatus 6.1202. 289 Vgl. Vorlesungen über die Grundlagen der Mathematik Cambridge 1939; WS 7, S. 258. 290 Vorlesungen über die Grundlagen der Mathematik Cambridge 1939; WS 7, S. 225. 291 Vorlesungen 1930–1935, S. 239. 292 Vgl. Glock, Wittgenstein-Lexikon (2000), S. 75. 288
94
Die formale Logik
von Denken, denn: »Das Denken ist der tatsächliche Gebrauch des Sprachkalküls.«293 »Die Sätze der Logik sind ›Denkgesetze‹, weil sie das Wesen des menschlichen Denkens zum Ausdruck bringen‘ – richtiger aber: weil sie das Wesen, die Technik des Denkens zum Ausdruck bringen, oder zeigen. Sie zeigen, was das Denken ist, und auch Arten des Denkens.«294 Das Denken verhält sich nicht zur Sprache wie das Haben von Zahnschmerzen zur Äußerung dieses Sachverhalts. Denken ist deshalb nicht eine innere Tätigkeit mit apriorischen Gesetzen, die dem äußerlichen Ausdruck des Denkens (Sprache, Schreiben etc.) vorausliegt und durch Introspektion erfahrbar wäre, vielmehr ist »Denken wesentlich ein Operieren mit Zeichen«295. Das ist gegen eine Ansicht vom Denken gerichtet, nach der das, »was wir vom Zeichen sehen, nur eine Außenseite zu einem Innern ist, worin sich die eigentlichen Operationen des Sinnes und der Bedeutung abspielen.«296 Der späte Wittgenstein versucht also, das Problem der Antinomien mit Hilfe seiner Bedeutungstheorie zu lösen, indem er auf eine mögliche sinnvolle Verwendung von Widersprüchen in der Sprache verweist. Diese lässt keine von der Verwendung der Sprache unabhängigen Denkgesetze mehr zu. Dabei beruht aber seine Bestimmung des Denkens auf einer einseitigen Entgegensetzung, insofern Wittgenstein als einzige Alternative dazu, Denken an das Operieren mit Zeichen zu knüpfen, die introspektiv-psychologische Deutung des Denkens als eines nur innerlich erfahrbaren Akts ansetzt. Denn nur gegen diesen setzt er seine Konzeption des Denkens ab, aus der sich dann die Deutung der Denkgesetze ergibt. Ist man allerdings wie Wittgenstein selbst Vertreter einer nominalistischen Bedeutungstheorie, so gibt es keinen grundsätzlichen Einwand, den man gegen seine Auflösung der Antinomie vorbringen könnte. Das logische Spiel ist somit eben ein anderes als das der klassischen Logik, aber sofern wir diesen Regeln folgen, ist alles in Ordnung. Die Frage ist dann nur, ob wir dieses Spiel wirklich noch »Logik« nennen wollen. Neben Wittgenstein behauptet auch Łukasiewicz die Möglichkeit einer Aufhebung des Widerspruchs, wobei seine Argumentation dabei eine andere als die Wittgensteins ist, weil er den Satz des Widerspruchs in dessen aristoteli293
Vorlesungen 1930–1935; S. 136. Bemerkungen über die Grundlagen der Mathematik; WS 6, S. 90. 295 Das Blaue Buch 1933/34; WS 5, S. 36. 296 Zettel Nr. 140; WS 5, S. 316. 294
Das Problem der logischen Antinomien
95
schem Verständnis untersuchen möchte. Für ihn basiert der aristotelische Satz des Widerspruchs (»Wenn G ein Gegenstand ist, dann kann G das E nicht gleichzeitig enthalten und nicht enthalten.«297) zunächst nur auf dessen Substanzmetaphysik. Denn das sinnlich Wahrnehmbare und das potentiell Seiende könnten bereits für Aristoteles Widersprüche enthalten: »Alles scheint also dafür zu sprechen, daß Aristoteles die Bedeutung des Satzes vom Widerspruch auf das substantiell Seiende begrenzt hatte.«298 Dies entkräfte schon den Wert des Satzes des Widerspruchs. Denn metaphysische Voraussetzungen hätten nie die Sicherheit logischer Gesetze. Innerhalb der Logik könnte der Satz hingegen nur auf der Definition des Gegenstandes beruhen: »Und da haben wir nun den Beweis des Satzes vom Widerspruch, den einzigen strengen for malen B e weis, der meines Erachtens existiert. Wir setzen von vornherein voraus, daß unter einem Gegenstand etwas zu verstehen ist, was die se lbe Ei gen sc h af t n i ch t gleich z eit ig en t h al297
Satz des Widerspruchs (1910), S. 52. Satz des Widerspruchs (1910), S. 107. Das potentiell Seiende ist aber nicht widersprüchlich, vielmehr hat es die Möglichkeit zu Entgegengesetztem. Das erklärt dann auch, warum die Sinnlichkeit als widersprüchlich erscheint: wenn nämlich nicht zwischen Akt und Potenz unterschieden wird. Die Differenzierungen in Substanz und Akzidenz und Akt und Potenz sind Differenzierungen, dank denen nach Aristoteles die scheinbaren Widersprüche in der sinnlichen Wahrnehmung aufgehoben werden können. Seine Vorgänger hielten die sinnliche Welt deshalb für widersprüchlich, weil sie den Seinsbegriff eben nicht differenziert haben (siehe oben). Bereits für Schlegel hatte der SdW wie für Łukasiewicz überhaupt keine allgemeine Geltung mehr, vielmehr nur noch eine praktische und mathematische. Denn gerade für die höhere Spekulation sei er völlig unzulänglich, da seine ontologische Voraussetzung (die Dinglichkeit und Beharrlichkeit des Seienden) falsch sei: »Die aristotelische Logik trug überhaupt zu der eigentümlichen Entwicklung der scholastischen Philosophie außerordentlich viel bei, vorzüglich durch die Sätze des Grundes und des Widerspruchs, die beide auf dem Begriffe des Dings beruhen.« (Philosophische Vorlesungen (1800–1807); KFSA XII, S. 249.) Diesem Begriff des Dinges setzt er seinen Begriff des Organischen entgegen, in dem Widersprüche eben durchaus vorhanden seien. Der SdW hat nach Schlegel also die Substanzmetaphysik als ontologische Voraussetzung, die die Logik sich gar nicht bewusst macht. Der Satz »a = a«, »theoretisch verstanden, bedeutet nicht bloß eine Einerleiheit, sondern eine sich selbst gleiche, unveränderliche, beharrliche Substanz« (XIII, 260). Und daraus folgt: »Zweifel gegen den Begriff einer beharrlichen Substanz, wenn sie wirklich gegründet wären, und es in dem gegebenen Sinne gar kein a geben könne, [würden] die theoretische Gültigkeit der Grundsätze der Identität und des Widerspruchs ganz aufheben« (XIII, 260). Das Prinzip des Widerspruchs beruht »durchaus auf dem Begriffe des Dings, ihre Gültigkeit steht und fällt mit diesem; es leuchtet also schon vorläufig ein, wie viel wir gegen sie einzuwenden haben.« (XII, S. 317.) 298
96
Die formale Logik
te n un d n ic ht enthalten kann. Aus dieser Annahme, die man für die D ef init ion des ›Gegenstandes‹ halten kann, folgt unmittelbar auf Grund des Identitätsprinzips, daß kein Gegenstand dieselbe Eigenschaft gleichzeitig enthalten und nicht enthalten kann.«299 Dieser Beweis sei nun aber nur formal und nicht sachlich. Deshalb müssten wir sehen, ob der so definierte Gegenstand der Definition von »Gegenstand« entspricht, nach der ein Gegenstand alles ist, was etwas und nicht nichts ist. Diese Frage könne jedoch nicht apriorisch, sondern nur durch Faktenmaterial belegt werden. Die Frage, ob es einmal einen widersprüchliche Eigenschaften enthaltenden Gegenstand geben kann, könne also gar nicht a priori entschieden werden, sondern sei eine empirische Frage. Man könne den Satz des Widerspruchs zwar ruhig auf Erfahrungstatsachen anwenden, weil wir bisher keine Evidenz für das Vorkommen eines widersprüchlichen Gegenstandes haben. Aber letztlich gebe es keinen sachlichen, sondern nur einen definitorischen Beweis für den Satz vom Widerspruch. So sieht Łukasiewicz die andauernde Gültigkeit dieses Satzes einfach darin begründet, dass es bisher keinen Befund in den Einzelwissenschaften gegeben hätte, der zu seiner Revision hätte führen müssen.300 Wir haben eben noch keinen Gegenstand mit entgegengesetzten Eigenschaften wahrgenommen. Letztlich wäre es für Łukasiewicz prinzipiell möglich, in einer richtigen wissenschaftlichen Theorie auf einen Widerspruch zu stoßen. Auch innerhalb der Logik ist dieses Gesetz nicht unerschütterlich und verlangt nach einem Beweis.301 Zunächst 299
Satz des Widerspruchs (1910), S. 135. Dagegen argumentiert Leśniewski gegen Łukasiewicz für eine Beweisbarkeit zumindest der ontologischen Fassung des Satzes des Widerspruchs. (Vgl. An Attempt at a Proof of the Ontological Principle of Contradiction (1912); Collected Works I, S. 20–46.) 300 Vgl. Satz des Widerspruchs (1910), S. 2. Für Łukasiewicz bedeuten widersprüchliche Gegenstände durchaus etwas, etwa »quadratische Kreise«: es ist ein Kreis, es ist quadratisch und es ist ein widersprüchlicher Gegenstand, also ist es kein bedeutungsloser Klang. Außerdem haben die Mathematiker diesen Gegenstand lange untersucht. Auch Putnam meint, widersprüchliche Aussagen seien verstehbar und nicht mit Sätzen vergleichbar, die in einer Sprache keinen Sinn haben. So ist der Satz »Dieses Stück Papier ist rot und dieses Stück Papier ist nicht rot.« nach Putnam durchaus verständlich, anders als »gefew asdeq öfsefö«. (Vgl. Putnam, A priori truth (1978), S. 161.) Es scheint mir nun aber kein Problem zu sein, dass die einzelnen Elemente dieses widersprüchlichen Satzes verständlich sind, sonst könnte ich eben auch gar keinen Widerspruch feststellen. Aber die Verknüpfung der beiden Sätze schiene doch nach Aristoteles weder einen bestimmten Sinn noch Bedeutung zu besitzen, noch drückt sie einen möglichen Gedanken aus, sondern eben zwei, die sich widersprechen. 301 Łukasiewicz erhebt hier durchaus einen weiter gehenden Anspruch und untersucht die symbolische Logik nicht nur rein intrinsisch, sondern meint, den SdW erschöpfend abgehandelt zu haben. In der Nachfolge Łukasiewiczs erheben die Dialetheisten, die sich
Das Problem der logischen Antinomien
97
versucht Łukasiewicz dabei, die Möglichkeit einer Ableitung des Satzes des Widerspruchs zu beweisen und damit einhergehend zu zeigen, dass es fundamentalere Prinzipien als diesen Satz gibt.302 Für Łukasiewicz hat der Satz des Widerspruchs so letztlich keinen logischen, sondern nur einen praktisch-ethischen Nutzen: »Dieser Grundsatz ist die einzige Waffe gegen Fehler und Lüge.«303 Wenn widersprüchliche Urteile verträglich wären und die Bejahung die Verneinung nicht vernichten würde, gäbe es kein Mittel, um Falschheit zu missbilligen und Lüge zu entlarven. Wenn sich jemand in Widersprüche verwickelt, zeigt das den Fehler und die Lüge. Der Satz des Widerspruchs, so die Konsequenz von Łukasiewicz, hat nur einen »alogischen Wert«304. Der Satz wäre unbrauchbar, wenn wir uns nur mit Urteilen zufrieden geben könnten, die exakt bewiesen worden sind. Deshalb gilt: »nur das Höchste Wesen könnte seiner entbehren«305. Innerhalb der Logik hat er aber eigentlich keinen Nutzen und insofern wären Verstöße gegen ihn für die Logik nicht problematisch. Das Auftreten von Widersprüchen wäre logisch möglich. Russells Antinomie von der Klasse aller Klassen, die sich nicht selbst enthalten, ist dabei für Łukasiewicz »eine der interessanauf Łukasiewicz berufen, ja dann durchaus auch den Anspruch, mit der Einschränkung der Gültigkeit von ~(p ∧ ~p) einen Raum »beyond the limits of thought« zu erschließen – weil sie den SdW als fundamentales Prinzip aufheben würden. 302 Aristoteles’ Beharren auf der Unbegründbarkeit des SdW – und mit diesem der logischen Tradition – erscheint ihm so auch eher als Zeichen logischer Unmündigkeit: »Wer so emphatisch und selbstsicher irgendeine Meinung äußert und keine Beweise beifügt, wer sich ärgert, statt zu argumentieren, der hat anscheinend keine ausreichend beweiskräftigen Argumente mehr, und merkt, daß es mit seiner Sache ziemlich schlecht bestellt ist.« (Satz des Widerspruchs (1910), S. 45.) Man könne zwar zugestehen, dass es Sätze gibt, die nicht selbst wieder begründet werden können, weil es sonst einen unendlichen Regress geben würde und alle Urteile nur hypothetische Gültigkeit besäßen. Aber, so die Kritik von Łukasiewicz, Aristoteles nimmt nicht nur an, dass der SdW selbst unbeweisbar ist, sondern zusätzlich, dass sich die Behauptung seiner Unbeweisbarkeit nicht beweisen ließe. Dies hält er für den Grundirrtum des Aristoteles. So könne man den aristotelischen SdW etwa aus den De Morgan’schen Formeln ableiten. (Vgl. S. 232.) Die Sätze, aus denen und mit deren Hilfe der aristotelische SdW bewiesen wird, setzen zum Teil wiederum andere Grundsätze voraus. »Łukasiewicz weist nach, daß der einfachste Beweis des Satzes vom Widerspruch elf Behauptungen der Logik voraussetzt (u. a. das Identitätsprinzip, den Satz vom hypothetischen Syllogismus, den Satzes [sic!] der Simplifikation) […]. Man darf also behaupten, daß jedes von diesen elf logischen Gesetzen, die man für die Durchführung eines deduktiven Beweises des Satzes vom Widerspruch braucht, einen einfacheren logischen Inhalt zum Ausdruck bringt als jenes ›höchste Denkgesetz‹ – der Satz vom Widerspruch.« (Woleński, Jan Łukasiewicz (2000), S. 13.) 303 Satz des Widerspruchs (1910), S. 169. 304 Satz des Widerspruchs (1910), S. 169. 305 Satz des Widerspruchs (1910), S. 171.
98
Die formale Logik
testen und merkwürdigsten logischen Entdeckungen, die jemals gemacht worden sind.«306 Eher noch als der SdW schiene für Łukasiewicz das Identitätsprinzip ein endgültiges Prinzip zu sein.307 Bei Łukasiewicz lautet es: »Jeder Gegenstand enthält die Eigenschaft, die er enthält; und kein Gegenstand enthält die Eigenschaft, die er nicht enthält.«308 Zunächst versucht Łukasiewicz dabei den Irrtum auszuräumen, das Identitätsprinzip sei nur die positive Formulierung des Widerspruchsprinzips. Das Identitätsprinzip ist nur dann die positive Version des Widerspruchsprinzips, wenn man dieses wie Leibniz in dem Sinne »A ist nicht Non-A.« versteht: Kein bejahendes Urteil ist mit dem verneinenden gleichbedeutend. Der Satz »A ist nicht Non-A.« stellt aber nicht den Satz des Widerspruchs dar. Auch das Prinzip der doppelten Verneinung ist damit nicht gleichbedeutend.309 Sie sind nicht einmal äquivalent. »Das Identitätsprinzip: Wenn G das E enthält, dann enthält G das E. Das Prinzip der doppelten Verneinung: Wenn G das E enthält, dann kann G das E nicht nicht enthalten. Der Satz vom Widerspruch: Wenn G ein Gegenstand ist, dann kann G das E nicht gleichzeitig enthalten und nicht enthalten.«310 Im Vordersatz des Satzes des Widerspruchs findet sich der Terminus »Gegenstand«, der sich in den anderen nicht findet. Der Satz der Identität und der Satz der doppelten Negation ließen sich als allgemeine Prinzipien ohne »Gegenstand« im Vordersatz ausdrücken. Wichtiger ist aber, dass der Nachsatz Termini enthält, die für die anderen entbehrlich sind: »und« und »gleichzeitig«, die den Begriff der logischen Multiplikation darstellen.311 Es müssen also für die Anwendbarkeit des Satzes des Widerspruchs mindestens zwei Urteile
306
Satz des Widerspruchs (1910), S. 146. Hier antizipiert er tatsächlich die Dialetheisten. Aber dabei ist zu sagen, dass dieser SdW bei Łukasiewicz nicht der aussagenlogischen Tautologie ~(p ∧ ~p) entspricht. 307 Dieses finde sich bei Aristoteles aber nicht in der Form eines abgesonderten Gesetzes. (Vgl. Satz des Widerspruchs (1910), S. 49.) 308 Satz des Widerspruchs (1910), S. 49. 309 Zur Verwechslung des Prinzips der doppelten Negation mit dem SdW vgl. Satz des Widerspruchs (1910), S. 74 ff. 310 Satz des Widerspruchs (1910), S. 52. 311 Das Wort »gleichzeitig« verweist bei den abstrakten Gegenständen auf logische Multiplikation. (Vgl. Satz des Widerspruchs (1910), S. 154.) Bei konkreten Gegenständen bedeutet es nach Ł. zeitliche Komponente.
Das Problem der logischen Antinomien
99
vorhanden sein, die durch »und« vereinigt werden.312 Also unterscheidet sich der Satz des Widerspruchs durch Zweiheit, Negation und Multiplikation vom Satz der Identität. Aber auch das Identitätsprinzip ist kein ursprüngliches und unhinterfragbares Prinzip, sondern ihm liegt selbst »die Definition des wahren Urteils«313 zu Grunde. Ein bejahendes Urteil ist nämlich genau dann wahr, wenn es einem Gegenstand die Eigenschaften zuspricht, die er enthält. Ein verneinendes ist entsprechend wahr, wenn es die Eigenschaften abspricht, die der Gegenstand nicht enthält. Aus diesen Definitionen »folgt unmittelbar: wenn der Gegenstand eine Eigenschaft enthält, dann ist es wahr, daß er sie enthält, er enthält sie also.«314 Weil die Wahrheit auf diese Weise bestimmt ist, ist der Satz der Identität wahr. Er stützt sich also auf die Definition des wahren Urteils. Definitionen sind nach Łukasiewicz singuläre Urteile. Die Definition des wahren Urteils ist ein endgültiges Prinzip. Denn sie ist allein durch sich selbst wahr, und lässt sich nicht durch ein anderes Urteil beweisen. Die Tatsache, auf die sich eine Definition bezieht, entsteht erst durch die Definition und ist in ihr enthalten. Definitionen beziehen sich auf Zeichen, deren adäquate Benutzung erst durch die Definition festgelegt wird. »Deswegen ist jede Definition wahr.«315 Die Tatsache, über die die Definition etwas aussagt, wird in der Definition überhaupt erst geschaffen. Die Definition des wahren Urteils ist deshalb endgültiges Prinzip, weil sie überhaupt erst festlegt, was ein wahres Urteil ist, und erst das Kriterium bereitstellt, nach dem andere Definitionen wahr sind. Er folgert deshalb: »Es gibt keine endgültigen Prinzipien, außer der Definition des wahren Urteils.«316
312
»Den Satz vom Widerspruch kann man nicht formulieren, wenn man nicht zwei Urteile zur Verfügung hat, von denen eins die Negation des anderen bildet, und die zusammen die logische Multiplikation ausmachen; das Identitätsprinzip und das Prinzip der doppelten Verneinung kann man dagegen ohne zwei Urteile formulieren, die eine logische Multiplikation bilden. Das Identitätsprinzip kann man darüber hinaus ausdrücken, ohne daß man den Begriff der Negation heranziehen muß, was beim Satz vom Widerspruch völlig ausgeschlossen ist.« (Satz des Widerspruchs (1910), S. 55.) 313 Satz des Widerspruchs (1910), S. 57. 314 Satz des Widerspruchs (1910), S. 57. 315 Satz des Widerspruchs (1910), S. 60. »Jede Definition bildet ein wahres Urteil, weil sie über den eigenen Autor die Eigenschaft ausspricht, die ihm zukommt. Wer nämlich sagt oder schreibt: ›Unter dem Kreis verstehe ich eine krumme Linie‹, […] der schafft damit die Tatsache, über die er spricht oder schreibt.« (59) 316 Satz des Widerspruchs (1910), S. 61.
100
Die formale Logik
Nun mag man schon darüber streiten, ob Definitionen im eigentlichen Sinne wahr sein können,317 die Definition des wahren Urteils, die durch sich allein wahr ist, jedenfalls ist doch der paradigmatische Fall eines Zirkelfehlers und setzt die semantische Geschlossenheit der logischen Sprache voraus. Damit impliziert sie aber die von Tarski namhaft gemachten Probleme der Verwicklungen semantisch geschlossener Sprachen in Antinomien. Aber selbst wenn man zugestünde, dass jede Definition wahr ist und man eben nur fragen könne, ob die Definition dann auch nützlich sei, so könnte man sich zusätzlich fragen, ob eine Definition nicht nur ihrer Nützlichkeit wegen, sondern um überhaupt eine Definition zu sein, die Grundsätze des Denkens bereits voraussetzt: Wenn eine Definition zum Beispiel die Form »x ist a und non-a« besäße, könnte man nicht einmal im Sinne von Łukasiewicz sagen, dass sie wahr ist. Denn so eine Bestimmung wäre eben überhaupt keine Definition, da sie dem x keine Bestimmtheit geben würde. In der Zuschreibung von sowohl a als auch non-a, bestimmt man x eben nicht, sondern lässt völlig unbestimmt, was x denn nun ist. Auch eine dem Lügnerparadoxon analoge Definition wäre nicht eindeutig wahr: (d) Unter d verstehe ich eine falsche Aussage. Außerdem scheint eine Definition überhaupt nur dann Sinn zu machen, wenn man schon voraussetzt, dass sich die Bedeutung des Definierten nicht verändert, dass das definierte x also immer x bleibt mit all dem, was es logisch impliziert.
3.3. Die Aufhebung des Satzes vom Widerspruch Łukasiewicz und Wittgenstein behaupteten zwar die Möglichkeit von Widersprüchen und die Möglichkeit einer Kontradiktionenlogik, haben aber keinen logischen Kalkül entwickelt, in dem mit Antinomien umgegangen werden könnte. Tatsächlich hat Łukasiewicz dann in seiner mehrwertigen Logik nicht den Satz vom Widerspruch aufgehoben, sondern den Satz vom ausgeschlossenen Dritten außer Kraft gesetzt: logische Aussagen können darin Werte haben, die von Wahrheit und Falschheit verschieden sind.318 Diese Lo-
317
Dagegen heißt es etwa in den Principia Mathematica (1910): »Ferner ist sie [die Definition] weder wahr noch falsch, da sie Ausdruck eines Willens, nicht einer Aussage ist.« (21) 318 Das Bivalenzprinzip gilt hier also nicht, weswegen diese Logik eine nicht-klassische Logik ist.
Das Problem der logischen Antinomien
101
gik berücksichtigt Aussagen, von welchen wir nicht wissen oder wissen können, ob sie wahr oder falsch sind, etwa Aussagen über zukünftige Ereignisse. Solche Aussagen haben nicht den Wert wahr oder falsch, sondern einen unbestimmten dritten Wert, den man durch das Symbol »½« kennzeichnen kann. Auf diese Weise existiert eben in der dreiwertigen Logik zusätzlich zu den Wahrheitswerten »w« (»1«) und »f« (»0«) noch der Wahrheitswert möglich (»1/2«).319 Der Satz der Identität und der Satz des Widerspruchs behalten dabei ihre Gültigkeit. Die meisten nicht-klassischen Logiken, die sich mit den Antinomien auseinandersetzen, finden im Gedanken der Mehrwertigkeit einen Lösungsansatz für die Paradoxien der Logik. Die einfachste Lösung scheint ja zu sein, dass L (der Satz des Lügners) in der Lücke zwischen Wahrheit und Falschheit liegt und deshalb weder wahr noch falsch ist.320 Man könnte dem Lügner-Satz so zum Beispiel den dritten Wert »unbekannt« zuschreiben. Dabei verwechseln aber die meisten mehrwertigen Logiken epistemologische Werte mit Wahrheitswerten, insofern der dritte Wert etwas wie »unentscheidbar« oder »unerkennbar« oder auch »wahrscheinlich« bedeutet: sie verwenden »epistemisch oder pragmatisch gefärbte Wahrheitswerte«321. Sie lösen außerdem die Paradoxien nicht, da man die Lügnerparadoxie so umformulieren kann, dass sie trotz Mehrwertigkeit weiterhin einen Widerspruch impliziert: L2: Satz L2 ist nicht wahr. Schreibt man L2 nun einen wie auch immer beschaffenen Wahrheitswert zwischen wahr und falsch zu, so ist L2 in jedem Fall nicht wahr. Damit ist der Satz aber gerade wahr, also falsch, also…322 Eine der interessantesten mehrwertigen Lösungen der Paradoxien ist – auch im Hinblick auf Hegels Dialektik – dabei die Reflexionslogik (LR) von 319
Vgl. Łukasiewicz, On three valued Logic (1920); Selected Works, S. 87. So erhält man eine Analogie zur Wahrscheinlichkeitsrechnung, wo man einem Ereignis unterschiedliche Wahrheitsstufen zuschreiben kann. Auf diese Weise kann man dann auch eine unendlichwertige Logik erhalten: Eine Aussage kann unendlich viele Werte annehmen, denen man rationale Zahlen x zuordnet, die die Bedingung 0 ≤ x ≤1 erfüllen. Die mehrwertigen Logiken haben nach Łukasiewicz ein ähnliches Verhältnis zur zweiwertigen Logik wie nichteuklidische Geometrien zur Geometrie Euklids. Sie sind in sich konsequent, aber von der zweiwertigen Logik verschiedene Systeme. (Vgl. Łukasiewicz, Elementy (1929), 116 ff.) 320 Vertreter dieser Ansicht bezeichnen sich bisweilen als »truth gappers«, da sie annehmen, dass nicht alle Aussagen entweder wahr oder falsch sein müssen, sondern zwischen wahr und falsch eine Lücke auftreten kann, in die bestimmte Aussagen fallen. 321 Blau, Unbestimmtheiten und Paradoxien (1985), S. 376. 322 Vgl. Blau, Unbestimmtheiten und Paradoxien (1985), S. 384. Gleiches gilt auch für mehrere Wahrheitswerte als drei oder wenn man dem Satz keinen Wahrheitswert zuschreibt.
102
Die formale Logik
Ulrich Blau. Zur Lösung dient ihm die Einführung von Reflexionsstufen mit jeweils sechs Wahrheitswerten. Zunächst entwickelt er eine dreiwertige Logik mit den fundierten Wahrheitswerten »wahr« (»W«), »falsch« (»F«) und »neutral« (»N«).323 Der Wahrheitswert »N« kommt Sätzen zu, die auf Grund von Vagheit oder Kategorienfehlern (ein Begriff, der nur auf mathematische Gegenstände anwendbar ist, wird zum Beispiel auf andere Gegenstände angewandt) weder wahr noch falsch sind. Dazu muss Blau nur die Negation modifizieren: er zerlegt die klassische Negation (»¬«: »nicht wahr«) in »–« (»nicht«) und »W«. Damit unterteilt sich der Bereich des Nicht-Wahren in einen »Negativ- und einen Neutralbereich«324. Die Reflexionslogik entsteht aus dieser dreiwertigen Logik durch Hinzufügen einer Anführungsfunktion – dadurch können die Ausdrücke von LR in LR bezeichnet werden. »W« und »F« werden als Prädikate eingeführt. Dazu müssen neue Wahrheitswerte eingeführt werden für den unfundierten Bereich: »offen« (»O«), »nicht-wahr« (damit entweder »neutral« oder »falsch«) (»W«) und »nicht-falsch« (entweder »neutral« oder »wahr«) (»F«).325 Paradoxien entstehen bei bestimmten unfundierten Sätzen, wenn verschiedene Reflexionsstufen nicht unterschie323
Vgl. Blau, Unbestimmtheiten und Paradoxien, (1985), S. 370. Dieser Aufsatz ist eine frühe Formulierung von Blaus Thesen bezüglich der logischen Paradoxien. Ausführlich stellt er seine Theorie in seinem kürzlich erschienenen Werk Die Logik der Unbestimmtheiten und Paradoxien, Heidelberg 2008, dar. Einen fundierten Wahrheitswert besitzen solche Sätze, deren Wahrheitswert nicht vom Wahrheitswert von Sätzen abhängig ist, in denen selbst ein Wahrheitsprädikat vorkommt. Von unfundierten Sätzen gilt das Gegenteil. 324 Vgl. Blau, Unbestimmtheiten und Paradoxien, (1985), S. 371. Es ergeben sich dann folgende Definitionen: ¬A := -WA schwache Negation FA := W – A Falschheitsjunktor NA := -WA ⋀ -FA Neutralitätsjunktor DA := -NA Bestimmtheitsjunktor Daraus ergeben sich folgende Regeln für die 1-stelligen Junktoren: A W F N
-A F W N
¬A F W W
WA W F F
FA F W F
NA F F W
DA W W F
Vgl. Blau, Unbestimmtheiten und Paradoxien, (1985), S. 373. Den Vorteil seiner dreiwertigen Logik L3 gegenüber anderen dreiwertigen Logiken sieht Blau zum einen »in der besseren semantischen Motivation der Wahrheitswerte, der beiden Negationen, des Konditionals« (381). Zum anderen gilt für alle Sätze, die syntaktisch zur zweiwertigen Prädikatenlogik mit Identität (L2) gehören, »das Konservierungstheorem A1,…, An ∣⊢L2 B ⇔ A1,…,An ⇔∣⊢L3 B gilt.« (381) 325 Vgl. Blau, Unbestimmtheiten und Paradoxien, (1985), S. 370.
Das Problem der logischen Antinomien
103
den werden. Es gebe nämlich bei bestimmten Sätzen, zu denen die Lügnerparadoxie zählt, eine Reflexionsstufenhierarchie, wobei dem in Frage stehenden Satz auf jeder Stufe ein anderer Wahrheitswert zukommen kann. Die Paradoxien erscheinen nur deshalb als paradox, weil die Stufen eben nicht unterschieden werden und damit dem Satz die verschiedenen Wahrheitswerte zugleich zuzukommen scheinen. So ergeben sich für die verschiedenen Formulierungen des Lügnerparadoxons (und ebenso zirkulärer Sätze) folgende Zuordnungen von Wahrheitswerten (in hochgestellten Ziffern wird immer die Reflexionsstufe angegeben): »Dieser Satz ist wahr.« ist O0, F1, F2, F3, F4, … »Dieser Satz ist falsch.« ist O0, F1, W2, F3, W4, … »Dieser Satz ist nicht falsch.« ist O0, W1, W2, W3, W4, … »Dieser Satz ist nicht unbestimmt« ist O0, F1, W2, W3, W4, … Auf der nullten Reflexionsstufe haben all diese Sätze den Wahrheitswert »O«, weil sie überhaupt erst auf etwas referieren, wenn sie in sich reflektiert werden – auf Grund ihrer Selbstreferenz. Die Reflexion auf unfundierte Sätze durchläuft bestimmte Reflexionsstufen in einer Reihenfolge, die festgelegt ist. Etwa bei »Dieser Satz ist falsch.«: Auf der ersten Reflexionsstufe erkennen wir, dass der Satz an sich weder wahr noch falsch ist, also ist er auf dieser Stufe falsch. Auf der zweiten Reflexionsstufe erkennen wir, dass er das aber gerade sagt, also wahr ist, dann erkennen wir, dass er deshalb falsch ist usw. Dies sieht der Betrachter solcher Sätze aber für gewöhnlich nicht, »denn er blickt auf den Satzinhalt, nicht auf den eigenen Reflexionsprozeß. Sobald er ihn erkennt, verschwinden die Paradoxien.«326 Die Lösung der Paradoxien erfolgt hier also letztlich durch »Reflexionsstufenunterscheidung«327. Nicht-klassische Lösungsansätze, die aber nicht den Satz vom ausgeschlossenen Dritten, sondern den vom Widerspruch aufheben, sind hingegen die parakonsistente Logik und der Dialetheismus. Wegen der Auseinandersetzung mit dem Widerspruchsprinzip sind sie für unsere Arbeit gleichfalls relevant. Sie nehmen nicht an, dass die Lügnerparadoxie weder wahr noch falsch, sondern sowohl wahr als auch falsch ist.328 Die parakonsistente Logik 326
Blau, Unbestimmtheiten und Paradoxien, (1985), S. 385. Blau, Unbestimmtheiten und Paradoxien, (1985), S. 389. 328 Sie bezeichnen sich im Gegensatz zu den »truth gappern« als »truth glutter«, weil keine Lücke klafft, sondern der dritte Wahrheitswert eher überbestimmt ist. Es gibt also die Alternative, den Paradoxien entweder gar keinen Wahrheitswert zukommen zu lassen oder ihnen einen mehrfachen Wahrheitswert zukommen zu lassen. (Vgl. zu dieser Alternative: Terence Parsons, »True Contradictions«. In: Canadian Journal of Philosophy 20,3 (1990), 335–354.) 327
104
Die formale Logik
behauptet dabei die Möglichkeit inkonsistenter und dennoch nicht-trivialer Theorien, in denen also A und ~A, aber nicht jeder Satz wahr ist. Die Dialetheisten behaupten zusätzlich, dass die Widersprüche wahr und Paradoxien sowohl wahr als auch falsch sind.329 Einer der ersten, der zur Untersuchung inkonsistenter Systeme und zu einem besseren Verständnis der Natur gewisser Paradoxien einen neuen Typus von Logik zu entwickeln versuchte, war Newton da Costa. Wenn ein inkonsistentes System S gegeben ist, sollen nach Da Costa gerade nicht alle Paradoxien und Antinomien entfernt werden, sondern so viele abgeleitet werden, wie es zweckdienlich ist, um sie zu analysieren und zu studieren. Er versucht einen Kalkül zu entwickeln, in dem das Prinzip des Widerspruchs kein gültiges Schema ist und es nicht möglich ist, aus den zwei Formeln A und ~A eine arbiträre Formel B zu deduzieren.330 Die parakonsistente Logik will also ein logisches System entwickeln, das Inkonsistenz tolerieren kann. Das tut sie zunächst einmal vornehmlich aus pragmatischen Gründen: es gibt Wissenschaften, die mit inkonsistenten Systemen umgehen müssen, etwa die Wissenschaftstheorie, und sie kann dadurch die »naive Semantik, die antinomisch (d. h. widersprüchlich) ist«331 untersuchen. Dabei ist ihr vornehmliches Problem das ex contradictione quodlibet (ECQ) und damit die Trivialität widersprüchlicher Theorien: »Parakonsistente Logiken sind solche Logiken, die es zulassen, dass in einer Theorie bzw. allgemein in einer Aussagenmenge bezüglich einer Aussage A sowohl A als auch die Negation von A (nämlich ¬A) vorkommen, ohne dass sich dadurch alle beliebigen Aussagen herleiten lassen.«332 In parakonsistenten Logiken gilt deshalb das ECQ nicht. Dazu muss der disjunktive Syllogismus aufgegeben werden.333 Die parakonsistente Logik beruft sich auf die Tatsache, dass unser privates System von Überzeugungen Widersprüche aufweist, wir das auch wissen und trotzdem nicht Beliebiges daraus
329
Manuel Bremer, Wahre Widersprüche. Eine Einführung in die parakonsistente Logik, Sankt Augustin 1998, unterscheidet stattdessen zwischen schwacher und starker Parakonsistenz. Schwache Parakonsistenz: Widerspruch soll nur vorübergehend hingenommen werden; starke Parakonsistente Logik: es gibt wahre Widersprüche. (Vgl. S. 8 f.) 330 Vgl. Da Costa, Theory of inconsistent Systems (1974), S. 498. Den ersten nicht-widerspruchsfreien Kalkül entwickelte der polnische Logiker Stanislaw Jaškowski. 331 Bremer, Wahre Widersprüche (1998), S. 3. 332 Bremer, Wahre Widersprüche (1998), S. 7 333 Also der Schluss von ~A, A ∨ B auf B. Zur Aufhebung der Regel, dass aus einem Widerspruch jede beliebige arbiträre Formel folgt: Priest, Logic of Paradox (1979), S. 231 ff.
Das Problem der logischen Antinomien
105
folgern. Widersprüche in bestimmten Theorien oder in unseren Überzeugungen scheinen – faktisch zumindest – nicht die Annahme jedes Theorems und erst Recht nicht die Rationalität dieser Annahme zu implizieren.334 Wenn wir sehr viele Meinungen haben, scheint das Vermeiden jeden Widerspruchs »eine zu starke Forderung an unsere Meinungssysteme«335 zu sein. Diesem Faktum müsse nun auch die Logik Ausdruck verleihen können. Außerdem glaubt die parakonsistente Logik, Theorien wie die Hegel’sche, die »von sich selbst behaupten, Widersprüche zuzulassen«336, rekonstruieren zu können. Die klassische Logik schließe dagegen alle inkonsistenten Situationen aus, die doch von großem philosophischen Interesse sein könnten.337 Tatsächlich würden verschiedene Kontradiktionen A und ~A und B und ~B auch gar nicht alle dasselbe (nämlich nichts oder alles) bedeuten, sondern verschiedenes. Widersprüche haben durchaus eine bestimmte Bedeutung, die sie von anderen Widersprüchen unterscheidet. Routley führt dabei Hegel an, der mit dem Gedanken, Sein und Nichtsein seien identisch, durchaus etwas denke und zwar etwas ganz Bestimmtes.338 Das Problem der parakonsistenten Logik besteht dabei weder darin, den Widerspruch irgendwie denkbar zu machen, noch einen wirklichen Widerspruch aufzuheben. Vielmehr wird das Faktum des Widerspruchs in einer Theorie bloß konzediert, eigentlich gar nicht gedacht, sondern eher in Ruhe gelassen, damit dann auch die Theorie von ihm in Ruhe gelassen wird. Ihr Problem besteht hauptsächlich darin, dass auf Grund eines auftretenden Widerspruchs die Theorie selbst nicht trivial werden und nicht alles aus ihm folgen soll. Es handelt sich also eher um den Versuch einer Schadensbegrenzung. Der Widerspruch ist schlecht, aber nicht so schlecht, dass er eine Theorie dadurch vollständig zerstören würde. Die parakonsistente Logik will also gewissermaßen ein Symptom des Widerspruchs heilen, nämlich seine Explosivität und die damit einhergehende Trivialität widersprüchlicher Theorien. Das versucht auch der Dialetheismus. Nur hält der Dialetheismus die Widersprüche der logischen Paradoxien tatsächlich für wahr, leugnet also das Vorliegen einer Krankheit. Für den Dialetheisten gibt es wahre Widersprüche. Der Dialetheist muss also mehr leis334
Restall, Laws of Non-Contradiction (2006), S. 77: »Commitment to a contradiction does not seem to compel rationally […] commitment to absolutely everything whatsoever.« 335 Bremer, Wahre Widersprüche (1998), S. 167. 336 Bremer, Wahre Widersprüche (1998), Anm. S. 10. 337 Vgl. R. Routley/V. Routley, »Negation and Contradiction«. In: Revista Colombiana de Matemáticas 19 (1985), 201–231, S. 204. 338 Vgl. Routley/Routley, Negation and Contradiction (1985), S. 212 f.
106
Die formale Logik
ten, als nur einen Kalkül zu entwickeln, in dem ein Widerspruch nicht zu Trivialität führt. Zunächst muss er erweisen, dass es so etwas wie wahre Widersprüche gibt, das heißt echte Antinomien, unvermeidliche Widersprüche, die sich nicht auflösen lassen. Sie können auch nicht nur in dem Kantischen Sinne unvermeidlich sein, dass die Vernunft sich mit Notwendigkeit in sie verwickelt, sie aber auflösen kann. So wäre es ja bei den semantischen Antinomien, in die sich unsere Umgangssprache zwangsläufig verwickelt, die aber in den formalisierten Sprachen vermieden werden können.339 Die bisherigen Lösungen der Antinomien müssen deshalb zurückgewiesen werden. Dann erst kann die Zurückweisung des Satzes des Widerspruchs als Alternative in den Blick gerückt werden. Zuletzt muss dann – wie in der parakonsistenten Logik – noch eine Logik entwickelt werden, in der mit wahren Widersprüchen umgegangen werden kann. 1. Für den Dialetheisten handelt es sich bei bestimmten Antinomien um unauflösbare Antinomien. Der Dialetheismus versucht also die Auflösungsstrategien etwa für das Lügner-Paradoxon als unzulänglich zurückweisen: eine echte Auflösung der Paradoxien müsste entweder zeigen, dass die Prämissen, auf denen diese Paradoxien beruhen, oder die Schritte bis zur paradoxen Konklusion falsch sind. Das würde aber nie gezeigt, vielmehr würden die Prämissen nur zurückgewiesen, um die antinomische Schlussfolgerung zu blockieren. Das sei aber nur eine adhoc-Lösung. Die semantische Geschlossenheit der Sprache wird nicht als falsch erwiesen, sondern einzig zu dem Zweck zurückgewiesen, um die semantischen Paradoxien zu verhindern. Ansonsten ist die Aufhebung der semantischen Geschlossenheit der Sprache unnötig. Die Alternative zur Aufgabe der semantischen Geschlossenheit ist aber bereits nach Tarski nur die Aufgabe bestimmter logischer Gesetze. Dies ist nach Priest nun weit weniger kostspielig. So sei es vielmehr als 339
Mares unterscheidet einen bloß semantischen Dialetheismus, der davon ausgehe, bestimmte Prädikate seien so überbestimmt (»›overdefined‹« (Edwin D. Mares, »Semantic Dialetheism«. In: Graham Priest u. a. (Hrsg.), The Law of Non-Contradiction. New Philosophical Essays, Oxford 2006, 264–275, S. 264)), dass es für sie möglich sei, sowohl negiert als auch affirmiert auf dasselbe Objekt zuzutreffen, von dem metaphysischen Dialetheismus, nach dem eine Behauptung und deren Negation gleicherweise wahr sein können: »The metaphysical Dialetheist thinks that there are possible worlds for which contradictions cannot be eliminated from an accurate and complete description. The semantical dialetheist, on the other hand, thinks that it is always possible in principle to provide an accurate and complete description of a possible world that is consistent.« (270) Der semantische Dialetheist scheint aber doch wiederum nur parakonsistenter Logiker zu sein und doch immer auf einen Tarski hoffen zu müssen, der die semantischen Begriffe genauer bestimmt und dadurch die Widersprüche vermeidbar macht, weil sie prinzipiell vermeidbar sind.
Das Problem der logischen Antinomien
107
Faktum zu akzeptieren, dass es Antinomien gibt, was bedeute, dass manche Sätze falsch seien, andere wahr und einige wahr und falsch.340 »The logical paradoxes are precisely what they appear to be: sound arguments showing that something is both true and false! Seen like this the paradoxical sentences cease to appear as anomalies and fit neatly into the conceptual framework. It is clear that such a position requires the rejection of certain principles of classical logic.«341 2. Nun setzt dieser Nachweis der Unzulänglichkeit natürlich sein Resultat bereits voraus: dass Kontradiktionen nämlich nicht falsch sein müssen. Denn ansonsten wäre mit der semantischen Antinomie die Falschheit der Geschlossenheit der Sprache bereits erwiesen, sofern die Antinomien notwendig aus ihr folgen. Denn was gilt gewöhnlich als bessere Widerlegung einer Theorie, als der Nachweis, dass sie sich selbst widerspricht? Das aufzugebende logische Prinzip ist der Satz des Widerspruchs. Für seine Aufgabe gibt es sogar ein Prinzip: nach Priest haben nämlich die mengentheoretischen und die semantischen Paradoxien dieselbe zu Grunde liegende Struktur. Die konsistenten Lösungen der unterschiedlichen Paradoxien wären aber nicht auf die jeweils anderen anwendbar. Nach dem »Principle of Uniform Solution« müsste aber dieselbe Art von Paradoxie durch dieselbe Art Lösung gelöst werden. Diese Lösung sei eben mit der Annahme wahrer Widersprüche gegeben. Zu diesem Gedanken hatte ja bereits Łukasiewicz den Anstoß gegeben: Der Satz des Widerspruchs ist kein Denkgesetz, er ist kein endgültiges Gesetz und Aristoteles selbst hat ihn zu beweisen versucht.342 Die apagogischen Beweise des Aristoteles scheiterten nach Łukasiewicz.343 Der Dialetheismus hat es sich nun zur Aufgabe gemacht, den Satz des Widerspruchs als »›unassailable dogma‹ of Western thought«344 anzugreifen. Priest entwickelt eine nicht-klassische Logik, die so genannte paradoxe Logik (Logic of Paradox LP) und versucht, die 340
Vgl. Priest, Logic of Paradox (1979), S. 220. Priest, »Classical Logic aufgehoben«. In: Graham Priest/Richard Routley/Jean Norman (Hrsg.), Paraconsistent Logic. Essays on the Inconsistent, München u. a. 1989, 131– 148, S. 141. 342 Vgl. Łukasiewicz, Satz des Widerspruchs (1910), S. 69. 343 Zur Widerlegung der aristotelischen Begründung des SdW vgl. Łukasiewicz, Satz des Widerspruchs (1910), S. 63–109. 344 JC Beall, »Introduction: At the Intersection of Truth and Falsitiy«. In: Graham Priest u. a. (Hrsg.), The Law of Non-Contradiction. New Philosophical Essays, Oxford 2006, 1– 19, S. 3. Nach Priest und Routley war die Zurückweisung des Widerspruchs bereits bei Platon und Aristoteles eine Sache des Establishments, wohingegen sich die Sophisten mit der Behauptung von Widersprüchen als intellektuelle Avantgarde präsentiert hätten. (Vgl. Priest/Routley, Paraconsistent Logic (1989), S. 58.) 341
108
Die formale Logik
Semantik dieser Logik festzulegen:345 der Satz des Widerspruchs sei nicht das Prinzip der Rationalität, vielmehr sei es irrational, an diesem Prinzip trotz hoher Kosten festzuhalten. Denn zwar mag er ein Kriterium von Rationalität sein, aber nicht das einzige: Einfachheit, Einheit (keine Bildung von adhocLösungen), explanatorische Kraft, Sparsamkeit (Ockham’s razor). Gegen all diese Kriterien verstoßen klassische Auflösungen der Antinomien. Gegen Priest müsste man also den Sonderstatus des Widerspruchsprinzips zeigen.346 Diesen besitzt es nach ihm zu Unrecht, es ist nur von Aristoteles auf die westliche Philosophie übergegangen: »this view has itself no rational ground: it would seem to be the legacy of Aristotle.«347 »Dialetheism is the view that some truths have true negations.«348 Priest plädiert für einen neuen Umgang mit den Paradoxien bzw. Antinomien: »we should accept them and learn to come to live with them.«349 Seine Schlussfolgerung lautet: »So what’s so bad about contradictions? Maybe nothing.«350 Dabei scheint es nicht trivial, ob man sagt, dass auch die Negationen von Wahrheiten wahr sein können oder dass das, was wahr ist, auch falsch sein kann. Im einen Fall sagt man primär etwas über Negationen aus, im zweiten Fall über die Wahrheitswerte »wahr« und »falsch«. Beide Bedeutungen tauchen bei Vertretern des Dialetheismus auf und gehen mitunter durcheinander: aber im ersten Fall muss man die Bedeutung der Negation und ihre Wahrheitsfunktionalität verändern, im zweiten Fall einen zusätzlichen Wahrheitswert (»paradox«) einführen, der meint, dass eine Aussage sowohl wahr als auch falsch ist. I. Die Modifikation der Negation: Man kann zunächst also versuchen, im Gegensatz zur klassischen Logik eine nicht wahrhheitsfunktionale Negation einzuführen, die zwar sagt, dass ~A nur nicht wahr oder falsch ist, woraus aber nicht folgt, dass A wahr oder falsch ist.351 Bereits da Costa hat solch eine weiche Negation eingeführt, die den Wahrheitswert nicht umkehrt. Die Zustimmung zur Negation von A (= ~A) impliziert nicht unbedingt die Ablehnung von A und die Ablehnung von ~A nicht die Behauptung von A (und umgekehrt). Dann ist es aber notwendig, die logische Negation von der Ver345
Vgl. Priest, Logic of Paradox (1979), S. 226–231. Zum Beispiel, dass er konsistente Lösungen zurückweist, weil sie nicht sparsam oder einfach sind, diesen Prinzipien also widersprechen. 347 Graham Priest, Doubt truth to be a liar, Oxford 2006, S. 129. 348 JC Beall, True and False – As if (2006), S. 197. 349 Priest, The logic of Paradox (1979), S. 219. 350 Priest, What’s so bad (2006), S. 38. 351 Vgl. Beall, Introduction (2006), S. 7. 346
Das Problem der logischen Antinomien
109
neinung und die logische Bejahung vom Sprechakt der Zustimmung zu unterscheiden, um trotz Leugnung des Satzes vom Widerspruch Behauptungen verneinen zu können.352 Die Bestimmung der Verneinung (»denial«): »denial = assertion of negation«353 soll nicht mehr gelten. Der Negation einer Aussage zuzustimmen, ist nicht gleichbedeutend damit, diese Aussage zu verneinen (abzulehnen). Man kann deshalb der Negation des Lügnersatzes zustimmen, ohne seine Behauptung zurückzuweisen: »in asserting ¬α, we are not denying α«354. Denn schließlich stimmt der Dialetheist ja auch α zu. Negation und Verneinung (im Sinne der Zurückweisung einer Aussage) sind also nicht identisch. Die klassische Logik setzt dagegen die Negation einer Aussage mit ihrer Zurückweisung gleich: »the classical semantics for negation conflates negation and denial. We deny statements that we think are not true. Some of these are not false either.«355 Für die Dialetheisten hingegen beinhaltet die Zurückweisung einer Aussage noch mehr als die Annahme der Negation dieser Aussage: »Rejection perhaps involves more than the acceptance of a negation.«356 Ein besonders gutes Argument gegen die Identifikation von Negation überhaupt mit der Zurückweisung ist: »explanation of negation in terms of denial seems to presuppose that it is possible for there to exist a negationfree system of thought or language.«357 Die Differenzierung des Negationsbegriffs macht auf ein tatsächliches Problem der modernen symbolischen Logik aufmerksam, nämlich keine befriedigende Theorie der Negation entworfen zu haben. Denn Zurückweisung und (wahrheitsfunktionale) Negation sind ja beides Formen von Negation, die wir beide als Verneinung bezeichnen können. So machen die Dialetheisten wie die parakonsistenten Logiker zumindest die Selbstverständlichkeit des Umgangs mit der Negation in der modernen Logik fragwürdig, indem sie nach der Bedeutung von Negation fragen. In modernen Logikbüchern fehlt es an einer systematischen Behandlung der verschiedenen Verneinungsarten. Die Negation wird zumeist auf die wahrheitsfunktionale Verneinung einge-
352
Verneinung und Zustimmung sollen im Folgenden gleichbedeutend verwendet werden mit der Ablehnung oder Behauptung einer Aussage im Gegensatz zur (logischen) Negation. 353 Priest, What’s so bad (2006), S. 36. 354 Priest, What’s so bad (2006), S. 37. 355 Mares, Semantic Dialetheism (2006), S. 272. 356 Restall, Laws of Non-Contradiction (2006), S. 74. Zur möglichen Differenz zwischen Verneinung im Sinne der Zurückweisung einer Aussage und der logischen Negation »~« vgl. auch S. 74. 357 R. M. Sainsbury, »Option Negation and Dialetheias«. In: Graham Priest u. a. (Hrsg.), The Law of Non-Contradiction. New Philosophical Essays, Oxford 2006, 85–92, S. 85.
110
Die formale Logik
schränkt: f = ~w, w = ~f. Das Bivalenzprinzip legt die Bedeutung des Wortes »falsch« fest, indem es das Falschsein eines Satzes darin bestehen lässt, nicht wahr zu sein.358 Deshalb kann definitorisch die Negation einer Aussage eben nie zusammen mit ihrer Position wahr sein. So schreibt etwa Lewis: »If there are truths with true negations, what is it to be false?«359 Diese Erklärung der klassischen Logik des Negationszeichens »~« durch die Wörter »wahr« oder »falsch« ist bereits für Wittgenstein keine Aussage über das Verhältnis von p und ~p, sondern eine bloße Definition.360 Diese Definition, die über die Wahrheitsfunktion gewonnen wird, ist keine Erklärung der Verneinung, da es nicht ausschließlich für negative Sätze gelten muss. »Die Verneinung ist komplizierter als das ~-Zeichen.«361 Eine Erklärung der Negation durch die Kontradiktion (»Jeder Satz, der p widerspricht, verneint p.«362) bliebe zirkulär, denn die Kontradiktion ergibt sich ja aus der Funktion der Negation bezüglich des Wahrheitswertes. Dass die klassische Negation nicht einfach der Verneinung in der Alltagssprache entspricht, zeigen Wittgensteins Ausführungen zur doppelten Negation. So können wir die doppelte Verneinung auch im Sinne einer Verstärkung oder Wiederholung verwenden, nicht nur als ~~p = p. Man muss dazu jedoch die Verneinung anders auffassen.363 Aus Sicht nicht-klassischer Logiker, die eine andere Art von Negation annehmen, setzen die klassischen Logiker nun aber einfach ihre Definition des ~-Symbols dogmatisch mit der natürlichen Bedeutung von Negation gleich.364 Hiergegen wendet Richard Routley zu Recht ein: »the mainstream or dominant negation of traditional logic is distinctly nonclassical.«365 Denn traditioneller358
Vgl. Wolff, Abhandlung (2004), S. 24. Falschheit ist so die logische Negation von Wahrheit und umgekehrt. Andererseits wird durch die Regel, bei Negation von Wahrheit zur Falschheit überzugehen, auch die Bedeutung der Negation festgelegt. 359 David Lewis, »Logic for equivocators«. In: David Lewis, Papers in philosophical Logic, Cambridge 1998, 97–110, S. 98. 360 Vgl. Vorlesungen 1930–1935, S. 71 f. 361 Vorlesungen 1930–1935, S. 73. »Es ist das Geheimnis der Negation: Es verhält sich nicht so, und doch können wir sagen, wie es sich nicht verhält.« (Tagebücher 1914–1916, 15. 11. 14; WS 1, S. 119.) Wittgenstein fragt sich auch in seinen Tagebüchern immer wieder, wie der Satz »~p« dem Satz »p« widerspricht, wie der Haken »~« oder das, was allen Verneinungszeichen gemeinsam ist, den falschen Satz »p« »mit der Wirklichkeit zum Stimmen bringen« (27. 11. 14; WS 1, S. 123) kann. 362 Tagebücher 1914–1916, 30. 4. 15; WS 1, S. 134. 363 Vgl. dazu: Bemerkungen über die Grundlagen der Mathematik; WS 6, S. 102 ff. 364 Vgl. Routley/Routley, Negation and Contradiction (1985), S. 210. 365 Routley/Routley, Negation and Contradiction (1985), S. 213. Überhaupt ist die traditionelle Logik von ihrer Themenorientierung her eher nicht-klassisch: Modalitäten, Untersuchung verschiedener Arten von Negation und Widerspruch. (Vgl. Werner Stelzner/
Das Problem der logischen Antinomien
111
weise würde Negation zunächst oder zumindest auch als Andersheit verstanden.366 Diese traditionelle Idee von Negation als Andersheit würde durch die nicht-klassische Logik Schritt für Schritt neu entwickelt und verbessert werden können.367 Indem sie andere Formen von Negation entwickeln, bringen nicht-klassische Logiker erst einmal die Relevanz der Frage nach der Bedeutung und dem Status von Negation auf: »Negation is a fundamental, but illunderstood, ill-explained and much disputed notion across a wide philosophical spectrum.«368 Wir können verschiedenste Typen von Negation unterscheiden. Jede verhält sich gemäß einer Menge von Regeln und kann benutzt werden. Aber die Frage nach der Angemessenheit muss sich doch stellen lassen, insofern die Interpretation der Negation Auswirkungen auf verschiedene philosophische Diskussionen hat: »The theoretical object has to fit the real object; and how this behaves is not a matter of choice.«369 Wenn man hingegen die Negation ausschließlich über ihre Funktion in einer Operation bestimmt und ihre Bedeutung mit dieser Funktion zusammenfallen lässt, dann ist das Ergebnis, dass Negationen zusammen mit der Affirmation des durch sie Negierten bestehen können, nicht mehr besonders beeindruckend. Priest hält Wittgensteins Konzeption deshalb für völlig falsch. Es ist außerdem nach dem Verhältnis der verschiedenen Typen von Negation zueinander (ob äquivok oder analog oder bloße Familienähnlichkeit) zu fragen. Die Frage nach der Bedeutung von Negation ist dabei eine grundsätzliche. Denn welches logische System man wählt, hängt in hohem Grade davon ab, welches Verständnis man von Negation hat.370 Davon hängt wiederum das Verständnis von Kontradiktion ab und davon das Verständnis des Widerspruchsprinzips. »Any account of the LNC must be secured by an intuitive concept of negation.«371 Unterschiedliche Theorien der Negation unterscheiden sich so immer auch darin, welche Rolle sie der Kontradiktion zuschreiManfred Stöckler, »Vorwort«. In: Dies. (Hrsg.), Zwischen traditioneller und moderner Logik. Nichtklassische Ansätze, Paderborn 2001, 7–17, S. 8.) 366 Man denke nur an die Überlegungen in Platons Sophistes. 367 »In order to picture relevant negation the traditional idea of negation as otherthanness is progressively refined, to nonexclusive restricted otherthanness.« (Routley/Routley, Negation and Contradiction (1985), S. 201.) 368 Routley/Routley, Negation and Contradiction (1985), S. 201. 369 Graham Priest, »What not? A defence of Dialetheic Theory of Negation«. In: Dov M. Gabbay/Heinrich Wansins (Hrsg.), What is Negation?, Dordrecht u. a. 1999, 101–120, S. 101. 370 Vgl. Routley/Routley, Negation and Contradiction (1985), S. 204. 371 Ross T. Brady, »On the Formalization of the Law of Non-Contradiction«. In: Graham Priest u. a. (Hrsg.), The Law of Non-Contradiction. New Philosophical Essays, Oxford 2006, 41–48, S. 42.
112
Die formale Logik
ben: entweder implizieren sie nichts, alles oder manches. Dementsprechend unterscheidet Routley auch drei Formen von Negation und Kontradiktion:372 1. Negation als Aufhebung: ~A hebt A auf, so dass aus A und ~A nichts folgt. Der zweite Zug nimmt den ersten sozusagen einfach zurück. Bei »A ∧ ~A« wird A behauptet und zugleich wieder zurückgenommen, deshalb behauptet man nichts.373 2. Die klassische Negation: Mit der Verneinung eines Satzes drücken wir aus, dass dieser Satz falsch ist.374 ~A ist genau dann wahr, wenn A falsch ist.375 Das ist die klassische Negation (und Kontradiktion) in der Aussagenlogik. Die Verwendung der klassischen Negation kann a priori aber nicht ohne weiteres gerechtfertigt werden – oder eben nur dann, wenn man schon zugesteht, dass A entweder nur wahr sein kann oder nur falsch sein kann.376 Für die Kontradiktion folgt aus dieser Negation: aus A und ~A folgt alles. Die Konjunktion von A und ~A sagt alles, so dass alles folgt. A und Non-A schließen sich hierbei vollständig aus und erschöpfen den logischen Raum vollständig. Diese Negation wird von Quine und Lewis auch als unser alltägliches Verständnis von Negation bezeichnet. Hier wird tatsächlich dogmatisch ein Verständnis von Negation mit »unserem« Alltagsverständnis oder »unserer« Intuition über Negation gleichgesetzt.377 3. Die relevante Negation: ~A schränkt A ein. Damit kommen A und ~A in ein ähnliches Verhältnis wie andere voneinander verschiedene Aussagen: ihre Verbindung impliziert einiges, aber nicht alles. ~A ist nicht nur die Umkehrung von A (»~A ist wahr in w gdw. A ist nicht wahr in w«), sondern sie ste372
Hier ergibt sich also graphisch in Mengen dargestellt die Differenz, die wir bei Boole und der Alternativen Deutung aufzeigten. (Vgl. Routley/Routley, Negation and Contradiction (1985), S. 214 ff.) 373 »Wer ernsthaft A ∧ ¬A behauptet […], zeigt, daß er auf irgendeine Weise nicht verstanden hat, was es bedeutet, mit Aussagen Behauptungen zu machen. Die Aussage A schließt ¬A aus, und das heißt gerade, daß man ¬A nicht zusammen mit A behaupten kann.« (Hoyningen-Huene, Formale Logik (1998), S. 88.) 374 Vgl. Tarski, Einführung (1937), S. 14. 375 Obwohl der Satz vom ausgeschlossenen Dritten und der Satz vom Widerspruch doch unterschiedliche Bedeutung haben, wenn man sie formuliert – der eine sagt, dass entgegengesetzte Aussagen nicht gleichzeitig wahr, der andere, dass sie nicht gleichzeitig falsch sein können –, so sind sie doch logisch äquivalent in der klassischen Logik. Denn aus De Morgans Gesetz, dass A ∨ B ↔ ~(~A ∧ ~B) folgt aus der Einsetzung von ~A in B und der Kommutation von ›∧‹ und ›∨‹ und der doppelten Negation die Äquivalenz von A ∨ ~A und ~(A ∧ ~A). Die Äquivalenz ist aber nur unter dem Standpunkt der klassischen Logik verständlich, da hier A und ~A entgegengesetzte Wahrheitswerte annehmen. (Vgl. Brady, Formalization (2006), S. 43.) 376 Vgl. Priest, What Not? (1999), S. 110 f. 377 Vgl. Routley/Routley, Negation and Contradiction (1985), S. 206 f.
Das Problem der logischen Antinomien
113
hen zwar in Relation zueinander, sind aber dennoch unabhängig voneinander. Negation muss dazu als Andersheit und als Bestimmung verstanden werden.378 Diese Negation muss sich dann auch nicht nur auf Behauptungen beziehen und hat noch keine – zumindest unmittelbare – Beziehung auf Wahrheit wie die Negation der klassischen Logik. Unter dieses Verständnis von Negation scheint auch die Negation in der Reflexionslogik LR von Ulrich Blau zu fallen. Daneben lassen sich mindestens noch zwei weitere Verwendungen von Negation bei modernen Logikern finden. 4. Der Sprechakt der Verneinung: Wie bereits ausgeführt, müssen die Dialetheisten zwischen Negation und Zurückweisung unterscheiden, wenn sie annehmen, dass manche Aussagen zugleich mit ihrer Negation wahr sein können. Ansonsten wüsste man nämlich nie, wann sie eine Aussage nur verneinen (und die Bejahung trotzdem zugleich für wahr halten) und wann sie die affirmative Aussage zurückweisen: »They must, however, choose carefully between denying something and asserting its negation.«379 Parsons führt deshalb als neue Form der Negation eine »super exclusion negation«380 ein. 5. Das Verbot: Auch die Negation, die eine Kontradiktion verbietet, muss eine andere sein, als die innerhalb der Kontradiktion selbst. Erstere ist etwa nach Brady als metatheoretische Negation zu verstehen, letztere gehöre hingegen zur Objektsprache.381 Auch darüber, was exakt unter einer Kontradiktion zu verstehen ist, findet man in der modernen Logikdiskussion keine einstimmige Antwort.382 Die Verschiedenheit gründet auf der unterschiedlichen materialen Deutung (logisch, ontologisch, pragmatisch, semantisch, syntaktisch, etc.), aber auch dar378
Sainsburys »option negation«, die bei einer Wahl die mit der Wahl verbundenen nicht gewählten Optionen kennzeichnen soll, hat dabei Ähnlichkeit mit der Negation Spinozas, die durch jede Bestimmung impliziert ist: »To select A is to deselect B.« (Sainsbury, Option Negation (2006), S. 86.) 379 Parsons, True Contradictions (1990), S. 346. 380 Parsons, True Contradictions (1990), S. 348. Diese definiert er in einer Metasprache und stellt ihre Wahrheitsfunktion über die Wahrheitstafel dar. (Vgl. S. 348 ff.) 381 Vgl. Brady, Formalization (2006), S. 45. 382 Patrick Grim führt so 19 mehr oder weniger unterschiedliche Fassungen davon auf, was unter einem Widerspruch und einem kontradiktorischen Gegensatz zu verstehen ist, um dann festzustellen, dass von einem Widerspruch auf vielfache Weise gesprochen wird. (Vgl. Grim, What is a Contradiction? (2006), S. 52.) Der frühe Wittgenstein definierte die Kontradiktion noch ganz einfach: »Zwei Sätze sind einander entgegengesetzt, wenn es keinen sinnvollen Satz gibt, der sie beide bejaht. Jeder Satz der einem anderen widerspricht, verneint ihn.« (Tractatus 5.1241.) »Zwei Sätze sind einander entgegengesetzt, wenn sie nichts miteinander gemein haben, und: Jeder Satz hat nur ein Negativ, weil es nur einen Satz gibt, der ganz außerhalb seiner liegt.« (Tractatus 5.513.)
114
Die formale Logik
auf, was man unter den bei der Bestimmung des Widerspruchs in Anspruch genommenen Termini zu verstehen hat, insbesondere eben der Negation. Philosophisch kann man aber diese verschiedenen Alternativen und Aspekte der Negation und der Kontradiktion erst miteinander vergleichen, wenn man eine Theorie der Negation und des Widerspruchs entwickelt hat. Einfach auf unsere Intuitionen über Negationen zu verweisen, genügt hier nicht.383 Diese notwendige Reflexion kann aber nicht in der formalen Logik selbst geschehen, sondern nur in einer philosophischen Reflexion auf die Grundlagen der formalen Logik. Das problematisiert aber wiederum das Verständnis des Satzes des Widerspruchs: Allein die Frage, ob eine Kontradiktion in der Verbindung einer Behauptung und einer Verneinung innerhalb einer Aussage oder in einem Paar von Sätzen besteht, führt zu einer unterschiedlichen Interpretation des Satzes vom Widerspruch.384 So scheint es der Logik letztlich unmöglich, die in diesem Satz und dem Begriff des Widerspruchs in Anspruch genommenen Begriffe von Negation und Affirmation, Zustimmung und Verneinung, Wahrheit und Falschheit zu untersuchen, weil sie so zentral sind, dass wir sie immer schon in Anspruch nehmen, wenn wir sie untersuchen.385 Die Begriffe lassen sich offensichtlich nur wechselseitig erklären. Freges Bestimmung der Negation etwa setzt ein Verständnis von Kontradiktion bereits voraus: »Zu jedem Gedanken gehört demnach ein ihm widersprechender Gedanke derart, daß ein Gedanke dadurch als falsch erklärt wird, daß der ihm widersprechende als wahr erkannt wird. Der den widersprechenden Gedanken ausdrückende Satz wird mittels eines Verneinungswortes aus dem Ausdrucke des ursprünglichen Gedankens gebildet.«386 Hier wird dann aber doch eigentlich nur die Verwendung des Negationszeichens expliziert. Die Unterscheidung von einem Gedanken und einem diesem Gedanken widersprechenden Gedanken ist bereits vorausgesetzt. II. Der Wahrheitswert »paradox«: Die klassische Logik irrt nach Priest in der Annahme, dass ein Satz nicht zugleich wahr (»w«) und falsch (»f«) sein kann. Wenn ein Satz wahr und falsch ist, will er ihm deshalb den Wert »p« (paradox) zuschreiben. Wahr bedeutet dann »nur wahr«, falsch bedeutet hingegen »nur falsch«. Ein Satz sei wahr gdw. seine Negation falsch ist. Daher sei die 383
Vgl. Beall/Restall, Logical Pluralism (2000), S. 481 ff. Vgl. Achille C. Varzi,, »Conjunction and Contradiction«. In: Graham Priest u. a. (Hrsg.), The Law of Non-Contradiction. New Philosophical Essays, Oxford 2006, 93–110, S. 93 ff. 385 Vgl. Grim, What is a Contradiction? (2006), S. 63. 386 Die Verneinung (1918); Kl. Schr. S. 374. 384
Das Problem der logischen Antinomien
115
Negation eines wahren und falschen Satzes auch wahr und falsch, also paradox. Die Negation eines nur wahren Satzes hingegen sei nur falsch, die Negation eines falschen Satzes sei nur wahr. Man sieht, dass die Bedeutung von Negation so weiter klassisch bleibt, insofern sie in Bezug auf »w« und »f« den Wahrheitswert verändert. Dies lässt sich tabellarisch darstellen: s
~s
w
f
p
p
f
w
Für die Konjunktion ergibt sich dann: w
p
f
w
w
p
f
p
p
p
f
f
f
f
f
∧
Wenn etwa A wahr ist und B paradox, so ist A ∧ B einerseits wahr (denn B ist ja als paradox wahr) und gleichzeitig falsch (denn B ist auch falsch und damit die Konjunktion). Also ist A ∧ B paradox, weil gleichzeitig wahr und falsch. Wenn hingegen A falsch wäre, wäre auch die Konjunktion falsch, denn auch im Falle des Wahrseins von B ist die Konjunktion doch wegen des nur-falschseins von A falsch. Das kann man dann auch für die Disjunktion (und auch die Implikation) festlegen. w
p
f
w
w
w
w
p
w
p
p
f
w
p
f
∨
In dieser Logik führen Widersprüche nicht zur Trivialität. Nach Priest kann man dann darauf gründend ein paradoxes logisches System aufbauen. Hier trifft auch der oben genannte Einwand Blaus gegen die anderen mehrwertigen Lösungen der Paradoxien – dass diese die Paradoxie nämlich nicht auf-
116
Die formale Logik
lösen können – aus dem trivialen Grund nicht zu, weil sie dies gar nicht erst versucht. Nehmen wir wiederum folgenden Satz: (1) Satz (1) ist nicht wahr. Schreiben wir diesem Satz auf Reflexionsstufe 0 zunächst den Wert »paradox« zu, so ist er auf Reflexionsstufe 1 wahr (weil er ja paradox ist) und falsch (denn er ist ja auch wahr: denn so ist der Wert paradox bestimmt). Weil er somit wahr und falsch ist, müssen wir ihm den Wert »p« (paradox) zuschreiben, denn eine Aussage, die wahr und falsch ist, ist nach LP eben paradox. Also müssten wir ihm auf der nächst höheren Reflexionsstufe wiederum die Werte wahr und falsch zuschreiben, also paradox usw. Aber es tritt ein ganz anderes und noch gewichtigeres Problem auf: Wie vom parakonsistenten Logiker werden nämlich auch vom Dialetheisten nicht alle Widersprüche zugelassen, sondern nur die unvermeidbaren.387 Daraus, dass einige Widersprüche wahr sind, folgt laut dem Dialetheismus nicht, dass alle oder auch nur die meisten Widersprüche wahr wären.388 Die Frage, was daran falsch ist, an einige wahre Widersprüche zu glauben, ist nach Priest ganz verschieden von der Überzeugung, alles wäre widersprüchlich. Es wäre vielmehr sogar vernünftig zu glauben, das Lügner-Paradoxon wäre sowohl wahr als auch falsch.389 Die meisten Argumente aus dem 4. Buch der Metaphysik taugen auch deshalb nicht zu einer Verteidigung des Widerspruchsprinzips, weil sie gegen die Ansicht gerichtet sind, alle Widersprüche wären wahr. Das behaupte der Dialetheismus aber gar nicht.390 Aus der Aussage, dass man manches für wahr halte, folge schließlich auch nicht, dass man alles für wahr halte, genauso wenig, wie aus der Aussage, man halte manches für einen wahren Widerspruch (paradox »p«), nicht folge, dass man alles für einen wahren Widerspruch halte. Die Gegenbeispiele gegen die Universalität des Satzes vom Widerspruch seien vielmehr äußerst selten. Es sei deshalb bei den meisten auftretenden Widersprüchen anzunehmen, dass es sich nicht um wahre, sondern um falsche Widersprüche handle.391 Nur der Trivialist glaubt, dass alle Widersprüche wahr sind. Dies liege daran, dass er ein klassischer Logiker ist, für den aus einem Widerspruch alles ableitbar ist. Gerade das nimmt der Dialetheist aber nicht an.392 Der Trivialist bejaht alles einschließlich sämtlicher Widersprüche. Man muss das aber nicht tun, da man nur das 387
Vgl. Bremer, Wahre Widersprüche (1998), S. 15 Vgl. Beall, Introduction (2006), S. 15. 389 Vgl. Priest, What’s so bad (2006), S. 23. 390 Vgl. Priest, What’s so bad (2006), S. 29. 391 Vgl. Priest, What’s so bad (2006), S. 34 f. 392 Vgl. Graham Priest, »Could everything be true?«. In: Australasian Journal of Philosophy 78, 2 (2000), 189–195, S. 189. 388
Das Problem der logischen Antinomien
117
bejahen sollte, für dessen Bejahung es Gründe gibt. Nun gibt es aber eben nur für wenige Widersprüche Gründe, sie zu bejahen, bei weitem jedoch nicht für alle. Insofern verwirre Aristoteles in der Metaphysik das Gesetz, dass nicht alles wahr ist – und damit nicht alles widersprüchlich –, mit dem Gesetz, dass es überhaupt keine Widersprüche geben darf: dem Gesetz des Widerspruchs.393 Aber das Problem ist doch eben, dass man gar nicht angeben kann, wann ein Widerspruch wahr ist und wann er zurückzuweisen ist. Nach Priest haben Widersprüche eine geringe Wahrscheinlichkeit, da Inkonsistenz »a rational black mark«394 sei. Mit großer Wahrscheinlichkeit hätten wir also Unrecht, wenn unsere Ansichten inkonsistent wären. Aber dieses Kriterium ist doch zutiefst uneindeutig. Zum anderen nimmt Priest den Satz des Widerspruchs durchaus in Anspruch, sogar dann, wenn er ihn begründen will. Priests modallogische Begründung des Satzes etwa, die dessen Nachrangigkeit zeigen soll, setzt seine Gültigkeit bereits voraus: aus □(A → A) (SdI) und □(A → B) ⊢ ~◊(A ∧ ~B) folgt ~◊(A ∧ ~A) (SdW).395 Aber was soll denn notwendig heißen, wenn nicht dasjenige, dessen Nichtbestehen einen Widerspruch einschließt, weil es nicht nicht sein kann. Wenn aber der Satz des Widerspruchs nicht gilt, dann folgt ja gar nichts aus der Notwendigkeit, da das, was nicht nicht sein kann, doch gleichzeitig und in derselben Hinsicht sein kann.
393
Vgl. Priest, Could everything be true (2000), S. 192 f. Gegen den Trivialisten bedient sich Priest des aristotelischen Argumentes, wer alles (auch gleichzeitig sein Gegenteil) für wahr halte, der dürfte eigentlich keine praktischen Entscheidungen fällen, denn um etwas erreichen wollen zu können, muss man überzeugt sein, dass man nicht im Besitz dieser Sache ist u. Ä. (Vgl. S. 194.) Priest nennt dieses Argument transzendental, weil er von einem Faktum des Bewusstseins – nämlich der Tatsache, dass wir Entscheidungen fällen, – ausgeht und anschließend nach der Bedingung der Möglichkeit für das, was im Bewusstsein als Faktum gegeben ist, fragt. (Vgl. S. 194 f.) 394 Priest, What’s so bad (2006), S. 36. 395 Vgl. Priest, Doubt truth (2006), S. 13. Priests ganze Kritik an Aristoteles kann letztlich darauf reduziert werden, dass es nach ihm möglich ist, Kalküle mit dem Term »A ∧ ~A« zu bilden. Priest würde aber doch weiterhin behaupten, dass in einem Kalkül, in dem dieser Term gilt, A und ~A nicht austauschbar sind, sondern eine ganz distinkte Bedeutung haben: diese haben sie hier aber nur dann, wenn sie jeweils ihr Gegenteil ausschließen: omnis determinatio est negatio. Indem er nun aber andererseits besagten Term für wahr hält, scheint er eben doch die Bedeutung der Negation zu verändern, ohne das explizit zu machen. Hegel hingegen wird, wie wir noch sehen werden, das Übergehen der Formen von Negation ineinander deutlich machen.
118
Die formale Logik
Bei aller Kritik führt die Erwägung der Möglichkeit wahrer Widersprüche allerdings doch zu einem Verständigungsgewinn über die Natur der Logik.396 Denn mit der Diskussion über die Gültigkeit des Widerspruchsprinzips und über den Status und die Bedeutung von Negationen und Kontradiktionen ist die Natur der Logik selbst fragwürdig geworden. Wenn nämlich Carnap mit seinem Toleranzprinzip Recht hätte, dass es eine Ethik der Logik nicht geben könne, insofern jeder ein ihm beliebiges logisches System errichten könne, wenn er nur sagt, was er tut, so wäre die ganze Kritik an den parakonsistenten Logiken und dem Dialetheismus entweder sinnlos oder rein technischer Natur. Denn es gäbe kein von ihrer eigenen definitorisch festgelegten Syntax und Semantik verschiedenes Adäquatheitskriterium, dem sie genügen müssten.397 Ebenso wird die zentrale Frage gestellt, ob es berechtigt ist, Widersprüche in einer Logik zuzulassen. Dass diese Frage innerhalb der Logik nicht hinreichend geklärt werden kann, zeigt auch die Schwierigkeit der Gegenseite, gegen Parakonsistenz und Dialetheismus zu argumentieren. Es bleibt hier letztlich bei einem trockenen Versichern. Das Prinzip, dass ein Satz, der etwas behauptet und verneint, falsch ist, und die Prinzipien, die zum Beweis dessen herangezogen werden können, scheinen nach Meinung der meisten Gegner der Dialetheisten allesamt so einfach und offensichtlich, dass es nicht klar ist, wie man gegen jemanden argumentieren soll, der sie leugnet. Mit so jemandem könne man vielmehr gar nicht argumentieren. Wer nicht nach den Schachregeln spielen will, den kann man offensichtlich auch nicht schachmatt setzen.398 So blieb auch D. Lewis letztlich nur die simple Weigerung, an einer Diskussion über die Gültigkeit des Widerspruchsprinzips überhaupt teilzunehmen.399 Er hält es für absolut gewiss, dass eine Aussage nicht zugleich wahr und falsch sein kann: 396
Vgl. Parsons, True Contradictions (1990), S. 335. Dagegen meint Blau zu Recht, dass alle Erweiterungen der klassischen Logik – seine eigene Reflexionslogik eingeschlossen – nur konservative Erweiterungen der klassischen Logik sein dürfen. »Konservative Logik« sei so nur »ein Pleonasmus. Mir scheint, es gibt nur eine Logik, und da ihr klassischer Teil bekannt ist, wird jede weitere Logik konservativ oder keine Logik sein.« (Blau, Unbestimmtheiten und Paradoxien (1985), Anm. 2, S. 454.) 398 Dies ist eine Standardantwort auf den Dialetheismus, so Alan Weir, »There are no true contradictions«. In: Graham Priest u. a. (Hrsg.), The Law of Non-Contradiction. New Philosophical Essays, Oxford 2006, 385–417, S. 386. 399 Seine Antwort auf die Frage zur Teilnahme an einer Diskussion um die Gültigkeit des SdW sei noch einmal zitiert: »I decline to contribute to your proposed book about the ›debate‹ over the law of non-contradiction. […] To conduct a debate, one needs common ground; principles in dispute cannot of course fairly be used as common ground; and in this case, the principles not in dispute are so very much less certain than non-contradic397
Das Problem der logischen Antinomien
119
»No truth does have, and no truth could have, a true negation. Nothing is, and nothing could be, literally both true and false. This we know for certain, and a priori, and without any exception for especially perplexing subject matters.«400 Lewis selbst gesteht aber zu, dass es überhaupt keinen Grund dafür gibt, diese Apriorität zu begründen, sondern sie nur rein dogmatisch behaupten zu können: »That may seem dogmatic. And it is: I am affirming the very thesis that Routley and Priest have called into question and – contrary to the rules of debate – I decline to defend it. Further, I concede that it is indefensible against their challenge.«401 Nach Lewis gibt es nämlich nach der Leugnung des Widerspruchsprinzips gar kein gemeinsames Fundament, von dem aus man eine Debatte führen könnte. Denn die zur Debatte stehenden Prinzipien könnten nicht als gemeinsames Fundament benutzt werden und die Prinzipien, die nicht in Frage stehen, seien so viel weniger gewiss als dieses Prinzip selbst, dass es gar nichts ausmache, ob es von ihnen aus erfolgreich verteidigt werden könne.402 Auch Quines Einwand gegen parakonsistente Logiken überzeugt nicht. Für ihn ist Parakonsistenz einfach nur eine Extravaganza: »To turn to a popular extravaganza, what if someone were to reject the law of non-contradiction and so accept an occasional sentence and its negation both as true?«403 Seine Antwort ist, dass parakonsistente Logiker einfach nicht über die Negation sprechen, sondern die Bedeutung des Zeichens »~« verändern, wenn in ihren Logiken aus »p ∧ ~p« nicht alles folgt. »Here, evidently, is the deviant logician’s predicament: when he tries to deny the doctrine he only changes the subject.«404 Gerade das würden aber Priest und Da Costa leugnen, dass sie fälschlich von Negation sprechen. Dann wird aber entweder der Negationsbegriff äquivok, das heißt beide Parteien sprechen einfach von etwas ande-
tion itself that it matters little whether or not a successful defence of non-contradiction could be based on them.« (Lewis, Letters to Beall and Priest (2006), S. 176.) 400 Lewis, Logic for equivocators (1998), S. 101. 401 Lewis, Logic for equivocators (1998), S. 101. 402 »They have called so much into question that I have no foothold on undisputed ground.« (Lewis, Logic for equivocators (1998), S. 101.) 403 Quine, Philosophy of Logic (1986), S. 81. 404 Quine, Philosophy of Logic (1986), S. 81.
120
Die formale Logik
rem, oder es bleibt zunächst nur übrig, sich darauf zu berufen, dass die eigene Verwendung der Negation unserer gewöhnlichen Intuition näher steht. Beides kann aber nicht befriedigen. Auf der anderen Seite sind aber auch die Argumente der Dialetheisten, warum man Widersprüche eher zu isolieren hat und nicht alles wahr und falsch ist – weil sie eben nicht mehr auf die Inkohärenz solcher Überzeugungen verweisen können – unbefriedigend.405 Priest kann letztlich nur an den Leser appellieren, dass es irrational wäre, alles für wahr zu halten. Hierauf kann nun aber Lewis einwenden: »I don’t understand what it is to be selective, using reductio sometimes and sometimes not.«406 Diese beschriebenen Probleme bestehen aber erst für eine philosophische Reflexion auf die formale Logik und ihre Ausgestaltungen, die der Logik und ihren Zeichen und Gesetzen eine Bedeutung unabhängig von ihrer operationalen Festlegung zuschreibt. Denn dann erst muss sich die Verwendung der Zeichen und Regeln auch philosophisch rechtfertigen. Wenn mehr gesagt werden soll, als dass in einer Logik Negation und Wahrheit in anderer Weise definiert sind als gewöhnlich und man somit eben nur ein anderes Spiel spielt, sondern der Anspruch erhoben wird, die Grenzen der Rationalität auszuloten, so muss man eben doch zeigen, dass man nicht eben die Prinzipien, die man in seiner Logik zu leugnen behauptet, in der Begründung derselben in Anspruch nimmt. Wenn man diesen Anspruch nicht erhebt, tut man hingegen nichts anderes, als die Begriffe Widerspruch und Negation in der eigenen Logik in äquivoker Weise zu gebrauchen (logic for equivocators). Damit würde diese Logik zumindest philosophisch aber uninteressant. Es sollte deshalb offensichtlich geworden sein, dass eine Klärung der grundlegendsten Fragen der philosophischen Deutung der formalen Logik sowie der Begründung ihrer grundlegendsten Setzungen (nämlich überhaupt etwas als etwas zu setzen) nicht in ihr selbst erfolgen kann und auch nicht in einer bloßen Metalogik, sondern nur in einer philoso405
Die Schwäche der Argumente von Priest versucht Frederick Kroon, »Realism and Dialetheism«. In: Graham Priest u. a. (Hrsg.), The Law of Non-Contradiction. New Philosophical Essays, Oxford 2006, 245–263 aufzuzeigen. Die transzendentalen Argumente Priests, die die Bedingung der Möglichkeit von Handlungen betreffen, seien wie alle transzendentalen Argumente »notoriously slippery« (247). Nach Kroon, der einen »zärtlichen« Vermittlungsversuch aufstellt, finden sich Widersprüche in unseren Begriffen, nicht aber in der wirklichen Welt. (Vgl. S. 262.) 406 Lewis, Letters to Beall and Priest (2006), S. 176 f. In einem ähnlichen Sinne wendet Blau gegen die parakonsistenten und dialektischen Logiken ein: »Leider hat keins dieser Systeme eine Semantik, die diesen Namen verdient. Man würde gern wissen, welche Sätze bei Negation den Wahrheitswert behalten, welche nicht, und vor allem warum.« (Blau, Unbestimmtheiten und Paradoxien (1985), S. 384.)
Das Problem der logischen Antinomien
121
phischen Logik. Hier bietet sich die transzendentale Logik Fichtes an, da sie die Reflexion auf die Voraussetzungen allen Denkens zum Prinzip ihrer Philosophie macht.407
407
So schreibt Schulz, Das Problem der absoluten Reflexion (1963). S. 29: »die Entdeckung, daß die Reflexion das unüberbietbare Prinzip allen Philosophierens ist, gegen das keine Naivität aufkommen kann, [ist] das bleibende Verdienst des Deutschen Idealismus […]«. Dieser Nachweis eines Reflexionsdefizits in der modernen Logik impliziert nicht notwendig das Urteil Heideggers über die mathematische Logik, das er auf Grund ihres angeblich mangelhaften und unreflektierten Verständnisses von Aussage und Urteil fällt: »Die Anmaßungen der Logistik, als die wissenschaftliche Logik aller Wissenschaften zu gelten, fallen in sich zusammen, sobald das Bedingte und Undurchdachte ihres Ansatzes einsichtig wird.« (Die Frage nach dem Ding (WS 1935/36); HeG 41, S. 159.)
DIE TRANSZENDENTALE LOGIK
In der formalen Logik werden die Gesetze der Identität und des Widerspruchs also nicht begründet, sondern unausgesprochen je schon in Anspruch genommen. Die für das Verständnis und die Grenzen dieser Sätze fundamentalen Begriffe der Negation und des Widerspruchs werden ebenfalls nicht geklärt, sondern definitorisch festgelegt, und die Definition wird dann als »unseren Intuitionen« darüber entsprechend behauptet, wobei das Definieren sich nur mittels Negation vollziehen kann. Deshalb soll nun im folgenden Abschnitt Fichtes transzendentale Begründung der Logik als mögliche Begründung der Grundgesetze des Denkens und des Umgangs mit Widersprüchen dargestellt werden. Fichte reflektiert dabei auf die Bedingungen der Möglichkeit der Grundsätze des Denkens überhaupt.1 Wenn hier in etwas ungewöhnlicher Weise von Fichtes »transzendentaler Logik« gesprochen wird, so soll damit die Logik gemeint sein, insofern sie durch die transzendentalen Handlungen des Ich begründet ist und nicht im Sinne der Verwendung Kants und auch Fichtes selbst: bei Kant meint »transzendentale Logik« ja die Logik, die nicht wie die formale Logik die Denkbarkeit eines Gegenstandes überhaupt, sondern die Gegenstände, insofern sie Gegenstand möglicher Erfahrung sein können, betrachtet. Dabei lässt er die formale Logik neben der transzendentalen Logik als eigenständigen Kanon weiter bestehen.2 Bei Fichte hingegen bezeichnet »transzendentale Logik« zunächst die 1
Wer nicht reflektieren will, den kann man freilich nicht mit Mitteln der Reflexion zum Verstehen zwingen: »Gegen dieses Princip hat die Wissenschaft freilich keine Waffen. Wer absolut unwissenschaftlich, u. ein Idiot seyn will, dem muß es erlaubt werden.« (Nachschrift an Reinhold (1801); GA II,5, S. 468.) 2 Der Unterschied zwischen formaler und transzendentaler Logik bei Kant besteht darin, dass die formale Logik das Denken des Gedachten, die bloße Form des Denkens überhaupt (KrV B79; AA 3, S. 77), die transzendentale Logik hingegen das Denken des Gegebenen betrachtet. (Vgl. Walter Bröcker, Formale, transzendentale und spekulative Logik, Frankfurt am Main 1962, S. 11.) Zur Erklärung des Begriffes »transzendental« möge die berühmte Selbsterklärung Kants dienen: »Ich nenne alle Erkenntniß transscendental, die sich nicht sowohl mit Gegenständen, sondern mit unserer Erkenntnißart von Gegenständen, so fern diese a priori möglich sein soll, überhaupt beschäftigt. Ein System solcher Begriffe würde Transscendental-Philosophie heißen.« (KrV B25; AA 3, S. 43.) Die allgemeine Logik bezieht sich sowohl auf empirische Gegenstände als auch auf Gegenstände a priori, auf jede Art von Gegenstand. Die transzendentale Logik dagegen bestimmt den Ursprung, den Umfang und die objektive Gültigkeit von reinen Verstandes- und Vernunfterkenntnissen. Sie heißt deshalb transzendentale Logik, »weil
124
Die transzendentale Logik
Disziplin, die den Unterschied zwischen Logik und WL markiert.3 In Bezug auf die Fundierung der logischen Gesetze von einer transzendentalen Logik zu sprechen, ist jedoch insofern berechtigt, als die Grundsätze der formalen Logik vermittelst der Grundsätze der WL nicht nur begründet, sondern »genetisiert« werden sollen. »Genetisierung« bedeutet dabei, ein Faktum auf sein apriorisches Gesetz bzw. seine Möglichkeitsbedingung zurückzuführen.4 Die in den ersten beiden Grundsätzen der WL ausgedrückten unbedingten Setzungen des Ich heben dabei jeweils ein Grundprinzip des Denkens auf: die Selbstsetzung des Ich den Satz der Identität und die Entgegensetzung des Nicht-Ich gegen das Ich den Satz des Widerspruchs. Eine Begründung der formalen Logik durch Fichtes Transzendentalphilosophie steht dabei unter ungünstigen Vorzeichen. Denn Fichte soll ja die Logik weder besonders geschätzt noch jemals wirklich beherrscht zu haben.5 So sie es bloß mit den Gesetzen des Verstandes und der Vernunft zu thun hat, aber lediglich, sofern sie auf Gegenstände a priori bezogen wird« (B81 f.; AA 3, S. 78) Bei Fichte kann man aber auch den SdI und den SdW als transzendental bezeichnen, weil sie ja in den ursprünglichsten Handlungen des Ich gründen, die konstitutiv für jeden Gegenstand sind. Damit kann man sie als Bedingung der Möglichkeit gegebener und gedachter Gegenstände bezeichnen. 3 Fichte hat die transzendentale Logik zweimal gelesen: zunächst vom 20. April bis 14. August 1812. Die zweite Vorlesung wurde im Herbst 1812 gehalten. 4 Vgl. Alessandro Bertinetto, »Die transzendentale Argumentation in der transzendentalen Logik Fichtes«. In: Fichte-Studien 31 (2007), 255–265, S. 259. Nach Lauth trennt der transzendentale Gedanke Fichte gerade von Schelling und Hegel. Hegels Theorie der Identität der Identität und Nicht-Identität sei nämlich aus rein metaphysischen Untersuchungen der Religion gewonnen. (Vgl. Reinhard Lauth, »Die grundlegende transzendentale Position Fichtes«. In: Klaus Hammacher (Hrsg.), Der transzendentale Gedanke. Die gegenwärtige Darstellung der Philosophie Fichtes, Hamburg 1981, 18–24.) Ist das Urteil über Hegel sicher nicht ganz korrekt, so wird doch klar, dass Brachtendorf Fichtes Begründung der logischen Gesetze von vornherein völlig missversteht, wenn er sie als eine metaphysische Begründung deutet. (Vgl. Johannes Brachtendorf, Fichtes Lehre vom Sein. Eine kritische Darstellung der Wissenschaftslehren von 1794, 1798/99 und 1812, Paderborn u. a. 1995, S. 128.) 5 In Jena hat Fichte jedoch seit 1794 in jedem Semester, wie nach dem allgemeinen Lehrplan der Jenaer Akademie vorgeschrieben, eine »Logik und Metaphysik«-Vorlesung gehalten. In der Logik wurde allerdings auch, wie damals üblich, die Erkenntnistheorie abgehandelt. 1812 hielt Fichte dann zwei spezifische Logik-Vorlesungen, die auf den Standpunkt der WL zugeschnitten sind. (Vgl. Reinhard Lauth, Einleitung zu fhS 2, S. XVIII.) Allerdings gibt ein anonymer Verfasser in einem Brief aus dem Jahre 1799 die Behauptung von Fichtes Kollegen J. G. H. Feder wieder, daß Fichte »nicht einmal die Logik können (auswendig gelernt haben) soll« (specula 1,1, S. 162). Umgekehrt drückt auch Fichte selbst in der Erlangener Logik 1805 seine Abneigung gegenüber der Logik aus: »Aber ich habe schon bei einer andern Gelegenheit bekannt, daß ich […] in rein wissenschaftlicher Rüksicht […] in die Logik keinen großen Werth setze.« (GA II,9, S. 59.) Am
Die transzendentale Logik
125
wurde häufig eher die Kritik Fichtes an der formalen Logik in den Vordergrund gestellt und seine transzendentale Logik als reine Gegenposition zur formalen Logik verstanden.6 Systematische Untersuchungen, die zu einer Revision dieses Urteils hätten führen können, gibt es wenige.7 Gerade deshalb ist von dieser Untersuchung ein fundiertes Verständnis der WL als solcher zu erwarten. Denn wenn tatsächlich »auch nach 200 Jahren über den Rationalitätsgehalt der Philosophie Fichtes noch nicht entschieden ist«8, so sind doch vor der Klärung der inhaltlichen Angemessenheit von Fichtes Theorie zunächst einmal die Grundlagen der Rationalität und des Denkens bei Fichte selbst zu klären. Es sollen also nicht nur die Grundsätze des Denkens durch die transzendentale Logik beleuchtet werden, sondern auch die rationalen Strukturen von Fichtes Denken selbst. Da zudem die Gehalte der WL ihren Strukturen nicht einfach äußerlich gegenüberstehen bleiben, können zugleich Paradigmen für die Deutung der Inhalte von Fichtes Lehre, insbesondere der Grundsätze der frühen Wissenschaftslehre, gewonnen werden. Das Programm der frühen WL bestand ja darin, mit dem absoluten Ich einen voraussetzungslosen Anfang allen Wissens und aller Gewissheit zu begründen. Fichtes Auseinandersetzung mit den Grundsätzen des Denkens, die als dessen Voraussetzungen einen voraussetzungsfreien Anfang der Wissenschaftslehre zu verhindern scheinen, stellt einen geeigneten Weg zur Interpretation ihrer Grundsätze und der durch sie ausgedrückten Setzungen des Ich selbst 14. November 1810 schreibt Christian Samuel Weiss an Christian Weisse: »Gegen die Logik und das Logiklesen hat sich Fichte förmlich erklärt […]« (specula 1,4, S. 276). So behauptet Jergius, Fichte habe »nur Geringschätzung übrig gehabt für formale Logik« (Holger Jergius, Philosophische Sprache und analytische Sprachkritik. Bemerkungen zu Fichtes Wissenschaftslehren, Freiburg/München 1975, S. 51). 6 Hier kann etwa Wolfgang Janke genannt werden: »Die moderne Logik enthüllt, indem sie die Gewißheit von der Wahrheit abspaltet, ihre Herkunft. Sie entstammt dem Gewißheitsstreben der neuzeitlichen Ratio in der Gestalt ängstlichster Selbstsicherung.« (Wolfgang Janke, Fichte. Sein und Reflexion – Grundlagen der kritischen Vernunft, Berlin 1970, S. 6.) Formale Logik ist nach ihm »Naivität höherer Stufe« (6), weil sie das Denken »naiv als ein gegebenes Vorkommnis« (6) aufnimmt, ohne – wie die transzendentale Logik Fichtes – auf seinen Ursprung und Bezug zum Sein zu reflektieren. 7 Eine solche Revision versuchte in neuerer Zeit Rebecca Paimann in ihrer umfassenden Fichtestudie Die Logik und das Absolute, Würzburg 2006. Allerdings ersetzt sie die systematische Auseinandersetzung mit Fichtes Werk durch eine chronologische Paraphrasierung seiner sämtlichen Texte, die einen Bezug zur Logik haben. Jergius, Philosophische Sprache (1975) versuchte ebenfalls eine allerdings fast ausschließlich sprachphilosophische »Konfrontation« (25) der Fichte’schen WL mit der modernen Logik, insbesondere der Logischen Propädeutik von Lorenzen und Kamlah. 8 Jürgen Stolzenberg, »Fichtes Satz ›Ich bin‹. Argumentanalytische Überlegungen zu Paragraph 1 der Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre von 1794/95«. In: Fichte-Studien 6 (1994), 1–34, S. 2.
126
Die transzendentale Logik
dar. Die Bedeutung dieser Überlegungen ist dabei nicht auf die Schriften Fichtes beschränkt, in denen er den Anfang des Wissens als Grundsatz aufstellte, sondern bleibt für seine Transzendentalphilosophie auch noch im Spätwerk erhalten. Deswegen können umgekehrt auch spätere Texte Fichtes Licht auf seine frühe Grundsatzphilosophie werfen. Andererseits trägt Fichtes Versuch, die WL als Grundlage aller anderen Wissenschaften von einem völlig voraussetzungslosen Prinzip ausgehen zu lassen, Entscheidendes zu Klärung der Frage bei, wie man sich überhaupt in ein begründendes Verhältnis zu den Grundsätzen des Denkens setzen kann. Mit dem Anspruch eines voraussetzungslosen Anfangs verbindet sich nämlich das Problem, dass die Grundsätze der WL scheinbar immer schon unter den Bedingungen der Logik stehen, die die WL doch erst begründen soll. Dieser Zirkel wird von Fichte aber produktiv gewendet, indem durch die transzendentale Rückführung der Voraussetzungen und Hypothesen, unter denen das Denken zu stehen scheint, auf ihren Grund, der letzte Grund des Denkens enthüllt wird. Das Begründungsverhältnis der WL zu den Grundsätzen der Logik und damit der Logik selbst ist dabei ein grundsätzlich anderes als zu den übrigen Einzelwissenschaften: in der Logik wird nämlich nur vom Inhalt der Gesetze der WL abstrahiert, in allen anderen Wissenschaften kommt hingegen ein Moment der Unbestimmtheit hinzu, sie lassen sich nicht rein aus der WL ableiten. Ist so erst einmal Fichtes Verständnis von den Grundsätzen des Denkens entwickelt, so lässt sich auch seine Konzeption des Widerspruchs und dessen Auflösung verstehen.
. Die Deutung der Wissenschaftslehre 1.1. Interpretation der Grundsätze der Wissenschaftslehre Die drei Grundsätze der Wissenschaftslehre lauten: 1. Das Ich setzt sich selbst. 2. Das Ich setzt sich ein Nicht-Ich entgegen. 3. Das Ich setzt im Ich einem teilbaren Ich ein teilbares Nicht-Ich entgegen. Ihre Deutung ist in der Forschung bekanntlich äußerst umstritten.9 Diese Interpretationsschwierigkeit kann durch ihr Verhältnis zu den Grundsätzen des Denkens aufgeklärt werden. Besonderes Gewicht liegt dabei auf der Deutung des ersten Grundsatzes, da das Verständnis der beiden anderen Grundsätze von seiner Interpretation abhängt. Mit Bezug auf diesen ersten Grundsatz muss man von einer Mehrdeutigkeit sprechen: er kann als Ausdruck des Absoluten oder des Selbstbewusstseins verstanden werden. Entsprechend lassen sich zwei grundsätzliche Interpretationslinien aller drei Grundsätze zusammenfassen: die Auslegung der Grundsätze als Gott oder abstrakter als absoluter Einheitsgrund, Welt und Seele und die Deutung der drei Grundsätze als Aussagen über das menschliche Selbstbewusstsein.10 Neben dieser »metaphysischen« und der »selbstbewusstseins-theoretischen« Deutung wird von anderen Interpreten noch eine ethisch-anthropologische Deutung vertreten. Ich möchte zunächst die ontologisch orientierte, danach die selbstbewusstseinstheoretische und anschließend die ethisch-anthropologisch orientierte Deutung diskutieren. Hierbei handelt es sich jeweils um inhaltliche Interpretationen der Grundsätze. Diese begründen dann erst die für die Frage der Dialektik wichtige Deutung des formalen Verhältnisses der Grundsätze zueinander. Dieser formale oder eher methodische Aspekt der Grundsätze der Wissenschaftslehre lässt sich in einer Interpretation, die die Grundsätze als Ausdruck der drei Stufen im dialektischen Dreischritt (Thesis, Antithesis, Synthesis) versteht, eigens darstellen. Die Grundsätze sollen dann das methodische Verfahren der Wissenschaftslehre konstituieren: mit der Setzung von Thesis (1. GS), Antithesis (2. GS) und Synthesis (3. GS) bilden sie »das methodologische
9
»Die Auslegung der ersten drei Grundsätze von Fichtes ›Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre‹ von 1794 […] stellt eines der umstrittensten und meistdiskutierten Themen der Fichte-Forschung dar.« (Karen Gloy, »Die drei Grundsätze aus Fichtes ›Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre‹ von 1794«. In: PhJb 91 (1984), 289–307, S. 289.) 10 Vgl. Gloy, Die drei Grundsätze (1984), S. 289.
128
Die transzendentale Logik
Grundgerüst der gesamten GWL.«11 Im gesamten methodischen Ablauf der Grundlage finde sich nach Ansicht einiger Interpreten der in den Grundsätzen ausgedrückte Dreischritt wieder. Methodisch lasse sich im Gang der WL feststellen, dass die Analysis auf immer neue Widersprüche stößt, die dann in einer neuerlichen Synthesis überwunden werden sollen. Das Ziel sei eine höchste Synthesis, in der alle Widersprüche vereinigt sind. Philosophische Aussagen würden nicht länger formallogisch begründet, sondern das Wissen würde dialektisch konstruiert. Da diese formale Methode aber jeweils durch eine inhaltliche Deutung begründet wird und sie so gewissermaßen jeweils Abstraktionsprodukt einer inhaltlichen Interpretation ist, kann auch sie wiederum unterschiedliche Formen annehmen.12 Ihre Leistungsfähigkeit lässt sich dann unterschiedlich als bloße Vorstufe von Hegels Dialektik,13 als »limi-
11
Bärbel Frischmann, Vom transzendentalen zum frühromantischen Idealismus. J. G. Fichte und Fr. Schlegel, Paderborn u. a. 2005, S. 37 f. »Die drei Grundsätze fassen den prozesshaften, auf der Setzung und Auflösung von Widersprüchen beruhenden Charakter der geistigen Tätigkeit des Menschen.« (37) 12 Man kann sie eben als methodologische Sätze zur Explikation des Selbstbewusstseins oder des Einheitsgrundes deuten. 13 Dabei unterscheidet es sich von Interpret zu Interpret, welcher Dialektiktyp – der Fichtes, Schellings oder Hegels – der tragfähigste ist. Populär ist sicherlich, Fichtes Dialektik als Vorläufer einer Dialektik Hegel’scher Art zu betrachten. Nach Hartmann etwa ist die Dialektik Fichtes die im Entstehen befindliche Dialektik Hegels, »noch beweglich, lose und nicht ohne gelegentliche Verstöße gegen sein eigenes Prinzip« (Hartmann, Die Philosophie des Deutschen Idealismus. I. Teil. Fichte, Schelling und die Romantik. II. Teil. Hegel, Berlin 21960, S. 53). Nach Kroner bildet Fichte Kants Antithetik zur Dialektik um, indem er den Widerspruch zum systemkonstituierenden Prinzip macht, ohne ihn jedoch logisch und spekulativ auflösen zu können. Die Auflösung des Widerspruchs bleibt eine in die Unendlichkeit hinausgeschobene Idee. (Vgl. Richard Kroner, Von Kant bis Hegel. Zwei Bände in einem Band, Tübingen 21961, S. 402 ff.) Gegen dieses Verständnis argumentiert Gloy: Während Hegels Dialektik eine »Widerspruchsdialektik« (Gloy, »Fichtes Dialektiktypen«. In: Fichte-Studien 17 (2000), 103–124, S. 109) sei, sei Fichtes Dialektik »Gegensatzdialektik« (109), in der die Antithesen durch Teilung der Sphäre immer schon vermittelt sind. Nach Gloy liegt zwar in der Grundlage prinzipiell dasselbe System wie in Hegels Logik vor, insofern ontologische Kategorien, Reflexionsbestimmungen, Urteile und Schlüsse in einem Deduktionsgang hergeleitet werden und ihnen ihr systematischer Ort angewiesen wird. Bei Hegel seien jedoch alle Momente gleich universell und gleichrangig, von Anfang an latent vorhanden und würden nur nacheinander thematisiert, hingegen bei Fichte würden Position und Entgegensetzung als »Operationen durch Fundierung in den ursprünglichen Handlungen des Ich als alles beherrschende und alles fundierende Operationen gegenüber den anderen Bestimmungen aus[ge]zeichnet.« (110) Darin zeige sich unter anderem, dass Fichtes Dialektik eine Ich-Dialektik, Hegels Dialektik eine »Universaldialektik des absoluten Geistes« (110) sei.
Die Deutung der Wissenschaftslehre
129
tative Dialektik«14 oder als »Bindeglied zwischen neuer und alter Dialektik«15 deuten. Diese Art formaler Interpretation kann daher aber das Problem der Deutung der Grundsätze nicht selbst lösen, sondern setzt dessen Lösung bereits voraus. Die Dialektik ist außerdem keine universale Methode Fichtes. Der erste Grundsatz wird nicht selbst dialektisch entwickelt, sondern durch abstrahierende Reflexion gewonnen. Wenn man von Fichte’scher Dialektik sprechen will, gründet diese außerdem bereits in seinem Logikverständnis und muss deshalb auch aus diesem heraus entwickelt werden. Besondere Bedeutung kommt dabei Fichtes Auffassung vom Widerspruch und dessen Auflösung zu. Die folgende Diskussion der Deutungsansätze der Grundsätze der WL soll zeigen, dass die bisherigen Deutungen unzulänglich bleiben, weil sie immer ein richtiges Moment der Grundsätze in den Vordergrund rücken, dagegen aber andere Momente ausblenden. Die Analyse von Fichtes Fundierung der Grundgesetze des Denkens in den Grundsätzen der WL stellt dagegen nicht eine weitere oder umfassendere Deutungsalternative der Grundsätze dar, sondern fragt ursprünglicher nach der Bedingung der Möglichkeit, überhaupt einen Grundsatz des Wissens denken zu können.
1.1.1. Die »metaphysische« Interpretation Bereits bei Zeitgenossen Fichtes wird das absolute Ich als Wirklichkeit Gottes, das Nicht-Ich als Außenwelt und das dem Nicht-Ich entgegengesetzte Ich als 14
Wolfgang Janke prägte diesen Begriff für den eigenständigen Dialektiktypus Fichtes: Der erste Grundsatz stelle die Einheit sicher. Die Form der Systementwicklung – also das Wie der Ableitung – gründe hingegen im zweiten und dritten Grundsatz. (Vgl. Limitative Dialektik (1990), S. 13.) Synthesis und Antithesis bedingen sich gegenseitig. Der dritte Grundsatz stellt auch den Gehalt für alle noch folgenden Synthesen auf: Subjekt und Objekt, Geist und Natur, Ideales und Reales auf Grund der Einschränkung. Alle anderen Synthesen sind Arten dieser Gattung. Die limitative Dialektik hebt den Widerspruch durch Einschränkung, das heißt sie hebt die Realität des Bestimmenden zum Teil auf. (Vgl. Limitative Dialektik (1990), S. 21.) Nach Janke ist die Dialektik Fichtes der Hegels überlegen, weil sie die Endlichkeit des Endlichen ernst nehmen könne. 15 Nach Hammachers These beginne mit Fichte die neuere Dialektik – im Gegensatz zur »älteren Dialektik« des Mittelalters und der Antike. (Vgl. Klaus Hammacher, »Fichte und das Problem der Dialektik«. In: Christoph Asmuth (Hrsg.), Sein – Reflexion – Freiheit. Aspekte der Philosophie Johann Gottlieb Fichtes, Amsterdam/Philadelphia 1997, 115–141, S. 119.) Allerdings stünde Fichtes Dialektik im Gegensatz zu der Hegels »in einem genau nachprüfbaren Zusammenhang« (118) mit der älteren Dialektik. Bei der Dialektik Fichtes handle es sich um eine »formale Methode« (126).
130
Die transzendentale Logik
endliches Ich gedeutet. So schreibt etwa Jens Baggesen am 8. Juni 1794 an Reinhold: »das reine Ich ist nicht Fichte, ist nicht Reinhold, ist nicht Kant: das reine Ich ist Gott.«16 Auch Schelling identifiziert in seiner Form-Schrift das absolute Ich mit Gott und synthetisiert dadurch Fichte und Spinoza. Eine der bedeutendsten dieser Deutungen in »neuerer« Zeit findet sich bei Richard Kroner. Der erste Grundsatz formuliert nach ihm »das Ideal des absoluten Ich«17, das als Sichselbst-Setzung des absoluten Ich ausgesprochen werde. Das absolute Ich ist als absolutes gegensatzlos. Die Selbstsetzung des absoluten Ich entspricht dem causa-sui-Gedanken, dem zufolge Gott Ursache seiner selbst ist. Formal ist der erste Grundsatz schlechthin unbedingt, die anderen sind hingegen jeweils in einer Hinsicht (formal oder material) abhängig, so dass sich ein logisches Gefälle zwischen den Sätzen ergibt. Der zweite und dritte Grundsatz sind dem ersten untergeordnet. Fichte gehe also mit dem ersten Grundsatz vom Unbedingten aus, um zum Bedingten zu gelangen. Anders als bei Kant gehe Fichtes Denken »nicht von der Welt zu Gott, sondern von Gott zur Welt«18. Gegen diese Identifikation von Gott und Ich spricht jedoch, dass Fichte in der Grundlage zwar vom absoluten Ich, nicht aber vom Absoluten oder Gott spricht.19 Dies entspricht Fichtes eigenen Äußerungen, er habe seine Religionsphilosophie in den Jenaer Schriften noch gar nicht ausgeführt, und auch seinen Verhältnisbestimmungen der Schriften von Spät- und Frühphilosophie. Auch sachlich wäre eine Identifikation problematisch, denn wenn das absolute Ich des ersten Grundsatzes der sich selbst genügende Gott wäre, so wäre das Hinausgehen zum zweiten Grundsatz und damit zum Nicht-Ich nicht verständlich. Das Unvollendete des absoluten Ich des ersten Grundsatzes scheint hingegen schon daraus ersichtlich zu werden, dass Fichte ihm Selbstbewusstsein schlechthin abspricht, da dieses die Differenz von Reflektierendem und Gedachtem impliziert.20 Die Unbedingtheit des ersten Grundsatzes selbst wird ebenso dadurch relativiert, dass die anderen Grundsätze nicht in jeder Hinsicht von ihm abhängig sind, sondern jeweils einen Aspekt der Unbedingtheit aufweisen. Kroner will nun das Problem, dass der erste Grundsatz seinem Anspruch nach unbedingt sein soll, tatsächlich aber eines 16
specula 1,1, S. 118. Drei Jahre später identifiziert Baggesen dann jedoch diesen Gott mit dem individuellen Ich, wenn er am 26. April 1797 an Jacobi schreibt, Fichte habe »das: Gott ist – Gott ist Ich – in: Ich bin – Ich bin Gott – verwandelt« (specula 1,1, S. 421). 17 Kroner, Von Kant bis Hegel (1961), S. 399. 18 Kroner, Von Kant bis Hegel (1961), S. 416. 19 Vgl. Gloy, Die drei Grundsätze (1984), S. 292. 20 Vgl. Gloy, Die drei Grundsätze (1984), S. 292.
Die Deutung der Wissenschaftslehre
131
zweiten Grundsatzes bedarf, damit über ihn hinausgegangen werden kann, gar nicht leugnen. Für ihn zeigt sich in diesem Mangel vielmehr »der anfängliche, unausweichliche, unvermeidliche Widerspruch«21 im System Fichtes: einerseits werde die Absolutheit durch den ersten Grundsatz gesetzt, weil ansonsten das ganze System keine Wahrheit haben könne. Andererseits werde im zweiten Grundsatz diese Absolutheit negiert. Das ist aber ebenso notwendig, weil ansonsten nicht aus dem Absoluten herausgegangen werden könne. Im ersten Grundsatz stehe Fichte auf dem Standpunkt des Absoluten, im zweiten auf dem Standpunkt der Endlichkeit.22 Der absoluten Affirmation tritt die Verneinung im zweiten Grundsatze mit dem Anspruch auf Absolutheit entgegen. Der erste Grundsatz sei Ausdruck der praktischen, der zweite Ausdruck der spekulativen Vernunft. Zwischen beiden klaffe ein Widerspruch.23 Diese Inkonsistenz zeige, dass der Standpunkt der frühen WL nicht haltbar war. Diese Deutung versteht – wie schon Hegel – die Philosophie Fichtes also als unhaltbare Position. Denn sonst müsste ja nicht mit Notwendigkeit zu Schelling und schließlich Hegel übergegangen werden.24 Eine alternative Deutung versteht das absolute Ich des ersten Grundsatzes dagegen als Absolutes im Sinne eines Einheitsgrundes. Das absolute Ich soll also eine der Differenz vorgängige und sie begründende Einheit, ein absolutes »Prinzip der Differenz«25 sein. Insbesondere Wolfgang Janke hält die Zu21
Kroner, Von Kant bis Hegel (1961), S. 417. So sieht bereits Hegel in seiner Differenzschrift (1801) im 1. GS der WL noch »das kühn ausgesprochne ächte Princip der Spekulation« (GW 4, S. 6). Dies verlasse Fichte aber mit dem 2. GS und komme auch nicht mehr zur Spekulation zurück. Das Subjekt-Objekt, das Prinzip der Spekulation ist, erweise sich bei Fichte als bloß »subjektives Subjekt-Objekt«, als »zum Verstand herabpotenzirte Vernunft« (GW 4, S. 7). 23 Vgl. Kroner, Von Kant bis Hegel (1961), S. 419. 24 Man kann das absolute Ich aber auch nicht als Idee Gottes, als »ideelles Moment im Bewußtsein« (Gloy, Die drei Grundsätze (1984), S. 294) deuten. Anders als bei Kroner würde hier nicht vom Absoluten selbst, sondern nur von seiner hypothetischen Setzung ausgegangen. Das absolute Ich wäre in diesem Sinne nur das Sein-Sollende, die Einheit von Ich und Nicht-Ich. Nicht erst das absolute Ich, das am Ende der praktischen Wissenschaftslehre steht, um die Differenz von Ich und Nicht-Ich zu überwinden und eine erneute Einheit herzustellen, hätte dann hypothetischen Charakter. Auch das Absolute als das noch gar nicht in die Differenz von Ich und Nicht-Ich auseinander getretene absolute Ich wäre »eine bloß hypothetische Annahme« (295) des theoretischen Ich. Gegen diese Interpretation spricht aber, dass Fichte den ersten Grundsatz als schlechthin unbedingt kennzeichnet. Was durch ihn ausgedrückt wird, ist keine Idee, sondern unmittelbare Selbstevidenz. Diese Gleichsetzung von absolutem Ich und Gott kann so als unangemessen zurückgewiesen werden. 25 Hans Radermacher, Fichtes Begriff des Absoluten, Frankfurt am Main 1970, S. 12. Richard Kroner führte bei der Frage nach Identität und Differenz immer eher inhaltliche Bestimmungen ein: Sinnlichkeit – Vernunft; Ethik – Spekulation; etc. 22
132
Die transzendentale Logik
rückführung aller Mannigfaltigkeit auf eine absolute Einheit für das Wesen der Philosophie schlechthin und somit auch für das Grundproblem Fichtes.26 Allerdings ist das absolute Ich der Grundlage in dieser Interpretation nur der erste unzulängliche Versuch, alle Differenz und Mannigfaltigkeit in einer absoluten Einheit zu begründen und das Verhältnis von absoluter Einheit und Differenz zu bestimmen. Erst indem in den späteren Schriften das Wissen oder Denken als oberstes Prinzip abgesetzt wird, schafft Fichte den Raum für einen echten absoluten Einheitsgrund. Die Thesis des ersten Grundsatzes der Wissenschaftslehre von 1794 »Ich = Ich« unterstellt eine Einheit im Sinne der Identität, die jedoch nur Ausdruck des menschlichen Sollens ist, das nie realisiert wird. Die Wissenschaftslehre von 1804 lehrt dagegen die Evidenz der absoluten Einheit.27 Das Ich des ersten Grundsatzes ist aus dieser Sicht nur die mangelhafte Vorform des absoluten Seins der späten WL. Die Seinskonzeption der späten WL geht im Gegensatz zur frühen WL auf das Ganze von Subjekt und Objekt und überbietet darin die frühe Wissenschaftslehre. Sie sucht nach dem Prinzip der Disjunktion und Einheit von Ding und Bewusstsein. Das absolute Wissen ist deshalb nicht mehr das Absolute selbst.28 Das Wissen soll sich nur noch als Gemachtes, als die äußere Existentialform des Absoluten begreifen. Das Grundgesetz des Begriffs besteht gerade darin, gesetzt und vernichtet werden zu müssen, wenn das Denken zum absoluten Leben gelangen will. Die Vernichtung des Begriffes bedeutet aber, ihn als oberstes Prinzip abzusetzen:29 »Das Absolute leuchtet allein als Unbegreifliches unter dem Gebote der Vernichtung des Begriffs ein«30. Die Vernichtung des Begriffs am Unbegreiflichen ist das Grundgesetz des Denkens in der Spätphilosophie. Der Mensch muss auch das Selbstbewusstsein, das durch die Zweiheit von Subjekt und Objekt Negation der Einheit ist, negieren, um im in sich geschlossenen Sein zu leben: »das Sein ist durchaus ein in sich geschlossenes Singulum des Lebens und Seins, das nie aus sich heraus kann«31. Das Absolute ist »die Einheit, das Eine, wahre, in sich geschlossene Ansich«32.
26
Vgl. Wolfgang Janke, »Einheit und Vielheit. Grundzüge von Fichtes Lebens- und Bildlehre«. In: Karen Gloy/Dominik Schmidig (Hrsg.), Einheitskonzepte in der idealistischen und in der gegenwärtigen Philosophie. Ergebnisse eines Symposiums (Luzern 1986), Bern u. a. 1987, 39–72, S. 39. 27 Vgl. Janke, Einheit und Vielheit (1987), 50. 28 Vgl. Janke, Einheit und Vielheit (1987), 42. 29 Vgl. Janke, Einheit und Vielheit (1987), 47 ff. 30 Janke, Vom Bilde des Absoluten (1993), S. 12. 31 WL 18042 XVI; GA II,8, S. 242. Zur genaueren Bestimmung des Seins vgl. v. a. den 15. Vortrag. 32 WL 18042 I; GA II,8, S. 10.
Die Deutung der Wissenschaftslehre
133
Die Einheit werde damit nicht mehr wie in der frühen Wissenschaftslehre als reine Identität gedacht, auch nicht wie bei Schelling als Indifferenz33 oder bei Hegel als Identität Entgegengesetzter, sondern als »Inkludenz«34, als »Geschlossensein-in-sich«35. Diese Inkludenz zeichne sich durch absolute Relationslosigkeit aus.36 Der transzendentale Idealismus Fichtes baut deshalb nach Janke auf dem obersten Grundsatz der Einheit des »Ich denke« auf, sein späterer absoluter Idealismus hingegen auf dem Grundsatz des inkludenten Seins und seines Daseins im Bilde der Vernunft.37 Der Paradigmenwechsel von früher zu später WL betrifft also zum einen die Betrachtung des Wissens respektive des Denkens selbst. In der WL von 1804 steht nicht mehr die Frage nach der Struktur des Denkens bzw. Bewusstseins im Zentrum, sondern die Deduktion der Spaltung von Bewusstsein und Sein, die Disjunktion von Leben und Welt und die Aufspaltung in die Vielheit – also letztlich die in der Grundlage unaufgelöst gebliebene Frage, wie man von der Einheit zur Vielheit gelangen kann und umgekehrt: wie man die Vielheit (von Denken und Sein) auf absolute Einheit hin übersteigen kann. Dies ist nun sicherlich das Anliegen der Spätphilosophie Fichtes.38 Aber hier verschiebt sich eben der Fragehorizont Fichtes zwischen der frühen und der späten WL, so daß der Grundsatz der WL andere Probleme lösen soll als das absolute Sein der späten WL. Wie die Deutung der Grundsätze durch Hegel oder Kroner, die diese eben nur als Stufe auf dem Weg zu Hegels Philosophie betrachten wollen, so versucht auch diese Deutung, die die frühe WL als Stufe auf dem Weg zur späten WL verstehen will, gar nicht das Theoriepotential der frühen WL und ihrer Grundsätze voll auszuschöpfen. Denn hier soll ja nur unvollkommen angelegt sein, was später erst vollständig entwickelt wird.
33
Indifferenz meint die unterschiedslose Einheit, die der Differenz von Subjekt und Objekt gerade vorgängig ist und die Zweiheit, die der Begriff der Identität (als Einheit Entgegengesetzter) impliziert, fernhält. Indifferenz ist in diesem Sinne eine übergegensätzliche Einheit. (Vgl. Janke, Vom Bilde des Absoluten (1993), S. 17.) 34 Janke, Einheit und Vielheit (1987), S. 49. So schreibt Fichte am 15. Januar 1802 an Schelling: »Das absolute selbst aber ist kein Seyn, noch ist es ein Wissen, noch ist es Identität, oder Indifferenz beider: sondern es ist eben – das absolute – und jedes zweite Wort ist von Uebel.« (GA III,5, S. 113. Vgl. auch Darstellung der WL 1801/02; GA II,6, S. 143 f.) 35 Janke, Vom Bilde des Absoluten (1993), S. 12. 36 »Erst eine absolute Abstraktion von aller Relation läßt das Sein in seiner Absolutheit einleuchten.« (Janke, Vom Bilde des Absoluten (1993), S. 12.) 37 Vgl. Janke, Einheit und Vielheit (1987), S. 53. 38 Vgl. WL 18042 I; GA II,8, S. 8 f. Bereits in Zur Darstellung von Schelling’s Identitätssysteme; GA II,5, S. 494 f. bestimmt Fichte die Herleitung der Endlichkeit aus dem Ewigen als die Aufgabe der Philosophie.
134
Die transzendentale Logik
Damit wird aber einer der wichtigsten Maßstäbe für die Deutung der eigenen Interpretation frühzeitig aus der Hand gegeben: ob sie das Potential des interpretierten Gegenstandes voll entfalten kann.
1.1.2. Die selbstbewusstseinstheoretische Deutung Aus einem Bericht von Henrik Steffens erfahren wir, dass für Fichte die Geburtsstunde seiner Philosophie mit der Entdeckung des Selbstbewusstseins als Prinzip der Wahrheit zusammenfällt: »Ich erinnere mich, wie Fichte in einem engen vertrauten Kreise uns die Entstehung seiner Philosophie erzählte, und wie ihn der Urgedanke derselben plötzlich überraschte und ergriff. […] Da überraschte ihn plötzlich der Gedanke, daß die That, mit welcher das Selbstbewußtsein sich selber ergreift und festhält, doch offenbar ein Erkennen sei. Das Ich erkennt sich als erzeugt durch sich selber, das denkende und das gedachte Ich, Erkennen und Gegenstand des Erkennens, sind eins, und von diesem Punkte der Einheit […] geht alles Erkennen aus. […] So entstand der Entwurf einer Wissenschafts-Lehre und diese selbst.«39 Außerdem zählt Fichte Subjektivitätskonzeptionen wie Descartes cogito, Kants Apperzeption des Bewusstseins und Reinholds Satz des Bewusstseins zu seinen Vorläufern.40 Bei Kant, so Fichte, ist alles Bewusstsein nur bedingt durch das Selbstbewusstsein, begründet wird es durch etwas außerhalb des Bewusstseins, die Inhalte des Bewusstseins gehen nicht aus dem Selbstbewusstsein hervor. »Nach der WissenschaftsLehre [hingegen; S. Sch.] ist alles Bewusstseyn durch das Selbstbewusstseyn bestimmt, d. h. alles, was im Bewusstseyn vorkömmt, ist durch die Bedingungen des Selbstbewusstseyns begründet, gegeben, herbeigeführt; und einen Grund desselben außer dem Selbstbewusstseyn giebt es ganz und gar nicht.«41 Es scheint also nahe zu liegen, Fichtes Grundsätze bewusstseinstheoretisch zu deuten.42 Trotz einiger Mängel darf dabei wohl Dieter Henrichs Interpretation von Fichtes Selbstbewusstseinstheorie immer noch als die einfluss- und auch aufschlussreichste gelten. Nach ihr besteht Fichtes große Leistung am Beginn 39
Was ich erlebte 4 1841; specula 1,1, S. 63 f. Vgl. Grundlage 1794; GA I,2, S. 262 ff. 41 Versuch einer neuen Darstellung, Zweite Einleitung 1797; GA I,4, S. 229. 42 In der neueren Forschung ist dabei weitgehend unbestritten, dass es der »nicht-psychologische Begriff des absoluten Ich gewesen ist, dem Fichtes vorrangiges philosophisches Interesse galt.« (Stolzenberg, Satz ›Ich bin‹ (1994), S. 2.) 40
Die Deutung der Wissenschaftslehre
135
seines Philosophierens – seine »ursprüngliche Einsicht« – darin, »aus dem Gegensatz gegen die Reflexionstheorie«43 eine von Descartes, Kant und Reinhold verschiedene Theorie des Selbstbewusstseins gewonnen zu haben. Die Reflexionstheorie erklärt das Bewusstsein aus der Reflexion auf ein dieser Reflexion vorgängiges Subjekt. Damit bliebe aber gerade dieses vorgängige Subjekt unerklärt.44 Das Ich, auf das reflektiert wird, müsste selbst bereits die Verfassung von Selbstbewusstsein aufweisen, die aus dem Akt der Reflexion auf es erklärt werden sollte. Im Reflexionsmodell wird ein Subjekt des Denkens vorausgesetzt, das zu sich selbst in Beziehung steht, indem das Subjekt sich zu seinem eigenen Gegenstand macht, seine Tätigkeit des Vorstellens auf sich selbst zurückwendet. Dadurch erst werde die Identität von Vorstellendem und Vorgestelltem erzeugt. Im Selbstbewusstsein trete derselbe Sachverhalt also in zweifachem Stellenwert auf: als das, was erkannt wird, und als das, was erkennt. Dadurch geht aber »der ausgezeichnete Sinn der Subjektivität im Selbstbewußtsein«45 verloren. Das Ich-Subjekt wird nicht an ihm selbst gedacht, sondern als ein Gegenstand behandelt. Der Standpunkt des eigenen Wissens von diesem Gegenstand bleibt dabei aber ungeklärt. Das Reflexionsmodell funktioniert deshalb nur so lange, wie es sich das Problem des eigenen Standpunktes verschleiert und äußerlich ein Subjekt auf ein Objekt bezieht. Das Selbstbewusstsein wird aus dem Ich-Subjekt, das vorausgesetzt wird, durch die bloße Rückbewegung des Intentionsstrahls nicht verständlich. »Ich« kann ja erst das Resultat des Sichselbstergreifens des Subjekts genannt werden. Das kann dann aber nicht Reflexion genannt werden, da dieser Begriff voraussetzt, dass ein bereits vorhandenes Wissen ergriffen und expliziert wird. Die Reflexionstheorie will aber den Ursprung des Selbstbewusstseins erklären. Schon das Subjekt der Reflexion muss die Gleichung »Ich = Ich« erfüllen, die laut Reflexionsphilosophie erst durch die Reflexion zustande kommen sollte. Darin besteht Fichtes große Einsicht.46 Fichte habe 43
Dieter Henrich, »Fichtes ursprüngliche Einsicht«. In: Dieter Henrich/Hans Wagner (Hrsg.), Subjektivität und Metaphysik. Festschrift für Wolfgang Cramer, Frankfurt am Main 1966, 188–232, S. 197. 44 »Die Theorie der Ich-Reflexion spricht von einem Ich-Subjekt, das sich selbst erkennt, indem es zu sich in Beziehung tritt, – sich in sich selbst zurückwendet. Wie läßt sich dieses Subjekt denken?« (Henrich, Fichtes ursprüngliche Einsicht (1966), S. 193.) 45 Henrich, Fichtes ursprüngliche Einsicht (1966), S. 195. 46 »Fichte hat wie kein anderer vor ihm gesehen, daß derjenige, der auf Ich reflektiert, das Ich immer schon als sein eigenes Ich voraussetzt und zur Reflexion mitbringt. Deshalb ist es für Fichte unerlässlich, Ich als solches, nämlich an ihm selbst zu denken, denn andernfalls würde man von einem Standpunkt aus über Ich sprechen, der als solcher nicht thematisiert, jedoch stillschweigend vorausgesetzt wird.« (Wagner, Persönlichkeit Gottes (1971), S. 41.)
136
Die transzendentale Logik
als erster den Zirkel der Reflexionstheorie und eine Möglichkeit zu dessen Vermeidung erkannt. Seine Rede vom sich selbst setzenden Ich ist nun nach Henrich das negative Bild des Reflexionsmodells. Bei ihm trete das Subjekt zugleich mit dem Bewusstsein »Ich = Ich« hervor: »Das Setzen des Ich ist ein Setzen schlechthin. Das meint, daß es nicht erfolgt durch ein zuvor schon Gesetztes oder mit Beziehung auf ein solches. […] Fichtes Rede vom ›Setzen‹, die er niemals definiert, eignet sich dazu, beides in einem zu formulieren: Daß etwas schlechthin ohne vorgängigen Bestand hervortritt und daß es im Hervortreten in Beziehung zum Wissen kommt. Was schlechthin sich setzt, das kommt ohne weiteren Grund zum Fürsichsein.«47 Auch die Theorie des Setzens schließt eine Relation ein: zwischen der Produktion und dem Produkt. Die Produktion ist ein realer Akt der Tätigkeit. »Selbstredend muß sie dennoch von ihrem Produkt unterschieden werden.«48 Erst das Produkt ist Wissen, die Produktion ist der Wissensgrund. Das Wissen entsteht erst aus der Produktion. Das Ich muss im Gegensatz zu Reinhold »als Gegenteil einer Beziehung von Bestehendem gedacht werden. Ich ist unbedingte Tat.«49 Die Genese der Wissenschaftslehre sei als ständige Klärung dieser ursprünglichen Einsicht zu deuten. Ihre Wandlungen stellen nur eine Steigerung der Klarheit Fichtes über seine ursprüngliche Einsicht dar, der Ablehnung der Reflexionstheorie.50 Sie entwickelt sich nach Henrich in ihrer ersten Veränderung in folgender Weise weiter. War die erste Formel noch zweigliedrig, nämlich aus Tätigkeit und Produkt bestehend, so heißt es ab 1797, das Wissen setze sich schlechthin als sich setzend.51 Henrich deutet das »als« im 47
Henrich, Fichtes ursprüngliche Einsicht (1966), S. 199 f. Henrich, Fichtes ursprüngliche Einsicht (1966), S. 200. 49 Henrich, Fichtes ursprüngliche Einsicht (1966), S. 223 f. 50 Vgl. Henrich, Fichtes ursprüngliche Einsicht (1966), S. 218. 51 Ab 1801 werde das Selbstbewusstsein dann als Tätigkeit gedacht, der ein Auge eingepflanzt sei: »Der Gedanke eines Blicks, der sich selbst erfaßt, hat Fichte von 1801 an und während der letzten dreizehn Jahre seines Lebens unverändert fasziniert.« (Henrich, Fichtes ursprüngliche Einsicht (1966), S. 209.) »Das Wissen ist nun gefunden, und steht vor uns, als ein auf sich selbst ruhendes in sich geschlossenes Auge. Es sieht nichts ausser sich, aber es sieht sich selbst. Diese Selbstanschauung desselben haben wir zu erschöpfen: und mit ihr ist das System alles möglichen Wissens erschöpft, und die W.L. realisirt, und geschlossen.« (Darstellung der WL 1801/02; GA II,6, S. 169.) »Das Ich in der WissLehre hingegen ist kein Spiegel, sondern ein Auge; es ist ein sich abspiegelnder Spiegel[,] ist Bild von sich; durch sein eigenes sehen wird das Auge (die Intelligenz) sich selbst zum Bilde.« (GA IV,2, S. 49.) Die Periodisierung Henrichs ist allerdings Gegenstand der Kritik 48
Die Deutung der Wissenschaftslehre
137
Sinne eines Wissens von sich, so dass sich hier eine dreistellige Relation ergibt: etwas stellt etwas als etwas vor. Das Ich besitzt Wissen von dem, »was es ist. Es kennt das Setzen. Deshalb weiß es von sich, daß es setzend ist.«52 »Die Intelligenz, als solche, sieht sich selbst zu; und dieses sich selbst Sehen ist mit allem, was ihr zukommt, unmittelbar vereinigt, und in dieser unmittelbaren Vereinigung des Seyns, und des Sehens, besteht die Natur der Intelligenz. Was in ihr ist, und was sie überhaupt ist, ist sie für sich selbst; und nur in wie fern sie es für sich selbst ist, ist sie es, als Intelligenz.«53 Die entscheidende Frage in unserem Zusammenhang ist nun, ob der erste Grundsatz »Ich = Ich« tatsächlich als Ausdruck des Selbstbewusstseins interpretierbar ist. Denn die Rede vom Ich ist mehrdeutig, insofern das absolute Ich vom bestimmten Ich unterschieden und erst dem bestimmten Ich Selbstbewusstsein zugeschrieben wird.54 Die »Thathandlung«55 ist nicht als Subjekt-Objekt-Verhältnis, sondern »als gänzlich differenz- und fugenlose Identität«56 zu verstehen. Selbstbewusstsein setzt aber Differenz voraus. Eine Handlung des Unterscheidens scheint somit im ersten Grundsatz noch nicht ausgedrückt zu sein. Weil das absolute Ich reine Identität ist, müsse die Interpretation als Selbstbewusstsein also abgewiesen werden. Erst mit dem zweiten Grundsatz ist eine Unterscheidungsmöglichkeit und damit die Möglichkeit zum Selbstbewusstsein gegeben.57 geworden. Vgl. etwa Baumanns, Fichtes ursprüngliches System. Sein Standort zwischen Kant und Hegel, Stuttgart-Bad Cannstatt 1972, S. 42 und Janke, Fichte (1970), S. 116 Anm. 69. 52 Henrich, Fichtes ursprüngliche Einsicht (1966), S. 204. 53 Versuch einer neuen Darstellung 1797; GA I,4, S. 196. Dass diese Formel erst in der WL Nova Methodo 98/99 auftaucht, darf als widerlegt gelten. (Vgl. v. a. Wolfgang H. Schrader, Empirisches und absolutes Ich. Zur Geschichte des Begriffs Leben in der Philosophie J. G. Fichtes, Stuttgart-Bad Cannstatt 1972, S. 92 f.) Sie findet sich bereits am Ende der Grundlage. 54 Vgl. Radermacher, Fichtes Begriff (1970), S. 24. 55 Grundlage 1794; GA I,2, S. 255. Die Tathandlung ist eine Handlung, die nicht durch ein Tätiges, sondern durch die Tat ausgeführt wird. Der Begriff der »Tathandlung« ist seit seiner Erfindung durch Fichte ein Gegenstand kritischer Auseinandersetzung. Er stellt einen Gegenbegriff zur »Tatsache« dar, besonders gegen Reinhold, der seine Elementarphilosophie ja von einer Tatsache des Bewusstseins ausgehen ließ. 56 Wildenburg , Existenzialismus (2003), S. 57. 57 So wendet etwa Wildenburg ein: Die für das Selbstbewusstsein vorausgesetzte Differenz bedürfte eines Unterscheidungsgrundes. In der Tathandlung selbst gebe es jedoch weder Differenz noch Selbstbezüglichkeit. Beides sei damit vom absoluten Ich abzuweisen. Es gibt keinen Unterschied zwischen der Tätigkeit und dem Produkt der Tätigkeit.
138
Die transzendentale Logik
Dieses Problem, dass das absolute Ich einerseits als differenzlos zu fassen ist, andererseits Selbstbewusstsein aber Differenz impliziert, stellt Henrich selbst in seiner späteren Hölderlin-Interpretation Der Grund im Bewußtsein (1992) heraus. Darin sucht er den Ursprung von Fichtes ursprünglicher Einsicht nämlich nicht mehr bei Fichte selbst, sondern im Umfeld Hölderlins.58 Hölderlin bestreitet, dass der Gedanke Ich oder vielmehr, was dieser Gedanke zum Ausdruck bringt, erster und selbstgenügsamer Grund sein kann.59 Denn der Gedanke »Ich«, der Ausdruck des Selbstbewusstseins ist, ist Einheit von Der Ausdruck der »in sich selbst zurückgehenden Tätigkeit« sei nur eine Verlegenheitslösung. (Vgl. Wildenburg, Existenzialismus (2003), S. 247.) Das absolute Ich weise keine Form von Reflexivität auf. Der erste Grundsatz bezeichne kein vollständiges Selbstbewusstsein, kein Innewerden von Ich-Objekt für Ich-Subjekt, sondern nur die Absolutheit des Für-sich-Seins. (Vgl. Baumanns, Fichtes ursprüngliches System (1972), S. 44.) Die intellektuelle Anschauung wäre »kein ›Bewußtsein‹ im Sinne eines eigenständigen intentionalen Bewußtseins« (Klotz, Selbstbewußtsein und praktische Identität. Eine Untersuchung über Fichtes Wissenschaftslehre nova methodo, Frankfurt am Main 2002, S. 108), sondern ein Element des intentionalen Bewußtseins, insofern es in die Perspektive jeder bewussten intentionalen Bezugnahme eingehe, »indem es diese als selbstvollzogene Tätigkeit verstanden sein läßt.« (108) 58 So vertritt Henrich in »Eine philosophische Konzeption entsteht. Hölderlins Denken in Jena«. In: Hölderlin-Jb 28 (1992/93), 1–28, S. 10 die Auffassung, mit dem reinen Gedanken Ich sei bei Fichte Einheit und spontane Tätigkeit gemeint, die das Selbstbewusstsein erst als abgeleitete Folge verständlich mache. Das absolute Ich sei dementsprechend vom Selbstbewusstsein zu unterscheiden. 59 Vgl. Dieter Henrich, Der Grund im Bewußtsein. Untersuchungen zu Hölderlins Denken (1794–1795), Stuttgart 1992, S. 41. »Urteil. ist im höchsten und strengsten Sinne die ursprüngliche Trennung des in der intellektuellen Anschauung innigst vereinigten Objekts und Subjekts, diejenige Trennung, wodurch erst Objekt und Subjekt möglich wird, die Ur-Teilung.« (Urteil und Sein (1795); HöW 2, S. 502.) Fichtes »Ich bin Ich« ist bereits Resultat dieser Ur-Teilung, der eine diese Teilung begründende Einheit vorausgehen muss: das Sein. »Sein – drückt eine Verbindung des Subjekts und Objekts aus.« (502) Sein ist keine Relation wie Identität, die als Relation immer schon Differenz impliziert. Dies gilt im Besonderen für die Identität des Ich mit sich selbst, das bei Fichte das höchste Prinzip sein soll, denn die Identität des Selbstbewusstseins ist die Identifizierung des sich entgegengesetzten Ich-Subjekts und Ich-Objekts: »Wenn ich sage: Ich bin Ich, so ist das Subjekt (Ich) und das Objekt (Ich) nicht so vereinigt, daß gar keine Trennung vorgenommen werden kann, ohne, das Wesen desjenigen, was getrennt werden soll, zu verletzen; im Gegenteil das Ich ist nur durch diese Trennung des Ich vom Ich möglich. Wie kann ich sagen: Ich! ohne Selbstbewußtsein? Wie ist aber Selbstbewußtsein möglich? Dadurch daß ich mich mir selbst entgegensetze, mich von mir selbst trenne, aber ungeachtet dieser Trennung mich im entgegengesetzten als dasselbe erkenne.« (503) Wenn überhaupt, dann nimmt Hölderlin die Konzeption des »Ich = Ich« als Tathandlung und nicht Tatsache aber nur sehr unzureichend in seiner Kritik zur Kenntnis. (Vgl. Panajotis Kondylis, Die Entstehung der Dialektik. Eine Analyse der geistigen Entwicklung von Hölderlin, Schelling und Hegel bis 1802, Stuttgart 1979, S. 307 f.)
Die Deutung der Wissenschaftslehre
139
getrennten Komponenten: nämlich dem Ich-Subjekt und dem Ich-Objekt. Also muss dieser Einheit Getrennter eine höhere Einheit als ihr Grund vorausliegen. Fichte, so Henrich, versucht in der WL zu zeigen, dass die im »Ich denke« artikulierte Einheit nicht die von Subjekt und Objekt ist. »Sie ist vielmehr die Einheit eines nicht weiter herleitbaren Seins, welches das meine ist, mit einer objektlosen und insofern absoluten Tätigkeit, die sich zugleich auf sich selbst bezieht, und in einem damit von sich weiß und sich insofern als Sein und in ihrem Sein erfaßt.«60 Diese Einheit ist das absolute Ich, das von sich in der intellektuellen Anschauung weiß. Subjekt und Objekt sind in ihm nicht separierbar. »Ich«, so Hölderlins Argument, ist dann aber kein angemessener Ausdruck, weil Ich-Wissen vom Selbstbewusstsein her verstanden werden müsse, was eben eine Distanzierung und reale Trennung von Subjekt und Objekt voraussetze. Die Verwendung des Terminus »Ich« würde ansonsten zur bloßen Äquivokation verkommen. Hölderlin hält Fichte deshalb entgegen, dass Ich »sinnvoll immer nur in Beziehung auf Selbstbewusstsein gebraucht werden kann und daß Selbstbewusstsein eine relationale Verfassung hat. So kann ihm nicht die Einfachheit und Ungeteiltheit und nicht jene Invarianz zugesprochen werden, die Fichte im absoluten Ich entdeckt zu haben glaubte.«61 Fichte spreche also in ungerechtfertigter Weise von »Ich«. Am 26. Januar 1795 schreibt er deshalb an Hegel: »sein [Fichtes] absolutes Ich (= Spinozas Substanz) enthält alle Realität; es ist alles, u. außer ihm ist nichts; es giebt also für dieses abs. Ich kein Object, denn sonst wäre nicht alle Realität in ihm; ein Bewußtsein ohne Object ist aber nicht denkbar, und wenn ich selbst dieses Objekt bin, so bin ich als solches notwendig beschränkt, sollte es auch nur in der Zeit sein, also nicht absolut; also ist in dem absoluten Ich kein Bewußtsein denkbar, als absolutes Ich hab ich kein Bewußtsein, und insofern ich kein Bewußtsein habe, insofern bin ich (für mich) nichts, also das absolute Ich ist (für mich) nichts.«62 Wenn man deshalb etwas dem gegenständlichen Selbstbewusstsein voraus Liegendes denken wolle, müsse man radikaler über das Selbstbewusstsein hinausdenken. Das von Hölderlin namhaft gemachte Problem ist folgendes: entweder wird das Ich als völlig differenzlos gedacht, so dass man es nicht
60
Henrich, Der Grund im Bewußtsein (1993), S. 42. Vgl. Henrich, Der Grund im Bewußtsein (1993), S. 90. 62 HöW 3, S. 176. Im Selbstbewusstsein bin ich für mich Objekt, aber jedes Objekt als solches ist beschränkt und also nicht absolut. (Vgl. Klotz, Selbstbewußtsein und praktische Identität (2002), S. 11.) 61
140
Die transzendentale Logik
berechtigterweise »Ich« nennen kann, weil »Ich« eben auf Selbstbewusstsein verweist, Selbstbewusstsein aber Differenz voraussetzt – oder man fasst es als Selbstbewusstsein, dann kann es aber nicht Einheitsgrund sein, weil Ich als Selbstbewusstsein Differenz impliziert. Der Grund des Bewusstseins könne somit nicht das Selbstbewusstsein in seiner Selbstgenügsamkeit sein, sondern das diesem vorgängige Sein.63 Dieses versteht Hölderlin in Anlehnung an Jacobis Spinozadeutung als das Sein in allem Dasein. Das Bewusstsein ist erst das Resultat der vollzogenen Ur-Teilung des Seins.64 Bei Hölderlin entzieht sich das Selbstbewusstsein einer theoretischen Rekonstruktion. »Das folgt daraus, daß Hölderlin die Relation zwischen Ich-Subjekt und Ich-Objekt als eine Gegebenheit versteht, von der wir ausgehen müssen. Sie ist aus keinem der beiden Relata zu erklären.«65 Wir besitzen nach Hölderlin ein Wissen von diesem Ungetrennten, das vor und in allen Urteilen ist, und »von der Dimension der Urteilung bereits vorausgesetzt«66 wird. Die urteilende Vernunft hat damit in sich eine Voraussetzung, die sie selbst nicht einholen kann. »›Seyn‹ ist für ihn [Hölderlin] die trennungslose Verbindung von Subjekt und Objekt, während deren Relationierung die Beziehung von Subjekt und Objekt und in einem damit die Urteilsform der Selbstidentifikation ergibt.«67 Seyn ist auch insofern grundsätzlicher als »Ich bin Ich«, weil der Gedanke von Sein schon »verstanden« sein muss, bevor »Ich bin Ich« verstanden werden kann, da Ich eine Weise zu sein ist.68 Hölderlins Gedanke, dass das Subjekt-Ich vom Ich als Objekt immer getrennt sein muss, so dass beide identifiziert werden können, geht allerdings von der falschen Prämisse aus, dass das Ich als Subjekt und als Objekt Relata 63
Ohne Selbstbewusstsein ist der Gebrauch von Ich ohne Bedeutung. Aber das Selbstbewusstsein schließt die Entgegensetzung der zwei Gebrauchsweisen von Ich ein: dem Ich, das sich weiß (Subjekt), und dem Ich, das gewusst wird. (Vgl. Henrich, Der Grund im Bewußtsein (1993), S. 474.) Die Identität des Ich besteht dann darin, sich trotz Differenz als dasselbe zu sehen. Selbstbewusstsein ist nach Hölderlin durch die Trennung von mir selbst möglich, um mich danach trotz dieser Trennung als dasselbe zu erkennen. Wie das Selbstbewusstsein möglich ist, das heißt: wie ich mich trotz Trennung als dasselbe erkenne, ist eine Frage, die Hölderlin nicht beantworten will. »Er stellt sie nur, um von dem Gedanken des ›Seyns‹ den Gedanken der Identität fernzuhalten.« (463) 64 Vgl. Henrich, Der Grund im Bewußtsein (1993), S. 47. 65 Henrich, Der Grund im Bewußtsein (1993), S. 483. 66 Henrich, Der Grund im Bewußtsein (1993), S. 83. 67 Henrich, Der Grund im Bewußtsein (1993), S. 99. 68 Vgl. Henrich, Der Grund im Bewußtsein (1993), S. 94. Dagegen könnte man im Sinne Fichtes ein Mehrfaches einwenden: zunächst versucht er ja zu zeigen, dass die Realität und ihre Formen erst von der Tätigkeit des Ich her verständlich sind. Die Setzung des Ich ist die volle Weise zu sein, davon sind die anderen Modi nur abgeleitet.
Die Deutung der Wissenschaftslehre
141
sind, zwischen denen die Relation »Identität« auftritt. Fichte bestimmt aber nicht die Relata vor der Relation, sondern der eigentliche Gehalt der Relation geht den Relata vorher und impliziert sie. Um Fichtes Selbstbewusstseinstheorie zu verstehen, bedarf es deshalb eines vorgängigen Verständnisses von Fichtes Relationstheorie der Identität und der Differenz. Dies kann ausgehend von der Interpretation seines Verhältnisses zu den Grundsätzen des Denkens geleistet werden. Es wird sich zeigen, dass Fichte das absolute Ich als absolute Relation konzipiert, die zwar relational ist, aber eben nicht an ihr vorgängigen Relata auftritt. Interpretiert man den Satz des Ich aus dem Satz der Identität heraus, zeigt sich, dass Fichte mit der Identität eine Relation ohne Relata annimmt und diese »Ich« nennt. Es kann einsichtig gemacht werden, warum das absolute Ich für Fichte als absolute Relation zu denken ist und nicht als absolutes Relatum. Darum verwendet er auch den Begriff »Ich« und nicht »Sein« wie in der Spätphilosophie: denn »Ich« als absolute Identität zeichnet sich als Rückgang in sich selbst aus, das Sein hingegen ist absolute Relationslosigkeit.
1.1.3. Die ethische Deutung Die selbstbewusstseinstheoretische Deutung ist aber noch einer Schwierigkeit ausgesetzt. Denn nicht das theoretische Selbstbewusstsein scheint die Grundlage der (frühen) Philosophie Fichtes zu bilden, sondern das moralische Handeln. Die Überzeugung von unserer moralischen Bestimmung ist der feste Standpunkt, das fundamentum inconcussum der WL: »es giebt keinen festen StandPunkt, als den angezeigten, nicht durch die Logik; sondern durch die moralische Stimmung begründeten«69. An seiner Freiheit und moralischen Bestimmung darf der Mensch nicht zweifeln. So ist der Begriff des Setzens, der in allen drei Grundsätzen verwendet wird, nicht gleichzusetzen mit »Denken«. Mit dem Begriff des Setzens möchte Fichte gerade zur Geltung bringen, dass er über Descartes hinausgehend nicht nur das theoretische Ich begründen kann, sondern auch das praktische. Denn »Setzung« impliziert bereits ein handelndes Ich. Unter Setzung ist etwas zu verstehen, was »nicht nur die kognitive, sondern auch die produktive Variante des Setzens, also sowohl das Wissen wie das Handeln, einschließt.«70 69
Grund unseres Glaubens 1798; GA I,5, S. 352. Gloy, Die drei Grundsätze (1984), S. 297. In diesem Sinne schreibt auch Reinhold an Erhard am 1. Juni 1796: »die Thathandlung des absoluten Setzens sey kein Denken son70
142
Die transzendentale Logik
Dieses praktische Moment bleibt in der selbstbewusstseinstheoretischen Deutung weitgehend unterreflektiert. So hatte Fichte an Reinhold explizit kritisiert, dass dessen Satz des Bewusstseins ein rein theoretischer Grundsatz sei, und wollte stattdessen eine einheitliche Grundlage der theoretischen und praktischen Philosophie aufstellen.71 Für viele Interpreten der Grundlage liegt Fichtes Hauptinteresse aus diesen Gründen dagegen auf der praktischen Philosophie,72 seine Philosophie wird als Philosophie der Freiheit gedeutet.73 Fichte selbst hat sein System der WL in einem Briefentwurf von April/Mai 1795 als »das erste System der Freiheit«74 bezeichnet.75 Auf dieser Grundlage hat sich eine Fichte-Deutung herausgebildet, die man als »ethisch-anthropologisch« bezeichnen könnte. Bereits Wilhelm Weischedel etwa las die WL 1794/95 als eine »Ontologie des Menschen«76. Fichte zeige ausgehend von seinen Grundsätzen, dass der Mensch sich nur im Widerspruch begreifen könne. Er versuche jedoch immer wieder, die Einheit im Widerspruch zu finden. Der Grundwiderspruch des Menschen sei der zwischen seiner Absolutheit und seiner Endlichkeit, die sich in den ersten beiden Grundsätzen ausgedrückt finden. Die Gesamtfrage der Grundlage lautet also, ob das Ich absolut (1. GS) oder endlich (2. GS) sei. Fichte halte nun die Einseitigkeit beider Richtungen fern, was zum Widerspruch in seinem Ich-Begriff führe. Dies sei nun aber nicht Folge der spekulativen Unzulänglichkeit Fichtes, wie Kroner meinte, vielmehr versuche Fichte gerade, »den Menschen als Einheit in der
dern würde von allem Denken vorausgesetzt, das absolut gesetzte Ich und Nichtich machen erst alles Denken das logische so wohl als das Reelle möglich« (specula 1,1, S. 354). 71 Diese Differenz zu Reinhold macht schon der Titel Grundlage der gesamten WL – nicht nur der theoretischen – deutlich. (Vgl. Wolfgang Class/Alois K. Soller, Kommentar zu Fichtes Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre, Amsterdam-New York 2004, S. 3.) Zur Kritik Fichtes an Reinholds Primat des Theoretischen vgl.: Fichte an Reinhold, 28. April 1795 (GA III,2, 312 ff.); Fichte an Reinhold, 2. Juli 1795 (GA III,2, 342–352); Rezension Aenesidemus (1794) (GA I,2, 41–67). 72 So meint Harald Holz, die theoretische Philosophie diene »allein als Grundlage der praktischen« (Harald Holz, »Zur Struktur der Dialektik in den Frühschriften von Fichte und Schelling.« In: Archiv für Geschichte der Philosophie 52 (1970), 71–90, S. 77). 73 Schrader konnte zeigen, dass das absolute Ich bei Fichte zunächst ausschließlich »das höchste Prinzip der praktischen Philosophie« (Schrader, Empirisches und absolutes Ich (1972), S. 17) darstellen sollte. 74 GA III,2, S. 300. 75 So ist bereits nach Cassirer die gesamte WL »nichts anderes als die fortschreitende theoretische Deutung, die Fichte der Grundkonzeption seiner Freiheitslehre« (Erkenntnisproblem III (1920); Hamb. Ausg. 4, S. 131) gab. 76 Wilhelm Weischedel, Der frühe Fichte. Aufbruch der Freiheit zur Gemeinschaft, Stuttgart-Bad Cannstatt 21973, S. XVIII.
Die Deutung der Wissenschaftslehre
143
Widersprüchlichkeit zu begreifen«77. Das »Setzen«, von dem die Grundsätze der Wissenschaftslehre sprechen, interpretiert Weischedel in diesem Sinne als »sich verstehen als«. Der Widerspruch soll im Wissen des Menschen um sich selbst beheimatet sein, weil der Mensch sich nur als abhängig vom NichtIch verstehe. Das unendliche Streben, mit dem die Wissenschaftslehre endet, ist nach Weischedel nicht die absolute Einheit des Widerstreites, sondern die Weise des Existierens des Menschen in der Widersprüchlichkeit. Der Mensch ist »ein Wesen des Unterwegs«78, das Selbstbewusstsein ist nun der eigentliche Ort der Widersprüchlichkeit. Es ist »in seinem widersprüchlich-einheitlichen Wesen […] die umfassende und gründende Seinsmöglichkeit, in der der Mensch, widersprüchlich, wie er ist, doch in der Einheit existieren kann.«79 Im Gegensatz zu Hegel bestehe Fichtes große Leistung gerade darin, die Unruhe im Schweben zwischen dem Widerstreit nicht abstrakt zum Stillstand gebracht zu haben. Auch Peter Baumanns deutet Fichtes Jenaer System als ethische Anthropologie. Er schließt sich an Weischedel an, will Fichtes WL aber als bloße Anthropologie verstehen.80 Bis zur Bestimmung des Menschen stellt Fichtes Philosophie nach Baumanns einen Idealismus der unendlich-endlichen Vernunft dar. Die Grundsätze bringen die Voraussetzung der Fichte’schen Philosophie auf den abstrakten Ausdruck: »die sich die Gesetzmäßigkeit ihres Handelns selbst gebende Menschenvernunft.«81 Fichte will somit gar nicht das Absolute zum Ausdruck bringen, sondern »die Bestimmung des Menschen zu unendlich-endlicher Praktizität«82. Der erste Grundsatz drücke die Absolutheit oder Unendlichkeit des Menschen als Vernunftwesen, der zweite seine Zugehörigkeit zur Endlichkeit und der dritte die Einheit beider als Eigentümlichkeit des Menschen aus. Hegel verkenne in seiner Kritik an Fichte gerade dieses Eigentümliche der WL. Insofern stelle die späte WL mit ihrer Lehre vom (vergöttlicht-metaphysischen) Absoluten einen Abfall gegenüber der ethischanthropologischen Konzeption der frühen WL dar. Die ursprüngliche Wissenschaftslehre könne der Kritik Hegels standhalten, in der Bestimmung des Menschen hingegen verkomme die Sittlichkeit zum Ausfluss religiösen Lebens. Die WL Fichtes entwickle sich von einer Absolutsetzung von Selbstbewusstsein und individueller Freiheit hin zu einer Metaphysik des Wissens
77 78 79 80 81 82
Weischedel, Der frühe Fichte (1973), S. 29. Weischedel, Der frühe Fichte (1973), S. 74. Weischedel, Der frühe Fichte (1973), S. 88. Vgl. Baumanns, Fichtes ursprüngliches System (1972), S. 38. Baumanns, Fichtes ursprüngliches System (1972), S. 48. Baumanns, Fichtes ursprüngliches System (1972), S. 63.
144
Die transzendentale Logik
und später zu einer Metaphysik des als Wissen erscheinenden absoluten Seins, in der die Freiheit verloren ginge. Aber diese Deutung lässt offen, wie sich solch ein widersprüchliches Ich denken lässt. Es müsste ja eine logisch adäquate Form geben, sie zu denken. Der logische Status und Sinn des Widerspruchs bei Fichte muss hier zunächst geklärt werden, wenn unter dem Begriff »Menschsein im Widerspruch« überhaupt etwas gedacht werden können soll.
1.1.4. Operative Deutung Die Grundsätze der Wissenschaftslehre sollen Grundsätze der theoretischen und der praktischen Philosophie sein. Sie müssen deshalb die theoretische und die praktische Vernunfttätigkeit erklären können. Ihre Explikation in der Grundlage ist so weder Teil der theoretischen Philosophie noch der praktischen, sondern liegt dieser wie jener als ihrer beider Grundlage voraus. Die selbstbewusstseinstheoretische und die ethische Deutung heben aber jeweils nur einen dieser Aspekte hervor.83 Die Deutung des Setzens als eines schöpferischen Aktes hingegen ignoriert die kritisch-transzendentalphilosophische Grundintention Fichtes, dass er vornehmlich die Unbedingtheit des Wissens begründen und noch keine Philosophie des Absoluten als solchem konzipieren wollte.84 Unsere Deutung geht deshalb von einem Problem aus, dass diesem Streit um die inhaltliche Diskussion der Grundsätze noch vorhergeht. Sie geht von dem Gedanken aus, man müsse, um die Grundsätze zu verstehen, das Vorgehen Fichtes in den Blick nehmen, mittels dessen er die Grundsätze entwickelt. Dieses ist selbst transzendental, denn es fragt nach den Bedingungen der Möglichkeit, überhaupt einen Grundsatz des Wissens denken zu können. Welcher Gehalt auch immer in den Grundsätzen gedacht wird (ob Gott, das Selbstbewusstsein oder die sittliche Bestimmung des Menschen), immer ist doch vorausgesetzt, dass dieser Gehalt gedacht wird. Damit steht er aber selbst bereits unter den formalen Gesetzen des Denkens und kann kein alles be83
Nach Wilhelm Metz lassen sich die drei ersten Grundsätze deshalb weder durch das Schema »Gott, Welt, Ich« deuten, noch explizieren sie das theoretische Selbstbewusstsein, sondern »die Eine Vernunft in ihrer ursprünglichsten Bestimmtheit« (Metz, Kategoriendeduktion (1991), S. 217). 84 Brachtendorf missversteht das »Setzen« im Sinne eines gottgleichen schöpferischen Aktes als ontologisches Setzen und deutet die Selbstsetzung des Ich fälschlich im Sinne einer Hervorbringung der eigenen Ich-Substanz. (Vgl. Brachtendorf, Fichtes Lehre vom Sein (1995), S. 129 f.)
Die Deutung der Wissenschaftslehre
145
gründendes Fundament mehr sein. Um mit dieser Schwierigkeit umgehen zu können, müssen diese logischen Voraussetzungen durch Rückführung auf den Grundsatz der WL genetisiert werden. Die Reflexion auf den Prozess dieser Genetisierung möchte ich als operative Deutung bezeichnen, da ja darin das Vorgehen oder der Vollzug Fichtes zum Gegenstand der Interpretation gemacht wird. Dieser Ausgangspunkt der WL von den Bedingungen des Denkens ist Fichtes Philosophie nicht äußerlich, sondern gründet in seiner Konzeption von Transzendentalphilosophie und Reflexion: das Denken des Gedankens wird selbst noch einmal gedacht.85 Das Vorgehen Fichtes soll also selbst zum Gegenstand der Untersuchung werden, insofern dieses vom Problem der Genetisierung der logischen Grundsätze geleitet ist. Diese ist als Aufhebung der Bedingungen des philosophierenden Subjekts in objektiv-transzendentale Setzungen zu deuten. Da sich das philosophierende Subjekt zur Auffindung der Grundsätze der WL der abstrahierenden Reflexion bedient, gilt es für Fichte eben, die logischen Gesetze der Abstraktion und Reflexion aufzuheben: den Satz der Identität und den Satz des Widerspruchs. Daraus ergibt sich eine Deutung des absoluten Ich als Reflexion selbst. Die hier vertretene Deutung geht damit von den Strukturen des Denkens aus, die, egal was nun gedacht wird, immer schon in Anspruch genommen werden, insofern der Vollzug der Wissenschaftslehre eben im Denken geschieht. Damit hebt sie hervor, dass die Grundlage der Wissenschaftslehre nicht nur inhaltlich eine Transzendentalphilosophie darstellt, indem sie nach den Bedingungen der Erkenntnis fragt, sondern bezüglich des eigenen Tuns und Vorgehens noch einmal die transzendentale Frage stellt, wie sich das eigene Vorgehen denn denken lasse. Sie reflektiert also auf die Bedingungen ihres eigenen Vollzugs. Aus unserer systematischen Frage nach dem transzendentalphilosophischen Umgang mit den Grundsätzen des Denkens lässt sich deshalb ein Verständnis für das zentrale Theoriestück der frühen WL entwickeln. Außerdem kann sie die Objektivität ihres Ausgangspunktes, der
85
»Die Wissenschaftslehre ist kein Prozeß, in dem bloß Gedanken aufeinanderfolgen, sondern ist eine Reihe von Gedanken, in denen das Denken dieser Gedanken selbst erneut gedacht wird.« (Asmuth, Das Begreifen des Unbegreiflichen. Philosophie und Religion bei Johann Gottlieb Fichte 1800 – 1806, Stuttgart-Bad Cannstatt 1999, S. 13 f.) Darin beseht einer der großen Fortschritte Fichtes gegenüber Kant, dass der eigene Standpunkt in der Reflexion selbst thematisiert wird. Natürlich liefert auch hier Kant gewissermaßen den Ausgangspunkt mit der Doppeldeutigkeit des Genitivs in der »Kritik der reinen Vernunft«: denn die Vernunft soll sich hier selbst untersuchen.
146
Die transzendentale Logik
intellektuellen Anschauung der Selbstsetzung des Ich, begründen.86 Es wird widerlegt, dass Fichte »die Erhebung und Reinigung des empirischen Ich zum transzendentalen, mehr gefordert als geleistet habe.«87 Der erste Grundsatz der Wissenschaftslehre soll als Fundament des Wissens einen voraussetzungslosen, weil unbedingten Ursprung des Wissens darstellen. Als Satz steht er aber unter logischen Voraussetzungen. Da seine Entwicklung im Denken geschieht und deshalb seinen Gesetzen gehorchen muss, nimmt sie bereits die Gesetze in Anspruch, die durch ihn erst begründet werden sollen. Damit befindet sich die Grundsatzphilosophie in dem Zirkel, die logischen Gesetze voraussetzen und begründen zu müssen.88 Die Grundgesetze der Logik treten dabei zum einen als aussagen- bzw. prädikatenlogische Gesetze, zum anderen als Reflexionsgesetze auf. Entsprechend der Sprachkonzeption Fichtes sind erstere nur Ausdruck für letztere, so wie das System der WL selbst nur Ausdruck für »das System der dauernden Handlungsweise des menschlichen Geistes«89 ist. 86
So wird ja häufig der Einwand erhoben, Fichtes Ausgangsbasis tauge »aufgrund ihres letztlichen privaten Charakters nicht zur Fundierung einer allgemeinverbindlichen Philosophie« (Dieter Wandschneider, Grundzüge einer Theorie der Dialektik. Rekonstruktion und Revision dialektischer Kategorienentwicklung in Hegels »Wissenschaft der Logik«, Stuttgart 1995, S. 13). Diese ist aber gerade die Voraussetzung alles logischen Argumentierens. Entgegen Wandschneiders Urteil übersieht Fichte nicht, dass das Absolute Argumentation und damit Logik voraussetzt, sondern versucht, durch die Aufhebung dieser Voraussetzung sein absolutes Ich zu konzipieren. 87 Gadamer, Die Idee der Hegelschen Logik (1971); GGW 3, S. 67. 88 Zu dem Problem der Zirkularität, das sich aus dem Versuch einer unbedingten Begründung der Philosophie bzw. eines unbedingten Anfangs derselben ergibt, vgl.: Daniel Breazeale, »Circles and Grounds in the Jena Wissenschaftslehre«. In: Daniel Breazeale/Tom Rockmore (Hrsg.), Fichte: Historical Contexts/Contemporary Controversies, New Jersey 1994, 43–70: »the problem of circularity was one of the central issues with which he [Fichte; S. Sch.] wrestled during the crucial winter of 1793–94« (46). Breazeale geht davon aus, dass Fichtes Projekt der absoluten Begründung nicht durch das Problem der Zirkularität aufgehoben wird. (Vgl. S. 45.) Die Gültigkeit der Gesetze des Denkens zu erweisen, ist nach Perrinjaquet eine Funktion der Zirkularität, neben der es noch zwei andere gibt: die Einheit der Wissenschaftslehre und ihre Vollständigkeit zu erweisen. Die Vollständigkeit der Wissenschaftslehre ist dann erreicht, wenn ihr letztes Resultat wieder ihr Prinzip ist. (Alain Perrinjaquet, »Some Remarks Concerning the Circularity of Philosophy and the Evidence of Its First Principle in the Jena Wissenschaftslehre«. In: Daniel Breazeale/Tom Rockmore (Hrsg.), Fichte: Historical Contexts/Contemporary Controversies, New Jersey 1994, 71–95, 73 f.) 89 Rezension Aenesidemus (1794); GA I,2, S. 62. Man könnte natürlich – zumal aus sprachphilosophisch-analytischer Sicht – einwenden, dass Fichte die Sprache als Voraussetzung seiner WL gar nicht eigens thematisiert. Nun kann man aber nicht unterstellen, dass Fichte etwa durch die sprachphilosophischen Einsichten des 20. Jahrhunderts bereits einer Naivität bezüglich der Bedingung des Denkens durch die Sprache überführt sei.
Die Deutung der Wissenschaftslehre
147
Daher wird es in der Folge nötig sein, auf den transzendental-reflexiven Standpunkt der Wissenschaftslehre zurückzugreifen, worunter ich die Reflexion auf die Bedingungen verstehe, unter denen überhaupt gedacht werden kann. Solch eine begründungstheoretische Reflexion auf seine Voraussetzungen fehlte bei Kant noch.90 Deshalb ist auch die Bedeutung der transzendentalen Reflexion eine andere: bei Kant meint sie nicht die Frage nach der Begründung oder der Voraussetzung von Begriffen, sondern die Frage nach dem Ort eines Begriffes – ob es sich um einen reinen Verstandesbegriff oder einen auf die Sinnlichkeit bezogenen Begriff handelt. Das Resultat der transzendentalen Reflexion ist nicht die Einsicht in das Woher der Begriffe (transzendentale Begründung), sondern in ihr Wo (transzendentale Topik).91 Fichtes
Ähnliche Einwände waren Fichte nämlich bereits durch die Auseinandersetzung um Kants Kritik der reinen Vernunft bekannt: Hamann, Herder und Humboldt, aber auch Jacobi, sind sicher die berühmtesten Kritiker Kants im Sinne einer Sprachvergessenheit und zumindest die generelle Kritik ist Fichte wohl bekannt gewesen. Fichte verneint hingegen bewusst die konstitutive Leistung der Sprache für das Denken. Der Sprache wird bei ihm keine Selbständigkeit zuerkannt – zumindest nicht in seiner Frühphilosophie. Vielmehr sieht er sie »wesentlich als sinnliches Medium« (Jergius, Philosophische Sprache (1975), S. 70) an. Das Denken ist der Sprache gegenüber vorrangig. Wörter sind »nur äußerliche Etiketten« (Asmuth, Begreifen des Unbegreiflichen (1999), S. 164). Da die Sprache sinnlich ist, kann sich das Denken in ihr auch nur unzulänglich ausdrücken, sie ist nur ein unvollkommenes Abbild. So gibt die Sprache in der Spätphilosophie weiterhin in Bezug auf das Übersinnliche bloß »ein sinnliches Bild des Uebersinnlichen« (Reden an die deutsche Nation (1808) IV; GA I,10, S. 147). So kann der Mensch auch ohne Sprache denken: »Ich beweise hier nicht, daß der Mensch ohne Sprache nicht denken, und ohne sie keine allgemeinen abstracten Begriffe haben könne. Das kann er allerdings vermittelst der Bilder, die er durch die Phantasie sich entwirft. Die Sprache ist meiner Ueberzeugung nach für viel zu wichtig gehalten worden, wenn man geglaubt hat, daß ohne sie überhaupt kein Vernunftgebrauch Statt gefunden haben würde.« (Von der Sprachfähigkeit (1795), GA I,3, S. 103.) Fichte weist damit Platners Ansicht, man könne nicht ohne Zeichen denken, zurück. (Vgl. Janke, Vom Bilde des Absoluten (1993), S. 158 f.) In den Reden an die deutsche Nation begründet Fichte zwar die Überlegenheit des deutschen Denkens mit der Ursprünglichkeit der deutschen Sprache. Aber auch hier scheint es eher so, dass sie am wenigsten hindert, zur Sache selbst vorzudringen, insofern sich der Buchstabe in ihr noch nicht verselbständigt hat. (Vgl. GA I,10; S. 143–156.) 90 Sie markiert den fundamentalen Unterschied zwischen Kant und dem Deutschen Idealismus. (Vgl. Vittorio Hösle, Hegels System. Der Idealismus der Subjektivität und das Problem der Intersubjektivität, Hamburg 21998, S. 18 ff.) 91 Die »transscendentale Üb erlegung« (KrV B317; AA 3, S. 215) unterscheidet, ob eine Vorstellung dem reinen Verstand oder der Sinnlichkeit angehört. Entsprechend kommt den Reflexionsbegriffen bei Kant auch nur eine untergeordnete Bedeutung im Vergleich zu den Kategorien zu.
148
Die transzendentale Logik
Denken stellt demgegenüber eine »höhere Stufe transzendentaler Reflexion«92 dar. Diese vornehmlich logischen Bedingungen, unter denen das Denken selbst steht, bleiben in dem Grundsatz der WL nicht unerörtert, sondern werden in ihm – bzw. der von ihm ausgedrückten Handlung des Geistes – genetisiert. Wären die logischen Grundsätze einfach gegeben, so würde der Grundsatz immer unter einer durch ihn nicht einholbaren Voraussetzung stehen und das Denken gerade in seinen Prinzipien einen nicht weiter aufklärbaren Rest zurückbehalten. Meine Interpretation geht von diesem Vorgang der Genetisierung aus. Die dadurch aufgehobenen Prinzipien und die Art ihrer Aufhebung geben Aufschlüsse über die richtige Deutung der Grundsätze und des Ich. Gleichzeitig werden die Grundsätze des Denkens als begründungsbedürftige Voraussetzung jedes Denkens enthüllt und mit der Aufhebung der formalen Logik in die transzendentale Logik eine Art des Umgangs mit diesem Problem aufgezeigt. Diese transzendentale Begründung der logischen Grundsätze in der Begriffsschrift und der Grundlage kann dabei eine für sämtliche Fassungen aufschließende Geltung beanspruchen und ist nicht auf die Jenaer Wissenschaftslehre beschränkt.93 Für die so genannte »Spätphilosophie«94 müssen keine neuen Bestimmungen für das Denken entwickelt werden. Umgekehrt kann zur Klärung der in Begriffsschrift und Grundlage entwickelten logischen Grundlegung auch die späte WL herangezogen und dadurch ein einheitlicher systematischer Gedanke zur Geltung gebracht werden.95 Trotz der spätphilosophischen Voraussetzung eines dem Wissen vorausliegenden Grundes (dem 92
Hösle, Hegels System (1998), Anm. S. 22. Die Begriffsschrift ist für Hösle die »Programmschrift des ganzen deutschen Idealismus« (23): »es gibt kaum einen Satz von Fichtes eigentlich philosophischem Erstling, der bei Hegel nicht als methodologisches Prinzip weiterwirken würde« (28). 93 Die Jenaer Zeit wird mitunter in die frühe und die späte (Nova methodo, Einleitungen etc.) Jenaer WL eingeteilt. (Vgl. etwa Martin, Zu den Zielen (1996), S. 414.) Allerdings möchte die gesamte Jenaer Philosophie Fichtes den »Ichbegriff als Prinzip der philosophischen Theorie« (Klotz, Selbstbewußtsein und praktische Identität (2002), S. 10) etablieren. Da die Fundierung der logischen Gesetze im Ich untersucht wird, ist die Jenaer WL also als Einheit zu betrachten. 94 Der Terminus »Spätphilosophie« bezeichnet Fichtes philosophische Tätigkeit in Berlin von 1800 bis 1814. Dabei überdeckt er allerdings spezifische Veränderungen in der Berliner Zeit. (Vgl. dazu d’Alfonso, Vom Wissen zur Weisheit (2005), S. 5 ff.) 95 Im Gegensatz dazu unterscheidet Paimann – auch sachlich – mehrere Etappen von Fichtes Auseinandersetzung mit der Logik, die jeweils an die verschiedenen Wissenschaftslehren gebunden seien. So sei die Logik bei Fichte in den Jahren 1794–1804 »unselbständiges Zeugnis und für sich unbegründetes Handwerkszeug des menschlichen
Die Deutung der Wissenschaftslehre
149
Sein oder dem Absoluten, dem Leben oder Gott), demgegenüber das Wissen nur noch Bild des Seins ist und wo die WL als Bild des Bildes als Bild zwischen dem Bild und dem Sein steht,96 bleibt nämlich der idealistisch-transzendentalphilosophische und reflexionsphilosophische Standpunkt bestimmend. Noch die postulierte Selbstvernichtung des Denkens kann ja nur im Denken geschehen.97 Deshalb verneint es Fichte an mehreren Stellen, eine »veränderte Lehre« vertreten zu haben.98 Allerdings lässt sich eine ModifikaGeistes« (Paimann, Die Logik und das Absolute (2006), S. 10). So präsentiert sich ihre Untersuchung auch eher als chronologisch geordnete Kommentierung der Texte Fichtes. 96 Zur Bildlehre des späten Fichte vgl. u. a. Julius Drechsler, Fichtes Lehre vom Bild, Stuttgart 1955. 97 Nach Stolzenberg markiert das erstmals in der Darstellung 01/02 auftretende Theorem der Selbstvernichtung des absoluten Wissens den Beginn der Spätphilosophie. (Vgl. Jürgen Stolzenberg, »Zum Theorem der Selbstvernichtung des absoluten Wissens in Fichtes Wissenschaftslehre von 1801«. In: Fichte-Studien 17 (2000), 127–140, S. 127.) »Soll das absolut Unbegreifliche, als allein für sich bestehend, einleuchten, so muß der Begriff vernichtet, und damit er vernichtet werden könne, gesetzt werden; denn nur an der Vernichtung des Begriffs leuchtet das Unbegreifliche ein.« (WL 18042 IV; GA II,8, S. 57.) Durch die Anerkennung des immanenten Lebens, des in sich geschlossenen Seins, ist das Denken vernichtet – aber eben nur für das Denken. Das Unbegreifliche wird nur vom Begriff als Unbegreifliches begriffen. Voraussetzung der Selbstvernichtung des Denkens ist das Denken: »Zu dieser Vernichtung kommen wir nun nicht […] durch Gedanken- und Energielosigkeit, sondern durch das höchste Denken, das Denken des absoluten immanenten Lebens, und durch Aneignung der Maxime der Vernunft, der Genesis oder des absoluten Durch, welches hier seine Anwendbarkeit läugnet, und so sich durch sich selber vernichtet. Dieses […] Räsonnement ist nun das realistische.« (WL 18042 XI; GA II,8, S. 168.) 98 In seiner Anweisung zum seligen Leben 1806 erklärt Fichte, »vor dreizehn Jahren« (GA I,9, S. 47) sei ihm seine »philosophisch[e] Ansicht« (47) zu Teil geworden, die »sich selbst seit dieser Zeit in keinem Stücke geändert hat« (47). Aber er bemängelt die Darstellungsform der Grundlage mehrfach. Bereits am 21. März 1797 schreibt er an Reinhold über diese: »Ich halte sie für äußerst unvollkommen. Es sprühen Geistesfunken daraus; das weiß ich wohl: aber es ist nicht Eine Flamme.« (GA III,3, S. 57.) Und am 4. Juli 1797 rät er ihm, er solle weniger Zeit auf die Grundlage, »diese sehr unreife Darstellung« (GA III,3, S. 69), legen: »Wie weit klärer sehe ich jetzt in dieser Wissenschaft! Mein Naturrecht ist ohne Zweifel besser.« (69) Teilweise spricht die Forschung deshalb von einer veränderten Methodik der WL. (Vgl. Oesterreich/Traub, Der ganze Fichte (2006), Anm. S. 110.) Für Lore Hühn hingegen ist bezüglich Fichtes System »die Revision augenfällig« (»Die Unaussprechlichkeit des Absoluten. Eine Grundfigur der Fichteschen Spätphilosophie im Lichte ihrer Hegelschen Kritik«. In: Markus Hattstein u. a. (Hrsg.), Erfahrungen der Negativität. Festschrift für Michael Theunissen zum 60. Geburtstag, Hildesheim u. a. 1992, 177–201, S. 182): Fichte gehe mit der Lehre vom Absoluten über das Bewusstsein hinaus und vollziehe damit ab 1800 eine »kritische ›Wende‹ gegen die eigene Ausgangsposition« (179). Allerdings verschärfe sich hier nur die Lehre vom Unbegreiflichen, die sich in nuce bereits in der frühen WL finde, wie Hühn im Anschluss an Schulz behauptet. Falk hingegen hält es für eines der größten Missverständnisse der Fichteschen Spätphilosophie, am Auftreten des Begriffs des Absoluten eine gravierende Veränderung in Fichtes Lehre ablesen zu wol-
150
Die transzendentale Logik
tion der Lehre in der Zeit nach dem »Atheismusstreit« und dem damit verbundenen Verlust der Professur in Jena um das Jahr 1800 feststellen: der Lehre vom Ich und vom Wissen wird mit dem dem Wissen voraus liegenden Sein ein neues Fundament gegeben. In der Folge wird das Wissen der WL für Fichte zum Phänomen des Absoluten und das Selbstbewusstsein zum Bild des Seins.99 Nach der Überzeugung des Jenaer Fichte hat es die Philosophie letztlich nur mit dem Denken zu tun, nicht mit Fakten, Erfahrung oder einem Sein an sich: die Philosophie und alles das, was in ihr vorkommt, »ist ein Product des freien Denkvermögens«100. Sie versucht das, was scheinbar faktisch gegeben ist, im Denken zu erzeugen.101 Fichte verbleibt hiermit in der »Region des Denkens«102. Darin bestehe die Position der Transzendentalphilosophie, dass es für sie kein Sein außerhalb des Denkens gibt.103 Sein wird in dieser Phase nur als Negation von Tätigkeit verstanden.104 In einem späteren Schreiben an Schelling vom 27.12.1800 führt Fichte dagegen aus, dass die Transzendentalphilosophie »nur durch eine noch weitere Ausdehnung der TranszendentalPhilosophie, selbst in ihren Principien«105 belen. Vielmehr trete das eigentliche Anliegen Fichtes immer deutlicher hervor. (Vgl. HansPeter Falk, »Fichtes späte Wissenschaftslehre«. In: Fichte-Studien 28 (2006), 129–143, S. 132.) 99 Vgl. d’Alfonso, Vom Wissen zur Weisheit (2005), S. 8. 100 Nova Methodo 98/99; GA IV,2, S. 19. »Es kommt sonach dem Innhalte der Philosophie keine andere Realität zu, als die des nothwendigen Denkens, unter der Bedingung, daß man über den Grund der Erfahrung etwas denken wolle. Die Intelligenz läßt sich nur als thätig denken, und sie läßt sich nur als auf diese bestimmte Weise thätig denken; behauptet die Philosophie.« (Versuch einer neuen Darstellung 1797; GA I,4, S. 207 f.) 101 Später heißt es: »Mein Denken ist überhaupt genetisch: – eine Erzeugung des unmittelbar Gegebnen voraussetzend, und dieselbe beschreibend.« (Bestimmung des Menschen (1800); GA I,6, S. 249.) 102 System der Sittenlehre 1798; GA I,5, S. 36. 103 »Von einem Seyn, als Seyn an sich, ist gar nicht die Rede, und kann nie die Rede seyn; denn die Vernunft kann nicht aus ihr selbst herausgehen. Es giebt kein Seyn für die Intelligenz, und da es nur für sie ein Seyn giebt, es giebt überhaupt kein Seyn, ausser einem nothwendigen Bewußtseyn.« (System der Sittenlehre 1798; GA I,5, S. 36.) 104 »Das Seyn ist reelle Negation aller Thätigkeit, eine negative Größe.« (Logik und Metaphysik (WS 1796/97); GA IV,3, S. 94.) Das wirkt sich auf den Gottesbegriff aus: »Rein philosophisch müßte man von Gott so reden: Er ist (die logische Copula) kein Seyn, sondern ein reines Handeln, (Leben und Princip einer übersinnlichen Weltordnung) gleichwie auch ich, endliche Intelligenz, kein Seyn, sondern ein reines Handeln bin: – pflichtmäßiges Handeln […].« (Verantwortungsschrift (1799); GA I,6, S. 46.) Sein als Beharren und Bestehen kommt nur Gegenständen der Erfahrung zu. Auch die WL Nova Methodo 1798/99 sagt vom Ich, es sei nichts anderes als seine Tätigkeit (Vgl. GA IV,2, S. 24.) 105 GA III,4, S. 406.
Die Deutung der Wissenschaftslehre
151
gründet werden könnte. Fichte versucht nun, den Vorstellungen als Bestimmungen des Bewusstseins Realität oder ein Sein zu Grunde zu legen, damit diese nicht »nur Bild, nur Schatten einer Realität«106 sind, und die Bestimmung des Wissens als Bild mit dem Glauben an Realität oder Wahrheit zu vereinigen. Dies geschieht hier noch über die Moralität des Menschen, insofern der Mensch bestimmt ist, sittlich zu handeln und zu wollen. Die Welt als Objekt der Pflicht muss dabei wirklich sein: »der nothwendige Glaube an unsere Freiheit, und Kraft, an unser wirkliches Handeln, und an bestimmte Gesetze des menschlichen Handelns, ist es, welcher alles Bewußtseyn einer außer uns vorhandenen Realität begründet«107. Das Wissen von der Welt wird hier also eher als Bild des empirischen Seins gedacht. In der WL 1811 beschreibt Fichte das Verfahren der WL hingegen so, dass sie von einem Grundbegriff ausgeht, der hinsichtlich seines Seins problematisch bleibt, und daraus dann folgert. Sie geht von der Voraussetzung des Wissens als dem einzigen selbständigen Dasein aus und erkennt alles Daseiende nur als Bestimmung des Wissens. Sie ist sich darüber klar, dass sie hier denkt, »was eine Bestimmung des Wissens ist«108, und nach Denkgesetzen verknüpft, »welches Gesetze des Wissens sind«109. Die Wissenschaftslehre beruht damit wie die frühe WL zunächst auf bloßen Denknotwendigkeiten. Sie spricht »bloß eine Nothwendigkeit ihres Denkens«110 aus. Will sie nun aber nicht nur Denkspiel sein – so lautete ja der Vorwurf Jacobis gegen die frühe WL –, so muss die WL aus dem Denken heraustreten, das Denken überschreiten, dem notwendig Gedachten eine Gültigkeit außer dem Denken geben, es im Sein fundieren. »Sein« meint nun aber gerade nicht mehr das Sein der wirklichen empirischen Welt, sondern spätestens ab der Darstellung 1801/02 das Sein des Absoluten oder Gottes.111 106
Bestimmung des Menschen (1800); GA I,6, S. 248. »Was durch das Wissen, und aus dem Wissen entsteht, ist nur ein Wissen. Alles Wissen aber ist nur Abbildung, und es wird in ihm immer etwas gefodert, das dem Bilde entspreche. Diese Foderung kann durch kein Wissen befriedigt werden; und ein System des Wissens ist nothwendig ein System bloßer Bilder, ohne alle Realität, Bedeutung und Zweck.« (252) 107 Bestimmung des Menschen (1800); GA I,6, S. 264. 108 WL 1811; GA II,12, S. 147. 109 WL 1811; GA II,12, S. 147. 110 WL 1811; GA II,12, S. 147. 111 Dieses absolute Sein bezeichnet Fichte unter anderem auch als Leben. »Leben = Vermögen sich selbst innerlich zu bestimmen, u. zufolge dieser Selbstbestimmung Grund zu seyn, absolut schöpferischer eines Seyns außer sich.« (Sittenlehre 1812; GA II,13, S. 316.) So heißt es in der letzten von Fichte publizierten WL: »Nur Eines ist schlechthin durch sich selbst: Gott, und Gott ist nicht der todte Begriff, den wir soeben aussprachen, sondern er ist in sich selbst lauter Leben. Auch kann dieser nicht in sich selbst sich verändern und
152
Die transzendentale Logik
Diese »Umwendung des Seinsverständnisses«112 besteht also darin, dass Sein nicht mehr wie in der Jenaer WL nur als »negativer Begrif«113 gedacht wird. Das Wissen ist dagegen nur mehr Erscheinung oder Bild des Seins, das rein in Gott bleibt.114 Die Wissenschaftslehre selbst ist dann das Sicherscheinen des Sicherscheinens.115 Außer Gott kann nichts sein, denn er ist das absolute Sein. Alles außer Gott ist zwar bloß seine Erscheinung oder sein Bild,116 aber als Erscheinung auch Offenbarung Gottes.117 So heißt es in einer der letzten Schriften Fichtes: »Nur Gott ist. Ausser ihm nur seine Erscheinung.«118 Das Seinsverständnis von Idealismus und Realismus wird dabei in ein neues Verhältnis gesetzt. Im ersten Teil der WL 18042 – der Vernunft- oder Wahrheitslehre – zeigt Fichte auf, dass sowohl Idealismus als auch Realismus einseitig bleiben und sich deshalb in immanente Widersprüche verwickeln würden, was wiederum zu ihrer Überwindung führt. Immer wieder wird das idealistische Reflexionsargument, dass es doch nur mein Denken ist, dass das Absolute denkt, gegen das realistische der »Sichselbstkonstruktion« des Absoluten und der Vernichtung des Denkens gesetzt.119 Fichte bekundet dabei eine »Vorliebe [der WL; S. Sch.] für die realistische Ansicht«120. Der Idealismus wird in der WL 18042 als genauso einseitig abgewiesen wie der Realismus: alles Sein setzt ein Denken oder Bewusstsein desselben voraus. Das bestimmen, und zu einem andern Seyn machen; denn durch sein Seyn ist alles sein Seyn und alles mögliche Seyn gegeben, und es kann weder in ihm, noch außer ihm ein neues Seyn entstehen.« (WL in ihrem Umriss 1810; GA I,10, S. 336.) 112 Janke, Fichte (1970), S. IX. Zur Modifikation des Seinsverständnisses bei Fichte vgl. auch Cassirer, Erkenntnisproblem III (1920); Hamb. Ausg. 4, S. 168 f. Fichte transformierte sein Seinsverständnis als Folge dessen, dass er sich von seinen Zeitgenossen einer »subjektivistische[n] Umdeutung« (171) ausgesetzt sah. Das Sein der Spätphilosophie ist das Sein der Wahrheit. (Vgl. S. 178.) 113 Nova Methodo 98/99; GA IV,2, S. 39. 114 Vgl. WL 1811; GA II,12, S. 157. Das Verständnis vom Wissen als bloßem Bild, das in der Bestimmung 1800 dem Sprachduktus des Briefs Jacobis an Fichte entsprechend negativ konnotiert war, gewinnt später dann auch an positiver Bedeutung. 115 Vgl. Brüggen, Der Gang des Denkens (1964), S. 85. 116 Vgl. WL 1810; GA II,11, S. 294. 117 »Setzen Sie das rein immanente Sein, als das Absolute, Substante, Gott, wie dies allerdings richtig sein wird, und die Erscheinung, die hier in ihrem höchsten Punkte als innerlich genetische Construction des Absoluten verfaßt ist, als die Offenbarung und Aeusserung Gottes; so ist hier die letztere eingesehen, als schlechthin nothwendig, und im Wesen des Absoluten selber begründet.« (WL 18042 XVII; GA II,8, S. 258/260.) 118 Die Staatslehre 1813; FW IV, S. 431. 119 WL 18042 XI; GA II,8, S. 172: »der absolute Idealismus vernichtet die Möglichkeit des Realismus; der Realismus die des begreiflichen Seins und der Ableitbarkeit.« 120 WL 18042 XI; GA II,8, S. 173.
Die Deutung der Wissenschaftslehre
153
Prinzip kann aber auch nicht in das ihm gegenüberstehende Bewusstsein gesetzt werden, sondern in die Einheit der Disjunktion von Sein und Bewusstsein, Leben und Begriff.121 Das impliziert aber keine Zurückweisung der früheren Transzendentalphilosophie und ihrer Reflexivität. Abgelehnt wird nur ein einseitiger Idealismus. Dieser einseitige Idealismus, der dem Realismus entgegengesetzt wird, benutzt hingegen einen falschen Begriff vom Denken als Sich-Denken. Er denkt das absolute Ich als absolutes Etwas, als ein Tätiges mit der Fähigkeit zur Tätigkeit, das ein Sein hervorbringen kann,122 und versteht es als empirisches Ich, als etwas, das im Bewusstsein wahrgenommen wird. Das absolute Ich Fichtes kann aber nicht Gegenstand des Bewusstseins werden, weil es vielmehr »allem Bewustseyn zum Grunde liegt«123. Die Spätphilosophie Fichtes ist so vielmehr der Versuch, unter transzendentalphilosophischen Voraussetzungen einen Zugang zum absoluten Sein als Grund des Wissens zu bekommen. Damit bricht sie nicht mit den frühen Schriften, sondern erweitert deren Fragehorizont unter transzendentalphilosophischen Bedingungen. Fichte entwickelt keinen neuen »Dogmatism«, sondern kritisiert etwa an Spinoza, der in seiner Ethik schon von Anfang an ganz unvermittelt beim dem Denken transzendenten Sein ist, dass er das Denken, das die Philosophie treibt, nicht erklärt.124 Diese fehlende Reflexion auf das Gegebensein des Seins im Denken sieht Fichte bei Schelling fortgesetzt. Immer wieder wirft er Schelling nach ihrem Bruch deshalb vor, nicht auf sein eigenes Denken zu reflektieren.125 Gegen dessen Ausgang von einem dem Wissen voraus liegenden unbedingten Sein wendet Fichte ein: »alles
121
Vgl. WL 18042 I; GA II,8, S. 14/16. 122 Dieser Idealismus versteht das Bewusstsein als Tatsache, das Absolute ist ihm Tatsache, die WL versteht es aber als Tathandlung (bzw. Genesis). (Vgl. WL 18042 XIII; GA II,8, S. 202.) Da das Bewusstsein niemals als faktische Gegebenheit angesehen werden kann – das Bewusstsein ist Reflexion und Produktion in einem –, interpretiert Reinhard Lauth die WL als methodischen und nicht metaphysischen Idealismus. (Vgl. Lauth, Transzendentale Entwicklungslinien von Descartes bis zu Marx und Dostojewski, Hamburg 1989, S. 379.) 123 Grundlage 1794; GA I,2, S. 255. 124 Die WL bleibt auch in ihrer späten Phase Wissens-Lehre; »sie ist nicht Seinslehre« (WL 1813; FW X, S. 3), zumindest nicht im Sinne Schellings oder Spinozas, sondern »sie ist Erscheinungslehre« (Thatsachen des Bewußtseins 1813; FW IX, S. 564). Von einer solchen Seinslehre kann man nur sprechen, wenn man sich nicht auf sein Denken besinnt. Denn das Sein, sofern es der Betrachtung unterliegt, ist bewusstes Sein. Durch diese Besinnung bleibt die WL »transscendentaler Idealismus, d. i. absolute Aussonderung des Seins vermittelst der Besonnenheit über sich selbst.« (WL 1813; FW X, S. 4.) »Das Denken, das die Philosophie treibt, muß erklärt, u. abgeleitet werden.« (WL 1810; GA II,11, S. 300.) 125 Vgl. etwa WL 1811; GA II,10, S. 151 f.
154
Die transzendentale Logik
Seyn ist nur in Beziehung auf ein Wissen«126. Auch Fichtes Seinsphilosophie beansprucht Transzendentalphilosophie zu sein. Schellings eigenständige Naturphilosophie sei nur eine »fiktive Selbstkonstruktion der durch Abstraktion verselbständigten Natur«127: »aber jene Natur, als Object denkst Du doch nur; sie ist nur, in wiefern Du sie denkst.«128 Gegen Schellings Gedanken der Depotenzierung wendet Fichte ein, er sei durch die Transzendentalphilosophie bereits widerlegt: »Die Natur ist Produkt der Intelligenz; wie kann denn nun durch einen offenbaren Cirkel die Intelligenz wieder Produkt der Natur sein?«129 Auch gegen Schellings spätere Identitätsphilosophie macht Fichte transzendentalphilosophische Argumente geltend. So wendet er ein, Schelling ginge mit seinem Denken unmittelbar an das Absolute, ohne sich des Denkens, »und daß es wohl nur dieses seyn möchte, was durch seine eignen immanenten Gesetze Ihnen unter der Hand das Absolute formirte, zu erinnern«130. Schelling reflektiere also nicht darauf, dass er das von ihm an den Anfang der Philosophie gesetzte Absolute selbst denke. Würden Schelling (und sein Schildknappe Hegel) dies tun, würde »das, was sie gern als das Ansich sähen, als ein bloßer Gedanke sich klar manifestire[n]«131. Indem aber nur von dem Gedachtsein abgesehen und nicht darauf reflektiert wird, bleibt das Gedachte trotzdem ein Gedachtes: »Es entgeht ihnen hiebei gänzlich, daß, völlig unabhängig von ihrem Reflectiren oder Nichtreflectiren auf ihren Denkakt, derselbe an sich bleibt, wie er ist, und wie er durch die Form oder Beschränkung, in der sie ihn vollziehn, nothwendig ausfällt«132. Schelling setze zunächst die Vernunft aus sich selbst heraus. Weil Schelling nicht auf sein Denken reflektiere, entgehe es ihm, »daß er Denkgesetze die er als solche nicht erkennt, in das absolute überträgt.«133 Mit Spinoza täusche sich Schelling in der Annahme eines absoluten Seins, denn ob man darauf reflektiere oder nicht – das Denken schwebt über dem Sein: 126
Schellings tr. Idealismus (1800); GA II,5, S. 414. Meckenstock, Vernünftige Einheit. Eine Untersuchung zur Wissenschaftslehre Fichtes, Frankfurt am Main u. a. 1983, S. 118. 128 Schellings tr. Idealismus (1800); GA II,5, S. 413. 129 Wesen der Thiere (1800); GA II,5, S. 421 f. 130 Fichte an Schelling in Jena, Oktober 1801; GA III,5, S. 91. Das Absolute selbst existiert aber unter gar keiner Form, ansonsten wäre es nicht das Absolute. 131 Bericht (1806); GA II,10, S. 24. 132 Bericht (1806); GA II,10, S. 24 f. 133 WL 1805; GA II,9, Anm. S. 197. 127
Die Deutung der Wissenschaftslehre
155
»Wenn den nun Spinoza nicht reflectirt auf sein Denken, weil er nicht inne wird, oder wenn Schelling nicht reflectirt, weil er nicht will, ist denn drum sein Denken nicht doch und schwebt über dem Seyn? […] Ob man’s bemerkt oder nicht; die Reflexion macht nicht etwa das Denken, sondern besinnt sich nur des Denkens; und daher ändert auch, das Nicht-reflektieren, an der wahren Beschaffenheit der Sache, nichts.«134 Aber nicht nur der Ausgangspunkt selbst, sondern auch das Hinausgehen aus diesem, steht unter den Bedingungen der Reflexion. Um überhaupt vom Unbedingten ausgehen zu können, vernachlässige Schelling wiederum sich zu »besinnen, wie er es denn mache, um zu allen den Behauptungen, die noch folgen sollen, zu kommen«135. Die Herkunft der Prädikate, die er der absoluten Vernunft zuschreibt, bliebe ungeklärt. Diese Prädikate müssten sonst aus der Vernunft selbst deduziert werden. Neben der indifferenten Vernunft, so Fichte deshalb, bedarf es bei Schelling der differenzierenden Vernunft des Autors, um Differenzen in das Absolute einziehen zu können. Gegen den Vorwurf, bloße Reflexionsphilosophie zu sein, verteidigt Fichte also gerade bis in seine spätesten Schriften hinein das Recht und die Notwendigkeit der Reflexion.136 Die Reflexion als Besinnung auf das eigene Tun ist aber, so die WL 1813, nicht faktisch-psychologisch zu verstehen, sondern als das Sichsetzen des Verstandes in uns.137 Der von Fichte kritisierte Idealismus ist ein sich falsch verstehender dogmatischer Idealismus, der dem dogmatischen Realismus nur entgegengesetzt ist, ihn aber nicht in sich aufhebt.138 134
WL 1812 (Nachschrift Halle); GA IV,4, S. 264. Bericht (1806); GA II,10, S. 46. 136 »Jenes besinnen auf sich selbst, heißt Reflexion; u. das sichbesinnen auf sich selbst im Gedanken des Absoluten als Absoluten, heißt absolute Reflexion. Wirklich immer reflektiren, und nichts anderes thun denn reflektiren, können wir weder relativ, noch absolut, weil wir ausserdem zu gar nichts pp. aber die absolute Reflektirbarkeit steht uns fest, u. diese zu läugnen, wollen wir uns ja nie verleiten lassen.« (WL 1805; GA II,9, S. 231.) 137 FW X, S. 51. So ist auch zurückzuweisen, dass die Reflexion – wie für Hühn – nur eine äußerliche Verstandestätigkeit sei, die nur reproduktive Funktion hat. (Vgl. Lore Hühn, Fichte und Schelling. Oder: Über die Grenze des menschlichen Wissens, Stuttgart/ Weimar 1994, S. 72 f.) 138 Nach 1800 versucht Fichte aber gerade, die Kompatibilität seiner WL mit dem Realismus Jacobis aufzuzeigen. Auch nach Asmuth zeigt sich besonders in Fichtes SchellingKritik, dass Fichtes Denken »ein Denken der Reflexion, ein reflektierendes Denken aus dem Standpunkt der Reflexion« (Asmuth, Begreifen des Unbegreiflichen (1999), S. 371) ist. Es zeigt sich auch, warum Schellings Reflexionen über das Identitäts- und Widerspruchsprinzip für eine systematische Auseinandersetzung mit den Grundsätzen des Denkens nicht in gleichem Maße für die Logik fruchtbar zu machen sind wie die Fichtes und Hegels. Denn Fichtes und Hegels Philosophieren stellt im Gegensatz zu dem Schellings ein Denken dar, in dem »sich der Transzendentalismus als solcher fortentwickelt und das 135
156
Die transzendentale Logik
Der auf das eigene Denken reflektierende transzendentale Standpunkt Fichtes geht also auch in der späteren Entwicklung nicht verloren. Durch die Fundierung des Ich in Gott werden die in der WL entwickelten formalen Bestimmungen des Bewusstseins nicht grundsätzlich verändert, sondern »materialiter neu interpretiert«139, nämlich als Erscheinung Gottes. Dabei ist die Spätphilosophie allerdings mehr mit dem Dasssein des Bewusstseins beschäftigt – eine Frage, die in den frühen Schriften letztlich nicht geklärt werden konnte – und weniger mit der strukturell-formalen Verfasstheit, die für Fichte wohl als geklärt durch seine Frühphilosophie galt. In der Grundlage werden deshalb die Fundamente der Wissenschaftslehre gelegt, die später zwar ergänzt und differenziert, aber doch immer noch in Anspruch genommen werden. Auch die späte WL vollzieht sich innerhalb der in der frühen WL entwickelten Bestimmungen.140 Gegenstand der späten WL ist das Wissen als absolutes Bild, Bild des absoluten Seins. Als die von der Philosophie zu erklärende Erscheinung wird das Bewusstsein verstanden.141 Die WL bleibt Reflexion und weist die reflexive in sich zurückgehende Struktur des Ich der frühen WL auf. Sie ist nicht Wissenschaft von besonderen Wissensgegenständen, sondern vom »Wissen schlechtweg, in seiner Einheit, das ihr als seyend erscheint«142. Das Objekt der späten WL ist »das absolute Erscheinen, Bildsein, Bildwesen«143. Dabei ist dieses absolute Wissen seiner Struktur nach – nämlich als reine Identität, Relation und Selbsttätigkeit – nur verstehbar auf Grundlage des absoluten Ich der frühen Denken als solches transzendental bestimmt ist« (Joachim Kopper, Das transzendentale Denken des Deutschen Idealismus, Darmstadt 1989, S. 20). Bei Schelling hingegen vollzieht sich die transzendentale Reflexion als metaphysisches Denken. Schellings Lehre habe daher »den Charakter der Verkündigung« (21). 139 Schrader, Empirisches und absolutes Ich (1972), S. 11. 140 Selbst Janke, der ja den späten Fichte gerade als eine der »drei Vollendungsgestalten des Idealismus« etablieren möchte, sieht in allen drei Idealismen den Ermöglichungsgrund der Wahrheit und das heißt eben, die in der Gleichung »Ich = Ich« ausgedrückte »allreale Einheit von Subjektivität und Objektivität« (Janke, Vom Bilde des Absoluten (1993), S. 26) zu denken. Das Problem für Janke in der frühen WL ist also weniger der Ausgangspunkt, sondern eher der Endpunkt der WL 94 im absoluten Sollen. Die späte WL als Überwindung der frühen zu deuten, scheint ohnehin weniger in der Lehre Fichtes begründet, sondern auf dem Vorurteil zu gründen, dass die Jenaer WL durch die vernichtende Kritik Hegels in der Differenzschrift (1801) nicht zu retten wäre. So hat etwa nach Ludwig Siep Hegel in dieser Schrift die Jenaer WL als mögliche Position erledigt. (Vgl. Siep, Hegels Fichtekritik (1970).) 141 Einleitung in die Philosophie 1810; GA IV,4, S. 24: »die von der Philosophie zu erklärende Erscheinung ist das Bewußtseyn selbst«. 142 WL in ihrem allg. Umrisse 1810; GA I,10, S. 336. 143 Thatsachen des Bewußtseins 1813; FW IX, S. 564.
Die Deutung der Wissenschaftslehre
157
WL und des dort entwickelten Verständnisses von Identität als Reflexivität. Das genetische Prinzip der WL ist nämlich folgendes: »die Erscheinung versteht sich schlechthin, das formale Sein der Erscheinung ist ein Sichverstehen«144, die »Identität des Bildes und des Gebildeten, d. h. das Sichverstehen«145. Dieses Wissen ist absolute Relation, die nun aber verstanden wird in Bezug auf das – relationslose – Sein. Damit erfährt auch die Unbedingtheit des Wissens als absoluter Relationalität materialiter eine neue Interpretation, insofern sie nun in ihrem Verhältnis zum Absoluten betrachtet wird. Ihre Unbedingtheit wird jetzt aus ihrem Bildsein entwickelt: »Wie nur das Absolute ist, so ist seine Erscheinung. Nun aber ist es eben absolut; darum ist auch seine Erscheinung absolut. […] Gott oder das Absolute ist, und nur er ist. […] Ausser dem Absoluten aber ist nur der Verstand absolut, wie Gott selbst, denn er ist seine Erscheinung.« 146 Als absolutes Wissen muss es Bild des Absoluten sein und nicht von diesem oder jenem. Es ist »Gottes Seyn außer seinem Seyn«147. Diese Unbedingtheit, die das Wissen als Bild des Absoluten besitzt, muss auch als intrinsische Bestimmung des Wissens aufgezeigt werden können. Das tut Fichte in der Grundlage. Das Wissen kann sich überhaupt nur als Bild des Absoluten verstehen, weil es bereits um seine eigene Unbedingtheit weiß.
144
Thatsachen des Bewußtseins 1813; FW IX, S. 565. Thatsachen des Bewußtseins 1813; FW IX, S. 565. 146 Einleitung in Thatsachen des Bewußtseyns 1813; FW IX, S. 408. 147 WL in ihrem allg. Umrisse 1810; GA I,10, S. 336. Umgekehrt sieht sich bereits die Grundlage als auch realistisch an, insofern »das Bewußtseyn endlicher Naturen sich schlechterdings nicht erklären lasse, wenn man nicht eine unabhängig von denselben vorhandne, ihnen völlig entgegengesezte Kraft annimmt, von der dieselben ihrem empirischen Daseyn nach selbst abhängig sind.« (GA I,2, S. 411.) Sie bleibt jedoch transzendental, insofern sie sich besinne, »daß sie auch in dieser Erklärung sich nach ihren eignen Gesetzen richte, und so wie sie hierauf reflektirt, wird jenes Unabhängige abermals ein Produkt ihrer eignen Denkkraft, mithin etwas vom Ich abhängiges, inso fern es für das Ich (im Begriff davon) da seyn soll.« (412) 145
. Fichtes Begründung der Grundsätze des Denkens
Die Begründung der Grundgesetze des Denkens erfolgt bei Fichte durch ihre Rückführung auf die grundlegenden Handlungen des Ich: die Selbstsetzung des Ich und seine Entgegensetzung gegen ein Nicht-Ich. Sie werden damit transzendental begründet. Dabei steht die Operation der Rückführung unter eben jenen Gesetzen, die in der Rückführung begründet werden sollen: dem Satz des Widerspruchs und dem Satz der Identität. Damit wird die Begründung der logischen Gesetze scheinbar zirkulär. Dass er sich bei der Begründung der logischen Gesetze in einen Zirkel verwickelt, macht Fichte in § 7 seiner Begriffsschrift 1794 selbst deutlich: sein Vorgehen sei zirkulär, denn er könne aus den Prinzipien der Wissenschaftslehre bestenfalls genau die logischen Prinzipien ableiten, die er vorher vorausgesetzt habe. Der notwendige Zirkel des Denkens, dass man über die Gesetze unseres Denkens nur nach diesen Gesetzen denken kann, dass also im Denken diese Gesetze in Anspruch genommen werden, wird in der Grundlage 1794 also nicht zu verschleiern versucht. Denn die Gesetze des Denkens werden nicht nur in Anspruch genommen, sie werden sogar zum Ausgangspunkt der Wissenschaftslehre selbst gemacht.148 Der Zirkel scheint offensichtlich: die logischen Gesetze L1 werden zum Ausgangspunkt gemacht, aus ihnen wird nach den Gesetzen L1 der Grundsatz der WL hergeleitet und aus diesem wiederum die logischen Gesetze L1 deduziert. Wenn am Ende der Zirkel nicht geschlossen wäre und nicht die vorausgesetzten logischen Gesetze L1, sondern von diesen verschiedene logische Gesetze L2 abgeleitet würden, so wüsste man zumindest, dass das System falsch ist. »Dieses ist aber nur ein negativer Beweiß, der bloße Wahrscheinlichkeit begründet.«149 Wenn Fichte andere logische Prinzipien L2 voraussetzen würde, dann würde er zum Schluss vermittelt über die Prinzipien der WL auch andere logische Prinzipien L3 erhalten.150 Die Gesetze L3 könnten nun mit den vorausgesetzten Prinzipien L2 identisch sein oder nicht. Im zweiten Fall wäre mit Sicherheit etwas falsch, aber im ersten Fall könnte das andere System richtig sein. Auf andere logische 148
Als »Ausgangsstellung« werden also die Umformungsregeln selbst genommen. Dazu meint Stolzenberg, daß es »wenig plausibel« (Stolzenberg, Fichtes Satz ›Ich bin‹ (1994), S. 11) erscheinen muß, wenn Fichte einerseits die Logik begründen will, andererseits aber den logischen Grundsatz der Identität zu seinem Ausgangspunkt macht. 149 Begriff 1794; GA I,2, S. 144. 150 Vgl. Perrinjaquet, Circularity (1994), S. 76.
Fichtes Begründung der Grundsätze des Denkens
159
Prinzipien hätte Fichte scheinbar also ein anderes konsistentes System (»a consistent system upon other laws of thought«151) errichten können. Da damit aber Konsistenz zum negativen Kriterium gemacht ist, so sind zumindest die in L1 enthaltenen Prinzipien der Widerspruchsfreiheit und der Identität vorausgesetzt. Also leuchtet es nicht ein, wenn man von anderen bzw. entgegengesetzten Gesetzen ausgehen sollte. Wenn nicht in Widerspruchsfreiheit und Identität mit sich selbst, worin soll eine konsistente Theorie denn sonst bestehen? Tatsächlich scheint Fichte den Zirkel der Reflexion aber immer nur als unvermeidbar zu affirmieren, ohne ihn überhaupt auflösen zu wollen: »Dies ist ein Zirkel; aber es ist ein unvermeidlicher Zirkel. […] Da er nun unvermeidlich, und frei zugestanden ist, so darf man auch bei Aufstellung des höchsten Grundsatzes auf alle Gesetze der allgemeinen Logik sich berufen.«152 Große Teile der Forschung sehen hier tatsächlich ein unumwundenes Zugeständnis der Zirkularität, aus der Fichte die Legitimität des Zirkels folgere.153 Gegen solch eine Argumentation könnte man aber zu Recht einwenden: »Damit, daß dieser Zirkel zugegeben wird […], verliert er nicht seine Bedenklichkeit.«154 Das Arbeitsprogramm der Begriffsschrift, nämlich die unbedingte Begründung allen Wissens durch die Grundsätze der WL, wäre wegen der Voraussetzung der logischen Gesetze undurchführbar. Die Inanspruchnahme der logischen Gesetze vor der Aufstellung des ersten Grundsatzes würde eine »formallogisch-reflexionsgesetzliche Hypothek«155 darstellen, die zur 151
Perrinjaquet, Circularity (1994), S. 76. Grundlage 1794; GA I,2, S. 255 f. 153 Nach Rockmore liegt hier eine von der Forschung zumeist unbemerkte »brilliant rehabilitation of circularity« (Tom Rockmore, »Antifoundationalism, Circularity, and the spirit of Fichte«. In: Daniel Breazeale/Tom Rockmore (Hrsg.), Fichte: Historical Contexts/ Contemporary Controversies, New Jersey 1994, 96–112, S. 104) vor, in der Fichtes »antifoundationalist conception of ungrounded system« (104) gründe. Andere Autoren sehen dies ähnlich, auch wenn die meisten nicht der positiven Beurteilung dieses Zirkels zustimmen würden. »Erstaunlicherweise meint Fichte, mit dem freien Eingeständnis der Zirkularität sei zugleich deren Legitimität dargetan.« (Meckenstock, Beobachtungen (1997), S. 73.) Auch nach Lenk konnte Fichte das Zirkelproblem nicht lösen. (Vgl. Hans Lenk, Kritik der logischen Konstanten, Philosophische Begründungen der Urteilsformen vom Idealismus bis zur Gegenwart, Berlin 1968, S. 200 ff.) Nach Lauth ist diese petitio principii der Grund, warum Fichte später vom Ausgang aus der formallogischen Identität abgeht und in der WL 18042 die Affirmation, es gebe Wahrheit, »als allein statthafte Voraussetzung gewählt« (Lauth, Transzendentale Entwicklungslinien (1989), S. 387) hat. 154 Baumanns, J. G. Fichte. Kritische Gesamtdarstellung seiner Philosophie, Freiburg/ München 1990, S. 63 f. 155 Baumanns, Fichte Gesamtdarstellung (1990), S. 64. 152
160
Die transzendentale Logik
Folge hätte, dass das Absolute des Wissens sich dadurch von Anfang an nur »in formallogisch-reflexionsgesetzlicher Brechung«156 zeigen könnte. Dies setzt jedoch voraus, dass eine Alternative zu den Grundgesetzen der Logik und ein den logischen Gesetzen widersprechendes Absolutes überhaupt gedacht werden könnten. Gerade das erklärt Fichte aber für einen absurden Gedanken. Denn wenn das Absolute in irgendeiner Weise für das Ich sein soll, dann muss es auch für das Denken sein.157 Um die Zirkularität überwinden zu können, muss sie allerdings erst einmal angemessen verstanden werden. Zumeist wird nämlich eine Eindeutigkeit des Zirkelproblems unterstellt, die gar nicht gegeben ist. Es gilt also zunächst in angemessener Weise in den Zirkel hineinzugelangen. Der Zirkel muss in größter Strenge gedacht werden, damit seine Auflösung möglich ist.158
156
Baumanns, Fichte Gesamtdarstellung (1990), S. 64. Baumanns Kritik vernachlässigt den engen Zusammenhang zwischen den Grundsätzen der WL und den Gesetzen der Logik. So meint er, »A = A« solle nur zur absoluten Identität des Ich hinleiten. (Vgl. Gesamtdarstellung (1990), S. 64.) Dabei geht es ihm in der Relativierung von Fichtes Ausgang von der Logik aber nicht um die Möglichkeit einer alternativen Logik, sondern um eine Kritik am Ausgang von der Logik und damit der theoretischen Philosophie. (Vgl. Fichtes ursprüngliches System (1972), S. 52.) Baumanns versucht zu zeigen, dass die Grundlage den systemtheoretischen Anforderungen der Begriffsschrift nur ungenügend entsprechen kann. (Vgl. Gesamtdarstellung (1990), S. 58.) Die gesamte Kritik dient nur zum Beweis, dass die WL von Anfang an keine Wissenslehre, sondern eine »ethische Anthropologie oder Egologie der Freiheit« (113) ist. Nur die Freiheitsliebe führe zur WL. (Vgl. S. 129.) 158 Eine Bagatellisierung des Zirkels kann hingegen nicht zu seiner Überwindung beitragen. Bärbel Frischmann etwa unterscheidet die Handlungen des Geistes, die die drei Grundsätze ausdrücken und die der Logik vorhergehen, von dem begrifflichen Fixieren dieser Handlungen in Grundsätze, wofür die Logik in Anspruch genommen wird. (Vgl. Frischmann, Vom transzendentalen zum romantischen Idealismus (2005), S. 41.) Die Logik formuliert auf der darstellerischen Ebene Regeln, die die notwendig sprachlich verfasste WL auf dieser Ebene in Anspruch nehmen muss. Andererseits wären diese sprachlichen Gesetze abhängig von Handlungen des Geistes, die die Wissenschaftslehre formuliert. Der Zirkel wäre damit nur ein Problem der Darstellung. Das ist er aber nur in seiner oberflächlichsten Betrachtung. Der notwendige Zirkel unseres Geistes kann damit nicht aufgehoben werden. Das gilt auch für die Interpretation Wagners, nach dem Fichte den Zirkel durch die Unterscheidung zwischen System des Wissens an sich und Darstellung des Systems auflösen will. Er könne die logischen Gesetze unbefragt in Anspruch nehmen, weil sie an sich im System des Wissens immer schon gelten. Das, was Fichte vollzieht, sei nur die Darstellung des Systems: »Fichte kann diesen Zirkel unumwunden offenlegen, weil für ihn das System des menschlichen Denkens als solches unerschütterlich feststeht, soll dieses System doch unabhängig von jeder Darstellung als richtig und ewig gültig vorausgesetzt werden können« (Wagner, Persönlichkeit Gottes (1971), S. 49). Fichte setze also das System als unabhängig von seiner Darstellung voraus. Das begründe auch die ständigen neuen Darstellungen. Diese Äußerlichkeit der Darstellung und des voraussetzungsreichen An157
Fichtes Begründung der Grundsätze des Denkens
161
Eine operative Deutung der Grundsätze kann zeigen, dass Fichte den Zirkel produktiv wendet, indem er aus der Genetisierung der notwendigen Voraussetzungen des Denkens und des Systems seine Grundsätze und die allem Bewusstsein zu Grunde liegende Tathandlung gewinnt. Die formale Logik wird durch die WL nicht einfach bestätigt, sondern aufgehoben, indem ihre formallogischen Gesetze transzendentallogisch in den ursprünglichen Handlungen des Ich begründet und darin aufgelöst werden: sie drücken nur ein Moment der Handlung des Ich aus, nämlich das formale. Damit befolgt die WL eigentlich »im Befolgen der logischen Gesetze nur sich selbst.«159 Somit liegt auch nicht nur ein hypothetischer Anfang vor.160
fangs gegenüber dem System kann aber den Aufwand Fichtes bezüglich des angemessenen Anfangens nicht verständlich machen. 159 Vgl. Janke, Fichte (1970), S. 92. 160 Um Fichtes Gedanken zu rekonstruieren, nimmt Stolzenberg hingegen an, dieser wolle gar nicht den SdI als Grundsatz der Logik begründen, sondern »daß aus dem ›angenommenen Gehalte‹ des Satzes ›Ich bin‹ ›seine formale Richtigkeit‹, und das heißt die Gültigkeit der in ihm zu denkenden Identität des Ich unter Beweis gestellt werden kann.« (Stolzenberg, Fichtes Satz ›Ich bin‹ (1994), S. 12.) Die Identität des Ich werde dadurch bewiesen, dass die Widersprüche im Bewusstsein zuletzt aufgelöst werden. Dann wäre der Ausgang vom SdI aber nur ein »bittweise« vorausgesetzter Anfang. Denn die formale Gültigkeit des Satzes des Ich würde erst ganz zum Schluss bewiesen, nämlich wenn die Widersprüche im Ich aufgelöst sind. Damit wäre der Satz des absoluten Ich aber nicht schlechthin unbedingter Ausgangspunkt, sondern man wüsste erst zum Schluss, dass man »Recht getan« hat, mit dem SdI zu beginnen. Nun spricht Fichte zwar tatsächlich vom Experimentieren, aber dieses bezieht sich nur auf den Prozess der Gewinnung des ersten Grundsatzes. Ist er einmal gewonnen, ist der Grund allen Wissens gefunden, so ist man auch gewiss, dass er der richtige Grund ist. Eine andere Frage ist hingegen, ob aus den Grundsätzen in der Darstellung der WL immer richtig gefolgert wird. Dies kann man erst zum Schluss wissen. Das betrifft aber nicht die Gewissheit des ersten Grundsatzes. Diesen Zirkel, der das gesamte System der WL betrifft, greift Fichte unter anderem in der WL 1811 wieder auf: es bedürfe der ganzen WL, um ihre Form zu beweisen. Indem die WL in sich selbst zurückläuft, beweist der Ausgang ihren Anfang. Die objektive Gültigkeit des Denkens, »das die W.L. formaliter angewendet hat« (WL 1811; GA II,12, S. 149), erhärtet sich. Brachtendorf sieht dagegen in der Begründung durch den logischen SdI nur einen Plausibilisierungsversuch: die Prinziphaftigkeit soll einleuchten. Der von jedem zugestandene logische Satz werde durch den Grundsatz der WL metaphysisch begründet. Wer den logischen Satz zugebe, behaupte zugleich schon den begründenden Satz über das Ich. (Vgl. Brachtendorf, Fichtes Lehre vom Sein (1995), S. 128.) Damit bliebe die WL in einer anderen Weise hypothetisch: denn ihr Grundsatz würde auf der hypothetischen Setzung beruhen, dass man den SdI zugesteht. Ob diese Setzung begründet ist, wird dadurch nicht einsichtig. Auch dass mit dem Zugeständnis des logischen Satzes der metaphysische Satz behauptet werde, bedürfte einer Explikation, in welchem Sinne dieses »zugleich behaupten« zu verstehen ist.
162
Die transzendentale Logik
2.1. Der Zirkel der Wissenschaft 2.1.1. Die wechselseitige Abhängigkeit von Wissenschaftslehre und Logik Philosophie soll »eine Wissenschaft«161 sein. Um Wissenschaft zu sein, bedarf die Philosophie wie jede Wissenschaft eines sicheren Fundaments und einer systematischen Form. Sie bedarf einer fundamentalen Gewissheit und einer Form, durch die diese Gewissheit übertragen wird. Durch ihre systematische Form wird eine Wissenschaft ein einheitliches Ganzes. Jede Wissenschaft besteht nämlich nach Fichte aus Sätzen. Damit sie systematisch ist, muss diese Menge von Sätzen eine Einheit bilden. Eine Anhäufung von Sätzen, deren Zusammenhang nicht ausgewiesen ist, wäre keine Wissenschaft. Dieser Zusammenhang wird durch den Grundsatz der jeweiligen Wissenschaft begründet. Weil er die Einheit aller Sätze begründet, hängen sie alle in ihm zusammen: »Eine Wissenschaft hat systematische Form; alle Sätze in ihr hangen in einem einzigen Grundsatze zusammen, und vereinigen sich in ihm zu einem Ganzen – auch dieses gesteht man allgemein zu.«162 Der Grundsatz einer Wissenschaft konstituiert also die besondere Form jeder Wissenschaft, das heißt die Form der Verbindung ihrer Sätze untereinander. Der bloß formale Zusammenhang von Sätzen macht aber noch keine Wissenschaft im Sinne Fichtes aus. Denn es muss auch etwas gewusst werden und dieses muss gewiss sein. Der Grundsatz einer Wissenschaft muss deshalb nicht nur ihre formale Einheit begründen, sondern auch die Gewissheit der in ihr enthaltenen Sätze. Ihre Gewissheit leitet sich nur von seiner Gewissheit her: »Jede Wissenschaft muß einen Grundsatz haben, der völlig gewiß ist.«163 161
Begriff 1794; GA I,2, S. 112. Die »Selbstverständlichkeit« (Reinhard Hiltscher, Wahrheit und Reflexion. Eine transzendentalphilosophische Studie zum Wahrheitsbegriff bei Kant, dem frühen Fichte und Hegel, Bonn 1998, S. 132), die Fichte angeblich voraussetzt, wenn er Philosophie als Wissenschaft bestimmt, ist natürlich bei weitem nicht so naiv, wie Hiltscher offensichtlich annimmt. Denn dass sie faktisch auch nach Kant und Reinhold keine Wissenschaft ist, ist ja gerade das Problem, das Fichte durch Schulze klar wurde. Fichte fordert so vielmehr die Überführung der Philosophie als »einer Kennerei, einer Liebhaberei, eines Dillettantism« (Begriff 1794; GA I,2, S. 118) in echtes Wissen. Im Folgenden werden WL und Philosophie dann synonym verwendet, wenn die Differenz nicht eigens gekennzeichnet wird. 162 Begriff 1794; GA I,2, S. 112. 163 Züricher Vorlesungen (1794); GA IV,3, S. 23. »Ein solcher vor der Verbindung vorher und unabhängig von ihr gewisser Satz heißt ein Grundsatz.« (Begriff 1798; GA I,2, S. 115.)
Fichtes Begründung der Grundsätze des Denkens
163
Ein Grundsatz ist deshalb ein nicht weiter zu begründender Satz.164 Die anderen Sätze der Wissenschaft werden erst zu wissenschaftlichen Sätzen, weil sie mit dem Grundsatz dieser Wissenschaft zusammenhängen und daher gewiss sind. Das heißt, die anderen Sätze hängen nicht nur ihrer Einheit nach im Grundsatz zusammen, sondern hängen ihrer Gewissheit nach von ihm ab. Die Form dient zur Ableitung der Gewissheit vom Grundsatz auf die anderen Sätze. Der Grundsatz hat nicht erst durch seine Verbindung mit den übrigen Sätzen Gewissheit, sondern bereits vor dieser Verbindung. Er ist »schlechthin gewiss, weil seine Gewissheit keine abgeleitete ist.165 Diese für alle Wissenschaften gültigen Bestimmungen gelten auch für die Philosophie als Wissenschaft vom Wissen überhaupt. Auch sie muss auf einem in der Form eines Grundsatzes artikulierten unerschütterlichen Fundament gründen, dessen Geltung unmittelbar einleuchtet.166 Dies folgt aus dem Gedanken der Unbedingtheit des Wissens: ein Grund des Wissens, der unter einer Bedingung stünde, könnte nur ein bedingtes Wissen begründen, das somit nur hypothetische Geltung besäße: »Wenn der Satz, von welchem sie [die WL; S. Sch.] ausgeht, bewiesen werden könnte, so wäre er eben darum nicht Grundsatz; sondern der höchste Satz, aus dem er bewiesen würde, wäre es, und von diesem sonach würde ausgegangen. Aller Beweis setzt etwas schlechthin unbeweisbares voraus. Dasjenige, wovon die W. L. ausgeht, lässt sich nicht begreifen, noch durch Begriffe mittheilen, sondern nur unmittelbar anschauen«167. Für Fichte blieb Kant, da seine Philosophie nicht auf einem Fundament gründet, hinter seinem eigenen Anspruch auf ein einheitliches System zurück. Denn er spaltete die Vernunft in verschiedene Vermögen, anstatt sie in ihrer Einheit darzustellen, wie er es beabsichtigt hatte und wie es für eine wissenschaftliche Untersuchung der Vernunft nötig gewesen wäre. Die Gesetze der Vernunft und ihrer einzelnen Vermögen (des theoretischen, praktischen und 164
Vgl. Nova Methodo 98/99; GA IV,2, S. 28. Er »ist daher schlechterdings keines Beweises fähig, d. h., er ist auf keinen höhern Satz zurück zu führen, aus dessen Verhältnisse zu ihm seine Gewißheit erhelle.« (Begriff 1798; GA I,2, S. 120.) 166 Vgl. Begriff 1794; GA I,2, S. 120. Martin wendet dagegen ein, dass aus dem Begriff der Wissenschaft »eine radikale begründungsphilosophische These« (Martin, Zu den Zielen (1996), S. 422) folge, sei für moderne Leser wenig überzeugend. Die Argumente Fichtes dafür wären kaum überzeugend. Der Gedanke ist aber nun bei weitem nicht so weit hergeholt, zumindest wenn man einen strengen Wissensbegriff anlegt. So findet sich lange vor Descartes bereits bei Aristoteles im 4. Buch der Metaphysik der Gedanke einer Letztbegründung des Wissens durch Grundprinzipien. 167 Grund unsers Glaubens (1798); GA I,5, S. 350. 165
164
Die transzendentale Logik
urteilenden) habe er »mehr empirisch gesammelt, und durch Induction als Vernunftgesetze erhärtet […], als daß eine wahre Deduction aus der Urquelle sie erschöpft, und als das, was sie sind, […] dargelegt hätte.«168 Fichte übernimmt zwar im Wesentlichen die transzendentalen Grundbegriffe Kants, erkennt aber, dass sie der Ableitung aus einem obersten Prinzip bedürfen: »giebt’s keine Philosophie aus Einem Stücke, so giebt’s überhaupt keine Philosophie«169. In einem Satz muss dieses Prinzip deshalb ausgedrückt werden, weil alle Wissenschaften ein System von Sätzen darstellen, in denen geurteilt wird. Es wäre aber zunächst nicht einsichtig, wie etwa ein Begriff als Prinzip die Urteilsform der folgenden Sätze einer Wissenschaft begründen sollte. Um die Urteilsform der nachfolgenden Sätze zu begründen, bedarf es selbst eines Satzes als Ausgangspunkt. Der Grund der Gewissheit des gesamten Wissens muss außerdem selbst die Form des Wissbaren haben. Er soll ja auch selbst gewiss sein. Das heißt aber, dass der Grund selbst wahrheitsfähig sein muss. Wahrheitsfähig sind – zumindest in einem logischen Sinne – aber nur Urteile.170 Urteile wiederum werden in Sätzen artikuliert.171 Dabei überschreitet Fichtes Grundsatz allerdings die Eigenschaften gewöhnlicher Sätze: denn der Grundsatz der Wissenschaftslehre ist kein Urteil über einen Sachverhalt bzw. eine Tatsache, sondern eine Tathandlung. Zudem sind Form und Inhalt nicht verschieden voneinander, sondern miteinander identisch. Fichtes Grundsatz ist also ein Satz, in dem der Satzcharakter gleichzeitig überschritten wird. Die Satzform des Prinzips der Wissenschaftslehre bleibt allerdings äußeres Darstellungsmittel einer unmittelbaren Einsicht, die nicht völlig adäquat in einem Satz ausgedrückt werden kann. Fichte insistiert so immer wieder darauf, dass die WL nicht mitgeteilt werden kann, sondern von ihren Hörern und Lesern 168
Bericht (1806); GA II,10, S. 22. Kant hat »die Vernunft oder das Wissen nicht in seiner absoluten Einheit, sondern schon selbst in verschiedene Zweige gespalten als theoretische, praktische, u urtheilende Vernunft, der Untersuchung unterwarf, und selbst dieser einzelnen Zweige Gesetze mehr empirisch sammelte, u durch Induktion sie als Vernunftgesetze erhärtete, als daß eine wahre Deduction aus der Urquelle sie erschöpft, u als das, was sie sind, dargelegt hätte.« (Darstellung der WL 1801/02; GA II,6, S. 131.) 169 WL 18042; GA II,8, S. 284. 170 Deswegen lehnt Fichte ja auch eine Definition als Prinzip der Philosophie bzw. des Wissens ab, da er solch ein Prinzip nicht für wahrheitsfähig hält. 171 So zitiert Janke zur Rechtfertigung der Grundsatzphilosophie ihren Kritiker Hegel: »Das Unaussprechliche ist das Unwahre. Was im Ausdruck der Sprache versagt, ist das Unvernünftige. Wo der Gedanke nicht zu Wort kommt, herrscht die Meinung.« (»Die Grundsätze der absoluten Einheit im Urteil der Sprache (Fichte, Hegel, Hölderlin)«. In: Karen Gloy/Enno Rudolph (Hrsg.), Einheit als Grundfrage der Philosophie, Darmstadt 1985, 217–237, S. 218.)
Fichtes Begründung der Grundsätze des Denkens
165
erzeugt werden muss. Der Grundsatz ist auch deshalb ein Satz, der sich von anderen Sätzen unterscheidet. Der ganze Wert von Reinholds Philosophie besteht für Fichte letztlich darin, gezeigt zu haben, dass die gesamte Philosophie auf einen Grundsatz zurückgeführt werden müsse.172 Fichte zeigt sich nun aber als der Vollender der Grundsatzphilosophie.173 Dazu trägt in besonderer Weise seine Auseinandersetzung mit der Abhängigkeit seiner WL von den Prinzipien der Logik bei. Denn der Satz der Identität und der Satz des Widerspruchs nehmen als die Grundsätze der Logik eine Sonderfunktion in allen Wissenschaften ein: der Satz der Identität, insofern alles in einer Wissenschaft Behauptete mit sich identisch bleiben muss. Die formalen Abhängigkeitsverhältnisse selbst gründen ihrer Möglichkeit nach in der Identität ihrer Glieder. Wären diese Glieder nicht identisch mit sich selbst, »so würde das den durchgängigen Wandel aller ihrer Verhältnisse implizieren, so daß nicht einmal die Möglichkeit konstanter […] Abhängigkeitsverhältnisse gegeben wäre.«174 Der Satz des Widerspruchs besitzt eine Doppelfunktion: einerseits dürfen die Grundsätze der Wissenschaften in sich nicht widersprüchlich sein, andererseits dürfen sich die Sätze untereinander nicht widersprechen. Die Grundsätze der Logik sind damit immer schon in jeder Wissenschaft vorausgesetzt, ohne jedoch eigens als Grundsätze der einzelnen Wissenschaften explizit gemacht zu werden. Damit scheint die Logik jeder Wissenschaft – auch der Philosophie – vorgängig zu sein. Das führt ihn in seinen Eigenen Meditationen 1793/94 zur Überlegung: »Die ElementarPhilo[so]phie steht ihrer Form nach unter der allgemeinen Logik. wie diese wieder unter jener; da ist ein Zirkel.«175 172
»Nach Kant machte Reinhold sich das unsterbliche Verdienst, die philosophirende Vernunft […] darauf aufmerksam zu machen, daß die gesammte Philosophie auf einen einzigen Grundsatz zurück geführt werden müsse, und daß man das System der dauernden Handlungsweise des menschlichen Geistes nicht eher auffinden werde, bis man den Schlußstein desselben aufgefunden habe.« (Rezension Aenesidemus (1794); GA I,2, S. 62.) 173 In Begriff 1794 entfaltet Fichte »die klassische Systemidee des logisch-deduktiven Systems, das auf einem unmittelbar gewissen, aus dem System selbst nicht beweisbaren Prinzip bzw. Grundsatz ruht, mit unüberbietbarer Klarheit« (Tietjen, Fichte und Husserl (1980), S. 69). 174 Schüßler, Logik und Ontologie (1981), S. 498. 175 GA II,3, Anm. S. 22. Dies war der Einwand Schulzes gegen Reinholds Konzeption einer Grundsatzphilosophie: insofern dessen Elementarlehre ihren Grundsatz, den SdB, als Urteil ausdrücken muss, unterliegt dieser dem SdW als der obersten formalen Regel allen Urteilens. »Der Satz des Bewußtseyns ist nämlich erstlich kein absolut erster Grundsatz, der in keiner Rücksicht einem andern Satze untergeordnet wäre, und schlechterdings durch keinen andern bestimmt würde. Als Satz und als Urtheil ist er der höchsten Regel alles Urtheilens, nämlich dem Prinzip des Widerspruchs, nach welchem Nichts, was
166
Die transzendentale Logik
Hiergegen könnte man nun einwenden, dass die Widerspruchsfreiheit der Sätze untereinander nur ein durch die äußerliche Reflexion herangetragenes negatives Kriterium der Wahrheit der einzelnen Wissenschaften ist.176 Die Wissenschaften hätten aber jeweils eine intrinsische Form, durch die der formale Zusammenhang ihrer Sätze bestimmt sei: in der Geometrie werde er etwa durch die Grundsätze der Geometrie konstituiert. Denn die Formen der einzelnen Wissenschaften unterscheiden sich voneinander. So sollen ja auch die jeweiligen Grundsätze die Form ihrer Wissenschaft bestimmen. Die Logik verbliebe eben nur als ein äußeres, negatives Prüfkriterium. Andererseits sind die Sätze der Wissenschaften aber als Sätze durch die Gesetze der Logik bestimmt. Denn jeder Satz weist einen Gehalt und eine Form auf: »Kein Satz ist ohne Gehalt oder Form möglich.«177 Die Form eines Satzes als Urteil wird dabei von der Logik bestimmt. So stellt sich innerhalb der Grundsatzphilosophie zunächst die Frage nach dem Verhältnis von logischer Form und Inhalt des ersten Grundsatzes. Wie jeder Satz besitzt auch der oberste Grundsatz der WL nämlich einen Gehalt und eine logische Struktur. Den Gehalt eines Satzes bestimmt Fichte als die Bedeutung von Subjekt und Prädikat, die Form als das Verhältnis von Subjekt und Prädikat zueinander. Der Inhalt ist das, wovon man etwas weiß, und die Form das, was man davon weiß.178 In einer Prädikation drückt die Form das Verhältnis der Gleichheit und der Differenz, in dem Subjekt und Prädikat zueinander stehen, aus.179 soll gedacht werden können, widersprechende Merkmale enthalten darf, untergeordnet, und wird in Ansehung seiner Form und in Ansehung der Verbindung des in ihm vorkommenden Subiekts und Prädikats durch dieses Prinzip bestimmt.« (Aenesidemus (1792), S. 60.) »Welche Giltigkeit könnte auch wohl der Satz des Bewußtseyns als ein Satz dann besitzen, wenn das Prinzip des Widerspruchs noch nicht als ausgemacht schon feststände« (60). 176 In diese Richtung zielte Reinhold: der SdW sei ein Satz der Logik, die ein System und dessen Sätze auf logische Widerspruchfreiheit untersuchen kann, aber dieses nicht bestimmt. Für das Verhältnis von SdW und SdB folgt deshalb: »Freylich steht auch der S. d. B. unter ihm; aber nicht als unter einem Grundsatze, durch den er bestimmt würde, sondern nur als unter einem Gesetze, dem er nicht widersprechen darf.« (Fundament (1791), S. 85.) 177 Begriff 1794; GA I,2, S. 121. 178 »Dasjenige, von dem man etwas weiß, heisse indeß der Gehalt, und das, was man davon weiß, die Form des Satzes.« (Begriff 1794; GA I,2, S. 121.) 179 Nach Fichte findet sich in jedem Satz etwas, von dem gewusst wird, und etwas, was davon gewusst wird. Ersteres scheint nun klassischerweise dem Subjekt des Satzes (S) zuzukommen, das zweite der Prädikation (ist P). Man würde aber normalerweise davon ausgehen, dass das Subjekt allein das ist, wovon man etwas aussagt, die gesamte Prädikation dagegen das, was man vom Subjekt aussagt. Fichte aber meint mit der Form die Beziehung von Subjekt und Prädikat, also allein die Kopula. Aber in der Trennung von Form und Gehalt scheint es zunächst durchaus sinnvoll, Prädikat und Subjekt auf die Seite des Ge-
Fichtes Begründung der Grundsätze des Denkens
167
Selbst wenn also der Zusammenhang der Sätze untereinander durch die jeweiligen Grundsätze bestimmt wäre – als Sätze wären auch die Grundsätze jeder Wissenschaft ihrer Form nach durch die Logik bestimmt. Die Logik scheint damit die Wissenschaft zu sein, durch die die anderen Wissenschaften formal bestimmt sind. Hiermit liegt eine Doppelung der Formbestimmung jeder Wissenschaft vor, die Fichte selbst nicht explizit gemacht hat: einerseits sind alle Wissenschaften formal durch die Logik bestimmt, andererseits durch ihren jeweiligen Grundsatz, dessen Form in mehr als der bloß logischen Struktur bestehen muss. Man muss deshalb im Sinne Fichtes zwischen einer allgemeinen und einer besonderen Form unterscheiden.180 Die logische Form ist die allgemeine Form, durch die alle Wissenschaften bestimmt sind. Die Wissenschaftslehre unterliegt als Wissenschaft genau den Bestimmungen, denen jede Wissenschaft ihrer allgemeinen Form nach unterliegt – also den Gesetzen der Logik. Gleiches gilt für den Zusammenhang ihrer Sätze: »Wie aus jenem Grundsatze nun weiter gefolgert werden solle, wird durch die allgemeine Logik vorgeschrieben […].«181 Ihrer Form nach unterliegen die Urteile der Philosophie oder WL den Gesetzen des Widerspruchs und der Identität als Gesetzen allen Urteilens, ihrem formalen Zusammenhang untereinander nach stehen sie unter ihnen als aussagenlogischen Gesetzen. Damit wäre die Logik die höchste formale Wissenschaft, von der die WL abhängig wäre.182 halts zu setzten, da die formale Logik ja von der Bedeutung dieser beiden absieht, sie durch Variablen ersetzt und sich nur für das Verhältnis dieser Variablen zueinander interessiert, also für das, was durch das »ist« ausgedrückt wird. Wie man diese Unterscheidung von Form und Gehalt jedoch »als Anklang an die Fregesche Unterscheidung von Bedeutung und Sinn« (Werner Stelzner, »Selbstzuschreibung und Identität«. In: Wolfram Hogrebe (Hrsg.), Fichtes Wissenschaftslehre 1794. Philosophische Resonanzen, Frankfurt am Main 1995, 117–140, S. 120) verstehen kann, wird seinerseits nur verständlich, wenn man bei Stelzner ein völliges Missverständnis des Begriffes der Form voraussetzt. Denn die Form bezeichnet ja gerade nicht die wissenschaftlich äußerlich bleibende »Art des Gegebenseins der Bedeutung« (120). Vielmehr wird die Bedeutung eines Satzurteils erst durch Gehalt und Form konstituiert, da ohne Form noch ganz offen ist, in welchem Verhältnis Subjekt und Prädikat zueinander stehen. 180 Der junge Schelling ist hier deutlicher als Fichte. Er unterscheidet nämlich in Über die Form der Philosophie (1794): »die allgemeine Form aller Wissenschaften […] von der besondern Form einzelner Wissenschaften« (SHKA I,1, S. 270). 181 Best. d. Gel. 1794; GA I,3, S. 59 f. 182 Das gilt nach der Kritik Schulzes in Aenesidemus 1792 von der Elementarphilosophie Reinholds. Mit dieser Kritik an Reinhold setzt sich Fichte explizit in seiner Rezension von Aenesidemus auseinander. Die Schrift Schulzes hatte Fichte zunächst in eine »skeptische Krise« geworfen und die »Grundfesten seines eigenen philosophischen Systems erschütter[t]« (Schäfer, Johan Gottlieb Fichtes ›Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre‹ von 1794, Darmstadt 2006, S. 11), bis er den Grundsatz gefunden zu haben meinte, mit
168
Die transzendentale Logik
Zur Ursache eines Zirkels wird diese Inanspruchnahme der Logik für die WL erst dadurch, dass die WL nicht eine Wissenschaft neben anderen ist, sondern »die Wissenschaft von einer Wissenschaft überhaupt«183 sein soll. Die WL hat das Wissen überhaupt zu begründen, in ihr findet sich der Grund des gesamten Wissens. Philosophie muss deshalb selbstbegründend, absolut gewiss auf Grund ihrer eigenen Gewissheit sein und ihre eigene Möglichkeit erweisen.184 Das impliziert dreierlei: 1. Jede Wissenschaft zeichnet sich durch Gewissheit aus. Die Wissenschaftslehre hat deshalb die Gewissheit überhaupt zu begründen. Vor ihr darf also nichts als gewiss gelten, weil die Gewissheit als solche von ihr abhängt. 2. Die Wissenschaftslehre muss den jeweiligen Grundsatz jeder einzelnen Wissenschaft bestimmen: ein Satz der WL entspricht immer einem Grundsatz einer anderen Wissenschaft. Eine Wissenschaft zeichnet sich nach Fichte dadurch aus, »daß sie alle ihre Sätze durch Gleichungen auf Einen Satz reduzieren könne«185: auf ihren Grundsatz. Dieser Grundsatz der jeweiligen Wissenschaft kann nicht in dieser Wissenschaft erwiesen werden. Denn um Wissenschaft zu sein, setzt sie ihn bereits voraus. Der Grundsatz jeder Einzelwissenschaft wird vielmehr durch die WL bestimmt und in seiner Gültigkeit erwiesen. Die WL als die Wissenschaft von Wissenschaft überhaupt ist gegenüber den anderen Wissenschaften dadurch ausgezeichnet, dass sie die Grundsätze der anderen Wissenschaften zu begründen hat: »Die Wissenschaftslehre hat den Hauptgrundsatz jeder möglichen Wissenschaft zu begründen.«186 3. Der Grundsatz jeder Wissenschaft entspricht einem Satz der WL. Man kann damit denselben Satz »aus zwei Gesichtspunckten«187 betrachten: als Satz der WL und als Grundsatz einer besonderen Wissenschaft. Die Einzelwissenschaft soll aber eigenständige Folgerungen enthalten, sonst wäre sie ja nicht eigenständige Wissenschaft, sondern nur ein Teil der WL. Aus demselben Satz muss also Verschiedenes folgen können und es muss einen Grund
dem die Philosophie ein System und damit Wissenschaft wird, wie er dem Tübinger Professor Flatt in einem Brief mitteilte. (Vgl. GA III,2, S. 18.) Nach der Lektüre des Aenesidemus sah sich Fichte genötigt, »seine eigene Position gegenüber den kritischen Argumenten Schulzes auf der einen Seite und der Position Reinholds auf der anderen Seite zugleich zu profilieren.« (Jürgen Stolzenberg, Fichtes Begriff der intellektuellen Anschauung. Die Entwicklung in den Wissenschaftslehren von 1793/94 bis 1801/02, Stuttgart 1986, S. 15.) 183 Begriff 1794; GA I,2, S. 118. 184 Vgl. Breazeale, Circles and Grounds (1994), S. 44. 185 Züricher Vorlesungen (1794); GA IV,3, S. 25. 186 Züricher Vorlesungen (1794); GA IV,3, S. 23. 187 Begriff 1794; GA I,2, S. 128.
Fichtes Begründung der Grundsätze des Denkens
169
für diese Differenz geben. Als Grundsatz der besonderen Wissenschaft muss ihm etwas zukommen, was ihm als Satz der WL fehlt. Der Unterscheidungsgrund des unterschiedlichen Folgerns muss selbst der WL entstammen, denn sie enthält das gesamte Wissen.188 Die Logik muss als eine Wissenschaft also nun ihrerseits in dreifacher Weise von der WL bestimmt werden: 1. Sie kann nur gewiss sein, weil die WL Gewissheit gestiftet hat. 2. Ihr Grundsatz muss aus der WL stammen. 3. Das Unterscheidungsmerkmal zwischen dem Grundsatz der Logik und dem ihn begründenden Satz der WL muss sich aus der WL herleiten lassen. Die Beschaffenheit der WL als Wissenschaft und ihre wissenschaftsbegründende Funktion bringt folgendes zirkuläres Verhältnis hervor: einerseits ist die WL als Wissenschaft immer schon formal durch die Logik bestimmt, insbesondere durch ihre beiden Grundsätze der Identität und des Widerspruchs. Andererseits soll sie als Wissenschaft von jeder möglichen Wissenschaft die Logik selbst erst begründen, sodass die Logik erst durch die Grundsätze der WL Gültigkeit besitzt. Die WL folgt operativ den Gesetzen der Reflexion, das heißt den logischen Gesetzen, insofern diese Gesetze ihre Urteile und Ableitungen bestimmen. Exakt diese Gesetze der Logik werden dann anschließend aus den Prinzipien der WL abgeleitet.189 Dieser Zirkel von Begründung der Logik und Abhängigkeit von der Logik kann nur durch die vierte Funktion der WL aufgelöst werden, dass sie selbst die anderen Wissenschaften logisch-formal bestimmen soll: »Die Wissenschaftslehre soll aber nicht nur sich selbst, sondern auch allen möglichen übrigen Wissenschaften ihre Form geben, und die Gültigkeit dieser Form für alle sicher stellen.«190
188
Vgl. Begriff 1794; GA I,2, S. 133 f. Die WL enthält die notwendigen Handlungen des Geistes, aber Grund dieser Handlungen ist mit der Selbstsetzung des Ich doch die Freiheit. Diese Freiheit geht als Moment der Unbestimmtheit in die einzelnen Wissenschaften ein, in denen diese wiederum bestimmt wird. (Vgl. dazu die Beispiele aus Geometrie und Naturwissenschaften S. 135.) Aus dieser Unbestimmtheit resultiert auch die Unabschließbarkeit der Einzelwissenschaften. »Die Wissenschaftslehre enthält bloß das Nothwendige; […] es ist nothwendig begränzt. Alle übrigen Wissenschaften gehen auf die Freyheit, so wohl die unsers Geistes, als die des von uns schlechthin unabhängigen Nicht-Ich. […] Ihr Wirkungskreis ist demnach unendlich.« (136 f.) Die »Bestimmung der Freiheit« (137), wodurch die Logik konstituiert wird, ist die Absonderung der Form des Satzes der WL von seinem Gehalt. 189 Vgl. Seebohm, »Fichte’s Discovery of the Dialectical Method«. In: Daniel Breazeale/ Tom Rockmore (Hrsg.), Fichte: Historical Contexts/Contemporary Controversies, New Jersey 1994, 17–42, S. 23. 190 Begriff 1798; GA I,2, S. 123.
170
Die transzendentale Logik
Die Wissenschaftslehre als Wissenschaft von der Wissenschaft begründet Gehalt und Form jeder Wissenschaft. Der Grundsatz der WL soll nicht nur die besondere Form der WL begründen. Dann bliebe die WL in ihrer allgemeinen Form von der Logik abhängig, wie dies bei der Geometrie und den anderen besonderen Wissenschaften der Fall ist. Vielmehr bestimmt er die allgemeine Form jeder Wissenschaft und damit auch seiner selbst und der WL. Der Grundsatz der WL übernimmt also die formbegründende Funktion der Gesetze der Logik. Dies kann man als Aufhebung der Logik in die WL oder der logischen Grundsätze in die Grundsätze der WL bezeichnen. Die Weise, in der dies bei Fichte geschieht, ist die Genetisierung der Logik und ihrer Grundsätze. Diese, die die formale Form aller Wissenschaften zu bestimmen scheinen, werden als bloß formale Seite der WL und ihrer Grundsätze enthüllt und damit überflüssig. Die besondere Form der WL muss dazu mit der allgemeinen logischen Form, ihre allgemeine mit ihrer besonderen Form koinzidieren. Die Form der WL selbst, das heißt die Verbindung ihrer Sätze, gründet sich damit nicht auf die Logik, sondern auf ihren eigenen Grundsatz: »Sie muß mithin diese Form in sich selbst haben, und sie durch sich selbst begründen.«191 Indem die WL die allgemeine Form, »die Bedingung des Zusammenhangs der abgeleiteten Sätze mit dem Grundsatze«192 begründen soll, tritt sie in Konkurrenz zur Logik.193 Nicht die Logik soll dem allgemeinen formalen Zusammenhang der Sätze der einzelnen Wissenschaften zu Grunde liegen, sondern die Wissenschaftslehre. Die gewöhnliche Logik muss dazu durch die WL vernichtet und durch eine transzendental begründete formale Logik ersetzt werden. Die Logik soll in ihrer Gültigkeit durch die WL bewiesen werden und ihre Inhalte aus ihr hergeleitet werden. Wie jede Wissenschaft, so entlehnt auch die Logik ihren ersten Grundsatz der WL. Fichte versucht damit zu zeigen, dass die Grundsätze der WL die Geltung der Gesetze der Logik überhaupt erst einsichtig machen:
191
Begriff 1794; GA I,2, S. 121. Begriff 1794; GA I,2, S. 120. 193 »Aber es tritt eine andere Wissenschaft, unter dem Namen der Logik, mit den gleichen Ansprüchen uns in den Weg. Zwischen beiden muß entschieden, es muß untersucht werden, wie die Wissenschaftslehre sich zur Logik verhalte.« (Begriff 1794; GA I,2, S. 128.) Später heißt es: »Die Wissenschaftslehre soll für alle möglichen Wissenschaften die Form aufstellen: nach der gewöhnlichen Meinung, an der wohl auch etwas Wahres seyn mag, thut die Logik das gleiche. Wie verhalten sich diese beiden Wissenschaften, und wie verhalten sie sich insbesondere in Absicht jenes Geschäfts, das beide sich anmaaßen?« (137) 192
Fichtes Begründung der Grundsätze des Denkens
171
»Die Wissenschaftslehre unterscheidet sich allso von der Logik dadurch, daß sie das Befugniß ihrer und aller Gleichungen beweist, die Logik hingegen setzt dieß alles, als Bewiesen voraus.«194 Dadurch lässt sich nun aber umgekehrt bereits etwas über die eigene Struktur der Wissenschaftslehre einsehen: denn allgemeine logische Struktur und besondere Struktur der WL und ihrer Grundgesetze müssen ja zusammenfallen. Das bedeutet eine Möglichkeit, den Grundsatz der WL aufzufinden. Denn als Grundsatz allen Wissens kann dieser nicht abgeleitet werden: »er muß daher doch gewiß und zwar in sich selbst, und um sein selbst willen, und durch sich selbst gewiß seyn.«195 Durch sich selbst kann er aber nur gewiss sein, wenn seine Form nicht nur äußerlich auf seinen Gehalt angewandt wird, sondern wenn seine Form und sein Gehalt sich wechselseitig bestimmen. Aus der Form muss sein Gehalt folgen und umgekehrt. Da die Form des Grundsatzes der WL mit der logischen Form zusammenfallen muss, Form und Inhalt des Grundsatzes der WL sich wechselseitig bestimmen, ist ein Ansatz gefunden, den Grundsatz in gewisser Weise herzuleiten. Fichte versucht den Zirkel also positiv zu wenden, indem er den Gehalt des Grundsatzes über seine logische Form bestimmt.196
2.1.2. Die wechselseitige Bestimmung von Form und Gehalt im Grundsatz der Wissenschaftslehre Gewöhnliche prädizierende Urteile zeichnen sich dadurch aus, dass ihre Form und ihr Gehalt nicht in notwendiger Weise zusammengehören. Der Gehalt eines Satzes ist nicht allein durch seine Form gegeben und umgekehrt. Es muss ein Grund für ihre Verknüpfung hinzukommen. Beim Grundsatz der WL verhält sich das anders. Inhalt und Form sollen in ihm beide unbedingt sein, und beide sollen sich ausschließlich wechselseitig bestimmen.
194
Züricher Vorlesungen (1794); GA IV,3, S. 26. Begriff 1794; GA I,2, S. 120. »Er ist der Grund aller Gewißheit, d. h., alles was gewiß ist, ist gewiß, weil er gewiß ist; und es ist nichts gewiß, wenn er nicht gewiß ist. Er ist der Grund alles Wissens […].« (121) 196 Paimanns Rede von einem »wahren, hierarchischen Zirkel« (Paimann, Die Logik und das Absolute (2006), S. 34), in dem die Logik die übergeordnete Position einnehme, scheint mir dagegen in sich widersprüchlich, da ein Zirkel eben kein hierarchisches Verhältnis zulässt. 195
172
Die transzendentale Logik
Darauf gründet seine unmittelbare, nur durch ihn selbst begründete Gewissheit: »Der erste Satz aller Wissenschaftslehre muß […] beides, Gehalt und Form haben. Nun soll er unmittelbar und durch sich selbst gewiß seyn, und das kann nicht anders heissen, als daß der Gehalt desselben seine Form, und umgekehrt die Form desselben seinen Gehalt bestimme. Diese Form kann nur zu jenem Gehalte, und dieser Gehalt kann nur zu jener Form passen […].«197 Die Form des Grundsatzes ist schlechthin gültig für seinen Gehalt. Sie tritt nicht nur an ihm auf, wie in jedem anderen Satz, sondern gehört unbedingt zu ihm. Damit lässt sich der Inhalt des ersten Grundsatzes aus seiner Form, die Form hingegen aus dem Inhalt entwickeln.198 Ausgehend von dem formallogischen Grundsatz des Widerspruchs bzw. der Identität lässt sich der notwendig mit ihm verbundene Gehalt bestimmen. So findet sich in den Eigenen Meditationen eine nachträgliche Notiz zu einem Verfahren, mittels dessen der Satz »Ich bin« aus »A ist A« hergeleitet werden soll: »Es scheint, daß in den Vorlesungen der Satz ich bin: wirklich fallsch deducirt ist. – Ich glaube er muß allerdings bewiesen werden; aber im Zirkel, nemlich so: insofern er formell ist a=a. kommt er zum Bewußtseyn; daraus läßt sich auf ihn schließen, insofern er material ist; u. nicht zum Bewußtseyn kommt. – Und umgekehrt: aus dem angenommenen Gehalte deßselben läßt sich nun seine formale Richtigkeit ableiten.«199
197
Begriff 1794; GA I,2, S. 121 f. »Die Form des absoluten ersten Grundsatzes der Wissenschaftslehre ist also durch ihn, den Satz selbst, nicht nur gegeben, sondern auch als schlechthin gültig für den Gehalt desselben aufgestellt.« (122) 198 Diese Forderung Fichtes nach der Unzertrennlichkeit von Form und Gehalt ist auch gegen Reinhold gerichtet. Die Frage nach dem Verhältnis zwischen dem SdB als dem obersten Systemgrundsatz und dem SdW als dem höchsten formalen Gesetz aller Urteile war zwischen Reinhold und Schulze hauptsächlich eine der Rangfolge: welcher Satz untersteht welchem Satz in welcher Hinsicht. Es wurde gar nicht der Versuch unternommen, den einen Satz aus dem anderen zu begründen. Der Skeptiker Schulze begnügt sich damit zu zeigen, dass Reinholds Satz des Bewusstseins als Urteil dem SdW untersteht. Denn dieser sei die höchste formale Regel allen Urteilens. Reinhold wiederum kann nur feststellen, dass der SdB zwar als Urteil insofern unter dem SdW stehe, als er diesem nicht widersprechen dürfe, deswegen aber nicht aus ihm ableitbar sei, da der SdW eben gar kein materialer Satz sei und insofern keinen Inhalt besitze. Im obersten Grundsatz der WL soll die Form aber gar nicht abtrennbar von ihrem Gehalt sein und umgekehrt. 199 GA II,3, S. 23. Grundlage und Nova Methodo gehen somit umgekehrt vor: »Wir giengen [in Nova Methodo] von der Thathandlung aus u. kamen auf die Thatsache – im
Fichtes Begründung der Grundsätze des Denkens
173
Der erste Grundsatz der Wissenschaftslehre ist somit der Satz der Identität, der zweite der Satz des Widerspruchs, jeweils erweitert um ihre materiale Bedeutung. Dadurch gewinnen sie »reale Gültigkeit«200. Der Zirkel der wechselseitigen Bedingung von Logik und WL hat sich damit verändert. Denn es werden nicht mehr nur Prinzipien der Logik durch die Prinzipien der WL erst begründet und gleichzeitig in Anspruch genommen, sondern der Grundsatz der WL soll aus dem logischen Identitätsgesetz entwickelt werden, das seine Form ausdrückt. Dieser formale Satz soll andererseits aber erst das Ergebnis einer Abstraktion vom Inhalt des Grundsatzes der WL sein. Die Entwicklung des Grundsatzes der WL aus dem Identitätsprinzip ist nur möglich, weil dieses logische Gesetz an sich Ergebnis einer Abstraktion vom Inhalt des Grundsatzes der WL ist, in der dessen Form zurückbehalten wird. Die Sätze der Logik sind nur für den Philosophen der Ausgangspunkt, um den Grundsatz der WL zu entwickeln. An sich ist der Grundsatz der WL das Erste und die Logik und ihre Gesetze sind bloße Abstraktionsprodukte.201 Die formale Logik sieht ab von den Gegenständen des Denkens und reflektiert nur auf das Wie ihres Gedachtseins: »Logik verhält sich zu der Wissenschaftslehre, wie jedes Abstraktum zu seinem Concretum.«202 Das Wesen der Logik besteht damit in der Trennung von Form und Gehalt:
Buche [der Grundlage] aber ist die umgekehrte Methode.« (Nova Methodo 98/99; GA IV, 2, S. 33.) 200 Rezension Aenesidemus (1794); GA I,2, S. 44. Bereits in den Eigenen Meditationen 1793/94 beginnen »Identität und Gegensatz sich als die Grundkategorien des Denkens herauszubilden« (Rohs, Johann Gottlieb Fichte, München 1991, S. 38). »Für Fichte sollen nun diese Begriffe der Identität und ihres Gegenteils die Elementarbegriffe sein, die sich selbst bestimmen.« (40) 201 Die Logik setzt die freie Handlung der Abstraktion voraus, denn sie muss in einer besonderen, aber nicht notwendigen Handlung die Form vom Gehalt abstrahieren: »Die Logik soll die bloße Form, vom Gehalte abgesondert, aufstellen; diese Absonderung kann, da sie keine ursprüngliche ist, nur durch Freiheit geschehen. Die freie Absonderung der bloßen Form vom Gehalte wäre es sonach, durch welche eine Logik zu Stande käme. Man nennt sie Abstraktion; und demnach besteht das Wesen der Logik in der Abstraktion von allem Gehalt der Wissenschaftslehre.« (Begriff 1798; GA I,2, S. 138.) In der Fassung von 1794 heißt es, die Absonderung vom Gehalt sei »an sich nicht nothwendig« (138). 202 Züricher Vorlesungen (1794); GA IV,3, S. 27. »Die Logik ist schon eine angewandte Wesenlehre. Ihr Objekt ist eine Abstraction vom möglichen Objekte des denkens. Sie betrachtet die Formen des Geistes in ihrer höchsten Allgemeinheit.« (Eigene Meditationen (1793/94); GA II,3, Anm. S. 22.)
174
Die transzendentale Logik
»Die Philosophie giebt die Form mit dem innern Gehalt. Die Logik läßt den Gehalt liegen, und stellt die läre Form auf, als gültig für alle möglichen unter jenem höchsten Gehalte enthaltnen besondern Gehalte.«203 Die Logik als »Wissenschaft des bloß Formalen«204 betrachtet nur das »Wie« der Verbindung von Subjekt und Prädikat, nicht das »Was«. In der WL hingegen ist kein Satz nur der Form nach richtig. Aus der Richtigkeit der Form soll in ihr vielmehr die Realität des inneren Gehalts folgen. Mit der Form muss der Gehalt gegeben sein und umgekehrt. Nicht wenn, sondern »weil A ist, so ist A = A.«205 Die Logik ist also ein Kunstprodukt, insofern sie auf der Abstraktion vom bestimmten Gehalt der Sätze beruht. Dabei sind ihre Grundsätze aber nicht Abstraktionen von beliebigen Sätzen, denn daraus könnte keine Allgemeinverbindlichkeit der logischen Gesetze folgen. Vielmehr abstrahiert sie beim Satz der Identität genau von dem Satz, dessen Gehalt mit der Form der Identität identisch ist, dem Satz »Ich = Ich«: »der Satz: A = A gilt ursprünglich nur vom Ich; er ist von dem Satze der Wissenschaftslehre: Ich bin Ich, abgezogen; aller Gehalt also, worauf er anwendbar seyn soll, muß im Ich liegen, und unter ihm enthalten seyn.«206 Analoges gilt vom Satz des Widerspruchs. Die Grundsätze des Denkens sind als logische Gesetze nur das formale Abstraktum je eines Satzes der Wissenschaftslehre, in dem ihre Form mit einem Inhalt wesentlich verknüpft ist: »demnach besteht das Wesen der Logik in der Abstraktion von allem Gehalt der Wissenschaftslehre«207 – nicht von empirischen Gegebenheiten. Deshalb handelt es sich um eine transzendentale Begründung der Logik. Würde von den Inhalten abstrahiert, ungeachtet »ob sie empirisch oder a priorisch seyen«208, so erhielte man keine notwendigen Formen. Da die formale Logik aber von diesem Unterschied abstrahiert, kann gar nicht mehr gesagt werden, ob es sich bei den logischen Formen um eine bloß kontingente oder um eine 203
Züricher Vorlesungen (1794); GA IV,3, S. 27. »In der Wissenschaftslehre ist die Form vom Gehalte, oder der Gehalt von der Form nie getrennt; in jedem ihrer Sätze ist beides auf das innigste vereinigt.« (Begriff 1794; GA I,2, S. 137.) 204 Züricher Vorlesungen (1794); GA IV,3, S. 25. 205 Züricher Vorlesungen (1794); GA IV,3, S. 26. 206 Begriff 1794; GA I,2, S. 140. Begriff 1798; GA I,2, S. 140 heißt es: »Die Logik also sagt: Wenn A ist, ist A; die Wissenschaftslehre: Weil A (dieses bestimmte A = ICH) ist, ist A.« »Ich bin Ich. ist Philosophie. A ist A. – ist Logik.« (Züricher Vorlesungen (1794); GA IV,3, S. 24.) 207 Begriff 1794; GA I,2, S. 138. 208 Unterschied zwischen Logik und Philosophie (1812); GA II,14, S. 197.
Fichtes Begründung der Grundsätze des Denkens
175
notwendige Form handelt. Aus der Abstraktion der Form von empirisch-zufälligen Inhalten kann keine notwendige Wahrheit entstehen. Die Frage nach dem Wert der Logik muss deshalb danach bemessen werden, wovon sie abstrahiert: vom Gehalt der Grundsätze des Ich oder wie die Logiker des Empirismus von einer Summe von Einzelfällen. Der Satz der Identität darf – soll er Notwendigkeit besitzen – nicht als die Abstraktion von beliebigen konkreten Gedanken oder Abstraktion von Sätzen wie »Ein Baum ist ein Baum.« verstanden werden, sondern von dem Satz »Ich = Ich«. Die logischen Gesetze sind also nicht Ergebnis einer Abstraktion aus vielen einzelnen Erfahrungen oder Urteilen, sondern jeweils eines ganz bestimmten Satzes der Wissenschaftslehre. Insofern kann man die Erweiterung der Grundsätze der Logik um ihren Gehalt und ihre damit verbundene Aufhebung in Grundsätze der WL als Rückführung der logischen Gesetze auf ihren wahren Grund verstehen. Dieser Grund bleibt der »gemeinen« Logik verschleiert. Die Grundgesetze der Logik werden somit auch nicht durch etwas ihnen Äußerliches begründet, sondern sie werden in den Sätzen fundiert, in denen ihre Formen mit einem notwendig mit ihnen verbundenen Inhalt vereinigt sind: dies sind die Sätze der WL. Dieser Inhalt ist aber erst über die Form bestimmt worden, die nur durch das Absehen von diesem Inhalt gewonnen werden kann. Weil die Formen der logischen Sätze nur Abstraktionen vom Inhalt der Sätze der WL sind, nimmt die WL nicht die Logik in Anspruch, sondern nur ihre eigenen Formen: »Die ersten Sätze der Wissenschaftslehre sind schlechthin wahr. Allso bedürften wir in der Wissenschaftslehre keine Logik für die Form der einzelen [sic!] Sätze.«209 Auch die Bestimmung der Form des Verhältnisses der einzelnen Sätze zueinander stammt aus der WL selbst. Der vorangehende Satz bestimmt in ihr immer die Stelle des nachfolgenden. Die WL begründet vielmehr die Logik, als sie »das Befugniß ihrer und aller Gleichungen beweist«210. Diese setzt die Logik bereits als bewiesen voraus. Die Logik beschreibt zwar tatsächlich die Form der Sätze aller Wissenschaften. Aber sie entnimmt diese Form nur den Sätzen der WL. Die WL begründet so die Logik erst und setzt keinen Satz der Logik als gültig voraus, »auch den des Widerspruchs nicht«211. Fichte muss dazu zeigen, »dass die in der letztern aufgestellten Formen, wirkliche Formen eines gewissen Gehalts in der Wissenschaftslehre seyen.«212 Damit ist der Zirkel Logik – WL zwar aufgehoben, 209
Züricher Vorlesungen (1794); GA IV,3, S. 31. Züricher Vorlesungen (1794); GA IV,3, S. 26. 211 Begriff 1794; GA I,2, S. 138. 212 Begriff 1794; GA I,2, S. 138. 210
176
Die transzendentale Logik
aber durch einen anderen ersetzt, nämlich den der Bestimmung von Form und Gehalt. Denn die Form, aus der der Gehalt entwickelt werden soll, ist ja der formalen Logik zunächst entnommen. Damit steht die Gewissheit dieser Form, ausgedrückt in »A = A«, noch gar nicht fest. Gewiss ist »A = A« erst, wenn es als Abstraktionsprodukt von »Ich = Ich« erkannt ist. Dazu muss dann aber zunächst der Gehalt gegeben sein. Die Gültigkeit der Form wird also vorausgesetzt und abgeleitet. Der Zirkel Logik – WL ist übergegangen in den Zirkel zwischen Inhalt und Form des Grundsatzes der WL: »Der Gehalt bestimmt dem Satze seine Form, und die Form den Gehalt. Ein Zirkel allso? So soll es seyn!«213 Die wechselseitige Abhängigkeit von Wissenschaftslehre und Logik ist damit übergegangen in die wechselseitige Bestimmung von Form und Gehalt des ersten Grundsatzes der WL. Der Zirkel, den Fichte zu Beginn des ersten Paragraphen der WL von 1794 kenntlich macht, das heißt der Zirkel zwischen Logik und Wissenschaft, ist in seiner Wahrheit nur Ausdruck der Wechselbestimmung von Form und Gehalt des ersten Grundsatzes der WL.214 Die Logik steht damit aber gegenüber den anderen Wissenschaften in einem ausgezeichneten Verhältnis zur WL. Sie ist nämlich nur die Abstraktion vom Inhalt der Sätze der WL und dadurch notwendig. Die anderen Wissenschaften werden zwar durch einen Satz der WL begründet und stehen unter der Form der WL – insofern sie den formalen Gesetzen nicht widersprechen dürfen – prozedieren ansonsten aber durch das hinzukommende Moment der Unbestimmtheit frei für sich.
2.1.3. Der Übergang in die Reflexionslogik Für Fichte selbst ist der Grundsatz ja von Anfang an nur der unzulängliche Ausdruck bzw. die Darstellung einer unmittelbaren Evidenz, die der Hörer
213
Züricher Vorlesungen (1794); GA IV,3, S. 31. Wenn Schäfer also an der Darstellung des ersten Prinzips die immanenten Strukturen des ersten Prinzips einerseits und den Weg des reflektierenden Philosophen andererseits unterscheidet und meint, der »zweite Aspekt betrifft nur eine propädeutisch-pädagogische Hinsicht, nämlich die Methode, mit der wir uns nachvollziehend dem ersten Prinzip nähern« (Schäfer, Grundlage (2006), S. 22), so verfehlt er von Anfang an Fichtes Intention. Denn für Fichte ist der Standpunkt der Reflexion auf das erste Prinzip kein diesem äußerlicher, sondern wird selbst zum Ausgangspunkt für die Gewinnung des ersten Prinzips. 214
Fichtes Begründung der Grundsätze des Denkens
177
oder Leser der WL in sich selbst erzeugen muss.215 Das System ist nur die Darstellung des Systems »der nothwendigen Handlungsweise des menschlichen Geistes«216. Diese Handlungen vollziehen sich, ob sie zum Gegenstand einer wissenschaftlichen Reflexion gemacht werden oder nicht. Die WL ist Wissenschaft von etwas, »nicht aber dieses Etwas selbst«217. Das System des Wissens ist der WL vorgängig und wird durch diese nicht erst konstruiert. Denn die Handlungen des Geistes werden vor der WL bereits vollzogen, diese stellt jene nur dar und hebt sie ins Bewusstsein. Anders als die dargestellten Handlungen existiert das wissenschaftliche System deshalb nicht unabhängig von uns, sondern ist »etwas, das erst durch die Freiheit unsers nach einer bestimmten Richtung hin wirkenden Geistes hervorgebracht werden soll«218. Entsprechend unterscheidet Fichte auch die subjektive Tätigkeit des Geistes (Reflexion) von der objektiven (Reflektiertes). Die WL versteht Fichte nicht als eine Selbstkonstruktion des absoluten Ich, in der vom vollziehenden Subjekt abgesehen werden könnte.219 Die WL ist bestenfalls »eine getroffene Darstellung«220 des Systems. »Das, was die Wissenschaftslehre aufstellt, ist ein gedachter und in Worte gefaßter Satz; dasjenige im menschlichen Geiste, welchem dieser Satz kor-
215
Dass die WL nicht nur eine Lehre, sondern eine Tätigkeit ist, die von den Lernenden vollzogen werden muss, führt Fichte immer wieder aus. Am 2. Juli 1795 schreibt Fichte etwa an Reinhold: »Z.B. die Seele meines Systems ist der Saz: Das Ich sezt schlechthin sich selbst. Diese Worte haben keinen Sinn, und keinen Werth, ohne die innere Anschauung des Ich durch sich selbst« (GA III,2, S. 344). Die WL ist als »lebendiger, ewig neu, u. frisch zu producirender Gedanke« (WL 1805; GA II,9, S. 181) zu verstehen und nicht als gedrucktes Buch. Die WL muss man werden, wie Fichte immer wieder betont, besonders in seinen späten Vorlesungen: um den Vortrag der WL zu verstehen, »gehört auf der Welt nichts dazu, als das transscendentale Denken = energisches = identisches in die Sache überfliessendes, u. die Sache selbst seyendes, Denken.« (205) Über den Abschied vom Ausgang von »A = A« in den späteren Wissenschaftslehren gibt Fichte in Neue Bearbeitung der WL 1800 Auskunft: nämlich die Inanspruchnahme dieses Prinzips durch Schelling: »Ehemals A = A. gab zu Dogmatismus Gelegenheit. Jetzt gehe ich weit idealistischer zu Werke.« (GA II,5, S. 331.) 216 Begriff 1794; GA I,2, S. 144. 217 Begriff 1794; GA I,2, S. 140. 218 Begriff 1798; GA I,2, S. 119. 219 Dieses Problem ist in der WL 18042 bestimmend für das Wechselspiel von Idealismus und Realismus, weil sich diese nicht als Selbstexplikation des Absoluten, sondern als Produkt einer Reflexion versteht. 220 Begriff 1794; GA I,2, S. 146. »Wir sind nicht Gesetzgeber des menschlichen Geistes, sondern seine Historiographen« (147).
178
Die transzendentale Logik
respondirt, ist irgend eine Handlung desselben, die an sich gar nicht nothwendig gedacht werden müßte.«221 Als Darstellung hat die WL gewisse Voraussetzungen: die logischen Regeln und Begriffe. Diese setzt sie jedoch bloß voraus, »um sich verständlich zu machen«222. Sie zieht daraus keine Folgerungen, sondern nimmt sie nur zum Zwecke der Darstellung in Anspruch – tut dies aber, bevor die Gültigkeit dieser Voraussetzungen erwiesen ist. Dies ist der eben untersuchte begründungslogische Zirkel zwischen Logik und WL und ihren jeweiligen Grundsätzen. Dies kann man als den Zirkel der Darstellung bezeichnen. Er betrifft nur die Darstellung des Systems des Geistes.223 Dieser Zirkel aus Logik und WL ging über in den Zirkel aus Form und Inhalt des ersten Grundsatzes, die sich wechselseitig bestimmen sollen. Dadurch enthüllte sich ersterer als bloß spiegelbildlicher Ausdruck von letzterem. In diesem wiederum spiegelt sich aber ein noch grundsätzlicherer Zirkel, nämlich der Zirkel unseres Geistes. Denn »dass der Satz erst die in Begriff und Wort gebrachte Aussage des Selbstbeschauens ist, versteht sich eigentlich von selbst.«224 Das zirkuläre Verhältnis zwischen Form und Inhalt des Grundsatzes ist Ausdruck eines anderen Zirkels, der für das Programm der Transzendentalphilosophie als solcher Relevanz besitzt: der ihm zu Grunde liegende Zirkel der Reflexion. Wenn diese nämlich nach den Bedingungen der Möglichkeit von Denken überhaupt fragt, so nimmt sie dabei eben jenes untersuchte Denken bereits in Anspruch. Denn man kann »über die Gesetze des Denkens doch nicht anders denken, als nach diesen Gesetzen«225. 221
Begriff 1798; GA I,2, S. 148. Begriff 1794; GA I,2, S. 148. 223 Auf den Unterschied zwischen dem System des Geistes und der Grundlage als »[e]ine der möglichen Darstellungen« (Waibel, System der Freiheit (2007), S. 106) dieses Systems verweist Waibel. 224 Brief an Johannsen, 31. 01. 1801; GA III,5, S. 9. 225 Rezension Aenesidemus (1794); GA I,2, S. 43. Das Problem der Zirkularität lässt sich nicht einfach dadurch aufheben, dass man die Gesetze der Logik wie Hegel in der Logik selbst begründet. Für Düsing bleibt nach Kants Bewusstseinsmodell die Frage offen, wie das Selbstbewusstsein, das die logischen Formen konstituiert, durch diese logischen Formen selbst gedacht werden kann. »Hiermit stellt sich die fundamentale Frage nach dem Verhältnis von reiner Logik und Theorie der reinen Subjektivität, die beide den Anspruch darauf erheben, Grundlegungstheorien zu sein.« (Düsing, Subjektivität und Freiheit. Untersuchungen zum Idealismus von Kant bis Hegel, Stuttgart/Bad Cannstatt 2002, S. 22.) Fichte weise »der Subjektivitätstheorie als transzendentalem Idealismus die Priorität« (23) zu. Damit bleibe das Problem offen, wie die Subjektivitätstheorie selbst logisch entwickelt werden könne und die Gesetze der Logik aus ihr deduziert werden können, die für diese Entwicklung selbst je schon in Anspruch genommen werden. Hegel hingegen würde die 222
Fichtes Begründung der Grundsätze des Denkens
179
Die Logik erwies sich ja als die Wissenschaft, die die Form der Sätze der WL zum Gegenstand ihrer Sätze machte. Intendierter Gegenstand des Satzes der Identität ist das Identisch-Sein von allem, was gedacht werden kann, mit sich selbst. Das Ich, als Gehalt des ersten Satzes der Wissenschaftslehre, weist eine bestimmte Form auf, nämlich identisch mit sich zu sein. Dieses macht die Logik zum Objekt ihres Grundsatzes: alles ist identisch mit sich. Die Logik macht die Form zum Gegenstand ihrer Sätze, sozusagen zu ihrem Gehalt: »Mithin müßte das, was in der Wissenschaftslehre bloße Form ist, in der Logik Gehalt seyn, und dieser Gehalt bekäme wieder die allgemeine Form der Wissenschaftslehre, die aber hier bestimmt als Form eines logischen Satzes gedacht würde.«226 Der logische Satz setzt also zuerst einen Akt der Abstraktion voraus, der vom Gehalt des Satzes der WL absieht. Anschließend setzt sie einen weiteren Akt voraus, in dem die Form des Satzes der WL zum Gehalt gemacht wird. Fichte nennt diese zweite Tätigkeit, die das Denken vom Übergang von der WL zur Logik vollzieht, Reflexion: »Diese zweite Handlung der Freiheit, durch welche die Form zu ihrem eignen Gehalte wird, und in sich selbst zurückkehrt, heißt Reflexion. Keine Abstraktion ist ohne Reflexion; und keine Reflexion ohne Abstraktion möglich.«227 Subjektivitätstheorie als Logik entwickeln und damit dieser Schwierigkeit entgehen. Hegel zeige in seiner Entwicklung der Gedankenbestimmungen in der Logik, daß »allererst am Ende die reine Subjektivität als reines Denken ihrer selbst innerhalb dieser Folge der Gedankenbestimmungen thematisch auftritt und diese begründet; denn nun erst stellt sich heraus, daß die ganze Entwicklung der Kategorien nichts anderes als eine Selbstentfaltung des reinen Denkens seiner selbst in solchen Bestimmungen ist.« (23) Fichte und Schelling dagegen geraten »in systematische Schwierigkeiten, da sie versuchen, die unmittelbare Selbstanschauung des reinen Ich und die Objektkonstitution in einem transzendentalen Idealismus als selbständiger wissenschaftlicher Theorie vor der Logik und als Begründung der Logik zu entwickeln; hierbei müssen die Bestimmungen und Gesetze der Logik bereits als gültig vorausgesetzt werden, die doch eigentlich erst abgeleitet und begründet werden sollen. Auch wenn dieser Zirkel erkannt wird – wie von Fichte –, bleibt er vitiös. Solche Schwierigkeiten können vermieden werden, wenn die reine Subjektivität nicht in einer der Logik vorausgehenden Theorie, sondern innerhalb der Logik als deren erstes Prinzip expliziert wird« (164). Da aber auch die logischen Bestimmungen nur nacheinander auseinander entwickelt werden können, bleibt das Problem bestehen. 226 Begriff 1794; GA I,2, S. 138. 227 Begriff 1798; GA I,2, S. 138. Die Entstehung der Logik beschreibt Fichte auch einmal folgendermaßen: »reflectire darauf, was dem frei erzeugten gleich ist, als dem Denkgesetze, u. verzeichne das systematisch, u. dies ist gemeine formale Logik. Da hier in das Denken nur hineingesetzt wird, was in der höhern Reflexion auch vorkommt, mit Abstraktion von allem Gehalte, also das Urteilen, so ist die Logik eigentlich eine Theorie des Urtheilens.« (Nachschrift an Reinhold (1801); GA II,5, S. 458.)
180
Die transzendentale Logik
Die Logik setzt also nicht nur den Grundsatz der WL, sondern auch die Akte der Reflexion und Abstraktion – beides Akte des Denkens – voraus, um überhaupt zum Gehalt ihrer Sätze zu gelangen.228 Die logischen Grundsätze müssen also etwas sagen, nämlich dass alles, was gedacht werden kann, mit sich identisch ist und dass nichts, was gedacht werden kann, sich widerspricht. Damit sagt die Logik, dass jede Reflexion ihrer Form nach unter ihren Gesetzen steht. Jeder Gedanke ist durch sie bestimmt.229 Sie selbst steht aber damit unter den Bedingungen, über die sie erst urteilt. Als Ergebnis von Abstraktion und Reflexion setzt sie die logischen Gesetze als formale Denkbestimmungen voraus und verzeichnet sie dann nur, obwohl sie doch erst durch sie Gültigkeit beanspruchen können. Die Logik selbst muss also ihre eigenen Prinzipien bereits in Anspruch nehmen. Jede Wissenschaft, ob nun Logik oder WL, die über die Gesetze des Denkens nachdenkt, gerät zwangsläufig in diesen Zirkel. Damit wird in den grundlegenden Zirkel, den Zirkel unseres Geistes, übergegangen: »Daher der nothwendige Zirkel unsers Geistes. Wir können nach den Gesetzen deßselben nicht anders, als nach diesen Gesetzen selbst suchen.«230 Dieser Zirkel spiegelte sich in den bisherigen Zirkeln, so wie sich das Denken in seinem Ausdruck, der Sprache, bloß spiegelt. So weisen auch die Sätze bloß
228
Das täte sie übrigens auch, wenn sie von den Gehalten empirisch gewonnener Sätze abstrahieren würde. 229 In der Aenesidemus-Rezension unterscheidet Fichte nicht immer zwischen dem SdI und dem SdW als erstem logischen Prinzip. Das scheint aber vornehmlich daran zu liegen, dass bei den rezensierten Autoren Reinhold und Schulze nicht unterschieden wird. Meckenstocks Gedanke, SdI und SdW seien in dieser Rezension noch wie ein Grundsatz behandelt worden, um erst später auseinander zu treten (Meckenstock, Vernünftige Einheit (1983), S. 19), erscheint mir hingegen falsch, da Fichte ja über die Begriffe Identität und Gegensatz, deren logischer Ausdruck beide Sätze sind, die von einander wohl unterschiedenen Handlungen des Unterscheidens und Beziehens bestimmen wollte. 230 Eigene Meditationen (1793/94); GA II,3, S. 21. In den Eigenen Meditationen ist das Verhältnis von Philosophie und Logik aber nicht eindeutig bestimmt: Zwar ist sich Fichte über die Inanspruchnahme der logischen Gesetze durch die Elementarphilosophie im Klaren, relativiert das Problem aber durch die Tatsache, dass die Logik schon sichere Wissenschaft ist: »Zum Glük aber ist die Logik, unter die sie [die in Anspruch genommenen Regeln des Denkens; S. Sch.] gehören, schon eine feste Wißenschaft.« (22) Andererseits wird die Logik selbst als Vorkommnis im menschlichen Geist behandelt, weswegen sie ihrerseits wieder durch die Elementarphilosophie begründet werden muss. So heißt es in einer Anmerkung: »Die Logik überhaupt ist selbst etwas im menschl. Geiste. Eine ElementarPhilosophie muß auch sie begründen.« (22)
Fichtes Begründung der Grundsätze des Denkens
181
deshalb, weil die Reflexion formal und material bestimmt ist, als ihr Ausdruck Materie und Form auf.231
2.2. Das Denken des Denkens: die Transzendentalphilosophie und der notwendige Zirkel des Geistes Bereits in den Eigenen Meditationen 1793/94 hatte Fichte festgestellt, dass die Reflexionen der Elementarphilosophie »etwas von einer bestimmten Art; ein Denken«232 sind und die Elementarphilosophie somit unter den Bedingungen des Denkens steht. Philosophie muss im und durch das Denken entwickelt werden. Nach Kant untersucht die Transzendentalphilosophie nicht die Objekte der Erkenntnis, sondern die Erkenntnisbedingungen des Subjekts, die das Objekt der Erkenntnis konstituieren, und damit die Bedingungen der Möglichkeit von Erkenntnis. Die kritische Philosophie Kants unterscheidet sich von der dogmatischen Philosophie darin, dass sie das Wissbare an den Gegenständen der Erfahrung als konstituiert durch das transzendentale Subjekt begreift. Fichte betont in seinen Schriften durchgängig, dass er in diesem Sinne Transzendentalphilosoph und Anhänger Kants sei. Nach ihm unterscheidet sich das transzendentale Denken vom gewöhnlichen Denken dadurch, dass es als Denken des Denkens reflexiv ist: »Es giebt zwei sehr verschiedne Standpuncte des Denkens; den des natürlichen, u. gemeinen, da man unmittelbar Objecte denkt, und den des vorzugsweise so zu nennenden künstlichen, da man, mit Absicht u. Bewußtseyn, sein Denken selbst denkt.«233 Philosophie »ist die Reflexion«234, das heißt Denken des Denkens. Dieser reflexive Akt ist eine Tätigkeit, zu der man nicht gezwungen werden kann. Die
231
Rezension Aenesidemus (1794); GA I,2, S. 43 f.: »die Reflexion über den Satz des Bewustseyns steht, ihrer Form nach, unter dem logischen Satze des Widerspruchs so wie jede mögliche Reflexion; aber die Materie dieses Satzes wird durch ihn nicht bestimmt. Soll nun Aenesidems Erinnerung einen richtigen Sinn haben: so muß derselbe, unerachtet er sich darüber nirgends deutlich erklärt, dem Satze des Widerspruchs außer seiner formalen auch noch eine reale Gültigkeit beymessen, d. h. er muß irgend eine Thatsache im Gemüthe annehmen, oder vermuthen, welche diesen Satz ursprünglich begründet.« 232 GA II,3, S. 21. Etwas später heißt es: »ElementarPhilosophie ist Reflexion, Denken über die allgemeinste Handlungsart, u. LeidensArt unsers Ich.« (22) 233 Rückerinnerungen, Antworten, Fragen (1799); GA II,5, S. 111. 234 Nachschrift an Reinhold (1801); GA II,5, S. 459.
182
Die transzendentale Logik
Wahl zwischen Dogmatismus und Kritizismus ist für Fichte aber nicht bloße eine Charakterfrage, sondern eine Frage der philosophischen Bildung: der Dogmatismus vergisst, sein eigenes Denken zu denken.235 Er besteht in der Unkenntnis der »Reflexivität des Denkens«236. Er vergisst, dass uns die Gegenstände immer im und durch das Denken gegeben sind. Das Sein, das die Philosophie oder die Wissenschaftslehre denken kann, ist immer ein Sein für das Denken. Die Vernunft müsste völlig von sich abstrahieren können, um zu einem Sein an sich zu gelangen. Das ist nicht möglich, denn der Akt des Absehens ist wiederum nur ein Akt des Denkens. Reflexivität wird so bei Fichte »zur Definition von Philosophie«237. Obwohl Kant nach den Bedingungen der Möglichkeit aller Erkenntnis fragt, versäumt er es trotz des doppeldeutigen Genitivs in »Kritik der reinen Vernunft«, die Voraussetzungen der die Vernunft kritisierenden Vernunft zu explizieren, was unter anderem zum widersprüchlichen Begriff des Dinges an sich führt.238 Fichte wendet den transzendentalen Gedanken – dass die Gegenstände nur insofern erkannt werden können, als sie durch das Subjekt konstituiert sind – hingegen auf die Reflexion, in der das Denken der Objekte erfasst wird, selbst an. In der transzendentalen Reflexion Fichtes wird diese Reflexion selbst mit erfasst.239 Die Erkenntnisse des Transzendentalphilosophen – der kritisierenden Vernunft – stehen ihrerseits schon unter den Konstitutionsbedingungen des Subjekts. Gegen den durch Kantianer erho235
»Was für eine Philosophie man wähle, hängt sonach davon ab, was man für ein Mensch ist: denn ein philosophisches System ist nicht ein todter Hausrath, den man ablegen oder annehmen könnte, wie es uns beliebte, sondern es ist beseelt durch die Seele des Menschen, der es hat. Ein von Natur schlaffer oder durch GeistesKnechtschaft, gelehrten Luxus und Eitelkeit erschlaffter, und gekrümmter Charakter wird sich nie zum Idealismus erheben.« (GA I,4, S. 195.) Anders als in Schellings Dogmatismus und Kritizismus (1795) wird diese Entscheidung jedoch durch die Vernunft begründet und beruht nicht auf einer grundlosen Freiheitsentscheidung. (Vgl. Lauth, Schellings Identitätsphilosophie (1975), S. 30.) 236 Werner Flach, »Fichte über Kritizismus und Dogmatismus«. In: Zeitschrift für phil. Forsch. 18 (1964), 585–596, S. 592. 237 Rohs, Fichte (1991), S. 46. 238 Der Inhalt des Begriffes des Dinges an sich verlangt, dass von allem Bewusstsein und aller Vernunft abstrahiert wird. Gleichzeitig bezieht man sich darauf und behauptet, etwas Vernünftiges darüber sagen: »dieß ist ein Widerspruch, ein völliger reiner Widerspruch. Das Postulat des Dings an sich kann man also nennen das Postulat der reinen Unvernunft.« (Vorlesung über Logik und Metaphysik (SS 1797); GA IV,1, S. 188.) Für Kant ist dieses Problem des Dinges an sich insofern nicht virulent geworden, als er die Reflexion nicht auf den eigenen Standpunkt ausgedehnt hat. Sein Denken nimmt einen vermeintlichen archimedischen Standpunkt jenseits der Unterscheidung von Ding an sich und der untersuchten Vernunft ein. 239 Vgl. Lauth, Schellings Identitätsphilosophie (1975), S. 39.
Fichtes Begründung der Grundsätze des Denkens
183
benen Vorwurf der Zirkularität kann Fichte deshalb mit gutem Recht erwidern:240 »Ja wohl, man denke! sie [die WL; S. Sch.] leitet die Vernunft-Gesetze ab durch ein Denken nach den VernunftGesetzen. Vermutlich sollte sie in dieser Ableitung gegen die VernunftGesetze denken? – Freilich macht Kant diesen Cirkel nicht; er macht den sehr unverzeihlichen, sie aus der Logik zu entlehnen. Wie nun diese Logik selbst zu Stande gekommen seyn möge, darüber lassen die Kantianer sich keine grauen Haare wachsen.«241 Kant fragt nicht nach den Möglichkeitsbedingungen der logischen Denkleistungen, sondern setzt sie unbefragt voraus. So akzeptierte Kant die Gültigkeit der basalen logischen Prinzipien – Identität, Widerspruch und ausgeschlossenes Drittes – als vorgegebene Gesetze analytischer Urteile.242 Die frühe WL ist hingegen Prinzipientheorie des Denkens. Sie versucht zu zeigen, wie die logischen Grundoperationen durch das Ich konstituiert werden. Die logischen Gesetze sind als Setzungen des Ich zu begründen. Für Fichte steht dabei die Bestimmung der Reflexion durch die logischen Grundsätze des Denkens im Vordergrund. Denn unter diesen Gesetzen scheint die Reflexion immer schon zu stehen. Fichtes Begriffsschrift wirft damit »wohl zum ersten Male in der Geschichte des Denkens überhaupt, […] mit vollem Bewußtsein das Problem einer ›Logik der Philosophie‹ auf«243. Sie hebt das transzenden240
J. S. Beck schreibt etwa in seiner Rezension von Grundlage und Begriffsschrift: »Recensent hat in beyden Schriften nichts so unterhaltend gefunden, als die vielen SchlußZirkel, auf welche der V. sich oft betrifft, und die er jedesmahl aufrichtig gesteht. Der Grund von dieser Aufrichtigkeit liegt aber darin, daß diese Zirkel nicht von der gewöhnlichen Art sind. Sie sind magische Zirkel, die bey aller Zirkelförmigkeit, große beweisende Kraft und herrliche Aufschlüsse enthalten. Der verständlichste von allen ist der, womit die Grundlage beginnt, auf den der V. zeitig genug stieß, um einzuhalten und sein Unternehmen zu überlegen, und der ganz kurz in folgendem besteht. Die Ausmittelung des höchsten Grundsatzes alles Wissens kann nicht anders geschehen, als vermittelst der Anerkennung aller Gesetze des Denkens, die doch allererst aus diesem höchsten Grundsatze werden können.« (Annalen der Philosophie und des philosoph. Geistes 6./9./11. Febr. 1795; specula 2,1, S. 277 f.) 241 Zu Artikel im Philosophischen Journal 1797/98; GA I,4, S. 487. 242 Vgl. Seebohm, Fichte’s discovery of dialectical method (1994), S. 22. Für Fichte sind die Verstandesfunktionen nicht mehr bloß Urteilsfunktionen, sondern operative und reflexive Tätigkeiten, die nicht nur aus einer logischen Tafel ablesbar sind, sondern durch Genesis – ein Begriff, den Fichte mit dem der Tathandlung identifiziert – bestimmt sind. (Vgl. Lothar Eley, Fichte, Schelling, Hegel. Operative Denkwege im »Deutschen Idealismus«, Neuried 1995.) 243 Kroner, Von Kant bis Hegel (1961), S. 408. Allerdings geht die Begriffsschrift nach Kroner über das in der Grundlage tatsächlich Geleistete weit hinaus. Denn sie ende nicht
184
Die transzendentale Logik
tale Denken auf eine neue Stufe, indem sie es zur Reflexion über sich selbst führt. Die formale Logik selbst versucht das nicht zu leisten. Sie will zwar Wissenschaft vom Denken sein, reflektiert aber nicht auf das Denken, das sie selbst in Anspruch nimmt. Die Logik denkt nicht das ganze Denken, sondern nur da, wo sie es erklären will. Sie lässt das Ich vor allem Denken denken.244 Die Wissenschaftslehre ist dagegen »Radikalbesinnung«, die ihr eigenes Tun reflektiert und zu begründen versucht.245 Die Reflexion auf die Inanspruchnahme des Denkens ist dem Bedenken einer bestimmten Sache immer schon vorgängig: »ich kann mir gar kein Bewußtseyn des gedachten, ohne Bewußtseyn des Denkens denken.«246 Die WL will bis in ihre letzten Fassungen hinein »das Denken selbst denken«247, sie will nicht etwas begreifen, sondern das Begreifen begreifen und begründen. Will man die Prinzipien des Denkens begründen, so kann dies nur durch das Denken und damit durch die Anwendung der zu begründenden Prinzipien geschehen, wodurch man zwangsläufig in einen Zirkel gerät: sie begründet nur die Reflexionsgesetze, die sie vorher bereits vorausgesetzt hat.248 Dieser Zirkel kommt also dadurch zu Bewusstsein, dass Fichte die Frage nach den Bedingungen der Möglichkeit nicht nur auf mit dem absoluten Ich des Anfangs – also der Vollendung des Zirkels –, sondern nur mit dem Ideal des Strebens. Der Ring der WL bleibe offen und die WL kehre nicht in sich selbst zurück, wie im Begriff gefordert. 244 »Warum [haben] diese [die Logiker; S. Sch.] nicht gesehen; u. warum ich so leicht? – weil ich gewohnt bin, mich allenthalben[,] wo Bewußtseyn ist, u. Denken, darauf zu besinnen: sie nicht. […] Ans Denken denken sie nur da, wo sie sich recht in die Seite stoßen: hier wo sie es erklären wollen. Was sie in dieser Erklärung voraussetzen, muß kein Denken seyn, denn sonst bekämen sie ja das Denken vor dem Denken, vor dem von ihnen erklärten, der Zirkel spränge in die Augen, u. ihr mühevolles Kunststük wäre vergebens.« (Unterschied zwischen Logik und Philosophie (1812); GA II,14, S. 200.) 245 Lauth, Fichtes Gesamtidee (1963/64): »Philosophie ist Radikalbesinnung, kann also nicht anfangen, ohne ihr eigenes Tun in die Reflexion zu ziehen und zu begründen.« (267) 246 Neue Bearbeitung der WL 1800; GA II,5, S. 341. 247 Einleitung in die WL 1813; Ultima Inquirenda, S. 36. 248 »Aber die Reflexionsgesetze die wir im Gange der Wissenschaft, als die einzigmöglichen, durch welche eine Wissenschaftslehre zu Stande kommen könne, finden, – wenn sie auch mit denen, die wir als die Regel unsers Verfahrens, hypothetisch voraussezten, übereinstimmen, sind doch selbst das Resultat von ihrer vorherigen Anwendung; und es entdeckt sich sonach hier ein neuer Zirkel: Wir haben gewisse Reflexionsgesetze vorausgesezt, und finden jetzt im Verlaufe der Wissenschaft die gleichen, als die einzigrichtigen […].« (Begriff 1798; GA I,2, S. 144.) Lütterfelds verengt diesen Zirkel gemäß der Intention seines Buches, Fichtes Bewusstseinsphilosophie »mit Hilfe von Einsichten Wittgensteins in eine transzendentale Theorie empirischer Sprechakte zu transformieren« (Lütterfelds, Fichte und Wittgenstein (1989), S. 15), auf ein rein sprachphilosophisches Problem: Fichte
Fichtes Begründung der Grundsätze des Denkens
185
Objekte der Erfahrung, sondern auf die Reflexion des Subjekts über seine eigenen Tätigkeiten zurückwendet. Deren Gesetze dürfen nicht als gegeben vorausgesetzt werden, sondern bedürfen selbst einer transzendentalen Begründung. Fichte wendet diesen Zirkel nun positiv, indem er das Ich als den Grund allen Wissens, der nie als Gegenstand des Wissens gegeben sein kann, gerade aus dieser Voraussetzung zu entwickeln versucht. Der erste Grundsatz der Wissenschaftslehre »Das Ich setzt sich selbst« ist Ausdruck der Selbstsetzung des Ich, der Tathandlung, die allem Bewusstsein und damit allem Wissen zu Grunde liegt. Als Grund allen Bewusstseins kann diese Tathandlung niemals zu einer Tatsache des Bewusstseins werden: »Er soll diejenige Thathandlung ausdrücken; die unter den empirischen Bestimmungen unsers Bewustseyns nicht vorkommt, noch vorkommen kann, sondern vielmehr allem Bewustseyn zum Grunde liegt, und allein es möglich macht«249. Das Ich als das absolute Subjekt ist nie in einer empirischen Anschauung gegeben, es kommt im empirischen Bewusstsein nicht vor. Fichte verweist deshalb auf die intellektuelle Anschauung250, in der die Tathandlung der Selbstsetzung des Ich nicht als Tatsache des Bewusstseins gegeben, sondern durch das intellektuelle Anschauen selbst gesetzt ist. Die Wahrheit des Satzes über das Ich ist nicht diskursiv, sondern nur mittels einer inneren Anschauung zu beweisen.251 Diese muss in einem freien Akt hervorgebracht werden:
müsse die Tathandlung selber unter die propositional darstellbaren Tatsachen einreihen und andererseits als Grund dieser Tatsachen fassen. (Vgl. S. 389 f.) 249 Grundlage 1794; GA I,2, S. 255. Darin unterscheidet die WL sich von der Psychologie, die bloß empirische Tatsachen des Bewusstseins zum Gegenstand hat. Den Vorwurf der Psychologie erhob Jakob Fries in seiner Rezension in Heidelb. Jahrbücher d. Lit. 4,9 (1811) gegen die WL in ihrem allg. Umrisse 1810: sie sei »nur eine Art der Emanationslehre und zwar eine ärmliche nur auf menschliche Psychologie beschränkte« (specula 2, 4, S. 377). Seit Darstellung der Grundlage finde sich in Fichtes WL eine »Verwechslung der empirischen Psychologie mit metaphysischer Ideenlehre« (379). 250 Zur Entwicklung von Fichtes Theorie der intellektuellen Anschauung vgl. u. a. López-Domínguez, Entwicklung der intellektuellen Anschauung (2003), 103–115; Stolzenberg, Fichtes Begriff der intellektuellen Anschauung (1986). Nach Stolzenberg erreicht Fichtes Theorie der intellektuellen Anschauung erst in der Darstellung der WL 1801/02 ihren Höhepunkt. Sie enthalte »die erste vollständige und systematisch durchgeführte Analyse des Begriffs der intellektuellen Anschauung.« (11) 251 »Der Saz ist bloß durch Anschauung zu beweisen.« (GA II,3, S. 27.) Auch das NichtIch ist dort nur durch Anschauung vom Ich unterscheidbar. Dass A nicht zugleich Nicht-A sein kann, auch dieser Satz wird durch die Anschauung gegeben. Nach Stolzenberg ist die
186
Die transzendentale Logik
»Jenes Selbstbewußtseyn dringt sich nicht auf, und kommt nicht von selbst; man muß wirklich frei handeln, und dann vom Objecte abstrahiren, und lediglich auf sich selbst merken. Niemand kann genöthigt werden, dieses zu thun, und wenn er es auch vorgiebt, kann man immer nicht wissen, ob er richtig, und wie gefordert werde, dabei verfahre. Mit einem Worte, dieses Bewußtseyn kann keinem nachgewiesen werden; jeder muß es durch Freiheit in sich selbst hervorbringen.«252 »Ein solches unmittelbares Bewusstseyn heißt mit dem wissenschaftlichen Ausdrucke eine Anschauung, und so wollen auch wir es nennen.«253 Intellektuelle Anschauung ist bei Fichte also nicht die Anschauung eines Dinges an sich, sondern »das unmittelbare Sichanschauen des Bewußtseins in seinem ursprünglichem Handeln, das unmittelbare Innesein der Tathandlung.«254 In der intellektuellen Anschauung wird nur das eigene Handeln angeschaut.255 Diese Tätigkeit ist selbst Produkt des Anschauens. Die intellektuelle Anschauung ist »ein thätiges Hinschauen, dessen, was ich anschaue; ein Herausschauen meiner selbst aus mir selbst; Heraustragen meiner selbst aus mir selbst durch die einige Weise des Handelns, die mir zukommt, durch das Schauen. Ich bin ein lebendiges Sehen. Ich sehe – Bewußtseyn – sehe mein Sehen – bewußtes.«256 Indem es sich selbst zu denken versucht, findet das Ich eine in sich zurückgehende Tätigkeit:257 »das Ich ist, was es sich selbst setzt, und weiter nichts, und das was sich selbst setzt, und in sich selbst zurückgeht[,] wird ein Ich, und nichts anderes.«258 Die in sich zurückgehende Tätigkeit ist identisch mit der intellektuellen Anschauung.259 Intellektuelle Anschauung ist die Anschauung des in sich handelnden Ich. Das Problem dieser intellektuellen Anschaudort von Fichte vorgetragene Konzeption des Bewusstseins übrigens noch der Reflexionstheorie zuzurechnen. (Vgl. Stolzenberg, Fichtes Satz ›Ich bin‹ (1994), Anm. S. 8.) 252 Versuch einer neuen Darstellung 1797; GA I,4, S. 191. 253 Versuch einer neuen Darstellung 1797; GA I,4, S. 276. 254 Janke, Fichte (1970), S. 16. 255 Vgl. Nova Methodo 98/99; GA IV,2, S. 31. 256 Bestimmung (1806); GA I,6, S. 238. 257 »Der Idealist sagt: Denke dich und gieb Acht, wie du dich denkst; du wirst eine in dich zurückgehende Tätigkeit finden.« (Nova Methodo Zweite Einleitung 98/99; GA IV,3, S. 334.) Der Grundsatz der WL wird hier dann als Postulat formuliert: »Man denke sich den Begriff Ich, und denke dabei an sich selbst.« (345) 258 Nova Methodo 98/99 § 1; GA IV,2, S. 345. 259 Nova Methodo 98/99 § 1; GA IV,3, S. 347: »wir schauen unsere unmittelbare Anschauung selbst wieder unmittelbar an, dieß wäre unmittelbare Anschauung der Anschauung. Es ist also reine Anschauung des Ich als Subject-Object möglich, eine solche heißt[,] da sie keinen sinnlichen Stoff an sich hat[,] mit Recht: intellectuelle Anschauung.«
Fichtes Begründung der Grundsätze des Denkens
187
ung besteht aber gerade in ihrer Unmittelbarkeit. Der angebliche Ausgang von der unmittelbaren Evidenz der intellektuellen Anschauung trug Fichte nicht nur von Hegel die Kritik ein, wie Schelling eine Philosophie für »Sonntagskinder«260 zu entwickeln, in der die ausgewählten Wenigen eine wie aus der Pistole geschossene Anschauung von der Tathandlung des Ich besitzen. Da die Selbstsetzung des Ich nicht andemonstrierbar, sondern nur in Freiheit zu vollziehen ist, beginnt die WL Nova Methodo mit einem Postulat, einer Aufforderung zu einer Handlung: »Die WißenschaftsLehre fordert jeden auf, zu überlegen, was er thut, in dem er sagt: Ich.«261 Der Grund aller Wissenschaft muss jedoch vermittelbar sein und durch eine objektive Methode hervorgerufen werden können.262 In der Grundlage geht Fichte deshalb nicht von der intellektuellen Anschauung aus, wie er es noch in der Rezension Aenesidemus gefordert hat. Vielmehr findet dieser Begriff dort nicht einmal Erwähnung.263 Stattdessen geht er von den logischen Bestimmungen des Denkens und dem, was in ihnen notwendig zu denken ist, aus. Dies ist begrifflich rekonstruierbar. Denn hier wird nach den Bedingungen der Möglichkeit des Denkens im Ausgang von dessen formalen Prinzipien gefragt und so erst zum absoluten Ich als der Tätigkeit des in sich Zurückgehens übergegangen.264 260
Philosophiegeschichte III; SW 20, S. 428. Nova Methodo 98/99 Erste Einleitung; GA IV,3, S. 327. 262 So versteht sich noch die WL 18042 »als eine Anleitung zum Denkenkönnen« (Peter L. Oesterreich, »Die Rede vom Absoluten in der Spätphilosophie Fichtes«. In: Fichte-Studien 17 (2000), 169–188, S. 172). Oesterreich spricht von einem »intuitiv vermittelte[n] Intuitionismus« (178), der das Einleuchten des Absoluten nicht der subjektiven Beliebigkeit überlässt, sondern »zum Ergebnis methodisch kontrollierter rhetorischer Genesis« (178) macht. 263 Nach Tilliette fehlt die intellektuelle Anschauung zwar dem Namen nach, ist im ersten Grundsatz »wohl aber der Sache nach gegenwärtig«. (Tilliette, »Erste Fichte-Rezeption. Mit besonderer Berücksichtigung der intellektuellen Anschauung«. In: Klaus Hammacher (Hrsg.), Der transzendentale Gedanke. Die gegenwärtige Darstellung der Philosophie Fichtes, Hamburg 1981, 532–545, S. 536.) Für diesen Sachverhalt führt er mehrere Gründe an: 1. Fichte habe nicht zu schroff mit Kant brechen wollen. Dieses Argument überzeugt jedoch nicht, da Fichte die intellektuelle Anschauung bereits in der Aenesidemus-Rezension eingeführt hatte. 2. Die Theorie sei noch nicht ganz ausgereift und Fichtes Überlegungen »noch unterwegs« (537) gewesen. Aber dann bleibt unerklärlich, warum Fichte das Konzept der Sache nach eingeführt haben soll. Die bloße Umbenennung würde das Konzept nicht ausgereifter machen. 3. Fichte habe aus methodischen Gründen eine dialektische Darstellung gewählt. Dieses methodologische Argument ist überzeugend, auch wenn man nicht von einer dialektischen Darstellung zumindest des ersten Grundsatzes ausgehen kann, da die Dialektik doch erst Folge der drei Grundsätze ist. 264 Vgl. etwa Schäfer, Grundlage (2006), S. 34: »Da der Weg zu dem reinen Ich in der Grundlage durch die Logik und den Satz der Identität ›A = A‹ vermittelt ist, und dieser 261
188
Die transzendentale Logik
Die Anschauung ist nun aber nicht der abstrakte Gegensatz zum Denken, sondern dessen Grund – zumindest nicht als intellektuelle Anschauung.265 »Die intellectuelle Anschauung ist das in allem Denken bestimmbare; und muß gedacht werden, als Grundlage alles Denkens [Hervorh. S. Sch.]«266. Aus der Betrachtung des Denkens soll die intellektuelle Anschauung als das ihm notwendig zu Grunde Liegende aufgewiesen werden. Methodisch bedient sich Fichte dabei nicht der Dialektik, sondern der abstrahierenden Reflexion: »Irgend eine Thatsache des empirischen Bewußtseyns wird aufgestellt; und es wird eine empirische Bestimmung nach der andern von ihr abgesondert, so lange, bis dasjenige, was sich schlechthin selbst nicht wegdenken und wovon sich nicht weiter absondern läßt, rein zurückbleibt.«267 Durch die abstrahierende Reflexion soll die fundamentale Struktur allen Wissens zutage treten: die in sich selbst zurückgehende Tätigkeit des Ich. Reflexion ist dabei die Handlung der Freiheit, durch die etwas zum Gehalt gemacht wird. »Reflectiren heißt seine ideale Thätigkeit auf etwas richten«268. Abstraktion meint dagegen die Absonderung von etwas: »Beide Handlungen, von einander abgesondert gedacht, und jede für sich betrachtet, sind Handlungen der Freiheit; wenn in eben dieser Absonderung beide aufeinander bezogen werden, so ist unter Bedingung der einen, die zweite nothwendig; für das synthetische Denken aber sind beide nur eine und eben dieselbe Handlung, angesehen von zwei Seiten.«269 Abstrahierende Reflexion meint also zunächst das Sehen auf das Notwendige im Absehen vom Zufälligen. So soll das Ich in allen Jenaer Schriften gewonnen werden. Es bleibt nach der vollendeten Abstraktion von allem, wovon abstrahiert werden kann, allein für sich übrig. Damit ist die Erkenntnis des Ich aber Ergebnis einer denkerischen Operation aus Abstraktion und Reflexion, die ihrerseits unter logischen Bestimmungen stehen.
Weg eine intersubjektiv darstellbare Methode ist, die begrifflich allgemein nachvollziehbar ist, kann in diesem Kontext auf die Berufung auf die Intuition der intellektuellen Anschauung verzichtet werden.« 265 Denn in der intellektuellen Anschauung denkt das Denken sich selbst. (Vgl. Asmuth, Begreifen des Unbegreiflichen (1999), S. 76 f.) 266 Nova Methodo 98/99 § 13; GA IV,3, S. 434. 267 Grundlage 1794; GA I,2, S. 256. 268 Nova Methodo 98/99 Erste Einleitung; GA IV,3, S. 329. 269 Begriff 1798; GA I,2, S. 138.
Fichtes Begründung der Grundsätze des Denkens
189
Fichte hebt nun nicht mit einem beliebigen Inhalt des Denkens an, um dann von dem, was doch kontingent ist, zu abstrahieren und auf das Notwendige zu reflektieren, sondern von dem, was man in Anspruch nimmt, wenn man überhaupt abstrahiert und reflektiert. Damit werden die Voraussetzungen jedes Denkens, das einen notwendigen Grund des Wissens zu denken versucht, explizit gemacht. Egal, von welchem Gegenstand des Bewusstseins man ausgeht, im Prozess der Abstraktion muss diese Tatsache des Bewusstseins doch dieselbe bleiben. Dies ist ihre basalste formale Bestimmung, die das Identitätsprinzip zum Ausdruck bringt. Auch das Moment der Abstraktion setzt also die Geltung des Satzes der Identität voraus, Abstraktion und Reflexion stehen immer schon unter dem Gesetz »A ist A«.270 Wenn ein Gedanke gedacht wird, so muss er identisch mit sich selbst sein: er muss als er selbst gedacht werden. Die abstrahierende Reflexion nimmt die Gesetze des Denkens bereits in Anspruch: »Die Gesetze, nach denen man jene Thathandlung sich als Grundlage des menschlichen Wissen schlechterdings denken muß, oder – welches das gleiche ist – die Regeln, nach welchen jene Reflexion angestellt wird«271. Jeder Gedanke ist durch die Gesetze der Logik bestimmt. Diese bedürfen aber einer Fundierung in der Tathandlung des Ich, da Fichte die Bestimmungen der Logik aus den Setzungen des Ich ableiten will. Die Grundsätze der Logik, die in ihr als Gleichungen formuliert werden und Ausdruck der Denkbestimmungen sind, gründen in Handlungen der Vernunft: »Die Logik – heißt – Vernunftlehre: dieser Name kann nicht weiter bestehen. / Die Vernunft vergleicht nicht, sie setzt. / Die Logik ist die Gleichungslehre«272. Die Grundgesetze der Logik sind in den Setzungen der Vernunft begründet. Diese Setzungen –
270
Nach Wagner gelangt Fichte so zu dem Satz »A = A«, dass in der Abstraktion nicht davon abstrahiert werden könne, dass abstrahiert worden ist. Der Satz »A = A« sei Ausdruck dessen, dass von der Abstraktion nicht abstrahiert werden könne, oder es sei »Ausdruck des Selbstbezuges im Akt des Abstrahierens« (Wagner, Persönlichkeit Gottes (1971), S. 51). Später schreibt er sogar: »die abstrahierende Abstraktion ist A = A.« (51) Er übersieht dabei jedoch die Bedingtheit des A in dem Satz A = A. Deshalb kann man gerade nicht nur »Abstraktion« statt A in die Gleichung einsetzen. Anders als das »Ich = Ich«, das das Identitätsprinzip begründet, ist die Abstraktion nur ein Fall, der unter das Gesetz »A = A« fällt. Fichte spricht nur davon, dass »Ich = Ich« das »A = A« begründet. Die Abstraktion ist hingegen ein Fall dessen, was für »A« gesetzt werden kann. 271 Grundlage 1794; GA I,2, S. 255. 272 Züricher Vorlesungen (1794); GA IV,3, S. 28.
190
Die transzendentale Logik
sofern sie notwendig sind – sind Gegenstand der WL.273 Die Bestimmungen des Denkens sind solche notwendigen Bestimmungen. Wenn also die WL die Logik fundiert, so bedeutet dies die Begründung ihrer Gesetze in den notwendigen Handlungen des menschlichen Geistes bzw. der Vernunft. Die WL als Transzendentalphilosophie gibt die transzendentalen Bedingungen des Satzes der Identität, die sie zuletzt in der Selbstsetzung des Ich findet. Die ursprünglichen Tätigkeiten des Ich sind die transzendentalen Bedingungen der logischen Gesetze der Identität und des Widerspruchs. Gegen »den Anschein der Beliebigkeit des Ausgangspunktes«274 vom Satz der Identität, den die Grundlage erweckt, muss man deshalb die konstitutive Funktion und die Notwendigkeit dieses Ausgangs für die abstrahierende Reflexion festhalten. Fichte betont zwar, dass von fast jedem beliebigen Satz, der eine Tatsache des Bewusstseins ausdrückt, ausgegangen werden könne, um über die abstrahierende Reflexion zur intellektuellen Anschauung zu gelangen. Dabei ist aber der Ausgang vom Satz der Identität, der die fundamentalste Bestimmung des Denkens ausdrückt, der Weg, »von welchem aus der Weg zu unserm Ziele am kürzesten ist«275. Denn von welcher Tatsache man auch ausgeht, letztlich würde notwendig bei ihrer Identität mit sich angelangt. Zuletzt würde die reflektierende Abstraktion nach Abstraktion von allen empirischen Bedingungen immer bei sich selbst und ihren formalen Bestimmungen angelangen, indem sie nach den Gesetzen fragt, die sie bei ihrem Tun in Anspruch nimmt.276 Fichte setzt noch die logischen Reflexionsgesetze nicht einfach unbefragt voraus, um mittels ihrer einen ihnen fremden Gehalt zu erweisen, sondern untersucht sie auf die Bedingungen ihrer Gültigkeit oder ihrer Notwendig273
»Man setze demnach, die Wissenschaftslehre enthalte diejenigen bestimmten Handlungen des menschlichen Geistes, die er alle, sei es nun bedingt oder unbedingt, gezwungen und nothwendig vollbringt […].« (Begriff 1794; GA I,2, S. 134.) 274 Ulrich Claesges, Geschichte des Selbstbewusstseins. Der Ursprung des spekulativen Problems in Fichtes Wissenschaftslehre von 1794–95, Den Haag 1974, Anm. S. 49. 275 Grundlage 1794; GA I,2, S. 256. 276 Dagegen sieht Schäfer bloß eine »pädagogisch-propädeutische Absicht« (Schäfer, Grundlage (2006), S. 23) in der Herleitung des »Ich = Ich« aus »A = A«. Dies werde daraus deutlich, dass das »A = A« nicht transzendental begründet werde. Das ist natürlich falsch. Aber auch nach Hammacher ist der SdI »nur ein methodisches Mittel, um […] durch ein bestimmtes Negationsverfahren – zu dem ersten Grundsatz zu gelangen« (Hammacher, Fichte und das Problem der Dialektik (1997), S. 123). Er zeige nicht positiv die Struktur des Ich an. Ebenso gilt für Kroner: »Der Ausgang von dem formallogischen Satze A=A […] hat bei Fichte keine sachliche Bedeutung.« (Kroner, Von Kant bis Hegel (1961), Anm. S. 416.) Hingegen sieht bereits Claesges die konstitutive Funktion und Notwendigkeit gegen »den Anschein der Beliebigkeit des Ausgangspunktes«, den die Grundlage erweckt. (Vgl. Claesges, Geschichte des Selbstbewusstseins (1974), Anm. S. 49.)
Fichtes Begründung der Grundsätze des Denkens
191
keit, um letztlich bei dem anzugelangen, was in ihnen eigentlich unbedingt und notwendig ist: was sich schlechthin selbst nicht wegdenken lässt und wovon man nichts weiter absondern kann. Damit versucht er letztlich zu zeigen, dass das Denken nicht eigentlich die logischen Gesetze, sondern die Tathandlungen, die in den Gesetzen der Wissenschaftslehre ausgedrückt werden, in Anspruch nimmt. Ansonsten könnten die Voraussetzungen der abstrahierenden Reflexion nie eingeholt werden.277 Wie sich aus der Form des SdI der erste Grundsatz entwickeln lässt, so ist die Relation der Identität die erscheinende Form des unbedingten Ich: »Diese absolute Identität ist die Form des reinen Ich und die einzige wahre Form desselben; oder vielmehr: an der Denkbarkeit der Identität wird der Ausdruck jener Form erkannt.«278 Die Identität ist das Ich, das allem Bewusstsein seiner Form nach zu Grunde liegt. Fichte wendet also mit der abstrahierenden Reflexion eine nachvollziehbare Methodik an. Jedoch kann das, was sich zuletzt als Grundlage der abstrahierenden Reflexion selbst erweisen wird, nämlich die Tathandlung, durch die abstrahierende Reflexion nie zur Tatsache des Bewusstseins werden: »aber es wird durch sie erkannt, da man jene Thathandlung, als Grundlage alles Bewustseyns, nothwendig denken müsse.«279 Bewusst und damit ge-wusst ist sie aber dann nur in der intellektuellen Anschauung. Die Grundlage versucht die Notwendigkeit aufzuzeigen, die Tathandlung zu vollziehen und zwar durch Reflexion auf das Notwendige im Denken unter Abstraktion von aller Kontingenz. Die Wirklichkeit kann dann aber nur in Freiheit vollzogen werden. Im Ausgang von den logischen Bestimmungen muss die Logik überstiegen werden, da die Tathandlung der theoretischen und der praktischen Philosophie zu Grunde liegen soll. Sie kann also keine rein logische Operation sein, denn die Grundsätze der WL sollen ja auch die praktische Philosophie begründen.
277
Bereits in den Eigenen Meditationen fand sich die Möglichkeit einer Herleitung des Satzes »Ich bin« aus dem logischen Satz »A = A« als Randnotiz zu den Betrachtungen über die Abhängigkeit der Elementarphilosophie als im Denken entwickelter Philosophie von den logischen Gesetzen als den Gesetzen dieses Denkens. (Vgl. Eigene Meditationen (1793/94); GA II,3, S. 23.) 278 Best. d. Gel. 1794; GA I,3, S. 30. 279 Grundlage 1794; GA I,2, S. 255.
192
Die transzendentale Logik
2.3. Die Auflösung des Zirkels als transzendentale Fundierung der formalen Logik 2.3.1. Die Genetisierung der Logik Kant hat in seiner Kritik der Wissenschaftslehre bekanntlich den Vorwurf erhoben, diese sei nichts als formale Logik: »[R]eine Wissenschaftslehre ist nichts mehr oder weniger als bloße Logik, welche mit ihren Principien sich nicht zum Materialen des Erkenntnisses versteigt, sondern vom Inhalte derselben als reine Logik abstrahirt, aus welcher ein reales Object herauszuklauben vergebliche und daher auch nie versuchte Arbeit ist, sondern wo, wenn es die Transscendental-Philosophie gilt, allererst zur Metaphysik übergeschritten werden muß.«280. In seiner Aenesidemus-Rezension bestimmt Fichte tatsächlich die Grundsätze der Identität und des Widerspruchs als das Fundament der Philosophie überhaupt.281 Fichte meint, »daß mithin die logische Wahrheit für jede der endlichen Intelligenz denkbare Intelligenz zugleich real sey, und daß es keine andere gebe, als jene.«282 Angemessen lässt sich dies aber nur durch Fichtes Differenzierung des Logik-Begriffes verstehen. Die allgemeine oder formelle Logik ist »die Wißenschaft von den Regeln des Denkens, mit Abstraktion von allem, was gedacht wird«283. In der allgemeinen Logik fragt man, wie man tatsächlich denkt, »in der (besondren) transcendentalen, wie werden mir durch mein Denken Objecte; die erste Frage ist bloß technischpractisch, die zweite philosophisch.«284 Diese Verhältnisbestimmung von formaler und 280
Kant in Intelligenz-Blatt 28. August 1799; specula 1,2, S. 217. Im Opus postumum heißt es ähnlich: »Eine Wissenschaftslehre überhaupt in der man von der Materie derselben (den Objecten der Erkentnis) abstrahirt ist die reine Logik und es ist ein vergebliches Umdrehen im Kreise mit Begriffen über diese sich noch eine andere und höhere allgemeinere Wissenschaftslehre zu denken welche doch selber nichts als das Scientifische der Erkentnis überhaupt (die Form derselben) enthalten kan.« (AA 21, S. 207.) Baggesen schreibt am 25.12.1794 an Reinhold, bei Fichtes Philosophie handle es sich um eine »Metalogik […] ein ausgelassenes Spiel des Verstandes mit sich selbst« (specula 1,1, S. 211). 281 »Wenn der Grundsatz der Identität und des Widerspruchs als Fundament aller Philosophie aufgestellt seyn wird, wie er soll, […] dann wird hoffentlich niemand mehr behaupten; wir dürften doch etwa künftighin zu einer Stufe der Cultur hinauf rücken, auf der wir das widersprechende würden als möglich denken können.« (Rezension Aenesidemus (1794); GA I,2, 53 f.) 282 Rezension Aenesidemus (1794); GA I,2, 62. 283 Vorlesung über Logik und Metaphysik (SS 1797); GA IV,1, S. 190. 284 Vorlesung über Logik und Metaphysik (SS 1797); GA IV,1, S. 192.
Fichtes Begründung der Grundsätze des Denkens
193
transzendentaler Logik, die durchaus noch an die kantische erinnert, gibt Fichte eine völlig andere Bestimmung als Kant. Das transzendental verstandene Denken ist ein anderes als das Denken, das die »gemeine« Logik untersucht. Diese verwechselt Denken mit dem bloßen Sich-Ausdenken: »Ihr [der Logik] heißt Denken so viel als sich etwas denken, und, da auch nicht einmal auf ein Vorbild in der äußern Wahrnehmung gesehen wird, sich etwas ausdenken; und dies ist denn auch der Begriff vom Denken überhaupt, der unter dem philosophirenden Publikum herrschend geworden, und der ihm den Eintritt in wirkliche Philosophie durchaus verschließt«285. Weil die allgemeine Logik das Denken mit einem Sich-Ausdenken gleichsetzt, untersucht sie Gedanken nur auf ihre Möglichkeit hin: denken könne man alles, was sich nicht widerspricht. Was man in dieser Weise denken kann, muss aber nicht notwendig wahr sein. Dies unterbietet Fichtes Begriff des Denkens, nach dem das durch das Denken Gesetzte notwendig ist. Die von der Logik geforderte formale Richtigkeit ist die letzte und niedrigste hinsichtlich des Denkens – die bloße Widerspruchsfreiheit. Weil die WL aber nicht das bloß mögliche, sondern das wirkliche bzw. notwendige Denken betrachtet, bedarf sie nicht mehr der gemeinen Logik, die ihr sagt, dass ihre Sätze widerspruchsfrei, konsistent und damit möglich sind. Wahre Wissenschaft lässt keinen Raum für alternative logische Möglichkeiten: »Die Wißenschaft, so gewiß sie Wißenschaft ist, hat eine absolute, und unveränderliche Evidenz in sich selber, vernichtend schlechthin alle Möglichkeit des Gegentheils, und allen Zweifel«286. Die transzendentale Logik untersucht nicht die Möglichkeit des Denkens, sondern die Bedingung der Möglichkeit des Denkens. Ihr Gegenstand ist nicht der Möglichkeitsraum für alle subjektiven Denkvollzüge, unabhängig davon aber das Ding an sich diesen Denkgesetzen widersprechen könnte. Gemeine und transzendentale Logik sind verschiedene Ansichten
285
Thatsachen des Bewußtseyns 1810/1811; GA II,12, S. 41. Bericht (1806); GA II,10, S. 35. Die Wissenschaft ist »absolut vernichtend alle Willkühr« (37). Der Begriff der logischen Notwendigkeit ist dagegen nur als Gegenteil der logischen Unmöglichkeit (impossibile logicum) bestimmt, der wiederum vom Begriff des possibile logicum abhängt. Die logische Notwendigkeit beruht letztlich auf bloßen Tautologien. So heißt es bei Leibniz: »Necessaria autem propositio est, cujus opposita non est possibilis, seu cujus oppositam assumendo per resolutionem devenitur in contradictionem. Itaque necessaria est quae per identicas demonstrari potest et definitioes, nullo alio uso experimentorum accedente, quám ut inde constet terminum esse possibilem.« (Generalis Inquisitiones De Analysi Notionum et Veritatum § 67; Opuscules et Fragments Inédites II, S. 374.) 286
194
Die transzendentale Logik
desselben Gegenstandes: »Logik = Ansicht des Denkens: gewöhnl. [und] transscendentale.«287 Dabei ist nur die transzendentale Logik Wissenschaft. Die formale Logik liefert immer nur negative Kriterien der Wahrheit, wohingegen die transzendentale Logik eine positive Grundlegung der Wahrheit leistet. Lagen mit transzendentaler und formaler Logik zwei unterschiedliche Arten von Logik vor, die nebeneinander bestehen konnten und von denen beide eine eigene Legitimität besaßen, so blieben die Grundsätze der formalen Logik (insbesondere der Satz des Widerspruchs) bei Kant außerhalb der transzendentalen Logik bestehen. Fichte versucht dagegen die Möglichkeit und Notwendigkeit einer Aufhebung der formalen in die transzendentale Logik aufzuzeigen: damit müssen die Gesetze der formalen Logik in der transzendentalen begründet werden können, wodurch erstere überflüssig wird. Damit werden die formallogischen Strukturen zu den Grundstrukturen der Wirklichkeit. Bereits Kant hätte die gewöhnliche Logik »von Grund und Boden aus« zerstören sollen.288 Weil aber die formallogischen Gesetze zugleich in veränderter Form in der transzendentalen Logik enthalten sind, kann man für diesen Prozess der Vernichtung der formalen Logik den Begriff der Aufhebung verwenden: die gemeine Logik soll in die transzendentale Logik aufgehoben werden. Da in der WL alle Bestimmungen des Wissens abgeleitet werden sollen, so muss das Denken – als eine Bestimmung des Wissens neben der Anschauung – in ihr abgeleitet werden, »insbesondre auch dasjenige Denken, was die W.L. um zu sich selbst zu kommen, treibt«289. Die besondere Art der Ableitung nennt Fichte selbst in den späteren Schriften Genetisierung. In der Grundlage werden die Grundsätze der gemeinen Logik durch »transzendentale Reduktion«290 auf die Grundsätze der WL zurückgeführt und dadurch genetisiert.291 287
Unterschied zwischen Logik und Philosophie (1812); GA II,14, S. 194. Dabei ist festzustellen, dass Fichte in dieser Schrift nur die Begriffslogik – also den ersten der drei Teile der Logik von Port Royal: Begriff, Urteil und Schluss – ausführlich behandelt. 288 Kants Fehler besteht darin, dass er der Logik »bei weitem nicht so abgeneigt ist, wie er sollte, u. sie nicht so von Grund u. Boden aus zerstört, wie es seine φ. eigentlich erfordert, u. wie wir es hier in seinem Namen nachholen wollen« (Unterschied zwischen Logik und Philosophie (1812); GA II,14, S. 197). 289 WL 1811; GA II,12, S. 148. 290 Gloy, Die drei Grundsätze (1984), S. 297. 291 Die Gemeinsamkeit der idealistischen Denker Hegel und Fichte besteht in der Überzeugung, die formale Logik könne sich selbst nicht verstehen und begründen und damit nicht zur Vernunft werden. »Eine transzendentale Logik möchte demgegenüber die einfache Reflexionsebene durch eine Reflexion auf die Reflexion übersteigen. […] Dies bedeutet, daß sich das Wissen hier selber verstehen will, indem es sich selbst als System im strengsten Sinne darzustellen sucht.« (Zahn, Die Idee der formalen und transzendentalen
Fichtes Begründung der Grundsätze des Denkens
195
Die Grundsätze des Denkens werden durch diese Genetisierung zwar inhaltlich nicht verändert, werden aber über ihre eigene Notwendigkeit aufgeklärt. Es wird nicht die »maßlos anmaßende rationale Logik entmündigt«292, sondern transzendental begründet, indem die Axiome der formalen Logik in den transzendentalen Funktionen des Ich fundiert werden.293 Der gemeinen Logik kommt keine »streng wissenschaftliche Evidenz«294 zu. Denn sie ruht bis zur »Ableitung der in der Logik aufgezeichneten Denkgesetze aus einem höhern Princip«295 auf dem Boden der Empirie. Dadurch wird »in der Logik schlechthin nichts, sondern nur ausser ihr«296 etwas verändert. Ihre Gehalte bleiben die gleichen, »A = A« gilt vorher wie nachher. Aber der Status der logischen Sätze im System des Wissens wird ein anderer. Solange die Logik sich nur auf einen faktischen Bestand von Denkformen beruft und nicht aus einem höheren Prinzip abgeleitet ist, kann ihr Fundament nur ein empirisches bzw. psychologisches sein, insofern ihre Gesetze entweder aus der äußeren oder der inneren Erfahrung genommen sind.297 Eine auf Abstraktion von der Erfahrung gegründete Logik ist für Fichte zudem zirkulär. Denn um mittels der Abstraktion zu allgemeinen Begriffen zu kommen, müsste sie bereits andere allgemeine Begriffe voraussetzen: die Begriffe von Erkenntnis, Vielheit, Einheit, Ordnung und andere apriorische Postulate. Diese Logik sieht nach Fichte nicht, daß sie damit das Ich vor allem Denken denken lässt. Fichte hingegen reflektiert auf dieses Denken und Bewusstsein.298 Die Allgemeingültigkeit der Logik als Abstraktionsprodukt »ist eine aus dem Einzelnen zusammengelesene«299. Die transzendentale Genetisierung der Logik unterscheidet sich deshalb grundsätzlich von zwei Arten Logik (1965), S. 191.) Der Unterschied zwischen Fichte und Hegel besteht nach Zahn darin, dass für Fichte die WL nicht in der Logik aufgeht, sondern diese soll nur zur WL hinführen. (Vgl. S. 182.) 292 Janke, Fichte (1970), S. 2. 293 Vgl. Gloy, Fichtes Dialektiktypen (2000), S. 109. (Gloy setzt hier statt Ich Selbstbewusstsein, wobei dies aus genannten Gründen problematisch ist.) 294 Nachschrift an Reinhold; GA II,5, S. 472. 295 Nachschrift an Reinhold; GA II,5, S. 472. 296 Nachschrift an Reinhold; GA II,5, S. 472. 297 Vgl. Zahn, Die Idee der formalen und transzendentalen Logik (1965), S. 181. 298 Vgl. Unterschied zwischen Logik und Philosophie (1812); GA II,14, S. 200. 299 Antwortschreiben an Reinhold (1801); GA I,7, S. 306. Dies betrifft natürlich zunächst die Logik als Lehre vom Begriff. Begriffe sind in ihr Abstraktionen und nicht (wie die platonischen Ideen) konstitutiv für das Einzelne. Diese Lehre von der Entstehung der Begriffe durch Abstraktion von Einzelfällen ist nach Fichte »durchaus falsch« (Unterschied zwischen Logik und Philosophie (1812); GA II,14, S. 336). Einer empirisch oder psychologisch begründeten Logik stellt Fichte Spinoza und Leibniz entgegen. Diese gingen vom reinen Denken aus und hatten so »wirklich spekulative Tendenzen« (197).
196
Die transzendentale Logik
der Logikbegründung: 1. von der Begründung der Logik im Denken als einer subjektiven Betätigung des Menschen, die sich nicht vom Vorstellen unterscheidet. 2. von der Begründung der Logik durch bloße Tatsachen des Bewusstseins. Eine so begründete Logik hätte »das Denken selbst nicht begriffen«300, weil sie seine Gesetze als faktisch gegeben und seine Tätigkeit als Vorkommnis bei einzelnen Personen betrachten würde.
2.3.1.1. Der Unterschied der transzendentalen Logik vom logischen Empirismus Die Philosophie leitet die Manifestation des Erkennens im faktischen Erkennen ab. »Die Logik aber setzt dieses Erkennen als ein gegebenes voraus.«301 Die gemeine formale Logik ist eine »bloß faktische Anschauung des Wissens, die sein genetisches Bildungsgesetz nicht versteht«302. Für diese Logik sind die Grundgesetze des Denkens Tatsachen des Bewusstseins, die gegeben sind. Die transzendentale Logik versteht sie hingegen als Produkt von Tathandlungen.303 Die gemeine Logik stellt überhaupt keinen Begriff vom Denken auf, sondern betrachtet es bloß so, wie es faktisch vorkommt. Sie hat nur eine Anschauung vom Denken und die ist auch noch falsch.304 Sie hält für das Prinzip, was eigentlich nur prinzipiiert ist: »Das Denken, welches erscheint als durch das Ich gedacht[,] ist nur Reflex des wahren ursprüngl. Denkens«305. Weil sie das Denken missversteht, kann sie auch seine Gesetze nicht begreifen. Wissenschaftlich lässt sich das Denken nur durch seine Genetisierung denken, indem man es aus einem Begriff erzeugt. Da die gemeine Logik das Denken nur so betrachtet, wie es faktisch vorkommt, ist sie überhaupt keine Wissenschaft, sondern nur empirische Erfahrung. Diese Überlegungen der Spätphilosophie lassen sich auch auf die Betrachtung der Grundsätze des Denkens in der Jenaer WL anwenden: die gemeine 300
Unterschied zwischen Logik und Philosophie (1812); GA II,14, S. 205. Antwortschreiben an Reinhold (1801); GA I,7, S. 306. 302 Alessandro Bertinetto, »Die Grundbeziehung von ›Leben‹ und ›Sehen‹ in der ersten Transzendentalen Logik Fichtes«. In: Fichte-Studien 20 (2003), 203–213, S. 205. Nach Bertinetto begeht die formale Logik aus Fichtes Sicht drei Fehler: Psychologismus, Abstraktheit und Faktizität (Denken als fertig-gemachtes Sein). 303 Seebohm weist zu Recht darauf hin, dass eine Tatsache nicht einfach das ist, was im Englischen »fact« heißt, sondern die Übersetzung des lateinischen »factum«: etwas, das durch ein Tätiges gemacht worden ist. Die Tatsache ist Produkt einer Handlung. (Vgl. Seebohm, Fichte’s discovery of dialectical method (1994), S. 26.) 304 Vgl. Unterschied zwischen Logik und Philosophie (1812); GA II,14, S. 207. 305 GA II,14, S. 11. 301
Fichtes Begründung der Grundsätze des Denkens
197
Logik nimmt den Satz der Identität und den Satz des Widerspruchs als bloße faktische Gegebenheiten, als Tatsachen des Bewusstseins, wie es in der Grundlage heißt. Tatsachen des Bewusstseins sind für Fichte »empirisch-psychologisch in Selbstwahrnehmung feststellbare Tatsachen«306. Tatsachen sind immer nur etwas für das Bewusstsein und stehen bereits unter den Gesetzen des Objektbewusstseins.307 Insofern unterliegt die Logik selbst einem Zirkel. Die WL sucht hingegen etwas Ursprünglicheres, nämlich die Tathandlung. Die Tathandlung selbst ist nicht Gegenstand des Bewusstseins und insofern nicht durch seine Gesetze konstituiert, sondern konstituiert diese.308 Die WL genetisiert die Tatsachen, führt sie in ihren Grund, das ursprüngliche Handeln des Ich zurück, um sie dann daraus transzendental zu begreifen. Denn eben darin besteht das Wesen des transzendentalen Idealismus: »in Genesis auflösen, was freilich als fertig u. gemacht dem unwissenschaftlichen Sinne sich giebt«309. Die gemeine Logik interpretiert ihre Gesetze analog den empirischen Gesetzen. Ihr Denken »vermag gar nicht irgend einen andern Grund seiner Wahrheit u. Realität zu haben, als den, daß es kann, denken, – u. so denken, sein blosses Vermögen. Also probiren, u. blosse empirische Selbstbeobachtung, wie es geht.«310 Die gemeine Logik denkt das Denken nicht, sondern schaut es als etwas bloß Vorhandenes an. Ihr ist das Denkgesetz nur Naturge-
306
Rohs, Fichte (1991), S. 53. Auch Reinholds Voraussetzung, man müsse von der Tatsache des Bewusstseins ausgehen, ist in diesem Sinne von Fichte kritisiert worden. Reinholds SdB gründet sich nach Fichte auf »empirische Selbstbeobachtung« (Rezension Aenesidemus (1794); GA I,2, S. 46), hätte aber an sich nicht nur empirische Gültigkeit. Seine Gültigkeit muss sich vielmehr auf eine Tathandlung gründen und nicht »auf eine bloße Thatsache« (46). Wie die Logik muss auch der SdB genetisiert werden. In Reinholds SdB sieht Wundt im Sinne Fichtes »nur eine schwächliche Rückkehr zum Empirismus« (Wundt, Fichte-Forschungen (1929), S. 45). Nach Fichte kann nur eine Handlung des Bewusstseins, die alle Vorstellung erst konstituiert, die logischen Grundsätze bestimmen. Fichte sucht die »nur nothwendig zu denkende Handlungsweise des Gemüths, um eine Vorstellung hervor zubringen: woraus aber freylich unläugbar das folgt, daß Vorstellung nicht der höchste Begriff aller in unserm Gemüthe zu denkenden Handlungen sey.« (Rezension Aenesidemus (1794); GA I,2, S. 48.) Was diese Tätigkeiten konstituiert, kann kein empirisch gegebenes Vorkommnis sein, sondern ein durch »intellectuelle Anschauung« gesetztes Subjekt. 308 Vgl. Hartmann, Die Philosophie des Deutschen Idealismus (1960), S. 46. Mit dem Übergang zur Tathandlung ist jedoch nicht schon das Schwergewicht auf die praktische Philosophie gelegt, denn die in den Grundsätzen ausgedrückten Tathandlungen sind der Differenz von theoretischer und praktischer Philosophie vorgängig. 309 Unterschied zwischen Logik und Philosophie (1812); GA II,14, S. 211. 310 Unterschied zwischen Logik und Philosophie (1812); GA II,14, S. 339. Wenig später heißt es über die Legitimation der Logik: »lediglich empirisch, das Denken ist, und es ist so: laut meiner Selbstanschauung, u. damit gut. Diese Logik ist Empirie.« (340) 307
198
Die transzendentale Logik
setz, »Gesez des faktischen Seyns«311. So kritisiert Fichte in Bestimmung des Menschen die Meinung des Empiristen oder Deterministen, das Denken sei ein Naturgeschehen, eine natürliche Kraft, die wir zusätzlich zur Bildungskraft der Pflanze und der Bewegungskraft des Tieres besäßen.312 Auch Bardilis logischen Realismus kritisiert Fichte als »Verzeichniß von Thatsachen des gemeinen Bewußtseyns«313. Als solches ist die Logik bloßes Kunstwerk (ein Kanon als Verzeichnis von Regeln), nicht Wissenschaft.314 Aus dem bloßen Vorhandensein der logischen Gesetze kann nicht auf die Notwendigkeit ihrer Geltung geschlossen werden. Bardili behauptet seine Denkgesetze als Fakten, er entnimmt sie nur der Empirie, ohne sie zu begründen. Damit fasst er das Denken nur als »Begebenheit«315 und nicht als Akt. Wenn ein Rezensent Fichtes also meint, »[d]ie reine Logik hat auch [wie die WL; S. Sch.] absolute Totalität«316, weil die Denkgesetzte »etwas Gegebenes«317 seien und sich insofern erschöpfen lassen müssten, so verkennt das gerade den Grund, warum die WL erschöpft werden kann und muss: denn nur weil sie nicht Gegebenes zum Gegenstand hat, kann sie erschöpft werden. Bei Gegebenem weiß man eben nie, ob es erschöpft ist. Philosophie muss genetische Wissenschaft sein: das Denken soll nicht als Gegebenes verstanden werden, als bloß wirklich, sondern als notwendig, weil aus einem Gesetz kommend.318 Denn ansonsten trifft die Logik dasselbe Problem, das Kant gegen die nur angebliche Notwendigkeit rein empirisch begründeter Naturgesetze geltend gemacht hat: die Erfahrung kann nur sagen, dass etwas der Fall ist und nicht dass es notwendig und immer der Fall sein 311
Unterschied zwischen Logik und Philosophie (1812); GA II,14, S. 344. So heißt es im ersten Kapitel »Zweifel«: »Das Denken ist nun einmal, es ist schlechthin, so wie die Bildungskraft der Natur nun einmal ist, und schlechthin ist: Es ist in der Natur; denn das Denkende entsteht und entwickelt sich nach Naturgesetzen: es ist sonach durch die Natur. Es giebt eine ursprüngliche Denkkraft in der Natur, wie es eine ursprüngliche Bildungskraft giebt.« (Bestimmung des Menschen (1800); GA I,6, S. 200.) Der Empirist mache das Denken zu einer Bestimmung der Natur, ihrer höchsten Organisiertheit, in der sie sich selbst anschauen kann. Auch wenn Frege die Denkgesetze von den Naturgesetzen unterscheidet, so macht er das Denken selbst doch zu einer dem Naturgeschehen analogen Tätigkeit. 313 Bardili Recension (1800); GA I,6, S. 436. Bardili verwandelt nach Fichte das Denken, ohne es zu merken, in ein Sein. Aber noch schlimmer sei, »daß das Denken, das er aufstellt, sogar kein reelles Denken, sondern nur eine Abstraction sey« (Fichte an Schelling, 6. September 1800; GA III,4, S. 305). 314 Vgl. Thatsachen des Bewußtseyns 1813; FW IX, S. 405. 315 Bardili Recension (1800); GA I,6, S. 447. 316 Rezension OAL, 16. März 1795: specula 2,1, S. 283. 317 Rezension OAL, 16. März 1795; specula 2,1, S. 283. 318 Vgl. Unterschied zwischen Logik und Philosophie (1812); GA II,14, S. 342 f. 312
Fichtes Begründung der Grundsätze des Denkens
199
muss. Deshalb begründete Kant die Naturgesetze und die Gesetze der Mathematik transzendental.319 Für die Gesetze der Logik hat er das jedoch versäumt. So ist auch Fichtes Rede von der durch Kant versäumten Vernichtung der gemeinen Logik durch eine transzendentale Logik zu verstehen: Kant geht zwar in seiner Behandlung der Logik nur faktisch-empirisch und nicht genetisch vor, aber er hatte zumindest die Apperzeption als »Deduktionsgrund aller Denkgesetze«320 erkannt. Deshalb vollendet erst Fichte die transzendentale Logik.321 Als »Bestimmungen des Bewusstseyns« müssen die logischen Gesetze »aus dem Handeln der Intelligenz«322 erklärt werden. Wenn die Intelligenz dem Idealismus ein Tun und absolut nichts weiter ist, so müssen die logischen Gesetze notwendige Tätigkeiten des Ich ausdrücken: »die Intelligenz handelt; aber sie kann vermöge ihres eignen Wesens, nur auf eine gewisse Weise handeln.«323 Die notwendigen Gesetze der Intelligenz sind die Gesetze ihres Handelns, wenn man die »nothwendige Weise des Handelns abgesondert vom Handeln«324 denkt. Das gilt sowohl für die gesamten Tätigkeiten des Ich als auch für die Gesetze des Denkens im Besonderen. Nur kommt bei ihnen etwas hinzu: denn die anderen notwendigen Handlungen sind Gegenstand des Denkens, die logischen Gesetze bestimmen zusätzlich noch das Denken, das über die Gesetze als Handlungen des Ich nachdenkt. Inhaltlich interpretiert sind die logischen Gesetze die »GrundGesetz[e] der Intelligenz«325, aus denen sich das System aller notwendigen Handlungsweisen des Ich ableiten lässt.
319
Vgl. KrV BXVI ff.; AA 3, S. 11 ff. Unterschied zwischen Logik und Philosophie (1812); GA II,14, S. 244. Im Unterschied zu Kant ist es bei Fichte aber nicht die synthetische Einheit der Apperzeption, sondern eine analytische Einheit, an der die ganze Logik aufgehängt ist: »die synthetische Einheit der Apperception [ist] bloß Nachbild der analytischen« (245). Die analytische Einheit entspricht dem ersten Grundsatz der WL: Etwas ist »schlechthin Bild […] seiner selbst; ein einiges Seyn in dieser Beziehung auf sich als Bild, darin sein formales Seyn aufgegangen.« (245) Dem dritten Grundsatz entspricht die Synthesis: »daß es diese Beziehung auch sehe: nicht bloß ein Selbst sey, sondern [sich] auch [setze] als selbst, als solches.« (245) 321 So meint Hammacher zu Recht, dass man bei Kant noch nicht eigentlich von transzendentaler Logik sprechen kann, weil er in der TL der KrV nur die logischen Sätze in die Bedingung der Erkenntnis einbinde. (Vgl. Klaus Hammacher, »Zur Transzendentallogischen Begründung der Dialektik bei Fichte«. In: Kant-Studien 79 (1988), 467–475, S. 467.) 322 Versuch einer neuen Darstellung 1797; GA I,4, S. 199. 323 Versuch einer neuen Darstellung 1797; GA I,4, S. 200. 324 Versuch einer neuen Darstellung 1797; GA I,4, S. 200. 325 Versuch einer neuen Darstellung 1797; GA I,4, S. 201. 320
200
Die transzendentale Logik
2.3.1.2. Der Unterschied zum logischen Psychologismus Der Irrtum, das Denken nur für ein Erdenken zu halten, das für sich keine Gültigkeit hat, beruht darauf, es als faktisches Vorkommnis zu betrachten. Diesem Faktum muss dann auch ein individuelles Ich als Prinzip zu Grunde gelegt werden, das diese Fakta hervorbringt.326 Das Denken wird so an die empirische Person gebunden.327 Die transzendentale Logik versucht dieses fundamentale Dogma der formalen Logik zu zerstören.328 Das Denken, transzendental und damit richtig verstanden, ist nicht eine Tätigkeit, die der Mensch willkürlich ausübt. Vielmehr wird das individuelle Ich durch das Denken im Wissen ergriffen: »Wie wenn nicht das Ich Bewußtseyn, sondern das Bewußtseyn das Ich hätte, u. aus sich erzeugte? Ein Gedanke, vor dem die W.L. nicht eben erschrikt.«329 »Es fällt drum auch die […] Voraussetzung, daß der Mensch, oder das Ich denke, weg: Das Wissen selbst schlechthin durch sich u. sein Wesen denkt, u. kann nicht anders«330. Nicht das individuelle Ich, das Ich im »gewöhnlichen Wortverstande«, denkt im auf sich beruhenden Denken, sondern »das Denken selbst als ein selbstständiges Leben denkt aus und durch sich selbst«331. Die Fundierung der logischen Grundgesetze erfolgt zwar in der frühen WL ebenfalls in den ursprünglichen Handlungen eines Ich, aber nicht in der individuellen Psyche des Einzelnen. So distanziert sich Fichte von einer anthropologisch bzw. psychologistisch begründeten Logik, wie sie sich etwa bei Fries fand, der die transzendentale Logik Kants anthropologisch uminterpretiert hatte.332 Eine 326
Vgl. WL 1811; GA II,12, S. 151. Vgl. WL 1811; GA II,12, S. 152. 328 Vgl. Lauth, Einleitung zu fhS 2, S. XLI. 329 System der Sittenlehre 1812; GA II,13, S. 313. »Die Vernunft, das allgemeine Denken, das Wissen schlechthin ist höher und mehr, denn das Individuum. Keine Vernunft sich denken können, als eine solche, welche das Individuum besizt als sein Accidens, heißt eben überhaupt sich keine denken können.« (Thatsachen des Bewußtseyns 1810/1811; GA II,12, S. 71.) »Der Mensch kann nicht etwa die Wahrheit sich machen, und durch Denken sie erzeugen; die Wahrheit muß in ihm sich machen, ja sie muß ihn machen.« (WL 1811; GA II,12, S. 201.) 330 Transzendentale Logik; GA II,14, S. 203. 331 Thatsachen des Bewußtseyns 1810/1811; GA II,12, S. 26. 332 Bezug nimmt Fichte in seiner Kritik an der Logik unter anderem auf Wilhelm Traugott Krugs Logik. (Vgl. Anmerkung des Herausgebers zu Thatsachen des Bewußtseyns 1810/1811; GA II,12, S. 42.) Die von Fichte in der TL außerdem bekämpften Logiker sind 327
Fichtes Begründung der Grundsätze des Denkens
201
im empirischen Ich fundierte Logik ist für Fichte wertlos. Transzendentale Logik versucht hingegen zu zeigen, dass die Form des Denkens je schon durch das Wissen konstituiert ist: »Das Individuum als solches ist eigentlich nicht einmal denkend, denkend ist das Eine ursprüngliche Wissen: es ist nur anschauend dieses denken.«333 Fichtes Ausführungen über den Begriff (»wenn der Logiker kommt, u. seinen allgemeinen Begriff macht, ist er schon«334), gelten analog auch für die Prinzipien des Denkens: »Das Ich denkt nicht, sondern das Wissen denkt«335. Auf die faktisch-empirischen Konstitutionsbedingungen, unter denen das jeweilige Subjekt, der empirische Mensch, Begriffe – und analog: Prinzipien – bildet, achtet die transzendentale Logik nicht. Dieses absolute Wissen, das denkt, entspricht dem Ich der Grundlage, nicht dem empirischen Ich des Einzelnen. Die Gleichsetzung beider kritisiert Fichte als grobes Missverständnis. Das Denken »entsteht gewissermassen durch sich selbst, nicht durch das Ich (wie früher von manchem geglaubt wird, daß ich es denke, da es doch das Denken, oder Sehen selbst, nach seinen Gesetzen fortgehend, durch mich denkt[)]«336. Bereits nach 1799 – als Reaktion auf die Kritik von Jacobi, die er als psychologisch-anthropologische Fehlinterpretation seiner Philosophie deutet – versucht Fichte klarzustellen, dass sein transzendentales Subjekt nicht das empirische Ich ist: »Ihr könnt es durchaus nicht unterlassen, meine wissenschaftlichen Sätze in Erfahrungssätze, meine Anschauungen in Wahrnehmungen, meine Philosophie in Psychologie zu verwandeln«337. Die Fundierung der Logik in den Handlungen des Ich ist in der Grundlage keine im empirischen Ich, sondern in der transzendentalen Subjektivität. Das neben Krug Fries und De Wette. Mit Krug setzt er sich nachgewiesenermaßen in einer nachgelassenen Aufzeichnung von 1808 auseinander. (Vgl. Lauth, Einleitung zu fhS 2, S. XLI.) 333 WL 1811; GA II,12, S. 151. 334 Unterschied zwischen Logik und Philosophie (1812); GA II,14, S. 204. 335 Unterschied zwischen Logik und Philosophie (1812); GA II,14, S. 204. In der WL 18042 setzt Fichte gegen eine Auffassung vom Denken als Ausdenken seine Wissenschaft, »welche alles Denken ohne Ausnahme unter das strengste Gesetz bringt, und alle Freiheit des Geistes in der Einen, ewigen, für sich bestehenden Wahrheit vernichtet« (GA II,8, S. 72.) 336 Unterscheidung des Gefühls von der Erkenntnis (1809); GA II,11, S. 274. Vgl. auch Thatsachen des Bewußtseyns 1810/1811; GA II,11, S. 274. 337 Sonnenklarer Bericht (1801); GA I,7, S. 262. Auch an Schelling kritisiert er »das Gespenst eines Subjektivismus der Wißenschaftslehre, welches lediglich in seinem großen Unverstande sich erzeugt hatte« (Bericht (1806); GA II,10, S. 44).
202
Die transzendentale Logik
Ich als Gegenstand innerer empirischer Erfahrungen ist kontingent und deshalb nicht Gegenstand der Philosophie. Das transzendentale Ich wiederum ist nicht Gegenstand der Erfahrung, sondern liegt ihr zu Grunde: »Wenn das Ich ein Gegenstand der Erfahrung wird, so ist es krank, es wird zur Psyche oder Seele.«338 Nur dieses psychologische Ich differiert von Individuum zu Individuum. Das Ich der WL hingegen ist allgemein – und somit sind seine Handlungen notwendig: »In aller möglichen Erscheinung aber, in allen Individuen, ist das Ich sich gleich, denn alles Ich ist Eins und dasselbe in so ferne alle unter Einem Gesetze begriffen sind, nur in der Gesetzlosigkeit schweift es in unendlicher Verschiedenheit aus.«339 Deshalb untersucht die WL nicht das Denken als die subjektive Tätigkeit des Philosophen. Diese ist ein bloßes Vorstellen,340 das an sich nicht von wissenschaftlichem Interesse ist.341
2.3.1.3. Die transzendentale Fundierung der Logik Die Logik kommt gegenüber der WL gewissermaßen immer zu spät, weil sie einen Gegenstand für ihre Abstraktion voraussetzt, der erst durch die Setzung des Ich gegeben ist: »Der Satz des Widerspruchs war längst in der Wissenschaftslehre mit seinem Gehalte, vor der Logik da.«342 Die Nachträglichkeit der logischen Reflexion auf den Gang der WL gründet also in der 338
Einleitungsvorlesung WS 1811/12; GA IV,4, S. 42. Einleitungsvorlesung WS 1811/12; GA IV,4, S. 42. Das Denken des individuellen Subjekts, das der Logiker untersucht, ist nur eine Reproduktion des Ich. Ähnlich wie der wahrhaft Denkende also nicht selbst denkt – insofern das Wahrhafte an seinem Denkakt nicht dessen individueller Vollzug ist –, so kann man nach Fichte ja auch nicht sagen, dass der moralisch Handelnde in einem Sinne selbst handelt, dass er im Handeln seine individuelle Gesinnung realisieren würde. Über die Gesinnung des Sittlichen schreibt Fichte in diesem Sinne: »Selbstlosigkeit./ Selbstverläugnung ist viel zu wenig gesagt, anzeigend einen Akt, u. werden u. werden. Findet durchaus nicht statt; denn er [der Sittliche] hat kein selbst.« (System der Sittenlehre 1812; GA II,13, S. 369.) 340 »Das Ich, als philosophirendes Subjekt, ist unstreitig nur vorstellend; das Ich als Objekt des Philosophirens könnte wohl noch etwas mehr seyn.« (Begriff 1794; GA I,2, S. 149.) 341 »Unser philosophisches Denken bedeutet nichts, und hat nicht den mindesten Gehalt; nur das in diesem Denken gedachte Denken bedeutet, u. hat Gehalt. Unser philosophisches Denken ist lediglich das Instrument, durch welches wir unser Werk zusammensetzen.« (Rückerinnerungen, Antworten, Fragen (1799); GA II,5, S. 115.) 342 Züricher Vorlesungen (1794); GA IV,3, S. 32. 339
Fichtes Begründung der Grundsätze des Denkens
203
Nachrangigkeit ihres Objekts: das Denken des Logikers ist das nachgemachte Denken, da es immer das Produkt des freien Ich ist.343 Behandelt die WL die Grundvoraussetzungen des Wissens überhaupt, so dass ohne sie kein Wissen möglich wäre, so ist die Logik »ein künstliches Produkt des menschlichen Geistes in seiner Freiheit«344. Die WL ist notwendig, damit Wissenschaften konstituiert werden können, so wie es ohne die Tathandlung des Ich kein Wissen geben könnte: sie liefert die transzendentalen Bedingungen allen Wissens, ist dem Wissen also vorgängig. Die Logik überprüft nur die formale Richtigkeit der einzelnen Wissenschaften. Formal konstituiert werden die Wissenschaften durch die WL – ebenso wie ihrem Gehalt nach. Die Logik hingegen, indem sie vom Gehalt der WL abstrahiert, macht die formale Richtigkeit leichter überprüfbar: »Die erstere ist die ausschliessende Bedingung aller Wissenschaft; die letztere ist eine höchst wohlthätige Erfindung, um den Fortgang der Wissenschaften zu sichern und zu erleichtern.«345 Als ein bloßes »Instrument des Vernunftverfahrens«346 verstanden ist die formale Logik allerdings »ein Meisterstück des menschlichen Geistes«347 – nur sollte man sich erst nach der Philosophie mit der Logik beschäftigen. Denn indem die Logik den Menschen »gewöhnt, nur auf das Untere und Niedere zu sehn, verblendet sie ihn für das Höhere. Das logische Auffassen der höhern Fragen der Philosophie gerade war es, was die Philosophie vor Kant in so einen jämmerlichen Zustand geführt und auch nachher ihr so realen Schaden zugefügt hat.«348 »Logik ist Denklehre, noch dazu in einem sehr beschränkten Sinne.«349 Sie analysiert Begriffe, ohne sich für die Genese der Begriffe zu interessieren. Begriffe versteht die Logik nur als zusammengefasstes Mannigfaltiges. Sie kann nur zeigen, dass eine faktische wissenschaftliche Theorie mit der Form, die eine Wissenschaft als Ausdruck des Wissens besitzen muss, übereinstimmt oder ihr widerspricht. Sie hat einen rein pragmatischen, aber keinen konstitutiven Wert. Für die mögliche formale Abhängigkeit der WL folgt daraus:
343
Vgl. Unterschied zwischen Logik und Philosophie (1812); GA II,14, S. 204. Begriff 1794; GA I,2, S. 139. 345 Begriff 1794; GA I,2, S. 139. 346 Nova Methodo 98/99; GA II,3, S. 522. 347 Einleitung WS 1810/11 (Nachschrift Twesten); GA IV,4, S. 28. 348 Einleitung WS 1810/11 (Nachschrift Twesten); GA IV,4, S. 28. 349 WL 1810; GA II,11, S. 318. 344
204
Die transzendentale Logik
»Die Form einer Wissenschaftslehre kann nicht deßwegen unrichtig seyn, weil sie der Logik widerspricht. Die Logik giebt der Wissenschaftslehre kein Gesetz; sondern, darum, weil sie sich selbst widerspricht, oder aufhebt.«350 Die gemeine Logik als »nachconstruiren des Denkens«351 »denkt nur das Denken, aus der zweiten Hand: u. hält dieses für das Denken selbst«352. Sie verwechselt das Bild, das sie ist, mit dem Wesen und macht die bloße Denkmöglichkeit »zum Kriterium der Realität«353. Die Schranke dieser Möglichkeit ist der Satz des Widerspruchs: »Die Richtigkeit also, die sie fordert, ist gerade das letzte und niedrigste, was beym Denken in Betracht kommt, das bloß formale; sie verlangt nur, daß man sich nicht widerspreche.«354 Die Herleitung des ersten Grundsatzes der WL aus dem Satz der Identität ist so auch kein Beweis des einen durch den anderen, sondern die Genetisierung von letzterem. Damit widerspricht dies auch nicht Fichtes Aussage von der Unbeweisbarkeit des ersten Grundsatzes.355 Die gemeine Logik »ist durch eine wissenschaftl. Philosophie […] ganz u. gar aufgehoben, und vernichtet«356. Diese Aufhebung ist Ergebnis der Grundlage. Die Logik war bloßer »Versuch durch empirische Beobachtung das zu finden, zu dessen Gesetze sich die Einsicht noch nicht erhoben hatte. Jetzt wird es eingesehen aus dem Gesetze die empirische Beobachtung fällt drum weg.«357 Versteht sich die Logik nicht als transzendental fundiert, so ist sie »nur eine sehr weit getriebene Abstraction und Verblassung des analytischen Denkens, – d. h. desjenigen Verfahrens, wo man aus dem schon erwachsenen Begriffe die Theile, aus denen er erwachsen ist, herausnimmt, ohne sich übrigens dar-
350
Züricher Vorlesungen (1794); GA IV,3, S. 31. Unterschied zwischen Logik und Philosophie (1812); GA II,14, S. 338. Fichte »nimmt der Logik das Privileg, Denken des Denkens und Begreifen des Begriffs zu sein und über das zu entscheiden, was Reflexion in Wahrheit ist und wirklich vermag.« (Janke, Fichte (1970), S. 2.) 352 Unterschied zwischen Logik und Philosophie (1812); GA II,14, S. 339. 353 Unterschied zwischen Logik und Philosophie (1812); GA II,14, S. 339. 354 Einleitung in die Philosophie 1810; GA IV,4, S. 27 f. 355 Dagegen meint Tom Rockmore: »There is an obvious contradiction between the initial statement, which we have quoted, concerning the impossibility of demonstrating a first principle just because it is first, and Fichte’s attempt to provide a demonstration, in effect to demonstrate the indemonstrable.« (Rockmore, Antifoundationalism (1994), S. 100.) 356 Unterschied zwischen Logik und Philosophie (1812); GA II,14, S. 346. 357 Unterschied zwischen Logik und Philosophie (1812); GA II,14, S. 346. 351
Fichtes Begründung der Grundsätze des Denkens
205
um zu bekümmern, wie der Begriff hat erwachsen können.«358 Sie denkt das Allgemeine nicht als solches, sondern nur als Unbestimmtes, im Gegensatz zur transzendental begründeten Logik. Dann hat sie auch keine Wahrheit, sondern bleibt ein mehr oder weniger geeignetes »Instrument des Vernunftverfahrens«359. Die transzendentallogisch fundierten Regeln sind nicht einfach von den logischen Gesetzen verschieden, sondern beide sind ihrer formalen Seite nach identisch.360 Auch nach ihrer Genetisierung sind die formallogischen Gesetze also ein Abstraktionsprodukt, insofern sie nur die Form explizieren und vom Gehalt abstrahieren. Aber Grundlage der Abstraktion ist für die transzendentale Logik nicht eine Sammlung von empirischen Tatsachen, sondern die notwendige Handlung des Ich, die diese Tatsachen konstituiert. Die gemeine Logik sieht also von den Objekten, die durch das Ich gesetzt sind, ab und kommt so zu allgemeinen Gesetzen. Auch die transzendentallogisch fundierten logischen Gesetze sind als Ergebnis einer Abstraktion Nachbildung. Die transzendentale Logik weiß indessen, dass sie Nachkonstruktion des Wissens ist. Die Nachkonstruktion dieser philosophischen Reflexion ist als Nachkonstruktion kenntlich gemacht und erscheint als Nachkonstruktion, »d. h. als Reflex einer nicht-subjektiven, und zwar einer nicht vom Ich produzierten Einsicht […]«361: »die tr.[anszendentale] L.[ogik] weiß[,] daß es eine Reproduktion ist des ursprüngl. – Die g.[emeine] L.[ogik] [meint,] es sey das erste, u. ursprüngl. selbst. Jene […] bescheidet sich ein Bild [zu sein]: drum transscendentale.«362
358
Einleitung WS 1810/11 (Nachschrift Twesten); GA IV,4, S. 27. Nova Methodo 98/99; GA IV,3, S. 522. 360 Von einer »meta-formallogischen« Struktur zu sprechen (vgl. Wagner, Persönlichkeit Gottes (1971), S. 93), macht keinen Sinn, wenn damit gemeint ist, dass sie inhaltlich von den formallogischen Gesetzen verschieden sein sollte, also etwa ~A = A. Man muss vielmehr eine materiale Umdeutung darunter verstehen. 361 Bertinetto, Die Grundbeziehung von ›Leben‹ und ›Sehen‹ (2003), S. 212. 362 Unterschied zwischen Logik und Philosophie (1812); GA II,14, S. 204. Und so heißt es: »Möchten wir denn aber läugnen, daß auch unsre φ. Nachconstruktion sey[,] Bild.? Wie könnte sie […]. Nur ist sie 1.) nicht, wie die Logik […], Nachconstruktion einer Nachconstruktion. – aus dritter Hand, sondern aus zweiter: nicht theilweise, u. gestükelt, sondern im ganzen, u. aus einem Stüke. 2) worauf es ankomt: eine Nachconstruktion des Wissens im ganzen durch sich selbst, nicht etwa durch ein occultes Ich..« (Verhältniß 1812; GA II,14, S. 12 f.) »Die Anerkennung der Nachkonstruiertheit der Philosophie unterscheidet die transzendentale Philosophie von der formalen Logik […], deren Standpunkt am Reflex stehenbleibt und deshalb nicht weiß, daß sie Reflex ist.« (Bertinetto, Sehen ist Reflex des Lebens (2001), S. 304.) 359
206
Die transzendentale Logik
Die gemeine Logik ist also nur sich selbst nicht verstehende transzendentale Logik. Deshalb ist die WL auch nicht abhängig von der transzendentalen Logik, sondern begründet sie erst: »Die W.L. bedarf keiner, weder höhern noch niedern Logik. – Kann wohl nützen, wo sie noch nicht selber lebt: wo sie selbst lebt, ist sie ihr eignes Gesez, u. Gesez durchaus für allen logischen Verstandesgebrauch.«363 Die Herleitung der Grundsätze der WL erfolgt also nicht in Form einer ableitenden Deduktion, sondern durch »Rückgang vom empirisch Bedingten auf die transzendentalen Gründe«364. Dies geschieht durch Genetisierung der Regeln der Reflexion und Abstraktion als den Grundgesetzen der Logik. Die Herleitung der Grundsätze der WL aus den Grundsätzen der Logik ist also als Genetisierung der logischen Gesetze zu verstehen:365 »Es wird sich zeigen, daß alle Wissenschaften sich auf Thatsachen gründen, welche in der Wissenschaft[s]lehre Thathandlungen sind.«366
2.3.2. Die Genetisierung des Satzes der Identität Als Erstes muss der erste Grundsatz der Logik, der Satz der Identität, als Tatsache des Bewusstseins genetisiert werden. Fichte versucht, »den gemeinen Verstand darüber aufzuklären, daß die von ihm behauptete schlechthinnige Gewißheit des Satzes ›A ist A‹ unter einer Bedingung steht, die keine Tatsache des empirischen Bewußtseins ist.«367 Die Tathandlung, auf die diese Tatsache des Bewusstseins zurückgeführt wird, ist die Selbstsetzung des Ich. Der Satz »A ist A«, der die Tatsache ausdrückt, wird auf den Satz »Das Ich setzt sich selbst« als Ausdruck der Tathandlung zurückgeführt. Gemäß der mehrfachen Begründungsleistung des Grundsatzes der WL muss er dessen Gewissheit, seine Form, seinen Inhalt und seine Unbestimmtheit begründen.
363
Logik Erlangen 1805; GA II,9, S. 113. Gloy, Die drei Grundsätze (1984), S. 298. 365 Der dritte Grundsatz der Wissenschaftslehre, der dem dritten Grundsatz der Logik – dem Satz des Grundes – entspricht, wird nicht mehr durch transzendentale Reduktion des letzteren auf den ersten gewonnen, sondern ist bereits Produkt einer dialektischen Entwicklung. 366 Züricher Vorlesungen (1794); GA IV,3, S. 23. 367 Stolzenberg, Fichtes Satz ›Ich bin‹ (1994), Anm. S. 15. 364
Fichtes Begründung der Grundsätze des Denkens
207
Diese Herleitung des Satzes »Das Ich setzt sich selbst« gilt in der Forschung weitgehend als misslungen und voll logischer Brüche.368 Dabei wird sie aber häufig zu schlicht rekonstruiert: Fichte zeige zum einen, dass das Ich Akteur des Setzens von »A = A« sei, und behaupte dann, dass das Ich wie »A = A« strukturiert sei, so dass folge: »Ich = Ich«. Hier sei, anders als bei »A = A« nicht nur der Zusammenhang, sondern auch die Existenz gewiss, weil sich das Ich eben bereits als Akteur des Satzes der Identität erkannt habe. Diese Begründung wäre nun tatsächlich zirkulär, denn einerseits wäre das Ich dasjenige, was den Zusammenhang »A = A« überhaupt erst setzt, andererseits wäre es aber auch nur ein Fall, der unter das Gesetz der Identität fallen würde.369 »Ich« wäre dann ein bestenfalls paradigmatischer Gehalt, den man in die Formel »A = A« einsetzen kann, es selbst nur ein Substrat, an dem Identität auftritt. Aber Fichte zielt auf eine vollständige Aufhebung von »A = A« in »Ich = Ich« und damit auf eine vollständige Aufhebung der Identität in das Ich. Dazu muss zunächst jedoch die Bedeutung des Identitätsgesetzes genauer bestimmt werden, das lautet: »A ist A« oder »A = A«. Der Sinn der logischen Kopula »ist« ist hier nach Fichte identisch mit dem »=«: beide bedeuten »ist identisch mit«.370 Diese Gleichsetzung von kopulativem »ist« und Gleichheits- und Identitätszeichen stößt in der Literatur gemeinhin auf Kritik: Fichte setze zu Unrecht das Identitätsprinzip mit dem Satz »A = A« und Identität und Gleichheit gleich. Durch die Verwechslung oder Vermengung dieser beiden unterschiedlichen Relationen würden »der Aufweis und die Inhaltsbestimmung der Tathandlung«371 von Anfang an verfälscht. Damit könnte dann auch die daraus hergeleitete Formel für das Ich nicht richtig sein.372 Fichte 368
So sind nach Rohs die Details in § 1 »unzulänglich und überzeugen wohl niemanden« (Rohs, Fichte (1991), S. 51). 369 Brachtendorf etwa kritisiert, dass aus der Setzung von »A = A« im Ich nur gefolgert werden könne, dass das Ich der Ort ist, in dem logische Sätze stattfinden, und nicht »daß das Ich dem Identitätssatz analog strukturiert ist« (Brachtendorf, Fichtes Lehre vom Sein (1995), S. 129). Fichte könne nur zeigen, dass es einen Akteur des Gedankens »A = A« gibt und nicht dass jener Akteur nach diesem Gesetz strukturiert ist. Deshalb sieht er keine Möglichkeit, »A = A« auf »Ich = Ich« zurückzuführen. Dem liegt aber eben der Irrtum zu Grunde, dass »Ich = Ich« nur als ein bestimmter Fall von »A = A« verstanden wird. 370 Vgl. Grundlage 1794; GA I,2, S. 256. 371 Baumanns, Fichte Gesamtdarstellung (1990), S. 65. 372 So kritisiert Hans Lenk, dass für Fichte das »=« die Bedeutung der Kopula, der Identität, der Gleichheit und der Implikation symbolisiere und daraus viele fehlerhafte Schlüsse abgeleitet würden. (Vgl. Lenk, Logische Konstanten (1968), S. 202.) Bei »A = A« handelt es sich nach Baumanns anders als bei »A ist A« um ein »formallogische[s] Pseudoprinzip einer Sich-Gleichheit« (Baumanns, Fichte Gesamtdarstellung (1990), S. 65), da die Formel »A = A« gar keinen Sinn habe. (Vgl. S. 67.) Gleichheit, so der Gedanke, könne nämlich nur
208
Die transzendentale Logik
verwechselt nun aber zunächst nicht das »=«- Zeichen mit der Kopula oder der Identität, sondern verwendet es als Identitätszeichen und legt die Bedeutung der Kopula für den Satz »A ist A« auf die Identität fest.373 Man kann Fichte auch nicht vorwerfen, er würde die Mehrdeutigkeit der Kopula »ist« übersehen. Diese ist im ersten Grundsatz als Identität zu verstehen. Denn er legt ihre Bedeutung in »A ist A« auf die Identität fest. Davon unterscheidet er das »ist« im Sinne von »existiert« und im Sinne einer gewöhnlichen Prädikation. Dabei ist nämlich immer schon Differenz gesetzt, denn das Prädikat ist mit dem Subjekt nicht identisch. In späteren Schriften unterscheidet Fichte dieses »ist« deshalb als partielle Übereinstimmung von dem »ist« als Identität. So differenziert Fichte in der Erlangener Logik die unterschiedlichen Bedeutungen von »ist«: das absolute (existit) und »das relative oder die Copula«374. Diese Kopula differenziert sich wiederum in die logische und die transzendentale. Die logische besteht in der Beilegung, also der gewöhnlichen Kopula. Dabei wird nach Fichte ein Gegensatz stehen gelassen. Das ist bei der transzendentalen Kopula nicht der Fall: »die transscendentale . . Identität, absolutes in einander schmelzen, u. gegenseitig durch sich gefodert […] – Das transscendentale ist negirt durchaus alles logische ist: – .Denn pp. das leztere sezt für seine Möglichkeit, laut der Erklärung des logischen Urtheils durchaus Gegensatz: das erstere aber hebt allen Gegensatz auf, muß daher allenthalben negiren, wo das erstere statt findet – schlechthin darum, u. deswegen, weil es statt findet.«375 »Was ist das Wissen an sich. – . Das Wissen an sich ist das: – . Ist, identisch, die transscendentale Kopula – .«376 In einer gewöhnlichen Prädikation »bezeichnet das Wort ›ist‹ nur die logische Copula, in welcher das Mannigfaltige der Prädicate in einer Einheit des logischen Subjects durch das Denken fixirt wird: man kann sodann nicht sa-
zwischen Verschiedenen auftreten. Diese Verschiedenheit fehle jedoch beim ersten und zweiten A. So sei dann auch »Ich = Ich« gar nicht die adäquate Formel für das Ich. 373 Wenn Fichte mit »=« die Identität meint, entspricht er zum einen einem damals üblichen terminologischen Usus zum anderen kann man eine symbolische Schreibweise nicht einfach als falsch klassifizieren, denn es hängt nur davon ab, wie man die Symbole einführt, expliziert und gebraucht. 374 Logik Erlangen 1805; GA II,9, S. 75. 375 Logik Erlangen 1805; GA II,9, S. 75. 376 Vortrag der WL 1805; GA II,9, S. 184.
Fichtes Begründung der Grundsätze des Denkens
209
gen: das Object ist, sondern es ist als dieses oder jenes zu denken.«377 »A = A« bedeutet dagegen die Identität von gesetztem und reflektiertem Gehalt.378 Fichtes Verwendung des »=«-Zeichens und der Kopula scheint also unproblematisch, insofern man unter dem »=«-Zeichen und dem »ist« zumindest im ersten Grundsatz eben die Identität zu verstehen hat. Aber dennoch liegt in der Formel »A ist A« als einer Tatsache des Bewusstseins noch eine Doppeldeutigkeit. Zum einen kann man sie als ein tautologisches Urteil über »A« verstehen, wobei »A« für jeden möglichen Gehalt, für alles, was Gegenstand des Bewusstseins werden kann, steht: »A ist eben A.«. Damit würde eine Aussage oder ein Urteil über »A« gefällt werden und das Gesetz der Identität wäre ein Gesetz von »A«: jedes »A« hat die Eigenschaft, »A« zu sein. »A ist A« würde in diesem Sinne als tautologisches Urteil verstanden. Seiner Struktur nach unterschiede es sich nicht von dem Satz »Peter ist blond.« oder jeder anderen beliebigen Prädikation. Beide Sätze prädizieren dann etwas von ihrem Subjekt, nur erfahren wir das eine mal etwas über das Subjekt, hingegen bei »A ist A« erfahren wir durch das Prädikat nichts, was uns das Subjekt nicht schon gesagt hätte: wir prädizieren das »A-sein« von A. Das Gesetz der Identität würde dann nur sagen, dass man von jedem Subjekt es selbst prädizieren kann. So könnte man behaupten, dass das tautologische Urteil »A ist A« durchaus leer ist, denn man erfährt über diesen Gehalt in dem Urteil nichts Neues. Dieses Verständnis des Satzes kann aus mehreren Gründen im Sinne Fichtes nicht stimmig sein. Denn dann wäre das Gesetz der Identität nichts anderes als das Ergebnis einer Abstraktion, da der Gegenstand des Gesetzes (»A«) das Ergebnis einer Abstraktion von allen möglichen Subjekten wäre. Fichte kritisiert aber gerade das Verständnis der Logik als Abstraktion in diesem Sinne.379 Zum anderen machen die Prinzipien der Logik nach Fichte die Form der Sätze zu ihrem Gegenstand. Das tautologische Urteil würde sich aber auf das beziehen, was nach Fichte der Gehalt des Satzes ist, nämlich das »A«. Der intendierte Gegenstand eines logischen Urteils ist aber die Form selbst. Die 377
Rückerinnerungen, Antworten, Fragen (1799); GA II,5, S. 154. Vgl. Christian Klotz, »Reines Selbstbewußtsein und Reflexion in Fichtes Grundlegung der Wissenschaftslehre (1794–1800)«. In: Fichte-Studien 7 (1995), 27–48, S. 40. 379 Man kann dies auch vom Ergebnis der Herleitung Fichtes her deutlich machen: Der Satz »A ist A« kann keine Prädikation sein, denn das »ist« in diesem Satz ist ja als transzendentales zu verstehen, als ein Verschmelzen der »A« miteinander. Denn der Satz »A ist A« soll ja Ausgangspunkt für die Gewinnung des »Ich bin Ich« sein. Dieser ist aber keine Prädikation, sondern thetisches Urteil. Wenn also die Form des Satzes »A ist A« mit der Form des Satzes »Ich bin Ich« übereinstimmen soll, so kann Fichte nicht von einer Prädikation ausgehen. 378
210
Die transzendentale Logik
Form dieses Satzes ist das »ist« oder »=« und nicht das »ist A«. Gegenstand dieses logischen Satzes ist das Verhältnis zwischen beiden A: die Identität. Das diesem Urteil zu Grunde liegende Reflexionsprinzip meint also nicht den Inhalt »A«, sondern die Form des Satzes. Der Satz »A ist A« muss somit nicht nur als tautologisches Urteil über »A«, sondern als Ausdruck der Reflexionsbestimmung Identität und damit als Prinzip des tautologischen Urteils verstanden werden. Letzteres ist erst die Bedingung für die notwendige Wahrheit tautologischer Urteile: nur auf Grund der Selbigkeit jeden Gehalts mit sich selbst kann er immer wieder von sich ausgesagt werden. »A ist A« ist die »logische Fassung des Prinzips Identität, das unausweichlich immer angewandt wird«380. Dies bestätigen auch spätere Aussagen Fichtes: »A = A« ist »die einzige unbedingte Wahrheit für alles im Denken oder Sein Gesetzte (Positive;) ausdrückend die reine Bejahung, welche nicht zugleich dasselbige verneinen kann, – die Form der Position, und schlechthin nichts mehr.«381 Es ist »Ausdruck, Schema für das absolute Gesetz der Identität«382, »Ausdruck der reinen Beziehung, Position«383. Die logischen Gesetze sprechen nicht von den Gehalten, sondern von der Form der Sätze. Da aber jeder Satz einen Gehalt braucht, brauchen ihre Gesetze das Subjekt-A und das Prädikat-A »als Formbestände. […] Die Gehalte logischer Sätze sind die reinen Bezüge der Form.«384 Fichte geht also von dem Reflexionsgesetz aus, dass dem tautologischen Urteil zu Grunde liegt.385 Auch später hält Fichte daran fest, dass sich das reine Wesen der Erkenntnis am »A = A« offenbart: »Die absolute Identität des Bildes, u. des Abgebildeten, des Subjekts u. Prädikats, in dem Satze A = A. Ein Mensch ist ein Mensch usf. Wahr, daß hierin das reine, durch sich selbst etwas
380
Meckenstock, Vernünftige Einheit (1983), S. 16. Baumanns hingegen verfehlt die Intention Fichtes insofern von vornherein, als er meint, »A ist A« werde von Fichte »als eine Meinung des gewöhnlichen Bewußtseins, nicht so sehr als Theorem der Logik« (Baumanns, Fichtes ursprüngliches System (1972), S. 56) benutzt. 381 Zur Darstellung von Schellings Identitätssysteme (1801); GA II,5, S. 490. 382 Zur Darstellung von Schellings Identitätssysteme (1801); GA II,5, S. 495. Aber weil es eben nur Ausdruck oder Schema ist, so kann man nicht – wie Schelling – behaupten wollen, dass die Identität »objektiv doch wohl« (495) unter dieser logischen Form existiere. Es »sind logische Formen, die als solche zu objektiver Existenz zu erheben rein sinnlos ist« (495). Schellings Fehler besteht also darin, die logische Form als solche, das heißt als formallogische Form, zu objektiver (= gegenständlicher) Existenz zu erheben. 383 Zur Darstellung von Schellings Identitätssysteme (1801); GA II,5, S. 495. 384 Janke, Fichte (1970), S. 4. 385 Schuhmann interpretiert »A = A« also zu Recht als »Ausdruck der Reflexion« (Schuhmann, Die Grundlage der Wissenschaftslehre in ihrem Umrisse (1968), S. 21).
Fichtes Begründung der Grundsätze des Denkens
211
setzende Wesen der Erkenntniß am deutlichsten sich offenbart«386. Ohne den Ausgang der Überlegung richtig zu verstehen, kann Fichtes Deutung des Ich als reine Relation und Reflexion gar nicht verstanden werden.
2.3.2.1. »A ist A« als Tatsache des Bewusstseins »A ist A« ist zunächst eine Tatsache des Bewusstseins, insofern jeder diesen Satz zugesteht und für unmittelbar gewiss hält: »Wenn aber Iemand einen Beweiß desselben fordern sollte, so würde man sich auf einen solchen Beweiß gar nicht einlassen, sondern behaupten, jener Satz sey schlechthin, d. i. ohne allen weitern Grund, gewiß: und indem man dieses, ohne Zweifel mit allgemeiner Beistimmung, thut, schreibt man sich das Vermögen zu, etwas schlechthin zu setzen.«387 Diese unbedingte Setzung ist aus dem Satz selbst aber gar nicht verständlich. Seine Gewissheit muss erst durch die WL begründet werden: zum einen die Gewissheit als solche (das Vermögen, etwas schlechthin zu setzen), zum anderen aber diese bestimmte Gewissheit. Fichte genetisiert deshalb im Folgenden die nur scheinbar unbedingte Gewissheit von »A ist A«. Der Ausgang von »A ist A« bedeutet also keine Herleitung des ersten Grundsatzes aus einem common-sense-Urteil. Es handelt sich hier gerade nicht um eine Begründung aus irgendwelchen Bewusstseinsfakten, »über deren Geltung überall Einvernehmen besteht und die auch vom Skeptizismus nicht bestritten werden«388. Fichte beruft sich nicht auf die Gewissheit von »A = A«, sondern versucht vielmehr, sie transzendental zu fundieren.389 Wenn Fichte sich nur auf den Aspekt der Gewissheit von »A ist A« hätte berufen wollen, hätte er nämlich von jedem Urteil ausgehen können, das das gemeine Bewusstsein zugesteht.390 Der Zusammenhang mit der Zirkularität 386
WL 1811; GA II,12, S. 160. Grundlage 1794; GA I,2, S. 256. 388 Meckenstock, Beobachtungen (1997), S. 72. Auch nach Metz ist der Ausgangspunkt Fichtes die unbedingte Gewissheit von »A = A«. (Vgl. Metz, Kategoriendeduktion (1991), S. 219.) 389 »Das principium identitatis bildet kein Fundament, das dem Zweifel widersteht; es schuldet seine Gewißheit einer ungeprüften, ja nicht einmal entdeckten Voraussetzung.« (Janke, Fichte (1970), S. 89.) Die transzendentale Abstraktion entdeckt die vielfache Bedingtheit von »A = A«. (Vgl. Janke, Historische Dialektik (1977), S. 103.) 390 Da Fichte selbst die Beliebigkeit des Ausgangspunktes behauptet, verwundert es nicht, wenn diese These auch von der Forschung vertreten wird. Stolzenberg behauptet explizit, dass Fichte die Begründung für seinen Ausgangspunkt, dass jede Aussage den SdI 387
212
Die transzendentale Logik
des Ausgangs der Wissenschaftslehre und dem Ausgang von »A ist A« als gewissem Satz würde dann aber ebenso wenig verständlich wie die konstitutive Funktion, die Fichte dem Satz der Identität zur Erkenntnis der wissensbegründenden Tathandlung zuschreibt. Der Ausgang von irgendeiner Tatsache des Bewusstseins könnte ausschließlich den Aspekt des unbedingten Setzens begründen, würde aber nicht die Form des Grundsatzes enthalten. Es handelt sich hier ja nicht um irgendeine beliebige Tatsache des Bewusstseins, sondern um eben das Reflexions- und Abstraktionsgesetz, das Fichte operativ in Anspruch nimmt, ohne es begründet zu haben. Ohne das Prinzip der Identität wären weder Urteile noch die abstrahierende Reflexion möglich. So »muß die Orientierung an diesem Prinzip somit als grundlegende Rationalitätsbedingung«391 gelten. Den Ausgang von »A ist A« nicht als Versuch zu sehen, den notwendigen Zirkel des Geistes aufzulösen, lässt die konstitutive Funktion der Form, die der Satz der Identität ausdrückt, für den ersten Grundsatz der WL bzw. der Relation der Identität für die Konzeption des Ich übersehen. Die hier vorgeschlagene operative Deutung macht gerade diese Funktion zu ihrem Gegenstand. Dabei bezieht sie alle vier Begründungsfunktionen, die Fichte in der Begriffsschrift 1794 dem Grundsatz der Wissenschaftslehre wie der WL überhaupt zuwies, mit ein: nämlich jedem anderen Satz Gewissheit, Form und Inhalt und Unbestimmtheit mitzuteilen. Die Gewissheit ist hier nur der erste Aspekt: Fichte schreibt die bloß formale Gültigkeit, die das Widerspruchs- bzw. Identitätsprinzip anderen Sätzen zuschreiben kann, auch diesem Satz selbst zu. Er selbst hat auf Grund seines Fehlens eines materialen Gehaltes zunächst nur hypothetische Gültigkeit, keine reale Gültigkeit. Als bloß formaler Satz begründet er nicht nur wie bei Kant die bloße Möglichkeit anderer Sätze, sondern er selbst ist nur der Mögvoraussetzen würde, nicht gibt, weil er den Satz nur als Tatsache des Bewusstseins verstanden wissen will. (Vgl. Stolzenberg, Fichtes Satz ›Ich bin‹ (1994), S. 14.) Nach Lütterfelds könne an die Stelle von »A ist A« jeder beliebige Satz »p« treten, den jeder zugibt. (Vgl. Lütterfelds, Fichte und Wittgenstein (1989), S. 410.) Aber wenig später sieht er selbst, dass die Kopula hier eine besondere und »A ist A« nicht nur bestimmtes Urteil ist, sondern Reflexionsprinzip. Die Struktur des Ich oder absoluten Ich als reiner Rückgang in sich selbst ist nur aus der Kopula in »A ist A« zu gewinnen. Im Satz »Ich bin Ich« spreche man »eine ganz spezifische Form der Identität aus; und zwar zwischen der realen Sprachhandlung eines Subjekts, das empirische Sätze über etwas Wirkliches äußert, und dem, als was das Subjekt sich darin objektiv bezeichnet, d. h. einem sprachlichen Sinn.« (414) 391 Klotz, Reines Selbstbewusstsein (1995), S. 38. Fichte versucht nach Klotz zu zeigen, dass ein Subjekt nur deshalb diesem Prinzip folgen könne, weil es den Gedanken der eigenen Identität als gewiß anerkenne. Dieser Gedanke ist noch dahingehend zu korrigieren, dass das Ich nicht nur identisch – und damit ein Fall, an dem Identität auftritt –, sondern die Identität selbst ist.
Fichtes Begründung der Grundsätze des Denkens
213
lichkeit nach gültig, bis er einen Gehalt bekommt, der ihn realisiert.392 Der SdI braucht wie der SdW eine Materie seiner Anwendung, die ihm Realität verleiht. Diese bleibt ihm in seiner formallogischen Formulierung aber ganz äußerlich. Denn was man in die Gleichung einsetzt, ist ganz egal für seine Gültigkeit. Als rein formaler Satz ist er immer schon auf irgendeine ihm äußerliche Materie oder einen Gehalt angewiesen, auf die oder den er sich als Form beziehen kann: »Kein Satz ist ohne Gehalt oder ohne Form möglich. Es muß etwas seyn, wovon man weiß, und etwas, das man davon weiß.«393 Man muss »irgend eine Thatsache im Gemüthe annehmen, oder vermuthen, welche diesen Satz ursprünglich begründet.«394 Der SdW kann aber nicht durch ein faktisches Vorkommnis im Gemüt als einer ihm selbst äußerlichen Ursache begründet werden. Er wird auch nicht dadurch begründet, dass man ihn aus einem anderen Satz ableitet. Der Grund für seine bloß hypothetische Geltung ist ja das Fehlen eines Gehalts. So kann er nur durch einen Satz begründet werden, der seine Form mit einem Gehalt verbindet. Andererseits ist es aber auch nicht damit getan, einfach irgendeinen Gehalt in ihn einzusetzen. Denn wenn dieser Gehalt selbst ein kontingenter ist, bleibt die Geltung der Zusammensetzung von Form und Inhalt kontingent. Auch wenn der Zusammenhang zwischen beiden kontingent wäre, hätte der logische Satz nur hypothetische Geltung. Das logische Gesetz kann also erst dann in sich selbst reale Gültigkeit besitzen, wenn sein Gehalt ihm nicht mehr äußerlich ist. Erst im absoluten Ich wird die Form von »A = A« letztlich ihren ursprünglichen Gehalt finden.395 Fichte hebt die Unbedingtheit der Tatsache des Bewusstseins »A ist A« in einem ersten Schritt auf, indem er zeigt, dass dieser Satz nur in gewisser Hinsicht unbedingt ist. Wie jeder Satz hat der Satz »A ist A« zwei Bestandteile:
392
Ähnlich meint Schuhmann, dass »A = A« als »das Grundschema aller Tatsachen, die Form des Tatsächlichen« (Karl Schuhmann, Die Grundlage der Wissenschaftslehre in ihrem Umrisse. Zu Fichtes »Wissenschaftslehren« von 1794 und 1810, Den Haag 1968, S. 20) mit einer Materie synthetisiert werden muss, um zum »A ist« zu gelangen. So geht auch die reale Gültigkeit des SdW erst aus der Verbindung mit einem Gehalt hervor. Die Form der Denkbarkeit muss auf etwas Gegebenes angewandt werden. Im Denken ist nur ein »Wenn – dann«, im Erkennen ein »dass« gegeben. (Man müsste hier aber ergänzen, dass das nur für das formallogische Denken gilt.) 393 Begriff 1794; GA I,2, S. 121. 394 Rezension Aenesidemus (1794); GA I,2, S. 44. 395 Vgl. Klotz, Selbstbewußtsein und praktische Identität (2002), S. 13.
214
Die transzendentale Logik
Gehalt und Form. Da es sich bei »A ist A« um einen Satz der Logik handelt, kann nur seine Form unbedingt sein. Der intendierte Gegenstand dieses Satzes ist die Form, der Zusammenhang beider »A«. Notwendig ist nur die Form des Satzes. Entsprechend der Methodik der abstrahierenden Reflexion muss Fichte also vom Gehalt des Satzes als dem Bedingten abstrahieren: »Irgend eine Thatsache des empirischen Bewußtseyns wird aufgestellt; und es wird eine empirische Bestimmung nach der andern von ihr abgesondert, so lange, bis dasjenige, was sich schlechthin selbst nicht wegdenken und wovon sich weiter nichts absondern läßt, rein zurückbleibt.«396 Das »A« in dem Satz »A ist A« ist nach Fichte deshalb bedingt, weil man gar nicht weiß, ob »A« ist. Denn: »Der Saz A ist A ist gar nicht gleichgeltend dem: A ist, oder; es ist ein A. (Seyn, ohne Prädikat gesezt, drückt etwas ganz anders aus, als seyn mit einem Prädikate […].)«397 Die Bedingtheit des »A« bedeutet nun für die Tatsache des Bewußtseins »A ist A«, dass sie in dieser Form nur scheinbar schlechthin unbedingt ist. Vielmehr ist sie in bedingter Weise unbedingt. Der Satz ist einerseits bedingt, andererseits unbedingt. Seine Form ist unbedingt, sein Gehalt hingegen ist bedingt. Nun ist natürlich »A« nur eine Variable für die Elemente der Menge aller möglichen Gehalte. »A« ist kein konkreter Gehalt, sondern steht nur für jeden möglichen Gehalt.398 Aber selbst dieser Möglichkeitsbegriff ist sehr schwach. Fichte führt dies am Beispiel sich selbst widersprechender zusammengesetzter Begriffe vor: denn der Satz »Ein quadratischer Zirkel ist ein quadratischer Zirkel.« wäre nach dem Satz der Identität richtig, obwohl »ein quadratischer Zirkel« noch nicht einmal ein logisch möglicher Gehalt im Sinne eines möglichen Gedankens wäre.
396
Grundlage 1794; GA I,2, S. 256. Grundlage 1794; GA I,2, S. 256. 398 Die einzige Bedingung für »A« besteht nach Seebohm darin, dass es ein Bewusstseinsinhalt sein muss. Deshalb sei für Fichte die formale Logik eine rein intensionale Logik. Sie ginge von der Lehre vom Begriff aus. Daher können die Prinzipien der Logik auch auf Begriffe und nicht auf Aussagen, Urteile und Prädikate appliziert werden. Allerdings zeige sich dies vornehmlich am dritten Grundsatz, dem SvG. So ginge Fichtes Logik von der Lehre vom Begriff aus, ihre Prinzipien hätten aber nicht nur logische, sondern auch ontologische Relevanz, was bei Fichte heiße, sie seien nicht nur auf Begriffe, Urteile und Schlüsse, sondern auch auf alle Bewusstseinsgehalte anwendbar. (Vgl. Seebohm, Fichte’s Discovery of Dialectical Method (1994), S. 25 f.) 397
Fichtes Begründung der Grundsätze des Denkens
215
Fragt man also, was an dem Urteil »A = A« unbedingt ist, so wird man sagen müssen, dass das die bloße Form des Satzes ist, die die Relation zwischen den Relata oder das Verhältnis der beiden A zueinander ausdrückt.399 Abstrahiert man also von dem Bedingten in dem Satz, so bleibt die Relation der Identität oder der »nothwendige Zusammenhang zwischen beiden [A] […], der schlechthin, und ohne allen Grund gesetzt wird«, zurück. Ohne allen Grund – unbedingt – gesetzt ist nur der »nothwendige Zusammenhang zwischen beiden« »A«, das heißt eben ihr formales Verhältnis zueinander. Das Prinzip der Identität betrifft den nothwendigen Zusammenhang zwischen beiden »A«. Das logische Gesetz, als formales Gesetz, bezieht sich nur auf die Form des Satzes. Die Relation zwischen den Relata ist als unbedingt gesetzt, die Form des Satzes ist unbedingt gewiss: »Es ist nicht die Frage vom Gehalte des Satzes, sondern bloß von seiner Form; nicht von dem, wovon man etwas weiß, sondern von dem, was man weiß, von irgend einem Gegenstande, welcher es auch seyn möge.«400 Der Satz müsste deshalb nach Fichte deutlicher so formuliert werden, dass einerseits als das Notwendige in diesem Satz der Zusammenhang, und andererseits gleichzeitig die Bedingtheit des Gehaltes zum Ausdruck kommt: »wenn A sey, so sey A.«401 Hier haben wir die aussagenlogische Formulierung des Satzes der Identität: a → a. Fichte begründet so die prädikatenlogische Form durch die aussagenlogische. Nur geht es im ersten Fall nicht nur um Subjekt und Prädikat und im zweiten nicht um Aussagen, sondern beide Male um Denkgehalte. Der erste Grundsatz der WL ist die gemeinsame Wurzel beider. In den Züricher Vorlesungen heißt es so noch deutlicher: »A = A. heißt: wenn A ist, so ist A = A.«402 Dieser Ausdruck enthält eine Bedingung, nämlich das »A« und ein unbedingtes, nämlich die Relation zwischen den beiden »A«. Damit ist der Ausdruck »A = A« als ganzer aber bedingt. Denn er steht unter der Bedingung des Gesetztseins von »A«.403 399
Stolzenberg spricht davon, dass die Form des Satzes »A ist A« »der mit Bezug auf ihn behaupteten schlechthinnigen Gewißheit« (Stolzenberg, Fichtes Satz ›Ich bin‹ (1994), S. 16) entspricht. Das enthält eine gewisse Zweideutigkeit, die bei Stolzenberg nicht ausgeräumt wird: setzt er die Gewissheit des Satzes als dessen Form, das heißt macht er die Gewissheit zur Form, oder meint er, Fichte behaupte, das, was in diesem Satz »A ist A« gewiss ist, sei seine Form? 400 Grundlage 1794; GA I,2, S. 257. 401 Grundlage 1794; GA I,2, S. 257. In Begriff 1794 heißt es: »wenn A gesetzt ist, so ist A gesetzt.« (GA I,2, S. 139.) 402 Züricher Vorlesungen (1794); GA IV,3, S. 25. 403 Nach Henrich markiert das erste A die Bedingung, »in Beziehung auf die der Satz der Identität dies ausdrückt, daß, sofern sie erfüllt ist, ohne weiteres die Erfüllung des rechten
216
Die transzendentale Logik
Fichte deutet den Satz der Identität als Konditionalbeziehung. Damit destruiert er den Schein der Unbedingtheit der Tatsache des Bewusstseins »A ist A«, da diese eben nur unter der Bedingung des Gesetztseins von A unbedingt ist. Der Satz »A ist A« ist bedingt durch das nicht unbedingte Gesetztsein von »A«. Dann besteht aber noch die Frage: »in wiefern und warum ist A gesetzt, wenn es gesetzt ist – oder, wie hängt jenes Wenn und dieses So überhaupt zusammen?«404 Ausgehend vom Satz der Identität als einer Tatsache des Bewusstseins sollte mittels der abstrahierenden Reflexion von allem Nicht-Notwendigen abstrahiert und auf das Notwendige reflektiert werden. Nun ist bereits von »A« als dem Bedingten abstrahiert worden und es muss auf den Zusammenhang zwischen beiden »A« reflektiert werden. Den Zusammenhang zwischen »A« und »A« bezeichnet Fichte zunächst als »X«. »X« ist unbedingt gewiss, »A« ist bedingt. »Allein das Gleich in der Gleich-Setzung ist schlechthin gesetzt.«405 Aus der Notwendigkeit des Zusammenhangs X folgt nicht die Notwendigkeit der Relata, an denen er auftritt, aus der Notwendigkeit der Form des Satzes nichts über die Notwendigkeit seines Gehalts. In dem logischen Gesetz »A = A« treten Form und Inhalt ja auseinander: »Die Existenz A kann nicht durch Form bewiesen werden, wenn schon nichts gegen die Form einzuwenden ist. Wie komm’ ich allso dazu, zu sagen A ist. / Ist A? Diese Frage betrifft den Gehalt des Satzes.«406 Die Übertragung des Gedankens »A = A« in »Wenn A ist, so ist A = A« bringt aber neben der Bedingtheit von A zudem zum Ausdruck, dass die logische Relation der Identität, die in dem Satz »A = A« durch die Form ausgedrückt wird, nur an einem gegebenen A auftreten kann. Die Relation bleibt abhängig von einem Relatum. Die logische Relation der Identität ist zwar eine notwendige, aber nur wenn ein von ihr verschiedenes »A« gegeben ist, das heißt ein Substrat, an dem sie auftreten kann. Für »A ist A« als Satz heißt dies, dass auch er im Hinblick auf die Form nicht schlechthin unbedingt sein kann. Die Form, die in ihm aufgestellt wird und die unbedingt ist, ist insofern bedingt, als sie auf einen von ihr verschiedenen Gehalt angewiesen ist. Nur wenn »A« Auftrittsfalles gegeben ist. Wie immer sich die Merkwürdigkeiten diese Analyse erklären oder gar rechtfertigen lassen, so kann man davon ausgehen, daß Fichte sie vor allem wegen der Vorteile ihrer Anwendung auf den besonderen Fall der Identität im Satz ›Ich bin Ich‹ überzeugend fand.« (Henrich, Der Grund im Bewußtsein (1992), S. 485.) 404 Begriff 1794; GA I,2, S. 139. 405 Metz, Kategoriendeduktion (1991), S. 220. 406 Züricher Vorlesungen (1794); GA IV,3, S. 26.
Fichtes Begründung der Grundsätze des Denkens
217
gesetzt ist, so ist »A = A« gesetzt. Diese Setzung des ersten A bedarf eines Grundes, der unabhängig von A selbst ist. Nur dann, wenn das erste A gesetzt ist, muss auch das zweite A als identisch mit dem ersten gesetzt werden. Da die Identität, wie die Logik sie denkt, aber eben an etwas auftritt, das mit etwas – eben mit sich selbst – identisch ist, hat der Satz eine Voraussetzung. Es muss ein Etwas – irgendein A – gesetzt sein, das mit etwas identisch ist: eben mit sich selbst. Fichte versucht dagegen, die Relation der Identität in ihrer Eigenständigkeit zu denken.407 Die Logik wendet X bloß an, indem sie es auf jedes A bezieht: sie setzt die Unbedingtheit von X bereits voraus. Sie erklärt aber nicht, was X letztlich ist und woher seine Unbedingtheit kommt. Dies kann sie nicht, weil sie X gar nicht für sich betrachtet. Da X aber ein Zusammenhang ist, der nur an einem A auftreten kann, so muss A selbst auch gesetzt sein. A muss gesetzt sein, weil X gesetzt ist, das ein A benötigt.408 Insofern also der Zusammenhang gesetzt ist, ist faktisch auch ein A gesetzt.409 Aus der faktischen Setzung des ersten A folgt über Zusammenhang X die notwendige Setzung des zweiten A: »Wenn A. im Ich gesezt ist, so ist es gesezt; oder – so ist es.«410 Es muss eben ein A gefunden werden, das unbedingt ist. Denn wenn es bedingt ist, so wird die Unbedingtheit des nur an einem A auftreten könnenden X aufgehoben. Das heißt: wenn X unbedingt gesetzt sein soll, so muss sich ein A finden lassen, das mit X unbe-
407
Das wird allerdings in der Fichte-Forschung nicht immer gesehen. Hiltscher meint etwa: »Der Zusammenhang X stellt die formallogische Identitäts-Eigenbestimmtheit jeden Gedankens dar.« (Hiltscher, Wahrheit und Reflexion (1998), S. 168.) Hier wird X aber immer noch als eine Eigenschaft verstanden, die an etwas auftritt: nämlich an jedem Gedanken. Jeder Gedanke zeichnet sich durch die Eigenschaft X aus. Das Vorgängige wäre hier also das Substrat, nämlich der Gedanke, und an ihm wird die Identität gedacht. 408 Nach Brachtendorf treibt Fichte ein doppeltes Spiel mit dem Begriff »Setzen«: einmal als »hypothetisches Annehmen«, dann als »ontologisches Setzen«. Der SdI gebe bei Fichte aber eine Existenzbedingung an. Fichte stelle damit eine Verbindung von Setzen und Sein her, die nicht zulässig sei, weswegen seine Herleitung misslungen sei. Der logische Identitätssatz könne nicht auf eine Handlung des Ich als auf seinen Grund zurückgeführt werden. Fichtes erster Grundsatz sei deshalb kein fundamentum inconcussum. (Vgl. Brachtendorf, Fichtes Lehre vom Sein (1995), S. 129.) Unsere Rekonstruktion versucht demgegenüber zu zeigen, dass Fichte für den Gang seines Arguments die Doppeldeutigkeit von Setzen zunächst gar nicht in Anspruch zu nehmen braucht, sondern dieser auch aus der Reflexion über die Identität selbst entnommen werden kann. 409 Dabei ist festzuhalten, dass wir uns mit den bisherigen Überlegungen noch auf der bloß empirisch-faktischen, nicht der transzendental-notwendigen Ebene bewegen. Weil wir im Denken X als notwendig gesetzt haben, so folgt daraus, dass wir tatsächlich auch ein A gesetzt haben müssen 410 Grundlage 1794; GA I,2, S. 257.
218
Die transzendentale Logik
dingt gesetzt ist. Soll X schlechthin unbedingt sein können, so muss für »A« ein Gehalt gesetzt werden, der ebenso schlechthin gewiss ist wie die Form X. Man kann die Frage auch so stellen: welcher Gehalt ist mit der Form des Satzes der Identität schlechthin gesetzt oder welches Relatum mit der Relation der Identität?411 Die Wissenschaftslehre versucht, den für X spezifischen Gehalt zu denken, der sich mit X deckt. Denn im ersten Grundsatz der Wissenschaftslehre sollen Gehalt und Form des ersten Grundsatzes sich gegenseitig bestimmen und identisch sein. Mit der genauen Analyse des Satzes der Identität und seiner sich daraus ergebenden »konditionalen Formulierung […] entsteht die Frage, unter welcher Bedingung Form und Gehalt des Satzes ineinsfallen.«412 Das Problem ist dabei aber nicht nur, dass das A schlechthin »in bezug auf seinen existentiellen Status kontingent«413 ist, sondern auch, dass der Status von A auf Grund seiner Differenz von der Relation der Identität kontingent ist. Dann stellt sich aber die Frage, welcher Gehalt gedacht werden muss, der durch die Relation der Identität selbst bereits in seiner Existenz gesichert ist oder welcher Satzgehalt so mit der Satzform verbunden ist, dass die Möglichkeit des Nichtzusammenfallens entfällt.
2.3.2.2. »Ich bin Ich« als Tatsache des Bewusstseins Zum Gehalt des Satzes bzw. dem Relatum gelangt Fichte zunächst durch einen erneuten Akt der Reflexion auf einen im Sinne Fichtes noch empirischen Sachverhalt: »Merke auf dich selbst: kehre deinen Blick von allem, was dich umgiebt, ab, und in dein Inneres«414
411
Hiermit würden all die Probleme auftreten, die Platon im Sophistes geltend macht. Wird die Relation der Identität einfach als Relatum in die Relation gesetzt, so treten an ihr von ihr verschiedene Eigenschaften auf: Differenz etc. Eine Relation, die mit sich selbst in Relation tritt scheint sich insofern zu verändern, als ihre Form und ihr Gehalt dann auseinander treten. Für die Identität ist das insofern schwierig als sie dadurch aufhört, völlig identisch zu sein. 412 Martin Bondeli, Das Anfangsproblem bei Karl Leonhard Reinhold. Eine systematische und entwicklungsgeschichtliche Untersuchung zur Philosophie Reinholds von 1789 bis 1803, Frankfurt a. M. 1995, S. 214. 413 Bondeli, Anfangsproblem (1995), S. 214. 414 Versuch einer neuen Darstellung 1797; GA I,4, S. 186.
Fichtes Begründung der Grundsätze des Denkens
219
Reflektiert man auf das faktische Vorkommen des Zusammenhangs X, so ist dieses durch das empirische Ich bedingt, »denn das Ich ist es, welches im obigen Satze urtheilt, und zwar nach X, als einem Gesetze, urtheilt«415: »Alles Urtheilen aber ist laut des empirischen Bewußtseyns ein Handeln des menschlichen Geistes«416. Der Vollzug der logischen Operation des Urteilens setzt ein urteilendes Ich voraus. Insofern ist also ein empirisches Ich Voraussetzung des Urteils »A = A«: wenn »A = A« gesetzt ist, ist auch ein Ich gesetzt. So ist mit der Setzung von »A ist A« das Ich und damit ein einzusetzender Gehalt gegeben: Ich bin. Die Bedingung »wenn A« ist genau dann erfüllt, wenn Ich »A« gesetzt hat: »Kein mögliches A im obigen Satze (kein Ding) kann etwas anderes seyn, als ein im Ich geseztes.«417 In »A = A« steckt ein »operatives Moment«418, die Identität wird als Resultat eines Handelns aufgefasst. Dieses wird aber vom empirischen Bewusstsein als Handeln des empirischen Geistes gedacht. Die erste Reflexion reflektiert also auf das empirische Ich als den empirischen Akteur des Urteilens und die empirische Handlung des Urteilens. Wenn es Fichte aber nur darum ginge zu zeigen, dass »A ist A« als Urteil das Ich als Akteur voraussetzt, bliebe die vorhergehende abstrahierende Reflexion unverständlich.419 Auf diese Weise würde man Fichtes Begründung der logischen Grundgesetze zu Unrecht in die Nähe psychologistischer Logikbegründungen rücken.420 Denn die Untersuchung befindet sich noch nicht am Ziel der Begründung – der transzendentalen –, sondern auf einer »niedrigeren« Stufe der Reflexion, die auch psychologische Empiristen wie Locke kennen. Eine derartige Fundierung der Logik im empirischen Ich wäre aber im Sinne Fichtes misslungen, da er eine empirisch-subjektive Begründung der Logik gerade ablehnt. Sie würde weder etwas für das eigentliche Verständnis des logischen Gesetzes noch für das Verständnis der transzendentalen Subjektivität leisten. Denn dass es eines Akteurs bedarf, um das faktische Urteil zu vollziehen, macht noch gar nicht klar, warum es sich hier um 415
Grundlage 1794; GA I,2, S. 257. Grundlage 1794; GA I,2, S. 258. 417 Grundlage 1794; GA I,2, S. 261. 418 Claesges, Geschichte des Selbstbewusstseins (1974), S. 53 419 Baumanns behielte Recht, wenn er nach dem Grund für diesen ganzen Umweg fragt. Gleich von Anfang an hätte Fichte sagen können, dass das logisch unbedingte Gesetz »A = A« vom Ich gesetzt ist. 420 Diesen Vorwurf erhebt etwa Hans Lenk. Fichte verwechsle den Akt des Bezeichnens und das Bezeichnete selbst. (Vgl. Lenk, Logische Konstanten (1968), S. 206.) »Fichtes Herleitung der logischen Grundsätze aus den Grundsätzen der Wissenschaftslehre ist teils nicht ausreichend begründet (Abstraktion), teils phänomenal-psychologistisch, teils widerspruchsvoll, äquivok und zirkulär. Sie läßt sich also nicht halten […].« (207) 416
220
Die transzendentale Logik
einen transzendentalen Akt handeln muss. Diese Reflexion ist deshalb nach Fichte noch ganz auf der Ebene des »empirischen Bewusstseyns« angesiedelt. Insofern das absolute Ich, in dem das »A ist A« fundiert werden soll, »etwas Überindividuell-Einziges«421 ist, kann Fichte nicht auf den empirischen Akteur des Urteilens rekurrieren wollen. Denn dieser ist ja der jeweils Urteilende, das je eigene empirische Ich, und kein reines, absolutes oder transzendentales Ich. Um zu diesem zu gelangen, genügt nicht mehr die Reflexion als empirisch-psychologischer Akt, sondern die transzendentale Reflexion auf die apriorischen Handlungen.422 Schließlich ist die Tathandlung des absoluten Ich ja eine Tätigkeit ohne Tätiges oder Akteur. Die Reflexion auf das transzendentale Ich setzt – anders als die bisherigen Überlegungen über den Satz der Identität – einen Akt der Freiheit voraus: nämlich letztlich die intellektuelle Anschauung, die nicht äußerlich vermittelt werden kann. Die intellektuelle Anschauung kann nur je selbst vollzogen werden. Die Reflexion auf das Urteilen des empirischen Ich soll also letztlich nur als Anleitung zur Selbstanschauung dienen – aber nicht der empirischsubjektiven, sondern der transzendental-absoluten. Hier soll erst einmal der Blick auf die Tätigkeit des reinen Ich gelenkt werden. Dass die bloße Reflexion auf das empirische Ich als Akteur des Urteilens nicht ausreicht, zeigt sich bei Fichte auch durch folgende Reflexion: denn das (empirische) Ich ist zwar der Akteur des Urteils »A ist A«, aber es urteilt so nach dem Gesetz X (»A = A«). Das empirische Ich ist zwar ein setzendes, aber sein Setzen ist doch gerade durch das Gesetzte bestimmt und gebunden.423 Höher als die Reflexion auf das empirische Akteurs-Ich liegt bereits die Reflexion, in der die Art der Tätigkeit des Ich genauer bestimmt wird: das Ich ist nämlich nicht nur Akteur des Urteils, sondern die Bedingung für die ausgesagte Identität. Wenn das empirische Ich wirklich urteilt, so kann es gar nicht anders, als nach dem Gesetz der Identität zu urteilen. Das Gesetz, dem das Handeln folgt, X, ist die Gleichheit des Ich mit sich selbst. Es ist nicht ein beliebiges Handeln, sondern bestimmt »das Handeln als Handeln«424, der reine Charakter der Tätigkeit. Hier wird auf die Grundlage dieses Urteils reflek421
Rohs, Fichte (1991), S. 50. Vgl. Janke, Fichte (1970), S. 8. 423 Insofern geht die Kritik Brachtendorfs fehl, Fichtes Begründung des SdI scheitere, da er nur zeigen könne, dass es einen Akteur des Gedankens »A = A« gebe, und nicht, dass dieser nach dem Gesetz »A = A« aufgebaut sei. (Vgl. Brachtendorf, Fiches Lehre vom Sein (1995), S. 128.) Das wäre nämlich nur richtig, wenn Fichtes Überlegung hier enden würde. 424 Claesges, Geschichte des Selbstbewusstseins (1974), S. 52. 422
Fichtes Begründung der Grundsätze des Denkens
221
tiert. Das Ich ist hier nicht mehr nur Akteur des Urteils, sondern selbst Ort des Gesetzes der Identität und der identische Bezugspunkt der im Urteil verknüpften »A«. Das identische Ich ist nicht mehr das empirisch-psychologische Ich, sondern bereits das transzendentale Ich. Der unbedingte Zusammenhang X ist »im Ich, und durch das Ich gesezt«425. Wenn dies mehr bedeuten soll als eine nochmalige Wiederholung, dass ein Ich Akteur ist und dieser Gedanke durch das »im« nur verräumlicht wird, so muss hier die Funktion gemeint sein, die Kant der synthetischen Einheit der Apperzeption zuschreibt: das Ich, das alle meine Vorstellungen begleiten muss – »der höchste Punkt, an dem man allen Verstandesgebrauch, selbst die ganze Logik und nach ihr die Transscendental-Philosophie heften muß«426. Das Ich »verbindet gemäß den logischen Urteilsformen die vorgegebene Mannigfaltigkeit in einem einheitlichen Zusammenhang.«427 Die synthetische Einheit der Apperzeption verbindet das gegebene Mannigfaltige. Damit konstituiert sie auch das Bewusstsein ihrer eigenen Identität, die Kant analytische Einheit der Apperzeption nennt. Fichte kehrt dieses Begründungsverhältnis um: nur ein identisches Ich kann Mannigfaltigkeit in einen einheitlichen Zusammenhang bringen. In »A ist A« als Urteil ist die synthetische Vereinigung der beiden A nach dem Satz der Identität nur möglich, weil das Subjekt des Urteilens sich in der Reflexion von Prädikat-A auf sich selbst bezieht und dort das Subjekt-A vorfindet. Die Identität des Ich als Selbstbezug ermöglicht erst die synthetische Vereinigung von Subjekt und Prädikat.428 Bei Fichte geht die analytische Einheit der synthetischen vorher. Diese Identität des Ich bestimmt Fichte wie folgt: »Ich bin und bleibe dasselbe, weil ich immer von dem einen zum andern durch dieselben Geseze fortgetrieben werde.«429 Eine Mannigfaltigkeit kann nur im identischen Ich zur Identität verknüpft werden. Das Ich kann Mannigfaltiges nur zur Identität verknüpfen, weil es selbst identisch ist. Es bedarf der Identität des Reflektierenden für X. Durch das Ich als identisches ist überhaupt erst X gesetzt: »es wird gesezt, daß im Ich […] etwas sey, das sich stets gleich, stets Ein und eben dasselbe sey«430. Ohne ein identisches Ich hätte das Identitätsprinzip keine Geltung:
425
Grundlage 1794; GA I,2, S. 257. KrV B134; AA 3, Anm. S. 109. 427 Hanewald, »Absolutes Sein und Existenzgewißheit des Ich«. In: Fichte-Studien 20 (2003), 13–25, S. 15. 428 Vgl. Hanewald, Absolutes Sein und Existenzgewißheit (2003), S. 21. 429 Logik und Metaphysik (WS 1796/97); GA IV,3, S. 94. 430 Grundlage 1794; GA I,2, S. 257. 426
222
Die transzendentale Logik
»Das ›Ich bin‹ drückt die Invarianz des Ich aus, welche die innere Bedingung der Geltung des Satzes der Identität ist: Ohne die strikteste Selbigkeit des Ich würde die Garantie für den automatischen Transport von der linken zur rechten Stelle in der Identitätsrelation nicht gegeben sein.«431 Das Ich ist Voraussetzung für jeden Identitätsgebrauch und damit dafür, dass außer dem Ich überhaupt etwas als es selbst gesetzt werden kann. So umfasst es in gewisser Weise alles. Das Ich ist aber nicht nur der eminenteste Fall von Identität, sondern die Identität selbst. Deshalb umfasst es alles: denn alles, was ist, ist identisch mit sich.432 Dass das Ich identisch ist, ist die Voraussetzung für die Möglichkeit, beide »A« in »A ist A« zur Identität zu verknüpfen: »A ist A, weil das Ich, welches A gesezt hat, gleich ist demjenigen, in welchem es gesezt ist«433. Das Ich muss sich selbst gleich bleiben, um A als gleich bleibend setzen zu können. Wenn ich A als Subjekt und A als Prädikat zusammenhängend denke, muss ich mich als mit mir zusammenhängend und identisch denken.434 »A = A« als logisches Gesetz, also nicht nur als tautologisches Urteil, ist ebenfalls durch die Identität des Ich begründet. Denn wenn A nicht als A, sondern als ¬A im Ich gesetzt wäre, so würde das Ich selbst nicht mehr mit sich identisch sein, insofern es zugleich A gesetzt und nicht gesetzt hätte. Dies wird durch die Formulierung des Identitätsgesetzes einsichtig: wenn A gesetzt ist, so ist A gesetzt. Unter der Voraussetzung nun, dass alle Gehalte Gehalte für das Ich sind, ergibt sich: »Kein A also kann etwas anders seyn, als ein im Ich gesetztes, und nun hiesse der Satz so: Was im Ich gesetzt ist, ist gesetzt; ist A im Ich gesetzt, so ist es gesetzt (in so fern es nemlich gesetzt ist, als möglich, wirklich, oder not-
431
Henrich, Der Grund im Bewußtsein (1992), S. 501. Henrich deutet das Ich als den eminentesten Fall von Identität, also als Identisches. An ihm tritt Identität auf. Für Fichte aber ist Identität nichts anderes als das Ich. So stellte bereits Martin Heidegger fest: Bei Fichte ist der Satz »Ich = Ich« inhaltlich bestimmt im Gegensatz zu »A = A«, ähnlich wie der Satz »Baum = Baum« etc. Beide Sätze scheinen unter den Satz »A = A« zu fallen. Aber »Ich = Ich« ist gerade kein Fall von »A = A«, denn er ist die Voraussetzung für diesen Satz: »Vielmehr ist der Satz ›Ich bin Ich‹ die Aussage für jene Tathandlung des Ich, d. h. des Subjekts, durch die erst der Satz A = A gesetzt wird. Der Satz Ich = Ich ist umfassender als der formal allgemeine Satz A = A –, ein erregender Sachverhalt, über den wir keineswegs zuviel sagen, wenn wir behaupten, das, woran er rührt, sei bis zur Stunde nicht ins Reine und d. h. für das Denken stets, in seine anfängliche Fragwürdigkeit gebracht.« (Grundsätze des Denkens (1957); HeW 79, S. 91.) 433 Grundlage 1794; GA I,2, S. 261. 434 Vgl. Baumanns, Fichtes ursprüngliches System (1972), S. 57. 432
Fichtes Begründung der Grundsätze des Denkens
223
wendig) und so ist er unwidersprechlich wahr, wenn das Ich Ich seyn soll.«435 Das Ich setzt A als identisch mit A und zwar in einer bestimmten Modalität. Dafür ist die Identität des Ich also vorausgesetzt. Hier kann das Ich jedoch immer noch als ein Fall des Identitätsgesetzes verstanden werden, der andererseits doch das Gesetz der Identität begründen soll. Das Ich wäre nur als paradigmatischer Gehalt, der in den Satz »A = A« eintreten kann, bzw. als ein Etwas, an dem die Relation der Identität auftreten kann, verstanden. Nun soll aber vielmehr der 1. Grundsatz der WL den Satz der Identität vollständig begründen. Das Ich muss die Identität als Relation überhaupt und nicht – wie bei Kant – besondere Fälle von Identität stiften. Fichte geht deshalb über den Gedanken Kants hinaus.436 Denn der würde nur bedeuten, dass am Bewusstsein oder dem Ich notwendig Identität auftreten muss. Damit wäre aber in der Setzung des Ich schon etwas Verschiedenes vom Ich gesetzt und unmittelbar mit dem Ich Differenz impliziert. Denn das Ich wäre etwas Identisches, wie letztlich auch A identisch ist mit sich, also würde die Identität als verschieden vom Ich an ihm auftreten. Damit wäre aber in der Setzung des ersten Grundsatzes bereits Negation und Entgegensetzung gesetzt und die Unbedingtheit des 2. Grundsatzes ginge verloren. Mittels der Unterscheidung von Wesen und Existenz könnte man sagen: »A = A« ist bei Kant nur seiner Existenz nach durch das Ich bedingt, nicht aber seinem Wesen nach. Die Relationen bleiben ihrem Gehalt nach vom Ich unabhängig. Nun spricht Fichte aber von der Identität von X und der Selbstidentität des Ich: »das schlechthin gesetzte X lässt sich auch so ausdrücken: Ich = Ich; Ich bin Ich.« Die Identität des Ich mit sich selbst ist identisch mit der Identität als notwendigem Zusammenhang selbst. Diese Identität soll aber ihrerseits wiederum nicht verschieden sein von dem »Ich bin«. Identität und Sein des Ich fallen also zusammen.437 435
Begriff 1794; GA I,2, S. 140. Kants »Ich denke« erklärt nach Fichte »nur das Bewußtseins eines Inbegriffs von Fällen des Denkens, nicht aber das Bewußtsein von sich als Denkendem« (Klotz, Selbstbewußtsein und praktische Identität (2002), S. 105; vgl. auch Grundlage 1794; GA I,4, S. 228). 437 Von hier aus lässt sich bereits Schäfers Gleichsetzung des Fichte’schen und Husserl’schen Ansatzes zurückweisen: »Das sich nicht Mitverändernde ist die verknüpfende Einheit der drei Gedankenelemente zu dem einen Gedanken der Identität. Die noematische Identität – also die gedachte Identität – setzt eine noetische Identität – also eine denkende Identität – voraus. Wenn das Vorstellende in allen drei Gedankenelementen nicht mit sich selbst identisch wäre, dann gäbe es den Zusammenhang ›X‹ gar nicht.« (Schäfer, Grundlage (2006), S. 25.) »Die noetische Einheit des Bewusstseins ist die durch436
224
Die transzendentale Logik
Fichtes Gedanke besteht also nicht darin, dass Fälle von Identität von einem Ich identifiziert sein müssen, sondern dass Identität an sich selbst gar nicht anders als »ichhaft« gedacht werden kann.438 Fichte sucht nicht von vornherein den Grund für das »A = A« im Ich, statt im Sein oder autonom in der Logik. Vielmehr versucht er zu zeigen, dass sämtliche Fälle von Identität nicht nur als Fälle vom Ich gesetzt werden müssen, sondern ihre Identität als solche unverständlich bliebe, ohne das rechte Verständnis vom Ich.439 Logische Identität und Ich-Identität stehen nicht nur in einem äußerlichen Bedingungsverhältnis zueinander. So würde das Ich als Identität in der Mannigfaltigkeit nicht die Logik begründen können, weil ihm die eigenständigen Formen noch vorgängig blieben. Fichte versucht hingegen, das Ich als Identität selbst zu denken, was nur unter einer Perspektive als anspruchslos oder trivial er-
gängig mit sich selbst identische Vollzugsform der noematischen Identität von Vorstellungsinhalten.« (57) »A = A« soll nun aber nicht die noematische Identität, »Ich = Ich« hingegen die noetische Identität zum Ausdruck bringen. Denn dann wären beide Fälle von Identität, die als Fälle zwar in einem einseitigen Abhängigkeitsverhältnis stehen, insofern das eine das Vorstellende und Vollziehende, das andere hingegen nur das Vorgestellte wäre, und insofern der erste Fall von Identität durch den letzten konstituiert würde. In beiden Fällen wäre Identität aber eine Eigenschaft, die an ihnen auftritt und ihnen vorgängig wäre: »Insofern ist der Satz ›A = A‹ seiner Form nach zwar unbedingt gültig, aber seinem Gehalt nach, d. h., dass es überhaupt mit dem A ein Worüber gibt, von dem der Satz der Identität gilt, ist er bedingt; nämlich durch das Ich.« (27) Sie müsste nur an dem einen auftreten, um an dem anderen auftreten zu können. Die Identität als solche wäre also nicht durch das Ich gesetzt, sondern nur sämtliche Fälle von identischen Gehalten. »Ich = Ich« wäre nur deshalb der gewisseste Gehalt, weil die Identität des Ich auf der noetischen Ebene bereits vorausgesetzt ist. Dann würde aber der Einwand, den Adorno gegen Kant und in der Folge den gesamten Idealismus vorbringt, zutreffen: »Das Kantische ›Ich denke‹, das individuelle Einheitsmoment, erfordert immer auch das überindividuelle Allgemeine. Das Einzel-Ich ist Eines nur vermöge der Allgemeinheit des numerischen Einheitsprinzips; die Einheit des Bewußtseins selber Reflexionsform der logischen Identität.« (Negative Dialektik (1966); Ges. Schr. 6, Anm. S. 146.) 438 Fichtes Herleitung des Ich aus dem A = A liegt also auch nicht ein »von vornherein idealistische[r] Ansatz« (Radermacher, Fichtes Begriff (1970), S. 21) zu Grunde, insofern jede Identität von Anfang an als »vom Subjekt identifizierte Identität« (21) verstanden würde und durch Eliminierung des kantischen Dinges an sich jedes A priori ohnehin nur im Ich gesetzt sein könnte und das Ich so »zum logischen Ort jeden Gehalts d. h. jeder möglichen Realität« (23) würde. Dieser idealistische Standpunkt würde sich dann in der Voraussetzung enthüllen, dass X im Ich gesetzt sei und deshalb hätte es seinen Ursprung im Ich, so Baumanns, Fichtes ursprüngliches System (1972), S. 60. Für Baumanns tritt der Idealismus hier deshalb »auf eine etwas gewaltsame Weise« (61) ein und werde »nicht in zwingender Manier eingeführt« (61). 439 Man kann also auch nicht von einem »Problem des erschlichenen Übergangs von der Evidenz eines formalen Prinzips zur Evidenz des handelnden Ich« (Bondeli, Anfangsproblem (1995), Anm. S. 205) sprechen.
Fichtes Begründung der Grundsätze des Denkens
225
scheinen kann, die die logischen Formen wie Kant bereits als gegeben voraussetzt.440 »Ich bin« als Tathandlung meint nicht nur ein Ich, das Eigenschaften (darunter Identität) besitzt, sondern das Ich, das diese Identität selbst setzt.441 »X ist schlechthin gesezt; das ist Thatsache des empirischen Bewußtseyns. Nun ist X gleich dem Satze: Ich bin Ich: mithin ist auch dieser schlechthin gesezt.«442 Der Zusammenhang darf nicht nur im Ich, als dem identischen Bezugspunkt, sondern muss auch durch das Ich gesetzt sein. Die unbedingte Gültigkeit des Gesetzes, oder besser des Zusammenhanges X, wird von Fichte als schlechthinnige Setzung, die durch das Ich gesetzt wird, gedeutet. Der Zusammenhang ist notwendig, weil er mit der Setzung von Ich notwendig gesetzt ist. Um dies zu verstehen, muss die bisherige Tatsache »Ich bin« ihrerseits genetisiert und auf die Tathandlung des sich selbst setzenden Ich zurückgeführt wer440
So kritisiert Hartmut Tietjen den Ausgangspunkt Fichtes als trivial. Im SdI sei die Einheit, auf die Fichte letztlich hinauswolle, in der besonderen Form der Einheit des Bewusstseins immer schon selbstverständlich, wohingegen die Einheit des Mannigfaltigen der Erfahrung anspruchsvoller wäre. Fichtes Überlegungen wären insofern beinahe tautologisch, da die Einheit im SdI bereits vorläge und nicht in derselben anspruchsvollen Weise durch das Bewusstsein konstituiert werden müsste, wie dies bei der Mannigfaltigkeit der Erfahrung der Fall wäre. (Vgl. Tietjen, Fichte und Husserl (1980), S. 9 ff.) Fichte will aber zeigen, dass selbst die logische Identität die Identität des Bewusstseins voraussetzt und das nicht nur als sie äußerlich konstituierende Einheit. Auch Kant ging vom »Ich denke« aus. Aber Kant hat diesen Ausgang nicht a priori eingesehen. Kants Philosophie ist deshalb »faktisch, auf Selbstbeobachtung gegründet, nicht spekulativ: was sie auch nicht seyn konnte, weil er sich nicht zum Denken des absoluten erhob.« (WL 1811; GA II,12, S. 208.) Fichte versucht deshalb über die synthetische Einheit der Apperzeption bei Kant hinaus noch die analytische Einheit zu denken. 441 Vgl. Claesges, Geschichte des Selbstbewusstseins (1974), S. 54. Auch für Hölderlin ist das Selbstbewusstsein »ein besonders klarer Fall von Identitäts-Wissen, vielleicht sogar der Fall von Identität […], von dem sich, wie Fichte es sah, alle anderen herleiten.« (Henrich, Der Grund im Bewußtsein (1992), 463.) »Ich bin Ich« ist allerdings kein Fall von Identität, nicht einmal wenn man ihn als den identischsten Fall von Identität denkt. Das hieße nämlich, dass die Relation der Identität insofern vom Ich verschieden wäre, als sie am Ich auftritt, nur eben dort viel mehr als irgendwo sonst. Das absolute Ich ist jedoch die Relation der Identität selbst. Man kann ja Identität entweder als den Fall fassen, dass das Ich-Subjekt mit dem Ich-Objekt identisch ist. Dann ist das Ich zwar mit sich selbst identisch, aber es ist nicht die Identität. Oder man versteht die Relation selbst unter der Identität. Dann kann man sagen: das Ich ist die Identität. Im ersten Grundsatz meint Fichte eindeutig das: Ich ist nichts weiter als Identität des Subjektiven und Objektiven, des Bewusstseienden und des Bewussten. (Vgl. Sonnenklarer Bericht (1801); GA I,7, S. 219 und 235 f.) Im reinen Ich fallen Denkendes und Gedachtes zusammen. (220 ff.) 442 Grundlage 1794; GA I,2, S. 258.
226
Die transzendentale Logik
den.443 Die Notwendigkeit des logischen Zusammenhanges X wird aus einem Akt des Ich begründet, der den Zusammenhang als notwendig setzt. Das Ich muss selbst dieser Zusammenhang sein. Dass der Zusammenhang »durch« das Ich gesetzt ist, meint also nicht bloß, dass es Akteur ist, sondern dass seine Tätigkeit eine bestimmte ist: nämlich die Reflexion, die in der Identität besteht. Das Ich ist dann auch mehr als der identische Bezugspunkt, in dem die voneinander verschiedenen »A’s« nach X aufeinander bezogen werden, sondern ist die Identität selbst. Identität ist nicht eine Relation, die an Bewusstseinsinhalten auftritt, sondern ist die erst das Ich konstituierende Tätigkeit – die reine Tätigkeit der Rückkehr in sich selbst: die Reflexivität. X ist nicht nur vom Ich gesetzt, sondern X ist durch die Selbstsetzung, in der das Ich besteht, gesetzt. In seiner WL 1800 bestimmt Fichte das Identitätsurteil als Rückkehr des A in sich, die Identität als die Form zwischen den beiden A, also als Rückkehr in sich oder Selbstbezug, als Reflexion: »Das A = A. der Grundlage: – Jenes ist ein Urtheil: das sich auf ein erstes Setzen bezieht: hier ist das ursprüngliche Einkehren in sich selbst. –. Reflexion auf sich selbst, als Bedingung aller Reflexion auf A. – sehr klar. –. Ich glaube nicht, daß die gegenwärtige Darstellung luminöser sey. Und doch, wie hat man jene Hinleitung verstanden!! Ich wuste damals noch nicht, mit welchem durchaus unphilosophischen, dogmatischen Zeitalter ich es zu thun hatte.«444 X vereinigt das Prädikat-A und das Subjekt-A. Das Ich selbst ist diese Relation: X = (Ich = Ich). »A ist A« steht unter der Bedingung des Gesetztseins von A. »Wenn A …«, so ist es als A gesetzt. In »Ich bin Ich« ist »Ich« nicht unter einer Bedingung gesetzt, sondern Setzung, Setzendes und Gesetztes fallen zusammen. Das Ich ist hierbei aber nur als identisch mit sich gesetzt. Die Sätze »Ich bin« bzw. »Ich bin Ich« drücken jedoch zum einen eine Tatsache, zum anderen aber auch die Tathandlung aus. Was sich dem empirischen Bewusstsein als Tatsache darbietet, zeigt sich in der Wissenschaftslehre oder dem transzendentalen Denken als Tathandlung, das heißt als Produkt der Tätigkeit des Ich.445 Die Reflexivität, das in sich zurückkehrende Handeln ist der Begriff des Ich, mit dem aber das Dass des Denkens des Ich nicht identisch ist: »Der Philosoph macht sich nur klar, was er eigentlich denkt, und von jeher gedacht hat, wenn er sich denkt; daß er aber sich denke, ist ihm unmittelbares 443
»Nur im Medium der intellektuellen Anschauung kommt der Gehalt des ersten Grundsatzes […] positiv zum Bewußtsein.« (Janke, Historische Dialektik (1977), S. 105.) 444 Neue Bearbeitung der WL 1800; GA II,5, S. 338. 445 Vgl. Züricher Vorlesungen (1794); GA IV,3, S. 23 f.
Fichtes Begründung der Grundsätze des Denkens
227
Factum des Bewusstseyns.«446 Dieses Faktum versteht der Transzendentalphilosoph als Produkt einer Handlung, der Tathandlung. Diese ist es, die nur intellektuell angeschaut werden kann. Nur in der Anschauung seiner selbst als Intelligenz kann jeder finden, dass das Intelligente »reine Thätigkeit, im Gegensatze alles Bestehens, und Geseztseyns, wie fein es auch gedacht werden möge«447, ist. Von Fichtes transzendentalem Standpunkt aus können Identität und Tätigkeit des Ich als Rückgang in sich noch einmal neu und transzendental bestimmt werden. Das Ich selbst ist nichts als Identität mit sich selbst. Das Wesen des Ich besteht in der reinen Tätigkeit der Selbstsetzung ohne Tätiges: »Das Ich sezt ursprünglich schlechthin sein eignes Seyn«448. Diese Selbstsetzung ist in sich zurückgehende Tätigkeit: die Reflexion als solche.449
2.3.2.3. »Ich = Ich« als Tathandlung Das Ich muss als reine Tätigkeit gedacht werden. Denn das setzende AkteursIch und das schlechthin gesetzte Ich sollen in der Tathandlung identisch sein. Das setzende Ich hat aber nichts getan, als X (also »Ich bin Ich«), seine eigene Identität mit sich und damit sein Sein zu setzen. Was man unter dieser Tätigkeit zu denken hat, ist »der reine Charakter der Thätigkeit an sich«450. Die Tätigkeit besteht nur in dieser Selbst-Setzung, in der das Ich als Setzung seiner selbst gesetzt wird: »Ich bin« und »Ich bin Ich« sagen der Sache nach dasselbe, nur dem Auffassen nach liegt einmal der Aspekt auf der »Existenz«, das andere mal auf dem »Wesen« des Ich. Was man sich sonst noch unter Tätigkeiten des Ich vorstellt, sind nur dessen »empirisch[e] Bedingungen«451. Von diesen soll gemäß der abstrahierenden Reflexion abgesehen werden, da sie nicht notwendig zu denken sind. Das Handelnde (Subjekt) ist Produkt der Handlung (Objekt), das Tätige und das durch die Tätigkeit Hervorgebrachte
446
Versuch einer neuen Darstellung 1797; GA I,4, S. 214 f. System der Sittenlehre 1798; GA I,5, S. 53. 448 Grundlage 1794; GA I,2, S. 261. 449 »Gewonnen aus dem logischen Identitätssatz A = A durch transzendentale Reduktion auf eine Geisteshandlung des absoluten Ich, drückt der erste Grundsatz gleichermaßen Identität (Gleichheit mit sich) wie Existenz-(Selbst-)gewißheit in den Sätzen: ›Ich bin Ich‹ und ›Ich bin‹ aus. Existenzgewißheit und Gleichheit mit sich fallen hier zusammen, obwohl sie kategorial voneinander zu unterscheiden sind.« (Gloy, Die drei Grundsätze (1984), S. 293.) 450 Grundlage 1794; GA I,2, S. 258 f. 451 Grundlage 1794; GA I,2, S. 259. 447
228
Die transzendentale Logik
sind identisch. Nichts von ihnen Verschiedenes soll angenommen werden. Wäre nun aber die Tätigkeit der Hervorbringung ihrerseits verschieden vom Hervorbringenden und dem von ihm Hervorgebrachten, so wäre etwas von ihnen Verschiedenes gesetzt, nämlich diese Tätigkeit. Insofern darf beides auch nicht unterschieden von der Handlung als solcher sein.452 Das Ich ist nichts anderes als die Handlung der Selbstsetzung: »Handlung, und That sind Eins und eben dasselbe; und daher ist das: Ich bin, Ausdruk einer Thathandlung; aber auch der einzigen möglichen, wie sich aus der ganzen Wissenschaftslehre ergeben muß.«453 Es ist reine Tätigkeit und nicht etwas, das das Vermögen der Selbstsetzung hat.454 Das Ich ist nicht etwas, das tätig ist und im Urteilen handelt, wie die empirisch-psychologische Reflexion denkt, sondern es selbst ist nichts als Tathandlung. Die Tathandlung ist eine Handlung, deren Produkt – die Tat – mit dem Handelnden identisch ist. Fichte betrachtete insofern zwar den Satz »A ist A« als konkretes Urteilen, das »laut des empirischen Bewußtseyns ein Handeln des menschlichen Geistes«455 ist. Aber Fichte geht es dabei nicht um das konkret vollzogene Urteil, das als empirisches Geschehnis unter der empirischen Bedingung eines empirischen Akteurs steht, sondern um die Grundlage dieses Urteils, die »auf nichts höheres gegründetes [ist], nemlich X = Ich bin«456, das Setzen des Ich durch sich selbst: »Das Ich sezt sich selbst, und es ist, vermöge dieses bloßen Setzens durch sich selbst; und umgekehrt: Das Ich ist, und es sezt sein Seyn, vermöge seines bloßen Seyns.«457 Dieser Aspekt der reinen Tätigkeit begründet vornehmlich den praktischen Aspekt des Ich. Das vernünftige Wesen ist nur, insofern es sich selbst »als
452
»Produkt, und Thätigkeit, und Thätiges sind hier Eins, und eben dasselbe (§. 1.), und bloß um uns ausdrüken zu können, unterscheiden wir sie.« (Grundlage 1794; GA I,2, S. 393.) 453 Grundlage 1794; GA I,2, S. 259. 454 »Das Ich ist nicht etwas, das Vermögen hat, es ist überhaupt kein Vermögen, sondern es ist handelnd; es ist, was es handelt, und wenn es nicht handelt, so ist es nichts.« (Naturrecht 1796; GA I,3, S. 334.) 455 Grundlage 1794; GA I,2, S. 258. 456 Grundlage 1794; GA I,2, S. 258. 457 Grundlage 1794; GA I,2, S. 259.
Fichtes Begründung der Grundsätze des Denkens
229
seyend sezt«458. Das Ich ist reine Tätigkeit und nicht ein Seiendes, das von seiner Tätigkeit verschieden wäre.459 »Die Intelligenz ist dem Idealismus ein Thun, und absolut nichts weiter; nicht einmal ein Thätiges soll man sie nennen, weil durch diesen Ausdruck auf etwas Bestehendes gedeutet wird, welchem die Thätigkeit beiwohne.«460 Das Ich ist nur seine Tat und sein Produkt. Zwangsläufig lässt uns die Einbildungskraft zwar dem Irrtum verfallen, das Ich sei ein Substrat, dem die Tätigkeit als Vermögen inne ist. Aber das ist nicht das Ich, sondern eben bloß ein Produkt unserer Einbildungskraft: »Sich selbst in dieser Identität des Handelns, und Behandeltwerdens, nicht im Handeln, nicht im Behandeltwerden, sondern in der Identität beider ergreifen, […] heißt das reine Ich begreifen, und sich des Gesichtspunktes aller transcendentalen Philosophie bemächtigen.«461 Die reine Tätigkeit des Ich wird als Handeln auf sich selbst bestimmt. Dieses ist nicht das Handeln von einem Handelnden, sondern das Handelnde ist nur dieses Handeln selbst. Fichte lehnt das Handelnde in der »Vorstellung eines 458
Naturrecht 1796; GA I,3, S. 314. Die Art dieses Seins ist das Bewusstsein. Ohne Bewusstsein gibt es kein Sein. »Wer das Gegentheil behauptet, nimmt ein Substrat des Ich an, das ein Ich seyn soll, ohne es zu seyn, und widerspricht sich selbst.« (Naturrecht 1796; GA I,3, S. 314.) Auch noch später schreibt er: »Wer einen Akt nicht denken kann, ohne ein agirendes […] dem ist freilich die transscendentale Welt verschloßen.« (WL 1805; GA II,9, S. 218.) 460 Versuch einer neuen Darstellung 1797; GA I,4, S. 200. Nach Fichte besteht Vernünftigkeit im Einssein von Subjekt und Objekt der Handlung, Tätigem und Gegenstand der Handlung. Das heißt zunächst, dass die Vernunft es nicht mit etwas ihr von außen Gegebenem zu tun hat, sondern nur mit ihren eigenen Hervorbringungen, ihrer eigenen Tätigkeit. Die Vernunft ist überhaupt erst vernünftig, wenn sie nicht durch etwas bestimmt wird, das ihr gegeben ist. Diese Vernunft, die sich in ihrem Handeln auf sich selbst bezieht, ist das absolute Ich oder die Ichheit: »darum ist die Vernunft überhaupt durch die Ichheit charakterisirt worden.« (Naturrecht 1796; GA I,3, S. 313.) Diese Bestimmung gibt Fichte in der Grundlage des Naturrechts, das heißt: es wird ihm hier vornehmlich um ein praktisches Problem, nämlich die Begründung der Autonomie der Vernunft, gehen. Die reine Tätigkeit begründet also sowohl praktische als auch theoretische Vernunft. Vernunft ist kein bestehendes Ding, etwas, »das da sey und bestehe« (System der Sittenlehre 1798; GA I,5, S. 68), sondern sie ist ein bloßes Tun. Die Vernunft schaut sich selbst an und schaut sich an als bloßes Tun. Aber als endliche Vernunft ist ihre Bestimmung, reine Tätigkeit zu sein, kein Sein, sondern ein Sollen. 461 Naturrecht 1796; GA I,3, S. 334. Die Frage, was Ich war, bevor Ich zum Bewusstsein kam, ist deshalb so zu beantworten: »ich war gar nicht; denn ich war nicht Ich.« (Grundlage 1794; GA I,2, S. 260.) 459
230
Die transzendentale Logik
Substrats, in welchem die Kraft eingewickelt liege«462, explizit ab: das Ich ist nur das Handeln auf sich selbst. Es ist nicht Substrat, sondern »absolutes Subjekt«463. Als Subjekt besteht das Ich nur im Für-sich-selbst-Sein: »Das Ich ist für das Ich«464. Die Tätigkeit kann als reine Tätigkeit, nicht auf ein Objekt gehen, denn sonst wäre sie durch dieses bestimmt. Sie geht in sich selbst zurück.465 Die Handlung des Ich ist also die reine Tätigkeit des in sich Zurückkehrens. Das reine oder unendliche Ich ist reine Tätigkeit, »inwiefern seine Tätigkeit in sich selbst zurükgeht«466. Die Tätigkeit des Ich ist der Rückgang in sich selbst, der als die Reflexion als solche beschreibbar ist. Das »Ich ist nur als die in sich zurückkehrende Bewegung des Selbst-Setzens«467. Subjektivität ist: »In sich selbst zurückgehende Thätigkeit überhaupt«468. Das Ich ist damit reine Identität und unbedingte Relation. Denn als reines Zurückgehen in sich selbst ist das Ich als eine Relation ohne Relata gedacht: als das Zurückgehen in das Zurückgehen in sich selbst. Es wird in nichts als das Zurückgehen zurückgegangen.469 Das Ich sollte nicht Substrat, Zugrundeliegendes der Relation der Identität, sondern die Identität selbst sein: Identität ist der wahre Charakter des Ich. Die Identität des absoluten Ich mit sich selbst setzt nicht Differenz voraus, so wie bei »A = A« die Relation der Identität zwischen zwei A’s auftritt (A1 und A2), die beide eben identisch sind.470 Vielmehr sollte »Ich bin« und »Ich bin Ich«, 462
Naturrecht 1796; GA I,3, Anm. S. 313. Grundlage 1794; GA I,2, S. 259. 464 Grundlage 1794; GA I,2, S. 260. 465 »Die Thathandlung des Ich, indem es sein eignes Seyn sezt, geht gar nicht auf ein Objekt, sondern sie geht in sich selbst zurück.« (Grundlage 1794; GA I,2, S. 293.) Objekt wird das Ich erst im sich selbst Vorstellen, Vorstellen ist jedoch bereits eine bestimmte Tätigkeit. 466 Grundlage 1794; GA I,2, S. 393. 467 Wagner, Persönlichkeit Gottes (1971), S. 54. 468 Naturrecht 1796; GA I,3, S. 329. 469 »Dem Ich kommt kein Seyn zu: daher hat die Frage, was ist das Ich? (was für ein Stoff?) keinen Sinn. Das Ich ist in diesem Sinne nichts, und ist überhaupt nicht. Aber das Wort ist bedeutet noch etwas anderes, eine logische Copula. A ist A ist etwas anderes als A ist. Jenes gründet sich auf die Nothwendigkeit des diskursiven Denkens, es ist mein Übergehen vom bestimmbaren, Ganzen, zu einem einzigen bestimmten Merkmale. So beim Ich: der Saz Ich ist Ich ist recht, aber der Saz Ich bin im obigen Sinne nicht.« (Logik und Metaphysik (WS 1796/97); GA IV,3, S. 94. (Zu § 142)) So bemerkt Jacobi in einem Brief an Jean Paul am 16. März in kritischer Absicht, aber nichtsdestoweniger richtig, dass die Selbstheit Fichtes reine Relation sei: »Reine Selbstheit ist reine Derselbigkeit ohne Der.« (specula 1,2, S. 307.) Das Ich der Grundlage ist also gerade nicht das alle Relation ausschließende inkludente Sein der späten WL. Das Prinzip der frühen WL ist absolute Relation. 470 Nach Gloy kann der erste Grundsatz nicht schlechthin unbedingt sein, weil er die Differenz bereits in Anspruch nimmt, nämlich die Differenz zwischen A1 und A2, »welches 463
Fichtes Begründung der Grundsätze des Denkens
231
Sein und Wesen des Ich identisch mit der Identität sein. Wie das Ich nicht ein vorhandenes Subjekt der Tätigkeit des Setzens sein soll, so auch nicht Träger oder schon Zugrundeliegendes der Relation der Identität. Das Ich ist nur die Identität mit sich selbst: »das erstere wird nur gesagt, um die leere Stelle dieser Identität zu bezeichnen«471. Die Identität des Ich, in dem die Identität des A mit sich selbst gesetzt ist, ist nichts anderes als das schlechthin notwendige X: »das schlechthin gesetzte X. läßt sich auch so ausdrücken: Ich = Ich; Ich bin Ich.«472 Man kann sie selbst aber nicht als Gegenstand denken, denn um sie so zu denken, muss man bereits eine Unterscheidung zwischen Subjektivem und Objektivem vornehmen, die gar nicht vorgenommen werden soll. Die Identität Ich soll so gedacht werden, dass sie allem Denken zu Grunde liegt, aber sie selbst kann nicht mehr Gegenstand des Denkens sein, sondern nur als Tathandlung angeschaut werden. Ich ist »dieses undenkbare Eine«473. Diese Undenkbarkeit findet ihren Ausdruck im ersten Grundsatz, der seinerseits auch kein Satz im Sinne einer gewöhnlichen Prädikation ist. Die Identität als in sich zurückkehrende Tätigkeit ist die Reflexion.474 Dass das Ich sich selbst setzt, bedeutet: es ist »eine in sich selbst zurückgehende Thätigkeit«475. 1808 schreibt Fichte über das absolute Ich, dass es »garnicht Resultat irgendeiner besondern Reflexion, sondern ein absoluter Gedanke, die Reflektibilität schlechthin ist.«476 Weil diese Reflexibilität aber je schon in ihre Wirklichkeit übergegangen ist, ist das Ich reine Reflexion: »Beides sonach, der Begriff eines in sich zurückkehrenden Denkens, und der Begriff des Ich, erschöpfen sich gegenseitig. Das Ich ist das sich selbst jedoch in diesem signifikanten Falle es selber ist.« (Gloy, Die drei Grundsätze (1984), S. 293.) Gloy macht auch darauf aufmerksam, dass die Identität die Differenz insofern in Anspruch nimmt, als sie sich als Identität von der Differenz unterscheidet, wie auch die Differenz mit sich identisch ist. »Identität ist ebenso wie Differenz ein Relationsbegriff, die beide sowohl von sich wie von anderem ausgesagt werden, und zwar als Gleichheit mit sich und als Gleichheit mit anderem und als Differenz von sich und von anderem.« (293) 471 System der Sittenlehre 1798; GA I,5, S. 56. 472 Grundlage 1794; GA I,2, S. 257. Dies hatte ja Henrich zu Recht als Fichtes Einsicht bezeichnet, dass nicht erst ein Ich ist und dann »Ich = Ich« gesetzt wird, sondern dass Ich identisch ist mit »Ich = Ich«. 473 System der Sittenlehre 1798; GA I,5, S. 56. 474 So schreibt Reinhold am 21. Februar 1800 an Bardili: Unter der bloßen Reflexion überhaupt müsse man sich »reines Thun unter der Form des in sich Zurückgehens« (specula 1,2, S. 294) vorstellen. Das reine Ich als »absolutes in sich zurückgehendes Thun« (294) sei wiederum identisch mit Bardilis »Denken = A als A in A durch A« (294). 475 WL Nova Methodo 98/99, Zweite Einleitung; GA IV,3, S. 337. 476 Seit d. 1. April. 1808; GA II,11, S. 200.
232
Die transzendentale Logik
Setzende und nichts weiter: das sich selbst Setzende ist das Ich, und nichts weiter.«477 Das absolute Ich kann also deshalb nicht Gegenstand der Reflexion werden, weil es die Reflexion selbst ist. Es liegt dem Bewusstsein nur zu Grunde, ist aber nicht selber bewusst, da es Bedingung des Bewusstseins ist, »dass das Bewußtseyende, und das Bewußte als zweierlei erscheine«478. Die »in sich zurükgehende Thaetigkeit der Intelligenz«479 ist die reine Reflexion selbst. Das Wesen der Reflexion setzt Fichte damit in die Identität, »die nur durch ein handelndes Zurückkommen auf sich selbst gegeben ist und als reiner, sich selbst heller Akt (›Tathandlung‹) aufzufassen ist.«480 Das Ich geht zurück in sich selbst. Es ist »ein Handeln auf ein Handeln selbst, welchem bestimmten Handeln kein Handeln überhaupt vorhergeht«481 und durch das das Ich »ursprünglich für sich selbst«482 wird. Die Natur kehrt nicht in sich zurück, sie kann deshalb weder die Relation Identität noch den Satz der Identität begründen: »dies ist der wahre Gegensatz zur Natur, das in sich absolut Zurückkehrende, das Selbst, die nicht aus dem absolut Entgegengesetzten, objektiv Einfachen durch bloße Steigerung (Sublimirung) desselben hergeleitet werden kann, sondern die ihr eigener Anfang und Voraussetzung ist, sonach das Erste, Absolute«483. Das Ich ist also reine Identität, reiner Selbstbezug. Es kann nur als Subjektivität gedacht werden. Dass das Ich aber als Subjektivität gesetzt wird, dass also »der geforderte Denk-Act« wirklich vollzogen wird, das geschieht nur durch Freiheit. Aber die Wissenschaftslehre zeigt »die nothwendige Weise, wie er zu vollziehen ist«484 und warum er zu vollziehen ist. Sie gründet in der Natur der Intelligenz. Das Notwendige darin ist das »GrundGesetz der ganzen Vernunft«485. Es ist noch kein Selbstbewusstsein und kein Begreifen, weil dieses ein Nicht-Ich voraussetzt. Deshalb ist es eine bloße Anschauung. Wem 477
Versuch einer neuen Darstellung 1797/98; GA I,4, S. 272. »Ich: und in sich zurückgehendes Handeln, [sind] völlig identische Begriffe« (216). »In sich zurückgehende Thätigkeit und Ich sind eins, beide erschöpfen einander gegenseitig[.]« (WL Nova Methodo 98/99 § 1; GA IV,3, S. 345.) »Ich drückt aus die Handlung des Geistes, da er in sich selbst zurückkehrt, u sich selbst findet« (Vorlesung über Logik und Metaphysik (SS 1797); GA IV,1, S. 195.) 478 Bestimmung (1806); GA I,6, S. 236. 479 WL Nova Methodo 98/99 § 1; GA IV,3, S. 350. 480 Lauth, Transzendentale Entwicklungslinien (1989), S. 215. 481 Versuch einer neuen Darstellung 1797/98; GA I,4, S. 213. 482 Versuch einer neuen Darstellung 1797/98; GA I,4, S. 213. 483 Bei der Lectüre von Schellings tr. Idealismus (1800); FW XI, S. 370. 484 Versuch einer neuen Darstellung 1797/98; GA I,4, S. 204. 485 Versuch einer neuen Darstellung 1797/98; GA I,4, S. 205.
Fichtes Begründung der Grundsätze des Denkens
233
deshalb die Fähigkeit, sich auf sich selbst zu kehren, fehlt, der »ist innerlich blind, und muß es bleiben«486, trotz der Wissenschaftslehre. Es ist durch den Akt nur »in die Möglichkeit des SelbstBewusstseyns, und mit ihm alles übrigen Bewusstseyns versetzt; aber es entsteht noch kein wirkliches Bewusstseyn.«487 Zu Bewusstsein kann das absolute Ich deshalb eben nur als Form, die an von ihm verschiedenen Gehalten auftritt, kommen: an Bewusstseinsgehalten. Damit es also als es selbst Gegenstand des Bewusstseins werden und damit bewusst werden kann, bedarf es schon der Verschiedenheit von ihm: das als es selbst auch bewusste Ich (das Selbstbewusstsein) ist also nicht Gegenstand des ersten Grundsatzes. So ist das Zurückkommen auf sich selbst ja auch nicht bestimmte Reflexion – als solche bedürfte es eines Anstoßes –, sondern die Reflexivität oder das Wesen der Reflexion.488 Das Ich als Identität, als in sich zurückkehrende Tätigkeit, begründet den transzendental verstandenen Satz der Identität. Bei Bardili bedeutet der Satz der Identität das ewige Sich-Wiederholen des A. So kann man ja auch das »Wenn A gesetzt ist, so ist A gesetzt« aussagenlogisch deuten. Wenn A einmal gesetzt ist, so kann man es ewig wieder setzen. »A = A« meint aber für Fichte zunächst nicht ein ins Unendliche fortsetzbares Wiederholen von A. Vielmehr liegt »in der Copula eine Reflexion auf das Gesetztseyn des ersten A im Bewußtseyn, also ein zurückgehendes Bewußtseyn in sich selbst, also Selbstbewußtseyn, also, ganz eigentlich der Akt, durch den das Ich zu Stande kommt«489. Der Satz »A = A« bezeichnet ein Zurückgehen des Bewusstseyns von A in sich. Das Ich ist das Zurückgehen selbst. Identität drückt nicht die einfache und ewig wiederholbare Setzung von etwas aus, sondern die Reflexion auf das Gesetzte als gesetzt. Das erste A meint das gesetzte A. Das zweite A ist das erste A, aber reflektiert: »A als A«. »Ist« ist der Übergang vom gesetzten Subjekt zum Reflektierten. Das gesetzte A1 wird in A2 in sich reflektiert. Nun kann sich das A – zumindest bei Fichte – aber nicht selbst in sich reflektieren. Insofern bedarf es des Ich als Reflektierendem. Deshalb folgert Fichte:
486
Darstellung der WL 1801/02; GA II,6, S. 150. Versuch einer neuen Darstellung 1797/98; GA I,4, S. 214. 488 Dass der Deutsche Idealismus mit Fichte »gerade in der Reflexivität des sich selbst denkenden Ichs die begründungstheoretische Auszeichnung, die den Ausgang von Ich philosophisch legitimieren soll« (Hösle, Hegels System (1998), S. 19 f.), sieht, markiert den deutlichsten Unterschied zu Kant. Dieser sieht nach Hösle in dieser Reflexivität nur eine Unbequemlichkeit. (Vgl. insbesondere KrV B404; AA S. 265 f.) 489 Bardili Recension (1800); GA I,6, S. 447. 487
234
Die transzendentale Logik
»Durch das zweite A wird dasjenige bezeichnet, welches das sich selbst zum Objecte der Reflexion machende Ich, als in sich gesezt, vorfindet, weil es dasselbe erst in sich gesezt hat. […] Ist drükt den Uebergang des Ich vom Setzen zur Reflexion über das gesezte aus.«490 Der Deduktionszusammenhang zwischen A und A ist bloß begründbar durch die reflexive Identität des Ich. Das logische Implikationsverhältnis »wenn A, dann A« wird durch das Selbstverhältnis des Ich begründet.491 Das Wesen der Grundlage besteht »in der Behauptung, daß die Ichform oder die absolute Reflexionsform der Grund und die Wurzel alles Wissens sei«492. Die Grundhaftigkeit des Ich für das Wissen besteht darin, dass alles, was gesetzt ist, als es selbst gesetzt ist. Dies kann aber nur in einem Ich geschehen, und zwar nicht in einem empirischen Bewusstsein, sondern im transzendentalen Ich, dessen Wesen allein in der Tätigkeit des Rückgangs in sich selbst besteht. Weil das Ich nur in dieser Tätigkeit besteht, ist jedes im Ich gesetzte A als es selbst – also mit sich identisch – gesetzt. Wäre das nämlich nicht so, so könnte das Ich nicht in sich zurückgehen: Ich1 (das A in sich gesetzt hat) würde in ein davon verschiedenes Ich2 zurückgehen, in dem A nicht gesetzt ist. In jedem mit sich gleichbleibenden Gedankeninhalt ist so X mit gesetzt, ohne dass es explizit gemacht werden müsste. Die Form des »A = A« findet im absoluten Ich ihren ursprünglichen Gehalt.493 Form und Gehalt sind im Satz »Ich bin Ich« identisch: »Ich bin Ich – schon die Form des Satzes ist materiell.«494 In der Unzertrennlichkeit von Form und Gehalt eines Satzes besteht die Gewissheit desselben: »Der Saz: Ich bin Ich, aber gilt unbedingt, und schlechthin, denn er ist gleich dem Satze X.; er gilt nicht nur der Form, er gilt auch seinem Gehalte nach. In ihm ist das Ich, nicht unter Bedingung, sondern schlechthin, mit dem Prädikate der Gleichheit mit sich selbst gesezt; es ist also gesezt; und der Saz lässt sich auch ausdrücken; Ich bin.«495 Im Satz »Ich bin« wird die Prädikatstelle des Satzes für die Bestimmung leer gelassen. Entgegensetzung und Teilbarsetzung fundieren die »gewöhnlichen« Urteile: das analytische und das synthetische. In diesen Sätzen wird das Subjekt durch ein Prädikat bestimmt, das heißt: einerseits als mit ihm identisch 490
Grundlage 1794; GA I,2, Anm. S. 259. Vgl. Hösle, Hegels System (1998), S. 27. 492 Bericht (1806); GA II,10, S. 29. 493 Vgl. Klotz, Selbstbewußtsein und praktische Identität (2002), S. 13. 494 Züricher Vorlesungen (1794); GA IV,3, S. 26. 495 Grundlage 1794; GA I,2, S. 258. 491
Fichtes Begründung der Grundsätze des Denkens
235
gesetzt und andererseits als von ihm unterschieden. Im Satz »Ich bin« oder dem nach Fichte äquivalenten Satz »Ich bin Ich« wird das Ich jedoch gar nicht durch ein Prädikat bestimmt, sondern es wird schlechthin gesetzt. Insofern kann der es ausdrückende Satz keine Prädikation darstellen: »Iedes mögliche Prädikat des Ich bezeichnet eine Einschränkung desselben. Das Subjekt: Ich, ist das schlechthin thätige, oder seyende. Durch das Prädikat […] wird diese Thätigkeit in eine begränzte Sphäre eingeschlossen.«496 Es ist ja auch kein bestimmtes Ich, sondern das absolute Ich, das im ersten Grundsatz ausgedrückt wird. Fichte bezeichnet die Satzform des ersten Grundsatzes, also Sätze, in denen nichts bestimmt wird, als thetische Urteilsform. Das thetische Urteil ist eine Sonderform des Urteils, weil gar keine Relation von etwas zu etwas anderem vorliegt, sondern nur eine Selbstrelation ausgesagt wird, die in der Gleichheit mit sich besteht.497 Setzt das antithetische Urteil dem Subjekt ein Prädikat unter Absehung der Gleichheit entgegen und das synthetische Urteil unter Absehung der Entgegensetzung gleich, so setzt das thetische Urteil das Subjekt nur mit sich selbst gleich.498 Das thetische Urteil Fichtes, das sich als Fortführung des unendlichen Urteils bei Kant versteht, nimmt den spekulativen Satz Hegels vorweg, weil hier die Satzstruktur gesprengt wird. Die Trennung von Subjekt und Prädikat wird benutzt und zugleich negiert. Es wird nicht etwas vom Ich ausgesagt, da das ausgesagte Ich eben gar kein bestimmtes ist. Anhand der gewonnenen Ergebnisse lässt sich auch das Verhältnis der Frühphilosophie zur Spätphilosophie bestimmen: Nach Wolfgang Janke bedeutet Reflexion den Selbstbezug des Ich.499 Allerdings sei dieser Selbstbezug, den er auch als absolute Reflexion bezeichnet, erst Resultat des gesamten Gedankengangs der WL, für das vor allem der Begriff des Sollens vorausgesetzt wird. Janke sieht also, dass das Erste im Wissen, was allen Grundbestimmungen des Wissens zu Grunde liegt, »die Refle496
Grundlage 1794; GA I,2, S. 298. Janke deutet das thetische Urteil normativ: »Im unendlichen Urteil ist die Bestimmtheit des Prädikats niemals gegeben, sondern unendlich aufgegeben.« (Janke, Grundsätze der absoluten Einheit (1999), S. 221.) 497 Seebohm setzt Fichtes Gewinnung einer unendlichen Realität in der absoluten Handlung des Ich der Kantischen Konstruktion des Ideals der Reinen Vernunft (B 599– 611; AA 3, S. 385–392), der Summe aller Prädikate, entgegen. (Vgl. Seebohm, Fichte’s Discovery of Dialectical Method (1994), S. 29.) 498 Janke, Historische Dialektik (1977), S. 100. 499 Vgl. Janke, Fichte (1970), S. X.
236
Die transzendentale Logik
xion in der Gestalt einer in sich zurückkehrenden Tätigkeit«500 ist. Jedoch nimmt er fälschlich an, dass ihm diese »sich selbst bestimmende Identität, der freie Selbstbezug im Ausmaße der absoluten Vernunft«501 nur »als ein ihm [dem Bewusstsein; S. Sch.] aufgegebenes, unbedingtes Sollen«502 zu Grunde liegt. Die absolute Reflexion stehe erst am Ende der Grundlage. Hier verstehe sich das Ich bereits als bloßes Abbild, weswegen hier erst eine notwendige Stufe auf dem Weg zur Spätphilosophie realisiert sei. Erst nach dem Durchgang durch die Grundlage könne sich das Ich als bloßes Bild verstehen.503 Die absolute Selbsttätigkeit des Anfangs enthülle sich am Ende als Idee.504 Janke sieht die Grundlage als Explikation des Grundsatzes der Tathandlung (»Ich setzt sich selbst.«), der nur das Sein des Ich eröffnet. Im Schlusssatz der absoluten Reflexion (»Das Ich setzt sich als sich setzend.«) wird dann das »Grundgebende Sichwissen«505 eröffnet.506 Das verfehlt jedoch Fichtes Intention. Denn im ersten Grundsatz versucht Fichte, die Tätigkeit des Ich auszudrücken, die allem Bewusstsein und allem Wissen zu Grunde liegt, aber als solche nicht Gegenstand des Bewusstseins werden kann: dies ist die Reflexion selbst. Von so einer Grundlage kann man aber nicht sagen, dass sie das voll explizierte Selbstbewusstsein in nuce, in einer noch unreflektierten Vorform wäre. Ebenso wenig kann man behaupten, dass diese Grundlage des Bewusstseins sich am Ende der WL als Idee enthüllt. Vielmehr kann sie sich selbst nur als Idee zu einem Gegenstand werden. Damit ist die Grundlage allen Bewusstseins aber nicht selbst nur Idee. Gegenstand des Bewusstseins kann die Tat-
500
Janke, Fichte (1970), S. 93. Janke, Fichte (1970), S. 93. 502 Janke, Fichte (1970), S. 93. 503 Vgl. Janke, Fichte (1970), S. 207–222. Das Konstruieren der frühen WL versteht sich so bereits als Nachkonstruieren. In der WL 1801 weiß sich das Wissen dann als Bild des absoluten Seins. Das Sein wird als Nicht-Wissen verstanden, das An-Sich »als ein Nichtfür-uns-Sein erklärt« (220). Diese Position wird in der WL 18042 dann noch einmal überwunden. Sie wird noch einmal, so Janke, als Idealismus durchschaut. Diese scheinbare Kehre sei aber nur »Ausdruck der beharrlichen Konsequenz, welche das Denken eines einzigen Gedankens (des Gedankens vom Ich) ins Äußerste treibt.« (221) 504 Vgl. Janke, Fichte (1970), S. 20. 505 Janke, Fichte (1970), Anm. S. 80. 506 Ähnlich meint auch Christian Klotz, man müsse beim Ich des ersten Grundsatzes von einem Selbstbewusstsein »in einem schwächeren Sinn […] als dem einer reflektierten Selbsterkenntnis« (Klotz, »Die Methode des Zugangs zum Prinzip in Fichtes Wissenschaftslehre ›nova methodo‹ und der Transzendentalphilosophie des frühen Schelling«. In: Jürgen Stolzenberg (Hrsg.), Kant und der Frühidealismus, Hamburg 2007, 233–247, S. 240) sprechen. Das unreflektierte Sich-Setzen habe noch keinen Bewusstseinscharakter, dieser komme erst auf, wenn es sich als es selber setzt. 501
Fichtes Begründung der Grundsätze des Denkens
237
handlung nur indirekt werden, nämlich als gesollte vollständige Aufhebung des Nicht-Ich. Die Aufhebung des subjektiven (philosophischen) Denkens in das transzendentale Denken wird bei Janke ebenfalls fälschlich in das Ende der Grundlage zurückverlagert. Erst am Ende der Grundlage sei die Äußerlichkeit der philosophischen Reflexion gegenüber ihrem Gegenstand aufgehoben und »Philosophie wird zum System absoluter Reflexion, zur Selbstdurchdringung des Wissens«507. Erst zum Abschluss der Grundlage höre die äußere Reflexion von einem philosophierenden Subjekt auf ein von ihm unterschiedenes transzendentales Subjekt auf.508 Damit erst sei der Anfang gefunden, ab dem sich das Wissen selbst durchdringe. Die Grundlage bleibe bloße Einleitungsschrift, die Durchführung der Selbstdurchdringung geschehe erst in der WL von 1801. Die Grundlage bleibe äußere Reflexion, die Darstellung 01/02 hingegen sei die innere Reflexion des Wissens. Diese Bestimmung des Verhältnisses von äußerer Reflexion zur Selbstreflexion des Wissens trifft aber nur auf die Durchführung des theoretischen und auch praktischen Teils der WL zu. Denn hier setzt sich der das System der WL entwerfende Philosoph in Distanz zu seinem Gegenstand. Das ist aber in der Entwicklung der Grundsätze anders. Hier wäre diese Differenz zunächst vielmehr aufgehoben. Das zeigt sich bereits an der unterschiedlichen Methodik, durch die zumindest die ersten beiden Grundsätze der WL gewonnen werden und durch die andererseits die theoretische und praktische Philosophie entwickelt wird. Die ersten beiden Grundsätze werden beide durch abstrahierende Reflexion gewonnen. Das, was durch sie ausgedrückt wird, muss letztlich intellektuell angeschaut werden. Im theoretischen Teil verändert sich aber die Methodik, insofern hier wie auch später im praktischen Teil in der Darstellung absichtlich auf Widersprüche geführt wird, zu deren Aufhebung neue Begriffe und Kategorien eingeführt werden müssen. Die Darstellung des theoretischen und praktischen Teils ist insofern schon »künstlicher«. Das Auseinandertreten von Reflexion und Reflektierendem setzt erst mit dem theoretischen Teil ein, wenn »Denkmöglichkeiten«509 aufgestellt werden, wie der Lehrsatz der theoretischen Philosophie (»Das Ich setzt sich als bestimmt durch das Nicht-Ich.«) gedacht werden kann. Hier hat es der Philosoph nämlich mit »durch die Spontaneität unsers Reflexionsvermögens nach den Regeln der Reflexion künstlich hervorgebrachten Fak-
507
Janke, Fichte (1970), S. 22. Vgl. Janke, Fichte (1970), S. 193. 509 Grundlage 1794; GA I,2, S. 363. 508
238
Die transzendentale Logik
ta«510 zu tun. Hier setzt die Unterscheidung von subjektivem Denken und Gegenstand ein, weil sonst gar keine Denkmöglichkeiten entworfen werden könnten. Besonders in der Entwicklung des ersten Grundsatzes wird dagegen versucht, die Differenz zwischen Reflektierendem und Reflektiertem in der intellektuellen Anschauung der Selbstsetzung des Ich aufzuheben. Die Grundlage ist so auch nicht nur eine Einleitung in die Wissenslehre der späteren WL. Die Bestimmung des absoluten Ich als Rückkehr in sich selbst ist vielmehr strukturgleich mit der Bestimmung des Wissens oder der absoluten Gewissheit in den späteren Wissenschaftslehren. Das »sich Durchdringen« als »die absolute Form des Wissens«511 hat die Grundlage und die frühe WL überhaupt durch das Wort Ichheit bezeichnet. Dieses Ich wird 1800 das »Zurückkehren des Wissens in sich selbst«512. Die WL 1813 versteht sich als Selbstvollzug des Sichselbstverstehens des Verstandes. Der Verstand selbst ist »absolute Verständlichkeit seiner selbst, Reflexibilität«513. Und in der WL 1805 wird die Existenz, das absolute Wissen als absolute Relation bestimmt.514 Die Formulierung, »Das Ich setzt sich selbst.« wird ersetzt durch: »Das Wissen sieht sich selbst hin.«. Das Gesetz der Reflexion ist dann, dass das Wissen sich selbst sieht. Fichte spricht von einem »absolute[n] Sichhinsehen«515, wie er zuvor von einem »absoluten Sichsetzen« gesprochen hat. Das Sehen ist Grund seiner selbst. Für die logische Struktur dieses Vorganges bedeutet das: »S. das Sehen siehet hin sich. Darin wäre kein logisches Object. Aber durch das sich ist das logische Object. S – S. Das logische Object ist sich.«516 Also auch hier sind Subjekt und Objekt nur die Reflexion in sich selbst als Tätigkeit. Das Sein des Sehens besteht im Hinsehen. »Also im Begründen ist Sehen, Seyn, Thun ganz und gar eins. Begründen aber ist Denken. Also im Denken ist Sehen, Seyn und Thun eins.«517 Ebenso unterscheidet Fichte noch die Reflexion vom gegenständlichen Bewusstsein des Ich:
510
Grundlage 1794; GA I,2, S. 363. Darstellung der WL 1801/02, GA II,6, S. 149. 512 Bestimmung des Menschen (1800); GA I,6, S. 235 f. 513 WL 1813; FW X, S. 6. 514 Wolfgang Janke, Johann Gottlieb Fichtes ›Wissenschaftslehre 1805‹. Methodischsystematischer und philosophiegeschichtlicher Kommentar, Darmstadt 1999, S. 27 schreibt selbst: »Relation muß [dabei] transzendental als Beziehung des sich unmittelbar zu sich selbst verhaltenden Intelligierens verstanden sein. Offenkundig hat die Existenz im Stande des sich wissenden Wissens den kategorialen Status einer Beziehung oder Relation.« 515 Tatsachen des Bewußtseins WS 1811/12; GA IV,4, S. 142. 516 Tatsachen des Bewußtseins WS 1811/12; GA IV,4, S. 143. 517 Tatsachen des Bewußtseins WS 1811/12; GA IV,4, S. 143. 511
Fichtes Begründung der Grundsätze des Denkens
239
»Das Ich ist der feste, vorgefundene Niederschlag des Begreifens, welches darauf ertappt. / Dieses wird nothwendig hingestellt als seyend, als factisch vorgefunden: ich bin spricht das Bewußtseyn (nicht: die Reflexion: welche nur sagt: Ich stelle vor und ich im Hintergrunde)[.] Ich bin entstehet erst durch eine neue Reflexion auf die Anschauung des Ich als eines gegeben.«518 Auch in der Spätphilosophie wird der Grund des Wissens als Reflexion bezeichnet.519 In der Reflexion schaut sich das Wissen selbst als Prinzip des Schema oder Bildes vom Sein an: »Offenbar schauet dann das Wissen sich selbst an. Es siehet sich als Prinzip, als das Thätige in dem Vorstellen, nicht als Seyn[,] sondern bloß als Bildseyn eines Schema.«520 In der Reflexion ergreift sich das Wissen auf der Tat und weiß von sich selbst als dem Wissen. »[D]as sich Ertappen des Wissens auf der That und das durch Intelligiren sich selbst setzen als Prinzip ist die Reflexion.«521 Gerade auf Grund seiner Selbstbestimmtheit, weil es »schlechthin durch sich selbst bestimmt [ist], keineswegs durch Dinge außer ihm«522, kann es Bild des Absoluten sein. »[I]n dieser seiner Absolutheit [ist es] das Bild des innerlichen Seyns und Wesens der Gottheit.«523 Das Wissen muss also in seiner Unbedingtheit eingesehen sein, damit es als Bild des Absoluten verstanden werden kann. Als rein durch sich selbst bestimmt leuchtet das Wissen überhaupt erst als Abbild Gottes ein. Die unterschiedliche Bezeichnung als absolutes Ich oder absolutes Wissen drückt nur den Bezug aus, der für die jeweilige Darstellung der WL dann bedeutsam ist: »Ich« bringt den Bezug zum »Nicht-Ich« zur Sprache, »absolutes Wissen« hingegen den Bezug zum Absoluten.524
518
Tatsachen des Bewußtseins WS 1811/12; GA IV,4, S. 146. »Identität des sehenden, und des gesehen werdenden aber ist Ich. Also ist das Ich das Ich des Urschema der Identität des absoluten, u. des reflexiblen Sehens; die Reflexion ist möglich, heißt: ein Ich ist möglich, und das erste Produkt des wirklichen ist seine Wirklichkeit.« (WL 1810; GA II,11, S. 341.) Die Reflexion ist in den Tatsachen des Bewußtseins WS 1811/12 »Wurzel selbst des Wissens« (GA IV,4, S. 142). 520 Tatsachen des Bewußtseins WS 1811/12; GA IV,4, S. 138. 521 Tatsachen des Bewußtseins WS 1811/12; GA IV,4, S. 140. 522 Best. d. Gel. 1811; GA II,12, S. 316. 523 Best. d. Gel. 1811; GA II,12, S. 316. 524 Vgl. Janke, Fichte (1970), S. 208. Die Beziehung des Ich zur Welt steht nach Janke in der Grundlage im Vordergrund. (29) 519
240
Die transzendentale Logik
2.3.3. Die Genetisierung des Widerspruchsprinzips Der zweite Grundsatz ist anders als der erste Grundsatz nicht mehr seiner Form und seinem Gehalt nach unbedingt, sondern nur seiner Form nach. Aber weil er seiner Form nach unbedingt ist, kann auch er nicht abgeleitet werden. Deswegen geht Fichte erneut von einer »Thatsache des empirischen Bewustseyns« aus.525 Nun bestimmen nach Fichte zwei logische Grundsätze das Denken: der Satz der Identität und der Satz des Widerspruchs. Fichte versteht beide Prinzipien also als verschieden voneinander. Dem Widerspruchsprinzip schreibt Fichte eine eigentümliche Form: »~A nicht= A« zu. In der Untersuchung des zweiten Grundsatzes wird dieser in analoger Weise zur transzendentalen Herleitung des ersten Grundsatzes genetisiert und in den Satz »Ich nicht= ~Ich« (»Das Ich setzt sich ein Nicht-Ich entgegen.«) aufgehoben. Der Satz des Widerspruchs als Tatsache des Bewusstseins wird auf die transzendentale Handlung des Entgegensetzens zurückgeführt. Dabei steht nun aber nicht seine schrittweise Genetisierung im Vordergrund, sondern das Verhältnis von Bedingtheit und Unbedingtheit in ihm, im zweiten Grundsatz der WL und in der durch ihn ausgedrückten Handlung des Entgegensetzens.
2.3.3.1. Die Begründung der Einführung eines zweiten Grundsatzes Die Berechtigung der Einführung eines zweiten Grundsatzes ist immer wieder in Frage gestellt worden. Denn aus dem ersten Grundsatz selbst heraus scheint gar nicht begründet werden zu können, dass neben dem absoluten Ich noch ein Nicht-Ich zu setzen ist und neben dem ersten Grundsatz ein weiterer anzunehmen ist. Es stellt sich dabei zum einen die Frage, wieso es überhaupt zur Einführung eines zweiten Grundsatzes kommt und ob dies aus dem ersten Grundsatz begründet werden kann. Im absoluten Ich ist weder die Notwendigkeit noch die Möglichkeit enthalten, ihm ein Nicht-Ich entgegenzusetzen.526 Dabei steht aber auch für Fichte von vornherein fest, dass aus dem ersten Grundsatz höchstens der Ausgang selbst, nicht aber die Art des 525
Grundlage 1794; GA I,2, S. 264. So heißt es bei Hegel: »Hier ist’s denn schon mit dem Ableiten aus« (Philosophiegeschichte III; SW 20, 396). Dieser Kritik schließt sich auch Hösle an: dass dem Ich ein Nicht-Ich entgegengesetzt werde, sei »begründungstheoretisch nicht nur durch nichts legitimiert, sondern steht letztlich sogar in Widerspruch zu einem Ansatz, der von einem (begründungstheoretisch) absoluten Prinzip ausgehen will.« (Hegels System (1998), S. 42.) 526
Fichtes Begründung der Grundsätze des Denkens
241
Ausgangs, das heißt der ganze zweite Grundsatz deduziert werden kann. Denn der zweite Grundsatz enthält ja ein unbedingtes Moment – nämlich seine Form – und kann als solcher nicht aus dem ersten Grundsatz abgeleitet werden. Das scheint aber einerseits der schlechthinnigen Unbedingtheit des ersten Grundsatzes und andererseits der Aussage der Begriffsschrift, es könne nur einen Grundsatz geben, zu widersprechen. Letzteres Problem kann dadurch gelöst werden, dass Fichte in der Begriffsschrift einen Grund angibt, warum es nur einen (schlechthin unbedingten) Grundsatz geben darf: weil ansonsten das Verhältnis zweier unbedingter Grundsätze nicht geklärt werden könnte. Es gäbe dann nicht ein einheitliches Wissen und eine zusammenhängende Wissenschaft, sondern unendlich viele fragmentarische Wissenschaften. Das Wissen wäre ein bloßes Aggregat, das nie vollendet werden könnte: »Es würde so viele Wissenschaften geben, als es einzelne unmittelbar gewisse Grundsätze gäbe.«527 Dieses Problem tritt nun in der WL nicht auf, da der zweite (wie auch der dritte) Grundsatz in gewisser Hinsicht abhängig vom ersten Grundsatz ist. Fichte induziert also mit seiner Aufstellung eines zweiten Grundsatzes nicht das Problem, das er selbst in der Begriffsschrift für mehrere Grundsätze kenntlich gemacht hat. Denn das Verhältnis der unbedingten Grundsätze zueinander wird durch den ersten und zweiten Grundsatz selbst geklärt, insofern der zweite Grundsatz in Abhängigkeit zum ersten Grundsatz steht. Der erste Grundsatz bleibt absolut, weil er im zweiten und auch im dritten etwas bedingt und diese somit nicht schlechthin unabhängig gültig sind. Der Gehalt des zweiten Grundsatzes ist unmittelbar bedingt und mittelbar sogar seine Form, »in so fern sie Form eines Gehaltes seyn soll«528. Das absolute Ich des ersten Grundsatzes ist »schlechthin sich selbst gleich: alles in ihm ist Ein und ebendasselbe Ich«529. Es ist ununterschiedenes Alles und Nichts, »weil es für sich nichts ist, kein setzendes und kein geseztes in sich selbst unterscheiden kann.«530 Das Ich kann jedoch nur von sich wissen, indem Ich sich zu etwas wird und ein Subjektives und Objektives trennt: »Ist ein Bewußtseyn gesetzt, so ist diese Trennung gesetzt: und es ist ohne sie gar kein Bewußtseyn möglich.«531 Die im ersten Grundsatz ausgedrückte Selbstsetzung des Ich kann noch kein explizites gegenständliches Selbstbewusstsein konstituieren, da dieses nicht nur Identität, sondern auch Differenz – die
527
Begriff 1794; GA I,2, S. 125. Begriff 1794; GA I,2, S. 122. 529 Grundlage 1794; GA I,2, S. 399. 530 Grundlage 1794; GA I,2, S. 399. 531 System der Sittenlehre 1798; GA I,5, S. 24. 528
242
Die transzendentale Logik
Trennung von Ich-Subjekt und Ich-Objekt – voraussetzt: »ich bin ursprünglich weder das Reflectirende, noch das Reflectirte, und keins von beiden wird durch das andere bestimmt, sondern ich bin beides in seiner Vereinigung; welche Vereinigung ich freilich nicht denken kann, weil ich eben im Denken Reflectirtes und Reflectirendes absondere.«532 Indem ich »Ich« zu mir sage, also mir selbst Gegenstand werde, muss ich mich in Subjekt und Objekt trennen: »Das Eine, welches getrennt wird, das sonach allem Bewußtseyn zum Grunde liegt, und zufolge dessen das subjective und objective im Bewußtseyn unmittelbar als Eins gesetzt wird, ist absolut = X., kann als einfaches, auf keine Weise zum Bewußtseyn kommen.«533 Selbstbewusstsein impliziert also Entgegensetzung: die Entgegensetzung im Ich selbst als Subjekt und Objekt. Die dazu nötige Negation resultiert aus der Entgegensetzung des Ich gegen das Nicht-Ich. Bereits in der Rezension Aenesidemus führt Fichte aus, dass ein »Bewußtseyn des denkenden Ich nur unter der Bedingung eines zu denkenden Nicht-Ich möglich sey.«534 In der Selbstsetzung des Ich »entsteht noch kein eigentliches Bewußtsein«535, für das ein Objekt vorhanden sein muss. Der erste Grundsatz allein bzw. die Tathandlung, die in ihm ausgedrückt wird, konstituiert keinerlei Bewusstsein: »Wie ein wirkliches Bewußtseyn entsteht, sey es auch nur das Bewußtseyn unsrer selbst, erfolgt die Trennung. Nur in wiefern ich mich, das bewußtseyende[,] von mir, dem Gegenstande dieses Bewußtseyns, unterscheide, bin ich mir meiner bewußt.«536 Das Bewusstsein und alles Sein, so Fichte im System der Sittenlehre, gründen sich auf die reine Tätigkeit des Ich. Diese reine Tätigkeit kann aber nur intellektuell angeschaut werden. Erscheinen kann sie hingegen nur »als Wirksamkeit auf etwas außer mir.«537 Die Wirksamkeit des Ich auf etwas außer dem Ich, die die reine Wirksamkeit anschaulich werden lassen soll, ist bei Fichte als negativer Bezug auf das, was Gegenstand seines Wirkens ist, gedacht. Denn es hebt die (scheinbare) Selbständigkeit des Gegenstandes auf. Selbstbewusstsein ist nur möglich für mich, wenn ich etwas bin und ein Et-
532
Versuch einer neuen Darstellung 1797/98; GA I,4, S. 242. System der Sittenlehre 1798; GA I,5, S. 24. 534 Rezension Aenesidemus (1794); GA I,2, S. 63. 535 Hartmann, Die Philosophie des Deutschen Idealismus (1960), S. 52. 536 System der Sittenlehre 1798; GA I,5, S. 21. 537 System der Sittenlehre 1798; GA I,5, S. 29. 533
Fichtes Begründung der Grundsätze des Denkens
243
was bin ich nur in der Sinnenwelt. Aber ich muss auch ein Ich sein, das ich nur in der intelligiblen Welt bin, die mir durch intellektuelle Anschauung gegenwärtig ist. Als wirkliches (das heißt durchaus auch tätig handelndes) kann das Ich nur im Gegensatz mit einem Nicht-Ich gesetzt werden. Das Nicht-Ich wird aber nur als Widerstand für das Wirken des Ich gefühlt, der jedoch überwunden wird.538 Diese praktisch-handelnde Bezugnahme gründet nun aber ihrerseits in einer Setzung des Ich: nämlich der Entgegensetzung des Nicht-Ich gegen das Ich. Nun hat diese Erklärung der Einführung eines zweiten Grundsatzes jedoch das methodologische Problem, dass in ihr der Begriff des Selbstbewusstseins seinerseits bereits vor seiner Herleitung vorausgesetzt wird. Man müsste bereits die Struktur des Selbstbewusstseins verstanden haben, um die Einführung der Bestandteile zu verstehen, die es verständlich machen sollen.539 Die operative Deutung der Aufhebung der subjektiven Denkbestimmungen in objektiv-transzendentale Strukturen kann die Einführung des zweiten Grundsatzes verständlich machen, ohne mit dem Selbstbewusstsein einen Begriff in Anspruch zu nehmen, der doch erst erklärt werden soll. Sie geht dabei wieder auf die Voraussetzungen des Denkens des Philosophen zurück, die ins Objektive aufgehoben werden sollen. Denn der Ausgang des ersten Grundsatzes bestand ja darin zu fragen, was im Denken welchen Gedankens auch immer je schon vorausgesetzt wird. Da die Gewinnung des Grundsatzes nur durch abstrahierende Reflexion möglich ist, schien die erste Voraussetzung dabei zunächst das formallogische Denkgesetz der Identität »A = A« zu sein: das Gesetz der Reflexion. Nun zeichnet sich nach Fichte das Denken eines distinkten Gedankens aber gerade dadurch aus, dass er nicht nur als derselbige gedacht wird, sondern als entgegengesetzt gegen sein Gegenteil. Anders gesagt: etwas wird im Denken in sich reflektiert, indem von dem, was es nicht ist, abstrahiert wird. Die Reflexion setzt immer Abstraktion voraus: »Keine Abstraktion ist ohne Reflexion; und keine Reflexion ohne Abstraktion 538
Vgl. System der Sittenlehre 1798; GA I,5, S. 94 f. Seebohm schlägt vor, die Entgegensetzung werde aus dem Satz: »Das Ich setzt das A als identisch mit A.« gewonnen, da hier bereits eine Differenz von Bewusstsein und Bewusstseinsgehalt impliziert sei. Nicht, weil es ihrer zwei As bedarf, sondern auf Grund der Möglichkeit der Umformulierung des Satzes »A ist A« in: »Das Ich setzt A identisch mit A.«, worin die Differenz zwischen A und Ich, also zwischen Nicht-Ich und Ich gesetzt ist, was die Differenz zwischen Bewusstsein und Inhalt des Bewusstseins impliziert. (Vgl. Seebohm, Fichte’s Discovery of Dialectical Method (1994), S. 27.) Es ist nun aber nicht einsichtig, wieso man diesen Schritt der Reflexion als paradigmatisch wählen sollte. Inhaltliches Bewusstsein setzt immer Differenz voraus: »In allem Denken ist ein Gedachtes, das nicht das Denken selbst ist, in allem Bewußtseyn etwas, dessen man sich bewußt ist, und das nicht das Bewußtseyn selbst ist.« (System der Sittenlehre 1798; GA I,5, S. 39.) 539
244
Die transzendentale Logik
möglich«540. Setzen schließt Entgegensetzen ein, der Satz der Identität als formallogisches Gesetz der Reflexion den des Widerspruchs als Gesetz der Abstraktion.541 Im Zurückbiegen des Blickes des Geistes in der Reflexion wird von einem anderen abgesehen und umgekehrt. Auch absolute Reflexion ist mit absoluter Abstraktion verbunden.542 Das gilt auch bei der Abstraktion und Reflexion der Logik: der Blick auf die Form impliziert das Absehen vom Gehalt und umgekehrt. »Daß man nun um A anzuschauen, ein Nicht-A müße anschauen können, – daß man nothwendig gedrungen werde, es sich so zu denken, daß mithin der Gedankengang des Systems richtig sey – beruht auf dem Satze der Identität. A. kann nicht zugleich Nicht-A seyn.«543 Dass das Erkennen von etwas das Entgegensetzen gegen das, was es nicht ist, voraussetzt, hält sich in der gesamten Philosophie Fichtes durch, insofern man Begriffe am deutlichsten über die Negation ihres Gegensatzes bestimmen könne: »Alle Deutlichkeit folgt aus dem Gegensatz.«544 In der Tätigkeit der reflektierenden Abstraktion wurde er insofern in Anspruch genommen, als durch diese das, was »dem Satz A = A nicht entsprach, von ihm ausgeschlossen wurde.«545 So sehr auch das Entgegensetzen abhängig ist vom Setzen, so ist doch, wenn auf das Denken von etwas selbst reflektiert wird, das Denken durch das Entgegensetzen bestimmt. So heißt es noch in den Tatsachen des Bewusstseins 1810/1811: »Sodann ist über die Form des Denkens hier überhaupt zu bemerken, daß das Denken ein Setzen, und zwar ein Setzen einem andern gegenüber, ein Gegensatz ist: aller Gegensatz demnach unmittelbar und rein aus dem Denken entsteht, und durch dasselbe mitgebracht wird.«546
2.3.3.2. Der Satz des Widerspruchs Fichte versteht den Satz des Widerspruchs primär nicht als aussagenlogisches Prinzip, das die mögliche Verbindung zweier Sätze oder Aussagen betrifft. 540
Grundlage 1794; GA I,2, S. 138. Vgl. Wundt, Fichte-Forschungen (1929), S. 108. 542 Vgl. Janke, Fichte (1970), S. 4. 543 Eigene Meditationen (1793/94); GA II,3, 28 f. 544 Unterschied zwischen Logik und Philosophie (1812); GA IV,5, S. 403. 545 Wagner, Persönlichkeit Gottes (1971), S. 63. 546 Thatsachen des Bewußtseyns 1810/1811; GA II,12, S. 25. 541
Fichtes Begründung der Grundsätze des Denkens
245
Vielmehr ist er in seiner Formulierung »A nicht= ~A« Ausdruck der Entgegensetzung: »Was sich entgegengesetzt wird ist nicht gleich: Satz des Wiederspruchs oder der Satz der Gegensetzung.«547 Als solcher ist er dem aussagenlogischen Prinzip vorgängig. Denn dieses setzt einen Begriff von Entgegensetzung bereits voraus. Der Satz des Widerspruchs legt nach Fichte zunächst einmal fest, wie eine Negation zu denken ist: nämlich als Entgegensetzung gegen ein Behauptetes oder Gesetztes. Da er die schlechthinnige Entgegensetzung bestimmt, ist er im Sinne Kants oder der Aussagenlogik erst Folge dieses fundamentaleren Prinzips. Der Satz der Identität ist dabei die Voraussetzung des Satzes des Widerspruchs. Ein Beweis für den Satz »~A nicht = A« könnte nach Fichte deshalb nur aus dem Satz »A = A« geführt werden, was allerdings unmöglich ist. Anders als beim Satz der Identität leuchtet nun aber beim Satz des Widerspruchs seine Unbedingtheit nicht unmittelbar ein. Denn wie die Rede vom principium identitatis et contradictionis nahe legt, scheint der Satz des Widerspruchs aus dem der Identität entwickelt werden zu können. Insofern wäre es aber widersinnig, ihn transzendental durch einen eigenständigen Satz der WL begründen zu wollen. Denn diese begründet ja ausschließlich die Grundsätze der Einzelwissenschaften, nicht die aus ihnen selbst folgenden Sätze. Insofern ist eine transzendentale Reduktion auf eine Handlung des Ich nur zulässig, wenn der Satz unbedingt ist. Für die WL selbst gilt es zusätzlich noch, eine unbedingte Form zu finden. Eine Form die in der Logik ableitbar wäre, kann aber nicht in der WL unbedingt sein. Die Form des Satzes – die Entgegensetzung – muss also unbedingt sein. Auf transzendentaler Ebene bedeutet dies, dass so wie die Negation zwar als Negation einer Position angesetzt und dennoch aus ihr nicht deduzierbar ist, auch die Handlung der Entgegensetzung, die ein Setzen voraussetzt, gegenüber diesem Setzen »eine fundamental neuartige Leistung des Ich«548 sein muss.
547
Exzerpt aus Züricher Vorlesungen (1795); GA IV,3, S. 47. Seebohm hält es für bezeichnend, dass Fichte sein zweites Prinzip das der Entgegensetzung und nicht das des Widerspruchs nennt. Der Begriff Widerspruch tauche erst nach Einführung des dritten Prinzips auf. Die aussagenlogische Formulierung des SdW ist bekanntlich ~(p ∧ ~p). Bei Fichte hingegen taucht der Identitätsoperator auf. Das Prinzip der Entgegensetzung hat nun nach Seebohm nichts mit dem logischen Widerspruch zu tun, sondern ist eine Voraussetzung zur Erzeugung eines dialektischen Widerspruchs. (Vgl. Seebohm, Fichte’s discovery of dialectical method (1994), S. 24.) 548 Schäfer, Grundlage (2006), S. 54.
246
Die transzendentale Logik
Auch hier geht Fichte also erneut von der Betrachtung der Relation aus. In dem Satz »~A = ~A« wäre der Zusammenhang derselbe, wie in dem Satz A = A, nämlich X.549 In dieser Gleichung entfällt die Entgegensetzung und als Form wird nur wieder die Identität gesetzt. Die Form des Satzes »~A = ~A« ist identisch mit der Form des Satzes »A = A«. Der Satz »~A = ~A« gibt zudem nicht die Bedingung an, unter der ~A seinerseits gesetzt ist. Die Formel »~A = ~A« lässt die Frage nach der Konstitutionsbedingung des ~A ganz unberührt. Sie ist ja gleichlautend mit »Wenn ~A gesetzt ist, so…«. Sie sagt also nur, was aus dem Gesetztsein von ~A folgt. Es muss jedoch gerade geklärt werden, woher die am A auftretende Negation, die das Gegenteil von A konstituiert, kommt: »unter welcher Bedingung der Form der blossen Handlung ist denn das Gegentheil von A. gesezt«550? Die Negation lässt sich nach Fichte nicht aus dem »A = A« ableiten.551 Die Form des Gegensetzens ist »in der Form des Setzens so wenig enthalten […], daß sie ihr vielmehr selbst entgegengesezt ist. Es wird demnach ohne alle Bedingung, und schlechthin entgegengesezt.«552 Die Negation oder Entgegensetzung ist schlechthin gesetzt. Die Negation muss deshalb durch eine freie Handlung des Ich – dem Entgegensetzen – konstituiert werden. Daher die formale Unbedingtheit des Satzes: »dieses Entgegensetzen ist seiner bloßen Form nach eine schlechthin mögliche, unter gar keiner Bedingung stehende, und durch keinen höhern Grund begründete Handlung.«553 Das Entgegengesetztsein überhaupt oder das Setzen eines Entgegengesetzten »als bloßes Gegentheil überhaupt«554 ist schlechthin durch das Ich gesetzt. Die logische Negation beruht auf einer unbedingten Handlung des Ich, die ihrerseits nicht in der ersten Handlung gründet. Allein das Vorkommen von »~A nicht= A« erfordert wegen der darin auftretenden Negation eine Handlung des Ich. Ihrer Form nach ist diese Handlung des Entgegensetzens unbedingt.555 Der Satz des Widerspruchs ist 549
Hieraus wird auch ersichtlich, dass es Fichte nur um die Relation in den logischen Gesetzen geht. Ansonsten könnte man einwenden, dass der logische Operator der Negation in dem Satz »~A = ~A« schon eingeführt ist und nun einmal auf das A selbst bezogen werden kann, aber auch auf die gesamte Gleichung, so dass sich ergäbe: ~(A = ~A). Hier wird ja kein neues logisches Zeichen mehr eingeführt, das nicht auch in dem Satz ~A = ~A schon eingeführt ist. 550 Grundlage 1794; GA I,2, S. 265. 551 Das widerspricht auch der These, dass der erste Grundsatz irgendeine Differenz enthalte. Denn durch diese Differenz ließe sich das ~A konstituieren. 552 Grundlage 1794; GA I,2, S. 265. 553 Grundlage 1794; GA I,2, S. 265. 554 Grundlage 1794; GA I,2, S. 265 f. 555 »Da A unmöglich eodem sensu -A heißen soll, wird es nicht möglich sein, aus der Position die Negation abzuleiten.« (Hans Radermacher, »Fichte und das Problem der Dia-
Fichtes Begründung der Grundsätze des Denkens
247
jedoch kein absolut unbedingter Satz, ebenso wenig wie die ihm letztlich zu Grunde liegende Handlung der Entgegensetzung. Die ganze Logik gründet in der Einheit des Bewusstseins. Denn wer die Einheit des Bewusstseins aufhebt, hebt mit ihr die gesamte Logik auf. Das Entgegensetzen selbst setzt an sich die Identität des Bewusstseins voraus. Die Entgegensetzung von A und ~A setzt das identische Ich voraus. Die Identität des Bewusstseins ist die Voraussetzung dafür, dass das Entgegensetzen an sich möglich ist. Im Entgegensetzen finden sich genauer besehen zwei Handlungen des Ich: das Setzen, das hier ein Entgegensetzen ist, und das Entgegensetzen als entgegengesetzt gegen das gesetzte A. Beide müssen im Ich aufeinander bezogen werden. Die Handlung des Entgegensetzens ist an sich komplexer als die Handlung im »A = A«. Denn der Ausgang ist das »A = A«, wobei das erste A wiederum das schlechthin gesetzte A bezeichnet und das zweite A dasjenige, worauf reflektiert wird. Nicht dem schlechthin gesetzten A, sondern dem, das Objekt der Reflexion ist, wird das Non-A zunächst entgegengesetzt. Weil das erste A aber gleich dem zweiten A ist, wird geurteilt, dass auch diesem das Non-A entgegengesetzt ist. Die Gleichheit beider A gründet auf der »Identität des setzenden, und des reflektirenden Ich«556. Die Identität des Ich, das über beide urteilt und in beiden Handlungen handelt, ist wieder vorausgesetzt. »Könnte dieses selbst in beiden Handlungen sich entgegengesezt seyn, so würde -A seyn = A. Mithin ist auch der Uebergang vom Setzen zum Entgegensetzen nur durch die Identität des Ich möglich«557. Wäre das Bewusstsein nicht mit sich selbst identisch und würde es nicht immer dasselbe Ich bleiben, dann würde es nach Fichte nie zu einem Entgegensetzen kommen: denn dann würde es einfach unterschiedliche Setzungsakte geben, die nicht im Verhältnis der Identität und des Gegensatzes zueinander stehen. Damit ~A als das Gegenteil von A gesetzt wird, dazu bedarf es der Identität des Bewusstseins. Ein Gegensatz erscheint nur für ein identisches Bewusstsein, das A und ~A als entgegengesetzt aufeinander bezieht: »Das Entgegensetzen ist nur möglich
lektik«. In: Studium Generale 21 (1968), 475–502, S. 499.) Dies unterscheidet Fichte von Schelling: Eschenmayer schreibt an Schelling am 21. Juli 1801, dass Schellings erster Grundsatz (A = A) seiner Form und seinem Gehalt nach mit dem ersten Grundsatz Fichtes übereinstimme. Nur Fichtes zweiter Grundsatz finde sich nicht mehr in Schellings System. Bei Schelling gebe es »kein ursprünglich Positives und Negatives, sondern nur einen Unterschied in der Größe des Seins« (specula 1,3, S. 63 f.). Natürlich bleibt dabei immer noch offen, woher überhaupt eine Differenz kommen kann. 556 Grundlage 1794; GA I,2, S. 265. 557 Grundlage 1794; GA I,2, S. 265.
248
Die transzendentale Logik
unter Bedingung der Einheit des Bewustseyns des setzenden, und des entgegensetzenden.«558 Die Identität zeichnet sich gerade dadurch aus, dass sie völlig substratlos als reiner Bezug des Selbstbezuges auf sich selbst gedacht werden muss. Die Entgegensetzung hingegen benötigt ein Substrat, an dem sie als Entgegensetzung auftreten kann: »Soll irgend ein -A gesezt werden, so muß ein A gesezt seyn.«559 Das Entgegensetzen bezieht sich als Handlung auf ein ihr vorgängiges Handeln. Deshalb ist der zweite Grundsatz in materialer Hinsicht bedingt. Das Handeln des Entgegensetzens steht unter der Bedingung der vorangehenden Handlung der Setzung. Die Wirklichkeit dieses Handelns ist unbedingt, seine Möglichkeit hängt hingegen von einem anderen ab, denn sie »ist ein Handeln in Beziehung auf ein anderes Handeln.«560 Wenn man das Handeln nun auf die Logik überträgt, bedeutet das, dass die Relation der Negation nicht aus der Position abzuleiten ist, sie jedoch immer nur die Negation einer Position sein kann und also die Affirmation voraussetzt. Aus einer Position lässt sich zwar deren Negation nicht ableiten. Eine Negation lässt sich aber nur im Hinblick auf eine ihr voraus liegende Position sinnvoll artikulieren.561 Die Negation bedarf immer eines Gesetzten, worauf sie sich bezieht, drückt logisch das aus, was als Handlung des Ich so ausgedrückt wird: »Erst durch Beziehung auf ein Setzen wird es [das Entgegensetzen] ein Gegensetzen«562. Die zweite Handlung steht damit in zweifacher Hinsicht unter der ersten oder der Identität: einerseits bedarf sie des Identischen, worauf sie sich bezieht, andererseits müssen Entgegengesetztes und Gesetztes im identischen Bewusstsein aufeinander bezogen werden, damit das Entgegengesetzte als Entgegengesetztes hervortritt. Ohne die erste Bedingung würde die Vorrangigkeit der Identität vor der Entgegensetzung gar nicht einleuchten, denn jedes der beiden Entgegengesetzten wäre das Entgegengesetzte des anderen. Widerspruch und Entgegensetzung lassen sich nur unter der Voraussetzung der Identität denken.563 558
Grundlage 1794; GA I,2, S. 266. Grundlage 1794; GA I,2, S. 266. 560 Grundlage 1794; GA I,2, S. 266. 561 Vgl. Schurr, Philosophie als System (1974), S. 28 f. 562 Grundlage 1794; GA I,2, S. 266. 563 So meint Lauth, dass Hegels philosophisches Grundprinzip »dem Setzen des Verstandes unterliegt« (Lauth, Transzendentale Entwicklungslinien (1989), S. 371): wäre dies keine reine Position, sondern seinerseits antinomisch verfasst, so würde seine Philosophie dem Skeptizismus verfallen. Allerdings kann man einwenden: »Es lassen sich Zweifel am Primat der Identität gegenüber dem Widerspruch anmelden, insofern Identität als Selbst559
Fichtes Begründung der Grundsätze des Denkens
249
Wird nun nicht mehr die Handlung selbst bzw. die Form, sondern das Produkt der Entgegensetzung, also das Relatum betrachtet, so zeigt sich beim ~A erneut seine formale Unbedingtheit und seine materiale Bedingtheit. Denn als Non-A ist es in seiner Entgegengesetztheit selbst nicht abhängig von dem A. Aber trotzdem konstituiert sich seine Bedeutung als ~A dennoch durch das A: es kann eben immer nur etwas Bestimmtes negieren und ist in dieser Negation von dem Bestimmten abhängig. Denn es ist dadurch bestimmt, etwas Bestimmtes nicht zu sein. Seine Form wird nur durch die Handlung des Entgegensetzens oder durch die Negation bestimmt: »es ist ein Gegentheil, weil es Produkt eines Gegensetzens ist«564. Seine Materie ist hingegen durch das A bestimmt: »es ist nicht, was A ist; und sein ganzes Wesen besteht darin, daß es nicht ist, was A ist.«565 Formal kann man über Non-A aussagen, dass es das Gegenteil von etwas ist, das A ist. Inhaltlich weiß ich aber erst dann, was non-A ist, wenn ich auch weiß, was A ist. Die Position behält gegenüber der Negation »ein logisches Plus«566, denn ~A bleibt auf das A bezogen, aber nicht umgekehrt. Die Negation kann sich nie auf die Negation selbst beziehen, sondern immer nur auf einen Gegenstand. Insofern müsste die doppelte Negation auch so ausgedrückt werden: A = ~(~A). Das Nicht-Ich beruht auf einem eigenständigen Setzungsakt, dem Entgegensetzen. Die Relation der Negation oder dieser Operator ist nach Fichte aber nur denkbar an einem davon verschiedenen Relatum. Eine selbstbezügliche oder autonomisierte Negation ist nach Fichte nicht denkbar. So »läßt sich das Nicht-Ich als Oppositum des Ich nur verstehen unter der Voraussetzung des Ich als dessen Negation und damit in Abhängigkeit von ihm.«567 So gelangt Fichte auch zum zweiten Satz der WL. Denn bisher ist nur ein Gehalt gegeben, nämlich das Ich. Die einzige Setzung, auf die die Handlung der Entgegensetzung sich beziehen kann, ist die der Setzung des Ich. Da nun
referenz ihrerseits nur exponibel ist auf der Basis von Differenz und Fremdbezug.« (Gloy, Die drei Grundsätze (1984), S. 306.) 564 Grundlage 1794; GA I,2, S. 266. 565 Grundlage 1794; GA I,2, S. 266. 566 Radermacher, Fichte und das Problem der Dialektik (1968), S. 500. 567 Gloy, Die drei Grundsätze (1984), S. 304. Nach Claesges enthält der Satz »~A nicht= A« zwei Bedeutungen von Negation: ~A kennzeichnet den Gehalt als Gegenteil von A und ist damit selbst Gehalt. Das »nicht« ist hingegen Resultat der Reflexion auf das Verhältnis der beiden Gehalte. Deshalb, so Claesges, besagt der Satz: »Wenn ~A gesetzt ist, ist A nicht gesetzt«. (Vgl. Claesges, Geschichte des Selbstbewusstseins (1974), S. 56.) Dann wäre aber der Gehalt unbedingt und die zweite Negation, das »nicht«, wäre abgeleitet aus beiden Gehalten. Hier wird aber auch die Konstitutionsbedingung des Gehalts von ~A über A und die Form des Entgegensetzens entwickelt.
250
Die transzendentale Logik
also bisher das Einzige, an dem eine Negation auftreten kann, das Ich ist, folgt: »So gewiß das unbedingte Zugestehen der absoluten Gewißheit des Satzes: –A nicht = A unter den Thatsachen des empirischen Bewustseyns vorkommt: so gewiß wird dem Ich schlechthin entgegengesezt ein Nicht-Ich.«568 Für die Bedeutung der Negation des Nicht-Ich heißt dies: »Von allem, was dem Ich zukommt, muß kraft der bloßen Gegensetzung dem Nicht-Ich das Gegentheil zukommen.«569
568
Grundlage 1794; GA I,2, S. 266. Grundlage 1794; GA I,2, S. 267. Es kann sich deshalb beim Nicht-Ich auch nicht um ein Objekt oder die Welt handeln, wie Kroner das nahe legt (399 ff.), da es sich hier noch nicht um eine bestimmte Negation handeln kann. Denn auch das Negierte – das Ich – ist noch nicht bestimmtes Ich, sondern schlechthin gesetztes Ich. (Vgl. dazu auch: Metz, Kategoriendeduktion (1991), S. 234.) 569
. Fichtes Zärtlichkeit für das Widerspruchsprinzip
Die Bedeutung des Widerspruchs im Werk Fichtes zieht sich von den Antinomien der Critik der Offenbarung (1793) bis in das Spätwerk hinein. In der frühen Jenaer WL – mit Höhepunkt in der Grundlage – ist das Auftreten des Widerspruchs konstitutiv für die Herleitung der Bestimmungen des gesamten Bewusstseins. Dieser kann nie vollständig aufgelöst, sondern nur unendlich verringert werden.570 Dies ist einer der Hauptgründe für die dialektische Deutung von Fichtes WL. Der Widerspruch erscheint in dieser Deutung als »die logische, grundlegende Struktur der GWL«571, die allein den kritischen Idealismus Fichtes und sein transzendentales Denken verstehbar macht. Aber auch in den späteren Schriften versucht Fichte, das Absolute zu erfassen, indem er das Denken auf notwendige Widersprüche führt. Damit tritt der Widerspruch nicht nur in einzelnen Sätzen von mehr oder weniger großer Bedeutung auf, sondern in den Grundlagen des Wissens und Denkens selbst: in den transzendentalen Setzungen des Ich und später in dem Absoluten, das das unbedingte Wissen begründet. Der Grund des Wissens und der Logik selbst wäre damit widersprüchlich.572 Aber Fichte ist doch andererseits von der Notwendigkeit der Aufhebung der Widersprüche überzeugt. Diese Notwendigkeit gründet für Fichte in der Einheit des Bewusstseins. Für Fichte ist der Widerspruch nicht nur ein Verstoß gegen logische Regeln, sondern etwas, das das Bewusstsein und damit die Grundlage des Wissens selbst aufheben würde. Denn die logischen Gesetze sind ja nur der formale Ausdruck der das Bewusstsein konstituierenden Handlungen.573 »Wahre Widersprü570
So spricht Fichte noch in den Eigenen Meditationen (1793/94) vom »Widerspruch in unsrer Natur selbst zwischen abhängig u. unabhängig« (GA II,3, S. 184). Dieser soll »nie gehoben; aber er soll unendlich klein gemacht werden« (184). 571 Guiseppe Duso, »Absolutheit und Widerspruch in der Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre«. In: Fichte-Studien 10 (1997), 285–298, S. 285. 572 Die Vernunft generiert nicht nur den Widerspruch, wie das in den kantischen Antinomien der Fall ist, sondern sie ist der Widerspruch selbst, so Metz. (Vgl. Metz, Kategoriendeduktion (1991), S. 235.) 573 Dass das Widerspruchsprinzip nur die »Herrschaft der formalen Logik« (Baumanns, Fichtes ursprüngliches System (1972), S. 90) repräsentiere, ist also als völliges Missverständnis zurückzuweisen. Bereits nach Loewe verwerfen sowohl Fichte als auch Hegel in ihrer Dialektik das formallogische Denken, »so daß für sie das Widersprechende keineswegs einander, oder ein Mittleres ausschliesst, sondern sich vielmehr in einem nothwendigen Dritten einschliesst, und dass gerade in diesem Stufe an Stufe sich wiederholenden
252
Die transzendentale Logik
che« kann es deshalb nicht geben. Im Folgenden wird deshalb Zweierlei gezeigt werden: zunächst, dass für Fichte der Widerspruch in jedem Fall aufgehoben werden muss und er nur für die Reflexion des Philosophen gesetzt sein darf. Dies richtet sich gegen bestimmte dialektische Interpretationen, die bei Fichte von der »Erfahrung des daseienden Widerspruchs«574 sprechen. In einem zweiten Schritt soll Fichtes Differenzierung logischer Unterschiede, allen voran der unterschiedlichen Gegensatztypen und Aussageweisen von Sein rekonstruiert werden.
3.1. Der Widerspruch als methodisches Prinzip Ausgehend vom Spätwerk zeigt sich, dass der Widerspruch nur ein darstellerisches Instrument ist und es ihn nicht »wirklich gibt«. Widersprüche sollen zum Teil bewusst generiert werden, weil sie zu einer Modifikation althergebrachter Theorien anreizen. In analoger Weise dient der Widerspruch auch in der Grundlage als modifizierendes Moment, allerdings zur notwendigen Deduktion der Kategorien, der Einbildungskraft und des Sollens: weil die Notwendigkeit der ersten beiden Grundsätze erkannt ist, muss auch alles das als notwendig angenommen werden, was zu ihrer Möglichkeit vorausgesetzt ist. In seinen späteren Schriften macht Fichte die pädagogisch-propädeutische Funktion von Widersprüchen deutlich. Der Widerspruch hat dabei kein Fundament in der Wirklichkeit. Widersprüche werden bewusst generiert, weil
Auseinandertreten und sich Einigen des Entgegengesetzten die Triebkraft der spekulativen Entwickelung liegt« (Johann Heinrich Loewe, Die Philosophie Fichtes nach dem Gesammtergebnis ihrer Entwickelung und in ihrem Verhältnisse zu Kant und Spinoza, Stuttgart 1862, S. 238). 574 Janke, Historische Dialektik (1977), S. 116. Fichte versucht nach Janke, den Widerspruch nicht wie Kant in bloßen Schein aufzulösen, sondern »ihn ins Leben des Ich zu integrieren.« (117) Die Einheit des Ich mit sich selbst ist nach Janke ja nur gesollt. So ist umgekehrt für ihn der Widerspruch zwar nicht gesollt, aber doch wirklich. Wenn der Widerspruch zur Wirklichkeit des Lebens gehört, so muss sich nach Janke die Logik nach ihr richten, denn die Wahrheit des Lebens sei der der Logik vorgängig. (Vgl. S. 127.) Für Daniel Breazeale besteht die dialektisch-synthetische Methode darin, dass ein Widerspruch explizit gemacht und ein höheres Prinzip aufgesucht wird, das den Widerspruch aufzuheben erlaubt. (Vgl. »Die synthetische(n) Methode(n) des Philosophierens. Kantische Fragen, Fichtesche Antworten«. In: Jürgen Stolzenberg (Hrsg.), Kant und der Frühidealismus, Hamburg 2007, S. 95.)
Fichtes Zärtlichkeit für das Widerspruchsprinzip
253
diese zur Auflösung reizen.575 Die Kunst der Philosophie bestehe darin, diese Widersprüche mittels Deduktion zu lösen. Dazu muss die Gültigkeit des Widerspruchssatzes aber vorausgesetzt sein. Der Widerspruch wird nur eingesetzt, um bestimmte Theorien zu modifizieren: »Daß an der Nothwendigkeit der Einheit, u. an der Gültigkeit des Satzes des Widerspruchs kein Zweifel sey, u. daß dieser mit seiner Kraft wirke, wird voraus gesezt. Außerdem könnte man garnicht anknüpfen, u. den Menschen zu einiger Wahrheit bringen. Es entstünde ein bodenloser Skepticismus. Daß der Mensch neu geschaffen werden solle, kann gesagt werden. – –. Die Kunst daher ist die, sie in den Widerspruch hineinzuführen; sie zweifeln zu lehren.«576 Zweifeln sollen die Hörer, denn das Ziel Fichtes bei seinen Schülern ist, »die blinde Stokgläubigkeit an das Empirische aufzuheben«577 und sie zu kritischen und idealen Ansichten zu erziehen. Dies geht nur, wenn man ihre empiristische Ansicht auf Widersprüche führt. Der Glaube an die Einheit des Bewusstseins und damit die logische Widerspruchsfreiheit müsse dazu stärker sein als der an die Sinnenwelt.578 Fichte kann man also durchaus eine Zärtlichkeit für den Satz des Widerspruchs nachsagen, aber nicht wegen einer Zärtlichkeit für die gemeine Logik oder die empirische Welt, sondern weil er Folge der Einheit des Bewusstseins ist. Ihn aufzuheben würde bedeuten, die Einheit des Bewusstseins und damit das Bewusstsein selbst aufzuheben. Eine ähnliche Stellung nimmt der Widerspruch bereits in Bestimmung des Menschen ein. Die Meinung des Materialisten oder Empiristen, die im ersten Abschnitt der Bestimmung strenge bewiesen wird, versetzt den Menschen in Widerspruch mit sich selbst, insofern sie ihn nur noch als Naturding fasst, »eine durch das Universum bestimmte Aeußerung einer durch sich selbst bestimmten Naturkraft.«579 Dies widerspricht aber »meinen tiefsten innersten Ahndungen, Wünschen, Foderungen«580, insofern ich mich als freies Ich verstehe. Der
575
»Der Anfang ist das führen auf Widersprüche, die sich außerdem garnicht ergeben haben würden. – Daß dies nun die Thätigkeit reize, man nicht es gut seyn laße, dazu gehört nun treibende, u. stachelnde Wahrheitsliebe.« (Versuch, ob sich für die Vorbereitung… (1809); GA II,11, S. 278.) 576 Versuch, ob sich für die Vorbereitung… (1809); GA II,11, S. 278. 577 Anleitung zum Philosophiren (1809); GA II,11, S. 261. 578 Unterscheidung des Gefühls von der Erkenntnis (1809); GA II,11, S. 267 f. 579 Bestimmung des Menschen (1800); GA I,6, S. 207. 580 Bestimmung des Menschen (1800); GA I,6, S. 207.
254
Die transzendentale Logik
Mensch wird dadurch »ein widersprechendes Wesen«581. Sich in dieser Weise als widersprechend zu denken, ist dem Menschen aber unmöglich.582 Von der Methode des Sophisten, der durch »bloße Psychologie und unwahre Dialektik«583 mit seiner »Dialektik des Aus- und Erdenkens«584 und durch Scharfsinn die Meinungen in einen grundlosen Widerspruch treibt, unterscheidet sich die Methode Fichtes vor allem durch ihre Endabsicht. Denn der Sophist bleibt beim Widerspruch stehen, wohingegen der Philosoph den Widerspruch unter allen Umständen aufzuheben versucht, auch wenn dies mit dem Verlust von noch so gewissen Überzeugungen einhergeht. Dann ist aber zunächst gar nicht einzusehen, warum in anderen Fragen das Auftreten des Widerspruchs legitim und nicht aufzuheben sein soll. So hat Kant nach Fichte das Problem der Antinomie zwar gut gestellt, aber schlecht gelöst, denn in und für die Vernunft könne niemals ein unauflöslicher Widerspruch walten. Jeder Widerspruch muss »endlich in eine widerspruchsfreie Position aufgehoben werden können.«585 In analoger Weise wird auch die Entwicklung der WL in der Grundlage durch den Widerspruch motiviert. Die Genese der WL ist dabei aber keine Erzählung von tatsächlichen Begebenheiten.586 Die Handlungen des menschlichen Geistes, die in systematischer Form als abhängig voneinander abgeleitet werden, müssen nicht »wirklich der Zeitfolge nach in jener systematischen Form […] in unserem Geiste vorkommen«587. Die Unterscheidung und Entwicklung der Handlungen nimmt der Philosoph in seiner Theorie über diese Handlungen vor. Die Handlungen des Geistes, die nacheinander in der Grundlage thematisiert werden, sind tatsächlich zeitlich gar nicht voneinander verschieden: die Handlungen kommen nicht eine ohne die andere vor, sondern »mit einem Schlage bin ich, und ist die Welt für mich«588. Aber im System muss das, was nur eines ist, als eine Reihe von Handlungen betrachtet werden. Denn wir können immer nur bestimmte Teile auffassen. Der Widerspruch tritt in der Grundlage gerade deshalb auf, weil die ihn auflösenden Handlungen noch nicht aufgefunden sind. 581
Bestimmung des Menschen (1800); GA I,6, S. 208. Das scheint mir auch ein Argument gegen die ethisch-anthropologische Deutung zu sein, die die Widersprüchlichkeit im Bewusstsein des Menschen affirmieren möchte. 583 Janke, Limitative Dialektik (1990), S. 10. 584 Unterschied zwischen Logik und Philosophie (1812); GA II,14, S. 251. 585 Lauth, Transzendentale Entwicklungslinien (1989), S. 222 f. 586 Vgl. Erkenntnisproblem III (1920); Hamb. Ausg. 4, S. 158. 587 Begriff 1798; GA I,2, S. 141. 588 WL Nova Methodo Zweite Einleitung 98/99; GA IV,3, S. 340. 582
Fichtes Zärtlichkeit für das Widerspruchsprinzip
255
Dialektische Interpretationen – zumindest wenn sie von der Wahrheit von Widersprüchen ausgehen – verlagern dieses darstellerische Mittel der Setzung und Auflösung von Widersprüchen irrtümlich in das Bewusstsein selbst hinein, als wäre es selbst wirklich widersprüchlich.589 Hier wird jedoch die Tätigkeit des Bewusstseins mit der des Philosophen verwechselt. Eine Antinomie ist nach Fichte nämlich ein Produkt des freien Räsonnements und gerade nicht der notwendigen Handlungen des Geistes.590 Die dargestellten Entwicklungsstufen sind »künstlich hervorgebrachte Fakta«591. Fichtes Philosophie ist also keine konsistente Philosophie über Widersprüchliches – nämlich das Bewusstsein –, vielmehr ist der Widerspruch methodisch eingesetzt: zum Zwecke einer Kategorien- und Begriffsdeduktion. Sind die ersten beiden Grundsätze als notwendig zugestanden, so müssen alle Begriffe zugestanden werden, die zur Auflösung eines zwischen ihnen auftretenden Widerspruchs notwendig sind. Denn der Satz des Widerspruchs ist selbst mit dem zweiten Grundsatz als unbedingt gültig zugestanden. Er bestimmt aber nur dann etwas, wenn andere Sätze einen Widerspruch hervorgerufen haben: »erst andere Sätze müssen uns das widersprechende herbeyführen«592. Der Umgang mit dem Widerspruch ist bei Fichte methodisch kontrolliert. Ein bloß schlussfolgerndes Verfahren wäre mit einem Widerspruch am Ende und müsste durch einen neuen Gedankengang ersetzt werden. Die Auflösung der Widersprüche geschieht in der transzendentalen Philosophie hingegen dadurch, dass
589
Nach Wundt etwa meint der Widerspruch nicht eine zu klärende Undeutlichkeit bei Fichte, vielmehr sei er »etwa Letztes und Unbedingtes« (Wundt, Fichte-Forschungen (1929), S. 63). Er solle durchschaut und nicht beseitigt werden. Dialektik werde zur positiven Aufgabe. Der Widerspruch sei »positiv und schöpferisch« (63). Die WL brauchte bereits nach Nicolai Hartmann Widersprüche nicht zu scheuen, sie könne das Widersprechende in der Vernunft enthalten sein lassen, weil sie in der Dialektik das Mittel besitzt, die Einheit in einer höheren Synthese wiederzugewinnen. Für Hartmann wird bei Fichte ohnehin alles fließend, alles Erbrachte wird problematisch und widersprechend, es gibt keine festen begrifflichen Resultate. (Vgl. Hartmann, Die Philosophie des Deutschen Idealismus (1960), S. 54.) Laut Richard Kroner beherrscht »das Prinzip der spekulativen Logik« (Kroner, Von Kant bis Hegel (1961), S. 394) die Einheit der Gegensätze und die Gegensätzlichkeit der Einheit in der Forderung (Idee) der absoluten Synthesis zwar Fichtes System, gelangt aber nicht zur Realität. Fichte schwanke und schwebe zwischen der analytischen Logik Kants und der spekulativen Logik Schellings und Hegels, »der spekulative Ethiker siegt über den spekulativen Logiker« (396). 590 Vgl. Vorlesungen über Platners Aphorismen (1796 f.); GA II,4, S. 223 ff. 591 Grundlage 1794; GA I,2, S. 363. So unterscheidet Lauth zurecht die Dialektik Fichtes von anderen Formen (bei ihm Schellings und Hegels), in der die Setzung und Aufhebung des Widerspruchs »zum universellen Prinzip der Vernunft« (Lauth, Transzendentale Entwicklungslinien (1989), S. 212) werde, vielmehr stünde sie dazu in Gegensatz. 592 Vorlesung über Logik und Metaphysik (SS 1797); GA IV,1, S. 359.
256
Die transzendentale Logik
eigentlich gar kein Widerspruch vorliegt, sondern die Gegensätze schon vereinigt sind in einem Dritten, das nur gefunden werden muss.593 Der »Vereinigungspunkt«594, durch den Gegensätze vereinigt werden sollen, muss »schon in unserm Bewußtseyn vorhanden seyn, und wir haben durch Reflexion ihn nur zu suchen.«595
3.2. Der Widerspruch und seine Auflösung in der Grundlage der WL 3.2.1. Die Antinomien der Grundsätze Ich wie Nicht-Ich müssen beide im Ich gesetzt sein: das Nicht-Ich, weil es als Entgegengesetztes die Identität des Ich voraussetzt. Die Identität des Bewusstseins ist die Bedingung der Möglichkeit für das Entgegensetzen, deshalb darf das Gegensetzen die Identität nicht bedrohen. Das Ich muss im identischen Ich gesetzt sein, weil seine Setzung Voraussetzung dafür ist, dass das NichtIch überhaupt als Entgegengesetztes gesetzt sein kann. Das Ich ist also durch den zweiten Grundsatz im Ich gesetzt und zugleich nicht gesetzt. Das Setzen des Nicht-Ich impliziert einen Widerspruch im Ich der Art, dass im Ich das Ich und das Nicht-Ich gleichzeitig gesetzt sein müssen, wo sie sich doch nach dem zweiten Grundsatz gegenseitig ausschließen: »Setzen, was das schon gesezte aufhebt, heißt, sich widersprechen.«596 Dieser Widerspruch ist eine Folgerung aus dem zweiten Grundsatz. »Also ist der zweite Grundsaz sich selbst entgegengesezt, und hebt sich selbst auf.«597 Daraus ergibt sich eine zweite Antinomie. Denn nur inwiefern der zweite Grundsatz Gültigkeit besitzt, heben Ich und Nicht-Ich sich gegenseitig auf. 593
Vgl. Unterschied zwischen Logik und Philosophie (1812); GA II,14, S. 248. Grundlage 1794; GA I,2, S. 288. 595 Grundlage 1794; GA I,2, S. 288. Nach Drechsler lehrt Fichte ein Zugleich der Entgegengesetzten. (Vgl. Drechsler, Fichtes Lehre vom Bild (1955), S. 45 f.) Aber dieses Zugleich der Entgegengesetzten ist nur für die Reflexion trennbar von der Aufhebung der Entgegensetzung in Verschiedenheit durch die Teilung der Entegegengesetzten: »Also geht sie unmittelbar in und mit ihr vor; beide sind Eins, und eben Daßselbe, und werden nur in der Reflexion unterschieden.« (Grundlage 1794; GA I,2, S. 270.) Nach Schurr sind deshalb nicht einmal mehr die Handlungen, die in den Grundsätzen ausgedrückt werden, real voneinander geschieden: »Setzen, Gegensetzen und das Gesetztsein der Beschränkbarkeit beider sind daher nicht realdistinkte Akte, sondern nur reflektiv unterscheidbare Aspekte eines einzigen, für die Konstitution von Bewußtsein vorauszusetzenden Aktes« (Schurr, Philosophie als System (1974), S. 33). 596 Vorlesungen über Platners Aphorismen I; GA II,4, S. 290. 597 Grundlage 1794; GA I,2, S. 268. 594
Fichtes Zärtlichkeit für das Widerspruchsprinzip
257
Der zweite Grundsatz hebt sich also selbst auf und hebt sich nicht auf. Da dieser Grundsatz nun aber im Ich gleichzeitig gesetzt und nicht gesetzt sein soll, so hebt sich auch der erste Grundsatz auf. Denn dieser sagt, dass alles im Ich gesetzt sein soll, was in ihm gesetzt ist. Man kann diesen Sachverhalt auch so formulieren: die Identität des Bewusstseins wird aufgehoben, wenn der zweite Grundsatz einerseits unbedingte Gültigkeit hat und andererseits ungültig sein soll. »Mithin ist Ich nicht = Ich, sondern Ich = Nicht-Ich und Nicht-Ich = Ich.«598 Transzendental betrachtet hat jeder Widerspruch eben diese Form: Ich = Nicht-Ich. Denn wenn etwas im Ich Gesetztes gleichzeitig nicht in ihm gesetzt ist, dann geht das Ich als Rückgang in sich selbst nicht in sich zurück als das etwas in sich gesetzt habend (Ig), sondern als es nicht gesetzt habend (I~g). Damit würde es in sein Gegenteil zurückgehen. Der Widerspruch lässt sich auch als der zwischen Endlichkeit und Unendlichkeit des Ich formulieren:599 er besteht dann darin, dass im ersten Grundsatz ein absolutes Ich gesetzt und damit kein Platz für ein Nicht-Ich ist. Das In-sich-Zurücklaufen des Ich, das der erste Grundsatz ausdrückt, ist unendlich. Die Endlichkeit ist aber selbst wiederum durch das Ich gesetzt, weswegen das Ich eine endliche Unendlichkeit ist.600 Da der Widerspruch letztlich aus dem ersten Grundsatz folgt, kann man nicht nur von einem scheinbaren Widerspruch sprechen, sondern von einem tatsächlich auftretenden Widerspruch – aber nur in der systematischen Darstellung des Wissens. Ihn deswegen schon als »wahren Widerspruch« zu bezeichnen, wäre unrichtig. Denn bei einem Widerspruch stehen zu bleiben, ist nach Fichte ja ein Zeichen mangelnder Wahrheitsliebe. Der Widerspruch muss aufgehoben werden. Dass Widersprüche auftreten und aufgefasst werden müssen, dieser Überzeugung ist Fichte dann auch noch in seinen späteren Schriften und wirft der Logik vor, sich vor denselben zu scheuen: »Zu allem anderen leichter, als zu diesem, können sich die logisch gewöhnten Denker erheben. Sie hüten sich vor dem Widerspruche. Wie ist denn aber nur der Satz ihrer Logik selbst, daß man keinen Widerspruch denken
598
Grundlage 1794; GA I,2, S. 269. »Man kann die Sache [den Widerspruch zwischen Ich und Nicht-Ich; S. Sch.] noch von einer andern Seite ansehen. – Insofern das Ich durch das Nicht-Ich eingeschränkt wird, ist es endlich, an sich aber, so wie es durch seine eigne absolute Thätigkeit gesezt wird, ist es unendlich. Dieses beide in ihm, die Unendlichkeit, und die Endlichkeit, sollen vereinigt werden.« (Grundlage 1794; GA I,2, S. 301.) 600 Die Grundlage ist nun nach Metz wesentlich die Auflösung dieses Widerspruchs. (Vgl. Metz, Kategoriendeduktion (1991), S. 230.) 599
258
Die transzendentale Logik
könne, möglich. Da müssen sie den Widerspruch doch auf irgend eine Weise angefaßt haben, da sie ja seiner Meldung thun«601. Insofern kann man bei Fichte mit gewissem Recht von einem »Satz des aufzuhebenden Widerspruchs« sprechen.602 Widersprüche treten aber nur für die Reflexion auf, die die im wirklichen Bewusstsein nicht getrennten Akte des Ich trennt und auseinander zu entwickeln versucht. Auf der Ebene des untersuchten Bewusstseins tritt kein Widerspruch auf, sondern nur für das untersuchende Bewusstsein, das noch nicht alle Akte des Ich und seine Begriffe entwickelt hat. In der Genese der Handlungen des Ich werden die Bedingungen entwickelt, unter denen der Widerspruch aufgehoben werden kann.
3.2.2. Die Auflösung des Widerspruchs Es ist ein häufig vorgetragener Einwand gegen Fichte, er unterscheide nicht ausreichend zwischen den unterschiedlichen Gegensatztypen und sähe deshalb Widersprüche, wo keine vorlägen. Dabei wirft man ihm vor allem die Verwechslung von »Verschiedenheit, Gegensatz, Nichtäquivalenz und Widerspruch«603 vor. Das beruht aber auf einer Verkennung der Intention der Grundlage: die WL verwirft die formale Logik nicht, sondern versucht, sie zu begründen. Deshalb kann die WL die verschiedenen Gegensatztypen nicht einfach voraussetzen, sondern muss sie erst herleiten. Dabei wird der kon-
601
Darstellung der WL 1801/2; GA II,6, S. 184 f. Das tut etwa Wagner, Persönlichkeit Gottes (1971), Anm. S. 66 f.: »Streng genommen kann man bei Fichte nicht von einem Satz des zu vermeidenden Widerspruchs, sondern nur von einem Satz des aufzuhebenden Widerspruchs sprechen. Denn Fichte fragt jeweils, unter welcher Bedingung ein Widerspruch nicht vermieden, sondern […] aufgehoben werden kann. Fichte unterscheidet sich aber von Hegel dadurch, daß er die jeweiligen Widersprüche, die als solche notwendig sind, nicht immanent austrägt, sondern sie durch einen von außen in den Gang der Erörterung eingeführten Begriff aufzuheben sucht«. 603 Franz von Kutschera, Die Wege des Idealismus, Paderborn 2006, S. 119. »Alle drei Idealisten zeichnen sich durch einen Mangel an begrifflichem und logischem Unterscheidungsvermögen aus« (115), aber Fichte fehle es »auch im Vergleich mit seinen Zeitgenossen, in verblüffendem Maße an logischem Unterscheidungsvermögen« (119). Auch nach Hammacher vermengt Fichte mit Ich und Nicht-Ich kontradiktorischen und konträren Gegensatz. »Dieser Mangel an logischer Unterscheidung« (Hammacher, Dialektik bei Fichte (1988), S. 470) führt nach Hammacher aber nicht zu methodischen Fehlern, weil Fichte eine andere transzendentallogische Unterscheidung entwickle: nämlich die Unterscheidung von Negation als Entgegensetzung und Negation als offene Ausschließung im thetischen Urteil (Unbestimmtheit). (Vgl. Fichtes transzendentale Dialektik (1996), S. 50.) 602
Fichtes Zärtlichkeit für das Widerspruchsprinzip
259
träre Gegensatz erst aus dem kontradiktorischen Gegensatz, der ursprünglichen Entgegensetzung, entwickelt. Der theoretische Teil der WL entwickelt die Bestimmungen systematisch, unter denen der Satz »Das Ich setzt sich als bestimmt durch das Nicht-Ich.«, der die Grundlage der theoretischen Philosophie bildet, »denkbar«604 ist. Der erste und der zweite Grundsatz begründen jeweils eine Kategorie: der erste die der Realität, der zweite die der Negation oder des Nichtseins. Hier liegt kein Widerspruch zwischen zwei Tatsachen oder ein logischer Widerspruch zwischen zwei Aussagen vor, sondern bei den Entgegengesetzten handelt es sich um die Realität als Ganze und die Verneinung der Realität.605 Das Ich ist Ursprung aller Realität: »Erst durch und mit dem Ich ist der Begriff der Realität gegeben.«606 Die Realität des Ich ist die Tätigkeit der Selbstsetzung. Realität wird in der Grundlage ja als reine Tätigkeit verstanden.607 Dass das Ich ist und was es ist, ist durch das Ich selbst gesetzt. Das Ich begründet die Qualitätskategorie der Realität – nicht der Modalität der Wirklichkeit, in die sich der Realitätsbegriff erst differenziert. Eine andere Art der Positivität, des Gegebenseins anzunehmen, als die Positivität für das Ich, ist widersprüchlich. So kritisierte Fichte ja die Idee eines Dinges an sich, sie sei »ein Widerspruch, ein völliger reiner Widerspruch. Das Postulat des Dings an sich kann man also nennen das Postulat der reinen Unvernunft.«608 Denn dieses wäre im Ich gesetzt als nicht im Ich gesetzt. Das Identitätsprinzip lehrt aber, dass alles, was im Ich gesetzt ist, im Ich gesetzt ist. Insofern kann Fichte behaupten: »Alles, worauf der Saz A = A anwendbar ist, hat, inwiefern derselbe darauf anwendbar ist, Realität«609. Es gibt hier noch gar keinen differenzierten Sinn von Realität oder Sein als das pure Gegebensein von etwas für das Ich: die reine Position. Das Nicht-Ich ist hingegen als bloße Negation des Ich bestimmt: »Von allem, was dem Ich zukommt, muß kraft der bloßen Gegensetzung dem Nicht-Ich das Gegentheil zukommen.«610 Das meint zunächst noch keine bestimmte Negation, sondern Negation über604
Grundlage 1794; GA I,2, S. 362. Vgl. Seebohm, Fichte’s Discovery of Dialectical Method (1994), S. 29. 606 Grundlage 1794; GA I,2, S. 293. 607 »Also – alle Realität ist thätig; und alles thätige ist Realität. Thätigkeit ist positive (im Gegensatz gegen bloß relative) Realität.« (Grundlage 1794; GA I,2, S. 293.) 608 Vorlesung über Logik und Metaphysik (SS 1797); GA IV,1, S. 188. Man könnte hier – dies wird ein leitender Gedanke der Spätphilosophie Fichtes bezüglich des Begriffs des Absoluten sein – von dem Widerspruch zwischen Form und Inhalt des Begriffes des Dinges an sich sprechen. 609 Grundlage 1794; GA I,2, S. 261. So formuliert Fichte den SdI auch so: »Jedes Ding ist, was es ist; es hat diejenigen Realitäten, welche gesezt sind, so wie dasselbe gesezt ist: A = A« (318). 610 Grundlage 1794; GA I,2, S. 267. 605
260
Die transzendentale Logik
haupt. Bisher hat Fichte also bloß die Begriffe der Realität und der Negation – des Ich und des Nicht-Ich –, die sich kontradiktorisch entgegenstehen. Er kann also Verschiedenheit und Widerspruch, kontradiktorischen und konträren Gegensatz noch gar nicht verwechseln. Anders als die Logiker versucht Fichte vielmehr, den Begriff der Verschiedenheit nicht von vornherein vorauszusetzen, sondern aus dem Verhältnis von Realität und Negation zu entwickeln. An Kant hatte Fichte kritisiert, die Gesetze des Handelns des menschlichen Geistes nicht systematisch aufgestellt, »sondern bloß aus der Erfahrung aufgegriffen«611 zu haben. Deshalb könne man nicht sicher sein, ob sie erschöpft seien und inwiefern sie gültig seien. Dagegen setzt Fichte seine Kategoriendeduktion. In der WL sollen alle Gesetze des Denkens von endlichen Vernunftwesen streng wissenschaftlich abgeleitet werden.612 Das heißt, die Kategorien dürfen nicht wie noch bei Kant der logischen Urteilstafel entnommen werden. Die WL stellt vielmehr alle notwendigen Bedingungen auf, damit das Ich sich selbst setzen und sich ein Nicht-Ich entgegensetzen kann: »Diese Bedingungen sind ursprüngliche Handelsweisen des menschlichen Geistes; was dazu gehört, daß das Ich sich selbst setzen, und sich ein Nichtich entgegensetzen könne, ist nothwendig.«613 Zunächst einmal muss dazu aber der Begriff der Verschiedenheit entwickelt werden, um überhaupt den Realitätsbegriff differenzieren zu können und um anschließend kategoriale, zeitliche und räumliche Hinsichten der Verschiedenheit annehmen zu können.614 Um überhaupt zärtlich zum Satz des Widerspruchs sein zu können, bedarf es der Möglichkeit der Hinsichtnahme. Diese ist aber durch den ersten und den zweiten Grundsatz noch nicht möglich, weil der Begriff der Verschiedenheit noch nicht entwickelt ist. Wie im Sophistes soll »Nichtsein« nicht mehr nur als schlechthinniges Nichtsein, sondern nun auch als Anderssein verstanden werden können. Dazu bedarf es zunächst neben der unbedingten einer bestimmten Negation: der Begrenzung als der dritten Kategorie der Qualität. Ohne bestimmte Negation schließen sich Gegensätze schlechthin aus und damit kann es nur kontradiktorische Gegensätze geben. Denn Fichte knüpfte ja auch die Reflexionsbegriffe der 611
WL Nova Methodo 98/99 Erste Einleitung; GA IV,3, S. 325. Vgl. WL Nova Methodo 98/99 Erste Einleitung; GA IV,3, S. 326. 613 WL Nova Methodo 98/99 Erste Einleitung; GA IV,3, S. 327. 614 So hat Fichte ja bereits in den Eigenen Meditationen 93/94 ausführliche Überlegungen zur Entwicklung des Begriffs der Verschiedenheit angestellt. Allerdings, so Lauth, versucht Fichte dort eine spekulative Vermittlung von Ich und Nicht-Ich. Von dieser habe er sich später bewusst entfernt, so dass die Grundlage sie absichtlich nicht spekulativ vermittelt. (Vgl. Lauth, Transzendentale Entwicklungslinien (1989), S. 368.) 612
Fichtes Zärtlichkeit für das Widerspruchsprinzip
261
Identität und der Entgegensetzung an die Kategorien: so wurde aus der Identität die Realität und aus der Entgegensetzung die Negation entwickelt. Nun lässt sich umgekehrt aus der Kategorie der Limitation die Differenz entwickeln: und Verschiedenheit bedarf des konträren Gegensatzes. Bestimmung setzt bestimmte Negation voraus und die Bestimmung ist Bedingung der Möglichkeit zur Auflösung von Widersprüchen: »Alle Widersprüche werden vereinigt durch nähere Bestimmung der widersprechenden Sätze«615. So geschieht die Aufhebung des Widerspruchs zwischen der Endlichkeit und der Unendlichkeit des Ich (zwischen seiner Bestimmtheit und seiner Unbestimmtheit) ebenfalls durch Hinsichtnahme. Das Ich muss »[i]n einem andern Sinne«616 als endlich und unendlich gesetzt sein. Die Modifikation der Negation kann nur durch einen Akt des Ich gesetzt werden. In dieser Handlung muss ein Begriff gegeben werden, durch den der Widerspruch zwischen Ich und Nicht-Ich aufgehoben werden kann.617 Durch dieses Produkt der Handlung müssen Ich und Nicht-Ich vereinigt werden, ohne sich aufzuheben. Es muss also ein Begriff sein, der Identität und Entgegensetzung vereinigt: »wie lassen A und – A. Seyn, und Nicht-Seyn, Realität, und Negation sich zusammen denken, ohne daß sie sich vernichten, und aufheben?«618 Fichte findet diese Handlung in der Einschränkung der Entgegengesetzten durch einander – dies entspricht der dritten Kategorie der Qualität: der Limitation. Identität und Entgegensetzung können erst durch die limitierende Negation im Begriff der Verschiedenheit vereinigt werden: »V er sc hi ede n heißt nicht entgegengesezt, aber auch nicht identisch, mithin identisch, insofern es nicht entgegengesezt ist, u. entgegengesezt, insofern es nicht identisch ist. Denn wir haben ursprünglich nichts, als diese beiden Begriffe, u. diese können wir nur durch Negation und Affirmation variieren.«619
615
Grundlage 1794; GA I,2, S. 392. Grundlage 1794; GA I,2, S. 392. 617 Diese vermittelnde Handlung wird wiederum in einem Satz ausgedrückt: »Die beyden ersten Sätze der Wissenschaftslehre stellen den logischen Satz der Identität, und des Widerspruchs, an etwas Reellem auf, nämlich – an Ich und Nichtich. Beyde widersprechen sich selbst. (welches sie nicht dürfen, da der Satz des Widerspruchs schon als gültig erwiesen ist,) wenn man nicht den dritten annimmt« (Züricher Vorlesungen (1794); GA IV,3, S. 31). Zur dritten Vernunfthandlung vgl. etwa Metz, Kategoriendeduktion (1991), S. 237– 242. 618 Grundlage 1794; GA I,2, S. 269. 619 Eigene Meditationen (1793/94); GA II,3, S. 33. 616
262
Die transzendentale Logik
Erst durch die Handlung der Einschränkung und der durch sie konstituierten Kategorie der Begrenzung ist die Möglichkeit der »Theilbarkeit (der Quantitätsfähigkeit überhaupt […])«620 gegeben. Das heißt dann auf der Ebene des Ich, dass Ich und Nicht-Ich sich nicht mehr schlechthin ausschließen müssen, sondern nur in gewisser Hinsicht. Das Ich ist damit »als einschränkbare einer Quantität fähige Realität«621 gesetzt. Negation bedeutet jetzt nicht mehr nur schlechthinnige Aufhebung des Gegensatzes, sondern teilweise Einschränkung. Ich und Nicht-Ich werden als teilbar gesetzt. Somit haben wir auf unterschiedlichen Ebenen je einen neuen Begriff gewonnen: auf der Ebene der Reflexionsbegriffe wurden Identität und Entgegensetzung zur Verschiedenheit vereinigt, auf der kategorialen der Qualität Realität und Negation zur Einschränkung (Limitation) und als transzendentale Handlung die Setzung von Ich und Nicht-Ich als teilbar – und damit ein beschränktes Ich. Durch die Einschränkung der Allheit des Ich, durch Limitation, wird die Qualität zudem zur Quantität bestimmt.622 Mit der Unterscheidung in sich setzt das Ich die Quantität: eben die Quantitätsfähigkeit selbst. Der dritte Grundsatz der WL lautet dem entsprechend: »Ich setze im Ich dem theilbaren Ich ein theilbares Nicht-Ich entgegen.«623 Durch den Begriff der Teilbarkeit ist ein Begriff gegeben, »vermittelst dessen alle jene Folgerungen richtig seyn können, ohne daß die Identität des Bewußtseyns aufgehoben werde«624. Der dritte Grundsatz vermittelt durch Einschränkung zwischen dem ersten und dem zweiten Grundsatz.625 Legt der erste Grundsatz die Bestimmung von 620
Grundlage 1794; GA I,2, S. 270. Grundlage 1794; GA I,2, S. 286. Schon nach den Eigenen Meditationen (1793/94) wird man durch den SdW genötigt, die Quantität zu denken. (Vgl. II,3, S. 89.) 622 Vgl. Metz, Kategoriendeduktion (1991), S. 249. 623 Grundlage 1794; GA I,2, S. 271 f. 624 Grundlage 1794; GA I,2, S. 269. 625 Hierauf beruht Jankes Deutung der Grundlage als »System limitativer Dialektik« (Janke, Historische Dialektik (1977), S. 115). Radermacher betont, dass nach Fichte durch die »endgültig[e] Statuierung von Widersprüchen die Identität des Bewußtseins, schließlich die Einheit des Wissens negiert wäre.« (34) Fichte setze dagegen ganz bewusst eine »Theorie von auftauchenden Widersprüchen« (34), die sich aber letztlich als aufhebbar erweisen würden. Widersprüche könnten überhaupt nur formuliert werden im Hinblick auf einen widerspruchsfreien Bezugspunkt. Die Theorie über den Widerspruch würde sonst selbst widersprüchlich. Um einen Widerspruch überhaupt als Widerspruch qualifizieren zu können, muss die Dialektik in ihrer Affirmation von Widersprüchen den Identitätssatz immer schon in Anspruch nehmen. »Das Resultat dieser Betrachtungen kann daher nur lauten, daß die Unwandelbarkeit von A = A mit Recht einen logischen Primat erhält.« (87) Die Dialektik behaupte dagegen: A = A sei A = A, wenn A = ~A sei. A muss aber, so Radermacher, auch in A = ~A dennoch A sein, sonst ginge die ganze Widersprüchlichkeit der Formel verloren. 621
Fichtes Zärtlichkeit für das Widerspruchsprinzip
263
Setzung und der zweite Grundsatz die Bedeutung von Entgegensetzung fest, so führt der dritte Grundsatz ein, in welcher Hinsicht eine Sache gesetzt und entgegengesetzt ist. Im dritten Grundsatz wird der Begriff der Teilbarkeit eingeführt. Dieser Satz löst den Widerspruch zwischen Ich und Nicht-Ich. Wie in den beiden anderen Grundsätzen ergibt sich der logische Grundsatz durch die Abstraktion vom Gehalt, dem Ich und dem Nicht-Ich.626 Durch Abstraktion vom Gehalt wird dann der dritte logische Grundsatz gewonnen, den Fichte als Satz vom Grunde bezeichnet: A ist zum Teil dem Non-A gleich und umgekehrt.627 Diese Formalisierung scheint zunächst weder als eine adäquate Wiedergabe des Satzes vom Grunde noch überhaupt als adäquate Formel bezeichnet werden zu können. Der Satz vom Grunde bedeutet bei Fichte nicht mehr, dass alles einen zureichenden Grund bzw. eine Ursache hat, sondern er »bestimmt Grund als Unterscheidungsgrund von Merkmalen.«628 Das »zum Teil =« soll der Ausdruck für die Verschiedenheit sein: »Iedes Entgegengesezte ist seinem Entgegengesezten in Einem Merkmale = X gleich; und: jedes Gleiche ist seinem Gleichem in Einem Merkmale = X entgegengesetzt.«629 Hiermit ist auch erst der konträre Gegensatz gesetzt, der zwischen den Entgegengesetzten ein Verhältnis der Identität und des Entgegengesetztseins voraussetzt: »schwarz« ist »weiß« konträr entgegengesetzt, 626
»Wir haben die entgegengesezten Ich und Nicht-Ich vereinigt durch den Begriff der Theilbarkeit. Wird von dem bestimmten Gehalte, dem Ich, und Nicht-Ich abstrahirt, und die bloße Form der Vereinigung entgegengesezter durch den Begriff der Theilbarkeit übrig gelassen, so haben wir den logischen Saz, den man bisher den des Grundes nannte: A zum Theil = –A und umgekehrt.« (Grundlage 1794; GA I,2, S. 272.) »Nach §. 3. entstehen alle synthetische Begriffe durch Vereinigung Entgegengesezter.« (283) 627 Im Gegensatz zum SdI und dem SdW gilt der SvG heute nicht mehr als formallogisches Prinzip. Bei Kant und den Zeitgenossen Fichtes wird er hingegen noch als logischer Satz diskutiert. Trotzdem kann man nach der Formalisierungsmöglichkeit des SvG fragen. Fichte verwendet in seiner Deduktion des dritten logischen Prinzips aus dem dritten Grundsatz sicherlich verschiedene logische Positionen, die den Logikbüchern der damaligen Zeit entstammen und für einen heutigen, in der modernen Logik geschulten Leser nicht mehr verständlich sein werden: ein Begriff, wenn er Grund der Erkenntnis sein soll, muss so einen Verbindungsgrund und einen Beziehungsgrund enthalten. Beide ergeben erst ein bestimmtes Objekt. Der gemeinsame Grund zweier Arten ist das Genus, die Verschiedenheit die spezifische Differenz. (Vgl. Seebohm, Fichte’s Discovery of Dialectical Method (1994), S. 33 f.) Deshalb zeigt der dritte Grundsatz nach Seebohm, dass die logischen Gesetze für Fichte die Gesetze zur Begriffsbildung im Sinne von Platons Dihairesis seien. (Vgl. S. 37.) Zur Teilung benutzt Fichte die Grundoperationen von Analysis und Synthesis, die durch das Dihairesisverfahren der formalen Logik, nach dem ein System in Gattungen, Arten und Unterarten eingeteilt wird, bekannt sind. (Vgl. Gloy, Fichtes Dialektiktypen (2000), S. 113.) 628 Frischmann, Vom transzendentalen zum romantischen Idealismus (2005), S. 40 f. 629 Grundlage 1794; GA I,2, S. 272.
264
Die transzendentale Logik
weil sie in der Farbigkeit übereinstimmen, in der Art der Farbigkeit aber entgegengesetzt sind. Der logische Gegensatz wird hier erst zu einem bestimmten. Konnten sich zunächst A und ~A nur kontradiktorisch entgegengesetzt sein, so sind sie sich nun in einer Bestimmung oder einem Merkmal entgegengesetzt, in einer bzw. einem anderen sind sie identisch miteinander. Das eine Merkmal ist ihr Beziehungsgrund, das andere ihr Unterscheidungsgrund. Das vernünftige und das vernunftlose Lebewesen wären in ihrer Lebewesenhaftigkeit also identisch, in Bezug auf die Vernünftigkeit jedoch entgegengesetzt. Die Kontradiktion ist dagegen die unbestimmte Negation des Entgegengesetzten. So löst Kant die Antinomien ja auch auf, indem er zeigt, dass sich Begrenztheit und Unbegrenztheit der Welt, Freiheit und Notwendigkeit etc. nicht kontradiktorisch entgegengesetzt sind, sondern in einem anderen Gegensatzverhältnis stehen.630 Die Gegensatztypen »konträr – kontradiktorisch« sind aber beide nicht von vornherein gegeben, sondern müssen ihrerseits erst deduziert werden, um in Anspruch genommen werden zu können. Es liegt also keine Verwechslung der verschiedenen Gegensatztypen vor, vielmehr zeigt Fichte, dass diese erst zu entwickeln sind und wie dies geschehen kann. Ontologisch gesprochen muss in die Kategorien der Realität und der Negation ein Mittleres überhaupt erst deduziert werden: dies ist die Bestimmung. Das heißt in die absolute Setzung und die absolute Entgegensetzung müssen Bestimmungen gesetzt werden, damit etwas in bestimmter Weise gesetzt und verneint sein kann: die bestimmte Negation.631 So kann man folgern: »Die Aufhebung von Gegensätzen in einem Dritten, nämlich einer durchbestimmteren Synthesis folgt dem Gesetz der Limitation.«632
630
Siehe Teil III dieser Arbeit. Auch im praktischen Teil stellt Fichte fest, dass alle Widersprüche in Hinsichten aufgelöst werden müssen, also auch der zwischen Endlichkeit und Unendlichkeit des Ich: »Alle Widersprüche werden vereinigt durch nähere Bestimmung der widersprechenden Sätze, so auch dieser. In einem andern Sinne müßte das Ich gesezt seyn als unendlich, in einem andern als endlich. Wäre es in einem und ebendemselben Sinne als unendlich, und als endlich gesezt, so wäre der Widerspruch unauflösbar, das Ich wäre nicht Eins, sondern zwei […].« (Grundlage 1794; GA I,2, S. 392.) 632 Janke, Limitative Dialektik (1990), S. 16. Dabei werden, so Janke, kontradiktorische Antithesen durch Einschränkung in einer je neuen Synthesis vereinigt. Beispielgebend war dabei Kants dritte Antinomie, welches Schema Fichte bereits für die Antinomie des Offenbarungsbegriffs übernommen habe. (Vgl. S. 16 f.) Denn Offenbarung ist nur für den Bereich des Glaubens – mithin praktisch – anerkennbar, im Bereich der Theorie könne sie nicht anerkannt werden. (Vgl. GA I,1, S. 115.) 631
Fichtes Zärtlichkeit für das Widerspruchsprinzip
265
In der aristotelischen Formulierung des Widerspruchsprinzips findet sich die Bestimmung der Hinsicht und der Zeit.633 Kant sah darin eine falsche Bestimmung des logischen Satzes, da Zeit keine logische Bestimmung ist.634 Auch die Hinsichtnahme müsse aus ihm entfernt werden. Bei Fichte hingegen kann der dem zweiten Grundsatz immanente Widerspruch nur durch die Einführung der inhaltlichen und zeitlichen Bestimmung der Hinsicht gelöst werden. Im Satz vom Grunde werden eben die Bestimmungen, die Kant aus dem aristotelischen Grundsatz des Widerspruchs entfernte, über einen anderen Grundsatz erneut eingeführt. Der Satz des Widerspruchs bleibt ganz formal. Aber den Widerspruch, den seine transzendentale Grundlage selbst impliziert, kann man ohne Hinsichtnahme nicht lösen. Das Hinausgehen zur Hinsicht ist dem Satz damit nicht äußerlich, sondern eine ihm immanente Notwendigkeit. Der Widerspruch muss immer genauer differenziert werden, damit die ausschließenden Bestimmungen vermittelt werden können. Dies ist jedoch erst möglich, wenn Nichtsein eben auch als Anderssein, als Nichtsein in einer bestimmten Hinsicht verstanden, wird.635 Der Begriff der Teilbarkeit erlaubt eine solche Unterscheidung von Ich und Nicht-Ich in Hinsichtnahmen. Die sich daran anschließende Kategoriendeduktion und die Deduktion der Einbildungskraft ist als die Einführung bestimmter Hinsichtnahmen in den Seins- resp. Ichbegriff zu verstehen, durch die theoretisch Widersprüche aufgehoben werden können.636 Durch Analysis und Synthesis werden in der Kategoriendeduktion des theoretischen Teils die Hinsichten entwickelt, in die man den Seinsbegriff differenzieren kann.637 Solange dieser nicht differenziert ist, treten immer neue Widersprüche auf. Erst wenn Sein auf vielfältige Weise aussagbar ist, weil die differenzierenden Kategorien entwickelt sind, können Widersprüche aufgehoben werden.638 Die Kategorien633
Vgl. Met. IV,3; 1005 b 23 f. Vgl. KrV B 191 f.; AA 3, S. 142 f. 635 Auch Schäfer sieht hier die Nähe Fichtes zu Aristoteles, der »Widersprüche durch Hinsichtenunterscheidungen und durch die genaue Bedeutungsunterscheidung des Wortgebrauchs vermeidet« (Schäfer, Grundlage (2006), S. 109). 636 Die Kategorien sind bei Fichte nur in der Folge Gegenstandsbestimmungen, primär hingegen Bestimmungen des Verhältnisses von Ich und Nicht-Ich. 637 »[E]ntgegengesezte Merkmahle, die in einem bestimmten Begriffe = A enthalten sind, als entgegengesezt durch Reflexion zum deutlichen Bewusstseyn erheben, heißt, den Begriff A analysiren.« (Grundlage 1794; GA I,2, S. 284.) 638 Die dialektische Begriffsentwicklung, wie sie Wandschneider Hegel zuschreibt, stimmt so weit mehr mit der Kategoriendeduktion Fichtes überein: der Widerspruch entsteht nur dadurch, dass eine Kategorie, die eigentlich schon in Anspruch genommen wird, nicht explizit gemacht wird. Durch die Explikation ist der Widerspruch dann aber auch schon gehoben: »Das Verfahren dialektischer Begriffsentwicklung ist damit, recht verstan634
266
Die transzendentale Logik
deduktion entwickelt also die Hinsichten, die es im Begriff Sein prinzipiell geben kann. Dass man überhaupt Hinsichten einnehmen kann, ist Ergebnis der vorhergehenden Deduktion der Kategorie der Limitation. Die Einbildungskraft hält dann zusätzlich sich widersprechende Momente durch die Zeit auseinander. Von den Kategorien, die bei Kant einfach vorausgesetzt werden, soll in der Grundlage gezeigt werden, dass sie für das Funktionieren der Subjektivität notwendig sind. Die Kategoriendeduktion ist als weitere Explikation der Grundsynthesis des ersten Teils der Grundlage zu verstehen, als immer tiefer werdendes Eindringen in die innere Verfassung des Ich »in Form eines spezifizierenden Herabsteigens, wobei das dichotomische Spezifikationsgesetz der formalen Logik leitend ist«639. Ausgegangen wird dabei von den Widersprüchen, die in dem der theoretischen Philosophie zu Grunde liegenden Satz: »das Ich sezt sich selbst, als beschränkt durch das Nicht-Ich«640 impliziert sind. Die grundlegenden Handlungen des Ich aus den ersten drei Grundsätzen begründen »die Gesetze des nothwendigen Handelns des menschlichen Geistes«641, die Kant Kategorien nennt. Der Widerspruch zwischen Ich als Bestimmtem und Bestimmendem wird zunächst durch die Einführung des Begriffs der Wechselbestimmung aufgelöst, der es erlaubt, die gegenseitige Bestimmung von »Ich und Nicht-Ich in ihrer Realitäts- und Negationshaltigkeit«642 unter verschiedenen Hinsichten zu fassen. Hier wird Sein und Nichtsein also nicht schlechthin ausgesagt, sondern unter der Hinsicht der Wechselbestimmung: insofern Realität ins Nicht-Ich gesetzt ist, ist Negation in das Ich gesetzt, insofern Realität ins Ich gesetzt ist, ist Negation ins NichtIch gesetzt. Das Ich setzt ein Quantum Realität in sich, sofern es ein Quantum Negation ins Nicht-Ich setzt, und es setzt ein Quantum Negation in sich, sofern es ein Quantum Realität ins Nicht-Ich setzt. Diese Wechselbestimmung ist eine Art der Bestimmung, sie ist eine »bestimmtere Bestimmung«643 und entspricht der Kantischen Kategorie der Relation. Aus der Kategorie der Quantität geht so die Kategorie der Relation hervor.644 Als weitere Relationsden, nichts anderes als das Unternehmen, seine eigenen Voraussetzungen reflexiv einzuholen und kategorial ausdrücklich zu machen […].« (Dieter Wandschneider, »Zur Struktur dialektischer Begriffsentwicklung«. In: Dieter Wandschneider (Hrsg.), Das Problem der Dialektik, Bonn 1997, 114–169, S. 145 f.) 639 Gloy, Fichtes Dialektiktypen (2000), S 114. 640 Grundlage 1794; GA I,2, S. 285. 641 WL Nova Methodo 98/98 Erste Einleitung; GA IV,3, S. 325. 642 Schäfer, Grundlage (2006), S. 108. 643 Grundlage 1794; GA I,2, S. 290. 644 Vgl. dazu Metz, Kategoriendeduktion (1991), S. 258–261.
Fichtes Zärtlichkeit für das Widerspruchsprinzip
267
kategorien werden dann die Kausalität mit der dazugehörigen Hinsichtnahme Sein als Ursache und Sein als Wirkung und danach die Kategorie der Inhärenz (Sein als Substanz und Sein als Akzidenz) entwickelt. Das Begriffspaar »Ursache – Wirkung« bestimmt die Wechselbestimmung und damit den darin spezifizierten Seinsbegriff genauer. Im Ursache-Wirkungs-Verhältnis ist die Wechselbestimmung insofern genauer bestimmt, als es nicht mehr gleichgültig ist, welches der Entgegengesetzten durch das andere bestimmt wird.645 Den in der Kausalitätskategorie implizierten Widerspruch (das Ich als reine Tätigkeit setzt Leiden in sich) hebt Fichte durch den Begriff der Substantialität auf: das ins Ich gesetzte Leiden ist selbst Tätigkeit, aber gegenüber der absoluten Totalität – der »Realität überhaupt«646 – als »bestimmte Realität« ein verringertes Quantum Tätigkeit und damit Realität. Hier wird auch ein weiterer Gegensatztypus, der privative Gegensatz, entwickelt. Der eine Gegensatz ist nur die Beraubung des anderen. Durch die Möglichkeit, die Entgegensetzung von Ich und Nicht-Ich als konträren Gegensatz zu deuten, war die Möglichkeit eines Dritten zwischen ihnen gegeben. Denn nur bei kontradiktorisch Entgegengesetzten ist ein Drittes ausgeschlossen. So kann man jede entwickelte Kategorie als Drittes zwischen Entgegengesetzten deuten. In dem Mittelglied ist der Gegensatz aber nicht gelöst, sondern noch erhalten. Fichte zieht hier zur Erläuterung den Gegensatz zwischen Licht und Finsternis heran: als kontradiktorisch entgegengesetzt würden sie sich völlig ausschließen. Als konträr entgegengesetzt ließen sie aber das Mittlere der Dämmerung zu. Aber in der Dämmerung träfen Licht und Finsternis doch in einem Punkt wieder zusammen: der Grenze. Deshalb würde so der Widerspruch nur aufgeschoben und nicht gelöst. Ähnlich verhält es sich bei Endlichkeit und Unendlichkeit: das Endliche wird nur unendlich eingeschränkt. Um den Widerspruch zu lösen ist deshalb eine neue Art des Gegensatzes einzuführen, der privative.647 Nähert sich Fichte bereits in der Kategoriendeduktion dadurch Aristoteles an, dass die Notwendigkeit einer Hinsichtnahme zur Vermeidung von Widersprüchen aus der transzendentalen Grundlegung selbst begründet wird,
645
»Dasjenige, welchem Thätigkeit zugeschrieben wird, und insofern nicht Leiden, heißt die Ursache […]: dasjenige, dem Leiden zugeschrieben wird, und insofern nicht Thätigkeit heißt das bewirkte […].« (Grundlage 1794; GA I,2, S. 294.) 646 Grundlage 1794; GA I,2, S. 300. 647 »Mithin ist der Widerspruch gar nicht anders aufzulösen, als dadurch: Licht, und Finsterniß sind überhaupt nicht entgegengesezt; sondern nur den Graden nach zu unterscheiden. Finsterniß ist bloß eine sehr geringe Quantität Licht. – Gerade so verhält es sich zwischen dem Ich, und dem Nicht-Ich.« (Grundlage 1794; GA I,2, S. 301.)
268
Die transzendentale Logik
so gilt dies noch mehr bei der Deduktion der Einbildungskraft.648 Denn hier wird der zeitliche Aspekt des »Zugleich«, unter dem etwas nicht sein Gegenteil sein kann, in den Blick genommen. Ich und Nicht-Ich »können gar nicht bloß verstandeslogisch vereint werden«649. Mit der Einbildungskraft kann eine Bestimmung in den Seinsbegriff eingeführt werden, indem die Anschauungsform der Zeit deduziert wird und damit die Hinsichtnahme des »Zugleich« ermöglicht wird. Das Ich setzt sich unendlich und endlich zugleich im Wechsel. Das Ich will also Unvereinbares vereinigen: »ein Wechsel, der gleichsam in einem Widerstreite mit sich selbst besteht, und dadurch sich selbst reproducirt, indem das Ich unvereinbares vereinigen will, jetzt das unendliche in die Form des endlichen aufzunehmen versucht, jetzt, zurückgetrieben, es wieder ausser derselben sezt«650. Diesen Wechsel bezeichnet Fichte als das Vermögen der Einbildungskraft. Die Einbildungskraft schwebt zwischen Unvereinbarem, zwischen Bestimmung und Nicht-Bestimmung, Endlichem und Unendlichem in der Mitte. »Dieses Schweben der Einbildungskraft zwischen unvereinbaren, dieser Widerstreit derselben mit sich selbst ist es, welcher […] den Zustand des Ich in demselben zu einem Zeit-Momente ausdehnt: (Für die bloße reine Vernunft ist alles zugleich; nur für die Einbildungskraft giebt es eine Zeit.)«651 Die Einbildungskraft kann zwar sich Widersprechendes vereinigen, aber nur indem es für sie eine zeitliche Ausdehnung gibt. Die Grenze, in der Nicht-Ich und Ich, die sich widersprechen, zusammentreffen, werden »durch die Einbildungskraft zu einem Momente ausgedehn[t]«652. Damit bewegt sie sich aber ganz im Rahmen des von Aristoteles vorgegebenen Widerspruchsprinzips.653 Die letzte Differenzierung im Seinsbegriff ist die zwischen Sein als Wirklichkeit und Sein als Sollen oder Idee. Sie findet sich erst in der praktischen Philosophie und erlaubt, das Bewusstsein des Menschen als gerade nicht wider648
Es erfolgt noch die Deduktion der Modalitätskategorien aus dem Wechsel (Möglichkeit; Materie), der unabhängigen Tätigkeit (Wirklichkeit; Form) und der Synthesis beider (Notwendigkeit). 649 Lauth, Transzendentale Entwicklungslinien (1989), S. 214. 650 Grundlage 1794; GA I,2, S. 359. 651 Grundlage 1794; GA I,2, S. 360. 652 Grundlage 1794; GA I,2, S. 367. 653 Dagegen ist für Lore Hühn die Einbildungskraft »Index für Widerspruch« (Fichte und Schelling (1994), S. 122.)
Fichtes Zärtlichkeit für das Widerspruchsprinzip
269
sprüchlich zu verstehen.654 Die Vernunftideen drücken als Zielpunkt das Streben nach unbedingter vollständiger Einheit von allen Verstandeshandlungen aus. Im praktischen Postulat, dass das Ich Ich sein soll, kehrt die WL dann auch in gewisser Weise in ihren Anfang »Ich = Ich« zurück.655 Die 654
Nach Baumanns will Fichte den Widerspruch zwischen Sich-Setzen und EntgegenSetzen vergeblich aufheben: »das Streben und Sollen scheint ja vielmehr die innere Wesensspannung von Endlichkeit und Unendlichkeit des Ich zu befestigen« (Baumanns, Kritische Gesamtdarstellung (1990), S. 99). Fichte müsse zugeben, dass der Widerspruch nicht endgültig aufzuheben sei (nur wenn das Objekt überhaupt wegfiele), aber er sei »[u]nbeirrt durch solche bloß formale Logik« (100). Er bestimmt »das Wesen des Menschen als Einheit im Widerspruch« (Baumanns, Fichtes ursprüngliches System (1972), S. 130). Hegels Kritik an der »schlechten Unendlichkeit« bleibe deshalb ganz äußerlich. So gehe Hegel über »das offensichtliche Ziel der Wissenschaftslehre, eine Theorie der endlichen Vernunft in der Widersprüchlichkeit ihres doch einen Wesens zu sein, ungehalten hinweg.« (34) Auch hier versucht Baumanns also zu zeigen, dass Fichtes Lehre eine vornehmlich ethische und keine logisch-theoretische ist. 655 Auch Wildenburg sieht im Begriff des Strebens den Widerspruch zwischen dem endlichen und dem unendlichen Ich gelöst. Es ist unmöglich, reine Identität zu werden, deshalb bleibt nur eine unendliche Annäherung an das Unendliche. (Vgl. Wildenburg, Existenzialismus (2003), S. 251.) Dagegen meint Brüggen: »Man sieht deutlich, daß diese differenzierende Tendenz der praktischen Vermittlung, die die absolute Identität oder das identische Absolute faktisch suspendiert, die Wissenschaftslehre ihres Fundaments berauben würde und daher deren systematischem Aufbau widerspricht.« (Brüggen, Der Gang des Denkens (1964), S. 62.) Wegen dieser Mangelhaftigkeit habe Fichte die Lösung der praktischen Vermittlung aufgegeben. Hierin sieht Brüggen den fundamentalen Wandel der Wissenschaftslehre: absolute Identität und Differenz, Absolutes und Endliches werden nach 1800 nicht mehr praktisch vermittelt. (Vgl. S. 70.) Die praktische Vermittlung werde durch eine dialektische Vermittlung ersetzt. (Vgl. S. 72) Dagegen konnten wir zeigen, dass Ausgangspunkt und Endpunkt nicht identisch sind und nicht als identisch sein sollend konzipiert sind: denn Ersterer ist der Grund allen Bewusstseins, Letzterer der Grund allen Bewusstseins, wie er Gegenstand des Bewusstseins werden kann, Ersterer die reine Identität, Letzterer die durch Aufhebung des Gegensatzes konstituierte Identität. Insofern wird die WL auch nicht ihres Fundaments beraubt, da Fundament und Endpunkt zwar nicht identisch sind, aber der Endpunkt doch eine Art Rückkehr in den Anfang ist. Irgendein Satz muss wieder auf den obersten Grundsatz zurückführen, damit die Wissenschaftslehre geschlossen ist: »Die Wissenschaftslehre hat also absolute Totalität. In ihr führt Eins zu Allem, und Alles zu Einem. Sie ist aber die einzige Wissenschaft welche vollendet werden kann; Vollendung ist demnach ihr auszeichnender Charakter. Alle andere Wissenschaften sind unendlich, und können nie vollendet werden; denn sie laufen nicht wieder in ihren Grundsatz zurück.« (Begriff 1794; GA I,2, Anm. S. 131.) Wir konnten in unserer Interpretation sowohl die Identität als auch die Differenz von Anfang und Ende zeigen, die sich in unterschiedlichen logischen Formeln ausdrücken ließe: »A = A« und »A = ~~A«. Das Ende ist der reflektierte Anfang. Fries schreibt Ende 1795 über Fichtes Grundlage: »Der Gang ist folgender: man setzt so lange entgegen, bis ein unauflöslicher Widerspruch sich zeigt; dieser wird in der praktischen Philosophie so entschieden: das eine ist, das andere soll sein, kann aber nicht sein.« (specula 1,1, S. 318.)
270
Die transzendentale Logik
theoretische Philosophie kann den Widerspruch zwischen Endlichkeit und Unendlichkeit, Ich und Nicht-Ich, Idealismus und Realismus nicht auflösen.656 Das unendliche Setzen des absoluten Ich steht in Widerspruch zur Abhängigkeit des Ich als Intelligenz, absolutes und intelligentes Ich widersprechen einander.657 Dies ist eine frühe Einsicht Fichtes: das Ich der intellektuellen Anschauung ist schlechthin selbstständig, es ist, weil es ist. Das Ich als Intelligenz, das Ich im empirischen Bewusstsein, ist hingegen abhängig, da es nur in Beziehung auf Erkennbares ist. Die reine Tätigkeit geht in sich selbst zurück und ist ohne Objekt. Insofern das Ich intelligent ist, das heißt einen Gegenstand erkennt, geht die Tätigkeit des Ich nicht in sich selbst zurück, sondern auf ein Nicht-Ich. Dadurch wird seine Tätigkeit objektiv.658 Das Ich soll aber eines sein und wäre insofern abhängig und unabhängig zugleich. Daraus resultiert das Streben, das Erkennbare vom Ich abhängig zu machen und somit das absolute Ich mit dem vorstellenden Ich »zur Einheit zu bringen. Und dies ist die Bedeutung des Ausdrucks: die Vernunft ist praktisch.«659 Der praktischen Philosophie liegt der Satz »Das Ich sezt das Nicht-Ich, als beschränkt durch das Ich«660 zu Grunde. Nach dem praktischen Idealismus soll das praktische Ich den Grund der Existenz des Nicht-Ich in sich enthalten. Das praktische Ich soll die Realität des Nicht-Ich aufheben. Diese Realität kann aber nur eine bestimmte Realität und zwar eine in gewisser Hinsicht bestimmte Realität sein. Der der praktischen WL zu Grunde liegende Satz ist nach Fichte unbrauchbar, bis dem Nicht-Ich eine bestimmte Realität zugeschrieben werden kann. Denn die schlechthinnige Setzung des Nicht-Ich überhaupt kann nicht aufgehoben werden, sondern nur das bestimmte Nicht-Ich. Die theoretische Philosophie ist also ebenso vorausgesetzt für die praktische wie umgekehrt. Der praktische Grundsatz kann erst gedacht werden durch die theoretische Philosophie. Der Sache nach hingegen ermöglicht der praktische Gebrauch der Vernunft den theoretischen, denn die theoretische Vernunft als solche ist nur durch die praktische Vernunft gerechtfertigt.661 In unserem Wesen ist der Widerspruch zwischen dem Ich, das bloß sich selbst bestimmt, und dem Ich, das das Nicht-Ich denkt. Das Ich »strebt diesen Widerspruch durch Umformung des letztern zum erstern aufzuheben (also Gott zu seyn)«662. »Streben« bedeutet, dass das Ich notwendig auf ein ihm Fremdes 656
Vgl. Grundlage 1794; GA I,2, S. 310 f. Vgl. Grundlage 1794; GA I,2, S. 387. 658 Vgl. Grundlage 1794; GA I,2, S. 393. 659 Rezension Aenesidemus (1794); GA I,2, S. 65. 660 Grundlage 1794; GA I,2, S. 285. 661 Vgl. Grundlage 1794; GA I,2, S. 285 f. 662 Zur Recension Aenesidemus; GA II,2, S. 296. 657
Fichtes Zärtlichkeit für das Widerspruchsprinzip
271
bezogen ist, demgegenüber es versucht, seine Identität zu bewahren. Im Streben wird das Nicht-Ich nicht aufgehoben, sondern ins Unendliche »bearbeitet«. Im Streben vermittelt Fichte die Grundakte des Ich.663 Die Konzeption des Strebens wurde auf Grund des formalen Satzes, dass Nichts dem reinen Ich widersprechen soll, entwickelt.664 »Ich soll ein selbstständiges Ich seyn; dies ist mein Endzweck; und alles das, wodurch die Dinge diese Selbstständigkeit befördern, darzu soll ich sie benutzen, das ist ihr Endzweck.«665 So konstituiert sich das Ich als Idee – wodurch es Gegenstand des Bewusstseins werden kann – durch die Negation des Entgegengesetzten. Hier reflektiert es sich durch den Gegensatz in sich selbst zurück. Die Negation bezieht sich dabei wiederum nicht auf die andere Negation, sondern auf das bestimmte Nicht-Ich.666 Das selbstbewusste Ich des Menschen, so Fichte in der Bestimmung des Gelehrten, ist nur durch die Beziehung auf ein Nicht-Ich möglich. Das Ich wird sich seiner nur »in seinen empirischen Bestimmungen« 667 bewusst und diese empirischen Bestimmungen setzen etwas außerhalb des Ich voraus. Der Mensch soll aber absolut sein Sein sein und sein Sein ist: »Ich = Ich«. Der Mensch als dieser bestimmte Mensch ist jedoch nicht das absolute Sein »Ich = Ich«: »er ist nicht bloß, sondern er ist auch irgend etwas«668. Dieses »irgend etwas« ist er, »weil [/] etwas ausser ihm ist«669. Das empirische Selbstbewusstsein ist nur möglich in Abhängigkeit vom NichtIch. Deshalb ist der Mensch nicht, was sein Sein ausmacht, nämlich das reine Ich = Ich. Aber er soll es werden. Fichtes Imperativ lautet darum: »Der Mensch soll seyn, was er ist, schlechthin darum, weil er ist«670. Das Ich, auch das empirische, gründet, insofern es Ich ist, letztlich auf der Formel »Ich = Ich«. Insofern es aber empirisch ist, gründet es auf dem Nicht-Ich, denn es ist nur möglich durch das Nicht-Ich. Das empirische Ich soll seine Reinheit wieder restituieren, was aber nur über die Entgegensetzung gegen das Nicht-Ich möglich ist. Das Ich ist als reines vorstellbar nur als Gegenteil des Nicht-Ich,
663
Vgl. Meckenstock, Vernünftige Einheit (1983), S. 43 f. Vgl. Schrader, Empirisches und absolutes Ich (1972), S. 31. Zum formalen Streben oder dem oberen Begehrungsvermögen vgl. GA II,3, S. 233. 665 System der Sittenlehre 1798; GA I,5, S. 193. 666 Der Wille versucht also gerade nicht, »das Nicht des Nicht-Ich zu negieren« (Janke, Historische Dialektik (1977), S. 150), sondern ein bestimmtes Nicht-Ich. 667 Best. d. Gel. 1794; GA I,3, S. 28. 668 Best. d. Gel. 1794; GA I,3, S. 29. 669 Best. d. Gel. 1794; GA I,3, S. 29. 670 Best. d. Gel. 1794; GA I,3, S. 29. 664
272
Die transzendentale Logik
das heißt als Negation des Nicht-Ich, als Negation des bestimmt Negativen. Die Vorstellung des Ich bleibt vom Nicht-Ich abhängig.671 Die letzte Bestimmung des Menschen als einem endlichen, vernünftigen Wesen ist nach Fichte »absolute Einigkeit, stete Identität, völlige Uebereinstimmung mit sich selbst.«672 Das heißt für das Ich aus der Perspektive des endlichen Ich: Ich = ~(Nicht-Ich), das Ich ist die Verneinung oder die Entgegensetzung gegen das Nicht-Ich. Vollkommene Identität ist die Bestimmung des Menschen. Der Mensch muss das, was Nicht-Ich ist, zu modifizieren streben, um es »zur Uebereinstimmung mit der reinen Form seines Ich zu bringen«673. Das höchste Gut ist die »vollkommene Uebereinstimmung eines vernünftigen Wesens mit sich selbst.«674 Die Bestimmung des Menschen ist eine unendliche Annäherung an dieses Ziel, die vollständige Annihilierung dessen, was Nicht-Ich ist. Die »reale Wirksamkeit des Satzes vom Widerspruch«675 besteht nach Fichte darin, dass das Ich die Vernunftidentität und keine Nichtidentität will. Auf diese absolute Identität zielt nach Fichte der kategorische Imperativ Kants. Seine Begründung erfährt der kategorische Imperativ durch die Notwendigkeit, den Widerspruch zwischen Selbstbestimmung und Bestimmtheit des Ich aufzuheben. Der kategorische Imperativ lautet: »Sey schlechthin Du selbst und verwirf allen fremden Antrieb.«676 Dieses Sollen ist das Wesen des Ich: »die moralische Gesinnung will nicht Glükseeligkeit, um der angenehmen Empfindung willen, sondern um ihres nothwendigen Strebens keinen Widerspruch zwischen dem Ich, u. Nicht-Ich seyn zu lassen«677. Mein empirisches Ich, dass ich zufällig dieser sinnliche empirisch-bestimmte Mensch bin, ist für mich als Ichheit oder Vernunft »alleiniges Werkzeug, und Vehikul des
671
»Das reine Ich läßt sich nur negativ vorstellen; als das Gegentheil des Nicht-Ich, dessen Character Mannichfaltigkeit ist – mithin als völlige absolute Einerleiheit; es ist immer Ein und Ebendasselbe und nie ein anderes. Mithin läßt die obige Formel sich auch so ausdrücken: der Mensch soll stets einig mit sich selbst seyn; er soll sich nie widersprechen.« (Best. d. Gel. 1794; GA I,3, S. 29 f.) 672 Best. d. Gel. 1794; GA I,3, S. 30. 673 Best. d. Gel. 1794; GA I,3, S. 31. 674 Best. d. Gel. 1794; GA I,3, S. 32. 675 Reinhard Lauth, Vernünftige Durchdringung der Wirklichkeit. Fichte und sein Umkreis, Neuried 1994, S. 111. 676 Vorlesung über die Moral (SS 1796); GA IV,1, S. 16. Fichtes Formel für den kategorischen Imperativ lautet so: »sey, in Absicht deiner Willensbestimmungen, nie in Widerspruch mit dir selbst: [/] ein Gesez, welchem, in dieser Formel ausgedrückt, jeder Genüge leisten kann, da die Bestimmung unsers Willens gar nicht von der Natur, sondern lediglich von uns selbst abhängt.« (Best. d. Gel. 1794; GA I,3, S. 48.) 677 Zur Recension des Aenesidemus; GA II,2, Anm. S. 296.
Fichtes Zärtlichkeit für das Widerspruchsprinzip
273
Sittengesetzes«678. Gefordert wird die Übereinstimmung des Objekts mit dem Ich: »das absolute Ich, gerade um seines absoluten Seyns Willen, ist es, welches sie fordert«679. Der Trieb der Ichheit geht auf die »Selbstständigkeit der Vernunft überhaupt«680 und Identität.681
3.3. Der Widerspruch im Spätwerk Nach einer häufig vertretenen Ansicht wird erst in der WL von 1804 der Widerspruch als Prinzip, das den Gedanken bewegt, in aller Klarheit herausgestellt. Eine neue Stellung des Widerspruchs sei notwendig auf Grund von Fichtes Versuch, das Bewusstsein zu seinem unvordenklichen Grund in ein Verhältnis zu setzen.682 Fichtes Spätphilosophie zeichne sich gerade durch die Affirmation des Widerspruchs aus: Fichte wolle das Absolute explizit im
678
System der Sittenlehre 1798; GA I,5, S. 210. Grundlage 1794; GA I,2, S. 396. 680 System der Sittenlehre 1798; GA I,5, S. 209. 681 »Der höchste Trieb im Menschen ist, laut unserer lezten Vorlesung, der Trieb nach Identität, nach vollkommener Uebereinstimmung mit sich selbst; und damit er stets mit sich übereinstimmen könne, nach Uebereinstimmung alles dessen, was ausser ihm ist, mit seinen nothwendigen Begriffen davon. Es soll seinen Begriffen nicht nur nicht widersprochen werden, so dass ihm übrigens die Existenz oder Nicht-Existenz eines demselben entsprechenden Objekts gleichgültig wäre, sondern es soll auch wirklich etwas demselben entsprechendes gegeben werden. Allen Begriffen, die in seinem Ich liegen, soll im Nicht-Ich ein Ausdruck, ein Gegenbild gegeben werden. So ist sein Trieb bestimmt.« (Best. d. Gel. 1794; GA I,3, S. 35.) 682 Nach Gloy wird in der WL 1804 ein neuer Typus von Dialektik von Fichte entwickelt, die nicht mehr der Kritik von Hegels Differenzschrift unterliegt. Vielmehr betreffe sie eine von Hegel ignorierte Problematik, nämlich »das Verhältnis des Selbstbewußtseins zu seinem unvordenklichen Grund« (Gloy, Fichtes Dialektiktypen (2000), S. 105). Der äußere Standpunkt der Dialektik der Frühzeit werde aufgegeben und durch einen internen ersetzt. Die Dialektik nähere sich nun der Widerspruchsdialektik Hegels an, wobei die Negation der Negation nicht in der einfachen Position, sondern im Paradox von Negation und Position ende. (Vgl. S. 119.) Es bleibe dabei offen, ob die Negation der Negation, die Aufhebung des Widerspruchs zwischen idealistischer und realistischer Position, zu einer neuen Position oder zum absoluten Nichts führe. (Vgl. S. 122.) Das Selbstbewusstsein kann nicht das Absolute sein. Nach Fichte sind vom Absoluten alle Eigenschaften (positive und negative) fernzuhalten. Das Absolute wird »zum logischen Ort für Widerspruch« (Gloy, »Der Streit um den Zugang zum Absoluten«. In: Zeitschrift für philosophische Forschung 36 (1982), 25–48, S. 45). Die paradoxale Struktur ist Ausdruck für die Unerreichbarkeit des Absoluten, »das Sich-selber-Wissen [ist] Selbstoffenbarung eines an ihm sich Entziehenden« (48). 679
274
Die transzendentale Logik
vollen Bewusstsein seiner Unkonstruierbarkeit konstruieren.683 Die Konstruktion des Absoluten dementiere zugleich das von ihr Konstruierte und gebe »gerade durch diesen internen Widerspruch zu erkennen […], daß das, was ausgedrückt werden soll, gar nicht ausgedrückt werden kann.«684 Diese »antinomische Redeweise« drücke eine Notlösung dafür aus, dass das Absolute auf adäquate Weise nicht sprachlich fixiert werden könne. Da vom Absoluten schlechthin nichts prädiziert werden könne, bleibe Fichte nur die Negation aller denkbaren Prädikate zum Ausdruck der Undenkbarkeit des Absoluten. Jede Prädikation ist bei Gott verboten, ihm kommt nur das »Ist« zu: »Das Wort ist, kurz und gut, und ohne Zusatz, läßt sich nur aussagen vom Absoluten.«685 Das Absolute sei »schlechthinnige Negation aller relationalen Bestimmungen«686 und damit sei eine »negative Ausgrenzung jeder möglichen Prädikation«687 gegeben. Was Platon im Parmenides als widersprüchlich verwerfe, nämlich den Gedanken des Einen unter Ausschluss aller Mannigfaltigkeit, bejahe Fichte damit gerade wegen seiner Widersprüchlichkeit. Fichte nehme Platons Gedanken der absoluten Bezuglosigkeit des Absoluten in Anspruch und affirmiere ihn wegen seiner logischen Inkonsistenz und Selbstwidersprüchlichkeit.688 Das Absolute solle so im Bewusstsein seiner Unerkennbarkeit erkannt werden. Das Konstruieren des Nichtkonstruierbaren im Bewusstsein seiner Nicht-Konstruierbarkeit gebe durch seinen internen Widerspruch zu erkennen, dass das Auszudrückende nicht ausdrückbar sei.689 Fichte bediene sich der metaphorischen und der antinomischen 683
Besonders vehement wird diese These von Hühn, Die Unaussprechlichkeit des Absoluten (1992) vertreten. Bereits Wundt sieht aber in der späten WL wie bei Hegel den bestimmten Widerspruch von Tun und Sagen wirksam. (Vgl. Wundt, Fichte-Forschungen (1929), S. 63.) Auch Lütterfelds formuliert dies als performativen Widerspruch des Wissens zwischen dem, was es tut, und dem, was es sagt. (Vgl. Lütterfelds, »Fichtes Konzept absoluter Einheit (1804) – ein performativer Selbstwiderspruch?«. In: Fichte-Studien 6 (1994), 401–422, S. 415 ff.) Lütterfelds vertritt jedoch die Ansicht, Fichte versuche diesen Widerspruch aufzulösen: durch die Intuition des Absoluten, in der das Absolute selbst einleuchtet. 684 Hühn, Die Unaussprechlichkeit des Absoluten (1992), S. 178. 685 FW IX, S. 408. 686 Hühn, Die Unaussprechlichkeit des Absoluten (1992), S. 178. 687 Hühn, Fichte und Schelling (1994), S. 111. 688 Vgl. Hühn, Die Unaussprechlichkeit des Absoluten (1992), S. 178. 689 Hühn sieht darin eine Absage an den Versuch, dem Selbstbewusstsein selbst den Status des Absoluten einzuräumen. Insofern ist für Hühn »die Revision augenfällig« (Hühn, Die Unaussprechlichkeit des Absoluten (1992), S. 182) mit dem »Transzensus über das Bewußtsein« (182). Das scheint aber nur im Ansatz zu stimmen. Denn es ist doch gleichermaßen das Eingeständnis der Absolutheit des Selbstbewusstseins für sich. Das Bewusstsein oder das Denken bleibt für sich doch absolut. Denn im Denken kann das Absolute nicht erfasst werden. Das Bewusstsein muss seine Einheit vollständig aufgeben, um
Fichtes Zärtlichkeit für das Widerspruchsprinzip
275
Redeweise als angemessener Redeweisen über das Absolute. Durch sie würde zu erkennen gegeben, dass jeder Versuch, das Absolute darzustellen, als widersprüchlich zurückgewiesen werden muss.690 Metapher und Antinomie lassen deutlich erkennen, daß sie das, worauf sie verweisen, nur in einer Weise des Verfehlens und der Unerfüllbarkeit reflektieren können. Die Figur der Metapher komme »dem Dilemma, über das Absolute zu reden, ohne sich eigentlich zutrauen zu dürfen, ›etwas‹ über es auszusagen, am nächsten.«691 Das nicht Darstellbare werde »im Modus seiner Undarstellbarkeit«692 dargestellt. In Antinomien über das Absolute zu reden, sei gleichbedeutend damit, »nur gebrochen«693 darüber zu reden. Nun wird durch solch eine Interpretation noch gar nicht klar, ob es sich hier um das rein sprachliche Problem handelt, dass sich der Gedanke des Absoluten nicht adäquat ausdrücken lässt, ob es sich um ein Problem der Denkbarkeit handelt oder ob diese Probleme zusammenfallen. Ich halte eher die zweite Lösung für wahrscheinlich. Denn der Begriff vernichtet sich auf Grund seines Widerspruchs zwischen Form und Inhalt. Was der Begriff bedeutet, widerspricht der Weise seines Bedeutens. Sowohl der Inhalt, als auch die Form und der Widerspruch zwischen Form und Inhalt lassen sich aber sprachlich ausdrücken. Der Begriff des Antinomischen, zumal wenn er an Kant erinnern soll, wäre verfehlt, denn bei den Kantischen Antinomien handelt es sich ja um ein der Vernunft immanentes Problem, nicht um ein sprachliches. Auch Fichte scheint es mir eher um ein denkerisches als um ein sprachliches Problem zu gehen: die interne Widersprüchlichkeit des Begriffs des Absoluten. Gerade weil es sich aber nicht nur um das Problem der Unzulänglichkeit unserer Sprache handelt, ist der Widerspruch aufzulösen – denn das Absolute als widersprüchlicher Grund des Wissens würde die Einheit des Wissens aufheben.
das Absolute zu erfassen, und eben damit würde es aufhören, Bewusstsein zu sein. Wird bei Kant noch die Möglichkeit eines zumindest negativen Bezugs auf das dem Wissen vorausliegende Nicht-Ich bzw. Ding an sich gelassen, so wird auch das bei Fichte ausgeschlossen. Denn indem sich der negative Bezug als negativer Bezug weiß, hebt er sich selbst bereits wieder auf. Nur wird dies – anders als bei Hegel – eben nie positiv gewendet, sondern bleibt ein unüberwindbarer Hiatus im Wissen. Insofern ist das Wissen selbst tatsächlich absolut, wenn es auch nicht das Absolute selbst ist. 690 Vgl. Hühn, Fichte und Schelling (1994), S. 121. 691 Hühn, Die Unaussprechlichkeit des Absoluten (1992), S. 190. 692 Hühn, Fichte und Schelling (1994), S. 114. 693 Hühn, Fichte und Schelling (1994), S. 113. Es scheint mir fragwürdig, einen Text, der angeblich in Antinomien und Metaphern zu uns spricht, wiederum durch Metaphern und Antinomien auszulegen.
276
Die transzendentale Logik
Tatsächlich bestimmt der Widerspruch des Wissens des Absoluten das Denken der Spätphilosophie mit: im Wissen des Absoluten wird das Absolute nämlich durch das Wissen als absolut gesetzt. Das hieße aber gerade, dass das Absolute nicht durch das Wissen gesetzt sein darf. Die Einleitung in die WL 1813 macht diesen Widerspruch am Seinsbegriff deutlich: »Seyn = Negation des Seheprodukts: durch dessen Negation [ist] gesetzt das Seyn.«694 Der Widerspruch der Spätphilosophie gleicht von seiner Struktur her dem Widerspruch, der im zweiten Grundsatz gesetzt ist: dasjenige, wovon der Begriff abhängt, wird im Begriff negiert. Beides mal besteht das Problem für das Denken oder das Ich im Anderen seiner selbst, das es als schlechthin Anderes setzt und dessen Inhalt das Nichtsein dieses Setzenden voraussetzt. Nur ist dieses Andere inhaltlich diesmal nicht wie das Nicht-Ich ausschließlich als das Andere des Ich bestimmt, sondern ist als Negation von Andersheit oder Relation überhaupt gesetzt.695 Vor allem im ersten Teil der WL 18042 wird dieser Widerspruch als der Widerspruch zwischen Realismus und Idealismus dargestellt: der Realismus behauptet das An sich, was dem widerspricht, dass es als An sich gesetzt ist. Der Idealismus behauptet die Gesetztheit des An sich, was dem widerspricht, dass es als An sich gesetzt ist. Der Begriff des Absoluten ist selbst widersprüchlich, insofern das, was der Begriff aussagt, dem Sein des Begriffes selbst widerspricht.696 Ein »absoluter Hiatus im Wissen«697 besteht nach Fichte in ebendiesem Widerspruch aus Form und Inhalt: »daß das Moment des Seins des Wissens durch das absolute Wissen selber als unabhängig von seinem Erzeugtsein gesetzt wird.«698 Genau genommen liegen hier sogar zwei Widersprüche vor: 1. Dass es mit dem absoluten Wissen außerhalb des Absoluten noch etwas gibt, nämlich das Wissen. Außer dem »Einen Seyn«, außer dem kein Sein möglich ist, findet sich noch ein Sein, was dem Begriff widerspricht. Diesen Widerspruch zu lösen, bedeutet zu zeigen, wie Gott und Welt zusammen 694
Einleitung in die WL 1813; Ultima Inquirenda, S. 72. »Das Sehen verneint sich und sein Produkt[,] haben wir gesagt, und so ist es in der That: setzend das Seyn, als nicht durch sich« (Einleitung in die WL 1813; Ultima Inquirenda, S. 69) gesetzt. 696 Vgl. WL 1812 (Nachschrift Halle); GA IV,4, S. 265. »Dieses Ihr ist ist ganz u. gar unmöglich, u. widersprechend, denn was gesagt wird; widerspricht dem, daß es gesagt wird; wenn jenes wahr wäre, so könnte es nicht gesagt werden; und so gewiß es gesagt wird, ist es nicht wahr. / Denn – es wird gesagt in dem ist: es ist für u. in ihm selber, in sich selber geschlossen; […] es ist in ihm durchaus keine Beziehung auf ein Aussen. Indem aber gesagt wird; es ist: wird es äusserlich umschlossen […].« (Einleitung in die WL 1813; Ultima Inquirenda, S. 55.) 697 Darstellung der WL 1801/02; GA II,6, S. 171. 698 Stolzenberg, Theorem der Selbstvernichtung (2000), S. 135. 695
Fichtes Zärtlichkeit für das Widerspruchsprinzip
277
möglich sind. Die Lösung dieses Widerspruchs ist die Aufgabe der Philosophie, alles andere sind »subordinirt[e] Widersprüch[e], u. Gegensätz[e]«699. Weil außer Gott nichts ist, kann das Wissen »nur Gott selbst seyn, aber außer ihm selber; Gottes Seyn außer seinem Seyn; seine Aeußerung, in der er ganz sey, wie er ist, und doch in ihm selbst auch ganz bliebe, wie er ist.«700 Dieser Widerspruch soll durch die Bildlehre der späten WL aufgelöst werden: die Welt ist nur Erscheinung des absoluten Seins. Ihr Sein besteht selbst nur in der Sich-Erscheinung, im Ich als »SichselbstErscheinung«701. Das Wissen wird als Erscheinung oder Bild des einzigen Seins gefasst. Das Wissen ist die wirkliche Darstellung des Absoluten.702 Als Bild des Seins ist das Wissen nur dessen äußere Existentialform. Gerade das Reflektieren auf das Denken führt zur Konzeption der Bildlehre: denn wenn man, so Fichte in 4ter Vortrag der Wissenschaftslehre 1805 »das Seyn, schlechthin an sich, als Seyn«703 denkt, so denkt man es nach Fichte als in sich geschlossen und selbstgenügsam und es widerspreche seiner Voraussetzung, dass außer ihm noch etwas sei. »Nun aber geben Sie auf Ihr Denken selber Acht.! Haben Sie nicht in demselben das Seyn hingestellt, projicirt.«704 Das Problem oder der Widerspruch im Gedanken des absoluten Seins ergibt sich also erst als Folge auf das Reflektieren über das eigene Denken. Fichte bestimmt dieses Sein – das Dasein des Seyns – als Existenz, die er vom Seyn unterscheidet: das Wissen.705 Das wahre Ich ist die »absolut[e] Erscheinung aus Gott«706. 2. Das Absolute bleibt als eigenständig doch für die transzendentale Reflexion immer durch das Ich gesetztes Absolutes.707 Der naive Realist weiß nicht um diese Abhängigkeit des Seins vom Wissen bzw. Denken. Das Sehen vernichtet sich selbst im Sehen des Seins, es setzt sein Produkt als nicht durch 699
WL 1811; GA II,12, S. 166. WL in ihrem allg. Umrisse 1810; GA I,10, S. 336. 701 WL 1811; GA II,12, S. 165. 702 Vgl. Brüggen, Der Gang des Denkens (1964), S. 78. Das Denken ist der Ort des Erscheinens des Seins: »Das absolute Seyn selbst ist es, das durch sich selbst sich ausspricht in diesem Denken.« (WL 1811; GA II,12, S. 165.) 703 WL 1805; GA II,9, S. 186. 704 WL 1805; GA II,9, S. 186. 705 Die »neuern Stümper im Gebiete der Spekulation« (WL 1805; GA II,9, S. 195), nämlich Schelling und seine Anhänger, glauben bloß auf Grund ihrer »Nichtbesinnung« (195) vom Absoluten zu reden. 706 Unterschied zwischen Logik und Philosophie (1812); GA II,14, S. 344. 707 »Die Art und Weise, in der Fichte dieses Wissen im Folgenden beschreibt, ist als der Versuch zu verstehen, die Doppelung der Abhängigkeit einer Tatsache vom Denken einerseits, der Unabhängigkeit ihres Bestehens vom Denken andererseits im Rahmen einer Theorie des Bewußtseins als Grundstruktur des Wissens darzustellen.« (Stolzenberg, Theorem der Selbstvernichtung (2000), S. 129.) 700
278
Die transzendentale Logik
sich gesetzt. »[D]as besonnene Setzen dieses Wissens, u. das Vernichten, muß mit einander bestehen können: u. diesen Widerspruch lösen, heißt eben alles lösen.«708 Fichte führt hierzu die Intuition ein, das Einleuchten des Absoluten selbst. Das Absolute als absolute Immanenz ist Ergebnis der Vernichtung seiner äußeren Existentialform.709 Wichtig ist in unserem Zusammenhang die Bestätigung der Gültigkeit der Aussage: »Die Lösung des Widerspruches ist die Philosophie.«710 Fichte ist also nach wie vor von der Notwendigkeit überzeugt, dass Widersprüche aufgehoben werden müssen.
708
Versuch, ob sich für die Vorbereitung…; GA II,11, S. 279. Ist das Absolute in der Spätphilosophie Fichtes nur durch die Negation des Denkens in seiner Unbegreiflichkeit zu fassen, so sind negierendes Denken und das Absolute negativ aufeinander bezogen. »Das Absolute ist das Nichts des Denkens und das Denken das Nichts des Absoluten.« (Wagner, Persönlichkeit Gottes (1971), S. 112.) Fichte reflektiere aber diese negative Bezogenheit des Absoluten und des Denkens aufeinander nicht eigens. Er hätte auch die Negation des Begriffs negieren müssen, so Wagner. Daraus folgert er dann die ganzen Hegel’schen Vorwürfe: das Absolute bleibe negativ bestimmt durch das Denken, es sei nur abstrakt-absolute Einheit, weil es nur Nicht-Denken sei, es beruhe auf einseitiger Vermittlung des Denkens und sei nur der relative Gegensatz des Denkens. Die Frage ist aber, ob man die Hegel’sche Negationstheorie auf Fichte anwenden kann und ob diese Vorwürfe nicht eben Vorwürfe sind, die sich aus der Überspinnung von Fichtes Lehre durch Hegels Negationstheorie ergeben. Denn die Negation wird ja von Fichte nicht als eigenständige Relation gefasst, auf die sich noch einmal die Negation beziehen könnte. Eine Negation der Negation im Hegel’schen Sinne kann es für Fichte nicht geben. Für ihn gibt es immer nur die Negation des Negativen, das eben wiederum die Negation von etwas Positivem ist. Wagners Forderung: »Das Denken würde […] erst dann das Absolute in seiner Absolutheit erfassen, wenn es seine Vernichtung, durch die das Absolute vermittelt ist, vernichten würde, denn erst dann wäre das Absolute reines Leben und – absoluter Geist« (Wagner, Persönlichkeit Gottes (1971), S. 112) kann aus Fichtes Sicht überhaupt keinen Sinn machen, da eine Negation sich nicht auf sich selbst, sondern nur auf etwas Identisches beziehen kann. 710 WL 1812 (Nachschrift Halle); GA IV,4, S. 264. 709
DIE SPEKULATIVE LOGIK
Kein anderer Philosoph des Deutschen Idealismus hat der Logik eine so bedeutende Rolle zugeschrieben wie Hegel.1 Nach Hegel sind die Bestimmungen des Denkens »ein selbstständiger Inhalt«2. So sollten Schüler zur Vorbereitung auf das Philosophiestudium zur »Gewohnheit […], mit förmlichen Gedanken umzugehen«3, erzogen werden. Man müsse sie darauf hinweisen, »daß es ein Reich des Gedankens für sich gibt und die förmlichen Gedanken selbst ein Gegenstand der Betrachtung sind«4. Die Logik ist nicht nur eine Schulung richtigen Denkens, sondern hat an sich selbst höchstes Interesse.5 So begründet Fichte zwar die Grundsätze der Logik und entwirft von da aus seine Konzeption, mit Widersprüchen umzugehen, die Logik ist jedoch selbst als transzendentale weder identisch mit der Wissenschaftslehre noch die höchste Form des Wissens. Für Kant kann Logik sogar »nur die formalen Bedingungen wahrhafter Erkenntniß angeben, nicht aber reale Wahrheit selbst enthalten«6. Für Hegel ist die Logik zunächst recht konventionell »die Wissenschaft des Denkens, seiner Bestimmungen und Gesetze«7. Die besondere Wichtigkeit der Logik bei Hegel liegt deshalb an der Bedeutung, die Hegel dem Denken zuschreibt: »es ist nicht Schuld des Gegenstands der Logik, wenn sie gehaltlos seyn soll, sondern allein der Art, wie derselbe gefaßt wird.«8 1
Kesselring schreibt deshalb zu Recht: »Hegel ist zweifellos der ›Logiker‹ unter den deutschen Idealisten.« (Kesselring, Produktivität der Antinomie (1984), S. 33.) 2 Wiss. auf Gymn. (1812); GW 10,2, S. 825. 3 Philos. auf Gymn. (1822); SW 11, S. 35. 4 Philos. auf Gymn. (1822); SW 11, S. 37 f. 5 Man hat sich nicht wegen des »formellen Nutzens« (WdL I/1 1832; GW 21, S. 6), dass sie einen das korrekte Denken lehrt, mit der Logik zu beschäftigen. 6 WdL I/1 1832; GW 21, S. 28. 7 Enzyklopädie 1830 § 19; SW 8, S. 67. 8 WdL I/1 1832; GW 21, S. 32. Unter solch eine falsche Vorstellung vom Denken fällt auch die Gleichsetzung von Rechnen und Denken, wie sie sich bei Leibniz und noch bei Bardili findet: »Wer rechnet, der denkt.« (Grundriß der ersten Logik (1800) § 1, S. 1.) Und er denkt geläuterter und reiner als derjenige, der Dinge berechnet. Rechnen und damit auch Denken gründen dabei auf der Möglichkeit der unendlichen Wiederholbarkeit des Einen und Selben im Vielen. (§ 3 f.) Denken ist die Fähigkeit, A als Einheit im Vielen unendlich oft wiederholen zu können. (§ 7) So könnte man gegen die Einwürfe Hans Hahns, Denken sei nicht Erkenntnis erweiternd, sondern bestehe nur in tautologischen Umformungen, im Sinne Hegels erwidern, dass das für das kalkülartig rechnende Denken wohl gelten mag, dieses aber noch kein begriffliches Denken sei. (Vgl. dazu Pirmin Stekeler-
280
Die spekulative Logik
Bei Fichte wie bei Kant bleibt das Denken ein – wenn auch fundamentaler und konstitutiver – Bestandteil des Wissens.9 Dieser muss durch praktische Tätigkeit, Anschauung bzw. Erfahrung ergänzt werden. Dies bringt Fichtes Ausgang von der intellektuellen Anschauung sowie der Abschluss der Wissenschaftslehre in der Grundlage mit dem praktischen Tun zum Ausdruck. Für Kant stellt das Denken nur die »bloße Form einer Erkenntniß«10 dar, deren Inhalt von woanders hergenommen werden muss. Kant fällt hier aus Sicht Hegels sogar hinter die klassische Metaphysik zurück. Diese hielt nämlich das, was an den Gegenständen gedacht und durch das Denken erkannt wird, für »das allein an ihnen wahrhaft Wahre«11. Bereits bei Fichte ist das Denken dagegen eine objektive Tätigkeit, der Gedanke ist nicht nur eine subjektive Hervorbringung wie die Vorstellung. Dies entlarvt dann auch Hegel als grundsätzliches Missverständnis über die Natur des Denkens: »wir denken beim Denken sogleich an unser Denken, wie es im Bewußtsein ist. Hier ist dagegen der ganz objektive Gedanke gemeint«12. Allerdings radikalisiert er den Gedanken Fichtes noch, was sich in seinem berühmt-berüchtigten Satz: »Was vernünftig ist, das ist wirklich; / und was wirklich ist, das ist vernünftig.«13 ausdrückt. Weithofer, »Mathematisches und begriffliches Denken in Hegels Wissenschaft der Logik«. In: Wolfgang Neuser/Vittorio Hösle (Hrsg.), Logik, Mathematik und Naturphilosophie im objektiven Idealismus. Festschrift für Dieter Wandschneider zum 65. Geburtstag, Würzburg 2004, 123–144, S. 134.) 9 Bei Kant heißt es gar: »Aber denken kann ich, was ich will, wenn ich mir nur nicht selbst widerspreche, d. i. wenn mein Begriff nur ein möglicher Gedanke ist, ob ich zwar dafür nicht stehen kann, ob im Inbegriffe aller Möglichkeiten diesem auch ein Objekt correspondire oder nicht.« (KrV BXXVI; AA 3, S. 17.) 10 WdL I/1 1832; GW 21, S. 28. 11 WdL I/1 1832; GW 21, S. 29. 12 Philosophiegeschichte I; SW I, S. 369. In der Enzyklopädie1830 § 19 heißt es ähnlich, man könne vom Denken eine sehr niedrige oder eine sehr hohe Meinung haben: als »die einzige Weise, in der das Ewige und an und für sich Seiende gefaßt werden kann.« (SW 8, S. 70.) Platon etwa »zeigt Enthusiasmus für den Gedanken, das Denken dessen, was an und für sich ist.« (Philosophiegeschichte II; SW 19, S. 31.) 13 Grundlinien der Philosophie des Rechts (1821); SW 7, S. 11. Diese Identität von Geist und Welt ist nach Popper »die übelste all jener absurden und unglaublichen philosophischen Theorien« (Popper, Was ist Dialektik? (1940), S. 281), die Philosophen sich jemals ausgedacht hätten. Popper setzt aber – zumindest in Bezug auf die Widerspruchsfreiheit – selbst voraus, dass Logik und Wirklichkeit dieselben Strukturen aufweisen, was ja, wie wir bei Wittgenstein sahen, zunächst nur als metaphysische Voraussetzung behauptet werden kann. Die Apriorität des Widerspruchsgesetzes kann auch Popper nur dogmatisch voraussetzen, ohne dafür eine theoretische Begründung zu liefern. Denn sonst wird gar nicht verständlich, wieso wir die Welt mittels apriorischer logischer Strukturen richtig beschreiben.
Die spekulative Logik
281
Zunächst mag es zwar so scheinen, dass das Denken nur eine Tätigkeit ist, deren Produkte keine Notwendigkeit und Objektivität besitzen, und als wäre es »ein Vermögen, deren wir vielerlei haben«14 – wie das Gedächtnis oder das Vorstellungsvermögen. Tatsächlich aber ist das Denken nicht eine Tätigkeit unter anderen, nicht etwas, das der Mensch neben Dingen wie Atmen, Sehen und Hören auch noch tut. Vielmehr ist in allem menschlichen Anschauen und Vorstellen das Denken gegenwärtig. Damit spitzt Hegel den Grundgedanken der transzendentalen Logik noch weiter zu. Denn bei Kant war das transzendentale Denken, die Art, wie die Gegenstände gedacht werden, konstitutiv für die Art der Gegebenheitsweise der Gegenstände aller möglichen Erfahrung. Kants transzendentale Logik wollte damit aber zugleich eine Selbstbescheidung des Denkens begründen: sie untersuchte nur, wie wir die Gegenstände, die Objekte möglicher Erfahrung sind, denken müssen – nicht wie sie an sich beschaffen sind. Diese Distanzierung vom Denken kann aber nur durch das Denken geschehen. So war bereits für den frühen Fichte der Gedanke eines An sich, das ganz anders sein soll, als es sich das Denken denken kann, ein in sich widersprüchlicher Ungedanke. Darin liegt schon der Gedanke Hegels, dass das Denken in allen Lebensformen und -äußerungen des Menschen gegenwärtig und tätig ist: Religion, Recht, Sitte und Kunst. Die philosophische Betrachtung dieser Wissensgebiete kann nicht in einem nachdenklichen Räsonieren über diese Gegenstände bestehen. Denn dabei werden Gefühle, Anschauungen und Vorstellungen mit Gedanken vermischt. Vielmehr hat sie zu zeigen, wie das vernünftige Denken darin gegenwärtig ist. Das Denken konstituiert alle diese menschlichen Lebensäußerungen. Wirklich ist an diesen nur das, was vernünftig und damit durch das (objektive) Denken konstituiert ist. Die Ideen »stecken […] gar nicht bloß in unseren Köpfen und […] [sind] nicht etwas so Ohnmächtiges, dessen Realisierung nach unserem Belieben erst zu bewerkstelligen oder auch nicht zu bewerkstelligen wäre, sondern dieselbe ist vielmehr das schlechthin Wirkende und zugleich auch Wirkliche, und andererseits ist die Wirklichkeit nicht so schlecht und unvernünftig, wie gedankenlose oder mit dem Denken zerfallene und heruntergekommene Praktiker sich einbilden.«15 Das Vernünftige ist das Wirkliche, »was nicht vernünftig ist, das ist eben um deswillen auch nicht als wirklich zu betrachten.«16 Weder tritt das Denken erst nachträglich an die Wirklichkeit heran, noch sind seine Begriffe nur Abstraktionen von den dem 14 15 16
Enzyklopädie 1830 § 20; SW 8, S. 75. Enzyklopädie 1830 § 142; SW 8, S. 280. Enzyklopädie 1830 § 142; SW 8, S. 280.
282
Die spekulative Logik
Denken vor-gegebenen Dingen, noch konstituiert das Denken nur Erscheinungen, denen ein nicht weiter erkennbares Sein an sich noch zu Grunde läge. Das Denken ist so auch nicht eine Betätigungsweise des Menschen oder seines Geistes, die er neben anderen besitzt, sondern es ist dasjenige, was den Menschen besitzt. Das Denken ist nicht nur eine Kraft oder Äußerung der Seele, sondern ihr Wesen, wie Hegel gegen Locke betont.17 Alle Akte des Anschauens, Erinnerns etc. sind nur »Spezifikationen des Denkens«18. Das Denken in seiner objektiven Bedeutung ist die Grundlage von allem. Aller nichtlogische Inhalt »ist nur ein Nur gegen«19 die Bestimmungen des Denkens. Wer glaubt, ein Gedanke könnte zwar richtig sein, müsse aber deshalb noch lange nicht wirklich sein, hat »weder die Natur des Gedankens, noch die der Wirklichkeit gehörig aufgefaßt«20. Das Logische ist für den Menschen »das Uebernatürliche […], welches sich in alles Naturverhalten des Menschen, in sein Empfinden, Anschauen, Begehren, Bedürfniß, Trieb eindrängt und es dadurch überhaupt zu einem Menschlichen, wenn auch nur formell, zu Vorstellungen und Zwecken macht.«21 In allen anderen Wissenschaften untersucht das Denken sich selbst im von ihm Verschiedenen: eben in der Kunst oder Religion. Aber »seine unvermischte Selbstheit ist das Denken.«22 Die Logik macht die objektiven Gedanken als solche zum Gegenstand. Den Gedanken an sich selbst zu untersuchen, wird so bei Hegel zur höchsten Aufgabe der Philosophie und die Logik zur höchsten Wissenschaft: »Näher aber muß für das Vortrefflichste das zu achten sein, wo der Gedanke nicht anderes betreibt und sich damit beschäftigt, sondern wo er, nur mit sich selbst – eben dem Edelsten – beschäftigt, sich selber gesucht und erfunden hat.«23 Logik ist die reine Wissenschaft, in der der Gegensatz von Bewusstsein und Gegenstand aufgehoben ist. Ihr »Gegenstand« ist der Gedanke, der »eben so sehr die Sache an sich selbst ist«24. Hier hat das Denken mit sich selbst zu tun und darum ist es frei. Die Logik ist »das Reich des reinen Gedankens […]. 17
Vgl. Philosophiegeschichte III; SW 20, S. 214. Enzyklopädie 1830 § 24; SW 8, S. 82. 19 Enzyklopädie 1830 § 24; SW 8, S. 85. 20 Enzyklopädie 1830 § 142; SW 8, S. 280. 21 WdL I/1 1832; GW 21, S. 11. 22 Enzyklopädie 1830 § 11; SW 8, S. 55. 23 Philosophiegeschichte I; SW 18, S. 23. 24 WdL I/1 1832; GW 21, S. 33. Cassirer merkt hierzu an: »Die reine Wissenschaft enthüllt den Gedanken, insofern er ebensosehr die Sache an sich selbst ist, oder die Sache an 18
Die spekulative Logik
283
Dieses Reich ist die Wahrheit, wie sie ohne Hülle an und für sich selbst ist.«25 So gibt es keine Wissenschaftslehre und keine Metaphysik, die an Bedeutung über die Logik hinausgehen würde. Die Metaphysik ist vielmehr Teil der Logik.26 Die Seinslogik betrachtet wie ehemals die Metaphysik »die Denkbestimmungen als die Grundbestimmungen der Dinge«27: »Nach meiner Ansicht des Logischen fällt ohnehin das Metaphysische ganz und gar dahinein. […] Meine objektive Logik wird, wie ich hoffe, dazu dienen, die Wissenschaft wieder zu reinigen, und sie in ihrer wahren Würde nicht darzustellen.«28 Die Entwicklung des Denkens wird in der reifen Logik »rein im Elemente des Denkens«29 dargestellt, die Bestimmungen untersuchen sich hier selbst.30 Wie der Logik kommt auch der Reflexion und ihren Bestimmungen eine insbesondere gegenüber Kant fundamentalere Bedeutung zu. Nach Kant hat nämlich die Reflexion keinen Gegenstand im strengen Sinne, denn jeder Gegenstand ist anschauungsgebunden. Die Reflexion hat bei Kant »lediglich
sich selbst, insofern sie ebensosehr der reine Gedanke ist.« (Erkenntnisproblem III (1920); Hamb. Ausg. 4, S. 317.) 25 WdL I/1 1832; GW 21, S. 34. 26 Diese Bedeutung schreibt Hegel der Logik jedoch noch nicht von Anfang an zu. Wir werden insbesondere die späteren Schriften betrachten, in denen dieser Gedanke bereits wirksam ist. Entwicklungsgeschichtliche Fragen werden in der Untersuchung Hegels nur innerhalb der systematischen Auseinandersetzung mit einer bestimmten Interpretation des Hegel’schen Widerspruchs untersucht, die diese in das Zentrum ihrer Deutung rückt. Die Modifikation des Status der Logik ist dabei eine der interessantesten Veränderungen in Hegels Lehre. So ist noch in der Jenaer Logik 1801/02 die Logik nur die negative Seite der Philosophie. Sie dient ausschließlich zur Einleitung in die Metaphysik. 27 Enzyklopädie 1830 § 28; SW 8, S. 94. 28 Wiss. auf Gymn. (1812); GW 10,2, S. 825 f. Zum Verhältnis der Dialektik Hegels zu Metaphysik und formaler Logik bemerkt Haring: »wie derselbe vermittelst seiner Methode der todten Thongestalt der formalen Logik Leben einhauchte, so verhalf er auch der todten Metaphysik zu neuem Leben, – aber in einem verklärten Leibe.« (G. H. Haring, »Historisch-kritische Darstellung der dialektischen Methode Hegels«. In: Michelet/Haring, Historisch-kritische Darstellung der dialektischen Methode Hegels, Hildesheim 1977, 95–152, S. 146.) 29 Enzyklopädie 1830 § 14; SW 8, S. 59. 30 Im Unterschied zu den frühen Logiken bedarf dann auch die Entwicklung der logischen Bestimmungen nicht mehr des Bezugs auf das Absolute. Das »Princip der Spekulation« (Differenzschrift (1801); GW 4, S. 6), das von Hegel 1801 als »Identität des Subjekts und Objekts« (6) bezeichnet wird und eigentlich das »reine Denken seiner selbst« (6) ist, antizipiert schon den Gedanken der WdL, dass die Bestimmungen des Denkens sich selbst untersuchen müssen.
284
Die spekulative Logik
Als-Ob-Gegenstände«31. Das gilt nicht für die spekulative Philosophie. Die spekulative Philosophie ist das »Denken des Denkens der Welt«32: »Das Denken ist ganz und gar in die Sache verloren: gerade damit ist die Sache – weil sie nicht mehr getrennt vom Denken vorkommt – im und als der Vollzug des Denkens!«33. Inhalt der Logik ist das objektive Denken selbst, »allein das absolut Wahre, oder […] die wahrhafte Materie«34, wobei diese Materie mit der Form als dem reinen Gedanken identisch ist. Insofern ähnelt er Frege, aber unterscheidet sich doch darin, dass der Gedanke auch das Prinzip der Welt selbst ist und nicht selig in seinem »Dritten Reich« untätig ist. »Nun aber ist das Geschäft der Logik eben nur dies, die bloß vorgestellten und als solche unbegriffenen und unbewiesenen Gedanken als Stufen des sich selbst bestimmenden Denkens aufzuzeigen, womit dieselben dann zugleich begriffen und bewiesen werden.«35 Nun ist es wohl offensichtlich, dass Hegel unter Logik etwas anderes versteht als die formale Logik. Deshalb ist sein Verhältnis zur formalen Logik, wie sie ihm in ihrer traditionellen Gestalt vorlag, zu bestimmen.36 Gegenstand der formalen Logik ist nach Hegel (a) die bloß subjektive Tätigkeit des Denkens, 31
Arend Kulenkampff, Antinomie und Dialektik. Zur Funktion des Widerspruchs in der Philosophie, Stuttgart 1970, S. 14. 32 Kulenkampff, Antinomie und Dialektik (1970), S. 16. 33 Walter Schulz, »Das Verhältnis des späten Schelling zu Hegel. Schellings Spekulation über den Satz«. In: ZPhF 8 (1954), 336–352, S. 341. 34 WdL I/1 1832; GW 21, S. 34. 35 Enzyklopädie 1830 § 121; SW 8, S. 249. 36 Denn nur zu dieser konnte er sein Verhältnis ausdrücklich bestimmen und nur für diese konnte er es für notwendig halten, sie umzuarbeiten: »Wenn die Logik seit Aristoteles keine Veränderung erlitten hat […], so ist daraus eher zu folgern, daß sie um so mehr einer totalen Umarbeitung bedürfe; denn ein zweytausendjähriges Fortarbeiten des Geistes muß ihm ein höheres Bewußtseyn über sein Denken und über seine reine Wesenheit in sich selbst, verschaft haben.« (WdL I/1 1832; GW 21, S. 35.) Ein eher unglückliches Beispiel formallogischer Hegelkritik stellt Lenks Logische Konstanten (1968) dar. Sie changiert dazwischen, einerseits den – nicht besonders überraschenden – Nachweis zu führen, dass Hegels Auffassung der logischen Gesetze nicht mit der der modernen formalen Logik übereinstimmt. Andererseits schiebt er Hegels Bestimmungen wiederum die Bedeutung unter, die sie in der modernen Logik haben. Damit glaubt er dann nachweisen zu können, dass die unterschiedlichen Bestimmungen gar nicht auseinander folgen, wie Hegel das unterstelle. Wie alle von Lenk untersuchten Autoren aus dem deutschen Sprachraum von Kant bis Frege und Wittgenstein scheitere so auch Hegel bei dem Versuch, die Urteilsformen und logischen Konstanten (Junktoren) irgendwie zu begründen. (Insbesondere zum Problem der Grundsätze des Denkens vgl. Lenk, Logische Konstanten (1968), S. 330– 337.) Man müsste aber doch prüfen, ob die Bestimmungen in der Bedeutung, die Hegel ihnen gibt, auseinander folgen.
Die spekulative Logik
285
genauer deren Gesetze. Die Kenntnis dieser Regeln und Gesetze wird dabei (b) durch Erfahrung erworben.37 Die Logik ist hier zudem (c) nur »Instrumentallogik«38. Man braucht sie in den empirischen Wissenschaften, die ihre Formen gebrauchen. Dabei fallen zunächst zwei gewichtige Unterschiede ins Auge: 1. Die Hegel’sche Logik als die Wissenschaft des Denkens macht uns nicht nur »mit der Tätigkeit des bloß formellen Denkens«39 bekannt. Als solche wäre sie subjektiv im schlechtesten Sinne, denn sie würde dann nur die Möglichkeit dessen beschreiben, was wir uns eben denken können. Die Dialektik ist nicht ein »äußeres Tun eines subjektiven Denkens, sondern die eigene Seele des Inhalts, die organisch ihre Zweige und Früchte hervortreibt.«40 Das subjektive Denken sieht nur zu, wie sich die Idee entwickelt. Die Entwicklung selbst ist Tätigkeit der Idee. In der (spekulativen) Logik entfällt der Gegensatz von Objektivem und Subjektivem.41 »Denn da […] wir unsere Gedanken sind: so kommt es auf Eins heraus, zu sagen, wir bewegen die Gedanken, oder dieselben bewegen sich selbst.«42 2. Das Denken hat diese Bestimmungen nicht und findet die Gesetze nur vor – so wie es bei Kant noch der Fall war – sondern es gibt sie sich selbst. Die Logik Hegels wird damit in doppeltem Sinne über die formale Logik gestellt: zum einen weil sie nicht wie die formale Logik unreflektiert-voraussetzend ist, zum anderen weil sie nicht nur ein Werkzeug für andere Wissenschaften ist, die Seiendes erkennen, sondern den Geist und die Wahrheit und
37
Vgl. Enzyklopädie 1830 § 20; SW 8, S. 75. Enzyklopädie 1830 § 20; SW 8, S. 76. 39 Enzyklopädie 1830 § 19; SW 8, S. 70. 40 Grundlinien der Philosophie des Rechts (1821); SW 7, S. 84. Bereits nach Bardili ist das Wesen der logischen Gesetze »etwas vollkommen unsubjektives« (Hartmann, Die Philosophie des Deutschen Idealismus (1960), S. 33), es besitzt ein Ansichsein. Darin gründet die Allgemeinheit und Notwendigkeit, die für jedes Subjekt gilt. Logischer Realismus heißt Bardilis Philosophie, weil sie »die Realität des Logischen als die gemeinsame Seinsgrundlage alles Subjektiven und Objektiven« (33) behauptet. Die Logik gründet nicht in einer Subjektivität, sondern ist die logische Struktur des Seins. Die Identität von Denken und Sein ist nur die »Identität der Logik des Seins mit der Logik des Erkennens« (35). Dem Denken liegt kein irgendwie geartetes Subjekt zu Grunde, sondern es ist nur »die innere Logik der Seinszusammenhänge selbst, ein subjektloses System von Typen, Formen oder Gesetzen rein als solchen.« (36) 41 Vgl. Enzyklopädie 1830 § 24; SW 8, S. 81. 42 C. L. Michelet, »Gutachtlicher Bericht Michelet’s über die sämmtlichen der Philosophischen Gesellschaft zu Berlin zugegangenen Bewerbungsschriften« (1888). In: Carl Ludwig Michelet/G. H. Haring, Historisch-kritische Darstellung der dialektischen Methode Hegels, Hildesheim 1977, 1–94, S. 72. 38
286
Die spekulative Logik
damit das Sein selbst erkennt.43 Welche Art von Andersheit hier aber vorliegt, ist umstritten: es könnte sich dabei um ein Verhältnis der Indifferenz, der Konkurrenz oder der Inklusion handeln. Dabei kann ersteres von vornherein ausgeschlossen werden, da Hegel sich immer wieder auf die formale Logik bezieht. Dass Hegels spekulative Dialektik in Konkurrenz zur formalen Logik steht und sich auch selbst so versteht, wurde prominent von Trendelenburg behauptet: so gelte dem spekulativen Denken die Unzulänglichkeit der formalen Logik, zur Klärung bestimmter Fragen beizutragen, gerade als Beweis für die Angemessenheit der eigenen dialektischen Methode.44 Die Dialektik Hegels (bzw. die spekulative Logik) ist in dieser Sicht eine Alternative und gleichzeitige Überbietung der traditionellen formalen Logik, deren Gesetze denn auch in der Dialektik keine Geltung mehr haben. Hegel genügt es in dieser Perspektive nicht mehr, nur wie Fichte die Vernunftgesetze der Tradition, die sich in den logischen Grundsätzen ausdrückten, »aus fundierenden Sachverhalten (dem Ich) abzuleiten«45. Vielmehr bildet er eine neue Logik des spekulativen Denkens aus, die gegenüber der Logik des alltäglichen Denkens »inhaltlich eine überlegene, leistungsfähigere«46 ist. Um die Rationalitätsvorstellungen der Tradition einer grundsätzlichen Kritik unterziehen zu können, habe Hegel »die Leistungsfähigkeit dieser logischen Gesetze und mit ihnen [den] Rahmen und die Bedingungen ihrer Gültigkeit zur Diskussion und zur Disposition«47 stellen müssen. Die Einleitungen der frühen Jenaer Logiken sollen dazu dienen, die konventionellen logischen Gesetze und damit die konventionellen Auffassungen von Rationalität zu destruieren. Sie sollen dabei in ihrer Einseitigkeit enthüllt werden. Die Philosophie dagegen solle dann positiv ihren wahren Bezug zur Wirklichkeit entwickeln. Hegel hält die logischen Gesetze nicht nur für begründungsbedürftig, sondern will sie zerstören. Dabei ist natürlich noch offen, ob die jeweiligen Interpreten dieser Ver43
Henrich bemerkt hierzu, Hegels WdL sei »keine Theorie wahrheitsfunktionalen Schließens, sondern eine formale Ontologie« (Henrich, Hegels Logik der Reflexion (1978), S. 261). 44 »In demselben Maasse als die formale Logik der Aufgabe, das Erkennen zu begreifen, nicht genügte, sah man darin einen indirecten Beweis für die Wahrheit der speculativen Dialektik. Man staunte über die neu entdeckte Schöpferkraft des Denkens.« (Adolf Trendelenburg, Die logische Frage in Hegel’s System. Zwei Streitschriften, Leipzig 1843, S. 5.) 45 Rolf-Peter Horstmann, Die Grenzen der Vernunft. Eine Untersuchung zu Zielen und Motiven des Deutschen Idealismus, Frankfurt am Main 1991, S. 169 f. 46 Hartmann, Die Philosophie des Deutschen Idealismus (1960), S. 386. Die alte Logik bleibt zwar erhalten, ist der neuen aber als niederes Moment untergeordnet, so Hartmann. 47 Horstmann, Die Grenzen der Vernunft (1991), S. 170.
Die spekulative Logik
287
abschiedung der formalen Logik positiv oder (wie Trendelenburg) negativ gegenüberstehen. Positiv aufgefasst kann man in Hegels Ablehnung der klassischen Logik eine Vorstufe der dreiwertigen Logik sehen. In Hegels Logik werde »der klassisch-zweiwertige Formalismus […] von der Theorie der Dialektik völlig absorbiert und seines formalen Charakters endgültig beraubt«.48 Begründet wäre sie durch den neuen Problemhorizont der Idealisten.49 Fichte und noch mehr Hegel waren die Ersten, die erkannten, dass die Aristotelische Logik als Organon der Philosophie unzulänglich ist, weil das denkende Subjekt in ihrem Begriffssystem nicht bestimmt wird. Mit dem Problem der Subjektivität kann die Aristotelische Logik nicht umgehen. Andererseits bleiben Fichtes und Hegels Entwürfe als Logiken aber gerade deshalb unzulänglich, weil sie keine objektiven logischen Rechenregeln enthalten. Die Idealisten – insbesondere Hegel – waren also einerseits im Recht, die formale Logik in der ihnen vorliegenden Gestalt als theoretische Basis für ihr Denken als unzureichend abgelehnt zu haben. Denn gegenüber ihren transzendentalphilosophisch-metaphysischen Problemen musste die formale Logik versagen. Die Aristotelische Logik erwies sich in Bezug auf die sachlichen Probleme der Idealisten als »lächerlich unzureichend«50. Aber die Idealisten täuschten sich in der Annahme, die Entwicklung der formalen Logik sei schon vollendet gewesen. Die Idealisten entdeckten so zwar den »Problembereich einer nichtAristotelischen, philosophischen Logik«51, konnten ihn aber formallogisch nicht richtig deuten, weil ihnen dazu die technischen Hilfsmittel fehlten, die erst einer Theorie mehrwertiger Logikkalküle zur Verfügung steht. Daher deuteten sie ihr Problem der Subjektivität als bloß metaphysisches. Deshalb verzichtete Hegel dann voreilig auf objektive logische Rechenregeln und blieb bei einer bloßen Verwerfung der formalen Logik stehen. Was Hegel besonders in Widerspruch zur formalen Logik zu bringen scheint, ist sein Verhältnis zum Satz der Identität und dem des Widerspruchs. 48
Gotthard Günther, »Das Problem einer trans-klassischen Logik«. In: Gotthard Günther, Beiträge zur Grundlegung einer operationsfähigen Dialektik III. Philosophie der Geschichte und der Technik: Wille, Schöpfung, Arbeit, Strukturanalyse der Vermittlung, Mehrwertigkeit, Stellen- und Kontextwertlogik, Kenogrammatik, Theorie der Zeit, Hamburg 1980, 73–94, S. 73. 49 Eine formale Theorie des Reflexionsprozesses muss, da sie ein intensionales Begriffssystem benutzt, mehrwertig sein. Zur Interpretation der mehrwertigen Kalküle muss ein neues philosophisches Modell verwendet werden, und zwar die »philosophische Theorie des Selbstbewußtseins als einer totalen Reflexionsstruktur in der Entwicklung der transzendental-metaphysischen Logik von Kant bis zu Hegel und Schelling« (Günther, Idee und Grundriß (1978), S. XVII f.), wobei Hegels Logik ihre reifste Form darstellt. 50 Günther, Idee und Grundriß (1978), S. 31. 51 Günther, Idee und Grundriß (1978), S. 64.
288
Die spekulative Logik
Anders als bei Fichte steht bei Hegel die Gültigkeit der logischen Gesetze tatsächlich in Frage. Sein Verhältnis zum Widerspruch und dem Prinzip des zu vermeidenden Widerspruchs selbst scheint ihn zum einen mit der traditionellen Logik – die er kannte –, zum anderen mit der modernen Logik – die uns systematisch vornehmlich interessiert – in Widerspruch zu bringen. So kommt in der Frage nach dem Verhältnis Hegels zur klassischen Logik seiner Auffassung vom Widerspruch seit jeher besondere Bedeutung zu, gilt seine Dialektik doch als Kunst der »Zuspitzung und Auflösung von Widersprüchen«52. Im ersten Kapitel sollen deshalb zunächst mögliche Bestimmungen von Hegels Umgang mit dem Widerspruch analysiert werden. Nun mögen sich in den frühen Schriften tatsächlich Argumente für eine Verabschiedung der formalen Logik durch Hegel finden lassen. Diese gründen aber in der generellen Verabschiedung der Reflexion auf Grund ihrer Unzulänglichkeit für die Erkenntnis des Absoluten. In den späteren Schriften hin-
52
Christoph Menke, »Der ›Wendungspunkt‹ des Erkennens. Zu Begriff, Recht und Reichweite der Dialektik in Hegels Logik«. In: Christoph Demmerling/Friedrich Kambartel (Hrsg.), Vernunftkritik nach Hegel. Analytisch-kritische Interpretationen zur Dialektik, Frankfurt am Main 1992, 9–66, S. 29. Nach Wolff etwa hängen fast alle »irritierenden Bemerkungen« Hegels, die die Prinzipien und Grundbegriffe der Logik betreffen, »direkt oder indirekt mit Hegels Auffassung vom Begriff des Widerspruchs zusammen« (Wolff, Der Begriff des Widerspruchs. Eine Studie zur Dialektik Kants und Hegels, Königstein/Ts. 1981, S. 9). Nach Schmitz allerdings sind Hegels Logik und die formale Logik voneinander so grundsätzlich verschieden, dass jeder Versuch, Hegels Verwendung des Widerspruchs mit der Aussagenlogik und ihres Verbots des Widerspruchs in Einklang zu bringen, von vornherein scheitern muss. Es bestehe »weder Einigung noch Dissens« (Hermann Schmitz, Hegels Logik, Bonn/Berlin 1992, S. 21). Ein Versuch der Harmonisierung beider Logiken könne nicht deshalb nicht gelingen, weil »Hegel Sätze der konventionellen Logik […] nicht gelten ließe, sondern deshalb, weil er das Substrat der Wahrheit so anders bestimmt, daß er, wenn er etwas Wahres sagen will, in einem so völlig anderen Element als dem von der formalen Logik vorausgesetzten […] arbeitet, daß es gar keine Gelegenheit zur Ausgleichung der Ansprüche beider Seiten gibt.« (20) In der Aussagenlogik komme Wahrheit fixen Sätzen zu, in Hegels Logik dagegen dem Satzsinngleiten, dem Übergehen der Satzsinne ineinander. Die »Wasserscheide seiner Dialektik und der formalen Logik« (23) bestehe insofern darin, dass die Logik davon ausgehe, die Wahrheit könne »in Sätzen zum Stehen gebracht werden« (23). Wenn dies allerdings richtig wäre, so wäre es andererseits völlig widersinnig, wie Schmitz selbst anzunehmen, Hegel befände sich in letzter Konsequenz dann doch mit dem formallogischen SdW »in schönster Übereinstimmung« (24), weil er jedem abgeschlossenen Satz seine Wahrheit abspreche und folglich auch Sätzen der Form (p ∧ ~p). Der formallogische Satz impliziert aber doch gerade, dass ~(p ∧ ~p) eine Tautologie und folglich immer wahr ist. Zudem setzt Hegel sich selbst ja immer wieder in ein Verhältnis zur formalen Logik und ihren Gesetzen.
Die spekulative Logik
289
gegen belegen die Selbstexplikationen eher, dass Hegel die formale Logik in seine Logik integrieren und durch sie begründen wollte.53 »Die spekulative Logik enthält die vorige Logik und Metaphysik, konserviert dieselben Gedankenformen, Gesetze und Gegenstände, aber sie zugleich mit weiteren Kategorien weiterbildend und umformend.«54 So wird denn auch von vielen Interpreten eher die Ansicht vertreten, Hegel wolle die alte Logik nicht »vernichten«, sondern neu begründen.55 Zwar bestimmt auch für die natürliche Logik die Tätigkeit des Denkens alle Vorstellungen, aber nur als »Formen die nur an dem Gehalt, nicht der Gehalt selbst«56 sind. Hegels Logik dagegen erhebt die Bestimmungen des Denkens »zur Freyheit und Wahrheit«57. Werden die Denkbestimmungen nur als Formen betrachtet, so scheint es nahe zu liegen, sie für trivial zu erklären – so eben die Identität, die in der formalen Logik im Satz der Identität und dem des Widerspruchs ausgedrückt wird. Wer nach diesen Gesetzten spricht, scheint gar nichts zu sagen, denn die Gesetze der Logik sagen als Tautologien eben nichts.58 Die Denkbestimmungen sollen nicht nur Form eines von ihnen unterschiedenen Inhalts sein, so dass die Logik immer schon das Produkt einer Abstraktionsleistung wäre, sondern sie sollen »wahrhaft an ihnen selbst betrachtet werden«59. Darin zeigt sich bereits die Methode der Logik: die Denkbestimmungen werden zum einzigen Kriterium ihrer Wahrheit. Sie werden als sie selbst gedacht. Die objektive Logik entspräche dann der transzendentalen Logik, die subjektive Logik dagegen der formalen als »der gewöhnlichen so genannten Logik«60.
53
Dies bestätigt auch die Entwicklungsgeschichte. Hegels frühe Manuskripte zur Logik zeigen, dass Hegel »in seine Logik die Grundzüge der formalen Logik aufgenommen, sie aber neu begründet und in andere Zusammenhänge gebracht hat.« (Düsing, Das Problem der Subjektivität in Hegels Logik (1976), S. 78.) 54 Enzyklopädie 1830 § 9; SW 8, S. 53. 55 Nach Wolff will Hegel »keine ›höhere‹ Logik« (Wolff, Der Begriff des Widerspruchs (1981), S. 9) mit eigenen Gesetzen begründen. 56 WdL I/1 1832; GW 21, S. 15. 57 WdL I/1 1832; GW 21, S. 16. 58 »Die gesunde Vernunft hat ihre Ehrerbietung vor der Schule, die im Besitze solcher Gesetze der Wahrheit [ist] und in der sie noch immer so fortgeführt werden, so sehr verloren, daß sie dieselbe darob verlacht, und einen Menschen, der nach solchen Gesetzen wahrhaft zu sprechen weiß: die Pflanze ist eine – Pflanze, die Wissenschaft ist – die Wissenschaft, und sofort ins unendliche, für unerträglich hält.« (WdL I/1 1832; GW 21, S. 16.) 59 WdL I/1 1832; GW 21, S. 17. 60 WdL II 1816; GW 12, S. 5.
290
Die spekulative Logik
Dass die Logik Hegels die Metaphysik und die formale Logik »konserviert«, bedeutet freilich nicht, dass sie einfach eine Addition von formaler Logik und Metaphysik wäre. Vielmehr ist die Logik »eigentliche Metaphysik oder reine speculative Philosophie«61. Deshalb sind beide, vor-hegel’sche Metaphysik und Logik, in ihr modifiziert: »In der spekulativen Logik ist die bloße Verstandes-Logik enthalten und kann aus jener sogleich gemacht werden; es bedarf dazu nichts, als daraus das Dialektische und Vernünftige wegzulassen; so wird sie zu dem, was die gewöhnliche Logik ist, eine Historie von mancherlei zusammengestellten Gedankenbestimmungen, die in ihrer Endlichkeit als etwas Unendliches gelten.«62 Der Verstand ist auch nicht etwas nur zu Überwindendes, sondern notwendiges Moment des Denkens, insofern ohne ihn überhaupt nichts Bestimmtes gedacht würde.63 Unsere These ist, dass Hegels Logik sich zur formalen Logik verhält wie Platons Dialektik zur Mathematik und das, was in der formalen Logik hypothetisch vorausgesetzt wird, spekulativ durchdringt.64 Das heißt zunächst, dass Hegel die Gesetze der formalen Logik nicht verwirft und durch Aufstellung alternativer Gesetze eine konkurrierende Logik entwickelt. Vielmehr sollen in der WdL die Regeln und Gesetze der klassischen Logik begründet werden. Hegels WdL unterscheidet sich dadurch von der formalen Logik, dass diese die Geltung gewisser Gesetze bloß voraussetzt, Hegel sie hingegen
61
WdL I/1 1832; GW 21, S. 7. Enzyklopädie 1830 § 82; SW 8, S. 177. 63 »Der Verstand ist das denkende bestimmen überhaupt, und das Festhalten in gedachten Bestimmungen. […] Er unterscheidet das Wesentliche von dem Unwesentlichen, und erkennt die Nothwendigkeit und Geseze der Dinge.« (System der besondern Wissenschaften (1810/11) Diktat §§ 107 f.; GW 10,1, S. 350.) Die Vernunft zeigt aber noch das Übergehen der Bestimmungen ineinander auf. 64 In diesem Sinne schreibt etwa Hösle: Es ist »zweifelsohne ein wichtiges und geradezu unabdingbares Anliegen Hegels, die formale Logik – die selbst eine Hypothesis-Wissenschaft ist, um mit Platon zu reden – begründen zu wollen.« (Hösle, Hegels System (1998), S. 180.) Die Ausführungen Platons zur Mathematik als Wissenschaft, die noch Hypothesen in Anspruch nimmt, und der Dialektik, die zu den voraussetzungslosen Prinzipien gelangt, zitiert Hegel ausführlich in Philosophiegeschichte II; SW 19, S. 58 ff. Dieser Unterschied komme bei Platon zum Bewusstsein: »In der Mitte zwischen der Meinung und der Wissenschaft an und für sich liegt das räsonierende Erkennen, die schließende Reflexion, das reflektierende Erkennen, das sich allgemeine Gesetze, bestimmte Gattungen aus jenem bildet. Das Höchste aber ist das Denken an und für sich, das auf das Höchste gerichtet ist.« (60) Die Dialektik Platons sei dann der Beginn der »Bewegung des Logischen« (61). 62
Die spekulative Logik
291
»auf noch elementarere reflexionslogische Beziehungen«65 zurückführen möchte. Aber es kann hierbei nicht damit getan sein, die Denkgesetze bloß auf etwas noch Elementareres zurückzuführen. Denn das wäre ja wiederum nur ein externer Grund, der vielleicht wieder eines Grundes bedarf. In diesem Sinne wäre Hegels Logik auch eine Fortsetzung von Kants und Fichtes Transzendentalphilosophie. Versteht man nämlich unter »transzendental« »eine methodisch strenge Reflexion auf eigene Geltungsansprüche«66, so ist Hegels Philosophie nicht nur eine weitere Alternative zu Kants und Fichtes Philosophie, sondern – zumindest für Hegelianer – »in gewissem Sinne als deren Höchstform zu deuten«67. Wenn man unter Hegels Logik den Versuch einer Begründung der logischen Begriffe und Gesetze versteht, die die formale Logik auch in ihrer heutigen Form noch voraussetzt, so ist es auch kein Mangel, dass sie nicht selbst formal ist. Hegel entwirft nämlich kein Regelsystem zum Operieren mit Satzfiguren, sondern fragt »nach den Bedeutungen gewisser Satz- und Deduktionsfiguren und damit nach den Voraussetzungen, welche den bloß ›rationalen‹ Umgang mit ihnen allererst vernünftig machen«68. Die extensionale formale Logik bedarf ja als Bedingung ihrer eigenen Möglichkeit einer vorgängigen intensionalen Logik, die ihre Begriffe und Operationsregeln erst einmal begründet. Hegel untersucht dabei die Wahrheit und Unwahrheit der formalen Logik, indem er sie begründet. Die formale Logik beruht auf naiven, weil unreflektierten Grundlagen. Die Logik Hegels hingegen reflektiert auf die Grundlagen der formalen 65
Christian Iber, Metaphysik absoluter Relationalität. Eine Studie zu den beiden ersten Kapiteln von Hegels Wesenslogik, Berlin/New York 1990, S. 256. 66 Hösle, Hegels System (1998), Anm. S. 12. 67 Hösle, Hegels System (1998), S. 12. Werner Flach vertritt diese Ansicht sehr dezidiert: die traditionelle Logik könne nicht einmal die formalen Voraussetzungen des Denkens ausreichend bestimmen. Deshalb müsse »jenseits der formalen Logik noch ein ganzes, eminent bedeutsames Feld logischer Rationalität liegen, nämlich dasjenige der Prinzipien des Denkens schlechthin, des Theoretischen in seinem Ursprung, das Denken selbst als Prinzip.« (Flach, Negation und Andersheit. Ein Beitrag zur Problematik der Letztimplikation, München/Basel 1959, S. 7.) Auch die transzendentale Logik Kants führe nicht weit genug: sie fasse das Logische nicht in seiner Genesis. Die Logik des Absoluten sei deshalb beiden Logiken vorgeordnet. Hegel erweise die Unmöglichkeit der traditionellen Logik, weil diese »als unreflektiertes Denken im Grunde bloße Axiomatik ist« (68), und ersetze sie durch die absolute Logik. Hegel bewerte die klassische Logik »nur als das spekulativ untaugliche Produkt eines rein gegenständlich orientierten, unreflektierten, über sich selbst unklaren Denkens« (70). 68 Pirmin Stekeler-Weithofer, »Verstand und Vernunft. Zu den Grundbegriffen der Hegelschen Logik«. In: Christoph Demmerling/Friedrich Kambartel (Hrsg.), Vernunftkritik nach Hegel. Analytisch-kritische Interpretationen zur Dialektik, Frankfurt am Main 1992, 139–197, S. 148.
292
Die spekulative Logik
Logik. Die Unwahrheit der Logik beruht darauf, »daß diese sich selbst und mit eigenen Mitteln nicht verstehen kann, ja, daß ihre Voraussetzungen im vollen Sinne gar nicht verstehbar sind«69. Dass die Voraussetzungen, die Hegel reflektiert, dabei allzu trivial sind, wäre nun kein Argument für Hegel. Denn schließlich gilt ja für ihn: »Das Bekannte überhaupt ist darum, weil es bekannt ist, nicht erkannt.«70 Beim Erkennen darf nichts als bekannt vorausgesetzt werden, folglich auch nicht die Logik. Gerade diese scheint aber Hegels berühmtes Verdikt zu betreffen. Auch sie wird »unbesehen als bekannt und als etwas gültiges zu Grunde gelegt«71. Man kann die formale Logik somit in ein Verhältnis zur spekulativen Logik setzen, das dem Verhältnis von gesundem Menschenverstand und Spekulation in der Differenzschrift entspricht: »die Spekulation versteht deßwegen den gesunden Menschenverstand wohl, aber der gesunde Menschenverstand nicht das Thun der Spekulation.«72 Die logischen Sätze sind ihrerseits Sätze, die des Beweises bedürfen. Dies ist bei allen Sätzen der Fall, dass sie bewiesen werden müssen, aber nicht beim – nicht in Sätzen ausdrückbaren – Spekulativen. Dort ist der Satz nicht von seinem Beweis getrennt: »Der Begriff ist dieses Selbstbewegen, nicht, wie in einem Satze, Ruhenwollen, – noch so, daß der Beweis einen anderen Grund, Mittelbegriff herbeibringt, andere Bewegung ist, sondern an ihm selbst.«73 Die Logik hat die Aufgabe, »die bloß vorgestellten und als solche unbegriffenen und unbewiesenen Gedanken als Stufen des sich selbst bestimmenden Denkens aufzuzeigen, womit dieselben dann zugleich begriffen und bewiesen werden.«74 Dies kann aber keine anthropologische oder psychologische Begründung sein: »Mit demselben Recht, mit welchem der Logiker behauptet, unser Denkvermögen sei einmal so beschaffen, daß wir bei allem nach einem Grund fragen müßten, könnte dann auch der Mediziner, wenn er gefragt wird, 69
Zahn, Die Idee der formalen und transzendentalen Logik (1965), S. 165. Phänomenologie (1807); GW 9, S. 26. 71 Phänomenologie (1807); GW 9, S. 27. So bestimmt Beierwaltes die Hegel’sche Logik im Gegensatz zur formalen folgendermaßen: »Logik […] ist nicht jeweils schon fertig bereitstehendes und anwendbares Instrumentarium formaler Natur, sondern reflektierendbegründender Nachvollzug […] des Geistes, der Idee oder der Wahrheit.« (Beierwaltes, Platonismus und Idealismus, Frankfurt a.M. 1972, S. 161.) 72 Differenzschrift (1801); GW 4, S. 20. 73 Philosophiegeschichte II; SW 19, S. 398. 74 Enzyklopädie 1830 § 121; SW 8, S. 249. 70
Die spekulative Logik
293
weshalb ein Mensch, der ins Wasser fällt, ertrinkt, antworten, der Mensch sei einmal so eingerichtet, unterm Wasser nicht leben zu können […].«75 Hegels Logik ist so eine Rekonstruktion und Rechtfertigung des Geltungsanspruchs der logischen Kategorien76 sowie die Bestimmung ihrer Wahrheit. Selbst wenn man aber das Verhältnis von Hegels Logik zur formalen Logik als ein Begründungsverhältnis deutet, so lässt dies noch mehrere Möglichkeiten zu, wie dieses Begründungsverhältnis inhaltlich gedacht werden muss. Ausgehend von dem Gedanken, dass die WdL die Denkbestimmungen darstellt, wie sie vor der Schöpfung im Geiste Gottes waren, kann man dieses Verhältnis als metaphysisch-theologische Begründung einer die menschliche Tätigkeit des Denkens darstellenden Logik deuten.77 Die Logik Hegels ist in diesem Deutungstypus zumeist Ausdruck der christlich-trinitarischen Metaphysik. Allerdings versteht sich ja bereits die formale Logik nicht mehr als formaler Ausdruck einer spezifisch menschlichen Tätigkeit. Deutet man deshalb das Verhältnis spekulative Logik – formale Logik um in das Verhältnis christlicher Logos – menschlich-subjektive Tätigkeit, so wird die Begründungsleistung von Hegels Logik einerseits unnötig eingeschränkt, denn sie soll durchaus auch eine objektive Logik im Sinne Freges mitbegründen können, andererseits führt man eine für diese Begründung gar nicht notwendige Hypothese ein, nämlich dass Hegel die formale Logik über eine spezifisch christliche Metaphysik zu begründen versucht. Beides ist aber nicht zwingend notwendig, um den Gedanken Hegels einsichtig zu machen (was nicht schon seine Falschheit impliziert). 75
Enzyklopädie 1830 § 121; SW 8, S. 249. Die Rückführung der Logik auf ihre »anthropologischen Grundlagen« (WdL I 1812/13; GW 11, Anm. S. 23) wie bei Fries hält Hegel nicht einmal für einer ausführlichen Kritik wert, weil die »Seichtigkeit der dabei zugrunde liegenden Vorstellung oder Meynung an und für sich« (Anm. S. 23) dies überflüssig macht. Das Selbstbewusstsein in den Konzeptionen Fichtes und Hegels ist kein psychischer Akt, sondern »allgemeiner Grund der logischen Regeln und Gesetze« (Düsing, Das Problem der Subjektivität in Hegels Logik (1976), S. 13). 76 Vgl. Gerhard Martin Wölfle, Die Wesenslogik in Hegels ›Wissenschaft der Logik‹. Versuch einer Rekonstruktion und Kritik unter besonderer Berücksichtigung der philosophischen Tradition, Suttgart-Bad Cannstatt 1994, S. 19 ff. 77 Als eine Metalogik gegenüber der klassischen Logik deutet Dariusz Aleksandrowicz in diesem Sinne Hegels WdL: Die formale Logik befasse sich mit dem Denken als einer subjektiven Tätigkeit. Die Denkbestimmungen der Hegel’schen Logik seien dagegen »die eigentliche Substanz des Denkens« (»Das Problem des Anfangs bei Hegel«. In: PhJb 92 (1985), 225–238, S. 226). Dieses Verhältnis wird dann noch einmal metaphysisch umgedeutet: Die formale Logik sei dann als menschliche Logik »als ein Ausdruck der objektiven (von unserem Denken unabhängigen) und absoluten Bewegungsgesetze des Logos zu begreifen.« (234)
294
Die spekulative Logik
Nach einer anderen Deutung wollte Hegel die formale Logik, die ihm nur in Gestalt der Aristotelischen Syllogistik vorlag, zusammen mit der transzendentalen Logik in seiner spekulativen Logik aufheben.78 Auch in der von uns vorgeschlagenen Deutung soll die spekulative Logik eine Vereinigung von transzendentaler und formaler Logik sein: Die Logik geht dadurch von einer bloß transzendentalen in eine spekulative über, dass sie die Denkbestimmungen nicht mehr nur als objektiv – das heißt, nur gegenstandskonstituierend – betrachtet, sondern ihre Objektivität philosophisch untersucht.79 Gleiches gilt für die Bestimmungen der formalen Logik. Damit ist sie aber nur eine Überbietung der transzendentalen Logik, wie sie in der Gestalt durch Kant vorlag. Denn schon Fichte untersuchte die objektiven Bestimmungen des Denkens auf ihre Gültigkeit hin. Die Formen des Denkens müssen nach Hegel daraufhin untersucht werden, ob das Denken durch sie fähig ist, das Wahre zu erkennen. Hierin stimmt Hegel Kant zu. Aber es reicht dazu nicht aus, sie als Bedingungen der Möglichkeit von Erfahrung zu erweisen. Vielmehr muss auch der Gebrauch dieser Begriffe in diesem Nachweis legitimiert werden.80 Dies wird im zweiten Kapitel untersucht. Das Problem, was man überhaupt darunter verstehen kann, dass die Kategorien sich selbst untersuchen, und das Verhältnis von Anwendung und Explikation der Reflexionsbestimmungen, soll im dritten Kapitel untersucht werden: die Wissenschaft fordert nämlich »gänzliche Voraussetzungslosigkeit an allem«81. Dieser Zwang zur Voraussetzungslosigkeit gilt in besonderem Maße von der Logik: Wenn nämlich die Logik zum Beweisen dienen soll, so muss sie zunächst ihren eigenen Inhalt beweisen können. Der Anfang der Logik soll deshalb ein voraussetzungsloser sein. Nichts, was dem Denken vorgegeben ist, kann das Denken gelten lassen. Am Anfang muss der Entschluss stehen, »rein denken zu wollen«82. Der
78
Vgl. Bröcker, Formale, transzendentale und spekulative Logik (1962), S. 7. Auch nach Zahn ist die Hegel’sche Logik der Versuch, »das Nebeneinander von formaler und transzendentaler Logik aufzulösen« (Zahn, Die Idee der formalen und transzendentalen Logik (1965), S. 164). 79 Vgl. Menke, Der ›Wendungspunkt‹ des Erkennens (1992), S. 20. 80 Vgl. Hans Friedrich Fulda, »Über den spekulativen Anfang«. In: Subjektivität und Metaphysik. Festschrift für Wolfgang Cramer, Frankfurt am Main 1966, 109–127, S. 112. 81 Enzyklopädie 1830 § 78; SW 8, S. 168. 82 Enzyklopädie 1830 § 78; SW 8, S. 168. Es kann deshalb keine Einführung in die Wissenschaft der Logik geben. »Das Denken fängt mit sich selbst, d. h. mit dem Entschluß zu denken, an.« (Gadamer, Hegel und die antike Dialektik (1961); GGW 3, S. 9.)
Die spekulative Logik
295
Anfang hat »nur eine Beziehung auf das Subjekt, als welches sich entschließen will zu philosophieren«83. Es soll »keine Voraussetzung gemacht, der Anfang selbst unmittelbar genommen werden«84. Indem das Denken sich selbst zum Gegenstand macht, bringt es in dem Akt, in dem es sich zum Gegenstand macht, seinen Gegenstand hervor. Gerade mit dem Anspruch, dass die Bestimmungen des Denkens begründet werden müssen, knüpft Hegel an Fichte an und geht mit ihm über Kant hinaus: das »tiefe Verdienst«85 Fichtes besteht ja in der Ableitung der Denkbestimmungen und damit über ihre bloße Faktizität hinaus im Aufweis ihrer Notwendigkeit.86 Die Logik darf die Gesetze und Bestimmungen des Denkens nicht wie die anderen Wissenschaften voraussetzen. Sie sind ja Inhalt der Logik und sollen in ihr erst begründet werden.87 Die Bestimmungen des Denkens gelten zwar a priori, aber das Apriorische ist deshalb auch nicht das schlechthin dem Denken unvermittelbar Vorausgesetzte, sondern die »in sich reflektierte, daher in sich vermittelte Unmittelbarkeit des Denkens«88. Das Denken der alten Metaphysik war deshalb unfrei, »weil dasselbe seine Bestimmungen ohne weiteres als ein Vorausseiendes, als ein Apriori gelten ließ, welches die Reflexion nicht selbst geprüft hatte.«89 Kritische Philosophie muss dagegen untersuchen, inwieweit die Formen des Denkens überhaupt zur Erkenntnis der Wahrheit taugen. Vom Denken als solchem muss angefangen werden. Das voraussetzungslose Denken muss der absolute Anfang sein. Diesen Versuch unternommen zu haben, rühmt Hegel an Descartes, dessen methodischen Zweifel De omnibus dubitandum est er als Forderung versteht, dass die Philosophie alle Voraussetzungen aufzugeben hat. Der Cartesische Zweifel sei so das »Versenken aller Voraussetzungen und Bestimmungen selbst.«90 Anders als im Skeptizismus ist das Ziel des Cartesischen Zweifels nicht Unentschlossenheit, sondern die Aufhebung von unmittelbar als wahr angenommenen Voraussetzungen und Vorurteilen, um dadurch »vom Denken an[zu]fangen, um erst vom Denken aus auf
83
Enzyklopädie 1830 § 17; SW 8, S. 63. WdL I/1 1832; GW 21, S. 56. 85 Enzyklopädie 1830 § 42; SW 8, S. 117. 86 Die Bestimmungen des Denkens wurden »nicht mehr nur aus der Beobachtung genommen und so bloß empirisch aufgefaßt, sondern aus dem Denken selbst abgeleitet« (Enzyklopädie 1830 § 42; SW 8, S. 117). 87 Vgl. WdL I/1 1832; GW 21, S. 27. 88 Enzyklopädie 1830 § 12; SW 8, S. 57. 89 Enzyklopädie 1830 § 41; SW 8, S. 114. 90 Philosophiegeschichte III, SW 20, S. 127. 84
296
Die spekulative Logik
etwas Festes zu kommen, einen reinen Anfang zu gewinnen.«91 Die Forderung Descartes’ hält Hegel für »ein großes, höchst wichtiges Prinzip.«92 Das Denken muss mit sich selbst anfangen. Die Voraussetzungen des Denkens müssen durch den Zweifel aufgehoben werden, »denn das Vorausgesetzte ist nicht durch das Denken gesetzt, ist ein Anderes des Denkens: das Denken ist nicht darin bei sich […]; vom Denken soll ausgegangen werden.«93 Damit aber verfiele das Erkennen der Formen des Denkens in einen Zirkel: »Allerdings sollen die Formen des Denkens nicht ununtersucht gebraucht werden, aber dies Untersuchen ist selbst schon ein Erkennen. Es muß also die Tätigkeit der Denkformen und ihre Kritik im Erkennen vereinigt sein.«94 In der Frage nach der Entwicklung der Denkbestimmungen interessiert sich Hegel – gegen Locke – nicht für den »psychologischen Weg des Geistes«95. Für ihn hat nur die Frage Bedeutung: »Ist dies, was in uns ist, wahr? Das Woher erschöpft die Frage nicht.«96 Der voraussetzungslose Anfang der Logik bedeutet gerade nicht, sich einmal ganz dumm zu stellen, so als hätte man noch nie etwas von Logik gehört. Vielmehr werden die bisherigen Logiken als Material in Anspruch genommen. So findet Hegel auch in der Begriffslogik »ein völlig fertiges und festgewordenes, man kann sagen, verknöchertes Material«97 vor. Dieses versucht er nun jedoch »in Flüssigkeit zu bringen«98, um »den lebendigen Begriff in solchem todten Stoffe wieder zu entzünden«99. Hieraus ergibt sich das Zirkelproblem und die Art, wie die Denkformen zu untersuchen sind: sie müssen sich selbst kritisieren. Denn es ist gerade die Frage, wie sich die Logik Hegels in ein reflexives Verhältnis zur formalen Lo-
91 92 93 94 95 96 97 98 99
Philosophiegeschichte III; SW 20, S. 127. Philosophiegeschichte III; SW 20, S. 128. Philosophiegeschichte III; SW 20, S. 129. Enzyklopädie 1830 § 41; SW 8, S. 114. Philosophiegeschichte III; SW 20, S. 214. Philosophiegeschichte III; SW 20, S. 214. WdL II 1816; GW 12, S. 5. WdL II 1816; GW 12, S. 5. WdL II 1816; GW 12, S. 5.
Die spekulative Logik
297
gik setzen kann, wenn sie diese doch scheinbar immer voraussetzt. Sie einer epoché zu unterziehen, ist ja dann nicht möglich.100
100
Diesen Versuch unterstellt Demmerling Hegel: der Geltungsbereich der klassischen Logik werde durch die Ausführungen Hegels nicht eingeschränkt. »Die spekulative Philosophie beginnt erst jenseits derselben, sie fragt als Reflexion der Reflexion nach dem Verhältnis des Denkens zur Logik bzw. der Struktur des Denkens selbst.« (Christoph Demmerling, »Philosophie als Kritik. Grundprobleme der Dialektik Hegels und das Programm kritischer Theorie«. In: Christoph Demmerling/Friedrich Kambartel: Vernunftkritik nach Hegel. Analytisch-kritische Interpretationen zur Dialektik, Frankfurt am Main 1992, 67– 99, S. 90.) Philosophie ist insofern auch Reflexion auf die Gültigkeit der logischen Gesetze. Weil aber die Regeln der klassischen Logik und ihre Voraussetzungen Gegenstand der dialektischen Philosophie seien, werde die klassische Logik »›eingeklammert‹« (91). Wie könnte man aber die klassische Logik einklammern, wenn man sie doch andererseits in Anspruch nehmen muss. Nach Werner Becker relativiert die Dialektik Begriff und Bestimmungen der formalen Logik, ohne sie jedoch zu negieren. Die formale Logik werde dabei mit den Mitteln der formalen Logik der Unwahrheit überführt. Die Relativierung ergibt sich aus einer Reflexion auf den Begriff dieser Logik. Die formale Logik wird damit zur Voraussetzung der dialektischen Logik. (Vgl. Becker, Hegels Begriff der Dialektik und das Prinzip des Idealismus. Zur systematischen Kritik der logischen und der phänomenologischen Dialektik, Stuttgart u. a. 1969, S. 11 ff.) Dass aber Hegels dialektisches Philosophieren umgekehrt den Anspruch erhebt, doch eigentlich die Logik zu begründen, ist nach Becker nur ein scheinbarer Widerspruch. Die »dialektische Logik anerkennt nämlich nicht die prinzipielle Getrenntheit einer Voraussetzung von dem, wofür die Voraussetzung Voraussetzung ist.« (14) Die formale Logik sei deshalb nicht eine Voraussetzung der dialektischen Logik, die in ihr gar nicht als Gegenstand thematisiert werden könnte, vielmehr werde sie, insofern sie von der dialektischen Logik als Voraussetzung anerkannt werde, dann »in ihrer [der dialektischen Logik; S. Sch.] eigenen Entfaltung thematisiert« (14).
. Hegel und der Widerspruch 1.1. Die Einschränkung der universalen Gültigkeit des Satzes des Widerspruchs 1.1.1. Es gibt Widersprüche Die erste von Hegels Habilitationsthesen (1801) lautet bekanntlich: »Contradictio est regula veri, non contradictio, falsi.«101 An der kantischen Philosophie rühmt Hegel insbesondere, dass sie den »für die Wissenschaft so hoch interessanten und Epoche machenden Satz von der Nothwendigkeit der Widersprüche«102 ausgesprochen hat. Denn der Widerspruch ist »das Erheben der Vernunft über die Beschränkungen des Verstands und das Auflösen derselben.«103 Aus diesen und anderen ähnlich mehrdeutigen Stellen, in denen Hegel die Wirklichkeit oder sogar Notwendigkeit von Widersprüchen behauptet, schließen insbesondere Kritiker Hegels auf ein Bekenntnis zur Inkonsistenz. So schreibt etwa C. S. Peirce: »soweit ich weiß, bekennen Hegelianer sich dazu, sich selbst zu widersprechen«104. Der Hegelianer versuche als Dialektiker Widersprüche nicht zu vermeiden, sondern aufzufinden und so101
GW 5, S. 227. Rezension Ohlert (1831); GW 16, S. 279. 103 WdL I/1 1832; GW 21, S. 30. 104 Charles S. Peirce/William T. Harris, »Nominalismus versus Realismus«. In: Rolf-Peter Horstmann (Hrsg.), Seminar: Dialektik in der Philosophie Hegels, 177–193, S. 184. Noch drastischer heißt es in Eugen Dührings Kritischer Darstellung der Nationalökonomie und des Socialismus von ihren Anfängen bis zur Gegenwart (1871): »Die Wirklichkeit des Absurden ist der erste Glaubensartikel der Hegelschen Einheit von Logik und Unlogik … Je widersprechender, desto wahrer, oder mit andern Worten: je absurder, desto glaublicher, diese nicht einmal neu erfundne, sondern der Offenbarungstheologie und der Mystik entlehnte Maxime ist der nackte Ausdruck des sogenannten dialektischen Prinzips.« (Zitiert nach: Friedrich Engels, Anti-Dühring (31894); MEW 20, S. 111.) Aber nicht nur Kritiker Hegels entheben sich gerne der Mühe, seinen Widerspruchsbegriff und dessen Strukturen einer eingehenden Analyse zu unterziehen. Gegen den Versuch, den Widerspruchsbegriff bei Hegel durch Differenzierungen aufzulösen, wendet sich etwa Konrad Utz. Das Verständnis Hegel’scher Dialektik fordere vielmehr »die Verschärfung, nicht die Entschärfung des Widerspruchsgedankens« (Utz, Die Notwendigkeit des Zufalls. Hegels spekulative Dialektik in der ›Wissenschaft der Logik‹, Paderborn u. a. 2001, Anm. S. 94). Für das Denken der Sache gebe es nur den Unterschied, den das Denken gemacht habe. »Wo es selbst keinen Unterschied macht, da bleibt Ununterschiedenheit.« (94) Die Bedingung, den Widerspruch denken zu können, sei so das Aufheben sämtlicher Differenzierungen: dann befinde man sich erst im reinen Denken. Das reine Denken sei ein entdifferenziertes – und damit wohl doch nur die Nacht, in der alle Kühe schwarz sind. 102
Hegel und der Widerspruch
299
gar absichtlich hervorzubringen. Der Widerspruch ist aus Sicht solcher Interpreten deshalb »des Dialektikers liebstes Kind«105. Dass es die Dialektik mit Widersprüchen zu tun hat, lässt sich tatsächlich nicht leugnen. Für solche Interpreten ist aber damit schon ausgemacht, um was für eine Art Widerspruch es sich handelt: sie verstehen den Widerspruch in einem aussagenlogischen Sinne, also als inhaltliche Ausfüllungen der Formel (p ∧ ~p). Damit setzen sie den Widerspruch Hegels mit bloßer Inkonsistenz gleich: sowohl p als auch non-p werden als wahr behauptet und damit werde die Gültigkeit des Satzes vom Widerspruch von Hegel geleugnet.106 Im 20. Jahrhundert ist diese Auffassung besonders prominent von Karl Popper vertreten worden.107 Popper erklärt Hegels Bejahung der Inkonsistenz und seine Leugnung des Widerspruchsprinzips dadurch, dass der Widerspruch tatsächlich in der wissenschaftlichen Theoriebildung produktiv sei. Er ist dies, insofern Widersprüche zur Revision von Theorien und damit zur Entwicklung der Wissenschaften führen: entweder durch immanente Inkonsistenz einer Theorie oder durch den Widerspruch zwischen einem Theorem innerhalb einer Theorie und einer gegenteiligen Tatsache.108 Allerdings verkenne Hegel den Grund für diese Art Produktivität des Widerspruchs. Er kann nämlich seine Produktivität nur dadurch entfalten, dass er als etwas verstanden wird, das nicht wahr sein kann und deshalb zu überwinden ist. Dazu muss aber der Satz des Widerspruchs gerade in Geltung bleiben. Der Widerspruch ist nur deshalb fruchtbar, weil »wir entschlossen sind, keine Widersprüche zu dulden und jede Theorie zu ändern, die Widersprüche enthält«109. Aus der Fruchtbarkeit des Widerspruchs schließe Hegel jedoch fälschlich darauf, dass der Widerspruch nicht vermieden werden müsse. Damit nehme er ihm gerade seine Fruchtbarkeit. Der Entschluss, Widersprüche 105
Wolfgang Wieland, »Dialektik und Relationen«. In: Philosophie der Subjektivität und das Subjekt der Philosophie. Festschrift für Klaus Giel zum 70. Geburtstag, hrsg. v. Renate Breuninger, Würzburg 1997, 369–383, S. 369. 106 Nach Siewerth etwa »stehen sich die Lehren des Aristoteles und Hegels unversöhnlich gegenüber, und zwar deshalb, weil nach Aristoteles das Sein an sich selbst den Widerspruch überhaupt nicht wirklich an sich trägt und durch dessen Setzung in seinem Wesen verfehlt wird.« (Gustav Siewerth, »Der Widerspruch im Werk des jüngeren Hegel«. In: Ders., Gott in der Geschichte. Zur Gottesfrage bei Hegel und Heidegger, hrsg. v. Alma von Stockhausen, Düsseldorf 1971, 96–112, S. 98.) 107 Poppers Ausführungen beziehen sich teilweise auf sämtliche Dialektiker. Da Hegel darin eingeschlossen ist, werde ich der Einfachheit halber nur von Hegel sprechen. 108 »Ohne Widerspruch, ohne Kritik gäbe es kein vernünftiges Motiv für die Änderung unserer Theorien: es gäbe keinen geistigen Fortschritt.« (Popper, Was ist Dialektik? (1940), S. 266.) 109 Popper, Was ist Dialektik? (1940), S. 267.
300
Die spekulative Logik
zuzulassen, würde im Gegenteil wegen des ex falso quodlibet »den völligen Zusammenbruch der Wissenschaft bedeuten«110. Denn aus einem Widerspruch kann jede beliebige Behauptung als wahr abgeleitet werden. Die Theorie Hegels würde durch das Zulassen von Widersprüchen zudem kritikresistent, denn einer Theorie zu widersprechen, bedeute dann nicht mehr, ihre Wahrheit in Frage zu stellen. Auf widersprechende Kritik würde der Dialektiker nur »mit einem Willkommensgruß für die Widersprüche«111 reagieren. Da die Hegel’sche Logik die Inkonsistenz bejahe, anstatt zu vermeiden suche, könne man Hegel also gar nicht mehr kritisieren. Die Bejahung des Widerspruchs in der Form von Inkonsistenz führe so zu einer Selbstimmunisierung der Theorie Hegels gegen jede Form möglicher Einwände. Hegels System werde zu einem »Dogmatismus von äußerst gefährlicher Art«112: egal wie man ihm widerspricht, dies widerlegt nie seine Theorie und deren Behauptungen. Weder immanente Widersprüche noch widersprechende Fakten können der dialektischen Theorie etwas anhaben, weshalb Popper Hegels System als »›doppelt verschanzten Dogmatismus‹«113 bezeichnet. In diesem Sinne hieß es bereits bei Eduard von Hartmann, »daß man den echten Dialektiker für sein eigenes Bewußtsein auf keine Weise ad absurdum führen kann, denn da, wo für andere Menschen das Absurde eintritt, mit dem Widerspruch, fängt für den Dialektiker erst diejenige Weisheit an, zu welcher er allein Liebe hat«114. So stellt sich denn nun auch Popper das Verfahren Hegels vor: nachdem Kant die rationale Metaphysik in seiner Antinomienlehre widerlegt habe, habe Hegel sie restauriert, indem er Widersprüche einfach zugelassen habe.115 110
Popper, Was ist Dialektik? (1940), S. 267. Popper, Was ist Dialektik? (1940), S. 267. Dass die Alternative nicht darin bestehen kann, entweder die Dialektik völlig abzulehnen oder jeden Widerspruch zu bejahen, stellte bereits Ernst Bloch fest: »Der Dumme merkt nie, daß alles zwei Seiten hat. […] Aber zuverlässig geht wirkliches Denken nicht geradlinig, starr und unverändert vor sich, wie das Nicken oder Kopfschütteln der Pagoden oder wie der entsetzlich monomanische, völlig undialektische Gedanke des Irren. Ein Mensch, der sich dauernd in Widersprüche verwickelt, ist deshalb gewiß noch kein Dialektiker. Indem er sich aus den Widersprüchen nicht herausfindet, ist er vielmehr ein Fasler, ja schließlich ein vollkommenes Abbild des Chaos. Aber ein Gedanke, der in einem tüchtigen, nach Lösungen strebenden Verlauf auskommen will, ohne die dialektische Wendung mitzumachen, in der noch keine Bestimmung mit sich fertig ist, gerät von der anderen Seite ins Chaos, nämlich in ein starres.« (Subjekt – Objekt (1962); Ges. Ausg. 8, S. 121.) 112 Popper, Was ist Dialektik? (1940), S. 279. 113 Popper, Was ist Dialektik? (1940), S. 279. 114 Eduard von Hartmann, Über die dialektische Methode, Berlin 1868, S. 43. 115 »Wie hat nun Hegel die Kantische Widerlegung des Rationalismus überwunden? Sehr einfach durch die Feststellung, Widersprüche seien nicht von Bedeutung. Sie müßten 111
Hegel und der Widerspruch
301
Wäre nun Hegels Logik tatsächlich eine Theorie, die Inkonsistenz in dieser sehr banalen Weise bejaht, so wäre sie gewiss nicht als wissenschaftlich zu retten, sondern »a priori als unwissenschaftlich und unsinnig abzulehnen«116. Es ist aber offensichtlich, dass man es hier eher mit einer Karikatur von Hegels Konzeption des Widerspruchs als mit einer Darstellung derselben zu tun hat.117 Denn Hegel ist durchaus bemüht, Inkonsistenzen zu vermeiden. Zu Beginn der Philosophie der Geschichte soll so zunächst der scheinbar in dem Begriff der Geschichte selbst liegende Widerspruch »erklärt und widerlegt werden«118. In der Philosophiegeschichte taucht zudem immer wieder der Vorwurf der Inkonsistenz gegenüber anderen Theorien auf.119 Der Nachweis von Widersprüchen dient hier dazu, über andere Denker hinausgehen zu können. Denn nur das Aufzeigen immanenter Widersprüche widerlegt die Theorie des anderen und bleibt nicht nur ein äußerliches Widersprechen, also das Aussprechen und Versichern einer entgegengesetzten Behauptung.120 In seiner Behandlung anderer Theorien hält Hegel das Aufzeigen eines unaufgelösten Widerspruchs also für die einzig mögliche oder zumindest die legitimste Form der Widerlegung einer Theorie. Allerdings nicht im Sinne Poppers, dass gegen die Teilbehauptung p einer Theorie nun aus anderen Gründen die Gegenbehauptung non-p aufgestellt wird, sondern dass non-p eben aus der Theorie, die p behauptet, selbst entwickelt werden kann. Denn in der Entwicklung des Denkens und der Vernunft eben auftauchen.« (Popper, Was ist Dialektik? (1940), S. 278.) 116 Hösle, Hegels System (1998), S. 157. 117 So vertritt wohl das Gros der neueren Hegelforscher die Meinung, Hegels spekulatives Denken sei keine »blank[e] Affirmation des Widerspruchs« (Menke, Der ›Wendungspunkt‹ des Erkennens (1992), S. 63). 118 SW 12, S. 20. Dieser Widerspruch bestehe darin, dass die Philosophie als Spekulation bzw. Denken a priori konstruiere und »ohne Rücksicht auf das, was ist« (20), ihre Gedanken hervorbringe, die Geschichte dagegen »bloß aufzufassen hat, was ist und gewesen ist, die Begebenheiten und Taten, und umso wahrer bleibt, je mehr sie sich an das Gegebene hält« (20). Aus der Betrachtung der Weltgeschichte selbst soll sich dabei ergeben, »daß sie der vernünftige, notwendige Gang des Weltgeistes gewesen« (22). Dies muss Ergebnis der Geschichte sein, die Geschichte selbst muss aber so genommen werden, wie sie ist. Hier muss empirisch verfahren werden. 119 Über Cardano etwa schreibt Hegel: »Seine Schriften sind wild, unzusammenhängend, widersprechend.« (Philosophiegeschichte III; SW 20, S. 21.) Über die Monadologie des Leibniz schreibt er später: »Wenn die Monas monadum, Gott, die absolute Substanz ist, so hört die Substantialität der einzelnen Monaden auf. Es ist ein Widerspruch, der in sich unaufgelöst ist: die eine substantielle Monade und dann die vielen einzelnen Monaden, die selbständig sein sollen, deren Grund ist, daß sie nicht in Beziehung aufeinander stehen; und so ist ein Widerspruch, der nicht aufgelöst ist.« (249) 120 Vgl. Philosophiegeschichte I; SW 18, S. 302.
302
Die spekulative Logik
solange einer Theorie nicht ihre eigene Inkonsistenz nachgewiesen wird, sondern nur für eine dieser entgegengesetzten Theorie Argumente gefunden werden, gilt »ein trockenes Versichern […] aber gerade so viel als ein anderes«121. Für ein vollständiges System sind Einwände, die mit der systematisch behandelten Sache zusammenhängen, »Momente ihres Begriffs«122. Auch wenn die Einwände von Kritikern für sie »aus ihrem besondern subjectiven Denken zu pulluliren scheinen«123, ist für den Dialektiker (oder Systematiker) klar, dass sie Momente des Begriffes darstellen, die aus diesem selbst hervorgehen.124 Der eigentlich skandalöse Gedanke Hegels besteht somit darin, dass aus einer unwahren Behauptung p oder einer unwahren Theorie, die die Behauptung p enthält, selbst non-p folgen muss. Das gerade gegenüber Kant unerhörte Novum Hegels ist so vielmehr, dass die Bedeutung des Widerspruchsprinzips wieder gesteigert wird. Denn es ist nicht mehr nur das Prinzip von tautologischen oder Begriffe erläuternden Urteilen. Unwahrheit impliziert für Hegel – zumindest auf dem Gebiet der Philosophie – immer Widersprüchlichkeit und Inkonsistenz.125 Bei Kant hingegen geht nur bei einer bestimmten Klasse von falschen Sätzen ihre Falschheit aus ihrer inneren Widersprüch121
Phänomenologie (1807); GW 9, S. 55. So schreibt Hegel in seiner Rezension über K. F. Göschels Aphorismen über Nichtwissen und absolutes Wissen im Verhältnisse zur christlichen Glaubenserkenntnis (1829): »Die wahrhafte Widerlegung einer Behauptung hat in der That an dieser selbst, nicht durch Entgegenhaltung anderer außerhalb ihrer liegender Principien zu geschehen; so unendlich mächtig ist die Natur des Begriffs, daß in einem unwahren Satze selbst das Gegentheil der Bestimmung enthalten, ja oft auch schon ausgesprochen ist, welche in ihm behauptet wird. Es ist daher nur dieser Satz selbst zu nehmen, durch Analyse jenes Gegentheil, somit sein innerer, und zwar unaufgelöster Widerspruch, aufzuzeigen [Hervorh. S. Sch.].« (GW 16, S. 208 f.) In der Philosophiegeschichte heißt es ähnlich: »Es hilft nicht, daß ich mein System oder meinen Satz beweise und dann schließe: also ist der entgegengesetzte falsch; für diesen anderen Satz erscheint jener immer als etwas Fremdes, als ein Äußeres. Das Falsche muß nicht darum als falsch dargetan werden, weil das Entgegengesetzte wahr ist, sondern an ihm selbst.« (SW 18, S. 302.) In der Phänomenologie (1807) heißt es außerdem: »Es ist aber nicht schwer einzusehen, daß die Manier, einen Satz aufzustellen, Gründe für ihn anzuführen, und den entgegengesetzten durch Gründe ebenso zu widerlegen, nicht die Form ist, in der die Wahrheit auftreten kann.« (GW 9, S. 35.) 122 Rezension Göschel (1829); GW 16, S. 209. 123 Rezension Göschel (1829); GW 16, S. 209. 124 Dazu ist es aber notwendig, dass sich das als kontradiktorisch Entgegengesetzte ~p, das mit p nicht zusammen bestehen könnte, in eine andere Form der Negation verwandeln muss. 125 So heißt es etwa in Philosophische Enzyklopädie Meinel 1812/1 § 5: »was in den Wissenschaften auf Vernunft gegründet ist, gehört zur Philosophie, was dagegen an ihnen auf willkührlicher und äusserlicher Bestimmung beruht, oder wie es genannt wird, positiv
Hegel und der Widerspruch
303
lichkeit hervor. Umgekehrt können die unterschiedlichsten Gründe bei Kant dafür sorgen, dass ein Satz p als wahr gilt: empirische Anschauung, reine Anschauung etc. Aber die Falschheit des Satzes ~p ist Folge der Wahrheit von p und damit der nicht rein logischen Gründe des Wahrseins von p. Es sei denn, der Satz widerspricht sich selbst, weil er in Widerspruch zu einem analytischen Urteil steht. Um es mit Hegel zu sagen: die Behauptung ~p hebt sich bei Kant nur durch etwas anderes, nämlich die Begründung von p auf: »seine Nichtigkeit erscheint nicht an ihm selbst, nicht, daß es sich selbst aufhebt, d. h. daß es einen Widerspruch in ihm hat.«126 Für Hegel hingegen kann die Unwahrheit einer Behauptung zumindest bei philosophischer Erkenntnis nur dadurch gezeigt werden, dass sie an ihr selbst unwahr ist und nicht durch ein anderes. Dies hat seinen Grund darin, dass das reine Denken nach Hegel eben wieder zu wirklicher Erkenntnis fähig ist, ohne auf empirische Anschauung zurückgreifen zu müssen. Wenn Inkonsistenz aber ein oder das Kriterium Hegels zur Kritik anderer Theorien ist, so muss er selbst andererseits durchaus den Anspruch erheben, dass sein eigenes System konsistent ist. Andererseits bleibt der Sachverhalt bestehen, dass es nach Hegel »sich selbst widersprechend[e] Existenzen«127 gibt und damit das Widerspruchsprinzip scheinbar außer Gültigkeit gesetzt ist.128
1.1.2. Der Widerspruch als zu Überwindendes Sollte Hegels Behauptung, dass es Widersprüche gibt, mit dem Anspruch, eine konsistente Theorie zu entwickeln, in Widerspruch treten, so müsste die Wissenschaftlichkeit von Hegels Theorie bezweifelt werden. Vittorio Hösle versucht deshalb, die Widersprüchlichkeit einer Theorie (Inkonsistenz) von einer konsistenten Theorie über widersprüchliche Gegenstände zu unter-
und statuarisch ist, so wie auch das blos empirische gehört ihnen eigentümlich an.« (GW 10,2, S. 644.) 126 Philosophiegeschichte I; SW 18, 302. 127 Rezension Ohlert (1831); GW 16, S. 279. 128 Andere Aussagen klingen zunächst einmal formallogisch noch anrüchiger: »jedes Verbrechen, wie jeder Irrthum, überhaupt aber jedes endliche Seyn und Denken ist ein Widerspruch; so sehr, daß noch weiter sogar gesagt werden muß, daß es nichts gibt, in dem nicht ein Widerspruch existirt« (Rezension Ohlert (1831); GW 16, S. 279). Aber man darf dabei nicht die Fortsetzung vergessen, dass über diesen Widerspruch gesagt wird, dass er »sich aber freilich ebenso sehr aufhebt.« (279)
304
Die spekulative Logik
scheiden.129 Eine Theorie, die etwas als wahr behauptet und explizit oder implizit zugleich auch als falsch, so eine Theorie sei sicher falsch. Das besage andererseits aber noch nicht, dass es nichts geben kann, was sich widerspricht. Dazu muss die Gültigkeit des Satzes des Widerspruchs in eine argumentationslogische und eine ontologische differenziert werden, wobei Hegel erstere zugestehen und letztere verwerfen würde. Ersteres zeige sich in Hegels Auseinandersetzung mit der Philosophiegeschichte, in der er den Satz als argumentationslogisches Prinzip voraussetze. Letzteres zeige sich in seiner Rede von der Wirklichkeit von Widersprüchen. Um diese Differenzierung zu rechtfertigen, parallelisiert Hösle Theorien und Sachverhalte: Seiendes könne sich demnach in derselben Art widersprechen, wie sich auch Theorien widersprechen können.130 Wie wir konsistent über die Widersprüche einer Theorie sprechen können, so könne Hegel auch konsistent über widersprüchliche Tatsachen sprechen und damit eine konsistente Theorie über widersprüchliche Entitäten bilden. So könne die Metatheorie, dass der Relativismus inkonsistent ist, in sich konsistent und wahr sein. Genauso könne auch Hegels Theorie vom sich selbst widersprechenden Seienden selbst konsistent sein. Ebenso wenig würde aus der Tatsache, dass es einiges Widersprechendes gebe, folgen, dass sich alles widerspricht.131 Bereits aus der Inkonsistenz der meisten vorangegangenen Philosophien folge, dass einer Klasse von Entitäten (nämlich den philosophischen Theorien) »der Widerspruch als objektive Bestimmung zukommt.«132 Hegel sei zudem der Auffassung, dass sich wirkliche Entitäten und logische Kategorien widersprechen, aber dass es zumindest etwas gibt, »das sich nicht widerspricht, nämlich die Theorie, die die Universalität des Widerspruchs vertritt.«133 Die letzte Metatheorie über sämtliche sich widersprechende Theorien müsse genauso widerspruchsfrei sein, wie es zumindest ein Seiendes geben muss, das sich nicht selbst widerspricht: nämlich die Theorie über das sich widersprechende Seiende. Hegel positioniere sich philosophiegeschichtlich selbst als die letzte Metatheorie, die als einzige nicht mehr inkonsistent sei. 129
Die Trennung zwischen Theorie und Gegenstand der Theorie findet sich so auch bei Wieland – allerdings mit einer bedeutenden Einschränkung: dass bei ihm nicht nur der Gegenstand einer Theorie dialektisch verfasst sein kann, sondern auch die Theorie selbst. (Vgl. v.a: Wieland, Dialektik und Relationen (1997), S. 374 f.) 130 Vgl. Hösle, Hegels System (1998), S. 160 ff. 131 »Allerdings folgt aus der Tatsache, daß es zumindest einiges Seiendes (Theorien) gibt, das sich widerspricht, keineswegs, daß sich alles widerspricht.« (Hösle, Hegels System (1998), S. 161.) 132 Hösle, Hegels System (1998), S. 162. 133 Hösle, Hegels System (1998), S. 163.
Hegel und der Widerspruch
305
Allerdings ist der Widerspruch, den es gibt, etwas Negatives. So wie man nicht bei der bloßen Feststellung der Widersprüchlichkeit einer Theorie stehen bleiben kann, so kann es auch in der Wirklichkeit »beim Widerspruch nicht sein Bewenden haben«134, sondern der Widerspruch muss sich in einem Höheren aufheben. Der Widerspruch ist das Kennzeichen des Endlichen, das zu Grunde gehen – das heißt in seinen Grund eingehen – muss: »Alles Endliche ist widersprüchlich. Diese Widersprüchlichkeit ist aber nicht eine akzidentelle Bestimmung des Endlichen, sondern sein Wesen, Explikation seiner Endlichkeit. D.h.: Alles Widersprüchliche muß, eben weil es widersprüchlich ist, sich auflösen, zugrunde gehen.«135 Hösle deutet Hegels System so als »Explikation von Widersprüchen […], die in den einzelnen logischen und realphilosophischen Kategorien bestehen; der Widerspruch, der sich an ihnen zeigt, belegt ihre Unwahrheit und nötigt zu einem Fortgang.«136 Hegels Theorie bleibt dabei aber konsistent. Er erweitere nur das Verfahren, in einer Theorie die Widersprüche anderer Theorien aufzulösen, »auf den ganzen Kosmos des Seienden«137. Eine Kategorie, die in sich widersprüchlich ist, zwingt in der Logik dazu, zur nächsten fortzugehen. Diese Übertragung des Satzes vom Widerspruch in seiner logischen Form auf Kategorien sei »eine der wichtigsten Neuerungen der Hegelschen Dialektik«138. Aus der Widersprüchlichkeit einer Theorie folgt nach Hösle nicht ihre Nichtexistenz, und so auch nicht aus der Widersprüchlichkeit von Kategorien und realen Entitäten: gewissermaßen können beide (weder Theorie noch Kategorie) etwas absolut Endgültiges sein. Diese Differenzierung in Theorie und Gegenstand der Theorie allein reicht aber nicht aus, um Hegels System vom Vorwurf der Inkonsistenz zu befreien. Denn Hösles Analogie zwischen Theorien über widersprüchliche Theorien und Theorien über widersprüchliche Gegenstände oder Sachverhalte ist schief. Eine Theorie über widersprüchliche Theorien ist etwas anderes als 134
Enzyklopädie 1830 § 119; SW 8, S. 247. Hösle, Hegels System (1998), S. 164. 136 Hösle, Hegels System (1998), S. 165. 137 Hösle, Hegels System (1998), S. 165. In diesem Sinne argumentiert auch Hans-Dieter Klein: Das Seiende sei stets widerspruchsvoll, aber als Seiendes sei es für uns in einem permanenten Prozess der Herstellung von Widerspruchsfreiheit durch ständige Selbstkorrektur. Ontologisch könne man deshalb »nur von einer perennierend werdenden Widerspruchsfreiheit sprechen, die freilich ihr Ideal nie vollkommen realisiert« (»Die dialektische Methode und die Einheit des philosophischen Systems«. In: Karen Gloy/Dominik Schmidig (Hrsg.), Einheitskonzepte in der idealistischen und in der gegenwärtigen Philosophie. Ergebnisse eines Symposiums (Luzern 1986), Bern u. a. 1987, 193–230, S. 206). 138 Hösle, Hegels System (1998), S. 172. 135
306
Die spekulative Logik
Theorien über existierende Widersprüche. Denn in einer Theorie über widersprüchliche Theorien müssen sich keine sich selbst widersprechenden Aussagen finden. Die Aussagen: »Theorie T1 behauptet, dass p« und »Theorie T1 behauptet, dass ~p« widersprechen sich nicht, das würden ja nur die Aussagen: »Theorie T1 behauptet, dass p« und »Theorie T1 behauptet nicht, dass p«. Nichts berechtigt dazu, in der Metatheorie »p ∧ ~p« zu behaupten. Eine Theorie über inkonsistente Theorien sollte deshalb keine sich widersprechenden Aussagen enthalten. Anders verhielte es sich jedoch, falls es sich widersprechende Sachverhalte geben würde: denn wenn p der Fall und nicht der Fall ist, dann müsste in einer Theorie über diese Sachverhalte die Äußerung von »p ∧ ~p« erlaubt sein. Das macht aber die Theorie über inkonsistente Sachverhalte selbst inkonsistent.139 Denn letztlich liegt hier bereits die von Łukasiewicz widerlegte Ansicht vor, die Behauptungen »p« und »non-p« wären zwei Eigenschaften einer Theorie, die sich wie die Anwesenheit und die Abwesenheit einer Eigenschaft verhalten. Die Behauptung von non-p ist aber nicht identisch mit dem Fehlen der Behauptung von p, so wie die Überzeugung zu haben, dass non-p der Fall ist, nicht identisch ist mit dem Fehlen der Überzeugung, dass p der Fall ist. Der Satz des Widerspruchs in seiner ontologischen Bedeutung stellt fest, dass etwas nicht gleichzeitig der Fall und nicht der Fall sein kann; der Widerspruch in der Wirklichkeit bestünde somit in dem Vorliegen eines Sachverhaltes oder einer Tatsache und dem Nicht-Vorliegen desselben. Mit der Behauptung von p und non-p liegt aber nicht in gleicher Weise eine Tatsache vor und auch nicht vor, sondern es liegen zwei Tatsachen vor, zwei Behauptungen nämlich, und in ihnen wird ein entgegengesetzter Inhalt ausgesagt. Die Analogie von inkonsistenten Theorien und der Inkonsistenz der Wirklichkeit und damit der Widerlegung des ontologischen Widerspruchsprinzips funktioniert also nicht. Wenn aber die Wirklichkeit in der Weise widersprüchlich wäre, dass p gleichzeitig der Fall und nicht der Fall sein könnte, dann würde das durchaus implizieren, dass inkonsistente Theorien durch diese Inkonsistenz nicht widerlegt wären. Denn es wäre dann wahr, dass p der Fall ist und dass p nicht der Fall ist. Einer Theorie, die behauptet, dass p der Fall ist, die Tatsache
139
Aber auch Franz Ungler ist der Ansicht, eine widersprüchliche Theorie wäre eine Art daseiender Widerspruch und insofern setze der SdW den daseienden Widerspruch voraus. (Vgl. Franz Ungler, »Die Kategorie Widerspruch«. In: Thomas Sören Hoffmann/Franz Ungler (Hrsg.), Aufhebung der Transzendentalphilosophie? Systematische Beiträge zu Würdigung, Fortentwicklung und Kritik des transzendentalen Ansatzes zwischen Kant und Hegel, Würzburg 1994, 217–234, S. 218.)
Hegel und der Widerspruch
307
vorzuhalten, dass p nicht der Fall ist, würde diese nicht mehr widerlegen.140 Zudem steht Hegels Logik zu den von ihr untersuchten Gegenständen – nämlich den Kategorien – nicht in dem gleichen Verhältnis wie eine Theorie, die eine andere kritisiert. Diese muss nämlich letztere in ihrer Kritik nicht in derselben Weise in Anspruch nehmen, wie Hegels Logik die Kategorien in Anspruch nimmt, die sie untersucht. Die dialektischen Kategorien sind die Kategorien, die sie selbst gebraucht. Die Differenz zwischen der Theorie und dem Gegenstandsbereich der Theorie ist hier aufgehoben.141 Zu Recht sieht diese Interpretation aber, dass in Hegels Logik ein Auffinden und Auflösen von Widersprüchen stattfindet. Die Differenzierung innerhalb der Bedeutung des Widerspruchs ist somit zunächst entscheidender als die Ebene, der der Widerspruch zuzuweisen ist. Was sich hier also zeigt, ist, 140
Weil er diese Parallelisierung nicht zulässt, gesteht Popper der Dialektik gerade in der Untersuchung und Entwicklung philosophischer Theorien eine gewisse Attraktivität zu. Die Geschichte und die Entwicklung wissenschaftlicher Theorien könnten »mit einigem Erfolg mit Hilfe der dialektischen Methode beschrieben werden« (Popper, Was ist Dialektik? (1940), S. 280). Charles Taylor versucht den negativen Befund Poppers positiv zu wenden: Negation und Widerspruch seien im strengen Sinne nur auf das menschliche Leben anwendbar und nicht auf die gesamte Wirklichkeit: »Man kann von menschlichem Handeln als widersprüchlich reden, weil es zum Teil durch seine Formulierung durch die Handelnden konstituiert wird; und diese Formulierungen können in logische Beziehungen eintreten, die des Widerspruches eingeschlossen.« (Taylor, »Dialektik heute, oder: Strukturen der Selbstnegation«. In: Dieter Henrich (Hrsg.), Hegels Wissenschaft der Logik. Formation und Rekonstruktion, Stuttgart 1986, 141–153, S. 148.) 141 W. Wieland folgert daraus, man könne nicht wirklich eine Theorie über die dialektischen Gegenstände bilden. Die Tätigkeit des Dialektikers sei nicht in Form einer Theorie ausdrückbar, weil der Dialektiker »nicht notwendig über ein in Gestalt von Sätzen ausdrückbares Wissen verfügen muß, weil er durch den Besitz einer Disposition charakterisiert ist, nämlich durch die Fähigkeit, mit Begriffen und mit anderen Theorieelementen auf eine ganz spezifische Weise umzugehen.« (Wieland, Dialektik und Relationen (1997), S. 382.) Der Dialektiker besitzt so nicht ein propositionalisierbares Wissen, sondern ein »Gebrauchswissen« (382). Hegels Logik wäre so eine dialektische Theorie, in deren Hintergrund aber noch das dialektische Gebrauchswissen Hegels lauert, der mit den logischen Kategorien umzugehen weiß – als Logik der Logik, die sich aber selbst nicht propositionalisieren lässt. Wielands Betrachtung ist nun aber nicht weniger problematisch: sie mag so zwar auf die platonische Auseinandersetzung mit der Mathematik zutreffen, dass Platon die Hypothesen des Mathematikers, die dieser als feste Begriffe und Grundsätze voraussetzt, noch einmal aufhebt, um eine in ihnen angelegte Dynamik freizusetzen. Hier kann man noch mal ein Gebrauchswissen im Hintergrund annehmen. Nun steht zwar wohl Hegels Logik im selben Verhältnis zur formalen Logik wie die platonische Dialektik zur Mathematik, aber es kann hier nicht noch einmal ein davon unabhängiges Denken vorausgesetzt werden, weil wir uns ja von vornherein auf einer höheren und abstrakteren Ebene befinden. Der platonische Dialektiker, der die Hypothesen des Mathematikers aufhebt, tut dies nicht als Mathematiker, sondern als Dialektiker, aber hinter der Dialektik selbst kann nicht noch einmal ein analoger Rückzugsraum angesetzt werden.
308
Die spekulative Logik
dass Widersprüche zunächst einmal aufgefasst werden müssen, um dann überhaupt aufgehoben werden zu können: um den Widerspruch erblicken zu können, muss der Geist ihn in seinem Bewusstsein haben und ihn denken. Man würde den Widerspruch gar nicht zu lösen versuchen, wenn er nicht in irgendeiner Erfahrung des Denkens existieren würde.142 Von einem Widerspruch wissen zu können, heißt auch, ihn zu denken. Deshalb ist es »die allerunwahrste Annahme, daß es keine Widersprüche in der Natur und im Bewußtsein gebe«143. Die bloße Differenzierung von Ebenen hilft aber noch nicht weiter, das Problem des Widerspruchs zu lösen. Vielmehr muss man zeigen, dass der Widerspruch, den Hegel der Wirklichkeit und den Kategorien zuspricht, nicht die gleiche Struktur aufweist wie aussagenlogische Widersprüche, die die Inkonsistenz einer Theorie zur Folge haben.144 Wenn man jedoch zeigt, dass Hegel Widersprüche einer Art konstatiert, die gar nicht identisch sind mit denen, die der aussagenlogische Satz des Widerspruchs verbietet, dann bedarf man – vielleicht – gar nicht mehr der Ebenenunterscheidung.145
1.1.3. Die Modifikation der Relata durch die Relation Eine andere Deutung versteht Hegels Konzeption des Widerspruchs als die Koinzidenz der Gegensätze im Absoluten: die Ablehnung der Gültigkeit des Widerspruchsprinzips sei vornehmlich durch ein metaphysisches Anliegen motiviert. Nur die Interpretation des Absoluten bei Hegel als metaphysischer Gotteslehre erlaube eine adäquate Deutung seiner Logik, denn sie sei ihr »ei-
142
Die Dialektik berichtigt den SdW der Schullogik, die sagt: »A kann nicht zugleich Non-A sein.«, in: »A kann nicht Non-A bleiben.«. (Vgl. Subjekt – Objekt (1962); Ges. Ausg. 8, S. 126.) 143 Rezension Ohlert (1831); GW 16, S. 280. So ist die innere Widersprüchlichkeit gerade das Signum der Endlichkeit: »Die Endlichkeit einer Existenz, es sei einer natürlichen oder geistigen, besteht in einem Widerspruche, der sie in sich selbst ist, und es ist wesentlich, dies überhaupt, aber vornehmlich den bestimmten Widerspruch einzusehen, der die Natur einer bestimmten Existenz ausmacht.« (Fragment zur Philosophie des subjektiven Geistes (1822 ff.); GW 15, S. 235.) 144 Insofern ist also auch Siewerth in seinem Einwand, der ontologische Widerspruch dulde keine logische Widerspruchsfreiheit neben sich, gegen die Behauptung, Hegel setze den SdW nur als ontologisches Prinzip, nicht aber als logisches Prinzip außer Kraft, zuzustimmen. (Vgl. Siewerth, Der Widerspruch im Werk des jüngeren Hegel (1971), S. 98.) 145 Hösle selbst sieht so auch, dass Hegel den Widerspruch in mehrfacher Weise aussagt. Bei Hösle ist dies der Widerspruch als pragmatisch-semantische Differenz. (siehe 1.2.1.)
Hegel und der Widerspruch
309
gentlicher Divinationspunkt«146. Bezogen auf das Absolute gilt der Satz des Widerspruchs nach dieser Deutung bei Hegel nicht, sondern nur im Bereich des Endlichen und der endlichen Reflexion. Vertreten wird diese Interpretation einerseits von Werner Beierwaltes, der eher den Einfluss des Neuplatonismus auf Hegel geltend macht,147 andererseits von Klaus Düsing, der den entwicklungsgeschichtlichen Aspekt innerhalb der Philosophie Hegels untersucht. Nach Düsing unterliegt das primär metaphysische Problem der Koinzidenz der Gegensätze im Laufe der Hegel’schen Philosophie so lange einer Durchklärung, bis letztlich die Metaphysik in Logik übergeht.148 Im Zentrum steht hier die Annahme, Hegel verstoße auf Grund seiner metaphysischen Konzeption des Absoluten gegen das Widerspruchsprinzip. So müsse man dann auch die metaphysischen Gründe, auf Grund deren Hegel die Regeln der traditionellen oder auch modernen Logik verletze, gegen den Verlust, der durch solch eine Verletzung hinzuneh-
146
Beierwaltes, Identität und Differenz, Frankfurt a. M. 1980, Anm. S. 243. Zum Einfluss des Neuplatonismus (insbesondere von Proklos) auf Hegel vgl. Beierwaltes, Platonismus und Idealismus (1972), S. 160–187. 148 Damit wird die Entwicklungsgeschichte nicht aus Gründen bloßer Gelehrsamkeit untersucht. Vielmehr steht die Überzeugung im Vordergrund, erst eine entstehungsgeschichtliche Betrachtung könne zum Verständnis von Hegels Dialektik und ihres Verstoßes gegen den SdW führen. Die Entwicklungsgeschichte könne sachliche Motive zur Geltung bringen, die der reifen Logik zwar zu Grunde liegen und sie erst verständlich werden lassen, darin selbst aber gar nicht ausführlich zur Sprache gebracht werden. (Vgl. Düsing, Das Problem der Subjektivität in Hegels Logik (1976), S. 36.) Eine Logik immanente Betrachtung könne dagegen Hegels Verstoß gegen den SdW nicht ausreichend begründen. (Vgl. Düsing, Identität und Widerspruch (1984), S. 317.) Jens Halfwassen untersucht ebenfalls unter dieser Perspektive den Einfluss des Neuplatonismus auf Hegels philosophische Entwicklung. Hegels Lehre vom Widerspruch stehe dabei in der Tradition der besonders prominent durch Nicolaus Cusanus vertretenen Lehre von der coincidentiae oppositorum: »die Koinzidenz von Minimum und Maximum sowie die durchgängige Einheit der Gegensätze, auch der Widersprüche, im unendlichen höchsten Einen« (Jens Halfwassen, Hegel und der spätantike Neuplatonismus. Untersuchungen zur Metaphysik des Einen und des Nous in Hegels spekulativer und geschichtlicher Deutung, Bonn 1999, S. 31). Hegel selbst steht diesem Prinzip – das ihm vermittelt über Bruno, Hamann und Jacobi bekannt war – aber eher ambivalent gegenüber. Denn einerseits sieht er, dass es »den Gehalt der Philosophie ausmacht« (Hamanns Schriften (1828); GW 16, S. 170), andererseits verhält es sich aber – wie Hamanns ganze Philosophie – wie »die ›geballte Faust‹« (170), die von der eigentlichen Wissenschaft noch »›[…] in eine flache Hand zu entfalten« (170) ist. Mit der bloßen Koinzidenz der Gegensätze ist noch gar nichts gewonnen, wenn diese nicht entwickelt und zuletzt auch aufgelöst wird. Wer sie wie Hamann bloß behauptet, der »poltert […] ins Gelag und ins Blaue hinein gegen das Denken und die Vernunft überhaupt, welche allein das wahrhafte Mittel jener gewußten Entfaltung der Wahrheit« (170) ist. 147
310
Die spekulative Logik
men ist, abwägen.149 Versuche, Hegel gegen formallogische Kritik durch die Behauptung der Gültigkeit des formallogischen Prinzips des Widerspruchs in Schutz zu nehmen, seien mit Hegels eigenen Voraussetzungen nicht zu vereinbaren.150 Die Entwicklung von Hegels Philosophie und seiner Konzeption des Widerspruchs lässt sich dabei in drei Phasen unterteilen: 1. Frankfurter Zeit, 2. Frühe Jenaer Zeit (negative Dialektik), 3. Nach 1804 (positive Dialektik). In Entsprechung zu diesen Phasen breche Hegels Denken auch mit der traditionellen Logik: 1. Lehre vom Leben als Widerspruch (Einheitsphilosophie). 2. Konzeption der negativen Dialektik, in der »das positive Resultat der Widersprüche, die höhere Einheit von einander widersprechenden Bestimmungen, in einer anderen Erkenntnisquelle, der intellektuellen Anschauung, gegenwärtig ist und erkannt wird«151. 3. In der spekulativen Dialektik ergibt sich das positive Resultat des Widerspruchs aus der Dialektik und ist ihr eigener Bestandteil. 149
Bleiben diese Gründe – wie etwa in der Kritik Lenks – ununtersucht und würden nicht entkräftet, »dürfte auch der Maßstab der Kritik Lenks [und anderer Kritiker; S. Sch.], die moderne formale Logik, Hegel gegenüber keine apodiktische Geltung beanspruchen können« (Düsing, Das Problem der Subjektivität in Hegels Logik (1976), S. 35). 150 »Das reine spekulative Denken, das als solches nach Hegel das Seiende erkennt, verstösst gegen den logischen Satz vom zu vermeidenden Widerspruch, um den Widerspruch als grundlegende Bestimmung des Seienden selbst denken zu können.« (Düsing, Identität und Widerspruch (1984), S. 317.) Zum Beleg führt Düsing Stellen an, an denen Hegel die Wirklichkeit oder Notwendigkeit des Widerspruchs behauptet. Diese explizieren jedoch nicht, wie sie selbst zu verstehen sind und was Hegel unter »Widerspruch« versteht. Diese Differenz hebt ja Düsing selbst hervor, wenn er den Widerspruch als das Verhältnis von gewissermaßen konträr entgegengesetzten Begriffen deutet. Ein Beispiel, das Düsing dabei immer wider als Identität Entgegengesetzter für den Verstoß Hegels gegen den SdW geltend macht, ist der causa-sui–Begriff Hegels. Im Gedanken der Selbstverursachung liege nach Hegel ein Widerspruch, weil Ursache und Wirkung darin auf dieselbe Sache – die Substanz – bezogen seien. In intellektueller Anschauung sei die Einheit von Ursache und Wirkung unmittelbar in absoluter Identität gegenwärtig, in der Reflexion dagegen nur als Antinomie entgegengesetzter Bestimmungen. (Vgl. S. 327 f.) Es ist aber offensichtlich, dass hier ein Widerspruch bestimmter Art vorliegt. Denn das Urteil: »Die Substanz ist Ursache und Wirkung« widerspricht sich unmittelbar nicht in derselben Art wie das Zusprechen und Absprechen des Ursacheseins der Substanz. Es müsste denn das vermittelnde Glied gesetzt sein, »Was Wirkung ist, ist nicht Ursache« oder »Aus ›S ist Wirkung‹ folgt ›S ist nicht Ursache‹«. Hegels Kritik an der endlichen Reflexion und ihren isolierten Versandesbestimmungen scheint sich mir aber gerade auf dieses Mittelglied, also die scheinbare Kontradiktorität von bestimmten endlichen Bestimmungen, zu beziehen. 151 Düsing, »Absolute Identität und Formen der Endlichkeit«. In: Schellings und Hegels erste absolute Metaphysik (1801–1802). Zusammenfassende Vorlesungsnachschriften von I. P. V. Troxler. Hrsg., eingeleitet und mit Interpretationen versehen von Klaus Düsing, Köln 1988, 99–193, S. 120.
Hegel und der Widerspruch
311
Hölderlin empfand das Fichte’sche Ich als unzulänglich, einen aller Trennung voraus liegenden Einheitsgrund abzugeben. Dagegen versuchte er, das der Ur-Teilung des Urteils noch voraus liegende »Seyn« als Einheitsgrund zu etablieren.152 Ausgehend von der Vereinigungsphilosophie Hölderlins habe nun Hegel in seiner Frankfurter Zeit bereits in Glauben und Sein (1787) das Konzept einer allen Trennungen voraus liegenden Einheit, die Ermöglichungsgrund für Entgegensetzung und Trennung ist, entwickelt:153 in der Trennung und Entgegensetzung werden die Entgegengesetzten aufeinander bezogen und somit sind Trennung und Entgegensetzung selbst »Weisen der Vereinigung«154. Als defizient setzen sie allerdings eine ihnen voraus liegende Einheit voraus. Diese Einheit ist Seins- und Erkenntnisprinzip der Getrennten. Aller Wirklichkeit und aller Entzweiung in der Reflexion liegt ein absoluter Einheitsgrund voraus.155 Das bilde Hegels frühe »grundlegende Einsicht«, die für sein späteres Werk bestimmend bleibe.156 In diesem frühen Gedanken liege schon der spezifisch Hegel’sche Gedanke, dass das wahre Unendliche die Entgegensetzungen in sich enthalten und sie übergreifen muss, da das Endliche ihm ansonsten immer noch entgegengesetzt wäre und das Unendliche verendlicht würde. Allerdings sei Hegel in diesem frühen Text nicht in der
152
Den Einfluss von Hölderlin und dessen Umfeld auf Hegel und die Entwicklung des Deutschen Idealismus untersucht D. Henrich in seiner Konstellationenforschung, die eine »entwicklungsgeschichtliche Zugangsart« (Konstellationen. Probleme und Debatten am Ursprung der idealistischen Philosophie (1789–1795), Stuttgart 1991, S. 106) zur Entstehung des Deutschen Idealismus und dem Weg von Kant bis Hegel liefern soll. Dabei soll anders als in der »überkommene[n] Auslegungsweise« (107) von Richard Kroner nicht mehr die Selbstinterpretation der Idealisten maßgeblich sein. Darin gingen nämlich von den Autoren selbst nicht explizierte Theoriepotentiale verloren. 153 Die früheren Schriften Hegels, die noch ganz dem Kantianismus zuzurechnen sind, den Hegel erst dank Hölderlin überwand (vgl. Henrich, Hegel und Hölderlin (1967), S. 23), zählt Manfred Baum nicht zu Unrecht nur zur Vorgeschichte der Hegel’schen Dialektik. Denn weder analysiert Hegel vor Glauben und Sein Gegensatz und Widerspruch, noch bedient er sich einer logischen Terminologie. Ein Methodenbewusstsein fehle hier deshalb noch, die Beschreibung der Gefühle, in der die Gegensätze vereinigt werden sollen, bedient sich keiner logischen Begrifflichkeit. (Vgl. Baum, Die Entstehung der Hegelschen Dialektik, Bonn 1986, S. 38.) 154 Halfwassen, Hegel und der spätantike Neuplatonismus (1999), S. 45. 155 Diese Konzeption des »absoluten Einheitsgrundes aller Wirklichkeit und aller Entzweiungen der Reflexion« (Halfwassen, Hegel und der spätantike Neuplatonismus (1999), S. 65) verbinde mittelplatonische Theologien und die Konzeption Giordano Brunos. Die Welt geht dabei nicht unmittelbar aus dem Einen hervor, sondern vermittelt durch eine Teilung, die die ursprüngliche Einheit gerade nicht aufheben soll. (Vgl. S. 66) Deshalb sei Hegels Gedanke kein pantheistischer. 156 Halfwassen, Hegel und der spätantike Neuplatonismus (1999), S. 45.
312
Die spekulative Logik
Lage, diesen Gedanken »spekulativ begreifbar und explizierbar zu machen«157. Die Einheit ist nur in intellektueller Anschauung oder Begeisterung zu erfassen.158 Hegel bezeichnet die Modi des Erfassens der Einheit als Glaube, Gefühl, Anschauung oder Liebe. Sie und nicht das Denken erfassen das Absolute. In Hegels späterer Dialektik hingegen soll die Vereinigung der Getrennten durch die »Dialektik als logische Methode durch die Vernunft«159 gedacht werden. Bis einschließlich zur Differenzschrift (1801) folgt aus der Antinomie der Reflexionsbestimmungen nur das Postulat, die absolute Identität intellektuell anzuschauen. Hegel ist hier noch nicht dialektisch, weil die Antinomie bzw. die Koinzidenz der Gegensätze zwar bereits angenommen werde, aber noch nicht gedacht werden könne. Die Struktur des Widerspruchs bleibe aber durchaus dieselbe.160 In Glauben und Sein (1797/98) macht Hegel zum ersten Mal expliziten Gebrauch vom Begriff der Antinomie.161 Bewusstseinsinhalt kann das Sein oder die Vereinigung hier »nur als Vereinigung einer Antinomie«162 werden. Die Reflexion erkennt sie als Antinomie, wobei dazu ein vorgängiges Bewusstsein der Vereinigung bereits vorausgesetzt werden muss. »Um zu vereinigen, müssen die Glieder der Antinomie als widerstreitende, ihr Verhältnis zueinander als Antinomie gefühlt oder erkannt werden, daß schon vereinigt worden ist; die Vereinigung ist der Maßstab, an welchem
157
Halfwassen, Hegel und der spätantike Neuplatonismus (1999), S. 47. Hegel vertritt nach Halfwassen zur Frankfurter Zeit eine vom Mittelplatonismus, besonders Numenios, beeinflusste »Theorie der mystischen Vereinigung von menschlichem und göttlichem Geist« (56). 158 Düsing bezeichnet dies zu Recht nur als »vage neuplatonisch-mystisch[e] Auffassung« (Düsing, Identität und Widerspruch (1984), S. 321). 159 Düsing, Das Problem der Subjektivität in Hegels Logik (1976), S. 44. 160 Vgl. Düsing, Das Problem der Subjektivität in Hegels Logik (1976), S. 64. »Diese Aufhebung der Gegensätze, auch der Widersprüche, im Absoluten gehört zur Vorgeschichte von Hegels Dialektik: Das koinzidental gedachte Eine, das für Hegel als reine Fülle des Seins die einander entgegengesetzten Seinsgehalte, die sich in ihrer endlichen Besonderheit ausschließen, in sich aufhebt, aber nicht vernichtet, sondern zugleich bewahrt, ist für den trennenden diskursiven Verstand eine unvollziehbare Paradoxie, an der er zerbricht, […] der Geist aber vereinigt sich mit dieser einheitlichen Fülle in intellektueller Anschauung, weil er diese Fülle selbst ist. Der Satz vom Widerspruch, das Prinzip des trennenden Verstandesdenkens, tritt damit im Absoluten außer Kraft« (Halfwassen, Hegel und der spätantike Neuplatonismus (1999), S. 65). 161 Bereits hier weicht er deutlich von den Antinomien Kants ab, weil sich nicht Urteile entgegengesetzt sind, sondern Begriffe. (Vgl. Düsing, Das Problem der Subjektivität in Hegels Logik (1976), S. 61.) 162 Düsing, Das Problem der Subjektivität in Hegels Logik (1976), S. 51.
Hegel und der Widerspruch
313
die Vergleichung geschieht, an welchem die Entgegengesetzten, als solche, als Unbefriedigte erscheinen.«163 Die Reflexion kann diese antinomische Einheit der Entgegengesetzten nicht erfassen, weil sie als Verstandestätigkeit unter dem Satz des Widerspruchs steht. Dieser wird darauf eingeschränkt, ein Gesetz von Verstand und Reflexion zu sein. Damit wäre er aber nur Ausdruck der Beschränkung des Verstandes, ein Klumpfuß, der ihn hindert, die Einheit der Entgegengesetzten zu erfassen.164 Er gilt nur für einen eingeschränkten Bereich, nicht für alles Seiende.165 Daraus ergibt sich für die Philosophie das Problem, dass sie an den Gebrauch eben dieser Bestimmungen und Gesetze, die zur Explikation der Vereinigung Entgegengesetzter untauglich sind, gebunden ist. Deshalb kann sie die Vereinigung nicht begreifen, sondern bestenfalls als Voraussetzung erweisen, die notwendig ist. Diese Vereinigung wird dann von Hegel metaphysisch als Gott, Sein oder auch Leben interpretiert.166 Das Leben ist die Verbindung der Verbindung und Nichtverbindung, wie es im Systemfragment (1800) heißt.167 In diesem frühen metaphysischen Ansatz sei dann Hegels spätere Ablehnung des SdW begründet. Es scheint mir nun aber gar nicht eindeutig der Fall zu sein, dass Hegel die ontologische Gültigkeit des Widerspruchsprinzips aufhebt, sondern vielmehr, dass unter dem Blickwinkel des Verstandes Bestimmungen als kontradiktorisch entgegengesetzt erscheinen, die dies der Sache nach gar nicht sind. Der Verstand fasst als nichtig weil widersprüchlich auf, was im Reich des Lebens etwas Positives sein kann, gerade weil sich darin die Entgegengesetzten nicht ausschließen. Die Liebe ist zwar – aus Sicht des Verstandes – als »Vereinigung des Subjekts und Objekts, der Freiheit und Natur, des Wirklichen und Mög163
Glauben und Sein (1797/98); SW 1, S. 251. So schreibt Düsing: »Der logische Satz vom Widerspruch hat also ontologisch keineswegs universale Bedeutung; er gilt vielmehr nur für Gegenstände der Reflexion.« (Düsing, Das Problem der Subjektivität in Hegels Logik (1976), S. 56.) 165 »Der Satz vom Widerspruch gilt damit ontologisch nicht mehr universal; im Reich des Lebens gibt es Seiendes, das der Verstand nur in Widersprüchen zu denken vermag […].« (Düsing, Identität und Widerspruch (1984), S. 321.) 166 Vgl. Düsing, Das Problem der Subjektivität in Hegels Logik (1976), S. 48. 167 SW 1, S. 422: »das Leben kann eben nicht als Vereinigung, Beziehung allein, sondern muß zugleich als Entgegensetzung betrachtet [werden]; wenn ich sage, es ist die Verbindung der Entgegensetzung und Beziehung, so kann diese Verbindung selbst wieder isoliert und eingewendet werden, daß [sie] der Nichtverbindung entgegenstünde; ich müsste mich ausdrücken, das Leben sei die Verbindung der Verbindung und der Nichtverbindung, d. h. jeder Ausdruck ist Produkt der Reflexion, und sonach kann von jedem als einem Gesetzten aufgezeigt werden, daß damit, daß etwas gesetzt wird, zugleich ein Anderes nicht gesetzt, ausgeschlossen ist«. 164
314
Die spekulative Logik
lichen«168 eine Vereinigung Entgegengesetzter und deshalb für den Verstand ein Verstoß gegen den Satz des Widerspruchs. Aber daraus folgt nicht notwendig der Schluss, dass Hegel dessen Gültigkeit einschränke. Der Verstand könnte sich nämlich auch dadurch ins Unrecht setzen, dass er die Entgegengesetzten als sich ausschließend versteht. Dann müsste für die Vereinigung nicht das Widerspruchsprinzip, sondern das Subjekt als isoliertes Subjekt und damit als Gegensatz zum Objekt aufgehoben werden.169 Es ginge dann gerade um die Aufhebung des Gegensatzverhältnisses und nicht um die dem Prinzip entgegenstehende Affirmation des Widerspruchs.170 Indem die für sich betrachtet entgegengesetzten Relata in die Relation der Liebe zueinander eintreten, sind sie in dieser Relation verändert. Die Relata bleiben nicht, was sie in Abstraktion von der Relation zu sein scheinen. Die Relation modifiziert die Relata.171 In Düsings Interpretation hingegen bleiben die Relata insofern noch das, was sie isoliert für sich waren, als sie sich weiterhin widersprechen sollen. Sonst müsste der Satz des Widerspruchs ja nicht negiert werden. Die Entgegengesetzten widersprechen sich sowohl in der Liebe oder für die Liebe als auch für den Verstand, nur bejahe die Liebe diesen Widerspruch, wohingegen der Verstand ihn verneine.172 So bleibt etwa auch die Vereinigung der Entgegengesetzten in Gesetzen, die dort durch das Sollen ausgedrückt wird, hinter der Liebe zurück, weil es die Entgegengesetzten »als Entgegengesetzte läßt«173. Das Sein ist jedoch über das Sollen erhaben, gerade weil es die Entgegengesetzten durch die Aufhebung ihres Entgegengesetztseins vereinigt.174 »Was im 168
Moralität, Liebe und Religion (1797/98); SW 1, S. 242. Moralität, Liebe und Religion (1797/98): »Wenn das Subjekt die Form des Subjekts, das Objekt die Form des Objekts behält, die Natur immer noch Natur, so ist keine Vereinigung getroffen.« (SW 1, S. 242.) 170 Die Liebe (1797/98): »In der Liebe ist das getrennte noch, aber nicht mehr als Getrenntes, [sondern] als Einiges, und das Lebendige fühlt das Lebendige.« (SW 1, S. 246.) 171 So würde ich auch Hegels Forderung verstehen, dass die Philosophie »in allem Endlichen die Endlichkeit aufzuzeigen und durch Vernunft die Vervollständigung desselben [zu] fordern« (Systemfragment (1800); SW 1, S. 423) hat. 172 Die Ausführungen über die Scham bestätigen hingegen unsere Lesart, dass die Relation die Relata modifiziert: denn sie tritt in der Liebe gerade dann auf, wenn die Geliebten durch die Liebe noch nicht völlig modifiziert sind. Die Hingabe, die in »der Vernichtung des Entgegengesetzten in der Vereinigung und der noch vorhandenen Selbständigkeit« (Die Liebe (1797/98); SW 1, S. 247) besteht, ist noch nicht vollständig vollzogen. Die Scham ist dann das »Zürnen der Liebe« über die noch nicht vollzogene Modifikation. 173 Geist des Christentums (1798–1800); SW 1, S. 321. 174 »Sein [ist] die Synthese des Subjekts und Objekts, in welcher Subjekt und Objekt ihre Entgegensetzung verloren haben; ebenso jene Geneigtheit, eine Tugend, ist eine Synthese, in der das Gesetz (das Kant darum immer ein objektives nennt) seine Allgemeinheit und ebenso das Subjekt seine Besonderheit, – beide ihre Entgegensetzung verlieren« (Geist des 169
Hegel und der Widerspruch
315
Reich des Toten Widerspruch ist, ist es nicht im Reich des Lebens.«175 Diese Aussage ist also nicht so zu deuten, dass der Verstand fälschlich den Widerspruch verbietet, sondern dass für den Verstand etwas ein Widerspruch ist, was es für die Liebe oder in der Liebe gar nicht mehr ist. Gegen Düsings Interpretation spricht weiter, dass Hegel bereits in Glauben und Sein 1797/98 den Widerspruch als Kriterium der Falschheit einer Aussage durchaus geltend macht.176 In der frühen Jenaer Zeit (bis etwa 1804) erscheint die endliche Logik als Produkt des Abfalls des Verstandes, der sich von seiner Wurzel, nämlich der Vernunft und damit der absoluten Identität abtrennt. Dieser Abfall führt zur endlichen Logik, in der der Verstand das Gesetz gibt. Zu dieser Zeit weist Hegel deshalb der Reflexion als einer Tätigkeit des Verstandes vornehmlich eine negative Funktion zu. Die Reflexion muss erkennen, dass all ihre endlichen Bestimmungen jeweils selbst dem Widerspruch unterliegen: jede Bestimmung, die der Verstand isoliert nimmt (Endlichkeit – Unendlichkeit, Einheit – Vielheit etc.), impliziert ihren Gegensatz. Die Vermeidung des Widerspruchs ist das Grundprinzip der Reflexion. Aber indem sie an einseitigen Verstandesbestimmungen festhält, gerät sie genau in selbigen. Insofern die Reflexion wegen des Widerspruchsprinzips an den endlichen einseitigen Verstandesbestimmungen festhält, verstößt sie gerade gegen dieses Prinzip. Dabei steht vor allem die Frage im Vordergrund, ob die Reflexion und ihre Bestimmungen das Absolute fassen können. Die Reflexion muss – als philosophische – das von ihr Gesetzte auf das Absolute beziehen und es dadurch vernichten. Nur darin hat es Wahrheit. Zuletzt gilt das von der Reflexion selbst. Damit verstößt sie aber gegen das Gesetz des Widerspruchs, das für die Reflexion besagt, dass das durch die Reflexion Gesetzte ist und bleibt. Im Unterschied zur späteren Logik, nach der die Kategorien und Bestimmungen des Denkens auch selbst die Kriterien für ihre Richtigkeit abgeben sollen, geschieht dies in der frühen Jenaer Zeit nur durch Beziehung auf das Absolute: Christentums (1798–1800); SW 1, S. 326). In der Kantischen Tugend bleibt jedoch diese Entgegensetzung zurück. In der Liebe nicht: »die Liebe hat gesiegt heißt nicht, wie die Pflicht hat gesiegt, sie hat ihre Feinde unterjocht, sondern sie hat die Feindschaft überwunden.« (363) 175 Geist des Christentums (1798–1800); SW 1, S. 376. 176 »Sein kann nur geglaubt werden; Glauben setzt ein Sein voraus; es ist also widersprechend zu sagen, um glauben zu können, müsse man sich von dem Sein vorher überzeugen.« (Glauben und Sein (1797/98), SW 1, S. 251.) Wo das vollkommene Sein bzw. die vollständige Vereinigung mit unvollständiger Vereinigung verwechselt wird, entsteht der Widerspruch. (252 f.)
316
Die spekulative Logik
in den endlichen Verstandes-/Reflexionsbestimmungen kann sich das Absolute nur als Widerspruch zeigen. Das Absolute stellt sich als absolutes Prinzip der Bestimmungen und ihrer Verhältnisse in ihrer Einheit selbst dar, weil es ihre Einheit sei.177 Das Denken versucht also zunächst, die endlichen Verstandesbestimmungen einem Widerspruch zuzuführen, indem es zeigt, dass jede ihr Gegenteil impliziert: »Der Verstand sieht nur Gegensätze, ist bedingt. Er strebt, das Absolute in Identität nachzuahmen, und verwickelt sich in Widersprüche. Der Anfang aller Philosophie ist ihre Zerstörung.«178 Diese Aufhebung der selbständigen Gültigkeit der endlichen Bestimmungen durch das diskursive Denken ist dabei aber nur die negative Seite der Erkenntnis des Absoluten. Die Zerstörung der Verstandeswahrheiten ist Aufgabe des wahren Skeptizismus. Nach Halfwassen bildet diese These aus dem Skeptizismus-Aufsatz (1802) die neue negative Theologie Hegels: jede Reflexionsbestimmung werde durch ihren Gegensatz zu einer Antinomie weiterentwickelt. Bestimmung und Gegenbestimmung hätten beide Anspruch auf Gültigkeit, woraus der wahre Skeptizismus folge: »damit aber ist die Antinomie ein Widerspruch, der die beiden entgegengesetzten Bestimmungen gleichermaßen aufhebt.«179 Der Logik kommt in dieser Phase dieselbe negative Funktion zu wie dem Skeptizismus: die Aufhebung der endlichen Reflexion.180 Die Logik unterscheidet sich hier noch von der Metaphysik, weil die Dialektik noch nicht die spekulative Einheit Entgegengesetzter zum Ergebnis hat. Als Einleitung in die Metaphysik dient sie »der vernünftig geordneten
177
So scheint man folgern zu können: »Logisch betrachtet ist also Widerspruchsfreiheit ebenso ein Indiz der Falschheit einer wissenschaftlichen Erkenntnis des Absoluten, wie Widersprüchlichkeit ein Indiz ihrer Wahrheit ist.« (Manfred Baum, »Zur Methode der Logik und Metaphysik beim Jenaer Hegel«. In: Dieter Henrich/Klaus Düsing (Hrsg.), Hegel in Jena, Bonn 1980, 119–138, S. 127.) 178 Hauptideen von Hegels Vorlesung über Logik und Metaphysik 1801/02; ed. Troxler, S. 63. 179 Halfwassen, Hegel und der spätantike Neuplatonismus (1999), S. 81. 180 »Die Methode dieser einleitenden Logik ist als systematische Aufstellung von entgegengesetzten Bestimmungen der endlichen Reflexion und als Aufhebung der Gültigkeit dieser Bestimmungen eine negativ bleibende Dialektik, deren Resultat nur skeptisch ist.« (Klaus Düsing, »Idealistische Substanzmetaphysik. Probleme der Systementwicklung bei Schelling und Hegel in Jena«. In: Dieter Henrich/Klaus Düsing (Hrsg.), Hegel in Jena. Die Entwicklung des Systems und die Zusammenarbeit mit Schelling, Bonn 1980, 25–44, S. 32.)
Hegel und der Widerspruch
317
Entwicklung von Antinomien der reinen endlichen Reflexion«181. Die spekulative Logik kann hier nur destruierend »in der widersprüchlich-antinomischen Vernichtung der Bestimmungen der trennenden Reflexion«182 wirken. Die Reflexion ist hier noch negativ konnotiert, auch wenn man bereits zwischen der endlichen Reflexion und der philosophischen Reflexion unterscheiden muss. Denn letztere destruiert erstere mittels des Widerspruchs. Somit dient diese destruierende Reflexion bereits zur Konstruktion des Absoluten im Bewusstsein.183 Dies kann jedoch nur eine Unterscheidung in der jeweiligen Verfahrensweise sein, nicht aber in der Sache, als ob es noch einmal mehrere Vermögen der Reflexion gäbe. Vernichtende und vernichtete Reflexion müssen letztlich identisch sein.184 Ergebnis der Logik ist auch nach Glauben und Wissen (1802) die Erkenntnis, dass das reine Denken Nichts ist, weil es widersprüchlich ist. Damit beginnt dann Philosophie als Metaphysik.185 Dadurch soll der Wahrheitsanspruch der endlichen Reflexion vernichtet werden: die endliche Reflexion erkennt sich zuletzt selbst als widersprüchlich. Die Dialektik bleibt negativ, ihr Resultat skeptisch. Aber anders als Schelling, für den das Absolute allein durch intellektuelle Anschauung erkennbare absolute Indifferenz ist, denkt Hegel das Absolute im Sinne der spinozistischen Substanz als causa sui und somit als eine Antinomie von Reflexionsbestimmungen: denn die Wirkung ist zugleich Ursache und die Ursache Wirkung. Um überhaupt bewusst zu sein, muss das Absolute Antinomien in der Reflexion hervorrufen.186 In der Differenzschrift (1801) ist die Reflexion noch nur die eine Seite, kraft derer das Absolute erfasst werden kann, und muss durch die Anschauung ergänzt werden. Das ist in der WdL nicht mehr der Fall. Das Denken kann sich nicht positiv auf das Absolute beziehen, weil Hegel keine positive spekulative Logik entwirft, sondern diese in Entsprechung zur Reflexion negativ auf das Absolute bezogen bleibt: »Wenn man bloß auf das formelle der Spekulation reflektirt, und die Synthese des Wissens, in analytischer Form festhält, so ist die Antinomie, der sich selbst aufhe181
Düsing, Idealistische Substanzmetaphysik (1980), S. 32. Schäfer, Die Dialektik und ihre besonderen Formen (2001), S. 18. 183 Vgl. Schäfer, Die Dialektik und ihre besonderen Formen (2001), S. 42. 184 »Die philosophische Reflexion kann also als die Reflexion definiert werden, die bereit ist, nach Vollendung ihres Werkes – nämlich des Nachweises der Antinomien des Verstandes – Selbstmord zu begehen, und die dieses Werk im Hinblick auf die eigne Vernichtung ausführt, von deren Notwendigkeit sie überzeugt und sogar froh darüber ist.« (Kondylis, Die Entstehung der Dialektik (1979), S. 631.) 185 Vgl. Düsing, Das Problem der Subjektivität in Hegels Logik (1976), S. 131. 186 Vgl. Düsing, Idealistische Substanzmetaphysik (1980), S. 37 f. »Die Antinomie ist der Ausdruck des Absoluten für die Reflexion« (Kesselring, Produktivität der Antinomie (1984), S. 68). 182
318
Die spekulative Logik
bende Widerspruch, der höchste formelle Ausdruk des Wissens und der Wahrheit.«187 Der Widerspruch gilt Hegel als die formale Erscheinung des Absoluten. Die Antinomie ist »die negative Seite des Wissens, das formale, das von der Vernunft regiert, sich selbst zerstört.«188 Die transzendentale Anschauung hingegen ist die positive Seite.189 Die Reflexion kommt aber nur so zum Postulat der Anschauung. Die Logik muss sich noch in der Vernunft vernichten. Sie kommt nicht über die Antinomien hinaus.190 Um überhaupt seine negative Funktion ausüben zu können, muss für den reflektierenden Verstand jedoch die Gültigkeit des Widerspruchsprinzips weiter bestehen. Ansonsten würde der Widerspruch nicht zur Aufhebung der endlichen Bestimmungen führen. Zuletzt wird durch das Durchgehen aller Verstandesbestimmungen und ihrer Aufhebung jedoch der Wahrheitsanspruch des diskursiven Denkens und mit ihm des Widerspruchsprinzips selbst zerstört. Mit diesem Ergebnis endet die negative Dialektik. Man könnte das auch so formulieren: das Prinzip wird als Grundprinzip des Verstandes von diesem zunächst negativ als Kriterium des Falschen auf alle Verstandesbestimmungen angewandt. Dadurch erweisen sich alle Verstandesbestimmungen als falsch, weil kontradiktorisch. Damit zerstört sich der Verstand aber zuletzt selbst. Diese Selbstzerstörung des Verstandes als Zerstörung der Endlichkeit der Reflexion ist gerade ihre Wahrheit. Zuletzt muss sich die endliche Reflexion selbst als widersprüchlich erkennen. Sie macht mit dieser Erkenntnis Platz für die positive Erkennbarkeit des Absoluten in einer anderen Form der Erkenntnis. Die Reflexionsbestimmungen werden als unvermeidlich antinomisch erkannt, woraus das Postulat der intellektuellen Anschauung der positiven Einheit der Gegensätze folgt.191 Am Widerspruch endet nur die Reflexionserkenntnis, nicht aber jede Form von Erkenntnis. Dem Widerspruch muss eine Einheit vorausgehen, durch die die Entgegengesetzten aufeinander bezogen sind: die absolute Identität. Diese Erkenntnis der absoluten Identität setze deshalb aus metaphysischen Gründen eine Einschränkung des Satzes vom Widerspruch voraus. Der Satz dürfe nur noch für die endliche 187
Differenzschrift (1801); GW 4, S. 26. Differenzschrift (1801); GW 4, S. 27. 189 Differenzschrift (1801); GW 4, S. 28: »in der transcendentalen Anschauung ist alle Entgegensetzung aufgehoben, aller Unterschied der Konstruktion des Universums durch und für die Intelligenz, und seiner als ein objektives angeschauten, unabhängig erscheinenden Organisation vernichtet.« 190 »Die logische Erkenntniß, wenn sie wirklich bis zur Vernunft fortgeht, muß auf das Resultat geführt werden, daß sie in der Vernunft sich vernichtet; sie muß als ihr oberstes Gesetz, die Antinomie erkennen.« (Differenzschrift (1801); GW 4, S. 82.) 191 Vgl. Düsing, Idealistische Substanzmetaphysik (1980), S. 33. 188
Hegel und der Widerspruch
319
Reflexion gelten, nicht für die Vernunft, die das Absolute erkennt. Der Widerspruch wird vielmehr zum höchsten formellen Ausdruck der Wahrheit.192 Die Reflexion kann aber diesen Widerspruch nicht erfassen. Das Vermögen der positiven Erkenntnis ist – wie bei Schelling – in der Jenaer Zeit Hegels anfänglich noch die intellektuelle Anschauung. In ihr wird die Einheit des Absoluten angeschaut. Erst in der Differenzschrift konzipiert Hegel die Einheit dieser Erkenntnisweisen als Spekulation – »bis zu ihrer vollständigen Einschmelzung in eine in sich einheitliche dialektische Methode«193, die erstmals in der Logik 1804/05 konzipiert wird. Hier sind dann intellektuelle Anschauung und diskursives Denken zusammengeschmolzen. Die entgegengesetzten Bestimmungen seien in ihrem Seinsgehalt im Absoluten bewahrt, aber von ihrer Einseitigkeit befreit. Insofern in dieser Phase die (unaufgelöste) Antinomie als negativer Ausdruck der höchste Punkt ist, auf den sich das reflexive Denken versetzen kann, sind die Bemerkungen Hegels aus dieser Phase tatsächlich am ehesten dazu geeignet, Hegel die Bejahung von Inkonsistenz vorzuwerfen. Hegels entscheidendes Argument für die Restriktion des Widerspruchsprinzips sei, dass es sich beim Widerspruch um eine Beziehung handle, die als ihren Grund Einheit voraussetzt. Erst durch sie könne die Entgegensetzung überhaupt erkannt werden. Als Ganzes enthalte es den Widerspruch. Wichtig ist, so scheint mir, dabei aber doch wohl wiederum, welche Art von Einheit hier vorliegt: denn nicht jeder Widerspruch ist nach Hegel eine Antinomie. Die Einheit könnte ja auch ihrerseits eine bestimmte Hinsichtnahme des Verstandes sein, unter der Sätze sich widersprechen und die somit Einheit sind. Von der Art des Widerspruchs hängt die Art der Einheit ab. Denn wenn jeder Widerspruch eine Einheit voraussetzen würde, so müsste ja in der Konsequenz jede Inkonsistenz schon die Reflexion auf Einheit hin übersteigen (»Es regnet und es regnet nicht.«). In der Jenaer Zeit soll angeblich gelten, dass der Widerspruch ein Indiz für die Wahrheit einer wissenschaftlichen Erkenntnis des Absoluten ist und Widerspruchsfreiheit ein Indiz für ihre Falschheit.194 Wenn dies aber nicht barer Unsinn sein soll, so muss der Widerspruch von einer bestimmten Art und von der gewöhnlichen Inkonsistenz unterscheidbar sein.195 Was passiert hier also tatsächlich mit dem Prinzip des Wider192
Vgl. Düsing, Das Problem der Subjektivität in Hegels Logik (1976), S. 97. Halfwassen, Hegel und der spätantike Neuplatonismus (1999), S. 80. 194 Vgl. etwa: Baum, Methode der Logik und Metaphysik (1980), S. 127. 195 Düsing schränkt seine Behauptung, man könne die Verwerfung der Gültigkeit des SdW bei Hegel nicht relativieren, ohne sein Denken zu verfälschen, selbst einmal in einem entscheidenden Punkt ein: Hegels Kritik sei nur gegen die kantische Formulierung des SdW als eines negativen Grundsatzes für alle Urteile gerichtet. Dieser werde nun bei Hegel 193
320
Die spekulative Logik
spruches selbst? Für Halfwassen ist das Widerspruchsprinzip bei Hegel ja bereits in der Frankfurter Zeit eingeschränkt.196 Auch in seinen späteren Schriften muß es letztlich aufgehoben werden. Denn das positive Ergreifen des Absoluten erkennt in ihm »die Einheit aller Bestimmungen in ihrer Entgegengesetztheit und deren Aufhebung zugleich«197. Hegel setze das Prinzip beim Denken des Absoluten außer Kraft: »Jede spekulative Einsicht der Vernunft enthält darum für Hegel einen Verstoß gegen den Satz vom Widerspruch, da sie Einsicht in diese absolute, den Widerspruch in sich enthaltende Identität ist.«198 Wenn aber der Skeptizismus oder die Logik die negative Seite der Erkenntnis der absoluten, Identität und Gegensatz umgreifenden Identität ist, deren Prinzip der Satz des Widerspruchs ist, dann stellt sich doch schon die Frage, welches Verhältnis seine Gültigkeit bei der negativen Erkenntnis und seine Ungültigkeit bei der positiven zueinander haben. Die Zerstörung der endlichen Wahrheiten durch den Widerspruch setzt seine Gültigkeit doch noch voraus. Wie schlägt dieses Prinzip also selbst darin um, seine eigene Ungültigkeit zu erweisen? Denn dass die Bestimmungen selbst sich alle als ungültig erweisen, heißt noch nicht, dass das Prinzip, durch das sie sich als ungültig erweisen, falsch ist. Wie geschieht der Umschlag dahin zu sagen, daß die Identität entgegengesetzter Bestimmungen, die Widersprüche in sich enthält, die Wahrheit ist, und stehen dann beide Seiten nicht doch wieder in einem unaufgelösten Gegensatz? Mittels des Widerspruchsprinzips würde in Form einer negativen Dialektik gezeigt, dass die endlichen Verstandesbestimmungen dem Absoluten nicht angemessen sind, bis sich zuletzt das diskursive Denken mit dem es bestimmenden Prinzip des zu vermeidenden Widerspruchs selbst als dem Absoluten inadäquat aufhebt. Aber wenn sich das Prinzip aufhebt, das vorher Grund für die Aufhebung der Verstandesbestimmungen war, so scheint dieser Aufhebungsbewegung selbst ihre Berechtigung entzogen. Die Vernunft verwickelt sich vielmehr gerade dadurch in Widersprüche, dass sie folgendermaßen eingeschränkt: »Nur endliche Begriffe, die sich auf endliche Sachverhalte beziehen, dürfen in der Urteilsverknüpfung einander nicht widersprechen« (Düsing, Identität und Widerspruch (1984), S. 326). Damit ist aber eine bedeutende Einschränkung der angeblich totalen Einschränkung des SdW verbunden. Denn es geht dann nur um die Beilegung einander (scheinbar) ausschließender Prädikate, wie in: »Die Welt ist endlich oder unendlich.« Das zeigt, dass in der Frage, ob Hegel gegen den SdW verstößt, erst einmal die Struktur des zugelassenen Widerspruchs geklärt werden muss. 196 Vgl. Halfwassen, Hegel und der spätantike Neuplatonismus (1999), S. 65. 197 Halfwassen, Hegel und der spätantike Neuplatonismus (1999), S. 81 f. 198 Halfwassen, Hegel und der spätantike Neuplatonismus (1999), S. 82.
Hegel und der Widerspruch
321
nicht erkennt, dass ihre Gegensätze nichtig sind.199 Andererseits spricht Hegel im Skeptizismus-Aufsatz tatsächlich von der Notwendigkeit, das Widerspruchsprinzip als ungültig einzusehen: »Der sogenannte Satz des Widerspruchs ist daher so wenig auch nur von formeller Wahrheit für die Vernunft, daß im Gegentheil jeder Vernunftsatz in Rücksicht auf die Begriffe einen Verstoß gegen denselben enthalten muß […].«200 Das Gesetz des Widerspruchs ist nur Ausdruck dessen, dass das durch die Reflexion Gesetzte für die Reflexion ist und bleibt.201 Die Spekulation dagegen »konstruirt das im Bewußtseyn des gemeinen Verstandes nothwendig entgegengesetzte zur bewußten Identität«202. Andererseits lobt Hegel den antiken Skeptizismus als »erste Stuffe zur Philosophie«203 aber dafür, dass er aus den Antinomien des Endlichen nicht auf die Unwahrheit des Satzes vom Widerspruch, sondern auf die Unwahrheit des Endlichen schließt. Zunächst muss man deshalb sehen, in welchem Sinne Hegel hier von »Widerspruch« spricht, denn er weist eine etwas andere Form auf als in der WdL: er ergibt sich aus der Analyse der Sätze, die eine Vernunfterkenntnis ausdrücken, wenn man die sie konstituierenden Begriffe zunächst isoliert, dann in ihrer Verbindung betrachtet. Dann nämlich zeigt sich, »daß diese Begriffe zugleich aufgehoben oder auf eine solche Art vereinigt sind, daß sie sich widersprechen«204. Nur solche Sätze sind vernünftige, andere sind bloß verständig. Ein Beispiel wäre der Satz: »Bei der Ursache seiner selbst schließt das Wesen Dasein ein.« Für sich betrachtet (isoliert) ist das Wesen gerade dadurch bestimmt, nicht Existenz/Dasein zu sein: »eins schließt das andere aus; eins ist nur bestimmbar, so wie eine Entgegensetzung gegen das andere ist; werden beyde verbunden als Eins gesetzt, so enthält ihre Verbindung einen Widerspruch, und beide sind zugleich negirt.«205 In Bezug auf das Absolute werden Dasein und Wesen hingegen verbunden. Für die Vernunft sind die entgegengesetzten Be-
199
Vgl. etwa Hauptideen von Hegels Vorlesung über Logik und Metaphysik 1801/02; ed. Troxler, S. 70. 200 Skeptizismus (1802); GW 4, S. 208. 201 Differenzschrift (1801); GW 4, S. 18: »sie fixirte hierdurch ihre Produkte als absolut entgegengesetzte dem Absoluten, machte es sich zum ewigen Gesetz, Verstand zu bleiben und nicht Vernunft zu werden und an ihrem Werk das in Entgegensetzung zum Absoluten Nichts ist […], – festzuhalten.« 202 Differenzschrift (1801); GW 4, S. 21. 203 Skeptizismus (1802); GW 4, S. 215 f. 204 Skeptizismus (1802); GW 4, S. 208. 205 Skeptizismus (1802); GW 4, S. 208.
322
Die spekulative Logik
stimmungen also verbunden. Löst man den Vernunftsatz auf, so widerstreiten die Begriffe einander, insofern sie gerade durch den Ausschluss des anderen bestimmt sind. Der Dogmatismus schreibt dem Absoluten nur einseitige Bestimmungen (die entgegengesetzte ausschließen) zu, die Vernunft hingegen stellt die Beziehung der einen Seite zur anderen heraus. Die Bestimmungen stehen innerhalb der Vernunftrelation also nicht im selben Verhältnis zueinander wie außerhalb dieser Relation. Werden sie so, wie der Verstand sie isoliert für sich auffasst, in ein Verhältnis zueinander gesetzt, so entstehen die Antinomien. In Glauben und Wissen müssen so auch die Entgegengesetzten – etwa Endlichkeit und Unendlichkeit – in ihrer wahren Einheit den Charakter des Entgegengesetztseins verlieren: diese absolute Identität von Endlichkeit und Unendlichkeit ist das Ewige. Im Ewigen sind »dieses Unendliche und jenes Endliche nach ihrem Gegensatze wieder vernichtet«206. Bleiben das Endliche und das Unendliche als Relata in ihrer Relation hingegen dieselben, tritt ihr Bezug aufeinander also nur äußerlich zu ihnen hinzu, ohne dass sie dadurch selbst verändert würden (wie man eben zwei Gegenstände in ein räumliches Verhältnis zueinander bringen kann, ohne dass sie dadurch wesentlich verändert würden), so entsteht eine Antinomie. Dann gewinnt man nämlich nicht den Begriff des Ewigen, sondern »das empirisch Unendliche das heißt einen absoluten, unaufgelösten Widerspruch«207. So unterscheiden sich Vernunftidee und Verstandesbegriff. Was in der Reflexion als isoliert und entgegengesetzt gedacht wird, wird in der Idee in seiner Entgegengesetztheit vernichtet.208 So ist »der absolute Begriff […] die Identität Entgegengesetzter«209. Im Gegensatz dazu werden in Verstandesbegriffen wie dem der empirischen Unendlichkeit die »Theile auseinander gehalten, und als solche identisch gesetzt«210. Bei der empirischen Unendlichkeit etwa sind die Entgegengesetzten inkommensurabel. Im schlechten (antinomischen) Verstandesbegriff werden nur Ungleiche einander gleichgesetzt.
206
Glaube und Wissen (1802); GW 4, S. 355. So finden sich auch in der Differenzschrift Äußerungen, dass es Hegel auch hier um die Aufhebung der Gegensätzlichkeit als solcher geht: »Solche festgewordene Gegensätze [Geist-Materie; Seele-Leib; Glaube-Verstand; Freiheit-Notwendigkei etc.; S. Sch.] aufzuheben, ist das einzige Interesse der Vernunft« (GW 4, S. 13). 207 Glaube und Wissen (1802); GW 4, S. 355. 208 Die Reflexion begreift dabei nur, »daß hier Dinge, die sie als besondere setzt, als identisch gesetzt werden, aber nicht, daß sie damit zugleich vernichtet sind« (Glaube und Wissen (1802); GW 4, S. 356). Für die Reflexion bildet das nur eine Ungereimtheit, eine Antinomie. 209 Glaube und Wissen (1802); GW 4, S. 357. 210 Glaube und Wissen (1802); GW 4, S. 357.
Hegel und der Widerspruch
323
In der frühen Jenaer Phase geschieht diese Vereinigung der Entgegengesetzten aber noch nicht auf eine vermittelte Weise, sondern in einem intuitiven Begriff. Zwischen diesem und dem antinomischen Verstandesbegriff klafft eine logische Lücke, die durch das diskursive Denken nicht überwunden werden kann. Der Skeptizismus ist »die negative Seite der Erkenntniß des Absoluten, und setzt unmittelbar die Vernunft als die positive Seite voraus.«211 Der antinomische Begriff setzt den intuitiven voraus. Denn die Entgegengesetzten als Entgegengesetzte sind Abstraktionsprodukte und nur »das Besondere von der Subsumtion unter den Begriff entbunden«212. Wie ein Übergang von dem Verstandesbegriff und der schlechten Gleichsetzung der Entgegengesetzten zum Vernunftbegriff und ihrer vernünftigen Einheit möglich ist, demonstriert Hegel nicht. In der Reflexion ist so auch kein positiver Bezug auf das Absolute möglich. In der Philosophie soll zwar das Absolute für das Bewusstsein konstruiert werden. Die Reflexion muss dazu aber sich selbst und das Endliche vernichten, indem es dieses auf das Absolute bezieht: dass Subjekt und Objekt ein Subjekt-Objekt sein müssen, dieser Gedanke der Einheit der jeweiligen Entgegengesetzten in einer Einheit findet sich dann in der Reflexionsbestimmung des Widerspruchs deutlicher und durchdachter ausgedrückt. »Daß diese beyden entgegengesetzten, sie heißen nun Ich und Natur, reines und empirisches Selbstbewußtseyn, Erkennen und Seyn, sich selbst setzen und entgegensetzen, Endlichkeit und Unendlichkeit – zugleich in dem Absoluten gesetzt werden, in dieser Antinomie erblikt die gemeine Reflexion nichts als den Widerspruch, nur die Vernunft in diesem absoluten Widerspruche die Wahrheit, durch welchen beydes gesetzt und beydes vernichtet ist, weder beyde, und beyde zugleich sind.«213 In einem Satz muss die Reflexion zwangsläufig das trennen, was in der absoluten Identität eines ist. Sie muss »die Synthese und die Antithese getrennt, in Zwei Sätzen, in einem die Identität, im andern die Entzweyung, ausdrükken.«214 Hieran zeigt sich aber auch, dass der Widerspruch, den Hegel als positiv wertet, nicht einfach eine Konjunktion zweier entgegengesetzter Sätze sein kann. Denn solch ein Widerspruch ließe sich offensichtlich ganz leicht in einem Satz mit zwei Teilsätzen ausdrücken. Hier bleiben die Relata (die verbundenen Teilsätze) in ihrer Bedeutung ja genau das, was sie vorher bedeute211
Skeptizismus (1802); GW 4, S. 207. Glaube und Wissen (1802); GW 4, S. 358. 213 Differenzschrift (1801); GW 4, S. 77. 214 Differenzschrift (1801); GW 4, S. 24. 212
324
Die spekulative Logik
ten (Teilsatz A und Teilsatz ~A werden durch ihre Verbindung nicht verändert). Sie werden verbunden und in ihrer Verbindung konserviert. Nach Hegel dürfen sie das aber gerade nicht. Der Skeptizismus behält diese negative Funktion auch noch in Hegels späterer Zeit, zumindest als »der denkende Skeptizismus«215. Die Skeptiker zeigen, dass von allem, was man behauptet, das Gegenteil gilt. Aber er ist eben damit nur ein »Moment der Philosophie«216. Er hat »von allem Bestimmten und Endlichen aufzuzeigen, daß es ein Wankendes ist«217. In der späteren Philosophie Hegels ist der Skeptizismus aber zu einem logischen Moment selbst gemacht, nämlich dem Hin- und Hergleiten der Reflexion zwischen Entgegengesetzten: »Von allen Vorstellungen vom Wahren kann die Endlichkeit aufgezeigt werden, da sie eine Negation, somit einen Widerspruch in sich enthalten.«218 Man sieht also auch, dass der Skeptizismus insofern noch verständig ist, als er voraussetzt, man müsse das eine oder das andere als wahr annehmen. Die Skeptiker gehen deshalb nicht über das negative Resultat hinaus, auch sie nehmen den Widerspruch als das rein Negative. Der Skeptizismus ist somit selbst einseitig (und bloß verständig), weil er am Negativen als dem bloß Negativen festhält: »Er verkennt, daß diese Negation ebenso affirmativ ist, ein bestimmter Inhalt in sich; denn es ist Negation der Negation, näher die unendliche Affirmation, die sich auf sich beziehende Negativität.«219 Innerhalb der Reflexionsbestimmungen kann dem Skeptizismus der Unterschied zugeordnet werden, bei dem ein Drittes immer zwischen den entgegengesetzten Bestimmungen hin- und hergeht. Ab 1804 gibt Hegel die Substanz als den höchsten Begriff der Metaphysik auf und ersetzt ihn durch den der Subjektivität.220 Nicht mehr die absolute Identität ist Prinzip der Philosophie, sondern der absolute Geist. Gleichzeitig dient die Logik nicht mehr nur der Einleitung in die Metaphysik, sondern
215
Philosophiegeschichte II; SW 19, S. 359. Philosophiegeschichte II; SW 19, S. 372. 217 Philosophiegeschichte II; SW 19, S. 359. 218 Philosophiegeschichte II; SW 19, S. 359. An anderer Stelle heißt es: »Zweifel kommt von Zwei her, ist ein Hin- und Herwerfen zwischen zweien und mehreren; man beruhigt sich weder bei dem einen noch bei dem anderen, – und doch soll man sich bei dem einen oder bei dem anderen beruhigen.« (371) 219 Philosophiegeschichte II; SW 19, S. 360. 220 Vgl. Düsing, Idealistische Substanzmetaphysik (1980), S. 41. 216
Hegel und der Widerspruch
325
beansprucht nunmehr selbst, Erkenntnis des Absoluten zu sein.221 Wird der Begriff als die sich selbst denkende und bestimmende Subjektivität gedacht, so löst sich das Problem der Selbstbewegung des Begriffs. Um für sich selbst werden zu können, muss der Begriff sein Anderes (Gegenteil) werden. Das positive Resultat wird durch die Rückkehr in sich erlangt.222 Erst damit entwickelt Hegel seine Theorie des Absoluten, der Identität von Identität und Nichtidentität als »einer sich in verschiedenen Phasen konstituierenden, aktiven selbstbezüglichen Einheit der absoluten Subjektivität«223. In der Metaphysik 1804/05 entwickelt Hegel auf dieser Grundlage seine neue Konzeption einer spekulativen Dialektik, die nicht mehr nur negative Dialektik ist, »in der der Widerspruch nicht mehr nur negativ die Aufhebung der selbständigen Gültigkeit der Gegensätze, sondern positiv ihre höhere Einheit und absolute Identität bedeutet«224. Die Koinzidenz der Gegensätze kann also neu gefasst werden. Voraussetzung ist die erstmals affirmative Bedeutung der doppelten Negation.225 Hegel affirmiere damit den Widerspruch. Das Absolute sei nach Hegels WdL dann »eine Einheit der Gegensätze, in der alle Gegensätze als Gegensätze untergegangen sind«226. Es handle sich um eine übergegensätzliche Einheit, in der jeder Unterschied aufgehoben ist. Hegel betreibe eine negative Auslegung des Absoluten, in der die absolute Identität absolute Indifferenz sei. Diese negative Auslegung nehme die Bestimmungen des Seins und des Wesens nur auf, um sie im Absoluten zu versenken. Die positive Wendung bestünde darin, dass diese Bestimmungen auf den Abgrund bezogen bleiben, indem sie in ihn als Grund zurückgehen. Diese Positivität betreffe nur die Bestimmungen, nicht das Absolute selbst. Die Versenkung sei aber nicht ein dem Absoluten äußerliches Tun, sondern das Tun des Absoluten selbst. Damit sei sie nicht mehr ausschließlich negativ bestimmt. Durch Entgegensetzung der vielfältigen Bestimmungen gegen das Absolute werde das Absolute selbst bestimmt. Das Absolute bestimme sich in dieser Tätigkeit selbst als
221
Vgl. Henrich, Absoluter Geist und Logik des Endlichen (1980), S. 104. Vgl. Düsing, Syllogistik und Dialektik (1986), S. 20 f. 223 Düsing, Idealistische Substanzmetaphysik (1980), S. 42. 224 Halfwassen, Hegel und der spätantike Neuplatonismus (1999), S. 91. 225 »Widerspruch der logischen Bestimmungen [wird] zugleich als positive Einsicht in ihre höhere Einheit [begriffen]« (Halfwassen, Hegel und der spätantike Neuplatonismus (1999), S. 92). 226 Halfwassen, Hegel und der spätantike Neuplatonismus (1999), S. 308. 222
326
Die spekulative Logik
Aufhebung dieser Bestimmungen.227 Um das denken zu können, müsse das Widerspruchsprinzip methodisch geregelt aufgehoben werden.228 Das Eine spekulativ als Einheit Entgegengesetzter zu denken, heiße, es »unter Verletzung des Widerspruchsverbots«229 zu denken. Halfwassen erklärt allerdings nicht die Methodik dieser Verletzung: wann wir einen spekulativen (und damit wahren) und wann einen falschen (bloß inkonsistenten) Widerspruch vor uns haben, wann wir das Verbot zu Recht und wann zu Unrecht verletzen. Ebenso wenig erklärt er, wie denn eine Einheit der Gegensätze gedacht werden soll, was ja noch einmal etwas anderes ist, als das bloße Faktum eines unaufgelösten oder auch unauflösbaren Widerspruchs festzustellen. Dies schreibt er allerdings Hegel selbst zu: »Hegel sagt nicht, wie damit zurecht zu kommen ist.«230 Für Hegel enthalte eben jede spekulative Erkenntnis eine Verletzung des Widerspruchsprinzips. Denn nur dadurch könne eine allumfassende unendliche Einheit gedacht werden: »Für Hegel […] ist das ›Spekulative‹ gerade das, was durch die methodisch vollzogene Verletzung des Widerspruchsverbots in seiner eigenen Bedeutung positiv gedacht wird.«231 Das Verbot sei nur das Gesetz des trennenden Verstandes, auf Grund dessen der Verstand auch nur Endlichkeiten denken könne und durch das er das wahre Sein verfehle: »es muß darum in der Vernunfterkenntnis des wahrhaft Seienden – und das ist für Hegel die sich selbst erkennende absolute Vernunft selbst – prinzipiell, systematisch und methodisch überschritten werden.«232 Die Negation der Negation ist die absolute Affirmation, die den Widerspruch gerade in sich enthält, auf eine Weise, dass er in ihr »positiv begriffen«233 wird. Durch die Negation der Negation soll eine Einheit der Widersprüche denkbar sein. Diese Interpretation ist aber nicht in der Lage, das spekulative Denken der Grundsätze des Denkens, das eben nicht in einem radikalen Gegensatz zu dem verstandesmäßigen Denken stehen kann, angemessen zu interpretieren. 227
Vgl. Halfwassen, Hegel und der spätantike Neuplatonismus (1999), S. 313 f. Vgl. Halfwassen, Hegel und der spätantike Neuplatonismus (1999), S. 413. Diese Aufhebung des SdW unterscheide Hegel vom spätantiken Neuplatonismus. So »setzt Proklos’ Beweis für die Notwendigkeit eines absoluten Einheitsprinzips die Gültigkeit des Satzes vom Widerspruch gerade voraus« (413). 229 Halfwassen, Hegel und der spätantike Neuplatonismus (1999), S. 413. 230 Halfwassen, Hegel und der spätantike Neuplatonismus (1999), S. 414. 231 Halfwassen, Hegel und der spätantike Neuplatonismus (1999), S. 430. 232 Halfwassen, Hegel und der spätantike Neuplatonismus (1999), S. 430. 233 Halfwassen, Hegel und der spätantike Neuplatonismus (1999), S. 431. 228
Hegel und der Widerspruch
327
Das wäre aber nichts weiter als eine abstrakte Negation der Verstandesgrundsätze, wenn sie für das spekulative Denken der Vernunft einfach falsch oder zumindest unzureichend wären. Es ist auch gar nicht einsichtig, wieso die Negation der Negation als absolute Affirmation einen Widerspruch implizieren solle. Das Novum besteht so eher darin, dass die Identität der Identität und Nichtidentität eben nicht mehr in der Tradition des Neuplatonismus als Koinzidenz der Gegensätze gedacht wird, sondern als Selbstbezüglichkeit, die eine Subjektivitätsstruktur aufweist. Die Begründung des logischen Problems des Widerspruchs aus seinem frühen metaphysischen Anliegen heraus kann außerdem vielleicht die Motivation für Hegels spätere Konzeption erklären, sie aber der Sache nach überhaupt nicht rechtfertigen. So kann sie nicht nur inhaltlich den Zugang zum reifen Hegel verstellen, sondern die logisch-sachliche Angemessenheit seiner Konzeption von vornherein fragwürdig machen.234 Man könnte mit gleichem Recht einwenden: Der Grundgedanke der Verbindung der Verbindung und der Nichtverbindung aus der Differenzschrift, der später zum Gedanken der Identität der Identität und Nichtidentität wird, ist »rein metaphysischer Herkunft, ohne wissenschaftstheoretisch von Hegel fundiert worden zu sein!«235 Hegel selbst richtet sich zudem selbst gegen einen Überstieg vom Aufzeigen notwendiger Widersprüche zur Verwerfung des Denkens. Der Widerspruch soll gerade nicht zu einer äußerlichen Verwerfung des Denkens und damit auch des Wissens führen, wie dies in den von Hegel kritisierten Philosophien des Nichtwissens der Fall ist.236 Außerdem würde Hegel den Satz des Widerspruchs als Gesetz der formalen Logik verwerfen, um in seiner Philosophie und ihrer Darstellung weiterhin dieses Prinzip in Anspruch zu nehmen. Damit würde er das tun, was er anderen vorwirft: nämlich »die Unzulänglichkeit der Formen und Regeln der vormaligen Logik« zu erkennen und »dann diese Regeln nur als Fesseln« wegzuwerfen, um aus dem Herzen, dem Gefühl und
234
Eine zu starke Kontinuität in Hegels Philosophie nimmt bezüglich der Logik auch Siewerth an und meint deshalb im Ausgang von Hegels theologischen Jugendschriften zeigen zu können, »daß der Seinswiderspruch des absoluten Idealismus ursprünglich der ›Widerspruch‹ des irrigen oder abgefallenen Geistes bedeutet, in dessen immanente Widerspruchsstruktur sich das Philosophieren Hegels selbst irgendwie verfing.« (Siewerth, Der Widerspruch im Werk des jüngeren Hegel (1971), S. 111.) 235 Lauth, Hegel vor der WL (1987), S. 20. 236 So schreibt er gegen Göschels Verwerfung des Wissens, die dieser auf der Grundlage der Widersprüchlichkeit der Behauptungen über Gott aufbaut: »Daß sich dieses [sämtliche Behauptungen über Gott; S. Sch.] Satz für Satz aufhebt und widerspricht, entgeht dem Nichtwissen nicht; es folgert aber daraus nur, daß Gott unbegreiflich, unaussprechlich, unsichtbar ist […].« (Rezension Göschel (1829); GW 16, S. 193.)
328
Die spekulative Logik
der Anschauung zu philosophieren.237 Da sie aber doch nicht auf die Reflexion verzichten könnten, verfahren sie »bewußtlos in der verachteten Methode des gewöhnlichen Folgerns und Räsonnements«238 weiter. Dass die »Ausgangsfrage Hegelscher Dialektik […] das Problem von Ursprung und Einheit aller Gegensätze, die die Welt der Erscheinungen bestimmen«239, ist, gibt also noch keinen Aufschluss darüber, wie der Widerspruch beim späten Hegel konzipiert ist, wie er eventuell gedacht werden kann und wie er sich in der Logik zum Satz des Widerspruchs verhält. Gerade das macht die entwicklungsgeschichtliche Betrachtung der Dialektik doch deutlich, dass – auch wenn das Ausgangsproblem geteilt wird – Hölderlin, Schelling und Sinclair keine Logik entwickelt haben, in der mit dem Widerspruch auf logische Weise umgegangen werden könnte, sondern sich – wie der frühe Hegel – Anschauung, Glaube, Liebe usw. in die Arme werfen mussten. Hegel kritisiert bereits in diesen frühen Schriften die Vorstellung einer Einheit der Gegensätze, in der die Entgegengesetzten genauso bleiben, wie sie bereits als isolierte sind. Hier bleiben die Relata nämlich scheinbar erhalten und damit würde etwa das Unendliche verendlicht werden, es wäre wiederum nur ein endliches Unendliches.240
1.2. Die Struktur des Widerspruchs 1.2.1. Der Widerspruch als semantisch-pragmatische Diskrepanz: die Reflexion der Begriffe in sich Nach Hegel tragen alle endlichen Dinge den Widerspruch in sich, insofern ihre Existenz nicht ihrem Begriff entspricht. Darin liegt ihre Unwahrheit. Be237
Grundlinien der Philosophie des Rechts (1821); SW 7, S. 12. Grundlinien der Philosophie des Rechts (1821); SW 7, S. 12. 239 Kesselring, Produktivität der Antinomie (1984), S. 33. 240 Nach Düsing sind selbst die Reflexionsbestimmungen feststehende Relata, die Bezugsgegenstand der Reflexion als Bewegung der reinen Vermittlung sind. (Vgl. Düsing, Das Problem der Subjektivität in Hegels Logik (1976), S. 216.) Hier sieht Wieland klarer: Die Relationen treten nicht einfach nur an den Relaten auf, so dass die Substanz als Träger der Relation so bliebe, wie sie vorher war. In dieser oder jener Relation zu stehen, bliebe dem Träger der Relation damit äußerlich. Dialektische Denker zeichnen sich dagegen dadurch aus, dass sie zumindest eine bestimmte Art von Relation ansetzen – die interne Relation nämlich –, der gegenüber das Fundament der Relation sich nicht gleichgültig verhält, sondern deren Auftreten das Fundament modifiziert oder gestaltet: »Die Fundamente solcher Relationen können ihre Identität nicht bewahren, wenn sie in andere interne Relationen eingefügt werden.« (Wieland, Dialektik und Relationen (1997), S. 373.) 238
Hegel und der Widerspruch
329
griffe oder Vorstellungen sind demnach nicht nur deshalb unwahr oder Grund unwahrer Sätze, weil man sie auf falsche oder gar nicht vorhandene Gegenstände appliziert, sondern sie sind an sich schon unwahr.241 Nur bei Gott stimmen Begriff und Realität überein. Die endlichen Dinge dagegen gehen an ihrem inneren Widerspruch zu Grunde.242 Die Untersuchung der Übereinstimmung von Begriffen mit sich selbst ist nach Hegel Gegenstand der Logik: »Die Betrachtung der Wahrheit in dem hier erläuterten Sinn, der Übereinstimmung mit sich selbst, macht das eigentliche Interesse des Logischen
241
So ist die Kirche des Mittelalters »ein vielfacher Widerspruch in sich« (Phil. d. Gesch.; SW 12, S. 458): etwa, dass der wahrhafte Geist im Menschen als sein Geist existiert, in der Kirche des Mittelalters die Priester aber nicht nur den Kultus ordnen und lehren, in dem sich das Individuum »die Gewißheit seiner Identität mit dem Absoluten gibt« (458), sondern im Besitz der Wahrheit sind; ein weiterer Widerspruch ist, dass sie den Reichtum verachtet und gleichzeitig »als eine äußerliche Existenz Besitztümer und ein ungeheures Vermögen erhielt« (459). Auch der Staat und das Individuum des Mittelalters sind in Widerspruch mit sich selbst. »So widersprechend, so betrugsvoll ist dieses Mittelalter, […] die höchste Reinheit der Seele durch die greulichste Wildheit besudelt, die gewußte Wahrheit durch Lüge und Selbstsucht zum Mittel gemacht, […] das widrigste und empörendste Schauspiel, das jemals gesehen worden und das nur die Philosophie begreifen und darum rechtfertigen kann.« (460) Der Gegensatz, in den das Mittelalter und das damalige Bewusstsein des Heiligen getreten ist, erkennt die Philosophie als einen notwendigen, weil dieses Bewusstsein noch unmittelbares Bewusstsein ist. Die Notwendigkeit des Widerspruchs kommt dadurch zustande, dass das religiöse Bewusstsein hier noch ein unvollkommenes, damit unwahres und damit notwendig Widersprüchliches ist. Die Widersprüche sind diesem religiösen Bewusstsein nicht äußerlich, sind nicht zufällig auftretende Kuriositäten, sondern notwendige Folgen der Art des Bewusstseins des Mittelalters. Die Philosophie zeigt damit nicht einfach auf, dass ein Widerspruch vorliegt und wie er gelöst werden kann, sondern die Art der Auflösung des Widerspruchs ergibt sich auch aus dem Grund für das Auftreten des Widerspruchs. Das meint die Rede von der Notwendigkeit des existierenden Widerspruchs. Philosophisch relevante Widersprüche treten nicht einfach so auf, sondern haben immer einen Grund in der Sache. Deshalb hilft Poppers trialand-error-Prinzip auch nicht weiter, weil es den Widerspruch als etwas ganz Zufälliges betrachtet und ihn deshalb auch nur durch eine der vorherigen Theorie ebenso zufällige neue Theorie aufheben kann. Dass die Kirche auf Grund ihrer Verderbtheit die Reformation hervorbringt, ist deshalb eben auch nicht zufällig, sondern liegt in der Verderbtheit dieser Kirche begründet. Diese Verderbtheit ist nun aber nicht Ausdruck von Machtmissbrauch oder subjektiven Fehlern, sondern der wirkliche Grund ist die Art des Geistes, die sie eben ausdrückt. 242 »Das Unvollkommene so als das Gegenteil seiner in ihm selbst ist der Widerspruch, der wohl existiert, aber ebensosehr aufgehoben und gelöst wird, der Trieb, der Impuls des geistigen Lebens in sich selbst, die Rinde der Natürlichkeit, Sinnlichkeit und Fremdheit seiner selbst zu durchbrechen und zum Lichte des Bewußtseins, d. i. zu sich selbst zu kommen.« (Phil. d. Gesch.; SW 12, S. 78.)
330
Die spekulative Logik
aus. Im gewöhnlichen Bewußtsein kommt die Frage nach der Wahrheit der Denkbestimmungen gar nicht vor. Das Geschäft der Logik kann auch so ausgedrückt werden, daß in ihr die Denkbestimmungen betrachtet werden, inwiefern sie fähig seien, das Wahre zu fassen.«243 Der Grund für die Unwahrheit einer Sache und ihren Widerspruch ist also die Differenz zwischen Begriff und Existenz.244 Die Selbstbewegung des Lebendigen gründet auf diesem Widerspruch und dem Versuch der Aufhebung desselben. Lebendigkeit besteht dann einerseits im »Prozeß des Gegensatzes, Widerspruches und der Lösung des Widerspruches«245, insofern etwas eben nur dadurch lebendig ist, dass es sich auf einen Gegensatz bezieht und durch diesen das wird, was es seinem Begriffe nach sein soll, andererseits muss dieser Widerspruch aufgelöst werden. Bliebe der Widerspruch bestehen, so würde das Leben an ihm zu Grunde gehen.246 Eine wirkliche Befriedigung – das heißt: endgültige Auflösung des Widerspruchs – kann nur in der Philosophie erfolgen. Denn sie denkt den Widerspruch in seiner Allgemeinheit und löst 243
Enzyklopädie 1830 § 24; SW 8, S. 86. Dies führt Hegel in seiner Ästhetik unter anderem am Begriff des Subjektiven aus. Der Gegensatz des Subjektiven und Objektiven durchzieht alles, sowohl unsere »physische Lebendigkeit und mehr noch die Welt unserer geistigen Zwecke und Interessen« (Ästhetik I; SW 13, S. 133): was zunächst nur subjektiv da ist (unsere Interessen und Forderungen), soll objektiv werden. Als bloß Subjektives ist es mangelhaft. Es ist nicht das, was es sein will. Somit ist es »ein Schmerz, als etwas Negatives, das sich als Negatives aufzuheben hat« (133). Es ist aber nicht deshalb negativ, weil es auf eine ihr äußerliche Objektivität bezogen nur eine Seite ist, sondern weil »dies Fehlen im Subjektiven selbst und für dasselbe ein Mangel und eine Negation in ihm selber« (133) ist. Diesen Mangel und diese Negation in sich selbst versucht das Subjektive zu negieren. Der Widerspruch besteht dann hier nicht zwischen dem subjektiven Zweck, der auf eine ihm äußere Realisation bezogen wird, sondern darin, dass es »seinem Begriffe nach« (133) als Subjekt das Ganze und nicht nur das Innere ist, »sondern ebenso auch die Realisation dieses Inneren am Äußeren und in demselben.« (133) Existiert es also nur als subjektiver Zweck, »nur in der einen Form, so gerät es dadurch gerade in den Widerspruch, dem Begriff nach das Ganze, seiner Existenz nach aber nur die eine Seite zu sein.« (133 f.) 245 Ästhetik I; SW 13, S. 134. 246 »Das Leben geht zur Negation und deren Schmerz fort und ist erst durch die Tilgung des Gegensatzes und Widerspruches für sich selbst affirmativ. Bleibt es freilich beim bloßen Widerspruche, ohne ihn zu lösen, stehen, dann geht es an dem Widerspruch zugrunde.« (Ästhetik I; SW 13, S. 134.) »Die lebendigen Dinge haben das Vorrecht des Schmerzes vor den leblosen; selbst für jene wird eine einzelne Bestimmtheit zur Empfindung eines Negativen, weil sie als lebendig die Allgemeinheit der Lebendigkeit, die über das Einzelne hinaus ist, in ihnen haben, in dem Negativen ihrer selbst sich noch erhalten und diesen Widerspruch als in ihnen existierend empfinden. Dieser Widerspruch ist nur in ihnen, insofern beides in dem einen Subjekt ist, die Allgemeinheit seines Lebensgefühls und die gegen dasselbe negative Einzelheit.« (Enzyklopädie 1830 § 60; SW 8, S. 144.) 244
Hegel und der Widerspruch
331
ihn in allgemeiner Weise auf. Die Natur hingegen ist an sich daseiender Widerspruch, der immer nur vorübergehend aufgelöst werden kann: »Die Natur ist an sich, in der Idee göttlich, aber wie sie ist, entspricht ihr Sein ihrem Begriffe nicht; sie ist vielmehr der unaufgelöste Widerspruch.«247 Man kann nun versuchen, dies auch auf die Logik und ihren gesamten Gang anzuwenden, indem man die Auflösung des Widerspruchs in jeweils synthetisierenden Kategorien eben auch nur als vorläufige Befriedigung für die Auflösung des Widerspruches zwischen Begriff und Existenz deutet. Der Gang der Logik wäre dann eben erst beendet, wenn die Befriedigung absolut ist: dies könnte etwa in der absoluten Idee geschehen. Dazu müsste sie in allen Kategorien vor der letzten Endlichkeit herrschen und diese wäre der Motor für die Entwicklung der Logik: »Wo aber Endlichkeit ist, da bricht auch der Gegensatz und Widerspruch stets wieder von neuem durch, und die Befriedigung kommt über das Relative nicht hinaus.«248 Das tertium comparationis zwischen Leben und Denken besteht in der Selbstbewegung, die sowohl im Lebendigen als auch im Denken stattfindet. Grund dieser Selbstbewegung wäre dann die Differenz zwischen Begriff und Realität bzw. zwischen Form und Inhalt. Hegel selbst sieht in der antiken Dialektik ein Vorbild seiner Dialektik, insofern hier die Bewegung der Gedanken im reinen Denken erfolge. Bei den Eleaten sähe man zuerst »den Gedanken sich selbst rein ergreifen, und die Bewegung des Gedankens in Begriffen«249. Dass Platon vor allem im Sophistes das reine Denken als einzige Möglichkeit der Erkenntnis des Wahren zur Geltung gebracht hat, geht einher mit der Entwicklung der eigentlichen Dialektik.250 Ebenso beginnt Hegels Logik mit dem Ent-
247
Enzyklopädie 1830 § 248; SW 9, S. 27 f. Der Gegensatz kann als besonderer innerhalb der sinnlichen Bedürfnisse – wie Hunger, Durst etc. – durch Trinken und Essen aufgelöst werden, allerdings immer nur für kurze Zeit. Dies sind »Beispiele solch eines Widerspruchs und seiner Lösung […]; die Befriedigung ist nicht absolut und geht deshalb auch zu neuer Bedürftigkeit rastlos wieder fort […].« (Ästhetik I; SW 13, S. 135.) 248 Ästhetik I; SW 13, S. 136. 249 Philosophiegeschichte I; SW 18, S. 275. Die objektive Dialektik, in der die Dialektik selbst zum Prinzip wird, findet sich dann bei Heraklit, über den Hegel bekanntlich urteilte: »Hier sehen wir Land; es ist kein Satz des Heraklit, den ich nicht in meine Logik aufgenommen.« (320) 250 Insofern steht der Parmenides nach Hegel noch hinter dem Sophistes zurück, weil hier noch von angenommenen Sätzen ausgegangen wird, dem reinen Denken also etwas vorausgesetzt wird. (Vgl. auch Gadamer, Hegel und die antike Dialektik (1961); GGW 3, S. 4.)
332
Die spekulative Logik
schluss, rein zu denken.251 Wie besonders im Sophistes die Bewegung der megista gene dadurch zustande kommt, dass die Bedeutung der Ideen ihren Eigenschaften, die sie durch Teilhabe an anderen Ideen haben, entgegengesetzt ist, so entsteht auch die Bewegung in Hegels Logik dadurch, dass die Kategorien nicht das sind, was sie meinen. Die Idee der Identität etwa ist nur dadurch mit sich identisch, dass sie von den anderen Ideen verschieden ist und somit an der Idee der Verschiedenheit Anteil hat. Der platonische Methexis-Gedanke würde damit zum Ursprung des Vermittlungsgedankens bei Hegel.252 Die Diskrepanz zwischen Absolutem und Begriff wird gewissermaßen immer kleiner: »Jede folgende Bedeutung, die sie erhalten, ist darum nur als eine nähere Bestimmung und wahrere Definition des Absoluten anzusehen«253. So kann die Differenz, dass die Begriffe oder Bestimmungen nicht je ihren begrifflichen Gehalt erfüllen, als die eigentliche Bedeutung von Hegels Widerspruchsbegriff verstanden werden. Der Widerspruch bei Hegel wird dabei als semantisch-pragmatische Diskrepanz gedeutet: die Kategorie bedeutet mehr, als sie in Wahrheit ist.254 So versteht man unter einem Widerspruch nicht die Beziehung zwischen Elementen von Satzpaaren der Form »p« und »non-p«, sondern vielmehr die Differenz zwischen dem, was eine Aussage 251
Die dargestellte Interpretation erlaubt so, die Anknüpfung von Hegels Dialektik an die antike Dialektik zu verstehen und ermöglicht damit insbesondere ein Verständnis von Hegels eigener Anknüpfung an die Dialektik des platonischen Spätwerkes. Diese Bezüge sind besonders von Hans-Georg Gadamer hervorgehoben worden. Tatsächlich hat nach Gadamer erst Hegel überhaupt »die Tiefe der platonischen Dialektik erfaßt. Er ist der Entdecker der eigentlich spekulativen Dialoge, des Sophistes, Parmenides und Philebos […].« (Hegel und die antike Dialektik (1961); GGW 3, S. 4.) Allerdings wird für ihn erst bei Hegel »der Widerspruch, der für das antike Denken der Aufweis der Nichtigkeit war, zu etwas Positivem.« (13) In Hegel und Heidegger (1971) schreibt er: »Hegel knüpfte mit seiner Dialektik an den antiken Begriff derselben an, demzufolge Dialektik in der Zuspitzung von Widersprüchen ihr Wesen treibt. Während aber die antike Dialektik durch die Ausarbeitung solcher Widersprüche lediglich eine vorbereitende Arbeit für die Erkenntnis zu leisten beanspruchte, verwandelt sich für Hegel diese propädeutische bzw. negative Aufgabe der Dialektik in eine positive.« (GGW 3, S. 91 f.) Dass Hegel allerdings im Sophistes »die Positivität absoluter Widersprüche ausgesprochen« (Hegel und die antike Dialektik (1961), S. 18) findet, dass das Identische in ein und derselben Hinsicht als Identisches und Verschiedenes zu begreifen sei, beruht auf einem Missverständnis der Stelle Sophistes 259b, die Hegel auf der Grundlage der von ihm verwendeten Ausgabe allerdings richtig übersetzt. Platon betont nämlich gerade die Bedeutung der Hinsichtnahme, die Hegel hier negiert sieht. 252 Vgl. Becker, Hegels Begriff der Dialektik (1969), S. 44 f. 253 Enzyklopädie § 87; SW 8, S. 187. 254 Vgl. Stephan Grotz, Negationen des Absoluten. Meister Eckhart – Cusanus – Hegel, Hamburg 2009, S. 231.
Hegel und der Widerspruch
333
(oder eine Kategorie) behauptet, und dem, was sie tut, indem sie dieses behauptet.255 Das tut etwa der Satz, der die Identität der Terme »Sein« und »Absolutes« behauptet, indem er die Identität gerade dadurch aussagt, dass er beide Terme trennt und damit unterscheidet und somit einen Widerspruch impliziert. Es handelt sich beim Hegel’schen Widerspruch deshalb »nicht um einen formallogischen Widerspruch, sondern allenfalls um eine metalogische Pseudoparadoxie. […] Materie und intentionales Korrelat jenes Satzes kongruieren nicht.«256 Der Widerspruch entsteht, indem der Satz das eine Mal im Hinblick auf den Sachverhalt, der ausgesagt wird, und das andere Mal im Hinblick auf seine gegenständlich pragmatische Verfasstheit betrachtet wird. »Wir haben es also […] methodisch mit einem Gegensatz von semantischer Betrachtung einerseits und pragmatischer Betrachtung andererseits zu tun.«257 Dieser Widerspruch treibe nun die Entwicklung der ganzen Logik voran, denn jeder Ausdruck meine etwas anderes, als er ist. Die ganze Logik sei nichts anderes als Hegels »Suche nach dem Begriff, der das selbst ist, was er intendiert.«258 Dabei muss von Anfang an der gesuchte Begriff seiner Struktur nach – nämlich das zu sein, was er aussagt – als Telos gegenwärtig sein. Denn erst das Ziel der Logik, nämlich der sich selbst entsprechende Begriff, macht die Prüfung oder die Notwendigkeit einsichtig, bei Nichtentsprechung über den jeweils untersuchten Begriff hinauszugehen. Dieser sich selbst ent255
Vgl. Wolfgang Wieland, »Bemerkungen zum Anfang von Hegels Logik«. In: Helmut Fahrenbach (Hrsg.), Wirklichkeit und Reflexion. Walter Schulz zum 60. Geburtstag, Pfullingen 1973, 395–414, S. 397 f. Auch bei Bubner heißt es, der Ursprung des Widerspruchs sei die Differenz zwischen Wissen und Behauptetem: Man weiß nicht, was man sagt. (Vgl. Rüdiger Bubner, »Strukturprobleme dialektischer Logik«. In: Ute Guzzoni u. a. (Hrsg.), Der Idealismus und seine Gegenwart. Festschrift für Werner Marx zum 65. Geburtstag, Hamburg 1976, 36–52, S. 36.) Die Widersprüche entstehen durch die Diskrepanz zwischen dem Ausgesagten und dem Intendierten. Was begrifflich gefasst werden sollte, erweist sich als nicht in vollständiger Weise gefasst. Die Sache wird damit anders gefasst, als sie ist. Der Begriff der Sache ist damit zugleich Begriff der Sache und ist es nicht, was ein Widerspruch sei. Indem Wissen darüber hergestellt wird, was gesagt wurde, wird der Widerspruch aufgelöst. Die Reflexion klärt dazu, was behauptet werden sollte und was tatsächlich behauptet wurde. (Vgl. S. 48.) Somit geht es auf jeder Stufe der Logik um dasselbe. »Bewegung hat nur statt, insofern die Behauptung der Aussage des Absoluten und die jeweils mögliche Aussage nicht zusammenfallen.« (49) Der Widerspruch in der Logik ist also »die Diskrepanz zwischen Anspruch und Leistung« (49). Aber bei Bubner tritt die Bewegung der Logik insofern auf der Stelle, als nur in der Bewegung selbst das Absolute zur Sprache gebracht werden kann. »Die einzig angemessene Form, einen Logos vom Absoluten zu geben, besteht in der schrittweise erfolgenden Reflexion auf die Unangemessenheit einer jeden fixierten Aussage.« (49) 256 Wieland, Bemerkungen zum Anfang von Hegels Logik (1973), S. 398. 257 Wieland, Bemerkungen zum Anfang von Hegels Logik (1973), S. 400. 258 Wieland, Bemerkungen zum Anfang von Hegels Logik (1973), S. 401.
334
Die spekulative Logik
sprechende Begriff ist deshalb das gesuchte Ziel der Logik, weil er der adäquate Ausdruck für das Absolute ist: »Jeder einschlägige Begriff wird unter der Voraussetzung betrachtet, adäquater Ausdruck des Absoluten zu sein. Doch es scheint, als würde diese Voraussetzung einzig zum Zwecke ihrer Falsifikation eingeführt.«259 Diese Deutung leistet also die notwendige Versöhnung von formaler und spekulativer Logik: mit den Mitteln der traditionellen Logik soll der Begriff gefunden werden, der das ist, was er meint.260 Es wird die Hypothese aufgestellt: x ist das Absolute. Diese führt zu einem Widerspruch und damit ist die Hypothese »x ist das Absolute« widerlegt.261 In Hegels Logik gilt also die klassische Logik weiter. Das für den gesunden Menschenverstand Frappierende ist nur, dass die einseitigen Bestimmungen und Kategorien (das heißt etwa die der Endlichkeit entgegengesetzte Unendlichkeit und die der Unendlichkeit entgegengesetzte Endlichkeit oder die dem Gegensatz entgegengesetzte Identität) widersprüchlich sind, und nicht dasjenige, was diese Entgegengesetzten verbindet: die Identität von Identität und Gegensatz etwa.262 Diese Täuschung des Verstandes liegt darin begründet, dass der Widerspruch in den einzelnen Kategorien nicht in einer rein semantischen Entgegensetzung besteht, sondern in ihrer pragmatisch-semantischen Differenz – dass der Widerspruch also »zwischen dem besteht, was sie bedeuten, und dem, was sie
259
Wieland, Bemerkungen zum Anfang von Hegels Logik (1973), S. 407. Damit greift Wieland auf einen Gedanken Gadamers zurück und entwickelt ihn weiter: den dialektischen Fortgang der Logik bestimme, dass jede Gedankenbestimmung das Selbst des Selbstbewusstseins auszusagen beanspruche, das aber »zur vollen logischen Darstellung doch erst am Ende, in der ›absoluten Idee‹, kommt. […] Nur weil der gewußte Gegenstand vom wissenden Subjekt gar nie getrennt werden kann, d. h. aber, im Selbstbewußtsein des absoluten Wissens in seiner Wahrheit ist, gibt es eine Selbstbewegung des Begriffs.« (Hegel und die antike Dialektik (1961); GGW 3, S. 8.) So lassen die Dialektik der Phänomenologie und der Logik für Gadamer eine analoge Deutung zu, insofern der Bewegung derselbe Motor zu Grunde liege, als auch das absolute Wissen als Ende der Phänomenologie »Resultat einer Reinigung« (Die Idee der Hegelschen Logik (1971); GGW 3, S. 67) sei. In der Phänomenologie beruhe die Entwicklung auf dem »Hin und Her zwischen dem, was unser Bewußtsein meint, und dem, was in dem, was es sagt, wirklich enthalten ist. So haben wir immer den Widerspruch zwischen dem, was wir sagen wollen, und dem, was wir wirklich gesagt haben, und müssen ständig das, was nicht ausreicht, hinter uns lassen und zu einem neuen Versuch ansetzen, das zu sagen, was wir meinen.« (73 f.) 260 Vgl. Wieland, Bemerkungen zum Anfang von Hegels Logik (1973), S. 411 f. 261 Vgl. dazu Grotz, Negationen des Absoluten (2009), S. 234 f. Grotz vergleicht dieses Verfahren zu Recht mit einer »naiv negativen Theologie« (236). 262 Vgl. Hösle, Hegels System (1998), S. 175 f.
Hegel und der Widerspruch
335
sind.«263 Die Kategorien meinen etwas anderes als sie sind. Der Begriff der Unendlichkeit meint das Unendliche, ist aber, weil er der Endlichkeit entgegengesetzt ist, endlich. Die synthetische Kategorie, die die Entgegengesetzten vereinigt, tilgt diese Differenz. Die isolierten Bestimmungen sind nur implizit die Einheit mit ihrem Gegensatz, sie sagen diese Einheit nicht aus. Die synthetische Kategorie ist dagegen jeweils die Explikation dieser Einheit. Die Auflösung der Widersprüche geschieht dann auf ähnliche Weise, wie in der Fichte’schen WL: die Kategorien, die sich in Widersprüche verwickeln, werden durch Einführung neuer Kategorien aufgelöst, die diesen Widersprüchen enthoben sind. Sie selbst verwickeln sich dabei erneut in Widersprüche, das heißt hier tritt eine neue semantisch-pragmatische Differenz auf. Damit sind dann aber ähnliche Probleme wie bei Fichte impliziert, insbesondere das Problem des perennierenden Widerspruchs. Man könnte nämlich nie sicher sein, den Widerspruch gelöst zu haben. Nicht einmal bei der absoluten Idee könnte man das sagen. Wir haben nur noch keinen Widerspruch gefunden. Letztlich findet sich also auch hier ein prinzipiell unendlich perennierender Widerspruch, dessen endgültige Auflösung ins Unendliche hinausgeschoben und nur aus subjektiven Gründen unterbrochen wird. In der Analogie zwischen der Bewegung des Lebendigen und der Selbstbewegung der logischen Begriffe liegt aber auch ein Problem. Die Selbstbewegung der Begriffe und ihr Grund gleichen dann der Selbstbewegung des Lebendigen und ihres Grundes. Zwar kann zwischen Widerspruch und Bewegung in der Logik und im biologisch Lebendigen sicher keine pure Verschiedenheit vorliegen, beide Bedeutungen können nicht als homonym auseinander fallen. Aber andererseits ist die Bewegung beider auch nicht völlig identisch, sondern muss als analoges Verhältnis gedacht werden, wobei dem Widerspruch innerhalb der Logik natürlich der Rang des Primäranalogates zukommt. Denn die Bewegung des Lebendigen ist teleologisch verfasst, das faktisch Lebendige ist in seiner Bewegung durch seinen Begriff, den es zu realisieren trachtet, bestimmt. Im Hinblick auf dieses Ziel erscheint das Faktische dagegen als mangelhaft. Die logischen Bestimmungen hingegen weisen nicht in dieser Weise einen Mangel auf. Denn Hegel schreibt den höchsten Standpunkt, in dem die Gegensätze des Lebens »als Gegensatz und Widerspruch keine Geltung und Macht mehr«264 haben, der Philosophie als solcher zu – im Gegensatz zum gewöhnlichen Bewusstsein. Dieser höhere Standpunkt ist aber bereits am Anfang der WdL mit dem reinen Denken bzw. am Ende der Phänomenologie mit der Überwindung der endlichen Bewusst263 264
Hösle, Hegels System (1998), S. 174. Ästhetik I; SW 13, S. 138.
336
Die spekulative Logik
seinsformen und des Gegensatzes von Bewusstsein und Gegenstand im absoluten Wissen realisiert.265 Der erste Begriff der Logik spricht die Wahrheit des Absoluten nicht weniger aus, als der letzte und die zwischen ihnen liegenden. Mag das sinnliche Bewusstsein zu Beginn der Phänomenologie noch defizitär sein und wird deshalb über die ihm immanente Widersprüchlichkeit belehrt, so kann das für die Bestimmungen der Logik doch nicht in derselben Weise gelten. So ist das sinnliche Bewusstsein ja auch überrascht über seine eigene Widersprüchlichkeit, das gilt aber nicht für das spekulative Denken. Höchstens in den Anmerkungen wird diese Überraschung für den gemeinen Verstand geschildert.266 Damit würden aber die Bestimmungen der Logik eben nur in Bezug auf einen anderen Begriff (nämlich den des Absoluten) oder ein vorausgesetztes Prüfkriterium – kann dieser Begriff mit Recht den Anspruch der Einzigkeit erheben? – als in sich widersprüchlich erscheinen und ineinander übergehen bzw. scheinen oder sich entwickeln. Das Absolute wäre der anvisierte Endzweck, auf den hin alle Bestimmungen geprüft werden. Solch ein Verfahren unterwirft Hegel aber bereits in der Phänomenologie der Kritik: »Denn statt mit der Sache sich zu befassen, ist solches Thun immer über sie hinaus; statt in ihr zu verweilen und sich in ihr zu vergessen greifft solches Wissen immer nach einem Andern, und bleibt vielmehr bey sich selbst, als daß es bey der Sache ist und sich ihr hingibt.«267 Die Begriffe in der Logik würden sich gerade nicht selbst untersuchen.
265
»Die Philosophie aber tritt mitten in die sich widersprechenden Bestimmungen hinein, erkennt sie ihrem Begriff nach, d. h. als in ihrer Einseitigkeit nicht absolut, sondern sich auflösend, und setzt sie in die Harmonie und Einheit, welche die Wahrheit ist.« (Ästhetik I; SW 13, S. 138.) Nach Bubner sind deshalb alle Bestimmungen, die in der Logik vorkommen, gleichberechtigt, weil in ihr – anders als in der Phänomenologie – bereits »das Niveau der Wissenschaft erreicht ist« (Bubner, Strukturprobleme dialektischer Logik (1976), S. 47). 266 Dies setzt aber vor allem die Deutung Wielands voraus: dass Sein gleichzeitig Nichts ist, muss das spekulative Denken überraschen, das ja – hätte Wieland Recht – am Sein den absoluten Begriff zu finden gehofft hatte. Es muss aber dann enttäuscht feststellen, dass die Seinskategorie eben leider doch nicht das Absolute ist, und es dann wiederum mit einer anderen Kategorie versuchen. In diesem Sinn versucht auch Becker, die Entwicklung der Reflexionsbestimmungen zu deuten: Identität und Differenz müssen jeweils den Anspruch erheben, Absoluta zu sein, damit die Dialektik dieser Begriffe überhaupt funktioniert. (Vgl. Becker, Hegels Begriff der Dialektik (1969), S. 32.) »Absolute Differenz« meint somit, alles sei different (und nichts sonst), »absolute Identität« meint, alles sei identisch (und sonst nichts). Um behaupten zu können, dass die Identität ein Unterschiedenes sei, müsse der »›Einzigkeitsanspruch‹« (Becker, Hegels Begriff der Dialektik (1969), S. 26) von Identität und Differenz unterstellt werden. 267 Phänomenologie (1807); GW 9, S. 11.
Hegel und der Widerspruch
337
Das Wahre wäre dann einfach das Letzte, das, was am Ende steht. So ist es aber nicht gemeint, dass das Absolute Resultat sein soll.268 Das ist noch nicht einmal für die Phänomenologie der Fall. Denn wenn die Entwicklung als bloßer Durchgang durch mögliche Bestimmungen verstanden wird, würde das bedeuten, dass »in dem Zwecke oder den letzten Resultaten, die Sache selbst und sogar in ihrem vollkommenen Wesen ausgedrückt wäre, gegen welches die Ausführung eigentlich das unwesentliche sey.«269 Aber wird die Ausführung der Sache so als etwas Kontingentes und der Sache letztlich doch Äußerliches angesehen, so wäre auch das Absolute nur »das nackte Resultat«, das »der Leichnam« ist, der die Entwicklung hinter sich gelassen hat. Gilt dies bereits für die Geschichte der Philosophie und ihre Entwicklung nicht, so muss dies noch mehr für die Logik gelten. Denn die Philosophiegeschichte zeichnet sich ja noch durch ein gewisses Maß an Kontingenz und Zufälligkeit aus, insofern die Philosophiegeschichte als Entwicklung der Stationen der Logik Sprünge und Stagnation zulässt. Das Ziel der ganzen Logik ist so vielmehr die Darstellung des »Reichs des Gedankens«270, dessen notwendige Entwicklung dargestellt werden soll. Ziel ist deshalb nicht von vornherein die absolute Idee als etwas Vorausleuchtendes, sondern der Gedanke und seine Bestimmungen, in denen er gedacht werden muss. Die Logik ist nicht schon von ihrem Ziel her bestimmt.271
268
»Es ist von dem Absoluten zu sagen, daß es wesentlich Resultat, daß es erst am Ende das ist, was es in Wahrheit ist […].« (Phänomenologie (1807); GW 9, S. 19.) 269 Phänomenologie (1807); S. 9. 270 WdL I/1 1832; GW 21, S. 10. 271 Insofern ist sie Transzendentalphilosophie, als sie nach der Angemessenheit der Begriffe, die wir zum Erkennen gebrauchen, fragt, die sie nun aber auf ihre eigene Wahrheit hin untersucht. Dabei ist es aber gerade nicht so, dass die Begriffe nur daraufhin befragt werden, ob sie das Absolute seien, um bis zum Schluss der Logik zu einem skeptischen Ergebnis zu gelangen, weil jeder Begriff in sich widersprüchlich ist. Es soll ja nicht nur die negative, sondern auch die positive Seite derselben aufgezeigt werden. (Vgl. Enzyklopädie 1830 § 24; SW 8, S. 87.) Der Widerspruch wird ja ständig aufgehoben. Andernfalls wäre es ein bloßes Beiseitelegen der in sich widersprüchlichen Begriffe. Die Kritik an Kants Vernunftkritik besteht dann auch gerade darin, dass sie nicht »den Inhalt und das bestimmte Verhältnis dieser Denkbestimmungen gegeneinander selbst« (§ 41; 113) betrachtet, sondern nur ihre Tauglichkeit, durch sie bestimmte Objekte zu erkennen. Insofern stellt es auch eine Bagatellisierung von Hegels Gedanken dar, wenn man die Untersuchung der Denkbestimmungen xn auf ihre Wahrheitsfähigkeit als Untersuchung bestimmter Urteile der Art »Alle Dinge sind x.« oder »Das Absolute ist x.« umformuliert.
338
Die spekulative Logik
1.2.2. Der Widerspruch als Antinomie Die Struktur der semantisch-pragmatischen Differenz lässt sich jedoch noch bestimmen. Mit der Charakterisierung des Widerspruchs als semantischpragmatischer Differenz ist zwar angegeben, worin ein Widerspruch besteht, aber das Gegensatzverhältnis als solches bleibt noch unbestimmt. Eine weitergehende Deutung bestimmt die Widersprüche, die Hegel positiv behandelt, deshalb als Antinomien. Hegel selbst bezieht sich an mehreren zentralen Stellen auf die Antinomien, insbesondere Kants. In seiner Antinomienlehre der KrV zeigt Kant, wie sich die Vernunft notwendig in Widersprüche verwickelt, die sie erst mittels der Vernunftkritik und der damit einhergehenden Unterscheidung von Ding an sich und Erscheinung auflösen kann. Die Antinomien bestehen dabei in der Behauptung zweier entgegengesetzter Aussagen über denselben Gegenstand, wobei jeder gleiche Notwendigkeit besitzt. Diese Widersprüche löst Kant auf, indem er sie von den Gegenständen auf die Vernunft überträgt. In dem Nachweis der Notwendigkeit des Widerspruchs in der Antinomienlehre sieht Hegel die große Leistung Kants, in seiner Auflösung seinen großen Mangel: nicht die Dinge in der Welt sollen nach Kant widersprüchlich sein, sondern die denkende Vernunft.272 Dialektik stelle bei Kant »ein nothwendiges Thun der Vernunft«273 dar, aber eben auch nur der Vernunft, nicht der Wirklichkeit. Die Vernunft bleibt so bei Kant zumindest als theoretische ein nur gegenüber der Wirklichkeit. Deshalb verdiene seine Antinomienlehre »freylich kein großes Lob«274. Aus der Perspektive Hegels gelingt Kant gar keine Auflösung der Antinomien, weil er sie einfach in die subjektive Vernunft verschiebt und dort weiterbestehen lässt. Kants Nachweis der Notwendigkeit der Antinomien, dass der Widerspruch nicht »nur
272
»Dieser Gedanke, daß der Widerspruch, der am Vernünftigen durch die Verstandesbestimmungen gesetzt wird, wesentlich und notwendig ist, ist für einen der wichtigsten und tiefsten Fortschritte der Philosophie neuerer Zeit zu achten. So tief dieser Gesichtspunkt ist, so trivial ist die Auflösung; sie besteht nur in einer Zärtlichkeit für die weltlichen Dinge.« (Enzyklopädie 1830 § 48; SW 8, S. 126.) 273 WdL I/1 1832; GW 21, S. 40. 274 WdL I/1 1832; GW 21, S. 40. Kant hat erkannt, dass eine Antinomie notwendig in der Endlichkeit entsteht. Er konnte den Widerspruch aber deshalb nicht lösen, weil er die Endlichkeit nicht aufhebt, sondern stattdessen den Widerspruch in die Subjektivität gesetzt hat. Das Positive, die Mitte der Entgegengesetzten, habe Kant nicht erkannt. Bei den mathematischen Antinomien ist das Ergebnis so auch rein negativ: weder – noch. Die Auflösung der dynamischen Antinomien besteht darin, die Gegensätze »als absolut ungleichartig, außer aller Gemeinschaft seyend, zu denken« (Glauben und Wissen (1802); GW 4, S. 338).
Hegel und der Widerspruch
339
eine zufällige Verirrung«275 ist, die »auf einem subjektiven Fehler im Schließen und Räsonieren«276 beruht, war verglichen mit der Auffassung des Widerspruchs als bloß zufälliger Ausfallserscheinung »eine sehr wichtige Förderung der philosophischen Erkenntnis«277. Allerdings zeigt die Notwendigkeit des Widerspruchs für Kant nur die Grenze der menschlichen Erkenntnis auf: wenn das menschliche Erkennen mittels seines Begriffsapparates die Dinge an sich erkennen will, so verwickelt es sich zwangsläufig in Widersprüche. Deshalb verfehlt Kant aus Hegels Sicht die »wahr[e] und positiv[e] Bedeutung der Antinomien«278: das Wirkliche enthält entgegengesetzte Bestimmungen und erst durch diese entgegengesetzten Bestimmungen wird es zu einer konkreten Einheit und bleibt nicht nur abstrakte Identität. Kant hat seiner Antinomienlehre zwar »einen Schein von Vollständigkeit«279 geben wollen, aber weil er die dialektische Natur der Vernunft nicht begriffen hat, hat er nicht erkannt, dass jeder Begriff eine Einheit entgegengesetzter Momente ist. Somit könnte man jeden Begriff in Form einer Antinomie aufstellen. Soll dies aber mehr bedeuten als die bloße Affirmation der Antinomien Kants, so muss Hegel zugleich die interne Struktur der Antinomien verändern. Kant muss sich bereits über Natur und Extension der Antinomie getäuscht haben. Wenn Hegel zunächst die Antinomien Kants hervorhebt und nur ihre fehlende Universalität kritisiert, so scheint es sich bei Hegel nur um eine extensive Ausdehnung der Konzeption Kants zu handeln.280 Tatsächlich 275
Enzyklopädie 1830 § 48; SW 8, S. 128. Enzyklopädie 1830 § 48; SW 8, S. 128. 277 Enzyklopädie 1830 § 48; SW 8, S. 128. 278 Enzyklopädie 1830 § 48; SW 8, S. 128. 279 WdL I/1 1832; GW 21, S. 180. 280 Bei Kant gibt es für die theoretische Vernunft nur vier Antinomien. Nach Hegel sind es alle Kategorien der Logik, die einen Widerspruch implizieren. Es sind die die Welt konstituierenden Kategorien, die den Widerspruch hervorbringen (bei Kant). Die erscheinende Welt ist durch den Verstand und seine Bestimmungen konstituiert. Wenn sich also These und Antithese nicht aus ganz disparaten Prämissen, sondern aus den Kategorien selbst entwickeln lassen, so folgt aus Kants eigener Transzendentalphilosophie, dass die Widersprüchlichkeit der Verstandeskategorien auch den durch sie bestimmten Dingen der Erscheinungswelt zukommt. Hegel muss also zeigen, dass die Bestimmungen des Denkens in sich antinomisch sind. Denn dann erst impliziert die »Anwendung der Kategorien« (Enzyklopädie 1830 § 48; SW 8, S. 127) einen Widerspruch. Denn in der KrV ist es ja nicht die Anwendung der Kategorien schlechthin, die einen Widerspruch erzeugt (was Hegel gewissermaßen unterstellt), sondern die Anwendung auf etwas, worauf sie nicht anwendbar sind. Die Hegel’sche Verallgemeinerung ist aber dann durchaus berechtigt, wenn die Kategorien tatsächlich an sich selbst widersprüchlich wären. Bei Hegel heißt es, dass »in allen Gegenständen aller Gattungen, in allen Vorstellungen, Begriffen und Ideen« (128) ein Widerspruch impliziert ist, eine Antinomie als »das dialektische Moment des Logischen« (128), das es nur zu entwickeln gilt. In anderer Weise generalisiert ja auch der 276
340
Die spekulative Logik
aber ist das, was Kant als Antinomie bezeichnet, weder eine echte Antinomie noch eine Antinomie im Sinne Hegels. Wenn Antinomien logische Widersprüche sind, »die prämissenfrei abgeleitet werden«281, dann liegen bei Kant keine eigentlichen Antinomien vor, denn die entgegengesetzten Behauptungen implizieren einander nicht, sondern beruhen auf verschiedenen Voraussetzungen. Kant hat die Antinomie nicht in den Begriffen selbst aufgefasst, sondern »in der schon concreten Form kosmologischer Bestimmungen«282, so dass sie bereits angewandt auf Raum und Zeit sind und mit den Vorstellungen derselben vermischt sind. Für Hegel hingegen zeigt sich in den Antinomien der Widerspruch der Dinge und der Kategorien selbst.283 Bei Kant besteht die Antinomie ja gerade darin, dass sich zwei sich widersprechende Aussagen (p und non-p) beide beweisen lassen. Die Beweise der entgegengesetzten Behauptungen beruhen aber jeweils auf unterschiedlichen Prämissen, späte Schelling die Antinomie, weil sie nämlich in dem Verhältnis von negativer und positiver Philosophie überhaupt gründet: »Es ist sonderbar, daß Kant den Widerspruch nur in den kosmologischen Ideen findet. Er findet vielmehr immer Statt, wo das Negative sich zum Positiven aufrichtet.« (Offb., S. 149.) Hier wäre die Antinomie einerseits wieder Ausdruck des Mangels der Vernunft, das Absolute zu erkennen, andererseits ist sie Ausdruck der Selbstaufhebung der Vernunft, die zum Absoluten übergehen möchte. 281 Elke Brendel, Die Wahrheit über den Lügner. Eine philosophisch-logische Analyse der Antinomie des Lügners, Berlin/New York 1992, S. 8. Brendel hält die Antinomien Kants allerdings für echte Antinomien – wohl weil sie die ganz verschiedenen Prämissen von Kants These und Antithese jeweils nicht sieht. 282 WdL I/1 1832; GW 21, S. 180. 283 Vgl. Kesselring, Produktivität der Antinomie (1984), S. 113. Die Antinomien Kants werden bereits in den früheren Logikentwürfen Hegels auf in sich widersprüchliche Begriffe zurückgeführt. Die Antinomie von Sein und Nichts findet Hegel so bereits deutlich bei Heraklit ausgesprochen: »Das Sein ist nicht, so ist das Nichtsein, und das Nichtsein ist nicht, so ist das Sein; dies ist das Wahre der Identität beider.« (Philosophiegeschichte I; SW 18, S. 324.) Die Bestimmung unserer Vorstellung von Raum und Zeit enthält Widersprüche. Diese Widersprüche sind vor Kant bereits von Zenon aufgezeigt worden. »Kants Antinomien sind nichts weiter, als was Zenon hier schon getan hat.« (317) Für Zenon ist »die Bewegung […] unwahr, denn sie ist Widerspruch. Damit hat er sagen wollen, daß ihr kein wahrhaftes Sein zukomme. Zenon zeigt nun, daß die Vorstellung der Bewegung einen Widerspruch enthält […].« (305) Das sei aber nicht damit zu verwechseln, als hätte Zenon die Bewegung geleugnet. Die Bewegung ist »Die Dialektik alles Seienden« (305). Deswegen kann sie aber nicht geleugnet werden. Das wirft nun auch ein Licht auf Hegels Konzeption des Widerspruchs: das Auftreten des Widerspruchs darf nicht geleugnet werden, deshalb kann man aber nicht sagen, dass etwas, das einen Widerspruch impliziert oder enthält, wahr ist. Sondern weil es einen Widerspruch enthält, deshalb ist es unwahr. Hegel würde also nie so weit gehen und wie die Dialetheisten von »wahren Widersprüchen« sprechen. Der Widerspruch enthüllt gerade die Unwahrheit einer Sache. Die Dialetheisten wären aus Hegels Sicht insofern noch zu zärtlich zu einem ganz klassischen Wahrheitsbegriff, weil sie das simple »der Fall Sein« schon als Wahrheit verstehen.
Hegel und der Widerspruch
341
die der entgegengesetzte Beweis nicht voraussetzt. Rein logische Antinomien haben aber doch die Struktur »p ↔ ~p«. Die Annahme der einen Behauptung impliziert die Wahrheit der Entgegengesetzten oder die Wahrheit von p impliziert seine Falschheit und seine Falschheit seine Wahrheit: »Es sind zwey so zusammengeknüpft, daß sie sich schlechthin fliehen; und indem sie sich fliehen, können sie sich nicht trennen, sondern sind in ihrer gegenseitigen Flucht verknüpft.«284 Das ist nun bei Kant evidentermaßen nicht der Fall, da »das antinomische Zentrum der Sache, der Widerspruchskern sozusagen, generell verdeckt bleibt«285. These und Antithese sind nur unvereinbare Behauptungen, die sich beweisen lassen, bilden aber keine rein logischen Antinomien. Echt antinomisch ist immer nur ein Ganzes, »das, negativ selbstimplikativ, sich selbst zum Teil hat«286. Diesen antinomischen Kern arbeitet erst Hegel heraus, etwa in der »unendlich verflossenen Weltreihe.287 So kritisiert denn auch Hegel die Beweise für Thesis und Antithesis als bloße Scheinbeweise, weil die jeweiligen Konklusionen bereits in den Prämissen enthalten seien. Er sieht die Einheit der entgegengesetzten Bestimmungen in Kants Antinomien zwar »aus284
WdL I/1 1832; GW 21, S. 222. Kulenkampff, Antinomie und Dialektik (1970), S. 88. 286 Kulenkampff, Antinomie und Dialektik (1970), S. 88. 287 Bei Kant bestehe immer ein Ungleichgewicht zwischen These und Antithese, insofern die Thesis immer etwas voraussetzt, was bei der Antithesis nicht vorausgesetzt wird, nämlich das vollständige Gegebensein des Unendlichen. Nur der Thesis liegt der antinomische Sachverhalt zu Grunde, und zwar als »deren verdeckte Voraussetzung« (Kulenkampff, Antinomie und Dialektik (1970), S. 89). Die Thesis sei insofern nicht der Antithesis, sondern ihrer eigenen Voraussetzung entgegengesetzt. So kann Kulenkampff über das Verhältnis von Kant zu Hegel urteilen: »Die spekulative Dialektik berührt sich mit der transzendentalen Kants in dem Widerspruch, der deren verdecktes Zentrum bildet. Weder die Thesis noch die Antithesis hat mit Dialektik im Sinne Hegels etwas zu tun, wohl aber die antinomische Voraussetzung der Thesis.« (94) Das »Schiefe dieser Argumentation« (Schulz, Das Problem der absoluten Reflexion (1963), S. 17) von Kants Antinomien hebt auch Walter Schulz hervor: in der Antithetik entspreche die These dem metaphysischen Denken, das einen Abschluss sucht, die Antithese hingegen dem anti-metaphysischen Denkprinzip der unendlichen Iteration. Die Antithese ist dabei gegen die alte Metaphysik gerichtet. Dies ist nach Schulz jedoch »hintergründig« (17), weil ja nicht die Antithese als solche gegen die Metaphysik spricht, sondern der Widerspruch zwischen beiden. Andererseits erweise aber bereits die Antithese »auf Grund der Idee der endlosen Reflexion« (17) die Unmöglichkeit der Metaphysik. Man versetze sich so in der These auf einen Standpunkt des unreflektierten Denkens zurück, der ein höchstes Seiendes als letzten Grund sucht, der aber in der Idee der unendlichen Reflexion und ihrer Notwendigkeit bereits verloren ist. Die Reflexion als solche erweist bereits die Unmöglichkeit der Metaphysik im alten Stile. 285
342
Die spekulative Logik
gesprochen«288, aber nicht in adäquater Weise gedacht. Zugleich wird der Widerspruch nicht aufgehoben, sondern in die Subjektivität verschoben, wo er »so unaufgelöst bleibt als vorher«289. Kants Antinomienlehre kann also nicht als Paradigma zur Erläuterung des Hegel’schen Verständnisses vom Widerspruch taugen, weil beide Konzeptionen von Antinomie eine unterschiedliche Struktur aufweisen. Die Antinomie Hegels wird deshalb wiederum als semantisch-pragmatische Differenz aufgefasst.290 Jede logische Kategorie enthält eine »semantisch-pragmatische 288
Enzyklopädie 1830 § 48; SW 8, S. 129. WdL I/1 1832; GW 21, S. 181. 290 Nach Stekeler-Weithofer etwa beruhen in der Sicht Hegels die Antinomien auf der semantischen Vagheit bestimmter Begriffe oder Regeln des Sprachgebrauchs. Auf Grund eben dieser Vagheit könnten wir bestimmte Behauptungen dann »gleichzeitig als irgendwie richtig und als irgendwie unrichtig […] bewerten […]. In diesen Fällen wirkt der Satz vom Widerspruch als Movens bzw. Moment im Sinne Hegels für weitere semantische Differenzierungen.« (Stekeler-Weithofer, Verstand und Vernunft (1992), S. 167.) Die Geltung des SdW wird dann dadurch wiederhergestellt, dass diese Mängel in unserem faktischen Sprachgebrauch, in unseren Urteils- und Schlussweisen beseitigt werden. Widersprüche sind gewissermaßen negativ produktiv. Denn sie sind »die einzig wirklich verfügbaren Regeln oder Richtschnur für den Begriff der Wahrheit, nämlich als negative Ausgrenzung« (168). Die Antinomie gründet nach Kulenkampff in der »Einebnung der Differenz von dem, worüber ausgesagt, und dem, was ausgesagt wird, von Dingen und Eigenschaften« (Kulenkampff, Antinomie und Dialektik (1970), S. 36). Diese Einebnung gründe ihrerseits in der »Kontamination von Kopula und Gleichheit« (36). Sie geschehe nicht aus logischer Unkenntnis, sondern auf Grund der Einsicht der Notwendigkeit dieser Entdifferenzierung, um sich zur Spekulation erheben zu können. An diese Interpretation Kulenkampffs, der letztlich aber die Antinomie bei Hegel zum Anlass nimmt, um »Hegels Konzeption als unsinnig zu verwerfen« (Kesselring, Produktivität der Antinomie (1984), S. 27), knüpfen vor allem Wandschneider und Kesselring in positiver Weise an. Dabei versucht Kesselring, die Begriffsentwicklung in Hegels Logik aus dem Antinomienproblem heraus verständlich zu machen und diese Begriffsentwicklung wiederum mit den entwicklungspsychologischen Untersuchungen Piagets zu parallelisieren. Dieser zweite Aspekt seiner Arbeit kann völlig vernachlässigt werden, da er zum Verständnis von Hegels Widerspruchskonzeption nichts beiträgt. Aus der Perspektive Kesselrings nimmt sich dies freilich anders aus. Denn die Aktualität von Hegels Denken gründe nur darin, dass das Absolute sich in der Logik zu einem System verflüssige, »zu dessen Konstituenten wesensmäßig Entwicklung gehört. […] Eine rationale Rekonstruktion seiner Dialektik muß diesem Umstand Rechnung tragen, indem sie ohne den Begriff des Absoluten auskommt.« (42) Das ist einerseits richtig, andererseits sicher sehr fraglich. Wenn man für die gesamte Logik Hegels bereits immer voraussetzen muss, dass es sich um eine Theorie des Absoluten handelt und seine Dialektik nur dadurch verständlich wird, dann schadet das sicher der Überzeugungskraft. Daraus folgt aber umgekehrt noch nicht, dass der Begriff des Absoluten a priori ausgeklammert werden müsste, denn es könnte sich innerhalb des Ganges der Logik auch zeigen, dass dieser Begriff ein notwendig zu denkender ist. Zudem schränkt Kesselring damit die Reichweite der Logik letztlich schon auf einen ganz bestimmten – aus Sicht der Logik 289
Hegel und der Widerspruch
343
Diskrepanz«291, sie drückt nicht all das aus, was für die Bedeutung dieser Kategorie bereits vorausgesetzt wird. Semantisch fehlt etwas, was pragmatisch vorausgesetzt ist. Dies führt zur Einführung einer neuen Kategorie, in der das pragmatische »Zuviel« an Bedeutungsinanspruchnahme semantisch explizit gemacht wird. Dies wird mit dem Gedanken der selbstreferentiellen Negation verbunden.292 Nach Kesselring sind Negation und Selbstbeziehung »die beiden Charakteristika strikter Antinomien«293, wobei das Negierte die Selbstbeziehung selbst sein muss und nicht irgendeine Eigenschaft (wie bei dem Begriff »nicht farbig«, der eben nicht farbig ist). Bei Kesselring beruht die Antinomie immer auf einer Sphärenvermengung, insofern das Denken »die Ergebnisse seiner Tätigkeit [des Setzens; S. Sch.] nicht von den Strukturen des Gegenstandes«294 unterscheidet und vermengt. In der Reflexion wird ein Schema, das Form des Denkens ist, vergegenständlicht und damit zum Inhalt des Denkens gemacht. Diese Vergegenständlichung bezeichnet Kesselring als Projektion.295 Denkformen werden zu objektiven Gegebenheiten gemacht. Das Denkschema oder die Denkform thematisiere sich damit selbst mit, und diese Selbstbeziehung oder Selbstthematisierung impliziere wiederum einen Widerspruch. »Durch Nichtunterscheidung von Form- und Inhalts-Ebene entsteht die Möglichkeit von Selbstbeziehung, und hierdurch wiederum ergibt sich die Möglichkeit von Paradoxien.«296 Paradoxien bzw. Antinomien werden daauch noch sehr unpräzisen – Bereich der Wissenschaft ein, nämlich Psychologie und Sozialwissenschaft. Hegels Logik erhebt hier aber doch einen umfassenderen Anspruch. Eine gewisse Produktivität in diesen »soft sciences« hätte ja auch Popper der Dialektik als fundamentaler Kritiker nicht abgesprochen. 291 Dieter Wandschneider, »Dialektik als antinomische Logik«. In: Hegel-Jahrbuch 1991, 227–242, S. 227. 292 Negative Selbstbezüglichkeit ist bereits nach Heiss »die logische Grundform des Widerspruchs« (Robert Heiss, Logik des Widerspruchs. Eine Untersuchung zur Methode der Philosophie und zur Gültigkeit der formalen Logik, Berlin und Leipzig 1932, S. IV). Über sie stellt auch Heiss einen Bezug zu den Antinomien der modernen Logik her. 293 Kesselring, Produktivität der Antinomie (1984), S. 105. In seiner Untersuchung des Hegel’schen Methodenkapitels schreibt er: »Der Begriff der negativen Selbstbeziehung erweist sich als in sich widersprüchlich, denn wenn er sich auf sich bezieht, bezieht er sich nicht auf sich und umgekehrt.« (261) 294 Kesselring, Produktivität der Antinomie (1984), S. 118. 295 Vgl. Kesselring, Produktivität der Antinomie (1984), S. 122. Dieser Vorgang finde sich analog bei Piagets entwicklungspsychologischen Untersuchungen des Kindes. 296 Thomas Kesselring, »Rationale Rekonstruktion von Dialektik im Sinne Hegels«. In: Emil Angehrn u. a. (Hrsg.), Dialektischer Negativismus. Michael Theunissen zum 60. Geburtstag, F. a. M. 1992, 273–303, S. 286.
344
Die spekulative Logik
durch generiert, dass eine bewusste Tätigkeit, eine Aussage oder ein Begriff durch die Beziehung auf sich selbst negiert oder in das Gegenteil ihrer selbst verkehrt werden.297 Diese Antinomie motiviert das erkennende Subjekt »zu einer Analyse der Situation mit dem Ziel der Ausschaltung dieses Widerspruchs.«298 Auf jeder Stufe der dialektischen Entwicklung wird etwas, das vorher noch Form des Denkens war, als gesetzte Form zum Inhalt dieses Denkens.299 Der Widerspruch werde bei Hegel dadurch aufgelöst, dass die in der Antinomie verwischte logische und kognitive Ebene (vormaliger Erkenntnis-Gegenstand und vormalige Erkenntnistätigkeit, Inhalt und Form) getrennt wird. In der Trennung wird auf höherer Ebene wieder Form und Inhalt vermischt und muss auf noch höherer Ebene erneut getrennt werden.300 Tatsächlich zeigt sich in dieser Interpretation also genau die Zärtlichkeit für die Dinge, die Hegel Kant vorwirft, denn der Widerspruch wird in das Denken, anstatt in die Sache selbst zurückverlegt. Verschlimmert wird dieser Umstand noch dadurch, dass Kesselring das entwicklungspsychologische Modell Piagets auf Hegel zu applizieren versucht:301 Die Logik stecke am seinslogischen Anfang noch in ihren Kinderschuhen und gelange nach der Pubertät der Wesenslogik ins reife Alter der Begriffslogik. Derart psychologisierende Analogien zählen aber sicher mit zu den denkbar schlechtesten Interpretationsmodellen der Hegel’schen Logik, denn dann würden eben keine den Sachen selbst zukommenden objektiven Widersprüche untersucht, sondern ein psychogenetischer Vorgang im erkennenden Subjekt. Für Kesselring müsste an sich jede Sphärenvermengung zu überwinden sein, weil sie auf einer Nichtdifferenzierung im erkennenden Subjekt beruht. Die »Versubjekti-
297
Vgl. Kesselring, Rationale Rekonstruktion von Dialektik (1992), S. 291. Kesselring, Produktivität der Antinomie (1984), S. 123. 299 Vgl. Kesselring, Produktivität der Antinomie (1984), S. 126. 300 Vgl. Kesselring, Rationale Rekonstruktion von Dialektik (1992), S. 294 ff. Damit antizipiere Hegel auch die Metasprachenhierarchie und Typentheorie als Möglichkeit zur Auflösung von Antinomien. 301 Kesselring wendet sich damit gerade gegen die Applikation der Struktur logischer Antinomien auf Hegels Konzeption der Antinomie. Sein Argument, Hegel könne unter Antinomie nicht dasselbe verstanden haben wie die moderne Logik, weil er sich bei der Verwendung dieses Begriffes an Kant anlehne, ist dabei wenig überzeugend. Denn zum einen sieht Kesselring selbst, dass Hegel sich bezüglich der Antinomien »teils affirmativ, teils kritisch« (Kesselring, Produktivität der Antinomie (1984), S. 113) an Kant anschließt, also über Kant hinauszugehen versucht. Dieses Hinausgehen betrifft aber gerade die Struktur des Widerspruchs oder der Antinomie, das Anschließen eher die Notwendigkeit des Widerspruchs. Außerdem ist nicht einsichtig, warum die Ähnlichkeiten mit Piaget ihrerseits größer sein sollten als die mit der modernen Logik. 298
Hegel und der Widerspruch
345
vierung des Widerspruchs«302 löst diesen aus Hegel’scher Perspektive aber nicht auf, sondern lässt ihn gerade bestehen. Wandschneiders Deutung des Hegel’schen Widerspruchs als einer der Dialektik zu Grunde liegenden »antinomische[n] Struktur«303 ist hingegen stärker durch logische Antinomien wie der Wahrheitsantinomie beeinflusst.304 Dieses logische Antinomienproblem ist dabei für ihn kein bloß innerlogisches, vielmehr kommt ihm »eine Art Schlüsselfunktion bei der Aufklärung auch ganz andersartiger Probleme zu«305. Jede Antinomie zeichnet sich nach Wandschneider nämlich letztlich durch »negativ[e] Selbstbedingung«306 aus. Damit wird die Form des negativen Selbstbezuges noch einmal genauer spezifiziert: der Bezug muss der einer Bedingung sein. Nicht die negative Selbstbeziehung – wie Kesselring meint –, sondern die negative Selbstbedingung, »der Begriff der Nichtselbstentsprechung in seiner Selbstanwendung«307 führt zu Antinomien. Mit einer echten Antinomie verhält es sich wie mit »einer rückgekoppelten Negationsschaltung, wie sie technisch z. B. als Selbstunterbrecher gebräuchlich ist […]: Der Schaltimpuls öffnet einen Schalter und unterbricht sich dadurch selbst; der Schalter schließt sich wieder und gibt erneut einen Schaltimpuls, der ihn öffnet, usw.«308 Die logischen Antinomien beruhen allesamt darauf, dass sie durch bedeutungsabhängige Begriffe entstehen und fehlerhaft zirkulär sind. Alle Antinomien beruhen darauf, dass sie erst durch den Selbstbezug des Trägers der Eigenschaft diese Eigenschaft zugeschrieben oder nicht zugeschrieben bekommen können – oder unfundiert sind.309 Ob ein Ausdruck heterologisch ist, wissen wir erst, wenn wir diesen Ausdruck auf sich selbst beziehen: etwa die Eigenschaft farblos auf den Ausdruck »farblos«, die Eigenschaft blau auf den Ausdruck »blau«, die Eigenschaft des Wahrseins auf die Aussage »Diese 302
Schäfer, Die Dialektik und ihre besonderen Formen (2001), S. 57. Wandschneider, Dialektik als antinomische Logik (1991), S. 228. 304 So beschäftigen sich Wandschneiders frühe Schriften auch zunächst mit diesen Antinomien der Logik – die er bei Tarski oder Russell nicht ausreichend gelöst findet. (Vgl. dazu Wandschneider, Antinomienproblem (1974), S. 74–91.) 305 Wandschneider, Antinomienproblem (1974), S. 75. 306 Wandschneider, Das Antinomienproblem und seine pragmatische Dimension (1993), S. 320. 307 Wandschneider, Das Antinomienproblem und seine pragmatische Dimension (1993), S. 332. 308 Wandschneider, Das Antinomienproblem und seine pragmatische Dimension (1993), S. 330 f. 309 Den Begriff der »Unfundiertheit« übernimmt Wandschneider von U. Blau. (Vgl. Wandschneider, Zur Struktur dialektischer Begriffsentwicklung (1997), S. 127.) 303
346
Die spekulative Logik
Aussage ist wahr.« selbst usw. Bei den Antinomien impliziert nun die Zuschreibung oder Nicht-Zuschreibung der Eigenschaft jeweils ihr kontradiktorisches Gegenteil – wie bei der Anwendung der Eigenschaft heterologisch auf den Ausdruck »heterologisch« selbst. Für Wandschneider liegt hier nun aber nicht wie etwa für Russell ein fehlerhafter Zirkel, sondern eine »(negative) Rückkopplung«310 vor: »Vermittels Rückkopplung kann ein Zustand […] auf sich selbst zurückwirken und so gleichsam zur Ursache seiner selbst werden«311. Der Satz »Dieser Satz ist wahr.« ist ja erst dadurch wahr, dass er auf sich selbst bezogen wird oder – um mit Wandschneider zu sprechen: durch das Zurückwirken seiner selbst wird er zur Ursache seiner selbst. Wandschneider nennt solche Sätze reflexive Sätze. Bei nicht-reflexiven (oder fundierten) Sätzen sind Wahrheitswert und Beschaffenheit der Aussage unabhängig voneinander. »Wahrheit und Beschaffenheit eines reflexiven Satzes sind notwendig gekoppelt. […] Thema seiner Aussage ist seine eigene Beschaffenheit.«312 Seine Wahrheit hängt nicht von einem anderen Sachverhalt ab, sondern bloß von seiner eigenen Beschaffenheit. Im positiven Fall wird so ein reflexiver Satz auf Grund seines zirkulären Charakters »zu einer sich selbst erfüllenden Aussage.«313 Nun gibt es aber auch Zirkularitäten, die Antinomien hervorrufen. Diese Formen von antinomischer Zirkularität meint er nun in der Logik Hegels zu finden, was er insbesondere für den Anfang der Logik ausführt:314
310
Wandschneider, Antinomienproblem (1974), S. 81. Wandschneider, Antinomienproblem (1974), S. 81. Dies entspricht genau dem Bereich des unfundierten bei Blau. 312 Wandschneider, Formalität und Wahrheit (1979), S. 259. 313 Wandschneider, Formalität und Wahrheit (1979), S. 260. Wandschneider ist der bescheidenen Überzeugung, den Gödel’schen Unvollständigkeitsbeweis auf die bloße Reflexivität des von Gödel konstruierten Satzes gründen zu können – die Tatsache also, dass ein Satz eine Aussage über sich selbst macht. Man dürfe das Augenmerk nicht auf die »technisch-beweistheoretischen Details« (260) bei Gödel richten, sondern nur auf die zirkuläre Struktur: »der wahnwitzige technische Aufwand im Zusammenhang mit GÖDELs Konstruktion trägt eher zur Verschleierung des Problems als zu dessen Klärung bei« (260). 314 Die Lösung dieser Antinomien übernimmt Wandschneider in Texten nach 1985 dann aus Ulrich Blaus Reflexionslogik, an die hier noch einmal erinnert sei. Zu Wandschneiders früherem eigenen Lösungsversuch vgl. Wandschneider, Antinomienproblem (1974), S. 83 ff. Ein Problem ergibt sich dabei aber aus den Formalisierungen Wandschneiders, die doch offensichtlich eine Nähe zur formalen Logik aufzeigen sollen. Andererseits führt er selbst aus: »Sollte die hier entwickelte Argumentation also den Anschein einer Formalisierung der Dialektik erweckt haben, so ist zu sagen, daß dieser Schein trügt.« (Dieter Wandschneider, »Letztbegründung und Dialektik«. In: Raúl Fornet-Betancourt (Hrsg.), Festschrift für Karl-Otto Apel zum 75. Geburtstag, Aachen 1996, 317–336, S. 31.) 311
Hegel und der Widerspruch
347
Nach Spinozas von Hegel übernommenem Diktum ›determinatio negatio est‹ stehen und als die anfänglichen Bestimmungen der Logik in folgendem Verhältnis:315 (1) = (S = ~~S). Das Sein ist dadurch bestimmt, nicht-Nichtsein zu sein. Dies impliziere nun aber zugleich: ist nicht . Dadurch habe das Sein selbst die Eigenschaft seines Gegenbegriffes, nämlich die Eigenschaft des Nichtseins an sich:316 (2) ist -entsprechend. Für Wandschneider entspricht damit schon der Begriff Sein dem des Nichtseins und somit seinem Gegenbegriff. Dabei können wir jedoch nicht stehen bleiben, denn es folgt ja: ist. Der Begriff besitzt also auch die Eigenschaft, die er ausdrückt, nämlich »Sein« (im Sinne von: -entsprechend sein). Also: ist -entsprechend. Daraus folge nun mit Formel (1) wiederum: (3) ist nicht -entsprechend.317 Das zugestanden soll wieder (2) folgen, daraus (3), daraus (2) und das Ganze kann ad infinitum fortgesetzt werden. wechselt immer wieder zwischen den Prädikaten -entsprechend und -entsprechend. Weil damit aber zugleich der Kategorie immer wieder abwechselnd die Eigenschaften »-entsprechend« und »-entsprechend« zugeschrieben werden müssen, liegt hier nach Wandschneider eine antinomische Struktur vor.318 Die Eigenschaften von schlagen 315
Vgl. Wandschneider, Dialektik als antinomische Logik (1991), S. 229 ff. Aber zunächst mal muss doch dieses Nichtsein gar nicht auf das Sein als Eigenschaft bezogen werden, denn man könnte entweder sagen: ~(S = ~S), und so bezieht sich das Nichtsein gar nicht auf das Sein, sondern eben nur auf die Formel, die die Gleichheit von Sein und Nichtsein aussagt. 317 Eigentlich müsste aber doch nur folgen: ist entsprechend. 318 Damit weist dieselbe Struktur wie die Lügner-Antinomie auf, denn auch hier wechseln die Prädikate »wahr« und »falsch« ständig, je nachdem ob wir ihn für wahr halten: wenn der Satz sich entspricht – also falsch ist – ist er wahr (und entspricht sich damit nicht), wenn er wahr ist – sich also nicht entspricht – ist er falsch (und entspricht sich damit). Eigentlich funktioniert diese Antinomie noch besser im Wandschneider’schen Sinne, weil sie nicht noch immer eine Zusatzannahme wie (1) braucht. Insofern müsste der Ausgang von der Bestimmung Nicht-Sein ein gelungenerer sein nach der Interpretation Wandschneiders, weil diese ohne die Zusatzannahme ›determinatio est negatio‹ auskäme, sondern auf Grund der schieren Gleichheit mit sich die Eigenschaft des Seins an sich hätte und deshalb -entsprechend wäre. Damit wäre sie aber nicht entsprechend, womit sie wieder usw. Der Ausgang von Nichts ist aber nach Wandschneider wohl deshalb nicht möglich, weil »die negative Kategorie die positive semantisch voraussetzt« (Wandschneider, Dialektik als antinomische Logik (1991), 316
348
Die spekulative Logik
deshalb um, weil diese positive Kategorie auf die negative Kategorie bezogen wird: »Diese Negativität ist der eigentliche Grund für die beständige Wertumkehr der auf sie bezogenen Entsprechungseigenschaften: Eine negative Entsprechungseigenschaft ist in Entsprechung mit der negativen Kategorie und ergibt so eine positive Entsprechungseigenschaft, die ihrerseits nicht mehr in Entsprechung ist, usf.«319 Diese Antinomie ist aber noch auf der bloßen Eigenschaftsebene des Begriffs. Der Übergang auf die Bedeutungsebene erfolgt erst über den Begriff , »insofern seine Bedeutung negativ selbstreferentiell ist, d. h. er bezieht sich in seinem Explikat negativ auf sich selbst.«320 Nach Wandschneider selbst ist mit dem negativen Begriff »eine prinzipielle Ambivalenz«321 gegeben: seinem Inhalt nach hat er negativen, seiner Normativität – die ihm als Begriff zukommt – nach positiven Charakter. Daraus folgt ein »antinomisches Oszillieren wechselnder Entsprechungsbestimmungen«322. Daraus soll nun folgen: (4) = Daraus über (1): (5) = Der Gegensatz von (1) sei damit in den Widerspruch übergegangen. Dafür sind antinomische Verhältnisse verantwortlich. Die Antinomie geht dann in den Widerspruch über, wenn der Übergang von der Ebene der Begriffseigenschaften auf die Ebene der Begriffsbedeutung vollzogen ist. Der dadurch induzierte semantische Widerspruch ist Ausdruck der antinomischen Struktur.
S. 231). Dies folge »aus dem einfachen Gedanken, daß die Negation letztlich nur als Negation eines vorausgesetzten sinnvoll ist. Der Sinn von non-A setzt den von A voraus. Das Negative ist insofern immer schon ein Vermitteltes.« (Wandschneider, Zur Struktur Dialektischer Begriffsentwicklung (1997), S. 120.) Der Hegel Wandschneiders denkt damit nicht die autonome Negation – entgegen den Beteuerungen Wandschneiders diesen Gedanken in seine Interpretation zu integrieren –, sondern wie Fichte die Negation als etwas, das an etwas von ihr Verschiedenem auftreten muss. 319 Wandschneider, Zur Struktur dialektischer Begriffsentwicklung (1997), S. 126. 320 Wandschneider, Dialektik als antinomische Logik (1991), S. 230. Dieser Übergang auf die Bedeutungsebene leuchtet aber doch nur ein, wenn man die Bedeutung von Nichtsein einzig daran festmacht, dass sie eine ganz spezifische Eigenschaft von Sein ist: die Ungleichheit und damit das nicht-Nichtsein-entsprechend-sein. Es wurde aber doch eine genuinere Bedeutung von Nichtsein vorausgesetzt, gegen die das Sein abgegrenzt werden sollte (mit Spinoza). 321 Wandschneider, Zur Struktur dialektischer Begriffsentwicklung (1997), S. 126. 322 Wandschneider, Zur Struktur dialektischer Begriffsentwicklung (1997), S. 126.
Hegel und der Widerspruch
349
Damit solle erklärbar werden, was bei Hegel unerklärt bleibt: wie sich nämlich Eigenschaftsbestimmungen auf die Bedeutungsebene auswirken können sollen. Die Auswirkung der antinomischen Eigenschaften auf die Bedeutung setzt folgende zusätzliche Überlegung voraus: »Jeder Begriff ist über die durch ihn bestimmte Eigenschaft pragmatisch auf sich selbst bezogen und konstituiert so eine pragmatisch-reflexive Struktur.«323 Dabei hängt allerdings viel von der Verwendung des Begriffs »entsprechend« ab, der uneindeutig genug ist, um durch ihn an sich kontingente Übergänge als notwendig erscheinen zu lassen. Die Auflösung der Schädlichkeit des Widerspruchs erfolgt durch Differenzierung, insofern »die Widerspruchsglieder verschiedene Reflexionsstufen betreffen«324. Somit können Hinsichten unterschieden werden. Der antinomische Umschlag ist »in Wahrheit der Übergang zu einer neuen Reflexionsebene […], auf der die vorige Bestimmung in der Tat nicht mehr auftritt«325. Problematisch ist dabei aber »der Rückschluß auf den antinomischen Begriff = «326 durch die antinomische Struktur der Eigenschaftsbestimmungen von . Erst dieser Begriff weist auch die Struktur der »selbstbezüglichen Negation«327 auf, auf denen antinomische Strukturen gründen. Nun kann aber nicht endlos mit dem Oszillieren fortgegangen werden. Das Fortschreiten findet deshalb für Wandschneider wie bei Fichte statt, insofern immer neue Kategorien eingeführt werden, die unterschiedliche Hinsichten zulassen und den semantischen Widerspruch auflösen. Aber auch hier wird nicht einsichtig gemacht, wie es vom Oszillieren zwischen den Gegensätzen auf den verschiedenen Reflexionsstufen zum Übergang in eine neue Kategorie kommt und ob hier nicht willkürlich abgebrochen wird. Die Entwicklung kann also wie folgt zusammengefasst werden: die antinomische Struktur auf der Eigenschaftsebene schlägt auf die Bedeutungsebene durch und es entsteht ein dialektisch-semantischer Widerspruch. Das wiederum macht eine Synthesenbildung (im Sinne Fichtes) notwendig. Im Unterschied zum planen Widerspruch als Inkonsistenz zeichnet sich der antinomische Widerspruch dadurch aus, dass die Gegensatzbestimmungen spiegelbildlich zusammengehören und gar nicht isoliert auftreten können. Das Widerspruchprinzip wird so auch nur in Bezug auf diesen aufgeho323
Wandschneider, Das Antinomienproblem und seine pragmatische Dimension (1993), S. 342. 324 Wandschneider, »Letztbegründung und Logik«. In: Hans-Dieter Klein (Hrsg.), Letztbegründung als System?, Bonn 1994, 84–103, S. 100. 325 Wandschneider, Zur Struktur dialektischer Begriffsentwicklung (1997), S. 122. 326 Wandschneider, Zur Struktur dialektischer Begriffsentwicklung (1997), S. 123. 327 Wandschneider, Zur Struktur dialektischer Begriffsentwicklung (1997), S. 126.
350
Die spekulative Logik
ben, was seine Aufhebung »argumentationslogisch unschädlich«328 mache. Bei anderen Kontradiktionen können die einzelnen Glieder dagegen als für sich gültig betrachtet werden: »Diese Reinterpretation des dialektischen Widerspruchs als antinomisches Phänomen bedeutet, wie dargelegt, aber auch, daß das Prinzip des zu vermeidenden Widerspruchs, dessen Preisgabe argumentationslogisch tödlich wäre, in seiner Geltung unberührt bleibt.«329 Wenn Hegel Sätze der Struktur »A und Nicht-A« behauptet, so ist dabei die Konjunktion »nicht« in dem klassischen aussagenlogischen Sinne zu verstehen, dass A isoliert für sich wahr ist und auch non-A isoliert für sich wahr ist, sondern im Gegenteil, dass A und Non-A nur als Teilsätze in ihrer Verbindung wahr sind.330 Drei massive Probleme bleiben aber bestehen: 1. Wann kommt es vom Oszillieren der Eigenschaften zum Übergang auf die Bedeutungsebene, so dass der antinomische Begriff das Andere seiner selbst wird? Anders gefragt: warum geht das perennierende antinomische Umschlagen der Eigenschaften auf die Begriffsebene über? Dieser Übergang kann von Wandschneider nicht einsichtig gemacht werden.331 2. Wann kommt es zur äußeren Hinsichtnahme auf den sich selbst entgegengesetzten Begriff? Diese ist notwendig, damit eine Hinsicht eingeführt werden kann, die den semantischen Widerspruch auflöst. Auch hier könnte es doch bei einem perennierenden Umschlagen der Gegensätze bleiben. Dieses muss willkürlich von außen abgebrochen werden. Anders als von Hegel intendiert, würde sich der Widerspruch nicht durch sich selbst auflösen, sondern nur durch äußere Reflexion aufgelöst werden können. Was Wandschneider als Antinomie bezeichnet, kann deshalb nicht der Widerspruch, wie er in den Reflexionsbestimmungen dargestellt wird, sein, sondern ist noch das Hin- und Hergleiten des Denkens zwischen Entgegengesetzten.332 3. Wieso können A und ~A nicht isoliert für sich wahr 328
Wandschneider, Dialektik als antinomische Logik (1991), S. 232. Wandschneider, Dialektik als antinomische Logik (1991), S. 240. 330 Vgl. Hösle, Hegels System (1998), S. 158 f. 331 So könnte man mit Günther einwenden: In Hegels spekulativer Logik kommt es – anders als in der Reflexionslogik Blaus – gerade nicht zu einem »Iterationsprozeß, der [..] auf monotone und endlose Wiederholung angelegt ist« (Günther, Das Problem einer transklassischen Logik (1980), S. 83). Vielmehr erlaubt nach Günther die Hegel’sche Reflexion in sich nur eine einmalige Iteration. Denn in der selbstreferentiellen Identität des Ich finde die Reflexion ihren endgültigen Boden. 332 Dieses Problem scheint Theunissens Interpretation klären zu können: nach dieser ist Hegels Logik nämlich durch eine »Zweidimensionalität« (Michael Theunissen, Sein und Schein. Die kritische Funktion der Hegelschen Logik, Frankfurt am Main 1978, S. 118) 329
Hegel und der Widerspruch
351
sein? Das formelle Denken isoliert die entgegengesetzten Bestimmungen einer Idee. Die Momente werden getrennt und damit in ihrer Unwahrheit behauptet.333 Was ist aber der Grund, dass das falsch ist? Wie kommt es also von der isolierten Bestimmung zur antinomischen Struktur? Hierzu muss das Gegensatzverhältnis sich selbst modifizieren. Wie dies möglich ist, untersucht die folgende Deutung.
1.2.3. Der sich entwickelnde dialektische Widerspruch Der Hegel’sche Widerspruch unterscheidet sich auf Grund des Gegensatzverhältnisses, in dem die im Widerspruch vereinigten Entgegengesetzten stehen, vom formallogischen Widerspruch. Das könnte etwa in der Weise der Fall gekennzeichnet: einerseits wolle Hegel in seiner Logik Wahrheit enthüllen, andererseits wolle er Schein entlarven. Darstellung und Kritik seien die wesentlichen Funktionen von Hegels Logik. Dabei verteilen sich Wahrheit und Schein gewissermaßen auf zwei unterschiedliche Ebenen, die bei Hegel selbst allerdings kontaminiert wären: nämlich die Ebene der Darstellung und die Ebene des Dargestellten. So müsse man eine Unterscheidung zwischen agierendem und betrachtetem Denken machen. Dem dargestellten Denken kommt dabei der Schein zu, dem darstellenden die Wahrheit. Das darstellende Denken kritisiert den Schein des dargestellten Denkens. Wahrheit kommt dabei nur »hinter dem Rücken des dargestellten Denkens« (121) an den Tag. Der Schein entsteht durch die Selbstentäußerung und Vergegenständlichung des dargestellten Denkens. Das darstellende Denken behält dagegen die Fäden in der Hand. Der antinomische Widerspruch, der das Indiz für den Schein (für das Fehlverständnis der Denkbestimmungen) ist (vgl. 102), wird durch das betrachtete Denken verursacht, aber als Widerspruch nur vom betrachtenden Denken eingesehen. Das gilt zumindest in der Seinslogik. In der Wesenslogik, wenn der Widerspruch dann gesetzt ist, ist er auch für das betrachtete Denken. Der Sache nach liegt aber bereits derselbe Widerspruch wie in der Seinslogik vor. Die »Rotationsbewegung« (118) der Antinomie – die man mit dem Oszillieren bei Wandschneider wohl gleichsetzen kann – kommt dabei dem Schein zu. Das heißt, das Oszillieren von Sein und Nichts findet nur auf der Ebene des dargestellten Denkens statt, hingegen findet auf der Ebene der Darstellung ein Übergang statt. Das betrachtete Denken pendelt also ständig zwischen sich widersprechenden Bestimmungen hin und her, etwa zwischen Sein und Nichts, wohingegen das alle Fäden in der Hand haltende Denken ruhig zum Werden übergeht. Übergang und Oszillieren sind also verteilt auf die beiden unterschiedlichen Ebenen des darstellenden und des dargestellten Denkens, des Scheins und der Wahrheit. Nun klärt aber auch diese Theorie nicht eigentlich den Zusammenhang zwischen Übergehen und Oszillieren. Außerdem handelt es sich um eine Theorie, die der Intention Hegels geradewegs zu widersprechen scheint. Denn es bleibt doch das Problem, dass nach Hegel die Denkbestimmungen sich selbst kritisieren sollen, was ja auch Theunissen selbst schreibt: Hegels Logik »will nichts anderes sein als das Protokoll dieser Selbstuntersuchung der Denkbestimmungen« (15). 333 Vgl. etwa Grundlinien der Philosophie des Rechts (1821); SW 7, S. 123.
352
Die spekulative Logik
sein, dass kein kontradiktorisches, sondern ein nur konträres oder relatives Gegensatzverhältnis oder gar ein Gegensatzverhältnis sui generis vorliegt.334 Damit scheint allerdings der von Trendelenburg vorgebrachte Einwand berechtigt zu sein, Hegel spreche letztlich zu Unrecht von einem Widerspruch. Die logische Negation nämlich, in der ein Begriff einem anderen kontradiktorisch entgegengesetzt ist (ersterer verneint, was letzterer bejaht), könne keinen solchen Fortschritt des Gedankens bringen, der zu einem neuen Begriff führen würde. Kontradiktorische Gegensätze könnten sich nämlich nicht positiv verbinden, denn zwischen beiden gebe es kein Drittes, genauso wenig über den beiden. Aus Hegels sich auf sich selbst beziehender Negation würde überhaupt kein Fortschritt folgen, weil einfach wieder beim Gesetzten angelangt würde.335 Deshalb müsse unter der Negation, die den dialektischen Fortschritt verursacht, eine reale Opposition (ein konträrer Gegensatz) verstanden werden. Bei ihr sind beide Entgegengesetzte positiv, und nur bezogen aufeinander ist eines das Negative des Anderen. Aber diese reale Opposition kann nur auf realem Wege erkannt werden. Dann würde jedoch gar nicht die Notwendigkeit der Entwicklung des Hegel’schen Systems einleuchten, deren notwendiges Voranschreiten ja auf dem Widerspruch als kontradiktorischem Gegensatz beruht. Denn was einer anderen Sache oder einem anderen Begriff konträr entgegengesetzt ist, kann man nicht mit logischer Notwendigkeit und a priori einsehen – das ist nur bei kontradiktorischen Gegensätzen der Fall. Die Bestimmungen könnten also nicht rein logisch aus334
So brachte etwa Michelet die These vor, Hegel verstoße deshalb nicht gegen den SdW, weil er nur zwischen konträr entgegengesetzten Begriffen ein Mittleres als vereinigendes Drittes annehme. (Vgl. Michelet, Gutachtlicher Bericht (1888), S. 31.) Besonders die Marxisten unter den Interpreten Hegels unterschieden gerne den logischen Widerspruch vom dialektischen. Diesen Unterschied macht etwa Igor Narski. Der SdW schließe nur den formallogischen Widerspruch, nicht aber den dialektischen Widerspruch aus. Somit würden die Dialektik und ihre Behauptung des dialektischen Widerspruchs nicht mit der formalen Logik und dem SdW konfligieren. Dialektische Widersprüche sollen dabei auf einer dialektischen Negation beruhen, die sich von der konträren und der kontradiktorischen unterscheiden soll. Sie seien »sehr variable, veränderliche, konträre Widersprüche sui generis« (Igor Narski, »Die Kategorie des Widerspruchs in Hegels ›Wissenschaft der Logik‹«. In: Dieter Henrich (Hrsg.), Hegels Wissenschaft der Logik. Formation und Rekonstruktion, Stuttgart 1986, 178–197, S. 181). Man sieht hieran, dass der Begriff des dialektischen Widerspruchs äußerst unscharf ist und mithin selbst einer Explikation des Gegensatzverhältnisses, in dem die sich dialektisch Widersprechenden stehen, bedürfte. 335 »Sollte die sich auf sich beziehende Negativität nichts Anderes bezeichnen, als die Entstehung aus der aufgehobenen Negation, so dass dies Wesen die Negation noch in sich trägt, so würde durch diese Bestimmung nichts Neues hervorgehen. Es wird daher anders gefasst und willkürlich in die Anschauung umgesetzt: das Wesen stösst sich von sich selbst ab.« (Trendelenburg, Logische Untersuchungen. Erster Band, Leipzig 31870, S. 50 f.)
Hegel und der Widerspruch
353
einander entwickelt werden. Die angewandte Negation wäre ja dann keine rein logische, sondern stets eine »reale Opposition, um das Contrarium, den Gegensatz zu erzeugen.«336 Dieses wäre ein Positives, das nicht auf logischem Wege aus dem ihm Entgegengesetzten herauszudeduzieren wäre. So überschreitet nach Trendelenburg die Negation »allenthalben ihr logisches Wesen«337: der Gegensatz sei nicht dem reinen Denken, sondern der Anschauung entnommen. So gebe es bei Hegel keinen »voraussetzungslosen Anfang der Logik, in welchem das Denken nichts hat als sich selbst und alles Bild und alle Anschauung dergestalt verschmäht, dass es den Namen des reinen Denkens verdient«338. Es muss ja immer wieder ein Neues gesetzt werden, wozu Anschauung erforderlich ist. Das Dilemma lässt sich also folgendermaßen zusammenfassen: aus der rein logischen Verneinung ließe sich weder etwas in sich bestimmtes Zweites folgern und es könnte auch kein drittes vermittelndes Moment hergeleitet werden. Andererseits ist der reale Gegensatz nicht auf dem Wege reinen Denkens zu erkennen. So folgert Trendelenburg: »Die Logik ist kein Erzeugniss des reinen Denkens, wie sie behauptet, sondern an vielen Stellen eine sublimierte Anschauung, eine anticipirte Abstraktion der Natur.«339 Den Anschein reinen Denkens kann sie nur erwecken, weil sie von einem logischen Widerspruch spricht, wo keiner vorliegt, bzw. sich einer Homonymie bedient, aber Momente des einen mit Widerspruch Bezeichneten dem anderen unterschiebt. Michael Wolff knüpft nun einerseits an die Deutung von Hegels Widerspruch als dialektischem Widerspruch an, versucht dies aber in einen Zusammenhang mit der formalen Logik zu bringen. Er verwendet dazu die Bezeichnung »objektiver Widerspruch«340. Der Widerspruch bei Hegel bezeichne gar 336
Trendelenburg, Die logische Frage in Hegel’s System (1843), S. 15. Trendelenburg, Die logische Frage in Hegel’s System (1843), S. 15. 338 Trendelenburg, Logische Untersuchungen (1870), S. 37. Damit Hegel etwa vom ruhenden Sein und vom ruhenden Nichts zum Werden gelangt, das Bewegung ist, »schiebt [er] die Bewegung stillschweigend unter« (38). Die Bewegung werde einfach vorausgesetzt, werde aber erst in der Naturphilosophie untersucht. »Die räumliche Bewegung ist hiernach zunächst die Voraussetzung der voraussetzungslosen Logik.« (42) 339 Trendelenburg, Logische Untersuchungen (1870), S. 78. 340 Zur Kritik Wolffs am Terminus »dialektischer Widerspruch« für Hegel vgl. Wolff, Der Begriff des Widerspruchs (1981), S. 17–19. Auch Sarlemijn versucht Hegel vor formallogischer Kritik durch die Unterscheidung zwischen formallogischem und objektivem Widerspruch in Schutz zu nehmen: Hegels Widersprüche würden nur von konträren Sätzen gebildet, deshalb läge kein formallogischer Widerspruch, sondern nur eine Antinomie im kantischen Sinne vor. (Vgl. Andries Sarlemijn, Hegelsche Dialektik, Berlin/New York 1971, S. 83.) Allerdings scheint mir die strikte Trennung zwischen Hegels Logik und formaler Logik nicht in derselben Weise angebracht wie Sarlemijn, der behauptet: »Kein Denker in der Philosophiegeschichte hat so klar wie Hegel zwischen der Philosophie der Logik 337
354
Die spekulative Logik
nicht Paare von Sätzen, sondern »etwas Objektives, etwas an den Dingen selbst […], über die wir sprechen und urteilen.«341 Der Widerspruch kommt nach Wolff für Hegel den Dingen selbst zu. Darauf deute bereits, dass der Widerspruch in der objektiven Logik abgehandelt wird. Andererseits stelle Hegels Logik den Versuch einer philosophischen Explikation des Begriffs »Widerspruch« dar, den die formale Logik versäumt, weil ihr Widerspruchsbegriff bereits an ihre besonderen Zwecke – nämlich Theorie des formalen mathematischen Schließens zu sein – angepasst ist. Ihr Widerspruchskriterium ist so auch auf formale Sprachen eingeschränkt.342 Die formale Logik bilde keinen Begriff des Widerspruchs aus, sondern mache sein Vorliegen an bestimmten Kriterien fest, die den Begriff aber je schon voraussetzen. Hegel bemühe sich um einen nicht nur formallogischen Widerspruchsbegriff, sondern versuche, »die Fundamente dieses Begriffs tiefer zu legen«343. Der formallogische Widerspruch und der objektive Widerspruch stünden dabei im Verhältnis einer Paronymie, wobei Wolff den Hegel’schen Ausdruck für das Primäranalogat hält. Insofern reden formale Logik und Dialektik nicht einfach von unterschiedlichen Dingen. Entgegen der Kritik Trendelenburgs liege also keine bloße Homonymie vor. Andererseits impliziere Hegels Behauptung des objektiven Widerspruchs keinen Verstoß gegen den formallogischen Satz des Widerspruchs. Hegels Widerspruch sei kein Verhältnis zwischen Aussagen oder zwischen Aussagen und Dingbestimmtheiten (dies schreibt Wolff Kant zu), sondern »ein Verhältnis zwischen den ›Bestimmungen‹ und ›Bestimmtheiten‹ eines Gegenstandes«344. Die formale Geltung des Widerspruchsprinzips beruhe dann darauf, dass der objektive Widerspruch nur als Widerspruch, der sich auflöst, bestehe.345 Ein Verständnis und gleichzeitig eine Verteidigung der Hegelschen Widerspruchskonzeption lasse sich dadurch gewinnen, dass man Hegels Verhältnis zur Kantischen Widerspruchskonzeption untersucht. Hegel knüpfe nämlich und der formalen Logik sowie zwischen den ontologischen Gesetzen und den Denkregeln unterschieden.« (109) 341 Michael Wolff, »Über Hegels Lehre vom Widerspruch«. In: Dieter Henrich (Hrsg.), Hegels Wissenschaft der Logik. Formation und Rekonstruktion, Stuttgart 1986, 107–128, S. 107. 342 Vgl. Wolff, Über Hegels Lehre vom Widerspruch (1986), S. 109. 343 Wolff, Über Hegels Lehre vom Widerspruch (1986), S. 110. 344 Wolff, Über Hegels Lehre vom Widerspruch (1986), S. 112. 345 Wolff formuliert dies so: »Daß der objektive Widerspruch ›sich auflöst‹, ist natürlich ein Gedanke, der der formalen Logik ganz fremd ist; aber von Hegels Standpunkt aus ist der formallogische Satz vom ausgeschlossenen Widerspruch nichts als ein (auf die Ebene von sprachlichen Regeln oder ›Denkgesetzen‹ projizierter) Abklatsch dieses Gedankens.« (Über Hegels Lehre vom Widerspruch (1986), S. 113.)
Hegel und der Widerspruch
355
an Kant und dessen Unterscheidung zwischen analytischer, dialektischer und realer Opposition an, gehe jedoch über diese hinaus.346 Bei Kant trifft der Terminus »Widerspruch« dabei nur auf die analytische Opposition zu. Diese ist die logische Entgegensetzung zwischen Prädikat und Subjekt oder zwischen zwei Urteilen, von denen eines demselben Subjekt ein Prädikat zuspricht, das andere diesem das Prädikat abspricht. Dabei hängt es nach Wolff von der Bestimmtheit eines Gegenstandes ab, dem Prädikate zugesprochen werden, ob eine Kontradiktion vorliegt oder nicht. So können je nach Gegenstand Prädikate mal kontradiktorisch, mal nur konträr entgegengesetzt sein. Etwa die Prädikate »gut riechen« und »schlecht riechen« seien der Form nach kontradiktorisch entgegengesetzt, weil »schlecht riechen« gleichbedeutend sei mit »nicht gut riechen«.347 Beide Prädikate erweisen sich aber in 346
Die Unterscheidung zwischen dialektischem und kontradiktorischem Widerstreit bzw. dialektischer und analytischer Opposition trifft Kant in der KrV, um seine Auflösung der Antinomien einerseits und seine Verwendung des Begriffs Antinomie andererseits zu legitimieren. Denn wenn zwischen den Thesen und Antithesen der Antinomien überhaupt kein Widerstreit bestünde, dann lägen ja überhaupt keine Antinomien, sondern ein bloß subjektiver Fehlschluss vor. Wenn aber eine echte Kontradiktion vorläge, dann könnte Kant der Welt nicht sowohl die Endlichkeit als auch die Unendlichkeit absprechen, was er aber tun zu können glaubt, weil These und Antithese auf der falschen Voraussetzung beruhen, die Welt sei ein Ding an sich. »Wenn zwei einander entgegengesetzte Urtheile eine unstatthafte Bedingung voraussetzen, so fallen sie unerachtet ihres Widerstreits (der gleichwohl kein eigentlicher Widerspruch ist) alle beide weg, weil die Bedingung wegfällt, unter der allein jeder dieser Sätze gelten sollte.« (KrV B531; AA 3, S. 345.) Dialektisch entgegengesetzte Urteile können beide falsch sein, »weil eines dem andern nicht bloß widerspricht, sondern etwas mehr sagt, als zum Widerspruche erforderlich ist.« (KrV B532; AA 3, S. 346.) Die der Bestimmung »endlich« dialektisch entgegengesetze Bestimmung »unendlich« ist bestimmter als die kontradiktorische »nicht endlich«, die ja bloß meint, dass man einem Subjekt nicht die Bestimmung »endlich« beilegen kann. »Unendlich« bedeutet mehr als »nicht endlich«, weswegen aber seine Extension eingeschränkter ist, so dass »endlich« und »unendlich« eben nicht das logische Universum ausfüllen. Bei beiden Oppositionen handelt es sich aber noch um logische Bestimmungen, anders als bei der realen Opposition, die Kant in seiner Schrift Versuch, die negativen Größen in die Weltweisheit einzuführen 1763 einführt. Hier ist die Opposition zweier positiver Kräfte paradigmatisch, die in unterschiedliche Richtungen wirken und sich dadurch gegenseitig einschränken oder sogar auf Null reduzieren. (Vgl. AA 2, S. 179 f.) Daneben nimmt Kant aber noch eine Form realer Opposition, einen »Antagonism« (Idee zu einer allg. Geschichte in weltbürgerlicher Absicht 1784; AA 8, S. 20) an, bei der sich die entgegengesetzten Kräfte gerade nicht aufheben, sondern die Entgegensetzung eine Form von Produktivität entfaltet, nämlich die »ungesellige Geselligkeit« (20). Dieser in der conditio humana fundierte Gegensatz erweist sich bei Kant insofern als produktiv, als er die Entwicklung der Gesellschaft vorantreibt und das Mittel der Natur ist, den Menschen zur Entwicklung seiner natürlichen Anlagen zu nötigen. Merkwürdigerweise wird diese Ausprägung der realen Opposition bei Wolff jedoch nicht in ihrer Bedeutsamkeit thematisiert. 347 Wolff, Der Begriff des Widerspruchs (1981), S. 48 f.
356
Die spekulative Logik
Bezug auf einen Gegenstand, der gar nicht riecht, als nur konträr entgegengesetzt. Diesen zu Grunde liegenden Gegenstand nennt Wolff das reflexionslogische Substrat. So folgert er: »Vom reflexionslogischen Substrat hängt ab, ob zwei der Form nach logisch entgegengesetzte Prädikationen einen echten Widerspruch ergeben oder nicht.«348 Das reflexionslogische Substrat ist das Subjekt, worauf die Prädikate bezogen werden sollen. Die Entgegensetzung, die nur dem Anschein nach und ohne Bezugnahme auf das reflexionslogische Substrat kontradiktorisch ist, sei die dialektische Opposition.349 Dialektische Oppositionen beruhen für Kant auf dem Schein von ausschließenden Gegensätzen, zu denen es kein Drittes gibt. Die dialektische Opposition unterscheidet sich dadurch von der analytischen, dass sie einen und denselben Gegenstand benötigt, in Hinsicht auf den sich die dialektisch Entgegengesetzten so ausschließen, dass eine der beiden wahr, die andere falsch sein muss, dieser Gegenstand aber überhaupt nicht vorliegt. Die Unterstellung dieses Gegenstandes erzeugt den dialektischen Schein. Ein Beispiel für solch eine dialektische Opposition wäre die Endlichkeit der Welt und die Unendlichkeit der Welt. Die Antinomien Kants sind also dialektische Oppositionen. Denn die Antinomien sind der Form nach zwar kontradiktorisch, dem Inhalte nach aber konträr (1. und 2. Antinomie) oder subkonträr (3. und 4. Antinomie).350 Die Aussagen scheinen sich also nur zu widersprechen und somit kein Drittes zuzulassen, tun das aber gar nicht. Kant formuliert nach Wolff damit in der Behandlung der dialektischen Opposition das für Hegel so bedeutsame »reflexionslogische Gesetz«351, dass bei Veränderung der vorausgesetzten Bestimmtheit des Gegenstandes trotz gleich bleibender logischer Form zweier Prädikationen die Kontrarietät in Kontradiktorität übergehen könne. Abhängig ist das von besagtem reflexionslogischen Substrat.352 Man sieht aber doch bei genauerer Betrachtung, dass der Schein des kontradiktorischen Gegensatzes nicht auf dem Substrat beruht, sondern auf einer laxen Verwendung der Negation und des Wortes »nicht«: in der Gleichsetzung von »nicht gut riechen« und »schlecht riechen« wird sie wie in der Gleichsetzung von »nicht endlich« und »unendlich« in einem bestimmten Sinne verwendet. Der Schein von Kontradiktorität entsteht aber dadurch, 348
Wolff, Der Begriff des Widerspruchs (1981), S. 46. Zu Wolffs Interpretation der dialektischen Opposition vgl. Der Begriff des Widerspruchs (1981), S. 45–61. 350 Vgl. Wolff, Über Hegels Lehre vom Widerspruch (1986), S. 109 f. 351 Wolff, Über Hegels Lehre vom Widerspruch (1986), S. 118. 352 »Vom reflexionslogischen Substrat hängt also ab, ob zwei inhaltlich und formallogisch entgegengesetzte Prädikationen einen echten Widerspruch ergeben oder nicht« (Wolff, Über Hegels Lehre vom Widerspruch (1986), S. 118). 349
Hegel und der Widerspruch
357
dass sie als unbestimmte Negation, als das bloße Absprechen des Prädikats, verstanden wird. Somit ist es gar nicht notwendig, von einer kontradiktorischen Form von Prädikaten zu sprechen, sondern es reicht, auf die Mehrdeutigkeit der Negation hinzuweisen. Kontradiktorisch entgegengesetzt ist das Absprechen und das Zusprechen eines Prädikates oder eben die Aussage und die Negation dieser Aussage. Die Wolff ’schen konträren Aussagen sind überhaupt nicht »ihrer Form nach unvermeidlich […] kontradiktorisch«353, sondern könnten durch Verwendung unterschiedlicher Negationsausdrücke ganz einfach unterschieden werden. Der Schein des kontradiktorischen Entgegengesetztseins beruht auf einer falschen Zusatzannahme, dass nämlich etwa Proposition E (»Die Welt ist endlich.«) gleichbedeutend sei mit ~U (»Die Welt ist nicht unendlich.«), so als würden die Prädikate der Endlichkeit und der Unendlichkeit das logische Universum ausfüllen. Genau das tun sie aber nicht. Kant sucht auch kein Drittes zu E(w) und ~E(w), vielmehr wäre ~E(w) wahr. Denn die Endlichkeit im Sinne von »einen zeitlichen Anfang in der Zeit haben« ist ein Prädikat, das der Welt nicht zuschreibbar ist. Um den Schein von Kontradiktorität aufzuheben, muss man also nicht wie Wolff auf ein reflexionslogisches Substrat Bezug nehmen, sondern es genügt zu fragen, ob die Prädikate »einen Anfang in der Zeit haben« und »keinen Anfang in der Zeit haben« das logische Universum ausfüllen. Das kann man aber a priori nur bei der logischen Negation wissen. Die Formalisierungen Wolffs sind insofern falsch und seine Argumentation läuft verkehrt herum: denn nach Wolff erweist erst die Antithetik der reinen Vernunft, dass die formal kontradiktorisch entgegengesetzten Urteile konträr entgegengesetzt sind, dass man also auf Grund einer Zusatzannahme den kontradiktorischen Gegensatz in einen konträren verwandelt. Der Sache nach verhält es sich aber doch gerade umgekehrt: die Prädikate sind konträr entgegengesetzt und auf Grund einer Zusatzannahme scheinen sie in Bezug auf den Gegenstand »Welt« kontradiktorisch entgegengesetzt zu sein. Die »unstatthafte Bedingung«354, nämlich »daß die Welt (die ganze Reihe der Erscheinungen) ein Ding an sich selbst sei.«355 Die Antithetik Kants beweist dann nur, dass diese Zusatzannahme falsch war. Für die reale Opposition, die Kant besonders in Versuch, den Begriff der negativen Größen in die Weltweisheit einzuführen (1763) expliziert und in der Amphibolie der Reflexionsbegriffe in der KrV gegen Leibniz verwendet, bildet der mathematische Begriff des Negativen das Vorbild. Diese physikalisch353
Wolff, Der Begriff des Widerspruchs (1981), S. 49. KrV B531; AA 3, S. 345. 355 KrV B532; AA 3, S. 346. 354
358
Die spekulative Logik
mathematische Negativität versteht Kant als Relation, nicht als Eigenschaft von Größen, als »ein Verhältnis der Entgegensetzung zwischen Gliedern eines Paares, die für sich genommen nicht negativ, sondern positiv sind.«356 Eines der beiden Glieder wird erst im Verhältnis zum anderen negativ. Welches von beiden positiv und welches negativ genannt wird, ist dabei gleichgültig. Dies greift Hegel in den Reflexionsbestimmungen auf. Ein Beispiel Kants für eine reale Opposition ist die Bewegung eines Körpers, auf den entgegengesetzte Kräfte wirken. »Wenn etwas einem Anderen real entgegengesetzt ist, so kann es als das Negative des Anderen aufgefaßt werden.«357 Bei dieser Entgegensetzung wird etwas in Form einer Privation aufgehoben: nämlich die Folgen der Bestimmungen, die real entgegengesetzt sind.358 Heben sie sich vollständig auf, so spricht Kant von einem »nihil privativum« im Gegensatz zum »nihil negativum« der logischen Opposition als eines Widerspruchs.359 Hier spielt insofern auch das Gesetz des Widerspruchs keine Rolle. Hegels Lehre vom Widerspruch deutet Wolff eben nun als Kritik an der kantischen Oppositionslehre. Hegel entwickle diese Überlegungen weiter oder korrigiere sie, indem er zeige, dass diese Negativität »nicht auf wechselseitiger Privation entgegengesetzter Vermögen, Kräfte oder Gründe beruht«360. Zentral sei dabei der Gedanke der dialektischen Opposition, dass die Art der Entgegensetzung von dem reflexionslogischen Substrat abhänge und dass durch die Bezugnahme auf das Substrat die Kontradiktion in Kontrarietät übergehe. Einerseits drehe Hegel aber die Reihenfolge des Überganges um, andererseits wende er die Bezugnahme auf das reflexionslogische Substrat auf die reale Opposition an. Bei Hegel raube hier nicht die eine Bestimmung die Folgen der anderen und sei deshalb negativ. Vielmehr sei die eine Bestimmung im Verhältnis zur anderen auf Grund des reflexionslogischen Substrates negativ. Die Beziehung zu diesem lasse die Bestimmungen erst zu entgegengesetzten werden. Nur die Beziehung auf das reflexionslogische Substrat mache aus zwei bloß verschiedenen Bestimmungen entgegengesetzte im kontradiktorischen Sinne. Wie bei Kant also der kontradiktorische Gegensatz von zwei Bestimmungen durch Reflexion auf das Substrat in einen konträren übergehe, so bei Hegel umgekehrt. Der Widerspruch bestehe nun aber nicht zwischen den entgegengesetzten Bestimmungen (+A und –A), die
356
Wolff, Der Begriff des Widerspruchs (1981), S. 67. Wolff, Der Begriff des Widerspruchs (1981), S. 68. 358 Vgl. Wolff, Der Begriff des Widerspruchs (1981), S. 70. 359 Vgl. KrV B347 f.; AA 3, S. 232 f. 360 Wolff, Über Hegels Lehre vom Widerspruch (1986), S. 122. 357
Hegel und der Widerspruch
359
an dem Gegenstand ⏐A⏐auftreten, sondern zwischen den entgegengesetzten Bestimmungen und dem reflexionslogischen Substrat. Das reflexionslogische Substrat sei dabei das »an sich Positive«, die entgegengesetzte Bestimmung das »an sich Negative«.361 Für Hegel sei die 0 als Ergebnis von »+a –a« nicht ein »nihil privativum«, also Resultat einer Privation, sondern Resultat der Beziehung zwischen den absoluten Beträgen und den ihnen gleichgültig zukommenden Prädikaten »positiv« und »negativ«. Diese Beziehung nenne Hegel »Widerspruch«. Die Beziehung zwischen +a und –a sei ein Widerspruch und habe deswegen das Resultat Null. Hegel lehne damit die Unterscheidung von konträren und kontradiktorischen Begriffen ab, da dieser Unterschied sich als kontextabhängig erweise und somit nicht als Einteilungskriterium für Prädikate und Begriffe tauge.362 Hegel betreibe nach Wolff damit tatsächlich die ihm vorgeworfene »Objektivierung [= Ontologisierung; S. Sch.] des Widerspruchs und die Relativierung des Unterschieds von konträrem und kontradiktorischem Gegensatz«363, insofern er einerseits an Kant anknüpfe, der in seinem dialektischen Gegensatz ja auch den konträren und kontradiktorischen Gegensatz ineinander übergehen lässt, andererseits über diesen hinausgehe. Hegel untersuche erst einmal, was eine Kontradiktion zu einer wirklichen Kontradiktion mache, was also ein Widerspruch ist. Dies sei eben erst der Bezug auf das reflexionslogische Substrat. Dadurch müsse er – sachlich gezwungen – ontologische Gemeinsamkeiten zwischen Kontradiktion und Tautologie anerkennen, die formale Logiken normalerweise nicht anerkennen. Die klassische Logik gelte deshalb bei Hegel nicht einfach weiter, weil »aus Hegels Lehre vom Widerspruch die Ansicht folgt, daß echte kontradiktorische Urteile ebensowenig wie Tautologien schlechthin falsch sein können. In der Tat liegt genau in dieser Ansicht der eigentliche Skandal der Hegelschen Logik.«364 Aber dennoch verstoße Hegel nicht gegen formallogische Regeln. Tatsächlich betrachtet Hegel in den Reflexionsbestimmungen die Art, in der sich die zunächst unbestimmte Negation bestimmt und dementsprechend das Gegensatzverhältnis sich vom absoluten Unterschied zum Widerspruch entwickelt. Infolge seiner Bestimmung der Negation und des Gegensatzverhältnisses verabschiedet Hegel das Prinzip des ausgeschlossenen Dritten: dieses »Verstandesprincip der vormaligen Logik, welche sowohl in ihrem übrigen Umfange, als insbesondre nach diesem höchsten Grundsatze der 361
Vgl. Wolff, Der Begriff des Widerspruchs (1981), S. 126. Vgl. Wolff, Der Begriff des Widerspruchs (1981), S. 102 f. 363 Wolff, Der Begriff des Widerspruchs (1981), S. 169. 364 Wolff, Der Begriff des Widerspruchs (1981), S. 170. 362
360
Die spekulative Logik
Einseitigkeit des Verstandes, gerade das Erkenntnißgesetz der vormaligen Metaphysik ausmachte«365. Die Logik Hegels ist nicht deshalb mehrwertig, weil er dieses Prinzip einfach leugnet, sondern weil sonst bestimmte Gegensätze einfach nicht ausdrückbar wären oder wie formale logische Kontradiktionen im modernen Sinne betrachtet werden müssten. Genau das tat aber die klassische Metaphysik nach Hegel. Denn sie nahm an, »daß von zwei entgegengesetzten Behauptungen, dergleichen jene Sätze waren, die eine wahr, die andere aber falsch sein müsse.«366 Einseitige Verstandesbestimmungen sollten – so reformuliert Hegel die klassische Metaphysik – zum Ausschluss der ihnen entgegengesetzten führen und beide sollten das logische Universum ausfüllen. Dies war »das strenge Entweder–Oder«367 der alten Metaphysik, nach der die Welt zum Beispiel entweder endlich oder unendlich, menschliches Handeln entweder frei oder notwendig sein sollte. Dieses Entweder – Oder hebt die Spekulation auf: denn es besteht ja ein Drittes neben diesen Alternativen. Dass konträre Gegensätze wie kontradiktorische Gegensätze und damit wie logisch erschöpfende Alternativen behandelt werden, ist etwas, was Hegel in der dogmatischen Metaphysik vorzufinden glaubt. Diese Form von Zweiwertigkeit zu überwinden, widerspricht aber der formalen Logik nicht, sondern stellt höchstens eine Erweiterung derselben dar.368 Problematisch ist jedoch, dass Hegel eine Einheit dieser Entgegengesetzten herzustellen versucht.369 Die Interpretation dieses Sachverhaltes durch Wolff ist aber aus zwei Gründen abzulehnen: Zum einen macht die reine Relationalität der Reflexionsbestimmungen die Annahme eines Substrates, an dem diese Relationen nur auftreten sollen, problematisch. So ein Substrat nimmt Hegel nämlich nur für
365
Über Jacobis Werke (1817); GW 15, S. 27. Enzyklopädie 1830 § 32; SW 8, S. 98. 367 Enzyklopädie 1830 § 32; SW 8, S. 98. 368 Beispiele solcher Gegensätze gibt Hegel in Enzyklopädie 1830 § 35; SW 8, S. 101 an. 369 Man könnte nun aber sagen, dass das gar nicht logisch relevant ist, sondern Probleme einzelner Philosophiebereiche, nicht aber der Logik wären. Wie sich Gut und Böse zueinander verhalten, welcher Art ihr Gegensatzverhältnis ist, hat ja zunächst einmal nicht unbedingt die Logik zu untersuchen. Das kann höchstens ein Anwendungsfall der Logik sein. Logisch relevant wird die Sache aber dadurch, dass er dies in den Reflexionsbestimmungen dann auf die unterschiedlichen Arten des Identisch- und Entgegengesetztseins selbst angewendet wird. Aus der formallogischen Bestimmung der Identität, die diese im Identitätsprinzip ausdrückt, entwickeln sich die unterschiedlichen Gegensatzverhältnisse. Die Bestimmungen, die die Logik gebraucht, müssen aber doch geklärt sein, und dies ist nun durchaus eine Frage für die Logik. 366
Hegel und der Widerspruch
361
den Verstand an.370 Hegel hingegen denkt die Beziehungen als solche und nicht als auftretend an bestimmten Arten von Gegenständen und Substraten. Der Grundirrtum Wolffs bei seiner Rekonstruktion der Reflexionsbestimmungen besteht darin, von den Relata anstatt von den selbständigen Relationen, die in sich scheinen, auszugehen. So deutet er auch Hegels Begriff der Negativität als bestimmt durch die Relata, als Beziehung, die zwischen gegebenen Relata auftritt.371 Dies bedeutet aber einen Rückfall in Hinsichtnahmen, unter die die Relata fallen können. Auch die »Negation der Negation« wird als einfache doppelte Negation im Sinne von »x = ~~x« gedeutet.372 Zum zweiten ist, wie schon ausgeführt wurde, die von Wolff behauptete Kontextabhängigkeit der Kontradiktorität von »wohlriechend« und »nicht wohlriechend« gar nicht einzusehen, wenn man nicht die Bedeutung von »nicht« subkutan changieren lässt: nämlich vom bloßen Absprechen des Prädikates »wohlriechend« – was dem Zusprechen ohne Zweifel kontradiktorisch entgegengesetzt ist – hin zur bestimmteren Negation im Sinne von »übelriechend«. Man könnte eben ohne weiteres sagen, dass die Begriffe »wohlriechend« und »nicht wohlriechend« sich für jeden beliebigen Gegenstand erschöpfend ausschließen, da man das Prädikat der Wohlriechendheit 370
Vgl. Enzyklopädie 1830 § 117; SW 8, S. 239 ff. und GW 11, 249 f. Die Annahme eines reflexionslogischen Substrates kritisiert so aus gutem Grund auch Schäfer, Die Dialektik und ihre besonderen Formen (2001), Anm. S. 305. Vielmehr ist die Annahme solch eines Substrates bei Kant Gegenstand der Kritik Hegels. Die kantischen Antinomien sind nach Hegel nur Konkretionen des Verhältnisses (Gegensatzes) von Endlichem und Unendlichem. Sie sind Anwendungen »auf speciellere Substrate der Vorstellung« (WdL I/1 1832; GW 21, S. 228). Man befindet sich durch diese Anwendungen dann schon nicht mehr auf der Ebene abstrakt-logischer Betrachtung. Insofern muss – wie in jeder Anwendung – die Explikation dessen, was angewendet wird, vorangehen. Für Anwendungsfälle mag dann das Wolff ’sche Resultat richtig sein, nicht jedoch für die Sache selbst. Dass es Hegel ursprünglich überhaupt nicht auf das reflexionslogische Substrat ankommen kann, wird auch dadurch erhärtet, dass es nach Hegel »nichts für das Antinomische der Begrenztheit und Unbegrenztheit« (229) in Raum und Zeit ändert, »ob Zeit und Raum Verhältnisse der Dinge selbst oder aber nur Formen der Anschauung sind« (229). Die Antinomie kann auf die Behauptung reduziert werden, dass eine Grenze ist und dass über diese hinausgegangen werden muss. Die Grenze ist und sie ist doch nur eine aufgehobene: die Grenze hat ein Jenseits, mit dem sie in Beziehung steht. Um die Grenze als Grenze erkennen zu können, muss über die Grenze zu dem hinausgegangen werden, was durch sie ausgegrenzt wird. Darin entsteht erneut eine solche Grenze, die wiederum keine ist. Der Begriff als solcher ist antinomisch, nicht seine Anwendung. Die transzendentale Antwort Kants ist gerade deshalb keine Auflösung solch eines Widerspruchs. Sie ist vielmehr Ausdruck einer »zu große[n] Zärtlichkeit für die Welt« (276), die den Widerspruch »in den Geist, in die Vernunft zu verlegen« (232) versucht, wo er aber nicht aufgelöst wird. 371 Vgl. Wolff, Der Begriff des Widerspruchs (1981), S. 106 ff. 372 Vgl. Wolff, Der Begriff des Widerspruchs (1981), S. 108.
362
Die spekulative Logik
jedem Gegenstand zu- oder absprechen kann – und das macht die Prädikate eben zu kontradiktorisch entgegengesetzten. So versteht auch Hegel unter den »kontradiktorischen Begriffen«373 das nur »Abstrakt-Negative«: das bloße Absprechen eines Prädikats. In den Beispielen Wolffs wird aber nicht nur ein Prädikat abgesprochen, sondern ein konkret Entgegengesetztes zugesprochen. Hegel versucht also nicht, die Bedingtheit der Beziehungen Identität, Gegensatz, Verschiedenheit und Widerspruch durch »die Beziehung auf eine Gegenstandsbestimmtheit«374 zum Thema machen.
373 374
Enzyklopädie 1830 § 119; SW 8, S. 244. Wolff, Der Begriff des Widerspruchs (1981), S. 105.
. Hegels Begründung der Grundsätze des Denkens und des Widerspruchs
Zum ausdrücklichen Gegenstand werden der Widerspruch einerseits und der Satz vom Widerspruch bzw. der Identität andererseits in der Reflexions- bzw. Wesenslogik, genauer in den Reflexionsbestimmungen.375 Zwar treten sowohl der Widerspruch als auch scheinbare Verstöße gegen den Satz des Widerspruchs in der gesamten WdL sowie in den anderen Wissenschaften auf, aber nur in den Reflexionsbestimmungen werden der Widerspruch und die Grundsätze des Denkens expliziter Gegenstand der Untersuchung. Hier wird nicht nur ein bestimmter Fall von Widerspruch, sondern das Wesen des Widerspruchs verhandelt.376 Die explizite Untersuchung des Widerspruchs geschieht aber nicht in Form eines reflektierenden Nachdenkens über ihn, sondern indem er als notwendiges Moment entwickelt wird, wenn die Reflexion
375
In den Reflexionsbestimmungen wendet sich das Denken auf sich selbst zurück. Deswegen sind auch die Denkgesetze in Sätzen ausgedrückte Reflexionsbestimmungen: sie sagen zunächst etwas über das Denken aus. (Vgl. Franz Schmidt, »Hegels formelle Logik«. In: Deutsche Zeitschrift für Philosophie 11 (1963), 415–421, S. 416.) 376 Der Begriff des Widerspruchs wird in den Reflexionsbestimmungen nicht eingeschränkt. Hegel deutet nirgends an, dass es sich hier nur um eine besondere Art oder einen bestimmten Fall von Widerspruch handeln würde. (Vgl. Wolff, Über Hegels Lehre vom Widerspruch (1986), 107–128, S. 107.) Häufig wird der Widerspruch zwar als Moment der Hegel’schen Gedankenentwicklung betrachtet, aber dieser Widerspruch nicht angemessen zu dem Widerspruch ins Verhältnis gesetzt, den Hegel in den Reflexionsbestimmungen expliziert. So findet es Hösle mit McTaggart merkwürdig und »höchst verwirrend« (Hösle, Hegels System (1998), S. 176), dass die Synthesis der entgegengesetzten Bestimmungen gelegentlich als Widerspruch bezeichnet wird und die Reflexionsbestimmung Widerspruch selbst die Synthese von Gegensatz und Identität ist. Nach McTaggart hätte Hegel für diese Reflexionsbestimmung einen anderen Namen wählen müssen, weil der Widerspruch nur negativen Charakter hat. (Vgl. John/Ellis McTaggart, A commentary on Hegel’s Logik, New York 21964, S. 116 f.) Dem scheint zu entsprechen, dass der Widerspruch in der Enzyklopädie als Reflexionsbestimmung fehlt. Nach Hösle verwendet Hegel auch im Widerspruchskapitel den Widerspruch in einem doppelten Sinne: nämlich einerseits als die Bestimmung der widersprüchlichen und deshalb zu Grunde gehenden Endlichkeit, andererseits als Synthesis. Hegel mache insofern einen homonymen Gebrauch vom Terminus »Widerspruch«. Nur auf den Widerspruch als expliziter Synthesis Entgegengesetzter könne auch die Habilitationsthese »Contradictio est regula veri, non contradictio falsi« (GW 5, S. 227) angewendet werden. Man müsste besser vom aufgehobenen Widerspruch sprechen. Dieser Differenzierung des Widerspruchsbegriffes entspreche der Unterschied von Dialektik und Spekulation. (Vgl. Hösle, Hegels System (1998), S. 178 f.)
364
Die spekulative Logik
und ihre Bestimmungen sich in sich selbst reflektieren.377 Entwickeln sich die Bestimmungen der Logik dadurch, dass sie sich in sich reflektieren, so sind es hier die Bestimmungen der Reflexion selbst, die sich in sich reflektieren. In den Reflexionsbestimmungen fallen somit Prinzip und Prinzipiiertes auf eigentümliche Weise zusammen.378 Von dieser Thematisierung des Widerspruchs und der Grundsätze des Denkens ist auszugehen, um von da aus im folgenden Kapitel die operationalisierte Anwendung in den anderen Teilen der Logik und damit auch den anderen Wissenschaften verständlich zu machen. Dadurch kann auch der systematische Ort der bisherigen Ausführungen über den Widerspruch bestimmt werden: sie können in ihre Wahrheit gebracht werden. Zugleich kann die Methode der Hegel’schen Logik aufgeklärt werden, insofern die Struktur der selbstbezüglichen Negation dort in ihrer Selbstdifferenzierung beschrieben wird und auch noch der Status dieser Explikation geklärt werden kann.379
2.1. Die Reflexion als selbstbezügliche Negation Die Identität, deren Ausdruck der Satz der Identität und der Satz des Widerspruchs sind, und der Widerspruch sind Bestimmungen der Reflexion. Sie sind als Bestimmungen der Reflexion in der Reflexion fundiert. Insofern müssen sie sich vom Verständnis dessen her, was Reflexion ist, selbst verstehen lassen. Reflexion ist nach Hegel sich auf sich beziehende Negation – sie ist selbständige Negation. Das heißt, dass sie nicht auf etwas von ihr Verschie-
377
»Sie ist ein ausgezeichneter Fall von Reflexion der Reflexion, nicht Reflexion über die Reflexionsbestimmungen, Meta-Reflexion, sondern Selbst-Reflexion, immanente oder objektive Reflexion der Reflexionsbestimmungen an ihnen selbst.« (Iber, Metaphysik absoluter Relationalität (1990), S. 243.) 378 Das meint mehr, als dass »Identität« und »Unterschied« selbst eben auch identische und voneinander unterschiedene Elemente sind und somit durch das Prinzip der Identität bestimmt werden, wie Becker es darstellt. (Vgl. Werner Becker, »Das Problem der Selbstanwendung im Kategorienverständnis der dialektischen Logik«. In: Dieter Henrich (Hrsg.), Die Wissenschaft der Logik und die Logik der Reflexion, Bonn 1978, 75–82, S. 78.) 379 Dies hat etwa Dieter Henrich nicht gesehen, wenn er kritisiert: »Hegel selbst hat nahezu nichts dazu beigetragen, die logischen Verhältnisse durchsichtig zu machen, in denen er sich mit unreflektierter Virtuosität bewegt.« (Hegels Logik der Reflexion (1967), S. 114.)
Hegels Begründung der Grundsätze des Denkens und des Widerspruchs
365
denes bezogen ist, an dem sie nur aufträte. Als autonom ist diese Negation noch der identischen Selbstbeziehung vorgängig.380 Für Hegel bedeutet Negation dabei nicht nur »das abstrakte Nichts«381, sondern auch »Anderssein«382. Erst als solches kann die Negation »Grundlage aller Bestimmtheit«383 im Sinne des von Hegel immer wieder zitierten Spinoza-Diktums »omnis determinatio est negatio« sein.384 Der primäre Negati380
Den Begriff der autonomen Negation prägte Dieter Henrich. (Vgl. Henrich, Hegels Grundoperation (1976), S. 222.) Erst in der Wesenslogik wird der Negation als solcher Selbständigkeit zugesprochen. (Vgl. Henrich, Hegels Logik der Reflexion (1978), S. 234.) 381 Enzyklopädie 1830 § 91; SW 8, S. 196. 382 Enzyklopädie 1830 § 91; SW 8, S. 196. 383 Enzyklopädie 1830 § 91; SW 8, S. 196. 384 In seinem Verständnis von Negation knüpft Hegel damit an Spinoza an: »Spinoza hat den großen Satz: Alle Bestimmung ist eine Negation.« (Philosophiegeschichte III; SW 20, S. 164.) Das Endliche ist in dieser Weise bestimmt – auch das Denken selbst, das noch gegen das Andere des Denkens, gegen die Ausdehnung bestimmt ist. Im begreifenden Denken gehört das Negative zum Inhalt des Denkens jeweils dazu, »ist sowohl als seine immanente Bewegung und Bestimmung, wie als Ganzes derselben das Positive. Als Resultat aufgefaßt, ist es das aus dieser Bewegung herkommende, das bestimmte Negative, und hiemit ebenso ein positiver Inhalt.« (Phänomenologie (1807); GW 9, S. 42.) Spinoza verstand aber seinen eigenen Satz und die Negation einseitig: »Die einfache Determination, Bestimmung (Negation gehört zur Form) ist ein Anderes gegen die absolute Bestimmtheit, Negativität, Form. Die wahrhafte Affirmation ist die Negation der Form; das ist die absolute Form. Der Gang Spinozas ist richtig; doch ist der einzelne Satz falsch, indem er nur eine Seite der Negation ausdrückt. Nach der andern Seite ist die Negation Negation der Negation und dadurch Affirmation.« (Philosophiegeschichte III; SW 20, S. 164.) »Spinoza hat dem Negativen Unrecht getan; es kam daher zu keiner immanenten Bestimmung, alles Bestimmte geht zugrunde.« (204) Die Negation ist auch bei Spinoza einfache Bestimmtheit. Etwas ist als etwas und gegen ein anderes bestimmt. Die Negation der Negation ist hingegen ein Widerspruch, insofern die Negation gesetzt und in ihrem Gesetztsein zugleich negiert ist. Sie ist Affirmation und Negation zugleich. »Diesen Widerspruch kann der Verstand nicht aushalten; er ist das Vernünftige.« (164) Spinoza konnte damit weder das Unendliche noch das Endliche adäquat denken und hat die Bestimmtheit, die Endlichkeit und damit die Negation aus der absoluten Substanz herausfallen lassen. Die Substanz ist jedoch vielmehr »das Aufgehobenseyn des Endlichen, damit sagt man, daß sie ist die Negation der Negation, da dem Endlichen nur bloß die Negation zugetheilt ist; – als Negation der Negation ist die Substanz hiemit die absolute Affirmation und eben so unmittelbar Freyheit und Selbstbestimmung.« (Über Jacobis Werke (1817); GW 15, S. 11.) Das Endliche weist selbst Grundbestimmungen des Absoluten auf: das Endliche vereinigt »Andersheit, […] Negation, und Selbstbeziehung, Gleichheit nur mit sich, die eigentlich das Gegenteil der negativen Beziehung ist, in der Relation der negativen Selbstbeziehung […]. Es ist das Andere, das aufgehoben wird, und zugleich das Andere, das im Aufheben seiner selbst als das Andere zu ihm eintritt.« (Henrich, Absoluter Geist und Logik des Endlichen (1980), S. 115.) »Es ist das Andere zu sich.« (116) Das Unendliche kann auch nicht durch das Endliche »abgestumpft« (Enzyklopädie 1830 § 95; SW 8, S. 202) werden, sondern das wahrhafte Unendliche muss sich erhalten: »die Negation der Negation ist
366
Die spekulative Logik
onsbegriff in Hegels Logik ist nicht der aussagenlogische (die wahrheitsfunktionale Negation), sondern Andersheit bzw. Bestimmtheit.385 Aber Hegel fusioniert in der autonomen Negation den Begriff der Andersheit mit der aussagenlogischen Negation. Denn andererseits hat Hegel seinen Begriff der autonomen Negation »am Modell der negativen Aussage ausgebildet«386, und zwar der doppelten Negation. »Das Affirmative ist so Negation der Negation; duplex negatio affirmat, nach der bekannten grammatischen Regel.«387 Beide Negationstypen (autonome und aussagenlogische Negation) teilen drei grundlegende Eigenschaften miteinander: beide negieren etwas, können auf sich selbst angewandt werden und ihr selbstreferentieller Gebrauch hat ein Resultat. Hegel hat aber gegenüber der aussagenlogischen Negation, die zunächst ja immer auf einen von ihr verschiedenen Inhalt bezogen werden muss, die Negation »autonomisiert«388. Sie wird nicht mehr auf etwas von ihr Verschiedenes (p oder dann ~p) bezogen, das vorausgesetzt wäre, damit sie es negieren kann.389 Autonom kann die Negation, da sie ja etwas negieren muss, nicht eine Neutralisation; das Unendliche ist das Affirmative und nur das Endliche das Aufgehobene.« (202) Das Endliche muss als radikal Anderes, das in der Beziehung des Andersseins zu sich selbst besteht, gedacht werden: »Das Andere ist wesentlich Anderes und insofern auf sich bezogen, als es das Andere seiner selbst ist. Dieser Gedanke impliziert den von seiner Selbstaufhebung.« (Henrich, Absoluter Geist und Logik des Endlichen (1980), S. 108.) Seine Selbstbeziehung ist negativ, es besteht nur in seiner Selbstaufhebung. Es gibt keine Differenz zwischen seiner Selbstaufhebung und seinem Sein. Das Endliche ist nichts als diese Selbstaufhebung. Aber diese Aufhebung ist nicht identisch mit Selbstannihilation. Denn im selben Akt, in dem es vernichtet, setzt es sein Gegenstück: das Absolute. Das Endliche ist in seiner negativen Selbstbeziehung »unmittelbar das Gegenteil seiner selbst« (109). Das Absolute ist somit das Endliche, insofern dieses sich selbst aufhebt. Im Anderssein ist das Absolute bei sich selbst. (Vgl. Henrich, Hegels Grundoperation (1976), S. 219.) 385 Vgl. Henrich, Hegels Logik der Reflexion (1978), S. 262. 386 Henrich, Hegels Grundoperation (1976), S. 214. 387 Philosophiegeschichte III; SW 20, S. 171. 388 Henrich, Hegels Grundoperation (1976), S. 214. 389 Dieser volle Begriff der Negation ist in den frühen Jenaer Schriften noch nicht entwickelt. Erst ab Mitte 1802 werden die Termini »Gegenteil seiner selbst« und später »Anderssein« zu den Schlüsselbegriffen der Logik Hegels. (Vgl. Henrich, Hegels Grundoperation (1976), S. 220.) An Henrichs Behauptung, Hegels Negation könne wie die aussagenlogische auf sich selbst angewendet werden, kritisiert Kesselring, dass dies bei der aussagenlogischen Negation gar nicht möglich sei. Denn in der Aussagenlogik wird bei der doppelten Negation ein negierter Satz negiert (~p) und nicht das Negationszeichen. Deshalb besteht für Kesselring kein Anlass zu der Annahme, Hegel habe seine Negation der Aussagenlogik entnommen. (Vgl. Kesselring, Produktivität der Antinomie (1984), S. 162.) Hen-
Hegels Begründung der Grundsätze des Denkens und des Widerspruchs
367
sich nur auf sich selbst beziehen. Sie ist deshalb eine doppelte Negation: »die Negation gegen das Negative ist die sich nur auf sich beziehende Negativität«390. Die erste Negation kann sich dabei nicht von der zweiten durch ein anderes Objekt unterscheiden. Anders als die aussagenlogische doppelte Negation gehören bei der autonomen doppelten Negation die Negationen nicht unterschiedlichen Stufen an: sie sind nicht voneinander verschieden, sondern die Negation negiert sich selbst. Die Negation ist damit negierend und negiert. Die Negativität, die sich auf sich selbst bezieht, negiert sich selbst. Sie ist Negativität und aufgehobene Negativität, Gleichheit mit sich selbst und ihr Negatives. Sie ist in einer Einheit sie selbst und nicht sie selbst. Das Resultat der Selbstbeziehung der Negation ist ihre Selbstaufhebung und damit der Zustand, in dem sie ganz entfallen ist. Dieses »›Fehlen jeder Negation‹«391 ist aber wiederum eine Negation und zwar eine doppelte: »Es ist vermittelt durch die autonome selbstbezügliche Negation und daher von ihr verschieden (Entfall von Negation überhaupt); und zugleich reproduziert es die doppelt negative Struktur (Nichtsein von Negation).«392 Das Resultat ist also nicht ein Anderes gegen die autonome Selbstnegation, sondern das Andere ihrer selbst. Der der Negation entgegengesetzte Zustand muss mit dem Gegenteil identisch sein und so muss das Gegenteil selbst als doppelte Negation gedacht werden. Der Gang kann so zusammengefasst werden: Die Negation negiert sich (Selbstbezug) → Negation entfällt → in ihrem negativen Selbstbezug ist sie auf ihr Gegenteil bezogen → dieses muss wiederum doppelte Negation sein. Die doppelte Negation muss also zweimal gedacht werden. Damit droht aber das Resultat ununterscheidbar von seiner Voraussetzung zu werden, so dass der Fortgang innerhalb der Logik nicht mehr verständlich würde. Das Resultat kann nicht mehr strikte autonome Negation sein. Die zweite doppelte Negation negiert nicht nur sich, sondern auch noch ein Anderes, nämlich die autonome, strikt selbstbezügliche Negation. Das Resultat entspricht so auch der klassischen doppelten Negation, da diese Negation nicht nur sich selbst, sondern auch die anfängliche autonome Negation negiert. Dies ist zwar auch Negation der Negation, aber »unter veränderten Vorzeichen«393. In der Reproduktion der negativ selbstbezüglichen Struktur greift sie über sich rich selbst behauptet aber nicht die völlige Gleichheit von aussagenlogischer Negation und autonomer Negation, sondern er spricht eben von einer Fusionierung verschiedener Bedeutungen von Negation bei Hegel. Das impliziert aber bereits eine Bedeutungsdifferenz der beiden genannten Negationssinne. 390 WdL I 1812/13; GW 11, S. 248. 391 Henrich, Hegels Grundoperation (1976), S. 217. 392 Grotz, Negationen des Absoluten (2009), S. 261. 393 Grotz, Negationen des Absoluten (2009), S. 263.
368
Die spekulative Logik
hinaus und negiert das Andere, nämlich die anfängliche strikt autonome Negation. »Das Resultat changiert also zwischen den beiden Typen doppelter Negation: zwischen einer strikt selbstbezüglichen und einer klassischen doppelten Negation, die sich noch auf anderes richtet als auf sich selbst.«394 So finden sich jetzt zwei Typen der doppelten Negation: die selbstbezügliche, nach innen gerichtete Negation und die klassische, nach außen gerichtete Negation, die die Andersheit von sich ausschließt. Beide Typen müssen aber kombiniert werden.395 Der ausschließende Bezug auf das Andere muss in den Selbstbezug zurückgenommen werden, der Ausschluss des Anderen muss es gerade sein, der den Selbstbezug der Negation konstituiert. Zunächst scheint diese Bestimmung der Reflexion als sich auf sich selbst beziehender Negation nicht viel mit dem herkömmlichen Verständnis von Reflexion zu tun haben.396 Wird Reflexion aber nicht nur als bloßes Nachden394
Grotz, Negationen des Absoluten (2009), S. 263. Vgl. Grotz, Negationen des Absoluten (2009), S. 266 ff. 396 Man kann diese Bestimmung der Reflexion auch mit der WdL in ihrer Entwicklung aus dem Wesen heraus verstehen. Dieser Weg soll hier nicht beschritten werden. (Vgl. dazu v. a. Dieter Henrich, Hegels Logik der Reflexion (1978), der hier insbesondere das Verhältnis von Unmittelbarkeit und Vermittlung analysiert.) Das Wesen ist die »absolute Negativität des Seyns« (WdL I 1812/13; GW 11, S. 245), die negative Beziehung auf sich selbst, die in allen Bestimmungen des Seins vorherrschend war. Das Wesen ist die »negative Beziehung auf sich« (242), also ist es die negative Beziehung der negativen Beziehung auf die negative Beziehung: »Einheit mit sich in diesem seinem Unterschiede von sich« (242). Das Wesen ist »das durch die Negativität seiner selbst sich mit sich vermittelnde Sein« (Enzyklopädie 1830 § 112; SW 8, S. 231). Nur indem das Wesen auf ein Anderes bezogen ist, ist es auf sich selbst bezogen. Es ist damit die Beziehung auf sich als Negation der Negation. Wesentlich heißt, das Negative seiner in ihm selbst zu haben. In ihm selbst ist es auf anderes bezogen: »das Wesen ist das Selbstständige, das ist als durch seine Negation, welche es selbst ist, sich mit sich vermittelnd; es ist also die identische Einheit der absoluten Negativität und der Unmittelbarkeit. – Die Negativität ist die Negativität an sich; sie ist ihre Beziehung auf sich, so ist sie an sich Unmittelbarkeit; aber sie ist negative Beziehung auf sich, abstossendes Negiren ihrer selbst, so ist die an sich seyende Unmittelbarkeit das Negative oder Bestimmte gegen sie. Aber diese Bestimmtheit ist selbst die absolute Negativität und diß Bestimmen, das unmittelbar als Bestimmen das Aufheben seiner selbst, Rückkehr in sich ist.« (WdL I 1812/13; GW 11, S. 248.) Hegel bestimmt in der WdL die Reflexion von ihrem Verhältnis zum Wesen her. Als sich auf sich selbst beziehende Negation ist die Reflexion das »Scheinen des Wesens in ihm selbst« (244). Der Schein ist aber gerade nicht bloßer Anschein oder Täuschung. Dies hebt Hegel auch in der Ästhetik I in Bezug auf den Vorwurf, Kunst sei bloßer Schein und damit schon Täuschung, hervor. Dabei handelt es sich bei der Kunst um eine »besondere Art und Weise des Scheins, in welchem die Kunst dem in sich selbst Wahrhaftigen Wirklichkeit gibt« (SW 13, S. 21). Wie die Wesenslogik zwischen der Begriffslogik und der Seinslogik steht, so ist auch der Schein des Kunstwerkes noch nicht reiner Gedanke, aber er ist erhoben über das unmittelbare Dasein der Naturdinge. (Vgl. S. 60.) Der Schein darf nicht »als das Nichtseinsollende […] angespro395
Hegels Begründung der Grundsätze des Denkens und des Widerspruchs
369
ken über etwas verstanden,397 dann ist den meisten Deutungen der Reflexion in der Philosophie überhaupt gemeinsam, dass sie darin als Form der Rückwendung des Geistes auf sich selbst verstanden wird: ob nun als »Erkenntnis der Erkenntnis«398, »Denken des Denkens«399 oder bloße »Selbstwahrnehmung«400. Das Phänomen, das in der Neuzeit mit dem der Optik entnommenen Terminus der Reflexion bezeichnet wird, ist so seit Platon die »denkende Zurückwendung auf die geistigen Akte selbst«401. In der Reflexion scheint damit zunächst das Reflektierende mit seiner Tätigkeit der Reflexion wie in anderen Akten der Erkenntnis aus sich selbst auf einen Gegenstand herauszugehen, auf etwas, das vom Reflektierenden und seiner Tätigkeit verschieden ist, um sich dann aber auf sich selbst zurückzuwenden. Der Begriff reflectio als Rückwendung macht ja nur dann Sinn, wenn erst hinausgegangen wird, sonst bräuchte nichts zurückgewendet zu werden. Hegel deutet diesen Sachverhalt so, dass der Unterschied in der Reflexion auftaucht, um zum Verschwinden gebracht zu werden. Die Bewegung der Reflexion unterscheidet sich dabei in ihrer Art auch von der Bewegung, die in der Seinslogik stattfindet. Die Bestimmungen des Seins gehen ineinander über. Die Reflexion hingegen ist eine Bewegung, die in sich selbst verbleibt: das Unterschiedene ist hier nur als Schein bestimmt, als das an sich Negative, das negiert wird. Die reflektierende Bewegung ist das Negieren des Negativen: ihr Sein besteht nur in der sich auf ihr Negatives beziehenden Negation, die die Rückkehr in sich selbst ist. Das Negative ist als Negatives vorhanden. Denn die Bewegung der Reflexion geht gerade nicht auf etwas von ihr Unabhängiges, sondern verbleibt in sich selbst, geht also, wie Hegel sagt, auf das Andere nur als das Negative. Es liegt eine negierende Be-
chen werden« (21). Er gehört wesentlich zum Wesen und zur Wahrheit, so sehr, dass die Wahrheit ohne das Scheinen und Erscheinen überhaupt nicht sein könnte. Denn sie muss für etwas – für sich selbst oder für den Geist – als Wahrheit sein und damit erscheinen. Die Reflexion ist das Wesen, insofern es der in sich gegangene Schein ist. »Das Wesen in dieser seiner Selbstbewegung ist die Reflexion.« (WdL I 1812/13; GW 11, S. 249.) So verstanden deckt sie die etwas schlichtere Deutung als »Nachdenken über etwas« (Enzyklopädie 1830 § 21; SW 8, S. 76) ab: denn die Reflexion soll ja gerade das Wesentliche der Sache, über die nachgedacht wird, zur Geltung bringen. Das Nachdenken hebt so den Schein der Unmittelbarkeit des Gegebenseins der wahren Sache auf. 397 Nach Stekeler-Weithofer kann Reflexion zunächst einmal auch die Wendung der Aufmerksamkeit auf etwas überhaupt bedeuten. (Vgl. Stekeler-Weithofer, Verstand und Vernunft (1992), S. 160.) 398 Platon, Charmides 171c. 399 Aristoteles, Nikomachische Ethik IX,9; 1170a28 ff. 400 Locke, Essay 1690 II,1, § 4; Works I, S. 83 f. 401 L. Zahn, »Reflexion«. In: HWPhil 8 (1992), 396–405, S. 396.
370
Die spekulative Logik
ziehung auf das Negative vor. Das Unterschiedene ist nur als Schein, als an sich Negatives in der Reflexion. Die Reflexion wendet sich ja nicht auf anderes, sondern das Andere scheint nur auf. Reflexion ist aber nicht nur dieser negative Bezug auf das Negative, sondern in mindestens gleicher Weise auch Selbstbezug. Denn über die Rückwendung erfolgt ja in der Reflexion ein Bezug auf sich selbst – oder wie Fichte ausgeführt hat: die Reflexion ist ursprünglich bloßer Selbstbezug, reine sich auf sich selbst beziehende Relation. Der wohl mit bedeutendste Unterschied Hegels zu Fichte besteht nun darin, dass er den negierenden Bezug auf das Negative (bei Fichte ausgedrückt in dem Satz: »das Ich setzt sich ein Nicht-Ich entgegen«) und den reinen Selbstbezug nicht in zwei unterschiedliche und ursprüngliche Akte differenziert, sondern als eine und dieselbe Beziehung denkt. Hegel deutet die Selbstbeziehung, die in der Reflexion vorliegt, als Negieren der Negation und damit als selbstbezügliche Negation: »Die reflectirende Bewegung […] ist das Andre als die Negation an sich, die nur als sich auf sich beziehende Negation ein Seyn hat.«402 Die Negation muss sich selbst ein Anderes sein. In der Verdoppelung muss die Negation als selbstbezüglich gedacht werden.403 Hegel fusioniert damit die zwei strukturellen Bestimmungen der Reflexion: zum einen, dass die Reflexion eine Tätigkeit ist, die auf sich selbst gerichtet ist. Zum anderen, dass die Reflexion zunächst ein Anderes als Anderes aufscheinen lässt, um es zum Verschwinden zu bringen und in sich selbst zurückzukehren. Die Reflexion setzt das Andere also in einem negierenden Akt. Das Andere kommt in der Reflexion nicht wie in der Seinslogik als anderes Etwas, das negiert ist und damit das andere Etwas begrenzt, auf. Das Andere ist nicht mehr »das Seyn mit der Negation oder Grenze, sondern die Negation mit der Negation.«404 Das Erste, dessen Anderes das Andere ist, »ist nur diese Gleichheit selbst der Negation mit sich, die negirte Negation, die absolute Negativität.«405 Es ist nicht eine Gleichheit, an der Negation auftritt, die dann wiederum negiert würde. Es ist nicht etwas zu Grunde Liegendes, an dem die Negation nur auftritt, oder ein unmittelbares Erstes, das in Negation übergeht, sondern die Bewegung der Reflexion selbst: »die Bewegung von Nichts zu Nichts, und dadurch zu sich selbst zurück.«406 Die Gleichheit ist der Selbstbezug der Nega-
402
WdL I 1812/13; GW 11, S. 249. Vgl. Henrich, Hegels Logik der Reflexion (1978), S. 247. 404 WdL I 1812/13; GW 11, S. 249. 405 WdL I 1812/13; GW 11, S. 249. 406 WdL I 1812/13; GW 11, S. 250. 403
Hegels Begründung der Grundsätze des Denkens und des Widerspruchs
371
tion. Das Andere ist somit nur Nichts von Nichts. Das Wesen ist als Reflexion nicht ein Etwas, das sich bewegt, sondern es ist nichts anderes als die Bewegung der Reflexion. Als Selbstbezug muss der negierende Akt der Reflexion sich auf diesen negierenden Akt selbst richten und zwar als er selbst: die Negation muss sich als Negation auf die Negation richten. Es ist also nicht nur ein Negatives, das negiert wird, sondern der Akt des Negierens negiert sich, indem er sich auf sich selbst bezieht. Damit ist die selbstbezügliche Negation als Negieren ihrer selbst aufgehoben. Aber gleichzeitig ist sie als Negieren noch, denn das Aufheben ist ja nichts anderes als der Akt des Negierens. Das heißt, sie ist als das Negative noch, sie ist einfache Gleichheit mit sich selbst: »Sie besteht also darin sie selbst und nicht sie selbst und zwar in Einer Einheit zu seyn.«407 Das Negieren kehrt in der Beziehung auf sich selbst in sich zurück und bringt damit tatsächlich die Bewegung zum Ausdruck, in der die Reflexion besteht. Reflexion ist »sich auf sich beziehende Negativität«408 und damit Aufheben ihrer selbst. Die strikt autonome Negation bestimmt Hegel dabei in der Weiterbestimmung der Reflexion als setzende Reflexion. Als solche ist sie Gleichheit, die sich selbst negiert. Sie ist »Rückkehr in sich«: das Negative kehrt in sich selbst zurück, weil es als Entfallen der Negation in der doppelten selbstbezüglichen Negation eben wieder Negation ist. Sie hat damit ihre eigene Unmittelbarkeit aufgehoben, eben weil sie Resultat ist. Die Reflexion ist es aber selbst, die dieses Rückkehren setzt: eben die doppelte Negation, die Resultat ist. Die doppelte Negation, die Resultat ist, diese Reflexion ist ein Voraussetzen, weil sie die strikte autonome Negation, die sie negiert, voraussetzt. Sie ist voraussetzende Reflexion: »In dem Voraussetzen bestimmt die Reflexion die Rückkehr in sich [strikte autonome Negation; S. Sch.], als das Negative ihrer selbst […]. Es ist sein Verhalten zu sich selbst; aber zu sich als dem Negativen seiner; nur so ist es die insichbleibende, sich auf sich beziehende Negativität.«409 Damit stößt die doppelte Negation sich von der strikt autonomen Negation ab, die sie aber letztlich selbst ist. Sie ist ja nichts als das Aufheben der Voraussetzung. Denn ihr Selbstbezug ist das Negieren des Negierens:
407
WdL I 1812/13; GW 11, S. 250. WdL I 1812/13; GW 11, S. 250. 409 WdL I 1812/13; GW 11, S. 251. 408
372
Die spekulative Logik
»Es setzt sich selbst voraus, und das Aufheben dieser Voraussetzung ist es selbst; umgekehrt ist diß Aufheben seiner Voraussetzung die Voraussetzung selbst.«410 Also setzt sie sich selbst voraus und ist so »verdoppelt«411: als Reflexion in sich und als Reflexion, die sich als Negatives darauf als auf seine Voraussetzung bezieht. Damit ist die reflektierende Bewegung »absoluter Gegenstoß in sich selbst«412. Die doppelte Negation der voraussetzenden Reflexion, die sich negativ auf die strikte autonome Negation der setzenden Reflexion bezieht, ist dabei ein äußerer Bezug der Negation auf das Negierte. So wird die Reflexion äußere Reflexion. Hier zeigt sich, dass die äußere Reflexion ein notwendiges Moment aller Reflexion überhaupt ist. Die Reflexion ist zwar nur die Rückkehr in sich, aber gleichzeitig ist sie »bestimmt als Negatives, als unmittelbar gegen eines, also gegen ein Anderes.«413 Die klassische doppelte Negation, die voraussetzende Reflexion ist, weil sie an etwas auftreten muss, wird zur äußeren Reflexion, weil sie sich auf ihre Voraussetzung, die Reflexion in sich (= strikt autonome Negation), als auf ein Anderes bezieht. Die Reflexion ist so nach Hegel in der äußeren Reflexion verdoppelt: als Reflexion in sich und zum anderen als die Reflexion, die sich zwar auch auf sich bezieht, aber in negativer Weise, nämlich »auf sich als auf jenes ihr Nichtseyn.«414 Die äußere Reflexion bezieht sich auf ihre Voraussetzung als auf ein Negatives der Reflexion, das aber als Negatives aufgehoben ist. Dass die Voraussetzung aber ein Negatives oder von der voraussetzenden Reflexion Gesetztes ist, »geht dasselbe [als Vorausgesetztes nämlich; S. Sch.] nichts an«415. Nun führten wir bereits aus, dass der äußere Bezug der klassischen doppelten Negation auf die autonome Negation in diese zurückgenommen wird. So muss die äußere Reflexion die Voraussetzung und die äußere Beziehung in ihre Selbstbeziehung zurücknehmen. Dies geschieht bei Hegel dadurch, dass das Tun der äußeren Reflexion nun seinerseits in sich reflektiert wird. Sie setzt ihre Voraussetzung, aber weil diese ja Voraussetzung und damit dem Setzen der äußeren Reflexion voraus sein soll, hebt sie ihr eigenes Setzen wiederum auf. Sie ist »im Negiren das Negiren dieses ihres Negirens«416. Nur der Gedanke der selbstbezüglichen Negation macht damit die Struktur der Reflexion überhaupt 410
WdL I 1812/13; GW 11, S. 251 f. WdL I 1812/13; GW 11, S. 252. 412 WdL I 1812/13; GW 11, S. 252. 413 WdL I 1812/13; GW 11, S. 252. 414 WdL I 1812/13; GW 11, S. 253. 415 WdL I 1812/13; GW 11, S. 253. 416 WdL I 1812/13; GW 11, S. 253. 411
Hegels Begründung der Grundsätze des Denkens und des Widerspruchs
373
verständlich. Damit ist sie aber wiederum ein Setzen: sie hebt das ihr negative vorausgesetzte Unmittelbare auf. Erst in ihrem Tun wird die Voraussetzung. Das Negative der Reflexion ist somit als dasselbe, was die Reflexion ist, gesetzt: »Es ist nemlich durch die Reflexion als ihr Negatives oder als ihr Anderes bestimmt, aber sie ist es selbst, welche dieses Bestimmen negirt.«417 Das heißt: in der doppelten Negation bezog sich die Negation scheinbar auf das Andere ihrer selbst als eine Voraussetzung, um von dort als negativer Bezug wieder in sich selbst zurückkehren zu können. Nun ist aber das Negierte eben dieser negative Bezug auf sich selbst, so dass die beiden Bestimmungen doppelter Negation nun fusioniert sind, insofern der Bezug auf das Andere ihrer selbst nun als der Selbstbezug gesetzt ist, der die autonome Negation war. So sind in der bestimmenden Reflexion die setzende und die äußere Reflexion fusioniert.418
2.2. Die Reflexionsbestimmungen Die bestimmende Reflexion ist die Einheit der setzenden und äußeren Reflexion. Durch das Moment der setzenden Reflexion wird eine Bestimmung gesetzt, die aber nur gesetzt ist. Dieses Gesetzte ist ein Anderes des Setzens, das nur als aufgehoben gesetzt ist. Denn es ist ja nur ein Moment der Rückkehr der Reflexion in sich selbst. Das Gesetztsein ist die wesenslogische Entsprechung des Daseins: »Das Daseyn ist nur Gesetztseyn; diß ist der Satz des Wesens vom Daseyn.«419 Das Gesetztsein ist ein Negatives, das auf die Rückkehr in sich bezogen ist: es ist immer als Negatives gesetzt. Es ist »die Negation des Zurückgekehrtseyns in sich selbst«420. Gesetztsein ist nur »Bestimmtheit, als Negation überhaupt«421. Hier findet »Setzen der Bestimmtheit als ihrer selbst«422 statt. Als durch das Moment der äußeren Reflexion Vorausgesetztes ist das Gesetztsein aber in sich reflektiert. Dieses Gesetztsein als in sich reflektiertes Negatives ist die Reflexionsbestimmung. Die Bestimmung negiert etwas, nämlich die Reflexion in sich, die der Bezug der Negation auf sich selbst ist. Dem Dasein lag das Sein zu Grunde, der Reflexionsbestimmung hingegen die sich auf sich selbst beziehende Negation. Sie ruht nicht wie die 417
WdL I 1812/13; GW 11, S. 253. »Die bestimmende Reflexion ist überhaupt die Einheit der setzenden und der äussern Reflexion.« (WdL I 1812/13; GW 11, S. 255.) 419 WdL I 1812/13; GW 11, S. 255 f. 420 WdL I 1812/13; GW 11, S. 256. 421 WdL I 1812/13; GW 11, S. 256. 422 WdL I 1812/13; GW 11, S. 256. 418
374
Die spekulative Logik
Qualität als Bestimmung des Daseins auf einem von ihr unterschiedenen Grunde.423 Weil in der bestimmenden Reflexion das äußere Negieren der klassischen doppelten Negation in die selbstbezügliche Negation zurückgenommen ist, ist die Reflexionsbestimmtheit auf ihr Anderes als sie selbst bezogen. Die Beziehung ist hier gar nicht unterschieden vom Bezogenen. Die Reflexionsbestimmung beugt die Beziehung auf ihr Anderes in sich selbst zurück. Sie hat also wiederum zwei Momente: zum einen ist sie Reflexion in sich, Gleichheit mit sich selbst (Identität). Zum anderen ist sie Negation als solche, Nichtsein gegen Anderes, nämlich gegen die Reflexion in sich (Unterschied). »Insofern es nun also das Gesetztseyn ist, das zugleich Reflexion in sich selbst ist, so ist die Reflexionsbestimmtheit die Beziehung auf ihr Andersseyn an ihr selbst.«424 Der Bezug ist bei den Reflexionsbestimmungen mit dem Bezogenen identisch im Unterschied zu den Seinsbestimmungen: »Die Reflexionsbestimmung […] hat ihr Andersseyn in sich zurückgenommen. Sie ist Gesetztseyn, Negation, welche aber die Beziehung auf anderes in sich zurückbeugt, und Negation, die sich selbst gleich, die Einheit ihrer selbst und ihres Andern und nur dadurch Wesenheit ist. Sie ist also Gesetztseyn, Negation, aber als Reflexion in sich ist sie zugleich das Aufgehobenseyn dieses Gesetztseyns, unendliche Beziehung auf sich.«425 Von dem Verständnis der Reflexionsbestimmungen und der autonomen Negation her lassen sich die verschiedenen Momente der Wahrheit des Widerspruchs zu einem Ganzen ordnen und die Grundsätze des Denkens in ihrer Wahrheit begründen. Die Aufeinanderfolge der Reflexionsbestimmungen ist wesentlich die sich modifizierende Verhältnisbestimmung von Reflektiertsein in sich (autonome Negation) und Gesetztsein oder Bestimmtheit (klassische doppelte Negation) zueinander.
423
»Hingegen die Reflexionsbestimmung ist das Gesetztseyn als Negation, Negation die zu ihrem Grunde das Negirtseyn hat, also sich in sich selbst nicht ungleich ist, somit wesentliche, nicht übergehende Bestimmtheit. Die Sich-selbst-gleichheit der Reflexion, welche das Negative nur als Negatives, als Aufgehobenes oder Gesetztes hat, ist es, welche demselben Bestehen gibt.« (WdL I 1812/13; GW 11, S. 256.) 424 WdL I 1812/13; GW 11, S. 257. 425 WdL I 1812/13; GW 11, S. 257.
Hegels Begründung der Grundsätze des Denkens und des Widerspruchs
375
2.2.1. Die Unwahrheit des Identitäts- und Widerspruchsprinzips 2.2.1.1. Die Grundsätze des Denkens Die Frage: »Akzeptiert Hegel die Gültigkeit des Widerspruchsprinzips oder nicht?« ist bereits falsch gestellt. Sie setzt einen eindeutigen Sachverhalt voraus, bei dem nur in Frage steht, ob er der Fall ist oder nicht. Sie setzt damit bereits nicht nur die Eindeutigkeit der in Frage stehenden Gesetze, sondern auch die Gültigkeit des Satzes vom ausgeschlossenen Dritten und das von Hegel verspottete »Entweder – Oder« des abstrakten Verstandes voraus.426 Genau deren Gültigkeit soll aber doch in Frage gestellt sein. Die Schwierigkeit bezüglich dieser Frage geht damit über die etwa des Lügnerparadoxons noch hinaus. Zur Auflösung dieser Paradoxien wendete Hegel bereits zu Recht ein, dass man eben nicht mit einem einfachen »Richtig« oder »Falsch« antworten könne. Denn in jedem Satz sei Wahrheit und Falschheit, zumindest »wenn Wahrheit in dem Sinne des Einfachen, Falschheit in dem Sinne des Entgegengesetzten, Widersprechenden genommen wird […].«427 Man fordert nur deshalb eine einfache Antwort auf die Frage »Ist der Lügner-Satz wahr?«, weil man die Wahrheit für ein Einfaches hält, wodurch die Falschheit ausgeschlossen wird. Dieser »Grundsatz unserer verständigen 426
Der nicht spekulativ aufgefasste SvaD ist nach Hegel das Prinzip des Dogmatismus. (Vgl. Enzyklopädie 1830 § 32; SW 8, S. 98 f.) Ihm entsprechend wird im Denken dann eine Seite eines Gegensatzes »in ihrer Isolierung« (99) festgehalten, die andere negiert. 427 Philosophiegeschichte I; SW I, S. 528. Hegel unterscheidet bekanntlich Wahrheit von Richtigkeit. Die Zurückweisung des SdW versucht auch Hermann Schmitz in Hegels Modifikation des Wahrheitsverständnisses zu begründen. Nach Schmitz ist der Widerspruch für Hegel eine Schranke, die es durch die Dialektik zu überwinden gilt. Dabei hebt Schmitz die Hegel’sche Überwindung des SdW ausdrücklich von einer paradoxalen als ihren Gegensatz ab. Paradoxe Sätze seien solche, in denen etwas zugleich behauptet und negiert werde. Sie gingen insofern noch von Sätzen mit bestimmtem Satzsinn aus. Das dialektische Denken hingegen überwinde den SdW, weil Wahrheit nicht mehr bestimmten festen Satzsinnen zugesprochen wird, sondern »nur noch für gleitende Übergänge von Satzsinn zu Satzsinn« (»Das dialektische Wahrheitsverständnis und seine Aporie«. In: Dieter Henrich (Hrsg.), Ist systematische Philosophie möglich? Stuttgarter Hegel-Kongreß 1975, Bonn 1977, 241–254, S. 241) behauptet wird. Die Paradoxien schreiben also noch ganz bestimmten Sachverhalten Wahrheit zu, Hegel nur noch den Übergängen. Wahr ist das Satzsinngleiten. Der Widerspruch ist der »Motor des Satzsinngleitens« (246), er ist in allen Begriffen latent enthalten. Die Widersprüche sind es, »die einem um Konsequenz bemühten Denken den dialektisch-bacchantischen Taumel als einzige Rettung empfehlen sollen.« (246) Diese Deutung befindet sich allerdings ihrerseits offensichtlich in einem bacchantischen Taumel, da hier Grund und Begründetes, Explikat und Explicandum changieren. Denn einerseits soll die Wahrheitstheorie Hegels Verständnis des Widerspruchs verständlich machen, andererseits der Widerspruch die Wahrheitstheorie.
376
Die spekulative Logik
Logik«428 verhindert so die Auflösung logischer Antinomien. Hegel hält aber bereits die Frage für falsch gestellt: »Eine einfache Antwort läßt sich nicht geben. Es ist hier eine Vereinigung zweier Entgegengesetzter, des Lügens und der Wahrheit, gesetzt (wir sehen den unmittelbaren Widerspruch) […].«429 Man könne aber kein »einfaches Verhältnis von etwas Inkommensurablem«430 herstellen. Wenn der Inhalt einer Frage widersprechend ist, kann die Antwort auf diese Frage keine einfache sein. Durch eine zweiseitige Antwort muss sowohl das eine als auch das andere aufgehoben werden. Für den Lügner heißt das: »er redet wahr und lügt zugleich, und die Wahrheit ist dieser Widerspruch.«431 Für Hegel ist diese Antwort aber noch nicht das Letzte, denn ein Widerspruch ist nicht das Wahre. Das Widersprechende muss durch Bestimmung gelöst werden.432 Über die Paradoxien schreibt Hegel deshalb: »In jenen Beispielen, die wie Späße aussehen, liegt die gründliche Betrachtung der Denkbestimmungen, auf die es ankommt.«433 Die Frage, ob Hegel die Gültigkeit das Widerspruchsprinzip akzeptiere, geht nun aber gerade von der Einfachheit der Wahrheit in dem Sinne aus, dass ein Satz nur entweder wahr oder nicht wahr sein kann, ein Gegenstand nicht zwei entgegengesetzte Prädikate haben kann. Stellt man die Frage, ob der Satz des Widerspruchs wahr ist, so wird er also schon in seiner bestimmten Bedeutung genommen und wiederum auf sich selbst angewendet. Eine Interpretation, die bei Hegel eine Leugnung des Widerspruchsprinzips vorzufinden glaubt, unterbietet so bereits Hegels Reflexionsniveau in dieser Frage. Denn es untersucht gar nicht die Voraussetzungen, die diese Behauptung macht. Legt man hingegen Hegels Unterscheidung von Wahrheit und Richtigkeit, Unwahrheit und Falschheit zu Grunde, so kann man zunächst sicherlich fest428
Philosophiegeschichte I; SW I, S. 529 . Philosophiegeschichte I; SW I, S. 529. 430 Philosophiegeschichte I; SW I, S. 530. 431 Philosophiegeschichte I; SW I, S. 531. 432 So schreibt Essler: Hegel versteht Widersprüche als »mangelnde Bestimmtheit der Gegenstände, oder […] als nicht angebrachte Vernachlässigung von relevanten Faktoren.« (Wilhelm K. Essler, »Zur Topologie der Arten dialektischer Logik bei Hegel«. In: Dieter Henrich (Hrsg.), Hegels Wissenschaft der Logik. Formation und Rekonstruktion, Stuttgart 1986, 198–208, S. 202 f.) Hegel unterscheide sich etwa dadurch von der parakonsistenten Logik, dass diese die Widersprüche nur isoliert, sie aber nicht auflöst. (Vgl. S. 204.) 433 Philosophiegeschichte I; SW I, S. 533. Aber bei diesen Widersprüchen sagt Hegel, dass sie »alle einen sehr formellen Widerspruch, der in der Sprache vorkommt, aufzeigen, – einen Widerspruch, der in der Form der Sprache liegt, weil eben in ihr das Einzelne ins Allgemeine aufgenommen ist.« (534) 429
Hegels Begründung der Grundsätze des Denkens und des Widerspruchs
377
stellen, dass die Grundsätze des Denkens, so wie sie das gewöhnliche Bewusstsein und auch die Verstandeslogik fassen, unwahr sind. Denn sie verstehen diese Sätze in mehrfacher Hinsicht nicht in der angemessenen Weise, nach der sie wahr sind. Der Anspruch, der gewöhnlich mit allen Grundsätzen des Denkens verbunden wird, ist dabei folgender: 1. Sie sollen Sätze sein, die »von Allem gelten«434: als solche wären sie Seinsprinzipien. Dies bringt die Formulierung des Identitätsprinzips »Alles ist sich selbst gleich«435 zum Ausdruck. Diese Formulierung legt nahe, in den Grundsätzen des Denkens wäre von Beschaffenheiten die Rede, die an allem auftreten, was ist. So verstanden leuchtet das Spezifische dieser Sätze aber gar nicht ein. Warum sind es gerade die Bestimmungen der Identität, der Verschiedenheit, des Gegensatzes, des Widerspruchs und des Grundes, die Inhalt einer herausgehobenen Art von Sätzen sein sollen, die als Grundsätze allen Denkens gelten: den Satz der Identität, den des Nichtzuunterscheidenden, den Satz vom ausgeschlossenen Dritten, den Satz des Widerspruchs und den vom Grunde? Von allem Sein aussagbar zu sein, gilt ja auch von den Kategorien. Auch diese könnten wie die Reflexionsbestimmungen von allem als logische Bestimmungen prädiziert werden. Die gemeine Logik begründet diesen Anspruch der Besonderheit der Denkgesetze nicht, sondern setzt ihn unreflektiert voraus. Das bedeutet nicht, dass ihnen dieser Status nicht zu Recht zukäme, nur ist für diesen Umstand eine Begründung anzugeben. Hegel begründet dies damit, dass die Seinsbestimmungen sich in anderer Weise zueinander verhalten, als dies die Reflexionsbestimmungen tun. Die Kategorien als Bestimmtheiten des Seins gehen in die ihnen entgegengesetzten Bestimmtheiten über. Beide Kategorien sind in gleichem Maße notwendig. Würde die eine Kategorie in einen Satz gefasst, so käme die entgegengesetzte Kategorie sogleich zum Vorschein. Mit der Aufstellung einer jeden Kategorie in Form eines Satzes wie »Alles ist K.« würde unmittelbar der Satz »Alles ist ~K.« auftauchen. Beide könnten dabei mit derselben Notwendigkeit hergeleitet werden. Das geschieht etwa in den kosmologischen Antinomien. Wenn sich aber zwei entgegengesetzte Sätze als gleich notwendig anbieten, dann ist es um die Unmittelbarkeit der Sätze sogleich geschehen: denn man müsste sie beweisen: »diesen Behauptungen könnte daher nicht mehr der Charakter von unmittelbar wahren und unwidersprechlichen Sätzen des Denkens zukommen.«436 Das Verhältnis der Reflexionsbestimmungen ist dagegen von anderer Art: sie sind nicht Qualitäten, die an 434
WdL I 1812/13; GW 11, S. 258. WdL I 1812/13; GW 11, S. 258. 436 WdL I 1812/13; GW 11, S. 259. 435
378
Die spekulative Logik
etwas auftreten und damit schon gegen anderes bestimmt sind. Sie sind Beziehungen, die sich auf sich beziehen. Sie gehen nicht ineinander über, sondern scheinen ineinander. Die Reflexionsbestimmungen haben die »Form des An-und-für-sichseyns«437. Von den Seinsbestimmungen gesteht man zu, dass sie in Beziehung auf Anderes stehen. Die reflektierten Bestimmungen hingegen, »statt übergehend in ihre entgegengesetzten zu seyn, erscheinen sie vielmehr als absolut, frey und gleichgültig gegen einander. Sie widersetzen sich daher hartnäckig ihrer Bewegung«438. Denn sie haben die Beziehung auf ihr Anderssein in sich zurückgenommen. Sie sind bereits die Einheit von autonomer und klassischer doppelter Negation. Allerdings muss diese Einheit in ihrer Entwicklung noch gesetzt werden: das meint die Rede vom Scheinen ineinander. 2. Die gemeine Logik setzt in naiver Weise unbefragt voraus, die Reflexionsbestimmungen könnten in Sätze gefasst werden. Der Satzcharakter der Reflexionsbestimmungen ist aber noch nicht dadurch gerechtfertigt, dass es auf Grund ihres Unterschiedes von den Kategorien eher möglich ist, sie in Sätze zu fassen, sondern muss eigens begründet werden. Nach Hegel enthalten die Reflexionsbestimmungen »die Form des Satzes schon in sich«439. Der Satz ist dabei jedoch vom Urteil zu unterscheiden. Im Urteil ist der Inhalt im Prädikat, das dem Subjekt eine allgemeine Bestimmtheit beilegt und sich von der Kopula unterscheidet. Im Satz hingegen macht »der Inhalt die Beziehung selbst«440 aus oder ist »eine bestimmte Beziehung«.441 Den Reflexionsbestimmungen, weil sie als in sich reflektiert gesetzt sind, liegt die Form des Satzes nahe.442 Allerdings ist es nach Hegel unnötig, sie in Sätze zu fassen. Denn Identität, Unterschied und Widerspruch können als Bestimmungen des Denkens an ihnen selbst gedacht werden. Andererseits werden die Bestimmungen in diesen Sätzen in ihrer Verfasstheit verändert. Denn im Satz bedürfen sie eines Subjekts, auf das sie sich beziehen: entweder »Alles« oder eine Variable, die für jedes mögliche Sein steht. Damit bekommen sie aber »die schiefe Seite,
437
WdL I 1812/13; GW 11, S. 255. WdL I 1812/13; GW 11, S. 255. 439 WdL I 1812/13; GW 11, S. 259. 440 WdL I 1812/13; GW 11, S. 259. 441 WdL I 1812/13; GW 11, S. 259. 442 In der Jenaer Logik findet sich die Bewegung der Wesenheiten noch nicht, sondern diese finden sich nur in Grundsätzen ausgedrückt, die einander gegenüberstehen. Vgl. dazu Franz Ungler, »Das Wesen in der Jenaer Zeit Hegels«. In: Dieter Henrich/Klaus Düsing (Hrsg.), Hegel in Jena, Bonn 1980, 157–180, S. 164. 438
Hegels Begründung der Grundsätze des Denkens und des Widerspruchs
379
das Seyn, Alles Etwas, zum Subjecte zu haben«443. Die Reflexionsbestimmung wird zu einer Qualität von Etwas, die dieses Etwas an sich hat. Das Etwas als bleibendes Subjekt hätte dann unter anderem die Eigenschaft, etwa identisch zu sein – so wie es eben auch farbig oder groß sein kann. Damit werden aber die Identität bzw. die anderen Reflexionsbestimmungen falsch verstanden. Es findet eine Herabsetzung der Reflexionsbestimmungen »von selbständigen Wesenheiten zu akzidentellen Seinsbestimmungen«444 statt. Sie werden Eigenschaften »eines dinglichen Substrats«445 und damit unselbständige akzidentelle Bestimmungen, wo sie doch selbständige Wesenheiten sein sollen. Die Art, wie die gemeine Logik die Reflexionsbestimmungen in Sätze fasst, hebt also gerade die Bedingung ihrer Unterschiedenheit von den Seinsbestimmungen auf. Darin ist die Unwahrheit der gemeinen Logik begründet.446 Um sie aufzuheben, muss der Satzcharakter von gewöhnlichen Sätzen zerstört und zum spekulativen Satz übergegangen werden.447 3. Die gemeine Logik betrachtet die Grundsätze des Denkens als isoliert für sich geltende Sätze, die nicht in Beziehung zueinander stehen. Dies hat seinen Grund in der Beziehung der Reflexionsbestimmungen zueinander, deren Ausdruck sie sind: Identität, Unterschied und Widerspruch haben die »Form sich selbst gleich und daher unbezogen auf anderes und ohne Entgegensetzung zu seyn«448. Das ist aber nicht das Ganze der Wahrheit der Reflexionsbestimmungen: bestimmt sind ja auch diese nur dadurch, dass sie gegeneinander bestimmt sind. Dazu müssen sie in sich reflektiert werden und in dieser Reflexion in sich scheinen sie ineinander. Also müssen auch die Grundsätze, die Ausdruck dieser Bestimmungen sind, in ein Verhältnis zueinander gesetzt werden.449 Damit verwickeln sich die Grundsätze aber nach Hegel in Widersprüche zueinander: die Denkgesetze sind »einander entgegengesetzt, sie widersprechen einander und heben sich gegenseitig auf«450. Wenn nämlich alles identisch mit sich wäre, wie der Satz der Identität behauptet, so 443
WdL I 1812/13; GW 11, S. 259. Iber, Metaphysik absoluter Relationalität (1990), S. 260. 445 Iber, Metaphysik absoluter Relationalität (1990), S. 260. 446 Der SdW ist »die Einheit unnützerweise als Satz ausgedrückt, das Unterscheiden Nichtzuunterscheidender, A=A; er ist die Definition des Denkens, aber nicht ein Satz, der eine Wahrheit als Inhalt enthielte oder der den Begriff der Unterscheidung als solcher ausdrückt.« (Philosophiegeschichte III; SW 20, S. 246.) 447 Nach Iber findet sich deshalb in der Reflexionslogik die »Grundlegung der Theorie des spekulativen Satzes« (Iber, Metaphysik absoluter Relationalität (1990), S. 264). 448 WdL I 1812/13; GW 11, S. 260. 449 Insofern gilt auch hier: »Der Kampf der Vernunft besteht darin, dasjenige, was der Verstand fixiert hat, zu überwinden.« (Enzyklopädie 1830 § 32; SW 8, S. 99.) 450 WdL I 1812/13; GW 11, S. 260. 444
380
Die spekulative Logik
könnte es nicht verschieden oder entgegengesetzt sein.451 Wenn alles verschieden voneinander wäre, wie der Satz vom Nichtzuunterscheidenden behauptet, so könnte A nicht gleich A sein und somit der Satz der Identität nicht gelten:452 »Die Annahme eines jeden von diesen Sätzen läßt die Annahme der andern nicht zu.«453 Diese Folgerung beruht auf der unwahren Voraussetzung des unreflektierten Denkens, die Grundsätze des Denkens besäßen absolute Gültigkeit – weil sie also »als absolute Denkgesetze aufgestellt werden«454. Weil der Anspruch auf Absolutheit erhoben wird, folgt unmittelbar, dass sie in jeder Hinsicht und uneingeschränkt gelten müssten. Wenn von »A« aber absolut und damit uneingeschränkt gelten soll, dass es in jeder Hinsicht absolut identisch mit sich ist, so bleibt kein Raum mehr für die im Satz des Nichtzuunterscheidenden behauptete Verschiedenheit. Der Satz der Verschiedenheit (»Alle Dinge sind verschieden.«; »Es gibt nicht zwei Dinge, die einander vollkommen gleich sind.«) ist insofern dem Satz der Identität entgegengesetzt, als dieser aussagt, dass A A überhaupt ist und nicht ein bestimmtes A. Im Satz der Verschiedenheit wird das A hingegen zu einem von anderen Verschiedenen erklärt und damit notwendig bestimmt.455 Als mit sich identisch ist das A 451
Hier spielt Hegel sicher auch auf Leibniz an, der Phililetes ausführen lässt: »Denn der Satz: Was dasselbe ist, ist nicht verschieden, ist noch leichter zu verstehen, als der allgemeine Satz des Widerspruchs.« (Neue Abhandlungen über den menschlichen Verstand (1704) I,1; LPW 3, S. 45.) Hierauf wendet Theophilus nicht ein, dass der Satz nicht stimme, sondern nur auf dem SdW basiere: »denn mir scheint, man nimmt sich mehr Freiheit, wenn man behauptet, daß A nicht B ist, als wenn man sagt, daß A nicht non-A ist. Und der Grund dafür, daß A nicht B ist, liegt eben darin, daß B das Merkmal non-A in sich schließt.« (46) 452 In jedem reflexiven Verhältnis, auch in »a = a«, ist ein Gegenstand zu sich selbst in ein Verhältnis gesetzt und muss deshalb zweimal repräsentiert sein. Außerdem liegt in der Gleichung »a = a« eine echte Beziehung vor. (Vgl. Stekeler-Weithofer, Verstand und Vernunft (1992), S. 158.) 453 WdL I 1812/1813; GW 11, S. 260. 454 WdL I 1812/1813; GW 11, S. 260. Bereits in der Phänomenologie (1807) kritisiert Hegel die Ansicht, die Denkgesetze sollten als etwas Festes und Absolutes gelten: »Diese absolute Wahrheit fixer Bestimmtheiten oder vieler verschiedener Gesetze, widerspricht […] der Einheit des Selbstbewußtseyns, oder des Denkens und der Form überhaupt. Was für festes an sich bleibendes Gesetz ausgesagt wird, kann nur ein Moment der sich in sich reflectirenden Einheit seyn, nur als eine verschwindende Größe auftreten. […] In ihrer Wahrheit, als in der Einheit des Denkens verschwindende Momente, müßten sie als Wissen, oder denkende Bewegung, nicht aber als Gesetze des Wissens genommen werden.« (GW 9, S. 168.) 455 Die Antinomie, die in den Sätzen »A = A« und »A = B« liegen soll, ist nach Hegel »der höchst mögliche Ausdruk der Vernunft durch den Verstand« (Differenzschrift (1801); GW 4, S. 26). Im ersten Satz wird die Identität des A ausgesagt, wobei aber eine Differenz
Hegels Begründung der Grundsätze des Denkens und des Widerspruchs
381
völlig unbestimmt, als Verschiedenes ist es bestimmt, insofern die Verschiedenheit seine eigene Bestimmung ist: »es hat nicht mehr nur die Identität mit sich, sondern auch eine Negation, somit eine Verschiedenheit seiner selbst von sich an ihm.«456 Hegel selbst hebt aber die Voraussetzung für den Widerspruch zwischen den Grundsätzen in mehrfacher Weise auf: zum einen taucht hier wieder die schiefe Voraussetzung auf, die Grundsätze des Denkens wären wie Qualitäten Beschaffenheiten, die an allem auftreten, was ist. Zum anderen wird aber die unbedingte Gültigkeit in zweifacher Hinsicht aufgehoben: Einerseits begründet Hegel die Grundsätze ja in den Reflexionsbestimmungen. Diese selbst sind wiederum vermittelt in ihrer unmittelbaren Gültigkeit. Andererseits setzt er die Reflexionsbestimmungen in ein bestimmtes Verhältnis zueinander und zeigt ihr Scheinen ineinander auf. 4. Die letzte Unwahrheit der Grundsätze des Denkens betrifft die unmittelbare Gewissheit, die die formale Logik ihnen zuschreibt. Es wird vorausgesetzt, dass sie »allem Denken zum Grunde liegen, an ihnen selbst absolut und unbeweisbar seyen, aber von jedem Denken, wie es ihren Sinn fasse, unmittelbar und unwidersprochen als wahr anerkannt und angenommen werden.«457 Damit wird aber der Grund für die Geltung dieser Gesetze gerade nicht oder auf ganz falsche Weise befragt. Man behauptet einfach, dass jeder dieser Sätze, »als unmittelbar klar durch sich selbst, keiner andern Begründung und Beweises bedürfe.«458 Die Begründungen, die gegeben werden, sind allesamt unzulänglich:
vorliegt, im zweiten Satz die Differenz, wobei Identität vorliegt. »A = A enthält die Differenz des A als Subjekts und A als Objekts, zugleich mit der Identität, so wie A = B die Identität des A und B mit der Differenz beyder.« (26) Der SvG ist die Beziehung beider. 456 WdL I 1812/1813; GW 11, S. 270. Hegel macht den Gedanken, dass die Grundsätze des Denkens sich widersprechen, auch dadurch deutlich, dass er sie als Prädikationen fasst, in denen »Allem« als Subjekt einmal die Identität, ein andermal die Verschiedenheit beigelegt wird: »Hier wird Allem das entgegengesetzte Prädikat von der ihm im ersten Satze beigelegten Identität gegeben, also ein dem ersten widersprechendes Gesetz gegeben.« (Enzyklopädie 1830 § 117; SW 8, S. 240.) Natürlich kann man einwenden, dass es so nicht gemeint ist und die Verschiedenheit einer Sache nur in Relation zu einer anderen zukommt: das sagt Hegel selbst. Damit wird die Verschiedenheit aber nur zu einer äußerlichen Hinsicht, die der Sache nur durch Bezugnahme eines Dritten zukommt. »Dann aber gehört auch die Verschiedenheit nicht dem Etwas oder Allem an, sie macht keine wesentliche Bestimmung dieses Subjekts aus […].« (240) Auch das würde Hegel in gewisser Weise zugestehen: wesentlich kommt einer Sache nämlich nur der bestimmte Unterschied zu. 457 WdL I 1812/1813; GW 11, S. 258. 458 WdL I 1812/1813; GW 11, S. 263.
382
Die spekulative Logik
Die Berufung auf die Erfahrung jedes Bewusstseins, dass jedes diesen Satz zugeben würde, kann keinen Grund abgeben für die Gültigkeit des Satzes der Identität. Wer sich darauf beruft, hat nämlich gar nicht das Experiment gemacht, ob es tatsächlich von jedem Bewusstsein anerkannt würde, dass »A = A« gilt. So ist diese Begründung bestenfalls eine »Versicherung, daß wenn man die Erfahrung machte, sich das Resultat des allgemeinen Anerkennens ergeben würde.«459 Das wiederum kann nur bedeuten, dass entweder die Gültigkeit bereits vorausgesetzt wird oder ein bloß induktiver Schluss vorliegt, bei dem dann jedoch die Unbedingtheit verloren gehen würde. Daraus, dass sich eine Sache bisher immer so verhielt, also bisher niemand den Satz leugnete, folgt ja eben nicht mit Notwendigkeit, dass sie sich weiterhin immer so verhalten wird, sondern nur eine gewisse Wahrscheinlichkeit. Meint man jedoch, dass jedes Bewusstsein notwendig diese Erfahrung machen muss, dann muss diese Behauptung einen anderen, der Erfahrung vorhergehenden Grund haben. Dieser Grund wäre der Grund für die unbedingte Geltung der Grundsätze des Denkens, woraus dann erst die Behauptung folgen dürfte, dass jedes Bewusstsein die Erfahrung von der Gültigkeit der logische Gesetze machen müsste.460
2.2.1.2. Das Identitäts- und Widerspruchsprinzip als bestimmte Grundsätze betrachtet Die bisherigen Ausführungen betrafen den allgemeinen Status aller so genannten Grundsätze des Denkens. Nun sollen das Identitäts- und Widerspruchsprinzip in ihrer Besonderheit untersucht werden. Beide werden als »die allgemeinen Denkgesetze«461 behauptet, weil sie beide Ausdruck der Identität sind, die als wesentliche Bestimmung von allem prädiziert werden kann. Die für den Satz der Identität sowie des Widerspruchs spezifische Unwahrheit besteht darin, dass die gemeine Logik sie selbst und die Identität missversteht. Sie fasst die Identität nämlich im Sinne einer abstrakten Identität auf. Die abstrakte Identität versteht Hegel dabei als Produkt der Abstraktion, zu dessen Bildung vom Entgegengesetzten abgesehen wurde. Insofern ist dieses Produkt durch das Entgegengesetzte bedingt. Auch in dem Satz »A
459
WdL I 1812/1813; GW 11, S. 263. Insofern ist es völliger Unsinn zu behaupten, Hegel wäre der Ansicht gewesen, »die Dialektik sei die wahre Beschreibung des tatsächlichen Schluß- und Denkvorganges« (Popper, Was ist Dialektik? (1940), S. 279). 461 Enzyklopädie 1830 § 115; SW 8, S. 237. 460
Hegels Begründung der Grundsätze des Denkens und des Widerspruchs
383
= A« »wird von aller Ungleichheit abstrahirt«462. Nur abstrahiert die gemeine Logik eben noch einmal von diesem Akt des Absehens selbst. Die spekulative Logik hingegen versteht die Reflexionsbestimmung der Identität als eine Negation der Negation. Diese ist die sich herstellende Identität. Die Unwahrheit der Grundsätze ist also begründet durch die Unwahrheit der abstrakten Identität, die sich nicht als abstrakte Identität versteht. Aber wenn man die Sätze angemessen versteht, so zeigt sich in ihnen auch die vernünftige Identität. 1. Der Satz der Identität ist so auch zunächst der Ausdruck der leeren Tautologie, die ohne Inhalt ist. Es soll eben nur die Identität von etwas mit sich selbst ausgesagt werden. Das Verständnis von Identität, das dabei zu Grunde liegt, impliziert bereits, dass sie der Verschiedenheit entgegengesetzt ist. Denn die Tautologie wird erst dadurch zur Tautologie, dass sie nicht ein vom Subjekt verschiedenes Prädikat von diesem aussagt. Damit wird behauptet, dass die Identität und die Verschiedenheit verschieden seien. Diese Verschiedenheit von der Verschiedenheit soll nun nach Hegel nicht irgendeine Eigenschaft der Identität sein, sondern sie wesentlich zu dem machen, was sie ist. Bei beliebigen Unterscheidungen oder Absprechungen könnten diese der Sache noch ganz äußerlich bleiben. Aber diese Verschiedenheit von der Verschiedenheit macht die Identität erst zur Identität. Auch für das gemeine Bewusstsein ist also die Identität durch Verschiedenheit nicht nur kontaminiert, sondern wesentlich bestimmt, nur achtet es nicht auf diesen die Identität erst konstituierenden Vorgang. 2. Auch unter einem anderen Gesichtspunkt sieht Hegel das gemeine Bewusstsein die Identität bereits unreflektiert auf die Verschiedenheit beziehen, nämlich wenn es den Satz der Identität als bloß formalen Satz behauptet, der noch auf einen Inhalt bezogen werden muss und der somit nur »die formelle eine abstracte, unvollständige Wahrheit enthalte«463. Damit zeige es nämlich, dass die Wahrheit nur in einer Einheit der Identität mit der Verschiedenheit bestehen kann. Der Satz bringt erst dadurch etwas Wahres hervor, dass er auf einen von ihm verschiedenen Inhalt bezogen wird. Seine Identität wird vom Bewusstsein als eine unvollkommene, weil bloß einseitige verstanden. Ihm schwebt also die »Totalität, an der gemessen die Identität unvollkommen ist, 462
Differenzschrift (1801); GW 4, S. 24 f. Dieser Gedanke, dass die abstrakte Identität, das heißt eine Identität, die durch Abstraktion entstanden ist, zugleich durch ihr Entgegengesetztes bedingt ist, findet sich also bereits in der Differenzschrift. Etwa zur gleichen Zeit schreibt Hegel über die abstrakte Verstandesidentität: »Die Identität, so er [der Verstand; S. Sch.] aufstellt, ist nur Negation, Ausschließung des Entgegengesetzten, dieser Versuch verunglückt aber immer – und die Identität ist also nie Identität.« (Hauptideen von Hegels Vorlesung über Logik und Metaphysik 1801/02; ed. Troxler, S. 63.) 463 WdL I 1812/1813; GW 11, S. 262.
384
Die spekulative Logik
als das Vollkommene dem Gedanken vor«464. Hiermit verknüpft ist das Argument, dass der Satz in seiner Anwendung als Identisches bereits auf eine Mannigfaltigkeit bezogen ist, die von ihm verschieden ist: seine Anwendung ist »Beziehung des einfachen Identischen auf ein von ihm verschiedenes Mannichfaltiges.«465 In jeder Erfahrung kommt nur die mit der Verschiedenheit vereinigte Identität vor. Das gewöhnliche Bewusstsein täuscht sich also über sich selbst. Es hält das für wahr, was sich nicht widerspricht und was einfach ist. Der sich selbst gleiche Satz ist die Tautologie, deshalb glaubt es an ihr eine unbedingte Wahrheit gefunden zu haben. Diese sagt aber gar nichts. Wo etwas gesagt werden soll, müssen Subjekt und Prädikat verschieden sein und sie sind, »indem ihre Verschiedenheit zum Bewußtsein kommt, Widersprechende. Das gemeine Bewußtsein ist aber dann am Ende; wo es Widerspruch findet, findet es nur die Auflösung, das Sich-Aufheben.«466 Dabei ist jedoch nur die Einheit Entgegengesetzter das Wahre. Geht die formale Logik, die den Satz von der abstrakten Identität behauptet, tatsächlich von der Erfahrung aus, so muss sie von der Erfahrung und der in ihr mit der Identität gegebenen Differenz wieder absehen und die Erfahrung gerade verändern. Das ist nun natürlich kein Argument gegen die abstrakte Identität: denn darin besteht eben Abstraktion, dass sie das Gegebene irgendwie verändert. Nur kann man sich nicht einerseits auf die Erfahrung berufen, um damit das Konzept der abstrakten Identität zu begründen, dann aber einen für die Erfahrung von Identität konstitutiven Aspekt ausblenden. Mehr noch wird dieser Akt der Abstraktion für Hegel zu Unrecht als etwas der Identität ganz Äußerliches und zu Vergessendes verstanden. Der negative Bezug auf das Andere seiner selbst ist gerade bestimmend für die konkrete Identität. Versteht man also den Satz der Identität als Produkt einer Abstraktion von konkreten Anwendungen dieses Satzes, aus denen er entwickelt wird, so könnte mit seiner Unmittelbarkeit und Allgemeinheit wiederum nur gemeint sein, dass er implizit allen diesen Äußerungen zu Grunde liegt. Dann ist aber bereits Differenz impliziert: denn dann wird die Identität auf eine von ihm verschiedene Mannigfaltigkeit angewendet und bezogen. Damit läge nicht mehr abstrakte Identität, sondern Differenz vor. Die Erfahrung besteht also 464
WdL I 1812/1813; GW 11, S. 263. WdL I 1812/1813; GW 11, S. 263. Hier ist das Mannigfaltige nur verschieden von der Identität. In der Jenaer Logik ist Verschiedenheit noch das Viele. Gadamer sieht hierin noch eine engere (terminologische und konzeptionelle) Ähnlichkeit zwischen SdW und SdI und dem Parmenides Platons. (Vgl. Gadamer, Hegel und die antike Dialektik (1961); GGW 3, S. 10.) 466 Philosophiegeschichte I; SW I, S. 528. 465
Hegels Begründung der Grundsätze des Denkens und des Widerspruchs
385
gerade in der Einheit von Identität und Verschiedenheit, aber durch die Abstraktion, mittels derer der Satz gewonnen wird, wird von dieser Einheit abgesehen und es bleibt nur eine abstrakte Identität zurück. Die Identität als abstrakte kommt somit in der alltäglichen Erfahrung gar nicht vor, sondern Identität in Verbindung mit Differenz. Auch in der Erfahrung findet sich also die Einheit von Identität und Verschiedenheit. So wäre die Anwendung des Satzes der Identität vielmehr »die unmittelbare Widerlegung von der Behauptung, daß die abstracte Identität als solche etwas Wahres sey«467. Sätze der Form »Gott ist Gott.« meinen mitunter auch – aus Hegel’scher Perspektive – in schlechter Weise mehr, als sie zunächst zu sagen scheinen – mehr als die bloße Tautologie, dass Gott eben Gott ist. Vielmehr spricht so ein Satz »nach dem Princip der abstracten Identität des Verstandes«468 aus, dass Gott ebenfalls Identität unter Absehung von aller Differenz ist: »Er ist allein Sich selbst gleich, und außer Ihm ist Ihm Nichts gleich«469. Abstrakte Identität meint also eine Form der Identität, die die Differenz zum Verschwinden gebracht hat – und zwar in Form einer abstrakten Negation. Allerdings weiß sie nicht um diesen Abstraktionsprozess: »das Abstrahieren des Verstandes ist das gewaltsame Festhalten an einer Bestimmtheit, eine Anstrengung, das Bewußtsein der anderen [Bestimmtheit], die darin liegt, zu verdunkeln und zu entfernen«470 3. In der Langeweile und enttäuschten Erwartung, die Tautologien als ein Reden nach dem Satz der Identität beim Zuhörer hervorrufen, zeigt sich nach Hegel ebenfalls, dass der Unterschied in ihr auftaucht, um zum Verschwinden gebracht zu werden. Denn die Enttäuschung resultiert aus der Erwartung, dass im Prädikat eines Satzes etwas über das Subjekt desselben ausgesagt wird, was von diesem verschieden ist: »Wenn einer den Mund aufthut, und anzugeben verspricht, was Gott sey, nemlich Gott sey – Gott, so findet sich die Erwartung getäuscht, denn sie sah sich einer verschiedenen Bestimmung entgegen«471.
467
WdL I 1812/1813; GW 11, S. 264. Rezension Göschel (1829); GW 16, S. 193. 469 Rezension Göschel (1829); GW 16, S. 193. 470 Enzyklopädie 1830 § 89; SW 8, S. 194. 471 WdL I 1812/1813; GW 11, S. 264. In der Enzyklopädie 1830 § 115 heißt es ebenfalls: »Das Sprechen nach diesem seinsollenden Gesetze der Wahrheit (ein Planet ist – ein Planet; der Magnetismus ist – der Magnetismus; der Geist ist – ein Geist) gilt mit vollem Recht für albern; dies ist wohl allgemeine Erfahrung.« (SW 8, S. 237.) 468
386
Die spekulative Logik
Die Erwartung der Zuhörer ist aber nicht nur ein psychologisches Faktum, sondern in ihr spiegelt sich die Intention eines Satzes und in der Enttäuschung die dieser widersprechende Beschaffenheit der Tautologie. In ihr zeigt sich ein Widerspruch zwischen der Form des Satzes und seinem Inhalt. Denn Sätze als Sätze haben die Intention, etwas zu sagen. Wenn man anhebt mit »Die Pflanze ist«, so fordert der Satz, dass etwas Bestimmtes über die Pflanze gesagt wird. Das geschieht aber gerade nicht. Es kehrt dasselbe noch einmal wieder. Es wird damit nicht etwas über die Pflanze gesagt, was diese bestimmen würde, sondern nichts. Eine Tautologie der Art »Eine Pflanze ist eine Pflanze.« wird so zwar zugegeben, aber mit dem Hinweis, dass sie eben auch nichts sage. Ein Satz fordert als Satz eine Differenz zwischen Subjekt und Prädikat. Dem genügen identische Sätze aber nicht. Die Intention des Satzes und sein Resultat widersprechen sich: »Solches identische Reden widerspricht sich also selbst. Die Identität, statt an ihr die Wahrheit und absolute Wahrheit zu seyn, ist daher vielmehr das Gegentheil; statt das unbewegte Einfache zu seyn, ist sie das Hinausgehen über sich in die Auflösung ihrer selbst.«472 Dieser Widerspruch hat aber einen positiven Grund. Der Widerspruch zwischen Meinen und Sagen im nicht reflektierten Gebrauch des Satzes der Identität gründet in der negativen Bewegung der Identität, der Vermittlung mit sich selbst.473 Die abstrakte Identität oder Verstandesidentität meint gerade, dass die Bestimmungen einer Sache zum Verschwinden gebracht, dass von der Bestimmtheit einer Sache abgesehen wird. Deshalb wird in der bloßen Tautologie, die der Verstandesidentität gemäß ist, auch nichts prädiziert: »Gott ist … Gott«, »eine Blume ist … eine Blume«.474 Hegel bringt nun die Unwahrheit des Satzes der Identität dadurch in seine Wahrheit, dass er das unterreflektierte Moment des abstrakten Satzes, nämlich seine negierende Bewegung, zur Geltung bringt. In dieser negierenden Bewegung besteht nämlich seine Wahrheit. Das gemeine Bewusstsein und die gemeine Logik 472
WdL I 1812/1813; GW 11, S. 264. Vgl. etwa auch Iber, Metaphysik absoluter Relationalität (1990), S. 274. 474 Diese »Abstraktion, dieses Versenken in den Abgrund der Verstandesidentität« (Philosophiegeschichte I; SW 18, S. 299), deren Prinzip das Prinzip der Identität »A ist A« ist, kann auch Ergebnis einer Dialektik sein, wie sie Hegel in der eleatischen Dialektik zu finden glaubt, die deshalb »metaphysisches Räsonnement« (299) ist: das Nichts ist Nichts und das Sein ist Sein und eines kann nicht ins andere übergehen. Damit werden dann Prädikate vom Sein negiert, sowie auch auf Grund bestimmter Voraussetzung von Gott Prädikate negiert werden. So sind auch die Eleaten noch bei dem negativen Ergebnis stehen geblieben, »daß durch den Widerspruch der Gegenstand ein Nichtiges ist.« (304) 473
Hegels Begründung der Grundsätze des Denkens und des Widerspruchs
387
haben jedoch kein Bewusstsein »über die negative Bewegung, als welche in diesen Behauptungen die Identität selbst dargestellt wird.«475 Der Satz der Identität bringt, von der gemeinen Logik unbemerkt, mehr zum Ausdruck als nur die abstrakte Identität – nämlich das Auftauchen und Verschwinden des Unterschiedes: »es liegt diese reine Bewegung der Reflexion darin, in der das Andre nur als Schein, als unmittelbares Verschwinden auftritt«476. Das Andere scheint auf, um im Auftauchen bereits zum Verschwinden gebracht zu werden. Denn im Satzanfang »A ist« hebt man an, um scheinbar etwas von »A« Verschiedenes vorbringen zu wollen, aber im zweiten »A« wird genau dieses Hinausgehen zu einem Verschiedenen zum Verschwinden gebracht und es wird zum A zurückgekehrt: »A ist – A; die Verschiedenheit ist nur ein Verschwinden; die Bewegung geht in sich selbst zurück. – Die Form des Satzes kann als die verborgene Nothwendigkeit angesehen werden, noch das Mehr jener Bewegung zu der abstracten Identität hinzuzufügen.«477 Interesse hat nur die Form dieses Satzes, der Inhalt ist unnütz und hat keine Bedeutung. Aus der Form erfahren wir etwas über die Identität, sie ist so der eigentliche Inhalt des Satzes. Wir wüssten auch nicht mehr über die Identität, wenn wir »Identität« für »A« einsetzen würden. Der Satz zeigt, dass »diese Identität das Nichts, daß sie die Negativität, der absolute Unterschied von sich selbst ist.«478 Im Satz des Widerspruchs kommt anders als in dem der Identität diese Negativität bereits durch dessen negative Form zum Ausdruck: »A kann nicht zugleich A und Nicht-A seyn«479. Dass der Satz des Widerspruchs ein anderer Ausdruck der Identität sein kann, ist überhaupt nur dann verständlich, wenn Identität bereits Negativität impliziert. Denn sonst könnte ein Satz mit negativer Form nicht als ihr angemessener Ausdruck fungieren. Die »Form der Negation«480 kommt nur dadurch in den Satz, dass Identität Negativität ist – nämlich sich auf sich beziehende Negativität. Der Satz des Widerspruchs ex-
475
WdL I 1812/13; GW 11, S. 263. WdL I 1812/13; GW 11, S. 264. 477 WdL I 1812/13; GW 11, S. 264. 478 WdL I 1812/13; GW 11, S. 265. 479 WdL I 1812/13; GW 11, S. 265. 480 WdL I 1812/13; GW 11, S. 265. 476
388
Die spekulative Logik
pliziert im Gegensatz zu dem der Identität die Negativität, die die Reflexionsbewegung der Identität ausmacht.481 Die Negation hat dabei eine bestimmte Form – nämlich die Unbestimmtheit. Im Satz des Widerspruchs ist nicht nur das A ausgesprochen, sondern auch das Nicht-A und zwar als »das Rein-Andre des A«482. Dieses taucht auf, um zum Verschwinden gebracht zu werden. Im Satz des Widerspruchs ist die Identität explizit »als Negation der Negation«483 ausgedrückt: als einfache und unbestimmte. Das Non-A ist das einfache Andere des A. »A und Nicht-A, sind unterschieden, diese unterschiednen sind auf ein und dasselbe A bezogen. Die Identität ist also als diese Unterschiedenheit in Einer Beziehung oder als der einfache Unterschied an ihnen selbst hier dargestellt.«484 Hier zeigt sich, dass Hegel den Satz des Widerspruchs als Satz von kontradiktorischen Gegensätzen deutet: denn das »Nicht-A« ist nicht ein bestimmtes »Nicht-A«, sondern das schlechthin Unterschiedene, also das, was in einem ganz unbestimmten Sinne nicht »A« ist. Einfache Negation meint hier das kontradiktorische Entgegengesetztsein. Insofern ist die Deutung Hegels angemessen, der Satz enthalte »nicht allein das Andre derselben [der leeren Gleichheit; S. Sch.] überhaupt, sondern sogar die absolute Ungleichheit, den Widerspruch an sich.«485 Er enthält die absolute Ungleichheit, denn das hier gemeinte »Non-A« ist mit »A« in keiner Beziehung gleich: es ist insofern absolut unterschieden. Und der Widerspruch an sich tritt ja im Widerspruchsprinzip als etwas auf, das zum Verschwinden gebracht wird: etwa wenn man den Satz als Verbot des Widerspruchs versteht.
481
Mit seiner Bevorzugung des SdW gegenüber dem SdI wendet sich Hegel auch gegen die Identitätsphilosophie Schellings und dessen Marginalisierung der Reflexion: Bei diesem ist der SdW nur die Brechung, in der die Identität der Reflexion gegeben sein kann. »Das Licht an sich ist ganz rein, und nur am Prisma trennt es sich in Strahlen. – So wird der Satz der Identität in der Reflexio zum Satze des Widerspruches.« (Vortrag 1801; ed. Troxler, S. 51.) Wolff deutet den SdW als den Satz vom sich auflösenden Widerspruch: Der objektive Widerspruch löst sich auf – »von Hegels Standpunkt aus ist der formallogische Satz vom ausgeschlossenen Widerspruch nichts als ein (auf die Ebene von sprachlichen Regeln oder ›Denkgesetzen‹ projizierter) Abklatsch dieses Gedankens.« (Wolff, Über Hegels Lehre vom Widerspruch (1986), S. 113.) Tatsächlich ist der Satz aber doch Ausdruck einer anderen Reflexionsbestimmung. 482 WdL I 1812/13; GW 11, S. 265. 483 WdL I 1812/13; GW 11, S. 265. 484 WdL I 1812/13; GW 11, S. 265. 485 WdL I 1812/13; GW 11, S. 265.
Hegels Begründung der Grundsätze des Denkens und des Widerspruchs
389
Wie das gewöhnliche Verständnis von beiden Grundsätzen des Denkens Ausdruck der abstrakten Verstandesidentität ist, so verstehen wir auch dank ihres spekulativen Verständnisses die spekulative Identität. Theoretischer Ausdruck der reinen Verstandesidentität, wie es der Naturrechtsaufsatz behauptet,486 ist der Satz des Widerspruchs nur in seinem unwahren Verständnis. Die Unwahrheit besteht also darin, dass sie als Sätze der abstrakten Identität verstanden werden und dass diese abstrakte Identität gleichzeitig als etwas Wahres gegen den Unterschied behauptet wird.487 Ihre Wahrheit besteht aber darin, dass sie mehr enthalten, als die gemeine Logik damit meint: nämlich den absoluten Unterschied und auch das Verhältnis desselben zur Identität. Der Satz »A = A« drückt das Wahre als einfache Gleichheit aus. Er hat notwendig den Unterschied als den reinen Schein an sich. Der Satz meint reine Identität mit Ausschluss von Differenz, als Satz ist sie in ihm aber unvermeidlich. Die Identität ist in diesem Satz in sich reflektiert, weil sie von der Differenz abgesetzt ist.488 So ist auch der spekulative Satz nicht nur das ganz Andere der Tautologie. Sie sind nicht gleichgültig voneinander verschieden. Die Bewegung, die im spekulativen Satz stattfindet, ist die Reflexion.489 Die Identität als Reflexionsbestimmung ist aber bereits die ganze Reflexion. Die Tautologie beschreibt so in ihrer Wahrheit die Bewegung des spekulativen Satzes. Die Tautologie ist Ausdruck der abstrakten Identität, der spekulative Satz der konkreten Identität.490 Ein Urteil oder auch ein Satz schließen den Unterschied von Subjekt 486
Vgl. Behandlungsarten des Naturrechts (1802 f.); SW 2, S. 460. Hegels Kritik an der abstrakten Verstandesidentität richtet sich – unter einem historischen Blickwinkel betrachtet – auch gegen Bardili. Bei diesem ist die Identität das Denken als Denken, das jeden Gegensatz von sich ausschließt. Wie die Differenz an das Denken nur durch die Materie herantritt, so der Gegensatz an die Identität, daß zur Identität etwas von außen herantritt. Diese Identität kommt in der Kopula jedes Urteils zum Ausdruck. (Vgl. S. 218 f.) Bardili nimmt im Gegensatz zu Hegel an, der SdI sei dem SdW vorgängig und bedeutender als dieser: »Sollte man vermuthen, daß Logiker das Identitätsgesez erst aus dem Saze des Widerspruchs hätten, folgern, mithin das Ausschliessen hätten vorher versuchen können, ehe noch etwas gesezt war? Sie konnten es; denn sie thaten’s, man sehe die neuesten Logiken alle. Der Grund? – weil die Sonne mit einem bloß negativen Kriterium aller Wahrheit – das heißt mit einer Sonnenfinsterniß, aufgegangen war.« (Grundriß der Ersten Logik (1800), S. 23 f.) 488 Vgl. Düsing, Identität und Widerspruch (1984), S. 329. 489 Vgl. Bubner, Strukturprobleme dialektischer Logik (1976), S. 47. 490 Düsing setzt den spekulativen Satz der Tautologie einfach entgegen: Im spekulativen Satz enthält das Prädikat den Wesensbegriff des Subjekts: es handelt sich um eine nichttautologische Identität. (Vgl. Düsing, Syllogistik und Dialektik (1986), S. 20.) Das ist aber ganz unzulänglich: denn der tautologische Satz, in seine Wahrheit gebracht, ist bereits mehr als das, was man gewöhnlich unter einer Tautologie versteht. Sie ist zwar nichts sa487
390
Die spekulative Logik
und Prädikat des Satzes ein. Aber die »Form des Satzes oder bestimmter des Urteils [ist] ungeschickt, das Konkrete – und das Wahre ist konkret – und Spekulative auszudrücken«491. Diese »Natur des Urtheils oder Satzes überhaupt«492 wird durch den spekulativen Satz zerstört. Mit dem Prädikat wird nicht über das Subjekt hinausgegangen, sondern im Prädikat wird das Subjekt in sich selbst zurückreflektiert. Das Denken geht in das Subjekt zurück. Das Prädikat soll im spekulativen Satz das Wesen des Subjekts ausdrücken. Die Form des Satzes, in der Subjekt und Prädikat verschieden voneinander sind, wird zerstört. »Als Satz ist das Speculative nur die innerliche Hemmung und die nichtdaseyende Rückkehr des Wesens in sich.«493 Wie die Substanz als Subjekt die Reflexion in sich selbst ist, so wird auch im spekulativen Satz das Subjekt in sich reflektiert. Der Begriff ist nicht »ein ruhendes Subjekt«, das unbewegt bleibt, und von dem Akzidenzien, die es trägt, prädiziert werden können. Vielmehr bewegt er sich und nimmt seine Bestimmungen in sich zurück. »In dieser Bewegung geht jenes ruhende Subject selbst zu Grunde; es geht in die Unterschiede und [den] Inhalt ein, und macht vielmehr die Bestimmtheit, das heißt, den unterschiednen Inhalt wie die Bewegung desselben aus, statt ihr gegenüberstehen zu bleiben.«494 Der philosophische Satz ist nicht eine schlichte Prädikation, sondern identischer Satz. Der Unterschied zwischen Subjekt und Prädikat soll aufgehoben werden. Der spekulative Satz soll kein Satz »im eigentlichen Sinne« sein. Die Kopula »ist« bekommt eine veränderte Bedeutung. Im spekulativen Satz wird nicht etwas von etwas ausgesagt, sondern die Bewegung des Übergangs des Denkens vom Subjekt in das Prädikat beschrieben. In ihm geht das Denken in sich selbst zurück.495 Der spekulative Satz ist damit nach Gadamer Ausdruck für Hegels Versuch,
gend, aber in einem positiven Sinne: im Sinne der Negation der Negation. Damit ist sie nicht mehr nur analytisch, sondern synthetisch: das gilt somit auch vom SdI. Nach Kulenkampff ist der spekulative Satz seiner Struktur nach antinomisch verfasst, als Urteil, das zugleich analytisch und synthetisch ist, als Tautologie, die zugleich mehr ist als bloße leere Tautologie. »Der spekulative Satz partizipiert sonach an beidem: am Nichtssagen (Tautologie) und am Etwas-Sagen (Urteil); er sagt aus eine Reflexion der Leere, der Sichselbstgleichheit zurückgebogen ist […]«. (45) Die Formel für diesen Sachverhalt sei »A = ~A«. Unter einer Antinomie versteht Kulenkampff eine »negative Selbstbeziehung« (81). 491 Enzyklopädie 1830 § 31; SW 8, S. 98. 492 Phänomenologie (1807); GW 9, S. 43. 493 Phänomenologie (1807); GW 9, S. 45. 494 Phänomenologie (1807); GW 9, S. 42 f. 495 »Das nun ist nach Hegel das Wesen der dialektischen Spekulation: nichts anderes zu denken als solche Selbstheit und damit das Selbstsein selbst zu denken, als das sich das Ich des Selbstbewußtseins immer schon weiß.« (Gadamer, Hegel und die antike Dialektik (1961); GGW 3, S. 15.)
Hegels Begründung der Grundsätze des Denkens und des Widerspruchs
391
rein zu denken, das Gedachte nur als es selbst zu denken. Die Bestimmung soll als sie selbst gedacht werden, »als das, was sie ist, bestimmt werden. Damit aber ist sie in sich selbst sowohl das Bestimmte wie das Bestimmende. Indem das Bestimmen sich auf sich selbst bezieht, ist das Bestimmte zugleich das andere seiner selbst. Damit aber ist es bereits zu dem in ihm selbst gelegenen Widerspruch zugespitzt und befindet sich in der Bewegung seiner Aufhebung […].«496
2.2.1.3. Die Identität ist die noch nicht in sich bestimmte Reflexion Identität ist »Beziehung-auf-sich«497. »Formelle oder Verstandesidentität ist diese Identität, insofern an ihr festgehalten und von dem Unterschiede abstrahiert wird.«498 Diese noch abstrakte Identität als einfache Beziehung auf sich ist das Prinzip des bloß verständigen Denkens. Ohne den Verstand und sein Prinzip käme es aber zu überhaupt keiner Bestimmtheit. Damit ein Gedanke »in seiner vollen Präzision«499 und nicht nur vage gedacht wird, bedarf es des Verstandes, der ihn bestimmt. Das verständige Denken und somit auch die abstrakte Identität als sein Prinzip sind ein notwendiges Moment des Denkens. Nur versteht der Verstand sein eigenes Prinzip und damit auch sich selbst nicht. Aber die Identität als Beziehung auf sich ist nicht nur das Prinzip des formellen Verstandes, sondern sie ist auch das Prinzip der Vernunft, die Bedingung für den »Fortgang von der einen Bestimmung zur anderen«500. Hegel unterscheidet also zunächst die formelle oder Verstandesidentität von der vernünftigen oder spekulativen Identität. Andererseits unterscheidet er die abstrakte Identität von der konkreten Identität, wobei in diesem Unterschied die abstrakte der Verstandesidentität und die konkrete der vernünftigen Identität zuzuordnen wäre. Dabei besteht eine gewisse Doppeldeutigkeit, insofern auch die vernünftige Identität vor ihrer Reflexion in sich gegenüber der in sich reflektierten Identität als abstrakt zu bezeichnen wäre. Deshalb verwende ich im Folgenden zunächst das Gegensatzpaar formelle vs. spekulative Identität. Spekulative Identität ist »einfache sich auf sich beziehende Negativität«501 – das heißt autonome Negation. Sie ist absolute Negation, als »die Negation, 496
Hegel und die antike Dialektik (1987); GGW 3, S. 15. Enzyklopädie 1830 § 113; SW 8, S. 234. 498 Enzyklopädie 1830 § 115; SW 8, S. 236. 499 Enzyklopädie 1830 § 80; SW 8, S. 171. 500 Enzyklopädie 1830 § 79; SW 8, S. 169. 501 WdL I 1812/13; GW 11, S. 261. 497
392
Die spekulative Logik
die unmittelbar sich selbst negirt«502. Die spekulativ aufgefasste Identität bleibt bei Hegel nicht einfach neben der formellen bestehen, sondern der formelle Begriff der Identität muss in ihrem spekulativen Begriff aufgehoben sein.503 Die Nichtigkeit der abstrakten Bestimmungen zu erweisen, ist nicht eine den Abstraktionen äußerliche Reflexion.504 Vielmehr besteht die objektive Dialektik gerade darin, durch Aufzeigen der diesen Abstraktionen immanenten Nichtigkeit »zur Nothwendigkeit des Concreten«505 zu gelangen. Die bloß formelle oder abstrakte Identität ist selbst eben nur ein abstraktes Moment der konkreten Identität.506 Nun ist ja bereits die Verstandesidentität auf Differenz bezogen. Das Denken einer isolierten Bestimmung setzt eine besondere Leistung des Verstandes voraus: »das Abstrahieren des Verstandes ist das gewaltsame Festhalten an einer Bestimmtheit, eine Anstrengung, das Bewußtsein der anderen [Bestimmtheit; S. Sch.], die darin liegt, zu verdunkeln und zu entfernen«507. Gerade diese Leistung bringt Hegel nun in seiner spekulativen Logik zur Geltung. Das Denken, das in der Identität nur die abstrakte Identität sieht, setzt sie – unbemerkt – in ein negatives Verhältnis zur Differenz. Denn die abstrakte Identität wird als eine Bestimmung verstanden, die nicht der Unterschied ist. Wer behauptet, die Identität sei nicht die Verschiedenheit, sagt damit schon, dass die Identität »verschieden von der Verschiedenheit«508 ist, und
502
WdL I 1812/13; GW 11, S. 261. Zwar mag der formallogische Begriff der Identität hinter dem des spekulativen Denkens zurückbleiben, trotzdem muss ersterer durch letzteren fundiert sein. Der Gedanke von Beierwaltes, »daß der Terminus Identität nicht nur ein formallogisches A = A, sondern eine Dignität des Seins insgesamt und von dessen Grund meint« (Beierwaltes, Identität und Differenz (1980), S. 105; vgl. zu dieser Kritik auch S. 209 f.), mag so zwar ebenso richtig sein, trotzdem – soll hier mehr als eine bloße Äquivokation vorliegen – müssen beide Sinne von Identität zusammenhängen. Mehr noch als etwa Schelling macht Hegel diesen Zusammenhang auch deutlich. 504 Dies war nach Hegel bei Jacobi in seiner Kritik an Kant der Fall. (Vgl. Über Jacobis Werke (1817); GW 15, S. 15.) 505 Über Jacobis Werke (1817); GW 15, S. 15. 506 So wendet Hegel etwa gegen die Stoiker ein, die die formelle Identität zum Kriterium der Wahrheit machten, dass eine höhere Identität gedacht werden müsse. »ihr Kriterium ist aber formell, es ist der Grundsatz des Widerspruchs. Im absoluten Wesen ist so auch kein Widerspruch; es ist sich selbst gleich, aber darum hohl. Die Übereinstimmung muß eine höhere sein. Im Anderen seiner selbst, im Inhalt, Bestimmung muß Übereinstimmung mit sich sein, – Übereinstimmung mit der Übereinstimmung.« (Philosophiegeschichte II; SW 19, S. 273.) 507 Enzyklopädie 1830 § 89; SW 8, S. 194. 508 WdL I 1812/13; GW 11, S. 262. 503
Hegels Begründung der Grundsätze des Denkens und des Widerspruchs
393
damit »daß die Identität ein Verschiedenes ist«509. Gerade indem man ihr Verschiedensein von der Verschiedenheit als die wesentliche Bestimmung der Identität festhält, behauptet man, dass sie wesentlich verschieden ist.510 Aber dieser Unterschied bleibt für den Verstand einfach nur äußerlich gegen die Identität bestimmt und keine Bestimmung innerhalb der Identität. Es wird zwar ein negativer Bezug hergestellt, indem die Vernunft wie ein Webstuhl gedacht wird, der Dinge durch das Absehen von der Ungleichheit einander gleichsetzt und durch Absehen von der Gleichheit einander ungleich setzt. Aber von diesem Akt des Absehens kann der Verstand ja »Gottlob!«511 noch einmal absehen. So herrscht ein »Mangel des Bewußtseyns über die negative Bewegung«512. Deshalb setzt das abstrakte Denken Identität und Differenz eben nur in ein Verhältnis des äußerlichen Nebeneinanders. Solange die Identität notwendig durch etwas bestimmt ist, was außerhalb ihrer selbst liegt, so kann sie keine selbständige Bestimmung sein, sondern bloß einseitige Bestimmtheit, die deshalb keine Wahrheit hat. Das verständige Denken sieht also davon ab, was es denken muss, um Identität zu denken. So bringt die Verstandesidentität den Unterschied gar nicht zum Verschwinden: denn er bleibt außerhalb der Identität bestehen und auch innerhalb, da hier ja Form und Inhalt auseinandertreten. Die Identität ist nicht nur als die abstrakte Identität, in der vom Unterschied abgesehen wird, sondern auch in ihrer hohen Bestimmung und Wahrheit zu verstehen.513 Das vernünftige Denken besteht nun nicht in einem »anderen« Denken, sondern in der Reflexion darauf, was das Denken investieren muss, wenn es einen Begriff oder eine Bestimmung denkt.514 Es achtet damit 509
WdL I 1812/13; GW 11, S. 262. Anders als in der Deutung des Widerspruchs als semantisch-pragmatischer Differenz ist das aber nicht nur eine Eigenschaft der Form des Begriffs Identität, sondern macht wesentlich seine Bedeutung aus. 510 Der Gedanke, dass Identität Verschiedenheit voraussetzt und umgekehrt ist für Gadamer evident. Deshalb sei den Reflexionsbestimmungen für das Verständnis der Dialektik ein Sonderstatus zuzuschreiben. Denn bei ihnen sei ihre Verflechtung am leichtesten einzusehen: »Jedermann weiß, daß Identität keine selbständige Bedeutung hätte, wenn nicht in der Selbigkeit auch die Unterschiedenheit impliziert wäre. Identität ohne Unterschied wäre absolut nichtig. So sind die Reflexionsbestimmungen das überzeugendste Argument für die innere Verkettung der Ideen miteinander.« (Die Idee der Hegelschen Logik (1971); GGW 3, S. 70.) 511 WdL I/1 1832; GW 21, S. 87. 512 WdL I 1812/13; GW 11, S. 263. 513 Vgl. Enzyklopädie 1830 § 115; SW 8, S. 238. 514 Dagegen behauptet Düsing, dass damit, dass die Identität ohne Verschiedenheit nicht gedacht werden kann, noch nicht impliziert sei, dass die Identität in sich der Unterschied oder die Verschiedenheit ist. Um diesen Gedanken zu begründen, müsse die widersprüchliche Struktur der Reflexion bereits vorausgesetzt werden. Und nur weil sich Gleich-
394
Die spekulative Logik
genau darauf, wovon das verständige Denken absieht. Dieses Tun setzt es in den Begriff: die Identität wird als absolutes Unterschiedensein vom Unterschiedensein gedacht. Die Identität ist so die autonome Negation als der autonome Unterschied. Sie ist Unterschiedensein, das sich nur auf sich selbst bezieht, ohne Bezug auf Unterschiedenes. So ist die Identität »die Unmittelbarkeit der Reflexion«515. Da die Identität sich nicht von etwas unterscheidet, das außerhalb ihrer selbst läge, sondern nur der Bezug des Unterscheidens auf sich selbst ist, also autonome Negation, ist sie nicht das Produkt einer abstrakten oder relativen Negation, sondern das »reine Herstellen aus und in sich selbst«516. Sie ist auch deshalb absolute Identität, weil sie gerade nicht etwas von ihr Unterschiedenes außerhalb ihrer selbst lässt, von dem sie absieht. Die Identität muss als absolute Negation, als einfache Negativität, die sich auf sich bezieht, gedacht werden: »die Negation, die unmittelbar sich selbst negirt; ein Nichtseyn und Unterschied, der in seinem Entstehen verschwindet, oder ein Unterscheiden, wodurch nichts unterschieden wird, sondern das unmittelbar in sich selbst zusammenfällt.«517 Nur als absolute Negativität ist die Identität Sichselbstgleichheit: das Anderssein und die Beziehung auf Anderes ist in die reine Sichselbstgleichheit verschwunden. Die Identität als Negation, die sich auf sich selbst bezieht: sie ist damit autonome Negation. Sie ist ein Unterscheiden, das sich auf sich selbst bezieht. Hegel fusioniert also wie in der Reflexion zwei Bestimmungen der Identität in eine einzige, die das Verstandesdenken getrennt hält: nämlich Identität als Unterschiedensein vom Unterschied und Identität als Selbstbe-
heit und Ungleichheit nur in Abhebung vom Anderen bestimmen lassen und sie ihre bestimmte Bedeutung erst durch die negative Beziehung auf das Andere erhalten, folge nicht, dass ihre jeweilige Bedeutung eine Einheit darstellt. Hegel habe überhaupt das positive Resultat des Widerspruchs in den Reflexionsbestimmungen nicht erwiesen, sondern setze dies in seinem Begriff der Reflexion bereits voraus – genauso wie er es bereits in der Seinslogik tue. Aber Düsing setzt in seiner Interpretation immer voraus, dass Hegel die formale Logik und das Widerspruchsprinzip überwinden wollte. Dies tut er nach Düsing, weil er einer bestimmten metaphysischen Theorie des Absoluten anhängt. In der Tat geht es Hegel in der Logik aber zunächst einmal darum, die logischen Bestimmungen zu denken und auseinander zu entwickeln. Dazu muss er keine Theorie der Koinzidenz der Gegensätze voraussetzen, sondern darlegen, was man denken muss, um etwa die Bestimmung der Identität zu denken. (Vgl. Düsing, Das Problem der Subjektivität in Hegels Logik (1976), S. 219–226.) 515 WdL I 1812/13; GW 11, S. 260. 516 WdL I 1812/13; GW 11, S. 260. 517 WdL I 1812/13; GW 11, S. 261.
Hegels Begründung der Grundsätze des Denkens und des Widerspruchs
395
zug. Nur sind beide noch völlig unbestimmt. Die Identität ist die sich selbst unmittelbar negierende Negation, also die selbstbezügliche Negation: es ist ein Unterscheiden, in dem nichts unterschieden wird, ein Unterschied, der nur auftaucht, um zum Verschwinden gebracht zu werden. Als autonome Negation kann aber dieses sich auf sich selbst beziehende Unterscheiden nicht ohne Resultat sein: denn im Unterscheiden wird ein Nichts gesetzt – das Nichtsein des Anderen überhaupt. Aber das wird als nichtseiend gesetzt und somit aufgehoben. Mit der Aufhebung der Andersheit verschwindet jedoch das Unterscheiden selbst. Denn die Voraussetzung, um einen Unterschied machen zu können, entfällt mit dem Anderen. Achtet man somit auf das, was hier geschieht, so ist das Unterscheiden eine Negativität, die sich auf sich selbst bezieht: der »reine, absolute Unterschied«518. Der Unterschied ist absolut, insofern er nicht auf etwas von ihm Verschiedenes bezogen ist und sich damit von allem Unterschiedensein unterscheidet. Mit diesem Unterschied ist die Identität identisch. Es gibt ja nichts, keine Bestimmung, in der sie sich unterscheiden könnten. Die Identität ist der Unterschied, der mit sich identisch ist. Das Resultat des in sich zusammenfallenden, sich auf sich selbst beziehenden Unterscheidens ist so der absolute Unterschied: der Unterschied vom Unterschiedensein schlechthin. Dieser absolute Unterschied ist nun wiederum doppelte Negation, aber im Sinne der klassischen doppelten Negation. Er ist durch das Nichtsein der Identität (als des sich auf sich selbst beziehenden Unterschiedes) identisch mit sich. Er ist nicht die Identität, sondern absolute Nichtidentität. Absolut bedeutet auch: er darf nichts von sich Verschiedenes enthalten. Eben dadurch ist der Unterschied absolut identisch mit sich. Absolut identisch ist er, weil er nicht in einer Bestimmung mit sich identisch ist, sondern schlechthin. Es gibt hier keinen bestimmten Unterschied zwischen Unterschied und Identität, weil es keine Bestimmung gibt, worin sie sich unterscheiden. Dazu müssten sie nämlich auf ein Anderes als sie selbst bezogen sein, in dem sie sich unterscheiden. Unterschieden sind hier nicht zwei Dinge, sondern der Unterschied selbst: »sich auf sich beziehende Negativität, als ein Nichtseyn, das das Nichtseyn seiner selbst ist; ein Nichtseyn, das sein Nichtseyn nicht an einem andern, sondern an sich selbst hat.«519 Denn der Unterschied, von dem der Unterschied im Sinne der klassischen doppelten Negation unterschieden ist, ist ja der Unterschied selbst. Der Unterschied bezieht sich nur auf sich selbst und ist deshalb einfacher Unterschied. Negativität ihrer selbst bedeutet hier, dass der negative Bezug auf sich selbst noch unbestimmt ist: der Unterschied 518 519
WdL I 1812/13; GW 11, S. 262. WdL I 1812/13; GW 11, S. 261 f.
396
Die spekulative Logik
überhaupt. Die Identität ist das Unterschiedene seiner von sich selbst: denn Identität ist das Unterschiedene vom Unterschied. Der Unterschied zwischen Identität und Unterschied ist einer, der eigentlich kein Unterschied ist. Die Identität muss erst in sich reflektiert und damit in sich bestimmt werden. »Die Identität als in sich konkrete«520, in der Unterschied und Identität als je ihr Anderes gegeneinander bestimmt sind, ist erst das Resultat des Scheinens der Reflexionsbestimmungen ineinander. Die Identität bleibt dabei aber der Grund der Reflexion in sich. So geht die Identität nicht in eine von ihr verschiedene konkrete Identität über, sondern sie geht in ihren Grund zurück: dieser Grund ist aber die Identität, die in sich reflektiert wird. So wird die Identität, was sie ohnehin schon war – nur als gesetzt. Das Wesen als Identität ist nämlich »die sich auf sich beziehende Negativität«521 und als solche enthält die Identität den Unterschied in sich. Identität ist das aufgehobene Sein, »Sein als Idealität«. Die Identität ist die ganze Reflexion, die absolute Negation der Negation: die »reine absolute Reflexion, welche die Bewegung von Nichts zu Nichts ist«522 und sich selbst weiterbestimmt. Die Identität ist die Reflexion, die »mit sich selbst zusammengehende Negation«523 ist: »Das Denken nun ist die Tätigkeit des Allgemeinen; das Allgemeine aber ist nicht als Abstraktum, ist das Sich-in-sich-selbst-Reflektieren, das Sichsich-Gleichsetzen. […] Indem nun so das Denken dies Allgemeine ist, das sich in sich reflektiert, in sich selbst bei sich selbst zu sein, so ist es diese Identität mit sich […].«524 Die Identität ist »das Wesen selbst, noch keine Bestimmung desselben; die ganze Reflexion«525. Identität und Unterschied sind gesetzt, insofern sie als das negativ aufeinander Bezogene gedacht werden. Aber dieser negative Bezug auf sein Negatives ist Selbstbezug, denn sie sind das Negative ihrer selbst als selbstbezügliche Negation: beide sind Reflexion in sich. Auch die spekulative Identität ist ihrer Bedeutung nach gegen den Unterschied bestimmt, der Unterschied ist dabei jedoch nicht etwas, was die Identität wie etwas ihr Äußeres bestimmt. Vielmehr wird sie durch den Unterschied in sich selbst bestimmt. Die »wesentliche Identität« ist so eine Identität, die sich nicht dadurch herstellt, dass sie in ein Anderes übergeht, sondern sich aus ihren eigenen Momenten herstellt. Der Unterschied wird in der vernünftigen Identität auf 520
Enzyklopädie 1830 § 115; SW 8, S. 237. Enzyklopädie 1830 § 116; SW 8, S. 239. 522 WdL I 1812/13; GW 11, S. 250. 523 WdL I 1812/13; GW 11, S. 250. 524 Philosophiegeschichte II; SW 19, S. 48. 525 WdL I 1812/13; GW 11, S. 261. 521
Hegels Begründung der Grundsätze des Denkens und des Widerspruchs
397
eine andere Weise zum Verschwinden gebracht werden als in der verständigen Identität, die sich zwar negativ auf den Unterschied bezieht, aber den Unterschied einfach so beiseite setzt, dass er außerhalb der Identität noch bestehen bleibt. Damit bleibt die Bedeutung der Identität abhängig von diesem Absehen von dem Unterschied und vom Unterschied, der etwas anderes als sie selbst ist.
2.2.2. Die Wahrheit des Widerspruchs Räumt Hegel also dem Satz der Identität und dem des Widerspruchs ihre Berechtigung ein, so behauptet er doch andererseits die Wahrheit des Widerspruchs. Die Behauptung, »daß es nichts widersprechendes gebe«526, ist nicht nur als unwahres, sondern als so falsches wie grundsätzliches Vorurteil der bisherigen Logik und des gemeinen Vorstellens zurückzuweisen. Vielmehr sollen alle Dinge an sich selbst widersprechend sein: »es ist überall gar nichts, worin nicht der Widerspruch, d. i. entgegengesetzte Bestimmungen aufgezeigt werden können und müssen«527. Hegel meint hier jedoch nicht, dass in jedem Gegenstand das gleichzeitige Vorhandensein und Fehlen einer Bestimmung aufgezeigt werden kann, sondern das Vorhandensein einander entgegengesetzter Bestimmungen. Es sei eine ganz allgemeine Erfahrung, dass in aller Erfahrung, in jedem Begriff und in allem Wirklichen der Widerspruch zu finden sei. Ebenso sei es auch eine ganz allgemeine Erfahrung, dass es viele Dinge und Institutionen gibt, die sich selbst widersprechen. Dies sei nun nicht bloß eine von außen herangetragene Feststellung an diese Dinge. Der Widerspruch kommt nicht dadurch zustande, dass ein Bewusstsein entgegengesetzte Bestimmungen einer Einrichtung mehr oder weniger willkürlich in Beziehung zueinander setzt. Vielmehr ist der Widerspruch in ihnen vorhanden. Der Widerspruch ist sogar die wesentlichere Bestimmung als die Identität, weil diese in den Widerspruch als in ihre Wahrheit übergeht.528 Im 526
WdL I 1812/13; GW 11, S. 286. Enzyklopädie 1830 § 89; SW 8, S. 194. »Weil die Möglichkeit zunächst gegen das Konkrete als Wirkliches die bloße Form der Identität-mit-sich ist, so ist die Regel für dieselbe nur, daß etwas sich in sich nicht widerspreche, und so ist alles möglich; denn allem Inhalte kann diese Form der Identität durch die Abstraktion gegeben werden. Aber alles ist ebensosehr unmöglich, denn in allem Inhalte, da er ein Konkretes ist, kann die Bestimmtheit als bestimmter Gegensatz und damit als Widerspruch gefaßt werden.« (§143; S. 282.) 528 Der Satz, »Alle Dinge sind an sich selbst widersprechend«, drückt nach Hegel »gegen die übrigen vielmehr die Wahrheit und das Wesen der Dinge [aus]«. (WdL I 1812/13; GW 11, S. 286.) So beschreibt auch Schlegel Phänomene, die die Existenz des Widerspruchs in 527
398
Die spekulative Logik
Widerspruch ist die Beziehung des Resultats der autonomen Negation, die klassische doppelte Negation, in den Selbstbezug der autonomen Negation zurückgenommen. Nicht die Identität, sondern der Widerspruch ist »die Wurzel aller Bewegung und Lebendigkeit«529: er ist der Ursprung von Trieb, Selbstbewegung und Tätigkeit. Der Widerspruch ist nicht nur etwas, was im Denken und in der Wirklichkeit zwar auftritt, aber doch selten ist. Dann hielte man ihn nämlich immer noch »für eine Zufälligkeit, gleichsam für eine Abnormität und vorübergehenden Krankheitsparoxysmus«530. Hegel hingegen zeigt in Entsprechung zur klassischen Triade esse – vivere – intelligere, dass diese drei Weisen der Wirklichkeit in ihrer jeweils höchsten Form den Widerspruch zu Grunde liegen haben: das Sein als Bewegung, das Leben als Trieb und das Erkennen als spekulatives Denken: Der Widerspruch ist das Prinzip jeder Form von Bewegung. So bezeichnet Hegel die sinnliche Bewegung als »daseyende[n] Widerspruch«531, als »sein unmittelbares Dasein«. In der Bewegung ist etwas »in einem und demselben Itzt hier und nicht hier, indem es in diesem Hier zugleich ist und nicht ist«532. Die Bewegung ist der Widerspruch im nicht lebendigen Sein. Bei den lebendigen Wesen ist der Widerspruch ebenso die für das Lebendige eigentümliche Bewegung: die Selbstbewegung oder der Trieb. Dieser besteht darin, »daß Etwas in sich selbst, und der Mangel, das Negative seiner selbst, in einer und derselben Rücksicht ist.«533 Das Lebendige ist eigenständig, bedarf jedoch gleichzeitig in derselben Hinsicht des Anderen zu seiner Selbsterhaltung. Weil das Selbständige in seiner Selbst- und Eigenständigkeit unselbständig ist, geht es aus sich heraus und setzt sich selbst in Veränderung. Das Lebendige muss diesen Widerspruch aushalten können oder zu Grunde gehen. Das Erkennen in seiner Vollkommenheit ist spekulatives Denken: hier liegt ebender Wirklichkeit zum Ausdruck bringen: »das im gemeinen Leben gebräuchliche und durch die Erfahrung gelehrte Prinzip, daß das Leben und überhaupt alles auf Widersprüchen beruht – dann der ähnliche Satz der Physik, daß auch in der Natur alles auf Gegensätzen beruhe, und durch Gegensätze bestehe, – noch mehr aber die Widersprüche über ein und dasselbe Objekt in mehreren Wissenschaften und in verschiedenen Systemen« (Philosophische Vorlesungen (1800–1807); KFSA XII, S. 321). Was Schlegel aber nicht leistet, ist zum einen zu zeigen, ob hier ein Widerspruch in der Sache vorliegt und wie sich der Widerspruch von Differenz und Gegensatz unterscheidet, und andererseits wie er spekulativ aufgehoben werden kann. 529 WdL I 1812/13; GW 11, S. 286. 530 WdL I 1812/13; GW 11, S. 287. 531 WdL I 1812/13; GW 11, S. 287. 532 WdL I 1812/13; GW 11, S. 287. 533 WdL I 1812/13; GW 11, S. 287.
Hegels Begründung der Grundsätze des Denkens und des Widerspruchs
399
falls Selbstbewegung vor, weil sich die Bestimmungen des Denkens darin selbst untersuchen und nicht nur über einen dem Denken von Außen gegebenen Inhalt räsoniert wird. Im spekulativen Denken wird der Widerspruch nicht nur als etwas, das ihm selbst ganz fremd ist, das es bloß als abstrakte Andersheit fassen kann, aufgefasst, sondern es hält sich im Widerspruch selbst fest. Damit erst kann das Denken den Widerspruch beherrschen. Das Vorstellen hingegen lässt sich vom Widerspruch beherrschen, weil es sich durch den Widerspruch seine Bestimmungen auflösen lässt. So ist es die Selbständigkeit, in der der Widerspruch eigentlich besteht. Selbständige Bestimmungen sind an ihnen selbst bestimmt, gleichgültig gegen ihr Anderes und schließen dieses aus. Gleichgültig selbständig kann eine Bestimmung aber nur dadurch sein, dass die Beziehung auf ihr Anderes und das Andere selbst ihr eigenes Moment geworden ist: denn bestimmt ist sie überhaupt nur durch das ihr Entgegengesetzte, das sie nicht ist. Somit ist sie abhängig von demjenigen, durch das sie bestimmt ist. Somit ist sie nicht selbständig. Selbständigkeit heißt nämlich, nicht auf ein Äußeres bezogen zu sein. Für einen Begriff muss Selbständigkeit heißen, dass er gedacht werden kann, ohne dass er eines ihm äußerlichen Anderen bedarf, damit er gedacht werden kann. Ein bestimmter Begriff kann aber nur dadurch gedacht werden, dass er bestimmt ist, und das heißt eben, dass er gegen seinen Gegenbegriff bestimmt ist. Müsste dieser nun notwendig außerhalb des zu denkenden Begriffs liegen, so wäre er nie selbständig zu verstehen. Ist das einer Bestimmung Entgegengesetzte, durch das sie bestimmt wird, aber ihr eigenes Moment, dann ist die Bestimmung selbständig. Die Selbständigkeit einer Bestimmung besteht somit darin, dass sie das Andere ihrer selbst, durch das sie bestimmt wird, in sich selbst zurückgenommen hat – also in der Vollendung der autonomen Negation, die die klassische doppelte Negation in sich zurückgenommen hat.
2.2.2.1. Der Widerspruch als Reflexionsbestimmung Identität und Unterschied sind erst dadurch bestimmte Identität und bestimmter Unterschied, dass sie auf ihr jeweilig Anderes bezogen sind. Dadurch, dass die Identität verschieden vom Unterschied ist, ist sie erst als Identität bestimmt und umgekehrt. Solange nun das Andere ihrer selbst (also für die Identität der Unterschied und für den Unterschied die Identität) außerhalb ihrer selbst liegt und etwas ist, wogegen sie nur bestimmt sind, sind sie abhängig von etwas, das ihnen äußerlich gegeben ist.
400
Die spekulative Logik
Identität und Unterschied müssen also, um selbständig zu sein, das Andere ihrer selbst in sich selbst enthalten. Da es sich bei Identität und Unterschied aber um Relationen handelt, also um bloße Beziehungen, muss ihr Selbstbezug gleichzeitig der Bezug auf das Andere ihrer selbst sein. Jedes ist dann der ganze, in sich geschlossen Gegensatz: »Als dieses Ganze ist jedes vermittelt durch sein Anderes mit sich, und enthält dasselbe.«534 Da die Bestimmung eines Begriffs aber darin besteht, nicht das Andere zu sein, es also von sich auszuschließen, kann der Bezug nur ein negativer sein, der Gegenbegriff muss deshalb ausgeschlossen werden. Die Selbständigkeit besteht also zum einen im Enthalten des Anderen, um nicht von diesem abhängig zu sein, gleichzeitig aber im Selbstsein – und deshalb im Ausschluss der ihr negativen Bestimmung. Da es sich hier aber um Relationen handelt, müssen der Ausschluss und das Enthalten des Anderen wiederum fusioniert werden. Der Akt des Enthaltens muss damit ein negativer Bezug und ein Ausschließen des Negativen seiner selbst sein. Die Bestimmung ist also dadurch selbständig, dass sie das Konstituens ihrer Selbständigkeit, nämlich den negativen Bezug auf das Andere ihrer selbst, zugleich von sich selbst ausschließt.535 Denn dieser negative Bezug auf das Negative war ja das Andere ihrer selbst. Die selbständigen Seiten des Widerspruchs sind das Positive und das Negative: diese sind im Widerspruch an ihnen selbst positiv und negativ. Dazu muss jedes »die Beziehung auf sein anderes Moment an ihm selbst«536 haben. Jeder Begriff ist damit zugleich durch sein Anderes und durch »das Nichtseyn seines Andern«537 mit sich selbst vermittelt. Da der äußere Bezug der klassischen doppelten Negation in den Selbstbezug der autonomen Negation zurückgenommen ist, ist der ausschließende Bezug (nicht das Andere seiner selbst zu sein) in derselben Hinsicht der Selbstbezug (das Andere seiner selbst zu sein). Die selbständigen Bestimmungen enthalten ihr Anderes in derselben Beziehung, in der sie es ausschließen. Die Identität ist also erst 534
WdL I 1812/13; GW 11, S. 279. »Es ist eine der wichtigsten Erkenntnisse, diese Natur der betrachteten Reflexionsbestimmungen, daß ihre Wahrheit nur in ihrer Beziehung auf einander, und damit darin besteht, daß jede in ihrem Begriffe selbst die andere enthält, einzusehen und festzuhalten; ohne diese Erkenntniß läßt sich eigentlich kein Schritt in der Philosophie thun.« (285) 535 Für diesen Gedanken muss man aber nicht auf die Differenzierung von Bedeutungsund Eigenschaftsebene rekurrieren, eine Differenzierung, auf die man dementsprechend auch verzichten kann. 536 WdL I 1812/13; GW 11, S. 279. 537 WdL I 1812/13; GW 11, S. 279.
Hegels Begründung der Grundsätze des Denkens und des Widerspruchs
401
dadurch selbständig, dass sie den ihr entgegengesetzten Unterschied in derselben Beziehung enthält, in der sie ihn ausschließt. Das Ausschließen selbst ist aber der Unterschied. Ausschließen und Ausgeschlossenes unterscheiden sich nicht.538 Der Widerspruch der selbständig gewordenen Reflexionsbestimmung besteht also darin, durch das Sein und Nichtsein des Anderen, das Enthalten und Ausschließen des Anderen in derselben Rücksicht vermittelt zu sein. Damit schließt das, was die Selbständigkeit überhaupt erst konstituiert, eben diese Selbständigkeit zugleich wieder aus. Die Selbständigkeit besteht nur im Enthalten des Anderen, denn nur dadurch ist sie nicht auf Äußeres bezogen. Aber sie selbst ist sie auch nur, wenn sie ihr Anderes ausschließt. Der Widerspruch besteht darin, das Andere seiner selbst zu enthalten und dadurch selbständig zu sein, dieses aber von sich auszuschließen und damit zugleich seine eigene Selbständigkeit von sich auszuschließen. Das Entgegengesetzte enthält sein Anderes, ist durch sein Anderes und gleichzeitig durch das Nichtsein des Anderen und Ausschließen des Anderen vermittelt. Die Seiten des Widerspruchs, das Positive und das Negative, gleichen sich damit darin, dass in ihnen jeweils die autonome Negation und die klassische doppelte Negation fusioniert sind: sie unterscheiden sich aber gewissermaßen in ihrer Richtung. Erst dadurch ist das Positive an und für sich das Positive und das Negative an und für sich das Negative. Das Positive ist die autonome Negation, die den Bezug auf das Äußere der klassischen Negation in sich zurückgenommen hat: Es ist das »Gesetztseyn als in die Gleichheit mit sich reflectirt, das Gesetztseyn, das nicht Beziehung auf ein anderes ist«539: das Gesetztsein als der negative Bezug auf etwas ist nur dadurch in die Gleichheit mit sich reflektiert, dass es auf sich selbst bezogen ist. Es ist also autonome Negation. Damit ist es aber ein Gesetztsein, das das Gesetztsein gerade von sich ausschließt, denn Gesetztsein besteht darin, ein Anderes nicht zu sein. Damit ist das in die Gleichheit mit sich reflektierte Gesetztsein (das Positive) zur »Beziehung eines Nichtseyns«540 – nämlich zum Nichtsein des Gesetztseins und damit wiederum selbst zu einem Gesetztsein geworden. Indem es das Negative von sich ausschließt, macht das Positive sich also zu einem Negativen. Damit wird es aber zu dem Anderen, das es von sich ausschließt. In der ausschließenden Reflexion setzt das Positive das Andere, das es als Positives gerade ausschließen wollte – nämlich das Negative. Es setzt damit eben dasjenige, durch das es selbst ausgeschlossen wird. 538
Das liegt wiederum an der Selbständigkeit der zu denkenden Bestimmung: denn wenn diese Beziehungen von der Bestimmung verschieden wären, dann bräuchte es wieder eines außer ihm liegenden Gedankens, um sie in ein Verhältnis zu setzen. 539 WdL I 1812/13; GW 11, S. 279. 540 WdL I 1812/13; GW 11, S. 279.
402
Die spekulative Logik
Das Negative ist die klassische doppelte Negation, die die Selbstbezüglichkeit der autonomen Negation in sich zurückgenommen hat, also der autonom gewordene Bezug auf das Andere seiner selbst. Das Negative ist das »Gesetztseyn als in die Ungleichheit mit sich reflectirt«541. Es ist das Negative als Negatives, das heißt als bezogen auf ein Anderes, Negatives. Das Negative ist das Ungleiche, das Nichtsein eines Anderen. Es liegt somit eine Beziehung auf sich selbst vor, denn das Nichtsein seines Andern ist Selbstsein. Jedes ist dasselbe, was das Andere ist. Damit ist die Beziehung der Ungleichen eine identische Beziehung. Einerseits liegt hier derselbe Widerspruch wie beim Positiven vor: das Gesetztsein als negative Beziehung soll Beziehung auf sich sein. Das Positive und das Negative schließen sich selbst aus. Im Positiven ist der Widerspruch allerdings nicht gesetzt, sondern nur an sich: es schließt sein Anderes, indem es dieses ausschließt, von sich selbst aus und setzt dabei das Andere seiner selbst, durch das es selbst ausgeschlossen wird. Das Negative ist dagegen der gesetzte Widerspruch: »Es ist diß, gegen die Identität identisch mit sich zu seyn, hiemit durch seine ausschliessende Reflexion sich selbst von sich auszuschliessen.«542 Es ist als der Identität entgegengesetzt identisch mit sich. Es hat die Bestimmung, Nichtidentisches, Ausschließen von Identität zu sein. Es schließt die ausschließende Reflexion, die es selbst ist, von sich aus. Es ist die ganze Entgegensetzung. Das Negative setzt nicht nur das, durch das es selbst ausgeschlossen wird, sondern in seinem Ausschließen schließt es sich selbst von sich aus: es ist als die Beziehung auf sich selbst bestimmt, die es von sich ausschließt. Das antinomische Übergehen des Positiven in Negatives und umgekehrt erscheint nur dann als subjektiver Fehler, wenn man die Natur des Positiven und Negativen und die Notwendigkeit ihres Übergangs ineinander nicht versteht.543 Aber schon die gewöhnliche Reflexion sieht ein, dass im Begriff des Positiven auch das Negative liegt, weil es nur in Bezug darauf Bedeutung hat, andererseits dieses Negative aber von sich ausschließt. Umgekehrt gilt für das Negative, dass zu seinem Begriff das Positive gehört. Und es besteht in sich, insofern es mit sich identisch, das heißt positiv ist. Insofern sich das Positive als Positives (und nicht Negatives) setzt, setzt es sich als das Negative eines 541
WdL I 1812/13; GW 11, S. 280. WdL I 1812/13; GW 11, S. 280. 543 »Die Unbekanntschaft mit der Natur derselben ist der Meynung, diese Verwirrung sey etwas unrechtes, das nicht geschehen soll und schreibt sie einem subjectiven Fehler zu. Dieses Uebergehen bleibt in der That auch blosse Verwirrung, insofern das Bewußtseyn über die Nothwendigkeit der Verwandlung nicht vorhanden ist.« (WdL I 1812/13; GW 11, S. 283.) 542
Hegels Begründung der Grundsätze des Denkens und des Widerspruchs
403
Anderen und insofern sich das Negative als Negatives (als es selbst) setzt, setzt es sich als Positives.544 Im Positiven liegt nach Hegel bereits dem Namen nach das Poniertsein, das heißt das Gesetztsein. Für die gewöhnliche Reflexion ist hingegen das Positive das Objektive und die Negation nur das Subjektive. Das Negative ist für sie nur Produkt eines dem Positiven äußerlichen Vergleichs. Damit wäre aber auch die Bestimmung des Positiven nur äußerlich. So wird bei Licht und Finsternis oder gut und böse das Negative als bloße Beraubung gedeutet. Das Positive hat nur in Beziehung auf das Negative die Bedeutung des Positiven: »es enthält also dasselbe in seinem Begriffe.«545 Das Positive ist das Positive in dem Sinne, dass es für sich das Selbständige sein soll, das Negative hingegen das, was nur als Mangel am Positiven auftreten kann. Es zeigt sich aber, dass das Positive in seiner Selbständigkeit diese Selbständigkeit gerade von sich ausschließt. Das Negative hingegen hat als selbstbezüglich Negatives sein Bestehen in sich selbst und ist dadurch identisch mit sich – »so ist es aber selbst das, was das Positive seyn sollte.«546 Man könnte, um wieder auf die Figur der autonomen Negation zu rekurrieren, auch sagen: die autonome Negation – das Identische – ist im Positiven zur doppelten Negation geworden, die auf das Andere ihrer selbst bezogen ist, und im Negativen ist die klassische Negation, die sich anfänglich auf das Andere ihrer selbst bezog, zur autonomen Negation geworden. »Das Negative soll ebenso selbständig, die negative Beziehung auf sich, für sich sein, aber zugleich als Negatives schlechthin diese seine Beziehung auf sich, sein Positives, nur im Anderen haben. Beide sind somit der gesetzte Widerspruch, beide sind an sich dasselbe. Beide sind es auch für sich, indem jedes das Aufheben des Anderen und seiner selbst ist. Sie gehen hiermit zu Grunde.«547
544
Gilt also gemeinhin das Licht und das Gute als das Positive, die Gegenbegriffe nur als Mangel, so hat nach Hegel auch hier das Positive »die Natur absoluter Negativität« (WdL I 1812/13; GW 11, S. 284.) Denn als Licht wirkt es aufschließend, wenn es sich ausdehnt, es differenziert. Die Finsternis dagegen bleibt einfach mit sich identisch und ist insofern positiv. Die Tugend ist wesentlich Kampf und damit Negativität. »Das Böse besteht in dem Beruhen auf sich, gegen das Gute; es ist die positive Negativität.« (284) Der bloße Mangel des Guten ist die Unschuld, die ebenso sehr Mangel des Bösen ist. Sie ist die Gleichgültigkeit gegen beide Bestimmungen: gewissermaßen der Betrag ohne Vorzeichen. Das Gute ist dadurch gut, dass es sich in ein Verhältnis zum Bösen setzt. 545 WdL I 1812/13; GW 11, S. 283. 546 WdL I 1812/13; GW 11, S. 283. 547 Enzyklopädie 1830 § 120; SW 8, S. 247.
404
Die spekulative Logik
Das Positive und Negative sind im Widerspruch bestimmt als »schlechthin das Uebergehen oder vielmehr das sich Uebersetzen seiner in sein Gegentheil«548. Positives und Negatives heben sich jeweils in ihrer Selbständigkeit auf. Die Entgegengesetzten verschwinden ineinander. Dieses Verschwinden ist »die nächste Einheit«549, die durch den Widerspruch hergestellt wird, »die Null«550. Hierin liegt auch der Erklärungsgrund für die Kantischen Antinomien und Zenonischen Paradoxien. In diesen wird etwas als positiv gesetzt, verkehrt sich aber »unmittelbar unter der Hand«551 in ein Negatives: die Endlichkeit der Welt in ihre Unendlichkeit, die Unendlichkeit der Welt in ihre Endlichkeit. Dies liegt nicht an der bestimmten Sache, über die sich das Subjektive bloß täuscht, sondern an der Natur des Positiven und Negativen selbst. Die Antinomien können also nur dann richtig verstanden werden, wenn sie als Instantiierungen des Positiven und des Negativen verstanden werden. Erst dann kann ihre Auflösung gelingen. Man muss sich über die Notwendigkeit dieser Verwandlung im Klaren sein.552
548
WdL I 1812/13; GW 11, S. 280. WdL I 1812/13; GW 11, S. 280. 550 WdL I 1812/13; GW 11, S. 280. 551 WdL I 1812/13; GW 11, S. 283. 552 Der Verstand zeigt, dass die Idee sich widerspricht, die spekulative Logik dagegen, dass das Entgegengesetzte, das isoliert es selbst sein soll, immer in sein Gegenteil übergeht. Die Einheit beider offenbart sich als ihre Wahrheit. (Vgl. Enzyklopädie 1830 § 214; SW 8, S. 370.) Die »Antinomie der unendlichen Theilbarkeit des Raumes, der Zeit, der Materie usf.« (WdL I/1 1832; GW 21, S. 179), die sowohl Gegenstand der zweiten Kantischen Antinomie als auch »[u]nendlich sinnreicher und tiefer« (187) der Zenonischen Paradoxien ist, ist dabei hervorzuheben: entgegengesetzt sind sich hier unendliches Geteiltsein (Diskretion) und unendliche Teilbarkeit (Kontinuität). In dieser Antinomie werden Diskretion und Kontinuität als entgegengesetzte Bestimmungen der Quantität zum Gegenstand. Die Antinomie kann darauf reduziert werden, dass Kontinuität und Diskretion als Momente der Quantität getrennt und voneinander isoliert werden. Prinzip der Diskretion ist das Eins als getrenntes, in der Kontinuität ist dieses Eins als aufgehobenes, weil immer weiter Teilbares. Es ist nur als Möglichkeit: »so liegt in der Continuität selbst das Moment des Atomen, da sie schlechthin als die Möglichkeit des Theilens ist, so wie jenes Getheiltseyn, die Discretion auch allen Unterschied der Eins aufhebt, – denn die einfachen Eins ist eines was das andere ist, – somit eben so ihre Gleichheit und damit ihre Continuität enthält.« (187) Beide enthalten nach Hegel also ihren Gegensatz: Jede enthält ihre entgegengesetzte Seite und kann ohne sie nicht gedacht werden: »so folgt daraus, daß keine dieser Bestimmungen, allein genommen, Wahrheit hat, sondern nur ihre Einheit. Diß ist die wahrhafte dialektische Betrachtung derselben, so wie das wahrhafte Resultat.« (187) Die Antinomie der »Begrenztheit oder Unbegrenztheit der Welt in Zeit und Raum« (228f.) lässt sich nach Hegel auf die Behauptung der zwei entgegengesetzten Sätze zurückführen: »es ist eine Grenze, und: es muß über die Grenze hinausgegangen werden« (229), weil sie ein Jenseits besitzt, auf das sie bezogen ist, weswegen sie aufgehoben werden muss. 549
Hegels Begründung der Grundsätze des Denkens und des Widerspruchs
405
»Das Einzige, um den wissenschaftlichen Fortgang zu gewinnen, […] ist die Erkenntniß des logischen Satzes, daß das Negative eben so sehr positiv ist, oder daß das sich Widersprechende sich nicht in Null, in das abstracte Nichts auflöst, sondern wesentlich nur in die Negation seines besondern Inhalts, oder daß eine solche Negation nicht alle Negation, sondern die Negation der bestimmten Sache, die sich auflöst, somit bestimmte Negation ist«553. Im Resultat ist das enthalten, dessen Resultat es ist. Das spekulative Erkennen besteht im Erfassen der Einheit des Entgegengesetzten.
2.2.2.2. Die Auflösung des Widerspruchs und sein Rückgang in den Grund Der Widerspruch muss sich auflösen. Diese Forderung liegt im Widerspruch selbst, weil ansonsten »das Bewußtsein sich umhertreibt und, von der einen Seite herübergeworfen zu der anderen, unfähig ist, sich für sich in der einen wie in der anderen zu befriedigen«554. Die Auflösung kann nun aber nicht darin bestehen, einen der Gegensätze zu behaupten und den anderen zu verneinen, denn »weder der eine in seiner Abstraktion noch der andere in gleicher Einseitigkeit [haben] Wahrheit, sondern [sind] das Sichselbstauflösende; die Wahrheit [liegt] erst in der Versöhnung und Vermittlung beider«555. Wenn man den Widerspruch denkt, zeigt sich, dass seine Wahrheit nur in seiner Auflösung besteht und zwar nicht in seiner Vernichtung durch das Denken, sondern in seiner Versöhnung.556 Jeder Prozess muss in der Setzung und Auf-
553
WdL I/1 1832; GW 21, S. 38. Das könnte man auch als Kritik an Novalis deuten, für den das Resultat der Polarität ja die Vernichtung der Entgegengesetzten ist: »Bey der Polaritaet entsteht eine Trennung des Nothwendig Verbundenen – eine Feindseligkeit – gegenseitige Aufhebung und Beschränckung. Es ist ein antinomischer Zusammenhang da – der Satz des Widerspruchs regiert – Status naturalis, polaris est bellum omnium contra omnes. Hier entsteht das Nichts – 0.« (Allgemeines Brouillon (1798/99), II, 479; NA 3, S. 342.) 554 Ästhetik I; SW 13, S. 81. 555 Ästhetik I; SW 13, S. 81. 556 Analog zur Notwendigkeit der Aufhebung des Widerspruchs in der WdL wird von Hegel auch in der Ästhetik I von der Kunst gefordert, die widersprechenden Empfindungen und Leidenschaften, die Kunst hervorruft, die »so widersprechenden Element[e]« (SW 13, S. 72) in einem höhere Zweck aufzuheben. Ansonsten wäre die Kunst dem Skeptizismus vergleichbar, der sich immer nur von einer widersprechenden Seite zur anderen neigt und zwischen beiden Gegensätzen mit seinen Behauptungen oszilliert. So heißt es: »Ja, nach dieser Seite hin ist die Kunst, je mehr sie gerade zu Entgegengesetztem begeistert, nur die Vergrößerung des Widerspruchs der Gefühle und Leidenschaften und macht uns bacchantisch umhertaumeln oder geht ebensosehr wie das Räsonnement zur Sophisterei und Skepsis fort.« (72)
406
Die spekulative Logik
hebung von Widersprüchen bestehen.557 Der gedachte Widerspruch ist bereits seine Auflösung. Denn würde der Widerspruch nur vernichtet, so wäre er gar nicht aufgehoben, sondern bliebe noch als das Andere des Denkens bestehen, auf das dieses sich in negierender Weise bezieht. Der Widerspruch ist für das Denken »das Negative seiner selbst«558. Solange das Denken sich in – notwendige – Widersprüche verwickelt, ist es nicht ganz bei sich, sondern in das Andere seiner selbst verloren. Indem es die Widersprüche aufhebt, in die es sich verwickelt, kehrt es in sich selbst zurück. Dieses Negative darf aber seinerseits nicht außerhalb des Denkens bestehen bleiben. Wenn der Widerspruch einfach das Andere des Denkens wäre, wäre das Denken weiterhin abhängig von eben dem Widerspruch, vor dem es sich ständig zu hüten versucht.559 Damit überwindet Hegel eine Form des Eleatismus, wie man sie bei Kant und noch prononcierter bei Bardili findet: für Kant ist der Widerspruch ein pures Nichts, das undenkbare nihil negativum,560 bei Bardili ist der Widerspruch das reine Nichtdenken, vollständige Abwesenheit des Denkens.561 Aber so führte ja bereits der Gedanke von Allvater Parmeni-
557
Das gilt insbesondere auch für das Leben: »Denn die Kraft des Lebens und mehr noch die Macht des Geistes besteht eben darin, den Widerspruch in sich zu setzen, zu ertragen und zu überwinden. Dieses Setzen und Auflösen des Widerspruchs von ideeller Einheit und realem Außereinander der Glieder macht den steten Prozeß des Lebens aus, und das Leben ist nur als Prozeß.« (Ästhetik I; SW 13, S. 162.) So ist es zwar richtig, dass Hegel den Widerspruch als Bedingung der Möglichkeit des Lebens bezeichnet. »Wer aber verlangt, daß nichts existiere, was in sich einen Widerspruch als Identität Entgegengesetzter trägt, der fordert zugleich, daß nichts Lebendiges existiere.« (162) Aber wenn der Widerspruch sich nicht auflösen würde, so würde er ebenso das Leben auslöschen. Die endlichen Dinge gehen gerade daran zu Grunde, dass sie den Widerspruch nicht »ertragen« können. (Philosophiegeschichte II; SW 19, S. 496.) 558 Enzyklopädie 1830 § 11; SW 8, S. 55. 559 »Wenn die Wahrheit also weiter nichts wäre als der Mangel des Widerspruchs, so müßte bei jedem Begriffe zuerst betrachtet werden, ob er nicht für sich einen solchen inneren Widerspruch enthalte.« (Enzyklopädie 1830 § 33; SW 8, S. 100.) 560 Vgl. KrV B348; AA 3, S. 232. 561 So heißt es: »Das Denken, als Denken, leidet also keinen Qualitätsunterschied. Entweder Denken, oder Aufhören zu denken, d. i. sich Widersprechen; sonst giebt es im Denken, als Denken, keine Negation.« (Grundriß der ersten Logik (1800) § 12, S. 6.) Bei Bardili kann dann nicht einmal die Negation eines Gedankens und damit, wie mir scheint, letztlich nicht einmal mehr ein distinkter Gedanke gedacht werden: »Was an einem Begriffe bloß gedacht ist, das ist seine unendlichmalige Wiederholbarkeit als A, welche jedes Non-A in der Widerholung ausschließt, seine Kopula. Was an einem Begriffe bloß gedacht ist, kann nie negiert werden, ohne ihn als Gedanken zu zernichten d. i. ohne Widerspruch. Ein Begriff, als Gedanke, leidet keinen Qualitätsunterschied.« (11) Es gibt »schlechterdings keine logische Negation ausser dem Widerspruche, d. i. dem Nichtdenken.« (17) Das Denken leidet aber auch keinen Quantitätsunterschied. (§ 13; S. 24.)
Hegels Begründung der Grundsätze des Denkens und des Widerspruchs
407
des, dass nur Sein ist und Nichts nicht ist, auf unlösbare Widersprüche.562 Und wie Platon den Eleatismus durch sein Verständnis der Negation als Andersheit überwindet und damit überhaupt falsche Aussagen erst denkbar und damit widerlegbar macht, so überwindet Hegel Kants und Bardilis Auffassung vom Widerspruch und macht damit den Widerspruch zu etwas, das das Denken meistern kann und das es nicht einfach nur beiseite setzen muss. Es muss aus sich die Auflösung des Widerspruches suchen und nicht am Widerspruch verzweifeln. Das würde nämlich bedeuten, dass es nicht mehr den Widerspruch löst, sondern ihn unaufgelöst zurücklässt.563 Die Kritik Hegels an Fichte und Kant besteht deshalb gerade darin, die Widersprüche in ihren Systemen nicht wirklich aufgelöst zu haben. Fichtes Auflösung des Widerspruches zwischen Ich und Nicht-Ich in einem Sollen ist bekanntlich »nichts als der perennierend gesetzte Widerspruch selbst«564. Kants Auflösung der Antinomien hingegen macht den Widerspruch »zu etwas subjectivem«565. Dadurch wird der Widerspruch nicht aufgelöst, sondern bleibt bestehen: nur innerhalb der Vernunft. Antinomien können jedoch nur dadurch aufgelöst werden, dass man die Notwendigkeit der entgegengesetzten Bestimmungen für einen Begriff zeigt und darlegt, dass sie für sich nicht gelten können, sondern ihren Widerspruch und ihre Wahrheit in der Einheit des Begriffs haben, in dem sie aufgehoben sind. In Kants Antinomien dagegen werden die Bestimmungen als jede für sich notwendig behauptet und nicht ihre Beziehung zueinander gesetzt.566 Wenn man den Widerspruch »in die subjective Reflexion«567 abschiebt und behauptet, diese setze ihn nur durch eine der Sache äußerliche Hinsichtnahme, dann auch noch einmal behauptet, er sei auch dort nicht vorhanden, weil er ja unvorstellbar und undenkbar sei, der Widerspruch somit also das ganz Andere des Denkens wäre, dann könnte ihn das Denken nicht auffassen und damit auch nicht auflösen. Dass der Widerspruch sich auflösen soll, ist bei Hegel wörtlich gemeint: der Widerspruch ist eine reflexive Relation, die zur Selbstauflösung führt.
562
Vgl. Sophistes 237a ff. So könnte man eben die zenonischen Paradoxien bezüglich der Bewegung wie Demokrit einfach durch den Verweis auf den Augenschein überwunden glauben. Das wäre aber bloße »Misologie«: dem Denken nicht vertrauen und auf es Verzicht tun. (Vgl. Phaidon 89b ff.) Aristoteles hingegen löst die Paradoxien durch seinen Begriff von Potentialität und Kontinuität auf. (Vgl. Physik VI.) 564 Enzyklopädie 1830 § 60; SW 8, S. 143. 565 WdL I/1 1832; GW 21, S. 181. 566 WdL I/1 1832; GW 21, S. 181. 567 WdL I 1812/13; GW 11, S. 286. 563
408
Die spekulative Logik
Dass die Widersprechenden sich in ihrer Selbständigkeit selbst aufheben, ist gleichzusetzen damit, dass sie sich von sich selbst ausschließen: das Positive und das Negative setzen sich jeweils über in ihr Gegenteil. Die Entgegengesetzten verschwinden also zunächst in dem ihnen jeweils Entgegengesetzten. Dieses Verschwinden ist nun selbst eine Form von Einheit, nämlich die Null, in der Positives und Negatives nichts sind. Das ist das negative Resultat des Widerspruchs. Das positive Resultat besteht hingegen darin, dass sie im Ausschließen ihrer selbst von sich das tun, was die klassische Negation tut, nämlich ein Anderes von sich ausschließen. Sie schließen allerdings nicht mehr nur das Andere ihrer selbst von sich aus, um so immer noch ein Gesetztes zu sein, sondern schließen sich von sich selbst aus. Durch die Reflexion in sich waren die Bestimmungen zwar selbständig, aber sie waren doch noch unterschiedene Momente gegeneinander, noch entgegengesetzt. Im Widerspruch sind sie selbständig die negative Beziehung auf das Andere ihrer selbst. Ihre Selbständigkeit ist gesetzt. Das Negative wie das Positive waren bisher immer noch soweit Gesetzte, als sie dem Anderen ihrer selbst entgegengesetzt waren. Dieses Gesetztsein ist durch den Widerspruch aufgehoben. Das ist sein positives Resultat. Die Auflösung des Widerspruchs hat also eine positive und eine negative Seite. Das vorstellende Denken, weil es den »Horror […] vor dem Widerspruche hat«568, sieht nur die negative Seite: der Widerspruch löst sich in Nichts auf. Die positive Seite sieht sie nicht: dass sich der Widerspruch in absolute Tätigkeit und den absoluten Grund auflöst. Der Widerspruch hebt mit dem Positiven und dem Negativen das Gesetztsein der Selbständigkeit auf. Sie machen sich durch ihr eigenes Setzen zu Gesetzten: »Sie richten sich zu Grunde, indem sie sich bestimmen als das mit sich identische, aber darin vielmehr als das Negative, als ein mit sich identisches, das Beziehung auf anderes ist.«569 Selbständig sind die Widersprechenden dadurch, dass sie ihr Gesetztsein aufheben. Das hat wiederum Gesetztsein zum Resultat, sie werden dadurch zum Negativen des Gesetztseins selbst. Damit sind sie Gesetztsein als aufgehobenes Gesetztsein. Durch das Aufheben des Gesetztseins ist wieder Gesetztsein vorhanden, denn es ist Negieren eines Anderen: »Die ausschliessende Bestimmung selbst ist auf diese Weise sich das Andre, dessen Negation sie
568 569
WdL I 1812/13; GW 11, S. 289. WdL I 1812/13; GW 11, S. 281.
Hegels Begründung der Grundsätze des Denkens und des Widerspruchs
409
ist«570 Die ausschließende Reflexion hebt das Gesetztsein auf und macht sich dadurch zum Gesetztsein: »Sie ist aufhebende Beziehung auf sich; sie hebt darin erstens das Negative auf und zweytens setzt sie sich als negatives, und diß ist erst dasjenige Negative, das sie aufhebt; im Aufheben des Negativen setzt und hebt sie zugleich es auf.«571 Die Beziehung des Ausschließens ist selbst das Andere, das sie ausschließt, dessen Negation sie also ist. Deshalb liegt hier echte Selbständigkeit vor. Das Ausschließen geht mit sich selbst zusammen. Es ist bestimmt, weil es ausschließend ist (doppelte Negation), aber es ist im Ausschließen selbstbezüglich (autonome Negation). Die autonome Negation des Anfangs ist hier in sich zurückgekehrt, nur dass diese Identität nun in sich bestimmt ist. Durch ihre eigene Negation (im ausschließenden Sinne) kehrt sie in sich selbst zurück. Sie kehrt damit auch in die anfängliche Identität, die nun als ihr Grund bestimmt ist, zurück. Der Widerspruch löst sich nicht »in das abstrakte Nichts« auf. Es wird vielmehr etwas Bestimmtes negiert, so dass im Resultat der bestimmten Negation das Negierte noch enthalten ist.572 Weil das Positive und das Negative auch als selbständig noch gesetzt sind, negativ aufeinander bezogen, ist die Selbständigkeit des Positiven und Negativen noch eine gesetzte. Dieses »Gesetztseyn der Selbstständigkeit«573 geht im Widerspruch zu Grunde. Der Grund ist nicht mehr nur die abstrakte Identität, er ist »nicht nur die Einheit, sondern ebensowohl auch der Unterschied der Identität und des Unterschiedes«574. Der Gegensatz ist so am Widerspruch »nicht nur zu Grunde, sondern in seinen Grund zurückgegangen«575. Das Positive und das Negative sind nur noch Bestimmungen. Die Einheit, deren Bestimmungen sie sind, ist der Grund. Er ist die positive Identität mit sich, die sich »als die Negativität auf sich bezieht, sich also bestimmt und zum aus-
570
WdL I 1812/13; GW 11, S. 281. WdL I 1812/13; GW 11, S. 281. 572 Vgl. WdL I/1 1832; GW 21, S. 38. 573 WdL I 1812/13; GW 11, S. 281. 574 Enzyklopädie 1830 § 121; SW 8, S. 248. 575 WdL I 1812/13; GW 11, S. 282. Der Widerspruch bezeichnet so gewissermaßen bereits das Übergegangensein der Entgegensetzung in den Grund. Die Momente des Übergehens werden in der Enzyklopädie nie eigens ausgeführt: so etwa auch nicht das Werden als Übergehen von Sein in Andersheit. In der WdL geschieht dies schon. Deshalb fehlt der Widerspruch in der Enzyklopädie. Der Übergang geschieht immer durch einen Widerspruch, der aber erst im Übergang in den Grund gesetzter Widerspruch ist. 571
410
Die spekulative Logik
geschlossenen Gesetztseyn macht«576. Der selbständige Gegensatz ist in seinen Grund zurückgegangen. Der Grund ist eben das aufgehobene Gesetztsein (der aufgehobene Gegensatz), das aber dadurch selbst ein Gesetztsein und Gewordenes ist. Der Grund ist der aufgelöste Widerspruch. Ergebnis der Dialektik ist so »nicht das leere, abstrakte Nichts, sondern die Negation von gewissen Bestimmungen […], welche im Resultate eben deswegen enthalten sind, weil dies nicht ein unmittelbares Nichts, sondern ein Resultat ist.«577 Das Resultat des Widerspruchs ist nicht ein Nichts schlechthin bzw. ein nihil negativum. Zwar ist auch das positive Resultat des Widerspruchs ein Nichts, aber ein bestimmtes Nichts: »das Nichts dessen […], woraus es resultirt«578. Die ausschließende Reflexion macht die Bestimmungen des Gegensatzes zu Negativen, zu Gesetzten. Daraus folgt die Rückkehr des Gesetzten in die Einheit mit sich. Das Wesen als Grund ist ausschließende Reflexionseinheit, nämlich die Einheit der selbstbezüglichen Negation. Der selbstbezügliche Gegensatz geht in den aufgehobenen Gegensatz als seinen Grund zurück: »Somit ist das Wesen als Grund ein Gesetztseyn, ein gewordenes. […] Das Wesen schließt als Grund sich von sich selbst aus, es setzt sich; sein Gesetztseyn, – welches das Ausgeschlossene ist, – ist nur als Gesetztseyn, als Identität des Negativen mit sich selbst. Diß Selbstständige ist das Negative, gesetzt als Negatives; ein sich selbst widersprechendes, das daher unmittelbar im Wesen als seinem Grunde bleibt.«579 Das Wesen als Grund ist in seiner Negation identisch mit sich. Der Widerspruch ist bereits der Grund, nur dass er zusätzlich als die Einheit der ineinander übergehenden Gegensätze verstanden wird: er ist »in seinem Gesetztseyn oder in der Negation vielmehr erst das in sich reflectirte, mit sich identische Wesen«580
2.2.2.3. Der Widerspruch als das entwickelte Nichts Der (klassische) Satz des Widerspruchs ist nicht Ausdruck des Widerspruchs, sondern wie der Satz der Identität Ausdruck der Identität. Hegels Widerspruch ist ja nicht die Einheit von überhaupt Unterschiedenen, sondern von Entgegengesetzten. Dementsprechend ist der Satz des Widerspruchs auch
576
WdL I 1812/13; GW 11, S. 282. Enzyklopädie 1830 § 82; SW 8, S. 177. 578 Phänomenologie (1807); GW 9, S. 62. 579 WdL I 1812/13; GW 11, S. 282. 580 WdL I 1812/13; GW 11, S. 283. 577
Hegels Begründung der Grundsätze des Denkens und des Widerspruchs
411
nicht ihm, sondern der Reflexionsbestimmung der Identität zugeordnet: hier ist das Negative nämlich das Andere überhaupt, aber nicht sein Anderes. Das Gegensatzverhältnis kann im Widerspruch nicht mehr ein unbestimmtes sein wie bei dem absoluten Unterschied und der absoluten Identität.581 Das Gegensatzverhältnis ist das bestimmte. Das Positive hat nur in Beziehung auf sein Entgegengesetztes, das Negative, Bedeutung, das Positive ist immer das Positive seines Negativen. Hegel sieht deshalb den Widerspruch auch am offensichtlichsten in den »Verhältnißbestimmungen«582 zu Tage treten: oben – unten; rechts – links; Vater – Sohn; also das, was unter den relativen Gegensatz fällt. Diese sind bestimmt durch ihren Gegensatz: in der Bestimmung liegt jeweils das Gegenteil.583 Ein Oben gibt es nur, insofern ein Unten ist, und es ist bestimmt, kein Unten zu sein. Bei Vater und Sohn ist jedes nur, insofern es in Beziehung zu seinem Anderen steht. Natürlich sind sie außerhalb dieser Beziehung auch etwas für sich, aber nicht Vater und Sohn oder Oben und Unten. Sie beziehen sich negativ aufeinander, heben sich also gegenseitig auf und bestehen doch gleichgültig gegeneinander. Nun könnte man freilich einwenden, dass Hegel hier einfach vermengt, dass ein Ort als Ort ja unabhängig bestehen mag, in einer anderen Hinsicht (als Oben) aber entgegengesetzt dem Unten ist. Hegel sieht dies durchaus, meint aber, hier würde die Vorstellung vorschnell zum gleichgültigen Bestehen übergehen und die Entgegengesetzten nur als verschieden betrachten, nicht aber in ihrer negativen Einheit. Die Gleichgültigkeit hat aber gerade die Reflexion in sich zur Voraussetzung. Sie lässt die Reflexion in sich (Gleichgültigkeit gegen das Gegenteil) neben der negativen Beziehung stehen und sieht nicht, dass dies ein Gedanke ist. Das Negative liegt bereits im Begriff des Positiven, deshalb ist dieser Gegensatz ein bestimmterer als der zwischen Identität und Unterschied, weil der Begriff für sich auf sein Anderes bezogen ist. An sich liegt dieser Bezug aber auch schon im Identischen wie im Unterschied, aber dieser ist dort noch nicht gesetzt. Im Positiven ist dieser negative Bezug auf das Negative, dass es 581
Dagegen behauptet Tuschling, Hegel habe den SdW aufgehoben, weil er die Bestimmtheit als Einheit kontradiktorisch Entgegengesetzter versteht: »nur in der Vereinigung kontradiktorischer Bestimmungen kann das Substrat des Bestimmens in der Beziehung zu seinen Momenten begriffen werden.« (Burkhard Tuschling, »Necessarium est idem simul esse et non esse. Zu Hegels Revision der Grundlagen von Logik und Metaphysik«. In: Hans-Christian Lucas/Guy Planty-Bonjour (Hrsg.), Logik und Geschichte in Hegels System, Stuttgart-Bad Cannstatt 1989, 199–226, S. 207.) 582 WdL I 1812/13; GW 11, S. 288. 583 Nach Wölfle hingegen ist es eine offene Frage, wo bei Hegel der relative Gegensatz unterkommen soll. (Vgl. Wölfle, Hegels Wesenslogik (1994), Anm. S. 221.)
412
Die spekulative Logik
das Negative des Negativen ist, gesetzt. Aber es ist auch an sich selbst »die sich auf sich beziehende Negation des blossen Gesetztseyns oder des Negativen also selbst die absolute Negation in sich«584. Umgekehrt gilt das auch für das Negative, dass es schon explizit in seinem Begriff bezogen auf das Positive und nur dieser Bezug ist. Das meint die Rede vom entwickelten Nichts der Identität. Der (Hegel’sche) Satz vom Widerspruch, dass alle Dinge an sich selbst widersprechend sind, bedeutet demnach auch nicht, dass dieser Satz wahr, der klassische Satz des Widerspruchs dagegen falsch ist. Ansonsten würden beide Sätze ja wiederum dem abstrakten »Entweder – Oder« des Verstandesdenkens unterstehen. Sie sind aber auch nicht nur verschieden voneinander, sondern Letzterer ist die Entwicklung des Ersteren. Hegels Satz vom Widerspruch drückt das entwickelte Nichts aus, das in der Identität noch eingefaltet ist, sich dann aber im Scheinen der Reflexionsbestimmungen entfaltete: »Der Widerspruch, der an der Entgegensetzung hervortritt, ist nur das entwickelte Nichts, das in der Identität enthalten ist, und in dem Ausdrucke vorkam, daß der Satz der Identität Nichts sage.«585 Das Nichts in der klassischen Formulierung des Satzes ist das ganz unbestimmte »Nichts überhaupt«, in Hegels Satz des Widerspruchs hingegen ein bestimmtes. Im Widerspruch ist das Nichts bestimmt, das Andere ist nicht mehr »Anderes überhaupt«, sondern sein Anderes. Nur als »das Negative in seiner wesenhaften Bestimmung, [ist der Widerspruch] das Princip aller Selbstbewegung«586. »Mit dem Übergang vom Gegensatz zum Widerspruch wird so auch die selbstbezügliche Negativität in ihrer vollen logischen Struktur gesetzt.«587 Die doppelte Negation ist im Widerspruch somit in die autonome Negation zurückgekehrt, die Identität ist im Widerspruch in ihren Grund zurückgegangen. Diese Negation der Negation, die sich entwickelte, war aber auch absolute Gleichheit mit sich. So wird in den Reflexionsbestimmungen auch die Bewegung der Sichselbstgleichheit expliziert. Dies ist aber die Vermittlung selbst: »die Vermittlung ist nichts anders als die sich bewegende Sichselbstgleichheit, oder sie ist die Reflexion in sich selbst«588. »Es ist die wichtigste, aber für die noch ungeübte, unfreye Denkkraft schwerste Sei584
WdL I 1812/13; GW 11, S. 283. WdL I 1812/13; GW 11, S. 286. 586 WdL I 1812/13; GW 11, S. 287. 587 Iber, Metaphysik absoluter Relationalität (1990), S. 455. Nach Wölfle dagegen müssten Widerspruch und Gegensatz eigentlich eine Stufe bilden. (Vgl. Wölfle, Hegels Wesenslogik (1994), S. 219.) 588 Phänomenologie (1807); GW 9, S. 19. 585
Hegels Begründung der Grundsätze des Denkens und des Widerspruchs
413
te.«589 Um sie zu verstehen, muss man den Übergang der Identität in den Widerspruch verstehen. Der in seiner Allgemeinheit leere und tote Begriff gegen die lebendige Fülle des Lebens, die äußere Naturnotwendigkeit und innere Freiheit – das sind nicht nur für Philosophen Gegensätze, die sie überhaupt erst in ein Verhältnis setzen, indem sie sie unter bestimmten Hinsichten vergleichen. Vielmehr handelt es sich dabei um Gegensätze, »die von jeher in mannigfacher Form das menschliche Bewußtsein beschäftigt und beunruhigt haben«590. Die Zeit Hegels hat sie allerdings »erst ausgeführt und auf die Spitze des härtesten Widerspruchs hinaufgetrieben«591. Diese Form ist ein Verhältnis des Gegensatzes, das entwickelt werden muss. Wenn etwas sich Entgegengesetztes in ein Verhältnis des Widerspruchs gebracht wird, sind dabei nicht äußerliche Hinsichtnahmen relevant, Aspekte, unter denen einem eben etwas als sich einander widersprechend erscheinen kann, sondern der Gegensatz selbst, der nur expliziert werden muss. So ist es auch nicht das Ziel der Dialektik, einem Subjekt Prädikate zuzuschreiben, die entgegengesetzt sind, sondern das Übergehen der entgegengesetzten Prädikate ineinander zu zeigen: »Gewöhnlich erscheint das Dialektische so, daß von einem Subiekte zwey entgegengesezte Prädikate behauptet werden. – Das reinere Dialektische besteht darin, daß von einem Prädikate, einer Verstandesbestimmung aufgezeigt wird, daß sie an ihr selbst eben so sehr das Entgegengesezte ihrer Selbst ist, sie sich also in sich aufhebt.«592 Die Bestimmung der Einheit der Gegensätze ermöglicht es überhaupt erst, konsistent über die Einheit Entgegengesetzter zu sprechen. Die sieht Hegel etwa bei Leibniz nicht realisiert: »Es wird von Bestimmtem ausgegangen: dies und jenes ist notwendig, aber wir begreifen die Einheit dieser Momente nicht; diese fällt dann in Gott. Gott ist also gleichsam die Gosse, worin alle die Widersprüche zusammenlaufen.«593
589
WdL I,1 1832; GW 21, S. 41. Ästhetik I; SW 13, S. 80. 591 Ästhetik I; SW 13, S. 80. 592 Philosophische Enzyklopädie für die Oberklasse (1808 ff.) § 170; GW 10,1, S. 352. 593 Philosophiegeschichte III; SW 20, S. 255. 590
414
Die spekulative Logik
2.2.3. Die Zuspitzung der Identität auf den Widerspruch Der Widerspruch ist also nicht einfach eine weitere Reflexionsbestimmung neben der Identität und dem Unterschied, sondern die Wahrheit, in die die Identität übergeht. Er ist das entwickelte Nichts der Identität, das der Satz der Identität aussagt: »Diese Negation bestimmt sich weiter zur Verschiedenheit und zur Entgegensetzung, welche nun der gesetzte Widerspruch ist.«594 Die Identität ist damit selbst nicht nur eine Grundlage für den Widerspruch, die zum Moment des Unterschiedes herabgesetzt wird.595 Der Zweck der Philosophie besteht damit darin, die Bestimmungen von ihrer Identität her auf ihre Entgegensetzung zuzuspitzen, so dass dann »das Andere als seinem Anderen gegenüberstehend erscheint.«596 Der Widerspruch liegt dabei an sich in jeder Bestimmung in jedem Verhältnis von Identität und Unterschied: er liegt bereits in der absoluten Identität, die absoluter Unterschied ist, in der Verschiedenheit und explizit dann im Gegensatz vor. Ansonsten würde es nicht zum Übergang der Reflexionsbestimmungen ineinander kommen. Aber erst in der Entgegensetzung ist der Widerspruch gesetzt. Damit kommt es zum Übergang in den Grund. So besteht ja der notwendige Fortgang des Philosophierens im »Setzen desjenigen, was in einem Begriffe schon enthalten ist.«597 Der spekulativ verstandene Satz vom ausgeschlossenen Dritten (»Etwas ist entweder A oder NichtA; es gibt kein Drittes.«598) drückt die Notwendigkeit für dieses Übergehen von Identität in Verschiedenheit und Entgegensetzung aus – also die Zuspitzung der Identität zum Widerspruch. Alles ist ein positiv oder negativ Bestimmtes, weil alles von seiner Identität mit sich in die Entgegensetzung übergeht. Da dieses Übergehen von allem gelten soll, liefert diese Reflexion der Identität in sich dann auch einen Schlüssel für das Verständnis der Logik und der Reflexion der einzelnen Bestimmungen in sich selbst:599
594
WdL I 1812/13; GW 11, S. 286. So Iber, Metaphysik absoluter Relationalität (1990), S. 442. 596 Enzyklopädie 1830 § 119; SW 8, S. 246. 597 Enzyklopädie 1830 § 88; SW 8, S. 188. 598 WdL I 1812/13; GW 11, S. 285. Hegel meint natürlich nicht das gewöhnliche Verständnis des SvaD, nach dem alles entweder ein Prädikat zu- oder abgesprochen bekommen muss. 599 Iber schlägt dabei ein 6-Stufen-Modell für die Sequenz der Reflexionsbestimmungen vor: I. Identität und Unterschied, II. Verschiedenheit III. konträrer Gegensatz IV. kontradiktorischer Gegensatz V. Widerspruch VI. Grund. (Vgl. Iber, Metaphysik absoluter Relationalität (1990), S. 248.) Dieses werden wir nicht übernehmen. 595
Hegels Begründung der Grundsätze des Denkens und des Widerspruchs
415
»Ein wichtiger Satz, der darin seine Nothwendigkeit hat, daß die Identität in Verschiedenheit und diese in Entgegensetzung übergeht.«600
2.2.3.1. Der absolute Unterschied Der absolute Unterschied ist nicht etwas, was in äußerlicher Weise als zweites zur Identität noch hinzuträte. Denkt man die absolute Identität, so denkt man sie als absoluten sich auf sich selbst beziehenden Unterschied. Denkt man andererseits den absoluten Unterschied, so denkt man ihn als absolute Identität.601 Der absolute Unterschied ist nichts anderes als das absolute Nichts, das im Identitäts- bzw. Widerspruchssatz mit ausgesagt wird und sich auf sich selbst bezieht. Er ist damit die Negativität der Identität, die erst die Identität konstituiert: das Unterschiedensein vom Unterschied. Dieser Unterschied ist absolut, weil sich die Unterschiedenen nicht in einer bestimmten Hinsicht oder Bestimmung voneinander unterscheiden. Der absolute Unterschied ist nicht in bestimmter Weise von der absoluten Identität unterschieden – auch wenn die doppelte Negation, in der der absolute Unterschied besteht, der klassischen Negation entspricht und sich somit auf das Andere ihrer selbst überhaupt bezieht. Denn es besteht ein Unterschied zwischen dem »Unterschied der Reflexion«602 und dem »Andersseyn des Daseyns«603. Beim Dasein besitzen die Unterschiedenen noch »unmittelbares Seyn«604. Der absolute Unterschied der Reflexion ist kein Unterschied, der zwischen zwei Relata auftritt und in einem Dritten besteht, worin sich die Relata unterscheiden, sondern er ist das Nichts, das sich negierend auf sich selbst bezieht – der Unterschied, der sich unterscheidend auf sich selbst, nämlich die Identität als dem selbstbezüglichen Unterschied, bezieht. Damit ist auch er selbstbezüglich, obwohl er sich eigentlich auf ein Anderes seiner selbst bezieht.
600
WdL I 1812/13; GW 11, S. 285. »Wenn gefragt wird: wie kommt die Identität zum Unterschied?, so liegt in dieser Frage die Voraussetzung, daß die Identität als bloße, d. h. als abstrakte Identität etwas für sich sei, und dann ebenso der Unterschied etwas anderes, gleichfalls für sich.« (Enzyklopädie 1830 § 116; SW 8, S. 239.) Unter dieser Voraussetzung wäre dann tatsächlich kein Übergang möglich. 602 WdL I 1812/13; GW 11, S. 266. 603 WdL I 1812/13; GW 11, S. 266. 604 WdL I 1812/13; GW 11, S. 266. »Das Andre des Wesens dagegen ist das Andre an und für sich, nicht das Andre als eines andern ausser ihm befindlichen; die einfache Bestimmtheit an sich.« (266) 601
416
Die spekulative Logik
Hier ist noch nichts Bestimmtes in einer bestimmten Bestimmung unterschieden. Der absolute Unterschied ist einfacher Unterschied, weil er nicht zwei Verschiedene voneinander unterscheidet, sondern nur der unterscheidende Bezug ist, der sich auf sich selbst bezieht. Er selbst ist aber nur der unbestimmte Bezug auf sich selbst – somit liegt hier auch keine bestimmte Beziehung vor. Zwei Dinge sind hingegen in einer oder mehreren Hinsichten unterschieden. Ihr Unterschied besteht in etwas. Der Unterschied tritt »als reflectirter auf, der so gesetzt ist, wie er an sich ist.«605 Er wird als bloße Relation verstanden, nicht als Unterschiedenes, das neben dem Unterschied als einer Beziehung auch noch bestehen würde. Unabhängig von ihrer Relationalität sind das Identische und das Unterschiedene hier gar nicht.606 Dann ist aber der Unterschied, der sich auf sich selbst bezieht, absolute Identität.607 Diese Differenz tritt eben nur für die formale Logik auf, die den absoluten Unterscheid, der in der spekulativen Logik an sich selbst gedacht wird, auf von ihm verschiedene Gegenstände als schlechthinnige Verschiedenheit anwendet. Im absoluten Unterschied wird damit auch der kontradiktorische Gegensatz als schlechthinniger Gegensatz begründet. Von diesem sprechen der SdW und der SdI, die bei Hegel Ausdruck der absoluten Identität und des absoluten Unterschiedes sind. Der Unterschied zwischen A und ~A besteht in einem »einfache[n] Nicht«608. Der Bestimmungsgrund, in dem A und ~A unterschieden sind, ist selbst noch kein bestimmter, das »Nicht« ist nicht differenziert, sondern eben das unbestimmte und einfache Nicht. Die Unterschiedenen sind durch die Reflexion nur als Unterschiedene gesetzt. An sich selbst betrachtet kann sich der absolute Unterschied nur auf sich selbst beziehen: als solcher selbstbezüglicher Unterschied ist er »die Negativität seiner selbst, der Unterschied nicht von einem andern, sondern seiner von 605
WdL I 1812/13; GW 11, S. 266. Der Vorwurf, Hegel verwechsle das Identische und Unterschiedene als Relata mit der Relation der Identität, ist also völliger Unsinn. Nach Schmidt, Hegels formelle Logik (1963), S. 417, etwa verwechselt Hegel das Identische (Relatum) mit der Identität (als Relation), er überträgt die Verschiedenheit der Beziehung auf ihre Elemente. Außerdem sei die Verschiedenheit nicht die schlechthinnige Verneinung der Identität. Aus (A = A) ≠ (A R A) folge nicht (A = A) ≠ (A = A). [R: verschieden] Hegel verstoße hier also gegen die Schullogik (außerdem verwechsle er Identität mit Gleichheit). Nun behauptet Hegel aber auch gar nicht die Identität von schlechthinnigem Unterschied und Verschiedenheit, wie sich aus der Entwicklung der Reflexionsbestimmungen klar ergibt. 607 Wölfle glaubt hingegen in seiner Interpretation der Reflexionsbestimmungen ein bestimmtes A und B voraussetzen zu müssen, weil Identität und Unterschied ohne Substrate, auf die sie sich beziehen, nicht denkbar wären. Sie sind jedoch selbstbezüglich. (Vgl. Wölfle, Hegels Wesenslogik (1994), S. 230.) 608 WdL I 1812/13; GW 11, S. 266. 606
Hegels Begründung der Grundsätze des Denkens und des Widerspruchs
417
sich selbst«609. Wenn der Unterschied sich von sich selbst unterscheidet, muss er selbst sein Anderes sein: die (absolute) Identität. Er ist er selbst und die Identität: »Der Unterschied ist das Ganze und sein eignes Moment; wie die Identität eben so sehr ihr Ganzes und ihr Moment ist. – Diß ist als die wesentliche Natur der Reflexion und als bestimmter Urgrund aller Thätigkeit und Selbstbewegung zu betrachten. – Unterschied wie die Identität machen sich zum Momente oder zum Gesetztseyn, weil sie als Reflexion die negative Beziehung auf sich selbst sind.«610 Aber die Identität als Beziehung des Unterschiedes nur auf sich selbst (erste doppelte autonome Negation) ist gleichgültig gegen den Bezug des absoluten Unterschiedes auf sie (als klassische doppelte Negation, nämlich der Unterschied seiner von sich selbst). Das Problem für das Verständnis des absoluten Unterschiedes liegt also darin, dass er sich in der Weise der klassischen doppelten Negation auf sich bezieht, aber auf sich in der Form der Identität als dem selbstbezüglichen Unterschied. Dieser sich auf sich beziehende Unterschied ist gleichgültig gegenüber dem Bezug des absoluten Unterschiedes auf ihn. In der Reflexion des absoluten Unterschiedes wird die Identität aber zum Moment seiner Reflexion, nämlich als der Unterschied, auf den er sich bezieht. So treten Identität und Unterschied auseinander und werden zu verschiedenen Momenten der Reflexion des Unterschiedes in sich. Und so kommt es dann auch erst zur Bestimmung der absoluten Identität bzw. des absoluten Unterschiedes: denn erst wenn die Identität ein Moment des Unterschiedes ist, kann man davon sprechen, dass der Unterschied als Unterschied bestimmt ist. Denn um bestimmt zu sein, braucht der Unterschied etwas, wovon und wodurch er sich unterscheiden kann: omnis determinatio est negatio. Als Unterschied kann er aber nur durch seinen Gegenbegriff, die Identität, bestimmt sein. Weil er aber als absoluter Unterschied nicht etwas von ihm Verschiedenes enthalten kann, muss er mit der Identität identisch sein. So ist der bestimmte Unterschied an sich selbst mit den Bestimmtheiten Identität und Unterschied jedes in sich ein Ganzes und Moment. Jedes ist »Beziehung auf sich selbst«611, Reflexion in sich, gleichgültig dagegen, dass sie negativ aufeinander bezogen sind. Denn auch der Unterschied ist letztlich gleichgültig 609
WdL I 1812/13; GW 11, S. 266. WdL I 1812/13; GW 11, S. 266. Der reine Unterschied, »diese reine Abstraction heißt nichts anderes als der Unterschied der ebenso sehr keiner ist; das Unterscheiden des Ununterschiedenen, oder das Nichtunterschiedenseyn des Unterschiedenen.« (Geistlehre Mittelklasse (1808/09) § 16; GW 10,1, S. 15.) 611 WdL I 1812/13; GW 11, S. 267. 610
418
Die spekulative Logik
gegen seinen Unterschied gegen die Identität, weil er sich ja auf die Identität als auf den absoluten Unterschied bezieht. Dadurch gewinnen sowohl Identität als auch Unterschied eine erste Selbständigkeit gegeneinander. Weil es ihrer zwei Selbständige sind, können diese im Hinblick aufeinander auch als Verschiedene bezeichnet werden. Als absolut waren Identität und Unterschied noch gar nicht voneinander verschieden, sondern erst dadurch, dass sie sich zu Momenten gemacht haben, die in ihrem Ganzen auf das Andere bezogen sind: erst die Beziehung auf die Identität als verschieden von ihm macht den Unterschied zum bestimmten Unterschied und erst die Beziehung auf den Unterschied macht die Identität zur vom Unterschied verschiedenen Identität. Zum Moment kann das Andere aber nur dadurch werden, dass das Unbestimmte, eben weil es unbestimmt und auf sich bezogen ist, sein Anderes ist. Wenn sie und ihr Anderes aber zum Moment ihrer selbst geworden sind, dann sind sie schon nicht mehr einfach und absolut. Denn sie beziehen sich nicht mehr nur auf sich, sondern auf ihr Anderes. Der Unterschied wird so zum bestimmten Unterschied. Und weil er nicht auf etwas ihm äußerlich Anderes bezogen bestimmt ist, sondern letztlich ja auf sich selbst (denn sein Moment – die Identität – ist als absolut ja gar nicht verschieden von ihm), so ist er nicht durch etwas anderes, sondern »an sich selbst bestimmter Unterschied.«612 An sich ist so bereits der Unterschied Widerspruch, da er eine Einheit Entgegengesetzter ist: denn diese sind nur, insofern sie nicht eins sind. Gleichzeitig ist er die Trennung von solchen, die »in derselben Beziehung«613 getrennt sind. Nur dieser Widerspruch führt zum Begriff der Verschiedenheit. Der gesetzte Widerspruch ist aber negative Einheit: Setzen ihrer und darin Aufheben ihrer und Setzen des Gegenteils.614 Mit dem Gedanken des Momentseins ist so auch weitaus mehr gedacht als mit der Verflechtung der megista gene bei Platon: denn die Idee der Identität ist dort ja nicht die Idee der Differenz, sondern hat nur Anteil an dieser Idee. Sie muss auch die Eigenschaft besitzen, unterschieden zu sein. Die Idee der Identität ist gerade nicht das Ganze von Identität und Differenz. Hegel hingegen zielt nicht darauf ab zu behaupten, die Reflexionsbestimmung des Unterschiedes müsste identisch mit sich sein und also auch die Eigenschaft der 612
WdL I 1812/13; GW 11, S. 266. WdL I 1812/13; GW 11, S. 279. 614 Wölfle, Hegels Wesenslogik (1994), deutet dies nun so, dass der Widerspruch in allen Stufen auftrete, aber erst in der letzten sei »endgültig klar […], daß der Widerspruch nicht zu vermeiden ist« (225). Wenn aber die anderen Bestimmungen Versuche wären, den Widerspruch zu vermeiden, dann wäre doch gar nicht klar, ob wirklich alle Möglichkeiten, den Widerspruch zu vermeiden, ausgeschöpft sind. 613
Hegels Begründung der Grundsätze des Denkens und des Widerspruchs
419
Identität besitzen. Dann wäre die Identität nur eine Eigenschaft. Umgekehrt wäre die Unterschiedenheit als Moment der Identität nur eine Eigenschaft, die an der Identität als eine Art Akzidens auftreten. Damit wäre aber auch der Unterschied als Ganzes etwas über seine Momente Hinausgehendes, etwas, das man zumindest in seiner Bedeutung auch ohne die Momente verstehen kann, dem man aber notwendig die Eigenschaft zuschreiben muss, identisch zu sein. Diese Bedeutung könnte man dann auch ganz klar von seiner Eigenschaft unterscheiden. Moment meint aber vielmehr auch, dass das Moment die ganze Sache selbst ist: und so ist es ja auch beim absoluten Unterschied und der Identität. Eine Differenzierung von Eigenschaft und Bedeutung oder Form und Inhalt der Begriffe ist also gänzlich ungeeignet, den Gedanken Hegels vom Widerspruch der Begriffe verständlich zu machen.
2.2.3.2. Die Verschiedenheit Die Identität »zerfällt«615 in die Verschiedenheit ihrer Momente, nämlich Identität und Unterschied. Diese sind dabei jeweils identisch mit sich selbst, weil beide in sich reflektiert sind. Das Verschiedene kann nur voneinander verschieden sein, weil es identisch mit sich und damit gleichgültig gegen das Andere ist.616 Die Verschiedenen gehen sich gegenseitig nichts an, sie setzen so nur die Identität als ihre Grundlage voraus. Die Verschiedenen beziehen sich zunächst nur auf sich selbst und sind nicht gegeneinander bestimmt.617 Ihr Unterschied voneinander erscheint als etwas, das ihnen gegenüber ihrer Identität mit sich äußerlich ist.618 Der Unterschied ist damit äußerlich und gesetzt, insofern er negiert ist. Die Verschiedenen, die ihn in ihrer Reflexion in sich aus sich ausschließen, sind aber der sich auf sich selbst beziehende Unterschied. Die Reflexion in sich 615
WdL I 1812/13; GW 11, S. 267. Hierin liegt an sich bereits der Widerspruch des Verschiedenen: »Das Unterschiedne besteht als gegen einander gleichgültig verschiedenes, weil es identisch mit sich ist, weil die Identität seinen Boden und Element ausmacht; oder das Verschiedene ist das, was es ist, eben nur in seinem Gegentheile, der Identität.« (WdL I 1812/13; GW 11, S. 267.) 617 WdL I 1812/13; GW 11, S. 267: »die Identität ist nicht bezogen auf den Unterschied, noch ist der Unterschied bezogen auf die Identität; indem so jedes dieser Momente nur auf sich bezogen ist, sind sie nicht bestimmt gegen einander.« 618 Bereits in der Seinslogik heißt es, dass die Einheit, die aus dem Vergleich entsteht, die »ganz abstracte Dieselbigkeit« (WdL I/1 1832; GW 21, S. 79) sei. Die verschiedenen Gegenstände sind gegen diese Einheit gleichgültig: »die Einheit bezeichnet noch mehr als die Identität eine subjective Reflexion; sie wird vornehmlich als die Beziehung genommen, welche aus der Vergleichung, der äusserlichen Reflexion, entspringt« (78). 616
420
Die spekulative Logik
besteht in dem Bezug des Unterschiedes auf sich selbst. Nun ist dieser aber ausgeschlossen aus der Reflexion in sich, die er eben selbst ist. Damit ist die Reflexion äußerlich geworden. Dieser Unterschied bezieht sich auf sich selbst, nämlich den Unterschied, wenn auch »als auf ein äusserliches«619. So hat sich erneut das Verhältnis von Identität und Unterschied modifiziert. Denn die beiden in sich Reflektierten sind eine Reflexion: nämlich die Reflexion in sich der Momente, die gleichgültig gegen den Unterschied voneinander sind. Als Reflexion in sich sind sie identisch. Sie sind also die Identität, die gleichgültig gegen den Unterschied ist (Reflexion an sich): Verschiedenheit überhaupt. Der Unterschied dagegen ist äußere Reflexion, der bestimmte Unterschied der beiden gegeneinander, gegen den die Reflexion an sich gleichgültig ist. Das Ansichsein der Reflexion besteht darin, dass hier die Beziehung auf sich ohne die Negation und damit »die abstracte Identität mit sich«620 gedacht wird. Weil die Abstraktion aber eine negative Beziehung ist, so liegt hier wiederum »das Gesetztseyn selbst«621 vor. Die Reflexion ist also äußerlich geworden, und zwar äußerlich in Bezug auf die Reflexion an sich. Die Verschiedenheit löst eben damit zunächst den Widerspruch, der im absoluten Unterschied bzw. der absoluten Identität lag: hier war die Selbstbeziehung zugleich der Bezug auf das absolut Unterschiedene. Indem Identität und Unterschied als Verschiedene betrachtet werden, wird der Selbstbezug, der zugleich Bezug auf das absolut Unterschiedene war, in zwei verschiedene Reflexionen getrennt. Diese können wiederum in äußerer Reflexion aufeinander bezogen werden. In der äußeren Reflexion werden die Verschiedenen hinsichtlich ihrer Gleichheit und Ungleichheit aufeinander bezogen. Die Gleichheit ist dabei selbst die äußerliche Identität, der äußerliche Unterschied die Ungleichheit. Gleichheit und Ungleichheit sind gleichgültig gegenüber ihrem An-und-fürsich-sein. Sie sind nicht in sich reflektiert. Ihre Beziehung wird in einem Vergleich hergestellt. Hegel entwickelt hier überhaupt erst die »Arten« von Identität und Differenz, die eine Differenzierung von Identität und Gleichheit erlauben: die Gleichheit ist die Identität zwischen zwei sich gleichgültigen Dingen oder Entitäten, die in einem Vergleich durch ein Drittes in einer gewissen Hinsicht festgestellt wird: »Ob etwas einem andern Etwas gleich ist oder nicht, geht weder das eine noch das andere an; jedes derselben ist nur auf sich bezogen; ist an und für
619
WdL I 1812/13; GW 11, S. 268. WdL I 1812/13; GW 11, S. 270. 621 WdL I 1812/13; GW 11, S. 270. 620
Hegels Begründung der Grundsätze des Denkens und des Widerspruchs
421
sich selbst, was es ist; die Identität oder Nichtidentität als Gleichheit und Ungleichheit ist die Rücksicht eines Dritten, die ausser ihnen fällt.«622 In der äußeren Reflexion werden die Verschiedenen nur vergleichend, das heißt als gleich und ungleich, aufeinander bezogen. Diese Vergleiche gehen die Verglichenen aber nichts an. Die Relationen verändern sie als Relata nicht.623 So kann man einen Vergleich ja auch zwischen beliebigen Dingen anstellen, er hängt nur ab von der Hinsicht auf ein Drittes. Das heißt nun innerhalb des Gangs der Logik zunächst nicht, dass darin ein äußeres Subjekt des Denkens eintreten würde, das beliebige Hinsichtnahmen einführt. Ansonsten wäre es hier ja um die Notwendigkeit des Ganges der Logik schon geschehen. Im Vergleich liegt äußere Reflexion vielmehr deshalb vor, als die Verglichenen als gleich und ungleich in je verschiedenen Hinsichten nicht aufeinander, sondern auf ein ihnen äußeres Drittes bezogen sind: das tertium comparationis. Die gängigen Einwände gegen die Hegel’sche Dialektik, dass sie Identität und Gleichheit nicht unterscheide und notwendige Hinsichtnahmen unterlasse, die die Scheinwidersprüche der Logik aufheben könnten, wird hier, soweit berechtigt, in seiner Notwendigkeit entwickelt. Nur müssen sie entwickelt werden, denn ansonsten werden sie ohne Berechtigung vorgebracht.624 Den Unterschied der Verschiedenheit von der absoluten Identität und dem absoluten Unterschied drückt der Satz der Verschiedenheit aus: »Alle Dinge sind verschieden, oder: Es gibt nicht zwey Dinge, die einander gleich sind.«625 A ist darin nicht mehr als A überhaupt, sondern als ein bestimmtes A behauptet. Denn es kann überhaupt nur von Anderen verschieden sein, weil es bestimmt ist, sich also in einer Bestimmung unterscheidet. Diese Bestimmung, durch die das Verschiedene verschieden ist, ist der Sache nicht äußerlich. Deshalb unterscheidet Hegel ja auch die Verschiedenheit von einem bloß numerischen
622
WdL I 1812/13; GW 11, S. 268. Ein mangelndes Bewusstsein über diese Differenzierung des Identitäts- und Differenzbegriffes selbst wird man Hegel also nicht vorwerfen können. 623 Die Sein-Entsprechung und Nichtsein-Entsprechung der Deutung Wandschneiders scheint in diesem Sinne auch nur ein Bezug der Gleichheit und Ungleichheit zu sein. 624 So hält Hegel ja den Kritikern seines Anfangs entgegen: sie würden ungeduldig über die untersuchte Sache selbst hinweggehen und diese durch »ihre Einfälle und Einwürfe« (WdL I/1 1832; GW 21, S. 18) kritisieren, die Kategorien voraussetzen, von denen noch überhaupt nicht sicher ist, was unter ihnen selbst zu denken ist und ob ihre Anwendung gerechtfertigt ist. So ist es auch unwissenschaftlich, die Verschiedenheit von Identität und Unterschied selbst zu behaupten, »als ob einer [nämlich Hegel; S. Sch.] dergleichen nicht wüßte« (19), ohne diese bewiesen und begründet zu haben. 625 WdL I 1812/13; GW 11, S. 270.
422
Die spekulative Logik
Unterschied: ein bloß numerischer Unterschied begründet noch keine Verschiedenheit, wie Leibniz lehrte. Den Verschiedenen kommt die Ungleichheit gegen das von ihnen Verschiedene »wesentlich« zu. Die Ungleichheit ist die bestimmte Verschiedenheit.626 Die bestimmte Verschiedenheit entspricht so dem konträren Gegensatz: denn darin werden einander in einer gewissen Hinsicht Gleiche in Bezug auf ihre Ungleichheit entgegengesetzt. Der konträre Gegensatz wird von Hegel als solcher bestimmt, in dem die Entgegengesetzten »gleichgültig und ohne inneres Verhältnis« durch ein ihnen äußerliches Drittes entgegengesetzt sind: »in der Vergleichung mehrerer Bestimmungen, die sich zunächst nur konträr d. h. gleichgültig ohne ein innerliches Verhältniß zu verhalten scheinen, ist zu versuchen, ob sie nicht eine nothwendige Ordnung zueinander haben.«627 Bei kontradiktorischen Entgegengesetzten ist das Eine nur das unbestimmte Negative des Anderen, bei konträr Entgegengesetzten auch noch etwas Positives. »Von den kontradictorischen Bestimmungen erfordert ferner jede zu ihrem Begriffe die andere.«628 Bei der Verschiedenheit beziehen sich hingegen die Unterschiedenen »nicht durch sich selbst auf ein Anderes«629, sondern durch ein Drittes, das sie hinsichtlich ihrer Gleichheit und Ungleichheit vergleicht. Bei der Entgegensetzung sind diese durch gegenseitige negative Bedingung, was sie sind. Das Eine ist nur, »insofern es nicht das Andere ist, und zugleich nicht ist, als insofern das Andre ist, oder in seinem Begriffe unmittelbar diß sein entgegengesetztes liegt«630. Der Übergang von der Verschiedenheit in Entgegensetzung geschieht über diese Betrachtung von Gleichheit und Ungleichheit: »Während die bloß Verschiedenen sich als gleichgültig gegeneinander erweisen, so sind dagegen die Gleichheit und die Ungleichheit ein Paar Be626
»Der Satz der Verschiedenheit hingegen drückt aus, daß die Dinge durch die Ungleichheit von einander verschieden sind, daß ihnen die Bestimmung der Ungleichheit so sehr zukomme als die der Gleichheit, denn erst beyde zusammen machen den bestimmten Unterschied aus.« (WdL I 1812/13; GW 11, S. 271.) Bei Leibniz heißt es, dass es zur Verschiedenheit »stets eines inneren Prinzips der Unterscheidung« (Neue Abhandlungen über den menschlichen Verstand (1704) II,27 §1; LPW 3, S. 215) bedarf. 627 Logik für die Unterklasse (1809/10); GW 10,1, S. 146. 628 Logik für die Unterklasse (1809/10); GW 10,1, S. 143. 629 Logik für die Unterklasse (1809/10); GW 10,1, S. 144. 630 Logik für die Unterklasse (1809/10); GW 10,1, S. 145.
Hegels Begründung der Grundsätze des Denkens und des Widerspruchs
423
stimmungen, die sich schlechthin aufeinander beziehen und von denen die eine nicht ohne die andere gedacht werden kann.«631 Bereits im gewöhnlichen Vergleichen als einer beliebigen Anwendung von Gleichheit und Ungleichheit zeigt sich, dass der Widerspruch durch die Hinsichtnahme nicht aufgelöst werden kann. Gleichheit und Ungleichheit werden getrennt durch »Insoferns, Seiten und Rücksichten«632. Beide Bestimmungen sind identisch mit sich. Diese Identität der Gleichheit mit sich selbst und der Ungleichheit mit sich selbst ist dabei »die nicht in sich reflectirte Unmittelbarkeit«633. Aus dem negativen Bezug der Gleichheit auf die Ungleichheit und umgekehrt folgt nicht, dass beide identisch sind. Sie werden als Seiende gedacht, denen der Bezug eben noch zukommt.634 Sie werden auseinander gehalten, um den Widerspruch von ihnen fernzuhalten. Aber gerade dadurch werden sie zerstört. Das Insofern soll das Zugleich der Prädikate auseinander halten. Insofern sie ungleich sind, sollen sie gerade nicht zugleich gleich sein. Die Einheit der Gleichheit und der Ungleichheit wird damit vom Ding weggenommen, wird jedoch in der äußeren Reflexion festgehalten: »Diese ist es aber somit, die in einer und derselben Thätigkeit die zwey Seiten der Gleichheit und Ungleichheit unterscheidet, somit in Einer Thätigkeit beyde enthält, die eine in die andere scheinen läßt und reflectirt.«635 Die negative Einheit von Gleichheit und Ungleichheit ist zunächst das Vergleichende: denn es lässt die Gleichheit in die Ungleichheit verschwinden und umgekehrt. Diese »Zärtlichkeit für die Dinge«636 löst den Widerspruch deshalb nicht auf, sondern verschiebt ihn nur in die Reflexion, die vergleicht. Dort bleibt er unaufgelöst bestehen. Das Vergleichende ist »die negative 631
Enzyklopädie 1830 § 118; SW 8, S. 242. WdL I 1812/13; GW 11, S. 269. 633 WdL I 1812/13; GW 11, S. 272. 634 Rekonstruktionen, die die Differenz von Inhalt und Sein des Begriffs in den Vordergrund stellen oder Hegel in die Nähe der Ideenverflechtung rücken, bleiben hier stehen. Denn sie nehmen die Sache, die verflochten ist, als Etwas, und die Sache, mit der sie verflochten sind, als Anderes, und setzten sie in Bezug zueinander. 635 WdL I 1812/13; GW 11, S. 272. 636 WdL I 1812/13; GW 11, S. 272. Das Denken hält einerseits die in der Sache vereinten Momente auseinander, aber es selbst ist auch das einzige, was diese wieder verbinden kann: »Was die Schwierigkeit macht, ist immer das Denken, weil es die in der Wirklichkeit verknüpften Momente eines Gegenstandes in ihrer Unterscheidung auseinanderhält. Es hat den Sündenfall hervorgebracht, indem der Mensch vom Baume der Erkenntnis des Guten und Bösen gegessen; es heilt aber auch diesen Schaden.« (Philosophiegeschichte I; SW 18, S. 314.) Der Widerspruch entsteht also – etwa in der Vorstellung von Bewegung – durch das Auseinanderdividieren von Momenten. 632
424
Die spekulative Logik
Einheit beyder«637, denn im Gleichsetzen lässt es die Ungleichheit in der Gleichheit verschwinden und im Ungleichsetzen die Gleichheit in der Ungleichheit.638 Diese negative Einheit wird nun aber in der spekulativen Logik in die Bestimmung von Gleichheit und Ungleichheit selbst zurückgenommen: denn die Gleichheit ist überhaupt nur so bestimmt und hat nur die Bedeutung, nicht die Ungleichheit zu sein, und die Ungleichheit ist so bestimmt und hat nur die Bedeutung, nicht die Gleichheit zu sein.639 Da sie nun aber gleichgültig gegeneinander sind und durch Hinsichten auseinander gehalten werden, werden sie zerstört. Denn dann können sie sich offensichtlich nicht wechselseitig bestimmen. Die Gleichheit ist nur auf sich bezogen und auch die Ungleichheit ist nur sich selbst gleich, jede ist Gleichheit mit sich selbst und sie haben keine Bestimmung gegeneinander. Der äußerliche Unterschied hebt sich also selbst auf. Denn da sie auseinander gehalten werden, sind sie nur auf sich bezogen und haben keine Bestimmtheit gegeneinander, somit ist jede nur Gleichheit. Das Gleiche ist aber nicht Gleiches seiner selbst, sondern eines ihm Ungleichen: nämlich des Dritten, worauf es bezogen wird. Also ist es die Reflexion an sich, auf die sich die äußere Reflexion bezieht. Das Ungleiche ist andererseits nicht Ungleiches von sich, sondern von einem ihm Ungleichen. Gleichheit und Ungleichheit sind selbst negative Einheiten: denn das Gleiche ist, weil es nur bezogen auf ein verschiedenes Drittes gleich ist, nicht das Gleiche seiner selbst, sondern das Gleiche eines ihm Ungleichen. Damit ist es aber selbst ungleich: das Ungleiche seiner selbst als des Gleichen. Ebenso ist das Ungleiche nicht mit sich selbst ungleich, sondern mit einem anderen. Damit ist es mit sich selbst gleich und somit wiederum das Ungleiche seiner selbst. »[Das Gleiche und das Ungleiche] sind die Gleichheit und Ungleichheit eines Dritten, eines andern, als sie selbst sind. So ist das Gleiche nicht das 637
WdL I 1812/13; GW 11, S. 269. Bereits in der Troxler-Logik wollte Hegel die Hinsichtenunterscheidungen, die Trennung von Antithese und Synthese, durch die der Verstand den Widerspruch vermeiden möchte, als Schein entlarven und destruieren. (Vgl. Schäfer, Die Dialektik und ihre besonderen Formen (2001), S. 36.) Aber insofern der Verstand mittels Hinsichtenunterscheidungen eine Einheit Entgegengesetzter bilden kann, deutet er auf die Vernunfteinheit voraus. (Vgl. S. 38.) 639 WdL I 1812/13; GW 11, S. 269: »beyde sind Bestimmungen des Unterschiedes; sie sind Beziehungen aufeinander, das eine, zu seyn, was das andere nicht ist; gleich ist nicht ungleich, und ungleich ist nicht gleich; und beyde haben wesentlich diese Beziehung, und ausser ihr keine Bedeutung; als Bestimmungen des Unterschiedes ist jedes das was es ist, als unterschieden von seinem andern.« 638
Hegels Begründung der Grundsätze des Denkens und des Widerspruchs
425
Gleiche seiner selbst, und das Ungleiche als das Ungleiche nicht seiner selbst, sondern eines ihm ungleichen, ist selbst das Gleiche. Das Gleiche und das Ungleiche ist also das Ungleiche seiner selbst.«640 Die Gleichheit ist schon eine Identität Unterschiedener, die Ungleichheit eine Relation zwischen Ungleichen. Gleichheit impliziert jeweils Ungleichheit und umgekehrt: »eine ist ein Scheinen in die andere«641. Gleichheit und Ungleichheit beziehen sich aufeinander. Damit ist jedes Reflexion: es selbst und sein Gegensatz zu sein. Die Verschiedenheit wird damit zum Gegensatz: deren gleichgültige Seiten sind nur Momente einer negativen Einheit. In Entgegensetzung geht die Verschiedenheit dadurch über, dass »beyde Momente, die Gleichheit und die Ungleichheit, in Einem und demselben verschieden, oder daß der aussereinanderfallende Unterschied, zugleich eine und dieselbe Beziehung ist.«642 Bei Vorliegen eines konträren Gegensatzes ist so auch zu untersuchen, ob er nicht in einen innerlicheren übergehen kann. Der bloße Vergleich soll zum Widerspruch zugespitzt werden.643 Für Hegel ist also durchaus auch nicht 640
WdL I 1812/13; GW 11, S. 269. Enzyklopädie 1830 § 118; SW 8, S. 242. 642 WdL I 1812/13; GW 11, S. 271. Die Formulierung des Satzes der Verschiedenheit »daß es nicht zwey Dinge gibt, die einander gleich sind« (271), drückt aus, dass alle Dinge durch eine Bestimmung voneinander verschieden sind. Dies sage nach Hegel mehr aus als die bloß numerische Verschiedenheit, die noch keine bestimmte Verschiedenheit ist. Die Bestimmung der Ungleichheit kommt den Dingen wesentlich zu. Aber er impliziert auch schon seine eigene Auflösung: denn in ihm sind die Dinge als gleich und ungleich zugleich gesetzt: als ungleich explizit, als gleich implizit: denn gleich sind die verglichenen als Dinge: »jedes ist ein Ding und ein Eins so gut als das andere, jedes also dasselbe, was das andere« (271). 643 Hegel vermengt also nicht beide Begriffe, wie ihm vorgeworfen wird: »Hegel sieht überdies, ohne zureichenden Grund allerdings, alle Verschiedenheit als antinomische Entgegensetzung an. Bei richtiger Vermittlung zwischen Verstand und Vernunft bzw. der Vernunft mit sich selbst fallen aber nach der Einsicht der Wissenschaftslehre unhintergehbare Antinomieen weg.« (Lauth, Transzendentale Entwicklungslinien (1989), S. 368.) Nach Bröcker beruhen Fehler Hegels darauf, dass er das »ist« nur als Identität versteht. (Bröcker, Formale, transzendentale und spekulative Logik (1962), S. 9.) Hegel unterlässt notwendige Hinsichtnahmen und glaubt deshalb überall einen Widerspruch anzutreffen: weil Sein und Nichts identisch und absolut entgegengesetzt sind, tritt hier zum ersten Mal der Widerspruch auf – wie es scheint. Aber nicht in Wirklichkeit, denn bei jeder Identifikation ist eine Hinsicht anzugeben, eine absolute Identität in jeder Hinsicht ist nicht denkbar. (Vgl. S. 18.) Weil die Logik Hegels »nur auf sich selbst reflektierende formale Logik ist« (24), kann es in ihr eigentlich keine legitimen Widersprüche geben. Auf Grund von möglichen Hinsichtnahmen sind die Widersprüche nur scheinbare. Die Bewegung kann Hegel nur deshalb nicht ohne Widerspruch denken, weil er nicht »ein klein wenig mehr an logischen Mitteln […] aufbringt« (25) und mit den Mitteln Zenons auskommen will. Er hätte nur ein 641
426
Die spekulative Logik
jede Differenz ein Widerspruch. Dies geht wohl mit am deutlichsten aus seiner Betrachtung der Philosophiegeschichte hervor. Hier setzt nämlich die gewöhnliche Meinung die verschiedenen Systeme der Philosophie in ein Verhältnis sich ausschließender Gegensätze, wohingegen sie aus der spekulativen Perspektive als Momente der fortschreitenden Entwicklung der Wahrheit erscheinen.644 Der abstrakt verständigen Perspektive erscheinen dagegen alle Differenzen zwischen Philosophien entweder als Widerspruch, dessen entgegengesetzte Seiten sich ausschließen, oder als bloß verschiedene Ansichten. Über die Hinsichtnahme muss aber hinausgegangen werden, denn die Differenzen sind der Philosophie wesentlich. Auch die Dinge sind an sich selbst bestimmt und deshalb von anderem unterschieden. So deutet Hegel den Grundsatz des Nicht-zu-Unterscheidenden von Leibniz auch als Grundsatz dieses bestimmten Unterschiedes: »Der nähere Sinn ist jedoch, daß jedes an ihm selbst ein Bestimmtes, sich von Anderem an ihm selbst Unterscheidendes sei. Ob zwei Dinge gleich oder ungleich sind, ist nur eine Vergleichung, die wir machen, die in uns fällt. Das Nähere aber ist der bestimmte Unterschied an ihnen selbst. Der Unterschied muß Unterschied an ihm selbst sein, nicht für unsere Vergleichung, sondern das Subjekt muß an ihm selbst diese eigene Bestimmung haben; die Bestimmung muß dem Individuum immanent sein.«645 Zeitintervall anstatt Zeitpunkten betrachten müssen. So wäre der Widerspruch – wie in jedem anderen von Hegel vorgebrachten Beispiel – zu vermeiden gewesen. Deshalb könne ihm auch nicht die von Hegel zugeschriebene spekulative Kraft zukommen. Die Kritik Bröckers dient letztlich nur dazu zu zeigen, dass nicht mit Hegel, sondern mit Heidegger über Kant hinausgegangen werden müsse, der die transzendentale Logik mit empirischer Anschauung verunreinige. Das Purgatorium der Hegel’schen Logik reinige zwar von diesem Makel und sei rein, dafür aber ohne Nährwert: »Das leere Kauen der Hegelschen Logik nährt nicht.« (36) 644 Für die gewöhnliche Meinung gilt: »Sie begreifft die Verschiedenheit philosophischer Systeme nicht so sehr als die fortschreitende Entwicklung der Wahrheit, als sie in der Verschiedenheit nur den Widerspruch sieht.« (Phänomenologie (1807); GW 9, S. 10.) 645 Philosophiegeschichte III; SW 20, S. 241. Der Satz der Identität und der Satz der Verschiedenheit widersprechen sich deshalb, weil der letztere sagt, dass A bestimmt ist durch ein Non-A, der Satz der Identität dagegen sagt das unbestimmte schlechthin A-Sein von A aus. Nach dem Satz der Verschiedenheit ist das eine A nicht wie das Andere, denn nur dadurch sind sie verschieden. Verschieden sind sie nur durch den Bezug aufeinander. Hegel sieht durchaus, dass der Satz nicht sagen soll, dass A verschieden von sich selbst ist, sondern ein Anderes sein soll. Aber dennoch ist dieses Verschiedensein eine Bestimmung von A. Damit ist es nicht mehr beliebig austauschbar. Nach dem Satz der Identität ist es eben ganz unbestimmt, als Verschiedenes hingegen ist es bestimmt. Die Verschiedenheit von ihm selbst kommt dadurch zustande, dass es einerseits ganz unbestimmt ist (nach »A ist A«), andererseits aber bestimmt sein soll.
Hegels Begründung der Grundsätze des Denkens und des Widerspruchs
427
2.2.3.3. Der Gegensatz Die denkende Vernunft zeigt also, dass sich der »abgestumpft[e] Unterschied des Verschiedenen, die blosse Mannichfaltigkeit der Vorstellung, zum wesentlichen Unterschiede, zum Gegensatze, zu[spitzt]. Die Mannichfaltigen werden erst, auf die Spitze des Widerspruchs getrieben, regsam […].«646 Die Notwendigkeit dieses Überganges zeigt Hegel explizit in den Reflexionsbestimmungen. Die Verschiedenen sind in der Reflexion der Verschiedenheit als einander ungleich bzw. einander gleich bestimmt worden. Sie sind gesetzt in ihre Gleichheit und Ungleichheit miteinander. Gleichheit und Ungleichheit sind das Gesetztsein. Beide werden nun in sich reflektiert und dadurch zu den Bestimmungen des Gegensatzes. Sie zeigen sich dabei als Einheit ihrer selbst und ihres Anderen. Gleichheit und Ungleichheit der äußeren Reflexion waren das Gesetztsein: die Verglichenen waren als gleich und ungleich gesetzt. Diese Beziehungen der Verglichenen werden nun ihrerseits in sich reflektiert. Dadurch werden sie zum Positiven und Negativen als den beiden Seiten des Gegensatzes: jede zeigt sich darin wiederum als Einheit von Gleichheit und Ungleichheit. Dabei variiert jeweils die Gerichtetheit der Momente, da beide jeweils »in der selben reflectirenden Beziehung«647 sind. Andererseits ist die Gleichheit gerade dadurch, dass die Ungleichheit nicht ist, und die Ungleichheit ist, weil die Gleichheit nicht ist. Somit ist jede auf ihr eigenes Nichtsein bezogen. Gleichheit und Ungleichheit sind damit Gesetztsein. Nur ist Gleichheit mit sich dadurch in sich reflektiert, dass sie auch die Beziehung auf die Ungleichheit enthält: sie ist das Positive. Das Negative ist dagegen die in sich reflektierte Ungleichheit. Die Ungleichheit ist dasjenige, das sich auf das Ungleiche ihrer selbst, also die Gleichheit, bezieht. Das Positive hat nur dadurch die Beziehung auf das Andere seiner selbst, weil es die Gleichheit des Gesetztseins mit sich selbst, also die Gleichheit der Negation mit sich selbst, als der Bezug auf das Andere ihrer selbst ist. Das Ungleiche bezieht sich dagegen auf das Ungleiche. Das Gesetztsein jedoch ist das Ungleiche selbst. Also ist das Ungleiche, sofern es in sich reflektiert ist, das Ungleiche vom Ungleichen und damit das Gleiche seiner selbst. Selbständig sind das Positive und das Negative, weil »sie die Reflexion des G an z en in sich sind«648. Weil beide sie selbst und ihr jeweils Anderes sind, 646
WdL I 1812/13; GW 11, S. 288. WdL I 1812/13; GW 11, S. 272. 648 WdL I 1812/13; GW 11, S. 273. 647
428
Die spekulative Logik
durch das sie bestimmt werden, sind sie selbständig und an sich selbst bestimmt. Dagegen sind die Identität und der Unterschied als absolute noch nicht bestimmt, weil es noch kein Worin des Unterschieds gibt. In den Momenten des Gegensatzes ist also der Bezug auf das Andere ihrer selbst in den autonomen Selbstbezug zurückgenommen: der Bezug auf sich selbst ist die Aufhebung des ihm Negativen in sich selbst. Das geschieht eben von zwei Seiten: beim Negativen ist der negierende Bezug auf das Andere seiner selbst (die klassische doppelte Negation) nun die Beziehung der Ungleichheit auf sich selbst (autonome Negation). Im Positiven ist der Bezug des Negativen (Gesetztseins) auf sich selbst (autonome Negation) der äußere Bezug der Negation auf das Andere seiner selbst (klassische doppelte Negation) geworden. Das Positive und das Negative beziehen sich nur auf sich selbst, indem sie sich auf das Andere ihrer selbst beziehen. In der Entgegensetzung hat jedes »seine eigene Bestimmung nur in seiner Beziehung auf das Andere, ist nur in sich reflektiert, als es in das Andere reflektiert ist, und ebenso das Andere; jedes ist so des Anderen sein Anderes.«649 Positives und Negatives sind auf ihr Anderssein bezogen als es aufhebend. Aber das, was es aufhebt, das Andere seiner selbst, ist ein gleichgültig Seiendes, das ist, und das Sein dessen, das sich auf es bezieht, negiert. »Jedes ist daher nur, insofern sein Nichtseyn ist, und zwar in einer identischen Beziehung.«650 Der Gegensatz weist drei Bestimmungen auf – drei Bestimmungen des Positiven und Negativen, die das Entgegengesetztsein von Unterschied und Verschiedenheit aufheben, aber mit der Bestimmung, dass das Andere hier immer schon sein Anderes ist: »Jedes ist so überhaupt erstens insofern das andre ist; es ist durch das Andre, durch sein eignes Nichtseyn, das was es ist; es ist nur Gesetztseyn; zweitens es ist insofern das andre nicht ist; es ist durch das Nichtseyn des andern das was es ist; es ist Reflexion in sich. – Dieses beydes ist aber die eine Vermittlung des Gegensatzes überhaupt, in der sie überhaupt nur Gesetzte sind.«651 I. Das Moment der absoluten Reflexion: Positives und Negatives sind beide Gesetztsein, das heißt negativ bezogen auf ihr Anderes. Sie sind zunächst »Wechselbegriffe«. Wie der Herr immer nur Herr eines Knechts ist und der Knecht immer nur Knecht eines Herrn, so ist das Positive immer nur das
649
Enzyklopädie 1830 § 119; SW 8, S. 243. WdL I 1812/13; GW 11, S. 273. 651 WdL I 1812/13; GW 11, S. 274. 650
Hegels Begründung der Grundsätze des Denkens und des Widerspruchs
429
Positive eines Negativen und umgekehrt: »es ist Eine Vermittlung, in welcher jedes durch das Nichtseyn seines Andern, damit durch sein Anderes oder sein eigenes Nichtseyn ist.«652 Das Positive und das Negative sind Momente des Gegensatzes: jedes ist nur durch das Nichtsein eben das bestimmte Nichtsein des Anderen. Sie sind »entgegengesetzte überhaupt«653, nur das Entgegengesetzte des Anderen. Insofern kann man von ihnen nur sagen, dass sie das Gegenteil des Anderen sind. Jedes der Entgegengesetzten ist zum einen nur der negative Bezug und ist durch eigenes Nichtsein. Das Positive bzw. das Negative ist außerdem nur, insofern das Andere nicht ist. Beide sind damit gesetzt und vermittelt durch ihren Gegensatz. Das kann auch auf das Positive (+) und Negative (−) der Mathematik angewandt und an ihr expliziert werden. Denn von diesen gilt zunächst: »das eine ist so gut ein entgegengesetztes als das andere.«654 Sie sind Entgegengesetzte überhaupt, wobei das Positive nicht als Positives ist. So ist in der Subtraktion und Addition das Eine nur das Negative des Anderen. Dass das Positive vielleicht an sich positiv ist, ist gar nicht relevant für die durchzuführende Operation.655 Aber es liegt hier nicht ein schlechthin absoluter Unterschied, sondern das bestimmt Entgegengesetzte vor. Das Positive und das Negative sind nicht dem Anderen überhaupt, sondern ihrem Anderen entgegengesetzt. So ist etwa in der Arithmetik das Andere des +3 nicht alles, was nicht +3 ist, sondern –3.656 II. Das Moment der äußeren Reflexion: Das Positive und das Negative sind beide in sich reflektiert und damit gleichgültig gegen die Reflexion in ihr 652
WdL I 1812/13; GW 11, S. 273. WdL I 1812/13; GW 11, S. 273. 654 WdL I 1812/13; GW 11, S. 276. 655 So ist ja auch in der Mathematik das additive Inverse einfach als die Gegenzahl zu a bestimmt, also im Falle von –a ist es +a. Es ist nur das Negative des Anderen. Andererseits wird (wie von Hegel in III) ein an sich Negatives angenommen (–1), dem die verkehrende Kraft zugeschrieben wird, mit +a oder –a multipliziert jeweils das Inverse zu generieren. 656 Dass die Entgegengesetzten, die eine Einheit bilden sollen, nicht in dem Sinne entgegengesetzt sein können, dass das dem Gesetzten Entgegengesetzte den logischen Raum außerhalb des Gesetzten ausfüllt, erhellt auch aus Hegels Bemerkungen zu Heraklit: »Das Wesentliche ist, daß jedes Verschiedene, Besondere verschieden ist von einem Anderen, – aber nicht abstrakt von irgendeinem Anderen, sondern seinem Anderen; jedes ist nur, insofern sein Anderes an sich in seinem Begriffe enthalten ist. Veränderung ist Einheit, Beziehung beider auf Eins, ein Sein, dieses und das Andere. […] Die Subjektivität ist das Andere der Objektivität, nicht von einem Stück Papier – es fällt das Sinnlose hiervon gleich auf –, es muß sein Anderes sein, und darin liegt eben ihre Identität; so ist jedes das Andere des Anderen als seines Anderen. Dies ist das große Prinzip des Heraklit […].« (Philosophiegeschichte I; SW 18, S. 327.) 653
430
Die spekulative Logik
Nichtsein, ihr Gesetztsein. Als solche können sie verwechselt werden. Dies ist die aufgehobene Bestimmung der Verschiedenheit. Sie sind bloß verschieden, sie sind nur Bestimmtheiten überhaupt. Jede kann als positiv und negativ genommen werden, weil die Bestimmung ihnen äußerlich ist. Denn als »nur verschiedenes, unmittelbares Daseyn«657 ist es unterschieden von seiner Entgegensetzung. Gleichgültig gegen seine Entgegengesetztheit ist es einerlei, welches man als positiv und welches als negativ betrachtet. Die verschiedenen sind zu Grunde liegende positive Einheiten.658 In der Mathematik entspräche dies dann dem Rechnen mit Beträgen. So kann man +a und –a beide als positive Einheiten betrachten, wenn man ihren Betrag nimmt und sie so nur als positive Einheiten betrachtet, die gleichgültig gegen ihre Entgegensetzung sind: – 8 + 3 = 11 Einheiten.659 III. Moment der bestimmten Reflexion: Die »Beziehung auf das andere in einer Einheit, die nicht sie selbst sind, ist in jedes zurückgenommen.«660 Die Entgegengesetzten sind ja anders als die Verschiedenen nicht gleichgültig gegen ihr Entgegengesetztsein, sondern an ihnen selbst positiv und negativ. Jedes hat die Beziehung auf sein Anderes an ihm selbst. Die Bestimmtheit ist nicht mehr eine, die es gegen ein ihm äußeres Anderes, sondern an ihm selbst hat. Auch dies zeigt sich wiederum am Positiven und Negativen, wie es in der Mathematik gebraucht wird: wären Positiv und Negativ nämlich nur Entgegengesetzte überhaupt, so wären nach Hegel die einfachsten Rechenregeln nicht verständlich. Dies werden sie nur, wenn man das Negative als das wesentlich Entgegengesetzte und das Positive als das wesentlich Nichtentgegengesetzte versteht – dass nämlich in der Multiplikation dem Plus nicht die Kraft zur Veränderung zugeschrieben wird, dem Minus jedoch schon: »Insofern ist also das Negative hier das an sich Entgegengesetzte als solches, das Positive aber ist das unbestimmte, gleichgültige überhaupt; es ist wohl auch das Negative, aber des Andern, nicht an ihm selbst.«661 Die Beziehung auf das Andere, durch das sie bestimmt wird, ist in die Bestimmung zurückgenommen, Positives und Negatives sind an ihnen selbst positiv und negativ: »Reflexionsbestimmung[en] an und für sich selbst«662. Obwohl also beide doppelte Negationen sind, die zugleich autonome und 657
WdL I 1812/13; GW 11, S. 275. Vgl. die Beispiele vom Weg nach Osten und Westen und den Schulden des Schuldners, die ein Guthaben des Gläubigers sind. (Vgl. WdL I 1812/13; GW 11, S. 276.) 659 Vgl. WdL I 1812/13; GW 11, S. 277. 660 WdL I 1812/13; GW 11, S. 274. 661 WdL I 1812/13; GW 11, S. 278. 662 WdL I 1812/13; GW 11, S. 274. 658
Hegels Begründung der Grundsätze des Denkens und des Widerspruchs
431
klassische Negation sind, sind sie doch gewissermaßen durch die Drehrichtung unterschieden und eben dadurch selbst als positiv und negativ bestimmt. Das Gesetztsein beim Positiven ist aufgehoben: »Es ist das Nichtentgegengesetzte; der aufgehobene Gegensatz, aber als Seite des Gegensatzes selbst […]; es ist die das Andersseyn negirende Reflexion in sich.«663 Sein Anderssein ist aber gerade die doppelte Negation als die klassische doppelte Negation. Diese ist ein Sein, also schließt es selbst sein Nichtsein von sich aus (die klassische doppelte Negation). In der Reflexion in sich, in der das Positive das Negative negiert, schließt es sein Nichtsein von sich selbst aus. Damit hebt es sein Gesetztsein als seinen Bezug auf sein Nichtsein in sich auf. Es hat das Entgegengesetztsein von sich ausgeschlossen und ist das Nichtentgegengesetzte. Weil es an sich selbst das Nichtentgegengesetzte ist, kann man es als das Positive bezeichnen. Umgekehrt gilt für das Negative: »Als Reflexion in sich negirt es seine Beziehung auf anderes; sein Anderes ist das Positive, ein selbstständiges Sein; – seine negative Beziehung darauf ist daher, es aus sich auszuschliessen. Das Negative ist das für sich bestehende Entgegengesetzte, gegen das Positive, das die Bestimmung des aufgehobenen Gegensatzes ist; der auf sich beruhende ganze Gegensatz, entgegengesetzt dem mit sich identischen Gesetztseyn.«664 Das Negative ist also das an und für sich Entgegengesetzte, wie das Positive das an und für sich Nichtentgegengesetzte ist. Dass sie an sich positiv und negativ sind, bedeutet dabei, dass sie es nicht erst durch die Inbezugsetzung zum ihnen jeweils äußerlich Entgegengesetzten sind, sondern dass sie sich selbst so bestimmt haben, positiv und negativ zu sein. »An sich positiv oder negativ sind sie also nicht ausser der Beziehung auf anderes, sondern daß diese Beziehung und zwar als ausschliessende, die Bestimmung oder das Ansichseyn derselben ausmacht; hierin sind sie es also zugleich an und für sich.«665
663
WdL I 1812/13; GW 11, S. 274. WdL I 1812/13; GW 11, S. 275. 665 WdL I 1812/13; GW 11, S. 275. 664
. Die operationale Anwendung der Reflexions bestimmungen 3.1. Die Struktur der Logik Das Problem der Einheit von Gleichheit mit sich und Unterschiedensein von sich liegt der Logik in allen ihren Bestimmungen zu Grunde. Sind diese anderen Bestimmungen aber alles Fälle dieser Einheit, so wird sie in den Reflexionsbestimmungen als solche zum Gegenstand.666 Innerhalb der Reflexion der Reflexion, in der Identität, Unterschied und Widerspruch als ihre Bestimmungen der Reflexion entwickelt werden, wird die Struktur des Voranschreitens der Logik selbst entwickelt. Denn in der Logik werden sämtliche logischen Bestimmungen in sich reflektiert und dadurch vermittelt. Die Vermittlung ist als Reflexion in sich selbst »die sich bewegende Sichselbstgleichheit«667, also das Übergehen der Identität in den Widerspruch und die Auflösung derselben. Die Bewegung des Inhalts der Logik, das heißt der Fortgang von einer Bestimmung zur anderen, kommt durch die »eigne Reflexion des Inhalts«668 zustande. Die Struktur, entsprechend der dies geschieht, wird in den Reflexionsbestimmungen expliziert. Die Reflexionsbestimmungen sind damit Explikationsmittel, vermittelst derer die Beziehungen der Kategorien bzw. Bestimmungen in den anderen Teilen der Logik analysiert werden können.669 Dabei gibt es verschiedene Arten, wie sich die Denk666
Dass gerade den Reflexionsbestimmungen Identität, Gegensatz und Widerspruch eine herausgehobene Stellung zukommt, zeigt sich darin, dass Hegel die zentralen Begriffe seiner Philosophie als Identität Entgegengesetzter bestimmt – und damit als Widerspruch: etwa das Leben und den Geist. Sie tragen »einen Widerspruch als Identität Entgegengesetzter« (Ästhetik I; SW 13, S. 162) in sich. »Daß aber das Entgegengesetzte das Identische sein soll, ist eben der Widerspruch selber.« (162) 667 Phänomenologie (1807); GW 9, S. 19. 668 WdL I/1 1832; GW 21, S. 8. 669 Vgl. Iber, Metaphysik absoluter Relationalität (1990), S. 243. Bei Düsing heißt es: »die entscheidenden Stadien der dialektischen Methode [sind] durch die Reflexionsbestimmungen und deren Abfolge vorgeprägt« (Düsing, Identität und Widerspruch (1984), S. 356). Die spekulativ-ontologische Begründung des Verstoßes gegen den SdW finde sich am ausführlichsten in den Reflexionsbestimmungen. Sie »erweisen sich bei Hegel zugleich als Kennzeichnungen wesentlicher methodischer Stadien im dialektischen Fortgang überhaupt.« (317) Auch wenn Düsing also die Vorrangstellung der Subjektivität in der Logik behauptet, so sieht er doch die Bedeutung der Reflexionsbestimmungen: »Die Phasen der absoluten Methode entsprechen somit der Folge der Reflexionsbestimmungen, nämlich der Anfang der absoluten Identität, das erste Negative mit der Aufstellung der Antinomie
Die operationale Anwendung der Reflexionsbestimmungen
433
bestimmungen bewegen: in der Seinslogik findet die Bewegung als Übergehen, in der Wesenslogik als Scheinen und in der Begriffslogik als Entwicklung statt. Aber die Struktur dieser Bewegungen entspricht jeweils der Abfolge der Reflexionsbestimmungen. Die Identität spitzt sich zu auf den Widerspruch. Der Widerspruch löst sich dadurch auf, dass die Identität in den Grund zurückgeht. Wie Identität und Widerspruch nicht nur Bestimmungen sind, die an einer bestimmten Stelle der Logik abgehandelt werden, damit man sie dann hinter sich lassen kann, sondern letztlich an allen Bestimmungen der Logik auftreten, so muss dies auch für die Zuspitzung auf den Widerspruch gelten. Die Bestimmungen der Logik sind zunächst sich selbst gleich und gehen von dieser abstrakten Identität mit sich selbst in den Widerspruch über. An diesem Widerspruch gehen sie zu Grunde und gehen durch den Widerspruch in ihren Grund zurück. Eben das sagt auch der Satz vom ausgeschlossenen Dritten in seiner spekulativen Bedeutung aus: alles ist positiv oder negativ bestimmt. Das besagt, dass jede Bestimmtheit »sich näher bestimme, zur Bestimmtheit an sich, zur Entgegensetzung werde.«670 Alles geht also von der bloß abstrakten Identität mit sich selbst in Entgegensetzung über. In der Entgegensetzung ist dann der Widerspruch gesetzt, der in seinen Grund als seine negative Einheit zurückgehen muss:671
dem Unterschied, der Übergang zum zweiten Negativen dem Widerspruch und schließlich das im zweiten Negativen implizierte positive Resultat der Einheit des Grundes.« (Düsing, Das Problem der Subjektivität in Hegels Logik (1976), S. 319.) 670 WdL I 1812/13; GW 11, S. 285. Gewöhnlich wird der SvaD allerdings in einem trivialeren Sinne verstanden: nämlich dass einem Subjekt ein Prädikat entweder zukommt oder nicht zukommt. Dann wäre das Entgegengesetzte aber nur ein »Mangel oder vielmehr die Unbestimmtheit« (285). In diesem Sinn wäre der Satz aber unbedeutend und unwahr. Denn bereits früh stellte Hegel fest: »Es gibt ein Drittes, sagt dagegen die Philosophie, und es ist dadurch Philosophie, daß ein Drittes ist; […] also das Entweder, Oder, was ein Princip aller formalen Logik und des der Vernunft entsagenden Verstandes ist, in der absoluten Mitte schlechthin vertilgt« (Glaube und Wissen 1802; GW 4, S. 399). »Zum Wissen des Spekulativen gehört, daß es außer dem Entweder-Oder noch ein Drittes gibt; es ist Sowohl als auch, und Weder, Noch.« (Philosophiegeschichte II; SW 19, S. 399.) 671 Das Ding, der Begriff und das Subjekt sind in diesem Sinne negative Einheiten und widersprechen sich an sich selbst: »Das Ding, das Subject, der Begriff ist nun eben diese negative Einheit selbst; es ist ein an sich selbst widersprechendes, aber eben so sehr der aufgelöste Widerspruch; es ist der Grund, der seine Bestimmungen enthält und trägt. Das Ding, das Subject, oder der Begriff, ist als in seiner Sphäre in sich reflectirt, sein aufgelöster Widerspruch, aber seine ganze Sphäre ist auch wieder eine bestimmte, verschiedene; so ist sie eine endliche, und diß heißt eine widersprechende.« (WdL I 1812/13; GW 11, S. 289.)
434
Die spekulative Logik
»jede Bestimmung, jedes Concrete, jeder Begriff ist wesentlich eine Einheit unterschiedener und unterscheidbarer Momente, die durch den bestimmten, wesentlichen Unterschied in widersprechende übergehen.«672 Wie nun aber die abstrakte Identität nicht unmittelbar in die Entgegensetzung scheint, so gehen auch die Bestimmungen der Logik nicht unmittelbar von ihrer abstrakten Gleichheit mit sich in ihre Entgegensetzung über, sondern müssen zunächst Verschiedene werden, die mit dem von ihnen Verschiedenen in einem Verhältnis der Gleichheit und Ungleichheit stehen. In dieser Zuspitzung auf den Widerspruch und seiner anschließenden Auflösung besteht die Reflexion der Begriffe in sie selbst, deren Moment auch die Reflexion in ihr Andres ist. Darin besteht ihre von Hegel geforderte Selbstuntersuchung.673 Die dialektische Entwicklung der Bestimmungen ist so nicht eine Kunst, die keine Methode kennen würde und deshalb nun eine nicht lehrbare intuitive Einsicht für philosophische Sonntagskinder ist.674 Andererseits ist sie auch nicht »der schematisch durchgehaltene Dreitakt, gleichsam ein Prozeß-Walzer a priori«675, sondern die komplexe Struktur der sich selbst bewegenden Gleichheit mit sich selbst oder der sich bestimmenden selbstbezüglichen Negation. Der anfängliche Übergang vom Sein zu Nichts, Werden und Dasein ist dabei sicherlich der problematischste Übergang der ganzen Logik.676 Denn weil 672
WdL I 1812/13; GW 11, S. 289. Auch Sarlemijn erkannte, dass alle Bestimmungen der Logik eine Kreisbewegung des In-sich-reflektiert-Werdens beschreiben. Die Reflexionsbestimmungen sind dabei »die verschiedenen Momente der Kreisform« (Sarlemijn, Hegelsche Dialektik (1971), S. 74). Die Bedeutung dieser Bestimmungen zeige sich an jedem Attribut. Sie stünden deshalb »an zentraler Stelle« (78): als Rückblick auf die Seinslehre und Vorbereitung der Entwicklung der Wesenslogik. 674 Sie ist keine Kunst, die nur ein kongenialer Geist verstehen kann, wie dies etwa Nicolai Hartmann behauptete: »Es gibt offenbar eine eigentümlich dialektische Begabung, die sich wohl ausbilden, aber nicht erlernen läßt. Sie ist eine eigene, originäre, auf nichts anderes zurückführbare Art des inneren Sehens […].« (Hartmann, Die Philosophie des Deutschen Idealismus (1960), S. 378.) Hegel ist in diesem Verständnis nur »der Meister der Dialektik, der große Künstler der begrifflichen Bewegung und der Gegenstandsschau in ihr. Aber er sagt nicht, wie er es macht. Er macht es einfach. Ja, er macht es vor, so daß der Kongeniale es nachvollziehen kann.« (380) Jeder Gegenstand hat nämlich seine eigene Dialektik, so dass nur allgemeinste (abstrakteste) Züge derselben angegeben werden können. Verschiedene Inhalte haben je eine unterschiedliche Dialektik. »Diese ist absolut unübertragbar, einzig, unersetzbar durch anderes.« (402) 675 Subjekt – Objekt (1962); Ges. Ausg. 8, S. 135. 676 So argumentiert Gadamer dafür, dass erst der Begriff des Werdens einen für das Verstehen zugänglichen Gedanken darstellt, weil Sein und Nichts hier verschieden sind. (Vgl. Die Idee der Hegelschen Logik (1971); GGW 3, S. 77 ff.) Aber diese Form der Unter673
Die operationale Anwendung der Reflexionsbestimmungen
435
das Sein noch absolut unbestimmt ist, muss er ohne weitere Bestimmung gedacht werden.677 Aber die Struktur dieses Übergangs lässt sich als Zuspitzung auf den Widerspruch zumindest äußerlich nachvollziehen: die Gleichheit des absoluten Seins mit sich wird auf das Werden als Widerspruch zugespitzt, der sich im Dasein als dem Grund auflöst:678 Das reine Sein, das den Anfang der Logik macht, ist in seiner unbestimmten und einfachen Unmittelbarkeit reiner Gedanke: »nichts Vermitteltes und weiter Bestimmtes«679. Was den Anfang macht, darf keine »Beziehung innerhalb seiner selbst«680 aufweisen. Es muss »ein Nichtanalysirbares, in seiner einfachen unerfüllten Unmittelbarkeit«681 sein, das ganz leer ist. Sein ist der Gedanke »in seiner reinen Bestimmungslosigkeit«, die »Bestimmungslosigkeit vor aller Bestimmtheit, das Bestimmungslose als Allererstes«682. So
schiedenheit tritt auch bei der Identität und dem Unterschied erst in der Verschiedenheit auf, weil auch diese in der absoluten Identität noch nicht verschieden voneinander und insofern nicht unterscheidbar sind. 677 Dieser Übergang soll deshalb nach Speiser gedacht werden, ohne überhaupt zu denken: »1. Sein, 2. Nichts, 3. Werden, 4. Entstehen, 5. Vergehen, 6. Widerspruch und Kampf zwischen 4 und 5, 7. Dasein. Dies muß man einüben, wie der angehende Klavierspieler die Töne c, d, e, f, g in die Finger bekommen muß. Zu denken braucht man einstweilen nichts, denn woher sollte man es nehmen?« (Andreas Speiser, Elemente der Philosophie und Mathematik, Bonn 1952, S. 34.) Bröcker wendet gegen solche Auffassungen zu Recht ein, dass nicht einsichtig werden könnte, wie man je zum Denken kommen könnte, wenn man nicht gleich mit dem Denken begänne. (Vgl. Bröcker, Formale, transzendentale und spekulative Logik (1962), S. 20 f.) 678 Bereits die Analyse und Reflexion des Begriffs des Anfangs entspricht in der Logik dem Verhältnis der Reflexionsbestimmungen: der Anfang ist zunächst noch Nichts, aus ihm soll erst Etwas werden. Das Sein ist im Anfang enthalten: der Anfang ist die Einheit von Sein und Nichts: »Nichtseyn, das zugleich Seyn, und Seyn, das zugleich Nichtseyn ist.« (WdL I/1 1832; GW 21, S. 60.) Sie sind noch gar nicht unterschieden. Aber Sein und Nichts sind »als unterschieden vorhanden« (60). Sie sind verschieden voneinander. Sie sind Andere und als Andere aufeinander bezogen. Der Anfang ist ein Nichtsein, das auf sein von ihm verschiedenes Anderes, nämlich das Sein, bezogen ist. Dieser Bezug ist der einer Entgegensetzung, insofern das Sein das Nichtsein gerade aufheben soll. Zuletzt spitzt sich die Analyse des Anfangs auf einen Widerspruch zu: denn was anfängt, muss bereits sein, gleichzeitig ist es aber noch nicht, sonst wäre es kein Anfangen: »Die Entgegengesetzten, Seyn und Nichtseyn sind also in ihm in unmittelbarer Vereinigung; oder er ist ihre ununterschiedene Einheit. / Die Analyse des Anfangs gäbe somit den Begriff der Einheit des Seyns und des Nichtseyns, – oder in reflectirterer Form, der Einheit des Unterschieden- und des Nichtunterschiedenseyns, – oder der Identität der Identität und Nichtidentität.« (60) 679 Enzyklopädie 1830 § 86; SW 8, S. 183. 680 WdL I/1 1832; GW 21, S. 62. 681 WdL I/1 1832; GW 21, S. 62. 682 Enzyklopädie 1830 § 86; SW 8, S. 184.
436
Die spekulative Logik
ist das reine Sein zunächst in absoluter und damit auch unbestimmter Weise mit sich selbst gleich: weder ist es von einem Anderen verschieden, noch ist es in sich differenziert. Wie bei der absoluten Identität selbst gibt es auch bei dem absolut mit sich identischen Sein keinen Bestimmungsgrund, in dem es sich von Anderem unterscheiden könnte. Jede Bestimmung würde bereits Negation implizieren. Das Sein ist aber nicht ein Substrat, an dem die Gleichheit nur aufträte, sondern es ist reine Gleichheit mit sich selbst. Nur als solche kann es, obwohl als Gleichheit mit sich selbst bezeichnet, keine Beziehung innerhalb seiner selbst enthalten. Es ist eine reine Relation und nicht etwas, an dem Relationen nur aufträten. Wie die unbestimmte absolute Identität der absolute Unterschied ist, so ist auch das absolut mit sich identische Sein das absolut von ihm Unterschiedene: das unbestimmte Nichts. Das Nichts ist hier die »beziehungslose Verneinung«683: es verneint nicht etwas, von dem es somit verschieden wäre, sondern es ist absolut unterschieden. Wie der absolute Unterschied aber wiederum absolute Identität ist, so ist auch das Nichts absolute »einfache Gleichheit mit sich selbst«684. Denn es gibt nichts, worin sich das Nichts von einem Anderen unterscheiden könnte – auch nicht vom Sein. Ansonsten müsste Nichts bereits Etwas sein. Jeder andere Begriff ist in irgendeiner Weise bestimmt und unterscheidet sich dadurch von Sein und Nichts, nur Sein und Nichts eben nicht: »Nichts ist somit dieselbe Bestimmung oder vielmehr Bestimmungslosigkeit, und damit überhaupt dasselbe, was das reine Seyn ist.«685 In ihrer »unbestimmten Einfachheit«686 sind Sein und Nichts nicht in etwas unterschieden: sie sind noch nicht verschieden voneinander. Als die »reinen Abstractionen des Seyns und Nichts«687 sind Sein und Nichts vielmehr dasselbe. So schlägt Sein in Nichts und Nichts in Sein und jedes damit in das um, was absolut unterschieden von ihm ist. Dieser Übergang von Sein in Nichts ist »ohne weitere Reflexionsbestimmung aufzufassen«688. Sein und Nichts müssen dazu als »Relationalität ohne jedes Relat«689 gedacht werden, denn
683
WdL I/1 1832; GW 21, S. 70. WdL I/1 1832; GW 21, S. 69. 685 WdL I/1 1832; GW 21, S. 69. 686 WdL I/1 1832; GW 21, S. 70. 687 WdL I/1 1832; GW 21, S. 72. 688 WdL I/1 1832; GW 21, S. 90. 689 Tuschling, Necessarium est idem simul esse et non esse (1989), S. 202. 684
Die operationale Anwendung der Reflexionsbestimmungen
437
nur weil sie »relatlos, ohne jede Vermittlung«690 sind, fallen sie zusammen und sind absolut identisch. Aber ihre Ununterschiedenheit ist nicht das ganze Wahre. »Sein« und »Nichts« sind ja nicht äquivoke Bezeichnungen für dasselbe oder bloß unterschiedene Gegebenheitsweisen derselben Sache. Vielmehr sind sie absolut unterschieden, nicht dasselbe. So sind Sein und Nichts eben auch schlechthin verschieden und das eine ist nicht das, was das andere ist.691 Dieser Unterschied, der kein bestimmter Unterschied ist, ist wiederum die verschiedene Gerichtetheit der Negation. Das Sein als absolute Gleichheit mit sich selbst ist das sich nur auf sich selbst beziehende Nichts, das Nichts hingegen ist die nach außen gerichtete Negation, die sich aber nur auf sich selbst, nämlich das Nichts beziehen kann, weil ja noch nichts in bestimmter Weise von ihr Unterschiedenes ist, auf das sie sich sonst beziehen könnte. Auch die nach außen gerichtete Negation bezieht sich also auf sich selbst, aber als nach außen gerichtete Negation. Der Unterschied von absolut und damit unbestimmt voneinander Unterschiedenem bleibt trotzdem unsagbar, denn man kann nicht angeben, worin er besteht. Was sich unterscheidet, unterscheidet sich durch eine Bestimmtheit. Sein und Nichts sind aber beide unbestimmt, weswegen sich beide nur unterscheiden sollen: es handelt sich um einen Unterschied, der keiner ist: »der Unterschied derselben ist nur erst an sich, aber er ist noch nicht gesetzt. Wenn wir überhaupt von einem Unterschied sprechen, so haben wir hiermit zwei, deren jedem eine Bestimmung zukommt, die sich in dem anderen nicht findet.«692 Ihre Verschiedenheit voneinander ist »bloße Meinung«693. Damit ist gesagt, dass Sein und Nichts zwar unterschieden voneinander sind, aber ihre Verschiedenheit nicht in sie selbst fällt, sondern in ein Drittes, ein ihnen Äußerliches und von ihnen Verschiedenes: nämlich die Meinung. Nur in dieser sind Sein und Nichts zunächst verschieden: sie verhält sich als Drittes zu ihnen. Das Werden ist dann der Gegensatz von Sein und Nichts, in dem Sein und Nichts als Entgegengesetzte ihr Bestehen haben. »Das Werden enthält also Seyn und Nichts als zwey solche Einheiten, deren jede selbst Einheit des Seyns und Nichts ist; die eine das Seyn als unmittelbar und als Beziehung auf das Nichts; die andere das Nichts als unmittelbar 690
Tuschling, Necessarium est idem simul esse et non esse (1989), S. 202. Vgl. Enzyklopädie 1830 § 88; SW 8, S. 188. 692 Enzyklopädie 1830 § 87; SW 8, S. 187. 693 Enzyklopädie 1830 § 87; SW 8, S. 186. Der Unterschied ist »nur ein gemeinter« (187). »Beim Sein und Nichts [..] ist der Unterschied in seiner Bodenlosigkeit, und eben darum ist es keiner, denn beide Bestimmungen sind dieselbe Bodenlosigkeit.« (187) 691
438
Die spekulative Logik
und als Beziehung auf das Seyn: die Bestimmungen sind in ungleichem Werthe in diesen Einheiten.«694 Die eine Einheit ist das Entstehen (als Werden von Nichts zu Sein) und die andere das Vergehen (als Werden von Sein zu Nichts). Diese entsprechen nach ihrer Relation dem Positiven und dem Negativen. Damit hat sich im Werden das absolut mit sich selbst gleiche Sein auf den Widerspruch zugespitzt. Als Positives und Negatives hebt auch beim Entstehen und Vergehen jede Bestimmung sich selbst auf und »ist an ihm selbst das Gegentheil seiner«695. Im Werden verschwindet das Sein ins Nichts und das Nichts ins Sein und der Widerspruch ist gesetzt: »Es widerspricht sich also in sich selbst, weil es solches in sich vereint, das sich entgegengesetzt ist; eine solche Vereinigung aber zerstört sich.«696 Wie in der Reflexionsbestimmung »Widerspruch« verschwindet jedes in seinem Gegenteil: »Das Werden ist nur das Umschlagen von Sein in Nichts und von Nichts in Sein, wo jedes negiert ist«697. Im Werden stehen Sein und Nichts in einem antinomischen Verhältnis. Es enthält beide, »und zwar so, daß diese beiden schlechthin ineinander umschlagen und sich einander gegenseitig aufheben«698. Als die widersprüchliche Einheit von Sein und Nichts ist das Werden »das durchaus Rastlose, welches sich aber in dieser abstrakten Rastlosigkeit nicht zu erhalten vermag«699. »Das Werden ist eine haltungslose Unruhe, die in ein ruhiges Resultat zusammensinkt.«700
694
WdL I/1 1832; GW 21, S. 93. So ist die Kategorie des Werdens auch nicht »fallenzulassen« (Wandschneider, Zur Struktur dialektischer Begriffsbestimmung (1997), S. 140), wie Wandschneider vorschlägt. Zu Recht wird dieser Vorschlag kritisiert: Grotz, Negationen des Absoluten (2009), S. 254. 695 WdL I/1 1832; GW 21, S. 93. 696 WdL I/1 1832; GW 21, S. 93 f. 697 Philosophiegeschichte I; SW I, S. 357. Gegen Wandschneider ist einzuwenden, dass es nicht gleichgültig ist, ob man den Terminus »Nichts« oder »Nichtsein« verwendet. (Zur Kritik an dieser für Wandschneiders Argumentation grundlegenden Gleichsetzung vgl. Grotz, Negationen des Absoluten (2009), S. 255 ff.) Nichts drückt den absoluten Unterschied aus, der gerade wegen seiner Absolutheit keine Verschiedenheit vom Sein impliziert. Die Bezeichnung Nichtsein ist nur für das Resultat des Übergehens zulässig, nicht aber für das reine Nichts, das beziehungslose Gleichheit mit sich selbst ist. Das Nichtsein hingegen ist nur »das Nichts, wie es im Werden ist« (WdL I/1 1832; GW 21, S. 70), wo sich also die Verschiedenheit von Sein und Nichts herausbildet. Das reine Nichts dagegen ist »die beziehungslose Verneinung« (70). 698 Enzyklopädie 1830 § 89; SW 8, S. 195. 699 Enzyklopädie 1830 § 89; SW 8, S. 195. 700 WdL I/1 1832; GW 21, S. 93.
Die operationale Anwendung der Reflexionsbestimmungen
439
Das Werden »fällt durch seinen Widerspruch in sich in die Einheit, in der beide aufgehoben sind, zusammen«701. Es geht deshalb zu Grunde. Das positive Resultat dieses Zugrundegehens ist das Dasein: »sein Resultat ist somit das Dasein.«702 Der Widerspruch des Werdens löst sich also im Dasein auf. Das Werden ist die widersprüchliche Einheit von Sein und Nichts, die in das Dasein als den Grund übergeht. Im Dasein als dem Grund des Widerspruchs von Sein und Nichts ist ihr Verhältnis kein antinomisches mehr. Das Dasein ist »die Einheit des Seins und des Nichts, in der die Unmittelbarkeit dieser Bestimmungen und damit in ihrer Beziehung ihr Widerspruch verschwunden ist, – eine Einheit, in der sie nur noch Momente sind«703. Das Dasein ist die Einheit von Sein und Nichts: Sein mit Negation. Dasein ist »das mit der Negation identische Sein«704. Wie das mit sich selbst gleiche Sein so gehen auch die anderen Bestimmungen ineinander über und werden in sich reflektiert. Dabei ist jeder Begriff oder jede logische Bestimmung jedoch nur »in seiner Sphäre«705 gesetzter und aufgelöster Widerspruch. Diese ist gegen eine andere bestimmt und als bestimmte Sphäre endlich und widersprüchlich. Der Grund, in den sich der Widerspruch jeweils auflöst, ist als Grund zunächst wiederum in unbestimmter Weise mit sich selbst gleich. So ist der Grund als Reflexionsbestimmung zunächst absoluter Grund, bevor er bestimmter Grund wird. Der Grund muss also in seiner Bestimmung erneut auf einen Widerspruch zugespitzt werden und nun seinerseits in seinen Grund zurückgehen: »Von diesem höhern Widerspruche ist nicht sie [die Sphäre des aufgelösten Widerspruchs; S. Sch] selbst die Auflösung; sondern hat eine höhere Sphäre zu ihrer negativen Einheit, zu ihrem Grunde. Die endlichen Dinge in ihrer gleichgültigen Mannichfaltigkeit, sind daher überhaupt diß, widersprechend an sich selbst, in sich gebrochen zu seyn und in ihren Grund zurückzugehen.«706 Der Grund selbst geht als Reflexionsbestimmung in die Existenz als seinen Grund zurück.707 In gleicher Weise ist auch das Dasein, als der Grund, in den 701
Enzyklopädie 1830 § 89; SW 8, S. 193. Enzyklopädie 1830 § 89; SW 8, S. 193. 703 Enzyklopädie 1830 § 89; SW 8, S. 194. 704 Enzyklopädie 1830 § 89; SW 8, S. 195. 705 WdL I 1812/13; GW 11, S. 289. 706 WdL I 1812/13; GW 11, S. 289. 707 Auch das Begründen spitzt sich auf den Widerspruch zu: »Weiter ist nun aber auch der Grund nicht bloß das einfach mit sich Identische, sondern auch unterschieden, und es 702
440
Die spekulative Logik
der Widerspruch des Werdens zurückgegangen ist, zunächst unbestimmtes Dasein, das nur mit sich selbst gleich ist: Dasein als solches. In der Endlichkeit ist das eine Dasein vom Anderen als Etwas und Anderes verschieden.708 Die Unendlichkeit ist die Einheit als Gegensatz. Der Widerspruch der Unendlichkeit geht ebenfalls in einen Grund zurück, nämlich das Fürsichsein. Dieses Setzen und Aufheben von Widersprüchen setzt sich im Gang der Logik solange fort, bis der letzte Widerspruch, nämlich die absolute Idee, auf den sich die Idee zugespitzt hat, zu Grunde geht und dabei in ihren Grund zurückgeht: dieser Grund ist das Sein, das als Anfang der Grund der gesamten Logik ist. Der Gang der Reflexion der einzelnen Bestimmungen ist – anschaulich gemacht – also ein kreishafter und kein linearer Fortschritt. Die Reflexion kehrt immer wieder in ihren Anfang als ihren Grund zurück.709 Es findet also kein einfaches Voranschreiten statt. Andererseits findet auch in jeder Reflexion nicht nur eine unendliche Wiederholung desselben Kreises statt, da sich ja etwas entwickelt. Der Kreis verschiebt sich also gewissermaßen immer weiter, bis er in seine Ausgangslage zurückkehrt. Diese Verschiebung ist wiederum eine kreishafte.710 Verkompliziert wird die Struktur der Logik aber dadurch, dass die Logik nicht nur eine Abfolge von auf einer Ebene liegenden Sphären ist, sondern es auch übergeordnete Sphären und Subsphären gibt. Bestimmungen, die in einer Sphäre der Verschiedenheit zugeordnet werden können, können eine eigene Subsphäre bilden und so selbst wiederum von der absoluten Identität in den Widerspruch übergehen: »jede Sphäre der logischen Idee erweist sich als eine Totalität von Bestimmungen.«711 Bestimmungen einer Sphäre der lolassen sich deshalb für einen und denselben Inhalt verschiedene Gründe angeben, welche Verschiedenheit der Gründe, nach dem Begriff des Unterschiedes, dann weiter zur Entgegensetzung in der Form von Gründen für und wider denselben Inhalt fortschreitet.« (Enzyklopädie 1830 § 121; SW 8, S. 250.) 708 In der Bestimmung des Fürsichseins verhalten sich das Eine und das Viele zueinander als Verschiedene, von denen eines so gut ein Verschiedenes ist als das Andere: »Die Vielen sind aber das eine was das andere ist, jedes ist Eins oder auch Eins der Vielen; sie sind daher eins und dasselbe.« (Enzyklopädie 1830 § 98; SW 8, S. 205f.) 709 So heißt es auch in der Phänomenologie (1807): »Es ist das Werden seiner selbst, der Kreis, der sein Ende als seinen Zweck voraussetzt und zum Anfange hat, und nur durch die Ausführung und sein Ende wirklich ist.« (GW 9, S. 14.) 710 Wenn man denn eine anschauliche Darstellung will, so könnte man den Gang am ehesten mittels einer Kugel darstellen, wobei die Reflexionen in sich jeweils dem Umfang entsprechen würden, den man dann um die Kugel rotieren lässt, um am Ende der Logik wieder in die erste Reflexion zurückzukehren (wobei dieses Bild den Mangel hat, dass sich diese Umfänge ja auch in dem entgegengesetzten Pol schneiden). 711 Enzyklopädie 1830 § 85; SW 8, S. 182.
Die operationale Anwendung der Reflexionsbestimmungen
441
gischen Idee können also ihrerseits eine Totalität von Bestimmungen und damit eine Subsphäre darstellen. So werden die Bestimmungen des Daseins, die die Momente der Reflexion des mit sich identischen Daseins sind, wiederum in sich reflektiert. Dasein als solches, Bestimmtheit und Unendlichkeit sind also Subsphären der Sphäre Dasein. Sie selbst sind ja als Momente des Daseins zunächst mit sich selbst identisch und können so auf den Widerspruch zugespitzt und in ihren Grund aufgelöst werden.712 So können diese Untersphären ihrerseits eine Abfolge darstellen. Die qualitative Unendlichkeit etwa ist ein Moment der Reflexion eines Moments der Reflexion des Daseins: das Unendliche ist dabei zunächst selbst wiederum Grund, nämlich der Grund, in den sich der Widerspruch des Endlichen aufgelöst hat.713 Das Endliche geht über sich hinaus, negiert seine Negation und wird unendlich. Das Endliche geht damit in seinen Grund über: das Unendliche.714 Das Endliche ist damit im Unendlichen verschwunden. Nur noch das Unendliche überhaupt in seiner abstrakten Sichselbstgleichheit ist. Aber das Unendliche ist und damit »ist es zugleich die Negation eines Andern, des Endlichen.«715 Das Unendliche ist ein Verschiedenes, nämlich verschieden vom Endlichen. Umgekehrt ist damit das Endliche ein vom Unendlichen verschiedenes »reales
712
Jeder Begriff ist eine Einheit entgegengesetzter Momente. Man könnte ihnen also die Form von Antinomien geben: »Werden, Daseyn u.s.f. und jeder andere Begriff könnte so seine besondere Antinomie liefern, und also so viele Antinomien aufgestellt werden, als sich Begriffe ergeben.« (WdL I/1 1832; GW 21, S. 180.) 713 Zum Widerspruch von Endlichkeit und Unendlichkeit vgl. u. a. Hösle, Hegels System (1998), S. 167–176. 714 »Diese Identität mit sich, die Negation der Negation, ist affirmatives Seyn, so das Andere des Endlichen, als welches die erste Negation zu seiner Bestimmtheit haben soll; – jenes Andere ist das Unendliche.« (WdL I/1 1832; GW 21, S. 124.) Das Endliche selbst wiederum war der Grund, in den sich der Widerspruch des Etwas auflöste: »Etwas mit seiner immanenten Grenze gesetzt als der Widerspruch seiner selbst, durch den es über sich hinausgewiesen und getrieben wird, ist das Endliche.« (116) Die Endlichkeit steht zunächst »als an sich fixirte Negation […] seinem Affirmativen schroff gegenüber« (117). Aber auch dieser Gegensatz geht in die Antinomie über: das Endliche steht dem Unendlichen perennierend gegenüber. Das geht dann in den Widerspruch und damit in den Grund über: »die Entwicklung des Endlichen zeigt, daß es an ihm als dieser Widerspruch in sich zusammenfällt, aber ihn dahin wirklich auflöst« (118). Als Sollen ist das Endliche der Widerspruch, der sich aufhebt und damit vergeht. Dies Negative ist seine Beziehung und wird so affirmiert. Im Vergehen wird das Endliche zum Vergangenen. Das Endliche geht ad infinitum in anderes Endliches über. In seinem Vergehen, in seiner Selbstnegation erst ist das Endliche das, was es an sich ist: »es ist darin mit sich selbst zusammengegangen.« (123) 715 WdL I/1 1832; GW 21, S. 126.
442
Die spekulative Logik
Daseyn«716. Beide sind dabei das »bloß Andere gegeneinander«717. Das wiederum bringt den Gegensatz hervor: denn das Unendliche ist so gefasst nur ein endliches Unendliches oder die schlechte Unendlichkeit. Die Antinomie besteht hier dann in der »Wechselbestimmung des Endlichen und Unendlichen«718. Das schlechte Unendliche ist antinomisch, da »es sowohl Etwas ist als sein Anderes, und ist das perennierende Fortsetzen des Wechsels dieser einander herbeiführenden Bestimmungen.«719 Das Endliche ist nämlich nur 716
WdL I/1 1832; GW 21, S. 126. WdL I/1 1832; GW 21, S. 126. 718 WdL I/1 1832; GW 21, S. 129. 719 Enzyklopädie 1830 § 94; SW 8, S. 199. Wie es im Qualitativen einen Widerspruch zwischen endlich und unendlich gibt, so auch im quantitativen Endlichen, der sich ebenfalls in einem unendlichen Progress ausdrückt: in der quantitativen »Wechselbestimmung des Endlichen und Unendlichen« (WdL I/1 1832; GW 21, S. 220). Das Quantum bezieht sich auf das Unendliche als dasjenige, was zwar jenseits seiner selbst liegt, aber ständig erzeugt werden soll: das Unendlichgroße und Unendlichkleine. Sie sind Ausdrücke der Verbindung des Endlichen und Unendlichen beim Quantum. Das Unendlichkleine bleibt klein, und somit ein endliches Quantum. Dennoch soll es unendlich sein. Das Unendlichgroße, je mehr man die Größe auch vergrößert, vermindert das Unendliche nicht. Der Unterschied zwischen dem Quantum und dem Unendlichen ist selbst kein quantitativer. Beide sind »schlechte quantitative Unendlichkeit[en]« (222). Im Quantitativen findet überhaupt eine dem Qualitativen analoge Bestimmung der Unendlichkeit statt. Hier ist kein Fortgang, sondern nur »ein Wiederholen von einem und eben demselben, Setzen, Aufheben, und Wiedersetzen und Wiederaufheben; eine Ohnmacht des Negativen, dem das, was es aufhebt, durch sein Aufheben selbst als ein continuirliches wiederkehrt« (222). Das entspricht dem Antinomienverständnis: »Es sind zwey so zusammengeknüpft, daß sie sich schlechthin fliehen; und indem sie sich fliehen, können sie sich nicht trennen, sondern sind in ihrer gegenseitigen Flucht verknüpft.« (222) Die Antinomie bleibt solange bestehen, solange die Gegensätze einander äußerlich entgegengesetzt werden – also noch isoliert genommen werden –, weil sie doch den Bezug aufeinander voraussetzen. Das zeigt Hegel u. a. auch am reinen Willen und seinem moralischen Gesetz und der Natur und der Sinnlichkeit des Willens. Das perennierende Sollen setzt voraus, dass der Wille dem moralischen Gesetz völlig angemessen werden soll, was aber nur im Unendlichen geschehen kann, in einem absolut unerreichbaren Jenseits. Die Entgegengesetzten werden »als vollkommen selbstständig und gleichgültig gegeneinander vorausgesetzt.« (225) Das Gesetz des reinen Willens steht aber in wesentlicher (negativer) Beziehung auf die Sinnlichkeit. Die Naturgesetze haben keine wesentliche Beziehung auf den reinen Willen. »Zugleich sind beyde aber Momente eines und desselben einfachen Wesens, des Ich; der Wille ist als das Negative gegen die Natur bestimmt, so daß er nur ist, insofern ein solches von ihm verschiedenes ist, das von ihm aufgehoben werde, von dem er aber hierin berührt und selbst afficirt ist.« (226) Dass die Natur/Sinnlichkeit durch den Willen beschränkt wird, ist ihr gleichgültig, sie erhält sich und begrenzt ihrerseits den Willen. »Es ist Ein Act, daß der Wille sich bestimmt und das Andersseyn einer Natur aufhebt, und daß diß Andersseyn als daseyend gesetzt ist, sich in sein Aufgehobenwerden continuirt, und nicht aufgehoben ist.« (226) Im selben Akt bestimmt der Wille sich nebst Anderssein von Naturdingen und dieses Anderssein wird als Dasein gesetzt und nicht aufgehoben. Das Dasein der Natur 717
Die operationale Anwendung der Reflexionsbestimmungen
443
durch seine Beziehung auf das Unendliche endlich und umgekehrt. Somit finden sich Strukturmomente des Positiven und Negativen: »so ist jedes die Einheit seiner und seines Andern, und ist in seiner Bestimmtheit Daseyn, das nicht zu seyn, was es selbst und was sein Anderes ist.«720 Damit kommt es zur infiniten Wechselbestimmung – dem Oszillieren als »Progreß ins Unendliche«721. Dieser infinite Progress kommt durch die untrennbare Einheit auf, die in Widerspruch zu dem Anspruch auf Selbständigkeit steht: »Dieser Progreß ist daher der Widerspruch, der nicht aufgelöst ist, sondern immer nur als vorhanden ausgesprochen wird.«722 Das Oszillieren ist »die sich wiederhohlende Einerleyheit, eine und dieselbe langweilige Abwechslung dieses Endlichen und Unendlichen.«723 Die affirmative Unendlichkeit ist dann der gesetzte Widerspruch als die Einheit, »die – verruffene – Einheit des Endlichen und Unendlichen, – die Einheit, die selbst das Unendliche ist, welches sich selbst und die Endlichkeit in sich begreifft«724. Hier ist die Vernunft nicht mehr im Hin- und Hergehen gefangen. Endlichkeit und Unendlichkeit als Momente des Widerspruchs genommen sind schon nicht mehr das Oszillieren der Antinomie, sondern in beiden ist dieselbe Negation der Negation. »So ist beydes, das Endliche und Unendliche, diese Bewegung, zu sich durch seine Negation zurückzukehren; sie sind nur als Vermittlung in sich, und das Affirmative beyder enthält die Negation beyder, und ist die Negation der Negation.«725
wird negiert und im Akt der negativen Bezugnahme affirmiert. »Der Widerspruch, der hierin liegt, wird im unendlichen Progresse nicht aufgelöst, sondern im Gegentheil als unaufgelöst und unauflösbar dargestellt und behauptet« (226). Fichtes Philosophie etwa endet mit »de[m]selbe[n] Widerspruch, mit welchem angefangen wurde.« (227) Dieser Widerspruch ist »die nur unvollkommene, erst die erste Negation, nicht die unendliche, nicht die Negation der Negation.« (228) Der Begriff des Quantums in seinen abstrakten Bestimmungen ist »in ihm das Aufheben des Quantums, aber eben so sehr seines Jenseits, also die Negation des Quantums sowohl, als die Negation dieser Wahrheit vorhanden. Seine Wahrheit ist ihre Einheit, worin sie, aber als Momente, sind.« (234) 720 WdL I/1 1832; GW 21, S. 129. 721 WdL I/1 1832; GW 21, S. 129. 722 WdL I/1 1832; GW 21, S. 129. 723 WdL I/1 1832; GW 21, S. 129. 724 WdL I/1 1832; GW 21, S. 132. 725 WdL I/1 1832; GW 21, S. 135. Der Begriff »Einheit von Endlichkeit und Unendlichkeit« ist insofern ein schiefer Ausdruck, als die Momente hier unbewegt bleiben, die Relation gegenüber den Relata nachrangig ist: sie bleibt »abstracte bewegungslose Sichselbstgleichheit, und die Momente sind ebenso als unbewegte Seyende.« (WdL I/1 1832; GW 21, S. 136.) »Die wahrhafte Auflösung dieser Antinomie ist, daß weder jene Gränze für sich, noch dieß Unendliche für sich etwas wahres ist« (Logik für die Mittelklasse § 82 (1810/11); GW 10,1, S. 240). Denn die Grenze ist als Grenze dadurch bestimmt, dass über sie hinaus-
444
Die spekulative Logik
Das Fürsichsein als die wahre Unendlichkeit, als die Negation der Negation, das »Andere des Anderen«726 ist der Grund, in den sich die Unendlichkeit auflöst. Der Grund ist die Idealität von Endlichkeit und Unendlichkeit. In dieser Idealität, in der der Widerspruch aufgelöst ist, sind beide nur noch Momente. Sowohl beim Endlichen als auch beim Unendlichen zeigt sich, dass es sein Gegenteil an ihm selbst hat und mit ihm zusammengeht: »so ist die affirmative Wahrheit diese sich in sich bewegende Einheit, das Zusammenfassen beyder Gedanken, ihre Unendlichkeit«727. Die Unendlichkeit ist damit vermittelt. Umgekehrt ist eine Sphäre wie das Dasein wiederum selbst nur ein Moment innerhalb der Reflexion der Qualität in sich. Das Dasein ist somit in Beziehung auf die Qualität eine bloße Subsphäre. Die reflektierten Bestimmungen sind also einerseits in die Reflexion in sich umfassenderer Bestimmungen eingebunden und andererseits können die Bestimmungen, die in ihrer Reflexion in sich auftauchen, wiederum eine Reflexion in sich beschreiben. Auch in den Reflexionsbestimmungen selbst wurde ja bereits der Übergang von einer Bestimmung in die nächste durch einen an sich seienden Widerspruch begründet, der aber erst zuletzt als Übergang in den Grund als Widerspruch gesetzt war. Dies findet nun eben auch jeweils in den sich umgreifenden Reflexionen in sich statt. Die Betrachtung der Logik in ihren jeweils sich differenzierenden Reflexionen in sich innerhalb einzelner Sphären erlaubt es allerdings, bereits die einzelnen Bestimmungen der Seins- und der Wesenslogik wie auch dieser Logiken selbst als in ihrer Sphäre vollständig in sich reflektiert zu betrachten. Das Dasein etwa ist dann zwar mit der Unendlichkeit vollständig in sich reflektiert, aber die Qualität, deren Bestimmung das Dasein ist, ist dies noch nicht. Deshalb ist auch das Dasein insofern nicht vollständig bestimmt, als es noch nicht in seinem Verhältnis gegen das Sein und das Fürsichsein bestimmt ist. Diese Bestimmung geschieht in der Reflexion der Qualität in sich: Hier ist das Sein zunächst das absolut Unbestimmte. Diesem ist als Unterschiedenes das Bestimmte entgegengesetzt. Damit ist die absolute Unbestimmtheit nichts anderes als seine Bestimmtheit. Sein ist Bestimmtheit, die Bestimmungslosigkeit ist, sie ist Bestimmtheit schlechthin, weil diese Bestimmtheit nicht nur hinsichtlich einer oder mehrerer Bestimmungen erfolgt. zugehen ist. Das schlechte Unendliche als sukzessive Unendlichkeit ist durch die Verschiebung der Grenze bestimmt und damit durch dies ständig neue Entstehen der Grenzen. 726 Enzyklopädie 1830 § 95; SW 8, S. 201. 727 WdL I/1 1832; GW 21, S. 139.
Die operationale Anwendung der Reflexionsbestimmungen
445
Sie ist also absolute Identität, die absoluter Unterschied ist (Bestimmtheit = Unterschied). Das Nichts ist die absolute Bestimmung, die aber wiederum absolute Bestimmungslosigkeit ist. Was in der Reflexion der Qualität in sich ins Verhältnis gesetzt wird, sind also absolute Bestimmungslosigkeit (Sein) und absolute Bestimmung (Nichts). Grundlage aller Bestimmung ist dabei die absolute Bestimmungslosigkeit selbst, die sich als Unbestimmtheit selbst bestimmt: »Eben diese Unbestimmtheit ist […] das, was die Bestimmtheit desselben ausmacht; denn die Unbestimmtheit ist der Bestimmtheit entgegengesetzt; sie ist somit als Entgegengesetztes selbst das Bestimmte, oder Negative, und zwar das reine, ganz abstract Negative.«728 Wichtig ist, dass so wie sich die Reflexionsbestimmungen auf die Reflexion der Qualität in sich applizieren lassen und damit die logische Struktur des Ganzen luzide machen, so ließen sich mit gleichem Recht die sich in dieser Reflexion entwickelnden Bestimmungen der Bestimmtheit und Unbestimmtheit umgekehrt auf die Reflexionsbestimmungen anzuwenden. Die Identität als die absolute Grundlage der Reflexionsbestimmungen ist dabei nur als absolut unbestimmt bestimmt, wie der absolute Unterschied absolute Bestimmtheit und dadurch ebenfalls unbestimmt ist. Beide differenzieren sich in der Verschiedenheit in bestimmte Bestimmungen, die gegeneinander äußerlich bestimmt sind, bis diese Bestimmtheit dann im Gegensatz in sie zurückgenommen wird. So sieht man hier bereits das Verhältnis der verschiedenen in sich reflektierten Bestimmungen zueinander: in ihnen wird jeweils ein Moment besonders in den Blick genommen, das auch in den anderen auftritt, aber dort wieder abgeblendet wird. Innerhalb der Reflexion der Qualität in sich verhält sich das Werden als das Übergehen von der absoluten Identität in den absoluten Unterschied von Bestimmungslosigkeit und Bestimmtheit in ihre Verschiedenheit, die sie innerhalb des Daseins haben. Das Werden ist die Bestimmung, in der »beyde unterschieden sind«729. Bestimmungslosigkeit und Bestimmtheit werden im Werden zu Verschiedenen. Verschiedene sind sie dann im Dasein.730 Sein und
728
WdL I/1 1832; GW 21, S. 86. WdL I/1 1832; GW 21, S. 70. 730 Das Dasein ist dabei wieder in sich reflektiert, wobei hier die Bestimmungen noch einmal in sich reflektierte Bestimmungen darstellen. Das Dasein als solches, das die abstrakte Identität des Daseins mit sich ist, ist selbst noch einmal in sich reflektiert mit den Bestimmungen des Daseins überhaupt (abstrakte Identität), Qualität (die sich als verschiedene zueinander verhalten) und Etwas. 729
446
Die spekulative Logik
Nichts verhalten sich so wie absolute Klarheit und absolute Finsternis zueinander: in beiden sieht man nichts. »Erst in dem bestimmten Lichte – und das Licht wird durch die Finsterniß bestimmt, – also im getrübten Lichte, eben so erst in der bestimmten Finsterniß, – und die Finsterniß wird durch das Licht bestimmt, – in der erhellten Finsterniß kann etwas unterschieden werden, weil erst das getrübte Licht und die erhellte Finsterniß den Unterschied an ihnen selbst haben, und damit bestimmtes Seyn, Daseyn, sind.«731 Dem Werden käme in diesem Bilde das Dämmern zu. Erst im Dasein sind Verschiedene: die erhellte Finsternis oder das getrübte Licht. So ist die Einheit von Sein und Nichts »von ihnen selbst zugleich verschieden, […] ein Drittes gegen sie«732. Das Dasein enthält so den realen Unterschied zwischen Sein und Nichts. Dasein ist ein »bestimmtes Seyn, ein concretes; es thun sich daher sogleich mehrere Bestimmungen, unterschiedene Verhältnisse seiner Momente an ihm auf.«733 Die Bestimmtheit ist im Dasein bestimmt als Verschiedenheit. Die Bestimmtheit ist die Einheit von Sein und Nichts, die im Dasein in unterschiedlichen Formen auftritt, aber jeweils als verschieden, insofern sie bestimmt sind. Die eine Bestimmtheit (als Einheit von Sein und Nichts) ist von der anderen (als Einheit von Nichts und Sein) verschieden. Sein und Nichts sind im Dasein ungleich, verschieden voneinander in den Bestimmtheiten Etwas und Anderes, Realität und Negation. Sein und Nichts sind im Dasein vereint, aber diese Einheit ist nicht gesetzt: »Das Daseyn ist darum die Sphäre der Differenz, des Dualismus, das Feld der Endlichkeit.«734 Der leitende Begriff für die Reflexion der Qualität in sich ist aber der des Etwas. Das Etwas ist das Verschiedene. Etwassein und Anderssein entsprechen der Gleichheit und der Ungleichheit. Sie sind äußerliche Bestimmungen, die in ein Drittes fallen. So ist Etwas so gut ein Anderes wie das Andere ein Etwas: »Beyde sind auf gleiche Weise Andere.«735 Dieser Sachverhalt wird durch das 731
WdL I/1 1832; GW 21, S. 80. WdL I/1 1832; GW 21, S. 80. 733 WdL I/1 1832; GW 21, S. 98. 734 WdL I/1 1832; GW 21, S. 144. So sind zunächst Realität und Negation als Einheiten von Sein und Nichts verschieden. Als Verschiedene findet so auch keine Reflexion in sich statt: die Realität ist zwar an sich Einheit von Realität und Negation, aber als Realität. Damit ist sie nur als Realität gesetzt, die Negation hingegen ist nur als Negation gesetzt. Dass beide Negation und Realität sind, ist als Verschiedenen bei ihnen »versteckt« (99). 735 WdL I/1 1832; GW 21, S. 105. 732
Die operationale Anwendung der Reflexionsbestimmungen
447
lateinische »aliud« zum Ausdruck gebracht, das in »aliud – aliud« sowohl »Etwas« als auch »Anderes« bedeutet. Wie es sich bei den sechs Meilen Weg so verhält, dass es außerhalb seiner selbst fällt, ob es sich um Ostweg oder Westweg handelt, und außerhalb der 100 Taler, ob sie Schulden oder Haben sind, so verhält es sich auch beim Etwas: ob es etwas oder anderes ist, fällt gar nicht in es selbst.736 »Das Andere, dem Etwas gegenüber, ist selbst ein Etwas, und wir sagen demgemäß: etwas Anderes; ebenso ist andererseits das erste Etwas, dem gleichfalls als Etwas bestimmten Anderen gegenüber, selbst ein Anderes.«737 Das Anderssein ist so wie Gleichheit und Ungleichheit eine dem Dasein äußerliche Bestimmung. Nur durch den Vergleich eines Dritten ist das Andere ein Anderes. Der Unterschied von Etwas und Anderem fällt in ein Drittes. Aber die Andersheit als solche kann in sich reflektiert werden. Das Andere seiner selbst entspricht dem Ungleichen seiner selbst. Etwas und Anderes werden in die Gleichheit und die Ungleichheit ihrer selbst mit sich reflektiert. »A ist ebenso sehr das Andere des B. Beyde sind auf gleiche Weise Andere.«738 Erst als die Beziehung auf »nicht das Andere von etwas, sondern das Andere an ihm selbst, d. i. das Andere seiner selbst«739, wird es in sich reflektiert: das Ungleiche ist also das Ungleiche seiner selbst. Das Fürsichsein ist reicher bestimmt als es das Sein ist, das nur einfache Beziehung auf sich selbst ist. Das Fürsichsein ist »Beziehung auf sich durch Negation des Andersseins.«740 Das Fürsichsein hat sein Anderes, durch das es bestimmt wird, in sich zurückgenommen. Gerade der negative Bezug auf das Andere seiner selbst ist der Selbstbezug des Fürsichseins: »Es ist die Negation des Andersseins, – dieses ist Negation gegen mich. So ist das Fürsichsein Negation der Negation, und diese ist, wie ich es nenne, die absolute Negativität. Ich bin für mich, da negiere ich das Anderssein, das Negative; und diese Negation der Negation ist also Affirmation. Diese Beziehung auf mich im Fürsichsein ist so affirmativ, ist Sein, das ebensosehr Resultat ist, vermittelt ist durch ein Anderes, – aber durch Negation des Anderen; Vermittlung ist darin
736
»Dieses spricht eben es aus, daß diß Unterscheiden und Herausheben des einen Etwas ein subjectives, ausserhalb des Etwas selbst fallendes Bezeichnen ist. In dieses äusserliche Monstriren fällt die ganze Bestimmtheit; selbst der Ausdruck: Dieses enthält keinen Unterschied; alle und jede Etwas sind gerade so gut Diese, als sie auch Andere sind.« (WdL I/1 1832; GW 21, S. 105.) 737 Enzyklopädie 1830 § 92; SW 8, S. 198. 738 WdL I/1 1832; GW 21, S. 105. 739 WdL I/1 1832; GW 21, S. 106. 740 Philosophiegeschichte I; SW 18, S. 356.
448
Die spekulative Logik
enthalten, aber eine Vermittlung, die ebensosehr aufgehoben ist.«741 Das Fürsichsein ist Widerspruch. Die in sich reflektierte Qualität ist ihrerseits eine Bestimmung in der Reflexion des Seins in sich. Die ganze Reflexion des Seins in sich enthält die drei Bestimmungen Qualität, Quantität und qualitativ bestimmte Quantität (das Maß). Das qualitative Sein ist dabei das Sein als solches, das absolut mit sich identische Sein, das von ihm ununterschiedene Bestimmtheit ist. Die Quantität ist hingegen »die schon negativ-gewordene Qualität«742. Sie ist die Bestimmtheit, die sich vom Sein unterscheidet, sie ist verschieden vom Sein, beide stehen sich als gleichgültig gegenüber. Das Maß ist die Vereinigung beider im Gegensatz, dessen Widerspruch dann in den Schein als seinen Grund zurückgeht. Quantität und Qualität stehen ihrerseits nun wieder im Prozess des Maßes in einem antinomischen Verhältnis. Aber er ist »nicht bloß die schlechte Unendlichkeit des unendlichen Progresses in der Gestalt eines perennierenden Umschlagens von Qualität in Quantität und von Quantität in Qualität, sondern zugleich die wahre Unendlichkeit des in seinem Anderen mit sich selbst Zusammengehens.«743 Das Wesen ist Resultat ihrer Dialektik, der Grund, in den sie zurückgehen. Diese Setzung und Auflösung des Widerspruchs findet also auch in der Wesens- und Begriffslogik in allen Sphären statt.744 Diese Verhältnisse gelten dann analog auch für die Begriffs- und die 741
Philosophiegeschichte I; SW 18, S. 357. WdL I/1 1832; GW 21, S. 67. 743 Enzyklopädie 1830 § 111; SW 8, S. 229. 744 Auch das Ding ist entsprechend der Reflexionsbestimmungen bestimmt. »Am Dinge rekurrieren die sämtlichen Reflexionsbestimmungen als existierend. So ist das Ding, zunächst als Ding-an-sich, das mit sich Identische. Die Identität aber ist, wie wir gesehen haben, nicht ohne den Unterschied, und die Eigenschaften, welche das Ding hat, sind der existierende Unterschied, in der Form der Verschiedenheit.« (Enzyklopädie 1830 § 125; SW 8, S. 256.) Das Ding ist identisch mit sich als Ding an sich und unterschieden durch die Eigenschaften. Die Materie ist die Reflexionsbestimmung der Identität als existierend, die Form die Reflexionsbestimmung des Unterschiedes als existierend. (Vgl. § 127) Das Ding fällt in Materie und Form auseinander. Aber auch Materie und Form verdanken ihre Selbständigkeit nur der negativen Beziehung auf das jeweils andere, so dass das Ding als die Einheit von Materie und Form der Widerspruch ist. (Vgl. § 128) Auch die abstrakten Begriffsbestimmungen im qualitativen Schluss unterliegen den Übergängen der Reflexionsbestimmungen. (Vgl. Düsing, Syllogistik und Dialektik (1986), S. 26.) Was ihr Gegensatzverhältnis angeht, so rekurriert die Abfolge der Bestimmungen auf die Wesenslogik. Die Bestimmungen des Begriffes entsprechen ihnen, weil der Begriff in seinen Bestimmungen »die höhere Entwicklung und zugleich der Grund der Reflexionsbestimmungen und ihres Zusammenhangs« (35) ist. Die Reflexionsbestimmungen einschließlich des Widerspruchs sind nur »unselbständige, partielle Konstitutionsmomente der Selbstbewegung des Begriffs« (38), die »in der Einheit als denkender, in sich negativer Selbstbeziehung« (38) fundiert sind. Die Begriffsbestimmungen Allgemeinheit, Besonderheit und Einzelheit ent742
Die operationale Anwendung der Reflexionsbestimmungen
449
Wesenslogik sowie ihres Verhältnisses zueinander und zur Seinslogik. Seinsund Wesenslogik sind zwar schon ohne Begriffslogik in sich reflektiert, aber in ihrem Verhältnis zueinander noch nicht vollständig bestimmt. Dies geschieht erst in der Begriffslogik. Nur insofern ist diese das Wahre, in das die anderen als von ihrer Unwahrheit übergehen.745
3.2. Die Stellung der Reflexionsbestimmungen Der Anfang der Logik darf nichts voraussetzen, was später erst entwickelt wird, weil er Grund dieser Wissenschaft sein soll. Der Anfang kann nicht mit einem »hypothetischen und problematischen Wahren«746 gemacht werden. Wenn der Anfang der Logik aber ein »durch kein anderes bestimmter Anfang«747 ist, also auch nicht durch die Bestimmung des Grundes, dann scheint er selbst auch keine Begründung für das aus ihm Entwickelte leisten zu können.748 Dieser voraussetzungslose Anfang und die besondere Weise seiner Unmittelbarkeit impliziert so eine Vielzahl an Problemen. Unser Problem ist dagegen nur das Verhältnis der Inanspruchnahme der Reflexionsbestimmunsprechen den Reflexionsbestimmungen. Nur können die Bestimmungen des Begriffs nicht abgesondert werden. »Allgemeinheit, Besonderheit und Einzelheit sind abstrakt genommen dasselbe, was Identität, Unterschied und Grund. Aber das Allgemeine ist das mit sich Identische ausdrücklich in der Bedeutung, daß in ihm zugleich das Besondere das Unterschiedene oder die Bestimmtheit, aber in der Bedeutung, daß es allgemein in sich und als Einzelnes sei.« (Enzyklopädie 1830 § 164; SW 8, S. 314.) Im Begriff ist schon mit den Momenten gesetzt, dass sie nicht isoliert voneinander sein können. Aber auch dieses Verhältnis der Momente zueinander kann Hegel wiederum nur mit Hilfe der Reflexionsbestimmungen explizieren. Der Schluss kann als eine Explikation der Reflexionsbestimmungen gesehen werden: »Die Unterschiede sind die Extreme, und die Identität ist es, die sie zu Einem macht.« (Philosophiegeschichte II; SW 19, S. 90.) »Im Vernunftschluß ist so vorgestellt ein Subjekt, ein Inhalt durch das Andere und im Anderen sich mit sich selbst zusammenschließend; dies liegt darin, daß die Extreme identisch geworden sind, – das eine schließt sich mit dem anderen, aber als ihm identisch, zusammen. Dies ist mit anderen Worten die Natur Gottes.« (91) So vermittelt sich noch die Idee entsprechend der Reflexionsbestimmungen: »Allerdings sind der Begriff und weiter die Idee mit sich identisch, allein nur insofern dieselben zugleich den Unterschied in sich enthalten.« (Enzyklopädie 1830 § 115; SW 8, S. 238.) 745 So sollen auch die drei Seiten des Logischen (abstrakt, dialektisch, spekulativ) gerade nicht den einzelnen Teilen der Logik entsprechen, sondern »Momente jedes LogischReellen, das ist jedes Begriffes oder jedes Wahren überhaupt« (Enzyklopädie 1830 § 79; SW 8, S. 168) sein. 746 WdL I/1 1832; GW 21, S. 56 f. 747 Fulda, Über den spekulativen Anfang (1966), S. 121. 748 Grotz, Negationen des Absoluten (2009), S. 229.
450
Die spekulative Logik
gen in der Seinslogik und ihrer erst später erfolgenden Untersuchung und Rechtfertigung zu Beginn der Wesenslogik. Als Frage formuliert: wie kann die Logik die Reflexionsbestimmungen bereits in Anspruch nehmen, ohne sie auf ihre Wahrheit hin untersucht zu haben? Denn in der Logik kann nach Hegel nur von dem Gebrauch gemacht werden, was in ihr selbst bereits begründet worden ist: »Die Logik [..] kann keine dieser Formen der Reflexion oder Regeln und Gesetze des Denkens voraussetzen, denn sie machen einen Theil ihres Inhalts selbst aus und haben erst innerhalb ihrer begründet zu werden.«749 Hegel dürfte die Reflexionsbestimmungen somit so lange nicht in Anspruch nehmen, bis er sie untersucht und begründet hat. Das geschieht jedoch erst zu Beginn der Wesenslogik. Also besteht hier offensichtlich eine Diskrepanz zwischen der Anwendung der Reflexionsbestimmungen und ihrer Explikation und Begründung.750 Dieses problematische Verhältnis der Reflexion und ihrer Bestimmungen zu den vorgängigen Partien der Logik, insbesondere zu ihrem Anfang, wurde in der Literatur in ganz unterschiedlicher Weise bestimmt: 1. Die Trennung von Entfaltung und Entfaltetem: In seinen früheren Aufsätzen behauptet D. Henrich, die Wissenschaft der Logik müsse »von dem Pro-
749
WdL I/1 1832; GW 21, S. 27. Dieses Problem der Stellung der Reflexionsbestimmungen zeigt sich auch in der Genese der Hegel’schen Logik selbst. Dabei gewinnt ganz offensichtlich das »Wesen« mehr und mehr an Bedeutung. (Der unterschiedliche Aufbau der Logiken kann dabei mitunter aber auch pädagogische Gründe haben, je nachdem, für welche Schulklassen der Unterricht konzipiert worden ist. Vgl. Schäfer, Die Dialektik und ihre besonderen Formen (2001), S. 199.) Die Einteilung in Seins-, Wesens- und Begriffslogik findet sich erst relativ spät. 1808 teilt die Logik sich noch in Ontologie, subjektive Logik und Ideenlehre. (Vgl. Philosophische Enzyklopädie für die Oberklasse (1808); GW 10,1, S. 62.) Das Wesen fällt dabei in die Ontologie, wobei Identität und Differenz noch Momente des Satzes sind. Dabei zeigt sich das Ineinandergehen der Bestimmungen Identität, Verschiedenheit, Entgegensetzung und Grund nur als Abfolge der ihnen entsprechenden Sätze. In der Logik von 08/09 gehören die Reflexionsbestimmungen in die Seinslogik als »Beziehungen des Seyns« (Geisteslehre (1808/09) § 48; GW 10,1, S. 117) oder ontologische Urteile. »Der ontologische Satz der Identität heißt: jedes Ding ist in Einheit mit sich selbst, oder als Satz des Widerspruchs ausgedrückt: kein Ding kann zugleich seyn und nichtseyn.« (§ 49; S. 118.) Die Vernünftigkeit und auch die »dialecktische Bewegung« (§ 54; S. 118) der Bestimmungen findet erst später statt. Die Dialektik zeigt dann nämlich an allen Bestimmungen auf, dass sie an sich nicht das sind, »als was sie in ihrer Bestimmtheit gesetzt sind« (§ 55; S. 118). In allen Logikfassungen taucht aber der Widerspruch wie in der Enzyklopädie nie unter den Reflexionsbestimmungen auf, das ist nur in der großen Logik der Fall. 750
Die operationale Anwendung der Reflexionsbestimmungen
451
zeß der logischen Gedankenbestimmungen unterschieden werden.«751 Die Entfaltung sei verschieden vom Entfalteten. So gebe es kein Zentrum der Logik, das »den Motor ihres Prozesses«752 darstellen würde: auch nicht die Reflexionslogik, die nur in negativer Weise zur Explikation der Seinslogik in Anspruch genommen werden müsse. Der Anfang ist nach Hegel nämlich das »Reflexionslose Seyn«753. Dieses wird mit Hilfe der Reflexionsbestimmungen expliziert: es ist »nur sich selbst gleich, und auch nicht ungleich gegen anderes, hat keine Verschiedenheit innerhalb seiner, noch nach Aussen«754. Auch das Nichts wird expliziert als einfache Gleichheit mit sich selbst, »Ununterschiedenheit in ihm selbst«755. Das reine Sein und das reine Nichts wiederum sind identisch. Andererseits gilt, »daß sie nicht dasselbe, daß sie absolut unterschieden, aber eben so ungetrennt und untrennbar sind, und unmittelbar jedes in seinem Gegentheil verschwindet.«756 Wenn Hegel den Anfang als frei von jeder Reflexion denken möchte, stellt dieser Gebrauch der Reflexionsbestimmungen am Anfang der Logik ein Problem dar. Diesen scheinbaren Widerspruch versucht Henrich in seiner Deutung des Anfangs dadurch aufzulösen, dass Hegel in der Seinslogik die Reflexionsausdrücke am Anfang in einer ganz bestimmten Weise verwende, weil sich die besondere Art der Unmittelbarkeit insbesondere des Anfangs der Seinslogik nur mit Hilfe eines negativen Gebrauchs von Reflexionsausdrücken beschreiben lasse: man kann ihn »nur via negationis explizieren, in der Unterscheidung von der Logik der Reflexion«757. Die Begriffe »Gleichheit nur mit sich« und »unbestimmte Unmittelbarkeit«, durch die das am Anfang der Logik stehende »Sein« expliziert wird, hätten beide »die Struktur der via negationis gemeinsam«758: es werde jeweils eine Reflexionskategorie (nämlich Gleichheit und Vermittlung) in Anspruch genommen, aber durch eine weitere Bestimmung zugleich wieder vom Reflexionscharakter befreit. So ist Unmittelbarkeit eigentlich die Negation der Vermittlung und dadurch vermittelt. Aber der Terminus »unbestimmte Unmittelbarkeit« soll nach Henrich zum Ausdruck bringen, dass es sich hier gerade um eine nicht durch die Negation der Vermittlung vermittelte Unmittelbarkeit handelt. Die Unmittelbarkeit des Seins sei anders zu denken als die des Wesens. Dasselbe gelte für die Gleichheit nur mit sich. Sie sei eben751
Henrich, Anfang und Methode der Logik (1963), S. 92. Henrich, Anfang und Methode der Logik (1963), S. 93. 753 WdL I/1 1832; GW 21, S. 68. 754 WdL I/1 1832; GW 21, S. 68 f. 755 WdL I/1 1832; GW 21, S. 69. 756 WdL I/1 1832; GW 21, S. 69. 757 Henrich, Anfang und Methode der Logik (1963), S. 80. 758 Henrich, Anfang und Methode der Logik (1963), S. 85. 752
452
Die spekulative Logik
so nur ein Reflexionsausdruck, durch den das reine Sein nicht weiter bestimmt werde, denn dieses ist bloß »Seyn, sonst nichts, ohne alle weitere Bestimmung und Erfüllung.«759 Die dem Sein zugeschriebene Gleichheit unterscheide sich dadurch von der Reflexionsbestimmung der Identität, dass sie als Gleichheit mit sich bestimmt sei. Die Gleichheit als Reflexionsbestimmung impliziere dagegen immer die Beziehung zu Verschiedenem. Diese »wesentliche Bestimmung der Gleichheit [wird] aber gerade negiert, eine Negation, die Hegel selbst dadurch andeutet, daß er von einer Gleichheit nur mit sich selbst spricht.«760 Die Reflexionsbegriffe werden also nur in einer solchen Weise verwendet, dass ihnen ihr Reflexionscharakter sogleich wieder genommen wird. So heißt es ja auch: »Sein ist die Gleichheit, ausgesprochen als unmittelbar; hingegen Gleichheit, als Gleichheit, setzt die Bewegung des Gedankens und Vermittlung, Reflexion-in-sich voraus.«761 Die Bestimmungen des Seins seien somit »negierte Reflexionsbestimmungen«762. Ihr Gebrauch solle nur zeigen, dass der Anfang frei von Strukturen der Reflexion gedacht werden muss. Sie tauchen nur auf, um dadurch recht eigentlich zum Verschwinden gebracht zu werden. Der Anfang solle so durch die besondere Art der Inanspruchnahme der Reflexionsbestimmungen gerade vor aller Reflexion geschützt werden. Der Übergang von Sein zu Nichts und von Nichts zu Sein müsse »in reiner Unmittelbarkeit hingenommen werden«763. Er müsse ohne Reflexion auf den Gegensatz von Sein und Nichts gegeneinander erfolgen. Die unbestimmte Unmittelbarkeit des Anfangs ist »reflexionslose Gleichheit mit sich«764. Die Kategorien der Reflexion werden im Anfang der Logik so bestimmt, dass durch die Bestimmung der Reflexionscharakter aufgehoben werden soll: die gänzliche Andersheit der Gleichheit des Seins von der der Reflexion solle dadurch zum Ausdruck kommen. Die Kategorien der Reflexion würden so in ihr Gegenteil verkehrt, der Anfang werde dadurch »als gänzlich frei von Strukturen der Reflexion«765 erklärt. Aber was ist diese Erklärung und Verkehrung nun selbst anderes als ein Akt der Reflexion und Abstraktion? Durch diesen Akt jedoch macht man den
759
WdL I/1 1832; GW 21, S. 56. Henrich, Anfang und Methode der Logik (1963), S. 86. 761 Philosophiegeschichte I; SW 18, S. 297. 762 Henrich, Anfang und Methode der Logik (1963), S. 86. 763 Henrich, Anfang und Methode der Logik (1963), S. 87. 764 Henrich, Anfang und Methode der Logik (1963), S. 92. 765 Henrich, Anfang und Methode der Logik (1963), S. 86. 760
Die operationale Anwendung der Reflexionsbestimmungen
453
Anfang eben zu einem Reflexions- und Abstraktionsprodukt und damit zu einem Vermittelten durch die Bestimmungen dieser Reflexion. Gadamer räumt in Bezug auf die Reflexionsbegriffe einen »Unterschied zwischen den operativen Begriffen des Denkens und ihrer Thematisierung«766 innerhalb von Hegels Logik ein: Identität und Verschiedenheit würden als Kategorien des Wesens immer schon gebraucht, wenn ein Satz geäußert werden soll. Dass Hegel sie trotzdem nicht an den Anfang der Logik setzt, sei darin begründet, dass dies keine Abhilfe für das Problem geschaffen hätte, denn auch darin wären Identität und Differenz schon impliziert gewesen: »Wer überhaupt Sätze sagt, gebraucht verschiedene Wörter und versteht unter jedem Worte das und nicht jenes. So sind beide Kategorien, Identität und Differenz, darin schon impliziert.«767 Das hieße aber in der Konsequenz, dass Hegel den Anspruch der Voraussetzungslosigkeit der Logik verfehlt – weil man ihn eben nicht realisieren kann.768 Nun kann man Hegel sicher keine Naivität bezüglich seines eigenen Vorgehens vorwerfen, hat er doch den Zirkel in Kants Versuch einer Kritik des Erkenntnisvermögens deutlich herausgestellt: dass nämlich dessen Untersuchung der Fähigkeit des Erkennens zu erkennen bereits Erkennen ist. Die »Funktionstüchtigkeit« des Erkenntnisvermögens werde aber damit zu seiner Untersuchung bereits vorausgesetzt. Denn man kann eben nicht »das Instrument vorher kennenlernen, ehe man die Arbeit unternehme, die vermittels desselben zustande kommen soll«769. Die Untersuchung des Erkennens und seines Vermögens ist nur erkennend möglich: »bei diesem sogenannten Werkzeuge heißt dasselbe untersuchen nichts anderes, als es erkennen.«770 Insofern man die Logik als Untersuchung der Bestimmungen 766
Die Idee der Hegelschen Logik (1971); GGW 3, S. 72. Die Idee der Hegelschen Logik (1971); GGW 3, S. 72. 768 So wandte bereits Trendelenburg gegen den Gang der Logik Hegels ein, »dass schon auf den ersten Schritten das Princip aller äussern Anschauung stillschweigend vorausgesetzt sei, das Bild der räumlichen Bewegung.« (Trendelenburg, Die logische Frage in Hegel’s System (1843), S. 12.) Die Bewegung der Begriffe sei ohne diese Voraussetzung gar nicht möglich, die Logik käme nicht von der Stelle. Wer voraussetzungslos verfahren wollte, der müsste einsehen, dass die Dialektik des reinen Denkens »unbeweglich stehen bleibt und ihre Producte todtgeboren sind.« (13) Das reine Denken sei auf das bildliche Denken angewiesen. »Wenn es von diesem nicht mehr das tägliche Brot empfängt, so stirbt es rettungslos dahin.« (13) Hier wird aber offensichtlich die natürliche Genesis der individuellen Kenntnis der logischen Bestimmungen mit ihrer logischen Entwicklung verwechselt. Hegel ist dagegen an der Erkenntnis der Wahrheit der Bestimmungen interessiert. 769 Enzyklopädie 1830 § 10; SW 8, S. 53. 770 Enzyklopädie 1830 § 10; SW 8, S. 54. 767
454
Die spekulative Logik
des Denkens versteht, wäre gemäß der Deutung Gadamers das Untersuchte aber auch bei Hegel in der Untersuchung bereits vorausgesetzt. Denn die Untersuchung der Formen des Denkens wäre nur unter Anwendung eben dieser Formen möglich.771 Nun ist es aber nicht überzeugend, dass Hegel eben den Fehler unvermerkt oder zumindest stillschweigend selbst begeht, den er bei Kant in aller Klarheit diagnostiziert. Man könnte das Problem der Zirkularität auch dadurch herunterzuspielen versuchen, dass man die Abfolge der Explikation der logischen Bestimmungen nur als rein zeitliches Nacheinander fasst. In Abhebung gegen Fichte versucht etwa Klaus Düsing dies zu zeigen: Fichte sei der Erste gewesen, der die Gültigkeit der logischen Grundsätze sowie die gesamte Logik aus dem transzendentalen Idealismus abzuleiten versuchte.772 Damit habe er zwar das Zirkelproblem als Problem aufgeworfen, aber nicht zureichend gelöst. Denn er wollte die Logik durch eine andere Wissenschaft begründen, habe sie aber gleichzeitig in der Begründung vorausgesetzt. Bei Hegel entfalle dieses Problem, weil er die Logik in der Logik selbst begründet. Hegel überwinde bereits in seiner frühen Jenaer Zeit den Zirkel allein dadurch, dass er den Idealismus selbst als Logik konzipiere. Fichtes Zirkel zwischen Logik und WL als Zirkel aus Theorie der Subjektivität und Logik könne Hegel dadurch vermeiden, dass die spekulative Logik »die grundlegende Theorie der absoluten Subjektivität selbst«773 werde. Die Begriffe würden »in derselben Wissenschaft, in der Logik, an späterer Stelle hergeleitet, eigens thematisiert und nach Hegels Konzeption in ihrer Gültigkeit gerechtfertigt. Dieses Verfahren, das sich Rechenschaft gibt über die eigenen Explikationsmittel, ist also keineswegs zirkelhaft.«774 Hier liege nur ein zeitliches und nicht ein sachliches Nacheinander vor: man könne die Denkbestimmungen eben nur in der Zeit entwickeln. Dass Hegel am Anfang der Logik zur Ausführung bereits erst später entwickelte Kategorien in Anspruch nehmen muss, dabei handle es sich nur um »ein Problem der Darstellung, in der operativ Begriffe verwendet werden, die wegen des komplizierteren Relationsgefüges in ihrer Bedeutung erst später innerhalb einer und derselben Grundlegungswissenschaft, nämlich der mit dem Einfachen beginnenden Logik zu erörtern und zu rechtfertigen sind.«775 771
Dies wird etwa vertreten von Menke, Der ›Wendungspunkt‹ des Erkennens (1992),
S. 21. 772
Vgl. Düsing, Das Problem der Subjektivität in Hegels Logik (1976), S. 126. Düsing, Das Problem der Subjektivität in Hegels Logik (1976), S. 338. 774 Düsing, Das Problem der Subjektivität in Hegels Logik (1976), S. 339. 775 Klaus Düsing, »Spekulative Logik und positive Philosophie. Thesen zur Auseinandersetzung des späten Schelling mit Hegel«. In: Dieter Henrich/K. Cramer (Hrsg.), Ist sys773
Die operationale Anwendung der Reflexionsbestimmungen
455
Gegen solch eine Deutung bleibt aber doch einzuwenden, dass (erstens) bei Hegel das subjektive Tun, nämlich die Entfaltung der einzelnen Momente, der Sache nicht in der Weise äußerlich bleiben kann, wie das diese Lösung des Problems verlangen würde. In der Logik soll nämlich »auch das subjective Thun als wesentliches Moment der objectiven Wahrheit erfaßt«776 werden: das Denken des Logikers und dessen Gang sind der Logik und ihrem Gang nicht äußerlich. Methode und Inhalt, Form und Prinzip müssen vereinigt sein. Wenn (zweitens) außerdem die Entwicklung der Denkbestimmungen auseinander irgendeinen Sinn haben soll, so kann es sich in der Logik nicht nur um ein völlig kontingentes zeitliches Nacheinander der Bestimmungen handeln, sondern das Nacheinander muss auch einen sachlichen Grund haben. Die Abfolge der Bestimmungen wäre ansonsten ganz zufällig, wenn sie bloß zeitlich ohne inneren Grund wäre. Das ist nun aber offensichtlich falsch, denn die Bestimmungen sollen auseinander entwickelt und begründet werden. Das Denken soll wie kein anderer Gegenstand »in seiner Nothwendigkeit«777 entwickelt werden. Damit ist das Nacheinander aber zumindest ein logisches.778 Auch dass der Anfang der Logik dieser ist und kein anderer, ist notwendig: es liegt ja in der »Natur des Anfangs«779, das Sein zu sein. Dies spricht gegen die Interpretation, dass der Ablauf als solcher ein subjektiver und zeitlich-kontingenter ist, und insofern bleibt der Zirkel bestehen. Auch eine Differenzierung zwischen darstellender und darzustellender Logik könnte das Problem der Stellung der Reflexionsbestimmungen nicht lösen.780 Denn trotzdem bliebe das Problem bestehen, dass innerhalb der Seinslogik die für ihre Darstellung notwendigen Bestimmungen des Denkens keinen systematischen Ort hätten. Die Differenzierung in Darstellung und Dargestelltes scheint zwar die Vorwegnahme einzelner Denkkategorien auf Ebene der Darstellung zu erfordern und damit auch – zumindest in gewisser Weise – zu legitimieren. Dennoch wäre es auch aus dieser Perspektive erforderlich, wenn die Seinslogik durch reflexionslogische Kategorien expliziert tematische Philosophie möglich? Stuttgarter Hegel-Kongress 1975, Bonn 1977, 117–128, S. 123. 776 WdL I/1 1832; GW 21, S. 54. 777 WdL I/1 1832; GW 21, S. 18. 778 Hegel wirft seinen Kritikern vor, dass sie Kategorien gebrauchen, die noch ungeprüft sind, sie denken eine andere Sache, als sie denken sollten, nämlich die Sache selbst. (Vgl. WdL I/1 1832; GW 21, S. 18 f.) 779 WdL I/1 1832; GW 21, S. 59. 780 Diese Unterscheidung trifft explizit Manfred Wetzel. (Vgl. Wetzel, »Zum Verhältnis von Darstellung und Dialektik in Hegels Wissenschaft der Logik. Ein Beitrag zur Strukturanalyse der Hegelschen Logik«. In: Dieter Henrich (Hrsg.), Die Wissenschaft der Logik und die Logik der Reflexion, Bonn 1978, 143–169.)
456
Die spekulative Logik
wird, zuerst diese Kategorien darzustellen.781 Wenn die Methode der Sache nicht ganz äußerlich bleiben sollte, hätte man mit eben den Kategorien zu beginnen, deren Darstellung die wenigsten nicht in ihnen selbst liegenden darstellerischen Mittel voraussetzen würde. Gerade in der Reflexionslogik bestünde denn auch der engste Zusammenhang »zwischen ›unseren‹ Handlungen zwecks Darstellung und den darzustellenden Handlungen der Selbstbestimmung des Denkens.«782 Aus der Reflexionslogik wäre dann der Fortgang der Seinslogik zu entwickeln. Die Abschnitte über die Reflexion und die Reflexionsbestimmungen entsprächen im Ganzen am ehesten dem Anspruch eines voraussetzungslosen Anfangens, weil zur Darstellung dieser Kategorien nicht andere Bestimmungen beigeholt werden müssten. 2. Die Funktionalisierung der Differenz von Anwendung und Explikation: Wenn es also nicht gelingt, die späte Explikation der Bestimmungen, die bereits in der Seinslogik in Anspruch genommen werden, als äußerlich abzutun, so liegt die Alternative nahe, diese Differenz zu etwas Wesentlichem zu machen, nämlich zu eben dem Motor, der die Entwicklung der Logik überhaupt erst vorantreibt. So könnte man – etwa mit M. Theunissen – die Logik als einen Prozess kontinuierlicher Anreicherung verstehen, in dem Schritt für Schritt die Bestimmungen expliziert werden, von denen ständig schon Gebrauch gemacht wurde.783 Die Logik wäre dabei nicht nur eine Darstellung der logischen Kategorien, sondern hätte auch die wesentliche Aufgabe, die dargestellten Kategorien zu kritisieren. So müsste eine Ebenenunterscheidung angenommen werden zwischen der Inhaltsebene (dem Gegenstand des Denkens), der Form-Ebene (der Ebene des Denkens) und zusätzlich noch der Ebene des dialektischen Logikers, der von außen auf das Denken des Denkens reflektiert und es betrachtet:784 Die Seinslogik stelle insgesamt eine Restitution der Metaphysik dar, insofern das Absolute hier so dargestellt wird, wie es in der Anschauung unmittel781
Diese Forderung formuliert so auch Wetzel, Zum Verhältnis von Darstellung und Dialektik (1978), S. 157. 782 Wetzel, Zum Verhältnis von Darstellung und Dialektik (1978), S. 157. In den Abschnitten über die Reflexion wären nämlich »›unsere‹ Handlungen unmittelbar aus der Verfassung der darzustellenden Struktur selbst abzulesen« (157). 783 So hält es Theunissen für »die Grundfrage« (Michael Theunissen, »Antwort«. In: Hans Friedrich Fulda u. a., Kritische Darstellung der Metaphysik. Eine Diskussion über Hegels ›Logik‹, Frankfurt am Main 1980, 47–106, S. 61) der Hegel’schen Logik, ob es sich in ihrer Entwicklung um einen Prozess der kontinuierlichen Anreicherung handelt oder ob mit jedem Schritt auch gleichzeitig etwas eingebüßt wird. 784 Aber dieser kann ja »Gottlob!« (WdL I/1 1832; GW 21, S. 87) wieder von seinen Voraussetzungen abstrahieren.
Die operationale Anwendung der Reflexionsbestimmungen
457
bar gegeben ist. In der Seinslogik sei das Denken in seinen Gegenstand verloren, »das seinslogische Denken begreift seine eigenen Strukturen nicht als das, was sie sind, sondern vergegenständlicht sie«785. Das Sein ist nach Theunissen Vermittlungsprodukt, wobei noch von der Abstraktion abstrahiert werden müsse und damit wiederum von der Vermittlung.786 Die Bestimmung des Seins, gewonnen durch eine »Abstraktion von allen Denkkategorien und durch eine Abstraktion von dieser Abstraktion«787, würde so nicht nur die ärmste, sondern auch die naivste Kategorie sein, da in ihr ihre eigenen Voraussetzungen am wenigsten reflektiert sind.788 Der Standpunkt der Seinslogik wird in der nachfolgenden Wesenslogik als Schein enthüllt. In ihr findet eine Kritik an dem Verfahren der Seinslogik statt, und sie rekonstruiert nun ihrerseits das Absolute in der Reflexion.789 In der Wesenslogik »wird die seinslogische Projektion der Denkformen in die Sphäre der kognitiven Inhalte thematisiert.«790 In den Reflexionsbestimmungen erfolgt eine Thematisierung der Denkstrukturen, in der diese nicht mehr 785
Kesselring, Produktivität der Antinomie (1984), S. 88. Vgl. Theunissen, Sein und Schein (1978), S. 114. 787 Kesselring, Produktivität der Antinomie (1984), S. 44. 788 So meint bereits Hartmann: Die innere Reflexion war in der Seinslogik schon immer gegenwärtig, aber »nur als die Form, in der sich ein Anderes, von ihr Verschiedenes entrollte.« (Hartmann, Die Philosophie des Deutschen Idealismus (1960), S. 439.) In der Wesenslogik werden die Voraussetzungen der Seinslogik, die dort »unerkannt hingenommen« (439) wurden, gegenständlich. »Es ist also nichts weniger als widerspruchsvoll, wenn so grundlegende Kategorien wie Identität, Unterschied, Gegensatz, Widerspruch, in deren Formen sich bereits alles Voraufgehende bewegt hat, erst hier zur Sprache kommen. Umgekehrt, es ist daraus vielmehr zu entnehmen, wie sehr Hegel mit dem Gedanken des Wesens ernst macht. Das Wesen ist durchaus die tiefere und fundamentalere Schicht, in die man vom Sein aus gleichsam erst durch Abbiegen in eine neue Dimension gelangt.« (439) 789 Vgl. Kesselring, Produktivität der Antinomie (1984), S. 45. Die Wesenslogik rekonstruiere reflexiv die Seinslogik. Analog dazu sei im Kleinen jede Stufe der Logik eine reflexive Rekonstruktion der Bestimmungen ihrer Vorgängerstufe. Zu Beginn der Wesenslogik erfolge eine »Entlarvung der Seins-Sphäre als Schein« (46). Fasst man die Logik als Selbstbewegung des Begriffs, so könnte man sagen, dass sich der Begriff in der Seinslogik der Reflexionsbestimmungen Identität und Differenz bedient, ohne sie zunächst zu explizieren. Denn dort kommen sie noch nicht zur Darstellung. Die Reflexion in den Reflexionsbestimmungen ist »selbst nichts anderes als die Reflexion des naiven Gebrauchs der Reflexionsbestimmungen Identität und Unterschied in der Logik des Seins, indem sie diesen stillschweigenden Gebrauch selbst in die Darstellung hob.« (Simon, »Die Bewegung des Begriffs in Hegels Logik«. In: Dieter Henrich (Hrsg.), Die Wissenschaft der Logik und die Logik der Reflexion, Bonn 1978, 63–73, S. 68.) Aber auch diese Bewegung, die den naiven Gebrauch reflektiert, geht zu Grunde. Im Grund, so jedenfalls Simon, höre die Reflexion dann auch wieder auf. 790 Kesselring, Produktivität der Antinomie (1984), S. 89. 786
458
Die spekulative Logik
vergegenständlicht werden. Die Wesenslogik reformuliert das Sein als Schein im Sinne eines »Sein[s], das Nichtsein ist«791. Sie zieht das Instrumentarium des in der Seinslogik untersuchten und kritisierten Denkens ans Licht.792 Im Anschluss an Theunissens Deutung der Logik als Kritik von Schein kann man die Wesenslogik, insbesondere die Reflexionslogik, also als Kritik am Schein der Voraussetzungslosigkeit der Seinslogik deuten.793 In diesem Sinne würde man die Aussage Hegels, es gebe nichts im Himmel und auf Erden, was in völlig unvermittelter Weise unmittelbar ist, als Behauptung verstehen, dass es nichts Voraussetzungsloses geben kann. Da nichts voraussetzungslos ist, kann auch der Anfang der Logik nicht voraussetzungslos sein. Der Anfang der Logik gewährt nur »eine relative Voraussetzungslosigkeit«794, insofern er scheinbar unmittelbar bekannt ist. Scheinbar bekannt ist eben das Sein. Der Wesenslogik kommt dann im Gegenzug die Aufgabe zu, diese Voraussetzungslosigkeit gerade als eine scheinbare zu enthüllen. So wäre der Satz »Das Sein ist Schein.« als »Das Sein ist nur und nichts weiter als Schein.« zu lesen. Das Denken wüsste es also in der Wesenslogik besser, was die Voraussetzungslosigkeit des Anfangs anbetrifft. Damit verkäme der Anfang aber doch zu einem bloß hypothetischen, in einem sogar noch schlechteren Sinne als dem Reinholds: denn zum einen wüsste das Denken nicht einmal, dass sein Anfang nur hypothetisch ist, und zum anderen bestätigte sich die Hypothese nicht, dass es mit diesem Anfang recht getan hat. Der Anfang wäre nicht einmal etwas »bittweise vorausgesetztes, von dem sich aber doch in der Folge zeige, daß man Recht daran gethan habe, es zum Anfange zu machen«795. Aber auch die Wesenslogik müsste noch zu kritisieren sein.796 Denn erst der Begriff ist »die Wahrheit des Seins und des Wesens«797. Erst der Begriff enthält »den ganzen Reichtum dieser beiden Sphären [des Seins und des We-
791
Theunissen, Antwort (1980), S. 63. Vgl. Theunissen, Sein und Schein (1978), S. 27. 793 Dies geschieht etwa bei Demmerling, Philosophie als Kritik (1992), S. 67–99. 794 Demmerling, Philosophie als Kritik (1992), S. 71. 795 WdL I/1 1832; GW 21, S. 58. 796 So ist nach Kesselring das Setzen und Voraussetzen der Reflexionsbestimmungen in der Wesenslogik noch zwanghaft, vom Denken unabhängig und wird erst in der Begriffslogik auf ein freies Denken zurückgeführt. Die Logik ist in diesem Sinne aber eher die Befreiung des Denkens von seinen Pathologien, wie die psychologisierende Lesart Kesselrings nahe legt. So ist auch der von Kesselring ständig verwendete Begriff der Kognition eher unpassend, ist er doch kein logischer, sondern ein epistemologischer Begriff. Er passt also in eine Deutung der Phänomenologie oder der Geistphilosophie, nicht aber der Logik. (Vgl. Kesselring, Produktivität der Antinomie (1984).) 797 Enzyklopädie 1830 § 159; SW 8, S. 304. 792
Die operationale Anwendung der Reflexionsbestimmungen
459
sens] in ideeller Einheit in sich«798. Nach dieser Lesart würde die Logik dann tatsächlich in der absoluten Idee gipfeln.799 Die logische Methode wird so auch nach Meinung einiger Autoren erst am Ende der Logik »als Begriff der Selbstbezüglichkeit des unendlichen Denkens«800 dargelegt. Die sich denkende Idee wäre demnach das eigentliche Prinzip der Logik.801 Wenn man in dieser Weise die absolute Subjektivität als die grundlegende Struktur der Logik betrachtet und die gesamte Logik als sich anreichernden und vervollkommnenden Prozess und die Kategorien nur als »verschiedene, inhaltliche Selbstsetzungen und Diversifizierungen der absoluten Idee, die sich in verschiedene inhaltlich bestimmte Einheitsbedeutungen auffächert«802, so könnte man in der Übergangsdialektik in der Seinslogik und der Logik des Scheinens in der Wesenslogik »nur potentiell-latente Vorformen«803 der Begriffslogik sehen. Allerdings muss doch zur Explikation dieser Subjektivität und der absoluten Idee immer wieder auf die Reflexionsbestimmungen zurückgegriffen werden, um die Struktur der Entwicklung der absoluten Idee ausführen zu können.804 798
Enzyklopädie 1830 § 160; SW 8, S. 308. Die große Logik endet und gipfelt etwa nach Bubner im Methodenkapitel, »weil die endgültige Reflexion auf das Verfahren am Schluß des logischen Ganges keine äußere Reflexion mehr ist. Nach allen Vermittlungen ist sie sich unmittelbar Gegenstand geworden.« (Rüdiger Bubner, »Zur Struktur dialektischer Logik«. In: Hegel-Jb 1974, 137–143, S. 143.) Die Abfolge der logischen Kategorien ist so auch nach Wölfle ein Rückgang in die Letztbegründung der absoluten Idee. (Vgl. Wölfle, Hegels Wesenslogik (1994), S. 21.) Dabei ist jede spätere Kategorie eine Kritik der vorherigen. Die spätere Kategorie ist jeweils konkreter und stellt das Absolute in angemessenerer Weise dar. (Vgl. S. 24 f.) Nach Wölfle setzt Hegel seine Methode in einem Vorbegriff voraus, um danach zu verfahren. Dabei handelt es sich um eine »nur äußerliche, abstrakt-allgemeine Voraussetzung, die sich in der Selbstbestimmung des Begriffs zurückzunehmen und in die Einheit der Logik aufzuheben hat.« (95) Was wäre das dann aber anderes als ein bloß hypothetisches Anfangen. 800 Düsing, Das Problem der Subjektivität in Hegels Logik (1976), S. 22. Die Methode in Hegels Logik ist die logische Struktur der reinen, sich denkenden Subjektivität. Subjektivität ist das eigentliche Prinzip der Logik, durch das die vollständige Entwicklung der Kategorien erst erklärt werden kann: die Selbstbewegung des Begriffs. (Vgl. S. 313.) 801 Vgl. Düsing, Spekulative Logik und positive Philosophie (1977), S. 124. 802 Schäfer, Die Dialektik und ihre besonderen Formen (2001), S. 228. 803 Schäfer, Die Dialektik und ihre besonderen Formen (2001), S. 219. 804 Bereits in der Phänomenologie (1807) ist das Subjekt nur die Wahrheit als Reflexion im Anderssein in sich selbst. »Die lebendige Substanz ist ferner das Seyn, welches in Wahrheit Subject, oder was dasselbe heißt, welches in Wahrheit wirklich ist, nur insofern sie die Bewegung des sich selbst Setzens, oder die Vermittlung des sich anders Werdens mit sich selbst ist. Sie ist als Subject die reine einfache Negativität, ebendadurch die Entzweyung des Einfachen, oder die entgegensetzende Verdopplung, welche wieder die Negation dieser gleichgültigen Verschiedenheit und ihres Gegensatzes ist; nur diese sich wiederherstellende Gleichheit oder die Reflexion im Andersseyn in sich selbst – nicht eine ursprüngliche Einheit als solche, oder unmittelbare als solche, ist das Wahre.« (GW 9, 799
460
Die spekulative Logik
Zudem kann man in der Logik nicht von einem reinen Fortschritt sprechen. Der Begriff ist zwar »wesentlich dies Aufheben seiner Voraussetzung«805. So soll er die Grundlage und Wahrheit des Seins und des Wesens sein. Dabei ist er jedoch gerade »die Identität, in welcher sie untergegangen und enthalten sind.«806 Das heißt doch, dass die Reflexionsbestimmungen der Identität und des Grundes wie überhaupt die ganze Bewegung der Reflexionsbestimmungen ineinander von Hegel eben auch auf das Verhältnis Sein – Wesen – Begriff angewandt, aber in ihrer Anwendung nicht wieder thematisiert werden. Sie bleiben Voraussetzungen für den Begriff als Begriff. Es ist nur die eine Seite der Wahrheit, »daß das Vorwärtsgehen ein Rückgang in den Grund, zu dem Ursprünglichen und Wahrhaften ist, von dem das, womit der Anfang gemacht wurde, abhängt«807. Der Grund nämlich ist umgekehrt auch Resultat und somit ist die Wissenschaft »ein Kreislauf in sich selbst […], worin das Erste auch das Letzte und das Letzte auch das Erste wird.«808 Da der Grund also auch Resultat ist, ist umgekehrt das erste der Grund und das Letzte abgeleitet. Der Fortgang ist nur eine weitere Bestimmung des Anfangs, so dass der Anfang die sich durchhaltende Grundlage ist, auf der jede weitere Bestimmung basiert. Das wesentliche »Fortbewegungsmittel« für den Begriff ist hingegen auf jeder Ebene der Logik die Einheit von Identität und Differenz. Entweder der Unterschied negiert die Einheit als deren Moment oder die Einheit negiert den Unterschied als deren Moment. Auch Subjektivität kann es nur dadurch geben, dass Identität und Differenz sich gegenseitig als Moment enthalten.809 Der Grund dieser Einheit und damit der Grund für die Bewegung des Begriffs werden im Kapitel »absoluter Grund« erörtert. Aber »Grund« ist genau wie die Identität und der Unterschied selbst eine von den
S. 18.) Der Geist ist die Bewegung, »sich ein anderes, d. h. Gegenstand seines Selbsts zu werden, und dieses Andersseyn aufzuheben.« (29) Die Struktur dieser Reflexion ist dabei wiederum der Übergang von der Sichselbstgleichheit in Verschiedenheit und Entgegensetzung und Wiederherstellung der Gleichheit. Dies sieht auch Düsing: Auch wenn man Hegels Philosophie primär als Theorie der Subjektivität verstehe, so verwende Hegel doch zur Explikation der Struktur der Subjektivität den Widerspruch und sein positives Ergebnis. Beide seien zentrale Bestandteile von Hegels Dialektik. Der Gedanke der Subjektivität verstoße gegen die formale Logik. Die Reflexionsbestimmungen erfüllen aber nur eine Hilfsfunktion, insofern sie nun den Beweis für diesen Gedanken liefern sollen. Vgl. Düsing, Das Problem der Subjektivität in Hegels Logik (1976), S. 213. 805 Enzyklopädie 1830 § 159; SW 8, S. 305. 806 WdL II 1816; GW 12, S. 11. 807 WdL I/1 1832; GW 21, S. 57. 808 WdL I/1 1832; GW 21, S. 57. 809 Vgl. Peter Rohs, »Der Grund der Bewegung des Begriffs«. In: Dieter Henrich (Hrsg.), Die Wissenschaft der Logik und die Logik der Reflexion, Bonn 1978, 43–62, S. 46.
Die operationale Anwendung der Reflexionsbestimmungen
461
Kategorien, die in andere übergegangen ist und somit von der Bewegung erfasst wird.810 Und die Reflexionsbestimmungen des Positiven und Negativen enthalten andererseits das Sein und das Nichts noch »als ihre abstracte Grundlage«811. Somit aber kann es kein in jedem Sinne herausgehobenes Teilstück der Logik geben: wie im Fortgang durch die Thematisierung einer Bestimmung etwas »gewonnen« wird, so geht auch immer etwas »verloren«, indem das vorher Thematisierte wiederum abgeblendet wird: »Weitersein ist jedoch ein gedoppeltes, ein Vorwärts- und ein Rückwärts-Weiter.«812 Der Gang der Logik ist deshalb keine bloße Propädeutik, so als würde im Finale der absoluten Idee »erst das Rechte kommen«813. Vielmehr ist der wahre Inhalt »das ganze System«814: »So ist denn auch der Inhalt der absoluten Idee die ganze Ausbreitung, die wir bisher vor uns hatten. Das Letzte ist die Einsicht, daß die ganze Entfaltung den Inhalt und das Interesse ausmacht.«815 Der Schein, den es zu kritisieren gilt, besteht so nicht in der Vorläufigkeit der Seins- und Wesenslogik, sondern darin, dass »in dem Zwecke oder den letzten Resultaten, die Sache selbst und sogar in ihrem vollkommenen Wesen ausgedrückt wäre, gegen welches die Ausführung eigentlich das unwesentliche sey.«816 Aber »die Sache ist nicht in ihrem Zwecke erschöpft, sondern in ihrer Ausführung, noch ist das Resultat das wirkliche Ganze, sondern es zusammen mit seinem Werden«817. Zum eigentlichen Zentrum der Logik wird die Reflexionslogik in den späteren Aufsätzen D. Henrichs.818 Die Wesenslogik stellt innerhalb der drei Teile der Logik die »Sphäre der Vermittlung«819 dar. Sie sei so die »Abhandlung der wesentlichen sich setzenden Einheit der Unmittelbarkeit und der Vermittlung«820. In der Reflexionslogik werden die Strukturen ausgeführt, entspre810
Vgl. Simon, Die Bewegung des Begriffs (1978), S. 67. WdL I/1 1832; GW 21, S. 72. 812 Enzyklopädie 1830 § 41; SW 8, S. 114. 813 Enzyklopädie 1830 § 237; SW 8, S. 389. 814 Enzyklopädie 1830 § 237; SW 8, S. 389. 815 Enzyklopädie 1830 § 237; SW 8, S. 389. 816 Phänomenologie (1807); GW 9, S. 3. 817 Phänomenologie (1807); GW 9, S. 5. 818 Die Fortbewegung des Bewusstseins, die Entwicklung des biologischen und des geistigen Lebens beruhen ebenso »auf der Natur der reinen Wesenheiten« (WdL I/1 1832; GW 21, S. 8). 819 WdL I/1 1832; GW 21, S. 46. 820 Enzyklopädie 1830 § 65; SW 8, S. 156. 811
462
Die spekulative Logik
chend denen sich die einzelnen Begriffe und Bestimmungen innerhalb der Logik vermitteln. In ihr finden sich die »wichtigsten Explikationsmittel«821, mittels derer sich der Gang der Logik aufschlüsseln lässt. Die Mittel, die in allen anderen Teilen gebraucht werden, werden hier spekulativ expliziert.822 So schreibt Hegel insbesondere der selbstbezüglichen Negation, die am Anfang der Wesenslogik expliziert wird, eine eminente Bedeutung zu: die sich auf sich selbst beziehende Negativität ist der »letzt[e] Quellpunk[t] aller Tätigkeit, Lebens und Bewußtseins«823. Dies führt Henrich zu seiner Deutung, der Selbstbezug der Negation als Anderes seiner selbst sei das »wichtigst[e] Operationsmittel«824 und das Zentrum der Logik – nach Henrich ihre Grundoperation.825 Diese autonomisierte Negation sei die »Quelle eines immanenten logischen Fortschrittes«826, die am ausführlichsten zu Beginn der Wesenslogik dargelegt werde.827 Die anderen Teile der Logik seien deshalb auf die Wesenslogik bezogen.828 Alle Gedanken müssten sich in die autonome 821
Henrich, Hegels Logik der Reflexion (1978), S. 228. Henrich, Hegels Logik der Reflexion (1978), S. 305. Bis zur Logik der Reflexion sind Elemente in der Analyse enthalten, die nicht auf das Grundproblem der Logik zurückgeführt werden können. (Vgl. S. 227f.) 823 Grundlinien der Philosophie des Rechts (1821); SW 7, S. 55. 824 Dieter Henrich, »Formen der Negation in Hegels Logik«. In: Hegel-Jb 1974, 245– 256, S. 251. Auch Hegels Theorie des Staates, der Kunst und der Theologie basiere auf seiner Theorie der autonomen Negation. (Vgl. Henrich, Hegels Grundoperation (1976), S. 220.) 825 Auch Bonsiepen hält Hegels Negationsbegriff für den bedeutendsten Begriff seiner Philosophie: »Hegels Begriff von Negation, Negativität und Nichts unterscheidet sich grundsätzlich von dem der philosophischen Tradition. Darin liegt die Eigenständigkeit des Hegelschen Denkens begründet.« (Bonsiepen, Der Begriff der Negativität (1977), S. 80.) Hegels Verstoß gegen den SdW und damit gegen eines der grundlegenden Gesetze der formalen Logik könne nur durch sein Verständnis der Negation gerechtfertigt werden. Dabei würde er insbesondere auf Spinoza rekurrieren, nach dem alles Endliche durch Negation gekennzeichnet sei. (Vgl. S. 76.) Bonsiepen versucht dabei eine entwicklungsgeschichtliche Rekonstruktion der Negationssinne Hegels. Ein solches Vorgehen auf Grundlage der Jenaer Schriften Hegels sei notwendig zum Verständnis der Negation bei Hegel, da – wie Henrich selbst sagt – in der Logik unterschiedliche Negationssinne konfundiert seien. Diese seien aber in den Jenaer Schriften noch getrennt. (Vgl. S. 18.) Mit Henrich ist aber gegen solche Rekonstruktionsversuche einzuwenden: Wer »Hegels Theorie ganz in die Perspektive ihrer Entwicklung zurückzuholen« versucht, tut damit nichts anderes, als für seine Logik »jeden Anspruch auf rationale Argumentation zu eliminieren« (Henrich, Hegels Grundoperation (1976), S. 229). »Die Reflexionslogik ist […] einer immanenten Deutung fähig.« (Henrich, Anfang und Methode der Logik (1963), S. 74.) 826 Henrich, Hegels Grundoperation (1976), S. 215. 827 Vgl. Henrich, Hegels Grundoperation (1976), S. 223. 828 »Während die Begriffslogik den Gedanken der autonomen Negation, vollständig entwickelt und bestimmt, fixieren will, will die Seinslogik beweisen, daß die Operation mit 822
Die operationale Anwendung der Reflexionsbestimmungen
463
Negation auflösen. Nachfolgende Gedanken seien nur »Anwendungen«, vorhergehende »nur Vorformen der autonomen Negation«829. Die Konzeption der autonomen Negation entwickle Hegel so nicht nur, um einen bestimmten Sachverhalt zu verstehen, etwa zum Verständnis dessen, was Geist ist. Bei diesem leuchten Selbstbezüglichkeit und Selbstunterscheidung als Momente von vornherein ein. Vielmehr sei die Negation Konstituens für alles, was überhaupt Dasein hat.830 Henrich bemängelt allerdings, »daß er [Hegel; S. Sch.] sich über die innere Verfassung der absoluten Negativität und über Formen und Möglichkeiten von Ableitungen aus ihr praktisch völlig ausschweigt.«831 Hegels Logik trage nahezu nichts dazu bei, ihre eigenen logischen Verhältnisse, insbesondere ihr Prinzip der sich auf sich beziehenden Negation, deutlich zu machen. Wäre Henrichs Deutung jedoch völlig angemessen, so wäre Sein als einfache Unmittelbarkeit wiederum nur das Sein in seiner Unwahrheit. Denn erst die Reflexion brächte das Sein in seine Wahrheit. »Unmittelbarkeit« ist ja selbst ein Reflexionsausdruck.832 der autonomen Negation nicht nur notwendig in sich, sondern auch notwendig zu vollziehen ist.« (Henrich, Hegels Grundoperation (1976), S. 225.) 829 Henrich, Hegels Grundoperation (1976), S. 225. 830 Vgl. Henrich, Formen der Negation (1974), S. 247. Mit der autonomen Negation macht Hegel einen abstrakten Sachverhalt zum Prinzip, nicht das Selbstbewusstsein oder das Absolute. (Vgl. Henrich, Hegels Grundoperation (1976), S. 228.) Im Gegensatz zu Düsing oder Beierwaltes versucht Henrich völlig zu Recht zu zeigen, dass es Hegel in der Logik nicht nur darum geht, das Absolute oder den Geist etc., sondern zunächst einmal den Gedanken von »etwas« zu bestimmen. So richtet sich Henrich auch gegen neuplatonisierende Deutungen der autonomen Negation. Sie stehe »nicht nur im Dienste einer vorgängigen ›ruhigen Einheit mit sich‹ […], die nur aus sich heraustritt, um die Vollkommenheit ihrer Einheit besser zu manifestieren. Hegels Theorie der autonomen Negation eignet sich nicht zur Begründung einer neuplatonischen Ontologie.« (222) Andererseits hebt er doch die Verwandtschaft der Konzeptionen der Negation und der Subjektivität hervor: im Begriff der Substanz ist das Prinzip der Identität dominant. Die Substanz muss unter der Denkbestimmung der Identität gedacht werden. Dagegen ist für das Subjekt die Negation vorherrschend. »Das Subjekt ist die Aktivität des Sich-Unterscheidens.« (Henrich, Hegels Logik der Reflexion (1978), S. 215.) Der Gedanke, dass die Substanz Subjekt ist, lässt sich somit auch formal umformulieren: inwiefern sind Identität und Negativität nur ein Gedanke. Die Einheit muss in der Selbstunterscheidung, die das Subjekt auszeichnet, festgehalten werden können. Die Substanz entspricht der Einheit der Sichselbstgleichheit, dem Subjekt entspricht die Gegensätzlichkeit. Daraus ergibt sich für die Dialektik die Aufgabe, die Einheit von Einheit und Gegensätzlichkeit darzutun. Der Fortgang der Logik kann als »Sequenz von ungenügenden Einheitsbegriffen« (221) verstanden werden, die unzulänglich sind, weil sie die Gegensätzlichkeit nicht integrieren können. 831 Henrich, Hegels Logik der Reflexion (1978), S. 250. 832 So schließt Frank, die Reflexionslogik sei »offensichtlich fundamentaler als das vermittlungslose Sein«. Sie sei das »Herz der Logik«. (Manfred Frank, Der unendliche Mangel an Sein. Schellings Hegelkritik und die Anfänge der Marxschen Dialektik, Frankfurt am
464
Die spekulative Logik
Tatsächlich zeigt Hegel nämlich in den Reflexionsbestimmungen, wie sich die selbstbezügliche Negation selbst modifiziert. Die Deutung der Reflexionsbestimmungen als sich bestimmender selbstbezüglicher Negation, in der die Art der Negation, die sich auf sich selbst bezieht, noch einmal differenziert werden kann (von der abstrakten selbstbezüglichen Negation hin zur bestimmten des Widerspruchs), gibt so auch einen differenzierteren Schlüssel zur Interpretation der Hegel’schen Logik und der Hegel’schen Methodik überhaupt an die Hand. Die Reflexion der Identität in sich ist gleichbedeutend mit der Zuspitzung der absoluten Identität auf den Widerspruch. 3. Eigener Deutungsansatz: Was den Status der Reflexion angeht, schließe ich mich in weiten Teilen dieser Deutung Dieter Henrichs an. Sie entspricht ja auch dem Verhältnis von Seins-, Begriffs- und Wesenslogik. Die Logik teilt sich bekanntlich so ein, dass der Gegenstand der Seinslogik der Begriff als Sein ist (der Begriff an sich) und der Gegenstand der Begriffslogik der Begriff als Begriff (Begriff für sich). Die Wesenslogik ist die »Sphäre der Vermittlung, der Begriff als System der Reflexionsbestimmungen, d. i. des zum Insichseyn des Begriffs übergehenden Seyns«833. Hier ist der Begriff »mit dem unmittelbaren Seyn als einem ihm auch Aeussern zugleich behaftet«834. In der Reflexionslogik wird dabei die Reflexion und damit die Struktur expliziert und als das Wesentliche bestimmt. Hier verselbständigen sich die Reflexion und damit die Strukturbestimmungen. In der Seinslogik – insbesondere in ihrem Anfang – ist die Reflexion hingegen von der Sache noch gar nicht geschieden, Sache und Reflexion sind noch ununterschieden. Denken und Sein, Vermittlung und Unmittelbarkeit sind am Anfang der Logik nicht getrennt, so dass sie erst vereinigt werden müssten, sondern sind noch gar nicht differenziert und müssen erst auseinander treten: nur so ist der Anfang »an sich die concrete Totalität«835, die allerdings noch gesetzt werden muss. Man kann also auch nur in einem sehr uneigentlichen Sinne davon sprechen, dass am Anfang eine Einheit von Denken und Sein vorläge, denn dies würde ja eine vorgängige Getrenntheit voraussetzen. Das Sein ist auch noch gar nicht gegen das Wesen bestimmt, weil es völlig unbestimmt ist. Erst durch einen Prozess der Er-innerung sind die Reflexionsbestimmungen in der Logik eigenständig geworden: damit treten sie in vollster Klarheit in den Blick. Die Negation, die
Main 1975, S. 35.) Die Logik des Seins sei aus »in ihr unterdrückten Elementen« (37) aufgebaut, die in der Reflexionslogik expliziert werden. 833 WdL I/1 1832; GW 21, S. 46. 834 WdL I/1 1832; GW 21, S. 46. 835 WdL I 1812/13; GW 12, S. 240.
Die operationale Anwendung der Reflexionsbestimmungen
465
in der Seinslogik zu Beginn als Nichts ungeschieden ist, verselbständigt sich, bis sie in der Wesenslogik zur autonomen Negation wird. Hier wird sie zunächst ganz für sich selbst betrachtet. Diese Negation bestimmt sich dann in den Reflexionsbestimmungen. Die Reflexionsbestimmungen als die Strukturbestimmungen der Entwicklung der Logik müssen sich selbst in der Entwicklung dieser Logik erst aus der Einheit mit dem Sein verselbständigen. Aber diese Selbständigkeit bleibt doch selbst eine einseitige. Weil das Sein aber so noch das Andere des Wesens ist, muss ja auch über die Reflexion hinausgegangen werden.836 Insofern ist das Wesen in den Reflexionsbestimmungen einseitig und muss mit dem Sein im Begriff vereinigt werden. In den Reflexionsbestimmungen werden die Strukturbestimmungen der Logik in ihrer Eigenständigkeit thematisiert. Andere Verhältnisse werden dafür abgeblendet: etwa dass die Reflexion der Begriffe und damit auch der Reflexionsbestimmungen selbst ebenso ein Verhältnis von Unendlichkeit und Endlichkeit ist. Was also die Aufschlüsselung der Struktur der Logik angeht, so kommt der Reflexionslogik eine Sonderstellung zu. Das heißt aber nicht, dass sie im Gang der Logik eine vor allen anderen Bestimmungen ausgezeichnete Bedeutung hätte. So bleibt auch die von uns durchgeführte Operationalisierung der Reflexionsbestimmungen der Bewegung der Sache selbst zwangsläufig äußerlich. Die logischen Bestimmungen sollen sich ja selbst bewegen und nicht auf Grund des Verhältnisses von Identität und Differenz, das dann den geheimen Motor ihrer Bewegung bilden würde. Die Reflexionsbestimmungen sind nicht der Motor der Logik. Das macht die Operationalisierung jedoch nicht überflüssig. Denn andererseits beabsichtigte Hegel seine Logik ja selbst »sieben und siebenzig mal durchzuarbeiten«837, wenn ihm dazu nicht die »freie Muße« gefehlt hätte. Insofern ist sie verbesserungsfähig. Die Abfolge der Reflexionsbestimmungen gibt dabei einen Maßstab an die Hand, um beurteilen zu können, wo der Gang der Reflexion der Bestimmungen in sich in vollster Deutlichkeit dargestellt ist und wo nicht. Fragt man also: ist die nachträgliche Applikation der Reflexionsbestimmungen auf die Seinsbestimmungen oder Begriffsbestimmungen nicht selbst ein Akt äußerer Reflexion, so muss die Antwort lauten: Ja! Die übrigen Denkformen bewegen sich nicht auf Grund eines ihnen äußerlichen Kriteriums. Sie werden nicht an einem ihnen äußerlichen Kriterium gemessen, sondern sind selbst das Kriterium ihrer 836
»Die logischen Bestimmungen sind die allgemeinen Bestimmungen, Gesetze und Bewegungen dieses Denkens und sind von gedoppelter Art. Das einemal: in so fern sie dem [Seyenden das andremal insofern sie dem] Denken als solche zugeschrieben werden, wobey jedoch die Vernunft das Bewußtseyn hat, daß diese Bestimmungen jeder dieser beyden Seiten zukommen.« (Geisteslehre (1808/09) § 30; GW 10,1, S. 115.) 837 WdL I/1 1832; GW 21, S. 20.
466
Die spekulative Logik
Untersuchung: »sie sind der Gegenstand und die Tätigkeit des Gegenstandes selbst; sie selbst untersuchen sich, müssen an ihnen selbst sich ihre Grenze bestimmen und ihren Mangel aufzeigen.«838 Aber auch wenn die Reflexionsbestimmungen deshalb nicht der Grund für die Anordnung der logischen Bestimmungen sind, so sind diese trotzdem entsprechend der Reflexionsbestimmungen angeordnet. Diese Struktur der Anordnung wird ja in den Reflexionsbestimmungen zum ausdrücklichen Gegenstand. So gibt es zwar keine Methode, die dem Gang der Logik vorgängig sein könnte. Selbst in der Darstellung der Methode am Ende der Logik »will Hegel nicht etwa das eigentliche Geheimnis des logischen Fortschritts wie in einem dramatischen Finale enthüllen.«839 Wenn er dies tun würde, so wäre der Gang der Logik tatsächlich nur die äußerliche Anwendung einer Methode auf einen von ihr verschiedenen Inhalt. Es lässt sich keine »methodologische Universalformel«840 finden, aber doch wesentliche Explikationsmittel, um die logischen Gedankenfortschritte zu rechtfertigen. Dies bleibt aber dem Gang der Sache selbst äußerlich und muss es bleiben. Dieses Verhältnis lässt sich nun durch Hegels Ausführungen über die dreifache Stellung des Gedankens zur Objektivität klären. Diesen kommt nämlich mehr als nur eine »propädeutische Einleitungsfunktion«841 in die spe838
Enzyklopädie 1830 § 41; SW 8, S. 114. Henrich, Hegels Logik der Reflexion (1978), S. 224. Nach Henrich besaß Hegel kein ausreichend deutliches Bewusstsein über seine Methode, die die Form seiner Texte bestimmt. Er spreche bestenfalls beiläufig über die von ihm verwendete methodologische Verfahrensweise und expliziere sie nicht eigens. (Vgl. S. 226.) Hegel übe die Methode vielmehr aus, ohne sie je zu beschreiben. Dennoch bewege er sich »mit unreflektierter Subtilität und Virtuosität« (263). Henrich sieht den Grund hierfür darin, dass das Formniveau der Konzeption Hegels (wie auch schon Fichtes) die formalen Möglichkeiten übertraf, die ihm auf Grund der historischen Voraussetzungen zur Beschreibung zur Verfügung standen. (Vgl. S. 227.) Hegel könne so bei weitem besser logische Verhältnisse entwickeln, als aus der Distanz beschreiben. 840 Henrich, Hegels Logik der Reflexion (1978), S. 226. »Bisher hat sich der Motor nicht finden lassen, der Hegels Theorie und mit ihr seine Sprache in eine Bewegungsform brachte« (Dieter Henrich, »Hegels Grundoperation. Eine Einleitung in die ›Wissenschaft der Logik‹«. In: Ute Guzzoni u. a. (Hrsg.), Der Idealismus und seine Gegenwart. Festschrift für Werner Marx zum 65. Geburtstag, Hamburg 1976, 208–230, S. 209). 841 Hösle, Hegels System (1998), Anm. S. 58. Nach Hösle kommt diese sowohl der Phänomenologie wie auch den Stellungen des Gedankens in der Enzyklopädie zu. Sie ist für den endlichen Geist allerdings notwendig, weil die defizienten Bewusstseinsformen dort als defizitär dargestellt und destruiert würden. Dies belegt er mit einer Stelle aus Hegels Vorlesung 01/02: »der Zwek einer Einleitung in die Philosophie könnte bloß seyn, diese subjectiven Standpunkte über sich selbst aufzuklären und sie mit dem objectiven der Philosophie zu verständigen« (Introductio in philosophiam 01/02; GW 5, S. 259.) Jede Reflexion und damit jede Realphilosophie müsste die Logik ja immer schon in Anspruch nehmen 839
Die operationale Anwendung der Reflexionsbestimmungen
467
kulative Logik für den endlichen Geist zu, durch die nur dessen Defizienz destruiert werden soll. In ihr wird vielmehr gleichzeitig an Hand einer historischen Typologie dargestellt, wie sich die Teile der Logik zueinander verhalten – allerdings in der mangelhaften Form, wie sich dieses Verhältnis in der Geschichte der bisherigen Philosophie darstellte: die erste Stellung des Gedankens (vorkritische Metaphysik) entspricht in defizienter Weise der Seinslogik, die zweite Stellung (Empirismus und Transzendentalphilosophie) der Wesenslogik, die dritte Stellung (Unmittelbarkeitsphilosophie Jacobis) der Begriffslogik. Die in der Einleitung der kleinen Logik dargestellten Formen des Denkens werden in der Logik so abgehandelt, »wie sie nach der Notwendigkeit auftreten«842. Dabei ist jedoch darauf zu achten, dass es sich dort nur um einen Vorbegriff handelt, der durch die Logik und ihren Gang selbst begründet ist. Die Vorbegriffe der wissenschaftlichen Explikationen sind immer »aus und nach der Übersicht geschöpfte Bestimmungen des Ganzen«843. Für das Verhältnis der drei Stellungen des Gedankens zur Logik selbst bedeutet dies, dass nicht die Logik sich kritisch auf die in ersterer dargestellten historischen Ausprägungen des Verhältnisses von Denken und Gegenstand des Denkens bezieht, sondern der Sache nach die historischen Ausprägungen dieses Verhältnisses gemäß der notwendigen Entwicklung der Logik angeordnet sind. So liegt hier keine Historiographie vor, sondern eine Typologie. Der Logik kommt der Sache nach das Primat zu und erst durch sie lässt sich typologisch die Geschichte des Denkens entwickeln und dadurch verstehen. Für den Leser hat dieses Vorwort allerdings eine erläuternde Funktion: »Die dem Denken zur Objektivität gegebenen Stellungen sollen als nähere Einleitung, um die Bedeutung und den Standpunkt, welcher hier der Logik gegeben ist, zu erläutern und herbeizuführen, nun betrachtet werden.«844 Wenn die Geschichte der Philosophie einerseits den Gang der Logik widerspiegeln soll und andererseits die Entwicklung der Stellungen des Gedankens zur Objektivität die philosophiegeschichtliche Entwicklung typlogisch widerund könnte sie somit nicht begründen. Sollte nun aber die Phänomenologie die Logik begründen, so würde Hegel in einen Zirkel verfallen. Denn: »In jeder besondern philosophischen Wissenschaft ist das Logische, als die reine allgemeine Wissenschaft, hiemit als das Wissenschaftliche in aller Wissenschaft vorausgesetzt.« (Fragment zur Philosophie des Geistes (1822 ff.); GW 15, 218.) Zum Problem, ob eine Einleitung in die Wissenschaft der Logik überhaupt möglich ist, vgl. u. a.: Hans Friedrich Fulda, Das Problem einer Einleitung in Hegels Wissenschaft der Logik, Frankfurt am Main 1965. 842 Enzyklopädie 1830 § 24; SW 8, S. 87. 843 Enzyklopädie 1830 § 19; SW 8, S. 67. 844 Enzyklopädie 1830 § 25; SW 8, S. 91.
468
Die spekulative Logik
spiegeln soll – andernfalls müsste die Abfolge der Stellungen des Gedankens als unzureichend zurückgewiesen werden –, drängt sich eine Entsprechung der drei Stellungen zu den drei Teilen der Logik auf. Dann ist die Frage, inwieweit sie sich einander entsprechen, aber auch warum Unterschiede bestehen müssen. Der zentrale Unterschied besteht darin, dass jede der Stellungen sich selbst missversteht, was man hingegen dem entsprechenden Teil der Logik nicht zuschreiben kann: die Seinslogik missversteht sich nicht. Denn die Logik ist bereits voll entwickelte Wissenschaft. Andererseits zeigt sich an den Stellungen des Gedankens ganz wesentlich, dass die Logik eben keine stetige Anreicherung darstellt, sondern vielmehr einen Gang, in dem zwar stetig Neues gewonnen wird, dafür aber Anderes auch verloren geht. Der Abhandlung über die Stellungen des Gedankens kann man also eine kritische Funktion zuschreiben, die erst durch die Logik voll verständlich wird. Die Logik selbst hingegen ist keine Kritik der in ihr dargestellten Bestimmungen, sondern diese haben alle ihre vollste Berechtigung und Wahrheit.845 Deswegen gibt es weder ein dramatisches Finale der Logik, noch einen in ihrer Mitte versteckten Motor: das Wahre ist das Ganze. Die erste Stellung des Gedankens zur Objektivität, die die des »natürlichen« Verhältnisses zur Welt ist, entspricht der »vormalige[n] Metaphysik«846. Sie ist die defizitäre Form der Seinslogik und so untersucht und kritisiert Hegel hier auch vornehmlich die Bestimmungen der Seinslogik, und zwar so, wie sie in der alten Metaphysik abgehandelt wurden: Sein, Dasein und Etwas werden hier als Begriffe der Ontologie und als Prädikate Gottes, der Seele und des Kosmos betrachtet. Was nun die Seinslogik und die erste Stellung des Gedankens vornehmlich gemeinsam haben, ist die völlige Ungeschiedenheit, in der 845
So wird hingegen nach Theunissen in der Seins- und Wesenslogik – und damit auch in den Reflexionsbestimmungen – die dargestellte Logik kritisiert. Nach Theunissen ist die Seins- und die Wesenslogik selbst eine »kritische Darstellung der Metaphysik« (Theunissen, Sein und Schein (1978), S. 61). Erst die Begriffslogik ist nicht mehr Gegenstand der Kritik. Die Logik der Reflexionsbestimmungen treibt Metaphysikkritik als Kritik der Kantischen Transzendentalphilosophie, die Reflexionsphilosophie ist. (Vgl. S. 34.) Das geschieht aber im Vorbegriff in der zweiten Stellung des Gedankens. Dann ergäbe sich doch aber die Konsequenz, dass die Logik sozusagen eine Ausbuchstabierung der Stellungen des Gedankens zur Objektivität ist: denn hier kritisiert Hegel ja die unterschiedlichen Metaphysik-/Logiktypen. Die Stellung des Gedankens wäre somit eine Logik im Kleinen. Das ist aber ganz offensichtlich falsch. Gleichzeitig kann die Logik auch nach Theunissen nicht nur Kritik sein, sondern auch Darstellung. Denn was Hegels Logik als Kritik negiert, muss sie zugleich auch als Darstellung affirmieren, etwa schon deshalb, weil sie sie im Verfolg in Anspruch nimmt (wie die Reflexionsbestimmungen). (Vgl. S. 88.) 846 Enzyklopädie 1830 § 27; SW 8, S. 93.
Die operationale Anwendung der Reflexionsbestimmungen
469
Seins- und Denkbestimmungen hier zueinander stehen. Hier ist noch keine Trennung von Sein und Reflexion eingetreten. Das Denken ist mit der Sache selbst identisch. Da noch überhaupt kein Bewusstsein des Gegensatzes von Sein und Reflexion eingetreten ist, geht das Denken geradewegs an die Gegenstände. Andererseits ist die Seinslogik anders als die alte Metaphysik keine bloße Verstandesansicht der Vernunftgegenstände, denn sie ist ja bereits spekulative Vernunftansicht. Aber wie in der ersten Stellung geht es auch in ihr um die Denkbestimmungen als die Grundbestimmungen der Dinge. In gewisser Hinsicht steht dieses Denken der alten Metaphysik höher als die zweite Stellung, da sie davon ausgeht, »daß das, was ist, damit daß es gedacht wird, an sich erkannt werde«847. Damit hatte die frühere Metaphysik »in dieser Rücksicht einen höhern Begriff von dem Denken als in der neuern Zeit gang und gäb geworden ist.«848 Nur was an den Dingen durch das Denken erkannt wird, ist ihr »das allein an ihnen wahrhaft Wahre«849. Was ist, wird also nur dadurch erkannt, dass es gedacht wird. In den logischen Seinsbestimmungen selbst liegt in Analogie dazu auch kein solcher Unterschied zum Denken. Deshalb darf das Denken auch keinen mehr machen – sonst wäre es eben kein in die Sache selbst vertieftes Denken, in dem sich die Bestimmungen selbst untersuchen, sondern äußere Reflexion. Nur liegt hier im Gegensatz zur alten Metaphysik kein »unbefangene[s] Verfahren« vor, sondern die Bestimmungen implizieren eben keinen solchen Unterschied. Der Anfang der Logik nimmt die Denkbestimmungen gerade nicht »unmittelbar auf und [lässt] dieselben unmittelbar dafür gelten, Prädikate des Wahren zu sein«850, sondern untersucht ihre Wahrheit.851 Im Unterschied zur spekulativen Untersuchung der logischen Bestimmungen bleiben diese als Bestimmungen des verständigen Denkens endlich, weil es sie so nimmt, wie »sie sich unmittelbar, vereinzelt vorfinden«852. Sie bleiben abstrakt negativ auf ihr Anderes bezogen, durch das sie dadurch beschränkt werden. Eine Aufhebung und Vermittlung findet nicht statt: »Endlich ist das Denken nur, insofern es
847
Enzyklopädie 1830 § 28; SW 8, S. 94. WdL I/1 1832; GW 21, S. 29. 849 WdL I/1 1832; GW 21, S. 29. 850 Enzyklopädie 1830 § 28; SW 8, S. 94. 851 Eine Identifizierung von Seinslogik und vorkantischer Metaphysik, wie Theunissen sie durchführt, kann daher nicht gelingen. Diese Metaphysik betrachtet zwar wie die Seinslogik die Denkbestimmungen als Grundbestimmungen der Dinge, zeichnet sich im Gegensatz zur Seinslogik aber gerade dadurch aus, dass die Bestimmungen nicht daraufhin untersucht werden, ob sie an und für sich wahr sind. Gerade das geschieht aber in der Seinslogik. 852 Enzyklopädie 1830 § 28; SW 8, S. 95. 848
470
Die spekulative Logik
bei beschränkten Bestimmungen stehenbleibt, die demselben als ein Letztes gelten. Das unendliche oder spekulative Denken dagegen bestimmt gleichfalls, aber bestimmend, begrenzend, hebt es diesen Mangel wieder auf.«853 Die Seinslogik hält im Gegensatz zur alten Metaphysik nicht am abstrakten »Entweder – Oder« als dem Grundgesetz des Verstandes fest. Die freie Bestimmung des spekulativen Denkens, das sich selbst bestimmt, ist nicht die Begriffsbestimmung der alten Metaphysik, die ihr Objekt als fertig Gegebenes voraussetzte. Der Anfang der Seinslogik versetzt sich nicht wieder in diese Stellung zurück. Das Denken der alten Metaphysik blieb unfrei, weil »dasselbe seine Bestimmungen ohne weiteres als ein Vorausseiendes, als ein Apriori gelten«854 ließ, ohne sie durch die Reflexion prüfen zu lassen. Dagegen ist der Anfang der Logik gerade nicht frei von Reflexion, sondern die Reflexion der Sache ist von dieser völlig ungeschieden. Wäre der Anfang nämlich frei von Reflexion, könnte nicht einsichtig werden, wie denn jemals Reflexion in die Entwicklung des Anfangs kommen könnte.855 Die erste Stellung des Gedankens ist so zwar nicht frei von den Strukturen der Reflexion, aber diese sind nicht als Momente der Reflexion gesetzt. Das geschieht in der zweiten Stellung des Gedankens: »der reflectirende Verstand bemächtigte sich der Philosophie«856. Der reflektierende Verstand trennt und sondert ab, was in der ersten Stellung ungetrennt war: Denken und Sein. In dieser Stellung garantiert das Denken gesetzt als Denken die Objektivität.857 Da in der ersten Stellung des Gedankens noch keine Trennung von Sein und Denken vorliegt, können sie auch nicht aufeinander bezogen werden. Das geschieht in der zweiten Stellung des Gedankens. Dieser entsprechen zum einen der Empirismus, zum anderen mehr aber noch die Transzendentalphilosophie, das heißt zwei Formen der Reflexionsphilosophie. Diese Reflexi853
Enzyklopädie 1830 § 28; SW 8, S. 95. Enzyklopädie 1830 § 41; SW 8, S. 114. 855 Vgl. Beierwaltes, Identität und Differenz (1980) S. 257. 856 WdL I/1 1832; GW 21, S. 29. 857 Vgl. Werner Flach, »Die dreifache Stellung des Denkens zur Objektivität und das Problem der spekulativen Logik«. In: Dieter Henrich (Hrsg.), Die Wissenschaft der Logik und die Logik der Reflexion, Bonn 1978, 3–18, S. 6 f. Dieses Verhältnis wendet Flach nun gewissermaßen auch auf das Verhältnis von Seins- und Wesenslogik an und erhebt von da aus Einspruch gegen Henrichs These, die Logik des reinen Seins lasse sich nur via negationis explizieren, indem das reine Sein durch die Negation der Reflexionsbestimmungen bestimmt werde. Nach Flach hingegen ist das Sein als Denkbestimmung nur durch Affirmation der Reflexionsbestimmungen (insbesondere der Identität und der Differenz) bestimmt. Die Identität sei nämlich die Form der Abstraktion, wodurch die unbestimmte Unmittelbarkeit des Seins überhaupt erst gedacht werden könne. »Gleichheit mit sich selbst« sei somit nur ein anderer Ausdruck für Identität. (Anm. S. 17) 854
Die operationale Anwendung der Reflexionsbestimmungen
471
onsphilosophie spielt ja dann auch in der Wesenslogik – zumindest in den Anmerkungen – eine entscheidende Rolle, weil sie das Moment der Reflexion hervorhebt, wenn sie es auch missversteht. Dies zeigt Hegel bereits in der zweiten Stellung des Gedankens. Sie ist die Stellung, in der die Reflexion am deutlichsten zu Bewusstsein gebracht wird. In ihr erkennt sich die Reflexion als konstitutives Moment der Wahrheit. Schon im Empirismus findet sich dieses Prinzip der Freiheit: »daß nämlich der Mensch, was er in seinem Wissen gelten lassen soll, selbst sehen, sich selbst darin präsent wissen soll.«858 Die Bestimmungen der alten Metaphysik werden der Untersuchung unterworfen, die Seinsbestimmungen gehen in sich, werden in sich reflektiert. Der Fortschritt besteht also darin, die Strukturen des Denkens als durch die Reflexion gesetzt zu explizieren, der Nachteil aber gerade in der Absonderung des Seins in Form des Dinges an sich von der Reflexion. Das Ding an sich bleibt hier nur als caput mortuum zurück. Das lässt sich wiederum auf die Logik übertragen: »Der Standpunkt des Wesens ist überhaupt der Standpunkt der Reflexion.«859 Die Seinsbestimmungen treten in der Wesenslogik »in reflektierter Form«860 auf. In der zweiten Stellung des Gedankens werden entsprechend der Wesenslogik die Identität, der Unterschied und der Widerspruch in Form von Antinomien, also die Reflexionsbestimmungen, zu leitenden Begriffen: die Identität des Ich wird zum Grund der ontologischen Kategorien. Das entspricht dem Gang der Logik, in dem die Seinslogik und damit auch die dort entwickelten Kategorien in die Identität als den leitenden Begriff der Wesenslogik als in ihren Grund zurückgehen. Die Identität des Ich hat ihren Gegenbegriff in der Identität des Dinges an sich. Die Seele erscheint in der zweiten Stellung nicht mehr als seiend, sondern als Identität mit sich, die sich von den Dingen unterscheidet. Dass die Identität diese wesentliche Rolle spielt, weist auf die Beziehung der Reflexionsbestimmungen und der zweiten Stellung des Gedankens hin: im Empirismus nur als die formelle Identität, im transzendentalen Idealismus als »die ursprüngliche Identität des Ich im Denken«861. Aber in beiden Fällen ist die Identität eine abstrakte: aus beiden können die Bestimmungen des Denkens nicht abgeleitet werden. Das Prinzip ist das Ich als »das ursprünglich Identische, mit sich Einige und schlechthin bei sich Seiende.«862 Das Unbedingte der zweiten Stellung ist die leere Identität:
858
Enzyklopädie 1830 § 38; SW 8, S. 108. Enzyklopädie 1830 § 112; SW 8, S. 232. 860 Enzyklopädie 1830 § 114; SW 8, S. 235. 861 Enzyklopädie 1830 § 42; SW 8, S. 116. 862 Enzyklopädie 1830 § 42; SW 8, S. 118. 859
472
Die spekulative Logik
»bestimmungslos[e] Identität«863, »den Unterschied ausschließende Identität«864. In der Kosmologie dagegen ist der vorherrschende Begriff der der Antinomie. Der Widerspruch wird durch die Philosophie der zweiten Stellung in die »Natur des Denkens«865 verlegt. Auch das Wesen ist »die Sphäre des gesetzten Widerspruches, der in der Sphäre des Seins nur an sich ist«866. Gott als Ideal der Vernunft ist ebenfalls Identität. Die Gottesbeweise sind ein Weg, wie der Geist von der Welt in sich selbst zurückgeht. Das Denken bezieht sich negierend auf seine Grundlagen. Damit ist die für die Wesenslogik so grundlegende Struktur der Negation auch in der zweiten Stellung prominent. Nur machen die Gottesbeweise »das Moment der Negation«867 nicht explizit. Der Gottesbeweis lässt der Welt nur ein Sein als Schein zukommen. Er zeigt, dass sie »nicht das wahrhafte Sein, nicht absolute Wahrheit, daß diese vielmehr jenseits jener Erscheinung nur in Gott ist, Gott nur das wahrhafte Sein ist.«868 Hier wird die Reflexion beschrieben: die Unmittelbarkeit als aufgehobene Vermittlung. Die Erhebung zu Gott via Beweis ist Vermittlung. Die Vermittlung ist aber zugleich Aufhebung der Vermittlung, denn das scheinbar Vermittelnde (die Welt) wird für nichtig erklärt: »nur die Nichtigkeit des Seins der Welt ist das Band der Erhebung, so daß das, was als das Vermittelnde ist, verschwindet und damit in dieser Vermittlung selbst die Vermittlung aufgehoben wird.«869 In der Vermittlung wird die Vermittlung aufgehoben. Der Kritizismus und der Empirismus sind jedoch nicht dialektisch in ihrer Methodik: hier untersuchen sich die Denkformen gerade nicht selbst. Die Tätigkeit der Denkformen und ihre Kritik werden nicht als vereinigt gedacht. Es liegt nur äußere Kritik vor, sie ist nicht denselben innewohnend. Die Lehre vom Begriff ist der letzte Teil der Logik. Mit dem Begriff als der Einheit von Sein und Wesen kann nicht angefangen werden, weil weder Sein noch Wesen noch der Grund ihrer Einheit unmittelbar verstanden werden würden.870 In der dritten Stellung ist dann wie in der letzten Bestimmung der Begriffslogik die Idee der leitende Begriff. Stellt die erste Stellung des Gedankens wie die Seinslogik die noch von der Vermittlung ununterschiedene Unmittelbarkeit dar und bringt die zweite Stellung analog zur Wesenslogik die Reflexion in ihrem Eigenrecht zur Geltung, so wird nun in der dritten Stel863
Enzyklopädie 1830 § 45; SW 8, S. 121. Enzyklopädie 1830 § 45; SW 8, S. 122. 865 Enzyklopädie 1830 § 48; SW 8, S. 128. 866 Enzyklopädie 1830 § 114; SW 8, S. 235. 867 Enzyklopädie 1830 § 50; SW 8, S. 132. 868 Enzyklopädie 1830 § 50; SW 8, S. 132. 869 Enzyklopädie 1830 § 50; SW 8, S. 132. 870 Vgl. Enzyklopädie 1830 § 159; SW 8, S. 306. 864
Die operationale Anwendung der Reflexionsbestimmungen
473
lung des Gedankens, deren bedeutendster Repräsentant F. H. Jacobi ist, versucht, die Einheit von Sein und Denken nach ihrer Scheidung »wiederherzustellen«. So sind die Seins- und die Wesenslogik analog in der subjektiven Logik aufgehoben. Auch die dritte Stellung des Gedankens zur Objektivität stellt solch eine Aufhebung dar: nur wieder in insuffizienter Weise. Die Vermittlung der Reflexion (des Begreifens) wird negiert – aber in Form einer abstrakten oder »äußerlichen Wegwerfung und Verwerfung«871. Die Vermittlung oder Reflexion wird zu Gunsten eines unmittelbaren Wissens von Gott und dem Wahren verworfen. Die Vermittlung und die Reflexion werden als Aufzeigen von Bedingungen des Unbedingten verstanden und deshalb negiert. Das Wahre soll nur in einem unmittelbaren Wissen (= Glauben) erfasst werden können. Denken und Anschauen gelten als einander entgegengesetzt. Das unmittelbare Wissen gibt sich »eine ausschließende Stellung«872 und stellt sich dem Philosophieren entgegen. Es isoliert das unmittelbare Wissen. Es abstrahiert von seiner Negation der Vermittlung. Dagegen wendet Hegel ein, dass Unmittelbarkeit und Vermittlung als Einheit gesetzt werden müssen. Unausgesprochen wird behauptet, dass das Sein nur vermittelst der Idee und die Idee nur vermittelst des Seins das Wahre ist.873 Der Aspekt der Reflexion wird hier also wiederum abgeblendet, aber zu Gunsten von ihrer Einheit mit dem Sein. Wie man bei den Stellungen des Gedankens eben nicht von einem eindeutigen und linearen Fortschritt sprechen kann, so auch nicht im Entwicklungsgang der Logik. Hier liegt immer einerseits »Verlust und Rückschritt«874 vor, andererseits eine Erhebung der Vernunft. So gibt es eben auch nicht die wahrste oder bedeutungsreichste Bestimmung. Das wird bereits daraus ersichtlich, dass die Entwicklung wiederum in ihren Anfang zurückkehren muss, nämlich in das Sein. Zugleich ist die Reihenfolge der Denkbestimmungen wie in den drei Stellungen des Gedankens zur Objektivität notwendig. Die Reflexionsbestimmungen konnten nur am Anfang der Wesenslogik thematisiert werden. Denn die Strukturbestimmungen mussten sich als solche erst herausbilden oder mussten im Gegenteil vielmehr erst einmal erinnert werden, um sich dann wiederum in die Wirklichkeit einbilden zu können und dadurch ausdrücklich zu werden. Ein logischer Zirkel oder eine petitio principii liegt hier nicht vor: denn die Reflexionsbestimmungen sind nicht
871
Über Jacobis Werke (1817); GW 15, S. 11. Enzyklopädie 1830 § 64; SW 8, S. 154. 873 Vgl. Enzyklopädie 1830 § 70; SW 8, S. 159 f. 874 WdL I/1 1832; GW 21, S. 30. 872
474
Die spekulative Logik
die Ursache dafür, dass sie sich herausbilden konnten, da sie nicht der Motor der Logik sind.
SCHLUSS
Ein abschließender Urteilsspruch, welches denn nun die »richtige« Deutung des Widerspruchs und der Grundsätze des Denkens sei, verbietet sich. Denn in dieser Arbeit wurden die formale, die transzendentale und die spekulative Logik als drei Weisen des Denkens untersucht. Jeder Typus erhellt dabei ein jeweils anderes Moment der Identität und des Widerspruchs und zeigt eine je eigene Möglichkeit einer Auseinandersetzung mit den Grundsätzen des Denkens auf. Insgesamt zeigt sich dabei, dass wir es hier tatsächlich mit Grundsätzen des Seins und des Denkens zu tun haben: insofern nur etwas gedacht werden oder sein soll, muss es bereits durch sie bestimmt sein. Die Identität und der Widerspruch (respektive die Widerspruchsfreiheit) sind die Bedingung der Möglichkeit dafür, dass überhaupt etwas bestimmt sein kann bzw. als bestimmt gedacht oder ausgesagt werden kann. Damit steht von vornherein fest, dass es sich bei der Identität und dem Widerspruch nicht um beliebige kategoriale Bestimmtheiten oder vielleicht sogar bloß bestimmte Eigenschaften handeln kann, die an etwas auftreten. Denn was die Voraussetzung für Bestimmtheit überhaupt ist, kann nicht selbst Bestimmung sein. Von hier aus lassen sich die formale, die transzendentale und die spekulative Logik aber abschließend in ein Verhältnis setzen, inwiefern sie fähig sind, zum einen diese Grundsätzlichkeit angemessen zur Geltung zu bringen und zum anderen die jeweils anderen Typen des Denkens als Momente des eigenen Denkens zu begreifen, das im entsprechenden Denktypus natürlicherweise deutlicher expliziert wird. So begreift die transzendentale Logik die formale als ihr Moment, ohne die formalen Verhältnisse noch eigens auszubuchstabieren, und die transzendentale Logik wird ihrerseits zu einem Moment innerhalb der spekulativen Logik, wobei erstere das Problem des Begründungszirkels stärker in den Vordergrund rückt. Nur in diesem Sinne stellt die spekulative Logik die Vollendung von Logik überhaupt dar: sie ist das Ganze, in dem die anderen nur Moment sind. Das bedeutet aber gerade nicht, dass die formale und die transzendentale Logik defizitär oder Privationen der spekulativen Logik wären. Denn eine Sache ist ja nur dann mangelhaft, wenn sie nicht das ist oder realisiert, was sie sein kann bzw. sein soll. Die formale Logik als bloße techne verstanden kann so nahezu nichts dazu beitragen, den Satz der Identität und den Satz des Widerspruchs als Grundsätze des Seins, des Denkens und der Sprache zu begründen oder auch nur zu erhellen. Vielmehr nimmt sie diese, sofern in ihr nur etwas als etwas bestimmt
476
Schluss
wird, immer schon unausgesprochen in Anspruch. Dies schmälert den Wert und die Bedeutung der formalen Logik als ars combinatoria nicht, wirft jedoch ein Licht auf die philosophischen Interpretationen und Begründungen dieser Logik. Wie wir aber durch eine – wäre dies möglich oder sinnvoll – philosophische Deutung des Schachspiels keine besseren Schachspieler würden, weil die möglichen Züge auch bei veränderter Bedeutung dieselben blieben, so hilft uns die philosophische Interpretation der Logik nicht, bessere formallogische Beweise zu führen. Aber erst eine angemessene philosophische Deutung ihrer Hypothesen bzw. Axiome kann die formale Logik zu einer epistéme machen und damit überhaupt zur Aufklärung der Grundsätze des Denkens beitragen. Andererseits kann die philosophische Deutung der formalen Logik und ihrer Sätze eine therapeutische Wirkung auf Diskussionen wie die um widersprüchliche Logiken haben. Denn sollen die Sätze und Zeichen der formalen Logik keine Bedeutung außerhalb ihres Gebrauchs haben, so wird eine Auseinandersetzung um die Möglichkeit von Widersprüchen in logischen Kalkülen obsolet. Denn die widerspruchsfreie Logik spricht mit »Widerspruch« dann eben von etwas anderem als die dialetheistische Logik. Die Begriffe »Widerspruch«, »Satz des Widerspruchs« und »Satz der Identität« werden äquivok, sie haben eine je eigene Bedeutung in der Logik, in der sie gerade verwendet werden, und weisen bestenfalls noch eine gewisse »Familienähnlichkeit« auf. Gleiches gilt für die Negation. Man spielt eben jeweils ein anderes Spiel mit anderen Regeln und die Frage ist nur, ob jemand bei diesem Spiel mitspielen möchte. Mit den Grenzen der Rationalität und des Denkens hat das aber nichts zu tun. Als epistéme verstanden fehlt es der modernen formalen Logik aber an einer Interpretation, die eine völlige Durchklärung ihrer Voraussetzungen (Inanspruchnahme von Identität und Differenz, Negation und Widerspruch sowie den Grundsätzen des Denkens) darstellen würde. Dies liegt aber auch daran, dass dies nur in Form einer Selbstreflexion der Reflexion geschehen kann, Selbstbezug und Selbstreflexion aber eben zumeist eher als Ursache formallogischer Probleme denn als Lösungsmöglichkeit philosophischer Probleme gesehen wurden. Fichtes transzendentale Logik macht nun die Identität als den Selbstbezug als solchen zum Grund der Grundsätze des Denkens und seiner Philosophie überhaupt. Die Subjektivität als reiner Selbstbezug und absolute Reflexion ist der Grund allen Wissens, Denkens und Seins, das bewusst werden kann. Der Satz der Identität gründet damit in einer Relation, die gar nicht mehr an etwas auftritt, sondern sich nur auf sich selbst bezieht, weil sie nichts anderes ist, als sich auf sich selbst zu beziehen. Diese Relation ist das absolute Ich selbst. Der Gedanke, dass das Ich reine Relation ist, erlaubt es Fichte auch,
Schluss
477
seine frühe Wissenschaftslehre um die Lehre vom absoluten Sein Gottes zu erweitern, ohne seine Frühphilosophie aufgeben zu müssen. Denn Gott ist nun umgekehrt das relationslose Sein, von dem das Ich bloße Erscheinung ist. Das Sein des Ich lässt sich auch hier nur als reine Relation verstehen: aber nun eben in seinem relationalen Bezug zum absoluten Sein, dessen Bild es ist. Außerhalb dieses relationalen Bezuges ist das Ich nichts. Die Relation zum Absoluten als dem außerhalb aller Relation stehenden Sein kann nun aber nicht in einem Auftreten des Ich am Absoluten bestehen. Denn damit würde das Absolute seine Relationslosigkeit gerade verlieren. Das Ich ist vielmehr Bild des Absoluten und damit absolut auf dieses bezogen, weil es als absolutes Sichwissen eben nur auf sich selbst bezogen ist. Kann nun Fichte den Gedanken der Identität als reine Relationalität ganz aus sich selbst heraus begründen, so kann er dies nicht in gleicher Weise beim Gegensatz bzw. beim Widerspruch und dem Satz des Widerspruchs. Negation und Gegensatz können immer nur an der Identität (bzw. Identischem) auftreten. So muss eben bei Fichte ein neuer (teils bedingter, aber eben auch unbedingter) Gedanke gedacht werden, um den Satz des Widerspruchs sowie das in ihm Thematisierte begründen zu können. Aus diesen zwei Strukturmomenten erst kann Fichte dann sein System entwickeln. Identität und Entgegensetzung als die Bedingungen der Möglichkeit der Bestimmtheit jedes möglichen Gedankens und Seins fallen so noch auseinander. Den Gedanken der Identität und den der Negation bzw. Entgegensetzung in dem einzigen Gedanken der autonomen Negation zu fusionieren und damit die beiden Momente, durch die jeder denkbare Gedanke bestimmt ist, in eben einem einzigen Gedanken zu vereinigen, das ist hingegen Hegels ganz ursprüngliche Einsicht. Dieser Gedanke ist, in seiner letzten Selbstbestimmung gedacht, nicht mehr die abstrakte Identität, sondern der sich selbst auflösende und in die konkrete Identität als seinen Grund zurückgehende Widerspruch. Anders als bei Fichte ist der Widerspruch nicht mehr nur Produkt einer der reflektierten Sache selbst letztlich doch äußerlich bleibenden Reflexion, sondern Moment der Sache selbst. Durch den Widerspruch wird die Sache in sich reflektiert und ihre Identität konstituiert. Damit wird der Widerspruch bei Hegel zum Gesetz alles Wahren, weil wahrhaft mit sich Identischen.
ABKÜRZUNGEN UND SYMBOLE
Werktitel Die Abkürzungen für die jeweiligen Editionen sind im Literaturverzeichnis angegeben. Abkürzungen von Titeln, die im Literaturverzeichnis vollständig zitiert werden, werden hier nicht verzeichnet. Johann Gottlieb Fichte Begriff: Bericht: Best. d. Gel. 1794: Best. d. Gel. 1811: Eigene Meditationen: Grund unseres Glaubens: Grundlage: Interesse für Wahrheit: Sonnenklarer Bericht:
Verantwortungsschrift: Vergleichung: Von der Sprachfähigkeit: WL:
Über den Begriff der Wissenschaftslehre oder der sogenannten Philosophie Bericht über den Begriff der Wissenschaftslehre und die bisherigen Schicksale derselben Einige Vorlesungen über die Bestimmung des Gelehrten (1794) Fünf Vorlesungen über die Bestimmung des Gelehrten (1811) Eig(e)ne Meditationen über Elementarphilosophie Über den Grund unseres Glaubens an eine göttliche Weltregierung Grundlage der gesammten Wissenschaftslehre Ueber Belebung und Erhöhung des reinen Interesse für Wahrheit Sonnenklarer Bericht an das größere Publikum über das eigentliche Wesen der neuesten Philosophie. Ein Versuch, die Leser zum Verstehen zu zwingen Gerichtliche Verantwortungsschriften gegen die Anklage des Atheismus Vergleichung des von Herrn Prof. Schmid aufgestellten Systems mit der Wissenschaftslehre Von der Sprachfähigkeit und dem Ursprunge der Sprache Wissenschaftslehre
480
Abkürzungen und Symbole
Züricher Vorlesungen:
Züricher Vorlesungen über den Begriff der Wissenschaftslehre
Georg Wilhelm Friedrich Hegel Ästhetik: Differenzschrift: Enzyklopädie: Glauben und Wissen:
Phänomenologie: Philos. auf Gymn. Philosophiegeschichte: Phil. d. Gesch.: Skeptizismus: WdL: Wiss. auf Gymn.
Vorlesungen über die Ästhetik Die Differenz des Fichteschen und Schellingschen Systems der Philosophie Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften Glauben und Wissen oder die Reflexionsphilosophie der Subjektivität in der Vollständigkeit ihrer Formen als Kantische, Jacobische und Fichtesche Philosophie Phänomenologie des Geistes Über den Unterricht in der Philosophie auf Gymnasien Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte Verhältnis des Skeptizismus zur Philosophie Wissenschaft der Logik Über den Vortrag der philosophischen Vorbereitungswissenschaften auf Gymnasien
Aristoteles An Pr: Kat.: Met.: Periherm.: Top.:
Erste Analytik Kategorien Metaphysik Peri hermeneias (Lehre vom Satz) Topik
Ernst Cassirer Erkenntnisproblem III:
Das Erkenntnisproblem in der Philosophie und Wissenschaft der neueren Zeit. Dritter Band: Die nachkantischen Systeme
Abkürzungen und Symbole
481
Johannes Duns Scotus Quaest. sup. lib. Met. Ar.:
Quaestiones super libros Metaphysicae Aristotelis
Gottlob Frege Begriffsschrift:
Begriffsschrift. Eine der arithmetischen nachgebildete Formelsprache des reinen Denkens
Immanuel Kant KrV B:
Critik der reinen Vernunft, zweite Auflage (1787)
John Locke Essay:
An Essay concerning Humane Understanding
Thomas von Aquin In Anal. Post.: In Metaph.: ScG:
Expositio libri Posteriorum Analyticorum Expositio libri Metaphysicae Summa contra Gentiles
Ludwig Wittgenstein PU: Tractatus:
Philosophische Untersuchungen (1953) Tractatus logico-philosophicus (1921)
482
Abkürzungen und Symbole
Logische Symbole Negation:
~ (bzw. ¬)
Allquantor:
∀
Disjunktion:
∨
Definition:
≡
Biimplikation:
↔
Konjunktion:
∧
Logische Folgerung:
⊨
Implikation:
→
Existenzquantor:
∃
Ableitbarkeit:
⊢
Weitere Abkürzungen SdW: SdI: SvaD: SvG:
Satz des Widerspruchs Satz der Identität Satz vom ausgeschlossenen Dritten Satz vom Grunde
LITERATURVERZEICHNIS
Theodor W. Adorno: Gesammelte Schriften in 20 Bänden, Frankfurt am Main 1970–1986. Dariusz Aleksandrowicz: »Das Problem des Anfangs bei Hegel«. In: PhJb 92 (1985), 225–238. Matteo Vincenzo d’Alfonso: Vom Wissen zur Weisheit. Fichtes Wissenschaftslehre 1811, Amsterdam/New York 2005 (= Fichte-Studien Supplementa 20). Aristoteles: Philosophische Schriften in sechs Bänden, Hamburg 1995. Bradley Armour-Garb: »Diagnosing Dialetheism«. In: Graham Priest u. a. (Hrsg.), The Law of Non-Contradiction. New Philosophical Essays, Oxford 2006, 113–125. Christoph Asmuth: Das Begreifen des Unbegreiflichen. Philosophie und Religion bei Johann Gottlieb Fichte 1800–1806, Stuttgart-Bad Cannstatt 1999. – »Transzendentalphilosophie oder absolute Metaphysik?«. In: Fichte-Studien 31 (2007), 45–58. Christoph Gottfried Bardili: Grundriß der Ersten Logik, gereiniget von den Irrthümern bisheriger Logiken überhaupt, der Kantischen insbesondere; Keine Kritik sondern eine Medicina mentis, brauchbar hauptsächlich für Deutschlands Kritische Philosophie, Stuttgart 1800. (Reprint, Brüssel 1970) Manfred Baum: Die Entstehung der Hegelschen Dialektik, Bonn 1986. – »Zur Methode der Logik und Metaphysik beim Jenaer Hegel«. In: Dieter Henrich/Klaus Düsing (Hrsg.), Hegel in Jena, Bonn 1980, 119–138. (= Hegel-Studien Beiheft 20) Peter Baumanns: Fichtes ursprüngliches System. Sein Standort zwischen Kant und Hegel, Stuttgart-Bad Cannstatt 1972. – Fichtes Wissenschaftslehre. Probleme ihres Anfangs. Mit einem Kommentar zu § 1 der ›Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre‹, Bonn 1974. – J.G. Fichte. Kritische Gesamtdarstellung seiner Philosophie, Freiburg/ München 1990. – »Fichtes und Schellings Spätphilosophie«. In: Albert Mues (Hrsg.), Transzendentalphilosophie als System. Die Auseinandersetzung zwischen 1794 und 1806, Hamburg 1989, 471–482.
484
Literaturverzeichnis
Alexander Gottlieb Baumgarten: Metaphysica. Editio VII, Halle 1779. (Reprographischer Nachdruck, Hildesheim 1963) JC Beall/Greg Restall: »Logical Pluralism«. In: Australasian Journal of Philosophy 78,4 (2000), 475–493. JC Beall: »Introduction: At the Intersection of Truth and Falsitiy«. In: Graham Priest u. a. (Hrsg.), The Law of Non-Contradiction. New Philosophical Essays, Oxford 2006, 1–19. Werner Becker: Hegels Begriff der Dialektik und das Prinzip des Idealismus. Zur systematischen Kritik der logischen und der phänomenologischen Dialektik, Stuttgart u. a. 1969. – »Das Problem der Selbstanwendung im Kategorienverständnis der dialektischen Logik«. In: Dieter Henrich (Hrsg.), Die Wissenschaft der Logik und die Logik der Reflexion, Bonn 1978 (= Hegel-Studien Beiheft 18), 75– 82. Werner Beierwaltes: Identität und Differenz, Frankfurt am Main 1980. – Platonismus und Idealismus, Frankfurt am Main 1972. Alessandro Bertinetto: »Die Grundbeziehung von ›Leben‹ und ›Sehen‹ in der ersten Transzendentalen Logik Fichtes«. In: Fichte-Studien 20 (2003), 203– 213. – »Die transzendentale Argumentation in der Transzendentalen Logik Fichtes«. In: Fichte-Studien 31 (2007), 255–265. – »›Sehen ist Reflex des Lebens‹. Bild, Leben und Sehen als Grundbegriffe der transzendentalen Logik Fichtes«. In: Erich Fuchs u. a. (Hrsg.), Der transzendentalphilosophische Zugang zur Wirklichkeit. Beiträge aus der aktuellen Fichte-Forschung, Stuttgart-Bad Cannstatt 2001, 269–306. Ulrich Blau: »Die Logik der Unbestimmtheiten und Paradoxien«. In: Erkenntnis 22 (1985), 369–459. – »Vom Henker, vom Lügner und von ihrem Ende«. In: Erkenntnis 19 (1983), 27–44. Ernst Bloch: Subjekt – Objekt. Erläuterungen zu Hegel. Erweiterte Ausgabe, Frankfurt am Main 1962. (= Gesamtausgabe 8) J.M. Bocheński: Formale Logik, Freiburg/München 21956. Martin Bondeli: Das Anfangsproblem bei Karl Leonhard Reinhold. Eine systematische und entwicklungsgeschichtliche Untersuchung zur Philosophie Reinholds von 1789 bis 1803, Frankfurt am Main 1995. Wolfgang Bonsiepen, Der Begriff der Negativität in den Jenaer Schriften Hegels, Bonn 1977. (= Hegel-Studien Beiheft 16) George Boole: An investigation of the laws of thought on which are founded the mathematical theories of logic and probabilities, New York 1951.
Literaturverzeichnis
485
– The mathematical analysis of logic. Being an essay towards calculus of deductive reasoning, Oxford 1965. Johannes Brachtendorf: Fichtes Lehre vom Sein. Eine kritische Darstellung der Wissenschaftslehren von 1794, 1798/99 und 1812, Paderborn u. a. 1995. Ross T. Brady: »On the Formalization of the Law of Non-Contradiction«. In: Graham Priest u. a. (Hrsg.), The Law of Non-Contradiction. New Philosophical Essays, Oxford 2006, 41–48. Daniel Breazeale: »Circles and Grounds in the Jena Wissenschaftslehre«. In: Daniel Breazeale/Tom Rockmore (Hrsg.): Fichte: Historical Contexts/Contemporary Controversies, New Jersey 1994, 43–70. Manuel Bremer: Wahre Widersprüche. Eine Einführung in die parakonsistente Logik, Sankt Augustin 1998. Elke Brendel: Die Wahrheit über den Lügner. Eine philosophisch-logische Analyse der Antinomie des Lügners, Berlin/New York 1992. Walter Bröcker: Formale, transzendentale und spekulative Logik, Frankfurt am Main 1962. Michael Brüggen: Der Gang des Denkens in der Philosophie Johann Gottlieb Fichtes, München 1964. Rüdiger Bubner: »Strukturprobleme dialektischer Logik«. In: Ute Guzzoni u. a. (Hrsg.), Der Idealismus und seine Gegenwart. Festschrift für Werner Marx zum 65. Geburtstag, Hamburg 1976, 36–52. – »Zur Struktur dialektischer Logik«. In: Hegel-Jb 1974, 137–143. Rudolf Carnap: Einführung in die symbolische Logik mit besonderer Berücksichtigung ihrer Anwendungen, Wien/New York 31968. – Logische Syntax der Sprache, Wien/New York 21968. – »Die alte und die neue Logik (1930)«. In: Erkenntnis 1 (1930), 12–26. Otávio Bueno/Mark Colyvan: »Logical Non-Apriorism and the ›Law‹ of NonContradiction«. In: Graham Priest u. a. (Hrsg.), The Law of Non-Contradiction. New Philosophical Essays, Oxford 2006, 156–175. Ulrich Claesges: Geschichte des Selbstbewusstseins. Der Ursprung des spekulativen Problems in Fichtes Wissenschaftslehre von 1794–95, Den Haag 1974. Wolfgang Class/Alois K. Soller: Kommentar zu Fichtes Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre, Amsterdam-New York 2004 (= Fichte-StudienSupplementa Band 19). Newton C. A. da Costa: »On the theory of inconsistent formal Systems«. In: Notre Dame Journal of Formal Logic 15,4 (1974), 497–510.
486
Literaturverzeichnis
Augustus De Morgan: »On the Syllogism: II. On the Symbols of Logic, the Theory of the Syllogism, and in particular of the Copula (1850)«. In: Peter Heath (Hrsg.), Augustus De Morgan, On the Syllogism and other logical Wirtings, London 1966. Christoph Demmerling: »Philosophie als Kritik. Grundprobleme der Dialektik Hegels und das Programm kritischer Theorie«. In: Christoph Demmerling/Friedrich Kambartel: Vernunftkritik nach Hegel. Analytisch-kritische Interpretationen zur Dialektik, Frankfurt am Main 1992, 67–99. René Descartes: Ouvres de Descartes, hrsg. v. Charles Adam/Paul Tannery, Paris 1964 ff. (AT) Julius Drechsler: Fichtes Lehre vom Bild, Stuttgart 1955. Klaus Düsing: Das Problem der Subjektivität in Hegels Logik. Systematische und entwicklungsgeschichtliche Untersuchungen zum Prinzip des Idealismus und zur Dialektik, Bonn 1976. (=Hegel-Studien, Beiheft 15) – Subjektivität und Freiheit. Untersuchungen zum Idealismus von Kant bis Hegel, Stuttgart–Bad Cannstatt 2002. – »Absolute Identität und Formen der Endlichkeit«. In: Schellings und Hegels erste absolute Metaphysik (1801–1802). Zusammenfassende Vorlesungsnachschriften von I. P. V. Troxler. Hrsg., eingeleitet und mit Interpretationen versehen von Klaus Düsing, Köln 1988, 99–193. – »Idealistische Substanzmetaphysik. Probleme der Systementwicklung bei Schelling und Hegel in Jena«. In: Dieter Henrich/Klaus Düsing (Hrsg.), Hegel in Jena. Die Entwicklung des Systems und die Zusammenarbeit mit Schelling, Bonn 1980 (= Hegel-Studien, Beiheft 20), 25–44. – »Identität und Widerspruch. Untersuchungen zur Entwicklungsgeschichte der Dialektik Hegels«. In: Giornale di Metafisica, Nuova Ser. 6 (1984), 315– 358. – »Spekulative Logik und positive Philosophie. Thesen zur Auseinandersetzung des späten Schelling mit Hegel«. In: Dieter Henrich/K. Cramer (Hrsg.), Ist systematische Philosophie möglich? Stuttgarter Hegel-Kongress 1975, Bonn 1977 (=Hegel-Studien, Beiheft 17), 117–128. – »Strukturmodelle des Selbstbewußtseins. Ein systematischer Entwurf«. In: Fichte-Studien 7 (1995), 7–26. – »Syllogistik und Dialektik in Hegels spekulativer Logik«. In: Dieter Henrich (Hrsg.), Hegels Wissenschaft der Logik. Formation und Rekonstruktion, Stuttgart 1986, 15–38. Walter Dubislav: »Über den sogenannten Gegenstand der Mathematik«. In: Erkenntnis 1 (1930), 27–48. Johannes Duns Scotus: Opera Philosophica, St. Bonventure, NY 1997 ff.
Literaturverzeichnis
487
Guiseppe Duso: »Absolutheit und Widerspruch in der Grundlage der gesamten Wissenschafts-lehre«. In: Fichte-Studien 10 (1997), 285–298. Johann August Eberhard: »Über die logische Wahrheit oder die transzendentale Gültigkeit der menschlichen Erkenntnis (1789)«. In: Marion Lauschke/Manfred Zahn (Hrsg.), Immanuel Kant. Der Streit mit Johann August Eberhard, Hamburg 1998, 16–30. Lothar Eley: Fichte, Schelling, Hegel. Operative Denkwege im »Deutschen Idealismus«, Neuried 1995. Wilhelm K. Essler: »Zur Topologie der Arten dialektischer Logik bei Hegel«. In: Dieter Henrich (Hrsg.), Hegels Wissenschaft der Logik. Formation und Rekonstruktion, Stuttgart 1986, 198–208. Hans-Peter Falk: »Fichtes späte Wissenschaftslehre«. In: Fichte-Studien 28 (2006), 129–143. J. G. Fichte: Gesamtausgabe der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, hrsg. v. Reinhard Lauth u. a., Stuttgart – Bad Cannstatt 1962 ff. (GA) – Werke, hrsg. v. Immanuel Hermann Fichte, Berlin 1971. (FW) – Die späten wissenschaftlichen Vorlesungen, hrsg. v. Hans Georg von Manz u. a., Stuttgart-Bad Cannstatt 2000 ff. (fhS) – Ultima Inquirenda. J. G. Fichtes letzte Bearbeitungen der Wissenschaftslehre Ende 1813/Anfang 1814. Textband, hrsg. v. Reinhard Lauth, Stuttgart-Bad Cannstatt 2001 (= Spekulation und Erfahrung I, 7). (Ultima Inquirenda) – J. G. Fichte im Gespräch. Berichte seiner Zeitgenossen, hrsg. v. Erich Fuchs, Stuttgart-Bad Cannstatt 1978 ff. (= specula 1) – J. G. Fichte in zeitgenössischen Rezensionen, hrsg. v. Erich Fuchs, Wilhelm G. Jacobs und Walter Schieche, Stuttgart-Bad Cannstatt 1995. (= specula 2) Werner Flach: Negation und Andersheit. Ein Beitrag zur Problematik der Letztimplikation, München/ Basel 1959. – »Die dreifache Stellung des Denkens zur Objektivität und das Problem der spekulativen Logik«. In: Dieter Henrich (Hrsg.), Die Wissenschaft der Logik und die Logik der Reflexion, Bonn 1978 (= Hegel-Studien Beiheft 18), 3–18. – »Fichte über Kritizismus und Dogmatismus«. In: Zeitschrift für phil Forsch 18 (1964), 585–596. Manfred Frank: Der unendliche Mangel an Sein. Schellings Hegelkritik und die Anfänge der Marxschen Dialektik, Frankfurt am Main 1975. Gottlob Frege: Begriffsschrift und andere Aufsätze, hrsg. v. Ignacio Angelelli, Darmstadt 21964. (BuaA)
488
Literaturverzeichnis
– Die Grundlagen der Arithmetik. Eine logisch-mathematische Untersuchung über den Begriff der Zahl, Darmstadt 1961. – Grundgesetze der Arithmetik. Begriffsschriftlich abgeleitet I, Darmstadt 2 1962. – Kleine Schriften, hrsg. v. Ignacio Amgelelli, Darmstadt 1967. – Nachgelassene Schriften, hrsg. v. Hans Hermes, Hamburg 1969. J. F. Fries: Sämtliche Schriften, nach den Ausgaben letzter Hand zusammengestellt, eingeleitet und mit einem Fries-Lexikon versehen von Gert König u. a., Aalen 1982 ff. (= FSS) Bärbel Frischmann: Vom transzendentalen zum frühromantischen Idealismus. J. G. Fichte und Fr. Schlegel, Paderborn u. a. 2005. Hans Friedrich Fulda: Das Problem einer Einleitung in Hegels Wissenschaft der Logik, Frankfurt am Main 1965. – »Über den spekulativen Anfang«. In: Subjektivität und Metaphysik. Festschrift für Wolfgang Cramer, Frankfurt am Main 1966, 109–127. Dov Gabbay/John Woods: »The New Logic«. In: L. J. of the IGPL 9 (2001), 141–174. Hans-Georg Gadamer: Gesammelte Werke, Tübingen 1985–1995. (= GGW) Hans-Johann Glock: Wittgenstein-Lexikon, Darmstadt 2000. Karen Gloy: »Der Streit um den Zugang zum Absoluten«. In: Zeitschrift für philosophische Forschung 36 (1982), 25–48. – »Die drei Grundsätze aus Fichtes ›Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre‹ von 1794«, In: PhJb 91 (1984), 289–307. – »Fichtes Dialektiktypen«. In: Fichte-Studien 17 (2000), 103–124. Kurt Gödel: Collected Works I, New York/Oxford 1986. – »Russells mathematische Logik«. In: Alfred North Whitehead/Bertrand Russell, Principia Mathematica, Vorwort und Einleitungen. Mit einem Beitrag von Kurt Gödel, Frankfurt am Main 1984. Patrick Grim: »What is a Contradiction?«. In: Graham Priest u. a. (Hrsg.), The Law of Non-Contradiction. New Philosophical Essays, Oxford 2006, 49–72. Stephan Grotz: Negationen des Absoluten. Meister Eckhart – Cusanus – Hegel, Hamburg 2009. – Vom Umgang mit Tautologien: Martin Heidegger und Roman Jakobson, Hamburg 2000, S. 17–73. Gotthard Günther: Idee und Grundriß einer nicht-Aristotelischen Logik. Die Idee und ihre philosophischen Voraussetzungen, Hamburg 21978. – »Das Problem einer trans-klassischen Logik«. In: Gotthard Günther, Beiträge zur Grundlegung einer operationsfähigen Dialektik III. Philosophie
Literaturverzeichnis
489
der Geschichte und der Technik: Wille, Schöpfung, Arbeit, Strukturanalyse der Vermittlung, Mehrwertigkeit, Stellen- und Kontextwertlogik, Kenogrammatik, Theorie der Zeit, Hamburg 1980, 73–94. P. M. S. Hacker: Wittgenstein im Kontext der analytischen Philosophie, Frankfurt am Main 1997. Hans Hahn: Empirismus. Logik. Mathematik. Mit einer Einleitung von Karl Menger, hrsg. v. Brian Mc Guinness, Frankfurt am Main 1988. (= BMG) – »Logik, Mathematik und Naturerkennen (1933)«. In: Michael Stöltzner und Thomas Uebel (Hrsg.), Wiener Kreis, Hamburg 2006, 223–259. Jens Halfwassen: Hegel und der spätantike Neuplatonismus. Untersuchungen zur Metaphysik des Einen und des Nous in Hegels spekulativer und geschichtlicher Deutung, Bonn 1999 (= Hegel-Studien Beiheft 40). Klaus Hammacher: »Fichte und das Problem der Dialektik«. In: Christoph Asmuth (Hrsg.), Sein – Reflexion – Freiheit. Aspekte der Philosophie Johann Gottlieb Fichtes, Amsterdam/Philadelphia 1997, 115–141. – »Zur Transzendentallogischen Begründung der Dialektik bei Fichte«. In: Kant-Studien 79 (1988), 467–475. Christian Hanewald: »Absolutes Sein und Existenzgewißheit des Ich«. In: Fichte-Studien 20 (2003), 13–25. G. H. Haring: Historisch-kritische Darstellung der dialektischen Methode Hegels. In: Carl Ludwig Michelet/G. H. Haring, Historisch-kritische Darstellung der dialektischen Methode Hegels, Hildesheim 1977 (= Reprographischer Druck der Ausgabe Leipzig 1888), 95–152. Eduard von Hartmann: Kategorienlehre, Leipzig 1896. – Über die dialektische Methode, Berlin 1868. Nicolai Hartmann: Die Philosophie des Deutschen Idealismus. I. Teil. Fichte, Schelling und die Romantik. II. Teil. Hegel, Berlin 21960. G. W. F. Hegel: Gesammelte Werke, in Verbindung mit der Deutschen Forschungsgemeinschaft hrsg. von der Rheinisch-Westfälischen [bzw. der Nordrhein-Westfälischen] Akademie der Wissenschaften, Hamburg 1968 ff. (GW) – Werke in 20 Bänden, Frankfurt a. M. 1986. (SW) – Schellings und Hegels erste absolute Metaphysik (1801–1802). Zusammenfassende Vorlesungsnachschriften von I. P. V. Troxler. Hrsg., eingeleitet und mit Interpretationen versehen von Klaus Düsing, Köln 1988. (= ed. Troxler) Martin Heidegger: Gesamtausgabe, Frankfurt am Main 1975 ff. (HeG) Erich Heintel: »Einige Gedanken zur Logik der Dialektik«. In: Studium Generale 21 (1968), 203–217.
490
Literaturverzeichnis
Robert Heiss: Logik des Widerspruchs. Eine Untersuchung zur Methode der Philosophie und zur Gültigkeit der formalen Logik, Berlin/Leipzig 1932. Dieter Henrich: Der Grund im Bewußtsein. Untersuchungen zu Hölderlins Denken (1794–1795), Stuttgart 1992. – Konstellationen. Probleme und Debatten am Ursprung der idealistischen Philosophie (1789–1795), Stuttgart 1991. – »Absoluter Geist und Logik des Endlichen«. In: Dieter Henrich/Klaus Düsing (Hrsg.), Hegel in Jena. Die Entwicklung des Systems und die Zusammenarbeit mit Schelling, Bonn 1980 (= Hegel-Studien Beiheft 20), 103– 118. – »Anfang und Methode der Logik (1963)«. In: Hegel im Kontext, Frankfurt am Main 31981, 73–94. – »Eine philosophische Konzeption entsteht. Hölderlins Denken in Jena«. In: Hölderlin-Jb 28 (1992/93), 1–28. – »Fichtes ursprüngliche Einsicht«. In: Dieter Henrich/Hans Wagner (Hrsg.), Subjektivität und Metaphysik. Festschrift für Wolfgang Cramer, Frankfurt am Main 1966, 188–232. – »Formen der Negation in Hegels Logik«. In: Hegel-Jb 1974, 245–256. – »Hegels Grundoperation«. In: Ute Guzzoni u. a. (Hrsg.), Der Idealismus und seine Gegenwart. Festschrift für Werner Marx zum 65. Geburtstag, Hamburg 1976, 208–230. – »Hegel und Hölderlin«. In: Hegel im Kontext, Frankfurt am Main 31981, 9–40. – »Hegels Logik der Reflexion«. In: Hegel im Kontext, Frankfurt am Main 3 1981, 95–156. – »Hegels Logik der Reflexion. Neue Fassung«. In: Dieter Henrich (Hrsg.), Die Wissenschaft der Logik und die Logik der Reflexion, Bonn 1978 (= Hegel-Studien, Beiheft 18), 203–324. David Hilbert/W. Ackermann: Grundzüge der theoretischen Logik (1928), Berlin u. a. 41959. Reinhard Hiltscher: Wahrheit und Reflexion. Eine transzendentalphilosophische Studie zum Wahrheitsbegriff bei Kant, dem frühen Fichte und Hegel, Bonn 1998. Friedrich Hölderlin: Sämtliche Werke und Briefe in drei Bänden, hrsg. v. Jochen Schmidt, Frankfurt am Main 1994. (HöW) Vittorio Hösle: Hegels System. Der Idealismus der Subjektivität und das Problem der Intersubjektivität, Hamburg 21998. Harald Holz: Philosophisch-logische Abhandlung. Entwurf einer transzendentalen Erkenntnistheorie zur Grundlegung formaler Logik, Bern 1984.
Literaturverzeichnis
491
– »Zur Struktur der Dialektik in den Frühschriften von Fichte und Schelling.« In: Archiv für Geschichte der Philosophie 52 (1970), 71–90. Rolf-Peter Horstmann: Die Grenzen der Vernunft. Eine Untersuchung zu Zielen und Motiven des Deutschen Idealismus, Frankfurt am Main 1991. Paul Hoyningen-Huene: Formale Logik. Eine philosophische Einführung, Stuttgart 1998. Lore Hühn: Fichte und Schelling. Oder: Über die Grenze des menschlichen Wissens, Stuttgart/Weimar 1994. – »Die Unaussprechlichkeit des Absoluten. Eine Grundfigur der Fichteschen Spätphilosophie im Lichte ihrer Hegelschen Kritik«. In: Markus Hattstein u. a. (Hrsg.), Erfahrungen der Negativität. Festschrift für Michael Theunissen zum 60. Geburtstag, Hildesheim u. a. 1992, 177–201. Edmund Husserl: Husserliana. Gesammelte Werke, Den Haag 1950 ff. Christian Iber: Metaphysik absoluter Relationalität. Eine Studie zu den beiden ersten Kapiteln von Hegels Wesenslogik, Berlin/New York 1990. Wolfgang Janke: Fichte. Sein und Reflexion – Grundlagen der kritischen Vernunft, Berlin 1970. – Historische Dialektik. Destruktion dialektischer Grundformen von Kant bis Marx, Berlin/New York 1977. – Johann Gottlieb Fichtes ›Wissenschaftslehre 1805‹. Methodisch-systematischer und philosophiegeschichtlicher Kommentar, Darmstadt 1999. – Vom Bilde des Absoluten. Grundzüge der Phänomenologie Fichtes, BerlinNew York 1993. – »Die Grundsätze der absoluten Einheit im Urteil der Sprache (Fichte, Hegel, Hölderlin)«. In: Karen Gloy/Enno Rudolph (Hrsg.), Einheit als Grundfrage der Philosophie, Darmstadt 1985, 217–237. – »Einheit und Vielheit. Grundzüge von Fichtes Lebens- und Bildlehre«. In: Einheitskonzepte in der idealistischen und in der gegenwärtigen Philosophie. Ergebnisse eines Symposiums (Luzern 1986), hrsg. v. Karen Gloy und Dominik Schmidig, Bern u. a. 1987, 39–72. – »Limitative Dialektik. Überlegungen im Anschluß an die Methodenreflexion in Fichtes Grundlage 1794/95 § 4 (GA I,2,283–85)«. In: Fichte-Studien 1 (1990), 9–24. Holger Jergius: Philosophische Sprache und analytische Sprachkritik. Bemerkungen zu Fichtes Wissenschaftslehren, Freiburg/München 1975. Immanuel Kant: Gesammelte Schriften, hrsg. von der Preußischen Akademie der Wissenschaften, der Deutschen Akademie der Wissenschaften zu Berlin und der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen, Berlin 1900 ff. (AA)
492
Literaturverzeichnis
Thomas Kesselring: Die Produktivität Antinomie. Hegels Dialektik im Lichte der genetischen Erkenntnistheorie und der formalen Logik, Frankfurt am Main 1984. – »Rationale Rekonstruktion von Dialektik im Sinne Hegels«. In: Emil Angehrn u. a. (Hrsg.), Dialektischer Negativismus. Michael Theunissen zum 60. Geburtstag, Frankfurt am Main 1992, 273–303. Georg Klaus: »Hegel und die Dialektik der formalen Logik.« In: Dtsch. Z. Philos. 11 (1963), 1489–1503. Hans-Dieter Klein: »Die dialektische Methode und die Einheit des philosophischen Systems«. In: Karen Gloy/Dominik Schmidig (Hrsg.), Einheitskonzepte in der idealistischen und in der gegenwärtigen Philosophie. Ergebnisse eines Symposiums (Luzern 1986), Bern u. a. 1987, 193–230. Christian Klotz: Selbstbewußtsein und praktische Identität. Eine Untersuchung über Fichtes Wissenschaftslehre nova methodo, Frankfurt am Main 2002. – »Die Methode des Zugangs zum Prinzip in Fichtes Wissenschaftslehre ›nova methodo‹ und der Transzendentalphilosophie des frühen Schelling«. In: Jürgen Stolzenberg (Hrsg.): Kant und der Frühidealismus, Hamburg 2007, 233–247. – »Reines Selbstbewußtsein und Reflexion in Fichtes Grundlegung der Wissenschaftslehre (1794–1800)«. In: Fichte-Studien 7 (1995), 27–48. William Kneale/Martha Kneale: The Development of Logic, Oxford 31966. Panajotis Kondylis: Die Entstehung der Dialektik. Eine Analyse der geistigen Entwicklung von Hölderlin, Schelling und Hegel bis 1802, Stuttgart 1979. Joachim Kopper: Das transzendentale Denken des Deutschen Idealismus, Darmstadt 1989. Lothar Kreiser: »Logik im Spannungsfeld von Biologie und Psychologie«. In: Dtsch. Z Philos. 39,2 (1991), 1083–1094. Hermann Krings: Transzendentale Logik, München 1964. Richard Kroner: Von Kant bis Hegel. Zwei Bände in einem Band, Tübingen 2 1961. Frederick Kroon: »Realism and Dialetheism«. In: Graham Priest u. a. (Hrsg.), The Law of Non-Contradiction. New Philosophical Essays, Oxford 2006, 245–263. Arend Kulenkampff: Antinomie und Dialektik. Zur Funktion des Widerspruchs in der Philosophie, Stuttgart 1970. Franz von Kutschera: Die Antinomien der Logik. Semantische Untersuchungen, Freiburg/München 1964. – Die Wege des Idealismus, Paderborn 2006.
Literaturverzeichnis
493
– Elementare Logik, Wien/New York 1967. – »Das Verhältnis der traditionellen zur modernen Logik«. In: PhJb 71 (1964), 219–229. Reinhard Lauth: Die Entstehung von Schellings Identitätsphilosophie in der Auseinandersetzung mit Fichtes Wissenschaftslehre, Freiburg/München 1975. – Transzendentale Entwicklungslinien von Descartes bis zu Marx und Dostojewski, Hamburg 1989. – Vernünftige Durchdringung der Wirklichkeit. Fichte und sein Umkreis, Neuried 1994. – »Die grundlegende transzendentale Position Fichtes«. In: Klaus Hammacher (Hrsg.), Der transzendentale Gedanke. Die gegenwärtige Darstellung der Philosophie Fichtes, Hamburg 1981, 18–24. – »J. G. Fichtes Gesamtidee der Philosophie«. In: PhJb 71 (1964), 253–285. Stanisław Leśniewski: Collected Works I/II, hrsg. v. S. J. Surma u. a., Dordrecht 1992. Gottfried Wilhelm Leibniz: Philosophische Werke. In vier Bänden, übersetzt von Artur Buchenau und Ernst Cassirer, in der Zusammenstellung von E. Cassirer. Mit Personen- und Titelregistern, Hamburg 1996. (LPW) – Opuscules et Fragments Inédites, hrsg. v. Louis Couturat, Paris 1903. Hans Lenk: Kritik der logischen Konstanten. Philosophische Begründungen der Urteilsformen vom Idealismus bis zur Gegenwart, Berlin 1968. David Lewis: On the plurality of worlds, Malden, MA u. a. 22001. – »Letters to Beall and Priest«. In: Graham Priest u. a., The Law of Non-Contradiction. New Philosophical Essays, Oxford 2006, 176f. – »Logic for equivocators«. In: David Lewis, Papers in philosophical Logic, Cambridge 1998, 97–110. John Locke: Works. A new edition, corrected. In ten volumes, London 1823. (repr. Aalen 1963) Johann Heinrich Loewe: Die Philosophie Fichtes nach dem Gesammtergebnis ihrer Entwickelung und in ihrem Verhältnisse zu Kant und Spinoza, Stuttgart 1862. Virginia López-Domínguez: »Die Entwicklung der intellektuellen Anschauung bei Fichte bis zur Darstellung der Wissenschaftslehre (1801–1802)«. In: Fichte-Studien 20 (2003), 103–115. K. Lorenz: »Kalkül«. In: HWPh 4 (1976), 672–681. Hermann Lotze: Logik. Drei Bücher vom Denken, vom Untersuchen und vom Erkennen. Mit der Übersetzung des Aufsatzes: Philosophy in the last forty years, einem Namen- und Sachregister, hrsg. und eingeleitet von Ge-
494
Literaturverzeichnis
org Misch, Leipzig 1912 (= System der Philosophie. Erster Teil. Drei Bücher der Logik). Wilhelm Lütterfelds: Fichte und Wittgenstein. Der thetische Satz, Stuttgart 1989. – »Fichtes Konzept absoluter Einheit (1804) – ein performativer Selbstwiderspruch?«. In: Fichte-Studien 6 (1994), 401–422. Jan Łukasiewicz: Selected Works, hrsg. v. L. Borkowski, Amsterdam/London 1970. – Elementy logiki matematycneij (Elemente der mathematischen Logik), Warszawa 1929. – Über den Satz des Widerspruchs bei Aristoteles. Aus dem Polnischen übersetzt von Jacek Barski. Mit einem Vorwort zur Neuausgabe von J. M. Bocheński, Hildesheim/Zürich/New York 1993. – »Zur Geschichte der Aussagenlogik«. In: Erkenntnis 5 (1935), 111–131. Edwin D. Mares: »Semantic Dialetheism«. In: Graham Priest u. a. (Hrsg.), The Law of Non-Contradiction. New Philosophical Essays, Oxford 2006, 264–275. Wayne M. Martin: »Zu den Zielen von Fichtes Jenaer Wissenschaftslehre«. In: Dtsch. Z. Philos. 44 (1996), 409–428. Karl Marx/Friedrich Engels: Marx-Engels-Werke in 43 Bänden, Berlin (Ost) 1956–1990. (MEW) John/Ellis McTaggart: A commentary on Hegel’s Logik, New York 21964. Günter Meckenstock: Vernünftige Einheit. Eine Untersuchung zur Wissenschaftslehre Fichtes, Frankfurt am Main u. a. 1983. – »Beobachtungen zur Methodik in Fichtes Grundlage der gesammten Wissenschaftslehre«. In: Fichte-Studien 10 (1997), 67–80. Karl Menger: »Die neue Logik (1936)«. In: Michael Stöltzner/Thomas Uebel (Hrsg.), Wiener Kreis. Texte zur wissenschaftlichen Weltauffassung von Rudolf Carnap, Otto Neurath, Moritz Schlick, Philipp Frank, Hans Hahn, Karl Menger, Edgar Zilsel und Gustav Bergmann, Hamburg 2006, 479– 514. Christoph Menke: »Der ›Wendungspunkt‹ des Erkennens. Zu Begriff, Recht und Reichweite der Dialektik in Hegels Logik«. In: Christoph Demmerling/ Friedrich Kambartel (Hrsg.), Vernunftkritik nach Hegel. Analytisch-kritische Interpretationen zur Dialektik, Frankfurt am Main 1992, 9–66. Wilhelm Metz: Kategoriendeduktion und produktive Einbildungskraft in der theoretischen Philosophie Kants und Fichtes, Stuttgart-Bad Cannstatt 1991 (= Spekulation und Erfahrung II,21).
Literaturverzeichnis
495
Carl Ludwig Michelet: »Gutachtlicher Bericht Michelet’s über die sämmtlichen der Philosophischen Gesellschaft zu Berlin zugegangenen Bewerbungsschriften«. In: Carl Ludwig Michelet/G. H. Haring, Historisch-kritische Darstellung der dialektischen Methode Hegels, Hildesheim 1977 (= Reprographischer Druck der Ausgabe Leipzig 1888), 1–94. John Stuart Mill: Collected Works of John Stuart Mill. 33 vols., hrsg. v. J. M. Robson, Toronto 1963–1991. Igor Narski: »Die Kategorie des Widerspruchs in Hegels ›Wissenschaft der Logik‹«. In: Dieter Henrich (Hrsg.), Hegels Wissenschaft der Logik. Formation und Rekonstruktion, Stuttgart 1986, 178–197. Nikolaus von Kues: Philosophisch-theologische Werke. Mit einer Einleitung von Karl Bormann sowie Anmerkungen, Literaturverzeichnissen und Indices. Vier Bände in Kassette, Hamburg 2002. Novalis: Schriften. Historisch-kritische Ausgabe in vier Bänden, einem Materialienband und einem Ergänzungsband mit dem dichterischen Jugendnachlaß und weiteren neu aufgetauchten Handschriften, Darmstadt 1988. (NA) Wilhelm von Ockham: Opera Philosophica et Theologica. Reihe Opera philosophica, hrsg. v. The Franciscan Institute of St. Bonaventure University, St. Bonaventure (N.Y.) 1974–1988. Peter L. Oesterreich/Hartmut Traub: Der ganze Fichte. Die populäre, wissenschaftliche und metaphilosophische Erschließung der Welt, Stuttgart 2006. Peter L. Oesterreich: »Die Rede vom Absoluten in der Spätphilosophie Fichtes«. In: Fichte-Studien 17 (2000), 169–188. Rebecca Paimann: Die Logik und das Absolute. Fichtes Wissenschaftslehre zwischen Wort, Begriff und Unbegreiflichkeit, Würzburg 2006. Terence Parsons: »True Contradictions«. In: Canadian Journal of Philosophy 20,3 (1990), 335–354. Charles S. Peirce/William T. Harris: »Nominalismus versus Realismus«. In: Rolf-Peter Horstmann (Hrsg.), Seminar: Dialektik in der Philosophie Hegels, Frankfurt am Main 1978, 177–193. Jaroslav Peregrin: »›Fregean‹ Logic and ›Russelian‹ Logic«. In: Australasian Journal of Philsophy 78,4 (2000), 557–574. Alain Perrinjaquet: »Some Remarks Concerning the Circularity of Philosophy and the Evidence of Its First Principle in the Jena Wissenschaftslehre«. In: Daniel Breazeale/Tom Rockmore (Hrsg.), Fichte: Historical Contexts/ Contemporary Controversies, New Jersey 1994, 71–95.
496
Literaturverzeichnis
Platon: Sämtliche Werke in 3 Bänden. Berliner Ausgabe, hrsg. v. Erich Loewenthal, Heidelberg 1982 (Lizenzausgabe Wiesbaden 2001). Gottfried Ploucquet: Logik, hrsg., übersetzt und mit einer Einleitung versehen von Michael Franz, Hildesheim u. a. 2006. Karl R. Popper: »Was ist Dialektik?« (1940). In: Ernst Topitsch (Hrsg.), Logik der Sozialwissenschaften, Köln-Berlin 61970, 263–290. Graham Priest/Richard Routley: »Systems of Paraconsistent Logic«. In: Graham Priest/Richard Routley/Jean Norman (Hrsg.), Paraconsistent Logic. Essays on the Inconsistent, München u. a. 1989, 151–186. Graham Priest: Beyond the Limits of Thought, Oxford 2002. – Doubt truth to be a liar, Oxford 2006. – In Contradiction. A study of the Transconsistent, Oxford 22006 – »Classical Logic aufgehoben«. In: Graham Priest/Richard Routley/Jean Norman (Hrsg.), Paraconsistent Logic. Essays on the Inconsistent, München u. a. 1989, 131–148. – »Could everything be true?«. In: Australasian Journal of Philosophy 78, 2 (2000), 189–195. – »The logic of Paradox«. In: Journal of philosophical Logic 8,2 (1979), 219– 241. – »What not? A defence of Dialetheic Theory of Negation«. In: Dov M. Gabbay/Heinrich Wansins (Hrsg.), What is Negation?, Dordrecht u. a. 1999 (= Applied Logic Series 13), 101–120. – »What’s so bad about Contradictions«. In: Graham Priest u. a. (Hrsg.), The Law of Non-Contradiction. New Philosophical Essays, Oxford 2006, 23– 38. Hilary Putnam: »There is at least one a priori truth«. In: Erkenntnis 13 (1978), 153–170. Willard Van Orman Quine, Grundzüge der Logik, Frankfurt am Main 1974. – Philosophy of Logic, Cambridge/London 21986. – »Two Dogmas of Empiricism«. In: W.V.O. Quine, From a logical point of view. 9 Logico-Philosophical Essays, Cambridge 21964, 20–46. Frank P. Ramsey: Grundlagen. Abhandlungen zur Philosophie, Logik, Mathematik und Wirtschaftswissenschaft, Stuttgart-Bad Cannstatt 1980. (FPR) Karl Leonhard Reinhold: Über das Fundament des philosophischen Wissens. Über die Möglichkeit der Philosophie als strenge Wissenschaft. Mit einer Einleitung hrsg. v. Wolfgang H. Schrader, Hamburg 1978. Hans Radermacher: Fichtes Begriff des Absoluten, Frankfurt am Main 1970.
Literaturverzeichnis
497
– »Fichte und das Problem der Dialektik«. In: Studium Generale 21 (1968), 475–502. Michael D. Resnik: »Revising Logic«. In: Graham Priest u. a. (Hrsg.), The Law of Non-Contradiction. New Philosophical Essays, Oxford 2006, 178– 194. Greg Restall: »Laws of Non-Contradiction, Laws of the Excluded Middle, and Logics«. In: Graham Priest u. a. (Hrsg.), The Law of Non-Contradiction. New Philosophical Essays, Oxford 2006, 73–84. Vladimir Richter: Untersuchungen zur operativen Logik der Gegenwart, Freiburg/München 1965. Tom Rockmore: »Antifoundationalism, Circularity, and the spirit of Fichte«. In: Daniel Breazeale/Tom Rockmore (Hrsg.), Fichte: Historical Contexts/ Contemporary Controversies, New Jersey 1994, 96–112. Peter Rohs: Johann Gottlieb Fichte, München 1991 (= Beck’sche Reihe 521 Große Denker). – »Der Grund der Bewegung des Begriffs«. In: Dieter Henrich (Hrsg.), Die Wissenschaft der Logik und die Logik der Reflexion, Bonn 1978 (= HegelStudien Beiheft 18), 43–62. Hans Rott: »A New Psychologism in Logic? Reflections from the Point of View of Belief Revision«. In: Studia Logica (2008) 88, 113–136. R. Routley/V. Routley: »Negation and Contradiction«. In: Revista Colombiana de Matemáticas 19 (1985), 201–231. Bertrand Russell: Introduction to mathematical Philosophy, London 121967. – Probleme der Philosophie, Wien-Stuttgart 1950. – The Principles of Mathematics, London 81964. R. M. Sainsbury: Paradoxien. Erweiterte Ausgabe, Stuttgart 2001. – »Option Negation and Dialetheias«. In: Graham Priest u. a. (Hrsg.), The Law of Non-Contradiction. New Philosophical Essays, Oxford 2006, 85– 92. Andries Sarlemijn: Hegelsche Dialektik, Berlin/New York 1971. Rainer Schäfer: Die Dialektik und ihre besonderen Formen in Hegels Logik. Entwicklungsgeschichtliche und systematische Untersuchungen, Hamburg 2001. (= Hegel-Studien Beiheft 45) – Johan Gottlieb Fichtes ›Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre‹ von 1794, Darmstadt 2006. F. W. J. Schelling: Historisch–Kritische Ausgabe, im Auftrag der SchellingKommission der Bayerischen Akademie der Wissenschaften hrsg. von Hans Michael Baumgartner, Wilhelm G. Jacobs u. a., Stuttgart 1976 ff. (SHKA)
498
Literaturverzeichnis
– Initia Philosophiae Universae. Erlangener Vorlesung WS 1820/21, hrsg. v. und kommentiert v. Horst Fuhrmans, Bonn 1969. – Philosophie der Offenbarung 1841/42, hrsg. u. eingeleitet v. Manfred Frank, Frankfurt am Main 1971. (Offb.) – Schellings und Hegels erste absolute Metaphysik (1801–1802). Zusammenfassende Vorlesungsnachschriften von I.P.V. Troxler. Hrsg., eingeleitet und mit Interpretationen versehen von Klaus Düsing, Köln 1988. (ed. Troxler) Friedrich Schlegel: Kritische Friedrich-Schlegel-Ausgabe. 22 Bände, hrsg. von Ernst Behler, München / Paderborn / Wien / Zürich 1958 ff. (KFSA) Franz Schmidt: »Hegels formelle Logik«. In: Deutsche Zeitschrift für Philosophie 11 (1963), 415–421. Hermann Schmitz: Hegels Logik, Bonn/Berlin 1992. – »Das dialektische Wahrheitsverständnis und seine Aporie«. In: Dieter Henrich (Hrsg.), Ist systematische Philosophie möglich? Stuttgarter HegelKongreß 1975, Bonn 1977, 241–254. (= Hegel-Studien, Beiheft 17) Rolf Schönberger: »Evidenz und Erkenntnis. Zu mittelalterlichen Diskussionen um das erste Prinzip«. In: PhJb 102 (1995), 4–19. Wolfgang H. Schrader: Empirisches und absolutes Ich. Zur Geschichte des Begriffs Leben in der Philosophie J. G. Fichtes, Stuttgart-Bad Cannstatt 1972. Walter Schulz: Das Problem der absoluten Reflexion, Frankfurt am Main 1963. – Die Vollendung des Deutschen Idealismus in der Spätphilosophie Schellings, Pfullingen 1975. – Wittgenstein. Die Negation der Philosophie, Pfullingen 21979 – »Das Verhältnis des späten Schelling zu Hegel«. In: ZPhF 8 (1954), 336– 352. Adolf Schurr: Philosophie als System bei Fichte, Schelling und Hegel, Stuttgart-Bad Cannstatt 1974. Ingeborg Schüßler: »Logik und Ontologie. Fichtes transzendentale Begründung des Satzes der Identität«. In: Klaus Hammacher (Hrsg.), Der transzendentale Gedanke. Die gegenwärtige Darstellung der Philosophie Fichtes, Hamburg 1981, 498–507. – »Semantik und Logik. Der elenktische Beweis des Satzes vom Widerspruch«. In: Ingeborg Schüßler/Wolfgang Janke (Hrsg.), Sein und Geschichtlichkeit. Karl-Heinz Volkmann-Schluck zum 60. Geburtstag, Frankfurt am Main 1974, 53–66. Rudolf Schüßler: »Nachwuchs für den Lügner. Vom Lügner und verstärkten Lügner zum Super-Lügner«. In: Erkenntnis 24 (1986), 219–234.
Literaturverzeichnis
499
Gottlob Ernst Schulze: Aenesidemus oder über die Fundamente der von dem Herrn Prof. Reinhold in Jena gelieferten Elementar-Philosophie. Nebst einer Vertheidigung des Skepticismus gegen die Anmaaßungen der Vernunftkritik, o. A. d. O. 1792. (Reprint: Brüssel 1969) Thomas M. Seebohm: »Die reine Logik, die systematische Konstruktion des Prinzips der Vernunft und das System der Ideen«. In: H. F. Fulda/Jürgen Stolzenberg (Hrsg.), Architektonik und System in der Philosophie Kants, Hamburg 2001, 204–231. – »Fichte’s Discovery of the Dialectical Method«. In: Daniel Breazeale/Tom Rockmore (Hrsg.), Fichte: Historical Contexts/Contemporary Controversies, New Jersey 1994, 17–42. Ludwig Siep: Hegels Fichtekritik und die Wissenschaftslehre von 1804, Freiburg/München 1970. Gustav Siewerth: »Der Widerspruch im Werk des jüngeren Hegel«. In: Ders., Gott in der Geschichte. Zur Gottesfrage bei Hegel und Heidegger, hrsg. v. Alma von Stockhausen, Düsseldorf 1971, 96–112 (= Gesammelte Werke 3). Josef Simon: »Die Bewegung des Begriffs in Hegels Logik«. In: Dieter Henrich (Hrsg.), Die Wissenschaft der Logik und die Logik der Reflexion, Bonn 1978 (= Hegel-Studien Beiheft 18), 63–73. Andreas Speer: »Der Zirkel des Erkennens. Zu den epistemischen Bedingungen der Metaphysik bei Thomas von Aquin«. In: D. Fonfara (Hrsg.), Metaphysik als Wissenschaft (FS für Klaus Düsing zum 65. Geb.), Freiburg i. Br./München 2006, 135–152. Wolfgang Stegmüller: Das Wahrheitsproblem und die Idee der Semantik. Eine Einführung in die Theorien von A. Tarski und R. Carnap, Wien/New York 21968. Pirmin Stekeler-Weithofer: Grundprobleme der Logik. Elemente einer Kritik der formalen Vernunft, Berlin/New York 1986. – Hegels analytische Philosophie. Die Wissenschaft der Logik als kritische Theorie der Bedeutung, Paderborn u. a. 1992. – »Mathematisches und begriffliches Denken in Hegels Wissenschaft der Logik«. In: Wolfgang Neuser/Vittorio Hösle (Hrsg.), Logik, Mathematik und Naturphilosophie im objektiven Idealismus. Festschrift für Dieter Wandschneider zum 65. Geburtstag, Würzburg 2004. – »Verstand und Vernunft. Zu den Grundbegriffen der Hegelschen Logik«. In: Christoph Demmerling/Friedrich Kambartel (Hrsg.), Vernunftkritik nach Hegel. Analytisch-kritische Interpretationen zur Dialektik, Frankfurt am Main 1992, 139–197.
500
Literaturverzeichnis
Werner Stelzner/Manfred Stöckler: »Vorwort«. In: Dies. (Hrsg.), Zwischen traditioneller und moderner Logik. Nichtklassische Ansätze, Paderborn 2001, 7–17. Werner Stelzner: »Selbstzuschreibung und Identität«. In: Wolfram Hogrebe (Hrsg.), Fichtes Wissenschaftslehre 1794. Philosophische Resonanzen, Frankfurt am Main 1995, 117–140. Jürgen Stolzenberg: Fichtes Begriff der intellektuellen Anschauung. Die Entwicklung in den Wissenschaftslehren von 1793/94 bis 1801/02, Stuttgart 1986. – »Fichtes Satz ›Ich bin‹. Argumentanalytische Überlegungen zu Paragraph 1 der Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre von 1794/95«. In: FichteStudien 6 (1994), 1–34. – »Zum Theorem der Selbstvernichtung des absoluten Wissens in Fichtes Wissenschaftslehre von 1801«. In: Fichte-Studien 17 (2000), 127–140. Alfred Tarski, Einführung in die mathematische Logik und in die Methodologie der Mathematik, Wien 1937. – »Der Wahrheitsbegriff in den formalisierten Sprachen«. In: Studia philosophica I (1935), 261–405. Charles Taylor: »Dialektik heute, oder: Strukturen der Selbstnegation«. In: Dieter Henrich (Hrsg.), Hegels Wissenschaft der Logik. Formation und Rekonstruktion, Stuttgart 1986, 141–153. Michael Theunissen: Sein und Schein. Die kritische Funktion der Hegelschen Logik, Frankfurt am Main 1978. – »Antwort«. In: Hans Friedrich Fulda u. a., Kritische Darstellung der Metaphysik. Eine Diskussion über Hegels ›Logik‹, Frankfurt am Main 1980, 47–106. Thomas von Aquin: Sancti Thomae de Aquino. Opera omnia iussu Leonis XIII P. M. edita, Rom 1883 ff. (ed. Leonina) – In duodecim libros Metaphysicorum Aristotelis expositio, hrsg v. M. R. Cathala/R. M. Spiazzi (= 2ª ed.: Marietti, Taurini-Romae 1971). Hartmut Tietjen: Fichte und Husserl. Letztbegründung, Subjektivität und praktische Vernunft im transzendentalen Idealismus, Frankfurt am Main 1980. Xavier Tilliette: »Erste Fichte-Rezeption. Mit besonderer Berücksichtigung der intellektuellen Anschauung«. In: Klaus Hammacher (Hrsg.), Der transzendentale Gedanke. Die gegenwärtige Darstellung der Philosophie Fichtes, Hamburg 1981, 532–545. Adolf Trendelenburg: Die logische Frage in Hegel’s System. Zwei Streitschriften, Leipzig 1843.
Literaturverzeichnis
501
– Logische Untersuchungen. Erster Band, Leipzig 31870 (repr. Nachdr. Hildesheim 1964). Ernst Tugendhat: Selbstbewusstsein und Selbstbestimmung. Sprachanalytische Interpretationen, Frankfurt am Main 1979. Burkhard Tuschling: »Necessarium est idem simul esse et non esse. Zu Hegels Revision der Grundlagen von Logik und Metaphysik«. In: Hans-Christian Lucas/Guy Planty-Bonjour (Hrsg.), Logik und Geschichte in Hegels System, Stuttgart-Bad Cannstatt 1989, 199–226. Franz Ungler: »Das Wesen in der Jenaer Zeit Hegels«. In: Dieter Henrich/Klaus Düsing (Hrsg.), Hegel in Jena, Bonn 1980, 157–180. (= Hegel-Studien, Beiheft 20) – »Die Kategorie Widerspruch«. In: Thomas Sören Hoffmann/Franz Ungler (Hrsg.), Aufhebung der Transzendentalphilosophie? Systematische Beiträge zu Würdigung, Fortentwicklung und Kritik des transzendentalen Ansatzes zwischen Kant und Hegel, Würzburg 1994, 217–234. Konrad Utz: Die Notwendigkeit des Zufalls. Hegels spekulative Dialektik in der »Wissenschaft der Logik«, Paderborn u. a. 2001. Achille C. Varzi: »Conjunction and Contradiction«. In: Graham Priest u. a. (Hrsg.), The Law of Non-Contradiction. New Philosophical Essays, Oxford 2006, 93–110. Wilhelm Vossenkuhl: Ludwig Wittgenstein, München 1995. Falk Wagner: Der Gedanke der Persönlichkeit Gottes bei Fichte und Hegel, Gütersloh 1971. Violetta L. Waibel: »Das ›System der Freiheit‹ und die ›Feßeln der Dinge‹. Fichtes Begründung der Gegenstandskonstitution (1794/95)«. In: Jürgen Stolzenberg (Hrsg.): Kant und der Frühidealismus, Hamburg 2007, 103–128. Dieter Wandschneider: Grundzüge einer Theorie der Dialektik. Rekonstruktion und Revision dialektischer Kategorienentwicklung in Hegels »Wissenschaft der Logik«, Stuttgart 1995. – »Das Antinomienproblem und seine pragmatische Dimension«. In: Herbert Stachowiak (Hrsg.), Pragmatik. Handbuch pragmatischen Denkens IV. Sprachphilosophie, Sprachpragmatik und formative Pragmatik, Hamburg 1993, 320– 352. – »Dialektik als antinomische Logik«. In: Hegel-Jahrbuch 1991, 227–242. – »Formalität und Wahrheit«. In: Gerd Simon/Erich Straßner (Hrsg.), Sprechen – Denken – Praxis. Zur Diskussion neuer Antworten auf eine alte Frage in Praxis, Wissenschaft und Philosophie, Weinheim/Basel 1979, 257–269. – »Letztbegründung und Dialektik«. In: Raúl Fornet-Betancourt (Hrsg.), Festschrift für Karl-Otto Apel zum 75. Geburtstag, Aachen 1996, 317–336.
502
Literaturverzeichnis
– »Letztbegründung und Logik«. In: Hans-Dieter Klein (Hrsg.), Letztbegründung als System?, Bonn 1994, 84–103. – »Zum Antinomienproblem der Logik«. In: Ratio 16 (1974), 74–91. – »Zur Struktur dialektischer Begriffsentwicklung«. In: Dieter Wandschneider (Hrsg.), Das Problem der Dialektik, Bonn 1997, 114–169. Alan Weir: »There are no true contradictions«. In: Graham Priest u. a. (Hrsg.), The Law of Non-Contradiction. New Philosophical Essays, Oxford 2006, 385– 417. Wilhelm Weischedel: Der frühe Fichte. Aufbruch der Freiheit zur Gemeinschaft, Stuttgart-Bad Cannstatt 21973. Horst Wessel: Logik, Berlin 1998. Manfred Wetzel: »Zum Verhältnis von Darstellung und Dialektik in Hegels Wissenschaft der Logik. Ein Beitrag zur Strukturanalyse der Hegelschen Logik«. In: Dieter Henrich (Hrsg.), Die Wissenschaft der Logik und die Logik der Reflexion, Bonn 1978 (= Hegel-Studien Beiheft 18), 143–169. Alfred North Whitehead/Bertrand Russell: Principia Mathematica, Vorwort und Einleitungen. Mit einem Beitrag von Kurt Gödel, Frankfurt am Main 1984. Wolfgang Wieland: »Bemerkungen zum Anfang von Hegels Logik«. In: Helmut Fahrenbach (Hrsg.), Wirklichkeit und Reflexion. Walter Schulz zum 60. Geburtstag, Pfullingen 1973, 395–414. – »Dialektik und Relationen«. In: Renate Breuninger (Hrsg.), Philosophie der Subjektivität und das Subjekt der Philosophie. Festschrift für Klaus Giel zum 70. Geburtstag, Würzburg 1997, 369–383. Dorothea Wildenburg: Ist der Existentialismus ein Idealismus? Transzendentalphilosophische Analyse der Selbstbewußtseinstheorie des frühen Sartre aus der Perspektive der Wissenschaftslehre Fichtes, Amsterdam u. a. 2003. (=Fichte-Studien Supplementa Bd. 17) Ludwig Wittgenstein: Schriften, Frankfurt am Main 1960–1982. (WS) – Bemerkungen über die Grundlagen der Mathematik, Frankfurt am Main 1974. – Briefwechsel mit B. Russell u. a., Frankfurt am Main 1980. (Briefe) – Vorlesungen 1930–1935. Cambridge 1930 – 1932 aus d. Aufzeichn. von John King u. Desmond Lee; Cambridge 1932 – 1935 aus d. Aufzeichn. von Alice Ambrose u. Margaret Macdonald, Frankfurt am Main 1984. – Wittgenstein und der Wiener Kreis, Frankfurt am Main 1967. – Wittgenstein’s Nachlass. The Bergen Electronic Edition. Text only version, Oxford u. a. 1999. (Kürzel nach v. Wright Katalog)
Literaturverzeichnis
503
Gerhard Martin Wölfle: Die Wesenslogik in Hegels ›Wissenschaft der Logik‹. Versuch einer Rekonstruktion und Kritik unter besonderer Berücksichtigung der philosophischen Tradition, Suttgart-Bad Cannstatt 1994. Jan Woleński: »Jan Łukasiewicz und der Satz vom Widerspruch«. In: Niels Öffenberger/Mirko Skarica (Hrsg.), Beiträge zum Satz vom Widerspruch und zur Aristotelischen Prädikationstheorie, Hildesheim u. a. 2000, 1–42. Michael Wolff: Abhandlungen über die Prinzipien der Logik, Frankfurt am Main 2004. – Der Begriff des Widerspruchs. Eine Studie zur Dialektik Kants und Hegels, Königstein/Ts. 1981. – »Über Hegels Lehre vom Widerspruch«. In: Dieter Henrich (Hrsg.), Hegels Wissenschaft der Logik. Formation und Rekonstruktion, Stuttgart 1986, 107– 128. Max Wundt: Fichte-Forschungen, Stuttgart 1929 (Faksimile-Neudruck Stuttgart-Bad Cannstatt 1976). L. Zahn: »Reflexion«. In: HWPhil 8 (R-Sc), 396–504: Manfred Zahn: »Die Idee der formalen und transzendentalen Logik bei Kant, Fichte und Hegel«. In: Anton Mirko Koktanek (Hrsg.), Schelling-Studien. Festgabe für Manfred Schröter zum 85. Geburtstag, München-Wien 1965, 153– 191.